PRIMS Full-text transcription (HTML)
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[I]
Rahel.
Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde.
ſtill und bewegt. (Hyperion.)
Erſter Theil.
Mit Rahel’s Bildniß.
Berlin,1834. BeiDuncker und Humblot.
[II][III]

Vorwort.

Ehrwürdige gewichtvolle Stimmen fordern laut und dringend eine öffentliche Herausgabe dieſes Buches, das als ein Buch des Andenkens für Freunde bisher nur im Stillen ausgetheilt wurde. Dieſe Bezeichnung darf indeß auch jetzt, da jenem Verlangen nachgegeben wird, im vollen Sinne fortdauern; denn noch immer ſind es weſentlich die Freunde, für welche der neue Abdruck Statt findet, nur daß den im Leben gekannten jetzt auch die nach dem Scheiden erworbenen und künftigen ſich anſchließen. Hiernach iſt auch der Geſichtspunkt feſtzuhalten, nach welchem ſowohl die erſte Auswahl des Mitgetheilten, als auch deſſen jetzige Vermehrung, bei - nah auf das Dreifache des früheren Umfanges, ſich be - ſtimmen mußte. Die Perſönlichkeit ſelbſt, ihr Karakter, ihr Schickſal, ihr Sinn und ihre Begegniſſe, ſind vor allen andern Gegenſtänden dem Antheil und der Zunei - gung der Leſer lieb und wichtig geworden, und jedes Blatt, welches dieſe Beziehung hatte, durfte zuläſſig undIV willkommen ſcheinen, wenn auch der Stoff, in welchem und vermittelſt deſſen ſie hervortrat, bisweilen ſonſt ge - ringfügig oder auch ungewöhnlich dünken konnte. So war auch oft Lob und Tadel weniger ſeines Gegenſtan - des wegen, als um ſeiner Geſtalt und Geſinnung willen, aufzunehmen, und in dieſem Betreff durfte kleinliche Scheu ſo wenig als eitle Abſicht hier vorwalten. Manches lag auf dem Wege, war nicht zu umgehen; ſo wurde denn darüber hingeſchritten; und länger als nöthig dabei ſte - hen zu bleiben, wäre die Schuld des Leſers. Der Wiederabdruck machte die Berichtigung und Ergänzung mancher Stellen möglich, wo vorher nur ungenaue Ab - ſchriften und Auszüge gedient hatten, nunmehr aber die Urſchriften zur Hand waren. Freilich bleiben auch jetzt noch immer Auslaſſungen und Lücken genug, indem vieles Geſchriebene verloren oder noch nicht eingeſammelt, anderes mit Abſicht zurückbehalten iſt; aber die Möglichkeit voll - ſtändiger Mittheilung wird hier durch Erforderniſſe be - dingt, denen nur in einer größeren Zahl von Bänden und erſt in vielen Jahren zu entſprechen ſein dürfte.

Berlin, im December 1833.

[1]

Rahel Antonie Friederike Varnhagen von Enſe, geborne Rahel Levin, nachher unter dem Familiennamen Robert be - kannt, wurde geboren zu Berlin, am erſten Pfingſtfeiertage des Jahres 1771. Sie ſtarb daſelbſt am 7. März des Jah - res 1833, noch nicht zweiundſechszig Jahr alt, und erſt im neunzehnten unſrer durch die tiefſte und feſteſte Liebe geknüpf - ten Vereinigung.

Welches einzige Glück, welchen edlen Schatz und reichen Troſt ich mit der ewig theuren Gattin verloren, iſt den Freun - den wohlbekannt; meine Trauer braucht es ihnen nicht zu ſa - gen; ſie fühlen meinen Verluſt in demjenigen mit, der auch ſie ſelbſt, in mannigfacher Abſtufung und Richtung, aber ge - wiß Alle zu ſchmerzlich hoher Würdigung, durch dieſes Schei - den betroffen hat. Und wenn auch der volle Reichthum die - ſes von Geiſt und Liebe beſeelten Gemüthes nicht unmittelbar jedem Auge ganz entfaltet lag, ſo bekennen doch Alle, die auch nur Momente dieſes in Wohlwollen und Wahrheits - eifer ſtets erregten Lebens angeſchaut, daß ſie von dieſer Er - ſcheinung einen ſeltenen und ahndungsvollen Eindruck der eigenthümlichſten Kraft und Anmuth empfangen haben, der jeder freigebigſten Vorausſetzung Raum giebt, und Alle mit - fühlend unſrer Wehklage beiſtimmen läßt.

I. 12

Von vielen Seiten, aus einem weiten Kreiſe edler Freunde und trauter Bekannten, werde ich dringend aufgefordert, ihrem treuen und beeiferten Antheil einige Nachrichten über die letz - ten Zeiten der geliebten Freundin zu geben, und auch vielfach wird von Nahen und Entfernten der lebhafte Wunſch ausge - ſprochen, dieſer Gabe zugleich eine Auswahl denkwürdiger Zeugniſſe von der Geiſtes - und Sinnesart hinzuzufügen, durch welche die Dahingeſchiedene ihnen ſo bedeutend und werth geworden.

Zur Erfüllung beider Wünſche drängt mich das eigne Herz, wiewohl ich vorausempfinde, daß ich dieſem am wenig - ſten werde genügen können. Da, wo ein Lebensglück erlo - ſchen iſt, ein würdiges Andenken aufzurichten, bedarf es andrer Stimmungen und Kräfte, als mir jetzt vergönnt ſind.

Indeß will ich gern auch das, was der Augenblick er - laubt, dem freundlichen Verlangen entgegenbringen. Es wird noch immer eine reiche Darbietung ſein, wenngleich ſie mir in Verhältniß zu dem, was zu ſagen und zu geben wäre, arm erſcheint. Aus einem unendlichen Vorrath von Briefen, Tagebüchern, Denkblättern und Aufzeichnungen aller Art, die ich von Rahels Hand beſitze, will ich einige Proben liefern, die zwar kein Ganzes ſein können, aber doch auf ein ſolches hindeuten. Man wird aus ihnen wenigſtens ermeſſen, was in dieſer Art einem künftigen Zeitpunkt einſt vollſtändiger auf - zuſchließen vorbehalten bleibt. Eben ſo viel und vielleicht mehr noch, als ich beſitze, liegt in der Welt weit umher zer - ſtreut, welches ich möglichſt einzuſammeln, oder doch ſorgfäl - tiger Aufbewahrung zu empfehlen wünſche!

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Die Auswahl ſelbſt werde ich bei den Freunden nicht erſt rechtfertigen dürfen. Nur Freunden aber iſt dieſe Mit - theilung beſtimmt. Wer ſie als Unbekannter und Fremder empfängt, möge den Inhalt aufnehmen, wie den eines gefun - denen Briefes, der an ihn zwar nicht geſchrieben iſt, aber grade deßhalb von ihm billig und beſcheiden behandelt zu werden hofft. Wiſſentlich habe ich kein Blatt gewählt, das für Le - bende verletzend ſein könnte; daß nicht jeder Tadel als ſolcher es ſein müſſe, verſteht ſich von ſelbſt. Die nicht ausgeſpro - chenen Namen wolle man nicht deßhalb immer auf lebende oder ſehr bekannte Perſonen beziehen; das Errathen würde zu - weilen um des Gegentheils willen ſchwer ſein; öfters iſt auch die Beſcheidenheit der Andeutung gar nicht auf Verhüllung abgeſehn. In Betreff Rahels ſelbſt glaubte ich ihre eigne Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit zur Richtſchnur nehmen zu müſſen; ſie hat aus ihrem Leben und ihren Anſichten und Empfindungen nie ein Geheimniß gemacht, und in keinem Fall anders ſcheinen wollen, als ſie wirklich war; auch kann ſie in der That bei allen Edeln und Unbefangenen nur ge - winnen, je vollſtändiger der Grund ihres Innern erkannt wird, der den Begegniſſen und Aufgaben des Lebens ein ſo fruchtbarer Boden ſein mußte. Der Mangel der Vollſtändig - keit in dieſen Darlegungen könnte das einzige ſein, was die Mittheilungen vereinzelter Bekenntniſſe für jetzt noch bedenk - lich machen dürfte, wenn in dem Sinn und Geiſte derer, welche hier nicht nur als geneigte, ſondern auch als vertraute Leſer gedacht werden, nicht die ſicherſte Gewähr der Beruhi - gung läge.

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Dem gewünſchten Bericht über die letzten Zeiten und den ſeligen Heimgang meiner geliebten Rahel habe ich einige Blätter vorangehen laſſen, welche mein früheſtes Begegnen und Bekanntwerden mit ihr in kurzen Zügen ſchildern; ſie gehören einer Reihe von Denkblättern über mein eignes Le - ben an, und lagen ſchon eine längere Zeit fertiggeſchrieben, ohne daß jedoch die theure Freundin, der ſonſt alles unver - züglich mitzutheilen mir Bedürfniß und Gewohnheit war, ſie geleſen hätte. Ich hoffe auch mit dieſen Blättern mir den Dank der Freunde zu verdienen, wiewohl ſie nur ein ſchwa - cher Verſuch ſind, den Eindruck eines Weſens zu ſchildern, welches vollkommen vor Augen zu ſtellen doch jede Schrift und jede Kunſt unzulänglich bleibt, vielmehr das unwieder - bringlich dahingeſchwundene Leben ſelbſt auf die Erde zurück - kehren müßte!

Aus Varnhagen’s Denkwürdigkeiten.

Hier iſt nun auch eines perſönlichen Erſcheinens zu ge - denken, deſſen erſter Eindruck mir in jener Zeit wurde. Eines Abends, da ich den zum Thee Verſammelten nus Wieland einiges vorlas, wurde Beſuch gemeldet, und bei dem Namen entſtand ſogleich die Art von Bewegung, welche ſich der Er - wartung von Ungewöhnlichem und Günſtigem verknüpft. Es war Rahel Levin oder Robert, denn auch den letztern Na - men führte ſie ſchon damals. Oft ſchon hatte ich ſie nennen5 hören, von den verſchiedenſten Seiten her, und immer mit einem ſo beſondern Reize der Bezeichnung, daß ich mir dabei nur das außerordentlichſte, mit keinem andern zu vergleichende Weſen denken mußte. Was von ihr inſonderheit Graf Lippe und Frau von Boye mir geſagt, deutete auf ein energiſches Zuſammenſein von Geiſt und Natur in urſprünglichſter, rein - ſter Kraft und Form. Auch wenn man einigen Tadel gegen ſie verſuchte, mußte ich im Gegentheil oft das größte Lob daraus nehmen. Man hatte von einer grade jetzt waltenden Leidenſchaft viel geſprochen, die, nach den Erzählungen, an Größe und Erhebung und Unglück alles von Dichtern Beſun - gene übertraf. Ich ſah in geſpannter Aufregung, den Andern zum Lächeln, dem nahen Eintritt der Angekündigten entge - gen. Es erſchien eine leichte, graziöſe Geſtalt, klein aber kräf - tig von Wuchs, von zarten und vollen Gliedern, Fuß und Hand auffallend klein; das Antlitz, von reichem, ſchwarzen Haar umfloſſen, verkündigte geiſtiges Übergewicht, die ſchnel - len und doch feſten dunkeln Blicke ließen zweifeln, ob ſie mehr gäben oder aufnähmen, ein leidender Ausdruck lieh den klaren Geſichtszügen eine ſanfte Anmuth. Sie bewegte ſich in dunkler Kleidung faſt ſchattenartig, aber frei und ſicher, und ihre Begrüßung war ſo bequem als gütig. Was mich aber am überraſchendſten traf, war die klangvolle, weiche, aus der innerſten Seele herauftönende Stimme, und das wunder - barſte Sprechen, das mir noch vorgekommen war. In leich - ten, anſpruchsloſen Äußerungen der eigenthümlichſten Geiſtes - art und Laune verbanden ſich Naivetät und Witz, Schärfe und Lieblichkeit, und allem war zugleich eine tiefe Wahrheit6 wie von Eiſen eingegoſſen, ſo daß auch der Stärkſte gleich fühlte, an dem von ihr Ausgeſprochenen nicht ſo leicht etwas umbiegen oder abbrechen zu können. Eine wohlthätige Wärme menſchlicher Güte und Theilnahme ließ hinwieder auch den Geringſten gern an dieſer Gegenwart ſich erfreuen. Doch kam dies alles nur wie ſchnelle Sonnenblicke hervor, zum völ - ligen Entfalten und Verweilen war diesmal kein Raum. Kleine Neckereien mit Graf Lippe, der kürzlich bei ihr nicht war angenommen worden, und deßhalb böſe thun wollte, er - ſchöpften ſich bald; der ganze Beſuch war überhaupt nur kurz - und ich wüßte mich eigentlich keines beſtimmten Wortes zu erinnern, in welchem etwas ausgeprägt Geiſtreiches, Paradoxes oder Schlagendes ſich zur Bewahrung dargeboten hätte, aber die unwiderſtehliche Einwirkung des ganzen Weſens empfand ich tief, und blieb davon ſo erfüllt, daß ich nach der baldigen Entfernung des merkwürdigen Beſuchs einzig von ihm reden und ihm nachſinnen mußte, Man ſcherzte darüber, und weil der Scherz faſt verdrießlich wurde, ſo trotzt ich ihm deſto eif - riger durch Niederſchreiben eines Gedichts, das den empfange - nen Eindruck begeiſtert ſchildern wollte, und das ich die Drei - ſtigkeit hatte, eben weil man ſie mir bezweifelte, am andern Tage vrrſiegelt abzuſchicken, ohne daß ich weiterhin etwas von der Sache gehört, oder ihr nachgefragt hätte, Rahel Levin ſelbſt wiederzuſehen, war mir darauf Jahre lang nicht beſchieden. Ihr Namen aber blieb mir als ein ungeſchwäch - ter Zauber in der Seele, nur ahndete ich auf keine Weiſe, daß mit jenem frühen Begegnen und jenen vorlauten Zeilen ein erſter Ring gefügt worden, an welchem viele folgende ſich7 einſt anreihen und die entſcheidenſte Wendung und die dau - erndſte Vereinigung meines Lebens geknüpft ſein ſollte.

Unter den mancherlei Perſonen, die wir in dieſem Kreiſe oft beziehungsreich nennen oder ſchildern hörten, waren die angeſehenſten Männer und die merkwürdigſten Frauen, mit welchen jedes edle Intereſſe unſrer Bildung ſich verknüpft fand. Kein Name jedoch war vielfältiger und bedeutender genannt, als der von Rahel Levin; das Verlangen, ſie ken - nen zu lernen, wurde deßhalb oftmals rege. Die Dame des Hauſes, wo wir zuſammen kamen, ſprach von ihr immer als von etwas Einzigem, Unvergleichbaren, und wenn auch in das ſtrömende Lob hin und wieder einiger Tadel einfloß, z. B. daß zuweilen mehr Bedacht auf äußern Schein und mehr Einklang, wenn auch nur verſtellter, mit der gewöhnli - chen Welt zu wünſchen wäre, ſo hatte ſie es doch in keiner Weiſe hehl, daß ſie vor ihr ſonſt in jeder weſentlichen Be - ziehung ſich beuge und ihr unterordne. Wenn eine Frau, die ſelber ſo gebildet, ſo kenntnißreich, ſo fein und ſittig vor un - ſern Augen ſtand, daß ſie uns für alles Frauenweſen faſt ein höchſtes Muſter zu ſein ſchien, in ſolcher Weiſe von einer an - dern ſprach, und ſie unbedingt über jede Vergleichung erhob, ſo war das freilich ſehr auffallend, und Harſcher insbeſondere drang darauf, jene möchte ihre Freundin einmal mit uns zu - ſammen einladen, wo er denn doch die Vergleichung zu Gun - ſten der erſtern ausfallen zu ſehen im voraus entſchloſſen war,8 und dies offen genug bekannte. Der Beſuch wurde verabredet, Rahel erſchien, aber nur auf eine Stunde, da ſie nicht ganz wohl war, und alſo wenig dazu geſtimmt, den etwas befan - genen Zuſchnitt der kleinen Geſellſchaft abzuändern. Harſcher gewann ihr keine Aufmerkſamkeit ab, und als S. kam, und gkeich erfreut und ermuntert ſich neben ſie ſetzte, und mit ihr in lebhaftes Geſpräch einging, wurde jede andre Anknüpfung unmöglich. Wir waren nicht wenig erſtaunt, ſowohl im Scherzen als im Ernſte S. nur in zweiter Rolle zu ſehen, indem er willig jede Unterordnung anzunehmen ſchien, und wirklich ein paarmal wie geſchlagen verſtummte, oder doch gar ſehr zu kurz kam. Als nach raſchem Verlauf eines ſelt - ſamen Geſprächs ihr Wagen ihr gemeldet wurde, und ſie mit dem Verſprechen künftigen längeren Beſuches ſich wegbegab, bot S. mit Beeiferung ſich zum Begleiter an, brachte ſie zu ihrem Wagen, und konnte, als er zurückgekehrt war, ihres Rühmens kein Ende finden; mehr aber, als die Worte, zeugte ſeine Stimmung für den guten Eindruck, denn ſie blieb aufge - weckt und gekräftigt für den ganzen Abend. Für uns war das ein doppeltes Phänomen, wir hatten ihn noch niemals unter - geordnet, und ſeit langer Zeit nicht ſo belebt geſehen. Die Dame des Hauſes ſuchte vergebens bei Harſcher den Dank für ihre bereitwillige Veranſtaltung, er war mißvergnügt, daß al - les gleichſam nur für S. geweſen, und dann verſchwunden war, ihn ärgerte ſogar deſſen fortdauernde Munterkeit, und gern hätte er die ganze Erſcheinung verneint oder verkleinert, deren Übergewicht er doch zu fühlen genöthigt, und deren vollen Werth zu ahnden er gewiß fähig war. Ich theilte ſeine Miß -9 empfindung, allein in ganz anderm Bezuge, denn ich wünſchte ſehnlich, mit dieſem wunderbaren Weſen näher bekannt zu werden, gegen welches die andern ſo ſchnell verblaßten, und ſchon ſah ich insgeheim mich mit ihm einverſtandener und zu - ſammengehöriger, als mit allen dieſen.

Unter den Zuhörern Fichte’s, der ſeine Reden an die deutſche Nation damals hielt, fand ich Ludwig Robert, mit dem ich die faſt abgebrochene Bekanntſchaft erneuerte, auch ſeine Schweſter Rahel ſah ich mit ihm regelmäßig eintreffen, und ich widmete ihrer anziehenden Erſcheinung die lebhafteſte Aufmerkſamkeit, wobei doch ein ſo nah und leicht unter ſol - chen Umſtänden ſich ereignendes Anknüpfen des Geſprächs diesmal durch Eigenſinn des Zufalls unterbleiben ſollte.

In dieſer Stimmung, ſo vorbereitet, ſo empfänglich, reif und bedürftig in Geiſt und Gemüth für neuen Reiz und neuen Troſt, begegnete ich eines Nachmittags in noch ſchneeigem Frühligswetter unter den Linden Rahel; ihre Begleiterin war mir wohlbekannt, ich redete dieſe an, und indem ich eine Strecke mitging, ergab ſich, ſo unbefangen als erwünſcht, auch ein Ge - ſpräch mit Rahel ſelbſt. Ich fand mich außerordentlich angezo - gen, und bot all meinen Witz auf, um die ſchöne Gelegenheit nicht ungenutzt vergehen zu laſſen; ich wußte unter andern eines10 ihrer eigenthümlich ausdrucksvollen Worte, das auf Umwegen bis zu mir gelangt war, mit Bedeutung ſo hinzuwerfen, daß darin halb eine ſchmeichelhafte Aufmerkſamkeit, halb ein nek - kender Angriff lag. Sie bemerkte beides, ſah mich durchdrin - gend an, gleichſam mein Unterſtehen an mir ſelber abzumeſ - ſen, und erwiederte dann, ſie könne es wohl vertragen, daß man ſie citire, aber nicht füglich zugeben, daß es falſch ge - ſchehe; ſie hatte in der That einiges in der Äußerung, welche als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich entſchuldigte mich, daß ich die Ächtheit deſſen, was ich leider ſo weit von ſeinem Urſprunge nach Gunſt des Zufalls auffangen müſſe, nicht verbürgen könne, und die Folge meiner artigen Wen - dung war der Rath, mich lieber ſelbſt bei der Quelle ſolcher Äußerungen einzufinden. Gleich in den nächſten Tagen machte ich von dieſer Erlaubniß den erſehnten Gebrauch. Rahel wohnte damals in der Jägerſtraße, der Seehandlung ſchräg gegenüber, in Obhut und Fürſorge der trefflichen Mutter, de - ren altwürdiges und reichliches Hausweſen den ſchönſten ge - ſelligen Verhältniſſen von jeher offen ſtand. Zuweilen hatte ich, um Ludwig Robert zu beſuchen, dieſe Wohnung betreten; mit wie aufgeregten Erwartungen und Geſinnungen, und zu welch andern Geiſteseinflüſſen, betrat ich ſie jetzt!

In einzelnen Menſchen, oder in einer Gemeinſamkeit zuſammengehöriger, und einander ſich ergänzender und über - tragender Perſönlichkeiten, war mir ſchon einigemal das Heil widerfahren, mich durch das bloße Lebensbegegniß, ohne müh - ſames Streben und Verdienſt, ohne Pein der Allmähligkeit, ſondern im Schwunge des vollen Glückes, und gleichſam11 durch Einen Ruck, auf ein erhöhtes Lebensfeld verſetzt zu ſehen, wo ſchon die Luft, die ich athmete, die Sinneseindrücke, die mir zukamen, das lebendige Spiel der umgebenden Ele - mente, mir ein neues Daſein erſchloſſen und mich einer neuen Bildung theilhaft machten, wo dann weiterhin wohl Eifer und Mühe folgerecht und nachhaltig mitwirkten, und den Gewinn ordnen und bewahren konnten, ihn ſelbſt aber nim - mermehr hervorzubringen vermocht hätten. Solcher geſteiger - ten Lebensſtufen zählte ich bis dahin hauptſächlich drei, das erſte Andringen allgemeinen geiſtigen Lebens im Beginn mei - ner Studien zu Berlin, das Freiwerden eines ſich ſelbſt be - ſtimmenden und lebensthätigen Daſtehens, und die kräftigende Weihe der akademiſchen Herrlichkeit zu Halle. Jetzt kam, acht Jahre nach jener erſten, die vierte Stufe hinzu, durch das Bekanntwerden mit Rahel; ein Wiederaufnehmen, ein Zuſam - menfaſſen und ein Abſchließen aller früheren, ja der ganzen Erlebungsweiſe, denn wie viel Neues, Großes und Uner - wartetes auch ferner mir in einem wechſelvollen Leben be - gegnet iſt, wie mancherlei Gutes und Liebes ſich mir ent - wickelt und angeeignet hat, ſo iſt doch in dieſen vierundzwan - zig Jahren, die ich ſeit jenem Zeitpunkte zähle, mir kein Begegniß, keine innere noch äußere Lebenserfahrung mir wie - dergekehrt, die ich jener genannten anreihen, und mit ihr und den vorhergegangenen in gleichen Werth ſtellen könnte. So iſt mir noch heute*)Geſchrieben im Sommer 1832. Rahel das Neueſte und Friſcheſte mei - nes ganzen Lebens, und indem ich aufzeichnen will, von wel -12 chen Umſtänden und Stimmungen unſer beginnendes Ver - hältniß begleitet war, darf ich den warmen und zarten Hauch jener ſchönen Tage in meiner Vorſtellung nicht erſt künſtlich hervorrufen, denn ich fühle ihn und freue mich ſeiner noch wie damals, aber zu fürchten hab ich gleichwohl, daß meine Schilderung ſich durch die Bekümmerniß verdüſtert, welche, während ich dieſes ſchreibe, meiner Seele in vielfacher Sorge um die geliebte, von ſtürmiſchen Leiden hart befallene Freun - din angſtvoll auferlegt iſt! Welch tröſtlichſter Rückblick wird hier zum ſchmerzlichſten gewandelt!

Ich darf hier keine Schilderung meiner geliebten Rahel verſuchen; ſie ganz zu kennen und zu würdigen, kann ich niemanden zumuthen, der nicht in anhaltender Fortdauer und in allen Beziehungen ihr vertrauter Lebensgenoſſe war; denn ſelbſt ihre Briefe, wie reich und eigenthümlich auch die Quel - len ihres Geiſtes und Gemüthes dort ſprudeln, geben nur ein unvollkommenes Bild von ihrem Weſen, deſſen Hauptſache grade die urſprüngliche, unmittelbare Lebendigkeit iſt, wo alles ganz anders ausſieht, leuchtet und ſchattet, erregt und fortreißt, begütigt und verſöhnt, als irgend Bericht oder Dar - ſtellung wiederzugeben vermag. Ich will nur unternehmen, in kurzen Zügen den Eindruck zu bezeichnen, welchen dies Weſen damals auf mich machte.

Zuvörderſt kann ich ſagen, daß ich in ihrer Gegenwart das volle Gefühl hatte, einen ächten Menſchen, dies herrliche Gottesgeſchöpf in ſeinem reinſten und vollſtändigſten Typus vor Augen zu haben, überall Natur und Geiſt in friſchem Wechſelhauche, überall organiſches Gebild, zuckende Faſer,13 mitlebender Zuſammenhang für die ganze Natur, überall ori - ginale und naive Geiſtes - und Sinnesäußerungen, großartig durch Unſchuld und durch Klugheit, und dabei in Worten wie in Handlungen die raſcheſte, gewandteſte, zutreffendſte Gegenwart. Dies alles war durchwärmt von der reinſten Güte, der ſchönſten, ſtets regen und thätigen Menſchenliebe, der lebhafteſten Theilnahme für fremdes Wohl und Weh. Die Vorzüge menſchlicher Erſcheinung, die mir bisher einzeln begegnet waren, fand ich hier beiſammen, Geiſt und Witz, Tiefſinn und Wahrheitsliebe, Einbildungskraft und Laune, verbunden zu einer Folge von raſchen, leiſen, graziöſen Lebens - bewegungen, welche, gleich Goethe’s Worten, ganz dicht an der Sache ſich halten, ja dieſe ſelber ſind, und mit der ganzen Macht ihres tiefſten Gehaltes augenblicklich wirken. Neben allem Großen und Scharfen quoll aber auch immerfort die weibliche Milde und Anmuth hervor, welche beſonders den Augen und dem edlen Munde den lieblichſten Ausdruck gab, ohne den ſtarken der gewaltigſten Leidenſchaft und des hef - tigſtens Aufwallens zu verhindern.

Ob man ſich in dieſer Miſchung von entgegenſtehenden Gaben und ſtreitigen Elementen, wie ich ſie anzudeuten ver - ſucht habe, ſogleich zurechtfinden wird, bezweifle ich faſt. Mir wenigſtens war es beſchieden, erſt vermittelſt mancher Ungewißheit und manches Irrthums auf die rechte Bahn zu kommen, indem ich nur in Einem auf der Stelle beſtimmt und auf immer feſt war, daß mir der außerordentlichſte und werthvollſte Gegenſtand vor Augen ſei. Irgend ein Vor - urtheil, wie das mißfällige Gerede der Leute aus den ver -14 ſchiedenſten Kreiſen und Standpunkten ſeit ſo langer Zeit mir wohl hätte aufbürden mögen, hatte ich nicht, auch wäre das - ſelbe an ihrer Gegenwart ſogleich zerſchellt; der ſchlichte, na - türliche Empfang, die harmloſe Klarheit und das anſpruchs - loſe Wohlbehagen des anfänglich nur auf Gleichgültigkeiten fallenden Geſprächs, mußten jede mitgebrachte Spannung auf - löſen, und nach und nach erhob ſich dagegen eine neue, die ganz dem Augenblicke ſelber angehörte, und ſchon darin be - gründet lag, daß jedes Wort, rein und lauter wie der friſche Quell aus dem Felſen, auch dem Gleichgültigſten einen Reiz des Lebens, einen Karakter von Wahrheit und Urſprünglich - keit gab, welche durch die bloße Berührung jedes Gewöhnliche zu Ungewöhnlichem verwandelten. Ich empfand auf dieſe Weiſe eine neue Atmoſphäre, die mich wie Poeſie anwehte, und zwar durch das Gegentheil deſſen, was gemeinhin ſo heißt, durch Wirklichkeit anſtatt der Täuſchung, durch Ächtheit an - ſtatt des Scheins. Es konnte jedoch nicht fehlen, daß unſer Geſpräch, dem nach allen Seiten ſo viele Wege vollkommen vorbereitet waren, ſehr bald auf bedeutendere Dinge überging - und endlich ganz in Beziehungen des innern Lebens verweilte, zu welchen Bücher, Perſonen und Verhältniſſe, die jeder von ſeiner Seite kannte, und auch dem andern bekannt wußte, den ergiebigen Stoff nicht mangeln ließen. Wir ſprachen von Friedrich Schlegel, von Tieck, von Frau von Staël, von Goethe, theils in litterariſcher, theils in geſellſchaftlicher Hin - ſicht, und unſre eigne Sinnesweiſe konnte ſich an dieſen be - deutenden Anknüpfungspunkten ſehr gut entfalten und un -15 gewöhnliche Bekenntniſſe mit vieler Freiheit wagen, ohne die Zurückhaltung einer erſten Bekanntſchaft zu überſchreiten.

Nicht gar zu lange waren wir allein geblieben, ſo fand ſich andre Geſellſchaft ein. Die Geſellſchaft war un - gemein belebt, in größter Freiheit und Behaglichkeit; jeder gab ſich als das, was er ſein konnte; es war kein Grund noch Hoffnung des Gelingens, hier einen Schein zu heucheln; die Unbefangenheit und gute Laune Rahels, ihr Geiſt der Wahrheit und des Geltenlaſſens, walteten ungeſtört; alles ging leicht und harmlos dahin; jeder zu herbe Ernſt wurde von Witz und Scherz aufgefangen, die ihrerſeits wieder, bevor ſie ausarten konnten, von Wahrheit und Verſtand er - griffen wurden, und ſo blieb alles belebt zugleich und ge - mäßigt; ein wiederholter Anflug von Muſik, wozu das offne Fortepiano einlud, Rahel war ſinnvolle Kennerin und in früherer Zeit fertige Meiſterin, vollendete das Ganze, und man trennte ſich noch bei guter Zeit, in erhöhter und klarer Stimmung, die ich für mich allein dann unter dem reinen Sternenhimmel noch eine Weile nachgenoß, indem ich ver - gebens in meinen bisherigen Erinnerungen einen ähnlichen Abend ſuchte.

Wenige Tage nur ließ meine Ungeduld einem wieder - holten Beſuche vorangehen, und ſchon mit dieſem wuchs das Vertrauen ſo ſchnell, daß ich nun täglich zu kommen mich berechtigt hielt. Ich war begierig, dieſe neuen Anſchauungen zu verfolgen, dieſen eigenthümlichen Wahrheiten und groß - artigen Aufſchlüſſen, welche ſich mit jedem Schritte glänzender vor mir ausbreiteten, noch näher zu treten, und dieſe neuen,16 von Einſicht durchſtrömten Empfindungen zu genießen, deren ich gewahr wurde. Unendlich reizend und fruchtbar war dieſe Erſtlingszeit eines begeiſterten Umganges, in welchem auch ich die beſten Güter zum Tauſche brachte, die ich beſaß, und in - ſofern kaum geringere, als ich empfing. Hier fand ich das Wunder anzuſtaunen, daß Rahel, in gleichem Maße, als Andre ſich zu verſtellen ſuchen, ihr wahres Innere zu enthüllen ſtrebte, von ihren Begegniſſen, Leiden, Wünſchen und Erwar - tungen, mochten ihr dieſelben auch zum Nachtheil auszulegen ſein, ja ihr ſelber als Gebrechen und Fehl erſcheinen, mit eben ſolcher Unbefangenheit und tiefen Wahrheit ſprach, als hätte ſie nur Günſtiges und Schmeichelhaftes anzuführen, ſich nur der ſchönſten Glückesfülle zu rühmen gehabt. Dieſe Aufrich - tigkeit, derengleichen ich nie in einem andern Menſchen wieder - geſehen habe, und deren ſogar J. J. Rouſſeau nur in ſchrift - licher Mittheilung fähig geweſen zu ſein ſcheint, konnte mich ſogar einigermaßen bedenklich und irre machen, indem oft ſcharfe Härten aus den leidenſchaftlichen Bekenntniſſen hervor - ſprühten, und in dem Erlebten, wie in dem darüber Gedachten ein eignes Element aufwogte, das als gewaltſam und ſcho - nungslos leicht Mißempfindungen weckte, beſonders wenn man vorausſetzte, daß, nach der gewöhnlichen Weiſe, auch hier neben dem Ausgeſprochenen noch Verſchwiegenes im Hinter - grunde liege. Dies war aber hier der Fall keineswegs; Rahel ſagte in Betreff ihrer ſelbſt rückſichtslos die ganze Wahrheit, und würde auch die beſchämendſte und nach - theiligſte, wäre eine ſolche vorhanden geweſen, demjenigen nicht verhehlt haben, der im Bezeigen edlen Vertrauens undein -17einſichtiger Theilnahme ſie darum befragt hätte. Sie glaubte, indem ſie wahr ſei, niemals ſich etwas zu vergeben, noch durch Verſchweigen etwas zu gewinnen, und ein ſolches höch - ſtes, ausgleichendes, verſöhnendes Intereſſe für die Mitthei - lung der Wahrheit, welches ſie empfand, ſetzte ſie für deren Würdigung auch bei Andern ſtets, wiewohl leider meiſt fälſch - lich, immer aufs neue voraus. Ich ſah nun Rahel nach und nach in ihrem ganzen Lebens - und Umgangskreiſe. Hier mußte mir nun ſofort ein unermeßlicher Abſtand klar werden, der zwiſchen ihr und ihrer Umgebung lag. Sie ſtand in der Mitte eines großen Kreiſes gänzlich allein; nicht verſtanden, nicht anerkannt, nicht gehegt, nicht geliebt, wie ſie es be - durfte und verdiente, ſondern gleichgültig außer Acht gelaſſen, oder auch eigenſüchtig benutzt und mißbraucht, wenn die Ge - legenheit ſich anbot; ihre außerordentlichen Gaben, ſofern ſie als Thatſachen auch äußerlich hervortraten, konnte man ihr nicht abſprechen, eigenthümliche Denk - und Sinnesart, Ge - müthskraft, Geiſt, Witz und Laune mußte man ihr zugeſtehen, aber leicht glaubten die Andern davon wenigſtens ebenſoviel zu haben, und noch dazu die größere Beſonnenheit und Ruhe, wofür ſie ſich die nüchterne Selbſtſucht und theilnahmsloſe Mattigkeit anrechneten. Mit dem, was Rahel ihnen groß - müthig lieh und als Almoſen ſpendete, glaubten ſie ihr über - legen zu ſein. Von der Flamme edler Begeiſterung, von dem Triebe menſchlich-reinen Mitgefühls, von dem heiligen Dienſte der Wahrheit, welche Rahels Inneres erfüllten, ihre Eigen - ſchaften beſeelten und bewegten, von dieſem innern Weſen wußten die Meiſten nichts. Sie ſelbſt aber ſetzte alles, wasI 218in ihr war, bei Allen voraus, nahm jeden Funken von Gabe und Willen, von Sinn und Leiſten, mit höchſter Anerkennung, mit entzückter Güte auf, und konnte es nicht begreifen, wenn die weitern Äußerungen und Handlungen dann mit dem ſo günſtig Gedeuteten nur allzu bald nicht mehr übereinſtimmen wollten. Aus dieſem Gegenſatz und Irrthum entſtanden na - türlich viele Unrichtigkeiten und Nachtheile, deren Folgen ſich ſpäterhin traurig genug darſtellten; die Sache ſelbſt aber war mir ſchon damals deutlich, und ich wollte mein Einſehen nicht einmal ſehr verhehlen. Ich glaubte Iphigenien unter den Barbaren in Tauris aufzufinden, und fühlte mich nun um ſo ſtärker zu ihr hingezogen, als ich mir bewußt war, ihr einen Erſatz anbieten zu können, ihr eine Gebühr darbringen zu dürfen, die ihr nur allzu oft verſagt wurde.

Unſer Vertrauen wuchs mit jedem Tage. Gar zu gern theilte ich alles mit, was ich als wichtigſten und daher auch in mancher Art geheimſten Ertrag meines bisherigen Lebens wußte, und dem ich keine edlere Stätte finden konnte, keine, wo ein ſo lebhafter, einſichtsvoller und wahrheitfriſcher Sinn ihm entgegengekommen wäre. Weit entfernt, Billigung für alles zu finden, vernahm ich manchen Tadel, und andres Miß - fallen konnt ich auch unausgeſprochen errathen; nur fühlte ich wohl, daß die Theilnahme für mich dabei nicht litt, ſon - dern eher wuchs, und bei dieſem Gewinn konnte mir alles Übrige nichts anhaben. Auch wurde ich mir ſelbſt gleichſam entrückt in der gewaltigen Anziehung der außerordentlichen Gebilde, welche zum Austauſche ſich vor mir ausbreiteten. Mir war vergönnt, in das reichſte Leben zu blicken, wie nur19 der Mund der Wahrheit und die Hand der Darſtellung das - ſelbe aus der nahen Vergangenheit herauf zu beſchwören ver - mochten. Das Leben war reich in ſeinen äußern Verhältniſſen, unendlich reicher aber durch ſeinen innern Gehalt, dem jene ſich gänzlich unterordneten. Prinz Louis Ferdinand, der ge - niale, heldiſche Menſch, den ſein hoher Standpunkt leider mehr für ſeine Fehler, als für ſeine großen und ſchönen Eigen - ſchaften, begünſtigte, hatte hier ſeine reinſten Empfindungen, ſein innigſtes Streben und Denken, ſeine edelſten Erhebungen, im Genuß einer geiſtesregen gemüthvollen Freundſchaft ge - nährt, einer Freundſchaft, deren ſtarkem Vertrauen ebenſo ſein politiſches Sinnen wie ſeine verliebte Leidenſchaft und jede Wendung des bedrängten Geiſtes und Herzens ſich erſchließen durfte, des Antheils gewiß, wie ſonſt nur die mitergriffene Neigung ihn hervorzubringen pflegt. Männer, wie Gentz und Friedrich Schlegel und beide Humboldt, waren dieſem Kreiſe beeifert zugethan, bald um Blüthen und Früchte von daher zu ſammeln, bald um deren zu bringen, und immer ihren beſten Beifall hier zu finden. Graf Tilly, Guſtav von Brinckmann, Hans Genelli, von Burgsdorf, Major von Gual - tieri, Ludwig und Friedrich Tieck, Graf Caſa-Valencia, Fürſt Reuß, Navarro, und ſo viele andre Diplomaten, Militairs, Gelehrten und Künſtler, hatten ſich eingefunden, und mit höherem Sinn und erregtem Bedürfniß geiſtigen Behagens ſich angeſchloſſen und einheimiſch gemacht. Von ausgezeich - neten Frauen wären viele zu nennen, aus den verſchiedenſten Lebensſphären, doch ſämmtlich darin gleich, daß kein ſchein - ſamer und müſſiger, ſondern irgend ein ächter und wahrer2 *20Bezug dem Verhältniſſe zum Grunde lag. Eine herrliche Bildergalerie, durch welche ich unter lebenſprühenden Erklä - rungen geleitet wurde! Die Bilder nämlich allein waren noch gegenwärtig, der Kreis ſelber jetzt durch die Zeitverhältniſſe völlig aufgelöſt, nachdem ſchon die einzelnen Menſchengeſchicke durch Tod, Entfernung und andre Wandelbarkeit die dichten Reihen gelockert hatten.

Aber nicht nur dieſe reiche Sammlung bedeutender Bild - niſſe wurde mir gezeigt, ſondern noch ein andrer Schatz auf - geſchloſſen, der das antheilvolle Gemüth ungleich ſtärker an - ſprach. Rahel gehörte zu den ſeltenen Weſen, denen die Natur und das Geſchick die Gabe zu lieben nicht verſagt hatten. Was dazu gehörte, was daraus entſtehen mußte, wenn die Weihe der höchſten Empfindung dieſen Geiſt und dieſen Sinn vereinend ergriff, ſie emporzuheben, ſie zu zer - ſchmettern, das konnte ein Dichtungskundiger ahnden; doch übertrafen die Einblicke, die mir wurden, alles was ich zu ahnden fähig geweſen war. Die Gluth der Leidenſchaft hatte hier überſchwänglich die edelſte Nahrung gefunden und auf - gezehrt; andres Leid und andrer Untergang erſchien dagegen gering und kaum noch mitleidswerth. Die Briefe und Tage - blätter, welche mir aus einziger Gunſt des Vertrauens zum Leſen gegeben wurden, enthielten eine Lebensfülle, an welche das, was von Goethe und Rouſſeau in dieſer Art bekannt iſt, nur ſelten hinanreicht; ſo mögen die Briefe an Frau von Houdetot geweſen ſein, deren Rouſſeau ſelbſt als unvergleich - bar mit allem andern erwähnt, ein ſolches Feuer der Wirk - lichkeit mag auch in ihnen gebrannt haben! Dieſe Papiere,21 nachdem ſie lange in meiner Verwahrung geweſen, ſind leider im Jahre 1813 verloren und wahrſcheinlich vernichtet worden, bis auf wenige, die kein genügendes Bild geben. Es ſcheint, als ſolle dergleichen nicht zum litterariſchen Denkmal werden, ſondern heimgehen mit den Perſonen, denen es unmittelbar gehörte. Nächte lang ſaß ich über dieſen Blättern, ich lernte kennen, wovon ich früher keinen Begriff gehabt, oder vielmehr, was in meiner Ahndung geſchlummert, wurde mir zur wachen Anſchauung. Nur das dünkte mich ein Traum, daß ich zu dieſen Schriften gekommen war, und an ſolchem Daſein ſo nahen Antheil gewann.

Die Fülle und Kraft perſönlicher Lebensentwicklung wa - ren mit der Schönheit und Erhebung dichteriſchen und philo - ſophiſchen Geiſtlebens in engem Bündniſſe, ſie bewegten ſich beiderſeits in bezugvoller Übereinſtimmung. Schon ſehr früh, weit früher, als irgend eine litterariſche Meinung der Art ſich gebildet hatte, war Rahel von Goethe’s Außerordentlichkeit getroffen, von der Macht ſeines Genius eingenommen und bezaubert worden, hatte ihn über jede Vergleichung hinaus - geſtellt, ihn für den höchſten, den einzigen Dichter erklärt, ihn als ihren Gewährsmann und Beſtätiger in allen Einſich - ten und Urtheilen des Lebens enthuſiaſtiſch angeprieſen. Jetzt erſcheint das ſehr leicht und natürlich, und niemand will Goe - the’s hohes Hervorragen verneinen, denn ſogar im Bemühen ſie einzuſchränken giebt man die Bejahung zu, allein damals, wo der künftige Heros noch in der Menge der Schriftſteller mitging, und an Rang und Ruhm ganz Andre weit voran - ſtanden, wo die Nation über den Gehalt und ſogar über die22 Form der geiſtigen Erzeugniſſe noch ſehr im Trüben urtheilte, und meiſt an kleinlichen Nebenſachen und äußerlichen Über - einkommniſſen hing, damals war es kein Geringes, mit ge - ſundem Sinn und Herzen aus dem Gewirr von Täuſchungen und Überſchätzungen ſogleich das Ächte und Wahre heraus - zufühlen und mit freiem Muthe zu bekennen. Die Liebe und Verehrung für Goethe war durch Rahel im Kreiſe ihrer Freunde längſt zu einer Art von Kultus gediehen, nach allen Seiten ſein leuchtendes, bekräftigendes Wort eingeſchlagen, ſein Name zur höchſten Beglaubigung geweiht, ehe die beiden Schlegel und ihre Anhänger, ſchon berührt und ergriffen von jenem Kultus, dieſe Richtung in der Litteratur feſtzuſtellen unter - nahmen. Gedenkenswerth erſcheint es, daß, während dieſe Männer ihre Anbetung doch nicht ohne einige Abſicht auf Ertrag und Lohn ausübten, Rahel ihrerſeits dabei mit völli - gem Selbſtvergeſſen verfuhr; ſie hatte Goethe’n im Karlsbade perſönlich kennen gelernt, und er mit Aufmerkſamkeit und Antheil ihres Umgangs gepflogen, wie auch noch ſpäterhin deſſelben mit Hochſchätzung gedacht, ohne daß ſie im gering - ſten eine Verbindung feſtgehalten, einen Briefwechſel veran - laßt hätte, im Gegentheil, ſie erwähnte wenig der Perſon, deſto beeiferter aber des Genius, und nicht die zufällige Be - kanntſchaft, ſondern die weſentliche, die das Leſen ſeiner Schriften gab, genoß und zeigte ſie mit Stolz und Freude. In der Philoſophie ſtand ihr gleicherweiſe der edle Fichte voran, für deſſen Geiſteskarakter ſie ſtets in gleicher Vereh - rung blieb, wenn auch ſein Geiſtesgehalt bei weitem nicht alles abſchloß, was ihr Gedankenflug forderte oder geſtalten23 mochte. Friedrich Schlegel, Novalis, Schleiermacher, ja ſelbſt Schelling und Steffens, waren ihr theils perſönlich, theils den Schriften nach bekannt und werth. In der Muſik waren ihre Lieblinge Gluck, Mozart und Righini; die italiäniſche Schule im Geſang, und nebenher auch im Tanze, allem andern vor - ausgeltend. Und damit dem Schätzen und Lieben auch der Gegenſatz des Mißachtens und Verwerfens nicht fehlte, ſo waren ihr eben ſo früh und ſo entſchieden, wie jene im Gu - ten, die damals beliebten Bühnenherrſcher Kotzebue und Iff - land im Schlechten bemerkt, lange vorher, ehe noch die zum Bewußtſein erwachende litterariſche Kritik ihre muthigen An - griffe gegen dieſe Götzen der Menge gerichtet hatte. Na - mentlich klagte ſie, daß Iffland, abgerechnet ſein großes per - ſönliches Talent, das doch dem ächten Genius eines Fleck nicht zu vergleichen war, durch ſein wachſendes Anſehen und Einwirken die Bühne und Schauſpielkunſt in Berlin auf weithinaus zu Grunde richte, in’s Gemeine und Manierirte hinabziehe, und der leitenden Behörde, wie ſelbſt dem Publi - kum, die falſcheſten Maximen und Urtheile einflöße und ver - härte. Dieſe Polemik hat Wurzel gefaßt, und ſich in der Folge durch namhafte Autoritäten ausgebreitet, doch lange nicht ſo ſehr, daß nicht noch heutiges Tages das Verdienſt der richtigen Vorausſetzung durch vielfältigen Augenſchein lei - der bewährt ſtünde.

Ich war nicht ſobald in dieſen neuen Lebensſtrom ein - gegangen, als ich ſchon eilte, auch meinen Freunden eifrigen Bericht zu geben, ihnen Schritt für Schritt den neuen Ge - winn aufzuzeigen, und ihnen alles zu gönnen, was ſie davon24 ſich anzueignen Fähigkeit und Neigung haben möchten. Sie ließen anfangs manchen Zweifel und Unglauben ſpielen, der mich ſcherzend verwirren ſollte, mußten aber bald den Ernſt meiner Überzeugung erkennen, und ſich zuletzt der durch hun - dert unabweisliche Zeugniſſe ſprechenden Geiſtesmacht beugen. Eine Freundin war verwundert und wollte nicht begreifen, wie Rahel und ich uns auf die Dauer verſtehen könnten, meinte jedoch lächelnd, intereſſant und original würde ich nach - her nicht leicht eine Frau mehr finden. Ein hartnäckiger Wi - derſacher blieb mir Harſcher, wiewohl ich grade ihm die ein - dringlichſten und häufigſten Mittheilungen machte. Er war ſehr fähig anzuerkennen und zu bewundern, und zeigte ſich oft ganz hingeriſſen von tiefen und reichen Einzelnheiten, die ich ihm berichtete, ſo daß er die Andern ſchalt und beſchämte, welche bei ihm Tadel und Widerſpruch gehofft hatten, und es gab wohl Fälle, wo er ſtaunend ausrief: Hier iſt alle Tiefe der Schleiermacher’ſchen Ethik, was ſag ich? hier iſt mehr als Schleiermacher, denn hier iſt die Wiſſenſchaft in Form des Lebens ſelbſt! Doch dergleichen Entflammung dauerte nicht lange, ſondern gab unvermerkt wieder einem Mißwollen und einer Übellaune Raum, welche tief in ſeinem Gemüthe lagen, und gegen ein ſo freies und geſundes Weſen, wie ſich in Rahel darſtellte, um ſo bitterer ausbrachen, als dies mit ſeinem krankhaften und zerknitterten im hellſten Gegenſatze war. Er konnte etwas ſo Selbſtſtändiges, aus dem Ganzen Lebendes, und, ohne Kunſt und Anſtrengung, Wahrheit und Schönheit Produzirendes ſchlechterdings nicht vertragen, ja eine Art Neid und Eiferſucht ergriff ihn, und er wandte al -25 les an, um mich von dem neuen Verhältniſſe wieder abzu - ziehen. Er ſelbſt folgte mir zwar zu Rahel, erfuhr die lieb - reichſte Aufnahme, genoß der belebendſten Geſpräche, und konnte des Staunens und Betrachtens kein Ende finden; al - lein grade das verdroß ihn wieder, er wollte ſich nicht über - boten ſehen, und blieb wieder weg, weil er den Zauber, wie er ſagte, nicht wollte Herr über ſich werden laſſen. Seine ernſtlichen Erörterungen aber, ſeine ſpöttiſchen Launen, und was er ſonſt verſuchte, nichts hatte diesmal die geringſte Ge - walt auf mich, er ſah es ſelber ein, und ließ mich meiner Wege gehen, zufrieden, daß ich neben der neuen Hinneigung auch unſrem alten Verhältniſſe nach wie vor die treuſte Be - fliſſenheit widmete, und mich nach dieſer Seite ebenſowenig wie nach jener irre machen ließ.

Rahel bezog im Laufe des Sommers eine ländliche Wohnung in Charlottenburg, und ich ließ mir angelegen ſein, ſie dort ſo oft als möglich zu beſuchen. Meine Arbeiten drängte ich zuſammen auf den früheren Theil des Tages, meinen ſon - ſtigen Umgang ſchränkte ich mehr und mehr ein, und wenn der Nachmittag mir noch nicht frei wurde, ſo ließ ich ſelbſt den dunkelnden Abend mich nicht abhalten, die Stunde Weges zu Wagen oder zu Fuß eilig zu durchmeſſen, um den meiſt drangvollen Tag in der labendſten Erholung zu beſchließen. Die größere Einſamkeit, in welcher ich die Freundin hier ſah, gab unſerm Geſpräch und ganzen Zuſammenſein einen freieren Gang und reicheren Ertrag; der heimliche Schattenplatz vor der Thüre des kleinen Hauſes in der abgelegenen Schloßſtraße, die kühlen Spaziergänge, in den duftenden Gartenwegen,26 durch die breiten bäumereichen Straßen des damals überaus ſtillen Ortes, längs des Ufers der Spree und über die Brücke, dieſe Reize der Örtlichkeit, oft noch erhöht durch die Pracht des Mond - und Sternenhimmels, ſind mir in der Erinnerung unauflöslich verwebt mit den erhebendſten Geiſtesflügen und den zarteſten Schwingungen des erregten Gemüths, welches denn doch zugleich leidenſchaftlichen Spannungen und geſelli - gem Widerſtreite genugſam eröffnet blieb, und daher von ſen - timentaler Verweichlichung gar nicht bedroht war.

Theils mit ſich ſelber als mächtiger Gegenwart erfüllt, theils zur unbeſtimmten Zukunft gewaltſam hinausſtrebend, war die ſchöne Sommerzeit verfloſſen, und während der Fe - rien mußten die Entſcheidungen ausgeführt werden, welche wir gefaßt hatten. Jemehr der Zeitpunkt der Trennung heran - nahte, deſto inniger fühlten Rahel und ich den Werth und das Glück unſrer Verbindung. Wir ſuchten den Schmerz durch Geiſtesſtärke zu verſcheuchen, aber mitten in aller Freu - digkeit, daß wir noch zuſammen ein Glück empfanden, dem auch die Trennung ſein Weſen laſſen mußte, überſchlich uns die trauervollſte Wehmuth. Es ſchien Thorheit, Wahnſinn, daß wir uns trennten, und doch blieben die gefaßten Vorſätze unverändert, und durchaus einwilligend ſtimmte Rahel mir bei. Wir hatten den Muth, uns zu trennen, geſtärkt durch die Kraft des Zuſammenſeins. Meine Lebensentwicklung war noch unvollſtändig ſogar in ihren Umriſſen, deren Geſtalt ſich abſchließen, ſich nach vielen Seiten über viele Lücken hin er - gänzen mußte. Wie hätte ich bleiben ſollen, in welcher Stel - lung, in welcher Richtung? Der ſtrebenden Thätigkeit hätte27 kein Glück mich entſagen laſſen, im ruhigen Genuſſe weicher Tage wäre ich nur unglücklicher geweſen. Ich mußte fort, um als ein Andrer wiederzukommen, und mußte immer wieder fort, bis nach genugſamen Kämpfen und Stürmen das innere Leben ſich zu dem äußern in gehöriges Verhältniß gebracht hatte. Ich fühlte dieſe unwiderſtehliche Nothwendig - keit, ohne derſelben klar bewußt zu ſein, und alle entgegenge - ſetzten Verſuche mußten mißlingen, bis die rechte Zeit gekom - men war. Der gewonnene Schatz aber blieb mir fortan ge - wiß, der Wechſel des Lebens und die Vielgeſtalt der Welt vermochten über ihn nichts; auch wußten wir beide dies mit ſtärkſter Gewißheit, und in der hiedurch gewährten Herzens - freudigkeit erſchien ſelbſt die Trennung nur als Nebenſache, die ſich nur jetzt nicht ändern ließe, künftig aber unfehlbar weichen werde. Bis zuletzt nahmen zerſtreuende Thätigkeiten uns in An - ſpruch. Als die Tage des Scheidens nun wirklich eintraten, ich mir vorſtellen mußte, daß ich dieſe Augen bald nicht mehr ſe - hen, dieſe Hand nicht mehr küſſen, dieſe Stimme nicht mehr hören ſollte, da mußt ich gleichwohl verzagen, und das nahe Bild der verlaſſen zurückbleibenden Freundin brachte mich zur Verzweif - lung, aus der nur die Gelübde des Wiederſehens ſich um ſo ſtärker emporhoben, und einigen Troſt gewährten.

Ich war damals vierundzwanzig Jahr alt, Rahel um mehr als die Hälfte dieſer Jahre älter, und dieſer Umſtand, welcher unſre ganze Lebensſtellung weit auseinander zu rücken ſchien, hätte dies vielleicht wirklich vermocht, wäre er in ſich28 ſelber wahr geweſen. Allein er beſtand nur als Zufälliges, und war in allem Weſentlichen aufgehoben und vernichtet. Dieſes edle Leben, dem ſchon ſo mannigfache Weltanſchauung geworden, ein ſo großer Reichthum von Glücks - und Leidens - looſen zugetheilt geweſen, dieſes Leben erſchien unzerſtörbar jung und kräftig, nicht nur von Seiten des mächtigen Gei - ſtes, der in freier Höhe über den Tageswogen ſchwebte, ſon - dern auch das Herz, die Sinne, die Adern, das ganze leibliche Daſein, waren wie in friſche Klarheit getaucht, und die reinſte, erquickendſte Gegenwart ſtand herrſchend mitteninne zwiſchen erfüllter Vergangenheit und hoffnungsreicher Zukunft. Eine dauernde Vereinigung mußte uns jedoch damals noch verſagt ſein. Meine Univerſitätsjahre waren noch nicht abgelaufen, der Verſuch in das bürgerliche Leben einzutreten durfte nicht unterbleiben, und kaum an der Schwelle von dieſem ſah ich mich durch innere Unruhe und den Drang der Zeiten zu dem mannigfachſten Wechſel der Verhältniſſe fortgeriſſen. Zwei - maliger Kriegsdienſt, Reiſen, Zerſtreuung in glänzender Welt, Lockungen des Ehrgeizes, Neigungen und Mißverſtändniſſe, zu welchen die langwierige Entfernung Anlaß geben wollte, nichts konnte jemals in meinem Innern das feſte Band berüh - ren, das mich mit Rahel verknüpft hielt, die tiefe Überzeu - gung, daß ich mein Lebensglück gefunden wiſſe, erſchüttern, und das unermüdete Hinſtreben zu dieſem Ziel auch nur einen Augenblick ſchwächen. Sechs Jahre vergingen auf dieſe Weiſe, nur unterbrochen durch kurze Zeiten des Wiederſehens, in wel - chen die Vorſätze und Hoffnungen ſich neu beſtärkten. End - lich, nach erfolgtem Umſchwunge der allgemeinen Verhältniſſe,29 nach erlangtem Sieg und Frieden des deutſchen Vaterlandes, von Paris, wo ich ſchwer krank gelegen, unter glücklichen Zei - chen heimkehrend, konnte ich aller Hemmungen frei, die ge - liebte Freundin in Böhmen wiederfinden, den ſchönſten Som - mer mit ihr verleben, und darauf in Berlin, am 27. Septem - ber 1814, mein Lebensloos für immer dem ihren anſchließen.

Die neunzehnjährige Zeit unſres ſodann wenig unter - brochenen, zu ſtets erneutem Bewußtſein des Glückes erhobe - nen und an innerer Entwicklung reichen Zuſammenlebens zu ſchildern, darf ich vielleicht in ſpäterer Zeit, wenn die Fort - ſetzung der begonnenen Denkſchriften mich wieder anziehen kann, mit geſtärkten Kräften zu unternehmen hoffen. Hier liegt mir nur noch ob, den viel zu frühen Ausgang dieſer entſchwundenen Zeit zu betrachten, und von den letzten Krank - heits - und Gemüthszuſtänden der dahingeſchiedenen Freundin näheren Bericht zu geben.

Rahels Organiſation war von der Natur kräftig und ſtark angelegt, dieſer Anlage jedoch im Beginne ſchon auch widerſprochen worden. Die Mutter brachte, nach vielen zu frühzeitigen Niederkunften, ſie als das erſte lebende Kind zur Welt, welches aber ſo klein und zart war, und ſo ſchwach ſchien, daß man daſſelbe in Baumwolle gehüllt eine Zeit lang in einer Schachtel aufbewahrte.

Die Kinderjahre vergingen unter vielerlei Krankheitslei - den, welche vielleicht durch zweckmäßige Behandlung und an - gemeſſene Lebenseinrichtung damals zu beſeitigen geweſen -30 ren, aber unter entgegengeſetzten Umſtänden ſich befeſtigten, und die Grundlage vieler ſpäteren Krankheiten wurden. Eine außerordentlich frühe Entwickelung der Gemüths - und Geiſtes - kräfte begleitete den raſchen Gang der körperlichen Ausbil - dung. Die reizbarſten Nerven, die feinſte Empfindlichkeit für alle Verhältniſſe der Luft und des Wetters, die leiſeſte und ſchärfſte Thätigkeit der Sinne, die erregbarſte Theilnahme des Herzens, alles wirkte vereint, um dieſe Organiſation den un - berechenbarſten Einflüſſen zu überliefern, mit welchen ſie fort - während zu ringen hatte.

Dennoch erhob ſich unter allem Widerſtreite der Umſtände eine im Ganzen kräftige und geſunde Jugend. Dieſelben Gaben, welche empfänglich machten, wirkten auch lebhaft zu - rück; die geiſtige Lebenskraft war überall ſo ſtärkend gegen - wärtig, daß bei ſolcher Hülfe die Natur auch die größten Bürden nur leicht zu tragen ſchien. Einzelne bedeutende Krankheiten, von eigenthümlicher Geſtalt und Heftigkeit, wichen neubelebtem Wohlſein, und die hergeſtellten Kräfte durf - ten getroſt mit neuen Tagereihen neue Schickungen aufnehmen.

Erſt in ſpäteren Jahren, nach vielen Stürmen und Lei - den, die dem feinen und zarten Gewebe dieſes Körpers, in welchem die Seele ſchon immer ſchweſterlich aushalf, aber ihrerſeits eine Stütze nicht wiederfand, endlich vielfache Be - ſchädigung gebracht hatten, mußte die Geſundheit ein Gegen - ſtand ernſtlicher und ununterbrochener Sorgfalt werden; die jedoch durch williges Selbſtvergeſſen, wo es galt für Andre thätig und liebreich zu ſein, ſo wie durch unvermeidliche neue Erſchütterungen, nur allzu oft geſtört wurde.

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In den letzten vier Jahren beſonders erkrankte Rahel mehrmals ernſtlich. Die Herſtellung gelang meiſt nur auf kürzere Zeit. Rheumatiſche und gichtiſche Schmerzen, dann Beklemmungen und krampfhafte Anfälle der Bruſt, bildeten ſich zu ſtehenden Übeln aus, die nur ſelten ganz unterdrückt ſchienen. Die Zwiſchenzeiten des Beſſerbefindens, in welchen ſie mit großer Schnellkraft bis zu einem gewiſſen Grade ſich zu erholen pflegte, wurden nach und nach kürzer, die Erho - lung ſelbſt unvollkommener. Für Andre war noch oft genug die völlige Täuſchung einer wahren Geneſung möglich; ſie ſelbſt auch gab willig den ſchönen Hoffnungen Gehör, die ſich ihr nahten, und mochte gern den guten Augenblick feſthalten, um frohen Muthes aller vergangenen und drohenden Leiden zu vergeſſen, wie ſie denn auch niemals ängſtlichen und düſtern Vorſtellungen über ihren eignen Zuſtand nachhing. Allein ſie kannte dieſen beſſer, als ſie es ſagte, oder als ſie dafür, wenn ſie es ſagte, Glauben fand; denn dieſer gute Willen, dieſe freundliche Regſamkeit, dieſer heitre Eifer, die jeder guten Stunde ſogleich wieder entquollen, mußten immer neue Zuverſicht gewähren. So wie nur eine menſchliche Ge - genwart ſie in Anſpruch nahm, eine Geiſtesregung, ein Ge - müthsantheil ſie ergriff, eine wenn auch noch ſo gering ſchei - nende Beſchäftigung ihr oblag, ein wohlwollendes, oft kaum gefordertes, und vielleicht unerkanntes, aber von ihrem Herzen gebotenes und in der Sache richtiges Leiſten ihr eröffnet war: ſogleich erſchien ſie geſund und ſtark, und ihr inneres Leben bedeckte durch überſtrömende Liebe den zunehmenden Verfall des äußern.

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Die Krankheitsleiden warfen ſich hauptſächlich auf die Nächte, in deren einſamer Stille ſie großentheils verborgen blieben, und in ganzem Umfange nur der treuen Pflegerin Dore bekannt wurden. Heftige Anfälle von Bruſtkrämpfen, welche bei ſchnellſter und wirkſamſter Hülfe doch nur lang - ſam wichen, und immer große Schwäche zurückließen, waren nur die Steigerung eines Zuſtandes, der mehr oder minder ſchon als der gewöhnliche gelten mußte.

Die Aufregungen der Zeit, die Unruhen, welche ausbrachen oder drohten, die furchtbare Krankheit aus dem Orient, die Schreck - bilder, in denen ihr Herannahen angekündigt wurde, die Sor - gen, Theilnahmen und Mühen, welche ihr Erſcheinen auferlegte, endlich die Trennung von dem theuern Bruder Ludwig Robert, der einen entfernten Aufenthalt wählte, um für ſeine Thätig - keit friedliche Ruhe und Muße zu finden, alles dieſes mußte die ſchon vielfach angeſtrengten, und immer auf’s neue nur allzu bereitwilligen Kräfte in übergroße Spannung ſetzen.

Im Sommer 1832 überſtand Rahel unter den größten Leiden eine Krankheit, welche jederzeit als eine mit Lebensge - fahr verbundene erachtet wird, und die zu überſtehen man ihrer ſo anhaltend beſtürmten Organiſation kaum noch zu - traute. Sie überſtand dieſelbe jedoch wunderbar, und die hie - bei ſichtbar gewordene Lebenskraft erſchien uns als ein gün - ſtiges Zeichen, daß ihr noch eine ganze Reihe von Jahren beſtimmt ſein könne. Allein nach einiger Zeit ſchon fanden ſich die alten Krankheitszuſtände wieder ein, und die wirk - liche Schwäche wurde um ſo auffallender, als ſie auf den Anſchein gewonnener Stärke folgte. Große Widerwärtigkei -ten,33ten, deren ihr leicht und tief erregtes Gemüth oft von Andern ungeahndete oder doch unbegriffene zu tragen hatte, der ihr lange verhehlte, aber endlich eröffnete Trauerfall, daß in der Ferne der geliebte Bruder, und nach kurzer Friſt auch deſſen Gattin, unerwartet durch Krankheit dahingerafft worden, die Zerſtörung ſo manches Wunſches und Troſtes: dies alles ver - eint, war ein zu gewaltſamer Angriff, dem ſie nicht meht verhältnißmäßigen Widerſtand entgegenzuſtellen hatte.

Der Winter brachte, wie gewöhnlich, manche Verſchlim - merung, und beſchränkte mehr und mehr die Thätigkeit und den Antheil, den ſie, mehr noch für Andre als für ſich ſelbſt, an den Darbietungen des Tages zu nehmen pflegte. Selte - ner fuhr ſie aus, in das Theater gar nicht mehr, zu Beſuchen nur bei beſonderein Anlaß und als kurze Erſcheinung, die letztenmale, am 20. und 21. Januar, in den Thiergarten, um Luft und Sonne zu genießen. Gar oft mußte ſie auch der gewohnten Geſelligkeit häuslicher Abende entſagen, oder die Unterhaltung abbrechen und ſich zurückziehen, um in ſtiller Ruhe ihre Leiden abzuwarten oder neue Kräfte zu gewinnen. Kehrte ſie dann zurück, ſo wollte ſie des Über - ſtandenen nicht mehr gedenken, nahm das gehemmte Geſpräch heiter wieder auf, und zeigte, wie in den beſten Tagen, den liebenswürdigſten Eifer, in allen Richtungen Gutes und Er - freuliches hervorzurufen.

Wenn ſie nur ihre gewöhnlichen Beſchwerden hatte, ſuchte ſie es mir häufig zu verbergen, und Schmerz und Leid im Stillen für ſich abzumachen. In heftigeren Anfällen aber war das nicht möglich, ſie wünſchte dann auch meinen Bei -I. 334ſtand, und begehrte, man ſollte ihr zureden und ſie tröſten. Doch nur ſelten vermochte man das; ſie ſelbſt vielmehr erhob ſich zu dem höchſten Troſte, ſprach die ſchönſten Empfindungen und reichſten Ahndungen aus, und freute ſich dankbar gegen Gott, daß ſie doch gute Gedanken habe, tröſtliche, erquickende Vorſtellungen, ein offenes Herz, ein reines Vertrauen. So ſagte ſie zu mir eines Morgens, nach einer ſchrecklichen Nacht, mit dem ſo eindringenden Ton ihrer liebevollen Stimme: O ich bin doch ganz vergnügt, ich bin ja Gottes Geſchöpf, er weiß von mir, und ich werde ſchon noch einſehen, wie es mir gut und nöthig war, ſo zu leiden; ich ſoll gewiß etwas dadurch lernen, jeder Schmerz wird in der gewonnenen Ein - ſicht zur Freude werden, jedes Leid als Glorie daliegen! Und bin ich nicht ſchon jetzt glücklich in dieſem Vertrauen, und in all der Liebe, die ich habe und finde?

Ihre häusliche Geſelligkeit war ſchon längere Zeit auf einen kleinen Kreis erwünſchter Perſonen beſchränkt, der ſo - wohl altbewährte, ſeit zwanzig und dreißig Jahren ihr un - verändert gebliebene Freunde, als auch jüngere und noch ganz neue Bekanntſchaften umfaßte. Sie wußte den verſchieden - artigſten Eigenſchaften einen ſchicklichen Spielraum, jedem richtigen Anſpruch eine billige Befriedigung zu verſchaffen, und auch für ſich ſelbſt jederzeit eine ſolche zu gewinnen. Alles Ächte, Gute und Liebliche, das ihr begegnete, war ihr gleich ein Entzücken. So war es ein tiefer und froher Ein - druck, den ſie noch in den letzten Wochen durch die Bekannt - ſchaft mit einer edlen und liebenswürdigen Dame empfing, in welcher ſie beſtätigt fand, was ſchon der Namen ihr ver -35 heißen hatte; dann darf ich des innigen Glückes gedenken, welches ſie eines Abends genoß, da die theure Schwägerin Erneſtine Robert nicht ermüdete, mit ſeelenvoller Stimme ihr die ſchönſten Geſänge vorzutragen, nicht ahndend, daß dies die letzte Freude ſolcher Art ſein würde, deren die leidenſchaft - liche Muſikfreundin hier genießen ſollte! Rahel durfte noch öftere Wiederholung dieſes Genuſſes hoffen, ſie war noch thä - tig, dieſe zu beſprechen, zu bereiten. Allein grade in dieſer Zeit griffen die Krankheitsbeſchwerden ſtärker und ſtärker in ihre Tage und Stunden ein, und ſie mußte mit Betrübniß ſich eingeſtehen, daß ſie immer weniger Verfügung darüber habe, immer andaurender von ihren Leiden abhängig werde.

Rahel fühlte wohl, daß ihre Lage ſich nicht günſtig ver - änderte. Die Schranken der Arzneikunde waren ihr nur zu wohl bekannt, als daß ſie hätte von daher unbedingt Hülfe erwarten wollen; in früheren Zeiten hatten berühmte Ärzte viel bei ihr verſehen, ſich gröblich geirrt, und wenn ihr dieſe Beſorgniß jetzt auch fern lag, und ſie in entſcheidenden Au - genblicken nie Mangel an Vertrauen zeigte, ſo mußte ſie doch das Gefühl, welches ſie von ihrer Krankheit hatte, mit den Äußerungen, welche ſie darüber vernahm, in weitem Abſtande finden. Sie mochte kaum noch auf Heilung rechnen. Aber Zeiten der Erholung, längere, wiederholte Friſten, und ſelbſt Jahre eines ſolchen Wechſels, durften ihr zuweilen möglich ſcheinen, und ſie hörte nicht ſelten in dieſem Sinne die be - ſtimmteſten Hoffnungen ausſprechen. Beſcheidene Plane, die ſie mit einer lieben Freundin für den Sommer lange voraus als angenehme Heimlichkeit verabredet hatte, ſchwebten er -3 *36freuend vor ihrer Seele, und es machte ihr Vergnügen, in vertraulichen Augenblicken davon zu ſprechen, wobei ſie doch zugleich mit Ergebung alles den Umſtänden unterwerfen wollte. Allein auch Vorſtellungen ganz andrer Art, beſchäftigten ſie, und meiſtentheils war ihr Gemüth zu geiſtigen Richtungen hingewandt.

Zu allen Zeiten, in der Jugend wie im Alter, in ganz geſunden, wie in kranken Tagen, waren die höchſten Aufgaben des Menſchen, die Thatſachen der geiſtigen Welt, und die Empfindungen und Ahndungen eines hohen Zuſammenhanges, für Rahel die liebſten Gegenſtände der Betrachtung, der immer wiederkehrende Inhalt des Geſprächs. In Heiterkeit und mit Laune, wie mit Ernſt und in Erhebung, ſprach ſie oft vom Tode, auch dem eignen, den ſie nicht fürchtete, ſondern mit faſt neugieriger Forſchung anzuſchauen pflegte. Bei täglichen Anläſſen, in unerwarteten Ausbrüchen, heißen Gebeten, und tiefen, eigenthümlichen Gedankenblitzen, zeigte ſich ihr gott - ergebener, ſtarker Sinn nach dieſer Richtung offen und frei hingewandt. Wir waren es gewohnt, Gegenſtände und Be - ziehungen dieſer Art täglich und ſtündlich von ihr angeregt und erörtert zu ſehen. Allein wir mußten zu dieſer Zeit bald gewahr werden, daß die Richtung zu dem Unſichtbaren in Rahel nicht nur entſchiedener vorwaltete, ſondern auch in ih - ren Äußerungen eine durchaus erhöhte, perſönlichere Bedeu - tung empfing.

In ſolcher Weiſe ſprach ſie eines Tages unter andern mit heitrer Innigkeit von einem ſchönen Traum, der ihr von Kindheit an tröſtlich geweſen. In meinem ſiebenten Jahre , ſagte ſie,37 träumte mir einmal, ich ſähe den lieben Gott ganz nahe, er hatte ſich über mir ausgebreitet, und ſein Mantel war der ganze Himmel; auf einer Ecke dieſes Mantels durfte ich ruhen, und lag in beglücktem Frieden zum Entſchlummern da. Seit - dem kehrte mir dieſer Traum durch mein ganzes Leben immer wieder, und in den ſchlimmſten Zeiten war mir dieſelbe Vor - ſtellung auch im Wachen gegenwärtig, und ein himmliſcher Troſt: ich durfte mich zu den Füßen Gottes auf eine Ecke ſeines Mantels legen, und da jeder Sorge frei werden; er erlaubte es. Wie oft noch in der Folge hörte ich ſie dann mit dem ihr ganz eigenen, rührenden Stimmenlaute bei und nach den angſtvollſten Leiden vertrauend ſagen: Ich lege mich auf Gottes Mantel, er erlaubt es. Wenn ich auch leide, ich bin doch glücklich, Gott iſt ja bei mir, ich bin in ſeiner Hand, und er weiß alles am beſten, was mir gut iſt, und warum es ſo ſein muß! Die erhabenſten Gedanken und die lieblichſten Kindervorſtellungen waren ihr von jeher in gleichem Maße angehörig und mit einander verknüpft.

Auch in Betreff naher und ferner Perſonen zeigten Rahels Äußerungen eine erhöhte Innigkeit, jedes liebreiche und herz - liche Verhältniß wurde ihr angelegener, jedes herbe und widrige entrückter oder milder. Verſöhnung lag in ihr zu allen Zeiten ſchon immer für alles Geſchehene bereit, ihr guter Wille war ſchon begnügt, wenn nur der Andre ſein Unrecht zu vergeſſen ſchien; jetzt wollte ſie für alles und jedes wechſelſeitige Ver - zeihung ausgeſprochen wiſſen. Beſtätigt und geſegnet aber ſollte ihr jedes Wahre und Gute ſein, und ſie verhehlte es nicht, daß jedes ächte Gebild ihres Lebens, jede wahre und38 tiefe Verknüpfung mit geliebten Menſchen, ihr die Andeutung und Bürgſchaft eines hier nicht auszuforſchenden, weſentliche - ren Zuſammenhanges ſei.

Sie hatte mitten in ihren Leiden auf dieſe Weiſe glück - liche Stunden, in den beſſern Zwiſchenräumen auch fortwäh - rend die freudigſten Geiſtesgenüſſe. Die Sprüche von Ange - lus Sileſius waren ihr faſt immer zur Hand; in Fichte’s Staatslehre ſuchte ſie manches ihr Wichtige, z. B. über den Karakter der Franzoſen, zu nochmaligem Betrachten wieder auf; in Wilhelm Meiſters Wanderjahren las ſie hin und wie - der mit ernſtem Nachdenken, und ſchrieb noch einige Bemer - kungen darüber; daneben erfreute ſich ihr antheilvoller Sinn auch an den wohlgeſchriebenen Theaterberichten der franzöſi - ſchen Zeitungen, ſo wie an manchen andern Aufſätzen der Ta - gesblätter, wie ſie denn von jeher für jedes Talent der ſchö - nen, gediegenen und treffenden Darſtellung eine leidenſchaft - liche Bewunderung hatte. Ein paarmal fügte es ſich, daß ich ihr, was ſie ſonſt nicht liebte noch vertragen konnte, man - ches vorlas, kürzere Sachen von Goethe, auch aus Angelus Sileſius, was ſie in wahre Freudigkeit, ja in Entzücken ver - ſetzte, und ſie drückte ihre Befriedigung beſonders auch dar - über aus, daß ſie alles dies auf ſolche Weiſe von mir jetzt höre, und ſich unſrer Gemeinſchaft und Einigkeit dabei ſo innig bewußt ſein könne.

In dieſer Zeit war der Herzog von Lucca nach Berlin gekommen, und mit ihm ſein Leibarzt. Dr. von Necher, dem in der homöopathiſchen Heilkunſt die glücklichſten Erfolge zu - geſchrieben wurden. Eine verehrte Freundin, ſo ausgezeichnet39 durch Geiſt wie durch wohlwollenden Eifer, drang in Rahel, dieſe Gelegenheit nicht zu verſäumen, und den trefflichen, menſchenfreundlichen, ganz uneigennützig jedem Hülfeſuchenden zugänglichen Arzt über ihre Krankheit zu Rath zu ziehen, oder wenigſtens ſeine Bekanntſchaft zu machen. Nach einigen Erörterungen wurde vorläufig nur das letztere feſtgeſtellt, und mittlerweile der Werth der neuen Heilmethode, ſo wie das Vertrauen, welches ſie fordern dürfe, mannigfach beſprochen.

Am 16ten Februar empfing Rahel den erſten Beſuch des Dr. von Necher, welchen Frau von Arnim (geb. Bren - tano) bei ihr einführte. Seine Perſönlichkeit machte einen durchaus vortheilhaften Eindruck, der ſich durch ſeine Reden und ſein Benehmen mit jedem Augenblick verſtärkte. Seine lebhafte Theilnahme, ſeine umſichtigen Fragen, ſein kluges Beobachten, und die feſte Beſtimmtheit deſſen, was er ſagte, waren dem Gemüth eben ſo wohlthätig, als ſie dem Geiſte Vertrauen einflößten. Nach anderthalbſtündigem Geſpräch war die Kranke aus eigenem Antriebe ſchon ganz entſchieden, unter der Leitung dieſes Arztes die neue Heilart zu verſuchen. Weil jedoch die Wirkung der bisher genommenen Arzneien erſt ganz aufgehört haben ſollte, bevor die homöopathiſchen Mittel gebraucht würden, ſo mußte der Beginn der Kur noch um fünf Tage aufgeſchoben bleiben; nur wurden die nach den Grundſätzen der Homöopathie nicht zuläſſigen Nahrungs - und Reizmittel ſchon jetzt ſorgfältig entfernt.

Der Arzt hatte die Kranke in günſtigen Augenblicken ge - ſehen, ſie war angeregt, freudig faſt, und in ihrem Vertrauen daher um ſo raſcher und kräftiger; auch gab er in der That40 anfangs gute Hoffnung, nicht zwar eines völligen Geneſens, aber doch eines zu gewinnenden Zuſtandes bedeutender Linde - rung, in welchem noch eine ganze Reihe guter Jahre hinge - hen könnten. In den folgenden Tagen, bei wiederholtem For - ſchen und Prüfen, mußte dieſe Hoffnung freilich um vieles herabgeſetzt werden, doch wurde ſie im Ganzen nicht aufgege - ben, und ſpäterhin, bei erneuten günſtigen Zeichen, ſogar wieder erhöht. Dr. von Necher kam nun täglich, und mei - ſtens mehr als Einmal, wobei das Vertrauen zu ſeiner Hülfe, ſo wie der gute Eindruck ſeiner Gegenwart nur immer zu - nahmen. Da jedoch ſeine Anweſenheit in Berlin von unge - wiſſer Dauer war, ſo brachte er ſchon jetzt auch den hieſigen homöopathiſchen Arzt, Dr. Stüler, mit, der die angefangene Kur weiterhin fortſetzen ſollte.

Die neue Lebensordnung wurde für Rahel dadurch be - ſchwerlich und hart, daß alle gewohnten Reize und Erquickun - gen, welche ihren ſelten ganz ruhenden Leiden eine wenn auch nur vorübergehende Linderung oder Ablenkung zu bewirken pflegten, jetzt unterſagt waren. In Vertrauen und Geduld fügte ſie ſich dieſen Entbehrungen aller Art, empfand ſie aber ſchmerzlich, und es war uns oft jammervoll, ſie den Wunſch nach irgend einem gewohnten Labſal, zugleich ſelbſt aber auch deſſen Verneinung ausſprechen zu hören. Als nach begonne - ner Kur eine allgemeine Aufregung der Beſchwerden eintrat, und dieſe zum Theil auch den genommenen Mitteln zuzu - ſchreiben ſchien, wurde jene Entbehrung nur noch peinlicher, und die Kranke konnte dann, in ihrer geängſteten Unruhe, für die kein linderndes Eingreifen Statt fand, zuweilen den41 mißmuthigen Seufzer nicht unterdrücken, daß ſie dieſe Kur, wenn man ihr deren harten Verlauf vorausgeſagt hätte, ſchwerlich würde unternommen haben. Ihr Vertrauen zu dem Arzte und ſeiner eifrigen Bemühung blieb indeß unerſchüttert daſſelbe, und ſie betrauerte nur ſein damals befürchtetes baldi - ges Fortreiſen.

Die Nächte waren ſchlimm; ſie wurden meiſt ſchlaflos und oft unter großen Beängſtigungen und harten Anfällen hingebracht, und dieſe Leiden gingen auch ſchon mehr und mehr in die Tagesſtunden über. Rahel fühlte ſich ernſtlich krank und im Innerſten gebeugt; ſie ſagte einmal insgeheim zu Doro, die ihr vom Sommer ſprach: Ach, wenn du wüß - teſt, was ich denke! ich denke, ich komme nicht über den März hinaus. Allein in andern Augenblicken faßte ſie doch wieder Muth, dachte mit Vergnügen an die kommende beſſere Jahreszeit, nahm ſich zuſammen, war in alter Weiſe thätig und theilnehmend, ordnete mit gewohnter Pünktlichkeit und arbeitſamem Fleiß wirthſchaftliche Rechnungen, ſorgte mit Überlegung und Vorausſicht für Nothleidende, die ſie als ihr zugewieſene anſehen wollte, und war wie immer liebevoll be - dacht, mehreren Perſonen ihres näheren Bereichs Angenehmes und Gefälliges zu erweiſen, ihnen kleine Geſchenke zu berei - ten, freundliche Mittheilungen zu machen, wie es grade der Sinn oder die Umſtände fügten.

Am 1. März hatte ſie zum zweitenmal homöopathiſche Arznei empfangen, und den Tag ſehr unruhig, unter wechſeln - den Leiden hingebracht. In der Nacht zum 2. ſteigerten42 ſich dieſe zu einem ſo furchtbaren Bruſtkrampfe, wie bisher noch keiner geweſen war. Sie glaubte zu ſterben, und litt einige Stunden lang ganz unſäglich. Doch unter dem ſorg - ſamen Beiſtande des herbeigeholten Dr. Stüler gewann ſie nach und nach etwas Linderung, der Anfall wich, und es blieb ein Zuſtand übrig, der zwar noch immer Aufregung zeigte, aber endlich doch eine Lage zum Ruhen und ſogar, wiewohl bei fortdauernd angeſtrengtem Athemholen, einigen Schlaf erlaubte.

Die folgenden Tage und Nächte rangen mit vielem Un - gemach; die Spannung ſtieg nicht, minderte ſich aber auch nicht genug; eine leidliche Lage, die ſich nach vielen Mühen auf Augenblicke gewinnen ließ, wurde nur allzuſchnell wieder durch Beklemmungen geſtört. Die Kräfte verhielten ſich da - bei noch über Erwarten gut; wir ſprachen ihr wiederholt un - ſer tröſtendes Erſtaunen aus, wie viel ihre urſprünglich ſtarke Natur auszuhalten vermöge, und wie ſchnell ihr Körper, gleich dem Gemüth, wieder in alter Faſſung ſei, ſobald ihm nur ein Augenblick dazu freigegeben werde. Sie ſtimmte wohl in dieſe Meinung ein, aber ſah deßhalb ihren Zuſtand für nicht weniger bedenklich an, und fürchtete beſonders die Wie - derkehr des Anfalls, deſſen ſchreckliche Angſt und Qual ihr ſchaudervoll im Sinne lag.

Die liebevollen Worte, die ſie während dieſer Zeit im - mer an uns richtete, die troſtreichen Rückblicke, welche ſie auf die Vergangenheit warf, und die gerührten Erhebungen, in denen ihr[tiefſtes] Herz aufwogte, vermag ich nicht im Ein -43 zelnen zu wiederholen. Wir genoſſen in dieſer trüben Zeit Stunden des reinſten Entzückens, der innigſten Verſtändigung, und fühlten die volle Gewißheit eines unzerſtörbar begründe - ten, wechſelſeitigen Angehörens. Merkwürdig ſind auch die folgenden Worte, die ich gleich am 2. März, unmittelbar und genau, wie ſie von Rahel geſprochen waren, mir auf - ſchreiben mußte: Welche Geſchichte! rief ſie mit tie - fer Bewegung aus, eine aus Ägypten und Paläſtina Geflüchtete bin ich hier, und finde Hülfe, Liebe und Pflege von euch! Dir, lieber Auguſt, war ich zugeſandt, durch dieſe Führung Gottes, und du mir! Mit erhabenem Entzücken denk ich an dieſen meinen Urſprung und dieſen ganzen Zu - ſammenhang des Geſchickes, durch welches die älteſten Erin - nerungen des Menſchengeſchlechts mit der neueſten Lage der Dinge, die weiteſten Zeit - und Raumfernen verbunden ſind. Was ſo lange Zeit meines Lebens mir die größte Schmach, das herbſte Leid und Unglück war, eine Jüdin geboren zu ſein, um keinen Preis möcht ich das jetzt miſſen. Wird es mir nicht eben ſo mit dieſen Krankheitsleiden gehen, werd ich einſt nicht eben ſo mich freudig an ihnen erheben, ſie um kei - nen Preis miſſen wollen? O lieber Auguſt, welche tröſtliche Einſicht, welch bedeutendes Gleichniß! Auf dieſem Wege wol - len wir fortgehen! Und darauf ſagte ſie unter vielen Thrä - nen: Lieber Auguſt, mein Herz iſt im Innerſten erquickt; ich habe an Jeſus gedacht, und über ſein Leiden geweint; ich habe gefühlt, zum erſtenmal es ſo gefühlt, daß er mein Bru - der iſt. Und Maria, was hat die gelitten! Sie ſah den ge -44 liebten Sohn leiden, und erlag nicht, ſie ſtand am Kreuze! Das hätte ich nicht gekonnt, ſo ſtark wäre ich nicht geweſen. Verzeihe mir es Gott, ich bekenne es, wie ſchwach ich bin.

Am 5. März war in keiner Hinſicht eine Verſchlimme - rung merkbar; im Gegentheil, es zeigte ſich auf Rücken und Schultern ein Ausſchlag, demjenigen ähnlich, durch den ſchon in früheren Jahren ein gefahrvoller Zuſtand ſich zum glück - lichen Ausgange gewendet hatte. Wir konnten neue Hoffnung faſſen, der Arzt bezeigte ſeine große Zufriedenheit, Rahel - chelte freundlich ob den guten Verheißungen, ſie fand das Le - ben wünſchenswerth, und ohne die höheren Gedankenreihen, in denen ſie ergeben und getroſt weilte, zu verlaſſen, wandte ſie von daher den Blick auch mit Liebe den nächſten Darbie - tungen des Tages zu. Ein ſchöner Fliederbaum, den ihr im vorigen Sommer die von ihr ſehr geliebte Gräfin von Yorck geſchenkt hatte, trieb unerwartet in dieſen Tagen junge Knos - pen; man brachte ihn vor das Bette der Kranken, die ihn tiefathmend und entzückt betrachtete, und das zarte Grün wie - derholt küßte; das erſte für ſie und das letzte dieſes neuen Frühjahrs! Ihre Sanftmuth und Hingebung in dieſen Tagen war unausſprechlich. Wir wollen einander alles verzeihen, ſagte ſie mehrmals, und: Wir ſchleppen einander wechſel - ſeitig mit, ihr mich, ich euch; ferner: Im Himmel ſehen wir uns Alle wieder. Als Dore einmal von ihr ſprach, und dabei die gewöhnliche Benennung gnädige Frau anwandte, rief ſie wohlbehaglich, und als ob ſie ſich von einer Laſt be - freite: Ach was! es hat ſich aus gegnädigefraut! nennt mich45 Rahel. Sie ſprach dies nicht in dem Sinn eines nahen Ab - ſchiedes, ſondern in dem eines Aufgebens von Schein und Tand, wie ihr auch für das Weiterleben zu Muthe ſei und bleiben ſolle. Eine ſolche erhöhte Stimmung zeigte ſich über - haupt in der faſt wehmüthigen Herzlichkeit, welche ſie ihren Nächſten und den Freunden bewies, deren Beſuch ſie empfing. Die Gegenwart ihres jüngſten und nur noch einzigen Bruders Moritz Robert, den ſie immer beſonders geliebt hatte, war ihr jedesmal ein erquickender Troſt; um ihn aufzumuntern, ver - ſicherte ſie ihm freundlich, es gehe ihr gar nicht ſchlecht, und wenn er ſie vorwärts niedergebeugt ſitzend fände, ſo ſei das bloß, weil es ihr ſo für den Augenblick bequem ſei; ſie könne ſich recht wohl grade halten, aber habe nur jetzt keinen Grund es zu thun. Auch erfreute ſie der Anblick des lieben Nichten - Kindes Eliſe, das noch auf Augenblicke zum Beſuch an ihr Bette kam. Theure Freunde und Freundinnen nahten ihr grüßend und heilwünſchend, unter dieſen noch am Abend der Fürſt und die Fürſtin von Carolath, die am andern Morgen abreiſen wollten.

Der 6. März kam heran, die Beſchwerden waten groß - die Entbehrung jedes Labſals ungemein peinlich, das Verlan - gen nach Erquickung und Ruhe ſprach ſich in geſteigerten Klagen aus. Die fleißigen Beſuche des Dr. von Necher, der mehrmals im Tage wiederkam, und immer neuen Aufſchub ſeiner Abreiſe verkündigte, erfreuten ſie jedesmal. Sie nahm auch an dieſem Tage noch jeden gewohnten Antheil an allem, was vorging und geſprochen wurde, und die ungeſchwächte46 Belebung ihres Herzens bewies ſich auch in den ſchmerzlichſten Ausrufungen über die Herzogin von Berry, in deren Geſchick ſie nur die Tiefe des Leidens ſehen wollte, zu welchem der Menſch gebeugt werden könne. Sie verlangte alles zu wiſſen, was die Zeitungen von der unglücklichen Fürſtin meldeten, und hörte nicht auf, ſie zu bedauern.

Ein Verſuch aufzuſtehen und einige Schritte im Zimmer zu machen, zeigte noch reichliche Kräfte, und ſie ſelbſt wie auch wir Andern hatten davon einen guten Eindruck. Über - haupt ſtimmten die Verſicherungen der Ärzte, auch nicht-homöo - pathiſcher, ſämmtlich darin überein, daß eine dringende Gefahr jetzt nicht vorhanden, der ganze Zuſtand aber und ſeine fernere Entwicklung dennoch mit größter Beſorgniß zu betrachten ſei. Bald aber wurde bemerkt, daß der Ausſchlag ſich an Umfang und Stärke gemindert zeige; doch ſchien ein freiwillig einge - tretener Schweiß ihn wieder hervorzutreiben, und die Unter - haltung dieſes Schweißes wurde angelegentlich empfohlen. Die Ärzte hatten Rahel zu Mittag beſucht; der Bruder eben - falls, die Schwägerin kam gegen Abend, und auch der Bruder wollte wiederkommen, wurde aber durch die Nachricht abge - halten, es habe ſich nicht verſchlimmert, und man wünſche die Kranke ruhen zu laſſen. Sie fragte einigemal nach ihm, weil er ihr geſagt hatte, daß er noch wiederkommen würde, doch hatte ihre Erwartung, ihn zu ſehen, durchaus nichts Un - gewöhnliches. Mit einem Gruße des Arztes, der neuen Auf - ſchub ſeiner Abreiſe melden ließ, kam noch am ſpäten Abend Frau von Arnim, verweilte einen Augenblick am Fuße von47 Rahels Bette, und wurde von ihr mit den Worten angeredet, ſie komme ſtets als ein minister of heaven, dann aber wie - der mit Dank und Freundlichkeit entlaſſen.

Beim Eintritt der Nacht, und als der Schweiß aufgehört hatte, empfand Rahel ein unwiderſtehliches Bedürfniß, ſich umzukleiden; da ſie es ſich nicht ausreden ließ, ſo geſchah es, aber mit größter Vorſicht. Sie ſelbſt war dabei lebhaft thä - tig, und bezeigte eine außerordentliche Befriedigung, dies er - langt und vollbracht zu haben. Sie fühlte ſich höchſt erquickt, und hoffte nun auch eine Lage zu finden, in der ſie etwas ſchlummern könnte. Sie ſagte mir deßhalb gute Nacht, und hieß mich gleichfalls ſchlafen gehen. Auch Dore ſollte ſich niederlegen und ſchlafen, die aber nicht geneigt war noch Zeit hatte, dieſer Weiſung zu folgen.

Es mochte nach Mitternacht ſein, und ich lag noch wach, als Dore mich rief, ich möchte kommen, es ſei ſehr ſchlimm. Seit dem Augenblicke, daß ich weggegangen war, hatte Rahel, anſtatt die gehoffte Ruhe zu finden, mit ſtets anwachſenden Beſchwerden zu ringen gehabt, die jetzt in völligen Bruſt - krampf übergegangen waren. Ich fand ſie in einem Zuſtande, der wenig geringer ſchien, als der vor ſechs Tagen. Die für ſolchen Fall, den man zwar nicht wahrſcheinlich, aber doch möglich erachtet hatte, dagelaſſenen Mittel wurden eifrig an - gewandt, allein diesmal mit minderem Erfolg. Der ſchreck - liche Kampf dauerte fort, und die theure Leidende, in Dore’s Armen ſich windend, rief mehrmals, der Andrang gegen die Bruſt ſei nicht auszuhalten, es ſtoße ihr das Herz ab; fürch -48 terlich rang dabei das Athemholen. Nachdem ſie geklagt, duß es ihr auch den Kopf angreife, daß ſie darin wie eine Wolke fühle, lehnte ſie ſich zurück; eine Täuſchung, daß Lin - derung eintrete, blitzte nur auf, um für immer zu erlöſchen, die Augen waren gebrochen, der Mund verzogen, die Glieder gelähmt! In dieſem Zuſtande fanden ſie die herbeigerufenen Ärzte; ſie verſuchten ihr noch einige Mittel einzuflößen, allein der Nervenſchlag, der ſie getroffen hatte, machte jede Hülfe vergeblich. Nach anderthalb Stunden bewußtloſen Daliegens, während deſſen nur noch die Bruſt ſich in gewaltſamen Zügen regte, hauchte dies edle Leben den letzten Athem aus. Der Anblick, den ich kniend an ihrem Bette faſt leblos aufnahm, drückte ſich glühend für ewig in mein Herz!

Wir ſtarrten betäubt die entſetzliche Gewißheit an. Das oft genug Befürchtete hatte uns dennoch grauſam überraſcht; nicht in dieſer Woche, nicht an dieſem Tage, ſelbſt in der letzten Stunde noch nicht, hatten wir dieſe Wendung erwarten dürfen, denn bevor der Nervenſchlag hinzutrat, war kein Zei - chen ſchlimmer und bedenklicher, als bei den vor ſechs Tagen erlittenen Zufällen, die denn doch, wenn auch nach hartem Kampfe, wieder nachgelaſſen hatten. So entſchwand uns die Theure ohne Wort und Blick des Abſchieds, aber auch, wir dürfen es hoffen, ohne Gefühl des letzten Kampfes und ohne Bewußtſein des Scheidens!

Eine ſeltne Theilnahme in allen Klaſſen wurde durch die Nachricht dieſes Trauerfalles erregt, in den höchſten wie in den unterſten Kreiſen zeigte ſich tiefes, herzliches Bedauernund49und würdigende Anerkennung. Die edlen Eigenſchaften der unverſiegbaren Güte, des einſichtigen Wohlthuns und eines allgemein erfreuenden Benehmens, wurden auch von den Leu - ten des niedrigſten Standes herzlich geprieſen, denen die reichen Gaben des Geiſtes als ſolche nicht erkennbar ſein konnten. Der weite Kreis der Freunde, der älteſten wie der jüngſten, Alle ſtimmten beeifert in dem klagevollen Bekennt - niß überein, daß ihnen ein reichſtes und bedeutendſtes Le - bensbild, ein höchſtes Ziel, zu welchem ſich Gedanken und Erinnerungen immer neu vertrauend hingezogen fanden, da - hingeſunken ſei.

Die Beſtattung erfolgte am 14. März in einem Grab - gewölbe auf dem Kirchhofe vor dem halliſchen Thore, wo der Prediger Dr. Marheineke das Andenken der Entſchlafenen durch eine würdige und inhaltvolle Rede feierte, und damit die erhabenen Tröſtungen des geiſtlichen Wortes vereinigte.

Eine Frau, die nicht durch Stand und Namen, noch durch Schönheit und glänzende Verhältniſſe, die Blicke der Welt hat auf ſich ziehen, noch durch ſchriftſtelleriſche oder künſtle - riſche Verdienſte berühmt werden können, ſondern einzig durch das unbefangene gleichmäßige Walten einer in ſich ſtets wah - ren, und dabei gütigen und erweckenden Perſönlichkeit, durch ihr einfaches tägliches Leben, auf die umgebende Welt gewirkt, und dabei gleichwohl den Beſten ihrer Zeit gleichgeſtanden, überall ſo tiefen und eigenthümlichen Eindruck gemacht, und eine ſo beharrliche Aufmerkſamkeit und zuneigungsvolle Ach - tung, ja eine ſo allgemeine Wohlgeſinnung erworben, eineI. 450ſolche Frau wird zu allen Zeiten als eine ſeltne und werthe Erſcheinung gelten dürfen.

Mögen die nachfolgenden Blätter durch ihre treuen Züge den Freunden das ganze Lebensbild glücklich erneuen helfen!

K. A. Varnhagen von Enſe.

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An Markus Theodor Robert, in Breslau.

Lieber Markus. Meiner Rechnung nach biſt du mir eine Antwort ſchuldig; ich hätte dir auch nicht geſchrieben, wenn ich dich nicht um etwas bitten, fragen und beſchwören wollte. Donnerstag ſind Papa und Mama hier angekommen. (Bei dieſem Wort bekomme ich deinen Brief. Ich bitte dich noch Einmal, bedenk uns und die Folgen; ſei nur aufmerk - ſamer! ) Ich gab Mama gleich einen Brief, den die Dienstags-Breslauer-Poſt mitgebracht hat, verſteht ſich heim - lich; der Inhalt dieſes Briefs iſt: etwas von unſren Geſchich - ten: und dann eine Klage über dich (genau was es iſt, hat er nicht geſchrieben) und die Bitte, dich zu ermahnen; ſonſt müßt er es Papaen melden. Du kannſt dir denken, was das auf unſre gedrückte Mutter für Eindruck machen muß. Be - queme dich, ich bitte dich um Gottes willen, nur noch eine kurze Zeit: ſoll ich dir ſchreiben, daß ſich Alle bequemen müſ - ſen, und alle die Moral und vernünftige Sachen, die du mir unzähligemal ſelbſt geſagt haſt? und die du wirklich fühlſt, denn ich kenne dich, obgleich du der ganzen Welt dunkel biſt. Verſtand haſt du; und ein gutes Herz auch; an was kann4 *52es dir fehlen. Unſer Zuſtand muß dir nur nicht lebhaft genug mehr ſein; denk dir, wenn Klage an Papa kommt, ob nicht alles Leiden auf Mama zurückkommt: Nun hat er uns alles verſchüttet, ich habe es wohl vorher geſagt, zu allem laſſ ich mich überreden, du biſt an allem ſchuld; ſiehſt du, auf Mama kommt alle Schuld; und noch unzählige Sachen, die du dir nicht denken kannſt die du dir denken mußt. Bedenk nur uns, was wir leiden müſſen: du kannſt es nicht faſſen, denn ich kann es nachher immer nicht nach der Reihe denken; und du willſt dich nicht ein bischen ſchicken. Du wirſt auch ſagen, Mama hat mich hergeſprengt (denn ich kenne deine raſche Art zu denken); wie war es zuletzt bei uns? Du weißt es ſelbſt. Ihre Herzensmeinung war gewiß dabei gut; und hat ſie doch gefehlt,? ſo mußt du es, mußt du es gut machen, durch eine kurze Geduld wieder gut machen. Unſre Mutter iſt ſchwach, ſie hat viel gelitten, muß noch viel leiden, ſtürbe ſie uns, ſo wäre dem Verſtand nach gewiß der Tod auch für uns das Beſte, ich wenigſtens würde ihn wäh - len. Laß dich nicht von meinem Brief ängſtigen, du weißt ich bin etwas ängſtlich. Ich beſchwöre dich, brauch nur deine Vernunft. Fehlet es dir an etwas, mach mich zu deiner Ver - trauten, Geld oder alles andre in der Art ſollſt du haben. Wir können überhaupt glücklich leben, wenn wir hinkommen, und du uns auch Freude machſt. Du haſt ein gutes Herz du haſt das meinige ganz geſehen; und kannſt auch glau - ben, daß ich dich liebe.

Grüß die Gad, Betty und Zadig; mit der Gad haſt du Recht, ich werde ihr ſchreiben: mach die Gad und Betty be -53 kannt, ſie verdienen es beide (die Gad in Ehren), ich kenne ſo ein gewiſſes kleines Vorurtheil . Grüß die Gad nochmahl.

Anmerk. Der frühſte von Rahels Briefen unter den bewahrt ge - bliebenen. Als Sechszehnjährige drückt ſie darin ſchon den Karakter, die Stellung und Stimmung, ſo wie die Wirkungsweiſe ihres ganzen Le - bens aus.

An David Veit, in Göttingen.

So eben hab ich Ihren Brief ausgeleſen.

Wüßt ich nur wieder auch Ihnen was recht Angeneh - mes zu ſchreiben, was Sie auch ſo intereſſirt! Sie glauben gar nicht, wie gern ich mich bedanken möchte! Das Einzige, was ich thun kann, iſt Ihnen gleich zu antworten, damit Sie ſo den ganzen völligen Eindruck ſehen; und das thu ich auch, während daß meine Schwägerin ſich friſiren läßt, denn, iſt die fertig, ſo muß ich daran. Wir fahren zu Bouché, die Hyazinthen ſollen ſchon im Freien blühen. Wiſſen Sie nur, ich weiß recht, was Sie an mir gethan haben, erſtlich das ſchreckliche Anſehen und Beſehen (wovon Sie aber, glau - ben Sie mir, auch Ihren Nutzen haben werden) und das Be - ſchreiben ohne alle Beſchreibung; ich weiß es, glauben Sie mir ich weiß es, wie es unterwegs iſt, jede Minute iſt ver - rückt, alles macht Mühe, die Zeit hätten Sie prächtig anwen - den können, es wird ſo ſchwer, Details zu beſchreiben, wenn man ſie auch noch ſo gut geſehen hat, im Gegentheil, darum nur um ſo viel ſchwerer. Alſo den ganzen Brief, und alles was drin ſteht, haben Sie mir zu Gefallen gethan, gemacht54 und gedacht: bloß mir ein Vergnügen, eine Satisfaktion zu geben. Mehr kann ich nicht thun; ich thu Ihnen wieder einmal ſo was. Denn ich weiß gewiß einmal etwas, das Sie gern wiſſen wollen, und kann es gut beſchreiben, und will es thun, ich opfere Ihnen gern die Zeit. Glauben thu ich Ihnen alles, auf ein Haar.

Sie wiſſen doch ſonſt immer gern ſo genau was ich denke; und das iſt auch ein Vergnügen zu wiſſen, wenn man Leute fände, die einem das ſagten, dann könnte man klug werden. Ich will Ihnen aber diesmal über Ihren Brief alles ſo ſagen, Sie ſollen Ihre Freude dran haben. Ich fange mit einer gräßlichen Thorheit an, zeig Ihnen alſo mein Innerſtes; ich habe nicht geglaubt, daß Goethe ſo ſubaltern antik (Sie ſe - hen, ich weiß kein Wort) angezogen geht, denn ein Menſch, der alles weiß, weiß auch dies, und warum ſollt er ſich nicht ein bischen apprivoiſirter kleiden, noch dazu da er am Hofe lebt und in den neueſten Geſellſchaften iſt, das käme ganz natürlicherweiſe von ſelbſt, ſo wie ich jetzt glauben muß, er geht mit Bedacht anders, und das begreif ich nicht. Nun iſt es aber wohl noch ganz anders, er mag aus Bequemlich - keit ſo gehen, mag lange nicht nach ſo etwas geſehen haben, mag ſo etwas ſeinen Leuten überlaſſen; und dann, er weiß nur alles, und er mag ſo ſein. Was Sie mir übrigens ſchrei - ben, iſt mir gar nicht aufgefallen, die Leute machen einen immer irr, und wenn die einen nicht zurechtweiſen wollten, wäre man ſchon längſt klug. Natürlich hat man ſich ihn ungefähr ſo denken müſſen, und warum ſollt er anders ſein,55 wer hat ein größeres Privilegium zum Mies-ſein, als er? Aber da kommen die gleich mit ihren Querſachen von Stolz und anderem Dummen, kurz ſo dumm, als ſie ſelbſt ſind. Das linke Hand antrauen verſteh ich auch nicht; vielleicht hat die Perſon gewollt, und überhaupt verſteh ich den Werth und die Wirkung dieſer Ceremonie nicht. Ignorance, mais tout de bon. Ich glaube Ihnen in allem ganz, und glau - ben Sie mir, ich habe Ihnen die Mühe der ringsum abge - hauenen Vorurtheile aller Art wohl angeleſen; Sie haben ſo einfach nur erzählt, was da war, wie in Goethe’s Karne - val. Das iſt eine erſchreckliche Mühe, ich weiß es, weil man da nur thut, was man ſchon gethan hat, was das einzige iſt, was man thun muß, ſehen, und ehe man vorurtheilt und ſich etwa verurtheilt; das muß ein jeder thun, und dies noch einmal zu thun iſt ſehr langweilend. Sie haben mir die prächtigſte Satisfaktion ſeit langer Zeit gegeben (nun frag ich gar keinen mehr darüber aus), und fragen noch lange, ob Sie ſo fortfahren ſollen: Herr Gott! das wäre zu viel, ſo exakt brauchen Sie nicht zu ſein, ich will ſchon ver - ſtehen, aber hören Sie ja nicht auf, alles zu beſehen, und unmenſchlich zu fragen, das iſt das Wahre.

Wie können Sie aber nur ſo grauſam ſein, und mich ermahnen, ich ſolle oder müſſe das alles ſehen! Wiſſen Sie denn nicht, daß ich vergehe, ganz vergehe, wie etwas, das aufhört: iſt es einem ordentlichen Menſchen möglich, Berlins Pflaſter ſich für die Welt ausgeben zu laſſen (dies abſcheu - liche, windige Klima nur! ſeit vorgeſtern hat’s zum erſten - male geregnet, und heut iſt gut Wetter) und kann ein Frauen -56 zimmer dafür, wenn es auch ein Menſch iſt? Wenn meine Mutter gutmüthig und hart genug geweſen wäre, und ſie hätte nur ahnden können, wie ich werden würde, ſo hätte ſie mich bei meinem erſten Schrei in hieſigem Staub erſticken ſollen. Ein ohnmächtiges Weſen, dem es für nichts gerechnet wird, nun ſo zu Hauſe zu ſitzen, und das Himmel und Erde, Menſchen und Vieh wider ſich hätte, wenn es weg wollte, (und das Gedanken hat, wie ein anderer Menſch) und richtig zu Hauſe bleiben muß, das, wenn’s mouvements macht, die merklich ſind, Vorwürfe aller Art verſchlucken muß, die man ihm mit raison macht; weil es wirklich nicht raison iſt zu ſchütteln, denn fallen die Gläſer, die Spinnrocken, die Flore, die Nähzeuge weg, ſo haut alles ein. (Jettchen war eben hier, die und die Veit ſind auch enchantirt von Ihnen mais vraiment enchantées, ſie goutiren ganz die Sim - plizität, die Mühe und Aufmerkſamkeit, und daß keine Frage übrig bleibt). Hören Sie aber nur um Gottes willen nicht auf, mir beſonders von der Schönheit der Örter zu ſchreiben, und bleiben Sie (überhaupt) ſich gleich, wo möglich!

Was Sie mir von Wieland mittheilen, war mir nicht weniger äußerlich angenehm, und noch mehr über meine Er - wartung hübſch, was er hübſch über ſeine jetzigen Geſchriften (nicht Schriften und nicht Geſchreibe) ſagt, Bravo! und wie er angezogen geht, recht prälatenartig außer Ornat; und dann ſeine Geduld alles zu ſehen gefällt mir auch, recht Wielan - diſch; ſchön weiß er gewiß iſt ſchön, indeſſen klebt es aller Orten, nehme man’s wo es ſitzt, was man zu Hauſe hat, hat man feſt; und alt iſt er auch, was ſoll er machen, ſo ein57 ſachtes Amuſement! Von Herder müſſen Sie der Ungenüg - ſamen doch noch etwas ſchreiben, wann Sie wollen und wie Sie wollen.

Es iſt mir als ſähe ich das doch alles noch einmal, es wird mir nie einkommen, daß ich ein Schlemihl und eine Jüdin bin, da es mir nach den langen Jahren und dem vielen Den - ken darüber nicht bekannt wird, ſo werd ich’s auch nie recht wiſſen. Darum naſcht auch der Klang der Mordaxt nicht an meiner Wurzel , darum leb ich noch. Das hab ich Ihnen doch noch alles nicht geſagt, darum ſchreib ich’s Ih - nen, daß Sie Vergnügen daran haben ſollen. Lieber Veit, ſchicken Sie mir doch Ihre Adreſſe, ich möcht Ihnen gern auf meine eigene Hand ſchreiben, das Einlegen iſt mir fatal. Er - breche man immer unſere Briefe, die verſteht doch kein Menſch, und Intereſſe hat’s für kein Weſen (wenn Sie ſie erſt gele - ſen haben).

Was ſoll ich Ihnen von uns, von hier ſchreiben. Wir ſprechen nicht einmal davon. Glauben Sie nicht, daß das Verachtung ſein ſoll; was nur halbwege iſt und vorgeht, ſollen Sie wiſſen. Jetzt iſt aber wirklich gar nichts, nichts in der Stadt, und nichts bei uns. Meine Familie grüßt Sie und Mad. Liman auch, die haben mit goutirt. Herrn Simon Veit dank ich für ſeine Theilnahme. Ein andermal reiſ ich mit Ihnen, Herr Veit, und mach mir aus der ganzen Welt nichts, aber im Ernſt. Vorgeſtern war Jonas den ganzen Tag bei mir, ich hab ihn mit zu Hauſe genommen; ich bin oft bei Mad. Veit, ſie und ich nehmen den größten Antheil an Ihrem Vergnügen. Haben Sie’s doch, wenn wir’s nicht58 haben können. Mad. Veit geht faſt gar nicht aus und ſtillt beſtändig, befindet ſich aber à merveille! Jonas war wirklich charmant, und iſt es immer, wenn ſie ihn nicht verderben. Adieu, Herr Veit.

Leben Sie wohl, lieber Veit, und haben Sie recht Ver - gnügen, denn Sie haben’s für mich mit, weil ich welches da - von habe. Wann kommen Sie wieder wie iſt das, ſo etwas will ich wiſſen. Vielen Dank.

Apropos, lieber Veit, ich habe mir für vier Groſchen ein halb Buch fein Papier gekauft, und ſchneide mir mit Ihrem Federmeſſer die Feder ſelbſt. Imaginez.

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Heute, Herr von Brinckmann, hab ich Ihren Brief mit den Verſen erhalten, ihn geleſen, auf den Brunnen gegangen, der Fr. geleſen, zu Haus gegangen, und nun die Verſe gele - ſen, mit denen ich dieſen Augenblick fertig bin; ich hab ver - geſſen, welche Sie für die beſten halten, und Ihren Brief hab ich nicht. (Ich verſprech Ihnen, es ſoll ſie keiner als höchſtens die Fr. leſen.) Ich denke alſo in meinem Sinn, die an den Grafen Hatzfeldt und die von der Roſe ſind die be - ſten; doch kann ich mich ſehr irren, Sie wiſſen, Geſchriebnes leſ ich das erſtemal ſehr flüchtig. Der Brief aber, den Sie in meinem Sinn und Namen gedichtet haben, iſt meiſterhaft und ſo würd ich die Dinge gewiß ausdrücken, wenn ich im Stande wär, manche zu denken, die Sie, ich weiß es wohl,59 nicht ohne Bedacht geſchrieben haben; ſoll ich ſagen par déli - catesse? Welt finesse oder ſo etwas oder weil Sie doch nicht ganz aus ſich herausgehen wollten denn mich hätten Sie gewiß noch beſſer attrappiren können, ich will nicht erreichen ſchreiben. Sie haben aber Recht, wo ſollt ich die Art des Danks her kriegen, für dieſen gro - ßen Brief und für dieſe vielen Verſe; und Sie wollten mir’s dadurch erleichtren, daß ich auch eine faſt angemeßne Klage gegen Sie führen kann, darum beſchenken Sie mich, und be - ſchuldigen mich in ein - und demſelben Athem, daß ich dieſes Geſchenk nicht werth wäre, denn hieße das eigentlich nicht, nicht werth ſein, wenn ich’s nicht verſtünde, wider Willen Ihre Briefe geleſen hätte, und mich nicht ſo damit freute, als man ſoll, und ich wohl kann? Wir ſind alſo quitt; Sie haben mich außerordentlich beſchenkt, und ich weiß es und bedanke mich ſo ſehr als ich kann; mehr kann ich nicht thun, um mich meiner Dankbarkeit zu entledigen, ich müßte Ihnen denn das Geſchenk und den guten Willen zurückgeben können. So lang ich nur das Gedächtniß behalte, wird es ein regret für mich bleiben, daß Sie nicht hier ſind, denn mir vor ſichtlichen Au - gen etwas Gutes entziehen laſſen, iſt bei mir unverſchmerzlich, ja ich ſeh’s was Sie hier thäten, und Sie können nicht her kommen; dieſe Umſtände können ſich nie wieder treffen, und ich weiß deutlich, was es geweſen wäre, was ich mir nicht denken kann, und was ich verloren habe. Ihnen die ganze Urſache detaillant zu ſchreiben, wäre zu weitläufig, und (was halt ich nicht für riskant) in einem Brief vielleicht zu riskant. Ich muß mich alſo drüber wegſetzen.

60

Ich komme wieder vom Brunnen, und kann Ihnen in dieſem Brief nicht mehr viel ſchreiben, denn ich höre, die Poſt geht heut ab; und heut ſind meine Menſchen gekom - men, mit denen ich ſehr beſchäftigt bin, doch muß ich Ihnen noch ſagen, was ich ſeit geſtern ſchon weiß, daß ich mich näm - lich nicht geirrt habe, denn der Herr hat geſtern bei Tiſch, wo ich nicht war, deutlich erzählt, er könne mich nicht leiden. (Sie kennen mein Schickſal, was ich alles erfahre; alſo hab ich auch das erfahren, und dem Erzähler verſprochen, daß es ein Geheimniß bleiben ſoll; Sie wiſſen alſo, was Sie zu thun haben. ) Ein andermal, mein lieber Herr von Brinckmann, ſchreib ich Ihnen was Beſſres als eine leidige Geſchichte; doch kann Ihnen mein Brief nicht gleichgültig ſein, Sie wer - den’s ihm ſchon anſehen, wie er gemeint iſt, und die offenher - zige Zutraulichkeit iſt auch was werth. Leben Sie wohl. Daß Ariſtokraten liebenswürdig ſind, daran hab ich nie ge - zweifelt, ſie müßten denn abſcheulich ſein. Es thut mir leid, daß ich die hübſche Frau nicht geſehen habe. Vive l’esprit! wie ſchmacht ich eigentlich. Wenn es möglich iſt, grüßen Sie den Herrn von Humboldt recht ſehr von mir. Natürlich hab ich Unglück, ſie nicht kennen zu lernen. Adieu, ich muß diniren.

Alles grüßt Sie. R. L.

An Guſtav von Brinckmann.

Sie wiſſen mich und Ihre Handſchrift nie zu beurtheilen; hätt ich noch ein Wort nicht leſen können! ſelbſt die mytho -61 logiſchen Wörter waren mir deutlich; ſo wiſſen Sie auch nie, wann ich zu Hauſe bin, kommen hundertmal, wenn ich aus bin, und nicht Einmal, bin ich zu Hauſe, das gilt von geſtern; wenn Sie nicht engagirt waren, da ſaß ich zu Haus, und hoffte ordentlich Sie zu ſehen. Sie können einen mit den abſcheulichſten Wörtern ausſöhnen, mit Und, was verbindet dieſes Wort nicht manchmal! nur zu nehmen: Mad. die und die und ihr Mann, und tauſend Etcetera. Und glauben Sie denn, daß ich ganz dumm bin, mir dabei zu ſchreiben, die Beiden in den Gedichten wären nicht Eine Perſon, ich wäre alſo dumm genug zu glauben, es könne eine und die - ſelbe ſein ſo ſchöne Gedichte und ſo ſchlechte Vermuthun - gen, ſo beleidigt und ſich noch bedanken zu müſſen wie ich muß.

An Guſtav von Brinckmann.

Ich hab es wohl gedacht, daß Sie krank ſind, und war auch mehr als Einmal im Begriff, Sie zu fragen, dann kam’s mir wieder ſo anmaßend vor, Sie zu fragen, ich glaubte es mal wieder nicht, und wurde auch gar verhindert. Sie ſind in einem abſcheulichen Zuſtand! nicht eſſen, leſen, ſchla - fen können, und mir hilft all Ihre gute Laune und Witz nicht, ich weiß, daß Sie doch ausſtehen. Müſſen denn ſolche Menſchen auch Zahnweh haben? ich denke, die wiſſen doch genug von ihrer Exiſtenz. Ich weiß, das Ärgerniß wird Ih - nen von dem, was ich Ihnen ſage, nicht bleiben; Sie werden62 lieber ſo recht völlig an die Schönheit denken bleiben. Ihr Billet bekam ich heute Morgen, wie die Baranius bei mei - ner Schwägerin war, aber Sie kamen nicht, und hätten tau - ſendmal mehr Vergnügen gehabt, als das Billet. Nein, wie ſie ſchön war! noch hab ich Kopfſchmerzen davon, ſo paradox das klingt; es war das kleine Zimmer, und unſer ganzes Haus und Mad. Liman und Scholz und ich und meine Mutter drängten ſich ihr nah, ich am nächſten, und achtete Hitze und gelinde Kopfſchmerzen nicht, aber das Plaiſir zu ſehr, und das vermehrte ſie bis halb zwei Uhr, daß ſie ging. Und da reden die dummen Menſchen noch lange ſchlecht davon, als wenn dies Drängen nicht eben ſo natürlich, als das Luftſchöpfen wäre, und anders thut ſie doch nichts, als ſie läßt ſich drängen. Sie verſtehen’s nur gar nicht, Ehre verdient ſo etwas, opfern müßten ſie; und bei dem Reden drängen ſie, und bei dem Drängen reden ſie. Die Schiefge - zauberten, uns zur Laſt Verkehrten! Mich ſollen ſie nicht wegkriegen. Sie war ſo ſchön! und erzählte ſo was Schönes, wozu man nicht dumm ſein kann, und wohl Gefühl haben muß; und die hübſche Art! Wenn ich Sie ſehe, will ich’s Ihnen wieder erzählen. Meine Mutter ſagte ihr, daß ſie ſchön ſei, ſie bat ſie nämlich mit Tournüre, einen großen Hut - ſtrich raufzuſchlagen! und andren Menſchen verdenkt man das. Wenn ich nur ein Haus allein ausmachte, es ſollte gewiß ein neck’ſches ſein, nichts als Schönes ſollte man drin ſehen; und fragen Sie noch, ob Sie eine geſchmackvolle Ge - ſellſchaft drin fänden! Schonen Sie ſich nur, und kommen Sie derweile in mein paſſables, wo manchmal was drin63 vorfällt, und wo ein tüchtiger guter Wille wohnt, und Ihnen nicht unſichtbar iſt. Wenn ich ein Mann wäre, würd ich Sie beſuchen; rühmen Sie die Einrichtungen, wenn ſie kön - nen, ich kann nicht. Damit ein ſchlechtes Mädchen nicht dumm handeln kann, ſoll ein gutes eingeſchränkt ſein? Gut ausgedacht! Adieu, damit wir ohne bittre Galle ſcheiden, den - ken wir an die ſchöne Baranius.

Adieu. R. L.

An David Veit, in Göttingen.

Aber darin haben Sie groß Recht, man kann nicht mit wenig genug Menſchen über Dinge ſprechen, und über nicht wenig genug Dinge mit dieſen. Freilich werden wir uns verändern, ich gewiß; und wenn nichts geſchieht, ſo werde ich dreiſter, ſicherer, feſter, und, ſo Gott will, wohl durchgreifen - der, und will Minerva, härter gegen meine eigene Weichlich - keit, und immer gefaßt ohne Störung auf allgemeine Ge - meinheit und Schlechtigkeit, ſtark genug, einen Guten oder etwas Gutes einmal unter dem verbreiteten Gewimmel von Schlechten leiden zu laſſen! Amen! wie Timon im Shakes - peare! Nichts bleibt. Und iſt man nicht veränderlich, ſo muß man ſich ſo machen. Ich war die ganze Zeit her neu - gierig, wann ich wohl und wie ich wieder das erſte Ver - gnügen haben würde; geſtern hatt ich’s; O! Schade; daß ich’s Ihnen nicht vorſtellen kann! ich weiß es, und ich laſſ es doch nicht! Ich habe die Marchetti geſtern kennen lernen;64 ſie hat mir vorgeſungen; ſie iſt eine einzig liebenswürdige Frau; jede Bewegung iſt ein Reiz, ein Zauber, ein Wahn - witz zum Lachen und zum Weinen. Zum Glück ſeh ich nun ihre Blicke immerfort, und geſtern hatt ich immer die Angſt, ich würde ſie nicht behalten. Der Geſang; dieſes Girren, der Ausdruck; es giebt nur Einen Ausdruck! Dieſe Güte und Lieblichkeit, o wahrer Zauber! anerkannter, wirklicher; das heißt Paſſion, das heißen Geſchenke von den Göttern; das heißt Muſik; das heißt Schönheit. Empfinden Sie’s, ſo iſt es gut für Sie, ſo können Sie es auch einmal genießen, wenn Sie ihm begegnen. Geſchrieben habe ich nur für mich!

An David Veit, in Göttingen.

Nun will ich Ihnen genau ſagen, was ich von mei - nem unrichtigen Schreiben weiß, ohne mich im geringſten ent - ſchuldigen zu wollen; weil ich mich durch ihre Frage gar nicht angeklagt fühle. Ich mag mir wirklich noch ſo viel vornehmen, auf die Orthographie, während ich leſe, Acht zu geben, ſo geſchieht’s faſt niemals; und bringe ich es einmal gleich anfangs beim Leſen dahin, ſo leſe ich gar nicht, ſon - dern ſehe nun nur wieder, wie die Wörter geſchrieben ſind; deſſen werde ich gar bald überdrüſſig, und leſe wieder; das iſt nun entſetzlich traurig für mich, und jeder Geringſte kann daher mehr lernen als ich, und es wäre entſetzlich, wenn mir nicht der Ausweg zum Troſt übrig gelaſſen wäre, daß ich der ſchlechten Seite meines Kopfes gar nicht Schuld geben kann,und65und daß es grade die gute iſt, die mir dieſen Streich ſpielt. Es iſt wahr, daß ich immer an das Weſentliche denke, wovon ich leſe, und daß ich alle Mittel dazu nur ſo ſchnell als mög - lich brauche, und ſie dann vergeſſe; ich ordne mir alles, was ich höre und leſe, zu einem Ganzen, und werd ich in dieſem Geſchäft auch oft an Dinge erinnert, die hier nicht eigentlich hingehören, ſo lege ich auch die geſchwind an ihren Ort, und packe weiter, aber ohne jemals an die Mittel zu denken, die ich nun einmal habe und auswendig weiß. Daher lerne ich nichts, und daher kann ich auch ſehr ſchwer jemand etwas lehren; Alle, die mir Unterricht geben, fangen an, mir etwas herzupredigen, das immer aus einem Geſichtspunkt genommen iſt, woraus ich dieſe Sache nicht nehme; nun ſprechen ſie Stunden lang ohne allen Zuſammenhang für mich, ich höre aber doch mit der größten Anſtrengung zu, denn unter allen dieſen Dingen ſagen ſie doch etwas, das ich ſchon längſt ein - mal gern habe wiſſen wollen, und was ich in meinem Kram brauchen kann; ſo iſt mir’s noch mit allen Meiſtern gegan - gen, und ſo verſtehe ich erſt jetzt, was ſie mir ſonſt geſagt, und ich noch behalten habe; wie ich nie Antworten in der Art verſtehe, wozu ich die Fragen nicht gemacht habe, und ſo ein Meiſter ſagt einem Antworten dutzendweiſe hinter ein - ander her, und die ſoll man behalten! Ich glaube aber nicht wie Sie, daß ich, wenn ich franzöſiſch ſchriebe, weniger Fehler machte. Es iſt mir recht innerlich lieb, daß Sie jetzt fleißig ſind; Kenntniſſe ſind die einzige Macht, die man ſich ver - ſchaffen kann, wenn man ſie nicht hat, Macht iſt Kraft, und Kraft iſt alles; findet man denn einmal am Ende, daßI. 566alle unſere Spekulationen ein in nichts zerfließendes Blend - werk waren, ſo bleiben uns dann die wirklichen, brauchbaren Kenntniſſe, die uns Andern vor - oder nachſtehen machen, und die ſchon an und für ſich genug gewähren, um auch noch unſer Vergnügen daraus zu machen. Ich bin der erſte Ignorant der Welt! der dabei ſo viel auf Kenntniß hält, und nicht aus erſchrockener Unwiſſenheit, wie die andern, nein, ich weiß was es auf ſich hat. Nun kann mir nichts in der Welt mehr helfen, und ich muß mich ſo aufbrauchen, kann auch an wenig andern Menſchen Troſt finden, und wenn ſie auch von Kenntniſſen ſtrotzten, denn was ſind ſie dabei dumm, weitläufig und pedantiſch! Glauben Sie aber ja nicht, daß ich die einzige Zierde meiner Unwiſſenheit, die Sorgloſigkeit darüber, dieſe einzige Liebenswürdigkeit, verloren habe. Apropos! wenn ich franzöſiſch ſchreibe, fällt mir ſchlechterdings kein deutſches Wort ein.

An Guſtav von Brinckmann.

Man kann auch eſſen ohne Zähne, ſtarke Bouillons, Weinſuppen, Kompots u. ſ. w. Wenn Sie nur ganz dieſel - ben Tropfen haben, als der Eigenſatz ihre ſind, ich bilde mir ein, ſie müſſen Ihnen helfen. Halten Sie ſich nur wirklich, beim Schreiben muß man ſich ſo bücken, und das macht ärgere Zahnſchmerzen, ich kenne das alles ſehr gut. Ich weiß gar nicht, wie Sie das meinen, wenn Sie ſich für den Antheil bedanken, den ich an Ihnen nehme, ſoll man an Schmer -67 zen keinen Antheil nehmen, wo man wie von ſeiner Exiſtenz überzeugt iſt, daß man nicht helfen kann, und alſo auch gar keinen Troſt finden kann, da bleibt einem doch nichts, als Antheil, den man ſich nicht erwehren kann, und der alſo nichts verdient. Was ſagen Sie zu meiner moraliſch-philoſophiſch - ennuyanten Abhandlung? Sie iſt mir wirklich mir ſelbſt ſo rausgeplatzt, und ſoll gar für Sie nicht ſein, ſchenken Sie ſie mir. Sie haben wohl gar keine Geſellſchaft? und die wäre Ihnen grad ſehr gut, dabei könnten Sie gradeſitzen, und brauchten ſich nicht tödtlich zu ennuyiren; beim Schrei - ben und Leſen ſitzen Sie krumm und echauffiren ſich; oder ſind Sie lieber allein, wenn Sie krank ſind? Ich bin ſo. Wenn nicht ein förmliches Es ſchickt ſich in der Welt her - umliefe und den Ton angäbe, ſo wäre ich jetzt bei Ihnen und früge Sie das, und ich würde gleich ſehen, ob ich Sie ennu - yöre, und da liefe ich weg. So iſt’s einer nach dem an - dern purzelt auf die Welt; ändert nichts drin, wenigſtens nichts, was er gern will, und geht wieder ab. Iſt die Be - merkung traurig, trivial, oder alt, wahr iſt ſie, buchſtäb - lich wahr, und ihre Ewigkeit macht ihre Wahrheit aus, drum iſt ſie traurig, alt und trivial. Adieu. Machen Sie ſich nur nicht zu ſchwach. Eſſen Sie wo möglich etwas.

An David Veit, in Göttingen.

Ich darf Ihnen doch etwas erzählen? denn mein Brief wird wieder recht lang. Dieſen Mittag bei Tiſche nahm5 *68Theodor die Kinder in großes Verhör, weil er wirklich eine große Unart gefunden hatte, nämlich unſern Namen oben in meinem Flur auf die Wand geſchmiert. Röschen ſagte frei und lachend: ich war es nicht, Ludwig eben ſo: ich auch nicht; nur Moritz läugnete, der ſagte nämlich, ich habe ja gar kein Bleiſtift, und dabei blieb er, das antwortete er wohl ſechszehn - bis ſiebenzehnmal, auf alle Fragen, die nun in die Kreuz und Quer, wie ein wirkliches Verhör, und mit Ver - ſtand ihn ängſtigend, von allen Seiten hin und her gethan wurden; ſeine Farbe zeugte wider ihn, aber ſelbſt das Roth - werden unterdrückte er und blieb recht hübſch dabei: ich habe ja kein Bleiſtift. Er hatte es nun endlich ſo gut wie ge - ſtanden, und obgleich ein Flor von Spaß über der ganzen Geſchichte war, ſo wollten ſie ihn doch zum völligſten Ge - ſtändniß ängſtigen, ſo ſagt ich: Nun, geſtehen kann er’s doch nun nicht, genug, daß er’s geläugnet hat, das gefiel mir ſehr. Kaum hatt ich die Worte gehört, ſo mußt ich ſelbſt entſetzlich lachen. Sagen Sie mir, wie kann ich ſelbſt lachen, ich dachte ſie doch erſt, ehe ich ſie ſagte? Nun ja, der Klang! Es gingen noch ſehr hübſche Dinge bei der Geſchichte vor; zuletzt, wie er’s denn nun wirklich geſtanden hatte, ſo ſagte Mama: Man läugnet nicht, man ſagt lieber, ich war’s, und ich habe nicht gewußt, daß es unrecht iſt, nun werd ich’s nicht mehr thun; darauf ſagte er ganz bieder: Ich habe erſt ſehen wollen, ob’s ſo geht. Überhaupt hat er recht hübſch geläugnet, Sie hätten’s ſehen ſollen. Ich habe dabei viel gedacht, auch mäßigte ich das Verhör ſo viel als möglich, und bei meiner ganzen Mühe, ein dickes Gewand69 drüber zu halten, brachten ſie es doch dahin, mir es zu Flor zu zerreiben; denn dieſes Läugnen gefiel mir nicht, denn der Junge (wie ein Kind) war ſeiner Sache nicht gewiß, und das große Crime, das man ihm immer entgegenwälzte, erſchreckte ihn alle Augenblicke von neuem, ſo gut er ſich auch faßte, und dieſer Schreck und dieſe Verlegenheit haben immer eine ſehr ſchlechte Wirkung im Karakter, und darum war’s mir auch ſo höchſt peinlich mitanzuſehn, ich gab mir alle Mühe, dieſes unbedachtſame Verhör, ſoviel als möglich war, in ein Exercice des Ausredens zu verwandeln, mit öffentlicher Bewilligung: um ſo mehr wurd ich faſt mißverſtanden, aber es ging noch toll genug, Theodor ahndete ſo ziemlich. Warum verbietet man den Kindern ſo ausdrücklich Läugnen und Ausreden? die man (zwar leider! aber doch) braucht! man erzieht ſie ja für den Tummel der Welt, und nicht für einen poſiti - ven Himmel, der ein rothes Herz und ungeflecktes Gewiſſen genau belohnt? Warum lehrt man ſie nicht Lügen, Läugnen und Ausreden ſagen, als ein nothwendiges Übel, und zeigt es ihnen dabei wie andere ſchwere Arbeit, die man ſchon von ſelbſt wegläßt, wenn man’s nicht nöthig hat, und ſich zarte Hände ſchont; ſo würde man denn ſein Gewiſſen ſchon pfle - gen. Fürchterliche Moral! Bei mancher gebildeten Inquiſi - tion könnte mein Renommee wenigſtens langſam gebra - ten werden. Und das wäre nicht einmal das Schlimmſte, ſie hat auch hier das Anſchn von Thorheit und Dummheit, denn ſie ſcheint unausführbar; im genaueſten Verſtande der Worte wohl, das fühl ich ſo gut, als jemand, der’s hört, aber daß man ſie Kindern begreiflich machen kann, ohne ſie70 zu predigen, und ſie ihnen predigen kann, ohne ſie ihnen lieb zu machen, und grade als Predigt ſie ihnen nützlich ohne ſchön vorzuſtellen, alles durch Handlungen und Widerwillen am rechten Ort gezeigt, das glaub ich doch; bis Sie oder einer mir das Gegentheil beweiſen.

Von Homer o weh! denn es iſt ordentlich ein Schmerz, ſo ſchön kommt mir die Odyſſee vor! Wie die Griechen von den Menſchen ſprechen wie ſie immer alles Letzte zuſammenfaſſen und es ganz gemein ſagen, damit es ganz groß iſt und edel klingt ſie faſſen immer alles, ſo wie es iſt, und betrachten und erzählen’s nur; den Menſchen thun die Götter alles; das Fatum iſt über die Götter; eine Macht erlegt die andere, und ſie erzählen wie ſie’s leiden, Haben Sie bemerkt, daß Homer, ſo oft er von Waſſer re - det, immer groß iſt, wie Goethe wenn er von den Sternen redet? Dem ſeine Sternreden ſind Ihnen gewiß nicht ſo ge - genwärtig, wie mir: in Iphigenie Oreſt, in den kleinen Ge - dichten an Lida, und noch unendlich oft in ſeinen beſten und geringeren Sachen.

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Dieſe Minute hab ich Ihren ſcharmanten Brief ausge - leſen; er iſt ſo ſcharmant, daß er die Angſt, die er mir machte,71 überwog. Sie werden ſich wohl wundern, daß ich mich äng - ſtige, und wiſſen wohl gar nicht, daß ich an Krankheit und hausbacknem Übel rechten Theil nehmen kann beſonders hat mich diesmal Ihr Brief Zeile vor Zeile geängſtigt, weil ich weiß, daß jede Silbe, ſo wie Sie mir Ihren Zuſtand be - ſchreiben, äußerſt ſchädlich iſt; und dabei muß ich immer den - ken, Sie thun es meinetwegen, und konnt es gar nicht mehr ändern: Sie haben Ihren Zweck über die Maßen erreicht, und haben ſich wichtig bei mir bis zur Angſt gemacht; ich weiß, wie vieles Sie mir auch hierauf wieder ſagen können, daß Sie das durch Krankheit nicht gewollt, nicht gebraucht hätten, und tauſend ähnliche Etcetera’s. Ich hab aber doch Recht; denn nähmens Sie’s auch ſo, ſo hätt ich mich erſt gerächt, und Sie hätten nur die Strafe, die noch gar gegen das Ver - brechen, deſſen Sie ſich ſchuldig machen, nichts iſt, daß Sie ſich wirklich ſtellen, als hätten Sie verſtanden, ich will mich wichtig machen; ich hab Ihnen ja deutlich geſagt (aber habe zu wahr geſprochen um geglaubt zu werden), daß ich nur darum ſagte, es ſei viel, daß ich ſchreibe, damit Sie das wenige (wie ohne dieſe Erklärung natürlich geweſen wäre) nicht für nichts halten ſollen; das war wahr; und es wär Ihnen beſſer zu Muthe, wenn Sie es ſimpel geglaubt hätten. Nach dieſem Zank fällt mir gleich ein, Sie recht inſtändigſt zu bitten, Ihre neuſten Platitüden nicht obwalten zu laſſen, ſondern eine ganz alte auf meine Spezialverordnung in Ge - brauch zu nehmen, nämlich ernſtlich und zärtlich für Ihre Geſundheit zu ſorgen; und eine ernſte, nie zum Spaß aufge - legte Freundin, die ich mit hier habe, und die mich nie ver -72 läßt, und oft quält, läßt Ihnen mit einem gewiſſen Blick, mit dem ſie auf des Schickſals Befehl die Göttin der Wahr - heit bei ihrer Geburt beſchenken mußte, und deſſen Sie ſich erinnern werden, ſagen. Sie möchten, wenn Sie leben oder glücklich ſein wollten, Ihrem Erbfeind, Ihrem Ehrgeiz ſich aus den Klauen winden, denn ſo wie er Sie damit ſtrei - chelt, ſo wird er Sie noch zerfleiſchen, nicht verzehren, aber verderben, ganz ſchwach, und alſo ganz elend machen; Sie ſollen ſich Ihrem Geſandten für ſo krank ausgeben, als Sie ſind; und ſich nicht ſchwacherweiſe mit der kitzlenden Idee hinhalten, daß obgleich Sie die ganze Platitüde der pedanti - ſchen Erfüllung der Pflicht bewitzlen, Sie ſie doch erfüllen, und ſich die Schreier und Vertheidiger derſelben auf die edelſte Art vom Leibe halten. Ich bin dieſe Freundin; das Ennui, nicht das Schreiben der Ehiffren, wird Ihnen noch die Auszehrung machen, wenn Sie ſich nicht gehörig krank angeben werden: mehr ſag ich nicht. Nun will ich Ihnen eine kleine Schadloshaltung für all dieſe Schelte (und was noch ſchlimmer iſt, für all dieſe Wahrheiten) geben. Tadel, hat wenig Macht über mich; mit Lob aber bin ich zu fangen, und es hat nicht wenig Antheil an dieſem Brief, welches Sie mir in Ihrem letzten gaben, daß Sie es ſo rühmen, und ſich ſo mit freuen, daß ich Ihnen ſchrieb (etwas hat auch Ihre Krankheit gethan). Wie gefällt Ihnen dieſe Schwäche!? Ihre Bosheit wird ein hübſches Diné davon haben. Ich ſeh es ſchon, Sie wollen Mariens und meine Bekanntſchaft nicht haben: denn Sie haben das einzige Mittel erwählt, um mich abzuſchrecken, und ſchildren ſie mir als verſchloſſen Sie73 wiſſen, wie ich das haſſe: Sie wollen dieſe Bekanntſchaft nicht, ich muß es glauben, denn ſonſt hätten Sie’s mir ver - ſchweigen müſſen, wenn ſie verſchloſſen wäre. Ich werde ihr keine Avancen machen, und träf ich ſie in allen Bädern der Welt zugleich, und in ſonſt noch geſelligen Paradieſen: einer Verſchloſſenen muß das lieb ſein, und als Ihre Freun - din kann ich mich nicht enthalten, ihr die Cour zu machen. Leben Sie wohl, mein lieber Brinckmann. Mittwoch ſeh ich Sie, da will ich ſo dankbar ſein, als ich kann, um wenig - ſtens dem vielen, was Sie für mich gethan haben, mit ruhi - gem Gewiſſen in die Augen zu ſehen. Ihre göttlich geſchrie - bene Stadtgeſchichte hab ich goutirt, das iſt bei der der beſte Dank. Adieu. Grüßen Sie Mayers.

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Vor einer Viertelſtunde war ich noch im Bette, um mich zu trocknen, da bekam ich Ihren erſten Brief, jetzt beantworte ich ihn noch während dem ſchönſten Bade-Schwindel; das zur Strafe Ihres ſtummen Charlotten - und Chiffres-Lebens: denn ſo oft Sie geſchrieben hätten, ſo oft hätt ich geantwor - tet. Wie denn der Menſch auf alles verfällt und ich be - ſonders alles möglich glaube ſo dacht ich ſogar, Sie wären böſe; ich ſchloß alſo, und ſchloß falſch: ſchon ſieben Meilen machen, daß man nicht ſehen kann, ſchließen muß, und alſo leicht und oft falſch ſchließt; und doch will man aus der Welt klug werden. Ich hoffe bald ganz dumm dar -74 aus zu werden; und dann werd ich wohl beſſer ſehen. Sie wollen ein Freund ſein?! zärtlich, und auf Ihrer Freunde Geſundheit bedacht, ſind Sie in keinem Fall: wie können Sie mich während einer angreifenden Kur, mit einer ſolchen Arbeit beladen zu unterſuchen, ob Sie verliebt ſind. Ja, Sie ſind es. Da haben Sie Ihren Schreck. Denn ſo ſehr Sie die Gottloſigkeit ſtudiren, ſo ſehr erſchrecken Sie ſich doch; was man ſtudirt, iſt kein frei Geſchenk der Götter, iſt nicht mit uns geboren, das erlernen wir nie: bringen es wohl wei - ter drin, haben vor den Dummen viel voraus, aber vor uns ſelbſt nichts; laſterhaft muß man auch geboren ſein, und die Tugend muß man ſtudiren, dann iſt’s was, dann liebt man ohne Schreck, dann handelt man: und fragt Jahre nach - her, in müßigen, unbeſetzten, langweiligen Stunden ſich ſelbſt, ob man geliebt hat. Dahin bringen Sie’s nie: alſo lieben Sie; Laſter-Studenten, die lieben was ſie liebenswür - dig finden, und wär in ihrer Bruſt auch nur ein Fleckchen leer um ein Grübchen zu lieben, viel weniger denn, wenn ihr guter Geſchmack da oft aufräumt, und es überhaupt geräumig iſt wie in aller Bruſt, wo nur gewöhnlich zu viel umherſteht: alſo lieben Sie.

Glauben Sie nicht, daß ich das von heute her weiß, aber ich wußte nur nicht, daß Sie da noch Zweifel begegnen würden, wo ſie mir ſelbſt die freiſte reinſte Ausſicht geſtatte - ten; hier im Bade hatte ich mir die Mühe des Unterſuchens nicht gemacht, nachgeſehen habe ich noch einmal, und dieſelbe Summa Liebe herausgebracht wie in Berlin. Dumm bin ich nicht geworden; wenn ſtudirende Laien das Laſter lieben, ſo75 hat das nie was zu ſagen; und beſonders hat das auf Ihre und ihre Handlungen keinen Einfluß, und das iſt doch die Hauptſache. Beſſer oder ſchlechter iſt man doch nicht; quälen kann man ſich allenfalls ſelbſt ein bischen, und wie man das in der Liebe doch eigentlich nicht weggeben kann, ſind Sie doch fein genug zu wiſſen (um mich des Worts zärtlich nicht ohne Noth zu bedienen) alſo ergo! ſchadet uns Studenten die Verrücktheit der Liebe nichts! außer was ſie uns ſo ſchadet, und das iſt wirklich Kleinigkeit gegen das Ver - gnügen, etwas ſo beſonders liebenswürdig zu finden. Sein Sie getroſt auf Mariens Hierſein; Sie vergeſſen mich immer (anſtatt ſich), werd ich denn die Liebenswürdige aus den andren nicht herausfinden; und glaub ich Ihnen denn nicht! weiß ich denn nicht, daß Sie ſich umſonſt nicht intereſſiren; und wenn ich auch für diesmal nichts ſähe, ich doch noch im - mer was vorausſetzte! Ich weiß aber recht, wie Ihnen zu Muthe iſt, und will diesmal Ihre Furcht nicht ſchelten, die Sie diesmal nicht vor mir haben, nur vor jedem andren mehr hätten, der ſchon einmal ſo viel weiß als ich. Sehen Sie, ich verſteh wahrhaftig ſo was, und wenn ich recht in’s Wahrheit ſagen herein komme, ſo mach ich mir ſelbſt Kom - plimente; das thu ich aber doch nur, wenn es mir recht auf - liegt jemanden beruhigt zu wiſſen, wo man es in der Welt faſt nie ſein kann, und wo es wahre Wonne iſt es zu ſein. Par parenthese dünkt mich, das iſt Freundſchaft; man iſt doch noch immer dran, ſie zu definiren.

Frau von Ha. gefällt mir recht gut, Schönheit kann ihr niemand abſtreiten; beſonders iſt ſie gegen mich ſehr artig76 und gefällt mir darum nur deſto beſſer, ſie war mit Mad. Kircheiſen bei uns und hat verſprochen wieder zu kommen, auch werd ich ſie wieder beſuchen. Herr von Poch hat Recht, die Geſellſchaft abominabel zu finden, er ſah ſie ſchon mit ſolchen Blicken d’un aimable an, daß ſie zehnmahl ſtädtiſcher, galanter, feiner und verachtender ihrerſeits hätte ſein können, um daß er ſie doch ſo gefunden hätte; mich feſſelt ſie auch bis auf einige Ausnahmen nicht, aber ſie könnte den Herrn von Poch ſchmieden, ohne daß ſie mich nur mehr anzöge: doch leb ich recht artig mit den Leuten hier, denn ſie ſind ſehr gütig gegen mich; und Sie wiſſen, wie ich auf antwor - ten halte, und was ich für ein geſelliger Hund neben meiner Tadelſucht bin.

Stünde mir doch die Sprache ſo zu Gebote, wie ich die Fähigkeit habe, in meinem Kopf alles ſchnell und zu meinem Gebrauch zu verarbeiten, was ich erfahre; ſo weiß ich, würd Ihnen das genügen, was ich Ihnen über Johanna zu ſagen wüßte. Für’s erſte aber glauben Sie nicht, daß ich wie ein Prahler lüge; ſonſt finden Sie keinen Zuſammenhang in dem, was ich ſage, und meine Mühe, und vielleicht ein hübſcher Augenblick für Sie, geht verloren. Johanna kommt mir wie - der ſo vor als vorhin, und ändert ſich in meinen Augen nach und vor den verſchiedenen Erzählungen nicht. Ein feines, gebildetes, verſtändiges Frauenzimmer wird nicht platt und nicht dumm: kann aber ſchwach, und unſelbſtſtändig ſein, und iſt’s gewöhnlich; iſt man das, ſo ſind unzählige Modi - fikationen möglich, wohin denn auch alle die gehören, worin uns Johanna wochweiſe erſcheint; je feiner ein Frauenzimmer77 iſt, je ſchneller findet ſie ſich in alles, worein ſie ſich finden muß, das iſt eine ſchöne Eigenſchaft; und ein völlig liebens - würdiges Geſchöpf muß dabei noch Kourage und Selbſtſtän - digkeit dabei haben, um nicht auch jedesmal zu werden, was ſie ſcheinen muß, und auch nicht jedesmal zu ſcheinen, was ſie ſcheinen ſoll. So find ich denn noch immer Prätenſion und nicht Abſicht (die ich auch ohne Noth nicht liebe), wie ſie Ihnen jetzt glauben machen will, in ihrem Betragen; ſollte ſie nicht klug genug ſein und Geſchmack genug haben, daß, wenn man ihr die Wahrheit an den Hals ſetzt, auch die ihre aus ſich zur einzigen anpaſſenden Gegenwehr hervorzuſuchen, und endlich Vergnügen dran zu finden, die Bürde von Lug von ſich zu werfen, obgleich ſie die Laſt erſt hernach fühlt, die ſie ſich auflud. Freilich wollte ſie repräſentiren, und mußte ſie repräſentiren, aber wollen, wo man nicht muß, gefällt mir nicht; daher billige ich ihr Betragen gegen Fr., obgleich ich muthiger und grader zu Werke ginge, und finde ihr Glück - ſeligkeits-Prahlen weniger hübſch, weil ich glaube, daß ſie’s gar nicht nöthig hatte: ſie wird aber wohl immer ſo lebhaft und Beifall zu lieben zu angewohnt ſein, um ſich dieſen Troſt von Unbequemlichkeit und Zeitverluſt je recht vom Halſe zu ſchaffen. Ich kann mir denken, daß ſie jetzt ſehr liebenswür - dig, angenehm, und witzig, iſt; kommt da noch eine Doſis Aufrichtigkeit hinzu, ſo kann es hinreißen. Mich würde es gewiß einnehmen und mir ſehr gefallen, denn ich hab ſie lie - benswürdig und hingebend gedacht, noch wie ſie mich ſchätzte und ſonſt nichts that; goutirt ſie denn nicht, weiß ſie nicht alles? wo Kourage fehlt, hätt ich ſie: es thut mir alſo aller -78 dings ſehr leid, Johanna nicht zu ſehen: und ſie verliert auch.

Stieglitz iſt, auch wie ich glaube, ſo wie Sie ſagen, und wenn ein ſolcher Karakter Einfluß hat, ſo wiſſen Sie wie er ihn hat; da er ohnehin die Welt mit ihren Heeren von Ordnungen in ſeinen Reihen für ſich hat, und Muth dazu gehört, ſich mit fremder Macht neben dieſe Reihen zu ſtellen, denn mit Vortreten richtet man nichts aus; obgleich man ſich Noth am Mann auch dahin muß (wenig - ſtens mit einem, mit dem ich mein Leben zubringen will, denn es iſt doch beſſer einmal zu ſtreiten, als ewig zu fin - giren) ſtellen können. Was die erhabenen Klatſcher anbe - trifft; ſo ſind ſie mir ihrer Erhabenheit halber noch gleich - gültiger, als andre Klatſcher, weil ich ſo was nie anders als mit völliger Gleichgültigkeit verachte; ſo, daß ich mir nicht einmal die Mühe geben kann, die es erfordert, um aus dem Geklatſche klug zu werden: glauben Sie ja nicht, daß das nur Worte ſind, Sie würden dabei verlieren, wenn auch nur Wahrheit. Unausſtehlicher ſind mir aber doch kluge Klatſcher mehr als dumme, und es kömmt mir darum an denen häßli - cher vor, weil es mir ſcheint, bei jenen muß ein gemeiner pli im Gemüthe noch hervorbringen, was bei dieſen nur der ge - meine Verſtand, und Leere und Langeweile und Unüberlegt - heit thut. Eins hab ich vergeſſen: ich haſſe wie Sie Koket - terie ohne Kourage; ich für mein Theil zieh die Menſchen auch öffentlich vor, die ich auszeichne, aus Furcht und Kühn - heit, weil ich denke: warum denn nicht? nicht meine beſſre Wahl ſo gut als ihre ſchlechte? und aus Furcht, ich könne79 mich nicht gut verſtellen; und eine größere Avanie kenne ich nicht.

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Denſelben Tag, wo ich den großen Brief von Ihnen be - kam, erhielt ich auch einen von der Freundin, den ich Ihnen, ſobald ich Sie ſehe, zeigen werde. Ich warnte ſie, ſich nur in irgend etwas einzulaſſen, und beſonders, ſich nicht irre ma - chen zu laſſen; fand ſie aber feſter, gefaßter, geſcheidter, und vernünftiger, als je, und auch, als ich je glaubte, daß ſie ſein könne; ſie nahm alles vom erſten Augenblick an wie wir das werden Sie aus ihrem Brief ſehen nur ſchmerzte ſie Johanna noch ein wenig, und das kann ich nicht mal für Schwäche rechnen denn glauben Sie mir einmal auf parole d’honneur d’une femme véridique! es ſchmerzt uns mehr, eine Frau aufzugeben, als einen Mann. Den glauben wir nie ſicher zu haben wenn wir ihn auch mehr lieben dem ſagen und zeigen wir nie ſo alles wenn er auch mehr über uns ſchaltet und am Ende .. iſt Zu - trauen, und das Rechnen auf einen Menſchen, doch das Meiſte, was wir geben können. Es vergißt ſich alles wenn auch erſt wieder in einem neuen Engagement , aber ein verän - derter Freund, ein nie verſtandenes und doch oft angenom - menes Zutrauen kann nie wieder in uns aufgenommen wer - den, und bleibt uns ſehr empfindlich, und wenn man’s auch viel vergißt, ſo oft man dran denkt, thut’s leid, und man denkt ſchade! , wenn’s weiter nichts iſt.

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Nun von etwas, was mich überraſcht, entzückt hat, wo - von ich ganz eingenommen bin: von Herrn von Ha. Was iſt das für ein prächtiger Mann! warum rühmt den keiner: und nicht mehr? Was ſoll ich ihn loben! Kurz, Sie wiſſen doch, daß mir kein Mann mit ſeiner Frau gefällt? Er ge - fällt mir. Und nun halt ich’s für möglich, zu heirathen. Er iſt fein und natürlich, ſimpel und voller Tournüre, hell - ſehend und voller Gutmüthigkeit. Und was ich ſo ſehr liebe, umgänglich; und hübſch. Mündlich will ich ihn erſt recht loben. Frau von Ha., die ich doch ſchon kannte, hat unendlich bei mir gewonnen, ſie ſpricht viel beſſer und hat viel mehr Verſtand als ich dachte, iſt ſimpel und recht aimable, hat kleine Frauenzimmerſachen an ſich, die ſie (im Gegentheil) ſehr gut kleiden, und die ſie an ſich hätte, wenn gar kein ander Frauenzimmer exiſtirte, iſt manchmal ein bischen ſchwach, aber auch ſo hingebend dabei, daß man ſich gleich drin ver - lieben kann; und iſt beſonders mit Ha. ſo hübſch und be - ſcheiden, daß es eine Weide zu ſehen iſt; ſie iſt wunder - hübſch, und ſo zuthulich und angenehm gegen Frauenzimmer, als man’s nur verlangen kann; und ich finde ſie beſonders natürlich, und darum bin ich ihr auch herzlich gut. Marie hab ich nicht können kennen lernen, obgleich ſie ſehr artig gegen mich war, und ich ſogar einmal bei Tiſche neben ihr ſaß, weil ſie mir Platz machte; ſie kommt mir noch ſo vor wie ſonſt, und ich glaube Ihnen alſo noch. Sie ſchien mir ein bischen ängſtlich an ihre Kotterie gefeſſelt, und iſt man immer mit vielen und ſehr Bekannten, ſo iſt das für einen Dritten um ſo ſchwerer etwas zu erfahren oder nah zu kom -men;81men; auch hat ihr ganzer Maintien für mich was ängſtliches, und iſt er nicht zurückſchreckend und anſteckend, ſo dämmt er doch die Bekanntſchafts-Schritte unvermeidlich zurück. Eine jede fremde Mlle. hätt ich nicht anders als ſehr artig nennen müſſen, wenn ſie mich ſo wie Marie behandelt hätte, von der aber mußt ich wohl um Ihrentwillen mehr Unterſuchung we - nigſtens, und auch Annäherung erwartet haben, denn es fiel mir deutlich auf, die nicht zu finden, um ſo mehr, da ſie mir Frau von Ha. zeigt, wie mich dünkt. Ich hab mich recht gefreut, daß Sie mit meinem erſten Brief ſo zufrieden waren: apropos, freilich haben Sie recht, daß die Männer (und ich ſage bei allen) bei den Damen mit gewiſſer impertinence (ich kann jetzt auf kein ſchicklich Wort kommen, und ſchrieb das; ich hab Ihren Brief nicht bei der Hand) weiter kommen, als durch das erfüllteſte Herz, und den vollſten Kopf; mündlich darüber wann und ſo viel Sie wollen. Bald komm ich nach Haus, in’s weite, breite, ſtaubige, helle, leere Berlin. Leben Sie wohl, und ſein Sie mit dem Brief zufrieden. Ich bin ſehr müde. Adieu.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Mit welchen Worten ſoll ich das ſagen, was ich dir gern mit einem einzigen Schrei mittheilen möchte! Der erſte ſüße Augenblick iſt der Brief von euch, den ich jetzt Morgens um 8 ſchon habe, und gleich beantworte. Vier Tage bin ich über Wüſten, Felder und Sand zerſtoßen worden, um michI. 682dieſen Schornſteinen gegenüber, dieſem regnigten Höfchen gegen - über zu befinden, und euch zu ſchreiben; ich, die ich euch immer ſpreche! Das hat mir aber auch niemand geſagt! Selbſt die Gegenden der Reiſe find ich höchſtens gleichgültig, und gar nicht hübſch, dies Wort laſſ ich nur höchſtens von Berlin nach Kroſſen gelten. Hier ſitz ich, und tauſend Felder, Wälder, Dör - fer und Pflaſter ſind zwiſchen uns, und die Sandkörner, und all das Gelebe und Gewebe! Nicht ein Wort hab ich unter - wegs gedacht! Kurz, eine Reiſe gemacht! daß ich Mama’n ſchon annoncirt habe, ſo reiſ ich nicht zurück! Ein Huhn, ein armes kleines Huhn iſt doch ein kleines Ding, ißt lauter kleine Körner in der größten Geſchwindigkeit, aber es hat bei Gott! kein Körnchen aufnehmen können, derweile der gräß - liche Reiſegeſellſchafter ſchwieg! aber ich bin auch bald ge - ſtorben! was die Welt von ihm ſagt, iſt zu wenig, iſt nichts! Dieſe Eigenliebe, Eigenanbetung, durch vier lange Tage durch, hielt ich für unmöglich, und werde ſie wieder für unmöglich halten, ſobald ich dieſen Menſchen werde vergeſ - ſen haben! Dieſe alten Geſchichten, von Mama auf’s un - begreiflichſte unterſtützt, von alten unintereſſanten Menſchen, und Geſchichten, die ich ſchon kenne, dieſe triviale entſetzliche Moral die Beſtrafung folgt dem Laſter; ich behaupte es, par exemple dieſes! dieſes ewige Gerede, dieſes Nahſitzen, dieſes Bewundern, daß er ſo wenig Schnupftücher trotz des Schnupftabacks brauche, dieſe Gemeinheiten, dieſes Bepatſchen aller Lebensmittel, die ich ihm nicht geſchwind genug aus den Händen reißen konnte, und alſo nur in den Wirthshäuſern, was ich mir allein konnte geben laſſen, ge -83 nießen konnte, dieſer Ekel, dieſes aber - und abermal ewige Geſpreche von ſich, und wie er’s macht und jedes macht, und ſeine Krankheit, und ſein Nießen in beide Hände, und ſein gar nicht ſchlafen! Denken konnt ich auch nicht; denn auf den Fuß, gar nichts zu ſprechen, ſetzt ich mich, eh wir aus dem Thor kamen (ſo ging’s ſchon in der Stadt), und faſt immer mit dem Geſichte aus dem Fenſter, aber das litt er nicht, denn, wenn er erzählte, (erinnert euch wann er er - zählte), ſo ſagte er: Hören Sie zu, Sie mögen zuhören , und faßte mich dazu an! alſo mußt ich ihn anſehen, um das nicht zu hören und zu leiden. Geſtern macht ich aber die Augen zu, und, ſo meinen ſie hab ich den ganzen Tag geſchlafen. Eine Freude hab ich aber doch! die völlige Ge - wißheit, daß ich Konvulſionen nie bekommen kann; es muß phyſiſch unmöglich bei mir ſein. Bedauert mich! bedauert mich! Ich ſag euch das, die das Mitleid ſo haßt. Ich mein auch nicht, bedauert mich, ich meine, bewundert mein Loos!!! alles kommt mir zu. Kaum komm ich vom Bade, ich Schwache! ſo folgt eine ſolche Reiſe; ich treffe eine neu etablirte Schul, eine neu etablirte Equipage, wovon der Stall unter uns iſt, mit einem wilden Pferd, das an einer Kette liegt, und die ganze Nacht ſo ſtampft, als wolle man ein Haus niederreißen; wenigſtens wie ſie gegen Jordans über eins einriſſen, ging’s eben ſo. Dies thu ich alles Mama zu Gefallen. Vor Frei - enwalde war ich krank, und das ſoll mich erholen! Und was bin ich nicht von jeher für ein Schlemihl; mit dem muß ich reiſen, mit dem niemand reiſt, und dann nimmt ſie noch un - verhofft zur Fête Röschen mit; damit vier ſind: das iſt6 *84aber alles nichts. Wie mir Louis entgegenkommt, iſt das Erſte, was ich höre, daß die Gad nach Kaliſch iſt, und in drei Wochen wiederkommt! Das iſt ſchlecht, und davon ſchweig ich. Wetter hat Er mir gut gemacht, lauter temps couvert und Regen; aber bloß um mich beim Leben zu erhalten, denn ſonſt wär ich ganz gewiß in einer Ohnmacht wenn auch nicht geſtorben, doch ſo geworden, daß ich ſchlechterdings auf die Art nicht weiter gefahren wäre. Nun bliebe mir Theater; das iſt nicht hier, ſondern in Grüneberg und kommt Septem - ber wieder.

Nun ſoll das Gute kommen! Die Tante will mit uns nach dem Gebirge und Grüneberg reiſen.

In einem öffentlichen Garten zur Stadt Paris ſprach ich den Geheimrath Levaux, der von Wien kam, und Wunder von Frau von Arnſtein erzählte, von ihrem Haus, Prinzen, Miniſter, Grafen, Geſandten, Garten, ſpät eſſen, und alles was wir ſchon von Wien wiſſen. Die Sebottendorf ſcheint nichts von ihres Mannes Wunde zu wiſſen, ſie ſoll liebens - würdig wie immer ſein. Die Herren gingen in den Billard - ſaal, ich blieb mit den Frauen zurück, die unausſtehlichſten, die ich kenne, ich war bei dieſen Thieren angeſchmiedet, denn es regnete; ſie haben mich auch den Nachmittag bald um meinen Verſtand ennuyirt, ich vergeſſ es nicht!

Die Stadt kann man ordentlich ſehr ſchön nennen, ſo viel hübſche Straßen, und ſo ſehr hübſche Gebäude und Häu - ſer findet man häufig in den andren, ganz in unſrem Ge - ſchmack; auch groß find ich die Stadt, und man hat ihr im - mer Unrecht gethan. Heut fahren wir nach einem der ge -85 ringſten Klöſter, wie man ſagt; und ich finde, daß es ein enormes Gebäude iſt; ich will ſie alle ſehen; Mad. Gaspari wird mich hinführen, wenn ich zurückkomme, und dazu will ſie mir bei den Jeſuiten eine Muſik von Mozart beſtellen, die er zur Meſſe und auf Gebete komponirte, die der Kaiſer Joſeph in’s Deutſche überſetzen ließ: kurz, wenn man hier nichts ſieht, als Kirchen und Klöſter, ſo hat man eine der größten Merkwürdigkeiten geſehen, wenigſtens wir, die wir von ſo was nichts wiſſen, und ſogar wenig glaubten: nun brenne ich erſt vor Begier, Italien, das ſorgloſe, katholiſche, muſikaliſche Italien zu ſehen. Alſo ennuyire ich mich hier nicht; auf die Jeſuiten freue ich mich gar todt. Der Gottes - dienſt iſt ſchön und angenehm, denn es iſt ewige Muſik, Gemählde, ſchöne Gebäude, Gerüche, und hübſche Koſtume; die Lebensart aber in dem Frauenkloſter für mich ſchrecklich, par exemple alle Zimmer dieſer Mädchen ſtehen offen, ganz egale Möbel und egal ſchlechte Betten, auch die der Äbtiſſin Baroneß Mutius, welche ſehr artig iſt; ſie pflegen Kranke, und heißen Eliſabether; jeder Orden iſt verſchieden in Lebensart und Regeln; dieſe ſehen Männer, ich ſelbſt ſah welche bei ih - nen: ausgehen dürfen ſie nicht: und möblirt ſind ſie nicht ſplen - did, ſie dürfen nicht einmal. Aber von der Ordnung, Aufge - räumtheit und Reinlichkeit hab ich immer nur geträumt, und ſie heute gefunden. Dieſe Jungfren ſind Gärtner, Apotheker, laſſen Ader, backen Brot, kurz thun alles; auffallend ſind mir ihre grobe Mannshände geweſen, wovon ich auch nicht eine Ausnahme fand, und noch mehr ihr Mannsgang, den eine jede hat, nämlich ganz ſo, als wenn Berger eine Paterrolle86 ſpielt; viele ſind nicht religiös, aber die es ſind, beten und ſingen auch nur in Gedanken, und amüſiren ſich, hab ich be - merkt; wenn einer luſtig wird, kniet er nieder und ſieht das erſte beſte Bild an, welche jeden Fleck bedecken; kurz, für je - mand, der ſich nicht wie wir amüſirt, iſt nichts amüſanters als die katholiſche Religion; die Nonnen ſind tolerant und ſehr artig, ſie ließen (nämlich die Äbtiſſin) viele Empfehlun - gen an den Onkel machen, und invitirten mich wieder; alſo wußten ſie, wer ich bin. Unvermuthet hab ich euch faſt alles über dieſen Katholizismus geſagt; ich ſchreibe en courrier, und glaube jeden Augenblick, man wird den Brief zur Poſt wegnehmen. Ihr habt recht geſchwinde Nachricht von mir. Ich werde noch recht klug: und das Gebirge nun noch! Adieu.

R. L.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Wenn Bieſt und Konſorten nicht wären, hätt ich mich geſtern königlich amüſirt; ich bin ganz mit Breslau ausge - ſöhnt, ſo hübſch find ich die meiſten Gebäude, denn die Stadt wäre ſchön, wenn nicht manche Gebäude in den ſchö - nen Straßen ſtörten, und manche Straßen in der ſchönen Stadt; die Gärten ſind ſchön, die Menſchen auf einem guten Ton, alle dieſe Gärten und Plätze für’s Publikum eingerich - tet, dieſe Menſchen zum Vergnügen geſtimmt, und Equipagen ſicht man weit über die Proportion als bei uns, die alle jagen, erſtlich iſt es Ton, zweitens haben ſie einen Boden wie87 der im Charlottenburger Garten, und geſunde Pferde, und zum Überfluß vor allen Thoren Chauſſee. Als ich geſtern aus dem Kloſter kam, ging ich, nachdem ich euch geſchrieben hatte, zur Sina; ſie wohnt nah an einem ſchönen Markt, wo ſie hinſehen kann, in einer guten Straße, in einem Hauſe ſo groß wie Herzens, im größten Stil gebaut; die Hälfte der zweiten Etage bewohnt ſie, der Kommandeur von Friedrich die andre, unten zwei andre Familien, wovon eine Präſident von Danckelman iſt, zwei Schildwachen vorm Hauſe: ſie iſt ganz ordentlich wie ich’s meine eingerichtet, ſehr propre und intelligent, iſt recht gut möblirt, ganz modern und ſim - pel, und ein Zimmer mit Mahagoni, Bronze, und comme il faut; große Zimmer und große Ordnung und Propretät wäre ſchon genug. Sie iſt ſehr glücklich, liebt ihren Mann, und hat mir mit Thränen geſagt, ſie glaube immer dieſen Men - ſchen gar nicht werth zu ſein; und wie ich ſie geſtern mit ihm ſah, fand ich auch das beſtätigt, daß ſie mit ihm ſo glücklich iſt, ſie kann, und ſpricht alles vor ihm, daß ſie ſich in ihrer Denkart nicht von ihm geniren ließe u. ſ. w. Sie kann ſich ihrer Liebe zu ihm ſo wenig enthalten, daß ſie oft in Liebkoſungen ausbricht die ich doch ſonſt und immer gar nicht leiden kann die ſich bei ihr aber hübſch, natür - lich, lebhaft, unſchuldig und kindiſch machen: denn es ſieht immer aus, als dächte ſie: wenn ich dich nicht hätte, wäre ich doch in Breslau verloren! ich verdien dich nicht, du biſt zu gut, Gott wie freu ich mich mit meinem Glück, bin ich wirklich noch ſo glücklich! kurz ſie liebt und herzt ihn ſo, wie ſie uns ſonſt liebte, denn er iſt ihr alles. Genug ich bin88 zufrieden, denn ſie iſt froh. Dieſen Morgen kommt ſie zu mir, überhaupt werd ich heute nach meinem Sinn ausgehen können, weil die Tante zu morgen packt, und mir dieſe Frei - heit ſchon annoncirt hat, und ich ſchon gepackt habe.

Eben hat mich unſer Soldat Ludwig unterbrochen, mit dem ich eine himmliſche ſentimentale franzöſiſche Konverſation hatte; wie der Franzöſiſch ſpricht, und wie die Soldaten ge - bildet reden! ſo was iſt nicht zu ſchreiben, Il est bien mal - heureux, et tant charmé de trouver de braves gens de Ber - lin, il ne peut pas exprimer le plaisir sensible et les senti - mens viß, et comme nous serons la dupe des Polonais et ses larmes de joie; kurz, das Franzöſiſch, und die Rührung!

Geſtern nach Tiſch fuhren wir nach dem Dorfe Schanz aus einem ſchönen Thore auf der prächtigſten Chauſſee, die durch die ſchönſten Felder führt, an deren Ende du das Ge - birge immerweg ſiehſt, und wo man, wie Sonntags in Leipzig vorm Thor, nichts als Equipagen, Reiter und Spazirer ſieht. Auf dem Wege nach dieſem Dorfe liegt ein neu angelegtes Wirthshaus, was jetzt Mode iſt, und vorigen Sonntag durch Konzert und Menſchen eingeweiht wurde, ein ſchönes Gebäude, mit Billard, Raum und aller Bequemlichkeit, ein neuer Gar - ten, das Ganze auf dem Felde, im Hof ſtanden fünfzehn bis zwanzig Wagen, eine Menge Reitpferde, wir gingen hinein, fanden viel Menſchen, ungefähr die Klaſſe wie Sonntag im Winter beim Hofjäger, ſahen uns um, und fuhren weiter nach Schanz. Das iſt ein Pavillon mit Billard und Zubehör an einem Dorfe; dieſer Pavillon ſteht in einem halb regel - halb unregelmäßigen Garten, der ſehr ſchön iſt! Dieſer Garten89 iſt mit einem Leipziger Roſenthal in größtem Stil umge - ben, wo Weidenalleen und Wieſen mit Gängen und Felder und Wälder, und wieder Wieſen und Gänge, die ſchönſten Spazirgänge machen, ohne an Größe und Natur zu verlie - ren, ein Boden wie die Stuben, und man geht wie auf lau - ter Terraſſen. Wieder ſo viel Menſchen, und alle mögliche Erfriſchungen, und Kuchen, und was ihr wollt; die Tante kennt jeden Menſchen, und jeder Menſch ſie. Von da nach einem Garten Weiße, wieder ſo viel Menſchen; der Garten nicht groß, doch führt die Hauptallee auf’s Feld, und ge - währt wieder den Berghorizont. Darin war ein Chor guter Muſiker, und zwei junge Leute, Studenten von den Jeſuiten, ſangen nicht übel Duo’s aus allen Opern, mitten im Garten, welches hier ſehr gebräuchlich iſt; Diskant und Tenor, ein Fremder gab ihnen ein Duo, und ſie ſangen’s vom Blatte. In dieſem Garten ſprach ich den kleinen Unruh, der immer aus den Wolken fallen wollte, mich zu ſehen, ſeinen Augen nicht traute u. dgl., wir freuten uns ſehr, und hofften uns wiederzuſehen. Von da nach Paris, wo uns der Onkel er - wartete, der da Kränzchen mit den Erſten der Stadt hatte. Das laſſ ich mir, bis ich mein Gebirg geſehen habe, nur ge - fallen. In dieſem Garten ſind alle Offiziere von uns und hier: im Garten und in den nahen Sälen ſpeiſten Leute, wie bei Richards, es war alſo helle und große Promenade; manche Leute ſah ich überall, wie bei uns; die Muſik war mitten im Garten als es finſter war mit Licht etablirt, und drum herum ich mit Louis und Röschen, und die Menſchen; es wurde ſehr munter, die Offiziere ließen Walzer ſpielen, und walzten90 untereinander mit Degen und Pfeifen. Der Onkel ging frü - her von ſeinem Tiſch und nahm den größten Antheil an die - ſer Freude; er kennt und iſt gekannt vom größten Stutzer bis zum faltigen Etatsminiſter; die Offiziere hatten ihre Degen abgenommen, und tanzten prächtig, offizierig, unſre und die hieſigen; einige ſind unſre Nachbarn, alle artig und beſchei - den. Das Ding nahm ein Ende, und wir holten Bieſt und Konſorten aus dem Kabinet, und fuhren nach Hauſe, zu Bette. Denkt euch, das wirklich himmliſche Schanz muß ich allein goutiren, wie wird’s mir mit meinem Gebirg gehen! Wehe! Wehe! Wehe! ſagt die Döbbelin in Kora: Wehe! Wehe! Wehe! heul ich ihr nach. Geſtern ging ich immer eine halbe Meile vorauf, und ließ mich doch nicht beſtändig ſtören, und zur Reiſe hab ich mir ſchon ausgebeten, ſoll man mich nicht viel fragen; und ſagen. Wir nehmen Rekommandatio - nen an alle merkwürdige Menſchen und Klöſter mit, die auf unſrer Tour liegen. Wie klug werde ich werden! Ich bin auch ſchon horndumm von dem Zuhauſebleiben geworden. Wenn ich vom Gebirg komme, ſehe ich alle Merkwürdigkeiten Breslau’s ich habe die Beſchreibung, und finde Schleſien und dieſe Stadt äußerſt intereſſant. Ihr müßt das einmal ſehen, Kinder.

Nun ganz geſchwinde noch zwei Worte. Geſtern Mor - gen war die Sina und Herr Gad bei mir; mein freier Tag iſt mir aber nicht gelungen, ich ging nämlich nach Tiſch zur Sina, und gegen Abend fuhren ſie mit mir nach Morgenau, es wurde aber windig, und wir kehrten durch und um das91 hübſche Thor nach ſeinem Hauſe zurück; für mich iſt ein ſchö - nes Haus und Straße ſchon ein Genuß, und aus dem meinen zu exiſtiren, doppelter. Jetzt bin ich fix und fertig angezo - gen, um in Wagen zu ſteigen; wir erwarten eure Briefe, wo - rauf ich gar nicht wegen Zeitmangel antworten werde, denn, ſind ſie erbrochen, ſo reiſen wir weg. Es iſt ſonderbar, von einem fremden Orte wegzureiſen, um wiederzukommen; aber hübſch; man grämt ſich nicht, man ſchämt ſich nicht, und packt alles ganz kommode, weil man alles bei der Hand hat, und ſchon en train iſt. Jetzt muß ich hinunter. Lebt wohl. Wehe! Wehe! Wehe! was muß ich allein ſehen! und ärger als allein.

Adieu. R. L.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Nichts! Nichts! kann ich euch ſchreiben von dem, was ich heute geſehen habe, einen realiſirten Wieland, mit allem was ich mir noch von einem ſchönen Schloß dachte, Fürſtenſtein, das dem Grafen Hohberg gehört, hab ich geſehen; eine Meile von hier. Gott ſollte mich aber behüten, es euch beſchreiben zu wollen. Er! wird mir günſtig! denn nicht allein ich habe das erſte Wetter, ſondern ich habe das enorme Glück, intereſſante Menſchen zu finden, die ſich für mich in - tereſſiren. Heute zum Exempel zeigte mir Schloß und Garten ein Menſch, Doktor Hinze, Arzt des Grafen. Keine Details, Kinder! Ich kenne ganz euren Ärger, aber ich kann nicht, bei Gott ich kann nicht. Wir logiren hier bei göttlichen Leu -92 ten, die uns von einem Vergnügen zum andren und nicht zu Athem kommen laſſen, und wie kann man Unbeſchreibliches beſchreiben, höchſtens! höchſtens erzählen! höchſtens? nein gar nicht, ganz und gar nicht. Aber, ſo wahr mir Gott helfen ſoll, ſo wahr ich das Glück immer ſuche, kurz, ſo wahr ich exiſtire, daß ich meine alten Polypſchmerzen gehabt habe, or - dentliche Herzſchmerzen aus wahrem, kochenden, inn - ren Verdruß, euch das nicht zu zeigen; euch; es allein ſehen zu müſſen! Das verſchmerz ich nie; nie; nie. Alſo giebt’s kein Glück; wenn ich mir eins bei den Haaren her ziehe, ſoll ich’s noch ohne euch genießen?! ich verſchmerz es nicht. Und, glücklich will ich nicht ſein, wenn ich nicht jetzt Herz - ſchmerzen habe, indem ich’s mich nur erinnre, daß ich’s allein geſehen habe! Jetzt iſt 8 Uhr Abends. Morgen früh reiſen wir nach Kloſter Grüſſau; ein ſehr berühmtes, in einer wun - derbar ſchönen Gegend. Wenn ich zu Hauſe komme, mach ich eine Reiſebeſchreibung, jetzt kann ich euch aber nichts ſagen, notiren thu ich aber jeden Schritt, und erzähl euch auf’s ausführlichſte. Lebt wohl, meine einzigen armen Kinder!

Markus, vergiß Profeſſor Meyer nicht. Grüß die Unzel - mann tauſend - und tauſendmal; nun weiß ich, daß ſie da iſt, und nicht, was ſie macht!

In kurzem geh ich in alle Geſellſchaften, ſehe Gegend, Klöſter, Kirchen, Städte, logire bei Privatleuten und bin wun - derbar aufgenommen, wo ich nur den Namen des Onkels nenne: und ich ſelbſt bin höflich, und ſie iſt hübſch. Ihr wißt, ich prahle nicht, und finde nichts leicht hübſch; hier iſt’s groß, und die Aufnahme ſelten. Gott ſchütze euch! wer weiß,93 wie lang ich nun nicht ſchreibe. Heute war’s ganz wie Wie - land, bis auf die Orangenwälder. Grüßt Navarro, und viele - vielemal Briuckmann, der dieſen Brief leſen ſoll. Die Steine bei Wallenberg hab ich geſtern geſehen, Erzählung Be - ſchreibung lächerlich!! Auf mich machte es einen lächerlichen Eindruck, ich mußte lachen. Denkt euch noch eine Welt; aber von Steinen: und ihr ſeid fertig. Drei Meilen Berge und Wald; aber von Steinen. Pfui, pfui, ich beſchreibe! Aber ſo iſt’s wirklich. Par parenthèse reiſe ich mit Zöllner’s Reiſen in Schleſien, und ſchlage nach was ich geſehen habe, und was ich ſehen ſoll. Nun werd ich klug; nun wird’s. Darum mußt ich lachen, wie ich die Steinen-Welt ſah, es fiel mir immer ein: nun hat Er eine aus Steinen; wahrhaf - tig. Ich wohne bei wunderbar guten Leuten hier ſeit Mitt - woch Mittag, da kamen wir von Schweidnitz her; ich war im Kränzchen der Stadt gleich ſelben Abend; artige, wohl - angezogene Leute, Alle Equipagen. Auch im Bade Altwaſſer war ich heute. Von Grüſſau geht’s weiter, vierzehn Tage wird uns die Reiſe wohl noch koſten, das rechne ich ſchon.

Adieu, Kinder, Adieu!

An M. Th. Robert, in Berlin.

Stellt euch vor, liebe Kinder, was mir paſſirt. Übermor - gen ſind es volle vierzehn Tage, daß ich mit Unholden, ſchmutzi - gen Unholden, wovon ihr keinen Begriff habt, wie zur Fracht des Tages zwei Meilen, höchſtens drei, herumziehe; und Diens -94 tag, nicht übermorgen, komm ich erſt nach Breslau, wohin ich mich ſehne nun könnt ihr euch denken: Geſtern Mor - gen um 10 Uhr reiſten wir von Hirſchberg ab, wo wir dritte - halb Tage in einem Wirthshaus vorm Thor lagen, ohne einen Menſchen zu ſehen, und ſchlecht Wetter en compagnie ab - warten mußten. Zwei Komödien ſahen wir zu meiner Ret - tung dort, und der Wirth hatte ein Klavier, ſonſt wäre dort meine heilige Grabſtätte geworden; nun wird wohl dieſes Dorf den Ruhm erlangen; denn ich halt es nicht aus. Ge - ſtern um 6 Uhr Abends gelangten wir auf bergigten, ſteinig - ten Dorfnebenwegen, unter Platzregen und Wind, bis auf die Knochen naß, hier an; auf einem Edelhof, der vielfältig ſchöne Ausſichten hat, die aber faſt bis jetzt noch alle vernebelt lie - gen, obgleich die Sonne ſo weit über die Wolken geſiegt hat, daß ſie ſie doch müſſen durchblicken laſſen, aber dies iſt erſt der erſte Moment. Dieſes Gut gehört dem Herrn Kriegsrath Balde. Keine Beſchreibung, de grâce! Seine Tochter, eine nicht ununterrichtete Frau, Wittwe eines Kriegsraths, empfängt uns, nachdem er uns in ein enormes Haus geführt hat, an der Treppe, mit einem weißatlasnen Rock, der ein Florfalbala hat, das ſo hoch geht, daß man nur den wenigſten Theil vom Rocke ſieht, und einer karmoiſin tuchenen Levite; ein ſchwar - zer Florhut von agreabler Façon, worauf eine weiße Aſter - guirlande reſidirt, bemüht ſich umſonſt eine großquaſtige Friſur zu bedecken, die hinten ein langer langer Cadogan ſchließt. Nichtsdeſtoweniger ſiehſt du hier viel Silber, nichts als Bou - gies, den beſten Tiſch, Wein und Deſſert, Koch, Jäger, Schrei - ber, Verwalter, enorme Zimmer, und wenn man zu Tiſche95 geht, werden beide Battants aufgemacht. Schrecklicher Dis - kurs; und drei Stunden bei Tiſch. Was mich rettet, iſt die große Unterrichtung des Kriegsraths, der Schleſien, nicht al - lein theoretiſch, ſondern auch praktiſch, und nicht allein prak - tiſch, ſondern auch wie ein unterrichteter Mann bis auf jeden Nagel kennt, und es mittheilt, und weil er ſieht, daß ich auf - merkſam zuhöre, mir mittheilt: ich wünſchte immer, Begriffe vom Landweſen zu haben, ich bekomme ſie durch dieſen Mann ſo ziemlichermaßen, auch von der Landesverfaſſung. Ihr wißt, ich habe das Talent, auch wenn ich in übler Situation, ſo viel herauszuziehen, als nur möglich, alſo thu ich’s.

Ich hab es doch ſo weit gebracht, daß wir dieſen Mittag von Falkenhain um 2 Uhr abreiſten, und vier Meilen bis hier - her machten; morgen fahren wir acht Meilen bis Breslau hinein. Wir hatten das angenehmſte Wetter von der Welt, nach einer kleinen Stunde kamen wir endlich aus dem Ge - birge in’s Land herunter; das war kein kleiner Genuß für mich die ſchöne Welt einmal wieder en gros zu ſehen. Denn Gebirge ſei ſo ſchön es will, und gefalle mir auch noch ſo gut, indem ich’s ſehe, wenn ich in’s Land komme, wird mir doch wohl. Wir hatten vier Löwen von Pferden vom Kriegs - rath bis hierher, und ich amüſirte mich ſehr mit dieſen vier Meilen; ich ſprach kein Wort, und ſogar Konſorten waren erſchöpft nach ihrer Art. Bei unſrer Wirthin (wie in jedem ſchleſiſchen Wirthshaus) iſt ein Fortepiano, worauf ein Junge von eilf Jahren recht artig ſpielte, und ſeine Schweſter von zwölf Jahr auch, ich ließ ſie ſpielen, und bat mir die Erlaub -96 niß aus, auch zu ſpielen. Da exercirt ich denn bis jetzt 9 Uhr, die Andern ſpielen Piquet, und ich habe noch Zeit euch meine Geſchichte zu ſchreiben. Ich mache mir kein Gewiſſen draus, euch dieſen Brief voll unmuthigen Inhalts zu ſchicken; erſtlich iſt das Leben ſo; zweitens iſt’s meine wahrhafte Geſchichte, des Gemüths und der Begebenheiten. Lieber Hans, ich will dich noch angelegentlich bitten, Linen anzubefehlen ꝛc. Nun werd ich bald hinaufgehen müſſen, denn ich ſchreibe bei mei - ner Wirthin, unter dem originalſten, gar nicht ungeſcheidten Geſpräch der Kinder und einer Frau. Adieu. Man trägt das Eſſen ſchon hinauf. Morgen Abend leſ ich eure Briefe, ich freu mich recht darauf. Adieu.

Zum zweitenmale mußt ich geſtern Abend die Breslauer Thürme anſtatt der unſrigen ſehen! wie verzehrt einen Unge - duld nicht ! Wir hatten ein Wetter! als hätt es Apoll zu einer Landfête ſentimental beſtellt, das genoß ich denn den ganzen Tag, und athmete noch Geſundheit zum Vorrath ein. (Apropos, ich bin ſehr geſund, ſogar mein Fuß iſt ganz beſſer.) Wie ward mir aber, wieder in dieſe enge Straße einzukriechen und in dieſes Haus; ich, die ich Luft für das erſte Requiſit halte, und vierzehn Tage lauter Feldluft geathmet hatte! mir wurde ſo angſt und bange, daß ich mich eine Stunde lang vor der Thür aufhielt. Aus ganz Polen flüchtet hier alles her; geſtern ſollen die polniſchen Wagen den ganzen Tag wie ein Leichenzug hereingezogen ſein: und die Mad. Kobiſch hat ſchon dem Miniſter geſagt, ſie würde den Vornehmſten ihr ſchönes Haus anbieten, welches er ſehr genehmigte, ſogeht’s97geht’s uns Preußen jetzt: für mich ſind das Stiche in’s Herz. Wenn’s Glück gut geht, muß ich noch flüchten. Eben be - komme ich noch heute ein Briefchen von dir, Hans, ſchönen Dank! Alſo iſt die Unzelmann wirklich aufgetreten, bravo, bravissimo! Brinckmann fängt nun an, eben ſo ſchlecht zu werden, als ſeine Grundſätze, denn daß er mir nicht ſchreibt, iſt doch unerhört! oder iſt er bloß glücklich? ich frag’s ihn ſelbſt. Navarro hat mir einen ſo melankoliſchen, deſolanten Brief geſchrieben, daß ich ihm heute gar nicht antworte viel - leicht. Was du mir von ihm ſchreibſt, Franz, goutir ich, und wußt ich vorher.

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Jetzt hab ich Ihren Brief erhalten, ausgeleſen, und ant - worte ſchon. Nur göttliche Weſen, wie Furien, Merkure, Amors und dgl. können Schuld ſein, wenn Sie mir nicht ſchreiben: das dacht ich auch, eh ich Ihren Brief bekam. Entſchuldigen Sie ſich doch nicht wegen Sentiments, Witz, Wortſpielen und ſo etwas, Sie wiſſen, wie ich das liebe: alſo nie wieder. Ich nehme Theil an Ihrem Zuſtand, denn ich kenne ihn, mich hat er bis zur Abſtumpfung geplagt; ſchmerz - haft iſt er, aber nicht gefährlich für Unſereinen, leider iſt aber auch ſchmerzhaft ohne Gefahr kein Troſt; für uns unambitiöſe Philoſophen! Eiferſüchtig ſind Sie nicht, mein Lieber: man kann es bloß nicht aushalten! wenn einer ein Gut veraaſ’t, was wir königlich verwirthen wollten, undI. 798glaubt, es gehöre ihm, weil er Geld genug hat es zu kaufen, und tugendhaft genug iſt es nicht zu ſtehlen, weil er den Aus - putz dran ſchätzt, es verdient, und weil er ſich näher an der Schüſſel befindet, es klug zu machen glaubt, daß es ihm präſentirt wird: freilich iſt das nicht auszuhalten! ich kenne es! Und wenn einem weiter nichts paſſirte, ſo müßte man klug werden, und auf das Syſtem vom Recht kommen. Lieben thun Sie aber; das ſagte ich lang: das iſt kein Un - glück, daß Sie aber lieben können, iſt eins: und was ſagen wir zu einem Unglück?! Daß aber die Heirath geſchehen wird, iſt ſchrecklich!!! ſchrecklich; und, wie ich glaube, nur zu gewiß. Denn es iſt ja ganz unſinnig. Das mein ich im Ernſt, und nicht aus Bosheit. Iſt denn nicht der ärgſte Unſinn vernünftig angezogen, reſpektabel behandelt, und am ſicherſten für uns andren Armen ausgeführt! Wir wollen aber doch nicht tauſchen, und uns mit uns freuen. Wie! ſind wir auch manchmal; und ſo werden wir ſein, ſobald ich wie - derkomme. Laſſen Sie ſich immer meine Briefe mittheilen, ſie ſind auch für Sie. Leben Sie wohl; vielleicht ſchreib ich morgen noch ein Wort. Meinen Beifall haben Ihre Verſe. Analog, man muß den deutſchen Ramlers doch ſagen, was ſie thun ſollten.

Ihre R. L.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Der Onkel, der alles hervorſucht, um mich zu amüſiren, und deſſen Prinzip es iſt, daß man alles ſehen muß, ſchlug99 vor, was er in fünfzehn Jahren nicht gethan hat, mich auf einen jüdiſchen Hochzeitball zu führen, wohin wir eigentlich Alle gebeten waren, aber wohin nur unſer junges Haus ging. Ich ging aus Neugierde; jüdiſch, eng u. ſ. w. die Aufnahme. als käme der Großſultan in ein lang verlaſſenes Serail, mich beſchämte das: Hitze zum Sticken. Belohnt wurde ich aber durch eine beauté, die ich dort ſah, eine beauté! Gad ſeine Schwägerin von fünfzehn Jahr, mündlich die Beſchreibung; viele Hübſche waren auch noch; überhaupt ſieht man hier viele hübſche Hände.

Du aber, Franz, deſeſperirſt mich! ſchreibſt mir von Reichardt. Soll ich vergehen? von weitem. Und dann Goethe. Warum kömmt ſo was Leuten zu, die nicht ſo für Freude und Genuß zitterten! Wenn’s eine giebt, ſo giebt’s eine, die ich nicht verſteh, einſeh und begreife: nein, es giebt keine Gerech - tigkeit! und von mir fordert man alles. Ich vergeh aus Schmach: Reichardt kann ich nicht einmal begegnen! Der Onkel ſieht jetzt gar keine Leute, weil ihm der Kopf mit Po - len verrückt iſt, hat er mir jetzt eben ſelbſt geſagt, und giebt darum auch das einzige Souper nicht, was er geben wollte, wenn nicht heute noch gute Nachrichten kommen. Die Polen emigriren noch immer ſtark hierher. Ich lerne alſo keinen Menſchen kennen. Auch aus einer Reiſe nach Dyhrnfurt wird nichts deßhalb. Ich habe das ſchönſte guignon: und blieb ich mir ſelbſt nicht, wär ich dumm wie ein Ochſe. Sagt einmal, Kinder, wie das iſt: Brinckmann hat mir noch auf das Ringchen nicht geantwortet; und Navarro ſchreibt mir7 *100zwar geſtern, aber es iſt keine Antwort auf den Brief, den ich bei euch einlegte: und Lady Herz antwortet mir gar nicht. Lebt wohl! Grüßt die ſchönen Menſchen, beſonders die Unzel - mann. Auch Gualtieri vielmal.

An David Veit, in Jena.

Mit einer Art von Angſtthau auf der Stirne ſetz ich mich diesmal hin Ihnen zu ſchreiben denn ich will wieder ſo aufrichtig ſein, daß es eine Schande iſt; und Ihnen meine Meinung über zwei Rezenſionen ſagen, die ellenlang werden wird; und wozu ich noch keine Worte habe. Vorige Woche habe ich die berühmte Schiller’ſche Rezenſion über Matthiſ - ſons Gedichte geleſen die ich eigentlich Ideen über die Dichtkunſt nennen würde (lachen Sie mich nicht aus). O Laokoon, o Leſſing! hab ich nur denken können. Wenn der was Allgemeines ſagte, ſo beſtimmte er was, ſetzte er was feſt, (freilich hat er ſich zu todt geärgert!) wenn der rezenſirte, tadelte er, wenn er tadelte, gab er die Urſachen an. Ich habe die Rezenſion nicht mehr zur Hand, ich kann Ihnen alſo keine Stellen mehr anführen, über die ich etwas wußte, als ich ſie las. Man macht ſo viel Lärm von dieſer Rezen - ſion, und als ob ſie ſo ſchwer wäre; ich habe eben keine ſo hagelneue Ideen darin geſunden. Die Vergleichung der Dicht - kunſt mit der Mahlerei, und alſo auch die fernere Anwen - dung des Landſchaftsmahlers und Geſchichtsmahlers, iſt mir gar nicht aufgefallen, und iſt, dünkt mich, hundertmal in Leſ -101 ſing vorgekommen; den wollen ſie mit aller Gewalt vergeſ - ſen; weil ſeine Rezenſionen (denn viele ſeiner Werke, und beſonders Laokoon, kommen mir wie Rezenſionen der Künſte vor) nicht ſo ſentimental waren, und er nicht immer das Genie rezenſirte, analyſirte, das hohe Menſchliche herausſuchte, und bewies, daß das Genie ein Genie iſt, ſondern das Kunſtwerk vornahm, aufſtellte, mit Gründen tadelte, oder für das alte Lob welche zeigte, den Forderungen ſichere Gränzen ſteckte, und mit richtendem Blick und euthuſiaſtiſchem Bei - fall das Genie ſie erreichen ſah, und ſeine Genialität in Ruhe ließ.

Glauben Sie nur nicht, ich ſähe nicht ein, daß eine jetzige Rezenſion anders ausfallen muß, als eine vor zehn oder zwölf Jahren die immer viel bedeuten, und die letzten beſonders , und daß die jetzigen guten, wie die früheren, ſo verſchieden ſie ſein mögen, doch immer nur anders modifi - zirte Äußerungen ein - und deſſelben Genies ſind; oder daß ich mir gewiſſe Dinge, die man jetzt ſehr in Anſchlag nimmt, und ſie in die Penſion der Vernunft giebt, und ſie mit der in der ernſteſten Geſellſchaft gehen läßt, ohne über deren Sen - timentalität mitleidig zu rümpfen, nicht deutlich genug ge - macht habe, und alſo nicht folgen kann, wenn man davon ſpricht: o nein! Ich habe das verſtanden, was ich geleſen habe, und mit dieſer letzten Phraſis noch niemals gelogen. Aber auch was Wieland einmal ſo feſt baute, fängt ſchon bei ſeinem Leben an, Breſchen zu bekommen (ſo wüthend iſt man jetzt, alle Gebäude zu zerſtören, um ihren Grund zu unterſuchen). Doch neue Bahnen ſich zu brechen, heißt in102 ein Neſt gelehrter Weſpen ſtechen, das leiden jetzt die Weſ - pen eher, als mit falſchen Fußtritten in alten Bahnen die Kreuz und Quer ſpaziren zu gehn, und andern Leuten weis machen zu wollen, man hätte die Bahn neu gemacht. Nicht daß Schiller das wollte, das will Schiller gewiß nicht; warum iſt er aber nicht deutlich, und fängt da an, wo Leſſing aufgehört hat, und nimmt es dann ganz anders und wie er will, und neu, und wie man’s jetzt nehmen muß; was ſchwankt er herum, und ſetzt nichts feſt. Er hat freilich definirt was die Dichtkunſt iſt, aber doch nur Eine Art, und man iſt doch in vielen andern noch immer Dichter. Er ſagt einmal, ich weiß es wohl, man könnte wohl Gemählde vorſtellen, aber man müßte dann auch zeigen, daß man es als das, was man Menſch nennt, thut, der das Gemählde nur immer als ein Stück ſeiner Situation betrachtet, und als Mittel gebraucht, ſeine Empfindungen damit zu äußern, und dem Gemählde ſelbſt durch die Art der Zuſammenſtellung ſeine eigene Phyſio - nomie aufdrückt Sie haben die Rezenſion geleſen, und werden mich ſchon verſtehn: Sie ſehen, ich habe nur den Sinn behalten, und auch iſt das mehr mein alter eigner; es wäre Jammerſchade, wenn ich nicht beſſer dächte, als ich mich ausdrücke , thäte man das nicht, ſo wäre man ein mecha - niſcher Kopiſt, oder Erzähler; nun ja, das dünkt mich iſt alt genug; aber auch bloß Erzählen iſt manchmal dichteriſch, und bloß Kopiren das dichteriſcheſte in einem Werk; zu rechter Zeit nur das zu thun iſt groß, und fordert eben ſo tiefe Menſchenkenntniß, als Empfindungen und Ideen in die Be - ſchreibung einer Landſchaft zu bringen. Sehen Sie, ſo giebt’s103 noch tauſend Branchen, die er hätte ausführen und ohne ſie einzuſchränken unter eine Regel bringen können; dann hätt er über die Dichtkunſt geſchrieben: Sie werden ſagen, in ei - ner Rezenſion geht das nicht an; gut. Hat er aber rezen - ſirt? gar nicht. Er hat ein paar Gedichte angeführt, wo er den hübſchen Gang derſelben, als Beſchreibung lebloſer Gegenſtände, aushebt, und den Versbau lobt; ja hören Sie wenn das nicht drin wäre, ſo wären ſie auch ſchlecht, und wie alle Frühlinge in allen Kalendern. Da er doch geſucht hat, ihn zu loben, ſo wundert mich erſtaunt, daß er nicht andere Dinger dieſer Sammlung genommen hat, als die Elfen und noch einige, deren Namen mir nicht einfallen will. Soll ich das für neu halten, daß er ſagt, der Dichter müſſe nicht zu ſubjektiv zu Werke gehen, und ſich mehr an den ob - jektiven allgemeinen Eindruck der Dinge halten, die man na - türliche Empfindungen nennt; weil es nothwendig iſt, daß man viele Deutſche, was ſag ich viele? Legionen! von neuem daran erinnern muß, daß ſie nicht von ihrem Birn - baum, ihrer Charlotte, und endlich ihren ſeichten unver - ſtändlichen Empfindungen ſprechen ſollen? Die Meinung, daß ein Dichter, wenn er ſimple einfache Verhältniſſe oder Naturerſcheinungen ſchildern will, es nicht thun ſoll als ein Menſch, der ſich nicht feinere und verwebtere hat denken kön - nen ſondern als ein Menſch, der ſie nicht hat finden können, in der wirklichen Welt (ich weiß Schillers Worte nicht; ich glaub er ſagt praktiſches Vermögen) und zu dem Einfachen wie durch das Fegfeuer gereinigt zurückkömmt, halt ich auch nur wie verſteckten Tadel; wie das bischen Rezenſion über -104 haupt; die überhaupt nur eine ergriffene Gelegenheit iſt, Ge - danken vorzutragen, die man (je unreifer ſie ſind) nicht mehr gut findet bei ſich zu tragen, und eine Probe ſind, die man ſich ſelbſt ablegt, nach den neuen Syſtemen die Dinge zu nehmen. Denn ſonſt kann dieſe letzte Regel nur unerzogenen Menſchen gelten, daß die keinen Geſchmack haben iſt ausge - macht, daß zu dem ſittliches Gefühl, zu dieſem Vernunftprü - fung unſrer eignen Empfindungen gehört, eben ſo; und daß man ihnen keinen einſchwätzen wird, noch gewiſſer. Und daß die nicht verſtehen was Schiller ſagt, noch gewiſſer; jemehr die - ſer letzte Gedanke neu ſein und auf viele andre Dinge ange - wendet werden könnte. En effigie käm ich in der Litteratur - zeitung, oder andern ſolchen Orten, vor, wenn ich nicht das erbärmlichſte Nichts wäre, und man um dieſen Brief wüßte; als das ſchamloſeſte Geſchöpf würd ich von Partikuliers bei - der Geſchlechter verabſcheut, wenn andere Leute, als Gelehrte, darum wüßten: aber auch Sie bitte ich, mich, noch jetzt we - nigſtens nicht, für zügellos arrogant zu halten, bis Sie meine Meinung über die zweite Rezenſion geleſen haben, von der ich eben ſo aufrichtig reden will; ſonſt müßten Sie dann ſchweigen, weil Sie nicht wüßten, womit Sie mich vergleichen ſollten. Die Rezenſion über den Gartenkalender hab ich noch nicht geleſen, weil ich mir geſtern von Hrn. von Brinckmann einen Pack Litteraturzeitungen geben ließ, und wie ich ſie die Nacht durch - ſuche, keine Gartenkalender-Rezenſion, ſondern eine über Wol - demar von Hrn. von Humboldt finde, von der ich mich ſchon lange abſchrecken ließ, weil ſie dieſelbe für zu ſchwer aus - ſchrieen, und ich beſcheiden-dumm es glaubte (es verleitet doch105 nichts mehr zur Dummheit als Beſcheidenheit, das iſt ausge - macht), aber da ich ſie einmal in Händen hatte, ſo bracht ich ſie auch vor die Augen. Ja wirklich dann würd ich mich ſchämen, wenn ich die nicht verſtünde, und ſie mir ein - mal einer erklären könnte; nicht daß ſie leicht wäre, ich ge - ſtehe ſelbſt, man muß ſchon über die Dinge, von denen er ſpricht, gedacht haben, um zu verſtehen, was er ſagt, aber eben, darüber nicht gedacht zu haben, würd ich mich ſchä - men: als ſittliche Frau ſchämen; ich glaube das iſt alles, was man darüber ſagen ſollte. Eine Frau iſt wirklich ſo elend, als ihr partage (ich weiß nun kein Wort) zu ſein ſcheint, wenn ſie nicht einmal weiß, warum es ſo ſcheint, und was ſie vermag und nicht vermögen ſoll, um es nicht ſo zu machen als es ſcheint; ſie iſt wirklich elend, wenn ſie nicht wenigſtens Hrn. von Humboldt ſchnell verſteht, wenn er auch Dinge ſagt, die ſie niemals würde geſagt haben: gewußt muß ſie ſie haben, oder ſie iſt wirklich als eine Unterklaſſe, wofür ſie viele halten, zu bedauern; und iſt wirklich ſo elend, als alle elende Menſchen, die nicht beſſer ſein können als ihre ſchlechte Lage. Sogar geſchrieben ſcheint mir dieſe Rezenſion leicht, mir, der die einfachſte Geſchichte manchmal ſchwer zu verſtehen wird, die niemals Worte hat etwas auszudrücken, und die der Andern ſchwer verſteht, wegen ihrer Präziſion, Beſtimmtheit, und großen Zuſammen - hangs. Weh mir, mit was für Menſchen iſt man umge - ben Hören Sie! für ſo dumm habe ich ſie alle doch nicht gehalten. Für einen außerordentlich philoſophiſchen Kopf lie - ßen ſie Humboldt immer gelten, und rühmten ihn, und erho -106 ben ihn! aber die Menſchenkenntniß wollten ſie ihm abſpre - chen. Hat er denn nie mit ihnen geſprochen, wie er in dieſer Rezenſion geſchrieben hat? oder haben ſie ihn total nicht verſtanden! Sonſt müßten ſie ja nur all ihr bischen Wunder vor ſeiner Menſchenkenntniß niedergelegt haben, und hätten den philoſophiſchen Kopf ganz vergeſſen müſſen: nicht als ob er ihn bei dieſer wunderbaren Rezenſion vergeſſen hätte, im Gegentheil, er hat darin beſtimmt, was Menſchenkenntniß iſt; er hat ſie als eine Kunſt ſo zu ſagen zergliedert und feſt - geſetzt, und weil die nun einmal ſich an Moralität und Menſchheit lehnt, dieſe zu Regeln gemacht, wie Schönheit bei Kunſt, und auch die Regel wieder als Schönheit und natür - liche Konſequenz zergliedert und befeſtigt. Kurz, der weiß das Beſte nicht, der dieſe Rezenſion nicht verſteht, und wer ſie nicht über allen Ausdruck bewundert, verſteht ſie nicht. Nun nennen ſie mich anmaßend, und wie Sie wollen! aber noch nicht, das Beſte kommt noch! Sie werden doch nun gewiß glauben, ich nehme mein Urtheil über Woldemar zurück? Stellen Sie ſich vor: nein! Ich will einräumen und muß glauben, auch Jacobi habe alles das über ſein Buch ge - dacht, was Hr. von Humboldt drüber ſagt: ſo kann ich da - mit noch nicht zufrieden ſein, und mache eben, was beim Re - zenſenten das übermäßigſte Lob iſt, beim Verfaſſer zum Tadel. Ein Roman iſt doch immer ein Kunſtwerk des Genie’s, worin man alles das wohl finden muß, was Humboldt ſagt, und was man auch in jeder Schilderung menſchlicher Situationen findet, wenn ſie mit Wahrheit geſchildert und nicht von ge - meinen Menſchen genommen ſind. Hr. von Humboldt hätte107 über jeden nicht ſchlechten Roman dieſe außerordentliche Re - zenſion machen und das drüber denken können; aber Jacobi muß das nicht denken, wenn er ſchreibt, und das dünkt mich las ich in ſeinem Buche; ich fand immer die Feſtſetzung eines Syſtems darin, und nicht außerordentliche Karaktere, die mich es finden ließen, wenn ich ſie unterſuchte; es kam mir immer vor, als theilte er mir einen Plan mit, wie er ein Buch machen wollte, und darum konnt ich nie Genie darin finden; Sinn, Menſchenkenntniß, Philoſophie immer, und im zweiten Theil vermißt ich auch die. Ein Genie muß Vorfälle der Natur ergreifen und zuſammenzuſtellen wiſſen, und mit drun - ter andeuten, was es ſelbſt darüber denkt, oder auch nicht, ſo muß man, wenn man ſelbſt nachdenkt, allgemeine Regeln darin auffinden können, oder als Wahrnehmungen drin fin - den; ein Kunſtwerk muß mir aber nicht immer ſagen, was es will, es muß es gleich zeigen. Darin unterſcheidet ſich die Rezenſion von dem Werke ſelbſt, das ſie rezenſirt, und Jaco - bi’s Werk kommt mir nur vor, wie eine Skizze zu Hrn. von Humboldt’s Rezenſion, und es ſollte doch der Text ſein. Ein guter Rathgeber müßte Jacobi einem neuen Goethe oder Rouſſeau in ihrer Jugend ſein. Man muß wohl etwas zu beweiſen im Sinne haben, wenn man einen Roman ſchreibt, aber man muß noch jung genug in ſich ſein es nur zu füh - len, und es nicht ewig analyſirt auf der Zunge tragen; ſonſt wird’s eine Lehre, wie man beweiſen ſoll, und nicht ein le - bendiges aus der Natur gegriffenes Exempel für den Beweis. Darum ſcheint mir Hrn. von Humboldt’s Rezenſion ſo voller tiefen zerlegten Inhalts, der hier Genie iſt, weil er unter -108 ſuchen ſoll, und in Jacobi’s Roman ſelbſt keins. Schreiben Sie mir ja genau Ihre Meinung hierüber: und ſprechen Sie einmal mit klugen Leuten darüber; denn daß was Kluges her - aus kommen kann, glaub ich wohl. Nun will ich einmal mit Humboldt ſelbſt den zweiten Theil des Woldemar durch - gehen, (ich habe die Litteraturzeitung noch). Daß er immer ſagt, Jacobi habe nur Fingerzeige gegeben, das find ich nicht: mir hat er deutlich und vernehmlich beſtändig geſprochen. Etwas Zartes, wie das ſtille Bündniß zweier Herzen, ſcheut jede, auch die leiſeſte Berührung, ſagt Humboldt wahr; aber ein Herz, wo ein guter Kopf drauf ſitzt, läßt ſich doch von fremder Berührung nicht irre machen. Nur aus ſich ſelbſt will es hervorgehen, nur in unentweihter Einſamkeit will es ſich entwickeln, und die Hand, die ſich ihm naht, kann es zer - nichten, ehe ſie es berührt. Ich glaube, eine profane Hand kann es nie berühren, und nie den Einfall haben es berühren zu wollen, denn die ahndet es gar nicht. Können ſich denn nicht ein Paar geſcheidte Menſchen verheirathen, wenn ſie auch wiſſen, daß ſie nicht zum Heirathen ſind, und fortleben vor wie nach, ohne daß es die Andern merken; und findet eine Henriette, daß Woldemar eine Alwina haben muß, kann ſie ſie ihm nicht ohne Lärm und sans façon geben? Wer wird dem Romane die einzelnen ſchönen Züge abläugnen, aber zum Bewundern ſind ſie mir zu bekannt, und in meiner Welt zu oft zugekommen. Und eine gewiſſe Befreundung mit Din - gen dieſer Erde iſt ſüßer, als die Weiſen denken, führt Hr. von Humboldt an. Ja, das hat Rouſſeau in der Heloiſe, Goethe im Werther und Taſſo, tauſendmal bewieſen, und109 nicht gepredigt; der Franzoſe läßt die Dame den Salat mit den Fingern rühren, und viel mehr dgl. und Goethe läßt die Damen Taſſo’n Kleider ſticken und wählen, und ihn nur deſto beſſer darum lieben, und Werthern entzückt Brot ſchneiden ſehen, tauſend Dinge für die Kinder machen u. ſ. w. Hätte doch Hr. von Humboldt eins von dieſen Werken vorgenom - men, ſo hätte man zwei Genie’s zu gleicher Zeit bewundern und verſtehen lernen, und das größte menſchliche Vergnügen gehabt, ein Genie das andere bewundern zu ſehn. Nach - theilige Stadtgerüchte müſſen eine Henriette auch nicht einen Augenblick (und können auch gar nicht, wie ſie uns Jacobi ſchildert) verleiten, Woldemar in Unruhe zu ſtürzen, den ſie kennt, und dem ſie ſich lange in ſich aufgeopfert hat ( ſtill ſich widmete ſagt Goethe in Erwin und Elmire, das könn - ten Sie doch nicht wiſſen). Das auf dem Sterbebette des Vaters gegebene Gelübde iſt nicht außer der Natur, tritt aber, wie Hr. von Humboldt ſelbſt anmerkt, hier affektirt auf: hat ſie’s aber gegeben, warum iſt ſie mit Woldemar nicht auf dem Fuß, daß ſie’s ihm ſagen kann, oder hält es wofür es iſt, für ein Freundſchaftsſtück an einen nicht mehr zu ändern - den, ſterbenden, angſtvollen Vater! Und warum kann es Wol - demar nicht gelaſſen hören? Sie ſind alſo beide noch nicht fertig! Hätte Hr. von Humboldt doch über fertige Menſchen ſo geſprochen, die durch äußere Umſtände ſo in Verlegenheit ſind, und wo man nicht jeden Augenblick denken muß: könnt ich ihnen nur die Augen öffnen: und lieber mitfühlen muß, wie ſchrecklich es manchmal zu leben iſt, und daß dann von Verzweiflung nichts retten kann, als eben das, was die Trauer110 macht; daß man beſſer iſt, als wofür man muß gehalten wer - den: das wäre göttlich geweſen! Warum hat er Taſſo nicht genommen; da ſind ſie geſittet, und können ſich doch nicht helfen. Die Lage, daß Woldemar und Henriette zu liirt ſind um ſich zu heirathen oder zu lieben (das erſtere geht noch weit eher an), iſt mir nicht beſonders und nicht neu; wie mir denn auch alles, was Hr. von Humboldt noch ſehr Schönes von Sinnlichkeit, Moral und überhaupt Allgemeines ſagt, ſehr verſtändlich, deutlich und begreiflich ſcheint. Auch die Einleitung zur Rezenſion hab ich verſtanden: und gleich und ſehr leicht. Wundern Sie ſich nur nicht: und glauben Sie’s nur. Morgen werd ich Ihr kleines Briefchen beantworten, heute bin ich zu müde. Ich bleibe alſo bis jetzt dabei, im zweiten Theil werden ſie plötzlich toll; ich hatte das Buch ganz vergeſſen, und nur mein Urtheil darüber behalten. Hum - boldt hat’s recht aufgefriſcht. Die Rezenſion iſt was Erſtes! Dabei bleibts; göttlich!

Ich kann mich von den Rezenſionen gar nicht wieder trennen! Sie iſt doch außerordentlich, die des Woldemar! Sie haben keinen Begriff, wie mir die gefällt. So zuſam - mengegriffen, was man beurtheilen ſoll, und dann, wie man’s beurtheilen ſoll. Ich will endlich nur einmal aufhören; aber ſo hab ich mir lange gewünſcht möchte man einmal die Men - ſchen nehmen: und nun kommt ein Humboldt und thut’s, ſo ein Humboldt, den man kennt. Nein, dieſe Satisfaktion iſt zu groß. Sie müſſen nur wiſſen, daß ich bei der Matthiſ -111 ſon’ſchen Rezenſion nicht reines Gemüths war: denn man hatte mir vorher ſo viel geſagt, und beſonders ſie ſo enorm ſchwer ausgegeben, daß ich in Ärger verfiel ſie zu finden wie ſie iſt. Ich weiß ſelbſt, daß ſie Hr. von Humboldt ſo ſehr gut fand, und die eine Idee ſo beſonders, daß der Menſch dahin zurückkommen müſſe, aber nicht ſtehen bleiben, von wo aus ihn die Natur ſchickt; das alles hat mich anſtatt ein - zunehmen, nur noch krippſcher gemacht. Kennen Sie gar kei - nen ordentlichen Menſchen in Jena? Reden Sie doch einmal mit einem von der Rezenſion, und als ob Sie meiner Mei - nung wären (den Hals wird’s Ihnen doch nicht koſten), und hören Sie, ob alle Menſchen Sie für unſinnig halten, und ob ich’s auch thun muß! Denn zu denken, vielleicht biſt du verrückt, iſt ſchrecklich; weiß ich’s gewiß, ſo reformir ich mich.

Ich ſoll Ihnen ein Wort über den Hrn. von Humboldt ſchreiben; ich weiß keins, das werden ſie doch deutlich aus den vorigen Blättern ſehen. Und wenn ich ſagte, verlaſſen Sie ſich nicht zu ſehr auf ihn, ſo meint ich, verlaſſen Sie ſich nicht zu ſehr auf ſich und das Verhältniß, das zwiſchen Ihnen beiden ſein kann, und ſein Sie immer fein, zurückhal - tend, artig (im Syſtemſinne, lieber Jünger), und was er ſich erlaubt (im Urtheil hauptſächlich), erlauben Sie ſich nicht: und diesmal war es zu ſorgliche Freundſchaft , was aus mir ſprach.

Ich fühle mit Ihnen; das heißt, ich nehme Antheil und bedaure Sie, daß Sie ungeſellig leben müſſen. Ich be - ſchwöre Sie aber auch, bei allen Seelen aller ſeligen größten112 Generale, unſren Friedrich an der Spitze, benutzen Sie dieſes Herzeleid, wie die Spitze meiner Beſchwörung ſo oft thut, und brauchen Sie eine défaite, wo die Welt und Sie ſich verloren glauben, ſich unverſehens aufzuraffen, über den An - blick von Kadaver und Ermattung zu ſiegen, und durch Muth und Fleiß alles zu erſetzen, was Sie verloren gaben, um er - müdet, aber mit Sieg gekrönt und ruhig, den Genuß Ihrer ſchweren Thaten erwartend, in Ihre Hauptſtadt einzuziehen. Was bleibt einem anders übrig, als recht viel zu wiſſen! Erſt heut und geſtern hab ich raſend werden wollen (und will noch), daß ich nichts weiß, und nichts lernen kann, denn ich fühle, was das für ein Geſchick ſein muß, das einem das giebt. Und dann muß man doch jetzt recht viel wiſſen, ſonſt weiß man gar nichts.

Ihre Leidenſchaft für unſren Briefwechſel iſt ganz recht - mäßig, und im höchſten Grade auf das Gefühl der Würdig - keit gegründet; und wenn die äußern Umſtände etwas thun, ſo mögen ſie (o! ich werde mich entſetzlich ausdrücken, ich kann aber nicht anders) Ihnen nur gleichſam größeren Raum geben, in dem Sie ſich ſo recht über dieſen Briefwechſel freuen; daß, da Sie doch alles Genuſſes (ich muß das Wort brau - chen) beraubt ſind, ſie Ihnen doch dieſen, den Sie mit Leiden - ſchaft lieben, haben laſſen müſſen, und noch ſelbſt dazu haben thun müſſen, ihn zu erhöhen.

Zuletzt, wenn man’s auch gar nicht mehr bedarf, kommt alles in Gleichgewicht, alſo auch wohl ich, mit der dankbaren Welt, und ihr Urtheil über mich, und alles was ich wohlkönnte113könnte mit ihr zu theilen haben. Mir gefällt (ich fahre hier fort in Ihrem Brief, wie Sie’s gethan haben, obgleich ich keine Folge einſeh) dieſe ungleiche Miſchung von Aufrichtig - keit und Zurückhaltung, die unter uns obwaltet, daher bin ich nicht neugierig zu ſehen wann ſie ſich wird in Gleichge - wicht ’geſetzt haben; denn ich halte es nicht für unmöglich, aber dann würde es mir nicht ſo gut gefallen, ſtell ich mir vor; ungeachtet ich weder für, noch dagegen, mit Willen etwas thun werde: und überhaupt kommt ſie mir nicht ſo problematiſch vor.

Nun kommt wieder Woldemar. Ja freilich hab ich Humboldts Rezenſion geleſen: ja, ſie iſt ein Kunſtwerk , das war das Wort. Nun es iſt mir doch lieb, daß ſich un - ſere Urtheile begegneten: urtheilen Sie über dieſe beiden Ur - theile, ich will Ihnen nicht vorgreifen, um ſo mehr da ich ſchon weiß was ich denken ſoll. Die Ideen in Woldemar, obgleich ſie mir in Zuſammenhang mit Jacobi’s übrigen Werken nicht geläufig ſind, waren mir recht faßlich und kei - neswegs unbekannt; um ſo mehr, da er ſelbſt deutlich genug davon vorſpricht. Ich fühle ganz wie lächerlich es klingt, aber um wahr zu ſein muß ich’s diesmal ſagen, nur ganz Unkundigen (wie Humboldt ſagt) können ſie entgangen ſein. Sie haben übrigens mein Entzücken über dieſe Rezen - ſion zu Gedanken überſetzt: und wenn ich mich mir ſelbſt deutlich machen will, leſ ich die kleine Stelle in ihrem Brief drüber. Die Lieblingsidee, der man darin auf die Spur kom - men kann, iſt, glaub ich, was die wahre Bewunderung ein - fordert. Herrn von Brinckmann will ich ſo gut als mirI. 8114Gerechtigkeit widerfahren laſſen; er hatte ſich zwar geirrt, und mir ſtatt der Gartenrezenſion eine theologiſche gelaſſen, aber die Humboldt’ſche gab er mir mit Bedacht.

Hören Sie, mit der Delikateſſe bin ich ſehr liirt, und um Ihnen nur eine confidence zu machen, ſie hat meine ganze Liebe; und ich bin ſo paſſionirt, daß ich auch meinen ſcharfen Augen nicht traue, und ſie nicht von der Hand laſſe. Und noch ganz beſonders darum, weil mich das vor vielen Begegnungen ſchützt, denen ich mit einer andern Paſſion ausgeſetzt ſein würde, die ich ſchlechterdings nicht vertra - gen kann.

Thümmel kann machen was er will; ich habe auch den erſten Theil geleſen, und wenn Sie den zweiten werden ge - leſen haben, werd ich’s auch thun. Warum wird man nicht affektirt ſein, wenn man ſonſt nichts in ſich findet; und warum wird Affektation nicht verhindern das zu finden, was ſonſt noch da ſein kann?

Es iſt etwas Gleichgültiges, aber Sie werden doch An - theil nehmen, wenn ich Ihnen erzähle, daß ich vorige Woche in himmliſchem Wetter zwei Tage mit den Geſchwiſtern, dem jungen Ehpaar, mehreren Damen und zwei Engländern in zwei Wagen in Potsdam war, alles geſehen habe und gött - lich gefunden, beſonders eine Ausſicht vom Belvedere aus, über Potsdam, Sansſouci, Palais und alles, und wohl ein paar Meilen in die Runde Spree und Havel vereinigt, und ein enormes Vergnügen nach meiner Art gehabt habe. Übri - gens hab ich ganz prächtig Konverſation mit den Engländern machen können, die ihre Sprache ſprachen, und ich franzö -115 ſiſch. Mit meinem Engliſch geht’s wunderſchlecht, drum ſchweig ich ſo ſehr.

Graf Bernſtorff war hier: er hat mich nur grüßen laſſen, und ich hab ihn nur im Wagen geſehen. Das verſchmerz ich nicht. Kann ich mich nun empfehlen?

An Guſtav von Brinckmann.

Sie und Hauptmann Cuhn halten mich für ignoranter, als ich bin; ich kann nur wiſſen, ob das viel iſt, denn alle andren Leute glauben mir nicht, daß ich nichts weiß. Die Reihe des nicht verſtanden werdens iſt noch lange nicht an Ihnen; ich habe Sie ſehr wohl verſtanden, Sie meinten, ich ſei nicht immer die rechte Levin, manchmal die falſche, eine andre; verſtanden hab ich Sie, aber Recht geb ich Ihnen nicht; manchmal bin ich wohl anders, aber dann bin ich erſt die Rechte, nämlich die wahre, wenn ich ſo aus Grund mei - nes Herzens ſpreche (wozu ich ein wenig ärgerlich ſein muß), dann halten Sie mich für falſch: dann bin ich die ächte. Übrigens aber will ich gar nicht läugnen, daß ich Sie wohl nicht mag verſtanden haben; aber mißverſtanden hab ich Sie gewiß nicht, und ich bitte Sie ein - für allemal, das nie zu fürchten, denn ich weiß immer, daß Sie etwas Gutes meinen, wenn ich auch nicht gleich weiß was: diesmal wußt ich’s auch nicht recht, aber ich merkte gleich (ich ſchwör es Ihnen), daß Sie nicht deutlich waren, und daß ich auch nicht recht verſtand, und dabei wußt ich doch wohl, was Sie meinten,8 *116und habe Sie gar nicht mißverſtanden. Ich werd Ihnen nicht ſagen, daß Sie mir glauben ſollen, weil mir diesmal wirklich am guten Willen weniger liegt, als daß Sie über - zeugt ſein ſollen, die Gründe dazu, bin ich gewiß, finden Sie von ſelbſt, wenn Sie mich gelaſſen erwägen. Was Sie mir über den Woldemar und über die Wahrheit ſagen, wünſch ich könnte gedruckt, und von den Menſchen verſtanden wer - den; trotz Ihrem eigennützigen Wunſch, ſie möchten dumm bleiben, damit man Briefe ſchreiben kann. Überhaupt aber iſt Ihr heutiges Billet von allen, die ich von Ihnen geſehen habe, das erſte und gefällt mir über die Maßen; alles was Sie von allgemeinen Wahrheiten drin ſagen, iſt einzig; und was Sie mir beſonders ſagen, prächtig, ganz wahr und mit einer candeur und Naivetät ausgedrückt die ich noch gar nicht bei Ihnen gefunden habe, obſchon Sie oft Wahr - heiten geſchrieben haben die mir für die Wahrheit und Güte derſelben bürgt. Wir haben uns heute in die Wahrheit eingelaſſen, wenn wir aber bedenken, daß es doch nicht die Tugend iſt, ſo wird ſie uns wie eine Göttin vorkommen, und in dieſer Eil können wir ihr wohl ein bischen die Kour ma - chen, wenn wir beſonders bedenken, daß man durch ſie hinter alle Untugenden kommen kann, und ſie entdeckt; was Sie beſonders von ihr geſchrieben haben, kann ich nur bejahen, um einigermaßen etwas Ihnen Würdiges zu thun; welches ich auch aus Grund meines Herzens, Verſtandes und den Winkeln all meines Lebens thu.

Adieu. R. L.

117

An David Veit, in Jena.

Außer meinem Leben könnt Ihr mir nichts nehmen, was mir gleichgültiger iſt, antwortet Hamlet dem Olden - holm, als der ihm ſagt: Ich will Abſchied von Euch nehmen, gnädigſter Herr. So etwas ungefähr hab ich Luſt Ihnen zu antworten, darauf daß Sie mein Urtheil Humboldten ge - zeigt haben; denn auf nichts in der Welt hab ich weniger Anſpruch zu machen, als auf ein litterariſches ( um dieſes armſelige Wort beizubehalten, ſagt Oldenholm zu ſeiner Tochter, als ſie ihm von Hamlet’s Zuneigung ſprach) gutes oder rechtes Urtheil. Alſo nichts kann mir ſchmeichelhafter ſein, als wenn man ein ſolches von mir billigt, und auch nichts gleichgültiger, als wenn man ein ſolches von mir zeigt. Wenn ich aber dieſes Zeigen für ſo wichtig, als Sie es tha - ten, gehalten hätte, ſo würde ich’s im Leben nicht gethan haben, denn was in der Welt hätte von der andern Seite den Kalkül richtig machen können, wenn Sie bei mir wirklich ſo viel verloren hätten, als ſie ſich einbilderiſch vorſtellten? Mein Urtheil war ſo richtig und gründlich, daß es ſo viel Würdige als möglich wiſſen mußten, gut! aber ſo erforder - lich ſcheint mir das doch nicht, um ſo viel auf’s Spiel zu ſetzen. Sie haben aber auch gewiß dabei gewußt, wie ich’s nehmen kann; und darum nur thaten Sie’s. Genug davon: denn ich finde, man kann mit einem Briefe, worin ein Urtheil über ein Kunſtwerk ſteht, machen was man will; und alles118 Perſönliche fällt weg, wenn es ein Mädchen geſchrieben hat, wo man das, was einem nicht darin gefallen mag, auf die leichteſte und rechtmäßigſte Art, als Ignoranz von ihrer Seite, verwerfen kann. Was aber in der That nicht hübſch war, iſt, daß Sie mich deßhalb ſo lange auf einen Brief haben warten laſſen! Wie komm ich dazu! Warum laſſen Sie mich warten, wenn Sie Luſt haben meine Briefe zu zeigen, und warum ſpeiſen Sie mich nun mit einem ſolchen ab? denn auch daran, daß Sie den Tag ſo wenig Zeit haben, ſo kurz und obenhin ſein mußten, hat Ihr langes Warten Schuld; hätten Sie mir den Tag ſchreiben zu müſſen geglaubt? Iſt das mein Lohn! Sie! mit Gerechtigkeit und Empfindung. Ach, ich ſehe wohl, ich ſtehe zu hoch bei Ihnen; Sie verken - nen mich. Ich bin eitel. Es iſt bei Gott wahr, glauben Sie mir, Und ſchreiben Sie mir genau, wenn auch nicht ausführlich, was Sie Humboldten gezeigt haben; und was Sie Exklamation nennen, Ich will es wiſſen, hören Sie! Wie oft langweil ich mich Ihnen zu Gefallen? Noch eins! wenn er ſich nicht gewundert hat, ſo hat er ſich auch nur vor Ihren Augen gefreut; denn, iſt das Urtheil gut und richtig, wie es neu und original gewiß iſt, er hat nicht ge - wußt, daß ein ſolches mein ſein kann, und mußte ſich ge - wundert haben, Hat er denn über Woldemar eingeſtimmt? So hat er ja der ganzen Welt Pulver vorgeſtreut, die es ver - dient! Sie antworten mir über nichts, und ſo ſehr gut über das bischen, worüber Sie antworten; ſehen Sie alſo, was Sie für ein wenig Gerechtigkeit empfindender, wenig wohlthuender Menſch ſind! Eine eigene Art haben der119 Herr Veit mir Briefe abzuzwingen. Sie beweiſen immer, daß Sie in Todesangſt wären, wenn ich nicht ſchriebe: was kenn ich Schrecklicheres als Angſt, ich ſchreibe alſo. Und das Einmal wie das andere. Nun, nun, man treibt’s wie es geht: würd es mal anders gehn, Sie trieben’s anders. Das iſt keine Kunſt. Was hab ich in der langen Zeit den - ken ſollen? Freilich hatt ich keinen Urtheilsſpruch von Ihnen zu erwarten, der auf Tod und Leben von ſo viel Schönem und Edlen ging; aber ich konnte mich doch auch ſogar äng - ſtigen, denn was konnt es ſein! Daß ich den einzigen Fall, der wirklich war, nicht rathen konnte, müſſen Sie gewußt haben. Warten Sie nicht wieder ſo lange, und ſchreiben Sie mir nicht wieder ſo wenig Antwort: und nun iſt Friede. Klug haben Sie auch gehandelt; da Sie ſich doch ſchon ver - leiten ließen, werthe Weſen (Sie wiſſen doch, welches Wort ich nicht brauchen darf? künftig mach ich ein Quadrat bei ſolcher Gelegenheit) auf’s Spiel zu ſetzen: auch hab ich, und hätt ich auch ohne Ihr Erinnern, kein Wort von Ihnen als Buße angeſehn; und Ihr procédé gefällt mir; obgleich ich die Sache bei der Meinung, die Sie davon hatten, nicht würde gethan haben.

Mein lieber Herr, thun Sie mir auch was zu Gefallen, und ſagen Sie mir (wahr), wie es ſich machte, daß Sie mit Hrn. von Humboldt von mir und meinen Briefen ſpre - chen konnten: das alles will ich genau wiſſen! Heute hab ich Ihren Brief in der Taſche und nicht neben mir, es liegen zu viel Bücher auf dem Tiſch; ich ſchreib alſo, was mir ein - fällt. Ich geh noch in die Komödie, brenne ſchon Licht, und120 bin noch nicht friſirt, es iſt vier Uhr, oder ſo was. Ich finde es nicht ſo ſonderbar, daß Sie mich um Rath fragen, ob Sie ſich die preußiſchen Staaten, oder auch Deutſch - land, verſchlagen ſollen; oder nur ſo, wie mir denn das Rath - fragen überhaupt vorkömmt. Und auch darin denke ich über Sie beſonders; denn ein Menſch, der gar glauben kann, daß eine Frage ſtattfindet, wenn die Rede von einer Aufopferung iſt, die ein halbes Jahr betrifft, das doch in keinem Fall ohne Fleiß verloren geht, in Vergleich von immerwäh - render, wahrſcheinlicher Verſagung ſeiner, unſerer, Staa - ten: der muß fragen; worauf denn ich antworte: Sie gehen ohne alle weitere Überlegung nach Halle. Nicht, als könnt ich Sie mir jemals als einen Doktor vorſtellen, ſo wie man doch alles in Gedanken kann, oder als ob ich’s jemals gethan hätte; aber Sie müſſen’s doch immer ſein können, und auch bei uns. Ich kann mir gar nicht denken, daß Sie etwas Beſtimmtes ſein können: auf dieſe Weiſe ein Amt oder Stand, gleicht mir ſo ſehr einer Einſchränkung, als eine Heirath; und wie weit eher begegnet man nicht einem verſtändigen Mann oder einer ſolchen Frau, als einem ſolchen Amt oder Stand! Man muß aber leben! hallt es vom Schilde aller Vernünftigen wieder, worauf ich jetzt ſchlug, ich weiß es; daher aber die ſchlechten Ehen, hau ich wieder zu; wie iſt es zu ändern? hallt es wieder; das weiß ich nicht, ich ſag auch nur, es iſt ſchlecht.

Apropos! Keinem Menſchen antwort ich mehr auf ſo etwas; nicht aus Eigenſinn oder Vorſatz, nein, weil ich nicht121 kann, und auch über die gewöhnlichſten Dinge nicht mehr Rede ſtehen kann, niemals weiß wo ich wohl anfangen ſollte, und was ich ſo eigentlich zu vertheidigen habe. Sie haben mir noch ein Stück zur Erklärung der Mißverſtändniſſe der Leute über mich geliefert: ja ja, ſie mögen gewiß Recht haben, aber erſtlich ſchaden ſie mir und helfen ſie mir gar nicht, Freude hab ich von keinem, und wär ich wo - für ſie ſich ausgeben, ſo würden ſie mir in meiner Gegen - wart nicht beſſer begegnen, als ſie thun, denn ich muß es nur ſagen, in meiner Gegenwart genieße ich die größte Ach - tung, und welcher Menſch hat nicht die Hälfte der Andern wider ſich! Mir alſo kann, muß, mit einer ſehr kleinen Zahl für mich ſehr genügen, ſogar überflüſſig, wenn ich als er - bärmliches Mädchen bedenke, wie die für mich ſein müſſen. Abſcheulichkeiten (im Sinn der Leute) erinnere ich mich ſchlech - terdings nicht geſagt zu haben; ſogar in individuellen Ge - ſchichten geb ich immer dem Unrecht, der mit mir ſpricht darüber muß ſich die Honnetetät freuen; freilich erinnere ich mich oft vertheidigt zu haben, was die unbegreifenden Stümper alle thun mehr oder weniger, mit erſtaunten Abtheilungen und Modifikationen das iſt aber alles meine rechte Schuld nicht: ſie könnens mir gar nicht vergeſſen, daß ich zu meinen vierzehn Jahren witzig war, ſie fürchten mich, weil ſie mich für klug halten (ihr gewöhnlich Wort); ſie wiſſen aber nicht, daß ich einen verſtändigen Gedanken im Kopf habe; aber ein paar Bonmots ſind ihnen von mir zu Ohren gekommen, die meiſtens Tadel überzogen, und nun iſt ihnen jeder Blick aus meinen unglücklich tiefliegenden Augen zu -122 wider und verdächtig; und was dieſem Haß den rechten Schwung giebt, und ihn, ſo unbedeutend ich bin, friſch erhält, iſt, daß ſie mich keiner Grobheit zeihen, und mir keinen ſchlechten Streich nacherzählen können, und doch ſehen, daß ich mir nichts aus ihnen mache. Das ärgert von einem jeden, und das vergiebt man nicht. Sein Sie verſichert, ich bin kein närriſcher Phantaſt, dem das ſchmeichelt; wenn ich’s än - dern könnte, thät ich’s: ich büße aber, und dabei iſt denn nichts zu thun, als zu büßen. Meine Buße beſteht in Ennui; daß man mir oft nicht traut in Ernſt und Spaß; daß man mich ins Geſicht und hinter meinem Rücken anklagt, ohne daß ich mich vertheidigen kann, weil ich immer nichts zu verthei - digen weiß; daß ich ſehr oft in Verlegenheit komme, nicht in Verlegenheit kommen zu können; daß ein jeder Narr denkt, er erfüllt ſeine Pflichten wie ſie ihre Seichtigkeit nennen, gewöhnliche Dinge in hundert Abtheilungen zu thun, was man mit Einmal konnte, und tauſend ekelhafte, wäſſerige Etcetera’s; daß ſie mich verſchreien, und mir trauen, denn ſie machen mich zu ihrem Confident. Das muß ich ausſtehn. Weiter aber nichts. Keine Kränkung, keine Erniedrigung, keinen vergeblichen Wunſch: aber ſtören thun ſie mich auch; denn, das iſt wahr, ſie erſchweren mir oft die Schritte, die ich mache, durch unzeitiges Lob, welches faſt noch ärger iſt, als ihr plumper unſinniger Tadel, welche Epithete ihrem Lobe noch weit mehr gehören. Und das iſt der ſchlimmſte Effekt dieſes Defekts meiner Renommee; denn nur eigentlich ein kleines Pünktchen auf dieſer wirft all den Schatten, der mich ſo viele Konfuſion erleben läßt. Und dieſes Pünktchen, das123 iſt wahr, würde mir, ſollte ich mal meine jetzige Gegend ver - laſſen müſſen, dieſe ſchwere Abreiſe einzig erleichtern. Denn ich geſteh es, einmal friſch wo anzukommen, wo mich noch keine geborne Bekannte kennen, ſollte mir ſehr wohl thun! Und ich goutire des Herrn von Humboldt Lebensweiſe mit einem großen Seufzer; den ich ſeufze: und denn doch, er - haben über Gram und Schmerz, weiter lebe; wie ich kann. Ich bin in vielen Fällen unvermuthet gelaſſen und ge - duldig, und hab auch erlangt mir vieles abzugewöhnen, was ich nicht an mir leiden konnte; aber darin hab ich noch kein Sandkorn breit über mich gewonnen, nicht eine unwiderſteh - liche Leidenſchaft zu haben, auf verkehrte Fragen und be - ſonders, und faſt nur, wenn ſie mich betreffen immer verkehrte Antworten zu geben, und wär’s auch nur durch Miene, durch ein enthaltenes oder gezwungenes Lächeln, kurz durch ein Nichts, ich muß ſie geben. Nie fällt’s mir ein, und iſt mein Vergnügen gar nicht, jemand zum Narren zu halten (wie man ſo ſagt), ſo ſehr man mich deſſen beſchuldigt und von mir fürchtet, aber wenn mir ſo einer wie ſie denn manchmal unwiderſtehlich thun in’s Garn läuft, dann geſchieht’s mir wohl, daß ich ihn, der Unglaublichkeit wegen, noch ein bischen beſſer umwinde, auch dünkts mich immer eben ſo unhöflich ihn zurückzuführen. Das kann ich im ganzen Ernſt aus Höflichkeit nicht; und ganz unange - facht bei komiſchen Gelegenheiten bin ich immer noch nicht, Iſt das Verbrechen? Was thun die Andern? Wie ſchweig ich! Mir kann in der Welt nichts vortheilhafter ſein, als eine Belohnung; und ich habe nicht einmal das Glück daran124 zu glauben, Vergeltung mein ich eigentlich. Man ver - fährt wirklich von mancher Seite grauſam mit mir; obgleich ich nur daran denke, wenn ich’s ſchreibe, und in der That wenig von dem bedarf, was man mir geben könnte. Ich habe mich darum unterfangen ſo ausführlich gegen Sie von mir zu ſein, weil ich die Meinung habe, es ſei von einem jeden Menſchen intereſſant, Wahrheit von ihm über ſich zu hören; und bei Ihnen iſt das gar ein goût particulier. Ich wurde zu dieſer Weitſchweifigkeit durch die Stelle Ihres Briefs und mich ſelbſt verleitet. Sollte man niemals thun, wozu man Hang hat! Nun, ſo wäre das Gegentheil auch das ein - zige, was einem übrig bliebe. Aus dem Fenſter ſtürzen.

Sie haben mich auch gefragt, wie ich lebe. Wiſſen Sie’s noch nicht? Bei allem was heilig iſt und bei meiner Ehre, es iſt des An - und Ausziehens nicht werth, der Morgen weckt zu neuen Freuden nicht, und der Abend läßt keine Luſt zum Hoffen übrig. Manche ganze Woche bin ich zu Hauſe. Geſtört immer. Geben Sie mir keinen Rath! Das kann mir nicht gefallen; daß aber die Zeit ſo ſtille ſtehen möchte, wünſch ich doch: denn nun kann’s nur ärger kom - men wenn nicht Fortuna große Looſe herunter ſchickt; und ob ich gewöhnt bin, die von ihr zu erwarten, iſt gar keine Frage mündlich könnt ich Ihnen das alles detailliren. Ich wünſche keinen neuen Sommer, keinen neuen Winter, nichts wünſch ich als ich mehr. Denn voriges Jahr wünſcht ich nur zu reiſen, weil ich krank war; aber jetzt bin ich ſeit acht Wo -125 chen geſund, und bedarf alſo das auch nicht mehr; als ich möcht ich auch nicht reiſen. Nichts wünſch ich jetzt, als mich zu verändern, äußerlich und innerlich, ich bin nicht gut, gefalle mir nicht, und bin mich überdrüſſig; dazu werd ich aber nicht gelangen, und ich muß ſo bleiben, ſo gut als mein Geſicht; älter können wir beide wohl werden, ſonſt aber nichts. Die Konfuſion nimmt überhand; ich bin mit keinem Menſchen über keine Sache mehr einig: ich mache ſie immer noch größer, denn wenn wir uns nicht verſtehen, laß ich’s dabei, und ſage aus Hang und Paſſion meine Sache weiter, jene auch, und dann iſt’s das Höchſte; ſchweigen thu ich zu eben der unrechten Zeit. Dabei ſeh ich doch viel Menſchen, und erfahre alles, denn grade wo ich hin komme, ſind Alle. Kein Vergnügen oder irgend eine Satisfaktion hab ich gar nicht, und nie be - gegn ich oder hör ich was Intereſſantes; dabei muß ich mich noch für glücklich halten, daß es mir nicht noch ärger geht, wie es doch gar zu gut könnte. Auch fürcht ich jede Ver - änderung. Ich bleib auch immer mager: von Beaumarchais Narren muß ich doch nicht ſein, die dabei (bei Langerweile) fett werden können.

Wenn Sie der Brief nicht amüſirt, ſo iſt das ſehr na - türlich, zwei amüſiren ſich nie zugleich: und da Sie doch nun ſo friſch wiſſen, daß ich mir nicht helfen kann, ſo werden Sie’s mir weniger übel nehmen, daß ich Ihnen nicht helfen kann; ich kann Ihnen nicht helfen. Sie werden dieſe Klagen ſo nicht verſtehen, ich müßt Ihnen das alles ſagen und zu verſtehen geben. Ich fühle, daß es ſo kein Menſch verſteht, und ſich weit was Schöneres darunter vorſtellt; und es iſt126 gemein; von meiner Seite meine ich, ich verlange gemeine Sachen; die man aber haben muß. Nun nehme ich Ihren Brief, und ſeh was noch zu antworten iſt. Apropos, das fällt mir ein; Livländern bin ich gut, ſie haben immer blaue Augen, ſind blond, haben gute Zähne, gehen reinlich, und haben ſchöne Sprache. Bravo wenn das iſt! Nun nehm ich Ihren Brief. Ach Gott was finde ich da! Warum ich mich Ihrer annehme? Ich bin ſo wahr mit Ihnen; weil Ihnen nichts gut thut, als die Wahrheit; weil Sie eine Art von Geiſt haben ich weiß es noch nicht zu nennen der, wenn es auch Örter giebt, wo er nicht hingeblickt hat, doch wenn man ihn hinwendet, gleich recht ſieht, und ſeine ganze vorige, wie jetzige und künftige Exiſtenz mit dem Licht erhellt, was er jetzt erblickt nun, das in Worte zu bringen iſt mir recht ſchwer geworden; Sie werden’s merken warum ſoll mir das nicht gefallen? Urtheilen Sie ſelbſt, ob ſo ein Menſch ein vorzüglicher iſt! Übrigens ſind alle andere Menſchen, mit denen ich liirt bin, mir ſo gleich; das iſt mir gar nicht geſund; aber Sie können mir Gegenunterricht von ſo vielen Seiten her geben, und das iſt mir recht. Und dann! brin - gen Sie immer alles in’s Reine, was ich denke und ſage und verſtehen faſt immer das Reine gleich davon, und das iſt mir nothwendig. Weiter weiß ich jetzt nichts. Über die Miſchung von Aufrichtigkeit und Zurückhaltung müſſen Sie mir mal ſchreiben; denn ich weiß nicht, was Sie meinen, und will es gerne wiſſen: diesmal haben Sie ſich geirrt. Über die Delikateſſe ſchreiben Sie ganz vortrefflich: wenn ich es geſchrieben hätte, wäre es gar nichts geweſen, aber daß127 Sie es wiſſen iſt viel: das kommt wieder nur vom richtigen Denken; meine Krankheit iſt’s, alſo muß ich die ſchäd - lichen Effekte wohl kennen, bei Ihnen iſt es reines Denken. Daran laborir ich eben; darin möcht ich mich ändern. Ver - geblich! ich ſuche mein Glück nicht in Ruhe, ohne Ruhe kann ich aber ſchlechterdings nicht glücklich ſein, und kann ich nicht glücklich ſein, ſo muß ich doch ruhig ſein. Leben Sie wohl! Antwort!

Nehmen Sie dieſen Brief nicht zu ernſt; ich hätte ganz anders ſchreiben können, dabei es eben ſo wäre. Die vielen Kleckſe ſind für mich ſo ſehr ſchokant als für Sie: aber in ganz Berlin ſchenkt und ſchneidet mir kein Menſch eine Feder; mit gekauften kann ich nicht ſchreiben; ſchneiden kann ich keine; ich will’s mir aber von der Unzelmann lehren laſſen, die es ſehr gut kann.

Diesmal wiſſen Sie gewiß nicht, was in dem Briefe ſteht, eh Sie ihn erbrechen.

An Guſtav von Brinckmann.

Mit einemmale will ich Sie wenigſtens über mich ganz einig machen. Je suis tout aussi malade, tout aussi bête, et amou .... je ne peux pas écrire ce mot jugez, si je suis affairée. Aber .... ich ſchweige. Wenn Sie ſich, si vous ne vous moquez pas; ſo iſt das der ascendant, den ich über Sie habe. Ich verberge Ihnen meine bêterie, wenn ich ſchwach bin bleib ich im Bette: und das giebt mir128 Stärke. Übrigens ſuchen Sie, mein Herr, mir den ascendant ſchon abzulauern: daß Sie ſich ſo ſehr ſchwach gegen mich ſtellen, mich ſo hoch über ſich ſetzen; dadurch machen Sie mich zum Idole, und ſich zum lebenden Menſchen, dem es unter andern auch wohl thut, ſich zu ſammlen, zu bewundren, zu fürchten, zu beten. Iſt nun der kleine Hausgott nicht von Gold oder Marmor, und glaubt in ſeiner gehirnloſen Bruſt ſeiner eignen Anbetung, ſo wird er ſein eigner und noch Andrer Narr. Ich habe mich, in der großen allgemeinen Weltnoth, einem Gotte ganz gewidmet; und ſo oft ich noch gerettet worden bin, ſo iſt es der, der mich gerettet hat, die Wahrheit. Auch von Ihnen ſoll ſie mich diesmal retten: denn ſie iſt’s, die mich zwingt, und mir zuredet, aufrichtig gegen Sie zu ſein. Dieſe Aufrichtigkeit muß Sie beruhigen, befriedigen und verſtummen machen. Oder ich bin wirklich werth, in einem Kapellchen zu ſtehen, und die Augen vor mei - ner eignen Glorie zu ſchließen. Votre amie la plus bête.

R. L.

An Guſtav von Brinckmann.

Falſch, grundfalſch angenommen Sie hätten mehr als Sie wiſſen daraus gelernt daß Sie aus dieſem Buch et - was hätten erfahren können, was Sie nicht wüßten; es müßte denn Geſchichte ſein. Falſch, grundfalſch, daß ich die vier Bände nicht durchleſen werde; denn ich werde gewiß etwas daraus lernen. Falſch, grundfalſch, daß Sie nicht glaubenan129an Ihrer eigenen Empfindung irre gemacht zu werden; wenn der Gott in mir, etwa es wollte. Würden Sie ſich jetzt ſchon mit Trotz waffnen, wenn Sie nicht einem ſchweren Kampfe entgegen ſähen? Erkennen Sie Vernunft nicht für das ſchwere Geſchütz, und iſt Trotz dagegen gebrauchen nicht die Flagge der Unvernunft?

Sie müſſen aber beſtraft werden; denn Sie ſprachen von Wehren, eh ich an Angreifen dachte und nur eine Miene machte. Dieſer Aufſtand muß beſtraft werden; und ich will mich auf folgende Weiſe rächen: Ich habe das Buch noch nicht geleſen, ich kann es alſo hübſch oder häßlich finden, das ſind zwei Fälle; der erſte würde Sie ein bischen mit ihm vereini - gen was Sie doch nicht mehr als gerne thun und be - ruhigen; dieſer Genuß ſoll Ihnen nun nicht werden, oder viel - mehr, Sie ſollen nie erfahren, ob Sie ihn gehabt haben. Daher will ich mich auch vorher beſtimmen wie Sie, und vorher ſagen, daß mir das Buch gefällt, und in aller Ewig - keit dabei bleiben; weil es Ihnen gefallen hat. Sie ſehen, ich kehre Ihren Trotz um, und beſtrafe Sie nach Götterart, durch Willfährigkeit in Ihren böſen Willen. Aber Bernſtorff ganz allein ſoll erfahren dem ſchreib ich’s wenn’s mir nicht gefällt, denn den kann ich Ihnen nicht auf Ihrer Seite laſſen.

Sie meinen doch, es iſt groß, daß Sie mir das Buch ge - ſchickt haben? keineswegs; erſtens fanden Sie’s heute, dann haben Sie gar ſo große Furcht nicht, und letztens haben Sie durch Ihr kühnes Billet allem Verdruß vorgebogen, den ich Ihnen etwa machen konnte. Aber an Bosheit kommt manI. 9130ſeinem Meiſter nie gleich: die iſt ein Talent, und unerſchöpf - lich wie ein ſolches.

An David Veit, in Jena.

Wenn man einen Menſchen als Freund anſieht, ſo hat er nichts davon, als daß man ihn eben ſo ſchlecht, unhöflich, und hart behandelt, als ſich ſelbſt; aber auch keinen andern wieder ſo finden Sie ein Wort ſüß iſt mir zu ſchlecht, und ein anders weiß ich doch nicht. Es war Ihnen äußerſt unangenehm, ſo lang nichts von mir zu hören; das hab ich jeden Tag gefühlt, jeden Tag Briefe an Sie komponirt, und doch nicht geſchrieben. Ich bin Ihnen eine angenehme Empfin - dung ſchuldig ſie löſchen die unangenehmen, die man hatte, nicht aus, aber ſie verdrängen doch neue; ich bin überzeugt ich warte auch umſonſt und noch auf einen Brief, und kurz ich kenne das es war mir eben ſo unangenehm, Ih - nen keinen Brief zu ſchicken, als es Ihnen war, keinen von mir zu bekommen. Sie geſtehen mir hierin viel zu: glauben mir alſo gern, und können doch nicht; Sie werden nachden - kend, und wollen’s finden. Ich will Ihnen helfen, ich will mich deutlich machen. Der Grad der Unannehmlichkeit war ſich gleich, die Art ſehr verſchieden. Aber ziehen Sie ein böſes Gewiſſen vor? Ein böſes Gewiſſen war’s zwar nicht; denn ich konnte Ihnen wahrlich nicht ſchreiben, und doch wußt ich, daß mit vieler Mühe und vieler Zeit, ich wohl könnte. Ich will Sie einmal tief in meine Seele ſchauen und nichts darin131 erblicken laſſen, wie mich ſelbſt (wie iſt hier nicht anſtatt als ; ich erblicke auch nichts, ſoll es heißen); denn wahr - haftig mir ſelbſt macht’s Mühe mich deutlich zu denken. Die Haupturſache, warum ich nicht ſchrieb, ſind Meiſter, die Horen, und die Meſſe; über die erſten kann man außer Bücher nicht ſchreiben, und mit niemand möcht ich lie - ber darüber ſprechen, als mit Ihnen, und die Meſſe wollt ich als nichts Ungewiſſes berühren; weil das bei mir Hölle, Teufel, und alle ſchlechten Erfindungen der Dinge ſind, die alles erfunden haben, und die wälze ich ſo leicht nicht auf einen Andern.

Sehen Sie, daß ich nichts thun kann; bei dem Wort Andern trat die Liman und Weſſely in die Stube, und aus war das Schreiben. Mama will mich nicht nach Leipzig mitnehmen; ſie will nur in einem halben Wagen fahren; kurz die Einrichtung der paar Umſtände, unter denen ich keuche, iſt ſo, daß auf alles, nur auf mich keine, Rückſicht ge - nommen wird; obgleich man manchmal, wenn ich in Agonie par exemple liege, ſolche Mienen macht. Ich bin krank. Nun ſag ich’s ſelbſt; und kann gar nicht wieder geſund werden, als durch Pflege. Niemand lebt, der mich pflegen würde, alſo muß ich’s ſelbſt thun, und wie mit Gewalt. Denken Sie ſich die Pflege! denn ich bin krank durch gêne, durch Zwang, ſo lange ich lebe; ich lebe wider meine Neigung, wenn ich auch nur immer dagegen handeln ſeh. Ich verſtell mich, artig bin ich, daß man vernünftig ſein muß, weiß ich; aber9 *132ich bin zu klein das auszuhalten, zu klein, ich will nicht rechnen, daß ich keinen empfindlichern, reizbareren Menſchen kenne, und der immer in Einer Unannehmlichkeit tauſend em - pfindet, weil er die Karaktere kennt, die ſie ihm ſpielen, und immer denkt und kombinirt; ich bin zu klein, denn nur ein ſolcher kleiner Körper hielt das nicht aus. Mein ewiges Ver - ſtellen, meine Vernünftigkeit, mein einziges Nachgeben, wel - ches ich ſelbſt nicht mehr merke, und meine Einſicht, verzeh - ren mich, ich halt es nicht mehr aus; und nichts, niemand kann mir helfen. Einmal kann man ſo etwas ſagen, erklä - ren, demonſtriren; ich bin nicht zu delikat; ich hab’s gethan, zwanzigmal gethan: indem ich rede, ſcheint manche unbehülf - liche Miene mich zu verſtehen; aber vergeblich! hör ich auf, und handle weil ich Vernunft erwarte weiter, ſo iſt’s wieder vorbei. Meine Hülfe will geahndet ſein, und im gan - zen Hauſe ahnd ich nur; und da kann ich nicht heraus; weil die Welt eingerichtet iſt. Ich bin krank: und muß mir ſelbſt helfen. Ausruhen will ich mich auf’m Lande; ich ziehe acht Meilen von hier bei Zehdenik mit irgend einer Freundin oder meiner Line allein, ſo bald als möglich, und fange die andre Woche ſchon hier zu baden an, bade dort, geh im Juli nach Freienwalde, dann wieder zurück nach Zehdenik, und bleibe, ſo lange man’s auf’m Lande aushalten kann. Baden will ich ein ganzes Jahr. Ausruhen muß ich mich; hier töd - ten ſie mich; und erſt recht, wenn ſie ſich’s einfallen laſſen, mir helfen zu wollen.

Ich geh faſt gar nicht aus; weil keine Luft mir gut genug iſt, alle Geſellſchaft wo ich hinkommen kann, ver -133 haßt, die Komödie eklig iſt, und das Konzert auch. In Ge - ſellſchaft bekomm ich unmittelbar vom Zuhören Ennui’s - und Anſtrengungs-Schmerzen, im Theater daſſelbe, und vom Zug, im Konzert daſſelbe; zu Haus von Leſen, Schreiben oder was ich thue, wobei der Körper nur zehn Minuten lang in Einer Richtung ſein muß: zu dicke, zu dünne, zu warme, zu kalte Luft, und jeder Affekt, macht mir ein Erbrechen, wie jeder Schmerz, der nur ein bischen ſolide wird. Dabei vergeh ich für Überdruß, nun das halt Einer aus! Die Reizbarkeit und Empfindlichkeit kann nicht höher ſteigen. Und doch! Ich geh auf’s Land. Der Erde näher, den erdgebornen Rieſen gleich. Dann hatt ich Ihnen ſo viel auf Ihre drei Briefe zu antworten, und das iſt Mühe; und ohne das wollt ich nicht; denn was ſollten Sie ohne dieſes Detail denken; und Ihnen das zu geben, ſtrengt mich nicht wenig an, jeder Gedanke und das Schreiben. Nun verdammen Sie mich. Glauben Sie mir verrückt bin ich nicht ich fehle nicht gemein; es iſt immer ein unumſtößlicher Berg die Urſach, wenn man ihn auch nicht ſieht: ich fehle nicht gemein. Ich habe ſolche Phantaſie; als wenn ein außerirdiſch Weſen, wie ich in dieſe Welt getrieben wurde, mir beim Eingang dieſe Worte mit einem Dolch in’s Herz geſtoßen hätte: Ja, habe Empfin - dung, ſieh die Welt, wie ſie Wenige ſehen, ſei groß und edel, ein ewiges Denken kann ich dir auch nicht nehmen, Eins hat man aber vergeſſen; ſei eine Jüdin! und nun iſt mein gan - zes Leben eine Verblutung; mich ruhig halten, kann es fri - ſten; jede Bewegung, ſie zu ſtillen, neuer Tod; und Unbeweg - lichkeit mir nur im Tod ſelbſt möglich. Dieſe Raſerei iſt134 wahr, iſt zu überſetzen. Lächlen Sie, oder fühlen Sie Thrä - nen aus Mitleid, ich kann Ihnen jedes Übel, jedes Unheil, jeden Verdruß, da herleiten: und mich dekontenancirt’s nicht, lächerlich in eines Andern Augen zu ſein. Dieſe Meinung iſt mein Weſen; und das muß ich Ihnen klar beweiſen, eh ich ſterbe. Die Satisfaktion kann ich mir nicht verſagen. Ich will mir in Ihrem Namen antworten, und die Vernunft aus Ihrem Munde reden laſſen. In, würden Sie ſagen, es iſt Ihnen das größte Unglück widerfahren, was Sie nur tref - fen konnte, Sie ſind lahm: aber hören Sie, ſehen Sie, ſchmek - ken Sie, wenn Sie immer Ihren Fuß betrachten, ſo ſind Sie’s ja ſelbſt, die ſich lahm machen. Ja, wenn ich aus der Welt leben könnte, ohne Sitten, ohne Verhältniſſe, fleißig in einem Dorf. Ja, würde der Lahme ſagen, wenn ich nicht zu gehen nöthig hätte; ich habe aber nicht zu leben, und jeder Schritt, den ich machen will, und nicht kann, erinnert mich nicht an die allgemeinen Übel der Menſchen, gegen die ich gehen will, ſondern ich fühle mein beſonder Unglück noch, und doppelt und zehnfach, und eins erhöht mir immer das andere. Wie häßlich bin ich nicht dabei; iſt denn die Welt klug, ſagt man denn: Der Arme iſt lahm, bringen wir dem Armen das ent - gegen, ach wie ſchwer muß ihm jeder Tritt werden, man ſieht’s! Nein; ſie achten ſeine Tritte nicht, weil ſie ſie nicht machen, ſie finden ſie häßlich, weil ſie ſie ſehen, und bringen ihm nichts entgegen, weil ihnen ſeine Mühe nichts ſchadet, und ihre eigne ihnen entſetzlich iſt. Und der Lahme, zu gehen gezwungen, ſollte nicht unglücklich ſein? Hab ich je ein lah - mes Gleichniß geſehen, ſo iſt es dieſes; es hinkt ſo, daß man135 mein Unglück nicht im geringſten daraus erſehen würde, wenn man’s nicht kennt.

Nun will ich Ihre Briefe ſuchen, und ſehen, worauf ich antworten muß. Eben hab ich dem Hrn. von Brinckmann abſagen laſſen: es iſt mir unmöglich. Der vom 5. Januar ſoll den Anfang machen. Tauſend, tauſend Dank für Fichte’s Buch, das war der Pflug, der mich urbar zu den Horen machte; die intereſſiren mich jetzt am allermeiſten; ich verſteh ſie ganz, mit den Menſchen muß man nicht darüber reden; und auch geradezu ſage ich, wie ſie, ich verſteh oder leſe ſie nicht; und ihre Gemeinnützigkeit ſagt die erſte Epiſtel, das Erſte in der Welt, alles, und niemand kann noch etwas ſagen. Die wird am wenigſten verſtanden, und die Men - ſchen halten ſich an die Ankündigung, weil die das Einzige iſt, was ſie faſſen können, und dabei ſchreien ſie! meine Ohren vertauben. Leute, die von jeher für fein paſſirt ha - ben, verſtehen ſie auch nicht. Wie kann man Empfindun - gen erklären, in Syſteme faſſen, iſt ihr letzter Grund, den ſie denken, und was ſich darauf bauen läßt, ſagen ſie. Wahre Dankbarkeit für Ihre Nachricht von den Horen! nur immer ſo! Solche Schläge. Das kann ich Ihnen nicht erſetzen. Dieſen Brief muß ich Ihnen mündlich und ausführ - lich beantworten; Sie ſprechen darin von meinem Karakter, ich gebe Ihnen gern Auskunft darüber, weil Sie’s als ein Ganzes faſſen. Alſo ſeh ich nicht ein, woher der gemeine Menſchenverſtand zu ſeiner Meinung gekommen iſt? Sie glauben’s ſelbſt nicht. Aus Schwäche und Schwächen Gitter zu machen: ich fühle mich ſtark, und bin ſchamlos genug, es136 mir manchmal merken zu laſſen, es nicht verbergen zu können. Bei Gott! ſo geht’s mit jeder Gabe; ſie ſei Fehler oder Ver - dienſt in unſerm Geenge und da ziemt ſich nichts als Mitleid und Nachſicht, und weil man doch Billigkeit nach Menſchenverſtand fordern kann, ſo fordr ich’s. Kühn bin ich, ja das wiſſen Sie am beſten wenn ich mich auch vor einem Puthahn fürchte: fürcht ich doch, wie die Meiſten, nicht ein Gewitter.

Wiſſen Sie was? Beſuchen Sie mich auf meinem Lande; da wollen wir alles abmachen. Ohne daß es jemand weiß. Ich läugne es jedem, dem, der’s geſehen hat. Sie ſind aber nicht kühn. Wenn’s am Reiſegeld liegt, das will ich Ihnen dort wiedergeben. Ich habe öfters auch keins. Kurz, das findet ſich noch. Scholz wird mich dort beſuchen, und Hr. von Oertel, ſonſt mag ich keinen, und es kommt auch niemand, es iſt zu weit ausgeſucht. Scholz iſt in Wien mit Hrn. von Carmer, dem Sohn des Großkanzlers, ſechs bis acht Wochen.

Das was mich am meiſten von einem Menſchen ſchmeich - len kann, haben Sie mir über meinen Ihnen vorenthaltenen Brief geſagt. Bin ich nicht werth, ſagen Sie zum Ge - präge alles Guten zuletzt, ihn zu leſen, oder halten Urſa - chen Sie ab, die Gewicht haben, ſo würd ich ihn auch gar nicht richtig nehmen, (Sie ſetzen meine Überzeugung über Ihre, das hofft man gar nicht, und verdient es nie; ich hofft es, ich verdient es nicht. haben Sie mir einmal vordekla - mirt) nicht recht verſtehen, und wozu ſollte er mir dann? nur laſſen Sie ihn leben. Bei mir ſind die Perlen nicht137 vor die Säue geworfen: ich verſteh wohl was gut iſt, und mir Gutes zu thun, iſt ein Vergnügen. Bei Dankbarkeit denkt man nichts; ich läugne ſie auch immer: empfinden und verſtehen bis auf’s geringſte Undchen, was einer thut, das wäre Dankbarkeit, und iſt ſo ſelten zu finden, wie Apolls Schönheit, und auch von der wird geſagt, ſie exiſtirt nicht. Ich finde den erſten Theil von Hume nicht unintereſſant, grade wie ein Volk entſteht, weiß ich gern, und daraus denk ich mir ſeine Art und Weiſe, die es noch hat; und durch ſein Land und ſeine Lage; das ſpätere Setzen eines Volks iſt ſich gleicher; ſind die Menſchen civiliſirt, ſo ſehen ſie ſich immer ähnlicher; und die ſpätere Geſchichte will ich nur wiſſen, weil ſie andere Leute wiſſen, und ſie einmal exiſtirt, über die denk ich nicht ſo viel.

An David Veit, in Jena.

Ich ſchreib Ihnen gleich Antwort, weil ſie dann immer beſſer wird, als wenn ich erſt warte, und weil ich Ihnen den andern Monat gar nicht ſchreiben werde wegen Freienwalde. Vorgeſtern nahm ich hier das letzte Bad; weil ich es vor Schwäche nicht aushalte. Sie werden das an meiner alterir - ten Handſchrift bemerken können. Die Verſe an den alten Mann ſind ohne allen Vergleich beſſer als die andern, ich ſpreche hier wie’s mir vorkömmt, ſie ſind ein Ganzes, Ein Gedanke, und auch der Ton, in dem ſie gehen, gefällt mir beſſer als der andere. Daß Sie für Latrobe nichts Beſſe -138 res gemacht haben, thut mir leid; er wird’s verſtehen. Wenn Sie etwa meiner Meinung ſind, ſo thun Sie mir den Ge - fallen und ſagen es ihm ſelbſt; wenn Sie ſich auch par hazard aus Ihrer poetiſchen Ehre nichts machen. Ich bitte mir auch ein Wort über dieſe Meinung von Ihnen aus. Dieſen La - trobe habe ich geſehen. Im Theater. Er geht ohne Puder, und iſt kurzſichtig; ſieht melancholiſch aus; und trug einen braunen Rock. Obgleich ich mich ſeiner Züge ſchlechterdings nicht mehr erinnern kann, ſo weiß ich das noch. Ich hörte von ihm, durch Jettchen glaub ich, die durch Zelter; bei Faſch auf der Akademie war er auch. Man ſprach als in - tereſſant von ihm; weil ſie aber nie wiſſen, was hübſch und intereſſant iſt, ſo war ich ſchon dickhäutig, und gab gar nicht Acht auf ihn, und wo ſollt ich ihn auch ſehen? ich kannt ihn nicht. Geſchehen iſt geſchehen, darüber denk ich immer wie ein großer Mann; das heißt, ich bekümmre mich um meinen Verdruß nicht. Er muß kein Barbar ſein, denn Apoll will ihm wohl, und er wußte ſich ihn günſtig zu machen; er muß ein vorzüglicher, gebildeter Engländer ſein, weil er (die Schwä - chen kann man wohl nicht gut ſagen) die Stärken ſeiner Nation einſieht; er muß ein Menſch ſein, weil ihn Goethe liebt. Meine Etcetera’s können Sie ſich nun ſchon denken.

Bis zu der vierten Hore glaubte ich, und glaubte auch zu finden, daß Goethe die Unterhaltungen ſchriebe. Dieſe letzte Advokatengeſchichte hat mich aber dekontenancirt, daß ich in mir dieſen Glauben ſchlechterdings ausſtrich. Sollen die ganzen Unterhaltungen etwas Ganzes ſein, nun ſo muß ich mir dieſe Geſchichte als die Rede eines Duinmen in einem139 Roman oder in einer Komödie gefallen laſſen, für mich iſt ſie nicht, ich finde ſie unerträglich, ſo recht wie vom Boccaccio. Weiter hab ich darüber nichts zu ſagen; außer daß der Leſer immer verliert, wenn man ihm ein Werk biſſenweiſe zu - ſteckt. Vor der Geſchichte war’s hübſch in derſelben Hore. Sie wiſſen, im Bürgergeneral erkannt ich Goethen an Einem Worte. Über Meiſter werd ich mich wohl hüten etwas zu ſagen: weil ich nicht kann. Wenn wir ihn zuſammen läſen, ſollten Sie ihn gewiß anders finden als jetzt. Noch hab ich kein Wort darüber geſagt ich kann nun faſt gar nicht mehr reden, denn die Leute verſtehen ihn einem immer in die Ohren hinein. Auch ich finde die Ähnlichkeit mit Aurelien; und zuletzt nicht. Mit Jettchen aber noch weit weniger. Von der ihrem Karakter liegt die wilde Handlung mit dem Dolche zu weit, und auch von ihrem Geiſte, denn ſie ſetzt Phantaſie voraus, mich trennt aber nichts davon als meine Denkungs - art. Wenn ich einmal ganz glücklich geweſen wäre, wie Aurelie, und mich in dieſem Glück bis zu einem Kinde ver - geſſen hätte, ſo könnt ich nie wieder ſo unglücklich werden. Was will man denn? Der Augenblick der Reife kann nicht dauern; und ganz könnt ich mich nie in dem Menſchen ge - irrt haben, dem ich mich ſchenkte. So ſicher fahr ich Jaſon in meinem Wolkenwagen. Sollt ich ihn aber für ſchmelzbar halten, ſo iſt auch kein Freund vor einem ſolchen Riß mit dem Dolche ſicher. Ich wette, der Geſichtspunkt iſt Ihnen neu. Er iſt es auch, denn ich lege den Kopf unter die Guillotine, wenn ihn Ihnen noch Eine zeigt, Einer unmöglich! So denk ich aber überhaupt über weiblich Glück; drum ſagt ich’s. 140Und ſonſt wäre ja auch meine Unähnlichkeit mit Aurelien nicht zu verſtehen. Nun giebt’s noch viele Interims-Glücke, die muß man gebrauchen wie man kann. Wie alles in der Welt. Sehe jeder wie er’s treibe, ſehe jeder wo er bleibe, und wer ſteht, daß er nicht falle. Iſt man aber gefallen, ſetze ich hinzu, und ſei’s eine Mamſell, ſo ſtehe man mit An - ſtand und Freimuth auf, und ſuche ſich zu heilen, wenn man nicht todt iſt. Ich ſpreche darum über alles mit Ihnen en gros, weil Sie, umgekehrt wie gewöhnlich die Menſchen, daraus leicht die einzelnen Fälle verſtehen, da die Andern durch viele einzelne erſt etwas Ganzes faſſen. In Aurelien habe ich oft meine eigenen Worte gefunden, und noch mehr in dem aus Leſſing Abgeſchriebenen. Das ſtreichen Sie aus, denn da könnte mich immer einer für abereitel (aberwitzig) hal - ten. Ich kenne Jettchens Gedanken vom Meiſter nicht. Ja ich wäre ordentlich in dem Buche vorgekommen (wie Sie ſagen: Ob das Verluſt wäre! ). Wenn er auch alles er - funden hat, Aurelien auch, die Reden von ihr hat er einmal gehört, das weiß ich, das glaub ich. Es ſagt’s ja die Prinzeſſin im Taſſo auch; nur aus einem andern Ton. Wie groß iſt das! Gehört hat er’s aber. Die Frauen laß ich mir nicht abſtreiten. Entweder, man denkt ſo etwas als Frau, oder man hört’s von einer Frau. Zu erfinden iſt das nicht. Alles andere nur Menſchenmögliche geſteh ich ihm zu. Das weiß ich aber als ich. Im Grunde gefällt mir der erſte Theil von Meiſter beſſer; im Grunde ſollte man von keinem Werke ſprechen, welches nach und nach erſcheint, und keins ſo herausgeben.

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Warum wollten Sie verlegen, kalt oder anders ſein als ſonſt, wenn Sie mich ſehen? Mich dünkt es iſt alles noch ſo wie es war. Überhaupt erinnere ich mich nie, ob etwas vor einer Epoche, in der wir uns geſehen, oder nachher vor - gegangen iſt. Ich behalte nur das Total, wie ich mit einem Menſchen ſtehe, und wie er iſt. Iſt es aber bei Ihnen anders, und Sie könnten wirklich verlegen ſein, ſo ſein Sie höflich. Das iſt meiſt nützlich, und nie ſchädlich. Warum wollten Sie niemanden einen Brief ganz von mir zeigen? mir würd es gleich ſein, nichts davon darf ſcheuen geſehen zu werden. Wollten Sie etwa die Wahrheiten, die ich Ihnen manchmal ſage, oder die Art, wie wir mit einander ſind, nicht ſehen laſſen? Ich verſteh das nicht. Könnt ich mich nur den Menſchen aufſchließen wie man einen Schrank öffnet, und, mit Einer Bewegung, geordnet die Dinge in Fächern zeigen! Sie würden gewiß zufrieden ſein; und, ſobald ſie’s ſehen, auch verſtehen. Warum wollten Sie nicht einen Brief ganz von mir zeigen, und lieber alle verbrennen? Ich kann mir gar keine Urſache denken. Beſinnen Sie ſich nur auf die Wahrheit, ſie iſt manchmal ſchwer zu finden. Ich glaube nicht, daß Jettchen Ihre Muthmaßungen übel nehmen würde.

Daß Schummel ſo ein Buch ſchreiben kann, iſt mir doch nicht aufgefallen, obgleich ich ihn nur Einmal ſah, und er witzig, ſcharmant war, und mir ſehr gefiel. Er ſchien mir aber gleich der Sklave ſeiner Art und Erzählungsweiſe zu ſein, und mehr, daß er ihr, als daß ſie ihm zu Gebote ſtehe. Zum Glück hat ihn noch eine gute Art attrapirt, ſonſt wär er unerträglich; daß er aber in jeder andern Bahn, in die er142 ſich wagt, leicht fade werden kann, ſcheint mir in der Regel. Wozu dieſer Ausfall auf Schummel! Das Gedicht von Goethe auf die Knappſchaft zu Tarnowitz iſt himmliſch. Ja, ja, Redlichkeit iſt das Wort, das ich meine, die und Verſtand, die bahnen manchen Weg. Redlichkeit iſt Wahrheit; und nur ein Narr liebt ſie nicht. Und wie himmliſch, helfen ſagt er, ja helfen thun ſie auch nur. Die Welt findet man fertig wie ſie iſt. Die Wege muß man ſuchen. Noch Eins! wie göttlich paßt dies alles im Allgemeinen, mit jedem Wort und wie ganz für den Fall und die Knappſchaft, ſogar ſelbſt für die moraliſch-verſtändlich: und wie ſchön, umgekehrt, ſieht man erſt bei einer zweiten Überſicht, daß es auch für dieſen einzelnen Fall anpaſſend gilt. Es iſt ein wirkliches Gedicht, dieſe Zeilen, jedes Wort iſt dichteriſch, es iſt ein Ganzes und iſt eine allgemeine Wahrheit. Es fängt ſo fragend, ſo phan - taſtiſch an, und ſchließt ſo bündig; und die Wahrheit iſt ſo grabend, und ſo tief wie ein Bergwerk ſelbſt. Kurz, mir ſcheint’s ſehr poetiſch: und ſo orakelartig, wie die Dichter ſprechen ſollten. In dieſen Zeilen hat er auch wieder die ſtille Natur, und die bewegte Welt, und dann die Wahl, die einem bleibt, berührt. Mehr giebt’s doch nicht. Ein wahrer Dichter muß an die äußerſten Enden greifen bezeichnet er den Taſſo ſelbſt; den hab ich ſtudirt, wie er Hamlet und, dieſe bei jedem kleinen einzelnen Fall immer natürlich berüh - ren, iſt ein großer Dichter. Ich bin ſchon wieder in Goethe hineingekommen: dann muß man mir vieles verzeihen. Ich werd Ihnen ſchon einmal ſagen wie ſo. In einem Briefe143 klänge mir das zu ſchön. Sie kennen doch von der Art Ge - ſichter, die zu ſchön ſind?

Wenn Sie etwas von einem Auflauf, es ſei aus welcher Zeitung, oder von dem erſten Menſchen hören, der hier war, ſo glauben Sie nichts, als daß betrunkene Schneidergeſellen Händel mit einem Scheerenſchleifer in der engen Lappſtraße am dritten Feiertag ſuchten und bekamen, weil er vor ſeiner Thüre ſchliff; er wehrte ſich, es miſchten ſich nach und nach alle Schneider und Geſellen jeder Zunft darein, demolirten ſein kleines Häuschen, eh Polizei und Hülfe kam, widerſetz - ten ſich der Wache, die ſehr verdoppelt wurde, ihnen aber nichts thun durfte, weil man nicht Muth ſie zu reizen hatte. Den andern Tag hat man den aber von Potsdam bekommen, und nun ſitzen die meiſten ſchon, ſollen hängen und allerhand. Es wurde ausgetrommelt, ſich nicht zu attruppiren, das war vorgeſtern; den zweiten Tag wurde Lärm geſchlagen um die Soldaten zu verſammeln, und die neugierige müßige Menge auseinander zu treiben, und unter die Kerle gehauen und ge - ſchoſſen wie nichts Gut’s. Leider einen Tag zu ſpät. Sie forderten immer ihre Gefangnen heraus, wer das that wurde ſogleich ſelbſt einer. Kein Straßenjunge giebt ihnen Recht: und jeden ärgert als geſitteten Preußen die dumme Ge - ſchichte; außer die witzigen Unholde in der Geſellſchaft; die verhaßten!

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An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Es iſt recht und billig und klug und gut, wenn ich Ihnen ſchreibe, wenn ich mich auch nicht für das Buch gehörig be - danken kann; erkenntlich werd ich mich doch gewiß für Sie zeigen, indem ich nur ſo ſchreibe. Was iſt intereſſanter als ein neuer Menſch!? alſo Hr. von Burgsdorf zuerſt. Ich danke Ihnen; für die Idee, mir ſeine Bekanntſchaft machen zu wol - len. Sagen Sie ihm, wir kennten uns ſchon. Goethe wäre der Vereinigungspunkt für alles was Menſch heißen kann, und will; ich hoffte aber, unſre nähere Bekanntſchaft würde ſich noch weiter zu meinem Vergnügen, und gewiß mit kei - ner Unannehmlichkeit für ihn ausbreiten. Ich kenne aber Burgsdorf übrigens; und weiß von ſeinen Freundſchaften u. ſ. w. Erwarten Sie ſich nur die unzuſammenhängendſten Fragen, und ja keinen Brief. Es ſchreibt mir niemand. Denn ich ſoll immer die Beſte bleiben, ich mag’s ſo ſchlecht machen, als ich will. Weil ich aus Grundſatz, aus Regime, aus Plan einmal nicht ſchreibe, ſo ſchreiben ſie mir Alle wieder nicht. So machen ſie mir’s immer: ſie thun, was ich mit Urſache thue, ohne Urſache: und aller Tadel fällt auf mich zurück; und alle Vertheidigungen bleiben ſie rüſtig ge - nug zu behalten, und zu gebrauchen. Glauben Sie nicht, daß ich mir übrigens etwas daraus mache; denn was könnte ich erfahren. Die Zwei, die mir allenfalls was ſchreiben könnten, ſchreiben mir nie; Jettchen und die Veit: und alles andre von Geſchichten, Intereſſe, Verſtand, und alles was mirange -145angenehm ſein kann haben Sie mir in den zwei Brie - fen zukommen laſſen. Es war alſo nur dem Schickſal ein Vorwurf ohne Leidenſchaft.

Lieber B. wie gefall ich Ihnen mit meinem neuen Karak - ter? Sie werden doch wohl wiſſen, daß es kein neuer iſt. Sich es wenigſtens erinnren. Denn immer hab ich Ihnen geſagt, ich lebe nur derweile ſo, ich thu noch einmal ganz was anders. Dies iſt noch gar nichts. Das leiſeſte Präludium. Apropos, ſagen Sie doch Burgsdorf, daß ich sauvage bin, und daß man alles mit mir ſprechen kann, da - mit wir das eklige Bekanntwerden übergehen, und gleich à notre aise ſind . Die Frau, bei der ich eigentlich hier ge - blieben bin, iſt offenbar eine der erſten. Sogar mit Einem Fuß auf wildem Boden, und kann ſie ſich nicht entſchlie - ßen, den andern nachzuheben, ſo iſt’s, daß er auf lieblichſtem Gefild unter den duftendſten wohlthätigſten Blumen ſteht, von denen es jeder milden Seele hart ſcheint davon zu wei - chen, und ſich in der lichtleeren, ſchmeichelloſen Weite zu ver - fangen, wohin auch mein Muth mich nicht hätte treiben kön - nen, wenn die Wahrheit mich nicht hingeſtoßen hätte.

Bis hierher konnt ich die lange, lange Zeit nur ſchrei - ben, und dieſes Büchelchen ſchrieb ich geſtern. Dieſe Frau alſo wäre fertig, wenn ſie ganz unglücklich geweſen wäre. (Verſtehen? Sie mich? O! nur diesmal, denn diesmal kann ich nicht erklären.) Nicht daß ſie Vorurtheile des Standes, oder irgend einer Art, oder Rückfälle hätte! alle häßlichenI. 10146hat ſie abgelegt, aber in die ſchönen, rücklings-bigoten iſt ſie noch verliebt; und mit Verliebten iſt nicht zu traitiren, wiſſen Sie wohl und ich kann’s am wenigſten. Hingegen iſt ſie aber, eine der liebenswürdigſten Kreaturen, blond, blau - äugig, mit Phyſionomie, Wuchs, Grazie, Karakter, Ausdruck, kurz, wenn ſie länger in Berlin bliebe, als zwei Tage, ſo wären Sie den unbequemſten Gaſt, das ſogenannte Herz, auf einmal los.

Denken Sie ſich wie ich hier lebe; (um dieſe Gräfin Pachta bin ich hiergeblieben, und um zu brauchen, um Luft, Geſundheit, um viele kleine Urſachen Goethe ſagt, im Götz, jedes Ding hat ein paar Urſachen ) ich wohne aber nicht bei ihr, ſondern neben ihr an, ganz allein mit einem Mäd - chen, eſſe Mittag und Abend allein, kurz, bin Wind und Wel - len überlaſſen: und komme mir doch nicht verlaſſener als zu Hauſe vor. So verlaſſen ſchein ich mir immer. Iſt es Glück, iſt es Unglück: ich weiß es ſelbſt nicht. Ich will’s indeſſen für Glück halten da man doch alle Tage unglücklich wer - den kann, ſo iſt doch beſſer, man iſt’s vorher. Überhaupt ſollte man ordentlich meinen, ich ſei jetzt glücklich; und ich kann doch nur nicht mehr wünſchen; und weiß es giebt kein Glück, will lieber einmal dumm, als in Schmerzensgefühl le - ben, mich wieder geſund werden laſſen, und neue Ideen ſamm - len. Das iſt alles. Ich weiß nicht, es iſt als wär vor vie - len Jahren etwas in mir zerbrochen worden, woran ich nun ſelbſt eine boshafte Freude hätte, daß man es doch nun nicht mehr zerbrechen kann, und nicht daran zerren, ſchlagen; obgleich es nun ein Ort geworden iſt, wo ich ſelbſt nicht mehr147 hinkommen kann. (Und iſt ein ſolcher Ort in einem, ſo kann man gleich nicht glücklich ſein.) Ich kann mich auf nichts mehr beſinnen; und gelingen mir Kleinigkeiten nicht, ſo muß ich im Augenblick mir ſo eine Raiſon darüber machen, daß es kein Anderer glaubt, und ich mich darüber erſchrecke. Glauben Sie nicht, daß ich im Enthuſiasm ſpreche und etwas vergeſſe; nein, ich denke wohl an Goethe. Ich weiß, daß wenig Menſchen ſo deutlich und dunkel Glück fühlen kön - nen, ich weiß nur nicht mehr was welches iſt aber we - niger hat mich das rohe Vollgefühl laſſen Sie mich dieſes Wort brauchen ihn zu ſehen und zu genießen, be - glücken können, denken Sie ſich dieſes Leider! nach ſol - chen Wünſchen als der vernünftige Gedanke, nun biſt du doch auch einmal glücklich, du haſt doch auch Glück, ſo iſt das lange Leben doch durch einen Punkt für dich. Denn es iſt ſchrecklich ſich für die einzige alles verunglückende Krea - tur halten zu müſſen: und das that ich, denn außer das iſt mir meines Wiſſens nie etwas geglückt. Nun hab ich noch dabei die Idee, daß jedes und alle Dinge eigentlich zu etwas Gutem geſchehen wenn es auch erſt in Ewigkei - ten dazu wird Thorheit iſt das gradezu nicht, denn ich kann auch anders denken das iſt aber immer die Haupt - ſache, um die es ganz ſo und nicht anders geſchieht, und dann hat’s noch durch Harmonie guten Einfluß auf alle Ne - bendinge. Die Hauptſache ſchien aber, diesmal, ich mir. Denn was konnte einem ſenſationfähigen Geſchöpf lieber ſein, alſo wozu Goethe’s Reiſe noch beſſer, daher bin ich die Beſte, diesmal, und um mich iſt dieſe Wunderbarkeit geſchehen 10 *148wie denn jedes Evenement eine iſt, weil es ſo und nicht an - ders geſchieht ich mußte mich Dienstag entſchließen, Mitt - woch nach Karlsbad zu gehen, mußte plötzlich einen neuen Karakter bekommen, ſtarkes Hüftweh einen Tag vorher; Goe - the, der in eilf Jahren nicht in Karlsbad war, mußt auch denken, und hinreiſen, in dieſen kleinen Berg-Einſchuß, wo ich grade bin, und die Welt iſt ſo breit, ſo groß. Und das iſt nicht Wunder? das iſt nicht Glück? Zwar heut, könn - ten Sie glauben, ſag ich Ihnen alle meine Thorheiten ich habe immer eine Idee. Nämlich ich kann mir eigentlich gar nicht erklären, was Bewegung iſt. Wenn ich nach etwas lange, greif ich es, und nehme es. Ja das iſt gut; aber wie iſt das. Nun denk ich mir immer, alles hat Wirkung, was nur ſo exiſtirt und geſchieht: und Wünſche ſollten keine ha - ben? Ich denke mir immer, Wünſche mit Sinn, gute Wün - ſche, von den wahr-innigen, wo man ſo denkt ſie müßten Sterne herabziehen, und die ganze Welt wäre doch eigentlich dazu eingerichtet, müßten auch was zuwege bringen können. Ich denke mir, ſie gehören ſo in die Harmonie der Dinge, daß ſie auch wirken. Denn obgleich nichts recht iſt, ſo ſieht man doch, in dem Wirrwarr der krummen Linien, die gra - den, die ſie machen ſollten. Und mich dünkt, beharrliche Wün - ſche können auch etwas. Oder war das nicht eigentlich das größte Recht, daß ich Goethe ſah. Wer ſoll ihn denn ſehen, immer ſeine Wäſcherin, und Hausknechte, und vornehme Leute, und Menſchen, die über den Urſprung der Steine und über Recht ſchreiben und ꝛc. ? Ich danke Ihnen auch wie ich ſoll, und wie Sie’s nur wünſchen können, für den An -149 theil! Es iſt mir lieb, daß Ihnen mein Bruder den Brief mitgetheilt hat. Ich bedaure Sie innigſt, und wie ein Sach - verſtändiger, wegen der Zähne den Kopf ſollt ich lieber ſagen, wo haben Sie den gehabt und der Perücke; es iſt ſchrecklich! Vergeſſen Sie ja den Fuß nicht, um G willen ziehen Sie nicht aus, und wenn Sie’s möglich machen können, ſo laſſen Sie dieſe Perücke auch nicht in Ihr Haus ziehen. Beobachten Sie vor allen Dingen, äußerſt wenig mit dieſem Redoutablen zu ſprechen, das garantirt Sie doch wenigſtens vor der Hand, auf keinen eigentlichen Fuß mit ihm zu kommen. Und dann amüſiren Sie ihn auch nicht. Überlegen Sie’s nur, es iſt von allen Seiten gut. Geht’s aber gar nicht, ſo komm ich Ihnen zu Hülfe, und heirathe ihn. Iſt Humboldt noch in Berlin? Und Ihr Nachbar iſt weg. Schade! Das kommt vom Spekuliren! Die Gräfin Pachta iſt eine Freundin des ſauvagen Hrn. von Heß, Ihrem Freund aus Hamburg. Endes oder nach Auguſt komm ich wieder. Das wird auch gut und ſchlecht ſein, jetzt iſt es auch gut und ſchlecht. Meinen Freund Gualtieri hab ich noch hier. Leben Sie wohl! Ich bin’s übrigens. Apropos, es iſt eine ſehr junge, hübſche, liebenswürdige Schwägerin von dem Men - ſchen Bernſtorff hier. Meyers kommen in ein paar Tagen, hat mir die Bernſtorff geſagt. Adieu.

Ihre R.

Leben Sie wohl, Und halten Sie es nur für viel, daß ich Ihnen bei kaltem Blute, heute, die Scharteke ab -150 ſchicke. Wenn Sie ſie erſt werden dechiffrirt haben und können Sie nicht, ſo thu ich’s mündlich ſo wird es Sie doch amüſiren. Ich frankire den Brief nicht, weil er beſſer ankömmt.

An David Veit, in Jena.

Mich dünkt ich hab Ihnen den konfuſeſten Brief von der Welt geſchrieben: und dieſen nachſchicken, könnte nicht ſchaden. Wie es kam, wiſſen Sie; die Zeit war zu kurz: und indem ich ſchrieb, wußt ich, daß ich etwas anderes ſa - gen wollte, und ließ die Feder immer laufen, aus Mattigkeit, damit Sie doch nur etwas bekämen. Ich beſinne mich auch nach der Zeit auf das, was ich Ihnen geſchrieben hatte; ſo glücklich kömmt es mir doch eben nicht vor. Im Gegen - theil. Mich dünkt, ich freue mich ſo ſehr, nicht unglücklich zu ſein, daß ein Blinder müßte ſehen können, daß ich gar nicht glücklich ſein kann. Ich meine das leidende Glück. Wobei man leidet, nichts thut. Das iſt Glück; und zu dem hab ich ſogar die Fähigkeit verloren. Auch ſprachen Sie von dem ruhigen. Aus eben der Urſache iſt’s ja, daß ich mich gar nicht blindlings von einem Menſchen kann einnehmen laſſen; darum bet ich ja nicht an. Sie wiſſen ja, daß ich alles ſehe wie ich Ihnen in der Komödie ſagte denn ſonſt wär ich ja in Goethe verliebt, und ich bet ihn ja nur an. Das Nur iſt hier kein Unſinn. Ich hab in mei - nem vorigen Briefe geſagt, daß ich zu gut wüßte, was bei151 manchen Gelegenheiten im Menſchen vorgehen könnte, um daß ich mich je zieren würde, aber ich hab es ſo geſagt, daß Sie mich mißverſtehen müſſen. Ich meinte es in der Art: daß ich nie etwas übel deute oder nehme, weil es Andere thun, und man es bei der Gelegenheit zu thun pflegt, oder ſich hier effarouchiren müßte; ſondern ich ſei gewöhnt alles zu unterſuchen, was in mir vorgeht, wie es wohl bei Andern kann gegangen ſein, was ich von ihnen wahrnehme; und wie ich das wiederum am beſten nehmen könnte. Wie könnt ich alſo wild aufflattern, wo die Rede nur unter vernünftigen Menſchen iſt, und von vernünftigen Dingen, und grade mit meinem eignen Flüchten das einzige Geräuſch, den einzigen Sturm erregen, der hier möglich iſt. Sie ſind anders wie ich. Was iſt denn nun da? Iſt es nicht genug, daß wir in ſo vielen Dingen gleich denken, uns immer ſchnell berichti - gen können, ſollen ſie noch gleich in uns vorgehen? Das geht nicht; wie geſagt. Die Ordnung wäre zu groß, und dann ſchien’s als wäre die Welt darum da. Und ich ſehe auch den Grund dieſer Unmöglichkeit zu gut, zu deutlich ein, als daß ſie mich mehr aufbringen ſollte: im Gegentheil, ich hab uns von jeher für zu verſchieden gemacht gefunden, als daß ich unſere jetzige Übereinſtimmung nur hätte hoffen dürfen, denn mir ſcheint’s doch, als gingen die Dinge in uns ganz anders, ſehr verſchieden, wo nicht umgekehrt, übereinander. Die Re - ſultate werden oft gleich das Ende. Daher dünkt mich iſt unſre Freundſchaft ein wahrer Triumph der einzig genieß - bare für mich das Produkt zweier vereinigt vernünftigen Weſen, die, ſie mögen weichen und wandeln, ſich unbezwei -152 felt bei der Wahrheit wiedertreffen, wohin ſie immer kehren, die ſie immer im Ernſte ſuchen. Unterſuchen Sie einmal die ėklatanteſte Liebe was man ſo nennt was iſt denn die? Augenblickliches Übereinſtimmen meiſtens bei einer Irrung gegründet, fortgeſetzt, beſiegelt, und verſchwunden was ſie denn für recht himmliſch und mit Wuth feſt halten, je weni - ger Grund ſie wider die Unzuverläſſigkeit deſſelben aufzufin - den ahnden. Nicht daß ich die Liebe von dem ganzen Wahr - heitsboden wegzuräſonniren dächte! (Gott behüte, ich bin einer der größten Sklaven und Anhänger des himmliſchen Kindes), nein; ſie findet nur bei gewiſſen Freundſchaften ich habe kein ander Wort nicht Statt, und mit denen zuſammen iſt ſie zwar die größte Idee für Menſchen und ihre Verhält - niſſe; hingegen iſt ſie mir bis jetzt ’auch nur als ſolche be - gegnet. Ich komme mir recht vor wie ein irrer Menſch; dem man ſeine Tollheit ausreden will, man ſchwatzt, man beweiſt, er verſteht, giebt Recht, und beweiſt zuletzt, wieder daraus, ſeine eigne Behauptung. So bin ich auch; denn eben wollt ich Sie fragen, hab ich nun nicht Recht, daß ich liebe wo ich kann oder muß, und meine Freunde wieder beſonders betreibe? Kurz! Was liebt man? Das Schöne und Gute. Wo liebt man’s? Wo man’s findet. Wann liebt man’s? Wenn man’s findet. Alſo ſeitenweiſe, ſeitenweiſe: wie uns die ganze Welt erſcheint; mein Fehler iſt es nicht; es mag ein Zuſammen - hang in ihr ſein, uns erſcheint aber auch nicht der rechte. Und daß mir dieſe Wahrheit als der einzige erſcheint, den ich finden kann, macht, daß ich nicht kann. Und nun iſt die Tollheit aus. Nun ſtreiten Sie noch einmal von vorne!

153

Sagen Sie einmal, lieber Veit, iſt Ihnen wohl ſchon ein ungebildeter Menſch in meiner Art vorgekommen? Mir noch nicht. Andere, die etwas nicht wiſſen, denen iſt auch dieſe Unwiſſenheit unbekannt, und die ganze Sache, die es betrifft; bei mir aber ganz anders; ich kenne die Unwiſſenheit, die Sache, mich, die Mittel, und bleibe doch wie ich war. Mir fällt das bei dieſem konfuſen Brief wieder ein, wo Sie mir gewiß die Gedanken noch heraus klauben werden, worum ich Sie auch bitten wollte. Wie kann man ſo genau, ſo pünkt - lich, ſo gründlich, ſo äſthetiſch möcht ich faſt ſagen, wiſſen was ſchön geſchrieben iſt, und ſich ſelbſt nicht beſſern: ſogar mein Geſchmack, mein Urtheil beſſert ſich, und ich ſpreche ſchlechter, als die geringſte Frau, die drei Friedrichs von Sieg - fried geleſen hat. Jeder kann beſſer ſchreiben und reden, mit viel dümmern Gedanken, Ich fühl das alle Tage; und zu - letzt ärgert’s mich doch. Wenigſtens möcht ich die Urſache begreifen, da mir die Einſicht nicht fehlt. Ich goutire jedes Und , Wohl , Denn , das mindeſte Wörtchen; weiß ſo ſchön den Unterſchied bei Dichtern zu finden und bei Schrift - ſtellern, weiß ſie zu karakteriſiren, zu klaſſifiziren, viel beſſer als Andere; und ich glätte mich doch nicht aus, beſſere mich nicht. Ich weiß genau, wenn ich einmal einen Perioden gut geſchrieben habe, aber das hilft mir nichts. Sprechen thu ich gar wie eine Rotüriere. Wenn ich nicht noch origi - nelle Gedanken hätte, müßten die Unwiſſendſten ſagen, ich ſei’s.

154

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Geſtern früh ſchickt mir der Prinz de Ligne für Sie dieſe Verſe hier, und die ich vortrefflich finde; genug ich gou - tire ſie ohne ſie loben zu können, wie mir das immer geht. Aber es freut mich, Ihnen Einmal in meinem Leben mehr als ſchlecht abgefaßte Dankſagungen ſchicken zu können. Ich habe dieſe Verſe und die Ihrigen jedem hier gezeigt, der es werth iſt. Die Gräfin Pachta findet ſie außerordentlich. Zeigen Sie ſie wenigſtens Mad. Liman und meiner Familie, und dem Prinzen Louis, weil er alles goutirt.

Es iſt mir leid, Burgsdorf nicht in Berlin zu finden, und noch mehr, die Bekanntſchaft der Frau von Humboldt zu verſäumen. Ich bin außer mir vor Freude, daß Mad. V. Frieden geſchloſſen hat. Gottlob! ſo wird man doch wieder einen Menſchen ſehen; der allein denkt, handelt, fühlt; und den die Andern eigenſinnig nennen. Wenn’s ihr nur gut geht! denn ich kann mir gar nicht denken, daß die Urſachen, die ſie in Berlin quälten, zur Hölle zurück ſein ſollten.

Ich hab einen Grafen Einſiedel kennen lernen, der mit Ihnen auf der Schule war, in Italien gereiſt iſt, und jetzt in Dresden iſt, wo ich ihn ſehen werde. Von hier iſt er ſchon lange weg. Er gefällt mir; er verſteht Muſik, und liebt Wahrheit.

Wollen Sie wohl einen Gedanken, den ich hatte Sie haben mir dies ſchon ſo lange proponirt in hochtrabende155 Verſe oder Reime bringen? ohne Reime, glaub ich, wär’s noch hübſcher. Es war nämlich vorgeſtern Illumination hier, und wir ſaßen an Einem Ufer des Teichs, um ſie am andern zu ſehen. Ich aber, anſtatt die Lampen anzuſehen, ſah flei - ßig in’s Waſſer und an den Himmel; und da ſtand oben ein heller ſchöner Stern, hoch und unbeweglich. Im Waſſer war er auch ſchön, aber er rührte ſich mit dem Winde, wechſelte oft ſeine Form, und war manchen Augenblick trüb. Da fiel mir ein, ſo ſei’s mit den Menſchen; man beurtheile ſie weit von ſich ab, in ihren Verhältniſſen, da müſſen ſie ſich regen und bewegen, haben keine Form, und ſcheinen trübe. Indeß man ſie eigentlich gar nicht ſieht, die feſt ſtehen müſſen wie der Stern, wir ſehen nur immer ein windiges bewegtes Waſ - ſer, und heben den Kopf nicht in die Höh. Mir gefällt der Gedanke: und daß er mir eingefallen iſt, dafür kann ich nicht.

Wenn Sie dieſen Brief haben, können Sie mir keinen mehr ſchreiben, der mich trifft. Ich bin nicht ganz geſund das hofft ich nicht einmal aber ich bin viel beſſer; und tanze unter andern wie eine Pikniks-Mamſell. Geſtern erſt wieder tüchtig; und Sonntag auch, und künftigen wieder, und ſo immerfort. Ein Schmerz iſt es aber doch, alles ſo allein zu genießen, zu ſehen, zu hören! wie ich! Ich thu es zwar nicht aber doch. Ein ganzes Leben hab ich allein ge - lebt. Ja, wenn ich nie einen Berliner wiederſähe, ging’s auch an; aber ſo fehlt ihnen nun das alles. Adieu. Viel - leicht ſchreib ich morgen, wenn es Zeit iſt, noch ein Wort.

R. L.

156

Apropos, le prince de Ligne a dit quelque chose de moi en prose, qui me flatte infiniment plus que tous ses vers; c’était à l’occasion de l’illumination, pour laquelle il m’avait promis de venir me prendre à huit heures, mais il restait à un thé jusqu’à neuf heures, et lorsqu’on lui disait qu’il oubli - ait sa promesse etc. il dit: Ah! je la connais si hien, que je lui voudrais manquer tous les jours! Il a aussi dit que je suis la meilleure amie. Donc il ne faut plus en douter.

An David Veit und Horn, in Jena.

Dieſen Moment erhalt ich Ihren Brief, komm aus dem Bade, und die Poſt will auch ſchon weg. Übermorgen reiſe ich nach Dresden; den 17. komm ich zu Haus. Da find ich erſt die Briefe, die nach Berlin gegangen ſind. Die Stelle ſie ſchwuren ſich, entzückt, doch unſchuldsvoll, im Antlitz des keuſchen Monds, was man nicht ſchwören ſoll, iſt von Wie - land; darum Verſe tout faits. Zur Gräfin Pachta können Sie immer gradezu, meinen und Ihren Namen nennen. Mit uns, lieber V., bleibt’s beim Alten; das heißt, es wird immer beſſer. Sie haben Recht.

Kammen Sie nun, Harn! Das, dünkt mich, iſt der ſchönſte Brief. Sie kommen aber unverändert und unüber - legt, nach wie vor, nach Berlin, Horn! Sorgen laſſen Sie mich.

Sie haben mich glücklich gemacht, meine Herren! Mit Goethe. Ich hofft es, ich verdient es nicht. Beinah157 möcht ich ſagen, ich faſſ es nicht. Nämlich, ich wundere mich ſo. Wie ſo kann er wiſſen, daß ich Empfindung habe!? Niemanden hab ich mich in meinem Leben weniger in irgend einer Art zeigen können, als ihm. Durch Zeitumſtände; und Menſchen; liebe Menſchen. Doch ſchweigen wir davon. Wie von allem Redewerthen. Er iſt Goethe. Und was ihm ſcheint und er ſagt, iſt wahr. Von mir ſelbſt glaub ich ihm. Ich ſeh ihn ſchon einmal wieder, das andere Kurjahr. Wenn Sie ihn, vor Berlin, ſehen, Horn, ſo grüßen Sie ihn, von dem Menſchen, der ihn immer angebetet, vergöttert hätte, auch wenn ihn niemand rühmte, verſtünde, bewunderte. Und wenn er ſich wunderte, daß ein gemäßigtes Mädchen ihm eine anſcheinende Extravagance ſagen ließe; ſo ſollt er’s nicht thun, und lieber bewundern, daß ſie ihn ſo reſpektirte, daß es einen Reſpekt gäbe, der ſie allein zurückhielte, es ihm nicht zu ſagen. Sagen Sie ihm, es wäre nicht Affektation, ſondern Pflaumenweichheit! Überhaupt könnt ich nicht dafür, daß die Andern alles affektirten, was ich im Ernſt meine. Hab ich Recht? Ja, ja, ich bet ihn an.

Anmerk. Veit hatte an Rahel geſchrieben:

Den zweiten Tag nach unſrer Ankunft war Ball, und Goethe kam mir entgegen, mit den Worten: Nun, wie geht’s Ihnen denn, lie - ber Herr Veit? Sie haben ſich hierher gemacht; ſehr recht. Wo kommen Sie denn jetzt her u. ſ. w. Als ich ihm hierauf geantwortet hatte, und ihm ſagte, daß ich in Töplitz acht Tage geweſen, und hingereiſt wäre, um Sie zu ſprechen: Ja da haben Sie wohl recht gethan, verſetzte er, wenn Sie ſie in langer Zeit nicht geſehn hatten; freilich Ja es iſt ein Mäd - chen von außerordentlichem Verſtand, die immer denkt, und von Empfin - dungen wo findet man das? Es iſt etwas Soltenes. O wir waren auch beſtändig zuſammen, wir haben ſehr freundſchaftlich und vertrau -158 lich mit einander gelebt. Zu Horn, der ſich ihm von ſelbſt präſentirte, hat er geſagt, Sie hätten ſtärkere[Empfindungen], als er je beobachtet hätte, und dabei die Kraft ſie in jedem Augenblick zu unterdrücken; und noch mehr, (ich war nicht zugegen).

Horn hatte ſo berichtet:

Wenn es uns auch gleichgültig iſt die Meinung der Menge von uns zu erfahren, ſo iſt es uns deſto intereſſanter, die Meinung eines lie - benswürdigen und geliebten Menſchen zu hören; hier iſt ſie! Ich ſagte ich weiß nicht mehr was, und wüßte ich es auch, wär’s doch hier un - bedeutend darauf antwortete Goethe: In, es iſt ein liebevolles Mäd - chen; ſie iſt ſtark in jeder ihrer Empfindungen, und doch leicht in jeder Äußerung; jenes giebt ihr eine hohe Bedeutung, dies macht ſie angenehm; jenes macht, daß wir an ihr die große Originalität bewundern, und dies, daß dieſe Originalität liebenswürdig wird, daß ſie uns gefällt. Es iſt nicht zu läugnen, es giebt viele wenigſtens original ſcheinende Menſchen in der Welt; aber was ſichert uns dafür, daß es nicht bloßer Schein iſt? daß das, was wir für Eingebungen eines höberen Geiſtes zu halten ge - neigt ſind, nicht bloß Wirkung einer vorübergehenden Laune iſt? Nicht ſo iſt es bei ihr; ſie iſt, ſo weit ich ſie kenne, in jedem Augenblicke ſich gleich, immer in einer eigenen Art bewegt, und doch ruhig, kurz, ſie iſt was ich eine ſchöne Seele nennen möchte; man fühlt ſich, je näher man ſie kennen lernt, deſto mehr angezogen, und lieblich gehalten. Dies war’s, was ich Ihnen ſo gern ſelbſt ſagen wollte; nehmen Sie es, wie es iſt; ich habe ſeine Worte, wo mein Gedächtniß mich nicht verließ, beibehalten. Meinen ſchönſten Werth habe ich hingegeben; ich muß, wenn es mir möglich iſt, noch einmal zu Goethe nach Weimar um Worte köſtlichen Sinnes zu ſammeln, um die Weisheit in ihrer liebenswürdig - ſten Geſtalt noch viel aus ſeinem Munde zu hören. Wie hat ſich meine Meinung von ihm geändert, ſeit ich im Karlsbad war; ſchon deßwegen iſt es mir lieb, da geweſen zu ſein. Wir ſprachen weiter, und kamen auf Ihre große Liebe zu ihm als Dichter: Es iſt mir doppelt lieb, ſagte er, denn es iſt bei ihr keine allgemeine Idee; ſie hat ſich jedes Einzelne deutlich gemacht. Eine allgemeine Idee beweiſt größtentheils, daß wir unſre Würdigung des Dichters aus der Meinung Anderer nehmen; haben wir uns aber jedes Einzelne deutlich gemacht, ſo zeigt das natürlich, daß wir ſelbſt rein empfunden und deutlich gedacht haben.

159

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Ich lebe in allem Betracht, lieber Brinckmann, denn ich leide ſo ziemlich, bin unpäßlich und habe chagrin; aber es ſchadet nichts. Meine Wunderäugige ſah ich geſtern zur Probe, und wenn ich mich von einem Gang-Spaziren werde erholt haben, ſo will ich ſie beſuchen. Es iſt ſchrecklich! ich bekomme wieder eine neue Paſſion für dieſe Frau. Das fehlt mir noch. Schrecklich dacht ich’s mir, und ſchrecklicher iſt’s noch geworden. Taſſo. Ich hörte viel von ihr, aber nicht das Rechte, aber ich verzeih es; denn ich würd es auch nicht ſagen können.

Wiſſen Sie, was das Komiſchte iſt, durch ſie, die mir doch fremd ſein ſollte, fühl ich mich Humboldt verwandter. Es giebt alſo Zauber; denn es iſt erlaubt, das ſo zu nennen, was man ſich nicht deutlich machen kann. Folgen Sie nur meinem Beiſpiel, ruhen Sie ſich, und dann gehen Sie in Geſellſchaft.

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Lieber Brinckmann, mir zittern die Hände, alſo kann ich Ihnen nur ſagen, daß die Frau von Ha. nur vierzehn Tage hier war, wovon ich ſie acht ſah, dann ging ſie wieder auf vierzehn nach Töplitz. Sie ſagte mir in Karlsbad, daß Ma - riane mit dem Bruder und der Schwägerin auch hieher kom -160 men wollen, und grämte ſich, ſie nicht erwarten zu können. Sie ſind aber noch nicht hier. Ich glaub nicht, daß ſie kom - men. Ich grüße Sie freundlich und danke Ihnen, ſchreiben kann ich nur nicht. Sagen Sie Frau von Humboldt daſſelbe; und daß ihr Brief rein und unerfleht und unerwartet für mich wie ein Glück gekommen wäre. Denn ich hätte nicht geglaubt, daß ſie mich ſo lieb hätte: und freue mich immer - meg damit. Sagen Sie ihr, daß auch ich ſo etwas nicht umſonſt ſage und wenn es nicht wahr iſt. Seit vorgeſtern hab ich Burgsdorf. Mit den erſten Kräften, die zum Schreiben hinlänglich ſind, ſchreib ich der Humboldt. Adieu.

An David Veit, in Halle.

Wie geht’s Ihnen denn, lieber Veit? Ich finde mich ſo nach und nach wieder, und beſſer. Sogleich ruf ich Sie an. Sie ſind mir wohl gar böſe? Thun Sie das nicht: ich bin und bleibe Galeerenſklave. Ich habe viel in Karlsbad von der Kur gelitten; ſie hat mir doch aber ſo gut gethan, daß ſie mich ſogar geſtärkt hat. C’est tout dire von Karls - bad; nun weiß ich aber genau, was ich auf immer von meiner Krankheit zu denken habe, und auch zu thun. Von heut an bleib ich noch wenigſtens fünf Wochen hier. Hier bin ich gern; ſogar das Wetter iſt immer rein und heiter hier. Schreiben macht mir noch einigen Schwindel und Dröh - nen. Leben Sie wohl! werd ich jemals geſcheidt, und beſchäf - tige mich wieder, ſo ſollen Sie gewiß hören, wie, Auch wennmir161mir ſonſt etwas begegnet. Die Gräfin Pachta iſt nicht hier, ſie beſuchte mich aber in Karlsbad, und ſprach viel von Ih - nen. Die Bernard aus Breslau iſt aber hier, und mit der Liman bin ich hier; und dann iſt Herr von Burgsdorf ich kann mein Freund ſagen, und hoffen, daß ich es werth bin hier, ein Märker von Berlin. Das iſt der helle Punkt in meiner hieſigen Exiſtenz. Nicht grad der, den Schiller meint, aber der helle Punkt auf einem Gegenſtand, der den andern Schatten und Lichtern ihre Richtung bedeutet. Haben Sie meinen Brief bekommen, den ich Ihnen vor meiner Ab - reiſe ſchrieb? Werden Sie mir ſchreiben? Wie iſt Ihnen denn jetzt, was machen Sie denn dieſen Sommer? Hören Sie nichts von Latrobe? Sie ſollten doch. Ich wollt Ihnen ſchon lange ſchreiben, aber ich war immer zu ſchwach, krank, und ange - griffen. Sein Sie alſo mit dieſem Brief, wie er auch iſt, zu - frieden. Denn Sie können es ſein. Sie glauben mir doch noch? Entſchuldigung ſoll dies nicht ſein: denn Sie hätten mir wohl ſchreiben können, aber auch nicht Anklage. Viel - leicht liegt ſogar zu Hauſe ein Brief von Ihnen. Adieu! Bis ich nicht ſterbe, verändere ich mich doch nicht. Und doch bin ich ſehr verändert. Meiſter muß ja nun bald kommen. Wie leſ ich hier den Taſſo! mit Burgsdorf; wie find ich mich hier nach und nach, und Goethe. Adieu. Ich will doch meinen Namen ſchreiben; vielleicht erkennen Sie den Brief nicht. Es iſt Spaß.

R. L.

(R. Robert iſt meine Addreſſe.)

I. 11162

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Ich habe der Liman dieſen Brief mitgeben wollen; aber wie man denn noch immer ſchlechter iſt, als ſeine Vorſätze, ſo iſt es nicht geſchehen. Früher bekommen Sie ihn aber, als durch die Liman, denn ſie kömmt den Mittwoch nach meiner Rechnung an, und dieſen Brief haben Sie Dienstag. Ich wollte Ihnen aber gerne die gute Senſation machen, daß Ih - nen eine gute Freundin von einer andern einen Brief mit - bringen ſollte, der ein Einſchluß von einem Manne iſt, der Sie gewiß recht ſchätzt. Prinz de Ligne hat mir vorgeſtern dieſen Brief und Billet überſandt. Geſtern war er auch bei mir, vermuthlich um noch etwas darüber zu ſagen, mein Bad verhinderte mich aber, ihn anzunehmen. Was Sie ihm ſchick - ten, hat mir ſehr gefallen: ihm auch, denn den Morgen dar - auf hatte ich ſchon die Antwort. Übrigens ſind Sie in ſeinen Werken mit gedruckt, ich ſah’s in einem Theil davon, den ich hier durchblätterte, ich komme auch darin vor. Nämlich ſo, er hat doch voriges Jahr manches an Sie und mich addreſ - ſirt, worauf Sie antworteten, Ihre Antworten alſo und ſeine Anreden ſind der Folge nach gedruckt. Es nimmt ſich ordent - lich aus, als wenn wir ſchon geſtorben wären. Sie werden doch vermuthlich etwas von mir wiſſen wollen? Nun, ich befinde mich ſo ziemlich beſſer, lebe ſtill, diät und häuslich, und ruhig mit Mariane, Mad. Bernard (die Kluge aus Bres - lau) und Burgsdorf, der Sie tauſendmal lieber hat, als Sie163 denken und ich dachte, und den ich millionenmal lieber habe als vorher. Heute iſt die Liman weggereiſt, und nun ſind wir ſogar ſchon fleißig; er iſt zu Haus und lieſt, und ich ſchreibe für’s erſte Ihnen. Dieſen Winter will ich gerne fleißig ſein, und mich danach einrichten. So ſtark fühl ich mich doch ſchon. Leben Sie wohl, und ſchonen Sie ſich, als ob ich Sie öfterer und mündlich ermahnte; bald ſeh ich Sie! Adieu!

Jettchen grüß ich überherzlich, und wünſche ganz eigent - lich, ſie den Winter viel zu ſehen.

An David Veit, in Halle.

Was iſt Ihnen, Lieber? Warum antworten Sie mir nicht? Sind Sie verſtockt? Ich meine nicht, wie ein Sün - der; wie eine Quelle, wie ein Schmerz im Herzen, meine ich. Sind Sie abgekommen von der Stimmung, in der Sie an mich denken, in welcher Sie mir ſchreiben? Ich bedaure Sie; und kann doch nichts anderes vermuthen. Ich habe Ihnen zwei Briefe geſchrieben, einen in der Mitte ungefähr vorigen Monats, und den andern von Berlin. Warum! antworten Sie mir nicht? Vielleicht kommen die Briefe ſchlecht an: ich addreſſire ſie noch immer an den Profeſſor Klügel. Dieſen wird Ihnen Mlle. Mariane Meyer geben; vielleicht, daß die ſchöne Überbringerin wirkt, für mich meine ich, daß Sie mir dann ſchreiben. Wiſſen Sie mir nichts mehr zu ſagen, da ich Ihnen nicht ſchreibe? Wiſſen Sie nicht, daß11 *164ich nicht konnte? Ich hab es Ihnen ja geſagt. Und müſſen Sie eben ſo ſchlecht ſein, als ich! oder iſt es wahr, und möglich, daß Sie unzufrieden mir mir ſind aus wer weiß welcher Urſach können Sie es dennoch, irgend jemand beſſer ſagen, mich gerechter, für Sie, ſoulagirender, bei irgend einem Weſen als bei mir ſelbſt verklagen? Schweigen Sie aber, wie es wohl kömmt, eben weil man angefangen hat zu ſchweigen, ſo iſt das auch ſehr unrecht. War Ihnen nicht ſonſt wohl, fühlten Sie ſich nicht aufgelöſt, wenn Sie zu mir ſprachen? Und ſollte man ſich das wohl verſagen, oder vernachläſſigen?

Ich weiß noch nicht, ob ich Mlle. Meyer dieſen Brief gebe, oder ihn auf die Poſt lege, damit Sie ihn noch früher, in Halle, bekommen. Sein Sie gütig gegen ſie; ſie muß Ih - nen als eine gute Freundin von mir, und als ein artiges, feines, liebenswürdiges Mädchen, angenehm ſein. Sie wird ſich an Sie, in Leipzig, wegen manches wenden, als z. B. Beygangs Anſtalt zu ſehn u. dgl. Zeigen Sie ihr was Sie ſonſt Gutes und Hübſches können. Sie wird Ihnen eine Idylle von Goethe zeigen, welche im künftigen Muſenalma - nach ſtehen wird, von der ich nicht ſchweige, weil ich will, ſondern weil ich muß. Ich werde doch noch alle Tage empfindlicher: und Goethe, und ich, ſind ſo konfundirt in mir, daß ich mit ſeinen Worten empfinde ſo falſch es iſt nicht einmal denke: ja, ja, es geht noch immer crescendo: der weiß es, was ich meine, er kann alles ſagen. Es iſt ein Gott! Leſen Sie die Idylle. Glauben Sie nicht, daß ich wegen der Idylle ſo friſch raſe. Nein, Iphigenie laſen165 wir geſtern, und Taſſo vorher; wie die Iphigenie iſt! Nun gontire ich ſie erſt recht. Millionenmal hab ich an Sie dabei denken müſſen, alles was ich auswendig wußte, wußte ich von Ihnen, ( Frei athmen macht das Leben nicht allein u. ſ. w.) und dabei dacht ich wieder, wenn er das wüßte, müßte er ſich doch freuen. Herr von Burgsdorf las ſie mir, wenn Sie Mariane ſehen, fragen Sie ſorgfältig, ob er in Leipzig iſt, und gehen Sie grad zu ihm, oder an ihn heran; ſagen Sie: ich bin Veit, wenn Mariane nicht à portée iſt Sie zu präſentiren: er will Sie auch kennen. Es wird Sie nie gereuen, und immer freuen. Auch von Markus oder Rös - chen können Sie ſich vorſtellen laſſen, oder ſind die unbe - hülflich, unwillig, oder ungeſchickt ſich ihn bloß zeigen laſſen. Mama kennt ihn auch, Feu auch. Alle zum Zeigen, und Ausfragen. Sie wiſſen, ich kann ſehr umſtändlich ſein, quoique je manque quelquefois de me trouver mal d’une Um - ſtändlichkeit. Wie gern käm ich nach Leipzig! Unabhängig davon, daß ich die Idee habe, daß Goethe wohl dahin geht; und was heißt hier unabhängig! Kann man gewiſſe Dinge trennen? Aber ich bin arm; ich haſſe dieſe Ohnmacht! und doch übt ſie meine Geduld, wie ein Freund. Morgen früh reiſ ich zur Gräfin Pachta nach Prag. Ich mache, zum er - ſtenmal, einen von den Streichen, die Sie mir immer wün - ſchen; und vielleicht, billigten Sie dieſen doch nicht. Aber ich will auch nichts von Billigkeit wiſſen, ſie hat mich zum Grabe gereift, ſoll mich aber mit meinem Willen nicht be - graben helfen. Ich bin wie ich war, lieber Veit, nur aus - gebildeter, wenn Sie wollen. Ja ich habe viel gewonnen166 ſeit dem Winter. Ja, ja. Das hören Sie gerne; am liebſten von mir. Ich weiß es. Laſſen Sie mich auch etwas von ſich wiſſen. Stehen bleiben, können Sie doch nicht. Gethan, gelernt, geleſen, hab ich nichts, nichts, gar nichts. R. L. Adieu.

Apropos. Profeſſor Beck und einen Schweizer Heß hab ich kennen lernen. Der Erſte kann Ihnen bunte Dinge von mir ſagen. Ich äſtimirte ihn aus Stimmung ſo wenig und nichts, damals, daß ich ihm die reine Wahrheit ſagte. Er könnte ſie in ein wenig Länge wohl goutiren. Kennen Sie Richardſon? einen Engländer, der auch in Halle ſtudirt.

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Es iſt doch prächtig, ſich ſo ganz tief in Norden ſo einen Bernſtorff zu halten, der, was ich nicht ſagen kann, ſo einzig gut vorträgt, obgleich ich’s denke; und der, was man nur ganz dunkel weiß, einen ſo deutlich denken macht. Ja, ſo mein ich’s accurat, wie Bernſtorff; dabei weiß ich aber auch, daß Sie ſich nicht werden helfen können, und wenn Sie’s auch ſelbſt geweſen wären, der den B ſchen Brief geſchrie - ben hätte: den ich und ich glaube auch er mehr wie eine Abhandlung als wie ein Stärkungsmittel anſah. Troſt iſt er in allem Fall; denn die Theilnahme, die Menſchlichkeit, die Bildung, die Gefaßtheit, und leider die Leiden, leuchten aus jedem Worte; und einen Bernſtorff zu haben, der ſolche Worte zu uns ſpricht, iſt viel.

167

Iſt ein Raub! den man dem blinden verrätheriſchen Schickſal gemacht hat; ein unwiederbringlicher. Den aber zu genießen, und eine M , wie Sie ſie ſich einbilden, müßte ja einen Menſchen unſinnig machen; ſo etwas erträgt man nicht. Glauben Sie nicht, daß ich hier Figuren rede; mein innigſter Glaube iſt, daß man eigentliches völliges Glück nicht aushielte: ich wenigſtens fühle ſo was, und unglücklich fühlt ich mich ſchon oft. Mit Unglück wird man aber nie fertig, bei Glück iſt es aber ſo ganz aus; und das, glaub ich, erträgt man nicht. Können Sie aber glücklich werden, ſo wagen Sie’s nur doch: ich verzweifle gar nicht daran. Sie wiſſen, Ihre Lage kam mir gleich, und kömmt mir noch nicht ſo verzweifelt vor. Wenn nur M ihre Kraft anwen - den will, und daran können Sie doch nicht zweifeln: ganz können Sie ſich nicht geirrt und getäuſcht haben. Sie haben mich gar ſehr durch das Buch, und unausſprechlich durch den Brief verpflichtet. Wie werd ich denn einen ſolchen Brief fordern! Aber eine größere Fète, als mir alles vom Grafen Kalkreuth zu ſagen und von Bernſtorff zu zeigen, können Sie mir nicht machen.

An David Veit, in Jena.

Den vierten Band des Meiſter hab ich längſt ge - leſen; mein Bruder bracht ihn von Leipzig mit; und ich kann nun ungebundene Bücher leſen. Auch den Almanach hatte ich gleich bei meiner Ankunft, auf ſehr kurze Zeit von Hum -168 boldt (welcher Montag nach Halle reiſt), und habe nur ein - mal die Xenien und alles von Goethe durchleſen können. Vom Meiſter zu ſprechen iſt noch nicht genug, den muß man zuſammen leſen; das Schreiben haſſ ich wirklich mehr als jemals. Wie er über Kunſt, Muſik und Theater ſpricht, S. 409 411. Überhaupt, die Satisfaktionen, die ich darin erlebe, gehen doch weit; ſie müſſen’s im Leſen merken. Aber Sie haben mich lange nicht geſehen; und ich habe mich ſehr verändert. Wie er ſagt, die Leute nehmen immer bei Kunſt - werken u. dgl. ihr Gewiſſen und andere armſelige Bedürfniſſe mit! Sehen Sie, daß Mignon die intereſſanteſte iſt? Das Zucken vom Munde nach der linken Seite nahm mich gleich ein. Wie lieb iſt’s mir, daß ſie ſtarb; und an ihrem eigenen Herzen! Hingegen haſſ ich die Thereſe cordialement. Warum iſt ſie nicht mit einer Perücke geboren? Da wäre ja der Ver - walter gleich fertig geweſen. Geſehen hab ich ſie nun frei - lich nicht: alſo hübſch, ſehr hübſch kann ſie geweſen ſein und ein Lothario, kann zuletzt alles, beſonders wenn er ehrlich wird, oder iſt. Daß Wilhelm die nicht bekommen hat, hat mir ordentlich die Bruſt befreit. Wie meiſterhaft iſt es von Goethe, ſeine Perſonnagen ſo kennbar zu beſchreiben und ſpre - chen zu laſſen, und nie ſeine feine, gebildete Sprache zu ver - läugnen! Wie meiſterhaft iſt Laertes, mit welchem tiefen und leichten Blick in den gewöhnlichſten Menſchen, durch ein paar Züge und Urſachen dargeſtellt. Friedrich aber, im letzten Theile, den hat er ſprechen hören, das erfindet auch er nicht. Wie er denn überhaupt oft gehorcht haben muß: und das Vertrauen aller Arten von Menſchen muß zu beſitzen gewußt169 haben. Neben ſeinem einzigen Sehen. Das bin ich über - zeugt. Ich habe freilich alle Theile noch einmal geleſen, in Töplitz, auf dem Geiersberg, in Dresden und in allen Wirths - häuſern und in Berlin.

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Nun ohne Spaß; das heißt deutſch. Sie vermuthen es gewiß gar nicht mehr von mir, lieber Brinckmann, was Sie mir für eine große Freude mit dem Schlegel machen, welche ſchöne ganz einzeln ſtehende Hoffnung Sie mir durch ihn er - wecken: aber noch weniger, und gar nicht, daß ich ſeine Re - zenſion geleſen habe. Das iſt ein Kopf, worin Operationen geſchehen; in den andern regt ſich’s, und fällt auch wieder, und die Veränderungen ſind eben ſo viel Ungefähre. Wenn ich ihn nur werde kennen lernen; ich meine, wenn ich nur etwas für ihn bin. Iſt er herablaſſend? Jung iſt er zwar; aber ſo klug! il sera comme nous triste comme s’il savait tout, und wird nichts mehr wiſſen wollen. Ich laſſ Sie aber für meine Aufnahme ſorgen; und will ihn ſchlechterdings nur durch Sie kennen lernen. Ich bedarf wirklich etwas, was mich freut und erhebt; ich habe ſo lange in Finſterniß ge - lebt, daß meine ſtarken Augen im Hellen nicht ſehen, nur thranen.

Gräfin Engſtröm ſeh ich mehr, und ſehr affable; ſie ge - fällt mir auch immer beſſer; ſie hat ſehr Recht, in ihren Mann verliebt zu ſein, denn angenehmer und komplaiſanter iſt leicht170 keiner. Hymen vergaß ihm, von Amor anders beſchäftigt oder beſtochen, die Binde abzureißen, er ging unter die Ab - gefertigten, und ſie bleibt ihm für’s Leben; und qu’il est aimé celui qui rend aimable. Mit meinem Lieben iſt’s eigentlich nichts, auf Glauben denn der Verräther reicht mir nur dünne Binden, und den Andern keine für mich. Adieu, lieber Brinckmann, mündlich werde ich Ihnen manches Intereſſante erzählen, fragen Sie mich nur aus. Wir kommen leider bald; die ſchönen! wohlbekannten Mauern machen mir bange. Adieu.

An Guſtav von Brinckmann.

Ich halte es für Recht, wenn Einer nach dem Andern ein bischen ſieht. Was machen Sie denn, haben Sie Mi - graine oder Schweden? Man hat Sie in unſerm Hauſe nicht geſehen, und Ihre Geliebteſten wiſſen nichts von Ihnen; ich bin ſeit dem Sonnabend hier, und melde mich alſo. Es iſt mir um ſo lieber, daß ich geſtern Hrn. Fr. Schlegel habe ken - nen lernen, nun kann ich Sie wieder zu mir bitten. Sonſt ſah’s immer aus, als ſollten Sie mir den bringen, die andern Leute ſind doch ſo. Sein Äußeres gefällt mir; Sie wiſſen doch noch, daß das Äußere eines Menſchen der Text von allem iſt, was ſich über ihn ſagen läßt? Ich hab ihn gebeten, Sie zu mir zu bringen; warten Sie das nicht ab! Auch heute geh ich erſt gegen 6 Uhr ſpaziren, und dahin, wo einer will.

R. L.

171

An Roſe, in Berlin.

Ich kann mir das große Vergnügen machen, dich mit einer hellglänzenden, gutkleidenden, goldenen, ziemlich langen Kette zu beſchenken. Ich ſchicke ſie dir, damit du ſie früher haſt, und trägſt, und damit das Vergnügen mich zu ſehen und die Kette zu bekommen, nicht wie Dinte und Waſſer zuſammen fließt; in dir meine ich; jedes wird reiner und ſtärker: und es kann Einer dem Andern nicht genug Genüſſe verſchaffen. Es wird dich um ſo mehr freuen, da ſie von mir kommt, da dir niemand dergleichen ſchenkt, und niemand es ſo mit Wonne thun kann; und ich bis jetzt noch nie im Stande war, der - gleichen zu thun. Sage nur, ich hätte ſie mit noch einer an - dern geſchenkt bekommen. Ich habe ſie eingetauſcht; entre nous für den Ring. Sage Hans viel Zärtliches von mir! Heute habe ich die Bonnets bekommen, ich danke ſo ſchön als ſie ſind. Schreibt Otterſtedt niemanden? Mir nicht. Möllen - dorf ſoll nur kommen, der ſoll ſchön haben! Walter (Gual - tieri) iſt noch böſe?! der ſoll wieder ſchöne Dinge geſchwatzt haben! Sag ihm, wie ſo er noch Geld heraus haben wollte? Pourquoi n’y-a-t-il plus rien de commun entre nous? N’y-a-t-il plus rien de commun entre nous, Walter? ne me répondez pas, car je ne vous écris pas; je ne veux point de réponse, j’ai voulu avoir une lettre. So gemein ſind Sie noch, daß Sie gegrüßt ſein wollen? Sie verdienen nicht, daß ich Ihnen ſchreibe, was de Ligne von Ihnen ſagt. Hab ich nie172 verdient, daß Sie meinetwegen Ihre Faulheit die ich ehre überwinden? Wenn Sie mich auch nur ſo geſcholten haben, wie Sie thaten. Ich verſtehe nur meine unbegreifliche Lang - muth nicht, Ihnen zu ſchreiben. Leben Sie wohl; Sie ſind unglücklich genug, daß ich nicht bei Ihnen bin; wenn Sie ſich auch nichts aus mir machen.

Adieu Röschen. Küß Mama die Hände; reiſt ſie wohl noch mit mir nach Zehdenik, wenn ich zu rechter Zeit komme? Meinen faulen Markus er hat Recht grüß ich auch; und meine abgöttiſche Hanne. Die ſoll was Schönes[kriegen]. Moritz ſoll ſich waſchen, es iſt gewiß nöthig. Achard macht ſich doch etwas aus einem Gruß. Ich grüß ihn. Der Schul - zen ſchicke ich die Ohrringe.

An David Veit, in Paris.

Sie werden Addreſſe, Format, Hand, nichts mehr erken - nen; und es ſind Ihre zwei Lieblinge, die Ihnen ſchreiben. Lindner und ich. Wie liebt er Sie! verliebt iſt er noch immer. Vorige Woche trat er zu mir in’s Zimmer; unſer zweites Wort war Veit, und dabei blieb’s. Ich machte gleich den Vorſchlag zu ſchreiben, er that es gleich, ich jetzt. Wie ſchmerzlich, mein Freund, vermiſſen wir Sie! Wir ha - ben uns immer lieber, und denken dadurch ein Drittes her - vorzubringen, und das ſind Sie. Wie gegenwärtig ſind Sie uns auch! wie ſind unſere Gedanken immer bei Ihnen; ach! ſo gewiß, und Sie fühlen’s doch nicht, bis Sie dieſen Brief173 leſen. Wir wiſſen, daß Sie ohne uns nicht recht glücklich ſein können. Wir ſind’s auch nicht. Lindner hat mir Ihren letzten Brief vorgeleſen! iſt es nicht ſo gut, als ob Sie ihn mir geſchrieben haben? Es gefiel mir, daß Sie mir nicht ſchrieben. Schreiben ſoll man ſich auch! Ich war gewiß von Ihnen. Waren Sie’s denn von mir auch? Nein. Sie ken - nen die ganze Seele nicht, die lieber in ihre Vernichtung, in die ſchrecklichſte Exiſtenz willigen würde, als darein, daß es ihr möglich ſein ſollte, ehrenvolle Dinge ſo muß ich ſie nennen zu vergeſſen. Ich bin wie ich war, Veit. Sie können mir grade in die Augen ſehen, und Sie werden ſie beſſer finden. Lindner ſagt’s auch. Ich bin auch beſſer. Über - zeugter von dem, was in mir war: überzeugt, daß es unum - ſtößlich iſt, und zufrieden damit. Ich putze es aus, ich pflege es, ich liebe es. Schmerz? iſt zufällig, könnte auch eben ſo gut Freude ſein. Darum ertrag ich ihn mit Thränen, aber willig; nicht allein, ich kann nicht, ich mag auch nicht mehr tauſchen. Er macht mich nicht mehr mißvergnügt, er macht mich klar und macht mich ſtark. Und vieles ſchmerzt auch nicht mehr. Sie würden zufrieden mit mir ſein in jedem Be - tracht. Die ganze Scala meiner Seele giebt reine Töne an, obgleich man ſchrecklich! mit den Saiten umgegangen iſt, Glauben Sie, ſchrecklich; ſogar zum Erzählen wär’s ſchreck - lich Man iſt entweder dem Wahnwitz, oder dem Tod, oder der Geneſung ausgeſetzt; mir ſind die beiden erſten nicht wi - derfahren. Ich bin beſſer, kann ich auch nicht ſagen; ich bin jenſeits, möcht ich ſagen. Verſtehn Sie? Vom Schickſal be - ſchimpft, aber nicht mehr beſchimpfbar. Unglück iſt Schimpf174 vom Schickſal. Er komme und ſage mir es noch einmal, ſagt Gräfin Orſina. Ich bin wie ich war, und nie, nie! ſol - len Sie mich verändert finden; und fänden Sie mich im Toll - hauſe eine papierne Krone auf dem Haupte, erſchrecken Sie nicht, Sie finden die Freundin wieder. Die Freundin alles Guten, die Liebe, das Streben darnach; ganz aufgelöſt, zer - ſtört, nicht wieder müßten Sie mich finden, um mich anders zu finden.

Geglückt iſt mir nichts, ſeit ich Sie nicht ſah. Ich bin noch in derſelben Lage. Im Gegentheil, drei Freundinnen, worin ich die Humboldt mitzähle, ſind mir entkommen, zu denen ich flüchten wollte; die eine heirathet einen ſchwediſchen Baron, meine Freundin in Prag hat eine ernſte Verbindung, die ihr jede Empfindung und Zeit einnimmt. Ich bin oft ohne Unterſtützung, aber nicht allein; Sie wiſſen, wie ich aus dem Menſchen ſpinne: aber ohne Freund, kurz, ohne jemand, der mich ganz erräth. Lindner war mir ſo lieb! Ich hatte mich ſo ſchnell an ihn gewöhnt; ich muß ihn wieder ver - lieren! ich treib ihn ſogar. Er hat eine Verbindung. Veit, jetzt ſollten Sie mich ſehen! jetzt weiß ich erſt wahr zu ſein! und das iſt noch gar nichts gegen die Idee, die ich davon habe. Das quält mich[oft]; es gehört Geſchicklichkeit, Ver - ſtand dazu, wahr zu ſein. Nur die Galeerenſklaven kennen ſich. Goethe und das Leben iſt mir noch immer Eins; ich arbeite mich in beide hinein.

Sein Sie gutes Muths; wir ſehen uns gewiß, wir leben gewiß noch mit einander. Wer nur gelaſſen iſt, und dem’s nur auf ein paar Jahre nicht ankömmt! Uns, mir, muß die175 Gelegenheit auch noch kommen: und am Ende will ich, das iſt die beſte Gelegenheit. Ein bischen ſpäter kann man wol - len. Sein Sie vergnügt! Sie haben Freunde! nach Ihrer Definition; Sie ſind ein Freund und geliebt. Mir ſind viele Menſchen von Gehalt und guten Eigenſchaften aufgeſtoßen: einer hat dieſe, einer jene, aber keiner widerſprechende gute (ich zitire Sie), alſo kein großer Mann. Vivent! die Ju - gendfreunde! Sie! und wir!

Lindner gedeihet in meiner Gegenwart, er ſagt’s ſelbſt, und ich hab ihn ſehr lieb! Nicht wahr? Sie freuen ſich? Er iſt nur meinetwegen hiergeblieben, und ich habe ihn ſo aufge - nommen wie ich aufgenommen ſein will. Mit wahrer Liebe. Übermorgen, Sonnabend, reiſt er. Im Winter kommt er wieder. Dies und die Opern ſind meine einzigſte Freude für den ſchwarzen Winter; für den Sommer hab ich auch nichts. Gar nichts. Adieu! weiter nichts. Wie viel gute all - gemeine Dinge, die ſich auf uns beziehen, ſag ich Lindner.

Beſſer kann ich Lindnern nicht ſchreiben: und anders gar nicht. Wenn ich nicht wahr ſein ſoll, kann ich gar nichts ſein. Und Sie machten mir bang in Ihrem Brief: als be - fürchteten Sie, ich würde ihm ein ſchädlich Wort zufließen laſſen. Sie haben auch Recht: ich bin auch gefährlich. Wer ſich nicht herab ſtimmen kann, iſt gefährlich und ſchädlich. Ich habe gar keine Zeit: und meine Stimmung raubt mir was ich hätte. Mein Brief wollte auch nicht ſo ganz Ant - wort werden; und wären Sie nicht, lieber Veit, ſo wär’s gar keine geworden. Sie haben aber Recht, Lieber. Ich bin Ihnen recht gut, weil Sie Lindnern ſo gut ſind. Da haben176 Sie ſich eine eigne Stätte in meinem Herzen erbaut. Von unſern Affairen künftig. Latrobe war zweimal bei mir. Er gefällt mir ſo ! daß ich ihm austérité und krauſe Haare verzeihe. So lächerlich dies klingt, ſo viel will es ſagen. Ob ich ihn ſatisfaiſire, weiß ich nicht. Ich glaub es nicht. Er hat zu viel von mir gehört, und hört zu wenig von mir. Er kommt zu ſelten. Kurz, er iſt wie ich: und darum kommen wir nicht zuſammen. Zu fein, zu ſkrupulös. Ich lieb ihn ſehr. Er ſieht ſchon aus wie ein Menſch. Ich vertraute ihm à diserétion. Ich muß mit Mama weg. Sie nimmt mich mit nach der Stadt. Adieu. Sonnabend das Weitere.

R. L.

An Guſtav von Brinckmann, in Paris.

Ein échantillon von einem Brief, den Sie bekommen ſol - len, mein lieber Freund, iſt das nur. Auf jede Zeile in Ih - ren drei Briefen werde ich Ihnen antworten; und ſo, daß Sie zufrieden ſein ſollen; Sie hätten dieſe Antwort ſchon, aber Friedrich Schlegeln fiel einmal vor ein paar Wochen ein, Sie ſeien von Paris nach Stockholm geſchickt, alſo war - tete ich noch; und nun war die Stimmung und der im Kopf komponirte Brief verloren. Sie ſollen aber, bei allen Höllen - plagen ſei’s geſchworen! (die wir hier genießen) nichts ver - lieren: Sie bekommen in ein paar Wochen einen furchtbar langen Brief: aus dem Sie ſehen ſollen, daß Sie ſich nicht mit mir wie mit dem Ci-devant unterhalten, daß Sie nichtnur177nur aus ſich ſelbſt den ſchönen Purpur ſpinnen, daß ihm auch die helle Sonne der wahrſten Freundſchaft entgegenſtrahlt, Alſo in dieſem Briefe keine Antwort. Nur eine Leidenſchaft, die ſpornendſte unter allen, ſei befriedigt; der Zorn. Mlle. X ! ! !!! ! !!!? die bildet ſich ein (denn das thut ſie, wenn ſie ſo albern tadelt und lobt), man hätte ſie hier bewundern müſſen. Foi de marchande de mode ou de coiffeuse (die ich jeden Augenblick ſein könnte), die letzte fran - zöſiſche Aktrice ging in Pyrmont vor zwei Jahren eben ſo gut als Mlle. X angezogen. Nichts hat ſie herge - bracht, was neu wäre; jede Kaufmannsfrau in Hamburg, wo alle vierzehn Tage ein franzöſiſch Schiff ankömmt, geht ohne Vergleich hübſcher: mit Schals wollten es die Demoi - ſelles durchſetzen; die man in allen Gattungen und aus allen Theilen der Welt hier zum Ekel hat. Kurz, ſie waren hier nichts. Wiſſen Sie was ich ihnen abſah? wofür ich ſie hielt? (woran ich keinem Zweifel den Eingang bei mir laſſe, und käme er von Ihnen! daß es in der ganzen Welt welche giebt, wo nur ein Konvent oder ein Hof iſt,) für Pikniks-Mamſells aus Paris. Wiſſen Sie was das iſt? qui n’entrevoient la bonne société qu’au bal, die eifrig die Moden nachmachen, aber ſie ſich doch nur immer um die rechte Minute zu ſpät zuſammenſtopplen können. Die ſprechen von Paradiesvogel? Von Hackenſchuh? Im Theater war ich ſeit drei Monaten dreimal; ich abhorrire es. Daß ich gar keiner von den blin - den Grazienfindern der Unzelmann bin, wiſſen ſie zu gut; ſie ſtarrte aber letzthin in Don Carlos für Juwelen keine Clairon kann prächtiger, und keine Hamilton geſchmackvollerI. 12178neuer ſein; und Alle eifern ihr nach. Keine Frage! der größte Theil der Juwelen war ihr von einer vornehmen Freundin geliehen; den andern ſchafft ſie ſich alle Jahr nach dem Benefiz zum Einkaufspreiß an. Ich laß mir nichts weiß machen: ich glaube (und wenn ich auch in Paris wäre: und, was noch weit mehr iſt ich glaube in Berlin) nichts von Paris, was über den Einkaufspreiß wäre, der über der Taxe iſt, die ich mir einmal nach der Aufnahme aller Welt - waaren gemacht habe. Wenn ich ſehe, ehapeau bas! den Himmel glaub ich; wenn ich ihn ſehe: und das Sehen ſoll mich vor Beſchränktheit, vor Unglauben ſchützen. Ich vergehe hier vor Überdruß, Zorn, Froſt und Langerweile! Sagen Sie der Humboldt, ſie müßte das für mich thun. Ich hätte jetzt in der ganzen Welt keinen Wunſch, der befriedigt werden könnte, als den, ſie en miniature gemahlt zn haben, Sie ſoll es mir ſchicken. Sagen Sie ihr, es wäre eigenlich ſchrecklich, daß ich wüßte, daß Sie wiederkäme: denn ſonſt wär ich ſchon verzweifelt, und das wäre beſſer. Verzweifelt bin ich wohl: aber ich laufe doch nicht weg. Ich bin doch nicht raſend. Fragen Sie doch meine Humboldt, ob ihr Herr von Elsner keinen Brief von mir gebracht hat. Sie ſoll ihn fordern laſ - ſen. Fürchten Sie ſich, Brinckmann! ich werde Ihnen über das Heirathskapitel ernſte Antwort ſchreiben: den Spaß ha - ben Sie alle von mir. Adieu! Schlegel grüßt, er wird Ih - nen ſchreiben. Ich leſe Humboldts Buch; bin aber noch im Anfang: mir kann er gar nicht weitläufig genug ſchreiben. Nun werden Sie doch nicht noch ſtreiten? Müßten es doch nur alle Diebe leſen, die dichten wollen in Proſa oder Verſen,179 ſo wär man ſie los: und die Xenien würden lauter artige erwachſene Oden. Wahrſcheinlich werden Sie hören (als Diplomatiker), daß Reuß eine gefährliche Lungenentzündung hat; ſeit geſtern, wo eine Kriſis war, iſt Hoffnung. Es iſt fatal! Ich kann Andere ausliefern. Er hält ſich aber, wie’s ſcheint, an die Qualität, nicht an die Quantität.

An Guſtav von Brinckmann, in Paris.

Brief über Brief bekomme ich, mein guter lieber Brinck - mann, und Sie denken, ich antworte Ihnen nicht! Nein, wir haben Ihnen einen großen Brief durch Geheimrath Ephraim geſchickt. Den ſcheinen Sie aber nicht bekommen zu haben. Ihnen, mein Freund, ſollt ich von Allen, die ich kenne, am erſten ſchreiben; Sie machen ſich am allermeiſten daraus. Sie ſind durchdrungen von Artigkeit, und fühlen’s auch ſchon als ſolche am meiſten. Artigkeit bleibt’s immer; und wenn man auch ſeinem geliebteſten Freund Dinge, die einen wirklich drük - ken, ſchreibt. In der Entfernung ſich noch ſo mechaniſch mit ihm abgeben wollen, es bleibt immer viel. Darum, mein lie - ber Brinckmann, rechne ich’s Ihnen auch ſo hoch an, daß Sie ſchreiben: nur überhaupt ſchreiben, und dann mir, die es ſo eavalièrement zu empfangen ſcheint; und es ganz anders empfängt. Ich verſichere Sie und mit Bedacht Ihre meiſten Korreſpondenten rabattiren vom Werth Ihrer Briefe, weil Sie ſo Vielen ſchreiben und ſo oft, und bei mir ſteigen ſie, umgekehrt, dadurch im Preiß. Es iſt, als wollte man ſich12 *180nicht geſchmeichelt fühlen oder freuen, wenn ich lache, weil ich viel lache: es iſt ein großer Unterſchied in dieſem Lachen; und ſo weiß ich ihn auch in Ihrem Schreiben zu machen. Ich lache, weil ich einmal gutmüthig, richtig epiſch geſtimmt bin (hab ich von Humboldt gelernt) weil ich reizbar bin, und nie auf meine momentane Stimmung verſeſſen wie man ſehr gewöhnlich ſpricht bin. Sie ſchreiben, weil Sie gutmüthig, voller Egards, Einfälle, und in tauſend Rapports mit den Menſchen ſind, die alle Faulheit überwiegen, die Sie auch noch, wenn’s auf’s Rühmen und Meſſen ankömmt, mit der Horde von Letzten gemein haben; und worauf ſie ſich etwas einbilden. Genug von ihnen! aber nicht zu viel: denn das wollt ich Ihnen ſagen. Es liegen ſechs Briefe von Ih - nen auf meinem Tiſche. Ich diſtingire ganz allein den großen, wo von Mad. Staël die Rede iſt. Was in dem ſteht, ſchrei - ben Sie nur mir! Mein lieber Freund! geht es Ihnen ſchlecht? Mir auch! (Ich wollte Ihre Briefe wieder durchleſen, aber ich habe die Kraft nicht; ſie liegen alle neben mir.) Ich werde aus dem Gedächtniß ſchreiben. Es geht mir ſchlecht! und ich weiß nicht, wie es mir ohne den Gedanken gehen würde, daß die Humboldt wiederkommt. Raſend werde ich nicht, und umbringen thu ich mich auch nicht; aber ich ſterbe aus lan - gueur und das thu ich jetzt auch. Heirathen ſagen Sie. Ich kann nicht heirathen; denn ich kann nicht lügen. (Denken Sie nicht, daß ich mir etwas darauf einbilde: ich kann nicht, wie man die Flöte nicht ſpielen kann.) Sonſt thät ich’s jetzt. Ich würde mir zur tâche und zum Lebensplan machen, einen Mann glücklich zu machen, der mich aus allen ſeinen Kräften181 liebt, und den meine Gegenwart ſchon beglückt. Aber ich kann mir keine Äußerung der Liebe für ihn abgewinnen: und es geht alſo nicht. Es iſt ein braver, rechtlicher, geſcheidter Menſch, ohne Vorurtheile aber meine fehlen ihm er denkt, man liebt, ſieht ſich betrogen, und nimmt einen kon - venablern, der einem en gros alles anbietet, was man ver - nünftig fordern kann, und von dem man mehr, als er je ein Weib lieben konnte, geliebt iſt. Es iſt ein kluger, und ein nobler Mann; was weiß er aber alles nicht! ich wäre fremd bei ihm; und er heimiſch bei mir. Das täuſcht ihn auch; und das verführte ihn. Das ängſtigt und ſchmerzt mich auch, ich hätte ihn nicht heimiſch ſollen werden laſſen. Kaum aber ich weiß das auch kann ich das wehren. Noch auf eine Manier kann ich heirathen, wenn ich dem Menſchen faſt gleichgültig bin, und er alle ſeine Freiheit behält, und mir ſeine Perſon gefällt, Das fühl ich, und weiß ich deutlich. Vorurtheile muß er ſchon einmal nicht haben, ſonſt halt ich’s nicht aus. Tugendhaft will ich gern ſein: das bin ich jetzt auch und bin zu nichts anderm gemacht nur zum - gen muß mich ein dummer Mann nicht zwingen können, und ich mich ſtellen müſſen, als ob ich ihn ehrte. Reden muß ich können, was ich will: und mein Läſtern muß er lieben; und wenn ich ihn ehren könnte! was ich ehren nenne!! ich glaube, ich weiß nicht ich wäre noch glücklicher, als durch die Liebe. Nun hab ich Ihnen auch geſagt, was Sie längſt wiſſen: und das Diplom des Freundes ſchriftlich aus - gefertigt. Das wollt ich; das verdient der Staël-Brief, wo auch Sie mich ſo beſonders auszeichnen. (Ich leſe ihn nicht,182 aber ich weiß.) Sie ſchreiben mir darin, (ich leſe ihn doch!) Sie ſchreiben mir, Sie lieben mich in der Entfernung inniger und treuer, ich glaub es Ihnen. Sie haben auch eine von den in ſich wahren Menſchen gefunden, die es nie aufhören können zu ſein, und die ein ſcharfer Verſtand über ſich ſelbſt erhellt, und ihnen Rechenſchaft ablegt; das ſind Freunde: das haben Sie erkannt, und für ewig. Kein Wuſt, kein Mißver - ſtand konnte da nicht ſtören, kein Roſt anſetzen. Auch ich wußte es immer. Und oft was Kälte ſchien, war Stolz heißt Freude und sécurité. Ich ſchicke Ihnen das erſte Blättchen dieſes Briefes mit, das mich ſo rührte, und ſchmeichelte Sie ſchicken mir es gleich wieder ſchmei - chelte, ſag ich, die Schönheiten der Natur ſchmeicheln uns auch; ich verſtehe unter Schmeichlen nichts Falſches. Jeder reine Genuß ſchmeichelt, iſt eine Schmeichelei des Schickſals; wel - ches uns eben ſo gut alles verſagen kann. Verſtehen Sie mich? wenn ich mich gehen laſſe, werde ich unverſtändlich. Ich beantworte nun Strophe nach Strophe Ihren Brief ich antworte eigentlich ſchon den ganzen Winter in mir ; Brinckmann, Sie ſchreiben mir meiſterhaft über die Staël, und eine Ungeduld ergreift mich, daß ich’s nicht kann drucken laſſen. Zwar würden es dann auch die Letzten leſen, aber die Erſten auch. Ich habe Sie ganz verſtanden, glauben Sie mir’s! Lehren Sie ſie deutſch. Sagen Sie ihr, ſie hätte au fond de l’Allemagne eine innige Anbeterin; ſie wäre mir in der unglücklichſten Epoche meines Lebens wie ein Gott zu Hülfe gekommen; la terre m’avait manquée sous mes pieds, da hätt ich dies in ihrem Buche sur les passions geleſen, wel -183 ches Sie mir gaben: à vingt-cinq ans la terre nous semble manquer sous nos pieds, unſre Freunde, unſer Geliebter ver - läßt uns wir müßten unſer Glück in Lieben finden, das könne uns niemand rauben, wie ich das las, kannt ich ſie, und gelobte ihr Liebe. Es giebt kein Glück: es giebt nur Sieg, und Plaiſir. Hierin hat man ewig zu wählen, oder vielmehr nur die Natur, ob ſie uns eine blonde oder brünette Seele mitgiebt. Sagen Sie ihr, ſie ſoll mich nicht verachten, weil ich ein Frauenzimmer bin: auch bei mir hätte es ſchwer gehalten, ſie gelten zu laſſen. Sagen Sie ihr, ich kenne ſie wahrſcheinlich beſſer, als irgend jemand, mit dem ſie je liirt war. Sie wiſſen, was bei mir Goethe iſt. Alles, mein gan - zes innres Leben, und er, iſt Eins bei mir. Aber ich glaube nicht, daß ihr Goethe geholfen hätte; freilich wenn ſie ihn verſtanden hätte, ſo hätte ſie das andere auch gewußt, und ein Probirſtein iſt er, ausbilden thut man ſich durch ihn, der Stern im Leben iſt er, aber ohne ihn muß man alles ſein. Vielleicht wenn ſie eine Deutſche wäre. Im Grunde muß man alles von ſelbſt ſein. Ihr Staël-Brief endigt, ich ſoll manchmal mit unſern Freunden von Ihnen ſprechen wenn ich Ihnen nun ſage, daß alle Abend wenigſtens die Rede von Ihnen iſt; daß wir Ihrer bald leichter, bald ern - ſter, und immer mit Liebe gedenken. Die Liman, meine Schwe - ſter, alle ſind wir Ihnen gut! Sie leben immer unter uns: ach! und wir hoffen, Sie kommen wieder. Wenden Sie alles an! Selbſt meine Mutter, wenn ſie mir vorrechnet, ich habe alle Freunde verloren, kömmt Brinckmann an die Spitze. Wo ſollten Sie uns auch nicht einfallen; wer ergriff alles leichter,184 durchſah es beſſer, und war voll ſchonenderer Rückſichten, und wahrer Höflichkeit, wem ſtand beſſer ſeine Laune zu Gebot, ſelbſt im Schmerz! Ich leſe Ihren zweiten Brief; der mit dem Staël-Brief zuſammen kam. Darin ſchreiben Sie mir, Sie ſind verwaiſt, traurig und muthlos, und ſetzen hinzu: Ich fühle, daß ich dieſe Klagen eigentlich bloß in den Schooß einer ſchwachen gutmüthigen Freundin ausſchütten ſollte Sie ſind freilich nicht ſchwach, aber Sie ſind außerordent - lich geſcheidt und das iſt beinah das Nämliche. Auch begehren Sie keinen Troſt u. ſ. w. Wie können Sie mir das ſchreiben? Kennen Sie mich nicht? Ich zeige eine harte, rohe Außenſeite, weil ich es ſonſt nicht aushielt, und die Andern mit. Wenn ich meine Wunden zur Schau tragen ſollte, wie die Andren ihre Ritze , es wäre eine Schlachtbank. O! glauben Sie nicht, daß das, was ich Ihnen ſage, über - trieben iſt. Darum bin ich nur ſo erſchrocken, wenn mir et - was widerfährt, weil es auf ewig iſt. Ein zartes Gemüth beleidigen, heißt es verderben. Wem ſollen Sie ſonſt etwas ſagen, als mir! dazu bin ich gemacht. Schon oft dünkte mich, wenn ich mir nichts mehr denken konnte, und ich denk es eigentlich; darum hab ich nur eine ſolche Seele wie ich habe, darum widerfuhr, bis auf die geringſte Kleinigkeit, mir alles ſo, und nicht anders, damit ich verſtehen ſoll, was jeder fühlt, und was jedem fehlt, das iſt der einzige Menſchentroſt, der andre kömmt von Gott! von der ganzen Welt, in aller ihrer Ausdehnung und Bewegung. Um keine Gabe will ich geachtet ſein, keinen Vorzug will ich genießen, alles iſt ein Talent, aber dies iſt ein ſelbſterrungenes, eine einzige Gabe!185 um dieſe müßte man mich auszeichnen, ehren; ich liebe mich darum. Und alles tadelt mich darum. Ich trage dies leicht; aber verächtlich iſt es mir. Darum appuyire ich darauf, wenn man mich verkennt. Ich bin zu reich, um zu prahlen (pour étaler), und aus wahrer Beſcheidenheit thu ich’s nicht; ſie ſind mir alle zu arm, und ich ſollte noch Koſtbarkeiten zei - gen? Frech wohl bin ich geworden, ihr Götter wißt, und wißt nicht allein, daß ich auch fromm bin und treu. Das ſei mein Epitaph. Wenn wir uns nicht wiederſehen, oder wenn wir uns auch wiederſehen, ſehen Sie dieſen Brief als mein Teſtament an. Er iſt mit einer Wahrheit geſchrieben, wie man auf dem Todtenbette ſpricht vielleicht glauben Sie aus Furcht, Gott behüte! weil man’s da nicht mehr der Mühe werth hält unwahr zu ſein. Zeigen Sie der Hum - boldt dieſen Brief, wenn Sie wollen. Sie ſchreiben mir fer - ner, Sie wären kindiſch und toll mit Methode ? nun toller, kindiſcher, kurz ärger als ich ſelbſt, iſt nichts. Ich bilde mich aber ſehr; ich will nicht mehr mit Gewalt glücklich ſein; und weiß, wie ſo ſich widerſprechende Dinge nicht vereinigen laſſen, als das äußere und das innere Glück; nur eine harte Wahl bleibt dem Menſchen, und das iſt, selon moi, ſein freier Wille, von dem man ſo viel ſpricht. Bei Manchen geht das nun freilich zuſammen, und auf Augenblicke immer nur, und ſähen ſie ganz genau nach, nie. Meine Fähigkeiten ſind immer noch nicht angegriffen, und daher bin ich immer noch gut, epiſch geſtimmt. Je suis rassie, aber, traurig! und bei guter Laune, höchſt verwundet; und über dies und über mich ſelbſt erhaben. Daraus werden Sie klug; ich bin’s. 186Ich ſchreibe ſo garſtig. Das hält mich auch zu ſchreiben ab, wenn es mir darauf ankömmt, das zu ſagen, was ich will.

Bald bin ich hier allein, ohne Bekannte. Mariane iſt weg, die Fließ geht in vierzehn Tagen. Die Unzelmann iſt auf einige Monat nach Wien. Jettchen geht auch in vierzehn Tagen dahin. Gualtieri kommt nicht mehr ein Mißver - ſtändniß mit meinem Bruder . Genelli ſeh ich ſehr wenig. Die Grotthuß verreiſt. Was ich thu, weiß ich nicht; entweder ich geh nach Prag, wenn die Pachta will, woran ich zweifle dies mündlich, im Winter in Paris , oder ich geh nach Pyrmont, oder mit Schlegels, die nach vierzehn Tagen hierher kommen auf einen Monat, nach Jena. Alles iſt unbeſtimmt bei mir, und ich will ſehr diesmal auf die innre Stimme lau - ſchen. Kommen Humboldts wieder nach Paris, ſo komm ich zum Winter hin, wenn ich bei ihr wohnen kann. Freuen Sie ſich alſo. Das iſt alles, was ich von Plänen im Leibe führe; das ſind meine Lebenspläne. Das gefällt mir ſchon! und was ich habe, wirklich beſitze, macht mich freudetrunken. Meine Freiheit iſt im Grunde groß. Nichts ſetzt ihr eine Gränze, als mein Vermögen, und wer fände die nicht endlich. Wiſſen Sie, wie viel Geld ich mir jetzt wünſche, außer das viele ? So viel, ein Findelhaus zu errichten. Dann nähm ich mir Kinder heraus, die mir wohlgefielen, zum Erziehen; und das wären meine. Adieu mon ami! Sein Sie nicht zu dankbar, lieber Brinckmann, und leben Sie wohl! Jetzt geht der Frühling an. Die Sonne ſcheint recht, Adieu! Es grüßt alles was lebt, Schlegel, den Schlechten, kann ich nicht zum Schreiben bekommen. Dieſer Brief iſt den 9. und187 10. März geſchrieben, und ſoll den 11. abgehen. Burgsdorf muß mir das ſchicken, was ich in dem kleinen Brief fordere, der in Ihrem liegt: und der auch morgen erſt abgeht.

An die Schwägerin M. Th. Robert, in Pyrmont.

Jetzt iſt acht Uhr, deine Fanny und meine Hanne haben jetzt eben, zum Geburtstag der erſtern, Schokolade mit Kuchen, anſtatt Kaffee und Semmel, mit einer Glückſeligkeit und Redſeligkeit hinter geſogen und gewürgt, deren auch nur wenig Kinder fähig ſind; bedenk, ob ich ſie dir auf jedem Ball in Pyrmont und bei jedem Vorfall im Leben wünſche. Ich ſaß mit meiner auf einem Stuhl, deine hatte die Schulz auf ihrem Schooß; ſie hat Handſchuh und Fußſchuh von Mama bekommen, und von mir und Hanne wird zum Nach - mittag eine Puppe fabrizirt, der Vater bringt des Mittags etwas, und ſo wird der ganze Tag gebähren, und ein wah - rer Geburtstag ſein. Überhaupt! wenn du dich mit der Sehn - ſucht abfinden kannſt, ſo kannſt du ganz ruhig ſein. Für die Putten wird unausſprechlich geſorgt: du kennſt meine Lei - denſchaft zu ihnen, ſie ſind ewig bei mir: ihr Fleiſch wird beiderſeits feſter, auch bleichen ſie; meine ſchläft mit der Kou - ſine in der gelben Stube, ich im Saal, die Thüre offen. Um neun Uhr eſſen wir, mit dem letzten Biſſen geht meine zu Bett, Line bleibt bei ihr, bis ich komme. Für Erkältung, Deutſch, Artigkeit und Lektion, wird nach Möglichkeit geſorgt. Ich thue weiter gar nichts, denn ich leſe nicht einmal mehr,188 um mich zu ſtärken; und die Putten, obgleich ſie einen matt genug machen können, ſind mir doch Heilkraft. Die Furcht vor dem Bär iſt weg, nachdem ſie durch Vetter auf’s äußerſte gekommen war, den ich aber im ſtrengſten Sinn des Worts geſchlagen habe; ſie mußte immer ſelbſt brummen, und ich bramm ſo lange, bis es ihr keinen Eindruck mehr machte. Auch iſt ſie nun durch mich von des Bären Abreiſe überzeugt, und daß er keine Treppen ſteigen kann. (Nun iſt Nachmittag: nichts greift mich ſo an, als Schreiben). Von der Köchin hat ſie einige Bouquets von kleinen rothen Be - ſingen bekommen, die ſie mir ganz in Erſtarrung zeigte, Dann fuhr ſie mit der Schulz und mir die Morgenpromenade nach Hoppe, an dem ſie einen herrlichen Spielkammeraden hatte; beſonders unermüdet. Dann kam der Vater nach Hauſe, und brachte, zu abermaliger Erſtarrung, einen Fächer und Schärpe; Hanne kauft jetzt für vier Groſchen ein! Deine ſpringt vor Tiſche mit Einmal vom Sopha; Rahle! ich will dir was zu eſſen holen. Ich vergeſſe das, weil ſie gar zu viel thut und ſagt. Eine ganze Weile nachher, kommt ſie: Da! Da! ich ſehe immer nichts. Was bringt ſie? Ein Erdbeerchen, und das muß ich eſſen. Ja, lieber Hans! Warum kann ich jetzt nicht mein Glück in deinen Buſen weinen! Daß wir jetzt getrennt ſind! Über’s Jahr vielleicht bin ich ſelbſt Mutter. Nun heirathet ein jeder Menſch lachen muß ich auch; aber es iſt wahr! Ringe ſind gewechſelt; ich habe ſein Bild. Schneller entſtand keine Liebe; ſoll ich es Sympathie nennen? oder wie willſt du es nennen? wie ich heißen werde? ſogar der Name iſt ſchön. Einen Tag189 ſah ich ihn, den zweiten ſchenkt er mit einen Ring, vorgeſtern ich ihm einen, geſtern ſchickt er mir ſein Bild: muß er mich nun nicht den Sonntag heirathen? Umarme mich! Jeder Brief von dir iſt mir eine ächte Freude. Du denkſt es dir in deiner biedern Seele gewiß gar nicht ſo. Wir wollen auch recht geſund werden! Philoſophinnen ſind wir doch ſchon; dazu Geld, und man riskirt bei der etwanigen Unſterblichkeit nichts. Meine Geſundheit iſt artig ſeit vier Tagen.

An Guſtav von Brinckmann, in Paris.

Kein Brief, lieber Brinckmann! Bitten, Beſtellungen, kurz eine Art von Geſchäften; folglich Ennui. Vor ein paar Mo - naten wollt ich Ihnen einen Brief von Mad. Unzelmann ſchicken; man ließ mir aber ſagen; Sie ſeien auf der Reiſe von Paris nach Stockholm. Da gab ich ihn wieder zurück. In dieſen kann ich ihn nun nicht einlegen. Vor einem Mo - nat ungefähr war Mariane Pollet hier, die von Karlsbad kam, ſie kam unvermuthet mit Boye’s zu mir. Gleich wa - ren wir intim. Ich hab ihr ſo gut gefallen, als ſie mir. Sie verſteht das Leben: und das iſt alles was man fordern kann; fehle ihr auch übrigens was da wolle. Sie macht es einem leicht und angenehm, iſt voller Verſtand; was red ich! Sie kennen ſie. Ich lieb ſie ordentlich. So voll Leben, das ganze Weſen voll Phyſionomie! und kein ſtörendes Vorurtheil. Kurz, recht liebenswürdig. Sie ſchickt Ihnen einliegenden Zettel. Sie war nur drei Tage hier; wir ſahen uns beſtändig; und190 es iſt mir, als kennt ich ſie von Kindheit an. Wir haben auch manche Parthie mit einander verabredet. Die Veit läßt Ihnen ſagen, wie ſo Sie ſie mit Einmal außer Ihrem Karak - ter behandlen, und ihr auf einen Brief, wo welche von Schle - gel, Schleiermacher, eingeſchloſſen waren, nicht antworten. Sie will mir nicht glauben, und behauptet, Sie müßten ihn bekommen haben. Friedrich Schlegel iſt ſchon in Jena, und Mad. Veit reiſt die andere Woche mit meiner Mutter nach Leipzig, von wo ſie die Schlegels nach Jena holen, und wo ſie den Winter mit ihrem jüngſten Sohn bleibt. Die Nacht ſie mußte ſich erhellen. Ich bin noch mittenin. Auch ſollen Sie von mir kein Wort hören; ſo elend geht es mir. Ich glaubte das Leben, den Schmerz zu kennen: aber dieſen Sommer hab ich ihn erſt erfahren. Nun zweifl ich auch nicht mehr, nun kann es immer ärger werden! Ich bin aber nicht ſo elend, wie ſonſt: ich habe mehr Muth; und ſollte mir auch nur eine Hand zu retten übrig bleiben. Ich rette ſie; und da mich dieſe Leiden, dieſes Verlaſſenſein nicht ſtupid gemacht hat, bloß zerriſſen, ohne zu tödten nun! ſo iſt man ja wohl gemacht um dies zu leiden, und ſo zu werden, wie ich werde. Von mir alſo nichts. Darum ſchrieb ich auch ſo lang nicht; hätt ich auch noch immer nicht geſchrieben von der Pachta in dieſem Briefe auch nicht. Nächſtens ſchick ich Ihnen eine Kopie von einer Antwort, die ſie mir dieſen Frühling auf Ihren vorletzten Brief ſchickte, und worauf ich das Päckchen mit Ihren Gedichten zurück - gehalten habe! Glauben Sie! es war recht. Der Unver - ſtand war geſchwollen bis zu einer Tollheit. Was macht meine191 Humboldt? von der ich nicht einmal weiß, wo ſie iſt!!!! Sa - gen Sie mir etwas!

Nun kommt die Bitte und die Hauptſache in meinem Brief. Beſorgen Sie ſie, als wenn ſie ganz für mich wäre! obgleich ſie für Gualtieri iſt. Thun Sie das für Ihre Freundin.

Ihre R. L.

Was ich nicht bekommen habe, kann ich vergeſſen; was mir aber geſchehen iſt, kann ich ich nicht vergeſſen; behüt Gott jeden, dies zu verſtehen!

Jedes gewaltſame und plötzliche Aufhören iſt mir unan - genehm; weil wir etwas Unausgeführtes vor Augen und in der Seele behalten, welchem wir ſpäter oder früher auch wie - der ſo begegnen. Wenn aber das Leben eher aufhört, als es ausgeht, ſo iſt das ſchön; denn da bleibt umgekehrt etwas Ganzes zurück, und nicht etwas Trauriges oder Ekelhaftes.

Man kann mit den[Empfindungen], wie mit andern - tern, ſchlecht haushalten. Man kann durch eine geſchäftige Einbildungskraft ſo dem natürlichen Ausbruch der Ideen vor - greifen, daß, wenn die Zukunft als Gegenwart erſcheint, man nur eine Vergangenheit zu wiederholen hat, und befremdet iſt, ſich gelaſſen bei Dingen zu finden, die man als das Ent - ſetzlichſte gefürchtet hat. Das pflegt man abgeſtumpft zu nen - nen; und es iſt doch nur das eigentlichſte Unglück.

192

Wenn man nur immer die Geſchicklichkeit hätte, wahr ſein zu können, ſo wäre es nicht möglich, ſich je ſchämen zu dürfen; denn man hat ſich entweder etwas zu geſtehen, was man ändern, oder was man nicht ändern kann. Aber man irrt ſich, wenn man glaubt, daß man nicht immer wahr ſein dürfe; man hat entweder nur keine Aufmerkſamkeit darauf, keine Geſchicklichkeit die Wahrheit zu finden, oder am öfter - ſten keine Gegenwart des Geiſtes, ſie zu ſagen; ſo lügt man; denn ſie nachzuholen, dazu gehört ſchon eine heroiſche Tugend, und Fleiß.

Billigkeit, Haß und Vorliebe, wird geübt; aber keine Gerechtigkeit.

Man lernt ſpät lügen, und ſpät die Wahrheit ſagen.

Wir hätten uns brauchbar für uns ſelbſt gemacht, wenn wir über das, was rohe Sache in uns iſt, einen uneinge - ſchränkten Willen hätten; und das, was Willen iſt, zur un - biegſamen Sache machten. Der Menſch muß ſich zur Wand, zu etwas Undurchdringlichem, ganz nach ſeiner Willkür machen können, damit er mit den Sachen und mit den Menſchen, die ſich als Sachen aufwerfen, kämpfen kann.

So lange wir nicht auch das Unrecht, welches uns ge - ſchieht und uns die kühlen brennenden Thränen auspreßt, auch für Recht halten, ſind wir noch in der dickſten Finſter - niß, ohne Dämmerung.

Wenn193

Wenn wir nicht albern wären; würden wir unſinnig. Mittagzeit Abendeſſen Gutenmorgenſagen, die al - berne Regelmäßigkeit ſchützt uns. Wer hat es nicht gefühlt, daß ihn Müdigkeit vor Raſerei ſchützt: aber nicht allein, weil man dann entſchlafen muß, denn ich glaube, wenn ſelbſt die Einrichtung der Natur ſo wäre, daß wir keinen Schlaf be - dürften, es wäre nicht hinlänglich. Wir müſſen wiſſen, daß wir ſchlafen werden, das ſchützt uns.

Die niederträchtigen Menſchen ſind die, welche, was ſie in ſich loben, nicht auch in Andern ehren.

Wer zu ſchönen verſteht, der kann auch kränken: wer aber kränkt, verſteht nicht auch zu ſchonen.

Der Dichter unterſcheidet ſich auf dieſe Weiſe vom Lügner: daß der erſte eine Lüge nicht ohne Wahrheit erzählt, und der zweite eine Wahrheit nicht ohne Lüge erzählen kann.

Es giebt Leute mit ſchönen Fähigkeiten, aber von gerin - ger Denkungsart.

Das darf den Werth meiner Gaben nicht herabſetzen, daß ich ſie mit Liebe gebe! Nur bei gemeinen Seelen ſtumpft dies die Luſt des Empfangens ab. Und auch nur eine ge - meine Seele arbeitet dem klug entgegen; wer ſich durch Klug -I. 13194heit kalt erliſtet, was ihn frei überſtrömen ſoll, dem fehlt wohl das Einzige, was Geſcheidte von der Klugheit abhält! Lieber verzweifle ich.

Man iſt nie mit einem Menſchen zuſammen, als wenn man allein mit ihm iſt. Ich gehe noch weiter, man iſt es nie eigentlicher, als wenn man an ihn in ſeiner Abweſen - heit denkt, und ſich vorſtellt, was man ihm ſagen will.

Es gehört mit zu den Kenntniſſen, wie man das Leben behandeln ſollte, zu wiſſen, daß man Berechnungen anſtellen ſoll, wo das Herz und ein edles Gemüth ſich ſträubt zu rech - nen: und daß man es wagt, ſich dem Zufall zu ergeben, wo alles berechnet werden könnte.

Wenn ich mich verrechnet und folglich geirrt habe, und es iſt mit Scharfſinn geſchehen, ſo bin ich zufrieden. Hab ich aber richtig vermuthet, und der Ausgang giebt mir Recht, ſo kann ich zufrieden ſein, und wenn ich noch ſo dumm zu Werke gegangen bin.

Darum ſcheut man ſich, und nicht genug, manthes aus - zuſprechen, weil man es gleichſam in die Welt, aus der über - ſinnlichen, hineinhebt: und für die Wirkung nicht mehr ſtehen kann. Das fühlt der Dümmſte oft, und der Kluge iſt oft nicht klug genug, auf dieſes Gefühl zu lauſchen.

Es iſt aber auch nicht gut, auch nur das Geringſte zu195 verſchweigen: und wenn man alles ſagen könnte, wäre alles beſſer. Auf dieſe Vollkommenheit müßte ſich jedes Individuum üben, wie die Menſchheit ſie erwarten muß.

In der geringſten Stube iſt ein Roman, wenn man nur die Herzen kennt.

Was heißt das, Satisfaktion haben? Die hat man immer, wenn man mit ſich in Ordnung iſt; das heißt aber nur das Nothwendige nicht vermiſſen; daß auch Andere mir genügen, iſt allein der ſchöne Überfluß, der glücklich macht.

Giebt es Wunder, ſo ſind es die in unſrer eigenen Bruſt; was wir nicht kennen, nennen wir ſo. Wie überraſcht, wenn auch nicht beſchämt, wenn uns die Begeiſterung wird, ſie zu gewahren!

Da eine willkürliche Einrichtung Statt haben konnte, ſo iſt es kein Vorurtheil, daß ein Weib nicht Liebe bekennen darf. Der Liebe Verdammniß zum Sterben, iſt Verſchmä - hung. Bei einem Weibe kann ſie das Gewand von Keuſch - heit und Schüchternheit nehmen, bei einem Manne ſteht ſie gewandlos, tödtend da.

Symptome der Liebe giebt’s. Wenn man folgende Pe - riode von Mad. Genlis ganz auf ſich anwenden kann: Mais13 *196je n’ai plus ni caractère ni volonté! insensé, faible et mépri - sable, je n’attends rien de vous, et sans but comme sans espérance je cède malgré moi au charme irrésistible que je trouve à vous aimer; ſo kennt man eins. Das andere iſt, wenn einem jede körperliche Berührung, außer der des ge - liebten Gegenſtandes, unwillkürlich und unwiderſtehlich ekelt.

Die ganze Welt iſt eigentlich ein tragiſcher Embarras.

Einen gepackten Reiſewagen und einen Dolch ſollte ein jeder haben; daß, wenn er ſich fühlt, er gleich abreiſen kann.

Es gelingt einem beinah nie eine Sache, von der es einem nicht nachher leid thut, daß ſie einem gelungen iſt; und es mißlingt keine, daß es einen nicht nachher freute.

Düngen Sie mit Verzweiflung, aber ſie muß ächt ſein, und Sie werden vortreffliche Ärnte haben.

An Guſtav von Brinckmann, in Hamburg.

Lieber! Brinckmann. Sehen Sie mich in Thränen geba - det zu Ihren Füßen; und nicht leiden, daß Sie nach Schwe - den gehn. Ich bin ja bei Ihnen. Gott! macht denn das alles aus, daß ich nicht reiſen kann. O! Sie würden gewiß gleich um ein Merkliches beſſer, wenn ich nur hinein träte. Ach Gott ach Gott! jedes Wort, fürcht ich, ſchadet Ihnen,197 welches ich ſchreibe: O! ſchrecklicher Zuſtand! den kannt ich bis jetzt nur aus Büchern. Alles, alles ſoll ich kennen lernen. Lieber! beſter! Freund, laſſen Sie ſich nicht von meinen Brie - fen affiziren! Ich bin ſelbſt in der Bruſt wie es Jean Paul neunt ſo! krank, daß ich nicht anders ſprechen kann. Auch ich war viel mediziniſch krank und bin ſo zerriſſen, daß nur Thränen kommen und Thränen-Worte, ſein Sie gefaß - ter, laſſen Sie ſich ich beſchwöre Sie! nicht ſo ſehr durch mich rühren. Sehen Sie mich zu Ihren Füßen, und mit der größten phyſiſchen Gewalt nicht leiden, daß Sie reiſen. Müſſen?!! welche Gewalt, welche politiſche Rückſicht kann Sie, wenn Sie ſich ſo fühlen, noch zurückhal - ten. Sterben Sie nicht an Pflicht; die nicht anerkannt wird. Sein Sie nicht ſo eitel-grauſam gegen Ihre Freunde, ge - gen mich. O! könnt ich Sie bewegen! Haben Sie kein Geld? auf den Augenblick? Ich will es gleich ſchaffen. Nehmen Sie die Summe indeß von Mad. Sieveking. Ich will hoffen und bin überzeugt, Sie ſehen hierin nicht mehr etwa, als einen guten Morgengruß und nicht einmal rühren darf es Sie; ſonſt bin ich gar verloren. Markus Herz kurirt alle Brüſte, und eben jetzt wieder den jungen Gilly, den alle andere Ärzte ver - loren gaben. Und ich kurire Sie gewiß. Und ſchon in ſo ſchwachen, abgeſpannten Stunden mich bei ſich zu haben, muß Ihnen alles ſein. Nur wenn die Humboldt um Sie wäre, das könnte mich tröſten; und ſo als wenn ich es wäre, wäre es doch lange nicht. Ich ſchreibe meiner Schwägrin: die ſoll Sie zwingen, und wenn Sie ſich nicht zwingen laſſen, Mad. Sieveking, die wird Sie doch nicht behalten wollen, um daß198 ſie Sie pflegen kann?! So lange haben Sie gemacht innen gelitten ich weiß wie und außen gearbeitet, ge - ſpaßt und geſchrieben, geleſen und gedichtet, bis Sie keine Kräfte mehr haben, Ich ſtürbe gern. Erſt geſtern Nacht war ich krank, und ungewohnt-krank, ich hoffte gleich: Ach viel - leicht iſt dies der Tod. ich ward den Tag über beſſer, und den Abend bekam ich Ihren Brief.

Wenn ich Sie verlöre, verlör ich einen großen Theil von mir ſelbſt. Denn eine Seite kennen Sie in mir, die niemand kennt außer Sie nennen kann ich ſie nicht, nicht einmal bezeichnen in dieſem Augenblick und die muß erkannt wer - den, ſonſt iſt ſie todt. Ich vermag gar nichts anders zu ſchrei - ben, als kommen Sie. Kommen Sie. Und reiſen Sie nur in keinem Fall nach Schweden: denn nach Hamburg kann ich doch noch kommen. Aber kommen Sie hierher, hierher!!! Leben Sie wohl; mir iſt ſo wüſt und kränklich, daß ich weni - ger als je, vernünftig und zweckmäßig zu ſein vermag. Ich glaube, ich habe gar keinen Kopf mehr. Über den Pachta - Brief hab ich nichts und will ich nicht antworten. Kommen Sie hierher! nur hierher. Unſre Luft iſt ganz gut für die Bruſt, der Staub iſt zu vermeiden. Kommen Sie, kommen Sie. Ich wiederhole dies wie ich die Augen aufſchlage. Sie kommen. Sie laſſen ſich erbitten. Es giebt kein Müſſen von der Art.

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An Guſtav von Brinckmann, in Hamburg.

Lieber Brinckmann, ſchreiben Sie mir nicht! Niemanden! Nichts, gar nichts! Sie ſchreiben mir: Meine beſte Freun - din , und Sie wiſſen doch nicht gewiß, daß das wahr iſt. Keine hat mehr Penetration in Herzen (nicht im Herzen, in Herze mein ich); es kann alſo keine andere ſein: und eine gewiſſe Ähnlichkeit haben wir, die noch über Alle erheben muß. Es iſt nicht Stolz. Brinckmann, man iſt nicht ſtolz mit Thränen in den Augen. Prof. Herz meint, das Moos könne ſehr ſchädlich ſein. Wie in Acht müſſen Sie ſich neh - men! Waſſerfenchel, meint Herz, ſollen Sie brauchen. Schik - ken Sie die Relation; aber daß Sie ſie nur nicht ſchrei - ben!!! Auch beim Diktiren, Nachrichtgeben, und beſonders Erzählen vom alten Zuſtand in Paris, echauffiren Sie ſich nicht! Schicken Sie die Relation ſobald als möglich zu mei - nem Bruder; die Kaufleute ſchicken jetzt oft Eſtafetten, da kann ſie mit gehen; wonicht, ſo legt er ſie auf die Poſt. Je ehr ſie hier iſt, je ehr haben Sie Verhaltungsbefehl. Sehen Sie ihn als einen ſolchen an. Vom Rezept meint Herz, es ſei äußerſt, äußerſt gleichgültig. Wie hat mich dies ſchon be - ruhigt. Wie lange gedenken Sie denn noch in Hamburg zu bleiben? Wiſſen Sie, daß ich jetzt ſehr liirt mit der Gräfin Schlabrendorf bin, Graf Kalckreuths Schweſter? Sie iſt aber ſeit einem Monat bei ihrem Bruder zu Siegersdorf. Sie ken - nen ſie. Alſo nichts mehr. Ein Öl der Seele fehlt ihr: die derben Eigenſchaften hat ſie beinah alle; und eine außer -200 ordentliche, man darf das heißt was anders, als man kann ihr alles ſagen. Man kann ihr alles erklä - ren. Errathen Errathen ! iſt freilich nur mein Glück. Doch geht’s gut. Wiſſen Sie, wer jetzt noch meine Bekannt - ſchaft gemacht hat? Prinz Louis. Den find ich gründlich lie - benswürdig. Er hat mich gefragt, ob er mich öfter beſuchen dürfe, und ich nahm ihm das Verſprechen ab. Solche Be - kanntſchaft ſoll er noch nicht genoſſen haben. Ordentliche Dachſtuben-Wahrheit wird er hören. Bis jetzt kannt er nur Mariane, aber die iſt getauft, und Prinzeß, und Frau von Eibenberg; was will das ſagen?! Noch kenn ich einen Mann, der mir ſehr gefällt, einen Kouſin von Chriſtian, er iſt bei un - ſerm auswärtigen Departement, und reiſt zu Chriſtian, Sie werden ihn alſo ſehen. Sprechen Sie von mir und grüßen ihn recht freundlich. Gehen Sie auch zu Mad. Brun, geb. Münter, danken Sie ihr, nämlich ſagen Sie ihr, ich hätt es nicht für möglich gehalten, daß ſie noch meiner gedenkt, und freute mich ſtalz wie ein Kind, daß ſie mich durch Mlle. Ja - cobi hat grüßen laſſen. Ich war ihr ſehr gut: ſo verſchieden wir ſein mögen ſie hat einen ſtillen Hinterhalt in der Seele, der immer mein Freund iſt, wenn’s der Menſch auch nicht weiß. Vielleicht ſchreib ich ihr; ſie war immer zutraulich zu mir: und komm ich nach Kopenhagen wie alles möglich iſt ſo iſt ſie meine Freundin, und ich geh und wende mich gleich an ſie. Liberal iſt ſie ſo! Mein neuer Bernſtorff iſt nicht wie wir; Sie werden ſchon ſehen. Aber ich lieb ihn. Nicht zu ſein, wie wir, und doch zu ſein wie er, iſt an - betungswürdig. Sprechen Sie ihm von mir: ich will gern,201 er ſoll mehr Gutes von mir wiſſen, als er weiß. Ich hab Ihnen von dieſen weltlichen Dingen geſchrieben; um Ihnen davon zu ſchreiben, und uns au courant des Lebens zu ſetzen; das geht ſeinen Gang fort; wir mögen in uns hegen, was wir wollen. Apropos, Jean Paul iſt hier. Noch hab ich ihn nicht geſehen. Ich will ihn ſehen; aber ich muß ihn nicht ſehen. Einen nur mußt ich ſehen. Ich muß mir den Richter immer ſchmutzig denken! weil er keinen Geſchmack hat. Denken Sie nur nicht, daß ich ihn nicht liebe. Au contraire, dieſen Winter lacht und weint ich nur mit ihm. Adieu! und wär’s wohl möglich, daß ich mit meiner, grad meiner Laune den Richter nicht goutirte? Adieu. Leben Sie recht wohl!

Alles grüßt. Nun iſt’s als hätte man einen Pfropf her - ausgezogen, und die Liebe kommt ſtromweiſe.

An Guſtav von Brinckmann, in Hamburg.

Beſter Freund, ich fange indeß hierauf an zu ſchreiben, weil ich noch kein Papier habe. Dieſes Blättchen von Herz hat er hier bei mir geſchrieben; was er mir ſagen wollte, ward während des Sagens zu weitläufig, und da ergriff er dieſe Manier. Wa er keine Vorurtheile hat, iſt er ordentlich göttlich, und liebenswürdig - vernünftig und gelaſſen. Folgen Sie ihm ja diesmal. Zufrieden, Lieber? Eine Laſt iſt mir vom Herzen aber zufrieden? ſo iſt man, ich fühle gleich wieder eine neue. Schreiben Sie nur nicht, lie -202 ber Engel! Jedes Wort, was ich ſehe, koſtet mich einen ſchweren Odemzug. Gute Küche . Wenn ſie nur für Sie gut iſt; ach wie vielerlei Sorgen hab ich! Sie ſtrengen ſich doch an, gute Pflege wie dankbar, wie beredt ſind Sie nicht gewiß dafür! Es bleibt doch immer ein fremdes Haus. Nur bei mir dürften Sie keine Emotions haben. Ich wüßte ſchon alles zu machen. Sie kennen mich wahrhaftig noch nicht; praktiſch. Was iſt zu thun leiden, wie immer. Muß Sie denn Ihr König zu einer beſtimmten Zeit ſprechen? Könn - ten Sie nicht fordern, ſich hier bei einem berühmten Arzte und Freund kuriren zu wollen, und dann die Rede ſtehen und jeden Auftrag fördern? Ach Brinckmann! ich fürchte Ihre Leidenſchaft in dieſen Zeiten, wo man weder Geliebten noch König, Vaterland oder Republick treu iſt, es innerlich religiös ſein zu wollen, opfern Sie alles ſich und uns, auf. Leben Sie, oder ſterben Sie! Handlen Sie nach Ihrem Innerſten: daher kommt nur Glück. Aber wiſſen Sie, daß es mir nicht entgeht: Verbiete du dem Seidenwurm zu ſpinnen. Taſſo.

An Guſtav von Brinckmann, in Hamburg.

Lieber Brinckmann! denken Sie ſich meinen Verdruß, wie ich das Formular vom Gebrauch des Guajac gar nicht im Bref finde: künftige Poſt ſollen Sie’s haben. Herz iſt grade heut im Thiergarten. Ich weiß nichts neues zu bitten! Schreiben Sie nicht, will ich nur ſagen; nicht mehr:203 kommen Sie vor Schweden. Wie befinden Sie ſich? ſchwebt mir auf den Lippen, Was hilft mir alles, Sie bleiben Seidenwurm, ich auch ein Wurm. So ſind wir Alle Würmer. Glücklich ſind die, die da ſpinnen. Spinnen thu ich redlich; und was das rühmlichſte, das köſtlichſte, das glück - lichſte iſt, noch an dem erſten ſelben Faden. Das ſind die Erwählten, die ſo wurmartig ſind. Sonntag war Jean Paul bei mir: ich war launig ich hatte grad acht ſehr lau - nige Tage, voller kurioſer Ausdrücke und Bonmots nicht er. Das war gut. Er hat überaus etwas Beruhigendes an ſich. Vor dem könnt ich mich gar nicht ſchämen. Nie hat ein Menſch ſo ganz anders ausgeſehen, als ich ihn mir denken mußte. Keine Ahndung vom Komiſchen. Er ſieht ſcharfſinnig. und die Stirn von Gedanken wie von Kuglen zerſchoſſen aus. Er ſpricht ſo ernſt, ſanft, und gelaſſen, und geordnet, hört ſo gern ſüß möcht ich ſagen und väterlich zu daß ich nie geglaubt hätte, es ſei Richter. Und blond iſt er! Sie ſind es nicht! möcht ich immer zu ihm ſagen. Das reizt mich nur noch mehr: denn nun iſt er Richter, und hat die neuen rührenden Eigenſchaften noch obenein. Die wenig - ſten Menſchen ſind etwas werth, außer die wenigen, die eben Richters ſind. Er ſagt: Die wenigſten Menſchen haben Geld (Geld!) außer eben dieſe wenigen. Die ſind auch immer noch beſſer, als man ſie ſchon kennt. Er hat mir heute ein kleines, aber Jean-Paul’ſches Billet geſchrieben es iſt auch Brinckmann’ſch, Sie ſollen gleich hören; wir ſag - ten’s Alle es war eine Antwort, ich mußt ihm ſchreiben: denn Fleck wollte Antwort haben, welchen Tag er Wallenſtein204 ſehen will; er hat Fleck noch nicht geſehen, pensez! Ich habe das Glück, die Glorie, für mich, meinen Fleck Rich - tern zu zeigen: in meine Loge geht er. Iffland hat er ge - ſehen; bei einem Haar hätte Deutſchland den für den Erſten geleſen. Das durft ich nicht zugeben. Er wollte ſchon weg - reiſen. Aber er bleibt um Fleck, auf mein Treiben. Ich halte es in der That für wichtig, ſolch einen Mann au fait zu ſetzen. Ich ſchreib Ihnen das Billet zum Amüſement ab; in der Gewißheit, daß ich Ihr Ehrenwort habe, daß Sie es niemanden ſagen und zeigen; alle Menſchen ſind zu plump; und prahlen damit, und prahlen weiter; ich kann nicht leiden, wenn man eine Seele wie Richters denn die lieben wir wie ein ausländiſch Thier behandelt, welches man herum promenirt: Berlin und die Schauſpieler und die zwei Stücke und Ihre gütige Verwendung gefal - len mir ſo ſehr, daß ich Freitags und Montags, und wenn Gott die Schöpfung von Haydn noch Einmal ſchafft ſo gar Dienstags hier bin, Ich dank Ihnen recht innig, daß Sie meine Bitte zu der Ihrigen gemacht haben. Das war ein Freundſchaftsſtück. Adieu! Nicht wahr, man muß nur in Berlin bleiben; hier kommt noch alles her, Bonaparte mit al - len Franzoſen, bin ich überzeugt: Pyramiden und Berge mit, wenn man nur bis darauf zu warten verſteht. Ich geh doch bald weg. Anderwärts müſſen ſie auch etwas haben. Adieu! Wenn Sie kämen!!! und nachher mit dem König ſprächen. Wir hören beide nicht auf zu ſpinnen.

205

An Frau von Boye, in Stralſund.

Vor einer Stunde kam L. noch ganz unerwartet, denn er ſollte ſeiner Ausſage nach, ſchon dieſe Nacht gereiſt ſein. Ich hätte gewünſcht, ihm mehr zu gefallen, und mehr mit ihm zu leben: beides ging nicht. Doch lebten wir nicht deßhalb wenig miteinander, weil ich ihm nicht gefiel, ſondern, ich gefiel ihm nicht, weil wir zu wenig miteinander lebten. Ich erkannt ihn gleich, und unwiderruflich für edel; du hatteſt mir ihn auf eine Art bezeichnet, wie ich zu thun pflege, wenn ich will, daß Zeit geſpart werden, und alles gleich richtig ſein ſoll: er war offen gegen mich, und behandelte mich auch wie einen Edlen. Nichts beſticht, nichts fordert mich mehr auf, nichts gewinnt mich ſchneller, nichts reizt mich ſo. Ich trat ihm mit offnen Armen und Herzen entgegen: ich wollt ihm all meine Zeit, ſeines ganzen Hierſeins, widmen; am meiſten um ihn ſchnell das Beſte von Berlin genießen zu laſſen. Seine Zeit war aber anders beſetzt. Er hatte andere Wünſche; legte ſich Pflichten auf war ſein eigner Lohnlakai ließ ſich Zeit auf alle Art ſtehlen: und ich ſah ihn kaum. Alle Ver - ſprechen ſchienen ihm heilig, außer die mir gegebenen: und ich konnte nie unterſcheiden, ob er ſie mir nicht ganz feſt gege - ben; oder ob er ſie mir nur nachher ſo auslegte. Mir ſchien das Erſte: aber ich glaubte ihm, weil ich nie ſo etwas weiß; und es auch am Ende gleich iſt, ob er nicht feſt verſprach, oder nicht feſt hielt. In beiden Fällen will man nicht zu206 gern: Wer viel erwägt, ſucht Gründe nicht zu wollen. Leſſing. Und das war mir das Wichtigſte. Lieber L.! ich klage Sie nicht an. Es iſt bloß Geſchichte und meine Ent - ſchuldigung. Denn Geſchichte, wie Sie ſie erzählen können und müſſen, würdeſt du mir, Freundin, übel deuten müſſen. Dies Ganze that mir etwas weh: dies will ich nicht mehr leiden, und da wollt ich mich zwingen; und zwang mich. Da ſah es aus, als hätt ich Launen, und als ſei ich hart. Dies benehme du L’n. Im Gegentheil! es weint alles in mir: alles verwundet mich jetzt; und Thränen entquillen auch jetzt den Augen. Ich bleibe nur noch wenige Wochen hier, was ſollte mir eine kurze und innige Bekanntſchaft?! Ich machte die Ausnahme für dich und ihn, und es ging nicht; die Zeit, in der es vorgehen ſollte, ſchenkt er mir nicht einmal. O! Gott ſo tief hat es mich nicht gekränkt: ich ſchob ihn gleich zu den Andern; wo es nicht ging. Am Ende haſt du, oder vielmehr doch ich mich geirrt. Ich glaubte, da er dich liebt, würde ihm mein Umgang der liebſte ſein. So ließeſt du mich ihn erwarten. Er liebt dich: und deine Familie iſt ihm das Liebſte, auch gut! Ich habe noch den Fehler: wenn ich einen Edlen finde, ſo dichte ich ihm gleich alle andern Geiſteseigenſchaften hin zu, die ich habe und liebe; und da irrt man ſich, die Menſchen haben dann ge - wöhnlich grad andere. Sag ihm nur, er ſoll ſtolz ſein, und das lieben, was ihm muß mißfallen haben; das war grade der Pack Liebe und Wohlwollen und gute Meinung, die ſo auf ihn los fiel. Ich gedenke es jetzt nicht viel mehr ſo zu machen: und ein Graf, und ein Menſch mehr Bekanntſchaft,207 bei mir, iſt jetzt für mich gar nichts. Jeder andere Fremde hätte mich auch gar nicht affiziren können. Nur dein L. der ſich mir gleich als edel ankündigte; dem ich einmal wie eine Karpe den Rachen aufſperrt zum Biſſen gute Zeit machen wollte. Dies ſei meine Entſchuldigung! Ich bin noch mehr zu entſchuldigen; der Menſch gefiel mir in ihm, aber doch genug! ich bin ihm gut, ſehr gut; und habe die beſte Meinung von ihm. Es iſt mir ein Troſt, ihn für dich in Stralſund zu wiſſen. Bleibt doch beide nicht dort!

Ich reiſe nun mit der Schlabrendorf. Siehſt du, ich, die nie wollte, habe weichen müſſen. Ich muß alles, was ich kenne, was ich liebe, was mich ärgert und kränkt, reizt und freut, verlaſſen! Um nichts. In keiner Hoffnung. Es iſt eine Art Tod. Das Schmerzliche davon iſt es: das Schreck - liche und Erhabene davon hat es nur nicht. Sterben muß ich: aber todt werd ich nicht ſein. Ich weiß die Sache geht wei - ter. Nun! es giebt geborne Krieger und geborne Gärtner, ich muß zur Schlacht! und als Gemeiner ſtill den Kanonenkuglen entgegen ſtehen. Wem ich gehorche, weiß ich nicht; aber geſchoben werd ich, nicht kommandirt. Alles geht hier auseinander. K’n ſchreib ich nicht mehr und er mir auch nicht. Ich habe wie Poſa verloren. Und möchte doch nicht zu den Menſchen gehören, die nicht ſich auf das Spiel ſetzen. Alle, die ich hier liebte, haben mich mißhandelt. Sie wiſſen’s nicht: ich ſag es nicht; drum geh ich. Glaube nur nicht, daß ich hoffe, dort würd ich würdig empfangen: Gott bewahre! Die Komödie geht von neuem los; lieben muß ich. Nur bei dieſer Truppe durft ich nicht mehr bleiben. In’s208 Unwürdige darf’s doch nicht übergehen? Adieu! Bedauer mich nicht! du wirſt doch nicht klug daraus. Die Vagabunden ha - ben die häuslichſte Seele: das glaub! Wenn ich etwas Be - ſonderes thu, glaub mit dem Pöbel nicht: ich habe mich ver - ändert; ich war lange dazu fähig, es ſei auch noch ſo alltäglich (das Übrige würde mir ſchon ausgelegt werden) oder beſonders. Adieu! Und ſterb ich ſuch alle meine Briefe durch Liſt etwa von allen meinen Freunden und Bekannten zu bekommen (und K’n ſag, ich befehl es ihm als eine Todte und Getödtete nicht juſt von ihm daß er ſie gebe) und ordne ſie mit Brinckmann. Es wird eine Original-Geſchichte und poetiſch. Adieu! Grüß Luiſe. Ich glaube L. liebt ſie. Giebt das bloß Thränen, oder Traue?

Dies, Freundin, bind ich dir als eine Pflicht auf. Ich will es. Das darf man doch von einer Freundin fordern. Leb wohl! Beim Schlimmſten aber beim Tode ſelbſt laſſ uns denken daß wir zu den Edelſten gehörten, und mit offnen Augen lebten. Adieu, liebe Freundin. Verſichre dich doch endlich meiner Liebe! Adieu!

An Frau von Boye, in Stralſund.

Wie kömmſt du darauf, meine liebe Freundin, nicht zu wiſſen, daß ich von deiner Treue und Liebe überzeugt bin?! Jeder Menſch trägt ſein Schickſal in ſich: das ſind Wünſche, nach Dingen, ohne die wir nicht weiter leben können. So, mußteſt du fort; und mich verlaſſen; oder vielmehr aus denAugen209Augen laſſen. Ich habe nie aufgehört auf dich zu rechnen. Wenn ich mich geäußert habe, du verſtehſt mich nicht; ſo meint ich, du könneſt wahrſcheinlich nicht faſſen, daß ich treu bin, und untreu ſein muß; daß ich untreu bin, und treu ſein muß: und daß, wenn du auch das begriffſt, du doch nicht den daraus entſpringenden Handlungen in ihren Modi - ſikationen, von meiner großwelligen! und kleinwelligen Seele getragen, immer leicht folgen kannſt; daher ſagt ich: mißbil - lige und beurtheile mich nicht, wenn ich dir auch verändert ſcheine: ſein werd ich es nur als blaſſe Hülle zwiſchen Brettern.

Heute iſt Donnerstag, ich reiſe Mittwoch; das ganze Herz im tiefſten Grunde, voll Liebe für alles was ich liebte: was beſchloſſen iſt, iſt nicht wieder anzuſetzen, wie ein abge - hauener Kopf mein Schmerz iſt daher nicht mehr von Spit - zen, ſondern drückend, und dumpf; und in der Bruſt iſt mir wie ein gedämpftes Trommeln wie ich aber, während S[c]e - nen und die Nacht im Bette, einſah und beſchloß, daß ich gehen mußte; o! da war ich außer mir! und jeder Schmerz, und jede Beleidigung, und jede Kränkung, und alle verfloſſe - nen Jahre tobten losgelaſſen in mir. Ich habe etwas Schreck - liches erlebt; eben weil es mich nicht umbrachte. Daß man die Unſchuld und ihr Bewußtſein nicht zuſammen haben kann!! Das iſt das Unheilige in der Welt ich nenne Unſchuld, wenn man das rechte Unglück nicht kennt: dieſe Bekanntſchaft infamirt: ich laſſ es mir nicht ausreden! Man iſt kein reines Geſchöpf der Natur mehr, kein Geſchwiſter der ſtillen Gegen - ſtände mehr; wenn man einmal aus Schmerz, Erniedrigung,I. 14210zuſammengeängſtet, in Verzweiflung gern ſeine Exiſtenz gegeben hätte, um nicht ſchmerzfähig zu ſein: wenn man al - les, die ganze Natur, für grauſam gehalten hat. Nun hab ich zwei Anſichten der Welt wehe! und die mir am natürlichſten iſt, die natürliche, iſt eine künſtliche geworden! Wehe! wehe! O! verſtehſt du das?! Wie viel Frauen kön - nen wohl dadurch unglücklich werden? und die dummen Dir - nen ſprechen alle. Dabei, ſteh ich der Welt man ſagt ſonſt umgekehrt, die Welt mir noch offen: die ganze Skala ſteht da; und läßt ſich reiner angeben, vielfältiger, williger, als bei irgend einem Geſchöpf, das ich kenne.

Grüße L.! ſag ihm, ich erbete auch Glück für ihn: er irre ſich: beurtheilen könne er mich durch Studiren nicht. Ich könne noch glücklich ſein.

Ich verliere dieſen Winter an Berlin den ſchönſten Auf - enthalt in der mir bekannten Welt. Humboldts, Burgsdorf, du und noch ein Freund und Jean Paul Friedrich Richter kommen nach Berlin, um zu wohnen. Zeig Richtern, aber nur er wiſſe das, meinen vorigen und dieſen Brief. Er hat gewünſcht, Briefe von mir zu ſehen. Zeig ihm auch luſtige. Er ſoll mich mehr kennen, ich wünſche es, weil es mir wohl - thut und ſchmeichelt: und weil er mich kennen ſoll; ſo et - was iſt ihm noch nicht vorgekommen; er mußt es ſich aus - denken. Ich zeig ihm das, wie ein Spektakel, wie die Mar - chetti. (Wenn er denkt, ich präparire und affektire, ſo irrt er plump.) Ich hätte es gern gleich gethan, aber es iſt ſchwerer, als ein Komödienbillet nehmen; und auch jetzt ſieht er nur eine Dekoration. Nichts von Luſtſpielen, Balleten, und den211 vielen Etcetera. Sag ihm, er ſoll nach dem Tadel von mir nicht hören, und beſonders nicht nach dem Lob meiner Freunde; die faſſen ſchlecht. Meine Geſchwiſter könne er anhören; da würd er finden, wie unbeſiegbar brav ich bin, und ce que les Français appellent égale. Das kontraſtirt mit meinen andern Eigenſchaften, und es weiß es kein Fremder. Bei Hans kannſt du ihn kennen lernen das heißt du mußt. Er iſt gütig, und ganz für uns. Du kannſt auch gradezu ihn bitten laſ - ſen, oder bei ihm vorfahren. Ich bin ſo liirt mit ihm, daß dich dieſer Brief ganz legitimirt.

An Roſe, in Berlin.

Deinen Brief hab ich erhalten: und bin ſehr froh, daß du froh biſt! Alſo du haſt Glück. (Hätteſt du all dies, welches mir fehlt; wie ungeheuer!) Freilich Glück. Und wenn es dir auch nur geſchienen hätte, als könnteſt du einen fro - hen Schritt in’s Leben thun, ſo iſt auch dies ſeltener Gewinn, und wenn du ihn zu faſſen verſtehſt, wie jeder Genuß, nicht wieder zu verlieren. Um wie viel glücklicher aber biſt du, Roſe, wenn es dir möglich wird, im Leben einen Mann zu beglücken wie du glaubſt die Zauberkraft von den Göttern verliehen zu haben, beinah jeden Schmerz durch Berührung! von einem Weſen, was leiden kann, zu verſcheu - chen. So iſt’s wenn man von einem Manne, der einer iſt, geliebt wird, und ihm mit treuer Seele gerne dient alles14 *212für ihn thun kann was er wünſcht, ohne Zwang und mit Belohnung. Ein hohes Glück; und doch noch nicht das größte; wie viel Glück giebt’s! Wenn man nun ſelbſt liebt. Das faſſ ich kaum; und darum giebt’s dies auch nicht. Ich gratulire dir! Ich ſchreibe nicht gerne; du ſiehſt es wohl: ich werde ſehr traurig: denn ich bin’s. Und in Paris hab ich dies bis zu einem Grade der Gewißheit erfahren, die kei - nen Zuſatz erlaubt, und bedarf. Darum ſchreib ich auch nicht. Sag das den Geſchwiſtern, Hans, und Vetter. Es iſt keine von den Traurigkeiten, die wieder vergeht; die wie ein durch Wolken gebrochener Schein eine Gegend angenehm-melan - choliſch verdunkelt und erhellt. Nein, die Gegend ſelbſt iſt zerſtört, und meine ewige himmliſche Laune kann nur Son - nenblicke darauf werfen. Sie bleibt die Traurigkeit, die Ein - ſicht, der Ernſt; es iſt vorbei. Hier war es lange dunkel, und kein Sturm, ich hab es geſehen. Auch wußt ich es vor - her. Die Reiſe nach Paris war nur der letzte Pulsſchlag ei - nes friſchen Herzens; nun bin ich hier, nun iſt es aus. Ich bin äußerlich wie ich war, beinah eben ſo angenehm, wie du mich kennſt, und werd auch beinah eben ſo bleiben. Die - ſer Brief iſt eine Art Geſchäftsbrief, wie du ſehen wirſt. So wie ich jetzt lebe, bin ich und vorzüglich für den Winter (wozu Detail) mit tauſend Unbequemlichkeiten, und für meine Revenüen viel zu theuer, und ſind Humboldts weg, viel zu wüſt und unintereſſant hier ziemlich ſchlecht. Es iſt mir alſo lieb, und ſehr lieb, wenn du früher nach Amſterdam rei - ſeſt. Im März oder April reiſen Humboldts, dann will ich einen Mann zur Geſellſchaft ſuchen, um nach Amſterdam zu213 kommen, und mit Mama zu Hauſe reiſen. Sag ihr das. Hier bin ich viel zu arm mit meinem Geld wenn ich nicht bis zum Sommer eine ganz andere Einrichtung finde: welches ich gar nicht glaube. (Denn mir geht es einmal nicht gut: und die infamſte Eingeſchränk[t]heit erleb ich noch oben - ein.) Bitte Mama, ſie möchte mir wo möglich mit einem Pariſer Kaufmann einen Muff ſchicken; es wird hier ſehr kalt, ich habe keinen, und ſie ſind hier ſehr theuer. Von Pelz ſoll er ſein, warm, das iſt alles. Schickte ſie doch den Brüdern auch immer etwas. Schreib mir präciſe Antwort wegen deiner und nun auch meiner Reiſe. Über die Nie - derlande reiſ ich unter keiner Bedingung nach Hauſe: ich müßte denn mit Humboldts zu gleicher Zeit über Frankfurt gehen. Meine Reiſe war das Schrecklichſte und Wunderbarſte mit, welches ich je ausſtand: denn es iſt wieder nicht zum Nacherzählen, weil es niemand glaubt. Die Wege und noch jemand waren ſchrecklich geworden: jeder Menſch kann mir dies bezeugen. Aber in der Ausübung! Aber wel - chen Karakter zeigte ich, und welche Erfahrung: bis 60 deutſche Meilen von Berlin antwortete ich gar nicht. Dies in Amſterdam mündlich. Von Paris auch nichts: ihr ſollt ſchon alles erfahren. Der Ort iſt ungeheuer; unter jedem Geſichtspunkt, und für mich, die übrige polizirte Welt kon - zentrirt. Eben ſo modern, angefüllt mit allen geweſenen Zeitaltern, die es zerbrochen und ſchwankend, zum allgemeinen Zergehen wenn nicht Zerplatzen , in ſich hält. Es läßt ſich nichts Einzelnes mehr darüber ſagen. Wie über die Welt ſelbſt; das Wiederſprechendſte. was Leute die zu Hauſe214 kommen etwa darüber ſagen können, iſt alles wahr. Den Zuſammenhang könnte nur ein großer Mann finden, der der Welt ihr Schickſal vorzurechnen vermag. Was ich weiß, ſollt ihr mündlich hören; es kann nichts Großes, nichts Gan - zes ſein: aber es wird nichts Altes und Gewöhnliches ſein. Das Theater tröſtet mich noch weniger, als ich glaubte. Adieu. Hanne iſt mein ganzes Leben, und komm ich wieder, beſtimmt ſie mich.

An Roſe, in Berlin.

Erſt vorgeſtern, Roſe, bekam ich deinen Brief vom 16. Ok - tober aus Leipzig. O! ſchreibt doch durch keine Freunde; die Poſt, bei allen ihren Fehlern, iſt für Briefe der beſte. Keinen Muff hab ich nicht gehört noch geſehn, auch ſchreibſt du mir nicht, wo er wohl zu langen wäre.

Du haſt gute Opinion von meiner Laune: ſie iſt jetzt nicht zu Hauſe, wenn ſie wiederkömmt, wird ſie dir einmal danken. Du weißt gar nicht wie glücklich du biſt, daß du glücklich biſt. Könnt ich’s dich mit meiner Unglücks-Seele koſten laſſen! Aber genießt irgend ein Weſen die Unſchuld? wird man der Jugend gewahr? gedeihet viel Liebe auf Er - den? Und beſteht nicht das Glück aus den drei Dingen? Doch haſt du noch Bewußtſein genug. Genieße: freue dich. Reiße an dich, was du kannſt; empfinde den Beſitz. Dies kann dich ſogar gegen Verluſt jeder Art ſtählen. Und ſag mir oft, ſobald es dir nur gemüthlich und thunlich iſt, daß215 dir wohl iſt. Ich werde gewiß nach Amſterdam kommen, es ſind fünf oder ſechs Tagereiſen von Paris. Die Pläne, die man alſo darauf zu machen hat, müſſen tief im Gewölbe der Bruſt bleiben, und nur wirken, und geſchehen, zu - gleich.

Du haſt Recht, Roſe, daß du mit dem meiſten Ein - kauf bis Amſterdam warten willſt; es iſt da alles zu haben; und es wird dir in jeder Rückſicht leichter, dir dort zu ver - ſchaffen was du magſt. Trakaſſire alſo Mama’n gar nicht; erſpare ihr jeden Ärger; und laß ſie bei der Meinung, wenn ſie etwa wenig giebt, es ſei viel. Stell dich ſo an, damit ſie’s nicht einmal merkt. Es kann dir doch, da du glück - lich biſt, auf ſolche Kleinigkeit nicht ankommen?! und bei Mama’n iſt es die erſte Sache, die ihr rein gelingt, das weißt du ſelbſt; verbittre ſie ihr alſo nicht. Laß dir ſogar in Am - ſterdam nicht alles machen, denn ich will die neuſten Moden von Paris mit dorthin bringen, und das wird weit ſchöner ſein. Wenn du mir nur ein bischen Geld dazu ſchicken kannſt, welches dir doch leicht ſein muß: denn jetzt biſt du viel reicher als ich. Erkundige dich dann auch genau, was in Holland Kontrebande iſt oder nicht. Hab die Güte für mich, und bitte die Bernard, ſie möchte mir einen Brief an Mad. Genlis ſchicken, den ich ſelbſt abgeben muß: ich will ſo gerne hinge - hen! und der dumme Lombard führt mich von Einem Tag zum andern herum. Ich muß hin! Sag ihr das. Ich thue ihr ſonſt nie wieder etwas zu Gefallen. Und ſo bald als möglich.

216

An Roſe, in Berlin.

Ihr ſeid doch Alle von Natur ſo ſchlecht, als ich’s mir vornehmen muß, wenn ich’s ſein will. Vorzüglich du, Roſe! Welche Stimmung, welcher Zuſtand, welche Beſchäftigung kann dich abhalten, mir zu ſchreiben. Ich kenne ſie alle; Zeit haſt du genug. Du ſollſt mir ja keine unterhaltende Briefe ſchreiben, wozu eine gewiſſe Luſt und Stimmung gehört: aber eine Antwort auf zwei dringende Briefe, wovon einer nach Leipzig an dich war, und der andere ſpäter an Mama nach Berlin; von welchen beiden ich ihre richtige Ankunft hin - länglich weiß, durch einen Brief von dir durch Geheimrath Ephraim. (der wohl an fünf Wochen ging) und einen zwei - zeiligen von Markus hierher, worin er mich bedeutet, künfti - gen Poſttag würden mir Alle ſchreiben. Und ſo ſoll ich noch zur Stunde etwas ſehen: weder einen Brief noch eine Antwort auf irgend eine dringende Frage. Denn mir ſind ſie dringend, die Fragen, die ich machte. Wie oft! hab ich nicht das betrieben, was euch dringend war!? Und was denkt ſich Mama? Sie kann ja dreiſt, ja oder nein antworten. Wenigſtens ſchickt mir nur alles, was ich wiſſen ſoll, grad mit der Poſt. Denn Freundſchafts-Briefe laufen fünf Wochen: ich bezahle lieber zwei, drei Livres.

Heute vor acht Tagen iſt Burgsdorf weggereiſt, der hat einen langen und auch wohl amüſanten Brief für euch; vier - zehn Tage bleibt er auf ſeiner Reiſe, er nimmt den Brief mit nach Ziebingen, und dann ſchickt er ihn euch. Eilf Tage geht217 dieſer, übermorgen geht er ab; alſo könnt ihr berechnen. Treib Markus an, daß der gleich mit S. ſpricht, wenn Burgs - dorfs Brief kömmt, aber eh dieſer Brief da iſt, ſag ihm nichts: denn ſonſt denkt er was er bei S. ausüben ſoll! und es iſt gar nichts. Wie kannſt du ſo ſchlecht ſein, und mir gar nichts von Hanne ſchreiben; ob du ſie oft ſiehſt, und wie das iſt. Hanne verbittert mir recht das Leben. Wenn ich die hier hätte, wollt ich glücklich ſein. Und wie könnte, und würde ſie hier lernen! J! Nun! auf dieſer Erde gelingt mir nichts. Dreimal, mit heute, hat mir von Fanny geträumt, und heute von Hanne und Fanny! Wenn ſie mir nur Fanny nicht in die Schule ſchicken, derweile ich weg bin! Wenn ich die Kin - der hätte, und genug, nur genug, nicht viel Geld, ging ich nie hier weg. Aber das mündlich, was ich beabſichtige, will, und betreiben werde. Tanzt denn Hanne noch? Fran - zöſiſch lernt ſie in Berlin nicht: und andere Dinge auch nicht; das kenne ich beſſer! ich hab auch auf die Manier nichts gelernt. Hält ſie die Schultern noch ſo hoch? Kommt ſie oft zu Mama? Wie iſt’s mit ihrem Zähne-Wechſeln? Sag doch der Mutter, ſie ſoll immerweg den Zahnarzt nachſehen laſſen, der ihr die Zähne auszieht: hier thun das alle Menſchen, was haben ſie aber für Zähne! Trabt die L. noch ſo in der Welt herum? Gott! was könnte ſich nicht ehr verändern! Sieht es jetzt menſchlich bei der Bernard aus? ſie hat doch wenigſtens ordentlich Meuble? Kommt Walter auch zu euch? Weißt du? den hab ich ordentlich, lieb. Ich muß für ihn ſorgen, an ihn denken, und ihn lieb haben. Ja! er iſt ſo empfindlich! außer mir, hab ich noch nie ſolche einen218 empfindlichen Menſchen geſehen. Und glaub mir nur, wenn er wirklich einen Zug zu mir hatte, ſo war es der; wenn er es auch nicht wußte. Werden die Menſchen ſehr alt? wie ſteht’s mit den Haaren, und den Falten: bei mir prosperirt beides; ich werde grauſam häßlich: und von nichts! Ach ja, doch! aber nicht von Ärger oder Motion, körperlicher oder anderer Art, aber von ſonſt, und ganz inwendig.

Was macht und ſpielt Fleck? Seht ihr den großen Phi - loſoph und Dichter? Und was macht der abgedroſchene Schlingel, der polisson Moritz? Sitzt ſeine Weſte und ſein Zeug noch ſo ſchlecht, verliert er noch all ſeine Handſchuh, iſt er luſtig und witzig? ſchreib mir doch einmal etwas von ihm! Und geht unſer Dichter noch in bloßen Füßen und dem Schanzlöper bis zu Mittag, und in den Mittag? wächſt und ſeilt ſich ſein Gedicht? lieſt er? ſpricht Moritz noch ſolch ſchönes Deutſch? und !!! iſt Mama jetzt glücklich, klein und allein zu leben? oder hat ſie Verdruß von der Ecke her? befindet ſie ſich gut? Lebt Muhme Sara noch? und hat ſie Freude an deinem Brautwerden erlebt? Gieb doch! ſo lange du in Berlin biſt, der Blumenfrau etwas; dann komm ich wieder; und ſag ihr das. Denn ſterben thut ſchon einmal kein Armer.

Ich bitte dich, Roſe, thu dein Mögliches, daß, wenn Vandeul aus Polen zurück kömmt, daß man ihn zu ſchickli - chen Gelegenheiten bei Markus bittet (lies dies nur Hans), denn du haſt keine Vorſtellung, wie ſeine Mutter mich be - handelt! Mach ihn wo möglich mit der Boye bekannt: das iſt ein Amüſement. Sag ihr, ſie ſoll mir einen etwas219 umſtändlichen Brief über ſich, Berlin, und all unſre Bekann - ten, und Relationen, und Nebendinge ſchreiben. Von mir, ſprecht keinem, und ich bitte euch, laßt rathen ſagt es nicht ich käme gar nicht wieder. Hört ihr? gar nicht. Gott wie haſſ ich hier alles was ich ſonſt haſſen ſollte. Nun! wenn ihr mich wiederſeht. Ein Blaſebalg aus einer Grob - ſchmidt-Schmiede iſt nichts! gegen mich.

Maimon todt! (es ſteht auch hier ziemlich lahm in der Zeitung) und Selle, hat weg müſſen! et son épouse? Was macht und wo iſt Prinz Louis? das will ich auch wiſ - ſen. Wie gehen die Opern? wie nimmt’s die Marchetti? Nichts ärgert mich mehr, als das Geprahle, was die Zim - merleute und die Deutſchen alles werden in die Blätter nach der Aufführung der Oper ihres deutſchen Freundes wer - den ſetzen laſſen; und hinter dem dichtriſchen Righini ſeiner ſteht beinah immer nichts. Moritz, brauch doch meine Per - rücke zur Redoute. Adieu!

Rahel.

Bunim, die Schulzen, die kleine Köchin und beſonders Achard zu grüßen.

An Frau von Boye, in Berlin.

Was geſchieht dem Thätigen, Hülfreichen? Ein kleiner Dank, und neue Laſt; neue Aufträge. Unſere Gemüthsart iſt der Kannevaß zu unſerm ganzen Leben: deines muß alſo ein Dienen, ein Beſorgen ſein und bleiben, und ein bischen Verwirren nebenher. Aber, liebe Freundin, bei mir 220 biſt du die Einzige, der man dies ganz verzeihen kann. Sei nicht böſe, und höre! Du erblickſt weder Ohrringe noch Halsband! Erſtlich iſt nichts Neues in der Art Mode, als das Alte, wenn es nicht ſolche Leute ſind, denen man gar nichts nachmachen kann, und die das Elendeſte tragen, was wir ſchon getragen haben; ſo tragen ſie lauter brillantene Reifen in den Ohren, die wir auch ſchon lange kennen, die aber wirklich immer hübſch bleiben werden. Zweitens haſt du mir keinen Preis beſtimmt, und nur wohlfeil geſagt, wohlfeil iſt relativ. Drittens kann man dergleichen nicht in einem Brief ſchicken. Moden und alle Nachrichten, mein Närrchen, bekömmſt du, ehe du dieſen Brief zu Geſichte bekömmſt. Ich bilde mir nicht wenig darauf ein, dich ohne Sporn ſo thätig beſorgt zu haben; und dein großes Gemüth beruhigt zu ha - ben. Glaub aber nur ohne Spaß, daß ich ſelbſt eine Mode - biene bin; und keine Ruhe habe, bis ich euch gehörig koſtu - mirt weiß. Vielleicht hab ich zu mandiren vergeſſen, daß man zu den wattirten Spencern wattirte Röcke von eben dem Zeuge trägt (nur Taffent), und wenig Überröcke. Man trägt ſehr viel ſchwarzen Krepp auf dem Kopf, und auch ſchwarze Krepp-Roben, die Schleppe kann aber in der That nicht an - ders als ungeheuer lang ſein, es iſt ſonſt wirklich wie eine alte Robe. Um den Krepp auf dem Kopf macht man weiße Perlchen oder ſchwarzen Schmelz. Zu Krepp-Roben weiße Schuh ohne Spitzen, zu ſchwarzen Taffent-Roben ſchwarze Strümpfe und Schuh, zu braunen braune. Die Hemdchen, wie wir ſie auch haben, über den Roben, und mit einem förmlichen Hemdeknopf oder Handknopf, wie die Männer221 trugen jede Mama hat ſolche oben am Halſe durch zwei Knopflöcher zu. Die Schärpen etwas breiter. Alles was weiße Seide iſt, muß ſehr geblaut ſein, ſonſt iſt es gar nicht frais; ſowohl weißer Taffent zu Unter - und Oberklei - der, als Taffent - und Atlasband. Es ſieht auch gut zu Ro - bengarnirung und Unterkleidern aus, der Muſſelin wird weiß davon, und es iſt frais. Nun weiß ich aber auch nichts mehr! als dir Aufträge zu geben. (Theile alle Moden Hans gleich mit.) Tauſend, tauſend Dank, daß du dir Soſt - manns Briefe aushändigen läßt; lies ſie, ſiegle ſie ein, mache meine Aufſchrift drauf, und gieb ſie meiner Mutter. Du wirſt aus dieſen Briefen ſehen, daß ich in keinem Verhältniß mit ihm war. Es iſt mir bürgend für meine Bildung, daß ich vor ſeinem Tode eben ſo als jetzt Friede mit ihm! dachte. Er wollte mich ſprechen, und machte dazu bei der Bernard von weitem Manöver, eh er wegreiſte; das konnte ich freilich nicht: aber weil ich ihn krank und unruhig wußte, ließ ich ihm die Hoffnung dazu nach ſeiner Reiſe nicht benehmen; damit ihm das Bad anſchlagen könne in völliger Ruhe. Das ſagt ich der Bernard alles dazu. Verſöhnter als im Leben bin ich aber auch nicht; ein verwirrter harter Mann war er; ob er’s jetzt gleich nicht mehr iſt. Eins begreife ich nicht, wie man gegen Todte ungroßmüthig ſein kann, wie die Alten Barbaren , die ſie als Leichname herumſchleppten u. dgl. Der Tod iſt uns Allen ſo gemein und iſt eine ſolche harte Pauſe! daß er uns mit Gewalt, die ganze Menſchheit vor die Augen rückt; und wie kann man dann noch, kleine Rache oder irgend etwas Kleines wollen! (Auch dieſen Artikel ſoll222 Hans und Roſe ganz ſehen.) Einliegenden Brief an Burgs - dorf lieſt du Richtern, ſiegelſt ihn gleich zu, und ſchickſt ihn gleich ab, es liegt Burgsdorf und mir ſehr viel daran. Du ſprichſt nie! von dem Brief, und ſagſt Richtern daſſelbe. Ich laſſ ihn ihm leſen, weil ich ihn grad ſchrieb, als ſeiner kam, und ich leicht von mir nichts Beſſers ſagen könnte: wenigſtens in der Geſchwindigkeit, und unter Kinderlärm, Nähterin, Vi - ſiten, Geldbezahlen, und ſo etwas, geſchrieben, daß der ganze Brief beinah eine Ellipſe iſt; ſo möcht er das nur nicht kraß nehmen, was ich von Geheimrath Meyers Vorurtheilen ſchrieb; ſondern ich meine nur, daß die Judenmeinung überhaupt den Tinten der andern Meinungen Schatten und Farben liehe, und plumpe Lügen über mich glaubhaft anſtriche: und mehr dergleichen Lücken in meinem Briefe. Adieu. Grüße deinen Mann und deine Mutter recht ſehr von mir; aber ſprich nicht von mir! Übermorgen ſchreib ich nach Hauſe. Humboldts grüßen dich: ſie beſonders, weil du ihre Augen ſonſt lobteſt. Grüß Brinckmann.

An Roſe, in Berlin.

Es iſt beinah 7 Abends, ich bin ganz allein, (eine Strümpfe ſtopfende Line rechne ich nicht.) Es regnet. Meine Seele läßt ſich heute vielleicht was ſag ich vielleicht, gewiß weniger beſchreiben als je. Das ſei aber geſagt! daß ich heute gegen wie ſoll ich es nennen? alles was mir begegnet iſt, eine Unverſöhnlichkeit hege, die, wenn ſie nicht auf dem223 höchſten Grade iſt, doch nie auf einem höheren Grade war! Ich ſehe ordentlich hübſch davon aus! Nach meinem Sinn. Etwas Zuſammengenommenes, lieb-Gewiſſes in meinem Ge - ſicht, was ich mir gar nicht kenne; ſo gewiß iſt es, daß Ein - heit und Energie hübſch macht. Ich bin dabei ruhig: und habe in meiner Tiefe eine Art Amüſement, welches ſonſt nur ein äußeres Spektakel verſchafft; und ich möchte ſagen, alle Stimmungen zugleich. Mehr läßt ſich aber gar nicht ſagen: denn welches ruhiges Gedränge! alle Empfindun - gen meines vorigen Lebens und kennen wir mehr von un - ſerm ganzen Sein? gehen wie Banco’s Geſchlecht vorüber. Doch das noch! das Ganze giebt mir eine Helden ſtimmung und Muthwillen. Ich wollte, heute käme es dem Menſchen - geſchlecht auf eine Wahrheit an ich glaubte dem Tod ſelbſt nicht und ſagte ſie ihm. Dabei kann ich wenig antworten, und bin bis zur Rührung traurig. Ich las deinen Brief noch Einmal, und will dir, mir nichts dir nichts comme si de rien n’était iſt beſſer antworten, Erſtlich muß ich einen Irrthum löſen. Wenn ich ſchrieb, quäle Mama nicht mit der Ausſteuer, und was ich noch alles Mildrendes und Ausführliches hinzuſetzte, ſo meint ich nur, und konnte nur meinen, daß du diejenigen Dispüte und Verdrüſſe vermeiden möchteſt, die ohne eine ſtarke raison, die noch eine ſtärkere zur Unterlage hat, beinah, oder gar nicht, mit Mamaen, bei ſolchen Expeditionen, zu vermei - den ſind: und die ich auch nicht würde haben vermeiden kön - nen. Ich hielt dich weder für jünger, noch für eitler, noch für ungroßmüthiger, als du biſt. Nur wollte ich Mamaen224 auf wenige von deinen Unkoſten, als ein bischen übertriebene Vorſicht, Reſignation u. dgl., eine Freude unvermiſcht erhal - ten, deren Reinheit dir leichter unbefleckt ſcheinen kann, wegen mehr Unbekanntſchaft mit ihrem vorigen Leben, als mir zu haben erlaubt, und möglich iſt; und weil ich ein - mal den Einfall hatte; und nicht ganz gewiß war, du möchteſt ihn auch haben. Hiervon ſo viel; weil es ſchien, ich kenne dich nicht, und ich thue dir Unrecht. Deine Geſund - heit iſt das Erſte, was reparirt werden muß: aber erſt in Amſterdam. Es ſcheint mir wichtig: weil meine ganze Krank - heit eben ſo aus Geſundheit anfing. Ich möchte euch gerne Alle von meinen Üblen retten! Angſt und rege Zweifel heben Menſchen wie wir, die nicht leichtſinnig ſind, bei allen eigentlichen Unternehmungen: ſieh alſo dem bischen Beklem - mung wie einem alten Feind in die Augen; und ſie weicht wie ein ſolcher, oder ängſtigt dich wenigſtens nur wie ein körperliches Übel, und mehr nicht. Die Titel der Dinge ſind das Fürchterlichſte! wer ſagt dir, daß du heiratheſt? die dummen Leute meinen es. Je mehr dir Karl gefällt, je mehr er dich liebt, je weniger iſt es wahr. (Karl?!) Auch gehſt du nicht von uns denn geht man nicht immer von einem Ort zum andern? weil es gar nicht ausgemacht iſt, wie lange du bleibſt. Denn nichts iſt ausgemacht. Mein An - blick wird dich ſtärken. Und wiſſe nur Eins! Es giebt nach dem Unglück noch etwas. (Das iſt der ärgſte Fall.) Das kann man aber vorher nicht wiſſen. Könnt ich dir doch ein Gefühl, eine Gabe mittheilen! Wollteſt du heirathen? Karl? hatteſt du Gründe dazu? Nun! dieſe Gründe daurenewig;225ewig; wenn auch der Augenblick vorüber iſt. Daß aber dieſe Gründe und der Augenblick nicht zuſammen dauren: macht die ganze Menſchlich - und Endlichkeit aus. Willſt du kein Menſch ſein? Recht. Bring dich um. Bei mir iſt’s um - gekehrt; was recht endlich, und recht menſchlich iſt, beruhigt mich; und ganz. Sprich viel mit mir; dies und meine Ant - worten werden dir wohlthun, und dich löſen. Es iſt ſüß, und voll Troſt, in der öden Welt, zu einem Gemüthe reden zu dürfen, welches jeden Schmerz kennt; und mit einer Zunge vernehmlich antwortet, eine Art Beſcheid , daß man nicht allein herum irrt, und nicht unerhörte! Leiden (ganz neue) zu beſtehen hat. Dieſen Troſt, und keinen an - dern! können ſich die Menſchen gewähren, wenn ſie Freunde ſein wollen. Ich möcht ihn dir gerne ſchaffen, weil ich ihn nicht hatte. Ich danke dir für alle freundliche Äußerungen und alles Lob, das du mir ertheilſt, es freut mich! Grüß Friedel. Ich möchte dem geſunden Menſchen hier manches zeigen. Er denkt, er hat mich vergeſſen: und es iſt gar nicht wahr; er wird einmal ſehen, wenn er mich wiederſieht, wie ich ihm auf’s Herz fallen werde; mich vergißt man nur in meiner Abweſenheit. Doktor Markuſe mache ich tauſend Kom - plimente!!! ich denke oft an ihn. Sein kinderliebendes Ge - müthe ſteht mir auch von weitem vor: und wenn ich wieder - komme, ſoll er einer von den Wenigen ſein. Die gemeinen Bengels will ich aber alle gar nicht gekannt haben. Es thut mir leid, daß in der B. nicht mehr Harmonie für’s Äußere iſt: ſie hat große Eigenſchaften; hätte ſie ſie doch nicht in ordinaire, und flitterſtaat-ähnliche Verhältniſſe geſperrt! fürI. 15226mich, leider! ich lieb ſie aber. Sie iſt brav bis zur Thätig - keit, aber auch alles Übrige bis zur Thätigkeit. Hundert Komplimente an Mama! ich danke ihr auf’s durchdrungenſte für ihren freundlichen Brief! Sag nur! ich wäre ihr erſtes Kind, und würde auch wohl ihr letztes ſein; aber in ein paar Jahren würden die Leute die Mutter nur an meiner Ehrerbietung und Kindliebesäußerungen unterſcheiden können. Den Lotteriezettel haſſ ich aber nach wie vor. Ich habe noch immer die größte Forderung an Fortuna, und zeitlebens laſſ ich ſie nicht los. Adieu! Ludwig ſchreib ich noch. Mo - ritz grüß ich wenn er will.

Adieu. R. L.

Der Menſch als Menſch iſt ſelbſt ein Werk der Kunſt, und ſein ganzes Weſen beſteht darin, daß Bewußtſein und Nicht-Bewußtſein gehörig in ihm wechſeln. Darum liebe ich Goethe ſo! und habe mir erlaubt zu ſagen, der Dichter als Künſtler müſſe alle ſeine Stimmung am Ende brauchen, wie der Bildhauer ſeinen Marmor und gewiſſermaßen ent - heiligt auch der Dichter ſich immer: ſo lange er ſelbſt lei - dend fühlt, wird er nicht Dichter, und er wird ſchlecht Dichter, wenn er leidend fühlt; dies wechſelt bei dem großen Goethe ja in ſolcher Präziſion, daß er ewige Thränen der Bewunderung erregt: und iſt Bewunderung nicht die eigentlichſte Rührung? und das andere nur Mitleid? Warum lieben Sie denn die harmoniſche Ausbildung unſerer Anlagen über alles! und wollen ſie im Gefühl nicht erlauben? warum ſoll der Dichter am Ende nur ſelbſt eine lyriſche Stimmung ſein227 ſollen? in einer Stimmung kann keine Harmonie ſein. Daß dieſer Menſch überhaupt Dichter ſein muß, iſt Zwangs genug: das Übrige muß frei geſchehen, darin übt dieſer Künſtler der Menſchheit überhaupt nach, und dies allein, dieſer Wechſel nur macht ihn zum Dichter! Und in welcher rührenden Voll - kommenheit Goethe! Dies mein refrain für die Ewigkeit. So iſt’s auch mit der Liebe, die auch bei weitem nicht ſo na - türlich iſt, als man ſie verſchreit; erſt fühl ich, daß ich lieben kann, dann, will ich lieben, dann, muß ich lieben. Dies konſtituirt eine große Leidenſchaft etwas rein Menſchliches derſelbe Wechſel. Der ſie ſchildern kann, iſt ein Dichter, der ſie fühlt, ein Liebender, der ſie erklärt, ihre Beſtandtheile bis zum möglichſten Bewußtſein auflöſet, ein Philoſoph. Wie oft werden ekelhaft in einem Menſchen und in der Beur - theilung eines Menſchen dieſe drei Dinge verwechſelt.

Sie wundern ſich, daß ich zu Gott beten kann? Geht unſer Nachdenken über uns ſelbſt doch oft ſo weit, daß wir keinen Beweis für unſere Exiſtenz haben, und wir müſſen uns fühlen: heißt das nicht, uns ſelbſt anbeten? Wenn das Be - dürfniß auf’s höchſte geſtiegen iſt, ſo fühlen wir Gott, und dann beten wir! Auch hierin iſt der Wechſel; hier am Ende der Dinge, für uns, ſchmerzhaft und groß, aber immer der - ſelbe: erkennen müſſen wir ihn, wenn auch nicht in jedem Augenblick fühlen. Das iſt kein Menſch, der ſich nicht oft ganz fühlt; das iſt kein denkender Menſch, der nicht dem Wechſel von Bewußtſein und Nicht-Bewußtſein nachſpäht: und das nennt Ihr Schiller den Bruch. Aus dieſem Bruch geht unſer Arbeiten an, unſer Leben, bewußt oder unbewußt,15 *228dieſen aufzulöſen. Ob wir damit zufrieden ſein wollen, wiſſen wir nicht: denn das iſt unſere Gränze, und es geſchieht nur mit halbem Bewußtſein, wenn wir unzufrieden ſind; ſind wir ohne Bewußtſein zufrieden, ſo iſt das religiös; ſind wir’s mit Bewußtſein nach dem Nachdenken, ſo würd ich’s fromm nennen.

An Roſe, in Berlin.

Es iſt mir lieb, daß Lemos glücklich wird. Es iſt doch der Berliner? Ich ſah gar kein Ende für ihn ab. Das ſollte ich aber öfter thun; dann käme manches Ende mehr! Die Mutter ſpricht wohl mehr davon, als daß ſie eigentlich glück - lich iſt. Sag ihr doch ein Wort der Gratulation von mir. Sage auch Mamaen, ich hätte Hans eine Liſte der vorzuneh - menden Reparaturen auf meinem Dachquartier geſchickt, die möchte ſie doch die Gnade haben zu beherzigen. Hans ſelbſt ſage, ich ließe ſie bitten, den Kindern die Haare mit huile antique zu beſtreichen; man thut dies mit einem kleinen Pin - ſel ſehr bequem. Beſonders Hanne ihre; damit ſie ohne ſteif und kraus machendes Waſſer rein werden und bleiben; Fanny ihre ſind noch die ſchönen, feinen, lockigen Erſtlinge. Ich ſchicke ihr bei der erſten Gelegenheit neues Öl: das ſag ich nicht aus Gemeinheit; aber weil ich juſt von Öl ſpreche. Sag ihr auch: ſie würde mich unendlich verbinden! Fanny nicht vor meiner Zurückkunſt in die Schule zu ſchicken. Sie iſt noch ſo lieblich und jung! ich möchte ſie gerne noch ganz kinderich229 und frei wieder ſehen. Von Neuigkeiten ſchreib ich nie etwas; und es ſoll mich auch niemand danach fragen. Weil ſie alle die Zeitungen enthalten; ich keine weiß, keine wiſſen will, und keine über meine Zunge und Feder kommen ſoll. Wir haben noch immer das ſanfteſte Sommerwetter, und in den Tuilerien kann man gleich gehen, wenn es nur nicht regnet. Denk dir! ich habe keinen Menſchen um in die Thea - ter zu gehen: und es ſind hier alle Tage einige zwanzig. Manchen Tag weiß ich nicht, was in allen zwanzig gegeben wird, als z. B. heute. Zu Hauſe hab ich Menſchen, und keine Stücke, und hier umgekehrt. Ich laß mir aber alles in Geduld, wirklich in Geduld gefallen. Ich werde hier einen Brief an Burgsdorf beilegen, den wirſt du gleich auf die Poſt ſchicken. Wenn ich morgen vom Schreiben nicht zu fatiguirt ſein werde denn zu morgen Abend muß alles zu Lombard ſo ſchreib ich dir auch noch, Ludwig! Dein Brief war wunderhübſch, und hat mich ſehr amüſirt und gefreut: ſpäter oder früher werd ich dir ſuchen eben ſolchen zu ſchreiben. Nette grüß ich ganz erſchrecklich! ſag ihr, ſie ginge mir gar nicht aus den Gedanken, und alles was ich für mich bedächte, bedächte ich immer für ſie mit. Sag ihr: Und die Nacht, ſie muß ſich erhellen. Sagt Goethe. So lange ich lebe, hätte ſie eine Freundin, deren Freundſchaft gewiß nicht mehr allzulange müßig bleiben wird. Kurz, ich denke ernſtlich drauf, ihr das Leben zu erleichtern; ſie möchte mir hierauf nicht ant - worten: es verſteht ſich ganz von ſelbſt: und nur ihrer ver - zweifelten Lage willen wiederhol ich es auch nur hier. Adieu, liebe Kinder.

R. L.

230

Was die Menſchen ſo unnatürlich, und eigentlich recht menſchlich unglücklich macht, iſt, daß man ſich nicht entſchlie - ßen mag, nicht glücklich zu ſein; ſind wir aber einmal bis dahin gehetzt, ſo tritt plötzlich das Alter ein. Unſer Be - ſtreben iſt nicht mehr nach dem Unendlichen, wir theilen das Leben; und nehmen, wie man zu ſagen pflegt, den Augenblick mit. Thränen, Glanz und Wuth haben ein Ende; wir wer - den ſtarr, freundlich, und haben Falten.

Das Alter kommt plötzlich, und nicht nach und nach, wie man denkt; wie jedes Erkenntniß.

In eins, drei, fünf Jahren werden Sie’s bereuen, nicht hier geblieben zu ſein; denn es ordnet ſich alles wieder, und das Vergnügen hat man obenein. Jetzt in Ihrer vernünftigen Apathie des vermeinten Überdruſſes werden Sie freilich nicht das Glück und die Kraft haben, mich und die Reue zu fühlen: und Sie haben alle Zeit, zu glauben ich verſtehe Sie nicht, und klüger hätte man’s nicht machen können. Ich bin ein anderer Geſelle. Sie in meiner Lage, unter den Umſtänden, wie ich ſie ſah, und mit denen ich kämpfte, wären Sie todt geblieben. Ich lebe. Das völligſte Leben, mit Bewußtſein. Als Magd muß mir jedes geweſene Unglück dienen. Ein bischen äußeres Glück, und ich bin die glücklichſte Kreatur. Laſſen Sie ſich von meinem Bruder und von meiner Schwä -231 gerin all meine Briefe zeigen, auch von Roſe, und Sie wer - den meine Geneſung erkennen.

So lange man nicht das Leben liebt, geht noch alles an.

Wie kann das Leben gut ſein, da man wie in einem un - ſichern Schiffe vor den ſchönſten Ufern vorbeifliegt, und nur in Eil und durch Geſchicklichkeit ſich Blumen und Schätze er - reißt, an dürren Klippen aber wider Willen feſtgebannt wird, oder zerſchmettert!

Das würdigſte Glück auf Erden iſt, in mancher Berau - bung immer zu leben: das geſchieht nur ausgezeichneten Men - ſchen, nämlich ſolchen, die das kennen, was göttlich wäre; beſitzen kann es niemand. Unſere Wünſche ſind unſere Seele, der Genuß iſt endlich, und allein das Wirkliche. Und wir ſollten uns und allem, was leben muß, den Wechſel und jede Thorheit nicht geſtatten? Anfangen muß anderes: beſin - nen muß man ſich auch. Eine Thräne zwiſchen einem Genuſſe und dem andern bleibt dem Zarten als Leitfaden und Zeichen des Himmels auf der Erde.

Wie wir ſelbſt ſind, ſchließen wir ja auch nur. Wir müſſen ja Momente zuſammennehmen, und das Paſſendſte als etwas Ganzes anſehn.

232

An Roſe, in Amſterdam.

Geſtern, liebe Roſe, iſt der Hr. von Bielfeld ab von hier nach Amſterdam gereiſt, dem ich ein Billet gegeben, worin ich dir ein wenig aus dem Herzen ſchrieb. Er wird in einigen Wochen ankommen: ſo lange kann ich nicht warten. Laß dir ſagen, mein Kind! daß ich wieder traurig, ganz traurig bin. Und warum nicht! fehlt mir nicht, trotz den ungeheuren Gaben und Geſchenken, jede Spitze des Glücks? Müſſen ſie nicht alle verweſen, die Wünſche im Herzen? Wird mir wohl Einer frei und ſchön; geht je ein geheimer Wunſch und das Glück zuſammen? mißräth mir nicht alles? Hab ich nicht nur etwas, weil ich’s wie eine Art raſender Prieſter mir erreiße; erreiße ich gerne? Habe ich nicht die ruhigſte, ſpielendſte Seele? Habe ich auch nur das Geringſte, wenn ich ruhig bleibe, und ſpielen möchte? Fehlt mir nicht immer der Glanz, und die Spitze der Dinge; ſo daß ich das, was ich habe, ſchätze, und gewiß erkenne, doch nicht genießen nicht genießen, wie man genießet kann! Hilft das Über - täuben mit ſich, das Läugnen und Lügen mit Andern, hilft all mein reicher, freier, ergiebiger Geiſt! Iſt man nicht eben ſo arm ohne des Glücks Hülfe, als ohne Gaben der Natur? kann ich mir wohl ſogar noch rein wünſchen mit Aufge - bung alles andern bei Hanne’n zu ſein? biſt du nicht weg? verlier ich nicht alles; und muß es Glück nennen! O! trag es wer es will! ich bin, und mag ſo groß nicht ſein. Könnt ich wollen, ſo wär ich. (Bartholdy und noch ein233 junger Deutſcher leſen ſachte bei mir, ich ſchreibe und weine.) Es iſt noch härter, vom Glück, als von der Natur verlaſſen zu ſein. Denn ich behaupte, die Andern fühlen’s nicht. Was einem von innen fehlt, kann man nicht fühlen; was iſt der dumpfe Mangel gegen einen lichten, klaren, ſchmerzenden. Ich werde dir meine ganze Reiſe, meinen ganzen Aufenthalt, alles erzählen, und du wirſt mir wieder gar nicht Unrecht geben können. Seit deinem letzten Briefe bin ich ſehr geſchlagen. Fort biſt du! Keine Roſe tritt mehr mit treuem Schritt und Gemüth zu mir, die mich ganz, meine Schmerzen ganz, ganz kennt. Wenn ich krank an Leib oder Seele bin, allein al - lein , du trittſt nicht mehr zu mir, dein Zimmer leer, ganz leer, auf immer leer. Um ein Glück zu probiren. Ach Gott! und probiren kann ich auch nicht einmal. Mir geht’s gut!! Der Garten, in dem wir mal in der Lindenſtraße zuſammen mit Hanne und Feu es war ſehr ſchön! waren, ſoll Roſe heißen; mit Hanne und Hans will ich manch - mal hingehen; weiter ſoll es kein Menſch wiſſen. Hans re - grettirt dich ſehr, und empfindet ſehr gut. Weißt du noch die Nacht, als das vorletzemal Fink wegreiſte? wie du oben ſchla - fen mußteſt, und dann bei mir bleiben; in ſolchen Zuſtand doch nicht durch ſolche Urſach kann ich leicht wieder kom - men; und, liebe Roſe, was mag dir bevorſtehen! doch nein, du heißt Roſe, haſt blaue Augen, und ein ganz ander Leben, als ich mit meinen Sternen, Namen und Augen. Aus iſt’s in der Welt mit mir, ich weiß es, und vermag es nicht zu fühlen, ich trag ein rothes Herz, wie Andere, und hab ein dunkles, troſtloſes, häßliches Schickſal. Aber es heißt234 nicht: nicht Schickſal, nicht Armuth, nicht ſo dergleichen. Aber!

Wie iſt dir? ſchreib mir bald! du haſt weinen müſſen! Vielleicht hab ich dir das Herz beſchwert, aber ich kann nicht dafür. Biſt du glücklich, ſo ſchadet’s dir nicht, und biſt du unglücklich, ſo hilfts. Stell dir vor! ich habe etwas enge Handſchuh, die ich während dem Schreiben ausziehen mußte: nun habe ich bemerkt, daß meine Hände während dem ſo gelb geworden ſind wie die Gelbſucht: ſo! affizir ich mich, ich ging auch hinaus, und brach mich etwas. Kennſt du ſo et - was, außer mich? Sag einmal! wenn ich glücklich wäre? Wie iſt dir? gefällt dir dein Haus, deine Zimmer, ſeine Lage, dein Tiſch. Fühlſt du dich verheirathet? Mama iſt wohl ganz froh. Ich weiß gar nicht, wann ich komme; ich käme ſehr ungern mit der Gräfin, und werde wohl müſſen. Und wie ängſtige ich mich vor Berlin. Da bin ich wieder einge - ſperrt. Dabei freue ich mich auf Berlin; Hanne, die Zimmer und die fürchte ich auch, und wie und denn der Winter, alle Augenblicke der Winter!

Grüße eine millionmal Mama! und ſage ihr, ich gra - tulire ihr gewiß von Herzen! um ſo mehr, da ich ihr nie eine Freude machen konnte Gott wollte es nicht , aber ich in ihrer Stelle würde großes Mitleid mit ſolchem Kinde haben. Doch ſoll ſie nicht traurig über mich ſein! ich erkenne alles was ſie für mich thut, und danke ihr mit der größten Rührung: es iſt um ſo mehr, da ſie nicht ſo denkt, wie ich, und es doch thut. Sag ihr nur, ich hätte das Schickſal der Nationen und der größten Männer vor Augen, die gehen235 auch ſo auf den Wogen der ganzen Welt auf und unter: und mir kämen ſchon von je her alle Menſchen wie Früh - lingsblüthen vor, die der frühe Wind abweht, untereinander wirrt; keine weiß wie ſie fällt; die wenigſten tragen Früchte, die Jahrszeit geht ihren Gang; die Menſchen ſehen es ganz für ihre Rechnung an, und haben meiſt genug zu leben. Sag das alles Mamaen. Gott ſtärke dich. Ich erwarte Briefe von Markus; danach, und nach Wetter und Wegen, richtet ſich meine Reiſe. Hier blühen alle Bäume, und dabei iſt kein wohlthätiges Frühlingswetter wie bei uns. Überhaupt iſt vie - les häßlicher von der Natur, und übrigens. Mündlich. Adieu!

R. L.

Du wirſt ſehen, meine liebe Citoyenne, wann dieſer Brief geſchrieben iſt: er lag zum Abgehen, als ich geſtern, den 15., deinen aus Amſterdam bekam. Er ging alſo nur fünf Tage, und ſehr ſchnell. Du haſt mir ſo wenig geſchrieben: und Mama ſchreibt: du wärſt gewiß glücklich, wenn dir Gott Geſundheit ſchenkt. Iſt das nur façon de parler, oder biſt du unpaß? Du ſchreibſt, du habeſt noch kein Theater geſehen, und Ludwig ſchreibt wieder, er hat eines geſehen. Das reim ich mir alles zuſammen. Du biſt doch nicht unpaß, von der Reiſe, Heirath, Agitation und alles zuſammen? Fang ſo etwas nicht an! Ich muß dir nur ſagen, ich habe keine ge - ſunde Stunde. Ich bin gar nicht krank, geh beſtändig aus: aber auch nicht ein Ahndungsgefühl von Ge - ſundheit. Immer Gliederſchmerzen, Mattigkeit und Schläf - rigkeit. Wie oft! geh ich nicht nach Plaiſirs, bloß weil ich nicht kann, und mich (ich mich) zu fatiguirt fühle; com -236 ment trouvez-vous cela? Ich ſeh ſchon ein, ſo früh, um mit Mamaen zu Hauſe reiſen zu können, kann ich nicht kommen; hélas! aber, glaub mir, ich könnte ein langes hélas ſagen, und es wäre das richtigſte Accompagnement für mein Leben als Text. Die Wege ſind zu ſchlecht, frag alle Men - ſchen, in Amſterdam wird man’s auch wiſſen , und die Tage zu kurz, ich kann dieſe Fatiguen mit der Gräfin mit der ich nun reiſen muß nicht wagen. Um zu kommen, will ich aber all meine Kräfte anſtrengen: ich muß doch ſehen, wo du geblieben biſt. Ein andermal geben wir uns Alle rendez-vous in Paris: das fordere nur in der erſten Liebe von deinem Mann; Markus hat es mir ſchon verſprochen; und von ſelbſt. Ich küſſe Mama hunderttauſendmal die Hände: und danke ihr für alles, auch für die Mühe, daß ſie mir ſchreibt. Haben Sie nicht recht an mich gedacht, Mama, wie Roſe’ns Hochzeit war? So geht’s. Bchandlen Sie mich wie ein Jüngſtes, die pflegen die Lieblinge zu ſein, ich will es mir gefallen laſſen. Nun ſehen Sie doch das ſo lang ge - wünſchte Meer; wie ich Paris! ſo geht’s. Dabei bleib ich, wie ſo’n alter Narr. Können Sie nichts in der Lotterie ge - winnen? Probiren Sie’s einmal in Amſterdam.

Ich habe auch Brief von Hauſe. Da iſt alles wohl. Ich habe hier Armide von Gluck auf’s infamſte, und Merope von Voltaire auch ſehr ſchlecht geſehen, weil ſie großes Un - glück, wie’s die Alten ſchilderten, gar nicht kennen. Die Rau - court iſt wie Fleck, und ſpielte natürlich doch oft gut, aber im Ganzen vergriffen. Und das Übrige himmel ſchreiend. Es ſitzt eine erzfranzöſiſche Dame bei mir, und lieſt derweile,237 eine Freundin der Gräfin; vorher ſchrieb ich mit einem Kou - rier an Markus, da war Bokelmann, ein hübſcher, junger, gebildeter und bildungsluſtiger Hamburger, bei mir, der von hier nach Cadix zu ſeiner Schweſter geht, und Wieſels, und Bartholdy und Gropius, kurz, die Menſchen nehmen hier, wie bei mir, kein Ende. Die Gräfin und Hrn. von Rothkirch vergaß ich.

Ludwig, du freuſt mich in die Seele hinein. Du haſt die gehörige Leidenſchaft für den Fiſchhalter und ſei - nesgleichen. Freilich! alles mein ich eben ſo! Dein Brief macht mir Amſterdam anſchaulicher, als du denken kannſt. Und du würdeſt mir gewiß eben ſo unpartheiiſch und unbe - fangen einen Ort beſchreiben können, als ich euch Paris. Alſo mit den Juden ſteht’s hier ſo ſchlecht?! Es liegt doch an ihnen. Denn ich verſichre dich, ich ſage hier allen Leuten, daß ich eine bin; ch bien! le même empressement. Aber nur ein Berliner Jude kann die gehörige Verachtung und Lebens - art im Leibe haben; ich ſage nicht: hat ſie. Ich verſichre dich, ordentlich eine Art contenance giebt’s einem auch hier, aus Berlin zu ſein und Jude, wenigſtens mir; ich weiß darüber Anekdoten. Lebt wohl, die Dame kann nicht ewig leſen.

R. L.

Was hat denn Walter und Alle zu Roſens Reiſe geſagt? Schreibt mir bald! Line grüßt und gratulirt, Tage und halbe Nächte durch. Die Humboldt nimmt den größten Antheil.

238

An David Veit, in Hamburg.

Veit, das iſt nicht wahr! aber Sie irren ſich bloß. Als ich noch in Berlin war, konnt ich mir, und hatte ich mir ſchon ausgerechnet, wenn du in Paris biſt, ſchreibſt du Veit; und was iſt natürlicher oder vielmehr gewöhnlicher, als daß ich’s doch nicht that. (Die gewöhnliche Faulheit und Nach - läſſigkeit iſt’s doch nicht.) Aber ſeitdem ich alle Tage, auf Wieſen, in Feld und Zimmern, beſtändig, und wie ich mag, von Ihnen ſpreche, wäre es ſündlich, mein Freund, nicht auch zu Ihnen zu ſprechen; und alle dieſe herzlichen (herz - liche treue Meinung, ſagt Goethe) Gedanken, wie Götterdank, bloß im Herzen zu behalten, oder ſo umſonſt auffliegen zu laſſen. Daß man Liebe zu Schüſſen und Wunden vergleicht, iſt einfacher, als man denkt; man fühlt ſie bloß, das iſt ihr Weſen; und da bleibt einem denn nichts, als das Vergleichen. So hat Bokelmann meine ganze Liebe zu Ihnen aufgeregt: und ich fühle ſie wirklich wie einen alten Schaden; wie ich mir Wunden mit verhaltenen Kugeln denken muß, und wie ich wirklich oft alte Krankheiten erregt fühle. Glauben Sie denn, daß irgend etwas Wichtiges, Geſcheidtes, Gutes, ſo vor mir vorüber gehen kann, wie bei andern Leuten wie Wolken über dem Waſſer, wäre zu hübſch geweſen, um es hier anzuwenden. Unmöglich! das iſt mein einziger Werth, durch den ich mich als ich erkenne, und von Andern unterſcheide. Das thun Sie auch! Ich bitte Sie, trauen Sie mir ganz; Sie verlören ſonſt zu viel dabei! Eins ſein Sie239 noch gewiß und wie ſollte ich dabei ſchlechter werden? es hat noch immer keines Menſchen Meinung, in keiner Sache, unter keinen Umſtänden, Einfluß auf meine Gedanken, und hat es bis jetzt niemand gehabt. Das kann ich mit der hei - ligſten Unterſuchung verſichern! Damit müſſen Sie zufrie - den ſein: und mich ewig lieben. Ich bin auch von Ihnen ſo überzeugt, wie von mir ſelbſt. Nur ſehen möcht ich Sie wieder! Sie mich auch? ganz beſonders gern? Sie ſollten. Könnt ich Ihnen nur gegenwärtig werden, wie Sie mir!

Wiſſen Sie denn etwas von Bokelmann? Wiſſen Sie denn, daß er viel von Ihnen weiß? Weiſen Sie dieſe Fra - gen ganz von ſich ab, wenn ich Unrecht habe, ich nehme ſie denn auch zurück: ſie gründen ſich nur noch auf mein Über - gewicht und meine Autorität, die ich ſonſt in ſolchen Stücken über Sie hatte; und zum Theil doch das fällt mir jetzt erſt ein darauf, daß Sie ihn nicht zu mir ſchickten. Doch dazu mögen Sie tauſend Urſachen gehabt haben: und es iſt auch ohnehin ſo beſſer. Ich lernte ihn von ungefähr beſſer kennen, und Sie waren der Vermittler. Auch glaub ich ſteif und feſt, gewiſſe Menſchen müſſen ſich kennen lernen; nicht allein, wenn ſie zuſammen ſind; ſondern die Umſtände müſ - ſen ſie zuſammen beſorgen. Mein Aberglaube! Sie werden, mit ſcharfem Geiſte und geordneten Worten, genau zu be - ſtimmen wiſſen, welch ein himmelweiter Unterſchied zwiſchen unſern Anlagen und unſerer Ausbildung iſt; ich weiß es, auch ohne es ſagen zu können, oder ſagen zu mögen abfragen könnt ich mir’s meiſterhaft laſſen , und doch kann ich vor - trefflich mit Bokelmann leben: er hat ein ſolch liebenswürdi -240 ges, braves Gemüthe, welches man immer trifft, daß er einen ſelbſt erſt wieder daran erinnert, daß man brav iſt; ſo etwas durchaus Unbeſudeltes und Edles, ſo etwas Unangetaſtetes, daß auch kein Irrthum jugendlicher Unwiſſenheit oder Be - ſchränktheit bei ihm iſt, ſondern alles Reinheit und Geſund - heit. Und meinem Alter iſt nichts beſſer, als ſeine Jugend. Urtheilen Sie, ob ich ihn liebe. Wenn wir nicht Einer Meinung ſind, ſo kommen wir gleich auf den Punkt, wo wir eigent - lich ſcheiden, und wir ſcheiden in Frieden und mit Bedacht: welch einen Vorzug, welchen hellen, unbefangenen und regſa - men Geiſt ſetzt das voraus. Sie wiſſen, wie ich das Gegentheil haſſe; und wie man damit in dieſem Jammerthal zu kämpfen hat! oder, wie das vielmehr der ächteſte, eigentlichſte Jammer in dieſem beliebten, mir beliebten Erdenthale iſt. Ich kann mir nicht vorwerfen, daß ich das Schlechte nur haſſe: ich liebe das Gute, was ich finde, mit der leidenſchaftlichſten, tiefſten Verehrung, mit dem deutlichſten Bewußtſein; und das iſt mein Glück! meine Schönheit, die mir der Him - mel gab, das Geſchenk der Götter! Ich darf nicht einmal murren. Veit! Sie haben zu Bokelmann geſagt, unſer Verhältniß ſei Ihnen das liebſte geweſen, und es ſei doch auch nichts. Nein! mein Galeerenſklave, das iſt nicht wahr! Oft mag es ſeine Grazie verloren haben; ſeine Würde und ſeine Ewigkeit bis Sie mir ein anderes Wort ſchaffen nie! Und wie wir beſſer werden, wird es auch beſſer. Ich werde wirklich beſſer: alſo bin ich es von Ihnen überzeugt, und alles iſt gut. Nur der Zweifel kann uns dieſes Glück rauben! ich leid es nicht: und ich zweifle nie. Iſt das er -haben,241haben, ſo bin ich es. So, denk ich mir, iſt Religion; man bedarf ſie, und dann hat man ſie gleich. Wer braucht Ge - ſchichte: brauchen wir Beweiſe? Wir wollen Stifter ſein, - gen uns Andere nachglauben. Dabei bleibt’s; ich kann Sie zwingen: ich fühl’s und ich thu es. Ich werde die erſte Gelegenheit ergreifen, nach Hamburg zu kommen; das ſein Sie gewiß. Ihrenthalben. Und ich ergreife jetzt gut. Ich bin verwundet nach Frankreich gereiſt, und kehre gefaßt zurück. Wer ohne Panzer ſeinen Buſen in der harten Welt umher - trägt, der muß verwundet werden; das wußt ich nur nicht: der Schreck iſt das Meiſte, und wenn man das Bluten noch für Sterben hält. Wunden werden immer kommen, aber nicht unerwartet. Er komme, und ſage es mir zum zweiten - male, ſagt Gräfin Orſina.

Ich ſchrieb mir letzthin in ein kleines Büchelchen: Lange exiſtiren die guten Dinge, ehe ſie ihr Renommee haben, und lange exiſtirt ihr Renommee, wenn ſie nicht mehr ſind. Das iſt alles, was ich Ihnen über Paris ſagen möchte. Lange, dünkt mich, iſt es und kann es nicht mehr Paris ſein; nach - dem ſeit Jahrhunderten ganz Deutſchland Paris geworden iſt. Denn mir kömmt Paris vor wie ein zuſammengedrängtes Deutſchland, und wenig verſchieden. Das könnt ich ſehr ausſpinnen: ein andermal! thun Sie’s ſelbſt; derweile. Eine Nation, die Vaudeville’s haben kann, kann keine Muſik haben. Die große Oper iſt tragiſch, und das Tragiſche hat viel von der Oper. Ich bin unpartheiiſch: das würden Sie mir bei jedem einzelnen Urtheil zugeſtehen; aber für unbe - dingtes Lob zu deutſch. Daraus machen Sie nun, was SieI. 16242wollen! Steif, bornirt u. ſ. w. wie Sie wollen! Vielleicht ſchick oder bring ich Ihnen noch einmal etwas über Paris, dann können Sie berichtigen und ſtreiten. Adieu. Antworten Sie mir. Es iſt 12 Uhr nachts, wenigſtens.

An Mama und Roſe, in Amſterdam.

Den Abend vor Vorgeſtern brachte mir Mendelsſohn den ſo ſehnlichſt erwarteten Brief von Ihnen, in dem Sie mir ſagen, daß Sie bis den 12. Mai warten wollen; und ſagte mir gleich dabei, erſt morgen ginge eine Poſt, morgen Mit - tag, nach Amſterdam. Hier iſt meine kategoriſche Antwort. Ich reiſe den erſten Mai. Sollten aber, mich unvorher - zuſehende Umſtände abhalten, ſo erfahren Sie es vor dem 10. Mai, heilig. Die Gräfin und bis jetzt hab ich kei - nen andern Begleiter, macht mir viel zu ſchaffen! Sie will mit der Diligence. Es giebt keinen Preis, um welchen ich das thäte. (Urſachen mündlich.) Nun will ſie immer ſo er - ſchrecklich wohlfeil, mit Einſpännern und ſo dergleichen, rei - ſen. Ihren Wagen hat ſie mit Möllendorf nach Berlin ge - ſchickt, alſo haben wir keinen. Kurz! ich weiß nur, daß ich kommen will, und noch gar nicht wie. Über Hals und Kopf aufpacken, iſt auch nicht angenehm. Doch komm ich. Roſe! wenn du hier wärſt, was wollt ich dir zeigen. Es iſt ein Menſch. Was ſagt ihr zu der politiſchen Begebenheit? Mir kömmt die Welt jetzt accurat vor wie ein Spektakel, wo zu viel Menſchen ſind. An einem Ende fangen ſie ſich an zu243 drängen: lange me[r]kt’s der entgegengeſetzte Winkel nicht, ſieht zu; am Ende hebt und drängt ſich’s doch dort auch. So geht’s jetzt in Deutſchland. Wer weiß, wie’s noch Allen geht! Wenn auch eine Konſequenz in dieſem Gedränge zu finden ſein mag; Menſchen-Pläne ſind’s doch lange nicht mehr. Und die Ausreden der anſcheinend Gewalthabenden kann ich auch nicht leiden. Den Brief an Bürger Schimmelpennink werd ich wohl nicht abgeben: er wohnt ſchon auf dem Lande; ſie ſind ſehr elegant: und ich bin weniger als je geneigt, mir eine Ehre anthun zu laſſen; denn ſo iſt ja noch die Welt, daß nur ein äußerer und kein innerer Karakter ſchützt vor angethaner Ehre. Hab ich aber eine Gelegenheit, ſo geh ich doch aus Ehrerbietung für den citoyen Aſſer hin. Der Brief iſt immer gut, und ich danke! und ſag es für ähn - liche Fälle, daß es gut iſt: die Wahl zu haben iſt immer ſchön. Iſt der Bruder Schimmelpennink nur ein halber Menſch, ſo ſag’s ihm gradezu. Mach dir das Vergnügen. Erkennſt du, welche Leidenſchaft in meiner Bruſt herrſcht; welche es iſt? Roſe, ich danke. Dein Logis macht mich ſehr traurig, denn welche Lücken ſetzt das noch außer ſeiner eige - nen Schlechtigkeit voraus. Was muß man für Wähne im Kopfe haben, und für eine Art von Lebensart, um zu den - ken, man kann das einer Wohlerzognen anbieten. Ich weiß auch, du wirſt dir mit und durch Karl alles ändern. Aber wozu kämpfen. Doch biſt du übertrieben glücklich! und du ſiehſt ein, ich muß viele Zimmer haben, um mein Sorgen-Haupt zu placiren, et pour promener mon coeur foulé. Un coeur est comme un pied, ſagt Walter. Wer -16 *244den ſie mir wohl Hanne von Pyrmont zu Hauſe laſſen? Hätt ich nur mehr Geld. Ich freue mich übertrieben auf mein Logis!!! ſag das Mamaen. Auf das und die Kinder; Wal - ter will ich über alle Vorſtellung gut behandlen und vorzie - hen (ein neuer ſechſter Aktus! ) und weiter nichts. Leſen? daß alles zittert. Verſtehſt du den ſechſten Akt gar nicht? o! ja! ich erkläre ihn mit zwei Worten, einer Miene und einem Blick mündlich. Roſe! Vetter kommt her: und ich reiſe weg. Ich mache mir nichts draus. Das gehört zur Ausbil - dung meiner Phyſionomie, das fehlte mir. Biſt du zufrieden? ich hätte hier nichts von ihm. Als Verdruß. Toll müßt ich ſein; und toll bin ich nicht. Wenn ich toll ſein will, hab ich andere Mittel. Adieu! Arnſteins kommen auch. Antwort, Kinder! Die Humboldt grüßt. Grüß Bielfeld, wenn du ihn ſiehſt.

An Frau von Boye, in Stralſund.

Auch die Beſtgeſinnteſten haben keinen Troſt für einander, das weiß ich Schmerzensreiche gewiß: aber frappiren kann man ſich, und das hilft. So höre denn! was jede Dumpf - heit, jeden Schmerz, jedes andere Wunder in dir[ſuspendiren] muß; und hoffe. Denn du wirſt hoffen können. Dein Brief hat mich glücklich gefunden. Darum ſchreib ich gleich. Damit dir gleichſam aus einer Gruft von Glück geantwortet wird; wo man ſonſt nur, unbekannt das Unglück hört. Als ſich dein Brief mit dem heilig-innigen Wunſch endigte, er245 möchte mich in einer glücklichen Stimmung treffen, drückt ich die Hand, die ich hielt, und zeigte mit Triumph der Freundin die Zei - len. Niedlich bezeigt ſich das Glück nicht gegen mich, aber groß; denn übermorgen reiſt ſie, weit, und auf unbeſtimmt. Auf’s Leben iſt nichts beſtimmt, als der Fund. Und ſo hoffe auch du! Die Nacht, ſie muß ſich erhellen. Und wenn ſich nichts ändert, ſo ändert ſich unſere Stimmung. Es giebt ein Verzweiflen, in welchem man nichts fordert; und es giebt auch eine Liebeſtimmung möcht ich’s nennen in der man auch nichts fordert. Ich kenne beides. Roſenblätter ſtreut einmal das Glück nicht vor einem, erlaubt es einem aber die Augen zu öffnen, ſo eile man ſich, das für viel zu erken - nen, und ſauge das Liebliche recht ein. Iſt es recht lieblich, ſo will man’s nicht beſitzen, man will es blühen ſehen. Am Ende ſind alle unſre Thränen und herbſten Leiden doch nur um den Beſitz; und man kann nie etwas anders beſitzen, als die Fähigkeit zu genießen; die bringt freilich den Wunſch des Beſitzes ganz einfach mit ſich: nun ſo wünſche doch, und gieb dich zufrieden; mehr iſt das Leben nicht. Tadlen kannſt du’s wie du willſt: ich tadle gewiß mit: hingegen iſt’s nicht zum Bleiben eingerichtet, das beweiſt mir nicht allein der Tod, ſondern alles Unvollkommene, und unſer ſchmerzhaftes, trei - bendes Schwanken am meiſten. Tadle das Leben; aber die Schmerzen haben, haben noch das meiſte. Mach dich bekannt mit ihnen, es ſind auch gute Freunde, und was flüſtern ſie nicht alles; jede Freude. Vielleicht kennt man ſie nur ſo. Schreibe mir, meine Treue, wenn dich das tröſtet. Ich nehme jedes Wort auf. Weine, weine oft. Ich hab auch geweint. 246Aber ich bin entbunden von meinem alten Wahn: ich klage weder mich, noch meinen Freund an. Helden ſind wir nicht; er war’s in einer Art nicht, ich in der andern nicht. Doch laſſ ich mir meinen Vorzug.

Wir werden uns wiederſehen, und es wird dir wohl wer - den. Ich werde dir allerhand Troſt in die Seele leben, und das thut am beſten. Du biſt müſſig in einen Gegenſtand verloren. Ich finde dich vertieft, aber nicht lebendig, nicht vegetativ. Vielleicht bin ich rauh; aber denke hin und her, das thut gut: und liebe wenn du mußt. Thu was du kannſt; ich auch. Ich bleib dir treu, das iſt auch viel. Wann kommſt du nach Berlin? Den 1. Mai reiſe ich nach Amſter - dam, da bleib ich eine quinzaine, dann mit Mama zu Hauſe; wo ich mit Prätenſion wegreiſte, und ohne Forderung wieder - komme; ich werde ſie Alle beſſer finden, ſie mich vielleicht auch , und gütiger bin ich gewiß! Und dann meine Hanne! die Bücher, die ganze Welt, die ich aufgenommen habe, und noch aufnehmen muß.

Antworte mir. Grüß Boye; Luiſe, und hundertmal Lippe! Sag, bei mir iſt nichts verloren, ich wollte ſchon noch himm - liſch gut gegen ihn ſein. Vernachläſſigen könnte man mich nur in der Zeit, aber nicht in der That. Und wenn ich wirk - lich etwas für ihn wäre, ſo würde er mich immer finden. Hübſch wär es, wenn du mir ein karakteriſirendes Wort über deinen Freund geſchrieben hätteſt! Laß Charlotte Rantzau, von der ich jetzt hier viel rede, laß die niedlich-liebenswürdige, durch Lippe von mir grüßen.

Deine R. L.

247

Moden giebt’s keine neue. Theater ſchlecht. Alles mir ſo bekannt wie’s Berliner. Was thuſt du dieſen Sommer? Humboldts reiſen den letzten Mai nach Erfurt, Jena u. ſ. w. und zum Winter nach Tegel.

Man karakteriſirt jetzt häufig Dichter und Gedichte, und ſehr oft ſteht der Name Goethe an der Spitze, am Ende und in der Mitte. Die ſeine Werke in Rangordnung bringen wollen, nennen bald dieſes, bald jenes erſt, bald erklären ſie den Goethe aus dem einen, bald aus andern ſtückweiſe, und ſcheinen ſo hin und her zu rathen, aus welchem er wohl ganz zu erkennen ſei? Warum ſtellen ſie nicht Einmal die ſimple Frage auf: Aus welchem von ſeinen Werken könnte man wohl ſchließen, ob er wohl alle übrige gemacht haben könne? Iſt dieſe Frage zu beantworten, ſo hätte man den Anfang jener Rangordnung gleich gefunden, und ſie könnte ihren Fortgang nehmen. Ich würde Taſſo auf dieſe Frage nennen. Und jeder, der etwas nennt, müßte Gründe angeben.

So lange das Recht noch auf der Seite der Tollheit iſt, ſo wagt man noch immer etwas, ſich unter die Ungebildeten zu miſchen.

Ein bis zum Nebel trübes Wetter ließ Regen fallen, der die Straßen, wie’s im Frühling pflegt, noch nicht ganz ſchwärzte,248 und zweifeln, ob es zum April ginge, oder der Tag wirklich zum Oktober gehört.

Es giebt recht wenig Menſchen, die Einfälle haben.

Die Andern plagen einen aber abſcheulich mit ihrem bis - chen Armuth.

Des wirklichen Unglücks ſchämt man ſich.

Und man kann es eigentlich daran erkennen.

Von Menſchen kommt kein Glück. Da erwartet man es nur.

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Mit Graf Voß und mir hat es ſich plötzlich verändert. Ich lieb ihn nun, weil er ein unbekanntes tendre für mich hat; für mich. Erſtlich, lieb ich die Leute, die ein tendre ha - ben können, und dann, die wieder beſonders, die ein unbe - kanntes haben können; und noch beſonders, die, die eins für mich haben können. Ich bin ſo nichts, wenn man mich nicht lange kennt, daß die ſchon etwas bei mir gelten, die mich nur von Anſehen haſſen. Welches Mitleid muß er in der Seele tragen, welcher Aufmerkſamkeit muß er fähig ſein, für mich249 ein tendre haben zu können! Ich bedarf keines Laſters bei der Art Menſchen und wie Sie ihn beſchreiben. Ich bin aber ſchon längſt mit ihm ausgeſöhnt: ſeit ich weiß, daß ihn Luiſe liebt; ich glaubte, ſie hätte ihn nur geheirathet. In Schlegels Kollegium hoff ich ihn kennen zu lernen; das iſt eine natürliche Art. Ich dank Ihnen, daß Sie bis zur Thätigkeit an mich denken. Ich freue mich, den Jacobi’ſchen Kalender zu leſen. Sie werden Freude an meinem Goutiren haben. Mlle. Reimarus muß äußerſt geiſtvoll und lebhaft ſein; was ich noch von ihr geleſen habe, iſt ſprechend ähnlich. Nämlich: von guten Portraiten kann man die Ähnlichkeit er - kennen, wenn man die Menſchen, die ſie darſtellen, auch nicht geſehen hat. Aus ihren Worten erkennt man ein ganzes le - bendiges, ihr gehöriges Leben. Ich lieb ſie von weitem. Ich dank Ihnen für die Stelle; für die Mühe, und für den Ge - danken. Werden Sie mich beſuchen? Morgen bin ich bei Mad. S mit unſerm Iſter-Mädchen ſo nenn ich ſie wenn man mir nicht abſagt. Leben Sie wohl! Ich bin ſeit ein paar Tagen, und beſonders ſeit heute, auf verdrießliche Stellen in mir geſtoßen. Manchmal merkt man ordentlich, was man aufgiebt. Adieu.

Anmerk. Der Ausdruck Laſter ſcheint hier, wie auch in an - dern Stellen, nach ſcherzhafter Übereinkunft grade den ſittlichen Geiſt in ſeiner genialen Freiheit zu bedeuten, wo die beſchränkte Gewöhnlichkeit ihn nicht mehr faßt, und wohl gar als ſein Gegentheil bezeichnet. S. Philoſophiſche Anſichten, von G. von Brinckmann. S. 204. ff.

250

An den Grafen L.

Den Abend als ich Sie zuletzt ſah, dacht ich gleich, daß ich den andern Morgen ein Billet von Ihnen erhalten würde: ich nahm mir vor, es nicht zu leſen. So lag es bis jetzt bei mir. Vergeſſen hab ich’s nicht; jetzt aber erſt fiel mir ein: es kann ja aber etwas darin ſtehen, worauf er denken kann du ſeiſt verrückt wenn du nicht antworteſt. Und ſo erbrach ich Ihr Billet.

Ich werde in der erſten Stunde, wo ich Zeit habe, Ihre Briefe zuſammen ſuchen: einige werden fehlen, die hab ich in der Geſchwindigkeit zerriſſen, als ſie Einmal jemand bei mir leſen wollte, der die Art hat, alles leſen zu wollen. Daß ich Ihnen ſchreibe, iſt die Folgung des ſchönſten, leiſeſten Rufs in mir: ich will keine Art von Dank, Sie ſollen es bloß nicht für hoheitliche verſtockte Rechtlichkeit halten. Auch geb ich Ihnen Ihre Briefe nicht aus gleichgültiger Rechtlichkeit: ſon - dern, weil ich weiß, daß unter manchen Umſtänden, nur der Schreiber Briefe verſteht, und dann gebühren ſie ihm. Damit ſag ich auch nicht, daß ich ſie nicht verſtanden habe.

Nun ſag ich Ihnen aber, daß man Sie lieben (muß, wenn man Sie kennt) kann, aber umgehen kann man noch nicht mit Ihnen. Wenigſtens nicht in Geſellſchaft. Dies vor der Hand nicht zu thun, hatte ich mir feſt vorgenommen.

Wollen Sie morgen Vormittag um 12 Uhr zu mir kom - men, ſo will ich mit Ihnen ſprechen. Mir ganz allein251 iſt es vorbehalten, mich über alles rechtfertigen zu können, wenn ich will.

Ich will, weil ich kann: weil ich kann, brauchte ich nicht. Aber Sie brauchen es; und in dieſem Sinne, aus dieſer Ur - ſach brauch ich’s auch. Dies iſt der Ruf in mir, und noch um einen leiſeren folg ich dieſem Rufe.

Adieu! R. L.

An Roſe, in Amſterdam.

Vorgeſtern Abend aßen Markus’ens bei uns und Chriſtel die jetzt während einer Spiel-Reiſe alle Abend kömmt Mama prätendirte de but en blanc, ſie ſollten den andern Mittag mit den Kindern bei uns eſſen: Fragen, die geſcha - hen, blieben unbefruchtet. Chriſtel invitirte ſich, Mama nahm ſie mit einer Feſteslaune an. Geſtern Morgen ſteh ich auf, und geh in einem mild-himmelumzogenen Wetter in Geſchäf - ten aus; Line predigt mir während dem Anziehen vor, Mama habe Marktorte, und Sardellenſalat, und ließen ! in der rothen Stube decken. Ich verſchwobe! Ich ſage: Ach Gott! es wird Purim ſein, denn den Hahn hatt ich ſchon den Abend geahndet. Poin du tout ſag ich, als Epiker, Ne, der iſt erſt in vierzehn Tagen. Meine Konjekturen und Gedanken gingen mir aus: ich that daſſelbe. Als ich ganz zuletzt zur Unzelmann komme, erzähle ich ihr die Bege - benheit, und die Marktorte, verſprech ihr davon; ſie kann auch nichts ergründen, ich behaupte es muß ein anniversaire ſein, etwa eine ſilberne Hochzeit, oder Papa’s ſeliger Geburts -252 tag; und ſo eil ich, weil es ſchon ſpät war, gedankenſchwer nach Haus. Vorne ſind ſie Alle. erklang’s ſchon in der Entrée.

In der Rothen; Mama, Chriſtel, Markus’ens, die Kinder. Ein zierlicher Tiſch, mit Symmetrie, von zwei Sardellen - Saläten, Pflaumen - und Artiſchocken-Kompötten, kurz Sym - metrie; und Servietten ohne Tournüre, nämlich unerzogen aus der Waſchfrauen Hand. Ich verſchwobe! Alle Wetter! ſag ich, was iſt das! das iſt nicht umſonſt! heraus mit der Sprache, Mama, oder Sie überleben den Tag nicht! Und ſo ſah ich, und Alle furchtſam, nach den ſilbernen Schwertern. Wie Mama das Meſſer an der Kehle hat, lächelt ſie, wird freundlich, und ſagt: Nun, ihr Narren, heut vorm Jahr war Roſe ihre Hochzeit! und da konnt ich euch nicht trakti - ren, darum thu ich es heut. God save great George the sister! ſang alles los, und ſchwamm in Thränen. Da kam die Suppe. Sie mußte aber warten; ſie, die nie ohne eini - ges Gewitter erkalten darf; denn Ludwig war abgeſchickt, Wal - ter zu holen; und der Einfall kam aus Mama. Nun, sister, beurtheile, ob ſie deinen wirklichen Hochzeitstag magnanimer geſtimmt war. Auch die Suppe war ſtill; ſchloß jeden Rauch in ſich, und bewahrte ihre Kröpfchens warm, bis die Jungens angewaltert kamen. Nachher zittrendes Rindfleiſch mit Auſter - ſauce, die Kompötte, der Hahn, die Marktorte, Bier, Wein, Waſſer und Brot, beſchreibt Fanny immer. Nach Tiſch in tiefen verſunken; und was ächt Levin’ſch iſt, kein Menſch hat auch nur eine Geſundheit proponirt heute fällt’s mir erſt ein ſtatt deſſen ſchlug ich vor und erbot mich, Roſen253 den Tag und ſeine Begebenheit zu beſchreiben. Du lachſt, und weinſt; ich weiß es. Moritz iſt nun auch bei dir ange - kommen; und alles iſt gut, bis zur künftigen Generation! Es wachen aber die Götter über uns. Die ich kenne, ge - winnen nicht, ſagt Vetter, das unterſchreib ich auch mit mei - nem Namen, ſetzte aber vorher noch: und verlieren nicht ſehr! werden nicht guillotinirt, kriegen keine Krebsſchäden etc.!!! Gott ſegne euch! Die Soirée blüht mehr als je. Keinen Eſel haben wir noch nicht, Gentz müßt es wegen dem lieblichen und anerkannt geliebten Karakter ſein. Aber unſer Eſel iſt und bleibt weg. Jeder grüßt und fragt, Nette, Boye, Chriſtel, die Humboldt, Vetter, alles; Moritz und Roſe. Ich grüße Karl. Roſe, ſchick mir ſolches ſilbern Band übergoldet wie die Nordholländerinnen tragen, und Haken dazu!

Bunim und die Kouſine ſangen mit. Ich will ſolche Haken drei Stück die in’s Geſicht gehen. Du weißt ſchon, Roſe!

An David Veit, in Hamburg.

So viel Sie hier ſehen werden lieber Veit, kann ich wie - der ſchreiben: und auch wohl mehr. Von meiner Krankheit dereinſt mündlich. Wenn es wahr iſt, daß Sie mich lieb haben, ſo ſchicken Sie unverzüglich, gleich, auf der Stelle, er mag ſein wo er will, Bokelmann dieſen Brief. Er ſoll mir auf der Stelle antworten. Ich muß wiſ - ſen, wo er iſt und ob er hierher kömmt. Ich bleibe den gan -254 zen Sommer hier, und ohne großes Ereigniß auch dieſen Winter. Ich bin noch ſchwach: fahre aber ſchon einen Mo - nat aus. Ich bin ohne Freund, und beinah ohne Herz.

Nie hat mir ein Menſch beſſer gefallen, als Stieglitz. Wie er in’s Zimmer trat, liebt ich ihn. Dem vertraut ich mich ohne Verabredung; und die bedarf’s auch bei ihm nicht. Dieſer Ernſt, dieſe Sanftmuth, dies ſchöne Geſicht. Ich bin recht glücklich, daß ich ihn kenne. Er ſah mich in der größ - ten turpitude, ſo häßlich! Nein, ſolch ſchönes Gemüthe! Ich halte es für ein Unglück, daß er nach Taurien ging; doch iſt es gut, denn ein verheiratheter Menſch ſollte wenigſtens die Fakultät ſeines ganzen Herzens veräußert haben, und alle übrige dazu anwenden, und in dieſem Fall müßte er dann doch wenigſtens ein ſchlechtes Gewiſſen haben. Ich will nicht hoffen, daß Sie, auch Sie, dieſe Strenge überraſcht; plump, wie es die Menſchen meinen, die ich haſſe, wenn ſie von Pflicht, Gewiſſen, Recht u. ſ. w. ſprechen, kann ich es nicht meinen. Alſo Stieglitz iſt verloren. Wie ſonderbar iſt es doch, daß dem Menſchen nicht allein das Unmögliche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt. Meiſter zu Aurelie. Das ſchönſte Diktum! ganz aus dem Herzen und gradezu den Geiſt anſprechend: denn nur der menſchliche Geiſt macht den amüſanten Unterſchied von möglich und unmöglich.

Sie kann ich alſo nur in Hamburg ſehen. Nun! die Tage bringen alles. Hat man Ihnen geſagt, wie ich Sie liebe? wie gegenwärtig Sie mir ſind? Schlechte Menſchen werden das Gute überdrüſſig, das Schlechte gewohnt; ich nun auch Gottlob zu ſagen ich, Gottlob!! bin immer wie -255 der bis in’s tiefſte Herz frappirt. Und jetzt bin ich ſo weit, daß mir das für manches äußere Glück ſteht; es äußere ſich in Schmerz oder Glück.

Als ich nach Frankreich reiſte, glaubte ich nicht wiederzu - kommen, und ſiegelte jedes Menſchen Briefe ein, und machte ſeine Aufſchrift. Als ich wiederkam, ging ich auf einen Bo - den, der an meine Wohnung gränzte, und fand einen einzel - nen Brief, von einem Portugieſen Navarro, und ein Stück Band, wovon ich Ihnen die Hälfte geſchickt habe. Auf dem Schloßplatz ſah ich Sie zuerſt, einen weißen Strohhut hatte ich auf, der mit einem Gaze-Tuch zu beiden Backen herunter gebunden war, und dies Band war darauf. Verwahrt hatte ich’s nicht; aber der Zufall, ich erkannt es gleich. Sie ſind der einzige Menſch, bei dem ich weiß was ich an hatte, als ich ihn zuerſt ſah. Verliebt war ich nie in Sie: nun traue einer auf Zeichen. Adieu! Schicken Sie, Liebſter, Beſter, gleich gleich! Bokelmann den Brief. Nichts iſt mir wichti - ger! Ich habe alle ſeine doch nun geleſen. Schreiben Sie mir gleich, Bokelmann, ich bitte Sie.

R. L.

Werden Sie antworten, Veit? Schicken Sie mir Ihre Addreſſe noch einmal. Künftig einmal einen ganzen Brief über Stieglitz.

An den Grafen L.

Nun weiß ich es. Die Erde iſt ein ſchlechter Pla - net, ſagt Fr. Schlegel. Lebte man doch in einem gütigen256 Klima, wäre ſtark, um fleißig zu ſein! weiter giebt’s nichts. Alles andere wird und muß immer erbärmlich werden. Zu falſch, zu künſtlich, oder zu ſehr der Nothdurſt iſt es aufge - ſtellt.

Warum ſoll man nicht außer ſich ſein? Das ſind ſchöne Parentheſen im Leben, die weder uns noch Andern ge - hören: ſchöne nenn ich ſie; weil ſie uns eine Freiheit geben, die wir und die uns bei geſundem Verſtande niemand ein - räumen würde. Würde ein Menſch ſich entſchließen, ein Nervenfieber zu nehmen? und doch kann es uns das Leben retten. Es kommt aber von ſelbſt.

Ich liebe den Zorn; übe ihn, aber protegire ihn auch. Drei Dinge nur ſind nie im Stande mich zu affiziren, näm - lich, wenn man mir ſagt, ich ſei gemein, affektirt, oder dumm. Die drei glaub ich niemals; und bin ich nicht ſehr ſchlechter Laune, ſo muß ich immer darüber lachen.

An Frau von Boye, in Paris.

Deine Drohungen nur, und das lebhafte Vergnügen, von einer Art Statthalter, wie du biſt, aus meinem verwirrten Po - ris Nachricht zu bekommen, können mich nur bewegen, die ſchreckliche Handlung, die zerſtörende für mich, des Schreibens zu begehen. Laß dir aber geſagt ſein! und faſſe es mit Ver - ſtändigkeit auf; daß du von geforderten Briefen von mir gar nichts haſt. Vorgehen thut hier nichts; und das Alte faßt mich ſo mit Ekel, daß jeder Gaſt mich aushauen würdeund257und aus meinem Zimmer ſchmeißen, wenn nur eine Glas - ſcheibe vor meinem Herzen wäre. So ohne Liebe für ſie war ich nie. Wo dies hinführt, kann ich auch gar nicht berechnen. Wenn mir Dinge für dich einfallen, oder es geht irgend etwas vor, ſo ſchwör ich bei der Seine! meinem Styx du erfährſt es von mir! Die Unzelmann nimmt Ende dieſes Monats Iphigenie von Goethe zum Benefiz. Schwertſtreiche gehen mir ſchon jetzt durch’s Herz, dies laut ausgehaucht mit dem beſoffenen Publikum zu hören; und! wie wird das wer - den. Thoas, Lapin-Iffland; Oreſt, Mattauſch; Pylades, Be - ſchort; Arkas, Labes. Die Schick ſchnappt nach Luft, ſingt und lebt wie immer. Ich werde ihr deine Briefe ſpediren. Sag Friedrich Schlegel, er müſſe mir antworten! ſonſt war ich im Lycée de Paris! Grüß die Pobeheim, und mach ihr verſtändlich, warum ich nicht ſchreibe: und wie Schreiben nichts iſt; nur Leben. Und wie ich daher auch ſuche wieder zu kommen. Sie ſoll Schlabrendorf an mich erinnern, und ihm ſagen, der Italiäner habe mir kürzlich aus Mailand geſchrieben, wo er Humboldts geſprochen hat. Löwen - hjelm grüß ich ſehr! wo wohnt der? Du wohnſt gut; doch die Honoré wäre beſſer. Wo wohnt Otterſtedt? Woh - nen iſt ein großes renseignement. Wo wohnt Friedrich? In’s Theater geh ich gar nicht mehr. Publikum, Haus, Stücke, Schauſpieler, drückt mich in’s elendeſte Leben hinab; und reine Marter würde mir die Kälte des Hauſes, die viel kälter iſt, als der regnigte dunkle Winter bis jetzt. Aus geh ich auch nicht, außer Sonntag und Mittwoch zu Wilhelm Schlegel in die Vorleſung. Suche Franzoſen kennen zuI. 17258lernen. Aber keine rekommandirte; auch keine gefährliche: liebliche von der zweiten Klaffe; die iſt die erſte. Warum ſchreibſt du nichts von Beanvilliers? Mit meiner Eßluſt und Kunde geht’s crescendo. Die Raucourt wie die Gardel muß man ſich erſt einſehen; wie eintanzen z. B. Betrachte die erſte mehr als Maske. Und bei der Gardel muß man ordent - lich fleißig im Zuſehen ſein. Die Herzogin von Kurland iſt hier und die Pignatelli.

R. L.

Die Pobeh. ſoll mir ſagen laſſen, daß ſie noch ſo glück - lich iſt. Und ſie ſollte Einmal bedenken, wer jetzt alles in Paris bei ihr wäre, und unter welchen Umſtänden. Ob einen das nicht berechtigte, an die ganze Mythologie zu glauben!

Es giebt geiſtreiche Menſchen, die mögen thun was ſie wollen, es iſt mir alles lieb; es giebt auch ehrliche Leute, bei denen es mir ſo iſt. Aber ſolchen begegne ich nur äußerſt ſelten.

Wenn ein Menſch das, was er ehren und ſchonen ſollte, mißbraucht, Schwäche oder Vernunft eines Andern: das bringt auf; wird aber ein Menſch aufgebracht, ſo macht das kalt, und man kann es wie ein ſchönes Gewitter beobachten.

Die dunkelſten Sachen, und alles was wir je geleſen ha - ben, werden an uns wahr, wie die trivialſten Sprichwörter.

259

Wenn ich mir ihn denke, ſo treten die Thränen mir in’s Auge: alle andere Menſchen liebe ich nur mit meinen Kräf - ten; er lehrt mich mit den ſeinen lieben. Und ich weiß auch gar nicht, wie ſehr ich noch werde lieben müſſen. Wie oft dacht ich ſchon, mehr trägt dein Weſen nicht: und das We - ſen änderte ſich. Mein Dichter!

Negerhandel, Krieg, Ehe! und ſie wundern ſich, und flicken.

Die Menſchen, die die kleinen Gefälligkeiten des Lebens nicht deutlich fordern, von denen denkt man leicht, daß ſie ſie gar nicht bedürfen, vermiſſen, und zu genießen verſtehen. Hieraus laſſen ſich Klugheitsregeln zum Gebrauch ziehen.

Das Fühlen iſt etwas Feineres, als das Denken: das Denken hat das Vermögen ſich ſelbſt zu erklären, das Fühlen kann das nicht, und iſt unſere Gränze, dieſe Gränze ſind wir ſelbſt; es weiß nur, daß es exiſtirt. Mit Gränzen ließe ſich alles definiren; und die Gränze, die das nicht mehr erlaubt, umſchließt unſer eigenes Weſen, und iſt folglich ein Theil deſſelben.

Was iſt das für ein ordinairer Mann! Wenn der nicht zu gleicher Zeit mit uns lebte, würde kein Menſch von ihm ſprechen.

17 *260

Sie iſt eine von den Perſonen, die, wenn ſie einmal eine andere Querſtraße gehen, ſich gleich fürchten und nicht mehr wiſſen, ob ſie auch noch gut ſind!

Dieſe Lücke, dieſe Lücke! Werther. Verſtehen Sie’s recht tragiſch, wie Sie wollen; wenn Sie weiter leben, biegt ſich’s doch bis zum Komiſchen hinab. Weinen kann man ja doch.

Denken iſt Graben, und mit einem Senkblei meſſen. Viele Menſchen haben keine Kräfte zum Graben, auch andere keinen Muth und Gewohnheit, das Blei in’s Tiefe ſinken zu laſſen.

Schlechte Skribenten. Wer wird ſich denn dadurch, daß ſie ſich drucken laſſen, zu ihrem Umgang zwingen laſſen!

Das iſt ja eine miſerable Perſon, die nichts von ſich ſelbſt weiß; die nie bis zu dem Punkte gekommen iſt, wo ſie ſich entſchuldigen kann, und ſich doch entſchuldigt.

An Guſtav von Brinckmann, in Berlin.

Alſo außer leidend, krank? Hr. Rehberg hat es mir geſtern geſagt. Auch ich war krank: und ich leide!

Vor ungefähr zehn Tagen war Pauline bei mir vor dem261 Bette, und hat mir ihre Geſchichte erzählt: eine Stelle war darin für mich, wie ſie es ſagte, ſo erſchütternd, daß ich or - dentlich einen Krampf bekam, und ſie zu reden aufhören wollte. Viel gelobte ich mir dabei. Und auch ich bin ganz ver - kannt und verloren dadurch. Verloren. Dieſes ganze Le - ben iſt mir entriſſen, wenn ich auch den Himmel in mir trage! Denken Sie wie, und was ich gelobt!!!!

Nur Gutes will ich glauben: immer helfen.

Vergeſſen Sie den geſtrigen Tag nicht; es war ein un - glücklicher für mich; für eine würdige Freundin.

Wenn Sie geſund ſind, beſuchen Sie mich! Ob ich heute in die Oper gehe, weiß ich noch nicht: vor - und nachher bin ich zu Hauſe.

Was machen Sie? reden Sie!

Kömmt Krankheit und Leiden bei Ihnen zuſammen? Kann Ihnen Sprechen augenblickliche Erleichterung geben? Sprechen wir!

Anmerk. Um dieſe Zeit erſchien in Brinckmanns Gedichten eine von ihm ſchon früher an Rahel gerichtete Elegie, welche man wegen ihres zarten und bezeichnungsvollen Ausdrucks gern hier wiederſinden wird.

An die Vertraute.
Ob ich begreife dein Herz, das emporringt gegen das Schickſal,
Wann ihm ein mächtiger Geiſt duldende Ruhe verſagt?
Ob ich zu deuten vermöge den Trotz und die ſchmachtende Sehnſucht,
Jenes nach höchſtem Genuß ſtrebende Herrſchergefühl,
Dem kein dürftiges Glück, von ſpielenden Parzen umſchmeichelt,
Nur ſelbſttbätiger Kampf ſiegender Kräfte genügt?
Ob ich enträthſle die ſtolze Natur und den lieblichen Starrſinn,
Den kein zürnender Gott, ſchneller die Grazie, beugt?
Ob ich, eh ihn die That ausſpricht, auch den ſchönern Gedanken
Ahnde, der inhaltreich kaum ſich dem Blicke vertraut,
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Worte verſchmäht und den ärmlichen Wunſch, in die Kreiſe der Sprachkunſt
Einzubannen den Geiſt, der im Unendlichen ſchwebt?
Ob mich dein höheres Leben entzück, deß heilige Flamme
Nicht auf häuslichem Heerd, nur auf Altären verglüht?
Ja! ſo ahndete dich, mir ſelbſt noch ein Fremdling, mein Herz ſchon,
Als ich die Räthſel des Seins kühner zu löſen beſchloß;
Noch Ideale mir ſchuf, die verödete Welt zu bevölkern,
Schwinden ſie ſah, troſtlos blickt in die Dämmrung umher,
Bis dein magiſcher Wink mir den Kamrfpreis wies an der Weisheit
Fernem und einſamen Ziel, über Gewölken des Wahns,
Über dem Nebelgedüſt, das die zartaufathmende Seele
Tiefer und tiefer hinab zaubert in ſinnlichen Schlaf.
Klar dort leuchtete mir, dem erwachten, ein ewiges Sternbild
Durch der Geheimniſſe Nacht, welche das Leben umhüllt.
Schlummre die ſklaviſche Welt denn fort, und genieße des Traumglücks,
Aus der entnervenden Ruh winde der Freie ſich los!
Oft wehmüthiges Blicks, nicht weinendes, reichet er dir nun,
Seines veredelten Kamrfs hoher Genoſſin, die Hand.

Gedichte von Karl Guſtav von Brinckmann. Erſtes Bänd - chen. Berlin, bei Sander 1804. S. 92. ff,

Dieſe ganze Lehre iſt in einem Seelenzuſtand entſtan - den und erfunden, der nicht dauren kann; ſie iſt der Moment der Weihe der Verläugnung und Wiedergeburt; das neue Leben iſt alſo im Tode zu finden, worauf ſie ſich bezieht, und wir fangen mit ihr an. Sie iſt eigentlich die Religion, die aufs aller Heiligſte getrieben in jeder Seele allein ausbre - chen und wirken und leben, und eigentlich nicht mitgetheilt werden ſollte.

Zuſammen auszuüben und zur Prachtreligion iſt ſie nicht zu machen. Weil ſie aber Verläugnung und Aufopferung heiſchte, verbreitete ſie ſich wie eine Leidenſchaft über die Erde; ſo iſt ſie würdig und ſchön in den Herzen, wo ſie263 herrſcht wie Leidenſchaft: aber angewandt auf Staat und Leben verkehrt und Jahrtauſende hemmend, und ſo allgemein und tief eingedrungen, daß ſie auch da wirkt, wo man ſie gar nicht zu finden glaubt und nicht ahnden ſollte. Dabei dauert ſie zu lange; wie jeder Zuſtand der Menſchheit, für einen einzelnen Menſchen. Sie iſt auf die natürlichſte Weiſe in ihren Wirkungen ihrer Natur widerſprechend: denn das Leben quillt wieder hervor, und ſie ſtrebt Tod-erzielend nach dem Himmel.

Mich dünkt, daß die kleinſte bis zur größten bürgerlichen Einrichtung dies ausdrückt, man mag damit bezwecken wollen was man will. Sie hat die Natur die Erde umgeſtal - tet, auf der wir hauſen, und kann ſich gar nicht ſelbſt auf - reiben, weil ſie ſich nun wirklich, endlich auf etwas Wirkliches bezieht: und eine Erdrevolution kann uns nur aus dieſem dauernden Übergangszuſtand retten. Nur in Ermattung kann ſie von ſelbſt gerathen. Worin ſie denn bereits iſt: und kei - nem Zuſtand ſteht dieſe weniger an, als dem enthuſiaſtiſch leidenſchaftlichen, exaltirten.

So werden mir wenigſtens gar ſehr viele Erbärmlichkeiten klar, die man die neumodiſchen nennen könnte, wenn es nicht fremdartig wäre ganze Zeitalter unter dieſen Begriff zu brin - gen, auf dieſe Weiſe zu bezeichnen.

An Guſtav von Brinckmann.

Ich habe Paulinen alles auf’s allerverſtändlichſte er - klärt; weil ſie mich grade, mit wiederholten Fragen nerven264 krank marterte: ich verabſcheue Fragen, von denen ich glaube, daß man ſie ſich ſelbſt beantworten ſollte: und Pau - line iſt ganz kindiſch im Wiederholen jeder Art. Mein Tod!

Wenn ich kleinen Kreis ſagte, ſo meine ich damit die große Welt. Von Tilly, D , Caſa-Valencia kann ich nicht reden wollen.

Ihr heutiges Billet zeig ich Paulinen nicht. Was ſie wiſſen ſollte, weiß ſie. Griechiſch find ich ſie gar nicht: Sie wiſſen, daß ſie mir lieb iſt. Aber nichts drückt mir ſo Berlin auf! Und ich behaupte ſogar, nur ein eingefleiſchter Berliner vermag ſie ganz aufzufaſſen, obgleich es nicht drei thun. Dies hab ich ihr oft ſelbſt geſagt: manches an - dere aber nicht.

An David Veit, in Hamburg.

Mit dem man ſein Leben verleben möchte, dem kann man nicht ſchreiben! Welchen Gedanken, welches Anfath - men, möchte man ihm nicht ſagen, nicht zeigen? der könnte unſer Zeuge ſein, unſere Exiſtenz bekräftigen! Und in zurück - geſcheuchter, trüber, faſt unerkannter Angſt verſchwenden wir artig die Tage, laſſen uns friſch darauf los vernünftig nennen, und ſind wahnſinnig aus Zagheit. Das Staaten - leben Leben iſt zu umfaſſend iſt aber ſo angethan, daß auch das ganz recht iſt; man kommt zu ſeinen Reſultaten, aber in lauter Entbehren, ausgeſchloſſen aus dem Paradieſe,265 wo man ſich Luft, Speiſe und Gefährten ſelbſt ſuchen darf: das friſche geſunde, ſich nie trügende Herz wird Begierde ge - nannt, nach einer Art von Kinderſtube, Kerker oder Tollhaus verwieſen: und ſo gehen wir grau durch Städte nach dem Kirchhof. Gott, wie komm ich darauf! Ich will es Ihnen ſagen. Ich fühle eine ganze Thränenfluth in der Bruſt über dem Herzen; und jedes erinnert mich an alles. Nichts er - ſcheint mir mehr einzeln: ich fühle mich ganz gefangen, und mein Geiſt iſt reger, als je. Mit dem höhern Leben tröſt ich mich nicht! Ein ſchönes Erdenleben würde das nicht ausſchließen. Es erhöht und ſchärft jeder Augenblick mir das immer inniger tiefe Gefühl des unzufaſſenden Verluſtes! unſere Organe ſind zu endlich, es zu faſſen; und höhere Weſen haben gewiß eine Trauer über uns, deren wir unfähig ſind, und die ich wie errechne! das Kälteſte, das Wenigſte, was Menſchenkinder können der große Schmerz, der große Verluſt, die Unmöglichkeit, ſich aus der vorgefundenen Ver - wirrung anders, als ſterbend, abſcheidend, trennend, verein - zelt, zu ſcheiden, macht den Tod ja nur möglich. Verſtehen Sie dies ſo umfaſſend, als Sie können: in Bezug auf Men - ſchenverkehr, auf die tiefſten Anlagen und Bedürfniſſe des Herzens, auf die Natur, die wir einſtweilen die todte nennen, auf jede Organiſation. Sie ſehen, ich weiß es wohl, warum Sie mir nicht ſchreiben. Sie haben ein großes Glück. Seiner Geſchichte nach, wovon man die letzte unverſtandene Ankunft der Erſcheinung chance nennt, und ſeinem innern unendlichen Werthe nach! Welche Freundin haben Sie gewählt, gefun - den und empfunden! Ich verſtehe einen Menſchen, Sie ganz. 266Vermag es, wie doppelt organiſirt ihm meine Seele zu leihen, und habe die gewaltige Kraft, mich zu verdoppeln ohne mich zu verwirren. Ich bin ſo einzig, als die größte Erſcheinung dieſer Erde. Der größte Künſtler, Philoſoph, oder Dichter, iſt nicht über mir. Wir ſind vom ſelben Element. Im ſelben Rang, und gehören zuſammen. Und der den andern aus - ſchließen wollte, ſchließt nur ſich aus. Mir aber war das Leben angewieſen; und ich blieb im Keim, bis zu meinem Jahrhundert, und bin von außen ganz verſchüttet, drum ſag ich’s ſelbſt. Damit ein Abbild die Exiſtenz beſchließt. Auch iſt der Schmerz, wie ich ihn kenne, auch ein Leben; und ich denke, ich bin eins von den Gebilden, die die Menſch - heit werfen ſoll, und dann nicht mehr braucht, und nicht mehr kann. Mich kann niemand tröſten: ſolch weiſen Mann giebt’s nicht: ich bin mein Troſt; nun giebt es noch das Glück! das iſt aber wie beleidigt von mir: und ich fühle auch, ich beleidige es. Das Glück definir ich Ihnen ein andermal. So ungefähr ſteht’s mit mir. Lebten Sie in Einer Stadt mit mir, Sie hätten einen unendlichen Genuß! Sie können ſich das ewige Erblühen meines Lebens gar nicht denken. Aber Sie müßten ſich die Strenge gefallen laſſen, mich nur zu ſehen, wann ich will. Sterben Sie nur nicht! das hängt ganz von Ihnen ab. Ich will mich gewiß nicht ſo vergeſſen. Ein Menſch wie wir kann nur aus inadvertance ſterben; das fühl ich auf’s lebhafteſte. Auch giebt es eine andere Art, das Leben zu erhalten; es giebt Tropfen auf andern Sternen, die allein hinlänglich ſind, ein von Erde geſponnenes Leben zu erhalten; den Umſchwung, die Nahrung, des begriffenern,267 gröbern Lebens, u. ſ. w.!!! Sein Sie nicht ängſtlich! ich bin gewöhnlich gelaſſener. Wenn ich aber an Menſchen ſchreibe, geſchieht es mir, daß der ſchwer erfüllte Horizont meiner Seele los gewittert. Himmliſche Menſchen lieben Gewitter. Auch ein Grund, warum ich das Schreiben ſcheue.

Wenn Jemand ſagte: Sie glauben wohl, es iſt ſo etwas Leichtes originell zu ſein! Nein, man muß ſich viel Mühe geben; und es koſtet ein ganzes Leben voll Anſtrengung , ſo würde man ihn nur für verrückt halten, und gar keine Frage mehr anſtellen. Und doch wäre die Behauptung ganz wahr, und dabei ganz ſimpel. Originell wäre gewiß jeder Menſch, und müßte es ſein; wenn die Menſchen nicht bei - nahe immer ganz unverzehrte Sprüche in ihren Kopf an - nähmen, und auch ſo wieder hinaus ließen. Wer ſich ehrlich fragt, und ſich aufrichtig antwortet, iſt mit allem, was ihm im Leben vorkommt, immerfort beſchäftigt, und erfindet un - abläſſig, es ſei auch noch ſo[oft] und lange vor ihm erfunden worden. Es gehört Ehrlichkeit zum Denken, und es giebt gewiß beinah ſo wenig abſolute Stumpfköpfe, als Genies. Einem imbécile fehlt das Vermögen im Kopfe zum Denken; und einem Genie wird dies ſo leicht durch das glückliche Zu - ſammentreffen und Zuſammenſtimmen ſeiner Eigenſchaften, daß es beinahe iſt, als nähme ein anderes Weſen dieſe Ope - ration in ihm vor. Imbéciles wären gewiß immer originell;268 es giebt aber faſt keinen reinen; ſie haben meiſt noch Ver - ſtand genug, unehrlich zu ſein.

Nun weiß ich mit einemmale, warum es mich ſo empört, wenn ein Menſch, was ihm ungeſund iſt, immer wieder ge - nießt; nicht allein, weil es von der unangenehmſten Wirkung und thieriſch iſt; ſondern weil es nicht einmal thieriſch iſt; die Thiere wiſſen, was ihnen heilſam iſt, und vermeiden das Gegentheil. Es heißt die Vernunft ſelbſt auf eine thieriſche Weiſe gebrauchen, dieſes natürliche Gefühl zu übertäuben und nicht zu achten.

Die meiſten Leute wiſſen gar nicht, was das iſt: Schätzen und Verehren. Sie bedienen ſich aber doch ſehr häufig des Ausdrucks und Einer macht den Andern immer irrer; aber ganz behaglich im Irren. Abſcheulich.

Es ſchwert beinah auf jedem Menſchen eine Verdammniß; ſie begreifen ſie aber nicht; ſie fühlen ſie beinah nicht. Ich kenne meine, und es thut mir nicht leid. Unheilbar!

Wenn es einem lange ſchlecht geht, mit Einem Worte, in einem gewiſſen Alter, wird man ganz blaſirt über Schlechtes wie ich neulich zu P. ſagte, das ſind aber ſchlechte Leute, die es über Gutes werden.

269

Antwort.

Ich hab Unrecht, denn ich kann nicht beweiſen, daß ich Recht habe. Und das iſt ja ſehr Unrecht.

An Roſe, in Amſterdam.

Karltge, mein Alter! ich bitte bleib hübſch zu Hauſe! denn ich bin’s wie meines Lebens gewiß, ihr habt ſeit Freitag eine Landparthie, das Wetter iſt umgeſchlagen. Euch, liebe Kinder, hilft’s nichts, und der Welt ſchadet es! Es kann ſo ernſt bis zur Hungersnoth werden! Die Minute, wo ihr in Amſterdam wart, wurde das göttlichſte Wetter! ohne Spaß, Kinder!

Denk dir, Roſe, mir träumt heute Nacht, Louis kommt wieder an! Ich ganz wie außer mir küſſ ihn immer, und ſage: Gott wie iſt das? iſt die Mutter hier? ſo etwas pflegt ja gar nicht zu geſchehen, wie kommt ihr wieder, ſprich Louis, rede du mit mir, Gott, Gott! ſo etwas Gutes iſt gewiß ein Traum, ſprich du mit mir, faß mich an, damit ich’s weiß : ſo ängſtige ich mich, bis du auch hinein kommſt; ich ſage dir daſſelbe; du erzählſt mir, ihr ſeid gleich wieder umgekehrt wegen Toby. Wollt es denn der Vater? ſag ich; Nein! aber wir thaten’s doch. Faß mich an, es iſt gewiß ein Traum! Du beruhigeſt mich aber; und ich glaube zu leben. So quäl ich mich viele Stunden. Und ich verſichere dich, der Traum war garſtig und quält mich noch! Denn270 du ſahſt immer ſo aus, als wüßteſt du doch heimlich, es ſei ein Traum, und du wollteſt es mir nur nicht ſagen. Wie ein Geiſt aus einer andern Welt ſahſt du aus, der recht viel verſchweigt und trägt, und du ſahſt doch aus wie du. Und dann bin ich auch betrübt, daß ſo etwas immer nur ein Traum iſt: und daß man es im Traum ſchon nicht mehr glaubt. Das kommt alles von Karltge’s zärtlichem Brief! Es iſt ganz natürlich, Karl, daß du mich liebſt. Ich liebe dich auch; und frag Roſe, ob das bei ſo bewandten Umſtänden nicht raſend viel iſt und nur auf dieſe einzige Weiſe kann ein Menſch etwas von dem andern wiſſen; die ſich nicht lieben, exiſtiren nicht für einander. Über’s Jahr beſuch ich dich! Wenn ich nicht regieren muß; oder auf dem Miſt liege! Iſt das nicht das beſte Zeichen? die beſte Schmeichelrede? Dein uller Brief hat mich recht gefreut! Weil er mit Trieb geſchrieben war; das kann ich gleich ſehen. Roſe! Scholz iſt im Haag Chargé d’affaires; und außer ſich, dich zu ſehen. Fahre alſo um Gottes willen hin. Und laß ihn gleich holen! ich verſichere dich, er iſt brav. Schicke Karl gleich hin. Zeigt ihm dieſen Brief. Antworten kann ich nicht gleich. Ich bin bos nicht bös mit der Welt. Was machen denn deine olle Underbrucks, Luitzi? In einem Thal, wo junge Hirreten! du Eſel! Liebe Erdbeere, red ihm meine Worte vor! Scholz ſoll den Jungen küſſen. Kinder ſchreibt mir von Dedem, was er für Hoffnungen, für ein Schickſal hat, und ob er bos mit euch iſt. Sag Scholz, ich dank ihm für den Brief, weil er mir Freude macht. Gott, wie kann er nicht wiſſen, daß er in Paris an mich denken muß. Kommt nicht271 alles Franzöſiſche, Großſtädtiſche in ihm von mir her? Lec - türe, auswärtiges Departement, Very’s? Alles. Adieu! Ich lebe wie ein Schuft; ganz allein. Tilly kommt nur, wenn er ganz in Verzweiflung iſt; und will ich ſpaziren gehen, iſt’s des Abends mit Feu. Werd ich’s aushalten? Nein! Nein, nein, nein! mein ſtolzer Sinn erliegt! Bravour-Aria aus der ſchönen Arſene. Ich mißhandle wirklich nun die Jungens! und wen à la tête? Vetter. Ich irre mich nie! nur hör ich auf des tiefen Herzens Widerſpruch nicht: und zehn Jahr nachher muß ich ihm doch folgen. Adieu, grüßt Papa und Alle.

Quaſt, der mir klagen kommt, grüßt herzlich, und beklagt ſich, nur ſo in Pauſch und Bogen gegrüßt zu ſein! Die Kin - der ſind wohl; die Grüße werd ich beſtellen. Da beſuch ich immer, damit ſie mich nicht beſuchen; allein ſein hat Gold im Munde! Wer kennt die Morgenſtunde, vielleicht die Leute, wo die Zitronen blühen. Ich bin ganz luſtig?! gewiß von vielem Waſchen, ſonſt wüßt ich nicht! Der Fiſch im Waſſer? alſo doch ein wahr Wort! Das Sprichwort, bête! Adieu.

Frau von Genlis ſagt vom Eintritt der jungen Leute in die Welt, daß nur Narren das Vergnügen der Geſellſchaften, Schauſpiele und Bälle darin ſähen; aber ſinnige junge Per - ſonen ſollten dieſe merkwürdige Epoche époque mémorable, wo ſie aus dem Innern ihrer Familie in die Klaſſe der Bürger eitoyens aufgenommen würden, um einen Ring272 in der großen Kette zu bilden, aus einem andern Geſichts - punkte anſehen. Sie ſpricht in dieſem Kinderbuche, welches ſie den kleinen La Bruyere nennt, und worin ſie mit ganz fertigen Sätzen aus der Geſellſchaft würfelt, mit kleinen Per - ſonen von ſieben, acht, bis fünfzehn Jahren. Denen ſpricht ſie von Staat, citoyens, von Verbannungen worunter ſie Miniſter und Ausgewanderte meint , vom Zuſtand der Reue und dem Troſte des Alters, von Ämtern und verlorenen Freuden vor; als ob das klügſte Kind nicht noch weniger zu einem von allen Seiten ſchon beleidigten Menſchen zu machen wäre, als ein dümmeres! Kann man ſich wohl verſtehen, wenn man nicht dieſelben Dinge erlebt hat? und gehören dazu nicht innere Fähigkeiten und äußere Ereigniſſe in der Zeit, die ein Fünfzehnjähriger nicht gehabt hat? Mit dem Eintritt in die Welt meint ſie aber auch weiter nichts, als die Einführung in die Geſellſchaftsſäle.

Sie ſagt auch: Tous les sentiments qu’il est impos - sible de conserver toute sa vie, ne viennent point de l’ame. Es giebt auch Menſchen, die nicht während ihres ganzen Le - bens die Seele ganz behalten: und ſo iſt ihr auch das An - denken und die Ideen der Liebe vergangen.

Schwache und begränzte Menſchen ſind ganz nothwen - dig oft undankbar. Es giebt wirklich ſchwache Herzen; wie Köpfe. Undankbar iſt nicht, wenn man nicht dankt: undank - bar iſt, wenn man annimmt, was man nicht leiſten würde.

Il n’y a guère que les secrets cachés par l’amour pro - pre, qui soient exactement gardés. Wahr! aber auch die, die uns zu viel in Andrer Augen ſchmeicheln würden.

Seit273

Seit der Zeit Es gelangt keine Freude zu meinem Herzen; wie ein Geſpenſt ſteht er unten, und drückt es mit Rieſengewalt zu; und nur Schmerzen kommen dahin; dies Geſpenſt, dies verzerrte Bild, ich lieb es! Sagen Sie mir, wann wird dieſer Wahnſinn, dieſer gräßliche Schmerz en - den! Wodurch? Sonntag, den 15. September 1805. Eben wie 1804.

An Frau von F., in Berlin.

Sie ſind mir lieb, folglich auch der Brief: aber welche Mühe haben Sie ſich gegeben! Nicht allein, ſo viel, ſo klein geſchrieben zu haben; aber den Egoismus heraus zu ſtöbern! Wenn Sie ſchon auf’s Allgemeinſte gehen wollen, es giebt noch etwas Allgemeineres, als ihn! Laſſen wir dies! Können Sie mir gut ſein, liebe Freundin? Ja! Weil ich Ihnen gut ſein kann, keine von uns ſtumpf oder zunichte iſt. Gut! Ich bin eigenthümlich? Bin ich dies mit Bewußtſein und Geiſt, ſo werd ich jede Eigenthümlichkeit ehren, und eine ſchöne ſchätzen und pflegen. Das kann uns aber nicht ver - hindern, uns mit Gründen ſo ernſt zu bekriegen, bis eine jede von uns in das Gebiet gedrängt iſt, wo andere Waffen gel - ten. Dies iſt geiſtiger Umgang, ohne den ich eigentlich nicht umgehen kann! Dies wird ſich bei uns ſchon machen, dafür laſſ ich uns beide ſorgen; wie ich es überall liebe, viel vorauszuſetzen! Machen Sie ſich keine zu große IdeeI. 18274von mir; ſonſt können Sie mich nicht lieben! Denken Sie, wenn Sie wollen, alles Gute von mir, das Sie zu denken fähig ſind; nur denken Sie ſich nicht nichts und überlaſſen es meinen etwanigen Fähigkeiten, dies auszufüllen. Ich habe Sterbliche, die ich bis zur Vergötterung liebe; aber es ſind nur mir bekannte, geſteigerte, geordnete, glückliche Eigenſchaf - ten in ihnen, nicht dunkle Unbeſtimmtheiten, die mir dieſen Troſt, dieſe Wonne gewähren.

Die vier eitelſten Menſchen, die ich gekannt habe, ſind Frau von Gr., Doktor Böhm, Major von Gu., und Graf Tilly. Doch müſſen Frau von Gr. und Doktor Böhm an der Spitze ſtehen, weil die beiden ganz ausdrücklich ſich ſelbſt etwas vorlügen, und offenbar nun bereits ſeit dreißig Jahren Schmeichelviſiten an ſich ſelbſt ablegen. Sie möchten vor Glück und Süßigkeit untergehn! wiederholen ſich ewig; kön - nen ſich ganze[Geſchichten] einbilden; geben ſich Kenntniſſe, die ſie nicht haben, verſagen ſich keine Gabe, kurz, machen ſich ohne Umſtände glücklich; und haben nur auch keinen ächten, einen falſchen Ärger, wenn ſie ja einmal bemerken, daß Einer wohl anders über ſie meinte, als ſie ſelbſt; da es ſie aber in ihrer Meinung und in ihrer großen behaglichen Lüge nicht ſehr ſtört, ſo rügen ſie es bloß wie eine Erdrei - ſtung, die geahndet werden müßte, als eine in der Geſellſchaft eingeſchlichene Unordnung, die ſie nur ſcheinbar ergreift: denn auch Geſellſchaft an und für ſich intereſſirt ſie nicht, und nur im oberflächlichſten augenblicklichſten Bezuge auf ſie ſelbſt. 275Sie ſind beide unbedingt die größten Narren, die ich kenne! Mir aber doch bemerkenswürdig; weil die erſtere ſogar eine Anlage, wenn man ſo ſagen dürfte, zur edlen Seele hat; von überekelhafter Süßigkeit gegen ſich ſelbſt aber, in ſchlaffer, nicht derber Gemeinheit aufgelöſt; kurz, eine offenbare När - rin, ſo daß man ſich ihrer ſchämen muß, und nur als ein Geſellſchaftsheld ihre beſſern Eigenſchaften nennen kann, in förmlicher Verhandlung, und von den Dümmſten und Klüg - ſten beſtritten. Doktor Böhm hatte Anlagen zum Verſtand; bei ihm geht aber die Vertheidigung ſeiner Behaglichkeit bis zur gewaltſamſten Härte; womit er die Verkehrtheit verbin - det, ſich auf Ehrlichkeit ſo viel einzubilden, daß der größte Sänger z. B. mit dieſem Maß von Einbildung auf ſein Talent ein unerträglicher Narr wäre. Er ſieht in der ganzen menſchlichen Geſellſchaft nichts als ſich ſelbſt auf einem Thron von Arzneien, und die übrigen Sterblichen im Staub! Der iſt ordentlich blind. Noch iſt es ſonderbar, daß beide aus einer und derſelben gebildeten Stadt Deutſchlands ſind, dort unter ſehr günſtig ſcheinenden Umſtänden erzogen wur - den, und Gelegenheit hatten, Europa kennen zu lernen. Sie ſind Eines Alters, und haben dieſelben Geſellſchaften geſehn; ſie verachten ſich einander ſehr.

Dann kommt Major von Gu., der mit Gewalt eitel war, aus dem klarſten Bewußtſein; der den Moment der Negation für ſich nicht ertragen wollte; der es ſich deutlich geſagt hatte; der alle Menſchen, und ſich ſelbſt an der Spitze, zur Huldigung zwang; der überall der merkwürdigſte war. Von dem ich oft gedacht habe, und ſagen muß, er war eines18 *276höheren Grades von Schmerz fähig, als alle mir bekannte Menſchen, mich mit eingerechnet; denn er ertrug ihn ſchlech - terdings nicht. Stellte ihm ſein Geiſt und ſein Körper die Dinge auf die Weiſe, und ſo erhöht, oder forderte ſeine Seele ſchärfer und mächtiger ihr Wohlſein: genug, er erzwang’s in äußern Bedingungen jedesmal. Daher war er gewaltthätig und ſo auch in ſeiner Eitelkeit. Er ſelbſt war nie ſein Narr; die Mitſpielenden mußten es aber ſein: Verführung, Über - redung, Gewalt, Überzeugung, galten ihm nicht gleich, muß - ten ihm aber dienen helfen. So konnte er närriſch ſcheinen, ohne es zu ſein. Weinen, ſich rächen, drohen, ſeicht leben, zwingen, klügeln, ſich anſtrengen, ſchmeicheln natürlich nicht lange; alles konnte und gebrauchte er, nichts war ihm zu groß, nichts zu klein, um den Moment des Zurücktretens zu vermeiden. Von eigenem Geiſte getrieben, ſtellte er ſich wohl ſelbſt zurück; und beurtheilen konnte er ſich ſehr gut, wenn es wieder auf Urtheil ankam. Niemals hat jemand das Schöne ſeines Gemüths weniger in Umlauf geſetzt, es ſelbſt weniger beſichtelt! Seine Moralität fühlte er immer fertig; er wollte aber mit vieler Gewalt und ununter - brochener Anſtrengung auch ein Aſyl in der Welt für ſein beſſeres Sein; er war durchaus kein Dulder; und ſo ergriffen von dem Gefühl, welches ihm dies verbot, ſo durchdrungen von der Einſicht, daß der Moment auch eine Zukunft iſt, daß er mir oft aus dem tiefſten Geiſte ſagte: Ja! das Würm - chen, ſehen Sie’s kriechen, es hat ſeinen Moment, er iſt alles. Es lebt wie ich; es iſt an ſeiner Stelle, niemand kann da ſein! und ſo ſprach er von niederſchlagenden Scenen 277 deren Nichtigkeit er ſchärfer als irgend ein Menſch wußte der Moment iſt doch da! in dieſem Moment iſt des Kerls Vortreten etwas; denn ich fühl’s ja; ich habe ja den ſchlech - ten Moment. Einen ſolchen Moment zu vernichten, wandte er alles an. Dies war ſeine Eitelkeit.

Nun kommt Graf Tilly. Der iſt komiſch und ſchlecht, denn er hat Reue, und iſt unſicher über ſich; bei eben ſo an - haltender und heftiger, aber mehr beſchränkter Gewaltthätig - keit, weil er dabei ſo außerordentlich viel, nicht allein auf Andrer Äußerung über ihn und Behandlung ſeiner, wie alle Eitlen, giebt, ſondern ſogar auch ſein beſſeres Urtheil ſehr leicht, und faſt immer, dem ihren nachſtellt: dies bringt nun alle Augenblicke die ausgelaſſenſte, gewaltthätigſte Anmaßung zum Vorſchein, die plötzlich an Kinderzweifeln über alle ge - ſellige Gegenſtände bricht, und ihn von dem empörteſten und empörendſt ausgelaſſenen Zorn in die ungewiſſeſte Beſtürzung und lächerlichſte Ungewißheit ſchleudert; dies in den geringſten Kleinigkeiten, die ſeinem beweglichen treffenden Verſtande, und ſeiner immer fertigen und glücklichen Gabe ſich auszudrücken, bei weitem nicht gewachſen ſind. Ich glaube, die gegen ſeine übrigen Gaben unverhältnißmäßig große Gabe zu ſprechen war davon ein verſteckter Grund. Er war leicht von ſeinen und auch Anderer Behauptungen beſtochen und überwältigt, wenn ſie nur gut und in einem gewiſſen Zuſammenhange ge - ſtellt waren, und handelte ganze Lebenszeiten hindurch nach einem ſolchen Ausſpruche, ohne daß er mit ſeiner Überzeugung und ſeinem Gewiſſen Eins geweſen oder geworden wäre. So ward er tugendhafte und religiöſe Vorſtellungen ſeiner Er -278 ziehung und ſeines Familienlebens nie los: und ſein Leben war halb lächerlich halb ſchrecklich anzuſehn: für ihn gewiß meiſt eine innere Angſt und Marter, von Mitteln der Eitel - keit zur augenblicklichen Ruhe gebracht: ein ſchwankender Zu - ſtand, zu welchem auch Geburt, Schönheit und Geiſtesgaben ihm wirkten, und alte verderbte Erziehung, die ſonſt häufiger mit großen Vorſtellungen und Achtung der Religion und Sitte zuſammenging. Er war ein Exempel ehemaliger ver - kohrter Franzoſenwelt und Erziehung. Er genoß alle ihre Vortheile, und erlag ihren tiefen Fehlern.

Das Widerſpiel zu den vier Eitlen iſt T., welche mit Wahrheit in einem Briefe an eine Freundin von ſich ſelbſt ſagte: Wenn ich in der Nähe von Fürſten wäre und mit ihnen lebte, würde ich für die niedrigſte Schmeichlerin gehal - ten werden! Weil ich jedes Menſchen Perſönlichkeit umgehe, und bei der größten Meinungsunabhängigkeit nur immer aus allgemeingeltenden Gründen widerſpreche, ein ſolcher Wider - ſpruch wird gar nicht bemerkt, ſo ſehr er auch wirkt; Beifall und Lab ſuche ich aber ſo perſönlich zu machen, als möglich. Dieſes Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde bei hohen Perſonen ſehr auffallen. Meine beſten Freunde, wenn ſie dies leſen, werden mir nicht beipflichten, ſondern meinen, ich lobe mich ungeheuer aus Vorliebe; ich aber bin überzeugt, daß dies Geſagte die ſtrengſte, in jedem Tage zu erprobende Wahrheit iſt, und bin gar nicht beſchämt.

279

An Frau von F., in Berlin.

Sie wohnen auf Ehre und Seligkeit zu weit! Ich mag mich noch ſo ſehr zwingen, es kommt doch heraus. Eh ich nun zu Ihnen käme, verginge mehr, als eine Viertelſtunde, kurz, die Zeit verginge auf dem Wege. Von heute iſt aber gar die Rede nicht: denn heute verbietet es das Wetter. Davon haben Sie gar keine Idee! von dieſer ſchädlichen man fühlt’s Rauhigkeit. Ich nenne das ein Unwetter, denn es iſt eigentlich keines: ſo war es vor allem Wetter, eine Ungeburt aller Beſtandtheile zu einem Wetter ich glaube ordentliche Nationen kennen das gar nicht die ſchon organiſirte Weſen vernichten. Dies wird Ihnen alles wie Hyperbeln zum Scherz gemacht däuchten Gott bewahre! Es ſind lauter Schmerzen und Unbehagen, die mein Körper ſo deutlich leidet, daß es nur ein Schattenriß iſt von dem, was ich von dieſem grauen Unhold ausſtehe; der mir Leben und Freude nimmt, und mich verhindert auch nur ohne Unge - mach über den Flur zu gehen, geſchweige ein Fenſter aufzu - machen, oder die Straße zu betreten. Glauben Sie nicht, daß mir etwas Beſonderes begegnet iſt. Nein! Ich habe nur manchmal das edle Bedürfniß, unſer Klima in allen ſeinen Gräueln auszuſprechen; und dann dünk ich mich beſſer; und bin zufrieden mir bewieſen zu haben, daß ich ein beſſeres ver - ſtünde. Tiefer Ernſt iſt es mir aber, und leiden thue ich auch. Ich ſchicke Ihnen ein wenig vinaigre des quatre voleurs. Er iſt mild und aufweckend, und hat durchaus nicht das280 Überreizende der andern Mittel aus ſeiner Klaſſe. Sein Sie nicht zu dankbar. Ich kenne Sie. Mich macht eine zu holde Aufnahme meiner Selbſt, und was ich thue, ganz perplex. Antworten Sie nicht!

Aus einem Schreibbuche.

Oft leſ ich in dieſem Buche; und dann iſt mir, als wär ich todt, und ein Anderer lieſt es. Jahre lang quält man ſich, um ein kleines, kleines Reſultätchen endlich hervorzubrin - gen. Dies iſt die Beute! möcht ich ſagen. Die Mühe aber iſt ſie; die Anſtrengung, das ehrliche Beſtreben, nicht zu ruhen, bis wir die kleine Beute finden. Wahrlich ſchwach iſt unſer Geiſt und faul; witklich! Kindheit: mit Licht und Sonnen - ſchein werden wir ermuntert und gelockt. Was wir finden, ſei uns eins. Daß wir finden, iſt der Punkt.

So ekle ich mich auch, das Meiſte, wenn es mir ſchon Einmal entfahren iſt, zu ſagen oder in gutgeſetzten Worten aufzuſchreiben. Mich dünkt, es iſt ſo wenig; und es wird zu nichts, zu kalt, wenn man’s erſt ſchreibt, und gar denkt, ich will es ſchreiben. Darum kann ich auch gar nicht ſchreiben, obgleich ich ſolche Liebhaberei an ſchöner Sprache und gutem Ausdruck habe. Oft möcht ich lieber ändern, was Andere ge - ſagt haben: da dünkt mich wenigſtens nicht dabei, ich ver - derbe meine redliche Gedanken.

Auch kommt’s mir vor, hätt ich eine Stimmung ausge - drückt, in Proſa, oder Verſen, ich könnte ſie nun nie wieder281 haben, nie mehr mit Ehren von ihr ſprechen: ich hätte ihr in das zarte Geſicht geſchlagen. Und es iſt nicht Faulheit und Unwiſſenheit allein, die mich ſo unfähig erhalten.

Dichter aber führen große Gebäude auf; die formen die Welt, die ſie finden, ab; und ſie laufen ganz heimlich mit durch. Ein Nachkomme ſoll ſie mal errathen, beweinen, zu ihnen ſich wenden. Kaum ein Zeitgenoſſe!

Menſchen ohne Kontenance ſind eiferſüchtig, nicht bloß, daß ſie die Eiferſucht zeigen, weil ihnen die Kunſt, ſie zu verbergen, fehlt. Man iſt nicht eiferſüchtig, wo man liebt: aber allda, wo man geliebt ſein will, oder geglaubt hat es zu ſein. Auch ein Reſultat von heute, welches mich viel koſtet ... nicht Eiferſucht aber lange Zeit: und viel Den - ken. Denn das begriff ich gar nicht.

An Frau von F., in Berlin.

Sinken Sie nicht! Ich fürchte es immer, und wenn ich auch nur Einen Tag nicht komme. Mich hält die alte Feſtung wieder ab! das iſt nicht zum Durchſetzen.

Geſtern blieb ich ganz allein: und ſchrieb den ganzen Abend; was Sie wiſſen, und Geſchäfte; und dann las ich die Zeitung, hatte Kopfweh, und ging zu Bette. Wenn Men - ſchen zu mir kommen, ſo merk ich, daß, ſo traurig ich eigent - lich ſein kann, und ſo wenig Erfreuliches ich mir eigentlich zu rekapituliren und zu erwarten habe, ich doch recht gerne282 allein bin. Ich dachte viel an Sie, und war ſo aufgebracht über Ihres, als über Meines; und aufgebrachter über Ihres. Ich erkläre Ihnen das. Waren Sie allein?

Heute ſchrieb ich wahrhaftig wieder den Morgen: und auch an Moritz, den ich grüßte und Ihrer Beſſerung ver - ſicherte. Ich habe auch geſtern einen Brief von ihm gehabt, worin er mir die Hoffnung giebt, daß wir uns dieſen Winter noch ſehn werden. Aber nur die Hoffnung und die kenn ich ſchon!

Antworten Sie mir nicht! ich fühle es jetzt, Federkritzeln iſt tödtlich. Ich dachte, als ich das Papier zurechtlegte, ich würde Ihnen einen recht tröſtlichen Zettel ſchreiben; er iſt nicht ſo geworden. Heute thäte mir nur gêne gut: in Ermange - lung des Rechten! Tra la la la! das Rechte !

Vorüber, ihr Schafe, vorüber!

Nun ja! Aber auch der Winter vorüber! und wir Muth, das Geringe gering zu achten! Nichts iſt erbärmli - cher, als ein Menſch zwiſchen zwei Meinungen ſagt auch der Dichter mit ſehr ſchönen Worten im Clavigo, deren ich mich jetzt nicht erinnre.

So wollen wir nicht ſein; den Tod ſelbſt will ich mir, hab ich mir durch Muth abgewehrt: Sie müſſen mit her - über! Morgen ſeh ich Sie! Grüßen Sie ſehr Mad. J., und bewillkommen Sie das Glückskind! Und fragen Sie den Grafen aus!

283

An Frau von F., in Berlin.

Glauben Sie, Liebe, daß ich den Brief, den ich letzthin bei Ihnen ſiegelte, abgeſchickt habe? Gott bewahre! keinen Muth! Sie kennen mich nur ſtark: wüßten Sie auch, wie zäh ich bin, wahrhaftig! ſchwach dünkt mich noch zu edel.

Ich begreife es nicht! ich bin mit meinem Geiſte nicht ſtill geſtanden; aber mit meinem Herzklopfen ſeit achtzehn Monaten. Ich bereue es nicht. Ob ich dieſes oder anderes hätte die Witterung des Glücks bleibt aus! da gebär - det man ſich, wie man kann; das heißt, man weint und weint nicht. Alles in der Welt, nur nicht ſich tröſten ; mich dünkt, Schmerzen ſind die Rückſeite des höchſten Glük - kes, und mit mächtigem Herzen mag ich es feſthalten, und wenn es auch mir nur verkehrt begegnen konnte. Sinken Sie nicht!! Daß ich Sie morgen harmoniſch in Ihren Zügen finde! ausgeſchlafen! muthig zum Sommer! und Nichtigkeiten gar nicht achtend finde. Wie jung ſind Sie! Wie groß die Welt! Sie, Sie können ſich ja noch immer etwas Schöneres denken, als das, was Ihnen begegnete: vielleicht begegnet Ihnen noch etwas Schöneres, als Sie ſich denken können! Denken Sie ſich!!!

Das Kind Pauline iſt bei mir ſeit fünf Uhr. Wie eine Klapperroſe ſieht ſie aus; lärmt und ſpielt mit Sand. Meine284 einzige Erfriſchung! Ein Kinder-Umgang hat auch den Vor - zug, beinahe nichts Menſchliches an ſich zu haben; wie ein Stück Garten erfreut’s und beſſer und läßt einen ruhig.

An Guſtav von Brinckmann.

Hier iſt das Büchelchen. (Die Weihnachtsfeier.) Wenn Sie auf den Abend kommen Kouriere abgerechnet ſo können Sie’s ſchon ausgeleſen haben. Ich weiß mir etwas damit, es Ihnen zu ſchicken: erſtlich, weil ein eigentlichſtes Vergnügen (von Liebe an Litteratur, an Freundſchaft, Neuem und Bewunderung zuſammengeſetzt) ich Ihnen zuerſt machen kann: da dies Ihre Pflicht gegen mich ſein ſollte; und zwei - tens, weil ich glaube, Sie werden nun gerührt ſich bei Jo - hannes etwas Mühe geben, mir Adams Vorleſung zu ſchaffen!

Wenn Sie mir nicht abſagen laſſen, erwarte ich Sie: Sie geniren ſich aber nicht. Damit wir alle drei Vergnügen haben.

R. L.

Karakter iſt das aus den Verhältniſſen aller Eigenſchaf - ten eines Menſchen oder Werkes u. ſ. w. und durch ihre ein - mal geſetzte und gegebene Zuſammenſtellung nothwendige Re - ſultat; in der Handlungsweiſe, Erſcheinung u. ſ. w. Mich dünkt, nichts anders iſt Karakter, im weiteſten. allgemeinſten Urſinne des Worts. Man kann gewiß dieſe Erklärung noch bündiger faſſen, das fühle ich ſogar ſelbſt; aber auf einen285 andern Grundfuß wohl nicht ſtellen. Definitionen, meine Freude!

Mich darf meine Freundin beleidigen behandeln wie ſie will. Darf man nicht mit ſich umgehen wie man will? Aber in andern Dingen bin ich ſo ſtreng mit ihr, als ich nur mit mir ſelbſt bin.

J. Wie inkonſequent ſind Sie! Erinnern Sie ſich gar nicht mehr, wie Sie ſonſt ſprachen?

R. Sie meinen, daß ich alles vergab! Jetzt will ich plötzlich einen Preis auf mein Ich ſetzen. Zeigen Sie meine Briefe, worin ich anders ſprach; und ſagen Sie: So hat ſie ſich verändert!

Wer mir glaubt, dem nur kann ich die Wahrheit ſagen.

An Frau von F., in Berlin.

Wenn ich nicht ſo geſund bin, und ſolches Wetter iſt, daß ich des Morgens kommen kann, ſo bleib ich dreiſt weg. Was hilft ſolches Viſiten-Geſitze. Ich mache das zur Hand - lung, Viſiten-geſitzen. Iſt wohl dabei an Sprechen, Denken, Mittheilen, Blicken beinah, zu denken? Sahen Sie den grän - zenloſen Ennui des Einen? die Ungewißheit und Mattigkeit des Mahlers? der mir ſonſt unwiderſprechlich die Cour macht nicht die man einer Frau, ſondern die man einer Fürſtin286 oder Künſtlerin macht. Auch muß jeder Blick von mir, jede Inflexion des ganzen Körpers und der Stimme ein voller und genauer Ausdruck deſſen geweſen ſein, was in mir vor - ging. Denn mit dem Alter, mit jedem halben Tag, werd ich der Verſtellung unfähiger. Und o! wie richtig das. Mein ewiges Denken macht mir alles ſchneller klar als ſonſt, und in mir graben hat mich empfindlicher gemacht, als die frei - gebige Natur ſelbſt es beabſichtigte. Hoffnungsloſigkeit macht mich auch rückſichtsloſer; Unrecht dulden auflehnender; Man - gel an Laune launiger, wenn ich einen Reſt davon verſpüre; und endlich die Schlechtigkeit die eines ſchlechten Apfels der noch nicht reifen wollte, mit verfaulten Kernen, anſtatt geſundem Innern ſtrafluſtig. So, und noch tauſendfach anders, fühlte ich mich; und ſo ſchien ich dem Mahler in’s Geſicht wie die Sonne, die wohl den Blödeſten blendet, ohne daß er ein Wort von ihr je zu expliciren vermag! Gott, wenn Sie doch einmal ausgingen! zu mir, und wir zuſammen aus. Machen Sie ſich einmal auf! Sie können ſich ſonſt ganz einliegen. Glauben Sie denn, daß ich nicht ganz herunter bin? Würde ich ſonſt ein Wort der Klage bei Ihnen vor - laſſen? Ich glaube nun endlich, bei Gott! ich ertrag es nicht länger! Lebhafter wird mir alle Tage, was geſchehen iſt. Und andre Menſchen ſagen, man tröſtet ſich! Ich bin ſo empfindlich bis zur Empörung! Und auf dieſe Weiſe är - gerte mich auch geſtern E.! Nicht daß ſeine Verdutztheit nicht jedem erſchienen wäre wie ich’s Ihnen mündlich weil es ſchriftlich die Dinte nicht werth iſt! erzählen werde; aber ſonſt, Gott, ſonſt! achtete ich auf ſo etwas gar nicht,287 ſo offen ſchien mir noch die Welt! Jetzt weiß ich, es wer - den nur Dienstage und Mittwoche; und in denen will ich alles richten und ſchlichten! Und jedes beleidigt mich; nicht weil es von dieſem oder jenem kommt, ſondern weil ich zu viel beleidigt bin. Le coeur foulé. Wahrhaftig ich hätte anders gemacht ſein ſollen zu dem, was ich vorſtelle. Die - ſen halt ich für einen Troſtbrief; herbe Klagen verſcheuchen unſre eignen, ins tiefe Herz: und hülfreich werden wir dem Andern, und können wir auch nicht helfen, ſo iſt es Diverſion und macht verſtutzt!

Heute Abend bleib ich zu Hauſe; ich will den Huſten nicht böſe machen, ſoll ich mich davon auch noch plagen laſ - ſen, und mir Wochen rauben! Sie ſollen aber ungefähr wiſ - ſen, was ich mache. Der Graf Tilly hat mir geſchrieben, er wolle zu mir kommen; er ſpricht ungeheuer gut. Das zeig ich Ihnen einmal durch ſeine Briefe. Er inkommodirt mich nicht, ſagt mir alles, ich bin ihm ein Sprechſaal, er mir eine Art von Lebenaufführer; das hat etwas von Freundſchaft, ohne daß auch der geringſte Akkord vorzukommen braucht, und es iſt tauſendmal beſſer, als vieles Verfehlte. Dabei hat er die größte Lebensart, und bei dem unerzogenen Krob, wel - ches man hier überall ſieht, iſt das ein wahrer Wieſenflor, ein Sopha, eine Gondel für die Seele. Ich finde, die ſelbſt ſo derb und ungeübt-hart ſcheint, daß unſre Geſellſchaften ſo grob als unſre Stücke ſind. Mir ein wahres ununterbro - chenes Leiden. Ich will Ihnen das kleine Billet abſchreiben, welches mir Tilly heute ſchickte. Que je sache, chère petite, si vous passez la soirée chez vous? Il me semble qu’il y a288 dix ans que nous nous sommes vûs pour la dernière fois, d’un autre côté je crois que c’est hier, ce que je souhaite c’est que se soit aujourd’hui. Sehen Sie die Ungeduld, die Wenigkeit, die Natürlichkeit, das gute Schreiben! Der richtige Ausdruck in den wenigen Zeilen des ganzen Verhältniſſes, die Sorgloſigkeit! Ich beſinne mich nicht mehr genau auf die Worte meines Billets; es war aber eben ſo klein! Wie finden Sie mich mit Abſchreiben und Erzählen? Und mein Händchen? Adieu! Sein Sie gutes Muthes! Bin ich morgen ach Gott nein! morgen Vormittag geh ich zu Fichte. Aber ich werde doch zu kommen ſuchen. Sinken Sie nicht! das fehlte mir noch!

An Frau von F., in Berlin.

Liebe beſte Freundin, es iſt auf Ehre ein Leid! daß ich nicht kommen kann. Aber das Wetter iſt Mord, und mein Katarrh auf der größten Höhe. Ich habe die Ausſicht, allein zu bleiben, und bin weniger als je geſchickt dazu. Jetzt die - ſen Augenblick geht Egl. aus meinem Zimmer, es mag beinah halb 6 ſein. Als ich mich mehr aus Verdruß, und weil es die Stunde iſt, zum Schlaf niedergelegt hatte, und ſich die Knoten der ſtrengen Gedanken zu löſen anfingen klopft et - was an mein zweites Zimmer, ich, überzeugt, daß zu dieſer Stunde niemand, aber auch niemand zu mir kommen kann, denke, es iſt neben an, und bleibe liegen; man klinkt die Thüre auf, und Egl. ſteht da. Aus dem Schlaf macht ichmir289mir nichts, alſo war es mir recht lieb. Er ſprach aber ſehr untereinander: und wie richtig hab ich geſehn die ganze Paſtete dies infame Wort iſt hier das beſte kam zum Vorſchein, wie ich es den erſten Tag explizirte, was er unter Genie verſtanden hatte. Eine Art monſtruöſes Geſchöpf, wie es eigentlich keins giebt. Abtheilungen, die trivialen, von Verſtand und Güte kurz, ich erlaß Ihnen die Details, nur wiſſen Sie, er meinte ich mache mir nichts aus Güte, nur aus Unding! Verſtand. Es wird Sie mit anſchei - nendem Recht wundern, daß ich mir deren Herz es wie eine friſche Quelle immer weit wegſtößt plötzlich aus frem - dem Urtheil etwas mache! Ich will es Ihnen erklären. Wäre es ein Eindruck, den ich gemacht hätte, ich nähme es hin! So iſt es aber ein kleines Syſtem von Vormeinungen, die ſich Egl. über mich gemacht hat, ehe er je einen Ton von mir vernahm, und nun, daß ich ihm offen, wie einem jeden, die dreimal, die ich ihn etwa ſah, entgegen kam, und freund - licher als Vielen; vernimmt er mich ſelbſt nicht: und weiß daher weniger von mir, als vorher, weil er noch dazu den - ken kann: ich kenne ſie ja! Und die längſt verrauchte Dummheit fremder Ignoranten ſchadet, oder hindert mich in einem neuen, mir angenehmen Umgang. O! geſegnet, tau - ſendmal geſegnet, liebe Sinne! Mit euch vernimmt man ſelbſt! Gott! ſoll ich denn ewig Schutt räumen, den Andere mir laſſen? Was iſt es garſtig, ſich immer erſt legitimiren zu müſſen! darum iſt es ja nur ſo widerwärtig, eine - din zu ſein!!

Überhaupt bin ich jetzt, wiſſen Sie, empfindlich! und esI. 19290kränkt mich doppelt, daß Mißverſtändniſſe über mich eine Folge einer ausgezeichneten Offenheit und eines edlen Trotzes ſind; den ich nie aufgebe, und hielten mich alle Erdbewoh - ner für einen Schinderknecht. Mich gut zeigen kommt mir vor, wie mich glücklich ſtellen, oder Agonie läugnen!

Gott Gott! Könnte ich dieſen Abend Sie in mein Zim - mer haben? Erſtlich wären Sie geſund; und ich bliebe mit Ruhe zu Hauſe und wir wären beieinander. Bald hätt ich es vergeſſen: Egl. hat mir aufgetragen Sie zu grüßen, er lobte Sie ſehr. Sie ſind liebenswürdig, er achtet Sie, und ich ſoll Sie umarmen. Das thu ich mit dem höchſten Wohl - wollen! Dies Wort bedeutet diesmal mehr, als Sie meinen: es iſt Liebe mit Zufriedenheit gepaart! Ich bin ganz froh mit dem wie Sie ſind: das wo wünſch ich Ihnen heilſamer! Bedenken Sie Ihre Jugend; und den Reichthum der Welt! Der Winter, die Nacht, die trüben Gedanken, die Schmerzen, alles wird vom Leben verzehrt! Schlechtes Geräthe von der Götterflamme. Morgen ſehen Sie mich, und machten Mar - beths Hexen das Wetter!

An Ludwig Robert, in Paris.

Lieber Ludwig! Geſtern erhielt ich deinen Brief über die Hochzeit. Ich finde dieſen Brief außerordentlich ſchön. Diable! du ſchreibſt urplötzlich ſchöne Briefe! Auch mir geht’s wie’n Mühlrad rum wenn ich die Welt, ihren Zuſtand, und der Leute wollendes nicht Wollen mit anſehe! und ich empfand291 dies ſtark beim bloßen Leſen deines Briefes; das Tragiſche, Hochtraurige dabei iſt; daß ein Einzelner ſo lange er dies bleibt particulier an dieſem Schwindeltanz Theil neh - men muß: er iſt mittendrin, nicht drüber, er athmet die Luft, ſie drehen ihn: und das Höchſte, wozu er kommt, iſt, ſich zu ſagen: ich athme infame Luft, und ſie drehen mich! Darum mein hoher Drang, meine anbetende Liebe für die ſparſam der Erde Abgelaſſene, für die Wenige, die durch eine reine bornirte Anſicht ſo viel Kraft in ſich erhalten: durch einen ungeſtörten Willen, und Wollen, der Welt ihre Ge - ſchichte auf Jahrhunderte vorzuſchreiben. Dieſer Wille mag Irrthum ſein; vom Geiſt erleuchtet oder nicht! dies bringt mich auf Luther; und Luther, und alles, was geſchieht, was ich lebe und athme, auf dies. Vorgeſtern ſah ich das Stück. Den Anfang verſäumte ich. Ich bin über dieſes Stück kei - nes Menſchen Meinung. Die ganze Welt hat es vor mir geſehen, und wieder durchaus nicht gefaßt. Zeitungen leſe ich nicht. Bogenvoll ſah ich aber gedruckt darüber liegen. Die werd ich dir ſchicken: denn die Berliner Zeitung iſt voll davon. Julius von Voß ſoll uns ein Leſſing ſein! Mich zwingt kei - ner durch drucken laſſen zum Umgang mit ihm. Warum du die Bogen leſen willſt, iſt mir unbegreiflich. Elegante[Zeitun - gen], weißt du, leſe ich auch nicht! Habe ich die Mode geſehen ſo iſt das alles. Doch werd ich ſie dir zu ſchicken ſuchen. Gott, wie kannſt du das leſen wollen! Sobald es gedruckt iſt, ſchicke ich es dir; und ſollte es mir der Poſt ſein! Heute iſt mir das Herz zugeſchnappt: und dann habe ich zu nichts Ver - ſtand. Ich erlebte dieſer Tage Kränkungen; und will durch -19 *292aus weg! Ich ſuche mir mit der größten Anſtrengung Geſell - ſchaft nach Böhmen. Goethe kommt ganz gewiß nach Karls - bad, einen Sonnenblick muß meine Seele jetzt haben, ich werde ſonſt wahnſinnig. Kann ich nach Böhmen nicht, ſo reiſ ich mit der vorhandenen Gelegenheit nach Amſterdam und von dort nach Paris. Auf eine oder die andere Art. Schreib mir alſo gleich, wie lange du noch bleibſt!!

In dieſer Stimmung, ſiehſt du, kann ich keine Rezenſion über Luther ſchreiben. Ich habe und hatte aber eine göttliche im Kopf. So viel voraus! So viel Glück hat ein Deutſcher noch nie gehabt, einen Punkt zu finden, woraus ſich das erſte, einzige und das beſte deutſche Nationalſtück machen ließ. Dieſer Punkt iſt Luther. Er, Deutſchland, Deutſchlands Exiſtenz, ſeine Litteratur, ſein fragender Sinn, und ſeine wirk - liche Geſchichte, die aus des Landes Karakter hervorgeht, und durch Luthers ſtarken Ruf und Auftreten begann, und da ſich erſt von allen andern Völkern trennte: iſt Eins! Begreife, welch ein Stück ſich davon machen laſſen kann! Niemand konnte dieſen Vorwurf verderben: ich hätte müſſen ein gutes Stück draus machen, Werner hat viel verfehlt; viel geleiſtet; nichts verdorben. Er zeigt Geiſt: aber nur einen. Auch haben ihm die Neuern ſein wirkliches Talent behaucht. Ich hoffe der reine Spiegel läßt ſich noch abwiſchen. Ich hoffe ihm das ſelbſt zu ſagen. Nun nichts mehr: über Chriſtenheit und Religion weiß ich noch manches; und in wie fern ſie auftreten kann. In jedem Fall iſt es ein ganz anderes Stück - chen, als die gute und auch beliebte Jungfer Orleans! Dies Sujet meinte Schiller; und das Mädchen griff er. So denk293 ich. Dein Vorſchlag, mir und der Guten, ſo zu ſagen, zu - gleich zu ſchreiben, widerſteht mir. Fühl doch, daß du un - möglich mit der Geiſtesvigueur, und Freiheit, und Scherz, in allem Ernſt und Kürze über jede Sache an ſie ſchreiben kannſt, als an mich! und daß unwillkürlich dadurch der Brief ſchon anders wird: obgleich deinem geſtrigen nichts anzumerken iſt. Glaubſt du denn nicht, daß ich auch deine Briefe aufbewah - ren würde? und über Staaten, Völker, und Litteratur, ſogar Racen, das iſt ja alles für mich. Doch wie du willſt.

An Frau von F., in Berlin.

Liebe Freundin! Laſſen Sie große Herzen für ſich mitgelitten haben; entzünden ſolche Geiſter das Licht des Ihrigen früher! Haben Sie nur den Willen ſich zu heilen es iſt wie eine Wunde: auch ſie entzündet fieberhaft jedes Lebensprinzip, verbannen Sie, wenn es nur möglich iſt, das Willkürliche, wahrhaft Leidenſchaftliche! Hören Sie auf Goethe mit Thränen ſchreibe ich den Namen dieſes Vermittlers in Erinnerung großer Drangſale, der es im Meiſter deutlich ſagt, daß die Jugend zu viel Kräfte zu haben glaubt, und ſie aus Willkür dem verlorenen Gute wie nachwirft. Er ſagt es anders. Leſen Sie es nach, liebe Tochter, wie man die Bibel im Unglück lieſt: wo Meiſter Marianen verliert, im erſten Bande ſteht es; er wird krank, und Goethe ſchließt ein Kapitel damit; es iſt eine Götter - ſtelle, ein Wolkenſpruch über dieſen Drang der Jugend. 294Sträuben Sie, in der Ehrlichkeit Ihres Herzens, ſich nicht gegen Farbe und Geſtalt; wenden Sie keinen Reiz von ſich! Doppelte Natur trägt der Menſch in ſich; wo ihn das Schick - ſal krönt, darf er ſie beide gebrauchen; der Augenblick, mit ſeinen ſichtbaren wandelnden Schätzen, iſt ein freudiger Spie - gel für ihn; und er darf auch dann wagen, ſein Herz einer Ewigkeit zu überlaſſen: beachtet aber das Schickſal uns nicht, ſo dürfen wir unſer Weſen trennen! Thun Sie’s jetzt. Laſ - ſen Sie Geiſt und Sinne ſpielen: halten Sie ſich nicht mit Gewalt an einen ſchon entflohenen Gegenſtand, der das Ge - bilde Ihres eigenen Verlangens war! Des Menſchen Geiſt iſt unendlich, ſein Herz unzerſtörbar. Da Sie weiter leben müſſen, leben Sie wirklich! Daß Welt und Luft und Leben und Geſtalt auf Sie eindringe! Nur gefalle Ihnen nichts im Schmerze; er vergeht doch; und dann iſt Jugend, Schönheit und Geſundheit weg, und man hat ehrlicher und unehrlicher Weiſe ſich ſelbſt etwas aufgeführt. Sie aber, Liebe, müſſen wahrhaftig gegen die Empfindlichkeit ar - beiten; verdrießlich müſſen doch Ihre Freunde ſein dürfen! es nicht verbergen dürfen, iſt großer Troſt wo nicht der ein - zige! Wie wollen Sie Ihren Freunden denn ernſt ſchützend beitreten? Im Ganzen beſſern Sie ſich! An der Seele zimmert jeder ordentliche Menſch ſo lange er lebt. Faſſen Sie ſich in dieſer Arbeit, und zerſtören Sie nicht mit jugend - licher Überkraft alles von neuem.

295

An Frau von F., in Berlin.

Sein Sie nicht ſo ängſtlich! Selbſt phyſiſchen Schmerz halte ich für Verwirrung, in die wir nicht einzudringen ver - mögen: und es iſt nicht gleich, ob uns dieſe das Leid macht, oder etwas andres, weil unſer ewig bewegter Geiſt, unſere Arbeit, unſer Schmerz ſelbſt, ſie unfehlbar auflöſen müſſen. Alles kann ſich nicht allein ändern, alles ändert ſich ganz gewiß; von heut zu morgen, ganz unvermuthet. Die größte Veränderung kommt auch von innen heraus: in uns geht ſie vor, und wie plötzlich; wie eine Blume ſich erſchließt, immer in einem Moment; ſieht die Welt auch den Prozeß vorher, jene ſelbſt erathmet Licht nur mit einemmale. Kleinere Vor - fälle aber ſind beinahe immer eins, wie ſie kommen; und auch ſelbſt muß man ſie ſich nach geſchehener That zurechte legen, und mit Kunſt und Gewalt Honig aus ihnen ziehen. Wer vermag die zu berechnen! Ich ſpreche heute aus voller Seele! denn auch mir iſt viel Mißwachs vorgekommen, und nicht ganz von der geringſten Art. Aber den ganzen gehäſſigen Eindruck, den er mir macht, nehm ich dazu hin, um mir zu ſagen und zu zeigen, wie ich mir nichts mehr weiß machen laſſe, wie jedes Ding nur droht, und weder freut noch ſchadet, und jedes Ereigniß erſt durch die, welche es gebiert, fertig wird, und man die künftigen Geſchlechter beider Welten nicht kennt; nicht weiß, neben wem im Gedränge man Tod oder Leben findet! Klarheit im Geiſte, reiner und wo möglich ſtar -296 ker Wille, iſt unſere Äufgabe und unſer einziges Glück; zu dem übrigen können wir lachen, beten, weinen.

Alles was in den franzöſiſchen Romanen vorkommt, geht noch gar nicht über den Kreis hinaus, in welchem die Män - ner noch roh ſind, und folglich die Weiber noch affektirt ſein müſſen. Oder beide ſind monſtruös verderbt das berühmte Buch von Laclos d. h. in Albernheit ſich verlierend; wie Gurli in Naivetät; und Thekla, auf Maximen ſchreitend, zum Nichts hin trabt, wankt, und ſtolpert! Dieſe beiden letzten ſind durchaus Pendants; und ſchlechtere Mahler, die aber nach dem Leben mahlten, haben beſſere gemacht.

An Roſe, in Amſterdam.

Es war mir recht angenehm, ſo ſchnell zu erfahren, daß mein großer Brief euch richtig und unverſehrt überkommen iſt. Die erwähnte Sache verſtehe ich wirklich gar nicht, außer ſehr im Großen, wie ein gut organiſirter Kopf alles verſtehen muß. Im Detail hangen dieſe Menſchen, wie jede Volks - klaſſe in jedem Lande, zu ſehr von der jedesmaligen Verfaſ - ſung deſſelben, worin ſie ſich befinden, ab: um daß ich ihre zeitliche und örtliche Zuſtände ſollte beurtheilen können. Es iſt mir aber in der Seele lieb, wenn etwas Gutes für die holländiſchen Juden bewirkt wird; ihre Zahl iſt groß; und297 die Fähigkeit, und das Recht, ſich zu propagiren, haben ſie auch; und ſchon das Gute, welches man einem Menſchen angedeihen läßt, iſt unberechenbar. Nur wünſche ich, man möge ihnen wahrhaft nützen können: bis jetzt gelang dies noch mit dieſer zerriſſenen, verwahrloſten, und noch mehr als alles dies verdient verachteten Nation nicht!

Glaube nicht, Roſe, daß mich irgend eine Trägheit oder Rückſicht abhalten kann, an D. zu ſchreiben, als die tiefſte und gründlichſte Überzeugung, daß er ſich gar nichts aus mir macht: und ich höchſtens ihm en personne, ihm gegenüber ſtehend, ein Achthaben auf mich abdrängen könnte. Du irrſt, alte Roſe! und verwechſelſt mein tiefes Eindringen in die Gemüther der Menſchen, und mein ſchnelles Auffaſſen ihrer Eigenheiten, mit dem Eindruck, welchen ich auf die Men - ſchen mache. Ich verſichere dich, ich bin belehrt worden, daß er über negativ weg ſteht; und ordentlich nicht gut zu nennen iſt. Auch ich war lange unſchuldig darin; und glaubte, harmlos wie ich bin, und bis zur Feigheit nachgiebig, wären ſie mir gut; indeß ſie mich nur gebrauchten: der Menſch will gereizt ſein; ſo bin ich ſelbſt; aber gar nicht reizend. Bewunderns würdiges und Rührendes giebt es wenig; und noch Wenigere, die gerührt werden können, oder zu verehren verſtünden. Laß den Zorn gegen Ludwig ſinken; und bedenke, daß alle Levin’s ſehr nachläſſig ſind; ich begreife, daß nach einem freundlich innigen Zuſammenſein ſolches Schweigen empört; und auch ich war ſchon oft gegen jeden zornig bin wie Polonius im Hamlet, der immer klug predigt, und dumm handelt. Ich wollte aber gern, ihr ge -298 brauchtet Ludwig etwas mit Gewalt; trotz ſeiner Läſſigkeit und eurer Aufgebrachtheit. Jetzt kommt es auf nützen an!

Mama und Alle ſind ſehr wohl. Ich ſchrieb nur heute, damit auch ihr eine ſchnelle Antwort erhaltet: da ich doch ſehe, daß es geht. Markus iſt in Breslau. Adieu. Schreibt mir nur bald wieder!

R. L.

Es giebt ein Farbenſpiel ich will es ſo nennen, in unſerer Bruſt, das ſo zart iſt, daß, ſobald wir es ausſprechen wollen, es zur Lüge wird; ich ſehe die Worte, wenn ſie ſich aus meinem Herzen gearbeitet haben, wie in der Luft vor mir ſchweben; und ſie bilden eine Lüge; ich ſuche andere, die Zeit geht vorüber; und auch wären ſie nicht beſſer geworden! Dieſe Scheu hält mich ab, zu ſprechen. Eine Empfindung iſt ſchön; ſo lange ſie nicht zur Geſchichte wird: mit dem Leben ſelbſt iſt es ſo! Zu leben, die volle Empfindung der Exiſtenz: iſt ſchön; und im Abhaspeln wie wochenartig, und daher ſchmerzhaft die hohe freie Seele ſoll Bedingungen ertragen.

So heiter bin ich auch zuvor geweſen. Und iſt ein wenig weniger Gleichgewicht jetzt in meinem Vergnügt - ſein, ſo kommt es daher, daß ich mich ſtark bei Schwäche fühle; und mich gefaßt auf alles finde. Ich war indignirt, Sinn und Verſtand noch verpfändet zu wiſſen, ohne Reiz;299 und ohne wirkliche Erſcheinung, aus Krankhaftigkeit, Mangel, Stierheit. Kurz, ich freue mich etwas, daß auch nur ein bischen Vegetation auf einem Orte zu ſehen iſt, den ich ſeit fünf (und mehreren Jahren eigentlich ) als den Schauplatz von Verwüſtungen kenne; von dem ich leben ſoll, mein Herz. Aber dieſer kleine Bosheits-Troſt, läßt und giebt er mir nicht auch den Rückblick auf ewige und erneute Trauer? Davon wollt ich ſchweigen.

Mit dem Schickſal bin ich nicht ausgeſöhnter: ich denke ſchon länger, es giebt keins. Es giebt ein Univer - ſum, in dem entwicklen wir uns; und es iſt ganz gleich, wel - ches Schickſal wir haben, wenn wir zu Sinne gekommen ſind; die Entwickelung iſt unſer Schickſal. Kein Zahnweh! und der Reſt ſind wir alles ſelbſt.

An Frau von F., in Berlin.

Es iſt ſchon ſtockfinſtre Nacht, mit Licht und allem, und noch nicht gar lange, daß mir Ihr Brief überreicht wurde. Da es zum Kommen zu ſpät iſt, ſo will ich Ihnen doch durch einige Zeilen, und wo möglich Punkt für Punkt, antworten. Ja, ich bitte Sie, liebe Freundin, denken Sie an die weni - gen Wochen, da ich zufrieden mit Ihnen war. Nicht deß - halb, weil ich zufrieden mit Ihnen war, ſondern, weil Sie vergnügt waren, mich in die Seele hinein freuten; weil jene Zeit Ihnen Bürge iſt, daß Sie, daß man vergnügt ſein kann, wenn man nicht körperliche Leiden hat; das andere Trauer300 durch Unterſuchung, Überlegung, Zerſtreuung welches alles in der Zeit geſchieht, darum nennen’s die Menſchen mit der Zeit vergehen muß. Hätte ich nur das letztemal mit Ihnen ausſprechen können! aber ich glaube, obgleich ich noch zwei ſehr gute Dinge zu ſagen hatte, daß es ſo gut wie ge - ſchehen iſt. Sie haben es geendigt! Kein Zug, der dem Urbilde gleich käme, ſagen Sie ja, den Göttern gelobt, ſelbſt! Sein Sie getroſt, arme Leidenerwählte! Solche Gedanken hat man nie umſonſt! Ja, ja, es ſind die herbſten Leiden! einen ſolchen ſelbſtgeſchaffenen Gegenſtand zu lieben, der einem nur das bischen Eindruck verleiht, und einen ſolchen Gegen - ſtand nicht mehr zu lieben! Alles gleich. Alles Schmerz, Verneinung. Dieſe iſt der reinſte Schmerz. Aber nun alle andern ſcheuslichen Gemüthsbewegungen, welche daraus ent - ſpringen! O welcher innerliche Jammer, welche Noth! wel - cher wahre Krieg mit allen ſeinen Folgen und Gefolge, in der tiefſten Ähnlichkeit. Wer kennt dies beſſer als ich. Aber unendliche Kraft ſoll man dagegen anwenden; ich bin zernichtet, und ich rathe noch zur Vernichtung; alles iſt beſſer als ein Spott ſeiner ſelbſt ſein, und ein ſelbſtgeſchaffenes Werk anzuſchmachten. Todtes erlangt man nie! man kann es nicht beſitzen. Auch ſo ſcharf braucht es nicht immer her - zugehn, und man ſtößt unverhofft auf ſanftere Mittel; nur ſcheuen ſoll man auch Verzweiflung nicht, die unbekannt iſt. Sie ſagen gut: Ich werde gar nichts gethan haben, und es wird mit einemmale alles fertig da ſtehn; ſo iſt es immer, alles, ich behaupte ja, auch das Alter, kommt plötzlich, das Fertigwerden iſt nur immer ein Moment! Nun ſetz ich301 noch hinzu: Und wanken und erſchrecken Sie doch nicht, wenn Sie auch oft glauben werden fertig zu ſein, und plötz - lich die ganze Krankheit wieder fühlen! Sehnſucht iſt’s als - dann: und dieſe ein Zeichen des Lebens. Mehr als das Leben kennen wir ja ohnehin nicht; das ſind wir; das haben wir; und daraus kann immer etwas Schönes werden. Und wie wunderbar! Fühlen Sie ſich nur einmal! Rechnen Sie das bischen Liebeselend nicht. Die Elenden ſind elend!

Sie werden geneſen! Laſſen Sie ſich auch nicht irre machen, wenn ich nicht immer freundlich ſein kann: ich kann es bei meiner innern Verfaſſung, bei gewiſſen Verwirrungen, nicht; auch Krankheit! Und wenn ich in dieſem Briefe ge - hemmt ſpreche, ſo iſt’s weil auch ich an mir hämmere, und ein paar ſchlimme Wachnächte in meinem Bette mit meinem Herzen verbracht habe; und zum Theil wie zu mir ſelbſt ſprach. Sie ſehn, wie freundlich und geſprächig ich gleich werde, wenn Sie geſund werden wollen. Die Welt iſt ſo voll! Ihr Herz thätig: wo ſollte Armuth, Noth in Armuth, herkommen, mit geſunden Sinnen, und dem Muthe, ſich jede Wahrheit zu ſagen!

An Frau von F., in Berlin.

Als ich heute an die Worte in Ihren erſten Zeilen kam: Haben Sie etwas wider mich, lachte ich, es war mehr als lächeln! Mir iſt nicht eingefallen, daß ich böſe ſein könnte! Das müſſen Sie auch aus meinem letzten Billet geſehen haben. 302Die Menſchen, die mich beleidigen können, haben mich ſchon vorher beleidigt, eh ſie’s thaten. Sie werden mich nicht beleidigen, darum können Sie mich nicht beleidi - gen. Egl. aber z. B. mag machen was er will, er beleidigt mich immer, denn er hat mich beleidigt, und er muß mich beleidigen, weil er einmal dieſen Punkt getroffen hat; und ſo Mehrere!

Sie haben übrigens in allem Recht, was Sie ſagten. Nichts iſt odiöſer, als ſich hinter Ignoranz verſtecken, weil es zärtlich gegen ſich ſelbſt und roh gegen die Andern und eine ungeſchickte Lüge iſt, und dieſe Kompoſition die ſchlechteſte Art von Nichtswürdigkeit iſt.

Wenn ich die Leute, nicht die Menſchen, gut behandle, ſo iſt das, weil ich mich nicht zu allen Zeiten ſo grob zu machen vermag, als es zu ihnen ſtimmte, und weil mein Zorn gedämpft wird von der Furcht, die ſie mir einflößen, und die ganz dieſelbe iſt, die ich vor wilden Hunden habe. Meine Verachtung aber iſt gewiß die ächteſte!

Ich komme ſo bald zu Ihnen, als ich kann. Sobald ich wieder ganz beſſer bin, und der Fußboden trocken. Mor - gen in jedem Fall.

Ich lernte, daß es Klarheit und Glück in, und durch uns ſelbſt giebt: dies kann wieder kommen, wenn es ginge; und das Bewußtſein davon kann mir nichts rauben. Auch für Andre muß es Troſt ſein, ein Herz voll ſchlecht behandelter Liebe, die alle Leidenſchaft werden mußte, im ſchönen Port303 ſeines eigenen innern Landes angekommen zu ſehen. Sie müſſen auch dahin! Dahin! dahin! wie Goethe ſagt. Dies iſt das Land.

Liebe iſt ſo ganz das Innere alles Lebens, daß ein simu - lacre davon auch noch die beſten Wünſche in Anſpruch nimmt, und ewigen Antheil erhält.

Nun hab ich auch erfunden, was ich am meiſten haſſe: Pedanterei; ſie ſetzt ganz nothwendig Leere voraus: und hält ſich deßhalb feſt an Formen. Iſt ſie von der beſſern Art, ſo thut ſie dies im halben Gefühl dieſer Leere mit Rechtſchaffen - heit; iſt ſie aber von der ſchlechten, ſo thut ſie es mit Stolz und Prahlerei, nicht ahndend und zugebend, daß etwas an - deres exiſtire. Es kann alſo nichts Unleidlicheres geben, als dieſe Stupidität im völligen Marſch begriffen zu ſehen: wie Narrheit, anmaßend und langweilig: gar nicht zum Er - tragen! Was mich aber empört, iſt dieſe Klaſſe, die mit Prä - tenſion ſittlich!!! ſind. Dies hebt alles auf; gradezu auf, was nur ſo genannt werden kann, und nichts anderes; ich kann es zum Himmel ſchwören, iſt meiner Seele ſo zu - wider!

Es iſt mir nicht möglich ein ſo ordinair gedachtes und ſo wenig wohlklingend geſchriebenes Buch, als Bruno, zu304 leſen. Ich kann nicht errathen, von wem es iſt: aber un - möglich von Schelling. Seiner Verbindung wegen; und weil, wenn man in eine Wiſſenſchaft gedrungen iſt, und mit den meiſten Litteratoren der Zeit ſtreitet ſie alſo kennt nichts dergleichen zu Papiere ſetzen kann. Ich las alſo den meiſter - haft geſchriebenen Roman weiter, ſtudirte Franzoſen und Fran - zöſiſch. Dachte noch Einmal viel über Geſellſchaft, Erziehung: den Unplan derſelben. Über Sitte, Lügen, Verehrung des grad Verächtlichen; Freude an der Tödtung der ewigen Na - tur. Kurz, an die ganze Leerheit und Frevelhaftigkeit der Albernheit. Und gelobte meinen Göttern auf’s Neue!! Schrieb manches in ein blaues Buch, welches ich heute hinzulegen nicht vergeſſen hatte; ſpielte ein wenig von Righini: ſchrieb das: höre 11 rufen; warte auf Mondſchein, will ein bischen gehen um zu ſchlafen.

Bruno krepirt mich ſehr: den Tag hätte ich in jedem Fall, bei mir wenn auch mit andern Büchern zuge - bracht. An Spaziren iſt nicht zu denken. Außer wenn etwa warmer Mond käme.

Ich glaube, Sie loben mich aus Eiferſucht nicht! Ich habe mein heutiges Betragen himmliſch gefunden! bei Vor - ſatz ſo viel Natur zu behalten, iſt eine Haltung, die ich anbete. Sind Sie zufrieden mit meiner Liebe und Bewun - derung zu mir? Den bittern Tadel ſehen zu laſſen, bin ich zu weichlich: und zu verwundet. Le coeur foulé ſagte305ſagte mein geſtorbener einziger Freund Gualtieri comme une jambe.

Mir iſt gut: weil ich nach den innren Bergwerken gar nicht reiſe; nichts zur Sprache kommen laſſe; und in jedem Fall nur auf Wiederholungen kommen könnte, wenn nicht eine plötzliche Glücksſonne aufbräche. Noch immer freut es mich, von der Folter geſpannt zu ſein: und an ein Unterkommen denk ich nicht. Freies Feld mit Schloßen iſt nach ſolcher Par - thie auch etwas. Und an ſichere Palläſte auf der unſichern Herberge Erde, denk ich ſo nicht mehr! Gott! wie ſchön iſt Lear. Ich weinte: als ich mir Shakeſpeare überlegte; über ſeine bloße Exiſtenz! Deutlicher kann ich’s nicht ſagen. Ich ſagte zu Louis, er ſpricht oft wie wir; und würde uns ſehr geliebt haben. Einmal ſagt Lear: Sagt mir, iſt ein Wahn - witziger ein Bürgerlicher oder ein Adlicher? Wie tauſendfach ſchön auf ſeiner Stelle!

Ich wiederhole mein altes Wort. Körperliche Leiden minderte ich durch jedes Mittel! Ich kenne nur die höchſte Leidenſchaft, den höchſten Schmerz des Herzens. Dieſe kann man ſich nicht allein lindern. Ich überlebte ſie: wahrſchein - lich weil ich nicht ſterben konnte. Ich weiß, daß der Schmerz ſich nicht ausſpricht, und daß es aus dem rauſchenden Strom ſchöpfen heißt: ein wenig Waſſer behält man: aber den Strom erſieht nur der daraus, der ihn kennt. Der laute Schrei desI. 20306Schmerzes; den ſegnet ja der unſelige Taſſo auch! Wenn der Menſch es nicht mehr erträgt. Ich verſteh ihn immer! O! den einzigen Vortheil, den einzigen gewährt der wahre Schmerz, wenn er bis zur Beſinnung dringt; den traurigen, den erhabenen, daß er nie wiederkommen kann. Daß er uns wirklich von dem Stück Leben losgeſchnitten hat, wo - ran er blutend riß! So ging es mir. Erhaben nenn ich dies: weil, wenn man von der Welt, in der man lebt, getrennt iſt; und doch noch lebt, man nothwendig erhaben ſein muß. Wenn auch nur, als traurige Betrachtung, daß es ſo, und nicht anders iſt. Die Wahrheit dieſer Anſicht.

Ich will nur meine Mördergrube aufſchließen! Von Liebhabereien hab ich eigentlich keinen Begriff; mir iſt immer, als müſſe man alles haben, oder haben können, was zu haben ſei! Aber Glaswerk und namentlich Flakons, und Stöcke, geben mir einen Begriff, eine Art Vorſchmack von dem, was Liebhaberei ſein muß. Ich ſchicke Ihnen ein kleines Weihnachten von einem andern Kaliber. Leſen Sie einmal in vehementem Franzöſiſch, was ich ſo oft in Deutſch ſchimpfe, predige, nicht begreife, meine, und was mir ewig mein geliebtes Herz ſagen wird und geſagt hat. Ich werde es ſehr deutlich ſchreiben: ſo können Sie es Ihren Gäſten zum Weihnachten mittheilen. Wenn ſie es nur wie ein Buch nehmen! Nämlich, das Buch für ſich, und das Leben wieder für ſich!! Ich könnte Ihnen noch viel über Weihnachten307 ſagen! das einzige Feſt im Jahr, welches den Eindruck eines Feſtes auf mich macht weil es kein anniversaire eines ge - weſenen Feſtes iſt, ſondern ein unter uns fortlebendes aber wie melancholiſch! wenn ich wollte vor dem Jahre weint ich noch bitterlich, als ich die Beſcheerungskro - nen erzündet ſah; und ich mir die ſichere approbirte Ruhe dachte, die ein Glück ſein könnte. Jetzt denk ich an vor’m Jahr, und denke mir nichts. Wie ein Geſtorbener komm ich mir vor. Und Prätenſion an Glück, an irgend ein eingerichtetes, erwartetes Glück, macht mich wie Komödie, ganz ohne Bitterkeit und Schmerz lächeln. Die Krone brennt: und ich wundere mich mehr, wie Menſchen etwas wiederholen können. Mit welcher Inbrunſt ſchenkt ich vor drei und zwei Jahren: ich weine jetzt nicht einmal.

Ich habe dieſen Morgen die Bemerkung gemacht, daß, wenn einem etwas Entſetzliches geſchieht, auch körperlich, man ſich erſt beklagt, wenn es vorbei iſt.

Dann hab ich geſtern Abend bemerkt, daß, ganz umge - kehrt wie man denken ſollte, Leute, die ſich häufig Ausreden bedienen, und denen Lügen nicht fremd und zuwider ſind, und ſeit Kindheit eine bekannte, gangbare, in Gebrauch ſtehende Münze in ihrer Taſche, eben die ſind, denen man ohne Vor - bereitung, ohne wahre Hoffnung ſie zu betrügen, etwas weiß machen kann; ganz leicht! Ich habe es mir auch ſchon er - klärt. Dieſe Menſchen ſind immer mit kleinen Geſchichten20 *308des Tages ganz beſchäftigt die ihre kleinen Lügen ſelbſt immer propagandiren , von Äußerlichkeiten ſo eingenom - men, daß ſie auf der Menſchen Weſen, Stimme, Ton, Blick, Mienen, Haltung, Seele und Art wenig merken, oder ſchief: und beſonders halten die Elenden Ausflüchte und Behelfe für wahre Klugheit, die ſie Andern ſehr ſelten zutrauen; be - ſonders Phantaſten nicht, wie ſie innigere Menſchen nennen. Dies iſt ſehr wahr.

Mit M. hatte ich ein merkwürdig Geſpräch über ſeine geweſene Liebe! Und von D. erzähl ich Ihnen auch. Wol - len wir ſie nach den Inſeln ſchicken?? Gäb es Strafe, gäb es Recht, ſo würde Europa zur wüſten Inſel!

Mein eigenes Sprechen erregte mich wie immer und die Möglichkeit es zu können, iſt, war und bleibt mir lieb. Wenn ich aber ſo viel ſpreche, ſo iſt es gewöhnlich um Ennui und Verlegenheit mit Gewalt los zu werden: dieſe zwei haſſe ich; und ſie ſind mir wie eine Daumenſchraube auch für den kleinſten Augenblick unleidlich. Sonſt lieb ich Schweigen und Zuhören: und in einer ſchönen Geſellſchaft wird einem das immer. Und unterbrechen kann man hinwie - derum auch die Andern. Gewöhnlich iſt Plappern bei mir Behelf für den Abend; und Schmerzenszeichen. Sprech ich über Liebe und dergleichen, ſo kann ich nur ſcherzen, und ver - kehrt ſprechen. Über Muſik aber ſpreche ich nie als im Ernſte; weil man da nicht allein rechtſchaffen ſein, ſondern auch den -309 ken muß, und wenn Einer alſo nichts verſteht, nur abgeſchmackt iſt; ſo reizt mich dies, nicht es ihm, wenn auch in verkehrten Bildern, zu zeigen; das wäre nur grob; aber war auf die tiefſte Sitte verkehrten Anſpruch macht, den muß man abfüh - ren; wenigſtens daß es die Andern merken, und man dem ge - rechteſten Anſpruch des Menſchen etwas abrächet. Bujar weiß aber von Muſik, und das meint ich ganz ernſt, ohne Kon - vulſion.

Ich ließ ihn etwas von Goethe leſen: und ich liebe ihn wegen ſeinem regen Sinn für Muſik, und Muſik in Gedich - ten; dies von einem Franzoſen, im Deutſchen, ergötzte und unterhielt mich. Ich bin rege und amüſabel: und freue mich darüber. Dies, mit großem erſtandenen Leid geſellt, giebt dem ganzen Weſen dies Gewicht, das es gehen macht.

Menſchen ohne Sitten (aber nicht wie ſie beim Thee da - von ſprechen) ſind die wahre Geißel der Andern) Daher kommt alles! Was kann man denn wohl mit einem tau - ben, vertäubten Gewiſſen begreifen und faſſen; und mit einem matten ſtockigen Herzen. Und ſie tragen alle face humaine! (Menſchlich Angeſicht. Daß aber Geſicht im Franzöſiſchen eher kommt, iſt beſſer.) Man ſollte die Fratzen und Schreck - bilder ſehen, wenn ſie ausſähen, wie ſie ſind. Kommt das nie? Mich dünkt, das wäre ein Schritt: und ſie müßten ſich immer hübſch vorkommen: und die Beſſerung nicht daher kommen.

310

Je weniger ein Menſch ſelber zärtlich ſein kann, je nöthi - ger hat er’s, daß man’s mit ihm ſei: aber nur Herzen erſchlie - ßen Herzen: und wo Mangel iſt, iſt wohl Noth; nur das Lebendige aber fühlt, was es nöthig hat. Doch haben alle Sterbliche Momente von Leben.

Überall hab ich an nichts mehr einen Ekel, als mich zu verſtellen. Für Königreiche, für ein Leben in glücklichen Thä - lern! aber nicht, damit die, die einen niemals kennen, ein we - nig anders kennen. Was in mir vorgeht, das iſt gut: ich ſorge gar nicht!

An Ludwig Robert, in Paris.

Wie freut es mich in der tiefſten Seele, dieſelbe Auf - nahme für unſer Schickſal in der deinigen zu ſehen! Nicht Silbenmaß, nicht Dictionnaire jeder Art, nicht Titel, welche Akademieen uns verleihen, ſind das errungene Gut des durch - ſchmerzten Herzens! Das geſtählte Herz ſelber iſt es: die ſich alles gewärtige Seele! der nichts bleibt, als ihr eigenes Ge - wiſſen, die, von dieſem innerſten Punkt des Seins aus, ſich auf ſich ſelbſt ſtemmt, und ſo ihre Exiſtenz erwartet! mit ungetrübten, ungefangenem Geiſte, unſere Mitgift, auf daß wir nicht vergehen aus dem Hauſe Gottes. Der Kinder - ſinn nicht in neumodiſcher, nachplaudernder Sprache 311 der Kinderſinn aus Ehrlichkeit und reiner Aufführung behalten, der Kinderſinn, der nichts anders iſt, als das reine Auffaſſen, geſondert von der ewigen Arbeit, und dem immerwährenden und neuen Abſondern; dies iſt Glück. Das andere iſt For - tüne, Chance, ein gutes Mittagsmahl, gute Toilette, kurz Dinge, die einem nicht entgehen müſſen wie lieben wir ſie , denen man aber immer geſund und ganz entgehen muß. Verehrt, verehrt Fichte’n! Mit Thränen hab ich es geleſen, daß ihr unſern verehrten Lehrer, den rechtſchaffen - ſten Mann! in Paris leſet. Er hat mein beſtes Herz heraus - gekehrt, befruchtet, in Ehe genommen; mir zugeſchrieen: Du biſt nicht allein! und mit ſeinen gewaltigen Klauen einen Kopf, die rohe Menge, bezwungen, ſo bald ſie ſich nur ſtellt. Und Mit - oder Nachwelt muß endlich ſich ſtellen, ihr eignes wildes Drängen hält ſie an! und Jahrhunderte ſpäter erfährt ſie, was ſie verblindet floh; ſieht es vor ſich, was ſie unter ſich glaubte. Waffen, Geſetzbücher u. ſ. w. zeigen es ihr end - lich, und halten als Polizei ſie in Ordnung. Dann duckt ſie, und erkennt es an; und ſtemmt ſich von neuem gegen Neues. O! hielte doch die Erde ſo lange, bis ihre letzte Schuppe vom menſchlichen Geiſte fiel, und ein Erwählter er - lebte dies Spektakel!

Humboldt iſt täglich bei uns. Mein ganzes Denken und Trachten geht dahin, in eine beſſere Gegend zu kommen. Bleib du ja in Paris, behalte dir nur immer Reiſegeld für den Weg nach Amſterdam. Iſt mir das Glück nur irgend günſtig, ſo komme ich auch: mit meiner Freundin etwa. Humboldt will uns auf den canariſchen Inſeln abſetzen. Und312 erzählte uns ſo davon und wie Griechen und Römer ſie die glücklichen genannt haben , daß ich in einem wilden Rattenloch zu ſitzen glaubte. Ich weiß aber auch, daß Deutſchland ſein Liebes für Deutſche behält.

Daß in Europa Männer und Weiber zwei verſchiedene Nationen ſind, iſt hart. Die einen ſittlich, die andern nicht; das geht nimmermehr! ohne Verſtellung. Und das war die Chevalerie. Dieſe wenigen Worte ſind ſehr wahr: enthalten viel Unglück und viel Schlechtes. Es ſchreibt einmal Einer ſolch Buch.

An Frau von F., in Berlin.

Es iſt mir nicht zuwider, es rührte mich ſelbſt bis in’s Tiefſte des Herzens, was Sie mir ſchrieben. Ich war auch ſanft, meine edle, ſanfte Liebe, als ich Ihnen geſtern ſchrieb; und mit Glorie ſeh ich’s ein, daß edle Herzen andern edeln zum Troſt und Glück zu ſprechen vermögen. Schließen Sie das für ewig in Ihre Seele. Das iſt Troſt, das iſt Beute, die die Himmelskraft der Reinheit uns auf Erden vergönnt ja der Erde raubt, möcht ich ſagen. Folgen Sie dem ſchönen Herzen; tauchen Sie ſich in ſein reines Element recht unter; thun Sie ſich wohl! Des Geiſtes Klarheit wird fol - gen, und wie eine reine Gegend, in Morgenſonne, werden Sie Ihr Inneres zur Luſt erblicken; freudig, jung und kräf -313 tig; bis ins Innerſte hell; hochaufjauchzend das Herz, wie Bergesquellen im ſtrahlenden Licht.

Und wer ertrüge nicht der Nächte Dunkel und ihre Schauer, wenn man ſich eines ſolchen Tages erfreut, und er - innert! In des wahren Lebens aufſteigender Bahn führt kein Schritt zurück: dies iſt der Handſchlag des Himmels, beim ſchweren Dienſte um’s Sein; und der Regenbogen, glaub ich, wovon das alte Teſtament uns ſpricht. Sein Sie vergnügt, und ſchwimmen Sie im Element der Tage.

An Ludwig Robert, in Paris.

Geſtern erhielten wir deine Briefe vom 13. worin du ſagſt, daß du einen von mir erhalten habeſt. Du mußt den Poſttag nachher einen zweiten bekommen haben. Ich ſchrieb dir einen Sonnabend aus freien Stücken, und den Sonntag nachher brachte mir Hr. R. einen dicken Brief von dir, mit der Romanze; darauf ſchrieb ich dir den Dienstag gleich wie - der einen ausführlichen Brief, den du nun auch ſchon haben wirſt. Ich will durchaus, daß du noch in dieſer Athena bleibſt: und will alle deine Gründe bekämpfen. Erſtlich iſt vor dem erwünſcht - und erflehten Frieden kein Ort ſicherer und ungeſtörter in ſeiner Exiſtenz, als ſie, Athena. Ich habe mir ausrechnen laſſen, daß, nach dem was du brauchteſt, und jetzt brauchen kannſt und willſt, der Unterſchied monatlich zwanzig Thaler Gold beträgt. Dieſe mußt du wahrlich durch Klugheit einſparen; und dort bleiben, wo alle Meiſterwerke314 der vergangenen Welt dich anſprechen und deine Seele auf Kunſt lenken, dir jedes Studium erleichtern, dich dazu anrei - zen: dort, wo der Mittelpunkt der ganzen Weltbewegung iſt; und wo du gezwungen biſt, Geſchichte zu denken; dies heißt ſie ſtudiren, wenn man ſich denn noch die Materialien dazu zuſammenlieſt. Wie macht man es, um zu ſparen? Ach es iſt mir gehäſſig! ſagſt du. Dies iſt die Anſtrengung, die uns Allen fehlt! Ich rathe es dir auch nicht im Detail, lie - ber Junge; wo es alle Tage wieder kommt, und wirklich unerträglich iſt. Mir wie dir; und ärger; und eben ſo unmöglich. Sondern durch eine einzige kräftige Anordnung, und Einrichtung im Großen. Die dir nichts entzieht, als was Vergeudung le superflu (si peu) nécessaire iſt. Ich weiß es von jungen Leuten, die ganz comme il faut ſind, daß ſie mit der dir bewilligten Summe lebten. Du mußt dich in Penſion geben; einem Jungen kann es ſo ſehr auf die Gegend z. B. nicht ankommen. Du erkundigſt dich nach einer guten. In Frankreich iſt das ſeit undenklichen Zeiten Sitte, und ein - gerichtet. Rouſſeau, alle Gelehrten, lebten vor ihrer Krönung ſo. Da bezahlt man Wohnung, Aufwartung, Koſt, und auch wohl Wäſche ein großer Artikel in Eins. Ich weiß, dieſe drei Dinge geſchmolzen ſind beinah die zwanzig Thaler. Ich kenne dein Logis, Reſtaurateurs und Wäſche in Paris. Dies ſuche durchzuſetzen, und vielleicht noch ein paar Klei - nigkeiten, die ich der Ferne wegen nicht errathen kann, und du bleibſt à ton aise. Gieb dir aber ein wenig Mühe; bleibe gelaſſen und übereile dich nicht! Daß du, lieber Junge, von tauſend Kleinigkeiten in dieſer reizenden Stadt gereizt biſt,315 das iſt nicht wahr! Ich kenne uns; dies reizt uns alles nicht: dich gar nicht! Von zwei oder drei Menſchen biſt du viel - leicht gereizt, ihre hohle eben weil ſie nicht gereizt ſind nach allen Richtungen hinhängende Lebensart zu führen; und das könnte dir in Heidelberg zum Beiſpiel wie in Pa - ris begegnen. Ich durchdringe in deiner Seele deinen Hang nach einem deutſchen akademiſchen Leben; ich fühle es dir nach und kenne ſeinen Urſprung. Vergiß auch nicht, daß uns dieſe Sehnſucht heftiger im Auslande befällt, und daß unſern Geiſt deutſch auszubilden, uns nichts abhalten kann, und eine ge - bildete, uralt-gebildete Stadt, die das Zentrum vom alten Europa, und auch von einem neuen iſt, uns dazu aufregt anſtatt uns zu hemmen; und deine Sehnſucht ſelbſt, das Her - vortreten derſelben, verdankſt du ihr. Du kennſt noch nicht den Schreck, den ich in Brüſſel hatte doch noch Frank - reich , ſich aus Frankreich zu finden: das Herz pochte mir im Theater. Wie unter Barbaren dünkt man ſich. Was ein Deutſcher in Frankreich vermiſſen kann, trägt er in ſich; findet er mit zwei gebildeten Landsleuten wieder: was man aber außerhalb Frankreich vermißt, das iſt nirgend! und, wie gute Luft, krankt man nur erſt, wenn man ſie nicht mehr hat. Es ſind die äußern Lebensbedingniſſe! Vergiß auch nicht, daß ſo bald keine neue Bildung in Deutſchland anſchießen wird noch kann; wenigſtens keine öffentlichen Anſtalten; und je - mand, der ein Deutſcher iſt, wie du, kann an allem andern in der Ferne eben den heilſamen Antheil nehmen. Vergiß nicht, daß noch Jahrhunderte vergehen werden, eh wir Deut - ſchen aufhören werden, den von unſern Landsleuten vorzuzie -316 hen, der uns mit Beute fremder Bildung, und Kenntniß des Fremden zurückkehrt; ſei es auch eines Nachbarlandes; und Frankreich wird in vielem noch lang unſer Vorbild bleiben. Überlege dies alles, und übereile dich wenigſtens nicht. Auch hoff ich noch immer, der Friede ſoll mich auch nach den Ufern der Seine führen. Ach Gott, welche Sehnſucht nach Frie - den! Müßt ich auch hierbleiben. Können ſich denn die Men - ſchen nicht verſtändigen! Ich habe in dem zweiten Brief, den du nun haben mußt, auf alles geantwortet. Wir Alle ſind wohl. Unſer Zimmer hat des Abends zwei Lichter, wie du es kennſt. Ich bin ganz vergnügt: mich ſtört nichts als die vielen Bettler auf der Gaſſe; für die nun auch bald auf gut Rumford’ſch geſorgt wird. Ich theile oft Frühſtück und alles mit ihnen. Dir kann ich es wohl ſagen. Campan, Sohn der Erzieherin, iſt ſehr wohlerzogen und unterrichtet, Bujac kennſt du. Humboldt lieſt uns was, und iſt liebens - würdig. Schick mir das Wenige, was du von Phädra über - ſetzt haſt; vorgeſtern war ſtark die Rede davon, Humb. be - griff nicht, warum Schiller nicht treuer überſetzt habe; und ich bin äußerſt begierig, ihm deines zu zeigen.

Es mag mit oder ohne Bedacht geſchehen ſein, es iſt von einem mächtigen Dichter, daß die drei Weiber im Meiſter, die lieben, Mariane, Aurelie und Mignon, nicht konnten leben bleiben: es iſt noch keine Anſtalt für ſolche da.

317

Ich beneide keinen Menſchen mehr, als um Dinge, die niemand hat.

Ich bin wie die geringſte meiner Äußerungen; und die unwillkommenſte löſt ſich, bin ich überzeugt, für den, der’s ſieht, in dem Zuſammenhang meines Weſens auf. Dies iſt meine beſte Eigenſchaft: die ich zu oft ſelbſt andeutete! und die einzige, die meine Ecken, vom harten Schickſal ange - ſchlagen, allein verſchlingt.

Wer immer nur an Geſchichten, Vorfälle, denkt: hat einen gemeinen Winkel in der Seele. Und der ſtrahlt Fin - ſterniß, wie eine entgegengeſetzte Sonne.

Zu dem reinen einzigen Enthuſiasmus der edelſten höhe - ren Theilnahme gehört guter Wille gar nicht allein: auch die größte Verehrung gebiert ſie nicht allein! Ein Auffaſſen, ein Durchdringen, ein in jedem Punkte anſaugendes Begreifen des innigſten Weſens unſerer Freunde gehört vom Himmel verliehen dazu! Iſt er mir geworden, dieſer Antheil? Ich bin in Sehnſucht vergangen. Und bis jetzt, liebt und haßte ich mit regem Leben alles in den Menſchen, was ich verſtand, und ſah; und begnügte mich ſtückweiſe, mit dem was ich in dieſem und jenem für mich vorfand. Zerſtreut, ehrlich,318 aufmerkſam auf die ganze Welt, jugendlich keinen Genuß noch nicht fordernd; lief ich bis zu meinem jetzigen Alter umher! Arm find ich mich: und ohne Anſpruch; und ſchweige. Alle Kräfte, jede Neigung hab ich aufgeboten, das ganze Herz gegeben. Und bin verſpottet. Kein Opfer hab ich mehr zu bringen. Nun bin ich müde: die kleinſte Verſtellung iſt mir zu viel: und ehrlich iſt alles was ich ſein kann. Brüsque ſcheint bei mir alles: und wirklich iſt man es, wenn man keine Zeit, keine Kräfte mehr verlieren will.

Wer mich verkennt, beleidigt; kennt mich nicht; iſt kein Menſch, iſt eine Sache für mich. Wir ſind Alle nicht exquis: und wollen immer, wenn wir nur können, ſehr ſanft ſein! Es macht uns ruhig. Und da uns Alle einmal die Erde um - ſchließt, und wir auf ihr beinah in Einem Kampf, oder Druck bleiben; ſo wollen wir uns wie Einen anſehen, und unſere Krankheiten, wie die unſerer Glieder, pflegen, heilen, ſchonen, vermeiden, ertragen. Wie moraliſch! wie ſanft! Mir kommt’s aber heute ſo vor. Kann ich mich für eine jähe Be - leidigung, für eine Effronterie, nicht gleich rächen, ſo vergeht ſie für mich. Was ſoll ich machen! Es war nicht viel, weil es geſchehen konnte: es lag in den Umſtänden, daß es möglich war; und dies ſind die Miniſter der Götter, ſie tragen uns, wenn wir nicht kämpfen, wenn wir uns darauf hinlegen. Kurz, leicht, leicht: und lieb, lieb!

319

Ich weiß gar nicht, wie man ein Miſanthrop ſein kann? Je mehr mir die Menſchen im Einzelnen Schlechtes thun, je empfindlicher werde ich gegen jedes gute Wort: ich liebe immer wieder Neue. Es iſt auch von den andern nur Ausrede; die liebten nie Menſchen; ſondern allerhand Dinge? Und ein Haß, ein ſogenannter, ein Mißverhältniß, welches aufthaut, iſt wahrlich eine Art Frühling, Ankündigung neuen Lebens, und Atmoſphäre zum Athmen. Nur das Gute iſt wahr; das andere Verwirrung und ganz negativ.

Der Mann, von dem ich ſprach, es iſt der Freund der einzige der mich zwar vergeſſen hat dem ich’s tau - ſendmal vorher ſagte und der mich nicht vergeſſen kann weil ich eins ſeiner moraliſchen Ideale realiſirt, ja auch ge - ſchaffen habe wenn er mich ſieht, wieder an mich denken muß , der mir kürzlich die viele Angſt gab; deſſen Ge - müth und Dummheit ich ewig lieben werde; der jede Wahrheit faßt: ach! und Sie glauben nicht, und niemand, wie wenig Geiſtern dies Talent ward! (Gentz!) Sie glauben nicht, wie gerührt ich von dem lebendigen Andenken dieſes Menſchen und dieſer Dinge bin! Alles müſſen wir laſſen: unſere innigſte, intimſte Empfindung! Ach und kein Sterblicher, kein Nero, kein Spinoza, keiner, keiner, kein Mann! war je überzeug - ter davon als ich!!! mit dem rauhſten, mit dem zarteſten Herzen! Ach Gott!

320

An Frau von F., in Berlin.

Ich muß Ihnen doch ein Winterwort, Sie werden gleich ſehen, warum ich es ſo nenne, ſagen; Sie glauben nicht, wie ich in mir nachſtöre, mir alles abfrage wirklich ganz aus und über menſchliche Verhältniſſe hinaus komme, und doch nur immer wieder hinein; wie unendlich iſt ſelbſt der Menſch als Menſch: wie iſt es nichts, als Arbeit, immer neue Arbeit, ſo lange er es bleibt; wie iſt er nur eine Zuſammenſtellung von Gedanken, und eine Macht zu dieſer Zuſammenſtellung! Wie ungerecht ſind wir manchmal gegen uns, und immer gegen Andere; wir fordern Beſtand wo wir nur ächtes Bemühen, Ernſt, Unſchuld, und ein wenig guten Scherz zu fordern haben. Was Einer ernſt meint, worüber auch Einer, mit Bewußtſein, ſcherzt, wir ſollten zufrieden ſein; und jede andern Eigenſchaften als Talente lieben und ſchätzen; recht nachſichtig ſein! Zu verachten, hat man ja noch alle Verwirrten; zu ſtören, ewig unſere polypenartige eigene Verwirrung. Pflegt man auf ſolche Dinge nicht im Winter zu kommen?

Ich ließ Ihnen ſagen, ich würde zu Ihnen kommen die - ſen Morgen: ich fühle nach dem Aufſtehn, daß ich nicht kann. Heute ſollte ich mit meinen Geſchwiſtern nach Potsdam: ich habe darauf gedrängt. Ab! ich gehe nicht; ſie. Sonntag ſoll ich auf dem Garten zu Mittag eſſen, aber ich will nicht. Ich321 Ich vergeſſe den Frieden nicht. Wie ein ſchweres Unglück erſchreckt er mich, wenn ich ihn einen Augenblick ver - geſſen habe.

Ich bin wie der Prinz in der Zauberflöte. Ich poche an alle Tempel, da ich nicht geſtorben bin vom erſten Zurück - weiſen. Und man kann nicht ſagen, wie der kranke Ham - let: Iſt es edler, dulden, oder muthig dem Spiel ein Ende machen; ſondern, edel iſt, eine Überſicht über ſeine eigene Natur und die Umſtände, die uns umgeben, zu behalten; und mit Bewußtſein und Schmerz entbehren; und mit Bewußtſein im Genuß genießen; auf alles, und ſogar auf eigene Rück - fälle, gefaßt ſein; und an Entwickelung glauben.

Was mir noch lieb iſt: iſt, daß ich mich kennen gelernt habe. Der letzte Beweis meiner Stehekraft ſoll mir ferner die - nen mich noch muthiger zu machen; muthig, durchaus Unwür - diges nicht an der Stelle von Glück zu dulden. Wer nur im Herzen lebt, und aus dem Herzen giebt, ſoll gar nicht ſchlechte Münzen annehmen. Aus der Welt hat mich Geburt geſtoßen, Glück nicht eingelaſſen, oder herunter; ich halte mich ewig an meines Herzens Kraft und an was mein Geiſt mir zeigt. Dies iſt der mir von der Natur angezeigte Kreis: und in dem bin ich mächtig und die Andern nichtig.

Wäre ich nur über gewaltſamen Tod, cachot, Operatio -I. 21322nen, und Blindheit weg. Dann ſtünd mir der Tod die Welt offen. Es iſt alles wie es iſt; d. h. anders.

Mit Schrecken nahm ich geſtern, in einem Tage wahr, wo meine Nerven frei und ich aufgelegt zur Beſchäftigung war, und mir Kräfte dazu glaubte, daß ich’s nicht vermag; und daß mich meine Krankheit unfähig gemacht hat! Ich war mit Vergnügen bis halb 11 allein und wollte etwas thun, und that auch manches: aber wie ward mir nach einigen Stunden! Ganz ſchlecht; und daher auch meine Nacht und mein Morgen! Alſo die einzige Rettung, das was ich für mich vermöchte, Fleiß, den kann ich nicht ertragen; und alles andere kann ich mir nicht verſchaffen! Ich muß alſo alles wie Wetter ohne Schirm über mich ergehen laſſen; und ich kann es grade nur ſo machen, wie ich es mache. Tiefe Ge - fangenſchaft, und dabei noch Tadel, und Rath, von Feinden, Freunde genannt; und von Leuten, die nicht an mich denken, Feinde genannt! Und helle lichte Einſicht. Aber auch welche Ergebung! dies iſt mein ganzer Glaube, mein ganzer Kultus! meine tiefſte Meinung, die ich nicht auszuſprechen vermag, und nicht ausſprechen ſollte! Alles iſt ſo wie es iſt und nur Kleinigkeiten; kleine Momente von Ewigkeiten exiſtiren für mich.

Klagen Sie nur: klagen Sie immer: die Klage iſt eine Perſon, wenn ſie ächt iſt, ich verſtehe ſie, und ſo ſoll ſie als ſolche anerkannt werden; keine wirkliche Perſon ſoll unterge -323 hen; unerkannt, das iſt das größte Unheil! Die Seele ge - biert auch: mit Liebe und Schmerzen; aber vielfältig, und ohne Bande; ſie bleibt nicht zum Unterpfand zurück; ſie läßt alles zurück , und ich hoffe, ich fühle, auch die Fähig - keit zu Erdendingen Clabaudagen im höhern Sinn und die Gemeinſchaft mit ihnen. Ich könnte noch lange ſo fort ſchreiben, zum Glück iſt das Papier zu Ende!

An Frau von F., in Berlin.

Leſen Sie dieſen Brief, als käme er erſt in acht Tagen an. Ich hatte ihn geſtern geſchrieben. Es iſt ein guter.

Obgleich Sprechen und Schreiben zu gar nichts hilft, ſo ſollte man gar nicht aufhören zu ſprechen und zu ſchreiben! Dieſen finſtern Satz, wovon jede Hälfte nur für ſich allein wahr iſt, nur zum Scherz! Ich bin dieſen Morgen nicht deutlich geweſen; und Sie haben mich auch nicht recht ver - ſtanden. Mir iſt das, wovon die Rede war, zu wichtig, auch iſt es auf einen Punkt gekommen, wo es deutlich werden muß um ſo mehr, da vom nunmehrigen Halbverſtehn nur ein Falſchverſtehn entſtehen müßte, um es nicht nach allen meinen Kräften und meiner beſten Einſicht mit Ihnen zu verfolgen.

Was wir eigentlich unter dem Worte Menſch verſtehen, iſt doch die Kreatur, welche mit ihres Gleichen in vernünfti - ger Verbindung ſteht, in einem Verhältniſſe mit Bewußtſein,21 *324an welchem wir ſelbſt zu bilden vermögen, und auch genöthigt ſind immerweg zu bilden. Wir mögen ſein wie wir wollen, wir mögen machen, was wir wollen, wir haben das Bedürf - niß liebenswürdig zu ſein. Dieſem ſchönen, reinen, menſch - lichſten, lieblichſten Triebe folgen wir Alle. Im höchſten Sinne genommen aber auch bis auf das Zerſplittertſte hinab das ganze Lebensgewebe der Menſchen, als Men - ſchen, iſt nichts als dies ins Unendliche modifizirt. In Ihnen, als in einem zarten, lebhaften Gemüthe, iſt dieſes Bedürfniß dann auch ſehr lebhaft. Was in der Welt iſt aber liebens - würdiger und glücklicher als eine aufgeſchloſſene Seele für alles, was Menſchen betreffen kann! und was hinwieder giebt eine reinere Laune, als eben dieſer Zuſtand, der ſich ſelbſt durch ſeine Dauer, durch ſein bloßes Daſein, erhöht und pro - pagirt! Die ganze Welt gewinnt Sie; und Sie die ganze Welt! Kommen Sie davon zurück welches die Irrmeinung noch ſo vieler Guten iſt das man nur Eines mit ganzer Seele faſſen kann. Prägen Sie ſich recht ein, es entſproſſe Ihnen einen Augenblick die Überzeugung, was liebens - würdig iſt, und Sie ſind es! nicht, wie Sie mir heute ſchrie - ben, eine Arbeit iſt es, die ich fordere wozu Sie jetzt unfähig ſind, wozu man immer unfähig iſt ſondern einen Augenblick von Überzeugung, einen Augenblick geſunder An - ſicht fordere ich.

Mehr gedemüthigt, als ich, wird man nicht, mehr Kum - mer genießt man nicht; größeres Unglück in allem, worauf man den größten und kleinſten Werth ſetzt, erlebt man nicht, mehr ſieh man nicht untergehen; eine gepeinigtere Ju -325 gend bis zu achtzehn Jahren erlebt man nicht, kränker war man nicht, dem Wahnwitz näher auch nicht; und geliebt habe ich. Wann aber ſprach die Welt mich nicht an, wann fand mich nicht alles Menſchliche, wann nicht menſchliches Inter - eſſe: Leid und Kunſt und Scherz! In dem Augenblick, wo Schmerz und zerreißendes Vermiſſen die Seele auseinander - zerrt, kann man, muß man nicht Geiſtesſchätze ergraben wol - len. Als dann muß man vom Vorrath zehren, von Vorrath an den Schätzen, von Vorrath an dem höchſten menſchlichen Intereſſe, am menſchlichen Intereſſe. Antworten Sie mir nicht, daß Gaben der Natur nur dazu fähig machen; und zum Beiſpiel, daß ich mich nicht mit Ihnen vergleichen ſoll. Wer ſo raiſonniren kann, wie Sie über manche Gegenſtände, der hat Kräfte: nur ſein Intereſſe iſt falſch gerichtet.

Ein gebildeter Menſch iſt nicht der, den die Natur ver - ſchwenderiſch behandelt hat; ein gebildeter Menſch iſt der, der die Gaben, die er hat, gütig, weiſe und richtig, und auf die höchſte Weiſe gebraucht: der dies mit Ernſt will; der mit feſten Augen hinſehen kann, wo es ihm fehlt, und einzuſehen vermag, was ihm fehlt. Dies iſt in meinem Sinne Pflicht, und keine Gabe; und konſtituirt, für mich, nur ganz allein einen gebildeten Menſchen. Darum wende ich Sie endlich mit Ihren Augen auf das zu ſehen, was Sie eigentlich ver - abſäumen. Dies iſt, ſich mehr zum Allgemeinen à géné - raliser zu erheben; daß nicht Allgemeines Sie immer auf Einzelnes führe, ſondern umgekehrt. Dies iſt höchſt liebens - würdig; dies würde Sie ganz liebenswürdig machen. Dies können Sie erlangen; denn dies kommt plötzlich, durch einen326 Gedanken; wie bei Ihnen das Gegentheil auch nur durch einen Gedanken, Auch wiederhole ich, was ich ſchon geſagt habe: ſogar geſund werden Perſonen, wie wir, nur wenn ſie den höchſten Ekel vor Krankſein faſſen; wenn ſie durchdrun - gen davon ſind, daß Geſundſein höchſt liebenswürdig iſt. Sie können ſich meinen Drang nicht denken: mit einem Trank möchte ich Ihnen dieſe Überzeugung eingeben! Aber es ge - lingt, ich bin ſicher! Sein Sie nur recht kokett!

Montag, den 14. Bis hieher hatte ich ſchon geſtern Abend geſchrieben; aber dann bekam ich, wie aus blauer Luft plötzlich einen Fieberanfall: er dauerte bis 2 in der Nacht; mit allem Zubehör, außer Kopfweh; ich erſpare Ihnen die Beſchreibung! bitte Sie aber, heute nicht zu kommen, ich bin ihn mir als den dritten Tag gewärtig, und diesmal außer - ordentlich ſchreckhaft dabei: mit Lachen und Weinen. Mor - gen iſt’s vorbei; und dann beſuchen Sie mich: das geringſte Erblaſſen, jedes Zucken von Ihnen, würde mich unleidlich machen. Geſtalten hinderten und erſchreckten mich geſtern bis zu Herzklopfen und Schweiß. Ich habe ein Bad genom - men; fühle aber ſchon jetzt, daß ich’s heute Abend noch habe. Sehen Sie auch meine verſchiedene Hände.

Ich habe Ihren Brief geleſen, und ſchicke meinen doch ab! Eben ſchrieb ich Ihnen meine Geſundheit ab, als ich Ihren erhielt. Faſſen Sie ſich: denken Sie nicht immer an Tollheit; es kann eine Liebhaberei werden. Zerſtreuung! Mir wird der Kopf immer ſchwerer! Kommen Sie morgen! Ich bin ja ſanft, dünkt mich; ſanfter kann ich auch nicht ſein: ich verſtehe nur das zu ſagen, was ich denke, anderes ſehr327 ſchlecht: und was ich Ihnen ſage, Liebe, ſagte ich, beim All - mächtigen! mir ſelbſt, und habe es mir geſagt. Leben Sie wohl! über mich ſein Sie ganz ruhig, ich habe nur einige ſchlechte Stunden. Leben Sie wohl! Es iſt gut, daß Sie ſich geſtern mit den Menſchen zwangen, und ſie unterhielten und im Gang erhielten. Es zerſtreut, weil es beſchäftigt. Sie werden ſchon immer geſchickter werden. Ich denke viel an Sie! Adieu. Ich kann gar nicht mehr! Leſen Sie meinen großen Brief, als käm er erſt in acht Tagen an!

An Guſtav von Brinckmann, in Königsberg.

Lieber Brinckmann! Wie iſt alles anders! O! dürft ich reden! vermöchte ich es auch! Sie ſind der erſte Menſch außer Bruderbriefe nach Hamburg dem ich ſeitdem ein Wort ſchreibe. Als ich Ihren letzten, vierten Brief vom 27. November 1807. bekam, konnte ich vor Fieber ihn kaum leſen; ſchreiben, lieber, alter, wahrer Freund, kann ich noch nicht. Mir ſtehen die lichten Thränen bei dieſen Worten in den Au - gen, O! Gott, was iſt geworden, ſeit ich zu einem ſolchen nicht ſprach, Wie vermehrte Ihr Brief, Ihr ſanfter, deßhalb verwundender Brief mein Fieber! Schuldig ſcheine ich nur: aber iſt das nicht tauſendfach genug? verließ ich Sie nicht ſcheinbar und was haben Menſchen anders im Leben was haben wir anders, als das bischen Überfahrt! Aber nie - drig bin ich nicht geworden. Weil es mir gut geht, iſt es328 nicht geſchehen. Ich ſchrieb aus Furcht nicht! denn niemand hat wohl die mehr ausgeſtanden, als ich. Wer glaubt wohl auch an mehr Möglichkeiten! Alles iſt nicht geſchehen, als bis es beim Thee erzählt, in den Zeitungen geleſen wird. Ich getraute mir den gleichgültigſten Brief nicht zu ſchreiben: und jedes freundſchaftliche Wort erſtockte mir im Herzen; der ein - zige Gedanke, daß die Briefe geleſen würden, machte es mir unmöglich zu ſchreiben. Unſer dicker Freund brachte mir zwar Ihren großen Brief, und verſprach mir eine Gelegenheit, Ih - nen antworten zu können; aber er hielt mir nicht Wort; und weiß ſich vielleicht noch gar in ſeiner Seele etwas damit. Bei meinem Theetiſch, wie Sie es nennen, ſitze nur ich mit Wörterbüchern; Thee wird gar nicht bei mir gemacht, außer alle acht oder zehn Tage, wenn ſich Schack, der mich nicht verlaſſen hat, welchen fordert. So iſt alles anders! Nie war ich ſo allein. Abſolut. Nie ſo durchaus und beſtimmt ennuyirt. Denken Sie ſich, ennuyirt! Denn nur Geiſtreiches, Gütiges, Hoffnunggebendes, kann eine ſo Gekränkte, eine ſo Getödtete noch hinhalten. Alles iſt aber vorbei! Im Winter, und im Sommer auch noch, kannt ich einige Franzoſen: mit denen ſprach ich hin und her, und wir ſprachen das ab, was fremde geſittete, litteraturliebende und übende Menſchen, die nicht Eines Landes ſind, abſprechen und abſtreiten können. Die ſind Alle weg. Meine deutſchen Freunde, wie lange ſchon; wie geſtorben, wie zerſtreut! In dieſem Augenblick ſehe ich nur meinen zweiten Bruder, der mit mir bei meiner Mutter wohnt, und den Mann, der bei uns einquartirt iſt. Eine Art von Gualtieri. (Er heißt Bribes.) Ohne Deutſch natürlich; aber329 doch eine Einmiſchung; denn er iſt von der ſpaniſchen Gränze; ganz ſüdlich, ſchöne Anlagen, ſogar zum Denken, aber höchſt ver - ſchlagen, ich meine wie ein Schiff; weit weg, und wieder ſehr nah. Unſere, ich kann ſagen meine Deutſchheit, macht ihn ſehr ſtutzig, und des Streitens über alle Gegenſtände in der Welt, und des Geiſtes, hat gar kein Ende! Er hat auch Geiſt, aber meiner beunruhigt ihn; und jeder Frau ihrer könnte ihn ärgern. Nun ſehen Sie ihn vor ſich! nicht wahr? Er wohnt beinah ſchon ſeit drei Monaten bei uns, und es iſt nicht ab - zuſehen, wann er geht. Er iſt hübſch, ſehr natürlich, nie affektirt. Äußerſt empfindlich; ich gehe wie ein Löwenwächter mit ihm um. Sehen Sie es nicht? Er haßt mich etwas; aber er braucht mich doch. Wie ſehr mir dies alles Seele, Herz, Geiſt und alles was man ſonſt noch hat, brach läßt, beweiſt mir mein unſäglicher, unausdrückbarer Ennui! denn außer dieſen beiden Menſchen, darum beſchrieb ich auch den Ihnen Unbekannten, und Mad. F., die noch immer krank iſt, ſehe ich niemand. Pauline ſah ich bis jetzt; nun auch nicht mehr. Dies alles mündlich, Ihre Grüße an ſie hab ich beſtellt.

Wann, Brinckmann, kommen Sie denn her! Wird denn das nicht wieder? Glauben Sie wenigſtens, lieber Freund, daß kein Wort in Ihren vier himmliſchen Briefen verloren ging; Spaß, Ernſt, Trauer, alles ging nach ſeinem Orte in meiner Seele. Ich bin wie ich war, Brinckmann; die Schläge haben das Alte in mir geſtählt, und bewährt, und mich wahrlich neu, und weiter urbar gemacht, Ich bin noch des Scherzes, der Freude und des höchſten Leides fähig,330 nur ganz umwerfen kann mich nichts, denn ich liege. Auf Eines bin ich faſt ſtolz. Der Ausgang der Dinge ändert meine Meinung eben nicht. Wenn ich bei Ihnen ſäße, hätte ich Ihnen manches Erfreuliche über den innren Menſchen mit - zutheilen. Was die Welt betrifft, das helfen Sie ja ſogar machen, oder zuſehen. Über Zufälle, die uns Freunde raub - ten, wollen wir ſchweigen. Einer hatte einen Freund, und der war ich. Unſere Stadt iſt wenig modifikabel und ſehr modificirend; ich hatte immer eine Ahndung davon, die ich auch verſchiedenerweiſe ausdrückte, jetzt habe ich die klarſte Überzeugung. Es iſt noch ohnehin, die ſittlichſte, vielleicht in Europa. Und an gewiſſe Augenblicke denke ich mit Rührung. A. Humboldt ſah ich viel; er kennt mich wenig, und goutirt mich gar nicht.

Frau von Staël iſt in Wien, ich möchte faſt ſagen bei Frau von Arnſtein. Engliſcher Brinckmann, laſſen Sie ſich nach Wien ſchicken, und nehmen Sie mich mit!!! Allenthal - ben möchte ich hin: nur nicht nach Norden. Wegen meinem Rheumatism. (Apropos, ein rheumatiſches Fieber war mein letztes.) Geht das nicht? Was iſt für ein Stern auf Ihrem Siegel? Sind Sie Ritter geworden? Ich möchte Ihnen gern etwas Intereſſantes ſchreiben, ich weiß aber nichts! Ach ja! Burgsdorfs Vater iſt Johanniter-Kommandeur geworden, durch den Tod eines Hrn. von Buddenbrock, und hat eine Revenue von 5 bis 6000 Thalern. Schön! Gut für ſeine Gelehrtenfa - milie. Er (der Sohn) hat einen Brief von Frau von Hum - boldt gehabt, wovon er mir weiter nichts ſagen wollte, als daß er eine ſehr ruhige Stimmung andeute; ich hörte ihn aber331 doch in ſo weit ab, daß es mir ſchien, es ſei eine alte heftige Rührung, die er nicht verſtand. Natürlich! Auf mich iſt die Humboldt böſe. Die ganze Welt, außer Sie!! Wie mich der Nil (Gentz) beunruhigt hat, und noch zu denken giebt, das glauben Sie nicht! Noch Eins! den Herzog von Weimar ſah ich im vorigen Winter viel. Sie kennen ihn, ich kannte ihn nicht; ich rechne es immer einem Menſchen hoch an, wenn es ſich leicht mit ihm leben läßt; mir war er als Goethens Fürſt intereſſant. Mir ſind ein paar komiſche Anekdoten mit ihm begegnet, Adieu für heute; das Papier iſt alle, mein Süd - länder lieſt ſchon bei mir, ich bin müde; und merken Sie’s dem ganzen Brief nicht an, daß ich denke, er wird geleſen? Ich kann wahrlich dann nicht ſchreiben. Aber ich ſchreibe Ih - nen noch viel. Adieu.

Denken Sie ſich mein Glück, als ich geſtern voller Kopf - ſchmerzen den vollgeſchriebenen Bogen an Sie wegſchiebe, tritt mein Bruder in’s Zimmer: an Brinckmann , ſage ich; (denn wochenlang quälte nicht allein ich mich damit, daß ich Ihnen ſchreiben wollte und nicht könne, ſondern auch meine beiden Hausgenoſſen,) aber es iſt gar kein Brief, weil mich noch immer meine alte Furcht regiert, und ich auch noch nicht un - gefähr weiß, wie ich den Brief abſchicken ſoll. Gieb ihn mir, ſagt er; Montag geht ein Kourier, ich kenne den Mann, es iſt ein ganz ordentlicher Menſch. Nun will ich noch vorher des Mannes Bekanntſchaft machen. In ſo weit bin ich nun wohl froh, daß ich weiß, der Brief kommt in Ihre Hände:332 denken Sie aber, daß ich meiner Seele einprägen kann, er ſei ſicher, und keinen Unfällen ausgeſetzt? Ja manchen Augen - blick dünkt mich ein Kourier noch unſicherer. Lieber Freund, ſchreiben Sie mir aber: Sie glauben gar nicht, welche Nah - rung und Beſchäftigung Ihre Briefe für mich ſind. Sogar, (dummes Sogar!) der Witz iſt abgeſtorben. Wenn Sie nur wüßten, wie ich Sie mir täglich auffriſche, wiederhole, und um mich herſtelle! Ihren rührenden Scherz, die gütige Kinderlaune, die ehrwürdige, liebende Jugend, den freundlichen Ernſt, das komiſche Gehenlaſſen, die ewige feſte ſittliche und tief von mir verehrte Sicherheit! Sie wiſſen, daß ich, für Gehenlaſſen, bei dem der es darf, den größten Sinn habe; ſo lachten wir vorgeſtern z. E. ganz ohne Aufhören über Seekinder. Sie wiſſen es wohl gar nicht mehr! Sie ſaßen Einmal bei mir am Fenſter, und es liefen ziemlich artige Kinder über die äu - ßere Treppe der Seehandlung, oder kamen aus dem Hauſe, und da frugen Sie ganz anſpruchslos: Was ſind denn das für Seekinder? Aber auch ich habe Ihnen unzählige, und bei Gott beſſere, und zärtlichere Briefe geſchrieben, als dieſen. Und unter welchen Martern; denn dachte ich nicht ewig da - bei, er bekommt ihn nicht, du behältſt es nicht; ach! und was denkt er unterdeß von dir. Ganze Regionen von Gedanken und Meinungen richten ſich nur an Sie; und alle übrigen kann ich Ihnen auch ſagen. That ich es bis jetzt nicht, ſo war das ein Reſt von Jugend. Ich ſchwieg mehr, als ich jünger war: wenn auch nicht überall, doch über mich. Nun aber, da alles verloren iſt, kann man ja als Gemählde-Aus - ſtellung einem Kenner und Kunſtliebenden alles ſagen; das333 laſſe ich mir nicht weiß machen, daß die, welche nichts von Kunſt wüßten, die Natur recht liebten: wie Thieren traue ich ihnen nie! ſie ſind zahm, ſo lange ſie nicht beißen; ich aber ſehe ſie zum Aufſpringen immer fertig. Ich bin bei dieſen Zeilen recht traurig geworden. Gott! hab ich denn alles verſpielen müſſen! Alles verlieren, bis auf freundlichen leiſen Umgang? Nun, wir werden uns ja wohl noch Einmal ſehen: und dann will ich’s verſuchen, Ihnen mein ganzes Leben in eine kurze Er - zählung zu drängen. Es iſt nur noch trauriger, daß es keine Titel hat Unglück ohne Titel und ohne Rächer und Theil - nahme man zählt es für nichts! ein Tropfen Blut, und alle Tribunale, alle Zeugen ſtehen auf; ein blauer Fleck wird geahndet! Nur nicht was mir geſchehen iſt. Es thut mir leid, daß ſo allerhand in meinem Briefe vorkommt: aber es geht nicht anders, und auch darum ſchreib ich oft nicht: von Haus zu Haus, da kann man beim Scherz bleiben, da ſchreibt man ſich des Tages Vorfall und ſeine Narrheit, und da iſt ſelbſt Ernſteres nicht ſo erdrückend und ſchwer an ſeiner Stelle, denn die Welle nimmt es mit; aber ein ſolcher Todten - gräber, wie dieſer Brief, muß, wenn er etwas wird, ſchmerz - haft werden! Verzeihen Sie ihn mir. Ich muß Ihnen aber doch ſagen, daß ich den Sommer, das Wetter, und die Luft und das Feld, genoſſen habe, wie noch wenige in meinem Le - ben. Vom Winter der Verzweiflung nah, und ganz ver - magert, ſah ich wieder einem eingemauerten Sommer in Berlin entgegen, wo ich abends um 11. mit dem Bedienten ein bischen durch die Straßen gehen würde ſo iſt ſeit vielen Sommern meine Lage; ich war allein und wollte334 es nicht mehr dulden: auch ging meine Geſundheit zu Ende. Ich fuhr mit einemmale nach Charlottenburg hinaus, einem meiner liebſten Orte in der Welt; miethete mir Stube, Kammer, Küche, für ſechs Thaler monatlich in der Schloß - ſtraße, ich hatte noch weniges Geräthe von der Bleiche, be - ſorgte das hinaus. Und nach dem ſchweren Augenblick fühlte ich mich wirklich glücklich, und glücklich, daß ich dieſes Ge - fühls für Luft und Grünes, dieſes Zufalls noch habhaft wer - den konnte. Ich glaube es war mein letztes. Der Auguſt taugte ſchon nichts. Hitze thut mir wohl; wir waren, außer zum Schlafen und Eſſen, immer im Garten. Nur wenige Schritte wohnten wir davon. Ganz Charlottenburg kannt ich: nämlich Arme. Mündlich von dieſem rührenden Aufent - halt. Schreiben Sie mir, Brinckmann, wenn ich auch nicht ſo ſehr gut ſchreibe; auch litterariſch kann niemand Ihre Briefe beſſer ſchätzen, beurtheilen und goutiren, als ich. Apro - pos! ich habe einen Brief von Roux an Pauline geleſen, der mich ſehr lachen machte. Der hat ja Sprache, Anſicht, Aus - druck, alles, im Deutſchen von Ihnen angenommen. Und es war dem Bettler wenn ich dem Armen ſage, iſt es zu zwei - deutig nicht genug, wirklich verliebt in Pauline zu ſein, er mußte doch den Ausdruck von Ihnen dazu borgen, der ſich gefliſſentlich nur, und Andern, das was ſie von Grazie und Eigenheit und Wahrheit in ſich hat, ſo zu vergegenwärtigen, und darzuſtellen beluſtigt. Unwiſſender Bettler! Ich ſetze ihn nicht zu ſehr herab; fürchten Sie nichts! Sie aber, ſtellen Sie ihn auf keine Orte, wo er das Genick herunter bricht, wenn Urtheil vorbei ſtreift! Ich kenne ihn ſehr: und alle335 ſeine ſonſtigen Briefe. Empfehlen Sie mich, wenn Sie wol - len, der Gräfin Golz; die muß jetzt ein prächtiges Kind ha - ben: es war ja hier ſchon ſo ſchön.

Ich bin nicht bei Fichte; ſo unpaß fühlte ich mich. Es geht gewiß vorüber mit der Zeit ſagen die Leute ſehr getröſtet! das heißt, mit ihnen ſelbſt. Luſtig! doch bin ich es beinah: ſehr ruhig wenigſtens. Heute dachte ich: Quel - quefois je me rends justice, quelquefois moins que justice, quelquefois plus que justice. Es iſt einem wohl, wenn man keine Anſprüche hat. Wenn einem nichts beſonders wünſchens - werth ſcheint, wenn man ſich vom gleichgültigſten wie vom beſſeren Leben wie auf einem Elemente tragen läßt, und mit Thier-Augen auf den Gegenſtänden haftet, und auch ſo ſie gleiten läßt. Dies iſt aber ein bloßes Erzeugniß phyſiſchen Befindens, und augenblicklichen Feierns des Geiſtes: der eben ſeinen Vorrath verarbeitet hat! Dauert es? Weiſe iſt’s, auch die kürzeſte Dauer zu freſſen savourer fehlt uns . Sehen Sie, weiſe!! ganz müde eigentlich! und ſehnſüchtig nach Wärme und Geſundheit; und nicht ungeneigt zu ſterben. Und auch bereit das Schönſte zu leben. Aber es giebt nichts. Dies weiß ich wirklich anders, als bisher. Ungeheuer gelaſſen: das iſt ſchlimm! Da haben Sie bavardage! Dies iſt ein rechtes Stimmungsbillet!

336

An Frau von F., in Berlin.

Schreiben Sie nur, und ſprechen Sie’s heraus! Dies thut dem Geiſte, Körper, Seele und dem Herzen gut. Auch kön - nen Sie’s; wie ich mit Ihrem Brief belegen kann. Iſt einem zum Schweigen zu Muthe, ſo finde ich das gut; muß einer ſprechen, ſo iſt mir, als wäre dies wieder beſſer: und ſo iſt es auch. Sprechen und ſich äußern beſonders, iſt beſſer; man entwickelt ſich eigenſt dadurch, und läßt eben ſo viele Kon - terfeis, in Zeitfolge, ſeines Seins; da dies niemanden ſchadet, ſo iſt es für Studirende gut; dies ſollten wir Alle ſein, wenn uns die Lagen und Ereigniſſe nicht beengten; auf die Ver - drießlichen, die da ſagen könnten: wozu die Geſchichte, Gale - rien von Gemüthsſtimmungen, Karakteren und Bemerkungen? auf die muß man keine Rückſicht nehmen, und keine an - dere Sorgfalt verwenden, als es ihnen ein wenig wohl und leicht zu machen: dies ſind die Kranken. Wenn es möglich iſt, haben Sie keine Geſpräche mit dem ehrlichen Kerl, dem Doktor, mehr! Er amüſirt Sie: und ſetzt Ihnen doch dabei manchen Schreck in die Seele, und macht Ihnen ſchäd - liche, und dabei wieder verführende Gemüthsbewegungen; er iſt klug genug, um daß ſein Antheil reize, und ſeine blitz - dauernde Einſicht ſchmeichle, und dumm genug, um daß man ſich, gerade wo es ſchädlich iſt, wieder über ihn wegſetzt. Dies alles zuſammen nennt ich gerne ſchädliches Amuſement; auf deutſch, ſchadenbringendes Hinhalten und Erſchwächen.

Es337

Es iſt wahr, wie Sie es ſagen, Ihr Geiſt iſt krank. Der Benennung ausweichend ſagte ich Ihnen dieſes ſchon lange; ſetzte es Ihnen nach meinen Kräften auseinander. Und das Mittel zur Stärkung, der Verkehrtheit auszuwei - chen, iſt eben, ein allgemeineres, für den Geiſt höheres, In - tereſſe zu umfaſſen.

Jetzt zwar iſt alles wider Sie. Aber nichts muß Sie ab - halten, den Sommer als Sommer zu behandeln: Luft zu genießen, zu ſuchen. Und, auch im ärgſten Fall, nicht ein Grab für Lebendige in Ihrem Zimmer einzurichten. Prägen Sie ſich den gerechten Haß und Ekel gegen Krankheit und Unglück ein, und ſie weichen! Auch ich habe es verſucht! man glaubt das Schickſal und die Menſchen zn erweichen, wenn man ſein tiefes Unglück recht eigenwillig hervorſpinnt. Ver - gebens! beide haben kein Herz! In die friſchen Reihen ſtellen Sie ſich, als zu Empfangender, als im Nothfall Mitkämpfender, mit Einem Wort, als rüſtiger Prätendent; und Schickſal und Menſchen zählen Sie feigherzig mit. Sie genießen groß - herzig, was Sie denen auf ganz andere Dinge als wir rech - nend aus den Händen reißen können: und machen Sie einen Verluſt; raſch ein anderes gegriffen! Hart! ſagen Sie. Unmöglich! Nein! noch ſind Sie jung. Verwinſeln Sie die Jahre nicht. Es ſchreibt es niemand ein; einſam haben Sie Ihren Schmerz: einer reicht hin zum Stählen, wenn man gewiß weiß, niemand hört einem zu. Elende Reſultätchen, die ich Ihnen auf einem Blättchen geben könnte! Glück er - weint man nicht. Man rührt auch nicht, weil man brav iſt; ſondern wenn man gefällt. Raſch! Menſchen giebt es viel. I. 22338Hübſches haben Viele. Und bis Sie den Halbgott finden, bis es wie eine Erſcheinung vor Ihnen ſteht, lieben Sie Ein - zelnes in Einzelnen; und beweinen Sie niemand ohne Zer - ſtreuung: man vergißt ſie, wenn man ſich des Andenkens nicht ſtolz erfreut. Selten ſtand der vor Ihnen, der nicht zu erſetzen wäre; und ein ſolcher iſt ewiger Gewinn, und wäre er todt. Das weiß ich an Louis und Gualtieri. Adieu. Auch ich ſchwatze. Der Wind wird ſich wohl legen. Ich will Sie heute ſehen.

An Varnhagen, in Berlin.

Du haſt keine Vorſtellung davon, mit welchem Schreck ich erwache! Eine hemmende Überlegung, die ſelbſt nie zu Ende kommt, drückt mir das Herz zu, und wie zurück. So blieb ich wie unentſchloſſen im Bette liegen; wie unentſchloſ - ſen; denn wußt ich nicht eben zu gut wie alles iſt, und daß nichts zu beſchließen iſt? Es wurde mir alles zur Angſt. Ich dachte, ich wolle es dir ſchreiben, und nahm den Band Goethe in die Hand, und ging herunter. Da lag er neben mir, und ich wie verzweifelt neben ihm! Ein Feſt war ſonſt ein neuer Band Goethe bei mir; ein lieblicher, herrlicher, ge - liebter, geehrter Gaſt, der mir neue Lebenspforten zu neuem, unbekannten, hellen Leben gewiß erſchloß. Durch all mein Leben begleitete der Dichter mich unfehlbar, und kräftig und geſund brachte der mir zuſammen, was ich, Unglück und Glück zerſplitterten, und ich nicht ſichtlich zuſammenzuhalten339 vermochte. Mit ſeinem Reichthum machte ich Kompagnie, er war ewig mein einzigſter, gewiſſeſter Freund, mein Bürge, daß ich mich nicht nur unter weichenden Geſpenſtern ängſtige; mein ſuperiorer Meiſter, mein rührendſter Freund, von dem ich wußte, welche Höllen er kannte! kurz, mit ihm bin ich erwachſen, und nach tauſend Trennungen fand ich ihn immer wieder, er war mir unfehlbar; und ich, da ich kein Dichter bin, werde es nie ausſprechen, was er mir war! Noch muß ich weinen, ſo rührt es mich! Nun haſt du geſehen, wie ich nach dem Buche nicht fragte; und eine Art von Furcht, die meine Nachläſſigkeit unterſtützte, hielt mich ab von dem Buche; ich fürchtete, ihn und mich nicht mehr darin zu finden. Dies auch als Zeichen meines Abſterbens, meines Grams, mei - nes Hinſeins, wollte ich dir ſchreiben, und ich verging vor Schreck und Erſtarren und Weh darüber! aber dumpf blieb es, und unfruchtbar der Schmerz! Mein Freund, mein einzi - ger Freund neben mir, und wir beide todt, todt! Mein Früh - ſtück blieb ein wenig lange, und einen Augenblick ließ es die Angſt doch zu, daß ich das Buch nahm. So leſe ich auch ohne Muth und Hoffnung und finde grade was mir iſt! Lies das Vorſpiel! Seite 14. ſagt die luſtige Perſon vie - les, und am Ende:

Noch ſind ſie gleich bereit zu weinen und zu lachen,
Sie ehren noch den Schwung, erfreuen ſich am Schein;
Wer fertig iſt, dem iſt nichts recht zu machen,
Ein Werdender wird immer dankbar ſein.

Dichter.

So gieb mir auch die Zeiten wieder,
Da ich noch ſelbſt im Werden war.
22 *340
Da ſich ein Quell gedrängter Lieder
Ununterbrochen neu gebar,
Da Nebel mir die Welt verhüllten,
Die Knospe Wunder noch verſprach,
Da ich die tauſend Blumen brach,
Die alle Thäler reichlich füllten.
Ich hatte nichts und doch genug,
Den Drang nach Wahrheit und die Luſt am Trug.
Gieb ungebändigt jene Triebe,
Das tiefe ſchmerzenvolle Glück,
Des Haſſes Kraft, die Macht der Liebe,
Gieb meine Jugend mir zurück!

Mein Freund hat es auch diesmal für mich ausgeſprochen! Und niemals will ich an dem nun verzweifeln! Urtheile, wie er heute, in dem Augenblicke, auf mich wirkte! Allen Dank, alle Zärtlichkeit hat er wieder in mir aufgeweckt. Dies mußte ich dir doch ungefähr ſo ſagen, wie es war. Und nun das geſchehen iſt, preßt ſich doch mein Herz wieder zu. Ich will nun weiter leſen.

Ich habe erfunden: die Gemeinen verſtehen ſich unter - einander; ſie haben ordentlich eine Münze des Verſtändniſſes erfunden, wo kein Heller reiner Gehalt drin iſt; aber davon leben ihre Geiſter, andere Nahrung fordern ſie nicht. Und am Ende der Rechnung zahlen ſie ſich ſelbſt damit aus; und der Umlauf geht wieder los. So verſtehen ſie vortrefflich Y. und Z., und alle ihre nobeln Sentiments: und billigen ſich ganz ernſthaft! Hätten Gewächſe der Erde Sprache, ſo lob - ten ſich die niedrigern und ärmern auch; und wer weiß, ob nicht Todtenblumen ſich mit Gewalt in köſtliche Vaſen ſtell -341 ten, und in prächtigen Zimmern und Lauben ſtänken! Sol - chen Wirrwarr möchte ich ſehen! Wie Pferde-Rebellion! Alles möchte ich deutlicher und härter! Beichten, durch Zauber ver - anſtaltet, auch; wie käme da ein jeder zu dem Seinigen: das Gold ſchrollte in die Erde zurück.

An Varnhagen, in Berlin.

Mir war ganz krank; die große Erſchütterung des Herzens, das gewaltige Schwanken der ganzen Seele, welches alles ſich in Angſt auflöſt, und beim Erwachen Schreck iſt, rüttelt ja wohl ein wenig zuſammen. Mein Ausziehen thut außerordentlich viel dabei! Erſtlich ſchon etwas zu beſorgen zu haben für eine Sache, die man verabſcheut; wo einem Unrecht geſchieht, das ſchlecht wirket; in einen fremden und keinen neuen Ort zu kommen. Meine Leidensgruft, das Stammhaus meiner Qual zu verlaſſen, mich plötzlich im ſtrengſten Verſtande des Worts allein, und ohne jede Hoff - nung, ohne irgend einen Plan, mit der tiefſten Einſicht, mit der beleidigtſten Seele, ohne Muth zur Beſchäftigung zu fin - den. Du weißt, wie ich ſonſt lebte. Umringt, verfolgt vom Morgen bis in die tiefe Nacht, wenn auch nur von ſcheinba - ren Freunden. In meiner Familie belebt, und noch Unzählige mit mir im Verkehr; die Stadt, Theater und Muſik. Ver - zeihe! Nimm hier in der Stadt dieſe Klage noch hin! Es iſt der Hefen unſeres Umgangs. Über Feld, weiß ich, ſchon jetzt, werde ich dir anders ſchreiben. Wozu auch ſo! Wer342 hat mehr Trennungen erlebt, als ich; ich kenne die Zeit in ihrem Fortſchreiten; mit Rieſenſchritten und Rieſenarmen reißt ſie das Neue hervor, und tritt hinter ſich alles zu Grabe. Drum, es mag dich noch ſo wundern, gieb mir meinen Ring wieder! Laß mich etwas beſitzen, Freundesauge gleich! Ich fürchte mich. So wahr ich lebe! Ich ſehe in keines Men - ſchen Geſicht die Sicherheit, die gewiß aus dem meinigen ſtrahlt. Es wird mir ängſtlich und ungeheuer. Ich kann nicht ohne den Ring zurückbleiben. Er weiß, wie ich alles meine, er ſieht aus, wie ich, als ich jung war; laſſe mir die - ſes Bild! Dir kann er nicht nützen; und was hülfe es dir, wenn ich ihn mir ununterbrochen zurück wünſchte! Du weißt, wie ich ihn dir gab; es war ein redlicher, dankbarer élan des Herzens: er muß auch bei mir und meinem Herzen blei - ben. Du wirſt es einſehen. Verzeih, verzeih! daß ich mein Herz und ſeine Angſt abſchreibe; Zaubermittel, es gleich zu ſtillen, giebt es nicht. Genug ich werde ſelbſt dafür ſor - gen, und ſorge ſchon. Hätte ich Vergnügen, Zerſtreuung, ich ſage es ſelbſt ich brauchte kein Glück. Sei du ganz vergnügt. Gieb mir den Ring wieder, und ſei vergnügt! Denke an die Scheine der Sonne, an Wipfel, Thäler und Berge, und an die ſtärkenden großen Luftzüge: und auch ich würde das freudig genießen. Sieh das Wetter! Adieu.

Rahel.

Komme nur nicht unglücklich; ich bin auch wohl! Allhei - lende Kraft allheilender Natur!

343

An Gentz, in Prag.

Nie werden Sie mich los! So lange uns Eine Erde trägt. Auch ich bin im Unglück wie Sie vom vorletzten Winter ſchrieben, Sie ſchämten ſich ſo glücklich zu ſein, erblüht. Wer war mir ewig gegenwärtig, für wen zitterte ich? für Sie. Ewiger, immer geliebter Freund. Welches war mein Mittelpunkt von Verdruß, über alles Weltunglück? daß es mich noch mehr von Ihnen trennte! Sie mögen ſich ver - ändert haben, wie Sie wollen: Sie ſind derſelbe! für mich derſelbe; ſo wie ich Ihnen nur gegenwärtig werde. Wie ſehr, geliebter theurer Freund, lieber alter dicker Gentz! ſind Sie’s mir! Sind Sie noch ſo naiv? O! ja. Sie Taubenſträßler. Mit dem gelblichen Überrock. O! Ich ſehe Sie auch noch wieder! Wie lange, wie ſehr ich mich über unſere Trennung gegrämt habe! Dies geſchieht gewiß ſelten: weil ſelten Men - ſchen ſolche Einſicht von einander haben. Dabei weiß ich doch, daß Sie mich vergeſſen haben: nämlich, daß ich Ihnen gar nicht gegenwärtig bin; aber das thut nichts, das iſt nur eine Tournüre Ihres Gemüths. Morgen Mittag reiſe ich auf zwei Tage nach Magdeburg, und von da nach Leipzig. Dazu habe ich mich mit Gewalt entſchloſſen; weil ich zu feſt und ſtupid im ewigen Bleiben wurde. Ich bleibe die Meſſe über dort. Sie ſchreiben mir dorthin, oder hierher nur durch einen Reiſenden. Nicht mit der Poſt. Es geht nicht! Oſtern iſt mein letzter Termin, und ſollte ich mit einem Bettelſack abge - hen, ich verlaſſe dies breitſtraßige Neſt!

344

Ich habe viel in und mit der Zeit gelitten; bin aber jetzt ganz geſund und in der Seele friſch: und ſtehe in nichts ſtille. Und ſo wächſt die Liebe zu Ihnen mit. Wir haben zwei Freunde verloren! Pauline iſt nach der Schweiz endlich. Sie war ſtark; aber ſie verplumpte ſich: obgleich ſie für mich doch Reiz behielt. Sie und mich liebt ſie am meiſten.

Dieſen Brief nimmt ein Freund, ein lieber Menſch, ein ganz junger, mit nach Dresden, und ſucht ihn dort jemanden mitzugeben. So ſchreiben Sie mir wieder; und ſchreiben Sie mir, ob Sie verliebt ſind. Mir geht’s wie immer, alſo habe ich Ihnen nichts zu ſagen über mich. Hier kenne ich faſt niemanden. Athen kann nicht ausgeſtorbener, und mir fremdartiger ſein. Der Freund, der von mir reiſt, war mein einziger, und mehr! Er geht nach Tübingen; er iſt Arzt. Nichts wirft mich mehr ganz um, als Krankheit: und Ge - fängniß. Sonſt kenne ich die Welt. Heute bin ich der Reiſe wegen zerſtreut, ſo ſollt ich Ihnen nicht geſchrieben haben. Die Trennung von meinem Freund etonnirt mich, die Öde, der Schmerz kommt nach; auch fühlt ich ihn voraus, nur jetzt nicht. Übermorgen früh reiſt er. Ich wollte ſo die breite Stadt nicht ertragen! Ich ſchrieb in einem fremden Haus, wo noch Zwei an meinem Tiſche ſchrieben: das beden - ken Sie! Nur daß ich eben ſo ächt, eben ſo gut bin als ſonſt, und Sie ewig mein Gentz bleiben, ſollten Sie Undank - barer, Zerſtreuter, wiſſen. Wiſſen Sie’s auch! Haben Sie hübſche Kleider? ziemliches Geld?

345

Aus einem Tagebuch.

Kamen wir gegen 5 in Potsdam an: der Weg dahin ſchöner, als man es je ſagt, und wie auch ich es immer wie - der vergeſſe; in Schöneberg ſprachen wir bei Mad. Ephr. an, die an den Wagen kam; in Potsdam kauften wir Früchte. Potsdam war lange nicht ſo öde, als ich’s dachte; keine Zer - ſtörung, lebhafter in den Straßen, als ſonſt. Viel von den Pocken blinde Kinder. Viel und gutes Obſt. Die Menſchen bei weitem dienſtfertiger als ſonſt. Gleich hinter Potsdam ungemein und wie nicht zu vermuthen ſchön. Beſonders Ar - tiſchockenfelder, die, ſähe man ſie in andern Ländern oder Klima, ganz bedruckt wären: alles verräth Anbau dort. Wie angenehm iſt Chauſſée! Welch Gefühl von Sicherheit; wel - cher Troſt, daß ſie das Land ſchaffen kann. Die Havel über - raſcht einen von Viertelſtunde zu Viertelſtunde in ganz an - ſehnlich großen Seen rechts und links, und häufig findet man ſie grade vor ſich. Es iſt ſchön, daß ſie ſo krumm herum - läuft, wie die arme Spree, die auch ihr Möglichſtes thut. Man reiſt ordentlich ganz angenehm dieſen Weg: ſonnen - orange mit ſpike-farbenen Abendwolken mit glattabgeſchnitte - nem Umriß war der liebe Himmel; ſo blieb es hell und lange ohne Sterne; ſie traten auch hervor, und ſo kamen wir ſicher, das heißt behaglich und mit dem geliebten preußiſchen Sicher - heitsgefühl, mit ihnen nach Großenkreuz, einem Bauerhauſe in einem Dorfe in Duſchwald gelegen. So nenne ich einen Wald, nicht größer als ein Buſch. In einer Stube ſaßen346 von Dragonern zurückgebliebene Mädchen wie die Wirthin ſie erklärte und eine Societät Krob! Wie eitel waren ſie, wie vergnügt, wie redſelig, wie ennuyirt und wollend; Einer mit ſchnarrender Sprache nahm das Wort, und erzählte ihnen mit Gewalt Anekdoten; ſie hörten ſie nur mit Geduld. Kurz, wie in einem Salon: nur mit Schmutz überzogen. Wir aßen in einer zweiten Stube; Braten, Kuchen, Bier. Ich trank Kaffee vorher. Die Wirthin ſchien vernünftig, ein ſehr hüb - ſches Mädchen wartete auf, blond mit kurzer Naſe; und ſon - derbar ſtach ihre Traurigkeit zu dieſer überaus muntern Bil - dung ab. Sie ſagte mir, ſie ſei nicht traurig. Aber blieb ſo. Sehr guter Kaffee; und gutes Bier. Auch in dieſem klei - nen Hauſe bemerkte ich mehr Wohlſtand und Aufwartung als ſonſt: die Wirthin ſchien ſehr zufrieden mit ihrem Unglück. Um halb 9 fuhren wir bei den ſchönſten Sternen auf der wei - ßen Chauſſee im ſtärkſten Trabe ab, und ſo blieb’s, und war durchaus nicht finſter. Gemachter Weg iſt der größte Landes - ſegen, er leuchtet ſogar. Als wir ſo viel gefahren waren, daß ich dachte, wir hätten bald eine Meile zurückgelegt, ſah der Poſtillon nach dem Hinterrade; ich frug gleich. Das iſt weg! ſagte er, alle Speichen waren zerbrochen. Nach einer Viertelſtunde kam uns ein leerer Poſtwagen entgegen, wir beide ſtiegen in Heu, denn es war ein kompleter lieber Bauerwagen; und fuhren voraus nach Brandenburg. Schade! daß es nicht länger dauerte, denn nun war es erſt ſchön. Das Heu roch nach allen guten Kräutern und nach Pfeffer - münze, wir lagen beinah darin, wie frei, wie ſchön, wie nächt - lich, wie bequem. Wir kamen in einer Viertelſtunde nach347 dem heimathlichen Brandenburg, ſo iſt die preußiſche Stadt. Schwer kam ein Hausknecht ohne Licht: noch ſchwerer das Licht; und noch ärger ein Mädchen. Wir nahmen nichts mehr; unſer Wagen kam, und wir endlich in’s Bette. Hier hat ſich die alte Saumſeligkeit und Unvernunft erhalten, als ob die Reiſenden für die Wirthe kämen, und dafür bezahlt würden. Unterwegs war es zu meinem Erſtaunen umge - kehrt. Alle Menſchen, und der Poſtillon an der Spitze, glaub - ten ſich für uns geſchaffen; mich ängſtigte es ordentlich. Das Volk hat ſich ſehr verändert.

Die Nacht beſſer als ich dachte. Am Morgen, Magde - burg ſchwamm in Sonne: die dicken Weiden mit den dicken Haaren. Ankunft. Zimmertauſch. Markt. Kugelkarren. Kon - ſkription. Leſen. Nathuſius Garten; hübſche Frau, Kind. Nachhauſefahrt luſtig.

Von Magdeburg. Um halb 11, nicht weit von unſerm Wirthshauſe, in einem von den engen Gäßchen, mußten wir hinter einem Wagen halten, auf welchen Mehlſäcke von einer Bodenluke hinabgelaſſen wurden; unſer Poſtillon blies, aber wer weder ſich ſtören ließ, noch rückte oder rührte, waren die Auflader: mich empörte ſowohl die Geduld des Poſtillons, als die raſende Unbilligkeit der Leute, die gelaſſen verlangten, man ſolle ihr Geſchäft abwarten, womit ſie eine Straße ein - nahmen. Es ſtanden andere Markthelfer und Leute umher, die die Sache einſahen, und etwas drein redeten, beſonders ein Alter, der uns zu amüſiren dachte, und mit einem jungen,348 der auf dem Wagen ſtand und die Säcke packte, ſcherzte, und ihm von der wartenden Poſt ſprach. Mit einemmale antwor - tete der junge, der ziemlich wie ein eleganter Hausknecht aus einem vornehmen Wirthshauſe ausſah: Ich muß auch fort. Warum nicht gar! ſagt der Alte; worauf der junge, ganz rüſtig und bequem geſchäftig aufladend, folgendes Lied mit einer ganz luſtigen Melodie, doch rührenden Ausdrucke, unge - fähr ſo ſang, als: Ja, ja! Es kann nicht anders ſein, mit mir iſt’s auch aus; Mit mir iſt es aus, mit mir hat’s ein End; Huſar muß ich werden im Leibregiment. I! nicht doch! erwiederte der Alte: Gott ſtraf mich, ſagte der Huſar, ich habe ſchon Quartier und alles. Ich griff nach meiner Bleifeder, um das Lied aufzuſchreiben, in dem fuhr ihr Wagen, und unſerer. Wir fuhren aus den Thoren und Wällen von Magdeburg; am letzten Thore und beim letzten Examen durch einen Offizier, knüpperte unſer Poſtillon an den Pferden, ein Höke ſaß dicht neben der Wache, und erzählte fünf ſehr aufmerkſam zweiflenden und amüſirten weſtphäliſchen Soldaten von der Übergabe der Stadt, wie da ein Soldat, der brav war, mit ſeinem Obriſtwachtmeiſter geſprochen habe ꝛc. mit einemmale geht ein gemeiner geſunder Mann vorüber, der Erzähler unterbricht ſich gelaſſen, aber plötzlich: Nun, wie iſt’s abgelaufen? Gut! mir können ſie einen Dr thun, ich habe achtzehn Jahr den Preußen gedient. Die ſechs blie - ben dicht vor der Wache mir nichts dir nichts ſitzen. Wir holten den Menſchen noch ein; ich beſah ihn, er war kaum dreißig, rüſtig und wohlausſehend. Man fährt durch Dör - fer, die wie franzöſiſche ausſehen. Feſter Boden, die Elbe349 links; dicht vor Schönebeck vorbei, und ſieht einen Theil der Salinen-Anſtalten ganz nah. Vier Meilen nach Kalbe, da gingen wir ein wenig ſpaziren, aßen Bierſuppe und Tauben. Der Magdeburger Poſtillon hatte einen ekligen Karakter: ſagte, er lebe von ſeinen Gütern, und führe, um die Welt zu ſehen: nachdem ich mit ihm geſprochen hatte, fuhr er gut. Wir fuhren um 2 von Kalbe, gleich hinter dem Ort wird es ſehr ſchön: der Weg geht ſonderbar immer ringsum. Gen - darmen ſetzten Deſerteurs nach: ſie ritten mit uns. Eine Fähre ſetzt einen über die ſchmale Saale, einem Mühlbach ähnlich, man fährt ſüdlich, wenn’s nicht rundum geht; hat den Harz und den Blocksberg und den halliſchen Petersberg rechts, die untergehende Sonne hinter ſich. Nah an Köthen ſahen wir auf Stoppelfeld Geſellſchaften von zwanzig, vierzig, zehn, Rebhühnern laufen, Haſen zu ſechs, drei, fünf; und viele. In Köthen kamen wir um halb 7 an: ich überredete meinen Reiſegefährten, obgleich es finſter war, die Stadt zu ſehen. Ich redete einen kleinen artigen Jungen in der Straße an, uns zu begleiten: er that es gütig. Wir ſahen des Herzogs Schloß und Garten ꝛc. Als ich nach Hauſe kam, hatte ich den Mordſchreck, dies Büchelchen verloren zu haben: der Haus - knecht fand es mit der Laterne im Schloßgarten. Liebes dum - mes Buch, du koſteſt mich acht Groſchen, aber küſſen möcht ich dich, die haſt du gut verdient!

350

An Frau von F., in Berlin.

Es iſt 9 Uhr Morgens; ich bin gewaſchen, angezogen, habe alles, jede Kleinigkeit, auf einen beſtimmten Ort gebracht; kurz, bin wie ein Wohnender ich ſchreibe nicht wie zu Hauſe, denn da war’s nicht gut ; ich ſchlief ſchlecht, weil ich dieſe Nacht noch auf Betten ruhen ſollte,[auf] ſolchem trock - nen Waſſer aber nicht ſchlafen kann, für’s erſte noch im Kom - toir gebettet war, weil mein Zimmer man erwartete uns noch nicht geſcheuert war. Auch kennen Sie das ſehr gut: ich mußte mir noch alles ausdenken. Um halb 5 Abends kamen wir geſtern an. Nach einer halben Stunde kam mein Bruder. Ich zog mich an, wir gingen in die Komödie; man gab das Intermezzo. Die Erfindung witzig; und wo es nicht plump vor lauter Plattheit iſt, ſehr amüſant: wie kann Kotze - bue bei ſo vielen Einfällen und glücklichem Ordnen in Sce - nenfolge, und Effekt, ſo wenig feines Urtheil, genannt Ge - ſchmack, haben! Geſpielt wurde es meiſterhaft! Hier muß man la comédie allemande ſehen; wir verſtehen unter Komödien alles; Zauberflöte, das Mädchen von Orleans ꝛc. Opitz und eine Frau, deren Namen ich noch nicht weiß [Brede], ſagten affektirte Verſe göttlich! Noch zwei Frauen ſpielten ſehr gut, Künftig, wenn ich die Namen weiß, De - tails. Wie bilden ſich unſre Gendarmenmärktler etwas ein! und bleiben doch nur wie ihr verderblicher Anführer in ewiger Verlegenheit, im Suchen nach Laune: und wie ſo wenig ſpie - len ſie in Fresko; und in welchen glücklichen Verhältniſſen351 hier! wie in dem Maß, was wir Deutſche dulden können: denn wir dulden nicht viel Affektation; und ſo ſcheint uns gradezu alles, wozu ein Übereinkommen vorausgeſetzt iſt, wenn es ſich auf Zierlichkeit, und Effekt bezieht. Auch angezogen waren ſie ſehr gut. Man kleidet ſich jetzt in der Welt egal: und kleine Städte und - ſtädter werden nur dem Lokal - maße nach beſtimmt; ich fand’s mit Anzügen ſo in Weſtpha - len, im Köthenſchen, und in Sachſen. Nach dem Theater gin - gen wir in das Hotel de Bavière eſſen. Leider um ein Vier - tel auf zehn! ich hoffe noch einen Wacher zu entdecken. Wir reiſten gut; ich ſah Horizonte, Land, Luft, Menſchen, Scheine! Apropos ich wohne in einer ſehr lebhaften Straße vorn heraus, ein hübſches Zimmer mit einem großen Alkoven, einem kleinen Kabinet, alle Bequemlichkeit mit Wandſchrän - ken; das Zimmer iſt franzöſiſch, nicht brandenburgſch gebaut, alſo zum Wohnen! Es iſt die größte Ordnung bei mir. Nur habe ich noch keine Geſellſchaft. Auch Alleinſein fürchte ich nicht! Bücher, Sopha, Geſundheit. Die Stadt iſt in Al - larm, Bürgerwache, Entgegenreiten, Ehrenpforten. Man er - wartet heute den König von Sachſen und Napoleon. Sie gehen nach Erfurt, paſſiren unſere Straße.

An die Gräfin .

Dies iſt mein zweiter Brief, liebe Gräfin, den ich Ihnen ſeit dieſem Sommer ſchreibe. Mein erſter war eine Antwort auf den von Ihnen, der mich ſo ſehr freute, als ich es Ihnen doch eigentlich nicht bezeigen konnte; und indem ich Ihnen flüch -352 tig mein Leben, d. h. mein inneres Sein berichtete. Von Woche zu Woche wollte ich Sie wieder anreden, obgleich mich Ihr Schweigen weiter nicht wunderte, noch mein Brief eine direkte Antwort erforderte; aber freundliche und unfreundliche Wellen des Lebens verſchlangen mit meiner Zeit die Ausführung mei - nes Vorhabens, deſſen Lebendigkeit manchmal bis zur Qual in mir ſtieg. Nun aber bin ich nach vierzehn Tagen von Leipzig zurückgekommen, wohin Unruhe und ein kleines nicht zu Stande gekommenes Geſchäft mich rief und ſtürzte; und plötzlich erzählt mir ganz diskurſiv der Baron B., der hier durchreiſt, daß Lothario unumſtößlich gewiß heirathet. Mein Schreck war beinah dem gleich, als ich die noch verſchleierte Exiſtenz von Leontine erfuhr B. dachte ich ſei närriſch das ganz Unerwartete erhöhte ihn um die Hälfte: denn nie konnte ich eine endlich wirkliche Ausführung eines ſo derben Vorhabens von Lothario erwarten. Welchen Henkerſchlag hatte ich Cäcilien beizubringen, wenn ſie es etwa nicht wußte! Geſtern kam ſie zu mir, beklagte ſich eine Wiederholung von mehr als ſechs Monaten über Vernachläſſigung in jeder Rückſicht; und nach langem Schmachten, Miſſen, und Verlegenheit nach Geld, war endlich ohne ein Wort des Tro - ſtes und der Freundſchaft die nackte, kahle Penſion für das Kind angekommen; ſo beträgt ſich, ſo ſtumm immer Lothario, wenn er in Verlegenheit iſt; dies bemerkte mir das Mädchen von neuem. Wie erſchrak ich von neuem! Und wie ein Wundarzt mußt ich mich nun entſchließen, ihr den Mordſchlag beizubringen. Ich verſchone Sie mit den Details! Wiſſen Sie ſoviel: daß ihr Herz und ſeine Forderungen ſchon längſtmit353mit der unerbittlichen Allgewalt des Unglücks abgetödtet iſt: daß ihr erſter Schmerz ſich auch von neuem nur dahin wandte und geſtaltete, den letzten Pulsſchlag zu tödten. Aber welche Angſt, welche Sorge erwachte, und wüthete in ihr für das Kind! Sie kann ſich wenig mit Worten und mit der Schrift äußern und jeder Schmerz kehrt in ſie ſelbſt zurück. Ich ſah es, und hätte vergehen mögen! Was auch hätte ſie von dieſem feigen Manne nicht zu erwarten! ſeine Feigheit iſt ja ſo gediegen, daß ſie Grauſamkeit iſt. Auf ſein machtloſes Herz iſt nicht zu rechnen; gebrauchen wir alſo ſeine Furcht vor éclat; Cäcilie hat Briefe, die ihn vielleicht vor Gericht zu nichts zwingen können, ihn aber in den Augen aller Recht - lichen ſo darſtellen, daß er davor zittert. Da ihn Gott ſo ſchwach unter unſere Augen gebracht hat, ſo nutze man für dies arme Kind, welches er Baſtard in ſeinem Herzen nennt, und welches aus deſſen Blute iſt, ſeine Schwäche! Sprechen Sie, Gräfin, Worte des Ernſtes zu ihm. Sie muß er hören, ſchätzen und fürchten, Ihnen muß er ſich gleich ſtellen! Sie ſind ihm an männlicher Kraft und Muth und Rechtſchaffen - heit überlegen. Er denkt, ſpricht und ſchreibt nicht beſſer und richtiger als Sie. Bei weitem. Ihren Wandel kennt die Welt, die, wie ſie auch zuſammengeſetzt iſt, nach zehn Jahren immer die verfloſſenen richtig beurtheilt. Sie ſind ihm an Macht und Geburt in der Geſellſchaft gleich; Sie ſind ſchon die einmalige Beſchützerin, der wahre Ritter dieſer beiden un - glücklichen Femellen Weiber drückt mir noch nicht alles aus! Sprechen Sie zu dem vergeſſenen Manne. Und da er Cäcilien das Herz gebrochen und vernichtet hat; daß er ſeinI. 23354Kind und die Mutter endlich ſicher der Noth und der ewigen Sorge, und dem ſchändlich prekairen und abhängigen Zu - ſtand entreißt. Es bleibt der Schmach, des Jammers, des Ertragens genug! Er glaubt ſich der vielfach verflochtene, der vierfache Vater frei und leicht ! und jungherzig genug, edles Liebesglück zu bereiten und zu genießen, ein jun - ges Fräulein will er ſich zugeſellen, und der endlich Gemahl und Beſchützer ſein, und Kinder und keine Baſtarde!! mit ihr zeugen; deren Jugend in jedem Sinn will er ſaugen. Und ſie ſoll ewig ignoriren, was er, ſeine Geſchichten, und die Welt ſei. Ich ſchweige! Sie kennen das Greuelgebäude, welches Geſetz und Sitte Europa’s ſchützen! welches ganze Vegetationen von Liebe und Treue verheert und ſchändlich gebraucht; und das Beſte, die Beſſern unter ſeinem Schutt erſtickt. Ich füge kein Wort hinzu: und weiß, Sie reden die - ſen Mann für die beiden Geſchöpfe an! Für jetzt empfindet nur die Mutter die Schmach und Angſt: an ſeine eigne Toch - ter wird die Reihe kommen. Daß er nur nicht denkt, ſie von Cäcilien zu trennen! dem größten Skandal ſetzt ſie ſich lieber aus; und es gehen mehr bettlende Weiber mit Kindern um - her. Ich wenigſtens rathe ihr im ſchlimmſten Fall dieſen Schritt nicht ab. Haben Sie doch die Gnade mich mit einer Antwort zu erfreuen! Sie wiſſen aus meinem letzten Brief, aus dieſem, aus meinem Wandel und meinem Sein, wie ſehr ich Sie ſchätzen muß; ich füge nur noch hinzu, daß mich meine wahre Hochachtung Ihnen ergeben macht.

Rahel.

Cäcilie wird ihm nicht ſchreiben.

Anmerk. Der Brief that ſeine Wirkung; vollkommen.

355

An Varnhagen, in Tübingen.

Nun iſt es wahr, nun iſt die raſende Zeit, vor der ich mich nicht einmal fürchten wollte. Dich zu lieben ſträubt ich mich; das war ja vernünftig; ich wollte dem Entbehren, dem neuen Miſſen nicht den edlen Hals beugen; und es war doch edler, das Herz gehen zu laſſen. Nur das Glück weigerte, blieb aus wie immer. Mit dir könnte es ein Leben ſein, ſo iſt es nur ein Steuren, ein Steuren ohne Ziel!

Du haſt geſehen, ob leere hohle Wünſche mich treiben, ob ich nicht das ganze Leben mit einem Freunde, bei einem Einzigen, in ſeiner ganzen Fülle und Mannigfaltigkeit finde. Und was ich leiſten könnte, hat mir ja das zerſtreute Schick - ſal noch nie abgefordert!

Seit zehn Tagen habe ich ein Katarrhalfieber; geſtern war der neunte Tag: ich hoffte, wie immer, der letzte; ich ſpürte aber auch heute noch Fieberbewegung, und habe zu be - ſtimmten Stunden Nervenzuſtände. Immer ſo bei mir, jedes Fieber iſt ein gelindes Nervenfieber. Bis geſtern war ich in dem tiefruhigſten Zuſtand dabei: es war eine Erlöſung, die mir von oben kam. Ich konnte mich in meinen Zuſtand, in mein Haus, in deinen Verluſt nicht faſſen und finden: ruhig machte mich plötzlich das Fieber. Glaube aber nicht, daß ich von Agitation krank geworden bin: von reiner Erkältung; Rheumatism auf den Nerven: wie ewig bei mir. Aber er hätte mich nicht erlegt, hätte ein überaus großer Schreck, der23 *356größte in meinem Leben, nicht meinen ganzen Körper ab - geſpannt.

Wie iſt es mit meinem Brief, den ich dir an Gentz mit - gab? Ich habe einen vortrefflichen von ihm gefunden, einen alten: daraus könnteſt du ſein ganz Gemüthe, und unſer Ver - hältniß ſehen. Beides würde dir ſehr gefallen. Ich war auch jetzt ganz erfreut und bewegt, wie ich ſie las; denn es waren zwei Briefe: und die Kouſine hatte ſie eigentlich zu verwah - ren, und einen himmliſchen von Prinz Louis. Alles ſteht in dem. Seine ganze Seele. Über ſeine Liebe ſpricht er ganz ausführlich; über ſich und die Welt; und daß er ſterben muß, und will. Und in welchem Tone! Mit welcher edlen Be - wußtloſigkeit ſeiner eigenen Trauer; wie überaus mild iſt die, wie ernſt er! Wenn du dieſen Brief geleſen haſt, kennſt du ihn ganz; kennſt alle die ich verbrannt habe; es ſind nur Va - riationen, heftiger, eiliger, ausführlicher, oder lebendiger, von den Ereigniſſen des Moments aufgeregt. Schicken kann ich ihn natürlich nicht! Wie las ich ihn dreifach mit Schmerz, daß du ihn nicht ſehen konnteſt!

Ich bin ja ganz verwundert über Lafontaine! den Deutſchen. Über deſſen Erzählung in dem Almanach! (Im Cotta’ſchen Damenkalender für 1809.) Zwar habe ich noch nie etwas von ihm geleſen, und noch nichts aus, was ich etwa auf dem Tiſche fand, als dieſe Erzählung; und es iſt möglich, er wiederholt ſich. Jedoch glaube ich, das Gute darin, weil es das überaus Einfache iſt, qualifizirt ſich auch357 für den Gröbſten nicht zur Wiederholung. Für mich hat er ganz neu, und ſo idealiſch, als es möglich iſt, daß es ſein kann, die Eltern der Rebecca erfunden und geſchildert. Und mit einem Ernſt, und unangefochten, bis zum Tragiſchen ver - folgt. Und ganz bis zum Ende ſchön, wie ihre Seelen gar nicht verſöhnt werden, nur ihr Herz unter allen Umſtänden der Tochter bleibt. Die Scene des Zanks, wo die Mutter ihre Macht ausüben will, und die Herzenseinigkeit und Gottesglau - ben ſie Alle verbündet, iſt ſehr ſchön! Hätte er nur dem Vater einige Züge mitgegeben, wodurch man ſehen könnte, daß er ein geſcheidter Mann iſt: mir geht das ſehr ab. Ich dächte, wenn man ſo viel Talent hat, könnte man mehr haben. Auch der Geliebte müßte mehr ſein, als der ehrliche Nimrod; einiger Geiſt würde ihn ſehr ſchmücken, und das Buch accentuiren. Aber es fließt ein ſchöner Bach hindurch. Ich bin ganz deiner Meinung in was du über Goethe’s pilgernde Thörin ſagſt: und bin froh, daß du es geſagt haſt. Mir kommt es ganz wie eine Überſetzung vor; nicht als ob es überſetzt wäre; aber die Meiſterſchaft liegt doch darin, Franzoſen, ihre Lebens - weiſe, ihre Sprache, ſo aufgefaßt zu haben, um ſie unverlo - ren, in unſern Kräften, bis zur kleinſten Phraſenbewegung, wiederzugeben; und dabei für ſeine Erkenner ſo ſehr Goethe zu ſein, und zu bleiben, wie nur jemals! Dies heißt doch eigentlich überſetzen; und bürgt für jede zu unternehmende lit - terale. Es freut mich in die Seele, daß er dich an Diderot erinnerte.

358

An Varnhagen, in Tübingen.

Endlich bin ich verdrießlich. Weißt du, was das heißt! Aber was kommt auch zuſammen. Die Jahreszeit ſelbſt wird toll: und ſchon ſeit dem Juli du wirſt es lächerlich finden konvulſirt der Winter in den Sommer hinein! Seit geſtern quäle ich mich damit, ob ich dir ſchreibe, oder nicht. Lügen kann ich gar nicht: bei dir grade tritt die ganze Wahrheit hervor. Und doch habe ich dir auch Hübſches zu ſchreiben. O! die Gaben, die ich habe, hat man nicht umſonſt! Dafür muß man ausſtehen. Mein ſcharfes Wiſſen, Sondern, und Scheiden; das große Meer in mir, mein präziſer, tiefer, gro - ßer Zuſammenhang mit der Natur; kurz, das bischen Be - wußtſein darüber, was hier doch ſo viel iſt; koſtet mich was! Welche Schmerzen, welche Unruh, welches Vermiſſen läßt das aufſchießen; und wie muß ich es verarbeiten! Ich zweifle, daß du ſelbſt einen Begriff davon haſt! Und wie ekelhaft, herabziehend, ärgerlich, beleidigend, unſinnig, ſchwächlich, nie - drig meine Umgebungen, denen ich nicht entfliehen kann: und die, ſo lang ich es nicht kann, mich auch verfolgen: ein gelindes Ausweichen hilft gar nichts. Ein einziges Beſudlen, eine Berührung macht mich ſchmutzig, ſtört meinen Adel. Dieſer Kampf dauert ewig! So lang ich gelebt habe, und leben werde! Wodurch ſoll er enden? Dieſe Einſicht, nicht daß es bleibt, aber daß meine Konvulſionen umſonſt ſind, und doch nur mit allen meinen Kräften aufhören können, bringt hart an Raſerei! Alles was mir Schönes im Leben359 begegnet, geht mir fremd, als Beſuch vorüber; und mit Un - würdigen ſoll ich anerkannt leben müſſen! Sie brauchen und mißbrauchen mich nur. Und geſellig ſtellen wir uns beider - ſeits; ſie, weil ſie mich brauchen; und ich, weil ein Zwei - kampf, einer mit Blut, es nicht enden kann. Du ſiehſt, ich bin außer mir! So nennt man es, wenn das wahre Herz ſpricht. Die Narren und Lügner beſchützen ſich unter ein - ander. Ich habe aber kein Geſetz, keinen Verwandten, keinen Freund. Und bei dieſer Ungerechtigkeit ärgert mich ſogar der Tadel. Keiner, nicht Einer tadelt mich, der nicht in ihrer Meinung ſelbſt gegen Alle gefehlt hat: meiner nimmt ſich kei - ner an, mich verfolgen ſie, weil ich für jeden bei dem andern ſprach. Ich will dich mit den kleinlichen und auch mich Geſchichten verſchonen, die mich aus der Entfernung her die - ſer Anſicht zudrängen. O! wie entwachſen wäre ich ihnen durch deine Nähe! durch die Nähe eines Freundes. Einer befreundeten Kreatur. Die Frauen, die ich ſehe, bringen mich ganz herunter, phyſiſch. Meine Nerven. Sie ſpannen mir die Gedanken ſo ab. Sie ſind ſo erſtaunlich matt, bei - nah unklug aus Zuſammenhangsloſigkeit. Und nehmen die Parallele von ſich zu mir ſo gewiß an, daß nur aus dem Zimmer laufen mich retten kann. Lügen thun ſie auch: weil ſie’s ſo oft nöthig haben; und weil Verſtand zur Wahrheit gehört: und Lügen ennuyirt mich bis zur Krankheit: ſo iſt auch meiſt ihr Unglück: und wenn ſie welches haben, kommen ſie zu mir. Geſtern kam ein Mädchen zu mir, die in ſtar - ken drei Jahren meine Schwelle nicht betreten hatte: eine Freundin von Louis Geliebte, ich mußte denken, ſie ſei auch360 gegen mich: weil man in ihrer Geſellſchaft mich verantwort - lich für die Wege, die ſich ſeine Leidenſchaft erlaubt hatte, machen wollte; und ſie war es auch; nun hat ſie eine Kata - ſtrophe, ſie übergeht all ihren Umgang, und ſtürzt weinend in mein Zimmer, ich fange ſie auf; und auf meinem Sopha findet ſie Troſt, Rath, Zuſprechen; kurz, eine Freundin. Ge - rührt war ich nicht. Auch nicht ſchmeichlend, aber thätig; und ſehr wie ein Mann. Mir war ſo. So plagt mich jetzt noch eine andere Matte, deren Geliebter heirathet. Ein Lothario, ohne Jarno’s, ſeine Liddy’s zu heirathen, ohne Zweikampf für mißbrauchte Gattinnen, ohne Güter und Geld für ſeine Ba - ſtarde! Als ich nachmittags wegging, ſchien plötzlich nach vielen Tagen die Sonne. Die beſchienenen Bäume lockten mich weiter. Wie Frühling war’s; und auch wie ein ſtiller, feſter, mit Schnee ſchon eingeſtampfter (aber nicht abgeſchmol - zen) Januarabend. So zogen mir auch Wetter, allerhand erlebte, durch das Gemüthe, wie durch die Bruſt; alle Gänge, die ich je gemacht hatte, mit ihren Bildern und meinen un - ſchuldigen Herzenslagen, zogen recht ſchnell, und doch ſehr vernehmlich, und wie mit einemmale, wie eine zu überſehende Reihe Banco’s Geſchlechte in etwas ähnlich vor mei - nem Geiſte vorüber. Ich wußte das ſelbſt, und es war mir doch ſo ſonderbar! Nur die Zukunft blieb ganz verſchloſſen, auch das dacht ich auch nur einen Augenblick, (die ſchließt in der That nur wirkliche Hoffnung, Narrheit oder Jugend auf.) Die milde Luft des Augenblicks erweiterte ſehr meine Augen, ich ſah weit. George’s Garten, des Prinzen Haus wahre Grabſtätten lockten mich. Der Garten war ſchon361 ſehr licht, und dem Frühling, wenn er verſpricht und die Un - ruh in die Adern treibt, nicht unähnlich; es war als tanzte der Herbſt mit ihm; wie große Herrn nach Schlachten und Krieg ſich Feſte geben! Nun lockte mich wieder die Brücke, ich ging hinüber, klar war das Waſſer, die Sonne recht warm, und ich nach dem Schiffbauerdamm. Da dacht ich, das iſt Varnhagens Weg. Und mir wurde wieder weh! In der größ - ten Sonne weiter! Am Ephraim’ſchen Garten mußt ich um - kehren; es wird zu einſam, und durch den Thiergarten konnt ich doch gar allein nicht. Ich ſah deinen Weg noch Einmal an, und kehre langſam um; indem ich’s thue, hatte ich die Sonne hinter mir, und einen herrlichen, dicken, grünen, von ihr beſchienenen Baum vor mir, der im Ephraim’ſchen Vorgar - ten ſteht. Ich gehe heran, um niedrighängende, noch ſehr konſervirte Blätter für dich zu nehmen. Ich konnte es nicht aushalten, den Baum allein zu ſehen: er hatte mir das Herz erquicken können! Als ich aber heran kam, war der Zweig doch viel höher, als es ausſah. Ich war ganz allein; ein Bürger kömmt vom Thiergarten her an, mit einem Stock unter dem Arm, einem grauen Kleide, einem dreieckigen Hut. O! mein Herr, Sie ſind doch größer als ich, der Baum iſt noch ſo ſchön grün, reißen Sie mir wohl ein Blatt ab! Der Mann ſuchte mit großem Antheil das grünſte, gab es mir recht mit Freude; und als ich mich bedankt hatte, und von ihm ging, ſah er mich mit großem Vergnügen an; er ſchien ſich zu freuen, daß Eine mit einem Schanzlöper, und Hut und Schal an ſo was Vergnügen findet. Ich habe es in Waſſer geſtellt, und ſchicke es hier mit.

362

Bei Mad. F. fand ich Raimond. Der hatte von einem Freund geſprochen, der ſehr gut deklamirte, aber weder Talma noch irgend einem nachmachte. Ich hatte ihn gebeten, er möchte ihn bringen, und er brachte dann geſtern Monſieur Richard. Er ſagte die Scenen, wo Othello vor dem Senat erzählt, durch welche Künſte er Desdemona bekommen habe. Da mahlte er ſie ſelbſt ab, anſtatt mit Entzücken, mit Selig - keit: mit Unglauben und Nichtbegreifen; er machte ihr nach. Falſch! Dies iſt ſehr franzöſiſch: jedoch auch deutſch. Dann ſagte er eine Scene, wo Achill von ſeiner Geburt ſpricht, und was er thun will. Die ſagte er wie ein Götterſohn! und ſchon mit einer phyſiſchen Löwenkraft. Nun frug er nach Moliere, und ich erſchrak, wie er Tartüffe aufſchlug. Zu bekannt! dacht ich: aber ich Eſel dachte nur an den Gang, an den Plan des Stücks. Er las denn alſo! Und ich lachte ſo, wie bei der vollkommenſten Vorſtellung. Wie ich in Iffland und Langhans in fünf Jahren nicht lachte. Dieſe Vollkom - menheit iſt aber ſelbſt ſchon zum Lachen! Und Moliere, dieſe Sprache! die hatte ich wieder vergeſſen dieſe ſpru - delnde Bewegung, dieſer Witz, der gar keiner mehr iſt; ſon - dern Leben, die Sache! O! ich bitte dich, goutire den! oder vielmehr, höre ihn von Franzoſen, und du mußt es. Ich litt wieder, denn ich gönnte mir es gar nicht! Ein wirkliches fran - zöſiſches Spektakel. Großmutter, Mann, Frau, Jungfer, Tar - tüffe, Bräutigam, alles ſpielte er; ſchreien vor Lachen mußte man: und ohne kraſſes Nachmachen, ganz edle Nüancen, und doch die ächteſte Komödie! O! hätte ich einen Zeugen, dem du glaubteſt! hätte es nur Chamiſſo oder Neumann gehört! 363 Und ſei nur ſtill! ich dachte wohl vorher an Fichtens Wort des vorigen Winters: Sie halten ein Lehrgedicht in Verſen für ihre beſte Komödie. Und fand es doch ſo göttlich! Wort für Wort! Der Menſch hat großes Talent. Raimond ſagte immer, von meinem Lobe ergriffen, und auch vom Meiſter: Quelle profonde connaissance du coeur humain! und es war ſo wenig die Rede bei Moliere vom coeur humain, als bis jetzt hier von Bomben. Wie die das nehmen! Und lachen bei denſelben Stellen. Aber ſie nennen etwas anderes coeur hu - main. Wie ich Moliere ſo ſehr liebte, erzählte mir Richard dieſe Anekdote von Piron: Il était au parterre, à voir Tartuffe; et en fut si charmé qu’il disait toujours, oh! oh! que c’est beau, divin, charmant! enfin, des interjections; quelqu’un qui se tenait devant lui, lui dit à la fin: Monsieur, vous oubliez que vous êtes dans un endroit public et que vous n’êtes pas seul! Comment? criait aber ſchreien muß man Piron, insensible! vous n’avez donc point de coeur? vous ne savez pas que, si cette pièce n’avait pas été faite, elle ne le serait jamais! Adieu, beſter Freund, nimm den Brief wie er iſt! Den ſchicke ich nun wieder heute des grünen Blattes wegen. Werde nicht traurig! Man muß ſich ja wenigſtens ſchreiben können!

An Varnhagen, in Tübingen.

Wie allein habe ich ſein müſſen! Sieh, ich konnte nicht einmal einen Freund finden, du haſt mir in den er - ſten Tagen unſerer Bekanntſchaft abgefragt, was ich unter364 einem Freund verſtünde; und als ich fertig war, ſagteſt du: dies haben die Alten Freundſchaft genannt; es ſei die antike Freundſchaft, und die hohlen Luſtbilder belebte ich alle ſelbſt. Ein Roland, ein Don Quixote iſt nicht wahrhafter als ich. Du wirſt ſchon alles aus meinem Briefe nach dieſer Erinnrung, und der Kenntniß, die du von mir haſt, ergänzen. Ich ver - mag nichts zu ſagen. Das Weſentlichſte, bis jetzt unſägliches, bleibt zurück; das was ich ausſprechen ſoll, das was nur ich auszuſprechen vermag, kann, wenn es auch Schmerzen nur erzeugt haben, nur im Glück ausgeſprochen werden; (wenn es auch oft ſcheinen mag, mein Schmerz ſei beredt.) Im Glück, oder im Tod. Bis dahin bindet Scham mich noch. Wahres Unglück ſchämt ſich; habe ich immer geſagt: oder vielmehr nie; Einmal mir es ſelbſt aufgeſchrieben.

Ich wußte geſtern auf einen Moment alle Gründe, warum es mir ſo gehen muß: und es beruhigte mich ganz einen Augenblick immer vermag das der Geiſt über’s Herz. Und doch werd ich den herbſten Wünſchen wieder überliefert, den größten Wogen des Gemüths! Ich wußt’s auch geſtern ſchon; und der Wunſch, es möchte doch nicht ſo ſein, und mir die Helle des Augenblicks bleiben, wie gutes heilſames Wetter, war mein erſter Wunſch, aus der dunklen Zukunft im Herzen; da liegt ſie zu ewiger Entfaltung drin! Verzeih mir! auch dir zeige ich mich ſo ungraziöſe! O! ich verſtehe es ja ſehr gut, was ſchön iſt, oder nicht: und ſehe auch das, wenn es auch mich betrifft. Aber ſei nur ruhig und mach365 dir keine Sorge! du kennſt mich ja in der Nähe, und da bin ich beſſer: bequem, leicht und luſtig genug. Auch weißt du, habe ich ja einen ſtarken Hals, wie ich dir ſchon ſagte, und wende den Kopf wohl wieder empor, aus dem finſtern Ab - grund! Eins muß ich dir noch ſagen, was ich geſtern in meinem Bette dachte, und das zum erſtenmal in meinem Le - ben. Daß ich mich, als ein Verwandter, und Eleve von Shakeſpear, von Kindheit an mit dem Tod beſchäftige, kannſt du glauben. Aber noch nie konnte mich mein Tod rühren; und auch daran, daß das nicht ſo war, dachte ich nicht. Geſtern aber, in meinem Bette, dacht ich, daß ich dir doch heute noch ſchreiben wollte; wenn du an das denken wollteſt, was mir begegnet iſt da du doch ſo vieles weißt, ſo viel eigentlich, und nur vieles noch nicht ; ſo ſollſt du auch denken, daß einen Tag, von dem ich dir ſchon ſprach, mein Geſchick mir in Folgendem klar vor Augen trat. Dies dacht ich geſtern muß Varnh, wiſſen, wenn er an mich denken ſoll; und wenn ich todt bin. Mir ſchien, als müſſe ich ſterben als ob mein Herz über dieſe Erde wegzog, und ich würde ihm folgen und mein Tod that mir nachher leid: denn noch nie, nun ſah ich es, hatte ich gedacht, daß er irgend einem Menſchen leid thun würde: von dir wußte ich es; und es war zum erſtenmal in meinem Leben, daß ich das dachte; und daß ich wußte, daß ich’s noch nie gedacht hatte. So einſam habe ich gelebt. Wiſſe es. Ich dachte auch, wenn ich todt ſein werde, wird Varnh. erſt wiſſen, was ich für Schmerzen hatte; jedes Schreien wird vergeblich ſein, meine Geſtalt begegnet ihm in aller Ewigkeit nicht: wegge -366 wiſcht bin ich dann, wie der Prinz und Gualtieri. Und nie - mand kann mir dann wohlthun; mit dem ſtärkſten Willen, mit der Ausübung der Verzweiflung nicht: dieſer Gedanke an dich, über mich, war es, der mich endlich rührte. Ich habe es dir ziemlich ſchreiben können: ich dachte es doch noch ganz anders; aber ich nahm mir feſt vor, es dir zu ſchreiben; wenn es dich auch martert. Ich lebe ja, und liebe dich. Ja Varn - hagen, meine Liebe war hart: überlege es dir. Auf Seligkeit nicht, weil es meine war, und jeder eine ſolche Liebhaberei an ſeiner haben muß, eben weil er ſie kennt. Aber du ſollſt ſie wo möglich ſehen, ihre Gänge nachſpüren, denn ſelten iſt ſo viel Kraft und ſo viel Schmerz, und dieſe Unbefangenheit! denn welche Entwicklung ging in jedem Sinn dabei in mir vor: wem diente, und wen kannte ich nicht dabei, was wußte ich nicht! Kurz, du ſollſt es wiſſen, weil es reich und ſonderbar war; und ich eine Seele haben will, ein menſchlich Wrſen! Über die Darſtellung der Gegenden denke ich bei weitem an - ders, als du! Sie darzuſtellen, oder ſie beſchreiben, iſt ſchon ein unendlicher Unterſchied, und bald muß ein Dichter das eine, bald das andere. Du z. B. haſt in deinem Dresdener Briefe die Brücke ganz göttlich beſchreiben, und willſt du je in einem Gedicht eine Beſchreibung, ſo brauchſt du nie eine beſſere zu machen. Goethe aber z. B. hat durch ſeinen ganzen Hermann und Dorothea durch ohne daß Einer ſo gütig iſt, daran zu denken von der erſten Zeile bis zur letzten, ſo genau eine Gegend, einen Tag, und ſein ganzes Wetter und Schrei - ten dargeſtellt, daß er ein Element ſeines Gedichts iſt, und wie ein wahrer Tag, eine wahre Gegend, es machen hilft. Das367 weiß ihm meines Wiſſens noch keine gedruckte Zeile Dank. Wer da nicht die Gegend ſieht, von der Goethe ſpricht, dem fehlt die Camera obscura, von der Jean Paul ſpricht; und Goethe hat es ſo eingerichtet, daß ſie wirklich beinahe fehlen kann, und nur der ſie nicht ſieht, den man etwa zweimal hin - tereinander an denſelben Ort führen, und ihm einbilden kann, es ſeien verſchiedene.

Ich dachte, Jean Paul wüßte nichts mehr von mir! und das bischen, was er wiſſen könnte, wäre böſe! Ich ſchrieb ihm zuletzt über die Weiber, die er immer vorkommen läßt, und verlangte andere. Das, dacht ich, hätte ihn gebiſſen! nämlich mich für dumm und vorwitzig zu halten. Er iſt aber ganz gut. Wie du ihn ſchilderſt dick iſt er alſo jetzt? Daß ſeine Meinungen ſich ſo biegen, ſteht hell und klar in ſeiner Äſthetik und Levana, ſchlechte Bücher. Anpochende, aufhauende Meinungen fürchtet er, und daher imponiren ſie ihm auch. Und da die letzten grade ſo waren, ſo fügte er ſich unter, mit zu vieler Liebe, wie ein beſtraftes, fürchtendes Kind. Dabei iſt ſeine Arbeit ſpinnenartig, und gleich kommt jeder Vorrath in ſein neueſtes Gewebe. So hat ihn auch die kühne Richtung der neumodiſchen Empfindſamkeit, nach Altmodiſchem, als Katholizism u. dgl. erſchreckt; und ſeine kriecht ihr etwas nach, ihr eignes natürliches Gehege vergeſſend. Der muß ſich für allein halten, um Original zu bleiben; jedes, viel, alles, kann er mit dieſer Gabe nicht ergreifen. Sein Traum einer Wahnwitzigen iſt göttlich, und ſeit recht lange mal wieder368 ächt. Wie ſchön gleich geſchrieben! da ſieht man recht, wenn er ſich verſenken, iſoliren will, was er dann iſt. Umgang mit noch lebenden Schriftmenſchen, auch nur ihre Bücher, ihre Kri - tiken nun gar! iſt ihm todtſchädlich. Wie ſo er mich nur für humoriſtiſch hält! mich dünkt, ich habe nie etwas in ſeiner Gegenwart geſagt; aber ich weiß ſchon; weil ich ſein Komi - ſches ſo raſend goutire. Und das weiß er. Dazu gehört auch Humor. Als ich grade nach Paris reiſen wollte, ſah ich in der Jägerſtraße mit Jean Paul aus dem Fenſter und ſagte ihm: Ich begreife es gar nicht: ich reiſe in acht Tagen; und ſeit ich meiner Reiſe gewiß bin, werden mir alle die be - kannteſten Gegenſtände fremd; ich erkenne die Ecke drüben nicht mehr; ſie iſt mir wie die fremdeſte Straße. Es war wahr. Er ſagte ganz in ſich gekehrt, und beinahe mit Kopf - ſchütteln: das iſt eine große Phantaſie! Sie haben eine große Phantaſie! Wie ſo? ſagte ich! Er ſchwieg aber, und ich auch, weil es von mir war. Ich verſtand ihn nicht, und verſtehe noch nicht was er meinte. Denn es war ja ein Unvermögen und ganz negativ. Meinte er, daß ich mich ſo los denken konnte, und die neuen Gegenſtände mir ſchon vor - hielt? Antworte mir!

Anmerk. Von J. P. Richter finden ſich aus jener frühen Zeit noch ein paar Briefblättchen vor, die hier ſtehen mögen. Er ſchrieb an Rahel:

1.

Geflügelte! in jedem Sinn; denn hier hätten Sie noch einige Wintermonate lang Ihre Reiſeſchwingen zuſammengelegt behalten ſollen. Mit unbeſchreiblichem Intereſſe hab ich einige Ihrer Briefe von Ihrer Freundin, die ſie ſo ſehr verdient, geleſen; aber mit eben ſo vielem Schmerz. Sie behandeln das Leben poetiſch, und das Leben daher Sie. Sie369Sie bringen die hohe Freiheit der Dichtkunſt in die Gebiete der Wirklich - keit, und wollen die Schönheiten dort, auch als Schönheiten hier wieder - finden; aber die poetiſchen Schmerzen ſind, in die Proſa des Lebens überſetzt, rechte wahre Schmerzen. Vor der Muſe iſt der Teufel ſchön und die Parze, aber ſie wohnet nur in uns, und der Teufel ſo oft außer uns, und hat dann keine milde Beleuchtung.

Leben Sie froh unter einem Volke, das ſie beſſer faſſen werden, als dieſes Sie.

Schreiben Sie mir, aber kein Brief wird mir gefallen, als der längſte.

J. P. F. Richter.

2.

Mit Zuneigung und Freudigkeit hab ich Ihren Brief an mich und Ihr vortreffliches Votivgemählde von Paris geleſen, und mit herzlichen Wünſchen für Ihre raſche, kräftige, geflügelte Nutur. Mög Ihr Herz nicht verkannt werden, auch nicht von Ihnen! Mögen die Menſchen, da Sie oft, glaub ich, ohne Orthographie handeln ſo wie ſchreiben, dar - über den geiſtigen Werth nicht überſehen! Aber gerade, wenn die Seele am ſchönſten ſpricht und tönt, wird ſie Andern unſichtbar, wie die Saite verſchwindet, wenn ſie tönt. Jedes Blättchen, und noch mehr jedes Blatt von Ihnen wird mich erfreuen. Friede und Freude ſei mit Ihnen!

Richter.

An Varnhagen, in Tübingen.

Geſtern Abend habe ich den Sigurd geleſen. Lange, lange nicht hat mir etwas ſo gefallen! So ſchön kam es mir vor, ſo feſt, ſo eigen, ſo ächt, ſo ſtill erſonnen, friſch mit Ge - ſundheit ausgeführt: ſo wenig Überflüſſiges geſagt darin: zu - ſammenhängend und neu, von einem neuen Menſchen endlich glücklich gefertigt. Indem ich’s las, freut ich mich immer ſchon des Lobes, und deiner Freude und Zufriedenheit, welches ich dir aus vollem Herzen ſpenden würde. Seine Runen kamen mir bis in den innerſten Sinn, mit ihren Reden, undI. 24370die erſte Geliebte Sigurds, die da nichts traut, und das Ganze; wie ich nur Lady Macbeth und Einmal Juden die lange Nacht habe weinen ſehen, ſo mußt ich das Buch weg - legen, und Schleuſen eröffneten ſich innen, laut reden und ächzen mußt ich dabei. Aufgelöſt und geſchloſſen ſchien mir ganz klar auch mein Leben; es thut mir gut endlich! und das Ganze ſo ſchön! Du kennſt meinen Haß gegen jede andere, als die olympiſche Mythologie, gegen nordiſche Sa - gen, Runen u. dgl. und die neue Hoffnung auf die alten Nebelgötter. Alles das that mir nichts: und dein lieber Freund, der liebe Fouqué, traf richtig mein doch unbefange - nes Gemüth!

Alle Tage kommt mir das Erbärmliche erbärmlicher vor: und gar nicht mit Ingrimm, Zorn, oder Wehmuth. Nein, ganz in Zerſtreuung verloren, wie über eine Sache, die ſo ge - wöhnlich iſt, daß man ſie zeitlebens ſchon weiß. Meine Lage bringt es auch mit ſich; ſo paradox dies im Augenblick klingt. Meine Einſicht iſt ſo tüchtig, meine Weltkenntniß ſo gereift, daß dieſe beſtätigenden Entdeckungen meinen Geiſt nicht be - reichern noch ſtutzig machen; mein Gemüth kann nur noch von Edlem, Ausgezeichnetem, Geiſtvollem und Reichem affizirt werden: denn vom Schlechten bin ich im Äußern ſo ſehr her - unter und zurück, als es nur mit mir ging: Neues iſt hier nicht möglich; und dieſe Lage bleibt nun wohl ohne ungeheure Revo - lution im Schlechten wie ſie iſt. Gutes! Glück, du kannſt mich entzücken und beſchäftigen; und Einfluß auf mich haben! 371Sonſt iſt es wie es war. Vormittag war ich im ſchön - ſten Wetter weit allein in den Straßen ſpaziren. Es wirkte ſo gut, daß mir luftig in der Seele, hell und klar im Kopf zu tauſend Gedanken wurde; und ich genoß vom ganzen Gange ſo recht eigentlich den Genuß. Wie vieles wußte ich mit einemmale deutlich, was Jahre lang ungeboren als Schmerz in meiner Seele lag, und nun hervor an der Sonne, im hellen Bewußtſein, beruhigendes Gut wurde. Ich empfand den Beſitz der mancherlei Gemüthsreichthümer recht ſchwelgend, und doch fromm, möchte ich ſagen; denn meine Freude war nur Freude, und glich einem erwärmend hellen Lichte. Auch dachte ich über die ganze Maſſe der Men - ſchenbildung; und ob wohl alle Eſſenz davon, das höchſte Entzücken edler, reichbegabter Menſchen an einander, und je - der andere erhellte, erhobene Moment im Leben, das Placken und den Jammer Aller werth iſt, den es zum Dünger Jahr - hunderte lang erfordert? Arbeitende Karrende, und ich, brach - ten mich auf den Gedanken.

An Varnhagen, in Tübingen.

Weißt du, warum ich dir beſonders ſchreibe, mein einziger Vertrauter meiner Gedanken, wegen Heinſe! Denke nur nicht, daß ich ſtupid bin! Ich habe mich bloß gröblich geirrt; und das wieder auf Anſtiften meines Gedächtniſſes! Wie ich dir ſagte, Ardinghello gefalle mir nicht, meinte ich24 *372beſtändig ein anderes Buch, deſſen Titel mir nun nicht ein - fällt; iſt dir ſo etwas vorgekommen? Vorletzte Nacht beſann ich mich erſt auf den wirklichen Ardinghello, weil ich mir den göttlichen Briefſteller Heinſe gar nicht mit dem andern Buch zuſammenreimen konnte. Ich hatte, als ich dir das letztemal ſchrieb, von den Briefen nur wenige geleſen. Der liebe, liebe Kerl. Die ſtrotzende Pflanze; der Ehrliche! Warum haſt du mir das Buch nicht viel heftiger empfohlen? da du doch von Schlegels Gemähldebeſchreibung ſo eingenommen biſt! Wie anderer Art ſind die! Heinſe’s. Dem hatte Gott ſeine rich - tigen fünf Sinne gegeben und allen ein weites Ge - ſicht und dann den köſtlichen, von Muſen und Grazien bereiteten, von Apoll bewilligten, dazu, der ſie alle zu - ſammenhält. Ich kann mir wirklich einen gut ausgeſtatteten Menſchen, einen ſolchen, nicht denken, ohne einen Areopag von Göttern, die ihm Gaben mitgeben, auf die Erde! Alſo nicht nur Redensart! Ich wollte dir erſt vieles über das Buch ſagen: nun ich weiter darin bin, kann ich nur über ihn ſprechen. Weißt du’s noch? wo nicht, lies es nach! was er über Rubens ſagt! Beſonders wie er ſo lange von ihm ſpricht, ohne ihn zu nennen; anfangend: Es war ein - mal ein Mann; ein Meiſtergeſchichtchen. Goethe, glaubte ich nur, könne ſo etwas! Und die Beſchreibung der Amazo - nenſchlacht; der Fall Sanheribs; die Beſchreibung der Ru - bens’ſchen Landſchaft! er athmet ſie ein, er riecht ſie! Wenn ich nur Raphaels Johannes in der Wüſte ſehen könnte, das, glaub ich, iſt ſein beſtes Bild; ich habe die berühmteſten in Paris und Dresden geſehn; aber dieſen Gedanken machte mir373 ſchon Forſter in ſeinen Anſichten; und Heinſe giebt mir die - ſelbe Sehnſucht. Und wie er von meinem beſten Freund, dem Apoll von Belvedere, ſpricht! den ich nun perſönlich kenne, und der ganz vertraut mit mir war dabei mußt du wiſſen haſſe ich nichts ſo, als über Gemählde ſchreiben; und die neueren Babler haben es mir gar verekelt. Die ſtimmen ſich erſt katholiſch, katalogiſch, chronologiſch, papſtmittelaltrig-ge - ſchichtlich, und dann legen ſie los; zeigen unſern Augen, und den Griechen, den Platz an; und zeigen dem, der Sinne hat, welche ihnen fehlen. Sinne, Sinne, die fünf Sinne! Gott, könnte man doch ſolchen fleißigen, ſtrebenden, ſich allein em - porbewegenden Manne, wie Heinſe, etwas anthun! Oft habe ich geweint bei dieſem Buche. Sonſt konnte Preußen ſtolz ſein: und Friedrich der Zweite wog uns in die Höhe in Eu - ropa: wir hatten Alle einen Theil an ſeinen Siegen, von und an ſeiner Einſicht: ich auch! Nichts wär ich, bei meiner Ge - burt, ohne ihn; er gab jeder Pflanze Raum in ſeinem ſonne - zugelaſſenen Lande. Und eine Ehre war’s, ſich daher zu nen - nen: und wirklicher Vortheil für Leib und Geiſt. Antworte mir hierauf nicht. Ardinghello iſt mir nicht mehr in allen Details gegenwärtig; aber noch ſind mir die Briefe lieber.

Adieu bis morgen.

In Erwartung des italiäniſchen Lehrers.

Du haſt mir geſchrieben, ich möchte dir etwas über deine Gedichte ſagen, über die, die du noch von Dresden ſchickteſt. Ich habe ſie noch nicht wieder nachgeſehen: ich werde es aber thun; und was ich nun ſage, bezieht ſich im geringſten nicht beſonders374 auf ſie: denn ich weiß nichts von ihnen in dieſem Augenblick. Heinſe aber, und ſein foyer in ſich, macht mich natürlich an junge[Schriftſteller] denken; und an meinen liebſten. Seine wirklichſte Geſtaltung, und den Platz, den er einnimmt, als der Menſch, als welchen er ſich zeigt, und da iſt; und dadurch, als Schriftſteller: dies iſt er doch nur, und verdankt er ſich und wir ihm, dadurch, daß er ſich ſelbſt glaubt: und keinem Andern. Auf ſeine Kräfte und die Zuſammenſtellung ſeiner Gaben kommt es nicht an; dies macht ihn nur ärmer oder reicher. Aber jedes, was er aufnimmt, von der geringſten Senſation an in ſich, bis zum größten Aufruhr; von der oberflächlichſten Wahrnehmung, bis zu ſeinem ſtrengſten Denken; hat er ſich ſelbſt zuſammen - getragen; und nichts Vorgefundenes von den größten Mei - ſtern nimmt er in ſich auf, ohne es bis zu ſeinem Blute, mit neuer Inſekten - oder Löwenarbeit, zu verwandeln. So ſcheint mir der Menſch aus ſeinen Briefen; ſeine Arbeiten kenne ich nicht. Das Eigene, Herz und inneres Leben Anſprechende, was er ſelbſt hat, müſſen ſie immer haben. Dieſer Menſch nun bringt mich wieder auf den Gedanken, den ich ſeit kur - zem für dich habe: ſeit deinen Klagen, deiner Angſt über dein Talent; ſeit deinem Entſchluß über dein Studium. Frei mußt du ſein: und innerlich noch freier. Laß dich ganz gehen, wenn du arbeiteſt dichteſt denk an keinen Freund; an kein Muſter, an die größten Meiſter nicht als um zu ver - meiden an kein Drucken; an nichts! Folge deinem inner - ſten, ſüßeſten Hange; ſtelle dich dar: alles was du ſiehſt, und ſo wie du’s ſiehſt. Was dir das Liebſte, das Schreck - lichſte, das Peinlichſte, das Heimlichſte, das Verführeriſcheſte375 iſt, das kehre hervor mit deinen göttlichen Worten. Nennen kann ich es noch nicht: aber du haſt ein einziges Talent. Warum verſtehſt du die unverſtändlichſten Zuſtände und Re - gungen in dir, die wetterartigſten, mir, in farbenreichen, hel - len, hervorſpringenden, immer ſchön - und kunſtreichen Wor - ten darzuſtellen. So behandle Welt, Publikum, Papier, wenn du dichteſt. Ich bin’s gewiß, dann wird’s einzig gut. Nur dies ehrſt, vergötterſt du, die Welt, und ich, in Goethe, Shakeſpeare, Cervantes, und in allen Großen; daß es ſich darſtellt; noch Einmal wie es die Natur that; je reicher, je mehr Welt darin enthalten! und dann irren die ſchwachen Leſer und Seher; und denken, es iſt nur die Welt, die dar - geſtellt iſt. Mit nichten! Schwache Nachahmer vergeſſen aber ſich; und wollen eine Welt ohne ſich darſtellen. Solche giebt es nicht! Jeder ſicht mit ſeinen Augen, lebt mit ſeinen Sinnen eine Phyſionomie hinein. Ich weiß, hiervon biſt du durchdrungen; und haſt mir, ich beſinne mich nur nicht, wo und wie, was Ähnliches geſagt. Du haſt eine ſolche Einſicht in dein Weſen, welche vielleicht noch nie ein Menſch deiner Art, und wie du dich ſchilderſt und findeſt, gehabt hat: du biſt ſo ehrlich, mit Anlagen es nicht zu ſein; daß es ein Wun - der nicht moraliſch genommen iſt. Dies allein muß dein Talent originaliſiren auf eine Weiſe, wie es vielleicht noch nie geſchah, und ſchaſſen, wie es noch nie keins gab. Denn dazu gehören beſtimmte Talente; beſtimmte Akkorde von Gaben. Dieſe Überzeugung raubt mir nichts! denn ich ſehe es, wie ich dein Geſicht ſehe. Auch hierin iſt nicht Stärke und abgeſondertes Weſen auf die gewöhnliche Weiſe376 dargethan: und wie es iſt, erhebt es ſich über ſich ſelbſt; und eine neue Stärke geht aus ihm hervor, ein neuer Zu - ſammenhang; beinah ohne Anlage dazu. Das giebt dir dei - nen Reiz: denn dies iſt dein Eigenſtes: dies macht dich zu Varnhagen unter den Menſchen: dies, wiſſen ſie’s auch nicht zu nennen, ſehen ſie alle; dies und die natürliche Sanftheit, aus deiner erſten Natur entſpringend, macht es pikant und beruhigend zugleich. Nur im Aufruhr dieſer deiner zwei Na - turen, weicht alle Ruhe. Aber wirſt du Herr dieſer beiden Naturen; ſo entſteht eine neue Frucht auf der Erde. Die liebe ich ja ſo! und kannſt du ſie als Künſtler wieder nachahmen; neue, ſchöne Kunſtſtücke. Stücke der Kunſt: ich weiß nicht, ob es Werke werden. Kannſt du mich wohl ver - ſtehen, Lieber, wie ich mich ausgedrückt habe? Ganz ſchlecht iſt es nicht. Geſehen iſt es gut. Liebe, rechtes Durchdringen, gehört zum Sehen und Erkennen. Ich wollte dir nur recht anrathen, mein geliebter Freund, und liebes Kind, recht du ſelbſt zu ſein; recht in Üppigkeit und Schwelgerei zu arbeiten, dich recht auf dich ſelbſt zu beſinnen; und zu machen, als warſt du allein auf der Welt; wenigſtens als ſprächeſt du eine Sprache für dich allein, und müßteſt erſt erwarten, ob welche kommen, die ſie auch ſprechen. Wie ſoll ich es dir nur ausdrücken?! Das wird dich nicht vom Verkehr mit allen lebenden Schreibern und Schriften ſcheiden: im Gegen - theil, dir wird immer mehr zu - und unter die Hände fallen; aber greife und behandle es ganz nach deiner Art. O! ich ſeh im Geiſte, welche Art von Werken du liefern könnteſt, und habe nicht einmal das Talent, es auszuſprechen. Ich377 lege dir ein kleines Blättchen ein, was Heinſe über die ſchwei - zeriſchen Landtänze ſagt: natürlich habe ich nie welche ge - ſehen; aber ich weiß doch, daß es ſo wahr iſt: wie man es an guten Portraiten ſieht, daß ſie ähnlich ſind, ohne je die Menſchen geſehen zu haben, die ſie vorſtellen. Rembrandt hat ſolche in der Pariſer Galerie! und wie ſchön, wie perlen - artig abgeſondert hervorſprudelnd, wie wenig bedacht die lie - ben Worte, mit denen er es erzählt!

Heute kommen unſere Truppen herein: jetzt. Die Offi - ziere dreihundert Kouverte ſpeiſt die Stadt im Komö - dienſaale; der erſte Rang iſt für die Offiziere genommen, übrigens iſt Freikomödie, Harlekin und ein unbedeutendes Stück. Die ganze Stadt iſt hin, um ſie zu ſehen: ich nicht. Den ganzen Morgen hab ich häufige, bittere Thrä - nen der Rührung und Kränkung geweint! O! Ich habe es nie gewußt, daß ich mein Land ſo liebe! Wie Einer, der durch Phyſik den Werth des Bluts etwa nicht kennt; wenn man’s ihm abzieht, wird er doch hinſtürzen. Ich kann aus losge - laſſenem Schmerz nicht hingehn, jeder Reitknecht mit preußi - ſchen Pferden, der vorbeigeht, pumpt mir einen Strom von Thränen ab. Ich ſprach laut im heftigſten Schluchzen zu meines Freundes Büſte. Ja, ich bin von meinem Lande ge - nährt und erzogen; und denke, ich bin doch modifizirt über alles, wie die Beſten darin; dies wäre mir in jedem Lande geſchehen: aber ich habe ja in meinem gelebt; ſehen, und den - ken, und Antheik nehmen lernen: und wahrlich, ein jeder war378 hier geſchützt: und das fühlte ich immer. Was mich unaus - ſprechlich kränkte dieſe Woche, war, daß mir ein preußiſcher Militair begegnete, dem Jungen nachliefen, und alle Men - ſchen nachſahen; und auch ich wußte nicht, ob es ein Offizier, ein Unteroffizier, oder ein Soldat war! Vielleicht kannſt du noch nicht fühlen, was das heißt für einen Berliner, un - ter Friedrich dem Zweiten zum Theil erzogen. Wie ein Schweizer Berge kennt, ein Franzoſe Höflichkeit übt, ein Eng - länder von ſeinem Parlamente weiß, ſo wußte hier bis auf die albernſte Demoiſelle jeder, was gut marſchiren, aufſitzen u. dgl. war. Ohne zu wiſſen, daß ſie es wiſſen. Und nun ſchloß ich nur, es ſei ein Preuße; und erkannte den Grad nicht mehr! Nun aber kein Wort mehr! und ich beſchwöre dich auch, mir nichts über Politik zu antworten. Mein Kopf iſt ganz angegriffen, ſo beſchäftigt mich der Welt Lauf. Borniren thut mich mein Land doch nicht; was Närriſches drin vorgeht, ärgert und frappirt mich genug, und die große Weltbewegung und die Kadavergeſtalten, die ſie verdrängen muß, ergötzt mich doch! Gott wie himmliſch ſchön ſieht in dieſem Augenblick meine lange breite Straße aus, dicker Schnee, heller Sonnenſchein, und Ein dicker Strom Men - ſchen ſtrömt durch, ſo weit man ſehen kann, du weißt wie weit, von den Soldaten zurückkommend! Und denke dir meine abgelegene Gegend, eine Meile. Vom Bernauer Thor kom - men ſie. O! Könnteſt du die mahleriſch ſchöne Straße ſehen. Die ſchöne, wirklich ſchöne Stadt. Alle Franzofen ſagten es auch. Ich hatte nicht geglaubt, daß noch ſo viel Kutſchen in der Stadt wären. Der Lärm! O! wärſt du hier! Ich379 thue nichts, als vom Fenſter nach meinem Brief laufen; und weinen. Von weitem nach der Mohrenſtraße marſchiren jetzt welche. So viel Pelze und Damen glaub ich ſind in der Welt nicht. Nun habe ich welche geſehn, ein Trupp ging hier vorbei; ſie ſahen gut aus. Wie Franzoſen; ſehr gut: und wie aus dem Krieg; und doch wohlbehalten. Ich komme von Mama! Ich habe mich geirrt, Freikomödie iſt nicht; aber die Ränge ſind in Beſchlag genommen. Lies doch die Zeitungen, da ſteht alles drin. Adieu!

Die Stelle aus Heinſe von dem Schweizertanz in Unter - walden: der ihn zwei Stunden inniglich ergötzt hat: Ihr Tanz iſt das ernſthafteſte, feierlichſte Zittern der Luſt in allen Weſen, das bis zur Angſt geht, beſonders bei den Manns - leuten. Alle ihre Bewegungen und Tritte und Schwenkun - gen ſind ſehr freiwillig, und hangen viel von jedem ab. Das Jauchzen dazwiſchen, das einem wiehernden Gegirre gleicht, macht es vollkommen zu einem erlaubten öffentlichen Vorſpiel von Hochzeit. Wiehernden Gegirre , iſt das nicht wie in einem Portrait? Unterſteht ſich ein Mahler, fällt es ihm ein, in einem erſonnenen Geſichte ſolche Disparate anzubrin - gen, wie ſie in der Natur wohl da ſind, für die, welche ſie ſehen? So ſchön mahlt er auch Lavater: ich habe nie eine Zeile von ihm geleſen, und bin überzeugt von der Ähnlichkeit.

An Varnhagen, in Tübingen.

Siehſt du, daß du ein andres Leben haben mußt, und nicht in öder, geſellſchaftloſer Stadt ein Bücherleben ſüh -380 ren kannſt? Es haben nicht alle Menſchen Handlangergeiſter, und können in Büchern ſtöbern in dem ganzen langen Tag meine Dinte geht ſchon wieder gar nicht! von allen Göttern bereitet; eine Art Ruhm zuſammen zu tragen, von dem ſie ſich nachher nähren, wie Würmer von Staub; ohne Saft, Licht, Sonne, Farbe, Luft und Waſſer. Schelte dich nicht! Sich Widerſprechendes kann der kleine, kleine Menſch nicht: klein iſt er ſehr, ganz klein! Du vermagſt zu leben, und das Leben zu ſehen; haſt ein Talent, auszudrücken was du geſehen haſt; und mehrere; und kannſt, lebend mit Men - ſchen, Luft, Farben und Freiheit, noch vieles geſchwind lernen. Verzage nicht ſo leicht.

Die berühmten Römerinnen ſind es recht umſonſt. Gerechter Gott, was iſt es leicht und natürlich, ſein Vater - land zu lieben, wenn es einen nur ein bischen wiederliebt! Man thut es ja ſchon ohne Gegenliebe. Ich will gar nicht mehr unglücklich ſein, und viel Armuth ſtill ertragen, wenn ich nur daran denke, daß unſere Soldaten keine Prügel mehr bekommen. Der Magiſtrat hatte ihnen Röcke entgegenge - ſchickt; tauſend ſchöne Züge von Eintracht und Einſicht und ſchnell geheilter Thorheit gehen hier vor; ich weiß aber nicht, welche heilſam ſind der Poſt zu vertrauen, und welche nicht. Könnt ich doch nur nach meinem Tode mein Land glücklich ſehen! Das wäre Exiſtenz genug! Scharf iſt den Soldaten Artigkeit anbefohlen, und wird auch geübt: doch laufen noch rohe Geſchichten mit unter. Ein Kaufmann hier der Name iſt mir nur entfallen bekam vier Gemeine von den Huſaren zur Einquartirung wir haben jetzt unſere eignen381 Truppen für’s erſte mit Wohnung, Licht und Holz zu ver - ſorgen ein Lieutenant ohne Billet kam mit und blieb; der Wirth ließ ihm höflich andeuten, daß er auf ſein Haus kein Billet habe; der Lieutenant aber ward murrend und ging nicht; die Wirthin kam, es ihm höflich auseinanderzuſetzen, daß er nicht bleiben könne, er widerſprach ihr, und blieb; nun kam der Mann, und ſagte es ihm nachdrücklicher, worauf der Menſch denn endlich ſagte, ſie könnten thun, was ſie wollten, aber ſie würden es ſchon ſehen, er ginge nun, da er einmal da wäre, nicht weg; und ſo ſtürzt er dem Vater in die Arme. Es war ihr ſeit zwei Jahren todtgeglaubtes Kind: Schlittſchuh zu laufen, war er ausgegangen, und nicht wieder zurückge - kommen. Sie hatten Trauer um ihn getragen; er aber war nach Kolberg gegangen, hatte ſich anwerben zu laſſen; und ſo hat er ſich zum Lieutenant geſchlagen. Nun wurden aber die Eltern böſe, daß er ſie in Gram und Angſt gelaſſen hätte: er aber ſagte, das habe er müſſen, wegen des Augenblicks, den er nun erlebt habe. Iſt das nicht eine ſchöne Geſchichte?

Ich habe vorgeſtern Nachmittag, mitten in den Hein - ſe’ſchen Briefen, ein berühmtes, oder doch vielmehr nur ein jetzt viel beſprochenes Buch, ganz geſchwind geleſen; weil man es mir ſchickte, ich hinein ſah, immer das Intereſſe ſuchte, und ſo wohl beinah ein Viertel las, und es ſo ſchlecht fand, daß ich es ſchnell durchzuſehen beſchloß. Dies Buch, Jacopo Ortis, aus dem Italiäniſchen überſetzt, hat mir Italien ordentlich verdorben. Als hätte ein Müßiggänger einem eine ſchlechte Figur in eine himmliſch ſtille Ausſicht hineingekleckſt. Solches nordiſches, armſeliges Brüten hätte ich nie hinter den Alpen382 vermuthet; und eh ich erfahren hatte, daß es wirklich ein Welſcher geſchrieben, glaubte ich ein Deutſcher hätte es dort gethan, und ein anderer habe es überſetzt. Vaterlandsliebe, und verliebte Liebe, ſpielen da ſolche abgeſchmackte leidende Rollen, heben ſich gegenſeitig auf, aber nicht empor, daß einem ſo matt wird, als dem Jacopo ſchon der Name! ſelbſt. Einem Vater werden da drei bis vier Perſonen geopfert, der nicht drei Sous werth iſt, und den der Verfaſſer noch loben zu müſſen glaubt. Kurz, ein ſehr ſchlechtes und ſchlecht konzipirtes, unangenehmes Buch. Da aber die häßliche Ge - ſchichte wahr ſein ſoll, ſo ſtirbt doch Einer ſo natürlich am Ende, daß der Tod mir mich ſelbſt zu packen ſchien; und da dacht ich an die Lieben mit Sehnſucht!

Mir ſagt’s heute, und heute wie ein Augure, mein krankes, geängſtigtes Herz. Ja, es iſt krank. Verzeihe meine Angſt meiner verſtrickten Seele! alles ſchlägt mir fehl, alles in der Welt, außer du. Und der Winter, meine wirkliche und auch außen wirklich gewordene Einſam - keit, mein feines Nervenſpiel ach, ſo wie es mich erhöht, und erhellt, kann es mich ſehr elend, in gräuelvolle Abgründe ſtürzen machen. Meinem Geiſt, meiner Einbildungskraft iſt alles möglich, ach! und meine Erfahrung widerſpricht ihnen in nichts. Das bischen von den Menſchen angenommene phy - ſiſche Möglichkeit, iſt mir auch nichts. Laß dich nicht traurig machen! Aber wenn Dolche auf mich gezückt wären, Kano - nen ihre Rachen gegen mich blökten, ich würde hinfallen, aber nicht anders ſprechen können. Das Ungewiſſe tödtet mich. Ich muß Freiheit haben und Gewißheit. So war ich immer;383 und eine lebenslängliche Verheimlichung, Unterdrückung dieſes Bedürfniſſes, des innerſten Seins, dieſes Bluts-Nerven-Denk - und Geiſtesverhältniſſes, hat es nicht geändert, getödtet: nein! ausgewachſen iſt es, zum mich tödtenden Leben-Giganten iſt es geworden! Fürchte dich nicht! Ich werde mich beſänftigen. Aber wie ein ſchwarzer, dicker, tiefer Höllenfluß wogt’s ſchmerz - haft drückend in mir herauf; keine Welle noch zu unterſchei - den, daß des Geiſtes - oder das Sonnenlicht andere Bilder in ihnen ſpiegeln könnte! Furcht wird’s, reine Furcht!

Was du mir über den Meiſter geſchickt haſt, hat mich ganz beſonders gefreut. Das ganze Buch iſt für mich nur ein Gewächs, um den Kern als Text herumgewachſen, der im Buche ſelbſt vorkommt, und ſo lautet: O wie ſonderbar iſt es, daß dem Menſchen nicht allein ſo manches Unmögliche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt! Du kennſt die Stelle von mir. Und dann die andre, daß dem Menſchen jeder Strich Erde, Fluß und alles genommen iſt. Mit einem Zauberſchlage hat Goethe durch dies Buch die ganze Proſa unſers infamen, kleinen Lebens feſtgehalten, und uns noch anſtändig genug vorgehalten. Daran hielten wir, als er uns ſchilderte; und an Theater mußte er, an Kunſt, und auch an Schwindelei den Bürger verweiſen, der ſein Elend fühlte, und ſich nicht mit Werther tödten wollte. Den Adel wie er iſt, und der den Andern als Arena ich weiß das Wort jetzt nicht vorſchwebt, als wo ſie hin wollen, zeigt er beiläufig, gut und ſchlecht, wie es fällt. Dann bleibt noch die Liebe; und384 darüber iſt die gedrängteſte Bemerkung die, welche ich an - führte, und wo ſich Geſchichten darum bis zur Niedrigkeit und bis zur Tragik bewegen; die Menſchen treffen ſich nicht; Vor - urtheil, wenn ſie ſich getroffen haben, trennt ſie, der Harfner, Aurelia u. ſ. w. und da der Menſch hier nichts begreift, weil ihm die andre Hälfte, wozu dies Irrſpiel gehören mag, fehlt, ſo bricht Meiſter und Goethe in die Betrachtung aus, daß unſer Mögliches hier, was wir dafür halten, auch mit Ket - ten gehalten ſein mag, an Pilaſtern, die auf andern Welten ruhen, die wir nicht kennen; unterdeß bewegen ſich aber die Menſchen, und dies trägt er uns in ſeinem Buche wie in einem Spiegel vor. Verzeih, und ſieh die entſetzliche Eil! Künftig einmal über jedes Wort!

Mir fällt aber immer ein, was Goethe’s Carlos dem Clavigo ſagt, nämlich, es ſei nichts Erbärmlicheres als ein Menſch zwiſchen zwei Empfindungen, von denen er keiner ganz angehört; anderes, als dieſer muſenvergeſſene Menſch weiß ich auch nichts. Könnt ich verhindern, daß dieſer Brief in der rauhen Entfernung kein Leid machte! Vergeblich! Es entwickelt ſich Stufe vor Stufe, Folge aus Folge: und das Reich des Herzens und die andern Reiche ſcheinen ohne Zu - ſammenhang. Glück hat der, dem dieſer Folgengang wohl - thut, Unglück der, dem er weh thut.

Nun hab ich geweint; und es iſt mir in der That, als ſei ein Tropfen gelöſet von dem finſtern Strome tief in mir; ein Tropfen, nicht mehr! Ich habe in Heinſe’s Briefſammlunggeleſen.385geleſen. Es ging ihnen wie uns. Man ſollte ſich nicht tren - nen! Drei ſind ſchon todt: Gleim, und Heinſe und Forſter. Sie wollten ſich immer ſehn. Sie waren Männer; Gleim ſchon, wo ich jetzt leſe, neunundſechszig Jahre alt; Müller ſechsunddreißig, und wie ſehnſüchtig, wie lebendig-feurig ihr Wunſch, ſich zu ſehen; und immer zunehmender. Auch ſie intereſſirte Europa, und was für Menſchen darin geſchehen ſollte, ſo lebhaft! Wie ſie riethen und kombinirten! Vom Fürſtenbund, von Joſeph, von Friedrich Wilhelm, vom da - maligen Koadjutor Dalberg, von allen Gelehrten, ihren Wer - ken, den Kriegen; wie wahr, wie wahrſcheinlich ſah alles aus; wie jetzt! Ihre Herzen ſchlugen in unſäglicher Unruhe von Wunſchesſtürmen in ihrer Bruſt, wie unſere! auch wir wiſſen nichts; und können nur leben: und thun’s nicht; wie ſie. Einige wenige und zwanzig Jahre haben kluge Leute zu Nar - ren gemacht; und die uns preisgegebene erſte Sandfläche der Erde ſcheint wirklich verändert. O! wie weint ich über ihre Liebe: mit welcher Leidenſchaft empfand ich ihre Sehnſucht, ihre ſtürmenden Wünſche mit! Ich hatte es nöthig, o Gott! auch ohne Gegenſtand müßt ich ewig fortlieben! Nun ſeh ich es; es ſind die geiſtigen Schläge meines Herzens, aber alle Herzen ſind nicht ſo: das habe ich erſt heute in meinem Kopfe erfahren. Den Unterſchied habe ich in tauſend Schmer - zen erlebt; auch gefühlt; aber nie genannt, und in meinem Geiſte aufgeſtellt. Der mir ſo ſehr bekannte Johannes Müller iſt mir doch lieb geworden: man liebt ſo zärtlich, ängſtlich, ehrenvoll keinen neunundſechszigjährigen Mann, wenn man nicht wacker iſt: und aufhören kann das auch nicht. UndI. 25386nun iſt es mir wieder lieb, daß er in Kaſſel, in einem ſich zurecht rückenden Staate, iſt! Es geht zwar karg mit ihm her, und man ſieht ſelten ſein Gemüth in reichen Bewegun - gen: aber er ſpricht wohl nur nicht davon; und geht einen andern Weg - (wozu ich die Veranlaſſung in ſeiner Seele und eigentlichen Geſchichte wohl auffinden möchte;) aber ein - zelne und auch ſehr ſchön ausgedrückte Äußerungen ſind mir unumſtößliche Beweiſe, und bürgen mir für die ſchönſten Re - gungen in ihm. In ſeinen körperlichen Anlagen iſt gewiß das Weſentlichſte und die Wurzel von vielem zu ſuchen; aber dem früh ſich entwickelnden Geiſte muß doch auch auf die Spur zu kommen ſein, und das möchte ich. Wüßt ich nur mehr von ihm, ich wollte ſchon! Auch geleſen habe ich nur Schlechteres von ihm, und beinahe nichts.

An Meritz Robert, in Hamburg.

Hier haſt du einen Brief, den dir die arme alte Frau - ſchon den Sonnabend geſchrieben hat. Als ich deinen Brief bei ihr bekam und auch las, mußt ich ſo ungezähmt lachen, daß ich ihr vieles verlas. Sie lachte auch ſehr: und iſt ſehr froh, daß du vergnügt biſt; ſie hatte mir aufgetragen dir zu ſagen, daß ſie ſich ein Vergnügen draus macht, dir die Hem - den zu verehren; hat es dir aber indeſſen ſelbſt geſchrieben. Ich kann dir verſichern, daß ich gar nicht lache, und dein Brief eine Komödie (Kommedje, wie die Juden auf der Gaſſe ſagten) für mich war. Ich dächte, du könnteſt es den wenigen Wor -387 ten, die ich dir geſchrieben habe, anleſen, wie ich lebe; da du mich aber fragſt, ſo ſei es dir geſagt. Übernatürlich ſchlecht. Mama weiß ich in einem düſtern, ruppigen, unbequemen chez - elle; ohne Geſellſchaft, ohne Genuß, ganz das bischen Glanz und Zuſammenhang und Wohlhabenheit weg; und mit Ver - druß genug! im erbarmungswürdigſten Geiz, faſt allein exiſti - rend, alſo die iſt mir für die Einſamkeit, in welcher ich lebe, und ſo ungerecht, und ſo zwecklos, und mit ſo vielem Verdruß, und mit ſo vieler Kränkung, bin hineingeſtoßen worden, kein Erſatz. Im bitterſten Gegentheil, eine heimlich drückende Sorge, eine immer ſich erneuernde Kränkung mehr. Ich muß mir einen Bedienten halten, und tauſend Kleinigkeiten; und lebe theuer und ſchlecht, und bin dabei in meinem alten Neſte, und kein neuer Gegenſtand erquickt mir die Sinne; dabei bin ich viel krank dieſen Winter, und immer wenigſtens kränklich, viel allein, oder mit abgetragenen, eben ſo unglücklich geiſtlo - ſen armen Bekannten. Niemals in Geſellſchaft, niemals im Theater, nie zu Wagen; Talglichte; und Branntwein anſtatt eau de Cologne. Bis Oſtern habe ich nur mein Quartier, wel - ches bequem für meine Vermögensumſtände iſt (zwar habe ich es nicht zurecht machen laſſen; und die Möbel die du mir kennſt), aber zu hoch für mich zu ſteigen, und um ein Bad zu nehmen; das Haus mir verhaßt; wegen Lärm, und alles. Die Jägerſtraße und jede ordentliche Familien-Einrichtung iſt mir nicht nur ein Stich, ſondern Hiebe in’s Herz. Alſo bis Oſtern kann ich nur in Berlin bleiben, dann will ich nach Wien: und erlaubt es der Krieg nicht, nach Paris. Allein bin ich allenthalben, und reicher hier auch nicht. Ich kann25 *388vor Gottes Thron ſchwören, daß ich nie für Ohr, Auge, Geiſt oder Herz, auch nur das mäßigſte Angenehme gewahre. Dies iſt mein niedertrachtvolles Leben! nun iſt es reif. Die Karak - tere, das nothwendig erfolgende immer ärgere Spiel derſelben, mag dir entfallen ſein, und entfällt einem vor dem Thore ſchon immer ......

Über deinen Brief habe ich gelacht, und das iſt mir noch lieb, und ein Troſt. Ich muß den Sommer von Berlin. Ich habe es vorigen Sommer mit einem lauten heiligen Fluch in den Himmel hinein geſchworen, und breche den Fluch nicht. An ſich ſelbſt muß man glauben können. Du kennſt unſere ſelbſtgezeugten Vorurtheile. Robert reiſt in weniger Zeit mit dem Baron Drieberg nach Wien, und will zum Frühjahr wie - der hier ſein. Ich habe keine Idee wie ich fortkomme, aber ich muß fort; aber wie ich hier bleiben könnte, das weiß ich auch nicht. Ohne Quartier in noch aus der Stadt. Ohne Geld mir irgend ein agrément ſchaffen zu können, ohne Be - kannte zu irgend einer Promenade, weder die Gute, noch Nette, noch die Schwägerin wirſt du mir doch zu rechnen erlauben. Mlle. Bauer reiſt auch weg, die ſitzt jetzt bei mir und näht das Weihnachtsgeſchenk, was Hanne ihrer Mutter macht, eine kleine Tiſchdecke, fertig. Der jüngſte Bruder hätte weg - bleiben können? eben wollte ich ſagen, ich hätte beim Aus - ziehen aus dem Bauche, einen Schaden anrichten ſollen, aber da fielſt du mir ein. Meine tiefſte Kränkung iſt, daß wenig Menſchen ſo viel Talent zu leben haben als ich, und zum lachen, und daß ich und das ſchöne Geſchenk in Schmerz un - tergehen müſſen. Ich könnte mich göttlich amüſiren. Daran389 erkenne ich dich, daß dich die G. entzückt. Wir ſind umge - kehrt, wie das andere Schund-Krop. (Gentz nannte ſie Alle kurzweg Schund, mir iſt das nicht genug). Die Sauzähne prahlen ſich immer was vor mit ihrer Liebe und Sanftheit; und eine Makrone, ein Hecht, ein Schlitten, ein Epaulet, ein Vers, eine Loge, ein Kreuzer iſt ihnen lieber als ihr Gegen - ſtand, und ihre eigenen Herzen: und wir ſchimpfen und ſchim - pfen, und ſind gefangen. Du Eſel nun ganz beſonders. Durch bloßes Zuhören und Zulachen, und durch die Stube, durch Eſſen. Bequemlichkeit: und unbewußt, durch was das andere Krop Liebe nennt. Veit rangirt ſich ganz richtig. Das ſind ja alle unſichere Menſchen, die ſich eine Moral von außen, und nach ihr, ein ſolches Schickt-ſich ſchaffen; die mit von uns ſeit zehn Jahren verlaſſenen Dingen ſich balgen; und denken nun haben ſie etwas Würdiges, weil auch in Journa - len davon geplaudert wird, und nennen unſere alten von uns angeekelte (und wir wegen ihnen bitter verſchrieen) Schau - ſpieler Künſtler, und ſaugen Ennui für Ergötzlichkeit ein. So macht’s jetzt hier das ganze Neſt; was blaffte, als die noch jung und reizend waren, die ich damals ſah, und die jetzt Runzeln in Seel und Körper haben, aber geheimräthlich thun. Der arme Veit, der ſollte mit ſeinem bischen gerettetem Ver - ſtandesvermögen der Natur einen Prozeß machen, und ſich ſeine Sinne herausſchaffen! anſtatt die armen Kunden mit Lapin’ſchen Anekdoten zu morden. Adieu, ſchreib mir! R.

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An Varnhagen, in Tübingen.

Ich habe in keinem Ereigniß Glück. Bin ich glücklich, ſo kommt’s von meinem innern Reichthum; und daß ich nie Unwürdiges wählte, und alſo frei bin. Bis jetzt nun habe ich unter den Ausſpizien, im ſtrengſten Verſtande, unter den Flügeln von Friedrich dem Zweiten gelebt. Jeden Genuß, von außen her, jedes Gut, jeden Vortheil, jede Bekanntſchaft, kann ich von ſeinem Einfluß herleiten: dieſer iſt über meinem Haupte zerſprengt: ich fühle es beſonders ſchwer! Sein eigener Geiſt und grade weil er meinem ſo unähnlich iſt, will ich ihm blind gehorchen, und nicht aus meinem Geiſte Elend weiter ſpinnen befiehlt ſchnell eine kühne Wahl; auch er hätte ſich ſchnell entſchloſſen, ich folge ſeinem Winke!

An Varnhagen, in Tübingen.

Armer! Möchte ich zu dir ſagen, der nichts in ſeiner Seele feſthalten kann! wie du es ſelbſt beſchreibſt. Aber viel - leicht verlangſt du zu viel von dir: und es iſt mit allen Men - ſchen ſo! Ich für mich weiß nichts mehr zu ſagen. Wenn du mich liebſt, wird es ſich finden: ich kann nicht mehr ringen. Mit und um nichts: und ein errungen Glück ekelte mich von je. Frag dich ſelbſt, ob ich dich genug liebe; ob ich ehrlich, und brauchbar zum Umgang bin. Und lebe wohl! die Nacht ſinkt. Ich umarme dich. Die Konſkription kommt hier gar391 nicht zu Stande, ſo viel Menſchen laſſen ſich anwerben: die wohlerzogenſten; Juden und alles; ach! es möchte jeder den alten Ruhm wieder aus der Erde graben. Wie die seigneurs ſehen unſere Soldaten aus: höflich, comme il faut: wie die Franzoſen. Sie bekommen keine Schläge mehr!!

An Varnhagen, in Tübingen.

Drei Poſttage ſind vergangen, ohne daß ich dir ſchrieb: auch habe ich in dreien keinen Brief von dir erhalten: und es iſt mir, als ſchrieben wir uns gar nicht mehr. So fremd iſt mir das! So viel Affekte ſind in der Zeit durch meine Seele gegangen. Ich glaube, du biſt ſchon in Hamburg: und ſchreibe dieſen Brief nur auf gerathewohl, damit du dich nicht ängſtigen mögeſt: ſolche Briefe werden immer ſchlecht: auch bin ich in der ſchlechteſten Stimmung. Ich bin endlich her - unter. Seit dem letzten Dienstag vor vierzehn Tagen war ich Morgen und Abend bis geſtern bei Ludwig Robert; nur vorgeſtern Abend nicht. Und nun nicht mehr: morgen fährt er aus. Ich habe viel gelitten. Ich ſage das nicht leicht; und geleiſtet. Alles in den Wind; oder wieder in meine eigene Seele hinein! Ich habe heute an Campan wegen der Gu - ten ihrer abſcheulichen Korreſpondenz ſchreiben müſſen: die, obgleich ſie mir mit Worten auf Worten hat geſtehen müſſen, daß es keine iſt, doch nicht unterläßt die Paſſion aufzuführen fünf Akte durch; mit der kleinen pièce! diable! Lies dieſen einliegenden Zettel. Ewig will ſie Theilnahme an dem, wor -392 aus ſie ſelbſt nichts macht. Mein Robert’ſches Leid hatte das Gute, mich von der legitim zu entfernen! Ich vergehe in der That! nun ganz! Heute habe ich erſt dein Tage - buch geleſen, was ſchon ſo lange bei mir liegt heute erſt bleibe ich zum erſtenmal ſeit Roberts Krankheit zu Hauſe: jetzt iſt es 2 Uhr und worin du Juſtinus Kerner für mich ſehr deutlich beſchreibſt! Mir iſt er lieb! Auch ich habe Jungs Geiſterkunde; das Buch, und die Theorie gefallen mir ſehr gut nämlich der Punkt, woraus ſie geht , er und die Geſchichten grundſchlecht. Ehrlich iſt er auch nicht mehr. Siehſt du nicht, daß er ſich nun ſchon zu glauben zwingt? oder vielmehr mit Glaubensreden ſeine ſtörende Erkenntniß übertäuben will? Es geht ihm in einem andern Weg wie Jean Paul; die Meinungen der Bücher, die er hat leſen müſſen, haben ihn irre gemacht; und zum wirklichen Den - ken kann der nicht kommen. Seine Deduktionen ſind kinder - haft, und für einen ſtudirten Mann zu beſtrafen! ſeine Ge - ſchichten die lächerlichſten Offenbarungen von Pöbel der nicht wahrnehmen kann ohne Sinne und ohne je einen Namen. Ein gebildeter Menſch darf ſich nicht einmal auf - führen, wie der ſeine Verklärten ſich noch herumtreiben läßt. Herumtreiben kann kommen; und ſchrecklich ſein; aber ſo plump ſchneiderhaft doch wohl nicht. Das Buch hat das größte Intereſſe für mich. Sein Inhalt. Kerner’s Geſchichte iſt mir lieber, als alle die in dem Buche. Ich möchte die Muſik haben, die er grade ſpielte. In ihren Verhältniſſen kann etwas ſein.

Schreibe mir wieder. Ich liebe dich! und freue mich über393 den Eingang, den Goethe bei dir findet, es wird noch beſſer werden! Nach deiner Lehre bin ich ja auch noch jung! mir wachſen auch noch alle Erkenntniſſe, wenn ich eine neue ge - winne. Geſtern Morgen hörte ich in einem Saale des Schloſ - ſes eine Probe von Righini’s Tedeum, worin die Stadt mit ſang, und auch die Schweſtern des Königs, und welches einen Tag nach ſeiner Ankunft im Dom aufgeführt werden ſoll: der Meiſter ſchickte mir ein perpetuell Billet zu dieſen Proben und zur Aufführung: er frug mich auch nach dem Ende um alles! Leider log ich faſt; mir gefiel es nicht. Keine Weihe, keine Kirche iſt drin zu ſpüren: aber wohl gli infernali: und Thea - ter, mit Einem Wort. Sage es aber niemanden! Auch war der Saal ſehr ungünſtig. Freitag wird eine andere im Ritter - ſaale ſein, ich muß meint - und Righini’s wegen hin. Doch iſt ein ſehr ſchönes Gebet drin. Die Kaſtraten fehlten. Tom - bolini ſang ſehr kirchlich und ſchön: der einzige. Faſch Schule, ſchlecht. Einer hält ſich an dem andern. Muſik iſt Freiheit im Ausdruck der Affekte; wo die fehlt, iſt das ganze Weſen der Muſik verfehlt: und eine verfehlte Ausübung einer Kunſt alſo; und iſt das Verkehrte auf’s peinigendſte, d. h. unkünſt - leriſchte dargeſtellt; und iſt umgekehrt, was Fichte vom Witz ſagt: Die Evidenz des Verkehrten. Ich habe von There - min, der geſtern bei Robert war, gehört, Schleiermacher habe auch, und eben ſo wie ich, ungünſtig von dieſer Muſik ge - urtheilt, er ſoll nur wenig davon gehört haben. Theremin frug gradezu um mein Urtheil: ich hütete mich! Ich lobte ſie. Righini iſt zu aufmerkſam auf mich; und die Menſchen zu erpicht auf was ich ſage.

394

Dieſe Minute! einen Brief von dir! O! wie hat jede Zeile mein Herz mit anderer Angſt belegt und gepreßt. Un - dankbarer! Blinder. Ich liebe dich. Dich zu ſehen, mit dir zu leben, iſt mein höchſter, ja und faſt mein einziger Wunſch noch. Aber ſoll ich dich verlieren! ſo wollt ich’s ſchnell. Wie eine Operation. Gegen mich, Unkundiger, war ich hart; und weil du mich dazu zwangſt, gradheraus gegen dich. Un - dankbarer. Weil ich dir nur den Entſchluß und nicht den Weg dazu zeigte, hältſt auch du mich für hart?! Ja ich bin es, ich Unſelige! Und ewig! gegen mich. Ich wollte dir nicht zwei leidende Weiber zeigen; und zeigte dir ein eiſer - nes. Noch jetzt, wenn du mich verlaſſen mußt, werd ich nicht jammern. Schwanken liebe ich nicht: das iſt die Gränze meiner Natur; weil ich’s nicht verſtehe. Und vom Schwan - ken kam unſer Leid. Mir kann’s nicht anders gehen! Ich ſeh’s; mein Geiſt bereitet’s ſelbſt. Wär’s mit dieſem Leben nur genug: und bezög ſich nichts auf Künftig! Adieu.

An Varnhagen, in Tübingen.

Geliebter Freund, viele Zeit vor dem Poſttage muß ich dir wieder ſchreiben, damit es ausführlicher und verſtändlicher wird. Heute Morgen ſollte es gleich mein Erſtes ſein: jetzt iſt es ſchon zwei Uhr, und es wird nun nicht ſo gut werden. Aber Mama ſchrieb mir früh ein demüthiges Billet, worin ſie zwar das Ganze auf mich wohl dreimal beruhen ließ: ich möchte hinkommen und machen daß Robert ausfährt es iſt395 Sommerwetter er ſei zu verdrießlich; ich war geſtern, weil die Stadt wegſchwimmen wollte, und ich zu thun hatte, gar nicht dort; flugs, zog ich mich an, und watete hin. Robert aber fuhr nicht; Chamiſſo und Hitzig kamen bald: mit denen redete er auch nicht; Hitzig ſprach mit mir; der protegirt mich ſehr. Dann ſuchte mich Humboldt dort auf, mit ſeinem zwölf - jährigen Sohne, den er nur Sonntags aus einer Peſtalozzi - ſchen Lehranſtalt nimmt; mit denen ging ich weg, und bei der Guten heran. Nun bin ich hier und ſoll mich ſammlen, ſoll zuſammen ſcharren, was ſchon in meinem Kopf viel beſſer zu - ſammen ſtand. Habe Einſicht darüber, dann wirſt du Nach - ſicht haben. Nun von uns, Lieber! Deine äußere Lage, und wie die das innere Sein bedingt, habe ich wohl nicht vergeſſen; und ſogar erwähnt. Sagte ich nicht, wenn wir nur Geld hätten, es wäre alles anders: und wiſſen wir nicht ohne alle Erwähnung, daß Stand ein Stück Geld, oder die Bahn dazu iſt? Ich irrte mich. Weder du noch ich, werden ſich ändern: ich handelte in meinem alten Irrwahn; wieder meinend, Feſtes könne Feſtes um ſich her bilden; und der Evidenz der Einſicht müſſe jeder Sinn weichen: und es iſt grade nur die Natur des meinigen. Die Einſicht wird dir; und das Gemüth läuft einen andern Gang, wie ein Fluß; Gott weiß von welcher Erdkrümmung, von welchem Planeten getrieben! Ich irrte mich wieder; ich wollte wieder etwas machen. Das kann ich durchaus nicht: vielleicht Andere auch nicht. Und es iſt dumm, ſich zu fürchten; iſt jetzt nicht auch Zukunft? dieſe will man immer ſo ſchön, ſo ſicher haben. Liebt ich dich doch ſchon ſchwankend; warum will ich’s für396 künftige, in einigen Monaten, nicht. Der größte Hieb von dir iſt mir angebracht: du zeigteſt dich gleich wahr, wie du biſt, jetzt kann’s nur wieder ſo kommen. Nachſichtig aber kannſt du doch mit mir ſein! Stell dir meine Natur, meine Art mich zu geben, dar; und bedenke was mir begegnet iſt, alles! Mein Schickſal: da kommt der Ausdruck wohl aus dem Gleichgewicht. Und auch ich, Varnhagen, ſtellte mich dir konzentrirt, und alſo ärger dar. Unglücklicher, als ich vor deiner Bekanntſchaft war, kann ich nicht werden. Und in ei - nem vorigen Briefe ſchrieb ich ſchon: Ich dachte eine Zeit lang, nicht allein zu ſein; ich bin es wieder; damit meinte ich nur das. Mußt du mich alſo laſſen, ſo thue es ganz ge - troſt. Folge deinem Herzen, deinem innren Sinn ganz! Willſt du, begehrſt du, eine Zeit lang mit mir zu ſein; ſo komme auch! Mein Herz empfängt dich! wie du es dir nur wün - ſchen kannſt, wie du es ſchon erlebt haſt. Findeſt du das wieder, eiſern, tüchtig, koloſſal ich weiß daß es auch Lob iſt ſo bin ich es! So wird mein Herz immer auf dem Papier. Ich verſteh nicht ſanft, weiblich, lieblich, halb zu wäh - len: ſo daß man mich auffangen und halten muß. Und auch jetzt wähle ich wieder ganz. Darüber, daß wenn ein Beſſe - rer als du käme; der mich ganz erfüllte, in Anſpruch nähme, wie du ſagſt: darüber gieb dich auch zufrieden. Erſtlich, iſt das in aller Ewigkeit, bei jedem Paar Menſchen der Fall. Eben weil die Möglichkeiten doch in’s Unendliche gedacht werden können. Aber damit ſei es ſo, als wenn ich des Nero glaube ich goldenes Haus bekomme; dann reiße die Stadt worin ich wohne ein, und ich will ſtill ſchweigen.

397

Was, und wie mein Lieber, ſoll ich denn da entſchei - den? Frei, zu allem in der Welt, biſt und bleibſt du mit mir in aller Ewigkeit, rück - und vorwärts hin; das iſt aus - gemacht. Alle Verwirrung liegt, wie du ſagſt, in den Um - ſtänden: (und wahrlich, mir gefällt jetzt nur eine Art ſie zu bekämpfen: mit einem Heere!) die aber gründen ſich alle, und gründeten ſich in der Vergangenheit, bloß auf den Gemüths - zug, den du mir ausgeſprochen haſt. Ich werde nun nichts mehr ändern, oder bereiten wollen. Das iſt eben ſo gut, ſo ſchlecht meine ich, als Affektiren: weder außen muß man Um - ſtände provoziren und zurecht ſtellen wollen; noch innen Ge - fühle: beides geht nicht; bleibt alſo unwahr. Edler iſt’s; weil es ſtiller und geſcheidter iſt, abzuwarten in Stummheit, und in anſtändiger Haltung, was geſchehen kann, und was Einem werden kann; und ſeine Einſicht darüber zu erklären, erhellen: werde ich das nicht ſo ausführen können, ſo werde ich bloß fehlen. Nun verzeih mir auch! Du fürchteſt, daß dein Brief mich in einer heftigen Stimmung träfe! Wenige ſind exploſiver als ich; das weiß ich ſelbſt. Unvernunft aber wirft bei mir, oder erzeugt vielmehr, die größte Exploſion nicht! Nie hat Zorn etwas in meiner Seele geſchaffen, was nicht lange ihr von meinem Geiſte überkommen wäre. Zurück - halten kann ich es lange: aber nur früher oder ſpäter wär es hervor gekommen. Das mußt du doch auch ſchon bemerkt haben. An dir, mein Lieber, iſt nun jede Entſcheidung: und ich erwarte ſie mit reiner Seele. Noch Einmal aber, und aus Grund des Herzens bitte ich dich, folge ganz und gar dem398 deinigen; und wie ich mich ſchon ausdrückte, deinen Augen! Nicht mehr meinetwegen; damit dir, dir lieber Freund, wohl ſei! Denk dir dich Einmal, Jammer in der Tiefe, und einen Stachel in deinem Herzen, an meiner Seite! Bin ich denn hart, wenn ich wähle und ſcheide? Iſt Einſicht haben und gebrauchen hart? Freilich laſſen ſich graziöſe Frauen leiten; und auch die Tänze ſtellen das vor! Aber ich wäre noch ungeſchickter, wenn ich anders ſein wollte!

Nun erwarte ich, ob ich heute etwa einen Brief von dir kriege! Ich habe Aug. Wilh. Schlegel ſeine franzöſiſche Bro - ſchüre über die beiden Phädren geleſen: ſchlechtes Franzöſiſch; und ein ſchlechtes Gemüth; und ein Gemüth zu Racine wie ein Auge mit einer Perl drauf! Ein verſtockter, vorfleißiger vorwitziger Schwächling: ich bin ſehr böſe auf ihn. Stumpfer kranker Kritiker, der nichts von Liebe weiß; wie er nur noch ſeine Werke muß geſchrieben haben; mir ein kom - plettes Räthſel. Neumann hat mir ſchon früh dieſen Mor - gen les mémoires de Beaumarchais gebracht, ich forderte ſie mal vor einiger Zeit: er ging im heilloſeſten Wetter zu ſei - nem Buchhändler wegen Machiavelli: es iſt ſolcher Wind, daß Wellen auf dem Platze getrieben werden. Du ſiehſt ich leſe noch dann und wann. Was fehlt denn deinem armen Kerner? hat er Abwartung? weibliche? Verwandte? Ich bin ſeit Ro - berts Krankheit noch weichlicher geworden. Er hat doch keine Angſt von ſeiner Erſcheinung in der Krankheit bekommen? dergleichen giebt’s. Humboldt ſehe ich öfter: er iſt wie vor fünfzehn Jahren. Geſtern ſah ich die Unvermählte von Kotze - bue; in ſeiner, in des Kotzebue Art, ein Beweis von vier399 Akten mit Wohlthaten geſpickt, daß Ledigbleiben keine Schande, und wohl gar ſchwerer ſei, als Gattin zu ſein: kurz, des Meiſters und Parterre’s würdig. Beim Herausgehen traf ich meine Schwägerin, die ſagte mit engliſcher Naivetät, und in einem unnachahmlich reſignirten Ton: Wie immer bei Kotzebue, ganz ſchlecht, und man weint: er ſchämt ſich gar nicht! und wirklich, er ſchämte ſich nicht, ſich ſelbſt und die abge - droſchenſten Präzepte zu wiederholen, und ganz ärgerlichma - chenden Edelmuth aufführen zu laſſen. Auf Wiederſehn! Es dunkelt ſchon! So eben habe ich mit einem dicken, beinah roth-blonden Nachbarkind gegeſſen. Seit Neujahr hab ich es in der Koſt: (ich bedarf das Sieb der Geſelligkeit: ſonſt wird mir jeder Genuß zu hart hinunter zu ſchlucken) die Leute ſind arm. Es iſt kein Brief von dir angekommen. Lebe wohl. Sei mir hold! Quäle dich nicht, und thue nach dei - nem Herzen! Ich will ſchlafen, und leſen. Ich bin jetzt recht geſund. Aber den März fürcht ich ein wenig: mein Kranken - monat. Ich ſchreibe aber doch nun nur wenn ich Nachricht von dir habe: alſo du ängſtigſt dich nicht.

Deine Rahel.

An Varnhagen, in Tübingen.

Da ich dir Dienstag noch nach Tübingen ſchreiben will, muß ich nur gleich anfangen, und kann nichts Beſſeres thun. O! lieber theurer Freund, dies war ein zu gräßlicher Winter und Herbſt. Ein Leben voll Glück ſollte damit nicht errungen werden müſſen. Wie betrübt, geängſtigt, gedrückt, verzweifelt400 war ich noch vor zehn Minuten! wie ennuyirt! Noch ſoll ich mich, nach allem, was ich wahrlich ſchon erlebt habe, in ſol - cher kleinen, niedren, ungewiſſen, nun gar einſamen, von Men - ſchen und Künſten, und Natur geſchiedenen Lage, herumbalgen. Und all mein Muth, meine Klarheit, meine Gaben, ſollen mir zu nichts dienen können, als daß ich wie eine Verzweifelte Verlaſſene davongehen kann. Dies iſt doch die trockene Geographie meines Zuſtandes. So war es doch dieſen ganzen Winter geſpickt mit tauſend Kränkungen, Neckereien, Be - leidigungen und Unſinnen, ohne Labe für Herz, Geiſt, Phan - taſie (Hoffen durch Geiſt für Herz). Du weißt die drei guten Senſationen, die ich vielleicht hatte; ich theilte ſie dir ja mit! als du noch nichts wählen konnteſt, und auch mich nicht laſſen konnteſt. Und können wir uns wohl gegenſeitig durch etwas helfen, als durch Liebe und friſchen Herzensmuth?! O und was ich ſagen kann, und geſagt habe, iſt das wenigſte! Die Reihe der Gedanken, die bei mir in der Zeit aufgeregt wurden, der Ärger, der Verdruß, das Unbehagliche, das in jedem Augenblick in meiner Lage mich anpickende, anpackende, immer wiederkehrende, ſich aus jedem Neuen neu erzeugende Ungemach, auf Menſchen-Seichtigkeit, Schlechtheit und Dumm - heit zu meinem Wahnſinn gegründet; dies getrübte, gekränkte, empörte, und geſunde nie ermüdete Herz! dieſe Stützenloſigkeit nach jeder Seite! Auch du, Varnhagen, mißdeuteſt meine Kraft. Ein ſiebzigfaches Leid, eine Äußerung davon iſt ſie! Dieſe Woche habe ich erfunden, was ein Paradox iſt. Eine Wahrheit, die noch keinen Raum finden kann ſich darzuſtellen; die gewaltſam in die Welt drängt, und mit einer Verrenkunghervor -401hervorbricht. So bin ich leider! hierin liegt mein Tod. Nie kann mein Gemüth in ſchönen Schwingungen ſanft ein - her fließen, wozu dies Schöne in der Tiefe meines geiſtigen Seins wie in den tiefen Eingeweiden der Erde verzaubert liegt. Wie richtig, geliebter Freund und wie traurig vergleichſt du mich wie überaus witzig, nie hat man et - was erſchöpfend Ähnliches über mich geſagt!! vergleichſt du mich zu einem Baume, den man aus der Erde geriſſen hat, und dann ſeinen Wipfel hineingegraben; zu ſtark hat ihn die Natur angelegt! Wurzel faßt der Wipfel, und unge - ſchickt wird Wurzel zu Wipfel! Das, Lieber, leider! leider! bin ich. Dies iſt der Durchmeſſer meines Lebens. Seine erſte Verſchlingung zum Wirklichen. Laß dies mein Epitaph ſein, und dies iſt daſſelbe, was mein Paradox iſt. Mit dem: Sie arbeitet viel! meinte ich weiter nichts, als die Indig - nation: die denkt noch ſie arbeitet! Sie, arbeiten! und dann gleich hinterher: Ja! bei ihr iſt auch alles Arbeit! und das alles drückt ich aus Eil und Überdruß kurzmöglichſt aus. Sonſt meint ich nichts; iſt das aber witzig, ſo war ich es: ich finde es nicht. Antworte mir hier drauf; was den Geiſt ſo geregt hat, iſt mir intereſſant, und wär’s über einen verlorenen Weſtenknopf! Das Buch der Frau, die du ge - troffen haſt, und ſie, iſt doch noch weit lügenhafter, als man ohne des allmächtigen Gottes eigenhändigen Witz, oder die Dummheit erfinden kann, die er in dem Puppenkopf zum Statt - halter gelaſſen hat. Sie lügt wie ein Räuber mit der Piſtole auf der Bruſt; und man muß ſein ſchönes Eigenthum Wahr - heit ihr laſſen; oder dieſes rechtmäßige Gut durch harten KampfI. 26402wiedererringen; und nur, wenn man ſich dazu entſchließt, kann man ihr ihr Attentat beweiſen, ſonſt geht ſie noch als weinen - der, verkannter, verwieſener Bettler ab. So hat ſie mir es vor Jahren, als ich ſie in Paris kennen lernte, mit vielen Um - ſchweifen gemacht. Das Ende denn wozu etwas anderes davon wiederholen! war, daß ich als maréchaussée, und Richter zugleich, ihr endlich antwortete: Wenn Sie wahr ſein werden, dann werde ich Sie lieben. Sie wollte wirklich vor Weinen platzen, ſo hatt ich ihr den Keil der Wahrheit in’s Herz geſchlagen, und es mußte ſpringend von einander! Geiſtig Zerknirſchung genannt: Weinen Sie nicht! konnte ich nur ſagen; und dabei blieb’s! Nachher drehete ſie in einem Brief auch dies Geſpräch wieder um, aber ein Tacitus’iſcher, unerbittlicher, ziemlich kurzer zeigte ihr ihren Kuſchwinkel an. In den vielen Diskuſſionen ſagte ſie: Hypochondriſch bin ich nicht , ſie freute ſich der imagi - nairen Anklage ich zwinge mich ja, jeder Andere läge. Hypochondriſch ſind Sie gar nicht! kriegte ſie aber krankſüchtig! Sie denken Krankſein iſt hübſch; und nie ſagen Sie mit Freude: Heute befinde ich mich gut! Iſt der Menſch nicht genialiſch, ſo will ich nur Freiheit von ihm. Negation; wo Negation iſt. Will man’s anders, ſo iſt das Verwirrung, und meiſt leidenſchaftliche.

Wie wahr iſt das, was du über Freundſchaft auf einem klei - nen Zettel mir ſchickteſt: Jedem Gebildeten muß man alles ſagen können. Wie Schade! daß ich jetzt unfähig bin, dir auf die Zettel, die ich ſo gut finde auch Neumann iſt ſehr davon eingenommen; dem gab ich ſie alle zu antworten. Spre -403 chen wollen wir darüber! Und daß die Gemeinen, die ſich keine Rechenſchaft geben können, in der Liebe ſo blind Recht haben: je gröber ſie ſcheint; je mehr auf Äußeres, auf den Eindruck gegründet! O! es fiel mir viel bei den Zetteln ein! Mündlich. Ich laſſe deine Briefe Einmal drucken, und das Geld wollen wir verfahren: und die Welt hat doch noch Vor - theil. Adieu. Ich erliege.

O! wäre ich ſteingeſund, hätte Klima, Freunde; wahr - lich, ich wollte das Beſte anſtändig entbehren und vermiſſen. So aber bin ich ja wie unter eine Horde wilder Thiere ge - ſtoßen, die alle nichts ſind, als freſſender, verzehrender, per - ſonifizirter Mangel. Ich ertrage bei meinem Geſundheits - und Geiſteszuſtand die Sorge, die elende, mir im innerſten Geiſte verhaßte Sorge der Ungewißheit nicht! Für Pöbel iſt die, der in ſeinem eignen Geiſte auch ungewiß iſt, und dem wahrhaftig eigentlich alles, wenn er ſich recht abfragt, egal iſt.

Gegen 4 Uhr ging ich nach Hauſe eſſen; mit einer großen hübſchen Nähterin, die ich jetzt oft bei mir habe; und die Neumann lobt; die amüſirte ich ſehr; dann legte ich mich nieder; und ſchlief wirklich ein wenig ein: aber der unſelige zehnmal während meinem Fieber und meiner Geneſung weg - geſchickte Baron Bielfeld unſer letzter Geſandter in Kon - ſtantinopel ließ mich wecken: Line hatte nicht den Muth, ihm wieder abzuſagen. Ich bemühte mich drei Viertelſtunden ihn zu ennuyiren, war aber dadurch in eine Laune gekommen, daß die Nähterin ſich ſchon wälzen wollte, und daß er ſich26 *404recht ſehr gut amüſirte; endlich trieb ich ihn doch weg; und beſchied ihn ſpät mit der Guten zu mir zu kommen. Baron Drieberg trat in die Stube; er war dreimal im Tag dage - weſen, um mich zu ſprechen, weil er durchaus, obgleich er gar nicht zu mir kam, Briefe von mir nach Wien haben wollte. Ich ſchalt ihn gradezu: er begab ſich gleich, durchdrungen, der Briefe: und ich Eſel ſetzte mich hin, ihm einen nach Prag zu ſchreiben: vier große geſtörte Seiten! als der Brief fertig war, und ich ſieglen will, ſagte er nein! dies koſte hundert Louisd’ors: ich laſſe alſo meinen nur für meinen Freund Gentz geſchriebenen Brief offen in ſeinen Händen. Was ſchadet mir ein junger Baron! Meine Nähterin beurtheilte ihn und Bielfeld ſehr gut. Ehrlich iſt er. Ich trug ihm auf, den Prinzen de Ligne zu grüßen: und da wurde er wie außer ſich, und wollte einen Brief! Ich that es: aber nicht als Eſel. Dieſen alten Freund lieb ich von Herzensgrunde, und will in Relation mit ihm bleiben; für dich hauptſächlich; wenn du mal nach Wien gehſt: und ſo wollte ich mich bei ihm auf - friſchen. Ich konnte ihm, von Drieberg und Nettchen bela - gert und geſtört an meinem Tiſch, doch einen ſehr guten Brief ſchreiben: von dem, als er fertig war, ich glaubte, es könne keiner ſein; es war aber einer; und ein rechter Schmeichelbrief. Nämlich, er freut ihn gewiß. Und das Franzöſiſch! Drieberg, ohne im geringſten etwas zu thun, als ſeinen Namen zu nen - nen, ſehr empfohlen. Meinen Freund habe ich auch für ihn um ſeine beſten Bekanntſchaften gebeten; dabei iſt er Baron, hat Geld. So iſt’s. Die empfehle ich! Ich bin heute munterer, weil ich auf zwei Stunden relâche habe. Das iſt405 mein doppeltes hundertfaches Verzweiflen, daß ich ſo vergnügt ſein könnte. Es können wahrlich nicht alle Menſchen.

Ob eine Wahrheit grob iſt oder nicht, darüber kann man ihr als ſolcher nichts anhaben; ſie entſpricht ihrem Weſen, wenn ſie wahr iſt; und wo ſie hin trifft, das iſt der Ort, der ſie zur Grobheit oder Höflichkeit macht.

An Varnhagen, in Tübingen.

Meinen Plänen iſt nun auch von der pekuniairen Seite in die Räder gefallen! Und ich muß, bei dieſem völli - gen Brankrutt an Geduld, wieder eine mehr haben! Es ſei! So iſt der Muß. Doch hab ich noch Muth; und werde ganz luſtig: denn Geldnoth iſt mir doch eigentlich ſo fremd, daß ich immer denke, ich bin es nicht, und ſpiele nur ſo einen Roman. Auch iſt dies die erſte Zeit in meinem Leben, wo ich mir vorgenommen habe, Muth zu haben, und mir ſelbſt zum Trotz; und wo ich dies angefangen habe auszuführen. Ich unterhielt geſtern meine Geſellſchaft ſehr gut und luſtig, und wiſſe nur, das gab mir Muth. Geſtern ging’s mir doch ſo ſchlecht; und Abends, mit allem dem im Herzen, ſpielt ich und war ich die Niedliche, Vergnügte? nach die meiſt Unterhaltende? Es geht alſo? Allons! Du giebſt mir noch den meiſten Muth. Noch nie hatte ich einen ſolchen Freund! Ach wärſt du doch ein Handelsmann. Vieles ließe ſich dann406 in der wirblend-wankenden Welt machen. Künftig erfährſt du Genaueres. Falſche Freundſchaften aber, will ich von nun an wieder falſch behandlen! Nun aber ſeh ich ein; ich kann nichts ändern. Und will mir das Härteſte grade heraus ſagen! Wie zögerte ich über meine Umgebung; und nun ſcheide ich doch! Tragiſch bleibt’s; fortdauernd ſeine innerſte Natur hart behandlen zu müſſen; und mit Umwegen nur ihr gewähren zu können. Dabei kann man nur luſtig, wohlge - muth, oft ruhig, aber nicht glücklich ſein; à la bonne heure! Meine Geſchichte fängt früher an, als mit meinem Leben: und ſo geht’s jedem, der’s verſteht. Nun ſind wir bis an’s Leben gekommen! von da geht’s nach dem Exiſtiren: das iſt komiſch und tragiſch: nun ſind wir an der Kunſt; die muß man verſtehen; machen, und zuſehen; und das wollen wir: warum? weil’s nicht anders geht; und, nun? möchte ich für mein Leben gern eine luſtige Ecoſſaiſe auf dem Papier hier ſpielen, die ich im Kopfe habe, um zu zeigen es geht von vorne an. Adieu! Neumann gewöhnt ſich ſehr zu mir, er kömmt meiſt alle zwei Abende, oder auch manchmal hinterein - ander: die Zeit beugt ihn: ich kann ihn etwas erheitern: ich bedaure immer Leute, die keine andere Reſſource als mich ha - ben. Er iſt ganz naiv mit mir: er will mich über alles aus - fragen, weil er ſieht, daß ich ſo aufrichtig bin: dann muß ich ihn ordentlich auslachen: dann lacht er mit. Geſtern bei Tiſche ließ ich ſie recht viel lachen, Alle: und applaudirte mich ſelbſt nicht wenig. Dein Landſchäftchen erinnert einen ordentlich an Land!

407

Mich peinigt übernatürlich der Frühling, und daß ich nicht fort bin! Und die infame Ungewißheit, die nun gar noch die Welthändel auf ihren Flügeln ſchlingen, damit ich ſie nie mit eigenen Händen endlich erdroßlen kann!

Aus einem Tagebuch.

Ein fürchterlicher Tag für mich. Immer ſchlechter! Das erſte Kriegesjahr, mit Bujac; und dem mit Vorbedacht er - zählt. Voriges Jahr, in des Prinzen Louis Haus das Schrek - kenskonzert: und nachher Bribes erſchrocken. Heute im viel - gefürchteten Trenkiſchen Hauſe allein: und mit großer Sorge! Mit großer Sorge dies ſchreibend, wie ich es über’s Jahr in noch älterer Noth leſen werde! Von ungefähr nahm ich dies Buch in die Hand, um von Hemſterhuis etwas aufzuſchrei - ben, und beim Datum fiel mir der Königin ihr Geburtstag ein und dieſer Gräuel. In Herder dem Armen habe ich geleſen. Wie hart iſt es, von Kinder - und Geſchwiſter - liebe zu leſen! für mich. Hemſterhuis ſagt: Religion iſt die freie Beziehung jedes Individuums auf’s höchſte Weſen. Durch’s bloße Benennen wird ſie ſchon unwahr.

Kalt, und Schnee auf den Dächern. Geſtern Abend ka - men M’s. zu mir. Da ſprach ich recht dumm. Es war ein Streit; und ſie blieben ſo ſehr auf der Oberfläche; und408 das noch dazu in allen Richtungen, und nach allen Wegen laufend, eilend, zurückfliehend, ſtillſtehend, umkehrend; und ſcharmützelten ſo mit mir, daß ich Orte und Dinge vertheidi - gen mußte, an denen mir gar nichts lag; und in der Empö - rung und Erhitzung, kam es mir wie aus der Acht, ſie in die Tiefe zu führen, wo ſie mir nicht hätten entwiſchen können, und wo ſie ſich nicht hätten regen ſollen. Aber ſchon oben reizte mich die Unregelmäßigkeit; die Rede war von den Vor - rechten, die die Geburt in unſern Staaten ertheilen kann; bei Gelegenheit, daß B. dieſe genommen habe; welches man für unſinnig und eitel auf die faule Bärenhaut gelegt, und auch nicht Einmal ſich die Mühe genommen zu denken! erklären wollte. Ich ſtieß gleich aus, mich wundere dieſer Schritt nicht: denn er, B., hätte es nicht ertragen können, ohne Namen umher zu gehen, und habe etwas, es ſei was es wolle, unternehmen müſſen, um ſich, ſei’s um den Preiß ſeines Blutes, eine äußere Exiſtenz zu verſchaffen. Ich ſähe das ein, und fände, er habe Recht. Nun wurden ſie weiſe, und meinten, ich ſei eitel. Wir kamen vom Grund ab, weil hoch oben ſie ſchon Unrecht hatten! Die Frau ſagte: Ich trage eine Welt in mir. O! Großer Gott! was meint ſie wohl damit?! hätte ſie doch dieſe Phraſe nie gehört! Das ſtupide Prahlen, was nicht mal Verſtand genug gehabt hatte, etwas zu erfinden, oder nur im Arſenal der Gebrauchsreden zweckmäßig zu wählen, empörte indignirte mich ſo, daß ich ſie nur anſah, etwas ſchwieg, und dann etwas Dummes ſagte; anſtatt ihr zu erwiedern: je vielfältiger dieſe innere Welt ſei, je mehr nehme ſie die äußere in Anſpruch, und jedes409 Mißverhältniß ſtöre ſie nur vielfacher, inniger, und verletze nur reichere Harmonien! Man habe nur ſo viel äußere Welt, als man im Stande ſei mit ſeiner ihrer! innern auf - zufaſſen, und die Welten ließen ſich in dieſem Sinne nicht trennen. Und ihre Behauptung führe zu der, daß man ſie mit ihrer innern Welt in einen Kerker ſetzen könnte, und ſie müßte ſich die äußere denken; wenn ſie mir die Art zugäbe, ſo könnten die Grade hier nichts thun. Der wäre aber toll, der ſich, ohne von Realität unterſtützt, etwas einbilden könnte, ohne zu wiſſen, daß es Einbildung iſt. Und dies Talent ginge mir wirklich ab. Ich bewies aber Anderes! Oberflächlicheres; bloß in’s Einzelne getriebene, mit realen Namen bezeichnete Folgerungen dieſes Grundgedankens. Ich behielt etwas Recht; ſie ſtellten ſich weiſe; und ich blieb als heftig und aufgereizt, und als ein unzubefriedigendes Herz ſtehen! Dies verdroß mich: mit einem erfüllten Herzenswunſch ging ich ja geſtillt auf den höchſten Berg für mein Leben! Obſchon unbefriedigt und verzweifelt über die Menſcheneinrichtungen. Ich zeigte und äußerte mich auch ſo, als wäre der höchſte Platz mir der liebſte: weil auch auf dieſen geſpannten Anſpruch mir nichts Einmal zu entgegnen war: ich ſchwang mich auf die Hyper - bel, um mich gar nicht mehr erreichen zu laſſen. Sie blieben weiſe und gemäßigt: er, der ganz gegen ſeine Einſicht nach niedren Leidenſchaften gewaltthätig gehandelt hat; ſich in faule Verhältniſſe köpflings eingegraben hat: Jahre lang ſelbſt ſchon darüber in Verzweiflung, in lauter, war: und nun wie - der ſtolz drauf iſt; weil er zu matt iſt, es zu ändern oder ſchmerzlich leiden zu wollen! der, was bürgerliche Rechte, und410 Genüſſe und Gelingen heißt, erſchöpft hat, und vorgegeben hat, ſein Herz das tiefſte reinſte Wollen ſei befriedigt! der ſtellt ſich weiſe neben mir! der ewig Wahren, Geſchmerz - ten, Verunglückten! Ich trage eine Welt von Umſchauung, und Geiſtesbeweglichkeit und Liebesquellen in mir! ſonſt müßt ich immer verzweiflen. Das Leben iſt nicht viel ? Gerechter Gott! was denn? Ein lebendig genußreiches, ge - foltertes Herz ſoll ich gelaſſen dabei ſitzen und bei meiner einen Hälfte Kadaver kann ich’s nicht einmal nennen war - ten, dulden, trauren, ſtolz ſein ? womit? daß ich mich nicht tödte? daß ich Beſſeres tief auffaßte? Das Leben iſt wenig, wenn ich’s in der Hand halte wie eine Erbſe, und es mit allem ſeinen Bewußtſein wegwerfe. Dies um einen großen, oder auch grad um keinen Preiß kann ein jeder. Aber es ſich Minute vor Minute entreißen, entwinden laſſen? durch eine Anſtalt eine ſanktionirte! von Menſchen? Und die Ver - nunft ſoll auch noch neigend Ja ſagen, und in Bürgeruniform auf den Feſten erſcheinen, die von meiner Lebenseſſenz bereitet ſind. Gottes Strafe kann nicht ausbleiben! Rückwärts geht die Natur nicht! dieſe inn’re Empörung wogte und tobte in mir; und lauter Dummes ſagte ich! weil ich dies ver - ſchwieg. Mir aber zum Troſt ſchrie ich in mein Innres hinab: Herrſchſucht, hohle Nichtigkeit, iſt es nicht, die dich erbittert; Herzensgerechtigkeit iſt’s! Die Rechte aller Geborenen möch - teſt du um Blutes Preiß hervorklauben aus dem Schutt, und Bau, und Einſturz des falſchen ſtolzen Gebäudes. Warum gefielen dir ſonſt die Bürger heute in der Stelle des Mo - niteurs am beſten? Warum hätteſt du lieber einen Woll -411 mantel als die andern umgehabt? Hier iſt die Stelle! Le 5 mai 1789 sera éternellement une des époques les plus - morables dans nos fastes. Ce fut dans ce jour que l’on vit, après 175 ans d’interruption recommencer enfin ces États généraux, demandés avec tant d’instances pour toute la nation, ces États, dont elle attendait sa destinée. Le tableau qu’ils offrirent sera longtemps présent à la mémoire de ceux qui en furent spectateurs. Une vaste salle construite et décorée d’un grand goût, soutenue par vingt colonnes doriques, exécutée dans toutes ses parties en style du même ordre, mille à douze - cents représentants de la France, divisés en trois ordres, occu - pant le fond de la salle. Le clergé, d’un côté, dans son plus riche costume: de l’autre, les députés de la noblesse, couverts de plumes ondoyantes sur des chapeaux de forme féodale, et de manteaux noirs éclatants de dorure et d’une coupe à la fois élégante et théatrale, tons l’épée au côté. Dans le fond à gauche, les cinq ou six cents députés du tiers-état, sans épée, en noir, habits et manteaux de laine, cravattes blanches et chapeaux rabattus. Un trône avec toute la richesse et la pompe royale s’élevant du fond de cette salle, le roi rendant un compte public de l’état du royaume aux députés du peuple: tel fut le tableau que cette première journée présenta. Eigent - lich wollte ich mir nur wegen des Eindrucks, den ſie mir ge - macht hat, dieſe Stelle abſchreiben.

Etwas Wirres über Voltaire.

Voltaire iſt doch recht dumm; man irrt ſich nur oft, und denkt er iſt klug, wenn er etwas Geſcheidtes ſagt; dies kommt412 aber nur von ſeiner Ungründlichkeit; er iſt zu oberflächlich, um nicht allerhand zu meinen und zu ſagen; er irrt nicht tief; und aus Mangel an Zuſammenhang ſagt er ſo vielerlei. Im Artikel homme in ſeinem dictionnaire philosophique iſt er der Wahrheit darum ſo nah, weil er nebenan iſt. Wenn das die hörten, bei denen ich ihn oft ſo lobe!

Welche ſtupidirende Unruhe, welche Sorge, Angſt, bear - beitet mich! Ewig erkältet! Wetter, das einen gefangen hält! Augenweh, nichts hintereinander thun zu können! So eben war Dr. Böhm hier: er läßt mir einen quälenden Huſten, oder vielmehr meine Abendheiſerkeit und Mattigkeit, und nennt es Frühling. Dieſer Frühling dauert ſeit dem Oktober. O! wie ſchön! alles! und der Krieg wie ein Gewitter; die Sonne iſt weg, die Luft ſteht ſtill, die Wolken tief; niemand traut ſich mehr aus: ſo bin ich im Lande eingeſperrt, des Ringens in der Ohnmacht müde.

An Varnhagen, in Hamburg.

Dieſen Mittag erhielt ich deinen Brief. Wie mit einer Hand von Meſſern ſchnitt er mir heftig von allen Seiten in das Herz. Ich fühlte deinen Schmerz; und das ganze Leſen war ein langer Schreck. Ich war auch grade ſehr erſchöpft und hungrig; und blieb wie vernichtet ſitzen. Ich las ihn413 wieder; und fand deinen Schmerz wieder; ich fand aber auch, daß er im geheimen Herzen dir meiſt ſelbſt unbekannt bleiben wird: und daß du den Tag leidlich, ja recht gut leben wirſt. Hätte ich dir gleich geſchrieben, armer lieber unſeliger Freund, es wäre ſanfter geworden. Ich theilte, ich fühlte jeden Schmerz: jetzt iſt mein Herz nur gedrückt und böſe. Armer! auch nur ſo viel Schmerz, als ein Brief lang iſt: iſt gräßlich, und um die Exiſtenz der Welt zu viel! wie herb und ganz ohne Er - hebung, und ſüßeren Schmerz, ja wie erlähmend iſt das Un - glück eines Andern, nicht unſer eigenes, zu durchdringen! Heute empfand ich das bis auf den Hefen meines Herzens! Von mir iſt die Rede nicht mehr: Mit mir iſt’s aus, mit mir hat’s ein End, Ich bin Huſar unterm Leibregiment! hundert - und hundertmal hab ich mir das ſeit Leipzig geſagt. Du haſt alſo Abſchied von mir genommen, und auch von dir ſoll ich getrennt ſein! Nichts, nicht eine einzige Silbe, oder ihre Stellung, war mir neu in deinem Briefe, alles wußte ich: nie leider dachte ich’s mir anders, und als es außer mir als Sentenz daſtand, ärgerte es mich. Laß mich dies und kein ander Wort gebrauchen. Ich bin nicht mehr dazu, Leid zu ſpinnen; wie ein Mörder muß es mich anfallen! Nun es thut’s, wo es kann. Was ſoll, was habe ich dir nach dieſem Abſchied noch zu ſchreiben? Jeder muß ſich von neuem wieder eine Exiſtenz ſuchen. O! Gott, bei allem Geiſte, den ich habe, auch ich bin nicht gemacht, im Glückstopf nach eit - len Gütern dieſer Welt zu greifen , und von neuem immer dazu verdammt, geſtoßen. Nun ja! ich beuge mein Haupt endlich unter dem furchtbaren Beil: ich will. Ich muß. Weiter! O!414 welche harte Thräne löſt ſich los! Ich will weiter. Es wäre ja keine Tragödie, wenn ich nicht wider meine Natur handlen müßte; und es ſoll ja unwiderſprechlich eine ſein. Nun ſtille! Nur der kann Unglück haben, der einſehen kann, wie ſo es welches iſt; ſo biſt du: ſo bin ich: wo ſollten andere Geſchöpfe dazu kommen, recht unglücklich zu ſein? Trennung iſt Tod; und weiter lebt die Welt! was iſt nur ſeit deinem Briefe von dieſen Morgen vorgefallen! Viel ſprach ich mit der Gu - ten: die Bethmann und Liman ließen ſich zum Abend melden: ich nahm ſie an; und ſchrieb Humboldt ſcherzhaft auch zu kommen; bekam Geſchäfts - und galante Billette, wurde um Rath gefragt in Geſchäften; antwortete, , wollte ſchlafen. Las Familienbriefe. Nun ſchreibe ich dir. Jetzt erbreche ich wieder einen Brief von einer dir unbekannten Dame. Alles franzöſiſch, die Dame iſt aus Paris; weiß aber deutſch. Ich hab’s geleſen. Von Campan, dem ich morgen antworten will, habe ich auch einen unangenehmen Brief erhalten. Er iſt ſchon wieder in Paris. Das iſt mir lieb. Er will mir ſeinen mir ſehr bekannten, bei ihm erzogenen Bedienten nach Frank - furt entgegen ſchicken. Er iſt inspecteur des ponts et chaus - sées mit viertauſend Livres Gehalt mehr: und geht eine zwan - zigjährige, naive, innocente, un peu devote Wittwe beſu - chen, und heirathet ſie, wenn ſie will: zweiunddreißigtauſend Livres Renten auf Gütern hat ſie. Du ſiehſt, der iſt auch weg. Ich bin wie Fouqué’s Held, wie er den Berg hinauf geht. Alles fällt von mir ab. Ich habe eine Art freudiger Bosheit am Exceß. Schreibe mir, wenn es dir möglich und gemüthlich iſt, zwing und preſſe dich nicht dazu; ich werde415 es ſchon verſtehen. Ich werd es auch ſo machen. Du weißt wie ich bin, Trennung ohne Hoffnung erlaubt mir beinah nie zu ſchreiben. Kann ich weg, ſo ſag ich dir’s. Gott verlaſſ uns nicht. Das Ende des Briefs ſchmerzt mich unnatürlich ſehr. Adieu.

Rahel.

Mich ſtörten ein Herr und eine Dame in Geſchäften. Je - der krabbelt und windet ſich jetzt aus dem Schutt unſeres Landes zur Luft empor: und Viele, viel zu Viele wollen Rath und That von mir. Der in allem zu Ärmſten! Hätte ich nur eine Gegend!

R. L.

An Varnhagen, in Hamburg.

Lieber, Beſter! Soll ich noch etwas Gutes glauben? mich aus dem Sterbebette wieder aufrüttlen, um wieder hingeworfen zu werden? Wenn du hier biſt, will ich’s glauben! Auch ich vermag nicht mehr zu ſchreiben: nicht au pied de la lettre die Feder (du ſiehſt’s) zu führen. Wenn du kommen willſt, komm ſo bald es nur geht. Ich bin wie der Vogel auf dem Zweige. Habe nur bis Johannis Quartier: muß tauſend Sachen vorher, und mit dir arrangiren. Freilich liebte ich Wien!! dort wäre ich reich! Nun iſt aber Krieg. Schrift - lich kann ich nichts mehr mittheilen. So hab ich auch Har - ſcher mit meinem muthloſen niedergelegten Herzen noch nicht geſchrieben. Aber daß wir ihn ſehen ſollen, mit ihm leben ſollen, gehört dazu. Sag ihm das, und tauſend Liebes von mir. Das Leben iſt ſo wüſt, ſchwarz, unverſtändlich und zer - riſſen: und vor dem Tod ſollte man ſich willkürlich trennen!

416

Etwas muß man freilich thun, wenn man nicht reich iſt: und in böſer Zeit. Warten wir hier die erſten Schlachten, und die Wendung ab. Jedoch weiß man’s vorher: ſo gut das ohne Zeitung möglich iſt. Wien meine ich, aber Paris laſſe ich mir wo möglich bereiten. Anders kann ich doch nichts thun! Wir wollen uns über kein Vorhaben, und über kei - nen Plan ängſtigen, alle Menſchen können jetzt nicht, was ſie ſich ausdachten: wie Würmchen muß man von einem Spärt - chen Holz, von einem Gräschen, von einem vergoldeten Träub - chen zu dem andern kriechen. Kurz, ſehen wie’s geht: wie man fortkommt. Wären die Nächſten nur nicht elend. Wären wir in der Schweiz vorläufig. Man iſt da der Welt, den Bergen und Bädern nah!

An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Schleſien.

Wir ſchmachten hier eben ſo in Ungewißheit über alles Öffentliche, wie man es nur immer auf dem Lande kann. Als ob nach lange verheerendem Wetter, wo man eben von den Überbleibſeln ſich das Leben noch zurechte ſtellen will, doch noch Wolken genug daſind, um den ganzen Himmel mit Gewitter - drohung zu beſchwerden, ſo ſtehen wir dunkel und gedrückt da. Mit tauſend Fäden in unſerm Lande verwachſen jeder Einzelne mit welchen es ſteht, wie Sie wiſſen; man will und darf’s nicht nennen. Leſen Sie, liebe Gräfin? Die letzten Monate ich ſehr wenig; die Unruhe erlaubt es mir nicht: die geſtörte Lage. Schillers Wallenſtein liegt ſeit drei Tagen aufmeinem417meinem Tiſch, und was auf dem Tiſche liegt, lieſt man am Ende doch: wie paßt jetzt jedes Wort, jede Tragödie in der Tragödie! wie verſteh ich jetzt Welthändel und Dichter erſt! Es giebt großartigere Geiſtesſchwingungen, was einen zu be - denken zwingt, daß von je die Welt in Gährung ſtand, und nicht ſchlecht hat der Dichter den uns noch wüthenden drei - ßigjährigen Krieg gegriffen. Es iſt die Rede im Grunde von denſelben Dingen; die Leidenſchaften, daſſelbe Wollen ſetzt ſie in Gährung; man hört dieſelben Namen faſt, für Länder und Familien. Mich macht’s etwas geſetzt; dies, oder was ſtren - ges Denken fordert. So that mir dieſen Winter Graf Kalck - reuths Buch ſehr gut. In allem konnt ich ihm nicht folgen, in manchem ſeiner Meinung nicht ſein: doch zwang er mich zu denken; und ſchön ſpricht er über Geſetz, Richter, Urtheil, Polizei, Duell (hier über wie meines Wiſſens noch niemand). Der denkt ſich was aus, auf ſeinem Gute. Ich kann mich jetzt nicht auf den Namen beſinnen. (Siegersdorf.) Iſt Ihnen zu Geſichte gekommen: Wallstein, tragédie en einq actes et en vers, précédée de quelques réflexions sur le théatre allemand etc. par Benjamin Constant de Rebeeque? Ich habe es mir von Leipzig kommen laſſen, weil es mir merkwürdig ſchien: ſo find ich’s auch. Es iſt eine in der Litteratur bezeichnete, und nicht nur da begründete Gränze zwiſchen Deutſchen und Franzoſen, von einem Franzoſen deutſch aufgefaßt, und franzöſiſch abge - faßt. Es geht ſo weit, daß er einigemale mit franzöſiſchen Worten in der Vorrede nicht franzöſiſch ſchreibt: und nur einem Deutſchen verſtändlich iſt, wenn der ſich’s zurück über - ſetzt. Er iſt von Auguſt Wilhelm Schlegel gefüttert, hat esI. 27418aber, bis auf einige Stellen, in’s Blut aufgenommen. Einige - mal glücklich ausgedrückt, und meiſt ganz gefühlt: das Stück ſelbſt habe ich noch nicht geleſen. Aus den dreien hat er Eins gemacht. Liebten Sie’s zu leſen? ſo ſteht es zu Befehl. Ich empfehle mich Ihnen, und bitte um Antwort: und wenn Sie mir antworten, wäre es ein Benefiz, wenn Sie mir ein Wort über Ihre Stimmung und Lage ſagten: dies iſt das Leben, wollten Sie denn ſchon todt für mich ſein? Mit Humboldt habe ich viel von Ihnen geſprochen.

Ihre R. L.

Aus einem Tagebuch.

Morgens Varnhagen weg: ich gleich nach Charlottenburg. Vernichtet durch die Linden, nichts ſehend. Auf dem Wege aber das Land, das Licht, die Bäume empfunden; und mich des Glücks gewundert; draußen aber in Charlottenburg alles wie mit einer Klappe zu! Schlaf und Dumpfſein und Hun - ger bemächtigten ſich meiner; ich ging gleich zur F., dort; und ging mit ihr nach dem Garten. Er war ſchön, ich ſah es, aber empfand es nicht ſehr. Wir gingen eſſen, und ich ſchlafen. Schwer erwachte ich: wir wollten gehen: ſo oft wir’s verſuchten, regnete es: wir mußten hinein, tranken Thee, ſie ſprach, nicht ich, von ſich. Aſſommirt ging ich zu Hauſe: eder Gegenſtand machte mir Schreck und eine verwaiſete Furcht.

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Erwachte ich mit Schreck: wollte ſchreiben, aber konnte nicht; ging allein, unter grauem Himmel weg; am Ende Charlottenburgs, Berlin zu, ſprach mich ein Lahmer Almoſen fordernd an; er kannte mich; es war ein junger Kanonier, bei Jena in’s Knie geſchoſſen; ich ging der Spree zu querfeld mit ihm, er erzählte mir alles: und wollte mich weiter, als ſein eigen Ziel war, begleiten, ſeines Beines wegen wollte ich nicht: ich ging allein. Schön, ſehr ſchön war Wieſe und Feld und Luft, und Schein und Kraut. Tauſend tauſenderlei ſah ich auf der Wieſe, alles alles hätte ich gerne Marwitz gezeigt; er war der Letzte, den ich ſah, der ſo etwas verſtand. Halb betrübte mich die Welt doppelt, und ich fühlte mich herb bis in’s Innerſte abgeriſſen, erſchlagen, und weggeworfen; halb tröſtete es mich, daß ich doch noch etwas empfand. Alles überlegte ich mir noch Einmal; machte mir die Eindrücke über Marwitz recht klar, überdachte alles, immer in größern Um - fängen; ging nach zwei Stunden mit ſchwerem Körper nach Hauſe. Als ich weiter der neuen Trauer meiner Seele nach - ſpüren wollte, ward ich noch gräulicher geſtört, man kam mir mit der Nachricht entgegen, es ſei ein toller Hund im Orte, er habe einen andern, und auch ein Kind gebiſſen. Das fehlte mir! Nun war an kein Ausgehen zu denken. Den Tag blieb ich, ſchrecklich erſchlagen und mit peinigender Angſt im Her - zen, und vielen Schrecken über mich ſelbſt, zu Hauſe. Um 6 fuhren wir nach Schöneberg, um nicht im Orte eingeſperrt zu bleiben. Der Weg war reizend, und ſah ganz üppig aus: die Sonne, die bald aus röthlichem und weißem ſehr zerſtreu -27 *420ten Gewölk hervorkam, bald ſich verkroch, machte es noch lebhafter, und ſehr oft wird ſolches Thal in beſſerer Gegend ſchön genannt: die Klappe ging wieder einen Augenblick von meinem Herzen. Ich ſah wieder, was Fahren ſei; und bat, da mir Gott doch keine Menſchen geben wollte, um Pferde! Ach viel ernſter als man denkt. Wir kamen zu Madame Ephraim, wo wir Thee tranken, und ganz loſe gleichgültige Geſellſchaft von Herrn und Damen fanden: ohne Koketterie: nichts in der Welt! Sie aber, Mad. Ephraim, ſprach mir ein paar Minuten über das Freie: über den Einfluß dieſer Natur auf das Gemüth, und dann über den abgehauenen Prater, und beſonders über ſeine Bäume, wie ein Dichter: ſo ſehr hatte ſie dieſe Bäume und ihre Phyſionomie, wie ſie es nannte, empfunden. Dies war mir in Schöneberg das Liebſte und das Wunderſamſte; dieſes geſunde, große, reine und jede Thorheit überwältigende Gefühl für dieſes Stück Natur. Wir fuhren in einem feuchten Nebelabend nach Hauſe; zu ſehen war nichts mehr: ich kam wieder erſchreckt an: alle Einrichtungen, noch ſo kürzlich belebt, durch Beziehung und Sorgfalt, die ich allein liebe, die mir innerſtes Bedürfniß iſt, verwaiſt! Umſonſt! o! welche Angſt. Und welche Verſchmä - hung des Himmels; der es immer ſo wieder werden läßt. Bäuerinnen, Bettlerinnen haben, was ich ſchwer mit Herzens - blut beweinen muß: jetzt wieder beweine: ach und nie ſagen darf! Ich las ein wenig, und ging von der Feuchtigkeit be - täubt zu Bette.

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Ließ mir morgens die F. ſagen, ſie führe nach der Stadt, ob ich nichts zu beſtellen habe: ich war zu aſſommirt, mitzufahren oder nur irgend etwas zu verſuchen. Nein , ließ ich ſagen: und blieb. Harſchern wollte ich hundertmal ſchreiben; Varn - hagen auch; vergeblich! Line, die meinen bedauernswürdigen Zuſtand ſehen mochte, rieth mir, bat mich, auszugehen: ich ließ mich endlich in großer Furcht nach dem Garten bringen weil da kein Hund hinein kann; ſetzte mich auf eine kleine Treppe, die zur Spree führt, und nähte mir ein Kleid; von 12 bis nach halb 3 blieb ich. Bürger von der Wache, und ein zwanzigjähriger Gardedükorps-Sohn, den ich ſeit drei Sommern kenne, und der anglen wollte, geſellten ſich zu mir. Nach 2 kam Line: ich ging noch quer den waldigen Theil des Gartens durch. Gerechte Götter, wie ſchön: hätte doch mein Herz den giftigen Fleck nicht! das Bedürfniß nach Men - ſchen. Nach einem Freund. Wär’s doch nicht aufgeregt! Ich bin ja oft geſund; und will nichts; und ſehe es ein! Um 5, hatte ich mit dem jungen Menſchen verabredet, wollten wir zu Waſſer fahren. Ein bejahrter Bürger ſprach von Gewit - ter, und wollte doch mit: der Junge aber wollte lieber ſeinen Bruder mitnehmen: ich ſchwieg: aber das Gewitter kam grade um 5 Uhr; ich ſaß am Fenſter und nähte mein Kleid fertig, zum Leſen war der Regen zu ſchön: vorher ſchrieb ich doch bitter an Varnhagen: ich weiß aber nicht, ob ich’s abſchicke. Im Leben, welches die Götter geben, iſt Schreiben nicht - thig: in anderm hilft’s nichts! Später gingen wir in Graf Kameckens Garten, und nach dem Schloßgarten. Schön war422 der Himmel; ſonſt nichts; ich war ſo krank, als die dampfende feuchte Erde. Und lebte vor Ohrenſauſen und vor Betrübniß nicht. Todt ging R. neben mir: endlich wurde ihr unwohl: bei mir lag ſie: dann ſprach ſie: dann ging ſie. Ich las ein wenig: das Sauſen aber litt es nicht: ich , und ging zu Bette.

Heute den 16. war ich noch nicht aus: im Zimmer iſt’s kühl und feuchtlich: mir angſt genug. Ich ſchrieb dieſen Bo - gen: und will Harſchern ſchreiben, denn morgen geht die Poſt. Welche Tage! wie unwürdig!

Freitag ſchrieb ich bis gegen 2 Uhr, da kamen die Be - ſuche: ich mußte nur noch Harſchers Brief zumachen; und ging mit ihnen in ziemlichem Wetter nach dem Kuchenladen; und mit einem Umweg nach Hauſe. Das Fräulein ſprach unſicher und nichtig: vernichtigte mir Wolken, Waſſer und Umriſſe. Ich mußte lange meine geſtörten Nerven erholen. In der Seele war mir weh; und fremd all dieſe zu bekannte Umge - bung: ich wollte aus Unwillen am Unwürdigen mir nichts wiederholen, und ſo wiederholte ich bruchſtückweiſe alles! Wir gingen um 6 zu den Damen; wüſt wurde vor der Thüre, der Kälte wegen, umhergegangen. Ich hielt’s nicht aus, und ging mit N. Dieſer Gang war gut: das Wetter vermildert; der Weg hübſch; die Sonne da! Aber ich elend: mir nichts an - eignen könnend: nur disguſtirt mein ewig von neuem zerriſſe - nes, nicht zu heilendes Leben in der Seele fühlend, vor dem Geiſte habend. Schwer war mir der Körper; die Feuchtigkeit423 hatte ihn mir voll Gicht geſchüttet; unwohl kam ich zurück: L. war gekommen, der Stumme! Man trank Thee. Mir wurde immer unwohler. Wir wollten nach Berlin fahren; es war ſehr kalt, und naſſe Maſſen in der Luft. Ich holte mir einen Wattenrock, ward zu Hauſe ſehr krank, machte es ab: und fuhr ganz ermattet mit. Fahren iſt die einzige zuſam - menhaltende Zerſtreuung. Pferde! Pferde! in dem Menſchen - mangel! flüchtig, und deutlich genug, zeigt es, ohne Anſtren - gung oder aufmerkſame Mühe, Gegenſtände; führt in die Luft, und bezeugt uns noch Kräfte und Macht zu unſerm Gebot. Rückzu war es noch kälter; ich ließ mir Alphonse von Mad. de Genlis holen und las: und ging geängſtigt zu Bette. Am andern Morgen war Sturm und Regen. Ich las nur das Buch aus: ging ſpät zu R., die ſterile war. Ich ſprach end - lich wie mit mir allein. Kündigte ihr an, daß ich den andern Morgen nach der Stadt wollte: Einſamkeit ohne Liebe, ohne Hoffnung, ohne Beziehung, ohne Zukunft, erträgt mein Geiſt nicht. Ich ging zu Hauſe, hatte heftige Gichtſchmerzen im Arm. Las die Straußfedern. Wie niederträchtig; wie durch Gift fühlt man ſich bei dieſem Leſen, aus Seelen-Ekel, aus - einandergehen. In welcher niederträchtigen Wuth aus Mat - tigkeit geboren muß der Menſch dies geſchrieben haben, und wie kann man in ſolchem Zuſtand nur noch die Feder halten! Er hätte als Koth umfallen ſollen.

Frau von Bl. kam; ich fand ſie bloß mager, und grimaſſirend. Wir kamen auf Empörendes zu ſprechen. Sie hat keinen Muth zu leben, und keine Prätenſion daran. Sich ſagen zu können: du biſt wie man dich fordert, ohne Zweck,424 ohne Inhalt, beinah ohne Ziel, iſt ihr ganzes Sein und Stre - ben. Rührend iſt es, eine Frau in dem Alter mit ſo dürfti - ger Nahrung und um die noch ſich balgen zu ſehen, rührend in dem Moment, wo man die Beſchränkung doch auch als Unſchuld ſieht: lächerlich in ſeinen Details und empörend der ſtupide Stolz, die klotzartige Zufriedenheit damit; ärgerlich die Verehrung der Geiſter, die abſtrakt ſich Großes zu denken vermögen, und zaghaft armſelig in wirklicher Entfaltung des reellen Lebens daſtehen! Und im Vergleich mit dem Reichthum des wirklichen Lebens und wären’s nur ſeine Schmerzen und die Phantome vom Irrthum erzeugt, der innern Ve - getation und Bildung aller Art: verächtlich klein bis zum Vergeſſen! Sie glaubt zu lieben, ohne Gegenliebe; ohne die höchſte Achtung: ohne Nähe des Geliebten: ohne ausſchlie - ßendes bezauberndes Wohlgefallen an ſeiner Perſon; ohne Hoffnung je mit ihm vereinigt zu ſein! Als ich dies alles ab - gefragt hatte, ſagte ſie dieſen pathetiſchen Spruch, lang aus - wendig gelernt, ohne Sinn, ohne Inhalt, ohne Bedeutung: Andere haben ihr ſchon mehr gefallen, geſtand ſie, bewun - dern und ſchätzen muß ſie Andere auch mehr: Innerlich kann ich mich an niemand ſo anſchließen, als an ihn. Zehn - jährige Entfernung; keine Hoffnung ſich zu ſehen; kein Zau - ber der Perſon; keine Verehrung des Karakters, des Geiſtes, der Geſinnung; Unzufriedenheit mit dem Betragen; Neigung für Andere! Wo iſt nun der Sinn dieſer großen Geſinnung dieſer großen Frau, in dieſer großen Liebe? So fand ich ſie novice comme un conscrit, möchte ich mit Bribes ſagen in allen ihren Fragen an mich, ſo wenig entzaubert von der425 Welt, ſo wenig Eleganz und Vornehmheit von edlem Sein unterſchieden, ſo wenig geordnet die zerſtückten Elemente in dem Weltverkehr nach den wahren Naturreichen, daß ich ein wenig begabtes Rieſenkind vor mir zu haben glaubte. Gar nicht erholen konnte ich mich: denn lange hatte ich ſie nicht geſehen; viel gelebt, gedacht, gelitten, geleſen, geſehen in der Zeit: ſie ſei mitgegangen, dacht ich heimlich. Und ich komme von meinem Erſtaunen nicht zurück! Mit der gehen kluge Männer um? Dies bewundern ſie? halten ſie aus? Mehr hat ſie ihnen nicht nachdenken gelernt? meine ich. Rein gemein iſt’s, Dumpfheit zu ehren, und ſich von ihr ehren zu laſſen, ohne Einſicht; um nicht an Wundes in ſich, oder Grau - ſes für den Geiſt, oder Ungefälliges für die Welt, zu kom - men! Nein, nie werd ich dies begreifen! Sie frug mich kindiſch und unzweckmäßig über W. und ſprach in inhaltloſem Lob über G. Ich mußte ihr auch dumm antworten.

Geſtern, Mittwoch, ſtand ich auf, las, zog mich an, und ging zu Frau von Bl., weil ich mein dummes Antworten bei ihr gut machen wollte: auch aus Freundlichkeit: ich konnte aber nicht zu unſern vorigen Reden zurückkommen: ſie war zugeriegelt, mir meine und meiner Freunde Vertheidigung zu werth. Sie machte mir einige ſo dumme, nichtige, kleine Fragen über Prinz Louis, ſtieß ein ſo dummes sentiment in Form einer Meinung aus, daß ich für ewig weiß, ſie hat nie den Muth in ſich zuſammengehabt zu lieben noch zu leiden: und weiß auch gar nicht, welchen Punkt im Herzen Liebe trifft. Um426 halb drei wollte ich gehen. trat herein, grüßte mich, ſagte Wie geht’s, ohne die Antwort abzuwarten, ohne mich an - zuſehen. Sah mich nicht Einmal an; auch beim Begleiten nicht; was iſt das für eine Verlegenheit? Dabei lobt er mich? Er ſieht ſehr zuſammengeſchrumpft, ſchlimm und unor - dentlich, und präoccupirt und beſorgt aus.

An Wilhelm von Humboldt, in Königsberg.

Ohne auf irgend etwas Gutes weder in der Nähe noch in der Ferne hoffen zu können, ſiegle ich ein Billet an Mlle. Cramer zu, und denke weiter zu leſen; erdrückt von der Geiſt - loſigkeit aller Menſchen, die nun noch um mich ſind, aber auch wie ein Geiſt ganz von ihnen abgelöſt: man überreicht mir Ihren Brief! (Hr. Uhden ſchickte ihn mir; die Schönar - mige, die ich noch nicht geſehen habe, iſt geſtern Abend um 7 Uhr angekommen.) Ich freue mich des Briefes, deß, was Sie mir ſchicken: ich freue mich, daß es Ihnen ſo ſteril geht als mir! Ich begreife durchaus, was Sie mir ſchreiben; An - weſende müſſen Abweſende aus dem Herzen hervorrufen; und zu Angedenken souvenirs gehört Umgebung; und wenn ich hier Andern diente, ſo wäre es billig, daß in Königsberg mir es Einer thäte. Vor kurzer Zeit hatte ich noch einen ſol - chen Umgang, daß ich von Ihnen ſprechen, und ſehr gut an Sie denken konnte: Alexander von Marwitz ſah ich oft, nun iſt er ſeit vierzehn Tagen verreiſt: eine andere Heerde zu hüten! Als er hörte, daß ich Sie kenne, frug er mich ſehr427 geiſtvoll über Sie aus; denn er iſt es. Ich ſagte ihm grade, was er in dem gegebenen Augenblick verſtehen konnte, und was ihm auch eine runde Einſicht gab. Ich war ſehr beſchei - den, und ſetzte ſein Genie diesmal nicht auf die Probe. Ich machte ihm begreiflich, wie univerſell Sie ſeien; und daß Sie von keinem Alter ſind. Sein und mein Freund, ein junger Doktor Varnhagen war zugegen; und obgleich der mehr über Sie, durch mich weiß, ſo wollte ich nicht über Sie doziren: alles was nicht tête à tête abgeſprochen wird, gewinnt un - willkürlich dies Anſehen, welches auch in’s Weſen dringt. Ich konnte ihn aber mit meinen glücklich gewählten Ausdrücken völlig bedeuten, was mit Ihnen alles vorfallen kann, und was Sie Einen alles können ſagen machen. Dies glückte mir in einfacher, nicht portraitirender kleiner Rede ſo gut; daß in Marwitz Verſtummen mein Freund ſagte: Sie haben es vortrefflich geſagt, wie Humboldt iſt, und gegen Sie ſteht. Marwitz iſt das werth: ich muß Sie daran erinnern, obgleich ich weiß, daß Sie Zutrauen zu ihm haben, und ſeinen Karak - ter gleich einſahen; ich hatte ſein völliges ſehr bald: und auch das rechne ich ihm für einen Geiſtesblick in die Gemüther an. In einem Billet, welches er mir einen Augenblick vor ſeiner Abreiſe ſchickte Varnhagen iſt mit ihm worin er mir Briefe zu verwahren gab, bat er mich, wenn ich Ihnen ſchriebe, oder Sie ſähe, ihn ja bei Ihnen zu entſchuldigen! daß er Sie in Ungewißheit gelaſſen habe; die Umſtände, wie ich weiß, waren ſo gedehnt, und wurden nachher plötzlich ſo dringend. Nun iſt er voll Ernſt, Willen und Muth; und auch auf Wi - derwärtigkeit gefaßt; ſein jüngerer Bruder iſt ſehr ſchwer428 am Schenkel von einer Kanone verwundet; achtzehn Jahr, und muß lahm bleiben in jedem beſſern Fall: ich habe vom 20. Juni Nachrichten von ihnen gehabt; ſie waren bei dieſem Bruder. Verzeihen Sie Marwitz, und protegiren Sie ihn ſehr: ich weiß wie vorzüglich Sie ihn behandelten, und doch mögen Sie ihn noch nicht ſo en détail kennen als ich. Erwogen haben Sie ſein Weſen, und durchdrungen muß es Ihr Blick haben; und an Ihnen hatte ich meine Freude, als ich’s ver - nahm! Von der trempe iſt mir beinah noch keiner vorge - kommen: er iſt ja wie alt bei ſeiner Jugend; dies muß man aber auch gleich ſein, ſonſt wird man nur ein Stock, und bleibt nicht jung.

Ich wohne zwar in Charlottenburg, bin aber leider mehr hier: es iſt eine plötzliche Kälte eingefallen, die mir wehe thut, und da fuhr ich gleich herein. Überall iſt bei mir kein Stuhl, keine Taſſe verrückt: und nur ich habe mich hin und her zu bewegen, um hier oder in Charlottenburg zu ſein. Und das wollten Sie nicht leiden? Sie ſcheinen es gar nicht zu ver - ſtehen, wie ſchön man in Charlottenburg ſein kann; und vergeſſen zu haben, wie leicht hin und her. Daß Frau von Humboldt einen Sohn hat, weiß ich ſchon; daß ſie in Neapel bleibt, freut mich in der Seele. Weiß ich doch ein genießendes fühlendes Weſen in den Naturanſtalten! Weiß ich doch, daß Einer von meinen Ausgezeichneten lebt! Sein Sie nur mit Graf Dohna nicht Ein Herz und Eine Seele! Und bedenken Sie, wie entfernt die diſtribuirenden Mächte des Himmels ihn von Ihnen halten: wenn auch ir - diſche Götter und Statthalter ihn Ihnen nahe ſtellen. Wenn429 er auch ſogenannt rechtſchaffen iſt: das weiß ich. Und Sie wiſſen nicht, wann Sie kommen? Hier ſagt man crescendo der König käme, ſeine Pferde ſeien abgegangen. Der Schön - armigen, der ich einen Rapport von der Tochter Spiel machen mußte, ſchrieb ich: Sagen Sie Hrn. von Humboldt, ich wäre in Verzweiflung, daß ich noch hier, und er in Königsberg blei - ben müßte! Es war buchſtäblich wahr. Wie können Sie mir nur etwas ſchicken, was ich tragen ſoll, und ſo wenig da - bei ſchreiben; darum nun ſchreib ich ſo geſchwätzig! Sie ſind dort in der Dürre: möge dieſer plauderhafte Brief Ihnen ein Repräſentant eines plauderhaften, vertraulichen, altberliniſchen Abends ſein! Deßhalb gebe ich mich ſo preiß mit Schreiben. Ganz erſtaunt bin ich, Ihnen Dankbarkeit eingeflößt zu ha - ben; Sie haben ſich auch nur verſprochen, lieber Humboldt! Sie wollten ſagen, Sie ſeien noch, wenn Sie daran erinnert würden, ein wenig verwundert, daß ich nicht durchaus ſo gar - ſtig bin, als Sie mich während des Haſſes immer wähnten, oder vielmehr vorausſetzten; und unbeachtet ließen. Ewig wird es in Ihrer Menſchen-Kunde und Jagd, und in Ihrem Leben ein Brachfeld bleiben, daß Sie mein Weſen ſo über - gehen konnten; von Äußerlichkeiten wie von kleinen Wällen und Thürmchen zurückgeführt, weit weg, zu leeren flachen Ge - bäuden in nachahmenden Umriß der gewöhnlichen Regelmäßig - keit! Weil ein kräftigeres Gemüth ſich tiefer zurückzog; unter den Prahlern nicht prahlen wollte, und weltlich ſich zeigte, ging der Naturforſcher vorüber? Weil ſchönere, erlernte Aus - drücke mir nicht zu Gebote ſtanden, und ich ſie zur Hälfte verſchmähte, entging Ihnen auch, mein unbefangener, eindrin -430 gender Geiſt? Und die herbe jugendliche Schale ſcheuchte auch den Kundigen vorbei? Welch Studium hätten wir miteinan - der vollbringen können; welche Welten von Leben entdecken können: welche Rechenſchaft hätten Sie von mir einholen kön - nen! Schämen Sie ſich, Sie fleißiger ſchlechter Forſcher! Ich muß Ihnen nun noch eine Kränkung zufügen; und es thut mir leid, daß die jetzt kommen ſoll! Ich war mir die Tirade über mich ſelbſt nicht vermuthen, eh ſie hier ſtand; und was nun kommt, habe ich Ihnen zugedacht. Mad. Huber ihr Buch habe ich geleſen: ſie nennt es das Leben ihres Mannes Huber: unverſehens ſchildert ſie ſich in dem Buche. Schreiben kann ſie ja nicht Einmal. Ehren will ſie ſich gerne; zu dem Behuf nennt ſie ſich bald Weib, bald Eheweib, bald Gattin, bald Frau. Sie ſucht in allen weiblichen Titeln herum, um dieſen Zweck zu erreichen. Mit Ihnen möchte ich mir die Marter anthun, dies Buch noch Einmal zu leſen; und Wort vor Wort Rechenſchaft fordern, und welche geben. In der ganzen mir bekannten Litteratur kenne ich nur Ein ähnliches Buch: les mémoires de Marmontel. Der ſtäubt ſich in aller Mühe auch ſelbſt aus; und denkt, geſchickt mit dieſen ſanften Hieb - chen ſein Leben von ſeiner Aufführung zu ſäubren. Welche gewöhnliche um nicht das rechte Wort zu gebrauchen! Geſinnungen profeſſirt die Frau in jedem Blatte! Und jede Geſinnung ärgerte mich nachher noch Einmal, wenn ich an Ihr Lob dachte. Mit ſolchen Künſten lockt man ſolche Her - zen! Hätten Sie ſie reizend gefunden, mir ſie ſo genannt! Aber dies die erſte Frau?! Zeile vor Zeile unternehme ich mir dies Buch mit Ihnen durchzugehen! Ich hatte es von mei -431 nem Freund Varnhagen dieſen Frühling: ich machte ihn ra - ſend! Sie hatten mich gelehrt, ſie für etwas zu halten er fand es aber ſchon vorher ſo, ſagte er mir. Ich habe gleich, wie ich Ihren Brief bekam, geantwortet; das iſt die beſte Art. Sonnabend kann dieſer Brief erſt abgehen: ſchickt mir bis dahin Hr. von Laroche nichts, ſo laſſe ich’s holen: ich will darüber mit Ihnen in dieſem Briefe noch ſprechen. Wenn Sie mir die Ehre erzeigen, zu antworten und Sie thun’s! ſo ſchreiben Sie ja recht deutlich! Adieu bis Sonnabend!

Der Brief wird mir jetzt abgeholt, weil dem Kanzleidiener ſein Weg hier vorbei fällt, und er mich von Miniſter Maſſow, mit dem ich in Einem Landhaus wohnte, noch kennt, und mir abſolut einen Gefallen thun will. Ich kann alſo Hrn. von Laroche’s Sendung nicht abwarten, und muß Ihnen ſo Adieu ſagen. Nun habe ich mit dem Manne geſprochen: er will morgen wiederkommen. Es iſt Nachmirtag, und ich habe noch Zeit Ihnen zu ſagen, daß ich vorgeſtern Abend noch ganz par hazard bei der Schönarmigen war. Die Familie findet Sie allerliebſt; und nach ihrer Erzählung toben Sie doch auch ein wenig in dem Radziwill’ſchen Hotel; vergleichen die Menſchen zu Meerkatzen; kurz wie hier. Daß Sie ernſt bei dieſen klei - nen Redeflüßchen geblieben ſind, war ich überzeugt. Mit Einem Wort, der Chef wird geliebt. Sonſt fiel nichts vor; außer daß ich an allem und an jedem Worte abnehmen konnte wie’s dort ſteht. Hier ſagt man wieder ſeit zwei Tagen, der König käme nicht. Lieber Geheimer Staatsrath, wirken Sie mir432 doch wo möglich aus, daß die Charlottenburger Chauſſée re - parirt wird! Es iſt die einzige im Lande, die danieder liegt; und grade die, auf der ich, und alle guten Einwohner Ihres doch ewig Ihres Berlins leben und hauſen. Es koſtet Sie ein Wort, und Steinchen blüht darauf neben Steinchen! Eine Grauſamkeit wär es gegen mich, wenn Sie dieſes Wort nicht ſprechen: und für ewig wüßt ich, wie es mit dem Haſſe ſteht. Denken Sie ſich die Wallungen meines Herzens für Sie, wenn meine Augen den erſten Arbeiter auf dieſem Wege ſehen. Fünf Tage geht ein Brief von hier zu Ihnen: in vier - zehn kann ſchon der Chauſſéemann und mein Herz hammern. Ich fürchte mich recht, daß Sie ſo viel von meiner Ihnen ver - haßten, und in der That diesmal abſcheulichen Handſchrift ſehen müſſen: zerreißen Sie ja gleich dieſen Brief! Leben Sie wohl; ich muß den Brief ſieglen, und habe noch nicht zu Hrn. von Laroche geſchickt.

Ich habe Ihr Geſchenk ſchon um: es iſt vom beſten Ge - ſchmack! Goethe wollte mir ſchon einen Roſenkranz ſchenken; und verſäumte es. Zehen Jahr ſpäter mußt ich ihn von Ih - nen bekommen. Es freut mich ungemein. Unſere Eleganten vom höchſten Schlage tragen ihn, und Ihnen danke ich ihn am liebſten. Leben Sie wohl.

Ich ganz allein und krank. Ganz allein, und froh drü - ber; geleſen; gelegen. Gehen konnte ich nicht. Abends um S. der Beſuch! komplett unausſtehlich, überzeugungsunfähig. Schlechter Kopf. Engliſcher Romanheld in Stolz. Närriſchganz433ganz bis in Unſinn hinein. Nachmittag ein ſtarkes Gewit - ter. Ich leſe St. Real’s Fragmente aus der römiſchen Ge - ſchichte. Sehr ſchlecht geſehen, und nicht gut geſchrieben. Was nöthig iſt, und alles, und was Andre wiſſen, erfährt man draus. Es iſt alles, Sitten und Staaten, noch komplett römiſch. Nur verwiſchter; und beinah wie, links beſſer, und rechts ſchlechter: wie es fällt.

An Varnhagen, in Wagram.

Vielleicht, mein Freund, haſt du einen ſehr guten Brief nöthig in dem Augenblick, in welchem du dieſen erhältſt, und das wird kein guter werden. Schlecht iſt nun einmal alles, muß alles werden, weil wir uns getrennt haben! Du mußt nun bleiben. Sei tapfer und brav! Denk an mich, wenn du in einem Gefecht biſt: du weißt, ich bin furchtſam: aber den unbekannten Tod würd ich wählen, wär ich durch eigene Wahl darin; und wiche nicht. Du weißt, wie ich über Krieg, über dieſen denke. Krieg iſt für keinen gebildeten Menſchen. Die nicht wiſſen, daß der Körper die Perſon iſt, können ihn ſich zerſchießen laſſen: ſonſt nur in dem Augen - blick, wo man angegriffen wird, muß man ſich wehren, und wenn Zorn und Rache fort reißt! Du ſelbſt fühlteſt es tief bei des jungen Marwitz Schenkelwunde. Der Unſelige! Doch konnteſt du ohne Muth - und Thatbeweis nicht leben ſo führ das herzhaft aus! Auch ich ginge in Schwerter, um den Preiß; das Schickſal ſelbſt forderte ich. Lâche bin ichI. 28434nicht; gethan will ich alles haben, was helfen kann: mein tiefes gränzenloſes Unglück liegt darin, daß ich keine That zu meiner Hülfe weiß! Marwitz hat mir mit derſelben Poſt einen großartigen, edlen, himmliſch ausgedrückten Brief geſchickt. Sein Bruder iſt außer Gefahr, ſchreibt er. Marwitz lieb ich nach wie vor. Sei gut gegen ihn: er iſt etwas unſicher über dich geworden. Wie edel drückt er das aus! Wie fragend! Kannſt du denn ſein Gemüthe nicht fin - den, wie ich; den Lebenspunkt, das Herz, wo alle ſeine Eigen - ſchaften hinlaufen und ausgehen?

An Fouqué, in Nennhauſen.

Nur ein flüchtiger Gruß wird es auch heute! Wenn Mar - tern Ihnen Erſatz ſein könnten, ſo hätten Sie völligen; ſo habe ich mich gemartert durch das Aufſchieben des Schreibens. Ihr Brief iſt mir nicht zur Hand, ſonſt ſollte doch dieſer Ihnen lieber werden. Wie ſehr rührte Ihrer mein Herz; wie ernſt fand ich ihn; und Sie dadurch. Wußt ich’s doch, daß man zu ſolchem Scherz, wie Sie ihn üben, nicht kommen kann ohne inneres Scheitern! Sie kommen mir in Ihrem Briefe ſehr an ſich und an Ihr Talent verwieſen vor: und drückte er auch nur eine einzelne Stimmung aus, und ſind Ihnen hundert und wieder hundert noch ſo freudige, reiche durch die Seele gegangen: ich kenne doch den beleidigten Punkt im Gemüthe, wo dieſe entſpringt, und nur zugedammt werden kann, nie aufgehoben. In welchem Zuſtande aber, lieber435 freundlicher Mann, traf mich Ihr Schreiben. Ich die das zäheſte Leben in ſich trägt, war bis zum Ennuyiren ver - nichtet alle andere Seelenzuſtände war ich durchgegangen. Aus dieſem Opiumszuſtand bin ich nun freilich ſcheinbar, wenn auch in der Wirklichkeit nicht, durch tauſend andere Hetzen gekommen: durch den Frühling und durch die bittere Über - zeugung in der Verzweiflung ſelbſt. Was mir iſt? daß ich noch nie gefehlt habe; noch nie leichtſinnig oder eigennützig handelte, und mich doch aus dem immer ſich fort, und neu entwicklenden Unglück meiner falſchen Geburt nicht hervorzu - wälzen vermag. Dies ſind wenige, leicht und bald auszuſpre - chende Worte; aber es ſind die Bogen, worauf mein ganzes Leben hindurch die ſchmerzlichſten, giftigſten Pfeile abgedrückt ſind. Feſt ſtehen ſie die Bogen, aus ihrer Richtung führt mich keine Kunſt, keine Überlegung, keine Anſtrengung, kein Fleiß, keine Unterwerfung. Das Glück, das große, wen - det mir ganz den Rücken. In dieſer Attitüde findet mich ein jeder: und nie war Einer über-edel genug, um mich wie eine Glückliche zu behandlen: die fordern darf, und der man lei - ſtet. Jedes menſchliche Verhältniß iſt mir mißglückt. Meine Einſicht über mich ganz geſchärft: aber meine Herzensfaſern zu ſchwach. Ich folge ihr nicht, der Einſicht. Menſchen lok - ken, rühren, und reizen mich. Niemand; kein Dichter, kein Philoſoph keiner Zeit, ſieht ſie mehr durch als ich: und um mit ihnen wirklich, in der That umzugehen, muß man ſich doch immer einſetzen: ſonſt trat man ihnen ja in der Wirk - lichkeit nicht nah, vertrauen muß man ſich doch, ſonſt handelt man, aber lebt nicht. Auch bin ich kein alberner Miſanthrop! 28 *436Ich traue und liebe, und bedarf noch rechts und links; aber das Glück, das Schickſal, Gott, die Götter; wie es einer nen - nen will: ich nenne es jetzt immer die événements: die empö - ren mich ganz! Warum nicht eins zu meiner Gunſt; warum in dem großen, unermeßlichen Tollheitsgewühl nicht Einer toll zu meinem Vortheil? Auf allen Seiten, auf allen Punkten ſehe ich ja das für Andere; für einen jeden, für eine jede er - füllt. Ein ſolches Glück, das mich perſönlich erheben ſollte, kann in meinem Lebenskreiſe ſich nicht mehr intenſiv, als große Chance; noch extenſiv für meine noch zu lebende Zeit, ereignen. Ich ſehe alſo der Welt zu. Das Leben, die Natur, iſt für mich da. Berechnen Sie alſo die lutte in meinem Le - ben; die großen, die kleinen bittern Momente. Mit dem ſchärfſten Bewußtſein über mich ſelbſt. Mit der Meinung, daß ich eine Königin (keine regierende) oder eine Mutter ſein müßte: erlebe ich, daß ich grade nichts bin. Keine Tochter, keine Schweſter, keine Geliebte, keine Frau, keine Bürgerin Einmal. Auf ſolcher Fläche umgetrieben, fand mich Ihr Brief krank, und wartend auf Entſcheidung; nur wo ich athmen ſollte. Früſtrirt von Brüdern, Varnhagen und meiner Mutter. Pläne und Engagements kenne ich aber ſeit dieſem Frühling nicht mehr: und das iſt kein hohles Wort diesmal! darunter verſtehe ich nicht: ich glaube Andern nicht mehr: ſondern, ich halte mich Andern nicht mehr gebunden; ob ich nun von ih - nen hoffe, mögen Sie beurtheilen. Ein Punkt muß kom - men, den man dem Schickſale ſelbſt als Ziel anſetzt; einer muß ſein, worauf ſich alles Recht gründet. Gegenſeitigkeit der Anſprüche. Es iſt geſchehen! Ich hielt das Band: allein437 halt ich’s nicht mehr. Dieſer Brief iſt wie Ihrer, aus dem Herzen, und an einen Freund: daß Sie ſo dieſes Herz fan - den, iſt nicht meine Schuld. Ich wollte Ihnen nur einen Gruß ſchreiben.

Können Sie denn gar nicht Einmal auf acht Tage wie ein freier Mann nach Berlin kommen? Wollen Sie etwa bei mir wohnen? Ich kann Ihnen ein ſehr großes luftiges Zimmer geben: welches Sie kennen. Ich wohne nebenan, wenn ich in der Stadt ſein muß; gewöhnlich bin ich in Char - lottenburg, wo ich wohne und bade. Meine Mutter hält mich jetzt nur oft hier. Reiſe ich in wenigen Tagen nicht auf we - nige Tage nach Freienwalde; ſo will ich Hannchen dadurch über - raſchen, nach Rathenau zu kommen; dahin kommen Sie auch! und dann gehe ich mit den Kindern ſpaziren. Alles dies nur, wenn ſich meine Mutter in der Zeit ſo viel beſſert. Antwor - ten Sie mir bald, lieber Fouqué: aber invitiren Sie mich ja nicht zu ſich: ein Gut, wo ich nicht der Herr bin, iſt mir das Unbehaglichſte von der Welt. Und ſich mit Vielen einpaſſen, wo man Einen ſucht, zeitverderbend; wenn man auch die An - dern jeden für ſich ſelbſt ſuchen würde: man müßte ſie doch ſchon kennen. Wenn ich komme, bringe ich Prinz Louis Brief mit. Wie gräßlich war es mir, als ich Sie das eine - und letztemal ſah, nicht mit Ihnen allein bleiben zu können! drum war ich ſo dorfdumm beim Abſchied. Leben Sie wohl, lieber Dichter! Nur zwei würde ich jetzt ſo nennen! Den Andern kennen Sie. Leben Sie ſehr vergnügt, lieber Fouqué, und prägen Sie es ſich ja recht ein, wenn Ihnen etwas in438 Ihrem Leben gelungen iſt: ich will mit in dieſem Augenblick für Sie leben. Adieu.

Rahel.

Der Krieg iſt aus! Ich habe Marwitz vierzehn Tage gekannt, mein ganzes Herz liebt ihn: ſeine Exiſtenz iſt ein Troſt für mich. Sie wiſſen, er iſt mit Varnhagen hin nach dem Krieg. Vor vierzehn Tagen hatte ich noch Nachricht von ihnen.

Ich habe dieſen Brief im Krankenzimmer geſchrieben, da - her der Fleck.

An Fouqué, in Nennhauſen.

Donnerstag Abend, Sie Guter, Kindiſcher, brachte man mir Ihren Brief hierher nach Charlottenburg, mit der Einlage an Varnhagen; Sonnabend reiſte ſie ſchon auf die beſte Weiſe, die hier unter den vorfindlichen Umſtänden erfunden werden kann: durch des öſterreichiſchen Miniſters Korreſpondenz. Ich habe dieſelbe Hypochondrie über Adreſſen; es geht bei mir ſo weit, daß ich ſie von Freund und Feind vor dem Abgang leſen laſſe, weil eine ewige Furcht mich anwandelt, ſie ſeien ſchlechterdings nicht zu leſen: ich bin von nichts ſo eingenom - men als von meinen Schwächen, und liebe ſie beſonders wenn ich ſie bei Andern finde. Auf der Stelle hätte ich Ihnen ge - antwortet; aber man hat mir eingebildet, nur Donnerstag gehe ein Brief an Sie gut ab; und den Donnerstag war es zu ſpät. Wie wird ſich Varnh. mit Ihrem Briefe freuen! Mich freute er auch, aber auf eine andere Weiſe: Ihr kindi -439 diſches Weſen darin rührte mich. Wie Sie von ſeiner und Ihrer Muſe ſprechen! Sie ſind gewiß ſchon Einmal älter, als jetzt, geweſen. Leben Sie nicht ſo einſam, lieber Fou - qué! nicht ſo in ſich gezogen; jetzt iſt es noch lieblich für An - dere ſchön in Ihnen; es muß aber ſtocken. Ich habe es ja geſehen: Sie ſind einer recht lebendigen, munter witzigen, herz - lich ächten, vielſeitigen Mittheilung fähig; alſo bedürfen Sie ihrer auch recht eigentlich: nichts muß in uns brach liegen; am wenigſten Menſchenverkehr, die innerliche Anregung, die nur ihrer Berührung entſtehen kann: was macht denn ſonſt wohl das eigentlichſte Weſen des Menſchen aus, und macht ihn dazu, als daß er andere Weſen, die Angeſicht tragen, da - für annimmt, und ſie behandelt wie ſich ſelbſt: wann kann er das beſſer, als im vielfältigſten, reichhaltigſten, häufigſten Umgang aller Art mit ihnen! Ich tadle nicht ſowohl Ihre Einſamkeit, als Ihr leidenſchaftliches ſtagnantes Wohlgefallen daran; Ihr Lob derſelben; Ihr Vergraben und Verkriechen, in der Meinung, dieſe, und nur dieſe ſei Ihnen gut, heilſam, paſſend. Dahinter, oder vielmehr davor iſt ein Schmerz; der ſoll uns nie wegdrücken; bekräftigen, erfriſchen, erneuen, urbar machen ſoll er uns zu allem; und der Inbegriff von allem für Menſchen iſt menſchlicher Umgang, man mag es drehen wie man will. Man kann nach der Einimpfung des größten Schmerzes, wenn man ihn auch erlebt hat, doch noch lebendig umhergehen. Sie ſind ein Dichter, und ſchenken den Menſchen das Schönſte vom Menſchen. Und ſo giebt’s noch manche Weiſe, wie man ihnen, eingeſperrt und abgeſperrt von ihnen, göttliche Dienſte leiſten kann: aber Ihnen fehlt doch440 das Leben innerhalb der fünf Sinne; das nähere, täglich emotionirende, blutumtreibende, wortausſtoßende, und geſtalt - vollere lebendige Gedanken abſetzende. Sie ſollen kein Eremit ſein! ich habe keinen Sinn dafür! nur für Eremiten-Ge - danken mitten unter Menſchen; ja, unter den gewöhnlichſten: denn ach! oder finden Sie das nicht? ſie ſtellen ſo gut die außerordentlichſten vor! Kurz, ich kenne mir nichts als Menſchen: und nur dann bekömmt Einſamkeit ihren Sinn! wenn man dann allein iſt. Daß Sie Ihr Kind ſo lieben, wer goutirt das mehr als ich! Aber, wenn es möglich iſt, lieben Sie’s nicht mit Leidenſchaft! Lieber, lieber Fouqué das heißt, mit Prätenſion. Ich habe kein Kind: aber dies Verhältniß iſt beinah daher mein einziges Studium: niemals kann ein Kind leiſten; leiſten, was Eltern ihr Herz ausfüllen könnte. An ſeiner Exiſtenz, an ſeiner Entwickelung, an ſeiner Natur können Sie ſich freuen, ſeines Herzens höchſte Blüthe fällt in ein anderes Gehäge als in Ihres. Sagen Sie ſich das früh, bald! Wundern Sie ſich nicht, mich die Kin - derloſe ſo ſprechen zu hören, und in dem Eltern-Schmerz ſo kundig zu ſehen: viele Reiche des Schmerzes habe ich ergrün - det, und ihre Gründe; getrieben von einem. Ich mußte Klar - heit über alle Lebensverhältniſſe haben; das Herz mußte ſprin - gen, oder erleuchtet werden! Mir thut Gewißheit, Gründe, Klarheit gut. Es muß Ihnen auch ſo ſein! Verſtehen Sie mich? So frage ich immrr, wenn ich weiß, daß ich undeut - lich war.

Hanne, meine Hanne, hat mir Wunder und Zeichen von Ihrem Kinde erzählt: Sie ſind nicht allein ſo eingenommen441 von ihr: (ich habe den Namen vergeſſen.) Nur zweimal in ihrem Leben habe ich Hanne von irgend etwas ſo ergriffen und ſprechſelig geſehen: Einmal, als ſie jünger war, und ich mit ihr dem Gießhauſe vorbei ging, und ſie oben auf einer Mauer deſſelben einen Pappelbaum gewahr wurde, der drollig genug da herauswächſt: und dann, wie ſie aus Nennhauſen zurückkam, über Ihr Kind. Seine Augen, ſeine Haare char - mirten ſie; ſeine Sprache ſie ſagt, wie Fouqué, accu - rat! röthlich ward ſie, wenn ſie von dem Kinde ſprach; und immer fing ſie wieder an. Das machte mich ſehr gewiß über das Kind; Hanne iſt nie demonſtrativ; und ſie war ganz wie erlegt von ſeinem Reiz, und einnehmenden Weſen.

Nun aber ein Zank, lieber Fouqué! was iſt das, daß Sie gar nicht antworten, wenn Sie ſchreiben: Sie ſchreiben mir auf den Brief, den Ihnen Hanne brachte, als ſchrieben Sie aus dem Stegreif; auch nicht eine Silbe Antwort. Ich liebe Antwort. Wenn Sie das immer thun, kann ich auch am Ende nur antworten. Sie müſſen approbiren oder tadlen, oder Recht geben oder widerſtreiten. Sie ſehen, ich dringe wieder auf das Lebendigſte im Briefumgang! Machen Sie aber doch wie es Ihnen recht und gemüthlich iſt: ich liebe zu - letzt alles wie es mit und in Ihnen iſt! Nur freuen Sie ſich nicht ſo mit Jean Paul Richters Rezenſionen: ich haſſe ſie von ihm; mit ſeinem laxen Schreiben: eine Rezenſion ſoll packen und vor die Augen halten: und er fließt wie eine Phan - taſie auf dem Piano höchſtens. Nein! das will ich nicht! Auch der Brief an Sie war zu litterariſch! ſo monatsſchrift - lich, wie von einer Univerſität zur andern; ſo mager und karg;442 ſo abgetragen freundlich; ſo nichts bezeichnend, ſo dürftig witzig: hier wo Sigurd hätte wallen machen ſollen. Nein! Lieber will ich Silbenmaße und Proſodie ſtudiren, und dann eine ſchreiben: die ſoll das ungerüttelte Publikum gewiß rütt - len. Verzeihen Sie der Freudeverderberin! Apropos, Achim Arnim und Brentano ſind hier: ich habe ſie auf der Straße geſehen. Ich bekomme doch alles von Ihnen was gedruckt iſt? Sie wiſſen, daß ich’s verdiene. Leben Sie wohl. Schrei - ben Sie mir! was und wie es Ihnen durch den Kopf geht. Sie ſchreiben es einer treuen Seele, keinem ſtumpfen Geiſte; einer wahren Freundin. Und kommen Sie ja zum oder im Winter zu uns!

Ihre gute gute Freundin. Rahel.

An Roſe, in Amſterdam.

Liebe Roſe, bleibe geſund! Ich bin es noch; und erſchöpft, oder vielmehr Gedanken und Schmerz ſtocken jetzt in mir. Ich ſitze in Mamaens Haus neben Robert und ſchreibe, die Kouſine kämmt ſich, Bunim geht die Stube auf und ab. Ich habe einen grauen taftenen Wattenrock an, einen gelben Strohhut mit ſchwarzem Flor. Dieſe Details zur Beruhigung, daß du ſiehſt, wie alles hier iſt. Mama wußte nicht, daß ſie gefähr - lich iſt, oder wenigſtens verbarg es uns ſo gut, daß wir ihr nichts anmerkten. Sie ſagte Donnerstag noch: Ich tauſche nicht mit der Königin, die iſt nicht ſo glücklich, als ich. So fühlte ſie ihre Pflege und Aufwartung. Giebt es einen Troſt in ſolchem Schmerz, ſo wird meiner auch deiner ſein, daß ein443 Menſch nicht mehr geliebt, gepflegt und abgewartet und mit Sorge und Witz aufgewartet wurde, als dieſe reine Mutter! Sie lebte zuletzt als reiche glückliche Frau. Starb in Roberts, Markus, der Kouſine und meiner Gegenwart; wir auf den Knien betend. Sonnabend Nacht punkto 1 Uhr. Drei Stunden vorher, ſchien’s, hatte ſie das Bewußtſein verloren. Ihre letzte zuſammenhängende Phraſe war: Robert ſoll ſchlafen gehen. Er hatte gewacht. Das ſagte ſie um 5 Uhr. Freitag glaubte ſie noch an eine Reiſe nach Holland, die ſie projektirte; und die ich ihr zur Freude vormahlte: als ich vom Poſtillon und Wald ſprach, ſchnalzte ſie mit der Zunge wie ein Kutſcher: uns zu ermuntern, und auch ſich zu täuſchen. Ich hielt ihr noch todt die Hand: im Fall ſie es fühle: ich war mit zum Begräbniß, und ging nur von ihrer Seite als mir durch Erde ihr Anblick entzogen war. Warum ſollten Fremde, ſo lange ihre Geſtalt exiſtirt, um ſie ſein, und nicht ihre wahre Wär - terin und Freundin! Beneide uns nicht!!! ich fühle, du wirſt es: es iſt ein nicht einzubildendes Weh, eine ſanfte Mut - ter lange ſterben und leiden zu ſehen: die Seele iſt für immer davon vergiftet; und deine regrets kompenſiren ſich mit die - ſem ſchneidenden Jammer. Glaube es! Sie nahm noch löffel - weiſe Kaffee, Bouillon, und Wein, bis vier Stunden vor dem Tod. Wir ließen ſie das Sterben nicht moraliſch empfinden; und glauben ſie getäuſcht zu haben. Ich werde dir die Hälfte von den Haaren ſchicken, die ich von der Wärterin abſchnei - den ließ, als ſie noch warm war: und ſonſt ein Andenken durch eine Sache die ſie täglich brauchte. Ich habe ein Kopf - zeug, ihren Sidur und eine Nadelbüchſe genommen. Faſſe444 dich! Sammle dich; tröſte Karl, denke an Louis. Wir hier wollen für einander ſorgen: und ſo die Mutter ehren.

Deine Rahel.

An Roſe, in Amſterdam.

Liebe Kinder, Sonnabend um 7 Uhr und noch viel ſpäter eigentlich ich, erhielten wir eure Briefe; die Unmöglichkeit, ſo - gleich zu antworten, trat ein, weil unſere Poſt ſchon geſchloſ - ſen war, und unerbittlich iſt: auch heute nun fühl ich mir die wahre verve euch zu antworten, wie ich bei eigentlich in - nerer Muße wohl könnte, nicht, aber euch warten laſſen wäre jetzt arg, weil ich euch nicht früh genug auch meiner Freund - ſchaft verſichren kann, und nicht früh genug euch bezeugen kann, wie eure liebe Briefe wohlthuend für uns Alle waren, und mir beſonders eine ſtillende Betrachtung einflößten. Mein Geiſt aber iſt nicht geſammelt genug dieſen Morgen. Meine Seele nicht heiter, mein Herz zufällig nicht froh genug, auch euch den wahren Balſam aus meinem Innern fließen zu laſ - ſen, den ich wohl bei mir trage; dich beſonders, lieber Karl, zu tröſten obgleich wir beide gewiß längſt übereingekom - men, daß es keinen Troſt giebt . Ich weiß, ich kann ein - dringlich mit dir reden; unſere Denkart, und Geiſteswendung, wirkt ſich durch’s Geſpräch nicht entgegen, und unſere Gedan - ken gehen, nach einigem Ringen mit einander, geſtärkt und geklärt zuſammen. Nur heute iſt mein Geiſt nicht beredt; ſo ſehr ich auch wünſche, dir grade heute zureden zu können, die -445 ſes Wünſchen rüttelt den Wunſch, jetzt um euch zu ſein, recht auf! Arme Roſe! wir waren, wir ſind doch noch zuſammen, konnten von unzähligen Dingen und Kleinigkeiten ſprechen, die Mama betrafen, und die nur wir wußten, und ſo ihr das luftige Mauſoleum errichten, wovon unſere Bruſt den Grund verſchließt; aber noch Einmal und für immer ſei’s geltend geſagt, du haſt auch vielen, für dich vielleicht unaushaltbaren Jammer, und was noch mehr iſt. Ärgerliches in die Länge gezogen und Beſchwerliches verſäumt. Mir giebt dieſe Be - trachtung beinah den Stolz und das Gefühl von Glück, den ein großer Glückszufall geben muß, daß wir durchaus zwei gebildete Familien haben, eure und unſere; daß wir uns alle tröſtlich, jeder vermöge ſeines Geiſts und ſeiner Lage, gegen einander benehmen ohne Affektation und Empfindſamkeit, und uns wirklich in unſern Gemüthern aufrecht erhalten, wie wir in unſern Umſtänden einander unterſtützen werden: und daß jetzt unſere wahrhaft weiſe männliche Liebe gegeneinander zum Vorſchein kommt. Urtheile, Karl, wie dein zutraulicher lieber Brief, in welchem du auch von uns Troſt haben willſt, und dich wie an wahre liebe Geſchwiſter wendeſt, auf mich gewirkt haben muß! Laß deinen Freund bedenken, daß Ambition etwas Hohles iſt; ſie iſt der Anſpruch an die Meinung An - derer über uns. Wer ſind dieſe Andern? Wen liebt man darunter? Wen achtet man darunter? Schlecht darf ein Publikum nicht von uns denken; aber daß es uns bewun - dert, vorzieht, beehrfurchtet, iſt das wohl einen Seufzer werth? Hat dein Freund ohne den Titel und die Penſion bequem zu leben? Das iſt die Frage. So laß ſie Alle ihn446 titlen wie ſie wollen! Und weiß er denn nicht, einen Titel beſeſſen haben, heißt ihn ewig tragen! ewig, wenn er uns nicht entehrend wegen einer ehrwidrigen That entnom - men iſt; und auch dann bleibt uns noch ſein Abglanz, ſo hoch haben die Menſchen ihre Lenker und Regierer über ſich geſtellt. Was will dein Freund? gegen ſeines Landes Schickſal kann nur ein kriegriſcher Held handlen: und auch denen ſtreiten es Geſchichtsphiloſophen ab: er ſelbſt ſei nur ein Werkzeug des Schickſals, ſagen ſie. Muß nicht anerkannt werden, was er gethan hat, durch ſeine Wirkung? Und iſt ihm an anderm Anerkennen wohl gelegen; iſt nicht grade die rohe Menge, eben weil ſie roh iſt, unfähig, unſer Thun zu erkennen? Sollte es ihm anders, als Jeſus, Moſes, Friedrich, und Gott weiß die Namen aller Führer und Geſetzgeber, gehen? Wer ſein Pflugeiſen in Einrichtungen umhertreibt, wer Geſetze aufhäuft, zur Saat, deſſen Ernte erleben nur künftige Geſchlechter. Geht’s doch jedem nur irgend thätigen Privat - menſchen eben ſo! Wenn ich Meines erzählen ſollte! Mündlich einmal; und kurz. Und findet er ſich unbequem auf dem Boden, wo ſeine Mutter ihn hingeſetzt hat, ſo glaube er ſich nicht feſtgeklebt; die Natur hat uns Füße und Neugierde ge - geben, die ganze Erde zu kennen: für unſern Geiſt iſt das Stückchen Rund ohnehin zu klein; bringen wir’s nicht mit dem Firmament in Verbindung, und wollen dem Urgeiſte ſelbſt ſeine Schöpfungskünſte weglauren und uns vordoziren? Mit Klug - heit und Vorſicht verſuche man einen andern Fleck Erde, wenn einem der alte ſehr zuwider iſt. Aber behutſam! Ich liebe Frankreich; und wenn mir Gott erlaubt, noch Einmal ſo447 viel Geld zuſammen zu haben, als man zu einer Reiſe braucht, ſo beſuche ich euch, und gehe nach Frankreich. Du, liebe Roſe, ſchone und pflege deine Geſundheit! das allein ganz Weſentliche, um zu leben: wie unbändig leid iſt es mir, daß die Trauer bei euch ſo ſtrenge iſt, das aggravirt den Schmerz durch Langeweile: hier trauren wir nur ſechs Wochen: länger zu trauern koſtet 100 Dukaten. Wäre ich nur bei dir! Ich werde dir von Mamaens Haaren hier einlegen; weine nur nicht zu ſehr! Man kann es mäßigen, und provoziren: man thut das letztere, aber mit Unrecht: man wird ſelbſt alt, häß - lich, und kommt näher dem Tode: nur die Thränen ſind ſchön, deren man ſich gar nicht enthalten kann. Dir ſoll auch die Taſſe verwahrt werden, woraus Mama alle Morgen ihren bürgerlichen guten Kaffee trank; und ein Halstuch, was ſie in der Krankheit trug, und ich ihr aus Paris mitgebracht habe. Sage mir nur, wie ich es ſchicken ſoll. Verſichere deine Fa - milie, daß wir Alle ihren reinen Antheil und den Ausdruck deſſelben empfunden haben. Und daß in Leid und Freude, und Hülfe ihr wieder Drei beſitzet, die redlich mit euch fühlen, weinen, leiden, und für euch thun. Lebt recht wohl! Macht euch nur mögliche Zerſtreuung! und du Karl ſchreibe mir wei - ter von deiner Meinung, deinem Gemüth und deiner Geſund - heit. Ich bin ja nach Roſe deine erſte Freundin; und Freun - dinnen ſind gut!

Eure Rahel.

Leſ’t Goethens neuen Roman! Die Wahlverwandt - ſchaften. Geiſtesſtärkung!

448

An Fouqué, in Nennhauſen.

Es wäre nur lächerlich, wenn ich Ihnen die Größe des Opfers verſtändlich machen wollte, welches ich mache Ihnen zu ſchreiben, ohne daß es verſtändlich würde. Seit Sonnabend, Guter, Lieber, der es wohl werth iſt, an welchem Tage ich Ih - ren Brief erhielt, quäl ich mich, Ihnen zu antworten. Heute geht die Poſt nach Ihnen, heute iſt der letzte Termin; und um einer Welt Gewinn inn - oder äußern hätte ich Sie nicht einen Poſttag länger ungewiß über mich laſſen können, wiſſend, welchen Stimmungen Sie unterworfen ſind; Zuſtänden eigentlich: die ſind und bleiben mir doch das Heiligſte, das mich zu allem Treibende, ja Verleitende. Und denken Sie nur! Auch der Schlechteſte bringt mich mit einer leiſen Fähigkeit zu ſolchem, zu allem beinah; mich zu opfern immer: dieſe Handlungsweiſe ſchrie man ſonſt ſo ſehr an: ach! und ich klage nur, nun und in aller Ewigkeit, ihren Grund an, weil der leider ewig iſt. Zweiflen Sie nie an mir, lieber Freund; Sie mögen nichts von mir hören; oder was Sie wollen! Die Miſchung, woraus ich gemacht bin, iſt zu feſt; ich höre auf; oder bleibe, ohnerachtet, ja ſogar vermöge, aller ihr möglichen Modifikationen, immer dieſelbe. Bis zu meinem zweiten Jahre hinab kann ich mich beſinnen; und finde denſelben Gemüths - weg, dieſelben Fäden, an denen mein Geiſt ſpinnt, die Ehre und die Sitte immer aus demſelben Punkt ausgehen; und den ewig im Herzen; wie ein unzerſtörbares Reſſort. Dem Freunde aber ſoll und kann dieſe bloße Anlage nicht genug ſein: Thä -tigkeit449tigkeit derſelben heißt nur Leben; und die Freunde müſſen und ſollen das Meiſte davon haben, genießen, und brauchen. Zwei Wege ſtehen mir offen, Ihnen zu ſchreiben, ſo wie ich mich fühle: entweder, mich bei Seite zu legen, und mich zu zwin - gen, Ihnen von dem zu ſprechen, was wir grade vorhaben; oder, meine Seele vor Ihnen ſpielen zu laſſen wie ſie kann, daß Sie beurtheilen, was dieſes Spiel hemmt, treibt, trübt, und daß Sie am Kaskadenfall noch Luſt der Betrachtung fän - den; das letztere iſt unvermerkt ſchon geſchehen; und zeigt ſich überall bei mir leicht, in jeder Wortfügung. Ich kann mich gar nicht bilden: in nichts! mein tobendes Herz in Sanft - muth, Liebe, Freude, Schmerz; in allem! bildet ja alles in und an mir: bis zu meinem jedesmaligen Stil im Schrei - ben. Und kein Fleiß hilft mir; aller kehrt in mich ſelbſt zu - rück: Gott! was hätte ich für eine Erziehung haben müſſen, wenn ich nur hätte leidlich werden ſollen! Sehen Sie, wie lyriſch, wie auf mich ſelbſt gekehrt, und zurückgeführt durch alles ich heute ſein muß!

Ich habe lange nichts Erfreuliches erlebt, geſehen, ver - nommen. Auch keinen Himmel, keine Muſik; nichts von Kunſt; kein reges Menſchengemüth, kein Geſpräch von Geiſt. Habe viel Arges erlebt. Mit einer Leidenſchaft von Schmerz, die ich jetzt nicht mehr beſchreiben kann, meine Mutter ſich vier Monate quälen ſehen; und dann vor zwei Monaten ihrem Tode beigewohnt. Alle Leidenſchaft hatte ich ſchon kurz vor ihrer Krankheit auf dieſe Mutter geworfen. Und ihre namen - loſe Gemüthsheiligkeit, wie ihre Fehler, und Mißverſtändniſſe gegen mich, regten mich gleich auf! Ihr Tod zerriß wahn -I. 29450ſinnig mein Herz. Abgeſchnitten bin ich. Dies Verhältniß konnte mir kein feindliches Geſchick ganz rauben, da ich in der Reihe der Naturweſen Einmal bin, nur verderben, ver - gällen. Und ich hielt es hoch empor: beſonders zuletzt. Meine Mutter mußte mich lieben. Das einzige Bild, was mir zu einem Erdenwunſche übrig geblieben war, war das Glück, ein einziges Jahr! die zu pflegen, in Ruhe und Wohlha - benheit. Vergebens! So wie dieſer Wunſch, dieſes Bild, aus dem Herzen herauf athmete, vor meiner Stirn ſich bildete: fiel ſie in Elend, mir zum Fluch: und ſtarb auch. Nun giebt’s für mich nur ein Wogen auf Erden. Eine allgemeine Liebe, ein Anziehen, ein Leiſten nach allen Seiten hin; eines wie es ſich für einen Gott, für einen Märtyrer ſchickt. Auch ich ſchicke mich darin. Ich ſchätze und ſehe meinen Geiſt ein: der mich nach keiner Seite hin bändigt: fühle gern meine Seele und Thaten gebunden von meinen ewigen ſittlichen Überzeugungen, die ich mit unabläßlichen Beſtrebungen ergründe, und denen ich ewig freudig, ja nur freudig folge. Ich bin mit mir ſelbſt einig, und halte mich für eine ſchöne gute Gabe. Das erſte größte innre Bedürfniß iſt mir erfüllt; ja, die eigentliche menſchliche Exiſtenz, das was Eins mit ihr iſt, ohne welches ſie mir gleich auseinander rinnt. Und ich ſehe es ein; und bin ſehr froh. Über’s ganze Leben weg froh! Doch freund - lich für den Tag, in ſeiner Entwickelung nach außen hin kann das Leben nur werden, angenehm, wechſelwirkend unter Men - ſchen, wenn die erſten Verhältniſſe geſegnet ſind; wenn uns die Eltern gelingen. Das geſchah mir nicht halb: alſo wird nie etwas mit mir. Nie. Aber dieſes halbe Band, mir auch451 nur halb in einer Mutter gelaſſen; war ſehr wichtig! Ich wußte gar nicht, was ich alles wegen meiner Mutter that, und empfand. Sie hat mich wirklich als Waiſe verlaſſen. Kinderlos. Ihr bracht ich lange dies Opfer. Doch hiervon Einmal mündlich. Denn wie es erſcheinen kann, oder er - zählt werden kann, klingt es unſinnig, und muß auch unwahr erſcheinen. Auch darüber bin ich ſehr gefaßt keine Kinder zu haben. So lange man ſie nicht hat, fehlt einem der Sinn: ſo denke ich: ſich aber Sinne, und neue Organe zu wünſchen, dieſes Begehren geht ins Unendliche. Auch gehören die Kinder den Eltern nur durch der Eltern Liebe: und allein liebt man genug; ja, immer. Und welche Störung, wenn man nicht ganz des Vaters Natur in ihnen lieben kann, des Vaters Schutz und Liebe an ihnen erlebt. Und dann! Ich mag mein Schickſal nicht ſo gerne lebendigen Naturen durch meine eigentlichſte eingeben. Geſchähe es, ſo wäre ich auch darü - ber ruhig. Größer ſind die uns bekannten Naturkräfte (und organiſch über die ganze Erde wirken ſie), als alle unſere Überlegungen; unter ihren Geſetzen ſtehe ich mit all meinen Gedanken.

Nun ich mich Ihnen ſo überliefert habe, nun fragen Sie noch, ob Sie ſich mir zeigen ſollen! Alles dies, was hier ſteht, und was ich noch hinzufügen will, hielt mich ab, Ihnen zu ſchreiben. Iſt es genug? Gott! was hat es mich für rheto - riſche Mühe gekoſtet, nur ſo viel davon zu Papier zu kriegen! Hören Sie den Reſt, der als Rinde um alles Übrige ſitzt, und mich nicht ſchreiben läßt. Seit ſieben Wochen habe ich die mir unangemeſſenſten Geſchäfte; die alle darauf abzwecken,29 *452daß ich nicht ärmer werde und nicht in mehr Unordnung komme. Solche ſind nicht für mich; und nur in dem Fall erträglich, wenn ich einem Andern dadurch Ordnung in ſein materielles Leben ſchaffe; iſt’s aber nur für mich, daß ich Liſten machen, rechnen, zählen, beſprechen, verſchließen, etwas zan - ken, bezahlen, beſorgen ſoll: ſo bin ich meine eigene Dienſt - magd. Kommt nun noch dazu, daß ich ſeit fünfzehn Jahren es mit Mühe, Recht, und Vernunft nicht habe dahin bringen können, dem Einmal nicht ausgeſetzt zu ſein: daß ich es ewig befürchtet habe, und daß es ärger noch eingetroffen iſt: daß ich ſonſt noch ein Verhältniß habe, das mich kleinlich in die Tagesaugenblicke hinein quält, und mich auf Groſchen rech - nen macht, ſo iſt’s ein Wunder, daß ich Ihnen ſchreibe; daß ich die Numancia ſo beherzigt habe. Künftig von ihr die mir göttlich gefällt! und von Goethens Roman.

Ihr Kind war hier! das konnten Sie mir nicht einen Augenblick ſchicken? Sie hätten doch wahrhaftig die acht Meilen fahren können, bloß um es mir zu bringen. Ich ver - göttre Kinder. Kommen Sie her! Schönere Briefe als Sie ſchreibt kein Menſch. Die Handſchrift muß ſich ordentlich nach den köſtlich-fallenden Worten richten; die wie Sommer - Regentropfen ſanft, groß, dicht, in geſetzmäßiger Ordnung, und eben daher natürlich, erquicklich, unſchuldig, kühlend, aus Sommer erzeugt, niederfallen, ſich niederlegen! Wo bekom - men Sie die Ruhe her, die Innigkeit ſo ſanft ausfließen zu laſſen! Sie Böſewicht: Sie nehmen einem die Talente alle weg. Niemand, lieber Fouqué, goutirt Ihre Briefe ſo, als ich raſender Kritiker. Sprechen Sie zu mir: ich verdiene es453 durch Treue im Auffaſſen. Sonnabend erhielt ich auch einen Brief von Varnhagen aus Wien. Wenn Sie ihn wollen, ſchicke ich ihn Ihnen auf einen Poſttag. Er reiſt mit ſeinem Obriſten nach Italien, es geht ihm gut: er iſt derſelbe. Leben Sie wohl! ich bin ſehr müde vom Schreiben. Ich liebe Sie recht vom Herzen. Sie ſind ein lieber Menſch. Kommen Sie auch her!

Rahel.

Künftig von Numancia und Goethe.

Schreiben Sie Varnhagen, er bittet darum. Wollen Sie ihm dieſen Brief ſchicken? Nämlich wenn Sie wollen. So brauche ich ihm nur wenige Worte zu ſchreiben. Vor - läufig, im Fall. Grüßen Sie ihn aus Herzensgrunde. Ita - lien freut mich. Er ſoll friſch bleiben. Und meiner verſichert, ſo lange ich lebe. Wenn er kann, ſoll er machen, daß mir Marwitz ſchreibt. Ich habe Varnhagen vier Briefe geſchrieben. Und viel ſpäter als den Juli. Marwitzen drei; ich habe eben ſo viele von Marwitz; nach ſeiner Kataſtrophe keinen.

An Varnhagen, in Wien.

Vorige Woche, lieber Freund, erhielt ich ein Packet Briefe, ſie waren von meinem Bruder, Pauline, Fouqué und dir. Glück zu! Sei ja vergnügt, erkenntlich! Erkenne das Glück, die Reiſe, die Umgebung, die Umſtände; laß nicht den ſchönen Zeitſtrom in den Zwanzigern ungenoſſen, ungenützt vorüber gehen. Doch du biſt gewitzigt; und leichtſinnig! Ich gratu - lire dir zu deinem herrlichen Obriſten! du zeigſt ihn mir ähn -454 lich; ich liebe ihn. Man ſieht die Ähnlichkeit einem Bilde an: kennt man das Original auch nicht; wenn das Bild nur gut iſt. Vergiß meinen Antheil und meine Freundſchaft nicht: und unſre Einigkeit, die dich allerwärts begleitet. Schreiben kann ich nicht. Fouqué ſchrieb mir es war ſein zweiter Brief ſo kläglich, daß ich ihm antworten mußte. Als ich den Brief fertig hatte, war er ſo lyriſch, ſtellte ſo ganz und gar mich dar, daß ich ihm, als ich ihn zuletzt bat, er möchte dir ſchrei - ben, zuredete, er möchte dir ihn ſchicken, weil ich wohl fühlte, ein zweites Lied ſei unmöglich; dabei verſprach ich ihm, daß wenn er es wollte, ſo wollte ich ihm auch deinen ſchicken. Das thu ich nun nicht: weil ich grauſame Gewiſſensbiſſe bekam: und mir gleich hinterher vornahm, dich erſt zu fragen. Des Du’s wegen, und der Verſichrung, noch mit mir zu leben. Sonnabend nur konnt ich wegen Verdrüſſen und Ermüdung dir nicht ſchreiben. Fouqué aber ſchickt dir meinen Brief unfehlbar. Lieber, was iſt das? Man ſchreibt mir, du würdeſt deine und meine Briefe drucken laſſen? Woher ſchreibt ſich nur das Gerede? Das ſollte auch nicht exiſtiren! Sprich doch nicht mit Menſchen von dergleichen; die es bis zu unreinen Menſchen hinſprechen! denn das ſind doch die gewiß, die es bis zum Theegeſpräch treiben. Zum Glück be - ſitze ich unſere Briefe. Sie kamen dieſen Sommer auf deine Addreſſe an; und der Briefträger brachte wie andere Päcke ſie mir. Aber auch die andern beiden Korreſpondenzen ſchicke mir; da du doch reiſeſt, und wir noch nicht in Einem Orte leben. Du kennſt mich, und wie ich dir vertraue. Laß mich aber immer antworten können: Ich beſitze die Briefe! wenn455 die Leute ſagen, ſie werden gedruckt. Füge keine Art von Be - ſorglichkeit zu meinem Jammerleben. Das, Varnhagen, biſt du mir die du verehrſt, und von der du alle Wunden und Gemüthsſchwächen kennſt ſchuldig. Puſtere dich auch ge - gen die ** nicht auf; im Fall ſie dir heute ſchreibt, wie ich vermuthen muß; ſie fahre auch noch ſo hochtrabend und lady - artig einher. Sei ſanft, mein theurer Freund nun haſt du ja eine Schlacht mitgemacht , auch gegen die Leute, die geklatſcht haben mögen. Mir zur Liebe und zur Ehre ſei ſanft und galant im Schreiben nach Hamburg und Berlin.

Es iſt ganz nach meinem Sinn, daß du Militair und mit dem Obriſten bleibſt: um Gottes willen verlaſſe den und die Karriere nicht; der Diplomat findet ſich da ein! Wie du ſagſt und ſiehſt. Behandle ihn ja immer ferner gut: und laß Laune, kleine Bosheit und Probirſucht ja nicht ſpielen. Sei ſelbſt geſchmeidig! man muß es ja mit dem Geliebten auch ſtets ſein. Es iſt nicht niedrig, da dir der Obriſt gefällt und du ihn liebſt. Wir kommen wohl wieder zuſammen. Ich denke es gewiß: es muß ſo kommen; es iſt keine empfindſame Hoff - nung, verſetzt mit Zweifel. Drum kann ich’s auch ſo ſtill ab - warten. Fouqué wird dir meinen Brief ſchicken. Ich glaube es gewiß! ich kann nicht ſchreiben. Gerne ſchickt ich dir Goethe und die Numancia! Wüßt ich dich nur noch in Wien; Ge - legenheit habe ich. Lebe wohl! Sei meiner verſichert. Und bedaure mich im kalten Klima! Vielleicht ſind wir noch auf der Erde der Sonne nah glücklich beieinander. Ich beſtärke mich in allen meinen Denkungsarten täglich.

Rahel.

456

Ich ſehe Schede’s und Schleiermachers, die mir gut ſind. Brentano iſt noch hier.

Nun kommt mir Joſephinens Schickſal erſt groß vor. Kinder einer Ehe, wo ſie unter dem Volke ſtand, wie im Traum Könige werden zu ſehen; ſelbſt zur erſten Frau der Erde ge - krönt zu werden; mit der größten Macht beſchützt; den klei - nen Sorgen entrückt, nur noch unmittelbar unter der Gewalt des Himmels ſtehend; den ganzen irdiſchen Olymp als ſchmeichlende Diener unter ſich; Königstöchter wie zu ihrem Hof gehörig gebückt und in Entfernung von ſich gehalten, nur durch Gnade und als Vorzug zu ſich gerufen; ſicher ge - macht durch gewonnene Schlachten und beſiegte Nationen. Dann aufgeſchüttelt, doch wie aus einem Traum. Der Ge - mahl, der Sohn, die Tochter, bleiben Könige! Und auch das fabelhafte Glück ihrer Kinder, muß ihr Erniedrigung, Herab - ſetzung däuchten! Eine kleine Fürſtin, Tochter eines kleinen Herrn, kann einen Sohn gebären, der Frankreichs Thron be - ſteigt. Wie wird man dem entgegenjauchzen, den erziehen, ihm ſchmeichlen, ihn fürchten, ſchonen, hegen! Die Kanonen - ſchüſſe, die ſeine Geburt ankündigen, müſſen Joſephine zur Niobe verſteinern. Die machen die Kronen ihrer Kinder zu unſcheinbaren Ordenszierden höherer Vaſallen; die donnern ihre Generation in die Vergangenheit. Nun kann ich mit ihr fühlen, da das Schickſal große Vorkehrungen zu großem Unglück für ſie unternommen hat. Unglücklicher iſt ſie, als eine geborne Königin: die entſtieg ihrem Schickſal gleich, wie457 aus der Erde, dem dunklen Mutterſchoße; Joſephinen aber neckte es: Sieh! ſo hoch kann ich, ohne daß er ſich regen mag, wie einen Ball den Menſchen werfen; tief kann ich ihn hinabrollen! Und ihrer Kinder raſendes Glück, der Gipfel ihres Stolzes, die empfindlichſte Freude, wird ihr unheilbar - ſtes Weh, ihr grimmigſtes Leid! Selbſt nichts zu ſein, er - trägt ſich, für Freiheit, und für den Gedanken: du warſt’s. Aber ſeine angehörigen Lieben gleichſam angeführt zu haben durch den Glauben an ſein eigen Glück; ſie von dieſem, und ſeinen ewigen Dienern, den Menſchen, haben ſchmeichlen laſſen; und die ſich feig und nur nach dem Hunger gewandt zurück - ziehen ſehen, ſeine Lieben allein und beſchämt, dem Troſte un - zugänglich! Da bleibt die Wunde friſch; der Schlag, die Be - täubung vor dem wahren Tod!

Die jetzige Geſtalt der Religion iſt ein beinah zufälliger Moment in der Entwickelung des menſchlichen Gemüths; und gehört mit zu ſeinen Krankheiten. Sie hält zu lange an; und wird zu lange angehalten. Beides thut großen Schaden. Beſonders iſt es jetzt ſchon närriſch, da dieſes unbewußte An halten mit eigenſinnigem, leeren Bewußtſein vollführt wird, und, wo Bewußtſein eintreten ſollte, wirkliche bewußtloſe Starrheit wie eine Krankheit zu heilen vor uns ſteht. Ich will hierüber nicht weitläufiger ſein.

458

Der junge R., ich glaube er hat in Heidelberg ſtudirt, einundzwanzig Jahre alt, ſchrieb an M. neulich einen langen Brief, worin man ſieht, was er geleſen hat und was er hat ſprechen hören. Der neue Katholizismus geht ihm im Kopfe herum, und Kunſt und Bilder und Muſik, wie man davon ſpricht; und wie ſie nur von denen aufgenommen werden, die von ſelbſt nie darauf gekommen wären; die dieſe großen Muſengeſtalten nie im Weltwirrwarr herausgefunden hätten. Der junge, gute, ſonſt unſchuldige Mann ſpürt eine Leere in ſich, die ihm etwas widert, daher ſucht er um ſich; hält ſei - nen Ennui für traurige Anklänge von wer weiß was; dies alles untereinander weiß er in einem Meere angelernter Phra - ſen und Worte auszudrücken, plätſchert darin herum, es ſind eben ſo viele Wellen; taucht unter, ſteigt wieder hinauf; ſie tragen ihn, und ſo findet er ſich gehoben von Ausdrücken, von Zeichen! Alles dies fällt mir nur bei ihm wieder ein; und ich zeichne es mir wirklich auf, weil ich die dafür gehal - tene gute Erziehung ordentlich für affadirend halte. Es iſt grade ſo, als wäre ſolche Bildung zu Kaufe: ſo bekommt jetzt jeder um ein Billiges ſeinen Vorrath von Bildung mit, aus den Schulen, den Häuſern, den Büchern, den Theeſtuben; die Induſtrie des Erfindens wird ihm durch den großen Über - fluß ganz unmöglich gemacht. Und ein doppelter Frager, ein doppelter Antworter muß jetzt in einem Kopfe ſitzen, wenn er nur auf den Gedanken kommen ſoll, ſich Rechenſchaft über den Scheinreichthum zu fordern, womit er allenthalben durch - kommt. Kunſt, Religion u. dgl. ſind die Louisd’or; Menſch -459 heit, Gemüth, große Münze; ſo durch. Kommt das reale Leben, immer von neuem aus Erde und Wolken, dem einma - ligen armen Leibe, ihnen nun wirklich vor die Augen, an die Kehle, ſo erkennen ſie ſich und dies Leben nicht, wiſſen ſich in nichts zu entſchließen, verſtehn nichts zu behandeln, machen alſo, wenn auch nur in bloßer Perplexität des Anſtarrens und Wartens, alles verkehrt; befinden ſich ſchlecht dabei, und nennen’s Unglück. Ja wohl! Bei allen Nationen, wenn ſie untergingen, war gewiß eine ſolche leere Münze für irgend ein großes Lebenselement im Gange.

Als ich vorgeſtern, von R’s Briefe wie geſpornt, mir ſei - nen Verlauf hinſchreiben mußte, konnte ich für den Gedanken, den ich dabei hatte, daß gewöhnliche Menſchen nur das Welt - gewirre ſehen, wie es daſteht, ohne ſeine Quellen zu ergrün - den, noch das ewige Walten der Grundlaute und Grundfar - ben ich weiß wieder keinen Ausdruck zu gewahren, kei - nen Ausdruck finden, da fiel mir, wie meiſt immer, ein Bild ein, und hohe Muſengeſtalten ſah ich wie verkannte Wohl - thäter und Götter ungeſehen umherwandeln: und ich ſchrieb Muſengeſtalten; dann brauchte ich das Gewirre der Welt, welches ich auch ſah, und da ſchrieb ich Weltwirrwarr; wohl gleich an Goethe denkend! Nachher fiel mir aber erſt ein, daß er, in demſelben Gedichte auch eine große Muſenge - ſtalt brauchte. Ich dachte noch Einmal über das Gedicht, und verſtand es ganz anders! Ich freute mich unendlich, daß die beiden Ausdrücke mir auch gekommen waren: und konnte460 es nicht erdulden, daß, wenn man dieſe Blätter leſen würde, man nun denken müßte, ich habe ſie freundſchaftlich, eben weil ich ihn liebe, aus dem Hans Sachs gebraucht: ich wollte, daß man wiſſen ſoll, wie es in mir zugegangen iſt. Noch wünſche ich darauf aufmerkſam zu machen, daß wenigſtens ich es gar nicht nenne ein Gedicht verſtehn, bis mir nicht Ähnliches vor oder nach dem Leſen damit begegnet iſt. Ich verſtehe kein Buch, bis ich mir nicht ſagen kann, wie der Autor dazu gekommen iſt, es zu machen, wie es in ihm da - bei vorging: ſo muß jedes Buch einen Text in ſich tragen, wie einen Kern, um den es herumwächſt; und, iſt es ſehr gut, und je beſſer es iſt, ſo wieder in ſeinen einzelnen Theilen! So war mir z. B. der Kopf ganz verſchloſſen über Erl - könig , und erſt den vorigen Winter verſtand ich ihn plötz - lich. Noch weiß ich kein Wort über das Waſſer rauſcht, das Waſſer ſchwoll , hingegen verſtehe ich die Pandora und die natürliche Tochter von Goethe ganz anders, als ſeine an - dere Leute. Das iſt das Alter. In dem Fürſten iſt alle Leidenſchaft in Tochterliebe umgewandelt, und dieſe noch un - behandelte Liebe als Leidenſchaft zeigt Goethe. Epimetheus iſt alt wie ein Sohn der Erde, von ihr, und Kenntniß ihrer, von Alter, von Undank, von der angehäuften Zahl der Übel, gedrückt, von Hoffnung endlich entblößt! Das wahre Alter; nicht einmal ungeduldig: den welken Kranz betrachtend, die Jungen bedauernd, nicht beneidend, und doch raſtlos im Schaffen, weil die Noth es grade heiſcht. Mir hat’s einen entſetzlichen Eindruck gemacht: ich verſtand gleich das Alter. Ich wurde damals alt. Auch alt wird man plötzlich. Auch461 das Alter entfaltet ſich wie eine Blüthe plötzlich aus der Knospe, wenn ſchon die ganze Jugend es vorbereiten muß.

An Fouqué, in Berlin.

So eben erhalte ich dieſen Brief von Varnhagen, den ich Ihnen ſogleich ganz ſchicke, nämlich einſiegle. Morgen werden Sie ihn wohl erſt bekommen. Ich bitte Sie zu mir zu kommrn. Auch morgen! entweder gegen eins, oder gegen 6 Uhr. Dann will ich Ihnen V’s andere Briefe geben; und Sie ſprechen. Heute bin ich ſehr in Eil; ich muß aus. Ich bin V’s Meinung: ich will auch, daß das, was von mir exi - ſtirt, nicht untergehe. Exploſionen haben es heraufgeworfen, es iſt Edelgeſtein drunter. Es lebe das Leid!

Adieu. Rahel.

Der Krieg iſt nichts anders, als ein mißverſtandenes und verkehrtes Streben im Menſchen nach einer Univerſalmonar - chie. Nach dem Beſitz und Verſtändniß der Erde wird darum nur allein geſtrebt und gehandelt, weil dies unſere uns ange - zwungene Gränze iſt; der Geiſt, ein wenig freier, ſucht we - nigſtens die Bewegung und ihre Geſetze, anderer Planeten zu ergründen: der Menſch, ſeiner wahrhaft menſchlichen Natur nach in ſich, ruht nicht eher, bis er alles ſeiner Vernunft und Einſicht in ſich und um ſich her unterworfen hat. Mit dem Kopfe denkt man; dem fügen ſich alle Glieder des geſammten Körpers, dienſtbar mit ihren Kräften: unſere Einſicht ſoll von462 einem jeden Menſchen können angenommen werden: oder wi - derſtritten werden; daß wir ſeine annehmen müſſen. Der Aller - verſtändigſte muß nothwendig alle Übrigen überzeugen können: und der Vortheil Aller muß auf eine beſtmögliche Art zu ver - einigen ſein: ſie Alle zuſammen müſſen ſich die ganze Erde mit ihren Produkten, die ganze bekannte Natur mit ihren Kräften unterwürfig machen; und erhaſchten ſie mehr Plane - ten, eine weitere Natur, auch dieſe. Ja, der Menſch iſt ge - drungen, alle ſeine Gedanken und Spekulationen mitzuthei - len, wenn ſie ſich auch nur auf ihn ſelbſt beziehen (und Eitel - keit iſt es nur dann, wenn er einen andern Grund, als dieſen Drang in ſich, dafür annimmt es zu thun). So möchte ein jeder gern Alle zwingen, wie die beſſere Einſicht alles in uns ſelbſt Verſchiedene zwingt; die Natur brachte einen Menſchen hervor, der Menſch will aus dem Geſchlecht Einen Menſchen machen: zu Aller Vortheil. Und wird dieſes nicht bei den ſchändlichſten Kriegen von je, und in allen Zeitungen jetzt, zum Vorwand angegeben? Beziehen ſich nicht alle Gründe, die die Staaten angeben, immer auf vorgebliche Beabſichti - gung des Vortheils Aller? Würden ſie Gewalt brauchen, wenn die andern gütlich, guten oder ſchlechten Gründen folg - ten? Und geſchähe dies, wäre nicht ein Staat der einſicht - vollſte? in dem Staat es die Vernünftigſten, die, die alles verſtänden und am beſten kombiniren könnten, die Häupter und Herrſcher? und iſt aller Krieg nicht das wilde Streben dazu? Darum das ewige, anſcheinende Zurückfallen der Geſchichte, nichts anders, als ihre Verſuche zu einer Univerſalherrſchaft.

463

An Roſe, in Amſterdam.

Liebe geliebte Schweſter, welche bittre, bittre unverdauliche Vorwürfe mache ich mir, euch, meine ſehr Lieben, auf eure in - time wahrhafte Freundſchaftsbriefe durchaus nicht geantwortet zu haben: ihr müßt glauben, ich habe ſie nicht empfunden. Nur geſtört war ich dieſen Winter: gräßlich geſtört. Durch ein Geſchöpf, welches mir alle Stimmung, alle Muße raubte. Noch ſitzt dieſe Perſon neben mir, und jammert und weint. Zu bedauren war ich; aber erzählen kann ich es in einem Briefe nicht. Meine Angſt und mein Gewiſſen treiben mich dazu, dir dieſe wenigen unverſtändlichen Worte zu ſchreiben, ſonſt thät ich’s noch nicht. Zu euch kommen thäte ich gerne: ich habe aber noch kein Geld zur Reiſe zu leben habe ich zuſammenfinden können. Dir Karl und Roſe dankt mein tiefſtes wahrſtes Herz für euer Anerbieten, bei euch zu leben. Ganz und durchaus Recht gebe ich dir, Karl, auf deinen letz - ten Brief, den du mir ſchreibſt. Das Leben kann man ehr zerreißen, in Dürftigkeit hinbringen, eh man die Ehre zerreißt; ich denke wie du, wie Roſe: was Ehre iſt, worin ſie in dei - ner Lage, in deinen Verhältniſſen beſteht, kannſt du nur ganz allein beurtheilen: und ich füge mich im voraus mit meiner klarſten Überzeugung allen deinen Beſchlüſſen: nur theile ſie mir mit. Warum verſtummt ihr: wenn ich nicht reden kann! Ihr müßt mir immer ſchreiben; und alles was euch betrifft mittheilen! oder ihr ſetzet voraus, es iſt lockeres loſes We - ſen, daß ich euch nicht ſchreibe. Nur Störung iſt es, von464 Ewigkeit, und für alle Ewigkeit, wenn es eintritt. Ich werde euch mittheilen, was ich für meinen Sommer beſchließen kann, noch weiß ich es nicht. Mama und das Verhältniß zu ihr, das zerriſſene, geht mir nicht aus dem Kopf. Alle reell irdiſche Bande ſind für mich lädirt, vernichtet. Nur meine Geſchwiſter habe ich noch, nur das iſt mir noch natürlich. Schreibt mir von euren Plänen. Sollten wir Geſchwiſter nicht alle nach der Wärme ziehen können, und mäßig da, von mäßigem Ein - kommen leben können? Nein? Gott? mein einziger Plan in der ganzen Ausſicht in’s winzige Leben hinein! Verliebt bin ich nicht mehr. Wenn man dir’s erzählen ſollte, glaube es nicht! Mir glaube: ich bin es nicht. Antwortet mir, geliebte Freunde. Ich ſchreibe euch dann friſch wieder, und beſſer umgeben, und geſtimmt. Markus hat ſein jüngſtes Töchterchen die vorige Woche plötzlich verloren. Es war uns ein großer Jammer. Ich weinte, wie Eltern, wie er ſelbſt: wir faſſen uns aber ſehr vernünftig: ich bin zum Troſt immer dort. Und es iſt niemand von uns krank. Moritz in Ham - burg vergnügt und geſund. Roſe, der Onkel in Breslau wird im März achtzig Jahr! ich liebe ihn. Ich war in einer kleinen Korreſpondenz mit ihm, er ſchreibt noch überirdiſch ſchön: und iſt voller Witz, Lebendigkeit und der friſcheſten Empfindung. Frau von Humboldt kommt zum Frühling, ihr Mann iſt Geheimer Staatsrath hier, Miniſter des geiſtlichen Departements eigentlich. Es ſind intereſſante und gelehrte Leute hier; aber nichts von Kunſt: keine Muſik; kein friſcher Muth. Etwas Furcht vor allem; und Unſicherheit in allem. Adieu. Schreibt mir: und ſeid ewig meiner verſichert. Voneuch465euch ſchreib ich auch dem Onkel, von unſerer Einigkeit in allem und unſerer Liebe und wahren Harmonie mit Karl. Adieu.

Eure Rahel.

Es liegt noch ein großer Brief bei mir, den ich dir im Winter einmal ſchrieb. Aber ich bereute zornige Worte gegen Andere drin, und ließ ihn liegen.

An Varnhagen, in Prag.

Welch einen Katzenbrief haſt du der Guten geſchrieben! Ja, er ahmt die glatten, kleinen Bewegungen eines Katzen - rückens bis in den kleinſten Theilen ſeiner anſcheinend verwik - kelten Phraſen bis zum Verwechſeln nach, und könnte der Menſch aus einem Briefe eine Katze machen, wäre es ihm ver - gönnt, deiner finge Mäuſe. Die kann aber eine Welt um ſich her zur Katze machen! Dieſe Hunde-Ader, daß du ihr gut biſt; mußte ſie nicht unter das Glanzfell? Muß ich nicht endlich nur ſie loben? Hat man ſie auch lieb, wie man es denn thut; zwingt ſie einen nicht zu ewiger? bei mir ganz unerhörter Empörung durch ihre ungeheure Verſteinerung ach nein! das iſt es nicht mehr wie ein glattes feſtes Auſter - thier, in ſich geſchloſſen, zu kleinen, blinden, trüben Funktio - nen gegen Überzeugung. Ich behandle ſie jetzt ganz wie du es ihr im Briefe machſt: nur nicht mit ſo kleiner, regel - mäßiger, ebenmaßvoller, geſchloßner Schrift und Art: rhapſo - diſcher, zerſtreuter; größerer, unebenerer Handſchrift! Geſtern Nachmittag ſchickte ſie mir deinen Glanzbrief, mit einer OblateI. 30466geſichert, und mit den Worten auf dem Umſchlag: Leſen Sie den Brief, Liebſte! und laſſen Sie mir ſagen, ob Sie wohl einmal ſchreiben. Ich bin ganz beſchämt! Nun ſpreche ich es ihr noch zurechte! Kurz, es muß ihr wohl ſein in der Schale und ſie muß mich nicht quälen! Und nun von uns. Keiner von uns will mehr, daß mein ehrliches Leben auch ge - ſchaut werde von ſolchen, die es ſelbſt ſind; und genug findet man immer, unter Deutſchlands Leſern, wenn man nur druk - ken läßt. Immerfort erzeugt die Erde auch wieder ſolche. Ich weiß, welche Freude, welches Behagen mir ein Fünkchen Wahrheit in einer Schrift aufbewahrt macht! Nur davon be - kömmt die Vergangenheit Leben, die Gegenwart Feſtigkeit; und einen künſtleriſchen Standpunkt, betrachtet zu werden; nur Empfindungen, Betrachtungen durch eine Hiſtorie erregt, ſchaffen Muße, Götterzeit, und Freiheit; wo ſonſt nur allein Stoßen und Dringen und Drängen, und ſchwindliches Sehen und Thun möglich iſt; im wirklichen Leben des bedingten be - ſchränkten Tages, wie er vor uns ſteht! Nicht weil es mein Leben iſt, aber weil es ein wahres iſt; weil ich auch vieles um mich her oft, mit kleinen unbeabſichtigten Zügen, für For - ſcher, wie z. E. ich einer bin, wahr, und ſogar geſchicht-er - gänzend ausſprach. Und endlich, weil ich ein Kraftſtück der Natur bin, ein Eckmenſch in ihrem Gebilde der Menſchheit, weil ſie mich hinwarf, nicht legte, zum grimmigen Kampf mit dem, was das Schickſal nur konnte verabfolgen laſſen; jeder Kampfgeſell der Natur, der größern Geſchichte, iſt in einen Geſchichtsmoment geworfen, wo er kämpfen muß, wie bei einem Thiergefecht in der Arene; glückliche Veteranen, wirken weiter,467 zu ihrem und der Menſchen Bewußtſein; unglückliche, zer - ſchellen; mich trugen Gedanken und Unſchuld, als ich zer - ſchellt ſchon war, empor, zwiſchen Himmel und Erde. Kurz, wie es mit mir iſt, kann ich nicht ſagen; ich will nichts mehr. Kein Plan, kein Bild; es ſchwankt und ſchwindet die Erde mit den Lebensgütern; der Lebensſchatz iſt alles! Sehen, lie - ben, verſtehen, nichts wollen, unſchuldig ſich fügen. Das große Sein verehren, nicht hämmern, erfinden und beſſern wollen: und luſtig ſein, und immer güter! So wie ich war und werde, mögen meine Brüder mich ſehen! Ich aber ſelbſt will aus meinen Briefen alles ſuchen, und verwerfen; und nicht in vier - zig, fünfzig Jahren, wie du der Guten ſchreibſt, ſondern viel früher; ich will noch leben, wenn man’s lieſt. Ich mache mir nichts aus der Welt. Ich habe keinen Plan; wer den nicht auszuführen hat, hat keine Rückſicht; und Schande kann ich nicht haben: Schande, die mir das Leben hemmte; andere achte ich, wie du weißt, nicht. Nur meine Billigung iſt mir nöthig und wichtig. Adieu, Lieber! Dieſen Sommer, und das früh, und wahrſcheinlich ſehr bald, komme ich nach Töplitz, und auch wohl vorher nach Prag.

Lebe wohl! R. L.

Unglück bringt Schande; Glück Ehre. Es iſt heute ſehr ſchönes Frühlingswetter. Ich bin gepeinigt, und darf den Frühling nicht empfangen, wie ich könnte.

30 *468

An Varnhagen, in Prag.

In meiner Unſeligkeit hab ich dir vergeſſen geſtern zu ſagen, daß vorgeſtern Frau von Fouqué bei mir war. De but en blanc; ſchon ſehr liebenswürdig: ſie brachte mir ihren Sohn mit. Und ich fand ſie ganz vortrefflich. Sie ließ ſich von Hanne zu mir führen, die ſie von Nennhauſen kennt, und fand Marwitz bei mir. Wir frühſtückten. Wie ſie nur in’s Zimmer trat, waren wir, und dadurch die ganze Geſell - ſchaft, als ob wir uns vierzig Jahre kennten. Es iſt eine femme consommée; und ich habe an die dreißig Gutmüthig - keiten an ihr bemerkt: und noch viel mehr Großartigkeiten. Marwitz kannte ſie: wie ſchön behandelte ſie ihn, und Hanne; wie allerliebſt, überaus gut den Sohn. Wie frei ihr ganzes Benehmen; lieb möchte ich ſagen. Kein Gedanke von dem Stolze, den man ihr anſchielt, nämlich nacherzählt. Jedoch ſagt Hanne, ſie ſei hier nicht dieſelbe[geweſen]. Marwitz fand ſie auch ſehr gut. Heute iſt ſie zu Hauſe gereiſt: ich werde Fouqué’n ſchreiben und ihm gratuliren. Schön werden die Augen, wenn ſie ſie in die Höhe ſchlägt, das thut ſie im Eifer oft. Daß ſie kam, iſt ſchon unbefangen: Fouqué z. B. nannte ſie mir in Briefen nie. Mir geht’s ſonderbar; ſonſt werden die Autoren beſucht; ich bin ein elender Leſer, und die Schreibenden ſuchen mich auf. Wahrhaftig, ich glaube, ich verſtehe die Kunſt zu ſchweigen; mit der Feder, wie manche geſchickt mit dem Maule!

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An Alexander von der Marwitz, in Böhmen.

Sehr lieber Marwitz! An dreißig Briefe habe ich ſchon an Sie komponirt, und heute Morgen, noch im Bette einen ſehr ſchönen. Aber jetzt grade, da ich ganz erſchöpft von ei - nem an meinen Bruder bin, ſchreibe ich Ihnen in größter Eil und Nervenirritation, dieſen, der ganz ſchlecht wird, werden muß, iſt. Warum hör ich nichts von Ihnen, da Sie mir’s doch von ſelbſt verſprachen? Sie ſind mir doch ſehr gut? Und das muß ſein. Noch nicht Einmal, habe ich gefühlt, ha - ben Sie mich mißverſtanden. Mir träumte vorletzte Nacht ſehr ſchön von Ihnen. Wir beide, Sie und ich, waren Som - mers in einer weiten Ebene mit allen nur möglichen Bekann - ten. So ſonnig und groß alles war, ſo befanden ſich doch Alle nur auf einem Sanddamm, einen Fahrweg breit, der durch die graſigen, doch waſſerreichen Felder und Wieſen mit tendurch nach einem Waſſer ging, welches auch durch Über - ſchwemmung der Gegend näher gekommen war. Ungefähr einen Markt weit, war das Gedränge der Menſchen und Be - kannten größer, und ſehr wimmlend; wir hielten uns, weil ich es nicht liebe, ferner unter wenigern. Nach einigem Warten, und Sehen, daß es doch noch ſehr lange dauren müſſe, eh Alle, welches nur nach und nach gehen konnte, über - geſchifft ſein würden, und mir auch herankommen könnten die Reiſewagen ſtanden zerſtreut auf dem Sanddamm, und man ſah das Ufer und Schiffe eine Viertelmeile weit, hell, grün und ſonnig vor ſich nach Morgen zu ſagte ich Ih -470 nen: wir wollten etwas zurück der Sonne nach, die Gegend unterſuchen gehen. Schweigend und gehend willigten Sie ein. Bald wurde es bergigt, die Sonne gelb und abendlich, ich ging voran, und um eine Ecke, einen gemachten Gartenſteg hinauf: mit einemmale Göttliches ſehend: grüne hohe geſchnitzte Wände, und Ausſichten in friſche geputzte Thäler, durch ganz freundlich ausſehende friſch-grüne Berge hinab. Einer ſah beſonders ſchön belaubt und dunkelgrünglänzend aus; ſehen Sie das, wandt ich mich um, faßte Ihre Hand, die Sie mir gaben, auch reichten; und wir küßten uns vor Freude auf den Mund; ſo ging’s wieder weiter, Sie hinter mir, der Pfad führte mich in ein rundes, ganz kleines und umſchloſſe - nes Bergthal, wie ein Hof; ich bog nochmal links, und fand einen Hof, mit offenſtehenden Zimmern, was iſt das? aber ich beſehe es! ſagte ich ſcheu; Sie mir nach! Eine Reihe moderner Zimmer, mit Inſtrumenten, Büchern, Zeichen - und Nähzeug, Blumentöpfen, Tüchern über den Stühlen; kurz, ganz wohnig. Mit einemmale ſteht ein Herr vor mir, nach fünfzig, ohne Hut, wie ein Abbé; er kam aus noch andern Zimmern. Ja! im Hof waren ſchöne Hühner, Enten, al - les lebendig Mein Herr! ſagte ich, verzeihen Sie! wir haben uns, das ſo ſehr Schöne und Sonderbare der Gegend beſehend, plötzlich in Ihrem Hof befunden, es war Mond - ſchein geworden im Hof, da war aber niemand, hier auch nicht; und ſo kam es, daß wir weiter gingen; verzeihen Sie! aber wie ſo iſt hier alles offen? nehmen Sie’s ja nicht übel! Hier kommen Viele ſo herein, ſagte der Mann; das ſchadet nichts; und als ich ihn doch noch anſah, ſetzte er hinzu471 halb fragend: hier iſt das Taubſtummen-Inſtiſtut; wir ſind hier friedlich, und uns thut niemand was; da wurd ich einen blondlichen dreizehnjährigen Knaben mit einem Buche in der Hand gewahr; ich wollte ihn auch entſchuldigungsmä - ßig grüßen, aber er ſah ſchüchtern auf ſein Buch, und las weiter. So verſchlang ſich der Traum, ohne daß Sie geſpro - chen hätten, und ohne daß wir gegen Morgen nach dem Waſ - ſer zurückkamen. Welches mir auch im Traum ſehr lieb iſt! So bin ich. Wollen Sie nun im Ernſte auch nicht ſprechen? Mir nicht antworten? Mir nicht ſagen, daß und wann ich Sie in Töplitz ſehen kann? Ich komme nun beſtimmt hin, mein Bruder Moritz hat mich gefragt, wie viel ich dazu ha - ben will. Antworten Sie mir gleich, Lieber! Nach Ihnen richte ich mich ſehr! Ich lege Ihnen hier einen herrlichen Brief von meiner Freundin bei, den ich vorige Woche erhielt. Ich antworte ihr in Du aus angeregter Seele. Mißverſtehen Sie nichts darin! Leſen Sie ihn, als wären Sie bei mir. Zeigen Sie ihn ja von ungefähr Gentz nicht: lang entfernt von mir könnte er, wird er wohl, das unheilig Scheinende auch nur unheilig finden. Ich verlange weit mehr: und ver - lange es von Ihnen; meine höchſte Äußerung von Achtung, Vertrauen und Vorausſetzung des Talents; jemanden behand - len wie mich ſelbſt. Und nicht, wie Wilhelm Humboldt ſchon vor zehn Jahren ſagte: Ich will nicht mit lauter Verwunde - ten zu thun haben; ich nicht mit Krüpplen! Ich habe Hum - boldt nur vorgeſtern geſehen; er verfehlte mich öfters. Doch waren wir nicht allein. Es ſchimmerte alles nur durch Minna, die im Reuß’ſchen Garten gegenwärtig war, wo H. wohnt,472 und mit uns ſpazirte. Adieu! Lieber! Antwort! und das gleich. Rahel. Hier iſt helles Sonnenwetter mit Kälte, ich rheumatiſch davon. Nordoſtwind. Der gräßlichſte.

An Varnhagen, in Steinfurt.

Dieſen Augenblick erhalte ich deinen Brief aus Kaſſel, lieber Freund. Und zuerſt muß ich von Steffens ſprechen! den ich natürlich nie ſah. Ich bin ſehr eingenommen von Steffens. Wundere dich nicht; ich habe ſeinen Aufſatz über Univerſitäten geleſen, leſe jetzt lache nicht! ſeine geo - gnoſtiſch-geologiſchen Aufſätze als Vorbereitung zu einer in - nern Naturgeſchichte der Erde. Ich habe ſie Humboldt weg - genommen. So nur kann ich von Geſchichte und Natur reden hören, die ſind ihm Eins. So denk ich ungelehrt auch. Und verſtehe ihn ſehr wohl. Doch kann ich nicht mehr über ihn ſchreiben, du kennſt mich, weil ich das ſchon Einmal im größ - ten Enthuſiasmus an Moritz ergehen ließ, der es gleich leſen ſoll. Ja! er ergründet’s ja ſelbſt, nichts entwickelt ſich nach ſeinen Anlagen, alles iſt geſtört, ſage ich; einer größeren, uns unbekannten Beziehung gehören wir und alles an; das denk ich lange, lange!

Wäre ich nicht in der größten Weltſchmiede endlich wirklich, von lauter Schlägen, fertig geworden, ſo hätte ich heute den Tod eingenommen über den mir beigeſandten Brief.

Ich bin in nichts verändert. Nur noch geſchwinder473 immer zufrieden, oder vielmehr fertig, über die Ereigniſſe. Nur Eins iſt anders in mir. Ich kenne den Tod mehr, durch Mama. Und ſehe ihn überall; und er hat auch mehr Macht über mich bekommen. Ich bin ſterblicher geworden. Ängſtigen thut mich das nicht beſonders: aber ärgerlich macht es mich. Ich habe beſtändig vor Augen, wie Einer umfalltn kann, ver - welkt, wie eine andere Pflanze, mitten drin. Es kann mich gar nicht rühren, aber ſo ekeln, ſo ärgern. Und daß man nicht durch ſeinen Willen leben bleiben kann! und ſo ekelhaft wird; verſteinerte man doch!

An Frau von F., in Berlin.

Aber Liebe! Was ſoll ich wohl ſprechen, nachdem Sie mir meine eigenen Worte ſo im ſchlimmen Sinn angeführt haben; mit welchem Zutrauen kann ich ſprechen, wenn Sie mich ſo, nicht aus Bosheit, aber im Ernſte auslegen! Ein Menſch, wie ein Buch, kann dem Sinne nach zerriſſen werden, und dann kann man alles daraus machen. Das pflegt ſich Fichte beim Anfang ſeiner Bücher zu verbitten. Dies Recht des Denkers an ein feindliches Publikum, kann ſich der Menſch bei ſeinen Freunden gewiß gewärtigen. Ich that es. Beru - higen Sie ſich wo möglich auch; und ſchütten Sie lieber Ein - mal ganz Ihre Vorwürfe und mein Vergehen aus! Iſt aber das Herz davon nicht zu reinigen, ſo muß die unbezwingliche Neigung zu mir neben ſolcher Mißbilligung ewig nur wie - der Schmerzen machen; Ihnen und mir. Und bedenken Sie,474 wie mir ſein muß, immer zu ſehen, und zu denken, daß mir nur Gnade vor Recht ergeht. Soll ich das als Löwe oder als Hündchen ertragen? Aber Sie haben doch Recht: von beiden iſt in meiner Natur; ein Blick des Menſchen zähmt das vergeßliche Hündchen: und ſo werd ich morgen an Ihrer Thüre bellen: ſchlafen Sie wohl, und machen Sie’s Einmal mit mir ab!

An Moritz Robert, in Hamburg.

Shakſpeare läßt Einen, ich weiß nicht in welcher Tra - gödie, der nach einem Kranken gefragt wird, antworten: Tod und Leben zanken ſich um ihn. Sie zerrten an mir. Leben riß mich aus Todesgluth, zerbrochen, verwundet heraus. Kaum noch, Bruder, halt ich die Feder. Fünf Wochen hatte ich den Keuchhuſten und Bruſtkrampf: ohne Luft. Alle Tage ein an - der Mittel. Kurz alle, außer Aderlaß. Endlich bekam ich mit ewigem Erbrechen ein kaltes Fieber. Viermal erkannt ich’s nur. Noch ſechsmal ließ mich’s Böhm als Kriſis haben. Zwanzig Stunden jedesmal. Alles Geld zu wenig. Dir, mein Freund, dank ich, daß ich’s hatte; dir, daß die Sorge mich nicht umbrachte. Nach dir ſchrie ich in der höchſten Noth. In Agonieen; und glaubte dich weit, in Frankreich. Zu ſterben glaubt ich gewiß. Ich habe viel gebetet und ge - weint. Mein Herz war entzwei; da den Hauptkrampf, da Senfpflaſter u. ſ. w. Nun muß ich mich ſechs Wochen vor Luft ſequeſtriren; in Angſt leben, daß das Fieber kommt; in475 ſechs Monaten iſt an kein Baden zu denken. Eſſen thu ich beinah noch nicht. Ohne Nettchen wäre ich geſtorben: die Kouſine ward verſchrieben, weil’s Einer nicht aushielt: als ſie kam, ſaß ich ſchon am Fenſter. Ich genas. Und nun keine Klage mehr. Fluch war’s. Iſt’s. Fluch auf Flüche! Nach zehn Jahren kann ich auf dieſe Weiſe nicht reiſen. Muß auf dieſe Weiſe dem Sommer, auch im Geneſen, das Fen - ſter zumachen. Markus meint, du würdeſt kommen! Schön! Segen! Adieu, morgen und Sonnabend mehr. Dies ſind meine erſten Zeilen. Schreib mir auch! Ich fahre alle Tage aus. Adieu. Als ich grade im Fieber lag, war die ſchmerz - lichſte Hitze: die Sonne auf mein Zimmer; ein heißer Umſchlag auf meinen Leib. Ich bekam einen Ausſchlag: dabei mußt ich ſchwitzen. Gott, was giebt’s! Adieu, verzeih die Erzäh - lung. Es wird auch Freude kommen. Adieu.

Sonnabend Vormittag. Geſtern, geliebter Bruder, hatte ich die große Agitation mit der Königin auszuſtehen. Man hatte mir ihre Krankheit nicht verborgen in der größten Höhe der meinen: Markus dachte mich damit zu tröſten; zog mir bald den Tod zu. Wundere dich nicht! meine Fieber - phantaſieen hatten darin beſtanden, daß ich unaufhörlich Mama und Robert ihre Krankheiten ſah. Ich litt fünf Wochen an Luft, und die Königin auch an der Bruſt! Du kennſt Nerven. Ein Glück, ein Ungefähr, daß ich’s überlebte. Ich fuhr geſtern gleich nach Schöneberg, wohin ich immer fahre, wegen Feld und Landſtraße und trockener Luft, und zerſtreute mich ſehr! Alles blüht, blinkt, lebt und webt! Solch Jahr gab’s noch nicht. Unſere Gegend ſieht reich aus. 476Alles iſt auch im Überfluß auf den Märkten. Der Ärmſte ißt gut und kann es. Mein Sommer iſt hin: Vergnügen kann ich nicht haben. Ich nehme mich gränzenlos in Acht das muß man bei kaltem Fieber aber ich ſchreite auch fort in der Beſſerung. Biete mir nichts an, lieber Junge, ich habe genug. Aus dem Todesbette dirigirte ich doch noch eine ge - wiſſe Ökonomie. Lebe geſund! Und wenn ich nicht oft ſchreibe, wundre dich nicht. Es wird mir ſauer. Antworte du! Adieu, Lieber. Das Leben iſt gewiß eine Buße; eine Reinigung, wo Gott, aus Güte, auch Lockungen, auch Freu - den, zugelaſſen hat. Ich fühl’s, es wird mir immer klarer. Sieh die Königin! Sie tanzte noch, als ich ſchon todringend keuchte. Gott ſei uns gnädig!

Ich muß nun hier in Leid und Krankheit angebannt bleiben. Gott will es unmittelbar! Meine Geſchichte iſt meine Klage. Gott nur hört das Geſchrei meines Innren. Seit geſtern iſt mir Ruhe von ihm geſchickt. Ich bete, und reinige meine Seele. Ich bemühe mich, meinen Zorn, und Rache, die ich liebte, wenn auch nicht übte, zum Opfer zu bringen. Gentz, Marwitz, und der Horizont, thun mir weh. Aber auch dies bemühe ich mich in Unterwerfung anzunehmen. Gott iſt mir gnädig darin. Es iſt eine Sünde dergleichen auszuſprechen: mein Herz zwingt mich: und lügen müßt ich. ſchrieb ich was anders.

477

Empörung und Wahrheit. (Wie Dichtung und Wahrheit.)

Ich habe nie ſolchen Fleiß und ſolche Anſtrengung ge - ſehen noch imaginirt, als die G. anwendet, um alles in ſich zu verwirren; zu läugnen was wahr iſt, und zu ſcheinen was nicht exiſtiren kann. Sie hat gar kein Gewiſſen. Wenn ſie ſich auch manchmal eins über etwas macht. Ihre Reue iſt mir nur ekelhaft, und nie rührend; daher iſt ſie auch ſo häufig. Die iſt bei ihr ein Schlafrock, ganz kokett fabrizirt, der einem weißmachen ſoll, nun ſei ihr behaglich, endlich ſei ſie natür - lich: ſie iſt nichts als ein halsſtarriges Fortſpielen der Lüge; welches bis zur Beſtrafungsluſt empört. Sie iſt komplet und abſolut überzeugungsunfähig; und recht innerlich widerwärtig. Hat Verſtand, iſt liſtig; in einem beſchränkten Kreiſe witzig, aber völlig ohne Sinn: daher iſt ihr Muſik und das ganze Gefolge von Künſten durchaus verſchloſſen und ganz fremd, die ganze Atmoſphäre und Pflanzennatur iſt ihr zu; die wahre Natur der Dinge, wie ſie zu einander ſtehen, bleibt ihr auch fern; weil ſie nur vom Allgemeinen auf’s Einzelne, aber nicht von dieſem zu jenem mit ihren Gedanken gelangen kann. Halb iſt das ein Unvermögen des Kopfes, halb eigennützige Eitelkeit. Kurz, ſo in der Tiefe ſah ich noch nie einen Men - ſchen unehrlich und geſchäftig lügen, als ſie. Dies reizt mich auch immer wieder, ſie anzuſehen.

Robert verglich eine andre Frau mit ihr. Gott behüte! ſagte ich, mit der hat nichts Ähnlichkeit; die iſt einzig; das478 iſt eine einzige Pflanze in ihrer Art, von der kein Geſchlecht exiſtirt: es iſt die Dürftigkeit in Blüthe. Die Natur konnte die auch nur Einmal hervorbringen. Es iſt ganz richtig.

An Frau von F., in Töplitz.

Ich muß Ihnen, Liebe, ſehr in Haſt antworten auf einige, und auf einen dicken Brief, den ich heute durch Mlle Cramer von Ihnen erhielt. Beruhigen Sie ſich. Ein Gewiſſen iſt ſo etwas Intimes, daß nichts anderes, als es ſelbſt, mitſprechen kann, wo von ihm die Rede iſt. Geſchehene Dinge zu ändern liegt außer der Sphäre menſchlichen Vermögens! Ich verzeihe Ihnen willigſt, ſo oft ich den Schmerz der Liebe vergeſſe. Das iſt unſere größere Lebenszeit; aber auch ich kann ein fait nicht ändern; höchſtens die Handlungen nicht begehen, die mir meine Gefühle darüber diktirten, und das will ich, und thue es. Sie ſagen aber ſelbſt, Sie mußten Ihrem Herzen Luft machen; wodurch, Liebe? wenn Sie mich in der Baronin nicht ſchilderten; und thaten Sie es, ſo bin ich doch getrof - fen! Verwirren Sie ſich in Ihrer Reue nicht: ſondern, vergeſſen Sie einen Flecken! und ſuchen Sie in Ihrem eigenen Herzen über mich, und was ich Ihnen ſein kann, einig zu werden, das allein wird Ihnen heilſam ſein, und kann Ihnen Ruhe hierüber geben. Durch ſtrenge Selbſtſichtung kann man ſie überall nur erlangen. Drum unterſtehe ich mich, Ihnen dieſen Rath zu geben. Ich bin mit mir über meine Men - ſchen im Reinen; und alle meine Arbeit geht nur dahin, dies479 zu erlangen. Dieſes Beſtreben raubt mir auch noch den letz - ten Reſt von äußerem Talent. Mein Urtheil aber, iſt ſo ge - bildet, und in einem ſo hohen Grade fertig, daß dies eins iſt.

Wenn ein Mann von einem Weibe, und einer erſt kürzlich Bekannten, borgt, haſſe ich: beſonders, wenn noch bekannte Männer vorhanden ſind. Dies in Betreff M’s. Ganz recht! Ich, und meine Briefe, und alle meine Äußerun - gen, müſſen immer ſehr verſchiedene Empfindungen in Ihnen hervorbringen. Es iſt in mir noch ein für Sie unverdauliches Ingrediens. Es wird Ihnen dereinſt deſto beſſer ſchmecken, und bekommen. Meine einmalige Miſchung trempe iſt nicht zu ändern: und wenn man ſie karakteriſiren wollte, muß man dies von ihr ſagen. Mich peinigt jetzt meine Schwäche, und mein ſehr unbequemes Ausziehen. Mein neues Quartier iſt nicht frei. Alle meine alte Meubel muß ich um - arbeiten laſſen. Und am Ende bin ich mesquin, und gar in keiner Art wie ich will auf einem Orte eingerichtet, wo ich nur hingehöre, weil ich ſo lange auf ihm geblieben bin. Ich fühle es ewig, und tief, daß ich keine Bürgerin bin; und unſer Thal keine Gegend, kein Klima hat. Adieu. Viel Ver - gnügen. Kommen Sie bald.

Rahel.

Vorhin wurde ich von einem Beſuch geſtört, und war ſo ärgerlich drüber, daß ich lieber den Brief ſchloß, ohne nach der Perſon aufzuſehen. Noch ein Wort von St. M. Ich würde Ihnen gratuliren, wenn er durch einen lahmen Arm von der Armee kommen könnte, wie der deutſche junge Mann: ich kann mich auf ſeinen Namen nicht beſinnen; (Türck - heim, diable!!) jetzt aber weiß ich wirklich nichts zu ſagen,480 als daß mir lieb iſt, was Sie dabei freuen kann. Kurz: le - ben aber iſt immer das Vornehmſte. So freue ich mich un - endlich über Bribes. Adieu!

An Frau von F., in Dresden.

Ihr Brief, liebe Freundin, machte mir Vergnügen, weil er voller Wahrheit iſt. Das Gute, welches darin für mich ſteht, kann ich gleich glauben! Und glauben auch Sie nur, wie in dieſem Briefe, daß meine Härten ächter Umgang ſind ich nenne die Dinge ſo, mit Ihnen und mein Lob jedesmal freudig aus meinem Herzen dringt. Dieſe Art zu ſein muß einen eben ſo natürlichen Zuſtand des Gemüths in Andern hervorbringen, wenn ſie rein geſtimmt ſind; na - türlich, ohne befangenes Urtheil, ohne eine Forderung, die, geſichtet, auf nichts gegründet wäre, als auf den Wunſch, es möchte ſo ſein, wie es einmal nicht iſt! Gewöhnlich dann auch ſind ſolche Forderungen verdrießlich ausgedrückt, welcher Verdruß von dem heimlichen Bewußtſein ihres Ungrundes her - rührt, und den Gemißhandelten auch ſehr aufbringt, weil er oft ſchweigen muß, um nicht ganz zu verletzen. Doch iſt dies thöricht und unrecht: und ich will’s noch mehr aus mir ausrotten.

Wie Sie aber nicht mehr durch meinen Umgang verän - dert ſind, bewundre ich in der That,〈…〉〈…〉 t Ihnen! Und das iſt es auch, was mich oft aufbrachte, wenn es oft und oft den Schein haben mußte, daß ganz etwas andres meinenZorn481Zorn erregte. Nicht, daß Sie nicht unendlich ſeit unſerer Be - kanntſchaft gewonnen hätten! Der ganze Horizont Ihrer Begriffe iſt erleuchtet, ein ganzer Wuſt von alten Meinun - gen, Urtheilen und Wünſchen bei Seite geſchafft; ganze Felder ſind mit neuer Saat verſorgt; Ihr Geiſt iſt beweglicher und ſelbſtthätiger geworden. Eine neue Welt haben Sie in’s Auge bekommen; eine lächerliche, in betrüglichem Schein ſchwebende, bei Seite rollen laſſen. Aber im Zuſammenhange Ihres Weſens haben Sie nicht gewonnen. Und wie iſt es möglich, daß man eine Gemüthsehrlichkeit in jemanden bewundert, ohne auf der Stelle eben ſo zu werden? Ohne ſo zu ſein! Kraft der Ausübung kann man bewundern, ohne ſie zu beſitzen, Fähigkeit des Geiſtes, Stärke des Kopfes, Reichthum des Herzens, ſeine Empfindlichkeit, ſein Vermögen! Gut. Aber wie kann man ein ſtrenges Bemühn, in alles dies Zuſammenhang zu bringen, einen ehrlichen Umgang im Innern der Seele, im Gebiete des Gewiſſens, lieben und prei - ſen, ohne immer und ewig daſſelbe, was man bewundert, zu üben! Der Menſch kann nicht recht auseinanderſetzen, was das iſt, der Wille. Aber ein jeder ſieht, das Aug in ſich gekehrt, vernimmt, nach ſeinem Innern horchend, daß es ein letztes Wollen in ihm giebt, unterſchieden von dem vielen zerſpaltenen, ein Wollen, welches mit den beſten Überzeugun - gen zuſammenſtimmt, und der reinſte, alſo der, uns be - kannte, beſte Willen iſt. Dieſer, im Zuſammenhange mit je - dem unſrer Beſtreben und all unſern Äußerungen, macht wahrhaft liebenswürdig, und iſt allein liebenswürdig. Wenn Sie, meine Freundin, alſo mich lieben, ſo muß dieſer PunktI. 31482Sie anziehen, dieſe Sonne Sie erwärmen und Ihr Auge lei - ten. Ich habe den vorzüglichen Geiſt nicht, den man mir ſo verſchwenderiſch zugeſteht, oder vielmehr tauſend und tauſend Menſchen haben ihn auch. Verſtand haben gar die meiſten Leute und hundert Bekannte mehr als ich. Kenntniſſe und Talente habe ich gar nicht. Und doch eine ſichere Meinung, ein treffendes und eigenthümliches Urtheil auch über dieſe Dinge. Durch Kraft der Ehrlichkeit: durch den großen durch - gehenden Zuſammenhang aller meiner Fähigkeiten, durch den ewig unzerſtörbaren Zuſammenhang und das unauflösliche Zuſammenwirken meines Gemüths und meines Geiſtes, durch die ewig redliche Wachſamkeit darauf, durch die unerſchrockene Kühnheit gegen arge Reſultate meines Urtheils und meines Betragens, ſobald ich beide für richtig erkenne. Dies iſt meine ganze Grazie, nur die ſchafft Liebe. Wer mich um etwas an - dres liebt, der betrügt mich, oder ſich, der lügt, oder iſt albern. Darum freut mich nicht allein ſo ſelten Äußerung von Liebe, ſondern empört ſie mich ſogar. Aber wie verloren rinnt mein ganzes Herz in ein anderes über, wenn ich dieſes wirklich durch das meine gerührt, berührt glauben kann.

Nehmen Sie um alles, was man in der Welt Freund - ſchaft nennen kann, ja dieſen Brief gut! Es iſt der beſte, den ich Ihnen noch je geſchrieben habe. Ich will es Ihnen erklären. Ich dachte bis heute, bis geſtern eigentlich bis Ihr Brief kam ich könne Ihnen nie ganz die Wahrheit ſagen, ſie ſei zu hart, dachte ich, ſie beziehe ſich zu unmittel - bar auf Ihr Inneres, auf den lebendigſten Mittelpunkt deſ - ſelben, es giebt eigentlich keine andere Wahrheit ich483 würde verwunden, und nicht ändern. Ihr Brief aber war ſo naiv, daß er mir Hoffnung machte, Eingang bei Ihnen zu finden: und, mir ſelbſt unverhofft, iſt gleich dieſer da! Ich habe Ihnen noch nie ſo über Sie geſprochen: aber wenn Sie jede Zeile durchgehn, die ich Ihnen je ſchrieb, ſo wird dieſer Brief immer als Text zum Grunde liegen. Ihn trug ich immer in der Seele; nur ſchmeichelte ich zuweilen, wo ich nicht verletzen wollte, und oft kam ich der Wunde doch hart und nah an! Dies iſt mein Unrecht; und Ihnen nicht be - kannt, in ſeiner Erſcheinung oft ſo gefällig, und dann wieder ſo unleidlich! Es ſoll wo möglich alles anders werden: näm - lich beſſer, wahrer, unter uns.

An Frau von F., in Dresden.

Ich fürchte, Liebe, mein Brief, den ich den letzten Sonn - abend abſchickte, wird wieder Ihren Zorn erregen, und darum ſchreib ich dieſen, obgleich ich nicht weiß, wie ich ihn abfaſſen ſoll. Ich ſagte ſchon dein Prinzen Louis: Was ſoll ich Ih - nen ſagen, oder vielmehr ich habe Ihnen gar nichts zu ſagen, wenn ich Ihnen nicht die Wahrheit ſagen ſoll! Und ſo wahr ich lebe! es geht mir mit Ihnen auch ſo. Sie ſcheinen mir übel genommen zu haben, daß ich von verwirren ſprach. Sie thun das jedesmal, wenn ich dazu ſtimme, worüber Sie ſich Jahre lang bitter anklagen. Ich will es nicht mehr thun: überhaupt alles beitragen, daß Ihnen Berlin nicht ein ſolcher Gräuel ſei. Auch ich habe nichts was mich freut, worauf ich31 *484hoffe ꝛc. und war noch dazu den Sommer hier, ohne Nah - rung für meine Einbildung zu holen: ich hätte Ihnen Wien nicht verdacht. Neue Städte, neue Orte, ſind für nicht Glück - liche wie das Stellwechſeln für Kranke in ihrem Bette: immer doch für’s erſte beſſer; il y a longtems que je professe ce malheur. Man gewöhnt ſich nur mit einer ſchielen Seele an Unnatürliches; graden Gemüthern bleibt eine verrenkte Lage ewig verhaßt: und ſo ſoll’s mir auch bleiben. Vor ſchreien muß man ſich das bis an’s Grab, ſo iſt man doch bis da - hin würdig eines beſſern Schickſals gekommen. Wie lange ſage ich Ihnen ſchon, daß ein arges Ereigniß, ein Ärger u. dgl. nur die erſte Stunde auch mich wirkt: nun wird’s mit Ihnen auch ſo. Ja, ja! man erfährt alle Tage mehr! Aber nicht in dem hausbackenen Sinn, wie es die dummen Leute mit Gedankenloſigkeit und Anmaßung ſagen; was man ſo, durch ruppige Menſchenkenntniß und durch Verſtandesein - ſicht, über Fortuna, ihre Gunſt, ihre Wahl, die paar Bemer - kungen über Völkerregierung, über die Bildung der Staaten, über den ewigen Krieg aller Mißverſtändniſſe und Verkehrt - heiten unter einander, aus Erfahrung haben kann, das ſind Kinderſpielwerke für einen ſchnellen Kopf. Aber die Horizonte, die ſich in uns ſelbſt einer nach dem andern erhellen, die Ab - gründe, die man mit Strenge da gewahr wird, vor denen man umſonſt zurückſcheut, wo man durch muß; die Gefilde auch, die Vegetationen, die Reiche, die da erblühen; das ſind die Erfahrungen, die man macht, und wovon geſchwiegen wird! Sie werden mal ſehen, was Sie noch alles in ſich er - leben: geben Sie nur Acht; das iſt die Kunſt! Alle Men -485 ſchen werden Sie nach und nach verſtehen, und am Ende ſich ſelbſt. Hier ſpringt mir eine Frage vor’s Geſicht, die gar nicht hieher zu paſſen ſcheint: was lieben Sie denn an mir? So heißt die Frage. Bald ſind Sie böſe auf mich, bald ſeh - nen Sie ſich nach mir. Noch nie habe ich dieſen Widerſpruch bewirkt. Am häufigſten bin ich nicht beachtet worden; viel mißachtet; lange, lange nicht geliebt; gehaßt oft; geliebt übernatürlich ſelten, von Geliebten äußerſt kurz, von ein paar Freunden nur; von Freundinnen ſehr ernſt und ſehr lange. Aber auf ſolche doppelte Weiſe, wie bei Ihnen, lebt ich noch in keiner Bruſt. Eine Zeile Ärger, eine Zeile Sehnſucht, eine Stolz, eine Demuth; bin ich an dieſem Wechſel ſchuld? Überlegen Sie’s: ich gebe mich ganz Ihrem Ausſpruch. Ich erinnere mich nicht, in Bezug unſeres Umgangs, des ferneren, geſchrieben zu haben, daß ich meinen Gefühlen Gewalt an - thue, und nicht handle wie die mir diktiren. Sie ſagen ich habe Unrecht es zu thun, es iſt ein Zwang bei dem nichts herauskommt ; und geniren Sie ſich nicht, würden Sie ſa - gen, wenn Sie nicht wüßten, daß ich keine Rückſicht auf Sie nehme. Das nennt man den Stuhl vor die Thüre ſetzen. Aber in demſelben Brief laden Sie mich ſo oft wieder hinein, daß ich mich drinnen glaube. Heraus kommt auch etwas, und wären’s nur meine letzten beiden Briefe; dieſen nicht mit - gerechnet. Ich bilde mir auf mein Weſen nichts Beſonderes ein; aber wahr und einfach, weiß ich, daß ich bin, und dies kann ich nicht mit Wiſſen läugnen laſſen. Ich ſage ſtolz von mir wie ich denke: und thue ich beſcheiden, ſo habe ich die Leute nur zum Narren: d. h. ich ſpreche nach ihren ſchwachen486 Ohren, denn Beſcheidenheit kann wohl Urſache ſein, keine Anſprüche zu machen aber die allergrößten zu haben kann ſie nicht verhindern. Den Abſcheu vor dem Zuhauſekommen fühle ich deutlich mit Ihnen, der iſt Ihnen auch nicht abzunehmen: das iſt eigentlich der Gräuel vor Berlin. In Berlin giebt er ſich. Sie werden wieder arbeiten, der Winter Ihnen verbie - ten das Freie zu ſuchen, Sie werden Ihr chez soi lieben, die fremden Geſtalten vergeſſen, und an dem Buſen Ihrer Freunde ſanft ruhen, und das Irrleben abſchwören. Im Ernſt! ma - chen Sie ſich noch recht viel Vergnügen! Und kommen Sie verſöhnt zu deinem dich ewigliebenden Bruder ſchreibt Mo - ritz immer!

Seit drei Tagen iſt hier Mordkälte, nehmen Sie ſich vor kalt Fieber in Acht; in Dresden wird es ſchrecklich kurirt!

An Varnhagen, in Steinfurt.

Auch iſt für mich alles Schickſal, Entwickelung, Geſchichte. Ich ſchiebe nichts auf Menſchen. Ein höheres Gebiet regiert dies. Dies iſt meine ganze Religion; darin leb ich. Ich habe viel Unglück erlebt: dazu hatte ich Ta - lent: der größte Virtuos bin ich darin. Heraus bin ich aus der Sphäre; mein Loos iſt raus aus dem Lotto; am Körper kann ich nur noch torturirt werden: mit der Natur hab ich noch zu ſchaffen. Sehen wir uns, ſo findeſt du mich doch lebendig wieder: nicht allein nicht begraben, ſondern, zum Weiterleben, mit Geiſt, und Verſtand, und aller redlichen, le -487 bendigen Theilnahme fertig. Was ſollt ich wohl noch ſagen! Weißt du was? Die Univerſität, wenn ſie auch, als blo - ßer Anfang zu einer, verſcheiden muß, iſt ſchön; und wahrlich einem jeden hier nach ſeinen Kräften lieb. Sie iſt ein Pro - dukt des Geiſtes. Mitten in der Beſiegung, der Armuth, ja der Furcht, der Störung, erdacht, entworfen, angefangen! Ein Grünen der Erde durch ihr eigenes Feuer, möge Phöbus gnädig leuchten, und keine Pfeile den Kühnen ſchicken! Neu - mann iſt ſeit dem September noch mit dem Grafen auf den Gütern. Mit Fouqué bin ich durch meine Krankheit außer Briefwechſel. Doch leſe ich viel von ihm; er und die Baro - nin ſchreiben Robert. Ich bin in Briefwechſel mit Gentz; mein einzig Vergnügen. Marwitz ſoll in Friedersdorf ſein. Berlin iſt nicht ſchöner geworden, aber alles übrige häßlicher: alſo im Winter weiß man nicht wo man ſich hinwünſchen ſoll! Fürſt de Ligne ſchreibt mir auch jetzt. Ich habe ihm ſechs Seiten franzöſiſch geſchrieben vorige Woche, mit dem härteſten Gewiſſen. Meine Franzoſen verſtehen mein Deutſch. Der Philolog Wolf, der in Wien war, lobt Friedrich Schle - gels Liebenswürdigkeit. Wolf ſchreibt göttlich wie kein ande - rer Deutſcher. Aber ich denke vor vierzehn Tagen, als ich ihn eben las, und ganz anbetete, der Schlag rührt mich, ihn ſächſiſch ſingen zu hören; wie kann man in ſolchem Geſange ſolche Perioden ausgraben? Ja! er gräbt ſie manchmal los! Als ich Schleiermachern Wolfs Zuſchrift an Goethe ſo ſehr lobte, meinte der, ſie ſei auf den Effekt geſchrieben. Nun da hat er gut gerechnet; auf mich hat ſie den größten gemacht, ſagt ich pathetiſch ernſt; Schleiermacher lachte mir in’s Ge -488 ſicht; ich mußte gleich mitlachen. Brentano hat ein wun - derſchönes Gedicht auf die Einweihung der Univerſität ge - macht.

Unſchuld iſt ſchön; Tugend iſt ein Pflaſter, eine Narbe, eine Operation.

An David Veit, in Hamburg.

Ich danke Ihnen recht ſehr, lieber Veit! Weil Sie mir gratuliren. Was hilft es aber, mein Freund, mit frem - den Augen in die Glückſeligkeit ſchauen! wie der engliſche Dichter es ausdrückt , die Stimmung in dieſen Zeilen wird der Revers von der ſein müſſen, die mein Bruder hier hinge - ſetzt hat; und ſo wird doch ein Ganzes ſich zuſammenfinden, wenn auch kein Gleichſtimmiges. (Ich kann jetzt gar nicht mehr ſchreiben, weil, ſo wie ich nur die Feder in der Hand habe, mir die tiefſten Meinungen des Geiſtes und Herzens entfahren, und gar nichts anderes mir zu Gebote ſteht. Dieſe aber ſind meiſt kritiſch, oder lyriſch; und beides ſchickt ſich, fühl ich wohl, nicht für mich; die ich Weib, alt, und Mäd - chen bin, und ſein ſoll. Aus dieſen Geſichtspunkten bitte ich ſie, die Erklärungen déclarations , woraus dieſer Brief nun beſtehen wird, anzuſehen.) Wiſſen Sie alſo, daß ich nichts von dem, was ich gethan, und ganz beſonders von dem, was ich unterlaſſen habe, bereue; daß ich ſtreng eben ſo denke, wie ich von je gedacht habe; und wenn ein Unterſchied Statt489 hat, es nur eine Modifikation iſt, eine Entwickelung und Begründung meiner eigenen Natur; das iſt, umfaſſendere, deutlichere, ineinandergreifendere Gründe für meine Meinun - gen, und ein Schärfen aller meiner Zu - und Abneigungen. Ich bin ungelehrt wie immer; verſtehe aber, was kluge Män - ner ſagen; und Geſchichte der Dinge, womit Denker aller Art und wiſſenſchaftliche Leute ſich beſchäftigen, iſt für mich auch Geſchichte, intereſſant, und auch der Gegenſtand meiner innern Beſchäftigung. Und das von Natur, und trotz nicht durch Umgebung: alſo fruchtbar für meine Seele; und glücklich. Nun werde ich Ihnen in zwei Worten deutlich ſagen können, wie es mir äußerlich geht. Es mögen nun wohl zehn Jahre ſein, daß ich Ihnen ſagte: Sein Sie überzeugt, daß in mei - nem Schickſal ſich nichts geändert hat, ſo lange ich noch auf der Dachſtube lebe, und Line habe. Von der Dachſtube kam ich durch ungünſtige Umſtände, vor anderthalb Jahren. Line habe ich noch. Und wenn ich dem Glücke nicht danken kann, ſo halt ich mich für überzeugt, liegt der Punkt des Zaubers darin, daß ich nicht beide behielt, bis ich ſie zugleich los wer - den konnte. Ich bin tiefgründlich abergläubiſch; und ſage Ihnen alſo das hier im größten Ernſt. Vernunftwidrig, und mit Gewalt, konnt ich in dieſer Sache nichts thun; das er - laubt und glückt nur einem andern Weſen; abſolut, nicht meinem; alſo auch eine muthige Wahl würde mir nur Un - heil gebracht haben; ſtellen Sie alſo keine Frage hierüber an. Ich habe große Krankheiten ausgeſtanden. Alle meine Kräfte und Funktionen verwirrten ſich. Jetzt neigen ſich in unzäh - ligen Wellenſchlägen dieſe Übel zur ſtillen Fläche der Geſund -490 heit: und, es iſt kein Scherz, mein Körper die Körperſeele fragt gewiſſermaßen Geiſt und Herz, ob er wohl weiter leben ſoll? Ich ſehe das ganze Jahr meinen Arzt nicht. Vorigen Sommer kurirte er mich ſchlecht, und trotz ihm wurde ich beſſer; ich ſollte weiter leben: der Vorrath von Le - ben war da! Nun wiſſen Sie das über mich, was in geſchrie - bene Worte zu faſſen iſt. Antworten Sie mir ſo, daß ich das von Ihnen erfahre! Und glauben Sie, daß Sie ſelbſt mich nicht gegen Sie verändern können.

Rahel.

Das Papier war fettig! Gräßlich. Ich kenne vorzüg - liche Menſchen. Sie ſind mir auch gut: und lieben mich zu ſehen, wie einen Fels, wie Wolkengebilde, und ſturmbewegte Wellen u. dgl. Keiner herbergt den Menſchen in mir; wo ſie doch alle untertreten! Dies iſt die Wahrheit.

An Varnhagen, in Prag.

Ich habe keine Laune ich habe auch Kopfſchmer - zen dir einen Spazirgang mit Harſcher und Marwitz im Thiergarten und beim Hofjäger zu beſchreiben, wo ein unend - licher Regen uns überfiel, und wo es göttlich war, und wurde. Wiſſe ſoviel, daß alle Liebe, keine Liebe mehr, mich hält oder beſeligt, oder nur einen Augenblick mich hoffen läßt, ruhen läßt, ohne den Gedanken des Zuſammenbleibens. Ich bin kein Vagabund, und nichts kann ſich in mir, aus mir heraus entwickeln, als die Urwünſche des edeln, unbeſtechlichen, nicht zu verwüſtenden Herzens. Ich hoffe nichts. Und weiß nun,491 daß ich nie nichts hoffte von dem, was ich kannte: das Ächte, für mich von Gott Gemachte, hätte mich ergriffen, gefaßt mit ſeinen Händen, wie ich es gefaßt hätte. Auch dir, mein Freund, würd ich jetzt keine Vorſchläge des Zuſammenſeins und Bleibens machen, wenn etwas Beſſeres für dich da wäre, oder du es glaubteſt. So aber biſt du der meiner Freunde, der es weiß und ſagt, daß nichts für ihn da iſt. Und ſo ruf ich dich noch Einmal. Was ſollte auch da ſein? Vater - land; große Handlungen; in der, für die Idee leben; Reli - gion haben: ſind Schalen. Schalen, bei den Menſchen, die das nächſte von Gott Gegebene nicht zu faſſen wiſſen mit ihren Sinnen, zu halten, mit einem gottgekräftigten Herzen. Ich erliege vor Kopfweh, von der geſtrigen Feuchtigkeit. Ich kenne auserwählte Menſchen, die eine Welt bilden könn - ten, mit dem Vermögen, mit den Kräften und Kenntniſſen, die ſie haben; aber ſie genügen ſich nicht, wie ſie mir genü - gen würden. Blieben ſie bei einander, in einer ſchönen Ge - gend, beſorgten ihre Lebensbedürfniſſe, ihre Geſchäfte, jeder für ſich, und für die Andern gelegentlich, ſtudirten weiter, fänden Eheweiber, lebten feſt und freudig und ſicher, und ohne wei - teren hohlen Plan, als dies zu wollen; auch Aufſehen zu machen würd ihnen nicht entgehen, und ſie bildeten ſchon von ſelbſt einen lebendigen, einen weiterwirkenden Kreis um ſich her. Was iſt alle Geſellſchaft, aller Staat, und alle jemali - gen Einrichtungen eines ſolchen, anders, als Mittel, Zweck und Folge eines ſolchen Lebens? Aber Ruhm wollen ſie; zeh - ren, ohne beizutragen: und nichts kriegen ſie. Beſſere noch, denken ſie, werden ſie finden, und nichts finden ſie. Mit492 Herr Jeſus liiren ſie ſich lieber, um es nur nicht mit ihren wahren Freunden und Brüdern zu ſein, denen ſie leiſten ſol - len, die ſie ertragen ſollen, denen ſie opfern ſollen, um zu erleben, daß der Freunde Leben aufgeht, wie ein glücklich Ge - wächs! H. ſprach ich geſtern in dem Sinn, und machte ihn ſehr unglücklich. Aber noch lange ſagt ich nicht alles; ich verſchwieg die Details. Marwitz hab ich dies noch nie ge - ſagt; weil ich ihn zu ſehr liebe; und es zu perſönlich würde. Auch kann es mal hervorbrechen; und von weitem, ſind wir getrennt, gewiß.

An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.

Sie ſind nun im dickſten Frühling; das denk ich mir. Hundertfältiges Grün, geputzte Blüthen, alles empfängt Sie, und weht Ihnen Juni-Gedanken an, das thut der Mai; leichtere Schatten präſentiren ſich ſchon. Ob ich es Ihnen gönne! und ſollte ich unterdeß eingeſperrt ſein. Und doch iſt es mir, als raubte man Ihnen von dem Genuß, weil ich nicht zuſehe, wie Sie genießen; kein Wort höre. Geſtern war ein verdutzendes Wetter, und den ganzen Tag beleidigte es mich, daß es Ihr Reiſewetter ſein mußte. Wie ganz anders wäre Ihnen das Entkommen aus der Stadt bei einem lieblichen Wetter, wie heute, vorgekommen. Ich rechnete mich zu Tode, den ganzen Tag, wie das iſt. Als ich nach 11 Uhr von Ma - dame F. ging, konnt ich durchaus keine Gewißheit in mir493 bekommen, ob Sie ſchon zu Hauſe ſind: weil man immer ſpä - ter abreiſt, als man ausſetzt. Wie ich aber zu Hauſe war, und es halb 12 wurde, war mir mit einemmale, als wären Sie nun bei ſich. Es regnete um dieſe Zeit nicht, der Mond leuchtete, obgleich ſeine Scheibe nicht zu ſehen war; und die ganze Straße, der ganze Markt, die Stadt, roch nach Bäu - men, wie ein Wald; kurz, der Geruch, nach dem Sie immer im Thiergarten frugen. Hr. von Quaſt führte mich er war mit mir aus der Komödie gegangen, wo er mich beſucht hatte, und ich ſchleppte ihn mit zur Mad. F. Robert ging neben her; Quaſt fing zuerſt an; welch göttlich Wetter, nichts iſt ſchöner, als ſolcher Abend es ſchlug eine Nachtigall ſolcher ſtiller, wenn dann eine ſingt! überhaupt war der geſtern ſehr mild, ſanft, zart, ſittig; die vornehme Geſellſchaft thut ihm gut, auch, glaub ich, liebt er wieder. Ich lobte den Baumgeruch; und ſo kamen wir an. Ich blieb mit Ro - bert allein, und machte bald ein Ende. Nun kommt der Steckbrief von Wolff; in dem dieſer ſtecken ſollte, welches nun umgekehrt iſt, und da Sie ſchuld ſind, Sie es auch entſchul - digen müſſen! Sehen Sie, wie Jean Paul’ſch man wird, wenn man nicht ſchreiben kann, und nur etwas Witz ſtellt ſich ein? Mein tiefſter Ernſt. Ich kam natürlich, wie wenn man allein geht, und niemand auf einen wartet, zu ſpät nach Möllendorfs Loge. Und im Korridor hört ich ſchon eine mir unbekannte Stimme ſehr theatraliſiren; das Aufeinanderfolgen der Scenen war mir nicht gegenwärtig, und ſtutzend dacht ich, wenn er das nur nicht iſt. Ich trete ein, und Maria iſt auf der Bühne, mit Mortimer vor ſich. Ich erkenne Wolff,494 und ſehe zu allererſt, eine verdrehte Bewegung des Unter - arms und der Hand. (Aus der er auch nie herauskommt.) Auch mit den Füßen und Beinen weiß er ſich bei weitem nicht ſo gut zu behelfen, als unſere Akteurs. Worüber ich aber ganz ernſthaft, und faſt traurig in der Seele ward, iſt, daß ich mir durch ihn vorſtellen muß, das weimariſche Theater iſt nicht beſſer, als unſers; oder vielmehr, wenn es auch in man - chen Stücken beſſer iſt, ſo hat es doch unſere Fehler; dieſe Fehler aber ſind mir die allergräßlichſten, und erſt ſeit den guten Stücken mit den demonſtrirenden Verſen bei den mit - telmäßigen ſteifen Gemüthern der gewöhnlichſten Subjekte beim Theater Mode geworden. Dieſer große, alle Wahrhaftigkeit und Schönheit des Spiels aufhebende Fehler beſteht darin, daß die Mimen den Zuſtand der Perſonnage, die ſie darſtel - len, nicht aufgefaßt haben, ſich nicht angeeignet haben, ſich ihn nicht anzueignen vermögen. Sie wiſſen nicht, und füh - len’s nicht, wie die Großen unter ihnen, daß Worte, Phraſen, nur Behelfe ſind, um Gemüthszuſtände von ſich zu geben; nichts, als ein Bild dieſer Zuſtände; und Bilder ſelbſt nur karakteriſtiſchere Zeichen des Beſtrebens nach Ausdruck. Pomp - haft, und unverſtändig, trennen ſie dem Dichter jetzt ein Wort vom andern, führen dies, ſo zu ſagen einzeln, ſeinem gröbſten Verſtändniſſe nach, auf, und wollen dem Autor nachhelfen. Dann und wann denken ſie ſich aus, wie man etwas machen müſſe. Und das ganze Studium dieſer Kunſt beſteht doch nur darin, auf’s pünktlichſte zu wiſſen, was man nicht machen darf. Durchdrungen muß der Schauſpieler vom ganzen Stück ſein, jede Rolle, jede Zuſammenſtellung wiſſen, und kennen;495 muß vom Himmel die Gabe haben, Zuſtände zu faſſen, und auszudrücken, das letztere iſt eine rohere, äußerlichere und all - gemeinere; wenn er dann nicht thut, was er nicht darf, und dieſe prohibirenden Geſetze aus allen Gegenden des Rechen - ſchaft gebenden Geiſtes zuſammen hat, und ſich freies Spiel läßt, ſo werden wir Gutes haben. Unſere jetzigen Akteurs aber, wiſſen von keinem Stück, keinem Dichter, keiner Stim - mung, keinem menſchlichen Zuſtand; und ennuyiren mich bis zur Nervenkriſpation. Auch Hr. Wolff nahm jedes Wort, wie unſere Stich’s, einzeln; und bekam nie die Rolle zuſam - men. Seine Stimme iſt nicht ſchlecht, noch unangenehm, (das R ſpricht er ſcharf, alſo tragiſch), aber ſie iſt ſich nicht gleich, und drückt nie jemand aus, der aus einem Punkt der Seele heraus lebt; ſondern nur einen Menſchen, der bald von einer, bald von einer andern großen Idee, oder von ſolchen Men - ſchen, erfaßt ſein kann: folglich kann er nichts Bewunderns - werthes, nichts Verehrungswerthes einen ſolchen Menſchen nämlich darſtellen: gewiß mancherlei romantiſch Anziehen - des, Bemitleidwerthes; wenn er nach Karakteren, und nicht nach Worten ſpielen wird. Ich habe eine Ahndung, daß er Lieder, u. dgl., in tollen Reimen und Verſen, gut ſagen kann. Wie das Parzenlied; welche von Schiller: und ſehr vieles von Shakeſpear. Wo er vague bleiben kann, und anklingen an ganz phantaſtiſche allgemeine Zuſtände der außermenſchli - chen Dinge, und auch ſolchen phantaſtiſchen Gemüthszuſtänden, kann er wohl ſehr gut ſein; das glaub ich, durch ſeine Au - gen, die man im dritten Range ſieht, durch ein adliches Ge - müthsweſen, welches ihn ſogar während des ſchlechten Spiels496 bemeiſtert; und weil er, ſo wie es nur reimte, ungewöhnlicher, phantaſtiſcher, in weitern Kreiſen, und allgemeiner wurde, gleich gut wurde, und einem Schönes in den Sinn brachte. So viel! weil er von Weimar kommt. Wo der künſtleriſchte Deutſche lebt; von dem ich hoffte, daß er ganz Kunſtwidriges, in ſeiner Nähe nicht aufkommen läßt; ja, tödtet, mit Macht und Wache. Bei ſeinem Entſchluſſe. Es muß doch nicht gehen; und das iſt es, was mich ſo ernſt über unſere deutſche Kunſt machte, und dieſen langen Brief veranlaßt. Sind Sie darü - ber mit mir einverſtanden? Und vergeben ihn mir? Ich meine, ſehen Sie ein, wie er entſtanden iſt? Ihnen mußt ich ihn doch ſchicken! Sie werden noch mehr, noch viele Plage mit mir haben.

Mlle. Beck ſpielte die Eliſabeth göttlich. Sie unterſchrieb ſtumm, allein, wie Eliſabeth ſelbſt! Die Bethmann hatte ſehr ſchöne Momente. Spielte aber zu Anfang heftiger als ſonſt.

An Alexander von der Marwitz, in Friedersderf.

Ich bin ſehr zerſtört, weil mich geſtern etwas atrore be - leidigte und kränkte; höchſt umbringend, aſſommirend für mich, weil ich deutlich ſah, wie ich bei meinen Nächſten ſtehe, und was ſie von mir denken und ſagen. Traurig, weil ich dieſem Sein ausgeſetzt bleiben muß, ohne Rettung: und man gegen mich noch die Moraliſchen ſpielen kann, eben weil ich geſtellt bin, daß ſich niemand meiner annimmt, als ichſelbſt.497ſelbſt. Deutlich fiel es mir heute Morgen ein, daß ſie mich eigentlich ſo anſehen, wie der Köhlerjunge das Mädchen von Orleans. Und ich auf eine gemeinere Art untergehe. Ich ſchreibe Ihnen dieſe ekelhaft traurige Geſchichte, weil ſie mir vor der Seele ſteht, und weil ich die Art von Stimmung ver - loren habe, die dazu gehört, Ihnen Mad. Wolff zu beſchrei - ben, die ich nach meiner Kataſtrophe die Jungfrau ſpielen ſah; und es doch thun will. Ich nach vielen herben Thränen gegen 5, mußte mich niederlegen, und ging nach 6 Uhr in Möllendorfs Loge, wo ich glücklicherweiſe allein war. Die Details künftig. Möllendorf, der zuletzt kam , ſagte: Ich ſehe nun, daß Weimar wenig Feuerſtellen hat. Sie nüancirte aber die ganze Rolle mehr, als ich es je ſah. Sie betete beſſer, als man glauben konnte; mit etwas ſtärkerer Stimme, als zu erwarten war. Starb ziemlich gut. Sie wurde herausgerufen: und das aus wahrer Ehrfurcht vor Goethe. Das freut mich ſehr! Die Applaudeurs ſag - ten deutlich: Goethe ſei ihr Orakel. Sie ſagte: Wenn Ihnen mein ſchwaches Talent nur den geringſten Theil der Freude gemacht hat, die ich jetzt empfinde, ſo bin ich ſehr glücklich. Heute ſeh ich ſie zum Thee bei Frau von Grott - huß, er, Hr. Wolff, wird dort, weil es Goethe ſagte, den Prometheus ein etwas abſtruſes Werkchen von mir vorleſen. Davon ſchick ich Ihnen Freitag die Rezenſion, mit A. Müllers Buch, und Xenien von Robert! Sie ſchreiben mir! in meiner Wüſte. Ihr Daſein, Ihr Andenken, ſtellt mir viel vor. Ich ſag Ihnen nicht alles, was. Adieu. R. L.

I. 32498

An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.

Heute, jetzt, mein theurer Freund, grüße ich Sie nur. Ob - gleich ich Ihnen viel zu ſchreiben habe, und hätte, und ſeit den ganzen zwei Tagen in Gedanken geſchrieben habe. Alles richt ich an Sie. Geſtern Morgen war Nanny lange bei mir, nachher Mad. Schleiermacher. Nachmittags Harſcher, mit dem ich in Bellevue war. Er blieb auch den Abend bei mir. Erweichte ſich nach ſeiner Art. Die Art beſteht aber doch darin, nichts zu fühlen was vor ihm iſt: mich auch nicht. Doch ſagte er, ich thäte ihm wohl. Jetzt leb ich faſt nicht vor Erſchöpfung und Nervenirritation. Sehen Sie meine Handſchrift! Alle Tage werde ich ſchwächer; jedoch komme ich oft in göttliche Zuſtände. Ich werde es verſuchen, ſie deut - lich zu machen. Sehr komiſch mußt ich’s finden, als mir Har - ſcher ſagte, ſie kennen Wolffs. Und nun ich mit meinem gro - ßen Brief! Er thut mir nicht leid. Ich beſuchte Mad. Wolff heute Morgen und Frau von Grotthuß: habe eine Menge Sachen beſorgt, und Mad. Bethmann bei mir geſehen. Nun muß ich eſſen und ruhen, und Wolff in einem Luſtſpiele ſehen. Künftig den Bericht von dieſem Spiel und dem Grotthuß’ſchen Abend. Der Mann gefällt mir, und Morgen, wo ich mit ihnen bei Mad. Bethmann bin, will ich ihm ſehr die Kour machen. Auch die Frau habe ich ſchon ſehr getröſtet, die von Berlin dekontenancirt iſt. Mir wird wieder wohl, ſeit Sie hier ſind! ſagte ſie mir dieſen Morgen, und wollte mich nicht weglaſſen. Ich bin wieder wie die Jungfrau! Ich,499 die all dies Herrliche vollbracht , wie iſt mir? Sehr wun - derbar, Marwitz. Mühſam, geplagt: nicht aber ſchlecht. Und wie ſchätze ich, wie empfind ich, was ich habe, und was ich lieben kann. Sie ſchreiben mir. Adieu. Gott wie iſt das Grün, wie zauberartig, verzaubert oft die Stadt. Wären Sie nur bis heute hiergeblieben, das mit Ihnen zu ſehen! Von Schleiermachers und allem künftig! Sie wollen mir Bettine bitten. Denken Sie!

An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.

Mehr und Beſſeres kann Ihnen mein beunruhigtes, zerrüttetes Gemüth nicht geben. Dieſen Schreck muß ich von Marwitz haben, das von meinem geliebteſten Freund er - leben! Wie oft könnte ein in Wunden zerriſſenes Herz heilen, geneſen, zum Leben berührt werden, in ſeiner Noth; von einem einzigen Blicke, von einem Worte, von einer Bewegung, einer Inflexion der Stimme, des geliebten Menſchen, auf den der Ringende harrt; nicht aus Schwäche, aus Menſchenelend harrt, und harren muß. Vergebens! Nicht Blick, nicht Wort, nicht Ton kommt zu uns: wir verſchmachten, vergehen, leben nicht; und Welt, und wir ſelbſt manchmal, wähnen uns ge - tröſtet. Die Menſchen verſtehen einander nicht, ſagt Wer - ther. Sogar die Jammertöne werden nicht erkannt, die aus eines jeden Bruſt geſchlagen werden; vom Andern nicht! dies iſt wahr und ſchrecklich! Das andere Schreckniß beſteht darin,32 *500daß wir auch nicht heilen, nicht helfen können, wenn der von uns Geliebte leidet! Wir verſtehen ihn ganz, ſein Leid reißt in unſerer Bruſt; und einſam iſt er, einſam ſind wir. Dieſe Klauſe, worin jede Menſchenſeele haftet, und wo Liebe dann und wann Leben und Leben vermählt, wie Licht, vom Him - mel geſchenkt nur, hinüber trägt, dies iſt der Graul, wo - vor der Menſch erſtarrt (des Denkers Geſchäft in Gebet über - gehen muß), und ich verzweifle. Mit mir iſt es aus. Sie erſcheinen mir, den ich lieben kann. Jung und gut dotirt, wie ich es nur wünſchen mag, ſtehen Sie vor mir; ich lerne Sie auch genau kennen: Sie erkennen mich, ich bin Ihre Freundin; das Meiſte und Beſte der Welt, des Lebens, ſehen wir mit gleichen Augen, mit gleichem Geiſte an; fühlen, ſind überzeugt, jeder vom Andern, daß er ein lebendiges, unſchad - haftes Herz im Buſen trägt; beſitzen und lieben unſere fünf Sinne. Ich tröſte mich wie man ſich an einem Kinde etwa tröſten kann eine ähnliche Natur in ihren beſten Ver - mögen, in ihren geheimſten, feinſten Nuancen zu kennen, auf der Erde zu wiſſen, der es glücklicher gehen ſoll, als mir; kurz, die Worte ſind alle dumm, und drücken plumpe Ge - danken und Abſichten und Verhältniſſe und regrets aus! ich kenne, durchſchaue und empfinde Sie ſo, daß mein Glück und Ihr Glück Einen Strom geht! Sie wiſſen, ich halte nur auf Beieinanderleben; aber Sie ſind der Erſte, den ich nie wieder ſehen, wieder hören will, wenn es Ihnen nur gut geht, wenn Ihre Natur mit ihren Bedürfniſſen ſich nur deployiren darf; Eins wiſſen Sie nicht, Marwitz, wie über alles zu faſſende Maß dies bei mir viel iſt. Wiſſen Sie dabei, daß Ihre Ge -501 genwart mir wie das Auge der Welt geworden iſt; ich ſehr ſie, auch wenn Sie nicht da ſind; aber in die Augen ſehe ich ihr nicht: ich weiß auch nicht, ob ſie mich ſieht. Ich habe viel geliebt, aber nie einen Menſchen wie Sie. Und mußte auch mein wahnſinniges Herz mich bis zu den Gränzen mei - nes eignen Seins reißen, ſo war mein Geiſt nie irre: und einem wirklichen Gegenſtande war es aufbewahrt mich zu lehren, daß das Maß nicht in mir, ſondern in ihm abgeſteckt iſt. (So habe ich Goethe geliebt in ſeinen Werken.) Von dieſem Freund, deſſen Wohlſein ein neues anderes Lebensziel für mich werden mußte, hör ich nun auch die trüben zer - ſtockenden Klagetöne, mit denen ich die Atmoſphäre durchdrin - gen mußte, und kann ihm gar nicht helfen. Fühlen Sie das? begreifen Sie’s? das wollt ich Ihnen ſagen: und ſo viel mußte vorhergehen. Einſam ſteht jeder; auch liebt jeder allein; und helfen kann niemand dem Andern. Halten Sie kein Wort, keinen Unmuth, keine Stimmung zurück: be - ehren Sie mich damit: ich will Ihr Leben wie meines ertra - gen, doppelt leben iſt ja ſchön; ſo wie es dem Menſchen möglich iſt, will ich es gerne annehmen, dahinnehmen. Auch weiß ich wohl, lieber Marwitz, daß ſolche Stimmung nicht permanent iſt, wechſelt, ſich beim Schreiben an Intime mehr entwickelt, mehr aufbrauſt; ich weiß alles hierbei zu ſtellen, zu würdigen; es iſt, als ob Sie zu ſich ſelbſt ſprächen: ſprechen Sie zu mir! Ich danke Ihnen für die Beſchreibung Ihres Hauſes: ich weiß, daß Sie ſie zu Anfang für mich imaginirten, aber wie einzig richtig ſah ich dadurch Ihren Zuſtand, Ihre Denkungs - art, und die Veranlaſſung zu den vielfältigen Stimmungen in502 der einen Grundanſicht! Ich kann mir Vorfahren und alles denken (Sie wiſſen es), wovon ich entfernt bin; wenn es edel, wenn es natürlich, einfach und groß iſt. Mir thut der Frühling auch vielfach weh. Ich kann nicht allein leben; und bin es: nicht ohne Beziehung; und habe keine. Reger und reger nur wird mir Sinn und Herz; beſtimmter und ſchärfer der Geiſt: und dieſer Frühling zaubert mir, zieht mir alle verfloſſenen durch’s Herz; macht es mir erklommen ſtill ſtehen, vor Angſt, vor allen künftigen! Auch nur Worte! Gott weiß, wie bange, erſtockende, zum Tod erſtarrte, be - trübte Momente ich durchfühlen, durchleben muß, Schreiben Sie mir nur! Wenn auch nur noch ſo wenige, noch ſo trübe Worte. Um 6 Uhr, als ich nach dem Thiergarten gehen wollte, kam H.; ich hatte ſo eben Ihren Brief erhalten und las ihn; er bat mich, Sie freundlich zu grüßen, Ich zeigte ihm und zeige ihm Ihren Brief nicht. Er brachte mich hinaus, Gute Nacht! Es war heiß, ohne Regen, und iſt jetzt ziem - lich kühl.

Wenn Sie nicht geſchrieben hätten: Antworten Sie gleich, ſo wüßte ich gar nicht einmal, ob Sie dergleichen Briefe von mir haben wollen, wo ſo alles darin ſteht, wie es an mir vorübergeht, wie ich darin wühlen muß, ſo wenig antworten Sie, oder thun nur dergleichen. Diesmal haben Sie Recht; und dies eine hier angeführte Wort iſt Antwort auf alles, was ich ſchrieb. Künftig aber ſprechen Sie auch ein wenig zu mir zurück. Leſen Sie Adam Müllers503 Buch z. B.? Ihr Haus gefällt mir ja ſehr gut! Es iſt ſinnig und bequem eingerichtet, und einzurichten geweſen. Darin könnte einem wohl werden. Sie müſſen gut in den Zimmern ſchlafen: die dicken Mauern beruhigen, und halten Hitze und Kälte ab. Sind die Kaſtanien dicht vor Ihren Fenſtern, daß Sie ſie anfaſſen können? Können Sie auf die Wipfel ſehen, oder gar drüber weg? Beſchäftigen Sie ſich? Können Sie arbeiten? Laſſen Sie Ihrem Körper ja Zeit, Fortſchritte zu machen. Dazu müßte die Seele erfriſcht werden; und ge - ſunde Seelen werden dies doch am Ende nur durch Menſchen. So wie die beſtorganiſirten Geſundheiten am leichteſten lei - den, ſo können nur dumpfe Seelen in Einſamkeit gedeihen. (Sehen Sie dies Schreiben! Ich ſchreibe mit einem Stück Holz, welches ich mit der Scheere zugeſtutzt habe.) Ich grüble mich zu Tode über Sie, bis ich Sie fertig habe. Was kann ein Menſch mit ſolchem Bewußtſein, wie Sie es haben, ich möchte ſagen ein wiſſenſchaftliches Bewußtſein, ausrichten. Sie können der Zeit nicht entfliehen. Es giebt nur Lokal - Wahrheiten, und die Zeit iſt nichts, als die Bedingung, unter welcher ſie ſich bewegen, entwickeln, leben, wirken. Alle be - kannte Weſen ſind darin ſtreng gebannt; jeder Menſch in ſeine Zeit. Unſere iſt die des ſich ſelbſt in’s Unendliche, bis zum Schwindel, beſpiegelnden Bewußtſeins. Und die größten Heldenanlagen, die wirkungsreichſte und fähigſte Natur muß austrocknen, vergehen, in Luft und Flammen aufgehen, wenn ſie doppelt begabt, recht menſchlich begabt iſt; wenn ihr ein ſpekulativer ſinnender Geiſt zugeſellt iſt, ein ſcharfes intelli - gentes Verſtändniß, eine zu bewegende Dichterphantaſie, ein504 ſtarkes, aber zartes Herz. Einem verſtehenden Menſchen iſt in der zerſtückelten neuen Welt, wo Griechen, Römer, Bar - baren und Chriſten ausgehauſt haben, nichts übrig, als das Heldenthum der Wiſſenſchaft. Staatshelden, die erſt ver - nichten und erobern ſollen, haben und dürfen kein großes Bewußtſein haben. Sogar Staatsverwalter müſſen den Kran - ken, den ſie vor ſich haben, talentartig, ziemlich empiriſch und inſtinktartig behandeln. Auf eine andere Weiſe gebricht der Muth, und der Augenblick, mit allen Vortheilen ſchwanger, avortirt. Sie nun ſind der Menſch mit den doppelten Ga - ben, mit dem zwiefachen Sinn; und wie geknebelt, erdroſſelt, ſtehen Sie mitten drin. Dies iſt Ihr Unglück, Ihr Leid. Sie ſcheinen zu ſchwanken, und eine ausgeſogene Welt iſt es, die farb - und marklos um Sie her wogt. Ich ſpreche nicht, wie alle Menſchen, von der armen franzöſiſchen Revo - lution; die war ſchon da, eh ſie ausbrach. Zu zerrieben lie - gen die Elemente der Menſchheit von den Jahrhunderten da, weil es der Staub der Trümmern iſt, die Gottloſigkeit und Blödſinn geſchlagen haben; nicht eine heilſame Miſchung, durch frommes Beginnen und ehrliches Handeln erzeugt. Iſt ſie ganz in chaotiſchem Aufruhr, die Welt, ſo ſtrebt der Geiſt hinweg, nach dem Himmel; eine Religion bringen die Seuf - zer, die élans der Seele, von ihm herab; zweimal kommt ſie nicht in gleicher Geſtalt, und da dieſe für die Erde iſt, iſt auch keine ewige vorhanden; es iſt auch jetzt eine neue Reli - gion da. Mir iſt ſie verkündet, ſtark, in der Seele. Allein bin ich aber noch. Zu eitel ſind noch meine Freunde. Die ganze Welt können jetzt nur die Schlechten umſchaffen. 505Menſchengebäude laſſen ſich nicht aufführen, wehren kann man ſich nicht, entfliehen auch nicht. Hütten aber, und ſtille Anſtalten ſind zu treffen: dazu aber ſind die Guten zu ſtolz. Einen Namen ſollen ihre Thaten, ihre Werke haben; nach Alexander, nach Moſes, nach Chriſtus ſollen ſie heißen. Es ſind der Guten mehr da als je; ſeien ſie gut, leben ſie gut; leben ſie nah, ſoviel als möglich; und dies für eine That an - geſehen, iſt viel möglich. Die Kolonie iſt gleich da; nur ohne Projekt, nur das Allernächſte immer gut gemacht; ſo ſehr hindert keine Regierung, und hindern ſie wirklich, die Regie - rungen, ſo iſt es ja gut zuſammenſein, ſich helfen, beſprechen, ſich da wiſſen, ſehen. Kann einer ſterbend die Welt, ſein Land retten: ich rathe es ihm und wären Sie es. Geht es? nützt es? Das Grübeln über Rettung und die Zeit, die am - bitiöſen Verſuche, ſind das Schlechteſte. Leben, lieben, ſtudi - ren, fleißig ſein, heirathen, wenn’s ſo kommt, jede Kleinigkeit recht und lebendig machen, dies iſt immer gelebt, und dies wehrt niemand. Und von einer großen, immer größern Ver - einigung dieſes wollender Menſchen ſollte nichts, gar nichts entſtehen? Ein Wachsthum ſolcher Vereinigung müßte alle rohen Anſtalten ſprengen, in ſich aufnehmen. Aber dies hat keinen Namen, und es unterbleibt: oder es geſchieht auch nur unbewußt; denn es geſchieht allwährend. Aber die Braven, Sie, tummeln ſich elend. Auch ich ſehe Sie ſo, wie Sie ſich mir mit wenigen Worten ſchilderten. Ganz ſehe ich das ganze Sein und Thun ihrer Seele, meine lehrt mich dies. Sie können die Berührung des Gemeinen nicht dulden; das ſind ja die Strohhalme, die auch mich dem Wahnſinn506 nah bringen, mir alles Blut umwenden, und die Beſinnung rauben. Auch den faulen Fleck kenne ich. Sie müſſen das Gemeine verachten lernen. Sie müſſen das können. Sie müſſen es abſolut lernen! Durch Zwang, durch Gewalt an ſich ſelbſt ausgeübt, erreichen Sie dies nie. Sonſt würd ich Ihnen, wie Hamlet ſeiner Mutter räth, ſagen: wirf den ſchadhaften Theil (des Herzens) weg! (wenn ſie ihm ſagt: du ſpalteſt mir das Herz.) Durch Fleiß aber, durch unab - läſſigen Fleiß und Anſtrengung können Sie das Gemeine verachten lernen. Durch unabläſſigen! Ich kenne auch dieſe Krankheit, und wehre ſie mir ewig ab. Ein ununterbroche - nes Unterſuchen deſſen, was gemein iſt, rettet allein davon. Denn ſo unſinnig iſt unſer Inneres nicht, daß wir das Ge - meine als ſolches lieben könnten und halten wollten; aber wir unterſcheiden’s nicht ſchnell, und laſſen uns meiſt von Andern, und oft von uns, übertölpeln; und überſchreien die ewige Stimme in uns. Habe ich Sie verſtanden? Meinten Sie dies? ſo rotten Sie’s aus; laſſen Sie dies Ihr erſtes und immerwährendes Geſchäft ſein; wo Sie’s nur finden. Dies wird Ihnen auch die nöthige Beſonnenheit geben es abzuwehren. Adieu für jetzt!

Ich ſchäme mich, da ich die beklexten Bogen vor mir ſehe, daß ich Ihnen dies als eine ordentliche Sendung ſchik - ken ſoll; Sie es ordentlich aufmachen und leſen ſollen, was ich ſo gut zurückhalten kann. Sprechen kann man noch ſo ungezimmerte Dinge; die Luft, und das neutrale Ohr, be -507 wahrt ſie nicht, aber dergleichen Phraſen und Perioden mit dicker Dinte, bleiben unbeſcheiden. Vieles davon wünſche ich wieder zu Ihrer Kenntniß! Andrerſeits ſchiene es mir auch wieder zu präparirt, und wie eine Toilette, wenn ich es beſ - ſer zu machen ſuchte; mir war ſo als ich ſchrieb; und Sie nehmen es als geſprochene Worte hin: da iſt viel erlaubt. Warum bin ich entfernt von Ihnen? Schlechtes erzeugt Schlechtes. (Hier ſtörte mich mein Schuſter, und dann F., der zwei Tage in Potsdam war, und den ich aber nun doch employirte, mir dieſe Kritzelfeder zu ſchneiden: jetzt ſteht er neben mir, und ſchneidet ein Kouvert.) Ich habe mir jetzt an - gewöhnt, abends nach dem Thiergarten zu Markus zu gehen; es ſind viel Blumen und Blüthen und ſchöne Bäume da, hinten geht es nach dem Felde, ich bringe mit wen ich will. Das Aſyl iſt artig genug. Jedoch geh ich auch leicht nach andern Orten. Der Wald iſt göttlich! wunderbar ſchön. So dünkt mich hatten ſich Laub, Zweige, Blätter, Scheine und Farben nie. Alles ſo zauberartig! Und wahrhaftig, ich befinde mich doch nicht ſo prächtig. Mad. Herz hat mir ſehr freundlich und natürlich von Dresden geſchrieben; in wel - chem ſie unter dem Namen M. der Koloß nach Ihnen fragt. H’n aber wie ein Kind pflegen möchte!

Anmerk. Zum beſſern Verſtändniſſe der Stimmungen und Anſich - ten, welche durch die ganze Zeitlage überwiegend bedingt waren, wird es nöthig, hier aus den Briefen von Marwitz einiges mitzutheilen.

Goldene, göttliche Worte, liebe Rahel: Leben, lieben, ſtudiren, flei - ßig ſein, heirathen, wenn s ſo kommt, jede Kleinigkeit recht und lebendig machen, dies iſt immer gelebt, und dies wehrt niemand. Ja ich weiß508 das; fernab ſind mir längſt alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutſamkeit gezogen; führt mich das Schickſal dahin, wo ich in großen Kreiſen zu wirken habe, ſo will ich auch das können; aber meine Hoff - nungen, meine Pläne ſind nicht darauf geſtellt. Ich will nichts als das Rechte, Gute, Ewige, und das läßt ſich in allen Formen darſtellen, und alſo auch in der lieben himmliſch einfachen, die jene Worte ausſprechen. Ich klage auch nicht über die Zeit; ganz dumm iſt, wer das thut. Wem das Herrliche im Gemüthe gegeben iſt, dem wird alle Zeit herrlich. Und worüber klage ich denn? darüber, daß ich dem Gemeinen Gewalt in mir gegönnt habe, daß ich mich habe übertölpeln laſſen, durch pöbelhafte nich - tige Meinungen, ſo daß es mir zuweilen ſcheint, als ob ſie ſich krebsartig und unheilbar in meine Seele hineingefreſſen hätten. Wie kann die Be - ſonnenheit, die Sanftmuth einem ſo ganz entweichen, wie mir zuweilen!

Sie werden es dieſen Zeilen anſehen, daß ich ruhiger geworden bin. Ein Paroxysmus iſt vorüber. Ob er wiederkehrt? Es iſt jetzt Abend nach einem drückend warmen Tage. Die Sonne ſteht vor meinen Fen - ſtern hinter gelben Nebeln, und ein friſcher Baum - und Blüthengeruch weht durch die Luft. Ob ich arbeite? Nein. Ehe ich nach Berlin ging, konnte ich’s, und recht tüchtig, jetzt nicht mehr. Ich habe mich zu zwin - gen verſucht, aber umſonſt. Darum laſſ ich mich jetzt gehen. Ich habe Philoſophie treiben wollen, aber grade dazu gehört die religiöſeſte Ruhe, die friſcheſte Heiterkeit des Gemüths, die angeſtrengteſte Sammlung.

Ich leſe Moritz (ſeine Reiſe nach England, jetzt die nach Italien). Er gefällt mir ſehr wohl, denn er iſt ein ächter Menſch, ganz ohne Schein und Lüge. Er hat ein mildes, offnes und freundliches Gemüth, und eine große Gehnſucht nach dem Edlen und Ungemeinen.

Das Wetter iſt fortdauernd ſehr ſchön, mild und glühend zugleich. Auch Mirabeau habe ich geleſen, ſeine Briefe aus dem Donjon von Vin - cennes, viel beſſer und karakteriſtiſcher, als ſeine lettres de cachet, die größtentheils ſchiefe und kleinliche Anſichten enthalten; die gewaltige Fülle ſeines Herzens, die bei dem fürchterlichſten, dem ertödtendſten Un - glück ſeinen Geiſt ſtark und lebendig erhält, die offenbart ſich viel mehr in jenen Briefen. Seine Beredſamkeit iſt die wahre, denn er macht, er erdenkt ſie niemals, ſondern ſie ſtrömt ihm ewig aus dem Quell eines immer bewegten Gemüths hervor. Ich bin überzeugt, daß er grade eben509 ſo gut geſprochen hat, wie geſchrieben, denn alles iſt ihm unmittelbar gegenwärtig, er hat nicht nöthig zuſammen zu raffen und langſam Rath zu ſuchen für den Mangel des Augenblicks bei vergangnen Stimmungen und Anſichten.

Ihren ſanften, reichen, ſtarken, verſtändigen Brief, liebe Rahel, habe ich in dieſem Augenblick erhalten. Eigentlich, ſchreiben Sie, müſ - ſen Ihnen meine Briefe lieb ſein. O über alles Maß ſind ſie mir das, und meine einzige Furcht iſt nur die, daß Ihr lebensreiches tiefbewegtes Gemüth einmal verſchmähen wird ſich auszuſtrömen gegen meine ver - welkende Seele. Jetzt zur Sache. Ich bin bis jetzt hier geblieben, und hatte vor, noch einen Monat hier zu bleiben, weil, ungeachtet der Geſpenſter, die in meinem Innern herum wandeln, doch eigentlich der Körper durch Landluft und beſonders durch Bäder gedeiht, und ich jene durch eine muntre Thätigkeit, die dann folgen ſollte, bald zu verſcheuchen hoffte. Aber ich traue nicht mehr, denn geſunder bin ich zwar, als da ich Berlin verließ, aber nicht weniger reizbar. Ein einziger Moment, das fühle ich, kann mich dahin zurückwerfen, wo ich war, und was am Ende aus dem finſtern Brüten werden kann, überſehe ich nicht. Nun ſehe ich zwei Auswege. Der erſte iſt, mit Ihnen nach Töplitz zu gehen, unbeſchreiblich reizend für den Augenblick, aber bedenken Sie, daß die Schwierigkeit, mir ein Verhältniß zu bilden (das ich haben muß) mit jedem halben Jahr, das ich verſäume, unmeßbar ſteigt. Ich bin vier - undzwanzig Jahr alt. In dieſem Alter muß man thun und arbeiten, entweder ſtudiren, oder ein Amt ſuchen, wenn ſich einem die Ausſicht nicht öffnen ſoll auf eine müßige, verächtliche und verachtete Exiſtenz. Gut, werden Sie antworten, ich gebe dir Recht, wie ich dir Recht ge - geben habe. Arbeite, ſtudire, wenn du kannſt; aber du kannſt nicht. Darum gehe dahin, wo Seele und Leib dir geſunden, wo die Kraft dei - nes Innern ſich wieder aufrichtet. In müßiger Beſchaulichkeit geht dir die immer mehr zu Grunde, und dein einſames Harren führt dich nur zu ärgerer Verſunkenheit. Faſſe dich, ſo lange du[kannſt], ſuche mit dei - nen letzten Kräften die Geſundheit auf, und haſt du ſie gefunden, dann ſei thätig. Ich ſehe die Stärke dieſer Gründe vollkommen ein, meine liebe Freundin, und frage mich nur, ob es nicht zweckmäßiger iſt, den andern Weg einzuſchlagen, auf dem ich das Nothwendige mit dem Be - quemen und Nützlichen verbunden ſehe, nämlich auf weite Reiſen zu gehn, erſtlich nach der Inſel hin, und von da weiter dorthin, wo ich Dienſte nehmen kann. Ich weiß es wohl, es iſt eine gewagte Sache, Abſchied zu nehmen von ſeinem Vaterland, beſonders für einen Kran -510 ken, denn heilt ihn nicht unmittelbar die friſche rüſtige Thätigkeit des Reiſens, ſo muß ihm doppelt weh werden in den fremden Umgebungen. Was meinen Sie, liebe Rahel? hätte ich die Ausſicht, ein Heldenthum der Wiſſenſchaft in mir zu gründen, ſo ſollte mich nichts forttreiben aus meinem Winkel hier, aber die iſt mir ganz verdunkelt durch meine arge Krankheit. Soll ich mich nun anſchließen an die leibliche Seite meines Vaterlandes, die ich erſt begeiſtern, erſt einer großen ſpekulativen Anſicht unterwerfen muß, wenn ſie mir nicht ganz gebrechlich und todt erſcheinen ſoll. Alſo wieder die Wiſſenſchaft wäre da vonnöthen, deren ich mich nicht mächtig fühle. Dort aber flammt ein hoher Enthuſiasmus, eine große Angelegenheit wird von großen Talenten mächtig vorwärts getrie - ben, die eigne Thätigkeit kann ſich emporrichten und ſtärken durch die fremde; auch Freunde habe ich dort. Wäre es ſo unrecht, die Kraft der ſüdlichen Sonne an mir zu prüfen? Ich muß ſchließen, liebe Rahel, denn die Poſt geht durch. Am Sonntag mehr, und, wo möglich, Ge - ordneteres, Beſonneneres. Auf keinen Fall bleibe ich länger hier, als bis ich die Kur ausgebraucht habe, (das dauert noch drei Wochen). Dann muß das Entſcheidende geſchehn, wenn Ihr nächſter Brief es nicht früher herbeiruft. Adieu. A. M.

So wie manchmal Menſchen keinen hübſchen Zug im Geſichte, keine zu lobende Proportion am Körper haben, und doch einen gefälligen Eindruck machen; recht tadlenswürdige Gemüthseigenſchaften haben, und doch angenehm ſind; ſo iſt es bei mir umgekehrt. Ich bin nicht ſo unglücklich, als man denken ſollte, wenn ich mir dies recht überlege; im Gegentheil, dieſes Denken macht mich ſehr ruhig. Ich vergöttre doch ge - wiß Schönheit, bete ſie an. Kenne ihre ganze Macht, ihr ganzes Glück, was ſie giebt, und mit ſich führt. Ich habe mir’s ein wenig überlegt. Die Mißgeſchicke, die unmittelbar vom Himmel kommen, ertrag ich immer mit ganzer Seele, ruhig. Wo aber Unbill, von Menſchen ausgeführt, mich be - fährdet; da iſt meine Seele nicht zuſammen, und dies kann511 ich gar nicht ertragen. Auch habe ich gefunden, daß ich das Allernöthigſte, das Natürlichſte, die rechtmäßigſte Lebensnah - rung gewiß gelaſſen entbehren kann, wie ich noch von keinem ſah; aber meine Anſprüche unter und von Menſchen müſſen mir nicht betrügriſch vorenthalten, oder entrückt werden. Wo von Recht und Sitte die Rede, muß es mir gehalten werden; an offenbare Gewalt gäbe ich auch das ruhig hin; geſtohlen aber mit Heuchler-Worten und Thaten muß es mir nicht wer - den; und dies Stehlen von Staat und Geſellſchaft konnivirt werden. Mein Ehrgeiz geht bei mir über alles; dieſe Em - pörung halt ich dafür. Denn nie, iſt mir eingefallen mehr als Andre ſein zu wollen, oder ihnen ihr Recht nicht zu thun.

An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.

Geſtern Abend um halb 12 kam ich im ſchönſten, aber kalten Mondſchein, nach vielen Promenaden, mit den gräß - lichſten Kopfſchmerzen nach Hauſe die Geſchichte dieſer Schmerzen nachher in zwei Worten; um Ihnen eine Idee meiner Geſundheit zu geben, und finde, wie unverhofft! Ihren Brief. Mein lieber, lieber Marwitz! Wie berührte dieſer Brief lieb und ſchmerzhaft mein Herz. Wo ſtellt der mich hin! Wie der Staatsſekretair der Eliſabeth, der das Urtheil der Maria in Händen hat, und es auf ſeine Gefahr vollziehen laſſen ſoll oder nicht: erſt neulich, als ich Maria wieder ſah, dacht ich, nie hätteſt du ſo gehandelt wie der! Eliſabeth müßte aus dem Kabinet wieder vor! Gott hat512 mir eine große Gabe verliehen; ich habe ein Herz, was außer ſich ſein kann; keines Menſchen Geiſt iſt mehr darauf geſtellt, faßt mehr, was Verzweiflen iſt, als meiner; will ich aber einen Gegenſtand erwägen, alle ſeine Seiten betrachten, ihn in ſeinen Beziehungen richten und meſſen, ſo legen ſich wie durch ein Gottesgebot alle Wellen des hochbewegten Gemüths; und wie auf einem erhabenen Berge allein, vermag ich zu urtheilen und zu beſchließen. Nur eine Leidenſchaft, Zorn, kann mich da hinabſchleudern. Es kommt darauf hier an, in dem was wir vor uns haben, genau zu finden was in Ihrem Gemüthe vorgeht; was dies Gemüth durchaus, geſtellt in die Menſchen - welt, nicht ertragen kann; und genau zu unterſuchen und klar hinzuſtellen, was ſie iſt dieſe Welt 1811, und was unſer Vaterland in ihr iſt. Ich habe jetzt Ihren Brief wieder gele - ſen. Sie werden ſich der Dilemma’s erinnren, die Sie uns darin vorlegten. Eines davon heißt ſo: Soll ich mich nun anſchließen an die leibliche Seite meines Vaterlandes, die ich erſt begeiſtern, erſt einer großen ſpekulativen Anſicht unter - werfen muß, wenn ſie mir nicht ganz gebrechlich und todt er - ſcheinen ſoll. Bei welcher Sache in der Welt muß dies ein Menſch wie Sie nicht? Iſt irgend in der Welt etwas ſo, als es der Haufen ſieht, der darum, und darin wühlt? Ma - chen die höheren Beziehungen, die wir allein im Innern be - arbeiten, nicht ganz allein das Hohe einer jeden Angelegen - heit, eines jeden Gegenſtandes aus? Wie ein Anderer lüder - lich wird, ſo wollen Sie ſich doch nicht in jene Angelegenheit ſtürzen, nur damit Sie etwas trägt, hebt, und fortbringt, was nicht Sie iſt? Sie iſt ſchön dieſe große Sache, wie Sie ſiemir513mir ſchildern. Auf Reiſen gehen, die Freunde finden, Schö - nes mit ihnen vollbringen; und mit einemmale, eine zerbrochne bürgerliche, eine krankhafte Exiſtenz hinter ſich laſſen. Thun Sie das, ſag ich Ihnen nach dieſer Anſicht: und bald. Denn hiebei giebt’s kein Warten, wie bei Kammerdienſte nehmen. Nun ſtellen Sie ſich einmal einen Augenblick vor, wie Ihnen mitten, und zwiſchen den öſterreichiſchen Schlachten war, wie hohl, wie leer, wie elend; wie alles ſich in kleinen Mühſelig - keiten, Strapatzen und Unſinnigkeiten zerſpaltete. Wie fremd, und allein, Sie ſich trotz der Freunde, unter den näher ver - wandten Sprachgenoſſen fühlen mußten; bloß weil ein Geſetz, eine Sitte, eine Ambition, uns doch mit ihnen nicht verbindet. Nationales ſchaffen Jahrhunderte, und der beſte Wille, des beſten Einzelnen kann es nur gründen, nicht ſchaffen. Dies bedenken Sie! Wie wird es unter den zwei ſchon unter ſich verſchiedenen Völkern ſein [Engländern und Spaniern]; wo - von das eine ſo ſehr zur Nation gezimmert iſt, daß es glatt und fertig nichts Fremdes mehr aufnimmt? Ein ande - res iſt es, wenn der dringende Augenblick Nation mit Nation aufregt, wie Sturm verſchiedene Erden; dann iſt ſolch Auf - ſtehen natürlich, und gemächlich in ſeiner Noth. Ein Einzel - ner reißt ſich immer nur los, und fühlt, in oft wiederholten Momenten dies Geriſſene und dies Alleinſein. Wären Sie Einmal auf der Inſel dort, oder in jenem Lande! auch dann iſt ein Mitgehen oft natürlich; man hilft angegriffenen Fremden, wo man als Gaſt Freund geworden iſt; und er - zählt nachher den Hausgenoſſen daheim, wie dem ſchlechten Streich begegnet werden mußte, und was einen aufgehaltenI. 33514hatte. Es iſt hart, in einem ſtagnirenden kranken Lande mit zu ſiechen: es iſt hart, die kranken Freunde der peſthaften Noth zu überlaſſen; und dereinſt zu erfahren, oder nie, wer blieb, was blieb, wer ſank! Unmöglich kann und werde ich Ihnen ſagen, ſiechen Sie mit. Es giebt edle Gemüther, die lieber ſterben, rüſtige, die den geſunden Bluttodt lieber ſuchen. So ſank Louis. Und ſind Wiſſenſchaften denn wirklich nichts für Sie; ſo müſſen Sie hinziehen wie er. Zwei Dinge er - wägen Sie noch. Kann es Ihre Geſundheit? vermag ſie es? Und werden Sie nicht einſam ohne Krieg und Bewegung in den fremden Ländern liegen bleiben? Dies müſſen Sie, und der Arzt, und die erſten zwei Monate die erſten zwei Mo - nate dort beſtimmen: und ſollen wahrlich die Beſſern uns verlaſſen, und wie in einem Naturaufruhr, das Unterſte nach langem Preſſen, Stillſtand, und unſichtbarer Gährung zu oben kommen, und das Ungefähr entſcheiden, ob dies ſich bilden kann? Aber alles in dieſem Brief hier Erwogene muß nicht erwogen werden; und allein dieſe, allein wichtige Frage gefragt werden: können Sie es aushalten, hier zu bleiben, oder nicht? Müſſen Sie ſich ſelbſt noch Beweiſe von Thätig - keit geben; ſchämen Sie ſich zu ſehr, wie ein Alter, oder wie ein Weib, oder wie ein Kind, oder ein Pflaſtertreter , wie Sie ſich einmal ausdrückten, hier herum zu warten; können Sie ſich wartend nicht achten, und nicht achten laſſen: ſo müſ - ſen Sie dahin, je eher je lieber. So iſt es ein Duell: und mehr nicht: aber das iſt in ſeinem Augenblick auch ſehr viel. Denn man kann nicht weiter leben. Und ich rathe es Ihnen aus tiefſter innerſter Seele, aus dem Herzen voll von515 Liebe, wie ich es mir ſelbſt rathen würde. Sie müſſen nicht elend leben. Hier iſt der Platz, wo ich Ihnen Paulinens letz - ten Brief ſchicken muß. So iſt es wenn Einer todt iſt. Keine Kunde von ihm. Kein Laut: zu ihm, von ihm. Pauline hatte acht Tage ein Meſſer in ihrem Bette nach Louis Tod; und ſie hat mir geſchworen, und ſo daß ich’s glaube, ſie hätte ſich erſtochen, wenn ſie hätte nur ein Zeichen kriegen können, daß es Louis weiß: aber ſo in der ewigen Stummheit, ewi - gen, vielleicht doppelten Getrenntheit! Mit ſeinen Briefen ſitzt man dann, wenn Einer todt iſt; nichts, nichts iſt mehr; kein Zeichen des wühlendſten empörendſten Schmerzes, der all - gewaltigſten Liebe dringt mehr, durch keine Möglichkeit zu ihm. Aber alles müſſen Sie thun, ehe Sie elend leben. Sie können ja auch Glück haben, leben bleiben; und vieles heilen in der Welt. Gehen Sie; ſagt übernatürlich ruhig mein tief - ſter Geiſt; ich mag mich unterſuchen wie ich will. In meiner ganzen Liebe zu Ihnen ſehe ich, ich mag’s machen wie ich will, nur Sie: gewaltig lenken Sie von allem Eigennutz, von aller Beſchauung und Befühlung meiner eignen Gefühle, meine ganze Seele auf Ihr Sein. Sie fühle ich. Wie Ihnen ſein muß, immer. Gehen Sie; und wenn Sie todt ſein werden; das Ärgſte; ſo wiſſen Sie jetzt, werde ich denken: Leben, ſo leben, elend leben, das konnte er nicht. Und kann ſich jetzt in Ihnen und um Sie nichts ändern, ſo werd ich nachher nicht denken: es hätte geſchehen können. Dies ſei Ihr Troſt über mich: dies wird meiner ſein. Ein herrliches Zuſammen - leben giebt es doch nicht! Wäre ich Ihr Freund, ſo wie ich eine durchaus Elende bin, ſo verließ ich Sie jetzt nicht. Nun,33 *516mein theurer Freund, erwägen Sie ſich ſelbſt, was ich nicht kann; und ſchicken Sie mir das Urtheil. Laſſen Sie ſich aber durch die Strenge, die das Zuſammenſchieben alles zu Erwä - genden ſchon allein in dieſem Briefe ausmacht, nicht übereilen, und meinen Sie nicht, Sie müßten auch ſo ſchnell wählen, als der Brief dringend ſcheint. All dieſe Worte ſind nur Ge - danken, wie anderer Menſchen ihre, über jedes Unternehmen und Geſchäft. Laſſen Sie mich diesmal auf keinen Brief ſchmachten. Länger als den 12. bleibe ich nun durchaus nicht. O wie viel, über wie vieles, habe ich Ihnen ſo einen Tag über zu ſagen! Was ich kontinuirlich noch für Entdeckungen in mir mache! Wie vieles ſähen wir! In Briefen geht das nicht. Von meinen Kopfſchmerzen! weil es heute Nacht gewittern ſollte, kriegte ich ſie, bei ganz kühlem ſchönen Wetter. Es waren Gewitter-Kopfſchmerzen, aber es dachte nicht an Gewittern, alſo konnt ich ihren Grund nicht finden. Ein lauter langer Donnerſchlag weckte mich um 3 Uhr in der Nacht. Einem ſtarken Gewitter ſah ich zu. Nun bin ich beſſer. Adieu.

R. R.

Eins noch vergaß ich; vielleicht der Aufenthalt, die Reiſe allein nach der Inſel, thun ſie Ihnen ſchon gut. Schwer aber iſt es jetzt ſchon hinkommen.

Ich muß den Brief wieder aufreißen. Er drückt nicht aus, was ich im Ganzen ſagen wollte; ich ſprach zu viel vom Tod und von der Trennung. Denken Sie an das Leben: und wie die Inſel, das geſunde doch verhältnißmäßig geſunde Volk, wie die Reiſe, das viele Neue, zn Beſichtigende, zu Vergleichende, auf Sie wirken, Sie beſchäftigen, rüſtig machen517 muß. Und was Sie uns hiervon mitbringen, dereinſt für uns gebrauchen können. Sein Sie dort fleißig, Sie werden es dort können. Vor allen Dingen aber ſein Sie geſund, und wenigſtens im Stande hinzugehen. Reiſen ſetzt immer eine gewiſſe Müſſigkeit voraus, oder man muß ſie dazu voraus - ſetzen; gebrauchen Sie die allgemeine die nicht abzuändernde Pauſe zu einer Reiſe. Bedenken Sie dies, und antworten Sie mir.

Mittwoch nach einem Regen war ich mit allen Schleier - machers und einigen Andern in Charlottenburg. Schl. s kamen von ungefähr zu mir, Mad. Liman auch. Kurz ich machte ihnen Allen Luſt. Es war ſehr ſchön, aber der, der mit mir gleich ſieht, fehlte mir. Alſo beinah die Augen. Alle freuten ſich. Mit Ha. ſprach ich nicht ein Wort: par le hazard le plus juste du monde. Im Freien iſt er ſchrecklich: und in der Schleiermacher’ſchen Familie denkt er, iſt er, und muß er mun - ter ſein! und o! Gott! wie. Das müſſen Sie ſehen.

An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.

Sagen Sie, Lieber, was iſt das? Geſtern vor acht Ta - gen ſchreiben Sie mir, und ſagen mir, Sie würden mir den Sonntag mehr ſchreiben, Sie erhalten unterdeß einen dicken Brief von mir, und nun erwarte ich Ihren verſprochenen ver - gebens! ich muß mich ja immer ängſtigen, wenn Sie mir ſo etwas thun! Wodurch geſchah’s denn diesmal? Mir iſt es ſogar im Briefe, in der Entfernung recht unangenehm: nun518 muß ich Abſchied von Ihnen nehmen! Mittwoch reiſe ich. Alſo bis Dienstag kann ich nur noch Nachricht von Ihnen haben erkundigen Sie ſich doch nach der Poſten Lauf und Ankunft ſchnelle, nahe Nachricht. Wie unangenehm, mich zu entfernen, ohne einen Brief zu entfernen! Vieles habe ich zu beſorgen und zu thun. Mir alles Verhaßtes! Schwer wird’s mir zu reiſen: ich ſehe nun, ohne ſchöne Heimath reiſt es ſich ſchlecht, und ſchwer. Thätig ſein ohne Glück, und daß ich’s ſage, ohne irgend eine Hoffnung, iſt nur Narren möglich; vom Unweſen ſich verzehren, erſchlagen laſſen wie vom Gewit - ter, das kann man allenfalls in ſeiner Herzens-morgue; wie drückt dies ſelbſtgeſchmiedete Wort mein Verhältniß zu den beiden Sprachen aus! Ich mag nicht über eine Elende grüblen, oder auch nur ſchwätzen! Das Wetter iſt der größte Reiz! Die Sonne plinkt der Erde zu! bald iſt ſie da, bald nicht. Lebendig reden Schatten und Licht miteinander. Wäre nur das Mögliche möglich! aber auch nicht! Und warum büßt, und beſſert man ſich nicht ſchnell, wenn es weiter nichts ſein ſoll! Wenn ein Nahbekannter ſtirbt, und vorher viel leidet, komme ich immer zu der ergrimmten Talbot’ſchen Laune. Schon die Dinge im Leben, die nicht ſchnell und mit einem Effort gelitten und abgemacht werden können, eklen mich, nun gar das ganze heilige Daſein! Warum die edle Seele ein - ſperren, und warum ſie hoch, und niedrig bis zum unfläthig - ſten Kothe kommen laſſen, wie Waſſer, welches bald Sumpf iſt, und die niedrigſten Dienſte leiſtet, bald als luftiger Gebirgs - thau Sonne und Sterne abſpiegelt. Leben Sie wohl. Mein ganzes Herz iſt mit Ihnen, und ſprengt die dicke Rinde des519 augenblicklichen, doch zu ernſt und oft ermüdeten Unmuths! Schreiben Sie mir, wenn ich Vergnügen haben ſoll. Und alles was Sie betrifft. Ich mache zwei Nachtlager bis Dres - den, bin den dritten Tag dort, und bleibe höchſtens drei Tage, dann über den Geiersberg.

Rahel.

Anmerk. Marwitz antwortete noch hierauf:

O Verzeihung, meine theure Freundin, daß dieſes Blatt Sie ſo lange hat warten laſſen. Das einliegende war vor acht Tagen geſchrieben, und ſollte fort in dem Augenblick, da ich Ihren gen altigen Brief erhielt. Wie ſinnlos, wenn ich jene Kleinigkeiten Ihnen geſandt, und auf die große lebenentſcheidende Frage nicht grantwortet hatte. An jenem Tage ſelbſt war nicht mehr Zeit dazu, an den ſorgenden fühlte ich mich zu unwürdig. Wie Gentz muß ich ſagen: was ſoll ich mein armes Wort gegen die don - nernde Muſik Ihres Innern austauſchen? So blieb ich ſtumm, bei vie - len innern Vorwürfen. Mit mir wird es beſſer. Zwar will mir das Herz noch zuweilen erkranken, aber ich gebiete ihm Rube. Wille und Thatigkeit bändigen es. Sie gehen nun, liebe Rahel. O ſeien Sie ja glücklich, machen Sie ſich meinetwegen keinen Kummer. Untergehen kann ich, aber mir zum Ekel, Andern zur Laſt leben, oder auf eine un - auſtändige, gemeingrauſame Art endigen, das kann ich nicht, und das iſt doch noch ſehr glücklich. Ich habe in dieſer Zeit zuweilen an den Selbſtmord gedacht, und immer iſt es mir vorgekommen, wie eine ver - ruchte Rohheit, das heilige Gefaß ſo blutig, ſo überlegt zu zerſtören. Auch die kann unvermeidlich werden durch Übermaß der Neth, das fühle ich wohl. Wunderlicher Zuſtand. Indem ich dies ſchreibe, wird es mir klar, wie bei jeder nicht gemeinen Natur der Körper nach muß, ſo wie es bloß ein Glück dieſer Zeiten iſt, daß andre äußerlich anſtändigere Wege offen ſtehn, die einen ablenken von dem gewöhnlichen grauſamen. Die Bader thun mir ſehr wohl. Sie erinnern ſich der Mauer zwiſchen mir und der Natur, die mich an dem übrigens göttlichen Abend beim Hof - jäger ängſtete. Die iſt zerſtört, meine Nerven ſind rein und empfänglich geſtimmt, und die Kämpfe gegen die Herzens-morgue werden ſeltner. Ich verſtehe die Dichter Mirabeau, Goethe, Winckelmann, Pindar, freue mich an ihnen; nur der ſtrengen Wiſſenſchaft bin ich noch nicht gewach - ſen. Adam Müller iſt mir widerwartig, doch werde ich ihn wieder vor - nehmen; er ſelbſt weiß zwar nichts recht, der hohle gemachte Geſell, doch520 regt er in ſchöpferiſchen Momenten des Leſers vieles an. Halbgeſehn hat er vieles. Die Wanderjahre las ich vor vierzehn Tagen, und hätte Ihnen damals viel darüber ſagen mögen.

An Alexander von der Marwitz, in Friedersdorf.

Ich habe Ihren Brief vor mir, und will darauf antwor - ten, als ob Sie mit mir ſprächen. So ſollten Sie es auch machen! dann iſt und bleibt eine Korreſpondenz lebendig und iſt nicht ſo viel Tod im Leben, iſt es ſelbſt nicht eigent - lich das Ringen mit ihm, daß man es verbreiten, vermehren ſoll, wo nur möglich?

Als ich geſtern nun beim Zuhauſekommen Ihren dicken Brief fand, getraut ich mir vor Luſt beinah nicht ihn zu er - brechen, ich las ihn doch haſtig, aber er freute mich nicht. Im Gegentheil, das Herz ſank mir; und ſo iſt es noch. Warum ſoll ich es nicht ſagen? Nein, Lieber! So trübe können Sie nicht bleiben. In Friedersdorf nicht. Ich ſage es Ihnen noch Einmal, wüßt ich Sie gut, ich ging es ein, auf immer einen andern Planeten, als den zu bewohnen, wo Sie ſind, und Sie einen andern, als wo ich bin. Ich kann Ihr Leben nicht in der Luft erhalten: das iſt ausgemacht; dazu gehört Ein - mal ein anderer Wurf, ein anderes Ereigniß. Aber ſo dürfen Sie nicht vereinſamen, auch ein halbes Jahr nicht, auch kei - nen Sommer durch. In Friedersdorf iſt keine Geſellſchaft für Sie; und die müſſen Sie haben; lebendigen, alles anregenden Umgang. Könnten Sie irgend ein ſtrenges Studium vollſüh -521 ren, auch gut: ein Geſchäft abmachen, das dem künftigen Le - ben Luft macht, wieder! Aber was in’s Himmels Namen wollen Sie ſo dort abwarten? Als ich es nur wünſchte, daß Sie in Töplitz ſeien, ſchlug ich es Ihnen nur Einmal, wie nicht, vor: ein kleiner Ekel vor dem Müſſigſein von Ihrer Seite, ein leiſer Plan zu einem Amte, ein weitſchichtiger zum Studiren, machte mich mit Recht bis im innerſten Ge - wiſſen ſchweigen. Jetzt aber, bin ich ganz überzeugt, iſt Töp - litz was Sie bedürfen. Ein ländlich ſchönes Thal, und eine ſolche Lebensart, mit der jetzt möglichen belebendſten Geſell - ſchaft. Mit der Möglichkeit, bei Ihrer Denkungsart grade nach Ihren letzten beiden Briefen ihr, ſo viel als Sie nur wollen, auszuweichen. Bäder können Sie ja da nehmen, von welcher Sorte Sie wollen: auch ſolche wie in Friedersdorf. Sie finden Goethe, Gentz, den Herzog, Varnhagen, Adam Müller; alſo Sprecher. Eine Menge umgänglicher Bekannte von meinem Gehege. Mich, als Salz, und Quirl aller dieſer Dinge; als Bequemlichkeitsrath. Leben Sie doch dort, wie Sie nur wollen. Sich für krank, für bizarr auszugeben, ſchelten zu laſſen, koſtet Sie ja nichts! Leben Sie, wenn Töplitz Sie ekelt, auf dem Weg nach den Steinbädern. Gött - lich! da lebte mal ein fränkiſcher Graf, den ich kannte. Nur daß Sie mir nicht ſo vergehen, ſo verharſchern! Je länger Sie bleiben wo Sie ſind, je weniger Kraft und Grund finden Sie in ſich auf, weg zu kommen! Es wird himmliſch in Töplitz ſein; wir ſehen eine Unmenge von Menſchen; behand - len, bereden, belachen, ſtudiren ſie. Wer hindert Sie zu le - ſen, zu baden, zu thun was Sie wollen! Erſt nach drei522 großen Krankheiten, verſpürt ich in der vierten den Krampf im Herzen, von dem Sie ſprechen. Sie ſollen ihn durchaus nicht haben!! bei Ihrer Jugend: Sie ſind ja eigentlich gar nicht gekränkt; vergehen, wie eine Blume, ſollen Sie nicht. Jetzt müſſen Sie wirklich mir nahe leben. Soll ich Sie auf einen Irrthum aufmerkſam machen? Sie wollen in einem Bade, in einem äußerlich müßigen Leben nicht das Anſehen haben, als verweichlichten Sie ſich in Unthätigkeit; und unterdeß geſchieht das in der Wirklichkeit in Friedersdorf. Sie gehen da in Ihren eignen Stimmungen wie in einem Zauberwald umher, und werden bald nichts mehr vernehmen können! Kaum, Lieber, entſchließen Sie ſich, mir zu antworten, auf Punkte der lebendigen Mittheilung, und möchten mir reine Stimmun - gen ſchicken, die ich gewiß! alle in mein Herz aufnehmen möchte, und mit meinen Augen, und eigener Seele erahnde. Dieſe aber müſſen die Dekoration Ihres Lebens nicht werden; dieſe müſſen von der lebenden und lebendig machenden Sonne hervorgerufen, modifizirt werden. Von den Sonnen anderer Geiſter. Überlegen Sie das, Lieber, und erwägen Sie genau, wie meine Luſt, Sie in Töplitz zu haben, hier mitwirken kann; ich bin nicht ganz im Stande es zu unterſcheiden. Nur dies weiß ich, wüßt ich dieſe Menſchen, dies Thal, bei Wiesbaden zum Beiſpiel; ſo ſagte ich, gehen Sie da hin: oder irgend einen geliebten belebenden Kreis von Freunden von Ihnen. Ich kenne nur den, der in Töplitz ſich verſammelt. Und rechne viel auf mich. Ich bin geſchaffen das zu verlebendigen was da iſt; ja manches nur im Keim Daſeiendes zu ſchaffen. Ich habe ſchon oft gut auf Sie gewirkt. Varnhagen wird auch523 ſehr gut ſein. Ihnen ſei es als Geheimniß geſagt: er kommt vielleicht mich abzuholen. Iſt er aber den 10. Juni nicht hier, ſo reiſe ich allein ab; das weiß er. Überlegen Sie alles. Wollen Sie, müſſen Sie in Friedersdorf bleiben: ſo beſchwöre ich Sie, ſchreiben Sie mir, wie Sie gethan haben, jede Stim - mung, jeden Moment des Befindens, jede krankhafte Laune: und ſchreiben Sie überhaupt. Denn im Kriege war Ihre Freundin nicht aufmerkſamer, nicht beſorgter um Sie, als jetzt. Bleiben Sie in dem Winkel dort, ſo wird in Töplitz, und ginge es mir noch ſo gut ginge es mir! als ob ich dies Maß und Ziel nicht kennte! ſo bleibt mir ein Stein auf dem Herzen; ein Gewiſſen; ein guter Theil von mir ſelbſt zurück. Hierüber ſprechen Sie nicht; dies waſchen Worte nicht aus. Warum haben Sie mir nicht geſchrieben, wo Ihre Nièce iſt; ſo hätte ich Sie doch erkannt, wenn ſie mir begegnet wäre. Warum iſt das Kind mitten im Sommer hier? es muß Ihnen leid ſein, daß es weg iſt. Für mich war es ſehr tröſtlich, die lebenverbreitende, innige Kreatur Ihnen nahe zu wiſſen. Meine Nichten prosperiren ſehr im Thiergarten. Sie haben ange - nehme Nachbarinnen, junge Fräulein, die auch Geſellſchaft haben; und ich führe ihnen auch Geſellſchaft hin; Luft, Blü - then, Bäume, und eine Schaukel, die das agrément des gan - zen Quartiers wie es die Franzoſen meinen, Viertels macht.

Stünde doch in einem von den hundert geleſenen Jour - nalen was Sie mir über Adam Müller geſchrieben haben! In Einem Worte haben Sie ſich nur geirrt. Talent grade hat er nicht; Eingebungen zu Vergleichen; er weiß ſie aber nicht524 zu beherrſchen, dies iſt Talent, und brockt, wie Sie es beſchrei - ben, alle Welten und Syſteme untereinander. Mich reizt er recht: weil er doch das Höchſte anrührt mit dieſen Einfällen, und man in einem ewigen Rektifiziren bei ihm bleibt: auch macht er mich, und eben daher denken, wiewohl er einen in dieſem Geſchäfte auch ſehr ſtört. Kompleten Unſinn ſagt er. Seit Sonntag leſe ich ſeinen zweiten Band. Dreimal nennt er Rom, wenn er ihm grade alles Ewige abſchwatzt, die ewige Stadt; und eben ſo lügenhaft furchtſam flagornirend Adam Smith den großen Mann! Weſſen Titel der iſt: daß er vor dem Prinzen Bernhard und einer Anzahl Diplomaten las ich denke, ich raſe wie ich das vorne leſe, der muß, wenn er radotirt, ſchon meinen, er weiſſagt der Natur ihre Künſte; und läßt das kommende Menſchengeſchlecht hinter ſich. Was der der Natur alles für Geſchäfte aufträgt und für Abſichten abſieht, die Stellen, die Sie anmerkten, ſind mir accurat aufgefallen. Nun bitte ich Sie, leſen Sie im zweiten Bande von Seite 265 bis 267 vorbei; nein, 268 ſteht es erſt recht: was ſich da wieder die Erde vorbehält! Zwanzigtau - ſend Geſichtspunkte hat er. Und Seite 269 was die Natur wieder mit dem Menſchen anſtellt. Lauter Einfälle, die ihm après coup, nach dem Reſultat entfahren. Gewiß fünf un - ſinnige Stellen habe ich gefunden; ich hatte aber kein Papier bei der Hand. Die Sie notirten, iſt göttlich! Olympiſcher Unſinn, ſagten wir immer, als Kinder.

Das glaub ich! Mirabeau’s Briefe aus dem Donjon ſind göttlich. Der ſoll ſchlecht geweſen ſein? Nie hab ich es ge - glaubt. An mir hat er in der Nachwelt die Freundin, den525 Freund, der ihm vielleicht bei der Mitwelt fehlte: wie oft dacht ich dies bei dieſem Manne. Ich bin ewig ſein Freund. Ich weiß, was in dir lebt, ich kenne dich ganz! hätte Ein - mal ich ihm dies ſagen können, wie Goethe die Wahrheit vor ſich ſah. Wie oft habe ich es Mirabeau’n nachgerufen. Es iſt mein Freund. Träf ich ihn draußen. Schiller. O! gäb ein guter Gott, daß wir dem Wurm gleich, in ein be - ſonntes Thal ! O! wäre nur Zeit da, das erlittene Unrecht gut zu machen. Das Verſchwinden in Nichts iſt in dieſer Betrachtung ſchrecklich. Dies eine Anknüpfen, Erinn - ren, wünſche ich nur. So lange ich lebe, ſchließe ich Mira - beau ernſt in mein Herz.

Sie antworten. Und genau. Und benehmen mir meine Furcht immer auf’s neue wegen meiner volumes. Sie antwor - ten hübſch gleich. Eigentlich müſſen Ihnen meine Briefe lieb ſein: ſie enthalten ſo vielerlei; und in Ihrer Wüſte dort! Munter, nicht ſo altklug gethan. Überlegen Sie alles; und ſuchen Sie aus reinen ſtillen Geſichtspunkten zu antworten, wie ich mich bemüht habe zu ſchreiben. Neumann war ganz munter und geſellig. Der Schweizer blind, und eitel. Den habe ich ganz weg. Unheilbar iſt er. Alle Naturgaben glaubt er nur verkrümelt zu haben. In wenigen rein ſpe - kulativen Momenten ſtellt er ſich anders dar: und die ſind abgeſchnitten von ihm und ſeinem Benehmen.

Ei! Ei! So mächtig muß das Herzensmeer ſein, wenn Handel und Wandel oben getrieben werden ſoll, werden darf.

Adieu. R.

526

An Varnhagen, in Töplitz.

Lieber guter Varnhagen. Wie iſt dir? Wie iſt ihm; wie iſt ihm jetzt? dacht ich den ganzen Weg her; im ſchön - ſten Nebel, in der hellſten, reichſten, lichteſten Wunderſonne; allein, und mit Andern; bei Nacht und des Mittags. Geſtern war dir am ärgſten, geſtern Abend: da war die Sonne rund um die Erde, und du hatteſt deine Liebſte nicht geſehen: und viele ſolche Tage ſollen vergehen! Lieber! Höre zum Troſte, daß ich mich weit mehr über das Getrenntſein von dir gräme, als ich’s je gedacht hätte. Auch mir iſt ganz ängſtlich: ich fühle mich plötzlich ſo abgeriſſen, von Schutz, Sicherheit, und Liebe, daß ich rund um mich herum gehen könnte, um nur zu ſehen, um nur zu finden: zu wem gehörſt du denn? zu was? Geſtern machte ich gegen Abend den hertlichſten Gang mit Marwitz und Lippe, wohl eine Meile, die Oſtrawieſe hinauf. Du weißt, ob und wie ich Marwitz liebe, es waren zwei Freunde: wir gingen manchmal ſtill, groß und göttlich war der weite Raum, die prachtvolle Sonne und Abendröthe, die ernſten und ganz andern Bäume als in Böhmen, die unend - lichen Alleen; allein ich mußte denken, allein und fremd biſt du hier, wenn dieſe Beiden nicht mitgehen wollen; allein und fremd, wenn ſie auch neben dir bleiben; du biſt nicht ihr Lieb - ſtes, ſie beziehen nicht alles auf dich. Wie gewiß lebt ich bisher! Und ich war nicht undankbar, Varnhagen! nimm es nicht ſo roh, wie das Wort hier daſteht: es war nicht nur527 Dankbarkeit, es war liebende Sehnſucht; und mein Herzenſeh - nen antwortete deinem, mein Herz hielt Takt mit deinem. Und ſo ſind meine meiſten Momente. Ein Berechnen was du thuſt, ein Sehnen nach dir, ein Jammern über deine Sehnſucht. Mar - witz war mir zu Anfang etwas fremd, ſeine Perſönlichkeit: obgleich ich ganz roth wurde, als ich ihn krumm vorne über du kennſt ihn in Zehiſta gewahr wurde. So kamen wir, weil wir Pirna beſehen hatten wovon künftig um 9 Uhr in Dresden, ich blieb eine Nacht in einem Wirthshaus, und wohne jetzt in Marwitz Quartier, denke dir! wenn man die Brücke nach der Neuſtadt hin zu Ende iſt, das erſte Haus rechts, meine Fenſter ſehen die Brücke gerad hinauf bis nach dem Schloſſe, und beide Ufer. Göttlich! könnteſt du es ſehen! Ich muß mich fördern, es hat 10 geſchlagen; Mar - witz, der jetzt im Wirthshaus wohnt, kommt um halb 11 zur Galerie. Ich wohne in dem Häuschen, wo ich zu dir im Vorbeigehen ſagte: hier möchte ich wohnen. Geſtern in der Kirche verlor ich Marwitz, ging mit Hebenſtreits, die ich fand; ſah Pitt-Arnim, Dalwigk, Grotthuß, d’Eſtourmel; den Unterſtrichenen wich ich allen aus.

Bei uns wird Krieg: was ſagſt du dazu! Erwarte aus Berlin nur Nachrichten über unſer Land, und unſere Si - tuation von mir. Mein theurer Freund! Ich bin ganz von deinem Beſten in dir überzeugt; und von deiner Liebe zu mir.

Uber alles hab ich nun mit Marwitz ſchon geſprochen. Über Künſte denken wir ganz gleich. Er iſt äußerſt ſanft und innig und nachgiebig mit mir; und ſehr lieb, ehrlich und brav. 528Nicht ganz geſund. Il prend les armes, on va à Potsdam pour étudier, comme il s’est exprimé. Grüße ja Beethovens und unſern liebſten Oliva! B’hüt ihn Gott! Adieu, Liebſter! Wenn ich ſo etwas aufbreche, was du gewickelt haſt! ein Schmerz und eine Liebe!

Adieu.

An Varnhagen, in Prag.

Mein wahrer einziger Freund, vor einer halben Stunde erhielt ich erſt deinen Brief, obgleich er ſchon geſtern Abend hier war, wegen dem Sonntags zugeſchloſſenen Komtoir. Alle deine Gemüthsbewegungen gaben auch meinem dieſelben! Thränen waren zwiſchen mir und dem Briefe. Faſſe dich, mein Freund. Denn höre. Bei Naturen, wie die meinige, geht kein ernſtes Denken, kein Empfinden, kein ernſtes Wol - len, keine ernſte Liebe wie ein Schatten vorbei! Biſt du, wie ich es ſehe und weiß, ganz von meinem Daſein durchglüht und erfüllt, ſo werde auch ich in deiner Nähe glücklich ſein, und dich zu Schutz und Umgang wählen können. Ich fühlte es vor deinem Briefe. Wir ſehen uns gewiß bald. Dies ſei dein Troſt; ich will es und du willſt es. Quäle mich nicht mit Kleinigkeiten, und wir können ein edles und ſchönes Le - ben führen. Findet ſich gar und gar kein Mittel, ſo kommſt du unterdeß ohne Mittel, und es muß ſich nachher eines finden. Dieſen Fall ſetz ich, wenn du es nicht aushältſt, und die Trennung dich zu ſehr mordet. Erſt laſſe mich nur nachHauſe529Hauſe kommen. Halte dieſen Brief nicht für unzärtlich, ich habe keine Zeit, und packte alſo das Weſentlichſte für dich, ſo hieß mich meine Zärtlichkeit. Ich verſäume die Galerie, und ſoll Nachmittag mit Marwitz nach der Meißner Gegend eine Meile von hier fahren. Bis jetzt haben wir alles zu Fuß abgemacht. Ich lebe ſehr eingezogen. Abends immer bei mir mit Marwitz, dem Mahler Friedrich Meyer aus Rathenau, Lippe, oder den Dlls. Hebenſtreit. Geſtern war ich mit Marwitz allein, und da laſen wir Novalis, und hatten die tiefſinnigſten Geſpräche. Wir leben wie zwei Stu - denten, wovon der eine eine Frau iſt; er ißt Mittags mit mir, dann und wann Meyer auch. Lippe zankt ſich gehörigſt mit mir: und war geſtern nicht da, weil ich vorgeſtern bei ſeinem ſonderbaren Ernſte lachen mußte. Marwitz iſt mild und gehorſam, und wie ein jüngerer wahrer Bruder gegen mich; angeſchloſſen, aber ohne jede reizende und gereizte Ga - lanterie. Mir lieb, recht, bequem und angenehm; wir haben den vielſeitigſten reichſten Wortwechſel. Er ſpricht außer - ordentlich richtig, gütig und unbefangen, und oft, von dir. Er denkt über Adel und des Bruders Geſchichte anders, als ich glaubte; du weißt alſo wie!!! du würdeſt dich über die Ausdrücke todt wundern.

Sei verſichert, ich denke oft, oft, bei jedem Vorfall, Wet - ter, Schein, Bild, ja bei gutem Eſſen an dich. Wie ſollt ich nicht! Du haſt mich gelehrt in einer Atmoſphäre von Liebe zu wohnen; und alles berührt mich unheimiſch und kalt ohne ſie. Ich kenne dich ganz und liebe dich: und rechne auf dich; und auf dein Fortſchreiten in jedem Sinn.

I. 34530

Grüße ja den Obriſt; ich laſſe ihn fragen, ob er böſe auf mich iſt? Grüße ſehr Oliva. Ich habe lange lange nicht ſo zärtlich geſchrieben, wie ich dich hege und an dich denke. Es ging alles in den Plan dich zu ſehen über.

Grüß nur den armen Beethoven; und ich gedenk ihm ſtets ſeine unerwartete Gefälligkeit, daß er mir gleich et - was vorſpielte. Wie ſo hält er aber ſo viel von mir? Den Plan der Oper will ich durchſehen, er ſoll ihn mir nur ſchik - ken; und aufrichtig will ich ſein, ich kann gar nicht anders.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

O! mein theurer Freund, je mehr vorgeht, je ſchrecklicher iſt es, daß Sie weg ſind. Ich erliege, ich bin überwältigt von dem Strom der Gedanken an Sie, ſeid Sie weg ſind; welche Welle davon, ſollt ich ſchöpfen, um ſie Ihnen zu ſen - den? Was iſt nicht alles ſchon vorgefallen, was hab ich Ihnen nicht alles adreſſirt! Oft hatte ich auch Augenblicke, wo ich zu furchtſam war, Sie in Ihrer neuen Umgebung, in der neuen Laufbahn gleich zu ſtören; Sie gleichſam nicht un - befangen zu ſich ſelbſt kommen zu laſſen, Ihnen mein Anden - ken aufzudringen! Und andere hatte ich, wo ich dachte; er weiß, daß ihn deine Gedanken belagern, und es iſt ihm lieb, er hat es nöthig, er denkt es. Furcht behielt aber die Ober - hand; und es iſt auch beſſer, Sie ſehnen ſich nach meinen Briefen und Worten, als daß Sie ſie einen Augenblick weg - wünſchen. Das iſt wahr; und ich geſtehe es.

531

Es hilft Ihnen nicht, mein lieber Marwitz, daß Sie meine ganze Unwiſſenheit überſchaut haben: die gelehrteſten Leute kommen in meine Einſamkeit zu mir, und bleiben von 7 bis dreiviertel auf 11 tête-à-tête bei mir. Der Philologe Wolf that das dieſen Abend. Sie haben ſich nichts mehr zu ſchä - men. Dieſer Mann denn, ſprach dieſe ganze Zeit auf die reichhaltigſte, geiſtreichſte, naiveſte, offenſte Art mit mir. Von allen ſeinen Arbeiten (wovon er mir ſchon morgen die Wol - ken ſchickt, und einen Aufſatz über die deutſche Sprache, und mir alles geben wird, was ich nur irgend verſtehen kann), Plänen, Geſinnungen, über alle Gelehrte, und Stadtgenoſſen. Über ſein früheres Leben, ſeine Liebſchaften, Heirath, Ehe, Frau, Kinder und ihre Erziehung. Über die Art und Weiſe wie er ſeine Arbeiten konzipirt, und unergründlich liebenswürdig was er davon hält; was er noch zu ſchreiben gedenkt, wie er vieles verfaßte, was er vom Überſetzen denkt; von Voß, Schiller, Schleiermacher, Humboldt, Friedrich Schlegel, deſ - ſen Frau und Bruder, Goethe, deſſen Ehe, und Geſchichte; ſeinem Leben mit ihm; vom Herzog, der Herzogin; Deutſch - land, und ſeine Meinung darüber (meine Satisfaktion! es war meine. ), von Mad. Herz, Frau von Berg, Gräfin Voß, ihrem Mann, Stein und Varnhagen. Kurz, ich kann mich des lebendigen Geſprächs und der Gegenſtände nicht al - ler erinnren; für mich Arme fiel es aber doch zu einem Leid aus; mit welchem Jammer bedauerte ich, daß Sie vier Mei - len weit waren, mit welcher Anſtrengung wollt ich alles für Sie behalten. Wie ſchön ſprach er über die Wolken! Welche Vorrede für mich! Mit welchem großartigen Zutrauen34 *532über alle Dinge, mit welchem leiſen, nur nöthigen Verbot! Wenn ich Sie ſehe, bleibt Ihnen alles das unverlvren. Wel - cher Verluſt, getrennt zu leben! Laſſen Sie mich’s auf dem ſtummen Papier ſagen! Andere Menſchen können getrennt leben, wir zwei nicht. Es iſt zu wahr; ich ſag es dreiſt.

Geſtern Abend, war eben ſo lange und allein, Harſcher bei mir. Wir ſprachen meiſt von Ihnen; ich in lallenden Verſuchen, ob es anginge zu ſagen, wie ich Sie ſehe. Er war ganz rein, wahr, ſanft, aufrichtig. Sprach ſchön über Sie; und ſagte, er könne Sie ſo, wie ich Sie liebe, nicht lieben. Schleiermacher und ich liebten Sie am meiſten. Ich vertheidigte mich nicht. Er geſtand rührend, weil ich mehr wäre als er (Harſcher), könnt ich Sie mehr lieben. Ich war ganz wahr gegen ihn, und nahm ihn für mich ein. Er ge - ſtand mir, er ſei nicht gekommen, um uns zwei nicht zu ſtö - ren; ich ſetzte ihm wahrhaft auseinander wie das nicht ge - ſchehen wäre, wenn er ordentlich geweſen wäre, und was unter dieſem Ordentlich zu verſtehen ſei, er ſah es ein, und gab mir ſanft Recht. Er habe wider mich geſprochen, ſagte er mir auch, und Sie hätten mich mit dem größten Feuer ritterlich vertheidigt. Beſſer, dacht ich, und ſchwieg. Er fing mich an ſehr zu bewundern: und auch wieder zu zweiflen, ob ich ſo gut ſei, als ich mich zeigte. Aber nicht unangenehm. Ich ſprach ihm über ſein Innerſtes, traf es, und konnte ihm ſehr wohlthun: da eben ging ſeine Bewundrung los; und bei mei - nem ſcharfen Sehen und Wiſſen; bei meiner Liebe. Über Schl. ſprach er ſehr klar; und klagte über ſeine Stumm - heit; und klagte ihn an, mit mir nichts zu haben, und be -533 dauerte es. Dies alles aber in der natürlichſten, allmähligſten Folge, und nicht im geringſten wie es hier ſteht. Jeder Menſch, jedes Ding, und er ſich ſelbſt, wurden ihm klar und lieber; er fühlte das am Ende ſo, daß er ſagte: bei Ihnen wird mir wohl! und faßte ſich am Kopf, und ſetzte hinzu, mir wird klar im Kopf. Ich bin, die all das Herrliche vollbrachte, (die Jungfrau von Schiller) und ſchwankend geh ich mit der Fahne her. Ich werde todt ſein , wie Alfonſo’s Mutter; darben wie die Schweſter von Urbino. Nicht ganz ſo; lieber Freund!

Es iſt ganz richtig, daß Sie mir nicht ehr ſchrieben, und überall nicht ohne Bedürfniß, und die eigentliche Möglichkeit dazu; aber es giebt eine Pflicht, und die hätte Sie dazu brin - gen ſollen, die hätte mich dazu gebracht. Haben Sie meinen Zuſtand ſo ganz vergeſſen können? und daß Ihre Schriftzüge ſchon allein jetzt mein liebſtes, tröſtliches Geſichte ſind? Es thut nichts! Mein innerſtes Herz weiß immer, worauf es zu rechnen hat, und es war mir nichts Unerhörtes, Unerwartetes. Was mich aber das Gegentheil hoffen machte, war meine grimmige Bitte, die in einzelnen Worten Sie ſo zu faſſen wußte, daß Sie mir nach mancher Viertelſtunde, das Verſpre - chen wie von ſelbſt gaben, daß Sie mir bald, ja gleich ſchrei - ben würden. Als kein Brief, und kein Brief kam, dacht ich mir endlich, Sie wollten mir nicht eher, als im eingerichteten Quartier ſchreiben; und, Sie haben noch keine Arbeit, und wären gleich zu Fouqué’s gereiſt nicht dumm von mir, 534 aber nur meine dritte, tiefſte Vermuthung war wahr, er ver - ſchiebt’s bis auf eine lebendige Stimmung, und hat nichts mitgenommen, welches ihm die eingiebt, Zwingen Sie ſich nun nicht mehr mir zu ſchreiben, und machen es ganz nach Ihrer Bequemlichkeit, Bedürfniß und assiette. Auch ich habe endlich Ihren Brief nicht in der beſten geleſen: und Sie wer - den es wohl jedem ſchweren Worte anmerken. Mein Herz iſt ſteinſchwer, und gedrückt mein Gemüth trotz meines Geiſtes Muth, heute. Wie aus einem tiefen Gefängniſſe hinaus fühl ich was Sie ſchreiben. Ich ſegne mit beſtem Herzens - antheil Ihre Spazirgänge in Sansſouci! Gnädiger Gott, warum bin ich nicht an ſolchem Ort! ich habe es nöthiger, als je. Ja, einen Ort: ſeit wie lang ſchon wälzt dies große Bedürfniß ſich mir näher; Sinn und Leben benehmend ſteht es nun groß, dunkel, und erdrückend über mich weg! vor mir. Durch dies ſeh ich faſt nur wie ein Verrückter Ort und Gegenſtände, die mich wirklich umgeben. Geſtern unter den Linden befiel mich ein ſolcher Zuſtand: fremd, ganz fremd, und ruppig, ſchienen mir Linden, Straße und Häuſer; die Menſchen zur Furcht; nicht Einer ein Geſicht, eine Phyſiono - mie, der albernſte, äußerlichſte, hölzernſte, zerſtreuteſte Aus - druck, albern-eitle Frauen; nicht kokett, auf Neigung ſich be - ziehend, oder im Vollgenuß irgend einer Art. Die Armuth der Stadt, wo ich jedem berechnen kann, was er hat, verzehrt, will oder kann; die ſchreckbare wüſte Beziehungsloſigkeit, die nicht an Staat, noch Liebe, Familie, oder irgend eine ſelbſter - zeugte Religion anreicht. Ihr ſchwindlender, eitler, nichtiger, ſtrafbarer Taumel! Ich dadrunter, noch beziehungsloſer, mit535 vollem leerem Herzen; fruſtrirt um alles was wünſchenswerth iſt; getrennt vom Letzten. Kurz, wie vor einem ſündenhaften Zaubertempel denn die Wirklichkeit entſchwand dem den - noch nicht todten Gemüth, deſſen Wanken ich ſchon ſehe, deſſen Einſturz gewiß iſt, der mich und Alle treffen muß. Nicht gewiß ob ich wirklich wache, halb träumend ging ich ſo umher; mir ſagend, es iſt beſſer, daß du hier gehſt, als einen einſamen abſtrakten Spazirgang zu machen mit denen, die nicht die Rechten ſind; du willſt auch alle Tage ſo hingehen; was machſt du dir draus, ſie exiſtiren nicht für dich. Als aber rückzu ganze Damenfamilien mit uns gingen, Legations - frauen, Banquier-Töchter und Weiber, Baroninnen, Staats - rathstöchter, Geſandten-Grafen, und ich wie unter Todten war, in eine verlegne Angſt gerieth oder Schläfrigkeit, wie mir das jetzt immer geſchieht nahm ich mir vor, nicht mehr dahin zu gehen.

Jedoch es wird alles anders, als es ſelbſt die Umſtände zu beabſichtigen ſcheinen, und keine Zukunft fürcht ich mehr den Namen nach, als ihres allgemeinen. Was mich drückt, iſt das Sparen: weil ich wahrlich es immer that, und nicht weiß, wo ich die Maſchine anſetzen ſoll. Mit Einem Wort, ich war bereitet und gefaßt nach Schleſien zu gehen, und ſoll mich hier nun faſſen und einrichten: wollte meinem Onkel al - les klagen und Rath von ihm, und muß nun in der prekairen niedrigen Lage bleiben. Thut nichts! ich will ſie nicht ſo an - ſehen, und mit Groben nicht ſein zu fühlen ſuchen. Nun werde ich Sie ja dieſen Winter dann und wann ſehen. Kommen536 Sie nach Berlin, ſo treten Sie bei mir ab, wenn es Sie nicht genirt.

Vorgeſtern ſuchte mich Wolf wieder, ohne mich zu finden: geſtern ſchrieb ich ihm kein ſchlechtes gehörig kurzes Billet, wo - rin ich ihm Frau von Crayen als Lockung oder Warnung aufſtellte, je nachdem er’s nehmen wollte; er ließ mich fragen, wann ſie käme; 7 war die Stunde; er kam um 6 und blieb eine, er hatte ſchweren Wein getrunken, und wollte ſich der Geſellſchaft nicht ausſetzen. Er ſcheint oft kommen zu wollen, er merkt, daß meine Zunge das Vortreffliche ſchmeckt, das mag ihm ſelten bei unſchuldigen Frauenbildern geſchehen; und ſchien ſehr dankbar für meinen Zettel; ich hatte ſeine Vorrede be - wundert, und es ihm mit leiſen, erfaſſenden Worten geſagt, wünſchend, eine neue Elegie möchte ihm für uns Alle danken, weil es nur der Eine könnte. Harſcher und Neumann kamen ſpäter auch. Harſcher ganz unbefangen, alert, unſchuldig.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Theuerſter lieber Freund, welche Worte aus Ihrem Briefe ſoll ich erſt aufnehmen, ſie ſtürmen alle auf mich ein, und be - wegen, rühren, und beruhigen mir das Herz; als ich ihn zuerſt las, waren mir das die liebſten, heilendſten, treffendſten, wie ein goldglänzender, entzündender Pfeil: das Ende Ihres gan - zen Briefs: Gleich Antwort. Ihre Briefe ſind mir unent - behrlich. Ich bekam aber den am Donnerstag geſchriebenen537 Brief (wenn er auch erſt Freitag abgegangen wäre; wie ſchrecklich langſam gehen die Briefe! Meine auch?) erſt heute, als man bald Licht anzünden mußte (mit einem von Barne - kow zugleich), als ich ihn ohne Schlüſſel ſah, und ſo ſchwer, ſo wußte ich, er mußte viel für mich enthalten; aber ganz Liebes kommt einem immer unverhofft. Vieles, liebſter Freund, habe ich viel einfacher geſagt, als es ausgeſehen haben muß. Nämlich grade das, was Sie anführen. Freilich ſeh ich Ihnen in die Augen! Aber zu meiner größten Ehre eher, als Sie mir es ſagten; unbefangen mit voller Liebe. In die Au - gen, wo ich alle Menſchlichkeit finde; wahren Troſt, Sicher - heit, Erſatz. Ich erlaſſe Ihnen viele Worte des ächteſten ſtrö - mendſten Wohlwollens; ſie ſtrömen beſſer als alle Vorwürfe! Aber Sie ſollen frei davon ſein; und ich will ſie allein, ſelbſt bekämpfen, dieſe Fluth! Ich ſagte es ganz ehrlich: Zwingen Sie ſich nun nicht mehr, mir zu ſchreiben. Nun, da ich ſo lange, trotz Ihrem Verſprechen gleich zu ſchreiben , hatte warten müſſen. Zwingen Sie ſich nun nicht, da ich dies ausgehalten habe, wo es mir ſo nothwendig war, Sie es ſo einſahen. Die übrigen Stimmungen, in denen man nicht ſchreibt, ſollte dies heißen, kenne ich. Und dies ſelbe ſollte es auch heißen, wenn ich die Briefe gleich zurückforderte, ohne ein Wort von Ihnen. Böſe, Marwitz, war ich nicht; denn, haben Sie nicht den offenbaren Vorwurf geleſen? Wie er aus meinem Herzen kam; ganz wie er mich nur drin ſchmerzte. Sie ſahen, fühlten mein Bedürfniß, ſo daß Sie ſelbſt es mir zum Troſt verſprachen, und der Brief kam nicht! Dies ſagte ich Ihnen klar: und haben wir nicht längſt verabredet, daß538 arge Vorwürfe gar nicht gemacht werden können? Sehen Sie bis auf meinen ſchwarzen Herzensgrund: ich freue mich, daß ich Sie quälte: aber bei Gott, ich wollte es nicht, und dachte es nicht. Verzeihen Sie mir aber überhaupt meine Stimmun - gen jetzt! Ich habe ergründet, was es iſt. So lauf ich, wie Sie mich ſchon gehämmert kennen, mit geſchlagenem Herzen in dieſer Stadt umher; wo nichts iſt, wie Sie auch wiſſen, als was ich Ihnen beſchrieb: ärmer in allem, als ich ſonſt war (mit phyſiſch krankem Herzen). Nun nicht mehr, Lieber! Schon vor Ihrem Brief überlegt ich’s mir oft. Die Einſamkeit iſt nicht für mich. Trotz meiner regen thätigen Sinne iſt der ſtärkſte, ich ſehe es nun wohl (kurz vor meinem Ende beinah) mein Herz; ſoll das ſchweigen und ohne Gegen - ſtand ſein, ſo entſteht die Kerkerangſt bei mir (der wahre Tod iſt Kleinigkeit, der iſt ein Aufhören einer Natur in die andere hinein er ſei nun wie und was er wolle ), verdumpfen thun alle meine Sinne und Funktionen, und das ganze Leben zieht in die Angſt hinein, über dieſen Zuſtand! Ich ſeh es ja, darf ich hoffen Sie zu ſehen, ſind Sie hier, wäre Pauline hier, die mich tauſendfach erheitert, die ich vielfältig lieben kann: die ganze verſtäubte Stadt wäre mir belebt; und voll wären meine Tage, ich vermißte nichts; obgleich ich alle ſterb - liche Güter zu genießen wüßte. Ihre ehrenvolle herrliche An - rede an mich, paßt alſo nicht auf mich, mein lieber lieber Freund. Mein Geiſt und Gefühl ſind andere Helden! Ich kann mir die Herrlichkeit des wahren Lebens nur ſchaffen an der Seite eines Sterblichen, den ich lieben kann. Aber der Gott in mir wird mich aufrichten ! Denn ich ſchaffe539 mir gewiß, was ich brauche, oder beweine es! In Dumpfheit wird mich mein Schöpfer nicht laſſen.

Die Anekdote von dem ſächſiſchen Handwerksburſchen iſt eine der großartigſten, es iſt mir unendlich lieb, daß ſie Ihnen begegnet iſt; dem einfachſten Menſchen. Ich gönne ſie Ihnen mehr, als mir.

Ich habe Ihnen geſtern Abend in der entſetzlichſten Eil raſend ſchlecht geſchrieben: nicht eins wie es aus dem andern hervorgeht, nicht ein bischen Zuſtand, Stimmung ausgedrückt, Gedanken dargeſtellt. (Auch jetzt, ſchon bei den wenigen Wor - ten, bin ich dreimal hinausgeholt worden, zu einer con - sulte,) Daß ich mich geſtern Abend in allem ärmer nannte, damit meinte ich nicht beſonders das Geld; aber ich meine es ſehr mit. Bedenken Sie, welche Geſellſchaft ich verlor: wel - chen reichen geſelligen Umgang, den Aufenthalt bei meiner Mutter, der noch Sinn in mein Leben brachte mein einzi - ger nennbarer Titel, und bei der ich wirklich dreimal rei - cher war, als noch vor einem Monat. Wie behaglich wenig - ſtens dies alles meinen Aufenthalt hier machte; wie ich mich für Andere regen konnte, ihnen und Freunden zu allen Tages - ſtunden angenehm ſein konnte. Dies alles müſſen Sie nur noch hören, damit Sie eine Einſicht in meine Zerſchlagenheit bekommen, und mir die dumpfe Klage, den benommenen Sinn zu Gute halten, mit dem ich Sie ſeit Potsdam quäle; rechnen Sie dazu die Art meiner Komplexion, und was Sie ſchon von mir und meinem Leben wiſſen. Ich hatte beinah nie ein re - elles mir gehöriges; und mir iſt genommen worden, und ge -540 nommen. Schlag auf Schlag auf mich gefallen, ſeit Jahren! dies alles erwägend werden Sie mir ſogar noch Faſſung finden. Kommt mir das Leben entgegen, auch noch ſo kärglich, ſo bin ich immer da; ſelten dauert’s länger als Augenblicke, daß ich ganz losgelaſſen meinen perſönlichen Schmerz aus dem Herzen laſſe, und nur mit meiner eigenen Erlaubniß in Ge - genwart eines Freundes; bald bin ich immer wieder gefaßt, und zu ſeiner Rede, zu was ihm lieb iſt, fertig. Nur in Brie - fen iſt das anders. Wo kein Gegenſtand meinen Blick trifft, kein fortſchreitendes Verhältniß mich auffordert und in Anſpruch nimmt, da bin ich nur mir ſelbſt gegenüber, und ſchaue immer nur in mein Inneres: ein Vergangenes Unthätiges was wahrlich zu herb wenigſtens, wenn auch nicht zu ſchlecht, der großen ſich bildenden Folgen wegen, für ein ſo zartes leicht tonangebendes Innre war, Dies iſt aber alles ſchon wieder vorüber mit Ihrem geſtrigen Briefe. Seine Worte, und die Hoffnung Sie zu ſehen, entbanden mir das Herz, Leben ſehe ich wieder überall: wie der Sommer den Winter wegtreibt, man weiß nicht wie ſo; weil er da iſt, man weiß nicht wo der Winter bleibt, der vorher ſo wirklich da war; mit ſeinem Zuſammenziehen, Erſtarren, Dunkelheit, Trübe und Zugeſchloſ - ſenheit. Sie ſehen, ich habe wieder mit einem Lobe von mir geendigt. Ich kann die Furie bei Ihnen nicht untergehen laſ - ſen. Sie und dieſe, ſind mir beide zu lieb. Aber, wenn ich auch oft denke, auch ihm lügſt du doch; man iſt nicht wahr. So bedenke ich wieder; Sie kennen mich doch, und auch mein Elendeſtes, und ich bin aufrichtig genug zu wünſchen, es möchte wahr ſein. So iſt es auch; denn nach und nach ſage ich541 Ihnen ja alles; und es zeigt ſich auch alles ſolchen Augen, wie Ihre.

Nach Gentz vergaß ich zu fragen. Wie ſehr ich ihn geliebt habe, habe ich ihm geſagt; was ich ihm bin, weiß er; wie er iſt, weiß ich; er hat das Bedürfniß nicht mich zu ſehen, thut dazu nichts, in ſo langer Zeit, alſo liegt er in meinem Heiligthume auch ſtill, weit zurück. So kam es. Ich lieb ihn für ewig, und werde ihm auch wohl ſchreiben. Wolf habe ich ſeit der Zeit nicht wieder geſehen; Sie ſchreiben göttlich über ihn, das erzähl ich ihm. Schreiben Sie ja über Adam Smith, es iſt nothwendig, finde ich nach Ihren Worten, die ich ganz verſtehe; er iſt mehr als ein Mitregent Napoleons. Ein Zeichen, Produkt und Triebrad der Zeit: was er aber treibt, muß den vorſchnellen Faulen gezeigt werden. Thun Sie es ja, ſo lange er Ihnen noch gegenwärtig, und ganz wichtig iſt, ehe Sie wieder zu noch größern Kreiſen mit Ihren Ge - danken kommen, und der Ihnen auch nur ein kleineres Be - dingniß, eine kleinere Wirkung des großen Umſchwungs aller Dinge ſcheint, bewegt von ſo hohen, daß ein Menſch ſchon zufrieden ſein kann, wenn er ſie in ſein Bewußtſein kriegt, zur Ausdehnung und Bereicherung alles Denkens. Machen Sie ſich den jetzigen Augenblick zu Nutze; und ſetzen Sie ihn gleich auseinander. Sie können die Worte über ihn, die Sie mir geſandt haben, ſehr gut dazu gebrauchen. Wo möglich ſchaff ich Ihnen heute noch irgendwo Fr. Schlegel. Sie ſind ſo flei - ßig, wie ich Ignvrant es ſein ſollte. Aber ich gönne es Ihnen doch lieber, als mir. Sprechen Sie nur von allem mit mir: ich verſtehe es doch. Sie wiſſen’s auch, und thun es! Ich542 bin wahrlich geboren zum Ignoranten. Weide iſt doch auf dieſem wilden Eiland, und fehlet alle Geiſtesſpur des thätigen ſinnigen Menſchengeſchlechts, ſo ſind gute Dämonen, die ſich dieſer Wildniß annehmen, und Anſpruchloſe herrlich bewirthen. Bei Ihrem Reichthum müſſen Sie auch einen ſolchen wilden Park haben, wo der Dämon gar aufpaſſend lauert, und Sie verſteht; der iſt mein Troſt: nicht wie nichtige Nymphchen, die nicht wiſſen was man will und ſagt, finden Sie doch we - nigſtens à qui parler, und können immer denken, ich habe einen Herrn beſucht! Sie ſehen, ich werde ganz toll!

Ich verfolge Sie alle Tage in Sansſouci! Aber ich bitte, legen Sie ſich nicht auf kalte Steine und Stufen! Auf ſan - digen, ſonnigen trockenen Boden, wenn ich bitten darf! Ich habe darin mitzuſprechen. Sie haben mir auch zu befehlen. Wie gerne käme ich hinüber. Ich will mich doch bei Leuten erkundigen, die hinfahren. Ich weiß, warum Sie’s wünſchen: damit nicht alle Blätter ſchon ab ſeien.

Ich finde die Anekdote vom ſächſiſchen Geſellen überna - türlich ſchön. So wirkt Geſchichte; und ihr Wirken iſt Ge - ſchichte. Seit fünfzig Jahren ſteht Sansſouri, und Welten haben ſich umgekehrt, die Sieger es umwühlt; nun denkt der Sachſe mitten im Garten, er iſt nicht drin; das Lager ſoll erſt kommen. So ſinkt erſt nach und nach Meinung von Stand zu Stand herab; ſolche Kerle wandern noch in Deutſch - land umher; und in fünfzig Jahren weiß ſo Einer erſt von den Schaffwerken der jetzigen Erobrer. Und wie ſtill macht die Anekdote! So ſtill wird von Gemüth zu Gemüthe Gro -543 ßes in ſchützender Unwiſſenheit bewahrt. Adieu! Sie kommen. Und ich ſchreibe Ihnen noch unterdeß ein Stücker fünfzig - bis ſechszigmal.

Ihre R. R.

An Guſtav von Barnekow.

Mein ſehr allerliebſter Barnekow! der mir wirklich das Gemüth erheitert und ſtärkt, wenn ich mir ihn nur beſtimmt und lebhaft denke, wie jetzt hier vor dem Papier gebannt, Ihren wenigſtens achtmal geleſenen Brief neben mir. Sie fehlen mir immer und ewig: d. h. ich merke es beſtändig; und meine liebſten Freunde müſſen in dem Bedauren über den Ver - luſt Ihrer Gegenwart mit einſtimmen, und die allerliebſten und intimſten ſind auch am einſichtigſten darüber. Für’s erſte aber hören Sie nur erſt, wer Sie grüßen läßt. Die Nichten, mit ihrer Mutter, die mich ſchon vor dem Datum des Briefes ſtörten, aber es ausdrücklich verlangten, ich müßte gar er - ſchrecklich grüßen, beide Roberts, Hr. von Heiſter, Mad. Froh - berg, Mad. Oppenheim und ihre Tochter Mariane, die alle haben Ihren Brief geleſen. Er war ſo, daß ſie ihn leſen konnten, und es macht ihnen zu viel Vergnügen, als daß ich es Ihnen nicht gönnte. Mittwoch aber kam Marwitz Sie wiſſen, welche Nummer der bei mir hat unverhofft von Potsdam (wo er bei der Kammer ſteht, und wohin ich ihm ſchon gemeldet hatte, daß ein Brief von Ihnen in meine Hände gekommen ſei), und blieb bis Donnerstag Mittag. Ich las alſo Ihren Brief mit ihm, zu allererſt: er ſah ganz Ihre Art544 ein, und als ich ihm ſagte, ich hätte viel beſſere noch in Töp - litz erhalten, mußt ich den großen Briefklump durchſuchen, und wir laſen auch die, wovon ihm nicht eine Wendung, keine Naivetät, keine derbe Innerlichkeit, wie auch nicht das Milde des Ganzen, aus anſtehender Stärke gebildet, entging. Als er ausgeleſen hatte, ſagte er mit dem freundlichſten We - ſen, die Augen noch auf den wieder eingeſteckten Brief gewen - det: Ich wollte, er wäre hier! Das glaube ich, ich auch! Ich bin ihm recht gut! Sie glauben nicht, wie mich das entzückte! Nichts freut mein Herz ſo ſehr, als wenn ſich meine Freunde anerkennen; und ich kann triumphirend ſitzen und denken, du biſt die Erſte, du haſt den entdeckt; und nun müſſen ſie ihn lieben! Oft hab ich Heterogenſcheinendes ver - einigt; oft aber, wollten die beſten Seiten an den Menſchen nicht zu einander paſſen, und roher unüberlegter Tadel drängte ſich an die Stelle des alles befördernden Wohlwollens, trotz meinem beſten Bereiten; daher fühl ich mit lebendiger Freude wenn es mir gelingt, meine Lieben in Liebe für einander zu entzünden, und wenn ſie meiner beiſtimmen und huldigen müſſen. Ich kam mit dem, was ich für das Schmeichlendſte halten mußte, zuerſt heraus: nun hören Sie auch, welche Thorheit mir am meiſten in Ihrem Brief ſchmeichelte und gefiel. Daß Sie keinen Rum trinken, und noch an meinen Ausſpruch denken! So bin ich: nicht beſſer. Aber Ihr eitles, weiches, liebes Herz wird das verſtehen. Ich hatte auch ohne dieſen Ihren letzten Brief nicht vergeſſen, und oft genug Andern wiederholt, wie eine einzige Bemerkung, über dies Ge - tränk beim Thee, Eingang fand in Ihrer regen Seele, durchden545den beweglichen, auffaſſenden Geiſt; der nichts verſchmäht, ſo klein es ſein mag, wenn es edle Beziehungen hat, und das Gemüth es aufnehmen kann. Alles dies bewies mir deutlichſt die Rum-Geſchichte, und daß nichts Gutes von mir, und ſpalte es ſich in die winzigſten Fädchen, bei Ihnen verloren geht. Solche Freunde brauche ich, und liebe ich; bei meinem klei - nen Seelenkram, und bei ihrem Großhandel! Schreiben Sie mir ja immer, wie es Ihnen geht! Wie es mir geht, wiſſen Sie ganz. Außer daß eine Gemüthsruhe und Klarheit ſich meiner bemächtigt, wie ſonſt wohl Mißſtimmung, und Unver - ſtand es thun; woran ich lange litt. Ich rechne jetzt noch auf keine Zukunft; und danke allen Dämonen für den ge - ſchenkten Augenblick! Glauben Sie ja nicht, daß äußere Er - eigniſſe mich ſo glücklich lenken: im Gegentheil, hierin geht’s mir ſchlecht; ich verſchone Sie mit dem Detail. Wiſſen Sie nur, daß kein Souper mehr bei mir exiſtirt: ich regrettire es aber weniger, da Sie mir doch fehlen: und ich keinen Ange - nehmen kenne. Ich bin ſpät im Abend meiſt bei Mad. F., nicht täglich; wo auch nur wenige, und für mich nicht ein erträglicher Menſch, kommen. Ich war die erſten Wochen mit Marwitz, jetzt bin ich allein, mit Büchern. Und ich ſchwöre Ihnen, ich habe keinen Moment Zeit! In das liebe Thea - ter gehe ich nicht. Sie wiſſen es! Iffland liegt brach, da Sie fort ſind, aber lauter Brennmaterialien ſammlen ſich für ihn an. Eigentlich, exiſtirt er nur für mich, wenn Sie von ihm ſprechen. Um aber nicht gar zu dumm, und menſchen - ſcheu, und ungeſchickt zu werden, ging ich vorgeſtern auf einen Polterabend ſolchem ich nie beigewohnt hatte. Ein gräf -I. 35546lich Lokal. Masken. Zigeuner, Zauberer, Bauern, Guckkaſten - Leute: Herren und Damen aus allen Klaſſen. Ich fand alte Bekannte, und neue, die mich zu kennen vorgaben. Die Mas - ken ſprachen Verſe: auch Muſen kamen; zwei, die tragiſche und die komiſche. Auch Genien. Lächerlich, und gut. Die Zigeuner, Jettchen Fromm, eine Mlle. Krüger, und ein ſchöner junger Liman, waren ſehr gut; die Muſen waren heiſer; to - tal! aber ſahen gut aus. Eine ſechszehnjährige Jüdin war dort, in ſolcher vollkommenen, klaren Sternenſchönheit, daß ſie bloß dadurch abſolut wie eine Prinzeß ausſah. Ich ver - liebte mich für Sie. Total! Ich kenne meine Schuldigkeit. Gott! hätten Sie dies Geſchöpf geſehen! Ich hatte ſie nie geſehen. Sie wohnt hier, und heißt Itzig: nicht von der be - kannten Familie. Nun wiſſen Sie alles, was ich weiß. Für heute nämlich. Künftig mehr! Ich erliege! ich habe heute ſchon zehn Seiten ſchreiben müſſen: und ſchrieb heute nur Ih - nen eiligſt, damit Sie nicht, Gott behüte und bewahre, weg ſein möchten! Peinzeß Wilhelm hat zwei Prinzen, wie die Zeitungen Ihnen werden geſagt haben. Von Aktricen waren nur drei, und von den Herren Einer da. Die hielten’s nicht vornehm genug. Adieu. Schreiben Sie ja! und alles von ſich. Ihre treue

R. Robert.

Das Bischen, was ich von Berlin ſehe, ekelt mich an; die ſtolze, gedemüthigte! elende.

Ihr Datum war göttlich! Schreiben Sie ja ferner natür - lich, das Briefe zeigen, wenn man’s weiß, ſtört in ſo etwas.

547

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Geſtern war es beinah 3, als ich aufhörte an Sie zu ſchreiben: ich ging zur Fr. um etwas wegen des Abends zu ver - abreden, und wollte allein umherlaufen; mir war ſehr unwohl am Gehirn. Sie ging aber mit! und ich führte ſie an das Pots - dammer Thor, wo wir im Achteck, oder wie es heißt, umhergin - gen; das ſchönſte, mildeſte Wetter, der lieblichſte Sonnenſchein, Berlins beſte Luft; wir gingen ziemlich lange; über den Wil - helmsplatz, die Linden durch, nach Hauſe. Weit nach 4 Uhr. Ich wollte eſſen, mich ſehr lange ruhen, und zu Bethmanns. Point du tout; ich finde inliegenden Zettel den freundlich - ſten im Leben von Markus, und aus Schwäche gehe ich richtig in die Zauberflöte, bis 8 da! hatte ich meine Qual mit Ihnen! Ich gönnte mir keine Note. Sie wurde wirk - lich wenn ich das hier ſage! von Seiten des Orcheſters gut gegeben. Die Madam ſpricht ſehr gut und modifizirt das Deutſche aus; ſingt, und deklamirt beſonders, mit gro - ßem Maß, war gut angezogen die Sternenkönigin und ſingt gräßliche Koloratur. Der Sänger, eine ſchöne geſunde Bruſtſtimme, ohne feine Seele zum Vortrag, kann viel lernen, auch von dem Fehlenden! Mlle. Schmidt, keine Ahndung von Pamina! aber ſehr gut geſungen. Alſo ich doch in einem Leid! Das thun Sie mir aber nicht an! Torquato Taſſo wird dieſen Monat hier gegeben. Zu dem Tag ſind Sie hier. Für den Platz forge ich. Dann fuhr ich zu Mad. Beth - mann; wo Frau von der Recke nicht war: aber Hr. Tiedge,35 *548Stägemann Geh. Staatsrath, Komödien-Schulz, ein muſikaliſcher Herr Volange, Deutſcher; Herr Greuhm, Herr von Lüttwitz, Mlls. Sebald, zwei Markuſe’s, Mad. Frohberg. Beide Markuſe’s ſangen ſehr gut und viel; die Sebalds auch, und gut franzöſiſch; die Liman und Bethmann vortreff - lich italiäniſch; die Liman, wie niemand in der Stadt. Ich nannte ſie beſtändig Limanetti. Ich ſprach nur mit Herrn von Lüttwitz, der mich amüſirte. Und Einmal, aus respeet humain, mit der Töplitzer Sebald, damit ſie, den Äußerungen gegen Sie zufolge, nicht denken ſollte, ich ſpiele Ball mit ihr. Mit den Herren allen hatte ich auch geſprochen apropos! Bernhardi war auch da mit Hrn. Tiedge und Stägemann beſonders. Als ich gegen 10 Uhr nach Hauſe komme, finde ich einen liebenswürdigen Brief von Redtel, den ich mit Stolz Ihnen danke! Und nun erliege ich! und gehe ſpaziren, warte auf einen Brief von Ihnen, und gehe heute Abend zum Thee bei Mad. Lercaro. Alles dieſes fade, weil Sie’s nicht miterleben: uns nicht fade war, nur hier ſo iſt. Adieu!

Er ſprach alles und jedes ſich vom Herzen, mit einem Zutrauen, einem Bedürfniß, was allein mich ſchon gewinnt! Öde kommt’s mir vor, wenn alles was im Hauſe geſchehen ſoll, was ich thue, ſich nur auf mich bezieht; freudig bin ich nur, wenn ich mich bequeme, ſchaffe, beſorge, bedenke für An - dre. Hélas! Nach und nach ſehe iſt erſt ein, aus welchen geſelligen Beſtandtheilen ich gemacht bin; ſonſt ſchrieb ich al - les der verliebten Liebe zu; ach! und die ſelbſt ſchwoll und549 flammte nur von dieſen Eigenſchaften getrieben, genährt, ent - zündet, zur verzehrend-verheerenden Gluth auf! Zu Aſche iſt mein Herz: wie ich Campan ſchrieb: ich überlegt es noch geſtern; es liebt nicht mehr für ſeine Rechnung; ſeine Seele lebt nur noch, und der Geiſt; es iſt wirklich todt. Und in Einem hat der ſtumpfſinnige Freund Recht; daß er ſich wundert, daß ich weiter lebe. Sehen Sie, wie traurig ich bin. Ich weine auch: und ſage das Meiſte nicht, niemals. Und doch ſehe ich dies ſo ganz anders an: und kann es wie ein Glück be - trachten. Ich bin ſo unendlich frei in meinem Innren. Wie nicht verpflichtet der Erde. O! ich kann es gar in Worten nicht ſagen. Mir iſt noch immer zu Muthe wie damals, als ich vierzehn Jahr alt war. Für Andere, für die große Leute war alles: und ſo iſt es noch, vergeſſe ich meine gräß - lichen Schmerzen, die grimme Schmach; und ich habe ei - gentlich kein Talent, mich mit ihnen abzugeben, zu wieder - käuen wie es war, weil, von Natur aus, ich zum Unglück nicht gemacht bin; die war üppig ſtolz, übermüthig vor Freude, als die Erde mich empfing; aber weiter ging es ſchlecht; daher der ſtarke Bruch; und ich bin ſchlecht und gut; d. h. viel und nichts nutz. Aber gar nicht recht zum Unglück, obgleich ich’s empfinde, und genoß, wie Wenige! den größten Dichter ſetz ich da nicht über mich; es traf in’s friſche, in’s bewußte Leben. Mit großer Gefälligkeit ſprech ich von mir: aber Sie wiſſen zu viel von mir, als daß Sie nicht alles, was ich er - grüblen kann, auch wiſſen ſollten. Und es iſt doch nichts in - tereſſanter, als ein Menſch, dem Menſchen. Sie glauben nicht, wie ironiſch ich mich über mich ſelbſt erheben kann, bis550 zur freieſten Luſtigkeit, ohne Groll und Zorn; und wie ich gewöhnlich ganz von meinem Schickſale abgewandt bin. Neue Kräfte, neuer Muth, neues Sehen, ein friſches unper - ſönliches Herz, ein geſunder Kopf, ein recht geiſtiger Geiſt, die helfen ſehr. Und Sie; Sie helfen mir auch; Sie machen es mir wahr und wirklich, was ich liebe: was ich in mir liebe. Sie vergewiſſern es mir, daß ich kein Träumender al - lein hier bin! Um von einer ſchönen Frau zu ſprechen! Frau von B. iſt eine. Aber glauben Sie’s? Ich ſah ſie nur von ferne, und mied ſie; die Mutter war auch da, und dieſe, eine überaus gute Frau, mied ich ſo, daß ich Umwege machte, und auf einem Ball am einen Ende des Saals blieb, bloß weil ſie auf dem andern waren; und bloß weil ich die tödtend nichtigen Dinge nicht ſagen wollte, ohne Endzweck, Plan und Luſt; und ganz beſonders, weil dieſe Mutter einen gemeinen freundlichen Mann geweſener preußiſcher Offizier hat; den floh ich eigentlich, und alle die Menſchen, und weil man ſo ſehr um ſie her war, um die Schöne. Wenn ſie etwas von der Natur von Grünes weiß, ſo iſt das ſehr viel. Doch glaub ich’s; warum nicht!?

Sie haben mir geſtern einen göttlichen Brief geſchrieben; ich weiß nicht welche Miſchung von unbezwinglicher, aber eben bezwungener Rührung, ja, Erſchütterung, zwiſchen jedes auch noch ſo gleichgültige Wort gedrungen iſt! So ſtark, ſo ernſt, ſo thränenreich klang mir noch kein Brief von Ihnen! und ſo aus Einem Stück! Sie glauben nicht, wie es mich ſchmeichelt, daß Sie mich des Franzöſiſchen wegen loben; weil ich es gar zu gern wüßte! und all meines, ich551 mag es machen wie ich will, deutſch bleibt. Alſo die mindeſte Illuſion, die ich Ihnen nur machen konnte, iſt mir Gold werth. So viel iſt aber dabei wahr; ich ſchrieb es ſo ſchnell als dies hier, und ſehr bewegt; wie immer.

Anmerk. Einiges aus einem Briefe von Marwitz mag hier einzu - ſchalten ſein: er ſchrieb aus Potsdam:

Ich ſoll Sie immer wieder beruhigen wegen Ihrer volumes, ſchreiben Sie mir, liebe Rahel. So hören Sie denn, wie ich ſie empfange. Ich leſe ſie drei - bis viermal hintereinander durch, manche Stellen noch viel öfter, lege ſie dann weg, mit dem Gefübl eines Geizigen, der ſeinen Schatz wieder um ein raar tauſend Thaler vermehrt ſieht (das iſt grade mein Fall; anders kann der Geizige ſeinen Schatz nicht fühlen, als ich in Einer Rückſicht Ihre Briefe), und dann laufe ich ein - oder mehrere Stunden im Zimmer umher, und laſſe den Inhalt Ihrer Zeilen in mir nachklingen; antworten kann ich in dieſer Stimmung nicht, denn ich bin zu agitirt, fühle zu ſehr das Ganze, als daß ich an ein Einzelnes anknüpfen und mich darüber ausſprechen könnte. Und nun beruhige ich Sie nie mehr von neuem. So haben Ihre Briefe immer auf mich gewirkt, ſo werden ſie immer auf mich wirken. Senden Sie mir daher nur ja immer dieſe volumes, liebe Freundin; es können tauſend Umſtände kommen, um deret - willen ich nicht ſogleich antworte (Sie haben mir ja auch auf drei Briefe von Töplitz nicht geantwortet), äußere Hinderniſſe, geſtörte Stimmungen, aber ſeien Sie ein - für allemal überzeugt, daß darum nicht minder jedes Ihrer Worte mir zum innerſten Herzen dringt, und dort verjagt, was von Unmuth oder Stumpfheit ſich feſtgeſetzt haben mag. Wie ſoll ich Ih - nen beſonders für Ihre beiden letzten Briefe danken, für den unausſprech - lichen Reichthum tiefer innerer und lebendiger äußerer Dinge, mit dem Sie mich überſchüttet haben. Ich will einiges beantworten.

Ja, liebe Freundin, Sie haben ein egoiſtiſches Herz, aber ein ſolches, welches das Eole, Hohe, Kraftige, Wahre an ſich ziehen und genießen will. Jeder Rechte hat einen ſolchen Egoismus, ſetzt ſich als Mittelpunkt des Weltalls, aber wie wenigen Hochbegabten ward, ſeit die Erde ſteht, die Fülle des Herzens, die Gerechtigkeit der Seele , die Penetration des Geiſtes verliehen, um ihn zu befriedigen wie Sie. Laſſen Sie Rabels Herz zu Aſche geſunken ſein, das menſchliche Herz ſchlägt weiter in Ihnen mit freieren, höheren Pulſen, abgewandt von allem Irdiſchen, und doch552 ihm ganz nahe, die ſcharfe Intelligenz denkt weiter und in größern Krei - ſen; aus dem grünen, friſchen, lebendigen Thal hat Sie der Schickſals - ſturm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich iſt, der Menſch ferne, aber Gott nahe.

Reinhardts inneres Weſen beſteht in einer Unperſönlichkeit, in einer reinen unſchuldigen Offenheit, welche um ſo liebenswürdiger iſt, da ſie gar nicht auf einer ſchwachen Negativität, ſondern[auf] einem eben ſo feſt beſtimmten, wie ſanften und milden Karakter ruht. Weil ich wußte, daß er ſie verſtehen würde, hatte ich ihm, ehe er nach Berlin zurückging, viele Ihrer Briefe vorgeleſen. Sie begeiſterten ihn durchaus, und er faßte ſie ganz von der rechten Seite. Wie er zurückkam, fragte ich ihn natür - lich gleich, ob er Sie geſehn und wie? Er lobte Sie ſehr, auf Tiefen ſei das Geſpräch nicht gekommen, aber nie habe er einen Menſchen geſehn, der mit der Energie und der Leichtigkeit von allem den Mittelpunkt ergriffe.

Mit Smith bin ich fertig. Viele auf unſre[Verſaſſung] ſich beziehende Dinge habe ich geleſen. Auf Sansſouci war ich lange nicht, es iſt jotzt dort ſtürmiſch und öde, öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende See und die vielen dichten Tannengebüſche es lebendiger machen, und die Marmorhalle vor dem Hauſe mir ernſte, vornehme, rührende und ſchwer - müthige Gedanken erweckt.

An Fonqué, in Nennhauſen.

Ein leichtes Flußfieber, welches mich Montag befiel, hin - derte mich Schriftzüge zu machen, was ſeit einer großen Ner - venkrankheit mir immer ſchwer wird, und auch immer das Erſte wird, was ich unterlaſſen muß; dieſe Schwierigkeit geht dann auf Gedanken, Empfindung und Ausdruck über; ſonſt hätte ich wohl gleich auf Ihren Brief geantwortet, den ich Sonntag Abend, als ich meine Nichten zu einem Ball anzog, erhielt. Ich möchte Ihnen danken, wenn man dergleichen be - kommen könnte, ohne es zu verdienen; in dieſer Antwort will553 ich Ihnen von neuem zeigen, daß ich es wohl verdiene, ſo von Ihnen bedacht und angeredet zu werden! Und dieſe Er - kenntlichkeit wird Ihnen der wahrſte wirklichſte Dank ſein. Ich gratulire Ihnen aus dem theilnehmendſten, einſichtsvoll - ſten Herzen, daß Ihnen jene ſchöne Erſcheinung begegnete; und mir, daß Sie mir nach ſo langem Schweigen davon ſpre - chen mußten. (Ich merke, daß ich noch nicht ſchreiben kann, und hunderttauſend beſſere Briefe Ihnen während fünf Tagen geſchrieben habe, als dieſer hier. Auch hat man mich hier mit einem Beſuch, und einem Brief und Einlage geſtört. Jetzt alſo wie zur Unzeit, hör ich auf: doch nein! noch ein bis - chen!) Könnt ich Sie nur für verliebt halten! was Sie mir verbieten von der Liebe kann man nichts Abſurdes ſa - gen, ſagt Chamfort; und ſo iſt es auch wahr, daß ſie die tiefſte Überzeugung iſt. Ich freue mich alſo Ihres Glücks, daß Sie ein Geſchöpf von Angeſicht zu Angeſicht ſahen, wel - ches jeden Ihrer Blicke von neuem reizt, und die Überzeugung in Ihnen zum Leben hervorruft, daß es ein reiner, lieber, ver - ſtehender Engel iſt. Je vollkommener das Geſchöpf, je weni - ger von unſerm eignen Herzensglanz beſchienen, je freuden - reicher , ruhiger , je weniger Verlangen flößt es ein. Lie - ben iſt ein außerirdiſches Verhältniß; eine Empfindung. Ein Glück. Alles Übrige, was ſich auf Beſitz, außer dem Herzen, bezieht, Verhältniß; ſchlecht, und peinigend. Ich tadle hier niemand: ich bedaure uns Alle! Ich gönne Ihnen dieſe helle Sonne im Leben, die das Graue, erſtickend-tödtende, verſcheucht, und die zum Erſtaunen weckenden Kinderfarben wieder hervorruft; das Herz zum neuen Umſchwung alles Le -554 bens und Seins berührt! Es hängt von Ihnen ab, ob Sie es verliebt nennen wollen, das erfriſchte Sein; ich beneide es Ihnen; ich gönne es Ihnen. Ich möchte es auch haben; ich freue mich, daß Sie von dem Zauber getroffen ſind. Ohne das Glück, namenlos zu lieben, iſt die Erde mir ein unver - ſtändlicher, ängſtlicher Klumpen; entweichender himmelaufſtei - gender Dunſt alles Denken! Ihnen wird alles doppelt ge - deihlich; und des Herzens, und der Augen Liebling, wird Ih - nen gütige Göttin, Muſe; die wohl weiß was Liebe iſt, und es nicht verſchmäht ſich den Augen, dem Herzen zu fügen, in der geliebten Erſcheinung! Alſo vielfach glückauf! Warum aber ſprechen Sie von der Schönen wie von einer wirklichen Bewohnerin des Himmels; warum ſollte ſie nicht wiederkom - men? Sie ſie nicht beſuchen können, oder finden, treffen? Wäre das Glück zu groß? Faſſen Sie es! Wollen Sie durch Leben nichts an der Empfindung, an dem Eindruck ſtören? Laſſen Sie’s gehen wie Gott will. Bleibt es ſo, ſo bleiben Sie wie Sie ſind; muß es anders werden, ſo konnt es anders werden: iſt der letzte Fall, ſo wünſch ich Ihnen mit aller ſeiner Sehnſucht, den erſten; und ſo thun Sie auch.

Ich habe viel die Zeit her an Sie gedacht: ich habe Un - dine geleſen, den Todesbund: und eine Geſchichte eines jungen Wahnſinnigen in einem Almanach von 1812, der Name iſt mir entfallen. Dies letzte halte ich für das Gelungenſte in Betreff des Vollkommenen, und Tadelloſen. In Undine ſind die größten, ja die witzigſten Elemente zum Großen; es ſind aber drei verſchiedene darin, die ſich nicht ergänzen, und har - moniſch organiſch zum Leben bringen, ſondern ſie leben neben -555 einander; und hindern ſie ſich nicht zu ſichtbar, ſo hindern ſie mich. Sie heißen Liebe, Sittlichkeit, und Spekulation, über die Möglichkeiten des menſchlichen Seins, bis zu den Gränzen anderer Weſen. Welch ſchönes neues Süjet!

(Sechs Uhr Abends, mir iſt ſehr unwohl; ich werde den Brief nicht fertig bekommen; er ſoll aber weg, damit Sie nicht länger warten, und mich nicht für undankbar halten müſſen. Künftig will ich Ihnen alles ſchreiben, was er enthalten ſollte.) Der Todesbund iſt aber für jemand, der Sie ſo kennt wie ich, das Intereſſanteſte; und eben wo es nicht Buch iſt, wo Fou - qué durchbricht und dies auseinanderſpaltet. Mich dünkt ich habe tiefe Blicke ſeit dieſem Buche in Ihnen in Sie, wie ſagt man denn? geſchickt. In allen dreien aber fand ich liebe herrliche Züge, wie ſie nur Ihnen entſchlüpfen können. Ich gebe Ihnen hier meine Kritik, wie Sie der Welt Ihre Bücher geben; zur Kritik. Alles ſchlecht: alles kurz, roh, er - bärmlich! wie ich unpaß bin! Nachſicht! Einſicht!

Geſtern war ich kränklich, und allein von 3 bis nachts 1 Uhr auch zu leſen nur halbſtundenweiſe fähig. Da kramt ich in einer kleinen, kleinen! Kinderkommode, und fand inlie - gendes Billet, mit Schnallen von meinem Vater, manches von meiner Mutter, und Trümmern alten Lebens aller Art. Da - mit man die Karte nach meinem Tod erkennen ſoll, ſchrieb ich drauf, was auf der Rückſeite ſteht: als ich es aber unvorſich - tigerweiſe auf die Karte ſelbſt geſchrieben hatte, gefiel ſie mir nicht mehr, und ich ſteckte ſie gleich zu Ihrem letzten Briefe. Hier iſt ſie nun: Ihnen kann ſie dadurch nicht unangenehmer ſein, und muß Ihnen ein doppeltes Geſchenk gewähren. Sie556 iſt ein Wechſel, worauf Ihnen die Tücher ſogleich ausgeliefert werden ſollen. Auch ſollen Sie die Briefe und Billets haben, die ich von Louis konſervirt habe: weil Sie ſie am meiſten lieben werden. Sie aber vermachen ſie mit den Tüchern, wie - der Ihrem liebſten Verwandten, und ſo der weiter, und immer der Liebſte dem Liebſten. Er iſt ein geſchichtlicher Mann. Er war die feinſte Seele: von beinah niemand gekannt, wenn auch viel geliebt; und viel verkannt. Es iſt nicht Eitelkeit, daß ich mich ſo mit hinüber ſpielen möchte. Meine ehrenvollſten Briefe ſind verbrannt, daß Feinde ſie nicht leſen! Denn alles ſchrieb der Vielverworrene der vertrauten Freundin, oft auf einen Bogen, auf einer Blattſeite. Mit wahrhaftem Vollge - fühl ſag ich Ihnen aber: Schade, daß meine Briefe an ihn nicht da ſind! Gerne ließ ich der Welt das Exempel, wie wahrhaft man mit einem Königlichen Prinzen, der ſchon vom Ruhm geführt, und hoch geliebt war, ſein kann. Er hat alles was er ſchriftlich beſaß wie ich vor dem letzten Ausmarſch in Schricke verbrannt, weiß ich vom Major Möllendorf. Auch hat ſich nichts gefunden. Sonſt hätte man das Geklatſche ſchon gehört. Man kann Fürſten die Wahrheit ſagen; und verſchweigt man ſie bei einem Wüthrich, um Martern auszu - weichen: ſo wird er dies ſchon merken. Mißhandelt wurde Louis oft zur Empörung aber ſchmeichlen thaten ſie ihm doch, und die Wahrheit hab ich ihm nicht ſagen hören, wenn nicht Perſönlichkeit dazu trieb; und großartig dies, nur von Einer; von Paulinen. Mir aber machte er es möglich, ſie ihm jedesmal wie ich ſie einſah zu zeigen. Halb, gewiß, gebührt dieſem menſchlichſten Menſchen dieſer Ruhm! Das Menſch -557 lichſte im Menſchen faßte er auf; zu dieſem Punkte hin wußte ſein Gemüth jede Handlung, jede Regung der Andern zurück - zuführen. Der war ſein Maßſtab, ſein Probirſtein; in allen Augenblicken des ganzen Lebens. Das iſt das Schönſte was ich von ihm weiß. Nie ſprach er darüber mit mir, nie ich mit ihm. Ich ſah es aber ein, lebenslang. Er erröthete, wenn Menſchen von andern zum Narren gehalten wurden: das ſah ich, als man dies Einmal ziemlich gelinde mit einem verrück - ten Juden Schapſe in ſeiner Gegenwart vornahm: er ſchenkte ihm Wein ein, und behandelte ihn geſchwind als Gaſt. Mein Verhältniß zu ihm war ſonderbar: beinah ganz unperſönlich. Obgleich er ſeine letzte Lebenszeit mit und bei mir zubrachte (mehr als die letzten drei Jahre). Von uns zu einander, war nicht die Rede. Doch mußt er mir alles ſagen: komponirte er, ſollt ich bei ihm ſitzen; ſpielte er am Ende gezwungen Karten, auch. Mein Gräuel! Ich werde Ihnen noch viel von ſeinein Innren ſagen, wie ich’s weiß, was Sie aufſchrei - ben können. Wir hatten Einmal, er, und ich, und Pauline, eine Konteſtation, wo denn häufig drin vorkam, was er mir geſagt hatte, und nicht hätte ſagen ſollen; und er machte ihr dieſelben Vorwürfe. Mit einemmale, gelangweilt, ſagte ich zu ihm: Prägen Sie ſich feſt ein, daß Sie mir alles wieder - ſagen, und daß mir Pauline auch alles wiederſagt; ich kann das nicht behalten, was ich ſagen, oder was ich verſchweigen ſoll, ſolchen Kopf habe ich nicht. Sie ſagen es mir ja dann doch beide zuſammen. Er lächelte ganz fein, und unvermerkt, und ſchwieg. Einmal ſchrieb ich ihm eine Antwort nach Schricke, ſehr aus dem Herzen, worin ich ihm ſagte, wenn ich Ihnen558 die Wahrheit nicht ſagen ſoll, ſo hab ich Ihnen gleich gar nichts zu ſagen; dies iſt unſer einzig Verhältniß. Ich ſchrieb ihm Gnädiger Herr; und Königliche Hoheit; und Sie. Im Geſpräch eben ſo, nur in ſehr guter Laune, im Scherz, und urgenten Fällen anders. Er nannte mich Kleine, Levi, oder Rahel, oder Mlle. Levi vor Leuten. Vor vielen Jahren, als wir noch nicht ſo ſehr liirt waren, und er nur viel zu mir kam: attakirt er mich über Goethe. Ich ſprach nie von Goe - the. Fing mich in einer Thüre; und docirte, wie ſchlecht Eg - mont ſei, ſehr lange, mir zur marterndſten Langenweile, weil ich nur der Schicklichkeit fünf Worte opferte, und gar nicht antwortete. Wie Goethe einen Helden habe ſo ſchildern kön - nen! in einer miſerablen Liebſchaft mit ſolchem Klärchen ꝛc. Ein Jahr vor ſeinem Tod ſchrieb er aber ſeiner Geliebten, er ſei vom Herzog von Weimar mit Goethen zu Hauſe gegangen, habe ſich in ſein Bette gelegt; Goethe davor; und da wäre er denn bei Punſch aufgethaut, er habe über alles mit ihm geſprochen, und nun habe er geſehen, was es für ein Mann iſt; mit noch vielem Lobe; welches er ſo beſchließt; Laß dies ja der Kleinen leſen; denn alsdann bin ich ihr gewiß unter Brüdern dreitauſend Thaler mehr werth. Dies, Fouqué, war mein größter Triumph in der Welt.

Ein großer Prinz, mein Freund, der Vetter meines Königs, der Neffe Friedrichs des Zweiten, der noch von Friedrich ſelbſt gekannt war, mußte mir das ſchreiben; ohne daß ich je von Goethe mit ihm geſprochen hatte. Es mußte der menſchlichſte Prinz ſeiner Zeit, in ſeinen eigenen leibhaften Freunden dem größten Dichter huldigen. Dies ſchreib ich Ihnen aus Eitel -559 keit. Nun aber ſetzt ich mich hin, und ſchrieb Louis einen großen Brief, worin ich ihn bat ſich zu erinnren, daß ich nie mit ihm von Goethe geſprochen hätte, nie ihm geſagt, er ſoll etwas von ihm leſen; jetzt aber möcht er es thun, und nicht Einzelnes um Goethens Werke kennen zu lernen, ſondern alles von ihm um Goethe kennen zu lernen, aus ihrem Zuſammen - hang. Jetzt ſei er’s werth, denn jetzt liebe er ꝛc. Er hatte mir erzählt: wie er ſonſt gar ſich nicht hätte zu lieben unter - ſtanden, wenn es nicht eine berühmte Elegante war; wie er war, wie franzöſiſche Koterien und Familien ſind. Eine Menge! Mündlich.

Sie Glücklicher. Ein Kind, eine Familie, eine Muſe, Muße, ein ſchönes Feenbild, alles haben Sie! Ich bin ziemlich herunter. Wozu leb ich wohl. Gott weiß es wohl: doch fühl ich es nicht. Ich bin nichts, thu nichts, erfreu nie - mand mehr; und mich auch nicht. Und will ich ein Narr werden, ſo will ich’s aus alter Gewohnheit nicht leiden. Eine Dummheit. Labſal iſt Narrheit, für arme Leute, ſollen die ihr Stück Welt ſehen wie es iſt?

Für Ihr Kind möcht ich die Bibel, wie Rouſſeau für alle, Lafontaine’s Fablen, verbieten. Welche Reife gehört dazu, dieſes Buch nach der neuſten Mode nach der neuſten, oder nach der neuſten; wie Sie wollen zu verſtehen! Es muß es für ein Buch von Geſchichten halten. An die Anfänge der Dinge, mein ich, ſollen wir nicht Kinder, ſondern ſie uns er - innren. Sie meinen das auch; und es iſt Lohn, für die Kleine ſolche Geſchichten zu leſen.

Gerne käm ich nach Nennhauſen! bin ich aber nicht furcht -560 ſam in einem fremden Hauſe? nicht bequem? an mein Mäd - chen gewöhnt? Iſt nicht trübes Wetter? Sie haben Recht, lieber Fouqué, daß Sie ſich voraus entſchuldigen: Sie werden wohl in den vierzehn Tagen nicht zu mir kommen! Kommt Frau von Fouqué nach Berlin? Legen Sie mich ihr zu - ßen: ich könnte wohl vor ihr knien und mir erzählen laſſen, nach den Augen ſehen: und auch ihr vom Sommer erzählen. Ich empfehle mich dem älteſten Fräulein, wie alle Meinigen thun. Robert will ja mit dem Feſt zu Ihnen ſchliddren. Adieu! Trauen Sie mir wie bis jetzt. Ihre Freundin R. R.

Ich habe den ganzen Sommer mit Varnhagen gelebt: im Anfang ſchlecht; und dann ſehr gut. Heute ſähe ich ihn ſehr gerne. Ich lieb ihn.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Ich bin es gar nicht werth, an Sie zu ſchreiben; ich bin zu disguſtirt; nicht etwa auf eine ſchöne Art, wie ich es ſonſt wohl war in witziger Verzweiflung, in ſchmerzhaft-reicher Her - zensempörung! Nein, hölzern und zu bin ich geworden, ſtumm: und eine Talbot’ſche Verachtung drückt mir das inn’re Reich wie mit einem unerbittlich-künſtlichen, hölliſchen Grabſtein zu: ein Indignationsgefühl nur ſteigt wie ſcheuer Seufzer, oder Blick, nach den ehmals gekannten, lichten, reichen, Jugendhö - hen, mir ſelbſt zum Zeichen, daß ich noch lebe, noch weiter zu leben habe. Es kann mir kein Menſch hierauf antworten:denn561denn kein Menſch kann wiſſen, was ich alles gedacht habe dieſe Tage her, wie ich es mir ſelbſt nicht mehr erinnre; kein Menſch kann wiſſen, durch welche wohlgeordnete wenn auch nicht ausgedachte Veranſtaltung ich Schritt vor Schritt, in dieſe finſtere rettungsloſe Mordfalle getrieben worden bin; ohne Hülfe, mit unendlicher! Gegenarbeit; Geduld, Kraft, Frommheit, Wuth, Wehre! (Giebt es eine Notiz von uns, in einem höheren reicheren Geiſt, ſo weiß der’s.) Umſonſt. Es iſt geſchehen! Wenn auch große Naturanlagen, Munter - keit, Lebendigkeit, Unglauben an das Äußerſte! Scham, oft das Anſehen nehmen, als ſei es anders mit mir, es iſt geſchehen, ich bin hin! und lebe um es zu fühlen. Glauben Sie nicht, daß ich dies ſo in grammatikaliſchen unverſtändli - chen Worten denke, ich fühle es jusqu’au vif! in jedem Augen - blick des Tages; keiner geſtaltet ſich natürlich, alle drückend, ſchmerzhaft. Und in welcher Organiſation hauſt das Übel! in der geſundeſten, feinſten. empfindlichſten, bewußteſten! Zuviel der Laute des eklen Unglücks! Wie kam ich nur dar - auf! Aber es iſt richtig, ich kann ja das kleinſte Benehmen nicht erklären, ohne dies. Ein paarmal im Leben ſchrollte mein Herz ſo zurück, daß ich den Tod berührte; es wußte das Bewußtvollſte unſeres ganzen Seins daß es zum Tod verdammt war. Frevlerweiſe blieb ich doch leben; und das iſt mein Verbrechen, meine Sünde, mein Unrecht, meine Schmach; und Gottes harter großer Fluch, der mich hätte umfallen laſ - ſen ſollen. Ich ergeb mich in den ewigſten Schmerz. Und ſollte ſchweigen. Sie ſehen, nur Zerſtreuung, Leben, Bewe - gung, Hülfeleiſten, Sehen, Eitelkeit, kann mich retten; binI. 36562ich allein, ſo leg ich mir Millionen Höllen zurechte, wie Kin - der mit Bauſteinen, oder Sand thun. Bis geſtern war ich zu Hauſe; krank, meiſt allein: geſtern Abend z. B. las ich ſpät, und konnte dann die Nacht nicht ſchlafen. Ich kann das nie vertragen. Geſtern Morgen ging ich zum erſtenmal aus, und weil mir Minna Sonnabend geſchrieben hatte, ſie wollen mich beſuchen, ſo ging ich zu Sch. ’s, und lud ſie zu geſtern Abend; worauf mir Mamſell und Madam ingénument ſagten, Montag ſähen ſie immer bei ſich Leute, aber jeden andern Tag; ſie kommen alſo dieſen Abend. Wie finden Sie die Grobheit, mir nicht zu ſagen, ich ſoll zu ihnen kommen? Die Leute die ſie da ſehen! Ich kenne ſie alle. Sagen Sie mir, warum ſind alle Leute ſo niedrig, mir Sottiſen zu machen, bloß in dem Gedanken: die kann uns doch nichts thun. Fragen Sie mich aber nun nicht, warum ſehen Sie ſie heute? Hören Sie warum. Weil ich wirklich nicht in der Lage bin, ihnen etwas zu thun: und, ſein Sie verſichert, wenn ich heut zu Stand oder Vermögen, oder nur paſſage - rem Einfluß käme, ich Alle behandelte, wie ſie’s verdienen. Wie hat ſie ſich verändert! würden Sie ſagen! Nicht im geringſten. Seit mehr als acht Jahren iſt das deutlich bei mir beſchloſſen. Ich verläugne ſie. Diesmal aber dacht ich ſo: Siehſt du ſie gar nicht, ſo inkommodirt dich das; und er giebt dir kein Buch mehr: ſo gehſt und ſchickſt du hin, wenn du etwas willſt, für dich oder Andere. Gedenken thu ich’s ihnen doch. Und wäre mir heute das Mindeſte vorgefallen, wie ich es ſogar vermuthete, ſo ließ ich ihnen um 6 Uhr abſagen. Auch Herr Harſcher war ſeit dem Tag,563 wo er mit Redtel bei mir war, und mich im Bette liegen ſah, weder bei mir, noch hat er geſchickt, was ich mache. Wie würde er es finden, wenn ich ihn nicht wie den erſten élégant, oder den vornehmſten Mann behandelte: er aber ſchickt und geht gewiß zu Andern, die er ſich als Damen kon - ſtituirt hat. Glück zu! zu der ſchönen Sitte. Ob ich den konvoitire, fragen Sie ſich ſelbſt. Wer nichts aus ſich macht, ſagt Figaro, aus dem macht die Welt auch nichts. Alſo auch hierin hab ich, was mir gebührt.

Nun werd ich Punkt vor Punkt auf Ihren Brief ant - worten. Eins nur noch auf Ihren vorletzten, auf den ich noch ſo viel zu antworten habe. Wie mit einem kalten langen Schwert zogen Sie mir durch’s Herz mit einer Rede darin. Einer wohlgemeinten Marwitziſchen herrlichen Rede. Was ſagen Sie mir nicht Erhebendes; zum genußreichſten Stolz erhebenden Beifall; wie befriedigt es mich von Ihnen, lobend erkannt zu ſein, als eine Ausgezeichnete! dem aufhorchenden, gieren, eitlen perſönlichen, dies iſt’s Herzen entging nichts; und nahrungsbedürftig ſog es alles ein; eh dieſe Worte kamen: Die ſcharfe Intelligenz (ſo endet Ihre Auf - munterung) denkt weiter und in größern Kreiſen; dann folgt: Aus dem grünen friſchen, lebendigen Thal hat Sie der Schickſalsſturm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich iſt, der Menſch fern, aber Gott nah. Mit Moritz ſaß ich am Fenſter, als ich dies las, und geſchwinde Thränen ſtürzten mir in den Schooß, über die Wangen, allenthalben hin. So iſt Un - glück; ſind meine Freunde wahr, ſo müſſen Sie mir das36 *564Schreckenswort ſagen. Aus dem grünen lebendigen friſchen Thal ſoll ich verbannt ſein, und doch leben? Ich!? die Gott an den ſie mich verweiſen; erkennen Sie mich ganz! nicht kennt, als in der Zeit; durch Sinn, und Sinne; und bei nichts, ſich nur nichts, denken kann! Er zeigt, er offen - bart ſich uns, in Erde, Farb, Geſtalt, Herzensſchlag der Freude oder des Schmerzes; mir hat er das Bewußtſein über dieſes Wiſſen, beſonders erſchloſſen: ich bete die mir ganze be - kannte Natur an, und finde nichts gemein, als eine niedre, enge, lügenhafte Geſinnung. Ich? ſoll verſchlagen ſein, ohne todt zu ſein? Sie haben’s geſprochen, Freund. Unglück kann der beſte Freund nur nennen, nicht mindern durch Troſt. Sie haben Recht, nennen Sie’s; ich thue es auch; und wieder weil es wahr iſt, will ich es, ſo wie es iſt, an mein Herz drücken.

Sie wollten das vorletztemal Freitag kommen, ich blieb in Beſorgniß, und las Urquijo’s Briefe, meine. Sie kamen Sonntag, und wiſſen wie Sie mich nach dieſem hier erwähn - ten Brief von Ihnen, der Lektüre der meinigen, und Moritzens langen Unterredung, fanden; darauf kam die ſchlechte Soirée: die bei Markus vorher. Nun erklären, ergänzen Sie ſich mich. Dies alles, weil Sie mein Freund, mein lieber Marwitz ſind, zu dem ich wohl ſprechen kann, und den ich nicht wie andere Sieche umgehen, und hintergehen mag; weil Sie, wenn Sie eine wie mich kennen, gleich viel erfahren; und weil Sie gar nicht in der Irre ſein ſollen, ganz wiſſen ſollen, was Sie an mir haben, was ich werth bin. Aber folgern müſſen Sie! Jede Kleinigkeit. Eins können Sie mir zur Ehre glauben, inkonſequent und unbewußt, unerwogen iſt faſt nichts: näm -565 lich das Tadlenswerthe gewiß nicht; wie bei wenigen Menſchen iſt es hierin mit mir. Sonntag habe ich Fouqué geantwortet; ziemlich lang; und Abends ſpät auch an Varnhagen geſchrie - ben, weil er mir ſehr lebendig geworden war, und ich eine große Luſt dazu fühlte, und Luſt ihn zu ſehen; einen kleinen Brief, ich war zu krank. Denſelben Tag erhielt ich einen Brief von Barnekow. Er ſchreibt, ich ſollte ihm bald ant - worten, ſein Vater wäre mindeſtens ſo begierig drauf, als er. Dieſes gute Vernehmen, welches er noch mehr berührt, freut mich ſehr.

Wie ich ſehe, bin ich zu angegriffen, und muß morgen erſt Ihren Brief von vorgeſtern und geſtern beantworten. Mir gefiel er grade ſehr gut, mit ſeinen vielen Notizen, wo der Marwitz drin leibt und lebt, und ſein Ekel! Auf alles Antwort von mir! Wären die Federn nicht, ſo wär ich nur halb müde. Bringen Sie mir ja Federn von Hrn von Neu - mann! Er giebt ſie. Er hatte mich ſchon vorher grüßen laſ - ſen. Redtel defendrai-je jusqu’au dernier retranchement. Wenn einer ganz und ergriffen in ſeinen Meinungen iſt, ſo ſchweigt man wohl: das thu ich auch. Ich ſchwieg auch mehr über Taſſo, als ich noch dachte. Ganz gut war’s nicht; und warum ſollen Sie nicht erſt ganz und gar Ihres ſagen, was doch auch nachher vorausgeſetzt werden müßte. Sie hat - ten Recht zu ſprechen, als Reiner und Geſcheidter. So hat der Tempel dich bewahrt, Marwitz! Aber die Dame hat Unrecht; iſt nämlich unvorſichtig, höchſtens kindiſch; be - ſchämen oder ennuyiren muß man, wo möglich keinen, mit dem man weiter zu leben gedenkt. Mit dieſer Sentenz zur566 künftigen Ehe Ihre Sie liebende Furie. Denken Sie ſich einen unterwürfigen Ton und eine Art Verneigung dazu.

Eh ich nun weiter ſchreibe, muß ich Ihnen nur noch ſa - gen: beurtheilen Sie mich nur nicht nach dieſem Briefe; denn der Gedanke, zu Ihnen zu ſprechen, die That ſelbſt, belebte mich ſchon, ich bin aber wirklich wie ich mich zu Anfang ſchil - derte und benannte, holzartig, und verſtockt; ſchon ganz über - drüſſig jeder Agitation, da ich mich ganz ohne den geringſten Erfolg ſchon ewig und in aller Ewigkeit appaiſiren muß. Daß Redtel es nicht im Ernſte meint, wenn er mir Sie lobt, das kann ich noch nicht glauben. Und nun an Ihren Brief, der geleſen und beantwortet werden ſoll! Erſte Antwort! Ich bitte Sie inſtändigſt, ſchonen Sie ſich! laſſen Sie ſich nicht von Ambition und nicht von Ennui zu Arbeiten treiben, die Ihre Organiſation, die im Ganzen angeſprochen ſein will, nicht duldet: ich weiß wohl, daß Sie sage ſind; aber verſuchen Sie auch nicht dies thut man immer zu viel. Ich habe mir den grauſamſten Nervenzuſtand, vorgeſtern Abend mit Leſen gemacht, der noch dauert. Im Kopf nämlich. Ich probire auch. Zweite Antwort. Es kann erſt nach ein paar Kriegen neuerer Art kommen, daß die andern Leute eben ſo gut aus - ſehen, als die Offiziere. Der Deutſche hält nichts auf ſeine Perſon, und fürchtet zu affektiren; nur das Militair konnte dazu en corps, wie zu einer Pflicht, gezwungen werden, da rottete Zwang die Scham aus, weil ſie ſich doch ſagen konn - ten: Ich und die Kammeraden müſſen gradegehen, ſo und567 nicht anders grüßen, uns ernſt und würdig darſtellen, dieſe und keine andere Manier haben. Bei dieſem geübten Äußern können die leicht gut ausſehen; und nur erträgliche Gemüths - eigenſchaften, eine gute ſchimmert da ſchön durch, und zeigt ſich bequem. Die guten Civiliſten hingegen, wenn ſie durch Uniform neben jene Klaſſe gehoben werden, müſſen zwiefach verlieren, weil man dann gar durch den ſcheinbaren Rock und die ſcheinbare Reglung aufmerkſam gemacht wird, und jenes regelmäßige gewandt-ſtolze Betragen erwartet, ohne befriedigt zu werden, und aus übler Laune dann in die gute kommt, ſie recht lächerlich zu finden. Bei uns haßte ich alle Unifor - men, die nicht militairiſch waren, von je. Frau von Hüner - bein lieb ich, weil ſie gefallen will und gefällt, und fabelhaft unbefangen und aufrichtig in manchen Dingen; und ſehr gut. Machen Sie die Bekanntſchaft von Frau von B., über die Sie mir ganz excellent ſchreiben. Und mir das völlig vor die Seele bringen, was ich äußerſt dunkel und verwirrt von ferne fühlte und ſah. Dies war es doch eigentlich, was mich nicht zwang zu ihr hin zu gehen; ich ſah wohl, ſie war hübſch, aber kein großartiger Reiz wußte mich zu zwingen. Unterſu - chen Sie ſie recht; da ſie ohnehin hübſch und liebenswürdig, aimable, iſt. Dritter Punkt. Ich kenne den Komödienſaal in Potsdam, wenn es nämlich der iſt, wo die Logen ſind: mir gefällt er; und glauben Sie, wenn man nicht eine beſondere Avantüre hat, ſo iſt es gut, wenn eine doch nur mittelmäßig große Ballgeſellſchaft in Einen Saal gepreßt iſt, wenn man auch dadurch in Winkel gebannt wird. Gedränge iſt der Haupt - charme, und zerſtreut ſich erſt eine ſolche Geſellſchaft, die doch568 aus Bekannten beſteht, ſo iſt ſie auch aufgelöſt und gar nichts. Vierter Punkt. Wiſſen Sie, warum man Ihnen den Menſchen ſo lobte, hinter dem Sie nichts fanden? Sie ſagen es ſelbſt: Ein Menſch, der ohne große Eitelkeit und ohne Heuchelei be - ſtändig wichtige und herzliche Mienen macht, während gar nichts in ihm vorgeht. Mienen, und das Äußere ſcharf auf das Innere zu beziehen, verſtehen die wenigſten Menſchen in der Welt; von den darſtellenden Künſtlern nur Gott! wie wenige; und dieſe werden, wiſſen Sie, auf den Galerien wie - der nicht verſtanden, und ſolche bewundert nämlich mit Aufrichtigkeit die, wie Ihr guter Herr, wichtige, herzliche Mienen machten, wo nichts dahinter iſt. Preiſen thut die Welt gern die, die ſie ohne weiteren Schaden und Inkommo - dität loben kann, die nichts verlangen von ihr, nichts ſind, und in ihrer Sprache loben und tadlen, und worauf ſie doch bequem, wenn auch ohne Überzeugung, ihre Faullenzer-Hoff - nungen ſchieben kann. Jedoch haben Sie Recht, ganz zu er - gründen, wie es übereinander geht, und die geſellſchaftlichen Urſprünge, das geht nicht! Fünfter Punkt. Das Bild der todten Königin iſt von den wenigen in der Welt, die ich be - ſitzen möchte. Und nicht nur weil es unſere Königin iſt, und mich ſo erſchüttert hat. Sondern weil ich es meiſterhaft finde, der ganze Horror des Todes ohne ſeinen Ekel! Sanft und ſchrecklich und mit Liebe berührt es uns, denn es iſt noch ſchön! Und durchaus die größte, genauſte Ähnlichkeit; bei weitem der Königin beſtes Bild. Dieſe Ähnlichkeit der geſchloſſenen Augen! Man muß ſie tauſendmal genau angeſehen, ſtudirt haben, um es zu wiſſen. Wie freue ich mich, daß wir auch569 hierin übereins ſind! Grüßen Sie Ternite von mir. Sie ha - ben über ihn erſchöpfend Recht. Sechſter Punkt. Über das Landrecht ſind Sie eben ſo erſchöpfend. Ich wußte aber, daß es als Flicke gemacht worden iſt, und alſo eine ſein muß. Ich bin überzeugt, daß das Alte Blatt vor Blatt vorgenom - men worden iſt, und ohne überhauptige Rück - oder Anſicht nach der nächſten Bequemlichkeit geändert worden, aber daher auch zum Gebrauch, zur Anwendung der Ausſprüche, höchſt unbequem iſt, wie denn die Welt empfindet und ſchreit. Sie - benter Punkt. Ich danke, daß Sie meinem Gebot leben, und nichts zurückhalten von dem, was Sie mir einmal geſchrieben haben. Bleiben Sie dabei! Ich laſſe Ihnen auch ein Fenſter an mein Herz machen. Hier ſchicke ich Ihnen vielleicht wirk - lich eine Menge glühender Kohlen auf Ihr hübſches Haupt Sie wiſſen doch, daß ich Ihre klare Haare ſo liebe. Nur geſchrieben über die Propyläen! Und auch von Ariſtoteles ſeiner Politik. Schonen Sie ſich! Sie ſchreiben, Sie ſind ſehr verdutzt, ich auch. Harſcher kam ganz radiant, Sch’s hätten mich ſehr liebenswürdig gefunden ich kann mich ſchlechterdings nichts beſinnen, als daß ich viel ſprach und mich ziemlich amüſirte, und ſie bis halb 1 Uhr blieben. Mad. Spazier war auch da und will heute Abend kom - men. Ich ſagte Ja. H. ſagte ganz ingénument: Waren Sie noch krank? ich glaubte nicht, daß es was wäre. Ich erzählte ihm, ja. Ich balge mich nicht mehr mit den Men - ſchen. Denke aber, wie ich Ihnen ſchreibe. Man frug mich auch geſtern nach Ihnen. Auch heute H. Schreiben Sie mir! welchen Tag Sie kommen. Ja, Lieber? o! ja. Adieu. 570 Deine dich ewigliebende Schweſter (oder Bruder) iſt bei uns aus Ironie Mode.

R. R.

An Varnhagen, in Prag.

Um 11 Uhr erhielt ich deinen Brief, ich war eben aus dem Bette geſtiegen, (weil meine Nächte noch ſchlaflos, und meine Tage eben nicht beſonders der Mühe werth ſind, daß ich es mit Muth verlaſſen könnte, du ſollſt ſchon verſtehen, wie ſo das;) als mir Dore deinen Brief überreichte. O! mein lieber, in gewiſſem Sinne, einziger Freund! hätten doch alle die guten Gefühle, die Gefühle der ernſteſten, wahreſten Freund - ſchaftsliebe, die des Beifalls, der Vorſätze, der Anhänglichkeit, kurz die ganze Liebe mit all ihrem Inhalt, ſich zu Papier ſetzen wollen, die mir dieſer Brief ablockte! Als es klingelt, dacht ich: ein Brief von Varnh. ; und er war es! Wer mich nicht warten läßt, und in keiner Liebe mich täuſcht, biſt doch du. Wenn’s wirklich drauf ankömmt. Wiſſe auch du, daß als ich keinen Brief, und keinen Brief von dir bekam; ich wohl fühlte, du könneſt meinen reproche nicht Vorwurf, nicht Verweis, beides aber anders noch genommen haben, als er aus mir hervorging, und der Gedanke bildete der Sehn - ſucht das Thor. Ich dachte: zeig es ihm, wie du doch von ihm denkeſt, wie er bei dir ſteht; und an wen ſich deine Seele wendet, wenn ſie ſich überlegt hat, und ſieht, und fühlt wie allein ſie iſt, und was auf der Welt ihr bleibt. Nein,571 dies Glück, daß ich einem Menſchen ſo wichtig als dir gewor - den bin, ſoll mir nicht umſonſt begegnen, muthig und klug will ich’s ergreifen, was mir noch ein Gnadenblick der Götter gönnt. Das Größte, der größte Beſtandtheil zum Größten, iſt mir ja in dir, in deiner Liebe dargeboten; ich nehm es an. Wahr darf ich ganz mit dir ſein, mich ganz zeigen, wie ich mich mir nur ſelbſt zeigen kann, und du liebſt mich doch. Ich habe den verſtändigſten Freund; und frei ſollſt auch du in allen Dingen bei mir ſein, und bleiben. Zuſammenleben wol - len wir aber. Und auch meinem Onkel zu ſagen, wie ich von dir denke, wie wir ſtehen, wie du von mir denkſt, bin ich ge - ſonnen. (Dieſer Brief kann nur wieder, was er enthält, kurz berühren: ich kann noch nicht gut ſchreiben.) Donnerstag vor acht Tagen bekam ich Nervenanfälle, wie ich ſie nie hatte. Zittern und Dröhnen im höchſten Grade: ich wurde gehal - ten, ſprach im Anfang unaufhörlich; von halb 10 ging’s an, um halb 4 Nachts lief Line zu Nettchen; Böhm, den ich jetzt haſſe, der Lüge wegen, wollt ich durchaus nicht. Oft konnt ich nicht ſprechen, mein Geſicht grimaſſirte. Ich rief nach dir: und in Augenblicken, wo mir Zunge und Gaumen kalt wurden, und das Gehirn aufhören wollte, dacht ich zu ſterben. Ohne Angſt. Vorher in der Nervenangſt hatte ich gräßliche: aber noch nicht ſolche, wie ich ſchon genoſſen habe. Als Line weg war, kam das Dröhnen auf’s Äußerſte! Die Zunge wurde nach einiger Neigung zum Erbrechen welches wohl an vierzehnmal geſchah ganz kalt; Zittern und Dröhnen hörten plötzlich auf; ich ward wie müde; glaubte, ſo ſtirbt man, und ſagte zu Dore: Grüß Varnhagen! weil572 ich mehr nicht ſagen konnte, mir alles bei dachte: und meinte, du und die Andern müßten ſich auch alles bei denken. Da trat Nettchen herein; ich kam zu mir, ſprach und bewirthete ſie gleich. Sie ging bald, ich ließ mir endlich Thee geben, und die Mädchen zu Bette gehen, gegen 7 ſchlief ich ein. Den ganzen Tag ſchlief ich krankhaft, mit einem Nebel um’s Gehirn; ich trank ſchwarzen ſtarken Kaffee um es zu bändi - gen; kam in Agitation; heilte mich langſam mit Stillliegen und Limonade. Töne konnt ich nicht ertragen. Leſen, und Töne und Schreiben noch ſchwer. Ich gehe aus. War vor - geſtern zum erſtenmal in Taſſo von Goethe; war dieſen Mor - gen bei Markus, der unpaß iſt, und auch beſſer. Ich zog mich erſt an, und machte den Beſuch bevor ich dir antwortete, weil das Leſen deines Briefes mich zu ſehr angeſtrengt hatte. Das Buchſtaben ziehen affizirt mich ſehr. Alſo verzeih die Trockenheit des Briefes, er ſoll vor Tiſche fertig, weil er vor 7 auf die Poſt muß, und ſoll heute fort, damit du ihn, Lie - ber, Guter, Geliebter, eigentlich cher amant! geſchwind bekommſt. Ich kurire mich ſelbſt; und bin ſehr wider das Kuriren, nicht wider Ärzte, noch ihre Wiſſenſchaft und Kunde. Wie man aber gewöhnlich kurirt, iſt zu unſinnig, ja gefähr - lich. Ein Arzt muß mich kennen, überſehen, oft ſehen, und vom Gang meines Innren wiſſen. Böhm ſieht mich nie. Meine eigne Elaſtik muß mir helfen, oder mich tödten. Die Eſel können, habe ich erfahren, beides nicht. Meine Krank - heit war rheumatiſcher Reiz, auf Drüſen und zerſtörte über - reizbare Nerven, herabgeſtimmt vom Töplitzer Baden, und vom Stagniren des höchſten Organs, des Herzens. Dies hat573 zu viel gelitten: und leidet zu viel, es muß der Zugwind der Freude hindurch, des Reizes! Es liegt gefangen, und beleidigt da! Das geht wohl vor den groben Augen der ſtupiden plumpen Prätendenten! aber Natur und ihr Werk läßt ſich nicht umgehen, ſie nimmt ihr Wort zurück, wenn’s auf’s Äußerſte kommt. Das iſt der Tod und arge Krankheit. Er - ſchrick dich nicht! Ich geneſe noch oft! Und dein Daſein, die Hoffuung, das Beſtreben mit dir zu leben, erhält mich.

Gieb dir Mühe hierher zu kommen! Ich bitte dich! Marwitz war Dienstag hier, ich werd ihn grüßen. Ich bin in allen Dingen ſeine Verwalterin, er zeigt mir alles was er ſchreibt, ſchreibt mir alles was er lieſt; kurz, die größte edelſte Freundſchaft: mit mir iſt er nicht ſtolz. Sondern wie mein Kind; wie ein liebes Kind. H. war geſtern Abend bei mir. Er hat nichts Großes in der Seele. Wie iſt Graf Bentheim? frug er mich geſtern, denn durch ein Wort denkt er jede Kennt - niß und Kunſt beim Schopf zu kriegen, und will mir meines beſonders abfragen. Ich ſtrömte in des Grafen Lob, und ſagte, ich hätte lange keinen Mann geſehen, der mir ſo ge - fiele; und auch ſeine Perſon. Zum Verlieben. Übrigens aber iſt mein Gemüth ſo ſehr von Bentheims überzeugt, daß ich in jeder wichtigern Sache mich, meine Ehre, und mein Glück, ihm ganz anvertraue; das iſt aber nicht genug; ich traue ſei - ner Seele auch jedes feine Verſtändniß einer andern feinen Seele zu, und find ihn mir in Blick und Gefühl ohne Mühe, unwillkürlich natürlich verwandt und lieb. Sag ihm, ich wäre ſeine wahre Freundin, und er ſolle das nicht kühn fin - den; denn man hätte keine andern Freunde am Ende, als die574 einen lieben können; und das konnt ich gleich, wie ich ihn ſah; der erſte Eindruck iſt aber nur ewig wahr, und richtig. In meinem Schlafzimmer hab ich Prinz Louis Ferdinands Büſte, und trotz dies mein geliebter verlorner Freund iſt, ſo iſt mir die Büſte doch auch wegen des Grafen Ähnlichkeit lieb; und dies iſt ſehr viel! Ich weiß aber, Louis ſelbſt wäre damit zufrieden. Dies lies ihm alles. Ja ſogar ſeinen Bru - der hab ich durch ihn lieb, der leiſen, doch verbreiteten Ähn - lichkeit wegen. Sag dem Grafen, wie ich jetzt nicht ſchreiben kann; mir es aber vorbehalte; wie erfreut ich von ſeinem guten Gruß bin, und daß er mir noch wohl will. Bleiben wir leben, ſo entgeht er uns nicht: wir leben noch viel mit ihm. Ich nehme an allem, was ihn betrifft, den regeſten Antheil. Dem Geheimrath Wolf werde ich das Blättchen mit ein paar Worten ſchicken. Dienstag Abend, grad als Marwitz kam, mußt ich hin zu ihm zu einem Thee, wo Woltmanns waren: ziemlich tiède, aber doch natürlich alles: ich noch mehr todt als lebendig.

Mir gefällt der Vorfall mit Goethen und dein Schreiben an ihn. Wenn er wiſſen will, wer die Verfaſſer ſind, mich kannſt du nennen! und alle meine Türpitüden! wie Gentz mir einmal ſchrieb, ich ſchriebe Briefe, wo die Blüthen und Früchte drin liegen, mit ſamt den Wurzeln und der Erde dran aus dem Boden gezogen. Und Würmchen. Dies iſt meine Türpitüde. Mir liegt gar nichts dran, ob es gedruckt wird: wenn Goethe es nur geſehen hat; er nur weiß, welche bewußte Liebe für ihn ſchon mit ihm zugleich lebt. Wie ver - göttert er in Deutſchland, in Berlin wird. Das Publikum575 hat ihn in ſeinen Schriften, und die, die ihn nicht mit Herz - ſchlag und allen Sinnen verehren, hegen, ewig zu ihrem eig - nen Erſtaunen und Freude immer von neuem lieben, die wer - den doch die Andern nicht verſtehen, die das manchmal von ſich geben mußten. Ich hab ihm ſeit drei Wochen, wo Taſſo zum erſtenmal gegeben wurde, alle Tage anonym ſchreiben wollen. Auch Krankheit hielt mich ab; dort wurd ich es. Ein einzig Publikum, Leute mit Büchern ſitzen und hören’s da. Junge Offiziere, geſpannt wie bei Schlachten, ſtehen und horchen. Meine Wonne! Es mußten achthundert Men - ſchen Goethens Götterworte hören und in die Seele einnehmen. Es wurde weit beſſer geſpielt, als man je denken ſollte. Das Ganze war von tiefer Wirkung, und herzzerreißend bei der Kataſtrophe. Referire mir ja von Goethe. Gott! wie verab - göttre ich den immer von neuem. Gottlob, daß du ſein Le - ben geleſen haſt. Wie weint ich im Taſſo bei jeder Stelle; wie der Souffleur im Meiſter; aus Schönheit. Wie Taſſo das Gedicht giebt; welch ein Moment! die Fürſten wie edel, wie einſichtig. Welche Lehre, wie großartig! Ich höre nicht auf!

Man muß ſich von weitem nicht ſchelten: man verſteht ſich dann noch weniger, als in der Nähe! Alſo halten wir uns an die Folge all dieſer Schelte. An deine und meine Liebe. Ich umarme dich aus Herzensgrunde! und ermuntere dich zu jedem, was dich mir näher bringt. Ich drücke dich in Liebe an mein Herz. Leb vergnügt! Ich habe beinah kein Vergnügen. Die Bekanntſchaft mit Gräfin Pachta freut mich äußerſt. Sag ihr, wie ich von ihr denke. Von der576 Pachta haſt du mir ſehr gut geſchrieben; wie denn dein ganzer Brief ſehr gut iſt. Für deine Liebe aber kann ich dir nur mit meiner danken, und mit der Einſicht über das Glück, von ei - nem Menſchen geliebt und eingeſehen und getraut zu ſein. Schwache Worte! Du, der du ſo wenig lieben kannſt, liebſt mich! aber dein Sinn bedurfte derber Speiſe. Ich verſtehe dich. Und das liebe ich in dir. Lebe wohl! Ich mag auf vieles nicht geantwortet haben; mit den erſten Kräften, künf - tig. Mir hat Barnekow, Goſchitzki, und auch Fouqué wieder geſchrieben; denen ſoll ich nun allen antworten! Es wird ſchon ganz dunkel. Adieu Lieber! Ich ſeh dich an. Nicke dir! Deine treue trotz Sturm und Schelte die dich liebt und kennt. R. Deine Bekanntſchaft mit Gräfin Pachta freut mich weit mehr, als ich es geſchrieben habe; ganz überaus.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Geſtern aber hätte ich Ihnen doch geſchrieben, wenn mich nicht Heinrich Kleiſt’s Tod ſo ſehr eingenommen hätte. Es läßt ſich, wo das Leben aus iſt, niemals etwas darüber ſagen; von Kleiſt befremdete mich die That nicht; es ging ſtreng in ihm her, er war wahrhaft, und litt viel. Wir ha - ben nie über Tod und Selbſtmord geſprochen. Sie wiſſen wie ich über Mord an uns ſelbſt denke: wie Sie! Ich mag es nicht, daß die Unglückſeligen, die Menſchen, bis auf die Hefen leiden. Dem wahrhaft Großen, Unendlichen, wenn manes577es konzipirt kann man ſich auf allen Wegen nähern; be - greifen können wir keinen; wir müſſen hoffen auf die gött - liche Güte; und die ſollte grade nach einem Piſtolenſchuß ihr Ende erreicht haben? Unglück aller Art dürfte mich berüh - ren? Jedem elenden Fieber, jedem Klotz, jedem Dachſtein, jeder Ungeſchicklichkeit ſollte es erlaubt ſein, nur mir nicht? Siechen auf Krankheits - und Unglückslagern ſollt ich müſſen, und wenn es hoch und ſchön kommt, zu achtzig Jahren ein glücklicher imbécille werden, und von dreißig an ſchon mich ekelhaft deterioriren? Ich freue mich, daß mein edler Freund denn Freund ruf ich ihm bitter und mit Thränen nach das Unwürdige nicht duldete: gelitten hat er genug. Kei - ner von denen, die ihn etwa tadeln, hätte ihm zehn Thaler gereicht; Nächte gewidmet, Nachſicht mit ihm gehabt, hätt er ſich ihm nur zerſtört zeigen können. Den ewigen Kalkul hätten ſie nie unterbrochen, ob er wohl Recht, ob er wohl nicht Recht zu dieſer Taſſe Kaffee habe! Ich weiß von ſei - nem Tod nichts, als daß er eine Frau, und dann ſich erſchoſ - ſen hat. Es iſt und bleibt ein Muth. Wer verließe nicht das abgetragene inkorrigible Leben, wenn er die dunklen Möglich - keiten nicht noch mehr fürchtete; uns loslöſen vom Wünſchens - werthen, das thut der Weltgang ſchon. Dies von denen, die ſich nichts zu erfreuen haben; forſche ein jeder ſelbſt, ob es Viele oder Wenige ſind.

Anmerk. Heinrich von Kleiſt hatte kurz vor ſeinem Tode folgenden Zettel an Rahel geſchrieben:

Obſchon ich das Fieber nicht hatte, ſo befand ich mich doch, in Folge deſſelben, unwohl, ſehr unwohl; ich hätte einen ſchlechten Tröſter abge -I. 37578geben! Aber wie traurig ſind Sie in Ihrem Brief Sie haben in Ih - ren Worten ſo viel Ausdruck, als in Ihren Augen. Erheitern Sie ſich; das Beſte iſt nicht werth, daß man es bedauere! Sobald ich den Steffens ausgeleſen, bringe ich ihn zu Ihnen.

Ihr H. v. Kleiſt.

An Varnhagen, in Prag.

Vorgeſtern beim Beſcheeren dacht ich an dich, und wußte, daß du an mich dachteſt! Aber weg mit dieſen alltäglichen Erinnerungen ſagt Hamlet. Seit Goethens Brief vor mir liegt. Wie eine Überſchwemmung iſt es über mich gekommen: ein Meer iſt alles; und es muß ſich erſt jedes nach und nach daraus bilden. Ob ich dir danke du weißt es; du wirſt es erfahren. Du weißt, ob ich eitel nach Beifall ſtrebe, den ich mir nicht ſelbſt gebe; ob ich große Bemühungen anſtelle, um gelobt zu werden. Aber meine wirklich namenloſe Liebe und bewundernde Verehrung dem herrlichſten Mann und Men - ſchen Einmal zu Füßen legen zu können, war der geheime, ſtille Wunſch meines ganzen Lebens, ſeiner Dauer und ſeiner Intenſivität nach. In Einer Sache hab ich meinem tiefſten Innerſten gefolgt, mich von Goethe ſcheu zurückzuhalten. Gott, wie recht war es! Wie keuſch, wie unentweiht, wie durch ein ganzes, unſeliges Leben durchbewahrt, könnt ich ihm nun die Adoration in meinem Herzen zeigen. Durch alles, was ich je ausdrückte, geht ſie hindurch, jedes aufgeſchriebene Wort beinah enthält ſie. Und auch er nur wird es mir anrechnen können, wie ſchwer es iſt, ſolche liebende Bewunderung ſchwei -579 gend ein ganzes Leben hindurch in ſich zu verhehlen. Wie beſchämt ſchwieg ich vor zwei Jahren, als Bettine mir einmal als von dem Gegenſtand ihrer größten Leidenſchaft feurig und ſchön in dem von Herbſtſonne glänzenden, ſtillen Monbijou von ihm ſprach! Ich that, als kennt ich ihn gar nicht. So ging’s mir oft; ein andermal ſchwatz ich wieder. Du kennſt es. Jetzt muß es Marwitz aushalten. Alle unſere Geſpräche fangen mit ihm an, und hören mit ihm auf. Nun wieder ſein Leben. Die Propyläen las mir Marwitz geſtern vor. Und ſo geht es immer weg mit ihm: urtheile, da du mich ganz kennſt, wie ſich meine Seele freut, daß er weiß, wie man ihn liebt; und er weiß es nicht. Alles müßt er ſehen, wiſſen, hören. Nenne mich nur, wenn du willſt. Er wird ſich zwar doch unangenehm wundern, daß es eine ſo nichtsbedeutende Perſon iſt; in Welt und Litteratur. Aber mein ganzes menſch - liches Sein ihm darzulegen ſcheue ich mich nicht; und bin daher nur halb verlegen, daß ich es nur bin. Vor allen Din - gen muß der Mann nicht mehr rathen, und ich ſtünde lieber als der größte Plöter da, als ihn wie vor einem Räthſel zu ſehen. Du kennſt meinen gränzenloſen Haß gegen Räthſel, Errathen u. dgl. Nein, welch einen Goethiſchen, allerliebſten Brief er dir ſchickte! Der iſt wohl klug! Ich gönne dir die lieben himmliſchen Worte. Wie gütig! So gütig, glaub ich, hat er noch nicht geſchrieben an unbekannte Leute. Ich danke dir auch recht umſtändlich und ausführlich. Wie froh ich aber bin, daß das Büchelchen erſt unter dem Schutz ſei - ner Beurtheilung erſcheinen ſoll, das glaubſt du nicht! Du weißt, ich traute dem Dinge nicht gar ſehr; und war ſchon37 *580zufrieden, daß er erführe, wie geliebt, wie geehrt er iſt; und nun findet er es gar thunlich, ich glaubt es nicht. Nun wird es aber gewiß ganz ſchicklich. Von Wohlwollenden ſpricht er! In ſeinem Leben ſchon entzückte mich das beſcheidene tiefe Wort bis zu Thränen; Marwitz mußte es gleich auch finden. Freilich Wohlwollende! Und nun ſchreibt er dir gar Wohl - wollende. Ich halt es nicht aus! Gerne gebe ich ihm, was er nur von dem Buchſtaben G zu ſehen wünſcht; wühlte ihm das tiefſte Herz auf, ſpannte alle Reſſorts des Gedächtniſſes. Aber wie ſoll ich unter den Briefen wählen? Sie noch leſen iſt gräßlich. Wenn du ſie hätteſt, könnteſt du ihm alles zei - gen, und was er nur wiſſen möchte. Leg mich ihm huldigend wie dem größten Fürſten zu Füßen.

Nach dieſem herzberührenden Glück mußt ich gleich den Tod des Kindes leſen. Sag Joſephinen, ich möchte ſie in meine Arme ſchließen. Ich habe hier mit ihr geweint, bin hier mit ihr erſtarrt. Lieber Varnhagen, tröſte ſie ja! ſtehe ihr recht bei. Eigentlich meine beſte Freundin, meine verehr - teſte. Liebe beſte Joſephine, ich weine, und umarme dich. Liebe, Arme! Wie hart!

Heute muß ich aufhören. Es iſt 12. Leb wohl, und wiſſe mich ewig deine Freundin, weil ich wahr mit dir ſein kann. Adieu, Guter, Ehrlicher, gegen mich!

Anmerk. Cotta hatte gewünſcht, daß einige vorzüglich Goethe’n betreffende Briefſtellen, bevor ſie gedruckt würden, zu Goethe’s Kenntniß gelangen möchten. Sie waren ihm demnach von mir zugeſandt worden. Rahels Name war durch G. bezeichnet. Er hatte Folgendes geant - wortet:

581

Zu einer Zeit, da ich im Begriff ſtehe, mir und Andern von meinem Leben und meinen Werken Rechenſchaft zu geben, konnte mir wohl nichts erwünſchter ſein als zu vernehmen, wie ſo bedeutende Perſonen, als jene Korreſpondenten ſind, aus deren Briefen Sie mir gefällig Auszüge mit - theilen, über mich und meine Produktionen denken. Dieſe beiden Wohl - wollenden machen ein recht intereſſantes Paar, indem ſie theils überein - ſtimmen, theils differiren. G. iſt eine merkwürdige, auffaſſende, ver - einende, nachhelfende, ſupplirende Natur, wogegen E. zu den ſondernden, ſuchenden, trennenden und urtheilenden gehört. Jene urtheilt eigentlich nicht, ſie hat den Gegenſtand, und inſofern ſie ihn nicht beſitzt, geht er ſie nichts an. Dieſer aber möchte durch Betrachten, Scheiden, Ordnen, der Sache und ihrem Werth erſt beikommen, und ſich von allem Rechen - ſchaft geben. Merkwürdig iſt es mir, daß zuletzt E. mehr an G. heran - gezogen wird, eine Wirkung, welche dieſe letztere Natur nothwendig gegen denjenigen ausüben muß, der ſie liebt und ſchätzt.

Doch was ſage ich das Ihnen, der Sie die Perſonen, ihre Verhält - niſſe und den ganzen Briefwechſel kennen, dagegen ich mir hievon nur ein unvollkommenes Bild aus den Bruchſtücken zuſammenbauen muß.

So ſehr ich übrigens von dem Wohlwollen dieſer Perſonen und von der Theilnahme an mir gerührt bin; ſo wünſchte ich doch, wo nicht die ganze Korreſpondenz, doch größere Auszüge daraus zu ſehen, theils um mir ein deutlicheres Bild von den Individualitäten zu machen, und das allzu Schroffe dieſer Fragmente hie und da mehr ans Leben geknüpft zu ſehen, theils auch über Mitlebende und kürzlich Abgeſchiedene ihre Ge - ſinnungen zu vernehmen, wie mir die Stellen über Jean Paul, Heinſe, Johannes Müller, ſehr merkwürdig geweſen ſind. Vielleicht können Sie in der Folge mir noch eins und das andere mittheilen.

Was den Druck betrifft, ſo laſſen Sie mich darüber noch denken. Es ſind ſo wenige Bogen, daß ſie auf eine eigene Art gedruckt werden müß - ten, wenn ſie ein Heftchen machen ſollten. Irgendwo in einer Samm - lung ſtänden ſie wohl am ſchicklichſten, aber freilich, in welcher? Doch das eben wäre zu bedenken. Ich verwahre das Manuſkript ſorgfältig, und wenn es nicht gedruckt würde, erhalten Sie es wieder. Vielleicht habe ich das Vergnügen Ihnen bei meinem nächſtkommenden Aufenthalt in Karlsbad zu begegnen, und für das mir geſchenkte Vertrauen aufrich - tig zu danken.

Mich Ihrem gewogenen Andenken beſtens empfehlend Goethe.

582

An Fouqué, in Nennhauſen.

Eine gedehnte Unpäßlichkeit, die mir grad das Schreiben unmöglich machte, hielt mich ab, Ihnen zu antworten, welches mich recht peinigte, weil ich mich mehr als je gedrungen dazu fühlte. Ich bin noch nicht ſchreibefeſt, Sie müſſen alſo nach - ſichtig vorlieb nehmen!

Sie haben ſchon richtig gefühlt und gewählt: ich bin wohl Ihres Zutrauens werth. Was Sie in Ihrer Seele er - wägen, und mir die Ehre erzeigen darzulegen, erwäg ich mit, und mit einem Ernſte, als wäre es für meine eigene Seele: wie es denn auch iſt. Ich fange damit an, mit Ihnen darin übereinzuſtimmen, daß die beiden Theile Ihres Briefes ganz und gar nur zwei Theile eines Ganzen ſind, und alſo gewiß zuſammengehören: nur muß ich, meinem Triebe nach, auf den zweiten zuerſt antworten.

Wie können Sie nur glauben, daß irgend ein Menſch nicht ich wie Sie zu mir ſprechen, eine Kraft, eine Klarheit in ſich habe, die ihn über die ſchrecklichen Ab - gründe empor hielte? er ſchwebte ja doch nur! und iſt das der forſchenden Seele genug? Kann irgend eine Philoſophie, ein Denken, uns über uns die Gränze unſers Seins hinaus bringen? Müſſen wir uns nicht auf Gnade und Un - gnade ergeben? Einem perſönlichen Weſen, von dem uns das moraliſche Daſein (ich bin gräßlich von einem Kinde ge - ſtört worden, welches ſeine Lektion bei mir macht!) ganz und583 untheilbar und unzerſtörbar überkommen iſt, wie die ſichtbare Welt, in deſſen Schooß wir flüchten, und dem wir ein tau - ſendfach entzündetes Herz gezwungen ſind zuzutrauen, wovon ein glimmendes Fünkchen auch unſer Daſein ausmacht? Ein großes Urherz worauf ſich unſeres bezieht.

Der Menſchen Gedanken können weit ſchweifen; und ſich in engem Kreiſe, und in der Tiefe verwirren. Das wiſſen auch Sie, aus Beobachtung und eigner Bruſt. Davon kann man lernen, die Mitmenſchen nachſichtig, und ſich ſelbſt ſtrenge zu betrachten. Jedem ächten Menſchen traue ich das zu; man hat ſich ja gar nicht, wenn man ſich nicht ſtreng faßt; man hat keinen Andern, wenn man ihn nicht mit Liebe faßt. Daß wir uns ſelbſt lieben, dafür hat Gott geſorgt; wir kön - nen uns nicht entkommen, ſonſt wichen wir von uns ſelbſt. Doch haben Sie Recht; man kann täglich nachhelfen an Strenge gegen ſich, und Nachſicht für Andere; im Kleinen fehlt man doch! Gott ſegne Ihnen in aller Ewigkeit Ihr Glück! die Offenbarung gefunden zu haben. Dieſe Gnade iſt dem Geſchenk des Daſeins zu vergleichen, und iſt wie dies, ſo poſitiv und wirklich, daß kein Wort mehr dazu paßt. Dies Glück muß jeder, der einen Begriff davon haben, ein Bedürfniß dazu fühlen kann, in tiefſt-unterworfener Demuth abwarten; und mit gedoppelter Kraft, das Große auch im Dunklen ehren. Auch eine göttliche Aufgabe, für ſeine Men - ſchen! Ich bringe Ihnen ein großes Opfer, Fouqué! ſolche Worte aus meiner Seele zu laſſen; ich thue es, weil ich Ih - nen nur durch ſolche zeigen kann, wie ehrlich ich es gefühlt habe, welche hohe Gabe von Veneration Sie mir darbrach -584 ten; und weil man über ſolche Dinge nicht ungewiß bleiben muß, was aus ihnen geworden iſt, wenn man ſie ausgeſpro - chen hat!

An Indifferentismus habe ich nie gelitten. War mir etwas indifferent, ſo wußte ich nichts davon, und es berührte mich nicht. War mir etwas wichtig und wurmte mir, ſo ver - hehlte ich’s wohl, aber ich verläugnete es nicht. Meine Er - ziehung, die keine war, hat wohl dazu beigetragen. Mir wurde nichts gelehrt; ich bin wie in einem Walde von Men - ſchen erwachſen, und da nahm ſich der Himmel meiner an: viel Schmutz und Unwahrheit iſt nicht an mich gekommen. So kann ich aber nun auch nichts lernen. Auch keine Reli - gion, und erwarte auch die von oben. Nämlich den Namen zu meiner, oder eine neu offenbarte. ( Abhängig von den Menſchen bin ich nur inſofern ſie mich lieben ſollen, und ich mit ihnen leben muß; mein Herz und meinen Geiſt kann nie - mand als durch Gründe regieren. Ich verſtehe alſo den Aus - druck von Ihnen nicht, wenn Sie ſagen, Sie waren ſonſt abhängig von ihnen.) Können Sie alſo Marie’n einen poſi - tiven Glauben über poſitive Ereigniſſe zu ihrer ewigen Ruhe beibringen, ſo thuen Sie es. Wird es ihr aber, ohne jene Syſteme wie Sie durchgegangen zu ſein, nützen wie es Ihnen jetzt nützt; oder ſie davor ſchützen, daß nicht geſchieht was Ihnen geſchah? Das ſagen Sie mir; und, kann ein Menſch dem andern ohne Offenbarung ein Religionsgefühl, Meinung, und Anſicht beibringen? Iſt das nicht der letzte intime Akt zwiſchen der Kreatur und dem, was ich nicht nen - nen mag? Oder wollen Sie ſie nur vor Dünkel und Un -585 wahrheit, und Verläugnen des Furchtbaren ſchützen? In je - dem Fall bin ich ſchon Ihrer Meinung, daß ſie die Bibel leſe! Wonach ich auch ſtehe; ich Waldmenſch. Ich kann keine kriegen. Nur um Gottes willen! laſſen Sie ſie das Große, Göttliche, Unendliche ſelbſt finden. Wie frevel-ſünd - haft! den Menſchen nicht alle Fragen, nicht ſolche Entdeckun - gen ſelbſt machen zu laſſen! Adieu für heute; es iſt ſchon ganz dunkel. Morgen ſchreibe ich Ihnen noch.

Noch Eins! Aber ganz etwas anderes! Ganz! Wenn ich ſo in das Fouqué’ſche Schreibehaus hineinſchreibe, es iſt doch ganz ehrlich und naiv von mir! Ich weiß wohl, daß ich Ihnen leſenswerthe Dinge ſchreibe; aber meine Worte, und Ihre! Wie exerzirte Soldaten mit ſchönen Uniformen ſteht alles von Ihnen da; und meine, wie die zuſammengelaufenen Rebellen mit Knittlen! Auch ändere ich mich nicht. Weil ich nicht kann, ich begreife nicht, warum nicht.

Sie ſind der Erſte, dem ich dieſe Jahrszahl ſchreibe, und nicht ohne Emotion. Jede Veränderung, wo man beitragen ſoll, um ſie hervorzubringen, oder zu markiren, macht mich et - was ſtutzig; gerne wünſcht ich Ihnen Glück; unterſtehe ich es mich wohl? Meine Wünſche avortiren alle ſo köpflings, daß ich ſie mit Zaubermittlen vergraben möchte; außer dem lichten Bewußtſein meiner Seele. Darum wag ich im größten Ernſte! nichts auszuſprechen gegen Sie; aber was Sie am empfindlichſten glücklich machen kann, das geſchehe, und was Sie am meiſten fürchten können, bleibe entfernt! 586Geſtern war ich in einer Geſellſchaft, wo man durchaus, weil Sylveſter war, eine haben wollte, und in dem Sinne auch mich eingeladen hatte; keiner beſaß dort mein Herz, aber für Alle war es doch recht wohlgeſinnt. Man ſah gegen Mitter - nacht öfters nach den Uhren, wovon meine Unruhe geweckt wurde; bei jedemmale mehr, endlich ſchlug es 12; Alle ſtanden mit den Gläſern auf, und wünſchten! Ich kann Ihnen die namen loſe Trauer von mir nicht ausprechen! kaum konnt ich ſtehen; nur großer Jammer fiel mir ein, an mich dacht ich nur undeutlich jetzt wein ich auch , zwei waren da - runter, die dies Jahr ſchwere Krankheiten überſtanden hatten; und ich, die Geſteinigte, ſtand auch da. An die zwei hielten meine Gedanken ſich, und ich war die Einzige, die wahrhaft litt, und ſelbſt die Einzige, die an die Kranken dachte: die Eine hatte ihren Mann, der Andere ſeine Frau da. Nein! nein! Von Glück muß die Rede nicht mehr ſein! Von nichts mehr! Denn zu meinem eigenen Skandal muß ich über alles weinen; aus Herzens - und Augenſchwäche; wie erbärmlich, miséable: mir ganz verhaßt und verächtlich! Aber zu miß - handelt wurde wird die Natur, aus der ich beſtand! Nun kein Wort mehr! Auch keine Entſchuldigung: ſolche Worte entſchuldigen, wie Geſchrei, ſich ſelbſt.

Als ich Ihnen geſtern antworten wollte, las ich natürlich Ihren Brief noch einmal, und machte mir bei jedem zu beant - wortenden Punkte ein Kreuz am Rand. Nun will ich mal nachſehen! An welchen noch Anderen als an Fichte wollten Sie denn den Erwachſenen weiſen, der Chriſti Lehren erfaſſen möchte? Der Erwachſene bin ich.

587

Von Prinz Louis habe ich Ihnen noch manchen Nachtrag zu machen: alles nur mündlich; es findet ſich, wie oft, wenn ich etwas vortrage, oder mich rechtfertigen will, daß ich das Weſentlichſte weglaſſe. Empfehlen Sie mich auf das allerbeſte bei Frau von Fouqué! ſie hat auch in meinem Herzen eine ſchöne Wohnung! wenn ſie mir aber wirklich gut iſt, ſo bitten Sie ſie, daß ſie ſich ſchon jetzt Stunden für mich aus - denkt, und in Beſchlag nimmt für den Berliner Aufenthalt! Mit ſtrenger Überlegung iſt das zu machen: man muß nur eine ſolche Zeit nicht ohne Vorbereitung über ſich kommen laſſen. Der arme Robert boßt ſich hier, nicht wegkommen zu können. Da innerlich kein Menſch dem andern helfen kann, ſo führen ſie ſich allerlei Scenen auf, wo ſie’s äußerlich ſo vortragen, als ob das doch ſo ſein könnte; als hätten ſie die Welt gemacht: Natur aber, wendet den großen Blick weg von dem wimmlenden Haufen Elend; und verläßt auch ſo ihre wenigen Getreuen, die in ihrem Vermiſſen, in ihrem Seh - nen, die Wahrhaftigkeit, bald, als goldene Zeit, vor -, bald rückwärts ſuchen!

Mariechen gebe ich einen Kuß über die Augen, wenn ſie’s erlaubt. Hätte ich doch nimmer gedacht, daß ſie ſich meiner Halsbänder noch erinnert. Ich will wieder für Unterhaltung ſorgen; ſagen Sie ihr das!

Warum ſollte Louiſe nicht wiederkommen? Sie nicht hin - reiſen? Ich laſſe mir das nicht einbilden. Und Sie, müſſen es gar ſo verzagt nicht aufgeben. Einer Muſe, ſeiner Göt - tin, iſt man die größten Wallfahrten ſchuldig: warum woll - ten Sie ſo ſchief leben, und das nicht ausführen? Sich mit588 Ihrer Einbildungskraft, mit Vorſtellungen des Schönſten ab - ängſtigen und ableben, wenn Sie das Glück haben, daß Ihre größte für Sie geſchaffene Augenweide, nicht ſo mißgeboren, verſunken oder gefeſſelt iſt, daß Sie allen Lebensthau mit Ihren Augen aus ihren Blicken ſich holen können! Nütze deine jungen Tage! weil meine alle ſo zu meinen Füßen lie - gen, und ſinken, möchte ich gerne jeden Menſchen zum Leben wecken! Adieu.

Gott ſchütze Sie! Rahel.

About this transcription

TextRahel
Author Rahel Varnhagen
Extent607 images; 147582 tokens; 17573 types; 960752 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationRahel Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde Erster Theil Rahel Varnhagen. Karl August Varnhagen von Ense (ed.) . IV, 588 S. Duncker und HumblotBerlin1834.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Av 19851-1http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=556717236

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Prosa; core; ready; china; women

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
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