PRIMS Full-text transcription (HTML)
Rahel.
Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde.
ſtill und bewegt. (Hyperion.)
Zweiter Theil.
Berlin,1834.Bei Duncker und Humblot.
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An Varnhagen, in Prag.

Lieber Varnhagen! Ich habe dich heute ſehr lieb! Wenn du wüßteſt bei welchem Geſchrei zu Gott, ich deiner heute ge - dachte, dich wünſchte: dein ganzer Werth, dein beſtes Sein mir gegenwärtig ward! Doch dies ein andermal; ich bin zu fatiguirt!

An dich dacht ich; an dich wollt ich mich lehnen, in deinen Armen dieſe Thränen weinen; dies ſchreien. Ich erwarte ſehnlichſt deine Antwort. Es iſt 12 Nachts. Ich ſchreibe jetzt nur, um dich inſtändigſt zu bitten, eh er nach Wien verſchwindet, dem Hrn. von Noſtitz ja ſeinen Traum von Prinz Louis und Schillers Geiſterſeher abzufragen, und ihn genau aufzuſchreiben! Auch laß dir Louis’s Tod genau erzählen, und ſchreib ihn auch auf. Mir erzählte er beides göttlich: ſo naiv, ſo darſtellend, ſo unbewußt ſchön: ſo natür - lich; mahn ihn an, daß er’s wieder ſo mache: aber ſag ihm nicht, zu welchem Zwecke. Er liebt es gewiß nicht. Ich fand ihn ſehr zu ſeinem Vortheil verändert. Einfache, angenehme, kriegeriſche Haltung; wahrhaft einfach, angenehm. Unſchul -II. 12dig, liebenswürdig, und ſo herzlich als ſchicklich gegen mich, und erforderlich gegen den Reſt. Wir ſprachen innig von un - ſerm geliebten Freund, Noſtitz wie ich’s nur wünſchen konnte. Grüß ihn ſehr von mir, als einer großen Wohlwollenden. Marwitz konnt ich gar nicht genug von ihm erzählen: der quälte mich eben ſo, in einem Briefe, dir dieſen noch heute zu ſchreiben: da ich einmal das Projekt, du ſollteſt Tod und Traum aufſchreiben, hatte laut werden laſſen. Leb ſehr wohl. Wie ein Phönix gehſt du heute aus meiner Leidenſchaft her - vor! Schreib mir: und trau mir!

Noch Eins! Wolf war ſehr geſchmeichelt von deiner Re - zenſion: und es ſchien ihm ſehr leid zu ſein, daß das Blatt [Öſterreichiſcher Beobachter] hier nicht geleſen wird. Wie hat er denn das ſo ſchnell dort?! O! er hat ſchon Niebuhr, und Goethens Leben. J! ſo! Nun Goethens Leben hat man wohl. Er hat alles. Kurz, er war überaus char - mirt. Gleich den Abend drauf als ich dir ſchrieb, kam er. Lebe wohl! Ich erliege ſonſt. Künftig, liebes Kind, ſchreib ich dir, wie du dich artig haben mußt, wenn du bei mir lebſt: und mich nicht Einmal ärgern mußt. Weil es gar nicht - thig iſt, und ich es nicht ertragen kann: meine Geſundheit meine ich, die iſt ſo ſchwach, daß ſie der Reſt des Reſtes iſt, von allem, was ich beſitzen ſollte, und je beſaß. Adieu. Ant - wort. Gewiß kommt in dieſen Tagen dein Brief. Adieu.

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An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Unpaß genug! und es iſt eine ausgemachte Sache, daß Sie mich noch todt martern: denn mitten in dieſen Zuſtänden bin ich auf nichts befliſſen, als Ihnen alles zu erzählen, über alles genaue Rechenſchaft zu geben. Dabei ſteht kein Augen - blick ſtill, und es folgen Ereigniſſe und Gedanken. Damit nun auch für Sie eine zu verſtehende Folge möglich werde, wie es außen und innen übereinander ging, ſo will ich die Dinge der Zeit nach vortragen, wie ſie übereinander gingen. Ein großer Zwang für mich: die ich am affizirteſten vom Letzten bin: und noch mehr von der Furcht, es Ihnen in der Lebendigkeit, die dies beſonders heiſcht, und in welcher es vorging, nicht darſtellen zu können. Als Sie ankamen, fan - den Sie mich ſehr perplex, Sie ſahen, glaub ich, es nicht ganz. Auch dies, die Urſache davon ſollen Sie erfahren: aber erſt ganz am Ende dieſes Briefes.

Ich erwartete einen Menſchen, mit dem ich etwas ab - machen wollte, welches meine ganze Seele unter ſeiner[Ge - walt] hatte: dabei Sie wiſſen, was, und auch wohl wie hatte ich Ihnen geſchrieben, wollte Ihnen noch ſchreiben, und dachte in dieſer Seelenklemme in taktloſen Zwiſchenräumen an Sie und an das, was ich Ihnen noch ſagen wollte. Hauptſächlich war Eines davon dies: daß man, als Unſinni - ger, ſein Leben in Schmutz, Unſinn, Dürre, Sand und Wuſt, in wahnſinnigen Thorheiten, hinrinnen läßt, nicht beachtend,1 *4daß kein Tropfen zweimal fließt, der Diebſtahl an uns ſelbſt geſchieht und gräßlicher Mord iſt. Bloß weil wir ewig Ap - probation haben wollen, aus der wir uns nichts machen, und nicht tapfer genug ſind, menſchlich Antlitz nicht zu fürchten, und dreiſt zu ſagen, was wir möchten, wünſchen und begeh - ren. Nichts iſt heilig und wahr, und unmittelbare Gottes - gabe, als ächte Neigung; ewig aber wird die bekämpft, für anerkanntes Nichts. Das Fremdeſte laſſen wir uns aufbür - den, und ſo kommen wir uns ſelbſt abhänden. Ich ſelbſt, wie ſelten bin ich, komme ich zu Sinnen! Hören Sie, wie ich darauf kam. Ich liebe Sie gewiß; nie aber werde ich wieder zu der Sehnſucht kommen, die ich voriges Frühjahr erlitt, als das neue Jahr grad aus Erd und Himmel brach, und Sie wegreiſten. Ich erlebte eine Welt ich ſchrieb es Ihnen, was aber wär es geworden, hätte ich Sie nur vier Tage länger behalten!! Ich verging faſt in Sehnſucht und Bedürfniß, es mit Ihnen zu ſehen. Ich Elende, Niedrige, würdig des Lumpenlebens, das ich führe! Gott ſieht jetzt mein innerſtes Herz und dieſe Thränen! Niedrige, Feige, die ich war! Hatte ich den Muth, Sie bleiben zu laſ - ſen? Nie werden Sie mir das wieder werden, was Sie da - mals waren grade durch die Reihe Leben, das wir geführt hatten, durch den Gang der Geſpräche, die Blüthen der Stim - mung und des Frühlings! Was hätte es Ihrem für alle Ewigkeit fertigen Bruder geſchadet, wenn Sie vier Tage ſpä - ter nach Friedersdorf gekommen wären, was Ihnen, wenn Sie mich ſo hätten beglücken können! Laſſen Sie ſich das für Ihre eigene Perſon zur ewigen Warnung dienen. Be -5 zwingen Sie keine Stimmung, keine Gefühlsblüthe! Sie werden nachher verzweifeln; in der kargen Ausübung der unnahrhaften Verſtändigkeit. Unterſuchen Sie ſich immer genau: und fürchten Sie Weisheit, die nicht aus dem Her - zen ſcheint.

Nur Neigung, nur Herzenswünſche! Kann ich ihnen nicht leben, bin ich dazu zu elend, zu verworfen, zu heruntergeriſ - ſen und mißhandelt, ſo will ich ſie von nun an in mir er - gründen, und ſie anbeten! Gottes ſtarker Wille iſt das im Herzen im dunklen, blutwogenden , der keinen Namen bei uns hat, deßwegen täuſchen wir uns, bis es todt iſt. Sie haben mich gefaßter gefunden die letzten Tage. Was iſt es anders, als daß ich zu meiner Neigung wieder hinabgeſtiegen war, über die ich mich erheben, zerſtreuen wollte. Glücklich bin ich fürwahr nicht von ihr gemacht; noch ſanft, noch nur menſchenverſtändlich behandelt; und doch erhalt ich mich nur ſelbſt, wenn auch in herbem Zuſtand, wenn ich mich ihr hin - gebe, mich ihrer ganz erinnere, und nicht Sinnen und Herz ihre Güter vertauſchen will.

Ich bin krank geworden, ſeit einem Ärger, den ich ge - habt: ich kann durchaus nichts mehr ertragen! Nun ſollte ich an dieſe Zeilen fügen, wie ich vorgeſtern und geſtern Abend zugebracht; vergebens! Sie ſollen es haben, aber in einem künftigen Brief. Dieſer ſoll weg wie er iſt; damit er bald ankommt. Morgen ſchreibe ich Ihnen die beiden Abende. In dieſem will ich Ihnen noch ſagen, was kürzer iſt, wozu keine Laune gehört, und was mehr in meine heutigen ſchmerzhaften Gedanken paßt.

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Es fehlte mir noch, daß Sie ſo in Ihrem Innern mit Varnhagen ſtehen! Alſo wenn der kommt, welches auch Sie ſchon für mich wünſchten, hab ich dieſem Bruche mit zuzu - ſehen, der ſich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück, daß nichts in der Art mich ſchreckt, weil ich auf nichts mehr hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt ſo kommt, wie wir, wie ich ſie beſtelle. Dies iſt mein Glück, ſonſt müßt ich ver - zweifeln. Varnhagen iſt alſo mein Freund, der mich am meiſten liebt; für deſſen ganze Lebenseinrichtung ich Bedin - gung bin: und es iſt nicht genug, daß ich ihn ganz kenne und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog auf Wog unter, Klippen an mit ihm durch, und all unſre Freunde le - gen die ganze Laſt ganz auf mich. Sie trägt ſo viel, ſo gut, warum nicht auch dies! Dies ſagt ſich niemand; aber ſo geſchieht’s, weil ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich bin zu krank heute, jetzt! Auch ſchicke ich nun dieſen Brief nicht ab, bis das Folgende ſteht. Adieu!

Im Bette, Sie müſſen Geduld haben, mein lieber Freund, und bedenken, daß Sie es ſind. Sehen Sie mich an wie eine Krankheit des menſchlichen Geſchlechts, es giebt ſolche Menſchen, in der Reihe der geboren wordenen und werden - den; auf die ſich Widerſprechendes ladet, und ſie biegen und brechen; wie es in einem Menſchenleben Momente giebt, mit denen es eben ſo geht, und die man kranke nennt und fühlt. die auch nichts anders ſind, als Träger der Verwirrung, des nicht Aufgegangenen für die geſammten Organiſationen die -7 ſes Lebens, dieſer Erde. Verzeihen Sie mir ja dieſen Brief wie er hier ſteht! Ich möchte um keinen Preis, was ich oben von Ihnen zu fordern ſchien, und dachte ſchon ſo, als nur die Züge aus meiner Feder waren, ja als ich ſie noch machte , daß Sie mich ſchonten, für mich litten, ſchafften und mach - ten: alsdann wären Sie ja auch Ambos; und dafür ſoll Gott uns behüten. Ihnen aber die beiden Abende, Dienstag und Mittwoch zu beſchreiben, dazu bin ich zu ſchwach: zu erſchöpft endlich, zu irritirt; alles dies rein der Körper. Wie es mit meiner Seele iſt, weiß wenigſtens ich nicht: die ſcheint in der That von Unſterblichem gemacht zu ſein. Hören Sie aber von anderem, wenn es möglich iſt dergleichen zu beſchrei - ben, auszudrücken, ja ſich ſelbſt anders, als unwillkürlich, zu wiederholen.

An Varnhagen, in Prag.

Ich habe zuletzt Clemens Brentano’s Brief geleſen, alſo fange ich von ihm an. Der Brief gefällt mir ſehr, und ich habe mich in ihm nicht geirrt. O! hätte ich doch ewig mei - nen wahren Blick über Menſchen befolgt, ewig dem Ausſpruch gefolgt, der mit ſo unumſtößlicher Wahrheit mitten in meiner Seele über jeden mir Vorkommenden zu mir herauftönen will. Ich finde eine unausſprechliche Milde und Biegſamkeit in die - ſem Briefe: und ich muß dir wieder ſagen, eine außerordent - liche Ähnlichkeit mit mir darin. Auffallend, und ſehr unver -8 muthet war mir gleich die Handſchrift; nie hätte ich ſie von ihm ſo erwartet. Ganz wie von einer Frau, ich kenne tauſend ſolche. Mich intereſſirt ſein Gemüthe ſo, und mich dünkt ich kenne es ſo ſehr, daß ich für mein Leben gerne wiſſen möchte, womit du ihn ſo gekränkt haſt. Auch ſehr meine Art mich auszudrücken, dieſe Stelle. Wenn ich ihm doch die heilende Entſchuldigung unter deiner Geſtalt hätte machen können! ich hätte ihm unendlich geſchmeichelt, ſeinem Herzen; ich hätte es verſtanden, wie man es machen muß. Du ſchriebeſt mir ja, er wäre nach Wien, und ſo ſagte ich hier auch immer aus. Mir iſt die Geſchichte oder Anekdote, woraus er ſein Stück ſchreibt, wie das Meiſte, was ich geleſen habe, nicht gegen - wärtig; und du ſprichſt mir davon wie zu einer Mad. Staël, die alles an den Fingern herzuzählen weiß; du ſchreibſt gut über ſeine Art zu ſchreiben; ich aber wünſche nun ſchon von ihm eine ſtrengere Manier; du weißt, ich will die Schriftſtel - ler ſchreitend; und immer mehr Herr ihrer eigenen Manier. Von mir hat ſich Herr Clemens, wie ich von einem Öſterrei - cher in ſeiner Naivetät erfahren habe, wieder plaiſant geäu - ßert; was er geſagt hatte, wollte mir der Menſch gleich nicht erzählen, als er ſah, mit welchem gar nicht zurückgehaltenen Begehren ich haſtig danach fragte, und das Ganze wieder be - ſchönigen. Ich that das gleich ſelbſt: und erfuhr auch nicht was er geſagt hat: frug auch nicht zu welcher Zeit. Es är - gert mich nur in ſo weit, als es der etwanigen Bekanntſchaft zwiſchen ihm und mir in Weg tritt, weil es doch eine vorge - faßte Meinung verkündigt, die ihn darüber ganz nachläſſig - oder abgeneigt dazu machen muß: ich fürchte mich aber gar9 nicht, daß wenn ich ihm nahe käme, ihn nicht durchaus zu ge - winnen: ich weiß was er ſich an Menſchen wünſchen muß; und ich habe den großen Vortheil über ihn, daß ich wohl ihn, er aber nicht mich geleſen hat. Daß er aber nicht beſonnen genug iſt, lieber über eine ausgezeichnete Perſon, die er nicht kennt, nichts zu ſagen und zu meinen, das verdrießt mich am meiſten; und daß ſein Innres, ſein Schickſal und das ſeiner Freunde, ihn nicht dazu beſtimmen, grade das Gegentheil von gemeinen, rohen, weitſchichtigen Urtheilen zu denken; wie ich es mit ihnen mache. Das gilt auch von dem Frauenzimmer, von der ich dir neulich ſchrieb; die mich gut, mehr als noch rein menſchlich, behandelte nach dem Eindrucke, den ich ihr machte, ehe ſie wußte, wer ich war; und als ſie es erfuhr, nicht ſchön ſich über mich äußerte, und ich ſchäme mich zu ſa - gen, nicht wahr; ich aber umgekehrt, hatte alles mögliche Ungünſtige von ihr gehört, glaubte nichts, weil meiner Vor - ſtellung die Perſon fehlte, auf die alles ankommt: ich ſah ſie, und eine übernatürliche Liebe berührte mein Herz; die ich aus Beſcheidenheit, gegen ſie, darin feſt hielt. Sie hat unaus - ſprechlich dadurch bei mir verloren. Denn alles erlaube ich einer Solchen, aber ordinair ſein, nicht. Dies lies ihm alles. Warum lobſt du mich auch ſo ſehr! Lieber! dann kann man dich natürlich leicht ärgern und mich attakiren. Ich liebe es aber doch! Lieb und lobe mich nur! kommen doch ſchlechte Menſchen durch falſches Lob empor; ſo müſſen beſſere, da man ihnen keine Stelle vergönnt, auch durch übertriebenes gehalten werden. Adieu für heute, es wird ganz dunkel, und ich will eſſen. Adieu Lieber!

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Das Komiſchſte in der Welt iſt, daß ich ganz überleſen, und unbedacht geleſen hatte, daß Clemens ſchreibt: Da wir ja auch über Rahel, Fouqué, Arnim, und Grimm, und mich ſelbſt anderer Meinung ſind ꝛc. ich alſo eine Art Rolle in dem Streit, und in den vorgelegten Verſöhnungspunkten habe! Wenn du es nun für unſchicklich und arrogant ſcheinend an - ſiehſt, theile ihm das Obige nicht mit: arrogant, weil es ſo ſehr unperſönlich war. Ich habe erſt jetzt ſeinen Brief noch Einmal geleſen; und was ich ſchrieb, bezog ſich auf Sonſti - ges. Vorzüglich aber war alles darauf gemünzt, daß ich ihm gut bin. Wie erkenne ich dich an den Zitaten, wo du ihm peinlich warſt! bei ſolchen Dingen kannſt du auch zur Pein werden! Ich würde gar Abends nicht ſchreiben, ſollte der Brief morgen nicht auf die Poſt, und ich für einen letzten Tag immer Störungen, von Menſchen, Geſchäften, Aufträgen, und Kränklichkeit fürchte. Du mußt gar nicht recht nachrech - nen, wie ſchnell ein Brief geht oder nicht, wenn du ſagen kannſt in deiner Seele, R. ſchreibt ſo lange nicht. Nun leſe ich deinen Kritzelbrief bei Lichte noch Einmal, und dann will ich antworten. Fettig Papier und eine Gräuelfeder habe ich!

Lieber Varnhagen! Wenn du Goethen ſchreibſt, laſſ ihm nur rechte Zeit, und ihn durch wahre Beſcheidenheit ſehen, wie hoch du ſeinen weiſen gütigen Brief ſchätzeſt. Marwitz hat mir ganz göttlich drüber geſchrieben, und kann die Güte, den Ton des Briefs nicht genug bewundern. Der iſt unſer Konfident. Was der von Goethe alles ſchreibt und ſagt, möchte ich ihm auch ſpediren. Ich für mein Theil, bin11 ganz beſchämt und geſtört, daß ich ihn nicht mehr ſo heimlich liebe; und daſtehe wie Andere. Heimlich aber wird es ewig bleiben; denn ich ſelbſt, kann es nicht ſo herausſpinnen aus dem Herzen, und weiß ich, was er noch ſchreibt und thut? was ich noch erfahre? Volumes hätte ich dir zu ſagen, wenn ich dir mittheilen könnte, wie verblüfft ſein Leben ſie wieder macht; wie ſie auf mich fallen, auf mich: und was ich manch - mal glücklich redneriſch erſchöpfend antworten kann, wie ich manchmal königlich ſchweige, zur höchſten Konfuſion der Re - denden, nicht weil ich ſchweigen will, weil ich ſchweigen muß: und ſie ſehen es. Manchmal gelingt es mir, mit zwei Wor - ten an Stellen im Buche ſelbſt zu verweiſen; Überleſen Sie doch nicht, welchen Rath Ihnen Goethe ſelbſt giebt, den Ge - ſichtspunkt, den er für ſolche Biographieen angiebt, daß er die Zeit ſchildert in bewußter meiſterhafter Unſchuld: zeigt und ſagt, wie ſich ein Menſch in und an ihr entwickelt, entwicklen kann und muß. So frug mich Graf Egloffſtein eigends in einem dazu angeſtellten Beſuch: Was denken Sie von Goe - the’s Leben? Erſt wollt ich nicht reden; er brachte mich doch dahin. Ich konnte ihm in ſehr klaren, bündigen nicht meine Force Worten eine ordentliche Erklärung vor - tragen; er lächelte häufig, meines guten Sprechens, der für ihn neuen Gedanken, und ſagte, ganz ehrlich und froh am Ende: Sie haben Recht, nun weiß ich, was er meint. Der muß mir nun in die Leſekabinette, und das Caſino und ſeine tauſend Geſellſchaften. Vornehmen thue ich mir dergleichen bei - nah nie; aber es fiel mir doch nachher ein. O! wie babyloniſch iſt die Welt; Clemens hat Recht: wo ich ein Dolmetſcher ſein12 muß! Siehſt du, daß ich Recht habe, Bentheim ſo zu lieben? Auch auf mich haben die bibliſchen Stellen den größten Ein - druck gemacht, als die reinſte beauté. Wie erhaben, wie abgezogen: das reifſte Beſchauen und Begründen aller Ge - ſchichte, mit dem unbefangenſten, kindlichſten Auffaſſen ge - paart! Wie göttlich! Mein alter Spruch: widerſprechende Eigenſchaften, in Harmonie gebracht, machen den großen Mann. Das Buch hat aber das größte Aufſehen gemacht, und hat die größten Verehrer, wüthendſten Anhänger. Wolf ſagt, zweitauſend Exemplare wären gleich weggeweſen. Schede bracht es mir ehrlich; die vergöttern es.

Es tutet 12 Uhr. Noch ein Wort. Varnhagen! ich ſehe dir ernſt in die Augen; und ſchmeichle dir ſehr jetzt! Miß - verſtehe meine Worte nicht, die ohne Ton und Blick hier ſte - hen! Vergiß nicht, daß deine Freiheit mir das Wichtigſte iſt, und ſein muß nicht aus Pflicht etwa verſtanden und daß es ganz von dir abhängt, daß auch deine Nähe mich ſehr glücklich macht. Nur laß mich zu Oſtern deine Pläne wiſſen. Gute Nacht!

Es war grade ſo wie ich es befürchtet heute, mit den Störungen, die langweiligſten, gräßlichſten, und doch unver - mutheten, mich überfallenden Familienbeſuche, und Frauenbe - ſuche, ich bin ganz erſtorben. Gnädiger Gott! dergleichen ertrag ich nicht mehr. Daß Joſephine P. ſo beſchränkt iſt, weiß ich ſehr wohl: dies allein machte, daß ich nicht gleich, als ich ſie kannte, bei ihr blieb. Nicht allein ich will mich abſolut mit höchſter Einſicht nicht beſchränken; und hätte ich13 eine dahin neigende Natur, ſo würde ich mich zum Gegentheil zwingen; ſondern, ich kann mich nicht beſchränken, und könnte dieſe meine Natur nicht bezwingen. Lieber, ich habe alle meine Papiere durchſucht, und kann keine Gedichte von dir finden. Ich möchte vergehen! aber machen kann ich doch keine!

Ich denke ich ſoll wahnſinnig werden für Glück, wie Goethe immer in die hohe Kammer geht, die Gewitter ab - zuwarten . In meiner tiefſten Kindheit that ich das auch ſchon, und noch berückſichtige ich alle Quartiere danach, ob man zu einem Gewitter viel Himmel ſieht. Jetzt hab ich Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem Menſchen deutet, das weiß ich; und ſeine Konſtitution kenne ich auch. Erinnerſt du dich des Gewitters in Charlottenburg, wo du mit Markus und Bribes ankamſt? da fürchtete ſich die Schwägerin, und ich wurde ganz grauſam: ich haſſe die Leute, die ſich vor Gewitter fürchten. Adieu! Noſtitz wird über Ber - lin quer-ein ſchimpfen. Rechne ab. Lebe wohl!

An Varnhagen, in Prag.

Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichſt antworten, alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht ertragen: leſen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir beſonders davon ein leiſer Verſuch ganze Nächte, und Aus - gehen durch die Kälte daſſelbe; ich bin wohl öfters ganz ver -14 zweifelt, klage aber aus dem reinſten, tiefgefühlteſten, ſtärkſten Ekel nicht mehr: bin auch ſeit geſtern, ohne alle Urſache, au - ßer, daß ich in einigen Tagen der[Zerſtreuungen] wegen, die mir meines Bruders junge Ehe abzwingt, gar nicht zu leſen verſucht habe, körperlich vergnügt, wegen zwei Nächten Schlafs. Vorgeſtern hatte ich die Familien, Hamburger Fremde, Minna Spazier, die ich oft und gerne ſehe, Fouqué und Marwitz zum Thee. Wolf, der Minna kennen lernen wollte, ließ mir ſpät abſagen. Marwitz war ſeit Freitag bis geſtern in Erb - geſchäften hier. Wir ſprachen uns ganz klar.

Ich kenne ſehr wohl dieſe Art von Beweisführung, und Aufbauung von Syſtemen; jeden beliebigen Punkt in der Natur kann man ſich wählen, und daherum den Reſt des Univerſums ſpielen und ſich bewegen laſſen: geſchieht dies aber befangen und eigenſinnig, ſo mag der Erfinder noch ſo geiſt - reich ſein, er wird närriſch, und riskirt es zu bleiben. Ein großartiges Verfolgen aller nur zu erfindenden Syſteme, ein ſolches Losſagen davon, ein ſtarkes Ergeben in alle Möglich - keiten, die ein höherer Geiſt in ſeinen Händen hält, ein na - türliches Anerkennen der Dinge, die für uns ſind, ein ehrliches Verfahren in den Tiefen unſers eignen Geiſtes, dies dünkt mich iſt fromm, und gottgefällig; und gefällig allen ſeinen Geſandten und Geweihten. Basta!

Frau von Fouqué ſah ich zweimal, einen Mittag ſie unverhofft, weil ſie mich Einmal verfehlt, und keine andere Zeit mehr hatte, mit ihren Töchtern bei mir, Marwitz blieb auch, Hanne hatte ich für Clara genöthigt. Frau von Fouqué iſt ganz liebenswürdig. Äußerſt wahr in allem. Ganz15 natürlich: und freundſchaftlich und gut mit mir. Sie hat unſer Aller höchſten Beifall. Heute Morgen iſt Robert mit ihnen nach Nennhauſen gereiſt. Sie frug mich nach dir, und nach deiner Uniform, und meinte, ſie müßte dir ſehr gut ſtehen. Sie iſt in allem ſo gütig und unbefangen, als wie ſie dies ſagte.

Geſtern ſchickte mir Schleierm. was ich dir hier einlege. Alſo der iſt gut mir dir. Wenn du kommſt, Lieber, ich bitte dich, mache nur alle Leute wieder gut und keine neue böſe; es iſt mir unerträglich; und in jedem Briefe werd ich dich darum bitten müſſen. Ich bin gar keine Zänke und Scenen gewohnt; und eine gewiſſe Tagesruhe und Ebenheit iſt der ganze Reſt menſchlichen Glücks, was ich beſitze; dies und perſönliche Unabhängigkeit, ſehr von meiner Börſe, aber von keinem Menſchen beſchränkt. Ich bitte dich um Gottes willen! raube und ſtöre mir dies Letzte nicht!! Und warum auch dies, Varnhagen? Du haſt grade alle Mittel, dich bei Men - ſchen angenehm zu machen und dies wird deiner Lage nach noch beſonders nöthig und bei mir auch: wollteſt du das nicht? Ich bin mit Marwitz und Andern ganze Tage, und ganz vertraut: und nie entſteht eine Scene; und keiner als du macht mir ſolchen Vorwurf: und mit dir zanken ſich ſo Viele. Auch weißt du’s ſehr gut. Du liebſt mich ja! Laß mich’s empfinden! Leids iſt mir bei allen Himmeln genug geſchehen! Mich loben und lieben von neuem, trotz meiner äußerſt beſchränkten Lage, alle Klaſſen von Menſchen meiner Geſelligkeit wegen: ſie iſt nichts als Güte: und die wollteſt du nicht fühlen? ſie uns läugnen? Nein: du wirſt beſſer ſein!

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Nun möcht ich dir am Ende des Bogens gerne für alle deine Liebesworte danken; ich habe dir eben in dieſem Briefe nicht geſchmeichelt; ſei verſichert, ich fühle ein jedes, und nehme es in’s Herz auf, wie es aus deinem kommt: das iſt die Hauptſache; und ſo wird auch kein Betragen an mir vor - beigleiten. Du biſt noch über niemanden ſo tief und klar - ſehend geweſen, als über Clemens Brentano, und ſo wohlbe - redt und worttreffend: ich meine nicht allein in deinem letzten Briefe; ich fand’s ſchon früherhin, vergaß aber öfters es dir zu ſagen. Sei wahr gegen ihn und ſanft. Seine Schweſter ſollte die vorige Woche eintreffen, ich weiß nicht, ob ſie ge - kommen iſt. Fichte, mein lieber Herr und Meiſter, hat mich durch Fouqué grüßen laſſen, und mir Vorwürfe machen laſ - ſen, daß ich ihn nicht ſehe: mir ſehr erwünſcht: aber ich kann nicht in die Kälte gehen; ſie iſt jetzt erſt ſtreng. Grüß und pflege Joſephinen: es iſt ganz ſo wie du von ihr ſagſt.

An Varnhagen, in Prag.

Ich bin allein, ohne leſen zu können, ſeit drei Ta - gen geht es etwas und ohne Menſchen ertragen zu kön - nen: unzufrieden mit den Geſchwiſtern. Ohne Luft, Muſik, Augen-Weide, oder nur-Punkt. Ohne Hoffnung für irgend ein Glück, oder Amüſement; den Sommer fürchtend: und ganz in einem großen Meer, von zahlloſen Tropfen des Mißlingens. Ohne Narrheit, ohne eine jene Welt. Denn17Denn dieſe iſt mir eben ſo gut eine jene. Kurz! in der lang - weiligſten Verzweiflung! Es dauert zu lange; zur Probe, zur Buße, zu was es ſei. Für ein edles Geſchöpf. Auf dies Leben hoff ich nicht mehr. Ich kenne nichts Elenderes, als ſo bis ſechzig hinan zu warten; mit Hoffnung. Mir geht’s ja Schritt vor Schritt ſchlechter durch jedes événement durch! Und kein Freund: kein Menſch kann mir nur ſagen, thun Sie dies, oder das: es iſt nichts zu thun. Es geht ihr gut genug, denken ſie dumpf, nicht deutlich: die mich am we - nigſten haſſen. Freunde laſſen es geſchehen. Erſchöſſ ich mich: wunderten ſie ſich, wie über Kleiſt. Dieſe Begräbniß - feier, mich nicht zu wundern, habe ich ihm wenigſtens ge - halten!

Du biſt der Einzige auf der Erde, der mir begegnet biſt, der da fühlt und weiß, bei dem es immer rege iſt, wie über - natürlich ſchlecht es mir geht. Wie keine Antwort auf alle Anforderungen des Lebens meiner Natur kam. Nie. Davon biſt du ergriffen, und das iſt ein großer Theil deiner Liebe zu mir. Für dein Aug allein, iſt das ſchreckliche Schauſpiel da!

Hätteſt du mich ſelbſt gemordet, und ein Bewußtſein ſchwämme noch auf der Erde, ſo würde ich dich dafür wieder mit Liebe erfaſſen müſſen, wie jetzt. Das wollt ich dir längſt gerne ausdrücken; und jetzt iſt’s Schuldigkeit; und es geht oft, und immer, lieblicher in mir her, als ich’s jetzt in Krankheit und aller und jeder Betrübniß aufſetze. Das weißt du auch; und dieſe Wurzel trug dir Liebeszweige, und auch manche Blüthe. War es Eitelkeit, ſo nahm meine Eitelkeit den Weg, auf dem ich dachte: er wird mich anders, als die an -II. 218dern Frauen behandeln; Neigung ſcheint ihn zu mir zu füh - ren; und keine war ihm noch, von denen er begegnete, ge - wachſen. Ich ſtehe auch als Freund hoch über allen bei dir.

So irrſt du auch, mein lieber Freund, und ſagſt dir durchaus die Wahrheit nicht, wenn du dir und mir vorſagſt: Man lebt unwachſam in die Jugendjahre hinein, und ſieht ſich unerwartet zum Böſewicht geworden aus einem guten Kinde. Ein Kind iſt ein unentwickelt unberührtes Ding, und immer gut, weil ſein Toben gegen Tiſche, Stühle und Spiel - zeug geht, welches man ihm preisgiebt, und welche Zerſtörung man ihm nicht anrechnet; ſo iſt’s nicht ſchlecht, im Mangel der Begriffe höchſtens! Aber die Jugendjahre ſind die tugend - ſamſten, ſchönſten, aufflammendſten; ich verzeihe grade der Jugend nichts Schlechtes. Das iſt gewiß ein faules Pro - dukt: wo die höchſte Gährung nur Schlamm erzeugt. Leicht - ſinnig kann tobende Jugend wohl ſein, aber nur gegen ſich ſelbſt. Ja, eine edle glaubt gar nicht, daß man Andere beeinträchtigen, verletzen kann. Erſt ſpät, wenn man ſelbſt dahin iſt; von Stößen und Wunden, und nirgend mehr Raum finden kann, noch Stelle zum Bleiben, iſt es möglich, daß man endlich ſich entſchließt, ſich Platz zu machen, und ſollten auch Andere doch Verwundete und Verwunder eine Narbe davon tragen: und doch vergeht mancher Edle, ehe er ſelbſt die wahre Jugend durch ſolche Handlung von ſich ab - ſtreift. Wenn ich Staatsgeſetze zu geben hätte: ſo ſchützte Tollheit keinen Verbrecher vor Todesſtrafe, wenn ſich ſeine Tollheit mit dem Verbrechen, worauf jene ſteht, anhöbe; wenn er ſich ſelbſt verletzt, kann er nach dem Tollhauſe.

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Glaube mich nicht ſchwach: ich habe Frevelmuth genug in mir, um weiter zu leben, Beſonnenheit genug, um in Thä - tigkeiten zu beſtehen, für die mir kein Gemüth und kein Geiſt bleibt! So ſchreibſt du mir im letzten Brief; nicht geden - kend der Worte, die den von Clemens begleiteten: Ich ſtehe hoch über meinen Fehlern. So, mein ſehr Lieber, denk ich von dir: und habe es dir ſchon öfter geſagt: Das iſt ein gebildeter Menſch, der ſeine Anlagen bezwingt, wenn Natur nicht gnädig gegen ihn war; der ſie nur in ſich einſieht; ſie ermeſſend behandlen, iſt einen Schritt weiter. So ungefähr ſagte ich. Du ſtehſt als der Gebildetſten Einer mit deiner Einſicht hoch über deinen Naturfehlern. Theurer Freund! haſſe ſie immer, nenne ſie dir, bekämpfe ſie. Du liebſt ja das Schöne ſo in Andern, biſt ſo gerecht, ſo tapfer in der Aufweiſung und Schätzung ihrer Gaben; mach dich ſelbſt urbar, wo Dürre gelaſſen iſt, und laß dich von deinen Freun - den hinwiederum lieben: du weißt, welches Glück, welcher alles heilender, weicher Zuſtand dies iſt.

Lieber Guter! dein Brief an Goethe über mich ängſtigt mich ordentlich. Freilich, Lieber, wird er ihm die Jugend und Liebe wohl anſehen. Du ſprichſt von meinem Talent !? hab ich ein namhaftes Talent? das, das Leben zu faſſen; und manchmal barock, in komiſch - oder tragiſcher Hülle, es zu nennen was ich ſah. Mein Unglück ſag ich ja ſchon lange iſt zu meiner Schmach eins ohne Titel; darum wird mir auch nie geholfen. Ich bin eine Falſchgeborne, und ſollte eine Hochgeborne, eine ſchöne Hülle für meinen innren wohl ergie - bigen Grund ſein! Eher hätteſt du ihm von meinen wirklich2 *20vielen Verbindungen und Bekanntſchaften ſprechen ſollen. Darauf zielten auch ſeine Fragen; und er merkte es wohl, der Merker par excellence, daß es eine ſolche Perſon ſein müſſe. Doch wie es ſei! Und ſieht er mich je, ſo wird er ſchon wiſſen, was Gebratenes an mir iſt. Adieu. Indeſſen!

Lebwohl!

An Varnhagen, in Prag.

Heute vor dem Finſterwerden gab man mir deinen Brief, wo der über mich geſchriebene an die Gräfin Pachta drin lag. Mit großen Liebespulſen antwortete mein Innerſtes auf jedes deiner Liebesworte, und Sehnſucht, der Wunſch dich zu ſprechen, bildete ſich in meiner Seele. Gewiß ſah ich dich mein in einem gewiſſen Sinn auf ewig, und ſo antwortete ich auch dir. Ich freute mich, daß mein Montag abgegan - gener Brief dir jede Antwort auf den heutigen eigentlich ſchon im voraus brachte. Mit einem ſchwer aus dem Herzen drin - genden Seufzer ſah ich den an Joſephine an, ſtand der zu gebeugten Seele, des Körpers wegen an, ihn zu leſen, und gedrängt von mir ſelbſt, that ich’s doch. Ach lieber Freund, in welch Geſchrei zu Gott, und Herzpochen für Schmerz, fiel ich nach dem Leſen. Alles weiß ich: jedes hab ich wohl ſelbſt hundertmal in verſchiedenen Briefen, wo von mir endlich alles ſteht, ſelbſt geſagt. Aber wie gräuelhaft, wie rettungs - los, wenn es auch von außen, wie Mauren, ausgeſprochen21 von fremdem Geiſt, uns entgegentritt. Ach, warum mußteſt du mich auch jetzt ſchon ſo ſtark halten, daß heute dieſer Brief kam. Ich fühlte mich eben ſo krank, daß ich es nicht mehr zu ſcheiden wußte, wer den andern erſt ſo gemacht hatte, Ge - danke oder Körper; aber durch lange Tage und Nächte durch, hatte ich mir die ſchärfſte, genauſte, unumſtößlichſte Rechen - ſchaft noch Einmal gegeben, wo die wahre Wendung meines Weſens geſchah, welche mein ganzes Schickſal gründen mußte: denn eine gewaltſame, nicht liebliche iſt vorgefallen; und Karakter bildet Schickſal, Naturingredienzien ſo oder ſo ge - ſtellt. Ereigniß, und Gründe, erwog ich noch Einmal! und ach! zu was als humilité ich kann das deutſche Wort nicht finden zu Verzweiflung der Edlen, konnte dies führen. Und wie zu einem Chore kam dein Brief die Tragödie voll - kommen zu machen. Laß es dir nicht leid ſein, auch viel Liebe habe ich darin erfahren; und mein noch lebendes Herz hat ſie wohl, ja ganz erkannt. Ärgeres noch, als in deinem pa - négyrique ſteht, ſagt ſich die arme ausgeſetzte Rahel! Dies können die Menſchen glauben, du weißt es; wenn Großes, Beſonderes in ihr iſt, ſo iſt es das; ſie weiß, was in ihrem Kreiſe iſt, und ſieht und ſagt ſich das Härteſte, wie wohl ſel - ten ein Menſch dies auf der Erde that. Und ſo kann ich ſagen, mein Schmerz und mein Verluſt iſt unendlich; darum verſtehe ich auch alle andern Schmerzen, darum iſt auch der Verdruß immer ſo groß, wenn du, der Einzige, dem ich ſo bekannt bin, der Engel, den mir Gott mit Troſt in meine Zeit ſchickte, wenn der abſpringt, und mich ärgern mag, oder, welches eins iſt, ſich ſelbſt mit einemmale fehlt! Aus die -22 ſem Geſichtspunkt, mein geliebter Freund, verzeih mir! Freilich muß ich mit dir ſtrenger und härter ſein, als mit Allen: von dir ganz allein fordert und erwartet ich; und thu es noch.

Dies alles, trotz meines Kopfes, meiner hinzufallenden Müdigkeit, mußt ich dir noch heute ſagen. Sonſt verliere ich die Worte, die tiefſte Stimmung wieder. Als ich ganz müde und todt, lag, und Minna Spazier erwartete, heute fürchtete ich ſollte ihr Geheimrath Wolf zitiren laſſen, kam meine älteſte Nichte, die blieb bis jetzt. Nach 10 Robert. Ich weinte langſam immer fort, in des Mädchens Gegenwart, nämlich mein Herz und meine Augen. Doch ſprach ich oft, und reichlich, und unterhaltend: wenn ich manchmal ganz ſchweigen muß, iſt das das Höchſte. Minna kam Gottlob nicht, und ſo konnt ich Wolf auch weglaſſen. Schlaf recht wohl! Die blinden rohen Leute! mir geſchähe das bei einem Trommler mit einem Bart nicht, wenn er meine Seele hätte! mich unweiblich zu finden: iſt das weiblich, ſich auf Menſchen und Schickſal ohne Wahl wie auf ein Lot - terbette zu werfen, und da nach gut Glück faulen, oder Kour annehmen? Große Natur, allmächtiger Gott! wie erlaubſt du deinen Menſchen ſich zu verſperren! ganz klein, ganz klein! Nun fällt’s mir erſt wieder ein! Dein Brief an Joſephinen ließ mir mich wieder ſehen, wie eine Todte, ein Geiſt ohne Blut und Leben, der neben ſeinem an, noch wandelt. Schrecklich! Und doch, großer Gott! große Natur! iſt es Gottlob! anders noch, als ich, und irgend je - mand zu faſſen, in einen Begriff, als wir es auszuſprechen23 vermögen! Sonſt wär ich ja auch wohl, in Gottes Gnade, ſchon todt hingeſchlagen. Gute Nacht!

Ich habe eine ſchlechte Nacht gehabt, nicht möglich ein - zuſchlafen: am Morgen, wo ich denn immer einſchlafe, ſtellten ſich Hähne vor mein Fenſter, und wetteiferten in ihrem abominablen Geſchrei auf’s genauſte. Am Ende ließ ich ſie wegjagen. So iſt’s auf den Straßen unſerer edlen Stadt. Hühnerhorden! Dann ſchlief ich noch ein wenig. Ich ſehe ſehr deteriorirt aus. Natürlich! Krank, keine Luft, keine Zerſtreuung keiner Art. Sonſt, wie ich die Behülfliche mit meinen ewig geringen Mittlen ſein konnte, ging alles: aber an wen kann, ſoll ich mich wenden! Auch iſt meine ganze Geſellſchaft zerſtört, zerſtreut, todt, arm. Dabei, bei dieſem Knappen, bin ich Dankbarkeit ſchuldig, und zur Laſt; denen, die ich meiden möchte unter den beſten Bedingungen; was ich am meiſten fürchtete, wogegen ich fünfzehn Jahre rang, muß ich bis auf den Boden leeren. Es ſind nun ſechs Wochen, daß ich ganz zu Hauſe bin wie oft und lang vorher! und nichts geht bei mir vor, als kleine unange - nehme Häuslichkeiten: und ich habe keine andere Senſation von außen, als die ich mir ſelbſt gebe! Entſchuldige alſo mein endliches Zuſammenbrechen. Du haſt ganz außerordent - lich das reine, unbefangene, kraftvolle Zuhören und Auffaſſen von Joſephine in deinem Briefe ausdrücken können! Dieſe Schönheit der Seele, die nur ein Zeichen von andern Schön - heiten iſt, gewann ihr meine ehrende Liebe mit zuerſt. Ach!24 und was will die; ſie war ſchön, und edelgeboren! Bei Gott dem Richter! Mein Herz und meine Seele ſind eben ſo ſchön und ſo viel werth. Worin hält ſie ſich wohl für weib - licher? von ihr ärgert mich der grobe gemeine Irrthum für ſie! Anmuth, Lieber, hatte ich nie mehr; dir muß es aber ſo ſcheinen: denn du biſt wirklich der Menſch, bei dem ich anfing: ſollte von Liebe die Rede ſein, auch zu fordern. In der Erſcheinung war ich’s nie, graziös. Aber die Grazie des Herzens, die aber nicht durchdringt, hab ich noch. Wann findet man das nicht? Wo fehlt es? hat es einen ungerech - ten Pulsſchlag gegen irgend eine Kreatur! will ich für mich beſonders mehr? Nicht für alle Menſchen, und Thiere faſt, daſſelbe? Bin ich nicht immer gut; nur aus der Folter gelaſſen, weich? Mittheilend, theilnehmend, in jeder Minute? Hülfreich, edel und gut! wie’s Goethe gebeut. O! Gott!

Nun bin ich nicht mehr allein. Moritz iſt gekommen mit Erneſtine und der Schwiegermutter. Ich bin überzeugt, daß Hr. von Knorr eben ſo delikat für dich war, als er für ſich ſelbſt würde geweſen ſein, alſo bin ich über deine Angelegen - heit ruhig. Mad. Paczkowska hat hier nicht die Leipziger Rollen, ſondern die Orſina, Maria Stuart, und in dem ver - bannten Amor, ohne Beifall geſpielt: das will aber gar nichts gegen ſie ſagen: weil ſie hier nur ihre Alten mit den alten Fehlern dulden. Ich war krank, und geh gar nicht in’s The - ater. Dies für Mad. Brede! Grüße doch den Gr. Bentheim recht beſonders von mir, ich denke ſehr oft an ihn mit großer Neigung. Hr. Geheimrath Wolf hat mir Woltmanns Über - ſetzung vom Tacitus gegeben. Das geht zu weit! Ich ſchäme25 mich, daß man dies in unſrer Litteratur finden wird, und wundere mich zum Tod, daß ein Buchhändler es angenommen hat. Neumann ſehe ich nicht mehr. Frau von Fouqué hat mir mit Robert geſchrieben, der fünf Wochen bei ihnen war. Ich werde ihr antworten. Das Briefchen iſt gut, tüchtig, und wahrhaft. Viele Empfehlungen an Hrn. von Noſtitz! Vor - geſtern ſpielte die Longhi. Sie gefiel nicht: das Publikum ſagt, ſie reißt die Harfe. Wenn es Recht hat, nenne ich es das Publikum.

Adieu. R. R.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Allgegenwärt’ger Balſam allheilender Natur. Auch dem menſchlichen Geiſte muß ſo etwas beigegeben ſein; ein ſeliges Vergeſſen, ein nur auf ein Maß Zeit gegebenes Faſſen des Unheils; und auch ich habe ſchon öfters empfunden die Unzu - länglichkeit in mir des Verzweiflens und Unglückaufnehmens. Denn ſo eben wollt ich losſchreien über der Franzoſen Ver - geßlichkeit! Sie machen, ſo lange die Revolution währt, und beſonders die in Frankreich, und in ihren Büchren ſeit der Zeit, als hätte es dergleichen noch gar nicht gegeben. Und was war dieſe Revolution gegen Karls VI Regierung! Chauf - feurs, Septembriſeurs, Verräther, an Bürgern und König, gab’s aus allen Klaſſen; Mord, Mordenlaſſen, falſche Eide, wozu die Religion und ihre erſten Diener in Anſpruch und zu Zeugen genommen waren, war Tagesſitte. Frankreich26 iſt das bewunderungswürdigſte Land! Erſtlich, begreife ich nicht, wo in einer ganzen ſolchen Zeit nur eine Ernte, eine Ausſaat, eine Fabrikation zu Stande kam; und dann, wie in wenigen ruhigen Regierungsjahren ſich eine ſo freundlich feine Sitte bilden konnte, die das Muſter der übrigen Erde wurde. Das ſind wahrlich ächte Menſchen; ſehr bös, ſehr vergeßlich, und leichtſinnig; ſehr religions - und ehrbedürftig, geſchickt und zerſtörend, geiſtreich und roh; und ganz unbe - greiflich. Und ſolche unbegreifliche Unſinne gehen vor! oder iſt das nur der Verfaſſer der Memoiren? Welch entſetzliches Aufheben wird von Johanns von Burgund Ermordung ge - macht, als wenn er ein unſchuldig Täubchen wäre, und der Herzog von Orleans von ſeinem Girren umgefallen wäre? Als Johann den vor, oder hinter, kurz beim Ausgang einer Kirche morden ließ, und es drei Tage nachher ſelbſt ge - ſtand, geſchah nichts; als kriegen, welches immer ſeinen Gang hatte; und als Mörder, Mörder eines königlichen Prinzen, eines Verwandten, war nicht von ihm die Rede. Wiſſen Sie, was ich bemerke, woraus großentheils das Unglück der Zeiten beſteht? Daß eine immer in die andere greift; und nicht die neue in die alte, ſondern die alte noch in die neue. Frank - reichs Unglück, zum Exempel, hätte damals gar nicht ſo wach - ſen können, wären nicht ſo viele feſte Schlöſſer dort, ſo viele kleine Gebiete, ſo verflochtene Herrſchaften vorhanden gewe - ſen; und der Sinn und die Meinung all der Beſitzer davon: daß ſie theils eigenmächtig und wehrſtändig ſind, und theils das Recht haben einen Lehnsherrn nach Belieben zu wählen. Von den Vilains war nur beiläufig die Rede, und das durch27 die frömmſten weiſeſten Leute, deren immer nur wenige ſein können. Was ich hier geſagt habe, heißt nur mit andern Worten: Schade, und Jammer! daß der Geiſt unſerm Aus - üben auf Erden immer vor iſt; welches ſich ewig von neuem zu unſerer Qual und Schmerz wiedererzeugt. Ich kann gar nicht raiſonniren, wie Sie ſehen; weil ich immer bis zum Erd - ball, der Menſchen Geiſt, und dem lieben Gott komme; und dann an dem Berg ſtehe: und ein Raiſonnement ſoll ſchreiten. Aber ich wollte meinem Geſchichtsprofeſſor mich doch auch Ein - mal produziren: und ihm zeigen, daß ich mir Gedanken bei Leſung derſelben mache; welches mir mit Gedächtniß noch ſchwerer gelänge. Nun warte ich auf einen Brief von Ih - nen! bis mir etwas einfällt.

Wer weiß, ob man mich ſo lange allein laſſen wird, bis ich Ihnen ein paar Zeilen werde geſchrieben haben! Sie ſe - hen, Undankbarſter, wann dieſer Brief angefangen iſt. Sie ſind ſtumm, und ſchicken mir auch kein Buch; und nun muß ich mit meinem Leſen warten. Dazwiſchen leſe ich, wenn ſie mich nicht ſtören, ein altes Buch, den Streit von Mendels - ſohn und Jacobi betreffend, den ein gradgeſinnter, vernunft - rechter Menſch darlegt; Mendelsſohn hat Unrecht. Dieſer letztere aber hat, welches dabeigebunden iſt, die Schrift eines engliſchen Juden [Manaſſeh Ben Israel] überſetzt, und eine Vorrede dazu geſchrieben, die meine Bewunderung ausmacht, ſo elegant und beſonnen iſt ſie geſchrieben; auch das Buch könnte, nein, ſollte, den jetzigen Überſetzern ein Muſter abge -28 ben. Des Juden Buch betrifft ſeines Volkes Zuſtand in Eu - ropa, und die Auseinanderſetzung der Gründe an die engliſche Regierung, aus welchen ſie ſie bei ſich aufnehmen ſollte: es iſt im Original engliſch; der Verfaſſer lebte zu Cromwells Zeit in Amſterdam, und bekam die Erlaubniß, nach England hin - über zu gehen. Er ſchreibt einen ſehr ſchönen Brief an einen vornehmen Engländer. (Ich, die unter Friedrich Wilhelm von Preußen lebt, ſchrieb vorgeſtern einen großen original-deut - ſchen Brief an Frau von Fouqué; welches mich abhielt, dem Ritter von der Marwitz, meinem Freunde, zu ſchreiben.) Unter einem Uſurpator, wie man’s nennt, regt ſich die Menſchheit, es ſei unter (entre heißt dies unter ) welchen ſcheuslichen Larven und Geſtalten es wolle, immer; dünkt mich. Könnt ich doch Einmal ganz ausſprechen, wie die Geſchichte vor mei - nem Geiſte liegt. Iſt es nicht Jammer und Schade, daß ich die Geſchichte nicht weiß, wie Sie? Nein! ſo viel, wie bei und an mir, iſt lange nicht verwahrloſt worden! Sind Sie noch zerſtreut, lieber Hamlet? Hamlet, wegen: Zweifle, ob die Wahrheit lüge ꝛc.

Die Menſchen zu einer Höhe zwingen, und haben, wo ſie ſich nicht halten können, iſt wahrlich ſchülerhaft. Aber nichts iſt ſchwerer wieder mit aus der Welt zu nehmen, als der Drang nach Bewunderung, Liebe, Wohlwollen; die Reich - und Weichherzigen übereilen ſich dieſe Schätze auszuſchütten; und nur ſehr wenige, auch mit Maß und großer Stärke, zu jenen Gaben, Begabte, ſind weiſe vor dem großen Defizit. Ich bin es mit und während (!) der größten Einſicht nicht. Da ſteh ich wieder! Feſt hatt ich mir vorgenommen, nicht29 mehr von mir zu ſprechen: wie von einem ausgegangenen Baum: an deſſen Stelle endlich neue Pflanzungen kommen müſſen. Mein Geiſt lebt aber noch: und wie ſoll ſich der an - ders nennen, als: ich? Mit mir ſteht es höchſt elend. Meine innerſte Geſundheit ſcheint erſchüttert; und außer meinen Ge - ſchwiſtern merken’s alle Menſchen an meiner ganzen Haltung und Weiſe; auch ich fühle es, auf alle Weiſe, von der ſtum - pfeſten Eitelloſigkeit, bis zum konvulſiven Schmerz Schrei der Thränen , und in wahrer Verzweiflung bin ich, wenn ich glaube, ich würde nicht wieder geſund, und ſo hingepeitſcht bis in’s taube, ſtumme Grab: ohne Geſundheits gefühl vor - her; jedoch lodert mein Geiſt immer von neuem wieder auf, als ſchüttete man große Behälter voll Schwefel auf eine Flamme; der ſie zu dämpfen ſcheint, und furchtbar nährt. Dies kann ich denn den Freunden nicht, nicht einmal jeder Umgebung, verbergen. Immer noch Einmal überdenke ich das Überdachte, kombinire es zu andern Gegenſtänden des Denkens, und es muß paſſen. Theils bin ich dazu gezwungen; theils geht das in meinem Kopf wie in einem Gebiete vor, wo ich nur das Hinſehen habe; wie große Vegetationen, die ſich die atmoſphäriſchen Kräfte unter einander ſelbſt verleihen, in dem einmaligen zum Leben gezauberten Daſein! Mein unſchuldig - ſter, und auch leidenloſeſter, faſt amüſanter Moment iſt, wenn ich ganz neugierig werde, wie das noch mit mir und allem werden wird.

Ich war auch in der Komödie, wo ich das Opferfeſt habe ſpielen ſehen. Dies iſt doch die größte Marter, die man ſich anthun kann: ſich durch ſchmerzbringende Töne, und Verkehrt -30 heiten, ſtillſitzend, und zur Bewunderung einer Maſſe von Menſchen, die doch alle acht Groſchen haben, beweiſen zu laſ - ſen, wie entfernt unſere Nation von aller Kunſt iſt; durch zehnfach mißverſtandene Ausübung einer, die die meiſten ge - braucht, und, wie jede von ihnen, alle in ſich begreift; einer Kunſt, die den Menſchen ſo natürlich iſt, daß ſie durch eine Schule von verrenkten Ein - und Anſichten erſt aus ihnen muß ausgerottet werden: von welcher Schule wie ſelten gelingt dergleichen! Rebenſtein ein lebendiges Ideal iſt; zur ſicht - baren Glorie des großen Meiſters. Amen! Ich brauche Luft! denn ich ſchöpfte nicht Athem vor Disguſt. Leben Sie wohl! Und ver - dienen Sie ſolche lange Briefe durch eben ſo lange.

R. R.

Aus Alexanders von der Marwitz Erinnerungsblättern.

Rahel erzählte, wie ſie, während des albernſten Geſprächs Anderer, die tiefſten, göttlichſten Gedanken gehabt habe. Nein, Marwitz, ſagte ſie, und es flog mir wie ein Strom, über den lauter ſolche Zweige liegen, broussailles, und die Andern mer - ken ihn gar nicht, weil ſie nur das Grüne ſehn.

Und wir ſprachen wie der Wind, der hoch über die Erde weggeht, und die Erde merkt es gar nicht ſagte ſie ein an - dermal von einem leidenſchaftlichen Geſpräch, daß ſie in Ge - genwart inſipider Menſchen geführt hatte.

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Von der Staĕl ſagte Rahel: die nichts hat, als einen mich inkommodirenden Sturmwind. Es iſt nichts Stilles in ihr.

Ich erinnerte ſie an die Stelle in Schleiermachers Weih - nachtsfeier, wo die Kleine die Muſik findet: ( Ach Muſik, große Muſik, Muſik für mein ganzes Leben! Kinder, ihr ſollt ſingen! ) O Gott, gnädiger Gott! rief ſie ganz lei - denſchaftlich aus, wie kannſt du ſo etwas erlauben von dei - nem geiſtreichen Prieſter! Wir lachten.

Von Schleiermachers Kritik der Ethik: Es iſt wie eine Fabrik von Hämmern, die das Höchſte arbeiten, aber ſelbſt nicht das Höchſte ſind.

Von der Orangerie im Maxiſchen Garten, einem finſtern, inwendig verfallenen ſchmutzigen Loche mit großen trüben Fen - ſtern: Das ſei die Reſidenz des Gottes der Spinnen; da hauſe er, ganz hypochondriſch, von allen Göttern entfernt und mit ihnen verzürnt.

Wir redeten von den unbequemen öſterreichiſchen Wurſt - wagen, und wie lächerlich es an dem alten Ligne ſei, daß er, um den jungen zu ſpielen, darauf herum fahre. Der, ſagte Rahel, ſollte ſich lieber Probe tragen laſſen auf einer Bahre, um zu ſehen, ob ſeine Leiche es auch aushalten und nicht etwa wieder lebendig werden würde. Denſelben, in einer gewiſſen Uniform, nannte ſie den Polizeikönig.

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An Frau von Fouqué, in Nennhauſen.

Eh Sie mir noch geſchrieben haben, hätte ich Ihnen ſchrei - ben können: und bei mir iſt es gewiß, daß wir uns ſehr verſtehen würden; ſich zu verſtehen iſt ja das urgenteſte und menſchlichſte Bedürfniß der Menſchen; woran ſie zwar ſo häufig, aber doch nur durch ein paar Urſachen verhindert werden. Sie wollen entweder aus kleineren Abſichten, in denen ſie ſich verlieren, lügen; oder ſie ſind unverſtändig, und die feinen Spitzen der Sinne, woraus der Sinn beſteht, feh - len ihnen. Sie, liebe Frau von Fouqué, erſcheinen mir wahrhaft und verſtändig; und die innigſte Freundſchaft un - ter uns würde mir weniger auffallen, als ein Stillſtand in unſerer Bekanntſchaft. Dieſe Meinung flößten Sie mir gleich ein, und jedesmal, daß ich Sie ſah, wurde ich darüber ſiche - rer. Um ſo mehr aber möchte ich Ihnen danken für Ihre An - rede, und für die Art derſelben; läßt man nicht oft das Köſt - lichſte, zumeiſt für uns Beſtimmte, aus abgeſtumpftem Muth, endlicher Läſſigkeit, und immer zunehmender äußerer Zer - ſtreuung ſeitab liegen; und greift nach unwerthen Dingen, an die man die Tage und Kräfte in Unmuth und Feigheit, hingiebt! Mein Dank, daß Sie mir geſchrieben haben, muß ſich als Bewunderung äußern, daß es Ihnen möglich war, auf Anforderung eines Andern einen ſo weichen, lieben, na - türlichen Brief zu ſchreiben! Mich dünkt, ich hätte es nicht vermocht. Künftig aber, Liebe, ſchicken Sie mir nie wiedereinen33einen offenen Brief; mir iſt, als entflöge den Zeilen geiſtiger Duft, wenn meine Augen nicht die erſten ſind, die ſie leſen: mein Vorurtheil geht ſo weit, daß ich mir ein Gewiſſen dar - aus mache, einem Freund, wie es doch manchmal kommt, eine Stelle zu zeigen, ehe ich einen Brief zu ſeinem Herrn ſchicke. Glauben Sie es, liebe Frau von Fouqué, ich war ſehr ſaiſirt, bei der Stelle in Ihrem Briefe, die Sie einen Schrei nennen, und noch ehe Sie ſie ſo nannten. Was verſtehen Sie darunter: Ich habe mich unzähligemal verloren? War Ihr Herz veräußert? Oder konnten Sie ſich lange vor Ih - rem innren Gerichte nicht vorfinden? Aber ich finde mich wieder. Das iſt gut, aber macht nicht gut. (Dies der Schrei.) Iſt meine zweite Frage Ihr Fall, ſo glaube ich, das Wiederfinden macht auch gut.

An ſich arbeiten; klar machen, was uns verwirrt und drückt; und wären es die größten Schmerzen, zum größten Bankrutt führend, heißt ja gut ſein: Faſern und Nerven, Wünſche in uns, können wir doch nicht ausſtreichen: und ſoll - ten dieſe allein nicht heilig ſein, nicht mit der Scheu der Frömmigkeit betrachtet, behandelt werden, als andere Werke und Feſtſtellungen der Natur, ja als der tiefe Hang, das große Bedürfniß, recht zu thun, in uns? Ich fühle ganz, daß es nur Ein unerträgliches Übel giebt: wenn man dies Be - dürfniß nicht befriedigt hat, und das Gewiſſen krank iſt. Na - türlich, dies iſt das uns gelaſſene Gebiet; und wir quälten, hätten wir die Mittel, an ſie zu kommen, wie wir ſie bei uns ſelbſt haben, Andere eben ſo, bis wir hätten, was wir vermiſſen, und was uns recht und ſchön in jedem Falle dünkt. II. 334Kann man aber mehr thun, als ſich ändern, reinigen, beſſern? Hat man Macht über geſchehene Dinge? Gäbe man nicht Leben und Glück, um manches wieder herzuſtellen? Gehört das mit zur unreinen That, oder vielmehr, zu dem verwirrten Willen dabei? Antworten Sie mir hierauf, Liebſte! beſonders was Sie unter verloren verſtehn.

Sie dieſen Sommer zu beſuchen, gehört unter die Lieb - linge meiner möglichen Ideale! Freilich könnten wir viel zu - ſammen ſehen, aus uns hervorholen, ſprechen, ſpazirengehen, und ſo gewiß durch einander lernen! Im Freien, von Ge - meinem abgewandt, neben Geſcheidten zu ſein, kann eine Se - ligkeit ſein; und angemeldet hätte ich mich, hätten Sie mich nicht bald eingeladen. Hören Sie aber, ich will es aufrichtig ſagen, was mich abhält. Nichts würde mich abhalten, wäre in Ihrem Dorf ein Wirths - oder anderes Haus, wo ich mich einmiethen könnte. Beſuchte ich Sie nur allein, nur Frau von Fouqué, ſo ginge alles an: aber ſo würde ich mich im - mer als Gaſt der andern Herrſchaften auch fühlen, und mich gewiß gut benehmen, aber den Gedanken nicht verlieren, was haben die von dir, und was ſollen die von dir denken! Ich habe kein Talent, als mein Daſein, und damit können Sie nur zufrieden ſein: bin nichts, und ohne agrément. Dann habe ich keine beſonders jetzt ſchußfeſte Geſundheit; und bin leidend und ganz unbrauchbar, wenn ich gewiſſe Bequemlich - keiten miſſen ſoll, als mein Mädchen, die ich wahrlich zur Gefundheits-Toilette gebrauche: ich bin ferner zu manchen Ta - gesſtunden ganz unfähig, unter Menſchen zu bleiben; wo aber grade die Hausgeſellſchaft vielleicht die Gegenwart ihrer Gäſte35 verlangte. Nun bin ich nicht ſo hinfällig, daß ich nicht trotz dieſen Bedürfniſſen leben und bleiben könnte, aber auf keine angenehme Weiſe für mich: und in einem Vergnügen, in einer Freude, je n’aime pas à pâtir, zu vermiſſen, geſtört zu ſein. Sie verſtehen das Leben; ich füge kein Wort hinzu.

Es iſt mir gewiß lieb, meinen Bruder ſo gut bei Ihnen zu wiſſen: und es gehört mit zu den vorzüglichſten Gütern auf der Welt für ihn, daß er Sie Freundin, und Ihr Haus als ein ihm wohlwollendes ſich nennen kann. Mein innerſtes Herz gönnt es ihm! Und ſo zag ich faſt, ein Wort über ſein Stück zu ſagen, welches von Ihrem großmüthigen Urtheil ſo weit überflügelt wird! Ich kann mit zwei Worten ſagen: Die Behandlung des Stücks entſpricht dem energiſchen Plan, der kräftigen Konzeption deſſelben nicht. Für mich ein das Ganze überſchreiender Mißton; weil er aus der tiefſten Tiefe des Ganzen, ja des ganzen Seins des Dichters, herauf tönt. Die Geſpräche ſind matt für dieſe Situationen: bei nah kein allgemeingültiger Spruch, die Leiden und Leidenſchaft ſo gern, als ewige Sentenzen für die Verhältniſſe ausſtößt, die ſie hemmen, drücken, und eigentlich hervorbringen! u. ſ. w. Was Sie davon rühmen, bleibt doch wahr; aber mit dem, was ihm fehlt, hätte es ein zerreißender Geſang bleiben kön - nen, über einen von der Geſchichte hervorgebrachten Mißſtand, den künftige Zeiten noch immer hätten verſtehen und nach - ſingen müſſen, und wären ſie längſt ſchon in neuen Verwir - rungen befangen. Wie wir noch von Sklaven ſingen, und ganz verſtehen, was das bei alten Völkern hieß, und zu - wege bringen mußte! Dies der Wahrheit zum Opfer;3 *36ungern taſt ich Robert in dieſem Stücke, bei Ihnen an! Über Geiſtesprodukte, Kunſtgegenſtände, iſt es mir unmöglich zu ſprechen, und meine Meinung zu verſtecken; dieſen Ge - ſchöpfen giebt der Urtheilende das Urtheil mit Leben: ſie kön - nen, mein ich, nicht beſtehen, zur Exiſtenz kommen, kann das Urtheil ſie nicht durchlaſſen. So lange Robert weg war, war ich krank, und konnte nicht ſchreiben. Haben Sie die Gnade, dies Hrn. von Fouqué mit vielem Dank von mir, und die liebſten Grüße zu ſagen. Noch bin ich ſchwach, und das Schrei - ben wird mir ſchwer: aus dieſer Urſach muß mir auch Frau von Fouqué verzeihen, daß ich nicht gleich antwortete. Sonſt ſchreib ich wohl gerne, oder vielmehr lange, wenn ich anfange. Wie hier ſteht! Geſtern Abend war den halben Abend von Fouqué’s die Rede bei mir; Mad. Spazier war bei mir, und die frug Roberten auf’s Blut über dieſes Paar aus: ich fiel ihm oft in die Rede, und dozirte mit.

Mit Marwitz ſprech ich ſehr oft von Frau von Fouqué: der iſt eine ſcharfe Acciſe, oder vielmehr eine ſehr großartige, auf einfache Art organiſirte. Lobt und preiſt Sie ſehr, und läßt Sie breit durch: jedesmal für mich eine neue Fete. Ich empfehle mich auf’s beſte dem Fräulein Clara; ich wäre gewiß auf den Ball gekommen, konnte aber kein Billet bekommen, und war ſchon zu krank-ſchwer, um Himmel und Hölle um - zukehren.

Sie antworten mir bald?! les mains jointes!

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An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Sittliche Menſchen, die keine Narren ſind, geſtellt wie wir (das bischen Modifikation rechne ich nicht), werden rein vom Tod berührt. Ich habe mich längſt gewundert, keinen ſolchen Brief von Ihnen zu erhalten; die Gründe dieſes Wun - ders und meiner Behauptung, ſind zu oft, zu lange darge - legt in allen meinen Briefen an Sie! Grau in Grau. Dies ſind meine Worte ſchon vor Jahren an Varnhagen. So ſollen die friſcheſten, bibliſchten, ich meine frömmſten, le - bendigſten, Gemüther ausdauren müſſen? Mir mir iſt es nur noch ſchrecklicher! Sie wiſſen, wo ich mit meinem Verge - hen, meinem Verzweiflen hielt: nun hat gränzenloſe Angſt, und Sorge den Fuß auf mich geſetzt. Angſt vor Exceſſen von denen welche, einige, vorfallen; und Sorge, wie ich es nur beſtreiten ſoll. Dieſe beiden niedrigſten Affekte, oder was es ſonſt iſt, ſteht meine Seele, wie ſie iſt, lebendig nicht aus; ſie ſchrollt in Unthätigkeit zurück, und dies nur fühl ich. Die edlern Klagen, das gerechte Vermiſſen, ſchweigen; und wenn ich auch jetzt für Ruhe, Glück und Seligkeit dem Himmel verpfände, ſo weiß ich von allem doch wie es iſt. Wie mir iſt, iſt keinem Gefangenen, und keinem König im übelſten Zuſtand; entwickelt, dies nur mündlich! Ich habe einen Kom - miſſair und einen Bedienten als Einquartierung; der Herr aber durch das größte Ungefähr wohnt wo anders! Reines Glück, welches ſich in jeder Viertelſtunde ändern kann. 38Ich ſehe niemand, gehe nicht aus: und fürchte mich unver - nünftig. Sie haben mir vortrefflich geſchrieben: und das Ge - fühl darüber wend ich dazu an, daß es mir wenigſtens die Kraft geben ſoll einen Brief zu ſchreiben, wenn auch nicht zu antworten. Ja mein theurer Mitmenſch! mehr noch als zufälliger Freund Sie drücken es aus, wie man über Gott nicht ſprechen kann. Wenn der Begriff eines ſolchen Daſeins nicht die Gränze des unſrigen iſt, was iſt er denn! Eine gränzenloſe Unterwerfung muß es ſein jedesmal, von etwas Unendlichem erzeugt, was in uns vorgeht, was wir auffaſ - ſen! Schneidende Meſſer ſind es mir, wenn ſie ſo dreiſt weg von Gott ſprechen, wie von einem Amtsrath; und grade den Stummen, Übererfüllten, von ihm (ihm!) abwendig glau - ben. Dieſe Empfindungen machen mir auch jetzt wieder in der Bibel alle Reden und Geſetze in der Wüſte. Ich werde mei - ner Nation ganz abgewandt; wenn ich auch Moſes die Ge - rechtigkeit muß widerfahren laſſen, daß er’s mit ſechsmalhun - derttauſend Jungvolk nöthig hatte. Gräßlich geſchrieben und vorgetragen iſt es gewiß. Nur bis nach Joſephs Geſchichte iſt es ſchön; ſo weit ich bin.

Ich brachte dieſe Woche Schl. einen Theil von Heinrich Kleiſts Erzählungen wieder, und wollte von ihm ein Buch, und griff Spinoza. Ich leſe ihn. Den habe ich mir zeitle - bens anders gedacht. Ich verſtehe ihn ſehr gut. Fichte iſt viel ſchwerer. Es iſt ſonderbar; mir kommt immer vor, als ſagten alle Philoſophen daſſelbe; wenn ſie nicht ſeicht ſind. Sie machen ſich andere Terminologieen, die man ehrlich, gleich annehmen kann; und den Unterſchied find ich nur darin, daß39 ſich ein jeder bei einem andern Nichtwiſſen beruhigt; entweder aus einem ſolchen ſeine Deduktion anfängt, oder ſie dahin - führt, oder, weniger ſtreng, es mit drunter laufen läßt. Spi - noza gefällt mir ſehr; er denkt ſehr ehrlich, und kommt bis zum tiefſten Abſoluteſten und drückt es aus; und hat den ſchönen Karakter des Denkers; unperſönlich, mild, ſtill; in der Tiefe beſchäftigt, und davon geſchickt. Von den Gemüths - bewegungen ennuyirt mich; weil das Wichtige im vom Geiſte ſchon vorkommt, und wie ſich’s weiter fortbewegt mir und uns Allen genug bekannt iſt; den abſtrakten, einſamen Mann aber unterhielt, wie es ſcheint. So viel ich von Spi - noza! Ich lieb ihn aber ſehr, den Mann. Wiſſen Sie, was Fauſt Gretchen antwortet, als ſie ihn frägt: Glaubſt du an Gott? Das ſchönſte Gebet! Welch ſchöne Gebete ſtrömten ſchon durch eine Seele, die dies antwortet; wie wälzte da der Geiſt ſchon Gedanken empor! Über ch haben Sie Recht. Ich bin es überzeugt; Sie haben ihn göttlich beſchrieben; wie unſchuldig, wie ehrlich, und wie wirklich geſehen: das erfindet man noch ſchwerer, als man’s ſieht. Das Abſpeiſen, neumo - diſcher Art, mit dem Glaubensweſen, iſt meiner tiefſten Seele zuwider. Einzeln ſteht dieſer Behelf: auf keinem Grund und Boden erwachſen; nicht auf Güte, nicht auf keuſchem Auffaſſen der Geſchichte, nicht auf Enthuſiasmus des göttlich - ſten Exempels, nicht auf kinderhaftem Glauben an das, was Eltern und Lehrer meinen und lehren; auf ſchlechte Weiſe, wie Theater und Galerien beſucht werden, hauſen ſie und dis - putiren, und verſchanzen ſie ſich gegen les ennuis (den gro - ßen Verdruß ) in’s neuerfundene Glaubensweſen hinein und40 herum! Und kaum paßt dies zur Wahrheit, die Sie mir von ch loben; und die ich glaube. Sie lieb ich doppelt wegen Ihrem Brief, und Ihren Gebeten darin. Es giebt nichts anders! Wer nicht in der Welt wie in einem Tempel um - hergeht, der wird in ihr keinen finden.

Ich kann Ihnen nichts ſchreiben, als: tröſten Sie mich! Machen Sie mir Hoffnung zu Sommer, zu Luft, zu Grünem! Zu anderm, als ich ſehe, was mich ganz erdrückt. Leben Sie wohl! Varnhagen hat mir wieder einen Liebesbrief geſchrieben, mit einer Einlage von Hrn. von No - ſtitz an mich; recht artig in jeder Art. Antworten konnt ich dem aus Unſeligkeit nicht. Varnhagen nur wenig, damit er nicht denkt, ich ſei böſe. Was ihm Graf Golz geantwortet hat, weiß ich nicht, da Neumann ſeit zehn Tagen bei Fouqué iſt, und erſt morgen wiederkommen ſoll. Ich wünſche Sie wohl zu ſehen! aber nicht zum Zeugen meiner Angſt. Kom - men Sie! Adieu! Ach! wär ich auf einem ſchönen, ruhigen Berg, und ſähe glückliche Familien!

Adieu! R. R.

Schl. fragte mich gleich höchſt freundlich nach Ihnen; pour me plaire, glaub ich.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Vorgeſtern Abend, lieber Marwitz, erhielt ich ein Schrei - ben von Hrn. von Klewiz, worin mir geſagt wurde, ich würde nach dem Drang der Umſtände (?) geſchont werden, und41 ſollte künftig nur einen employés oder Offizier zur Einquar - tierung haben. Von Hrn. Br. iſt weiter nichts erfolgt, dies halte ich aber für eine Folge. Dies endlich danke ich Ihnen! Ich war ſo ganz durchdrungen, wie Sie es nur ſein können, von dem Opfer, welches Sie mir durch die Ihrem Sein ganz unangemeſſenen und widerſprechenden Schritte auf dem Bureau brachten. Aber ich habe es gefordert, und ließ es mir bringen; weil Sie anders in meiner Seele ſtehen ſollen, als all die, die ich wie Weihnachtspuppen in meinem Geiſte anſehe, denen nur ich, und ſie mir nie leiſten. Jetzt iſt auch eine Zukunft: und ich will nicht mit allen Verſprechungen und Erfüllungen bis über das Grab hinausgeſchoben ſein! Ich leiſte was ich vermag auch gleich, und ſtets: und meine Liebe und Achtung iſt eine fruchtbringende; ſo ſollen meine Freunde auch ſein. Sie ſind ſo gut wie ich: oder keine. Zu lange bin ich ver - ächtlich ſchonend mit Schund umgegangen: mit wem ich ſo rede, wie mit Ihnen, der muß ſein können, wie ich. Es ward mir ſo ſchwer als Ihnen, Sie dahingehen zu laſſen dies glauben Sie! aber lieber war mir alles, als auch Sie in mir anzuklagen, und fahren zu laſſen! Sie werden nicht fin - den, daß ich von einer Kleinigkeit eine zu große Wichtigkeit mache: es iſt keine Kleinigkeit, was uns plagen kann: und es iſt keine Kleinigkeit, ob der, den wir als Freund behandlen, uns von dieſer Plage rettet, wenn er kann, oder nicht. Des Lebens Baum iſt friſch und grün, und will manchmal mit der Scheere beſchnitten, mit Thätigkeit behandelt, mit dem Meſſer geputzt ſein. Apropos! der Mahler Müller hat mir göttliche Augenblicke erweckt, herbe häufige Thränen gekoſtet. 42Ich errieth, daß er aus einer ſchönen lieben Gegend iſt: und ſo war es auch. Er iſt aus Kreuznach, und hat eine Ode an dieſen Ort in Proſa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat weinen machen. Der liebt ſein Vaterland. Weil er ſieht, weil er ſeine Mutter, ſeine Schweſtern liebt.

Ich bin geſtört durch Nettchen. Vorgeſtern war Götter - wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie. Geſtern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo - lium pflücken und mitſchicken, und nachher vergaß ich’s doch. Adieu. Leſen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald. Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald, Luft; und bete darum.

An Mariane Meyer, in Dyhrufurt.

Meine liebe Kouſine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erſt eine Poſt dahin; Sie ſehen alſo, daß ich Ihren Wunſch eine ſchriftliche Nach - richt von mir zu haben, verſtehe wie Sie ihn hegen, und mich gleich anſchicke, und freue, daß ich den wenigſtens befriedigen kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erſt erfahren müſſen, daß Ihre Schweſter nicht mehr lebt: ich habe ſie nur wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht ſehr, und iſt mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte um mich her hinſterben: welches ſeit einigen Jahren mir zu43 häufig geſchieht! Den Verluſt meiner Mutter fühle ich alle Tage herber, anſtatt daß dies Andenken ſich mildern ſollte. Man wird mit dem Alter nur geſchickter, mit dem Alter ſich zu verbinden; es glimpflich zu behandlen, es einzuſehen, was es vermißt, was man ihm leiſten ſollte, und was es ausge - ſtanden hat! Manchmal denke ich, meine Sehnſucht nach meiner Mutter, und die Reue ihr nicht mehr gedient zu ha - ben, das Vermiſſen ihrer, bei dem von andern wünſchenswer - then Dingen, iſt eine gerechte, verdiente Strafe, für die doch zu große Zerſtreuung über mein Verhältniß zu ihr! ob - gleich ich mir keine beſtimmten Fehler gegen ſie habe zu Schul - den kommen laſſen. Reue, Schmerz, Gram, Vermiſſen, alles muß dazu dienen, uns frömmer, ſtiller, und nachdenklicher über alle Dinge des Lebens und der Welt zu machen; bei mir iſt es wenigſtens der Fall; daß, ſeitdem ich gar keine Hoff - nungen mehr für die Schönheiten des Lebens, und das Theuerſte verloren, und habe hingeben müſſen, ich nicht ſo ſtechendes Unglück, als ſonſt fühle, und ruhiger die ſchönen Gegenſtände der Natur anſehe und in mir aufnehmen kann. Ich erzähle Ihnen das, liebe Kouſine, weil auch Sie hart mit dem Glück zu kämpfen haben; und dieſe Betrachtung, und mein Exem - pel, Sie vielleicht ehr auf den Weg, den mein Geiſt genom - men hat, führen kann! Denken Sie feſt an Gott, Liebe! den man in großem Unglück findet; ich weiß es! und daß wir nichts ſelbſt machen, und veranſtalten können; wie wun - derbar unſer ganzes Daſein, und unſer Tod iſt; daß die Höch - ſten auf der Erde allem unter worfen ſind, was uns und den Geringſten martert. Daß Sonne, Luft, Freiheit; Erquik -44 kung an allem Guten und Schönen, uns doch bleibt, ſelbſt in der Lage, worin wir nun Einmal ſind. Ich wenigſtens war ſchon ſo höchſt unglücklich, durch Leidenſchaft, Umſtände, Men - ſchen, Kränkung, Sorge; ſo höchſt elend durch ſchwere lange Krankheiten, daß ich gelernt habe in jedem Unfall gleich das ganze Leben zu beſchauen, und aufzugeben. Sie haben ge - wiß in Ihren Leiden oft gedacht, o! wie glücklich iſt Rahel und deren Geſchwiſter gegen mich! und o! Gott! wie tief elend war ich wohl grade dann! und auch jetzt; was ich ge - wünſcht, gehofft, nach dem ich ſchon Unglück genug das Leben hindurch ringen mußte, dem muß ich entſagen; das iſt mir verſagt, für ewig! Jetzt lebe ich allein; eingezogen, ohne Geſellſchaft beinah; weil ich ſie nicht bewirthen kann, und mich nach meinen Decken ſehr ſtrecken muß! Ich bin in einer weitläufigen großen Stadt, und kann nicht einmal ſpa - ziren gehen, weil ich es allein, wollt ich auch ſo weit gehen, nicht kann, und beinah nie Geſellſchaft dazu habe: und ſie auch beinah vermeide, weil dies koſtſpielig iſt, wenn man nicht auf dem Lande lebt: zu einer Sommerwohnung habe ich kein Geld! Dies iſt meine größte Beraubung! Ich liebe das Freie gränzenlos; dies iſt jetzt meine Leidenſchaft. Ich bin einge - geſperrt. Dabei hatte ich ſchwere Sorge, Angſt und Koſten, mit Einquartierung, und habe ſie noch. Meine jüngern Brü - der ſind verreiſt, mein älteſter wohnt mit den Seinen im Thier - garten, wo ich wegen Mangel an Begleitung höchſt ſelten hinkomme. In die Komödie geh ich manchmal in neun Mo - naten nicht; aus obenbenannten Urſachen, und weil ſie mir nicht mehr ſo gefällt als ſonſt. Dieſen Winter war ich ſechs45 Wochen recht krank, dieſen Sommer vor zwei Jahren jetzt zwei Jahr drei Monat auf den Tod; vielerlei Übel, be - ſonders vier Wochen einen heftigen Bruſtkrampf. Jetzt bin ich recht geſund, und äußerſt vergnügt davon und darüber; und wenn ich mit meinem Mädchen unter freiem Himmel ſpa - ziren gehe welches ich mich in der Stadt unterſtehe oder ſpät an meinem Fenſter ohne Licht den Himmel beſchaue, oft glücklich: glücklich in dem Gedanken, daß ich das in Ge - ſundheit habe, und mich doch Keiner quält; oder ſtören darf; da denk ich denn an allerhand! Ich ſchreibe Ihnen dies alles, damit Sie ein Bild meines Lebens haben; und ein Exempel, welches Sie ſonſt vielleicht beneidet nämlich meine Lage zur Ruhe führen möge: ich kenne Elend, und Un - glück! darin hat man ſie nicht, aber ſehr nöthig! Wenn Sie mir wieder ſchreiben, laſſen Sie mich auch wiſſen, wie Sie leben, wohnen, und ſind; ob Sie ein Kind bei ſich ha - ben; womit Sie ſich beſchäftigen, ob Sie viel im Freien ſind, dem Felde nah; ob Sie angenehme ordentliche Bekanntſchaf - ten im Orte haben. Ich leſe viel; und habe liebe edle Freunde; viele ſind todt; und die meiſten abweſend. Nur Einer lebt in Potsdam, den ich dann und wann ſehe. Die Muſik habe ich wegen Krankheiten ſehr vernachläſſiigen müſ - ſen; und weil ich nur ein Klavier, und kein Fortepiano habe! doch kann ich noch ſpielen. Ich ſehe nicht kränklich aus: ſon - dern belebt und friſch. Die Natur hatte es gut mit mir im Sinn. Das Glück aber nahm es ihr übel; ſo wurde ich ge - drängt in der Welt, und überlebte meinen Untergang. Ich wohne neben meinem älteſten Bruder an, und ſehe die viel. 46 Schreiben Sie mir auch von den Kindern Ihrer Schweſter; wir bekommen von Magdeburg keine Nachricht. Glauben Sie nicht, liebe Kouſine, daß wenn ich etwas für Sie hätte, ich mich erſt würde anreden laſſen um es Ihnen zu ſchicken. Aber Sie haben doch Recht, mich angeſprochen zu haben, und ich danke Ihnen aus Herzensgrunde für Ihr ſchönes Zutrauen! Weil ich mir in Jahren kein Zeug machen laſſe, ſo habe ich auch im Augenblick nichts, was ich Ihnen ſchicken kann: auch keine Mittel, daß Sie ſich etwas anſchaffen könnten. Aber es ſchadet doch nichts! ich will ſchon ſorgen und allerlei An - ſtalt treffen, daß Sie nächſtens etwas erhalten! Leben Sie wohl, ſchreiben Sie mir, wann die Luſt Ihnen ankommt: und verlaſſen Sie ſich wenigſtens auf meine Geſinnung, wenn mir auch die Mittel fehlen, ſie Ihnen thätlich zu bezeigen! Ihre treue Kouſine Rahel. Meine Addreſſe iſt: Mlle. Rahel Ro - bert, Behrenſtraße No. 48. Weiter nichts.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Um fünf Uhr, lieber Freund, erhielt ich Ihren Brief von Sonnabend. Ich zog mich grade an; lief gleich nach der Stadt wo ich bis jetzt bleiben mußte übermorgen ſoll ich Beſcheid haben: da nichts gleich geht, und immer einige Bedingungen obwalten. Gott! was habe ich heute ſchon für Menſchen geſprochen, für Verhältniſſe berührt, für drük - kendes, klemmendes, darbendes Unglück nahe geſehn! Was47 erſpähe, was erfrage ich auch alles, wie iſt die Welt! Welche Schickſale. Welche ſtille, ungerühmte Größe, Religion im höchſten Sinn, lebt in Weibern, die ich in grasbewachſenen, vergeſſenen Höfen fand. Wie iſt alles anders, als es von den berühmteſt Klügſten ausgeſchrieen, gedruckt, geleſen und geglaubt wird!!! Gott weiß nur die Bewandtniſſe, die inneren Herzensbeweggründe; und manche von ihm herabgelaſſene, wahrhafte, unbetrügliche, einfache gute Menſchen. Mich hat er auch dazu erwählt. Der furchtbringendſte Frevel wär es, wenn es nicht wahr wäre, und ich es ſagte. Aber alle Tage werde ich frömmer und innerlicher; und reinige mich mehr. Und was ſah ich für Wolkenſpiele! Wie find ich durch ein Wunder Gottes, einen neuen Sinn, neue Sinne möchte ich ſagen, das Feld in der leibhaftigen Stadt?! Wie ſah ſie jetzt eben erſt aus! Ich komme von der Spandauerſtraße über die lange Brücke durch das Schloß über den Opernplatz. So klingts nach nichts; wie war’s aber, wie ſah’s aus? Wie war ich? Was hatte ich beſorgt? Welche Herzensbewegungen gehabt? In welchen Stimmungen bin ich mitten in Ber - lin, in der Stadt, in der gleichgültigen Frevelſtadt, wie jede iſt. Wie dankbar, wie hoffnungsreich für’s innere Leben, und alle Exiſtenz dadurch: dabei las ich Athalie und Eſther von Racine; mit ganz anderem Sinn, mit der größten Er - hebung! O! könnte man ſeine Seele ſeinen Freunden zum Genuß und Gebrauch ſchicken! Könnt ich Sie froh machen! Manche ungewohnte Angſt und Sorge, ich weiß es, ſchleicht um Ihr Herz. Ach! daß ein jeder ſeines leiden muß; und Liebe, die ſo viel iſt, und hilft, ſo wenig helfen kann! Adieu! 48Donnerstag reiſt Minna; welch Schickſal hat die! Ich er - warte ſie, ſie will ſich bei mir ausruhen, und etwas eſſen. Adieu! Wir werden noch Freude haben, wenn nicht großes Unglück kommt.

Jung-Stillings Leben hat mich durchaus an Retif’s de la Bretonne Leben erinnert. Beide ſind geiſtvoll genug, um daß ihnen ihre eigene Wolluſt ein nothwendig zu löſendes Problem ward. Auf Retif’s Seele waren die überſtarken Sinne, und eine ſolche ſaftvolle Geſundheit wie Saiten aufge - zogen; und durch dieſer Schwingungen Getön vermochte ſein Geiſt erſt Rechenſchaft zu fordern, und abzulegen; woran ihn eine große Gabe ſittlicher Anlagen mahnte: darum ſprechen wir von ihm, und darum mußte er ſchreiben. Die Wollüſtig - keit Stillings iſt ſchwächlicherer Art; und vergeht wie man verlaufen ſagt ſich mehr, weil ſie in ein einfach reiner Ge - biet übergreift, wo ſie gar nicht anzutreffen ſein ſoll. Er thut ſich gut mit Religion, und iſt mit Wolluſt fromm. Er hat aber den Vorzug vor Retif, daß in dem Gebiete der Forſchun - gen über dieſes Lebens und unſeres Geiſtes Gränzen er mit Einfällen begabt iſt; die er zu durchdenken wohl vermag. Das iſt ſeine gehaltvolle, denkende, anreizende Seite; auch bleibt er auf dieſer ehrlich, welches die größre Hälfte ſeines Lebens verdient ſehr anziehend zu machen, wie ſie es auch thut. Mehr zu Ende hat er zu viel Wohlgefallen und Gewohnheit genom - men an der Mittheilung der wichtigſten und heiligſten ſeiner innren Begegniſſe; er denkt nur an Mittheilen, an die Wir -kung49kung davon; und da er dies nicht deutlich weiß noch ausdrückt, ſondern ſeine früheren Zuſtände auszudrücken glaubt, ſo ſcheint er unwahr zu werden, da wo er ſich zu irren anfängt: inter - eſſirt aber in der That nicht mehr ſo ſehr, als im Anfang, und der Art nach ganz und gar nicht mehr.

Nün will ich meine fünf Träume aufſchreiben, in der Folge, wie ſie mir träumten. Vor zehn Jahren hörte ich auf, den erſten zu träumen, der mir wohl ſechs Jahre bald öfter bald ſeltener träumte. Ich befand mich immer in einem vor - nehmen bewohnten Palaſt, vor deſſen Fenſtern gleich ein groß - artiger Garten begann; eine mäßige Terraſſe vor dem Ge - bäude, und dann gleich große Linden und Kaſtanienbäume auf einem beinah unregelmäßigen Platze, der zu Gängen, Teichen, Laubgängen und dem Gewöhnlichen in ſolchen Gär - ten führte. Die Zimmer des Gebäudes waren immer erhellt, offen, und die Bewegung einer großen Aufwartung darin; ſo ſah ich immer eine ganze Reihe geöffnet vor mir da; in deren letztem eigentlich die Geſellſchaft der vornehmſten Per - ſonen war, wovon ich jedoch keinen Einzelnen mir denken konnte, obgleich ich ſie alle kannte, zu ihnen gehörte, und zu ihnen hin ſollte. Dies aber, ungeachtet die Thüren offen waren, und ich wohl ihre Rücken, an einem großen Spiel - tiſche wie eine Bank ſah, konnte nie geſchehen. Mich hinderte ein Unvermögen, eine Lähmung, die in der Luft der Zimmer und in der Erhellung zu liegen ſchien; ich dachte mir dieſe Hemmung nie im Ganzen, und glaubte nur jedesmal vonII. 450andern Zufälligkeiten gehindert zu ſein; und gedachte auch jedesmal zu meiner Geſellſchaft zu kommen. Jedesmal aber, wenn ich noch ſechs bis acht Zimmer von ihr entfernt war, ſtellte ſich ein Thier in dem Zimmer ein, wo ich war, welchem ich keinen Namen geben konnte, weil ſeines Gleichen nicht in der Welt war; von der Größe eines dünneren Schafes, als Schafe gewöhnlich ſind; rein und weiß wie unbetaſteter Schnee; halb Schaf, halb Ziege, mit einer Art von Angola - Haaren; bei der Schnauze röthlich wie der reinlichſte, rei - zendſte Marmor, Aurorfarbe, die Pfoten eben ſo. Dieſes Thier war mein Bekannter; ich wußte nicht, woher: es liebte mich unendlich; und wußte es mir zu ſagen, und zu zeigen: ich mußte es behandeln wie einen Menſchen. Es drückte mir mit ſeinen Pfoten die Hände, und das ging mir jedesmal bis in’s Herz; es ſah mich ſo voll Liebe an, wie ich mich nicht erinnere eine größere in eines Menſchen Auge geſehen zu haben; am gewöhnlichſten nahm es mich bei der Hand, und da ich immer zur Geſellſchaft wollte, ſo durchſchritten wir die Zimmer, ohne jemals hinzukommen; das Thier ſuchte mich zärtlich, und als hätte es wichtige Urſachen, davon abzuhal - ten; weil ich aber hinwollte, ſo ging es in Liebe gezwungen immer mit. Nicht ſelten auf die ſonderbarſte Weiſe; die Pfoten nämlich bis zum zweiten Gelenk unter den Dielen; durch die ich auch nach einer andern Etage hinunter ſehen konnte, und die doch feſt waren; manchmal ging auch ich ſo mit dem Thiere; bald im Erdgeſchoß, bald eine Treppe hoch, meiſt unten. Die Bedienten merkten gar nicht auf uns, obgleich ſie uns ſahen; ich nannte dieſen liebenden Liebling mein Thier;51 und wenn ich eher da war, ſo fragte ich nach ihm: denn es übte auch auf mich eine große Gewalt aus, und ich erinnere mich nicht in meinem ganzen Leben wachend eine ſo den Sinnen nach ſtarke Empfindung gefühlt zu haben, als mir der bloße Händedruck dieſes Thieres machte. Dies aber war es nicht allein, was meine Anhänglichkeit ausmachte; ſondern ein herzüberſtrömendes Mitleid; und daß ich ganz allein wußte, daß das Thier leiben, ſprechen konnte, und eine menſch - liche Seele hatte. Beſonders aber hielt mich noch etwas Ge - heimes: welches zum Theil auch darin beſtand, daß keiner mein Thier ſah oder beachtete, als ich; daß es ſich an keinen wandte; daß es ein tiefes vielbedeutendes Geheimniß zu ver - ſchweigen ſchien, und daß ich nicht ungefähr wußte, wo es war und hinging, wenn ich es nicht ſah. Doch befremdeten und beunruhigten mich dieſe Dinge alle nicht Einmal bis zur Frage an mich ſelbſt; und im Ganzen feſſelte mich des Thie - res Liebe, und ſein anſcheinendes Leiden davon, und daß ich es durch meine bloße Gegenwart ſo überirdiſch glücklich machte, welches es mir immer zu zeigen wußte. Manchmal nur, wenn es mich ſo bei der Hand führte, und ich ſie ihm innig zärtlich wiederdrückte und wir uns in die Augen ſahen, ſo erſchreckte mich der Gedanke plötzlich: Wie kannſt du einem Thiere ſolche Liebkoſungen erzeigen: es iſt ja ein Thier! Es blieb aber beim Alten; dieſe Auftritte wiederholten ſich mit kleinen Abwechſelungen immer wieder: nämlich immer in neuen Träumen: in demſelben Lokal. Es kam aber, daß ich lange dieſen Traum nicht gehabt hatte; und als er mir das erſtemal wieder träumte, ſo war alles da, das Schloß, die4 *52Zimmer, die Bedienten, der Garten, die Geſellſchaft; ich wollte auch wieder hin; nur war etwas mehr Bewegung, und eine Art Unruh in den Zimmern, ohne ſonſtige Störung noch Un - ordnung; ich ſah mein Thier auch nicht; welches, wie mich dünkte, mir ſchon ſehr oft gefehlt hatte, eine lange Zeit her; ohne mich beſonders zu kränken noch zu befremden, obgleich ich mit den Dienern des Hauſes davon geſprochen hatte. Weil die unruhige Bewegung mich noch mehr ſtörte, als die ge - wöhnliche Gewalt, die mich vom letzten Zimmer abhielt, ſo trat ich de plain pied aus großen Glasfenſtern auf die Ter - raſſe, die ſich bald in den Platz mit Bäumen ohne weitere Gränze verlor; dort waren zwiſchen den alten Bäumen hin und her helle Laternen auf großen Pfählen angezündet; ich betrachtete müßig die erleuchteten Fenſter des Schloſſes, und das prächtig beſchienene große Laub der Bäume: die Diener liefen häufiger und mehr als ſonſt hin und wieder; ſie beach - teten mich nicht, ich ſie nicht. Mit einemmale ſehe ich dicht an einem großen Baumſtamm, halb auf ſeiner ſtarken Wur - zel, mein Thier zuſammengekrümmt, mit verſtecktem Kopf, auf dem Bauch ſchlafend liegen: es war ganz ſchwarz mit bor - ſtigem Haar: Mein Thier! ſchrei ich, mein Thier iſt wieder da; zu den Bedienten, die mit Geräthen in den Händen und Servietten über den Schultern, in ihren Gängen bloß ge - hemmt, aber nicht ganz nahe tretend, ſtehen bleiben. Es ſchläft, ſag ich; und tippe es mit der Fußſpitze an, um es ein wenig zu rütteln: in demſelben Augenblick ſchlägt es aber über ſich um, fällt auseinander, und liegt platt da als Fell; die rauche Seite auf der Erde, trocken und rein. Es iſt ein53 Fell, es war alſo todt! rufe ich. Der Traum ſchwindet; und nie hab ich wieder von dem ſchwarzen noch dem weißen Thier geträumt.

In meinem dritten Traum befand ich mich auf einem äußerſten Bollwerke einer ſehr anſehnlichen Feſtung, welches ſich in breiter, flacher, ſandiger Ebne weit von dem Orte ab hinausſtreckte. Es war heller lichter Mittag; und das Wetter an dieſem Tage einer von den zu hellen Sonnenſcheinen, die eine Art von Verzweiflen hervorbringen, weil ſie nichts Er - quickliches haben, durch keine nahrhafte Luft dringen, oder auf Gegenſtände fallen, die auch beruhigenden, ergrünten Schatten werfen könnten. Dieſes Wetter wirkte um ſo mehr, als die ganze Gegend aus dürrer, vegetationsloſer, ſandſteiniger Erde, die ſich in wirklichem Sande verlief, beſtand; holperig und uneben; wie Orte ausſehen, wo man Sand gräbt. Dieſer zu helle und alles zu hell machende Sonnenſchein reizte mir Augen und Nerven nur zu ſehr auf; und ängſtigte mich ſchon auf eine eigne Weiſe. Man ſah auf der unſeligen Fläche nichts; und der Eindruck davon war, als ob die Sonne zor - nig durcheilte, dieſen nichtswürdigen Ort nicht gar umgehen zu können! So ſtand ich dicht mit der Bruſt am Rande dieſer alten Schanze denn ſie war beſchädigt, wie vieles umher von einem ganzen Volke hinter mir gedrängt; dieſe Menſchen waren alle wie Athenienſer angezogen, F. ſtand neben mir, mit bloßem Haupte, wie ſie gekleidet, aber in roſenfarbenem Taffent; ohne im geringſten lächerlich auszu - ſehen. Ich ſollte von dieſer Schanze, die die letzte der ganzen Feſtung war, hinunter geworfen werden; tief hinab; unter54 Steine, kalkige Sandgruben, und ganz verfallene Feſtungs - ſtücke und Schutt. Das Volk verlangte es; und ſchrie zu F., der ihr König war, er möchte Ja ſagen! Er ſtand grauſam verbiſſen da, und ſah nach der Tiefe: man ſchrie ſtärker und heftiger, und forderte ſein Ja; immer dichter an mir; ſie faßten, mit den Augen auf F., an meine Kleider; ich ſuchte ihm in die Augen zu ſehen, und ſchrie immer: Du wirſt doch nicht Ja ſagen? Er ſtand unbeweglich verlegen da; verlegen gegen das Volk, noch nicht Ja geſagt zu haben. Du wirſt doch nicht Ja ſagen? ſchrie ich wieder; das Volk ſchrie auch: und er. Ja! ſagte er. Man ergriff mich, ſtürzte mich über den Wall; von Stein fiel ich zu Stein, und als ich nach der letzten Tiefe kommen ſollte, erwachte ich.

Und wußte in tiefſter Seele wohl, wie F. gegen mich war. Auch machte mir der Traum ganz den Eindruck, als ob die Geſchichte wahr geweſen wäre: ich war ſtill; aber ich hatte mich nicht geirrt.

Fünfter Traum. Dieſen ſchrieb ich Marwitz gleich den Morgen nachher, als er mir geträumt hatte, weil ich ihn nicht vergeſſen wollte, und er mich ſehr affizirt hatte.

Ich glaube, ich werde wohl eingewilligt haben, dieſen Jammerweg des Lebens zu gehn, und als Menſch menſchliche Geſchicke zu erfahren; oder es mag ein Höherer, mit tieferer Einſicht, weil er es für mich als gut erkannte, dieſe Einwilli - gung für mich gegeben haben; genug, die Einwilligung denke ich mir immer, und dieſer Gedanke nur kann mich tröſten für55 allen erlittenen, ſonſt unvergeltbaren, Schmerz. Vielleicht war es nur ſo möglich, die Perſönlichkeit zu gewinnen, und den Keim künftiger Erhebungen in gedeihlichern Exiſtenzen; wenn es auch nur das wäre, was die unſelige Menſchheit bedeuten ſoll, daß der bewußtloſe im Ganzen der Gottheit aufgelöſet geweſene Lichtpunkt als Menſchenſeele in das ſelbſt - ſtändige Daſein eines eigenen Ganzen göttlich hinüberginge! O gewiß iſt es auf dieſe Weiſe; höher konnten meine Gedan - ken nicht klimmen am Rande aller Wiſſenſchaft, und keine Weisheit wurde mir bekannt, die höher gedrungen ſei.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Hätte ich vorgeſtern Zeit gehabt, Ihnen zu antworten, ſo hätten Sie einen ſehr guten Brief bekommen; ich hatte ihn ſchon fertig im Kopfe. Jetzt eben hat man mir wieder die Stimmung und Faſſung geraubt, als ich Ihren Brief noch Einmal las, das Papier auf dem Tiſch lag, und ich grad hinging. Mir kam ein Billet von Behrenhorſt, ein Brief von Mad. Spazier aus Strelitz, ein Billet von einem unglückli - chen jungen Menſchen. Auf das erſte mußte ich antworten, den Brief konnt ich vor Kleinheit nicht ausleſen, das letzte nimmt mich ein. Vorher war ich bei meiner Kranken, der Por - tugieſin, mit dem Arzt, und beſorgte Küche, und Wirthſchaft dort, für den ganzen Tag. Es geht ihr ſehr beſſer.

Brutus alſo ſagt mir, daß wir uns ſo bald nicht ſehen56 werden! (Brutus ſagt zum Caſſius bei Shakeſpeare: Sehn wir uns wieder, nun ſo lächeln wir, und darauf: Wo nicht, iſt wahrlich wohlgethan dies Scheiden. ) Wenn das Feld meiner Seele zu böſen Ahndungen umgeackert wäre, ſo könn - ten mich die Sprüche dieſer Römer ſorgen machen und trau - rig machen; wie ſie unendlich, ganz unergründlich ſchön ſind, erhaben, edel, und freundlich traurig! Aber ich bin zu ſehr beſchäftigt; habe zu viel zu thun, wovon Gutes entſteht, oder Schlechtes abgewehrt wird, um nach dem Nachhall und Anklang, die dieſer Spruch in jenen Gängen meiner Seele aufruft, lange hin zu hören: und von neuem bewundre ich nur Shakeſpeare davon wieder; der den Macbeth dem Arzt, der ihm den Tod der Lady ankündigt, als ſchon alles verlo - ren iſt, und er ſich zum letztenmal harniſcht, antworten läßt: Sie hätte ein andermal ſterben ſollen!

Ich will mich bemühen: auf Ihren Brief zu antworten. Wenn ich ſagte, Angſt und Sorge beſchleichen Ihr Herz: ſo meint ich auch nur Angſt, daß Sie für Gemeines zu ſorgen haben, und mit ihm handhaben müſſen; und daß, eben weil Sie dies auch aus großer Neuheit nicht können, die Sorge darum größer anwachſe, als ihre Natur es mit ſich bringe. Ich ging ſo weit, zu glauben, daß Ihnen Berlin durch den Aufenthalt des unglücklichen Mädchens, deſſen Sie ſich für Ihren Freund jetzt annehmen müſſen, etwas verhaßt würde, und nicht mehr als ein Luſtort und eine Freiſtatt erſcheinen würde, wo man müſſige Zeit zur Erholung zuzubringen liebt. Für’s Erſte nur, verſteht ſich. Ihr Brief iſt einer der ſchönſten, die ich von Ihnen habe: Ihr darſtellendes mahleriſches Talent57 war darin recht wach; ſo haben Sie mir die Mutine ſo ſoll ſie heißen und die Mutter überaus treffend geſchildert. Ich ſage Ihnen frei heraus, ich war doch überraſcht von ihr. Sie war ſo verdrießlich und ſtellte ſich ſo roh dar, daß es mich auch in der Klaſſe, worin ſie gehört, und ich ſie ver - muthen konnte, frappirte! Wie ich Ihnen ſchon ſchrieb, ſie war ängſtlich, und bei ihr wurde dies zum höchſten Maulen, ſo daß ſie nicht einmal hübſch war, was mich am meiſten wunderte. Mein Reden, mein Zureden, meine Aufnahme, das artige Haus, in das ſie kommen ſoll, die anſtändige Wirthin, brachten ſie zu ſich ſelbſt; und es kamen Sonnenſcheine von Jugend und Hübſchheit über ſie. Doch über den geſtrigen Abend, und über die Perſon mündlich. Viel etwas Wichti - geres! Das Mädchen iſt einmal fertig auf der Welt wie ſie da iſt. Was ſich mit ihr zugetragen, iſt geſchehen; und dar - um ganz gut. Jedes Ereigniß iſt roh, und nur das, was wir daraus bilden; dies im menſchlichſten Vereine, des Geiſtes, der Einſicht, und des beſten Willens zu thun, ſei unſer Werk! Ich bin der Meinung, daß die neun dunklen Monate, die ein Kind mit ſeiner Mutter zuzubringen hat, vom größten Ein - fluß auf ſein ganzes Werden ſind; da das Kind meines wer - den ſoll, und Sie verſprochen haben ihm Verſorger zu ſein, ſo habe ich ſehr darauf beſtanden, daß es, auch noch blind, ſchon in edlen, freundlichen, für die Mutter gewiß erhebenden Umgebungen umhergetragen werde; und daß beſſere Sitte, und Laune, ihm mit Gewalt, durch und in das Blut einge - flößt werden! und aus dieſer großen Rückſicht eine Mehraus - gabe nicht geſcheut. Nun haben Sie noch zu thun; denn58 der Menſch iſt ſterblich in jedem Alter und zu jeder Stunde mir ſind junge Freunde und Bekannte genug geſtorben! ein Teſtament zu machen nach allen Formen und Rechten, worin Sie beſtimmen, wie es mit dem Kinde gehalten ſein ſoll, was es verzehren, und beſitzen ſoll. Beſäße ich nur et - was, ſo würde ich ſo dringend wenigſtens nicht ſein. Aber Sie wiſſen, ich habe kaum für mich ſelbſt: und ſtürbe ich, ſo wäre das Geſchöpf eine arme Waiſe. Nehmen will ich es mit Freuden; koſten ſoll es Sie natürlich nur, was es braucht; dafür erkaufen Sie ihm auch mich zur Mutter. Wie wir alle Details zu verabreden haben, findet ſich noch. Sind Sie meiner Meinung? Auch die ganz erſte Jugend, Umgebung, und Behandlung halte ich für ſo wichtig.

Gerlach leibt und lebt vor mir, wie Sie ihn beſchreiben: mit den glücklichſten Worten. Voß auch!

Von meiner Portugieſin mündlich! Der Süden ſcheint mir von den Göttern, im Norden aber nur, zugedacht: ſo mit allem etwas! Ein adlich Herz in einer widrigen Lage; eine ſchöne Seele hinter meiner Maske; großen Sinn, und kein Talent; aber all dieſen Mißlaut beſchwichtigt durch eine reine Himmelsgabe: eine ewig innere Muſik, und in der Tiefe nichts Verzerrtes, ein reiner Tempel meine Kinderſeele! Wie komme ich auf mich? und nicht unfreigebig!

Leſen Sie dies kleine Büchelchen, Dore hat es für ſechs Pfennige von einem Jungen gekauft; ich las es geſtern vor dem Zubettegehen, und weinte die herzlichſten Thränen darü - ber; ſagen Sie, ob es Ihnen auch ſo vorkömmt. Daß man dem Kinde viel vorgeredet hatte, ſehe ich auch; doch iſt’s ein59 Segen, und wunderbar; denn wahr iſt dies. Adieu, Ant - wort! Und wenn Sie krank ſind, will ich’s wiſſen: die Frau ſagte Sie unpaß; das paßt mir zu allen Stimmungen, die durch Ihren Brief gehen. Ich ſehe heute noch die Mutine.

R. R.

An Frau von Grotthuß, in Dresden.

Dein Brief war einer der ſchönſten: nämlich auch von deinen! ſo reif, daß er ſüß war; ſo fertig, ſo ſanft; und ſo alles und das Beſte vorausſetzend! Lange hat mir nichts ſo gefallen, mich nichts ſo gefreut! Lies auch Fernow’s Leben von Mad. Schopenhauer, gegen die ich unbekannter - weiſe ein Vorurtheil hatte: die ich aber in dem Buche ein - fach, wahrhaft, ohne alle Prahlerei genügend, und durchaus für eine kunſtfertige, bis zur höchſten glatteſten Einfachheit geſteigerte Schreiberin erkenne. Je m’ineline profondément, et avec le plus grand plaisir! Weißt du nichts von Goethe? Marwitz iſt in Potsdam. Grüß du den Mahler Friedrich von mir; ich war im vorigen Herbſt mit Marwitz bei ihm. Unſer Theater exiſtirt nicht für mich. Siboni hat mich nicht be - zaubert. Er ſingt nach verſchiedenen Manieren, und keiner Schule; ohne Leidenſchaft, noch irgend eine Stimmung oder Tiefe. Kurz, er und ſeines Gleichen ſind von und für’s Pu - blikum Gemachte; kein Arbeiten der Natur bei ihrer Geburt; keine ernſte Muſe, kein Lächelblick irgend einer Grazie!

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Was du mir von deinen Gelübden ſagſt, verſtehe ich ganz. Hält man dergleichen nicht, ſo würde man toll. Nicht aus Gewiſſen; aber weil ſonſt nichts mehr wahr wäre.

Lies auch Möſers von Osnabrück patriotiſche Phantaſien; ſeine osnabrückiſche Geſchichte, ihre Vorrede; vermiſchte Schrif - ten von ihm, und darin über den Werth der wohlgewogenen Neigungen . Seite 14 und 22 beſonders. Göttlicher Mann! Kein Neuer.

Auch du müßteſt von Luft und Umſtänden geſund ge - ſchmeichelt werden! Adieu. Gott ſchütze dich! Schreibe ja ſehr bald!

R. R.

An Ludwig Robert, in Poſen.

Ich habe mehr als Pflicht erfüllt: ich habe die Räuber, ſage die Räuber geſehen, und Kora von Kotzebue! Daß letz - teres Stück wie es daſteht gegeben wird, macht den Sitten der Deutſchen ächte Schande; daß es überhaupt gegeben wird, zeigt von der groben Rohheit des größeren Publikums unſe - rer Nation; daß Kotzebue es machte, von der Stümperhaf - tigkeit ſeiner Begriffe und der völligen Plattheit