PRIMS Full-text transcription (HTML)
Rahel.
Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde.
ſtill und bewegt. (Hyperion.)
Zweiter Theil.
Berlin,1834.Bei Duncker und Humblot.
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An Varnhagen, in Prag.

Lieber Varnhagen! Ich habe dich heute ſehr lieb! Wenn du wüßteſt bei welchem Geſchrei zu Gott, ich deiner heute ge - dachte, dich wünſchte: dein ganzer Werth, dein beſtes Sein mir gegenwärtig ward! Doch dies ein andermal; ich bin zu fatiguirt!

An dich dacht ich; an dich wollt ich mich lehnen, in deinen Armen dieſe Thränen weinen; dies ſchreien. Ich erwarte ſehnlichſt deine Antwort. Es iſt 12 Nachts. Ich ſchreibe jetzt nur, um dich inſtändigſt zu bitten, eh er nach Wien verſchwindet, dem Hrn. von Noſtitz ja ſeinen Traum von Prinz Louis und Schillers Geiſterſeher abzufragen, und ihn genau aufzuſchreiben! Auch laß dir Louis’s Tod genau erzählen, und ſchreib ihn auch auf. Mir erzählte er beides göttlich: ſo naiv, ſo darſtellend, ſo unbewußt ſchön: ſo natür - lich; mahn ihn an, daß er’s wieder ſo mache: aber ſag ihm nicht, zu welchem Zwecke. Er liebt es gewiß nicht. Ich fand ihn ſehr zu ſeinem Vortheil verändert. Einfache, angenehme, kriegeriſche Haltung; wahrhaft einfach, angenehm. Unſchul -II. 12dig, liebenswürdig, und ſo herzlich als ſchicklich gegen mich, und erforderlich gegen den Reſt. Wir ſprachen innig von un - ſerm geliebten Freund, Noſtitz wie ich’s nur wünſchen konnte. Grüß ihn ſehr von mir, als einer großen Wohlwollenden. Marwitz konnt ich gar nicht genug von ihm erzählen: der quälte mich eben ſo, in einem Briefe, dir dieſen noch heute zu ſchreiben: da ich einmal das Projekt, du ſollteſt Tod und Traum aufſchreiben, hatte laut werden laſſen. Leb ſehr wohl. Wie ein Phönix gehſt du heute aus meiner Leidenſchaft her - vor! Schreib mir: und trau mir!

Noch Eins! Wolf war ſehr geſchmeichelt von deiner Re - zenſion: und es ſchien ihm ſehr leid zu ſein, daß das Blatt [Öſterreichiſcher Beobachter] hier nicht geleſen wird. Wie hat er denn das ſo ſchnell dort?! O! er hat ſchon Niebuhr, und Goethens Leben. J! ſo! Nun Goethens Leben hat man wohl. Er hat alles. Kurz, er war überaus char - mirt. Gleich den Abend drauf als ich dir ſchrieb, kam er. Lebe wohl! Ich erliege ſonſt. Künftig, liebes Kind, ſchreib ich dir, wie du dich artig haben mußt, wenn du bei mir lebſt: und mich nicht Einmal ärgern mußt. Weil es gar nicht - thig iſt, und ich es nicht ertragen kann: meine Geſundheit meine ich, die iſt ſo ſchwach, daß ſie der Reſt des Reſtes iſt, von allem, was ich beſitzen ſollte, und je beſaß. Adieu. Ant - wort. Gewiß kommt in dieſen Tagen dein Brief. Adieu.

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An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Unpaß genug! und es iſt eine ausgemachte Sache, daß Sie mich noch todt martern: denn mitten in dieſen Zuſtänden bin ich auf nichts befliſſen, als Ihnen alles zu erzählen, über alles genaue Rechenſchaft zu geben. Dabei ſteht kein Augen - blick ſtill, und es folgen Ereigniſſe und Gedanken. Damit nun auch für Sie eine zu verſtehende Folge möglich werde, wie es außen und innen übereinander ging, ſo will ich die Dinge der Zeit nach vortragen, wie ſie übereinander gingen. Ein großer Zwang für mich: die ich am affizirteſten vom Letzten bin: und noch mehr von der Furcht, es Ihnen in der Lebendigkeit, die dies beſonders heiſcht, und in welcher es vorging, nicht darſtellen zu können. Als Sie ankamen, fan - den Sie mich ſehr perplex, Sie ſahen, glaub ich, es nicht ganz. Auch dies, die Urſache davon ſollen Sie erfahren: aber erſt ganz am Ende dieſes Briefes.

Ich erwartete einen Menſchen, mit dem ich etwas ab - machen wollte, welches meine ganze Seele unter ſeiner[Ge - walt] hatte: dabei Sie wiſſen, was, und auch wohl wie hatte ich Ihnen geſchrieben, wollte Ihnen noch ſchreiben, und dachte in dieſer Seelenklemme in taktloſen Zwiſchenräumen an Sie und an das, was ich Ihnen noch ſagen wollte. Hauptſächlich war Eines davon dies: daß man, als Unſinni - ger, ſein Leben in Schmutz, Unſinn, Dürre, Sand und Wuſt, in wahnſinnigen Thorheiten, hinrinnen läßt, nicht beachtend,1 *4daß kein Tropfen zweimal fließt, der Diebſtahl an uns ſelbſt geſchieht und gräßlicher Mord iſt. Bloß weil wir ewig Ap - probation haben wollen, aus der wir uns nichts machen, und nicht tapfer genug ſind, menſchlich Antlitz nicht zu fürchten, und dreiſt zu ſagen, was wir möchten, wünſchen und begeh - ren. Nichts iſt heilig und wahr, und unmittelbare Gottes - gabe, als ächte Neigung; ewig aber wird die bekämpft, für anerkanntes Nichts. Das Fremdeſte laſſen wir uns aufbür - den, und ſo kommen wir uns ſelbſt abhänden. Ich ſelbſt, wie ſelten bin ich, komme ich zu Sinnen! Hören Sie, wie ich darauf kam. Ich liebe Sie gewiß; nie aber werde ich wieder zu der Sehnſucht kommen, die ich voriges Frühjahr erlitt, als das neue Jahr grad aus Erd und Himmel brach, und Sie wegreiſten. Ich erlebte eine Welt ich ſchrieb es Ihnen, was aber wär es geworden, hätte ich Sie nur vier Tage länger behalten!! Ich verging faſt in Sehnſucht und Bedürfniß, es mit Ihnen zu ſehen. Ich Elende, Niedrige, würdig des Lumpenlebens, das ich führe! Gott ſieht jetzt mein innerſtes Herz und dieſe Thränen! Niedrige, Feige, die ich war! Hatte ich den Muth, Sie bleiben zu laſ - ſen? Nie werden Sie mir das wieder werden, was Sie da - mals waren grade durch die Reihe Leben, das wir geführt hatten, durch den Gang der Geſpräche, die Blüthen der Stim - mung und des Frühlings! Was hätte es Ihrem für alle Ewigkeit fertigen Bruder geſchadet, wenn Sie vier Tage ſpä - ter nach Friedersdorf gekommen wären, was Ihnen, wenn Sie mich ſo hätten beglücken können! Laſſen Sie ſich das für Ihre eigene Perſon zur ewigen Warnung dienen. Be -5 zwingen Sie keine Stimmung, keine Gefühlsblüthe! Sie werden nachher verzweifeln; in der kargen Ausübung der unnahrhaften Verſtändigkeit. Unterſuchen Sie ſich immer genau: und fürchten Sie Weisheit, die nicht aus dem Her - zen ſcheint.

Nur Neigung, nur Herzenswünſche! Kann ich ihnen nicht leben, bin ich dazu zu elend, zu verworfen, zu heruntergeriſ - ſen und mißhandelt, ſo will ich ſie von nun an in mir er - gründen, und ſie anbeten! Gottes ſtarker Wille iſt das im Herzen im dunklen, blutwogenden , der keinen Namen bei uns hat, deßwegen täuſchen wir uns, bis es todt iſt. Sie haben mich gefaßter gefunden die letzten Tage. Was iſt es anders, als daß ich zu meiner Neigung wieder hinabgeſtiegen war, über die ich mich erheben, zerſtreuen wollte. Glücklich bin ich fürwahr nicht von ihr gemacht; noch ſanft, noch nur menſchenverſtändlich behandelt; und doch erhalt ich mich nur ſelbſt, wenn auch in herbem Zuſtand, wenn ich mich ihr hin - gebe, mich ihrer ganz erinnere, und nicht Sinnen und Herz ihre Güter vertauſchen will.

Ich bin krank geworden, ſeit einem Ärger, den ich ge - habt: ich kann durchaus nichts mehr ertragen! Nun ſollte ich an dieſe Zeilen fügen, wie ich vorgeſtern und geſtern Abend zugebracht; vergebens! Sie ſollen es haben, aber in einem künftigen Brief. Dieſer ſoll weg wie er iſt; damit er bald ankommt. Morgen ſchreibe ich Ihnen die beiden Abende. In dieſem will ich Ihnen noch ſagen, was kürzer iſt, wozu keine Laune gehört, und was mehr in meine heutigen ſchmerzhaften Gedanken paßt.

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Es fehlte mir noch, daß Sie ſo in Ihrem Innern mit Varnhagen ſtehen! Alſo wenn der kommt, welches auch Sie ſchon für mich wünſchten, hab ich dieſem Bruche mit zuzu - ſehen, der ſich in jedem Augenblick fühlen wird! Zum Glück, daß nichts in der Art mich ſchreckt, weil ich auf nichts mehr hoffe: keine Zeit erwarte, die ausgeputzt ſo kommt, wie wir, wie ich ſie beſtelle. Dies iſt mein Glück, ſonſt müßt ich ver - zweifeln. Varnhagen iſt alſo mein Freund, der mich am meiſten liebt; für deſſen ganze Lebenseinrichtung ich Bedin - gung bin: und es iſt nicht genug, daß ich ihn ganz kenne und fühle: nehme und ertrage; ich muß nun, Wog auf Wog unter, Klippen an mit ihm durch, und all unſre Freunde le - gen die ganze Laſt ganz auf mich. Sie trägt ſo viel, ſo gut, warum nicht auch dies! Dies ſagt ſich niemand; aber ſo geſchieht’s, weil ich Ambos bin, Verzeihen Sie! Ich bin zu krank heute, jetzt! Auch ſchicke ich nun dieſen Brief nicht ab, bis das Folgende ſteht. Adieu!

Im Bette, Sie müſſen Geduld haben, mein lieber Freund, und bedenken, daß Sie es ſind. Sehen Sie mich an wie eine Krankheit des menſchlichen Geſchlechts, es giebt ſolche Menſchen, in der Reihe der geboren wordenen und werden - den; auf die ſich Widerſprechendes ladet, und ſie biegen und brechen; wie es in einem Menſchenleben Momente giebt, mit denen es eben ſo geht, und die man kranke nennt und fühlt. die auch nichts anders ſind, als Träger der Verwirrung, des nicht Aufgegangenen für die geſammten Organiſationen die -7 ſes Lebens, dieſer Erde. Verzeihen Sie mir ja dieſen Brief wie er hier ſteht! Ich möchte um keinen Preis, was ich oben von Ihnen zu fordern ſchien, und dachte ſchon ſo, als nur die Züge aus meiner Feder waren, ja als ich ſie noch machte , daß Sie mich ſchonten, für mich litten, ſchafften und mach - ten: alsdann wären Sie ja auch Ambos; und dafür ſoll Gott uns behüten. Ihnen aber die beiden Abende, Dienstag und Mittwoch zu beſchreiben, dazu bin ich zu ſchwach: zu erſchöpft endlich, zu irritirt; alles dies rein der Körper. Wie es mit meiner Seele iſt, weiß wenigſtens ich nicht: die ſcheint in der That von Unſterblichem gemacht zu ſein. Hören Sie aber von anderem, wenn es möglich iſt dergleichen zu beſchrei - ben, auszudrücken, ja ſich ſelbſt anders, als unwillkürlich, zu wiederholen.

An Varnhagen, in Prag.

Ich habe zuletzt Clemens Brentano’s Brief geleſen, alſo fange ich von ihm an. Der Brief gefällt mir ſehr, und ich habe mich in ihm nicht geirrt. O! hätte ich doch ewig mei - nen wahren Blick über Menſchen befolgt, ewig dem Ausſpruch gefolgt, der mit ſo unumſtößlicher Wahrheit mitten in meiner Seele über jeden mir Vorkommenden zu mir herauftönen will. Ich finde eine unausſprechliche Milde und Biegſamkeit in die - ſem Briefe: und ich muß dir wieder ſagen, eine außerordent - liche Ähnlichkeit mit mir darin. Auffallend, und ſehr unver -8 muthet war mir gleich die Handſchrift; nie hätte ich ſie von ihm ſo erwartet. Ganz wie von einer Frau, ich kenne tauſend ſolche. Mich intereſſirt ſein Gemüthe ſo, und mich dünkt ich kenne es ſo ſehr, daß ich für mein Leben gerne wiſſen möchte, womit du ihn ſo gekränkt haſt. Auch ſehr meine Art mich auszudrücken, dieſe Stelle. Wenn ich ihm doch die heilende Entſchuldigung unter deiner Geſtalt hätte machen können! ich hätte ihm unendlich geſchmeichelt, ſeinem Herzen; ich hätte es verſtanden, wie man es machen muß. Du ſchriebeſt mir ja, er wäre nach Wien, und ſo ſagte ich hier auch immer aus. Mir iſt die Geſchichte oder Anekdote, woraus er ſein Stück ſchreibt, wie das Meiſte, was ich geleſen habe, nicht gegen - wärtig; und du ſprichſt mir davon wie zu einer Mad. Staël, die alles an den Fingern herzuzählen weiß; du ſchreibſt gut über ſeine Art zu ſchreiben; ich aber wünſche nun ſchon von ihm eine ſtrengere Manier; du weißt, ich will die Schriftſtel - ler ſchreitend; und immer mehr Herr ihrer eigenen Manier. Von mir hat ſich Herr Clemens, wie ich von einem Öſterrei - cher in ſeiner Naivetät erfahren habe, wieder plaiſant geäu - ßert; was er geſagt hatte, wollte mir der Menſch gleich nicht erzählen, als er ſah, mit welchem gar nicht zurückgehaltenen Begehren ich haſtig danach fragte, und das Ganze wieder be - ſchönigen. Ich that das gleich ſelbſt: und erfuhr auch nicht was er geſagt hat: frug auch nicht zu welcher Zeit. Es är - gert mich nur in ſo weit, als es der etwanigen Bekanntſchaft zwiſchen ihm und mir in Weg tritt, weil es doch eine vorge - faßte Meinung verkündigt, die ihn darüber ganz nachläſſig - oder abgeneigt dazu machen muß: ich fürchte mich aber gar9 nicht, daß wenn ich ihm nahe käme, ihn nicht durchaus zu ge - winnen: ich weiß was er ſich an Menſchen wünſchen muß; und ich habe den großen Vortheil über ihn, daß ich wohl ihn, er aber nicht mich geleſen hat. Daß er aber nicht beſonnen genug iſt, lieber über eine ausgezeichnete Perſon, die er nicht kennt, nichts zu ſagen und zu meinen, das verdrießt mich am meiſten; und daß ſein Innres, ſein Schickſal und das ſeiner Freunde, ihn nicht dazu beſtimmen, grade das Gegentheil von gemeinen, rohen, weitſchichtigen Urtheilen zu denken; wie ich es mit ihnen mache. Das gilt auch von dem Frauenzimmer, von der ich dir neulich ſchrieb; die mich gut, mehr als noch rein menſchlich, behandelte nach dem Eindrucke, den ich ihr machte, ehe ſie wußte, wer ich war; und als ſie es erfuhr, nicht ſchön ſich über mich äußerte, und ich ſchäme mich zu ſa - gen, nicht wahr; ich aber umgekehrt, hatte alles mögliche Ungünſtige von ihr gehört, glaubte nichts, weil meiner Vor - ſtellung die Perſon fehlte, auf die alles ankommt: ich ſah ſie, und eine übernatürliche Liebe berührte mein Herz; die ich aus Beſcheidenheit, gegen ſie, darin feſt hielt. Sie hat unaus - ſprechlich dadurch bei mir verloren. Denn alles erlaube ich einer Solchen, aber ordinair ſein, nicht. Dies lies ihm alles. Warum lobſt du mich auch ſo ſehr! Lieber! dann kann man dich natürlich leicht ärgern und mich attakiren. Ich liebe es aber doch! Lieb und lobe mich nur! kommen doch ſchlechte Menſchen durch falſches Lob empor; ſo müſſen beſſere, da man ihnen keine Stelle vergönnt, auch durch übertriebenes gehalten werden. Adieu für heute, es wird ganz dunkel, und ich will eſſen. Adieu Lieber!

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Das Komiſchſte in der Welt iſt, daß ich ganz überleſen, und unbedacht geleſen hatte, daß Clemens ſchreibt: Da wir ja auch über Rahel, Fouqué, Arnim, und Grimm, und mich ſelbſt anderer Meinung ſind ꝛc. ich alſo eine Art Rolle in dem Streit, und in den vorgelegten Verſöhnungspunkten habe! Wenn du es nun für unſchicklich und arrogant ſcheinend an - ſiehſt, theile ihm das Obige nicht mit: arrogant, weil es ſo ſehr unperſönlich war. Ich habe erſt jetzt ſeinen Brief noch Einmal geleſen; und was ich ſchrieb, bezog ſich auf Sonſti - ges. Vorzüglich aber war alles darauf gemünzt, daß ich ihm gut bin. Wie erkenne ich dich an den Zitaten, wo du ihm peinlich warſt! bei ſolchen Dingen kannſt du auch zur Pein werden! Ich würde gar Abends nicht ſchreiben, ſollte der Brief morgen nicht auf die Poſt, und ich für einen letzten Tag immer Störungen, von Menſchen, Geſchäften, Aufträgen, und Kränklichkeit fürchte. Du mußt gar nicht recht nachrech - nen, wie ſchnell ein Brief geht oder nicht, wenn du ſagen kannſt in deiner Seele, R. ſchreibt ſo lange nicht. Nun leſe ich deinen Kritzelbrief bei Lichte noch Einmal, und dann will ich antworten. Fettig Papier und eine Gräuelfeder habe ich!

Lieber Varnhagen! Wenn du Goethen ſchreibſt, laſſ ihm nur rechte Zeit, und ihn durch wahre Beſcheidenheit ſehen, wie hoch du ſeinen weiſen gütigen Brief ſchätzeſt. Marwitz hat mir ganz göttlich drüber geſchrieben, und kann die Güte, den Ton des Briefs nicht genug bewundern. Der iſt unſer Konfident. Was der von Goethe alles ſchreibt und ſagt, möchte ich ihm auch ſpediren. Ich für mein Theil, bin11 ganz beſchämt und geſtört, daß ich ihn nicht mehr ſo heimlich liebe; und daſtehe wie Andere. Heimlich aber wird es ewig bleiben; denn ich ſelbſt, kann es nicht ſo herausſpinnen aus dem Herzen, und weiß ich, was er noch ſchreibt und thut? was ich noch erfahre? Volumes hätte ich dir zu ſagen, wenn ich dir mittheilen könnte, wie verblüfft ſein Leben ſie wieder macht; wie ſie auf mich fallen, auf mich: und was ich manch - mal glücklich redneriſch erſchöpfend antworten kann, wie ich manchmal königlich ſchweige, zur höchſten Konfuſion der Re - denden, nicht weil ich ſchweigen will, weil ich ſchweigen muß: und ſie ſehen es. Manchmal gelingt es mir, mit zwei Wor - ten an Stellen im Buche ſelbſt zu verweiſen; Überleſen Sie doch nicht, welchen Rath Ihnen Goethe ſelbſt giebt, den Ge - ſichtspunkt, den er für ſolche Biographieen angiebt, daß er die Zeit ſchildert in bewußter meiſterhafter Unſchuld: zeigt und ſagt, wie ſich ein Menſch in und an ihr entwickelt, entwicklen kann und muß. So frug mich Graf Egloffſtein eigends in einem dazu angeſtellten Beſuch: Was denken Sie von Goe - the’s Leben? Erſt wollt ich nicht reden; er brachte mich doch dahin. Ich konnte ihm in ſehr klaren, bündigen nicht meine Force Worten eine ordentliche Erklärung vor - tragen; er lächelte häufig, meines guten Sprechens, der für ihn neuen Gedanken, und ſagte, ganz ehrlich und froh am Ende: Sie haben Recht, nun weiß ich, was er meint. Der muß mir nun in die Leſekabinette, und das Caſino und ſeine tauſend Geſellſchaften. Vornehmen thue ich mir dergleichen bei - nah nie; aber es fiel mir doch nachher ein. O! wie babyloniſch iſt die Welt; Clemens hat Recht: wo ich ein Dolmetſcher ſein12 muß! Siehſt du, daß ich Recht habe, Bentheim ſo zu lieben? Auch auf mich haben die bibliſchen Stellen den größten Ein - druck gemacht, als die reinſte beauté. Wie erhaben, wie abgezogen: das reifſte Beſchauen und Begründen aller Ge - ſchichte, mit dem unbefangenſten, kindlichſten Auffaſſen ge - paart! Wie göttlich! Mein alter Spruch: widerſprechende Eigenſchaften, in Harmonie gebracht, machen den großen Mann. Das Buch hat aber das größte Aufſehen gemacht, und hat die größten Verehrer, wüthendſten Anhänger. Wolf ſagt, zweitauſend Exemplare wären gleich weggeweſen. Schede bracht es mir ehrlich; die vergöttern es.

Es tutet 12 Uhr. Noch ein Wort. Varnhagen! ich ſehe dir ernſt in die Augen; und ſchmeichle dir ſehr jetzt! Miß - verſtehe meine Worte nicht, die ohne Ton und Blick hier ſte - hen! Vergiß nicht, daß deine Freiheit mir das Wichtigſte iſt, und ſein muß nicht aus Pflicht etwa verſtanden und daß es ganz von dir abhängt, daß auch deine Nähe mich ſehr glücklich macht. Nur laß mich zu Oſtern deine Pläne wiſſen. Gute Nacht!

Es war grade ſo wie ich es befürchtet heute, mit den Störungen, die langweiligſten, gräßlichſten, und doch unver - mutheten, mich überfallenden Familienbeſuche, und Frauenbe - ſuche, ich bin ganz erſtorben. Gnädiger Gott! dergleichen ertrag ich nicht mehr. Daß Joſephine P. ſo beſchränkt iſt, weiß ich ſehr wohl: dies allein machte, daß ich nicht gleich, als ich ſie kannte, bei ihr blieb. Nicht allein ich will mich abſolut mit höchſter Einſicht nicht beſchränken; und hätte ich13 eine dahin neigende Natur, ſo würde ich mich zum Gegentheil zwingen; ſondern, ich kann mich nicht beſchränken, und könnte dieſe meine Natur nicht bezwingen. Lieber, ich habe alle meine Papiere durchſucht, und kann keine Gedichte von dir finden. Ich möchte vergehen! aber machen kann ich doch keine!

Ich denke ich ſoll wahnſinnig werden für Glück, wie Goethe immer in die hohe Kammer geht, die Gewitter ab - zuwarten . In meiner tiefſten Kindheit that ich das auch ſchon, und noch berückſichtige ich alle Quartiere danach, ob man zu einem Gewitter viel Himmel ſieht. Jetzt hab ich Elende auch das nicht. Worauf dies aber alles in einem Menſchen deutet, das weiß ich; und ſeine Konſtitution kenne ich auch. Erinnerſt du dich des Gewitters in Charlottenburg, wo du mit Markus und Bribes ankamſt? da fürchtete ſich die Schwägerin, und ich wurde ganz grauſam: ich haſſe die Leute, die ſich vor Gewitter fürchten. Adieu! Noſtitz wird über Ber - lin quer-ein ſchimpfen. Rechne ab. Lebe wohl!

An Varnhagen, in Prag.

Lieber V. Ich werde dir auf alles nur kürzlichſt antworten, alles dir nur flüchtig mittheilen. Ich kann das Schreiben nicht ertragen: leſen aber kann ich noch gar nicht: es nimmt mir beſonders davon ein leiſer Verſuch ganze Nächte, und Aus - gehen durch die Kälte daſſelbe; ich bin wohl öfters ganz ver -14 zweifelt, klage aber aus dem reinſten, tiefgefühlteſten, ſtärkſten Ekel nicht mehr: bin auch ſeit geſtern, ohne alle Urſache, au - ßer, daß ich in einigen Tagen der[Zerſtreuungen] wegen, die mir meines Bruders junge Ehe abzwingt, gar nicht zu leſen verſucht habe, körperlich vergnügt, wegen zwei Nächten Schlafs. Vorgeſtern hatte ich die Familien, Hamburger Fremde, Minna Spazier, die ich oft und gerne ſehe, Fouqué und Marwitz zum Thee. Wolf, der Minna kennen lernen wollte, ließ mir ſpät abſagen. Marwitz war ſeit Freitag bis geſtern in Erb - geſchäften hier. Wir ſprachen uns ganz klar.

Ich kenne ſehr wohl dieſe Art von Beweisführung, und Aufbauung von Syſtemen; jeden beliebigen Punkt in der Natur kann man ſich wählen, und daherum den Reſt des Univerſums ſpielen und ſich bewegen laſſen: geſchieht dies aber befangen und eigenſinnig, ſo mag der Erfinder noch ſo geiſt - reich ſein, er wird närriſch, und riskirt es zu bleiben. Ein großartiges Verfolgen aller nur zu erfindenden Syſteme, ein ſolches Losſagen davon, ein ſtarkes Ergeben in alle Möglich - keiten, die ein höherer Geiſt in ſeinen Händen hält, ein na - türliches Anerkennen der Dinge, die für uns ſind, ein ehrliches Verfahren in den Tiefen unſers eignen Geiſtes, dies dünkt mich iſt fromm, und gottgefällig; und gefällig allen ſeinen Geſandten und Geweihten. Basta!

Frau von Fouqué ſah ich zweimal, einen Mittag ſie unverhofft, weil ſie mich Einmal verfehlt, und keine andere Zeit mehr hatte, mit ihren Töchtern bei mir, Marwitz blieb auch, Hanne hatte ich für Clara genöthigt. Frau von Fouqué iſt ganz liebenswürdig. Äußerſt wahr in allem. Ganz15 natürlich: und freundſchaftlich und gut mit mir. Sie hat unſer Aller höchſten Beifall. Heute Morgen iſt Robert mit ihnen nach Nennhauſen gereiſt. Sie frug mich nach dir, und nach deiner Uniform, und meinte, ſie müßte dir ſehr gut ſtehen. Sie iſt in allem ſo gütig und unbefangen, als wie ſie dies ſagte.

Geſtern ſchickte mir Schleierm. was ich dir hier einlege. Alſo der iſt gut mir dir. Wenn du kommſt, Lieber, ich bitte dich, mache nur alle Leute wieder gut und keine neue böſe; es iſt mir unerträglich; und in jedem Briefe werd ich dich darum bitten müſſen. Ich bin gar keine Zänke und Scenen gewohnt; und eine gewiſſe Tagesruhe und Ebenheit iſt der ganze Reſt menſchlichen Glücks, was ich beſitze; dies und perſönliche Unabhängigkeit, ſehr von meiner Börſe, aber von keinem Menſchen beſchränkt. Ich bitte dich um Gottes willen! raube und ſtöre mir dies Letzte nicht!! Und warum auch dies, Varnhagen? Du haſt grade alle Mittel, dich bei Men - ſchen angenehm zu machen und dies wird deiner Lage nach noch beſonders nöthig und bei mir auch: wollteſt du das nicht? Ich bin mit Marwitz und Andern ganze Tage, und ganz vertraut: und nie entſteht eine Scene; und keiner als du macht mir ſolchen Vorwurf: und mit dir zanken ſich ſo Viele. Auch weißt du’s ſehr gut. Du liebſt mich ja! Laß mich’s empfinden! Leids iſt mir bei allen Himmeln genug geſchehen! Mich loben und lieben von neuem, trotz meiner äußerſt beſchränkten Lage, alle Klaſſen von Menſchen meiner Geſelligkeit wegen: ſie iſt nichts als Güte: und die wollteſt du nicht fühlen? ſie uns läugnen? Nein: du wirſt beſſer ſein!

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Nun möcht ich dir am Ende des Bogens gerne für alle deine Liebesworte danken; ich habe dir eben in dieſem Briefe nicht geſchmeichelt; ſei verſichert, ich fühle ein jedes, und nehme es in’s Herz auf, wie es aus deinem kommt: das iſt die Hauptſache; und ſo wird auch kein Betragen an mir vor - beigleiten. Du biſt noch über niemanden ſo tief und klar - ſehend geweſen, als über Clemens Brentano, und ſo wohlbe - redt und worttreffend: ich meine nicht allein in deinem letzten Briefe; ich fand’s ſchon früherhin, vergaß aber öfters es dir zu ſagen. Sei wahr gegen ihn und ſanft. Seine Schweſter ſollte die vorige Woche eintreffen, ich weiß nicht, ob ſie ge - kommen iſt. Fichte, mein lieber Herr und Meiſter, hat mich durch Fouqué grüßen laſſen, und mir Vorwürfe machen laſ - ſen, daß ich ihn nicht ſehe: mir ſehr erwünſcht: aber ich kann nicht in die Kälte gehen; ſie iſt jetzt erſt ſtreng. Grüß und pflege Joſephinen: es iſt ganz ſo wie du von ihr ſagſt.

An Varnhagen, in Prag.

Ich bin allein, ohne leſen zu können, ſeit drei Ta - gen geht es etwas und ohne Menſchen ertragen zu kön - nen: unzufrieden mit den Geſchwiſtern. Ohne Luft, Muſik, Augen-Weide, oder nur-Punkt. Ohne Hoffnung für irgend ein Glück, oder Amüſement; den Sommer fürchtend: und ganz in einem großen Meer, von zahlloſen Tropfen des Mißlingens. Ohne Narrheit, ohne eine jene Welt. Denn17Denn dieſe iſt mir eben ſo gut eine jene. Kurz! in der lang - weiligſten Verzweiflung! Es dauert zu lange; zur Probe, zur Buße, zu was es ſei. Für ein edles Geſchöpf. Auf dies Leben hoff ich nicht mehr. Ich kenne nichts Elenderes, als ſo bis ſechzig hinan zu warten; mit Hoffnung. Mir geht’s ja Schritt vor Schritt ſchlechter durch jedes événement durch! Und kein Freund: kein Menſch kann mir nur ſagen, thun Sie dies, oder das: es iſt nichts zu thun. Es geht ihr gut genug, denken ſie dumpf, nicht deutlich: die mich am we - nigſten haſſen. Freunde laſſen es geſchehen. Erſchöſſ ich mich: wunderten ſie ſich, wie über Kleiſt. Dieſe Begräbniß - feier, mich nicht zu wundern, habe ich ihm wenigſtens ge - halten!

Du biſt der Einzige auf der Erde, der mir begegnet biſt, der da fühlt und weiß, bei dem es immer rege iſt, wie über - natürlich ſchlecht es mir geht. Wie keine Antwort auf alle Anforderungen des Lebens meiner Natur kam. Nie. Davon biſt du ergriffen, und das iſt ein großer Theil deiner Liebe zu mir. Für dein Aug allein, iſt das ſchreckliche Schauſpiel da!

Hätteſt du mich ſelbſt gemordet, und ein Bewußtſein ſchwämme noch auf der Erde, ſo würde ich dich dafür wieder mit Liebe erfaſſen müſſen, wie jetzt. Das wollt ich dir längſt gerne ausdrücken; und jetzt iſt’s Schuldigkeit; und es geht oft, und immer, lieblicher in mir her, als ich’s jetzt in Krankheit und aller und jeder Betrübniß aufſetze. Das weißt du auch; und dieſe Wurzel trug dir Liebeszweige, und auch manche Blüthe. War es Eitelkeit, ſo nahm meine Eitelkeit den Weg, auf dem ich dachte: er wird mich anders, als die an -II. 218dern Frauen behandeln; Neigung ſcheint ihn zu mir zu füh - ren; und keine war ihm noch, von denen er begegnete, ge - wachſen. Ich ſtehe auch als Freund hoch über allen bei dir.

So irrſt du auch, mein lieber Freund, und ſagſt dir durchaus die Wahrheit nicht, wenn du dir und mir vorſagſt: Man lebt unwachſam in die Jugendjahre hinein, und ſieht ſich unerwartet zum Böſewicht geworden aus einem guten Kinde. Ein Kind iſt ein unentwickelt unberührtes Ding, und immer gut, weil ſein Toben gegen Tiſche, Stühle und Spiel - zeug geht, welches man ihm preisgiebt, und welche Zerſtörung man ihm nicht anrechnet; ſo iſt’s nicht ſchlecht, im Mangel der Begriffe höchſtens! Aber die Jugendjahre ſind die tugend - ſamſten, ſchönſten, aufflammendſten; ich verzeihe grade der Jugend nichts Schlechtes. Das iſt gewiß ein faules Pro - dukt: wo die höchſte Gährung nur Schlamm erzeugt. Leicht - ſinnig kann tobende Jugend wohl ſein, aber nur gegen ſich ſelbſt. Ja, eine edle glaubt gar nicht, daß man Andere beeinträchtigen, verletzen kann. Erſt ſpät, wenn man ſelbſt dahin iſt; von Stößen und Wunden, und nirgend mehr Raum finden kann, noch Stelle zum Bleiben, iſt es möglich, daß man endlich ſich entſchließt, ſich Platz zu machen, und ſollten auch Andere doch Verwundete und Verwunder eine Narbe davon tragen: und doch vergeht mancher Edle, ehe er ſelbſt die wahre Jugend durch ſolche Handlung von ſich ab - ſtreift. Wenn ich Staatsgeſetze zu geben hätte: ſo ſchützte Tollheit keinen Verbrecher vor Todesſtrafe, wenn ſich ſeine Tollheit mit dem Verbrechen, worauf jene ſteht, anhöbe; wenn er ſich ſelbſt verletzt, kann er nach dem Tollhauſe.

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Glaube mich nicht ſchwach: ich habe Frevelmuth genug in mir, um weiter zu leben, Beſonnenheit genug, um in Thä - tigkeiten zu beſtehen, für die mir kein Gemüth und kein Geiſt bleibt! So ſchreibſt du mir im letzten Brief; nicht geden - kend der Worte, die den von Clemens begleiteten: Ich ſtehe hoch über meinen Fehlern. So, mein ſehr Lieber, denk ich von dir: und habe es dir ſchon öfter geſagt: Das iſt ein gebildeter Menſch, der ſeine Anlagen bezwingt, wenn Natur nicht gnädig gegen ihn war; der ſie nur in ſich einſieht; ſie ermeſſend behandlen, iſt einen Schritt weiter. So ungefähr ſagte ich. Du ſtehſt als der Gebildetſten Einer mit deiner Einſicht hoch über deinen Naturfehlern. Theurer Freund! haſſe ſie immer, nenne ſie dir, bekämpfe ſie. Du liebſt ja das Schöne ſo in Andern, biſt ſo gerecht, ſo tapfer in der Aufweiſung und Schätzung ihrer Gaben; mach dich ſelbſt urbar, wo Dürre gelaſſen iſt, und laß dich von deinen Freun - den hinwiederum lieben: du weißt, welches Glück, welcher alles heilender, weicher Zuſtand dies iſt.

Lieber Guter! dein Brief an Goethe über mich ängſtigt mich ordentlich. Freilich, Lieber, wird er ihm die Jugend und Liebe wohl anſehen. Du ſprichſt von meinem Talent !? hab ich ein namhaftes Talent? das, das Leben zu faſſen; und manchmal barock, in komiſch - oder tragiſcher Hülle, es zu nennen was ich ſah. Mein Unglück ſag ich ja ſchon lange iſt zu meiner Schmach eins ohne Titel; darum wird mir auch nie geholfen. Ich bin eine Falſchgeborne, und ſollte eine Hochgeborne, eine ſchöne Hülle für meinen innren wohl ergie - bigen Grund ſein! Eher hätteſt du ihm von meinen wirklich2 *20vielen Verbindungen und Bekanntſchaften ſprechen ſollen. Darauf zielten auch ſeine Fragen; und er merkte es wohl, der Merker par excellence, daß es eine ſolche Perſon ſein müſſe. Doch wie es ſei! Und ſieht er mich je, ſo wird er ſchon wiſſen, was Gebratenes an mir iſt. Adieu. Indeſſen!

Lebwohl!

An Varnhagen, in Prag.

Heute vor dem Finſterwerden gab man mir deinen Brief, wo der über mich geſchriebene an die Gräfin Pachta drin lag. Mit großen Liebespulſen antwortete mein Innerſtes auf jedes deiner Liebesworte, und Sehnſucht, der Wunſch dich zu ſprechen, bildete ſich in meiner Seele. Gewiß ſah ich dich mein in einem gewiſſen Sinn auf ewig, und ſo antwortete ich auch dir. Ich freute mich, daß mein Montag abgegan - gener Brief dir jede Antwort auf den heutigen eigentlich ſchon im voraus brachte. Mit einem ſchwer aus dem Herzen drin - genden Seufzer ſah ich den an Joſephine an, ſtand der zu gebeugten Seele, des Körpers wegen an, ihn zu leſen, und gedrängt von mir ſelbſt, that ich’s doch. Ach lieber Freund, in welch Geſchrei zu Gott, und Herzpochen für Schmerz, fiel ich nach dem Leſen. Alles weiß ich: jedes hab ich wohl ſelbſt hundertmal in verſchiedenen Briefen, wo von mir endlich alles ſteht, ſelbſt geſagt. Aber wie gräuelhaft, wie rettungs - los, wenn es auch von außen, wie Mauren, ausgeſprochen21 von fremdem Geiſt, uns entgegentritt. Ach, warum mußteſt du mich auch jetzt ſchon ſo ſtark halten, daß heute dieſer Brief kam. Ich fühlte mich eben ſo krank, daß ich es nicht mehr zu ſcheiden wußte, wer den andern erſt ſo gemacht hatte, Ge - danke oder Körper; aber durch lange Tage und Nächte durch, hatte ich mir die ſchärfſte, genauſte, unumſtößlichſte Rechen - ſchaft noch Einmal gegeben, wo die wahre Wendung meines Weſens geſchah, welche mein ganzes Schickſal gründen mußte: denn eine gewaltſame, nicht liebliche iſt vorgefallen; und Karakter bildet Schickſal, Naturingredienzien ſo oder ſo ge - ſtellt. Ereigniß, und Gründe, erwog ich noch Einmal! und ach! zu was als humilité ich kann das deutſche Wort nicht finden zu Verzweiflung der Edlen, konnte dies führen. Und wie zu einem Chore kam dein Brief die Tragödie voll - kommen zu machen. Laß es dir nicht leid ſein, auch viel Liebe habe ich darin erfahren; und mein noch lebendes Herz hat ſie wohl, ja ganz erkannt. Ärgeres noch, als in deinem pa - négyrique ſteht, ſagt ſich die arme ausgeſetzte Rahel! Dies können die Menſchen glauben, du weißt es; wenn Großes, Beſonderes in ihr iſt, ſo iſt es das; ſie weiß, was in ihrem Kreiſe iſt, und ſieht und ſagt ſich das Härteſte, wie wohl ſel - ten ein Menſch dies auf der Erde that. Und ſo kann ich ſagen, mein Schmerz und mein Verluſt iſt unendlich; darum verſtehe ich auch alle andern Schmerzen, darum iſt auch der Verdruß immer ſo groß, wenn du, der Einzige, dem ich ſo bekannt bin, der Engel, den mir Gott mit Troſt in meine Zeit ſchickte, wenn der abſpringt, und mich ärgern mag, oder, welches eins iſt, ſich ſelbſt mit einemmale fehlt! Aus die -22 ſem Geſichtspunkt, mein geliebter Freund, verzeih mir! Freilich muß ich mit dir ſtrenger und härter ſein, als mit Allen: von dir ganz allein fordert und erwartet ich; und thu es noch.

Dies alles, trotz meines Kopfes, meiner hinzufallenden Müdigkeit, mußt ich dir noch heute ſagen. Sonſt verliere ich die Worte, die tiefſte Stimmung wieder. Als ich ganz müde und todt, lag, und Minna Spazier erwartete, heute fürchtete ich ſollte ihr Geheimrath Wolf zitiren laſſen, kam meine älteſte Nichte, die blieb bis jetzt. Nach 10 Robert. Ich weinte langſam immer fort, in des Mädchens Gegenwart, nämlich mein Herz und meine Augen. Doch ſprach ich oft, und reichlich, und unterhaltend: wenn ich manchmal ganz ſchweigen muß, iſt das das Höchſte. Minna kam Gottlob nicht, und ſo konnt ich Wolf auch weglaſſen. Schlaf recht wohl! Die blinden rohen Leute! mir geſchähe das bei einem Trommler mit einem Bart nicht, wenn er meine Seele hätte! mich unweiblich zu finden: iſt das weiblich, ſich auf Menſchen und Schickſal ohne Wahl wie auf ein Lot - terbette zu werfen, und da nach gut Glück faulen, oder Kour annehmen? Große Natur, allmächtiger Gott! wie erlaubſt du deinen Menſchen ſich zu verſperren! ganz klein, ganz klein! Nun fällt’s mir erſt wieder ein! Dein Brief an Joſephinen ließ mir mich wieder ſehen, wie eine Todte, ein Geiſt ohne Blut und Leben, der neben ſeinem an, noch wandelt. Schrecklich! Und doch, großer Gott! große Natur! iſt es Gottlob! anders noch, als ich, und irgend je - mand zu faſſen, in einen Begriff, als wir es auszuſprechen23 vermögen! Sonſt wär ich ja auch wohl, in Gottes Gnade, ſchon todt hingeſchlagen. Gute Nacht!

Ich habe eine ſchlechte Nacht gehabt, nicht möglich ein - zuſchlafen: am Morgen, wo ich denn immer einſchlafe, ſtellten ſich Hähne vor mein Fenſter, und wetteiferten in ihrem abominablen Geſchrei auf’s genauſte. Am Ende ließ ich ſie wegjagen. So iſt’s auf den Straßen unſerer edlen Stadt. Hühnerhorden! Dann ſchlief ich noch ein wenig. Ich ſehe ſehr deteriorirt aus. Natürlich! Krank, keine Luft, keine Zerſtreuung keiner Art. Sonſt, wie ich die Behülfliche mit meinen ewig geringen Mittlen ſein konnte, ging alles: aber an wen kann, ſoll ich mich wenden! Auch iſt meine ganze Geſellſchaft zerſtört, zerſtreut, todt, arm. Dabei, bei dieſem Knappen, bin ich Dankbarkeit ſchuldig, und zur Laſt; denen, die ich meiden möchte unter den beſten Bedingungen; was ich am meiſten fürchtete, wogegen ich fünfzehn Jahre rang, muß ich bis auf den Boden leeren. Es ſind nun ſechs Wochen, daß ich ganz zu Hauſe bin wie oft und lang vorher! und nichts geht bei mir vor, als kleine unange - nehme Häuslichkeiten: und ich habe keine andere Senſation von außen, als die ich mir ſelbſt gebe! Entſchuldige alſo mein endliches Zuſammenbrechen. Du haſt ganz außerordent - lich das reine, unbefangene, kraftvolle Zuhören und Auffaſſen von Joſephine in deinem Briefe ausdrücken können! Dieſe Schönheit der Seele, die nur ein Zeichen von andern Schön - heiten iſt, gewann ihr meine ehrende Liebe mit zuerſt. Ach!24 und was will die; ſie war ſchön, und edelgeboren! Bei Gott dem Richter! Mein Herz und meine Seele ſind eben ſo ſchön und ſo viel werth. Worin hält ſie ſich wohl für weib - licher? von ihr ärgert mich der grobe gemeine Irrthum für ſie! Anmuth, Lieber, hatte ich nie mehr; dir muß es aber ſo ſcheinen: denn du biſt wirklich der Menſch, bei dem ich anfing: ſollte von Liebe die Rede ſein, auch zu fordern. In der Erſcheinung war ich’s nie, graziös. Aber die Grazie des Herzens, die aber nicht durchdringt, hab ich noch. Wann findet man das nicht? Wo fehlt es? hat es einen ungerech - ten Pulsſchlag gegen irgend eine Kreatur! will ich für mich beſonders mehr? Nicht für alle Menſchen, und Thiere faſt, daſſelbe? Bin ich nicht immer gut; nur aus der Folter gelaſſen, weich? Mittheilend, theilnehmend, in jeder Minute? Hülfreich, edel und gut! wie’s Goethe gebeut. O! Gott!

Nun bin ich nicht mehr allein. Moritz iſt gekommen mit Erneſtine und der Schwiegermutter. Ich bin überzeugt, daß Hr. von Knorr eben ſo delikat für dich war, als er für ſich ſelbſt würde geweſen ſein, alſo bin ich über deine Angelegen - heit ruhig. Mad. Paczkowska hat hier nicht die Leipziger Rollen, ſondern die Orſina, Maria Stuart, und in dem ver - bannten Amor, ohne Beifall geſpielt: das will aber gar nichts gegen ſie ſagen: weil ſie hier nur ihre Alten mit den alten Fehlern dulden. Ich war krank, und geh gar nicht in’s The - ater. Dies für Mad. Brede! Grüße doch den Gr. Bentheim recht beſonders von mir, ich denke ſehr oft an ihn mit großer Neigung. Hr. Geheimrath Wolf hat mir Woltmanns Über - ſetzung vom Tacitus gegeben. Das geht zu weit! Ich ſchäme25 mich, daß man dies in unſrer Litteratur finden wird, und wundere mich zum Tod, daß ein Buchhändler es angenommen hat. Neumann ſehe ich nicht mehr. Frau von Fouqué hat mir mit Robert geſchrieben, der fünf Wochen bei ihnen war. Ich werde ihr antworten. Das Briefchen iſt gut, tüchtig, und wahrhaft. Viele Empfehlungen an Hrn. von Noſtitz! Vor - geſtern ſpielte die Longhi. Sie gefiel nicht: das Publikum ſagt, ſie reißt die Harfe. Wenn es Recht hat, nenne ich es das Publikum.

Adieu. R. R.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Allgegenwärt’ger Balſam allheilender Natur. Auch dem menſchlichen Geiſte muß ſo etwas beigegeben ſein; ein ſeliges Vergeſſen, ein nur auf ein Maß Zeit gegebenes Faſſen des Unheils; und auch ich habe ſchon öfters empfunden die Unzu - länglichkeit in mir des Verzweiflens und Unglückaufnehmens. Denn ſo eben wollt ich losſchreien über der Franzoſen Ver - geßlichkeit! Sie machen, ſo lange die Revolution währt, und beſonders die in Frankreich, und in ihren Büchren ſeit der Zeit, als hätte es dergleichen noch gar nicht gegeben. Und was war dieſe Revolution gegen Karls VI Regierung! Chauf - feurs, Septembriſeurs, Verräther, an Bürgern und König, gab’s aus allen Klaſſen; Mord, Mordenlaſſen, falſche Eide, wozu die Religion und ihre erſten Diener in Anſpruch und zu Zeugen genommen waren, war Tagesſitte. Frankreich26 iſt das bewunderungswürdigſte Land! Erſtlich, begreife ich nicht, wo in einer ganzen ſolchen Zeit nur eine Ernte, eine Ausſaat, eine Fabrikation zu Stande kam; und dann, wie in wenigen ruhigen Regierungsjahren ſich eine ſo freundlich feine Sitte bilden konnte, die das Muſter der übrigen Erde wurde. Das ſind wahrlich ächte Menſchen; ſehr bös, ſehr vergeßlich, und leichtſinnig; ſehr religions - und ehrbedürftig, geſchickt und zerſtörend, geiſtreich und roh; und ganz unbe - greiflich. Und ſolche unbegreifliche Unſinne gehen vor! oder iſt das nur der Verfaſſer der Memoiren? Welch entſetzliches Aufheben wird von Johanns von Burgund Ermordung ge - macht, als wenn er ein unſchuldig Täubchen wäre, und der Herzog von Orleans von ſeinem Girren umgefallen wäre? Als Johann den vor, oder hinter, kurz beim Ausgang einer Kirche morden ließ, und es drei Tage nachher ſelbſt ge - ſtand, geſchah nichts; als kriegen, welches immer ſeinen Gang hatte; und als Mörder, Mörder eines königlichen Prinzen, eines Verwandten, war nicht von ihm die Rede. Wiſſen Sie, was ich bemerke, woraus großentheils das Unglück der Zeiten beſteht? Daß eine immer in die andere greift; und nicht die neue in die alte, ſondern die alte noch in die neue. Frank - reichs Unglück, zum Exempel, hätte damals gar nicht ſo wach - ſen können, wären nicht ſo viele feſte Schlöſſer dort, ſo viele kleine Gebiete, ſo verflochtene Herrſchaften vorhanden gewe - ſen; und der Sinn und die Meinung all der Beſitzer davon: daß ſie theils eigenmächtig und wehrſtändig ſind, und theils das Recht haben einen Lehnsherrn nach Belieben zu wählen. Von den Vilains war nur beiläufig die Rede, und das durch27 die frömmſten weiſeſten Leute, deren immer nur wenige ſein können. Was ich hier geſagt habe, heißt nur mit andern Worten: Schade, und Jammer! daß der Geiſt unſerm Aus - üben auf Erden immer vor iſt; welches ſich ewig von neuem zu unſerer Qual und Schmerz wiedererzeugt. Ich kann gar nicht raiſonniren, wie Sie ſehen; weil ich immer bis zum Erd - ball, der Menſchen Geiſt, und dem lieben Gott komme; und dann an dem Berg ſtehe: und ein Raiſonnement ſoll ſchreiten. Aber ich wollte meinem Geſchichtsprofeſſor mich doch auch Ein - mal produziren: und ihm zeigen, daß ich mir Gedanken bei Leſung derſelben mache; welches mir mit Gedächtniß noch ſchwerer gelänge. Nun warte ich auf einen Brief von Ih - nen! bis mir etwas einfällt.

Wer weiß, ob man mich ſo lange allein laſſen wird, bis ich Ihnen ein paar Zeilen werde geſchrieben haben! Sie ſe - hen, Undankbarſter, wann dieſer Brief angefangen iſt. Sie ſind ſtumm, und ſchicken mir auch kein Buch; und nun muß ich mit meinem Leſen warten. Dazwiſchen leſe ich, wenn ſie mich nicht ſtören, ein altes Buch, den Streit von Mendels - ſohn und Jacobi betreffend, den ein gradgeſinnter, vernunft - rechter Menſch darlegt; Mendelsſohn hat Unrecht. Dieſer letztere aber hat, welches dabeigebunden iſt, die Schrift eines engliſchen Juden [Manaſſeh Ben Israel] überſetzt, und eine Vorrede dazu geſchrieben, die meine Bewunderung ausmacht, ſo elegant und beſonnen iſt ſie geſchrieben; auch das Buch könnte, nein, ſollte, den jetzigen Überſetzern ein Muſter abge -28 ben. Des Juden Buch betrifft ſeines Volkes Zuſtand in Eu - ropa, und die Auseinanderſetzung der Gründe an die engliſche Regierung, aus welchen ſie ſie bei ſich aufnehmen ſollte: es iſt im Original engliſch; der Verfaſſer lebte zu Cromwells Zeit in Amſterdam, und bekam die Erlaubniß, nach England hin - über zu gehen. Er ſchreibt einen ſehr ſchönen Brief an einen vornehmen Engländer. (Ich, die unter Friedrich Wilhelm von Preußen lebt, ſchrieb vorgeſtern einen großen original-deut - ſchen Brief an Frau von Fouqué; welches mich abhielt, dem Ritter von der Marwitz, meinem Freunde, zu ſchreiben.) Unter einem Uſurpator, wie man’s nennt, regt ſich die Menſchheit, es ſei unter (entre heißt dies unter ) welchen ſcheuslichen Larven und Geſtalten es wolle, immer; dünkt mich. Könnt ich doch Einmal ganz ausſprechen, wie die Geſchichte vor mei - nem Geiſte liegt. Iſt es nicht Jammer und Schade, daß ich die Geſchichte nicht weiß, wie Sie? Nein! ſo viel, wie bei und an mir, iſt lange nicht verwahrloſt worden! Sind Sie noch zerſtreut, lieber Hamlet? Hamlet, wegen: Zweifle, ob die Wahrheit lüge ꝛc.

Die Menſchen zu einer Höhe zwingen, und haben, wo ſie ſich nicht halten können, iſt wahrlich ſchülerhaft. Aber nichts iſt ſchwerer wieder mit aus der Welt zu nehmen, als der Drang nach Bewunderung, Liebe, Wohlwollen; die Reich - und Weichherzigen übereilen ſich dieſe Schätze auszuſchütten; und nur ſehr wenige, auch mit Maß und großer Stärke, zu jenen Gaben, Begabte, ſind weiſe vor dem großen Defizit. Ich bin es mit und während (!) der größten Einſicht nicht. Da ſteh ich wieder! Feſt hatt ich mir vorgenommen, nicht29 mehr von mir zu ſprechen: wie von einem ausgegangenen Baum: an deſſen Stelle endlich neue Pflanzungen kommen müſſen. Mein Geiſt lebt aber noch: und wie ſoll ſich der an - ders nennen, als: ich? Mit mir ſteht es höchſt elend. Meine innerſte Geſundheit ſcheint erſchüttert; und außer meinen Ge - ſchwiſtern merken’s alle Menſchen an meiner ganzen Haltung und Weiſe; auch ich fühle es, auf alle Weiſe, von der ſtum - pfeſten Eitelloſigkeit, bis zum konvulſiven Schmerz Schrei der Thränen , und in wahrer Verzweiflung bin ich, wenn ich glaube, ich würde nicht wieder geſund, und ſo hingepeitſcht bis in’s taube, ſtumme Grab: ohne Geſundheits gefühl vor - her; jedoch lodert mein Geiſt immer von neuem wieder auf, als ſchüttete man große Behälter voll Schwefel auf eine Flamme; der ſie zu dämpfen ſcheint, und furchtbar nährt. Dies kann ich denn den Freunden nicht, nicht einmal jeder Umgebung, verbergen. Immer noch Einmal überdenke ich das Überdachte, kombinire es zu andern Gegenſtänden des Denkens, und es muß paſſen. Theils bin ich dazu gezwungen; theils geht das in meinem Kopf wie in einem Gebiete vor, wo ich nur das Hinſehen habe; wie große Vegetationen, die ſich die atmoſphäriſchen Kräfte unter einander ſelbſt verleihen, in dem einmaligen zum Leben gezauberten Daſein! Mein unſchuldig - ſter, und auch leidenloſeſter, faſt amüſanter Moment iſt, wenn ich ganz neugierig werde, wie das noch mit mir und allem werden wird.

Ich war auch in der Komödie, wo ich das Opferfeſt habe ſpielen ſehen. Dies iſt doch die größte Marter, die man ſich anthun kann: ſich durch ſchmerzbringende Töne, und Verkehrt -30 heiten, ſtillſitzend, und zur Bewunderung einer Maſſe von Menſchen, die doch alle acht Groſchen haben, beweiſen zu laſ - ſen, wie entfernt unſere Nation von aller Kunſt iſt; durch zehnfach mißverſtandene Ausübung einer, die die meiſten ge - braucht, und, wie jede von ihnen, alle in ſich begreift; einer Kunſt, die den Menſchen ſo natürlich iſt, daß ſie durch eine Schule von verrenkten Ein - und Anſichten erſt aus ihnen muß ausgerottet werden: von welcher Schule wie ſelten gelingt dergleichen! Rebenſtein ein lebendiges Ideal iſt; zur ſicht - baren Glorie des großen Meiſters. Amen! Ich brauche Luft! denn ich ſchöpfte nicht Athem vor Disguſt. Leben Sie wohl! Und ver - dienen Sie ſolche lange Briefe durch eben ſo lange.

R. R.

Aus Alexanders von der Marwitz Erinnerungsblättern.

Rahel erzählte, wie ſie, während des albernſten Geſprächs Anderer, die tiefſten, göttlichſten Gedanken gehabt habe. Nein, Marwitz, ſagte ſie, und es flog mir wie ein Strom, über den lauter ſolche Zweige liegen, broussailles, und die Andern mer - ken ihn gar nicht, weil ſie nur das Grüne ſehn.

Und wir ſprachen wie der Wind, der hoch über die Erde weggeht, und die Erde merkt es gar nicht ſagte ſie ein an - dermal von einem leidenſchaftlichen Geſpräch, daß ſie in Ge - genwart inſipider Menſchen geführt hatte.

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Von der Staĕl ſagte Rahel: die nichts hat, als einen mich inkommodirenden Sturmwind. Es iſt nichts Stilles in ihr.

Ich erinnerte ſie an die Stelle in Schleiermachers Weih - nachtsfeier, wo die Kleine die Muſik findet: ( Ach Muſik, große Muſik, Muſik für mein ganzes Leben! Kinder, ihr ſollt ſingen! ) O Gott, gnädiger Gott! rief ſie ganz lei - denſchaftlich aus, wie kannſt du ſo etwas erlauben von dei - nem geiſtreichen Prieſter! Wir lachten.

Von Schleiermachers Kritik der Ethik: Es iſt wie eine Fabrik von Hämmern, die das Höchſte arbeiten, aber ſelbſt nicht das Höchſte ſind.

Von der Orangerie im Maxiſchen Garten, einem finſtern, inwendig verfallenen ſchmutzigen Loche mit großen trüben Fen - ſtern: Das ſei die Reſidenz des Gottes der Spinnen; da hauſe er, ganz hypochondriſch, von allen Göttern entfernt und mit ihnen verzürnt.

Wir redeten von den unbequemen öſterreichiſchen Wurſt - wagen, und wie lächerlich es an dem alten Ligne ſei, daß er, um den jungen zu ſpielen, darauf herum fahre. Der, ſagte Rahel, ſollte ſich lieber Probe tragen laſſen auf einer Bahre, um zu ſehen, ob ſeine Leiche es auch aushalten und nicht etwa wieder lebendig werden würde. Denſelben, in einer gewiſſen Uniform, nannte ſie den Polizeikönig.

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An Frau von Fouqué, in Nennhauſen.

Eh Sie mir noch geſchrieben haben, hätte ich Ihnen ſchrei - ben können: und bei mir iſt es gewiß, daß wir uns ſehr verſtehen würden; ſich zu verſtehen iſt ja das urgenteſte und menſchlichſte Bedürfniß der Menſchen; woran ſie zwar ſo häufig, aber doch nur durch ein paar Urſachen verhindert werden. Sie wollen entweder aus kleineren Abſichten, in denen ſie ſich verlieren, lügen; oder ſie ſind unverſtändig, und die feinen Spitzen der Sinne, woraus der Sinn beſteht, feh - len ihnen. Sie, liebe Frau von Fouqué, erſcheinen mir wahrhaft und verſtändig; und die innigſte Freundſchaft un - ter uns würde mir weniger auffallen, als ein Stillſtand in unſerer Bekanntſchaft. Dieſe Meinung flößten Sie mir gleich ein, und jedesmal, daß ich Sie ſah, wurde ich darüber ſiche - rer. Um ſo mehr aber möchte ich Ihnen danken für Ihre An - rede, und für die Art derſelben; läßt man nicht oft das Köſt - lichſte, zumeiſt für uns Beſtimmte, aus abgeſtumpftem Muth, endlicher Läſſigkeit, und immer zunehmender äußerer Zer - ſtreuung ſeitab liegen; und greift nach unwerthen Dingen, an die man die Tage und Kräfte in Unmuth und Feigheit, hingiebt! Mein Dank, daß Sie mir geſchrieben haben, muß ſich als Bewunderung äußern, daß es Ihnen möglich war, auf Anforderung eines Andern einen ſo weichen, lieben, na - türlichen Brief zu ſchreiben! Mich dünkt, ich hätte es nicht vermocht. Künftig aber, Liebe, ſchicken Sie mir nie wiedereinen33einen offenen Brief; mir iſt, als entflöge den Zeilen geiſtiger Duft, wenn meine Augen nicht die erſten ſind, die ſie leſen: mein Vorurtheil geht ſo weit, daß ich mir ein Gewiſſen dar - aus mache, einem Freund, wie es doch manchmal kommt, eine Stelle zu zeigen, ehe ich einen Brief zu ſeinem Herrn ſchicke. Glauben Sie es, liebe Frau von Fouqué, ich war ſehr ſaiſirt, bei der Stelle in Ihrem Briefe, die Sie einen Schrei nennen, und noch ehe Sie ſie ſo nannten. Was verſtehen Sie darunter: Ich habe mich unzähligemal verloren? War Ihr Herz veräußert? Oder konnten Sie ſich lange vor Ih - rem innren Gerichte nicht vorfinden? Aber ich finde mich wieder. Das iſt gut, aber macht nicht gut. (Dies der Schrei.) Iſt meine zweite Frage Ihr Fall, ſo glaube ich, das Wiederfinden macht auch gut.

An ſich arbeiten; klar machen, was uns verwirrt und drückt; und wären es die größten Schmerzen, zum größten Bankrutt führend, heißt ja gut ſein: Faſern und Nerven, Wünſche in uns, können wir doch nicht ausſtreichen: und ſoll - ten dieſe allein nicht heilig ſein, nicht mit der Scheu der Frömmigkeit betrachtet, behandelt werden, als andere Werke und Feſtſtellungen der Natur, ja als der tiefe Hang, das große Bedürfniß, recht zu thun, in uns? Ich fühle ganz, daß es nur Ein unerträgliches Übel giebt: wenn man dies Be - dürfniß nicht befriedigt hat, und das Gewiſſen krank iſt. Na - türlich, dies iſt das uns gelaſſene Gebiet; und wir quälten, hätten wir die Mittel, an ſie zu kommen, wie wir ſie bei uns ſelbſt haben, Andere eben ſo, bis wir hätten, was wir vermiſſen, und was uns recht und ſchön in jedem Falle dünkt. II. 334Kann man aber mehr thun, als ſich ändern, reinigen, beſſern? Hat man Macht über geſchehene Dinge? Gäbe man nicht Leben und Glück, um manches wieder herzuſtellen? Gehört das mit zur unreinen That, oder vielmehr, zu dem verwirrten Willen dabei? Antworten Sie mir hierauf, Liebſte! beſonders was Sie unter verloren verſtehn.

Sie dieſen Sommer zu beſuchen, gehört unter die Lieb - linge meiner möglichen Ideale! Freilich könnten wir viel zu - ſammen ſehen, aus uns hervorholen, ſprechen, ſpazirengehen, und ſo gewiß durch einander lernen! Im Freien, von Ge - meinem abgewandt, neben Geſcheidten zu ſein, kann eine Se - ligkeit ſein; und angemeldet hätte ich mich, hätten Sie mich nicht bald eingeladen. Hören Sie aber, ich will es aufrichtig ſagen, was mich abhält. Nichts würde mich abhalten, wäre in Ihrem Dorf ein Wirths - oder anderes Haus, wo ich mich einmiethen könnte. Beſuchte ich Sie nur allein, nur Frau von Fouqué, ſo ginge alles an: aber ſo würde ich mich im - mer als Gaſt der andern Herrſchaften auch fühlen, und mich gewiß gut benehmen, aber den Gedanken nicht verlieren, was haben die von dir, und was ſollen die von dir denken! Ich habe kein Talent, als mein Daſein, und damit können Sie nur zufrieden ſein: bin nichts, und ohne agrément. Dann habe ich keine beſonders jetzt ſchußfeſte Geſundheit; und bin leidend und ganz unbrauchbar, wenn ich gewiſſe Bequemlich - keiten miſſen ſoll, als mein Mädchen, die ich wahrlich zur Gefundheits-Toilette gebrauche: ich bin ferner zu manchen Ta - gesſtunden ganz unfähig, unter Menſchen zu bleiben; wo aber grade die Hausgeſellſchaft vielleicht die Gegenwart ihrer Gäſte35 verlangte. Nun bin ich nicht ſo hinfällig, daß ich nicht trotz dieſen Bedürfniſſen leben und bleiben könnte, aber auf keine angenehme Weiſe für mich: und in einem Vergnügen, in einer Freude, je n’aime pas à pâtir, zu vermiſſen, geſtört zu ſein. Sie verſtehen das Leben; ich füge kein Wort hinzu.

Es iſt mir gewiß lieb, meinen Bruder ſo gut bei Ihnen zu wiſſen: und es gehört mit zu den vorzüglichſten Gütern auf der Welt für ihn, daß er Sie Freundin, und Ihr Haus als ein ihm wohlwollendes ſich nennen kann. Mein innerſtes Herz gönnt es ihm! Und ſo zag ich faſt, ein Wort über ſein Stück zu ſagen, welches von Ihrem großmüthigen Urtheil ſo weit überflügelt wird! Ich kann mit zwei Worten ſagen: Die Behandlung des Stücks entſpricht dem energiſchen Plan, der kräftigen Konzeption deſſelben nicht. Für mich ein das Ganze überſchreiender Mißton; weil er aus der tiefſten Tiefe des Ganzen, ja des ganzen Seins des Dichters, herauf tönt. Die Geſpräche ſind matt für dieſe Situationen: bei nah kein allgemeingültiger Spruch, die Leiden und Leidenſchaft ſo gern, als ewige Sentenzen für die Verhältniſſe ausſtößt, die ſie hemmen, drücken, und eigentlich hervorbringen! u. ſ. w. Was Sie davon rühmen, bleibt doch wahr; aber mit dem, was ihm fehlt, hätte es ein zerreißender Geſang bleiben kön - nen, über einen von der Geſchichte hervorgebrachten Mißſtand, den künftige Zeiten noch immer hätten verſtehen und nach - ſingen müſſen, und wären ſie längſt ſchon in neuen Verwir - rungen befangen. Wie wir noch von Sklaven ſingen, und ganz verſtehen, was das bei alten Völkern hieß, und zu - wege bringen mußte! Dies der Wahrheit zum Opfer;3 *36ungern taſt ich Robert in dieſem Stücke, bei Ihnen an! Über Geiſtesprodukte, Kunſtgegenſtände, iſt es mir unmöglich zu ſprechen, und meine Meinung zu verſtecken; dieſen Ge - ſchöpfen giebt der Urtheilende das Urtheil mit Leben: ſie kön - nen, mein ich, nicht beſtehen, zur Exiſtenz kommen, kann das Urtheil ſie nicht durchlaſſen. So lange Robert weg war, war ich krank, und konnte nicht ſchreiben. Haben Sie die Gnade, dies Hrn. von Fouqué mit vielem Dank von mir, und die liebſten Grüße zu ſagen. Noch bin ich ſchwach, und das Schrei - ben wird mir ſchwer: aus dieſer Urſach muß mir auch Frau von Fouqué verzeihen, daß ich nicht gleich antwortete. Sonſt ſchreib ich wohl gerne, oder vielmehr lange, wenn ich anfange. Wie hier ſteht! Geſtern Abend war den halben Abend von Fouqué’s die Rede bei mir; Mad. Spazier war bei mir, und die frug Roberten auf’s Blut über dieſes Paar aus: ich fiel ihm oft in die Rede, und dozirte mit.

Mit Marwitz ſprech ich ſehr oft von Frau von Fouqué: der iſt eine ſcharfe Acciſe, oder vielmehr eine ſehr großartige, auf einfache Art organiſirte. Lobt und preiſt Sie ſehr, und läßt Sie breit durch: jedesmal für mich eine neue Fete. Ich empfehle mich auf’s beſte dem Fräulein Clara; ich wäre gewiß auf den Ball gekommen, konnte aber kein Billet bekommen, und war ſchon zu krank-ſchwer, um Himmel und Hölle um - zukehren.

Sie antworten mir bald?! les mains jointes!

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An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Sittliche Menſchen, die keine Narren ſind, geſtellt wie wir (das bischen Modifikation rechne ich nicht), werden rein vom Tod berührt. Ich habe mich längſt gewundert, keinen ſolchen Brief von Ihnen zu erhalten; die Gründe dieſes Wun - ders und meiner Behauptung, ſind zu oft, zu lange darge - legt in allen meinen Briefen an Sie! Grau in Grau. Dies ſind meine Worte ſchon vor Jahren an Varnhagen. So ſollen die friſcheſten, bibliſchten, ich meine frömmſten, le - bendigſten, Gemüther ausdauren müſſen? Mir mir iſt es nur noch ſchrecklicher! Sie wiſſen, wo ich mit meinem Verge - hen, meinem Verzweiflen hielt: nun hat gränzenloſe Angſt, und Sorge den Fuß auf mich geſetzt. Angſt vor Exceſſen von denen welche, einige, vorfallen; und Sorge, wie ich es nur beſtreiten ſoll. Dieſe beiden niedrigſten Affekte, oder was es ſonſt iſt, ſteht meine Seele, wie ſie iſt, lebendig nicht aus; ſie ſchrollt in Unthätigkeit zurück, und dies nur fühl ich. Die edlern Klagen, das gerechte Vermiſſen, ſchweigen; und wenn ich auch jetzt für Ruhe, Glück und Seligkeit dem Himmel verpfände, ſo weiß ich von allem doch wie es iſt. Wie mir iſt, iſt keinem Gefangenen, und keinem König im übelſten Zuſtand; entwickelt, dies nur mündlich! Ich habe einen Kom - miſſair und einen Bedienten als Einquartierung; der Herr aber durch das größte Ungefähr wohnt wo anders! Reines Glück, welches ſich in jeder Viertelſtunde ändern kann. 38Ich ſehe niemand, gehe nicht aus: und fürchte mich unver - nünftig. Sie haben mir vortrefflich geſchrieben: und das Ge - fühl darüber wend ich dazu an, daß es mir wenigſtens die Kraft geben ſoll einen Brief zu ſchreiben, wenn auch nicht zu antworten. Ja mein theurer Mitmenſch! mehr noch als zufälliger Freund Sie drücken es aus, wie man über Gott nicht ſprechen kann. Wenn der Begriff eines ſolchen Daſeins nicht die Gränze des unſrigen iſt, was iſt er denn! Eine gränzenloſe Unterwerfung muß es ſein jedesmal, von etwas Unendlichem erzeugt, was in uns vorgeht, was wir auffaſ - ſen! Schneidende Meſſer ſind es mir, wenn ſie ſo dreiſt weg von Gott ſprechen, wie von einem Amtsrath; und grade den Stummen, Übererfüllten, von ihm (ihm!) abwendig glau - ben. Dieſe Empfindungen machen mir auch jetzt wieder in der Bibel alle Reden und Geſetze in der Wüſte. Ich werde mei - ner Nation ganz abgewandt; wenn ich auch Moſes die Ge - rechtigkeit muß widerfahren laſſen, daß er’s mit ſechsmalhun - derttauſend Jungvolk nöthig hatte. Gräßlich geſchrieben und vorgetragen iſt es gewiß. Nur bis nach Joſephs Geſchichte iſt es ſchön; ſo weit ich bin.

Ich brachte dieſe Woche Schl. einen Theil von Heinrich Kleiſts Erzählungen wieder, und wollte von ihm ein Buch, und griff Spinoza. Ich leſe ihn. Den habe ich mir zeitle - bens anders gedacht. Ich verſtehe ihn ſehr gut. Fichte iſt viel ſchwerer. Es iſt ſonderbar; mir kommt immer vor, als ſagten alle Philoſophen daſſelbe; wenn ſie nicht ſeicht ſind. Sie machen ſich andere Terminologieen, die man ehrlich, gleich annehmen kann; und den Unterſchied find ich nur darin, daß39 ſich ein jeder bei einem andern Nichtwiſſen beruhigt; entweder aus einem ſolchen ſeine Deduktion anfängt, oder ſie dahin - führt, oder, weniger ſtreng, es mit drunter laufen läßt. Spi - noza gefällt mir ſehr; er denkt ſehr ehrlich, und kommt bis zum tiefſten Abſoluteſten und drückt es aus; und hat den ſchönen Karakter des Denkers; unperſönlich, mild, ſtill; in der Tiefe beſchäftigt, und davon geſchickt. Von den Gemüths - bewegungen ennuyirt mich; weil das Wichtige im vom Geiſte ſchon vorkommt, und wie ſich’s weiter fortbewegt mir und uns Allen genug bekannt iſt; den abſtrakten, einſamen Mann aber unterhielt, wie es ſcheint. So viel ich von Spi - noza! Ich lieb ihn aber ſehr, den Mann. Wiſſen Sie, was Fauſt Gretchen antwortet, als ſie ihn frägt: Glaubſt du an Gott? Das ſchönſte Gebet! Welch ſchöne Gebete ſtrömten ſchon durch eine Seele, die dies antwortet; wie wälzte da der Geiſt ſchon Gedanken empor! Über ch haben Sie Recht. Ich bin es überzeugt; Sie haben ihn göttlich beſchrieben; wie unſchuldig, wie ehrlich, und wie wirklich geſehen: das erfindet man noch ſchwerer, als man’s ſieht. Das Abſpeiſen, neumo - diſcher Art, mit dem Glaubensweſen, iſt meiner tiefſten Seele zuwider. Einzeln ſteht dieſer Behelf: auf keinem Grund und Boden erwachſen; nicht auf Güte, nicht auf keuſchem Auffaſſen der Geſchichte, nicht auf Enthuſiasmus des göttlich - ſten Exempels, nicht auf kinderhaftem Glauben an das, was Eltern und Lehrer meinen und lehren; auf ſchlechte Weiſe, wie Theater und Galerien beſucht werden, hauſen ſie und dis - putiren, und verſchanzen ſie ſich gegen les ennuis (den gro - ßen Verdruß ) in’s neuerfundene Glaubensweſen hinein und40 herum! Und kaum paßt dies zur Wahrheit, die Sie mir von ch loben; und die ich glaube. Sie lieb ich doppelt wegen Ihrem Brief, und Ihren Gebeten darin. Es giebt nichts anders! Wer nicht in der Welt wie in einem Tempel um - hergeht, der wird in ihr keinen finden.

Ich kann Ihnen nichts ſchreiben, als: tröſten Sie mich! Machen Sie mir Hoffnung zu Sommer, zu Luft, zu Grünem! Zu anderm, als ich ſehe, was mich ganz erdrückt. Leben Sie wohl! Varnhagen hat mir wieder einen Liebesbrief geſchrieben, mit einer Einlage von Hrn. von No - ſtitz an mich; recht artig in jeder Art. Antworten konnt ich dem aus Unſeligkeit nicht. Varnhagen nur wenig, damit er nicht denkt, ich ſei böſe. Was ihm Graf Golz geantwortet hat, weiß ich nicht, da Neumann ſeit zehn Tagen bei Fouqué iſt, und erſt morgen wiederkommen ſoll. Ich wünſche Sie wohl zu ſehen! aber nicht zum Zeugen meiner Angſt. Kom - men Sie! Adieu! Ach! wär ich auf einem ſchönen, ruhigen Berg, und ſähe glückliche Familien!

Adieu! R. R.

Schl. fragte mich gleich höchſt freundlich nach Ihnen; pour me plaire, glaub ich.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Vorgeſtern Abend, lieber Marwitz, erhielt ich ein Schrei - ben von Hrn. von Klewiz, worin mir geſagt wurde, ich würde nach dem Drang der Umſtände (?) geſchont werden, und41 ſollte künftig nur einen employés oder Offizier zur Einquar - tierung haben. Von Hrn. Br. iſt weiter nichts erfolgt, dies halte ich aber für eine Folge. Dies endlich danke ich Ihnen! Ich war ſo ganz durchdrungen, wie Sie es nur ſein können, von dem Opfer, welches Sie mir durch die Ihrem Sein ganz unangemeſſenen und widerſprechenden Schritte auf dem Bureau brachten. Aber ich habe es gefordert, und ließ es mir bringen; weil Sie anders in meiner Seele ſtehen ſollen, als all die, die ich wie Weihnachtspuppen in meinem Geiſte anſehe, denen nur ich, und ſie mir nie leiſten. Jetzt iſt auch eine Zukunft: und ich will nicht mit allen Verſprechungen und Erfüllungen bis über das Grab hinausgeſchoben ſein! Ich leiſte was ich vermag auch gleich, und ſtets: und meine Liebe und Achtung iſt eine fruchtbringende; ſo ſollen meine Freunde auch ſein. Sie ſind ſo gut wie ich: oder keine. Zu lange bin ich ver - ächtlich ſchonend mit Schund umgegangen: mit wem ich ſo rede, wie mit Ihnen, der muß ſein können, wie ich. Es ward mir ſo ſchwer als Ihnen, Sie dahingehen zu laſſen dies glauben Sie! aber lieber war mir alles, als auch Sie in mir anzuklagen, und fahren zu laſſen! Sie werden nicht fin - den, daß ich von einer Kleinigkeit eine zu große Wichtigkeit mache: es iſt keine Kleinigkeit, was uns plagen kann: und es iſt keine Kleinigkeit, ob der, den wir als Freund behandlen, uns von dieſer Plage rettet, wenn er kann, oder nicht. Des Lebens Baum iſt friſch und grün, und will manchmal mit der Scheere beſchnitten, mit Thätigkeit behandelt, mit dem Meſſer geputzt ſein. Apropos! der Mahler Müller hat mir göttliche Augenblicke erweckt, herbe häufige Thränen gekoſtet. 42Ich errieth, daß er aus einer ſchönen lieben Gegend iſt: und ſo war es auch. Er iſt aus Kreuznach, und hat eine Ode an dieſen Ort in Proſa gerichtet, die mich wie eine Fontaine hat weinen machen. Der liebt ſein Vaterland. Weil er ſieht, weil er ſeine Mutter, ſeine Schweſtern liebt.

Ich bin geſtört durch Nettchen. Vorgeſtern war Götter - wetter: ich ging am Schiffbauerdamm und Weidendamm, kurz an allen großen Plätzen der Stadt umher, und dachte an Sie. Geſtern war ich im Thiergarten, und wollte Ihnen Kaprifo - lium pflücken und mitſchicken, und nachher vergaß ich’s doch. Adieu. Leſen Sie alles von Müller, und kommen Sie bald. Gehen Sie viel? Ich denke immer an Wetter, Wolken, Wald, Luft; und bete darum.

An Mariane Meyer, in Dyhrufurt.

Meine liebe Kouſine! Mittwoch erhielt ich Ihren Brief aus Dyhrnfurt; und nur heute geht erſt eine Poſt dahin; Sie ſehen alſo, daß ich Ihren Wunſch eine ſchriftliche Nach - richt von mir zu haben, verſtehe wie Sie ihn hegen, und mich gleich anſchicke, und freue, daß ich den wenigſtens befriedigen kann. Von Ihnen, liebe Mariane, habe ich erſt erfahren müſſen, daß Ihre Schweſter nicht mehr lebt: ich habe ſie nur wenig gekannt; es betrübt mich aber für Sie recht ſehr, und iſt mir auch traurig, daß Freunde, Verwandte und Bekannte um mich her hinſterben: welches ſeit einigen Jahren mir zu43 häufig geſchieht! Den Verluſt meiner Mutter fühle ich alle Tage herber, anſtatt daß dies Andenken ſich mildern ſollte. Man wird mit dem Alter nur geſchickter, mit dem Alter ſich zu verbinden; es glimpflich zu behandlen, es einzuſehen, was es vermißt, was man ihm leiſten ſollte, und was es ausge - ſtanden hat! Manchmal denke ich, meine Sehnſucht nach meiner Mutter, und die Reue ihr nicht mehr gedient zu ha - ben, das Vermiſſen ihrer, bei dem von andern wünſchenswer - then Dingen, iſt eine gerechte, verdiente Strafe, für die doch zu große Zerſtreuung über mein Verhältniß zu ihr! ob - gleich ich mir keine beſtimmten Fehler gegen ſie habe zu Schul - den kommen laſſen. Reue, Schmerz, Gram, Vermiſſen, alles muß dazu dienen, uns frömmer, ſtiller, und nachdenklicher über alle Dinge des Lebens und der Welt zu machen; bei mir iſt es wenigſtens der Fall; daß, ſeitdem ich gar keine Hoff - nungen mehr für die Schönheiten des Lebens, und das Theuerſte verloren, und habe hingeben müſſen, ich nicht ſo ſtechendes Unglück, als ſonſt fühle, und ruhiger die ſchönen Gegenſtände der Natur anſehe und in mir aufnehmen kann. Ich erzähle Ihnen das, liebe Kouſine, weil auch Sie hart mit dem Glück zu kämpfen haben; und dieſe Betrachtung, und mein Exem - pel, Sie vielleicht ehr auf den Weg, den mein Geiſt genom - men hat, führen kann! Denken Sie feſt an Gott, Liebe! den man in großem Unglück findet; ich weiß es! und daß wir nichts ſelbſt machen, und veranſtalten können; wie wun - derbar unſer ganzes Daſein, und unſer Tod iſt; daß die Höch - ſten auf der Erde allem unter worfen ſind, was uns und den Geringſten martert. Daß Sonne, Luft, Freiheit; Erquik -44 kung an allem Guten und Schönen, uns doch bleibt, ſelbſt in der Lage, worin wir nun Einmal ſind. Ich wenigſtens war ſchon ſo höchſt unglücklich, durch Leidenſchaft, Umſtände, Men - ſchen, Kränkung, Sorge; ſo höchſt elend durch ſchwere lange Krankheiten, daß ich gelernt habe in jedem Unfall gleich das ganze Leben zu beſchauen, und aufzugeben. Sie haben ge - wiß in Ihren Leiden oft gedacht, o! wie glücklich iſt Rahel und deren Geſchwiſter gegen mich! und o! Gott! wie tief elend war ich wohl grade dann! und auch jetzt; was ich ge - wünſcht, gehofft, nach dem ich ſchon Unglück genug das Leben hindurch ringen mußte, dem muß ich entſagen; das iſt mir verſagt, für ewig! Jetzt lebe ich allein; eingezogen, ohne Geſellſchaft beinah; weil ich ſie nicht bewirthen kann, und mich nach meinen Decken ſehr ſtrecken muß! Ich bin in einer weitläufigen großen Stadt, und kann nicht einmal ſpa - ziren gehen, weil ich es allein, wollt ich auch ſo weit gehen, nicht kann, und beinah nie Geſellſchaft dazu habe: und ſie auch beinah vermeide, weil dies koſtſpielig iſt, wenn man nicht auf dem Lande lebt: zu einer Sommerwohnung habe ich kein Geld! Dies iſt meine größte Beraubung! Ich liebe das Freie gränzenlos; dies iſt jetzt meine Leidenſchaft. Ich bin einge - geſperrt. Dabei hatte ich ſchwere Sorge, Angſt und Koſten, mit Einquartierung, und habe ſie noch. Meine jüngern Brü - der ſind verreiſt, mein älteſter wohnt mit den Seinen im Thier - garten, wo ich wegen Mangel an Begleitung höchſt ſelten hinkomme. In die Komödie geh ich manchmal in neun Mo - naten nicht; aus obenbenannten Urſachen, und weil ſie mir nicht mehr ſo gefällt als ſonſt. Dieſen Winter war ich ſechs45 Wochen recht krank, dieſen Sommer vor zwei Jahren jetzt zwei Jahr drei Monat auf den Tod; vielerlei Übel, be - ſonders vier Wochen einen heftigen Bruſtkrampf. Jetzt bin ich recht geſund, und äußerſt vergnügt davon und darüber; und wenn ich mit meinem Mädchen unter freiem Himmel ſpa - ziren gehe welches ich mich in der Stadt unterſtehe oder ſpät an meinem Fenſter ohne Licht den Himmel beſchaue, oft glücklich: glücklich in dem Gedanken, daß ich das in Ge - ſundheit habe, und mich doch Keiner quält; oder ſtören darf; da denk ich denn an allerhand! Ich ſchreibe Ihnen dies alles, damit Sie ein Bild meines Lebens haben; und ein Exempel, welches Sie ſonſt vielleicht beneidet nämlich meine Lage zur Ruhe führen möge: ich kenne Elend, und Un - glück! darin hat man ſie nicht, aber ſehr nöthig! Wenn Sie mir wieder ſchreiben, laſſen Sie mich auch wiſſen, wie Sie leben, wohnen, und ſind; ob Sie ein Kind bei ſich ha - ben; womit Sie ſich beſchäftigen, ob Sie viel im Freien ſind, dem Felde nah; ob Sie angenehme ordentliche Bekanntſchaf - ten im Orte haben. Ich leſe viel; und habe liebe edle Freunde; viele ſind todt; und die meiſten abweſend. Nur Einer lebt in Potsdam, den ich dann und wann ſehe. Die Muſik habe ich wegen Krankheiten ſehr vernachläſſiigen müſ - ſen; und weil ich nur ein Klavier, und kein Fortepiano habe! doch kann ich noch ſpielen. Ich ſehe nicht kränklich aus: ſon - dern belebt und friſch. Die Natur hatte es gut mit mir im Sinn. Das Glück aber nahm es ihr übel; ſo wurde ich ge - drängt in der Welt, und überlebte meinen Untergang. Ich wohne neben meinem älteſten Bruder an, und ſehe die viel. 46 Schreiben Sie mir auch von den Kindern Ihrer Schweſter; wir bekommen von Magdeburg keine Nachricht. Glauben Sie nicht, liebe Kouſine, daß wenn ich etwas für Sie hätte, ich mich erſt würde anreden laſſen um es Ihnen zu ſchicken. Aber Sie haben doch Recht, mich angeſprochen zu haben, und ich danke Ihnen aus Herzensgrunde für Ihr ſchönes Zutrauen! Weil ich mir in Jahren kein Zeug machen laſſe, ſo habe ich auch im Augenblick nichts, was ich Ihnen ſchicken kann: auch keine Mittel, daß Sie ſich etwas anſchaffen könnten. Aber es ſchadet doch nichts! ich will ſchon ſorgen und allerlei An - ſtalt treffen, daß Sie nächſtens etwas erhalten! Leben Sie wohl, ſchreiben Sie mir, wann die Luſt Ihnen ankommt: und verlaſſen Sie ſich wenigſtens auf meine Geſinnung, wenn mir auch die Mittel fehlen, ſie Ihnen thätlich zu bezeigen! Ihre treue Kouſine Rahel. Meine Addreſſe iſt: Mlle. Rahel Ro - bert, Behrenſtraße No. 48. Weiter nichts.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Um fünf Uhr, lieber Freund, erhielt ich Ihren Brief von Sonnabend. Ich zog mich grade an; lief gleich nach der Stadt wo ich bis jetzt bleiben mußte übermorgen ſoll ich Beſcheid haben: da nichts gleich geht, und immer einige Bedingungen obwalten. Gott! was habe ich heute ſchon für Menſchen geſprochen, für Verhältniſſe berührt, für drük - kendes, klemmendes, darbendes Unglück nahe geſehn! Was47 erſpähe, was erfrage ich auch alles, wie iſt die Welt! Welche Schickſale. Welche ſtille, ungerühmte Größe, Religion im höchſten Sinn, lebt in Weibern, die ich in grasbewachſenen, vergeſſenen Höfen fand. Wie iſt alles anders, als es von den berühmteſt Klügſten ausgeſchrieen, gedruckt, geleſen und geglaubt wird!!! Gott weiß nur die Bewandtniſſe, die inneren Herzensbeweggründe; und manche von ihm herabgelaſſene, wahrhafte, unbetrügliche, einfache gute Menſchen. Mich hat er auch dazu erwählt. Der furchtbringendſte Frevel wär es, wenn es nicht wahr wäre, und ich es ſagte. Aber alle Tage werde ich frömmer und innerlicher; und reinige mich mehr. Und was ſah ich für Wolkenſpiele! Wie find ich durch ein Wunder Gottes, einen neuen Sinn, neue Sinne möchte ich ſagen, das Feld in der leibhaftigen Stadt?! Wie ſah ſie jetzt eben erſt aus! Ich komme von der Spandauerſtraße über die lange Brücke durch das Schloß über den Opernplatz. So klingts nach nichts; wie war’s aber, wie ſah’s aus? Wie war ich? Was hatte ich beſorgt? Welche Herzensbewegungen gehabt? In welchen Stimmungen bin ich mitten in Ber - lin, in der Stadt, in der gleichgültigen Frevelſtadt, wie jede iſt. Wie dankbar, wie hoffnungsreich für’s innere Leben, und alle Exiſtenz dadurch: dabei las ich Athalie und Eſther von Racine; mit ganz anderem Sinn, mit der größten Er - hebung! O! könnte man ſeine Seele ſeinen Freunden zum Genuß und Gebrauch ſchicken! Könnt ich Sie froh machen! Manche ungewohnte Angſt und Sorge, ich weiß es, ſchleicht um Ihr Herz. Ach! daß ein jeder ſeines leiden muß; und Liebe, die ſo viel iſt, und hilft, ſo wenig helfen kann! Adieu! 48Donnerstag reiſt Minna; welch Schickſal hat die! Ich er - warte ſie, ſie will ſich bei mir ausruhen, und etwas eſſen. Adieu! Wir werden noch Freude haben, wenn nicht großes Unglück kommt.

Jung-Stillings Leben hat mich durchaus an Retif’s de la Bretonne Leben erinnert. Beide ſind geiſtvoll genug, um daß ihnen ihre eigene Wolluſt ein nothwendig zu löſendes Problem ward. Auf Retif’s Seele waren die überſtarken Sinne, und eine ſolche ſaftvolle Geſundheit wie Saiten aufge - zogen; und durch dieſer Schwingungen Getön vermochte ſein Geiſt erſt Rechenſchaft zu fordern, und abzulegen; woran ihn eine große Gabe ſittlicher Anlagen mahnte: darum ſprechen wir von ihm, und darum mußte er ſchreiben. Die Wollüſtig - keit Stillings iſt ſchwächlicherer Art; und vergeht wie man verlaufen ſagt ſich mehr, weil ſie in ein einfach reiner Ge - biet übergreift, wo ſie gar nicht anzutreffen ſein ſoll. Er thut ſich gut mit Religion, und iſt mit Wolluſt fromm. Er hat aber den Vorzug vor Retif, daß in dem Gebiete der Forſchun - gen über dieſes Lebens und unſeres Geiſtes Gränzen er mit Einfällen begabt iſt; die er zu durchdenken wohl vermag. Das iſt ſeine gehaltvolle, denkende, anreizende Seite; auch bleibt er auf dieſer ehrlich, welches die größre Hälfte ſeines Lebens verdient ſehr anziehend zu machen, wie ſie es auch thut. Mehr zu Ende hat er zu viel Wohlgefallen und Gewohnheit genom - men an der Mittheilung der wichtigſten und heiligſten ſeiner innren Begegniſſe; er denkt nur an Mittheilen, an die Wir -kung49kung davon; und da er dies nicht deutlich weiß noch ausdrückt, ſondern ſeine früheren Zuſtände auszudrücken glaubt, ſo ſcheint er unwahr zu werden, da wo er ſich zu irren anfängt: inter - eſſirt aber in der That nicht mehr ſo ſehr, als im Anfang, und der Art nach ganz und gar nicht mehr.

Nün will ich meine fünf Träume aufſchreiben, in der Folge, wie ſie mir träumten. Vor zehn Jahren hörte ich auf, den erſten zu träumen, der mir wohl ſechs Jahre bald öfter bald ſeltener träumte. Ich befand mich immer in einem vor - nehmen bewohnten Palaſt, vor deſſen Fenſtern gleich ein groß - artiger Garten begann; eine mäßige Terraſſe vor dem Ge - bäude, und dann gleich große Linden und Kaſtanienbäume auf einem beinah unregelmäßigen Platze, der zu Gängen, Teichen, Laubgängen und dem Gewöhnlichen in ſolchen Gär - ten führte. Die Zimmer des Gebäudes waren immer erhellt, offen, und die Bewegung einer großen Aufwartung darin; ſo ſah ich immer eine ganze Reihe geöffnet vor mir da; in deren letztem eigentlich die Geſellſchaft der vornehmſten Per - ſonen war, wovon ich jedoch keinen Einzelnen mir denken konnte, obgleich ich ſie alle kannte, zu ihnen gehörte, und zu ihnen hin ſollte. Dies aber, ungeachtet die Thüren offen waren, und ich wohl ihre Rücken, an einem großen Spiel - tiſche wie eine Bank ſah, konnte nie geſchehen. Mich hinderte ein Unvermögen, eine Lähmung, die in der Luft der Zimmer und in der Erhellung zu liegen ſchien; ich dachte mir dieſe Hemmung nie im Ganzen, und glaubte nur jedesmal vonII. 450andern Zufälligkeiten gehindert zu ſein; und gedachte auch jedesmal zu meiner Geſellſchaft zu kommen. Jedesmal aber, wenn ich noch ſechs bis acht Zimmer von ihr entfernt war, ſtellte ſich ein Thier in dem Zimmer ein, wo ich war, welchem ich keinen Namen geben konnte, weil ſeines Gleichen nicht in der Welt war; von der Größe eines dünneren Schafes, als Schafe gewöhnlich ſind; rein und weiß wie unbetaſteter Schnee; halb Schaf, halb Ziege, mit einer Art von Angola - Haaren; bei der Schnauze röthlich wie der reinlichſte, rei - zendſte Marmor, Aurorfarbe, die Pfoten eben ſo. Dieſes Thier war mein Bekannter; ich wußte nicht, woher: es liebte mich unendlich; und wußte es mir zu ſagen, und zu zeigen: ich mußte es behandeln wie einen Menſchen. Es drückte mir mit ſeinen Pfoten die Hände, und das ging mir jedesmal bis in’s Herz; es ſah mich ſo voll Liebe an, wie ich mich nicht erinnere eine größere in eines Menſchen Auge geſehen zu haben; am gewöhnlichſten nahm es mich bei der Hand, und da ich immer zur Geſellſchaft wollte, ſo durchſchritten wir die Zimmer, ohne jemals hinzukommen; das Thier ſuchte mich zärtlich, und als hätte es wichtige Urſachen, davon abzuhal - ten; weil ich aber hinwollte, ſo ging es in Liebe gezwungen immer mit. Nicht ſelten auf die ſonderbarſte Weiſe; die Pfoten nämlich bis zum zweiten Gelenk unter den Dielen; durch die ich auch nach einer andern Etage hinunter ſehen konnte, und die doch feſt waren; manchmal ging auch ich ſo mit dem Thiere; bald im Erdgeſchoß, bald eine Treppe hoch, meiſt unten. Die Bedienten merkten gar nicht auf uns, obgleich ſie uns ſahen; ich nannte dieſen liebenden Liebling mein Thier;51 und wenn ich eher da war, ſo fragte ich nach ihm: denn es übte auch auf mich eine große Gewalt aus, und ich erinnere mich nicht in meinem ganzen Leben wachend eine ſo den Sinnen nach ſtarke Empfindung gefühlt zu haben, als mir der bloße Händedruck dieſes Thieres machte. Dies aber war es nicht allein, was meine Anhänglichkeit ausmachte; ſondern ein herzüberſtrömendes Mitleid; und daß ich ganz allein wußte, daß das Thier leiben, ſprechen konnte, und eine menſch - liche Seele hatte. Beſonders aber hielt mich noch etwas Ge - heimes: welches zum Theil auch darin beſtand, daß keiner mein Thier ſah oder beachtete, als ich; daß es ſich an keinen wandte; daß es ein tiefes vielbedeutendes Geheimniß zu ver - ſchweigen ſchien, und daß ich nicht ungefähr wußte, wo es war und hinging, wenn ich es nicht ſah. Doch befremdeten und beunruhigten mich dieſe Dinge alle nicht Einmal bis zur Frage an mich ſelbſt; und im Ganzen feſſelte mich des Thie - res Liebe, und ſein anſcheinendes Leiden davon, und daß ich es durch meine bloße Gegenwart ſo überirdiſch glücklich machte, welches es mir immer zu zeigen wußte. Manchmal nur, wenn es mich ſo bei der Hand führte, und ich ſie ihm innig zärtlich wiederdrückte und wir uns in die Augen ſahen, ſo erſchreckte mich der Gedanke plötzlich: Wie kannſt du einem Thiere ſolche Liebkoſungen erzeigen: es iſt ja ein Thier! Es blieb aber beim Alten; dieſe Auftritte wiederholten ſich mit kleinen Abwechſelungen immer wieder: nämlich immer in neuen Träumen: in demſelben Lokal. Es kam aber, daß ich lange dieſen Traum nicht gehabt hatte; und als er mir das erſtemal wieder träumte, ſo war alles da, das Schloß, die4 *52Zimmer, die Bedienten, der Garten, die Geſellſchaft; ich wollte auch wieder hin; nur war etwas mehr Bewegung, und eine Art Unruh in den Zimmern, ohne ſonſtige Störung noch Un - ordnung; ich ſah mein Thier auch nicht; welches, wie mich dünkte, mir ſchon ſehr oft gefehlt hatte, eine lange Zeit her; ohne mich beſonders zu kränken noch zu befremden, obgleich ich mit den Dienern des Hauſes davon geſprochen hatte. Weil die unruhige Bewegung mich noch mehr ſtörte, als die ge - wöhnliche Gewalt, die mich vom letzten Zimmer abhielt, ſo trat ich de plain pied aus großen Glasfenſtern auf die Ter - raſſe, die ſich bald in den Platz mit Bäumen ohne weitere Gränze verlor; dort waren zwiſchen den alten Bäumen hin und her helle Laternen auf großen Pfählen angezündet; ich betrachtete müßig die erleuchteten Fenſter des Schloſſes, und das prächtig beſchienene große Laub der Bäume: die Diener liefen häufiger und mehr als ſonſt hin und wieder; ſie beach - teten mich nicht, ich ſie nicht. Mit einemmale ſehe ich dicht an einem großen Baumſtamm, halb auf ſeiner ſtarken Wur - zel, mein Thier zuſammengekrümmt, mit verſtecktem Kopf, auf dem Bauch ſchlafend liegen: es war ganz ſchwarz mit bor - ſtigem Haar: Mein Thier! ſchrei ich, mein Thier iſt wieder da; zu den Bedienten, die mit Geräthen in den Händen und Servietten über den Schultern, in ihren Gängen bloß ge - hemmt, aber nicht ganz nahe tretend, ſtehen bleiben. Es ſchläft, ſag ich; und tippe es mit der Fußſpitze an, um es ein wenig zu rütteln: in demſelben Augenblick ſchlägt es aber über ſich um, fällt auseinander, und liegt platt da als Fell; die rauche Seite auf der Erde, trocken und rein. Es iſt ein53 Fell, es war alſo todt! rufe ich. Der Traum ſchwindet; und nie hab ich wieder von dem ſchwarzen noch dem weißen Thier geträumt.

In meinem dritten Traum befand ich mich auf einem äußerſten Bollwerke einer ſehr anſehnlichen Feſtung, welches ſich in breiter, flacher, ſandiger Ebne weit von dem Orte ab hinausſtreckte. Es war heller lichter Mittag; und das Wetter an dieſem Tage einer von den zu hellen Sonnenſcheinen, die eine Art von Verzweiflen hervorbringen, weil ſie nichts Er - quickliches haben, durch keine nahrhafte Luft dringen, oder auf Gegenſtände fallen, die auch beruhigenden, ergrünten Schatten werfen könnten. Dieſes Wetter wirkte um ſo mehr, als die ganze Gegend aus dürrer, vegetationsloſer, ſandſteiniger Erde, die ſich in wirklichem Sande verlief, beſtand; holperig und uneben; wie Orte ausſehen, wo man Sand gräbt. Dieſer zu helle und alles zu hell machende Sonnenſchein reizte mir Augen und Nerven nur zu ſehr auf; und ängſtigte mich ſchon auf eine eigne Weiſe. Man ſah auf der unſeligen Fläche nichts; und der Eindruck davon war, als ob die Sonne zor - nig durcheilte, dieſen nichtswürdigen Ort nicht gar umgehen zu können! So ſtand ich dicht mit der Bruſt am Rande dieſer alten Schanze denn ſie war beſchädigt, wie vieles umher von einem ganzen Volke hinter mir gedrängt; dieſe Menſchen waren alle wie Athenienſer angezogen, F. ſtand neben mir, mit bloßem Haupte, wie ſie gekleidet, aber in roſenfarbenem Taffent; ohne im geringſten lächerlich auszu - ſehen. Ich ſollte von dieſer Schanze, die die letzte der ganzen Feſtung war, hinunter geworfen werden; tief hinab; unter54 Steine, kalkige Sandgruben, und ganz verfallene Feſtungs - ſtücke und Schutt. Das Volk verlangte es; und ſchrie zu F., der ihr König war, er möchte Ja ſagen! Er ſtand grauſam verbiſſen da, und ſah nach der Tiefe: man ſchrie ſtärker und heftiger, und forderte ſein Ja; immer dichter an mir; ſie faßten, mit den Augen auf F., an meine Kleider; ich ſuchte ihm in die Augen zu ſehen, und ſchrie immer: Du wirſt doch nicht Ja ſagen? Er ſtand unbeweglich verlegen da; verlegen gegen das Volk, noch nicht Ja geſagt zu haben. Du wirſt doch nicht Ja ſagen? ſchrie ich wieder; das Volk ſchrie auch: und er. Ja! ſagte er. Man ergriff mich, ſtürzte mich über den Wall; von Stein fiel ich zu Stein, und als ich nach der letzten Tiefe kommen ſollte, erwachte ich.

Und wußte in tiefſter Seele wohl, wie F. gegen mich war. Auch machte mir der Traum ganz den Eindruck, als ob die Geſchichte wahr geweſen wäre: ich war ſtill; aber ich hatte mich nicht geirrt.

Fünfter Traum. Dieſen ſchrieb ich Marwitz gleich den Morgen nachher, als er mir geträumt hatte, weil ich ihn nicht vergeſſen wollte, und er mich ſehr affizirt hatte.

Ich glaube, ich werde wohl eingewilligt haben, dieſen Jammerweg des Lebens zu gehn, und als Menſch menſchliche Geſchicke zu erfahren; oder es mag ein Höherer, mit tieferer Einſicht, weil er es für mich als gut erkannte, dieſe Einwilli - gung für mich gegeben haben; genug, die Einwilligung denke ich mir immer, und dieſer Gedanke nur kann mich tröſten für55 allen erlittenen, ſonſt unvergeltbaren, Schmerz. Vielleicht war es nur ſo möglich, die Perſönlichkeit zu gewinnen, und den Keim künftiger Erhebungen in gedeihlichern Exiſtenzen; wenn es auch nur das wäre, was die unſelige Menſchheit bedeuten ſoll, daß der bewußtloſe im Ganzen der Gottheit aufgelöſet geweſene Lichtpunkt als Menſchenſeele in das ſelbſt - ſtändige Daſein eines eigenen Ganzen göttlich hinüberginge! O gewiß iſt es auf dieſe Weiſe; höher konnten meine Gedan - ken nicht klimmen am Rande aller Wiſſenſchaft, und keine Weisheit wurde mir bekannt, die höher gedrungen ſei.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Hätte ich vorgeſtern Zeit gehabt, Ihnen zu antworten, ſo hätten Sie einen ſehr guten Brief bekommen; ich hatte ihn ſchon fertig im Kopfe. Jetzt eben hat man mir wieder die Stimmung und Faſſung geraubt, als ich Ihren Brief noch Einmal las, das Papier auf dem Tiſch lag, und ich grad hinging. Mir kam ein Billet von Behrenhorſt, ein Brief von Mad. Spazier aus Strelitz, ein Billet von einem unglückli - chen jungen Menſchen. Auf das erſte mußte ich antworten, den Brief konnt ich vor Kleinheit nicht ausleſen, das letzte nimmt mich ein. Vorher war ich bei meiner Kranken, der Por - tugieſin, mit dem Arzt, und beſorgte Küche, und Wirthſchaft dort, für den ganzen Tag. Es geht ihr ſehr beſſer.

Brutus alſo ſagt mir, daß wir uns ſo bald nicht ſehen56 werden! (Brutus ſagt zum Caſſius bei Shakeſpeare: Sehn wir uns wieder, nun ſo lächeln wir, und darauf: Wo nicht, iſt wahrlich wohlgethan dies Scheiden. ) Wenn das Feld meiner Seele zu böſen Ahndungen umgeackert wäre, ſo könn - ten mich die Sprüche dieſer Römer ſorgen machen und trau - rig machen; wie ſie unendlich, ganz unergründlich ſchön ſind, erhaben, edel, und freundlich traurig! Aber ich bin zu ſehr beſchäftigt; habe zu viel zu thun, wovon Gutes entſteht, oder Schlechtes abgewehrt wird, um nach dem Nachhall und Anklang, die dieſer Spruch in jenen Gängen meiner Seele aufruft, lange hin zu hören: und von neuem bewundre ich nur Shakeſpeare davon wieder; der den Macbeth dem Arzt, der ihm den Tod der Lady ankündigt, als ſchon alles verlo - ren iſt, und er ſich zum letztenmal harniſcht, antworten läßt: Sie hätte ein andermal ſterben ſollen!

Ich will mich bemühen: auf Ihren Brief zu antworten. Wenn ich ſagte, Angſt und Sorge beſchleichen Ihr Herz: ſo meint ich auch nur Angſt, daß Sie für Gemeines zu ſorgen haben, und mit ihm handhaben müſſen; und daß, eben weil Sie dies auch aus großer Neuheit nicht können, die Sorge darum größer anwachſe, als ihre Natur es mit ſich bringe. Ich ging ſo weit, zu glauben, daß Ihnen Berlin durch den Aufenthalt des unglücklichen Mädchens, deſſen Sie ſich für Ihren Freund jetzt annehmen müſſen, etwas verhaßt würde, und nicht mehr als ein Luſtort und eine Freiſtatt erſcheinen würde, wo man müſſige Zeit zur Erholung zuzubringen liebt. Für’s Erſte nur, verſteht ſich. Ihr Brief iſt einer der ſchönſten, die ich von Ihnen habe: Ihr darſtellendes mahleriſches Talent57 war darin recht wach; ſo haben Sie mir die Mutine ſo ſoll ſie heißen und die Mutter überaus treffend geſchildert. Ich ſage Ihnen frei heraus, ich war doch überraſcht von ihr. Sie war ſo verdrießlich und ſtellte ſich ſo roh dar, daß es mich auch in der Klaſſe, worin ſie gehört, und ich ſie ver - muthen konnte, frappirte! Wie ich Ihnen ſchon ſchrieb, ſie war ängſtlich, und bei ihr wurde dies zum höchſten Maulen, ſo daß ſie nicht einmal hübſch war, was mich am meiſten wunderte. Mein Reden, mein Zureden, meine Aufnahme, das artige Haus, in das ſie kommen ſoll, die anſtändige Wirthin, brachten ſie zu ſich ſelbſt; und es kamen Sonnenſcheine von Jugend und Hübſchheit über ſie. Doch über den geſtrigen Abend, und über die Perſon mündlich. Viel etwas Wichti - geres! Das Mädchen iſt einmal fertig auf der Welt wie ſie da iſt. Was ſich mit ihr zugetragen, iſt geſchehen; und dar - um ganz gut. Jedes Ereigniß iſt roh, und nur das, was wir daraus bilden; dies im menſchlichſten Vereine, des Geiſtes, der Einſicht, und des beſten Willens zu thun, ſei unſer Werk! Ich bin der Meinung, daß die neun dunklen Monate, die ein Kind mit ſeiner Mutter zuzubringen hat, vom größten Ein - fluß auf ſein ganzes Werden ſind; da das Kind meines wer - den ſoll, und Sie verſprochen haben ihm Verſorger zu ſein, ſo habe ich ſehr darauf beſtanden, daß es, auch noch blind, ſchon in edlen, freundlichen, für die Mutter gewiß erhebenden Umgebungen umhergetragen werde; und daß beſſere Sitte, und Laune, ihm mit Gewalt, durch und in das Blut einge - flößt werden! und aus dieſer großen Rückſicht eine Mehraus - gabe nicht geſcheut. Nun haben Sie noch zu thun; denn58 der Menſch iſt ſterblich in jedem Alter und zu jeder Stunde mir ſind junge Freunde und Bekannte genug geſtorben! ein Teſtament zu machen nach allen Formen und Rechten, worin Sie beſtimmen, wie es mit dem Kinde gehalten ſein ſoll, was es verzehren, und beſitzen ſoll. Beſäße ich nur et - was, ſo würde ich ſo dringend wenigſtens nicht ſein. Aber Sie wiſſen, ich habe kaum für mich ſelbſt: und ſtürbe ich, ſo wäre das Geſchöpf eine arme Waiſe. Nehmen will ich es mit Freuden; koſten ſoll es Sie natürlich nur, was es braucht; dafür erkaufen Sie ihm auch mich zur Mutter. Wie wir alle Details zu verabreden haben, findet ſich noch. Sind Sie meiner Meinung? Auch die ganz erſte Jugend, Umgebung, und Behandlung halte ich für ſo wichtig.

Gerlach leibt und lebt vor mir, wie Sie ihn beſchreiben: mit den glücklichſten Worten. Voß auch!

Von meiner Portugieſin mündlich! Der Süden ſcheint mir von den Göttern, im Norden aber nur, zugedacht: ſo mit allem etwas! Ein adlich Herz in einer widrigen Lage; eine ſchöne Seele hinter meiner Maske; großen Sinn, und kein Talent; aber all dieſen Mißlaut beſchwichtigt durch eine reine Himmelsgabe: eine ewig innere Muſik, und in der Tiefe nichts Verzerrtes, ein reiner Tempel meine Kinderſeele! Wie komme ich auf mich? und nicht unfreigebig!

Leſen Sie dies kleine Büchelchen, Dore hat es für ſechs Pfennige von einem Jungen gekauft; ich las es geſtern vor dem Zubettegehen, und weinte die herzlichſten Thränen darü - ber; ſagen Sie, ob es Ihnen auch ſo vorkömmt. Daß man dem Kinde viel vorgeredet hatte, ſehe ich auch; doch iſt’s ein59 Segen, und wunderbar; denn wahr iſt dies. Adieu, Ant - wort! Und wenn Sie krank ſind, will ich’s wiſſen: die Frau ſagte Sie unpaß; das paßt mir zu allen Stimmungen, die durch Ihren Brief gehen. Ich ſehe heute noch die Mutine.

R. R.

An Frau von Grotthuß, in Dresden.

Dein Brief war einer der ſchönſten: nämlich auch von deinen! ſo reif, daß er ſüß war; ſo fertig, ſo ſanft; und ſo alles und das Beſte vorausſetzend! Lange hat mir nichts ſo gefallen, mich nichts ſo gefreut! Lies auch Fernow’s Leben von Mad. Schopenhauer, gegen die ich unbekannter - weiſe ein Vorurtheil hatte: die ich aber in dem Buche ein - fach, wahrhaft, ohne alle Prahlerei genügend, und durchaus für eine kunſtfertige, bis zur höchſten glatteſten Einfachheit geſteigerte Schreiberin erkenne. Je m’ineline profondément, et avec le plus grand plaisir! Weißt du nichts von Goethe? Marwitz iſt in Potsdam. Grüß du den Mahler Friedrich von mir; ich war im vorigen Herbſt mit Marwitz bei ihm. Unſer Theater exiſtirt nicht für mich. Siboni hat mich nicht be - zaubert. Er ſingt nach verſchiedenen Manieren, und keiner Schule; ohne Leidenſchaft, noch irgend eine Stimmung oder Tiefe. Kurz, er und ſeines Gleichen ſind von und für’s Pu - blikum Gemachte; kein Arbeiten der Natur bei ihrer Geburt; keine ernſte Muſe, kein Lächelblick irgend einer Grazie!

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Was du mir von deinen Gelübden ſagſt, verſtehe ich ganz. Hält man dergleichen nicht, ſo würde man toll. Nicht aus Gewiſſen; aber weil ſonſt nichts mehr wahr wäre.

Lies auch Möſers von Osnabrück patriotiſche Phantaſien; ſeine osnabrückiſche Geſchichte, ihre Vorrede; vermiſchte Schrif - ten von ihm, und darin über den Werth der wohlgewogenen Neigungen . Seite 14 und 22 beſonders. Göttlicher Mann! Kein Neuer.

Auch du müßteſt von Luft und Umſtänden geſund ge - ſchmeichelt werden! Adieu. Gott ſchütze dich! Schreibe ja ſehr bald!

R. R.

An Ludwig Robert, in Poſen.

Ich habe mehr als Pflicht erfüllt: ich habe die Räuber, ſage die Räuber geſehen, und Kora von Kotzebue! Daß letz - teres Stück wie es daſteht gegeben wird, macht den Sitten der Deutſchen ächte Schande; daß es überhaupt gegeben wird, zeigt von der groben Rohheit des größeren Publikums unſe - rer Nation; daß Kotzebue es machte, von der Stümperhaf - tigkeit ſeiner Begriffe und der völligen Plattheit ſeiner Ge - ſinnungen, denn auf Einer Stufe ſtehen ſie darin gar nicht. Den keuſchen Iffland, im Aufſtellen des Schicklichen und im Bemühen der Geſchmacksreinigung, verſteh ich hierin nicht. Unſere Schauſpieler verdienen wirklich ein ſittenreinigendes Wollſpinnen, weil ſie dieſe leeren unanſtändigen Grobheiten61 mit Wohlgefallen ſpielten; in ihrem Sinne, als wäre es Shakſpeariſcher Witz; und hervorkehrten, wohl ärger noch, als es der Verfaſſer konzipirte, und ſich recht drin wälzten, ohne doch eine nur verſtändliche Perſönlichkeit hervorzubrin - gen, ſondern bloße Bretterunart, und ſonſt gar nichts. Eßlair müßte ſolche Aufführungen tilgen helfen; und nicht ſie beför - dern, veranlaſſen. Auch war es denn leider ganz leer zu mei - nem Schrecke: obgleich er ungeſehen dies verdiente. Er ſieht trotz eines ſchlechtern Anzugs, als wir hier zu ſehen ge - wöhnt ſind, nicht wie ein Hiſtrion, ſondern wie ein Menſch aus; mit beweglichem regſamen Blick und Mienenſpiel, läng - lich geſchnittenen Augen, die er auch wohlgeübt zu gebrau - chen weiß; wie er überhaupt die Bretter kennt, und unend - lich viel geſpielt hat, und Beifall gewohnt iſt. Er hat eine hohe Hervengeſtalt, und muß Halbgötter und phantaſtiſche Menſchen ſehr ſchön darſtellen; eine Stimme wie ich ſie nie hörte, mit einer ſo umfaſſenden, in allen Tönen einnehmenden Skala. (Als er geſtern Morgen einen Augenblick bei mir geweſen, und wegging, ſagte Dore: Ein hübſcher Mann! Ja! Und er hat ſo was Sanftmüthiges an ſich. Sie wußte es nicht zu nennen, und meinte nur die Götterſtimme.) Eine Nüance von Vornehmheit fehlt ihm, jetzt-zeitiger möcht ich ſie nennen, die man, wenigſtens ich, nach den erſten fünf Bewegungen vermißte. Schöne Füße für ſo große Geſtalt, die jedoch nicht hinderlich erſcheint; und gar kein eitles Spiel für Publikum; ſo iſt er öfters mit dem Rücken gegen die Zu - ſchauer gekehrt, welches mir ſehr wohlgefällt, ich immer wünſche, und nicht begreife warum darin die Schauſpieler ſo viel be -62 denklicher, aber nicht genug, als die Tänzer ſind; in jedem Moment wird doch in keiner Rolle geſprochen, und da thut eine lebhafte natürliche Wendung des Menſchen ſehr gut, und belebt Schauſpieler und Zuſchauer. Es kommen ihm nicht Einfälle genug in’s Gemüth, alſo fallen ihm nicht genug Nüancen des Vortrags ein; und daher iſt er der Meinung zu oft ſich in den Affekt ſetzen zu müſſen, in welchem man gar nicht anders kann als ſchreien, dies iſt die Urſache, warum er dies zu oft, und daher öfters ohne richtigen Grund noch treffende Wirkung, thut; bei Leibe aber nicht für’s grö - bere Parterre und deſſen groben Beifall, ſondern aus reinem Irrthum und Mangel, aber doch verführt von der zu willi - gen, alles leiſtenden Stimme, die ihm ſchon ſo herrlichen Bei - fall ſchaffte, und Zeit ihres Lebens ſchaffen muß. In ſeinen beſten Momenten erinnert er an Fleck und an Talma, wie dieſer auch in ſeinen beſten an Fleck. Abſtrakte Mienen, des ſich ſammelnden Gemüths, oder des Wendens der Seele zu Himmel und Schickſal, haben ſie alle drei ſehr gleich. Er ſpielt ſehr deutſch, und doch wie Einer, der die Franzoſen ge - ſehen, erwogen und benutzt hat; dies in ſeinen theatraliſchen Bewegungen, die er gehöriger Weiſe al fresco nimmt; aber bei weitem nicht mannigfaltig und witzig genug: wie denn Witz ihm in allem, was er auch gut leiſtet, am meiſten fehlt. Dabei ſpielt er nach Stimmung und Eingebung; und aus großer Routine auch mit Überlegung, womit er ſich klug genug unterſtützt, wenn er ſich ſchwächeren Herzens fühlt. So gab er die Räuber. In der Stelle, wo er die groben Ermahnun - gen des Mönchs anzuhören hat, ſah er mit ſchwarzem, vorn63 aufgeklappten, mit rothen Federn in die Stirn gedrückten Hute, gradauf ſtehend auf eine paſſende Streitaxt gelehnt, außerordentlich gut, und menſchlich, und edel, lebendig zuhö - rend aus; wie ein wirklicher Menſch, und hochartig. Auch antwortete er in edelgefaßtem Schmerz dem Mönche ſehr ſchön in den abgebrochenen Reden. Als er ſich erſchießen wollte, ſpielte er meiſterhaft; eindringend verſtändig, verloren forſchend, und unglücklich; mit den paſſendſten Gebärden; ſo gelungen als möglich. Auch erſtach er das Mädchen ſo außer - ordentlich als es nur möglich iſt; wie Fleck, wenn er ſo etwas gut machte. Auch kann er ſehr ſchön ohne Worte sangloti - ren, il n’y a point de mot dans notre langue; Schluchzen al - lein iſt es nicht, Wimmern und Schluchzen. Noch machte er manches ſchön; ich rede vom Schönſten. Ja! noch Eins! Er las den Brief des Vaters gleich zu Anfang göttlich, und war in dem Zimmer zu Hauſe, wie nur große Schauſpieler, wie Menſchen in ihren Zimmern, Helden. Er wurde den Abend ſehr beklatſcht und herausgerufen: und es war jenes Klatſchen in der Luft, welches ganz allein nach gutem Spiel erfolgt, und nicht von der Menge der Hände abhängt. Vor - geſtern ſpielte er Rolla bei leerem Hauſe; mit der Fähigkeit, die du ihm nun kennſt; nahm aber die Rolle, eine Nüance oder ein paar, franzöſiſcher; und die Rolle, ſage ich, lie - ferte ihm nicht jene Momente, in denen er mir völligen Bei - fall ablocken konnte. Er wurde wieder herausgerufen. Übri - gens habe ich das Publikum noch nie gerechter gefunden; wo ſie konnten, ehrten ſie den fremden Künſtler; wo ſie muß -64 ten, zeigten ſie ihren völligſten Beifall unbefangen gern, und wahrlich ſie ſchienen’s beide Abende auch ganz zu verſtehn.

Eßlair macht einen ſo lieben Eindruck als Menſch, und zeigt den in ſeinem ganzen Vortrag ſo, daß man ihn perſön - lich lieben muß: dafür war ich ihm ſchon mit meinem ganzen Herzen dankbar. Sein kleiner Beſuch hat ihn in meiner Gunſt beſtätigt. Er hat etwas liebenswürdig Gütiges. Rauch - taback roch ich, dies gehört diesmal zur fehlenden Nüance von feinſter Welt. Er behauptet keine Zeit zu haben; er eilte ſo, daß ich beinah nichts mit ihm ſprechen konnte, als von deinen regrets, zu einer Probe vom Tell, der heute ge - geben wird; hier die Austheilung. Leb wohl! Ich bin zu müde: ich habe einen kranken Kopf, und nur meine Theater - leidenſchaft und du konnten mich ſchreiben machen.

N. S. Er brachte mir einen Brief von J. S. Meine ganze Liebe wallt zu Flecks Grabe. Die Propheten, Dichter und Künſtler, die Gottgeſandten, ſollten doch ſo lange die Welt ſteht, leben, und nicht ſich deteriorirend altern, wie wir Gemeinſten, Elendeſten. Ich bin heute völlig elend; in allem! Eßlair bleibt nur bis den 14. Die Bethmann, die ich nach der Probe ſprach, kann nicht genug erzählen, wie herrlich er in Theſeus iſt, und wie über alle Maßen vortrefflich in der Beichte; ſie ſagt, darin ſtellte er den Theſeus auf den Kopf. Grad umgekehrt!

Als Mirabeau in Berlin war, ſah ich ihn, in bürgerli - chem Anzug, ganz das Anſehn habend, wie die damaligenHof -65Hofleute ſeiner Nation; in einfacher Kleidung, die, obſchon vornehmer Geſellſchaftsrock, oder gar Kourkleidung, doch ſchon ſehr nach dem nachherigen engliſchen Anzug hinneigte: er trug ein leicht gekrauſt gepudertes Toupet, Haarbeutel, Schuhe und Strümpfe, und dazu paſſende Kleider; ohne Gold, Silber, noch Stickerei. Er hatte dunkle, lebhafte Augen, die mit ſtar - ken Augenbraunen dennoch weich blickten; war pockennarbig, und breiter, aber nicht feiſter Geſtalt; er hatte das Anſehen, wie Einer, der viel, und mit Vielen gelebt hat; auch bewegte er ſich mehr, als die Leute von ſeiner Klaſſe pflegen: denn er hatte nichts Kompaſſirtes; er zeigte ſich in den gleichgültig - ſten, und kleinſten Bewegungen ſeiner Perſon, als ſehr thätig, und als Einer, der alles ſelbſt unterſucht, kennen lernt, und ergründet; ſo gebrauchte er ſeine Lorgnette, und ich möchte ſagen ſein ganzes Ich. Er ging in die deutſche Komödie, in die Kouliſſen: und brachte täglich ſeine Briefe ſelbſt auf die Poſt, wo ich ihn zu halben und ganzen Stunden verweilen ſah, während eine Dame und ſein achtjähriger Sohn ihn im Wagen erwarteten. Mein Vater zeigte ihn mir als Nichts, als den Grafen Mirabeau; ich wußte gar nichts von ihm: und um ſo zuverläſſiger traue ich meinem damaligen Urtheil: er machte einen guten Eindruck auf mich: obgleich er mir alt, und nicht niedlich und hübſch vorkam; weil ich faſt ein Kind war, und nur blonde ſchlanke Menſchen liebte. Weiter weiß ich mich nichts zu erinnren: er ſah auch aus, als Einer, der viel gelitten und diskutirt hatte.

II. 566

Nach einer fürchterlichen, aber weichen Nacht; mit ſehr beſtürmtem, mißhandeltem Herzen. Meine unſeligen Gedan - ken! Das hellere Wiſſen lief Sturm dagegen, und es war keine Gnade; ſie ließen es nicht in Ruh. Um vier Uhr wacht ich noch: und krank fühl ich mein Herz noch jetzt. Wie ſollte es auch kommen! Wer ſchmeichelt ihm wohl! Welcher Umſtand; wer thut ihm gut! Vieles hat mir der Himmel in meiner Noth gelaſſen, dieſen Strahl ſeiner allmächtigen Sonne hat er mir noch nie zukommen laſſen! Soll ich wirklich ſo ſterben? Wie ich verſtehe ein Herz zu heilen, zu ſchonen! Man könnte dies anders nennen: ſtill!

Eigentlich wollt ich dies niederſchreiben. Wie finde ich Goethe groß in den Worten, die der Prinz im Triumph der Empfindſamkeit ſagt: O ihr Götter! ſchickt mir ein neues un - bekanntes Glück aus den Weiten der Welt! Wie ſchlagen dieſe wenigen Worte bis nach den zwei äußerſten Enden des Menſchen hin. Ganz zertrümmert iſt das Gemüth des Prinzen; nichts da - von hat er ſich vorbehalten; alles ehrlich eingeſetzt; das Schick - ſal konnte ihm, und nahm ihm, alles in der Puppe: ohne Herz, fühlt er nur dies kann er noch fühlen kann er nicht le - ben! Er hat keine Hoffnung; in der ganzen bekannten Welt iſt ihm nichts geblieben, eine zu bilden; ſein Inbegriff iſt hin! Der Geiſt iſt ihm noch übrig geblieben; mit dem hält er noch alles für möglich; eine neue Welt, die er nicht erfinden kann; mit dieſem Geiſte ſetzte er der Götter Macht voraus; ſein Herz muß von ihrer Güte haben, weiter leben; und ſo fleht er ſie im gefühlten Untergang an.

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Sonderbar iſt’s! Die Andern glauben auch Liebe beſchrei - ben zu können; und ſind noch recht ſtolz darauf, wenn ſie ſie, wie ſie es neunen, nicht als Leidenſchaft gefühlt haben: ſie meinen, dann ging es um ſo beſſer haben ſie ſich aus Goethe’s Definition eines Dichters im Meiſter herausſtudirt. Mit geſtampften Lumpen, Galläpfeln und Gänſekielen hof - fen ſie herauszuwürfeln die furchtbar-großen und doch trö - ſtenden Orakelſprüche, die aus dem Tempel nur kommen, den die Natur ſich ſelbſt geſchaffen hat, in dem Herzen der gelungen - ſten Menſchen! Nie! ihr ſtolz glücklichen Wüſtlinge, die ihr noch immer ein Reſtchen für euch zurückbehaltet! Ihr Armen! deren Sinn nichts ganz trifft.

Novalis ſagt: die Liebe iſt eine ewige Wiederholung. Sie iſt die größte Überzeugung, ſage ich. Unüberwindlich iſt Auge, Ohr und Gefühl überzeugt; unüberwindlich unſer Herz von dem Gegenſtande, den wir lieben; unüberwindlich der Eindruck; und iſt die Überzeugung zu überwinden, ſo lieben wir nicht mehr. Daher lieben nur Menſchen; hohe überzeu - gungsfähige Geſchöpfe. Mittheilen, beweiſen, läßt ſie ſich nicht. Jeder liebt allein, wie man allein betet.

Thekla iſt ganz und gar nur die tragiſche Gurli. Beide ohne Knochen, Muskeln und Mark; ganz ohne menſchliche Anatomie; ſo bewegen ſie ſich auch, wo gar keine menſchlichen Glieder ſind. Mir aber zum Erſtaunen mit dem Beifall des ganzen deutſchen Publikums! Eben fällt mir aber nach langen Jahren Wunderns ein, daß ſich die Leute eben daran ergötzen, dieſe bei natürlicher Gliederung nicht hervorzubringenden Be -5 *68wegungen zu ſehn; und bei dieſem ihrer Moral ſchmei - chelnden Schauſpiele der geſunden menſchlichen Organiſation vergeſſen. Vergeſſenheit, die täglich in Anſtalten des noth - wendigſten Heils und des Ergötzens anzutreffen iſt.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Geſtern Morgen war ich bei der W., weil ſie vor - geſtern Morgen bei mir war, ohne mich zu treffen. Sie führte mich in ihr Kabinet; nach einigem Redewechſel, und einer Be - ſtellung über eingeladene Gäſte, nach welchem ich ſah, daß ſie mich nun nicht einladen würde, ſagt ich ihr in der größten Herzensmilde, mit dem hochblickendſten Geiſte, ob ſie gedenke T. zu ſehen; worauf ſie mir Ja antwortete; und worauf ich ſie bat, ſie möchte ihm nun die Beſtellung machen, die Sie vergeſſen haben; von Ihnen jedoch erwähnt ich hierbei nichts. Ich ſah über dieſe Nichteinladung weg, wie über alle: und wie über die, welche mir ſchon aus dieſem Hauſe zu Theil geworden ſind. Ich ſagte ihr bald, ich würde ihr meine Träume bringen und leſen: ſie war beſchämt, innig und dankbar; und frug mich, wie ſie nur dergleichen bei mir ver - diene, mit wahrhafteſter Beſcheidenheit, Stocken, und innrer Bewegung: auch Ihnen hätte ſie ſchon daſſelbe geſagt. Ich bedeute ihr, wie ſie bei mir ſtehen muß; auch nicht aus der Haut, und wir umarmten uns. Dann ſagt ich ihr, warum69 ich ihr meine Briefe nicht gerne zeigen möchte: ſie ſah es ganz ein; blieb aber dabei, bei ihr ſchade auch dies nicht, was ich angeführt hatte.

Wir ſprachen ſtundenlang weitläufigſt; ich ſetzte ihr B. ’s niedrig rohes Betragen gegen mich auseinander, das der K., der M., wie ich ſie ſchone, was ich thue, was ſie thun und ſind; ſie giebt mir alles zu, und fügt noch zu. Ich ſage ihr, wie ſchonend, wie nie faits nennend, ich verführe: wie unhei - lig grob ſie mit Vermuthungen umgingen. Ich empörte mich ohne empört zu ſein, des Menſchenunrechts wegen, wel - ches man mir unermüdet bis am Rande der Gruft zufügt: daß Rohheit, Unvernunft, und karge Gaben, von all dieſen das Gegentheil mißhandeln, mit dem Applaus der Menge; mit der Zulaſſung meiner Freunde. Denn nun fiel mir ein, daß auch eben dieſe W. mich doch zu bitten und bei den eben für närriſch und unſittlich Erklärten beim Thee durchzuführen den Muth nicht hätte! Direkt ſagt ich nichts: aber ich be - hauptete, gegen meinen erſten Freund würd ich ein Schäuer - mädchen durchführen, hielt ich ſie für edler und ſittlicher als ihn: (und ich habe es gethan; kürzlich). Endlich hörte dies Geſpräch, bis an all ſeine benachbarten Gränzen geführt, auf: und wir ſprachen von Ihnen; ungefähr wie ſonſt. Ich mußte der W. verſprechen, Mittwochs und Sonnabends Vormittag zu kommen: dann wären die Kinder weg: ich verſprach zu mor - gen mit den Träumen zu kommen. Sie zweifelte noch Ein - mal, rührender noch, wie ſo ſie mir was ſei, ich ihr ſo etwas zeigen wollte: dankte mir freudig und überſchwänglich! und nachdem ſie mir die Kinder gezeigt hatte, und nach tauſend70 Freundlichkeiten, ging ich. Auf der Straße aber fiel es mir auf’s Herz, mich nicht immer von neuem mißhandlen zu laſſen. Ich will nicht. Mir falle auch ein edles Opfer. Von der W. grade will ich es nicht leiden. Von niemand mehr. Die M., die B., die K., die nichtgeachteten, kann ſie bitten? Mich ſoll ſie bitten. Dies iſt mein letzter Ausſpruch. Mor - gen gehe ich nicht zu ihr; ich laſſe ihr abſagen. Ich kann endlich jeden miſſen: mich hat das Leben nicht vernichtet: mich hat es wirklich und wahrhaft umgeſchmiedet auf ſeinem feurigen Ambos. Auch kann dies ein jeder; mich wieder miſ - ſen. Glück auf! ich bin’s zufrieden. Voll bleibt die Welt. Mir überkömmt ſo ſo viel Witz, Laune, Ideen, Leben, Zärt - lichkeit nicht; mein ſparſames Futter beſcheert mir jeder Hof. Dieſe Worte ſtehen alle hart neben einander; ich merke es ſelbſt. Schieben Sie den Anſchein darauf: daß Sie von allen meinen Entſchlüſſen den Grund und die Gründe kennen: daß ich heute abſolut nicht mit der Feder ſchreiben kann: und alſo jedes Wort zu ſparen ſuche, Nervenzittern, und das größte Echauffement habe.

Zu meinem letzten Brief an Sie, Lieber, habe ich wohl gefühlt, muß ich einen Nachtrag machen. Dies war ein Brief, wo ich Ihnen mein Herz aufklappte; und weiter nichts. Wo ich Ihnen mein Bewußtſein aufſchlug, daß Sie wie ich Ge - genwart und Vergangenheit ſchauen möchten! damit Sie ſich faſſen! und für mich, ertragen, was ich ertragen muß. Denn unmittelbar hatten Sie nichts zu ertragen; Sie wollte ich bereiten, Sie ſchonen, damit Sie mich ſchonen, und verſtän - den, und mir das Leben nicht ſaurer machten. Helfen ſollen71 Freunde. Denn verſtehen ſollen Sie; und gütig wollen. So helfe ich jedesmal. Wie leiſe fühle ich was häßlich iſt; wie übergehe ich’s! und weiß das Beſſere herauszuhe - ben, und zur Freude und Bequemlichkeit, zur Schonung her - auszulegen. Es liefert uns die Erde nichts rein; iſt es der Wille, ſo iſt es ſchon viel. Wir irren uns Alle, und verwir - ren uns, im Ergreifen; retten wir das Bewußtſein, ſo iſt das viel! das Leben wird Ihnen an Ihnen ſelbſt nur dies wieder - holt zeigen. So ſein Sie auch nachſichtig und einſichtig gegen mich. Wer hat einen Freund aufzuweiſen, wie ich, der, aus den innerſten Urſachen beſtimmt, ſein Leben nur mit mir zu - bringen will; nur an meiner Seite das beſte Glück finden kann! Dies Gut iſt ſelten. Es iſt nicht rein: aber es reinigt ſich jeden Tag: das bin ich ſicher, und erlebe es. Was kann mir noch geboten werden? oder wer bietet mir etwas. Meine Klagen aber, wenn ich verletzt bin, müſſen in Ihren Schooß fallen; aber ſie müſſen darin nicht erblühen; mir zu neuem Leid. Wie tief vergrabe ich Ihre? Sie denken der Wind hat ſie entführt.

Nicht Sie, nicht ich, nicht die Götter ohne Wunder, können mein Schickſal erneuen: dies muß ich ausſpielen. Die Blume iſt zerdrückt auf dieſer Pflanze, dies vergeſſen Sie nicht. Ihr Laub macht Illuſion. Beſonders erwarte ich die Hülfe, die Nachſicht wenigſtens, die Schonung, die ich leiſte. (Ich bin äußerſt geſtört; äußerſt echauffirt.) Soll ich den Troſt, mich beklagen zu dürfen, entbehren? damit nicht noch größere Spannungen für mich erwachſen? O! nein. Sein wir menſchlich! Schonen wir uns! Heute aber ehr ich Sie72 über alles, und ſage Ihnen grade was ich verlange. Sie wiſ - ſen, wie ſchwer mir das wird.

Adieu. R. R.

An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.

Ihr ſehr freundlicher lieber Brief kann mich nur bewegen zu ſchreiben: geantwortet habe ich Ihnen eigentlich ſchon vor - aus, in dem, den ich Ihnen ſchickte. Nehmen Sie ſich mit rauchenden Zimmern u. dgl. ſehr in Acht: es verdirbt einem ganze Nächte, und im Rückſchlag par ricochet ganze Tage; und genau genommen iſt doch nichts ärger, allein recht arg, als wenn wir uns ſelbſt fehlen: die Feſtigkeit, die der richtig ſpielende Körper giebt, iſt auf der Stelle Luxus; wenn man es auch nur als höchſte Nothwendigkeit anſchlagen will. Alle dieſe Weisheit iſt mir geſtern überkommen (und ich pre - dige ſie nur in Folge großer Narrheit und Unachtſamkeit von meiner Seite!), da ich in mildem Wetter, bei hell gelockertem Himmel, nach vielem Verdruß, allein ſpaziren ging. Zwar natürlich nur in der Stadt: aber doch im Rondel oder wie es heißt am Potsdammer Thor, da ſah ich viel Himmel; die Luft iſt da ländlich; es war ſtill. Und wie böſe Hüllen fiel es von mir, all das Fremde, von der Lage mir Aufgezau - berte, und ich wurde auch ſtill. Weil mir die Luft behagte, ich geſund war, und ſie mich geſund machte. (Zweimal bin ich ſchon geſtört worden: dann kann man nicht ſchreiben.) Der Verdruß war von der Art, daß er ganz von meiner Lage73 herkam, und die wieder in all ihren Punkten, und alſo auch in den empfindlichſten, wovon es die andern mit wurden, be - rührte. Ganz unleidlich! Und das Unleidlichſte der Lage iſt, daß ich ſie nicht, und nie zu ändern vermag. Nun beden - ken Sie mich, und meine Faſern, und was ich in mir trage und weiß, und ſtellen Sie Ihre Berechnung an! Dies Schwere all wurde mir leicht, weil mein Blut richtig fließen, meine Nerven richtig vibriren konnten; und ich ſo mit Elementen, Farben, Licht, und Erde in einen augenblicklich richtigen Zu - ſammenhang, und Wechſelwirkung kam. Ich genoß es lau - ſchend, beinah verwundert; und dann machte ich dem Himmel Vorſtellungen, mir dies wenige, Natürliche zu laſſen; und klagte auch gegen ihn. So floß mein Tag, von Stadt und Hausweſen geſtört, noch ziemlich geſund aus mir heraus, an mir vorbei. Die Nacht aber mußte ich ſchrecklich an Ner - ven leiden; nun kommt das Ende dieſes Werks, womit ich es begonnen, und was ich beweiſen wollte; weil mein Zimmer ſchon den zweiten Abend, für die Nacht zu heiß war, welches ich nicht vertragen kann, und wogegen ſich mein Blut mit nach dem Kopf ſteigen, wehrt. Was dies iſt, wiſſen Sie. Es artete in Nervendröhnen, und in dem ganzen Hofſtaat der Nervenübel aus. Wir wollen uns alſo ſehr, ſehr! vor fal - ſchen Zimmern hüten. Amen.

Sie wiſſen, daß ich ſo ſehr, als Sie, denke, daß die W. das Beſte werth iſt, weil ſie’s verſteht. Ich frage Sie auch, ob ich ſie hoch gehalten habe von je, und in Liebe geſchaut. Ob ich eine Königin ehrerbietiger, zarter, und zärtlicher zu behandlen nur vermöchte? Ich frage aber auch, in was ich74 mich, ohne Stupidität oder Heuchelei, unter ſie ſtellen ſoll? Alſo, müßte mir dieſelbe Zartheit und Ehrenhaltung zuflie - ßen. Solche Anforderung aber iſt ſtumm im tiefen Herzen gekauert da, ſtumm wie dieſe dunkle Tiefe ſelbſt; und würde nie von Worten herauf gezwungen werden, als Forderung; weil ſie nur als Dank an das nichts ſchonende Licht mag; wenn ich ſie nicht vertheidigen müßte dieſe Forderung! Ver - theidigen muß ich ſie, weil ſie ſollizitiren ſoll, was ihr Weſen ſelbſt bewirken ſollte. Unſchuldig iſt hier nichts anders als unwiſſend. Über gewiſſe Dinge, wiſſen Sie im tiefſten Her - zen, darf man nicht unwiſſend ſein. Warum ſollte ich jeman - den mich ſchätzen lehren, und mich dann von ihm ſchätzen laſ - ſen? und daſſelbe, mit Liebe und zartem Zuvorkommen und Errathen! Da habe ich’s bequemer, ich ſchätze mich ſelbſt, und liebe Andere: wo ſie mir’s erlauben. Daß man ſich durch Thätlichkeiten die Achtung angedeihen läßt, die man nöthig hat zum äußern Sein; dies kann man wohl gegen gleichgül - tige Leute, in Äußerlichkeiten, äußerlich üben. Aber wo Liebe, Überzeugung, Zartherzigkeit und Approbation wirken ſollen, kann und mag ich nicht in Menſchenherzen willkürlich operi - ren. Sie verſtehen es genug, das Schönſte als Herzensfluthen anzunehmen, und dies ſei mir und ihnen genug, wenn es noch ſo kommen mag! Sie wiſſen es: ich brauche nicht zu ver - ſichern; ich habe genug in Liebe geleiſtet: eine Heilige wär ich zu anderer Zeit! Wem gönnt mein Herz nicht alles, und jede Eigenſchaft? wer ſieht, wer ſpürt ſie eher aus, und ver - kündigt ſie? Wer iſt gerechter, unperſönlicher? Wer ewig be - reit zum beſten Leben und Leiſten? Wer ſcheidender, und75 menſchlicher? Wer zärtlicher gegen alles was fühlt, und zu fühlen ſcheint? Wer Gott erkennender in jedem Augenblick? Wo ich einen Zug von dieſen Genannten ſehe, beugt ſich mein Herz und meine Kniee: das wiſſen Sie: wo ich es reicher, vereinigter fände, als bei mir, würd ich in jublende Anbe - tung verfallen! Sie wiſſen es! Des Überſchätzens aber, bin ich ganz müde, d. h. ganz unfähig geworden. Taſſo ſagt ( Nur die Galeerenſklaven kennen ſich, die eng geſchmiede - ten ) wie es mit dem Überſchätzen iſt: wenn man ſelbſt nur Gerechtigkeit noch verlangt ſo bin ich wenigſtens dann mag man dieſe auch nur leiſten. Nicht im Behandlen, und in der Nachſicht, und im Leiſten; aber im Beurtheilen deſſen, was geleiſtet wird.

Ich bin es ſehr zufrieden, daß Sie der W. meine Briefe zeigen: und empfinde ganz die Ehre, die Sie mir in Ihrem Herzen erzeigen, in meinem. Ich will ihr auch die Träume zeigen. Von T. s Fête aber, kann ich nicht ſprechen. Das können Sie thun. Wenn Sie wollen! und hiermit erzeige ich Ihnen wieder die größte Ehre, die aus meinem Herzen kom - men kann. Auch das wiſſen Sie, Marwitz: am ſchwerſten in der Welt, wird mir, von einem Menſchen zu fordern, wovon ich denke, daß er’s mir ungefordert hätte leiſten ſollen. Sa - gen und Fordern ſind hier eins; und diesmal hab ich nur ge - ſagt, was ich hätte fordern können: nämlich, was ich in Ihrer Stelle würde gethan haben vergeſſen hätte ich’s auch nicht ; aber ich will gar nicht, daß Sie es thun: denn ſa - gen Sie mir, was ſollte ich damit in der Ausübung beabſich - tigen! Nun fragen Sie, ob ich Sie noch liebe, wie ſonſt! 76Wie ſonſt nicht: denn ich bin anders, und habe manchen Schmiedeſchlag auch ſeit der Zeit erlitten. Ich liebe Sie, wie es mein Weſen mit ſich bringt; und mein ganzes Herz iſt ge - rührt und getroffen von Ihrem Zutraun: welches ich Ihnen ganz erwiedere: ganz. Denn wie betrübt und erſchwert, und verunreinigt iſt dies Herz, wenn ich Einmal denken muß: dies faßt er nicht, noch nicht; dies mußt du noch zurückbehalten! Oder wenn es gar denkt: hier wärſt du aufmerkſamer, lieben - der! Verſtehen Sie dies: und Sie werden mich nicht mehr fragen. Aber fragen Sie mich in alle Ewigkeit; ich will in alle Ewigkeit antworten. Dies iſt der eigentlichſte Umgang; ja, der mit ſich ſelbſt. Mehr als mir ſelbſt kann ich Ihnen nicht bieten; und eben das biete ich Ihnen in allen Stücken. Faſerkind! Mein Kind, mit Faſern.

Gerlach kann Ihnen von geſtern Abend erzählen. Hanne, Varnhagen, und Kalckreuth, waren da; den mußt ich anneh - men. Gerlach bringt Ihnen dieſen Brief: er gefällt mir noch. Gott grüße und ſchütze Sie! Gedenken Sie meiner in Liebe.

R. R.

An Guſtav von Brinckmann, in Stockholm.

Morgens um 10. Uhr bei beſchneiten Straßen, in der Behrenſtraße, ſchräg dem Kaſino gegenüber, gleicher Erde, No. 48.

Laſſen Sie dieſes Blatt ein Morgenbillet werden, da es unmöglich, ohne meine Seele auf das Papier zu bringen und77 meinen Körper zu vernichten, ein Brief werden kann. Zu viel Zeit, mit allem was ſie bringen kann, iſt verfloſſen; zu viel Neues, Verwirrtes, Großes iſt geſchehen, ſperrt den Rachen über uns auf; als daß die größte innre Klarheit, das deut - lichſte Bewußtſein was ich kann und will, in ewigen Krie - gen gegen mich ſelbſt, als Beute errungen, mir nur irgend genieß - oder nutzbar wäre. Denken Sie ſich mich reifer, fort - geſchrittener, erdrückter, aber eben wie ſonſt; und ließe man mir Luft, vergnügt und kindiſch. Geſund, mäßig. In ange - nehmen Verhältniſſen, gar nicht. Furcht, über die Maßen. Vor jeder Zukunft. Dies von mir! Die Nachſchrift von mir iſt das, daß ich heute vielleicht am wenigſten bereitet, und ge - macht bin nur irgend zu ſchreiben, und am allerwenigſten Ih - nen, der mir alles Alte zur höchſten Paralyſirung des ſpäter Ereigneten, zurückruft; und dem ich es doch plötzlich und in allen ſeinen Details gleich übergeben möchte. General Neip - perg aber, den ich nur von Anſehn kenne, und der meine Exi - ſtenz nicht weiß, wird für gute Worte dieſen Brief mitnehmen. Schon längſt verwahrt ich Ihnen inliegendes Zeitungsblatt; es gehört zur Sammlung Ihrer Todesanzeigen, und wird viel - leicht an die Spitze derſelben kommen. Mich hat es unend - lich unterhalten, und zum Lachen gebracht. Ich bin weder böſe, noch erſtaunt, daß Sie nicht ſchreiben: man kann nur viel und mit Annehmlichkeit ſchreiben, wenn man denſelben Vor - mittag Antwort haben kann. Daß wir dieſelben ſind, brau - chen wir uns nicht zu verſichern; oder es wäre gar nicht wahr. Geſtern Abend trank ich Thee bei Schleiermachers, deſſen Frau meine liebe Freundin iſt, mit Gräfin Voß und Hrn. von Mar -78 witz. Mein Intimer. Er iſt in Potsdam bei der Kammer, und oft in Berlin. Gräfin Boß war ſehr liebenswürdig, ganz einfach, und recht hübſch; ich liebe ſie noch immer ſehr. Die ſagte eben, daß der General Neipperg noch hier ſei, nämlich noch bis dieſen Abend bleibe, daß ſie Ihnen ein Wort ge - ſchrieben hätte: und nun thue ich’s auch. Zeigen Sie auch gütigſt Frau von Sparre die Zeitung, und ſagen ihr, ihre Schweſter hätte mir alles beſtellt: ſie wäre mir ein Troſtge - danke in Schweden, daß ſie dort iſt. Frau von Staël muß Ihnen doch viel Vergnügen machen! und viel Rennens! Von Gentz habe ich vorige Woche, durch Gräfin Voß, ſeit Jahren einen liebenswürdigen kindiſchen Brief erhalten. Ich bin eingenommen von ihm wie ſonſt. Humboldt haßt mich jetzt wieder: er war das letztemal in Berlin, ohne mich zu ſehen. Die Herz lebt und ſieht aus wie ſonſt. Chriſtel war dieſen Sommer hier, mit den alten Augen, der alten Miene, der alten Indolenz, der alten Unſchuld und Verſchmitztheit. Wir ſprachen viel von Ihnen: auch geſtern drei Viertel des Abends. Ich wohne allein, meine Mutter iſt im Oktober drei Jahr todt. Schlimm für mich! Meine Schweſter hat nur das eine Kind; und ich ſah ſie auch in der Zeit nicht wieder. Hannchen iſt eine große Demoiſelle, Fanny geht noch in die Schule. Gute, brave Kinder. Meine Brüder ſind alle in Berlin, der jüngſte verheirathet mit einer Demoiſelle aus Po - len. Sie iſt artig, gut, und unſchuldig. Erzogen wie die hieſigen Mädchen. Leben Sie wohl! Und arbeiten Sie dran, wenn erſt der Regen dieſes Gewitters riechen wird, nach Deutſchland zu kommen. Sollte ich von den Erſchlagenen79 ſein, ſo denken Sie, es kam ihr nicht unerwartet, ſie hatte namenloſe Furcht; ohne Ausſicht auf Freuden. Gott ſchütze uns! Sehen Sie meine Stimmung in dieſem Morgenbillet? Adieu! R. R. Robert heiße ich jetzt. Noch eins! Die Beth - mann iſt wohl, und wird älter; und hat noch ein großes Publikum.

An Frau von Fouqué, in Nennhauſen.

Einige Tage vor Ihrer Abreiſe hatte ich gehört, Sie würden diesmal längere Zeit in der Stadt bleiben, der Kriegs - umſtände wegen. Da wollt ich’s für mich abwarten; mit ei - nemmale aber waren Sie weg! Meine Klagen Ihnen nach; wovon Sie hier nur wenig hören; das werden Sie auch wohl wiſſen, und an dieſen Worten, die hier ſtehen, und den be - ſten, die Ihnen ſelbſt oft im Herzen bleiben müſſen, abmeſ - ſen. Beſonderes ſteht mir in dieſem Augenblick nicht vor der Seele, was ich Ihnen zu ſagen hätte; aber unendlich viel könnten wir mit einander ſprechen, gingen wir nur miteinan - der ſpaziren, träfen wir uns abends vor dem Sopha, und lebten wir die verſchwendeten Wochen neben einander! Viel - leicht wird Friede aus der Erſchöpfung des Krieges; und ein Sommer für Menſchen daraus, nicht einer für Krie - ger und Bekriegte; und vielleicht fällt alsdann ein Tröpfchen klaren Segens auch auf mich, und ich kann Sie beſuchen! Sie ſehen, liebe fromme Karoline, ich bin hier nicht ſo fromm80 als Sie! Wer kann Gott nachrechnen! Menſchen, und ihr Glück ſind Beſtandtheile des großen Alls, warum ſollten ſie zu einem glücklich-Organiſchen nach der größten Zerrüttung und Trennung ſich nicht auch wieder zuſammen finden; zu neuen weitern Beziehungen? Wie viel aber hier untergeht, zeigen die Begebenheiten aller Zeiten: jedes Menſchen! Gewiß ſein, daß ein vielfältigerer höherer Geiſt aus heilbrin - genden guten Gründen Recht dazu hat, iſt meine einzige Re - ligion. Es iſt mir auferlegt; muß ich denken; iſt es doch viel, daß ich ſo viel weiß; und Klarheit und Verſtändniß in einem höheren Weſen zu hoffen vermag. Anfang der Gnade! Vergeht uns oft dieſer Strahl, ſo verzweiflen wir; aber ganz können wir nicht verzweiflen, ſo wenig, als durch unſere ei - gene Gedanken aufhören zu ſein. Müſſen wir doch unſer ganzes Daſein als ein Wunder annehmen; ergeben wir uns ohne Richten über den Lauf deſſelben; und richten wir immer von neuem uns ſelbſt; unſer Beſtimmen. Aber alle Buße ſei Reinigung, Stärkung, Feinerung, Beſſerung; Reue vor der That; und fleißige Unſchuld nach jeder. Gräuelthaten begehen nur kranke Tolle, arme unglückliche, bedaurungs - würdige Menſchen. Mich beugt übrigens der Krieg ſehr. Hab ich innen alle Zerſtörung erleben müſſen, und hat mir mein Herr die Einſicht in allen Jammer, und auch die Kin - derfähigkeit für alles Liebliche, Freudige und Lebenswerthe ge - laſſen; ſo hatte ich nur noch äußere Zerſtörung zu befürchten: ich erlebe ſie; und fühle es herb, ganz herb: nicht aber was mich perſönlich betrifft, beugt mich ganz; aber der Beweis, daß wir noch inmitten des Roheſten leben, daß verwundenderKrieg,81Krieg, und tolles Nehmen und Wehren bis zu unſern Schwel - len kommen kann, daß wir vor den Wilden nichts voraus haben; Bücher, gebildete Reden, wohlthätiges Sein aparte daliegt, und nicht in unſern großen Verfaſſungen mit inbe - griffen ſteht, daß wir allem ausgeſetzt ſind, und nur prahlend uns aufmuntern, wenn wir unſere Meinungen und Religionen über alle andere ſetzen: das macht mich ganz perplex und beugt mich. Freilich war irgendwo Krieg, ſo lang ich lebe; das Nahe dringt ſich einem aber am meiſten auf; und die ganze Erde iſt ja jetzt in der Anſteckung. Vier kluge Gedan - ken, kann eine ganze Nachkommenſchaft einmal über uns und unſern Zuſtand hervorbringen, dieſe Nachkommenſchaft beſteht denn aus drei oder vier Hiſtorikern und einer kleinen Zahl ſie Faſſender! Dies iſt meines Bedünkens für die Menſchen - geſammtheit daraus zu erbeuten.

Noch haben wir ruhige Abende! in einem ſolchen las ich geſtern Tiecks Phantaſus. Daraus habe ich ganz etwas Neues erfahren, daß man die klügſten, ja feinſten Dinge ſa - gen kann, und über jede Gebühr langweilig dabei ſein kann. Dialogen ſind ſchon das Schwerſte, wie mich dünkt, und nur Shakeſpeare, Goethe und Jean Paul in den Flegeljahren ſind welche gelungen: dieſes fortfließende Leben, mit ſeinen unend - lichen Vorausſetzungen, durch die kleinſten aber beſtimmendſten Züge kenntlich gemacht: gelingt nur dem lebhafteſten, gründ - lichſten, leichteſten Bemerker, wenn er die Gabe des Beurthei - lens während der Vertheilung derſelben in ſeinen Werken auf’s höchſte beſitzt. Nun kommt Tieck mit roh zuſammen - geſtoppelten Reden und Gegenreden ohne alle Situation, alsII. 682die willkürlichſte, die mir weder Ort, noch Menſchen, noch Lage zeigt; dieſe armen Phantasmagoren gehen in eben ſol - chen Gegenden ſpaziren, und reden mich wahrlich todt. Der einzige Troſt iſt, wenn man nach ihren allſeitigen langen Be - hauptungen, von denen Tieck ſelbſt nicht weiß, ob ſie Scherz oder Ernſt ſein ſollen, und wem er Recht giebt, Athem ſchöpft und ſich gratulirt, nicht auch ſolche geſchwätzige Tage mit den Herren und Damen verleben zu müſſen! Ich müßte toll wer - den in den Sälen, Gärten, bei den Waſſerfällen und Brun - nen; bei den lebloſen Scherzen! Hübſch iſt, was der Kranke von ſeinen Lektüren erzählt! Jetzt ſind ſie auf dem Gute, und wollen ſich einander vorleſen. Tieck muß phantaſiren in ſeiner eigenen Perſon, und komiſch und ernſt ſein dürfen. Ein Stück Leben darf er nicht in ein Buch faſſen wie Goethe, wo das noch mit hinein geht, von welchem er nicht ſpricht! Adieu. Schreiben Sie mir nicht mehr Ihre ergebene, Karoline sans phrase iſt beſſer. Ihre R. R. Über Tieck könnte ich noch lange ſprechen, aber die Feder iſt müde. Tauſend Grüße den Kindern Mariens Knäuel liegt noch bei mir. Hrn. von Fou - qué hab ich nur als Geiſt vorbeiſchweben ſehen. Vielleicht kommt auch mit dem Frieden Muße für uns Beide!

An Varnhagen, in Hamburg.

Vor zwei Stunden, jetzt iſt 1 Uhr, trat der Hr. von Ca - nitz bei mir herein, und überreichte mir deinen lieben Brief. 83Glück auf! daß die erſten Schritte auf deiner neuen Bahn angenehm und erquickend ſind! Dafür will ich gern ſchon einen großen Theil meiner Angſt und Sorge anrechnen. Das Lügen geht nicht: ſonſt verſchwieg ich es; mein Herz iſt noch nicht befeſtigt. Doch bin ich Gottlob hierin dumm, und will darüber ſchweigen. Wittgenſteins Proklamationen und Auf - rufe gefallen mir über alle Maßen; weil er ſeinen Feind zu ehren weiß, die Nation ſchont, und nicht ſchimpft; wie jene, die wir ſeit Jahren deßhalb tadlen. So redlich muß man auftreten; fühlen, daß man nur ſo aufzutreten braucht; und, will man der Deutſchen Karakter hervortreten laſſen, dieſe geziemende edle Seite hervorkehren! Es iſt mit wahrer Kunſt aus dem Herzen geholt, was man zu jedermans Verſtändniß ſagen muß, daß es wieder in’s Herz gehe! Jede Ironie, jede Prahlerei weit zurückgelaſſen! Sorge, was an dir iſt, mit da - für, daß auch das, was von euren Heeren ausgeht, edel, ein - fach, gefaßt und ernſt ſei. Und nimm mir dies nicht übel! Ich bin ſo ganz durchdrungen und überzeugt davon, daß, wo Prahlerei, hohles Reden und Ironie ſitzt, nichts anderes Gutes ſitzen kann, daß ich mit Sichel und Harke den ganzen Tag ausrauten gehn möchte: da wir alles Gute, ganz gutgemeinte Wackere und Reine ſo ſehr nöthig haben! Dieſen Morgen iſt Marwitz abgegangen: bis heute hielten ihn ein paar Kamme - raden auf; ſonſt wäre er geſtern gegangen: doch weiß ich nicht, ob er allein iſt, oder mit ihnen: länger wollt er nicht warten. Seine Truppe iſt voraus. Geſtern war ich bis halb vier mit ihm bei Bouché wo wir zuletzt waren die Tauben, die zwei wiegenden Pappeln, die Sonne, die Blumen, alles war6 *84da, meine Gedanken an dich, mein Verlaſſen auf dich, alles, aber anſtatt deiner, Entfernung, mit allen ihren Ungewißheiten. Wiſſe aber, um dich perſönlich, und auch um niemand, äng - ſtige ich mich nicht. Aber den Himmel beſtürme ich mit Ge - bet und Thränen, nämlich es werden immer Thränen, für uns Alle. Nicht, daß ich patriotiſcher als perſönlich wäre: du weißt, ich verſtehe nur den Gedanken: Alle, durch den: jeden; aber da jeder geht, und es jeden trifft, faſſe ich nichts Cinzelnes mehr: und auch hauptſächlich! für Einen, für dich, für mich, kann ich mir ein Glück, ein Entkommen denken; für ein Gan - zes aber nur, weiſe Führung: oder, bibliſchen, unmittelbaren Gottesſchutz.

Frau von Fouqué iſt noch hier, hat mir aber nichts ſa - gen laſſen: ich ihr wieder nichts. Marwitz iſt ganz entzückt, daß ich ſtolz bin, wie er’s nennt: mir iſt es ganz egal! So explizirt ich’s ihm; und ſo verſtand er’s auch. Heute ſchickte mir ein General mit einer Botenfrau aus Köpenick einen dicken durchſtochenen Brief: die Frau ſagte, es ſei ein franzöſiſcher General, und ich war ſehr betreten. Der Brief war von Barnekow aus Jaroslaw vom 14. Oktober, der Ge - neral ein preußiſcher mit einem franzöſiſchen Namen, worauf ſich die Frau nicht beſinnen konnte. Der Brief iſt ganz aus ſeinem liebenswürdigen Herzen geſtrömt, und eben ſo ange - nehm, und zum Lachen. Das Schreiben tödtet mich; ich will ihm doch morgen ſchreiben. Hr. von Canitz, den ich nur einen Augenblick geſehen habe, ſcheint ſehr artig zu ſein; ich konnt ihm gar nichts dergleichen erzeigen, weil er morgen früh ab - reiſt und ſeine Zeit gewiß beſſer braucht. Beſtelle ihm dies85 und meinen Dank! Viele Glücksgrüße an Hrn. von Pfuel: ich danke ihm noch, daß er mich in dem Trouble beſucht hat. Empfehle mich auch dem Obriſten! Marwitz frug mich immer, ob mich die ganze Stadt nicht um ſeinen Beſuch beneidet hat. Ich ſagte ihm, er wiſſe, wie geſchieden ich von der Stadt lebte, aber die ich ſprach, hatten alle zu mir kommen wollen. In Hamburg muß ja presse bei ihm ſein. Wir leſen ſie immer, die Zeitungsartikel, wo Tettenborn vorkommt.

Alles Neue von hier erfährſt du durch Hrn. von Canitz. Auch iſt nichts; als der Ausmarſch der Preußen. Das Wetter iſt fortdauernd herrlich: Sonne und erfriſchende Luft. Nur ſind mir alle Orte, außer Bouché, verbittert. Nach Spandau hin richte ich weder Blick noch Schritt. Da verſtehe ich den Thiergarten, und ſeine Spree drunter. O! theurer, ſchöner, verkannter Friede! Doch Glück auf! Euch ermuntert, er - muthigt, erfriſcht der Kampf. Ich hoffe! baue auf dich. Liebe dich; und grüße dich mit treuem Herzen.

An Varnhagen, in Hamburg.

Deine Briefe ſind jetzt meine einzige Freude! Dies iſt wohl der beſte Dank, lieber Auguſt? Nicht wahr? Geſtern brachte Einer, der nicht einen Augenblick wartete, mir einen Brief von dir, mit dem Stück Amtsblatt und zwei Zeitungen. Ich freue mich, daß unſere Meinungen über Wittgenſteins Proklamationen ſich begegneten! Du weißt, ich möchte86 gerne die Nation geſchont wiſſen. Weil es klug und heilſam von uns wäre; und gerecht hauptſächlich: es gingen Andere als ſie ſelbſt vorwärts, und ſie war nicht die einzig bezwun - gene. Wir Deutſchen müſſen uns nur mit dem ächteſten Schmuck ſchmücken; das iſt Gerechtigkeit, Mäßigung, Recht - lichkeit und Geſetzmäßigkeit. Welches letztere ich, Gott ſei ewig gelobt, auch allenthalben zu meines Herzens Stärkung wahrnehme! Feure nah und ferne, wie du nur kannſt, zu die - ſer ſtärkenden alleinheilbringenden Ordnungsmäßigkeit und Rechtsanerkennung und Übung an! Ich bin ein Nichts: und Kraft und Stimme ſpar ich dazu keinen Tag, bei keinem Menſchen, bei keiner Gelegenheit; wenn ein jeder ſo thut und wirkt, ſo werden Alle beſſer; und daß dies geſchehe, dazu ſei unſer langes Elend, und unſer herbes Streiten uns gut! daß wir nicht nur ein ſtarkes, derbes, ſondern auch ein gutes gott - gefälliges Muſtervolk werden! Mich dünkt bei den Deutſchen zu bemerken, daß ihnen das Irren und ſich Aufblaſen nicht ganz natürlich und bequem iſt; ſie haben nur Grazie in der ſtrengen Ausübung von dem, was ſie für wahr und recht er - kennen; ſo hab ich bemerkt, daß man die heterogenſt Geſinn - ten wenn nicht nichtswürdige Abſichten ſie leiten, das Gift, zur Menſchenſünde auf der ganzen Erde ausgeſtreut, mit wohlgemeinter, redlich ausgedachter Wahrheit bald überzeugt. So konnt ich geſtern gleich zum erſtenmale den Profeſſor Z., der gewiß ganz andere Gedankenſphären durch - geht und gegangen iſt, als ich, zu dieſen meinen dir bekannten Meinungen bald überführen; und auf eine ſehr naive, nicht mich lobende Art gab er mir dies zu erkennen. Minna S.87 hatte ihm ein paar Zeilen, mich kennen zu lernen, mitgegeben. Ich glaub es iſt ein braver, wahrhafter Menſch. Etwas rustre: du weißt, ich liebe das nicht: mit ihm aber bin ich doch zufrieden. Noch dazu, ich wußte, er iſt ein neumodiſch Deutſcher: ſeine Geſinnung ſcheint mir aber ſehr redlich, und naiv.

Ich habe gräßlichen Büchermangel: gar kein Buch: da nahm ich geſtern ſpät die Bibel. Herr Jeſus Verrath und Tod las ich; und weinte ſehr. Ich kann es mir ſo lebhaft denken; und wie er wußte, daß ihn Petrus verrathen mußte; ſo natürlich: gewiß wahr! und wie Petrus ſelbſt weinte, als der Hahn zum zweitenmal krähte. Es gefiel mir ſehr! Das Evangelium Johannis las ich heute etwas: das find ich wieder ſchön. Mir gefallen nur jetzt ganz großartige, groß - gezeichnete bibliſche Karaktere; alles wird mir zu klein. Nur Eingebungen, Patriarchen, wie ſie Goethe uns auffriſcht, und deren einfach großes Zuſammenſein mit den Gegenſtänden der Natur, und nicht dem frikaſſirt Römiſchen, Römiſchmodernen, gefällt mir noch einigermaßen. Neulich konnt ich dies Mar - witz ſehr gut und kurz ſagen.

An Varnhagen, in Hamburg.

12 Uhr Mittags, bei ſchönſtem, hellſten Sonnen - ſchein, erquickender Luft.

Ich bin in allem deiner Meinung, und auch ganz des Sinnes, das Leben eher zu verlieren, als ein ſolches88 zu erhalten, in welchem man nicht mit aller Ehre weiter - leben kann. So waren auch meine Erinnerungsworte ge - meint; und in dieſer Vorausſetzung werden es auch alle die ſein, die ich noch je ſprechen kann. Dies, mein Freund, ver - giß mir nie. Vorige Woche mußte Moritz ſein Loos zur Landwehr ziehen wann man nach dieſen Looſen gehen muß, erfährt man noch nicht heute, auf dem Schützenplatze, immer dem Alter nach, zog Ludwig, und da wurde den Zie - henden von éinem Polizeibeamten ein Sieg bei Lüneburg ver - leſen gegen General Morand, wovon ihr nun auch wiſſen müßt. Kein Wort von meiner Erſchütterung bei ſolchen Dingen. Du kennſt meine Spannung, mein heftig-elaſtiſch Herz. So kündigte man uns vorgeſtern eine falſche Nach - richt von einer Kaufmanns-Reſſource ausgehend von einem Siege bei Deſſau an; der dachte mir das Leben zu ko - ſten; weil er zu groß war; ich ihn nicht glaubte, und ihn glauben mußte, der Art des Erzählens nach; dieſe zweifäl - tigen Bewegungen des Herzens ſetzten mich in die gefährlichſte krampfhafteſte Spannung; und weil es bei Deſſau war, wo wir Anno 6. die Brücke zu zerſtören, aus Noth, ver - gaßen, und da alles herüber kam!! Hier ſchicke ich dir Frau von ** ihren Aufruf. Gott im Himmel! ſie wußte abſolut nichts, als daß ſie einen ſchreiben wollte; und das Wenige, was ſie noch zuſammenfand, verging ihr in der Schwatzhaftigkeit des Schreibens; das ganze Wollen ging auf in ein litterariſch Aufgehetztſein; nicht anders iſt ein Ra - dotiren Herumirren zu nennen in allen neueren Schrift - ſtellermeinungen, und neumodiſchen aber eben darum alt -89 modiſchen, weil es dergleichen gar nicht mehr giebt für irgend vornehme Köpfe, und große einfache Seelen Stimmungen, die an und für ſich ſchon ganz unächt, aus keiner ſtarken Quelle, ſeichte, dünne, vom erſten Luftzug vernichtete Pfühl - chen und Rinnen ſind! Indem ſie die franzöſiſche Sprache anfällt, war ſie nicht einmal beſonnen und geſchickt genug, ihre von franzöſiſchen Worten rein zu halten: ſogar den platteſten Beurtheilern giebt ſie ſich bloß. Es iſt mir höchſte Anſtren - gung, das Ganze zu beurtheilen, da es wohl Theile, aber eben zu keinem Ganzen ſich fügende ſind; daß wir Deutſche heißen und ſind, iſt eine Zufälligkeit; und die Aufblaſerei, dies ſo groß hervortreten laſſen zu wollen, wird mit einem Zerplatzen dieſer Thorheit endigen. Jedes zu Verſtand ge - kommene Volk ſoll brav ſein; und die Freiheit haben, es zu ſein. Im erſten Gebote müſſen das natürlich Männer und Weiber, beide Geſchlechter in ihrer Art, ſein; der zweite Fall zerfällt in zwei andere; entweder man hat die Freiheit ſchon, oder ſoll ſie erringen; das letzte thun nur Männer, und den Weibern bleibt, zu erſetzen, ergänzen, heilen, wo jene zerſtö - ren und verwunden müſſen. Dies muß jedes europäiſche, chriſtliche, Gott in ſich ſelbſt erkennende Volk; und jedes ſol - ches muß dies allen andern Völkern gönnen und wünſchen: und nicht ſich prahleriſch allein dazu ernennen, ausſchreien und brüſten. In ſolcher demüthigen, gerechten Stimmung allein, die eine heilige iſt wo jede Schüchternheit und Scham wegfallen muß, und kann darf ſich eine Frau, weil es jede dürfte, erkühnen, laut das heißt, gedruckt oder im Tempel zu ihren Schweſtern zu ſprechen! Wie ein90 Gebet und Gelübde muß ſo etwas aus der Seele ſtrömen; dann wird man nicht alle Mythologien der Welt ſpuken laſ - ſen, ſondern vom Nächſten, was vorgeht und geſchehen muß, für alles Volk, welches wenig weiß, aber immer verſteht was recht iſt, wenn man’s ihm ausſpricht, verſtändlich, eindring - lich und nützlich ſein. Dies wollte doch Frau von ** gewiß: und wie weit entlief ſie den Kraftmitteln zu dieſem Zwecke! Als im Anfang durch einige Herren der Stadt bei mir zuerſt erſonnen war, daß Frauen hier ein Lazareth ſtiften ſoll - ten, wozu wir dreißig Vorſteherinnen aus allen Ständen und Religionen gewählt hatten, welche die Prinzeſſinnen um ihr Präſidium bitten ſollten, faßte ich das ab, was dieſe dreißig in die Zeitungen ſollten ſetzen laſſen. Zwar nur den Anfang von vier Seiten, wie die hier ſind; Graf Eglöffſtein, Mar - witz und Ludwig und ich arbeiteten es dann bei mir um: dies war anders. Ich ſchicke dir dieſen Anfang nächſtens. Heute iſt mein Kopf zu erhitzt, ihn abzuſchreiben. Ein Kon - ſeil von Herren hat eine Änderung hineingebracht, die mir nicht gefällt. Geld kommt aber viel zuſammen.

An Varnhagen, in Hamburg.

Dienstag Morgen 11 Uhr, bei kühlem ſtürmiſchen Wetter, welches, ich fürchte, den Blüthen ſchadet, die ſchon heraus ſind; obgleich nicht die meiſten.

Dieſen Morgen muß ich noch nach Hemden laufen, die Markus giebt: ich muß es, weil ich mich keine Mühe.91 kein Klätern, keinen Weg, keine Anrede, und Rede mit ge - meinen Leuten verdrießen laſſe: weil ich denke, je ſchneller die Hülfe, deſto mehr iſt ſie Hülfe: weil ich weiß, was krank ſchmachten iſt; und keine Wäſche anziehen können, eben ſo halte, als keine anzuziehen haben. Unſer großes Lazareth war in einem ſchrecklichen Zuſtand!! Wegen unordentlicher Einrichtung und Deprädation. Kaum erfuhr es aber die Stadt, ſo war ein General-Aufſtand. Jeder ſchrie, lief, und gab. Ich ſchrieb Markus, dieſer Böhm, Böhm dem Civilgouverneur, die ſchnellſten Einſammlungen kamen in drei Tagen zuſammen; vom neuen Lazareth wurde alles hingeſchickt; alle Ärzte ſam - melten, fuhren mit großen Geldbeuteln: Wäſche aller Art, Betten, wurden nach ihren Häuſern geſchickt, Eſſen, wo immer hundert fünf und zwanzig Frauen kochen ließen; keine ſchlief, ruhte mehr. Mir hat’s einen großen Theil Geſundheit ge - koſtet; aber ich bin geſund, und kann ſehr laufen. Geſtern lief ich darum von der Dreifaltigkeitskirche bis in die Lands - berger Straße, heute wieder dahin. Ich ſchreibe dies mit Thrä - nen in den Augen, und mit Entzücken über unſere Stadt.

Die Juden geben, was ſie nur beſitzen: an die wandt ich mein Geſchrei zuerſt. Die Herz iſt unendlich thätig: ich ſporne ſie noch mehr. Nein, wie freut mich die Stadt! Kommt ſie doch zu ſich ſelbſt; thut ſie endlich wohl, wie es Jeſus meint; und wie es mich peinigt, daß es nicht geſchieht. Welche Wehmuthswunden hat mir dies Lazareth geſchlagen! Reil nimmt ſich der Sache jetzt an; ich will heute noch mit Böhm ſprechen: ich habe keine Ruhe! Der Deutſche Beobachter findet hier den größten Beifall: und ich behalte ihn niemals! 92Alle Herren der Stadt leſen ihn. Was du darin geſchrieben haſt, freut mich in der Seele. Behalten wir Herz, das innerſte Wollen, und unſer Urtheil rein, und heißen wir meinetwegen Vandalen, Irokeſen! Lieber guter Auguſt! in jetziger blutigen Zeit iſt es gewiß recht nöthig, gieb dir rechte Mühe, du kannſt alles, und ſchreibe ein Wort über Lazarethe! Nicht wegen unſerer letzten Kataſtrophe allein. Schon lange drückt mir eine Reil’ſche Ausſage, und mehr was ich von Lieferanten erfahren habe, das Herz! Reil ſagte nämlich, als die Frauen hier ihr Lazareth errichten wollten, es helfe alles nichts, wenn ſie nicht ſelbſt wirthſchafteten, und der ganzen Ökonomie und Pflege vorſtehen wollten; in keinem Lazareth in der Welt be - kämen die Kranken, was ſie ſollten. Der muß es erfahren haben. Sag es recht populär, recht eindringlich, welche gräß - lichſte Sünde eine Betrügerei an Kranken ſei! daß jede Stadt, die den Namen verdienen will, eine Kirche in ihren Mauern haben, an göttliche und menſchliche Gerechtigkeit Anſpruch haben will, daß ſie ihr geſchähe, die beſten verehr - teſten Bürger aus ihrer Mitte dazu hergeben muß, ſolche Werke zu unternehmen und ihnen vorzuſtehen; daß kein Lie - ferant und kein Inſpektor reich werden kann. Nenne unſere Stadt ja nicht: aber ſage, in den beſtgeſinnten und vornehm - ſten gingen noch Gräuel darin vor; alſo muß ganz Deutſch - land, ja die Welt ſich gefallen laſſen, Ermahnungen darüber zu hören; und durch die That ſie beherzigen. Lieber Auguſt, wie dehnt ſich alles! Wann kommt man zum Leben; lauter Bereitung, du biſt ſchon mittendrin, und legſt nur zu - recht: ich aber viel habe ich erlebt, und bin an Höheres93 gewieſen, das iſt auch viel und groß, wenn auch nicht leicht und angenehm. Du ſchreibſt mir hierüber ſehr richtig, theurer Freund! Ach wir wiſſen alles! Wir wollen aber fleißig und ſtark bleiben. Das Leben iſt eine Arbeit, die man auf - bekömmt; und eine davon beſteht darin, es verſtehen, ertragen und ergreifen zu lernen; es nicht zu ſchätzen, weil es im All - gemeinen und einzeln unſicher iſt; und es ſehr zu ſchätzen, weil es eine Probe zu einer Exiſtenz iſt, und alles was wir kennen, und womit wir das Mögliche errathen. Gott gebe meinen geliebten Landsleuten Muth und Beſcheidenheit. Unſer armes Land leidet entſetzlich. Jeder Kerl geht mir in die Seele! Bauerndörfer! Aber ſie benehmen ſich wirklich noch gut! Alles hat Muth, Willen, und hilft in jeder Art. Auf der Gaſſe kann man’s hören, bei jeden Vorübergehenden, das Papier iſt zu klein zu allen Anekdoten! Jünglinge ver - zweifeln, die nicht mit ſollen; übernehmen drei, vier Poſten und Stellen für ihre Brüder, und ſagen, ſie überleben die Schmach doch nicht!

An Varnhagen, in Hamburg.

Heller, warmer Sonnenſchein, und doch Wolken und Wölkchen am Himmel. Lerchen in den Straßen übertönen alles jetzt. Blüthen ſtrotzen vor Friſche und Ju - gend des Moments.

Endlich geht Egloffſtein und Moritz! Ich konnte vor Müdigkeit nicht mehr weiter leben; weil ich in drei Nächten94 auch nicht geſchlafen habe. Zwei Tage waren ſehr ſchöne, muntere Koſacken in unſerem Viertel, die Oſtern hatten, und nicht wenig tobten. Sie ſangen und ſchrieen, und pochten an den Häuſern bis 2 Uhr nachts, und um 5 ſtellten ſie ſich ſchon unter meinem Fenſter, wo ſie ihre Pferde anbanden. Meine Scheiben glaubte ich entzwei: ließ aber doch die Laden bis 9 Uhr zu, wo ſie abritten. Dieſe Nacht um halb 4 ein Ko - boldslärm im Hauſe; um 5 höre ich einen Wagen: ich, zu krank nachzuſehn, klingele Dore, und laſſe nachſehn, weil ich denke, es iſt ein Arzt, den man geholt hat. Es iſt der Mieths - fuhrmann von drüben, und ſie fahren mit allen Vorräthen nach Spandau, wo heute Berlin hin zieht: denn es iſt über. Heute zogen ſie aus: ſiebentauſend Gewehre, viele hundert Zentner Pulver, hundertfünfzig Stück großes und kleines Ge - ſchütz. Ein Baurath, der wegen der Dämme ſchon geſtern drau - ßen war, hat meinen Brüdern verſichert, ſolch ein Zerſchießen geſchähe nur ſelten. Noch wenige Fuß, und alles Pulver, Spandau, Stadt, Beſatzung, Menſchen, und vielleicht Bela - gerer, wären in der Luft geweſen. Drum zogen ſie ab: und darum wurde es bewilligt. Ein Kapitain Ludwig ſoll Wun - der gethan haben, und einer der erſten Artilleriſten ſein. Nur ſechszig haben wir Todte und Verwundete zuſammen. Reil hat zwölf im Klinikum; Einer davon ſtirbt nur. Mit zer - hacktem Blei ſchoſſen ſie heraus! das ſoll Unrecht ſein. Man ſieht’s an den Wunden. Drei Tage wurde es doch nur be - lagert. Meine Seligkeit kannſt du dir denken, daß der Gräuel aus iſt. Wie habe ich Gott gedankt!! Ich habe die Mädchen beſchenkt. Line Kleid, Dore Tuch; eins meiner95 beſten, für ſie ein unerreichbares, ein türkiſch Shawl. Könnt ich nur auch Gutes thun, da dieſes Gräßliche noch ſo glimpf - lich ging. Unſere brave unterrichtete Artillerie von Span - dau wird anderweitig gebraucht. Mir iſt Gott ſo gnädig jetzt: und ach! nur ſelten fühlt’s mein Herz einen Moment. Der erwägende Richter hat mein Nothgebet, mein Geſchrei - meine windende Angſt wegen Spandau erhört! Ich habe ſo viel Glück und Gnade. Ach! Ach! und bin ſo unruhig, ſo unſelig! Aber ſei ruhig! Daß du vergnügt, muthig, ru - hig, glücklich biſt, iſt mir alles; giebt mir Muth, den einzi - gen Muthſtrahl durch’s Herz! Ich ſchrieb gleich an Niebuhr, und ſchickte ihm deinen Artikel und Schlegels Schrift, die er mir, wenn er ſie ſchon kenne, wiederſchicken ſoll, was er noch nicht gethan hat. Heute Morgen bekam ich durch den Poſtboten einen Brief von dir, mit der Nachricht von den übergegangenen fünfzig Sachſen. Ich denke darüber wie du. Wenn du erlaubſt, ſo ſchicke ich dem Zeitungsbureau, und nicht Hrn. Niebuhr, dieſe Nachrichten. Der gefällt mir durch - aus nicht. Geſtern Abend las ich zum erſtenmale ſein Blatt. Wie hart. Wie verblindet. Wie hetzend! Nur Saragoſſa und Moskau! Die Welt mag untergehn, wenn nur ein wichtiger unwichtiger Geſchichtsparagraph daraus er - ſteht. So hart und ungefügt und unverſtändlich iſt auch ſein Stil. Wie ehre ich dagegen Heeresgoräth ! Religion iſt Vokal, und Geſchichte Konſonant: und wie klar, wie ver - ſtändlich iſt das Stück Geſchichte darin vorgetragen! wie nir - gend. Und die milde, ganz edle, nicht aufgepuſterte Bücher - geſinnung! Jenem lieſt man an, daß er ſich die Welt weiß96 auf ſchwarz zuſammengeleſen hat. Pfui! Ich freue mich deiner Freunde, und Freude darüber. Hrn. von Noſtitz die freund - lichſten Grüße! Er ſoll an unſern Freund denken, der nicht mehr iſt. Ich bin zu müde. Geſtern war ich dreimal bei Woltmanns, weil das dumme Dienſtmädchen zweimal ſagte, er ſei aus: dann ſchrieb ſie mir: und es verhielt ſich ſo, daß er ſeit ſieben Wochen ganz zu Bett an Gicht in der Hüfte liegt, und ſeit neun Monaten nicht aus war. Sie ſind ſehr dankbar: ſie hat mir heute bei dieſem Briefe ſehr lieb geſchrie - ben; thu das Mögliche: ſie hoffen wenig! Ich werde ſie manchmal beſuchen: ſie wohnen, wo Johannes Müller wohnte, im George’ſchen Garten. Höre die ſchöne Anekdote! Eine Geſellſchaft Frauen machte auch in Breslau eine Sammlung für unſere Sache: alle gaben; ein Mädchen war dabei, die gab nichts; ſie konnte auch nichts geben, alle wußten’s auch; ſie hatte nichts. Sie geht aber weg, und kommt mit drei harten Thalern wieder, die ſie giebt: alle wundern ſich. Weg waren ihre Haare, die ihr ſonſt einmal ein Haarkräusler ab - kaufen wollte, und dem ſie ſie nun gelaſſen hatte. Augen - blicklich kaufte die Geſellſchaft die Haare zurück, die ſchönen, langen, blonden; ließ Ringe davon machen, und die werden wieder für unſere Sache verkauft. Der Geheimrath Crelinger hat ein Dutzend mit hieher gebracht, die theuer verkauft wer - den. Es iſt nicht viel, ſeine Haare zu geben: und doch iſt die Geſchichte ſo hübſch. Der Emotion wegen, die das Mäd - chen, die Frauen, gewiß hatten, und des lieben Willens und unſerer Emotion wegen. Nicht wahr? laß ſie drucken. Goethe iſt, wie du in Niebuhrs Zeitung leſen wirſt, in Dres -den:97den: Gott ſei gelobt in Ewigkeit. Was mag der denken! Manches denk ich mir. Die Sonne duckt: heute gehe ich zu Kommandanten-Bouché. Mlle. Schmalz reiſt morgen zu der hohen Geſellſchaft nach Dresden, auf drei Wochen. So ſchließt ſich das Lebensintereſſe ſelbſt an den Tod. Man ſagt ſo eben, Niebuhr habe den Befehl, nach Dresden zu kommen.

An Varnhagen, in Hamburg.

Hier ſitze ich, lieber Auguſt, in einem himmliſchen Ge - birgskeſſel, in einem an Bergen angeklebten Badeorte, mit den idealiſcheſten Spazirgängen; nicht im Bade ſelbſt, ſondern auf dem Markte wohnend. Alle Berliner ſind in Breslau. Ich zog es vor, hier im ſtillen Winkel an der Gränze wohl - feil im Sommerleben zu ſitzen. Gott, Auguſt! könnt ich dieſe Gegend, dieſe Einſiedler-Ruhe, dieſe Schlünde, Ge - birgsgewäſſer, dieſe Blüthen und dieſe Grasmatten, ohne Angſt für alles was ich liebe, genießen. Mit dir. Wie könnten wir uns hier von der verkehrten Lage, von der drük - kenden Sorge, von den leeren Gängen, vom verkehrten Da - ſein erholen! Der Frühling, die Stille, das Feld, will mir die Gedanken an Preußens, an Berlins Zuſtand, an den un - natürlichen Krieg wegwehen; und mein Gewiſſen drückt ſie mir wieder an’s Herz! Mit Vorwürfen zugleich, daß ich noch leben und genießen will! So ſah ich hierherzu kein friedlich Dorf, kein Schloß, keinen Garten, kein wohlbeſtelltes Land: ohneII. 798ſchwere Belaſtung des Herzens und ſchmerzliche Thränengebete. Ich traute mich nicht, mich zu freuen! O! die ganze Natur iſt ſtill: und der kleinlich wüthende Menſch, ohne direkten Willen, ſtört ſie, und den Frieden! Eins iſt gewiß, Auguſt: iſt nur Friede, bleibſt du nur leben, und wir haben auch noch ſo wenig: in einem Thal wie hier, können wir reichlich und glücklich mit einander leben.

An Erneſtine Robert, in Brünn.

Geſtern, liebe Erneſtine! erhielt ich erſt einen Brief aus Reinerz, der neun Tage unterwegs war, von Markus, der mir auch Ihren von Troppau mitbrachte. Ich bin ſeit vier - zehn Tagen hier: ſehr gut aufgenommen die Details habe ich zu oft ſchreiben müſſen ſeit ich hier bin, ohne nur in der Welt zu wiſſen ob auch die Briefe ankommen. Sie erlaſſen ſie mir alſo heute , aber in welcher Seelenverfaſſung, - gen Sie beurtheilen! Vom Lande, von Geldquellen, von Nach - richten, von Freunden abgeſchnitten: ohne Heimath (denn ein Quartier habe ich überhaupt nicht), und ohne zu wiſſen, ob ſie ſich wieder herſtellt. Spät erſt erfuhr ich durch Reiſende, wo Markus war zwei Poſten von Reinerz, wo er nun wieder iſt und durchaus konnte ich nicht ergründen wo Sie geblieben waren; erſt vor acht Tagen erfuhr ich es. Stellen Sie ſich alſo vor, wie mich Ihr Brief freut! ich hatte ihn nicht eine Viertelſtunde, als mir Louis, mein Bruder, einen von99 Moritz zu Hauſe brachte mit der Einlage für Sie. Ein Rei - ſender, der über Dresden in drei Tagen von Berlin hierherge - kommen iſt, hat ihn mitgebracht. Dort iſt alles jetzt ruhig, und ſehr anſehnliche Truppen von uns dort. Ich glaube Ih - nen, daß es Sie nicht freut nach Wien zu gehen; mich erfreut auch nichts, und ängſtigt der Aufenthalt im fremden Lande, ſchon in pekuniairer Hinſicht genug! Wie finden Sie das theure Kupfer und Papier? Alles in der Welt koſtet einen Gulden. Ich bin aber ſehr getröſtet für Sie, daß Sie bei den Ihrigen ſind: und daß beſonders Mama bei Ihnen iſt, und nun gar noch Papa kommt, mit ſeinen Konnexionen. Es wird Ihnen beſſer gehen, als Sie es erwarten konnten; ſehen Sie doch alles! und Sie werden in Wien in gute Konnexionen kommen. Erlaubte es das Geld, ſo machte ich Ihnen dort meine Aufwartung. Aber bis nach Wien bringe ich es nie, ich komme immer nur bis nach Prag. Aber Prag iſt wun - derſchön! Solch ein Schloß! ſolch eine Stadt um das Schloß her, giebt es wohl nur ſelten in der ganzen Welt. Das The - ater iſt ſehr gut welches ich frei habe und faſt täglich be - ſuche. Man zieht ſich ſehr gut an hier, die Frauen nämlich; viel und reicher Adel, Palläſte, und das auch in den engſten Gaſſen, die von altem großen Reichthum zeigen: die ſchönſten Spazirgänge. Dies die Stadt an ſich; und ſehr groß. Ich wohne bei einer lieben Frau; ſehr gut. Gr. Bentheim thut alles mögliche Gute an mir. Varnhagens geweſener Oberſt. Ich weiß noch nicht, wann ich es ſicher genug zum Reiſen halten werde. Übertölplen Sie ſich damit auch nicht. Die andern Berliner ſind nach meinem Begriff zu voreilig nach7 *100Hauſe gegangen. In dieſer Zeit hat der Furchtſame Recht, das haben Sie geſehen. Der Ausgang kann auch oft für die Dreiſten ſprechen, man muß aber den Augenblick, wo der Ent - ſchluß genommen werden mußte, nicht aus den Augen verlie - ren!

Tauſend Grüße an Alle die ſich für mich intereſſiren, die Schweſtern und Mama beſonders. Hätte ich doch den lieben Barnekow geſehen! iſt er denn nicht lahm an ſeinem Fuß? ich habe ihm ſeit dem Februar nicht antworten können, oder gar Oktober. Schreiben Sie mir von Wien. Adieu liebſtes Kind, antworten Sie uns.

R.

An Varnhagen, in Lauenburg.

Lieber Auguſt, der vierte Brief von hier! Alles mit Ge - legenheiten. In der Hoffnung, daß du ſie bekommſt. Aber nun bei Gott! kann ich nicht mehr daſſelbe ſchreiben! Und doch im kurzen! Mittwoch waren es zwei Wochen, daß ich mit meinem zweiten Bruder hierher kam. Mad. Brede hat mich aufgenommen; bei der wohne ich. Louis wohnt auch im ſelben Hauſe. Quartier, nichts iſt hier zu bezahlen. Die Stadt voll Landsleute. Ich ſchrieb deinen Freunden von der letzten Poſt hierher. Ihnen verdank ich Aſyl und Leben hier. Tieck iſt hier, und wir ſehen ihn täglich; ſehr lieb und freund - lich. Auch er iſt ſehr zufrieden mit dem Theater, und hat die Brede in Franziska vortrefflich gefunden, und es ihr heute101 geſagt. Goethe kommt her. Lämels haben ihm Quartier ge - miethet. Liebichs ſehe ich oft: ſie ſind äußerſt gut.

Vorgeſtern erſt! Auguſt, erhielt ich über Reinerz (neun Tage gingen die Briefe von dort hierher) deinen Brief aus Hamburg vom 27. Mai! Gottlob! Aber ſeitdem! Alles Liebe aus meiner Seele habe ich dir ſchon geſchrieben. Wo ich hin muß, weiß ich noch nicht. Für’s Erſte bleib ich im Schutz deiner Freunde. Alles dank ich dir mit freudigem Stolz. Die Möglichkeit der Reiſe, die Aufnahme. Der Obriſt liebt dich: er denkt immer, du kommſt her, wenn du mich hier weißt.

Schreibe mir nichts Öffentliches. Nur von uns. Einzi - ger Freund. Du bleibſt mir leben! Was ſollt ich noch viel auf der Welt ohne dich! Du haſt mich nun ganz erobert; et par droit de conquête et par droit de naissance; bei Gott, ich wäre todt ohne dich! So eben bat ich Auguſten, dir ein wenig von Tieck, ſich, dem Theater, und ihrer Laufbahn zu ſprechen. Tieck und unſere Geſpräche werden ihr ſehr wohl thun. Denk dir, daß er ihr Wort für Wort ſagte, was ich ihr geſagt hatte; z. B. nach Franziska, ſie ſollte Lady Mac - beth ſpielen!? Ha? und ſo alles Wunderbarſte. Siehe! ich ſpreche von Fremden! und denke ſo viel an uns, bin ſo erfüllt davon; ſo ganz noch im Gefühl von dem Krieg! Aber ich kann nicht aus Aufgeregtheit drüber ſchreiben. Auch habe ich dir zu viel geſchrieben. Lebe wohl. Gott ſchütze uns! Ich danke dir für alle Liebe! und trage ſie und dich zärtlich und immer erſchüttert in meinem Herzen dafür! Lieber Au - guſt. Bleibe nur muthig; und ſo lange ich lebe meiner gewiß!

R. R.

102

Grüße Marwitz millionenmal: ſeine Schwägerin iſt hier, und hat mich nach ihm fragen laſſen. Ach! nun kommen nicht mehr häufige Briefe von dir! Adieu! adieu!

An Varnhagen, in Mecklenburg.

Vormittags 10 Uhr. Helle brennende Sonnenhitze; mein Fenſter gegen Morgen.

Als ich geſtern deine Briefe geleſen hatte, mußt ich gleich nach dem Landhauſe, die Schildwache genannt, fahren, ich nahm Papier mit, und wollte dir dort ſchreiben: die Hitze, die Sonne, die Menſchen, mein körperlicher Zuſtand, alles ſtörte mich. Nach Tiſch kam eine Unzahl Menſchen. Das Schwarzenbergiſche Hauptquartier ſteht in der Nähe, und ſeine Suite ſitzt bei Liebich; recht lebſelige, artige, angenehme Leute; und was noch viel mehr iſt, launige, luſtige Leute. Ein Hr. von Böhm, der komplet artig und fein, und freundli - chen Herzens iſt, und keine Grade der Artigkeit äußert, ſondern den Orden nicht getheilt hat; artige Behandlung fließt aus ihm aus, weil er artig iſt; vielleicht kennſt du ihn, er war mit Fürſt Schwarzenberg in Paris; ſieht Barnekow etwas ähnlich. Dann ein Graf Karl Cl. M. ein ſchöner junger Mann; dem ich erſt Unrecht that, weil es nicht meine Schön - heit iſt; der ungeheuer natürlich iſt, und keine Art von Prä - tenſion hat; der für ſein Alter bewundernswürdig abgeſchliffen iſt, ohne nur im Geringſten an Jugendlichkeit zu verlieren; eine menſchliche Artigkeit in ſich trägt, die in Argloſigkeit. 103Wohlwollen und Aufmerkſamkeit auf alle menſchliche Äuße - rungen beſteht. Er äußert ſich viel, und iſt doch leiſe; er er - zählt ſogar ohne vortretend zu ſein, nicht einmal mit der Stimme. Er ſcheint viel Sprachen zu ſprechen, und ſpricht auch unſere ganz richtig, und eine Liebhaberei an ſolcher Richtigkeit, und Erwägung ihrer aller zu haben. Ein ange - nehmer, wohl zu leben und zu leidender Mann; der ſich ſo - gar den Grafen ſehr abgerieben hat, und ſich weit edler und werkthätiger dahinaus bewegt hat aus dem Grafen. Dann noch drei junge Leute, die alle natürlich ſind, und nicht gemein. Manche äußerten ſich noch nicht. Nun mein Favorit, ein Herr von den Namen werde ich ſpäter ge - nauer und richtiger ſchreiben können. Ein überaus luſtiger, lebhafter Menſch, braun, glattes Haar; etwas wohlbeleibt, voller Laune; kann er nichts thun und hervorbringen, ſo macht er aus Ungeduld Grimaſſen; tappt und neckt alle Kam - meraden; nimmt aber mit derſelben guten Laune wieder ein, und läßt ſich ad absurdum führen. Graf Cl. iſt immer ganz ernſthaft und demonſtrirend gegen ihn. Du fühlſt, bei mei - ner Lebhaftigkeit und Ungeduld mußt ich, trotz ich mir aus richtiger Behutſamkeit das Gegentheil vorgenommen hatte, mit dem Mann etwas verwandter werden: denn er zwang mir plötzliches Lachen ab: das näherte wieder ihn unbewußt; auch hat er die gute und faſt[immer] launigen Witzigen feh - lende Eigenſchaft, auf Anderer Einfälle gleich zu horchen: ſo iſt er zwar wie erſchrocken über Repliken oder Witz und Scherz, der nicht von ihm kommt, und repetirt ihn in dem Schreck ſehr poſſierlich, aber würdigt ihn mit der größten104 Gutmüthigkeit, und macht gleich einen friſchen, und, gelingt ihm keiner, daraus etwas. Als wir ſpäter im Bauer - garten ſpaziren gingen, wo die Kühe weideten, und ich mich fürchtete, fragte mich Graf Cl. ganz theilnehmend, ob und warum ich mich denn ſo ſehr fürchtete? Und da antwortete ich in meiner Angſt: Warum ſoll ich mich denn vor dum - men Leuten mit Hörnern nicht fürchten? Das konnten die beiden gar nicht vergeſſen und verlachen. Heute ſollt ich wieder bei Liebichs diniren. Tieck iſt ſchon dieſen Morgen hinaus und darum wollte man mich gerne mit Schle - gels Überſetzung des Macbeth, der ſoll nächſtens gegeben wer - den, und Tieck ſpricht nun darüber, wie er und Shakeſpeare es meinen. Tieck wäre nie zu Liebichs und zur Brede ohne mich gekommen; aber du weißt, was ich im Menſchenvolk zu verbinden verſtehe; wie viel Bindendes die Menſchen in ſich tragen, und was nur zuſammengewickelt daliegt; ich vermag es zu entwicklen, zu entwirren: und Prag wird in ſeinem Theater eine Veränderung erleiden. Dies auch nur ſchreib ich, weil es dich amüſirt! Mich intereſſirt ganz etwas an - deres! Unſer Zuſammenſein. Ruhe, Wohnung, Feld, Geſell - ſchaft; Thätigkeit, Angemeſſenes für dich im Frieden. Meine geliebten Freunde wieder zu haben!

105

An Gentz, in Prag.

Wer tief aufbrauſende Wellen eines ganzen Meeres, von ſonnenleerem Firmament überdunkelt, beſchreiben könnte!

So ſehe ich mein Herz unter mir; keine Sonne, keine Hellung des Geiſtes will hinableuchten, ſeit ich Sie ſah: ſeit ich Sie hier weiß eigentlich. Jede Leidenſchaft; jeder noch ſo fromm ergriffene Wahn, jeder einſeitige Naturhang des Her - zens muß vergehen ich kenne alle durch Zeit; und zer - ſtören ſie nicht das Herz, das Leben ſelbſt, ſo geht dies neu hervor; wenn auch nach tauſend Jahren.

Was ſoll ich aber zu meinem Herzen, zu mir ſelbſt, zu meinem Geiſte ſagen, in dem namen loſen Bewußtſein, daß ich die elf Jahr hätte müſſen unter Ihren Augen leben; ja! daß es ſo damit iſt, wie mit Seelenaugen, die ich wiederbe - kommen habe; und mir nun vorrechne, daß ich im ſchwarzen Dunkel die ganze Zeit mich allein gequält habe. Glauben Sie an keine Übertreibung! Sie ſollten von meinem Leben wiſſen, alles geſehen haben: wer giebt Freuden und Schmerz, Gedanken und Ereigniſſe, friſch aus der Seele gebrochen, einer ſo langen Zeit, zurück. Wie ein Irrender ging ich geſtern unter den wohlbekannten, mir freundlichen Menſchen umher: wie über meinem Haupte gingen ihre Worte an mir vorbei; ich antwortete wie ſonſt, ſie waren zufrieden: ich meinte, es antwortete ein Anderer für mich, aus göttlicher Zaubergnade. Habe ich doch gar nicht gewußt, daß ſolche Schmerzen in106 meinem auf ewig beruhigten See, in meinem Herzen noch möglich ſind! Es ſind auch nicht Schmerzen: ein Wogen, das Wogen eines Weltmeers; worüber, man ſieht es, man nie Herr wird. Ich ſeh’s, die Natur iſt unendlich! und immer anders unendlich, als der gewitzigſte, beſcheidenſte Geiſt es ſich zu denken vermag. Was ſoll mir die Zeit erſetzen; dieſe Zeit? Und doch glaub ich das Umnögliche, das Unbegreif - liche: Gott kann ſie mir erſetzen. Ich nehme ein Jenes-Leben darum an; mein tiefſter Ernſt, den ich auszuſprechen er - bebe. Ich ſcherzte nicht geſtern, als ich in der Menſchen Ge - genwart ſagte: Gott müſſe eine große Urſache zu unſerer Tren - nung haben. Sie, Gentz, fühlen dies alles nicht ſo, ſind da - von nicht ſo überzeugt: und ich weiß auch ganz, wie ich Ih - nen erſcheine: Sie lieben mich nur, dieſen Brief, und alle meine Briefe, wie Sie den entzückten Taſſo liebten, begegne - ten Sie ihm in jenen Gärten gekrönt. Ich bin entzückt, ſagt er, mit ſeiner irren Krone: und ſieht rein. Ihnen ging es äußerlich beſſer in der langen Zeit, und mit nennbareren Maßen waren Sie beſchäftigt, hatten Sie zu thun. Aber unſere Trennung war doch eben ſolch Unglück für Sie, als für mich: ewig wird mir dieſe Überzeugung bleiben; und nur mit dieſem Bewußtſein enden; Sie können ſie nur bekommen mit jedem Tage, den ich bei Ihnen lebte! zuſammen mit Ih - nen erlebte. Können Sie ſich den Wahnſinn von Unmuth, Schreck, und ſich für die Ewigkeit aufwindender wie Schlan - genthiere Verzweiflung, über meinen Stand, über meine Lage denken, die mich daran verhindern? Nein. Glauben Sie, daß ich noch irgend eine Ambition habe, als die mir zu107 Genüſſen dienen ſoll? Ich bin ganz ſo weit darin, als Sie. Erinnern Sie ſich an meinen Brief, den ich Ihnen über Prin - zeß Louis ſchrieb; und an mein Blaſirt . Wenn es mög - lich iſt, ſollen Sie doch wiſſen, wie es in ein paar Haupt - punkten um meine arme Seele ſteht. Sie ſollen auch wiſſen, daß Ihre Lieblinge gewiß die meinigen ſein werden: ge - wiſſer, als meine Ihre und daß, wenn ich geſagt habe: ich müſſe mit einem Menſchen alles ſprechen können, ich ge - meint habe: wenn ihm auch nicht alles einfällt, er doch alles gleich verſtehen und in die Familien ſeines Wiſſens aufneh - men muß, was ich ihm nur irgend Neues oder Unerhörtes ſagen kann. Und ſeine ganze Klugheit, ſein ganzer Geiſt muß darin beſtehen, dahin gehen, alle Härten, alle Härte zu verlieren, zu haſſen, zu vermeiden. Härte im Umgang: und für das, was ſie frivol nennen, Gründe zu finden, und zu haben; und Einſicht dafür. Denn es iſt nicht frivol. Es giebt auch nichts Eiteles; als Herzensdürre; Kopfhärte, Ar - muth, Naturarmuth. Gott! wie klein, wie unwürdig beſchäf - tigt komme ich mir vor, daß ich mich erſt legitimiren muß! Lebten wir zuſammen, ſo liebten Sie mich nur, und könn - ten nicht ohne mich leben. Dann wollt ich Ihnen noch ſa - gen, daß Sie mich allerdings benachrichtigen laſſen, wenn ich Sie ſehen ſoll: daß Sie aber, wenn Sie einmal eine kleine Zeit haben, unverhofft kommen: mein Mädchen weiß immer wo ich bin; und Sie ſchicken mir, wo ich auch ſein mag, gleich einen Wagen, (Iſt es denn nicht ſchrecklich genug!) wenn Metternich wieder nach Brandeis fährt, wie geſtern. Den ganzen Tag ſchrieb ich Ihnen geſtern, und anderes, als108 hier ſteht. Alſo! Sie ſind zufrieden mit mir. Ich bin ganz beglückt, daß wir auch in den großen Umriſſen gleich denken: ſo entfernt, und ſo gleich. Sie werden noch erſt ſehen! und dächten Sie auch total anders; mit Ihnen wäre das doch gleich: auch dies gleich. (Meine Feder kleckſt. Eine Ver - zweiflung!) Fragen Sie doch wo möglich Humboldt aus, was er wider mich hat: wenn man nur erſt das weiß. Grüß Sie Gott! und lenke etwas für mich!

R. R.

An Erneſtine Robert, in Wien.

Den 10. o! lieber Waffenſtillſtand, du Surrogat des Frie - dens! was wird nun werden?

Doch hören Sie meine Geſchichte! ſo muß ein jeder mit der ſeinigen kommen, und die größten Welthändel ſind nichts anders, als Bündel ſolcher Geſchichten. Hören Sie! Als ich Ihnen das letztemal ſchrieb, wo ich von Moritz aus Breslau einen Brief erhalten hatte, worin er mir mit dem nächſten Poſttage Geld von dort hierher verſprach, ſchrieb ich Ihnen ſchnell, unter Bedingungen, das ab, was ich mir von Ihnen beſchrieben hatte. Vorgeſtern Sonntag war der Tag, an welchem meine Anweiſung von Breslau kommen ſollte, und weder ſie, noch ein Brief von Moritz ſind mir von dort gekommen. Ich aber ſtehe auf dem Sprung nach Brünn, denn Truppen, Lazarethe, Gefechte ꝛc., warte ich mit meinem Willen nirgend mehr ab. Alſo bitte ich Sie nun mir in jedem Falle zu ſchicken, was ſie mir zugedacht haben, weil ich mich, wie109 Sie ſehen, jetzt nur auf Sie verlaſſen kann. Ich glaube in der That, ſie ſind Alle verrückt geworden: denn denken Sie ſich, Varnhagen, der ein Fels iſt wie ich ſelbſt, ſchreibt mir aus Berlin (wo er zwei Tage mit Tettenborn war, der den Kron - prinzen von Schweden komplimentirte) über dieſe Sachen ganz verkehrt. Um toll zu werden! und das alles in Zeiten, wo die Länder alle Augenblick geſperrt werden können! Von hier nach Wien bleibt es noch lange offen, alſo ſchicken Sie mir nur auf jeden Fall, weil alle andern Fälle unſicher ſind. Mein Herz iſt in Thränen über Ihren Brief. Nicht daß Sie mir ſo willig ſchicken wollen; aber über die Art wie Sie es mir ſagen. Sie haben ſich an mir eine Freundin für’s Leben verſchafft, nicht weil Sie meine Schwägerin ſind, weil ich Ihre liebe ehrliche Natur liebe: ſondern weil Sie meine einzuſehen ſcheinen, weil Sie mir nicht nur gut ſind, wenn ſie Ihnen wohlthut und gefällt, ſondern weil Sie ein feſtes rechtſchaffe - nes Herz haben: und auch wollen, daß es mir gut gehe: und mir darin zu helfen feſt geſonnen ſind. Wem ich aber in meiner Seele dankbare Freundſchaft widmen und zugeſtehen muß, der kann auf mein Blut rechnen! ſo furchtſam Sie mich kennen. Sie haben alſo auch eine ewige Freundin in der Familie: und keinen Hund! keine Unthätige, und noch keine Verlaſſene, und das bloß wegen Ihrer Worte bei der That. Ob ich wahr bin, wiſſen Sie!

Sehen Sie, daß X. das Schweinehündchen, ein Schweine - hund iſt? glauben Sie, Erneſtine, wenn ich dezidirt ſage, einer iſt gottverlaſſen, ſo muß ſich der Herr erſt wieder mit einer neuen Seele ſeiner erbarmen, ehe er etwas taugt. Einen ganzen Men -110 ſchen zu verwerfen iſt eine große Sünde; wie ſelten hören Sie d. g. von mir, im Gegentheil, zeitlebens ward ich angefeindet, und blamirt getadelt iſt nicht das Wort, weil ich nie unbedingt verwerfen will, und des Menſchen Natur bemüht bin, in ihm aufzufinden, den Punkt, aus dem er handelt, und nicht die zerſtückelten Handlungen zur Richtſchnur und Maßſtab nehmen wollte. Aber innerlich ganz eitle, unwahre Menſchen bis in den Kern, die ſich ſelbſt eine Lüge ſind, und obstinat dieſe den Geſcheidteſten, mit allen kleinlichen Rän - ken, und wirklicher Gewaltthätigkeit aufdringen wollen, ſind wahrhaft verwerflich, und mir unbezwingbar verhaßt. Be - wahren Sie dieſe Definition des Schweinhundes! Sie kön - nen ſie auch Brentano leſen. Mit Schweinhündchen und allem! Morgen reiſt Hr. von Humboldt nach Wien. Laſ - ſen Sie ſich erkundigen, ob ſie meinen Brief hat. Ihre amü - ſiren mich ungemein, ſo entſetzlich natürlich. Louis will Er - neſtinen einen großen Brief ſchreiben. Viel Schönes an Mama und die guten Schweſtern Margot und Louiſon. Eure Gegen - füßlerin von Jeanne d’Arc die furchterfüllteſte R. R.

An M. Th. Robert, in Breslau.

Jetzt muß man ſich oft ſchreiben, ſonſt weiß man nicht, wo man geblieben iſt. Ich habe nun Geld für die Verwun - deten und ein wahres preußiſches Bureau bei mir. Hemden, Socken, Eſſen, Geld, wird hier ausgetheilt und verſchickt. Die111 Scenen könnt ihr euch denken. Ich habe ſchon das Glück gehabt, drei anſtändigen Preußen ganz wieder zur Exiſtenz zu helfen: und viele Gemeine gelindert. Geſtern bringt mir Tieck einen Enkel des Staatsraths Albrecht aus Berlin, der hier krank war, nichts hat: und fort will und muß; dem ſchieße ich vor aus meiner Kaſſe und er giebt mir in - liegende Anweiſung an dieſen Großvater, die ich dich zu be - ſorgen und mir den Inhalt zu ſpediren bitte, weil ich’s auch ferner für Andre brauche! Als ich eben geſtern um 4 mit Tieck und dem jungen Jäger verhandle, rechne, zahle ꝛc., geht meine Thüre auf, und Marwitz ſteht vor mir! den Arm in einer Binde: etwas mager, übrigens wohl. Acht Wunden hat er. Bei Koßwig unweit Deſſau wurde ihm das Pferd todtgeſchoſ - ſen: es fiel ihm auf einen Schenkel, er konnte nicht hervor: ſeine Truppe zog aus: Polen fielen über ihn, ſtachen ihn mit der Lanze, ſchlugen ihn mit Kolben, daß ihm der Degen ent - ſank; hieben ihm auf den Kopf eine große Wunde; drei in den rechten Arm, und noch dergleichen; ein polniſcher Obriſt - lieutenant rettete ihn Skrzynecki, dem thue man Gutes, wo er zu finden iſt rettete ihn da hervor, bot ihm ſeine Börſe an: gefangen war er aber; ſo führte man ihn nach Wittenberg, wo er immer eingeſperrt mit achtzig auf’s abſcheu - lichſte war, auch in Leipzig, und ſo herum; er hatte kein Eh - renwort gegeben: und entkam nach langen Avantüren im großen Regen damals in der Nacht. Deutſche halfen ihm: ſo kam er durch ein Stück Baiern, das Weimariſche, und Sachſen, geſtern hier an: ſteigt im Erzherzog Karl ab, und kommt zu mir. Wohnt auch wieder bei Rahlchen, denn Frau112 von Reimann hat ihm ein Zimmer eingeräumt, wie für ihren Bruder. Ich bin bei Engeln! Achtmal war ſie und ihre Bonne gewiß oben, um immer zu fragen, ob alles recht iſt. Sie hat ihn mit großer Mühe anſtatt eines Andern genommen; thut alles. Bei welchen Leuten bin ich! Und wie ſchützt und ſegnet mich Gott, daß ich Gutes thun kann in dieſer Noth. Jetzt ſind drei Mädchen von Frau von Reimann, eins von Auguſten, und Dore und die Jungfer von Frau von Lämel, die es ihnen zuweiſt, nach St. Nikolas, wo ſolche Noth war, daß ſie geſtern das Kloſter anſtecken wollten, um lieber zu ſterben. Da ſchicke ich wohl für Hundert Eſſen; und für Zwan - zig Hemden hin. Morgen wieder. Leinwand, Socken, muß ich kaufen, Marwitz Briefe ſchreiben sous la dictée, an Tſcher - nitſcheff u. ſ. w. habe an Frau von Humboldt nach Wien ge - ſchrieben, an Varnhagen; war bei Lämels das Komtoir ſollteſt du ſehen: die heitere Ordnung, und Schnell - und Höf - lichkeit, habe hundert Menſchen, Soldaten, geſprochen, ab - gewartet, und alſo nur die Zeit euch zu grüßen. Ich bin ge - ſund: und lobe Gott. Was ſagt ihr zu Marwitz Glück! Das Beſte habe ich vergeſſen. Ein Pole ſetzt ihm, wie er liegt, das Gewehr vor die Stirn, drückt los, und es ſchießt doch nicht: und nun iſt er vor wie nach bei Rahlchen wie zu Hauſe. Adieu, adieu! Grüßt den Onkel, und ſagt ihm, ich wäre jetzt eine preußiſche Chevere-Frau. Marwitz ſtört mich aus Un - geduld. Auguſte ſitzt auch da. Adieu Kinder!

R. R.

An113

An Erneſtine Robert, in Wien.

Seit Sie mir die Anweiſung geſchickt haben, Liebe, habe ich Ihnen ſchon zweimal geſchrieben: den letzten Sonntag hat mir auch Moritz Geld aus Breslau geſchickt; worauf ich ihm gleich den Montag ſchrieb. Nun habe ich vorgeſtern wieder einen Brief von Ihnen erhalten, in welchem Sie mir ſagen, daß Sie nach Baden fahren, und mich in Brünn zu ſehen gedenken. Noch weiß ich nicht, ob ich dahin muß, ich warte das Gefecht hier erſt ab. Markus ſchreibt mir vor ein paar Tagen, als wäre Moritz noch in Breslau, und ginge vielleicht nach Brünn? Ich kann Ihnen nicht eher ſchreiben, bis Sie mir von einem feſten Ort und einer feſten Stelle ſchreiben; und auch nicht was Clemens über Sie geſchrieben hat. Auguſte grüßt Sie, Sie ſollen nicht nach Brünn, ſondern nach Prag kommen. Geſtern habe ich tauſend bekannte Preußen geſehen, geſprochen, viele unbekannte, unſern König in fremdem Freun - des - Land geſehen, und große, große Erſchütterung erlebt! mündlich von dieſem ſchönen, großen, wenn auch in Gottes Beſchluß nur einzelnen Tag. Sonne, Wetter, Kanonen, Rauch, Volk, Geſchrei, der Kaiſer mit Fritz in Einem Wagen; die Nation für uns! Adieu, adieu, ich bin noch zu erſchüttert, und ach! fürchte jenes Talent, und die einmalige Konſtella - tion. Adieu, adieu, man ſchlägt ſich vielleicht ſchon an Spree und Elbe. Napoleon ſoll nach Luckau, eilf Meilen von Ber - lin, aus Dresden gehen. Adieu! Gott befohlen wir Alle!

R. R.

II. 8114

An Joſeph von Pilat, in Prag.

Wenn Sie Gentz ſchreiben, liebſter Pilat, ſo ſagen Sie ihm doch in aller Rechtſchaffenen Namen und mit allem or - dentlichen Lobe den Dank, den er verdient. Das Manifeſt iſt eine Staatsſchrift vom allererſten Rang: überhaupt iſt gewiß ſelten etwas mit ſolcher Klarheit des Bewußtſeins und ſolcher moraliſchen candeur geſchrieben worden. Es iſt eine Erſchei - nung, die in der Geſchichte der diplomatiſchen Beredſamkeit eben ſo ſehr Epoche macht, als das darin dargeſtellte Verfah - ren in der Geſchichte der Diplomatie.

Wenn die Urheber noch einen Augenblick an der Wieder - herſtellung der Freiheit von Europa zweiflen, ſo wiſſen ſie nicht, was ſie gethan und geſchrieben haben. So hoch ſteht über alle Begeiſtrung, allen Enthuſiasmus, ſelbſt über alles Genie und Talent, die Geſinnung: und über alle Macht und alle Fülle, die Ordnung und das Maß. Dieſe Geſin - nung und dieſes Maß iſt aus den Ruinen einer halben Welt hervorgegangen, und noch immer nicht wohlfeil erkauft: das iſt unſer Sieg.

Ich bin nicht zum Loben aufgelegt, aber dies iſt mir zu ſtark. Und wie ſind beiher die Stein’s, die Arndt’s be - ſeitigt!

115

An Varnhagen, in Mecklenburg.

Wenn ich die Feder in die Hand nehme, ſo geht die wahre Agitation erſt an; das kennſt du! du legſt mir die harten flüchtigen Phraſen auch gewiß einzig auf der ganzen Welt gut aus. Der Obriſt, und der Hauptmann Marais, leben! denn warum ſollſt du nicht gleich erfahren, wonach du bangſt! Von unſern Schrecken, von den Nachrichten, ächten und falſchen, Anblicken und Anſtalten, kein Wort. Kurz es iſt Krieg zu ſehen. Gottes harte Strafe. Vandamme iſt geſtern hier durch gebracht. Auch hierüber kein Wort, weil man jetzt nicht weiß, in weſſen Hände ein Brief fällt. Ruſſen führten ihn, man glaubt nach ihrem Lande. Und du? du? Seit dem 31. Juli keine Nachricht von euch! Das iſt nichts Gut’s. Wo ſeid ihr? Gott im Himmel! du findeſt ja ſonſt immer Gelegenheit zu ſchreiben: aber denke nur nicht, daß ich mich ſchon zu ſehr ängſtige: nein, ich hoffe viel auf verlorengegan - gene Briefe; ich kenne Umſtände, und Kriegsumſtände; auch kann ich keine Angſt in meiner Seele finden, die dem Zuſtande, worin du ſein kannſt, angemeſſen wäre. Gnädiger Gott, ſeit ich die unzähligen Verwundeten ſehe! doch behielt ich Kräfte zu laufen, zu ſprechen, zu ſchreiben für ſie. Das Publikum iſt noch nicht ſo gewitzigt, als bei uns: die unbequeme Stadt pretirt nicht dazu. Die Frauen im Einzelnen fangen an, ſich die Verwundeten auszubitten, ihnen einſtweilen Eſſen und Hülfe auf die Gaſſen zu ſenden; ich habe eine göttliche Haus -8 *116wirthin, Frau von Reimann, die thut viel. Ach! Auguſt, könnt ich hoffen! Nach einer guten Schlacht fürcht ich dop - pelt. Und Böhmen, und Prag, wie es liegt, wenn man’s anſieht, iſt fürchterlich; und wo ſoll man hin? ohne vieles Geld. Doch würd ich fliehen: im Annäherungsfall: möge der mächtige Gott uns bewahren! der ſchon einen ſandte: und welchen!

Frau von Humboldt hat mir einen lieben himmliſchen Brief geantwortet: ich ſchickt ihn dir, wenn ich ihn riskiren wollte. Es iſt viel and ich drin. Sie betet für dich; will dich nicht mit Schreiben plagen: iſt ſehr mild; ja weiſe. Auch iſt ſie in einer weiſen Lage: immer ſicher und geborgen, es gehe wie es will. Sie hat einen Brief vom April von dir; ich ſoll dich grüßen. Schreibe ihr. Er, Humboldt, iſt ſeit geſtern von Wien zurück, und geht nach dem Hauptquartier. Von Gentz möcht ich dir gerne ſchreiben, kann aber nicht; er thut mir Artigkeiten, wie Graf Metternich ſie mir thäte, wenn ich ihn fünfzehnmal geſehen hätte, wie ich ihn zweimal in Geſellſchaft ſah; glaubt, er bringt mir ein Opfer, wenn er von der Kleinſeite zu mir fährt, alle acht, vierzehn Tage. Antwortet mir auf jedes Billet: hat ein Bedürfniß, welches er befriedigt, wenn er mich ſieht, mir alles zu ſagen was ihn intereſſirt. Fragt mich nach ichts. Kurz, hat kein. Gedächtniß im Herzen. Kennt keine Welt mehr, als die aus Koterien vornehmer Leute beſteht; kennt alſo das wahre Ge - wicht nach Zeit und Gewicht auch davon nicht. Mit Einem Wort, ich erlebe Wunder durch ihn; daß in dieſer Zeit, bei dieſer Gefahr, bei dieſen Verwundeten mir noch etwas117 das Herz atterriren kann, il ne cesse pas de m’atterrer le coeur. Die Naturgaben, die Eigenſchaften, um derentwillen ich ihn lieben muß, liebte, und liebe, die hat er noch; leben aber könnt ich nur mit ihm, wenn ich eine Herzogin wäre: oder mit ſeinen umging: ſonſt giebt er’s gar nicht zu. Ahn - det aber dies alles nicht; ſondern hält es für Geſchäfte. Auch verſteht er durchaus nicht was ich ſage und ſchreibe. Er nennt mich ſogar, räthſelhaft; pikant pikant???!!! weil ihm die eilf Jahre hindurch, die ich ihn im liebenden Herzen hätſchelte und verwahrte, die Grundbewegungen, Äu - ßerungen und Geſichtspunkte der Menſchheit abhänden gekom - men ſind! Du kannſt dir meinen dumpfen, ſtumpfen namen - loſen Schmerz darüber, zu dem ich nicht einmal Zeit habe, gar nicht denken! Weil ich den wirklich zu lieb hatte! Und, du ſtarre wieder, über mich: noch habe. Mündlich alles im größten Detail. So viel nur noch! Man ſpricht oft in der Welt: Stände härten den Menſchen ab, und nennt Ärzte, Wucherer, Soldaten, Advokaten; dies konnte ich nie ganz zugeben in mir, und fand es auch gar nicht; weder in dem Erlebten; noch im Weſen dieſer Stände gegründet. Aber Di - plomaten iſt das Gräßlichſte in der menſchlichen Geſellſchaft! (Der Stand. Nicht jene Männer, die den ſchufen, durch ihr Lebens - und Geſchichtstalent.) Diplomaten werden hart durch Weichlichkeit; und dies geſchieht dem Henker nicht ein - mal. Viſiten werden Pflichten; Anzüge, Kartenſpiel, das müßigſte Klatſchen Geſchäfte; wichtige. Keine Meinung haben, und ſie nur dadurch nicht äußern, welches die ausge - breitetſte, ſündhafteſte Krankheit des Pöbels (welcher gemeint118 iſt, weiß man) iſt, wird Klugheit, Betragen genannt; und wird eine wahre Verhärtung der Seelenorgane. So haben ſie eine eigne Phraſeologie im Reden, wie in den Depeſchen; in Deutſchland ein Diplomaten-Franzöſiſch, welches ſich fort - erbt, und ich vor ſechszehn, achtzehn Jahren ſchon hörte; aber kein Franzoſe mehr ſpricht. Das hält ſo äußerlich, wie die Equipagen und Manſchetten, zuſammen; und Ein Willen in der Welt, oder aufgehäufte Noth, trümmert all den Lug zuſammen; der Gräuel ſpricht ſich aus gräßlichen, wirklichen Wunden hervor; Krieg überſchüttet Europa; aber wer iſt ge - ſichert? Dieſe Kerle mit Manſchetten! Und dies wiſſen ſie, ſonſt nichts. Glaube es; es iſt nicht zu grell, was ich ſage; der lebendige Satan ſollt es ihnen zeigen. Denn ſie verletzen alles; die Geſellſchaft im Großen; und jedes Herz im Ein - zelnen. Dies wird einmal von der Welt gewußt werden; wie jetzt: daß Prozeſſe viel koſten, Advokaten davon reich werden: im Krieg geplündert wird u. ſ. w. Glaub es: es kommt zur Sprache. Ein genialer Regent kann es machen: plötzlich.

Lieber Auguſt, wo biſt du! Ach ſoll ich mich beklagen, da es ſo in der Welt hergeht? Lebe wohl! Gott, nur Gott kann uns ſchützen. Hoffſt du? denkſt du, daß wir uns im Frieden ſehen? Nur keinen ſchrecklichen Tod, und alles wie Gott will. Ich bin manchmal ruhig.

Morgens im Bette! Lieber theurer Auguſt, geſtern brachte mir Dore im Triumph deinen Brief vom 13. Auguſt aus Boi - tzenburg nach der Färberinſel, wo ich um nichts von Wunden119 zu ſehen hingegangen war; und am tobenden Waſſer ſaß, Gott weiß wie! Dein Brief iſt trübe, Auguſt! Recht! ſchreibe mir wie dir iſt! dies soulagement mußt du haben. Freilich haben wir keine Ausſichten. Meine habe ich alle als Ge - lübde vor Gottes unergründliche Rathſchlüſſe niedergelegt. Schütze er mein Aug vor Gräuel; und erlöſe die Welt vom Krieg. Ich habe große Ambition; weil ich zu den Beſten ge - höre, und dazu auch einen guten Platz brauche: aber ſie bleibe gekränkt, nur Friede den Menſchen, den Bauern, den Städten, Heilung den Wunden: und ich will nichts mehr. Durſtend bleibe mein Herz, gekränkt ich. Nun haſt du mein ſtillſtes tiefſtes Innere. Mehr zu opfern hab ich nicht Kraft: zu Wunden bin ich zu ſchwach: dieſe Stärke habe ich nicht. Ich fürchte, es iſt eine Sünde dies zu ſchreiben! Ja, ja!

Gentz hat mir eben ein freundliches Billet mit einem Pa - ket Extrablätter geſchickt, und einen Brief von Adam Müller, den ich gleich zurückſchicken mußte. Geſtern ſchon wollt ich noch dran ſchreiben: Gentz iſt ſehr wahr; kindiſch bis zum Küſſen! und ungeheuer aufrichtig mit mir. Aber doch iſt alles, wie ich ſagte. Ich habe noch gräßliche Furcht. Man ſagt, bei Töplitz müſſe es zu einer Schlacht kommen. Denk dir! Adieu.

An Varnhagen, in Mecklenburg.

Heute leider kann ich dir nur flüchtig ſchreiben, mein Auguſt: ein Schickſal: denn ich wollte dir beſſer, ſüßer ſchrei -120 ben! Aber mein Leben zu wiſſen, iſt dir genug: da iſt das, was ich dir, du mir biſt, drin enthalten. Höre alſo, was zum Theil ich dir in jenem Brief ſchon ſchrieb. Wir haben nach der Affaire von Dresden hier unendliche Verwundete: von den drei, und der feindlichen Nation. Dieſe Jammerſöhne lagen vorige Woche auf Wagen in den engen Gaſſen gedrängt, und theils in den Straßen ſelbſt, unter Platzregen da! Dieſe Zeit vergeſſe ich nie. Auf ſo viele war die Regierung nicht gefaßt, man hätte glauben ſollen auf nichts! Die Einwohner thaten wie in bibliſchen Zeiten alles! man verband, man ſpeiſte ſie in den Gaſſen, in den Hausfluren. Judenmädchen waren berühmt darin: eine Weiſemutter verband dreihundert in einem Tage: kurz das Unmögliche geſchah. Der Jammer war aber nicht zu ſteuern. Wir, Auguſte Brede, meine edele Hauswirthin Frau von Reimann, und ich, thaten, gaben, was wir konnten, ließen kochen, ſchickten Wäſche, Charpie: die Frauen Prags waren gut: ich lief zur Gräfin Moritz Brühl, und bat ſie, ihre Verwandten zu bitten; ſie verſprachs. Ich ſchrieb gleich Frau von Humboldt einen dringenden Brief, und Lea Mendelsſohn, Bartholdy’s Schweſter, eben dahin. Vorgeſtern ſchickte mir Karoline hundertdreißig Gulden; nun kaufe ich Hemden, Socken, laſſe kochen, ſchieße reichern Ver - wundeten vor; kurz, bei mir iſt ein kleines Bureau: meine intimen Frauen helfen mir wie Engel: ich habe eine Menge Leute an der Hand: von jeder Klaſſe. Du kennſt meine Art bekannt zu werden, zu ſein. (Göttlich ſchrieb mir Karoline; der ich auch ſchon geantwortet; ich habe gar keine Zeit ſie wird mir mehr ſchicken, dies war nur, was ſie und die121 Kinder bei der Hand hatten. Ja, ſie müſſen von dort: ſie haben die Fahnen, die Adler, wir die Verwundeten!) Alſo Gott hat mir gelächelt: ich helfe etwas. Als nun geſtern Nachmittag Tieck mir eben einen jungen Landsmann gebracht hatte, dem ich gegen Aſſignation vorſchieße, geht die Thüre auf, und Marwitz ſteht da. Weiter nichts! Den Arm in einer Binde, ruppig: kurz, er lebt; iſt der Alte; iſt geſund; hat acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetſchte ihn. Polen fielen über ihn, gaben ihm Kolbenſtöße, wovon ihm der Degen entſank: ein Anderer nahm ihn, und gab ihm drei Hiebe in Hand und Arm, Einer einen Lanzenſtich, ein Andrer ſetzte ihm das Gewehr vor den Kopf, ſchoß ab, aber es ging nicht: der Oberſt der Polen kam und rettete ihm das Leben: gefangen war er aber; und iſt nun durch tauſend Avantü - ren entkommen: und kommt durch vielerlei Länder hier her. (Mit einem Stück Kommißbrot in einem groben Schnupftuch eingewickelt: einen zerriſſenen Bauerkittel hatte er an: jetzt trägt er einen Rock von Robert und deſſen Wäſche; wir ſchaf - fen ihm alles an.) Frau von Reimann hat ihm vor andern Militairs ein Zimmer eingeräumt: und alſo wohnt er bei uns, und ißt bei mir. Er iſt einfach, gut, wahr, ſtill; mild wie immer. Ohne alles Vorurtheil über irgend ein Vorgefalle - nes. Beſonders erſchrocken habe ich mich nicht. (Eben tritt Marwitz herein, und will mir Briefe diktiren an ſeinen Ge - neral ꝛc. auch habe ich hier mittendrin an einen Wundarzt geſchrieben: auch war ein Goldſchmidt dazwiſchen hier. Du ſiehſt! Leinwand muß ich kaufen. Eſſen kochen laſſen, ab - theilen, hinbeſorgen, mich anziehen. Nach Breslau ſchreiben!) 122Lebe wohl! künftig beſſer und mehr! Ach Auguſt! Nun fürcht ich für dich: und hoffe auch wieder, wegen Marwitzens Glück bei dem Unglück: bei Koßwig wurde er gefangen. Obriſtlieu - tenant Skrzynecki ausgeſprochen Skirſchinetzki; dies darum; wenn er euch in Noth aufſtößt, daß ihr ihn ſehr gut behan - delt, und dabei ſagt warum, bot Marwitz gleich ſeine Börſe an ꝛc. auch der Obriſt Szymanowski. Leb wohl, ich habe nicht mehr Zeit. Gott, was iſt von Furcht, Angſt und Erſchütterung in dieſen Kriegestagen in meiner Seele vorgegangen. Gott ſchütze uns! dich! unſere arme Länder, alle Leidende. Nun iſt der Wundarzt da. Leb wohl! und denkſt du an mich; ſo denke, ſie ſorgt, ſie betet, ſie hofft ſogar für dich!

Deine R.

An Varnhagen, in Lüneburg.

Seit dem 29. Auguſt ſaß ich und hatte keinen Brief von dir, treuer, lieber, theurer Freund: als geſtern Gott meinen Gedanken ein Ende machte, und ich, als es ſchon finſter war und wir noch kein Licht hatten, zwei erhielt, einer war von deiner Hand. Damit hatte ich genug. Ich ſtürzte zu Augu - ſten, und beinah hätte ich ihn gar nicht geleſen, ich beſah ihn nur. Die regelmäßige kleine Schrift war geſund da! Ich ging in mein Zimmer ihn zu leſen. O! mein Freund, wie ſoll ich dir deine Liebe lohnen! Aber ich werde doch! wenn wir zuſammen ſind. Ich kniete nieder, wollte Gott danken, und123 weinte nur: da ſtörte mich Dore, die mir Kleider zum Anzie - hen brachte man gab denn das geht ſeinen Gang die Veſtalin. Mir waren ſie ganz egal, ich hatte nun meinen Brief. Etwas Troſt hatte ich ſchon vorher: denn vorgeſtern erhielt ich grade von Frau von Humboldt einen Brief, in dem ſie mir meldete, Graf Wallmoden habe der Prinzeß von Ho - henzollern (gebornen Kurland) geſchrieben, du lebeſt. Das war wohl Troſt, da den Zeitungen nach dreißig Offiziere ſei - nes Korps geblieben waren: aber die wenigen Worte der Freundin machten mir neue Beſorgniß: da Wallmoden nur geſchrieben hatte, du lebeſt, und weiter nichts: und daß er grade von dir und nur dies geſchrieben hatte, ließ mich auch auf ſchwere Verwundung denken. Nun iſt dein Brief wieder über vierzehn Tage alt, und ich mache mir doch Gedanken. Aber ſei nur ruhig: ich ängſtige mich über Feld, wie du weißt, nicht beſonders, ſondern momentweiſe nur ſehr ſelten: ich kann meine Beſorgniß nicht in Zeit und Ort placiren, und das hin - dert mich beinah ganz an der Angſt. So habe ich mich auch nicht für Marwitz ängſtigen können, bevor er ankam. Ich habe dir ſchon den letzten Donnerstag vor vierzehn Tagen ge - ſchrieben, daß er den Tag vorher plötzlich in meine Stube tritt, als ich eben einem kleinen Jäger Geld zahle, den mir Tieck gebracht hatte. Marwitz war bei Koßwig gefangen worden: ſein Pferd fiel todt auf ihn, und ſo hieben ihn polniſche In - fanteriſten, Hiebe an den Kopf, drei an der rechten Hand, einen Lanzenſtich; kurz acht Wunden: ſie ſind bereits alle heil, er ganz geſund, kann aber die Hand nicht gebrauchen, und wird nur mit der Zeit mit ihr ſchreiben können, wie der Arzt124 ſagt, und er nicht weiß noch ahndet: ich aber gleich ſah und fürchtete. Ich habe dir ſchon in zwei Briefen ſeine Ankunft und alles beſchrieben. Er wohnt bei unſerer Hauswirthin, die ihn gleich aus Rahel - und Preußen-Liebe nahm, hat es en prince, und ißt bei uns. Ich und ein Stücker ſechs bis acht weibliche Domeſtiken warten ihm auf. Und da dacht ich im - mer, wo iſt Auguſt, wer pflegt den? Marwitz echappirte nach vielen Avantüren und Fatiguen: mager kam er an und etwas ſchwach. Die iſt noch hier, und bekümmert ſich gar nicht um ihn: er meint, das müſſe ſo ſein, wie mein Bekümmern.

Du weißt, denn ich ſchrieb es nach Lenzen, dies iſt der dritte Brief dorthin; daß ich über tauſend Gulden für die Ver - wundeten von Frau von Humboldt Eingeſammeltes erhalten habe: ſo ſchrieb ich dorthin, als ſie zu Tauſenden in Platzre - gen auf den Straßen lagen!!! Eilftauſend kamen in etwas mehr als einer Woche. Von allen Nationen, die fechten. Jetzt gehen die Anſtalten beſſer. Von Bartholdy erhielt ich geſtern dreihundert Gulden; alſo habe ich viel zu thun: ich gebe Hemden, Socken, Eſſen, Geld. Muß ſprechen, kaufen, ſchreiben, Rechnung führen. Und dieſer Ort iſt der unbequemſte der Welt. Alle Preußen wenden ſich an mich: ich ſoll Söhne, Vettern, Nachbarn von allen Landsleuten finden, und helfen. Oft kann ich es, oft finde ich ſie nicht. Seit voriger Woche iſt auch der hier angekommen, nach deſſen Umgang du allein dich ſehnteſt [Williſen]: er entſprang, und iſt glücklich durch die feindlichen Armeen gekommen. Auch er liebt dich ſehr; und kennt dich: ich liebe ihn, er iſt ſtill und brav, und weiß125 mehr als er zeigt; er iſt alle Tage mit uns, bringt ſeine Zeit bei Marwitz und uns zu, equipirt ſich nur hier, und geht zur preußiſchen Armee, wo er Dienſte hat im zweiten weſtpreußi - ſchen Regiment. Vielleicht wir arbeiten dran kommt er noch in deines Obriſten geweſenen deutſche Legion, die der hier errichtet; wir erwarten ihn jeden Augenblick. Du kannſt dir unſer Glück denken: da er ſchön im Feuer war, und ſelbſt eine Standarte bei Kulm genommen hat. Er iſt ſehr in Gnaden, und wohl ſchon in dieſem Augenblick Gene - ral. Sieh ich ennuyire mich ſo, dies alles zu ſchreiben, weil ich es in der erſten Efferveszenz ſchon ſo oft nach allen Rich - tungen hin ſchrieb. Sei alſo zufrieden, mein guter geliebter Auguſt! du mußt oft gefühlt haben, wer an dich denkt, dich liebt, ſchmeichelt und tröſtet! Könnten wir wohl dieſen Krieg gewinnen? und in Ruhe uns ſehen! Alle hoffen; ich fürchte noch; und denke, Napoleon muß noch etwas Außerordent - liches thun.

Freilich hatte ich auch hier große Angſt, und Qualen aller Art: doch, kann ich bei Auguſten wohnen bleiben, und der Feind erlaubt’s, ſo bleib ich den Winter hier. Wo ſoll ich hin? Zu Hauſe mag ich nicht, da habe ich die Qualen mit einem Quartier und Einquartierung, und keinen Genuß; weil ich mir das Einzige, ein chez moi, erſt bilden und an - quälen muß, ohne Mittel. In Breslau nur Unbehagen und ſchlechte Familienverhältniſſe. Alſo bleibe ich, erlaubt’s Na - poleon, bis du mich holen kannſt!!! Moritz iſt mit Frau und Kind in Poſen. Markus noch in Breslau; er ſchreibt mir geſtern, er ſei mit dem Onkel ſehr zufrieden: alſo be -126 kommt er gewiß von ihm! Ich einen Quark: auch nehme ich gar keine Rückſichten mehr auf all das. Gott muß mich frei machen: oder ich ſterbe als morgenländiſche Sklavin. Wenn du nur Geld hätteſt, ich meine für jetzt, für dich!

Ich bin hier ſehr wirkſam, und menſchenumgebener als je, d. h. nicht geſellſchaftlich, ſondern geſchäftlich und wohl - thätig. Ich ſpende alles ſelbſt, damit kein Unterſchleif ge - ſchieht: ſonſt könnt ich mir ein Renommée machen und es kommoder haben. Bartholdy’s Gulden ſind für die Preu - ßen: das andere theile ich ehrlich: und verwundete Feinde, ſind es nicht mehr! und wie ſoll es unſern Gefangenen dort gehen! Kann ich auf franzöſiſche Herzen rechnen, wenn mein’s nichts taugt? Ich habe ſo einen Plan im Herzen, alle europäiſche Frauen aufzufordern, daß ſie den Krieg nie - mals mitmachen wollen; und gemeinſam allen Leidenden hel - fen wollen: dann könnten wir doch ruhig ſein, von einer Seite; wir Frauen mein ich. Sollte ſo etwas nicht gehen? Doch zu viel that ich den Fremden nicht; und ſage ihnen meiſt dabei, ich wüßte wohl, wie ſie als Sieger gehandelt hätten: ſie ſollten wiſſen, wie wir ſind; nicht dumm, nur mitleidig; ſo ſollten ſie auch ſein. Aber wie ſehen die Ar - men aus: oft weine ich: ſie haben Mütter wie wir, die ſich todt weinten, wenn ſie ſie ſähen. Auguſte und unſere Wir - thin haben viel gethan, und thuen noch.

Ich habe hier lauter Avantüren. Vorige Woche begegnet mir ganz im Schummrigen mit Marwitz ein Bettler im größ - ten Koth und Gedränge; er hält mir immer ein Papier ent - gegen. Wer iſt das, frage ich Marwitz, was will der? 127Kurz, es iſt Urquijo. Er iſt in des Staatskanzlers Gefolge: hat den Monat 60 Thaler, die er nicht nehmen will, ſagt er. Seine Nation will nichts von ihm wiſſen, ſagte mir Bartholdy und Graf Bombelles. Militair will er nicht ſein: er ſoll hier für uns die Verwundeten fortſchaffen helfen. Ein ſchöner Schaffer! Er ſpricht keine Sprache. Er beſucht mich dann und wann. Ich habe ihn erſt ſchlecht behandlen müſſen. Weil er mir ſagte, er ſei drei Tage in Berlin geweſen, und habe mich dort beſuchen wollen. Parceque vous étiez dans le mal - heur , ſagte ich ihm ſogar. Dann will er mich beſuchen. Jetzt laß ich ihn mehr gehen. Gut bin ich ihm auch. Du weißt alles. Das, das, Varnhagen, iſt meine Wonne und meine Liebe zu dir. O! bleib mir! bleib leben!

Eben war wieder ein Jäger bei mir, der wollte einen an - dern Jäger Cantian, Bartholdy’s Wirthsſohn, ſuchen; ſo geht’s den ganzen Tag. Wie bei einem Kommiſſair; auch bin ich mit den preußiſchen in Verbindung. Ich bin ganz freudig, den Soldaten dienen zu können: Gott muß ich danken; und thue es gewiß: ich ſchäme mich oft des Glücks; warum kann ich ihnen dienen, und ſie nicht mir? wer bin ich? Ich kann ſie nicht mehr zählen und erkennen, denen ich ſchon alles Gutes gethan habe! Alſo doch Ein mal eine Für - ſtin! Ach du ſollteſt unſere Preußen ſehen! Die Beſcheiden - heit! die Wunden! das, denken ſie, muß nur ſo ſein! Ein Hemde wollen ſie nie nehmen, und wiederkommen zur Wohl - that nie! Ach wie kann ich ſo viel annehmen! ſagt der Gemeinſte, wie thun Sie ſo viel an mir! Ich bedeute ihnen dann, daß ich nur ein Kommiſſionair bin, und von128 wem es kommt. Alle Menſchen wollen auch hier nur Preu - ßen haben. Ich weine; wir thun das Mögliche: und ſind auch beliebt. Haſt du von Berlin gehört? Reiche Leute kön - nen keine Verwundete bekommen! ſie ſind vergriffen: jeder nimmt welche. Das Unmögliche geſchieht dort. Mad. Haller, die ſagen ließ, ſie habe noch Raum für ſechs, ließ man zur Antwort wiſſen: für Geld wäre keiner mehr zu haben! Ich weine ſehr. O! Gott! lenke das eine Herz! laß das Gute hervorgehen! keinen Krieg! Friede! Wohlthat! Adieu Auguſt!

Denk dir, an Graf Pachta, der böhmiſcher Gardiſt beim Kai - ſer iſt, ſchreibe ich aus Dankbarkeit Berichte über die Auffüh - rungen der neuerrichteten Oper; Frau von Humboldt Berichte über uns, die Verwundeten, Neues u. ſ. w. ; Gentz, oft, hier; Markus, Neues, und oft und viel. Billete in der Stadt ohne Zahl, Rechnungen und Aufnotiren den ganzen Tag, die Sol - daten, Geſchäfte, Einkaufen. Menſchen zur Hülfe menagiren. Marwitz dreimal verbinden, alles reichen, thun, helfen. Spre - chen u. ſ. w. Alſo ſei zufrieden! Dem General Tetten - born tauſend Glück und Segen, und Pfuel viel Schönes. Graf Clamm-Gallas grüßt den General, den Obriſtlieutenant und dich ſchon lange auf’s ſchönſte. Tieck, der morgen reiſt, legt dieſen Brief in Breslau auf die Poſt. Nein! ſo hat noch nie ein Brief von Treu und Ehrlichkeit geathmet, als dein letzter: nicht allein gegen mich, gegen alle Menſchen. Wie komiſch mußte mir deine Nachricht über Marwitz ſein: da er bei uns iſt. Er hat keinen Orden. Tieck las ihm geſtern bei Niebuhr den Hamlet vor, hingegen. Letztern, nicht Ham - let, Niebuhr ſah ich hier auf der Brücke; er mißfiel mirſo,129ſo, und Tieck wollte ihn für hübſch ausgeben, daß ich ihn, und Alle mit mir, Venus nenne. Marwitz, der einmal em - pört vor Allen zu mir ſagte: Soll ich noch mehr Ihr Sklave ſein? heißt ſchlechtweg Sklave. Weil es zu komiſch war, als er es ſagte, ich fiel auch gleich in konvulſiviſchem Lachen auf eine Sophalehne, gleich um. Nämlich er iſt ganz despotiſch, und ſo, daß er nur komiſch iſt. Williſen durchaus lieb und geſcheidt. Als deinen Freund lieb ich ihn noch be - ſonders; und thu ihm alles Liebes, was ich weiß. Wann werd ich dich pflegen? Schreibe wenn du kannſt. Gott mache dich glücklich!

Deine R.

An M. Th. Robert, in Breslau.

Donnerstag kam die ſchleſiſche Poſt nicht an gewiß des Moraſtes wegen, denn dieſer Regen! Ob ſie heute kommt, weiß ich nicht; ich will geſchwind ſchreiben, eh mein Fieberanfall kommt. Denkt euch meinen Verdruß: Graf Bernſtorff hat mich über eine Stunde mit dem Fiacker geſucht, ohne mein Quartier finden zu können; und den folgenden Tag eben ſo! Geſtern ließ er mir nach ſeiner Abreiſe ſeine regrets darüber durch Gentz ſagen, der drei und eine halbe Stunde geſtern Abend vor meinem Bette ich mußte endlich liegen, weil das eklige Fieber unregelmäßig wurde beichtete über alle Gegenſtände ſeiner Seele, und ſeines Wiſſens. Die - nen haben wir nicht. Mit Baiern ſoll es auch noch nicht rich -II. 9130tig ſein; im Fieber, und ſeines heftigen Sprechens wegen, vergaß ich Gentz zu fragen. Geſtern, ſagt er, und die Welt, müſſen entſcheidende Schläge vorgefallen ſein. Des Ge - nerals Bentheim Adjutant kam geſtern ſpät von Marienberg; wo unſre hieſige Armee hinaus war, ohne einen Feind zu fin - den. Der Moraſt aber iſt über alle menſchliche Kräfte, nach dieſem Regen hier, im Gebirge. Marienberg iſt ganz an der ſächſiſchen Gränze. Aber wo iſt Napoleon? wo will er ſich ſchlagen? Er hat dem öſterreichiſchen Kaiſer einen Brief ge - ſchickt durch General Flahault, den Sohn der Mutter, die Romane ſchreibt; in dem er den Frieden anbietet: nämlich Unterhandlungen; dieſen Brief, den ich geleſen habe, finde ſelbſt ich ſchwach. Man hat ihm edel, gehalten, und gut geantwortet: daß man die Gefahren eines Krieges, der alles zu Grunde richten kann, lieber zu laufen geſonnen ſei, als einen Frieden einzugehen, der auf Grundlagen gebaut ſein müßte, die neue Leiden über die Länder bringen müßten; und auf arme Formen, Ausreden und Kleinigkeiten hat man gar nicht geantwortet. Beides habe ich geleſen. (Die Jäger und Soldaten beſtürmen mich ſchon jetzt, vor meinem Bette; ge - ſtern war ein Bureau davor eingerichtet: es muß geſchehen.) Geſtern habe ich durch Marwitz den Geheimen Staatsrath Niebuhr an den König wegen der unſeligen Verpflegung ſchrei - ben laſſen. Ein Geheimniß. Wie findet ihr dies? Wenn heute Neues kommt, will ich’s noch hier dran ſetzen. Ich äng - ſtige mich! Nichts tröſtet mich ein wenig, als der wirklich ſehr ſchwache Brief; den ich endlich einmal ſchwächer finde, als es Gentz und die Andern thun. Adieu indeß!

131

Noch hübſcher! Mit der Donnerstag’ſchen Poſt habe ich keinen Brief: und die heutige iſt nicht gekommen. Neues von der Armee weiß ich bis heute noch nicht. 5 Uhr.

An Varnhagen, in Lüneburg.

Wo ich auch den Winter, wenn es der Feind erlaubt, bleibe. Wo ſoll ich hin? Wo iſt Heimath? Warum ſoll ich in moraſtigen Gebirgsgegenden reiſen? Hier behält man mich willig und bequem; das habe ich hinlänglich unterſucht. Ich habe Einſicht in das Glück, Auguſtens Karakter ge - funden zu haben, der nichts Unangenehmes hat, und tauſend Angenehmes, und zum Nahleben geboren iſt; und das Glück, den Verwundeten aller Nationen helfen zu können. Über dreizehn - hundert Gulden habe ich dazu! Frau von Humboldt ſchickte mir über tauſend, Bartholdy neulich dreihundert; ich habe von jener durch den Geſandten Bernſtoff, der mich zwei Tage vergeblich mit dem Fiacker nach Gentzens dummer Beſchreibung ſuchte, und mich denn am Ende nur durch den konnte grüßen laſſen, noch ſechs Dukaten, von Bartholdy’s Schweſter hundertundvierzehn Gulden empfangen, und Hoffnung aus der Hauptſtadt dieſes Lan - des noch mehr zu erhalten. Ich bin mit unſerm Kommiſſariat und unſern Stabschirurgen in Verbindung; habe eine Unzahl Charpie, Binden, Lappen, Socken, Hemden; laſſe kochen in mehreren Vierteln der Stadt; ſehe zu dreißig, vierzig Jäger9 *132und Soldaten des Tages ſelbſt; beſpreche, belaufe alles: und mache mit der mir vertrauten Summe das Mögliche! Da - her traue ich es auch niemanden als mir ſelbſt an, und zu; und verſchmähe, es öffentlichen Behörden einzuliefern, und öffentlichen Dank, den ich für Bequemlichkeit und nicht pflicht - gebotene göttliche Menſchendienſte bekäme. Zeit aber, Lieber, behalte ich gar nicht. Die Korreſpondenz, die Rechnungfüh - rung, die Addreſſen, Quittungen, Gänge, Beſprechungen: kurz mein Beginnen verzweigt ſich zu einem großen Geſchäft. Und ich melde dir’s, weil’s dich freut. Meine Landsleute ſuchen Rath, Hülfe, Troſt: ja und Gott erlaubt mir, klein, und Nichts, und gering geboren, und verarmt, wie ich bin, es ihnen zu geben. An Konnexionen fehlt es mir nicht. Dieſe breite äußere und tiefe innere Beſchäftigung hält mich hin. Ich ſchäme mich, daß mir Gott das Glück zuſchickt, helfen zu können! und wenn ich mich ſchäme, daß ihr euch alle ſchlagt, ſo tröſte ich mich wieder, über meine Bequemlichkeit indeß, damit, daß ich auch thue im Helfen und Heilen. Ich tröſte mit Worten, Jäger und Soldaten, ſo gut und eindringend, und einfach, daß ſehr Leidende ſchon oft plötzliche Freude lächel - ten von meinem bloßen Worte, und es fuhr, wie Sonnenblick über düſteres Gewölk, über ihr Geſicht. Mich beſuchen die Konvaleszenten. Und göttlich beträgt ſich unſer Volk: unſer junges auch; welches ich vor dem Ausmarſch tapfer glaubte: nun ſind ſie’s mit Wunden: und wollen und gehen zum Heere zurück: und wie einfach, wie bewußtlos, und beſcheiden! Ich weine! Nicht Einen Rodomont fand ich. Du kennſt meine Kritik! mein Mißtrauen auf uns. Seit ſechs Tagen133 hatte ich katarrhaliſches Fieber: ich kurirte mich ſelbſt: mußte den dritten zu Bette bleiben; hatte mein Bureau vor dem Bette etablirt: und alles trat davor hin; Ruhe hatte ich doch nicht. Soll ich Jäger und Soldaten troſtlos abreiſen laſſen? Gott bewahre. Ich hatte auch immer wieder Kräfte. Wie kann man ſeine Pflicht nicht thun. Ich verſtehe es nicht. Wenn ich eine ordentliche Beſorgung hätte! O! ich verſtehe es, wie Friedrich der Zweite lebte. Ruhig, thätig, gewiſſen - haft; und dann Königlich, in Kunſt und ſtillem Genuß.

In meinem frühern Brief ſteht ſchon, daß Marwitz über - morgen vor vier Wochen hier plötzlich ankam; er iſt wohl; die Hand beſſert ſich: er ſitzt ſtill am Fenſter, und lieſt Plato. Er wird wohl nun bald reiſen. Wunder und Zeichen hätte ich dir von ihm zu berichten, traut ich ſie einem Briefe an.

Geſtern Morgen gehe ich die Wohnſtube durch nach Au - guſtens Schlafzimmer von dem meinen zum Kaffee, vor ihr Bette weil mein Ofen noch blakt; und ich in der Unpäß - lichkeit weder dies, noch die offnen Fenſter ertragen konnte . Ich erzähle ihr gleich Folgendes. Gut habe ich geſchlafen, bin aber mit Kopfſchmerzen aufgewacht; die auch ſchon verge - hen: die Köchin klappte wieder ſo draußen; es ärgert mich recht; denn eben träumt mir, Frau von Humboldt ich nannte ſie wirklich ſchickt mir ein länglich Paket, worauf Varnhagens Hand iſt; es hat nur einen umgewickelten loſen Umſchlag; und noch ein ordentlich Kouvert, auf etwas fließendem Pa -134 pier, wieder von ſeiner Hand meine Addreſſe; und dabei ge - ſchrieben: Inliegend die gedruckte Inſtitution. Eben als ich’s nun erbrechen will, tobt die dumme Köchin! Wir haben noch lange unſere erſte Taſſe Kaffee nicht aus, ſo tritt Dore herein mit einem länglichen Brief von Gentz, wo deiner mit den gedruckten Zeitungen drin liegt; ein Billet von ihm, und dein Brief an ihn! Sag, was iſt das, daß ich ſo oft träume was geſchieht; nur ein wenig konfuſe, als hätte mein innrer Sinn nur noch nicht Kraft genug. Als ich es Auguſten er - zählte, und auch vorher, war ich ganz überzeugt, dergleichen zu erhalten. Gentz ſchrieb mir bloß, wie ich mich befinde, und nichts von dir. Ich antwortete nicht: weil ich, ohne daß er’s weiß, geſpannt mit ihm bin. Sonſt ſchmeichelte ich ihn mit und in Antworten aus meinem Herzen: dies merkte er nicht. Er ſoll das Gegentheil ſchon merken. Deinen Brief an ihn finde ich vortrefflich! er hat mich ſehr gefreut. Der wahre Ton! und um ſo mehr gefreut, da er mir deine weltliche Haltung immer mehr beweiſt; darum ſie mir ſo be - ſonders verbürgt, da du das, was ich über ihn geſchrieben habe, ſchon erhalten hatteſt; doch noch ſo gerecht über das warſt, was er hat drucken laſſen: es ihm in ſo ganz gemäßen, anſtehenden Ausdrücken zu ſagen vermochteſt, worin ich die wahre Würdigung von dem gerecht-exagerirten Anerkennen wohl zu unterſcheiden wußte.

Wie verliebt ich in ſicheres Urtheil und haar-richtiges Betragen ſein kann, weißt du; aber nicht, wem alles !!! den größten Geſchäftsleuten Europa’s, hier hab ich’s erfah - ren, weil ich alle Details weiß dies abgeht! Ein wenig135 Glück! und es muß uns gut gehen. Glück liebt aber Lotter - buben: und ſucht ſie ſich fleckweiſe aus, wenn es keine ganze findet: wo Einer einen faulen Fleck hat, ſteht das Glück ihm bei: und du ſiehſt’s, ich beleidige es immer: jetzt wieder. So richtig geſehen ſchriebſt du mir auch einmal über Pfuel; ich vergeſſe es nicht. So hat mich auch dein Sein nach der Affaire gefreut! Ich kann es ſehr faſſen, wie du dachteſt, die Andern bluteten für dich mit! Bedenke, daß du auch ſchon für ſie bluteteſt. Gott ſtärke und ſegne deinen General Tet - tenborn! für ſein liebes mildes Betragen gegen Feinde und Verwundete! Sag ihm, ich grüße ihn jetzt mit Thränen in den Augen, und hätte ſchon in Berlin gewußt, daß er ſich nur bisweilen rauh ſtellt. So wollte er auch ſchon ſeinen franzöſiſchen gefangenen Wundarzt von Hamburg nach Hauſe laſſen u. m. dgl. Ich kenne ihn ſchon; an einem Wort, einem Ton, einem Blick. Seelen entgehen mir nicht. Im Guten wie im Schlechten.

Dabei hat Gentz das größte, ungemeſſenſte Bedürfniß mir alles zu ſagen was er weiß; und beſonders was ihn betrifft. Wie dumm, wie ſtumpf aus Dummheit, und wie dumm aus Stumpfheit, gar kein Intereſſe an mir zu nehmen! Nein, Herz, das geht dir nicht durch! Sein Herz mein ich.

Was ſoll ich aber zu deinem lieben Brief an mich ſa - gen!? Lieber! dies, daß meine ganze Seele ihn erkennt, jedes Wort, jede Äußerung von dir. Dir nur traut. Dich allein nur ächt gegen mich gefunden hat, und findet: und dir nur traut; traut alles zu ſagen: in deiner Gegenwart alles zu ſein. Wo uns auch Gaben, Natur trennt; verbindet uns136 Freundſchaft, Einſicht, Nachſicht, Gerechtigkeit, Treue, Ehrlich - keit, wahre Bildung. Geh! die Andern all geben nicht treu aus, wie ich: ſehen nicht klar überall: können alſo nicht gerecht ſein.

Ich ſcheue mich auch nicht, dir unaufhörlich von meinen Soldaten zu ſprechen. So viel Jäger und Soldaten wie heute hier waren! und wie die ſich freuen! und wie wohl - thätig unſer ganzes Haus iſt! Einen fieberkranken Preußen nimmt bei jedem Acceß ein Kaffeeſchenk unten im Hauſe auf; ich kleide ihn heute warm. Kurz, mein ganzer Tag iſt ein Feſt des Gutes-thun. Mitten in dem Unglück ich ſolch ein Glück! Du weißt: ich liebe den Krieg nicht, als Beſchluß: wer weiß, was er beſchließt in der allgemeinen Verderbniß! Frei von Feinden, weiß ich, muß das Land ſein; höheres, anderes ſehe ich nicht in dieſem Kriege: und gleich, als Alle rüſten halfen, dacht ich: Sieg oder Schmach; Verletzte, Ver - wundete bringt er unfehlbar: denen hilf! Und ſo thue ich auch. Und Gott hat Großes an mir gethan; die ſich Monate lang zwölf Thaler abſparen mußte, wenn ſie ſie geben wollte: nun ſpende ich im fremden Lande, wo unſre Jugend, und unſere Soldaten verwundet dürftig ſind, Hunderte! Dies bezahlt mir unſere Schmach von ſonſt Tilſit meine gränzenloſe jetzige Angſt, die du geſehen, und vieles Übel und perſönliches Leid, Ich bin von Gott nach Auguſtenburg geſandt, denk ich. Adieu für heute, es wird dunkel. Morgen noch ein Wort. Ich umarme dich! In dieſem Augenblick geſchieht dir gewiß nichts!

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In der Zeitung, die ihr ausgebt, gefiel mir das über Moreau’s Tod; und das ſehr gut. Auch ich war’s ſchon zu - frieden, obgleich der Schreck mir wahrlich beinah die erſte Ohnmacht zugezogen hatte, und einer von denen hier war, die mir am meiſten ſchadeten, daß er ſtarb: aber die bas - sesse mit der Amputation hätte er nicht erleben ſollen. In ſolchen Dingen kann man ſeine Meinung, ſeinen Schmerz und ſeine Verzweiflung nur zu Gottes Füßen legen! Ich bin noch außer mir darüber. Wird auch das Volk, dem eure Zeitung umſonſt vertheilt wird, die Sprache verſtehen? O! ich möchte es darin in gemeinen Worten, zum Guten, zum Wohlthun, zur Geduld, zur Milde, zum hoffnungsvollen Har - ren, zur Verträglichkeit ermahnen: wie ich es wohl manchmal kann. Möchte ihm anempfehlen, nur immer das Allernächſte recht zu thun, gleich gut. Den Weibern beſonders, dem über - wundenen Feind zu helfen; und ihm zu ſagen, ſie ſollen es auch ſo machen; und zu Hauſe erzählen; und im Felde nicht vergeſſen!

An M. Th. Robert, in Berlin.

Dieſen Brief wird dir Hr. Abr. Mendelsſohn mitnehmen, mit dem ich hier ſehr liirt war, und deſſen freundſchaftliches Benehmen ich wie das von Bartholdy nicht genug loben kann. Vorgeſtern nach der Siegesnachricht ſchrieb ich euch. Ich bin138 noch betorkelt. Die Spannung, die Angſt für Berlin, und meine Schwäche vorher, war zu groß. Der Sieg iſt, wie ihr nun eben ſo früh erfahrt, noch kompleter. Gott ſchütze vor ivresse, arrogance und Sünde; im Gefolge des Glücks! Denk dir! ſicher bin ich noch nicht. Ergötzt euch daran; und meßt meine Vergangenheit danach ab. Fanny hat wohl immer gar nicht recht verſtanden, wovon die Rede iſt: und immer noch verſtanden, wir ſind geſchlagen: ſolche Relation iſt ſchwer, Fanny! mir macht ſie auch Mühe. Grüßt millionen - mal Mad. Magnus. Was macht die Rampe? Iſt wieder eine große Pute auf dem Hof? Prampirt Albert? Mad. Brede ſpricht noch immer von ihm; und grüßt ſeine Mutter, die ſie bitten läßt, ſie nicht zu vergeſſen, bis ſie nach Berlin kommt. Grüßt doch den tapfern Böhm vielemal; und ſagt ihm, in Prag hätte ich erfahren, daß ich eigentlich zu keinem Arzt Zutrauen hätte, als zu ihm; da ich zwei geſcheidte, Dr. Czer - mack und Dr. Krombholz kenne, und mich auf ihn (und Gott) von weitem verließ. Urquijo ſpricht alle Tage von ihm. Er ſoll ſich Motion machen, und nicht ſo ſtolz ſein; ſonſt wird er zu dick. Von dem Jubel, der Illumination in und außer dem Theater, von Roberts Stück, welches den größten Bei - fall hatte, und wirklich ſehr hübſch war, nichts! Man ſang, man ſchrie! ꝛc. Es kommt ein Kourier im Stück vor, der über eine Viertelſtunde die wirkliche Relation vorlas, die die Be - hörden bis zum Theater zurückhielten! alſo eine Volksver - ſammlung im ächten Stil! Das Stück war äußerſt lebendig, und paſſend. Ja! mein Bruder wird berühmt! Bei Blü - chers Siegen wurde am meiſten applaudirt: bei Poniatowski139 hielten ſie gleich inne recht! Ein todter edler Krieger! ſollen die nicht frei ſein wollen? ſie hatten in der Ge - ſchwindigkeit angefangen. Unſer König mußte hochleben, die Kaiſer, auch der Baier, alles. Alles mit der gehörigen Gra - dation; wir Preußen konnten zufrieden ſein. Es freute ſehr das Volk, daß Alexander ſo fleißig ſelbſt dabei war. Doch iſt das Volk etwas feſte hier; noch nicht losgefahren. Gott laſſe ſie dabei: der Feind nur macht allert. Ob nun die Für - ſten wohl werden gelernt haben, was Eintracht iſt? Auf eine Zeit, verſteht ſich: denn was iſt von Menſchen, und könnte bleiben? Mein eigentliches Herz darf ich in keinem Brief aus - ſchütten. Friede will ich: und jeden Sohn bei ſeiner Mutter; Feinde und Freunde ihre. Tauenzien wird ſich doch nicht är - gern, nicht dabei geweſen zu ſein? Friſche Truppen werden gut thun. Ohme, gratulire ihm von mir. Sage mir um Gottes willen, Hans! warum antwortet mir Erneſtine nicht? Sie ſchrieb mir von Wien: Montag reiſe ich; ich ſchrieb ihr ſo, daß ſie den Brief noch Sonntag erhielt: und nun hör und ſehe ich nichts mehr von ihr. Wenn ſie auch den Brief nicht erhalten hätte? doch muß man ihn ihr nachgeſchickt haben! Sie war ganz zärtlich gegen mich, und muß mir ſchreiben! Alle Menſchen ſind in der Veſtalin. Ich ſitze zu Hauſe, und ſchreibe: bei Tage ſtört man mich. Ich habe Li - ne’n und Dorens Eltern geſchrieben. Iſt es wahr, daß der franzoſenhaſſende, deutſchthümelnde Schauſpieler an Ketten tanzt? wenigſtens müßte es wahr ſein. Manche müſſen nun immer dümmer, viele noch affektirter, noch deutſcher werden! Weit davon iſt gut vor dem Schuß! Schuß heißt auch, einen140 Schuß von Narrheit haben. Kinder! wo iſt die Gräfin Schla - brendorf? ſchickt mir ihre Addreſſe! Daß ihr Tieck noch ge - ſprochen, und meinen dicken Brief habt, freut mich; ich weiß es durch Schall. Gott, wie werden ſich die Menſchen freuen! Was ſagt Moritz? Ich bin auch perplex. Heute hieß es, Na - poleon ſei gefangen: da beſoffen ſich die Menſchen proviſo - riſch, aber es iſt noch nichts. Lebet halt wohl, und gedenkt mein! Grüße doch Einer auf der Börſe Hrn. Heilborn: nun kann er ja frei und frank nach München reiſen. Von Louis Robert werdet ihr Wunder und Zeichen hören! Ja, ja! Alle kommen vorwärts. Ja, ja! Von Varnhagen weiß ich ſeit dem 25. September nichts! Ich bin in Gottes Hand; und muß ſtill ſein. Marwitz iſt noch hier, und mein lieber Sohn, was ſoll ich thun. Mariane Saaling hat mir vier Dutzend Socken von Wien geſchickt. Ich halte noch immer einige hun - dert Gulden bei Rath; doch nun geht’s aus: die Fluth war zu groß. Adieu, adieu! R. R. Lapin lapinirt nun wohl auf Deuwelhole? Nun geht alles. Es iſt ein Glück, wenn Jope nicht Staatsrath wird. Erkundigt euch, wer Jope iſt. Ihr denkt wohl, ich bin vergnügt? Erlöſt. Mündlich einmal Perſönlichkeiten. Schreibt mir Neues, oder ihr ſollt mal ſehen! Die größten Details muß ich haben. Faule Bälge! Mad. Mendelsſohn ſchreibt alles. Ganz Berlins Söhne waren bei mir, als Jäger verkleidet. Das war wie Moritz. Was macht die Böheim?

Nun reiſt Mendelsſohn erſt morgen, nach der Poſt. Ich bin ſchon wieder unpaß. Hatte die Nacht einen ſchlimmen141 Hals mit Zubehör, und heute Abend ſtarkes Kopfweh. Alles geht ſeinen Gang dabei. Ich habe heute wieder zweihundert Gulden bekommen für mein Geſchäft, welches immer größer durch allſeitige Aufträge wird; und auch Socken u. dgl. aus Wien. Von euch habe ich nur vom 8. Oktober aus Bres - lau Brief.

An Varnhagen, in Bremen.

Den 1. dieſes Monats brachte mir Urquijo deinen Brief aus Bremen, lieber Freund! den wahrlich lang erſehnten. Du lebſt, und haſt alle deine Glieder. Wenn ich nur das immer erſt erfahre! Du Armer! als du mir ſchriebſt, wußteſt du noch nichts von Leipzig. Gott erhörte unſer Gebet: und verwirrte den Geiſt unſres großen Feindes. Wie wirſt du dich gefreut haben! O Auguſt! daß wir jetzt in dieſem be - wegten Strom von Empfindungen und blitzenden Gedanken getrennt leben müſſen. Bei mir verliert man unendlich viel, weil bei mir alles ſo ſpontané iſt: ich ſchütte das nun alles in Reden, Briefen die ich einmal ſchreiben muß und Billets Andern hin; die es nun und nimmermehr ſo in ſich aufnehmen, als du: es aber wohl für ihr Gut in der ganz nächſten Stunde erklären; nicht als Diebe, aber als arme, verwirrte Verſchwender: und es auch oft ganz überhören und überſehen. Und dir grade, da du ſo weit biſt, da ich dir in wichtigen Momenten grade nicht ſchreibe, ſag ich am142 wenigſten. Bei mir platzt alles heraus! Und laß mich nur ſo, Lieber! Wir werden wieder zuſammen ſein, und neues Leben entzündet ſich immer wieder: ſo lange ſie ſteht, die Natur. Ich habe nun ſchon über dritthalbtauſend Gulden für meine Soldaten, und viele Geſchäfte. Dies nimmt mir alle Zeit und vielen Sinn. Mendelsſohn läßt in’s Unendliche hier Jäger durch mich kleiden.

Den 31. erhielt ich einen Brief von Frau von Humboldt, die mir ſehr oft auch durch General Bentheim, der vor acht Tagen angekommen iſt, und den ſie ſehr ſchätzt und liebt (ich habe ihr geantwortet, Gott hat ihn hübſch gemacht und menſchlich, für Menſchen, die es ſehen können) ſchreibt, mit einem Billete von Frau von Wolzogen, die hier ange - kommen war, und mich beſuchen wollte: Frau von Humboldt meinte, ſie würde länger hier bleiben, und empfahl ſie mir mit großer Liebe, für ſie und für mich. Ich ſah die Frau bei ſich, weil ſie unpaß wurde. Eine durchlebte, gütige, ge - faßte, erſchütterte Frau. Sie reiſte geſtern im Gefolge der Prinzeſſin nach Weimar, um der Armee näher zu ſein, mit ihrem angſtvoll gefaßten Herzen, ſie hat einen Sohn bei Blü - cher. Sie hat mich mit einem großen Glücke überraſcht. Sie ſagte mir mit einemmale: Ich habe Briefe von Ihnen gele - ſen, die ſehr ſchön ſind! Ich dachte, an Frau von Hum - boldt: ſie ſetzte hinzu: über Goethe; es hat ihn unendlich gefreut; es iſt ihm ſo nöthig, er wird ſo häufig mißverſtan - den, ſo vielfältig nicht gut berührt, ſo ungefähr ſprach ſie es hat ihm außerordentlich wohlgethan. Ich ſagte143 ihr, daß ich ihn vergöttre, und ich, die keine Silbe, zum erſtenmale, von ihm hat, repetire mir ihn, den großen Ge - ſchichtsmann, im Kopf, bei jedem Schmerz, bei jedem Ereigniß: und lieb ihn Punkt vor Punkt mein ganzes Herz durch und durch, von neuem! dieſen König der Deutſchen! der blinden, unglücklichen, die ein Jahrhundert nach ſeinem Tod erwachen werden. Ich vergöttre dieſen begabten Weiſen; agitirten äch - ten Herzensmenſchen! daß er mir im ganzen Leben beige - ſtanden! Sie ſagte mir: man hätte ihr vertraut, das kann in Weimar nur Goethe ſein die Briefe ſeien von mir, ſie wolle es auch verſchweigen; ich ſagte, es ſei nicht nöthig, denn da Goethe es wiſſe, könne es die ganze Welt wiſſen. Denk dir alſo mein inneres ſtilles Glück, daß ich meinen Herrn, meinen größten Liebling gefreut habe! Ach! und das iſt es nicht: bei Gott nicht! denn wüßt ich Einen, der ihn mehr liebt, verehrt, bewundert, anbetet; von der Natur beſſer aus - geworfen iſt, als ich, ihn in jedem Punkt mit ſeiner aufzufaſ - ſen; aus jedem Punkt alle andern zu verſtehen; jedes Wort, jede Silbe, jedes Ach zu deuten weiß: ſeinem Leben dadurch wie zugeſehen hat, immer mit ihm einverſtanden und zufrie - den war: ſo wollt ich ewig, ewig ignorirt bleiben; und ihm den zuſchieben. O! gäbe es eine Fürſtin, eine Kaiſerin, die ſo für ſeine Verehrung geboren wäre, faſt wollt ich ihr mein Herz und meine Einſicht geben: leihen gewiß oft! Marwitz, mit dem ich hier über alles die knetendſten, herrlichſten Ge - ſpräche führe, ſagt auch: kein Menſch liebe ihn mehr als ich. Weil ich ſagte, ich möchte gern einen Menſchen ſehen, der144 ihn mehr verſteht und liebt. Und doch iſt es möglich, wenn ich’s auch nicht denken kann: drum möcht ich’s ſehen.

An Varnhagen, in Bremen.

Ich kann ja weiter gar nichts, lieber Auguſt, als dich recht anſehen und dich umarmen für deine Briefe! Geſtern er war ſchon vorgeſtern hier erhielt ich deinen vom 7. No - vember. So waren wir denn Alle zugleich krank! Noch die ganze Zeit paßte ich nicht ſo auf einen Brief: und keiner kam mir unverhoffter, als der ſchnell gegangene, geſtern! Nun wollt ich dir den ganzen Tag heute ſchreiben, aber ſie litten’s nicht: Vormittag beſuchte mich der ruſſiſche Kommandant Ba - ron Rehbinder; nachmittags Graf Reichenbach, der preußiſche. Frau von Pereira ſchrieb mir dringend, Mariane Saaling: ich mußte antworten; mit dem preußiſchen Kommandanten hatte ich zu verhandlen: denn nun, Auguſt, geht’s in’s Spaß - hafte über: alles wendet ſich an mich. Behörden. Vielen ſoll ich geben; die Oberſtburggräfin giebt mir; und ſo in’s Unendliche! Schreiben; Zählen, Kombiniren, Menagiren, No - tiren, und Enkriren in alles. Dabei bin ich noch ſehr kon - valeszent.

Auguſt! wir thun nichts, als präpariren: ich bin wahrlich (nach dem allem, was ich habe durchgehen müſſen: denn was ſuchte ich wohl falſch, was präparirte ich, was konnte ich wohl vermeiden mit aller Klugheit!) zu alt dazu; und ſo durchlit -ten,145ten, daß ich oft in Verzweiflung, oft ſtupid bin. In meiner ganzen Lage hält ſich noch bis jetzt, und hier jeder an mich; und durch mich! Nur du hilfſt mir. Verzeih! Wie ſollte dieſer Brief anders werden; das glaubſt du gar nicht! Erſt wollt ich dir ſagen, wie herrlich es iſt, wenn einem der Freund ſchreibt, grade was man ihm ſchreiben wollte; ſchon ſeit meh - reren Poſttagen wollte ich dir ſagen trotz dem, was ich das letztemal über Geld äußerte; und du wirſt ſchon ſehen, daß das zuſammengeht, und, daß meine Lage nur immer, meine Denkungsart auseinander zerrt , wie Recht du haſt: man muß das Pekuniaire zu verachten wiſſen; nur dann kann man’s ergreifen: und jedem Punkt applaudire ich in deiner Aufführung; und wir ſehen nun ganz mit den nämlichen Augen. Dadurch, lieber Auguſt, daß du erkennſt, was du etwa von mir haſt und nicht wie alle Andern, im ver - blindeten Gebrauch meiner Schätze, arm bleibſt, ſtellſt du dich ganz zu meiner lebhafteſten Freude über mich: denn, was du beſitzeſt, vermag ich mir nie anzueignen. Daß du Rückſicht in deinen geſchichtlichen Schriften auf mich nimmſt, freut mich auch; das thut den Schriften gewiß ſehr gut. Ich ſehe, ich liebe Wahrheit; bin einfach, ſtreng; aber weich; habe keine Reſultate vorher im Aug und Geiſt; und bin immer be - reit unſchuldig aufzufaſſen. Denkſt du alſo nur an einen ſol - chen Menſchen; ſo müſſen bei deinen übrigen Talenten, und Gewandtheiten, ſchon leſenswerthe Dinge, in dieſer von Lügen zuſammengebackenen litterariſchen und großen Welt, heraus - kommen. Gott! wie ganz ſtupid, und nichtig; durch Dünkel zuſammengekittet wird Deutſchland! Ein irres wirres Nach -II. 10146ſprechen ſummt aus jedem Kopf um die andern umher, und betäubt ſie, bis zum Betrunkenſein in Eitelkeit. Aber wie freut mich das, daß du mir ſchreibſt, du nähmeſt auf die - ſes Land Rückſicht! du kommſt mir ja in allem zuvor, in allem entgegen! Wie äußerſt angenehm war mir vorgeſtern dein Zeitungsſtück: ich ſiegelte es auf der Stelle mit einigen Worten ein, und ſchickte es Gentz. Hier ſeine Antwort. Denk dir, ich habe nur den Namen Metternich geſehen, das Blatt weiter nicht geleſen, und es ſogleich Gentz geſchickt; die Schnelligkeit iſt in dergleichen alles. Über Öſterreich und Preußen denk ich wie du; freilich haben ſie beide verſchiedene, und ausſchließende Eigenſchaften. Marianen Saaling und Frau von Pereira ſchrieb ich geſtern Abend zuſammen, ein Meiſterſtück; aber ganz geſchwinde, wie dies. Marwitz geht mit dieſem Monat, ſagt er. Ich ſage ihm ſehr die Wahrheit; es mag veranlaßt ſein wie es will; dieſe nimmt er immer an. Er amüſirt mich gar nicht. Adieu! Ich bin zu müde! Viel - leicht morgen noch ein Wort!

Es iſt nichts vorgefallen, als daß ich Unglückliche viel ſchreiben mußte: weil ein Herr mir Depeſchen mit nach Berlin nehmen will, mir iſt ein Jäger geſtorben, das muß ich re - feriren!!! und Mendelsſohn tauſend Geldgeſchäfte und Rech - nungen berichten: er kleidete durch mich noch beſonders Jäger hier: und giebt, weil ich ſie ihm gebe, und mit Vergnügen dieſer Familie ausrichte, viele Aufträge. Ich kann aber alles von ihm haben. Und für Freunde auch. Gentz war geſtern147 Abend bei mir: recht gut; aber er müßte erſt wieder kurze Zeit unter eben ſo Klugen leben, als er iſt: die Salons haben ihn engourdirt. Er braucht ein weniges ſich zu entroſten. Wir ſprachen viel. Das Stück in der Zeitung, worin Mett. vor - kommt, iſt nicht in ſo ſchönem Ton geſchrieben, als Ausſicht der Gegenwart. Es thut mir leid. Glaube nur, dies Land hier will glimpflich bei den größten Schlachten bleiben: und Alle ſöhnen ſich aus: nur Partikuliers bleiben dann ſitzen, und werden aufgeopfert. Dies alles unmaßgeblich, und nur zur Erinnerung! Du biſt übrigens überzeugt, daß wenn ich die Sache an ſich, ganz richtig, edel, und erſprießlich für Alle hielte; mich keine Rückſicht ihr abſpenſtig machte. Das böſe Prinzip aber, iſt anderweitig zu finden, und zu verfolgen: und mit einem gelaſſenen, nicht ironiſchen Ton, wie du ihn ſchon gefunden haſt. Nicht wahr? Nun muß ich mich ge - ſchwind anziehen; es iſt gefroren, ich will auch endlich ausgehen. Williſen hat an Marwitz geſchrieben aus einem Orte des Reichs, den der nicht kennt: lauter kriegriſche Dinge. Ich ſchicke ein Stück der Addreſſe mit, die vor mir liegt. Zur Ergötzung. Viele Grüße, und die herzlichſte Umarmung! Dan - zig ſoll über ſein! Adieu!

So wie kein Dichter ſich ausdenken kann, was beſſer, mannigfaltiger und ſonderbarer wäre, als was ſich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt; und nur der den beſten Roman machen kann, welcher Kraft genug hat, das was ge - ſchieht zu ſehen, und in ſeiner Seele auseinander zu halten:10 *148eben ſo ſind unſere tief natürlichſten Wünſche roh; und gräuel - haſt entwickelte ſich ihre Erfüllung für uns; nur das, was Gott wirklich zuläßt, iſt in allen Beziehungen heilſam für uns, weil wir uns ihm entgegen bilden können. Mir iſt dies ſchmerzhaft geſchehen und, klar geworden. Wem dies glimpf - lich begegnet, der hat Glück.

Die Menſchen verſtehen einander nicht. Sie lieben ſich zu ungleichen Stunden; möchte ich noch hinzuſetzen.

An Varnhagen, in Holſtein.

Die Gemüthsbewegungen waren dieſen Sommer zu ſtark für mich. Angſt, Sorge, Ärger, Mitleid. Und was ich hier ſah!!! Nie ſah ich ſo den Krieg. Im September war ich ſchon krank, und wollte doch die Soldaten nicht weggehen laſſen, alſo ging ich immer auf den Flur zu ihnen mit Fie - ber: zuletzt ließ ich ſie ſchaarenweiſe vor mein Bette kommen; es war au fort ihrer Leiden. Ein Schuft wäre ich geweſen, hätte ich nichts davon leiden wollen. Ich wußte es ſehr gut, ich fühlte wie es mir ſchadete, aber es iſt mir noch eine Wonne! Ich mache mir ſo bei jeder guten Suppe, bei jedem guten Biſſen ein Gewiſſen. Nun ſind wir hier ruhig: aber in ganz Deutſchland, in Holland, überall hiebt und ſchießt man in Menſchen, in weiches, ſchmerzfähiges Fleiſch, Adern und Gebein. Man nimmt, darbt, mißhandelt! Ach von meinen Jägern, die149 den ganzen Tag bei mir ſind, weiß ich jedes Detail. Da biſt du drunter! gegen den böſen Davouſt. Und doch wollt ich nicht, du wärſt zu Hauſe. Ich kenne einen ſehr braven Jäger L. aus Lübeck. Sein Vater iſt dort Uhrmacher, und urſprüng - lich ein Genfer. Kannſt du den Mann wiſſen laſſen, daß ſein ehrlicher braver Sohn hier bei mir iſt, ſo thue es. Der preußiſche Generalchirurgus hier hat ihn mir aus einem ſchwe - ren Nervenfieber geriſſen. Marwitz lief immer zu dem Arzt. Kurz, er iſt durch; und erblüht mir recht wieder unter den Augen. Ich equipire ihn ganz. Und mache ihm während ſeiner Geneſung jeden Tag eine kleine Freude. Auch iſt er viel bei uns, und dieſe Diſtinktion und mütterliche Freund - lichkeit ſtärkt und freut ihn am meiſten. Kann ich mir irgend etwas unter einem muthigen, braven, gut gearteten deutſchen Jüngling denken, ſo iſt er’s. Dabei iſt er in Berlin erzogen, ein Erz-Preuße, und Berlin ſein Leben, Ich tadle ihn wacker, und lehre ihn die Welt ſchonen, lieben und anſehen. Wir Preußen werden vergöttert: und in Tapferkeit, Betragen und Sitte angeſtaunt. Wie ich zum Guten und zur Beſcheiden - heit ermahne, kannſt du denken! Ich möchte ſagen, ſehr lieber Freund, ich folge dir! ſo gleich denke ich über alles mit dir: ſo freue ich mich über jedes Thun von dir, ſo billige ich in tiefſter Seele jedes Wort, jeden deiner Ausdrücke! Beinah habe ich dir nichts zu ſchreiben. Man lobt mich in Wien, Breslau und hier ſehr. Dies aber bloß, weil ich das Glück hatte, für die Soldaten etwas zu erlangen; die Thätigkeit hätte mir niemand ohne das Gelingen berechnet. Es freut mich, ausgeſtoßen wie ich war, ohne Vermögen, Stand, Ju -150 gend, Namen, Talente, zu ſehen, daß ich doch meinen Platz in der Welt finden kann. Deinen Beſitz, deine Hülfe rechne ich oben an: aber warum liebſt du mich? bloß weil ich recht - ſchaffen bin, und das Andern gönne und thätig ſchaffe, was ich ſelbſt gerne will. A. Mendelsſohn beträgt ſich gegen mich ganz ausgezeichnet freundſchaftlich, thätig und zuvor - kommend, und hat ſich als wahrer Freund und eigentlicher Bruder gegen mich bezeigt, indem er mir de but en blanc hier einen Kredit machte; weil ihm einfiel, es könne mir angenehm ſein! er hat das letzte Geſchäft mit einer Pünktlichkeit und Ausrechnung zu meinem Vortheil beſorgt, als wäre ich eine Königin, deren Gunſt er ſich ſchaffen wollte. Außerdem beträgt er ſich in dieſem Krieg, und betrug ſich hier in Prag, wie der größte Weltpatriot: man kann nicht edler. Auch hat er nun eine Freundin an mir, und einen Freund an dir.

Lies doch, wenn du das Buch findeſt welches ich erſt ſechs Wochen in Verachtung bei mir liegen ließ De - lille’s Gedicht sur l’imagination. Ganz Frankreich in ſeiner Geſellſchaftlichkeit überſieht man wieder darin, und einen Ab - grund von Verwirrung, Grazie und Weisheit, die ihm über - kommen iſt, und die in ihm gewachſen iſt. Darum empfehle ich’s aber nicht, ſondern ſeiner ſehr ſchönen Anmerkungen wegen, die ein Anderer dazu im neueſten geſchmackvollſten Franzöſiſch geſchrieben hat; ſo geſchmackvoll, avec tant de goût, daß ſie beinahe fromm ſind. Nur über die Königin Louis quatorze der Fürſt von Ligne ſagte: Catherine le151 Grand; daß Ludwig XVI. weiblich benannt werden dürfe, ſiehe in den Mémoires de St. Simon iſt der Mann platt und grob wie ſein Volk; ſonſt iſt es der reinſte, liebens - würdigſte Emigrant. So muß man alle nennen, die mit Ge - walt Gedanken wegdrängen und verwerfen, weil ſie ihre Lieb - lings-Feſtſetzungen durch ihre Reſultate zu Grunde richten würden. In dieſen Anmerkungen iſt ein vortreffliches Stück über la Norvège aus einer Reiſe; und noch eins aus Winckel - mann: beides meiſterhaft überſetzt. Noch leſe ich Troxlers Verſuche in der organiſchen Phyſik. Da iſt S. 206 und 7 etwas Göttliches über den Willen. Doch dazu haſt du keine Zeit. Auch Delille nur, wenn du ihn findeſt.

Die zwei karakteriſtiſchten Grundzüge in mir ſind die: daß alle Kartenſpiele mich durchaus und von je her bis zur größten Stupidität ennuyiren; und daß ich trotz der beſchädi - gendſten, zerſtörendſten Liebe, nie im Einzeln eiferſüchtig ſein konnte. Genau wußte ich, was ich dem Geliebten galt; und was ich ihm, da ich mich und ihn kannte, gelten konnte. Was kümmerten mich alſo die Details: die Art der möglichen Un - treue u. ſ. w.

Bei jedem Menſchen wären ſolche Grundzüge, zum Ver - ſtändniß ſeiner, aufzufinden. Dieſe beiden bei mir z. B. zei - gen doch offenbar; erſtlich, von welcher Beſchaffenheit mein Geiſt iſt: zweitens, daß ohnerachtet der größten Leidenſchaft, dieſer Geiſt, ſo wie er nun einmal iſt, nicht getrübt, verwirrt werden konnte: denn ſeinem einmaligen Ausſpruche lebte ich152 nach; und im größten Gemüthsaufruhr machte ich ihm doch keine neue Frage, wo er mir ſchon Einmal geantwortet hatte. Große Indizien zur Beurtheilung eines Menſchen.

An Frau von Humboldt, in Wien.

Vorgeſtern früh iſt Gentz abgereiſt; zwei Tage vor ſeiner Abreiſe nahm er Abſchied bei mir, und ſagte im Weg - gehn: Verzeihen Sie mir alles, was ich Ihnen hier gethan habe! Ohne alle Veranlaſſung, wir ſprachen von nichts Perſönlichem. Mein Lächeln war beinah ein Lachen: ich ſagte Ja; er wiederholte die Bitte mit denſelben Worten, und küßte mir die Hand, und ſagte noch: Und bleiben Sie mir auch etwas gut? ſo in dem Ton von bitte bitte! Ich ſagte ganz unbefangen, und frei und äußerſt wild denn im Augenblick kann ich immer alles: und habe die größte, ja unwillkürliche Gewalt über mich: in dem Augenblick, dem erſten, wie geſagt ja liebevoll und freundlich: Daraus machen Sie ſich ja gar nichts? O ja! O ja! Er küßte mir wieder die Hand, und ging. Haſt du davon eine Idee? Zu wiſſen, daß man einen ſchlecht behandelt hat, und hof - fen, er wird es vergeben? Doch ich werde nie eine Vorſtellung einer Seele haben, die ihre Lebenserſcheinungen nicht in ihrem Herzen niederlegt; in der alles wie Dekorationen nur vor der Stirn hin und hergeſchoben wird. Wie ſie beſtehen, und nur weiter leben, zuſammenhalten, iſt mir eben ſolch Räthſel. 153Kurz, worin das Herz dumm iſt, darin iſt man ſelbſt dumm. Und glaube mir, Freundin, mein Herz iſt anders; und ſo ver - ſtehe ich auch, immer von neuem, dieſe Sorte nicht; trotz des Wiſſens und Erkennens. Darin aber, daß ich ihm vergebe, hat er ſich geirrt. Das ſchrieb ich ihm auch, und ließ es ihm von ſeinem Kammerdiener im erſten Nachtlager abgeben, lieben würde ich ihn, weil ich ihn geliebt hätte. So iſt’s auch; und bleibt’s Es war ein ſehr ſchöner Brief; den er auch nicht verſtehen wird, wie ich ihn verſtehe; aber ich habe ihn aus Bedürfniß geſchrieben, und aus Rechtfertigung. Ich will damit gerechtfertigt wiſſen die Möglichkeit der Behand - lung, die ich auch nun für ihn im Herzen trage. Mir iſt, zu applaudiren und Liebe zu geſtehn, zu äußern, wenn ich ſie fühle, wie dem im tiefſten Italien Gebornen Bedürfniß: und eine Äußerung, die immer da iſt, ehe ich ſie bedenke, zähme, ordne. Ändert aber ein Freund mit Gewalt mein Herz gegen ihn, ſo iſt’s mir’s unerträglich, und Laſt, wie die größte Lüge, der größte Betrug, bis er dies weiß. Darum allein auch bedarf ich nie der Rache, kann ich mich nicht rächen, und habe mich nie gerochen. Mich dünkt immer, wenn ich jemanden nicht mehr liebe wie ſonſt, ihm nichts zutraue, ihm abdingen muß, ſo iſt die ganze Rache in Erfüllung: und ich habe ihm alles genommen, alles angethan. Hier haſt du mein tiefſtes Herz: einen Theil davon, den ich noch nie aus - ſprach. Ich ſchrieb Gentz mit großer Liebe, noch ganz ver - liebt; aber wie atterrirt wäre ich, ſchriebe mir Einer ſo, dar - auf vermuthete ich alles, was ſich nur ereignen will. Dir wandelt Gentz, ſagſt du mir, nur wie ein Traum der154 Jugend. Wenn es wahr iſt, daß ich alt bin, ſo habe ich meine Jugend mit herübergenommen: mir wandelt nichts wie ein Traum von daher. Wachenden Herzens ergriff ich dort; wo ſollte der Traum herkommen? Ja, eine jede Härte mei - nes Vaters, jeder Mord eines Jugendmomentes, kränkt mich noch, und tiefer und verſtändiger, und verzweiflungsvoller als damals. Was iſt unſer Leben, wenn darum Daſeinsmomente ihre Wichtigkeit und Wirklichkeit verlieren ſollen, weil ſie in der Vergangenheit liegen? Wie könnten wir dann nur Ge - genwart, Zukunft, Wünſche, Schätzenswerthes faſſen? Auch in der Vergangenheit wird dir Gentz auch nur ein Traum geweſen ſein: und dann iſt es richtig, und gut. Ich bin auf Gott, auf Ewigkeit geſtellt; wie du es für mich wünſcheſt. Kenne aber Gott nur in und durch ſeine Welt; Frevel, Lüge wäre es von mir, anders zu ſagen; und die Ewigkeit liegt bei mir nicht nur in der Zukunft; jetzt iſt auch ein Moment Gottes. Aber gottergeben bin ich: grade da, wo ich nichts mehr faſſe und begreife. Dies, und Verwirrung, und Verſa - gung fühlen, iſt der ganze Schmerz im Leben; dieſen, als Schmerz, und doch willig annehmen, iſt alles was ich kann. Die Natur des Daſeins aber, die mir Gott gab, kann nur er, nicht ich, ändern. Klarer und klarer werden mir auch meine Gegenſtände des Denkens. Kannſt du ruhiger ſcheinen, ſo bedenke, daß dir mehr in der Welt gelungen iſt; und mir außer dem Athmen, und Denken, und Beſſerwerden, das na - türlichſte Daſein ſtets verſagt iſt. Das halte der Teufel mit Grazie aus! Verzeihe mir! auch dieſen Brief, dieſe Re - pliken, und dieſes gros mot!

155

Habe die Güte Fräulein Saaling beifolgende Quittung zukommen zu laſſen. Ich hatte noch Socken und Schuhe, und ich fragte öſterreichiſche Offizierfrauen meine Nachba - rinnen , wo ich dies und anderes am beſten hinzuſchicken habe; ſie antworteten mir, ſie und ich wir wollten es ſelbſt übernehmen, und einzelnen Bedürftigen vertheilen, das ſei am beſten und ſicherſten. So thaten wir. Vor fünf Tagen hat mich die Frau Oberſtburggräfin zu ſich zitiren laſſen: gewiß wegen der Hemden. Ich darf aber nicht ausgehen. Nun ſchrieb ich der Baronin Heer ein oſtenſibles Billet, damit die Soldaten nicht auf meine Krankheit zu warten hätten. Die Baronin ließ mir ſagen, ſie würde kommen, war aber noch nicht da. Referire dies gütigſt den Arnſtein’ſchen Damen. Und wie unfähig ich zu ſchreiben war. Bei Gott es war wahr! Für Goethe küſſ ich dir die Hand. Dieſen Gott laſ - ſen ſie nicht ungeſchoren! Ich will’s verſchweigen, wie Gentz ſich darüber als Maulwurf, blinder, wühlender, anderthalb - ſinniger äußerte. Lebe wohl, Theure! dich zu ſehen, iſt meine ganze Hoffnung jetzt.

An Erneſtine Robert.

Es wäre liebenswürdig, gerecht, und äußerſt erfreulich für mich, liebes Erneſtinchen, wenn Sie mir ſchrieben; und nicht warteten bis ich Wicht Ihnen ſchreibe! hören Sie, wem ich alles ſchreiben muß. Nach Hauſe, damit Ihr alle von mir156 wiſſet, und um mein Herz auszuſchütten. Varnhagen große Briefe, ſeiner Ruhe wegen; Ludwig Robert, Bartholdy, Men - delsſohn, mit dem ich Dinge abzumachen habe; Frau von Humboldt, Mariane Saaling, Frau von Percira, auch ge - ſchäftlich und der Verbindung wegen; der Kouſine in Breslau: eine Menge Briefe in der Stadt, und andere für kranke Freunde. Von den andern Dingen, meiner Krankheit ꝛc. will ich gar nicht ſprechen: noch davon, daß mir in allen Zeiten das Mechaniſche des Schreibens Angſt und Blut koſtet! wie z. B. ſitz ich jetzt in der mir zu heißen Krankenſtube Auguſtens, die mit Fieber in ihrem Bette liegt, und welches mich ſehr an - ſtrengt. Dabei, liebes Erneſtinchen, ſind die Briefe, die ich nach Berlin ſchreibe, ja auch alle für Sie! wenn ich etwas Apartes Ihnen zu melden habe, oder mitzutheilen, zu vertrauen, werde ich es gewiß thun. Als Sie mir nicht ſchrieben, dachte ich Sie ſeien böſe auf mich, das können Sie doch von mir nicht denken! iſt es aber hübſch, daß Sie mir von Ihrer Reiſe, Ihrer Ankunft, von Moritz Abweſenheit, über die ich mich doch ängſtigen mußte, nicht ſchrieben; über Ferdinand muß ich von allen Seiten hören nur von Ihnen nicht?! das muß man der Schwägerin laſſen, ſie iſt entzückt von ihm! Überhaupt, fühlte ſie von Anfang an für den Jungen ſo, wie ſie nie mehr für eins von ihren Kindern fühlte. Solch neidloſer Kinderan - theil iſt mir bei keiner Mutter noch für fremde Kinder vorge - kommen: Wohlthaten an fremde Kinder ſind nicht ſo ſelten, als Vorliebe und Bewunderung für ſie. Sie haben mir auch nicht einmal von Ihren Landsleuten geſchrieben, die Sie ſehen, die ſich bei uns befinden oder nur äußerſt wenig und keine157 Details, mir, von der Sie wiſſen, wie die Polen bei mir ſtehen; wie ich die Einzelnen goutire, und die Nation in Geiſt und Herz beſchütze, ihr Recht gebe. Schreiben Sie mir dies alles! von Ihrem Quartier wußte ich ſeit Moritz in Breslau war; aber Sie ſollten überraſcht werden: und ich half negativ daran. Sehen Sie, ich habe nicht das Glück, daß wir nah wohnen; ich mußte mich todt laufen und todt ärgern. Nun bin ich weg, und die Einzige, die ihre Foyers hat verlaſſen müſſen. Konnte ich ein Quartier und Quartierte behalten? Wo werde ich wohl hinkommen? wenn ich nach Hauſe komme! doch davon nichts. Ich bin dankbar, daß ich flüchten konnte, daß ich hier ein Dach habe, daß ich geſund bin: d. h. kein Nervenfieber; daß ich wieder helfen, und Troſt ſein konnte, und bei Gott im Himmel! daß Sie in dieſe weite, breite, ſchöne Straße hineingucken können, und allem Angenehmen der Stadt endlich nah ſind! Schreiben Sie mir, ich bitte, genau wie Sie die Zimmer bewohnen, denn ich kenne das Quartier ſehr genau, und wie Sie leben, mit wem Sie Mit - tags ſpaziren gehen. Alles! ob Sie Verdruß haben: was Mama, die Schweſtern machen, was Ihnen Moritz mitge - bracht; und wie Sie mit den Haaren gehen, alles. Ob Sie mich wirklich vermiſſen! Ehrlich aber, und was Moritz zu Napoleon bei Leipzig und hinter dem Rhein geſagt hat. Ich bin noch nicht ſicher. Trieb man ihn, kann er uns treiben! die letzten aufrühriſchen Reden des Senats ſind mit vieler Kunſt aus Lüge und Wahrheit gemacht, und wunderſchön überſetzt in hieſiger Zeitung. Meine Zettel an Markus, meine Briefe, meine Gedichte, ſind alle auch an Sie. Ludwig Ro -158 berts Briefe werden Sie ſehr amüſiren, mich auch. Ich ſchreibe ihm ſehr ſchöne Antworten. An Ihrem Brief werde ich ſehen ob Sie mir gut ſind! bin ich Ihnen gut? Noch weit mehr! denn das iſt von Natur: und Sie wiſſen’s lange. Aber ich rechne auf Sie wie auf eine Freundin: das iſt übertrieben viel, ſehr viel!! das thue ich beinahe nicht mehr. Ich bin immer auf Ihrer Seite, bei allen Fällen des Lebens. Leben Sie wohl, und machen Sie ſich Vergnügen, und grüßen Sie alle Polen! Küſſen Sie Ferdinand und Moritz.

Ihre R. R.

Hier hab ich herausgegrübelt: Schickſal und Glück ſind mir nicht gut; Gott und Natur lieben mich aber.

Wenn mir Gott Menſchen ſchickt, bei mir iſt kein Athemzug, kein Pulsſchlag, kein Blick verloren. Drum bin ich ſo außer mir, wenn mir die Nächſten fehlen. Eltern, Ge - ſchwiſter, Geliebte! Weil ich an Gottes reinem Altar jedes niederlegen würde; im friſchen reinen Herzen hintragen!

An A. Mendelsſohn-Bartholdy, in Berlin.

Sollten Sie es wohl denken, lieber M., daß ich nicht ſchreiben kann, weil ich ein ſchlimmes Bein habe? Das Sitzen, welches zum Schreiben nöthig iſt, kann ich ohne Schmerz nicht exekutiren. Rheumatism hab ich im rechten Bein. Das iſt159 meine letzte Widrigkeit Kalamität drückt mir ganz was anders aus. Von Auguſtens Krankheit wird Ihnen mein Bru - der mitgetheilt haben. Wir haben hier wirklich Widrigkeit im Hauſe. Cher ami, je sens que ma lettre va se ressen - tir de l’état de ma jambe; ich muß immer ſo abgebrochene, ungeborene Phraſen ſchreiben, wenn ich inkommodirt bin; rech - nen Sie das ja ab! Es gefällt mir raſend von Ihnen, daß Sie meinen Koffer nicht aufmachen wollten; obgleich ich Sie darum gebeten hatte. Eine innere Diskretion, die ſich nicht auf äußere Bedingungen bezieht, als: Verſprechen, Erlaubniß, und dergleichen, iſt eine Zartheit, die ich ſehr liebe. Wiſſen Sie, wie ich Zärtlichkeit definirte? Witz der Liebe. So iſt Zartheit Gefühl mit Geiſt. Nicht anders! Punktum. Mir machen 1814 auch noch Sörgchens. Machen Sie mir aber keine Furcht, Lieber! Ich denke immer ſo, haben wir ihn ge - trieben, warum ſoll er uns nicht treiben. Und dann können noch andere Mißhelligkeiten kommen, die er wieder benutzt: doch bin ich noch ziemlich ruhig. Auch von dem jungen Can - tian habe ich einen ſehr hübſchen zweckmäßigen kurzen Brief heute mit Ihrem zugleich vom 2. Januar bekommen. Ich freue mich recht ſehr ſeines Avancements, weil er’s verdient: er iſt die Ordnung, Beſcheidenheit, in Ausgaben und allem, ſelbſt; ein wohlerhaltener Junge. Wie wird ſich der Vater gefreut haben. Sein Sie ſo gütig, ſie zu grüßen: ich weiß nicht, wo ich hin ſchreiben ſoll, wenn ich ihm auch antworten will. H. ’s Bruder kannte ich nicht: habe aber von gemein - ſchaftlichen Freunden ſehr viel Gutes und Rühmliches von ihm gehört; sauf le respect pour le ciel hätte wohl ein Anderer160 für ihn ſterben können. Doch was verſtehen die Menſchen? die noch die einzigen ſind, die ſich auf der Erde etwas ein - bilden! Jetzt einen jungen Sohn oder Bruder an einem Ner - venfieber zu verlieren, iſt noch ärgerlich dabei; und H. be - daure ich ſehr, da ſie ihn ſo liebte! Ihnen gratulire zu den guten Rötheln der Kinder, wie Mad. M., die ſich doch ge - nug geängſtigt haben wird! Alſo waren wir zu gleicher Zeit vor Krankenbetten. Nun ſind Sie das wieder los. Was wird nun kommen? Schöner Troſt! Es iſt mir ſo entfahren. Von Bartholdy hatte vor einiger Zeit einen ſehr geſcheidten, reifen, geiſtreichen Brief, den Tag vor ſeiner Abreiſe von Frank - furt geſchrieben; aber er muß kein Vergnügen haben, denn der Brief iſt nicht vergnügt. Er ſchreibt auch in ſo trocknen abgebrochenen Sätzen, und hat kein wehes Bein wie ich. - ren Sie Muſik? Ich habe, ſeit Sie weg ſind, nur das große Loos von Iſouard gehört; wofür ich bin; gute, unterhaltende dramatiſche Muſik: ſo iſt das Stück auch an ſich gut. Nicht ſolcher neumodiſcher, Mozart überbietender und daher nur überſchreiender Lärm. Eine Mlle. Brandt aus Frankfurt ge - fällt hier ſehr; ich ſah ſie in Aſchenprödel. Singt, nicht ſchlecht unterrichtet, wie alle Süddeutſchen: aber das R durch den Hals anſtatt mit der Zunge. Spielt nicht ſchlecht; in Einem Moment außerordentlich, wo ſie die Roſe bekommt; tiefſinnig möchte man ſagen; wenn dem nicht andere zu ſehr widerſprächen, aus aller modiſchen nicht bedachten Tradition, Momente widriger Naivetät und eben ſolcher Schweſterliebe u. ſ. w. So aber muß ich denken, es ſei von dem angeflo - genen Kunſtſommer, der wie der andere in der Luft umherfliegt,161fliegt, und ſich auf ſchuldige und unſchuldige Kunſtreibende ſetzt; denn jeder Akteur ſpielt manchmal außerordentlich. Den Fandango tanzte ſie außerordentlich gut und graziös für eine Sängerin und Aktrice, ſie iſt beides. Sie gurli’te auch dieſe Woche. Aber das thu ihr der T ! Medea gab Mad. Schröder aus Hamburg hier. Die Stelle mit den Unterirdi - ſchen groß! Das Ganze gut; mit zu wenig Einfällen für ihre große Gaben, und ihre Übung. Eine Götterſtimme: in der Tiefe gehalten, wie die Franzöſinnen. Sie ſpielte doch im Ganzen ſo, daß ich erſtaunt war ſie außer dem Theater zu ſehen, ſo viel kleiner war ſie da. Weiter habe ich nichts gehört, nichts geſehen. Außer meine Leute im Hauſe. Nichts. Marwitz iſt beim Generalſtab der Blücherſchen Armee, und geht als erſter Generalſtabsoffizier zur erſten Brigade des Yorck’ſchen Korps; ſo ſchreibt er mir vom 19. December in einem unleſerlichen Brief angefangen in Wiesbaden nein, nein! er endigt auch da. Theilen Sie das gütigſt den Mei - nigen mit! Wie alles Allgemeine. Nun hören Sie aber das, lieber Engliſcher! Sie müſſen mir eine Aſſignation an Deſ - ſauer ſchicken, weil ich wohl weiß, was ich für die vier Jäger von Ihnen bekomme, was Hr. L. Ihnen für ſeinen Stiefſohn gezahlt hat, aber nicht was ich in Florin für C. bekomme, weil ich von deſſen Rechnung keine Abſchrift genommen habe. Ein ſchlechter Geſchäftsmann? Ja! Ich finde es auch. Sie haben die Rechnungen gewiß. Mad. H. hat Ihnen den Brief geſchickt, worin ſie exakt mit unſern Händen lagen, mit C. ’s und meiner. Apropos! So eben habe ich in einem Kalender für Damen wieder etwas von Jean Paul geleſen. HübſchII. 11162und häßlich, wie alle ſeine jetzigen Ausleerungen. Etwas über die Schönheit des Sterbens in der Jugend. Und einen Traum von einem Schlachtfelde; der iſt etwas nicht geſtogen nicht geflogen; und es wittert nicht ſein ſonſtiger, ſondern der neumodiſche Heiligenſchein drin. Schöne Stellen hat auch der; mehr noch ſchöngebrauchte Worte. Laſſen Sie dies H. leſen, es wird ſie freuen. Ich dachte gleich an ſie, und an alle Mütter und Schweſtern. Leben Sie wohl! Schreiben Sie mir; und Neues, und was Sie denken, es macht mir Ver - gnügen. Schicken Sie mir die Aſſignation, ich brauche Gul - den; ich habe mein ander Geld verwahrt. Schönes an Mama: und tauſend Freundliches an Lea. Ihre Rahel. Urquijo wird Sie beſuchen und grüßen.

An Erneſtine Robert, in Berlin.

Dieſen Abend, als man ſchon Licht hatte, gab mir Dore Ihren Brief. Sehen Sie, Erneſtinchen, daß Sie auch krank waren? Ich dachte es gleich, an Nette ihren wenigen Wor - ten: Erneſtine iſt unpaß: Robert nicht in Berlin, ich ſo viel bei ihr, als möglich; aber ich traute es mir nicht zu ſagen, weil ſie ſonſt ſagen, ich bin ſo apprehenſiv. Nehmen Sie ſich nur ja in Acht, ſchonen Sie ſich noch lange, und ſtellen Sie ſich gegen ſich ſelbſt noch ſchwach, wenn Sie’s auch nicht ſind. Ich ſchreibe heute nur, weil ich in dem Briefe, den Urquijo mitnahm, ſo klagte, und nun in zwei Poſten nicht geſchrieben163 habe; und weil Sie mir geſchrieben haben. Erwarten Sie ſich aber kein geſcheidtes Wort, und auch nur wenige. Liebe Freundin, ich habe Schmerzen, bei denen ich ſchreien und weinen muß. Ich kann nicht gut liegen, auch nich ſitzen, das noch am wenigſten, und gehe mit Beſchwerden, ein ſolch rheumatiſches Bein habe ich von der Hüfte an. Ich muß es mit Seifenſpiritus einreiben, und baden, mitten im ſtrengſten Winter, zwei Treppen hoch, wo ich keinen Keſſel habe, in ei - nem fremden Hauſe! kurz, Gott will es; ſo wie ich keine Schmerzen habe, bin ich vergnügt. Aber meine Nerven leiden zu ſehr davon. Ich ſehe und höre natürlich nichts. Und keinen Menſchen. Auguſte iſt noch ſehr ſchwach, freute ſich wie ich über Ihren Brief, findet ihn deliziös und unterhaltend; ſagt: wenn ich ſie nur alle erſt einmal geſehen hätte! und will mit Gewalt morgen Don Juan, den der Kapellmeiſter Karl Maria Weber zu ſeinem Benefiz hat, hören. Mlle. Brandt ſpielt Zerline, und Mad. Schröder ihr Mann aus Hamburg von denen beiden ich Mendelsſ. ſchrieb den Don Juan. Ich Unſel’ge kann nicht hin. Ihr Logis freut mich ungemein, ſo möge meiner lieben Erneſtine alles gelin - gen! als ich Ihren Brief ſah und las, wußt ich erſt wieder, wie lieb ich Sie habe. Wahrlich wie eine Schweſter, für die man gewöhnt iſt von Kindheit an zu ſorgen: und die man von Natur gut leiden kann. Wie kommen die beiden Mäd - chen zu S ? das wundert mich mehr, als daß ſie ſich der präzipitirten Einladung fügten! Die Erde iſt ſo dunkel, nur die Hälfte der Zeit erluſtigt und beſchienen, der Menſch ſo vergnügungsluſtig eingerichtet, daß ich es ihnen nicht verdenke,11 *164nur müſſen ſie’s mit der gehörigen Verachtung gegen die ver - achtenden Wirthe gethan haben. Und ihnen es bei einer an - dern Gelegenheit durch einen unerwarteten refus zeigen, daß ſie diesmal aus Laune gekommen ſind, ſonſt kommt man in die Klaſſe der Leute, die man behandeln kann, wie man will. Doch zu einem launenhaften Betragen gehört viel Karakter, Feſtigkeit, und Erwägung der Welt, die man bis zum Ekel kennen muß. Solche Dinge kann man weder erwarten noch fordern, und ich ſpreche auch nur zu Ihrem und meinem Amü - ſement davon. Man kann ſich betragen wie man will, summa summarum handelt man nach ſeinem Karakter, das iſt: nach dem Reſultat der Summa, und Zuſammenſetzung ſeiner ein - maligen Eigenſchaften; und verdient irgend etwas, oder Einer wohl vor andern, daß die ſo abgewogen und abgezirkelt ſind, daß bei jeder Äußerung derſelben ein Muſterbild für ächt Menſchliches herauskommt? Die Menſchenmaſſe bewegt ſich wie die Ingredienzen der Atmoſpähre nach ewigen Geſetzen, d. h. wie ſie können; im Ganzen iſt es Wetter: und aus rei - nem Eigennutz nennt man eines ſchlecht, das andere gut. Sie Sie ſind alle unendlich! Amüſire ich Sie? Vous me faites jaser, vous m’inspirez par votre prédilection, qui seule est in - dulgente! Nur durch Nachſicht kann einer den andern ver - ſtehen, erſt muß man es wollen; ſonſt kann man alles, jede Behauptung, jedes Phantaſiren nach einem Punkte hinſchieben, von dem aus es Unſinn wird. Ferdinand macht mir gar viel Vergnügen! Alſo er geht! und ſchmeichelt; er wird reüſſi - ren, denn er gefällt ſchon. Das iſt die Hauptſache und das himmliſche Pathengeſchenk der Natur. Singen Sie? ſpielen165 Sie fleißig? heute bekommt Ihr meine Briefe durch Urquijo. Daß Sie mir Line verwahren, freut mich übernatürlich! und daß ſie reinlich iſt. Als ich dieſen Brief anfing, und mich dazu ſetzte, hatte ich Schmerz und ſchrie, jetzt iſt’s ein wenig ſtill. Weber phantaſirt durch eine vermauerte Thüre himm - liſch neben mir an. Brentano hat mich ungefähr vor ſechs Wochen durch jemand, dem er hier ſchrieb, grüßen laſſen, ſonſt weiß ich nichts von ihm. Ich habe ihm den Handel aufge - ſagt: und muß da ich ihm von Natur gut war, leider! ſehen, daß wenigſtens ich nicht mit ihm leben kann. Eine gewiſſe ſittliche Sicherheit brauche ich, ſo vagabund mein Geiſt ſich auch zu betragen, das heißt zu ſehen vermag; und geſel - lige Artigkeit, die mit einemmale bei ihm ganz ausgehen kann, Beurtheilen Sie, ob ich ſonſt Prätenſionen habe, die man nicht dulden kann! ich habe die Serie ſeiner Briefe, und will ſie Ihnen einmal zeigen, ob ſie ſo auf einander folgen konnten?!! Er konſtituirt mich z. B. als ſeine erſte Freundin; und in einem Briefe drauf, ſpricht er mir jede menſchliche Eigen - ſchaft ab, und radotirt ſo daß ich vielleicht nur fünf - mal in meinem Leben ſo gelacht habe, als über dieſen Brief. Nichts deſto weniger war ich ſehr empört. Jetzt iſt er mir ganz gleichgültig: der ganze Krieg, alle Bleſſirte ka - men mir dazwiſchen: und ganz andere perfide Freunde. Dieſer Sommer war mein letzter; nun läuft alles, meines Herzens Maß vorbei. Es iſt voll: und ich bin heiterer, als da es ſich füllte: nur die Börſe ge iſt zu leer! denn ich bin dahinter, auf einem Schiff muß man Equipage ha - ben, und ein Brechmittel von einem guten Koch einneh -166 men. Grüßen Sie alles! Moritz muß mir mehr ſchreiben! jede Zeile amüſirt mich, dann ſchreibe ich wieder und auch amüſant. Ihre R. R. Frau von Sparre tauſend Schönes!

An Frau von Grotthuß, in Dresden.

Arme liebe theure Freundin! Und in welchem Zuſtand traf dein Brief mich! Auch heute werde ich dir nur in den kürzeſt abgebrochnen Perioden das Nothwendigſte ſchreiben. Wiſſe alſo kurz! Ich bin nach tauſend Noth, Angſt, Krän - kungen, Mühe und Sorgen, endlich den 9. Mai 1813. aus Berlin dem Landſturm entflohn; ohne Schutz. Kam den vierten Tag nach Breslau, wo ich vier Tage blieb, und von dort nach Reinerz getrieben wurde, von dort wieder weg mußte, und direkt hierher fuhr; die Gräfin Pachta war zwanzig Meilen von hier auf einem Gute, und antwortete mir alſo nach Reinerz, nur als ich ſchon weg war: als ich die letzte Poſt von hier war, mit ganz Preußen, erfuhr ich, daß man hier kein Unterkommen fände, und ſah es auch ſchon unter - wegs. Ich ſchickte dem Grafen Bentheim einen Boten hier - her, und ſprach ihn um ſeinen Schutz an, meine Seele hatte ſich ſchon längſt an dieſe Flucht denkend nur auf ihn verlaſſen , er verlieh ihn mir ganz, und ich ſtieg bei einer Freundin von ihm ab. Dieſe beiden waren für mich wie Geſchwiſter. Alle alte Freunde nichts. Auch hier erlebte ich noch große Angſt, große Noth. Und die größten Evene -167 ments für mich. Tauſend und tauſend Menſchen konnte ich helfen, beiſtehen, ſchützen, unterſtützen, tröſten. Unſer ganzes Land ſah ich hier. Es ſchwoll mein Herz. Perſönlich ver - lor ich alte, ſechszehnjährige Freunde, die ich in eilf Jahren nicht geſehen hatte, die Pachta drunter, die nicht kam, und noch nicht hier iſt. So kam die Kulmer Schlacht; unſere von Platzregen begoſſenen Straßen waren mit unbehauſten Verwundeten bedeckt. Meine Landsleute! Ich ſtürzte auf meine Knie und ſchrie zu Gott. Er gab mir einen Brief nach Wien ein, und Geld, unzählige Kleidungsſtücke und Wäſche erhielt ich. Frauen ſtanden mir hier bei: und ich ließ kochen; und half. So lange bis ich unpaß wurde, dies aber der Verwundeten, Darbenden wegen nicht achten konnte; ich wurde kränker, mußte mich im Oktober legen: arbeitete doch: ſtand wieder auf, ward immer kränker: die Agitation dazu; alle Preußen kamen zu mir, jeder ſchnitt mir in’s Herz. So ging’s, mit tauſend Ereigniſſen, die nur zum Erzählen ſind, vermiſcht. So kam December; da wurde meine freundliche Wirthin heftig und gefährlich krank: ich wartete ſie, ſelbſt krank: ſechs Wochen quälte ich mich mit Wirthſchaft und allem, wie du bei Grotthuß. Ich wurde immer kränker: den letzten Montag vor ſechs Wochen ſtürzt ich zu Bette, wo ich noch liege. Auch nur mündlich! Wie von meinen Gebeten, Gelübden, wie ſie Gott annahm und erhörte. Dir darf ich mit Gottes Erlaubniß ſo etwas er - zählen. Dies iſt meine ganze Liebe zu dir. Offenbart ſich uns des Allmächtigen Willen ſo hart? Amen! Er weiß es: ich bin ganz ergeben: und denke mir wahrlich Gutes aus168 während unverſtändlichen Leiden und Schmerzen; damit auch ſchon jetzt für mein Bewußtſein welches daraus entſtehe. Anders weiß ich Gott nicht zu dienen; mich nicht aus der Verzweiflung zu ziehen: von den ſchweren, ſchlechtern, wirk - lich nur Nebenmomenten, wag ich dich nicht zu unterhalten: die ſind keine Reſultate, keine Stufen meiner Ausbildung, ſondern die harten Knorren darauf. Hier haſt du deine Freun - din ganz in Skitze. Den 4. Oktober kam Gr. Bentheim von Kulm zurück, und errichtete hier als General die deutſche Legion; bis vor kurzem. Der war mein Troſt. Er behan - delte mich, wie einen Brüder behandeln ſollten. Bis den Oktober war Ludwig Robert hier, den ich von Reinerz aus mitgenommen hatte, und der jetzt mit dem Grafen Goloffkin ganz brillant in Stuttgart lebt. Varnhagen iſt ruſſiſcher Hauptmann, beim General Tettenborn; lebt nur in mir: und ſagt’s der ganzen Welt. Wie er’s mir zeigt und ſagt, ſollſt du aus ſeinen Briefen ſehen, von mir hören; und wie er ſich geändert hat, und vervollkommnet, ſelbſt beurtheilen. Läßt mir Gott dies Glück, einen ſolchen Freund zu behalten; ſo darf ich nicht mehr klagen, wenn auch nur ein Viertel noch von mir lebt. Schreib mir, was du beginnſt. Und was Goethe vornimmt. Denn dieſen Schutz der Erde auch nur noch Einmal mit meinen Augen zu erreichen, heilt mich, ich weiß es. Und etwas Troſt muß ich jetzt haben, ſonſt ſterbe ich wahr und wahrhaftig. Zu viel kam, zu viel hinter einander. Seit zwanzig Jahren crescendo, und dissime. Geſtern ſchrieb mir Frau von Humboldt, ſie bliebe nur bis zum Mai in Wien, und machte dann eine Reiſe, oder ginge nach einem169 Bade. Ich frage ſie, wohin. Vielleicht ließe ſich dies alles mit deinem Aufenthalt kombiniren. Du fragteſt mich, Liebe, nach einer Stiftung bei uns, von der auch ich nichts weiß; zu gleicher Zeit ſagteſt du mir auch, du wolleſt dir etwas ab - ſparen, und es den Landsleuten reichen laſſen. Kannſt du etwas geben, ſo gieb es Einer, die ich dir vorſchlagen werde, und wenn du es nach meinen Worten eben ſo rechtmäßig findeſt, als ich. Es iſt die *. Ihr Unglück geht in’s Große; nur ihr Karakter, und meine Verehrung für ſie, mag es über - ſteigen. Sie leidet reell durch den raſenden Krieg, wie ein Verwundeter, wie ein Geplünderter. Ich füge dir nichts mehr hinzu, als daß ihr ganzes Schickſal ein hiſtoriſches, nicht ab zuwendendes, altteſtamentariſches, ja der Fluch iſt, dem die Kinder ſeiner Anhänger vergeblich auf allen Erd - punkten entfliehen!

An M. Th. Robert, in Berlin.

So eben erhalte ich euren Brief vom 23. Januar in Ant - wort auf meinen mit Urquijo. Ich bin noch krank mit ſpa - niſchen Fliegen in meinem Bett: wie, mag ich und kann ich nicht ſchildern; ohne den Gebrauch meines Beins. Und jetzt ſehr alterirt von eurem Brief. Gott! gebe, daß T. bezahlt, und ich das bezahlen kann, was ich ſeit Mama’s Tod brauchte. So dacht ich mir’s nicht. Sie ſich auch nicht. Ich will jede aufgeſetzte Quittung für das, was ich erhielr, ausſtellen, und170 zahlen, ſo wie ich nur kann. Gott iſt mein Zeuge, daß nicht jetzt, ſondern immer dies mein heimlichſtes Gebet iſt. Ich erliege dieſer Art zu nehmen. Daß macht für dieſen Januar die Summe von die ich bekomme. Wenn mir niemand in der Fremde etwas voraus ſchicken will. Quittungen will ich geben. Auch gab ich ſie jeden Monat bis zu meiner Flucht hierher. Schütze Gott euch vor dem, was ich erfahre! Und preßt mir hohes Leid und herbe, harte Krankheit jetzt den Brief aus, der ſonſt mein Herz heimlich beizt, ſo verzeiht es meinem großen Elend. Mir pufft das Herz nur ſo! Keiner von euch hat mich zum Fall der Noth nur irgend hier em - pfohlen. Hans ſchreibt mir ganz kalt, ich ſolle künftig nur Moritz ſelbſt ſchreiben, er gäbe konfuſe Antworten. Das glaub ich wohl. Für einen Dritten kann man wohl beſſer ſprechen; aber niemand will thätig ſein. Ich ſpräche gewiß für jeden von euch. Ich weiß auch, daß ihr meint, ihr meint es gut; und tadelt mich, wenn ich es nicht ſo finde. Auch iſt es viel, für geben, was Moritz giebt: doch wurde untern andern Um - ſtänden ſo abgeſchloſſen: und ich in der größten Proſperität hätte mich ewig für verpflichtet gehalten.

Die Torgauer Erklärung habe ich ſchon zweimal mit dei - nem Namen in dem Wiener Beobachter geleſen. Auch mir wird’s noch gut gehen; oder Gott läßt mich wirklich abho - len. Ich war ſehr krank, und bin es noch. Glaube nicht, daß Geld verlegenheit aus mir ſpricht. Nein! Abrah. Men - delsſohn hat mir ungefordert einen Kredit gemacht. Aber Wohlwollen und zarte Sorgfalt von den angebornen Freun - den thut wohl; und Fahrläſſigkeit weh.

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Lebt wohl. Mein Kopf erträgt in der unbequemen Lage das Schreiben nicht: ich kann mich nicht rühren. Frau von Sp. werde ich antworten, wenn ich wieder geſund bin. Ich habe nichts aus ihrem erſten Brief ſchief genommen: ſie irrt ſich. Meine Antwort war auch ſanft, ſie ſoll ſie nur ſo le - ſen. Warum antwortet mir Erneſtine nicht, der ich noch nach Urquijo geſchrieben habe, oder mit ihm, eins von beiden? Adieu! Mein Arzt!

R. R.

Eben hat mir mein Arzt eine neue Einreibung angekün - digt, nach der ein Ausſchlag kommen wird. Noch beſſer! Ängſtigt euch nur nicht, das Härteſte hab ich wohl ausgehal - ten. Ich bin ſchon wieder gefaßter. Habe aber Mörderzeiten.

Adieu.

Obgleich tauſend Dinge mich umgeben, die alle mit Un - geduld mich abrufen vom Schreiben, obgleich tauſend andere ſich vordrängen, und gleich zuerſt geſchrieben ſein wollen, ob - gleich ich ſeit Freitag von unſerer gewonnenen Schlacht in Frankreich weiß, ſo daß ich ganz mich und alles Leid ver - gaß: ſo laß uns doch zuerſt von unſerm verehrten Lehrer und Freund ſprechen, dem ich Ehre und Leben in die Hand gege - ben haben würde, ohne noch hinzuſehen; dem ich das tauſend - mal in die Augen hineindachte, und nie ſagte, welches ich jetzt grimmig bereue, weil einem Menſchen von andern edeln, den - kenden, nichts Höheres werden kann, und wozu ich Elende nie den Muth hatte! Laß uns von Fichte ſprechen! Deutſchland hat ſein eines Auge zugethan; wie ein Einäugi -172 ger zittere ich nun erſt für das andere! Ich nenne keinen; wie die Griechen die Furien umgehen, und wahre Herzens - angſt es immer thut! Nun kann ja Unverſtand, Lüge, Irr - thum auf dem ganzen Grund und Boden der Erde umher - wuchern, und wie üppiges, ungeſteuertes Unkraut ihr alle Kräfte nehmen und ſich aneignen; keiner rottet es mehr aus; pflanzt, befördert, macht ihm Platz, ſäet ihn aus, den reinen nährenden Waizen, der Geſchlecht zu Geſchlecht verbeſſernd zu geleiten vermag! Fichte kann umfallen und faulen! Das iſt nicht Zauber? Krank wie ich war, fand ich es vorgeſtern unvermuthet in der hieſigen Zeitung aus Berliner Blättern. Ich weiß nicht, ich war beſchämter, als erſchrocken; ſo gede - müthigt! faſt beſchämt, daß ich leben geblieben, und dann wieder eine wahre Furcht vor dem Tode empfindend. Wenn Fichte ſterben muß, dann iſt niemand ſicher; mich dünkte immer, Leben ſchützt vor dem Tode: wer lebte mehr als der? Todt iſt er aber nicht, gewiß nicht! Fichte konnte alſo nicht erleben, daß ſich die Länder vom Krieg erholten, Zäune wieder aufgebaut würden, dem Bauer geholfen, den Geſetzen nachgeholfen, daß die Schulen ſich wieder herſtellten und füll - ten, daß gewitzigte Staatsleute ihnen von den Fürſten Schutz verſchafften! daß Geſetze erfunden und ausgetheilt würden, daß die Denker frei, ohne den Augenblick zu ſchaden, ſie Volk und Regenten zur Geiſtesprüfung vorlegen dürften; dies ſelbſt ein Glück, zu aller Zukunft Glück! Der Mann, der dies, und alſo Deutſches, was allein ſo genannt werden dürſte, nur einzig und allein beabſichtigte, mißverſtanden von den meiſten Mitlebenden! Alſo auch er ſoll nicht aufgehn ſehn, was er173 aus den dunkeln Schluchten, im Schweiße ſeines Angeſichts, in dem ganzen Aufwand ſeiner Seelenkraft hervortrieb? Leſſing! Leſſing liegt auch; von wenigen nur nicht vergeſſen; und mußte kämpfen um das, was jetzt platt in jeder Zeitung ſtehen darf, um das, was ſolcher Gemeinplatz geworden iſt, daß ſie den Erfinder vergeſſen, und es in ſtupider Albernheit nur ihm nachſprechen dürfen! Und was würde er jetzt wie - der den Andern vorſprechen! Wie würde er ſie über ihren Dünkel abkappen; ſie polemiſch, lebendig überführen, ihnen zur rechten Minute Völker und Geſchichte vorrücken, in die blinde Aufgeblaſenheit Löcher reißen, und ihnen die Ausſicht für That und Sache öffnen und frei machen, mit Ernſt und Spott. Dieſer Mann mußte ſich mit einem Goeze abringen, und Schutt wegräumen, der damals feſt und gerade ſtand wie unſere Gebäude. So auch Racine und Voltaire und all die Andern, die ſie jetzt verachten wollen, weil ſie die Zeit nicht faſſen, in der jene leben mußten. Racine mußte große Kränkungen erleben, große Korreſpondenzen führen, weil ſein Sohn Manſchetten angehabt hatte, und in einer gewiſſen Schule darum nicht mehr geduldet werden ſollte, und mußte dieſen jungen Menſchen deßhalb ſchelten, und ſich anklagen und entſchuldigen! Eine vornehme Dame wurde krank, und von ihrer Tochter verfolgt, weil dieſe rechtgläubig, und die Mutter es nicht war! Mit Gewalt ſchickte man einem Dich - ter, welcher krank wurde, die Sakramente! Und dieſe Leute ſollten davon ſprechen und ſchreiben, was jetzt vorgeht? Die Religion der Jetzigen iſt prahleriſcher, als der Abſcheu jener vor den nur herrſchenden Ceremonien derſelben. Leſſing,174 Fichte! und ihr Ehrlichen alle, möget ihr unſere Fortſchritte ſehen, und uns mit euren ſtarken Geiſtern ſegnen! So denke ich mir Heilige, begabt von Gott, geliebt von ihm, ihm treu. Selig ſei unſer ehrlicher Lehrer!

An M. Th. Robert, in Berlin.

Ich nehme den Zeitpunkt des Morgens wahr, um dir heute gleich mit der ſchleſiſchen Poſt anzuzeigen, daß ich ge - ſtern als die ſächſiſche Poſt längſt weg war deinen Brief mit dem Kreditbrief erhalten habe; davon nachher. Natürlich habe ich Gicht: und das von der beſten Sorte. Einſt erzähle ich wie es war; für jetzt nur dies als Zeichen. Der alte Arzt, als er da war, ſagte in meiner Gegenwart zu Auguſten ganz in Mitleid aufgelöſt: Ich kenne den Schmerz; ich ſpielte mal mit Kinsky dem vor einem Jahre geſtürzten Fürſten und noch fünf Militairs (und nannte ſie alle), bückte mich, und bekam den Schmerz im Kreuz aber, alſo nur Kourbatüre, konnte nicht wieder auf: und man macht ſolche Geſichter, glauben Sie’s, daß davon bloß in der Angſt alle die ſechs Männer wegliefen, weil ſie beſtimmt glaub - ten, ich verſcheide. Die Beiden, die mich hielten, wein - ten aus Nervenzuſtand in den Winklen, wenn ein Acceß bei mir vorüber war. Drei Lager mit Betten waren in meiner Stube gemacht; und ich kam doch häufig auf die Erde. ꝛc. ꝛc. !!! und du glaubſt, es iſt Gicht? Alle Ärzte,175 die mich beſuchen, ſtellen dieſelben Fragen an: nämlich, nach den Bewegungen, die ich machen kann: weil es zu häu - fig iſt, daß man gelähmt bleibt: dennoch iſt es nur Rheuma - tism: weil Gicht nicht einmal immer ſchmerzt, aber im gan - zen Körper iſt, und lähmt. Wie bei Tieck. Die Einreibung hat allerdings den Ausſchlag eine Art Pocken, denkt euch bewirkt, aber als Soulagement nur, nicht als Radikalkur. Alle Tage ſtehe ich zu Tiſche auf, und gehe bis an die Thüre, dann dauert das Eſſen und das Sitzen wohl drei Viertelſtun - den: dann gehe ich oder laß mich zu Bette tragen: und dann, ſchwör ich euch, fühle ich ſolche Müdigkeit und Anſtrengung, ſolche zerbrochene Glieder, und ſolche Wonne, als wenn ich von einer zweitägigen Jagdparthie wiederkäme. Jedoch bin ich froh und beſſere mich. Schreiben nur kann ich ſchwer, des Schwitzens wegen, welches oft nachher fünf, ſechs, ja mehrere Stunden anhält: und mich dann ſo ſehr erkältlich macht, weil mir dabei oder nachher die Glieder verklammen. Mein Arzt giebt mir die zweckmäßigſten glücklichſten Mittel; er ſieht klar meine ganze Natur ein. Ein übermenſchliches Glück. Heute iſt das hellſte, kälteſte, knurprichſte Winterwetter! Allerhand Bälle, wo ich geladen bin, im Faſching. So in vier Wochen worde ich wohl ausfahren, wenn’s Wetter ſchön iſt. Seit September war ich dreimal aus! Schrecklich. So etwas muß man erlebt haben. Nun nur noch ein Anekdötchen, und dann nichts mehr vom Körper. Mit welchem Zittern und Mühe ich in das Bad hinein und heraus komme, habe ich euch geſchrieben. Mittwoch bin ich denn auch eben mit Mühe hinein gehoben; natürlich nichts zum Herausſteigen gewärmt176 noch bereit; ich will mich eben niederſetzen, die Beine das kranke ſind drin, Dore und das andere Mädchen ſchreien, ſtürzen zurück, kurz der Boden der Wanne ſtürzt ein: und elf bis zwölf Eimer Waſſer in mein Zimmer: ich wurde nicht ohnmächtig, und ſchrie: tragt mich nach dem Bett! Die Mäd - chen aber waren es, und ließen mich ſtehen: endlich trug mich doch die eine. Aber das Zimmer ſchwamm, und ſie ſchrieen nur wie die weißen Geſpenſter: Herr Jeſus! Ich ließ mir die grüne Decke umſchlagen, und durch ein kaltes Zimmer mich in Auguſtens Bette tragen durch die herbei geſchrieene Haus - meiſterin; in Auguſtens Zimmer war es ganz kalt, die Fen - ſter offen, mitten im Reinemachen: ſie in der Probe. Alle Wärmſteine wurden gebracht: und ſo lag ich denn in Gott gefaßt, ob ich wieder einen Rückfall haben ſollte. Beordern mußte alles noch ich, Dore war ganz naß, und hatte den Zit - terkrampf (noch um 7 Abends), das andere Mädchen zu Kräm - pfen geneigt, ſtumm und ſteif! Als ich ſo lag, kam unver - hofft mein Arzt. Unterſagte mir den Gebrauch der Arzenei für den Tag, weil bei der Agitation an kein Mittel zu den - ken ſei! ſo etwas hatte er nie gehört! (Freilich, wenn ein Anderer krank, und ich geſund geweſen wäre, ſo wäre es unmöglich geweſen. ) Gott erhörte aber mein wirklich in Verzweiflung ergebenes Gebet, es ſchadete mir gar nichts. Aber die Gefahr!

Meine ganze Seele freut ſich, Markus, daß du mir die Hoffnung giebſt, daß ich die Vorſchüſſe werde bezahlen kön - nen. Denn meine ganze Seele war vom Gegentheil immer - weg heimlich gedrückt. Ich habe auch ein gutes Gewiſſen,das177das iſt die innre Luft, in der die Seele athmen oder erſticken muß. Zum Leben gehört aber mehr, als Athmen. Schulden machen, ſich arm werden ſehen: ſich einſchränken müſſen nicht begränzen ſondern ordentlich einſchränken müſſen: iſt nicht plaiſant. Ich glaube dir, daß du Theil daran nimmſt und dich auch für deine Rechnung freuſt, daß die ſtockende Erbſchaft ſich löſt. Einzurichten weiß ich mich, das darf ich dreiſt ſagen. Ich werde von dem Kredit nur alle Monat ſo viel nehmen, als ungefähr machen. Was meine Krank - heit koſtete, will ich von dem Gelde wechslen, was ich noch du weißt von wem habe; und welches ich zur Flucht noch immer aufbewahrte, und zur Reiſe. Nicht einen Pfennig hab ich unnöthig ausgegeben: aber die Krankheit wird gewiß nah an dreihundert Thaler koſten; das ſehe ich ſchon jetzt. Ich ſchreibe wie immer jeden Pfennig auf. Meinen Breslauer Hut habe ich noch; zum Winter ſchwarz gefärbt, aber noch nicht aufgehabt!!! Einen ſchwarzen Wattenrock habe ich zur Krankheit im Hauſe haben müſſen, die allernöthigſten Schuh und Handſchuh. Sonſt nichts. Aber oblique Ausgaben hat man immer. Und auch hier behauptet jeder, ich ſei reich; bei meiner Ruppigkeit.

Nicht hoffen können kommt nicht von Leidenſchaftlich - keit; ſondern ob einem im Leben etwas gelungen iſt oder nicht; und von Einſicht, ob einem auf gradem Wege ohne Zuthun des reinen Glücks etwas gelingen kann. Unfähig - keit der Natur hindert daran nicht, ſondern ander Poſitives. Ein Glück iſt es; zu hoffen. Aber die Menſchen z. B., die immer hoffen was ſie wünſchen, ſind mir bei ihrem GlückII. 12178zuwider: meine Niedergeſchlagenheit darin aber, iſt, von einer andern Art, auch ſehr häßlich; noch dazu, als Geburt lan - gen Mißlingens. In Krankheiten z. B., worin ich immer noch Glück hatte: bin ich nichts weniger als hoffnungslos.

Daß Moritz zufrieden iſt, freut mich, weil das nichts an - ders heißt, als er verdient Geld. Er muß gewinnen, um einige Ruhe zu haben: beſitzen reicht ihm nicht hin, und beſäße er auch ſo viel, daß er ſich monatlich ſeinen Verdienſt davon nehmen könnte. Erneſtine hat mir nicht geſchrieben, ſie iſt doch wohl? Ludwig iſt geſund. Dir, Hans, kann ich heute nur flüchtig danken. Du denkſt nicht beſſer von dir, als ich: ſo viel wiſſe. Künftig ſchreibe ich dir. Heute bin ich zu echauffirt. Dein Brief freute mich, und ich weinte. Hanne, dir dank ich deine Zeilen auch. Ja! ihr hättet mir auch einen Theil der Schmerzen abgenommen. Ich euch, Gott iſt Zeuge, auch. Laßt die Bauer wiſſen, daß ich jetzt nicht ſchrei - ben kann. Und wo möglich alle Bekannte; den Onkel. Ich glaube, daß Fanny geſund iſt: aber ſchreibe, wenn auch nur ein Wort! Ihr könnt mir nach ſolchen Leiden die Angſt nicht verdenken: und alle Menſchen ſind hier heſtig krank; einer nach dem andern. Und ſterben: wie Blüthen abfallen, zahllos. Ich weiß längſt von Grapengießer: und Allen, die geſtorben ſind. Hans, dir ſchreib ich nächſtens ganz genau. Kinder, wenn wir nur in Frankreich keine Bataille verlieren! Varnhagen iſt durch Bremen nach Bonn. Hab ich ſchon geſchrieben, daß er den Schwertorden hat? ich glaube. Adieu, adieu. Mein Kopf fängt an. Friede und Freude ſage ich auch. Grüßt Erneſtinen und Nette. Und küſſe einer Fer -179 dinand, du Hans, Kinderfreund! Grüße Mendelsſohn. Laß dir doch von Hitzig oder Prinzeß Radziwill das Stück der Tettenborn’ſchen Feldlager-Zeitung geben, worin ſeine Erhe - bung zum Bremer Bürger ſteht.

Das iſt noch hübſcher! Ich endige, womit ich, bei Gott, anfangen wollte. Dir für deinen Troſt, deine Exaktitüde, für deine Verſprechungen und für deine Sendung zu danken!

Die brandenburgiſche Phyſionomie drückt keinesweges Inhumanität aus. Sondern eine gewiſſe Klarheit ich weiß ſonſt das grade Gegentheil, ja beinah, die Unmöglichkeit der Narrheit, nicht zu benennen , die aber überhaupt zu we - nig kräftig und poſitiv genährt iſt, als daß man ſie nicht mit Nüchternheit verwechslen könnte; weil nicht alle unſere Landsleute auch den Zuſatz in ſich, und ihren Geſichtsausdruck tragen, der von der Liebhaberei an Spaß nicht Scherz Ironie, und ein wenig zum Narren haben zeugt. Der Haupt - ausdruck eines ächt brandenburgiſchen Geſichts iſt immer der, daß man ihm nichts weiß machen kann. Und alle Caglioſtro’s ſind auch in unſerm Lande geſcheitert, vom fernſten Weſten und Süden konnten ſie bis nach Petersburg wirken, blenden, gewinnen: in Berlin ließ man ſie nüchtern durch. Die große Ebne; nie eine phantaſienährende Berg - oder See-Ausſicht, oder Nachricht; die dazu paſſende proteſtantiſche Religion; die kluge, ehrliche, in jedem Sinn ökonomiſche Fürſtenreihe; die ſaftloſen Nahrungsmittel, die Mäßigkeit ſelbſt in dem Genuß12 *180derer, die der Sandboden wohl zuerſt diktirte, ſind ſchon die bekannten Urſachen.

Jetzt fällt mir oft ein zu ſagen: Ich mag nicht von ihm ſprechen, ich bin böſe auf ihn, und kann ihm nur Gerechtig - keit widerfahren laſſen.

Warum ſollt ich nicht natürlich ſein? Ich wüßte nichts Beſſeres und Mannigfaltigeres zu affektiren!

An Varnhagen, in der Champagne.

Mein Brief von geſtern an dich war wieder ſo gut, als gelogen; obgleich er mit der höchſten Wahrhaftigkeit geſchrie - ben war. Weil er das Ende verſchiedener Stimmungen und Gedanken ausdrückte, die mir ſeit einer ſehr kurzen Zeit ſchon alt geworden waren; weil ich aus Schwäche nicht ausführ - lich werden konnte, mir jetzt häufige und helle Gedanken kom - men, aber noch ſchneller als ſonſt verſchwinden, und mir nur wie ein Wetter ihre Reſultate als Frucht zurücklaſſen. Ich bin ſo geplagt von Gedanken, Vorſtellungen und Einfällen, daß ich mir Blätter bereitet habe, um ſie wo möglich gleich hinzuſchreiben; für dich und mich: dies hier als erſtes zu Er - gänzung des geſtrigen Briefes. Er klang accurat, als ſie ich nur aufgebracht gegen dieſen und jenen, die mir denn Alle,181 und alles, was man mit ihnen vorhaben kann, klar gemacht hätten. So war es wohl auch: denn obwohl ich in einem durchdringenden Blick eine nicht irre zu machende Überzeu - gung von den Menſchen habe, als zuſammenhängendſte Na - turgabe aller meiner Eigenſchaften, ſo kann ich mich in gröb - lichem Irrthum befinden, ohne mich über diejenigen, ſo zu ſagen, die ich vor mir habe, zu irren. Weil ich mich zu der raſenden Willkür, einen einzelnen, groben, gemeinen Fall an - zunehmen, den Menſchen, welchen ich grade vor mir habe, ihn ausführen zu laſſen, nicht entſchließe. Ich will nicht ſa - gen, entſchließen kann: nicht entſchließen mag. Ich beſchimpfe, verunreinige dadurch mich ſelbſt! Was einer fähig iſt, weiß niemand beſſer als ich: niemand geſchwinder. Dieſe Pe - netration alſo, und jene Entſchlußloſigkeit, machen nun, daß ich auch eine doppelte Behandlung für die Menſchen habe: eine voller Betragen und Vorausſetzung procédé auf gut Deutſch äußerlich; und eine richtende, ſtrenge verachtende oder vergötternde, innen. Leicht kann ein jeder mich inkon - ſequent, feig, biegſam und furchtſam wieder auf Deutſch: lâche finden, und glauben, die beſſere Überzeugung komme bei mir nur vor - oder nachher, und der Augenblick könne mir Leidenſchaftlichkeit über Sinn und Verſtand werfen. Mit nichten; nie hab ich einen klareren, immer gleich ſo klaren, Menſchen gefunden. Da aber bei mir ganz kleine Züge über den ganzen innern menſchlichen Kernwerth für alle Ewigkeit, d. h. ſo lang des Menſchen Komplexion dauert, entſcheiden, ſo wird es ja unmöglich, daß ich ihm zeige, wofür ich ihn halte, was ich von dieſem beſtimmten Umſtand, in welchem wir182 uns befinden, denke!! Sie müßten mich für raſend halten; oder ich müßte ſie vergehen ſehn, als ſich ſelbſt verdammendes Unding. Drum bleibt mir ſchweigen, ſchonen, ärgern, meiden, betrachten, zerſtreuen, gebrauchen, ungeſchickt wüthig ſein, und noch obenein mich mit großer Geläufigkeit tadeln zu laſſen, von ordentlichen Thieren! Dir konnt ich die Wahrheit ſagen: Einmal war es möglich; und daraus entſtand unſere Freund - ſchaft. Freundſchaft, welch ein Wort!

An M. Th. Robert, in Berlin.

Hier iſt ein Brief von Ludwig Robert, den ich dieſen Mit - tag erhielt wahrſcheinlich war er ſchon vorgeſtern hier ich will ihn nicht allein zu euch gehen laſſen, damit ihr nichts denkt. Sonſt hätte ich wohl noch nicht geſchrieben; da ihr ſo lange nicht antwortet, und vielleicht die heftige Korreſpondenz nicht mögt. Jedoch konnt ich auch nicht: denn in dem Zu - ſtand von Geneſung, in welchem ich nur wenige Stunden des Tages aufzubleiben vermochte, befiel mich ein Schnupfen ſol - cher Art, daß ich jeden Gebrauch der Mittel unterlaſſen mußte, zehn Tage zu Bette bleiben, bei ganz verhängten Fenſtern, und katarrhaliſchem Fieber und Schwitzmittlen, gräßlichen Nervenattaken, und ſieben, ſieben! Migrainen, von welchen man allein krank bleiben kann. Das linke Auge war davon äußerlich roth und geſchwollen! Einen Tag mußt ich mir’s mit der Hand von 5 Uhr Abends bis 5 Uhr Morgens hal -183 ten!!! Dies letzte hat mich mehr erblaßt, vermagert, geſchwächt, als die andern acht Wochen Liegen. Von geſtern lieg ich nun neun Wochen. Seit geſtern gehe ich angepanzert umher. Schnaube wie ein Beſeſſener. Mein Bein iſt nur ziemlich, und leidet bei der allgemeinen Schwäche; befehlen werde ich ihm wohl nie wieder können, es wird wohl mein Herr bleiben. Nun wißt ihr wieder Übles von mir! Es iſt nicht meine Schuld, und bei Gott! ich gäbe es gerne weg. C’est trop fort! Das Gute dabei iſt aber das: daß wenn ich nur eine Stunde, eine halbe, eine Viertelſtunde, nerven - und peinfrei bin, ich von der luſtigſten, bonmotiſirendſten, heiterſten Gemüthsſtimmung bin. Voller Gedanken und innerer Bewe - gung. Am liebſten bleib ich mit Doren allein; und fühl ich mich nur eine Minute frei, ſo lachen wir aux éclats. Ich weiß immer Stoff zu Scherz und Witz aus meinem Zuſtand zu nehmen, beſonders dient mir die Luſt allein bleiben zu wol - len dazu. Ein Beſuch iſt mir ein Gräuel und die Andern denken’s nicht! weil ich keinen ertragen kann. Ich leſe nun ſchon vierzehn Tage auch nicht; nur ſeit heute erſt wieder das göttliche Extrablatt, welches mir ſo gleich es erſchienen meine Wirthin ſchickte. Das weite Rheims faßt kaum die Zahl der Gäſte! Graf Luckner kam bald nachher vor mein Bett heut iſt mir nicht ſo wohl mir berichten, Graf Reichen - bach, unſer Kommandant, ließe mich grüßen, der habe hier bei dem Kommandirenden einen Kourier ankommen ſehen, der die gewonnene Schlacht bei Soiſſons von Blücher gegen Napoleon meldete, welche Nachricht Fürſt Schwarzenberg dem Komman - direnden Gouverneur hier auf die Addreſſe geſchrieben184 habe. Das hat mich ſehr erheitert. Roberts Brief mich auch ungemein gefreut! Ich werde ihm ſehr zum Selbſtvertrauen und zur Thätigkeit zureden.

Von Varnhagen weiß ich ſeit dem 17. Februar nichts, da war er in Trier. Nur von euch erfahre ich nichts. Von Moritz träumte ich dieſen Morgen ſehr ſchwer, bis ich aus Angſt erwachte. Lebt Nette? Sie, ihr, und Mendelsſohn und Erneſtine antworten nicht. Ich ſchrieb euch den 9. Fe - bruar, den 11. mit einem Robert’ſchen Brief, den 20. mit der Breslauer Poſt, den 26. an Erneſtinen, den 27. wieder ein Wort mit Roberts Brief. Was machen die Kinder, Hans? Alle? Habt ihr. Mad. Staëls Buch? ich nicht. Schickt es mir in Franzöſiſch mit Weber! Goethe giebt ein ganz neues heraus. Iſt der dritte Theil ſeines Lebens da? Lebt wohl!

Eure R. R.

So wie man manchen Menſchen niedlich, hübſch oder angenehm finden muß, wenn man auch keinen einzigen Zug in ſeinem Geſichte, oder kein Glied an ſeinem Körper als richtig angeben kann, ſo hat T. durchaus etwas unangenehm Unanſehnliches, ohne daß man beſonders auffallende Diffor - mitäten im Einzelnen gleich entdeckte. Sie weiß das ganz genau; und der Eindruck, den ſie von jeher machte, hat auf ihre Art ſich darzuſtellen, und auf ihre ſowohl alleroberfläch - lichſte und leiſeſte, als auch heftigſte und tiefſte Äußerung den beſtimmteſten Einfluß: dieſe Art der Darſtellung ihrer ſelbſt185 nimmt man aber (mit hinlänglichem Rechte zwar auch) für ihren Karakter; der aber in des Herzens Mitte ſich recht eigentlich geflüchtet hat, gegen die rohe, flache Vorausſetzung, und von der ihr ſelbſt nur zu mißfälligen Erſcheinung ihrer ſelbſt. Zum Beiſpiel iſt ihr mit das Gräßlichſte: Verlegen - heit; für ſie oder für Andre beinah gleich; und in den aller - peinlichſten, unerträglichſten Augenblicken einer ſolchen zeigt ſie ſich immer dreiſt, thätig und mit Geiſtesgegenwart; und kein Menſch erahndet auch nur bei ſolchen Gelegenheiten, wie ihr ungefähr iſt. Sie loben ſie immer wegen ihrer Uner - ſchütterlichkeit, oder wie ſie es ſonſt nennen: wenn ſie ſich aus Schamhaftigkeit aufopfert, und ganze Hiebe im Herzen bluten läßt, ohne nur ſich hinzuwenden, oder einen Wehlaut daraus hervor zu laſſen. O! Maske, Maske! Du biſt keine Maske; wer kann dich loswerden, wenn du eine Mitgift biſt! Masken durchzuſehen, iſt eine wahre Wohlthat für das Men - ſchengeſchlecht. Dieſe Wohlthat übt T. im höchſten Sinn und viel in der Welt.

Zwei unausſprechliche Fehler hab ich aber: und die kennt niemand. O! könnt ich ſie darſtellen, wie ich ſie kenne! Jede Eigenſchaft wird einer, die man nicht regieren kann. Es iſt mir nie gelungen, und ich verzweifle nun auch ganz dran. Drum beicht ich ſie gern. Ja, denk dir, es exiſtiren zwei Abbildungen von mir, ein Basrelief von Tiecks frühſter Arbeit, und das Bild, welches bei meinem Bruder hängt; beide find ich ſehr ähnlich: und es ſind die widerwärtigſten Geſichter für mich, die ich kenne. Bloß, weil ich jene Eigen - ſchaften bis zum langgezogenen Fehler darin ſehe. Auch in186 noch zwei andern Menſchen ihren Geſichtern die ſehr hübſch ſind kenne ich ſie, nur im leiſeſten Grad, und doch ſind ſie ſchon Karikatur. Beide Perſonen haben auch dieſe Züge im Karakter. Die beiden Eigenſchaften aber ſind: eine zu große Dankbarkeit, und zu viel Rückſicht für menſchlich An - geſicht . Eher kann ich nach dem eignen Herzen mit der Hand faſſen, und es verletzen, als ein Angeſicht kränken, und ein gekränktes ſehen. Und zu dankbar bin ich, weil es mir zu ſchlecht ging, und ich gleich an lauter Leiſten und Vergel - ten denke; auch weil nur ich immer leiſtete, dies letzte iſt ganz leidenſchaftlich und mechaniſch zugleich geworden. Dies alles kommt daher: weil die holde, freigebige, ſorgloſe Natur mir eins der feinſten und ſtarkorganiſirteſten Herzen gegeben hat, die auf der Erde ſind; weil ich keine perſönliche Liebenswür - digkeit habe, und man es alſo nicht ſieht: weil auch mein rauher, ſtrenger, heftiger, launenhafter, genialiſcher, faſt tol - ler Vater es überſah und es brach, brach. Mir jedes Talent zur That zerbrach, ohne ſolchen Karakter ſchwächen zu kön - nen. Nun arbeitet dieſer ewig verkehrt, wie eine Pflanze, die nach der Erde hinein treibt: die ſchönſten Eigenſchaften wer - den die widrigſten. Du wirſt es ganz verſtehen! Ich wäre ein ſehr, für Aller Augen, verkrüppeltes Geſchöpf geworden, läge nicht großartige Betrachtung der Natur aller Dinge in mir, und jenes Vergeſſen der Perſönlichkeit, ohne welches die genialiſchſten Menſchen auf der Erde, und in jeder Wiſſen - ſchaft, keine wären. Dies iſt der einzige Leichtſinn, den mir der doch gütige Gott mitgegeben; und die einzige Grazie in meiner ganzen Natur. Zugleich mein Glück, die Sphäre187 meines Gebets jeder Erhebung mein eigentlichſtes Da - ſein, die expanſive Möglichkeit zu fernern Exiſtenzen, das höchſte Leben, welches zu anderm Leben hinauf glimmt und flammt. Und denk dir, Freund, dies war der Sinn, in dem ich dir geſtern ſchrieb: Die Geſellſchaft könne mich für ein Müllerweib anſehen, nur um deinetwillen hätte ich noch für mich Ambition; und nicht Zorn über dies oder jenes Ereig - niß. Die Geſellſchaft war mir von je die Hälfte des Lebens. Weil ich richtig fühlte, was ſie ſein ſollte: der ſich bewußte, behagliche Verein im Genuß und Weiterbringen alles menſch - lich ſchon Geleiſteten. Durch keinen Kampf aber muß man in ſolchen Bildungskreis, wo Natur und Geiſtesausbeute ſich durchdrungen haben, gelangen! Wie zu keinem Glück! Den Kampf alſo bin ich ſatt; weil ich ihn nicht zu führen ver - ſtehe; weil ich ihn verachte, mit dem Schickſal, welches mich dazu verdammen konnte.

Keine Beſchreibung von dem, was man in der nun ſchon zum hundertſtenmale zerſtückelten Geſellſchaftswelt finden kann, die doch nur bis jetzt ein zerhacktes Gemeng der griechiſchen, römiſchen und bibliſchen bleibt. Es iſt kein großartiger Ur - ſprung darin, der ſich an eine Lokalnatur lehnte, die einem richtig von den Religionen-Erfindern geſehen! von Gott überliefert wird! Wir ſind Alle wie Frühlings - gebirgswaſſer, welches erſt ablaufen muß. Kein Meer, kein Strom, kein Quell. Leben genug iſt in einem ſolchen Waſſer auch! das weiß ich. Wenn ich oder du nicht mitwirken kön - nen, das heißt Gutes vom Tag für den Tag eine Ein - richtung dazu iſt beinah nicht vorhanden, ſo ergötzt mich188 die große Welt gar nicht ſo! Noch dazu jetzt, in ihrer Ar - muth und Zerſtörung. Was hab ich an getäfelten Zimmern voll Menſchen, für welche die Natur, die Natur keines Din - ges, keine innere Erhellung, kein Wunder der Nerven, noch des Geiſtes noch des Herzens exiſtirt!! Und zu dem Ennui, welches mir nur der Ehrgeiz Mittel zu einem Zwecke erträglich machen kann, und ſein Spiel und ſeine Spannungen, zu dem ſollt ich mich noch ohne Zweck hin - arbeiten wollen? Dies kann ich nicht mehr! ich ſehe ſie ja noch immer, dann und wann, und kenne ſie Alle. Iſt man darin, à la bonne heure! Es iſt Bewegung wie alle. Nur nicht vorzugsweiſe. Dies wollt ich dir geſtern ſagen. Und wie hab ich dir ganz etwas anders geſtern ausge - drückt!

Noch Eins! Wo nicht von Natur verhandelt, wird, durch Sehen und Hören, Auseinanderſetzen; Muſik, Bildnerei irgend einer Art vorkommt, da halt ich’s gar nicht mehr aus. In der Länge zur Frequenz nicht.

Auch iſt es T. ganz und gar nicht ſchmeichelhaft, wenn Einer nach und nach von ihr eingenommen wird; dies iſt ihr ſo bekannt, ſo gewiß, wie den großen berühmten Schönheiten mit Unrecht ihre Eroberungen und Anbeter. Schon ihrem Freund Gualtieri, wenn ihr der ſagte: Sie ſind ordentlich hübſch, wenn man Sie lange anſieht, oder was er ſonſt der - gleichen hervorbrachte, antwortete ſie: Ja, ja, wie Azor,189 man gewöhnt ſich daran. Dann wollte der außer ſich ge - rathen. Die Beiden waren komiſch zuſammen.

Die Geſchichte der Madame de la Pommeraye in Dide - rot’s Jaques le Fataliste iſt für mich viel tragiſcher, als die von Romeo und Julia im Shakeſpeare. In jener iſt gar kein zufälliges Unglück, welches ſich zu dem der Liebe noch erſt geſellen müßte. Die Frau muß ihr größtes Leid erleben, worein ſie nicht willigen will; ſie ſchafft ſich Rache, die ihr gelingt, ſie drückt ſie feſt auf das ſchmerzende Herz. Vergeb - lich! dem Feinde iſt Glück in der Liebe zugedacht, er findet es in der Schande, die ſie ihm bereitete, weil ein Gott ihn ſegnete, aber von ihr ſich wendet, und allein muß ſie bleiben, mit dem Schaden für’s Leben. Das hat Diderot ſehr richtig gefühlt, und auch er allein nur, meines Wiſſens dargeſtellt. Das iſt nicht tragiſch, was andere Moraliſten zeigen; wie man ſich ſelbſt ſchadet, was man vermeiden könnte, wie man ſich Unglück zuzieht, wie man mit den Göttern wählen ſollte und nicht ohne ſie, wie innerer Friede ſchätzenswerther als ander Gewünſchtes ſei. Tragiſch iſt das, was wir durchaus nicht verſtehen, worein wir uns ergeben müſſen; welches keine Klugheit, keine Weisheit zerſtören noch vermeiden kann; wohin unſere innerſte Natur uns treibt, reißt, lockt, unvermeidlich führt und hält; wenn dies uns zerſtört, und wir mit der Frage ſitzen bleiben: Warum? warum mir das, warum ich dazu ge - macht? und aller Geiſt und alle Kraft nur dient, die Zerſtö - rung zu faſſen, zu fühlen, oder ſich über ſie zu zerſtreuen.

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Sollte Goethe mit Bedacht im Wilhelm Meiſter alle die - jenigen, denen die Liebe das ganze Leben in ſich aufnahm, haben ſterben laſſen? Sperata, Mariane, Mignon, Aurelie, der Harfenſpieler?

Und ſollte er die beiden Texte zu dem Buche in dem Buche kennen? die des ganzen Werkes Keim ſind, aus dem es nur Goethe’s Geiſt, wie Sonne, hervortrieb? die Be - merkung nämlich, daß jeder Fluß, jeder Berg genommen ſei auf der Erde, und dann das, was Meiſter Aurelien, vor oder nach ſeiner Verwundung an der Hand, ſagt: O wie ſonderbar iſt es, daß dem Menſchen nicht allein das Unmög - liche, ſondern auch ſo manches Mögliche verſagt iſt! Dieſes Netz von Witz, in dem uns die Götter hier gefangen halten, in welchem wir errathen, toben, arbeiten, beten müſſen, und durchſchauen und durchgreifen können. Für möglich halten wir manches; das was nicht iſt, iſt unmöglich; wenn wir das immer wüßten und dächten, thäten wir nichts; und kein Buch würde wohl geſchrieben mit ſeinen Vorausſetzungen, Bildern Beweiſen und Erörterungen.

Darum finde ich auch in Goethe’s Taſſo das tragiſcheſte Ereigniß. Ganz ſeiner innerſten Natur zuwider, muß er ſich am Ende an den halten, der ihm das Abſcheulichſte iſt; im Kampfe mit der Seligkeit ſeines Herzens überwunden, ſie fahren laſſen; und endlich, um das Vernünftige zu ergreifen, die Seele nach der unnatürlichſten Lage hinrenken; und ſo das Herz in fremden, rauhen Gehegen ausſtrömen laſſen, wel - ches geboren war, nach ſeinen ſelbſt erkornen Himmeln zu191 ſtrömen. Solcher Todtſchlag bleibt ein ewiger Schmerz: iſt nicht zu bekämpfen, nicht zu ändern, und einzig tragiſch.

Shakeſpeare ſagt: So ſoll ich denn mit fremden Augen in die Glückſeligkeit ſchauen! Wie vor einer ausgehungerten Stadt, können einem ſehr Unglücklichen alle möglichen Lebens - mittel vor dem Herzen vorbeiziehen, und kein Korn, kein Tropfen Nahrung hinein kommen; er ſieht den Reichthum, und nimmt Theil an der erquickenden Fülle der Andern, und feſte Thore verſchließen auf ewig ſein Herz. Einem ſolchen beneidet und tadelt man oft noch Eitelkeit: ach! und er ver - mag gar nicht eitel zu ſein, im Grunde!

Holde, reiche, milde, troſtvolle Natur, nimm ihn auf in deinen unendlichen Schooß! verwehe ihm Menſchenſpur aus dem geängſtigten, mißbrauchten, von ihm ſelbſt mißbrauchten und mißverſtandenen Herzen: verleibe ihn ein in dein Geſund - heitsathmen, vereinige ihn mit Element und Wetter! daß er, ſelbſt geſund, durchſonnte Atmoſphäre athme, einſauge, em - pfinde, und mit ihr einverſtanden ſei, durch frei bewegten Organismus der Glieder, und ſeines Geiſtes; daß er kein Verhältniß, nur ein Sein fühle, und eine frohe Welt empfinde!

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An M. Th. Robert, in Berlin.

Morgen, liebe Freunde, werden es acht Tage, daß ich euren mich erfreuenden Brief, mit Roſe ihrem darin, und einen beſondern von Moritz und Erneſtinen erhielt. Die Poſt nach euch war ſchon weg, und auch Sonnabend vermocht ich nicht zu antworten. Denn denkt euch, Kinder; ich lag im heftigſten Fieber, ja lebensgefährlich an einer Halsentzündung. Was Erſticken auf der Bruſt heißt, weiß ich gewiß; im Halſe iſt es wegen der Verbindung mit dem Kopfe noch ängſtlicher dem Gefühle nach und mein Erbrechen! Ich wußte gar nicht, daß hier ſolche Epidemie herrſche: den 24. und 25. März war ich etwas ausgefahren. Stellte aber jedoch dieſe Fahrten aus manchen Gründen, und beſonders weil ich die Fatigue nicht ertragen konnte, da ich bis dahin nur ſtundenweiſe aus dem Bette geweſen war, gleich wieder ein: brauchte zwei Tage, mich von Gliederſchmerzen und der Verwirrung zu er - holen. Den 28. drückt es mich etwas im Hals. Drei Nächte bring ich ſehr übel zu: ich zitire meinen Arzt. Kurz! muß Bäder ſchwitzen; genieße nichts; muß ſechs Tage am Halſe warme Kräuterumſchläge nehmen!!! ſtehe ſchrecklich aus! werde die letzten Tage ſo entkräftet, daß ich um einen Trop - fen Wein oder Kaffee bitte: bringe ſie ohnmächtig zu! Der Arzt verſagt es ſtreng; und ſagt: ſo müſſen Sie her - unter kommen: das iſt ja die Art der Heilung. Kurz, genug! Eine neue horreur! Die vorletzte Nacht ſchlief ich zum erſten -mal193mal ohne Umſchlag und Gurgelei: heute lag ich ſo; aber ſchlief nicht: und fühle es ſehr! Alſo viermal habe ich hier ſchon Fieber gehabt. Im Oktober das erſte: und ſeit dem 17. Ja - nuar bin ich nur wenige Tage, ja nur Stunden aus dem Bette. Denn bei meiner großen Attake hatte ich auch welches: man verheimlichte es nur. Bei meinem Halsübel hatte ich das noch obenein, daß Dore es auch, nur ſchwächer, hatte, und ich in dieſer Noth die noch ſchonen ſollte: wo ewig Einer einem erſticken helfen muß, und ein kühler Umſchlag den Tod bringt: ꝛc. Nun iſt der Hals wieder gut; und ich wie - der Einmal zum Ausfahren ſchreitend. Ich ſtehe viel aus. Verſtehe aber mein Übel. Ich ſehe ein: daß wenn die heftigen katarrhaliſchen Zufälle nicht ſo hintereinander gekommen - ren, der bis zur Gicht faſt verhärtete Rheumatismus ſich nie gelöſt hätte. Harte, ſchwere, entkräftende Heilart. Gott ſchickt es mir. Ich hatte zu viel Verdruß, gar keine Freude: ſo lange Jahre: ich ſagte es immer zu Varnhagen. Sterben ſollte ich nicht; ob ich gleich zweimal, auch den Ausſagen nach, gefährlich war: nur tüchtig leiden, und erſchwächt wer - den: ich kann nicht dafür! Und wenn ihr mir gut ſeid, will ich auch noch für uns und mich leben.

Nun, Ohmeken, will ich deinen Brief Punkt vor Punkt beantworten: der mein Herz ſo heilte auf meinem Kranken - Jammerlager im ſchrecklichſten Fieber, Krampf - und Stickmo - ment. O! Äußert euch gut gegen mich! Ich bin einmal leidenſchaftlich, und nicht nur, wie ich ſehe, in der Liebe, wie man’s nennt: in allen Affektionen: ja ich beſtehe und (jetzt eben iſt die Eſtafette gekommen, daß der Kronprinz vonII. 13194Würtemberg und Fürſt Schwarzenberg in Paris find. Das iſt für Jena, und weil Napoleon aus unſern Schloßfenſtern ſah; ich zittre und weine; ehr ruhte er nicht, bis man in Blut hinwatete!) glaube, der Menſch beſteht nur aus Affekten: und dreiſt kann ich euch Allen die Frage machen: kennt ihr mich nur für mich bewegt, beſorgt und thätig? Wem von euch ſein Intereſſe geht mir nicht durch und durch in’s Herz? Hans! zittre und weine ich nicht ſo heftig, als für mich, wenn du mir einen Unfall von dir mittheilſt? beweintet ihr heftiger Paulinchen als ich? Knie und bet und ſchrei ich nicht zu Gott, wenn ihr krank ſeid, als wenn ich’s ſelbſt bin? Pflegt ich euch nicht Alle, ſeit meinem neunten Jahr! Robert zu Einem Jahr! Theil ich euch nicht alles mit? Ruhe ich ehr, eh ihr Intellektuelles, Angenehmes, Geſelliges, alles habt, was ich nur erreichen konnte, hab ich je ich, nicht immer wir geſagt, und Gott weiß, wie ewig gedacht! Ich bin kein ſtockiger Selbſtler: ein freudiger, empfindlicher Lebensverbrei - ter! Und viele Fehler müßt ihr, könnt ihr ſolchem Freund zu Gute halten! Alſo freute mich euer letzter Brief unge - mein! heilte gleich das Herz mir, für Vergangenheit, Ge - genwart, und für noch ſo furchtbare Zukunft. Weil er freund - lich und gütig war!

Es iſt ja prächtig, Hans, daß du dich doch dieſen Win - ter beſſer befindeſt! Aber von einer Badereiſe ſcheint ihr ab - gekommen zu ſein: darauf hoffte ich. Und euch irgendwo zu treffen, obgleich ich noch nicht weiß, wo ich hin muß. Scheue das Geld nicht, Ohme! Man hat es doch nachher nicht: und leben und geſund leben, iſt das Meiſte. Der Kinder ihr195 Wohlſein iſt meine Haupſache: lernen ſie auch noch Italiä - niſch? Hanne’s Hals muß noch mehr geſchont werden; leicht zieht ſich nach ſolchem Orte eine Schwäche.

Schon ſehr oft, lieber Ohme, dachte ich daran, daß die Litteratur bei euch ſchmachten würde; und beſorgte es; mir geht’s ja eben ſo, wenn Marwitz, Varnhagen und ſolche nicht da ſind: die ganze Litteratur iſt eine Mittheilung in’s Große getrieben: und kann nur durch Mittheilung begünſtigt, ver - breitet werden! Wir wollen ſchon wieder dafür ſorgen. Graf Luckner wird dir eine Broſchüre von mir bringen in acht Tagen etwa Considérations politiques sur l’Europe. Ro - bert antwortet mir Einmal darauf in einem ſeiner Briefe. Ein Emigrant (Maiſonfort), der ruſſiſcher Legationsſekretair in London iſt, hat ſie verfaßt. Ich errieth natürlich den Emi - granten. Aber wie modifizirt auch dieſe unmodifikabelſte Men - ſchenart iſt, ſollſt du draus ſehen: und wie göttlich, geſchmack - voll, judiziös, und harmoniſch, und wahlreich man dieſe Sprache in neuſter Zeit zu ſchreiben vermag: und wie komplet ahn - dungslos dafür A. W. Schlegel iſt: der ſeine politiſchen Nach - ſchwätzungen auch glaubt in dieſer Sprache abfaſſen zu kön - nen! Er iſt nun in ſeiner völligen Ausbildung ganz arm und irr geworden.

Du ſagſt mir, Kunſt, Konzerte, Theater, alles würde von dir vernachläſſigt. Was kann ich erſt ſagen: die ich nur Flanell, Schweiß, Trank, Betten, Tropfen ꝛc. ſeit ſo viel Zeit zu allem Umgang habe! Gott will es: und begabt mich auch dabei, daß ich noch nicht vertrockne. Aber mein Körper natürlich, deteriorirt ſich; und das krepirt mich ſehr. Die gril -13 *196lirte Loge freut mich ſehr. Du wirſt aber gewiß nicht glau - ben, daß ich mich ſo innig über das Glück freue, daß du Iff - lands Schuldenweſen arrangiren konnteſt! Nun kann doch der Menſch in Ruhe krank ſein; und beſſer werden. Daran nehme ich den größten Antheil noch beſonders, weil er wohlthätig iſt. Wiſſe nur: ſo verhaßt mir der Krieg iſt; wegen ſeiner Gräuel, wegen meiner perſönlichen Furcht; und weil er meinem Herzen ſo weh thut; ſo iſt er es mir doch gewiß zur Hälfte ganz darum, weil er die Erde in Un - ordnung bringt, welche mir das Entſetzlichſte, ja nicht zu Faſ - ſende iſt! daß er alles ſtört, jedes Hausweſen in’s Tiefſte; je - des Geregelte, jeden Plan, jedes Geordnete. Dies thun Schul - den auch: und ich verabſcheue ſie! Es muß dir große Freude machen, dem kranken neuen Freund darin mit deinem Talent haben helfen zu können. Nur begreife ich nicht, warum er die joyaux nicht längſt opferte: und ob ihm das Haus wenn es das im Thiergarten iſt nicht zugleich die Ruhe und Behaglichkeit ſeiner Exiſtenz nimmt. Erkläre mir das. Mit der Pedrillo haſt du auch ſehr Recht: wir ſind es ihrer Mutter ewig ſchuldig, uns allen ihren Kindern als thätige Freunde zu beweiſen Feinden bleibt es, nur gerecht zu ſein, und zu kritiſiren es iſt ſchändlich, wenn man vergeſ - ſen kann, daß, ſei es auch noch ſo lange, man einen Men - ſchen Tag und Nacht, und grade zu Noth hat können zuver - ſichtlich rufen laſſen. Solche Hülfe in der Familie, bei allen Krankheiten, leiſtete uns die Eigenſatz, jahrelang; anſtatt Mama, der dies Talent abging. Ich vergeſſe es ihr nie! Auch in Mad. Bethmann wollen wir, wie du ſagſt, die Ver -197 gangenheit ehren, (was iſt der Menſch, ohne ſeine Geſchichte? Produkt der Natur, und nichts Perſönliches) und ein Phäno - men der Natur, in Unbeſonnenheit, die ſie edel, auch gegen ſich ſelbſt, genug übt; bei vielen leichten, lieben Eigenſchaften.

Wundere dich nicht etwa, Ohme, wenn ich ſage, meine Krankheit koſtet dreihundert Thaler. Bedenke, Monate im Bette. Vier Wochen gehoben; wozu ich Menſchen hal - ten mußte. Bedenke die Bäder, die Apotheke, den Arzt. Die tauſend weggeſchmiſſenen Mittel, Weine, Eßwaaren. Eine ganze Garderobe von Flanell habe ich mir anſchaffen müſ - ſen. Mein Bettzeug, was ich mithabe, reißt. Meine Wäſche: ich konnte nie fünfzig oder vierzig Thaler nehmen, und mir welche kaufen; Ausſteuer hatt ich nie; und wenn es dich ſkandaliſirte, mich äußerlich ſchlecht einhergehen zu ſehen, ſo weißt du doch nicht wie es ſeit vielen Jahren mit der inn - ren Garderobe ausſah: hier nun ging meine Leibwäſche ganz auseinander: und endlich hab ich welche kaufen müſſen. Wem ſagt man dergleichen? Strümpfe mußt ich auch ha - ben: jeden Gang muß ich bezahlen, und noch Gott danken, daß ich gefällige Leute im Hauſe habe: man durfte mich ja nicht allein laſſen: erſt ſeit geſtern bin ich allein: und heute Nacht kommt Dore erſt aus meinem Zimmer, nebenan. Denk dir die Strafe für mich, bis jetzt!!! Auf Federbetten lag ich auch. Und das Holz! Tag und Nacht mußte ge - heizt werden, wegen der Dinge, die warm vorhanden ſein mußten, und weil es die Ärzte befahlen und ewig erinner - ten. Ich habe euch ja gar nichts erzählt! Das Zeug mußte mir ja vom Leibe geſchnitten werden! Eine ſpaniſche Fliege198 lag drei Tage und drei Nächte, ohne daß man nachſehen konnte, und war verrückt, und dicker Flanell auf die Wunde gerutſcht; und doch mußt ich liegen bleiben! Dies nicht, mich zu vertheidigen: denn ich weiß es, Lieber, du klagſt mich nicht an, aber um es zu erklären. Ich habe alles aufgeſchrie - ben: und ich darf es wohl ſagen, nur mir konnt es möglich ſein, meine Rechnungen noch zu führen! Dicke Schnupftücher habe ich mir auch kaufen müſſen, die paar battiſtenen konn - ten in der Krankheit nicht dienen.

Ach lieber Ohme! du freuſt dich ſo mit Roſens Brief! Freilich freut mich die Nachricht! Aber daß die Arme ſeit zwölf Jahren immer dieſelben Briefe ſchreibt, am Klima lei - det, und Geſellſchaft und die Geſchwiſter vermißt, zerdrückt mir das Herz. Louis freut mich ſehr; daß er etwas lernt.

Lieber treuer Hans, dir danke ich! Ich ſage immer zu Auguſten, nur Einem Menſchen in der Welt traue ich über Komödien und Muſik, die ich nicht höre, und das iſt meine älteſte Schwägerin. Was mache ich mir aus einer Oper, die man der Ballete wegen ſehen kann: doch daß ſie unterhielt, iſt ſchon viel. Dir, den Kindern, Erneſtinen, Moritz, werde ich Allen künftig ſchreiben: leſ’t unterdeſſen dieſen Brief. Ich bin zu ſchwach. Erneſtine nenne ich nicht wieder ordentlich, bis ſie mir das Zahnpulver-Rezept beilegt! Moritz, warum vorenthältſt du mir das Vergnügen, Briefe von dir zu haben, da niemand ſie ſo bewundert als ich! Hier iſt einer von Ro - bert! Kinder! Ihr habt ihm die Blätter, die ihr ihm von mir ſchicken ſollt, nicht geſchickt. Nun muß ich noch Robert199 zu morgen ſchreiben. Künftig euch, liebe Kinder. Ich erliege.

Adieu! R. R.

Nun gratulire ich dir und Allen, die wahren herzlichen Antheil an der Welt wahrem Wohl nehmen! Ich gönne un - ſerm König für ſeine Kränkungen, daß auch er eingezogen iſt, in das Herz des monſtruöſen Reichs, das alle andere in ſeiner holden leichten Glaubhaftigkeit zu verſchlucken und tre - ten zu können meinen mußte. Es muß jeder franzöſiſche Sol - dat, jeder Franzoſe wiſſen, daß man auch zu ihm kommen kann, das wird ſie höflich im Herzen machen; und uns den Kopf oben halten lehren für eine Zeit. Daß nur Einer ge - opfert wird, und auf den aller Haß gegoſſen, aus den vergall - ten Herzen der Menſchen, und daß man mit der lieben Nation ſich wieder befreundet, und ſie lieben darf, freut mich. Dann bitte ich zu Gott, und hoffe es auch, daß es gut ſei, was geſchieht!! Luſt mußten wir haben, das iſt ſchon ausgemacht! Das Größte ſchon jetzt, iſt mir das; daß Napoleon ſich zum Kaiſer machte; und nicht ruhte bis er’s nicht mehr war. Al - les er ſelbſt. Wer hätte ihn angetaſter! Man muß es nicht vergeſſen! Kaiſer - und Königstöchter hatte er. Eng - land hinter ſeinem Meere ſogar, unterſtützte noch vor weni - gen Monaten der Bourbons Proklamationen nicht. Der Mann hat ganz allein wie Macbeth fünf Akte geſpielt: ſeine Zauberſchweſtern kennt man noch nicht.

Hier wurde mit Lärm und Geſchrei das Bulletin im Schau - ſpiel abgeleſen. Der Oberſtburggraf ließ gleich Liebich holen,200 die ſchickten zu mir. Ich ſah und hörte natürlich nichts da - von. Was wird bei uns für ein Lärm ſein; und der Sachſe im Schloß! Heute fahre ich wieder mal aus. Adieu!

Von Varnhagen weiß ich ſeit dem 17. Februar nichts, da ſchrieb er aus Trier. Wie findeſt du das. Auch herzſtärkend.

Sage auch Abr. Mendelsſohn, ich werde ihm antworten. Doktor Veit ging mir in die Seele! mein erſter Freund.

Heil! Heil! Was ſagt Moritz! Ich bin zweideutig?

An M. Th. Robert, in Berlin.

Ich werde erſt ſehen, wie ich dieſen Brief geſchwinde nach Berlin bekomme, da ich geſtern den von Robert, als die Poſt ſchon weg war, erhielt. Er will eine Empfehlung für den Staatsrath Küſter, wie du ſiehſt. Liebſter Markus! verſäume es nicht. Vetter iſt ſehr gut mit Küſters. Kircheiſen. Alſo muß es Geheimr. Schmidt machen. Auch Schack kann es durch Gräfin Golz. Beſorge es bald, lieber Freund! weil es zu ein großer Verdruß für Robert wäre, wenn Küſter ſo ankäme! Eigentlich müßt er ihn kennen von Golzens, und den Orten, wo er invitirt war, und nicht hinging. Das kommt davon, wenn man nichts kultivirt: ich habe ihn genug erinnert. Wie baten ihn die Damen in meiner Gegenwart. Wie einen Schiller!

Lieben Freunde! Welchen vergnügten Brief wollt ich euch heute, nämlich das erſtemal ſchreiben! Im Frieden,201 im Frühling, in meiner unglaublichen Beſſerung! Seit Dienstag gehe, und fahre ich täglich aus. Ach und Hans! dich, wollt ich zum Muth ermahnen, den ich habe. Ich gehe mit zwei Händen am Geländer gehalten wie ein Kind in der Laufbank, doch allein die Treppe hinab. War bei Liebichs auf der Schildwacht, die auf einem Berg liegt; ſie gingen durch den Garten herab: ich einen Stufenberg ganz allein ohne Furcht, das zweitemal als ich aus war!! habe Schmer - zen, und Inkommoditäten, Schwächen, Schweiße; Fröſte, Un - behaglichkeiten aller Art; und achte ſie nicht! Ermunterte, und ergötzte alle Leute; bis geſtern. Da erfuhr ich, daß in der Zeitung geſtanden habe, Tettenborn und ſein Adjutant ſeien verwundet; der General leicht, jener ſchwer am Kopf. Ich las in der Halsentzündung zwei Zeitungen nicht; in de - nen ſtand es: damals wär ich geſtorben; ſie lagen neben mir, ich vermochte ſie aus Fieber nicht zu leſen! Nun hat die Welt den Frieden; ich nicht. Gott reicht es mir; ich bin ſtill. Aber ſchreiben kann ich nicht. Seid nicht beſorgt! ich erhalte, und tröſte mich, da es noch nicht gewiß iſt. Seit dem 17. Februar weiß ich nichts von ihm. Adieu. Gott richtet es ein: ſonſt hätte ich ja jetzt in dieſem Falle ſterben können. Ich gehe in der Unruhe heute in Fanchon.

Adieu, adieu. Rahel.

Mit Graf Luckner kommen Zeitungen, Bulletins, Komö - dienzettel, Reden, alles!

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An den General von Tettenborn, in Paris.

Lieber General! ich bitte Sie um Gottes willen, im Na - men alles desjenigen, was Sie intereſſirt, ſchreiben Sie mir ein Wort hierher, oder laſſen Sie mir ein Wort hierher über Varnhagen ſchreiben! Seit dem 17. Februar, wo ich den letz - ten Brief von ihm aus Trier bekam, weiß ich nichts von ihm: ſelbſt ſeit fünf Monaten krank zu Hauſe, war ich vorgeſtern zum erſtenmal im Theater, wo mir Graf Chriſtel Clamm, als ich nach Ihnen fragte, gradraus ſagte, Sie und Ihr Adjutant ſeien verwundet: als er mein Erſtarren ſah; machte er einen Scherz daraus, welchem letztern ich Glauben beimaß, denn ich hatte alle Zeitungen geleſen, und der Graf erzählte es aus einer Zeitung, worin er’s vor vierzehn Tagen geleſen habe. Ich erzählte meinen Schreck einer unvorſichtigen Frau: die mir ſagte, es habe allerdings in der Zeitung geſtanden: und nun beſtätigen, nach meinen Erkundigungen, es Viele! Ich lag zuletzt an einer Halsentzündung, und habe zwei Zei - tungen nicht leſen können; darin muß es geſtanden haben: im Gegentheil, ich las, Gen. Tettenborn ſei in Chalons ein - gerückt, wo ihm die Bürger die Thore geöffnet! Wie es auch ſei; von Ihnen erwarte ich, daß Sie mich ſo ſchnell als mög - lich die ganze Wahrheit wiſſen laſſen. Ich bin auf alles ge - faßt. Lebt mein Freund, und kann er hören, ſo laſſen Sie ihn wiſſen, daß ich ruhig bin, und für mich ſorgen will: und vor dem Ausmarſch wußte, was der Krieg iſt: und ihm nicht203 würde gerathen haben zu Hauſe zu bleiben. Wenn er nur nicht gefangen, in keinem Lazareth iſt! Ich füge kein Wort hinzu, lieber Baron, daß ich kein übriges geſchrieben habe: ich habe an den Menſchen in Ihnen geſchrieben, den mich Varnhagen ganz kennen und ſchätzen lehrte. Sie ſagt man nur ſehr leicht verwundet. Ihre ergebene R. Robert.

Addreſſiren Sie an Liebich.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Geſtern, meine liebe Geſchwiſter, ſchickt ich euch einen Brief von Robert; den ich vorgeſtern ſpät bekam, als die ſächſiſche Poſt ſchon weg war, mit der ſchleſiſchen: ich be - fürchte aber er möchte lange unterwegs ſein, und ſchreibe lie - ber heute wieder; weil Robert in dem Brief etwas verlangt: und ich auch geſtern wieder ſpät euren vom 12. April er - hielt, mit dem von der Schl. Der Staatsrath Küſter kommt nämlich als unſer Geſandter nach Stuttgart, und da will Ro - bert, daß er ihn kenne, von ihm wiſſe. Nun könnte er den Mann ſehr gut kennen, wenn er in die Geſellſchaften gegan - gen wäre, die ihn haben wollten. Auch mußt er ihn von Golzens her kennen. Vetter iſt ſehr gut mit Küſters. Kirch - eiſen auch. Alſo muß Schmidt und Vetter ſprechen: und wo - möglich machen, daß Küſter einen Brief an Robert mitnimmt. Küſter iſt ein ſehr lebſeliger Mann. Schack kann es auch machen: Gräfin Golz koſtet’s ein Wort; Frau von Crayen204 auch. Er ſoll nur vorher wiſſen, was Robert dort iſt, und wen er vor ſich hat. Beſorge es ja! Ohme. Auch hat Ro - bert mir vor wenigen Tagen inliegenden Brief geſchickt, den ich geſtern im Trouble einzulegen vergaß. In der Nürnberger Zeitung ſtand vor zwölf Tagen, General Tettenborn ſei leicht, und ſein Adjutant am Kopf verwundet. Seit vorgeſtern weiß ich den Zeitungsartikel gewiß. Ich habe in ganz Prag, in der ganzen Welt, an alle Grafen, Fürſten, Geſandten, und Prinzeſſinen um Nachricht geſchrieben ſeit geſtern. Verlangt alſo nichts von mir! Und ſeid ruhig über mich. Geſtern Abend fing die Schl. ihren Brief ſo an: Bin ich die Erſte, die Ihnen die Schreckenspoſt ſagt? ich las nicht weiter; wollte nichts hören! Auguſte ſchrie: es iſt nur Marwitz!!! Nur! denkt euch mein Unglück. Nur. Der iſt wieder bleſ - ſirt, gefangen und vermißt. Seit dem 14. Februar; ſein Schwager ſchrieb’s der Schweſter, und Leopold Gerlach ſchrieb’s auch. Ich weiß ſeit dem 17. Februar nichts von Varnhagen. Wenn ihr alſo Erbarmen habt, ſo ſchreibt Frau von Fouqué ich kann’s nicht mehr, nach Nennhauſen bei Rathenau, ob Obriſt Pfuel nichts geſchrieben hat. Wiſſen muß ich doch, wo er geblieben iſt: ob er lebt, ob er leidet. Das iſt kein Geliebter, den man wiederbekommt, das iſt ein einziger Freund in der Welt. Ich kann es beweiſen. Ein Gemahl. Noch glaub ich es nicht.

Ich war geſtern in Fanchon; heute ausgefahren. Gehen kann ich leider nicht. Mein einziger Troſt ſonſt in Unglück und Angſt. Wie lief ich, als Mama todt war, die Ruſſen in Berlin, vor den Thoren ꝛc. Wenn ich ein wenig, welches205 ich vorgeſtern und vorvorgeſtern that, viel gehe, wird mein Bein arg. Ach wie beſſerte ich mich, wenn es Gott mir in dem Frieden und Frühling erlaubte! Soll jeder deutſche Krieg mir ſolche Freunde koſten? Keiner weiß es; ich wußte es ſelbſt micht, erfahre es erſt jetzt, wie Louis mich liebte, und mein Freund war; und geworden wäre mit dem Alter. O! Kinder! Ich ſtöre euch den Frieden! den goldenen, gött - lichen, für welchen ich die Erde Gottes küßte! wie für mein Ausgehen! Erkundigt euch erſt bei Hitzig, ob Frau von Pfuel nicht in Berlin iſt; oder bei Fouqué’s: Hitzig weiß alles von der Familie. Iſt es euch unangenehm, ſo ſchreibt auch Hitzig. Nur ich vermag ihm nicht mehr zu ſchreiben. Nach Wien, Paris, Stuttgart, allenthalben hab ich ſchon heute ge - ſchrieben. Laßt Radziwill fragen, ob er nichts von Tettenborn weiß: fragt alle Menſchen! Vielleicht wenn ihr dieſen Brief bekommt, bin ich ſchon beruhigt, und habe einen. Äng - ſtigt euch nicht. Auf der Erde vergeht alles. Und ich ertrage Irdiſches. Ich bin gefaßt. Scherze oft. Dir, Hans, dank ich für deine ehrliche herzliche Freude über unſern Sieg, die du mir mittheilteſt[!]Und daß du in’s Freie fuhrſt, Gott zu danken. O! ich vergeſſe das Glück nicht. Daß die Völker ſich erkennen lernen: wie es Robert ſchön ausdrückt. Unſer König in Paris; ſieht er’s doch, und der Kronprinz; und lernt Länder kennen, und erwägen. Und der Franzoſe wird nicht nur ein Nehmer; welches der Fall geworden wäre: und lernt die ſtrengern, eckigern Nachbarn ſchätzen und kennen. Und wehren lernen ſich die Nationen: zuſammenhalten die Deut - ſchen; hochhalten die Fürſten ihre Völker, thätig lieben dieſe206 ihre Fürſten. O! ich fühle alles in meiner Noth. Gott ſchickt ſie mir. Ich küſſe das Kreuz. Er hat gewiß Recht. Lebt wohl. Grüßt die Kinder und Alle! Jetzt kann ich niemanden ſchreiben, das müſſen Alle einſehen. Ihr hört poſttäglich von von mir. Ich gehe aus, lebe, ſchlafe. Adieu! Fanny, l’aea - démicienne, je te félicite. Daß Jette ſang, freute mich ſehr. Verwahrt mir ja Roberts Briefe.

R. R.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Liebe Geſchwiſter, bloß um euch über mich zu beruhigen: ich habe wohl nun zwanzig Briefe in der Welt herum ge - ſchrieben, viermal an General Tettenborn und an Obriſt Pfuel. Ich bin ziemlich geſund, ſchlafe aus Angſt; gehe aus, in die Luft; nehme Bäder. Die mir der Arzt, weil es nun gewittert hat, wieder unterſagt hat. Ich kann nie recht zu den Bädern kommen. Auch hat er mir heute Töplitz verordnet. Ach! diesmal mein Gräuel!!! Mit Dore allein. Beſucht mich ja! Kommt auch hin! Seit vorgeſtern hab ich einen Schim - mer von Hoffnung. Graf Clamm-Gallas hat vom 7. einen Brief von Paris mit allem Neuen; was ihr wißt; und der Nachricht, daß Tettenborn dort unverwundet iſt: nun hoffe ich auch für Varnhagen. Aber Marwitz. Das bleibt. Aber das war nicht möglich! mit einem Arm hinzugehen, mit dem man nicht fechten und kein Pferd regieren kann. Morgen früh geht die Poſt. Ich grüße euch. Grüßt ihr Mad. Men -207 delsſohn; nächſtens werd ich ihr ſchreiben; ich vermuthe, der Mann iſt ſchon weg: er ſchrieb mir neulich, er würde reiſen. Seid ruhig über mich. Ich bin es oft. Adieu! adieu! R. R.

Clamm ſtürzte nur, mir es zu ſagen!

Was ſagt Moritz! C’est beaucoup pour un simple soldat , gefällt mir ſehr. Der Senat auch noch. Die Ereig - niſſe ſind durchaus größer als die Menſchen diesmal.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Liebe Kinder! ich bin erlöſt! Varnhagen war den 12. bei Pilat in Paris zu Beſuch: von welchem mir Gentz geſtern ein Stück Brief mitſchickte, worauf es ſtand. Dieſes Stück Brief iſt meine Friedensfahne. Nun fehlt noch Marwitz. Aber ich hoffe. Der kommt wieder ganz durchlöchert an Körper und Wäſche zu mir. Nun muß ich allenthalben den Allarm ein - ſtellen und hinſchreiben. Beſonders an Frau von Humboldt, die mir alle Tage ſchrieb, ſelbſt krank iſt, und keinen Brief vom Sohn hat, der bei Montmartre war! Gentz iſt ganz glücklich, mir die Nachricht geben zu können: und hat mir einen der merkwürdigſten Briefe dieſer Zeit geſchrieben; den man aber nicht herumſchicken kann! Freut euch mit mir! Geſtern war ich an Magenſtichen zu Bette: das feuchte kühle Wetter nach dem Gewitter muß einen rheumatiſchen Nervenkranken erſchüttern. Adieu! Wenn ich aus könnte im208 Regen, führ ich, die Erde küſſen! Nun hab ich auch Frie - den. Gott ſchütz euch. Schreibt!

R. R.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Geſtern Nachmittag, liebe Kinder, brachte man mir drei Briefe, einen von euch vom 24., einen von der Baronin Grott - huß, einen von Varnhagen. Der war den 10. geſchrieben, aus Villeneuve bei Sens der letzte Ort iſt einige Poſten von Paris; ich bin durch alſo einundzwanzig Tage ging er. Tettenborns Truppe hat das Unendliche gelitten Avant - garde abgeſchnitten unter aufrühriſchen Bauern: in der Unmöglichkeit zu ſchreiben; zu den nächſten Korps einen Brief zu ſchicken mußten ſie hundert, und auch mehr Reiter zur Be - gleitung geben ꝛc. ꝛc. Kurz, es iſt Frieden; und unſere Pferde kommen wieder. Der letzte Pöbel! und der König kann ſich ſo leidenſchaftlich damit nicht freuen. Jetzt noch wein ich. Denn nun kann ich’s ſagen. Dies war mir eins der Dinge, die mich am meiſten kränkten: erſtlich, weil es immer zu ſehen war; zweitens, weil es kein Kunſtwerk war, nicht aus Eitelkeit von unſerm jetzigen König aufgeſtellt, und der Mann es uns zum Poſſen, zur Kränkung that: weil wir mux - ten in Berlin. Und dann! wie oft hab ich in der gelben Stube Winters des Abends auf meinen Knieen gelegen, mit dem Kopf auf dem Stuhl, und Gott gebeten, er ſoll dem - nig Magdeburg wieder geben! Unſere größte Elbſtadt,unſer209unſer kultivirteſter Fluß. Kurz, tauſend Gedanken verband ich damit, die hier zu weitläufig ſind. Nun fehlt Marwitz noch; aber ich hoffe. Ich werde noch an mehr Menſchen ſchrei - ben. Und denke dir, Markus! (Hier hat mich Graf Luckner eine ſtarke halbe Stunde geſtört, und mir alle Gedanken ge - nommen) Varnhagen ſchreibt mir damals wollt er erſt nach Paris gehen er ginge mit ſeinem General nach Mann - heim; dorthin ſollt ich ihm ſchreiben. Vielleicht komme ich auch noch in Roberts Nähe; Mannheim iſt gar nicht weit von Stuttgart, und warme Bäder, in Baden, nah bei; die Tettenborn gebrauchen will, und muß. Roberts Brief, den ich vorgeſtern erhielt, hat ſehr ſchöne Stellen. Beſonders, daß die Geſchichte ein Drama aufführt. Daß ich mich fürchte, daß wir eine Nation werden, habe ich ihm ſchon lange ge - ſchrieben; und daß die vollkommenſte, von dem größten Ge - ſetzerfinder gemacht, wozu er Gott ſelbſt gebrauchte, ein be - ſchränkter Gedanke war, alſo endlich in der Idee, und ein Unglück wirken mußte: Moſes war aber ſo groß, daß er in der Ausübung wieder unendlich war, und ſein Gebäude den andern Nationen unmöglich zu zerſtören war; weil er auch noch dabei göttliche, auf die ganze Menſchheit ſich bezie - hende Eingebungen hatte. Und wer kann ſich zu dem Hel - den vergleichen! Von Kraft! tiefen, reichen, umfaſſenden Ge - danken! und einer Thatkraft! die das Ideal von menſch - licher bis jetzt macht; und welche Elemente fand der vor, und welche Alle nach ihm! Man kann dreiſt ſagen, durch ihn. Er mußte auf den beſchränkten Einfall kommen, der damals kein beſchränkter war. Ich muß doch meinen GeſchwiſternII. 14210auch meine Geſchichtsgedanken zur Schau ſtellen! Tralalala! Jetzt ſind durchaus die Evenements größer, als die Menſchen. Politik giebt’s nicht: Elemente davon ſind da; und mit denen entwicklen ſich die Menſchen mit, wie mit dem wirklichen Wet - ter in der Atmoſphäre, welches ſie auch nicht machen können, und die ſich ſtufenweiſe ändert in Jahrhunderten, wie alles in der Natur ſich ausbildet, und perfektibel iſt, und wird. Amen! Ich kann euch nicht mehr ſchreiben. Ich muß Bentheim, Auguſten, Robert, Varnhagen, Gentz, der Humboldt, Tetten - born, der ganzen Welt ſchreiben. Manche wollen wiſſen, was ich denke jetzt!!! So geht’s Denkern! Ich weiß aber doch nicht, was ich denken ſoll von vielen Dingen. Geſtern hat Mattauſch Karl Moor geſpielt: ich ſah ihn nicht; die Kälte war groß, und ich blieb zu Hauſe. In der Jungfrau werde ich ihn ſehen. Bayer ſpielt den Baſtard viel beſſer. Mattauſch wurde herausgerufen, und iſt hier ſehr beliebt. Warum habt ihr mir nichts mit ihm geſchickt! Hans! ſchicke mir Bettzeug, und Servietten. In einem großen Kaſten im Souterrain ſteht die Wäſche, Line hat den Schlüſſel.

Tettenborn hat mich ſehr dringend und angenehm ein - geladen. Ich warte noch auf mehr Briefe. Sei verſichert, Hans! kein Genuß in Kunſt, Luft, Wetter, und Wohlleben, kann mir ein ungeſtörter ſein, woran ich dich, woran ich euch nicht Theil nehmen ſehe. Ich möchte auch Moritz ſprechen hören. Napoleon möchte ich ſehen. Ich haſſe ihn noch nicht. Aber ſie laſſen ihm zu viel Spielraum. Wer von Marwitz hört, ſchreibt dem andern.

211

An Auguſte Brede, in Frankfurt a. M.

Kaltes, trübes, feuchtes, windiges Regenwetter obenein.

Holder Karakter! Ich wäre raſend geworden, wenn ſie mich nach einer andern Station gefahren hätten. Aber See - len, wie Sie, geſchieht und entwickelt ſich alles leichter, weil ſie alles leichter, auch loſer, nehmen; aber ſehen Sie auch Ein - mal mein Geſicht, und Ihres! Wenn die Natur und was iſt die Natur? Alles; von Anbeginn an: Kleinigkeiten! ſolche Dekrete ausſpricht, dann wehre ſich mal Einer; oder beſſere ſich! Was hätte ich nicht gleich beim erſten Deichſel - bruch für verdeichſelte Brüche geſehen! und für Dukaten im Geiſte ſchwinden! Eins bitt ich mir aus, Traute! Sie ſollen mir nämlich im äußerſten Detail trauen! über Ihre Angelegenheiten haben Sie holt die Gnod! mich immer ſehr au fait zu ſetzen; ſonſt ſitz ich und zerbreche mir immerweg den Kopf mit den größten Sorgen. Die grünen Bohnen, den Spargel, habe ich Ihnen auch mit einigem Nachrechnen beneidet; hier weiß ich vom Frühling nichts, als daß Schnee Koth geworden iſt: und die Wirthinnen ſchreien, es ſei nichts zu haben in der Jahreszeit, und der Theurung. Einmal ko - ſtet das ſchmutzige Papiergeld viel, einmal weniger: noch im - mer ſo! Wunde auf; Wunde zu; das iſt all eins! Wenn ich Wunde ſage, mein ich als Moderner ſo verſtümmelt ſind gegen die Antiken Janustempel. (Warum ſchreib ich Ihnen heute ſo ſonderbar, außer meinem gewöhnlichen 14 *212Stil; dies iſt auch meiner; halb in Robert ſeinem? Weil ich Sie, und mich Arme, gerne ermuntern, und beſonders die ſchwarzen Dünſte aus dem ſchwarzen Herzen nicht will an’s Licht ſteigen laſſen; und weil mir Karl Maria von Weber dieſen Mittag einen ſehr ſchönen Brief vom Herzog von Go - tha, in dieſem Stil geſchrieben, vorgeleſen hat. Der Stil ſelbſt iſt eine Manier, ein Gewandel, welches ein Launiſt an -, aus - und abziehen kann; aber weh einem Andern, der ſich in dergleichen Garderobe verwickelt! Denken Sie ſich, mit Laune, allerlei komiſche Auswickelungen aus ſolchem Kleider - haufen; Zufälle und Geſchichten, mit und unter denen das ge - ſchieht! Ich habe ſo eben dies Gewand anſtändig zwar noch, aber voll Überdruß, weit weggelegt.

Es war ſehr ehrlich von Ihnen, liebe Guſte, mir von Nürnberg zu ſchreiben: wie in Balſam eingetaucht, wirkte der liebe unſchuldige Brief mit ſeiner Phyſionomie auf mich. Er ſah aus wie Sie; und ſchien auch Ihnen Bedürfniß zu ſein. Das freut mich. Vorgeſtern Abend nach den Verwandtſchaften und dem neuen Ballet erhielt ich ihn. Eliſa Valberg wurde von der Schröder nämlich die Fürſtin ſehr ſchön ge - ſpielt; ſehr ſchön: auch gut angezogen; außer daß ſie, als ſie zum Gemahl kömmt, nicht einmal Handſchuh in der Hand hatte; welches mich Schwächling die ſehr gut geſpielte Scene hindurch ſtörte. Einen Zuſatz von ganz moderner Prinzenar - tigkeit (mit - artigkeit mein ich - haftigkeit; nicht die Artigkeit) und Zartheit hätte ich dem Spiel noch gewünſcht: denken Sie aber ja nicht, daß das auffallend war, oder ganz fehlte! Mattauſch hat einen gewiſſen Wackel beim Schreiten durch213 die zu große Körperſchwere erhalten, der das geübteſte Auge, beſonders in der Rolle, erfordert, um zu ſehen, daß er ſie ganz Prinz ſpielte: ſo modern und gut erzogen als möglich, mit all der Behaglichkeit, in dem Zurückhalten, welche ſolche Erziehung und ſolch ein Leben nur geben kann. Er war ſo tauſchend in ſeinem Benehmen, daß er mich in die größte Rührung und Emotion verſetzte, ſo ähnlich war es dem all unſerer Prinzen; und wegen der Herzlichkeit der Rolle, und den Verlegenheiten, die ſie in der Stellung des Fürſten gegen den rechtlichen Gouverneur mit ſich führt, Prinz Louis Situa - tion und Betragen ſo ähnlich, daß ich zu vergehen glaubte. Er war ganz wie unſere Prinzen angezogen, und auch in der Körperhaltung wie ſie!! Er ſpielte tauſendmal beſſer als ſonſt, und mit täuſchender Eingebung und Natur. Nur die Jugendlichkeit mißte man: und das ich, in deren Phantaſie ſie ſchwerer ſchwindet; und das nur, weil er an ſeinem Ver - fall ſchuld iſt. Durch Tabackrauchen, und verbürgertes, ver - nachläſſigtes, unelegantes Leben außer der Bühne. Nichts macht alt, als das Einwilligen darin, Vernachläſſigung der Jugend; und Mangel an ewiger Eleganz: man kann nicht nur Abends um 6 ein Künſtler ſein Volk! man muß es den ganzen Tag ſein; beſonders wenn wir die Kunſt in unſerer eignen Perſon vortragen ſollen. Große Gage! große Gage! wie in Frankreich, in England, und unter dem - nige Friedrich dem Zweiten!! Liebich ſpielte ſehr gut: leider aber wußte ich diesmal jedes Wort noch von Fleck; wie er’s in der ganzen Liebenswürdigkeit ſeiner perſönlichen Blüthe vortrug! Refüſirt! ſchrie der Gott! wie ein Engel. Und214 erblaßte; in Blick und Mienen. Göttlich! Mad. Brunetti war weiß mit roſenrothem Atlasband; und ſpielte weiß mit roſenrothem Atlasband: wie immer. Mad. Liebich gut; doch auch die Döbbelin ehmals beſſer, nüanziger; gekränkter. Das Ganze war aber ſehr gut, und durchaus unterhaltend, für mich iſt das viel; wiſſen Sie. Schröder, als Verlobter der Roſenrothen, ſo gränzen los ſchlecht, daß er durchaus ein In - termezzo war. Wie Einer von einer ſolchen Winkelgeſellſchaft, die ſich in Klüften aufhält; wo auch Bäder ſind: und wo man vorbei reiſt, wenn man nach Pyrmont, Aachen, oder derglei - chen, fährt! und als wäre er einſt Springer geweſen: und hätte da immer die Zwiſchenreden gehalten. Wie konnte die Schröder daneben nur ſpielen! Geſtern ſpielte ſie im Vehm - gericht die Verbrecherin. Wundergöttlich: die ſanften Stellen aber nach-ti-gall-te ſie gedehnt, leiſe und rührig ab! welcher tiefer, finſterer, grober Irrthum! Ihr Talent und ihre Eingebungen ſind aber ſo ſtark, daß ſie ſich mitten in ſolchen langweiligen Momenten, mit den ſchönſten Ausbrüchen von Spiel, Ton, und Einfällen, ſelbſt unterbrach. Pübliküm - chen wußte von allem nicht; applaudirte, rief heraus; dafür iſt’s nicht bezahlt, aber es bezahlt. Sie war erſt in grauem Sammt, mit Schwarz und Weiß beſetzt; dann ein grautaft - nes Nachtkleid, und Nachthaare herunter; dann weiß: mit einem Wittwen-Kopfputz mit drei Spitzen im Geſicht und einem Muſſelinſchleier herab. Die Mad. Löwe erſt wie eine rothe Kartendame angezogen: dann Battiſtmuſſelin, ganz weiß, altdeutſch, gut gemacht. Doch demoiſellig: ſehr vermagert. Geſpielt wie jede Rolle: und ungeheuer gegen die Schröder215 abgeprallt. Nämlich, auch für das dunkle Gefühl des Par - terre’s etwas auf Puppe reduzirt; durch jene wirklich gewal - tig Ausgeſtattete. Sie hatte bloß altdeutſche Lockenfülle, aus einem altdeutſchen Scheitel um ſie her fallende, zum Kopfputz. Bin ich ehrlich? Oh das macht müde! Wie ich dazu kam, das Gräuelſtück von Stupidität zu ſehen? Bayer invitirte mich bei Mad. Liebich; und da that ich’s aus Artigkeit. Meine Schwäche! Es gereut mich wegen der Schröder nicht. Nun geh ich in Grünbaums Benefiz, die Schweizerdirne! Adieu! ich erliege! Soll ich ein Theaterblatt ſchreiben? Das fehlte mir! Es iſt Winterwetter. Heute Don Juan. Adieu!

An Varnhagen, in Paris.

Ich bin auch froh, Auguſt du ſchreibſt, ich ſoll es nun auch ſein, daß alle meine Angſt und Sorge vergebens war: und wie oft ſagte ich zu Gott, ich will mich ängſtigen, nur ſoll es umſonſt ſein! daß du lebſt, und daß dein Tod nicht eins von den ſich rührenden Sandkörnchen war, denen es von Anbeginn der Welt befohlen, zugedacht war, herab zu kräuſeln bei den Bewegungen der Erdbälle, ihren unſichtbaren Entwickelungen und Gedeihen! Hin hätte ich’s nehmen müſ - ſen, wie Marwitzens Tod, und alles Unglück, und alles, was einem verſagt wird. Aber ein abgenommenes Unglück iſt doch nur, als wäre einem ein Todeskrampf von der Bruſt genom - men; deren ich hinlänglich empfunden habe! Man betet216 während dem, als hätte man um nichts zu bitten, als das: und Gott weiß ſehr gut, daß es ſo ſein muß, und nachher wieder anders. In weitere Kreiſe dringt das feine, in allem unbegreifliche Leben, als da, wo es auszuſtrömen ſcheint, und dem Gefühle, und allen Sinnen nach, die Bedingung ſeines eigenen Daſeins ausmacht. (Die Phraſe iſt nicht wie von mir; zu gut. )

Gegen Morgen hatte mir geträumt, ich ſtünde mit Mar - witz vor Krauſens Haus in Berlin, wo wegen Revüe viele Offiziere wohnten, deren Pferde und Reitknechte vor der Thür waren; ſie an den vielen Fenſtern: ich ſah nicht hin, ſondern war nur über Marwitz verwundert, und noch mehr über alle Todte, die ich liebte, und die da lebten. Mama, Veit, Gual - tieri, Selle, Herz, und viele mehr. Ich frage immer Mar - witz über die Andern, weil ich mich ſchäme über ihn zu fra - gen: die leben ja alle noch? alſo ſie waren nicht todt? und ſo vielemale: er ſagt immer nur in einem langen ver - legenen, halb dummen, unartikulirten Ton: Hm? Hm! Während des Fragens ſchlag ich die Augen in die Höhe; und Prinz Louis ſteht hoch am offenen Fenſter, in Generals - kleidern, und gepudert: ich grüße ihn, weil die Menſchen da ſind, wie einen Prinzen; er grüßt, und nickt mir freundlich, wie immer im Leben: und etwas ironiſch: und diesmal, als wüßt er, daß ich mich wundere; und er wiſſe es beſſer; und lächle über mich. Ich halte alle ihre Todesnachrichten für einen Irrthum, und glaube an ihr Leben. Als ich in’s Haus trete, bin ich in geräumigen, ziemlich dunkeln Wirthszimmern, wo alle Verſtorbenen ſind: ich frage Mama, die mir nicht217 antwortet: ich ſehe Herz, und freue mich; er ſieht geſund und blühend aus, und freut ſich auch; auch friſirt. Ich ſehe Selle! Ach Herr Jeſus, ſag ich, das iſt ein Glück! Ich habe ſchreck - lichen Rheumatism; was ſoll ich thun? Schwefelbäder! ſchreit er gleich heftig, und als habe er keine Zeit: Nein, ſage ich, man hat mir Töplitz verordnet: Ich weiß; ſagte er, Schwefelbäder! Ich habe nicht die Gicht, wie ſonſt, ganz anders! Ich weiß alles, ſagt er, ich weiß es. Schwe - felbäder! Nun iſt’s in mir feſter, dieſe zu nehmen, als allen Ärzten zu folgen. Ich habe jetzt keinen. Ich glaube vielleicht nur an drei in der Welt, die ich nicht kenne; und an Einen über mich. Was da für Gaben zu gehören!! Gott hat mir dieſen Traum geſchickt. Du kennſt meine Träume. Im Schlaf bin ich wacher. Auch hat er mir ein Troſtge - fühl hinterlaſſen; als hätte ich die geſehen, als ſollte ich meine Todten ſehen! Wahrlich zu viel Matadors ſind mir für mein Alter entwandt. Wir wollen zuſammen ſterben. Auch leben: genug! du kommſt und holſt mich, gewiß.

Wenn ich nur wüßte, wie lange du noch im unſeligen Paris bleibſt! Denk! Endlich gefällt auch mir Frankreich nicht. Seine Liebenswürdigkeit und Geſelligkeit iſt zu ſehr, zu lange, für zu lange zerrüttet; welches ſonſt ſein ganzer namenloſer Reiz war; unſeliges Vorvolk! (wie Vortrab!) Nur in ein - zelnen Franzoſen findet man noch, was ihm ſonſt als De - pot eines Theils der kollektiven Perſon Franzoſe mit ſich herumzutragen gegeben war. Frau von Staël radotirt in ihrem Buche de l’Allemagne. Über die Eheſcheidung iſt ſie platt und dumm, und ſich ſelbſt aus Angſt und Furcht ungetreu,218 bis zur Empörung. Solle! hab ich ihr neben an geſchrieben. Wenn jemand, der Deutſchland nicht kennt, ihr Buch Buch! loſe, ſich ſelbſt aus der Regierung geſprungene Ge - danken; Gedanken! Bemerkungen, Apperçu’s; Lektüre, die nicht wieder als Blut zu Blut aufgenommen ward lieſt, ſo muß er’s für ein finſtres, kaltes Rauchloch halten, wo traurige Fantasmagoren umhergehen, die Gott zur Ehr - lichkeit verdammt hat; und wo dann und mann Einer ſitzt und verzaubert meditirt: auch hat ſie noch im Großen ſolche Zauberneſter als unſere Univerſitäten beſchrieben: ſo traurig ſie ſelbſt iſt: die Frau ohne Sinne und ohne Muſik. Macht ſie nicht, als ob Frankreich das luſtiglichſte Land für Augen, Ohr und Fell wäre, und lauter griechiſche Tempel zu Woh - nungen hätte! Man friert wie bei uns: und unſer Wetter iſt eben ſo gut. Unſere Dörfer tauſendmal ſchöner ich kenne nichts troſtloſeres, als die ſteinernen, laub - und blumenloſen Dörfer Frankreichs im Norden! Und wenn ſie ihre olle Fran - çaiſen tanzen, ſehen ſie ja ſo erbärmlich aus, als ob ſie dazu angehalten würden. Der lieben Staël ihr Buch iſt für mich nichts anders, als ein lyriſcher Seufzer, nicht die Kon - verſation in Paris machen zu können; und die wichtigſten Gegenſtände derſelben wie ſie wohl umfaßten, berührten ſind ihr erſt durch dieſes Medium etwas. Für die Bau - ern z. B. gut ſprechen, iſt noch ſchöner, als wirklich und gleich gut wirken. Bedauert hab ich ſie auch ſehr; und gleich lieb gehabt. Weil ich ſie auch lieb habe; das heißt, beſinne ich mich doch, bedaure; ſie hat zu wenig großartige Gaben: eine gewiſſe Verſtandes-inquiétude, zu welcher ſie zum Glück,219 noch Verſtand und Wort-Imagination genug hat! Wie ſolche Menſchen reiſen: ſolche reiche Leute aus der Geſellſchaft; ſolche Litteratorinnen; die Franzöſiſch wiſſen, und denen man’s allenthalben entgegenſpricht! Die Arme! Nichts hat ſie ge - ſehn, und gehört, und vernommen.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Vorgeſtern las ich in dem Wiener Beobachter Tauenziens ganzen Einzug in Magdeburg im größten Detail; ich weinte nicht, ich erſtickte faſt; ſchluchzte und ſchrie; und weine wieder. Gott nur weiß, wie ich um Magdeburg bat: und ob ich je eine niederbeugendere Kränkung für mich ſelbſt empfun - den habe, als bei dem Verluſt dieſer Provinz, die uns als Reichsfürſt mit dem gebildeten Strom Europa’s in Verbindung ſetzte. Ich meine nicht den Rhein: ſondern den Strom von Verſtändniß, Bildung, und ſittlichen Gedanken, der mitten durch Europa ſtrömt; (und manches ausſpülen, wegreißen muß, wird, kann: und gethan hat. )

Wenn dir die Reiſe nützlich war, muß ich mich noch mehr freuen! Sage mir aber nun auch ein wenig deutlicher du wirſt einſehen, wie ſehr es mich intereſſiren muß , ob du von eingegangenen Intereſſen Moritz ſeine Auslagen für un - ſere Maſſe, oder durch Kapitalien bezahlt haſt (zu welcher Zahlung ich in jedem Fall gratulire); und ob du dir auch in gleichem Maße abbezahlt haſt. Es kann mir nicht gleich -220 gültig ſein, ob unſer Kapital immer kleiner wird: beſonders da ich noch habe Privatſchulden machen müſſen, die ich Mo - ritz in jedem Fall entrichten muß und will. Es wird doch Einmal zur Sprache kommen; wie viel Louis und mir bleibt; und was wir dann verzehren können. Es kann euch Beide nicht ſo intereſſiren: weil ihr euch ein anderweitiges Kapital verdient habt, und mit dem nun wieder verdient. Mir aber in meinem Zuſtand und Alter muß es wichtig ſein: beſonders auch noch dadurch, daß dieſe garſtige Lage noch das mit ſich führt, daß ſie mir für mein bloßes Lebenkönnen welches ich ſonſt geſichert halten konnte Dankverbindlichkeiten auf - legt; die nur bei der höchſten Zuſtimmung der Geſinnungen ihr Unangenehmes ganz verlieren: und bei großer Sicherheit des Karakters die ich habe, und leiſte; weil ein Wort ein Heiligthum bei mir iſt: und dies meine Denkungsart modelt; und nicht dieſe etwa in ihren Veränderungen das Wort, und Liebe, die aus Billigung ſtammt. Du wirſt mir meine Fragen alſo nicht verdenken, ſondern ſie mir beantworten; wie ich dir für die erſt gegebene Nachricht danke! Sei auch ſo gut, mir zu ſagen, wie viel Geld du für die tauſend Gul - den gezahlt haſt, die ich hier entnommen habe. Damit ich weiß, wie viel Geld ich gebraucht habe. Man bekömmt hier durchaus und in manchem weniger, nicht mehr für ſolchen Gulden einen Werth von acht Groſchen Kourant, in allen Dingen. Ich muß mich einrichten.

Noch muß ich hier wie ein Narre ſitzen, und den Sommer verfließen laſſen. Nach Töplitz gehe ich nicht allein: dort ſind Vieh und Menſchen ſo ſchlecht begraben, daß Krankhei -221 ten ausbrechen müſſen. Dieſen kann ich mich in meinem Zu - ſtand auch ſchon der Beſorglichkeit nicht durchaus nicht allein mit Dore ausſetzen! Einer Krankheit müßte ich jetzt er - liegen. Auch wenn Dore nur einfiele, wäre ſchon das größte Unglück für mich: in einem angreifenden Bade, welches ich vor drei Jahren ſchon nicht mehr ohne die größten Beſchwer - den und Nachwehen ertragen konnte. Hauptmann John, der ſolideſte Mann, der Bentheims Adjutant hier war, ſagte mir vor fünf Tagen die ſchöne Nachricht von Töplitz, und bezeich - nete mir ganz unſchuldig die Örter, wo ich hin ſpaziren kann: und die, wo nicht! Alſo muß ich hier ſitzen, und mich abbo - ßen. Mit Varnhagen, wenn wir nicht wo anders hingehen, wage ich es! dann werde ich ſehen wie es iſt: und ſchreib ich, ihr könnt kommen, ſo müßt ihr. Fanny und Hanne, quält ſehr! Es geht. Fanny, überlege was du ſagſt! Rei - ſeluſt gebüßt ? ſagſt du? Ja! abgebüßt. Nennſt du dies rei - ſen? ſolche Mörderflucht: unter ſolchen innren näheren, und äußern ferneren Umſtänden? ſolchen angſtvollen, ſchreckli - chen, Schmerzensaufenthalt, nach Kulm: was ich da ſah, und thun mußte! und gleich nachher ſolche gottverfluchte Krankheit, von der ich mich gar nicht erholen kann! Das iſt gereiſt? und das ſoll mir die Reiſeluſt heilen! Genug, wenn dies ſie mir nicht auf ewig vergällt! Aber ich ſcheide in der größten Leidenſchaft gut: dies iſt nicht gereiſt! Rei - ſen iſt: bequem, und ruhig, über Freunde und Habe, mit einer troſtreichen Börſe, von einem ſchönen Ort zum an - dern ziehen; und die ruhig betrachten, und erwägen, und wahrhaft drin leben: nicht leiden, rechnen, warten, Gram,222 Angſt und Schmach haben. Punktum. Mein einziger Troſt war, den Ort, in dem ich dies litt, nicht Heimath nennen zu dürfen: denn geſchieht einem dergleichen zu Hauſe, was ſoll man dann denken und ſagen! Hannken! du kannſt mir ſo ſelten ſchreiben, als du willſt, ich bin zufrieden: ich werde ſchon ſchreiben was ich weiß. Ich war recht ärgerlich, daß ihr Alle ſo lange nicht geſchrieben hattet, und freute mich doch ganz raſend über euren Brief vom 4. Juni, den ich geſtern erhielt! Aber mir ſoll jedes verbittert werden: denn mit eu - rem Brief zugleich bekam ich einen von Williſen aus Tirle - mont; eine Poſt von Brüſſel, wo ich wegen Wagenbruch ei - nen Tag lag: worin er mir Marwitz Tod für gewiß meldet. Eine Flintenkugel traf ihn den 11. Februar bei Montmirail grade vor der Stirn; er ſtarb ohne Schmerz, ſchreibt er, wei - ter aber nichts. Nicht wo er begraben iſt; nicht ob er dabei war. Recht ärgerlich! Er iſt außer ſich, und kann vor Weh nicht. Ich ſchweige. Ich kann mich über nichts mehr aus - drücken; z. B. wenn einer ſtirbt wie Marwitz ſo ſeh ich nicht nur die Perſon, oder die Art ihres Todes, ſondern den Tod: und mich ſchwindelt überhaupt: und ich weiß nicht, ob ich noch lebe: und Millionen ganz abſtrakter, nicht für die Feder zu leiſtender Gedanken! Kurz, ich erſchrak geſtern ſo von neuem, daß ich ganz zerſtört bin. Jeder Freund von Marwitz fühlt ſeinen Tod nach Maß ſeines eigenen Werthes, und der guten Eigenſchaften, die da machten, daß er ſeine be - griff, und ſah. Keiner kannte ſeine Lücken beſſer als ich: keiner war vielſeitiger und intimer ſein Freund. Genug, Gott223 hat den, und Louis, etwas früh der kothigen unverſtändlichen Erde entrückt. Der Reſt iſt Schweigen!

Das glaube ich, Ohme, daß du Magdeburg verändert gefunden! und grade auf die Weiſe, wie du’s mir erzählſt. Die Welt iſt mit dem Frieden nicht zufrieden! Alle Klaſſen der deutſchen Welt! Das iſt hart. Der Brief in der Zeitung der im Wiener Beobachter ſtand an die Freiwilligen, iſt gekniffen, und dürre. Auch haben ſie’s ſchlecht!

Den Einzug, oder vielmehr in der Zeit deſſelben möcht ich wohl zu Hauſe ſein: damit ich doch auch eine Freude habe. Vielleicht komme ich auf acht Tage nach Berlin. Viel - leicht! Weil ich noch gar nichts weiß. Lieber Ohme, Geld ſchicke mir nicht ehr, bis ich etwas fordere. Meiner Rechnung nach kann ich erſt zum Monat September wieder das für jeden Monat beſtimmte erhalten. Bendemanns waren drei Tage hier, und bei mir. Kein angeſehener Landsmann geht mir hier vorbei. Tralalala. Es ſind ſehr liebe Leute, die mir wohl etwas hierher gebracht hätten. Eben wollte ich euch ſchreiben, daß Mlle Bauer unter ſehr guten Bedingungen zur alten Mad. Haller, bloß ihr die Wirthſchaft zu führen, und vorzuleſen, hätte kommen können. Eine wahre Verſorgung in der reichen, rechtlichen, ſplendiden Familie! Wenn’s bei M. nicht außerordentlich iſt, laßt ſie wechslen, und arrangirt’s, durch die Hofräthin Herz z. B., M. Friedländer, Hartung. Grüßt ſie ſehr. Erneſtine iſt wohl böſe? Alle Briefe ſind an ſie und Moritz mit. So viel kann ich nicht ſchreiben; ſie müſſen mir ſchreiben. Auguſte iſt in Frankfurt a. M. Seht ihren lie - benswürdigen Karakter aus dieſem Zettel, den ich mitſchicke.

224

Gentz empfiehlt mir ſo eben, wie noch nie etwas; nennt es Jeſaias, Dante, Shakeſpeare; den Rheiniſchen Merkur, von Nro. 40. bis zum 10. Juni. Lies es alſo ja! Seine Geſin - nungen nennt er’s; aber beſſer ausgedrückt. Kurz, das größte Lob! Humboldt geht nach dem Wiener Kongreß als Geſandter nach Paris. Sage es aber niemand.

Wenn ich nach Töplitz gehe, und ihr nicht dahin kommt, werde ich es als den größten Bruch anſehen. Einmal kann man ſich ſelbſt wohl etwas zu Gefallen thun. Gehe ich nach dem Rhein, ſo geht ihr dahin! Und bringt mir meine Sachen mit. Das fällt mir erſt jetzt ein!

Was ich von dem Mißvergnügen über den Frieden ſchreibe, ſchreibt man mir aus allen Enden Deutſchlands; und ſagt hier jeder, und alle Klaſſen. Nur die Berliner nicht. Auch Gentz ſpricht ſo, und ſein empfohlenes Blatt. Antwortet hier her. Roberts Beſchäftigtſein treibt ihn zur Beſchäftigung. Drum trieb ich auf einen Stand in der Welt: ſolche Leute, wie wir, können nicht Juden ſein! Wenn nur der Jakobſohn für ſein vieles Geld keine Judenreform bei uns macht! Ich fürchte es von dem eitlen !

An Frau von Grotthuß, in Dresden.

Haſt du denn meinen Brief vom 25. Mai, den ich dir durch Graf Luckners Kammerdiener ſchickte, nicht erhalten? Wenn du bloß nicht geantwortet haſt, weil wenig darauf zuantwor -225antworten war, und weil ich in dieſem Brief noch nicht be - ſtimmen konnte, wo ich hingehe, ſo bin ich zufrieden. Nur halte dich nicht wieder verdrießliches Unheil ab! Ich bin noch in derſelben Klemme: und ſehe nun die unveränderliche Kon - ſtellation meines Geſchicks ein. Kaiſer auf, Kaiſer ab; Bür - gererhöhung, Adelglanz; die Welt mag ſich geſtalten wie ſie will; bei jedem Wälzen, bei jedem Sturz, bleib ich bei mei - nen Sandkörnchen liegen, auch ein ſolches; und vergeblich iſt mein Streben, und mein Verzweiflen! Nicht einmal ich än - dere mich; meine Natur, bleibt auch dieſelbe: und ſo ſitze ich noch hier und boße mich zur Konvaleszenz. Seit dem 29. Mai habe ich aus Paris keinen Brief von Varnhagen; in dem ver - heißt er mir zu kommen, und ihm nach Mannheim zu ſchrei - ben poste restante: mein ſiebenter Brief liegt nun dort, und er kommt nicht, und antwortet auch nicht. Sogar Mad. Brede, die mir jeden Poſttag ſchrieb: und nun in Mannheim iſt, ſchreibt mir ſeit dem 27. auch nicht mehr. Dieſe Bos - heit rechne ich dem Schickſal an, wie einem Menſchen!! Ge - nug von mir Widerwärtigen! man wird es vollkommen von Widerwärtigkeiten, die ganz ohne répit auf einen regnen. Auch hätte ich dir ganz gewiß nicht geſchrieben, ſanfte Sara! ſanft und freundlich nenn ich dich jetzt, weil ich mir un - bewußt während dem Schreiben dein Geſicht vorgeſtellt hatte, und dein bloßes Zuhören, mein mich an dich in Gedanken Wenden, mich ſchon beſänftigte. Holde ſchöne Gabe Gottes! Aber ich konnte ohne andere Veranlaſſung, als mich ſelbſt, mich doch nicht entſchließen dir zu ſchreiben. Vorgeſtern eröffnete mir der ſtändiſche Schauſpieldirektor Liebich, als derII. 15226einzigen Vertrauten in der Sache, die nun kommt, Folgendes. Er würde Goethen ſchreiben: und ihn bitten und ihm vortra - gen, daß er für geſammte deutſche Bühnen ein Stück ſchriebe, welches den 18. Oktober auf all unſern Bühnen zugleich auf - geführt würde: und ſo alle Jahr den achtzehnten, und im ganzen Jahr ſonſt keinen Tag. Mir ſchauderten gleich die Backen, und Thränen ſtanden mir in den Augen. Aber wie ſagte dies der Mann, mit welcher Einfachheit, Ehrlichkeit, Anſpruchsloſigkeit, und wie durchdrungen: und was fügte er hinzu! Ich will keinen Ruhm davon, ſagte er, aber wem! kann man’s zumuthen, als Goethen! und ſprach ſo, wie man’s nicht wiederholen kann. Ich genieße der Ehre, daß, wenn man Goethen huldigt, man es mir vertraut! Denk dir, Grotta mir zittert das Herz dieſen Augenblick in Thrä - nen wenn man in ganz Deutſchland, in derſelben Stunde Goethens Worte, ſeine Meinungen, ſeine Gedanken ſpricht: alle Beſſern unſerer ganzen Völkerſchaft verſammelt ſind, ihm zuzuhören, von ihm zu lernen was ſie zu denken haben; und er uns zur That ſchafft was Ereigniß war! Die Welt iſt nicht mehr ſo roh, daß die Thaten ſie geſtalten und ſie den - ken lehrten; dies müſſen unſere beſten Denker und Dichter thun: die Edelſten der Nationen! Wie ſie es ſchon thaten (Hermann und Dorothea nur zu nennen!!!). An unſere Dichter, an unſere Weiſen knüpft ſich alles Zuſammenhängende an, die Thaten ſelbſt, langſam: wie Trophäen großen friſchen Bäumen angehangen werden: ſie müſſen ihre ganze Zierde doch aus der Natur nehmen; und hier erſt iſt verſtändlicher Akt, was vorher Ringen der Begebenheiten war. Liebe227 Grotta! Rede ihm zu, daß er’s thue, daß er’s nicht ab - ſchlage. Wenn es ihm auch Mühe macht: und einen Ent - ſchluß koſtet. Es iſt das erſtemal in meinem Leben, daß ich denke: Goethe ſoll, mag eine Mühe haben. Denke dir, ge - liebte Freundin, wenn ganz Deutſchland denkt: jetzt hört ganz Deutſchland dieſes Stück, ſchaudert, bebt, horcht, und klatſcht, und jubelt, und weint mit uns! Ich falle auf die Erde und weine! Wir haben ja keine Forums, keine Märkte, keine Rednerbühnen, nichts Öffentliches; nichts Unzerſtückeltes iſt uns überkommen, wir ſchaffen ja nur ab, und nichts! Aber als Naturnothwendigkeit für alle in Völker verſammelte Men - ſchen ſteigt den Regierungen ſelbſt unbewußt die Schauſpiel - bühne als ein ſolcher Mittelpunkt unbemerkt und ungelockt empor. Verkündigt man uns nicht Siege von ihr herab, dankt man Helden nicht von ihr herab? ſammelt ſie nicht ganz allein die Menge, darauf ſtill zu horchen, was ſie - ren, erfahren, lernen und bedenken ſoll? Nein, es iſt Goe - thens, unſers erhabenen Lehrers ganz würdig! Vertrete Lie - bich bei ihm. Er war ſehr kleinmüthig; aber wie zu einer Pflicht feſt entſchloſſen, ihn anzugehen, ſchon gefaßt in Trau - rigkeit wie man es iſt auf eine abſchlägige Antwort. Gedrückt ſagte er: Ich habe dann das Meinige gethan. Keinen Würdigern weiß ich nicht! Einem Andern kann man dies doch nicht anfordern. Ich ermunterte ihn! Ich habe eine Freundin, ſagte ich, der iſt Goethe ſehr hold und zuge - than, und der vertraut er: der werde ich die Sache vortra - gen; die ſoll ſie unterſtützen und ihn bitten!! Nun, glück - ſelige Grotta, von der man dies ſagen kann, thu es auch! 15 *228Sprich deine Sprache! Aber thue es gleich. Ich habe Liebich bewogen, ſeinen Brief bis zum nächſten Dienstag zu - rückzuhalten, dann iſt wieder ſächſiſcher Poſttag; damit dei - ner, zum allerwenigſten, zugleich mit ſeinem kommt, oder gar früher: und damit Goethe ihm nicht in der Geſchwindigkeit, eh deiner kommt, ein Nein ſchreibt. Wie auf deine Ehrlich - keit, verlaſſe ich mich darauf, daß du, wenn du nicht ſterbend biſt, gleich und ſo ſchreibſt, wie du kannſt: eindringend, daß, bis er’s thut! Wie wird’s ihm die Kaiſerin, ſeine Freun - din, danken! Ganz Deutſchland beglückt er; es flammt von neuem auf! Soll ich dir noch hinzufügen, daß Liebich der einfachſte, braveſte, gütigſte, wohlthätigſte Menſch iſt? und in manchen Fächern ſeiner Kunſt unübertrefflich: voller guten Willen, und ohne Vorurtheil? Dir dieſen Mann dank - bar zu machen, muß dich auch freuen! Wenn es Goethe an - nimmt, und es iſt ſo weit, daß es Goethe erlaubt, will Lie - bich ein gedrucktes Zirkular an alle Bühnen ergehen laſſen. Grotta, du mußt! Adieu, Liebe! Schreibe; und antworte mir. Empfiehl mich deinem Gemahl!

R. R.

Anmerk. Goethe empfing die beiden Briefe. Er ſchrieb an Liebich dieſe Antwort:
1

Für den an mich ergangenen ſehr ehrenvollen Antrag hab ich alle Urſache, meinen lebhafteſten Dank abzuſtatten, wobei mir ſehr angenehm iſt, daß ich Ihren Wünſchen, wo nicht unmittelbar, doch mittelbar ent - gegen zu kommen im Stande bin.

Es hat nämlich vor einigen Monaten die angeſehene Generaldirektion des Berliner Theaters von mir ein Feſtſpiel verlangt, zur Feier der An - kunft ihres Königs und ſeiner höchſten Gäſte. Ich habe dieſe Gelegenheit benutzt, um alles zur Sprache und Darſtellung zu bringen, was in den229 Gemüthern ſeit ſo vielen Jahren vorging, und was ſich nun in dieſen letzten Zeiten ſo glücklich entfaltet hat. Mein Bemühen, nichts zurückzu - laſſen, was man fordern und erwarten könnte, hat jenes Stück zu einer ſolchen Vollſtändigkeit gebracht, daß ich, wenn ich ein neues fertigen ſollte, mich nur wiederholen müßte.

Mein ſtiller Wunſch, dieſe Arbeit nicht nur für Berlin, ſondern für das ganze Vaterland, nicht nur für den Augenblick, ſondern auch für die Zukunft unternommen zu haben, ſcheint ſich durch Ihren Antrag der Er - füllung zu nähern.

Jenes Drama iſt dergeſtalt eingerichtet, daß ganz reine Rezitation, Rezitation mit melodramatiſcher Begleitung, Rezitativ, Kavatine, Arie, Duett, Terzett und Chor mit einander abwechſeln, ſo daß die vorzüglich - ſten Schauſpieler ſowohl als die Sänger darin ihre Talente entwickeln können. Hr. Kapellmeiſter Weber arbeitet an der dazu nöthigen Kompo - ſition, welche, nach den mir bekannt gewordenen Muſterſtücken, von gro - ßer und ſchöner Wirkung ſein muß.

Das Stück wird gleich nach der Aufführung gedruckt erſcheinen, und Sie werden alsdann ſelbſt urtheilen, ob es werth ſei, ein Sekularſtück zu werden, und ob es Ihren Wünſchen entſpreche. Haben Sie alsdann die Gefälligkeit, mir ganz offen Ihre Meinung zu ſagen, und erhalten mir bis dahin Ihr freundliches Andenken. Ergebenſt

Goethe.

An Karoline von Woltmann, in Prag.

Ich wollte Ihnen einen langen ich kann keinen kurzen machen detaillirten Brief ſchreiben; der ſollte ſo anfangen: Ich mag Varnhagens ſchönes Schreiben nicht verſchampfiren, liebe Berliner, theure Ojeſer Freunde! und ſo würde er fortge - floſſen ſein und Ihnen geſagt haben, wie ich hier nicht ſchreiben kann; und dabei erzählt haben, wie es hier iſt: wie ich es finde, wie es mir geht, was ich denke, und wie ich an Sie gedacht habe. Alles war zu dieſem gewiß angenehmen, denn er wäre treu230 und wahr geworden, Brief zuſammen gelegt, als mich plötz - lichſt ein Halskrampf überfällt, den ich ſeit vier Wochen un - gefähr kenne, aber nie in dem Grad gefühlt habe. Es ſpannt ſich dabei die Hals - und Kopfhaut, und zwingt mich zu einem ſtickenden Erbrechen. Der Anfall war ſo ſtark, daß mir noch die Glieder und Beine zittern; und ich wie der größte Narre weinen mußte, als man eben aus dicken Böllern von einem Berge hinter meinem Haus den Frieden herab ſchoß, ſo ange - griffen war ich Eſel in dem Augenblick. Nämlich, ſo wirkte das Knallen. Hier iſt es göttlich, liebe Kinder! und wenn Sie irgend können, Herr von Woltmann, ſo kommen Sie her. Man ſteht hier nichts aus von der Geſellſchaft; man kennt ſie nicht; und ſieht ſie kaum von weitem ſchwindlen: hören Sie’s, liebe Karoline? Das Thal iſt ſchöner als je! Vom Krieg, keine Spur! Außer, daß mancher Platz unge - mein verſchönert iſt, ſo, daß ich dachte, Fürſt Clary habe es machen laſſen; ſo ſchön haben die Truppen von ungefähr aus - gehauen. Geſtern war ich bis am Fuße des Geiersberges, in drei Dörfern, wo der Krieg recht eigentlich wüthete. Ja! ſuch ihn mal Einer! Nicht zu finden! Nichts davon zu fin - den. In Mariaſchein im Wirthshauſe geſtand’s die Wirthin ſelbſt, deren Haus ein geweſenes Kloſter eingenommen von den Alliirten eigentlich Preußen und befeſtigt war, daß alles ſchon wieder gut ſei. Auch war ich in den ber - gigen Waldgängen, wo das eigentliche Gemetzel war; les fleurs s’en moquent. Nüſſe, Hambutten, Kornblumen; blaue, violette, weiße, alle Sorten; Eichen, Buchen, Kamillen, und die tauſend Kräuter, wühlen wachſend und nichts eingedenk231 empor; ſchöner, reicher, üppiger, ſtiller, als ſonſt; i m goldig - ſten Wetter; welches auf dies Götterthal, um ihm abwechſelnd die nicht zu faſſenden Geſtalten und Scheine zu verleihen, her - unter ſtrömt. In Prag hatte ich doch keinen Herrn und kei - nen Bedienten? hier hab ich beides. Varnhagen (hier ruft man mich mit Gewalt in’s Bad.) (Nun bin ich aus dem Bade; und war ſchon wieder geſtört, als ich zu ſchreiben an - geſetzt hatte), der zwei Tage nach mir hier ankam, hat einen Bedienten mitgebracht, und da der Herr ſo gütig gegen mich iſt, ſo iſt der Diener entweder davon verführt, oder er verſtellt ſich aus Furcht und Reſpekt, und bedient mich. Es iſt ein Pariſer, und ſeines Handwerks ein Schneider, ein Burſch von zwanzig oder ſo viel Jahren. O! wie ſtellt der mir wieder die gute Sitte des ganzen Volks dar! den Beſitz, den es von ſeiner Sprache genommen hat, den Erſten des Landes gleich; kurz, das Gute von Frankreich, ſo wie es geht und ſteht. Eben ſo hab ich hier Geheimraths-Familien von uns geſehen und andere Adliche unſeres Landes (welches ſo ſehr mit mei - nem Herzen verwachſen iſt, daß der Anblick des Letzten deſſel - ben mir Thränen in die Augen pumpt), die mich recht mit Schreck erfüllten und ſtutzig machten; ſo ſehr, und ſo leicht entwöhnt man ſich deren ſtupiden, trocknen, ſteifen, ſteinernen, und doch ganz hohlen Stolz, auf die nichtigſte Einbildung: bei der ſie ſelbſt ſich in keiner Art etwas Reelles denken, ge - gründet. Einen neuen Krieg ſah ich vollkommen fertig aus denen grade hervorbrechen. Ein Johanniter beſonders mit zwei brummenden Damen, gingen ganz wüthig geſtern in dem Hauptgang des Gartens umher, bloß weil ſie noch nicht wuß -232 ten, ob die Menſchen-Rudel, die ſie da ſahen, wohl Geſell - ſchaft ſeien; d. h. Grafe, Barone. Nun ſieht man auch ſo - genannte Gebildete: die ſind wieder ſo bieder daß man’s ſchon den Männern an den neuen ruſſiſch-kriegspreußiſchen Mützen anſieht, und den Frauen an dem naiv-kinderhaften, häuslich-bürgerlichen altdeutſch-puffenreichen Anzug; den ſie keineswegs vermiſchen, wohl aber zugleich an ſich tragen; mit einer Haltung, die dies gerne in Ordnung halten möchte, das Strickzeug und die tugendhafte Treue beſorgt, und doch dem Geiſt ſo viel Spielraum läßt, die Gegend und Neues über - haupt in ſo weit in die Seele zu laſſen, als eine geiſtreiche Erzählung für die Zuhausgebliebenen erfordert, und natürliche gute Neugierde ſucht. Die machten mich ſehr herunter; und meine Erwartung für Berlin auch. Ich kenne nicht Einen, nicht Eine davon perſönlich; ich habe ſie nur ſo ſchwindlen und ſitzen ſehen. Varnhagen hat aber ſchon mit ihnen geſpeiſt und geſchnackt. Eine Breslauer Elegante iſt hier, die ich von Berlin kenne, die mich ſehr liebt: und die ſehr ſchöne Eigen - ſchaften hat. Auch eine Equipage: mit der leb ich im Freien. Auch ſehe ich des Major Selby Frau und Schwägerin, der hier in Garniſon iſt, und die ich von hier und Prag kenne; er iſt ein Däne, gebildet. Sie ſind artige hübſche Blumen; die Frau derb, voller Unſchuld: ſchön gegen Mann und Kind: dann ſprech ich noch flüchtig mit Offizieren, ſonſt weiß ich von keiner lebendigen Seele. Ich wohne ſehr gut. Zwei Zimmer nach einem Platz; Varnh. zwei hintere nach dem Garten: der voller Roſen, ganz aufgeräumt iſt, und nach einem Berge führt, und nach den Schloß - und andern Gärten hinſieht. 233Den Bädern im Fürſtenhauſe bin ich gegenüber, welches auch einen ſchönen Garten, der nach dem Felde geht, hat. Wo ich gehe und ſtehe, bequeme angenehme Spazirorte! Dies alles für Woltmann. Theurer als in Prag iſt hier außer dem Quar - tier nichts, vieles wohlfeiler. Kolonial - und andere Waaren. Mein Kreuz ſchon beinah ganz beſſer; das Bein, vom gehab - ten Schmerz nur affizirt, noch nicht. Berge ſteige ich ſchon wie ein Tyroler. Mir half ſogar ein hoher, den ich unver - ſehens dieſe Woche erklimmen mußte und auch wieder herab, äußerſt; nämlich das Kreuz befreien; alles für Sie, Herr von Woltmann, damit Sie ſich die Effekte des Badens ausmahlen. Nun muß ich zu Tiſche. Das Eſſen iſt recht gut und gar nicht theuer, nur die Suppe laſſ ich, und muß man laſſen, ſelbſt kochen. Adieu, à tantôt! (Nun nach Tiſche; nach Schlaf, und einem Beſuch, von meiner Eleganten.) Kommen Sie denn nicht hierher? Ich möchte Sie gar gerne bereden. Es iſt zu herrlich hier, und die Quelle zu geſund. Nur das Quar - tier und die Reiſekoſten brauchten Sie; bedenken, berechnen Sie’s! Varnhagen hatte Ihnen vorige Woche, in demſelben Sinne einen Brief geſchrieben, und ihn kaſſirt, weil er glaubte, er ſei zu arrogant; ich redete es ihm aus; und mit einemmale hatte er wieder dieſen Brief geſchrieben, der nun mit meinem, oder meiner mit ſeinem, abgeht. Nehmen Sie unſere anhäng - liche Geſinnung, auf der beſten Meinung erwachſen, und alſo auch voller Zuverſicht, gut auf. Und gebe der Lenker der Um - ſtände, daß unſere Wünſche für Sie in Erfüllung gehen. Es geſchehe aber wie da wolle, ſo wollen wir nicht aufhören un - unterbrochen bemüht zu ſein, das Beſte an und für die Beſten234 zu fördern. Sei auch das Chaos der Welt wirklich ſo groß, als es mir ſcheint, oder ſchon eine gebildete Epoche; dieſe gu - ten Bemühungen können und müſſen ſie nur weiter fördern, und darin kann auch der Unbedeutendſte, die formloſeſte Per - ſon helfen; drum will ich es mir nicht entgehen, und das Ge - gentheil zu Schulden kommen laſſen. Bei Ihnen nun gar, wo es nichts, als der Ausdruck, das Wirken, des leidenſchaft - lichſten Wohlwollens iſt; im Einklang der beſten Meinung von Ihnen; und eine wahre Bewunderung für Karolinens unſchuldige Tugenden, die ſie gar nicht kennt! Leben Sie recht wohl. Antworten Sie mir bald. Im goldenen Löwen. Und laſſen Sie mich wiſſen, wie ſich Woltmann befindet, und ob, und daß Sie kommen.

Rahel Robert.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Lieber Markus, deinen dicken Brief hab ich erhalten, vo - rige Woche, und bis jetzt wegen Zufälligkeiten, worunter eine Alteration von einem Kerl im Garten mit ihrer Folge, als Unpäßlichkeit die wieder weg iſt auch ihren Theil hat. Ich muß dir ja recht ſehr, ſchon als Redakteur, und das als berichtigendem danken; ſo viel Litteratur, Nachrichten, und Berichtigungen ſchickteſt du mir! Ich danke dir beſonders für die gute, und gütige Beſorgung des empfohlenen Buchs [Deutſchlands Zukunft, von Kohlrauſch] an den Herrn Doktor von Tauenzien! Mich freute es ungemein, wenn unſer König235 das Buch leſen ſollte: der Doktor und ſeine Freunde leſen es doch in jedem Fall: berichte mir, was er drüber ſagt. Em - pfehle es meinerſeits A. Mendelsſohn, mit wenigſtens acht Schock Grüßen an ihn und Lea; er ſoll es ja Bartholdy’n geben, oder empfehlen: und der dem Staatskanzler. Thue es auch, Brüderchen!!! Hab ich dir auch von Thibaut’s Buch geſprochen? Profeſſor in Heidelberg? Über die Noth - wendigkeit ein allgemeines Recht in Deutſchland zu haben. Noch wichtiger: und etwas für dich. Ein reifes, alſo ein ſehr kleines Buch: eine Eſſenz von Gelehrſamkeit, zum Schluk - ken für Ungelehrte. Empfiehl es ja! dem Geh. Rath Schmidt z. B. für Kircheiſen; nicht daß er dies grade beförderte: aber als Nieswurz zum Hellſehen, Ermuntern, und Erholen. Kurz, ſprich viel davon.

Allerdings iſt Kohlrauſch ein Jünger Fichtens. In ſo fern es die Ehrlichen, Graden, Denkenden alle ſind, die da nur entwicklen können, was er für die Menſchheit wollte, was er ihnen, als die Aufgabe und das Sein eines Gelehrten, vor - legte. Sonſt weiß ich nichts von ſeinem Zuſammenhang mit dem Hochſeligen!

Ich habe den größten Antheil genommen an deiner Äu - ßerung über H’s Erwähnung des Baron W. Es iſt ein Ver - druß, wenn uns Einer alles untereinander matſcht; und dies nur eigentlich aus Faulheit geſchiehet, um ſich in ſich ſelbſt die Dinge nicht mit deutlichen Gedanken auseinander zu hal - ten, und, hat man davon zu reden, es nicht mit Worten zu thun. Man wird ſo mit der Zeit immer unfähiger dazu, wenn man auch von Natur eine präziſe Einſicht erhalten hat; und236 die Andern, Beſſern, erkennen einen nicht an, als Mitwirken - den, haben nichts mit einem zu ſchaffen, weil ſie ſich, wie Tanten und Väter aus Liebe und in Liebe thun, nicht die Mühe geben, einen zu errathen: und mit einemmale ge - hört man zu einer minder guten Klaſſe intellektueller Menſchen: und das nicht, weil einen die Natur ſo ſtellte bei welcher Stellung einem immer wohl ſein kann ſondern weil man träge, und daher ungeſchickt geworden iſt; und ſich dann mit ſeinen beſſern Anlagen auch unbehaglich fühlt. Wie oft hab ich H’s Verſtand und Gaben, und beſſeres Sein, grade bei den Beſten vertheidigen müſſen!

Hier iſt auch ein Brief von Robert. Sehr gut! Wenn wir ihn tadlen, thut es mir weh, und ich möcht ihn loben. Loben wir ihn, muß ich’s bedingen. Genug heute; aber er iſt ein Dichter: und ich keiner; weil ich nie ſeicht bin. Ein Frevel?! dem Klange nach; erklärt, nicht. Keine Zeit! Mord-Echauffement! Schöne Sachen ſchreibt R. Ich könnte ihm gleich ſchmeichlen, ihn ſtreichlen; er hat lange Ant - wort von mir, und Varnhagen. Sie ſchrieben ſich. Es rumo - ren alle Deutſche. Was ich in R’s Briefe roth anſtreiche, ge - fällt mir ſehr: wo ſchlängliche Striche ſind, approbire ich ihn nicht.

An Frau von Grotthuß, in Tharant.

Vergiß es aber nicht! Alles kann ſich ändern: und Wunder geſchehen wirklich noch immer. In Hülfe: in neu237 angeſponnenem Leben haben wir es ja Beide oft erfahren. Es kommen gewiß Augenblicke, wo du dem Gebet und dem gött - lichen unmittelbaren Wunderſchutz näher ſein wirſt: auf dieſe hoffe mit Zuverſicht. Dies iſt das einzig Erhabene, Reelle, und wie ein Licht laſſen ſie völlige Finſterniß in dem Schreck - lichſten nicht zu. Troſt giebt es nicht: ſonſt gäbe es kein Un - glück: aber mit dieſen Gedanken richt ich mich ſelbſt in ſchlim - men Fällen auf, und drücke ſie feſt an mein Herz.

Noch kann ich wegen Varnhagens Verhältniſſen nicht beſtimmen, wann ich nach Dresden komme; aber in jedem Fall ſehe ich dich. Auch ich wüßte gern, wo ich bleibe: obzwar ich weiß: daß, außer bei Eis und Bären, oder unter der Linie bei Vampyren, es allenthalben gut und ſchlecht iſt, und der Kampf nie aufhört: noch dazu jetzt, wo es keine Hauptſtadt, keine Hauptnation, keine Haupt-Großewelt mehr giebt, nur Gährungsſtoff, Fragen ohne Antworten, Frieden ohne großen Gewinn in der Stelle von jenen. Aber alte hei - miſche Gewöhnung hat mich heimiſch gemacht; und ſelbſt die früſtrirte abgeſchnittene Neugier, allgemein Geſittetes in ſchö - nen feſten Formen irgendwo finden zu können! Mein lieber mich liebender, ehrlicher, fleißiger Freund muß mir Halt und Erſatz ſein: und wir ſind es uns auch: auf Erden ſcheint mir nichts gewiß, und ein großes Gut, wie durch Zauberglück, ganz außer meinem Schickſal und Bewerben erhalten, am we - nigſten! Mich dünkt, ich bin auf alles gefaßt. Wir ſind ſehr fleißig; nämlich Varnhagen und Woltmanns, die mit uns auf demſelben Flur wohnen; ſie ſchreiben viel, und leſen viel, haben viel Bücher und Zeitungen, da leſe und hör und238 red ich dann ein wenig mit: ſo viel es die warme Quelle geſtattet., Wir machen die ruhigſten, heiterſten Spazirgänge, und ich bin ſtolz, wenn ſie ſich an der Gegend erfreuen: als hätte ich ſie gemacht oder entdeckt, oder hielte ſie ſo zum Ge - nuß der Freunde in Licht, Schatten, Duft, Grün und Kräu - terlaub! Es geht mir alles durch die Seele dabei, liebe Grotta, die Welt, die Vergangenheit, meine; die Möglichkeiten, welt - liche und geiſtige; der Menſchen Naturen, die ich kenne und kannte; tauſend und tauſend Dinge. Und die Liebe, die Ver - ehrung, die Segenanwünſchung für Goethe umgeben dies, durchdringen es, wie ſeine einmalige Atmoſphäre. Und im Ganzen kann ich von mir ſagen, wie Hamlet von Polonius, daß er ſonſt ein geſchwätziger, unruhiger Knabe war, und jetzt ein geſetzter Kerl. Da ſo todt an der Treppe. Doch ärgere, boße, freue, agitire ich mich noch: nur nicht ſo lange als ſonſt: und erfahre nichts Neues dadurch.

An Varnhagen, in Hamburg.

Alexander Lippe iſt nicht hier: ſein Bruder aber kam ſtatt ſeiner, und behandelt mich mit der größten Vorliebe und Ehr - furcht; und möchte mir alle ſeine Zeit widmen. Dies ſpricht ſehr für dieſe Familie: und ſtellt ſie auf eine andere Stufe, als wo die unſeres gebliebenen Freundes ſteht. Er ſprach auch viel von dir, und mit höchſter Achtung, und grüßt dich. Ich empfahl ihm Thibaut, er las ihn gleich, weil er ihn un -239 ter ſeinen Broſchüren hatte; Kohlrauſch will er ſich ſchaffen. Heute will ich nach Tharant, Abſchied von der Grotthuß zu nehmen.

Von den ſchen Geſchichten kein Wort weiter! Die Eiferſucht, die Konfuſion, die Lügen: eklen mich bis zum Er - ſtarren: ich bin erſchrocken, daß es ſo etwas giebt, und man in ſolcher Säuerei die Namen und Worte gebraucht, die bei uns die Zeichen des reinſten Lebens ſind: ich ſchäme mich, dergleichen zu hören, und fühle mich wie beſchmutzt: und kann dem Allmächtigen gar nicht genug mit erhabenem und reinen Herzen danken, ich meine, mein Herz iſt hier gar nicht erhaben und rein genug zum Dank, zu dieſem Dank , für das Glück deines Beſitzes, dich gefunden zu haben; nur wiſſen kann ich es! O Auguſt, welch ein Glücksfall. Solch einen Freund, dem man alles ſagen, alles zeigen kann. Dies war mein Ideal. Du beſitzeſt es auch. Im hohen Grade bei mir. Dies iſt meine ganze Schönheit, muß ſie vorſtellen.

Viel Menſchen allenthalben; Staat und Putz; und das Ganze ruppig, wie alles nach dem Krieg. Die Brühl’ſche Terraſſe hat durch die Repnin’ſche Treppe ſehr gewonnen. Es macht Repnin Ehre, jetzt gleich zu verbeſſern und ver - ſchönern. Komm es künftig wie es wolle! Über den ge - ſprengten Bogen der Brücke weinte ich. Ein organiſches, mühevolles Werk der Kunſt, des Wohlſtandes, des Fleißes und des Friedens zu ſchänden! bezeugt eine Gräuelzeit; und iſt ſo roh, daß man ſich fürchtet, und geſpannt wird, ihr ſo nah zu leben: und ſie noch auf den Hacken zu haben! Was mich faßt, ſpannt mich, dann muß ich weinen. Auch habe240 ich vorgeſtern die Batterie geſehen, von welcher Moreau er - ſchoſſen wurde, und auch den Ort, wo es geſchah, und alle Schlachtfelder. Pfui! Chriſten! und ſie ſchmieren wieder ſo etwas im Kongreß zuſammen.

An Varnhagen, in Hamburg.

Tieck kam geſtern Abend nach dem Theater: wir hat - ten ſchon Thee getrunken; er trank noch einmal, erholte ſich nach und nach von der Erſchöpfung des Ennui’s, er hatte das Ballet Arlekins Geburt, wo hier! nichts vor, nichts nachgegeben wird, ſeinen Kindern zu Gefallen ausgehalten. Bald kamen wir in die natürlichſten, munterſten, prätenſions - loſeſten Geſpräche, worin die Mädchen gar nicht hinderten; ich lag hinter dem Lichtſchirm: weil ich ſehr vom Schreiben, Gehen und Leben fatiguirt war. Er iſt ein köſtlich einfacher, verſatiler Menſch. Ich ſprach ihm viel von dir, und wie du dich ärgern würdeſt ihn zu verſäumen; und mit welchem Recht. Wir hatten ſehr ſchöne Geſpräche über das Lügen, und die Lüge: er iſt ungemein wahr, und ſo naiv, als ob er von Glas wäre, ſo läßt er ſeine innren Unterſuchungen ſehen, wenn er einmal auf dieſe Punkte gebracht werden kann, in den einfachſten Bürgerworten, die ſich, wie die vornehmſten Leute, gut ſtellen, und ganz mild und einfach einander behandeln, ganz einfach. Er ſpricht oft ſchwer: klagt oft darüber; und noch geſtern: daß er ſich ſo leicht ver -nichtet241nichtet fühlte; durch Ennui; welches ihm den Abend bei X. geſchehen war ich ſah es; weil ich ihn kenne, und lachte ſo, daß ich mir das Tuch vorhalten mußte, weil es die an - dern Damen nicht ahndeten, in ihrem breiten Daſein, ohne Unterfutter! Wir ſprachen von Schlegels. Er ſehr wahr, tief, mild; weltlich, komiſch, beichtend. Wir aßen; er, Ba - bette und ich; wir hatten die behaglichſten Geſpräche dabei; das Mädchen amüſirte ſich mit; er erheiterte ſich ganz. Da haſt du den Abend, führ ihn aus. Er war ſehr gut: nur gönnt ich ihn mir nicht: da du es nicht hörteſt. Tieck ſaß zwiſchen Babette und mir. Da! nun ſehen Sie den berühmten Dichter Tieck an! ſagte ich dem Kinde. Er nahm es ſehr gut: und es wurde kein Mißton; auch war das Mäd - chen ganz lieb und beſcheiden. Adieu, adieu!

An Karl von Redtel, in Potsdam.

Nur zwei Worte, um Ihnen zu danken, und Ihnen zu ſagen, daß nicht allein die Gewährung meiner Bitte mir in Ihrem Briefe ſo ungemein tröſtend und erfreuend war, welche mir Ruhe gegeben hat (Sie empfinden ganz was das heißt), ſondern, daß ich Sie den Alten finde! Daß Sie Ihr voriges Leben nicht aufgeben, es nicht mit dem Schwamm auswiſchen: und jeden Tag eine neue Geſchichte zu leben anfangen wol - len; das wollen ja beinah die Meiſten; und ich bin gefaßt, einen jeden der meinigen bei dieſem Siſyphus-Geſchäft zuII. 16242treffen; aber nur um ſo lebendiger iſt meine Freude, um ſo befriedigter meine Seele, wenn ich einen Freund geſund und jung wiederfinde (auf den ſich die neugefundenen Freunde wie er ſelbſt, verlaſſen können; und wo ſie und er ſich nähren, vom Alten, und daran erwachſen; anſtatt mit loſen Trenn - fäden an Loſes geheftet zu ſein!). Nur wir ſelbſt machen uns alt; dadurch, wenn wir alle Tage eine andere Jugend leben wollen; anſtatt daß jeder Tag, als neuer ſchon von ſelbſt eine friſche, für die nächſten Tage und das ganze Leben wird. Alſo ſein Sie hochbegrüßt in meinem alten, antiken Herzen, das nie altfränkſch wird, und werden ſoll, weil das das Nächſte nicht anäfft und nachäfft. Sie kommen alſo, Lieber! Sie ſind mir diesmal tauſendfältig willkommen! Vergeſſen Sie in der Zwiſchenzeit ja nicht meine Sache zu betreiben!! Jeder Andere, der darin zu thun hat, ver - gißt es gewiß, da es keinen als Sie intereſſirt! Und bringen Sie mir mein Lebens-Urtheil in Ihren Händen mit. Wie ſonſt, und für immer, Ihre alte

R. Robert.

Noch iſt Tieck hier: kommen Sie bald! Ein ſehr un - ſchuldiger, lieber Engel.

Meine Addreſſe wiſſen Sie. Ich wohne Behrenſtraße No. 45. gleicher Erde. Bei meinem Bruder Moritz. Alſo wenn Sie ſchreiben, addreſſiren Sie an den. Sie kom - men aber!

243

An Varnhagen, in Wien.

Alle Truppen und Prinzeſſinnen und Menſchen auf dem Exerzirplatz betend! Ich auch habe genug aus dem überflie - ßenden Herzen geweint für mich allein, ſeit dem 16., wo es ſich engagirte; daß der Gräuel ein Ende, die ſtockende Angſt ein Ende hat, daß unſere Truppen in der Sonne fröhlich und affektirt blinken; daß du in Sicherheit biſt! In Sicher - heit! Weiß ich, ob du die Reiſe gut überſtanden haſt? Seit geſtern erſt weiß ich, daß du gleich bei deiner Ankunft in Frankfurt mit dem General wieder abgereiſt biſt. Gott! die vielen Nächte hintereinander! Was dabei für beide gewonnen ſein kann, weiß ich natürlich nicht. Für dich, daß du, wie du mit Recht wünſchteſt, mit Tettenborn in Wien ankommen konnteſt; und alſo auch das für mich. Ich reiſe nun über - morgen, Donnerstag. Das Wetter iſt ſchön. Aſſing, der eben hier war, und auch Donnerstag nach Hamburg reiſt, und dich ſehr grüßt, verſichert mich es würde ſo bleiben, da keine Mond - veränderung einfällt: und es Anno 11. beim Kometen eben ſo war. Was machſt du denn? Bedauere die elende Rahel, der es immer chiffonnirt gehen muß, daß ſie ohne Nachricht von dir mitten im Frieden ſein muß. Glaube, daß ich mein Glück erkenne und ganz durchdenke und empfinde; daß ich auf den Knieen bin, nicht kränker geworden zu ſein; daß ich weiß, das Winden und Kämpfen hört für niemanden auf, daß unſer Übereinſtimmen in allem der Grund all unſeres16 *244Glücks iſt, und daß es ſich darauf in jedem Fall gründen wird, ich meine erbauen, denn gegründet iſt es. (Das Tromm - len macht mich toll.) Aber Ungewißheit haſſe ich ſo! und die wird mir ſeit undenklicher Zeit reichlich gereicht. Und wieder; denn obgleich ich abreiſen muß, ſo weiß ich doch nicht wie weit. Doch wie Gott will! Ich denke auch fleißig, und im - mer innerlich, an die größeren Gedanken. Du kennſt ſie: ſie fließen mir reichlich zu. Präparire mir, was du kannſt, in Wien; aber im Ganzen nimm nicht zu viel Rückſicht auf mich. Bereue deine Heirath nicht; (Scherz, wenn du denkſt, daß es Ernſt iſt) wenn ich dich jetzt inkommodire. Die Fêten in der Zeitung ſind mir ſehr eklich; ich bin froh ſie zu ver - ſäumen. Herzogin Sagan giebt auch Soupers in den Zei - tungen? Von Dresden und Prag ſchreibe ich dir. Gott wenn ich nur nicht in Prag ſitzen bleibe! das iſt mein Einzi - ges! Morgen ſind drei Stücke, zwei von Kotzebue, ein Ballet von Telle. Lauter Rückkehren: Kotzebue’s Gedanke beim er - ſten iſt witzig; die hundertjährige Eiche; da geht’s Anno 1914 vor. Da könnte man unendlich komiſche und tiefſinnige Dinge herauslaſſen, wenn ſie einem einfielen, und man dürfte. Lebe wohl! Gedenke mein! Gedenke, wie ich dich liebe und dich kenne. Wäre ich nur erſt zum Ausruhen, zum Troſt, zur Überlegung, zu meinem Troſt bei dir! Heute iſt Ferdinands Geburtstag: er hat die ganze Stube voll Spielzeug und Ko - laken, wie er ſie nennt. Es herrſcht ein ungeheurer, aber auch ſehr ſchöner Kuchen im Hauſe: ſolcher wie bei unſerer Hochzeit Hochzeit! zum Thee war, da ward deiner ge - dacht, und auch immer in allen guten Gelegenheiten. Gott245 erhalte dich! Lebe wohl. Deine R. V. werde ich jetzt dir ſchreiben.

An Erneſtine Robert, in Berlin.

Iſt das nicht das größte Meerwunder, in Wien zu ſein und gar nichts zu ſchreiben zu haben?! Wenn ich nicht die allgemeinen Gedanken-Schleuſen öffnen mag, welches ich nicht will, der Überſchwemmung wegen; und der Unverdaulichkeiten, die in Steinen und andern Materialien mit herausſtürzten! hörten Sie, Erneſtinchen, was ich Abends auf meinem Kana - pee doziren muß: muß, weil’s mir ſo herauskommt! Die Franzöſin iſt ganz vernichtigt. Mit der Phyſionomie anzu - fangen: ſpricht das gedanken - und beziehungsloſeſte Zeug, ja jede Frage z. B. nach der Geſundheit der Nichte, wenn ſie ſie ſieht, iſt zerſtreut, ganz herzlos, ganz ſinnlos, durch Blick, Ton und Wendung des Körpers. Dies alles ohne das min - deſte Ohr für alles was in der Welt geſchieht, ohne allen Takt, mit krummer Haltung, die ihr zur Natürlichkeit helfen ſoll, der ſie ewig anliegt; als wäre die Natürlichkeit ein Mann im Amt, der ihr einen Titel verſchaffen ſoll. Die Andre zieht ſich an wie ſonſt: ſieht ſo ſchlimm aus, daß, hätte ich es gleich geſehen, ich ihr mehr geantwortet hätte. Es iſt mir aber lieb, daß ich es nicht gleich ſah. Wien iſt wie alle gro - ßen Städte gut: wenn man Geld hat: da ich mittelmäßiges habe, und einen außerordentlichen Freund, die Welt ganz246 kenne; d. h. das was man von ihr zu erwarten hat. Ich bin ganz zufrieden. Wie geht es Ihnen und Ferdinand? bongue bongue? Ich küſſe den Bengel. Babette, ſein Sie fleißig, die Jugend kommt nicht zweimal. Was ziehen Sie heute an? Erneſtinchen, grüßen Sie alle Markus’ens, dies auch für ſie. Moritz iſt ſehr vergnügt. Varnhagen hat den Katarrh und grüßt ungeheuer: und hat eine ſehr liebe Frau, die heißt Rahel, und iſt ihm treu. Ein komiſches Stück vor - trefflich geſpielt haben wir unter gräßlichem Lachen geſehen.

Ihre R.

An Karoline von Woltmann, in Prag.

Ich habe Varnhagens Kupferſtich, ſeinen Brief nämlich, verſchampfiren wollen, mit meinen Ruthen verderben wollen, aber der Stich war zu ſchön. Gott grüß Sie ſchön, rufe ich Ihnen zu! Aber ich möchte gerne wiſſen, ob nach vor dem Ojeſer-Thor , oder nach dem dickhäuſrigen edlen großartigen Prag. Nämlich, Wien iſt nicht hübſch, ſoll das heißen. Eine engſtraßige Feſtungsſtadt, die ſo wenig zur Reſidenz oder Ka - pitale geſchaffen iſt, wie ich wollte ich ſagen, wie Leipzig brauche ich nur zu ſagen, denn mit Leipzig hat es die ſpre - chendſte Ähnlichkeit bis auf die Naſen, welche die Erker ſind, die Wien fehlen. Die vielen Laden ausgeputzt wie die ſchön - ſten Pariſer fehlen nicht; warum aber die Fiaker dort ganz und gar fehlen, weiß ich nun: ſie ſind alle hier: und das zum247 größten Unglück, weil ihnen abſolut der Platz fehlt, nun wol - len ſie den erjagen; und ſpielen Platzabjagen, oder quatre - coins, wobei die armen Pferde, die von nichts wiſſen, jedesmal ihre Hüftchen zu meinem größten Zittern und Schreck preis - geben müſſen, die, und ein Graf Münſter, dem man zwei Rippen, und ein armer Jäger, dem man beide Beine zerfah - ren, müſſen alles büßen. Ein Kaiſerlicher Wagen wollte auch mich den zweiten Tag als ich hier war umfahren; mein Fia - ker (der Wagen nämlich) floh in die Höhe und that ſich nichts, ſondern ſtieß mich nur, der Kutſcher ſchimpfte Halunke! hatte aber eben ſo viel Ambition und Schuld gehabt, als der Kai - ſerliche. Nichts Großartiges im Äußern hat mich hier noch wie ſo vieles in Prag frappirt, Ihnen, werthe lauſchende Ka - roline, würde es dagegen gar nicht gefallen. Im Kaſperle - Theater ſind konſommirte Schauſpieler: bei den andern habe ich noch nichts durchaus bewundert. In Geſellſchaft war ich wenig, doch habe ich welche geſehen: und unzählige Menſchen. Alle Geſellſchaften in Europa, die welche ſind, ſind ſich gleich, und mir lieb, d. h. egal lieb. Öffentliches haben wir ja gar nichts: und dies iſt ein frikaſſirter Erſatz davon, wie das meiſte Jetzige in meinen Augen. Oder gab es vor alten Zeiten, trotz der Berichte, Geſchichten, Gedichte und Bewunderung, auch nichts? ich habe ſtarke Ahndung und nimmt ſich’s nur gut in Liedern aus, was die litten, die thaten? Schreiben kann ich gar nicht: denn ich weiß nichts: es iſt mir hier in der erſten Unruh vergangen. Bald komme ich in Ruh; und ärnte ich da nur das Mindeſte, ſo ſollen Sie friſche Garben haben. Mit dem Kongreß geht’s wie im Damſpiel, wenn248 einer bis zur Gabel gekommen iſt: ziehſt du ſo, ſo zieh ich ſo! und ziehſt du ſo, ſo zieh ich ſo! Sachſen Polen! So ſteht das Spiel, ſo lang ich hier bin: und auch ich kann mir einbilden ich bin klug daraus. Die Andern thun dies alle. Adieu! Liebe Ojeſer. Wir ſehen uns wieder!

R.

An Varnhagen, in Wien.

Eines harten Mannes Erb, oder ſelbſt ein ſolcher Mann, Oder beides auch zugleich, iſt, wer Reichthum ſammlen kann.

Dies ſagt der mir ſehr liebe Logau; und wie paßt es, wie iſt es der Text, der ganze Inhalt unſeres Geſprächs! Ich habe dir meine Seele gezeigt; wie ſie nach meinem beſten Be - ſinnen iſt: denn ſo iſt ſie doch eigentlich, und nicht in wogen - dem partiellen Bewußtſein über die Erſcheinungen der Dinge, ſondern ihrer ſelbſt, dem Bleibendſten in ihr. Ich habe dir alſo nur einen Moment zeigen können von dem, was in mir, wenn auch nicht immer, doch meiſt, und ſtets dunkel vorgeht und arbeitet. Verzeihe es mir alſo, wenn ich dich bitte, mir kein türkiſch Schal zu kaufen! Ob ich ſolche Schabracke habe, oder nicht! Im Gegentheil! Mein Stolz, meine Eitelkeit beſteht darin, und ſchon längſt, keines zu haben. Kann ich’s bezahlen, ſo brauche ich keins; und es iſt ſchön keines zu haben: kann ich es nicht bezahlen, ſo iſt es recht und richtig keines zu haben. Und endlich, die Summe Gel - des iſt für uns und in jetzigen Momenten immer hübſcher, als ein prahlender Lumpen auf den Schultern. Auch wenn ich249 prahle, möchte ich es größer! Es liegt mir gar nichts dran: und es ſoll dir auch nichts dran liegen. Gute Nacht, Lieber! Gehen wir beide hierin mit Herr Jeſus!

R.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Varnhagen ſitzt neben mir, und muß noch zum Kourier vieles fertig machen, läßt dich daher nur mit dieſem grüßen, dir danken, dich verſichern, er würde es nachholen. Noch ſind wir im Stifte; übermorgen ziehen wir aus. Aus einer von mir geliebten Straße nach einem ſtillen Platz, zwei Trep - pen hoch gute Treppen hier gleicher Erde. Heute Abend fahr ich zu Fanny Arnſtein, wo ich geſtern die Aſſem - blee verſäumte; meine Geſundheit leidet zu ſehr von der nicht zu athmenden Hitze der gedrängten Menge; und jedesmal rekrutirt ſich mein Huſten auf ſechs Tage wenigſtens. Gentz ſchrieb mir wieder ab, weil die Damen, die er zu mir gebeten hatte, Tableaux bei Hofe machen mußten: er ließ mir die Wahl, ohne die Gräfinnen Bernſtorff und Fuchs mit ihm zu ſpeiſen, oder den Montag mit ihnen. Ich wählte das letztere: ſchon weil die Sache doch wenigſtens verſchoben iſt ich liebe faſt nichts mehr, was Anſtalt koſtet! und weil ich grade die beiden Damen als Matadore der Liebenswür - digkeit ſehen will: Gentz errieth dies. Gräfin Fuchs iſt der Gräfin Plettenberg Schweſter (die bei uns in Berlin war), und alle meine Herren ſind in ſie verliebt. Gräfin Bernſtoff250 iſt Graf Chriſtian Bernſtorffs Frau, von der ich einen ſo rei - zend unſchuldigen Brief geſehen habe, und ſo gründlich und eigenmächtig geſcheidt, daß ſie mir ganz merkwürdig iſt. (Nicht wahr, ihr liebt dieſe Geſchwätzigkeit?) Vorgeſtern ſah ich die Zauberflöte, an der Wien. Fragt Moritz als Zeugen! Ich ſchwöre es, ich hörte aus dem bloßen Vortrag her, Me - lodien in dieſem Werke, die ich, doch auch nicht unmuſika - liſch, nie erahndet hätte auf den Stellen, wo ſie hervorbra - chen; dergleichen vermuthend, weil ich gehört, was Righini aus muſikaliſchen Phraſen und Figuren durch accelerirte oder angehaltene Noten, für welches keine muſikaliſche Zeichen exi - ſtiren, herauszog, war ich einzig hingegangen. Dekorationen, Anordnung und Pracht ſtehen bei weitem unſerer Aufführung dieſes Stückes nach. Die Königin der Nacht kam aus ei - nem großen Monde geſtiegen, der in eben als Wolken herabgelaſſener Leinwand herunter rollen mußte; ſie kam aus ihm wie aus einer großen Thüre gelaſſen und alt heraus, mit einer Krone von Silberpapier, woran Monde und der - gleichen von reinem Blech zitterten. Sie ſang die unſinnigen Arien mit einer alten Stimme, die ſo dezidirt auftrat, daß man hörte, daß ſie ſich in der Art Geſang ſonſt mit Recht habe bewundern laſſen, und in dieſem Nachreſpekt ſchonten ſie auch die Zuhörer. Mad. Roſenbaum heißt ſie; über fünfzig; aber ſie iſt die erſte Perſon, die mich gelehrt hat, was staccato iſt. Kein Unſinn: zu welchem es alle Sänger, die es nicht erfunden, und dazu geboren ſind, machen. Denke dir, daß dieſe Frau noch dieſen höchſten Ton trifft, und mit einer gemäßigten, beſonnenen Gewalt anſchlägt, daß er durch -251 aus wie von einem breiten Inſtrumente klingt, und in Angſt und Weh und Zorn künſtleriſch erzeugt ſcheint. So etwas iſt ſehr ſchön, bewundernswürdig und lehrreich. So lehrte mich der italiäniſche Klavierſpieler Lodi zuerſt, auf einem zerbrochenen Klaviere in Töplitz (vor vielen Jahren), was Mozart und alle neuere Komponiſten mit Oktavſpringen auf dieſem Inſtrument ſagen wollen: er zeigte mir, daß das ſchnelle Greifen mit Einer Hand von der Oktav zur andern den anhaltenden Ton eines geſtrichenen Saiteninſtru - ments hervorbringen ſollte; und brachte ihn jedesmal durch Schnelle und ander Geſchick hervor. Wenige Menſchen ahn - den nur in der Technik der Muſik ein Werkzeug zu derglei - chen Abſichten; und laſſen ſich das mißlungene, und als nichts Bedeutende lebenslang gedankenlos als etwas aufdringen. Mir gehts anders: ich tadle es, bis ich’s verſtehe. Alle Orcheſter hier gehen ſanft, ſinnig und richtig, und ihre Stärke beſteht nicht im Reißen, wie die der beiden Weber; des dün - nen in Prag, und des dicken bei uns. Überhaupt auf fal - ſchern Muſikwegen iſt keine Stadt in Deutſchland, als Ber - lin; und, wie natürlich, in einem feſten Dünkel darüber be - fangen: weil es Mühe und lärmende Anſtrengung nicht ſpart. Weber, Zelter, Iffland, tragen große Schuld; und des ſeli - gen Righini Überdruß und Nachgiebigkeit aus Applaudiſſe - mentsſucht.

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An M. Th. Robert, in Berlin.

Geſtern erhielt ich euren Brief mit dem Kourier, und will auch gleich heute antworten, weil morgen wieder zu euch einer abgeht. Ich haſſe, und immer mehr, alles was nicht die Umſtände als natürlich erlauben; weil nie daraus etwas Gut - gegliedertes, Mildes wird, und ſchon ein verrenktes Streben voraus ſetzt, wozu einem die ganze Welt nicht günſtig iſt, ſonſt hätte man’s nicht nöthig. Gott und die Welt mein ich. Ich denke über die Verſorgung wie du, und ſorge natürlich mit; aber da ich der Menſchen Verkehr und Zuſtände nun ein - mal nach meiner Weiſe kenne und ſehe, ſo denk ich auch hin - wiederum, obgleich ſich die Kinder aus den erſten Banden ſehnen müſſen und mögen, neue Lagen und Verhältniſſe dun - kel und wogenhaft ſich vorſtellen; ſo bleibt eben dieſe Mög - lichkeits-Zeit, meiner ganzen Einſicht nach, ihre beſte; ihre vornehmſte, adlichſte, und horizontvollſte; und eben deßwegen reichſte, weil ſie ihnen noch gewährt hinauszuſchauen! ich bin alſo vergnügt, wenn ſie Gefährten, Handlungsraum fin - den und gewinnen; und bin ſehr vergnügt, wenn ſie’s noch lange in Schutz erwarten; verſtehen ſie ihre Lage auch nicht ganz, ſo fühlen ſie ſie doch wie Jugend, und Geſundheit: und denen brauch ich das Wort nicht zu reden, nur zu ſeufzen mit allen Gebornen, daß ſie unwiederbringlich ſind, und nur rückwärts geſchaut werden können.

Die Konferenzen dauren fort: einer ſpricht ſo, der andere253 ſo: aber definitiv iſt nichts ausgemacht, nämlich abgeſchloſſen. Ganz Sachſen bekommen wir nicht. Mir iſt es lieb, wenn es jetzt nicht geſchieht, da doch und es iſt auch mechaniſch genommen nicht gleich möglich zu machen in Deutſchland eine Menge Dinge im Gewirr bleiben werden, ſo würde man, nähmen wir jetzt S., bei allen nur möglichen Widerwärtig - keiten nach jeder Seite, uns nur die Schuld geben: iſt es wahr, daß S. und Pr. in Deutſchland zuſammen gehören müſſen, ſo wird ſich das beim erſten Ereigniß doch ergeben. Krieg haſſe ich, und die Deutſchen unter ſich werden ihn auch wohl nicht anfangen; weil das Gefühl zu ſehr dagegen iſt; und ſie nicht gern thätlich ſind: d. h. ſchwer anfangen zu ſtechen, morden, hauen. Aber es wird wohl bei andern Na - tionen losbrechen, nicht ſo bald: dann nehmen wir Theil, und entzweien uns mittelbar. So weit iſt unſer Land mei - nes Bedünkens in der Einheit und Einigkeit gekommen. Durch dieſe werden wir unter Eine Regierung kommen, anſtatt daß die andern zur Einigkeit durch die Einheit ihrer Regierung gekommen ſind. So denk ich. So liegt die Sache: ma - chen kann man wenig: die Natur der großen Dinge, als Länder und Völker, iſt an ſich ſittlich, wenn man ihr nach - giebt. Alſo jetzt bleibt Friede. Theile es nur Moritz mit; und die klügſten Leute behaupten, Öſterreich und Preußen müſſen gut bleiben. (Ich bin jetzt entſetzlich durch den ruſ - ſiſchen Obriſten Noſtitz geſtört.) Läßt denn Ludwig nicht ſeine fertigen Geſänge drucken? Gott! ich bin blau auf den Backen vor Röthe und Echauffement, ſo haben mich Varnha - gen und Noſtitz geſtört! Schrecklich! nicht eine Minute!!! 254 Lebe wohl, den Kindern ſchreibe ich ein Wort. Ich grüße Nettchen und alle Hausfreunde.

An Moritz Robert, in Berlin.

Du haſt Recht, das iſt noch die beſte Verdrießlichkeit, von der man genau den Grund weiß: der liegt wenigſtens oben auf, iſt nicht ſehr verwickelt und kann vergehen. Laß dir von Markus mittheilen, was ich darüber ſage, daß kein Krieg wird, laß dir auch von den Kindern mittheilen, was ich ihnen ſchrieb, und du wirſt ſehen daß ich heute wegen Störung nicht mehr ſchreiben kann, trotz des beſten Vorſatzes, und einem ſchönen Brief, der ſchon im Kopfe fertig war. Einer unſerer Bekann - ten, den auch du kennſt, hat hier der Regierung einen Plan zu einer Bank, wozu ſie nur die Erlaubniß geben ſoll, einge - reicht und hat Konferenzen mit allen Banquiers auf miniſte - riellen Befehl; es iſt ein Geheimniß, und er erzählt’s nur uns. Bollmann wird die größten Geſchäfte nach Amerika mit Queckſilber machen, welches hier aufgehäuft liegt. Nimmt man ſein Projekt an, ſo kommt hier wieder Silbergeld. Man kajolirt ihn ſehr. Hier ſchicke ich dir einen kleinen Zeitungs - artikel, der dich ſehr erſchrecken wird. Erneſtine muß ſich in Acht nehmen, ich grüße ſie. Frau von Mink fragte nach dir. Frau von Stägemann hat dich beim Manne gelobt; kultivire ſie, ſie haben ſo kluge Kinder. Er war mein Troſt Dienstag bei Arnſteins, wo ſie Wachsfiguren in einer Hitze vorſtell -255 ten!! und ich nichts in der Welt dadurch ſah. Ich gehe we - nig hin. Mir nicht ſo! bei Gott! Den Weihnachten ver - geſſe ich ihnen nicht. Grüße Oppenheims; ich werde ihnen einmal ſchreiben, daß ihnen Hören und Sehen, und Wien ver - gehen ſoll. Ich zerbreche mir immer den Kopf, wo ich in Berlin wohnen werde. Einmal muß ich doch hin. Dein Brief unterhielt mich, weil ich ihn einſah. Ernſt, Stimmung, Lage, Handſchrift, alles. Manches mit dieſem eben ſo. Adieu adieu. R. Laß nur Ferdinand noch nichts lernen, und ärgert ihn in nichts. Er wird doch unglücklich, wenn er größer wird. Was macht denn der Heuchler? Was macht Babette? ärgert ſie ſich noch? Heute hat unſer König beim Kanzler geſpeiſt. Varnhagen mit Stägemann. Adieu.

An Moritz und Erneſtine Robert, in Berlin.

Bloß ein paar Worte! Hier iſt der Beobachter: ſo ſol - len wir nun denken; Lampe-Gentz ſchreibt’s uns vor: von ihm iſt die tiefſinnig-religiöſe Betrachtung über die vorgeſtern ſtattgefundene Leichenfeier. Denkt euch darüber was ihr könnt: ich ſehe Emigranten-Arme darin, die die Welt wie ein Rad in ſeinem Lauf zurückhalten und auf die alte Stelle, wo es ihnen gefiel, zurückführen möchten. Der Reſt iſt Schweigen , denn tief in der Natur der Dinge, die Einmal für uns da ſind, liegt dies Schwanken, Wogen, Meinen, Toben, Halten, Schreiten. Das Feſt in der Kirche ſelbſt, in der Stephans -256 kirche, die ſchön iſt, und zum Sinnen und Beten ſtimmt, koſtete 40,000 Franken; die Dekoration war aber mesquine, dem Eindruck nach, den ſie machte, weil ſie unzuſammenhän - gend und nicht für das Gebäude paſſend war. Wappen, Stücke Tuch, die wie breite Schärpen herabhingen, und an der großen ſilbrigen, nicht ſilbernen, Krone Frankreichs oben befeſtigt. Manche Bänke beſchlagen, manche nicht; eine trauernde Religion mit einem Kreuze im Arm, und einer Mi - nerven-Büſte zur Seite (?)! Noch eine Statue, die das Te - ſtament Ludwigs XVI vorſtellte, von Holz, worüber begypste Gewänder geworfen waren. Recht gut! aber für ein Abend - feſt in einem Garten!!! kurz beinahe ſo ſchlecht, als Türen - ne’s Begräbniß, als er nach dem Pantheon gebracht wurde, welches ich in Paris ſah. Es waren Billette ausgegeben. Ich hatte eins zu einem guten Sitz, von Graf Flemming, aber ich ging der Kälte, des Wartens und Gedränges wegen nicht hin: ſondern nachher, um die Kirche zu ſehen. Die Muſik ſoll auch gar nichts getaugt haben. Geſtern Mittag war dann endlich die große Schlittenfahrt: mir glaubt, und keiner Zeitung. Himmliſche, kommode, halbe Wagen, nicht nach der neuen ſchlechten Mode, die nicht deſtoweniger, ſondern, deſtomehr ſehr elegant ausſahen, auf ſehr guten Schlittengeſtellen; übermäßig beharniſchte Pferde mit entſetzlich beglockten Decken; verguldet und verſilbert nach Luſt! und Kaiſerlich; ungefähr bei jedem ſechs reich galonirte Bedienten mit dreieckigen - ten, die Vorreiter ſein ſollten: nicht knallten. In jedem ein Herr und eine Dame. Die Damen in allerlei kouleurten Pel - zen und Hüten; aber alle von Einer faiseuse, alſo beinahgleich.257gleich. Nur die Nichte unſerer Königin, Thereſe Eſterhazy, war anders und beſſer: ein Häubchen von Krepp mit Gold; und einen ſolchen Hut, weiß befedert, und paſſend, niedlich und aufgeklappt, drüber oder dran, und blau in Sammt. Schön! Lady Caſtlereagh (nicht hübſch, nicht jung, aber ko - loſſal) in Gelb mit einem raſenden Schal drüber. Julie Zichy, kirſchbraun, ſehr ſchön, eine Brünette, unſerer Königin ähnlich. Gräfin Fuchs, ponceau. Alle ſehr geſchmückt, dies war das Schönſte. Dreimal ſah ich ſie bei Tage am nämlichen Fenſter äußerſt bequem mit einem Perſpektiv. Die Vorreiter waren auch in verſchiedenen Farben. Die Herren in Uniform. Der König ſehr gut: und die hübſcheſte Dame. Das Volk ſchrie ihn ſehr an: ich glaube von ungefähr. Es freute mich doch. Den Vicekönig Eugen, mit einer roſa ſehr ſchönen Gräfin Appony, ſchrie es auch an. Aus der Schlittenfahrt iſt der noch nicht heraus. An Ludwigs XIV. Hof trauerten ſie um Cromwell, ſchreibt Mlle. de Montpenſier, die Kouſine Ludwigs ſelbſt. Es war alles ſchon da, es liegt bloß am ſchlechten Gedächtniß.

An Moritz Robert, in Berlin.

Vor einer Stunde erhielt ich durch einen Geheimrath S. einen Brief von dir und Ohme, worin ihr mir von einem Brief von mir den 15. datirt ſprecht. Liebe Kinder! habt ihr denn ſeit vierzehn Tagen nicht mehr Briefe? Ich ſchreibe mit je -II. 17258dem Kourier, d. h. die Woche dreimal. Dein Brief hat mich ſehr unterhalten: und vornehmlich die Aufzählung der Witzi - gen; und daß die Generale ausgehauen werden ſollen, in Marmor! Heute habe ich nichts zu ſchreiben: Neues giebt es wieder nichts. Geſtern war Sonntag, und ich bei Arn - ſteins, wo alle Menſchen, außer Stägemann, Otterſtedt und Varnhagen, der nicht mehr hin geht, waren. Viele Da - men, und alle Herren; ich amüſorr mich, weil man nur ſo viel ſprach, und zu ſprechen braucht, als man will, Leute ſieht und hört, die nicht ſchreien und diskutiren, und ſich in der Artigkeit halten, die wohlthut und mir durchaus nöthig iſt; für Nervenleib, und Seelenüberdruß. Das Gegentheil macht mich ganz erliegen. Neben der Ephraim und einer Baro - nin Oertzen aus Mecklenburg ſaß ich, dann bei Frau von Arn - ſtein, und der Portugieſin de Caſtro. Ich fuhr mit Hedemann, der mich beſuchen wollte, hin: und mit Bollmann, der mit mir zu Hauſe wollte, her. Auch habe ich, trotz allem Sträu - ben, vorgeſtern freundſchaftlich bei Eskeles geſpeiſt: da war es auch hübſch: wenig Menſchen; der Dr. Buchholz aus - beck mit ſeiner ſehr hübſchen Frau, Pilat, Carpani, ein Baron Kollenbach, ein ſtummer Komikus wenn er ſpricht; Eskeles: den ich ſehr liebe, weil ihm ſeine Klugheit bis aus den Poren dringt, er ißt, er ſchweigt, er lacht klug: er ſagt lauter Selbſt - gedachtes, Originales. Ja! er amüſirt mich in gewiſſem Sinn hier beſſer, als alle andere Leute; weil er ganz altväteriſch geblieben iſt, mit geiſtigen Gaben, und ein reiches Leben über ihn weggegangen iſt, welches er ganz nach ſeiner Art bearbei - tet hat, und lauter Originales davon ausgiebt, mit der aisance259 des gelebteſten Menſchen auf gut altteſtamentliche Weiſe. In die Komödie gehe ich nicht mehr. Heute kommt Auguſte in Prag an, bleibt bis zum 10. Beſorge ja alles!!! Erne - ſtinen habe ich ja geſchrieben, und grüße ſie. Ich weiß heute nichts Beſonderes. Obgleich de Ligne bei den Vätern iſt, ſo kann der Kongreß nicht aus dem Walzen in’s Gehen kommen. Major von Hedemann wollte geſtern wetten, in ſechs Wochen ſeien ſie zu Hauſe: aber ich glaube keinem Men - ſchen mehr: weil alle jetzt nichts wiſſen. Zerboni ſah ich geſtern; ein ausgearbeitetes Amtsgeſicht; im Ganzen ein alt - berliniſch-koloniſtiſcher thatreger Mann; in Sprache und al - lem: aber friedrichzweitiſch. Noch Eins, Ohme! Schicke mir um Gottes willen mehr Thee. Hier iſt keiner zu haben für Millionen, und mit einemmale iſt der Kongreß doch aus! Ich ſchreibe alles auf, was du auslegſt. Adieu! Erneſtine! Sie haben Recht: keine Fête zu Hauſe! ohne Haushof - meiſter; ſetz ich hinzu.

Von den Theatern hier ſind nur die komiſchen gut. Geſang viel weiter als bei uns; ſchon weil er auf einem ganz andern Wege iſt, und erlernt und beurtheilt wird. Die Adamberger ſo, eine rechte Aktrice (ſie ſpielte Minna, Minna, ſage Minna!), falſchen Ton, falſchen Scherz, falſche vornehme Haltung, und nicht ein bischen friſch, wel - ches ich wenigſtens dachte. Einen Grüner haben ſie hier mit der ſchönſten Stimme, dem geſammeltſten Furienweſen,17 *260welches ihm auch aus brauchbaren Augen leuchtet, von Natur großartige Bewegungen und konzentrirtes Daſtehen, Daſein; kurz, der Sammlung und Aufmerkſamkeit auch in geringen Stücken erweckt. Den möcht ich mitnehmen, oder mitſchicken. Ich habe nun den dritten unausſtehlichen Aſchenprödel geſehen! Ich glaube, die ganze Geſchichte iſt nicht wahr! Nun weiß ich, was ein Kongreß iſt: eine große Geſellſchaft, die vor lauter Amüſement nicht ſcheiden kann. Das iſt doch gewiß Neues. Und ohne Spaß! Es muß recht ſchwer ſein, einen Kongreß zu halten und zu enden! Eine Welt einzu - richten! dies machte ja Hamlet ſchon melancholiſch. Nun wollen wir einmal ſehen, ob ein Held, ein Seevolks-Held ſie nicht überwinden kann! Ob ſie Wellington widerſtehen wird! Fr. Schlegel ſchimpft auf Goethe. Dafür bleibt er wo er iſt, und wird dumm.

An Moritz Robert, in Berlin.

Das geizige Ende deines Briefes hat mich geſtern außerordentlich lachen gemacht, und noch jetzt, obgleich ich, beim Himmel! nicht ſo ſehr lächerlich geſtimmt bin: ich will es dir hierherſetzen, es wird dir gewiß auch komiſch vorkommen; ich ſah die harpagoniſcheſte Scene dabei, von Molieren par des Molières ſelbſt geſpielt. Höre nur! Hier geht alles wie du es ſiehſt! Ich bin mit dem Gange der Sachen (ohne mich zu berufen) (!!!) zufrieden. Das mag denn261 auch wohl an meinen wenigen Prätenſionen liegen, und daran liegen, daß ich unzufrieden mit mir bin. Höre nur dieſes Bedingen und Wenden des ſchon Bedingten! So bin ich leider auch, und nur darum kein gemeinſter Harpagon, weil mein Geiſt, mein Urtheil über mich ſelbſt die Oberhand, oder das letzte Wort behält. Denn was iſt wohl anders Geiz, Kargheit der Handlungsweiſe, als ein ungroßmüthiges ewiges Erwägen des ſchon Erwägten; und dem Glücke mit ſeinen Satrapen, den Umſtänden, gar keinen Kredit, am allerwenig - ſten einen ſorgloſen geben wollen, den allein es verlangt, und wofür allein es Intereſſen ſpendet. Aber das mag der Fürſt der Hölle wie Friedrich Schlegel in ſeinen neueſten Vor - leſungen höflich den Teufel nennt können; moi je suis payée pour être de la méfiance la plus outrée gegen die Für - ſtin der Erde! (will ich nun die antike Fortuna aus Rück - wirkung nennen.) Du haſt Recht, Bruder Harpagon; ich weiß es nun, wir bleiben Harpagone: und daß wir noch etwas komiſch ſind, können ſie uns nicht genug danken, und gar nicht nachmachen: weil dazu eine andere Natur zum gemeinen Leben gehört, als man eine hat, und die beſ - ſere den Pagliaſſo, und den Tiefſinn, den Hochſinn und den Unſinn übernimmt; Jean Paul, Shakeſpeare, Hamlet mit Einem Wort!

Der Beſen im Zauberlehrling. Der Meiſter muß kom - men! Kennt ihr einen? Ich fürchte jeden. Was ſagt ihr zu den Spaniern, wie die die Indianer behandlen! Das ſoll262 ich erleben! Eine Tochter Friedrichs. Die Welt kommt noch ſo zurück, daß wenn man nicht bald ſtirbt, ſo lernt man noch Richelieu den Erſten kennen, die Schlange; und Adam, und die ganze erſte Societät.

Ich habe ſeit einiger Zeit viel über das Lügen nachge - dacht. Es wirkt doch viel nach außen, und von außen nach innen. Könnten ſehr geiſtreiche, geiſtvoll ergründende, wahr - hafte Menſchen mit einem ſtarken Karakter das Lügen ſtudi - ren, und dann wie andere erlernte Dinge mit Fertigkeit aus - üben, es müßte zu koloſſalen Wirkungen führen: der Wahrheit würde angſt und bang, ſie ſtünde ganz klein, als Seufzer, als regret, als Angeführter in der Welt da, und flüchtete ganz in die dunkle innere; ſo reell könnte das Lügen im Großen, Planmäßigen aufſtehn. Große Zeit und fanatiſche Anhänger könnten nur ſchwer dagegen ſiegen. Meine Meinung hier iſt nur ſehr roh vorgetragen: die Klugen werden ſie ſchon ergänzen. Die Lügner unſerer Zeit pfuſchen nur, wie groß ſie auch ihr Spiel ausdehnen wollen, ſie haben keine Wahr - heit in der Seele, und haben die Lüge nicht ſtudirt.

Ich muß Ihnen Einiges von unſerm geſtrigen Abend erzählen!

T. ſagte vom Adel, er komme ihr vor, als ob jetzt je - mand in den wohlgepflaſterten Straßen, in den belebten, han - delsreichen Städten umhergehn wollte mit Tigerfell und Keule263 behauptend er ſei Herkules, er wolle uns ſchützen und retten, und verlange dafür göttliche Ehre. Herr, würde man ihm ſagen, es iſt nicht Ein wildes Thier hier, lauter Laden und Speicher, und ſichere Häuſer; ziehen Sie ſich aus, nehmen Sie auch ein Gewerbe, oder beluſtigen Sie uns durch Kunſt und Gaſtmähler.

An Moritz Robert, in Berlin.

Ich hatte mir heute ſchon alles, was man ſeit geſtern über Napoleon weiß, im Kopfe zurecht gelegt um es dir zu berichten, aber ich fand es in Ordnung und Kürze im heuti - gen Beobachter, den ich morgen hier beilegen werde. Der Fürſt, der ihm begegnete, iſt der Prinz von Monaco. Der iſt es auch, der einen Kourier hieher aus Turin ſandte. Napoleon war aber nicht niedergeſchlagen, ſondern ſo aufgeregt wie bei ſeiner Schlittenfahrt von Moskau nach Frankreich. Er fragte holprig und poltrig den Fürſten, ob er keine Bewegungen in Frankreich und in Paris, woher der kam, geſehen: und wollte es nicht glauben, daß dort alles ruhig ſei: vous ne savez donc rien! meinte er! und erzählte, der Kongreß hier, ſei in Unfrie - den auseinander. Der Prinz von Monaco wurde nach Na - poleons Bivack gebracht, wo der hauſte, weil ihm das kleine Fort abgeſchlagen wurde. Dieſe Sache müſſen wir nun ab - warten: Dienstag kommt eine Poſt hieher. Vielleicht habt ihr über Paris und früher Nachrichten, weil man ſeit geſtern hier264 weiß, daß ſie dort vom Telegraphen[unterrichtet] ſind. Peſchier’s Kompagnon, Fries und Andere ſchieben ihre Reiſe nach Frank - reich wenigſtens poſttagweiſe auf. Monaco weiß aber wirk - lich nichts: Napoleon hat Recht. Ich habe geſtern einen Brief aus Paris, den ein reicher Geſchäftsmann, der große Verbin - dung in Frankreich hat, ein Reichsländer, vom 28. datirt ge - ſehen, wo man natürlich Napoleons Einbruch noch nicht er - wähnte. Der klang aber nicht nach nichts! Sondern nach den größten Bewegungen gegen die Jetzigen; mit großen De - tails, Namen, Bewegung, Straßen, alles genannt. Ich glaube, man wird ſich den Napoleon’ſchen Lärm zu Nutze machen, wie man ſich jeden erſten zu Nutze gemacht hätte. Hier ſpricht man von einer Proklamation, welche die Alliirten gegen Na - poleon und alle die, welche ihn hegen oder ſchützen, werden ergehen laſſen, und die ganz den Schutz der Bourbons ver - künden ſoll. Eine ſolche könnte mich ſehr unſelig machen. Dieſe Nation muß man allein laſſen, und nicht wieder zu ei - nem Ganzen ſetzen, wie vor zwanzig Jahren; da meinen Brie - fen nach, die Armee ohnehin brennt, irgendwo hin zu fal - len; und ſtark nach Belgien trachtet. Sollten wir ſelbſt Poch - kränze zu der unſeligen Entzündung liefern? die nun weit und breit Kombuſtibles findet! ich bin mir alles von dem Rath, der waltet, gewärtig: und halte es, ganz im Gegen - theil der Andern, für ein Unglück, daß die Regenten noch hier zuſammen ſind; jeder müßte feſt ſein Land behaupten, und möge Deutſchland noch immerhin verſchiedene Namen tragen. Ich fürchte, es wird zu ſchnell eine zweite Generation Ein Deutſch - land erleben! und, wie es die Leute prophezeihen, Deutſchland265 Eins und Frankreich getheilt werden. Von dieſer traurigen, für mich alte Generation höchſt trüben Betrachtung muß ich natürlich auf Friſch kommen! Gott, wie hat mich das betrübt, erſchüttert, erſchreckt, und nachdenklich gemacht! Und es war doch ſo natürlich! Er ſo alt; er mußte ſterben. Aber ſo ſtirbt man: ſo ſtirbt man ſelbſt! Alles was wir intim und jugendlich kannten, geht ab, nimmt ab; ſtirbt. Und wenn nun erſt Einer von uns Geſchwiſtern ſterben wird! Ein Glück, daß ich erſt dran muß! So ſind die Eltern, meine Wurzel, mein Stamm, an dem ich haftete, hin; ich dorre im Wipfel, fallen aber Äſte neben mir, ſo iſt es aus! Ich fühle mich heute ſo ſchwer; fühle überhaupt das Alter; nämlich die ewigen Zerrüttungen der Lagen und Verhältniſſe; die Tren - nungen, die Kränklichkeit, die Entfernung der Jugendgenoſſen, der habitués, den Tod der Kernfreunde, der muntern. Und da ich Ruhe haben ſollte, und müßte, die Erſchütterung der Staaten, und Stätten!!! Ich kann weinen. Humboldt, Gentz, die Pachta, Wieſel, ſind hier! Aber wie leben wir mit einander? Natürlich lache ich, ſpreche ich, ſehe ich Leute, lerne welche kennen: erwäge und ſchätze mein Verhältniß mit Varnhagen, und bin als hätte man mir den beſten Rath ge - geben. So habe ich mich geſtern Abend in einer gewöhnlichen Soirée bei Arnſteins recht gut amüſirt; mit Frau von Arnſtein, mit einer guten Franzöſin, mit Frau von Ephr., mit manchem Sehen und Hören, und bei Tiſche lachten wir! Heute Mor - gen war ich mit der Arnſtein in einem brillanten Konzert, wo ein junger Mann eine Oper von den Kennern unterſuchen ließ, die er gemacht hatte (die Oper, nicht die Kenner, hatte er gemacht). 266Sie beſtand aus Reminiszenzen. Nachmittag ſah ich einen Augenblick Bentheims Schweſter; geſtern war ich ſpaziren im ſchönſten Wetter, wo ich Menſchen ſah und ſprach, morgen bin ich bei Eskeles. Alſo beklage mich nicht! So iſt’s aber. Wien behagt mir mehr im Frühling, und muß ich bleiben, mit Kruſemarck, gewiß noch beſſer. Doch gehe ich auch gern weg. Kurz, wie es kommt: meine Familie, und die Kinder, und die alten Bekannten, liebe ich, und brauche ich.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Ich wollte ſo eben mich befleißigen, euch Wort vor Wort die Nachrichten nachzuerzählen, die geſtern der Staatskanzler ſich befliß, den Frauen, vier, die vor Tiſche auf und am Ka - napee ſaßen, zur Unterhaltung mitzutheilen; ſie ſtehen aber alle buchſtäblich, wie er ſie ſagte, im heutigen Beobachter. Alſo lies nur. Sie ſchienen mir auch geſtern nichts zu bedeu - ten (da ich ſie ohnehin ſchon vorher wußte), als eine große aménité des Fürſten. Der Aufſatz über der acht Mächte De - klaration, womit heute der Beobachter anfängt, gehört nicht zu des Kanzlers Erzählungen, iſt von Gentz, und unendlich ſchwach. Die Erfindung: die Ausführung nicht minder. (De par tous les diables, möchte man anheben!) Was hat er die Mächte zu entſchuldigen, und zu kommentiren: und eine klare Sache zu erklären; und wem zu erklären. Oder iſt ſie nicht recht klar? die ganze Maßregel iſt ſo ſehr richtig, daß267 ſie beinah unnöthig war, und aus der Pariſer Konvention ſchon hervorgeht. Was befallen ihn für Zweifel? an der Sache oder am Publikum. Es giebt der ganzen Sache, mei - nem Gefühle nach, ein unſicheres Anſehen; und ſollte ihr ein ſicheres geben. Warum nennen ſie Napoleon Rebell? dies kann nur ein Unterthan ſein. Er war auf Elba niemandem unterthan. In ſolchen Proklamationen ſollte kein unrichtiges Wort ſtehen. Die richtigen ſind ganz hinlänglich. Europa will Ruhe; und wird ſie im Nothfall mit Krieg erkaufen; voilà le fait, qui doit être fait etc. Von Paris hat unſer Golz nur allein einen Kourier mit den Nachrichten geſchickt, die nun hier umlaufen und im Beobachter ſtehen. Die An - dern haben keine. Talleyrand mag ſie nicht mittheilen, vielleicht.

Beim Kanzler ſpeiſten geſtern zweiunddreißig Perſonen, vier Damen mit mir. Der Kanzler macht auf die rein menſchlichſte Art die Honneurs, und ſo ſehr wie ein guter Mann, daß wenigſtens Gemüther wie ich, ihn lieben müſ - ſen; und gleich mit ihm bekannt werden. Er dauerte mich ſchmerzhaft unter den Zweiunddreißig, wie der ſelige Onkel. Aber er ſteht hoch in Betragen und Sein, und der gebildet - ſten Lebensart. Ich kann mit Tauben nicht ſprechen: ſo viel meine Unfähigkeit es zuließ, that ich’s doch: auf die unge - zwungenſte Weiſe. Es iſt ein Mitleid! Weil er ſehr Kon - verſation liebt, und weit hinhorchte, wo Humboldt neben Varn - hagen ſchrie und lachte. Auf der andern Seite hatte Varnha - gen Stägemann, Schöler, Grolman, Bartholdy. Graf Flem - ming ganz unten. Kein Rang, kein Stand. Jahn, auf den268 ich ſo neugierig war, war mit krottirten Stieflen, einer Mütze, und ohne Halstuch da, im alten Überrock. Humboldt ließ ihn ſich von Varnhagen vorſtellen. Radziwill, Alle waren ſehr gut mit ihm. Er ſaß ganz unten. Miniſter Bülow, mein andrer Nachbar, mußte mir ihn zeigen. Denk dir, Markus! Ich ſprach mit Bülow und noch Einem über den Fall zwi - ſchen den Hamburgern und Berliner Kaufleuten; und war gegen den Dritten, der da meinte, es ſei nicht klar, daß die Hamburger zu zahlen hätten: da der Fall ein Rechtsfall war, konnte ich nicht ſchweigen; und Bülow ſagte immer: Ich bin Ihrer Meinung. Nicht weil es der Miniſter ſagte, ſon - dern weil ich mitſprach, erzähle ich dir’s. Bülow hat einem Hamburger Advokaten ſein Gutachten abgefordert, dies ſprach für meine Meinung. Bülow iſt ein hübſcher, guter, angeneh - mer, einfacher Mann: es fiel ihm aber auch nicht ein, daß er Finanzminiſter ſei, und er ſprach in einem Sinne, als: er, ich, und der Dritte, wir hätten Meinungen über eine gewiſſe Sache!!! Es war wohl hübſch und menſchlich, ich vermißte aber eine Nüance; den Nerv, den das Amt haben ſoll. Jahn iſt auf eignen Impuls hergekommen. Er will Zulage: zwölfhundert Thaler hat er jetzt. Er grüßte mich vom Kon - ſiſtorialrath Nolte, der habe ihm von mir geſagt. Er hat ein Betragen und Sein von der angewöhnten Genialität, die Hagemeiſter ſchon vor ſechszehn, achtzehn Jahren hatte; kraftgenieich; er erinnert auch an ihn, wenn man ihn ſieht. Noch kenne ich ihn gar nicht: ich werde ſehen. Humboldt ver - ſicherte mich, wie Don Juan, nach Tiſche ſeiner Liebe. Er liebe mich immer: ſehen könne er mich nur nicht, weil ich269 immer alles thäte, was er nicht leiden könnte: er will mir ein Diné geben (Diné! Ihr ſeht, ich bin todt; und nicht im Himmel). Das wäre was für Erneſtinchen! Ich ſoll die Per - ſonen nennen; alſo als Königin. Ich ſagte, er ſoll mich we - niger lieben, und mich beſuchen: dann wolle ich die Perſonen nennen. Ich mußte fort. So blieb’s.

Der Kanzler examinirte mich ſehr. Wie ein kluger Mann; der das Theater liebt. Solche Leute ſehen ganz anders an: vom Sehen lieben ſie das Theater. Nicht wahr, Hans?

Die ſchwarze Dame hatte in Geſtalt eines Malteſerkreu - zes ein dunkelbraun emaillirtes mit Granaten beſetztes an der linken Bruſt, ich denke es iſt ein Orden! auch war es einer: Wir ſie die Frauen haben ihn errichtet zur Feier der Einnahme von Paris; und keck tragen ſie ihn an ſchwarzen Schleifen; er hat auch auf Blau in der Mitte eine goldbuch - ſtabige Inſchrift, aber nur ein Wort, ich las es nicht: ich wurde geſtört. Kurz, die Provinz hat ihre Freuden; und iſt nicht blöde, wenn ſie ſich einmal fühlt.

(Varnhagen lieſt jetzt eure Briefe an meinem Tiſch, ein göttlich Kind aus unſerm Hauſe ſteht daran; es iſt Mord - lärm und Lachen bei uns!)

Daß die Bethmann ſich freundſchaftlich für Auguſten be - nimmt, vergeſſe ich ihr zeitlebens nicht! Lebt wohl! und ſchreibt. Du auch, Ohme. Robert iſt vogelfrei: die haben wohl Federn, aber zum Fliegen, wie die Dichter. Nicht wahr? Robert! Moritz, mein Treuer, dich grüße ich, und Erneſtine! Auguſte lobt ſehr bongue bongue. Ich küſſe den Eſel. Neues giebt es nicht. Adieu, adieu!

R.

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An M. Th. Robert, in Berlin.

Hier ſind die Beobachter; doch rath ich euch, nicht buch - ſtäblich daran zu halten. In dem heutigen fehlt eine dritte Proklamation Napoleons, worin er Talleyrand, Marmont und Augereau in die Acht erklärt, und worin er ſagt, er würde den Franzoſen alles geben, was man ihnen verſprochen aber nicht gehalten, Ruhe, Sieg, Sicherheit, Freiheit ꝛc. Nun, lieber Markus und Moritz, folgt mir, wenn ihr es bewerkſtel - ligen könnt, folgt dem Poltron! Ruhe kommt nicht; ſchmei - chelt euch nicht: wenigſtens in den erſten Zeiten nicht, und es iſt beſſer, an Intereſſen und Verdienſt zu verlieren, als ſein Gut. Alexander ſagte letzten Freitag Abend bei einem Sou - per bei Graf Stackelberg nach den ſchlechtern Nachrichten fol - gendes, welches wir von einer Gaſtin des Soupers wiſſen: La France n’est plus à sauver, il faut prévenir les suites; le roi ira en Belgique, Mad. d’Angoulême est à Bordeaux; ce que sont devenus les princes, on ne le sait pas. Die Sache iſt die: Napoleon iſt in Lyon, und die Soldaten erklären ſich für ihn. Der Kourier, der vorgeſtern Abend kam, ſagte, er könne nun nicht mehr zurück, weil Metz ſich erklärt habe: mit Straßburg iſt’s noch ungewiß. Lefebvre-Desnouettes iſt von Metz aufgebrochen, für ihn. Im Elſaß und Lothringen hat man die dreifarbige Kokarde genommen. Den heutigen Beob - achter find ich beinah komiſch: der und die wollen Hamlets Mutter zur Tugend zwingen, zeigen aber die Bilder verkehrt271 vor: Das war euer Gemahl, und dies iſt euer Gemahl. Ich will euch und niemand vorurtheilen: nur bitte ich euch, fürchtet euch ein wenig mit mir, und nehmt eure Maßreglen; Ruhe wird nicht. Fürchteſt du dich noch? Ja, ſo lange er lebt! antwortete ich. Ja! weil ich die Sachen kenne, und ſehe!! Über euch aber bin ich böſe. Alle Menſchen haben Briefe und Nachrichten und Geſinnungen von Hauſe, nur ich nicht. In ſolchen Augenblicken ſchreibt man doch wohl ein Wort: wär’s auch nur von dem perſönlichen Ein - druck, von der eignen Stimmung. Ich, bei Gott! ſchreibe auch nicht leicht, und bequem hier, in großer Störung, und unpaß genug, verſäume ich’s je, euch eine Nachricht zu geben? Denkt ihr, mir liegt nicht an Zuhauſe? und Allen hier! Der König freut ſich ſehr über die Bereitwilligkeit ſeiner Berliner. Nun wieder die alte Rahel. Es marſchirt, ſchießt, plündert, tobt ſchon wieder. Im Konzert ſprach ich Radziwill, alle Menſchen aller Nationen, Geſandten, alles. Sie waren ſehr konſternirt: aber Einer ſchob’s auf den Andern: und jeder, als wenn er nie gerathen oder gewußt hätte!

An M. Th. Robert, in Berlin.

Welche Zeit! Wenn der hypochondriſchte Poltron Recht behält! Heute ſind alle Menſchen, Männer und Frauen, Alle, die ſonſt Muth haben, viel erſchrockener als ich? die Klugen von den verſchiedenſten Partheien: nur die Schlaffen und Per -272 fiden ſind gutes Muthes und voller Thorheit in Plaͤnen und Anſicht des franzöſiſchen Landes; die Umſichtigen geſtehen frei heraus, daß ſie gar nicht mehr ſehen, was daraus wer - den kann. Hier, wo man ganz Deutſchland beieinander ſieht, ſieht man recht, wie auseinander es iſt. Kein Bonmot! Gott behüte und bewahre! Kurz, die Menſchen ſind ſo, als ob Wien belagert würde. Napoleon hat dem Kaiſer Franz geſchrieben, er ſolle die andern Mächte dahin bewegen, daß kein Blut vergoſſen wird, er würde ſich ſtreng an die Verträge halten. Marie Louiſe iſt noch in Schönbrunn. Baiern wollte keine öſterreichiſchen Truppen durch ſein Land laſſen, bis man ihm noch zwei Städte bewilligte; geſtern ge - ſchah es; aber vier Tage Marſch ſind verloren. So ungefähr ſteht alles ungefähr. Seit dem 20. iſt er in Paris; sans coup férir. Der König iſt in Lille. Dieſe Nachricht iſt nach Straß - burg mit dem Telegraphen gekommen, und dieſe Nacht mit einem badenſchen Kourier hierher. Ich bin mit zwei Herren, die ſehr ſchreien über Ehrgefühl und von idealiſcher Exi - ſtenz , und Napoleon , und Infamie und Vorurtheil . Adieu, ſie machen mich tell.

Bis gegen 12 mußt ich noch immer von dem Evenement und allen ſeinen möglichen Folgen hören. Das Reſultat, was jeder Menſch leider faſſen kann, iſt eine weit um ſich grei - fende und tief gewurzelte Verwirrung. Wir Verbündeten bis jetzt! können gar den Krieg nicht plötzlich machen; und ſoll ein tiefer, ernſthafter werden, ſo wird der Dinge ent -wicklen,273wicklen, die es nicht minder ſind. Machen gar Manche ihren beſondern Frieden und ihre Bedingungen mit Napoleon, ſo iſt es auch, und gleich ſehr arg. Man fürchtet alles. Andere führen wieder ſolche Emigrantengeſpräche, daß man vor Un - geduld und Unwillen und aus Furcht vor den abſcheulichen Folgen raſend werden möchte. Alles untereinander muß man hören. So viel Behauptungen, Muthmaßungen, Lügenge - ſchichten, Verheimlichungen und Verläugnungen, Pläne, und Vorſtellungsweiſen, kluge und erzdumme Anekdoten. Kin - der, wie iſt euch? ich bin viel ruhiger, als ihr glauben ſolltet. Tief betrübt mich und erfüllt mich ganz vor allem, daß ich Varnhagen ſo ſehr erſchüttert ſehe mich zu verlaſſen; und daß ihm die Trennung und die Ungewißheit mindeſtens ſo hart angeht als mir. Hätte ich das nicht vor Augen, ſo würd ich wohl meine Beſorgniſſe und aufgethürmte Verdrüſſe aller Art, die davon entſtehen müſſen, hervorkriegen aus der See - len Grund. Mir imponirt aber immer ganz außerordent - lich, wenn mein Gemüth ein Geſchäft für Andere hat. Muß nur etwas geſchehen: wird nur eine Thätigkeit in Anſpruch genommen, ſo habe ich für eine Weile Kräfte. Dieſe Thätig - keit beſteht nun darin, mich für Varnhagen zu beſchäftigen mit der reinſten und höchſten Freundſchaft, und großer Liebe: die er von mir wie niemand erwirbt, durch eine Liebe, und ein Betragen, welches ich zu beſchreiben mich faſt ſchämen muß. Seid alſo auch gefaßt. Seit dem vorigen Krieg bin ich’s mehr: wie man ſich’s denkt, kommt’s nie: und bei je - dem Sonnenumlauf, weiß man nicht wie, und nicht ob man ſie wiederſieht. Es iſt eine Zerſtreuung, daß man an gewöhn -II. 18274lichen Tagen ſo ruhig iſt. Kann man doch alle Tage an tödtlichen verrückten Schmerzen danieder liegen, wie ich ſchon oft in der Hölle Rachen; und der tiefſte Friede, keine erfun - dene Wiſſenſchaft, keine Freundesliebe kann helfen. Wenn ich ſo dieſen ganzen Winter, und das Jahr über, unzufrieden ſein wollte, und im Bette war: nun! dacht ich, es iſt doch Friede. Vergiß es nicht. Im ganzen Lande wird nicht gemordet, ge - plündert, geſchoſſen. Ich dachte wohl, Napoleon kommt wie - der: aber wenn ſchon Trouble iſt; etwa in Frankreich oder Italien. Auch dacht ich jetzt: er wird die Oberhand behal - ten; aber fechten müſſen; etwas! Er iſt ſchon wieder bei der Hand, und ſchont nichts; und die Welt muß ſich beſinnen und berückſichtigen: ſie, wir, haben viele Intereſſen, und er eins. Und alle andere Kolliſion: all die alten Unordnun - gen, Vexationen, Mißbräuche, Irrthümer, an die nun all ge - ſtoßen und gerührt wird. Baſta! Es kommt alles anders. Es ſtrömt Frühling vom Himmel, die Erde gebiert, und eine große Obwaltung iſt, die wir nie berechnen können. Ich ſollte mit Arnſteins im ſchönſten Frühlingswetter ausfahren, aber ich traue mich noch nicht, wegen der Einreibungen, die doch noch Flanell, Wärme, Ruhe und dgl. verlangen. Vielleicht laſſ ich mich den Abend hintragen, im Seſſel. Frau von Ephraim war alle Tage bei mir. Habt ihr das Logis im Thiergarten? Ich denke ja. Ich bleibe, wenn nicht außerordentliche Fälle kommen, für’s erſte hier. Auch werden die Herren nicht ſo bald aufbrechen. Nach Töplitz allein, habe ich vierundfünfzig Meilen. Und etablirter, als hier, bin ich ja vor der Hand nirgend. Auch geb ich’s gar nicht auf, daß wir uns im Laufe275 des Sommers noch ſehen. Daran könnt ihr am beſten mei - nen Muth, das heißt, mein Hoffen ſehen. Adieu, adieu!

Rahel.

An M. Th. Robert, in Berlin.

(Schon ganz ermüdet von Warten, Beſuchen, Geſchrei, und Varnhagens Balgen mit meinem Kinde hier aus dem Hauſe. Seit 7 wenigſtens will ich ſchon ſchreiben, ohne dazu kommen zu können. Graf Löwenhjelm war unter andern auch hier. Nun fängt der Brief erſt an.) Geſtern endlich erhielt ich ei - nen Brief von Roſe, vom 20. März. Einen lieben Brief: der ſie mir ganz aus der Seelen Winkel hervorrief, und die ganze Sehnſucht, die man nur nach jüngern Geſchwiſtern fühlt, denen man zur Hälfte Mutter war, und die man in der Jugend, alſo halb verloren hat, weckte! Wo erhielt ich dieſen Brief! Nachmittags 4 Uhr, im ſchönſten Sonnenſchein, in Schönbrunn, mitten im botaniſchen Garten, der merkwür - dig iſt! wo ich mit Varnh. und dem Kinde grade war, und wohin uns Dore nachkam auf einem Bauerwagen Zeiſel - wagen hier genannt, char-à-bancs; dieſe meine Schwe - ſterliebe, und Sehnſucht, und Erinnrung blieb nun die Farbe meines ganzen Gemüthszuſtands für den Nachmittag: ich dachte mir Antworten für ſie aus, Pläne, Wünſche, und war wirklich über das, was mich umgab, mehr zerſtreut. Sorge um ſie und Wehmuth über das Unwiederbringliche ſtrich18 *276auch durch mein Gemüth; und doch war mir nicht übel, ſo innerlich und ſtark bewegt zu ſein, als ich noch etwa ein paar Stunden ſo zu Hauſe war, die Nacht über (des Schlafes un - erachtet) ſo blieb, aber dieſen Morgen einen plötzlichen Ge - müthswechſel erleben mußte, durch deinen Brief. Deinen vom 28. März. Es thut mir unausſprechlich leid, jetzt nicht zu Hauſe zu ſein! Und das diesmal nicht meintwegen, ſon - dern deintwegen. Nicht, daß ich nicht weiß, daß, indem ich dein Schreiben leſe, du ſchon zwanzigmal gefaßt biſt, und der Sache, und der Überraſchung face machſt. Aber es iſt beſſer, ſeine Trabanten in ſolcher Zeit, wo noch neunundneunzig ſolche Momente kommen werden, um ſich zu haben: hundert - mal eine Sache wiederholen zu können, jeden Einfall mit - theilen zu können, jeden dummen Plan, Hoffnung, Beſorgniß, Ärger, Ein - und Anſicht: und gewiß zu wiſſen, die kennen mich, finden nichts dumm, das Kluge klug; und ſagen mir auch jede Regung, jeden Einfall. Und man überlegt und lebt, und zerſtreut ſich wirklich beſſer. Ich wußte, man würde ſich da, wo man noch hofft, ſehr erſchrecken; und dieſe Spannung, dies zu erwarten, hab ich ganz für mich ausgeſtanden. Aber, in dieſer Zeit! geb ich zweihundert Thaler Kourant weg, wenn ich dich jetzt auf zwei Tage hier haben könnte. Erſtlich, iſt es der Feder nicht anzutrauen: zweitens, müßte man in Details gehen, die ſie nicht leiſten kann, um Belag für den Ausdruck der ſchärfſten Überzeugung mitzugeben: So geht es nicht. Das diſſoluteſte, auseinandergeſprengteſte, falſch - fleißige, und ohne Beiſpiel müſſige Leben; wo einem jeden der Geſichtspunkt fehlt, ja, und der vergeht, den er hatte: dabei277 will ſich keiner in der Tagesordnung ſeiner Vergnügungen und Liebſchaften ſtören laſſen: und Importuns, impertinente Fremdlinge, können ſich zu Geſchäften aufdringen. Jeder denkt von jeder Sache, der Andere wird oder könne es ja wohl machen, und was auch mißlingt, ſchiebt es wirklich jeder auf Alle, und Alle auf jeden. Das kann nicht dauren; und wenn es nicht mehr ſo halten wird, wird man fragen warum? Ich prävenire dich mit dem größten Bedacht, damit dir der Schlag nicht wie aus den Wolken kommt; und du auch nicht denkſt, dieſer oder jener, oder dies oder jenes, habe es hervorgelockt. Nein, es machen es Alle, weil ſie nichts machen, und die unangewandten Kräfte und Bedürfniſſe ſich auf eine Seite hinneigen werden, hingepreßt werden, wo ſie das Schiff werden umſchlagen machen. Kein Warnen, kein Ermahnen, kein zu verſtehen geben, hilft. Jeder ſieht’s allenfalls für den Andern ſo an: ſich mag er aber doch nicht ſtören, in der dikaſteriſchen Hoffnung, ſein Tagesle - ben wird doch wenigſtens ſo fort gehen. Um dir nichts Är - geres zu ſagen, was noch Manche bewegen mag! Ich ſagte auch heute zu Varnhagen: es iſt als ob jemand mit dem Körper bis an die Füße zum Fenſter hinaus hinge, noch iſt er nicht unten, ich ſehe es aber, er muß ſtürzen, er geht nicht zurück. Er gab mir Recht. Ja, jeder, der nur irgend menſch - lichen Kopf hat, und hier unterrichtet iſt, ſagt ganz daſſelbe und nichts anders. Dies, lieber Ohme, muß ich dir ſchreiben, weil ich zu geärgert bin, zu erfüllt davon! Doch aber könnt ich in einem Brief davon ſchweigen; wenn ich’s nicht für perfide hielt, meine innerſte Meinung dir nicht mitzutheilen, die mir278 immer zur Kehle hinaus will: und wenn ich nicht in der That dich vorbereiten wollte. Nicht allein wegen der Geſchäfte, ſon - dern bei Gott! um dein Gemüth und deine Geſundheit, die unerwartet zu erſchüttert werden möchte! So wie ich es ſage, und wie ich es mir ausdenken kann, wird es nicht kom - men. Sondern, denkt man ſich es heftig und plötzlich, kömmt es allmählig; denkt man es ſich allmählig und geſchmeidiger, kommt es unverhofft, wie der von Elba, und ſtört die Welt unter - einander; anſtatt zu kommen, wie ich es mir dachte, wenn die erſte Störung begonnen wäre. Das Alte, alte Ruhe, und das, was man ſich ausdachte, darauf nur gleich verzichtet! Unendliche Lügen und falſche Nachrichten wird man hören, die ſich dann anders verhalten, und wieder einrichten: unend - lich unerwartete Dinge werden täglich hervorbrechen. Und ich bin ſo perplex als irgend Einer, und ſuche mich auch nur mit all dieſem in meiner Seele, und gewiß vergeblich! vorzubereiten!

Übrigens ſei guten Muths! Auch dies kann wunder - bar und gelinde abgehen: für kluge, ſtille, brave Leute, Dies, und mehr Wunder noch hoffe ſogar ich! Neues iſt nicht. Ludwig XVIII. iſt in Brügge. In Lille rieth man ihm weg - zugehen, weil man die dreifarbige Kokarde aufſteckte. Man ſagt, der Vieekönig Eugen ſei in ruſſiſchen Dienſten. Im Prater fuhr er heute mit Millionen Menſchen und allen an - dern Souverains umher. Auch die ſah ich nicht, weil ich zu einer frühern Stunde mit Frau von Arnſtein fuhr; die ſehr meiner Geſellſchaft bedarf. Sie iſt mehr als außer ſich über dies Ereigniß. Ganz früh war die Ephraim bei mir, mich nur zu bitten mitzufahren. Bis jetzt erhält dies meinen Muth279 noch, daß der Krieg noch nicht iſt, und daß ich ſo ſehr den Andern nöthig, und wirklich tröſtlich bin. Varnhagens Gegen - wart, und immer gleiche Anſicht des Totalzuſtandes unter - ſtützt mich ſehr, meine Konvaleszenz, und mein Leichtſinn, den der Frühling mir unwiderſtehlich einflößt. Nämlich, ich bin noch zerſtreut über das Herannahende! Und zu viele Men - ſchen glauben nicht an Krieg: obgleich wir Preußen uns dazu tummlen, ohne abzureiſen! Übrigens beziehe ich mich auch, wie du auf deinen erſten, ſo auf meinen erſten Brief nach Na - poleons Erſcheinung. Ich denke noch ſo, man muß die Fran - zoſen nicht national machen. Und bin ganz überzeugt, es gehen große Krümmungen in Frankreich los.

Ich bin froh, daß ich geſund bin, nämlich von dieſem Übel ſo geſchwind frei. Ich fühle noch, daß ich’s hatte. Wenn einem nun ſo etwas zukommt! Überhaupt. Wie von Glatt - eis iſt das Leben. Glatt, kalt, unten Waſſer, im Waſſer Tod.

Iſt denn Louis böſe mit mir? Dich lieber Hans grüße ich recht ſehr! Ich denke an die Geſundheit, und dann iſt alles iſt mir ein Spiel, ein Scherz! Ich genieße den Früh - ling! Thue dies ja! dies iſt gewiß Profit. Muntert Einer den Andern auf zu Genuß; Genuß! Und anders kommt alles. Du ſollſt ſehen es geht in Frankreich los, und dann bleiben wir draußen. Treuer Moritz, ſchreibe! Erneſtine, gehen Sie in die Luft, laſſen Sie ſich nicht toll machen!

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An M. Th. Robert, in Berlin.

Auch werden ſich die Menſchen wieder aus der erſten nothwendigen stupeur erholen: reell iſt doch noch nichts ver - loren, und die Meinung. die den Kredit macht, muß ſich wie - der ausgleichen. Unendlich weh thun mir grade all die Mit - telleute: und unſäglich A! Aber ich bitte euch, fahrt nur fort mir immer alles zu ſchreiben. Man iſt weit ruhiger, wenn man auch Unangenehmes hört, wenigſtens zu glauben, man weiß alles, als nicht trauen zu dürfen, und mit ſeinen Ge - danken, wie an der Roulette, nur hin und her zu rollen, und zu ſchlagen; ohne in’s Unendliche noch beruhigt ſtill ſein zu können. Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei Gott bedanken ſoll, daß ihr nicht verwickelt ſeid. So iſt doch die alte häß - liche hemmende Familienvorſicht zu ſolchen Zeiten gut! Ver - ſäumt nur den Frühling nicht! und ſtärkt jetzt doppelt Seele und Körper in der Luft. Es wird alles anders! Hier iſt eine große Stagnation und Stille; die ich mir nie für Politik, oder Richelieu’ſche Verſchwiegenheit aufbinden laſſe. (Hr. Whitbread antwortete auf er müſſe das nicht au pied de la lettre nehmen , Ich kenne die Miniſter zu gut, um je etwas, was ſie ſagen, au pied de la lettre zu neh - men. ) Es iſt Verlegenheit, oder irgend eine Verwicklung dahinter. Verlegenheit, da man die Bourbons nicht wieder anbieten will, oder kann, wie laut geſagt wird: und nun noch keinen Titel und keine Art hat, mit den Franzoſen zu ſpre -281 chen, was ſie denn wollen. Was ſagſt du zur Proklama - tion von Sack (- grob)? Goethe hat Recht, der Name wirkt ein. In Italien war gegen Murat ſchon ein Vorpoſten - gefecht. Man ſagt, auch dieſer Krieg wird nur eine Demon - ſtration im Großen bleiben und eine Art Ableiter ſein. Doch niemand weiß etwas ſchon Geſtaltetes. General Vincent, der von Paris kommt, ſagt, man ſoll ſich keine Illuſion machen, Napoleon habe zweimalhundertundzehntauſend Mann: An - dere behaupten, das ſei unmöglich. In Truppenzahl traue ich aber Napoleon nicht. Dieſes nicht kann man deuten wie man will; ich meine, er hat Truppen; wenn er ſie nicht innen braucht.

Alle Menſchen ſind ſo geſpannt und herunter: und ſo unſäglich dumm. So lange Varnhagen noch da iſt, ich keine Soldaten ſehe, geht’s mit mir noch an. Lebt wohl und ſchreibt. Geſtern ich ſehr gut bei der Arnſtein. Aber kein anderes Wort, als den geſchimpft, Armee, Murat, Fran - zoſen u. ſ. w. Mir ein Gräuel!

An M. Th. Robert, in Berlin.

Leſet nur die drei letzten Beobachter, die ich hier beilege, und ihr werdet die Stagnation ſehen, in welcher die Geſchäfte gefangen ſind. Mir ſcheint es ſo, ich bleibe dabei, man weiß keinen Titel zu finden, unter welchem man die franzöſiſche Nation bekriegen will, weil die Bourbons fehlen. Baiern aber282 auch marſchirt tüchtig; ſchreibt Tettenborn, der in München iſt. Und es ſtrömt genug nach dem Rhein; iſt recht viel dort, ſo wird es wohl überlaufen und man wird losſchlagen. Siehſt du, Ohme, daß ich nicht ſo ſchlecht ſehe, wo es auf ſehen an - kommt; vor einigen Poſttagen ſchrieb ich: Wenn nur unſere Truppen nicht agiren, ohne den Befehl dazu abzuwarten! und dies thun gar nun Civiliſten. Sack hat die ſchärfſten, bündigſten, beſtimmteſten, drohendſten Verweiſe wegen ſeinen Proklamationen bekommen: und gleich nachher, macht er neue! So iſt’s mit einer Sache. Ich erzähle aber dergleichen nicht mehr. Dies glaubt man nur, wenn man es ſiehet.

Deine Nachrichten ſind erfreulicher! Ich muß immer Oppoſitions-Nachrichten geben! Freilich wird der Grüne einen harten verlegnen Stand haben: aber auf ſeinem letzten Loch pfeift er noch nicht; Geld geben ihm die Meerkatzen, Frau Rückenau, und eine Menge Verwandte und Kriegsgeſellen noch: vor der Hand: auch iſt die Armee nicht ſo von der Nation zu trennen. Man muß bedenken, woraus alle Armeen beſte - hen. Doch werden ihm von innen die Tatzen diesmal gehal - ten. Bricht aber ein entſchiedener großer Krieg aus, ſo haben ſie ihn als Capitaine nöthig, und er gewinnt militairiſche Macht. So muß ich ſagen, ſo ſehe ich, ſo denke ich: und ich müßte mich imbeciler ſtellen; als ich bin, wenn ich anders ſprechen ſollte. Ich überſehe nicht, vieler deutſcher Völker Muth, nicht unſern beſonders, der ganz allein uns einen Standpunkt in der Welt giebt, und wo auch wirklich die an - dern hinſchauen; nicht die ganz andere Lage der Dinge, als die in der Zeit des vorigen Kriegs, wo noch kein Franzoſe283 nach Frankreich gejagt war, kein Ruſſe und Deutſcher in ihrem Lande. Sie das nicht kannten, wir das nicht wußten. Aber ſchlimm, abſcheulich, daß wir jetzt nicht ein Volk ſind; wie ſie. Die Sprache, das Sprechen allein, macht es nicht: man muß wiſſen, daß man unter einer Regierung, unter denſelben Geſetzen ſteht, und aus einer Kaſſe lebt; und, daß nicht nach Sieg und Krieg, der Bettelſtreit und die Gränz Einrich - tung, und Mein und Dein wieder losgeht. So denk ich, es mag auch kommen wie es will. Deutſchland iſt nur das Deutſchland, wovon man jetzt ſpricht, wenn es unter Einem Hut lebt. Dies allein macht Frankreich zu etwas, gegen uns über. Hätte die katholiſche Maria Thereſia nicht unſern Friedrich heirathen können? Blüthen wären das jetzt, was nun in Kanonen, Pulver und Wunden, und Gräuel aufgeht! Alle Straßen wären gebaut, alle Haiden urbar. Mit Gott kann der Menſch nicht denken: in den muß er ſich ergeben; als Menſchen wiſſen wir, weiß ich, wäre der Gräuel nicht nöthig. Wenn man längſt die Religion welches doch kommen wird, und zeitenweiſe, im Krieg, wo Noth iſt, ſchon geſchieht als ein innerliches Gewiſſensreich anſehen wird, welches einen Andern gar nichts angeht.

Hier iſt ein Staub, wovon ihr trotz der Berlinerei keine Vorſtellung habt: dabei regnet es abſolut nicht! Vorgeſtern fuhr ich vom Augarten nach dem Theater an der Wien, Ro - chus Pumpernickel zum erſtenmal geſehen ungefähr ſo weit wie vom Königsthor nach dem Unterbaum, da ſah man die entgegenkommenden Wagen nicht: und geſtern blieb ich wegen Augenweh zu Hauſe. Dabei Diné’s. Sie thun’s hier284 nicht anders. Morgen bei Bentheims Schweſter; heute fürcht ich mich ſchon.

Schreibe nur immer! Ich höre gar zu gerne von euch zu Hauſe! und wie dir iſt. Es freut mich ungeheuer, daß ihr in den Thiergarten zieht; für’s erſte, nur gelebt!

An M. Th. Robert, in Berlin.

Wie wandelt ſich denn alles ſo von einem Tage zum andern, fragſt du! Wärſt du nur einen Tag hier! ſprächeſt nur zehn bedeutende Leute aller Länder, und du würdeſt ſehen, daß ein gehöriges Maß von Einſicht dazu gehört, einen kol - lektiven Begriff von dieſen Wellen zu faſſen, und Geiſt, um ſie endlich Meer zu nennen. Ja! es wandelt alles, weil nur die geſammte Schwerkraft der Dinge langſam etwas ſchafft, rückt und geſtaltet, denn nur ſie dringt durch ein Geſetz nach einem Ziel; kein anderes herrſcht. So weit iſt es mit der alten großen ſtehenden Lüge gekommen, daß keiner ein Allge - meines mit ſeinen Augen erſieht, und jeder glaubt, in dieſem ſchwindelnden Erblinden für ſeine Perſon, d. h. auch nur den nächſten Augenblick, handeln zu können, alſo zu müſſen. Die Häupter merken dumpf, daß ſie nur mit einer leeren Form hanthieren, können aber das Weſen nicht finden, warum es handelt, und welches in ſeinem ewigen Leben naturmäßig fort - agirt. So hält ſich jeder an das ihm allernächſte, kleine oder große Ereigniß, knüpft da ſeine Plane und Handlungen an,285 die ſich aber alle geſammt nach einem andern Punkte hinnei - gend bewegen, der ein unſichtbarer iſt, und in deſſen Bahn die Schwankungen in allen Richtungen gerade noch Raum haben. Dies iſt das Schwanken, nach dem du fragſt, keiner hat ganz Schuld, es iſt die alte Geſchichte, die ſich als Lüge von ihrem Boden wegſchob, leben zu können wähnte: Lokale. mechaniſche Wahrheit, Früchte des Daſeienden, nahm ihre Stelle ein, und wird ſie weit weg drängen, als Dünger. In dieſer Lüge umſtrickt waren auch wir geboren, und auch wir leiden nach Maß unſerer Geſchichte, die wir im Entſtehn gleich mitbilden müſſen, und im Maß unſerer Theilnahme an der Lüge, zu der wir nicht Klarheit und Streitkraft genug hatten, ſie zu bekämpfen. Mit Wir meine ich: ich und du, und keiner ausgenommen. Vielleicht der Einſiedler in Reinerz. Es wundert mich nicht, daß es Menſchen giebt, die den alten Weltſchaden für unheilbar anſehn, lachen, wenn ſie nicht weinen müſſen, und zum Gebrauch nehmen, was ihnen nur irgend ein Narr laſſen will, ſie irgend kriegen können. Unheilbar iſt er für uns zeitliche Weſen, da er ſo lange dauert. Iſt die Harmonie (und der Drang dazu) der Gedanken eines Menſchen rege und ſtark genug, alles, was in Auge und Ohr dringt, zu übertönen, ſo lebt er mehr innen, und hat die Ewigkeit, die beſteht in Unabhängigkeit, und nicht in Zeitenreihe. Dieſe zwei Welten bewegen dieſe Welt. Man hat, was man iſt; was man iſt, hat man bekommen. Frömmer kann man nicht ſein. Leiden thut man alles, denn man leidet ſich ſelbſt.

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An Moritz Robert, in Berlin.

Möritzken! du biſt ’n ehrlicher Kerl! Geſtern erhielt ich zwei Briefe von dir vom 6. und 8., heute iſt Freitag und der 14. April: aber ich bin zu echauffirt nach Theodors Brief, den du auch leſen mußt, um dir auch zu ſchreiben. Ich danke dir, daß du mir den Schreck über den engländiſchen S. erſpa - ren wollteſt. Es iſt der dritte Menſch, der an einer ſich ſelbſt eingetrichterten Meinung ſtirbt, von meinen Bekannten. Fin - kenſtein aus Ärger über die Franzoſen, aus denen er ſich gar nichts machte. Prinz Louis im Kriege, aus dem er ſich auch nichts machte; wie ihm der Haß gegen Napoleon unnatürlich war. Marwitz, der auch gar nicht acharnirt war, und mir es ſagte. Das wird die Nachwelt nicht glauben, auch ſehe ich Geſchichte nicht dahin in’s Geſichte, wo es die meiſten ſetzen, da hat ſie’s nicht. Der Brief war mir ſehr wichtig und unter - haltend. In dieſer Zeit, aus Antwerpen. Wenn dich nur deine Laune nicht verläßt! ſchmeichle ihr ja! Erneſtinen und Babetten danke ich! Ich liebe ſolche Details, Babettchen, wie Sie mir geben! wie können Sie mich gelehrt nennen? haben Sie denn den Fiſch und den Salat ſchon vergeſſen, den wir mit Tieck in Eintracht verzehrten? bin ich nicht immer un - ſchuldig und gut geweſen? führe ich mich nicht wie ein Kind bei Joſty auf? iſt meine Chokolade nicht gut? warum ſchim - pfen Sie mich? was habt ihr denn für Hüte? ich noch mei - nen aus Berlin, außer einem von blauem Levantine, den287 Moritz kennt, mit zwei weißen Roſen und zwei Knoſpen. Varnhagen ſchickt nach dem Briefe, und grüßt als treuer Schwager. Bald könnt ihr ihn ausfragen. Wo bleiben Sie den Sommer, Erneſtinchen? Erinnert bongue bongue an mich. Künftig mehr.

R.

An Varnhagen, in Berlin.

So müde ich auch bin, ſo ſoll doch dieſer Tag nicht hin - gehen, ohne daß ich etwas für dich aufſchreibe, herzgeliebter Freund, an den ich ſo viel denke. Eben geht Wieſel weg: der mir treu Geſellſchaft leiſten wollte; und mir unendlich viel vordozirte; aber alles ſehr gut gemeint, alſo nahm ich’s wie - der ſehr gut auf. Mit ihm, Dore und Katti war ich zu Wa - gen im Augarten, dann zu Fuß in der Brigitten-Au bis im Jägerhaus, wo wir keinen Kaffee bekamen; weil kein Schmet - ten da war, und ſo gingen wir den weiten Weg, bis hierher; weil wir auch keinen Fiaker trafen. Gott! welch ein Abend! Mit Mondesſichel, Auroraluft, violetten Bergen, lachenden Häuſern, Baumespracht; Venusſternen. An dich dacht ich: an wen du denkſt wußt ich. Die Kühlung grüßt ich, ihr dankt ich für dich! Und ſehnender, vernichteter ging ich ein - her, als ich es nur irgend vorher ſah! Wie ein ausgenom - menes Neſt iſt es mir im Herzen, und doch ſo feſt zwiſchen den Rippen. Doch ſei getroſt. Deine Liebe zieht meine ſo aus dem Herzen dir nach; und es iſt ein Glück, das ſollſt du288 fühlen, und ich fühle es auch! Theurer, geliebter, treuer Freund! Du ſollſt es nicht bereuen. Liebe nur! oder liebe nicht; ich ſtehe dir immer zur Seite, (das heißt, ich werde dir in allen Fällen zur Seite ſtehen). Noch fährſt du! die Nacht iſt gut; ſei ſie dir gnädig, mit Sicherheit; und Ruhe in der Seele! Als du weg warſt, wollt ich mich ſehr ängſtigen: ich legte mich hin: ſchlief einen Augenblick ein, er - wachte eifrig, und wie im Schreck: zog mich an, und da Jo - hann immer nicht kam, wollte ich noch Einmal zu dir, als ich aber eben fertig wurde, kam doch Johann. Ich grüße dich!!! Möge Gott dich ſegnen auf Schritt und Tritt: ich weine dazu! Aber wir wollen uns nicht weich machen. Und lieber froh ſein, daß wir uns haben!!! Schlaf wohl! ein - zig geliebter, treuer Freund, ich ſehe dir in die Augen, bitte Gott für dich! Adieu, adieu! für heute; habe die beſte Nacht!

Wenn du mich jetzt ſehen ſollteſt! Du ſchalteſt mich ſchon, daß ich ohne Intereſſe lebe. Nun weiß ich gar nicht, was ich machen ſoll. Aber das wird ſich geben! Du fehlſt mir nur ſo plötzlich; und es bezog ſich hier alles auf dich. Schon geſtern war Wien wie ausgekehrt. Ich war dieſen Vormittag, nachdem ich angezogen war, der Hitze wegen in deinem Zimmer und las. Es iſt ganz aufgeräumt, das Bette gemacht. O! wie wüſt! wirklich todt ſieht ſo etwas aus! doch blieb ich drin, und war ruhig; und las ſehr Schönes von Saint-Martin. Gott was kann der Menſch alles den - ken, in ſeinem beengten Kreiſe! das iſt unendlich, die Kom -bina -289binationen, die ihm da erlaubt ſind; dieſe Enge grade der Witz, wo er als Feder, die heraus will, thätig gemacht iſt. Und wie hohl und nichts in ſich begreifend iſt dieſer Vergleich wieder: wie fällt die todte Feder als kalter unbekannter zur unverſtändlichen Ruhe gefallener Stahl hin! nimmt man ſie da hinaus. Was hat der Menſch für ſchöne reiche Ein - fälle, die als Wunder in ſeine Seele fallen, und in andern Seelen auch leben, weiter leben, und beleben. Was vermag man alles zu denken: was fällt einem alles nicht ein! Da - rum fürcht ich mich auch vor einem Uhrwerk, und ſeinem Zif - ferblatt.

Es wurde mir doch ein bischen zu kühl, und da ging ich wieder vor, um zu leſen, da lief mir gleich Katti nach, mit allen ihren Mucken, Kareſſen, Prätenſionen und Geplaudere. Sie ſagte unter andern: Nun iſt die[Frau] allein!! nun kann ßie nit ſpüllen! Dann kam Dore, und rief ihr zu: der Herr iſt hinten; ſie möchte hinter gehen. Sie glaubte es nicht: und ſagte auch nein: aber ſie war doch ganz verwirrt von freudigem Schreck; und ſchrie und lief zaudrend, und ſagte trotzig, und hoffend, ſie wolle Joohann fragen, der würde es ihr ſchon ſagen. Ich war hinten doch ganz ruhig! du fährſt ja unter günſtigen Umſtänden; und ſeit ich gehört habe, ihr habt Kirſchen, Orangen, Punſch, Wein, alles bei euch, in dem ganzen Wagen, bin ich ganz ruhig. Auch geht eine fri - ſche kühlende Luft, und gegen die Sonne biſt du geſchützt. Die Nacht war etwas dunkel. Du biſt ja aber ſo viel ſchon gereiſt, und haſt zwei Kriege überſtanden, und Gefahr iſt al - lerwärts, und allemal, alſo ſind das nur Redensarten der Ge -II. 19290danken, Thätigkeiten der Liebe. Fürchte nur nicht, daß ich mein Leben mit Schreiben zubringen werde: du wirſt wohl noch oft über’s Gegentheil jammern: jetzt aber kann ich’s grade gut; es erlaubens die Zeit und die Nerven: und wenigſtens zu erſt, ſollſt du noch alles wiſſen; du denkſt ja auch beſtän - dig an mich, weiß ich. Liebe Guſte, frage doch Nettchen, ob ſie nicht, Gott behüte und bewahre! die zehn Paar Schuh, die ſie mir bei Schmidt beſtellen ſollte, hierher geſchickt hat; denn ich habe nichts erhalten! Und erkundige dich ja nach Line, und wie es ihr geht, und was ſie zu verzehren hat; und ſchenke ihr etwas. Sie war ſo lange, und ſo jung, und ſo in meiner Noth bei mir, daß dies ein Glück für ſie ſein ſoll, will Gott haben; und es muß ihr auch gut gehen, wenn es mir gut geht. Auf meine Heirath hoffte ſie! Und ſie hat doch viel mit mir ausgehalten; ſonſt war ich ungeſtüm, und jung, und ohne die jetzige Schonung. Dies alles ſage ich, weil ich’s von der Seele los ſein will: du bedarfſt nur ein Wort. Adieu, liebe Guſte! du ſollſt mal ſehen, wie ſchön wir uns wiederſehen! Ich ſehe dich an, als wärſt du da! Ach wie lange dauert’s, eh du dieſen Brief kriegſt!

Nun war ich wieder mit Wieſel und Johann bei den Sattlern umher, von 6 Uhr an. Dann ging ich über die Glaris mit W. nach der Baſtei, wo wir uns die Leute beſa - hen, ruhig in Mond - und Laternenſchein ſaßen, zu Hauſe gingen Kaffee trinken, und als das geſchehen war, und ich etwas Gutes über Burgsdorf und über das Lügen geſagt hatte,291 beſchloß ich die séance mit einem: je ne dirai pas mieux de la soirée, und er ging. Ich ſagte nämlich, man könne ſo viel lügen, als man wolle, nur ſich ſelbſt nichts vorlügen u. dgl. Nun weißt du’s!

Aus einem Tagebuch.

Wunderſchönes Wetter: nicht zu heiß, und nicht zu kühl, ſehr erfriſchend. Ich nahm um 11 Uhr mein erſtes Bad: es that mir ſehr wohl; ich befand mich den ganzen Tag beſſer, und huſtete nur äußerſt wenig. Nach dem Eſſen und der siesta fuhren wir nach dem Schloß der Frau von B. Eine Götterfahrt! in einem weiten Thale, den Schneeberg mit ſei - nen Brüdern immer zur Rechten, links ein weites Thal, mit entfernten Bergen, das ganze Spiel der heitern, nicht bren - nenden Sonne, kurz, ein ſo poſitiv ſchönes, wohlthuendes Wet - ter, wie es nur vor einem Regentag iſt; wir ſahen die Frau von B. nicht, aber ihre Kinder im herrlichen Garten, der ringsum weit ſehen kann, mit ſeinem guten Schatten, ſchönen Bäumen, vielen Roſen, Feigen, Blumen und ſeinem Schloſſe; frei und ſicher daliegt; vorher ein rechter Edelhof mit Schafen die Menge, Pächtersleuten, und Zugbrücke; zum vertraulich - ſten Nachbar der Schneeberg, im breiten Thal in gehöriger Entfernung: ſchöne Sitze, und heimathlicher Aufenthalt. Die Fahrt zurück war auch gut; Baden groß genug, mit Gebäu - den, Kaffeehäuſern, Fiakern u. dgl. gut verſehen. Die Spa -19 *292zirgänger fleißig. Der Abend wie gewünſcht; der Mond ſah hinein, und tröſtete und erhellte auch noch! Den Abend tran - ken wir Kaffee, und Mad. de Prie war da, rechte gute Unter - haltung, wir ſpeiſten auch noch munter; und nach Tiſch ging ich mit Frau von Münk im Park; ſolchen goldigen, Geſund - heit ausſtrömenden Mondabend ſchenkt das Jahr nur ſelten!! Himmel, Gänge, Häuſer, Laub, alles war ſo zufrieden, daß es wieder wohlthat, und glänzende, helle Ruhe ſpendete; ohne Geräuſch und Tageshitze. Ich regrettirte heftig die Lieben! und ſeufzte nach Heimath; doch genoß ich’s ganz; den Au - genblick, mit großem Bewußtſein. Der Himmel ließ wirklich Geſundheit herab; ich dachte nicht daran, aber heute, den Tag nachher, iſt richtig der Himmel bewölkt, nämlich ganz grau. In unſern Gegenden iſt das ſo: in Berlin auch. Ich ſchlief gut bis 8. Wenn mir doch alle Bäder ſo bekämen! Ich war lange krank.

Gebadet; nachher etwas in den Park mit Frau von Ephr. Nach Tiſche nach dem göttlichen, zu wenig berühmten Hele - nenthal. Durch lauter bebaute, äußerſt angenehme Garten - anlagen, Landbeſitzungen, Oſterien, und Dorfhäuſer, kein - ſter Fleck bis hin: das ganze nahgelegen, dem kleinen Bach - ſtrom entlang, Felſen zur Linken; gegen Abend zu. Wir fuhren in zwei Wagen. Frau von Arnſtein nahm einen Mann mit einem Dudelſack, der im Thale vor ihr auf dem Steinen - Steg vorſchritt. Beſäet waren die ſchönen bequemen Gänge aufwärts und im Ebenen mit artigen bunten Spazirgängern293 deren Wagen an einem Einbug des Waſſers und Felſens hielten. Heerden gingen unter der Brücke durch den ſteinigen Fluß, Ziegen klimmten oben auf den Höhen, die Sonne flammte, dunkel und hell über Baumlaub, Sträuchern, Gras, Felſen, Berge. Mädchen ſangen komiſche Lieder zu Harfen. Frau von Ephr. war außer ſich, mich das alles ſehen zu laſ - ſen. Ich ging etwas. Wir fuhren nach Hauſe; gingen noch in den Park im ſchönen Mond. Ich erhielt einen Brief von Auguſt.

Sehr ſchwüles Wetter. Es kam ein ſtarkes Gewitter mit beſonders heftigem Regen. Herzog Serra-Capriola von Nea - pel angekommen. Er war natürlich, und unterhaltend von ſeiner Reiſe. Als die Sonne unterging, wurde es ſehr win - dig; zur Nacht kam noch heftigerer Wind. Dieſen Tag machte ich die Bemerkung: daß, wenn man jemand heftig tadelt, alle ſeine Fehler, und ſein ganzes Unrecht eingeſteht; und nach ei - nem ſolchen noch ſo harten Geſtändniß ſagt: ich liebe ihn doch! ſo liebt man ihn wirklich: und er verdient’s, weil er es zuwege bringt. Fängt man aber etwa ſo an: Ich bin doch F. ſehr gut, oder: ich bete doch die M. an, aber das muß ich von ihm ſagen, oder: dieſen Fehler hat ſie: ſo iſt es ausgemacht, daß dieſe Perſon nicht zugiebt, daß man ſie liebt, man mag es verhehlen oder beſchönigen wollen, wie man will; und man hat wieder Recht, nur nicht im Abläugnen gegen ſich ſelbſt. Frau von L. wohnt ſehr hübſch und[] doch mit einer ländlichen Ausſicht: ſie hat ihren alten Vater bei ſich. Mama wohnte nie auf dem Lande: ich wünſchte ſie noch.

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Kaltes windiges Wetter mit Regenſchauer. Gebadet, nicht beſonders befunden. Von unſerm Vorpoſtengefecht gehört. Ich faßte den Gedanken, daß wieder Krieg ſein ſoll, nicht, war ſchrecklich ergriffen und verdutzt. Wir gingen Simſon ſehen in’s Theater. Man gab es nicht ſchlecht. Das Sujet drang tiefer in meine Seele, machte mich reger, als irgend etwas hier in den ganzen neun Tagen. Es war mir lieb. Baden hat von den Bädern, die ich kenne, das beſte Theater: auch der Saal iſt ſchön, das Publikum vornehm.

Gräßliches Wetter. Diner mit Kalenberg, Herzog Serra - Capriola und dem Spanier Labrador, den ſie zu ſehr fètiren. Er iſt wie viele Südländer, wenn ſie etwas geſcheidt ſind: das kennen ſie nicht. Der Andre iſt beſſer und einfacher. Wir fuhren nach St. Helena in einem wahren Sturmwind, ich meinte, es würde ſchneen. Wir trafen ganz Wien in Helena, im Thale war es beſſer. Wir fuhren nach; Gräfin Dietrich - ſtein, Frau von Mink und ich gingen in Johann von Wie - ſelburg, eine komiſche Oper, Jean de Paris traveſtirt. Gut gegeben. Elegantes Publikum. Als wir nach Hauſe kamen, war die Nachricht von Blüchers und Wellingtons Schlacht da. Gottlob, daß es nicht das Gegentheil iſt! Aber wie ſchreck - lich in unwillkürlichen halb gelogenen Zuſtänden, die mir jede Faſer erſchütterten, fühlte ich den ganzen vorigen Krieg. Und vermißte dich ſehr. Marquiſe Prie, Graf Keller, Alle blieben zu Tiſch. Tauſend Beſuche kamen und gingen, die Freude295 zu bringen. Was wird ſie bringen? Ich ſchlief nicht; der Abend war hübſch. Ich aber nicht.

An Varnhagen, in Berlin.

Geſtern, als wir aus dem Helenenthal nach Hauſe kamen, fand ich deinen lieben, liebenden Brief aus Prag vom Don - nerstag. Freitag bin ich hierher gezogen, Freitag warſt du in Töplitz. Du dachteſt bei allem an mich. Ich geſtern, in dem barocken und doch wohnigen Felsthal, mit allen ſeinen Augen - ſpielen, an dich! O! eine ſolche Wohnung, wie es da ganz ſtädtiſch und bequem giebt, in Ruhe und Beſchäftigung, muß eine Seligkeit ſein. Doch bin ich ſehr zufrieden, dies alles hier auf ſo eine heitere bequeme Art zu genießen. Wir gingen gleich nach dem Ankommen in den Götterſtegen umher, wo viele Leute waren, Ziegen klimmten, Hornvieh durch Stein - bäche ſchritt, Dudelſäcke ſpielten, Sängerinnen zu Harfen jo - delten, Griechen umherzogen; dicht am Bach, der die Berge zum Thale trennt, tranken wir in einem Wirthshauſe Kaffee, Ich ſah nur die Gegenſtände. Die Geſellſchaft gut und un - befangen, und ihre ganze Prätenſion nur an das Thal. Die Damen außer ſich, mir die Schönheiten zu zeigen! Frau von Arnſtein noch tauſendmal beſſer, als in der Stadt; auch nicht der entfernteſte Gedanke von Prätenſion an ihre hausgenöſſi - ſchen Gäſte, die die völligſte Freiheit und nur das Gute ge - nießen, was das bequeme Haus mit ſich bringt mit ſeinen296 zahlreichen Dienern und Pferden. Sie wollen hier nichts, als ſich und die Gäſte unterhalten ohne Ängſtlichkeit. Die ſchöne Gebirgspromenade vor der Thür, wo wir auch noch bis zum Souper kommode gemacht im Mond uns er - friſchten. Jettchen, Mariane, Frau von Münk und ich. Frau von Ephraim thut alles Mögliche mir zu Gefallen. Jettchen, Mariane, ſind eben ſo viele Freundinnen. Ich habe Bücher für Alle; es exiſtirt ein Papiertauſch, ein Bonmotstauſch; man erzählt ſich die ernſtern Anliegen, mit Einem Wort, das beſte angenehmſte Vernehmen. Arnſtein ſelbſt iſt munter, artig, und ſehr gut zu leben. Meine zwei Bäder unſchädlich ſei das Rühmen!! haben meinem Huſten ſehr wohlgethan. Ja, Guſte, ich habe große, viel Urſach zufrieden zu ſein. Von ſeinem Gemahl ſolche Liebesbriefe zu bekommen, die einen ſo bewegen, denen man ſo mit der beſten Sehnſucht aus ungetrübtem Herzen danken und erwiedren kann, iſt wohl ein Glück zum Knieen; Knieen, wie Taſſo, der ſie verdient, und doch nur als Gnade ſich die ſeltene Krone aufſetzen läßt. Die Krone, die eigentlich nur erforderliche Bekleidung, nöthige Be - deckung, ja eigentliche Vollendung jedes richtigen geſunden Hauptes ſein müßte, ſein können ſollte, und nicht iſt, ſo ſelten iſt, und ſeltener, als die paar Königskronen! Ich nehme es ganz in mir auf; die Himmelsſendung! So nahm ich auch das Unglück hin; als reines Unglück; ganz geſchmeckt: nicht geheimlicht noch entſtellt, oder verſtellt; oder mit ſchiefer Hel - denkraft. Ich drückt es an mein Herz, in mein Herz; und verzehrte es. Aus der unverſtändlichen Welt, hinaus ſollte es: es brach an meiner Perſon, an meiner Bruſt, ich nahm297 es in das Blut meiner Seele auf: weg iſt es von der Erde, aus der Welt; und mußte noch zum Guten dienen. Gott ich dank dir! für dieſe Erhellung, für dieſe Meinung, nach dem unleidlichen Schmerz, nach dem Verſchmachten beim Ver - ſagen. Ich war wieder unverhofft in dem göttlichen Hele - nenthal. Vera’s reiſen morgen nach Rom er läßt ſich dir empfehlen , die kamen hier Abſchied nehmen, und da ward ihnen dies noch geſchwind gezeigt. Ein ſchöneres ſpazireinge - richtetes Thal ſah ich nie. Es iſt göttlich, mehr als man davon ſagt. Gott wie iſt es ſchön hier, und wie denk ich an dich und die ältſte Schwägerin! Sag es ihr.

An Varnhagen, in Berlin.

Vorvorgeſtern erhielten wir hier die Nachricht des erſten Gefechtes, wo wir, Zieten, zurückgedrängt wurden: ich bin kein Narr mehr, und weiß was das heißt. Wie Adam vom Tod hörte, muß ihm ſo Muthe geweſen ſein, als mir. Ich wußte nicht, daß es Krieg gab, denn ich glaubte, es bliebe Friede; noch. Der ganze vorige Krieg ſtand auf den Beinen in mir auf. Kurz, ich bin geſund, fahre aus, eſſe. Genug von mir Magd, Nichts!!! Vorgeſtern Abend erfuhren wir hier von unſerm Sieg. Damit ihr wiſſet, wie man’s hier weiß, ſchicke ich das Extrablatt: und ſo ſteht’s eben in dem geſtri - gen Beobachter. Noch rühmlicher für die Preußen in der Wiener Zeitung. Alle hier loben uns ſehr. Blücher ſelbſt298 ſchrieb gleich nach der Schlacht, es zittern ihm alle Glieder! Freut ihr euch? Bei dieſer Frage wein ich, Gott! dies wieder! Und die Erſchütterung: der Dank! Ach wie hart waren wir dran. Was[gewinnen] wir? Wo iſt er: was wird er nun beginnen, wen anfallen? Schreibe mir jeder, der’s erfahren kann, ob Williſen lebt. Er war Adjutant bei Hünerbein. Bis hieher ſchrieb ich, als ich zum Bade mußte. Nun iſt alles möglich, nun kann alles kommen: hofft auf alles: ich habe geſchwommen. Das Bad iſt nämlich ein großer Saal voll Waſſer, wo mir das Waſſer über den Kopf geht. Nach uns hatten die Prinzeſſinnen von Kurland ihre Stunde, heute ließen ſie uns um unſere bitten, und es kam ſo, daß wir mit der Herzogin Sagan zuſammen bade - ten. Sie freute ſich ſehr mich wiederzuſehen von vor acht - zehn Jahren in Töplitz, oder ſechszehn, ſie ſchwimmt excel - lent, und ſo redete ſie mir ſo lange zu, bis ich mich von ihr ſchwimmend herumtragen ließ; mit einer großen Blaſe, die einen ſehr angenehm trägt. Es iſt ein großes Vergnügen. Nun wird ſie immer früher kommen: und wir ſchwimmen. Sie iſt ſehr ſchön, und ich amüſire mich ſehr. Auch erfährt man alle Neuigkeiten. Sie wird uns gleich Blüchers Brief ſchicken. Auguſt! wenn das Gentz wüßte! Dies war ſeine größte ter - reur in Prag. Der immer dachte, er müßte mich vor lauter Verläugnen in die Erde ſtecken, vor dem Verſcheiden, bloß wegen Herzogin Sagan.

Heute muß ich die Herzogin allein laſſen; ſie verſprach mir geſtern, früh zu kommen. Es würde mir großes Vergnü -299 gen machen, mit ihr zu baden, weil ich ſie von Kindheit an perſönlich ſehr liebe; und ſie mich ſchwimmen lehrt, welches ein göttliches Vergnügen iſt. Nun kann ich die Bäder nicht ertragen: alſo kann ich das Vergnügen auch nicht haben. (Aber welches andere hab ich!) Dies alles war Datum. Nun kommt von meinem Glück, und Vergnügen! Geſtern erhielt ich deinen erſten Brief aus Berlin. Ich ſchäme mich vor Gott, Auguſt, ſolche Briefe zu bekommen. Es freut ſich unſer Herz, und unſere Seele, wenn wir erkannt, anerkannt, und geliebt werden: aber ſo Großes verdien ich nicht. Wenn du mich recht lieb haſt, ſo habe ich lange mein Theil; du liebſt was du ſchätzeſt, Wahrheit, Natur; Unſchuld im Sehen, Streben, und Meinen; und einige urſprüngliche Gaben; und meine Geſchichte, denn das ſind wir ſelbſt. Aber ſo ſehr, herz geliebter Freund, mußt du mich nicht beſchämen! dich liebt ich in dem Brief, und in dem Lob und Ruhm. Dich. Einen, der ſo etwas in ſeine Seele ſchließen kann, in ſein Herz kann übergehen laſſen, in ſein Daſein aufnehmen kann. Du weißt warum, und wie ich dich liebe, du haſt es mir ſelbſt geſchrie - ben: und beſſer will ich von ſolchen Briefen werden. Ich bin nicht von ſchlechtem Teige; mich bringt ſolch Lob zu mir ſelbſt; führt mich zur Unterſuchung, meines Werthes; und dem, was ich leiſten kann, und macht mich wirklich beſſer, weil es mich aufmerkſam, rege, und fleißig macht: allert in vormaliger Sprache. Ganz über allen Ausdruck freut es mich, daß ich dir nach unſerer Verheirathung güter ſein kann, als vorher. Sonſt konnt ich doch noch vergnügt in dem Ge - danken, mit einem Plane ſein, der mich von dir entfernt ge -300 halten hätte. Jetzt nicht mehr. Zu beſtimmt war unſer Zu - ſammenſein, zu gut das Leben mit einander; zu groß dein Verluſt; und alſo der meinige: zu allgemein und tief und lange unſere Mittheilungen; zu groß die Erlaubniß dazu, und die Sicherheit darin; und der Beſchluß der Seele. Du verſtehſt mich. Ich bin wie verloren: ohne wahre Mitthei - lung; es ſieht keiner die Dinge hier wie wir. Meine Weiber ſind recht gut; aber bei weitem nicht bei mir. Ich höre alle Tage Graf Keller, General *, Fürſt **, und die ganze Welt ſprechen. Die gehen von Punkten aus, wo ich nie hin - komme. Ich kenne alles von zu Hauſe: und regrettire es nicht: regrettire nur, daß dies zu Hauſe iſt. Ich kenne alles aus jenem Kreiſe, von dem du mir ſchreibſt: nur, daß ſie ſich ſo gar nichts aus mir machen, rückt ſich mir immer aus den Seelenaugen. Weil ſie wahrhaft von mir genährt ſind, und ich es ſo gut, als ſie, vergeſſe; und weil eben dann, Äußerungen, aus dieſem Lande, Früchte dieſes Erdreichs, wie von ſelbſt, eine Verſchwendung von Liebe vorausſetzen, wie mit ſich bringen; und ſo täuſch ich mich, glücklich und be - lohnt, meiſt ſelbſt: und wenn ich mich nicht täuſche, ſeh ich’s ein; und da mag der Teufel nicht vergeben. So ſoll es ſein. Was wir ſind, wiſſen wir nicht: wie wir ſind, iſt uns gege - ben; wären wir nicht gut, zum Guten, ſo müßten wir uns ſo machen; die Hölle iſt ganz überflüſſig. Du ſprichſt ſehr ſchön von Menſchen, und Naturſchickſal! bei mir iſt kein Wort verloren. Gehörig empört kann ich auch ſein; das weißt du: beſonders wenn mir die Elendigkeit grade ſchadet, und eine große Rolle ſpielt. Katti habe ich ſeit Wien nicht ge -301 ſehen; das Haus iſt ſo voll, daß ich ſie nur werde kommen laſſen, wenn Arnſteins wieder auf dem Garten wohnen.

Eine Sündfluth von Regen; auch heute bade ich nicht. Geſtern Abend von 8 bis bald 9 ging ich, als nur eine Art Pauſe im Wetter war, mit Frau von Ephraim, und Johann, ſpaziren, wo wir die Berge und weiten Ausſichten in den großartigſten Himmel gehüllt ſahen: Wolken waren es gar nicht mehr; es war wärmlich, und ſah aus, wie ein ferner künftiger Winter, den einem der Sommer zeigt; dunkler, als es die Jahres - und Tageszeit mit ſich bringt, vor lauter Waſ - ſerfülle; denn, dieſe war’s, die geſtern noch in den tauſendfach - grauen Wolken die heutigen Güſſe enthielt. Wir gingen auf den Bergpfaden, die wir mit Bartholdy beſuchten: du weißt, wie weit und ſchön man da ſieht. Wie wünſcht, und ver - mißt ich dich. Ich denke immer, ich gebe dir ab, was ich kann; wenn ich recht an dich denke. Du gönnſt es mir. So bald es der Krieg erlaubt, komme ich nach Frankfurt: ſpiolire Spioliren kommt von Spekuliren und Spioniren nur auf ein Quartiet. Miethe es aber nur nicht! verſchwenderi - ſcher Liebhaber! Wenn wir doch erſt eine fernere Nachricht, einen preußiſchen Bericht hätten, über unſern Verluſt! Ich ſpreche viel mit der S. nicht zu ihrem Schaden. Sie hat es gern; und liebt Wahrheit: iſt aber auf einem Fuß mit ihr, wie ich mit ſchönen großen Thieren. Ich tadle ſie nicht. Sie hat Gutes und Schönes. Adieu.

302

An Varnhagen, in Frankfurt a. M.

Die Sonne ſcheint bald, bald nicht, nach Sündfluthen. Geſtern Abends kam ich mit Auguſten und Frau von M., einem Engländer und Franzoſen und anderer Geſellſchaft von Rauneck, einem hohen Berge mit Ruinen, wo ein eckiger Thurm ſteht, den ich noch obenein durch viele Treppen beſtieg. Göttliches ſah man oben. Ringsum ins Unabſehbare, Hori - zont hinter Horizont; das unglaublichſte Lichterſpiel, von Dunkel und Hell, auf Kornfeldern, der Schwächat, die wie ein Thier das Thal bekroch, und ſich wand, auf Dörfern und Beſitzungen ohne Zahl, auf dunkeln, eigenſinnigen Bergen. Schafe weideten, Holz wurde gefällt in den Bergwäldern, und lag reinlich, todt und duftend da; auch einen Gewitter - ſchlag hörten wir, aus einer zum Platzen verdrießlichen, dun - keln, ſich ſenkenden Wolke. In manchem Thalfleck im Ge - birge war’s ſo ſtill, daß man nichts, und nur Vögel hörte; denn auch wir, all die Nationen, ſchwiegen auch. Es war ein Sonnentag nach langem Regen. Nicht feucht; junges Wetter, herrlich! Ohne dich. Ich empfand es, dacht es im - merwährend. Auch an Marwitz dacht ich: und will immer, wenn ich nur kann, wann ich das Freie ſehe, das er ſo ſehr liebte, ſo ſehr verſtand, ſeinen Namen, zum Zeichen, daß wir ihn miſſen, immer nicht vergeſſen, daß er nicht todt ſein ſoll, aufſchreiben (wieder ein Platzregen), wohin ich nur kann. Ein Moment war unbeſchreiblich; als wir von unſerer303 Ruine ſo ziemlich ins Thal hinabgeſtiegen waren, wo es nicht groß und nicht klein war, ſchien die Sonne nicht mehr; nur auf einer uns gegenüberragenden andern Ruine, die durch Optik ganz im Kreiſe unſers nicht beſchienenen Thales ein - geringt war: es war der Abend ſelbſt. Unſchuldig, verhält - nißlos, unperſönlich, ungekränkt, ohne Forderung, paradieſiſch, ohne Unfall: ganz ſtill athmete er ſelbſt, Glück ein, Glück aus, ohne Zukunft, er war da, befreit, in Glück. Da war’s, wo wir Alle ganz ſchwiegen. Könnt ich Silbenmaß finden, wie ich einſehe, fühle und Worte finde, ſo machte ich hieraus ein bleibendes Gedicht. Als ich nach Hauſe kam, nur in die Hausthür, gab man mir deinen Brief.

An Varnhagen, in Frankfurt a. M.

Es regnet nicht unangenehm. Geſtern war ein holdſeliges Wetter: Mariane ging zum erſtenmal wieder mit uns zu Fuß aus: nach dem Schlößchen, wo wir mit Bartholdy waren, wo Gentz gewohnt hatte. Aber einen Götterweg, einen ande - ren! Das Wetter, die Bäume, der Himmel, die Wolken, alles winkte nur ſo! Ich grüßte es alles wieder. Schnitter waren im Felde. Durch die herrliche Mühle, mit dem Hof und dem Nußbaum gingen wir. Ich dachte an uns. Aber ich war vergnügt, und erheiterte Alle. Der Franzos und Mar - quis Marialva waren mit uns; die Münk, Jettchen, Mariane und ich; morgen reiſt der Marquis, Metternich hat verboten304 Päſſe nach dem Hauptquartier zu geben, er reiſt alſo erſt nach Stuttgart. Nach dieſem Gang und dem Kaffee im Schloßhof, ging ich in den köſtlichſten, geſundheitſtrömendſten Abend, noch einmal denſelben Weg, mit Frau von Münk, und dem Fran - zoſen; beinah bis zur Mühle, wo man durchgeht. Ich dachte an Goethe eilende Bächlein. Er ſieht alles, wie ich. Und was wir für einen großen Stern ſahen! Der Franzoſe ſchnarrte immer, je n’en ai jamais vu de cette taille! Aber richtig! heute regnet’s! Die Atmoſphäre iſt nur regen - ſchwanger gnädig in unſern Landen. Nachher kamen wir et - was ſpät zu Hauſe, wo wir Weiber, außer Marianen, die zu Bette war, mit dem alten Hausfreund, Baron Braun, ſoupir - ten. Eine Art Mann wie Schmidt, der Geheimerath, der al - les von der ganzen öſterreichiſchen Monarchie ſeit vierzig Jahren auswendig weiß. Der erzählte, mir ſehr intereſſant, von ei - nem hypochondriſchen Millionär, der nichts mehr ausgeben will, weil er den Untergang der Welt ſieht, und vor fünfund - zwanzig Jahren er hat drei Fabriken in den Provinzen, wovon jede Einrichtung eine Million und mehr koſtet, und wozu alles auf ſeinen Beſitzungen gemacht wird, bis auf das Eiſen zu den Rädern, bei ihm präparirt und geſchmiedet; der größte Entrepreneur des Landes, und der größte Techniker ꝛc. ich erzähl’s dir! allen Verkehr plötzlich mit Frankreich aufgab, auch nicht einen Sous verlor; er hatte ein großes Vanquierhaus, wie Fries, Geymüller und Arnſtein, welches er ganz aufgab, und die monſtruöſen Fabriken ſchuf. Er lebte größer, als irgend Einer in Wien; und bei ſeiner Einſchrän - kung, und Krankheit, hat er für ſich allein ſechs Pferde,eine305eine Etage in der Weintraube auf dem Hof, Haushofmeiſter, Kammerdiener ꝛc. will aber der Koſten wegen nicht mehr nach Baden. So behandelt er ſich, und deſolirt die Kinder; zwei - undſiebzig Jahr iſt er alt. Und ſagte alles vorher, wie es jetzt kam. Er ſoll außerordentliche Kenntniſſe haben. Iſt aber ſo gemüthskrank, daß er ſterben muß. Sehr intereſſant. Die Erzählung dauerte lange, gab mir aber Licht über das ganze Land und die Hergänge der Hauptſtadt. Ich liebe es ſehr mich durch bloßes Leben in einem Lande darüber unwiderleg - lich zu unterrichten. Ich nahm Theil daran, daß ſie ſo be - fliſſene Menſchen haben, daß es ſo Thätige giebt, daß ſich das fortbringt, trotz jedem Vorurtheil, und eigentlich die Welt ſchiebt. Der Mann iſt geadelt und dann baroniſirt worden; lebte en seigneur, und reichte weit mit ſeinem Thun und Wiſſen. Auch lernte ich, wie große Etabliſſements das Land hat; dachte mir viel, wie es ſein könnte; wie weit prah - leriſche, echauffirte Schlegel und Müller, und andere neumo - diſche Wiegler, in der hohlen Partheilichkeit entfernt ſind, an ſolchen Dingen den herzlichen Antheil zu nehmen, dem allein edleres Wiſſen und derber Willen, zum Wohl der untern Schichten des Volkes, und der Nation geweiht ſein ſollten, damit es geſund von unten herauf, von der Wurzel her, Blüthe und Überfluß, anſtatt des ruppigen Luxus, erhält, an - ſtatt des lumphaften Prahlerlobs! Solches dacht ich; und will es dir gerne mittheilen. Les peuples existent malgré les gouvernements (Mirabeau). Ja, malgré erblüht, was Ein - zelne thun; wenn man ſie nur nicht ſtört durch Verbote! Gott! wenn dereinſt befördert würde!! Für alle VölkerII. 20306gäbe die ſchwere, dunkle, geduldige Erde Fülle her; ſie brauch - ten nicht zu kriegen, nicht zu lügen, und die Proklamationen zur Rechtfertigung! Und dann dacht ich des Mannes Schick - ſal! der grade durch Wiſſen gemüthskrank iſt! Wie alles iſt. Nicht für uns.

An Varnhagen, in Frankfurt a. M.

Als ich Dienstag von Hitzing zurück kam, fand ich deinen Liebesbrief vom 26. Juni. Ich danke dir mit allem, was ich bin: und wie ich es von dir erkenne, und aufnehme. Ich glaube es dir auch, Auguſt. Dein Miſſen, und alles. Sie ſind Alle nicht wahr. Ich ſehe es. Es muß viel Geiſt dazu gehören. Ich glaub es. Und eine große, ſpontanée Göttergabe. Ebenmaß, wahre Schönheit in den Seelenglie - dern. Drum nennſt du mich ſchön. Ich bin nicht ſtolz: aber vergnügt und demüthig: wenn mich nun Gott nicht ſo gemacht hätte! Aber Fleiß, unverdroſſene Mühe, und Härte gegen ſich ſelbſt, gehört auch dazu. Wie fade aber auch, wie nicht zum Ertragen, ſich ſelbſt vorzulügen und zu ſpieglen, und nicht zu wiſſen und zu wollen, was man begehrt!

Ich bin ſehr damit zufrieden, daß du nur gegen Chamiſſo und Koreff ſprichſt, und wie ſo das geſchieht. Es iſt eine Kunſt; eine Kunſt, ein könnendes Vermögen, zu wiſſen, wo man ſprechen ſoll und muß, und kann: wo es hilft. Ich be - ſitze dieſe Kunſt; und leide, wenn ich darin pfuſchen ſehe:307 grade wie es Künſte mit ſich bringen. Entferne dich aber nicht etwa gefliſſen, oder bequem, von den Andern. Iſt kein guter Einfluß da, ſo iſt gleich Platz für ſchlechten: und dann, iſt Vergeſſen ſo bequem, ſo negativ; das thun ſie ſo leicht. Da die wenigſten Menſchen das Gedächtniß im Gemüthe haben, oder vielmehr die meiſten nur ein ganz auf ihre äußere Per - ſönlichkeit gerichtetes Gemüthe. Mariane O. amüſirt mich, grüße ſie ſehr, und mache ihr ſehr die Kour: es iſt ein kluges Mädchen, die nicht affektirt. Der Mutter tauſend Grüße. Ich danke für Dorens und Johanns Grüße! Du biſt lieb! Grüße ja Prediger Stegemann, Nolte, Hitzig, alle wieder: und wenn du einen Moment haſt, gehe zur Predigerin Lebrun, der Ehrenfrau! Meine Pathe. Die Köchin Hanne! ſie iſt Mama’s Köchin; grüße ſie auch. Schuſter Schmidt iſt recht ſchlecht, daß er die Schuhe zu ſpät ſchickte, denn ſein iſt doch wohl die Schuld! Der heftigſte Regen den ganzen Tag. Ich komme eben von oben, wo ich eine Stunde in dem mittelſten Eßſaal zur Motion mit offenem Balkon neben dem Salon, wo die Andern waren, auf - und abgegangen bin. Und dachte mir viel! auf dem Rücken der Stube, ohne Hexa - meter und Pentameter. Heute bei dem Regen ſind mir die Nerven ganz abgewirbelt: wie Klavierſaiten, die untereinan - derſchwirren. Was iſt denn das für Wetter? Soll[Korrinth] untergehen?? Adieu, Liebſter Guter. Ich vermiſſe ſehr, heute bei dem böſen Wetter und den eingenommenen Augen, nahr - hafte Geſpräche. Heute brachte ich ein artiges Müllertöch - terchen von fünf Jahren mit nach Hauſe; die Katti ſo ähn -20 *308lich ſieht, daß Dore wirklich meinte, ich bringe ſie. Ein Göt - terbalg!

Ich leſe keine Zeitung mehr: die großen Neuigkeiten er - fahr ich doch: die Geſinnungen kenn ich! Eine Mühle, die klappert, iſt mir lieber.

Ich bin aber nicht unwohl, und viel geſünder als in Wien. Sehr luſtig; und die Unterhaltung des ganzen Hau - ſes und all ſeiner Gäſte, in deren Gegenwart es nur möglich iſt mit der Sprache zu präludiren! Mein ganzes Thun, Daſein und Äußern amüſirt ununterbrochen, bis zum Lachen und Denken. Und das bloß, weil ich wahrhaft, und ſelbſt - meinend bin. Das geht bis auf meine Gebärden. Ich bin die Einzige, die da meint. Auch hab ich vorgeſtern, bei nicht leerem Gaſtzimmer, laut die franzöſiſche Nation vertheidigen dürfen, mit dem größten Erfolg: die Grafen waren ganz zu - frieden: und lächelten der Neuheit, die ſie ſich nicht ſelbſt aus - zudenken brauchten; unſere flammende Wirthin ſagte, als ich ſchwieg, beifallsvoll: Reden Sie immerweg! wir wollen Alle lieber zuhören und ſchweigen! Mir wieder ein Beweis, mit welchem Erfolg Männer im Amt, reden und handlen kön - nen, wenn ſie rechtſchaffen genug ſind, und beſonders eine Meinung haben: die am meiſten fehlt. Ich ſprach wider die eines jeden in dem Saal. Aber durch keine Perſönlichkeit noch Eitelkeit bewogen: die Sache wie ſie iſt, war für mich; un - widerlegbar; und ich opferte ſogar das Wohlgefallen an dem, was ich vortragen und behaupten konnte, entſchloſſen denen auf, für die ich ſprechen wollte. Sie hatten nämlich Alle in309 bequemen, feigen, hergebrachten Reden wieder Einmal, ohne den geringſten Antrieb des Augenblicks, noch irgend einer Gei - ſteswendung, die Franzoſen geſchimpft nach gewonnener Schlacht! , die armen Bauern als Kanaillen behandelt, weil ſie ſich gegen ihren Feind wehren. Da erklärte ich Ihnen, daß die arme Landleute nur ſehr natürlich gehandelt hätten, und daß, wenn es unſere wären, wir ſie brav nennten und aufmunterten: ich zeigte ihnen, daß dieſe Leute weder Antheil an Napoleon noch an Ludwig XVIII. nähmen, noch nehmen könnten, bloß für ihren Hof beſorgt wären, den vertheidigten, und den Feind, den verzehrenden, fürchteten. Ich erließ ihnen noch die Demonſtration, warum dieſe Klaſſe nicht national ſein könnte: wie ſie nur den Druck, die Laſt, die Arbeit für das bischen Crême Menſchen hat, die in Ambition nicht Ehrgeiz und Genuß wühlen und ſchwelgen, und für welche allein nur noch die Landesgeſetze geſchaffen ſind und leben. Aber ich erinnerte ſie daran, wie wir Alle, die einzelnen Völ - ker Deutſchlands mit jenen fochten; alſo alle, aus dieſem Ge - ſichtspunkt genommen, ſelbſt gefehlt hätten, alſo auch begreifen müßten, wie es bei ihnen zuginge. Vorher waren Alle anderer Meinung; als ich nur gewagt hatte es auszuſprechen, ihre eigenen Widerſacher, mit Lachen und Beifall; und Schwei - gen! Aber um ſo etwas zu wagen, muß man den Au - genblick ſehr kennen; den Rand mit dem Geiſte ſehen, an wel - chem die gelangweilten Gemüther ſtehen; und keines perſönli - chen Intereſſe’s, nicht einmal der Rechthaberei beſchuldigt werden können. O! warum bin ich kein Menſch in Amt! keine Fürſtin! (Du haſt Recht über mich; darin.) So wahr310 Gott lebt! ich wirkte gut: ich ſehe es. Alſo ich bin wohl - gelitten im ganzen Hauſe, Nun deinen Brief. Es freut mich unendlich, mein geliebter Freund, daß dir mein Thun und Schaffen auch gefällig und wohlthätig iſt: daß ich dir bequem bin, und im kleinen Leben helfe: daß ich dir bei den Reiſeanſtalten der Unſrigen einfiel. Ja, ich weiß, was ich will; die Gottesgabe hab ich; denk dir, was ich alſo litt, immer nicht zu können bei dieſem hellen Willen: und bei dunklem, trüben, ſchadenden, die Macht und Fülle zur Seite zu ſehen: überdummt und überſchrieen und überhandelt zu werden! zum ſichtlichen Schaden Aller. Alle Schuld rächt ſich auf Erden, das war hier meine Hölle. In den Angelegenheiten der Weltregierung, und den Kämpfen der Menſchheit denk ich wie du: und traue dir ſehr viel. Nach deinen Briefen ſoll ſich mein Thun und Kommen richten. Auch Einen Wunſch hab ich mit dir: bei dir zu ſein. Mich hungert noch bei al - lem andern nach Mittheilung, Leſen und männlichen Geſprä - chen, Ich freue mich deiner Meinung über unſere Zukunft! bin aber immer noch nicht in Berlin verliebt. Wegen der armen Provinz und Gegend. Die Sonnenuntergänge ſind bei uns ſchöner; und vieles, Ach! ich kenne alles Gute: das Land iſt ja mein Bruder: und nur, wie ich mich haſſe, haſſe ich es! Was du mir von Beyme ſchreibſt, nährt recht mein Herz! Daß es ſolchen Mann giebt, iſt ſchon eine Freude; daß der unſer Landsmann, wieder; und daß er ſchon ein ſol - ches Amt im Lande beſeſſen, daß man ihn doch auch ferner gebrauchen wird! Und daß er gut von dir denkt, und dir wohlwill. Hätteſt du ihm ſagen können, wie eingenommen311 ich von ihm bin. Troxler iſt zu beſcheiden; das ſagten wir längſt: drum macht er zu viel Weſen aus mir: meins, wie es iſt, iſt nicht ſchlecht: aber er muß mich nicht beſchämen. Nun! ich bin gewiß für ihn: ich fiſchte ihn ja gleich aus der Rezenſion vor acht, neun Jahren, und er iſt ein lieber Menſch. Bleibt er nicht in unſrem Land? Die Männer, die ihn ehren, müſſen ihn gar nicht weglaſſen. Wir werden ſchon wieder mit einander ſprechen. Ich bin ſehr ſtolz und vergnügt, daß er mir gut iſt; und freue mich, wie es dich freut. Zum Glück kann ich kein Narr werden, ſonſt würd ich’s von deiner Liebe. Beſte Guſte! Die Anſicht ſeines Magnetismus kenne ich von ihm; geiſtreich iſt er immer.

Man weiß nicht wo ruhen mit ſeinen Gedanken. Wenigſtens ich möchte ſehr gern nach Arkadien! Es begegnet einem auch nichts Beſtimmtes, Schönes, Deutliches, Thätiges, Erhebendes, Reſtaurirendes irgend einer Art. Hörtet ihr nun dabei all die hundert Arten von ſchein-agirenden Menſchen ſprechen! Wie ſie Alle nicht mehr wiſſen und hervorbrin - gen als ich; und es eine komplete Luftbläschen-Agitation iſt, wie in einem Gefäße, wo Champagner brauſet; und man ſieht, es wird überſtrömen, obgleich es Bläschen ſind.

An Varnhagen, in Paris.

Bei ſchöner Hitze vor dem Bade, nach einer göttlichen Mondſcheinnacht, die wir bis 12 Uhr im Park und auf dem312 Anfang der Berge genoſſen; welches mich ſehr ſtärkte, wie beſonders jetzt wieder die Nachtluft. Obgleich dein Brief lange ging, und nur aus Deutſchland iſt, beruhigt er mich doch ſehr, weil ich nun glaube, ihr ſeid vorbereitet, und wer - det behutſam ſein; und die Dinge ſich immer ändern und wenden; und beſonders nicht ſo ſind, als man zu befürchten nöthig hat. Ich denk in allem wie du. Und mache meine alten Fragen an uns Alliirte. Wie freut es meine Seele! doch eigentlich (du weißt es) mit Goethe’n gleich zu denken und zu fühlen, über unſere Geſchichten und ihre Helden: nicht umſonſt, denn nicht ohne Grund empfand ich Welt und Licht, die Natur eigentliche Geſchichte wie er. Ich bin nicht vermeſſen; wenn ich mich auch vergleiche. So wie ich es ſage, find ich es wahr; und dann kann ich’s auch ſagen: und ſo ſehe ich auch die Menſchen an, auf die man merkt. Ja, es geht ſo weit, daß, hätte man mir die ganze Zeit das Gegentheil von Goethe berichtet, ich wäre eben ſo gewiß in meiner Seele geweſen, daß er’s ſo nimmt, wie man es jetzt ſo eilig, patriotiſch, kleingeſehen, feig und ſelbſtiſch tadelt. Den Egmont ſchreibt man nicht von unge - fähr, und ändert ſich nachher. Wie die Andern, die nichts geſchrieben haben, in ihren oft dicken Büchern: nichts was ſie wirklich wären! die immer einem Zeitalter nach, aber nie vor ſprechen. Geſchichte ſieht man, konſtruirt ſie ſelbſt: die geiſtige Entwickelung der Völker iſt ihre Geſchichte: und die bringen Sterbliche, wie Goethe, hervor, indem ſie ſie ſehen, verkündigen, prophezeihen, auch rückwärts, wie Frie - drich Schlegel in der guten Zeit wußte, und ſie ſind es, die313 ihr Volk umbilden. Aber aus eben dieſen Urſachen murrt immer das Rohe im Volke gegen ihre Moſes, Sokrates, Goethe’n! Wie freut es mich, daß du auch ſchweigen willſt, nicht mehr reden kannſt! Wahrſtes Zeichen der Reife. Was man alsdann Einmal ſagt, wirkt und nährt; auch wie reife, ſüßſaftige Früchte, die zwiſchen Blüthe und Reife auch ſchweigen; in Säure und Härte. Goethe hat den Leopolds - orden bekommen. Wie freut das meine Seele! Daß Weis - heit, innere große Gaben gekrönt werden, Meiſtergelingen der Natur; daß man Wirken in unſerm Vaterlande erkennt, und nicht auf eine That wartet. Er dankt ihn wohl der Kaiſerin; ſeiner Helden-Eſte Enkel! Heil ihnen noch jetzt! den geiſt - reichen, edlen Fürſten! Sie und Goethe machen es wahr, was er im Taſſo ſagt, von der Schwelle, die ein Edler be - tritt! So ſchließt ſich Gutes an Gutes, und ſo mag es zur höchſten Glorie in Ewigkeit gedeihen! und ein jeder Lebendige, wie jetzt Goethe, ſchon bei ſeinem Leben den Lohn genießen! In ſolchen Dingen möge ſich Öſterreich und Preußen be - neiden! dann ſtrahlen ſie beide hell neben einander. Dann! ſind ſie von Natur Eins. Wie ſollten wir auch nicht ehrlich mit einander ſein! Wir können ja! Es iſt eine Kunſt. Nach unſerer Definition. Gott! wie lügen die An - dern! ſo ſehr, daß ſie ein Klump Lügen ſind, den man mit dem Fuß auseinander ſtoßen kann. (Jetzt ſehe ich’s wie - der recht.) Aus ekelhaftem Stolz, aus ſtupider Dummheit: weil ſie Beſſeres wären, wenn ſie ihrem wahren Begehren lebten, dies und ihr eigentliches Vermögen gebrauchten und zeigten. Strafwürdige, gar nicht zu beachtende Kanaillen, die314 Andre zu tadeln ſich in ſtupider Frechheit erkühnen. Mit ſündhafter, karger Sittlichkeit, auswendig gelernter, der ſelbſt ſie noch in jedem Augenblick untreu ſind. Echtes Krob! Mir thut keiner nichts; glaube es nicht: aber ſie ſich, und einer dem andern; und die verfaulte fleißige Ekellüge! Solche zuſammen, tadeln Goethe, wollen Solches richten. Verſte - hen nicht, was ſein letzter Pöbel, nur zum Beiſpiel, im Egmont ſagt. Lumpen; deren kahlen, ſchuldigen Scheitel die Sonne, die hohe, große, in andern Geſchäften be - ſcheint ! Mündlich gebe ich dir Belege für meine Empörung; was ſie alles ſagen, thun, erzählen: in dem Wahn, ich ſoll es bewundern!!!

Immer daſſelbe, oder immer etwas anderes lieben, heißt beſtändig lieben. Nichts lieben können, iſt unbeſtändig ſein.

An Varnhagen, in Paris.

Nein, Auguſt, welches Glück! Ich kann auch nicht zu Bette gehen, ohne es dir zu melden: wie weinte und bangte meine Seele ſchon, daß du es nicht mitgenoſſeſt. Geſtern, in einem Brief, den ich dem Chevalier Capadoce-Pereira mitgab, und den du ſpäteſtens Mittwoch erhältſt, referirte ich dir doch315 unſern ganzen Aufenthalt hier; heute Nacht ſind die Jetten weg, ich in einem angenehmen und angenehm gelegenen Quar - tier, in einem niedrigen Hauſe, meine Wohnſtube nach der Allee, wo das Komödienhaus ſteht, mein Schlafzimmer nach einer andern Straße, das Haus hat keinen Hof. Vallentins im Schwan, grade gegen meinem Schlafzimmer über: bei ihnen ich, ſehr gut, und bequem: ſchlief zu Hauſe, und fuhr um 5 in dem Götterort, in der Anmuthsgegend, mit ihnen aus; als ich hinab kam, ſaß noch ein Herr im Wagen; ich glaube Weiland ſtellten ſie ihn mir vor; ein Klavierſpieler, der alles lieſt, weiß, gereiſt iſt; kurz, ein gebildeter, neumodiſcher Menſch, der ſo viel weiß, daß es leicht an Narre gränzen kann; ſehr dem Prinzen ähnlich mit den ausgeſtochenen Augen, deſſen Namen wir nicht erfahren konnten. Ein Jude; dem man’s nicht anmerkt. Er ſpricht ſehr gut. Wir fahren zu einem herrlichen Thore hinaus, an einem herrlichen Kai am Main vorbei, an kultivirten Gärten in der wohlhabenden Gegend, durch Weingefilde, im köſtlichſten geſündeſten Wetter (wie es in zwanzig Jahren nicht war), nach einem Forſthauſe, wo man Kaffee nimmt; dort gehen wir im Walde ſpaziren; wir treten endlich aus dem Wald, ſehen eine weite ſchöne Wieſe, am Ende ein hellbeſchienen Dorf. Der Herr fragt, ob wir das ſehen wollen. Ich ſage, die Sonne ſei zu ſtark, lie - ber ſpäter; er ſagt, es iſt Niederrad, das Dorf, wovon Goethe ſo viel ſchreibt, wo er immer mit ſeinen jungen Freunden hin - ging. Dann wollen wir durch die Sonne, ſag ich: und Schauder grieſelt mir über die Backen. Getroſt, fröhlich, ja zerſtreut im Geſpräch, gehen wir hin; es hat Straßen, wie316 die öſterreichiſchen Dörfer; ich tadle das; wenig Menſchen gehen hin und wieder: ein niedriger halber Wagen, mit einem Bedienten, fährt den langſamſten Schritt; ein Herr fährt vom Bock, drei Damen in Trauer ſitzen drin, ich ſehe in den Wa - gen, und ſehe Goethen. Der Schreck, die Freude machen mich zum Wilden: ich ſchrei mit der größten Kraft und Eile: Da iſt Goethe! Goethe lacht, die Damen lachen: ich aber packe die Vallentin, und wir rennen dem Wagen voraus, und kehren um, und ſehen ihn noch Einmal; er lächelte ſehr wohl - gefällig, beſchaute uns ſehr, und hielt ſich Kräuter vor der Naſe, mit denen er das Geſicht fächelte, das Lächeln und das Wohlwollen uns, aber beſonders ſeiner Geſellſchaft, die eigent - lich kikerte, zu verbergen. Der Wagen hält in ſeiner Lang - ſamkeit endlich ganz, der Herr vom Bock wendet ſich, und ſagt: Das iſt der Schwan! Nämlich, das Wirthshaus, von welchem Goethe ſchreibt, dort immer eingekehrt zu ſein. Alſo auch Goethe ging heute in ſeine Jugend wallfahrten, und ich, deine Rahel, trifft ihn, macht ihm eine Art Scene; greift ein in ſein Leben! Dies iſt mir ja lieber, als alles Vorſtellen, alles Kennenlernen. Als ich ihn das zweitemal ſehen wollte, ſah ich ihn nicht, ich war ſo roth wie Scharlach, und auch blaß, ich hatte den Muth nicht. Und als er vorbei war, am Ende der Straße durch ein Fabrikgebäude und eine Pappel - allee entlang aus dem Dorfe fuhr, zitterten mir Kniee und Glieder mehr als eine halbe Stunde. Und laut, und wie ra - ſend, dankte ich Gott in ſeine Abendſonne laut hinein. Auch die Andern konnten ihr Glück nicht faſſen! ſie hätten es gar nicht gewußt; Vallentin ſagte, er ſei der Büſte ungeheuer317 ähnlich; ſie iſt ganz beglückt. Und noch Einmal müſſen wir Gott danken und hoffen: er hat ſich in den zwanzig Jah - ren gar nicht verändert, ganz wie ich ihn ſah; und ſehr vergnügt beobachtete er uns. Ich ſchrie ſo ſehr, aus Eile, die Andern ſollten ihn auch ſehen, und weil man’s gar nicht erwarten konnte! Ein Wagen, und das iſt er. Den Mainherrn nennen wir ihn: er iſt Herr hier. Das erfand ich gleich. Gott, Auguſt! ich bin ſo agitirt: wärſt du hier! (Jetzt wein ich.) In dieſem Mond, heute! Wer gönnt es mir wie du? Meine lieben Augen ſahen ihn: ich liebe ſie! Geheimerath Willemer’s Familie waren die, welche mit Goethen fuhren.

Leſet in Goethe’s Leben, erſter Band, von Seite 427 bis herab Seite 437. Und wenn ihr ſie in’s Auge faſſet, wird die goldene Weisheit euch verblenden, verſtarren in Bewun - derung! Er ſchildert ganz die heutigen Erſcheinungen in Wien, Paris und allerwärts, die neuere Begleitung und Folge des Kriegführens; hebt durch den bloßen Blick, mit Worten, ein ſolches Stück Geſchichte aus dem Zeitenfluſſe, daß es ſich wiederholen muß, wie vor wahren Propheten! Den Gährungsprozeß des Abgeſtorbenen, welches man in guter und ſchlechter Meinung erhalten will, mit der ſich neu erzeugenden Miſchung; wie das dumm, lächerlich und trau - rig wirkt, weil, der Maſſe nach, zu wenig Bewußtſein, als Sonne, es reinigt, bildet und geſtaltet. Auch ich dachte da - durch, und in welcher Zeit, in welchem Ort ich das Buch318 leſe, viel nach. Und ſehe in allem, was Menſchen wirklich mitzubereiten im Stande ſind, nur das Eine: daß Weniges in der Natur gelingt, und ſich nach ihrer wahren Abſicht aus - bildet; ſo auch in des Menſchen Natur; Alle ſollten ſelbſt - ſtändig und ſelbſtdenkend, daher ſehend und erfindend, ſein, das iſt ihr natürlicher Zuſtand. Aber der iſt ſo verweſet und verwirrt, daß die, welche naturgemäß ſind, Ausnahmen machen, und Genies ſein müſſen, oder genannt werden, und alle Andern in trübem Daſein denen alles auf eine Weile nachmachen; immer wenn es ſchon unzeitig iſt, alſo verkehrt. Das geht auch wieder ganz deutlich aus Goethe’s Buch her - vor; dies nennt man beſtändig fort die alte und die neue Zeit: es wäre immer eine neue, wenn man nicht faul, dumm, albern, dünkelhaft-ſtolz übertragen wollte: denn in der gan - zen Weltgeſchichte wirkten und ſahen nur, die groß, die friſch wirkten und ſahen, und belebt: und die belebten.

An Varnhagen, in Paris.

Es war den Sonntag natürlich die Rede von Goethe, und da erbot ſich dann Otterſtedt wieder, er wolle hin, und ihn ſchaffen; welches ich verbat; er ſollte ihn nur wiſſen laſ - ſen, wer es war, der ihm in Niederrad nachſchrie. Frau von Schloſſer meinte, ich ſolle nur grade mit Otterſtedts zum Kom - merzienrath der ein preußiſcher iſt Willemer hinfahren, und dort die Damen beſuchen! Das fehlte mir! Das alles319 mißfällt mir: Goethe muß ich anders, natürlich, ſehen: wie alles. Du weißt, im Leben hab ich noch keine Bekanntſchaft geſucht, als eine, der mehr an mir, als mir an ihr liegen mußte. Man ſteht ſonſt zu dumm da; was ſollt ich Goethen ſagen. Wenn er ſich’s erinnert, weiß er wie ich ihn liebe; oder auch nicht: denn dies grade weiß er nicht. Povero vec - chio! rief Einmal über das andere neulich, in den einfältigen Stücken, eine Italiänerin neben mir aus, die nicht ein Wort deutſch verſtand, und der ihr Gemahl, ein ruſſiſcher General, alles in’s Ohr überſetzte; povero vecchio! wie ein Wucherer ein ſchönes junges Mädchen nicht bekam, und bekommen ſollte, Er ſah ihr ſo mitleidig aus. Bedauerlich! wollte ich jetzt auf Goethe ſagen: das heißt poveretto. Dies fehlt ihm; den Genuß ſchenkten ihm die Götter nicht; den refüſirte das Schickſal. Ich habe Unendliches von ihm gehabt. Er nicht mich. Und ſo laſſ ich es denn! Getroſt. Mich dünkt ſo - gar, es muß Wichtiges im Leben zurückbleiben, Wichtigſtes, worauf wir einen größten Werth ſetzen; mich dünkt es ſo, wenn das Leben ſelbſt ſehr wichtig, oder vielmehr wir uns ſo bleiben ſollen. So hab ich es kennen lernen, und erlernt; dazu hab ich Kraft: im Gegentheil bin ich ganz ignorant, und verſtehe es wahrlich nicht; die größten Menſchen ſind gewiß die, welche im Vollgelingen des Glückes ergründen, ſich ausbilden, und Kräfte bekommen: ſolcher bin ich nicht, und ſolche Starke kenne ich auch nicht: auf ſolches warte ich nicht, aber ſolche möchte ich noch kennen: ſonſt acht ich keinen Mann mehr! wie Schillers Eliſabeth, ziemlich dumm und unverſtändlich, zu Poſa ſagt. Ihre Gaben, ihren Her -320 zenskern, liebe und ſchätze ich noch: aber einen ganzen Men - ſchen bewundere ich nicht mehr. Im Ganzen ſind ſie nicht beſſer, als ich. Marwitz war der letzte, den ich über mich ſtellte; mit Thränen hat er’s gebüßt; und ſteinern fand mich dieſer Engel; der aber nicht mehr war, als ich! Verſtehſt du mich? Nun will ich dir aber in allen Dingen aus meinem Herzen keine Mördergrube machen, wie der ſelige Möllendorf zu ſagen pflegte. Auch über Gegend will ich dir wahr ſprechen (ſchöne Weintrauben! ſteckt ich ſie dir in den Mund! Ich gönne mir nichts allein, es freut mich nicht) ſchon das letztemal, und auch vorletztemal in Töplitz, fand ich, ein ſchönes, reizendes Thal wird mit der Zeit fade, durch ſeine beſtimmten Geſichtspunkte, als ein Berg, oder dergleichen Hauptpunkte, wenn nicht auch eine öde, unendliche, wüſte, weite, ernſte Seite zum Ausweg des beſchränktern Daſeins da - bei gelaſſen iſt; ſo fand ich’s in Baden, und hier. Und ſo ängſtlich das ärmliche Sandthal bei uns durch den Gedanken wird, daß man ohne unendliches Fahren zu nichts Wohlha - bendem, Freundlichen kommt, ſo iſt doch die großartige Seite befriedigt, und affadirt fühlt man ſich nie. Dies, was ich hier nur ſkizzirt und ſchlecht ausdrücke, aber beſtimmt immer gefühlt habe, hat gewiß auf uns Brandenburger und Berliner gewirkt, und längſt ſchon behauptete ich, keine Provinz habe weniger Narren.

Zu Schl. ’s geh ich nicht mehr; die wiſſen auch, mei - ner großen Beſcheidenheit wegen nicht, was ſie mir ſchuldig ſind: ſie treffen O., der ſie nie beſucht hatte, und deſſen Frau ihr Geſicht ſie nicht kennen, zufällig bei mir: ich amalgamireſie,321ſie, wie immer: er ſpricht von ſie beſuchen; ſie laden O. ’s zum Diner, und nicht mich. Wie erwünſcht mir das Zuhauſe - ſpeiſen, und das Auslaſſen, weißt du, die Grobheit iſt aber dieſelbe. Nie auch wär ich hingegangen, hätten die Frau von Schlegel und Pilat mich nicht ſo ſehr dazu ermuntert; und hätte ich nicht gehört, daß dieſe Familie Goethens Schl. ’s ſind. Da ich nun ohnehin die Reiſe vorhabe, ſo ermuthigt mich das nicht, zu Frau von Jordis Schweſter zu gehen, deren Haus freilich aus ganz andern Leuten beſtehen mag. Ich wiederhole es; man muß nur die ſuchen, die einen nöthig ha - ben: und ſo that ich immer. Ich bin nicht eine Treiberin meiner ſelbſt, obgleich ich viel getrieben habe.

Es iſt mir unmöglich, dir jetzt anders zu ſchreiben, obgleich ſeit geſtern die zärtlichſten, ergiebigſten, hingebendſten und weichſten Töne in meiner Seele für dich geherrſcht, gelebt, und auch gewirkt haben: aber dieſen Morgen grade kam ich in den genannten Zuſtand, und jetzt hab ich ſehr geweint, ſeit langer Zeit. Auch ich habe mit dem Schickſal gerechnet. Wovon ich ſeit Kindheit an mit hoffnungsloſen Ohren hörte, eine Rheinreiſe, wird mir nun ſo geboten. Frankreich, wel - ches mein Augenmerk für meinen ganzen Geiſt, Eitelkeit und Spannung aller Art war, hab ich ſchon Einmal in Ver - zweiflung beſucht, nach F. ’s Verrath, und von meiner dum - men Familie, wegen zwanzig Louisd’or weniger oder mehr die mir zukamen gemartert, ſo, daß ich gerne, und früh wieder wegeilte; und nur meine Kräfte und mein Weſen mich Genuß finden ließen! Wien, mein Augenmerk und meine Luſt, ſah ich nie, ſo lange meine muntern Freunde, die großenII. 21322Sänger und Mozart und die gute Muſik dort waren, und Luxus und Diplomatie, die mir damals gefielen, und als Gentz mich unaufhörlich lud. Gott behüte mich für Italien! Ich freue mich auf gar nichts, als wie ich mich mit dem Kopf an deine Bruſt lehnen werde und dich anſehen werde, und die Reiſe werde überſtanden haben; und vielleicht geht auch die beſſer als ich denke; bis Aachen gewiß! Ich traue deinen Berichten; das ſiehſt du, denn ich komme: in beiden Kriegen waren deine Nachrichten und Anſichten immer die richtig ein - treffenden. Halte dir nur Remi zur Hand, daß ich ihn finde: ein deutſcher Klumpen hilft mir dort wenig. Du ſiehſt, ich ſchreibe mir das Herz leichter. Kannſt du mich auch leiden? Spare dir nur nicht alles ab! Ich danke dir für deine Sorg - falt. Das Meiſte wird der Wagen koſten; ich kenne Faubourg St. Germain, am Ende der Erde, von allem weit. Wird man denn lange da ſitzen? Und mitten im Winter reiſen? In den kurzen Tagen, Schnee, Glatteis, Kälte? Alles nun wie Gott will!

Nicht wahr, lieber Auguſt? es iſt unangenehm, einen Brief ſo lange vor ſich zu haben, ehe er abgeht. Aber ein früheres Abſchicken hätte nicht viel genützt, vielleicht hätteſt du da - durch den Brief um einen Tag früher erhalten, aber nicht ſo Spätgeſchriebenes. Darum geb ich ihn auch morgen nicht der Mad. N. mit, die hier durchreiſt, und zu der ich geſtern gleich ging, um zu hören, ob es ginge, mit ihr zuſammen zu reiſen. Sie geht aber des Nachts, läßt hier den Wagen flik -323 ken, eilt, ſagt, man eile ſie, will im Wirthshauſe einen Lohnbedienten zum Begleiten miethen; ſo wenig Begriff hat ſie vom Reiſen; alſo konnt ich mit der, ſo erbötig ich’s wollte, nicht reiſen. Die Miniſterin Bülow kommt aber heute hier durch, und nun will ich Einmal ſehen, ob ich mit meinem Wagen mich bei der anſchließen kann. Als ich zur N. hin - ein trat, fand ich O. dort, und einen Herrn, von dem ich nicht wußte, ob ich ihn für einen Juden oder einen *** neh - men ſollte. Ich blieb mit Bedacht, bis die Herrn weg wären, weil ich wiſſen wollte, wer der Jude war. Denn als ich O., weil der Herr zu impertinent war, gefragt hatte: Wer iſt der Herr? und mir der mit viertellauter Emphaſe geantwor - tet hatte: ein ſehr vornehmer Kaufmann, erfuhr ich doch nicht, wer es iſt. Dieſer Kaufmann, mit einem hübſchen gel - ben, konvulſiviſchen Geſichte, war ganz wie *** s, von allem was vorging bis zu Nervenanfällen ennuyirt, daß es ihn nicht betraf, und nichts Höllen - oder Himmelartiges war; und ſo degoutirt von den Perſonen, und daß er ſich doch mit ihnen abgeben mußte, daß er lieber ſo viel grob wurde, als es an - ging; ſie ſo mißhandelte, daß er ſich wenigſtens in ſeinem Ge - wiſſen ſagen konnte, wenn ſie nur Menſchenverſtand hätten, müßten ſie beleidigt ſein; und doch ſolch Bedürfniß von menſch - licher Mittheilung in ſich, Talent zum Scherz, und Eitelkeit, daß er das Ganze auf der Kippe von Scherz für ſich und die Andern hielt. Dabei ein air-marquis et peigné, wie die Geſchwiſter nicht: denn als ich der N. ſage, der Herr ſieht aus wie ein ***, ſagte ſie: es iſt ein ***. Das Ganze drehte ſich um der N. ihre Reiſeroute, und den zu nehmenden Be -21 *324dienten, wozu jener als empfohlener Rathgeber daſtand, es aber gar nicht beſprechen mochte, und immer lachend ober - flächlich verſichernd abſprach, es ſei kein Bedenken, es gäbe kein Stehlen, man habe nichts Wichtiges mit ſich, es ſei nichts zu beſorgen für einen Begleiter und von einem Begleiter: dies alles in der beleidigendſten Verachtung, und nicht enthaltenem Lachen, und höchſter Langenweile.

Auch nun möchte ich ſchon fort! Aber allein, mit den deutſchen Domeſtiken, die noch weniger vom Gelde u. a. ver - ſtehen, als ich, mag ich nicht. Die mindeſte Unpäßlichkeit, und es kann kein Menſch mehr ſprechen. Ich werde ſchon kommen.

Mit den freien Städten wird es nun auch immer deut - licher; das Ganze iſt wie eine Familie, die häuslich und glücklich lebt; das iſt gut für ſie, läßt aber keinen großen Verkehr, oder vielmehr keinen großartigen, bezugreichen zu, noch irgend eine ſolche exempelgebende Anſtalt, die um ſich griffe, weit und allgemein wirkte. Dies kann nur ein großer Staat, bis jetzt, mit allen ſeinen Mißbräuchen und Häßlich - keiten. Soviel iſt bei mir ausgemacht, die freien Reichsſtädte dauern auch nicht mehr lange, die Fürſten mögen auch noch ſo human ſie ſich ſelbſt wiederſchenken! Sie waren, meines Bedünkens, künſtliche und natürliche Inſeln des Freiheits - Erdreichs, welche aus jenem wühlenden, wüthenden Meere der erobernden Adelwelt empor ſahen, und ſtrebten, die aber bald mit dem ganzen Erdreich zuſammengehören werden, je325 mehr und mehr jenes Meer verſiegt, und anderm Unbekann - ten weichen muß, und längſt, längſt weicht; nur die Sonne, die Nahrung und Geiſt iſt, ſteht noch oben, und behauptet den alten Gang noch.

An Varnhagen, in Paris.

Dieſen Augenblick, mein Auguſt, erhalt ich deinen Brief vom 30. mit Troxlers drin, den ich noch nicht geleſen habe: mit Thränen in den Augen ſetz ich mich hin, dir für deine Liebe zu antworten. Ich war ſchon auf meinen Knieen man ſollte ſo etwas nicht ſagen! Gott zu bitten, obgleich ich in allen ſeinen Willen ergebner bin, als in meinen, daß er mich zu dir führe. Du haſt es zu ſehr nöthig, ich leide zu ſehr, wenn du entfernt biſt. Ich bin über dein, alſo unſer künftiges Schickſal ſehr ruhig; hat es ſich doch unter ungünſtigern Umſtänden gefunden. Der Kanzler wogt zu ſehr; er wogt auf der großen Stelle, die vielen Wellen machen ihn ſchwanken, wie Alle, die ſich auf ſo reichem Meere befinden. Ich glaube dir auch, daß er viel kämpfte: aber es iſt wahrlich ein Kampf, und ein Einzelner kann ihn mit den größten Ein - ſichten nur von ungefähr entſcheiden. Über den Tod denk ich wie du; wir wollen zuſammenbleiben. So eben erhielt ich wieder von der Arnſtein und der Ephraim die liebendſten Briefe, ich werde ſie dir künftig ſchicken, weil ich ſie erſt Jul - chen mittheilen muß. Mach dir kein Gewiſſen, treuſter, liebe -326 vollſter Freund, daß ich komme. Ich bin wahrlich allein; und ohne Beziehung, wo du nicht biſt! Ich fühle es ununterbro - chen. Ja, ja! man kann ſich einen Menſchen erobren; wenn’s ein Menſch iſt: du haſt mich dir erobert in Liebe, und Ein - ſehen meines Beſten in mir. Schelte nicht! Ich weiß, wie du, daß Goethe viel an mir hätte: eine Sorte, die er noch nicht hatte: und dreiſt ging ich zu ihm, könnte ich es ihm in einem Gefäß reichen, auf einem Korbe darbringen, lebte er in einem Walde, wo er nicht gerne iſt; aber hier in einer Fami - lie, wo er ſich ausruht, hat was er will, allein ſein will; wie ſoll ich kommen, was ſoll ich ſagen. Und beſonders, da er nun die aufmerkende langjährige Liebe von mir kennt. Nun genire ich ihn. Denn dies, daß ich doch unſchuldig neben ihm ſitzen würde, kann er auch nicht gleich wiſſen. Hätte ich ihn von ungefähr getroffen, durch, mit Andern geſehen; alles wäre gegangen. Viel eher fühl ich mir den Muth, ihm in Weimar, bei ſich in ſeinem Orte, die Erlaubniß ihn zu ſehen, zu fordern. Mit Goethe mag ich nichts wagen: dem will ich wirklich nicht häßlich erſcheinen. Sonſt vertrag ich viel; du weißt es. Aber ein Wort ſchreiben will ich, fragen will ich ihn, ob er das Paket durch den Kaufmann R. erhalten hat. Da es der Freund von einem Tage zum andern ſchiebt. Dies Intereſſe verſteht er durchaus nicht: wie ein Hund ein Buch nicht verſteht; und in dieſem Sinne verzeihe ich’s ihm. Ich weiß auch gar Goethen nicht in kurzen anſtändigen Worten genug zu ſchreiben! Doch will ich’s. Frau von Otterſtedt iſt voller Karakter: ſie wird dir ſehr gefallen, äußerſt brav und wahr; und ich bin gewiß, mir eine Freundin dies327 Wort gebrauch ich weder als Kind, noch Narr an ihr er - worben zu haben, weil ſie auch weiß, daß ich rechtſchaffen bin. Troxlers Brief iſt ſehr ſchön, wenn ſich auch drüber ſprechen läßt, grüß ihn herzlich. Hier iſt der, den ich Goethen heute ſchrieb. Ich weiß, daß man ſich einem Miniſter anders unterſchreibt; aber nicht wie; und wie es hier ſteht, fühl ich es. Um halb 6 bringe ich ihn mit Julchen und Klärchen ſelbſt ab. Lebe wohl! Ich muß eſſen. Mit der innigſten, ewigen Liebe deine

R.

An Varnhagen, in Paris.

Früh 9 Uhr. Schönen guten Morgen! Hier reg - net es, und eben kommt mit Sang und Klang ein ſchönes Infanterieregiment Ruſſen herein, das macht mich immer ein wenig nüchtern. Ich wollte dir noch ſagen, daß, wenn der Hut nicht kommt, es nicht viel zu ſagen hat: aber auf die Häubchen halt ich mehr. Ich habe Pradt geleſen; der iſt ja eine Art Marmontel, der ſich bei ehrlich-geſcheidten Leuten den größten Schaden thut. Ein Emigrant im Herzen, der dem Kaiſer als Sklav huldigte, und gehorchte, mit heimlicher rage im Herzen, ihm ſelbſt in der Zeit unbewußt; der die Sprüche der Zeit in der größten Taubheit des Verſtandes in ſchlechtem harten Franzöſiſch vor - und nachkäut. Ohne Den - kungsart, der das ganze Buch nicht würde geſchrieben haben, wenn er es Maret vergeſſen könnte, daß der ſeine Depeſche328 ſchlecht fand, und ihn antichambriren ließ. Unverſehens hat er etwas Napoleon geſchildert; aber nicht das von ihm, was er beabſichtigte. Wer daraus die polniſchen Affairen kennen lernt, den will ich ſehen! Carnot aber, der bei weitem nicht tief iſt, und dem etwas, man möchte ſagen wie Geiſt, wie Spirituöſes in ſeinem Schreiben fehlt, hat den Muth, der bei den Rechtſchaffenen vom Selbſteinſtehen, vom Soldatenleben kommt; der macht mit dieſer Vertheidigung selon moi einen neuen Abſchnitt in dem Schreibegeſchwätz. Er iſt der Erſte, der blank und baar ſagt, worauf es angekommen iſt. Sein Land zu retten und zu ſchützen; und dies durch welche Art von Regierungshaupt es auch ſei u. ſ. w.; und nicht die ab - gebrauchte Lügenſprache führt! Für die Alliirten iſt ſeine Schrift der kritiſchte rapport Fouché’s, an den müſſen ſie ſich halten; ſo ſteht’s mit dem Lande; ſo denken Franzoſen.

Habe Geduld, Auguſt! Lieber! ich muß auch welche haben: und immerfort; in allen Dingen groß und klein. Heute hab ich mich erſt ſo wieder bedacht; ich bin voller Geſchmack in allen Dingen: in allem; in Betragen, in allem; und muß mich immerweg ſo geſchmacklos betragen, und ſein, und Ge - ſchmackloſes annehmen: und bin ſelbſt davon, trotz der rein - ſten ſchärfſten Überzeugung, wider Willen, wie jäh bergab geſtürzt, ſolche Erſcheinung geworden. Ohne alle meine zu dieſer Betrachtung führende Gedanken ſcheint es ein Unſinn! Aber wir reden darüber. Ich habe ein graziöſes Herz, und betrage mich auch ungraziös; aber was mir zu und an mich geſchickt worden iſt, war auch wahrhaftig lauter Verletz-Ge -329 wehr. Ganz kann ich nicht dafür! Gar nicht. Ich konnte mich nicht wehren: nur denken und in die Bruſt aufnehmen. Lieber Freund! Ich büße es ſelbſt, daß ich dich hoffen und wieder entſagen laſſen muß. Aber Einer von uns muß handlen wie es ihm genehm iſt. Ich will es ſein. Sei dies meine Delikateſſe.

An Varnhagen, in Paris.

Dies iſt den Brief werth. Nun wirſt du ſelbſt dich freuen, daß ich noch hier war. Guter theurer Auguſt. Goethe war dieſen Morgen um ein Viertel auf 10 bei mir. Dies iſt mein Adelsdiplom. Aber ich nahm mich auch ſo ſchlecht, als Einer, dem ſein geehrter, über alles verehrter, tapfrer, weiſer König den Ritterſchlag vor der ganzen Welt giebt. Ich benahm mich ſehr ſchlecht. Ich ließ Goethe beinah nicht ſprechen! O! wie weiſſagte meine Seele geſtern, als ich dir ſchrieb, ich hätte den größten Geſchmack, und müßte mich immer ſo ge - ſchmacklos, ſo ungraziös betragen: immer ſelbſt ſo erſcheinen! Und ich kann wieder nicht dafür; zwanzig Umſtände, Ereig - niſſe, reichten ſich die Hände, um mich dazu zu zwingen, mich durch Überwältigung hinein zu ſtürzen. Höre nur! Als vor - geſtern und geſtern keine Antwort von Goethe kam, beſchäftigte es mich immer unter allem Leben heimlich, wie eine kroniſche Krankheit; (und noch Einmal ſei dir dieſe größte Liebeserklärung gethan; nur dir zu Liebe, nur dir zu willfahren und zu fol -330 gen, mich und meine heimliche Leidenſchaft aufopfernd, ſchrieb ich ihm) und ich dachte, der Brief ſei ihm nicht abgege - ben; oder, trotz der Unmöglichkeit! er käme lieber einen Moment zu mir, als daß er mir auch nur eine Zeile antwor - tete: oder, er habe ſchwer einen Boten: und ſo dacht ich mir denn ſein Kommen, oder Schicken; und dabei, daß es gewiß geſchähe zur Unzeit, und wenn ich’s gar nicht dächte; wie im - mer. Das aber konnte ich mir nicht denken: ein Viertel auf 10 iſt zu arg. Ich hatte geſtern ein erhitztes rothes Auge; und ſolche Beſchwerden an den Augen, wie du ſie mir kennſt; wozu mir denn die geſtrige Komödie nicht half. Als ich den Morgen erwachte, ſo war das Auge nicht mehr roth, aber beide thaten mir weh, als wäre Staub darin; und um nicht zu leſen, und ſie zu ruhen, blieb ich im Bette ſonſt ſteh ich jetzt ziemlich früh auf frühſtücke im Bette, nehle ſehr, und ſtehe endlich um 9 auf. Grade im Zähneputzen, im ro - then Pulver, mit meinem Flanellen angethan, kommt mein Wirth, und ſagt Doren, ein Herr wolle mich ſprechen. Ich denke, ein Bote von Goethe. (Noch nie kam der Wirth, und nie in ſolcher Art Angſt.) Ich laſſe fragen, wer es iſt, und ſchicke Dore hinunter; dieſe bringt mir Goethens Karte; mit dem Beſcheid, er wolle ein wenig warten. Ich laſſe ihn eintreten und nur ſo lange warten, als man Zeit braucht, einen Überrock über zu knöpfen; es war ein ſchwarzer Wat - tenrock; und ſo trete ich vor ihn. Mich opfernd, um ihn nicht einen Moment warten zu laſſen. Dies nur blieb mir von Beſinnung. Auch entſchuldige ich mich nicht, ſondern danke ihm! Ich dank Ihnen! ſagte ich; und meinte, er331 müſſe wiſſen wofür! daß er kam. Entſchuldige mich nicht; denn ich meine, er muß wiſſen, daß ich ganz ſchwinde, und nur er berückſichtigt wird. Dies leider!! war die erſte Bewegung meines Herzens. Nun denk ich in heftigſter, ja komiſcher, quälender Reue anders! Er ſagte mir, mit einer etwas ſächſiſchen, ſehr aiſéen Sprache, er bedaure nicht gewußt zu haben, daß ich bei ihm war. Wir wollten nur wiſſen, ob Sie das Paket erhalten hätten. Wir hatten es einem Wiener Kaufmann gegeben, der es mit bis nach Leipzig nahm. Ich danke Ihrem Herrn Gemahl, ſehr grüßen Sie ihn von mir; ich habe auch gleich antworten wollen, und legte es deß - halb zurück, aber mit den intereſſanteſten Sachen geht’s einem am meiſten ſo, man kommt nicht dazu. Ich danke Ihnen ſehr! O! das glaub ich wohl, es geht mir ja ſogar ſo. Ich wollte auch nur wiſſen, ob es in Ihren Händen ſei. Er ließ dich wieder grüßen, wohl dreimal, fragte, wo du biſt. Ich ſagte ihm meinen Fall mit dem Nachkommen; wie der Kon - greß auf mich gewirkt habe: deſſen war er, ganz weiſe, und abgethan und zweihundert Jahr alt, einverſtanden; und meinte auch, es ſei nicht zum Nacherzählen, weil es keine Geſtalt habe; ich ſagte ihm, ich hätte erfahren, daß der Krieg um - bringe, aber nicht zerſtöre, und geſtand ihm zu, daß man dies an Frankfurt ſähe, deſſen Umgebungen wir um die Wette lobten, und er meinte, es würde ja dort bald aus ſein, und wir auch noch etwas Gutes davon erfahren. So glimpf! ſo hoffnungsreich auf die Natur; ſo gelaſſen, freundlich, und un - ſicher, ſo vague, und feſt. Daß es mir eine Luſt war! Er überredete mich zu Bieberich, Wiesbaden, und dieſer Reiſe;332 geſtand, wo er wohne, ſei die beſſere Seite von hier. Er lobte Heidelberg, und daß man noch ſähe, daß es eine Reſidenz war. Und als ich von Lokal und ſeinem unbeſiegbaren Ein - fluß ſprach: bejahte er’s; Darin müſſen wir ja einmal leben, das thut ſehr viel. Er fragte mich, wo wir immer wohnen. Im Ganzen war er wie der vornehmſte Fürſt: aber wie ein äußerſt guter Mann; voller aisance; aber Perſönlichkeiten ab - lehnend: auch vornehm. Auf dich, ziemlich geſpitzt; und äußerſt verbindlich. Er ging ſehr bald. Ich konnte ihm nicht von der Pereira, nicht von der Grotthuß, von nichts ſprechen! Nur ganz zu Anfang ſagte ich ihm: Ich war es, die Ihnen in Niederrad nachſchrie; ich war mit Fremden dort, eben weil Sie davon geſprochen hatten; ich war zu überraſcht. Er ließ dies ganz durch. Es war mir Recht. Ich fühle, daß ich mich im Ganzen ſo betragen habe, wie damals in Karlsbad. Mit der haſtigen Thätigkeit: lange mein ſchönes ſtilles, beſcheidenes Herz nicht gezeigt. Aber wenn man Einen nur einen Moment, nach ſo langjähriger Liebe, und Leben, und Beten, und Weben, und Beſchäftigung, zu ſehen bekommt, dann iſt es ſo. Und mein Negligé, mein Gefühl von Ungra - zie brachte mich ganz danieder; und ſein ſchnelles Weggehen. Aber nun beſuche ich ihn: Otterſtedts wollen es ſo ſchon die ganze Zeit: ich aber wollte nicht. Im Ganzen iſt es raſend viel, daß er kam. Er ſieht keinen Menſchen. Wollte Prin - zeſſin Solms, des Königs Schwägerin, mit dem neuen engli - ſchen Gemahl durchaus nicht ſehen. Kurz, ich fühle mich über die Maßen in meiner Erniedrigung geehrt. Nur ich weiß, wie elend ich war. Goethe hat mir für ewig den Ritterſchlag333 gegeben. Beim Himmel! Er weiß es, der Himmel! Kein Olympier könnte mich mehr ehren, mir von meiner Ehre mehr bringen. Erſt wollte ich dir, meine Guſte, die Karte ſchicken; aber ich traue ſie keiner Poſt an. Nun höre ganz, wie lächerlich ich bin. Als er weg war, zog ich mich ſehr ſchön an. Als wollt ich’s nachholen, redreſſiren! Ein ſchö - nes weißes Kleid mit hohem ſchönen Kragen: eine Spitzen - haube, einen Kantenſchleier, den Moskauer Schal: ſchrieb Frau von B. ob ſie mich ſehen will, und wollte doch einem Andern würdig erſcheinen!!! Sie wollte mich: und ich fand eine liebe Freundin der B. eine reizende Frau, die dir gewiß ge - fallen wird, und worauf ich mich freue. Nun will ich dir, wie Prinz Louis mir, ſagen: Nun bin ich Ihnen unter Brü - dern zehntauſend Thaler mehr werth; Goethe war bei mir! Liebe Guſte! Theurer; meinetwegen iſt es dir: ich weiß es! deinetwegen ſchrieb ich; wiſſe es. Und nun, da er da war, kommt mir mein Billet nicht mehr ſo öde, ſo unperio - diſch, ſo geſtaltlos vor; ſondern gut. Geſtern ſah ich eine hübſche Oper göttlich geſungen von Mad. Graf, geborne - heim. Les acteurs ambulants, aus dem Italiäniſchen. Jetzt muß ich eſſen und ruhen. Ich war bei Otterſtedts und Her - zens. Fahr um halb 6 aus. Soll in die Komödie, Mad. Vohs ſpielen ſehen, die alte Weimarin. Bin müde; und weiß noch nichts Näheres über meine Reiſe. Heute biſt du mir nicht böſe! Als mir die Frau von B. ſagen ließ, ſie erwarte mich: ſagte Dore: Nun! heute gelingt alles. Gleich betete ich laut: Gott ſoll dich kommen laſſen, und Preußen beſchüz - zen. So iſt der Menſch. Man liebt ſein Land! Ich mußte334 ſelbſt drüber weinen. Adieu! Deine ſtolze, beſchämte, ärger - liche, treue, kluge bei der Dummheit!

R.

An Varnhagen, in Paris.

Geſtern Mittag, als ich von einem Sonnengang mit Do - ren zurückkam, fand ich deinen mich überaus beglückenden Brief vom 2. September, mit den Modekupfern und Ney’s Vertheidigung. Liebes! gelehriges Herz! du verheißeſt mir in dieſem lieben, aus Liebe gewebten Brief die Mitte Ok - tobers zu dem nicht zu erwartenden Glück, dich wiederzuhaben! Wenn ich nur leben bleibe! In keiner Krankheit hab ich mich ſo vor dem Tode gefürchtet. Ich ſoll vergnügt ſein! Ein - ziger theurer Freund, ich bin es, (ich will Geduld haben!) da ich dich bald ſehen ſoll: wir werden hier, auf der Reiſe, allenthalben ſehr vergnügt ſein; zu Hauſe allenthalben; und die Welt geht ihren Gang, wie Sonne und Mond und an - dre Götter, wir erleben das Ende nicht, drum wollen wir in der Mitte leben, und ihr zuſchauen. Du denkſt unaufhörlich an mich? fragſt bei aller Gelegenheit um meine Billigung und Einſicht bei deinem ganzen Thun und Laſſen; leider wohl oft ohne ſie zu bekommen, fürchteſt du; aber darum doch nicht ablaſſend in deinem Eifer? Und ich ! konnte, eh ich dich hatte, gut, ganz gut, allein leben auf der Welt; hofft es, erſah es, prätendirte es gar nicht anders, ſuchte es nicht mehr, in Gelaſſenheit, und Vergnügtheit, wenn ſie mich in Ruhe335 ließen, und ein ungraziöſes Schickſal mich nicht aufzuſtören befliſſen war, fand mein karges Futter vergnügt und rei - ſefertig auf jedem Hof. Gott weiß es, du auch; und es iſt wahr. Nur geneigt war ich nicht mehr, weil ich es nicht mehr fähig war, mein Leben wieder für ein Vierteljahr Zu - ſammengehen bei irgend einem Weſen vom Menſchengeſchlecht einzuſetzen; die Proben meiner unbedungenen Hingebung hatte ich mir, alſo allen andern Freunden und Freundinnen, zur Genüge rein und völlig abgelegt; ein zum Narren haben an mir ſelbſt aus - und aufgeführt, war bei einer unſchuldigen Seele, bei einem unbefleckt, unerſchüttert redlichen Herzen un - möglich; ſo war meine Seele und Herz. Du haſt es erfahren, wie ich ein ernſtes Herz in meines aufnehme. Mit meinem Leben erwiedre ich’s. Wiſſe, ermeſſe, wie ich es anſehe, daß du mich wieder in’s Leben hinein geführt haſt. Ich will ja nun leben, weil du es wünſcheſt, weil ich mit dir leben kann. Von dir hab ich ja erfahren, daß auch ich geliebt und gehegt werden kann, wie ich Andere hege und liebe; daß ich kein verzaubertes monstre bin: worüber ich, du weißt es, ganz ge - faßt und vergnügt war. Ich liebe dich deiner Liebe wegen: und nicht, du glaubſt es, weil ich der Gegenſtand dieſer ſchö - nen Herzensentwickelung bin: nein! weil ſie in dir möglich iſt, weil ich dies ſchöne Spektakel ſehe; weil ich ſolchen ge - haltenen, erglühten Ernſt nie ſah, und ſah ihn nie, weil er nur ſelten, weil er ſo ſchön iſt; ein Gelungenes! Ein Äch - tes; und vom Schickſal Bejahtes mit einem Gegenſtand. Ich ſehe in dir eine Unſchuld, ein Gewährenlaſſen, ein ſich entwick - lendes Herzensgedeihen: ſo denk ich mir hätte ich meinem336 Herzen zuſehen können, hätte man; in ächter, rother durch - ſichtiger Gluth nahm ich ohne Rückhalt, ohne Vorbedacht al - les unſchuldig auf; und wurde nicht Einmal natürlich begeg - net. Angeſchrieen, überſchrieen, beſeitigt, unberückſichtigt, die ganze lange Jugend durch; das Andere mag ich gar nicht einmal nennen. Gott ſelbſt hörte mich nicht. Er wollte es ſo: und ich habe mich auch ſchon längere Zeit unterworfen. Sei auch nachſichtig, Auguſt, wenn du jene Friſche oft nicht findeſt, die Einem Glück konſervirt, oder Untugend, und eitle Gedankenloſigkeit, loſer Geiz, der an die wahre Herzenskammer nie anfordert. Goethe ſagt ſo ſchön in ſeinem Leben, bei Gele - genheit der Kataſtrophe mit Gretchen: die Knaben - und Jüng - lingspflanze war ihm aus dem Herzen gebrochen, und es[bedurfte] längerer Zeit, ſo ungefähr eh Neues ſich erzeugen konnte: dies iſt der Sinn der letzten Worte, die ich nicht mehr weiß. Mir brachen Eltern, Geſchwiſter, Freunde und Freundinnen, und elende Geliebte ganze Vegetationen hinter einander aus. Ich ſchwieg in meiner Jugend, in meinem Reichthum, und dachte es müßte ſo ſein. Hielt ewig mich für ungraziös, und das ſo intim, ſo gewiß, daß ich’s nicht einmal ſagte, da doch, meiner Meinung nach, mir niemand auf ſolche Klage zu ant - worten hätte, wie auf die wegen eines Buckels, oder andrer Gebrechen. Ich bin aber nicht unglücklich, weder im Gefühl, noch in der Überlegung. Ein ſchönes Schickſal hatte ich nicht; aber gottgeſegnet war ich doch; es war immer Feiertag in mir. Mit all dieſem wollte ich dir nur zu ermeſſen geben, wie du mir mit deiner Art und Liebe gegen mich erſcheinen und ſein mußt: und ob ich dir erwiedere, dich erkenne! Aberauch337auch die Andern. Denn wiſſe! in Details will ich mich hierüber nur mündlich vernehmen laſſen, und wie das nach und nach in mir vorgeht jetzt, da ich gar nichts mehr mit ihnen zu ſchaffen habe, ich nicht mehr generös zu ſein brauche, nicht mehr vor Gemüthsaufruhr, den der bedingte Augenblick mit ſeiner Noth und zu nehmenden Entſchlüſſen erheiſcht, nicht überlegen kann, werden ſie mir erſt ganz verächtlich, zum rei - nen unbekannten Nichts, zum Ekelhaß aus Verwerfung, zu meiner eigenen Befremdung, die auch ſchon vorüber iſt. Die Lebens - und Denkreſultate aber klingen und ſchmecken bei wei - tem anders. Dieſe ſind, eine für’s Mitleid doch zu kalte Be - trachtung, der Menſchenſituation überhaupt. Wir ſind in Verworfenheit Alle; in einem ſolchen Zuſtand; und wahrlich, ſich ſelbſt opfrende Heldenarten gehören dazu, das ſittliche Haupt, das Auge der Seele nur, aus all den Lügenbeding - niſſen zu erheben; welches ſo natürlich ſein ſollte, und iſt, ſobald der Fall wirklich eintritt. Man kann den ſchlechter Gearteten nur als einem minderen Gewürm ausweichen, und ihnen, wenn ſie doch leiden, helfen; und dies geſchieht auch von jedem in ſeinen Kreiſen von Bewußtſein, bewußt und unbewußt. Es giebt ganz was anderes, was wir nicht faſſen. Das weiß ich. Und nun komme! Gott führe dich zu mir. Ich hoffe: und komme, da D. nun ſo zögert, auf dieſe kurze Zeit nicht. Wir ſehen ein andermal Frankreich beſſer mit ein - ander. Zum Spaß, aber laß dich davon nicht gegen ihn aufbringen, ſchicke ich dir Th’s Brief; dieſen nichtigen, leeren, dürren, ſich ſelbſt widerſprechenden Lügenbrief. Mit dem er mir diesmal gar nichts Beſonderes weis machen wollte, inII. 22338dem er aber ſich ſelbſt, weil er doch einmal ſchreibt, als Lüge in ſeiner verlogenen Dürre auſſtellt. Und das mir: die ihnen immer aus der größten Fülle die größten Komplimente macht, die aufrichtigſten Äußerungen ſchickt, und ſie mir gleichſtellt. Aber nun nicht mehr: ich werde ſehr ſelten, und ſehr karg ſchreiben, wozu die Verſchwendung von doch nie anerkann - ten Kräften? Schreib du ihm aber manchmal, und theile die - ſen meinen Zorn nicht. Mit dir giebt er ſich doch noch Mühe; und iſt kokett. Ney’s Vertheidigung iſt das Schlechteſte was ich kenne: ich habe ſie noch nicht ausgeleſen. Aber vor - geſtern ſagte ich ſchon, er käme durch, weil ihn Marſchälle richten. Der Hut gefällt mir ſehr, ich will ihn nachmachen laſſen. Heute iſt bei Otterſtedt ein Thee, wo auch Schloſſers ſind; den Erfolg nächſtens. Geſtern fuhren Otterſtedts und ich zu Goethe, er hatte einen Brief vom Herzog von Wei - mar für ihn. Willemers waren ſpaziren: Goethe ſeit Freitag in der Stadt, von wo er erſt den Dienstag zurückkommt. Otterſtedt war dieſen Morgen bei ihm ohne ihn zu finden; bringt ihm jetzt wieder den Brief, und will ihn zu dieſem Abend bitten. Er kommt nicht. Otterſtedt ſchickt dem Kanz - ler, Stein und dir einen Bericht über Würtemberg, welchen er von dem heute Nacht hier durchgegangenen Grafen Wal - deck erfuhr, der dort arretirt und vom Volke frei gemacht wurde. Einen Artikel wird O. dem Kanzler privatim ſchrei - ben; das iſt der: . Schicke, liebes Güſtchen, Taftpro - ben und den Preis von modiſchen, aber beſonders faſſionirten, quarrirten, die ich ſehr liebe, in Blau, Grün, Violet u. ſ. w. Du kaufſt mir auch etwas Blumen! zuvörderſt Federnelken,339 eine Guirlande davon. Schöne Roſen. Nimm Jettchen zu Rathe: und nicht bei den Theuerſten, ſage Jettchen: die Andern hätten auch ſchöne. Und, entweder du bringſt mir modiſche Federn, oder, einen Hut mit Federn. Er muß nicht ſchwer ausſehen, ſage Jettchen; und hübſches Band. Ich bin recht zahm, ich werde dir ein Maß von meiner Kopf - weite beilegen. Der iſt dick. Ich möchte auch ein paar Hau - ben. Damit aber muß ſich Jettchen ſehr in Acht nehmen, denn die können geſtickt und mit Spitzen ungeheuer theuer aus - fallen, worüber ich einen wahren Gram hätte, und es in jedem Fall merkte. Mir iſt es nur um die Façon zu thun. Es giebt auch gar artige Umſchlagetücher, von Trikot oder florenem Zeug, kurz nach der Mode, viereckige kaß dir auch von Jettchen kaufen. Sie thut’s. Sie wollte ſo immer nicht zu mir kommen, und noch weniger bleiben: ſie iſt mir das noch ſchuldig. Auch wegen meiner Geſinnung. Denn, beim Himmel, nur daß ich Sie nicht ſehen ſoll, nenn ich Paris. Aber ein anderesmal! ein beſſeresmal. Nur um Gottes wil - len laſſen Sie ſich nicht überreden nach Deutſchland zu kom - men! Wenn Sie nicht den Muth haben, mit mir und Varnhagen zu wohnen, kommen Sie unter keiner Bedingung. Dieſer Vorſchlag iſt wenigſtens ſechszehn Jahr in meiner Seele. Ich ſchwor mir, wenn ich je zu einer Situation komme, ſie Jettchen anzubieten. Sie iſt die Feinſte und Zarteſte, die ich kenne. Und nun ſteht der Vorſchlag hier zu Ihren Dienſten.

Schreibe mir oft, und wenig, und wie du willſt. Ich liebe dich unſäglich, und freue mich todt, dich bald zu ſehen.

Deine R.

22 *340

Grüß die Herren von Pfuel, Tettenborn, Bentheim, Stä - gemann, Jordan, Gr. Schlabrendorff. Wo iſt Ternite und Timm? Alles, was du ſagſt, goutir ich, und bin deiner Mei - nung, und ſehe es von hier. Deine Galanterie gegen die Damen Stägemann und Jordis lieb ich!

An Varnhagen, in Paris.

Hier, lieber Auguſt! lies dieſen Aufruf des Prediger Brei - denſtein! Ich gebe ſonſt nie zu öffentlichen Sammlungen, ſon - dern von Hand zu Hand, wenn meine Augen Elend ſahen, und ich es beurtheile; weil ich mir immer einbilde, die, welche ich alsdann ſo recht elend ſehe, ſind ausgefallen aus den ge - nerellen Anſtalten, und daher erſt recht beklagens - und hülfe - werth. Aber dieſes Schreiben verdient jedes Herz und jeden Beutel zu öffnen. Wahr! lieber Prediger, man vergißt ſeine Gelübde, ſeine Noth, ſeine Angſt; und läßt ſich von tollem Luxus betaumeln, und von den raſenden Menſchen, die ihn treiben. Ich alſo, lieber Auguſt, habe mich gleich bei der Le - ſung der Breidenſtein’ſchen Ermahnung entſchloſſen wie Hamlet der Mutter rathet den ſchadhaften Theil meines Herzens wegzuwerfen, und thränenlebendig wurde das, was ich wohl Gutes ſchon gedacht hatte, in mir: ich gebe ſogleich das Einzige, was ich beſitze, den Ring, den mir M. zu mei - ner Hochzeit ſchenkte. Er wird wohl 100 Thaler werth ſein. Nichts hab ich ſonſt von Werth. Wozu auch. Bei Gott!341 ſo lange noch die Kriegstrümmern umhergehen, iſt es keine Zeit zu blinkenden Kämmen in den Haaren, oder dgl. Du weißt, welch Gewiſſen ich immer habe, die Schlegel ſogar wollte mir dies in Wien immer ausreden, Staat zu ma - chen neben Armuth im Lande! Aber es iſt nicht genug, daß wir ſelbſt geben. Ich ſchicke dir zwei Exemplare geſtriger Zeitungen. Eins ſchicke meinen Brüdern nach Berlin, mit meinen Worten; und mit der Bitte, es allen meinen und ihren Bekannten herumzureichen, damit ſie erſchüttert werden, und geben; die Brüder ſollen ſich nicht ſchämen. Sie ſollen Prediger Breidenſteins und meine Worte gebrauchen in unſren Namen! Du aber, behalte ein Exemplar in Paris, und ſpreche dort alle Deutſche an. Laſſ es ſie leſen, Einen dem Andern geben. Jette’n Mendelsſohn, Frau von Jordis, den andern Mendelsſohns; allen Weibern beſonders; die mögen es beſor - gen. Es ſind viele Prenßinnen, Berlinerinnen dort. Ich ſchicke die Zeitungen für die Brüder dir, des Porto wegen: du kannſt ſie mit einem Kourier ſchicken. Breidenſteins Ermah - nung iſt ſo ſehr aus dem wahren Herzen, daß meines helfen ſoll, daß ſie Erfolg hat. Er ſoll das Glück haben. Adieu liebe Guſte.

Aus Goethens Leben. Zweiter Band. Sieben - tes Buch. S. 107. Sehr anſpruchslos der Deutſchen Zu - ſtand geſchildert; der ganz jetzt aus der Acht gelaſſen, wo die Deutſchen aus dem Stein ſpringen ſollen, ganz ohne Ver - gangenheit; dies aber grade gehört mit dazu. Eben ſo zog342 man den vornehmen Anſtand der fürſtengleichen römi - ſchen Bürger auf deutſche kleinſtädtiſche Gelehrten-Ver - hältniſſe herüber, und war eben nirgends, am wenigſten bei ſich zu Hauſe. Fürſtengleiche römiſche Bürger. Noch lebt nur der Adel in der neueren Welt als Menſch; oder, man räumt ihm wenigſtens den Anſpruch darauf ein. In dem, was noch feſtſteht.

S. 121. Betrachtet man genau, was der deutſchen Poeſie fehlte, ſo war es ein Gehalt, und zwar ein nationaler: an Talenten war niemals Mangel. Hier gedenken wir nur Günthers, der ein Poet im vollen Sinne des Worts genannt werden darf. Und nun zählt er Günthers Gaben, die einen Poeten machen, her. Sehr ſchön. Auch mit Gewalt wol - len ſie ſolchen Gehalt, und zwar einen nationalen, her - ſchaffen. Sehr ſchön ſpricht Goethe vom Dichter König, und rechtfertigt ſein Gedicht über König Auguſts Luſtlager. Goethe griff ein paar Stufen tiefer, und faßte ein Leben der Deut - ſchen in Hermann und Dorothea. Was er im Meiſter und den andern Schilderungen leiſten konnte, wird ihm nur darum beſtritten und nicht aufgefaßt, weil es ſo vortrefflich iſt: er ſchildert ein ſchwankendes Streben, von mancher andern Na - tionalität gefärbt, zu dem ſich keiner bekennen mag, wie er es nicht zu erkennen verſteht, und noch weniger die tiefe Seele zu fühlen fähig iſt, die es aufgenommen hat, und mit Geiſt und Weisheit durchdrungen im größten Ebenmaß und ſchein - barer Ruhe wiedergiebt:

S. 145. Er ſpricht von der Bibel. Wie ſchön! Wenn es auch nur naiv gemeint iſt: das heißt, wenn er auch nur,343 nachdem er’s geſchrieben hatte, ganz ermaß, wie folgereich, Natur und Geſchichte umfaſſend, die wenigen glücklichen Worte ſind. Er ſagt: Allein dieſem Werke (wie ſchön das Wort hier!) ſtand, wie den ſämmtlichen Profanſkri - benten, noch ein eigenes Schickſal bevor, welches im Laufe der Zeit nicht abzuwenden war. Nicht abzuwenden. Im Laufe der Zeit.

S. 147. Spricht er noch von der Bibel; und erzählt, was in damaliger Zeit zu ihrer Vertheidigung geſchah. Mir unausſprechlich merkwürdig ausgedrückt. In einer ſolchen Art, wie ich mir denke, daß Geſchichte geſchrieben werden kann. In keines Menſchen Sinn geſchrieben. Nicht geneh - migt, nicht getadelt: als ob die Erde in der Zeit, wo es ge - ſchah, ein Mittel gefunden hätte, das Geſchehene für kom - mende Geſchlechter aufzubewahren. Mich macht dieſe Art traurig. Das iſt aber recht. Denn es iſt traurig, und für unſer Menſchendaſein, wenn auch drüberhinaushebend, nicht ſchmeichelhaft, daß ſich die Begebenheiten an einander ent - wickeln und der Menſchen Thun und Laſſen, ohne im gering - ſten auf Einzelne, ihre beſchränkten Wünſche, oder ſich auf dieſe beziehende Eitelkeit des Fühlens noch des Wollens, Rück - ſicht zu nehmen; aber uns dies ganz klar zu machen ohne Aus - einanderſetzung, iſt, glaub ich, das Weſen der Geſchichte: zu zeigen, daß ſich ihr ganzer Gang, mit allem Um - und Durch - wogen durch das menſchliche Gemüth, auf eine allgemeinere Natur bezieht, als die, welche unſere Einrichtungen, Geſetze und Einſichten beſtimmen helfen wollen. Fichte ſagte einmal in einer Vorleſung: Das, was wir nicht kennen, und nicht344 zu erklären vermögen, nennen wir Natur. Das gefiel mir ausnehmend, es kam in einer ſchönen Folge.

S. 163. Prächtig zeigt er in wenigen Worten, wie ganz er Leſſing kennt, wie er ihn liebt, und beinah negativ wie er ihn hochhält; mich freut das in der Seele, die Überzeugung, daß ein edler Menſch, ſobald er ſich nur äußert, und nirgend geſchieht dies beſſer, als in Schriften, durchaus von einem Andern, der geſcheidt iſt, erkannt werden muß. Dies ſind die negativen Worte, aus der tiefſten Überzeugung und klarſten Anerkennung: Eines Werks aber, der wahrſten Ausgeburt des ſiebenjährigen Krieges, von vollkommenem norddeutſchen Nationalgeiſt, muß ich hier vor allen ehrenvoll erwähnen u. ſ. w. Wie voller Einſicht! Aber auch nur dann ur - theilt man ſo liebevoll. Solche Leſer und Beurtheiler wünſche ich Goethe’n! Aber bei ſeinem Leben.

Er beurtheilt den damaligen Zuſtand der Welt, den Effekt des Krieges, mit derſelben gelaſſenen Einſicht, womit er dieſe Zeit und unſere Kriege betrachtet; das wollen ihm die Widerſacher, die Entgegengeſetzten in Sehen und Vermögen, nicht nachgeben; ſie wollen nicht nachdenken, ja nicht einmal nachleſen, in Goethe ſelbſt nicht, wie die damalige beſchädigte Welt von Friedrich dem Zweiten ſprach.

S. 197. Wie von Napoleon. Auch die Talente, und die ausgeübten Thaten wollten ſie Friedrich dem Zweiten ganz abſprechen; und thaten es. Wie alſo muß Goethe’n, nach ſo langjährig in Erfahrung gebrachter Lebensthorheit und gedan - kenloſer Übereilung, die jetzige zum Schweigen bringen! Und wie ſonderbar! zwei Helden hat er erleben müſſen, faſt an345 den beiden Thoren ſeines Lebens. Einer ein König, der ſeines Gleichen bekriegte, und die Untern mit und ohne Abſicht er - hob. Der zweite ein Emporkömmling, Uſurpator genannt, der die über ihm ſtanden erniedrigte, auch dadurch, daß er neue ſchuf; der erſte, die Deutſchen nicht achtend, und durch ſich ſelbſt hebend: die Franzoſen liebend, und ſie dadurch grade uns am meiſten entbehrlich machen helfend; der andere, die Deutſchen verachtend, und dadurch am Ende die Deutſchen erhebend. Beide wie alle Eroberer gehaßt, weil immer ein ſolcher einen neuen, heftigeren Krieg erfinden und üben muß. Der König, als ſolcher geduldet; durch Geiſt, Geſetz - und Kunſtliebe ſein Land, und dadurch ſich erhaltend: der Empor - gekommene nicht geduldet, weil er nicht Geiſt genug hatte, ſeine mitlebende Welt zu ahnden, und ſprungweiſe über ſie hinausgriff; kurz nicht ganz für den Augenblick vom Schick - ſal erwählt und paſſend gebraucht wurde; welches jedem Gro - ßen nöthig iſt.

S. 248. Äußerſt ſcharfſinnig und ſehr ſchön, als er eben über Leſſings Laokoon zu ſprechen anfängt. Der war auch ein Fund für mich. Ich fand ihn in der Jugend in einem Zimmer, und ich war ganz beglückt.

S. 252. Es iſt gar keine Schwäche, die Wirthshäuſer ſo zu haſſen. Sie ſind mir ein Abſcheu! und ich freue mich, daß Goethe ſie wenigſtens in der Jugend auch haßte. Die in kleineren Städten ſind lange nicht ſo haſſenswerth und ſchlecht, in aller Art.

S. 254. Goethe ſpricht von dem Verwandten ſeines Leip - ziger Stubenkammeraden, einem Schuſter. Er liebte den Mann346 aus ſeinen Briefen, und ſagt: Enthuſiaſtiſch wie ich war, hatte ich dieſen Mann öfters verbindlich grüßen laſſen, ſeine glückliche Naturgabe gerühmt, und den Wunſch ihn kennen zu lernen geäußert. Enthuſiaſtiſch nennt er dies jetzt. Auguſt! wer iſt noch ſo? O! wie freut mich das! Enthuſiaſtiſch nennen ſo etwas immer die andern Leute! Und dem gebund - nen Geſpräch folget das traurige Spiel! So ſind die an - dern Leute; ſo nennt, ſo tadelt er ſie noch oft. So waren ſie ihm von je. Zu meinem Troſt.

S. 257. Göttlich iſt der Schuſter beſchrieben. Mit ſol - chen eigenen Worten, in ſo ſchöner Erinnerung, in weiter, ruhiger Vergangenheit, und in regeſter Lebendigkeit; herrlich; und unverſehens iſt er mitbeſchrieben.

S. 282. Unendlich ſchön über ſeine Geſundheit.

S. 292. Wunderſchön, über Freundſchaft, und Religions - bedürfniß und Religionszuſtand.

S. 458. Las ich wegen Friedrich Schlegel, der Goethe’n boshaft über Herder nannte, mit der größten Aufmerkſamkeit. Kein Gedanke! Sehr frappirt ſcheint ihn der Zuſtand zu ha - ben, in welchen ihn Herder verſetzte; denn ehe er ihn in ſei - nem Benehmen beſchreibt, ſagt er ſchon: Und ſo hatte ich von Glück zu ſagen, daß, durch eine unerwartete Bekannt - ſchaft, alles was in mir von Selbſtgefälligkeit, Beſpiegelungs - luſt, Eitelkeit, Stolz und Hochmuth ruhen oder wirken mochte, einer ſehr harten Prüfung ausgeſetzt ward, die in ihrer Art einzig, der Zeit keineswegs gemäß und nur deſto eindringender und empfindlicher war. Dieſe von mir unterſtrichenen Worte ſind mir ſehr aufgefallen. Der347 Eindruck muß unbändig geweſen ſein, weil die Beſchreibung und der Umgang Herdes dieſe Ausdrücke nicht ganz rechtfer - tigt; das Gemüth Goethens muß dazu nur grade nicht berei - tet geweſen ſein, oder auf eine ſolche Art erfüllt und berührt, daß es ihm grade ſehr hart fiel. Von Haß aber gegen Her - der ſeh ich nichts. Friedrich irrt ſich ganz und gar.

An Varnhagen, in Paris.

Nimm dieſe Weſte, theurer Auguſt, ſie gefällt mir ſehr! es iſt eine engliſche, laß ſie in Paris machen; die einzige Art, wie dieſe beiden Völker uns dienen und auch nur ſich , ſonſt haben ſie uns zum Narren. Du ſiehſt, ich werde heute nicht Herr über dieſen Gedanken: er kommt wie ein Stachel hervor. Richtig! hab ich deinen lieben Brief den 27. erhal - ten; und auch dir den Tag geſchrieben. Nur der Gedanke, daß du da biſt, und mir gut biſt, mich kennſt, von mir weißt, und wiſſen willſt, daß ich mich mit dir wieder unterhalten werde; kann das tobende Geſchwür in mir lindern. Wiſſe nur, ich bin wie außer mir. Sonſt fürchtete ich mich nur, ängſtigte mich, bemitleidete die zur Schlacht Geführten; Bau - ern, Landleute. Jetzt bin ich in einer rage nicht gleich Rache nehmen zu können! an denjenigen, die nicht, wie man ſie noch nachſichtig nennt, dumm ſind; nein! vorſätzliche, fraudulöſe Verſchwender ſind’s, die ſich mit Gewalt ſchmeichlen, ſo lange man es ihnen erlaubt, daß ihrentwegen, und ihrer Brut348 wegen, die Welt ſteht, die Natur ſich bewegt, Geſetz ſich aus dem Hirn windet. Genug!!! du weißt alles aus und nach dieſem Punkt. Was Mägde wußten, Fuhrleute ſich auf den Wegen erzählen, wiſſen ſie nicht. Ohne Kraft im Handlen, ohne Licht im Einſehen wollen ſie obenan ſein. Nicht jetzt: jetzt könnte es keiner ohne Krieg, aber ſeit lange. Ich bin außer mir vor Grimm. Abgemacht ſchien dem Emigran - ten-Volk alles für alle Zukunft. Sie vergaßen, warum ſie ſich hatten rüſten müſſen. Du kennſt ſie; helfen kann man nicht, theilen muß man nicht mit ihnen. Ich nicht: die Theilung iſt zu ungleich. Ich mag die Höllenangſt nicht aus - ſtehen. Und vom Übrigen ekle ich mich zu ſprechen. Die größeren, großen Geſichtspunkte für uns, unſere alten, bleiben immer; von denen mag ich nicht reden. Gott! was ſind die Weiber elend. So wahr er mir in meiner letzten Noth beiſtehen ſoll, ich faſſe ſie nicht. Nur eitel; gräßlich! Gott verzeiht es mir, du mußt auch: ich auch ſo ſchlecht ſind ich ſie in ihren ewigen, gediegenen, ſchleimigen, Lügen, in dem unbewußten Lügen, in dem auf nichts ſich beziehen - den Putzen des Leibes, und jeder innren Faſer, wegen dieſer plumpen, gräßlichen, ja nicht glaubbaren Dummheit in dem Lügen, dieſer völligen Kunſtloſigkeit, Mäßigungsloſigkeit. Ver - zeih mir! Ich mußt es dir zeigen können. Verzeih mir, daß ich mich nicht immer bös gegen ſie zeigen kann, und werde. Ich ſelbſt will es mir vorwerfen, und kann es doch nicht. Denn den Reſt Menſchen ehr ich in ihnen und Aller anderer Schlechtigkeit; die wollten ſonſt jene freſſen, und ſollten auch geſpeiſt werden.

349

Die Fr. erzählte mir viel. Heute iſt ſie nach Hauſe gereiſt: ſie und K. ſind ſehr mit dir zufrieden. Alle gratuliren mir; ſo ſchön führſt du dich auf! Ich umarme dich!

Du ſiehſt, meine ſchlechte Laune iſt ſchon gute geworden durch’s Äußern. Überhaupt, wenn ich in Wuth bin, iſt’s nicht ſo ſchlimm mit mir. Heute will ich die Leute ärgern, und nicht mich: ich habe ſchon vorgeſtern etwas ausgeübt, welches ich dir, weil es zu lang wäre, mündlich erzählen werde. Hl. ’s waren ſo grob, mich geſtern nicht mir zu bitten, als ſie Arn - ſteins baten, ich aber dachte mir das vorgeſtern ſchon, weil’s mir hier immer ſo geht, und ſagte Mlle. Hl. ihr fait wenig - ſtens: über Muſik, womit ſie mich bis zu Nervenanfällen ennuyirt hatte; ſie hatte nämlich eine Sonate ohne Sinn von Clementi auf einem engliſchen, mir odioſen Inſtrument mit angelernter und angedachter Salbung hören laſſen; und ich bedut ihr, was Muſik iſt. So hab ich doch das Präve - nire geſpielt. Adieu.

An Varnhagen, in Paris.

Was du Otterſtedt von dem Kronprinzen von W. ſchreibſt, darin gebe ich dir ganz Recht. Was ſoll ſolcher Be - ſuch? Hochſtehende Fürſten müſſen einen gebrauchen, und mit einem zu reden haben; man muß etwas Beſtimmtes bei ihnen auszurichten haben; ſie müſſen genöthigt ſein, uns unſres Ran - ges wegen zu bitten, Talente wegen iſt es ſchon unangenehm:350 oder ſie ſind von innen her unſre Freunde; ſonſt iſt’s albern zu ihnen zu gehen; weil es ohne Grund und ohne Zweck iſt. Wer iſt ſo müſſig, ohne dieſe beiden etwas zu thun?! Solche Herren müſſen einen alſo, wenn ſie einen wollen, durch be - ſondere Herablaſſung dazu nöthigen, müſſen Gedächtniß ha - ben, und dürfen vermöge ihres Ranges gar nicht zerſtreut ſein, und gar nicht, mitunter, ſo viel Werth auf ein Diner legen, weil ſie ſchon zu großmüthig damit umgegangen. Punk - tum! Es war ganz unnöthig dies, und dies dir zu ſagen; manche Dinge ſage ich aber gerne, und beſonders mit der Fe - der: dann, denk ich, können ſie doch zu eines jeden Geſicht kommen, und brauchen nie wieder, wiederholt, noch beſtritten zu werden, ſo platt wahr ſind ſie.

Ich ſchicke dir ein gedrucktes Blatt an den hieſigen Ma - giſtrat von den hieſigen Bürgern mit. Wo es accurat drin klingt, als wenn Menſchen in einer wohl und richtig gezim - merten Maſchine ein großes, verheerendes, ſorgenloſes Thier eingefangen haben; wohlerdacht, es kann ſich nicht mehr re - gen: eh ihm die auf den Leib rückte, von allen Seiten, dacht es an nichts. Sieben ſind unterſchrieben, ſprechen im Namen ihrer Mitbürger, und der ihnen vom Kongreß zugeſtandenen Rechte. Der große Advokat, der in Wien war, Jaſſoy, hat mit unterſchrieben. Mir gefällt’s ſehr. Mündlich alle Urſachen.

351

An Varnhagen, in Paris.

Erſt dieſen Vormittag erhielt ich deinen Brief vom 5. Sie leſen deine Briefe gewiß auf jeder Poſt, ſonſt iſt ihr langſamer Gang nicht zu begreifen. Mögen ſie! Ich muß dich nur prä - veniren, daß ich Blutſteigen nach dem Kopf habe, und daß dann keine Herkules-Laune von Luſtigkeit vorhalten kann; auch phyſiſche Herzensſchwäche, ſo fing’s nämlich heute an. Geſtern erſchrak ich mich nach einem hölzernen Tag ſehr, Abends um 11. über drei Ruſſen in völliger Armirung, die betrunken auch an meine drei Thüren, die einzigen im Stock - werk wo ich wohne, polterten und mit Gewalt herein wollten, da ſie Kammeraden zum Ausmarſch, deſſen Ordre ſie eben ſpät den Abend bekommen, abholen wollten. Das und ähn - liche Augſt, und dürres Leben, mag mir wohl geſchadet ha - ben: da, ich bemerke es, ich gar nichts mehr vertragen kann, und mein bisheriges, beſonders letztjähriges Leben mir nun anheim kommt. Doch iſt das nur momentan: und ich muß es dir mittheilen können. Sonſt leb ich gar nicht. Alſo ich prävenire dich, daß dieſer Brief, ohne meine Schuld, nicht luſtig werden kann. Ich erſchrak auch, als ich heute Morgen in deinem Brief las, in vierzehn Tagen werden wir wohl reiſen; weil ich nicht gleich berechnete, daß ſieben davon ſchon hingeſtrichen ſind. Ach Auguſt, wie iſt’s mit unſerm Leben, mit ſeiner Optik der Zeit! Ein Gedanke hämmert mir jetzt bald den Kopf entzwei. Der nämlich, daß die Zukunft uns352 nicht entgegen kommt, nicht vor uns liegt, ſondern von hin - ten uns über das Haupt ſtrömt. Da wehre ſich einmal ei - ner! tauſendfältig bedenk und beſtätige ich mir dies, und kann es mit und aus allem, in der Geſchichte, und Einzelner Le - ben, beſtätigen. Geſtern, und das war eigentlich die erſte Veranlaſſung zu der Herzensſchwäche, hab ich ſo über Goethe geheult, geſchrieen, weil mir das Herz borſt. Ich nahm ein Bändchen Lieder zur Hand, weil es mir an einem Buche ge - brach, und las maches Lied, mit großem neuen Antheil, weil mir ſein Leben, welches ich eben geſtern hier wieder ausſtu - dirt hatte, ganz gegenwärtig war; und las bis ich an das kam: Mit einem gemahlten Bande. Ich freute mich, weil er ſelbſt ſchreibt, er habe das Band gemahlt und der Tochter in Seſenheim geſchickt; ich kannte das Gedicht ſehr gut; doch war mir nicht alles, und nicht das Ende gegenwärtig. Und ſo endet’s:

Fühle, was dies Herz empfindet,
Reiche frei mir deine Hand,
Und das Band, das uns verbindet,
Sei kein ſchwaches Roſenband!

Wie mit verſtarrendem Eis auf dem Herzen blieb ich ſitzen! Einen kalten Todesſchreck in den Gliedern. Die Gedanken gehemmt. Und als ſie wiederkamen, konnt ich ganz des Mäd - chens Herz empfinden. Es, er mußte ſie vergiften. Dem hätte ſie nicht glauben ſollen? Die Natur war dazu ein - gerichtet. Und wie muß er geweſen ſein, er Goethe, hübſch wie er war! Ich fühlte dieſer Worte ewiges Umklammern um ihr Herz; ich fühlte, daß die, ſich lebendig nicht wie - der losreißen; und wie des Mädchens Herz ſelbſt, klapptemeins353mein’s krampfhaft zu, wurde ganz klein, in den Rippen; da - bei dacht ich an ſolchen Plan, an ſolch Opfer des Schick - ſals; und laut ſchrie ich, ich mußte, das Herz wäre mir ſonſt todt geblieben. Und zum erſtenmal war Goethe feindlich für mich da. Solche Worte muß man nicht ſchreiben; er nicht. Er kannte ihre Süße, ihre Bedeutung; hatte ſelbſt ſchon ge - blutet. Gewalt anthun iſt nicht ſo arg. Sieh, ſo geht es mir. Aus der Leidenſchaft kann ich nicht; im Gegentheil, das Herz wird ſchwächer. Gentz hat Recht. Nun von Gentz, mein treuer Freund! den ich liebe, und immer wieder lieben muß; nicht weil du grade mein Freund biſt; nein, weil du ſolch ein Freund ſein kannſt. Deine Empörung über Gentz iſt richtig, nur den Zorn iſt er nicht werth, der dir ſelbſt ſcha - den kann. In mir hat er ſich doch geirrt; weil kein Affe ein menſchlich Herz beurtheilen kann, und dies gehört mit zum Verſtande. Ich gehe wo du magſt und kannſt: und hoffe mit dir noch auf deinen erſten Plan in Berlin: es freut mich, daß der Fürſt in dieſem Sinne an dich dachte.

Ich komme aus einem Konzert, aus dem rothen Hauſe; ein großer, hoher, leerer, dreithüriger Wirthshausſaal mit un - eleganten geſtiefelten Leuten, und Künſtler; Flötenſpieler, die ich in Wien hörte, Vater und Sohn; maltraitiren das arme Hirteninſtrument, zu kleinen Geſängen erſchaffen: hetzen es zu großen Konvenienz-Konzerten: dann ſang Mad. Graf gut; aber Häßliches; und dann mit einem Herrn, der nicht Italiä - niſch kann, und sapi mit einem weichen s fünfzigmal ſchrieII. 23354u. ſ. w. Der Saal weiße, pure Wände. Die hieſigen Di - plomaten und eine alte Prinzeß Stolberg, wie eine Fee, alle auf einem Klumpen; Gott, du haſt’s geſehen! Hier in Frank - furt habe ich mir überhaupt in der Einſamkeit und bei Goe - thens Leben, und bei Herders Ideen zu einer Philoſophie der Geſchichte, ſehr viel ausgedacht. Herder iſt merkwürdig. Ganz weit, unbezähmt in ſeinen Ideen, in ſeinen Einfällen, Vorausſetzungen; und alle zehn Zeilen ein heftiger Apokogiſt für den lieben Gott, als guten Mann!? Wie bedeutend er - ſcheint mir Herder überhaupt, und wie anders nach Goethens Beſchreibung!

Der Kr. v. W. hat wieder nach dir gefragt, und be - greift nicht, warum er dich nicht geſehen. So ſind die Men - ſchen alle; nicht die armen Prinzen allein. Das kann aber alles nicht helfen! Wir müſſen Alle auf den Bettchen ſchla - fen, die wir uns machen. Publiziſten, Marquiſinnen, Prin - zeſſinnen, Bauergretchen; Leporello in Don Juan.

An Varnhagen, in Paris.

Nur wenige Zeit hab ich, weil die Poſt geht, und geſtern nahmen mir den Tag Barnekow’s; und Abends war ich und beſonders meine Augen zu ſchwach. Deinen Brief vom 18. erhielt ich geſtern Mittag durch Otterſt. bei Barnekow’s, mit denen ich ſpaziren geweſen war, und eben ſpeiſen wollte. Fouché wohnte neben ihnen an, in einem Zimmer, welches ſie355 ihm abgelaſſen hatten. Den ſah ich mit ſeiner ganzen Fami - lie lange und deutlich. Die Relation von allem mündlich. Zum Gegenſtück deines Ärgers wegen der Vernachläſſigung, den ich ganz mitempfand, wie ich auch das Leid, der unge - wiſſen Lage, und ihrer Urſachen, ganz ausgekoſtet habe: (aber nun iſt’s auch vorbei, und freuen wir uns nur, uns wie - der zu ſehen; und zu denken wie wir denken, zufrieden mit uns zu ſein, wir behalten immer Reſſourcen, wenn nur Friede bleibt und das Unheil aufhört! Kurz wir wollen uns ärgern, wenn wir müſſen, und uns freuen, ſo oft wir können). Das Gegenſtück iſt nämlich, daß ich geſtern das Glück hatte, wenig - ſtens nach meiner Überzeugung ſehr gut für unſer Land gewirkt zu haben. (Jetzt muß ein Deutſcher ſein Land nennen; ich meine Preußen.) Ich war ſo glücklich, Dummheiten für daſ - ſelbe abzuwenden. Wie das geſchah, kann ich dir nur münd - lich erzählen; und wenn du alle Partheilichkeit für mich aus der Seele ſchaffſt, ſo wirſt du doch ſagen müſſen: ja, es iſt dir gelungen. Mir war Reineke’s Beichte lebhaft vor dem Geiſte; und ſo ging’s. Gott! was iſt es für ein Glück, für eine Wonne, wenn einen das Schickſal auf den Ort ſtellt, wo man die Gaben, die einem einmal die Natur ertheilte, anwenden kann. Dann iſt das Glück fertig. Stünd ich hoch in der Geſellſchaft, wo zu überſehen, zu wählen, und raſch zu handlen iſt! Ich macht es richtig, ſtark, und zart. Ich weiß es. Ich fühl’s, ich beweiſe es oft. Ambition habe ich gar nicht. Das iſt ganz gewiß. Denn, ſo wie ich nur ahnden kann, ein Anderer weiß etwas, macht etwas beſſer, ſo lieb ich’s den machen zu ſehen; und mit Wonne, mit Entzücken,23 *356wo und wie es nur iſt. Nicht den entfernteſten Neid habe ich auf Gaben, die ich nicht habe. Aber meine verdorren zu laſſen, iſt hart: und das, was ich vormöchte, ſchlecht ausüben zu ſehen, Höllenſpeiſe. Lebe wohl! Sei bedankt für alle ſchöne Geſchenke! Grüße Gen. Tettenborn. Ich werde ihm ſchreiben, wie ich gar nicht wußte, daß die Generalin in Mün - chen war, ſondern ſie bei Pyrmont auf den Gütern meinte, und hier erfuhr, ſie ſei in Mannheim. Seine Art freut mich ſehr. Barnekow iſt auch der Alte, will von keinem als mir wiſſen. Heute bin ich bei Otterſtedt’s zum Thee mit Gräfin Pappenheim-Hardenberg. Ich freue mich auf dich. Adieu!

Deine R.

An Lucie Gräfin von Pappenheim, in Frankfurt a. M.

Auch geſtern ging es mir wie mit Goethen; bei vielleicht zu großer Redſeligkeit, bei gewiß anſcheinender Dreiſtigkeit, war ich doch zu befangen gegen Sie, um grade das zu ſagen, was mir eigentliches Bedürfniß war: nämlich, Ihnen, Frau Gräfin, für Ihre holde Antwort auf mein erſtes Billet zu danken, und Ihnen zu ſagen, wie ſehr ich ſie gefühlt, wie hoch ich ſie in jedem Sinne aufgenommen habe. Möge Sie dies Geſtändniß aber nicht bewegen, mir zu huldvoll jedesmal ſchriftlich zu antworten, wenn ich ſchriftlich anrede. Heute fühl ich mich dazu bewogen, um mich wegen angeſtrichener Stellen im Fichtenſchen Buche zu entſchuldigen! Ich glaubte357 es nur Varnhagen bei ſeiner Ankunft, als ſchönſtes Geſchenk zu ihrer Feier, zu überreichen, und der liebt es, beim Leſen ſelbſt zu finden, was am meiſten in einem Buche auf mich eindrang; und ich ſelbſt, wenn ich das Buch nur für uns glaube, ſtreiche ſchon aus eigner Bewegung, und in einer Art von Wuth des Applaus an. Dieſe Fichtenſche Broſchüre iſt ein Werk, welches ſeine beſten Schüler nach ſeinem Tod herausgegeben haben; ich bin gezwungen, es als ein Meiſter - werk anzuſehen, und wenn es nichts enthielte, als die Deduk - tion des Napoleon’ſchen Karakters; den man freilich nicht ein - zeln anzuſchauen vermag, ohne das Stück Geſchichte, in wel - chem er zu wirken hatte, genau zu beleuchten; und ohne über - haupt, ſich klar zu machen, was Geſchichte eigentlich iſt, und bedeutet, dem Menſchen. Dies thut Fichte als größter Vir - tuos; und ich bin freudig ſtolz, die Veranlaſſung zu ſein, daß Sie den Genuß dieſes Buches vielleicht ein paar Tage früher haben werden, als es wohl ſonſt in dem fremden Orte hier geſchehen möchte. Die Umarbeitung Hamlets (durch Ducis) wird noch bekräftigen, was Fichte in der Darſtellung der fran - zöſiſchen Nation geleiſtet hat, und findet ſich hier nicht un - paſſend beigefügt.

Mirabeau ſchreibt einem Freunde: Mon opinion sur ce monde est, qu’on y paie les moindres biens et les plus grands au-dessus de leur valeur; et avec cela je mettrai ma vie à acquérir, autant que je pourrai, au phy - sique comme au moral, sachant toujours bien, que le jeu ne358 vaut pas la chandelle, mais e’est que je suis tourmenté de ma propre activité: et quand la chandelle brûlée par les deux bouts sera finie eh bien! elle s’éteindra; mais elle aura donné, par la petitesse de sa lanterne, une vive lumière. N’est pas phare qui veut: il faut pour cela être placé sur une tour. Dieu m’a fait naître dans une cave: mais il m’a donné de n’y être pas étouffé. Mirabeau iſt mein großer Held, wegen der Gewalt der Wahrheit, die ihn regirt; davon iſt er erha - ben und unſchuldig; und nur das iſt liebenswürdig.

Chamfort ſagte, er habe das befriedigendſte Behagen ge - funden, einen Hund ganz begierig und unbefangen lange ei - nen Knochen benagen zu ſehen: weil er endlich dadurch wie - der ein aufrichtiges unbefangenes Beſtreben wahrgenommen. Ich glaube Chamfort dies, als wahre Begebenheit; ſo verliebt kann ich auch in das Roheſte werden, wenn es nur endlich nicht mehr lügt. Sie müſſen heute viel Zitationen ausſtehen! Wer kann dafür, daß es ſchöne Bücher giebt, wo ſolche Dinge darin ſtehen, die wir auch ſagen?

An Troxler, in Aarau.

Ich bin ſo geizig, daß gewiß Buchleute bei uns ſeien, und ſo neidiſch, wenn ſie wo anders ſind, als ob ich die Für - ſtin unſers Landes wäre. Aber auch für Sie, wenn Sie ſich nur mit unſerer Gegend hätten verſöhnen oder ſie vergeſſen können, habe ich diesmal gewünſcht, daß wir Sie behalten. 359Wie es kommt, iſt es beinah immer beſſer, als wenn es kommt wie wir es wünſchen; im erſten Fall halten wir uns, mit der Zeit, an dem, was er noch Gutes mit ſich führt und entwik - kelt; im andern müſſen wir das Üble, welches unvermeidlich daran erwächſt, ſpäter verſchlucken, und mißkennen und miß - deuten dann unſern natürlichen Wunſch ſelbſt. Wir Menſchen haben das Nachſehen und das Nachdenken; die Welt geht ihren Gang. Mit dieſem Gedanken kann ich ich Sie nicht verſchonen, lieber Troxler; er verfolgt mich ſelbſt ſeit einiger Zeit, als ein Rieſenreſultat, welches mir immer wieder vortritt, ich mag den Weg geſucht haben, wie ich will. Im Winter kauert man über ſich ſelbſt und denkt nach, weil man nichts ſieht als die unnatürlichen hemmenden Wände; da wünſcht man ſich gütige eifrige Diskutir-Freunde, luſtige einfallreiche Geſellen: Varnhagen hat Recht, Ihnen zu ſagen, daß Sie mir eine erwünſchte Geſellſchaft wären, nachſichtig ſind Sie obenein, und widerſprechen doch hübſch, Ich hoffe der Som - mer führt uns zuſammen! Was machen die kleinen Schwei - zerchen? Sie wiſſen wohl nichts mehr von Varnhagens? Für die Kinder iſt mir jetzt Ihre Heimath lieber. Mit den herz - lichſten Grüßen empfehle ich mich Mad. Troxler; leben Sie wohl!

Ihre Fr. V.

An Auguſte Brede, in Stuttgart.

Da übermorgen Heiligabend iſt, ſo hoffe ich ſoll dieſer Brief grade eintreffen, und Sie ſchön von mir grüßen! Mir360 iſt bang und weh, nicht zu Hauſe zu ſein: nicht allein, weil Heiligabend iſt, ſondern weil der mich ſo recht herb die alte Heimath bedauren läßt! ſo kommt man immer mehr ab von dem Zweck ſeiner Pläne, durch die Ausübung derſelben. Schritt vor Schritt, ſagt die Prinzeß im Taſſo, bis zum Grabe. Nun, dies Jahr ſind wir auch noch getrennt! Voriges Jahr waren wir noch zuſammen, und mancher troſtfreundlicher Lands - mann; wir ſuchten doch noch das alte Feſt durch eine Art von Anſtalt für’s Gemüth in Erinnrung herzuſtellen! Waren Freundinnen zuſammen. Wir wollen es dies Jahr mit den Gedanken erzwingen! wenn ſie auch Thränen pumpen ſollten, wie jetzt bei mir! Möchte Ihnen auch vom erſten Januar ein heiteres erwünſchtes Jahr, ohne Ungemach, und äußern und innren Kampf abfließen! Und mögen Sie recht viel la - chen, Herz - und Geiſtesnahrung, in guter Geſundheit finden! Vor zwei Jahren waren Sie noch krank, und ich ſchon kränk - lich in Prag; wir waren Stube an Stube: und ich machte zwei Jägern, Doren und der keinen Goldſchmidt ein kleines Feſt! Dies Jahr bin ich hier bei Herzens Klara Herz iſt Mariane Saalings Schweſter zu einem ſplendiden Kinder - beſcheeren, wo Miniſter Humboldt, Graf Flemming, Schlegel und noch einige eingeladen ſind. Vorher, um 5 Uhr, bei Otterſtedts, wo niemand als das Haus und Gräfin Pappen - heim mit zwei erwachſenen Töchtern ſein wird. Mit frem - den Augen in die Glückſeligkeit ſchauen , ſagt Shakeſpeare, als er ſich einen beklagen läßt. Genug Worte! Sie wer - den nun ſchon wiſſen, daß mein Herz Heimath überhaupt will: und ich keine habe; und doch ſehr zufrieden ſein muß: reden361 aber gar nicht darf. Denn wozu! Laſſen Sie mich wiſſen, wie Ihnen iſt. Wie es Ihnen geht! Immer dieſelbe Ad - dreſſe. Wir warten hier auf den Geſandten, der nach Stutt - gart kommt, um mit ihm nach Karlsruhe zu gehen. Schreiben Sie bald, Liebe, und grüßen Sie und gratuliren Sie Mama zu dem Neujahr, welches ſie mit Ihnen zubringt, von mir. Ich lebe ſehr eingezogen hier. Die Stadt hat keine Reſſour - ren: das Theater keine Plätze als für ſeine Abonnenten, und ein elendes Parterre ohne geſperrte Sitze, die, wenn auch nicht mich, doch andere Fremde tröſten könnten. Geſtern war ich zu einem hundertundfünfzig-perſonigen Thee bei Hrn. von Ot - terſtedt, wo Blücher war; Senſation machte: und naiv, und klüger iſt, als man meint: (er iſt unpaß, Blaſenübel. Das beugt mich: ein Schmerz, ein unerklärlicher, bei guten, großen, glücklichen Thaten, im hohen Alter: alſo niemals Glück und Ruh). Millionen Spieltiſche; für mich kompletes Ennui. Wie eine Pute zum erſtenmal auf fremdem Hof trabt ich umher, oder kauerte auf einem gefundenen Eckchen. Ich habe deren hier ſchon mehrere erlebt. Humboldt, Schlegel, alle Fürſten, die hier leben, Steins, alles war da. Von zu Hauſe ſchrei - ben ſie ſo ſelten und wortkarg als möglich! Ich kann nicht einmal von ihnen erfahren, ob Moritz mit der Frau in Ver - lin iſt. Die Macht der Verhältniſſe iſt mit Beifall gegeben worden. Den Sommer kommen alle Markus’ens zu mir nach Baden-Baden: und Sie auch!!! Was machen Lie - bichs? Will ich wiſſen. War denn Bayer in Berlin? Leben Sie wohl! und ſchreiben Sie mir. Dore grüßt ſehr und empfiehlt ſich. Johann iſt zu Haus gegangen: mein neuer362 heißt Stamm. Haben Sie eine gute Jungfer? Viel neue Klei - der und hardes? ich ziemlich. Adieu! Adieu! Pfuel war einige Tage hier. Sehr wohl und klug. Von Williſen weiß ich nichts: ziehen Sie Erkundigungen ein! Dehn war auch hier. Varnhagen läßt Ihnen tauſend Schönes und Liebes ſagen.

Dieſe Nacht träumte mir, ich höre ein ſo ſchönes Prälu - dium, aus der Höhe, oder wo es ſonſt herkam, genug ich ſah nichts, welches eine ſo große Harmonie entwickelte, daß ich auf die Kniee ſinken mußte, weinte, betete, und immer ausrief: hab ich es nicht geſagt, die Muſik iſt Gott, die wahre Muſik, damit meinte ich Harmonieen und keine Me - lodieen, iſt Gott! Immer ſchöner wurde die Muſik; ich betete, weinte, und rief immer mehr; wie durch einen Schein, und ohne Gedankenformen, wurde mir alles, das ganze Sein in meiner Bruſt, hell und deutlicher; das Herz ging mir von glücklichem Weinen entzwei: und ich erwachte.

An Roſe, im Haag.

Meine geliebte Roſentochter! Theure Schweſter! Nur das Unglück, nur die Bosheit darüber, daß wir getrennt leben müſſen, macht es; daß ich ohnerachtet unſerer Freundſchaft,363 und unſerer Liebe zu einander, dir beinah gar nicht ſchreibe; langſam aber, und ohne Worte, ja ohne Zeichen beinah, wirkt das Unglück, daß wir getrennt leben, immer ununterbrochen fort. An Einem Stamm erwachſen, unter demſelben Dache dieſelben Dinge geſehen, erlebt, gelitten, genoſſen; gutgeartet wie wir ſind zur Freundſchaft geſtimmt; verlieren Schweſtern, wenn ſie ſich trennen, was ſie auf der weiten Erde nicht wie - derfinden; wenn ich auch lange mit den Brüdern liirt lebte: welches gut war; aber keine Schweſter! Und wie Unendliches mag ſchlummern, und in meiner Seele zurückgeblieben ſein in Ungeburt, was du mir nur entlockt haben würdeſt, als ſüßes Vertrauen, als heitere Geiſt-Auflöſung! Erſt dieſer Tage ſagte ich zu Varnhagen: meine Schweſter iſt ſo gut wie todt für mich; außer, daß ich weiß wo ihre Seele iſt! Dieſen Som - mer war ich feſt entſchloſſen, dich von hier aus zu beſuchen. Es war auch dieſer der erſte im Leben, wo ich hundert Du - katen oder etwas mehr, ganz zu meinem Vergnügen ausgeben konnte, und ſie wirklich hatte. Varnhagen war in Paris mit dem Fürſten Hardenberg, und ſchrieb mir einen ganzen Roman von herzbrechenden Briefen die ich dir zu zeigen feſt hoffe einen Tag um den andern, ich ſolle kommen, Zimmer, alles wäre für mich bereitet; ich war es auch oft feſt entſchloſſen ſeines Jammerns wegen, fürchtete mich aber ſehr, und konnte nie gute Reiſegeſellſchaft von hier aus finden, welche nicht Tag und Nacht reiſen wollte, welches ich nicht kann, und da nicht mochte. So kam der September heran; da hieß es ſchon, die Fürſten mit ihren Kabinetten kämen zu - rück; und da wartete ich wieder nicht angenehm von einem364 Tag zum andern, in der fremden ungeſelligen Stadt, mit Mäd - chen und Bedienten allein; bis den 3. November; da kam endlich Varnhagen, vier Wochen dem Kanzler voraus; nun warten wir wieder hier. Dieſe unangenehme, alles Etabliren und Häuslichkeit ſtörende Ungewißheit hielt mich bei den größ - ten Gewiſſensſchmerzen von Tag zu Tag ab, dir zu ſchreiben; weil ich dir doch auch gerne etwas Gewiſſes ſchreiben wollte. Ja, nicht einmal Raum noch Muße, des Raumes wegen, in der letzten Zeit hatte. Dieſen Sommer miethete ich, wie ich glaubte für wenige Wochen, zwei Zimmer, wovon eins eine Kammer iſt, für mich den 19. Auguſt kam ich hier an , und nun bewohne ich dieſe zuſammengeſperrt mit Varn - hagen, Mädchen und Bedienten. Ich! die ewig gut wohnte bei Mama; der Quartier, Lokal, alles iſt; die ein ſchlechtes gradezu tödtet: und ein Beiſammenſein! Sieheſt du! Ich habe kein Glück! denn ſeit meiner Verheirathung wohne ich ſo. In Wien kam ich den 3. November mitten im Kongreß hin: aber auch um dort angeſtellt zu bleiben beim preußiſchen Geſandten, der nach dem, ſich immer verzögernden Kongreß kommen ſollte; alſo mietheten wir, bis der eintreffen ſollte, kein anderes Quartier. Dann kam Napoleon, der Krieg ging los; Varnhagen wurde anders, nach Paris beſtimmt; von dort ſollte er wieder zum Kanzler, nach Berlin; nun, plötzlich, nach Karlsruhe; und ich in der Seele bin noch nicht gewiß, ob wir da hin kommen. Alſo immer sur chemin et voìe; was mich der Poſition wegen in der Jugend entzückt hätte! jetzt aber, da die Welt ein Meer, und alle Poſitionen ſchwindende, nicht erkannte Wellen ſind, mir ein365 Gräuel iſt, der mir Heimath, Aſyl, und Ruhe, und Muße raubt; und mich bei mehrerem Einkommen ſchlechter leben und mehr ausgeben läßt. Alles für die Zukunft, Roſeken! die immer einen Schritt vorwärts geht. Aber lebte Mama nur ein bischen, und ſähe Rahle verheirathet, und vergöttert von dem Mann; der ſie ohne einen Sous genommen hat; denn noch hab ich keinen Sous von meinem Vermögen zu ſe - hen bekommen. Nicht einmal werden mir Intereſſen angebo - ten, das heißt, geſchickt; wie ſich’s gebührte. (Wir ſind aber ganz gut: ich und die Brüder:) aber, was ich trage, meine Fluchtreiſe vor der Hochzeit, vor Brautwerden, alles, hab ich von V. Von dem ſchreibe ich nichts: den mußt du mit mir ſehen, dann wirſt, dann kannſt du’s glauben. Frank - furt iſt näher zu Amſterdam als zu Berlin: bei Karlsruh iſt ein berühmtes warmes Bad gegen Rheumatism; dorthin hat mir Markus zugeſchworen kommt er mich dieſen Sommer mit Frau und Kinder beſuchen; in der göttlichſten Gegend; du wirſt doch nicht ſterben wollen, ohne je etwas für dich zu thun? (Karl meint das auch nicht:) ohne uns zu ſehen ſieh wie unſere Bekannte wegſterben zu Hauſe! Komme alſo, dein Knabe iſt erwachſen, mit oder ohne ihn nach Karlsruhe! Hundert Dukaten, die ich zur holländiſchen Reiſe hingelegt hatte, will ich dir, geliebte Schweſter, auf der Stelle aſſigni - ren. Dies iſt keine Schande! Wer ſie erſt bei der Hand hat, der giebt ſie zu ſolch einer Freude. Was hat man denn ſonſt! Was erlebt man denn? Ganze Reihen kleiner Le - benswiderſprüche. Große Kriege, Flucht, Krankheit. Iſt es nicht genug, daß du in einem dich untergrabenden Klima,366 von der Jugendſcholle abgeriſſen leben mußt? und das in einem Zuſtand, den du noch Glück nennen mußt, der es iſt! Ich empfinde das jetzt ſehr hart. Ich bin, außer daß ich V. habe, ganz iſolirt von allem, was ſonſt als Menſchen und Dinge zu mir gehörte; und fühle es immer weg. Laß mich keine Fehlbitte thun! Lieber Karl! bring ſie; und geht dies nicht, ſchicke ſie! Um Gottes willen. Ich möchte gerne, daß dich, Karl, V. ſieht. Biſt du denn noch recht klug? d. h. immer klüger geworden? (Apropos! lies Pradt sur le congrès de Vienne.) Iſt es euch ſehr lieb, angenehmer im Haag zu ſein? Geſellſchaftlicher? Wohnt ihr gut? So gratulire ich von Herzen. Ich grüße auch Louis recht ſehr! er ſoll mit kommen; ein wenig kann er immer Bücher verſäumen, und ein Stückchen Welt lernen. Den 7. November ſchickte mir Markus deinen Brief, in welchem du ihm die Stelle im Haag ankündigteſt, er bekam ihn denſelben Tag mit einem von mir, worin ich ihm unſere in Karlsruhe meldete. Dies freute ihn ſehr. Ich dachte an Mama! wie bei jedem großen und klei - nen Garten, Grasplatz oder Beſitzung, daß ſie es nicht hatte und ſo ſehr liebte: und nichts hatte, und ſich nichts gönnte, noch ſchaffte. So auch ich, mußte ſpät, nach ihrem Tod hei - rathen. Doch kannte ſie Varnh., und ſeine Liebe zu mir ſah ſie wohl: doch dachte ſie es ſei wie Andere. Wenn du mir antworteſt, ſchreibe: pour Mad. de Varnhagen, aber mache die Addreſſe: dem Königlich Preußiſchen Geſchäftsträger Hrn. Ba - ron von Otterſtedt in Frankfurt am Main. Der iſt hier mit einer ſehr braven Frau, und vier Kindern. Er ſpricht mir täglich von dir mit dem größten Enthuſiasmus; und will im -367 mer Varnh. erzählen wie du biſt: ſetzt dich weit über mich, ohne ſich’s geſtehen zu wollen. Und ſchreit mich aus, für ſeine erſte, beſte Freundinn! Er iſt wie er war: thätig und fleißig. Klärchen Herz aus Hamburg, wohnt jetzt hier mit ihrer Familie, Julchen und Mariane wohnen jetzt bei ihr. Eine tüchtige, wahrhafte Kreatur, noch ſchön, mit ſechs ſchönen und auch erwachſenen Kindern: im höchſten Wohl - ſtand. Die ſehe ich oft, und Otterſtedts, und Gräfin Pappen - heim (des Staatskanzlers Tochter) mit zwei Töchtern. Sonſt hier niemanden ſo ungeſellig ſind die Kaufleute hier. Die Umgegend iſt völlig reizend. Weihnachtheiligabend war bei Herzens ſehr aufgebaut; und eine Soirée, Fr. Schlegel, Humboldt der Miniſter, ein paar Herren, die große Familie, und wir. Morgen Sylveſter ſind wir wieder da; und da werde ich um 12 Uhr dich hoch und gut von Gott! leben laſſen. Da iſt dein lieber Geburtstag: und da denken wir Alle an dich. In Berlin und hier! Deinen Brief von dieſem Frühling, eine Antwort auf meinen vom Hochzeitstag, hab ich feſt in’s Herz geſchloſſen! Alles alles ſollſt du wiſſen, al - les wollen wir ſprechen, alles ſollſt du ſagen! Unterdeſſen ſchreibe mir wie und mit wem du im Haag lebſt, und wie dir der übrigens hübſche Ort bekommt.

Noch Eins! Mein ganzer Troſt in meiner jetzigen Si - tuation beſteht darin, daß Varnhagen ſie eben ſo abſcheulich findet, als ich: und auch das Zuſammenſein ſo haßt. Freiheit, Freiheit! beſonders in einem geſchloſſenen Zuſtand, wie die Ehe. Ah a! die alte Rahel! Ah!

368

Es iſt ganz einerlei, wie man iſt, ſobald man nicht ſein kann, wie man will.

Eigenſchaften ſind keine Talente; ſie müſſen aber alle dazu gemacht werden können, ſonſt iſt man noch gar nicht gebildet.

Mit den Exiſtenzen ſteigern ſich die Aufgaben und Prü - fungen.

Nicht die Menſchen haſſen ihr Vaterland, oder die Orte wo ſie gelebt haben, welche ſehr unglücklich waren, wohl aber die, welche ſich allda ungebührlich aufgeführt und Tadel zu - gezogen haben; und dieſe ſind es auch allein, die nach ihrem Lande zurückzukehren meiden. Die Erſteren behalten immer eine erinnerungsvolle Vorliebe dafür.

An Troxler, in Aarau.

Sonntag den 28. November 1813. ſchrieb ich mir in Prag folgende Stelle auf; als etwas, was mir durch die Seele wogte, und was ich nicht vergeſſen wollte. Ich bin nun ſehr erfreut, daß ich einen ähnlichen Gedanken in Ihrem Schrei - ben an mich finde: und ſogar einen und denſelben Ausdruck. So369So ſchrieb ich in Prag: So wie kein Dichter ſich ausdenken kann, was beſſer, mannigfaltiger und ſonderbarer wäre, als was ſich wirklich in der Welt entwickelt und zuträgt; und nur der den beſten Roman machen kann, welcher Kraft genug hat, das was geſchieht zu ſehen, und in ſeiner Seele ausein - ander zu halten; eben ſo ſind unſere tief-natürlichſten Wün - ſche roh; und gräuelhaft entwickelte ſich ihre Erfüllung für uns; nur das, was Gott wirklich zuläßt, iſt in allen Bezie - hungen heilſam für uns, weil wir uns ihm entgegen bilden können. Mir iſt dies in Prag ſchmerzhaft geſchehen, und klar geworden. Wem dies glimpflich begegnet, der hat Glück. Der Ausdruck rohe Wünſche fiel mir ſehr auf, und ſo etwas kann mich erſtaunlich freuen; ſo ſehr mir auch meine Aus - drücke aus dem Kopf und aus der Feder fahren, ſo entſchie - den diſtilliren ſie ſich doch durch alles was ich lebe vorlängſt in meinem Kopf zurechte; durch Gut und Blut, und Arbeit, ununterbrochener Art; darum gehe ich wohl verſchwendriſch damit um, und achte es nicht wenn meine Ausdrücke nicht be - achtet werden, wenn aber einer davon einmal grade ſo wir - ken will, als ich ihn gemeint hatte; d. h. alle Gründe mit beleuchtet und bewegt, die ihn geſchaffen haben, dann freut es mich als etwas Gelungenes, dem Recht geſchieht, und wel - ches nicht umſonſt da iſt; dies nun iſt mir in Fülle dadurch diesmal gelungen, daß Sie ſich bei demſelben Gedanken deſ - ſelben Ausdrucks bedienten: und daher mein freudiges Bravo, und mein umſtändliches Beurkunden meines Anſpruchs darauf. Sie ſehen alſo, wie bereit ich bin mir Gerechtigkeit widerfah - ren zu laſſen, wenn auch zu meiner Ehre, durch mein eigenesII. 24370Lob! Aber ſchreiben kann ich doch nichts, lieber Dr. Troxler, was Sie zum Druck gebrauchen könnten. Ich kann nur Briefe ſchreiben; und manchmal einen Aphorism; aber abſolut über keinen Gegenſtand, den man mir, oder ich mir ſelbſt vorlegen möchte. Sonſt möchte ich Ihnen, was ich nur hätte oder könnte, mit dem größten Vergnügen wie dies Schreiben hier ſchicken. Mehr, Lieber! kann ich Ihnen heute, jetzt nicht ſchrei - ben, da Menſchen bei uns ſind, denen Varnhagen manches lieſt, und vorſpricht, und die antworten. Künftig mehr; und beſonders über unſern Satz. Ich bin doch ein Rebell! Aber auch ſehr ergeben: nur will ich auch das ſchlecht zu fühlende ſchlecht nennen dürfen: aber doch dulden, weil es wohl gut ſein wird. Viele Grüße an Mad. Troxler: ſie ſoll ſich erholen in der geſunden Schweiz! Schönheit und Ge - ſundheit pflegen. Ich umarme ſie; ſie ſoll die Kinder von mir küſſen!

Friedrike.

An Auguſte Brede, in Stuttgart.

Ich dachte es gleich, daß Sie nicht wohl ſein müßten; dies, und daß Sie nicht vergnügt ſein können, fehlte mir noch in meiner Verdrießlichkeit! Aber es geht keinem Menſchen gut! Das ſehen wir ja daran, daß es uns in allen verän - derten Lagen nicht beſſer geht. Man ſieht in einer neuen ge - wünſchten nur immer, daß man den alten Druck los wird, und den beſſern neuen Raum; aber was führt der nun wie -371 der für Bedingungen mit ſich?! Wieder Druck, und Druck. Und natürlich: denn kommt man wohl in irgend eine Lage abſolut frei hinein? oder iſt eine einzige nur ganz nach unſerer Wahl? Wir ſind nur ſo ſehr gepreßt, dem alten Druck zu entkommen, und ſo ſagen wir uns in der Eil darüber nicht von dem bevorſtehenden. Wir Alle ſind wie der Kranke, der ſich in ſeinem Bette wälzt qui s’agite dans son lit, iſt beſ - ſer um eine erträgliche Lage zu finden: aber er bleibt krank und im Bette. Schöner Troſt! Nicht wahr? Wahrheit oder vielmehr Wahrhaftigkeit, womit man die erhaſcht-vermeinte ſeinen Freunden vorträgt, iſt doch der beſte Troſt! Und daß wir im Sommer, im ſchönen Sommer mit einander leben wer - den! Es iſt doch eine große Vergünſtigung! Sind wir im Freien: können uns anſehen, und erzählten wir uns auch lau - ter Leid, ſo iſt uns doch wohl! wir lachen auch: ſind leicht - ſinnig, vergeſſen alles. Und ich werde im guten Wetter, mit leidlicher Geſundheit, in Ihrer Gegenwart gleich auch poſſirlich. Das wiſſen Sie; und dann lachen Sie gewiß. Freuen Sie ſich mit Eßlairs, und ſehen Sie großartig, wie es Ihnen ſchon oft gelang, auf Ihre Lage. Bedenken Sie das Bequeme, Gute, welches ſie mit ſich führt: und denken Sie deutlich an die vorigen, wie auch die arg waren, und wie Sie deren Arges los ſind! Ich ſchwöre Ihnen, geliebte Guſte, daß ich es grad eben ſo machen muß: und alſo wie mir ſelbſt nichts Beſſers zu rathen weiß; und doch gerne möchte! Mündlich alles was mir hier fehlt; ein Glück hab ich nur, daß ich es doch Varnhagen, wenn auch oft verhehle, am Ende doch nicht zu verbergen brauche, und mit dem wahr -24 *372haft ſein darf. Auch wir beide ſprechen über Menſchenſchick - ſal, wie ich mit Ihnen! Erſt geſtern bei einem Spazirgang. Noſt. zum Beiſpiel, iſt noch in Paris, in einer guten Lage: der ſchickte mir dieſer Tage einen Brief: und auch der beklagt ſich wie wir! und hat doch einen andern Karakter: aber die feine Seite in ihm leidet: iſt unbefriedigt: ſo lebt er in hin und her wählen und überlegen, und ſehnen, nach dem was er nie kriegen wird; wie wir; weiß es; ſtrengt ſich an, agitirt ſich; und tadelt dies alles! Ich habe ihm auf drei Briefe nicht geantwortet, weil mir das Schreiben ohne eignes Zimmer unmöglich fällt. Wir müſſen hier noch warten. Varn - hagen grüßt Sie ſehr! Er wird alles, was er für Eßlair bereiten kann, thun, und ſeinen Freunden ſchreiben: ich will auch mit Worten, geſchriebenen und geſprochenen, nicht karg ſein. Für einen Mann wie Eßlair thät ich gerne alles Gute: grüßen Sie ihn recht ſehr von mir!

An Moritz Robert, in Berlin.

Helles kaltes Sonnenwetter, mit Schnee auf den Straßen.

Seit acht Tagen, wo ich deinen Brief erhielt, gehe ich herum und quäle mich doppelt, wie ich dir antworten ſoll! denn alles möchte ich mit Eins faſſen: ſo hat mich dein Brief angeregt, ſo alles in mir auf. Ich habe ſeit ich von zu Hauſe weg bin, nicht einen ſo großen perſönlichen Eindruck em - pfunden. O! wollte doch nur das Wort perſönlich ſo gut ſein und alles das ausdrücken was ich meine. Es thut es aber373 nicht; und ich muß es thun: zu ſuchen thun. Schrecke, unan - genehme, peinigende, ärgernde Nachricht, große Kriegesnach - richten, und peinigende Berührung aller Art, hatte ich in der Zeit wohl genug; aber nichts was mich in Rahels Vergan - genheit ſo verſetzte, mir ihre geträumte Zukunft ſo hervor - rief (die nun eine ganz andere, ihr unbekannte, faſt ohne Zuſammenhang mit ihrem alten Sein iſt) kurz, ſie plötzlich und ganz zur alten machte. Ob dies wehmüthig, großartig, gedankenreich war, ſollſt du ſelbſt beurtheilen. Wiſſe nur! und dir wird es wohl eben ſo gehen, das höre ich ſchon; ich bin durch des Tages Treiben, und was meinen Nächſten lieb und heilſam iſt, ſo abgekommen von den tiefern, unerläßlichen, unveränderlichen Wünſchen und Forderungen meiner Natur; daß nur ein unbeachtetes Unbehagen, nur ein unerſchütterli - ches Rechtdenken, wenn es zum Nachdenken kommt, und ein Brief wie deiner mich daran erinnern kann. Ein Bruderbrief, wo die Naturen ſich ſchon ähnlich ſind, ein Kammeradenbrief, die miteinander die Stöße zum Altwerden erlebt haben! (Wenn ich auch älter bin.) Abzuſchreiben brauchte ich nur, was in deinem Brief ſteht, um dich mit Eins wiſſen zu laſſen, wie es mir geht. Dabei bin ich ganz glücklich, denn Varnhagens Betragen hat ſich in nichts geändert, wie du es kennſt, und durch einen Zauber, den ich nicht kenne, iſt er verliebt in mich; und nur erfüllt von dem, was mir lieb ſein könnte. Auch iſt alles gut; und doch verſtehe ich es, weil es mit mir eben ſo iſt, daß du ſo verdrießliche Briefe ſchreiben kannſt, worüber Erneſtine ſich wundert und doch ſo höchſt unzufrieden ſein kannſt! Es kommt alles, was uns beiden begegnet, von374 unſerm Karakter, dies bei allen Menſchen und bei uns beſon - ders. Wir ſind beide im Innern und allen Neigungen, die ſich alle auf phyſiſche Anlagen gründen, die bei uns prononcirt und kräftig angelegt ſind, ſehr beſtimmt, haben aber nicht Härte oder Kraft genug, nach dieſen Anlagen, eben weil ſie reich, vielfältig und verſatil ſind, zu handeln: und berückſich - tigen Andere, und manchen Augenblick zu ſehr, wobei wir die ſtarke, innere Ueberzeugung nicht einen Augenblick verlie - ren. Dies muß zur Folterbank führen; was ſoll ich’s noch ausmahlen, und nach Modifikationen ſtellen. Unſer Verſtand, Einſicht, Weltkenntniß, ſind Laternen, die uns unſere Schmach beleuchten. Unſere Laune, unſer Finden in Men - ſchen, und Ereigniſſe, Umgebungen: Profit und Unterhaltung - und Bequemlichkeit für die Andern. Unſer endliches Auffah - ren, wenn wir viel ertragen haben, wovon die Andern gar nichts merkten, weil ſie eben dadurch genoſſen, wird uns dann für Unſinn und Inkonſequenz ausgelegt. Auch enthalte ich es mir immer mehr, und ſchreie mit Blick und Gedanken zu Gott! Doch bin ich noch immer zu Aller Freude, Scherz und Amüſement bereit, und da. Am meiſten kränkt es mich, nicht mit den alten Freunden und Bekannten weiter leben zu kön - nen, im neuen Lokal nichts Entſchädigendes zu finden, wel - ches ohne große Glücksumkehrung und Geld nicht geht, und auch dieſes Miſſen muß ich preiſen, da es Glückstitel trägt. Varnhagen darf ich’s wie einem andern Freunde, nicht merken laſſen, weil der mein Glück und meine Zufriedenheit, für eine ſeiner Verpflichtungen, ja für ſeine größte, anſieht, und außer Faſſung geräth, wenn er nur irgend etwas davon merkt. 375So hat mich denn die Tugend eingeſperrt, und der liebe Gott leidet’s: ich bin alſo muks-ſtill. So, auf ſolche Weiſe, war’s ja von je! Ich bereue nichts, denn ich konnte nichts anderes machen, und müßte es noch Einmal ſo machen, wiederholte ſich die Lage. Was nicht ſchön iſt, kam noch obenein hinzu. Eben ſo gut hätte ich dir einen luſtigen Brief, und ich bewies es ſchon, ſchreiben können: voller Dinge, die da eben vorgehen, in Laune aus Kürze vorgetragen; aber ich wollte nun einmal den innern Quell von deinem Brief erſchloſſen rein aus dem ſelten geöffneten Herzen ſpringen laſſen! Sprechen wäre frei - lich noch beſſer, aber ich bin nun nicht ſo glücklich! Es kann kommen. Wie alles! Alles iſt möglich. Am meiſten verdrießt mich, daß du mir ſagſt ſo ein Jährchen ſetze ſich nicht in die Kleider! werde nur nicht am Körper vor der Zeit alt. Meiner iſt ein Held im Kampfe mit dem Alter; außer weiße Haare, ſehe ich bedeutend jünger aus als ich bin. Eigentlich möchte ich gerne ſo alt vorſtellen als ich bin: das kann ich nicht, weil ich ſo bedeutend jünger ausſehe und es immer er - klären müßte; wenigſtens oft; und dann, weil ich einen jun - gen mich ſo ſehr liebenden Mann habe. Komiſchers giebt’s nicht. Die verkehrte Krone auf meinem Schickſal, dankbar bin ich auch. Künftig ſchreibe ich dir von meinen wenigen Bekannten. Das Berliner Theater habe ich aufgegeben. Devrient möcht ich ſehen! Laß dir von Theodor meine fünf letzten Briefe zeigen, vor vier Tagen ſchrieb ich es ihm auch; und dieſen Brief ſollſt du auch leſen. Wenn du einen Reſt Liebe für mich haſt, ſchreibe mir oft: es iſt mein beſter Troſt, und Lebensfaden; nun ich einmal dieſen Brief aus dem Herzen376 habe, werd ich auch fröhlich und amüſant ſchreiben. Schließ ihn in deine Seele! und in keines Andern Seele! Du kannſt dir den namenloſen Genuß nicht vorſtellen, den mir dein Brief gewährte. Alles was wir je erlebten war mir mit einemmale hell in der Seele. Paulinens Hof, die Linden in der Nacht, unſer Ärger. Unſer Lachen. Alles! Alles! Ich umarme dich! ſchreibe mir von Allem, von Louis Robert. Ich haſſe alles was jetzt vorgeht, am meiſten den Dünkel; bin wie ſonſt!

Dieſes Blatt iſt dankbarlichſt an meine liebe kleine dünn - leibige Erneſtine. Ich umarme Sie nämlich jetzt, alſo denke ich mir Sie gleich, und fühle Sie ganz ſchlank. Doch noch ein Wort an Moritz. Du haſt Recht, man ärgert ſich ſchänd - lich, wenn ſie einem nichts von zu Hauſe ſchreiben, und nicht antworten. Drum will ich, daß du meine letzten Briefe lieſt, darin iſt vieles berührt, worüber ſie mir doch ſchrieben; als: Juden, Akteurs, Roberts Stück und ſonſtiges Moden-Elend. O! wie haſſ ich die forcirte Religion und Vaterlandsliebe. Eure beiden Briefe haben ein wahres Glück in unſerm kleinen Hauſe bereitet. Aber Ihr, liebe Kinder, machtet aus meinem zu viel. Wir wollen uns aber fleißig ſchreiben. Heute ſpeiſt Varnhagen bei dem Miniſter Barkhaus, wo ich expreß um zu ſchreiben abſagen ließ. Ein Diner: um 2 Uhr. Ein Gräuel! An Ihren Geſchenken nehme ich rechtſchaffenen An - theil: auch ich habe vieles bekommen. Gern theilt ich mit, Varnhagen iſt aber ſo verſeſſen, daß ich behalte, was er mir giebt, daß ich mich’s nicht gleich unterſtand, obgleich beſtändig daran dachte. Beſonders beſtimmte ich den Schleier, welcher ein enorm viereckig Tuch die größte Mode iſt. Noch377 liegt er unverſehrt für Sie da! Machen Sie, theures Ernſt - chen! daß ich ihn Ihnen den Sommer ſelbſt gebe. General Tettenborn ſchickte mir eine Schachtel Bänder; und zum Com - ble brachte mir Varnhagen einen Schal, welchen alle Men - ſchen für türkiſch halten; welches ich nicht ambitionire. Als ich von den Fêten in Poſen las, dacht ich gleich an euch. Es freut mich, daß Sie dort waren. Ach Gott! ach Gott! äßen Sie nur Eierkuchen und Beſinge zum Frühſtück bei mir. O! wären wir nur zuſammen in Berlin! Erneſtine, ich halte es nicht aus! Sie haben doch noch Eltern und alles! Alſo Ferdinand als Koſake? Was ſagen Sie zu dieſem eſelhaften Brief, nach Ihrem, der mir ſo viel Freude machte! Ich kann heute nicht anders. Laſſen Sie ſich nur nicht abſchrecken. Adieu, Theure, Liebe, ich bin heute von allem Schreiben zu finger - lahm. Pappenheims und Herzens ſehe ich oft, auch Frau von Cuſtine, des Generals Sohn’s Frau. Ihre R. Bald Antwort!

An Wilhelm Neumann, in Koblenz.

Da Sie mir’s zutrauen, lieber Neumann, daß ich Ihre Lage, Ihre Entſchlüſſe, Wünſche und Ihr Schreiben darüber beurtheilen kann, ſo thue ich es um ſo zuverſichtlicher, weil ich es doch gethan hätte, und mir ſelbſt zutraue, es zu können. Bis jetzt traute ich Ihnen zu, wenn Sie nur wollten, die ſchön - ſten Mährchen, die naivſten Geſchichten und Karaktere erfin - den zu können, und Ihre Feder einen jeden beliebigen anneh -378 men zu laſſen; daß Sie aber ſelbſt, als Undine Gurli Thekla Klärchen Iphigenia, Ihr ſchönes Herz zum Trumpf einlegen, wenn das Spiel mit Karten, in dem, was man die Geſellſchaft nennt, kann abgethan werden, hab ich erſt jetzt durch Ihr Schreiben zu Ihrer jugendlichen Ehre, und meiner grauen Schande, und großem Ergötzen, erfahren. Anmaßend, wie alle Alten, entſchied ich mich auch gleich dafür, daß Ihre ganze redliche Herzensergießung nicht an den Mann abgehen müſſe; der allenfalls dergleichen gedruckt, von einem berühm - ten Dichter erfunden, für ſchön halten würde; dieſe ſoll uns verbleiben: beſonders mir; die ich ſogar die Handſchrift ſo ſchön finde. Schwerer war es mir, V. zu überreden, daß er ein Reſümé aus Ihrem Aufſatz, ſicherer, ſtärker geſetzt, mache; er behauptete, man könne für keine andere Perſon etwas, das für ſie gelten ſolle, machen: ich behauptete, mit manchem Doch, das Gegentheil; V’s Talent, beſonders in dergleichen Inſinua - tionen, kennend; er gab mir aus wahrer Güte nach, und hat meines Bedünkens einen ſehr guten Aufſatz geliefert, eindring - lich, kurz, beſtimmt; wo nichts weggeblieben iſt, was der Mann wiſſen ſoll. Was aber ſoll er mit Ihren innren An - ſichten, Zuſtänden und Beſtrebungen: die erſehe er alle aus Ihren Forderungen; und bilde ſich, wenn er Luſt hat, etwas drauf ein! Noch viel beſſer fand ich V’s eigenen Brief; für welches Schreiben ich nicht Einmal geſinnt war, weil ich mir nicht einbilden konnte, wie gut und abgepaßt es nun gelun - gen iſt. So denk ich denn, ſchicken Sie getroſt beide Briefe ab. Unterſuchen Sie ſich aber doch genau, und frei; und handlen Sie unbeſtochen, nach Ihrem perſönlichen Gefühl.

379

Ich bedaure Sie, lieber Neumann! Wie ſchon immer ſonſt, die Leute, die viel zu mir kamen. Beſſeres haben ſie nicht? dacht ich oft; Das iſt ihr Vergnügen? Der Aufent - halt bei uns, Lieber, mußte Sie erfriſchen? O! heiße Jahre, wo man ſo rechnet! wir wollen aber gar nicht rechnen; weil man doch nichts heraus rechnet, als etwa wie alt man iſt; was einem nicht gelungen iſt; u. ſ. w. Wir wollen nur ma - teriell von uns ſprechen; uns erzählen, wenn uns etwas Auf - fallendes, oder Scherzhaftes begegnet; oder wenn wir ein gro - ßes helles Glück haben. Etwas böſe bin ich mit Ihnen; daß Sie mir Nachſicht anrechnen, die ich wie eine Jugendfreundin gehabt hätte: ich kenne Sie alſo nicht als Wilhelm von Ju - gend auf? kennte Sie auch ohne dies nicht doch, durch und durch, von unſerm Umgang; und als V’s Freund; und müßte nicht etwa Sie ſo gut behandlen, als ich Sie kenne?

Wir ſind dieſen Abend bei Mad. de Cuſtine; Donners - tag auf einen großen Ball bei Otterſtedt; ich gehe vor das Thor, wenn es das Wetter erlaubt. Das Übrige kennen Sie von uns; mehr giebt es nicht. Schreiben Sie mir manchmal; Phantaſieſtücke! Dann antworte ich.

R.

An Ludwig Robert, in Berlin.

Schleiermacher iſt meines Bedünkens ſeit der Weih - nachtsfeier ſchon herabgeſtiegen. Dieſer war mir der erſte Beleg, daß die hohe, ſcharfe Seele, die auch ſtill und einſam,380 alſo einfach, war, ſich von fremdem Wollen hatte berühren laſſen. (Das iſt das Eine Haar, bei dem einen der Teufel, nach Leſſing in Emilia Galotti, nicht mehr losläßt.) In die - ſem Büchelchen wollte er etwas leiſten, was nicht urſprünglich ſeines war; und noch dazu in einer Form, die ihm durch ſeine Talente nicht zu Gebote ſtand, und in welcher er es nur ſei - nen Liebhabern angenehm genießbar machen wollte. Auch der Kunſtform nach iſt das Ding meines Bedünkens ganz mißlun - gen. Gewiß wurde er zuerſt in Halle aus Geſelligkeitskreiſen zuerſt ſanft berührt, angeregt, und etwas verſtanden. Er hat ein feines Gemüth, von einem lichteindringenden Geiſte em - pfindlicher gemacht; alſo fühlte er dies ſtark; doch entging ihm nicht, daß die wohlthuenden Freunde ihn nur in einer ihnen gemäßen Hülle, die ihn ſelbſt als Neues reizte, wie ihn die Geſchicklichkeit ſie zu gebrauchen unterhielt und freute, zu verſtehen vermochten, und auch nur manches von ihm. Der Süßigkeit widerſtand er nicht; mit herabgeſtiegener Freude machte er ihnen gern dies Geſchenk. Das Talent aber, in und für die geſellige Welt ſich zu bewegen, mangelt ihm am meiſten, und auch im Buche gelang’s ihm nicht. Der große Beifall blieb aber nicht aus: und ſo vermeinte er auch für die geſellige Welt leben, wirken und daſein zu können auf unmittelbare Weiſe; gab ſich dem edel und eitel hin, achtete Unbehagen aus dem tiefſten großen Innern her nicht. Ward von Verbindungen und deren Meinungen und Abſichten um - ſchlungen; erwarb das vermeinte Talent nicht; ließ das hohe, wahre, einſam in ſich, denn dies war ohne Freunde, er ſelbſt war ihm nicht mehr der einſame Freund, verließ ſich aber dar -381 auf, dies würde ihm bleiben; aber es ging ein! äußerte ſich ihm ſelbſt nicht laut und thätig genug, macht ihn wohl noch ehrenwerth, aber mochte nicht wieder als Thätigkeit zum ſchön - ſten Wirken, was es gekonnt hätte, erweckt werden. So war er vor Halle gewiß einer der erſten, reinſten Geiſter; von Halle kam er angebrochen zurück; und ſank und ſank bis zur Schmalziſchen Schrift hinab. Von bloßem falſchen Lob, und Loben, und vom Tumult, anſtatt der keuſchen, ehrwürdigen Seeleneinſamkeit. Ich kannt ihn wohl, liebt ihn ſehr, habe ihn immer gekannt, und ſinken ſehn. Er iſt aber groß! und wäre er jung und geſund genug, ich könnte ihm das alles ſa - gen; und wäre es wahr, mit Erfolg.

Welche Wahlen für ſeinen Umgang traf er! Nicht, daß weit weniger Begabte uns nicht weit mehr erregen, er - füllen, befriedigen, erquicken, gefallen, wohlthun, beruhigen, unterhalten könnten! Aber ich kenne ſeinen hölzernen, uner - giebigen, nicht nach der Tiefe dringenden Umgang, wo es bei ihm ſo ſchön iſt, und er ſo zu leben verſteht. Er iſt aber ge - fallen; und dies durch einen Verſtandesmangel; Tieck aber ſagt, man iſt nicht dumm wenn man nicht imbécile iſt ; da wo man dumm iſt, iſt auch Unſittlichkeit, böſer Wille; und dies glaube ich mit Tieck. Alſo hat er ſehr gefehlt; und iſt ſehr geſunken; aber wer ihn kennt, liebt ihn doch; und ärgert ſich doppelt. Da ich ihn lange ſchon ſo ſehr angreife, und neulich noch bei Ohme ſo fallen ließ, muß ich ihn wieder bei euch ſchützen, wie er’s in meinem Herzen iſt: nur wer ihn ganz kennt, darf ihn jetzt loben, und muß es auch.

Danieder liegen die Menſchen aus allen Ecken382 Europa’s; aus allen Ecken habe ich ſie abgehört, und höre ſie ſich beklagen, ſehe ſie ſich unbehaglich fühlen, rücken und klimmen; Alle, die nur nicht ganz gemein, ganz roh, ganz plump ſteigen und gewinnen, ohne Zweck, aus Prahlſucht und Lüge, ganz nach außen. Meiner Natur Spinnen iſt nun, das, was mich quält, bis zu ſeinem Urſprunge hin zu ver - folgen; das heißt, bis an die Gränze ſeines Verſtändniſſes. Ich verſtehe nun der Welt Gewirre und ihren jetzigen Zu - ſtand ſo: Es fehlen zu den bedeutend vielen kleinern De - tail-Erfindungen möcht ich es nennen Entdeckungen des Menſchenwitzes, wodurch er nun ſeit den neuern Jahrhunder - ten ſeine Sinnorgane glücklich genug ergänzt, ſich die Außen - welt dienſtbarer, die ganze Erde bekannter und kleiner gemacht hat, einige große Erfindungen und Annahmen, wie ſonſt es einmal müſſen Ehe, Menſchengemeinden mit Geſetzerfindung, die zehn Gebote u. dgl. geweſen ſein. Das Alte, Einfache, damals groß Erfundene reicht durchaus nicht hin. Der Ein - zelne iſt mächtiger in ſeinem Sinn und Geiſt, reicher vorge - bildet, als das Geſammte, das ihn regieren ſoll, und es, ohne Reſpekt, Bewunderung, Meditation einzuflößen, nie kann. Hiermit meine ich bei weitem nicht die Regierenden; ſondern das Regierende, welches höher, in Intelligenz, Erhabenheit und Erfindung ſein muß, als die, welche regiert werden, wenn ſoll regiert werden können. Ich bin gewiß, wo viele Men - ſchen als Völker zuſammen waren, fanden ſie ſich ungefähr, aber nur ſehr ungefähr, in ſolchem Zuſtande wie wir, kurz vor einer der großen Erfindungen, die man auch Offenbarun - gen nennt. Nichts aber, was wir aus den Büchern und Sa -383 gen kennen, kommt, dünkt mich, dem jetzigen Zuſtande der Erde gleich! Alte gebildete Völker hatten Säulen zu Gränzen der Welt, Höhlen zur Hölle, ſchöne Inſeln und Berge zum Olymp; nannten andere Völker Barbaren, wollten dies, und nahmen ſie zu Sklaven. Jetzt aber, wo die ganze Erde bereiſet, gekannt, Kompaß, Teleſkop, Druckerei, Menſchenrechte, und wer weiß alles was erfunden iſt, in vierzehn Tagen allenthalben gewußt iſt, was allenthalben geſchehen iſt, und doch die Urbe - dürfniſſe, Nahrung, Vermehrung, das höhere und höhere Wollen, fortexiſtiren: wie ſollen die alten Sittenerfindungen noch vor - halten (nicht das Bedürfniß nach Sitte, für welches erfunden oder entdeckt werden muß)? Daran, glaube ich, krankt die jetzige Welt; ſo mannigfaltig ausgebildet, groß und allgemein war dieſe Krankheit noch in keinem uns bekannt gewordenen Zeitpunkt, obgleich ſie nur nach und nach dieſe Ausbreitung gewinnen konnte, wozu eine ewige Anlage da war. So denk ich mir das ganze Daſein progreſſiv, in intenſivem An - ſchauungsgewinn, zu deſſen ſenſiblem Wiſſen nach beiden Rich - tungen, nach der uns lieben und nicht lieben: ſo ſteigert ſich das Leben, das auf der Erde abzuleben iſt, und ein anderes, das außerhalb ihres Reiches fällt. Je mehr Einſicht, je mehr Ein - und Zuſtimmung wird das Leben uns abgewinnen, wenn auch noch mehr Arbeit: jede vollbrachte gleicht unendlich aus; jede neue ſteigt unendlich. Darum denk ich auch wahr und wirklich, daß das Erdenleben nicht eine ſteife, todte Wie - derholung iſt, ſondern ein ſchreitendes Ändern und Entwickeln wie alles; für die Einſicht, und durch die Einſicht; und nenne unſere Zeit wirklich neu, und bin auf Großes, Neues gefaßt,384 mit Einem Wort, auf Wunder der Erfindung, der Gemüths - kraft, der Entdeckung, Offenbarung, Entwickelung. Mit Ge - faßtſein meine ich nicht, daß ich es zu ſehen erwarte; aber ich bin deſſen Kommen gewiß, und alle Verwirrung iſt Gäh - rung da zu. Erfriſchend iſt ſie wahrlich nicht, die man ſich mit allem Geiſtesnachdenken erſt zu Gutem zu erklären ver - mag! Wir ſind aber verwieſen auf der Erde; und welch Glück hat der, der ſich’s noch gut erklärt, und wohlwollend an - und hinnimmt, und es ausführt; und ſo ziemlich noch begün - ſtigt iſt. Es giebt ja Martern; wiſſen wir auch. Herz - ſtärkend iſt es aber, wenn man ſich menſchlich ſeine Ge - danken, der ganz guten Aufnahme gewiß, mittheilt; gewiß, ehrlich Recht zu bekommen, oder ehrlich beſtritten zu werden. Mir wirſt du ohne Schwur glauben, daß ich alles zu Hauſe kenne, als ob ich dort wäre, kenne, wie Margaretha von Parma Madrid auf ihren Tapeten in Brüſſel vor ſich ſieht, in Goethens Egmont. Niederdrücken konnte mich unſer Fall, unſer Leid: rühren unſer Erheben, durchbeben der glück - liche Sieg. Gefreut aber habe ich mich nie mit jenen. Weil ich ſie insgeſammt kannte, und ſie nicht um ein Jota ver - ändert wußte. Mir entgingen ſie, der treuen, miterzogenen Landsmännin, nie. Andern hielt ich ſie wohl lobend ent - gegen; mir nie getroſt an’s Herz! Weſſen Herz iſt Dünkel, Lüge, Prahlerei mehr verhaßt, als meinem! Prahlerei in Ge - bieten, wo ſie nicht hin kann! Muth, Frömmigkeit, Menſchen - liebe. Da ſchlagen ſie in ſtattlichen Schwelgerzelten der Lüge breites Verheerungslager auf. Ekel iſt es nur, was es erregt, aber wenn man davon ſpricht, ſo muß es empören. So ſchei -nen385nen wir mehr zornig, als wir’s ſind, oder zu anderer Zeit, als wir’s ſind; wegwenden thu ich mich meiſt davon, zum Unter - ſuchen mag ich nicht einmal hinſehen, weil ich’s doch ſchon kenne; aber dies Wegwenden, Vergeſſen, iſt der wahre Zorn. Saint-Martin meint ſogar: Das Böſe ſei in ſo niedrigen Sphären, daß es nicht mehr zu Gott könne und komme. Dies wäre ein Zorn Gottes, denk ich. Nie wird man ſich ganz abwenden können von den Landsleuten, den Erdnach - barn alle Menſchen, alſo laß uns ſprechen, klagen, ſchimpfen, klügeln, wenn wir es nöthig haben: dies iſt auch ein menſchlich Thun und Fortkommen.

An Friederike Liman, in Berlin.

Nicht: auch ſie! auch ſie! Das Einzige, welches ich gewiß weiß, deſſen ich, in allem Leben, in aller Spekulation, gewiß geblieben, gewiß geworden bin, iſt, daß mein Gemüth den Freunden, den je ernſtgemeinten, den aus dem friſchen Jugend - herzen geſchöpften Erinnerungen bleibt. Und dies, wenn du mich mit deinem ſchweren, nicht gelenken Gemüthe kennſt, ſollteſt du wiſſen. Keine abwendende Leidenſchaften, zu den größten Verhältniſſen, zu zwanzig, Lebensjahre umwindende, in Anſpruch genommene, konnten meinen innern Überzeugungs - punkt, das Herz anders ſtellen. Ich bin, wir ſind, wie wir waren, beim Rathhaus, bei der Poſt, bei der Seehandlung, die ſelben Kinder. Nie, und von keiner Affektation ange -II. 25386freſſen, im vierzigſten Jahre! Verblendet oft konnten wir al - len fremden Augen erſcheinen: mußten es, und thaten es; uns nur allein blieb auch darüber Bewußtſein. Auch ich möchte dir all mein Innres ſagen: da ich es nun niemand mehr ſage. Aber nur dir allein, in der Welt. Darum kann ich dir nicht darüber ſchreiben, und daß ich das nicht kann, ſtört mich ſo ſehr. Ich fürchte aus Stimmungen, aus einzelnen Äußerungen möchteſt du falſch errathen. Wiſſe ſo - viel, ich hab mich nicht geändert: nicht von lange her, nicht von kürzerer Zeit her; und es iſt doch ſo, wie ich dir zu er - zählen, zu zeigen habe. Keine Leidenſchaft wogt mir im Herzen; kein Schmerz darüber brennt darin: nur inkommo - dirt, ennuyirt, ergötzt, unterhalten, erhoben kann ich noch wer - den. Soviel wiſſe. Auf dich hoffe ich nicht allein, ſondern rechne ich. Ich wußte es vorher, daß die Gräfin ſich nicht ändert. Daß Burgsdorf ſich ſo platt geäußert habe, glaub〈…〉〈…〉 ich wieder nicht; er wird etwas geſagt haben, welches man ſich ſo auslegen kann. Wenn du ſtill, einſam in unſern Straßen gehſt, denk an mich, und bete für mich, daß ich hinkomme! hinkomme, wo ich ſo viel litt, und lebte, und empfand.

An Wilhelm Neumann, in Koblenz.

Lieber oller Neumann, ich bin ganz beſchämt, daß Sie ſo unterwürfig gegen mich ſind; wenn Sie ſich ſo ſtellen, wo387 ſtehe ich? und was weiter ein Beſchämungsgefühl kompo - nirt! Wer ſolche Gewalt zu ſchreiben hat wie Sie, der muß ſchreiben. Sie haben von Natur einen ganz gebildeten Stil; das iſt die Krone der Schreibegabe; dies bewunderte ich erſt in Ihrem letzten Brief, wo Sie nur Negatives, Ihre Unfähig - keit zum Leben und Schreiben darlegen wollten, und dies ganz poſitiv ſchön thaten. Sie genießen auch der beſten Einſicht; über alle Lebens - und Denkgegenſtände eine großartige und beſtmögliche reine Beurtheilung der Karaktere, und Lebensvor - fälle, ſehr entfernt von allem was klein iſt, und gemein ſein könnte: warum wollten Sie nicht leben? Mit ſchönen Kennt - niſſen, die dem allen einen äußern, auch für Andere zu erfaſ - ſenden Werth geben, und Ihnen die Ausübung jedes Vorha - bens bequem ſein laſſen. Setzen Sie ſich mit Ihren Gedanken nur wieder in den Lebensverkehr; denken Sie an Ihre Freunde, an Mittheilung, an beſſere Verhältniſſe und Lagen, und An - regungen, die dadurch, eine von den andern, entſtehen werden; und alles um Sie her wird lebendig werden, und Sie wieder leben, und lebendig und raſch wirken. Denken Sie an mich, wenn Sie nichts Beſſeres haben; wie es mich freuen würde; theilen Sie mir in Gedanken und in Briefen alles mit; das andere kommt nach. Machen Sie etwas und ſchicken Sie’s mir. Leſen Sie, und ſchreiben Sie mir davon! Sie ſchreiben ganz vortrefflich. Kourage! Wenn auch das erſte alte Herz weg iſt; es wächſt ein neues, eine Nachpflanze, eine Art Surrogat-Herz; und der Geiſt iſt ewig!

Ich gehe nach Mannheim, wo ich niemanden kenne, als25 *388den General Tettenborn; es kann dort hübſch werden; ich hoffe es. Sie ſollen von dort hören.

Adieu! Adieu! R.

An

Varnh. iſt wie Sie ihn kennen: die Liebe ſelbſt, und ſchon mit mir allein zufrieden: und ſehr anders als ich. Das wiſſen Sie. Den Himmel möchte er mir langen. Ich brauche nur zu ſprechen, ich brauchte nur zu ſprechen. Je mehr das aber ſo iſt, je mehr will ich auch ihm Gutes angedeihen laſſen; und ſo iſt das Leben; es will nicht alles paſſen, drum müßte alles frei ſein. Wie Vögel; Luft, und Futter; Einen Tod - ſchuß, wenn es ſein muß; aber keinen Titel, keine Pflicht, keinen Namen, kein Amt, keine Delikateſſe. Varnh. will, daß ich reiſe, und mache was ich nur immer mag und will. Doch hat es noch Zeit vor der Hand; viele aber doch nicht, da ſie flieht und alles ſich zögert. Nach Heidelberg will ich aber in jedem Fall ein wenig hin; dreimal war ich von Mann - heim aus dort; den Ort kennen Sie, tiefſinnig, heiter, ſicher belebt, und einſam, was ich wünſche: aber welche Bilder ſind dort jetzt zu ſehen!!! Sie wiſſen, ich plaudre nieman - den nach, alſo nicht, weil ſie jetzt berühmt ſind; wie wird einem dabei zu Muthe, wenn man dieſe ſiehet! Wie in ganz alten Zeiten, ehe es Städte, Laden, und Thee’s gab: wie in der Bibel Zeiten; welcher allerliebſter Mann muß die - ſer Mahler geweſen ſein! Eins iſt da, wo die Israeliten das Manna aufleſen. Nein! das muß man ſehen. Dieſen duſtrigen Morgen; dieſe Anzüge; wie allein die ſtehen und389 liegen, und ſitzen, und an kein Publikum denken! Der Mah - ler lebte hundert und zwanzig Jahr vor Albrecht Dürer, deſ - ſen Bilder Sie kennen. Boiſſerée’s aus Köln leben in Hei - delberg, und beſitzen ſie, aus zerſtörten Kirchen und Klöſtern, die nicht wußten was ſie hatten, gekauft. Dort will ich ein wenig leben; und will mir das Glück hold, ſo ſehe ich Sie dort.

Melancholiſch iſt noch das Beſte! Das iſt weich, da fühlt man in einem großen Horizont. Nur nicht beklemmt!

Verfügungen.

(Vorgefunden und zuerſt geleſen nach dem 7. März 1833.)

Ich fühlte mich in Mannheim ſo krank, daß ich mir gleich vornahm aufzuſchreiben, wie es mit dem, was mir ge - hört, und worüber ich freies Walten habe, geſchehen ſoll; ſo - bald ich nur einen Tag es thun kann, ohne daß du es, lieber Auguſt, ſieheſt. Unterdeß ſagte ich Dore manches Kleine, und ward ſchon dabei ſehr vergnügt; und auch körperlich frei, für den Augenblick, von einem harten Anfall. So wenig verſtehe ich eigentlich, hypochondriſch zu ſein.

Die Hauptſache bei meinem Tod für mich hat mir Varn - hagen auf Ehre verſprochen; nämlich mich ohne allen Putz in einen ſchlechten Sarg legen zu laſſen, welcher keinen zugena -390 gelten, noch einen nur im mindeſten ſchwer zu öffnenden Deckel hat: mein Sargdeckel ſoll von Glas ſein, und wären es auch, welches ich ſogar will, die kleinſten grünen Glasſchei - ben. Der Sarg ſelbſt wird nicht in die Erde gegraben, ſon - dern in ein wenn auch noch ſo kleines Häuschen geſetzt etwa wie ein kleines ganz geringes Wachthäuschen bei Bau - ten, oder dgl. oder in Souterrain-Zimmer, oder ſonſt ei - nen Ort ꝛc. Mein größter, wichtigſter Wunſch iſt der; ſollte ich nach Varnhagen ſterben, ſo iſt der von meinen Geſchwi - ſtern, der dafür nicht ſorgt, mein ewiger, bitterer Feind!!!

Mein Klavier bitte ich ſehr, Schweſter Roſe zu ſchicken! es geht zu Waſſer. Weil die mich ſehr liebt, ſelbſt ſpielt, und mich hunderttauſendmal daran hat ſitzen ſehen, im väterli - chen und mütterlichen Hauſe; in Kinderthränen beim Lernen, in Mädchenthränen, das Herz voller Wünſche, und vaguem we - nigen Hoffen; kurz, in allen nur möglichen Abſtufungen vor Leid, Freude, und Stimmungen, und Gedanken. An dieſem Klavier dacht ich mir beinah alles aus. Stirbt auch Roſe, kann es Varnhagen zum Anſehen bekommen.

Dann beſitze ich einen kleinen Ring von Smaragden und Perlen; ſo lange mein Vater lebte, war dies das einzige Geſchenk von meiner Mutter; als ich ſechszehn Jahr alt war, ſah ich ihn in einem engliſchen Laden in Pyrmont; ich hatte gar zu große Luſt dazu, Mama kaufte ihn mir für einen hal - ben Louisd’or. Ich nannt ihn in jüngern Jahren Wielands Pflaſter, Straßen -, oder Garten-Pflaſter, wie es wohl in ſeinen Mährchen vorkommt. Später dachte ich mir aus, ihn wegzugeben, wenn ich in unbedingtem Glück ich hielt es391 auch für mich nicht unmöglich damals mich ſelbſt verlieren würde. Noch ſpäter hatte ich immer Verzürnungen, wenn ich ihn am Finger hatte; die Bemerkung drängte ſich mir auf; ich verlor ganz den Muth, ihn zu tragen, welches ich trotz der ſchlechtgewordenen Hände gethan haben würde; auch wollte ich’s noch öfter verſuchen, dacht ich, wenn mir an meiner Um - gebung eben nicht alles läge; aber ſie ſchien mir im Verlauf doch nie gering genug zu dieſer Probe. Auguſt, Lieber, du weißt von dieſem Ringe! und ſtellte er mich nicht als Mäd - chen vor, und käme er nicht von Mama, ſo würde ich dich nicht bitten, auch ihn Roſe’n zu geben: wünſcheſt du ihn aber beſonders, ſo ſchenk ich ihn dir doch. Mein lieber Hans, meine älteſte Schwägerin, weiß auch, wie ich ihn liebte. Dann hab ich noch einen ganz kleinen Ring, von einem Rubin mit zwei kleinen Juwelchen: den gab mir mein Vater, als ich vier Jahr alt war, Markus eben ſolchen; ich erinnre mich des Akts. Markus ließ ſeinen vor unſern Augen in der Kinder - ſtube, gegen dem Rathhauſe über, fallen, und nie konnte er wieder gefunden werden. Meinen haben Johanna und Fanny als Kinder getragen, und Fritz Fromm. Den behalte du, mein Auguſt; und Dank, Segen, Anerkennung, Liebe, und Troſt ſtröme dir daraus entgegen!

Meine armſeligen, aber mir lieben Bijouterieen theilt Auguſt.

Wer mich liebt, ſorgt für Line Line Brack aus Wuſterhauſen, die hat hundert und hundert Nächte bei mir ſich gequält und gewacht; und allen meinen Jugendzorn und ungewitzigtes Weſen zu ertragen gehabt! Ihre Geſundheit392 und Jugend an uns verloren. Papa gedient, wie ein Pudel, in harten Winternächten, unverdroſſen; Mamaen; und dir, Markus, in Krankheiten, Bäder getragen, alles. Ihre Fehler ſeien ihr, wie Allen, verziehen! Auguſt, und Markus, ihr ſorgt ſo lange ſie lebt für ſie. Ich werde noch weiter unten von ihr und Dore ſprechen.

Mein Vermögen iſt nie eine Fortüne, ſondern kann nur eine angenehme, oder nöthige Hülfe ſein. Meinem Ge - wiſſen nach, bin ich es dir, Auguſt, ſchuldig; du theilſt aber die Zinſen gewiß gern mit Ludwig; und er nimmt es auch gewiß willig. Er hat nur mäßig zu leben, kein Etabliſſe - ment; Sinn für Freiheit, eine gemordete Jugend; und eine gräßliche Krankheit in meiner Gegenwart erlitten, und Gei - ſtesangſt gekannt. Lebe wohl, lieber Robert. Ich denke wie du über Leben und Tod, und wurde beſſer und gütiger. Ge - nieße die Muße, und die Natur; und ruf auf mich, in ſchö - ner Gegend. Maxwitz, Louis, Mama, alle ſind weg!

Dir, mein Auguſt, vermag ich nichts zu ſagen! Zehre an meinem Leben. Freue dich deines. Mache wie du es kannſt. Je weniger du dich der Betrübniß hingiebſt, je mehr freuſt du mich! Ich danke dir; und liebe dich; und ehre dich, und ſehe dich ganz ein. Lieber! Scheue kein neues Leben! und widme mir nur, was du mir nicht nehmen kannſt. Geliebter! einzi - ger! ehrlicher Freund! Ich nehme Theil an allem. Wie ſon - derbar! noch hör ich den Orgelmann im Hof, ſehe hinten das Feld, die Sonne: und dieſe Blätter werden ſo angeſehen, wie ich Mama ihre anſehe. Ich bin ganz ruhig; recht vergnügt. 393(Man ſtörte mich oft. Senator Smidt; André, von Tetten - born’s; Dore; Stamm.)

Moritz Robert, der Spaß machen ſoll, und ſich nicht erſchrecken noch grämen, und den ich ſehr liebe, und er weiß wie ſehr kenne, und wie ſehr ihm gleiche, bekommt meine bei - den Spiegel mit den goldenen Rahmen: die kannſt du zu - ſammenſetzen laſſen, dann iſt es ein ſchöner.

Wenn du mich liebſt und ehrſt, Auguſt, ſchickſt du mit einem guten Billet meiner Freundin ihre Briefe an ſie zurück; mit freundlichen Grüßen von mir. Ich bin ihr freund; und nie böſe, wenn auch manchmal aufgebracht geweſen. Sie ſoll ſich nicht grämen, und denken was ſie mir noch ſagen möchte: ich nehme alles Gute ſchon jetzt auf und an. Menſchen irren und übereilen, und verſtocken ſich; wir ſind Alle gedrängt. Ja umarme ſie in zärtlichſter Freundſchaft.

Dann hab ich noch ein Venetianer Kettchen, welches ich mir ſelber machen ließ. Von dieſem ſoll man nur wiſſen, was es war: ein wirkliches Zeichen der Treue: deren ich bis zum Tod fähig blieb.

Gott ſegne euch Alle! Vorzüglich mit ruhigen Ge - danken, und einem großen Naturgefühl. Keinen Abſchied! Adieu, adieu! Es bleibt alles wahr.

Rahel Antonie Friederike ꝛc.

Die armen Verwandten bekommen Zulage von Ludwig und Auguſt. Nicht wahr?

394

An Varnhagen.

(Verſiegelt vorgefunden und erſt nach dem 7. März 1833. eröffnet.)

Theuerſter armer Auguſt! Könnt ich dich tröſten, wenn du dies lieſt! Aber ich kann es und thue es: durch Liebe, und Beiſtand, die noch wirken werden; durch hundertfältige Geſpräche, die wir hatten, über Daſein, und ſeine Geſtalt im Leben; über das Nichts, und Etwas. Ich war beim Aufzeich - nen meines Willens, was mit meinen Beſitzthümern nach mei - nem Leben geſchehen ſoll, ſehr ruhig und ganz vergnügt. Im großen Sonnenthal von Frankfurt, nicht erſchütterter als im - mer von dem Gedanken des Todes. Wohl aber weinte ich ſehr, als ich von meinem alten Sopha ſprach; und von mei - nem Perlenring. Auf dem erſten ſtarb Papa, litt ich unend - lich. Alle Krankheiten außer der Prager; alle Geiſtes -, alle Herzens-Verzweiflung; alle Perplexitäten und Angſt des Le - bens; den Reſt von Jugendleiden, alles alles. Den Gedanken mit dem Ringe bekam ich nur, als ich ſchon dunkel aber ge - wiß wußte, mit mir würde es nichts; da erſchien mir die Be - deutung, das Ausſehen des Ringes meinem innren Daſein ähnlich. Unſchuldig, jung, edlen Anſehens, und vornehm, und aparte, und auch wie verzaubert, ganz einſam, und in der tiefſten Tiefe wieder freudig und putzhaft-feſtlich, aber immer allein. Da dacht ich mir, er bleibt als Bild und Zeichen bei mir, bis es anders wird. Du weißt, wie leicht und gern ich ihn gab: nur Bitteres ſollte gar nicht drunter ſein; du Engel,395 mein Erdenengel, ſchienſt es zu verſtehen, und gabſt ihn mir willig wieder. Lob iſt die Geſchichte dieſes Ringes, kein Ta - del oder Vorwurf. Überhaupt: ſo ſehr es möglich war, dei - ner Natur möglich, eine wie meine zu verſtehen, verſtandſt du ſie; durch großartigſtes, geiſtvollſtes Anerkennen: mit einer Einſicht, die ich nicht begreife, da ſie nicht aus Ähnlichkei - ten der Naturen kommt. Unperſönlicher, großartiger, mit mehr Verſtand iſt es nicht möglich, daß ein Menſch den andern in ſich aufnimmt und behandelt, als du mich. Mehr im ganzen Herz des Wollens hat nie eine Einſicht in einem Menſchen gewirkt, als deine über mich! Anerkannter kann das nicht werden, als von mir; und mehr in Liebe gewandelt dies An - erkennen auch nicht werden. Dieſe Worte ſind ſchwache Ab - riſſe, und Schatten der Schatten unſers Lebens, welches wir miteinander führen, mein treuer geliebter Auguſt! Wozu alſo? und welches wir noch mit einander verleben werden!!!

Dieſe Zeilen ſchreib ich dir eigentlich nur, um dich feſt und feſt zu beſtimmen, ja die Hälfte meines Vermögens zu nehmen, welche andere Hälfte ich keinem Sterblichen ſchul - dig bin, als auch dir; und nur Louis ſie aus Liebe, und Kenntniß ſeiner, bei ſeinem Leben laſſe.

Wegen * ſchreib ich dir! Vergiß ** nicht, und denke an ***. Mache gleich ein Teſtament. Ein Menſch iſt im - mer ſterblich. Thue es mir zu Ehren ſehr bald. Gleich. Lebe wohl, Geliebter! Gottes beſter Segen mit dir. Mein reinſtes Gebet. Deine treue wohlwiſſende was du biſt

Rahel.

396

An Auguſte Brede, in Stuttgart.

Warum höre ich gar nichts mehr von Ihnen? kann ich gar nicht fragen, weil ich weiß, wie man nicht ſchreiben kann, und Sie mich daſſelbe fragen könnten; auch bin ich Ihnen meines Wiſſens keine Antwort ſchuldig; und doch ſchon lange ſchuldig Ihnen zu ſchreiben. Vor mehrerer Zeit, als ich noch in Mannheim war, wo wir ſechs Wochen beim General Tettenborn wohnten, erhielt ich den Brief, den ich Ihnen jetzt ſchicke. Ich lebe nicht vergnügt, Liebe, weil ich unbe - ſtimmt und uneingerichtet leben muß, und dies Unbeſtimmte nicht von meiner Wahl herrührt, noch abhängt; ſo[än]gſtigend und tödtend auch wieder ein feſtes Bleiben, wenn es die N[o]th - wendigkeit vorſchreibt, ſein kann, und mir ſchon zu oft war, Nun hoff ich nichts mehr! und veranſtalte gar nichts mehr. In der Seele wär ich jetzt ganz ruhig: nun aber hat meine arme Perſon keinen Sitz mehr; und am allerwenigſten einen, der mir behagen könnte. Schweigen (mit Hamlet) iſt der Reſt! Wie iſt Ihnen, Auguſte? können Sie reden; ſo ſprechen ſie! können Sie nicht, ſo werd ich’s auch wiſſen. Seit ein paar Tagen leb ich etwas erheitert durch die Schle - gel: ſie wohnen vor dem Thor neben der alten Bethmann ihrem Garten; da gehe ich viel hin, und ſehe einige Leute, wechsle einige Worte. Geſtern lernte ich Rückert dort kennen, und freute mich ſehr: und den Miniſter Wangenheim, der mir ſehr gefiel: ein kluger, milder, lebſeliger, das Wohl wol -397 lender Mann, der einem gleich das nächſte Leben leicht zu machen weiß; dieſe Eigenſchaften wurden ſehr bei mir in die Höhe und in’s Licht geſetzt, durch den Gedanken: das iſt ein Staatsmann, der ſteht auf der wirkenden Miniſterſtufe; es geht ſo lange ſchon, ich meine nicht grade die letzten fünfzig, ſechszig Jahre, drunter und drüber, daß man dergleichen mit Geneſungsſehnſucht ergreift! Und ich vorzüglich, die ich be - ſonders ſo ſehr unterſuchen muß, und von meinen perſönlichen Plagen, und denen des Augenblicks, durchaus auf Betrach - tung des Ganzen kommen muß. Rückert kennen Sie; kennen Sie nicht auch Wangenheim? Vielleicht ſehe ich ihn noch heute, dann will ich von Ihnen mit ihm ſprechen.

Den 7. Juli will mein älteſter Bruder von Berlin abrei - ſen, und mich in dieſen Gegenden ſuchen: ſuchen, weil Staats - diener jetzt Hauſirer ſind. Es war gewiß ſchon oft ſo in der W[el]t: es kann auch mit manchen Umſtänden begleitet öfters angenehm ſein; dieſe aber ſind nicht ſo gütig, ſich bei mir einzufinden. Da ich aber ſo ſehr an den Augen litt am Sehen ſich das beſſert, nach Mittlen, und Verhalten; und ich vom Arzt in Mannheim die Verſichrung habe, daß die Sehorgane nicht einmal leiden; und ich mein ſchon in Prag aufgegebenes Bein tüchtig gebrauche, ſo bin ich bums - ſtill! Quand il faut se prêcher pour être heureux, l’on est à peine content. Meinen Bruder Ludwig kann ich eigentlich immerweg erwarten; er will kommen, ſobald er ſeine Mos - kawa beendigt hat. In das Theater gehe ich hier gar nicht, weil ich keinen Platz habe. In Mannheim ſah ich manches: nichts was beſchrieben zu werden verdient; als ein Thürnagel398 Berliner der grade in dem, was Iffland mit dem Vor - rath, den er von der Natur hatte, nicht mehr leiſten konnte, ſondern durch Künſtlichkeiten zu bewirken ſuchte, dieſem nach - ſpielt; und mir, ich kann es ſagen, durchaus mehr Unterhal - tung ſchaffte, als der Gefeierte ſelbſt. Dieſer führte meine Betrachtung immer nur auf ſeine Rollen, Leiſtungen, und ſeine Kunſt, in der er wirkte; ſein Kopiſte aber ſtellt mir auch jenes Schwächen als Gebilde vor, und erinnert an die Perſon, die doch nun einmal als ein Vergangenes, Unwiederbringliches daſteht. Und er machte mich lachen, und bedauren. Manche Scenen im Luſtſpiel wurden meiſterhaft gegeben, von Müller und noch Einem, deſſen Namen mir fehlt, z. B. im Räuſch - chen. Die Frauen ſind nicht zu erwähnen. Ihre Demmer war ſchon in Karlsruhe, die ſah ich nicht. Dann iſt noch ein großer ſchöner Mann da, den ich auch jetzt nicht nennen kann, der iſt nicht ſchlecht; er ſpielt den Offizier in Kotzebue’s Stück, welches in Spanien, in jetziger Zeit, in Civilkleidern ſpielt. Dann hört ich in einem Konzert Mad. Gley aus Hamburg ſingen; eine Meiſterin, wenn auch vielleicht sur le retour; ganz italiäniſch. Das war auch das Beſte in Mannheim. Sonſt iſt das Schönſte von Mannheim, Heidelberg. Sie lieben doch meine Bonmots! die alle aus Laune entſtehen. Geſtern waren meine Lippen witzig. Als der Miniſter Wan - genheim geſtern etwas abwärts mit Herren ſprach, und ich ihn reden hörte, ſagte ich ganz freudig zur Schlegel: Es iſt doch jetzt ganz anders in der Welt! Wie ſolcher Mann ſpricht; ſonſt dekretirte ein Miniſter nur, jetzt diskutirt er. Sie ent - gegnete mir in einem zu mahlenden Gleichmuth, und hal -399 ber Zerſtreuung: So muß es eigentlich ſein! Ja, aber ſo war’s doch nicht: wie ſonſt ſo’n Miniſter war! ſagte ich. Das hab ich ganz vergeſſen; ſagte ſie, halb fragend. Ja! Sie haben auch ſo ein glückliches Gedächtniß, daß Sie alles vergeſſen! ſchloß ich. Und mußte ſelbſt gleich lachen. Nachher ſagte ich zu Hauſe zu Varnhagen: Die Nichte da, iſt doch accurat, als ob ſie nicht da wäre! und noch ärger, denn ſie iſt da! Meine Lippen waren noch redſeliger. Sie hätten’s gewiß goutirt. Ach Guſte! die Prager Laune, Ihr Arlequin, bleibt aus! Drum ſcharr ich weniges zuſammen. Adieu, Liebe, Beſte! Varnhagen grüßt ſehr, ich Ihre Mutter. Ich ſage nicht ein Wort über die Einlage. Ich habe das al - les genoſſen, fühl es mit Ihnen, liebe Seele, und kann Ihnen nicht ein Jota davon abnehmen.

Adieu, adieu. R.

Denken Sie noch manchmal an unſern engliſchen Mar - witz? Wo iſt der??????

So eben geht Miniſter Wangenheim und Rückert weg: ich habe meine Freundin empfohlen.

Adieu, Liebe!

An Erneſtine G., in Berlin.

Sie haben Recht, liebe Golda, daß Sie mir ſchreiben, wenn Frühling, goldene Sonne und alles Schöne, woran man Anſpruch hat, Sie ängſtigt! Auf immer Elenderes ver - weiſe ich Sie zum Troſte; oder beſſer! zum Herausleſen des Beſten, aus der Lage oder Klemme worin man iſt; es400 iſt noch ſchön, wenn noch Wünſche, Verlangen, Sehnſucht in uns rege gemacht werden kann, und wir es nur ſo vor uns zu haben meinen, was uns beglücken könnte. Es iſt ſchön, wenn Frühling, Luft und Wetter, Horizonte, Lichter und Scheine jene Gährung erregen, die uns zu peinigen vermeint, aber auch, die ſchönſten Lebensbilder und alle Wünſche, alte und neugeſchaffene, in uns hervorruft, die das Herz nähren, die Seele ſpannen, und den Geiſt beſchäftigen (wenn auch ohne die Ruhe des eigentlichen Genießens); und ein ſtrenges Bedürfniß, ja Bedingung des ganzen perſönlichen Seins! Wie iſt es aber dann, wenn jene Bilder ſich nicht mehr ſtellen wol - len; weder in Erinnrung, noch in Phantaſie für die leere Zu - kunft; wenn Wünſche keinen Weg mehr finden, wo ſie vor - eilen können, und kein Lebensplan ſich in dem ganzen Welt - gewirr geſtalten kann! einem das Herz wie unter einem gro - ßen Grabſtein hinter der Bruſt gepreßt iſt; nicht lebendig mehr; aber doch keiner andern Welt angehörig, und man nichts mehr fühlt, als dieſes Preſſen und die Angſt, wie es anders, und vergeblich war; und auch ſo nicht wieder werden kann. Wenn man dem Schickſal Recht giebt, obgleich man unendlich von ihm beleidigt iſt, und grad in Kleinigkeiten: und ganz müde iſt, und meint, es iſt genug: ich gab ſie ja auf, dieſe ganze Welt: ich kann ſie gar ja nicht mehr erfaſ - ſen mit meinen Kräften, Wünſchen, Bemühungen: nur der Qual genug! Ruhe. Wenn ſich eben dieſer Zuſtand im Kör - per abbildet; und der ohne Schmerz, aber in Widerſpruch oder Verwirrung iſt, die ſich wieder im Kopfe, als ein Sum - mendes, Fremdes, Störendes, Plagendes, Schmerzloſes, äußert,und401und den ganzen Kreislauf des Leidens bewegt, wie ein erſtes und geſchäftiges Rad, wie vom klügſten Meiſter dazu beſtellt; und man nun endlich weiß; du biſt alt; das iſt alt; und Plage war die ganze Jugend; nun iſt ſie aus: und auch ſo kommt es mit dem Leben???? Dann wird es doch wieder anders; ein Wetter hat guten Einfluß, hebt den Kör - per, erlaubt ihm Luft und Bewegung, miſcht ihn auf; ein klei - nes Ereigniß erfreut, zerſtreut; und wir dienen uns und dem Schickſal von neuem! Schon einige ſolche Schreckensfrühlinge hab ich erlebt: die erſten ſchon vor mehreren Jahren; rein durch Krankheit, deren Schwinden mir noch einen Wollenſtoff ſo fühlt ich es zwiſchen meinen Sinnen, und der hol - den heilenden Natur feſt vorbreitete, und mir die Nerven ſtrammte, lähmte, und widrig reibend reizte. Da war ich tief-unglücklich, weil ich wahre Verdammniß, eine andere, ſchlechte Natur, mit der meinen fühlen mußte. Ich fühlte es, jammerelend, nur: nennen kann ich es erſt jetzt. Das war ſchrecklich: ganz übernatürlich entſetzlich! Mir war auch die - ſen Frühling, als ich Ihnen neulich ſchrieb, furchtbar zu Mu - the, und Klagen, wie geſagt, wollten dem Herzen nicht mehr entſtrömen. Nun iſt mir wieder viel beſſer. Ich gehe, empfinde das Wetter; gut und ſchlecht, aber doch natürlich; finde mich mit Menſchen leichter und heiterer zuſammen; ja, munter. Meine Schuld iſt es nicht: ich befinde mich nur leidlicher; es ereignete ſich manches für die Geſelligkeit beſſer, das arge Wet - ter ließ nach, welches mich in einem leichten Gebäude, ſowohl Wind als Sonne ausgeſetzt, ſehr plagte. Aber auch ich war thätig mit Einſehen, und habe wirklich gelernt, nicht auf demII. 26402Lande wohnen, ein geſunder Wunſch dort zu ſein, ſei ſchon gut; gehen können, vortrefflich; nah an ſchönen Spazirgän - gen zu wohnen, herrlich; und nicht zu appuyiren auf das, was einem fehlt, eine Art Schuldigkeit; und mit Geſundheit, eine leichte Klugheit; und ſo zu ſchätzen was man hat, als ob man’s verloren habe, ein ordentliches Glück!! Ganz glücklich gehe ich ſpaziren; ganz glücklich ſeh ich einen wei - ten beſternten Himmel Abends aus meinen Fenſtern; und fühle, mich geſund fühlen fehlte mir am meiſten, und daß ich wirk - lich nur Erreichbares und Leichtes bedarf!!!

Geſtern wurde ich bei obiger Zeile geſtört: und ſo nach und nach den ganzen Tag am Weiterſchreiben verhindert. Seitdem hat die Sterbliche ſchon unzählige Unannehmlichkei - ten gefühlt, Kontrarietäten erlebt, ſchlechte Empfindungen durchmachen müſſen; ja, heute ſchon geweint: und das auf meinen Knieen: wie außer mir: und alles dies, nur Kleinig - keiten nennt man’s die mir aber auf’s bitterſte, und herbſte, und unleidlichſte, die Sentenz des Geiſtes vorhalten; und wahr machen, die mein Schickſal beſtimmte. Nun nahm ich Ihren Brief, und meinen angefangenen wieder vor mich: und ſah, daß es, ſo lange ich in dieſem Gehäuſe leben muß, mit mir anders nicht wird: ein paar kluge Sentenzen kommen manchmal zum Vorſchein; auffallende, tragiſch-poſſirliche Kla - gen; der mildeſte Troſt aus gutem Herzen gequollen; aber ſonſt nichts! Anders wird’s mit mir nicht; anders werde ich auch nicht; klüger oder beſſer, weniger noch als kaum Be -403 neiden Sie Demüthige! alſo Doren nicht, ihr Leben bei mir zuzubringen, und ſtellen Sie mich nicht ſo hoch! Ich habe einige große, oder vielmehr ſtarke Anlagen, und eine unſchul - dige Seele, dies bildet ſcheinbare Geiſtestalente, die aber alle keine glückliche Entwickelung fanden: ich ſelbſt ward ihrer nicht Herr; ſie nur meiner; daher entſtand eine Gemüthsrege, die man lieben muß, wenn man ſie findet; die aber den Mei - ſten nur als Geiſt erſcheint, ihnen Forderungen einflößt, die ich meiſt geſchickt genug zu leiſten bin; aber mit andren Mitt - len, als die jene in Anſpruch nehmen; welches mich ſehr müde macht: zum Theil entſprech ich den Anforderungen nicht; dann bin ich bitterer Anklage und weit und breit wirkenden Miß - verhältniſſen preisgegeben. Und ſo ſchwankt und fließt das Leben über uns hin; wir manchmal ein wenig von ihm ge - tragen; eigentlich aber in fremder Fluth: wie es mit dem An - kommen iſt, darüber will ich endlich ſchweigen; wie für uns ge - ſchwiegen iſt! So iſt’s ein wenig mehr, ein wenig weniger, mit allen Menſchen; das leſe ich ſogar aus allem heraus. Von den Teſtamenten anzufangen! aus dem alten und neuen: aus aller Geſchichte: aus allen Behauptungen, Plänen, Vor - ſchlägen, Erfindungen, Fiktionen der Bücher: aus allen Dich - tern, ihrem Scherz, und Ernſt. Es iſt ein Witz der Natur, uns ſo gefangen zu haben; ſonſt blieben wir gewiß nicht: aber unſer Wünſchen, unſer Sehnen iſt unſer Netz und unſere Gränze. Das iſt keine Kunſt! Alſo klagen wir nur, Golda, klagen wir, wenn wir nichts thun können und leiden, rein lei - den; Genuß wird, oder muß uns erſt das Sein deutlich ma - chen: hier kennen wir den Genuß und das Sein nicht: klagen26 *404Sie mir, ſagen Sie mir alles; ich verſtehe das Meiſte, und vom Leiden und allem Menſchlichen ſehr viel, werde es, ſo bald es dies wirklich iſt, nie überdrüſſig, nie zu gut dazu. Ach! und einen Zeugen unſers Lebens, des Fadens der innen geſponnen, ununterbrochen wenn auch nicht immer mit Be - wußtſein beleuchtet, bedürfen wir ſo ſehr! Ich will Ihr Zeuge ſein. Ich glaube Ihnen. Ich glaube Ihnen auch das, was Sie mir nicht ſagen können, und welches alles andere be - ſtimmt. Ich will Sie verſtehen, wenn auch Ihre Natur von meiner abweicht; dadurch verſtehen, daß ich mich erinnre, wie man mich nicht verſteht, und es doch richtig iſt! Auch ich, Liebe, liebe Töplitz unendlich: ſein heiteres ſchönes Thal, ſeine holde Wohlthatsquelle, der ich ſchon jahrelange Geſundheit, und beinah plötzliche Erleichterung danken mußte. All das Gute, welches mir dort noch in unbefangnerer Jugendlichkeit wirklich widerfuhr, als heiteres Spazirleben mit Freunden; neue Freundſchaften; Bekanntſchaften ohne Zahl, die mich, ich nicht ſie, ſuchten; kurz, lauter Gutes, außer die letzten beiden male, wo es ſchon ganz geſtört war; machte mir einen langjährigen Wunſch draus, dort ein Haus zu beſitzen! Es iſt einen Tag vom geliebten, liebenswerthen Dresden; einen vom fremdartigen herrlichen Prag; im Gebirge, am Gebirge; kurz, es vereinigt faſt alles was ich liebe. Es iſt auch Ge - ſellſchaft dort, und alles zu haben. Und doch, werden wir nicht hinkommen! Aber in Einem Orte werden wir gewiß noch leben, das glauben Sie gewiß!

Die Leute, von denen in Ihrem Briefe die Rede iſt, ſetzen ſich äußerlich hoch; und dazu gehört ihnen auch der405 Sitz, den ſie im Sittlichkeitsparlament einnehmen wollen. Laſſen Sie ſie! das iſt ihr Plaiſir. Das ſage ich, weil ich in der That ſo gegen, und mit Menſchen geworden bin: wenn nicht das, was ſie üben, mir eben den Tag oder die Stunde verdirbt. Darüber aber ſteigert ſich meine Empfindlichkeit; Störung iſt mir ärger, als alle ſonſtige Verletzung, die ich mir erſt durch die Gedanken konſtituiren muß.

Koreff, liebe Freundin, weiß ich nichts beſſeres zu ſagen, als daß es natürlich iſt, wenn er mich lieb hat, und im geringſten nicht mehr als er ſollte. (Er hat mich lie - ber, als er ſollte; ſagte er Ihnen.) Ich hab ihn auch lieb, und ſo wird es auch bleiben, weil er etwas Herziges hat, welches er nicht verlieren wird, welches ich gleich, und immer fühlte. Ich nenne nur dies; weil alle andere Eigenſchaften, ohne dieſe mir nie das Herz herausforderten; und eigentlich niemanden. Ich habe ihm nichts zugefügt, was ihm unlieb ſein könnte: iſt ihm ſonſt manches an mir nicht recht, ſo mag er’s mir hingehen laſſen; ich habe bei ihm auch nur auf Be - ſtes in ihm geſehen; wenn er das manchmal merkte, ſo hab ich Unrecht; und dies ſoll er mir verzeihen! Ich grüße ihn ſehr! und frage ihn, ob er von Varnhagen nicht ich glaube Ende dieſes Winters ein Buch erhalten hat? und weiß ihm für jetzt nichts Gründlichers noch Beſſeres zu aller Nachſicht und Kenntniß meiner Auffordrendes zu ſagen, als das was ich Ihnen hier von mir und über mich ſchrieb. Hat er Geduld genug, ſo laſſen Sie ihn dieſen Brief leſen! Adieu Koreff!

Iſt denn der Jammer, der Skandal, das Unglück wahr, daß man an der Seite der Häuſer, unter den Linden, eine406 Reihe Bäume weghauen will??? damit die Leute beſſer aus den Fenſtern ſehen können? das leidet der König? Es verdirbt mir ganz Berlin. Es ſtand im Morgenblatt. So haben ſie auch, vor einigen Jahren, die Götterwand von Hecke vor der Charlottenburger Orangerie weggehauen. Die Orangerie ſollte beſſre Luftlöcher haben. Wahnſinn. Die Orangerie war ſiebzig Jahre gut genug für Brandenburg: und ſolche Hecke hat ganz Italien nicht. O! Koreff, ſprechen Sie davon! Adieu, adieu! Golda!

Ihre Rahel.

Lieber Koreff! Ich kann Ihnen ja gar nichts gethan haben. Adieu, adieu!

An Troxler, in Beromünſter.

Viele ſchöne Grüße! Wenn Sie Ihr Leben, auch nur ganz trocken, ſchreiben wollten, könnte meines Bedünkens kein ſchönerer Anfang, keine ſchönere Einleitung dazu genommen werden, als was Sie Varnhagen, über den Vorſchlag es zu ſchreiben, geſchrieben haben! Ich fand es ſehr ſchön, und ſpie - glend nach allen Seiten Ihres Lebens hin, und bis in’s In - nerſte; bis auf die wahrſte Farbe wiedergebend. Von mir, Lieber, können Sie ſagen was Sie wollen, nur meinen armen Namen nicht! Er iſt mir ſo bequem wie ein dunkeles Kleid, von dem man ſich einbildet, es hielte auch warm; würde er hell, es fröre mich, ich könnte mich nicht mehr einwicklen, und ſtünde mit meinem Wuchs ganz embarraſſirt. Viele ſelbſtge -407 bildete oder doch neugeſtellte Worte freuten mich in Ihrem Aufſatz! die ich eben ſo gebraucht hatte: ich zeigte ſie V. gleich. Adieu, lieber Freund, tauſend ſchöne Grüße an Mad. Troxler in’s Grüne hinein!

R.

So lebe ich immer proviſoriſch, und ſchlecht in allen Einrichtungen, und in Hinſicht des Umgangs. Doch bin ich ſeit einigen Tagen über alles dies in mir ſehr revolutionirt! d. h. beruhigt: denn in einem Zimmer ſitze ich auch: ohne Angſt. Iſt gutes Wetter, ſehe ich und geh ich in’s Grüne. Was ich will, und brauche, hätte ich vor der Hand nirgends: und was mich ſo ſehr peinigte, daß ich mein jetziges Leben nach meiner Vergangenheit, d. h. mehr noch nach den Wün - ſchen derſelben, als nach dem wirklichen Leben, was ich in ihr führte, einrichten wollte, dahinter bin ich endlich, und plötzlich gekommen, das muß ich aufgeben. Es geht nicht. Alſo ſitz ich und ſehe meinem eigenen Leben zu; gewiſſermaßen. Ich lebe es nicht: nur ganz innerlich. Ich weiß noch, wozu ich fähig war; und dieſe Fähigkeit müſſen wir doch ſcheinbar, für die eigentlichſte Beſtimmung halten. Aber es iſt nicht ſo! Wie Blüthen, und wie die meiſten ſogar, fallen wir, vom gro - ßen unbekannten Winde ab: obgleich wir hätten Frucht wer - den können. Die Menſchenblüthe fühlt die verletzende Vernich - tung ſtark; hingegen kann ſie auch über ſich ſelbſt reflektiren: und das thue ich. Der Menſch beſteht nur aus ſeinem Ka - rakter: das iſt er, und das iſt ſein Schickſal; Karakter iſt nur Muth: Muth, der unſern einmaligen Gaben beigegeben iſt;408 Muth, der ihnen die ganze Bewegung und Richtung giebt. Ich habe viele Gaben; aber keinen Muth: nicht den Muth, der meine Gaben zu bewegen vermag, nicht den Muth, der mich genießen lehrte, wenn es auch einen Andern etwas ko - ſtete: ich ſetzte jenes Andern Perſönlichkeit höher, als meine; ziehe Frieden dem Genuſſe vor: und habe nie etwas gehabt. Solche Menſchen liebt nur ſelten das Glück. Und ſo bin ich großbegabt ſitzen geblieben. Ganz fallen konnt ich nicht, weil ich unendlich unſchuldig bin: und unperſönliche Genüſſe mei - nen reichen Gaben nach in Fülle habe. Dies iſt le mot de l’énigme. Sie werden es verſtehen. Sie ſind auf entgegenge - ſetztem Wege, mit dem größten Muthe, bankerott. Und ſo winken wir uns, blicken uns tief in die Augen, und wollen uns die Hand reichen. Liebe Freundin! das Herz wird ganz ſteif vor Wunder, wenn man dies erkennt.

An Erneſtine G., in Berlin.

Nur weil ich Ihre Geſinnung dabei kenne, Ihre Empfin - dung mir dabei denken kann, hat auch mich das Geburtstag - band, welches ich geſtern dick in einem Briefe von Ihnen er - hielt, gefreut, Ich danke Ihnen! Ich ſah das Band ſchon öfter vergnügt an, habe es ſchon mehreremale auseinander gewickelt, mir dabei gedacht, was Sie ſich wohl dabei dach - ten; und fand es recht hübſch! Auf meine Geburtstage halte ich nicht viel; in unſerm Hauſe durſte von keinem die Rede409 ſein; mein Vater litt es nicht (und ich bin darin von ſeiner Geſinnung; die Wiederholung davon wird fade, und bei meh - rern Mitgliedern in einer Familie, läſtig, leer und affektirt: ſchickt ſich nur gut bei Fürſten, wo alles in’s Große und Feier - liche getrieben werden kann, und ohnehin eine ſchöne Stufe höher ſteht, als im wirklichen, ich möchte ſagen, gemeinen Leben). So habe ich niemals erfahren, welchen Tag mein Geburtstag iſt; nur zufällig wußte ich, daß ich die Nacht vor Pfingſten geboren war, und ſo nahm ich, ſeit nur wenigen Jahren, dieſes grüne Feſt in meinen Gedanken dafür an. Aber ich kann ſagen bloß aus und in Leidweſen: als mir die Zeit anfing zu ſehr zu ſchwinden, und mir doch ohne Leben die Jahre von all und jedem, und auch wohl vom Lebensfürſten, dem Tod, immer härter angerechnet wurden; und ich ſelbſt vom Ungelungenen auf immer mehr Ungelingendes zu ſchlie - ßen hatte, in der ſo genannten erworbenen Vernünftigkeit, eigentlich aber Muthgebrochenheit. So ſteht’s mit dem Ge - burtstag; ſo wird der von den andern Tagen angeſehen; und dieſe mögen Sie nun beurtheilen: ich will mich gar nicht da - mit abgeben.

An Wilhelm Neumann, in Koblenz.

Karlsruhe iſt ein ſchöner unbequemer Ort: die Unbequem - lichkeit liegt in der Prätenſion eines großen, ohne deſſen Reſ - ſourcen zum Nutzen oder Vergnügen, und in der Beſchränkt -410 heit und dem Stagnirenden eines kleinen. Iſt man hier ge - boren oder eingelebt, ſo mag’s einem auch hier gefallen: der Eindruck iſt heiter, angenehm, berliniſch; ja, überraſchend ſchön. Viel Wald, viel Sumpf, viel Mücken umher. Im Ort die ſchönſte Bauart; ſchöne Gebäude, viel Grünes verdure und kein Logis: chambres garnies gar nicht. Wie konnte der Ort auch das wiſſen!

Neumann! In der von Menſchen arrangirten Welt, nicht in den Mänglen, die die Natur aller Dinge ſchon feſt - ſetzt, giebt es nur Eins, welches unleidlich iſt, abſcheulich, empörend, in jedem Augenblicke hinderlich, um ſich her alles wegfreſſend, wahrhaft unſittlich, und wieder empörend, weil dies nur geehrt wird; zum ſchwindlich werden, weil wir ſelbſt uns ihm doch fügen! Dieſes Eine nannten Sie: dieſes Eine vergeſſe ich nie: und vergeſſe ich’s, ſo benimmt es mir und allem, was ich nur lieben kann, wie Giftausdünſtung doch das Leben: über dieſes Eine iſt tiefſinnig, ja auch gründlich in unſern Schriften geredet; aber Sie haben Recht, lange nicht in Worten, die außer der litterariſchen Welt Funken faſſen. Schon Fichte ſagte ihnen deutlich, in ſeinen Vorle - ſungen Anno 6: ein tiefſinniger Denker, begründete Reden in der Art, würden ihnen nie ſchaden, führte ſich an, und bewies ihnen, wie entfernt grade ſolcher von Thaten, vom Handlen iſt. Noch ſchlimmer ſag ich: nicht allein ſolch ein Mann handelt nicht, ſondern auch ſeine Verſteher nicht; die ſind, nur auf eine paſſivere Weiſe, eben ſo geiſtig, und folglich nicht anders beſchäftigt. Wir, die Deutſchen, haben noch keine Sprache, ſo durch alle Geſelligkeitsröhren getrieben, wie es die411 franzöſiſche iſt; in der man ſich dem Geringſten im Faubourg verſtändlich machen kann. Es liegt aber eine ſolche in unſe - rer bereitet da; man braucht ſie nur fertig zu machen, nur die Wortſtücke dazu auszuſuchen auch ich kann dergleichen, weil das Tagesleben, wie bei den Franzoſen, mein Kunſtſtoff iſt. Es gab aber in unſerm Lande keine Gelegenheit zum Sprechen, als die Kanzel. Alle übrigen Gedanken müſſen ohne Ton, Gebärde, unperſönlich, zu überirdiſch, aus dem Geiſt an den Geiſt wirken. Alſo langſam, künſtlich, und dann plötz - lich. Es werden Verhältniſſe uns auch eine Lebensgeſelligkeit in Worten, ſchaffen. Ich weiß es. Oh! lebt ich nur lang genug; da ich das andere zu lang erleben mußte! Ganz plan und klar und deutlich muß geredet werden; Sie haben Recht! die Beweiſe ſtumme, ſtarre, friſche und alte Exempel ſein. Nein, man hält die tück’ſchen Narren, die albernen Verbrecher nicht mehr aus. Sie; ich, kennen ſie längſt. Zu nichts kommt neue Empörung; ſie ſtapelt ſich unnütz nur auf: längſt ging es über alles ſittliche Maß, über alles geiſtige Auffaſſen. Mir iſt nichts Neues begegnet: nur in kleineren Räumen, wo ſie das Frevelſpiel auch mit dem wahnſinnigen Ernſt durch - ſpielen, fällt es unſinniger und kleinlicher, und der Geißel näher aus.

Für jetzt kann ich nicht nach Baden; weil ich noch kein pied-à-terre hier habe: ich muß ihn aber bekommen, und dann, ſtummer lieber edler Freund, bin ich doch noch der Mei - nung, Sie kommen auch dahin! Denn in vielen erſten Mo - naten werden wir dort ſo wenig etablirt als hier ſein. Aber ein Zuhauſe ſollen Sie nicht allein mit uns, ſondern auch bei412 uns finden. Kurz, für’s Erſte antworten Sie ſehr redſelig: und dann kommen Sie! Die letzten vier Beilagen der All - gemeinen Zeitung aus der Allemannia müſſen Sie leſen. Der ſpricht grad und ſcharf: aber vorerſt zu den Schwatzpatronen der Druckereien. Und er hat auch den Muth die Franzoſen zu vertheidigen.

Adieu. R.

An Troxler, in Beromünſter.

Nur ein Wort, lieber Dr. Troxler, um einen ſo lieben gütigen Brief, als Ihrer iſt, nicht ohne Antwort zu laſſen! Jener Bedienter in der Komödie ſagt, mit einer plume d’au - berge könne er nicht ſchreiben. So geht es mir hier noch mit der ganzen Stadt. Noch leb ich une vie d’auberge. Näm - lich umgekehrt; ganz einſam, ganz allein faſt: aber eben dieſe Stille, die, ich möchte ſagen, die ich höre, verwirrt und ſtört mich. Noch paßt mir nichts: und ich habe in meinem Leben ſo wenig an Karlsruhe gedacht, daß ich mich ſelbſt im Ort nicht hier glaube. Dazu kommt nun noch hauptſächlich, daß ich ſeit vierzehn Tagen umhertrotte mir ein Quartier, und alles was der Menſch braucht, anzuſchaffen. Endlich bin ich ſeit geſtern in ſicherſter Ordnung; aber ich gehe wie eine Bauer - braut darin umher ohne mich finden zu können, und die ſchöne Ehre und die neuen Dinge für meine nehmen zu können. Ich erfahre, daß mein Sinn ein entſetzlicher Pedant iſt; oder eine rechte Perſon: die alles nach ihrer Weiſe haben, und gebrau -413 chen und verzehren muß. Sie, und wen ich nur berühre, muß das mit erfahren! Mit meinem Geiſte iſt das wirklich ſehr anders; der iſt ſehr flott: und begreift leicht, auch viel; und geſchwind Anderer Perſönlichkeit; dieſe im weiteſten Sinn, wie ich ſie auch hier meine. So auch wirkt das Wetter auf mei - nen Sinn: nicht allein auf meine Nerven, wie auf wirk - lichſte Saiten. Kommt mitten im Sommer kühles trübes Wet - ter: ſo mein ich, er iſt vorbei: und kann das nachfolgende ſchöne nicht faſſen, weil ich es unter keiner Jahreszeit alsdann mehr zu faſſen vermag! dies alles wirkt jetzt zuſammen auf mich: und verwirrt mich ganz. Dabei ohne gewohnten Umgang, Wirkung, Geſelligkeit, noch Gegenſtände, noch Ge - ſpräch in Scherz oder Ernſt. Dies alles nur zu meiner Ent - ſchuldigung! Über Ihren Aufſatz künftig; nur ſo viel heute. Ich habe die vortrefflichen Treffer darin mit dem wahrſten Enthuſiasmus gefunden. Mich wohl in Ihre Stimmung und Anſicht verſetzen laſſen. Aber ich glaube, dieſer Aufſatz iſt nur für die Hochſtehendſten im Verſtändniß eingänglich! Und ich habe keine Geduld mehr! Überſetzen Sie ihn auch den Andern in derben Wortprüglen: wie er im Muſeum als Don - ner und Blitz, Strömen und Wetterleuchten ſich darthut. Wenn doch erſt der Reſt meiner Briefauszüge auch daſtände! mir zum Troſt! das was jetzt daſteht, mißfiel mir zu ſehr: außer das über das Lügen. Adieu, lieber Dr. Troxler, leben Sie wohl! hier werde ich wohl ein wenig ſchreiben und leſen: das Beſte, was mir einfallen will, ſollen Sie haben. Ich umarme Mad. Troxler und die lieben kleinen Plauderer. Die414 haben auch kein gutes Wetter in Ihrer ſchönen ländlichen Heimath! Adieu, adieu!

R.

An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Frankfurt a. M.

Schreiben Sie mir mehr ſolche höchſt amüſante Briefe, als der war, den ich geſtern aus Stuttgart und Heidelberg von Ihnen erhielt! Ich kann und muß mich heute nur kurz faſſen: Mad. Schloſſer will fort, Mad. Demidoff iſt fort, von der ich komme; dieſen Brief will ich noch ſelbſt abbringen. Hauptſächlich ſchreib ich Ihnen, um Ihnen zu ſagen, daß Sie kein doppeltes Kouvert Briefumſchlag zu machen nöthig haben. Für ſolche Unbequemlichkeiten hab ich den größten Sinn; die können einen vom Briefſchreiben abhal - ten. Sie aber ſollen mir viel ſchreiben. Dreimal hab ich Ihren Scherz - und Ernſt-reichen Brief geleſen; mit wahrem Ergötzen! Das zweitemal, weil mir das erſtemal zu ſchwer wurde, das dritte, aus Vergnügen. Ich bitte Sie, lieber Cu - ſtine! ſchreiben Sie ein wenig deutlicher! und Sie können keinen erkenntlichern Korreſpondenten finden, als mich: ich goutire jedes Wort, weiß wie es in Ihrer Seele entſteht; für wie viel Sie’s geben; wie Sie ihm künftig, und auch gleich, widerſprechen können, ohne das Gegentheil zu ſagen, oder das Erſtgeſagte zu vernichten: ich weiß, wie Sie ſelbſt nicht vorher wiſſen was Sie ſagen wollen, und dies grade hat den größ - ten Reiz für mich. Auch ich werde Ihnen ſolche Briefe ſchrei -415 ben; wo die Seele ſpazieren gehen ſoll, und nicht auf ausge - fahrner ſtaubiger Heerſtraße eine zweck - und beſonders abſichts - volle Reiſe zu betreiben hat. Auf friſchen, kleinen, abſtrakten Wegen wollen wir gehen, die wir ſelbſt noch nicht kannten: und auch auf dieſen noch dem Wolkenſpiele folgen, den Licht - zauber genießen, und auch dem Dunkel, wenn es reizt, nach - ziehen! Heute aber kann ich unmöglich auch nur flüchtig der Fülle Ihres Briefes antworten! Sehen Sie! Nach Ihrer eigenen Beſchreibung der Deutſchen, warum mir mitten in Deutſchland die Franzoſen ſo reizend ſein müſſen? Mir, die Sie ganz in Ihrem Gemählde dieſer Nation gekonterfeit ha - ben? Ich finde mich außerordentlich getroffen! Adieu. Ant - wort auf alles, künftig!

Wir bleiben noch ungefähr acht Tage hier, gehen einen Augenblick den Münſter zu ſehen nach Straßburg. Dann be - komme ich einen Brief von Ihnen und Ihrer Mutter; die bleibt wohl noch in Frankfurt. Dann gehe ich auf ſehr we - nige Tage nach Karlsruhe, und komme gleich nach Frankfurt. Weil ich glaube, von unſerm hieſigen Aufenthalt wird doch nichts. Leben Sie wohl! ich bin in Eil. Sagen Sie Ihrer Frau Mutter alles von mir! Ich bin ihr ſehr ergeben, und außerordentlich zugethan!

Rahel.

Un mot sur madame de Humboldt! comment vous la trou - vez, vous! adieu, adieu! Mille compliments de la part de V.

416

An Erneſtine G., in Berlin.

Nur ein paar flüchtige Worte, liebe Golda, um Ihnen zu ſagen, daß ich Ihren letzten Brief noch in Baden erhielt, acht Tage zu meiner Einrichtung in Karlsruhe blieb, und nun ſeit vier Wochen mit Doren hier bin, bloß um mich vom häus - lichen Trouble und von der nicht beſonders gelungenen Bade - kur bei meinen Freundinnen zu erholen, bei Frau von Schle - gel, und bei einer Franzöſin, die Sie nicht kennen, Gräfin Cuſtine, und um Frau von Humboldt zu ſehen, die ich ſeit zwölf Jahren nicht ſah. Ich habe die kleine aber vortreffliche Reiſe hierher, ſehr ſtill und angenehm gemacht, und in dem behaglichen Troſtbewußtſein, daß ſie ein Feſt für Varnh. iſt, der mir die Welt zu einem ſolchen machen möchte, und mir auch den Antheil in jeder Zeile, die ich erhalte, auszudrücken weiß. Ich könnte alſo ganz vergnügt hier ſein, das Wetter auch iſt mir günſtig: ich habe auch noch unzählige Bekannte aus den verſchiedenen Klaſſen, mit denen ich in munterer freundlicher Berührung bin; und doch hab ich auch ſchon hier Arges erfahren: hauptſächlich (und Sie ſollen gleich erfahren, warum ich dies hauptſächlich nenne) bin ich nicht wohl: d. h. ich gehe, fahre, bin angezogen, eſſe, ſchlafe auch ſogar. Aber wie erwache ich; mit leiſen Agonieen; mit Einem Wort! ich habe nie ein Geſundheitsgefühl; und ſehe und fühle alle meine Übel ſich aggraviren. Dabei bin ich munter und luſtig für die Leute; für ſie ſehe ich auch gut aus; ich ſehe mich auchganz417ganz anders: und dann hab ich veränderte Freunde gefunden. Dieſes Finden fand bei mir zwar keine Kränkung vor, denn dieſe hab ich ſchon genoſſen, und mein Herz nimmt keine mehr an. Dies erfuhr ich mit vergnügter, faſt ſtolzer Freude hier in mir, wo man eigentlich nur erfahren kann und dieſe Erfahrung allein wär mir die Reiſe werth, wenn ſie mich nicht ſonſt auf tauſendfältige Weiſe ergötzte; ein Ort, wo man gelebt hat, mit angenehmen Gegenden, iſt immer reichhaltig. Weil ich mein Inneres endlich hier ſo vorfand, und nur anſchlage, was wirklichſten Werth für mich haben kann, ſo nannt ich meinen Geſundheitszuſtand als das Hauptſächliche. Verſtehen Sie nun? Ihnen, liebe Golda, ſchreibe ich dies, damit Sie ſich faſſen mögen, in Ihrem Men - ſchenverkehr ein Exempel vor ſich ſehen von Einer Perſon, die Sie ſehr auszeichnen, mich; damit Sie nicht glauben, ich wolle Sie nur immer tröſten, und tröſte nicht auch mich. Man kann nicht viel von den Menſchen fordern; ſie ſind alle in zu ſchlechter Lage; verkehrt in Verkehrtheit hineingeboren; ihre phyſiſchen Naturen ſchon verzwickt, falſch gemiſcht, und ver - ſtümmelt; in eine Natur hinein geboren nicht des Defizits der politiſch-geſelligen Welt in allem Sinn, zu gedenken hinein, wozu ſie nicht Gaben genug haben ſie zu verſtehen, und alſo, zu gebrauchen: wenn die nicht lügen, und prah - len, ſo iſt das alles was man von ihnen fordren kann; weil dies zu leer, ennuyant und albern iſt: kränken müſſen ſie ſich untereinander, wie mißverſtehen. Wir beide mit einge - rechnet. Darüber aber, müſſen wir uns für unſere Rechnung, nicht wegſetzen; ſondern, ſehr fleißig nachſehen. Welches ichII. 27418hiermit thue; mit dieſem Briefe. Ich will Sie nicht auf einen von mir warten laſſen, und Ihnen ſagen, daß mir Ihr letz - ter ſehr wohlgefiel, weil Sie darin meinen letzten ſo gut ge - nommen hatten: ganz geſcheidt, mit eben ſo einem vollen Her - zen als ſonſt, ſind. Worüber ich mich dankbar freue.

Sagen Sie Koreff, ſeit geſtern ſei ich vergnügt, weil mir Gräfin Cuſtine die Hoffnung gemacht habe, daß er vor dem völligen Winter wohl an den Rhein kommen könnte; da komm ich dann zu ihm; er hilft mir gewiß. Auch hat mir die Gräfin geſagt, er habe in Liebe von mir geſprochen! Ich er - wiedre es.

Ihre R.

An Varnhagen, in Mannheim.

Ich muß mich grämen, wenn du mich ſo ſehr vermiſ - ſeſt, daß du dein ſchönes Daſein nicht genießen kannſt! Ge - nieße alles, lieber Freund, und bedenke vielmehr meinen An - theil daran: ſo mache ich es auch. Ich mache es aber auch wie du, ich denke beſtändig an dich, und gönne mir nichts; oder vielmehr, ich denke beſtändig daran, wie ich es dir mit - theilen will! und auch ſehe und genieße ich wieder für dich mit, und, daß du die Freude haſt, mir den Genuß zu ver - ſchaffen. Dabei gebrauch ich ganz die Freiheit des Bewegens der vereinzelten Perſönlichkeit. Mit Einem Wort, ich durch - wühle meinen Zuſtand, und das für dich mit: und ſo machſt du’s auch. Wie ſonderbar, daß man auch bei den geiſtigſten419 Herzensgegenſtänden einen Schritt zurück und aus ſich her - austreten muß, um ſie deutlich zu ſehen; heißt hier empfin - den: ſo ſehe ich von hier aus erſt von neuem und im Gan - zen die Lage ein, in welche mein Verhältniß zu dir mich ſetzt. Bei Allen iſt es wohl ſo; aber du kennſt mich: mein namen - loſes Freiheitsſtreben! Jede Nähe mit allen Gegenſtän - den ſcheint wenigſtens zu beengen; und ſo muß ich meine Lage manchmal von ferne beſchauen, um ſie von neuem mit dir an’s Herz zu drücken! Du kennſt mich: ich bin dir kein Geheimniß; und die Bedingung, das Element des Glücks in dem Verhältniß zu dir, iſt, daß ich dir keins zu ſein brauche: daß ich mich eigentlich vor dir gar nicht ſcheue, den freieſten Beurtheiler an dir habe. Auch ich ſah mir unterwegs die Augen blind nach Mannheim hin, welches ich lange im Abendſchein ſah, von Heidelberg aus: und fuhr auch dicht vor dem Weg vorbei, den wir miteinander von Mannheim nach Heidelberg gekommen waren, dicht vor ſeinem Thor. Kutſcher, Bedienter, Dore, Alle ſahen und zeigten Stunden lang mit! Lieber Liebhaber, Gott ſegne die Kour, daß es keine Ehe werde! dumme Geliebte ſprechen umgekehrt. Dies ſoll Tettenborn leſen, weil er’s goutirt. Wie es da ſteht mit ſeinen Augen.

Heute gehen Cuſtine’s bis Heidelberg, wo ſie morgen die Bilder ſehen; ſie wollen über Karlsruhe und Straßburg nach Paris. Geſtern Mittag ſpeiſte ich zuletzt bei Hum - boldts mit ihnen; wo Humboldt ſich eine ganz neue Haut von wahrhafter Liebenswürdigkeit angezogen hatte. Geſtern erreichte es nur ſeine Höhe, denn eine ganze Weile finde ich27 *420ihn ſchon ſo geſchält. Er beherrſchte ganz allein, und nöthig, und mild das Geſpräch; ließ nichts Steifes, nichts Dummes aufkommen: iſt in gleichem Ton mit Hausleuten, Gäſten und Kindern; ſagte unaufhörlich komiſch-Frappantes, aber nicht wie im Winter und Sommer, aus tiefer Langweil, und in deren dennoch harten, ärgerlichen Tinten; dieſe alte Überzeu - gung der Dinge hat bei ihm eine wieder neue Wendung genommen; er iſt von der tiefſten, ſorgenloſeſten Aufrichtig - keit über alle Gegenſtände, und dieſ giebt ſeinem Benehmen und Sagen eine wahrhaft mild-heitre Grazie. Mich dünkt, er hat mehr Verſtand als je. Oder hab ich mehr. Wir beide ſind auch ganz weich, ganz leiſe, ganz milde, ganz wahr, und ganz weit, weit vorwärts in unſern Äußerungen mit einander. Den Abend fand ich ihn noch wieder bei Gräfin Cuſtine: eben ſo.

An Varnhagen, in Mannheim.

Ich habe alle Beſuche endlich ſitzen laſſen, mich angezogen; ging mit den Gedichten zu Frau von W., wo alle Thüren zu, und keine Klingel waren!! Sie machte mir einen unverſtändlichen Mickmack wegen der Plätze. Sie hatte mir aber die vortrefflichſten, in des hannöverſchen Ge - ſandten Loge ſehr gute, verſchafft; vordere im erſten Rang. Nachher ſollte ſie bei mir, oder ich bei ihr Thee trinken: aber ſie ließ mir abſagen: ſie läge ſchon mit Migraine. Dore ſah421 aber um 10 Uhr den Schaden mit Licht über den Hof leuch - ten! Die Großherzogin ſah mich ſo an ich war zwei Logen von ihr daß ich ſie nicht anſehn konnte: Madame de Walſh war mit ihr und der Großherzog. Es war nicht gepfropft voll. Von der Catalani mündlich. Ich kann nur mit äußerſt gerechten Menſchen und den außerordentlichſten Kennern von ihr ſprechen. Sie hat nur Eine Sache gemacht, die ich noch nie hörte und die mir niemand zu bezeichnen wußte: ich kann es mündlich. Die Schlegel ſprach mir da - von, aber nicht zum Verſtehen. Dann hat ſie noch Eins außerordentlich gemacht, welches ich aber ſchon kannte. Der Milder ihre Stimme (ſage ich) iſt ſchöner. Sie iſt eine größte Sängerin, hat aber weder komiſche noch tragiſche Einfälle: und das hab ich ſchon erlebt. Die Stimme und die Keh - lenfertigkeit iſt größer, als die Seele, beherrſcht dieſe, und nicht dieſe jene; wie zur höchſten Kunſtharmonie nöthig. So viel nur! Sie kommt heute auf den Muſeumball, wo ich ſie ſehen will. Auch die Großherzogin kommt hin. Dieſer Brief nur, weil ich ihn verſprochen habe. Er kommt einige Stun - den früher, als ich.

An Auguſte Brede, in Stuttgart.

Was ſonſt mein Gräuel iſt, daß heute kein Theater iſt, erfuhr ich dieſen Morgen mit Vergnügen, weil ich mir feſt vorgenommen hatte, heute ſchreibſt du ihr! Als ich eben422 nun wußte, du kannſt den Morgen in die Luft gehen ſie war die beleidigendſte Novemberluft und wirſt den Abend einen Augenblick haben da tritt Robert mitten in mein Waſchen, mit Ihrem Brief herein, und lieſ’t mir, Sie würden Ende des Monats mich beſuchen!! nun brauche ich ja gar nicht zu antworten, gar nichts zu erzählen. Liebe Guſtelette! Nun hören Sie nur, wie ich es mir bis auf jede Kleinigkeit ausgedacht habe! Die andere Woche werden wir, denk ich, nach Karlsruhe reiſen. Wie kommen Sie auf den Ge - danken, daß ich mit Robert in Darmſtadt war, als Sie dort waren? Ich war vor fünf Wochen, als ich von der Frank - furter Meſſe allein zurückkam, einen Abend und eine Nacht dort. Von keiner Brede war nichts zu ſehen und nichts zu hören! Den jungen Gern im Gegentheil ſah ich dort den Richter in den Quälgeiſtern ſpielen. Gut, würd ich ſagen, hätte ich nicht zu Anfang ſeiner Laufbahn in Berlin geſehen, daß ein wahrhaft Talent zu einem rechten Künſtler in dem Menſchen ſitzt er ſpielte damals einen Bedienten in Shake - ſpeare’s Julie und Romeo, wie ein Franzos, ein Italiäner, kurz eine luftige Maske aus aller Zeit, mit Leichtigkeit, Einfällen, Grazie, und was am meiſten zu bewundern war, vollendeter Gewandtheit, ganz ſelbſt erfunden, ganz idealiſch gehalten; und wahrhaft komiſch. Jetzt iſt ſein Talent rein weg verſchwemmt, vom Zuſehen Anderer Elendigkeit, Künſte - lei, und Nüchternheit, und Verlegenheit darüber, die ſich zur Manier ausgebildet hat; er, ein treuer, fleißiger Nachmacher von Iffland; ſo daß er mit all deſſen Fehlern vor einem ſteht, und man beim Überlegen doch das etwa Beſte an ihm,423 nicht ganz gefunden hat. Dieſer wenig begabte Pedant hat nicht allein der Berliner, ſondern den deutſchen Bühnen gro - ßen Schaden zugefügt, bei mancher Ordnung der Scene, und geſellſchaftlichem Vortheil ihrer Mitglieder; und mich verfolgt er noch nach ſeinem Tod!!! Muß ich nicht raſend werden, Wien nicht ausgenommen, auf allen Theatern Deutſchlands Einen zu finden, der ganz wie er ſpielt, ſchnarrt, glupt, ſpricht, die Hände dreht, fingerirt, pauſirt, einzelne Worte mitten vor oder aus einer Phraſe wie verlorne Schildwachen hinaus ſchickt, und als ſolchen ihnen keine Lebensmittel, d. h. keinerlei Accent und Beziehungston mitgiebt, es dem Hörer in ſeiner Verlegenheit überläßt, was ſie damit machen ſollen, und dieſe Verlegenheit noch für künſtleriſche überlegte Abſicht ausgeben will. Solche verfolgen mich noch, wo ich ihn ſchon lange vergeſſen hätte, und hetzen den alten Ärger wieder in mir gegen ihn auf. Woran liegt es, daß das Falſche viel mehr um ſich greift, Nachahmer, Vertheidiger, und Lobredner findet, als das Ächte? frag ich mich ewig: und fragte es erſt dieſen Mittag, als ein kluger, ſiebzigjähriger Célibataire, der weichmüthig und liebenswürdig iſt, den legitimen Kindern, der Ehe, und all dergleichen auf’s willkürlich-unvernünftigſte das alte Irrwort redete! Wie kommt’s? Da Ächtes Wahres iſt, und Wahres viel einfacher, als Lügen und Irrwege des reinen Denkens. So herrſchte Iffland; nicht durch ſein Beſ - ſeres, durch ſein Schlechteſtes. So will man mich jetzt gelten laſſen, da edler Unwille in ſeinem Muth ſich nicht mehr zeigt, und mehr dergleichen in mir; und in meiner reinen, unſchul - digen Jugend war es gefährlich mit mir umzugehen! Aber424 reizend, zum Glück! Nun ich auf mich gekommen bin; ge - nug! Das Theater amüſirt mich hier genug! ( Ziemlich gefällt mir nicht: und ſehr auch nicht.) Müller iſt oft ſehr gut, Heck ganz vortrefflich. Mayer manchmal gut, nie eine Rolle durch; er hatte gewiß das Unglück, zuerſt in Koſtüm und nicht in Konverſationsſtücken zu ſpielen; um dies zu verdauen, gehört ein kräftiger Talent. Nämlich, reichere, gewandtere Einbildungskraft, ein ſchwerer Herz. Seine Stimme hat Töne, ſeine Geſtalt einen ſchön geſtellten Kopf: auch hat er einen Blick. Sontag iſt in italiäniſchen Opern ſehr gut. Eine Dlle. Pohlmann, recht ſehr viele Anlagen; ſie ſingt nie ſchlecht, könnte vortrefflich ſingen, iſt hübſch, nicht ohne Sinn, nie ge - mein, ſehr jugendlich. Dieſe alle zuſammen machen, daß ich meiſt hinhören muß; die Stücke beurtheile, belache, beweine ich auch. Das Haus gefällt mir ungemein, ich kenne kein angenehmeres, den Eingang ſchon mitgerechnet, der großartig iſt, unſere Loge iſt mir bequem; kurz, das Theater werde ich in Karlsruhe vermiſſen. Mlle. Beck hat ſich ſehr gebeſſert. Sie ſpielte eine Herzogin in Ubaldo, wo ich ſie mit zu dem Größten rechne was ich ſah; ſie ſpielte auch Lady Milford vortrefflich, und die Scene, wo ſie den Major erwartet, beſſer als Sie und die Bethmann. Das iſt kein Spaß. Die Schuld ſpielte ſie in der letzten heftigen Manier der Bethmann nicht im geringſten knechtiſch nach: da würde mir auch die theuer geliebte todte Herzensfreundinn nicht gefallen haben. Dies ſag ich ſo gerührt, als ſagt ich’s ihr ſelbſt dahin wo ſie iſt! Im Schutzgeiſt ſang ſie im hohen und tiefern Lei - terton die ganze ewige Rolle ſentenziſch donnernd her. Dies425 begriff ich nicht, nach ſolch einem Spiel, wie in Ubaldo??!! Das frag ich ſie aber.

Rebenſtein iſt ein Exempel. Ein Exempel, wie die menſch - liche Natur in einem Menſchen ausgerottet werden kann; wel - ches man ſonſt nur bei mißhandelten Sklaven ſehen ſoll. Unſer geliebter Tieck behauptet, alle Menſchen haben mimi - ſches Talent in ſich; ja, ſogar die Thiere: und er hat Recht. Wo käme ſonſt alle National-Gebärde, Ton, und Benehmen her? Wie ſo ſänge der Sachſe, ſchnarrten und ſchnaufelten wir, drückte der Schleſier u. ſ. w. In Rebenſtein iſt der Quell alles Nachahmungsvermögens rein verſchüttet, durch lauter Lehren von dem, was nicht exiſtirt: er ſah die ganze lichte Welt nicht mehr, und nur ſeinen Lehrer, und auch den in völlig blindem Glauben bei ganz geſchloſſenen Sinnen: nun iſt er auch vollkommen Marionnette, trotz Fleiſch und Blut; wenige Gebärden, wenige Töne, ohne alles Leben. So et - was iſt mir nie vorgekommen: dies konnte nur Iffland ge - lingen; und dieſem nur bei Rebenſtein. Alles iſt Negation bei ihm; zum Glück hat er die Knochen erhalten, daß die wohlgemachten Mäntel haften. Ein Wunder iſt der! Ich bin ganz entzückt, daß er ſich außer Berlin zeigt, der Lieb - lingslehrling ſeines verſtockten Meiſters. Verſtockt war Iff - land in ſeinem Direktions-Glück, unter dem Götzendienſt, ge - worden. Und nun ruhe er ſelig! Ich bin ihm nur in Andrer Seele böſe, wo ſie ihm ſo Unrecht thaten; und den armen Rebenſtein bedaure ich wahrhaft. Der arme hübſche Menſch war ein Opfer. Die Catalani hab ich gehört; davon mündlich! Ihr Enthuſiasmus freute mich! Adieu, Liebe! Ihre Rahel.

426

Thun Sie mir den einzigen Gefallen, Herzensguſte, wenn Sie dieſen Brief geleſen haben, ihn gleich an Markus nach Berlin zu ſchicken. Schreiben wird mir ſo ſchwer; man läßt mich von des Morgens im Bette ſo wenig allein, daß ich Gott danke, wenn ich einen Brief fertig habe. Markus amü - ſirt das Theater, mein Leben, und alles was hier ſteht. Ich grüße Alle. Robert iſt ſehr fleißig neben mir an (nicht eben jetzt): wir Alle eigentlich vergnügt hier bei den beſten Wirthen, die uns gar nicht weglaſſen wollen. Mit Koch, Pferden, Loge. Gott ſegn es ferner. Adieu. Eure R. Der älteſten Schwägrin ihr Leiden kränkt mich ſehr, da mein physique mir ihr Leiden deutlich macht. Künftig mehr.

An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.

Geſtern, lieber Aſtolf, in der größten Einſamkeit, Mor - gens war Mad. Brede abgereiſt, es ſtürmte wie auf dem Meere, kein Menſch öffnete meine Thür, von jeder Seite ſind zwei Zimmer bis zu meinem leer, alle ſehen nur über Dächer weg; meines geht nach unſerm Hof, wo ich über Seitengebäude nach einem Wald, Faſanerie genannt, ſehe; aber vorher mit meinen Augen erſt vor einem kleinen Nachbarsgarten vorbei muß, der bis jetzt allem frühen Schnee, dem ungebührlichſten tobendſten Sturm, und allen Sorten von wüthendem Regen, Reif, und Froſt widerſtanden hat, und unbefangen ſeinen grü - nen Boden zeigt, in der größten Sommerordnung, in gradge -427 zogenen Salatſtreifen, oder ſonſtigen Küchenkräutern, die ich nicht ganz unterſcheiden kann. Dieſes Gärtchen, und vier bis fünf Sonnenblicke, die ich, ſeit ich hier bin, theils auf den Wald fallen ſah, und theils auf die Thürme, die ich aus mei - nen Vorderfenſtern ſehe, kann ich ſchwören, iſt alle Sinneser - friſchung, die ich hier genoß; dieſe Blicke knüpfen mich an mein voriges Leben, und dieſes nur bringt mir noch eine ſinn - liche Ahndung von Zukunft hervor, und auch wie ein Hell - und Dunkelſchein, ſchnell durch die Seele ziehend. Dieſer Um - ſtand erinnert mich an die Geiſtesaufſchlüſſe, die Jakob Böhme beim Anblick eines blanken zinnernen Tellers gehabt haben ſoll; welches mich ſchon vor fünf oder ſechs Jahren, wo ich es zuerſt hörte, nicht wunderte, weil ich von jeher Ähnliches in mir erfahren hatte. In Beziehung auf meinen Zuſtand, und meines Gärtchens hier, freute es mich zwiefach, in Ihrem Briefe zu leſen, daß Sie in Ihrer Normandie, in Ihrer Ein - ſamkeit, eines ähnlichen Anblicks genießen; der Ihnen auch Ähnliches wenigſtens in der Seele aufregen muß. Solches nun, und die Briefe, die ich hier erhalte, erregen mich auch hier nur allein, Und nun kein Wort mehr, von meinem Aufenthalt, von Schickſal, und all ſolchen Dingen! Ich habe es mir bis zur Eoidenz durch mein langes Leben durch, erör - tert, daß es ſtärker iſt, als wir, und alles; und unterwerfe mich nun, wenigſtens ſtumm. So ſehr lange mein Recht ihm zu beweiſen, ennuyirt mich auch bei dieſer hohen Perſon: und ich habe ſchon längſt im Scherz geſagt, und im Ernſt ge - meint: Ich ſtelle mich den jüngſten Tag nur um mein Un - recht zu vernehmen, zu büßen, gut zu machen; das was mir428 geſchehen iſt, iſt mir zu verjährt. Zu lange muß nichts dauren, was nicht ſchön iſt; je suis trop blasée sur ce qui me déplait. Unſer Schickſal iſt eigentlich nichts, als unſer Karak - ter; unſer Karakter, nichts, als das Reſultat in aktivem und paſſivem Daſein, der Summe, und Miſchung all unſerer Eigen - ſchaften, und Gaben. Das ſind wir am tiefſten genom - men ſelbſt: und was iſt daran zu ändern? oder vielmehr, wir ſelbſt können grad daran nichts ändern. Der Zeitpunkt, in den wir nun mit unſerer Perſönlichkeit fallen, iſt wieder ein feſt gegebener; eine ſolche Miſchung wenn Sie wollen im Größern. Deren, und unſerer Perſon Aufeinanderwir - ken nennen wir Schickſal; dem, können wir wirklich nur zu - ſehen, und unſer Agitiren, iſt nur ein illuſoriſches. Das Git - ter woran wir ewig mit dem Kopf ſtoßen, eben weil wir eine Ausſicht hindurch haben; ein Witz der höheren Mächte, uns zur Entwickelung eines ethiſchen Daſeins gegeben. So expli - zir ich mir die Sache: und verſtehe leicht und willig, die Er - klärungsart jedes Menſchen, wenn er’s nur ehrlich und gut meint; weil ſie doch alle auf Eins, auf Unterwerfung in’s Un - begreifliche, hinauslaufen; mit dem wir uns bei der verliehe - nen Begriff-Fähigkeit nicht begnügen können, und ohne ſie, nicht Einmal etwas vom Unbegreiflichen wüßten. Sie auch, lieber Freund, ſchrieben mir in einer andern Tonart daſſelbe; muß man nicht immer nach der Tiefe hin? Aber mit ihr al - lein kann ich nicht leben; wäre meine Seele weniger umfan - gen, getragen von einem Meer, einer Atmoſphäre von Ruhe und Klarheit die ich nicht bin und nicht mache: die ich mir andern Orts erworben haben mag ſo müßt ich ſterben429 wollen für dieſe Tiefe; ich bin aber in’s Leben geſtellt mit al - len meinen Sinnen, und vermag durch ſie hindurch zu füh - len nach unendlichem Genuß der Dinge und meiner, und des Daſeins, mir bekannt, und freundlich, und intim, durch ſie, und dieſe Welt, und beider Bewegung: die mir auch eine gott - gegebene bleibt, ſo gut als dieſe Zeit eine Ewigkeit, und ſchon eine Zukunft, ſo gut als die zukünftige Zukunft; ich laſſe dieſe Welt nicht ohne Schmerz, und nichts in ihr. Bin ich zur Buße hier, ſo iſt ſie das; aber meine Anweiſung, die Mög - lichkeit, auch hier zu leben, verlaſſ ich nicht. Es kann hier unendlich alles gelingen: und es giebt ſehr gelungene Menſchenleben, im Leben nicht im Laſſen des Lebens von denen wir nichts wiſſen und erfahren, oder es nicht be - achten. Auch iſt die bloße Möglichkeit ganz genug. Schöne harmoniſche Gaben gehören dazu wir wie ich uns beſchrieb geſtellt in harmoniſche rein wiederklingende Lage. Klima, El - tern, Land, alles mitgerechnet. Womit hab ich mir, zum Beiſpiel, hier wohl das Glück verdient, von dem ich vorhin ſprach, mich ohnerachtet aller Geiſteszweifel und Fragen, die wir nicht befriedigen können, und ich nie mit ſtupider Will - kür hemme, mich wie auf Meeren von tiefſter innrer Ruhe getragen zu fühlen: als regiert ich mit. Ein ſolch Gefühl zu haben, das bracht ich mit; das iſt alter Erwerb: und ſollte man nicht hoch und reich begabt auch hierher kommen können? Solchen Unterſchied denk ich mir auf keiner Stelle, des un - endlichſten Geiſtes Schöpfung. Allenthalben iſt ein ewiges Entwicklen und Sein; Leiden, Wiſſen, Werden, Genießen; und Höllenpfuhle, wie Paradieſe, können allenthalben und zu430 allen Zeiten entſtehen. Tragen wir nicht alles in der ewigen, verliehenen Seele? Unendliches können wir erfahren! und kein Gehäge, kein Bollwerk, kein refuge, von uns erfunden, wird halten. Sehen Sie, wenn ich anfange zu ſchreiben, hör ich gar nicht mehr auf; das nenne ich vom Schickſal nicht mehr ſprechen. Drei Seiten!

Jedes Wort, welches ich nicht franzöſiſch ſchreibe, geht mir durch die Seele, weil es dann nicht an Mama gerichtet ſcheint: Sie überſetzen ihr aber alles! Dies mit meinen Brie - fen vorgenommen, iſt das größte exercice, deutſchere, konfu - ſere giebt es nicht; Bärſtecher hilft!

Adieu, lieber Graf! Nun ſchreibe ich ehſtens Mad. Schle - gel. Das Blut ſteigt mir ſo nach dem Kopf. Mir müſſen Sie Schweigen nach entſetzlich Plaudern nicht übel nehmen! Die Fervaquer haben meine treuſte Liebe und Freundſchaft für’s Leben! R. Ihren Brief goutirte ich ſehr! Mehr ſolche! Schreibt Wilhelm? Mahlt Mama? Iſt ſie wohl? nach Karlsbad?

An Karoline von Woltmann, in Prag.

Alles Gras iſt raus: geſtern ſetzten die Leute ſchon ihre Ertofflen in die Erde: in Markgraf Ludwigs Garten kommen die Spargel ſchon aus der Erde: ich ging geſtern vor einer Laube vorbei, die mir grünlich ſchien; ich trat näher, und es war Jelängerjelieber, wo ich mir einen Zweig abriß, an dem431 die grünen Blätter aufgebrochen waren: wie das ganze obere Dach der Laube. Dabei heizt man doch friſch ein, und hat Winterabende; unerträgliches Wetter, und mir äußerſt ſchäd - liches: weil man in nichts mehr als in Nebel lebt. Dies das Datum.

Ich habe wohl Ihren Brief in Frankfurt erhalten, der mir ſagte, daß Elischen Reymann todt ſei; das Kind war ein Menſch: und mir geſtorben wie ein erwachſener. Eine feine Seele voller Rückſichten. Nichts liebte es ſo ſehr, als Grünes; das Freie, den Garten, Blumen. Und mit emotionirtem Er - röthen erzählte es mir am liebſten von des Vaters Gut, und Schloß, und Garten; und lud mich dahin: glaubte feſt, ich müſſe dahin mit. Ich denke an dieſes verſtorbene Kind wie an andere verſtorbene Freunde: es lebt noch mit mir. Ich bedaure nicht, daß es nicht mehr lebt; obgleich mich ſein Tod ſehr traf. Dieſen Grabſtein wollt ich ihm bei Ihnen ſetzen! Schreiben, ſehr brave Freundin, kann ich auch heute, nach einem Jahre, nicht. Es war ein geſtörtes: voller kleiner Rei - ſen, kleiner Bekanntſchaften; kleinem Einrichtungsungemach; mit großem von jeder Erdenart drunter. (Eben jetzt ärgert ich mich ſchwer, und habe auch den Faden, wovon ich die - ſen Brief weben wollte, in völliger Nervenzerrüttung ich nenn es immer les nerfs renversés verloren.) So wie wir uns ſehen! ſoll alles herauskommen! und gleich ſo, als hätten wir uns ununterbrochen geſehen. Ging es ja, als wir uns zum erſtenmal ſahen, und noch gar nicht geſehen hatten. Schreiben nur kann ich nicht: ohne das Unendliche zu ſchrei - ben; beſonders da ich noch eine gezwungene nach allen Seiten432 hin gerichtete Korreſpondenz habe: Nerven, die kein Federfüh - ren mehr dulden wollen; und keinen Augenblick, der mir ge - hört. Dies letzte iſt Leben tödtend! In der Art ärgerte mich eben jetzt einer bis zu Krämpfen. Dieſe meine Nerven nun, und dies Letztgenannte, iſt die Säge, die mir ſchmerzhaft in jedem Augenblick das Leben todt ſägt; ohne daß ich den rechten Ruhetodt davon erlangte. Dabei hab ich noch meine lebenvolle Natur in mir; alſo vielerlei momentane, unnennbare Genüſſe, die aber immer ſeltener werden; und dieſe Natur, die Glück bringen könnte, und einzig fordert; iſt meine Folter. Sie ſehen, wie ich in und nach dieſer Störung ſchreiben muß! Sie ergänzen ſich gewiß mein Leben, aus Ihrem! Leidet Wolt - mann dieſen Winter auch ſo? Wo waren Sie im Sommer? Wohnen Sie noch auf dem Hradſchin? Setzen Sie Ihren angefangenen ſehr ſchönen Roman fort? Waren Sie in - plitz? Die hieſigen, von den Hieſigen ſo ſehr gelobten Berge, das überlobte Baden-Baden, ſind nichts gegen Böhmen, Töplitz, Karlsbad, Prag! der Ort hier eine kleine Reſidenz; keine Hauptſtadt, eines hauptlandes. Alſo nicht viel zu ho - len: außer für Leute, die immer holen; und alſo doppelt ver - miſſen, daß ihnen nicht auch Vieles und Neues, und materiell Großes vor die Augen tritt. Solcher bin ich: ich haſſe Ein - ſamkeit; muß Ruhe haben, und will leben ſehen. Mein Leben iſt mir weit weggekommen: es iſt und war nur ein Be - ſchauen, Urtheilen, und Helfen. Man irrt ſich am längſten über ſich. Doch iſt Bildung aller Art, und Luxus hier: wie in jedem Winkel Deutſchlands: und in Pauſch und Bogen lebt man wie allerwärts. Thee, Meubel, Blumen, Petinet,Be -433Beſätze, Bälle, Orden, raſſelnde Wagen, Divans, gebundenes Geſpräch , trauriges Spiel , Komödie, Redoute, Boutiken; Jammer, Neid, Betrug, Lüge, Wohlthatsvereine, Mitleid, Kirchen: ꝛc. Vier Meſſen war ich in Frankfurt: noch im Sep - tember, wo ich Schlegels viel ſah. Ihn muß man dringend, und mit Kopf anreden; dann kommt die Wahrheit klar her - aus: oft dacht ich ſchon: er hat wahrhaftig Recht! Sie iſt voller Aufrichtigkeit, heiterer Güte, und auf eine Art befan - gen, die ehrlich iſt, und die man gerne reſpektirt: durchaus liebenswürdig, und ganz klug dabei; ich liebe ſie ſehr!

Haben Sie F. neuſte Blätter geleſen? Ich nenne es Blät - ter, weil es abſolut kein Buch iſt: nur wie ein Kopf, aus dem ſich dereinſt eins geſtalten ſollte: und, ſo genommen, ungemein intereſſant. Ärgerlich aber, und nervenkrieblend im höchſten Grad; da er den Geiſt ſabbern läßt: ein Menſch, der ſo vielen hat: voller Einfälle iſt, ſich des weiter Denkens, des tiefer Schauens gar nicht erwehren kann; den die heuchleri - ſchen, faulen, nichtigen Modebehauptungen, und Sprache an - ekelt wie mich; und der ihr nicht zu entgehen weiß! Was iſt das für ein ganz neues Wahnſinnrad in einem der beſten Köpfe, voll Natur? Ich aber merkte ſeinen Sparren längſt: in einem früheren Büchelchen: wo er über Geſchichte was ſie iſt im höchſten Sinne ſprach; klarſinnig, und natur - verwandt und kundig, und mit einemmale, am Ende des Schriftchens, durch einen unwillkürlichen unvermutheten Sporn - ſchlag, ſein Flugpferd herumreißt und mit Mann und Roß in den Glauben ſetzt. Da war er! Keine Replike war mög - lich: das Buch aus. Da hätte ihn einer packen ſollen; undII. 28434vor Gott in die freie Natur mit ſeinem innerſten Weſen ſtel - len ſollen! Aber man irrt ſich; ein falſcher Ton muß wieder - kehren; man ſtimmt Menſchenſeelen nicht um wie Harfen und Orglen!

Varnhagen ſagt, er habe Ihnen zuletzt geſchrieben; ich ſchrieb nicht mit. Nun hab ich zuletzt geſchrieben! Mlle. Benda, die als Schauſpielerin nach Prag kommt, aus Kabale hier weggekommen iſt, wünſche ich Ihnen zu empfehlen. Sie iſt unſere Landsmännin. Seit ich auf der Flucht und fremd war, empfehl und empfang ich gerne jeden Fremden. Sie verdient es: ſie iſt wohlerzogen, brav. Sein Sie freundlich gegen ſie: rathen Sie ihr in allem! Kleinem: es wird ihr unendlich wohlthun! Sie war hier eingelebt, und ſehr be - liebt: ſieht nur jetzt etwas ſchlimm aus. Ihr Talent wird ſich bald durch ihr Spiel darthun. Ich grüße herzlich Woltmann! Varnhagen Sie beide! Ihre alte wie Sie mich kennen

Rahel.

Bald kommt Frühling und Veilchen! Ich pflücke Ih - nen eins!

Mein Prager Bruder Ludwig iſt geſtern nach Stuttgart gereiſt, kommt in einem Monat wieder zu mir. Ich habe viele Leute kennen lernen. Wangenheim, Rückert. Franzo - ſen. Alles!

435

An Troxler, in Beromünſter.

Frühlingswetter: in dieſem Augenblick nicht ganz unange - nehm: im Ganzen nicht gut, und ungeſund: für die Nerven.

Lieber Dr. Troxler! Sie ſchreiben ja nicht ein Wort von Mad. Troxler und den Kindern? Sind ſie ganz blühend? glücklich, behaglich auf dem ländlichen Sitz? Etwas davon müſſen Sie immer melden. Ihre Geſichter, Mienen und Teints ſtehen alle vor mir! Ich meine da die Mutter in allem mit. Rahel lächelte ſchon, als man ihr von Ihnen las, ſie würde wohl lächlen! Ich geſtehe doch aber zu, für den erſten Blick haben auch meine Blätter nicht das Anſehen, von einer Frau herzurühren: aber will man ſie, bei einem zweiten, einem Manne zuſchreiben, ſo geht das noch weniger. Welch ein Dich - ter müßte das ſein, eine Perſonnage in der Art lyriſch auf - zuführen! Selbſt die ganze Polemik in ihr iſt ein Seufzer, der nur Gedanken aufwühlt, und herumwirbelt, weil er ſie als Nachbarn vorfand. Hier und da, that ſolches Goethe, und Shakeſpeare. Hamlet, Aurelie, der Baron in den Wahlver - wandtſchaften, Fauſt, ſprechen manchmal ſo: d. h. ganz an - ders, und doch ſo! dies fehlt den letzterfundenen Perſonnagen Schillers ganz. Es iſt nicht unintereſſant, einen ſonderbar geformten Menſchen, wenn er wahrhaft iſt, über ſich ſelbſt zu vernehmen: drum enthielt ich mich hier meines Ausfalls nicht!

Wenn Sie vergnügter lebten! Und ich auch! Käme Ihnen nur mehr Vergnügen, Aufmerkſamkeit Erregendes! 28 *436 man pflegt Zerſtreuendes zu ſagen von außen; wobei man faul ſein darf: ich will ſagen recht innerlich thätig. So iſt’s beſtimmt im Himmel; hier bringt man ſeine Tage in lau - ter Zubereitungen um; und findet zum öfterſten das Viertel - ſtündchen Ertrag nicht. Was recht widernatürlich iſt, nennt ſich Pflicht, und hat Götter und Menſchen für ſich, und wider uns.

Was ich ſagen kann, kommt mir dumm, ſpielhaft, über - flüſſig vor: beſonders ſeit ich F’s Buch geleſen. Er ſagt kunſt - los, und ungeordnet alles darin. Hätte er das Buch be - titelt: Menſchlicher Kopf, wie er iſt, vor Gebärung eines Buches , und hätte es vorſätzlich ſo geſchrieben, und das Ver - renken des Geiſtes, und alles Geiſtigen nach dem poſitiven Glauben hin, ausſcheiden können, mit noch anderm Willkür - lichen mitten im Gedachten, ſo wär’s ein Meiſterſtück. Leſen Sie’s? Vielleicht führt uns der Sommer einander zu Geſichte, das iſt im Leben die Hauptſache, wenn es nicht die einzige iſt: nämlich wenn man ſinnenklug dabei iſt. Adieu.

Ihre R.

An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.

Ziemlich heiteres Wetter.

Handbibliothek für Freunde, von Johann Kaspar Lava - ter. (Unten am Titelblatt ſteht:) Manuſkript. Dies - chelchen fängt an mit: Trauungsrede an Herrn Konrad - ſcheler und Jungfrau Kleophea Ott, von J. K. Lavater, ge -437 halten zu Kloten, Dienstags, den 18. Weinmonats 1791. Text: aus dem Briefe des Heiligen Paulus an die Römer, dem XII. Kapitel, Vers 12. Seid fröhlich in der Hoffnung geduldig in der Trübſal verharret im Gebete! Dieſe Traupredigt iſt nun ſehr groß, und obzwar weitläufig, und für ſchwerverſtehende Menſchen abgefaßt, wie mir’s ſcheint,〈…〉〈…〉 voller ſchöner Gedanken, oft ſehr ſchön und urſprünglich aus - gedrückt: ſo ſpricht er auch lang und breit, möchte ich ſagen, und ſehr ſchön über’s Gebet; ich fand dieſe vortreffliche Stelle; und dachte gleich dabei, daß ich ſie für Sie abſchreiben will, vor ungefähr vierzehn Tagen, als ich ſie las, da ich Ihnen das Buch nicht ſchicken, Sie es wahrſcheinlich nicht haben kön - nen; mir hat’s ein Freund von Lavater geliehen: der Kirchen - rath Ewald hier: dem Lavater noch auf den Titel mit eigener Hand ſchrieb; die frappant der meines Vaters gleicht. Hier iſt die ſchöne Stelle! wo gleich hinterher noch vieles über’s Gebet nachkommt, dem ich nicht beipflichten kann; welches aber ſehr in Ihrem Sinn darüber iſt. Sie können denken wie es mir auffiel in Ihrem letzten Brief, den ich vor drei oder vier Tagen richtig nach ſieben Tagen ſeiner Geburt er - hielt , da ich Ihnen in der Antwort, die ich Ihnen ſchon auf einen ſchuldig war, die Stelle die hier folgt ſchicken wollte:

Verharret im Gebete! Soll ich dies Wort erklären? Iſt es nicht überflüſſig, dem Weiſen zu ſagen, was Weisheit ſei? den Liebenden zu belehren, was Liebe und dem Beter zu erklären, was Gebet ſei? Dennoch hört der Weiſe gern von Weisheit, der Liebende gern von der Liebe ſprechen, und der Beter gern vom Gebete.

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O Ihr wiſſet es, Ihr redlichen Beter, auch wenn Ihr eben nicht gleich dieſelbe wörtliche Erklärung davon gäbet, die ich allenfalls zu geben wage Ihr wiſſet es das Ge - bet iſt ein Streben der Seele nach dem Urheber der Seele ein inniges merkbares Bedürfniß des Geiſtes nach dem Vater der Geiſter, eine ſpürbare ausdruckſuchende Regung des Glaubens, daß ein Gott ſei, und daß er denen, die ihn ſuchen, ein Belohner ſei eine Darſtellung ſeiner ſelbſt vor dem unſichtbaren Urheber alles Sichtbaren und Unſichtbaren; eine eben ſo einfältige, als höchſt kühne Eröffnung ſeines innern Sinnes gegen den Vater, der da iſt über alles, durch alles und in uns Allen oder gegen den, welchen die allerglaubwürdigſten Zeugniſſe für den Stellvertreter deſſen, den kein Menſch geſehen hat, noch ſehen mag, erklären, für den einzigen Mittler zwiſchen Gott und dem Menſchen dem der Vater alles, alle Men - ſchen und aller Menſchen Schickſale und Angelegenheiten, übergeben eine demüthig muthige Äußerung aller ſeiner Gedanken, Wünſche, Hoffnungen, an den allwiſſend geglaub - ten, allgenugſam geglaubten, väterlicher als väterlichgeſinnten Gott, der gleichſam ein Bedürfniß hat, ſich allen gottesbedürf - tigen Seelen zu offenbaren und mitzutheilen eine Offen - barung ſeines Willens und ſeiner Willensloſigkeit vor dem Alleinweiſen und Alleinmächtigen Gebet, du biſt die Geiſtes - und Herzensſprache des Menſchen mit dem Vater und Könige der Menſchheit und die Summe aller deiner Regungen iſt, entweder: Vater! es iſt dir alles möglich! nimm439 dieſen Kelch von mir! oder: Nicht mein, ſondern dein Wille geſchehe!

Die Stellen, lieber Aſtolf! die ich unterſtreichen werde, haben mir in dem abgeſchriebenen aus Lavater am beſten ge - fallen, und um derentwillen ſchrieb ich ab, was hier ſteht, und ſonſt ſeinen Zuſammenhang verloren hätte. Was er weiterhin noch über daſſelbe ſagt und empfiehlt, iſt mir ſehr fremd, und wird Ihnen ſehr gefallen. Ich kann nach Ihrem Briefe nun - mehr Ihnen beiden antworten: daß ich’s nicht verſtehe, wie man ſich mit Bedacht zu irgend einem Seelenzuſtand, mit Gefliſſenheit oder Willkür, ſtimme! Nur zu einem Guten in der Welt muß man ſich zwingen, und nur das Eine bleibt, meines Bedünkens, auch erzwungen noch Gutes. Zum Rechtthun nämlich. Alles andere läßt ſich bei mir wenig - ſtens gar nicht erzwingen. Am allerwenigſten das Gebet; das Gebet durch Gebet. Dieſes Ausſtrömen der Seele! Wo ſie losgelaſſen ſein muß von allen Gedanken, und Banden des hieſigen Daſeins; welche ihr nur Angſt oder Entzücken, Berührung Gottes durch allen Weltdrang durch, abſtreifen können! Jeder Gedanke hemmt alles Gebet; iſt ſelbſt ein Gebet auf andern Wegen unſerer Seele entſtrömt; oder halten Sie die übernatürliche Gabe Kraft Macht, Fähigkeit denken zu können, zu müſſen, nicht eben für ein Band zwiſchen uns und dem Höchſten, was wir zu faſſen vermögen? Unſere hieſige Gefangenſchaft, Lehrſchaft, ſpaltet dieſe Gaben der Zeit nach, und ſcheinbar dadurch, der Art nach; iſt nicht eine ſo wundervoll, prachtvoll und furchtbar, und zum nicht zu faſſenden All hireichend, als die440 andern? Wenn wir denken, können wir nicht beten, und unterhalten wir uns dann weniger mit dem höchſten, alles verſtehenden Geiſt? Iſt Gott fragen, oder zu ihm beten, nicht Eins? Wenn auch das Eine mehr ein Genießen, ein Seligſein? Kann ich mir kindiſch den höchſten Geiſt denken, wie ich ſelbſt nicht mehr bin? daß er gelobt, geprieſen, gehal - lelujat ſein will? Verſtehen, begreifen muß ich ihn; immer mehr von ihm, durch ihn wiſſen; empfinden muß ich ihn; mit ihm ſein können; ſo viel als möglich; immer mehr! Wenn meine Thätigkeitskräfte ſinken, die Verſtändnißgaben nicht mehr hinreichen, nichts mehr das Innerſte von uns, das Herz, erleuchten, ihm antworten, es beruhigen kann: wenn wir erliegen in Entzücken oder Angſt, dann ſtrömt das Gebet! Ein anderes, als das uns aufgegebene Daſein hebt an, wir haben eine augenblickliche Kraft, eben weil die andern Kräfte ſchweigen, aufzufahren, ohne hieſige Bedingung. Kurz, es iſt dumm und frevelhaft, vom Gebet und ſeinen Erhörungen zu ſprechen, weil wir eben durchaus zu einem andern Daſein, zu einer andern Thätigkeit ausgeſtattet ſind. Ganz anders; ohne Sinne, Glieder und Verſtand, wären wir; ſollten wir nur beten: und beten, anſtatt ringen, denken; ja, ſogar thun. Beten ſtärkt, erhellt die innere Richtſchnur. Ein Gedanke an Gott iſt beten. Heilige, fromme, ernſte, rechtliche Vorſätze ſind beten. Gründlich, recht, angeſtrengt, ohne Eitelkeit tief nachdenken, ergründen, iſt beten. Wenn ſonſt hier nichts, und nichts beſſeres zu thun wäre, als Beten, Lavaters Beten; wie müßt ich mir den höchſten Geiſt denken? Ich ſoll beten bis er mich erhellt, wieder zu ſich, oder überhaupt mich ihm441 näher bringt. Warum läßt er ſich ſo ſehr bitten? Oder, iſt’s eine ſelbſtthätige Arbeit, ein Weiterſchreiten, das Beten, ſo iſt’s das Denken auch: und dem lieben Gott gewiß lieb! Es iſt überhaupt kindiſch meinen beſten Menſchen kann ich dieſen Gedanken nicht als ein Geheimniß hehlen! vom lieben Gott zu ſprechen, und den anders, als in der Perſon der Vernunft und Güte in unſere Angelegenheiten einzuführen. Wir ſind gezwungen, einen höheren, einen höchſten Ver - nunftgeiſt, der ſich und alles verſteht, anzunehmen: das angſt - und entzückenfähige, helle, für’s Licht der Erde blinde Herz bedarf eines Vaters, an deſſen Hand es ſich ſchmiegt. Eben weil wir ihn nicht begreifen und verſtehen, und er in allem, was begriffen werden kann, nicht zu faſſen über uns ſteht: und ewig legen wir ſeinem Urtheil, ſeinen Abſichten unſern Maßſtab an; den höchſten, den er uns gab, das iſt Vernunft und liebliche Güte; ein Mitgefühl für Andere, ein Stückchen Perſönlichkeit, in ihrer Perſönlichkeit; durch Vernunft und Mitgefühl wiſſen wir von einander, und verkehren wir mit einander. Dies hat uns Gott verliehen. An den beiden En - den, Entzücken und Verzweiflung: an beiden Enden einen ge - dankenloſen élan; Gebet! Den können wir aber nicht ma - chen: ſonſt iſt’s ein Bitten um dies und jenes; welches ich kindiſch den ganzen Tag exekutire; aber ſchon weiß, was ich davon halte. Innere Erleuchtungen, Wunder, alles iſt möglich; mir ſind ſie nicht fremd, ich erwarte ſie immer: und glaube ſie ehrlichen Menſchen. Sie müſſen wiſſen, wen Sie vor ſich haben, lieber Aſtolf: es war mir Bedürfniß, Ihnen zu ſagen, wie ich denke, nach dem, was Sie mir vom höchſten innren442 Überzeugen geſagt. Nur noch das! Was Einer ernſt meint, was ihn erhebt, was ihn beruhigt, was ihn kräftigt, iſt mir recht: nur muß ſein Inneres und ſein Leben aus Einem Stück gehen; derſelbe Ernſt bei jedem; nämlich, die kleinſte Meinung, die kleinſte Regung muß ſich bis auf ſeine ihm wichtigſte, richtig, und ohne Abſchnitt, hinauf - oder zurück - führen. Dann iſt es gut: und der Menſch ein treuer Gottes - ſohn; und keine Grimaſſe.

Auf Ihren erſten Brief ſollte ich eigentlich auch antwor - ten! der voller Talent iſt, und den wir mit ſo vielem Ergötzen bewundert haben: denn ich konnte mich nicht enthalten, Varnh. die Stellen, wo Sie das Schloß, den Abbé, Mama’s Weſen, mit zwei Worten; Bärſtecher mit einem, ganz treffend, ganz erſchöpfend bezeichnen, mitzutheilen. Ich möchte wiſſen ob mehr Franzoſen, ohne alles Deutſch, ſo ſchreiben. Sie ver - ſtehen mich recht. Sie wiſſen, daß ich nicht denke, Deutſch giebt Geiſt, Augen, Sinne, Lebhaftigkeit, Wortfindigkeit, und Wahl: aber ob gewiſſe Wendungen Ihnen auch gekommen wären und Wortſtellungen. Ich bekomme auch jetzt von ei - nem jungen Franzoſen, vom Sohn der Mad. Campan, Briefe die vortrefflich ſind! Voller Wahrheit, unergründlicher Nai - vetät; der weiß nicht, was Ja iſt! Aber Ihre Art iſt es nicht; doch auch bei weitem nicht die alte gute Bücherart: aber das ſchönſte Franzöſiſch. Ich kenne Campan ſeit Anno 6. von Berlin. Warum ſchreiben Sie denn nicht an M. Ma - quinehan, daß er zum General Prinz Solms ſchickt, und ſich das Paket ausbittet! Aber der Bote muß den General ſelbſt ſprechen: ſonſt läugnet ein Kammerdiener vielleicht das Paket -443 chen ab. Den 11. ſind Humboldts nach ihren Gütern bei Erfurt gereiſt: im Februar gehen ſie nach Berlin: er alsdann über Frankfurt nach London an welchem letzten Ort ich ihn noch nicht ſehe ſie mit den Töchtern nach Neapel, wo die älteſte Seebäder nehmen ſoll; dies glaub ich. Varn - hagen hat mir angeboten mitzureiſen: ich ſagte nein. Hinge - gen hoffe ich ſtark, im Laufe des Sommers Cuſtine’s zu ſehen! Die Schlegel hat mir neulich einen lieblichen freundſchaftli - chen Brief geſchrieben: auf einen kleinen Weihnachten von mir. Ich liebe ſie ſehr! Geſtern hörte ich hier in einer ko - miſchen Oper die Schweſtern von Prag einen Sänger Häſer, aus Stuttgart; Baſſiſt, welches er vortrefflich iſt eine Scene als ſehr wohlgekleidete Frau mit Diskantſtimme in der höchſten Vollkommenheit ſingen: wie der berühmteſte Sopran nur kann: und ich bin überzeugt, nur auf die Weiſe ſollten Männer ſingen. Nicht ein bischen lächerlich: ſo vollkommen war’s. Ich applaudirte wüthend: alles auch. Recitativ, Vortrag, Koloratur, alles.

Nächſtens ſchreib ich Mama’n: küſſen Sie ihr den Arm von mir! Sie müſſen einen Brief von mir haben. Bärſtecher das Schönſte! Überſetzen Sie Mama’n was Sie nur können von meinen Briefen. Bien des complimens à Mlle. Jenny. V. empfiehlt ſich!

444

An Frau von V., in Paris.

Bei ſtromregnendem Frühlingswetter 1 Uhr Mittags.

Es iſt mir lieb, daß ſich Gentz gut und glücklich fühlt; mit der Botanik des Gartens wegen, iſt eine Art Narrheit: dergleichen kommt vom Geldhaben; und Sinnenmangel, Man - gel an Intereſſe, was man ſehen und hören kann. Dann denken ſie ein Garten iſt hübſch mit Botanik. Beides iſt hübſch! Die neue Bekanntſchaft wird ihn wohl in der Ein - ſamkeit am beſten amüſiren. Sonſt müßten wir ſie doch noch beſſer ertragen können, als er. Wir haben doch noch große Erinnrungen; er aber kennt den vorigen Gentz gar nicht: und ſieht Grünes, Luft, Vögel, Stille, Wolken, nicht wie wir. Das macht er einem Andern weiß! Ich bin ihm immer gut: weil ich den vorigen nicht von dem jetzigen zu trennen ver - mag; und er ſelbſt es nicht ganz kann; ich alſo wirklich einige Reſte finde: die mich jetzt gefunden nicht charmiren könn - ten; mir aber den alten in die Seele hervorrufen. Von X. wußte mir auch Robert, der im Juli von Berlin kam, nichts zu erzählen: er ſah ihn nicht. Er iſt gewiß jetzt ein Herr; und vergißt ſeine Vergangenheit mit Gewalt. Das bin ich mir, außer von Rahel, von allen Menſchen gewärtig: ohne Wunder. Sie ſind nicht von der Wahrheit affizirt, nicht einzig in ſie verliebt, ſie lächelt ihnen auch nicht tief, und immer ſüß, wie mir: ſie ſagen ſie ſich nicht, wenn ſie ihnen nicht auf der Stelle ſchmeichelt: ich ſag ſie mir, und riſſe ſie mich und mein Herz in Millionen Stücke. Sie ſitzt in445 allem. Im Grünen, in der Freiheit, in den Augen, in den Sinnen. Nicht wahr? In den Augen zum Sehen damit, meine ich.

Vierzehn Jahr! ja ſo kommt der Tod. Ach, könnten wir zuſammen ſterben, und wo hinkommen. Nämlich, wenn man Bewußtſein hätte!

Über Wilhelmine hab ich mich unendlich gefreut. Weil die Verbindung edel von innen her iſt: und ſie ſich freut. Das iſt gewiß Profit! Ich ſchrieb gleich in meiner Freude. Die nun einmal verheirathet ſind, mögen verhei - rathet bleiben. Von mir aber bekommt nie ein Kind die Einwilligung zum Heirathen. Das ſag ich in der glück - lichen Ehe. Nein, das iſt nichts, wenn nicht beide ſo denken, wie ich. Aber dies verſteht niemand, außer ein künftiger Geſetzgeber: bis der kommt, muß man Allen gra - tuliren, die ſich ſelbſt gratuliren.

An Wilhelm Neumann, in Trier.

Ganz von ungefähr muß man erfahren, daß Sie weiter weg ſind! Das benimmt einem ja die Ruhe der Gedanken an Sie! Nun muß man immer denken, Sie ſind wieder weiter; man weiß es nur nicht. Das thun Sie nicht mehr. Stummer! Mir machen Sie beſonders viel Verdruß. Denn446 kein Menſch in der Welt iſt ſo von Ihrem Talent zum Schrei - ben eingenommen, als ich: und darauf habe ich den größten Stolz; weil ich mir einbilde, ich verſtehe dies ganz beſonders. Feder und Zunge aber bleiben bei Ihnen in der Scheide! Ganz mörderhaft; das will ich Ihnen beweiſen. Ich, habe das größtmögliche Talent zum Leben: das finden auch Sie in dem wenigen, was Sie im ſchweizeriſchen Muſeum von mir laſen; einen ſolchen Strom hemmen, iſt nur ihn höher herabfallen und brauſen machen; gelebt, gefloſſen wird immer: wenn auch unmuſikaliſch, krank, und ſchmerzhaft. Sie, haben das größte Schreibetalent; Sie vermögen nämlich das Leben unter allen Geſtalten nach Ihrer Wahl aus der Feder aufſteigen zu laſſen; geſchieht das aber nicht; ſo geſchieht es auch nicht unterbrochen. Das größte Talent verſteinert in ſei - ner Schale; Tauſende kommen um den ſchönſten Genuß: ſich bewundernd zu fernerem Leben und Leiſten anregen zu laſſen: Sie um Ihr wirklichſtes Leben: und ich um einen Haupt - triumph! (Ich eſſe Semmel mit vortrefflichſter Sardellenbut - ter während ich Ihnen ſchreibe.) Kann ich gar nichts über Sie vermögen? Wollen Sie gar nicht ſchreiben, nichts? Auch keine Briefe? In denen ſich unvermuthet, ungeſucht von Ihrer Seite, mein ich Schätze auffinden ließen? Ich würde Ihnen Korreſpondenz anbieten: aber ich kann nicht. Das Erſte und Letzte bei meinen nun in die Ewigkeit ſich ſpinnen - den Unpäßlichkeiten iſt immer, nicht die Feder auf dem Papier können kritzen laſſen. Dabei habe ich zwiſchen zwanzig und dreißig Korreſpondenten, die immer alle etwas von mir wol - len. Ich war eigentlich dieſen Winter nicht beſonders anders447 leidend als immer; Auguſt ſah es nur mehr: auffriſchende Bewegung fehlte nur mehr. Wäre das Wetter gut, ich wäre ganz zufrieden. Beſtimmtes Wollen, oder das Wollen beſtimmter Dinge, iſt mir ganz aus der Seele entſchwunden: ich will nur Eins beſtimmt nicht mehr. Das iſt Plaiſir mit, oder durch Unannehmlichkeiten und Mühe. Sonſt bin ich Herrn Schickſal ganz unterwürfig: ich ſehe ein, es iſt ſelbſt unterwürfig; und unterhaltend, ewig unterhaltend zu be - ſchauen, ſobald man ſich weder für ſich noch für Geſichtspunkte etwas Beſtimmtes zu erwarten in den Kopf ſetzt. Ja ich war ein rechter Held! Ja, die Natur hatte eine rechte per - ſönliche Kreatur aus mir im Sinn; dieſe Perſönlichkeit war ſchwer abzutragen! à user . Kleine Reſultate für große Mühen, Schmerzen, und Bewegung. Umgekehrt muß es im Himmel ſein! Adieu! der Platz mangelt. Sonſt hört ich noch nicht auf! Ihre R. Kommen Sie vor allen Dingen! ja zu uns!

Die menſchliche Seele iſt von Natur aus eine Chriſtin.

An Wilhelm von Williſen, in Breslau.

Nun! Es iſt doch noch ein Glück, daß ich eine Gemahlin bin! Sonſt hätten Sie mich wohl gar nicht mehr grüßen laſſen. Ah! da bin ich doch glücklicher als Sie! Sie448 ſtehen lebendig vor mir: und haben ſogar die Freiheit bei mir, wie die Möglichkeit, ſich zu verändern, ſich ſelbſt ab - handen zu kommen; welche Schickſalswogen können uns nicht überſpühlen! und blieben für mich doch Williſen; den ich Einmal geſehen habe, in deſſen Augen und Seele ich blicken konnte, der für mich da war. Und ſo iſt es auch eben ſo gut, Lieber, als hätten Sie mir recht innig geſchrieben; ich bin Ihnen doch eben ſo gut, und es iſt auch eben ſo gut. Ich bin auch eben dieſelbe: ich ſei Ihnen gegenwärtig oder nicht, Sie hätten je von mir gewußt oder nicht. Ich weiß von Ihnen. Und es bleibt beim Alten, da die Möglichkeit, daß Sie von einer, wie ich bin, wiſſen können, da iſt. Ihren Brief aus Tirlemont in welchem Ort ich ſelbſt einen Tag meines Lebens zugebracht habe, und wo mich eine alte Wirthsmutter in zerſtörte Kirchen führte, und von den - chants ſprach erhielt ich in Prag, nachdem er weit über ſechs Wochen alt war; und Sie ſchrieben darin, noch vier Wochen blieben Sie dort. Seitdem, werden Sie nun von Varnhagen wiſſen, durchwühlten wir die Welt, um zu erfahren, wo Sie ſind nur über Ihr Leben erhielt ich Gewißheit kein Pfuel, keine Schleiermacher, kein Militair, nichts half. Den Tag, eh Ihr Brief aus Breslau ankam, ſchlug ich Varnh. noch Einmal vor, Sie, wie Neumann vorigen Winter, in den Zeitungen aufzurufen. Haben wir uns mit Ihrem Brief gefreut? Lieber Williſen! Sind Sie froh in der Seele? Ergötzt Sie das Leben dann und wann? Lehrt Sie der Abend hoffen: weckt Sie der Morgen zu neuen Freuden? (Egmont) oder iſt es, Gott bewahre! des Aus - und An -ziehens449ziehens nicht werth! Es iſt doch die irdiſche Lebenspflanze nicht etwa aus Ihrem Herzen gebrochen, ſo daß alles fernere Grünen, alles Schickſals-Scheinen nicht ferner das Herze nähren kann? Sie haben doch noch Lebensbilder, die Zu - kunft zu bevölkern; das will ich hoffen! hierüber ſchreiben Sie mir. Der Himmel, das Gewiſſen iſt die unabläßliche Geſundheit der Seele; auf dieſe erſte Bedingung verlange ich das Leben! Sie müſſen und ſollen wiſſen, daß ich viel auf’s Leben gebe. Es kann ſehr gut (obgleich es nicht zu unſern Ohren kömmt, und die da gut leben, ich glaub es ge - wiß, ſchweigen, und nicht ſprechen können), ſchon hier auf der Erde, ſein. Es iſt mir beinah nichts gelungen: ich weiß dies aber doch; und dies ganz gewiß. Man ſetzt meines Be - dünkens die Möglichkeit der Erde zu ſehr herab. Und nun gar; nun man alles machen will. Eine Verfaſſung, Geſinnung, Religioſität; auf tauſend Büchern geſtempelt; und ſich die Nationen nur ſo wie Kompagnien zu ſtellen haben, denen man das Brot und Montur austheilt! Zum Glück! geht die Welt nebenher noch ihren Gang! Und grünt, und blüht, und donnert, blitzt und wogt. Sie ſehen, was ich haſſe. Das leere, neumodiſche, unlebendige, prahlerige, Nach - und Überſprechen; wie überbieten. Laſſen Sie ſich nur nicht ſo zerſprechen! Vergeſſen Sie ja nicht zu leben. Grade den Tag, wie er vor uns ſteht; er auch wird eine ehr - würdige Vergangenheit; das iſt der Tage Sorge; nicht unſere. Sie ſehen, ich habe viel in Wien, Prag, Frankfurt, und allenthalben hören müſſen; viel geleſen, Gedruckt - und Ge - ſchriebenes. Könnten Sie uns nur beſuchen! da wir jetztII. 29450nicht fortkönnen. Sehen iſt, ſich ſehen, iſt das Weſentliche! So lange man noch lebt, und ſich erreichen kann! Iſt es alſo nicht möglich? Alle Tage meines Lebens denke ich an den ewiggeliebten Marwitz! Bei Muſik, bei Wetter; ſeine zwei tiefſten Studiumspunkte. Bei freien Gedanken! bei den kleinſten Ereigniſſen! Millionen Dinge erinnern mich an ihn: nach dem langen, ſteten Zuſammenſein. Eben als Ihr Brief kam, hatte ich wieder Dore, mein Mädchen, an ihn und Sie erinnert! Ich ſehe ſein Geſicht, ſeine Farbe, ſeine Mienen, ſein Blaues in den Augen, ſeinen Haarwuchs, ſeine Hände. Er lebt ganz bei mir, und doch wein ich eben jetzt. Er war ſo lieb! ſo wahr. Alles, was wahr war, konnte man ihm ſagen: er lächelte nur, wenn er’s fand; und wenn es ihm auch, wie er bisher war, ganz widerſprach. Ich hab es erlebt. Kunſt, alles Kunſtmäßige beflügelte ihn; er verſtand’s gleich: weil er eine Seele für die ganze Na - tur, für all ihr Wahrheitsſein hatte. Wo iſt er? kein Schrei dringt zu ihm! Sagen Sie mir nichts! Auch ich weiß, er iſt noch da. Und was hätte er noch hin - und herwanken ſollen. Er hat gelebt. Adieu! Sie und er. Viel denk ich Sie beide zuſammen. Sie liebten ihn: ich wußte es! drum konnt ich gegen Sie mich über ihn empören. Wir liebten ihn in dem eben ſo lächelnd. Das Reſümé, welches ich über ihn finde, iſt mir immer ein Lächeln. So lieb ich ſeine Seele zuletzt immer. Adieu! Schreiben Sie mir auch über ihn. Ich rede noch mit ihm, zu ihm: täglich. Ich habe Steffens Buch geleſen. Wie kann ein ſolcher Mann, mit ſolchen Gedan - ken; mit den Einfällen, auch willkürlich ſein! Es freut mich,451 daß er zu ſeinen ſtillen Naturſtudien zurückekehrt: längſt ſagte er ja, Geſchichte ſei nur ein Stück Natur. Adieu.

Lieber Williſen, ich muß wenigſtens meine Einſicht bei Ihnen retten! In der Welt haſſe ich nichts ſo, als unanſehn - liche, unelegante Briefe. Aber ich leide ſehr an Rheumatism auf den Nerven. Kann davon meiſt nicht, und immer ſchwer die Feder führen, des Kritzens wegen. Kann nicht auf dün - nem Papier ſchreiben, und thue es doch; habe nie eine Feder, da ich mit V. s ſchönen nicht zu ſchreiben vermag, und mir keine ſchneiden kann. Heute ſchnitt meine Jungfer immer ein bischen mit der Scheere dran. V. muß dicke Tinte haben: ich kann ſie nicht gebrauchen. So entſtand der Klecks: und endlich hab ich auch den Bogen falſch umgewandt, und dieſe Seite leer gelaſſen; und das Ende des ganzen Briefs deßfalls übereilt. Sein Sie nur durchdrungen davon, daß mir der Brief ſo ſehr mißfällt, als Ihnen, und daß ich betreten dar - über bin. Mannheim gefiele mir außerordentlich, wenn es mehr Bäume in ſeiner Nähe und in ſeinen Mauern hätte. Wir ſind nur manchmal hier. Ich kenne Breslau. Hören Sie nichts von Tieck? Können Sie ihn von mir grüßen laſ - ſen? Wie gerne ſchrieb ich ihm. Ich lieb ihn wie nur ſehr wenige Menſchen. Der müßte geſund ſein: und doch alles ſo wiſſen. Adieu.

29 *452

An Auguſte Brede, in Stuttgart.

Trübes, rauhes, windiges Frühlingswetter, und immer kalter, ſchlechter, wenn auch heller Mondſchein.

Ein Uhr Mittag. Vor wenigen Stunden ſeitdem war ich von drei Viſiten im Anziehen geſtört erhielt ich einen Brief von Robert, worin er mir Ihre bei den Tableaux am Hoffeſte geſchehene Handverletzung meldet! In meinem Leben hab ich mich nicht ſo wenig über ein blutiges Unglück erſchrok - ken, als über dieſen Fall; ſo geſchickt und luſtig und bedacht hat mir ihn Robert vorzubringen gewußt. Aber Sie ſcheinen doch nicht ſchreiben zu können, liebe Putte! Laſſen Sie mir diktiren Sie von Mad. B. zum Beiſpiel was koſtet die ein Brief! weniger als Marinelli’n eine Lüge! ſchreiben, wie es Ihnen geht: ob Sie Schmerzen leiden, ſchwach ge - worden ſind, Narben bekommen; welche Hand es iſt, ob Sie ſie im Bande tragen: ob Ihre Nerven gelitten haben. Alſo ein Onglück ſleppt nit immer nack ſik ſeine Broder! Die Königlichen Herrſchaften ſind alſo gegen Sie ſo gnädig in dieſem Unfall! Es freut mich dies ſehr! Und auch, daß die Königlichen Herrſchaften vor lauter Konſtitution wie jetzt die ganze ennuyante Welt nicht die ganze Kunſt vergeſ - ſen; nämlich die, zu leben, zunächſt; (lauter Anſtalten für Enkel zu treffen, iſt doch hart! und trocken vbenein!) und das bischen wahre Leben beſteht doch in dem alten superflu très - nécessaire: in der Kunſt nämlich: die ich ganz neu, ſo definire! Die Welt, die wir kennen, oder wer dies lieber hat, die453 Natur ſo darzuſtellen, ſie uns ſo vorzuſpielen wie Kin - der thun! wie wir ſie gerne hätten, ohne ihr Garſtiges, das Zufällige, nothwendig Wegzuräumende; wie wir ſie un - ſerm Innern Paradieſiſchen gemäß, wünſchen müſſen gewöhnlich wird das Prätenſion genannt; dies unveräußer - lich-angeſtammte Himmelsrecht! Sie ſehen, ich will Sie amüſiren in Ihrer Unpäßlichkeit: und da will ich denn auch meinen amüſanteſten Bruder zitiren, Moritz; bezüglich auf meine Definition von Kunſt; es wird wohl noch ſo her - auskommen, daß er Recht hat, und zu ſechs Jahren ſchon wußte, was ich erſt jetzt ſchlecht aus dem Block denke, für an - dere Stiliſten und Rhetoren (ich weiß nicht einmal das H rich - tig in dies Wort anzubringen!). Als Moritz ſechs Jahr alt war, gebrauchte ich mit Mad. Liman dies zur Anſchaulich - keit das Bad in Freienwalde; meine Mutter wallfahrte nach ihrem Geburtsort Zehdenik, zwei Meilen von Freienwalde, und beſuchte mich dort. Kam aber ganz empört über Moritz an; den ſie mitgenommen hatte, und dem ſie entzückt die Berge, die Wäſſer, die Gegenden zeigen wollte, und ſich an dem neuen großen Eindruck, den dies auf das Kind machen müſſe, erfreuen wollte: er ſchrie aber immer vom Boden der Kutſche herauf, wo er bequem lag: er möge das nicht ſehen: und auf Zureden antwortete er, er habe das alles in der Ko - mödie geſehen: die ſchönſten Dekorationen! Mama war - thend: und bereute es ſcharf, nicht ein anderes Kind mitge - nommen zu haben. So viel über dieſen Gegenſtand!

Laſſen Sie mich wiſſen, ob ich Sie dieſen Sommer ſehe! Gewiß. In Heidelberg wenigſtens. Schicken Sie gütigſt454 Robert dieſen Brief, dem ich nicht aparte ſchreiben kann es iſt 2 Uhr!!! Dein Gedicht zu König’s Einziehen in die Burg gefällt mir beſſer als die Veilchen und Roſen! Die Anekdote von Krausnas ſchließ ich in mein Herz. Draußen, könnte ſie Schaden leiden!!! Klugheit empfehl ich. Klug iſt der, ſagt Leſſing, der auf ſeinen Vortheil ſich verſteht; dann iſt man nicht generös, aber bedacht, kalt, gefällig. Adieu. R. Alles gedenkt deiner. Komme bald, mich findeſt du hier. Dein Brief war amüſant!

Nur Thörichtes gelingt! möchte man ausrufen, wenn man das Wühlen der Ereigniſſe untereinander anſieht, der Menſchen Unternehmungen nachſpürt: und das mit vollem Rechte.

Ein thörichtes Streben kann leicht gelingen: es iſt ganz einſeitig. Ein beſſeres aber fordert eine Zuſtimmung ſo vie - ler verſchiedenartiger Dinge, iſt ein Anfordern ſo vieler Stre - bungen in uns, daß wir die völlige Zuſtimmung in der Welt aus Diſſonanz nicht erwarten ſollten.

(Mündlich.)

Die Arme, ſagte jemand von einer Frau, hat bei allem guten Schein auch wenig Vergnügen! Vergnügen! ſagte Rahel in erhaben-traurigem Ausruf, wo iſt auch das? Ver - gnügen ſitzt in Blumenkelchen, und kommt alle Jahr einmal als Geruch heraus!

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So verdirbt man die Bedienten! ſagte man zu Rahel, als ſie etwas zugeſtand, was menſchlich gut, aber dem ſtren - gen Reſpekt nicht ganz förderlich war. Sie entgegnete la - chend: Ich denke doch eigennützig: beſſer ich verderbe ihn, als mich!

An Erneſtine G., in Berlin.

Man nennt es Süddeutſchland: rauhes, kaltes hier kälter, als in Mannheim windiges, trübes Wetter: oft auch Hagel und Schnee; kalter blendender Sonnenſchein; nichts grüner, als den 6. Februar, als das Grün mit Ge - walt etwas heraus kam. Die Erde war im Winter, vom Herbſt her, grüner. Dabei Hungersnoth vor der Thür: Theu - rung, die jeden genirt; ſolche Noth, daß man gar nichts anders hört, und es ein jeder hört; man es von einem jeden hört; im Oberland, einige Meilen von hier, ißt man Brot aus Baumrinde, und gräbt todte Pferde aus; das Vieh ſtirbt den Bauern aus Mangel an Gras und Futter. Man ſieht allen Gräueln entgegen. Kennen Sie meine Furchtſamkeit?! dabei möchte mir vor Mitleidsjammer das Herz ſpringen. Wenn ich eſſe, krieg ich einen Schreck; daß ich es bin, die ißt, die doch erſt vor ein paar Stunden !!! Das iſt Eins; das Allgemeine; welches aber in alle Lebensfalten dringt: und einem wahrhaft auch Sorge aufbürdet. Nun hören Sie meins! .

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Ich bin nicht bettlägerig geweſen, und habe keinen ge - ſunden Tag; nicht viel ſolche Stunden. Gehe manche Woche nicht aus (ein heilloſes Wetter im Ganzen); ſehe alle Tage einige Leute Abends; und bekomme mehr Viſiten, als ich nur beſtreiten mag und kann. Wohne ziemlich gut; recht be - quem: hinlänglich eingerichtet: aber ſehr gering, ſehr einfach; nur was wir bedürfen. Nichts was ſcheint; nicht einmal an den Dingen Zierrath oder Eleganz. Schlechter als es bei mir zu Hauſe war; zum Beiſpiel! Weil? ich ohne Sor - gen lebrn will; da ich ſehr gut ohne Prahlerei leben kann. Wollte man, daß wir prahlten, ſo könnte man’s befehlen, und bezahlen. V. iſt ſehr fleißig: und beſucht den Hof, und die Orte, die er muß. Ich halte mich von allem ſoviel möglich zurück. Wir haben aber beiderſeits unſere große Partiſans; und auch ich; ich glaube, weil ich ſie nicht, und nichts ſuche. Dies aber auch kommt ſehr natürlich; ich kann mich nicht tummlen und placken, und in der weiten Welt ſuchen, was ich ſchon kenne, und habe: war zu lange Padrona um Klien - tin ſein zu können: und ſo bleib ich das erſte, bei mir; und werde nach und nach, durch meinen bloßen Karakter, der mir natürlich iſt, dafür anerkannt. Im Sommer kann ich eine Reiſe machen, welche ich will; ich bin auch zu Zeiten in Mann - heim; noch bis jetzt, die Meſſen in Frankfurt: wir haben auch manchen Beſuch von dieſen und andern Orten hier bei uns. Nach und nach gewöhne ich mich ein. Dies iſt eine Folge meines großen Heimathsbedürfniſſes, welches mich auch große herbe Schmerzen empfinden läßt. Ich kann, und konnte be - ſonders, mein Zuhauſe, meinen Kreis von Bekannten, meine457 Freunde, Nichten, Geſchwiſter nicht verſchmerzen! und beſon - ders, wenn ich Schönes ſah, und Mittheilungswerthes, mußte ich weinen, oder zum wenigſten mein Herz! So iſt mein Le - ben, welches benannt werden kann.

Die Geſellſchaft hier iſt nicht unfreundlich, nicht un - zufrieden mit mir: aber man ſieht ſich hier durchaus nicht häuslich, und wie in Norddeutſchland, oder auch andern - fen. Sondern gebeten, geputzt, mit Vielen. Dazu bin ich nicht jung, nicht geſund, und nicht reich genug. Hier iſt ein Kleiderluxus wie am größten Hof; und überhaupt, wie jetzt allenthalben, bei der geſpannten Finanznoth. Nun ich älter bin: nun ſoll ich die Dame vorſtellen: nun alle Eitelkeit aus meinem Herzen gemerzt iſt. Dieſe Klage par parenthèse. Zu ſparen weiß ich nur an mir ſelbſt. Ungeneröſe, und hart - herzig jetzt, kann ich mich nicht machen. Nun kein Wort mehr! Heute kommt Robert von Stuttgart, das freut mich; in wenigen Tagen Tettenborns von Mannheim, das freut mich auch. (Hier war ich lange unterbrochen von Fräulein Reden; dieſe Familie, Vater, Mutter, zwei Töchter, iſt mir hier ein großer Troſt. )

Phantaſus. Von Tieck. Bd. 3. S. 518. Wir haben alſo in Deutſchland, ſagte Manfred, treffliche Künſtler gehabt, beſitzen noch einige, und hoffentlich werden neue ent - ſtehn. Meinem theuern, vielgeliebten Tieck ſchreib ich hier noch hinzu, daß wir jetzt noch in Mannheim zwei Meiſter beſitzen, die, auf Flecks Weiſe, ſonſt unbedeutende Luſtſpiele458 verherrlichen! mit der größten Laune, Wahrheit, Eindring - lichkeit und kunſtgewohnt ſpielen. Der alte vortreffliche Heck, und der ganz eben ſo gute Müller. So wurde das Räuſch - chen ein Meiſterſtück; welches ſonſt ſchon ein Nichts war. Heck ſpielte den Gärtner in Kotzebue’s des Haſſes und der Liebe Rache wohl ſo, daß man nichts bewunderungswürdi - geres ſehen kann. Ganz der Mann, und deſſen Stand; un - ſchuldig, indem er frevelbefliſſen iſt, kann man ſagen; er ſtellt einem den Ort vor Augen, die Lage, in der er ſich befindet; kraß wahr in den kleinſten Zügen; und doch wie durch ein Kunſtglas zu ſehen.

Ach! Liebe Freundin! Unſere Jugend. Die Linden ſchienen uns die Welt: dort fühlten wir ihren ganzen Inhalt. Das war’s. O könnte man vorher wiſſen! Wiſſen und jung zugleich ſein. Elend iſt der Menſch; ſehr elend; und man tadelt das arme Weſen. Eins iſt wahr: etwas hat ſich ganz verändert. Die Atmoſphäre; ſolche Sommer, Som - merluft, wie in unſerer Jugend, giebt’s nicht mehr. Wir ſag - ten ja oft: wenn’s mal ganz anders kommt mit Sonn und Sternen! dies iſt wirklich anders gekommen! das fühlt man tief: und dies grade, wo auch Hoffnung, Jugend, Freunde, Situationen, todt hinter uns liegen. Schrecklich!!! Varnhagen beſteht immer drauf, wir ſollten von der Schweiz zuſammen nach dem Como’er See! der meint’s ſo gut! der liebt mich. Er genießt ein großes Glück; ich ſeh’s: er ſagt’s, er fühlt’s. Geh ich aber, ſo muß ich ihn allein laſſen. Er459 wünſcht’s für mich: iſt mir behülflich dazu. Leidet aber drun - ter. Hat niemanden als mich.

An Roſe, im Haag.

Schlechtes, kühles, unbeſtändiges Regenwetter: gegen Abrnd viel Nebel.

Liebe Roſentochter! Nun kann es nicht mehr aufgeſcho - ben werden, nun muß ich dir endlich ſchreiben, ſonſt denkſt du wirklich, mein Herz iſt ſo ſteif geworden, wie ich und meine Laune. Vor ungefähr vierzehn Tagen kam Ludwig Robert mit Herrn J. aus Stuttgart hier zuſammen an; Robert brachte mir ihn den zweiten Abend zum Thee, wo Herr J. auch nicht ein Wort mehr ſprach, als das allernothwendigſte Antworten auf meine Fragen; das Geſpräch ging mit den andern Beſuchern ſeinen Gang, Herr J. um 10 ſtumm nach Hauſe. Ich ließ ihn durch Robert, der mit ihm wohnte, zum nächſten Mittag einladen; Robert kam um 3 Uhr mit dem Bedeuten, Herr J. ſei für den Mittag ſchon verſagt. Den andern Tag erhielt ich eine Karte von ihm mit ſeinem Na - men; ich denke alſo, ich werde ihn noch ſprechen; weg war er! Er ſpendirte mir nicht einmal auf ſeiner Karte das p. p. c.; das iſt zu ſtumm! Den Itzig, der im Krieg geblieben iſt, hatte ich in Prag als preußiſchen Jäger aufzuſuchen und zu verpflegen: das Erſte koſtete mich die unendlichſte Mühe, das Zweite gelang mir nicht, weil er durchaus nicht ſprach, und auch nicht wiederkam. Denk nur alſo nicht, lieb Röſelein!460 daß ich J. ſo unbekümmert zu dir reiſen ließ, ohne Frage, Beſtellung, Liebes, und Lebenszeichen. Ich beneidete ihn ſehr! Will dir alle Tage ſchreiben, beſchäftige mich in meiner Seele immerweg mit dir; aber man iſt getrennt: und das iſt nicht mehr als halber Tod. Den Troſt hat man nur, daß es mög - lich bleibt, ſich zu ſehen und anzufriſchen; daß man weiß, daß man noch in demſelben Kreis von Leid und Freud um - fangen, mit den Füßen auf demſelben Erdenrund ſteht, noch von derſelben Luft haben muß, um zu leben. Aber die Mit - theilung ſtirbt nach und nach aus. Wie ſollte man auch ganze Lebenswege zu Papier bringen, wann ſich die Kreiſe deſſelben verändern, bereichern, verarmen, und man alles darin beſchrei - ben müßte: dies allein koſtete eine Lebenszeit; und auch die Korreſpondenz wächſt alle Tage, und ändert, wie man ſelbſt den Wohnort und Bekannte ändern muß. Je n’y suffis plus! Meine Nerven haben ſolche Wendung genommen, von gro - ßen Krankheiten, deren Konvalescenz ich nie abwarten konnte, undenklich reizbar zu ſein, die wenigſten Tage, in denen die wenigſten Stunden, das Schreiben zu gewähren. Auf den Augen hab ich häufig Krampf, den ich den eiſernen Öfen des ſüdlichen Deutſchlands zuſchreibe. Auch hätte ich dir zu viel zu ſagen, da ich dir gerne alles ſagen möchte, und davon, die Feder in der Hand, gepeinigt bin!!! Die letzte Zeit hin - derte mich noch dies, daß ich ſeit Monaten weiß, daß Mar - kus mit Frau und Kindern den 1. Juni abreiſen, um ganz nahe hier, nach Heidelberg zu kommen, wo ich zu ihnen will, ſie in Bäder in der Gegend, und nun wollt ich ſehen, ob ich ihn nicht bereden kann, mit mir zu dir zu reiſen! Du461 kommſt, ich ſehe es, in deinem Leben doch nicht (bei deinem einzigen, erwachſenen Knaben, da Karl doch ſo oft in Brüſſel ſein muß, verſtehe ich die Unmöglichkeit nicht:), ich wollte dir aber keine Hoffnung ohne Gewißheit in den Kopf ſetzen: und konnte dir wiederum nicht ſchreiben ohne es zu er - wähnen, und da ich nun doch ſchreiben muß, ſo erwähne ich es auch. So ſtehen die Dinge. Ich erwarte nun einen defi - nitiveren Brief von Markus, der mir den Tag ihrer Ankunft melden ſoll: da ich aber die Welt bis an den Hals kenne, ſo bin ich mir ohnerachtet der beſtimmten Briefe von ihm doch auch wieder eine abſagende Antwort gewärtig. Käme nur die noch zu rechter Zeit, und verdürbe mir den Sommer nicht. Vielleicht wär es mir alsdann noch möglich eine andere Ge - ſellſchaft zu ſchaffen, oder den Sommer in dem vier Meilen von hier gelegenen Badeort Baden zu genießen, wo es immer von Gäſten, wie von Heerden in den Wieſen und Gebirgen wimmelt, mir zum Zuſehen recht; und der Ort, mir nur ſeiner bequemen Nähe wegen lieb. Varnhagen, der hier Chargé d’af - faires iſt, muß bleiben, und kann mich nicht zu dir begleiten, mein Rösken. So gerne er dich ſehen, ich ihn dir zeigen möchte: und wie gut wir leben, wie er iſt, wie ich’s bei ihm habe! Dies alles iſt gut für mich ausgefallen; aber daß ich reiſen und her - umziehen muß, in einem Alter und Seelenzuſtand, wo ich blei - ben und ruhen möchte und müßte! daß ich aus Land und Bekanntſchaften, Wirkungskreis, Erinnerungen, ausgewur - zelt wurde, wann in einem ſchmerzgetödteten Herzen und Alter keine mehr wachſen, iſt ein raffinement meines Schick - ſals, über das ich nicht hinaus kann. Davon alles mündlich. 462Denn wiſſe, theure Roſe, geliebte Freundin und Schweſter, auf eine oder die andere Art muß ich dich bald ſehen! Da - her mein Schweigen; und ich bin ſo wahrhaft wie du mich kannteſt, im Ergründen, Nachſpüren meiner ſelbſt; im Erwägen von dem, was mir begegnet, und was ich wählen muß. Alſo hab ich dir viel zu ſagen. Ein Lebens-Re - ſumé: und Millionen Kleinigkeiten, die noch immer bei mir Wichtigkeiten ſind. Ich liebe noch immer Geſellſchaft aber freie; wie unſere war, Muſik, Theater, Luft, Grü - nes, Scherz, Witz, tiefes Denken, wahrhaftes Sein, Franzoſen, franzöſiſche Lektüre; ennuyire mich leicht, amüſire mich leicht. Muß das Meiſte in der elenden kleinen, verhedderten Hofre - ſidenz hier vermiſſen; kann das tiefe feuchte Thal nicht ertra - gen. Das iſt mein Unglück. Denn der Ort, wo man lebt, iſt die Welt, in der man lebt. Alles, alſo. Beinah ſeit einem Jahr iſt Robert der ein - für allemal Ludwig heißt in meiner Nähe, bald mit mir hier, bald in Mannheim zuſammen, bald in Baden, alles nur vier, ſechs, acht Meilen auseinander, Stuttgart mit eingerechnet, wo er öfters bei Graf Goloffkin lebt; das freut mich nun ſehr: er iſt ganz glücklich, ganz vergnügt, und weiß es: geliebt und ſehr geſchätzt in all dieſen Städten; fühlt ſich ganz frei, iſt es, und goutirt es. Der Glücklichſte von uns; ganz geſund. Unbeſchrieen! Ich habe Vorurtheile. Mama iſt weg. Weg! Ich ſehe nie einen Garten, wünſche nie ein Beſitzthum, wo ich nicht ſie an - rufe, und tief tief fühle, daß ich es nie mit éclat genießen könnte, weil ſie es nicht hatte. Ein Jahr nur möchte ich ihr in einem bequemen Gartenquartier meine und Moritz Ehe463 zeigen: Gott hatte es ſo beſchloſſen, wie es iſt. Drum wollen wir uns noch ſehen, ſo lang wir lebendig ſind. Sie, die Kou - ſine, Gualtieri, Prinz Louis, mein junger Freund Marwitz, ein Engel, Zinnow, Pierre Lombard, die Bethmann, die Dok - torin Lemos; Quaſt, Möllendorf, Schack, alles alles iſt weg, fort, todt. Righini, Fleck, todt, die Marchetti weg, Brinck - mann weg, alles todt und weg. Wie eine Ernte. Ich ſo oft dem Tod in den Klauen, alle Kräfte mußte ich ihm laſſen. Ich mache ſchon lange keine Muſik mehr; mich ſchwindlen die Noten, die Töne dröhnen mir in den Nerven! So iſt’s, Roſe. Und dabei gönnen ſie einem nichts in der Jugend; beſchränken, tadlen einen. Man iſt arm. Ich war Jüdin, nicht hübſch, ignorant, ohne grâce, sans talents et sans instruc - tion: ah ma soeur, c’est fini; c’est fini avant la fin réelle. Nichts hätte ich anders machen können. Mündlich. Schreib du mir unterdeß von deinem Leben. Du wohnſt doch gut im Haag. Es iſt ein Spazir-Ort. Biſt du denn nie in Brüſſel? Und warum nicht? Line iſt bei Moritz, ich geb ihr aber doch ihr Lohn. Ich habe ein Mädchen und einen Be - dienten, eſſe aus dem Wirthshaus, bin ſchlecht eingerichtet. Ohne Silber, ohne Porzelaine. In jedem Zimmer ein Sopha: vier Sopha’s hab ich. Gute Luft. Weiter nichts: und - cher in Fülle. Das liebt Varnhagen. Lebe wohl, liebes Kind. Grüße Karl millionenmal von mir: und Louis. Friedrich Schlegel iſt beim Bundestag angeſtellt, ich habe ſie viel in Frankfurt geſehen, und noch im Herbſt: ſie iſt vortrefflich, wie ſie war, und beſſer: ſie iſt fromme Katholikin. Ja! ſprech du mit! Kein Fragen hilft zur Auskunft. Adieu, adieu. 464Robert iſt noch nicht da. Varnhagen grüßt dich ſehr. Ich umarme dich herzlich.

Deine treue R.

Kühlſtes, unaufhörliches Regenwetter.

So lange man noch auf derſelben Erdkugel lebt, und ſich nach einander erkundigen kann, will ich es auch thun; da ich ohnehin geſonnen bin, mich nur zum Verklagtwerden, aber nicht zum Klagen, am jüngſten Tage zu ſtellen! Miß - verſtehen Sie mich auch nicht! dies geſchieht nicht aus Groß - muth, aber aus Überdruß: Ekel; ich mag die alten Höllen - geſchichten und Erinnrungsempfindungen, nicht noch Einmal durchgehen, auch mache ich mir aus keinem Rechtkriegen mehr etwas, was mir nicht mehr dienen kann, außer zum Recht; ſo hatte ich’s hier auch ſchon; und alles, was zu alt iſt, zu lange dauert, gefällt mir nicht mehr. Alſo will ich mich nur ſtellen, wo ich’s vermeiden kann, und den Himmel oder ein Künftiges als Himmel anſehen, und annehmen.

Sehr gerne ging auch ich ſeit Jahren nach Karlsbad; aber ich kann nichts. Gewiß meine Schuld: es läßt ſich nicht vereinigen, Andern alles recht zu machen, und auch ſich ſelbſt. Ich kann eher die Grimaſſen meines eignen Herzens aushalten, als die der Perſonen, mit denen ich zu thun habe: wenn ſie ſie auch für mich aushalten wollen!

Gerne laſſe ich mich beurtheilen; ſchon als Kind wünſcht ich mir oft den jüngſten Tag nah, damit alles Un -recht465recht und Recht, was meine Seele drückte, an ſein Licht käme! an eines andren Tages Licht kommt leider nur allzu wenig die eigentliche Bewandtniß, und Verwickelung menſchlichen Handlens, und die Geſinnung als Triebfeder! Redlich iſt’s und ſittenbetriebſam, wo möglich Tage herbeizurufen, die dem großen verheißenen vorgehen; und ſtufenweiſe, nach unſerer Kraft und beſten Einſicht, jenes allheilende Licht ſchon jetzt uns näher zu bringen. Wie können wir jetztzeitig dies an - ders, als durch gedrucktes Wort? vernimmt man uns anders? Es mögen immerhin die redlichen Männer und Weiber die Wahrheit ſprechen, wie ſie ſie wiſſen; und nach aller Ewigkeit zu, ſich einander berichtigen, wo ſie nur können; und welcher Ächtgeſinnte wünſchte nicht noch allgemeiner wirkſame Organe, als ſelbſt den Druck, bis jetzt die angemeſſenſte Erfindung für geiſtbegabte Weſen. Ich ſchreibe alſo, was ich über Dinge beſſer zu wiſſen glaube, die vorgefallen ſind, und über welche ich reden höre und leſe. Und warte, um zu widerrufen, was ich ſchreibe, bis hinwiederum Einer kommen wird, der meine Behauptungen mit Gründen zurückweiſt. Jeder Gegenſtand iſt in einem Verhältniß mit allen übrigen; die richtige Be - ſtimmung, wie er ſich zu ihnen verhält, iſt die Wahrheit, die man über ihn auszuſprechen vermag: alſo kann über alles geirrt und gelogen werden; dies auch bei dem unwichtigſten Gegenſtande zu verhindern, iſt ein großer Genuß.

II. 30466

An Varnhagen, in Karlsruhe.

Helltrübes Wetter nach unendlichen Regengüſſen.

Heute, mein Geliebter, erhielt ich einen Brief von dir, anſtatt dich! Jedoch ſei ruhig, denn ich bin es auch. Und vergnügt, wenn ich dich auch wünſche. Unſer Quartier, im Töpferhäuschen iſt das amüſanteſte! Ich mag gar nicht ausgehen! Lauter Berge, und Königinnen! und Könige! und alle Welt Menſchen. Heute eſſen wir zum erſtenmal zu Hauſe. Die arme Tettenborn liegt zu Bette: auf wenige Tage nur, ſagt Rehmann. Demidoff’s ſind ſehr gut mit mir. Sie war - ten Alle auf dich. Auch Nariſchkin iſt geſtern angekommen; wie ein Bruder ſich gefreut. Robert iſt ganz galant gegen uns! hat beim König von Würtemberg geſpeiſt, iſt mit Goloffkin auf der Hub; und ſehr recherchirt. Roſtopſchin merkt, daß ich ein Publikum bin. Die Königin von Würtem - berg und die Großherzogin ſehen ſich viel und gern. Man ſieht ſie Alle den ganzen Tag. Jeder, und die Demidoff à la tête, außer ſich über die hohen Gäſte und das Kourma - chen: bis zu Thränen. Und gehen beinah nicht hin!? Mit Taſtet’s aus Straßburg ſind Franzoſen, die ein Götterkind von zwei Jahren haben! Morgen leider reiſt es.

Etwas von Roſtopſchin. Wie fein, witzig, graziös er in ſeiner Ruhe und Würde iſt, weißt du. Nun hab ich aber geſehen, wie er mit allem dieſen auch grob ſein kann. Der Baron Gr., der ihm ſchon lange zu dreiſt dünken mochte, ſprang in der Allee zu ihm heran, bewunderte die Dekoratio -467 nen am Knopfloch Roſtopſchins, die der nur heute trug lauter Sternchen, wie Andere bloß Kreuzchen haben, be - taſtete ſie, ſpielte damit, wobei ihn Roſtopſchin ſchon mit grim - mig lächelnden Augen bemitleidend genug anſah; als aber jener die auch im Tone verfehlte Bemerkung denn er fiel mehr leste als ſcherzend aus vorbrachte: Ah que c’est joli! c’est comme pour des marionnettes! wurde Roſtopſchin’s Miene plötzlich ganz ſanft und kalt: Eh bien! je vous en prêterai une, pour le rôle d’Arlequin! ſagte er, und ließ ihn ſtehen. Er dauerte mich; obſchon ich fand, daß ihm Recht geſchah, wegen ſeines Diplomaten-Dünkels überhaupt; war ihm doch ſein Schimpfen auf die Juden ungerügt durchgegangen. Aber ſolche ſanfte Kälte, das wurde mir nun auch deutlich, kann Moskau verbrennen.

An Karoline von Woltmann, in Wien.

Bei ſolchen Pulsſchlägen am Halſe und Kopf iſt es un - möglich, auf einen Brief wie den Ihrigen, den man einen Urbrief, einen Muſterbrief, von Reichthum, Nachrichten, Fleiß, Güte, Befliſſenheit und Mühe-Trotz nennen kann, zu antwor - ten! Vielleicht gelingt mir im Laufe des Jahrs ein ähnlicher; oder vielleicht früher, Sie zu ſehen. Im lieben Öſterreich. In Wien, Baden, Prag ꝛc. Laſſen Sie ſich aber Ihren Brief nicht gereuen; alles, geehrte theure Freundin, habe ich bis zu Schauder auf den Backen und Thränen mit empfunden. O! 30 *468Gott, Sie ſind ein handlender Held gegen mich. Ich ein elender Hamlet. Ich liebe was ich ehre und bewundere: und kein Menſch folgt Ihrem Schickſal mit regerem Antheil. Aber man quält und quält ſich! Keine Würdigkeit ſchützt; im Gegentheil, Leſen Sie einmal des ſiebzigjährigen Peſta - lozzi’s Erklärungen in den Beilagen zum Morgenblatt; wie der erſt jetzt ſich entſchließen will, ſeinem Innren zu folgen. Die wahre Miſchung von Hartnäckigkeit und Weichheit iſt nur ehrwürdig und einträglich. Sonſt ſitzt man als Narr mit ſeiner klaren Einſicht. Nun bin ich gar durch einen Be - ſuch, den General Tettenborn, der von Baden-Baden hier iſt, geſtört! Nur ſo viel. Ich kenne keine kunſtvollere Stelle, als die in Woltmanns Leben, wo er ſagt, daß er der Letzte ſei, den der deutſche Kaiſer adelte. Wie das Duellgeſpräch in Goethens Taſſo, kann ich ſie tauſendmal leſen und nie be - greifen, wie man ſolches aufeinander bringen kann, da es doch nur ſo aufeinander kommen kann. Das iſt die Kunſt: Wolt - manns Stelle iſt noch obenein unergründlich, wie die Geſchichte, wie die Natur ſelbſt: nur ſo zu verſtehen, wie man ſie zu nehmen vermag. Ein wahres Witzſtück, Kunſtſtück. Schrei - ben Sie nur ja den Roman aus! und die göttlichen Sagen Segne Sie Gott mit Kraft und Genuß! Ich erwarte meine Geſchwiſter aus Berlin: aber ſchon länger, welches Warten mir den Sommer zerſtückelt. Peſtalozzi! Viel Geſundheit! Adieu, adieu! Sehen Sie Arnſteins? die haſſen mich gewiß. Ich kann aber nicht ſchreiben. Arnſteins lieb ich gewiß.

469

An Varnhagen, in Karlsruhe.

Nach großem Regen von geſtern, ſchönes regneriſches Wetter.

Ich komme aus dem ziemlich leeren luftigen Saal, wo nur unſere Leute ſpielten, und Kaſt’s mit mir waren, wo ich einen großen Thaler verſpielt habe, auf ſchönen Nummern; 17. 31. 11. und auch auf ein paar Linien, die ich nicht ver - ſtand. Ich ging nur hin, um Tettenborn zu attrappiren; der geſtern Abend noch freundlichſt vor meinem Hauſe um halb 12 hielt; mir deinen lieben engliſchen Brief reichen ließ, und mir verſprach, heute in der Frühe alles zu erzählen. Ich ſehne mich ſehr nach dir. War geſtern ſehr empfindlich: war von einem Sonnenuntergang wie er vielleicht alle dreißig Jahr ſich macht: ich ſah ihn mit Hannchen und Auguſte: ſie waren ganz hin davon. Gold. Feengold wie von der rührendſten Menſchenſcene ergriffen; in größter Emotion: weinte den Abend ordentlich, als Nariſchkin ruſſiſch-ſpaniſche Lieder ſang: aber war glücklich, das Herz aktiv zu fühlen. Darauf kam dein liebſter Brief, und der Staël ihr Tod! Lourdement et profondément! (Als man ſie zuletzt gefragt hatte, ob ſie geſchlafen.) Freilich. So iſt’s. Nur ein tiefe - res Schlafen; das iſt auch unſer Leben: (dies fühl ich alles, wie das Daſein. ) ein Schlaf in einem größern Leben; und man iſt nicht gleich rein hinüber, von einem Schlaf, in den andern; wenigſtens iſt’s gewiß ſelten ſo; und kann ſehr gut anders ſein. Das hab ich alles an meinen Schlaf -470 zuſtänden ſicher. Heute ſchlief ich zu erſt hier ſchlecht; erwachte mit Kopfweh, und Zuſtand: hatte im Traum immer ein klei - nes Kind mit blauen Augen, ganz mager, ganz klug, verlor es immer: liebt es unendlich; noch! fand es unter Ma - tratzen öfters wieder; fuhr mit ihm zu Schlitten; es fror mir an: ich hauchte es wieder auf, mußte es oft ſuchen und in’s Leben zurück bringen; hatte immer ſeine Gewänder feſt ange - packt, und das Kind verloren, entglitten: war außer mir, nichts zu haben, als ich erwachte: und es iſt mir, als hätte ich wirklich etwas verloren. So quälte ich mich die Nacht: und Holzwürmer, Hitze, Agitation, ließen mich nicht ſchlafen. Ich ſchlief aber bis 10. Alles, tiefe Gedanken, Aufrührung der Einbildungskraft, Nerven, Blutumlauf: nichts! Alles, wenn du willſt. Ich weiß ganz gewiß, es giebt andere Kon - zeptionen, als unſere. Kleine Naturbläschen ſind wir; ein einfacher großer Geiſt in uns eingeſperrt. Freut dich des Freundes neue Thätigkeit? Sei nur nicht zu verſchwenderiſch gegen ihn. Man muß wahrlich alle Leute etwas kurz hal - ten: es ſind beinah keine Menſchen unter ihnen; und alle Menſchen haben ihre Momente, wo ſie Leute ſind. Lebe wohl, Theuerſter!

Geſtern ſah ich erſt wieder, daß wenn auch alte Grüfte ſich in meinem Herzen erſchließen, und ihre verhaltenen, nicht mehr gekannten Ströme loslaſſen, und eine Vergangenheit ſich auf die Stelle der Gegenwart ſetzt, und dieſe nur als eine von Sehnſucht berührte Zukunft von neuem dem faſt irren Geiſte zeigt, du doch der gewünſchte, geprüfte, vermißte Vertraute und Freund vom Herzen gefordert wirſt, dem es klagen, erzäh -471 len, erklären will. Lieber Freund, an dich lehn ich mich! wenn die ganze Seele in ungewohnter Hellung von Herzensgluthen flammt! Adieu! Lebe deiner Geſundheit! mir iſt wohl.

Deine R.

An Varnhagen, in Karlsruhe.

Schönes Wetter ohne Sonne nach unendlichen Sünd - fluthen, von geſtern Abend und der Nacht.

Theurer Auguſt, ich erhielt dieſen Morgen deine Liebes - zeilen von geſtern; und jetzt deinen lieben Brief durch Hrn. Ewald. Ich war gegen 11 Uhr mit Andres, ſtill und ver - gnügt, beinah bis Scheuern, und durch Mühlen gegangen, um im Freien nach meiner Art zu ſein, und weil es der er - warteten Geſchwiſter und ein grader Weg iſt. Den Gang hatte ich nöthig, die Gewitter in der Luft hatten mich oppreſ - ſirt. Als ich nach Hauſe kam, fand ich das Ewald’ſche Paket; ihn ſah ich noch nicht. Ich gedenke wenn keine Hitze iſt in Raſtatt oder unterwegs zu eſſen, damit ich nicht zu früh ausfahre, und im Nachmittag Montag anzukommen. Noch hab ich leiſe Hoffnung, du könneſt noch vorher, hierher kommen: überhaupt komme ich nie nach Hauſe, wo ich nicht doch denke, du könneſt angekommen ſein! Mit mir zurück wirſt du doch kommen? hierher. Tettenborn iſt auch ganz ungeduldig, und begreift’s gar nicht. Geſtern Abend waren wir zu Hauſe geblieben, Roberts zu erwarten; und ſaßen bis gegen 9 bei Platzregen in der Hausthür, wo uns alle Bekannte472 beſuchten, und mitſaßen. Als Tettenborn ging, wollte er uns mit Gewalt mithaben, verſichernd in’s Unendliche, ſie kämen nicht, was er gar nicht wiſſen konnte: um 10 ließ er uns end - lich mit dem Jäger, der Laterne und der Ausrede, wir ſollten tanzen kommen, holen, und wir gingen richtig noch hin. Vom Tanzen war nicht mit einem Worte die Rede: wir ſollten bloß nicht fehlen. Nur Demidoff’s ohne Roſtopſchin, und Schönburg waren da. Muſik vor der Thür.

Es iſt mir ſehr angenehm, daß Hebel bei dir war: und auch der Grund. Du weißt wie ich das Volk liebe: bloß weil es die Meiſten ſind, und die Ärmſten; es muß ohn Unterlaß für die Menge, für’s Ganze geſchehen. An mir iſt ein Geſetz - geber, ein Peſtalozzi, ein Moſes untergegangen: ich bin ſehr erfreut, daß man der Königin von Würtemberg dieſen Sinn öffnen, oder offen finden kann: auch weil ſie eine Königin iſt, und auf Viele wirken kann. Beſonders freut’s mich auch, daß man dich für einen Menſchen hält, der in ſo etwas mitar - beiten ſoll. Ich kann keine andere Ambition leiden, als die ſich auf unſere tiefſte Meinung bezieht! Deine Papierver - ſchwendung hilft dir nichts! Ich ſchreibe auf deine leeren Pa - pierhälften. Ich hatte kein dünnes mehr. Adieu, theuerſter Herzensfreund. Ich ſchreibe dir morgen noch Einmal: und will immer bei dir bleiben!

Deine. Ganz deine R.

473

An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.

Ja, lieber Cuſtine, hier bin ich! Drei Tagereiſen von Paris: hier ſeit geſtern acht Tage, meine Schweſter Mad. Aſſer zu beſuchen, die ich in vierzehn Jahren nicht geſehen hatte, deren Mann ein Juſtizbeamter iſt, welcher mit der Re - gierung ſeit vorigem Oktober hier reſidirt, und den 25. mit ihr und meiner Schweſter wieder nach dem Haag ſoll. In Todesangſt reiſte ich hierher ſie nicht mehr zu finden; vorher konnte ich ihr nicht ſchreiben, daß ich käme, weil Varnhagen andere Geſchäftsreiſen mit dieſer meiner kombiniren wollte, und ich bis auf den letzten Augenblick nicht wußte, ob und wann ich kommen könnte, und ich wollte meiner armen Schwe - ſter keine Gemüthsbewegung und unnöthige Spannung ma - chen. Ich konnte ihr alſo nur von Koblenz aus ſchreiben, welchen Brief ſie einen Tag vor meiner Ankunft erhielt. Die Freude, die Erſchütterung, war groß. Sie iſt zehn Jahr jünger als ich, wurde zu achtzehn Jahren aus dem Hauſe, aus dem Lande entwurzelt, mit ihrem Willen zwar, aber ohne Unterſcheidungskunſt und Kenntniß von Holland und Deutſchland, und der Welt überhaupt: ich war zu Paris, als ſie heirathete: und beſuchte ſie gleich Anno 1. als ſie ge - heirathet hatte, in Amſterdam, wo meine Mutter noch von der Hochzeit war, mit der ich nach Hauſe reiſte: ich lernte Holland, und die Familie, den Bräutigam, zugleich kennen. Hier ſehe ich nur meine Schweſter, ſie nur mich. (Ich noch474 unſern Geſandten Fürſt Hatzfeldt und deſſen Familie.) Man kann ſehr ſchön in Brüſſel ſpaziren gehen. Mad. Gavaudan ſpielt hier; vortrefflich! heute er und ſie; ihn kannte ich von Paris. Das Volk macht mir hier einen ſehr fremden Eindruck; es ſind nicht Franzoſen, nicht Deutſche; auch nichts anderes. Und ich kann mich im ſchönſten Stadtlokal, im üp - pigſten Orte, und den eleganteſten Umſtänden nicht behaglich fühlen, und bewegen, wenn mir die Wurzel all der opulenten Zuſtände nicht bekannt, klar iſt, und gefällt; nämlich das Volk, ſein Leben und ſein Zielen. Hier widerſpricht ſich jede Faſer: ſo lange ſchon erlebt dies Volk Regierungs - und Ei - genthumswechſel; Wechſel im Angehören ſeiner ſelbſt nämlich: und ich, die von ſolchen Dingen wenig zu verſtehen gelernt hat, fühle leicht, fein, und ſcharf ihre Wirkung. Ich bin faſt hier nie allein, immer mit Mann, Schweſter, und Schwager, daher kann ich Ihnen auch nur dieſe rohen Notizen geben, dieſe dürren Zeilen ſchicken auf Ihren lieben, liebevollen Brief, voller Gebete und Offenbarungen und Dankhymnen und Er - leuchtungen und Freude über das Exiſtiren!!! Wiſſen Sie wenigſtens, daß ich es eben ſo anſehe: und immer glücklich wäre, wenn man nicht ſtörte: und darum auch ſo empört über Störungen bin. Ihr Plan, auf eine Univerſität zu ge - hen, Ihr Bedürfniß dazu, hat mein völligſtes Applaudiſſe - ment. Thun Sie es ja: dies iſt was Ihnen fehlt! Auch vor meiner Reiſe hierher war ich unendlich geſtört. Sechs Wo - chen waren meine Berliner Geſchwiſter mit ihren beiden Töch - tern in Baden und Karlsruhe bei mir (ich war ihnen auch bis Heidelberg und Mannheim entgegen), Gräfin Schlabren -475 dorf beſuchte mich mit einer Tochter; ein Freund von Varn - hagen; auch dies alles bewirthete ich unter hin und her reiſen von Baden nach Karlsruhe und von Karlsruhe nach Baden. Dabei mußte ich ausziehen, weil mein Wirth mir aufgeſagt hatte; dies alles mit ſeinen unerſchwinglichen Koſten, Ärger, Unruhe, Arbeit, Sorge, Bewegung, Beſorgen; Vorſtellen da - bei Wirthin, Dame, Verwandte; und das Tettenborn’ſche Haus mit all ſeinem train dabei, auch eine Reiſe mit dem und zwölf Perſonen in den Schwarzwald und in’s Kinziger - und Murgthal haben mich ganz ſtupid gemacht. Auf unſerer Reiſe hierher ging’s längs dem Rhein hinab, Varnh. Dore und ich; ich mußte Mainz, Bingen, Koblenz, Köln, Aachen, Lüttich, Löwen, alles ſehen, Kirchen, Rathhäuſer, alles: reiſte mehr als zehn Tage. So daß drei Wochen von Varnhagens ſechswöchentlichen Urlaub weg ſind. In meiner Seele, den ganzen Sommer über, dacht ich es mir, ſorgte es mir anders aus! Ich dachte nicht an Rhein, nicht an Varnhagens Reiſe: dachte ſechs Wochen zur Brüſſeler Reiſe zu haben: dachte Ih - nen zu ſchreiben, mit Ihnen ein Rendezvous hier zu haben: ja ſogar, wenn auch nur auf zwei Wochen, meine Schweſter, die ich nun nicht mobil und in der Zeit beſchränkt finde, nach Paris zu ſchleppen. So aber bin ich in eine wahre Stupidität gefallen, daß ich Ihnen in acht vollen Tagen von hier aus nicht ſchrieb!? nicht ſchreiben konnte. Weil ich auch hier gemartert wurde durch das Bedrohen einer Reiſe, die Varnh. noch von hieraus machen wollte und will. Kurz, im Leben kombinire ich nicht wieder zwei Dinge, die nicht zu - ſammen gehören, wenn eins davon ein reines Vergnügen,476 ein reines Glück, als der Beſuch bei meiner Schweſter, ſein ſoll. Bis zum 27. oder 28. bleib ich nun noch hier; und muß vielleicht mit Dore allein nach Hauſe reiſen.

Sie ſind in Fervaques! Ich ſchreibe auch heute nur aus Gewiſſen, damit Sie erfahren, wo ich bin, und warum ich ſchweigen mußte. Expliquez tout cela à madame de Custine: elle comprendra tout. La vie est réellement une pure inon - dation de circonstances qui nous submergent, et nous ne fai - sons que de misérables projets en nous débattant contre les ondes. Jamais un plan ne se réalise; et si nous atteignons un but, c’est que les ondes nous y portent, dix ans après que nous l’avons eu en vue: et alors on dit que nous sommes in - constans, que nous avons changé. Grüßen Sie Ihre Mutter mit den zärtlichſten Grüßen von mir. Antworten Sie gleich: dann trifft mich Ihr Brief noch. Montagne de la cour. chez M. Robert, tapissier. No. 1111.; bin ich nicht mehr hier, ſo ſchickt mir der Tapezier, mein ſehr ordentlicher Wirth, den Brief nach Karlsruhe nach. Was Sie mir von der Lebens - anſicht Ihrer Mutter ſagten, leuchtet auch mir ſehr ein: Sie ſehen ſie richtig: und ich fühle mit ihr. Leben Sie wohl, lie - ber Freund, und verzeihen Sie mir dieſen dürren Brief, und wenn Sie können, glauben Sie mir, daß er ein großes Freundſchaftsſtück iſt. Brüſſel est une ville superbe! la plus belle pour s’y promener: ma passion, comme vous savez. Varnh. est dans ce moment chez le roi: j’ai pris ce mo - ment pour écrire: il se rappelle à votre freundlichem Anden - ken. Ich grüße herzlich Bärſtecher: et Mlle. Jenny. Dore baise les mains à madame la comtesse! et croit ètre en France,477 parce qu’elle entend parler français, et ne la trouve pas si redoutable parce qu’on lui parle une espèce d’allemand. Adieu, cher ami; j’attends une réponse. Comme toujours vo - tre R. Les Gavaudans jouent aujourd’hui le tyran corrigé. J’ai une loge.

An Varnhagen, in Berlin.

Nicht ganz kühles, helles ſchönes Wetter.

Deine ganze liebevolle Art, dein Geſicht, der Ausdruck womit du mich anſiehſt, ſteht vor meinen Augen! Tauſend Liebe! und liebevolle Vorſätze gegen dich ſtrömen dir aus mei - nem Herzen entgegen; und ich merke erſt recht, wenn du nicht da biſt, daß mir gleich alle Beziehung fehlt, und das mir Theuerſtgewordene, die Vorſorge mit ihren in kleine Thätig - keiten zerfallenen Beſchäftigungen. Theurer, lieber Freund! Laß es dich nicht wundern, wenn ich dir dergleichen immer bei jeder kleinen Trennung wiederhole. Wir ſind ganz wie unſere äußere Organiſation: manche Dinge, Dinge die wir nah, und lange nah ſahen, müſſen ferner geſchoben werden, damit wir ſie wieder recht ſehen; beſſer ſehen. Lieber Auguſt! bei der kleinſten Trennung überlege ich mir dein Weſen, wie ge - diegen es iſt, und ſich immer beſſert; und wie zu meinem Glück ſich zu mir ſtimmt: und in aller Freiheit! Ohne Vor - urtheil. Und nun umarm ich dich!

Heute iſt endlich der Tag, wo ich denken kann, du biſt478 angekommen. Wenn ich mich zu Bette legte, mußte ich immer denken, du fährſt noch. Doch ängſtigte ich mich eigentlich nicht. Was wird Fanny ſagen! Theodor, Alle. Grüße ſie nur. Erneſtine, Moritz. Hannchen. Mad. Goldſtücker. Oppen - heims. Gehe zu Mad. Ephraim; zu Herrn von Beguelin, empfiehl mich ihm ganz beſonders, und danke ihm: vergiß die Goldſtücker ja nicht! Und die Doktorin Wolff. Daß es nur nicht in Vergeſſenheit geräth, daß Fanny dieſen Sommer mit mir nach unſerm Deutſchland reiſt. Sonſt tobe ich! ſag’s alle Tage. Grüß Theodor beſonders, und ſag ihm, daß mich Roſe beſuchen wird, und er bei mir Rendezvous mit ihr haben kann. Erzähle alles von ihr, Karl, Brüſſel, und un - ſern Umgang; und daß ſie mich alle zwei Jahr beſuchen ſoll: auf Karls eigenes Anerbieten; und daß er dich ſo ſehr liebt. Und ſie ſollen mir unterdeß von Berlin doch ſchreiben: von hieraus iſt für ſie nichts zu berichten. Außer, daß Eßlair dieſe Woche hier ſpielt: iſt ſeine Frau angekommen, heute ſchon die Schuld. Als ich geſtern mit Ende der Tageshelle nach Hauſe kam von Frau von Schlegel fand ich ein Paket mit unendlichen Briefen. Ich habe eine Auswahl getroffen, und ſchicke dir die, von denen ich denke, es iſt gut wenn du ſie haſt. Ich ſchicke dir auch des armen Teſte Brief mit, viel - leicht iſt doch etwas für ihn auszurichten. Ich lebe na - türlich hier ſtill; mit dem Wetter, Schlegels, u. ſ. w.; in die Komödie kann ich auch gehen. Ich bin ruhig. Nur deine Kalamität geht grade nun an: ſei auch gelaſſen: wie es ausfällt, iſt es gut. Du wirſt mir ſchon berichten: ſei ſanft, und klug.

479

So eben geht Frau von Schlegel von mir weg, die einen Augenblick da war; Sonntag Mittag ich bei ihnen, und blieb den Abend dort. Du glaubſt es gewiß gar nicht, welche Geſpräche Friedrich willentlich jetzt auf die heiterſte Weiſe mit Gewalt anfängt. Über Theater, auf’s gründlichſte erörtert die Bedürfniſſe darüber, der Spanier, Franzoſen, Engländer, unſere, was es ſein, was es werden kann, über Shakeſpeare, Schiller, Goethe, ganz gründlich und erörternd. Ungeheuer gerecht über Franzoſen, Racine, und die Zeitalter; da in die - ſem Fach aber ich ein Ignorant bin, ſo ließ ich nichts nach, was wider meine Überzeugung war; und man kann wohl ſagen, daß wir ein Geſpräch hatten, während mehr, als lange zwei Stunden. Es kamen auch die jetzigen Völkerzuſtände an die Reihe; hin und her; und man mußte, und ich konnte, mehr errathen, durch die Zwiſchenſätze von Verſchweigungen ſeinerſeits, als durch die wirklich, durch Eindringen der gelaſ - ſenen Einſicht geiſtreichen Äußerungen, was er eigentlich Tie - feres und Neues meinte; welches ich ihm aber doch durch Hitze und Lebhaftigkeit des Geſprächs loszueiſen wußte! Über alle andere Satisfaktion hatte ich aber auch noch dieſe, mir in meiner Geſchichtsignoranz erſtaunlich ſchmeichelhafte, daß er mir zugab, daß das eigentlich unterſcheidende Weſen der Zeit, in der wir leben, das iſt, daß nie ſolch allgemeines Wiſſen auf der Erde, und ein ſo verbreitetes und ſchnelles der Völker von einander, regiert habe und dageweſen ſei, als jetzt. Wie weit her wir darauf kamen, wo das hinführte, und welches Zugeben von ſeiner Seite mir dies eintragen mußte, wirſt du ermeſſen können. Wir ſprachen auch weitläufigſt über den480 Stil im Schreiben. Über ſeinen, Auguſt Wilhelms, Schil - lers ꝛc. und über Stil überhaupt. Auch über Religion in Rückſicht der Staatsverfaſſungen. Das Ganze war ein wirk - liches Geſpräch, eine wahrhafte Erörterung; z. B. eine ordent - liche Definition von Stil: alles geſprächsweiſe. Mir entgeht keiner der alten Freunde! Wenn ſie nicht toll werden, und vorgeben, Offenbarungen zu haben, die ſich ihnen in Bildern, und nicht in Vernunftgründen, in mitzutheilenden, darthun. Dies ſchreib ich dir aus Stolz, was du für ein Kabinetsſtück von Frau haſt! Auch Scholz geſellt ſich zu mir, und macht mir, wie ſonſt, ſeine Konfidenzen.

Mein Logis iſt ein bischen kühl mit Holz zu dämpfen aber ſtill und ſonſt gut. Grüße recht beſonders Hrn. von Stägemann. Leider weiß ich nichts zu ſeiner Unterhaltung anzu - bringen; munteren Leuten erzähle ich gerne Munteres; bei denen hat man außer ihrem freudereichen Genuß noch große Intereſ - ſen. Eins könnte St. doch wohl amüſiren, ich müßte es aber ſehr ſchön vortragen, oder er müßte es ſelbſt von dem oben - genannten Freund hören: wie er glaubt, die griechiſch-katho - liſche Religion würde das nördliche Deutſchland ergreifen; die heilige Allianz ſei ein prämeditirter Anfang eines präme - ditirten Plans davon! und? ſo könne eine neue Zeit als neue Sonne eintreten! Wie, wiſſe er nicht: aber im bit - terſten Ernſt. Und die Pläne dazu ſind ſicher; die ſieht er.

Nun Millionen Grüße an Oelsner; da du ihn ſiehſt, laſſ 'ich zwei Briefe von ihm hier: die ſo nur ſeine Reiſe betrafen. Sein protégé, der gerne einen Orden haben will, hat Bücher für uns und die Frau Großherzogin geſchickt, die er princessede481de Baden nennt. Ich werde auch eine Oberhofmeiſterin. Tra - lalala! Nun umarme ich dich innig und mit voller Seele, und ſeh dich an! Schreibe noch ein paar Beſorgungen, und geh ſpaziren. Du gönnſt es mir. Ich denk an dich!

Deine R.

Beſſere Tinte hab ich nicht. Du grüßeſt Alle, Alle. Ich grüße dich, Ohme, und alle Unſern zehntauſendmal! Heil zum Achtzehnten!!

An Varnhagen, in Berlin.

Dieſen Brief, mein geliebter Auguſt, ſchreib ich ganz auf gerathewohl; da er fünf Tage gehen muß, und du dann viel - leicht ſchon hierher reiſeſt. Heute hab ich ein ganz beſon - ders Bedürfniß nach dir. Heute ſtrömen unendliche Gedanken und Empfindungen durch meine Seele, wie das geputzte feſt - liche Volk der ganzen Stadt, und auch der Umgegend, vor meinen Fenſtern das Gallenthor hinaus den Stadttruppen vor, und nach! Es waren muſikaliſche Maſſen, kurz alles! Wie wird es erſt bei uns ſein; das Herz aller Selbſtermuthi - gung, aller Demüthigung, Verſtutztheit, Langmuth, und Lang - Grimms; feſter, ſchneller, und erfolgreichen Ermannung; der Triebpunkt ſchneller Auffaſſungen, und auch ſchnellen Wechſels der Meinungen, Gedanken und Anſichten! Wo biſt du heute in der von Feſten bewegten Berlinſtadt? Ich bin erſchüttert, etwas ängſtlich; wie zuletzt bei allen großen Gemüthsbewe -II. 31482gungen. Große Freude ängſtigt mich, Feſtfreude; Stolz macht mich nachdenklich, und vorſorglich; wem werden dieſe geputz - ten, ſich bravſtimmenden Bürgertruppen zuerſt folgen? Wer ſie zuerſt führen? dieſer Gedanke bewegte ſich bis zur unruhi - gen Qual in mir hin und her! (Da kommen die Truppen trommelnd vom Felde zurück!) Ich habe ſie wieder geſehen und ſehr geweint: über eine mit Eichlaub ſchöngeſtickte Fahne. O! hätten wir Alle eine Fahne, alle nur Eichlaub; und edle Könige, hohe Bildung; Wohlthun; Freiheit, nur ſo viel, daß Alle ſie gleich haben! dann will ich auch ein Patriote ſein; dann kann einem ja nur das Leben unter den Seinigen lieb ſein, und Werth haben. Aber wie roh, und eingebildet ſehe ich alles: die Geſichter ſogar. (Es ſtrömen noch immer Trup - pen und Menſchen, alle Fenſter ſind voll.) Ich ſtürze alle Augenblick an’s Fenſter: wie ſchwarz iſt alles von Menſchen, im hellen Sonnenſchein! Ach, wenn Goethe ſeine veränderte Stadt ſähe. Eine neue Kaiſerkrönung. Geſtern um 3 Uhr Mittags ſind Golz’ens unverhofft gekommen: ſie ſind expreß wegen uns über Karlsruhe, und haben einen Zettel zurückge - laſſen, ließen ſie mir ſagen. Ich ging aus Beſcheidenheit, ſie ruhen zu laſſen, noch nicht hin. Es freut mich, daß ſie hier ſind, weil es einen guten populären Eindruck hier, in Deutſch - land, und zu Hauſe macht. Man merkt ſehr auf dergleichen. Vorgeſtern war ich zu einer Soirée bei Schloſſers: der Dok - tor (Chriſtian) iſt auch hier: mit Schlegels, Mariane Saaling, Mlle. Gontard, Hofrath Hugo aus Göttingen (Alle Ge - ſandte und Magiſtratsperſonen fahren vorbei, Trommlen neh - men kein Ende, die foule iſt groß) mit ſeiner Frau, und483 einem Bibliothekar von dort, Profeſſor Beneke. Beides ſchar - mante Männer, die mir von Göttingen einen ſehr hohen Be - griff machen. Wie die Schlegeln und Schloſſern anhörten, das muß ich mimiſch erzählen. Schlegel behauptete näm - lich, Baden hätte nicht das Recht, das letzte Hausgeſetz zu machen: und Hugo, mit wenig Latein, und auch wenig Deutſch, und großer verwunderter Geduld, bewies aus poſitiven Rech - ten, Teſtamenten und Geſetzen ja: er ahndete Schlegels Gründe, oder den Grund ſeiner Gründe nicht, der auch es halb als eine doch auch vorzutragende Anſicht lachend, um es zu mildern, vortrug. So ſtaunte, wirklich ſtaunte Beneke den Dr. Schloſſer an, und ſtand ordentlich auf, als der ihm alte und neue Reichszuſtände erörtern wollte, mit der fertigen Ge - läufigkeit, die nie da geſprochen hat, wo ein gelehrter, ein - facher Widerſpruch herkommen kann. Der Abend war aber gut: und die Göttinger Leute gefielen mir ſehr, auch die zwölf - jährige Dlle. Hugo: lebhaft, natürlich, eigenthätig, im Auf - faſſen und Bemerken. Mehr ſchreib ich nicht; ich bin vom Feſte zu zerſtreut. Will in die Sonne gehen, und eſſe bei der Schlegel, er bei Graf Buol. Sie ließ mich durch Auguſte bitten. Adieu, adieu! Deine dich Erwartende! Eil dich in nichts! ich warte auch gerne.

R.

31 *484

An Roſe, im Haag.

Kühles kribliches Wetter, wo die Sonne durch - brechen will.

Geſtern, lieb Röschen, als ich gegen 2 Uhr zu Frau von Schlegel gehen wollte, brachte mir auf der Treppe ihr Bedien - ter deinen Brief: der erſte, den ich erhielt: ich ängſtigte mich aber doch nicht, ich dachte gleich, er müſſe in Karlsruhe lie - gen: ich will auch nun gleich jetzt an den Hrn. Wagner ſchrei - ben, daß er ihn mir ſchicke. Es thut mir in der Seele weh, daß Karl gleich wieder krank ward! eine Kalamität, der nur mit anderm Ungemach abzuhelfen iſt, zu welchem ſogar noch ein großer Entſchluß zu faſſen und Anſtalten das Schlechteſte auf der Erde zu machen ſind. Du haſt aber Recht, meine theure Schweſter, in dem Vorſatz, daß wir uns alles ſagen und beſonders klagen wollen: dieſes soulagement und dieſer Troſt ſoll uns nicht entgehen; darum betrügt der Menſchenwitz mit ſeiner Schreibekunſt das Schickſal, welches Freundestrennung erfand! Dein Ungemach mit dem Hauſe geht mir auch ſehr zu Herzen (laß dir dies aber nicht leid ſein!); dies verſtehe ich aus dem Grunde, was ſolch Umziehen bedeutet, und in ſich faßt!!! Aber ich weiß auch, und du wirſt ſehen, es ereignen ſich auch unvorherzuſehende Fügungen, die dir wieder etwas in einer andern Art Beſſeres und Be - quemeres ſchaffen. Ich hatte ja dieſen Sommer nur drei Mo - nat vor mir, die ich immer auf den Landſtraßen zubringen mußte, als mir urplötzlich, und wider jede Erwartung, auf -485 geſagt wurde; und habe jetzt doch ein bequemeres Quartier, und vorher gar keine Ausſicht dazu. Ich habe jetzt keinen beſondern Verdruß: ich erwarte ihn nur; denn warum ſollte er nicht kommen! Ich habe nur die Unannehmlichkeit, den letzten Sonntag wo es möglich, aber nicht wahrſchein - lich war noch keinen Brief von Varnhagen erhalten zu haben: er iſt wahrſcheinlich den Dienstag zuvor, um eine Vier - telſtunde ſpäter als 7, nach Berlin gekommen, und konnte kei - nen Brief mehr anbringen; indeß bin ich nun bis morgen ohne Nachricht: und muß mein Schickſal wie in einer Lotterietrom - mel anſehen: in welcher es zwar immer liegt, aber nicht uns immer zwingt daran zu denken: aber auch das wirkt nicht heftig, ja nur ganz leiſe auf mich. Sonſt konnte ich von der Heimath und all ihren Erinnrungen, gewohnten Gängen, be - quemen Daſein, Freunden, und Bekannten losgewurzelt wer - den: es wär eine Einbildung eine Ortsveränderung jetzt noch zu fürchten, da das Einzige, welches mir jeden verſüßen könnte, nämlich zu bleiben, unmöglich geworden iſt; ſonſt verliere ich an kleinern Mittelorten nur immer, was ich modifizirt wie - derfinden muß. Nur ſcheue und fürchte ich noch ſehr, ſchlech - tere Gegend, kälteres Klima, und neues Einrichten: doch dem entgeh ich gewiß nicht: wie allem, was man fürchtet! Noch Eins fürchte ich ſehr; Miniſterſchaft ohne erkleckliche Gehalts - erhöhung, ohne welche ich Repräſentation mit Sorgen hätte; d. h. Spannung und Lüge: ſcheinen müßte ohne Zweck, der mir einer wäre; Mühe, keine Ruhe u. ſ. w. Doch das kommt alles: wie alles kam. Ich bin in einer Gemüthsverfaſſung, in welcher ich es genau weiß, und es mir dennoch nichts macht. 486Laß dir unterdeß erzählen, was ich heute Mittag um 3 Uhr, wo ich bei unſerm Miniſter Graf Golz ſpeiſe, anziehe. Es iſt ein klein Diner. Ich ziehe an: den ſtrohgelben Überrock mit kornblauen Bändchen, ſolche Schuh von Hrn. Drouſart, den kornblauen Hut, ſtrohgelbes Band drunter gebunden; einen Stehkragen von Blonden-Tüll, einen weißen langen engliſchen Schal, den ich mir geſtern doch endlich hier kaufte, er hat keine Palmen; ich wollte ſie nicht: nur eine vier Fin - ger breite Borte; ſieht ſehr diſtinguirt aus: koſtet 57 Gulden, der Gulden 14 Groſchen. Ich mußte ihn haben: es kam alle Augenblick vor, daß ich ihn brauchte, Der, den ich von dir habe, hat geſtern den größten Effekt und Nachfrage in einem Konzert gemacht, wo ich mit einer Tochter Klärchens, Adel - heid, und ihrer Gouvernante war. Voll, viel Bekannte, Mu - ſik ſchlecht: Mlle. Böheim, jetzt Mad. Graf, ſang ſehr gut, ganz italiäniſch. Nachher war ich noch bei Schlegels zum Theetrinken. Ich ſehe viel dieſe viele Grüße, Herz’ens, öfters Golz’ens, dann und wann Scholz und ſeine ſehr nied - liche lebhafte Frau ſie wohnen mir ganz nah eine Ju - gendfreundin Dr. Veits; eine kluge Rathsfamilie Schloſſer hier. Will die Damen Guaita und de Ron noch ſehen, und eine Mad. Klee. Lauter Bekannte: Herren beſuchen mich: ich gehe mit Dore ſpaziren, welches hier herrlich iſt; du ſiehſt, ich habe kaum Zeit: und habe noch viel Bekannte hier, Mi - niſterleute, allerhand. Nun grüße ich Karl tauſendmal! Sag ihm, welchen innigen Antheil ich an ſeinem Übelbefinden nehme. Auch ich habe mich in Brüſſel beſſer befunden, als hier: ich fühle ſchon allerlei Ungemach, von welchem ich dort487 nichts wußte: zum großen Beiſpiel, meine Augen waren dort viel beſſer: das macht aber wohl das vertrackte Einheizen, in den abſcheulichen Eiſenöfen, wovon dort die Rede nicht war. Adieu, theure Roſe. Scholz grüßt dich ſehr. Andere ſprach ich nach deinem Brief noch nicht; dieſen laſſ ich noch offen bis morgen: um von Varnh. noch etwas zu ſchreiben. Karl ſoll ja die Korreſpondenz mit ihm nicht einſchläfren laſſen, wenn er zu Hauſe iſt. Teſte ſchrieb hier her: ich ſchickte den Brief nach Berlin. Adieu! Mit Salmiakſpiritus macht man die Flecken aus: man gießt ihn drauf und reibt.

An Varnhagen, in Berlin.

Rauhes, ſonnenloſes, garſtiges Wetter. Geſtern Abend ein Nebel, wie in Holland; man konnte ſich ein Stück davon mit nach Hauſe nehmen.

Liebſter Auguſt! Ich denke beſtändig daran, wie du heute meinen Brief erhältſt, der da klagt, daß ich keinen von dir habe: und erſt morgen den, worin ich dir ſage, daß ich einen nach erhielt; ſeit der Zeit freue ich mich damit! Und Sonn - tag erhielt ich wieder deinen großen lieben Brief! Wie ſoll ich auf alles das antworten, ſo antworten, wie ich es im Le - ſen und Wiederleſen aufnahm! Zum Glück hab ich aus Vor - ſorge Erneſtinen, Fanny und Hannen geſtern ſchon geſchrieben. Ich machte geſtern noch große Kourſen; ging mit Golz’ens in Otto von Wittelsbach, wo Eßlair vortrefflichſt ſpielte den Mord, den Zorn! daß man’s einſah war nachher488 noch bei ihnen; und das alles mit einem ächten Herbſthuſten, der mich zu gewiſſen Stunden des Tages fieberartig alterirt; der oft ein Schnupfen werden will, den ich mit Emſer trak - tire, und nun bald in Ordnung ſetzen will. Das Federfüh - ren gab mir geſtern Fieberbewegungen, und komplete Dämlich - keit; ſonſt hätte ich doch wohl ſchon geſtern deinen Liebesbrief zu beantworten angefangen! Ich wollte es mehr als zwan - zigmal in Gedanken. Noch nicht einen Augenblick, mein lie - ber Auguſt, hab ich es bereut, nicht die kurze Reiſe, im dicken Herbſt, nach Berlin mitgemacht zu haben: wenn ich auch öf - ter ſchon gewünſcht habe, bei dir zu ſein; dir zur Seite zu ſein: ſo war mir, ſelbſt daß dies nicht der Fall iſt, ſchon ſehr lieb, und iſt es mir noch. In meiner Begleitung, hätte deine Reiſe ſchon ein ganz anderes Anſehen bekommen; ſchon gar nicht als eine eilige ausgeſehen, wie ſie es doch iſt. Berlin regrettire ich in dieſem Augenblick gar nicht: die Geſchwiſter hab ich geſehen, Moritz’ens ſoll ich ſehen: und die Stadt lieb ich im Frühling und Frühſommer mehr, und wenn ſie ſich erſt wieder wird geſetzt haben nach dem großen Aufſtand. Du weißt, wie ich Aufgepuſtertes haſſe; Feſte vermeide etc.!

Den ehmaligen Freund kenne ich: d. h. von dem wundert es mich weniger als von manchem Andern, wie allerlei aus ihm werden konnte: aber ich ſehe doch nun erſt, daß das, was ich in ihm für eine Seelenblüthe, für Milde hielt, auch nur Biegſamkeit aus Schwäche war: en pflegte meine Äußerungen ſchon auf eine Art zu bewundern, die den höchſten Widerſpruch in ihm offenbarte, und mich nur ſtutzig oder ungeduldig machte; er gab mir bewundernd zu, was ich behauptete, und reſervirte489 ſich einen nicht mit Gründen zu belegenden Widerſpruch; ein dunkles Bedürfniß, etwas zu vergöttern, ließ ſich bei ihm ſpü - ren, wozu ihm die Macht fehlte einen Gegenſtand zu finden; weil das Bedürfniß der Vernunft, und der Sinn für das, was da iſt, der Wahrheitsſinn, bei ihm nicht ſcharf genug iſt. Der faule Punkt im Geſchlecht, woraus ſich alle Geiſtesepide - mieen, Schwächen und Erhitzungen bilden: all jene Krankhei - ten! in all ihren ekelhaften und merkwürdigen Nüancen. Solche Leute können auch grauſam werden; wie man längſt darthat, daß Grauſamkeit ſich aus Schwäche erzeugt. Dieſes ganze Gelichter von epidemiſchen Geiſteskrankheiten wurde, in der verſchrieenen Aufklärungsepoche, von den braven Aufklä - rern, heilſam und unſchädlich durch Lächerlichmachen gehemmt; man ſieht: nicht auskurirt; doch hoffe ich, eine Stufe tiefer im Volke. Ich wollte nur von dem Einen ſprechen, und ſpreche von Allen; ſie empören mich zu ſehr; und mein neuſter Ge - danke drängt ſich auch hier wieder ein. Jeden großen Irr - thum, nämlich der in ſeinen Folgen ſo groß werden kann, werden Nationen nur durch Blutvergießen los. Jemehr in Maſſen gehandelt wird und geſchieht, je ſchwerer wirken menſch - liche Gedanken: alsdann nur immer die der Natur; die ſich aber immer nur ganz materiell für uns ausdrücken, wie ſie in jedem Augenblick thut und wirkt, und wir ſie gar anders nicht kennen. So ſieht mein Geiſt ein reelles Unheil voraus, wenn die Narren noch länger fortarbeiten: und gelingt ihnen ihr läppiſches Schulknabenwerk, oder auch nur etwas davon, ſo werden Schwerter geſchwungen werden, Knüppel, Hacken: und beide Partheien an Wunden leiden: aber an den Wun -490 den wird’s genug ſein, wie am Blitz, wenn er auch trifft: die Luft wird für eine Zeit gereinigt. Gelehrte Männer, Geſetz - geber, Männer der Regierung, können nur wie große Ärzte, naturkundige Geburtshelfer, die Entbindungen des Menſchen - geſchlechts ſanft begünſtigen; ihm ſeine großen Schmerzen er - leichtern, vorſchreiben wie es ſich betragen darf; aber die Art der Geiſtesgeburt können ſie ſo wenig vorſchreiben noch be - ſtimmen, wie jene. Natur, Klima, alles wirkt dorr wie hier. Und dieſe Leute und Konſorten wollen Religionen, Überzeu - gung ꝛc. alles nur ſo herbei empfindlen! Der Handel z. B., der den ganzen Weltverkehr mit all ſeinen Entdeckungen und Bedürfniſſen zum Grund und zur Folge hat, iſt ſchlechtweg ſündhaft: und mehr dergleichen dictons: ich kenne ſie alle. O! armer Novalis, armer Friedrich Schlegel, der gar noch leben bleiben mußte; das dachtet ihr nicht von euren ſeichten Jüngern. Großer, lieber, ganz blind geleſener Goethe, feu - riger ehrlicher Leſſing, und all ihr Großen, Heiteren, das dach - tet ihr nicht: konntet ihr nicht denken. Eine ſchöne Säue - rei! Aber auch wir ſehen ſie zu befangen, weil ſie uns grad ärgert: welche kleine Biegungen im ewigen Strom des Seins; das heißt, des Werdens!

Was ich hier alles reden höre! Aber auch erſt mündlich. Für mich genirt ſich keine Parthei: weil ich mich wie eine Frage betrage, und in den meiſten Stücken eine bin; und wo ich keine bin, eine befriedigende Antwort; keck, ſehr beſcheiden, und ſehr für die Wahrheit; d. h. wahr haft, oder ſo lügen - haft, wie ſie’s nicht merken können; von ihrem Gebiet nach meinem hin! Alſo ich erwarte dich ruhig; da du ſo ruhig,491 ſo klug dich beträgſt! und mir ſo ſchmeichelſt, als wäre ich ſchuld! Mein geliebter Auguſt! Wenn du etwa des Nachts nach Frankfurt kommſt, oder wenn es finſter iſt: laß dich nur nach der Gallengaſſe fahren. Ich wohne auf derſelben Seite von der Gräfin Cuſtine, eh man zu ihrem Hauſe kommt von der Allee aus; es ſteht ein Brunnen vor meiner Hausthür. Schneider heißt mein Wirth; iſt ein Weißbinder, d. h. bei uns ein Stubenweißer.

Grüß ja die Woltmann aus innigſtem Herzen! Sag ihr, Ihr Brief war gelaſſen, ſtark, voll Herz, brav wie ſie: und erregte meine ganze Liebe und Verehrung für ſie; ich hoffte, wir ſähen uns doch. Geh ja, Geliebter, zur Grotthuß: ach! ſie iſt nie ordentlich verwirrt, nur überreizt, und unter Men - ſchen, die ſie nicht verſtehen: und krank. Sag ihr alles von mir. Ihrentwegen wär ich wahrhaftig noch nach Berlin ge - reiſt: das iſt man ſich ſchuldig: dies hätte ſie ſehr erhoben. Ferdinand freut mich; ich denke über das Kind wie du: er müßte mir ein Robert werden; wird es auch wohl doch, und bald!

Alles grüßt dich. Sag Theodor, ich hätte geſtern in der Komödie Mad. Chevalier geſprochen, die heute nach Mainz geht, den Winter dort zuzubringen, weil Frankfurt zu ennu - yant iſt ſagt ſie und theuer iſt, und ſie künftigen Som - mer nach Schwalbach ſoll: ſolche Veränderung hätte ich nur bei Major Kaphengſt geſehen: ſie iſt eine Andere: und ſieht der in Reinerz auch nicht ähnlich. Höflich und freundlich übrigens.

Thu mir den Gefallen, und trag ihm auch dieſe meine492 mir ſehr am Herzen liegende litterariſche Angelegenheit vor! Da die Neujuden es nun einmal in die Wette mit den Neuchriſten durchgeſetzt haben, ihre Mädchen einzuſegnen die bisher, rein unter Gottes Obhut blühten und in beſondern Kapellen und Tempeln deutſch zu predigen und zu beten, und modernen Ceremonien zu folgen, ſo ſoll er mir hel - fen, daß auch das Gute davon entſtehe, daß des Moſes Men - delsſohn Überſetzung der Bücher Moſes, in wirklich deutſchen Lettern aber nicht lateiniſchen, ſondern deutſchen wie Lu - thers Bibel gedruckt werde. Es ſchreibt bis jetzt niemand beſſer Deutſch, als dieſer wahrhafte Künſtler in der Sache; Hebräiſch wußte er gewiß ſehr gut: ich bin gewiß, die Über - ſetzung iſt ein Meiſterſtück, ganz deutſch, und doch dem Ori - ginale nah. Wer aber kann ſie mit den jüdiſchen Lettern leſen? Mache, daß dies durch eine Subſkription bei den Ju - den zu Stande kommt. Ich unterzeichne gleich. Ich halte unendlich auf die Ausführung dieſes Gedankens, der ſo ein alter von mir iſt: wär ich nicht nur ein toller, ſondern auch ein reicher Engländer, ich hätte es längſt allein gethan, und dieſelbe Überſetzung mit deutſchen Lettern drucken laſſen. Es iſt gewiß vortrefflich und erſprießlich; wie alles ſehr Gute und Schöne. Ich will mal ſehen, was du vermagſt. Lebe wohl, Theuerſter! Morgen bekomme ich wieder einen Brief von dir! Ich umarme dich in Liebe. Deine R. Sechs Botſchaften und Billete ſtörten mich im Schreiben. Das Schreiben hat mir nicht ſchlimm gethan. Adieu!

493

An Sophie Schröder, in Berlin.

Als ich geſtern mit Ungeduld die Berliner Poſt erwartete, die mir endlich keine Briefe mitbrachte, ließ ich mir die Ber - liner Zeitungen als eine Art von hinhaltendem Erſatz geben, und fand Sie, meine ſehr Geliebte, den Landsleuten als Gaſt der Muſe angekündigt; dieſe Zeilen können Ihnen mein Be - dauern, daß ich nicht zu Hauſe bin Sie zu empfangen, nicht ausdrücken! Ich habe den wahnſinnig-eiteln Gedanken, daß in der weiten gebildeten Stadt doch keiner ſich befindet, der ſo durchdrungen ſein kann von dem, was Sie zu leiſten ver - mögen, es auffaſſen kann wie ich, was Sie ſind; und der auch das anſcheinend minder Gelungene ſo zu ſtellen und zu deuten weiß! Ich möchte Sie empfangen, beherbergen: Ihnen jede materielle Sorge und Beſorgung abnehmen: ich Sie ap - plaudiren; mit Einem Wort, ich die Ceremonien-Fürſtin der Stadt nur auf eine Weile ſein, wie ich es jedesmal mit Lei - denſchaft wünſche, wenn ein Künſtler in ihren Mauern iſt; Einer, der die Macht hat, das Großartige darzuſtellen, ohne Übereinkunftsmanier; dem es gegeben iſt, die Leidenſchaft zu kennen, und die Mittel, ſie in allen ihren Abſchattungen, auch den wenigſt Aufmerkſamen, in einer Art muſikaliſchem Maß und Haltung zu zeigen; der die Natur der Dinge ſchnell jedesmal findet, und auch die Mittel, ſie auszudrücken. Sie ſehn, ich tödte mich, das zu beſchreiben, was geſegnete Künſt - ler ſind: ſagen kann ich’s nicht; aber ich weiß es. Auch mich494 hat Apollo berührt: ich verſtehe die Begabten. Wär ich nur in Berlin, in meinem Hauſe; Sie wohnten doch bei mir! Wie leid iſt es mir, daß Sie unſere Garderobe, unſere Dekorationen nicht mehr ſehen: aber lieb iſt es mir, daß Sie im Opernhauſe ſpielen; und es freut mich, daß Graf Brühl bei Ihnen eine Ausnahme mit den Gaſtrollen zu machen weiß. Warum ſpielen Sie nicht Johanna von Montfauron, anſtatt in Rudolf oder wie er heißt von Finnland? Jo - hanna war eine von den Triumphrollen der Bethmann; in dieſer aber zieh ich Sie vor. Ich habe auch eine Sorge; Berlins Geſchmack in Anſehung der Weiberrollen iſt auf ſchwaches Regime geſetzt. Das Größte, was ſie hatten, (und ein Publikum ſchwingt ſeine Gedanken nie über das, was es ſah, ſondern bildet und ſchränkt ſich darnach ein, oder aus;) war die Bethmann; die außer dem Talent, das ſie hatte, noch die Gabe beſaß, nur ſie ſein zu dürfen; und das in einem ſolchen hohen und ſchönen Maße, daß man nicht unterſcheiden mochte, ob ſie auch etwas anders ſein konnte; ſie konnte erhaben, ganz edel, ganz romantiſch, tief empfin - dend, traurig-toll und toll-zerreißend ſein, immer lieblich, ſelbſt im Fehlgriff; konnte komiſch, heiter, reizend, beweglich ſein; den Adel der großen Welt vortragen. Furchtbar aber, furien-ſtark, mit den Elementen verwandt, mythologiſchen Wahnſinn, den konnte ſie nicht aus der lieblichen, leichtbe - weglichen, leichtſinnigen, frommen Seele ſchöpfen, weil man nie etwas daraus ſchöpft, was nicht darin liegt. Nun fürcht ich, iſt den Berlinern mancher Farbenton, der grade mein Erhabenes ausmacht, von Ihnen zu ſtark; das fürcht ich ei -495 gentlich nicht; aber ich fürchte, daß Sie das nicht zu deuten verſtehn, und Ihnen das einen unangenehmen Eindruck macht; und daß Sie gar Gott behüte und bewahre! ſich dar - nach richten wollen. Das fürchte ich; und darum ward ich hier ſo breit; in der Tiefe war wirklich der Aufſchluß dieſes Schwächenzuſtandes nicht nachzuweiſen; ſondern in der län - geren Ausdehnung eines Aufenthaltes in Berlin, den ich ge - macht. Jetzt mag unſere Stadt nun wohl noch mehr davon befallen ſein, als vor drei oder mehreren Jahren: ſie putzt und ſchnäbelt gar zu viel an ihrem Kunſtgefühl, beleuchtet gar zu ſehr das Bewußtſein darüber, mit Kerzen, aus allen Fabriken, anſtatt dem Gehen und Kommen der Sonne ſich ruhiger hinzugeben. Sie ſind dort bis zu den unbefangenſten Tiefen der Menſchheit in der letzten Zeit mit ihren Ausputz - werkzeugen hingedrungen und geeilt: und ich fürchte, jetzt grad, eine größere und allgemeinere Schwäche und Anma - ßung; und will Sie, um Ihnen unangenehme Empfindungen zu erſparen, nur darauf aufmerkſam machen. Solches alles gilt aber nur von jeder Stadt, wenn man ſie zuſammen ſich vorſtellt; und man kann die eine freie, eine ſinnige nennen, wo viele Einzelne dem Publikum mit ihren Gedanken und Verſtändniſſen vor ſind, große Künſtler faſſen, und große Bücher, die ſie über die Beſchaffenheit des Augenblicks, in dem ſie leben und ſchaffen müſſen, erheben. Eine ſolche Stadt, ſein Sie gewiß, iſt Berlin, wenn auch die, welche ſie dazu machen, grade nicht das Glück haben Sie perſönlich zu ken - nen. Dies wollt ich Ihnen nur, bei dem flüchtigen, geſchäft - und errignißreichen Aufenthalt dort, vor die Augen halten,496 wo alles vor ihnen vorüber fliegen muß. Ein Freundesbrief ſoll Freundesſtelle vertreten!!

Mich ekeln ſchon jetzt die Zeitungskritiken! das iſt das Schlechteſte, was wir haben; das Seichteſte in Deutſchland überhaupt. Die Leipziger, von A. W., ſind noch die ein - zigen, wo etwas Mark und Bein, Leben und Zeichnung darin iſt.

Hier ſpielt Eßlair. So glücklich, Sie mit dem zuſam - men zu ſehn, bin ich nicht! Wenn ich nur drei Bataillen ge - wonnen hätte! ich wollte mir ein Theater anſchaffen! Er ſpielte Thefens wirklich wie ein Gott; und kann das Muſter ſein, die Fahne zum Weg, deutſch zu ſprechen. Otto von Wittelsbach ſah ich: der Mord ein Meiſterwerk! Hinein und herausgehn ein Stück; er ging, trotz der Wuth, mit Abſcheu hinein; und kam, trotz des Abſcheus, noch mit Wuth heraus. Göttlich.

Als ich Ihnen dieſes geſtern ſchrieb, ward ich dazwiſchen immer von Beſuchen geſtört. Ich erhielt dann noch geſtern Abend einen Brief aus Berlin. Sie wollten an dem Tage in Merope auftreten, von der Vorſtellung ſelbſt weiß ich alſo noch nichts. Ich freue mich im voraus des Berichts, den man mir treu und ausführlich davon zu geben verſpricht!

An497

An Varnhagen, in Berlin.

Werde nur nicht ungeduldig, lieber Auguſt! Ich will gerne Geduld haben, daß alles ſo langſam geht; wir kennen ja dieſe Gänge, und wenn es auch gar nicht geht! ſo iſt es noch wie es war, und zu tauſenderlei gut, daß du in Ber - lin warſt. Wundere dich nicht, geliebter Freund, wenn ich dir heute ſchlecht, oder wohl gar nicht auf deinen lieben Brief antworte. So ſehr ich auch jedes Liebeswort, jede Mühe mir zu berichten, die du dir gabſt, in mein Herz einſenkte; als Liebesſamen. Ich habe meinen Winterhuſten; und hatte drei Tage bedeutende Nervenirritation davon und von noch et - was, die darin beſtand, daß ich, obgleich ich Hunger hatte und gut ſchlief, beides in erhöhtem Maß, mich ſehr ſchlecht nach Schreiben befand, und das mehrere Stunden. Ich kenne dies bei mir. Nun mußt ich aber doch dieſe Tage viel ſchrei - ben; auch heute noch muß ich Scholz ein oſtenſibel detaillirtes Billet für die arme Jüdin ſchreiben, welches Rothſchildt leſen muß; und darum werd ich mich bei dir, Geliebter, kurz faſ - ſen. Der Gräfin Golz ſchrieb ich geſtern noch deine Neuigkeit von des Kanzlers bevorſtehender Rheinreiſe, und deine Grüße ab; die Gräfin nahm es ſo gut auf, daß ſie geſtern expreß ſchickte, ſich entſchuldigen zu laſſen, daß ſie nicht ſchriftlich antworten könne, und heute ſchon vor 10, was ich mache, und daß ſie kommen will: ſie bitten mich Abends entweder zum Theater, oder zu ſich. Seit Sonntag aber bin ich zu HauſeII. 32498geblieben. So lange es ihre Füße erlaubten, beſuchte mich Frau von Schlegel, ſie leidet aber zu ſehr.

Lieber Auguſt, du mußt den Brief, den ich an die Schrö - der ſchrieb, mitrechnen, als ſei er an dich. Mache ihn dann mit einem Phantaſieſiegel von Erneſtinen zu. Ich freue mich unendlich, ſag dies Erneſtinen, daß ihr beide ſo liirt mit ein - ander ſeid! in die Komödie, ſpaziren geht; und ſtreitet! Sie hat mir göttlich naiv geſchrieben. Ich umarme Sie herzlich, Liebe! Es beglückt mich ganz, daß meine beſten und natür - lichen Freunde, meine Familie, ſo liirt mit einander ſind! Geht nur recht ſpaziren! in die Komödie! Lacht, ſtreitet, lebt, eßt miteinander; und ſchwören Sie’s ihm zu, daß Sie im Sommer kommen. Lieb Erneſtinchen! Ich gönne Ihnen al - les Glück! jede Freude! Liebevolle Geſinnungen unter einan - der, iſt wahre Lebensfülle, wahrer Reichthum. Nehmt ja Fanny immer mit! Und wie befindet ſich die älteſte Schwä - gerin? Sie ſoll mir von der Schröder ſchreiben; Fanny’n diktiren.

Alſo du haſt für mich geweint in der Jägerſtraße! Ja. Da iſt mein Mauſoleum. Da hab ich geliebt, gelebt, gelit - ten, mich empört. Goethe’n kennen lernen. Bin mit ihm aufgewachſen, hab ihn unendlich vergöttert! da wacht ich und litt viele viele Nächte durch: ſah Himmel, Geſtirne, Welt, mit einer Art von Hoffnung. Wenigſtens mit heftigen Wün - ſchen: war unſchuldig; nicht unſchuldiger als jetzt, dachte aber alle Leute ſeien vernünftig, können es ſein. Ich war jung. (Eben war Mad. Schloſſer hier; und ſtörte mich bei dem Worte jung. Nun ſoll’s auch dabei bewenden.) Du Lieber. 499Wir gehen noch Einmal zuſammen vor dem Dachfenſter vorbei! Ach! wer ruft nicht ſo gern Unwiederbringliches an! Reich ich ihr doch kaum bis an die Schultern. Sagt auch Goethe Einmal von der Erfüllung der Wünſche. Reiche ich doch kaum dem Glück, in einer Verbindung wie die unſrige zu leben, an die Schultern, und faſſe ſie wirklich nicht immer, genieße ſie nur. Adieu, mein theuerſter Auguſt! Morgen kommt ein Brief von dir! Grüße alle Geſchwiſter, Nichten und Freunde. Deine R. Es iſt heute ſchönes Wetter. Adieu, adieu!

An Varnhagen, in Berlin.

Bald halb 11. Noch herrſcht Nebel, gegen Mittag wird wohl die Sonne ſiegen; wie all dieſe Tage her. Das Wetter iſt wie in Berlin.

Wenn ich dich nur beruhigen könnte, mein geliebter Freund, über mich beruhigen! Wenigſtens erhältſt du meine Briefe, die dir nicht die mindeſte Ungeduld zeigen, und es auch ſchon gut finden wie du, daß du nur in Berlin warſt, und überhaupt alle deine Anſichten gewiſſermaßen im voraus haben. Ich bitte dich noch Einmal hier! dich in nichts zu übereilen; auch auf der Herreiſe nicht; dort, wie du es nennſt, nichts ver - wundet zurückzulaſſen; und in deine Anmahnungsſchrei - ben nicht zu viel Salz zu ſtreuen. Ich weiß, ich kann dir das Fach der Schreibekunſt in größter Sicherheit wie das des Verhandlens überlaſſen, aber mein zaghafter Karakter läßt doch ein Wort mit einfließen; welches du manchmal in meiner32 *500Gegenwart ohne Schaden zu deinem Salze wirfſt. Wenn dieſer Brief kommt, hat die Sache ſchon ganz deine Wendung, und ich brauche mir keine Vorwürfe zu machen. Geſtern im Nachmittag früh, geliebter Freund, bekam ich deinen Brief! Was er auch ſonſt enthält, wenn ich ſehe, daß ich dir liebens - würdig bin, daß du mich ſo nöthig haſt, ſo fühl ich mich glücklich, und beſtärke mich in dem Beſtreben, immer und beſ - ſer den Fund, einen ſolchen Freund zu beſitzen, recht zu ver - dienen; kurz, ich erwäge dann mein Schickſal, und muſtre an mir ſelbſt. Über Koreff ſchrieb ich dir neulich in der Eil und in den erhitzten Nerven nicht; du glaubſt nicht, wie mich das freut. Unendlich die Sache ſelbſt. Wunde Ver - hältniſſe ſchmerzen mich immerweg bis ſie heil ſind; und er ſoll nicht denken, wir könnten reell ihm weh thun, ſchaden wollen, oder dem Beſten in uns, bei ihm abtrünnig werden wollen. Alles dies iſt es aber noch gar nicht allein, was mir dabei ſo lieb iſt; ſondern es freut mich ganz überaus, daß in ſeiner Seele ſo ſchönes, ſanftes, gereinigtes Gemüthswetter iſt, wo ſchlechte Dunſtwolken weichen, gar keinen Stand fin - den, weit abziehen müſſen, und dort eine reine leichte Sphäre, für älles beſſere Gedeihen iſt. Dies iſt wahrhaft weiter ge - kommen ſein; wenn unter gewiſſen Menſchen gar kein Ent - zweien haften kann, und ſie nur immer bei den höchſten und geiſtigſten Punkten ſich gewiß wiederfinden, wo alles Zufällige und Geſchehene, was geſchehen kann, zurückbleibt. Die Stägemann’ſchen Gedichte haben mich unendlich ergötzt: nämlich ich habe ſalzige häufige Thränen geweint. Göttliche Stellen, und Bilder! Aber meine Lieblingsſtelle iſt: Messieurs les ma -501 réchaux! Blücher se met à cheval! Marſchälle Frankreichs insgeſammt, der Blücher ſteigt auf’s Pferd. Du weißt, ich bin nicht für Hohn, und kein Franzoſenfreſſer; aber eine glück - lichere Stelle, eine einfachere, tief aus der Sache ſelbſt ge - ſchöpfte, und darum ſo ſchwer zu ſchöpfende, kenn ich nicht. Und daß Blücher auch ein Marſchall iſt; und nur Einer, und ſie Alle gerufen, gewarnt werden; wunderſchön! Und der Fels, der ſich wie ein Knie dem Strom entgegenſtellt; und Schleſiens Schneehaupt oben, die ſchäumende Katzbach unten; und unſer Gold, Eiſen. Kurz, ſolche Thränen! ich weine jetzt. Grüß Stägemann.

Geſtern ſollte ich mit Frau de Ron die Räuber von - lair ſpielen ſehen, aber in die Komödie traut ich mich noch nicht, auch ennuyiren mich die Räuber von je. Ich bin darin genaturt wie Goethe. Mit Reſpekt zu ſagen! sans comparai - son! Gräfin Golz ließ mich nach dem Theater mit dem Wa - gen holen, wo wir recht vergnügt waren, und Hr. von Ga - gern von Italien erzählte: nämlich von lauter bekannten Menſchen. Vormittag war ich weit ſpaziren: ſah was Adel - heid Herz macht, ſie iſt noch nicht ganz beſſer: heute bin ich bei Frau de Ron zum Thee. Ich liebe die Frau.

Nun Auguſtel! kommen ſcharfe Kommiſſionen, wovon die erſte, die da genannt wird, ausgeführt werden muß. Es giebt in der Flittnerſchen Apotheke in der Jägerſtraße ein Räucher - pulver zu kauf: welches Königsräucherpulver heißt, davon wünſcht Graf Golz für einen Dukaten zu haben. Dies bringſt du in einer Schachtel in Stroh im Sitzkaſten mit. He? Ja! die Gräfin wünſcht für ihr Leben! einen Sack von den klein -502 ſten Teltower Rüben: kannſt du das, ſo verbindeſt du mich: auch im Sitzkaſten. Wir ſterben vor Appetit nach Berliner Bier. Erkundige dich, ob man Fredersdorfer ſchicken kann, und wie. Köchin Hanne beſorgt dies alles. Mir bringe eine Bouteille Weißbier mit! Ich ſcherze. Wir ſagen uns aber bei Golzens lauter Berliner Gerichte vor bis zur Ohnmacht für Appetit; geſtern Morgen frühſtückten wir dort, Hirſe in der Milch! Wir Frauen nämlich. Da ich dich nun ge - ärgert habe, will ich dich auch amüſiren. Es amüſirt dich doch gewiß, wenn ich dir ſage, daß ich nicht allein geſtern an Tettenborn, ſondern auch an die Perſon ſchrieb, die wir kürz - lich ſahen, und ſo amüſant, ſo gelungen, daß ich des beſten Eindrucks gewiß bin.

Moritzen müßte mein Geſchrei über die Schröder entge - genſtehen: dann wär’s aber nicht mehr zum Lachen; ihr hiel - tet den Lärm nicht aus. Ich grüße Moritz; er goutirt ſie gewiß noch: der Beifall, den ſie ärntet, macht mich ganz üp - pig. Wie freue ich mich dich zu ſehen! Ich umarme Er - neſtine! Nicht wahr? die Bürgſchaft (von der Schröder deklamirt). Ich freue mich, daß die Schröder gut ausſieht! Tauſend Grüße. Und an dich! Adieu!

Ich bin da für, alle Ereigniſſe ſo gut im Großen, als im Einzelnen, ſtill abzuwarten: und nur einzugreifen, wenn ſie grad für unſere Abſichten reif ſind: nur dann ſind ſie ſüß, und leicht zu pflücken; wie die Früchte. Als ich die vorige Seite, aber nicht meinen Perioden fertig hatte, wurde ich von503 einem fremden Grafen, und dann von der armen Jüdin ihrem Onkel, der ſich zu bedanken kam für eine Verwendung, die ihr Hoffnung ſchafft, geſtört, vorher ſchon von ihrem Geſchäfts - mann. So geht’s dem, der ſich in alles miſcht. Aber ich finde, wir ſind Alle eigentlich Gottes Statthalterchens hier, und ſo ſchaff ich und treib ich mit nach meiner Einſicht. Ich bin noch von geſtern angegriffen; drum werd ich auch nichts von Büchern, die ich leſe, nichts von Diskuſſionen mit Schlegel endlich über Religion, ſchreiben; ich attakire keinen, wenn er ſich auch nur hinter eine Religion wie hinter einen Schirm ſtellte; auch laſſ ich mich lange necken; mit Einmal aber, und ſo iſt’s immer, kommt meine ganze Meinung mir unverhofft, und den Andern zu größerm Schrecken, als von ſonſt Störriſchen, zum Vorſchein. So war’s auch hier; und ſoll nun noch ganz anders kommen. Wir ſind aber beſſer als jemals zuſammen.

An Roſe, im Haag.

Donnerstag Vormittag, nebliges Wetter; welches jetzt ſowohl in Berlin, als allenthalben hier Mode wird. Sage Karln, ich glaubte es wäre auf Anſtiften Rußlands, das den Britten nichts mehr voraus laſſen will, und gehöre zu ſeinem Kontinentalſyſtem.

Du ſieheſt, Roſine, ich bin noch immer hier. Du denkſt, ich ärgere mich? Gar nicht. Ich nehme nur Antheil an Varn - hagens Unruhe und Ungeduld; ich wußte es ja vorher, daß504 es ſo kommen würde. Ich kenne das Terrein zu gut; jeden Einzelnen zu genau, alle Beſtandtheile, die das Ganze bilden. Ich habe nun wohl an ſechs Briefe von Auguſt, die aber alle nichts enthalten, als ſeine Sehnſucht, Ungeduld und Liebe, daher erwarte ich ſie und leſe ich ſie mit dem höchſten In - tereſſe. Die Herren, mit denen er’s zu thun hat, ſprechen ſehr gut und ſchmeichelhaft zu ihm: nur zögert die Beſtimmung, die er erwartet, wie alles in der Welt, In meiner Weiſe die Sache zu ſehen, hat ſich nichts geändert, als daß ich die Reiſe ſelbſt an und für ſich günſtiger anzuſehen habe, als ich ſie mir vor ihrem Geſchehen denken konnte. Auguſt iſt von allen Seiten dort ganz außerordentlich aufgenommen; und man zeigt ihm, daß man die vortheilhafteſte Meinung von ſeinen Fähigkeiten hat; alte Freundſchaften werden wieder aufge - friſcht, und Verhältniſſe zu künftigem Gebrauch in Gang ge - ſetzt. Auch haben ſich die Geſchwiſter und die ganze Familie unendlich mit ihm gefreut. Ich für meine Perſon bin ſo gerne hier, als in Karlsruhe; dort iſt mir manches nicht recht, hier ander manches; hier ſagt mir einiges zu; anderes dort. Wer nicht behaglich und nach ſeiner Wahl leben kann, iſt wie un malade qui s’agite dans son lit: il tâche de se mettre du côté opposé, parce qu’il est trop incommodé de l’endroit il était posé, mais bientôt il sentira les mêmes douleurs, et s’agi - tera de nouveau. So ungefähr ſind wir Alle in der Welt gelegt; nur in der Jugend glaubt man, daß es Lagen gäbe, die gar nicht drücken; und darum, nicht weil man lebhafter iſt, giebt man ſich ſo viel Bewegung los zu werden was uns quált, und zu finden und haſchen was wir lieben müſſen, und505 was uns reizet. Doch bin ich ſehr zufrieden! und danke ſehr Gott! Ich ſehe meiſt ein, welchen Schatz ich an Varnhagens Liebe und Freundſchaft, und an dem Glück ſeines Umgangs habe, den er mir aus Liebe, und Gott aus Gnade, und die Welt aus Vorurtheil als rechtmäßig zugeſteht. Unſer Umgang und Verhältniß ſänftigt und mäßigt, und bildet ſich immer beſſer aus. Wir können uns alles ſagen und bilden uns zu - ſammen ferner. Es iſt eine Schande und eine Sünde, daß ich dich ſo lange auf dieſen Brief habe warten laſſen! aber ich erwartete immer etwas Beſtimmtes aus Berlin: und hatte ſo unendlich viel an Auguſt, ſeine Korreſpondenten und an die ganze Berliner Familie, und hier für eine arme Perſon, die im Gefängniß ſitzt, zu ſchreiben; welches ich eigentlich wegen Nerven nie gut kann; nun hatte ich auch obenein mei - nen Winterhuſten, war acht Tage zu Hauſe, der und dies Einſitzen griffen mich ſo an, daß ich gar nicht ſchreiben konnte, und doch viel ſchreiben mußte. Ein nervöſer Fieberzuſtand hatte mich befallen: jetzt geh ich längſt wieder allerwärts hin eſſe jetzt Schmalzſtulle von Gänſen, welches ich mir von einer Jüdin, die mir verkauft, ſchaffte. Ohme Marékus! hat uns den 14. Oktober einen zärtlichen Brief geſchrieben; dir und mir, den ich erſt jetzt von Karlsruhe erhielt. Lebe wohl! Grüße all die Deinigen, ich umarme dich und Karl. Lies ihm nicht alles. Nichts von Berlin. Deine R. Ich weiß nicht, welchen Tag die Poſt nach dem Haag geht!

Dore grüßt ſehr: wir ſprechen alle Tage von dir und daß du den Sommer kommſt. Adieu, liebe Roſe!

Du kannſt den Brief immer leſen laſſen. Ich irrte mich506 nur. Cher Charles, ayez soin que les lettres d’Alba et de Phi - lippe II soient publiées, ne l’oubliez-pas!!! J’attends tou - jours Varnh. ; ses lettres sont toujours les mêmes.

An Varnhagen, in Berlin.

Nebel, der ſchon von der Sonne durchdrungen wird; ko - thig, nicht kaltes Wetter.

Obgleich man mir geſtern Abend ſagte, der Staatskanz - ler reiſe nun ſelbſt den 15., alſo morgen, ſo glaub ich doch nichts gewiß; weder an den zu ſeiner Reiſe beſtimmten Tag, noch daß alsdann du unfehlbar auch kommen müßteſt, wenn er reiſet; und ſchreibe noch Einmal. Ich fange damit an, daß ich deinen Brief vom 4. erſt geſtern erhielt!! Auch muß ich fragen, ob du den von mir bekommen haſt, wo einer für die Schröder drin lag, und ein Billet für Fanny und Hann - chen, und eins für Erneſtine; und ob Moritz meinen großen Brief erhalten hat, den ich ihm gleich zur Antwort ſchickte; und ob mir niemand antworten wollte; nicht Einmal anzei - gen, ob meine Briefe angekommen ſind? Hätte ich mich doch getraut mir die Nacht zu verderben, und hätte dir gleich ge - ſtern Abend aus dem Herzen geantwortet, wie es von deinem Brief bewegt war: lieber Auguſt! Wie arm aber iſt die Welt, wie ſtumpf die Menſchen und faul im Aufregen ihrer ſelbſt, wenn ich ſo viel gelten ſoll? Erſt neulich ſagt ich im haſtigen Reden zu Scholz: Ja, ich habe viel Verſtand; aber507 ich merke es nur an der Andern große Dummheit; es däucht mir eigentlich nicht! Bei dem Wort Verſtand unterbrach er mich mit den Worten: Sie dürfen auch das nur ſagen. Du aber, mein eingenommener, ehrlicher, ehrlich weil du ein - genommen ſein kannſt Auguſt, glaub den Andern nicht, wenn ſie mich loben: im Augenblick müſſen ſie ſich mich wohl gefallen laſſen Schlegel ſagt, ich verſtünde manches nicht: nämlich Brüderſchaften, als Freimäurer, und dergleichen Ge - treibe, weil ich ſo éminemment eine Perſon wäre wenn du mich grade, und all meine Perſönlichkeiten erwähnſt; aber ſie lieben mich gar nicht: ich entgehe ihnen ganz: ich bin ihnen durch Güte, und Überſicht ihrer, und nur ſo hinzunehmenden deutlichen Vortrag, durch Freundlichkeit und Prätenſionsloſig - keit zu bequem; und gar nicht wie da! Werden Sie mich aber gewahr, ſo haſſen ſie mich ehr. Ein Wahrhaftiger, iſt faſt ſo verhaßt, als Wahr heiten: ſo lange ich mit meinem Generaliſiren ihnen Belege für ihre Wünſche, kleine Leiden - ſchaften, und Geſchichten gebe, iſt es ihnen recht; und ſie mei - nen, ſie hätten die Gründe der Rechtmäßigkeit dazu mit den Begierden, ſo obenein gefunden; widerſprechen ihnen einmal dieſe Gründe, ſo bin ich ihnen fatal, als unbequemer Rebell, der ungebeten auch da iſt. Glaub mir; ich ſchmeichle mir nicht; und darum ſeh ich ſie durch. Harſcher z. B. hält jetzt Stücke auf mich. Weil ich ihm ganz als Abſtraktum durch Briefſtellen, und dein Reden, dein Bezeugniß, dein glücklich leben mit mir, gegenwärtig werde; und wie er mit mir lebte, war er ſchlaff genug, mir Begueulen vorzuziehen. Geſchöpfe, die ſich keine Rechenſchaft über ſich ſelbſt zu geben vermögen.508 kein promptes Gefühl haben, hartherziger ſind, als ich, die eitel ſind: und aus dieſer Eitelkeit nach Lob und Beifall ſtre - ben und handeln, die ihnen gezollt werden. Ganz gut. Nur bleibe man dabei: und ſchwelge nicht an zwei Taflen. Al - moſen kann man von meiner haben. Die Beſchreibung, die ich hier von meinem Effekt mache, wiederholt ſich nun mein ganzes Leben durch, durch alle Nüancen, die bei einem jeden Verhältniß zu Menſchen aus dieſen hervorgerufen werden, aber immer nach derſelben Regel. Die Regel hier, bin ich: die ſich längſt einſieht, aber gar nicht ändern kann. Es mag Andern auch ſo gehen; aber noch niemals fand ich jemand, der mich ganz überſah, ganz meine Konſtitution und meine Seele verſtand, jedes Einzelne, die widerſinnigſten Äußerun - gen aus dem Ganzen; ſonſt müßte es ſich ändern, und ich würde eine andere Regel. Du nimmſt mich mit Liebe auf im Ganzen, und verſtehſt mich, und gleich iſt es anders. Was Herr von Zerboni mit dem treffenden Wort meinen kann, das ich ſoll geſagt haben, und das einen ganzen Menſchen unwi - derſprechlich bezeichnen ſoll, weiß ich wirklich nicht: beſonders aber weil es ihm Herr von St. ſoll erzählt haben. Dem er - innre ich mich nicht etwas geſagt zu haben; ſonſt ſage ich dergleichen grade ſehr viel; in dem Fach bin ich ein Igno - rant , und Gentz wollte darüber vor achtzehn Jahren ſchon verzweiflen; wenn ich ihm mit Einem Wort Menſchen vor - hielt, die er alle Tage in den großen Häuſern ſah, und nicht kannte.

Sei du aber nur ganz ruhig; und boße dich nicht! Denke auch nicht, anderswo ſei’s beſſer; noch ärger. Die509 Länder befinden ſich nicht wohl, es iſt ihnen übel, und ſie nehmen immer noch mehr Süßigkeiten, und leben in der alten Unordnung bis das Erbrechen eintreten wird; ein gräßlicher Krampf, abſcheuliche Operation: Viele werden doch der letzten Anregung dazu alle Schuld beimeſſen. Wie man zu einem Kranken ſagt; warum dreht er ſich auch um, davon kam der ganze Anfall wieder. Wenn ich die Konvulſion vermeiden kann, will ich’s thun, da ich die ſchlechte Diät kenne. Sei geduldig, liebe Guſte! Wir wollen’s zuſammen tragen. Man kriegt nichts auf dieſer Welt: jeder ſein Schickſal und damit gut. Frau von Wolzogen begegnete mir geſtern, ſie iſt ſchon vierzehn Tage hier, ſagt ſie. Mein Huſten iſt längſt beſſer, von Wein?! Du Häßlicher! warum machſt du Fanny weinen? Gleich küſſ ihr die Hand! Ferdinands Locke freut mich, ſie macht mir eine Idee vom ganzen Jungen. Ich danke dir für alle deine Beſorgungen und Nachrichten!

Was iſt das? Charlotte von England iſt todt? unan - genehm. Ich erſchrak mich. Im Wochenbett ſterben iſt ſo häßlich. Die arme Mutter. Adieu, adieu!

Eben ſolches Wetter, nur trüber. Geſtern das ſchönere Wetter machte uns Allen und mir viel Kopfweh: doch war ich den Abend noch aus, bei meinen ewigen Schlegel’s. Der Prinzeſſin Charlotte Tod erregt hier alles! Schlegel z. B. ſagte mir geſtern auf dem Spazirgang, wo er eigenſt bei mir zurückblieb; erſt, was ich ſage? ich ſagte nichts beinah; und dann, daß nun Hannover an England bleiben würde, welches510 doch gewiſſermaßen nicht gut wäre; und dann: Immer wenn jetzt ſo etwas Unerwartetes geſchieht, als ein Sterbe - fall, oder dergleichen, ſo bin ich ganz geſpannt, dann denk ich immer, nun er ſtockte, ſo müſſe es losplatzen? ſagte ich; ja! ſagte er lachend, erhitzt, und occupirt. Mein Guter! du wirſt noch ſehen ..! den kenne ich nun ganz. Es war ein wahres Studiren für mich die Zeit her: wie in einer Bibliothek war ich hier eingeſperrt; aber ich las. Ich dank dir ſehr für Schleiermachers amtlichen Synodenbericht. Schade! daß er wie mit den verdrehten, noch nicht ganz aus ihrer Knospe gebrochenen Phraſen der Wiſſenſchaft, und nicht mehr klarer Leichtigkeit geſchrieben iſt! Der Ton, die Kürze überhaupt darin, das virtuoſiſche Auftreten, als gelehrteſter Kompetent zwiſchen dieſem nichtigen Gewebe von Streitpunk - ten, findet großen Anhang und Applaus in meiner Seele! So gelehrt, und karakter-tüchtig, müßten Regenten ſich vor die Beſchlüſſe zu ſtellen wiſſen, die Einmal das Reſultat ihrer Überlegungen ſind!! Wie leicht ſchließt ſich die große Maſſe, die nicht Überlegenden aller Klaſſen, an ſo beſtimmte Beſchlüſſe, Verordnungen, und Thaten. Sie wollen gar nichts anderes, und bedürfen nichts anderes. Es frommt ihnen nichts anderes. Du ahndeſt auch noch nicht, wen ich alles der großen Maſſe beiſtelle!!! Ein Funken von einem Re - genten, ſitzt auch in mir: und das iſt in meinem Geiſte: die Überzeugung, die ich hier eben ausſprach. Bravo! Schleier - macher! Wie abgemacht ſprach er von den Ceremonien, ohne ſie zu nennen! Bravo! wie klar und kurz von der Polemik der ältern Reformirten, die ſich in der Behandlungsweiſe des511 Abendmahls ausſprach. Wie erſchöpfend für Ungelehrte; wie unwiderlegbar für Gelehrte, die auch alles Vorgefallene dar - über auswendig wüßten! Edle Philoſophie! Beurtheilerin, Ordnerin aller menſchlichen und geiſtigen Angelegenheiten. Ein richtiger Gedanke von dir, richtig angewandt, iſt ein Tag der Sonne für ganze Welttheile. Dieſen Ausruf preſſen mir die Glaubensliebhaber aus: und Novalis, der mich dagegen ſtär - ken muß: von Solger las ich philoſophiſche Geſpräche! Schlegel lobte ſie mir an. Mündlich davon. Von Frau von Woltmann, lieber Auguſt, haſt du mir nicht hart, nur in Kürze geſchrieben; in meiner Jugend, als ich mehr taugte, als jetzt, konnte ich das auch; überhaupt da fertigte ich die Leute auch mündlich in Kürze ab, und war herber, das taugt ihnen beſſer. Jetzt müßt ich mir dies Verfahren erſt anſtudi - ren; und öfters nehm ich’s mir vor. Denn wirklich die, die ſich vorſetzlich verſtocken, ſollten gar nicht glimpf behandelt werden. Und Deutſchland hat jetzt eine ganze Klaſſe ſolcher, wovon Schlegel die brütende Klucke war! Wir in Branden - burg, nennen die alte Henne ſo. Jeder, der nur Einmal ſeine Überzeugung in ſich zum Schweigen bringt: oder Einmal einem Andern nur nachſpricht, und ſie gar nicht zu Worte kommen läßt; iſt unrein, geiſtlos, zu allem Schlechten fähig; denn die Möglichkeit und der Anfang iſt da! In mir ſind ſolche von je ewig verurtheilt, du weißt es. Zu lange aber hab ich die eine Seite, das Nachgeben, und die Nachſicht geübt: die Natur gab mir thätige Waffen: wie ein abgeleb - ter in Zorn gebrachter Ritter, will ich ſie hervorſuchen. Will,512 will! Ich mußte zu viel dumm Religiöſes, Lügenhaftes, zu viel boshafte Angriffe die Zeit her hören!

Seit Montag iſt Wangenheim hier: in Mandelslohe’s Stelle, welcher mit einer ziemlichen Penſion und einem ſchmeich - lichen Judasbrief ſeinen völligen Abſchied hat: er geht auf eine kleine Beſitzung im Hannöverſchen. Alle Miniſter ſind empört wegen dem ſchnellen Wechſel, und ſpieglen ſich in dem Schickſal. Andre ſagen, der Bund wäre das Ungnaden-Exil: W. ſei man wegen der Stände hier nur los geworden. Cotta iſt auch geadelt; und reiſt nach Sicilien. Das ſieht man eben ſo an. Ein altrömiſches Exil. Lebe wohl, lieber theurer Au - guſt! Wenn ich nur morgen wie die andern Leute Briefe bekäme! Deine R. Nun geh ich zu Frau von Wolzogen.

An Friedrich von Schlegel, in Frankfurt a. M.

Ich bitte Sie gar ſehr, lieber Schlegel, vergeſſen Sie nicht nach dem Mädchen von Orleans zu ſchicken! Ich wünſche ſehr, auch Ihnen dafür noch dankbar zu werden, wie ich Ihnen für die hier zurückkommenden Zeitungen und Solger danke. Er iſt klar, ſagten Sie, aber nicht im Klaren. Nun, da ich ihn ganz geleſen habe, ſehe ich dies erſt recht deutlich ein: es heißt doch eigentlich, er zeigt uns klar, daß er nicht im Klaren iſt. (Ich bin gar nicht betreten, ihn ſo keck zu beurtheilen; die Urſache ſpäter.) Eins aber verdank ich ihm, bei vielem andern Vergnügen, ganz beſonders; ichhatte513hatte nämlich ſchon längſt eine Ahndung, daß Nichts auch wohl Etwas ſein könne; und in dieſer hat er mich ſehr ſcharfſinnig beſtärkt. Warum der aber Fichte’n ſo abthuend behandelt, iſt mir ein Räthſel; da er, nur mit andern Wor - ten, ein ganz ordentlicher Fichtianer iſt? Von ſeinem Sprunge, den er nach der Erklärung des Nichts oder der Welt thut, nicht zu ſprechen, wo er auch dann Fichte ganz verläßt. Meine Keckheit aber, über dieſe Dialogues wie Sie mir nachſprechen hab ich mir aus ihnen ſelbſt entſchuldigt: er wird doch nicht mehr Reſpekt verlangen, als er Fichte’n be - zeigt! Sie ſehen nun, was mich in dieſem Buche verdroß, und freute. Wenn Sie aber künftig noch ſo gnädig im - cherleihen für mich geſinnt ſein könnten, ſo verſprech ich Ih - nen, nie wieder ein ſchriftlich oder mündlich Wort darüber zu ſagen.

An Auguſte Brede, in Stuttgart.

Morgens, naſſes Schneewetter.

Alles kann ſich unverhofft ändern, das Unvorhergeſehenſte ereignen, aus recht Schlechtem grad Gutes entſtehen; ſo denk ich ſchon lange, wenn mich Unglück krümmt; weil es mir ſchon oft ſo geſchehen iſt. Und was ich mir ſelbſt ſage, weiß ich auch nur meinen Freunden zu ſagen. Es iſt unerhört, daß man nie fertig wird, nie ſicher iſt. Alle Tage muß man kämpfen, einen nach dem andren herunter kämpfen. Und das für kleine Viertelſtunden, wo man vorgiebt zu leben; denn ganzII. 33514wie man’s möchte iſt es doch auch nie. Ich ſagte mit Be - dacht: vorgiebt zu leben; man würde doch eigentlich gering leben, und für ſeine eigene Perſon zufrieden ſein; denn wenig ſchluckt man eigentlich herunter, wenig gehört zu einem be - quemen Lager, warmen Kleid, reiner Behauſung. Aber um die Viertelſtunden Schein thut man alles; und der Fluch geht ſo weit, daß er an des Einzelnen Eitelkeit gar nicht allein liegt; es hülfe nichts, ſie in uns beſiegt zu haben: erließen wir uns den Schein, ſo würden wir von allen Andern gleich ganz, unter unſre Realität herabgeſetzt, und uns nicht mehr zugeſtanden in dem Kreis zu leben, wo Bildung und alle Eitelkeit zuſammen herrſchen, leben und weben. Dem allen zu entſagen, heiſcht einen wahren Heldenmuth, und nicht nur eine Abnegation von Eitelkeit, Scheinenwollen und Wett - drängen! So macht man alle Laſter mit, ohne laſterhaft zu ſein: wie arme Kranke in Peſtluft: ſie waren geſund; aber Heilmittel ſind ſie nicht! Ich fände unſern Menſchenzuſtand alle Tage elender, wenn ich nicht bis auf den tiefſten Grund deſſelben längſt gekommen wäre, und auch ſchon oft vermeint hätte alle Variationen darüber erſchöpft zu haben: die aber gehen in’s Unendliche! Das iſt unſer Unendliches. So un - verhofft es aber iſt, daß, anſtatt Sie nun zu einer beſtimmten Zeit zu mir kommen ſollten, grad dieſe längſt vergrabene Krüm - mung ausbricht; eben ſo kann eine Hülfe kommen; oder eine Veränderung, die ihr Gutes hat. Das glaub ich feſt.

Dies alles ſind nur die Notizen, die mir am ſchnell - ſten einfallen wollen. Hier wird man jetzt lebenslänglich en - gagirt: und Weixelbaums ſind jetzt ein ſolches ſehr vortheil -515 haftes Engagement eingegangen. Wie iſt denn das mit der Klauſel in dem Ihrigen, Advokate? Von Erhabenheit und Freundſchaft iſt hier nicht die Rede. Kann Ihnen die ver - wittwete Königin nicht günſtig ſein? die ſo ſehr des ſeligen Gemahls Wahl, Neigung, Geſchmack, und Verordnung, und Willensmeinung reſpektirt? Außerdem, was haben Sie ſich viel daraus zu machen, mit Ihrem Talent! Sie können ja plötzlich ein anderes Rollenfach nehmen, und mit dem glänzendſten Succeß, ohne Ihr jetziges förmlich aufzugeben; an dergleichen dacht ich längſt. Und Freunde haben Sie ja auch weit und breit; und hier ganz nah. Um Ihnen das noch recht zu bezeigen, ſchreib ich Ihnen gleich, theure Freundin! und, Sie kennen meine geſchwinde, heftige Art, um auszu - ſprechen, was ich im Herzen trage. Denken Sie an Prag! an den Krieg! an die damalige Abreiſe und Trennung: wie doch noch Wien und alles andere kam. Ganz frei wird man nie. In jedem Fall bin ich Ihnen nah, und wir ſehen uns bald. Varnhagen nimmt den größten Antheil; machte alle Pläne gleich mit mir. Schreiben Sie nur in wenigen Wor - ten den weitern Verlauf. Alle Freunde grüßen.

An Moritz und Erneſtine Robert, in Berlin.

Sonnabend Vormittag 11 Uhr. Mollenguß mit Wind; wie alle Tage her periodiſch, um dieſe Zeit, und Abends gegen 10 bis in die Nacht hinein.

O! wie elend iſt ein Windhund, den immer friert! Nun kenn ich ſeinen Zuſtand: ſeit es ſo mildes November - und33 *516December-Wetter iſt, hat meine Geſundheit die Wendung genommen, daß mich immer friert; außer wenn ich auf der Straße gehe. Ein anderes Thier, und gewiß giebt es in der unendlichen, willkürlichen Natur auch ein ſolches, welchem immer zu warm iſt, mag auch ausſtehen! dieſen Schauder mußt ich von der Seele ſprechen eh ich nur irgend deinen oder Erneſtinens Brief, zum Beantworten nur wieder anſehen kann, wenn ſie auch ſchon neben mir liegen; über meinen kör - perlichen Zuſtand, über momentanes Unbehagen im Ort, oder Zuſtoßen der kleinen Tages-Ereigniſſe kann ich nicht weg, außer um zu dienen oder zu leiſten; und dann verſchließe ich meine Verzweiflung nur um ſo tiefer: und man hat auch von mir nichts, als den Dienſt etwa, und mein ganzer Brief zeigt in Form, Farbe und Inhalt, ihn genau an, und da wollt ich, um wo möglich mich zu entſchuldigen, lieber ſeinen Text oder Kanevas oben aufſetzen. Was du von Roberts Stück ſagſt, muß ich für grundwahr halten, weil ich es ſchon in der Anlage ganz ſo fand, und ihm ſagte. Mit mindeſtem Erfolg. Es hat ſchöne Glieder, und ein Leben, was in das Leben ein - greift, weil es aus einer Mitte genommen iſt. Daß es dir gefällt, iſt mir lieber als Tauſend ihr Beifall. Weil wir beide Publikum ſind, vermöge der entſetzlichen Ennui - und Amüſir-Fähigkeit: wie aller Pöbel. Es iſt göttlich daß der alte K. auf’s Land ging um der Hochzeit ſeiner Enkelin nicht beizuwohnen: wie Fürſten, die doch gute Väter ſind, wenn eine Meſalliance geſchieht: ſehen wollen ſie es nicht: und möglich ſoll es nicht ſein, in ihrer Gegenwart wider ihren517 Reſpekt und Grundſätze zu handlen. So nehmen Leute, die keine haben, ihre Religionsmeinungen. Nun Sie, liebes Erneſtinchen, und da weiß ich noch auswendig, fallen Schelte für Moritz vor. Moritz eignet ſich alſo das Vorleſen zu? auch ſchon falſch! wenn ein Brief ausdrücklich an Sie iſt; oder auch nur ein Blatt. Was Tinte und Feder betrifft, wollen immer die Männer machen, als gehörte das ausſchließ - lich ihnen: weil ihre Geſchäfte in dieſen Materialien vor - gehen: und nur ihr Schreiben und Leſen iſt ein Geſchäft, drück - ken ſie in Handlungen und Benehmen aus. Was geſchehen ſoll und muß, iſt eins: was einem wichtig iſt. Sie haben einen ſchönen Sinn! dem ich allerdings zutraue, daß ich Sie in’s Geſicht hinein loben kann. Lob ich mich doch wohl frei und frank ſelber laut; es thut mir doch nichts. Sie bilden ſich gewiß nichts darauf ein. Weil Sie ſich überhaupt nichts einbilden: Wahrhaft, redlich und unſchuldig ſind: und da - rum lieb ich Sie. Der Menſch braucht nichts als das zu ſein, und er mag, ohne dies, alle guten Eigenſchaften haben, ſo kann er ſie doch nicht gebrauchen. Gebrauchen, ein Menſch zu ſein. Ich erlaſſe alle übrigen: dieſe nie: und bin völlig überzeugt, ohne dieſe, mit allen Gaben, mit jeder: iſt man kein Autor, kein Dichter, kein Künſtler, kein Philoſoph, kein Freund, keine Mutter, keine Schweſter, kein angenehmer Ge - ſellſchafter, kein wirklicher Geſchäftsmann, kein Regent. Mit dieſen, immer liebewerth. Nun iſt’s drei Viertel. Adieu, liebes Erneſtinchen, unterdeß, bis Morgen.

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Alſo bis heute lag dieſes Ungeheuer von Brief ſtill ich hab ihn eben geleſen, und habe einen Abſcheu vor ihm: aber abgehen ſoll er doch: denn in acht Tagen hätte ich ge - wiß vor einem heute neugeſchriebenen denſelben Gräuel. Ein anderer Menſch kann mir mit ſeinen Äußerungen nicht frem - der ſein, als mir meine eigenen Stimmungen, wenn ſie ein - mal vorbei ſind. Verſtehen thu ich aber den Andern und mich ſehr gut. Ich ekle mich auch hauptſächlich nur vor mei - nem rohen, und noch mehr ungewandten, ungeſchlachten Aus - druck, ich die ich ſo viel Geſchmack habe! aber gar kein Geſchick; und lebte weiter, ohne Pflege, als ob er das ſchönſte Manuſkript wäre. Machen Sie ja fleißig Muſik, Liebſte, ſonſt verlieren Sie Ihr ſchönes Talent, den großen Lebensſchmuck! wie ich meines!!! Sie ſchreiben mir von Muſik. Ich habe Ihren Brief vor mir. Moritz, ärgere Erneſtine nicht ſo! das ſag ich dir, es wird dir leid thun! das hilft gar nicht, daß du ſie doch lieb haſt, und ihr ein andermal ſchmeichelſt. Sie muß ganz ihre Freiheit haben. Thun was ſie für gut findet. Du ſchreiſt ſie nicht an, wenn Luiſe ſie einladet, du giebſt auf ſolche Einladungen nicht Antwort, ſondern ſie ganz allein. Vergiß nicht, daß man gar keine Sache und keinen Zuſtand findet, an welchem nichts auszuſetzen wäre, daß man unaufhörlich alles und die An - dern nur erträgt: und du auch nur ſo ertragen par com - pensation biſt. Wenn ſie allein zu Hauſe bleibt, iſt es dir auch nicht recht: das kenn ich alles! genug wenn ſie dich nicht geniren will, nicht Herr deiner Zeit ſein will. Mache519 ihr grade in Kleinigkeiten das Leben lieb: das ſind grade die unbenannten Hauptſachen. Machen Sie ſich ſo viel Plaiſir, als Sie können, Erneſtinchen, einer ſo ſittlich lieben Tochter kann man ſchon ſo zureden. Ich bleibe einmal Ihr Stangen - halter. Adieu Kinder, ich ſehne mich ſehr, und ſehr oft, bei allen Gelegenheiten, nach euch, bald nach Einem bald nach dem Andern, nach ſeinen Gelegenheiten. Küſſen Sie den blonden Ferdinand.

An Auguſte Brede, in Stuttgart.

Sehen Sie, daß es nicht ſo blieb? Nur kein kleines, verknittertes Schickſal, welches ſo ſeinen Gang ohne Titel und Namen geht; das wird man nie los: wenn es uns aber ſo Einmal derb um eine Ecke herumſchleudert, und man nur den Stoß fühlt, und gar nicht weiß wo man hinkommen kann: ſo iſt jenſeits wieder Welt und Ereigniß; und liegen wir ja da, ſo iſt’s ein namentlicher Unglücksfall; das Volk läuft zu - ſammen und hilft.

Ich bin trocken, und daher verdrießlich in der Seele; mich melirt nichts auf, wie der Herzog von Weimar ſagt. Es iſt viel drüber zu ſagen, drum muß ich ſchweigen. Mit mir iſt’s aus, mit mir hat’s ein End, Huſar muß ich werden im Leibregiment! hört ich Einmal, in weſtphäliſchen Zeiten, in rührender, luſtiger Melodie einen Rekruten in Magdeburg ſingen. Die Sonne ſchien hell auf ihn, in einem gedrängten520 kleinen Gäßchen, wo auch ich mit dem Reiſewagen lang hal - ten mußte. Ich war aus Verzweiflung aus Berlin gereiſt, um das Ausziehen aus der Jägerſtraße, und von meiner Mutter, nicht zu erleben. Der junge Rekrute mag längſt todt ſein; Lavendel in Spanien auf ihm blühen. Von mir kann man Sprüche pflücken, die nicht duften, nicht nähren. Sie ſehen meine Stimmung!

Im Herbſt 1817 ſaß ich Abends mit Frau von Schlegel ſchon bei Lichte; wir hatten viel hin und her geſprochen, über das Drückende von den Mänglen der menſchlichen Geſellſchaft überhaupt, kamen zuletzt darauf, wie das nicht einzeln zu ändern ſei, und wie nur eine große Veränderung ſchaffen könnte was ſo ſehr nöthig, und abſchaffen was ſo ſehr un - leidlich ſei: ſo berührten wir auch die verſchiedenen Zuſtände der Menſchen ſchon von Natur aus, und den großen allge - meinen Zuſtand, in welchem ſie ſich in dieſer Welt befänden: gebrauchten aber in der Heftigkeit des Redens mehrmals das Wort Stände, obgleich von ihnen nicht die Rede war: indem wir dies thaten, trat Schlegel, nach einem Mittagsmahl, mun - ter, und angeröthet, in das Zimmer: drehte, ſo zu ſagen, die Ohren nach uns hin, wollte gern plötzlich wiſſen, worüber ſeine Frau ſo angeregt und feurig ſprach; und als er von ungefähr ein paarmal Stände, anſtatt Zuſtände, hörte; ſagte er halb ennuyirt, halb komiſch, und luſtig wahrhaft, indem er ſich tief in einen großen Armſeſſel plumpſte: Ei was! Es giebt gar keine Stände; außer zwei: Prieſter und Laien! Höchſt521 wahr aus einem größten Geſichtspunkt; und eine Wahrheit aus der Tiefe ſeiner Meinung.

An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Paris.

Freitag. Helles ungeſundes, halb rauhes Frühlingswetter.

Schon ſeit dem letzten Mittwoch, theure und ſehr geehrte Freundin, will ich Ihnen nun beſtimmt ſchreiben; dieſen Tag war es, wo ich den hier für Sie einliegenden Brief erhielt. Ich war aber nur eben auf ein paar Stunden von einem harten katarrhaliſch-nervöſen Anfall aus meinem Bette erſtan - den, und grade zum Schreiben durchaus unfähig: doch mochte ich dieſen Brief mit einer bloßen Aufſchrift an Sie nicht allein reiſen laſſen. Heute nun wanke ich menſchlicher in meinem Zimmer umher, und obgleich ich noch ſchwer und mit Nach - theil ſchreibe, ſo will ich Ihnen Ihren Brief nicht länger vor - enthalten, da es mir ſcheint es ſei ein Geſchäftsbrief. Die einzig noch erträglichen, und einzig intereſſanten, wenn ſie auch meiſt nur Unangenehmes enthalten. Denn, was ſoll man noch viel ſalbadern, und hin und her fechten mit Worten, Maximen. Meinen, Dafürhalten, und winzigen Reſultätchen, Reglen, die ſich nur durch Ausnahmen winden, und ſich und Andern bezeugen, daß es einem am Beſten, an Genuß fehlt: an dem, was unſere Natur imperios kategoriſch nicht aufhört zu fordern; die äußern Sinne und der innre fordert. Men - ſchen von gründlichem Gemüthe deren alle Vierteltages - ſtunden im Zuſammenhange aus dieſem Gemüthe heraus blei -522 ben, und die ſich nicht begnügen können, wenn ſie, oder was ſie betrifft, nur für Andere ſcheinen machen alle bankrutt, wenn ſie nicht früh ihre Einſichten zu einer Ein - ſicht zuſammenbilden können, und nach einem wohlgezimmer - ten Plane zu einem vorgeſetzten wirklichen Ziele ſehr hinarbei - ten: ſich nicht an einzelnen Vorfällen für Herz und Geiſt wie - derholend und kindiſch ausſtören laſſen. Zu dieſer Einſicht komme ich zu ſpät: und mein Karakter und meine Geſundheit ſind dazu zu verweicht. Ein beſtimmtes Talent, irgend etwas zu bilden, außer meiner Einſicht, hab ich auch nicht; alſo ge - ziemt mir Schweigen. Nun bin ich noch ſehr amüſabel, aber mir fehlen die Geſellen! z. E. hier; ich habe nicht Eine intime noch familiäre Frau. Keinen aufkeimenden Menſchen, an dem ich Freude und Beſchäftigung fände: keine geſellſchaftliche Rei - bung, die meine Aufmerkſamkeit in Anſpruch nähme; keinen großſtädtiſchen Lärm, dem man nur zuzuſehen braucht; nichts fremdes Neues: kein Regen, kein Verkehr der Kunſt! durchaus kein Verſtehen. Dabei leb ich in beinah ſteter Berührung der hieſigen Geſellſchaft, wo es ungefähr und äußerlich ſo getrie - ben wird, wie in allen europäiſchen Geſellſchaften. Thee, Ball, bal masqué; Diné; Komödie; Aſſemblee, Ambitionen, Florkleider, Kleinlichkeit ꝛc. völliger Mangel, an Witz, Sinn, Scherz, und Tiefſinn und Tiefherz. Darunter ich mit allen meinen Erinnerungen. Und in Furcht, wegzukommen, weil ich jeden Ort fürchte mit ſeinen neuen Unbequemlich - keiten, und die lokale Landeslage unendlich liebe. Bis im September Endes war ich bei meiner Schweſter in Brüſſel, die ich beglückte und mich mit: ob ich da, und in523 Aachen, und in Tirlemont, und in all den Orten an Sie denken mußte, dachte, von Ihnen ſprach, wiſſen Sie. Aachen iſt ein heiterer ſchöner Ort geworden; Brüſſel eine engliſche Kolonie. Auch Lüttich hat ſich in Anſehen und Reinlichkeit ſehr verbeſſert. Den Oktober und November wartete ich in Frankfurt auf Varnhagen, der in Berlin war. Vor drei Wo - chen kam einen Morgen plötzlich im Durchflug auf eine Stunde Ihr Neffe Archibald zu mir, wir freuten uns unendlich beide. Er iſt derb, brav, tapfer, und ſo grund-natürlich, daß er dies alles von ſich nicht weiß. Unausſprechlich kräftig und natürlich fand ich ihn: wie jetzt ſo leicht keiner bleibt; der Aufenthalt in Frankreich hat ihm dazu wohlgethan, vielem Dünkel und Wortqualm iſt er dadurch entgangen. Er kam aus Stenay, wo er unter General Zieten ſteht. Er wollte quer durch nach Böhmen, nach Schleſien, zu ſeiner Schweſter, zu ſeiner Frau nach Danzig, ob ſie mit nach Stenay will, wo er den 27. d. wieder ſein muß. Er fragte mich raſch und viel nach ſeiner Tante: ich ſollte ſie grüßen, und ihr ſagen, er ſchleppe ſich mit einer Summe umher, die er ihr abzuge - ben habe, ohne zu wiſſen wo ſie iſt. Nun weiß er’s. Auch General Tettenborn freute ſich in dem kurzen Morgen ſehr mit ihm. Von Archibald freute mich, daß ſein Herz Ge - dächtniß hat! beſſeres, als das berühmte von **. Er äußerte derbe Freude, mich und Robert zu ſehen, und ſuchte mich ſchon dieſen Sommer hier im Durchreiſen bei Tettenborn. Was macht der Onkel? was Angelika? Empfehlen Sie mich ihnen. Schreiben Sie mir, theure Gräfin! und alles von Ih - nen und Paris! Landſtände, Pairskammern, Preßfreiheit, en -524 nuyirt mich bis zur Krankheit. Manches ſollte längſt faulen; anderes längſt geboren und erzogen ſein! Ihre treue Fr. V. Lernen Sie par hazard eine Prinzeſſin Vaudémont kennen? Dort würden Sie eine Freundin von mir, Gräfin Cuſtine, geb. Sabran ſehen, die ich ſehr liebe. Sie liebten ſie auch. Adieu.

An Roſe, im Haag.

Ziemlich helles, ziemlich gutes Wetter.

Endlich antworte ich dir wieder einmal, mein theures Rös - chen! Aber die Veranlaſſung zur heutigen Antwort, ſoll ehr kommen, als ſie ſelbſt. Scholz, unſer alter Scholz, der jetzt Miniſter-Reſident in Frankfurt am Main iſt, wird in ſehr kurzer Zeit, in ſeinen Geſchäften, nach Amſterdam reiſen, und von dort aus ſeinen alten Freund Falck im Haag beſuchen; und euch ſehen. Ich hab ihm verſprochen, ihn dir und Karl noch vorher zu empfehlen. Die Hauptſache für mich aber iſt die, daß du dich fertig machſt, mit ihm hierher zu reiſen. Karl hat es mir verſprochen, und es muß geſchehen!! Dein Sohn iſt groß, deine Wirthſchaft klein; die Gelegenheit gött - lich. Hier findeſt du alles, Bedienung, Bequemlichkeit, Liebe, Mittel deinen Körper zu erholen. Karl kommt nachher, und holt dich wieder ab! Leben muß man auch; nicht immer neue Anſtalten zum Leben machen! Du biſt es mir ſchuldig! Ich war wieder ſehr krank. Und wenn ich nun Einmal ſtürbe, und bloß mit eurem Verſprechen, und nicht mit der Erfüllung davon: ihr würdet euch quälende Vorwürfe machen. Ich ver -525 ſpreche dir, das künftige Jahr auf längere Zeit zu euch zu kommen: wenn du diesmal kommſt; und du weißt, ob ich Wort halte, und exekutire! Karl! du mußt dafür ſorgen, daß ſie diesmal mitkommt!!! Ein kurzer Entſchluß iſt der beſte! Die Einrichtungen ſind bald gemacht. Ein wenig trouble, ein wenig hin und her laufen, verſchließen. Keinen Hut nur einen auf den Kopf alles findet ſie hier. Die Gele - genheit einzig! Mit einem fünfundzwanzigjährig bewährten Freund, einem Miniſter, zum Schutz: die Koſten ein Nichts: die Jahrszeit göttlich. Mein Bedürfniß nach ihr nicht zu er - tragen! Ich füge kein Wort mehr hinzu! Wenn dieſe Gründe nicht helfen, weiß ich, was ich zu denken habe. Auch ich ent - ſchloß mich ſo ſchnell, voriges Jahr: und Varnhagen fügte ſich! Dein Zimmer erwartet dich; Dore; alles iſt eingerich - tet; noch Mama’s Betten; eine grüne Atlasdecke. Ge - nug, du kommſt, und wirſt uns in vernünftiger aisance fin - den; in erwünſchtem Anſehen; bequem etablirt, ohne Prahlerei. So lebt ich den Winter; in ſociale Pflichten, Rückſichten, Un - päßlichkeiten, und endlich, eine Krankheit, getheilt. Ich weiß es nicht zu betitlen; ob gut, ob ſchlecht: es war eben Leben: von beidem gemacht. Varnhagen wie du ihn kennſt, uner - ſchütterlich gegen mich, d. h. in ſeiner Liebe, ſeinem Vertrauen, ſeinem Benehmen. Robert bei uns; ganz vergnügt, ganz geſund, ganz insouciant; in allen Geſellſchaften; ſogar auf Hofbällen, mit. Jetzt iſt er zum Plaiſir auf einige Wochen nach Stuttgart, wo es ihm eben ſo geht. Zu Hauſe geht’s auch wie immer. Nun weißt du alles. Komm nur! Daß und wie ich dich liebe, weißt du auch.

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Dore will abſolut grüßen: richtet ſchon alles ein; und iſt ganz außer ſich: ich auch. Adieu!

Vormittag. Feiertag, ſtill, Sonnenſchein: warmes März - wetter: alles ſchlägt aus, und will ausſchlagen: doch iſt es windig, wenn auch lauer Wind. Ich, nach einer ſchlafloſen Nacht, wegen Nervenirritation melancholiſcher als je. Eine Luſt, eine Sehnſucht zu dir, die in peinliche Unruh übergeht. Wem könnt ich alles ſagen, und vertrauen, als dir: und heute möchte ich das ſo gern! Ich bitte euch, laßt mich keine Fehlbitte thun: nämlich, daß du früh kommſt. Der An - fang des Sommers, der Frühling ſoll uns vereinigen. Ich kann nichts mehr ſchreiben; ich ward von einem albernen Beſuch vom Lande geſtört: wo mir Einer ellenlange dumme Sa - chen vorerzählte. Alſo! Günſtige Antwort! Du Roſe! Äng - ſtige dich nicht dabei, wenn ſie ungünſtig ſein muß!

An Karoline von Woltmann, in Prag.

Widriges, unſtätes, unbrauchbares Frühlingswetter.

Sie, liebe Freundin, werden mein Federverſtummen nicht an meinem Herzen für Sie abmeſſen wollen! Ich hatte Sie, während er lebte, über Ihren Freund geſprochen, ich habe ſie mit einander leben ſehn. Ein Todtſchlag, auch aller Gefühle und Worte darüber, aller Äußerungen, war dieſer Sterbefall für mich, weil ich Sie kannte; da iſt nichts zu ſagen, das iſt wie unſer eigener Tod, wie alles Elend hier, nicht zu faſ -527 ſen! Nichts erregte mich aus dieſer tiefſinnigen Stumpfheit, beleuchtete zuerſt die dunklen Wogen in des Buſens Tiefe, als die wahrhaft ſchöne Weiſe, wie Sie den Verluſt auffaß - ten und ausdrückten! Ein Künſtler im Unglücke, im Schmerz, meine höchſte Bewunderung, aber der gleich, die ich für einen Virtuoſen empfinde, woraus gleich die leidenſchaft - lichſte Liebe für ihn entſpringt, und die größte Dankbarkeit gegen die Natur, die ſo ſchön machte und beſchenkte! Daß Woltmanns Ende hier durch Sie ſo wirken mußte, iſt Ihnen gewiß eine genugthuende Betrachtung! Aber in’s Tiefſte ge - kränkt war ich, und bin es noch, daß er ſo ſchmerzvoll leiden mußte. Es bleibt entſetzlich, daß ein Menſch, ein Weſen mit Gedanken, fähig iſt, gemartert zu werden. Wiſſen Sie, die bloße Möglichkeit, die Vorſtellung davon, bringt mich in meinem ruhigen Bette oft zur angſtvollſten Spannung; das iſt meine größte Hypochondrie, erſt vorgeſtern Nacht bekam ich von ſolchen Gedanken einen ſchwindelnden Blutzufluß nach dem Kopfe, ein Dröhnen in den Händen, und einen Schreck in der Bruſt. Nein, zu Ihnen kann ich mich gar nicht ver - gleichen! Und wenn ich Stärke habe, ſo kommt ſie mir auf eine ſo andre Weiſe als Ihnen zu, daß ich mich dabei nicht liebenswürdig finde; bei Ihnen wird es ein ſchönes Ge - bild, Ihr Schmerz, Ihr Leid, weil ſie zur That, zur ruhigen That, werden, eine Geſtaltung zum Weiterleben, zum Weiter - bilden, eine Art Elyſium, wo, wenn auch nur Gedanken ge - bildet werden, ſie doch für Sie und Andere ein abgeſchloſſenes ſchönes Leben führen, unſerem Schönſten ähnlich, und an - feuernd hier zum Weiterhandeln; kurz, bei Ihnen wird der528 Verluſt ſchön, der Schmerz ein Reſſort zum Leben! Bei mir iſt es jedesmal eine Amputation, und ( Wer nicht ver - zweifeln kann, der muß nicht leben ) kann es das Schickſal wollen, Gott, nun dann, ich muß es leiden; daß es recht iſt, iſt jener Sache. Ich kann nichts Schönes darin fin - den, nichts Schönes daraus machen. Ich trage es ſo, ſo wie es iſt. Und meine Freude iſt, mir recht zu ſagen, was ich nicht bin, was ich nicht habe, was mir fehlt. Nun ſollte man den - ken, daraus käme eine Erbitterung, eine Schärfe gegen Men - ſchen? Die reinſte Milde! Alles verzeihe ich ihnen; das Meiſte von ihnen verſtehe ich, ihre Lage finde ich ſo erbar - mungswürdig, ſo gedrängt, erkläre mir alles daraus! Nur Eines empört mich noch zum augenblicklichen Zorne, wenn ich Wahrheitsſinn, und die Liebe eigenſten Geiſt zu ihr, vermiſſe, und wenn mich dünkt, die Menſchen wollen nicht verſtehn, aus ſtupiden, niedern kleinen Abſichten. Vor dem großen Werke des Daſeins überhaupt bin ich in der de - müthigſten Bewunderung! Und ganz guten Muths! das überragt mich ganz. Alle nur erſinnlichen Vorſtellungsweiſen, und ſogar die Unverſtändlichkeit davon, machen mich eigent - lich in der Tiefe munter; dieſe große Betrachtung reißt mich fort zur größten Hoffnung, wie hier, jetzt ſchon in’s Leben, zum Leben, dieſe große zu erwartende Neuigkeit! Und dies iſt auch eine Gemüthsart, woran die Miſchung des Blutes Schuld iſt und der Leichtſinn, der bei Schwermüthigen mit dem Alter kommt, da ſie früher müde werden müſſen, und auch ſehen, daß bei allem Hetzen ſie doch mit dem Strome ſchwimmen, wenn ſie auch noch ſo ſeitwärts getrieben haben,und529und daß die Ufer nur ſcheinbar da ſind. So ſteht’s um mich: das kann wohl weich und hülfreich machen, ſtark und gewandt, das eigene Leben zu ertragen; aber ſonſt Schönes, Kunſtwer - ken zu Vergleichendes, auch nur Fabrikenartiges zum Lebens - gebrauche, bringt es nicht hervor. Keine rechte Erdentochter bin ich nicht, wenn auch ein rechtes Erdenkind; ich hänge ge - waltig an dem, was die Erde mir bieten kann; aber es müſ - ſen reine Geſchenke von ihr ſein: ihren Handel verſtehe ich nicht, oder vielmehr in den kann ich mich nicht einlaſſen, und thue ich’s einmal, ſo hat ſie mich angeführt, und dem Necken kann ich mich auch bei keinem Gotte fügen, auch fällt es mir gegen niemanden niemals ein. So bleib ich denn eine Art Betrachter von ihr und keine Tochter, die ihre Art annähme und Heirathsgut und Geſchenke aller Art erhielte! Ich bin eine Art geſünderer, brünetter, vergnügterer Hamlet. Mit großer Bewunderung für geiſtreiche Leute, die nicht ſo ſind wie ich, das ſind Sie! Es freut mich ungemein, daß Sie dieſen Sommer die Lieblingsſchweſter und die Mutter haben werden. Großes ſtilles Glück. Im lieben vollſaftigen Böh - men! in einer Art von unerſchüttertem Urlande, wo das Volk ſeiner Erde gemäß lebt, und noch nicht ſo wie die andern auf - melirt iſt. Im dicken Prag mit ſeinen Kirchen, Paläſten, Hradſchin, Brücke, ſchönen Obſt, und den tauſend fältigen kleinen Spazirgängen, mit großen Ausſichten. Ich gratulire Ihnen, daß Sie aus dem lichten klaren Sande ſind; obgleich ich alles Gute vom Vaterland einſehe. So bin ich auch, in dieſer Rückſicht, gerne in der wohlgepflaſterten, reinen, hei - tern Stadt, wo jede Straße und jeder Platz nach entferntenII. 34530Bergen ſieht; zwiſchen Heidelberg, Mannheim, Straßburg - Frankfurt, kurz, bei zwanzig angenehmen Orten, alle nur einen Tag weit, und die meiſten mit Theater und einem gewiſſen Wohlleben. Anderes fehlt ſehr. Dieſer Defizit geht mit uns zur Leiche! Ich liebe Böhmen zu ſehr. Und, begreifen Sie mein ſchlechtes Herz! ich ſehne mich mehr nach Orten, als beſtimmt nach Menſchen. Bei den Orten ſtell ich mir auch gleich die Menſchen vor. Wo wohnen Sie denn jetzt in Prag? Mit einer Ausſicht? Ich will hoffen!

An die Prinzeſſin Amalia von Baden.

Daß Ew. Hoheit unwohl ſind, iſt mir ein wahres Leid; ich komme aber nun um ſo lieber, da ich Ihnen wirklich eini - ger Troſt zu ſein hoffe. Ich kann über den Hergang des ge - ſtrigen Ereigniſſes genau berichten: wenn ich auch mehr von einer Sache weiß, als ich von ihr ſehe, ſo glaube ich doch deßhalb nie, daß ich mehr von ihr ſehe, als ſie wirklich zeigt. Und mein Sinn läßt ſich durch nichts befangen! Frau von Schlegel ſagte mir einmal in Frankfurt: wenn ich nach Karlsruhe käme, und Jung-Stilling ſähe, müſſe ich ihr etwas über ihn ſchreiben, aber ganz naiv, ſo wie ich ihn fände. Ganz naiv, gewiß , antwortete ich, ich kann dies verſpre - chen, und es wird doch naiv werden. Schon von fern, und noch ſchüchtern, edle Freundin, hat Ihr reiner hoher Sinn gleich klar in mein Innres geblickt; Sie werden ſo fortfahren,531 und immer mehr beſtätigt finden, was Sie vorausſetzten, und auch immer weniger, was Andre mir andichten.

Die Blätter für Ihro Majeſtät die Königin von Schwe - den ſind abgeſchrieben: wir können ſie vorher noch mit einan - der leſen; dabei werde ich Ihnen manches ſagen, was Sie Ihrer Schweſter, wie ich unterthänig bitte, als Vorwort gnä - digſt bemerken wollen.

Varnhagen legt ſich Ew. Hoheit zu Füßen; ich ſchlage gar nicht vor, daß er mitkommen ſoll: er würde uns in der Hauptſache immer etwas ſtören, und das Vorleſen findet beſ - ſer einmal Abends bei mir Statt. Ich komme ſehr gern ſchon um 5.

An Friedrich Ludwig Lindner, in Mühlhauſen.

Trübliches wärmliches Frühlingswetter.

Was helfen die vielen Worte: Sie ſparten Sie auch! Genug, Sie kommen! Veit iſt todt. Nicht Einmal einen Gedankenſtrich mag ich zu dieſem eiſernen Zauber ſetzen. Wie Viele von uns, mir ſehr Nahe, ſind weg! Eine ganze Liſte voll. Wir Beide leben noch; und wie Sie ſagen, ſind auch im Leben nicht todt. Wie unendlich Viele ſind mir auf dieſe letzte Weiſe geſtorben. Unſere Freundſchaft, die Dauer und der Grund derſelben, ſind Veits Kinder: gerathene Kin - der. Das konnte er ſtiften; dies floß, als Schönſtes aus ihm aus. Wie ſchön ſchrieb er! Wir laſen dieſen Winter manches von ihm; Varnh. ſuchte es mir aus den Bänden der Nordi -34 *532ſchen Miszellen. Wie gebildet! Nicht was unerzogen - em - pfindſam-Religiöſe jetzt ſo ſchimpfen, indem ſie es ſo nennen; wie ſcharf gedacht, und bezeichnet, aufrichtig geſucht, und glücklich gefunden; ſtreng und mild angeſehen, und behandelt; fertig, geläufig, und geſtaltet vorgetragen! Er wurde mir ganz gegenwärtig dadurch! Er hätte ſollen bei mir bleiben können! Dies fehlte ihm; bis in die letzten Tage hinein. Er war nicht reich, ſeine Natur nicht ergiebig genug, nicht ſaftig, nicht üppig, nicht genug mit unwillkürlichen Eingebungen begabt; ein Sichgehenlaſſen, konnte bei ihm kein Schönes werden; es fiel eine Stufe herab; oder, es war keins mehr, und unter die Bearbeitung eines dürren Verſtandes gefallen; er hatte aber große Gaben; Gaben des Lernens, und des Sichtens, und war ſehr gebildet; wußte was ihm abging; konnte es oft fühlen; und darum war ich ihm ſo lieb und nothwendig. O hätten wir ihn noch! wüßt er von uns! Das hier, was ich ſchreibe! Ich ſchreibe Ihnen nichts von mir, weil Sie mich nun bald ſehen werden. Selten: ſelten werden Sie einen Menſchen gefunden haben, der bei altersmäßiger Reife ganz ſo alle Springfedern der wahren Kindheit und Jugend in Seele und Gemüth behalten hat, wie ich. Ich kann es vorherſagen; und Sie werden es doch finden. Sie werden ſehen, ich bin wie ich war. Sie haben ordentlich behalten, was ich ſagte! Einzelnes!

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An Roſe, im Haag.

Kühles, in ſich nicht fertiges Frühlingswetter, mit Blüthen, und Einheizen.

Liebes Roſenſchweſterchen! Du antworteſt mir nicht! Es iſt doch Krankheit nicht Schuld? Nun iſt Scholz bei dir: und du kannſt von mir, von Deutſchland und der Vergangenheit hören und ſprechen. Alles was uns bleibt. Ich fühle mich auch vertrocknet mit der Zeit! Abweſenheit, Mangel an Anregung, an Liebem und Gewohntem, viele Unpäßlichkeit, haben das Ihrige gethan. Mir iſt nur heute ſo! Sonſt weiß ich den Vorzug meiner Lage ſehr! Aber wir ſind beide aus unſerm Majorat, und entfernt von einander: und, und! für dergleichen müßte brillanter Erſatz kommen. Speiſe für Vernunft, ſättigt nur die: und macht kein friſches Blut. Wenn du nicht krank biſt, ſchreib mir ein Wort. Was ich den Sommer mache, weiß ich noch nicht: und das iſt auch gut: es iſt eine Art Freiheit. Von deinem Kommen ſchreib ich nichts, weil ich dich nicht quälen mag. Wenn du kommſt, biſt du da. Von der Freude und dem Reſt dabei chargir ich mich. Grüße Karl recht ſehr! Wenn mich die Laune ergreift, ſchreib ich ihm ſehr ausführlich. Ich umarme dich herzlich. Varnhagen euch beide. Deine R. Mein liebes Röschen! Ach! Ach! Ach! du dort; ich hier: und alles blüht.

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An Friedrich Ludwig Lindner, in Straßburg.

Warmes Vogelſing - und Blüthenwetter.

Kennen Sie eine beſondere Melancholie, ein Drängen nach vorwärts, eine Prätenſion, ein Erwarten, daß es angehe; grad in ſolchem Wetter? und ein Hineinſchauen in ſich ſelbſt, und alles was einem begegnet iſt, nach allem Rang und Drang Ringen und Dringen, hieße es in der rechten, mir jetzt gar nicht rechten Sprache, den man verbrachte, wie in einem alten kalten wüſten Gemäuer hin? Nun ſo iſt mir; und noch tauſendfältig anders, Alſo hätte ich Ihnen grade heute gar nicht ſchreiben ſollen; aber Ihr Brief, der vorgeſtern ankam, läßt es nicht zu: auf den muß noch eine Antwort kommen, ſie falle aus, wie ſie kann. Wie hat er mich gefreut dieſer Brief; und nicht allein, weil er an mich iſt, weil er mir ſchmeichelt; er machte mir dieſen auf mich gerichteten Genuß erſt möglich, weil es ein lieber, ehrlicher, feiner Brief war. Wir werden beide, alle, zu affektiren gar nicht nöthig haben. Bald werden wir uns eingeſprochen haben, recht geſchwind, und uns leicht über kleine Divergenzen zurechtgerückt haben; und gründlich von einander verſtehen, warum wir in manchem verſchieden ſein müſſen. So viel nur! Ihr Brief, ſein ganzer Ton, jeder Ausdruck, ruft mir ganz Ihre Phyſionomie vor die Augen; freudig, zutraulich, naiv, herzig, wie Sie gegen Freunde ausſehen konnten. Dann hat mich ſehr gefreut, Ihre Mei - nung über die jetzige Politik meinen ähnlich zu finden; alſo darüber werden wir nur ſehr wenig ſprechen; oder, wenn wir535 bis auf des Menſchen Natur hinkommen, ſehr viel. Ihr alter Onkel gefiel mir auch! Es iſt ein Glück für’s Herz ei - nen alten Verwandten zu haben, den man ehren kann, lie - ben thut man ihn ſchon von ſelbſt; das heißt, lieben möchte man ihn ohnedies ſchon gerne, kann es aber nur, wenn man ihn ehren muß. Wär ich reich, ſo führ ich nach Straßburg, und er ſollte noch die Freude haben, neue Bekannte in alten Freunden von Ihnen zu finden: auf alter Leute Leben, die noch ein Herz haben, möchte ich gerne noch viele reiche Ereig - niſſe häufen; Genuß ſchaffen. Ich anticipire ihren Zuſtand in meiner Seele. Es thut mir leid, daß Sie nicht früher kommen können, weil ich den 10. ſchon vielleicht in Heidelberg bin; aber da kommen Sie mir dann gleich nach: das erfah - ren Sie in meinem Hauſe, wo ich Ihnen ein Wort zurück - laſſe. Genug! Sie finden Freunde: Menſchen, die nur Gutes wollen, und meinen, und unabläſſig weiter an ſich arbeiten, ohne die geringſte Pedanterie: und bleiben Sie auch nicht in Einer Stadt mit uns, ſo haben Sie doch den Troſt, uns nah zu haben: und ich den, Sie gefunden und auch nah zu ha - ben. Auch ich grüße Veit! Wenigſtens ſoll er, ſo lange wir leben, nicht todt ſein. Er verſchlechterte ſich meines Wiſſens in Hamburg nicht: aber ich weiß, an meiner Seite hätte er ſich ewig verbeſſert, ſeine beſſere Seite herausgekehrt, oder vielmehr an das Bewußtſein hinan gebracht; ausgearbeitet, und ſpielen laſſen! Er war ein komplet gebildeter Menſch, weil er über ſeine Natur hinaus war, ſah, und ſie beurtheilen konnte. Wir wollen uns recht über ihn ausſprechen: und ihn leben laſſen! und uns der lieberwärmten Stätte als Leben -536 dige freuen! Wir wollen die jugendliche Zeit des Vertrauens ohne Rückhalt wie Sie ſagen, in die Sie durch mein Finden verſetzt ſind genießen; wiſſend ſie beſitzen! Das Schreiben hat mein Herz wieder in Thätigkeit geſetzt, und es iſt mir beſſer: auch war eine Italiänerin bei mir, der etwas Ärgerli - ches geſchehen iſt, welches ſie mir, ſich zum Troſte, erzählte; ich ärgerte mich mit, gab der armen Fremden Rath, und zeigte ihr eine Freundin in einer Ultramontana, und ich konnte ſie geſtärkt entlaſſen. Das ſtärkte mich ſelbſt wieder. Adieu Lie - ber! Kommen Sie bald: bleiben Sie lange mit uns. Goethe kann man immer brauchen; den Göttlichen hat man immer nöthig! So will ich Ihnen dann mit ſeinen Worten meine Wünſche zeigen: Je ehr du kommſt, je ſchöner wirſt du uns willkommen ſein! (ich glaube: biſt du uns willkommen. ) Gott grüße und ſegne Goethe! Veit! Uns! und Alle, die es gut meinen und wahrhaft ſind.

Adieu. Ihre R.

An

Ich halte dieſe Namensveränderung für entſcheidend wichtig. Sie werden dadurch gewiſſermaßen äußerlich eine andere Perſon; und dies iſt beſonders nöthig. Ich freue mich ſehr, daß B. Ihr Pathe ſein will; ſäumen Sie nicht, ſo bald als möglich alle Anſtalten zu treffen. Sie laſſen auch die Kinder mittaufen. Die ſind ja ſchon chriſtlich erzogen; und müſſen, wo möglich, von jenem Verrückthiſtoriſchen nichts anders erfahren, als wie von Hiſtorie überhaupt! Sie aber haben gar keine Urſache, in dem Scheine des Geburtsglaubens537 bleiben zu wollen. Sie müſſen ſich auch äußerlich an die Klaſſe halten, ſich zu der großen Klaſſe bekennen, mit deren Sitten, Meinung, Bildung, Überzeugung Sie Eins ſind. Sie werden dadurch in das einzige Schlechte, welches dieſes Be - kenntniß nach ſich führen könnte, in den neuern Judenhaß, nicht miteinſtimmen; und noch immer den unſeligen Überbleib - ſeln (ich möchte ſagen Warnungszeichen für Staatengründer) einer großen, begabten, und weit in Gotterkenntniß vorgeſchrit - tenen Nation, beiſtehen; menſchlich, d. h. chriſtlich: im Einzelnen und Ganzen; im Einzelnen, durch Mittheilen Ihrer beſten Überzeugungen; im Ganzen, wenn man die Maſſe ge - häſſig (unter chriſtlichem Vorwand) behandlen will, anſtatt ſie, weil ſie Einmal im Chriſtenſtaate da ſind, durch gütige, großmüthige Mittel ganz für ihn zu gewinnen. Sie wer - den ſich Ihrer jüdiſchen Geburt nicht ſchämen, und die Nation, deren Unglück und Mängel Sie dadurch genauer kennen, du - rum preisgeben, damit man nicht ſage, Sie haben noch - diſches an ſich! Laſſen Sie ſich in dem Muth, ſolche Vorwürfe nicht zu achten, durch die neubekannten religiöſen Vorſätze ſtärken! Sprechen Sie mit B. überhaupt von Ihren Geſin - nungen, erzählen Sie ihm, wie mir, Ihr Leben, damit er Sie kenne; und freudiger, getroſter, und williger, die Bürgſchaft übernehme; damit ſie einen lebendigen Sinn bekomme, und Sie wirklich und wahrhaft einen Freund erwerben: dem Sie klagen und beichten, der Sie tröſten und ermahnen darf. Man kann das Leben beleben: und dafür bin ich ſehr; dies iſt des Lebens größtes Glück; und mich dünkt, ſeine größte Aufgabe.

538

An Friedrich Ludwig Lindner, in Straßburg.

Kühles, ſehr helles, zugeſchloſſenes Nordoſtwind-Wetter.

Was ſoll ich Ihnen auf Ihre reichen vollen Briefe ant - worten! Ich bin endlich zugeſchloſſen wie das Wetter ſelbſt; kalt, vertrocknet, und fühle mein eigenes Wetter. Gerne ſchickte ich Ihnen ein Labſal durch dieſen Brief, aber da ich gar nichts machen kann auf dieſer ganzen Welt, nur ein Quellenſitzer bin, der da ſitzet und wartet ob ſie rinnen; ſelbſt nur eine Quelle bin, ſo quillt mir wiederum nur der Wille dazu, und ſonſt nichts. Sein Sie zufrieden damit, wie ich es ſein muß, d. h. ſtill, ſtumm. Ich ſehe ganz Ihre Lage ein, als ob es meine wäre, ich fühle ſie auf allen ihren Punkten; und auch dies bringt mich zum Schweigen. Die Karaktere ſtellen ſich; wie Fichten, Eichen, Linden, Tannen aus ihren Samen her - vortreten. Nie hab ich es vermocht, wenn zwiſchen mir und Andern eine Wahl war, dieſen zu treten und mich zu ſtellen; und die paarmal, die ich es wohl im Leben that, haben mir nur bewieſen, mich nur gelehrt, es nicht mehr zu thun: weil ich mich noch viel unſeliger dann befand. Meine Unzufrie - denheit iſt mir noch die erträglichſte, mit mir werde ich noch am ſtillſten und daher am leichteſten fertig. Ich glaube es kommt auch daher, weil man ſein eigen Geſichte nicht ſieht; die unmittelbare Mittheilung des Geſammtzuſtandes der Seele. Nicht zum Ertragen dem, der es zu deuten verſteht, zeigt es Unglücklichſein an. So wird man denn am Ende bank - rutt. Inſolvabel, unfähig ſich zu zahlen; aber man klagt539 nicht gegen ſich. Ich befinde mich, wir befinden uns wieder auf dieſem Punkt der Wahl; und ſo nöthig ſie iſt, ſo kann ich nur ſagen: für unſer Leben wäre ſie nöthig die Härte, aber ſie anwenden könnt ich auch nicht, wie ſie Ihnen alſo rathen? Ja, ich behaupte, nur im Großen, im Ganzen, wo man von den Gegenſtänden fern iſt, die ſie betrifft, iſt es mög - lich mit Härte zu verfahren, ſonſt iſt es dem, der ihre Wir - kung kennt, zu ſehen vermag, unmöglich ſie anzuwenden. Nun wäre alles richtig, wenn man ſich mit ewiger Grazie opfren könnte; aber nein! man empört ſich auch manchmal; opfert, ohne daß der Andere das Opfer genießt; und lebt zwi - ſchen zwei Empfindungen, von welchem Zuſtand Goethe mit Überrecht im Clavigo den Carlos ſagen läßt, daß es der elen - deſte der Welt ſei!!! Fragen Sie noch, ob ich mich nun eitel applaudire; oder ob ich meiner entſchieden entgegengeſetzte Naturen bewundere. O! wenn ſie meine Herzenseinſicht hät - ten, und anders, immer anders handelten als ich; ich vergöt - terte ſie. Alſo ich erwarte, was die Andern werden thun können. Was kann man thun? wenn man einen Kontrakt auf’s Leben gemacht hat, mit Einem, der nicht weiß, daß man ſolche Kontrakte nicht machen kann; in einer Welt, die nur das Unmögliche für heilig hält, beſchützt, und die Dümmſten beſtärkt. Da! ſind wir wieder auf die paar großen Inſtitu - tionen: und unſere Briefe ſind doch nur Muſivſtücke einer ſelben großen Fabel: Ihrer ſprach vom Geiſterzwange, ich kam auf den der Neigungen, auf Ehe. Zwei koloſſale Formen, von den Jahren zuſammengebildet; in denen man eine große Diſſonanz gefangen halten wollte; die uns aus dieſem gan -540 zen hieſigen Leben mit ſollte heraushelfen, und weit drüber hinweggeht, und die ſich wahrlich nicht wird einkerkern laſſen, noch uns zur Ruhe belügen helfen wird! Grüßen Sie Ihren alten armen Onkel noch auf’s brüderlichſte von mir! Wir armen Menſchen! Gerne möchte ich ihm helfen. Das heißt, könnten ſie eingetheilt werden, von ſeinen Schmerzen welche abnehmen. Geben Sie ihm meine Achtung, wenn er irgend noch dergleichen würdigen mag, mit in’s Grab: und meinen innigen Herzensdank für ſein Geſchenk! Leben Sie wohl! Auf Wiederſehen! das iſt das Beſte. Ihre R. Ich ſchreibe mir in lauter Klagen doch immer das Herz weicher und leichter.

Der Staël ihr Buch über die Revolution hat unendliche Schönheiten. Ihr Tod thut mir ſehr weh; ſie hatte ein bra - ves Herz! Leſen Sie gleich das Buch. Es kommt a punto: und muß jetzt wirken.

Unſere Unſchuld beſteht darin, daß wir manches noch nicht erfahren und wiſſen; aber darin beſteht auch die Eigenheit unſres hieſigen Zuſtandes, daß wir vieles hier überhaupt nicht erfahren und wiſſen können; vielleicht iſt das ganze Erden - leben nur eine Art Unſchuld, auf die ein höherer Zuſtand mit weiterem Aufſchluſſe des Daſeins folgt. Wenn dem ſo wäre, ſo könnte nichts tröſtlicher und erheiternder ſein, als dieſer Unſchuld mit Bewußtſein ſich zu überlaſſen, und ſie in dieſem Gedanken freudig zu genießen.

541

Oft entſchlag ich mich aller Sorge, und ſtelle dann alles Gott anheim, als dem beſten Freund und Vater, mit dem ich mich ganz unausſprechlich gut ſtehe. Ja, wir ſind auf einem ganz vertrauten Fuß. Er wird’s ſchon wiſſen und machen, denk ich, und lehne mich ordentlich an ihn an, und ſchlummre ſo zu Füßen ein wenig, ſo unten an ſeinem Mantel!

An Scholz, in Frankfurt a. M.

Dann herrſchte hier, nach bedeutender Kälte, ſeit mehr als vierzehn Tagen eine Sorte Wetter, die mich ohne allen weitern Gebrauch der Bäder unter die Erde bringen kann, und mich darauf bis zum Nervenunſinn peinigt. Dies be - ſteht nämlich in einer trockenen, brennenden Sonnenhitze und Blende, wobei ein Nordoſtwind nicht zu herrſchen nachläßt; Abends wird es plötzlich bedeutend winterlich, durch eine Art kalter, feuchter Maſſen, die in klarſter Luft und unter hellſten Sternen ſich langſam herunterlaſſen, hin und her bewegen, und ſich wie unſichtbare Thiere auf einen ſetzen. Dieſe Phä - nomene drückten und reizten und hebetirten mich dergeſtalt, daß ich wahre Fieberanfälle mit allem ihren Nervenzubehör ausſtand. Seit ſechs, acht Tagen iſt dies beſſer: nach einem Gewitter und einigem Regen: doch wollen die kalten Thiere noch Abends ihr Zauberweſen treiben. Wollen nur, es gelingt ihnen nur viertelſtundenweiſe. Dabei iſt natürlich für mich an keinen Gebrauch der Wäſſer zu denken, die mich ohnehin542 nur quälen, und nie helfen. Die hieſigen. Frau von Staël über die franzöſiſche Revolution! Dieſes europäiſche Buch, weil ganz Europa es lieſt, iſt nicht ſo gut, als ſeine Wirkung ſein wird; ſie ſagt alles: wiederholt alles; und ſich ſelbſt auf jeder Seite, dies oft in Antitheſen, alſo nicht allein mit Löffeln eingegeben, ſondern mit Meſſern eingeſchärft, was nun einmal noch nicht in Europa’s Blut gegangen iſt. Es iſt keine Ruhe in der Frau, und ſie wäre nie reif geworden, hätte ſie auch ſo lange gelebt, als ich es ihr wünſchte. Ver - ſtand hat ſie genug, aber keine horchende Seele, nie iſt es ſtill in ihr; nie als ob ſie allein nachdächte, immer als ob ſie’s ſchon Vielen ſagte; ihr thaten die frühen Geſellſchaftsſäle Scha - den. Es war kein Verhältniß in ihrer Seele zwiſchen Geiſtes - thätigkeit und andrer. Gleich kam ſie wieder auf den Beifall zurück: und da ſie nicht gemein war, ſo ſoll es die postérité ausrichten, für die, für deren Beifall, will ſie und ſollen alle Beſſern alles thun! Aber ſie rüttelt in ihrem Buche tüchtig hin und her; und daher alles auf, wovon allerdings die Rede ſein ſoll. Haben Sie eine gutgeſchriebene, das Buch von einer Seite gut betrachtende Kritik im Libéral geleſen? Sehr ſchlecht ſchreibt die Staël; oft gar nicht wie eine Franzöſin; ich meine nicht die Stellen, wo ſie neue Wendungen gebraucht oder neue Worte; aber es klingt nie, ihr Ohr lockt die Worte nicht, ſie ſtellen ſich ihr nicht willig, wie bei den guten Schriftſtel - lern, wie jedes gern dem Meiſter ſich fügt. Stunden lang könnte ich noch über ſie ſprechen. Alles iſt à rebours bei ihr, als ſtriche man Halme aufwärts, keine Süßigkeit: mich dünkt, ich ſehe die Worte in Aufruhr um ſie her, wie fliegende Gei -543 ſter, wenn ſie vor reinen Bogen am Schreibtiſche ſitzt; nie wird es Muſik; und auch kein Thema hält ihr ſtill, ſie ſchwingt ſich hinauf und es geht mit ihr durch, auf andre los, ſie ſpringt auf dieſe, und ſo geht es weiter; und auf Schönes auch nur wie von ungefähr los! Halt! Es iſt genug von ihr! Und hier nur noch ſo viel, weil dies letzte Buch mir im er - ſten Bande Illuſion machen wollte. Aber ſie kann kein Buch bezwingen: es geht immer mit ihr durch, und was ſie ſchreit, iſt kein Geſang. Schade, eben wegen der vielen Ga - ben! denen eine fehlt, die ſie harmoniſch machte. Eine ſtille unſchuldige Seelenſphäre.

(Mündlich.)

Von Dr. Koreff: Sein Herz hat die größte Geiſtesge - genwart, er iſt immer gleich da.

Von jemanden, der da meinte, er könnte ſich, manches abgerechnet, wohl mit dem Verbannten von St. Helena ver - gleichen: Er meint im Grunde, er ſei ein eben ſo großer Mann, und nur noch ein beſſerer Menſch.

Der Strom hat keine Ruh. Der Strom muß fort: der ſtille See hat ſeinen Kranz von Wieſen.

544

Daß keiner glaubt, daß er ſchlecht ſei: iſt der größte Be - weis, daß es kein Menſch iſt.

An Auguſte Brede, in Stuttgart.

Montag Vormittag, ſchönes Sommerwetter.

Willkommen, liebſte Auguſte! Wohl bekomme Ihnen das Bad! ich denk es auch: der Sprudel iſt das beſte Fegefeuer, die herrlichſte Eingeweid-Lethe! Zu Goethen gratulire ich auch! Es iſt für ewig; den größten Zeugen ſeiner Zeit ge - ſehen zu haben! (Rivarol aus der Revolutionszeit, aus - gewandert ſagt in einem ſeiner Werke, der Menſch ſei der Zeuge für Gottes ganze Schöpfung. Seit der langen Zeit hab ich das viel ſublimer, und beſonders herzlicher ausge - drückt in Saint-Martin geleſen.) Von den andern Erſchei - nungen ſchweig ich bis wir uns ſprechen, und ich Sie ge - hört habe, dann ſollen Sie auch wiſſen, was ich jetzt denke, ehe ich Sie gehört habe. Hier iſt’s noch ſehr ſchön von Seiten der Natur: aber ſehr leer. Wir können den Tag unſerer Abreiſe von hier noch nicht beſtimmen; weil der Großherzog nun auf der Favorite iſt, von wo ihm verordnet iſt nach Montpellier zu reiſen, und dieſe Abreiſe ſich doch verzögert, und V. nicht vorher nach Karlsruhe möchte. Tettenborn reiſt immer hin und her: er iſt jetzt wieder weg. Ich war die letzte Zeit hier viel im Theater, der armen Akteurs wegen, die doch oft gut ſpielen, und in Anzug und allem das Unmögliche lei - ſten! Geſtern unſer Stück: Johann von Finnland! aber geſtern weint ich, anſtatt zu lachen; es war mit aber Unpäß -lich -545lichkeit: und nachher bekam ich eine halbe Stunde Krampf - migraine, die hieß Otto Bellmann, ſagen die Berliner. Die Generalin Tettenborn muß auch immer mit in die Komödie: die weinte auch tüchtig: Varnh. wollte es nicht leiden. Ma - chen Sie nur Ihre drei Anzüge vor der letzten Minute fertig! Iſt Ihre Wohnung behaglich? Apropos! Gentz war in Frank - furt, wo ihn Tettenborn ſah, und iſt nun in Aachen: er ſoll ganz vergnügt ſein; Metternich aber nicht: auch war der unpaß in Frankfurt. Laſſen Sie von ſich hören. Ihre R.

V. grüßt herzlich. Leben Sie ruhig? bequem?

An Oelsner, in Paris.

Die witzigen richtigen Aphorismen (die unter Dr. Schlott - manns Namen gehen) hab ich dieſen Morgen in meinem Bette, wo ich ſie zur Hand nahm, ausleſen müſſen: mit dem größten Vergnügen, mit der größten Satisfaktion. Vermöge aller meiner Geſinnung, und auch Einſicht, hätte ich glauben können, ich habe ſie geſchrieben; und ſo war ich auch ganz in Unruhe, daß ſie nicht jeder Fürſt, jeder Staatsmann gleich lieſt, wollte ſie gerne allen gleich ſchicken! als mir gleich der Muth wieder durch den Gedanken ſank, daß nur die ſie ver - ſtehen, die eben ſo denken! Aber wir wollen doch nicht ver - zweiflen; ihre Spitzen werden reizen, ihre Richtigkeit treffen. Den kosmopolitiſchen Syrach (von dem die Allgemeine Zeitung neulich einiges auffriſchte) protegire ich weit mehr, als Varn -II. 35546hagen dies thun will. Einen ſolchen Ariſtokratism kann man anhören. Wie iſt er deutlich, bündig und umſchauend. Auch er berührt einen alten Gedanken von mir; die Erde wird nicht groß genug am Ende, man wird mit den Sternen zu ſchaffen haben wollen. Verzeihung für den zerriſſenen Gruß! Ich bin zu ſehr in Eil. Wie geht das Privatleben in Paris: Ihres, Mad. Oelsner ihres? beſſer? bequemer?

Ihre R.

An Aſtolf Grafen von Cuſtine, in Fervaques.

Trübes, näßlich kaltes Wetter.

Heute ſind es vier Wochen, daß ich von Baden hier zu - rück bin. Es war dort bis ein paar Tage vor meiner Abreiſe wunderſchön, und in unzähligen Wetter - und Lichtabwechſlun - gen immer von neuem unendlich reich für Sinn, und Traum, möcht ich es nennen; wir waren die ganz letzten ſechs Wo - chen beinah ohne alle Geſellſchaft dort; nur Frau von Tetten - born lebte auf dem Schloſſe; und die letzten drei Monate nur mit ſehr wenig Geſellſchaft; vier, vom 8. Juni an, war ich dort. Tauſendfältig wünſcht ich meine Freunde hin! bald den einen, bald den andern; aber unſere Lebenstage ſind uns vorgeſetzt, in einer Krippe, wie wir dem Thier ſein Futter rei - chen; die Art, das Maß, nichts hängt von uns ab: höchſtens können wir das Futter unangetaſtet laſſen; zu ändern iſt ſehr wenig. Und bis ein großes Ereigniß kömmt, möcht ich gar nicht nach mir hinſehen! Seit ein paar Tagen hat der Ge - danke des Sterbens durch einen für mich neuen Einfall etwas547 Unterhaltendes für mich erhalten. Es iſt mir nämlich ganz klar geworden, daß wir doch plötzlich aus dieſem Lebensver - hältniß mit all ſeinen Klemmungen herauskommen und in dieſer Hinſicht uns ganz nobel befinden werden. Das Klem - men, Drängen, Rucken, Zurechtſchieben dauert meiner expediti - ven Geiſtesart zu lang: iſt eigentlich ganz unwürdig, und das eigentlich Unedle; der Quell alles Unedlen; es ſei nun That oder Leiden. Unſere Einſicht darin müßte uns löſen! Verſtehen Sie mich? Was ſoll ich Ihnen alſo von meinem Leben ſagen? Ich ſitze und warte: und wenn mir ein gutes Korn zufällt, verzehr ich es: noch geſtimmt, und appetitlich genug! und das iſt, wie ich mich und mein Leben, was mir geboten wurde, kenne, ſehr genug! Laſſen Sie mich alſo nach Ihrem fragen, von Ihrem ſprechen. Sie haben Komödie geſpielt. Auf dem Lande, grade im Sommer, ein großes Ver - gnügen: wenn die Perſonen nur ziemlich hübſch und angenehm ſind. Spielte Ihre Mutter, Bärſtecher mit? Ihre Provinz, Ihr Aufenthalt wird, muß Ihnen bekannter werden: und dies ganz allein faßt das Lieberwerden in ſich. Die Stücke Leben, die wir vor uns haben, ſind nichts Einfaches, ein Zuſammen - geſetztes; gehen wir nun damit genauer um, ſo finden wir Paſſendes und Verwerfliches, und da bei dem vorigen Stück Leben, welches das Letzte war, mit dem wir uns balgten, auch eine Menge Unannehmbares war, ſo müſſen wir finden, die Stücke ſeien faſt vom ſelben Werth; bis wir wieder Einmal zu einem kommen, welches uns Kunſt - Natur - oder den Ge - nuß unſeres eigenen Herzens gewährt. Dieſer allein iſt Le - ben: das andere lauter Anſtalt zum Leben. Dies nun bringt35 *548mich gleich auf Litteratur, da unſere Genüſſe leider faſt alle in Schwarz auf Weiß verwandelt ſind! Kennen Sie: Re - cueil de lettres sur la peinture, la sculpture et l’architecture, écrites par les plus grands maîtres du quinzième jusqu’au dix - huitième siècle, traduit par L. J. Jay? Die Briefe des Michel Angelo, des Annibal Caracci, als der Leute damaliger Zeit, verſüßen mir meine jetzigen Tage. Ihre Plackereien ſind in die Ferne gerückt: ihr Beſtreben, ihre Thätigkeit, ihre Wünſche, ihr Herz und Geiſt, ſtehen klarer da; für mich ganz beſon - ders, die aus den Briefen der Menſchen ſo unendlich viel von ihnen kennt. Von ſolcher Briefſammlung wird mir die Hiſto - rie und eine ganze Zeit klarer, als durch berühmte Geſchicht - ſchreiber. Ich bin dem Herrn Jay ſehr verbunden: und könnte ſehr lang mich auslaſſen, über Geſchichtſchreibung, die ich meiſt ſchlecht finde. Haben Sie Bignons kleine Schrift geleſen, über Baierns Prätenſion an Baden? Weltbürgerliche Deutſche ſind ihm ſehr verbunden; rühmen ihn weit und breit. Haben Sie Bailleul über Frau von Staël’s letztes Werk geleſen? Ich wollte, ſie lebte noch, und röche Einmal dieſen Weihrauch. Man räumt dieſer Frau viel zu viel ein, was ſie nicht hatte. Man borgt ihr einen Geiſt, eine Penetration, die man ohne Gründlichkeit gar nicht haben kann: ſie hat einen, der nur in Abweſenheit der Gründlichkeit ſo zu flimmern vermag. Es ſind viel zu wichtige Thema’s an dieſen Geiſt heran geſchwom - men, auf der Fahrt ihres Lebens, die er von ſelbſt ſich im gro - ßen Ozean nicht erſehen hätte, aber nach Geiſtes Art ſich doch aneignete zum Verarbeiten: denn ſelbſt Eitelkeit iſt ein ſehr geiſtiges Erzeugniß. Es freut mich aber, daß Geiſtigkeit über -549 haupt einen ſo allgemeinen, großen, kompakten Reſpekt aus - giebt (dies Jahr wird dies Feld viel Waizen ausgeben, ſagt man im Deutſchen), daß ſelbſt entſchiedne litterariſche Gegner noch in ſich ſelbſt ſo viel Umſtände gegen eine Perſon machen müſſen, wenn ſie nur Einmal auf ihren Geiſt aufmerkſam machen konnte. Das ſpricht für Frankreichs Feinheit; dem ich, wo es nur möglich iſt, applaudire, und mir gern geſtehe, was ich ſelbſt ihm verdanke. Sie wiſſen, ich liebte Mad. Staël perſönlich mehr, als es die Menge thut; die, herz - dumm und urtheil-faul, die ihrem Weſen widerſprechendſten Dinge willig glaubte, und nacherzählte; in ihren Werken fand ich aber immer Karakter-Disparates: keine Miſchung, die das Geniale herausbrächte; nicht weich beim Feuer, nicht ſtill beim Urtheil, und Denken; oft brennend, nicht warm; weit von künſtleriſcher ſpontaneer Auffaſſung, in allem wo ſie vergleicht: kurz, ein Mißverhältniß in den Gaben: und hauptſächlich, nicht das Gefühl, und das heimliche Urtheil ihrer ſelbſt: letz - ter Schlußſtein der Künſtlernatur. Da man jetzt eine Anſtalt in Paris hat, alle mögliche deutſche Zeitſchriften (las ich neu - lich im Morgenblatt): fragen Sie nach Dohms Denkwürdig - keiten; nach den guten Weibren (Erzählung in Proſa), nach den Aufgeregten (politiſches Drama), in Goethe’s neuer Aus - gabe Band XIV. Fragen Sie nach Goethe’s Rhein und Main; drei Hefte ſind da. Suchen Sie Oelsner auf, der weiß alles, iſt grundgelehrt, und Ihnen gern behülflich.

Sie führen ja etwas Abſcheuliches in Ihrem letzten Brief an, lieber Aſtolf! Car malgré tout l’orgueil du raisonnement c’est toujours ce qu’on fait qui finit par régler ce qu’on pense. 550Dies als Wahrheit aufgeſtellt, öffnet jeder Schandthat die Thore! Ce que nous faisons ne règle nullement ce que nous pensons; cela nous fournit seulement la matière dans laquelle nous devons travailler; c’est à nous à opter comment nous voulons faire, et c’est le point moral qui nous appartient. Nur der Menſch kann wählen und richten, ſagt Goethe; alle andern Thiere der Erde wandlen und weiden im dunklen Ge - nuß. Si vous commencez à comprendre le positif de la vie, ſo bin ich außer mir vor Freude! Le positif des Le - bens beſteht aber darin, das abzuleben was grad vor uns ſteht: deßwegen iſt Poſitives immer da, (wenn wir frei ſind unſere Thätigkeit zu üben); auf unſerm Landſitz, wie in Pa - ris; in der Geſellſchaft wie in der Familie; unter Menſchen, wie in dem Stall; ja ſelbſt unter Büchern und allein. Die Gegenwart fühlen, mit ihr ſich abgeben können, iſt das Le - benstalent; je mehr man davon in ſich trägt, je poſitiver iſt man, und je mehr Poſitives wird uns vorkommen. Ein leben - dig ethiſch guter Wille belebt uns allein die Gegenſtände zu geiſtigen. Das bin ich ganz gewiß. Der Geiſt iſt wie Sonne; ſie iſt immer da; beleben aber kann ſie nur was da iſt. Grüßen Sie Oelsner von mir; und zeigen Sie ihm, was ich Ihnen eben über Mad. de Staël ſagte: er kennt mich in der - gleichen. Kann ich, ſo ſchick ich Ihnen den Tauler durch Graf M. im December.

551

An Friedrich Ludwig Lindner, in Stuttgart.

Trübes, feuchtwarmes Regenwetter.

Ihr Brief, den ich geſtern Abend erhielt, gab mir etwas von der einzig ſchönen Ruhe, die Ihnen Ihr ſtilles Lokal ein - flößte, und machte mir aus großem Antheil viel Vergnügen. An mir iſt kein Detail verloren; vom gröbſten Daſein an, von der allſeitigſten Vereinzelung an, hab ich mich nur her - aufgerankt zu den allgemeinſten Erkenntniſſen. Die Art mei - nes Geiſtes iſt unſchuldig; gradaus ſind ſeine Strahlen, ſie wiſſen nicht was ſie beleuchten werden: und ſo und nicht an - ders muß er immer nur von neuem verfahren; eine andere Weiſe iſt ihm gänzlich verſagt. Er hat etwas Genialiſches, das will ich ihm nicht abſtreiten: es beſteht aber nur, und in nichts anderm, als in der mir ſelbſt, und einem jeden, unbe - greiflichen Schnelligkeit, ſein der Geſchwindigkeit ganz wider - ſprechendes Verfahren zu erſetzen. Von allgemeinen Begriffen auf einzelne Fälle zu operiren, iſt doch die größte Geiſtesöko - nomie; ich muß erſt umgekehrt, durch die kleinſten Abſtraktio - nen mir jene Begriffe ſchaffen; und dann noch Einmal ope - riren. Aber dies wie durch Feuer, und ſein Licht: ſo ſchnell geht’s; durch ſo ſchnelle Kombinationen, daß ſie mir ſelbſt alle wie Einfälle erſcheinen. Eine Art Behelf, daher die Unfähig - keit zu lernen; nichts in mich Aufzunehmendes vermag ich be - reiten zu laſſen; daher erſcheinen die gewöhnlichſten Dinge und Äußerungen bei mir, originell. Es iſt meiſt Unfähigkeit, in der Folge aufzunehmen, und wiederzugeben, wie man es552 mir anbietet. In der Art hab ich mir aber beinah alle Ta - lente auch der andern Menſchen erklärt: meiſt iſt jedes Talent nur eine Umgränzung einiger in einander greifenden Gaben, die grade die Nachbargaben ausſchließen, oder deren Mangel vorausſetzen, und von dem begründet werden; das hab ich ſchon oft ergrübelt. Findet ſich irgend in einer Seele ein gan - zes Konzert, ein vollſtändiger großer Kreis von Talenten, wo keins das andere durch deſſen Ausſchließung bedingt; und be - lebt ein reges, empfindliches, geſundes Herz dieſe Fertigkeiten; wohnt eine lebendige Überzeugung in ſolchem Geiſte, dann iſt das Genie fertig. Dann lieb ich es mit leidenſchaftlicher, glücklicher Bewunderung! Wen ich als Autor ſo liebe, das wiſſen Sie. Eh ich Ihren Brief geſtern erhielt, im Nachmit - tag, ſprach ich erſt von dem großen, einzigen Einfluß, den Lokale auf mich üben; das was mich umgiebt, beherrſcht mich meiſt ganz, unwiderſtehlich: kein Unglück, nichts widerſteht dem ganz, Kein Glück, keiner Art, wäre für mich genießbar, könnte mir den Seelenzuſtand ganz bereiten, deſſen meine Seele bedarf, um es ruhig in ſich wirken zu laſſen, wenn ich in einem mir verhaßten, mir widerſprechenden Lokal, in ſolcher Stadt, ſolcher Gegend bin. Kein Menſch iſt empfindlicher für ſolche Dinge: hat ſie zeitlebens ſo ausgeſponnen, zur Deut - lichkeit gebracht, ſo davon gelitten! Sie können alſo denken, wie erwünſcht mir Ihr Brief kam; wie balſamiſch er auf mich wirkte! Wie ein gourmand gerne von ſchönen Speiſen hört; ſo bin ich in meiner leckeren Gierigkeit dahin gekommen, ſchon zufrieden zu werden, wenn nur Andere recht ſchön wohnen: beſonders wenn es nun Freunde ſind; und in einer Verfaſ -553 ſung, wo ihnen das viel ſein muß; Beruhigung, Genuß; Raum zu angenehmem Fleiß! Ich kann Ihnen aber nicht aus einer Art Villa ſchreiben; auch nicht aus einem Sommer - Sonnen-Thal; auch nichts von Kunſt, oder deren Genüſſen: drum fängt mein Brief grüblend an über mich ſelbſt; grau in grau. Doch bin ich in guter; alter, ruhiger Seelenſphäre, mit junger, reger Genußfähigkeit; und zufrieden, wenn kein Unglück, keine Angſt kömmt; mit Einſicht für das, was ich beſitze. Hier, und da, gut berührt: und nur durch großen Zwang beachtend, wenn ich ſchlecht berührt werde. Ich kann nicht, wie Sie, ſagen: ich verachte die Welt: aber ich kenne ſie ganz; und ihre eigene Klemme; was kann ich von ihr wollen, als Frieden; auch dazu muß man ihr Gutes thun, und ſchmeichlen. Faire des ingrats, iſt die friedlichſte Beſchäf - tigung; wenn man ſchon agiren muß; hin und wieder. Halten Sie das nicht für Prahlerei.

Mad. Lindner hat mir einen ſo allerliebſten Brief ge - ſchrieben, den ich durchaus goutirt habe, und der mir großes Vergnügen gemacht hat. Es freut mich ſehr, daß ihr die Bekanntſchaft der Mad. Brede konvenirt. Sie könnte keine beſſere, ehrlichere, gütigere Frau kennen lernen. Grüßen Sie ſie tauſendmal! Ich liebe ſie ſehr! und immer. Ich leſe die Minerve, Dohms Denkwürdigkeiten, und Über das Ver - hältniß des Chriſtenthums und der chriſtlichen Kirche zur Ver - nunftreligion von Muth. Dies letzte gab mir Robert, der von Mannheim zur Ankunft des Kaiſers Alexander hier iſt. Heute Abend kommt der; man verſchont ihn nicht mit der Il - lumination. Gentz hat mich von Aachen grüßen laſſen, und554 beſtellen, er würde mich im Durchreiſen hier ſehen. Heute hatte ich Brief von den kleinen Taſtet; ſie und Frau von Lagorce ſind wohl. Sie ſchickten mir einen Brief vom Gene - ral Bachelu, einem franzöſiſchen Freund, der zu Herzogin von Angoulême in Straßburg war. Hier wird ſehr ſchön Donna Diana, aus dem Spaniſchen, gegeben. Wenn Opern, oder ſo ſchöne Stücke ſind, gehe ich hinein: wenn das Wet - ter nur irgend zu behandlen, im ſchönen Spazirort ſpaziren. Fürſt Fürſtenberg iſt hier: dem ich ſehr gut bin, weil er voller Leben, und Lebensluſt, und Streben iſt; und man ihm das alles auch anſieht. Kennen Sie der Kaiſerin von Rußland Arzt, Staatsrath von Stoffregen? Der iſt auch hier; ein großer Freund von Robert, und ein ſehr lieber Mann.

Adieu. Ihre R.

An M. Th. Robert, in Berlin.

Ich möchte dir doch gar zu gerne bei dieſer Ge - legenheit ſagen, wie ich über Religion denke: weil ich ein Drängen habe, bei dieſen tiefen und umfaſſenden Gegen - ſtänden, den wenigen Menſchen, mit denen ich eigentlich rede, kein Geheimniß zu ſein, und beſonders ihnen nicht gar ein falſches Bild von meiner innern Gedankentafel zu laſſen. Ich war geſtern beſonders gegen eine gewiſſe Art von Reli - gioſität ſehr aufgebracht, weil ich eben geſtern viel in einem ganz neu erſchienenen Buche von F. las. Dort ſpricht dieſer555 Gelehrte, als hätte er dem lieben Gott in die Karte geſehn, und wäre zu allem geiſtigen Anfang durch bloße Frommheit gekommen, und ſetzt dieſen in die Sünde. Iſt aber tief - ſinnig, geiſtreich und ſcharfſinnig genug, um ſich häufig, auf jeder Seite könnt ich ſagen, zu widerſprechen. Zum Beiſpiel, behauptet ſein guter Verſtand, neben ſeinem willkürlich - eitel - ſtolz - oberflächlich - demüthigen Setzen ſeiner Sünde, daß Schuld aufhören könne, und man immer von neuem wieder unſchuldig würde. So phantaſirt er, geiſtvoll, unwahr, tief - ſinnig, fade, das ganze Buch hindurch; ſchlägt an alle Geiſtes - gränzen an, braucht Wiſſenſchaft und Syſteme aller Art, und bringt mich in einen wahren Ärger! Solch kluger Mann! Solche Gaben, ſolche Hervorbringungen des Denkens, ſo ſeicht zu verſchleudern, mit aller Emphaſe der Wahrheit, und dem Schein des Ergriffenſeins! Was zwingt einen menſch - lichen Geiſt, eine Sünde anzunehmen, durch die wir hier ſein ſollen? Neben einem lieben Gott! das heißt neben einem Geiſte, der alles begreift, ſich, uns, alle Nothwendigkeit, alles Daſein, alle Verhältniſſe; und den durchaus wir nicht be - greifen, weil wir nichts evidenter wiſſen als unſre Gränzen; den wir nur durch eine uns eingegebene Gabe vorausſetzen müſſen, nämlich durch unſres eignen Geiſtes Fähigkeit, uns unendliche Geiſter zu denken, und weil es, der Natur unſres Geiſtes gemäß, ſinniger iſt, einen alles begreifenden, vorſtehen - den Geiſt uns zu denken, als bei Unſinn, wie vieles für un - ſern Geiſt iſt, ſtehen zu bleiben. Dieſe Vorausſetzung iſt uns zugleich Troſt; wäre ſie aber nur Troſt, ſo ſehr wir ſeiner auch bedürfen, ſo könnte doch unſer Geiſt, aus Troſt -556 bedürfniß allein, ihn nicht annehmen. Was in der Welt die Bibel nicht! kann mich zwingen, neben Gott, für dieſes Daſein eine Sünde anzunehmen? Mir iſt folgendes natürlicher und einleuchtender. Wie finden wir uns? frag ich. Mit einem perſönlichen Bewußtſein; erſtlich begränzt in dieſer Perſönlichkeit ſelbſt, dann in den Bewegungen unſres Geiſtes, ſo ſehr dieſer auch das Weitreichendſte in uns iſt; die Perſönlichkeit iſt die ſchärfſte Bedingung und der für uns zu erreichende Grund unſres Bewußtſeins. Durch ſie wird allein Sittlichkeit möglich: unſer Höchſtes jetzt; einzig ſiche - res, einzig mögliches Handeln, mögliches Schaffen. Nur in Perſönlichkeit können wir Glückſeligkeit und Unglückſeligkeit finden. Daß uns der größte, alſo auch gütigſte Geiſt dieſe Per - ſönlichkeit nur unter ſo harten Bedingungen verleihen mochte oder konnte hier gleichviel! iſt ſein Geheimniß; die Ergebung in dieſes Geheimniß, meine Religion, meine De - muth, meine Weisheit, meine Ruhe! Alle andere Voraus - ſetzungen ſind mir kindiſch und willkürlich. Mein Geiſt kann immer höher ſteigen, mächtiger, ſchauender werden; und iſt Gott mit allem Eins, ſo iſt’s wie mit uns ſelbſt; auch zu uns gehört unſer ganzer Leib und die Intelligenzen aller un - ſerer Organe, und es iſt doch eine vornehmſte da: der Kopf weiß vom Fuß; der nicht vom Kopf! Dieſe ganze Voraus - ſetzung hier nur ganz beiläufig, nur zum Beweiſe, daß ſie nicht paſſe. Denke dir nun, wie mir ein Gott, oder wie mir Menſchen vorkommen, die Opfer fordern; das Unſittlichſte in der Welt; wie das Sittlichſte, dieſe Forderung an ſich ſelber zu machen, und die Opfer zu leiſten. Daß überhaupt557 Opfer gebracht werden müſſen, würde ich tadeln, wenn dies nicht ganz auf Gott zurückfiele; der aber hat den größten Witz darin angebracht, den wir hier kennen, nämlich hat es zur tiefſten Aufgabe unſeres perſönlichen Daſeins gemacht, zur Aufgabe der Sittlichkeit, die aber ein jeder nur an ſich ſelber machen kann und beurtheilen kann. Rechne es mir hoch an, daß ich dir dies alles ſchrieb, es iſt das Höchſte, was ich weiß. Mir iſt unter allen philoſophiſchen Syſtemen ich kenne ja was ſie aufſtellen keines haltbarer, natürlicher, wahrhafter, einfacher in der Vorausſetzung.

Ich muß noch ein Wort hinzufügen. Das Buch von F. iſt, ich wiederhol es, ein Werk voller Geiſt, handelt von den wichtigſten Gegenſtänden, regt unendlich zum Denken auf. Wenn der Verfaſſer mich in Ärger brachte, ſo liegt das in ſeiner und meiner Art zu ſein, und in der, wie wir zu unſern Gedanken kommen, und ſie zu Folgerungen gebrauchen. (Frau von Staël z. B. ärgert mich auf dieſelbe Weiſe.) So ärgert mich nicht ſowohl ſeine Religioſität, als vielmehr die Stellen, wo er ſie anbringt, und die Wege, wie er zu ihr kommt; dich aber wird ſie unendlich anſprechen, weil es ganz deine iſt; und du wirſt ihn, wo du ihn ehrlich (hier nur konſe - quent) findeſt, darum beſſer verſtehen, als ich. Ich empfehle dies Buch, weil es dich ſehr beſchäftigen und dir in vielem neu ſein wird. Lavater aber und Saint-Martin, die ich dir auch zu leſen empfahl, und andre ſolche großartige Seelen, kommen wie aus einem religiöſen Meere mit ihren Gedanken hervor, ohne zu ihren Beweiſen ein Stück Religion vor ſich zu nehmen, und daraus eine Moſaik von ſtrengen Folgerungen558 und Axiomen einer beſtimmten Religion zu machen, wo - durch mir dann dieſe beſtimmte bewieſen ſein ſoll! Mein Urtheil nimmt das nicht an, mein Geiſt ſträubt ſich, meine Seele empört ſich gegen ſolche Zumuthungen; daher ſcheine ich dann zornig.

An Friedrich Ludwig Lindner, in Stuttgart.

Ich glaube, Lieber, Ihr Freund ennuyirt ſich! Was hat er für eine politiſche Unruhe? Als ob uns das Meſſer an der Kehle ſtünde, und wir auch nun keine Bewegung mehr ohne Schnitt machen könnten. Ungefähr ſo wie jetzt leben wir und unſere Vorältern ſchon lange; ungefähr ſo werden wir noch lange exiſtiren müſſen. Es vorherrſcht ein großer Lügenwuſt; der uns auf allen Punkten berührt, den wir in unſerer Luft ſchon mit einathmen, und aus unſerer Bruſt wieder hinein ſchicken. Alles moraliſche Übel ſetzte ich in die Lüge. Liegt es an unſerm Verſtand, wenn wir von der Wahrheit ab, in der Lüge ſind, ſo iſt’s Irrthum. Zugegeben, daß wir jetzt in einem Moment leben; wo an einem paar hauptſchädlicher - gen ſtark gerüttelt wurde, und noch gerüttelt wird: ſie ſind angebrochen, und das wahre Verhältniß iſt in manchem Bruch am Lichte: es wird ſchon weiter losfallen müſſen. Habt nur einige Geduld! Mir iſt alles lieber, als Feuer und Schwert, wenn ich nicht grade über einen einzelnen Nichtswürdigen,559 über eine beſtimmte Unthat im brennenden Gerechtigkeitszorn bin. Betrachten wir das Ganze, ſo kann uns nie entgehen, daß dies nur langſam fortrücken kann: ſich entwicklen muß durch Geiſtiges, wie Pflanzen an der Sonne, und daß wir Armen uns immer nur in einer beſtimmten Entwickelungspe - riode befinden können, die ungefähr unſerer Organiſation gleich wohl und wehe thut; und ſollte es uns merklich beſſer gehen, wir, wie wir jetzt ſind, plötzlich in eine künftige Zeitperiode verſetzt werden müßten: änderte ſich aber dieſe, in welcher wir ſind, plötzlich, auf menſchliche Weiſe, ſo hätten wir ſehr zu leiden. Es giebt aber einen Zuſtand, in dem man dies doch wünſcht: den nenn ich aber Ennui. Es ſind die Mißſtände auf der Erde nicht auszugleichen. Nicht einmal eingeſehen werden ſie. Sogar den Sündenfall hat man erfunden, größter Beweis, daß, will man einen Grundunſinn ausglei - chen, nur der Witz der Stupidität noch thätig bleiben kann, für jede andere iſt der Unſinn ein Ende, um nicht ergeben und fleißig an Kleinigkeiten zu arbeiten; an dem, was grade jedesmal vor uns iſt: dies iſt unſere irdiſche Natur; dies zu erkennen, unſeres Geiſtes Aufgabe; dazu aufgelegt ſein, unſere hieſige Geſundheit und ihr Merkmal. Und haben weiſe Men - ſchen geſagt, wir ſollen wie Kinder ſein, ſo verſteh ich dies darunter. Kinder ſind immer ehrliche Leute; und ehrliche Leute wie Kinder; ihr ganzer Geiſt in einer Frage an alle Gegen - ſtände begriffen.

Leſen Sie doch Steffens Karikaturen des Heiligſten! Ich habe mich durch dies Buch durchärgern müſſen. Er und ſeine Gegenſtände ſind immer intereſſant: aber ſolcher Geiſt bleibt560 mir immer ein Räthſel, nie läßt er ihn ſatt werden von im - mer in der Tiefe gefundener Wahrheit, hinauf muß er wieder, und koſten an jede Verwirrung, die ſie deckt. Wie Frau von Staël arbeitet er mit den beſten Dingen und Worten, erhitzt umher: und kunſtſtill, gebetſtill, unſchuldsſtill werden ſie nie. Das erhitzt mich ſo bei ihnen. Steffens muß ich aber doch ehrlich nennen. Aber ſeine Lektüren ſind ihm, was ihr, der Frau von Staël, ihre Salons ſind.

Leſen Sie auch eine kleine Broſchüre sur la notion du temps von François Baader, und ſehen, was man, und in wel - chem Franzöſiſch, dem ruſſiſchen Miniſter du culte zumuthet. Das hat der arme Saint-Martin nicht gedacht! S. 21. iſt eine herrliche Stelle von ihm angeführt.

Wäre es Sommer, wir in einem Blumenthal, eine italiä - niſche Oper nicht weit, ſchöne großen Kirchen nah, hübſche Menſchen um uns, wir ſprächen von andern Dingen! Adieu! Grüßen Sie tauſendmal Mad. Lindner! Auch Mad. Brede. Liebe, Blumen, Muſik; Luft, Wald, Feld, Sommer, Vögel - ſang: und Intriguen, die ſich darauf beziehen, wenn es denn welche ſein ſollen! Adieu, adieu.

Ihre R.

Von hier iſt nichts zu ſchreiben; alſo iſt mein Brief ſehr viel: denn aus dem Ärmel ſchüttlen iſt eine ſchwere Kunſt.

An Friedrich Auguſt von Stägemann, in Berlin.

Ich hoffe die Ihrigen ſind längſt von ihren Üblen und Unpäßlichkeiten geheilt, da es nun ſchon etwas lange her iſt,und561und der Eintritt des Winters finde Sie unbrauchbar für die Übel, die er zu geben pflegt; eben ausgeſtandene Krankheiten machen öfters für dergleichen empfänglich. Varnh. war bis jetzt wohl, leiſtet aber jetzt eben ſeinen Zoll im Bette wo - vor ich ſchreibe durch ein katarrhaliſches Übel; welches aber ſo wohl bald geheilt ſein wird! Ich bin immer in einem kon - valeszenten Zuſtand; für Andere geſund, für mich nicht. Doch bin ich ſo mit der jetzigen Himmelsluft entzweit geſpannt, hätte ich ſagen ſollen daß ich ſchon drei Wochen gar nicht mehr ausgehe. Bis zu dieſer Zeit hatten wir wärmliches, oft ſchönes Wetter; ſeit der Zeit aber iſt der Winter trocken, ohne Schnee eingetreten, welches nicht gut wirkt. Um dieſelbe Zeit ſtarb nach vielem Leiden der Großherzog; das hat mich ſehr affizirt, da ich ihm perſönlich ſehr gut war: und das größte Grauen terreur vor Bruſtbeklemmung aus Erfahrung habe. Dieſes Ereigniß hat auch die Stadt ſehr ſtill gemacht; das Theater das Aug geſchloſſen; die Geſellſchaften ge - hemmt. Es wird alles allmählig wieder angehen. So iſt es äußerlich hier. Eine Stadt ohne Theater iſt für mich wie ein Menſch mit zugedrückten Augen: ein Ort ohne Luftzug, ohne Kours. In unſern Zeiten und Städten iſt ja dies das ein - zige Allgemeine, wo der Kreis der Freude, des Geiſtes, des Antheils und Zuſammenkommens auch nur aller Klaſ - ſen gezogen iſt. Nichts deſto weniger applaudir ich Sie doch, daß Sie nicht in’s Theater gehen: d. h. es macht mir Ver - gnügen. Laſſen Sie ſich geſtehen, daß kein Theater in der Welt mir den Ärger abzwingen kann, wie das Berliner ſeit Iffland, erſtlich, weil keines mich ſo intereſſirt hat;II. 36562dann, giebt es keines mehr (es hat aber ſchon angeſteckt!) mit ſolchen ſteifen Prätenſionen an ſich ſelbſt. Es iſt eine Zwangsanſtalt für Schauſpieler und Publikum in allen Rück - ſichten, nach und nach geworden das wird Schulz wiſ - ſen! Jetzt braucht man nur die Rezenſionen in den Berli - ner Zeitungen zu leſen; um über die ganz inhaltleeren An - ſprüche, und Beurtheilungen, den Gichter zu kriegen, wie ſie hier ſagen, oder: alle Zuſtände. (So eben iſt General Tettenborn gekommen; er läßt Sie grüßen, und ſeine baldige Abreiſe nach Wien vermelden.) Es freut mich alſo, daß Sie Rache für mich nehmen, an dieſer Anſtalt! die ſo viel gute Elemente ſo hartnäckig und langjährig zu erſticken bemüht iſt. Um ſo mehr aber noch gefielen mir Ihre ſchönen Verſe über Milders-Töne. Es hebt ſo richtig aus Ihren damaligen Gedanken, Situation und Gefühl darüber an, dieſes Gedicht: das iſt bei mir eine große Hauptſache; nämlich das Wirkliche eines Gedichts. Iſt das proſaiſch? mich dünkt nicht; ich halte unendlich auf das Reelle bei allen Eingebungen; es müſſen nämlich welche ſein; ſie gehn aber nur aus dem wah - ren wahrgenommenen Seelenzuſtand hervor: und darum ge - fallen mir oft die pausbackigſten, mit noch ſo dithyrambiſchen Worten in die Silbenlänge gezogenen Gedichte nicht; und aus eben dem Grunde Ihre oft ſo ſehr. Die Sappho möcht ich gerne ſehen; Auszüge haben mir davon gar ſehr gefallen: auch ſagte uns Mad. Schröder dieſen Auguſt hier ganze Sce - nen davon bewundrungswürdig. Mir iſt Mad. Wolff von je her ich kenne ſie aus Berliner Gaſtrollen nicht genug von innen kräftig geweſen. Doch mag ſie viel gelernt, und563 gewonnen haben; und eine Leidenſchaft, die uns in ſo an - dern Zeiten und Gelegenheiten wie Logau ſagt entrückt, ihr mit angelerntem und angedachten Maß ſchon gelingen.

Mir ſind jede Miniſter gleich: es können nur gute ge - wählt werden; da es immer von denſelben Menſchen abhängt. Graf B. aber iſt mir beſonders angenehm, da ich ihn kenne und liebe, ſeit geraumer Zeit: als er feine Weltſtudien in Ber - lin machte. Die ſchöne Gräfin kenne ich erſt ſeit Wien, wo ich ihre Liebenswürdigkeit wahr fand, worauf Briefe von ihr, und Menſchen mich ſchon vorbereitet hatten; ſie war dort von allen Feſten, und ausgeſuchtern Geſellſchaften.

Leben Sie wohl! Lauſchen Sie auf ſich ſelbſt; und Sie finden gewiß ſo ſchöne Gedichte im lieben guten Frieden, als der herrlichſte Krieg ein gewonnener: auch Friede nur immer eingeben kann. Bleiben Sie mir gewogen, und beſu - chen Sie Einmal die Bäder dieſes Landes!

Ihre ergebene

Fr. Varnhagen.

An Roſe, im Haag.

Theuerſte Herzensroſe! Wie hat es mich gekränkt, daß dein ſo erwünſchter Aufenthalt in Brüſſel ſo unglücklich und quälend geſtört war! Der arme Karl! Das iſt ja die Krank - heit, die ich hatte, als du mit Louis niederkommen mußteſt, und wo ich dreizehn Wochen zu Bette und ein Jahr konva -36 *564leszent war. Gott behüte! Was ſoll man dazu ſagen! Das ſind Schickſalsprügel; wovon die Flecke nicht vergehen. Ich ſpreche auch von dir. Ich würde ſagen, ſchone dich, er - heitre dich; wenn ich nicht wüßte, daß dies ganz unnütz iſt. Man thut es doch nicht: im Gegentheil, man will ſparen nach großen Ausgaben, und meint ſchon viel ſchuldig zu ſein, wenn man nur jappt! So rinnt das Leben der Vernunfts - und Schuldigkeits-Knechte hin! Ich aber eſſe doch jetzt jeden Tag ein halbes Huhn: weil nichts ſo leicht Nahrung giebt, und feinen lädirten Organiſationen dieſe ſo ſehr nöthig iſt. Mache dir auch Zerſtreuung, bei deiner Eſelsmilch: d. h. geh an Orte, wo neue Gegenſtände, Worte und Menſchen dich berühren, dir Blut, Leben, Nerven und Gedanken auffriſchen. Wir Frauen haben dies doppelt nöthig; indeſſen der Män - ner Beſchäftigung wenigſtens in ihren eignen Augen auch Ge - ſchäfte ſind, die ſie für wichtig halten müſſen, in deren Aus - übung ihre Ambition ſich ſchmeichelt; worin ſie ein Weiter - kommen ſehen, in welcher ſie durch Menſchenverkehr ſchon bewegt werden: wenn wir nur immer herabziehende, die klei - nen Ausgaben und Einrichtungen, die ſich ganz nach der Män - ner Stand beziehen müſſen, Stückeleien vor uns haben. Es iſt Menſchenunkunde, wenn ſich die Leute einbilden, unſer Geiſt ſei anders und zu andern Bedürfniſſen konſtituirt, und wir könnten z. E. ganz von des Mannes oder Sohns Exiſtenz mitzehren. Dieſe Forderung entſteht nur aus der Voraus - ſetzung, daß ein Weib in ihrer ganzen Seele nichts Höheres kennte, als grade die Forderungen und Anſprüche ihres Man - nes in der Welt: oder die Gaben und Wünſche ihrer Kinder:565 dann wäre jede Ehe, ſchon bloß als ſolche, der höchſte menſch - liche Zuſtand: ſo aber iſt es nicht: und man liebt, hegt, pflegt wohl die Wünſche der Seinigen; fügt ſich ihnen; macht ſie ſich zur höchſten Sorge, und dringendſten Beſchäftigung: aber erfüllen, erholen, uns ausruhen, zu fernerer Thätigkeit, und Tragen, können die uns nicht; oder auf unſer ganzes Leben hinaus ſtärken und kräftigen. Dies iſt der Grund des vielen Frivolen, was man bei Weibren ſieht, und zu ſehen glaubt: ſie haben der beklatſchten Regel nach gar keinen Raum für ihre eigene Füße, müſſen ſie nur immer dahin ſetzen, wo der Mann eben ſtand, und ſtehen will; und ſehen mit ihren Augen die ganze bewegte Welt, wie etwa Einer, der wie ein Baum mit Wurzlen in der Erde verzaubert wäre, jeder Verſuch, jeder Wunſch, den unnatürlichen Zuſtand zu löſen, wird Frivolität genannt; oder noch für ſtrafwürdiges Benehmen gehalten. Darum mußt du und ich ein wenig an - gefriſcht werden! Varnh., gleich nachdem wir deinen Brief geleſen hatten, vergaß alle Verabredungen mit manchen Freun - den für künftigen Sommer, und ſchlug mir gleich vor, zu dir zu gehen nach Geſundheit und Jahreszeit. Ich ſtellte ihm die Sache vor, wie ſie iſt: und er ſah es gleich ein. Mit dir aber, theure liebe Roſe! mag ich jetzt noch von keiner Reiſe reden: wozu dies im Januar, da es bis Juni Zeit hat.

Auch ich thue nichts Unſinniges und Verſchwendriſches: bei der größten Freiheit: und bin ein untergehender Sklave der Vernunft, ſo nennt man mit Recht das, was man für’s Erſprießlichſte erkennt: nur beurtheilt man dies zu oft aus nicht hohem Geſichtspunkt genug, und zu untergeordnet: das566 iſt auch mein Fehler: und ich ſchade Geſundheit und beſſerm, höhern Leben damit; weil die nur im höheren Leben gedeihet. Seit Mitte Novembers war ich zweimal aus: ich mußte das Wetter meiden: und bin doch nur paſſabel geſund: wie du’s kennſt: jedoch hab ich große Anfälle vermieden. Varnhagen iſt ſeit dem Tag vor Sylveſter an einer Grippe zu Bette ge - weſen: recht krank. Ich hatte es ſchlimm: ſein Zimmerchen war warm und klein, und ich mußte immer durch Kälte da - hin. Das that mir Schaden. Auch bin ich krank und imbé - cile von Ideen - und Zerſtreuungsloſigkeit. Das kann ich nicht: konnte es nie!!! Doch geht’s jetzt: par ci par kommt Einer. Ich kann wegen Blutſteigen und meiner Augen nicht ſtets leſen. Doch leſe ich viel. Du ſiehſt meine Handſchrift, nachgrade nun werde ich nervig. Schreibe mir bald, Ge - liebte! Daß du die Catalani hörteſt, iſt mein Troſt! Auch freut mich ſehr dein Schiller und Goethe. Studire den letztern ſehr! Iſt ſein Leben und alles von ihm dabei?

Adieu. Liebes Kind! Schreibe mir bald! Von zu Hauſe krieg ich auch nur ſo wenig Briefe, und ſo wenig drin als möglich: auf dem Ort iſt mein Herz hart gebrannt. Adieu.

Deine R.

Dore grüßt ſchön! Auch Hrn. Aſſer. Ich auch noch Ein - mal! er ſoll ſich noch lange pflegen und ſchonen, und Cham - pagner trinken und Eiſentropfen gebrauchen. Das waren da - mals meine guten Mittel.

567

An[Aſtolf] Grafen von Cuſtine, in Paris.

Iſt es möglich, lieber Freund, daß Sie mir ein Wort aus Paris ſchreiben? wo Sie ſeit wenigſtens ſechs Wochen ſein müſſen, und wo Ihnen doch ſo vieles begegnet ſein muß. Se - hen Sie Ihre vorjährige Kotterie? iſt es Ihnen unbehaglich? Haben Sie andre angenehme Gänge? Gehen Sie ſpaziren? Schreiben Sie mir Erfriſchendes! Alles. Mein Winter war ſo voller Unpäßlichkeit, daß ich ihn bis vor drei Wochen in der ertödtendſten Einſamkeit, zu Hauſe zubringen mußte; weil jeder Verſuch zum Ausgehen mir wenigſtens noch acht ſchlech - tere Tage, und beſonders Nächte machte; er war ſo trocken für mich in allem was mich beleben und nähren ſollte, daß ich ſelbſt trocken und dürr davon geworden bin: mich nicht durch mich allein zu erholen vermag; und hoffnungslos warte, es möchte etwas kommen! In ſolchen grimmigen Stimmun - gen mochte, und konnte ich Ihnen nie ſchreiben: was hilft das Beichten an Freunde; das Beten zum Himmel: mich dünkt oft, man ſetzt beide in keine gute Verfaſſung, wenn uns doch nicht geholfen werden kann oder ſoll. Das Dekret von oben: ich ſoll vernünftig ſein, das kenne ich. Und eben weil meine innerſte Natur mich einzig zu Befolgung dieſes Gebots treibt, fühl ich mich eigentlich elend, oder vielmehr dies iſt mein ganzes Elend. Frei bleiben ewig die Wünſche und Bedürf - niſſe unſers Herzens! dies iſt abſolut ausgemacht; und heißt: wir ſelbſt können unſere Natur, und die Thätigkeit ihres We -568 ſens nicht ändern; wir ſind nur die fühlende Einſicht derſel - ben: und wird ihr widerſprochen, und wir ſehen ein, daß auch das richtig in einem andern Sinne iſt, und wir uns unter - ordnen ſollen: ſo iſt, und bleibt uns weh; mit, und aus Vernunft. Was kann man alſo thun, als ſeine Schmerzen fühlen, und ſie ſich machen helfen! Dabei lieb ich meine Natur, und ihre Anſprüche; und tödte doch, bleibe in Einem Tödten! und wenn ich Freunden gegenüber bin, und dies nur mit Tinte und Feder, und das wogende Leben uns nicht trägt, in deſſen tauſendfältigen Wellen ſich doch un - endliche Lebensbilder abſpieglen müſſen, die uns zerſtreuen müſſen: ſo fällt mir nur das Reſultat ein, der eigentliche Jam - mer des Facits; und den trag ich Scheu immer vorzutragen. Das die Beſtandtheile meines Schweigens! Auch Varnhagen war an fünf Wochen krank: drei zu Bette; und ich ſeine Wärterin: welches, da er in einem kleinen Zimmer mit eiſer - nem Ofen zu liegen kam, und ich durch kalte Räume zu ihm mußte, und es doch nie lange bei ihm aushalten konnte, alſo immer hin und her lief, und ich unpaß mir ſehr ſcha - dete. Mein Rheumatism im Kreuz will keine Art Anſtrengung mehr erlauben: ich kann keine halbe Stunde ohne Schmerzen mehr gehen; durch eine neue Erkältung von dieſem Sommer aus Komplaiſance! Mein Arzt iſt nicht ſchlecht, aber er überſieht mich nicht: folglich auch meine Übel nicht. Koreff weit weg! Karlsbald wäre mir gut, meine ich. Das iſt aber ſo weit: und mit einer Jungfer allein hin, iſt auch übel; und die Zeit der Kur hart: und ich auch dort ohne ärztliche Di - rektion. Kurz, alles ſchwer Kommen Sie denn noch mit569 Mama? Noch denk ich’s. Und Köln wollen Sie ſehen! das verrückte Neſt. Dieſen leider verſteinerten Koloß der alt - fränkiſchen Tollheiten und Unbequemlichkeiten, den ſie jetzt ſo berühmt machen wollen! Wo einem unſinnig drin zu Muthe wird. Eine Stadt, die keinen Mittelpunkt, keinen Corſo, kein Geſicht hat; keine Ausſicht: die ſelbſt dem Rhein das Hinterſte zukehrt. Auch der Dom iſt nicht, wie der Wiener, der Straß - burger, erhebend, Ruhe gebietend: nur für einen mit Kunſtſinn und techniſchem Urtheil ausgeſtatteten Bauverſtändigen kann er Intereſſe haben; wir haben keinen Eindruck davon; ſehen Latten und Bretter. Unſere Regierung und ihre Legaten ar - beiten ſich ab, dem Modegeſchrei Genüge zu thun und den dekrepiten Koloß wieder aufzupäpplen: aber mache mal einer einen ſterbenden unartigen Greis wieder zum friſchen, nah - rungsgedeihenden, aufwachſenden Kinde! Zwar iſt es auch ſchwer, ſolches Unthier untergehen zu laſſen; nur ſoll man die alte Zeit nicht durch ihn herzuſtellen glauben; die iſt vorbei - gefloſſen wie der Rhein. Köln iſt ein Wahrzeichen römiſcher Herrſchaft außer römiſchen Landes; römiſchen Untergangs; deutſchen Aufſtrebens; geſchickt, und ungeſchickt: und nie Rom los werdend, bis heutiger Stunde; wir hieſigen Völker alle! Wenn man’s abzeichnen, und dann abbrechen, und neu und bequem konſtruiren könnte, ſo wär’s ein Glück! Da komm ich Doktor Schloſſer gut an! und vielen Neuern! Ich glaube, Bärſtecher wird mir eher beitreten. Alſo wann reiſen Sie? wann kommen Sie? Nicht ſo ſpät! Sie theilen Mama mei - nen Brief mit: Sie können ihn gut überſetzen. Sie verſtehen vortrefflich mein Deutſch, und mein Franzöſiſch! zwei fremde,570 neue Sprachen! Nicht aus Affektation. Ich kann nicht an - ders. Mir hilft alles Leſen nichts. Manches hab ich dieſen Winter geleſen. Vieles war gut und gefiel mir. Ich las auch mehreres von Lavater. Den lieb ich von ganzer Seele! Er iſt brav. Geiſtreich; voller Einfälle; gütig: ungeduldig; nämlich, übt die höchſte Geduld mit Menſchen aller Art; von allſeitiger, und tiefer gütiger Einſicht. Nach der Bibel re - ligiös: mit ſo vieler wahren erhabnen Religion, daß ich ihn liebe, wenn er unzubehauptende Dinge behauptet. Ein eng - liſcher Menſch! Leſen Sie, wenn Sie es nur irgend bekom - men können, gleich vielleicht auf der reichen Pariſer Bi - bliothek; hat ſie auch Deutſches? fragen Sie Hrn. Oelsner, vielleicht hat der Bekannte, die deutſche Bücher haben Ausſichten in die Ewigkeit, von Lavater, in Briefen an Zim - mermann. Wundergöttlich. Dies Buch allein hat mich die - ſen Winter oben erhalten. Sonſt hätte ich mich für geſunken halten müſſen. Noch ſcheint mir dies Buch wie warme lichte Sonne in meine Zeit. Laſſen Sie ſich nicht abſchrecken von mancher präkautionirenden Weitläufigkeit in dem Buche, der arme Lavater mußte ſich der damaligen Geiſtesepoche beugen; es war die der vielleicht präſumtuoſen Aufklärung, er thut es mit Grazie, und Geduld, und Ungeduld: wir lernen jene Zeit und ihre Schwierigkeiten daraus kennen, und unſere tüchtiger auch ſchon als eine ehmalige beurtheilen, und ſehen flache Stüfchen mit großer Anmaßung betreten: auch der arme Racine in ſeinen Briefen, vorzüglich an Boileau mußte ſich wieder einer andern, der bigotten Zeit, oder vielmehr dem bigotten Hofe mit einem Beichtvater-Einfluß, fügen. So571 hemmen die Begränzten die ſeltenen ſchönen Schwingen unſe - rer Vornehmſten! Neulich las ich in zwei Abenden wie - der Phedre, Eſther, Iphigenie und Athalie mit Leidenſchaft, Ehrfurcht und Entzücken! Mit höchſter Liebe. Je mehr ich verſtehe, je mehr bewundre ich den engliſchen, ſüßen, ſtarken Racine. Adieu!

Ihre R.

Fürſt Hardenberg ſoll nach Italien gehen; ſagt man? Ich habe Koreff gefragt, ob’s wahr iſt. Mit einem Kourier.

An Oelsner, in Paris.

Dies wird nur ein Freundesgruß, der Ihnen einen künf - tigen Brief ankündigen ſoll. Schreiben Sie nur hübſch wei - ter! Auch ich werde Ihnen melden, was ich weiß, d. h. was ich denke über alles Altfränkiſche: mir kommen die Tages - dummheiten durchaus als ſolches vor. Kopfungelenkigkeit; Herzenskälte, Stagnation darin; und Dünkel, da man Ein - mal nicht hinter dem Pfluge ſteht und hinter dem Spinnrad ſitzt; das irrt Gemeine, und täuſcht ſie bei Schlepprock, und Manſchette! Adieu! Viele Grüße für Sie und Mad. Oels - ner! Wenn Sie ſchöne Pariſer Frühlingsbouquette ſehen, ge - denken Sie meiner! An ſolche Sachen denk ich. Haben Sie die Cuſtine’ſche Familie geſehen? Sind die ſchon oder noch in Paris? Iſt Gräfin Schlabrendorf noch dort? Ant - worten Sie gütigſt auf dieſe Fragen! Leben Sie wohl!

Ihre R.

572

Wenn es irgend paſſen will, und thunlich wird, ſo komme ich zur Hochzeit: obgleich ich keine Hochzeiten von Kindheit an liebe. Sage dem Bräutigam, ich ge - dächte ihm dann auch durch die That zu beweiſen, durch einen Ball, wie ſchön, heilſam, erfreuend und ergötzend das Tanzen ſei! und ich hätte noch ganze Batterien von Raiſon - nement, die er mir erſt erſtürmen müßte. Die ſchönſte Kunſt! Die Kunſt, wo wir ſelbſt Kunſtſtoff werden, wo wir uns ſelbſt, frei, glücklich, ſchön, geſund, vollſtändig vortragen; dies faßt in ſich, gewandt, beſcheiden, naiv, unſchuldig, richtig aus unſerer Natur heraus, befreit von Elend, Zwang, Kampf, Beſchränkung und Schwäche! Dies ſollte nicht die ſchönſte Kunſt ſein? Gewiß, ſie, und die andre, welche entſtünde, wenn die Sittlichkeit bis zur ſichtlichen Darſtellung ge - ſteigert oder gebracht werden könnte, verdienten vor allen die - ſen Namen, weil ſie uns ſelbſt idealiſch und frei darſtellen, alle andern aber nur Ideen und Zuſtände unſerer beſten Mo - mente. So denk ich’s mir; ſo fühlte ich’s von Kindheit an; und am reizendſten von allen Künſtlererſcheinungen ſchwebte mir die der vollkommenſten idealiſchen Tänzerin vor! Was iſt das bischen größere Dauer der andern Muſenkünſte? Sind ſie nicht alle nur ein Auftauchen aus unſrem bedingten Zuſtande? Und iſt nicht die Höhe, die Reinheit, die Voll - ſtändigkeit der Geſtalt dieſes Zauberaufſchwungs ein beſſeres Maß des Werthes der Künſte, als die, zwar nützliche, Dauer derſelben?

573

Rottecks Ideen über Landſtände. Vorerinnerung. S. 4. Die philoſophiſche Theorie läßt alles Vorhandene auf ſeinem Werth oder Unwerth beruhen. Daſſelbe mag als hiſtoriſch Begründetes, überhaupt, als Gegebenes, ſeines beſondern Rechtes ſich erfreuen. Das Wort hiſtoriſch ſchlägt keinen reinen beſtimmten Ton im Ver - ſtändniß an, und wird daher jetzt beſonders gemißbraucht. Alles Ereignete, was ſich ereignete, iſt nicht hiſtoriſch. Was ſich ereignet, dies gehört ganz gewiß mit zur allgemeinen, großen Entwickelung in der uns bekannten Natur, des Men - ſchen Geiſt und der Menſchen Zuſtand mit eingerechnet; aber hiſtoriſch iſt nur das, was die weiſeſten Leute, Beobachter, Hiſtoriker, wie auf einem Faden aufgereiht uns darzuſtellen für würdig fanden, weil ſie es in ſeinen Beziehungen auf Entwickelung nöthig hielten. Nöthig iſt auch alles, was ſich nur ergeben mag, für Weſen, die das Univerſum in ſeinen Bedürfniſſen und Zwecken überſchauen: für Menſchen aber bleibt nur wenig hiſtoriſch: und alle ſchlechten Einrichtungen, oder gute für ſchlechte Dinge, und Anſtalten müſſen abgetra - gen werden, zerſtört, und ſind, weil ſie Schlechtes befördern wollen und nicht die beſſern Anſprüche im Menſchen, nur ſimple Ergebniſſe, Ereigniſſe; und müſſen nicht hiſtoriſch Begründetes genannt werden; damit man es auch gleich an ſeinem Namen erkenne, und es Verwirrten keinen Anlaß gebe, in der Verwirrung mit ehrwürdigen Worten eingeengt zu bleiben.

574

An Auguſte Brede, in Stuttgart.

Dienstag Mittag, Gewitterſchwüle.

Alſo ſolche Ehre muß ich von Ihnen erleben! Clairon läßt Voltaire’s Wageſchale ſteigen; ſchon trägt die Schröder Grillparzer mit auf ihrem Fittig, und Auguſte unſern Uhland auf dem ihrigen zum Parnaſſus! Dies freut meine Seele aus hundert Urſachen! Athmet doch unſer Land wir müſſen noch immer dabei ſagen: Deutſchland auf allen Le - benspunkten auf. Wird doch der Willen ſtark und flott! Bekömmt doch Deutſchlands Praſſer, Wien, einen Dichter, und hat eine begabte, eine erkannte Künſtlerin, die ſich einander heben, halten und ſteigern, die ſich lieben, und für einander wirken. Hat doch Stuttgart einen Berliner Ableger, der dort mehr, als in ſeiner Heimath, wirken kann, aber als Stutt - garter es nicht gekonnt hätte; ſind Sie doch in der ſich der Stockung und Trauer überlaſſenden Mittel-Kapitale der Vor - ſtand und Ermunterer der Bühne und des Dichters! Sehr ſchön war, was Sie bei Eröffnung des Theaters nach der Trauer um die Königin vollführten; vortrefflich ſollen Sie das Gedicht geſprochen haben, mit ſchöner Stimme, und das Ganze ausgeführt. So erzählte Lindner. Ein Glaubenbeizu - meſſender. Schöne Sappho gegeben haben; hört ich auch ſchon von Küſters! ſo wetzen Sie das Intereſſe für’s Thea - ter; darin iſt alle Kunſt, aller Sinn dafür mit einbegriffen; ja auch das Nachdenken überhaupt geweckt; bei einem großen Theil zuerſt, und auf die einzig mögliche Weiſe. Geſtern575 kam ein Herr aus Stuttgart, ein Freund Uhlands, und er - zählte von Ihrem letzten Ruhm. Ernſt von Schwaben, ſo glaub ich heißt das Stück, ſollen Sie vortrefflich gegeben haben: und auch Eßlair. Uhland erkennt es ganz an; und hat Ihnen einen ſchönen Brief geſchrieben! und einen an Varn - hagen, wo er Sie über alles lobt! Und ich mache, als wenn ich’s ſo gut geſpielt hätte; und ich ihm ſein Stück durchgebracht hätte! Beſonders krepirt’s mich, daß Ihre Stimme ſich ſo gebeſſert hat! warum ſollen wir ollen Berliner das expreſſive Wort krepiren nicht auch im guten Sinn, der Verſtändlichkeit wegen, gebrauchen? Aber nun, theure Auguſte! ſtrengen Sie ſie nicht etwa zu Ihrer eigenen Satisfaktion doppelt an! ſondern ſein Sie dankbar gegen dieſe Gute, und laſſen Sie ſie gewähren! Gehen Sie ja wie - der nach Karlsbad! und thun Sie Ihrer Geſundheit alles Gute an: und geben Sie auch der recht nach! Das einzige Heilmittel für kroniſche Übel, Anlage-Krankheiten: ich weiß dies durch’s Gegentheil. Es muß Ihnen doch rechte Freude verſchaffen, daß Sie in Stuttgart nun ſo Fuß gefaßt haben, und ſo gut wirken können; es iſt ſchwer am deutſchen Wagen ziehen; ſeine Räder ſtehen noch nicht ſymmetriſch zu beiden Seiten; und Viele nehmen dies ſogar zur Ausrede, wenn ſie helfen ſollen: die, von denen zur Zeit noch Hülfe kommen kann, müſſen noch ein wenig, wie die wildern Abkömmlinge, ſich behelfen; ſelbſt Radmacher, Schmidt, Lenker, oder Vor - ſpann abwechslend ſein können. Aus Ehrfurcht nenn ich keine Nation, bei der das noch der Fall iſt: bei großer Bil - dung müßt er wieder kommen, dieſer Fall, dünkt mich . 576Es mag in Stuttgart jetzt doppelt nöthig, und dreifach ſchwer ſein. Man accentuirt jetzt in der Welt, und an den Höfen zu ſtark auf Trauerfälle, und Ehe, und Moral, und Ökono - mie, und allen Ernſt, und alle Noth, und ihr Gefolge. Man merkt ſtark, daß Etwas ſehr traurig iſt; und meint es mit Ernſt, Schwitzen, Faſten und Darben, thätigen Mienen, und großem Anlauf ohne Ziel wozu man einen Zweck und Grund haben muß abhelfen zu können! Dem freu - digen geſunden Herzen, welchem in jedem Vorhaben und Ge - genſtand nur die Wahrheit heißt, ihr ungehemmter, natür - licher Zuſammenhang gefällt, dem laſſe man freien Lauf, und man wird keine Trauer-Mienen und Anſtalten, keine auf das innerſte Leben ſich beziehende Ökonomie mehr brauchen. Wahrheit raus! Wahrheit aus den düſtern Löchern! Solch Jagdgeſchrei möcht ich Einmal hören. Welch flottes Leben ginge nach ſolcher Jagd Einmal an! Werden Sie aber nicht müde! und helfen Sie wo Sie nur können: mit Wort, und That! Sie haben ja noch größre Pflichten: weil Sie größere Mittel haben; Sie ſind ſchön, und Sie haben ein Talent, und eine Stelle. Immer nur die Wahrheit, und immer wieder; und ſollte ſie auch nur als Samen ausgebracht werden müſſen. Dies iſt die ganze Kraft des Geiſtes, da wirkt er in die Natur ein, abſolut wie ſie; immer neu, un - fehlbar befruchtend. Und ich will die weiße Fahne ſein, wie Klärchen im Egmont; und ſelbſt meine Lumpen gebrauchen: ich will Sie und alle Freunde aufmuntern; und als Fahne, Einen dem Andern zuweiſen, zeigen. Ich habe jetzt einen neuen Freund, Doktor Börne in Frankfurt a. M. Ich hab ihn577ihn nie geſehen. Den preiſe ich Ihnen dringend an! Er ſchreibt ein Journal, die Wage; das muß Ihr Freund hal - ten, oder noch viel beſſer! machen, daß es auf dem Caſino gehalten wird. Mir empfahl es Gentz. Als das Geiſtreichſte, Witzigſte, was jetzt geſchrieben würde; er empfahl es mit dem enthuſiaſtiſchſten Lobe; ſeit Leſſing, ſagte er mir nur ein Artikel darin ſeien ſolche Theaterkritiken nicht erſchienen! Ich glaubte natürlich Gentz. Aber weit übertraf das Werk ſein Lob: an Witz, ſchöner Schreibart. Er iſt ſcharf, tief, gründlich-wahr, muthvoll, nicht neumodiſch, ganz neu, ge - laſſen wie einer der guten Alten; empört, wie man ſoll. Und ſo gewiß ich lebe, ein ſehr rechtſchaffener Mann. Keck, aber beſonnen. Kurz, mein großer Favorit. Wenn Sie ſeine Thea - terkritik leſen, und nie die Stücke geſehen haben, die ſie be - trifft, ſo kennen Sie ſie, als hätten Sie ſie vor ſich. Den Stücken zeigt er ihren Platz an: Mad. Weißenthurn den ihrigen. Machen Sie ja, daß es angeſchafft wird, bei allen Ihren Freunden. Sie lachen ſich geſund. Andres von ihm kenne ich nicht. Gentz tadelte ſtark ſeine politiſchen Meinun - gen, fand aber begreiflich, daß er ſie hätte. Varnhagen iſt enchantirt über den Succeß ſeines Uhland. Rausgerufen! Hochzeitball! Aus den Erbſchleichern. Man ſagte uns, Hof und Adel ſei nicht viel bei der Vorſtellung geweſen. Schade! Solche ſchöne Bewegung unter den Leuten ſollte nicht ohne ſie Statt haben. Falſch! Hof! falſch! Erſter Rang! Robert freute ſich auch ungemein, und grüßt Sie. Grüßen Sie den ſtummen Uhland von mir. Selbſt der größte Dich - ter muß ſprechen: er hindert mich ja, ſeine Werke zu leſen,II. 37578wenn er da iſt; und muß mir das erſetzen! Adieu, Herzens - tochter. Ich umarme Sie. Es bleibt beim Beſten, beim Alten!

Ihre R.

Ich grüße Lindner! und bin ſehr böſe über Mad. Huber, daß ſie da als Stiefmutter Weisheit Uhland den Morgen in ihrem Blatt verdirbt. Was ſoll das vorſtellen? Soll ich ihr Börne ſchicken? Adieu!

Was als wahr und folgerecht gedacht werden kann, alſo als möglich, als wirklich möglich durch die Kenntniß all ſeiner Bedingungen, iſt auch ſchon wahr, und wie in Samen und Knospe enthalten da. Und es iſt kein Unterſchied zwiſchen Denken, Produziren des Geiſtes, oder Wirkungen des Mate - riellen: wir können den Zuſammenhang nur nicht finden, wo - durch es eines dieſer, beſtimmt wird. Nach allen Richtungen hin kann man den ſuchen; vorwärts, rückwärts; in uns; das heißt, an den Geſetzen unſres Denkens entwicklen, oder durch unſer Denken, an Gegenſtänden der Sinne. Auch dieſe, ſo kategoriſch ſie rufen , ſo einfach ihre Wirkung ſcheint, ſind unendlich komplizirt, und ein Reſultat, ein Zuſammenwirken unendlich geübter und komplizirter Anlagen. So iſt gewiß ein Fortſchreiten! All unſere jetzigen verſchiedenen Fertigkeiten werden eine bilden, und wir einen neuen Sinn erhalten. Al - les dies, um uns perſönlich zu fühlen. Wir erkennen nichts Abſolutes; nur fühlen wir uns, als gutes Wollen: und den - ken wir uns Gott, als Urgrund und Urwirkung, weil wir eine haben müſſen, ſo verſtehen wir doch auch dieſen wieder nicht;579 und nur, wenn wir ihn uns gütig vorſtellen, bekommen wir einen Grund für ſein Wollen unſerer. Dies iſt eigentlich das höchſte, feinſte, ſicherſte, ſublimſte Reſultat, was wir wiſſen und ſind. (Beim Leſen des Buchs vom alten Lindner.)

An Varnhagen, in Karlsruhe.

Abgekühltes Wolken-Sonnenwetter.

Bis jetzt war der König von Baiern mit drei Prinzeſſin - nen in der Allee, und alle Menſchen, ich auch: mit Fräulein Medikus, dann mit Löwenſteins und Zepelins. Mit Küſters kann man nicht bleiben: ſie bleiben nicht. Fräulein Medikus iſt eine genaue alte Bekannte aller baieriſchen Herrſchaften; mit der Vicekönigin und der Kaiſerin von Öſterreich erzogen; der König auf einem Spaß-Fuß mit ihr. Fürſtin Löwenſtein giebt heute den Thee in den Anlagen, wo ſolcher Tiſch mit Bänken auf der Höhe ſteht; nicht in der Holzhütte. Graf Jenniſſon mit einem engliſchen Sohn, iſt hier; der ihm in Heidelberg, Stuttgart und Darmſtadt ſo gelang. Er erinnerte ſich meiner artig; kennt Zepelins ꝛc. und wird von unſerm Thee ſein. Seldenecks ſind ſeit vorgeſtern mit Fräulein Fiſch - bach hier, und reiſen gegen Abend nach Karlsruhe; die letztere wird zu mir kommen auf ein Weilchen: ich hoffe, du kommſt nun auch bald; Herr von Lotzbeck hat ſeiner Frau geſchrieben, bis den 15. ſeien die Stände aus: dann ſei das Budget her - aus, und darauf würden ſie vertagt.

Du erinnerſt dich, Auguſt, wie früh ich die Bewegungen37 *580des vorigen Sommers einſah! Ich will wieder prophezeihen, was ich in der Seele ſehe, mit dem Geiſt, wie mit den Augen. Wie Hamlet, wollen ſie gern etwas Entſetzliches thun, wiſſen aber nur noch nicht was. Dann kommen ſie immer zuſam - men, und wie ſie ſich imponiren, erwarten ſie dieſe Wirkung auch auf die Welt; auch erwarten die Größern etwa Einfälle, Witz, Gelehrſamkeit von den Kleinern, und die Kleinern Ge - wicht und Exekution von den Großen. Für’s Erſte giebt’s Apparat, Aufſchub, Auszeichnungen u. ſ. w. Das vor vier Jahren gegebene Verſprechen gewiſſer Einrichtungen iſt ihnen wie ein Kind erwachſen; mit Anſprüchen, Talenten, Kräften und Rechten, an welche die meiſten Eltern bei Taufe und ih - ren Feſten, und wenn das Kind noch lockige Härchen und Phantaſiekleider trägt, und ihrer Eitelkeit ſchmeichlen muß, gar nicht denken. Nun wollen ſie ſich gegen ſolche Unbequem - lichkeit noch nach ausdenken, was man für Geſammtmaßre - geln zu nehmen hat. All dergleichen will Einer von den An - dern erfahren. Sonſt, bin ich überzeugt, führt ſie nichts Be - ſtimmtes. Beſtärkung in der alten Geſinnung und neuen Beſorgniß wird das Einzige ſein, was ausgerichtet wird. Das ſieht mein Geiſt: laß dir das bischen Leſen ſeines Geſichts ge - fallen! höchſtens hab ich Unrecht.

Ich begreife ganz deine Gedankenrichtung, und Stim - mung. Freilich bringt einen die Winzigkeit und Verwirrung bis zu den höchſten Dimenſionen und Punkten! Du glaubſt nicht, Auguſt, wie mir die Geſellſchaft ſcheint! mit dem Talent, was du mir für ſie zugiebſt . Die man kennen lernt, denken gar nicht: bekannte, ihnen zugekommene Phraſen ha -581 ben ſie, mit denen ſie würflen: ja, ſag ich immer, ſo! und höre die ganze Geſchichte, die ganze Behauptung nicht, die ſie vortragen. So geſtern; wo Lotte, und Mutter, Gerns - bach hin, Gernsbach her, in dieſer Art ſprach. Arnim war mit uns, der in den Fuß geſchoſſene: es war ſehr ſchönes Wet - ter: hin, unten gefahren; her, über die Berge; um ein Vier - tel auf 9 hier; dann mit Allen im Saal.

Du irrſt, mein geliebter Freund, wenn du denkſt, ich könne allein beſſer mit den Leuten fertig werden: vielleicht mit der Länge der Zeit: jetzt nicht. Und ich mag hin und her denken wie ich will: es bleibt bei der Blume vom Stiel. So fühl ich mich. Sei du nur vergnügt; vergiß mich nicht; d. h. komme, wenn du kannſt. Aber quäle dich auch deß - halb nicht!

An Varnhagen, in Karlsruhs.

Kalte Luft, helle heiße Sonne. Ein Götter-Sternenhimmel geſtern Abend: nach allerlei Wetter.

Mit unendlichem Vergnügen hörte ich geſtern von Hrn. von Ende, der einen Augenblick im blauen geſtickten Rock hier war, die baieriſchen Herrſchaften, und Frau Markgräfin Frie - drich zur Verlobung einzuladen, daß keine fremde Miniſter dabei ſein würden, und war nun gewiß, daß du den Sonntag kommſt: und doch ſchreibſt du mir in dem heut erhaltenen Brief wieder nur, vielleicht. Aber genire dich nicht, wenn du nicht kommſt, ſo komme ich. Die Hochzeitfeſte werden dich582 nun wohl auch dort halten; jedoch haben ſie noch während dem Ständeweſen Statt, und geniren bloß. Du ſchreibſt mir doch noch, ob ich dich zu Sonntag ſehe! Börne’s Ankündigung iſt prächtig! Ach! wie lebendig noch: ſie rei - ben’s einem ab! Der Milder will ich gleich nach dieſem Brief antworten. Oelsners Brief iſt auch ſehr ſchön. Ach! wär ich nur bei dir! Du taugſt dir nicht allein! Hätten wir nur unſere Prinzen mit einander geſehen! Schreiben mag ich nichts. Die Empfindungen eines Bruders hat er mir gemacht. Nur Geſchwiſter können einen auf die Art freuen und ärgern.

Die Schriften, die du mir geſchickt haſt, gefielen mir ſehr. Wann werden die Altfränkſchen gewahr werden, daß ſie kein Menſch mehr für geputzt und ſchön angezogen hält? Dieſes Wann meine ich ohne alle hergebrachte Ironie: ich kann mir den Augenblick nicht denken, der es ihnen evi - dent machen wird, daß dergleichen dumme Worte, wie ſie gebrauchen, keinen Sinn haben, und von niemand für eine Gegenrede oder Vorſchlag gehalten werden: welch Ereigniß muß ſich dazu einſtellen, losbrechen, oder auseinanderlegen? Ich frage dies? Ich glaube, viele vornehme deutſche Beamte leſen alles dies nicht; und denken: Dummes, gedrucktes Zeug! wir werden das ſchon beſprechen! Sonſt müßte ihre Auf - merkſamkeit mit Bürſten wach gerieben werden! Es iſt unbe - greiflich, den Feuerlärm nicht zu hören, wenn man auch keine Gluth ſieht, und fühlt. Es antwortet ihnen ja die ganze Welt! in allen Sprachen, auf jede dumme, oder Ausrede! 583Adieu! theuerſter und einziger und immer lieberer Freund! In jedem Fall ſehe ich dich bald.

Deine R.

Wie dacht ich in dem üppigen, Licht und Schatten hegen - den Lichtenthal an dich geſtern!

An Varnhagen, in Karlsruhe.

Mord-Schlagregen, der nie wieder aufhören kann: grau, ſo weit die Blicke reichen; und obgleich es ſeit geſtern halb 9 reg - net, ſo iſt er noch immer heftig.

Das geſtrige Wetter beſchrieb ich dir; ſo wechſelte wahr - haft kalter Wind mit drückender Sirocco-Luft ſchnell und oft ab. Um ein Viertel auf 7, ich war eben mit Gräfin Mülli - nen von einer Lichtenfahrt heimgekommen die mir grade gnügt, und recht iſt als ein ſolcher Sturm entſtand, daß ich einen Moment für’s Haus fürchtete; ſchnell war er vor - über, und hatte die drückenden Wolken auseinander getrieben, und etwas Luft gemacht. Ich ging zu Zepelins, und Robert und Andere nach dem Saal; und war, da es doch wieder regnigt wurde, unentſchieden über’s Konzert, Berge ſteigen, zwei Florin zahlen, naß werden! Aber in der Saalthüre begegnete mir Zepelin, und fragte mich, ob ich mit in’s Kon - zert wollte, redte mir zu, du kennſt meine Schwäche, meine Sänger - wie Schmetterlings - Sammlung, ich ließ mich gleich bereden; ging nur zu den Damen, und ſagte ihnen, daß ich weggehe: und verſprach, nach dem Konzert zur Grä - fin Zepelin zu kommen. Hinauf mit dem Mann! Paſſabel584 Menſchen. Ceſars. Die Königin von Baiern mit den ſechs Töchtern; die alle, ich habe ſie nun lange genau geſehen, ſchauende Geſichter haben, Phyſionomie, unaffektirtes aus den Augen ſehen; nichts Verzogenes an ſich haben; ganz reine Naturen; und die gehörige natürliche Aufmerkſamkeit auf al - les was ihnen nur vorkommt; nichts Anerzogenes, Familien - artiges; was ſo leicht bei ſechs vorkommen kann, und bei beſtimmten Hofmeiſterinnen. Sie ſind nicht ein bischen ver - ärgert, oder über irgend etwas empört geweſen, ſondern neh - men die Welt klug und gutmüthig auf. Sie gefielen mir ſehr; Gott gebe, daß ſie ſo bleiben! für alle Länder, wo ſie hinkommen können: und für ſich ſelbſt. Ich verſichre dich, jede aparte, hat eine andere, und hübſche Phyſionomie; ei - nige auffallend bedeutend; alle angenehm und natürlich, du ſiehſt ich ſtudirte ſie den ganzen Abend. Dazu gab die - nigin gute Gelegenheit, die die Pauſe unendlich verzögerte, erſt mit dem franzöſiſchen Geſandten Grafen Lagarde ſpre - chend, der im Überrock dicht hinter ihr ſaß, und mit dem ſie auch oft während des Konzerts ſprach: und dann zur Signora Spada hinſchreitend, vor den Muſikern vorbei, bis an den Kanapé und Spiegel an der Wand, wozu Signora Spada aus einem Nebenzimmer herein treten mußte; wo ſie andert - halb Viertelſtunden ſich mit ihr unterhielt: ich begriff den Gegenſtand des Geſprächs nicht, wenn auch den Grund. Die Königin mochte mit einer Dame, die ſich dort befand, nicht ſprechen; das war zu deutlich! Unterdeß ſprachen alle ſechs Prinzeßchen, ſich hin und her bewegend, ſtehend, anlegend, munter, und beſcheiden, mit Fürſtin Fürſtenberg, die auch in585 der erſten Reihe Stühle die Abtheilung dazwiſchen ge - ſeſſen hatte; der Fürſt miſchte ſich, weil es gar zu lange dau - erte, auch endlich ſcherzend in das Geſpräch. Endlich kam die Königin nach ihrem Sitz zurück; ſie ſprach einige Worte mit Fürſtin Fürſtenberg im Zurückkommen, und ſetzte ſich: das Konzert ging wieder an. Ich war zwei Reihen Stühle von der Königin entfernt: ſie ſcheint auch nicht weit ſehen zu kön - nen; ſie lorgnirte mich mehreremale ſehr gütig; und das eine - mal, wo ich es nicht ſah, attrappirte ſie mich in Lob gegen Mad. Streckeiſen über ihre Töchter. Fürſt Fürſtenberg ſprach mit Graf Zepelin angelegentlich: er wollte dies wenigſtens, denn er kam ſo an ihn heran, der, weil wir miteinander wa - ren, neben mir ſaß. Graf R. ſaß vor mir mit Mad. Ceſar. Der lobte mir ſehr unſern Kronprinz; ich wußte, als er mit mir ſprach, nicht wer er ſei; und hielt ihn für einen baieri - ſchen Arzt. Mad. Spada ſingt rein, fertig, gut, italiäniſch; ohne Paſſion, nur mit ſo viel Seele, als ihres Landes Schule mit ſich bringt. Er, Spada, iſt ein buffo, ſie ſangen drei ſolche Duo’s, und müſſen zur buffo-Oper gut ſein. Als wir weggingen, regnete und gewitterte es ſehr: daraus, weißt du, mache ich mir nichts: ich wollte Gräfin Zepelin zeigen, daß ich nicht alles Wetter ſcheue, und ging mit dem Mann und Mathilde zu ihr; fand Ludwig Robert, Generalin Walther mit Tochter, M. Brack fils, und einen baieriſchen Militair. Es fiel nichts vor. Aber der Regen, das Gewitter, nahm ſo zu, daß wir beinah zwei Stunden blieben, es hörte aber gar nicht auf, und ich ging par le plus gros temps ab. Mit le - dernen Schuhen, Jakob, Schirm, und Robert. Dies hatte ich586 mir ſchon auf das Konverſationshaus mitgenommen. Wir tranken noch Thee, zu Hauſe. Recht ruhig, an dich nur den - kend! Iſt es nicht einzig, daß ich dir ſo große Briefe von hier ſchreiben kann? Und dabei noch nicht, wie ich dich liebe, dich miſſe, dich wünſche! Lieber Auguſt! Sei geduldig, ich bin’s auch; bald biſt du hier! Morgen iſt der 22ſte; willſt du wohl dem Wirth Gulden ſchicken? Ich gebe ſie dir wieder, theurer Sohn! Lieber! Potemkin hat auch ſchon gegen Robert die Karlsruher Stände gelobt: und findet ſie wunder mäßig und anſtändig in Vergleich der Pariſer, die er kennt. Das iſt hübſch!

Es regnet noch, wird aber ein wenig heller. Adieu, mein Liebſter!

An Varnhagen, in Karlsruhe.

Helle ſchwüle Sonne auf naſſem Boden.

Ich machte mir das graue Wetter zu Nutze, und ging zu den Damen, die ich beſuchen mußte. Dann ging ich einen Augenblick zur Mutter Müllinen, um zu ſehen, was die Arme macht, die ganz beglückt iſt, wenn man nach ihr ſieht: ſie kann ſich nicht regen, und leidet nun noch an den Augen, ſo daß ſie nicht leſen kann. Geſtern ſtrömte es den ganzen Tag. Um 7 fuhr ich zur Gräfin Müllinon, bis gegen 9. Ich las ihr etwas von Sappho und etwas zerſtreute Sachen von Goethe. Dann ging ich noch zu Lady Caledon, die mich par billet eingeladen hatte, mich immerweg beſucht, und wo ich587 mich ſehr unterhielt: Sie, ſehr gut; die Mutter Engländerin mit den beiden Töchterlein Fanny und Harriet, wie die - gelchen; der Geſandte Lagarde; ein intereſſanter Norwege Knudzon, der allenthalben war, alle Sprachen ſpricht; Löwen - ſteins, noch ein Engländer Baillie, noch ein paar Herren. Wir Frauen, Lagarde und der Norweger, ſaßen am häuslichen Win - tertiſch, beſahen Albrecht Dürer’ſche Kupfer und dergleichen aus Italien: die Leute haben alles, haben alles geſehen; man kann alſo ſchön mit ihnen ſprechen: ſind komplet ohne Prätenſion, weil ſie ihnen alle als Engländern, und Vor - nehmen, Reichen ihres Landes, erfüllt ſind. Mündlich No - tizen! und auch welche über Lagarde’s Geſpräche mit mir. Einen Domeſtiken möchte er nur: keinen Sekretair u. ſ. w. Auch lachte man über mich, und ich amüſirte mich in dem ſo - liden, fröhlichen, wohlhabenden Hauſe bis nach 10 ſehr gut. Dann zu Hauſe eine Taſſe Thee mit Robert. Gut geſchlafen. Die ganze Nacht Platzregens! bis 6 noch; dann trübe, dun - ſtig, dunkel, warm, ſtickend: alle Menſchen klagen über Mat - tigkeit und Hinfälligkeit. Jetzt Sonne; noch in manchmali - gem Kampf mit Dünſten und Wolken. Ich freue mich, mein theurer Freund, daß dir die Sonnenloſigkeit wohlthat. Hier ſollſt du’s noch beſſer haben! Der Aufſatz gefiel mir ſehr. Streng, derb, unperſönlich, hübſch auf die dummen Finger. Der Großherzog von Weimar war mit dem König und der Königin in der Allee; ich ſah ſie nicht, weil ich nicht dort war: Mad. Bourbon erzählte es mir; und in wirklichem und angeſtelltem Schreck, daß der König, in all der Herrſchaften und Kinder Gegenwart, auf ihre Bodenkammer geſtiegen ſei. 588 Ein König! ſie könne nicht dafür, er habe gut thun! aber über ſie ſchrie man dann! Er habe ſehr ihre Einrichtung ge - rühmt ꝛc. und immer noch daſſelbe wiederholte ſie ein wenig anders. Kieſewetter thut mir auch ſehr leid: die armen Freunde! Lies Journal de Francfort du 20. da ſteht aus einem Artikel aus Brüſſel eine Erfindung deines Vetters in Rio Janeiro, wie Pulver noch beſſer ſprengen kann. Lebe wohl, Theurer! Ich denke immer an dich; du weißt es. Deine R. Bald, bald ſind die Stände aus. Adieu! Alſo der arme K.? Ambos oder Hammer.

Nicht der Inhalt, lieber Auguſt, aber die Eſtafette hat mich ſehr erſchreckt. Mir iſt’s nicht unerwartet. Ich weiß, was ſie vertragen können; was nicht; und ermahnte oft. Doch muß kommen was da kann; und dazu muß unſer Ka - rakter dienen, uns nicht zu deſoliren, wenn etwas kommt. Auch wiſſen wir nicht, ob es gut oder ſchlecht iſt. Ich ge - denke ſogar, dich hier abzuwarten: was ſollen wir in Karls - ruhe? Für’s erſte kommſt du her. Mit einander, iſt alles gut. Den Verſichrungen glaub ich nicht, wenn auch nichts Poſitives geſchehen iſt. Aber du mußteſt allen denen miß - fallen. Mündlich mehr und alles! Ich bin auch gutes Mu - thes. Ich, Geliebter, erwarte dich hier.

Deine R.

Als die Eſtafette kam, war ich eben jappend mit Robert nach dem Eſſen bei einem Gewitter, was noch währt, am Fenſter. Adieu, lieber Auguſt, bald umarme ich dich!

589

An Varnhagen, in Karlsruhe.

Ein ſolch allgemeines langes Gewitter hat man faſt noch nicht erlebt, mit ſolchen ununterbrochenen, und doch ſich ver - ſtärkenden Regengüſſen, daß an kein Ausſchicken noch Weg - fahren zu denken war; mitten im Donnern hat es in dieſem Augenblick etwas zu regnen aufgehört; viele Leute ſtehen auf der Brücke, den Waſſerſturz zu ſehen. Prestissime ſtürzt der Bach, und neben ihm entſtandene, das Gewitter iſt nicht vor - über, lange nicht aus. Ich komme nicht, geliebter Freund. Weil die Fahrt doch zu lange dauert, da ich zu ſpät abfahren müßte, des Wetters wegen: auch führeſt du ja bald wieder mit mir her. Zu thun iſt nichts; nur bei dir möcht ich ſein, zum hin und her ſprechen. Ich beſchwöre dich, bevor wir uns geſprochen haben, auch grade nichts zu thun; dann iſt noch alles möglich. Erſt wollen wir uns beſinnen. Wir wol - len ſehen, was die nächſte Zeit, die nächſten Tage für Mienen annehmen; und uns ein wenig nach Umſtänden richten. Ich kann nicht glauben, daß wegen dieſer Angelegenheit allein der Kourier ſollte gekommen ſein: wäre dies doch, ſo müßte noch eine grave falſche Anklage Statt finden. Wir wollen uns in nichts übereilen. Liebe Guſte, daß ich auch grade nicht bei dir ſein mußte! Ach! darum ſchickteſt du mir wohl die Eſta - fette. Die erſchrack mich ſehr; weil ich erſt dachte, es könne nur etwas Gutes ſein denn, warum ſonſt einen Eilboten, dacht ich. Mein Schreck im Ganzen nicht über den In -590 halt war gränzenlos, unmittelbar nach Tiſch, bei einem ausbrechenden ſchweren Gewitter; dies, und das Sündfluth - wetter, hielten mich gleich zu kommen ab. Ich brauchte län - gere Zeit, mich zu erholen. Nun aber iſt mir gut: ich bin zu Löwenſteins geladen; bin ſchon von neuem dazu aufgewickelt, und hoffe ſie werden über mich lachen. Verzeihe alſo, daß ich nicht komme: müßteſt du länger bleiben, ſo komme ich na - türlich, ſo wie ich das weiß. Sei getroſt, liebſte Guſte; wir ſind ja geſund an unſern Gliedern, und leben; wer weiß, iſt es noch gar gut. Denke, ich umarme dich, ſehe dir in die Augen, und werde den Abend munter ſein: und, wären wir zuſammen, ohne alle Sorge.

Deine R.

An Varnhagen, in Karlsruhe.

Nach dunſtigem, feuchten Regenwetter, nach wenig Ausruhen.

Theurer lieber Freund, Robert wird dir dieſen Brief brin - gen: ſo bekommſt du ihn doch früher, als morgenfrüh. Du haſt mir gewiß geſtern nicht einmal geſchrieben, (wieder ein Platzregen!) weil du meinteſt, ich käme zu dir. Das Gewitter war zu allgemein und heftig; noch außer den Gründen, die ich dir anführte. Ich könnte nur wiederholen, was ich geſtern ſchrieb. Gar nichts thun, und ein wenig warten, bis die Andern reden, und wir etwas erfahren. Alſo habe ich dir über unſere Kataſtrophe nichts zu ſagen, außer alles. (Der größte Platzregen.) Kämeſt du unvermuthet nicht, ſo läſſeſt du es mich wiſſen, und ich komme. So eben erzählt mir Re -591 bert, der aus der Allee kommt, er habe die Generale Freiſtedt und Neuenſtein geſprochen: die Stände ſeien vertagt; und Mehreres von Stimmung, und Reden, die dir Robert wieder - holen wird. Ich dachte nur an deinen Abend, und deine Nacht. Und auch mitunter, ſie könnten ganz ruhig ſein. Ich, legte mich unter tauſend Regen, und Dunſt, und Gewitter, die ſich wie Zugvögel folgten (ein Kind ertrank hier im Bach; und Schweine mit ihren Ställen kamen von Lichtenthal an - geſchwommen: vom Rhein erzählt man dégats) nach meinem zweiten Brief an dich ruhig auf den Kanapé, um zu ruhen; etwa eine Stunde, Robert kam, und ich ſchlug Kaffee vor: mitten im Wetter fing die Sonne an zauberhaft unterzu - gehen; wir liefen von einem Fenſter zum andern! Sieh da! Mad. Streckeiſen ſtapelt im größten Regen und Näſſe von der Allee her mit zwei Herren, einem ältlich dicklichen, zu mir. Das iſt ehrlich! ſchrei ich ihr entgegen, denk einen Au - genblick, es iſt Streckeiſen; doch ſchien er mir zu klein, und da die Herren mit in’s Haus treten, wundre ich mich etwas: ich geh hinaus, vor meiner Stubenthür erkenne ich erſt den Großherzog von Weimar. Wir freuten uns ſehr. Er ſieht ſehr wohl aus: ganz wie ſonſt in Töplitz: mit vielem Ver - gnügen ſagt ich ihm das. Der Großherzog ſtellte ſich gleich an’s Fenſter, und wollte jeden Menſchen von mir wiſſen, die alte Neugier: über die Stunde des Kaffee’s konnt er ſich nicht zufrieden geben; den Lotte, und ich getroſt, und ſie, als délice, tranken. Ich behauptete, ich könne ihm ſchon Ap - petit machen: Nur mit Kaffee nicht, meinte er, eben hätte er Schnaps genommen; ich rühmte mein Getränk als pousse -592 Schnaps, und wir erinnerten uns unſerer alten Näſchereien; und es war ein ſehr vergnügter Beſuch; der mich auch freute. Der andre Herr war ſein Adjutant, aber den Namen weiß ich nicht, auch konnt ich des Herrn wegen nicht mit ihm ſprechen: aber er ſcheint mir doch alert, und dem Geſpräch im Hören gewachſen. Dann zog ich mich an, und ging zu - wenſteins, wo Caledons, Caulfields, les dames Walther, Ar - nim, Zepelin mit der älteſten Tochter und Guttenbergs und Graf Kniephauſen. Schwätzen und Spiele. Um 10 Uhr woll - ten ſie Alle auf einen Ball im Spielſaal die jungen Mäd - chen! und redeten mir ſo lange zu, bis ich mitging; näm - lich Alle, außer Lady Caledon, die leider morgen reiſt. Der Ball war nur von Bekannten komponirt, leer, kühl, ſehr hübſch; ich blieb von halb 11 bis halb 12. Dann ſprach ich noch zwei Stunden alte Sachen von Wien u. dgl. mit Ro - bert; ſchlief müde und gut ein, und hätte vortrefflich geſchla - fen, hätte man nicht mit Tages anbruch an dem Hauſe ge - gen uns über eine Bude! aufgeſchlagen, die auch um 7 fertig war. Doch bin ich gut. Biſt du zufrieden? Ich wünſche von dir ein Gleiches! und hoffe es auch. Der Großherzog von Weimar bleibt heute noch.

Beim Artikel Lulli, bei Gelegenheit von Rameau’s Nef - fen. Kunſt und Wohlſtand kann nicht dekretirt werden: die müſſen von unten hinauf wachſen. Luxus, ohne dieſen Grund, wäre lächerlich, aber er iſt armſelig und verderblich. Daher kann eine Nation nur weniges von den andern nehmen; undwird593wird zu der gehörig, von der ſie nimmt, in dem Maße ſie nimmt: deßwegen entnationen ſich die Nationen; und es ſcheint nur noch, daß ſie verſchieden ſind. Zeichen vom Gegentheil. In Italien kam die Muſik zur Blüthe, weil das Volk zu - erſt ſang.

Den größten Schmerz hab ich genoſſen;
Das Glück iſt wie ein Leid dahin gefloſſen!

An Frau von R., in Rom.

Treue, theure Frau von R.! Verzeihen Sie meine Pol - tronnerie, ich wünſche Ihnen dieſe Kälte in Rom! Vorgeſtern las ich in der Zeitung, man fühle in Rom den böſen Einfluß der Hitze, und es gehen dort jetzt Krankheiten herum. Seit - dem möchte ich lauter Kouriere von Rom ankommen ſehen; jeden kühlen Wind einfangen, und ihn Ihnen ſenden! Um nur irgend eine Art von Ordnung in allem dem zu bekom - men, was ich Ihnen berichten möchte, will ich nur lieber mit dem gegenwärtigen, hieſigen Augenblick anfangen! reellſte Art, Ihnen meine Dankbarkeit für Ihren Präſent-Brief! zu zeigen. Das Wetter ſehen Sie vor ſich, den Ort kennen Sie allerſeits, mein ich. Denken Sie ſich ihn gefälligſtII. 38594leer; in dieſer leeren halb ſonnigen Feuchtigkeit ſpazirt Reh - mann mit Demidoff heute von Paris und Ems angelangt mit Montlezun Arm in Arm weiß behutet umher; näm - lich, über die kleine Brücke von der Stadt nach der Promenade wo die Buden ſind; und bilden ſich ein, ſie ſuchen ein Logis, für Demidoff und Rehmann, denen bei unſerm Nachbar eins gemiethet war: da aber ſeit vier Tagen, unſichtbar mit ihrem Gefolge von welchem nachher die ſchöne Mad. Nariſch - kin dort ſchon wohnt, ſo war zu wenig Raum für die Spä - tergekommenen. Nur im Krieg ſieht man in unſerm Europa ſolche Gefolge von Wagen, Gepäcken, Pferden und Leuten, als die beiden ſich ausweichenden Moskowiten-Parten hier, berg - auf, bergab, tramplen ließen. Den Baron-Hauswirth ſelbſt hält ein großes Geſchäft ſeit acht Tagen von hier entfernt. Er floh nach Stuttgart! Gewiſſe Dinge muß man je mehr und mehr im Flug ergreifen, weil nur ſehr wenige Ereigniſſe ſie noch zuwege bringen: dahin gehört unſtreitbar, z. B. den Stuttgarter Hofſtaat auf ſeidenen Beinen zu ſehen: vulgo, in Gala; oder auf den Beinen. Die Hochzeitfeier des Palatinus ſchien unſerm Vielbewegten eine einzige Gelegenheit, das Würtemberger Streben und Gelingen endlich mit dem Badener zu vergleichen: er hatte es nicht hehl; es iſt ſeine Pflicht. Sie kennen ſein Gewiſſen, ſeine was ſcheint Ihnen paſſender? ſeine eiſerne, oder hölzerne? Thätigkeit, ſeine Titel, ſein Amt, ſeine Emſigkeit! Seine Beſitzthümer hatte er alſo frem - den Nationen überlaſſen: Franzoſen und Ruſſen: meint er, dies eben ſei Politik? Einer würde den andern bewachen? Noch iſt hier Miſtreß Caulfield, eine Engländerin mit zwei595 Töchtern denen ich Unterricht im Deutſchen gebe einem Söhnchen von dreizehn, einem Bruder: Frau von W., einige Herren: dies unſere Abendgeſellſchaft. Früher war unſer Kreis ziemlich groß. Zepelins, Hauptſtamm. Müllinens. Lady Caledon, Schweſter der Pariſer Lady Stuart. Eine ſehr liebe Perſon, die von Italien kam, und alle guten Eigenſchaften der Engländer und des Landes, des Reichthums und der gro - ßen Welt beſaß. Nie ſah ich etwas Natürlicheres, Biedreres, Heitreres. Dann noch viele Deutſche aller unſerer Länder. Artige franzöſiſche Damen, mit Töchtern und Verwandten. Und ein Norweger, Herr Knudzon, der Ihnen ein Zettelchen von mir bringen und Ihnen Allen ſehr gefallen wird. Er kommt von Italien und geht nach Italien, er reiſt ſchon zehn Jahr mit ſeinem Freunde Baillie, einem Engländer. Knudzon iſt natürlich, ehrlich unterrichtet, voller guter Erziehung; mit unbefangenen Auffaſſungskräften. Er freut ſich unendlich zu Ihrer Familie, da er ſie durch mich kennt, ſo ſpricht auch das für ihn. Er und Baillie waren Freunde der Caulfield’ſchen Familie, die auch aus Italien kam, wie Lady Caledon, welche auch noch ſchön zeichnet und gut franzöſiſch ſpricht. So un - gefähr ging mein Leben; V. in Karlsruhe wegen der Stände, ich hier: bis zum 22. Juli, als ein Schreiben der Behörde ihm ankündigte, der Poſten in Karlsruhe ſei aufgehoben: da kam er gleich hierher. Soll ich Ihnen ſprechen vom Geſchwätz und den Konjekturen der Zeitungen, von allen Lügengeſchwätzen? Nichts davon war, konnte davon wahr ſein, als was ich Ihnen hier ſage, und daß wir bis den 11. Oktober hier blei - ben und dann in Karlsruhe die weitern Befehle abwarten,38 *596jedoch unſer Quartier nach gehörigem Aufſagen den 23. Okto - ber verlaſſen müſſen. Was dies, Ziehen, Packen, Verkaufen, Einrichten, Verlaſſen, Ankommen, Reiſen, Nichtwiſſen wohin etc. etc. in ſich faßt, wiſſen Sie Alle, meine lieben Freundinnen! Das Gift hab ich getrunken, ſchlucken müſſen: die Wirkung wird folgen. Ganz unverhoffte Gnade ſchickt aber Gott. Zum erſtenmal in meinem Leben fühlte ich mich plötzlich leicht - ſinnig. Ich konnte ſechs Wochen lang hier Berg, Thal, Schein, Luft, Grünes, Feld, mit dem größten Bewußtſein, mit dem ruhigſten Herzen genießen. So war auch V. geſtimmt: und wir genoſſen alles was der Ort bot.

So lange war ich von Ihrem Brief geſtört, liebſte Frau von R.! Es wäre zu weitläufig und unnütz zu ſagen durch welche Leute, und durch was. Von Welt war es; mit Einem Worte. Ich will mir Mühe geben, erzählend fortzufahren. Wenn ich von uns alſo etwas Beſtimmteres weiß, ſo ſollen Sie’s erfahren. Hier waren die baierſchen Herrſchaften: bei denen abwechſelnd zum Beſuch die Königin von Schweden mit Kindern; die zwei baierſchen Prinzeſſinnen zum Hochzeits - Hofball in Karlsruhe. Die Großherzogin mit Kindern ſeit dem Juli ſtill auf dem Schloß hier: Prinzeſſin Luiſe beſſer: die Kinder prächtig. Mad. de Graimberg badend ziemlich wohl. Alles gedenkt Ihrer mit Liebe. Jungs ſind wohl; Ge - neralin P. reiſt heute nach Karlsruhe zurück. Montlezun den 12. Der Baron-Hauswirth ruſchelt herum, und war in Stutt - gart nur präſentirt: gar nicht geladen; kein Fremder. Er597 ſchimpft nicht: er verſtummt. Sonſt iſt alles hier und in Karlsruhe nach jedes Ausſage ſehr todt. Geſtern heißes ſte - chendes Sonnenwetter: heute, trübes drückendes kühleres. Kurz, Karlsruhe’s Geſellſchaft ſinkt ein! Und Hamlet ſagt: Nichts mehr von dieſer Materie! Wenn Sie nur erſt aus dem Wirthshaus wären! Wenn Sie nur der Frau von S. recht nah wohnten; und mir! Ich hab’s geſchätzt und ein - geſehen in Karlsruhe: das kann ich mir nachſagen. Wenn mir künftig Einer von Ihnen ſchreibt: ſo bitte ich um Leben - details. Wie der Tag übereinander geht? Wie das Italiä - niſche geht? u. ſ. w. dergleichen Dinge möchte ich wiſſen: wenn auch der Brief ſonſt nichts enthält. Wie klar wird ein großer Theil der R’s alles von Italien wiſſen! jede Tochter anderes; der Vater alles: und noch mehr. Das heißt, wie es auch ſonſt war, und wieſo es jetzt ſo iſt! Freilich! theure Frau von R., können Sie auf mich rechnen. Frau von Schlegel hat Recht. Ich kann mich gar nicht ändern: und ich muß aber dagegen zu meiner Ehre ſagen: daß ich mich immer in ſo gute Eigenſchaften verliebe, daß ich ewig treu bleiben muß. Rechnen Sie alſo Alle, ſo lange Sie nur meine Liebe, meine Anhänglichkeit, gebrauchen, genießen wollen, und alles was die leiſten können, das ganze Leben darauf. Handſchlag! Ich bin ganz vergnügt und perplex, daß Sie das ſo hoch aufnehmen wollen! Nicht weil es in dieſem Erdenthal wenig wäre, aber weil dies grade ſo gewiß von meiner Seite war, und mir ſo natürlich iſt: und Ihnen grade Allen, große Anerkennung geſpendet wird! Aber auf’s598 Anerkennen bin ich ſtolz dieſen Ausdruck gebrauche ich oft wenn ich ſagen will, daß ich mich mit etwas freue ich freue mich, jeden von Ihnen mit meinem Herzen recht ergrün - det zu haben! und zwanzig Meilen in Ihrer Nähe bieg ich nach R’s Wohnſitz ein! Sicher! Aber o! arme Erde! wie unſicher geht es uns auf dir. Wir kommen ohne Ein - willigung; gehen ohne zu wiſſen wann! und werden in der Zwiſchenzeit hin und her geſchickt. Von Metternichs, Har - denbergs, Wellingtons; Königen, Armuth, Irrthümern, fal - ſchen Hoffnungen, und Plänen, und all den maskirten Stre - bungen, die man Ungefähr nennt! Sie ſehen, ich bin heute nicht obenauf: aber deſto mehr wende ich mich dann zu dem Geiſt, der alles verſteht, der alles iſt, und übergeb ihm or - dentlich mein Schickſal; und das kleinlich Herbeſte wird mir alsbald nur als eine unreife Knoſpe mit Stachlen klar, die bald Süßeres enthalten muß. Dachten wir doch dieſen Som - mer recht innig und heiter zuſammenzuleben: und mußten fort! jetzt wiſſen wir nicht, wo zuſammentreffen: und ſind vielleicht künftigen beieinander! Im Alter lerne ich hoffen?! Man erlebt ſo viel Unerwartetes! Ein Wort, ſei mir erlaubt beſonders an Fräulein Henriette zu adreſſiren! Das kommt von dem Prahlen mit Religioſität. Judenſturm, iſt der erſte thätige Effekt davon! Sie werden ſich erinnren, wie uns dieſe neumodiſche Maske empörte: vor ihrer Wirkung. Ich erzähle nichts, was die Allgemeine Zeitung auch Ihnen Allen, alle Tage ſagt. Es iſt alles und noch mehr wahr, was ſie meldet. Nur in Berlin haben Prediger dagegen auf der Kan -599 zel geſprochen. Nichts mehr von Deutſchland! Sie werden alles beſſer wiſſen. Gott ſchütze Sie! Ihre treue

Fr. Varnhagen.

Millionen Grüße an Frau von Schlegel! Ihr kleiner Hof am Hauſe charmirt mich. Mit günſtiger Stimmung ant - worte ich ihr. Addio!

Es wird eine Zeit kommen, wo Nationalſtolz*)Dieſes iſt an einem bedeutenden Orte, im großbritanniſchen Parla - mente, ſchon wahr geworden. Sitzung des Unterhauſes vom 23. Fe - bruar 1830. eben ſo angeſehen werden wird, wie Eigenliebe und andere Eitelkeit; und Krieg wie Schlägerei. Der jetzige Zuſtand widerſpricht unſerer Religion. Um dieſen Widerſpruch nicht einzugeſtehen, werden die entſetzlichen, langweiligen Lügen geſagt, gedruckt und dramatiſirt.

Geſchichte iſt in närriſchen Händen ſehr ſchädlich, und ein Grundirrthum über ſie in Umlauf; man hört überall den höchſten faſt bis zu den niedrigſten Ständen empfehlen, ſie möchten die Geſchichte fragen und die ſtudiren. Wer iſt denn vermögend, Geſchichte zu ſchreiben oder zu leſen? Doch nur ſolche, die ſie als Gegenwart verſtehen! Nur dieſe vermögen das Vergangene zu beleben, und es ſich gleichſam in Gegen - wärtiges zu überſetzen. Daher iſt das Wort von Friedrich Schlegel: Der Hiſtoriker iſt ein rückwärtsgekehrter Prophet, ſo ſehr richtig; darum Goethe ewig und ſtets von neuem ſo600 groß, belebend und lebendig: alle Zeiten, Religionen, Anſich - ten, Extaſen und Zuſtände begreifend und darſtellend und er - klärend. Diejenigen aber, welche mehr Geſchichte leſen, als ſelbſt leben, wollen nur immer eine geleſene aufführen oder aufführen laſſen: daher der ſeichte Enthuſiasmus, die leeren Projekte, und dabei das Gewaltſame; weil der große Lebens - gang, einem Gewächſe gleich, nicht herabgehalten noch erd - wärts gebogen werden kann, ſondern nach eignem Himmels - ausſpruch emporwächſt, und aller Anſtrengung, es anders zu gebrauchen, mit größter Kraft widerſteht. Römiſche Geſchichte aufführen wollen, mit Intermezzo’s aus Ludwigs des Vier - zehnten Leben, half Napoleon entthronen. Es wird gewiß bald dahin kommen, daß Schriftſteller der Geſchichte, die bloß durch Geſchichte in’s Leben blicken, von denen, welche die Ge - ſchichte durch das gegenwärtige Leben auffaſſen und darſtel - len, ſcharf und klaſſenweiſe werden unterſchieden ſein. Dann werden die leider doch noch zu geiſtreichen Faſelbücher nicht geleſen werden können, und bald nicht mehr geſchrieben.

Sollten Männer, wie * und **, nicht ſelbſt wiſſen, wo der dunkle Punkt in ihren neuſten Schriften iſt, über welchen ſie wegſetzen, und willkürlich vorauszuſetzen anfangen? Sie machen einen ſelbſt ſchwanken zwiſchen dem Zweifel an der Schärfe ihrer Einſicht, oder dem an ihrer Redlichkeit: man weiß nicht, welche von beiden man beleidigen ſoll.

Bonald ſagt in ſeinen pensées diverses: Les uns sa - vent ce qu’ils sont, les autres le sentent. Or on oublie ce601 qu’on sait et jamais ce qu’on sent etc. Daher die ſtolzeſten Leute, in ihrer Gemeinheit, in die ſchnellſte und von ihnen äußerſt verachtetſte Gemeinſchaft gerathen, weil ihr Stolz ſich auf ihnen nicht innen angehörige Dinge bezieht.

Das Abſolute iſt das in ſich Begründete, ſeinen eignen Daſeinsgrund Verſtehende.

Wenn ich in der Nähe von Fürſten wäre, und mit ihnen lebte, würde ich für die niedrigſte Schmeichlerin gehalten wer - den. Weil ich jedes Menſchen Perſönlichkeit umgehe, und bei der größten Meinungsunabhängigkeit, nur immer aus allge - meingeltenden Gründen widerſpreche: ein ſolcher Widerſpruch wird gar nicht bemerkt, ſo ſehr er auch wirkt; Beifall und Lob ſuche ich aber ſo perſönlich zu machen, als möglich. Die - ſes Verfahren, welches unbegreiflich unbemerkt bleibt, würde bei hohen Perſonen ſehr auffallen.

Meine beſten Freunde, wenn ſie dies leſen, werden mir nicht beipflichten, und meinen, ich lobe mich ungeheuer aus Vorliebe: ich aber bin überzeugt, daß dies Geſagte die ſtrengſte, in jedem Tag zu erprobende Wahrheit iſt; und bin gar nicht beſchämt.

Julie Bondeli, in Frau von Laroche ihrem Schreibtiſch, ſagt bei Gelegenheit von Rouſſeau’s Heloiſe: J’admire com - bien on peut avoir de l’esprit, lorsqu’on veut seulement être méchant, combien on peut étaler de grands principes lorsqu’on602 ne veut pas remonter à ceux des autres, combien on peut avoir des conséquences dangereuses, lorsqu’on possède le rare talent d’extraire le venin d’un ouvrage, combien tout ouvrage de morale peut devenir venimeux, lorsqu’on change de place cc qui a été écrit dans un ordre déterminé, lorsqu’on omet les idées intermédiaires, et lorsqu’enfin on perd de vue le but, dans lequel le tout a été composé. Fichte verbittet ſich auch, zu Anfang einer Schrift, ſolche Behandlung ſeiner Bücher, und ſolches Verfahren mit Stellen daraus. Stupidität und böſer Willen verfahren beide ſo. Zum Glück läßt ſich jedes - mal ein ſolches Verfahren beweiſen, ſo lange das angegriffene Buch noch exiſtirt: zum Unglück aber iſt das ſehr weitläufig, und geſchieht ſelten.

Witz iſt Kombinations-Trieb und Talent. Der Karakter eines jeden führt den Witz in verſchiedene Kreiſe; ſo können ſich auch die Gegenſtände dieſes Triebes, dieſer Gabe, nach Altersepochen bei denſelben Perſonen verändern: oder Einer mehrere Witzarten beſitzen. Fichte definirt Witz die Evidenz der Verkehrtheit; das iſt eine beſtimmte Sorte von Witz, meines Bedünkens.

An Auguſte Brede, in Stuttgart.

Bloß, meine Liebe, damit Sie nicht länger ohne Nach - richt ſeien! Luſt zum Schreiben hab ich gar nicht: ich müßte603 ganz geſchwätzig ſein dürfen, um gerne zu ſprechen; müßte alles erörtern, erklären, und herleiten dürfen, um nur von ir - gend etwas ſprechen zu mögen. Dazu greift mich Schreiben zu ſehr an, und die Neugier die Briefe zu ſehr! Glauben Sie mir indeß ſo viel, bis Sie Einmal ſelbſt vor einem ſol - chen Ereigniß ſtehen: es iſt nicht erfreulich, nach längerer Ab - weſenheit, wenn man nicht in halber Kindheit abgereiſt iſt, und in Jugend ankommt, nach der Heimath zurückzukommen! Erſtlich, hab ich keine eigentliche Heimath, keine materielle. Weder Haus, noch Hof, noch Garten, noch irgend einen Be - ſitzer ſolcher Dinge, zu dem ich wirklich gehörte; ich ſehe alſo lauter veralterte Figuren; treffe verjährte Geſinnungen, abge - tragene Meinungen, verparktes Wiſſen; und auf all dieſes, verſtockten Stolz! Mir bleibt Schweigen: aber ich rede viel, aber nur um das, was ich eigentlich ſagen möchte, herum: d. h. ich lüge nicht, ſage aber das Wahre nur in Scherz und Ernſt über ſolche Gegenſtände, die niemand und nichts berühren, und woraus die Wahrheit hervorginge, wenn man ſie hinausließe.

Vorgeſtern ſah ich Sappho von Mlle. Maas. Da war die Herzogin Cumberland als eine Art von Großmama in der Mittelloge, ihren Sohn und Schwiegertochter zur Seite ſonſt ſah ich ſie ſelbſt als junges Prinzeßchen dort. Im Orcheſter war Möſer Konzertmeiſter mit gräulichem Kopf, ſonſt ſah ich ihn eben ſo geſchickt unter Righini in den Wun - deropern Poſſen treiben, und ſo jung er war, faſt allein den Sinn des Meiſters und die Art der Sänger auffaſſen, aus - üben, und ihm nachgeben, die andern leitend. Die engen604 Sitze auf den Bänken in den Logen waren ſonſt bequeme Stühle, die Entrée frei, Königliche Gardedükorps und die Li - vreen empfingen einen; alles war feſtlich, und reſpektuos! und große Virtuoſen an der Reihe; die niemand achtete. Aber auch niemand ſabberte; keiner hämmerte an ſeiner Bildung, und ſah alle Viertelſtunde im Spiegel, wie weit ſie gediehen ſei; und bloße Leute ſchrieben nicht Kritiken, aller Art: und Gemeine bedienten ſich auch nur gemeiner Worte, und wür - ſelten nicht mit den beſten.

Iſt man ſelbſt unter ſeinen Landsleuten alt geworden, ſo iſt man eingedrückt wo man es ſein ſoll; mußte man ſich aber in der Fremde abtragen, und hat man dabei von je die Anlage, von ſeinem Punkt, eignen Standpunkt, mehr zu ſe - hen, als den ſelbſt, ſo paßt man nicht beſonders in die neue Klemme. Iſt die Länderei contrée nun ſchön, findet man einen angemeſſenen Wirkungskreis, gehört man von Ge - burt zu den Erſten des Landes, iſt man hübſch, eitel; oder wahnvoll, man könne wirken, ändern, erlangen, ſo mag das angehen: ich, kann nur amüſiren, amüſirt ſein, vergnügt, aber nicht glücklich ſein. Bleiben iſt mein liebſtes Reiſen; ich weiß nicht einmal, ob ich hier bleibe: welches dennoch mein größ - ter Schreck ſein würde; bin nur prekair eingerichtet, wie in Karlsruhe; und ärger: das Ärgſte iſt, daß meine Gedanken keinen Stützpunkt haben; und daß ich in Verzweiflung bin, den Landespunkt, den ich ſo liebte, für den ich Gott alle Tage Reden hielt, verlaſſen zu haben. Und nun genug! Ohne den unendlichen Reſt zu berühren!! Gemeinheit. Ge - meinheit bei Menſchen, die innen und außen hoch ſtehen; in -605 time Freunde waren! Aber die Einrichtung macht ſie ſo: Helden ſind ſie nicht. Auch erlebe ich ſchon Rache: näm - lich, ſie überraſchten mich nicht. Unzählige Freunde fanden wir hier wieder: zahlloſe Bekannte. Die Geſelligkeit iſt, trotz der Erzählung von Abnahme, hier noch im größten Flor; und unter dem Schlamm ein guter Strom aus ſtarkem Quell.

Ein Wort vom Theater. Wolff, Rhamnes ſehr gut: eine Mlle. Roger Melitta, und eine Mlle. Willmann das andere Mädchen, ſehr ſchön, letztere ſogar viel Talent. Die Maas hübſcher, ſtärker, beinah größer. Gut angezogen, vor - trefflich ſtummes Spiel, beſſere ſprechendere Mienen; außer - ordentlich geſprochen, nie in’s Feine geſchnappt; und mehr als ſechs Stellen wie eine Meiſterin. Ich bin alſo ſehr zufrieden. Die Scene gut arrangirt. Rothes Licht, Morgen: blaues, Mondſchein; viel Volk; ſchöner Pavillon mit breitem Stufenvorplatz, ſeitwärts; Aphroditens Altar in der Mitte hinten: von dem lief die Maas wie eine von einem Sterblichen berührte Olympierin hervor. Das war mit das Schönſte, was ich je ſah. Sie wiſſen, ſonſt war ich nie verliebt in ihr Spiel: noch nicht: aber ich freue mich, lobend gerecht ſein zu dürfen. Ich möchte Sappho von Ihnen ſehen, und mit Ihnen beſpre - chen! Devrient ſah ich noch nicht. Ich habe immer den Huſten: jetzt habe ich ein Zaubermittel von Koreff, ſo hilft’s. Der Geh. Kämmerier T. läßt Sie ſehr grüßen; mit großem Intereſſe! der Ehrliche beſuchte mich aus freien Stücken. Ein ſehr braver einfacher Mann; den ich von Natur gut leiden kann. Ich freue mich, daß ihn der König hat. Was Sie ſehr freuen wird, unſer König ſieht vortrefflich aus: er war606 im Theater gegen mir über, im Proſcenium, wo es ſehr hell iſt: auch ſah ich ihn Einmal im Thiergarten zu Pferde: keine Spur von ſeinem Unfall! Haben Sie ſich auch ſo erſchrocken? Was macht Mama? Mit M. und E. denken Sie ſich den Verdruß für mich, ſind wir brouillirt! Noch nie war ich mit irgend jemand brouillirt. Ich kann nichts mehr regieren. Ich bin nichts mehr. Mürbe und matt. Doch bin ich ruhiger dabei, als ich je hätte denken können. Da ich immer muß, was ich nicht will, ſo lange weg, und ausge - wurzelt war, kann ich faſt alles. Eins nur, Lokale lieb ich über alles. Drum vermiſſ ich den Landespunkt. Sonſt nichts.

Schreiben Sie mir, ob Zepelins wohl ſind.

Die erſte Walpurgisnacht mit der größten, zum hun - dertſtenmale wiederholten Verehrung und Bewunderung ge - leſen! Dies eine Lied macht Goethen zum Dichter; und adelt ihn zum Geſchichtſchreiber: d. h. zum Geſchichtsſeher, in Unpartheilichkeit.

An Guſtav von Brinckmann, in Stockholm.

Treuer, lieber, junger Freund! Dann ſind ſie ächt die Freunde, wenn ſie immer jung bleiben; ja jünger werden, wie Sie. Auch ich rühme mich, die Bekanntſchaft des Alters auf eine andere Weiſe zu machen, als ich immer ſah, daß ſie ge -607 macht wurde; ich habe nämlich noch dieſelben Neigungen, zu und ab; wie ſonſt, dieſelben Anſichten; dieſelbe Kraft, eben die unheilbare Schwäche, Geſchicklichkeiten und Ungeſchicklich - keiten, dieſelben Meinungen, nur für alles dies, für mich ſelbſt, mehr Gründe und Beläge in meinem Magazin. Dieſes Ma - gazin immer ordentlicher, reicher, voller, richtiger, zuſammen - hängender zu machen, halte ich eigentlich für mein Lebensge - ſchäft: ich halte es dafür, weil ich ſehe, mit Augen, und allem was ich ſonſt noch beſitze, daß ich doch ſonſt nichts zuwege bringe. Ich finde mich alſo mit mir, wie zu vierzehn, zu ſechszehn Jahren. Nur ein paar mördriſche Schläge hat mir das Alter vernichtend beigebracht. Und ſo wird’s wohl am Ende mit allen Leuten ſein, die ſich beſinnen; und zu vier - zehn, fünfzehn, zwanzig, dreißig Jahren lebten. Getödtet iſt in mir die Möglichkeit, mir zu meinem Glück oder Ver - gnügen die mindeſte Mühe geben zu können. Natürlich muß ich mir doch meine Tage, ſo wie ſie einer nach dem andern kommen, bereiten; und ſie zwingen mich wie jeden, zu thun was ich nicht kann, und nicht mag! Aber wie thue ich es? Mit Ingrimm, mit höchſter Verachtung und Nichtachtung un - ſeres ganzen Zuſtandes, mit unendlichſter Zerſtreuung, mit den ſtrafbarſten, dabei von mir im tiefſten Innerſten und auch eben jetzt! applaudirten Lücken! Ich verachte, wie noch nie jemand, in Anſtalten den Lebensfaden hinzugeuden! Ich verachte die ewigen neuen Anmuthungen des Menſchenſchick - ſals. Ich verachte gänzlich, was mir von Menſchen Schlechtes herrühren kann, bis zum nicht wiſſen, nicht be - halten: und bringt es der Tag mit ſich, daß ich es wiſſen608 und behalten muß, ſo verachte ich wirklich mich: und nur mein Bewußtſein über dies ſelbſt, erhält mir meine höchſtnö - thige innere Würde, ohne welche der Zuſammenhang meiner ſelbſt ſchwände. Verſtehen Sie?! Ja! Alſo getödtet in mir iſt der Gedanke an ein Bild des Glücks, oder die Möglich - keit es mir verſchaffen, oder ſuchen zu wollen ich lächle ordentlich, getödtet iſt in mir, daß mich ein Menſch krän - ken kann; und ich verſtelle mich, es iſt mimiſch, wenn ich mich über dieſe, mich eingerechnet, noch wundere; es iſt alles richtig, was ſie thun müſſen, man verſteht es nur nicht immer; und es betrifft ſo wenig, wenn es auch alles iſt, geſchieht die Handlung dazu, ſo fährt Ein Gedanke über meine Seele (wie Wetter, und Licht, über Erde), Wenn Gott es zugiebt, was will ich mit Menſchen rechnen! und dann werd ich ſehr zerſtreut, und Andere beſchäftigen mich, wie die es vorher thaten. Unterſcheiden thu ich ſie noch kritiſch genau, wie alle Gegenſtände; meiner kritiſchen Natur gemäß. Getöd - tet und ausgerottet iſt in mir, daß irgend ein Menſch mir unentbehrlich wäre, und er mich daniederrichten und unfähig machen könnte, wie ſonſt: ſo iſt dann die große Totalände - rung die, für mein Wiſſen, daß ich Orten weit mehr attachirt bin, als Menſchen. Deutlicher! daß Lokale mich mehr auf - und daniederrichten können, als Menſchen. Sind die letztern nur reinlich, keine vorpredigende Pedanten, keine Zwingherrn in meinew eigenen Zimmer; ſind ſie ziemlich wie man nach dem großen Kriege ſie allenthalben findet, und rauben ſie mir nicht den Tag, ſo bin ich zufrieden: ob ich dies oder jenes ablaſſe; mir gleich; da das Unbedingte aufhören mußte. Soſtehe609ſtehe ich nun, lieber Brinckmann, Ihnen und Ihren Briefen, Ihrer jugendlichen Zärtlichkeit für alles Sonſtige, gegenüber, und glaubte erſt, ich würde mich ſchämen, und ich mußte aus Erkenntlichkeit und Zerknirſchung doch wenigſtens Ihnen ſa - gen, wie es mit mir iſt. Aber ich ſchäme mich nicht. Ich finde mich immer gut, wie ich bin: und bin dann ſchon ganz zufrieden, wenn ich nach einem Nachmirſelbſtſehen finde, daß ich richtig ſah, und mir über das Geſchehene Rechenſchaft ge - ben kann. Ich habe nicht verſprochen, wie ich werden will?! Und hätte ich’s verſprochen, ſo wäre es eine Narr - heit geweſen; von der ich, jeden frei ließe. Nach dieſem Bericht über mich (von dem Sie genau wiſſen werden, wie wahr, und wie nicht wahr er iſt; ich verſtelle mich nicht, aber es iſt ſchwer, die Wahrheit zu ſagen:), wird es Ihnen nicht auffallen, wenn ich Ihnen ſage, daß Berlin, nach ſechs Jah - ren Abweſenheit, mich nicht enchantirt, (anſtatt dieſes Wortes hätte ich können bezaubert , oder entzückt , oder ſchmei - chelt , oder wohlthut ſagen; ich ſagte aber enchantirt , altmodiſcher Art). Der Tod hat unter unſern Freunden, die Sie mir ſo emaillirt in der Erinnrung wie unſer ganzes Le - ben darſtellen, gewüthet, vom Krieg unterſtützt: an jeder Ecke in unſerm Viertel, wo ſonſt Unſrige wohnten, ſitzen Fremde. Es ſind Grabſtätten. Die ganze Konſtella - tion von Schönheit, Grazie, Koketterie, Neigung, Liebſchaft, Witz, Eleganz, Kordialität, Drang die Ideen zu entwik - keln, redlichem Ernſt, unbefangenem Aufſuchen und Zu - ſammentreffen, launigem Scherz, iſt zerſtiebt. Alle Rez - de-Chauſſée’s ſind Laden, alle Zuſammenkünfte Dinés oderII. 39610Aſſembléen, alle Diskuſſionen beinah Sie ſehen am Aus - ſtreichen meine Verlegenheit um ein Wort: ich meine un ren - dez-vous für eine ächtere künftige, und eine fade Begriffsver - wirrung. Jeder iſt klug; er hat ſich alles dazu bei einem Anführer einer Meinung gekauft. Es ſind noch unendlich viele geſcheidte Leute hier: und ein Reſt von Geſelligkeit, die in Deutſchland einzig iſt. Aber Meine ſind weg! Die da ſind, ſind veraltet; die Kinder waren, Damen und Herren. Kurz, es iſt nicht behaglich, nach langer Zeit zu Hauſe zu kommen: man iſt dann, auch materiell, auch der Bequemlichkeit nach, nicht zu Hauſe. Beſonders wenn man nicht weiß, wie lange man zu bleiben hat. Glauben Sie nun nur nicht, daß ich unzufrieden, oder unglücklich ſei! So wie ich nur geſund bin, bin ich ſeht vergnügt. Munter immer: deßhalb unter den Leuten gelitten. Ich bin unendlich ruhig; und zu allem Ver - gnügen aufgelegt. Es muß aber kommen; ſuchen kann ich’s nicht; ſo wie ich nicht tanzen kann wie Veſtris; es wäre ſchön, aber ich kann nicht. Nun will ich Ihnen aber auch durch den geſtrigen und den heutigen Abend, den ich Ihnen berichten will, Geiſter heraufrufen. Geſtern Abend war zum Thee bei mir ich wohne eine kleine Treppe hoch chambre garnie Nr. 20. Franzöſiſche Straße; in einem Hauſe, welches Ecke mit der Friedrichsſtraße macht: wenn man aus der Un - zelmann Haus geht und ſich rechts ſchwenkt, ſchräg herüber über den Damm: ich ſehe ihr Haus aus meinen Fenſtern allen Frau von Crayen mit Fräulein Victoire; Mlle. Maas, die hier ſpielte und Mittwoch wegreiſt; der Geheime - rath von Schütz, Barnime Finkenſteins Mann oder vielmehr611 Wittwer, der Schütz, der den Lacrimas, und jetzt einen Karl den Kühnen geſchrieben hat, und Politiſches. Ein ſanfter ge - bildeter Menſch, Friedrich Schlegels Freund, um deſſentwillen er nach Wien gehen will, und dort war. Mündlich könnt ich anders von ihm ſprechen. Ferner Pitt Arnim, Achims Bruder der Sie geſehen hat , Varnhagen, und ich: der Abend war belebt, lachend, ſehr gut; aber mir doch zu lang, ich halte nichts mehr ausgedehnt aus. Heute Abend ich, bei der Hofräthin Herz mit? Fräulein von Imhoff, der Schweſter von Lesbos , und Mehrern. Sind das nicht Geiſter? Noch ein Wunder! Dieſe Generalin Helvig kenne ich noch nicht. Nämlich, vor vielen Jahren war ich einmal mit ihr und ihren beiden Schweſtern bei Mad. Sander die ich noch ſehe , wo ſie mich wollte kennen lernen; ich hatte aber damals ſchon den Namen Robert, und ſo meinte ſie, ich ſei’s nicht; ich, die dies nicht wußte, trat nicht vor, und mußte den ganzen Abend nur! mit Heinrich Kleiſt und Adam Müller ſprechen; weil Achim Arnim und Clemens Bren - tano in ſchwarzen Theekleidern und Beſtrumpfung aus Re - ſpekt vor der intereſſanten vornehmen Dame rempart ſpielten, und niemand in der Hitze heran ließen. Kleiſt, mit ſtraßenbe - ſchädigten Stieflen, und ich, lachten heimlich in einem Winkel und amüſirten uns mit uns ſelbſt. Ich erfuhr erſt nachher die bévue, und die verfehlte Bekanntſchaft: Frau von Helvig konnte es gar nicht vergeſſen mit den Namen! Sie wußte nur von hoch -, ich aber von falſchgeboren. Nun ſoll heute die Einrenkung als Frau von Varnhagen geſchehen: ich erbot mich zu der Operation. Weil ich Mad. de Ron, eine ſehr liebe39 *612Frau, ihre Schweſter, kenne: aus Heidelberg, Baden, Frank - furt. Gehalten, edel, gut, ſtark und ſanft. Reinlich und or - dentlich bis zum Bewundern! Sind das nicht Geiſter? Grad dieſen Morgen war Mad. Liman bei mir; ich beſtellte ihr Ihren Gruß: ſie hat Gewiſſensbiſſe, Ihnen nicht geant - wortet zu haben. Ich konnte bis jetzt auch nicht dazu kom - men: aber Ihr geſtriger, wiederholter Schmeichelbrief gab mir ſolchen Biß, daß ich gleich zu Varnhagen ſagte, morgen Vormittag wird kein Menſch angenommen, und Brinckmann geſchrieben! Wiſſen Sie? daß Sie mir mit Ihren Briefen die Liebe dieſes Mannes immer ganz aufregen? Mit erreg - ter Farbe, gerührt in den Augen, küßt er mich ganz lange ſtumm, wenn er Ihren Brief noch in der Hand hat. Der iſt zur Freundſchaft geboren, wie Sie! Der Menſch brauchte einen Gefährten, um ſich das Paradies zu beſtätigen; dies Bedürfniß haben wir für die uns beſtimmten Güter geerbt; es verdoppelt ſich, was Andere mit uns ſehen, und unſere Liebe auch. Das iſt der beſte Gruß, den ich Ihnen von Varnhagen ſagen kann! So kleide ich den Auftrag, Sie zu grüßen, ein! Sie könnten hierher kommen, meint er; ſie ſollten! Oder im Sommer nach dem ſüdlichen Deutſchland kommen? Sie ſollen mein Bild haben. Aber im Ernſt! Geben Sie mir ein ren - dez-vous! Kaufen Sie eine Million weniger Bücher, ſo ha - ben Sie Geld dazu. Erlaubniß giebt Ihnen Ihr König. Sa - gen Sie, Sie wollen mich ſehen. Sie wiſſen doch, daß Frau von Humboldt hier iſt? Vor ein paar Tagen war ich bei ihr: noch ſah ich ſie wenig, da ſie und ich den Huſten hatten; ihn ſah ich noch gar nicht. Apropos! Unter andern ſind manche613 von unſern Freunden Staatsminiſter geworden, vergaß ich Ih - nen zu ſagen: und das iſt auch eine Art von Tod. Frau von Humboldt wohnt Behren - und Charlottenſtraßen-Ecke, wo Prinz Louis wohnte: Hofräthin Herz am Gendarmenmarkt, Ecke Charlotten - und Franzöſiſche Straße. Iffland und die Baranius wohnten mal da. Geſtern war die bei mir; noch ſchön. Alle Klaſſen ſehen mich und rauben mir die Zeit. So eben hat Varnhagen Archibald Keyſerling geſehen, der[r]eiſt durch, und wird mich beſuchen. Nun wünſche ich mir, ich hätte Ihnen gedankt durch dieſen Brief für die Lebensbeſchrei - bung, die Sie mir vorigen März ſchickten. Ein Meiſterſtück von Mühe und Kunſt: nur Sie deſſen fähig! Aber um die Namen der Freunde hätte ich gebeten! Leben Sie wohl, treuer, theurer Freund, und ſein Sie meiner gewiß! Schade! daß man ſich jetzt über nichts, beinah nicht über Bücher ſchreiben kann. Was ſagen Sie zu den Noten, zu den Briefen im Constitutionnel, zu dem alten Voß, zu Perthes? Leſen Sie das alles? Adieu! Ihre R.

Schreiben Sie mir durch Mendelsſohn; ich bezahle, iſt der Brief dick. Die Frau, die Sie mir im März beſchrieben, die Deutſch lernte hinter Ihrem Rücken, iſt Minerva ſelbſt. Ich goß auf ſechs Zeilen das Tintfaß anſtatt Sand. Varn - hagen flickte mir den Bogen. Noch ein Zug in das Bild meines Alters. Ich werde leichtſinnig mit den Jahren. Adieu! Adieu!

614

An Karoline Gräfin von Schlabrendorf, in Zyrus.

Trübes, noch trockenes Wetter.

Theure, verehrte Gräfin! Liebe treue Freundin! Zwei Mo - nat bin ich ſchon hier, ohne in Erfahrung bringen zu können, wo Sie leben. Was mir aber auch ſehr auffiel, war, daß es Frau von Humboldt nicht wußte, wo ich es ganz ge - wiß zu erfahren glaubte. Ganz ruhig, und ohne Anſtoß, ge - ſtand ſie, es nicht zu wiſſen. Ich verſtummte; wie immer, wenn man Unendliches, und unendlich viel zu ſagen hat, und ſich im Vortheil glaubt. Endlich überraſchte uns dieſe Woche Graf Keyſerling, der ein Erbſtück, eine Erbader von Treue in ſich hat, und uns jedesmal aufſucht, wo wir nur ſein können. Von dieſem erfuhr ich, daß Schleſien Sie verbirgt, und daß er mein Merkur ſein will. Laſſen Sie mich mit dem Aller - nächſten anfangen! Werde ich Sie dieſen Winter hier ſehen? Oder ſoll ich ohne dieſe Genugthuung vielleicht weiter geſchickt werden?! Wenn es Ihnen möglich iſt, kommen Sie. Was hat man denn in unſerm Alter, mit der Schärfe der Überzeu - gung, mit der wir hier auf der Erde ankommen mußten, noch anderes, als dann und wann den Troſt, Gleichgeſinnte zu ſe - hen, das Zeugniß von ihnen anzunehmen, daß man nicht ver - rückt iſt, und die heilende Gewißheit, daß noch Rechtſchaffen - heit wirklich mit Menſchengebein auf der Erde umhergeht; daß nicht alles nichtige Kriecherei, alberne Eitelkeit, und ſtraf - bares Ringen, und Angriff, um Macht und Gehalt der Staats - poſten ſei; und endlich die Freude, miteinander zu lachen, Ge -615 danken aufzurüttlen, unbefangen zu werden, ſein zu dürfen; patriarchaliſch, und kindiſch all den Schund, miteinander zu vergeſſen! Ich kann im Winter nicht reiſen: Varnhagen darf von hier ohne Grund und Urlaub nicht weg; und unklug wär’s ihn hier allein zu laſſen, ſonſt dürften Sie nur befehlen, und ich käme zu Ihnen. Ohne dieſe Berge von Gründen ſäßen wir im Wagen, führen erſt zu Graf Kalkreuth nach Siegers - dorf, und dann zu Ihnen. Graf Keyſerling ſchmeichelte uns unendlich mit der Ausſage, daß ſein Onkel auf ſeiner letzten Reiſe nach Frankreich ohne ein Hinderniß uns beſucht haben würde; und nur eine ſolche Intention iſt des größten Dankes werth, den wir gerne perſönlich abgeſtattet hätten; und ohne alles Weitere hätte ich ſchon zu Ihnen fahren mögen, um Ihnen beſonders für Ihres Bruders Abſicht zu danken; Sie nur können ſo vortheilhafte Geſinnungen in ihm erregt haben! Es ſollte nicht; aber Treue gegen ſich ſelbſt, und in ſeinen Meinungen, außer, daß ſie die liebenswürdigſte Eigenſchaft und die Wurzel, der Grund, und Halter aller andern iſt, muß noch wie gemeine Dinge ihrer Seltenheit wegen geſchätzt werden. So ſteigen Sie im Werth, liebe Gräfin, da faſt Alle im Welt - gewühl ſinken, und ihr Innres ſich abhanden kommen laſſen; anſtatt dies, dem Juwel gleich, ewig rein zu erhalten, und neue Facetten daran zu arbeiten, daß der Geiſt Lohn und Nahrung finde im Erblicken immer mehreren Lichts der Urſonne. Glauben Sie nicht, ſehr liebe Freundin, daß Einzelnheiten oder mich betreffende Geſchichten mich zu dieſen Äußerungen brachten: mit mir geht eigentlich nichts vor; und ich bin ſehr ruhig. Weil mir zwar nicht am Leibe!! alles ſchon ge -616 ſchehen iſt; und ich nicht von der ſchlappen Sorte bin, daß es mir zweimal geſchehen muß. Aber die Verwirrung, und der Matſch werden zu breit. Und Eine iſt wirklich etwas muth - drückend, daß die Edleren ſelbſt ſich nicht beſſer vor Modeaf - fectation, mit Frömmigkeitsweſen und Sittentugend, zu ſchützen wiſſen; noch ſich der roheſten, längſt in ihre Schlammhöhle zurückgewieſenen Anmaßungen ſchämen! All dies dringt auch bis in das feinſte, ſonſt holde Gezweige der Geſelligkeit. Ei - gentlich das Menſchlichſte unter Menſchen! der Inbegriff, und Ausgangspunkt alles Moraliſchen! Ohne Geſellen, ohne Mit - genoſſen des irdiſchen Daſeins, wären wir ſelbſt keine Perſo - nen, und ein ethiſches Handlen, Geſetz, oder Denken, unmög - lich: unmöglich, ohne die Vorausſetzung, daß einem Andern, das Bild einer Perſon ſo ſei wie uns, daß er iſt, was wir ſind. Wenn mir alſo die Geſelligkeit beſchädigt iſt, bin ich es; wer mir die verdirbt, verdirbt mich: mein eigentlichſtes Ich. Wohl denen! ſagt man gewöhnlich; ich ſage weh denen! die ohne Zuſammenhang leben: denen ihr Morgen eine Ge - ſchäftszeit iſt, die mit ihren Abendgeſellſchaften nicht zu ſchaf - fen hat: deren Leſen ein Studium iſt, unverdautes Lügen pro - duziren zu können; allenfalls in drei, vier Sprachen; deren Betſtunde ein Abwaſchen der übrigen; deren Nachdenken ein Planmachen, oder höchſtens ein zum Gebrauch Zurechtlegen überlieferter Sprüche, einſt richtig erfunden, und deren von Andern geglaubtes ewiges Verſtellen ihre höchſte Satisfaktion, und Ausübung von Tugend iſt; welcher Verſtellung ſie end - lich ſelbſt Glauben beilegen, und ſich ihr tugend-eitel opfern. 617Ich kann das alles nicht: konnte es nie; und freue mich noch darüber!

Wie ich nun bin, und wie Sie mich kennen, ſo vermiſſ ich von dieſer Seite hier viel; (bin aber grade ſehr gewöhnt an dieſe Art von Miſſen) und nur dies könnte mir hier Er - ſatz geben, für eine aufgeſtörte Häuslichkeit; für einen ruhigen Kreis von Bekannten, und erworbenen Freunden, die mir grade ſo nah und ſo fern ſtanden, als es Varnhagens Amt mit ſich brachte, und ich es vertragen mochte. Jede Güte wurde mir als ſolche angerechnet, weil ſie von einer Fremden keiner fordern konnte. Was mir im Lande nicht gefiel, ver - letzte mich, als ſolche, nicht. Das Land und ſeine Nachbar - ſchaften gefielen mir außerordentlich; es iſt eines, wo mehrere nicht große Länder zuſammengehören: und gehört man nicht einem ſehr großen, ſehr ausgebildeten Lande, ſo iſt das ein großer, ſehr belebender Erſatz. Dabei hatte der Ort die Be - quemlichkeiten einer minder großen Stadt; in ihre Mängel hatte ich mich ein - und ausgelebt. Ich hatte die große Sa - tisfaktion, unſerm Lande im Auslande Ehre zu machen; was ich that, that doch eine Preußin: und ich war beſcheiden, hülf - reich, gut, ſanft; und beliebt, und das kam auf die Rechnung aller Preußinnen; ich hatte die große Satisfaktion, nicht zu Hauſe zu ſein wo ich immer noch beweiſen ſoll, daß ich das Recht habe edel zu ſein: und wo jeder Stein mich an ſolches von ſonſt erinnert, und ich durchaus die alte vor - ſtellen ſoll! und die ganz unendliche, daß ich endlich Ein - mal auf ſolchem Piedeſtal ſtand, wo man, was ich Gutes618 machte und war, auch mitzählte. Unendlich nenne ich dieſe Satisfaktion, wegen ihres unendlichen Unterſchiedes, ob ſie ei - nem gewährt wird, oder nicht. Im letzten Fall thun ſie alles umſonſt, ohne Erfolg außer für’s Gewiſſen im andern kräftigt der Standpunkt ihr Thun, und liefert die Möglich - keiten dazu. Nun ſehe ich hier eine Unzahl veralteter Men - ſchen, in veralteten Lagen, die alle noch alte Empfindſamkei - ten und Erzählungen und Geſchichten mit mir anknüpfen wol - len: ich prêtire mich dazu, aus Güte und Rechtlichkeit: verzweifle und beleidige doch zu Dutzenden; und, ich glaube, genüge keinem. Kurz, es geht mir wie allen Menſchen, tadlend verdiene ich Tadel. Dennoch iſt es hier auch hübſch und reg - ſam; und geſelliger als allerorts in Deutſchland; aber ruppig fand ich es im Anfang ꝛc. ꝛc. Mündlich Millionen Dinge! Kommen Sie, liebe Gräfin? Antworten Sie wenigſtens!

Sie dachten wohl auch, Varnhagen iſt in Ketten und Banden. Noch lange nicht! Er hat nichts gethan; Feinde wünſchten ihn anklagen zu können. Feinde ſind von ihm, Neider und ſolche, die zehn Meilen in der Runde keinen ſelbſt - ſtändigen Menſchen ertragen und es riechen können, wer es iſt. Man kann gar nichts thun, als warten; und das kann man mit unbeflecktem Bewußtſein ruhig. Ich ſtürbe vor Angſt: und auch vor Scham, wenn es anders wäre. Das wird Ihnen gänzlich genug ſein.

Frau von Humboldt leidet an Heiſerkeit und Huſten: ich hatte daſſelbe Übel, wir haben uns alſo, da ich wagenlos bin, nur wenig geſehen. Ihn ſah ich noch nicht. Empfehlen Sie619 mich Angelika’n, und wenn ich bitten darf Ihrem Herrn Bru - der. Leben Sie recht wohl, verehrte Gräfin! recht geſund!

Ihre treue Friederike Varnhagen.

Madame Guion behauptete mit großer Gewißheit, dabei ſie voller tiefer Unterſuchungskraft iſt, oder vielmehr ſie iſt überzeugt, ohne den mindeſten Zweifel anzuknüpfen, daß die Seelen im Fegfeuer ſich reinigen müſſen; die Kirche aber und fromme Leute könnten ihnen Gebete nachſchicken, die Gott zu ihnen ließe, und welche ſie geſchwinder aus dieſem Feuer er - löſten. Die ganze Sache ſieht ſie als eine Reinigung an: was kann ſie anders meinen, als reinere richtigere Gedanken, wenn die auch nachher nur ein Organ für einen neuen Zuſtand bildeten! Könnten nicht die Seelen in dieſem Rei - nigungsfeuer erfahren, daß ſehr gute, gereinigte, hochſtehende Weſen, die Kirche, fromme, ehrliche, reine Leute, für ſie ſor - gen, denken, bitten, und dies ſie beſſer machen, und ihnen Gutes einflößen, Gutes in ihnen wahr machen, und ſie da - durch beſſer machen? Der einzige mögliche Weg, den ich erfinden kann.

Madame Guion iſt auch überzeugt, daß man Heilige anrufen, und mit ihnen in einem lebendigen Verhältniſſe ſte - hen kann. Meint ſie, in einem Verſenken in die tieferen Eigenſchaften der Seele, wo die äußeren Wahrnehmungen wegſallen und weichen müſſen, und wir in einen dem Heili -620 gen gleichen Zuſtand gerathen können, wodurch Mittheilung und Einwirkung wie in der Gegenwart möglich wird; und wir ſogar den Heiligen in ſeinen vorigen Zuſtand, in ſeine vorige Verfaſſung zurückrufen können, wie man es in nähe - rer Vergangenheit mit den Lebenden kann?

Gedruckt bei Trowitzſch und Sohn.

About this transcription

TextRahel
Author Rahel Varnhagen
Extent631 images; 152336 tokens; 18693 types; 999351 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationRahel Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde Zweiter Theil Rahel Varnhagen. Karl August Varnhagen von Ense (ed.) . 620 S. Duncker und HumblotBerlin1834.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Av 19851-2http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=556717406

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Prosa; core; ready; china; women

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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