PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Aeſthetik oder Wiſſenſchaft des Schoͤnen.
Zum Gebrauche für Vorleſungen
Erſter Theil: Die Metaphyſik des Schönen.
Reutlingen und Leipzig. Carl Mäcken's Verlag. 1846.
[II][III]

Vorrede.

Irre ich nicht, ſo wird den meiſten Widerſpruch die ganze Anlage erfahren, die ich dem Syſteme der Aeſthetik gegeben: daß ich nämlich nicht das Ganze auf die Phantaſie begründe, ſondern im erſten Theile das Schöne durchaus als ein Abſtractes entwickle, von dem ſich erſt zeigen ſoll, wo und wie es wirklich ſey. Wem nun die Bemerkungen nicht genügen, wodurch ich ſchon im vorliegen - den Bande den Angriffen auf dieſen Punkt vorzubeugen ſuche, den muß ich bitten, die Erſcheinung des zweiten abzuwarten. Hier wird ſich zeigen, was Alles dem Syſtem verloren ginge, wenn das Räthſel ſchon im erſten Theile gelöst, wenn nicht vielmehr der zweite die Naturſchönheit zuerſt in ihrem vollen Scheine und ihrer Breite dar - ſtellen und dann erſt in die Phantaſie aufheben würde. Keinen Raum würde ich mir vorbehalten, den Werth des Objects, des Gegebenen anzuerkennen; ich würde zuerſt einen Künſtler ſetzen, um dann eine Welt für ihn oder keine zu ſuchen, ſtatt daß ich ihm nun zuerſt eine Welt, darin er ſich umſehe, geben kann; den Naturton ſeines Elements müßte ich zerſtören und ihn, wie die neueren Aeſthe - tiker als ächte Kinder der Romantik Miene machen, auf Nichts ſtellen.

Ich hatte ſchon in dieſem Bande mehrere Fragen zu unter - ſuchen, deren gefährliche Natur in gegenwärtiger Zeit Jedem, der klüger als wahr iſt, es nahe legt, hinter dem Berge zu halten. Ich durfte und wollte kein Jota meiner Ueberzeugung verſchweigen; geböte mir dies nicht die Ehre der Wiſſenſchaft, ſo geböte es mir meine eigene, denn ich muß der Welt zeigen, daß ich keinerlei Ver -IV bindlichkeit übernommen habe, der freien Wiſſenſchaft auch den klein - ſten Theil der Aufrichtigkeit, die ihre Lebensluft iſt, zu entwenden. Wäre auch nicht in meiner eigenen Angelegenheit öffentlich und mit Nachdruck ausgeſprochen worden, daß jede philoſophiſche An - ſicht auf der Hochſchule das Recht freier Aeußerung genießen ſoll: mir ſoll man nie nachſagen können, daß ich dieſem unveräußerlichen Rechte auch nur das Geringſte vergebe. Wollen die Gegner dieſes Rechts gemäß einer bekannten Wendung, die ſie ihrem Angriffe zu geben belieben, die Reinheit der ſittlichen Weltanſchauung, welche aus meiner wiſſenſchaftlichen Grundanſicht fließt, verkennen, meine Sätze aus ihrem Zuſammenhang reißen und verdrehen, will z. B. die Augsb. Allg. Zeitung wieder Artikel aufnehmen, wie den gegen Reiff, worin die vernünftig ſittliche Anerkennung der Naturſchranken des Individuums, die das Nothwendige in ein Gewolltes und Freies verwandelt, als Naturdienſt denunzirt war: dagegen kann ich mein Buch nicht durch die Vorrede ſchützen und ich mag auch die reine Kühle der ſtrengen Wiſſenſchaft nicht durch Erörterung ſolcher Dinge beflecken. Ich folge der Wahrheit; ſie wird ſich Bahn brechen.

Ich werde wohl auch den Vorwurf zu hören bekommen, daß mein Werk eine Zuſammenfügung fremder Gedanken ſey; denn ich ſtelle mich ganz auf die Schultern meiner Vorgänger und gewinne meine Ergebniſſe dadurch, daß ich jene bald miteinander ſtreiten laſſe, bald ſelbſt widerlege, ergänze, die Folge aus den Vorderſätzen ziehe, die ſie mir hinterlaſſen haben. Wer aber den Gang des Gedankens verſteht oder verſtehen will, der weiß, daß es leichter iſt, die Reihe von Gründen und Gegengründen, aus denen ſich die Wahrheit aufbaut, aus eigenen Mitteln unvollſtändig zu geben, als ſich zu erinnern, daß irgendwie Alles, was zu ihr führt, ſchon von Andern gedacht iſt, und Jeden an ſeinem Orte das ſagen zu laſſen, was er wirklich beigetragen hat, die Wiſſenſchaft bis dahin vor - wärts zu bringen, wo ſie der letzte Bearbeiter faßt und weiter bildet.

Die Natur ihres Gegenſtands bringt es mit ſich, daß der Aeſthetik Viele ſich zuwenden, welche zwar allgemeinen Beſcheid über das Weſen des Schönen und die verſchiedenen Zweige ſeines lebendigenV Baumes ſuchen, aber dem Begriff in ſeine ſtrengen Tiefen nicht zu folgen vermögen: die Freunde der Kunſt und die Künſtler. Sie verlangen billig, daß der Kunſtphiloſoph über ſeinen Beruf ſich vor Allem dadurch ausweiſe, daß man ſeinen Worten jenen eigenen Sinn anfühle, den das Schöne überall vorausſetzt, jenen Sinn für die volle Mitte, worin Begriff und einzelne Geſtalt ihren Gegenſatz aus - löſchen, und daß dieſer Sinn durch die nöthige Anſchauung und Kennt - niß der wirklichen Schönheit ausgebildet ſey. Wer ihnen dieſen Sinn in der geforderten Reife entgegenbringt, von dem hoffen ſie, daß er ihrem weiteren Bedürfniſſe theoretiſcher Einſicht durch eine gemein - verſtändliche und leichtfaßliche Form abhelfen werde. Sie vergeſſen leicht, daß jene Eigenſchaften zwar die erſte Vorausſetzung ſind, daß aber der Philoſoph mehr zu leiſten hat: daß er zuerſt mit jeder beſon - deren Erſcheinung des Schönen auch die unmittelbare Friſche ſeiner eigenen Liebe zu demſelben in der Tiefe zurücklaſſen und ſich zu dem farbloſen Ueberblicke des Gedankens in ſeiner Allgemeinheit erheben muß. In dieſem Gebiete bewegt ſich der erſte Theil meines Werks; ich kann nicht erwarten, daß er ſich die, mir doch ſo werthe, Freund - ſchaft jener gewinne, welche auf die dargeſtellte Weiſe vom vollen und friſchen Genuſſe des Schönen nur einen halben Schritt weiter thun zum Denken über dieſen Genuß und ſeinen Gegenſtand. Der zweite und dritte Theil dagegen wird andere Wege gehen; das leben - dige Reich des Schönen ſoll ſich als Wirklichkeit ſeines Begriffs aus - breiten und der Verfaſſer hat zu bewähren, ob die ſtrenge Erörterung des letzteren, von der er ausging, wirklich auf demjenigen ruhte, was ſie vorausſetzt: ob er Auge und Nerv für das Schöne beſitzt und ob das Auge geſehen und ſehen gelernt, der Nerv gefühlt und fühlen gelernt hat. Darf er hoffen, dieſe Probe zu beſtehen, ſo darf er ſich auch der Ausſicht erfreuen, daß dann die ächten Freunde des Schö - gen gerne ſeine Gäſte ſeyn und wohl auch einigen Reiz fühlen wer - den, in die innern Gemächer, die Werkſtätte der metaphyſiſchen Grundlegung einzutreten: ſo daß, was man oft vom Schnee ſagt, er thaue nicht auf, es falle denn ein zweiter, der den erſten mit - nehme, vielleicht Anwendung auf dieſes Buch finden könnte.

VI

Vielleicht wird daſſelbe in ein ähnliches Verhältniß zu denjeni - gen treten, welche jede Schrift darauf anzuſehen pflegen, ob ſie dem Geiſte der Zeit und ſeinen neueſten Bewegungen unmittelbar und ausgeſprochener Maßen Rechnung trage und Vorſchub leiſte oder nicht. Sie werden dieſen Theil wohl für etwas ganz Unfrucht - bares anſehen; ich habe auf keine Weiſe ſuchen dürfen, ihnen un - mittelbar entgegenzukommen; die erſte Frage iſt nicht: modern? ſon - dern: wahr? Freilich aber, wer Muth des Vertrauens hat, der wird des Glaubens leben, daß das Neue das Wahre ſey, und ſo hoffe ich, daß ungeſucht das bleiche Saamenkorn, das dieſer erſte Theil in den dunkeln Schooß der Begriffswelt ſenkt, ſich als fruchtbarer Keim erweiſen, daß aus meinen Vorderſätzen geſunde Anſichten über das Verhältniß der Kunſt zum Leben, ihre Aufgabe und Zukunft ſich von ſelbſt ergeben werden.

Tübingen im März 1846.

Fr. Viſcher.

[VII]

Inhaltsverzeichniß.

  • §§. Seite.
  • Einleitung1 83 41

Erſter Theil. Die Metaphyſik des Schönen.

  • Aufgabe derſelben945 46

Erſter Abſchnitt.

  • Das einfach Schöne.
  • Grundbegriff10 1447 54
  • A. Die Idee15 2955 92
  • Verhältniß des Schönen zum Guten22 2477 80
  • zur Religion24 2781 88
  • zum Wahren28 2988 92
  • B. Das Bild30 4093 116
  • C. Die Einheit der Idee und des Bildes41 69117 178
  • Verhältniß des Schönen zum Guten56 60151 161
  • zur Religion61 67161 172
  • zum Wahren69 69172 178
  • Der ſubjective Eindruck des Schönen70 81178 213

Zweiter Abſchnitt.

Das Schöne im Widerſtreit ſeiner Momente.

  • Grundbegriff82 83214 220
  • A. Das Erhabene.
  • Grundbegriff84 88221 231
  • a. Das objectiv Erhabene
  • Grundbegriff89 90231 234
  • VIII
  • §§. Seite.
  • α. Das Erhabene des Raums91 92234 238
  • β. Das Erhabene der Zeit93 94239 241
  • γ. Das Erhabene der Kraft95 102242 254
  • b. Das Erhabene des Subjects.
  • Grundbegriff103 104255 257
  • α. Das Erhabene der Leidenſchaft105 106257 260
  • β. Das Erhabene des böſen Willens107 109260 264
  • γ. Das Erhabene des guten Willens110 116265 277
  • c. Das Erhabene des Subject-Objects oder das Tragiſche.
  • Grundbegriff117 129277 300
  • α. Das Tragiſche als Geſetz des Univerſums. 130 131300 303
  • β. Das Tragiſche der einfachen Schuld131 133303 312
  • γ. Das Tragiſche des ſittlichen Conflicts135 139312 321
  • Der ſubjective Eindruck des Erhabenen140 146322 333
  • B. Das Komiſche.
  • Grundbegriff147 155334 351
  • Das erſte Glied156 167351 374
  • Das Gegenglied168 172374 379
  • Zuſammenfaſſung beider Glieder zu widerſprechender Einheit. 173 187379 408
  • a. Das objectiv Komiſche oder die Poſſe188 191408 416
  • b. Das ſubjectiv Komiſche oder der Witz.
  • Grundbegriff192 196416 429
  • α. Der abſtracte Witz197 198429 432
  • β. Der bildliche Witz199 200432 435
  • γ. Der in ſeinen Gegenſtand eingehende Witz oder die Ironie201 204436 443
  • c. Das abſolut Komiſche oder der Humor.
  • Grundbegriff205 215444 459
  • α. Der naive Humor oder die Laune216 217459 462
  • β. Der gebrochene Humor218 219463 466
  • γ. Der freie Humor220 222467 473
  • Der ſubjective Eindruck des Komiſchen223 227473 480
  • C. Rückkehr des Schönen in ſich aus dem Widerſtreit ſeiner Momente228 231481 489
[1]

Einleitung.

Viſcher’s Aeſthetik 1 Bd. 1[2][3]

Einleitung.

§. 1.

Die Aeſthetik iſt die Wiſſenſchaft des Schönen. Was das Schöne und1 deſſen Wiſſenſchaft ſei, kann nur in der Durchführung der letzteren gelehrt werden. Die Deſinition der Aeſthetik durch: Wiſſenſchaft oder Philoſophie2 der Kunſt ſetzt voraus, was ſich erſt ergeben ſoll, daß nämlich das Schöne wahrhaft nur in der Kunſt wirklich ſey. Der Name Aeſthetik, durch Baum -3 garten eingeführt, genießt das Recht der Verjährung; eigentlich iſt er unrichtig, weil er nur eine Unterſuchung des ſubjectiven Moments der Empfindung anzeigt, deren Object als gegeben angenommen wird, und weil er dieſe von dem blos ſinnlichen Empfinden nicht unterſcheidet. Ebenſo einſeitig ſind die Namen:4 Kritik der äſthetiſchen Urtheilskraft, Geſchmackslehre, Theorie der ſchönen Künſte und Wiſſenſchaften u. a.

1 Prekärer Charakter der Definition überhaupt. Sie iſt die erſte Auflöſung eines wiſſenſchaftlichen Namens in einen Satz. Dieſer Satz fordert eine weitere Auflöſung u. ſ. f., bis die Wiſſenſchaft durchgeführt iſt, und nur dieſe ſelbſt iſt die Definition ihres Namens. Die ſogenannte Definition hat daher nur den Werth einer Abbreviatur, welche für den - jenigen brauchbar iſt, der ſie als Keim des ſich entwickelnden oder als zuſammenfaſſenden Schluß des entwickelten Syſtems begreift. Was das Schöne ſey, darüber iſt demnach in der Einleitung keine Erörterung zu erwarten, ebenſowenig über den Begriff einer Wiſſenſchaft des Schönen. Nur vorläufige Andeutungen bringt die Aufgabe der Einleitung mit ſich. Sollte ſogleich hier die Frage nach der Möglichkeit dieſer Wiſſenſchaft aufgeworfen werden, ſo iſt ebenfalls nur auf das folgende Ganze als auf die Antwort zu verweiſen, wo denn auch die beſonderen Zweifel gegen die Begreiflichkeit des Schönen am rechten Orte aufzuführen und1*4zu erledigen ſind. Es könnte ferner eine Beſchreibung der Methode verlangt werden, welche in der Geſtaltung dieſer Wiſſenſchaft befolgt werden ſoll. Dieſe kann keine andere ſeyn, als die philoſophiſche; die Streitfrage über die wahre philoſophiſche Methode iſt aber durch den jetzigen Stand der Philoſophie einſtimmig dahin entſchieden, daß der Gegenſatz des analytiſchen und ſynthetiſchen Gangs ſich in den dialekti - ſchen Prozeß aufzuheben hat, deſſen Natur hier als bekannt vorausgeſetzt wird und von deſſen richtiger Durchführung ebenfalls nur das folgende Syſtem ſelbſt die Probe zu liefern hat. Der erſte Abſchnitt des folgenden Syſtems ſcheint ſynthetiſch zu verfahren durch ſtete Rückberufung auf die Lehnſätze, von denen er ausgehen muß; man wird aber finden, daß nur dieſe vorausgeſetzt ſind und alles Weitere nicht Conſtruction, ſondern Entwicklung, Fortgang und Rückgang zugleich iſt.

2 Aſt: Syſtem der Kunſtlehre. Solger: philoſophiſche Kunſt - lehre. Hegel: Philoſophie der Kunſt, und beſtimmter: Philoſophie der ſchönen Kunſt. Daß die Naturſchönheit und die Schönheit des innern Phantaſiebildes nur unvollkommene Formen der Verwirklichung des Schönen ſind, welche der höheren in der Kunſt als ihre Vorausſetzungen vorangehen: dies ſoll erſt im Syſteme entwickelt, nicht in der Definition vorweggenommen werden.

3 Baumgarten: Aesthetica 1750. Aestheticorum pars altera 1758. Sie iſt bei ihm ein Theil der Gnoſeologie, welche als inſtrumen - tale Wiſſenſchaft den übrigen Haupt-Disciplinen der Philoſophie vor - angeht. Die Gnoſcologie hat das Geſchäft, die Werkzeuge der Er - kenntniß zu unterſuchen und die Anweiſung zu ihrem richtigen Gebrauche zu geben. Baumgarten findet in dieſer Wiſſenſchaft, welche ſchon das Haupt ſeiner Schule, Wolff, unter dem Namen der Logik als propädeutiſchen Theil dem Syſteme vorangeſtellt hatte, eine weſentliche Lücke. Wolff hatte alle Erkenntniß in ſenſitive und intellectuelle getheilt, in ſeiner Logik aber nur die Geſetze der letzteren dargeſtellt. Baumgarten verlangt als erſten Theil dieſer propädeutiſchen Wiſſenſchaft (scientia cognitionis in genere s. gnoseologia, logica latiori significatu) die Unterſuchung der Natur und des richtigen Gebrauchs der ſinnlichen oder ſenſitiven Erkenntniß, und dies nennt er Aeſthetik. Vergebens ſucht man (um den zweiten Einwurf des §. zuerſt hervorzuheben) nun bei Baumgarten eine Aufklärung darüber, mit welchem Rechte mit der ſinnlichen Erkenntniß die Erkenntniß des Schönen, welche zwar allerdings auch ſinnlich, aber, wie ihr Gegenſtand, ſinnlich und ideal5 zugleich, daher von der gemeinen ſinnlichen Erkenntniß unendlich ver - ſchieden iſt, ohne Weiteres zuſammengeworfen werden könne. Sogleich der erſte §. der Einleitung in ſeiner Aeſthetik heißt: Aesthetica (theoria liberalium artium, gnoseologia inferior, ars pulcre cogitandi, ars analogi rationis) est scientia cognitionis sensitivae. Eine ganz verworrene An - deutung einer Vermittlung zwiſchen jenen zwei ſo verſchiedenen Thätigkeiten enthält §. 14. Aesthetices finis est perfectio cognitionis sensitivae qua talis. Haec antem est pulcritudo; et cavenda ejusdem qua talis imperfectio. Haec autem est deformitas. Man könnte dies nämlich ſo erklären: die ſinnliche Anſchauung wird innerhalb ihrer ſelbſt über ſich erhoben, indem eine ideale Harmonie in ſie eindringt, wodurch ſie dieſelben Gegenſtände, die ſie als gemeine ſinnliche Anſchauung in ihrer Endlichkeit auffaßt, als reine Erſcheinung der Idee anſchaut und in dieſem Sinne ſelbſt Geſtalten ſchafft. Dies wäre die Phantaſie und ſo diejenige moderne Anlegung der Aeſthetik vorbereitet, welche von der Phantaſie ausgeht. Es ſcheint etwas der Art allerdings Baumgarten vorzuſchweben. Es ſoll in der Aeſthetik der Charakter der ſinnlichen Anſchauung als einer unterſchieds - (reflexions -) loſen nicht aufgehoben werden (complexus repraesentationum infra distinctionem subsistentium §. 17); innerhalb desſelben aber ſoll ein consensus cogitationum inter se ad unum, qui phaenomenon sit (§. 18) gewonnen werden; und dieſer consensus, der ſich nach der Seite des Gedankens als innere Ordnung (§. 19), nach der Seite des Ausdrucks als Einklang der Zeichen oder Bilder (pulcritudo signi - ficationis §. 20) darſtellen ſoll, iſt Schönheit. Allein Baumgarten hat nur Poetik und Rhetorik in damaliger Weiſe, nur clegantia cognitionis (§. 29) im Auge; er verlangt zwar ingenium als dispositio naturalis ad imaginandum (§. 31), aber er denkt nur an zierliche Aus - ſchmückung eines Gedankengehalts, fühlt, ſich ſelbſt widerſprechend, den Gegenſatz zwiſchen repraesentatio oder imaginatio und cognitatio nicht und man darf daher eine ſolche Theorie der Anſchauung, wie ſie ſich zur Phantaſie erhebt, nicht bei ihm ſuchen. Dies erhellt ſchon daraus, daß er ſich die Frage nicht aufwirft, ob es dieſelben Gegenſtände ſeyen, welche durch die gemeine Anſchauung als gewöhnliche, durch die voll - kommene als ſchöne angeſchaut werden oder nicht, und daß er die bildenden Künſte ganz vergeſſen hat. Auch Kant gebraucht ganz unbefangen den Namen Aeſthetik ſowohl von der gemeinen ſinnlichen Erkenntniß, als von der Betrachtung des Schönen. In der tranſcendentalen Aeſthetik erhebt er zwar (Kritik der r. V. §. 1 Anm.) Einſprache gegen die von6 Baumgarten eingeführte Anwendung des Worts Aeſthetik auf das, was Andere Kritik des Geſchmacks nennen. Allein er greift den Sprachgebrauch nur deswegen an, weil er überhaupt an der Möglichkeit einer Zurück - führung der kritiſchen Veurtheilung des Schönen auf Vernunftprinzipien zweifelt, während er für die ſinnliche Anſchauung im gewöhnlichen Sinne bekanntlich die reinen aprioriſchen Formen im Raume und der Zeit entdeckt zu haben glaubt und hiefür den Namen der tranſcendentalen Aeſthetik gebraucht. Da er nur dieſen Zweifel gegen die Richtigkeit des Sprachgebrauchs hatte, ſo konnte ihn nichts abhalten, als er ſpäter gewiſſe Grundgeſetze der kritiſchen Beurtheilung des Schönen gefunden hatte, den von ihm ſelbſt angegriffenen Namen wieder in Anwendung zu bringen und ſeine Unterſuchung des Geſchmacksvermögens zu über - ſchreiben: Kritik der äſthetiſchen Urtheilskraft. Gerade dieſe Schrift ſcheint die allgemeine Einführung des Namens vermittelt und durch ihren Ruhm die Schiefheit desſelben der Beobachtung entzogen zu haben; er iſt jetzt einmal im Rechte der Verjährung und auch dadurch unſchädlich, daß man den Theil der Philoſophie, welcher die Natur der ſinnlichen Anſchauung unterſucht, nicht mehr Aeſthetik zu nennen pflegt, alſo kein Anſpruch mehr verletzt wird. Uebrigens iſt der Name nicht blos aus dem genannten Grunde ſchief, ſondern auch aus dem andern, im §. zuerſt genannten, weil er nur die Unterſuchung der Art ankündigt, wie der als gegeben vorausgeſetzte Gegenſtand empfunden wird oder empfunden werden ſoll, da doch die Wiſſenſchaft des Schönen erſt den Gegenſtand haben muß, ehe ſie den ſubjectiven Eindruck unterſuchen kann, den er hervorbringt. Allerdings hat dieſe ſubjective Auffaſſung einen tieferen Grund, der ſo eben bei Baumgarten bereits angedeutet wurde: es liegt darin die Ahnung, daß der ſubjective Geiſt das Schöne, indem er es nur zu finden meint, vielmehr ſelbſt in die Welt hineinſchaut und ſofort als Künſtler ſelbſt erzeugt; daher geht Baumgarten von der Beſtimmung der Aeſthetik als einer Wiſſenſchaft der ſinnlichen Erkennt - niß ohne Weiteres über auf das ingenium pulerum, wodurch das Schöne hervorgebracht wird, und braucht dieſes ganz gleichbedeutend mit: leichte Erregbarkeit der facultates cognoscitivae inferiores (§. 29). Dies führt, ſtrenger verfolgt, auf ſubjectiven Idealismus, welcher freilich nicht das Wahre, aber doch eine verborgene Rechtfertigung davon iſt, daß das Object und das Subject des Schönen hier nicht ausein - andergehalten wird. Jedoch nimmt Baumgarten und die von ihm hervorgerufene Behandlungsweiſe dieſe Wendung nur, um den neuen7 Irrthum zu begehen, welcher den Beruf der Aeſthetik darein ſetzt, eine Anweiſung zum Hervorbringen des Schönen zu geben. Dieſer Irrthum iſt längſt außer Gang und wird überdies in der Lehre von der Phantaſie ſeine Widerlegung finden. Kant weiß ſich bereits frei davon (Kritik der äſthetiſchen Urtheilskraft Vorrede S. IX. Ausgabe 1794).

4 Siehe die vorhergehende Bemerkung. Geſchmackslehre Krug; über den Unterſchied zwiſchen Geſchmack und Schönheitsſinn, vergl. den folgenden Abſchnitt vom ſubjectiven Eindruck des Schönen. Theorie der ſchönen Künſte auch: Philoſophie der ſchönen Künſte, oder die Wiſſen - ſchaft, welche ſowohl die allgemeine Theorie, als die Regeln der ſchönen Künſte aus der Natur des Geſchmacks herleitet Sulzer, Theorie der ſchönen Wiſſenſchaften Eberhard. Theorie erinnert ebenfalls an eine Anleitung zu ihrem Gegenſatze, der Praxis, welche nicht in der Aufgabe der Aeſthetik liegt; ſchöne Kunſt iſt tautologiſch und überdies zu eng, da die Aeſthetik keineswegs blos von den Künſten handelt, ſchöne Wiſſenſchaften ein Widerſpruch.

§. 2.

Im Syſteme der philoſophiſchen Wiſſenſchaften geräth die Aeſthetik in1 eine falſche Stellung, wenn man dasſelbe blos zweigliedrig, in theoretiſche und praktiſche Philoſophie, eintheilt. Entweder wird ſie dann der theoretiſchen zu - gezählt, und dies iſt falſch, weil es ſich in ihr keineswegs blos um die Weiſe der Erkenntniß eines fertig gegebenen Gegenſtandes handelt (vergl. §. 1, 3.), ſondern vielmehr um einen Inhalt, von dem ſich zuerſt fragt, wie er entſtehe, und der, auch wenn er als vollendeter aufgewieſen iſt, nicht in den gewöhnlichen Gegenſatz von Subject und Object fällt. Oder ſie wird, weil ihr Gegenſtand2 allerdings nur durch eine Thätigkeit entſtehen kann, der praktiſchen Philoſophie zugetheilt, und auch dies iſt unrichtig, da jene Thätigkeit von derjenigen, wodurch der eigentlich ſo genannte praktiſche Zweck verwirklicht wird, weſentlich verſchieden iſt. In der praktiſchen Sphäre nämlich wird der Endzweck des Geiſtes überhaupt als ein noch unerreichter vorausgeſetzt, er ſoll durch den Willen erſt vollführt werden, die Thätigkeit dagegen, welche das Schöne hervor - bringt, ſetzt den Zwieſpalt als überwunden voraus, ſteht über der Kategorie des Sollens und hat keinen Zweck, als die Darſtellung der als verwirklicht angeſchauten Idee.

1 Es verſteht ſich, daß von der Stellung der Aeſthetik im Syſteme der philoſophiſchen Wiſſenſchaften nur vermöge einer Vorausſetzung ſpäter8 zu beweiſender Sätze in der Einleitung die Rede ſeyn kann. Es darf aber dieſe Frage hier nicht übergangen werden; vorläufige allgemeinſte Orientirung iſt Aufgabe der Einleitung.

Die Wolff’ſche Schule theilte zweigliedrig in theoretiſche und praktiſche Philoſophie (wiewohl der erſtere Name bei Wolff noch nicht vorkommt). Dieſe Eintheilung blieb in der Philoſophie ſo lange, als die Logik oder im weitern Sinn Erkenntnißlehre noch blos formal verſtanden wurde. Sie wurde dann entweder, wenn man vom Bedürfniß des Lernenden ausging, als propädeutiſcher Theil den eigentlichen Haupt - theilen vorangeſchickt, oder, wenn man gegenſtändlich verfuhr, neben die Pſychologie in das Syſtem eingereiht. (Vergl. Erdmann’s Verſuch einer wiſſenſchaftlichen Darſtellung der Geſchichte der neueren Philoſophie B. 2, Abthl. 2. S. 269 ff. 379. 380.) Zur Logik im weiteren Sinne oder zur Gnoſcologie gehört aber nach Baumgarten eben die Aeſthetik. Von dem Schwanken zwiſchen der inſtrumentalen Voranſtellung und der ſyſtema - tiſchen Einreihung kann hier abgeſehen werden und die Frage, ob Hegel mit Recht oder Unrecht die Kunſt auch in die Phäenomenologie (als propä - deutiſche Wiſſenſchaft) aufgenommen habe (vergl. Danzel Ueber die Aeſthetik der Hegelſchen Philoſophie Abſchnitt 1.) gehört noch weniger hieher; es wird ſich übrigens an ſeinem Orte erweiſen, daß die Kunſt allerdings als eine der großen Formen des Bewußtſeyns zu begreifen iſt, in welchen der Geiſt ſein Weſen und ſeine Weltanſchauung ſo lange nieder - zulegen ſucht, bis er im reinen Denken ſich in ſeiner Wahrheit erfaßt, und welche daher allerdings ſowohl phänomenologiſch als auch, weil ſie nämlich dadurch, daß ſie als verſchwindende Stufen im Wege des Geiſtes zu ſeiner Reinheit erfaßt werden, keineswegs aufhören real fort - zubeſtehen, ſyſtematiſch auftreten können. Syſtematiſch eingereiht aber fällt die Aeſthetik nach jener Eintheilung in die theoretiſche Philoſophie. So ſtellt z. B. Krug die Aeſthetik als den dritten und letzten Theil der theoretiſchen Philoſophie auf: die theoretiſche Philoſophie betrachtet die Objecte unſerer Vorſtellungen zuerſt in ihrer Beziehung auf das Denk - vermögen Logik, ſodann in Beziehung auf das Erkenntnißvermögen Methaphyſik, zuletzt in Beziehung auf das Gefühl der Luſt und Unluſt Aeſthetik. (Aeſthetik oder Geſchmackslehre S. 8.) Krug hat bekanntlich Kant’ſche Ideen zu einem breiten und ſtumpfen Formalismus verwäſſert. Nach dieſen gehört die Aeſthetik, da ſie blos eine aus der Natur des menſchlichen Geiſtes ſelbſt geſchöpfte Rechenſchaft über die Gründe des äſthetiſchen Wohlgefallens geben ſoll (a. a. O. 12), aller -9 dings in die theoretiſche Philoſophie, Kant ſelbſt legt jedoch das Haupt - gewicht auf ihre Bedeutung als Uebergangsglied zur praktiſchen, was Krug mit einem ſchwachen gleichſam (S. 8.) nachſpricht. Hievon im folgenden Paragraphen. Die Unrichtigkeit dieſer ganzen Stellung aber erhellt aus §. 1, 3. Das Schöne wird ſich entwickeln als ein Inhalt, welcher weſentlich ſelbſt Subject iſt, mag man ihn nun faſſen als einen Gegenſtand, der zwar zunächſt als ein vorgefundener an das Subject tritt, aber nicht als ein ſchöner vor es träte, wenn es nicht eine gewiſſe Art ihn zu ſchauen mitbrächte, oder als Gegenſtand, den das Subject durch eine wirkliche Thätigkeit erſt hervorbringt. Es wird ſich im Verlaufe zeigen, daß dieſe beiden Arten, ihn zu faſſen, nach einander in ihre Wahrheit treten. Allerdings aber ſtellt ſich der Gegenſatz von Subject und Object ein, wenn nun die Frage entſteht, wie der ſchöne Gegenſtand, mag er auch durch eigentliche Thätigkeit eines Subjects entſtanden ſeyn, auf andere Subjecte, die ihn in dieſem Sinne nicht hervorgebracht haben, wirke. Aber auch dieſe Wirkung wird ſich als eine ſolche erweiſen, worin Subject und Objekt auf eine Weiſe zuſammen - gehen, welche den theoretiſchen Standpunkt, der ſich gegenüber ein ſelbſt - ſtändiges Object annimmt, völlig ausſchließt. Hegel gewinnt den Stand - punkt für das Schöne geradezu durch Auflöſung des theoretiſchen wie des praktiſchen Verhaltens (Aeſthetik 1, S. 145. ff).

2 Solger: Die Kunſt ſoll etwas hervorbringen, was als Gegen - ſtand einer ſolchen Darſtellungsart noch nicht vorhanden war; ſie bringt etwas aus dem Gedanken hervor, das ſie in die Objecte verpflanzt, das aber durch dieſe ſelbſt niemals gegeben iſt, ſondern einzig und allein aus dem Bewußtſeyn erzeugt wird. Indem wir nun unſere Gedanken an äußern Objecten darſtellen, ſo handeln wir. Daher gehört die Kunſt in die praktiſche Philoſophie (Vorleſungen über Aeſth. Herausgeg. v. Heyſe S. 3. 4.). Faßt man das Wort: Darſtellen im weiteſten Sinne, ſo iſt allerdings auch das Handeln ein Darſtellen; ſobald man aber die Be - zeichnungen genauer nimmt, ſo fallen die Begriffe des Darſtellens und des Handelns zwar unter den gemeinſamen Begriff der Thätigkeit, ſind aber von einander ſehr verſchieden. Das Handeln iſt eine Thätigkeit, welche von dem Zwieſpalte zwiſchen Subject und Object ausgeht und mitten im Drange des Zweckes ſteht, der noch nicht verwirklicht iſt, ſondern erſt verwirklicht werden ſoll; das Darſtellen iſt über dieſen Zwie - ſpalt hinaus, ein Inneres wird aus freier Nothwendigkeit und in vollem Fluſſe zu einem Aeußeren, nicht mit der Abſicht, die Außenwelt materiell10 zu verändern, ſondern nur, ſchlechtweg ſich zu manifeſtiren. Der Kampf mit dem Materiale, den dieſe Thätigkeit allerdings zu beſtehen hat, bis ſie ihm das innere Bild aufdrückt, iſt mit dem Kampfe des Handelns durchaus nicht zu verwechſeln. Dieſen Unterſchied kennt Solger wohl; er weiß, daß die Idee des Guten ein Sollen iſt, wodurch Wirklichkeit und Idee noch immer von einander geſchieden ſind, wogegen die Idee der Schönheit die Verſchmelzung beider als eine vollendete enthält (a. a. O. S. 64. 65.). Dennoch meint er das Schöne praktiſch nennen zu müſſen um der Verwandlung der Wirklichkeit willen, welche es voraus - ſetzt (a. a. O. S. 70. 71.). Den Unterſchied zwiſchen der ethiſchen und der äſthetiſchen Thätigkeit erkennt aber auch Schleiermacher (Vor - leſungen über die Aeſthetik. Herausgeg. von Lommatzſch. S. 112 ff. u. a. O.). Er ſetzt denſelben zunächſt darein, daß man das Weſen der Kunſt als einer immanenten Thätigkeit, d. h. einer ſolchen, bei welcher das innere Bild das Weſentliche, das äußere aber nur ein ſpäter Hin - zukommendes iſt (S. 58), faſſen könne, wenn man auch auf die äußere Darſtellung keine Rückſicht nehme, wogegen im eigentlich Praktiſchen das Werk den Werth des Mannes beſtimme, nicht die innere Vorbildung desſelben (S. 112 ff.). Es kann ſich Einer die ſchönſten Thaten innerlich conſtruiren, wenn er ſie aber nicht wirklich macht, iſt er eine Null, denn das Werk iſt hier das in die Wirklichkeit Heraustreten. Dies bedarf jedoch einer weſentlichen Berichtigung. Schleiermacher behandelt hier die künſtleriſche Ausführung viel zu gering, er ſcheidet viel zu ſcharf zwiſchen dem inneren Bilde und der Technik. Bei dem wahren Künſtler ſind dieſe beiden ſo wenig zu trennen, daß ſeine Technik bis hinaus in die Einzelnheiten der Manipulation u. ſ. w. von der Eigenthümlichkeit ſeines inneren Schauens geheimnißvoll durchdrungen iſt und umgekehrt ſein inneres Schauen ſchon an ſich ein inneres Zeichnen, Malen u. ſ. w., nicht jedoch, als genüge ihm dies, ſondern ſo, daß dasſelbe mit einem Drange der Nothwendigkeit auch zu einem äußern wird. Auch der Künſtler iſt nur ſo viel, als er wirklich macht, und es iſt falſch, was der Maler in Emilia Galotti ſagt: Meinen Sie, daß Raphael nicht das größte maleriſche Genie geweſen wäre, wenn er unglücklicher Weiſe ohne Hände wäre geboren worden? Umgekehrt iſt im eigentlich ethiſchen Gebiete das innere Bild der That und der geiſtige Zuſammen - hang, dem es angehört, d. h. die Geſinnung, ſo weſentlich, daß ſie weit unbezweifelter als Ergänzung für die mangelhafte That genommen werden, als das Phantaſiebild für die geringe Ausführung im Kunſtwerke; man11 müßte denn unter dem Ethiſchen blos das Rechtsgebiet verſtehen, was aber bei Schleiermacher nicht der Fall iſt. Schleiermacher hätte daher dies Moment des Unterſchieds vielmehr nur in die fließende Continuität zwiſchen dem inneren Bilde und ſeiner Ausführung ſetzen ſollen, welche der Kunſt vermöge des ihr inwohnenden Charakters der Abſolutheit zu - kommt, während der ethiſche Wille an der Außenwelt, welche er reell zu verändern ſtrebt, unendlichen Widerſtand findet. Weiter beſtimmt Schleiermacher den Unterſchied dahin, daß das praktiſche Leben durchaus ein gebundenes, das Kunſtleben aber ein Leben freier Productivität ſey. Jene Gebundenheit iſt ein Sollen (S. 127.). Schleiermacher ver - ſteht darunter das Syſtem der Pflichten im Staatsleben; von den Künſt - lern aber ſagt er, gemeinſam ſey ihnen allen das Zurückſtoßen des Bindenden (132); ſchwerlich werden wir den für einen großen Künſtler halten, bei welchem wir eine ſtreng pedantiſche Neigung finden, ſich der Sitte anzuſchließen. Dieß Zurückweiſen alles Bindenden ſoll aber der Charakter des Künſtlers ſeyn unbeſchadet des Ethiſchen , denn überall iſt in der äußeren Sitte viel Willkührliches . Hiedurch wird der Standpunkt verrückt, denn wenn das Bindende im ethiſchen Leben vorzüglich das Willkührliche ſeyn ſoll, ſo erſcheint die Bindung durch ein Geſetzmäßiges als eine höhere, aber ſelbſt noch ſittliche Aufgabe. Die wahre Meinung iſt vielmehr offenbar die, daß das praktiſche Leben darum ein gebundenes ſey, weil es unter dem Gebote des Sollens, alſo in der Dualität ſteht; die Individualität iſt zwar auch in dieſem Gebiete be - rechtigt und darum kann der Künſtler unbeſchadet des Ethiſchen das Bindende zurückweiſen; aber die freie Ausbildung der Individualität iſt, vom ſpezifiſch ethiſchen Standpunkte betrachtet, ſelbſt wieder ein Sollen. Dieſer Begriff des Sollens fällt zuſammen mit dem Begriffe des erſt zu vollführenden Zwecks und Schleiermacher ſagt (S. 209. 210. ): ein rein ſelbſtſtändiges Element, welches nirgends ſeine völlige Darſtellung findet, ſucht dieſelbe in der Kunſt; hier iſt die Selbſtthätigkeit des Geiſtes von allen Beziehungen auf Zweckmäßigkeit geſondert u. ſ. w. Trotz dieſer Einſicht in den Unterſchied nun ſetzt Schleiermacher die Aeſthetik in die Ethik, und zwar, weil das agens in der Kunſt der menſchliche Geiſt in ſeiner freien Thätigkeit ſey. Schleiermacher befaßt allerdings die ganze Lehre vom Geiſte unter den Begriff der Ethik, ſo wie er die ganze Naturwiſſenſchaft unter dem Namen Phyſik begreift; beide coordinirten Haupttheile ſubordinirt er der Dialektik oder Metaphyſik. Da er nun nachweist, daß die Aeſthetik vielfach auf12 die Lehre von der menſchlichen Sinnlichkeit und ſofort auf die Phyſik zurückgehen müſſe, daß aber hierin die Nothwendigkeit liege, zu der höheren Einheit beider, der Dialektik aufzuſteigen, ſo hätte ihn dieß auf das Richtige führen können: im Schönen verſöhnen ſich die Gegen - ſätze von Natur und Geiſt, ebenſo aber die Gegenſütze im Geiſte, und das Letztere fordert eine Theilung der geiſtigen Thätigkeiten in ſolche, die mit dem Gegenſatze behaftet, und in ſolche, welche frei von ihm ſind; dieſe ſämmtlich unter dem Namen Ethik zu befaſſen, iſt nicht räthlich und man wird auf geradem Wege zu der dreifachen Hegel’ſchen Eintheilung der Lehre vom Geiſte geführt.

Wirth (Syſtem der ſpeculativen Ethik. 1841) theilt zwar die Geiſteslehre dreifach ein, ſetzt aber die Ethik als die Wiſſenſchaft vom abſoluten, d. h. ſein abſolutes Wiſſen verwirklichenden Geiſte als die dritte, höchſte Diſciplin an den Schluß des Syſtems. Wirth hat einen bekannten Mangel des Hegel’ſchen Syſtems richtig erkannt: der praktiſche oder objective Geiſt hat hier blos endlichen Gehalt, er iſt als moraliſcher ſubſtanzloſe Subjectivität, als politiſcher ſubjectivitätsloſe Subſtanz. Der Geiſt ſoll alſo den abſoluten Gehalt der Religion, der Vernunft-Erkenntniß, der Kunſt in ſich aufnehmen und nun erſt dieß abſolute Selbſtbewußtſeyn verwirklichen. Allein die neue Schwierigkeit, welche hiedurch entſteht, hat Wirth nicht hervorgeſtellt und nicht wider - legt. Obwohl nämlich mit abſolutem Gehalte durchdrungen verwickelt ſich der Geiſt als handelnder Wille dennoch nothwendig auf’s Neue mit dem Objecte, die Dualität kehrt zurück, ſo wie der Standpunkt des Zwecks zurückkehrt, und hiemit iſt das Syſtem am Schluſſe nicht ge - ſchloſſen, es öffnet ſich noch einmal nach der Seite des getheilten Geiſtes, es kehrt nicht in ſich zurück. Wirth ſagt (Vorr. S. VIII. ): Kunſt und Religion betrachtet der objective Idealiſmus als Sphären des abſoluten Geiſtes. Dieß zu thun und doch die Realiſirung des Schönen und der Religion als etwas Endliches und derſelben Rechts-Idee Unter - geordnetes zu betrachten, über welche der abſolute Geiſt in der Kunſt und Religion wieder hinausgehen ſoll, iſt der härteſte Widerſpruch. Dieß iſt aber eben der Widerſpruch oder vielmehr die Kreisbewegung des Geiſtes ſelbſt, daß er, in’s Abſolute erhoben, auf’s Neue von vornen anfängt und wieder in die Gegenſätze eingeht. Die Sache ver - hält ſich daher ſo: durchdrungen von dem Gehalte der abſoluten Sphäre nimmt der Geiſt allerdings auf’s Neue die Form des Willens an, denn die Formen, die er hinter ſich hat, ſind nicht verloren, ſondern kehren13 zurück; dadurch iſt aber keineswegs begründet, daß die praktiſche Form am Schluſſe des Syſtems als der nun dem Geiſt adäquate Standpunkt ſelbſtändig auftreten ſoll, und der Vorwurf, der Hegel trifft, iſt weder der, daß er nicht mit der Ethik ſchließt, noch der, daß er unter - läßt, ausdrücklich zu ſagen, daß auch im abſoluten Geiſte die praktiſche Form wiederkehre (denn dieß verſteht ſich von ſelbſt), ſondern in folgenden zwei Punkten liegt der Fehler. Erſtens: die Ethik kann und muß zwar aus dem genannten Grunde, weil ſie eine Form des getheilten und die Theilung erſt aufhebenden Geiſtes iſt, ihre Stelle da behalten, wo Hegel ſie ihr angewieſen hat, aber das Syſtem hat in den vorher - gehenden Diſciplinen Gehalt genug geſammelt, um ſie in ungleich höherem Sinne zu behandeln, als Hegel gethan hat. Der Geiſt iſt bereits als freier Geiſt begriffen, daraus läßt ſich eine Ethik conſtruiren, worin die Mängel der Hegel’ſchen vollſtändig überwunden ſind, ohne daß aus Kunſt, Religion und Philoſophie mehr anticipirt würde, als ſich recht - fertigen läßt. Eine Begründung der letzteren Behauptung würde hier zu weit führen. Zweitens: die Formen des abſoluten Geiſtes, die Philoſophie insbeſondere, erſcheinen bei Hegel nicht nur contemplativ, wie ſie es allerdings ihrem innerſten Weſen nach ſind, ſondern als ein quietiſtiſcher Ariſtokratismus des Geiſtes; davon liegt aber der Grund nicht in ihrer Stellung am Schluſſe des Syſtems (wie ſchon gezeigt), ſondern in der anderweitigen Denkweiſe Hegels, welche durch eine andere Stellung der Wiſſenſchaft überhaupt zu dem Leben überhaupt, aber nicht durch eine veränderte Stellung der Ethik in der Wiſſenſchaft zu überſchreiten iſt. Was nun insbeſondere die aus der Anordnung Wirths hervorgehende Stellung der Sittlichkeit nach und über der Kunſt betrifft, und die näheren Gründe, womit er ſie rechtfertigt, ſo iſt dieß im folgenden Abſchnitt von dem Verhältniß des Schönen zum Guten zu prüfen, wie denn die hier gegebenen Bemerkungen überhaupt nur als eine unvermeidliche Vorandeutung der in dieſem Abſchnitt auszuführenden Sätze anzuſehen ſind.

§. 3.

Als ein völlig unſelbſtändiges Mittelding wird die Aeſthetik in die Schwebe geſtellt, wenn ſie als ein Verbindungsglied zwiſchen der theoretiſchen und praktiſchen Philoſophie aufgeführt wird; an großer Willkühr und Ver - wirrung neben tiefen Andeutungen, die er enthält, leidet insbeſondere der Verſuch Kants, das äſthetiſche Gebiet, ſoweit er es als Object der Wiſſen - ſchaft erkennt, in dieſen Zwiſchenraum zu verweiſen.

14

Die oben erwähnte Andeutung Schleiermachers über eine in der Aeſthetik erforderliche Rückbeziehung auf die höhere Einheit der Phyſik und Ethik gehört um ſo weniger hieher, als er dieſelbe auf alle Diſci - plinen der Ethik ausdehnt. Wohl aber iſt hier der verworrene, wie - wohl in anderer Beziehung bedeutungsvolle Verſuch Kants darzuſtellen.

Kant hat eine unüberſehbare Kluft zwiſchen der Sphäre des Ver - ſtandes und der Vernunft und zwiſchen dem Boden ihrer Geſetzgebung, der Natur und der Freiheit, befeſtigt. So lauten bei Kant die Gegen - ſätze; eigentlich iſt es eine Kluft zwiſchen der Idee und ihrer Wirklichkeit. Kant ſucht eine Einheit, einen nachträglichen Uebergang; da er aber die Idee nur in der Form der ſittlichen Geſetzgebung oder des Freiheits - begriffs anerkennt, ſo meint er, dieſen Uebergang nur zu bedürfen, da - mit die Natur als empfänglich erkannt werde, die Wirkungen der prak - tiſchen Vernunft in ſich aufzunehmen, damit ſie als beſtimmbar durch das[intellectuale] Vermögen erſcheine. Er muß daher das überſinnliche Subſtrat, das der Verſtand in der Natur vorausſetzt, aber völlig un - beſtimmt läßt, näher beſtimmen, um eine ſolche Empfänglichkeit der Natur begreiflich zu machen; er muß immanenten Geiſt in der Natur annehmen. An dieſer Stelle drängt ſich eine Ahnung hervor, durch welche er über ſeinen eigenen Dualiſmus ſich erhebt, die er aber, indem er ſie aus - ſpricht, wieder erſtickt, indem er ſie nur für etwas Subjectives, für einen bloßen Uebergang von der Denkungsart nach den Prinzipien der einen (Welt) zu der nach Prinzipien der andern erklärt. Dieſen Ueber - gang zu finden nimmt er (Kritik der Urtheilskr. Einl. ) die verſchrobene Wendung, die Urtheilskraft, nachdem ihr in der Kritik der reinen Vernunft ſchon ihr Gebiet angewieſen iſt, in einer neuen Form aufzu - führen. Der Begriff der Urtheilskraft als des Vermögens, das Be - ſondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken hätte ihn frei - lich ſchon dort auf ganz andere Einſichten führen können, als auf jene ſkeptiſche Mitte zwiſchen Dualiſmus und ſubjectivem Idealiſmus, die ſein Standpunkt iſt; nun aber nimmt er dieſes Vermögen noch einmal auf und unterſcheidet zwiſchen einer beſtimmenden und einer reflecti - renden Urtheilskraft. Beſtimmend iſt ſie, wenn das Allgemeine (die Regel, das Prinzip, das Geſetz) gegeben iſt, worunter ſie das Be - ſondere ſubſumirt. Iſt aber nur das Beſondere gegeben, wozu ſie das Allgemeine finden ſoll, ſo iſt ſie bloß reflectirend. Die beſtimmende Urtheilskraft iſt unzureichend, weil ſo mannigfaltige Formen in der Natur ſind, welche durch jene Geſetze, die der reine Verſtand a priori15 gibt, weil dieſelben nur auf die Möglichkeit einer Natur (als Gegen - ſtandes der Sinne) überhaupt gehen, unbeſtimmt gelaſſen werden, daß hiefür neue Geſetze aufgeſucht werden müſſen. Dieſe Formen ſind ſolche, welche einen in der Natur thätigen und das Mannigfaltige zur Einheit verbindenden Verſtand vorausſetzen laſſen, und das Geſetz, das ſich der reflectirende Verſtand durch Wahrnehmung derſelben bildet, iſt daher die Zweckmäßigkeit der Natur in ihrer Mannigfaltigkeit. Dieſer Begriff iſt jedoch lediglich ſubjectiv, die reflectirende Urtheilskraft gibt dadurch nur ſich ſelbſt, und nicht der Natur, ein Geſetz; denn den Naturproducten kann man ſo etwas, als Beziehung der Natur an ihnen auf Zwecke, nicht beilegen, ſondern dieſen Begriff nur brauchen, um über ſie in Anſehung der Verknüpfung der Erſcheinungen in ihr zu reflectiren. Kant unterſcheidet nun das äſthetiſche und das teleologiſche Verhalten der Urtheilskraft. Jenes beſteht darin, daß nicht ein be - ſtimmter Zweck gedacht wird, ſondern die Form des Gegenſtandes ohne beſtimmten Begriff eine unmittelbare Luſt dadurch erregt, daß das Subject ſich in die Stimmung der Zweckmäßigkeit verſetzt fühlt. Die Einbildungs - kraft faßt die Formen der Gegenſtände auf, führt dieß Bild der Ur - theilskraft zu, und dieſe findet ſich in ihrem Bedürfniſſe, die Gegen - ſtände als zweckmäßig zu begreifen, unbeſtimmt, ohne wirkliche Vorſtel - lung eines beſtimmten Zwecks, und daher ganz unabſichtlich befriedigt. Die Zweckmäßigkeit liegt eigentlich nicht im Gegenſtande, ſondern das Zweckmäßige iſt vielmehr das der Natur des Geiſtes Entſprechende, das Genugthuende in dieſem harmoniſchen Spiele zwiſchen Verſtand und Ein - bildungskraft. Dieſe Thätigkeit der Urtheilskraft iſt daher im engeren Sinne ſubjectiv, es wird am Gegenſtande gar nichts erkannt, das Weſentliche und Beſtimmende iſt die mit der Vorſtellung verbundene Luſt (oder Unluſt). Was nun an der Vorſtellung eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. h. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die äſthetiſche Beſchaffenheit derſelben und dieſe Function der Urtheils - kraft alſo die äſthetiſche. Die Frage, wie es denn komme, daß ein Gegenſtand die Erkenntnißkräfte in ein harmoniſches Spiel verſetzt, ein anderer nicht, vergißt Kant völlig aufzuwerfen und er hätte ſie auf - werfen müſſen, wenn er auch den unvollendeten Schritt zum ſubjectiven Idealismus vollendet hätte; denn auch dieſer hat auf ſeine Weiſe zu begründen, wie, warum und unter welchen Bedingungen das Schöne in einen Gegenſtand hineingeſchaut wird. Dieſe Frage hat uns aber hier noch nicht zu beſchäftigen. Wird dagegen ein beſtimmter Zweck -16 begriff von dem Gegenſtande aufgeſtellt und die Form deſſelben als mit dieſem Begriffe übereinſtimmend beurtheilt, ſo iſt dies das teleologiſche Verhalten der Urtheilskraft. Dies iſt ein objectives Verhalten, objectiv nicht in dem Sinne einer ſächlichen Wahrheit, ſondern ebenfalls nur einer Betrachtungsweiſe, welche der Natur einen zweckthätigen Verſtand, gleichſam eine Rückſicht auf unſer Erkenntnißvermögen nach der Analogie eines Zwecks unterlegt, objectiv aber, weil ein beſtimmter Zweck auf - geſtellt wird. Es iſt ein abſichtliches, logiſches Verfahren, wobei die ſubjective Beziehung auf Luſt und Unluſt wegfällt und nur Verſtand und Vernunft betheiligt ſind. Dieſe Geſetzgebung entſcheidet durch Ueber - einſtimmung mit Begriffen, jene durch das Gefühl; dort formales, hier reales Prinzip der Zweckmäßigkeit.

Eigentlich nun gehört, wie Kant ſelbſt es ausſpricht, die teleologiſche Urtheilskraft zur theoretiſchen Philoſophie, denn ſie beſtimmt zwar keine Objecte, ſondern reflectirt blos, aber ſie verfährt nach Begriffen, die ſie nach ihren beſondern Principien auf gewiſſe Gegenſtände der Natur an - wendet; die äſthetiſche aber, da ſie zur Erkenntniß ihrer Gegenſtände nichts beiträgt, gehört ſtreng genommen nur zur Kritik des urtheilenden Subjects und der Erkenntniß-Vermögen, d. h. zur Propädeutik. Demnach müßte Kant auf die Stellung der Aeſthetik zurückkommen, welche wir bei Baumgarten fanden. Er hat nun aber ſeine beſonderen Gründe, dieſes Gebiet (nicht blos der äſthetiſchen, ſondern auch der teleologiſchen Urtheils - kraft) in die Mitte zwiſchen die theoretiſche und praktiſche Philoſophie zu ſtellen. Der Hauptgrund iſt zu Anfang dieſer Darſtellung bereits aus - geſprochen: er ſucht die Kluft zwiſchen dem Naturbegriff und dem Freiheits - begriff, die große Kluft, welche das Ueberſinnliche von den Erſcheinungen trennt , zu überwinden, er ſucht ein Band zwiſchen der Natur-Cauſalität und der Cauſalität durch Freiheit. Die Wirkung nach dem Freiheitsbegriffe iſt der Endzweck, der abſolute Zweck. Dieſer ſoll exiſtiren, er ſoll durch - geführt werden in der Sinnenwelt, die Natur muß daher gedacht werden, als ſey ſie fähig, ihn in ſich aufzunehmen, als komme ſie ihm entgegen. Der Verſtand in ſeiner ſtricten Bedeutung ſetzt ein überſinnliches Subſtrat hinter der Erſcheinung voraus, läßt es aber völlig unbeſtimmt; die Urtheilskraft nun aber iſt es, welche dieſes Subſtrat näher beſtimmt durch den Zweck - begriff: und ſo trifft der handelnde Geiſt in der Natur den verwandten Geiſt und kann ſeine Zwecke in ihr durchführen, weil ſie ſelbſt zweckmäßig organiſirt iſt. Dieſe Bedeutung als vermittelndes Glied kommt aber der Urtheilskraft noch aus einem weiteren Grunde zu: ſie iſt das conſtitutive17 Princip für das Gefühl der Luſt und Unluſt. Dieſes hat nun zwar als rein formales Wohlgefallen durchaus keine unmittelbare Beziehung zum Begehrungsvermögen, wohl aber befördert es mittelbar die Empfäng - lichkeit des Gemüths für das moraliſche Gefühl: theils eben durch jene Ueberzeugung von einer Beſtimmbarkeit der Natur durch den ſittlichen Willen, theils durch die ſymboliſche Analogie des Schönen mit dem Guten, worüber §. 59 der Kr. d. äſth. Urtheilskraft zu vergleichen iſt. Kant gewinnt nun die bekannte Eintheilungstafel:

Die ganze Confuſion dieſer Eintheilung drängt ſich bei dem Anblicke der Tafel ſogleich auf. Die zweite Colonne theilt nur das erſte Glied der erſten ein und ſtört dadurch den ganzen Parallelismus, der horizontal durch alle Colonnen hindurchgehen ſoll. Dieſe Störung hat ſogleich ihren innern Grund in der ganzen Schiefheit der vorhergehenden Entwicklung und der Vorausſetzungen der Kant’ſchen Philoſophie überhaupt. Ein - getheilt wird nämlich in dieſer zweiten Colonne nur das Erkenntniß - vermögen. Dennoch ſoll das zweite und dritte Glied dieſer Colonne dem zweiten und dritten der erſten entſprechen: die Urtheilskraft dem Gefühle der Luſt und Unluſt, die Vernunft dem Begehrungsvermögen. Die Ver - nunft entſpricht aber dem Begehrungsvermögen nur, wenn man zugibt, daß ihr Gebrauch rein auf das praktiſche Gebiet einzuſchränken ſey: dann aber iſt ſie nicht mehr zu den Erkenntnißvermögen zu zählen. Die Urtheils - kraft entſpricht dem Gefühle der Luſt und Unluſt nur, wenn man zugibt, daß ſie für dieſes die Geſetzgebung iſt, ja daß die geiſtige Bewegung über - haupt durch ſie hindurch muß, um bei dem Gefühle der Luſt oder Unluſt anzukommen. Dies iſt falſch, ſowohl wenn man Luſt und Unluſt im all - gemeinen, als auch wenn man es im beſondern, äſthetiſchen Sinne verſteht, denn Luſt und Unluſt iſt immer unmittelbar; dieſer Unmittelbarkeit kann zwar die Vermittlung durch alle verſchiedene Formen geiſtiger Thätigkeit vorausgehen, ja nach der einen Seite iſt alle Unmittelbarkeit eine erloſchene Vermittlung; aber ebendarum weil jene die verſchiedenſten Formen dieſer vorausſetzt, ſo iſt es ganz falſch, die Urtheilskraft ausſchließend als die Form dieſer Vermittlung aufzuſtellen. Man kann freilich jedes GefühlViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 218als begründet auf das Innewerden einer Zweckmäßigkeit oder Unzweck - mäßigkeit faſſen, allein dann iſt der letztere Begriff in einer viel größeren Weite genommen, als bei Kant, und bezieht ſich z. B. ebenſo auf rein moraliſche Handlungen, wie auf das Schöne. Ueberdies wirft nun aber Kant ohne alles Recht die äſthetiſche Luſt mit der Luſt überhaupt zuſammen; er, deſſen beſtes Verdienſt darin beſteht, die Reinheit des Wohlgefallens am Schönen von allen ſinnlichen ſowohl als ſpecifiſch ſittlichen Motiven in’s Licht geſtellt zu haben, iſt ſo ungenau, dieſe ganz beſondere Art reiner Luſt, die er in das Zuſammenſtimmen von Einbildungskraft und Verſtand ſetzt, deßwegen mit der ſinnlichen Empfindung unter Einem Namen (äſthetiſch ſ. §. 1, 3) zu befaſſen, weil beide blos ſubjektiv ſind ( was an der Vorſtellung eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. h. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die äſthetiſche Beſchaffenheit derſelben u. ſ. w. Einl. z. Kr. d. Urtheilskraft XLII). Ferner bildet nun aber dies reine Wohlgefallen oder Mißfallen nicht den Uebergang zum ſittlichen Wollen, wie ihn der ſenkrechte Fortgang in der zweiten Colonne parallel mit dem in der erſten vorausſetzt. Kant iſt in dieſem Punkte zunächſt mit ſich ſelbſt im Widerſpruch. So nämlich, wie in der erſten Colonne das Gefühl der Luſt und Unluſt das Begehren vermittelt, kann nach ſeiner eigenen Meinung jenes rein contemplative Wohlgefallen nicht zur praktiſchen Sphäre hinüberführen: was ſoll aber dann der Parallelismus zwiſchen beiden Colonnen? Aber auch der mittel - bare Uebergang, den er von jenem reinen Wohlgefallen zum reinen Wollen zieht, iſt zu verwerfen. Das Schöne iſt allerdings nach einer Seite hin eine unabſichtliche Vorbereitung zum Guten; viel wichtiger aber iſt die andere Seite, daß nämlich das Gute ſchon wirklich ſeyn muß, um als Schönes ſich zu geſtalten und gefühlt zu werden; und werfen wir von da einen Blick auf die dritte und vierte Colonne, ſo iſt das Schöne eben die Darſtellung des erreichten Endzwecks und der thätigen Freiheit, welche hier beide im dritten Gliede ſtehen. Zu allen dieſen Einwürfen kommt nun noch der, daß ganz willkürlich die Urtheilskraft vom Verſtande getrennt wird. Der Verſtand iſt begreifend durch ſeine Kategorieen und unter dieſe gehört die der Zweckmäßigkeit, urtheilend ſubſumirt er das Mannig - faltige unter dieſelben, hat aber noch einen langen Weg zurückzulegen, bis er da ankommt, wo dieſes als wahrhaft durchdrungen von dem All - gemeinen begriffen wird. Was dann in die Einbildungskraft und das Gefühl einſtrömt, um das Bild des Schönen zu erzeugen und dem Genuſſe zu übergeben, iſt vielmehr wie ſich an ſeinem Ort zeigen wird, die Idee19 oder die Vernunft; der Zweckbegriff und das Urtheil bleiben verſtändige Reflexionsformen, welche freilich durch ihre innere Dialektik zur Auflöſung ihrer Relationen in die Einheit und ſo des Zweckbegriffs in den der inneren Zweckmäßigkeit, worin ſich der Zweck ſelbſt aufhebt, hinüberführen, aber nur ſo, wie alle andern trennenden Denk-Formen ſich ſelbſt über ſich hinaus - treiben, ohne deßwegen ihre Stelle anderswo zu behaupten, als im Gebiete des Verſtands, oder nach Hegel des Weſens und des Begriffs, aber nicht der Idee. Hiemit fällt, da Geſetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit ſo zu trennen nicht minder willkürlich iſt, als Verſtand und Urtheilskraft, und da an die Stelle der Zweckmäßigkeit, welche dem Schönen zu Grunde liegen ſoll, vielmehr der Endzweck tritt, auch die Folge in der dritten Colonne ſammt ihrer ſchiefen Parallele in der zweiten, wo die Vernunft dieſelbe falſche Stufe unter dem Vermögen des Schönen einnimmt; hiemit fällt aber auch die vierte und alle dieſe Bemerkungen gehen darauf hinaus, daß ſie umzuändern wäre in:

  • Natur,
  • Freiheit,
  • Kunſt.

Es wurde hier ebendeßwegen die Kritik der Kant’ſchen Eintheilung mit einiger Weitläufigkeit behandelt, weil ſie belehrend iſt in dem Sinne einer Nachweiſung, wie immer Schiefheit aller Art entſteht, wenn die Philoſophie nicht dreigliedrig eingetheilt wird, weil ſie aber bei allen Mängeln ſo viel Scharfſinn und Ahnung in ſich hat, daß ſie auch jetzt noch die Prüfung verdient. Auf den Hauptpunkt, die Einführung des Begriffs der Zweckmäßigkeit in die Lehre vom Schönen, muß am gehörigen Orte noch weiter eingegangen werden.

§. 4.

Das Schöne iſt weder theoretiſch, noch praktiſch; es iſt aber auch ſowohl1 das eine, als das andere, woraus eben folgt, daß es das eine wie das andere in einem Sinne iſt, wodurch der Gegenſatz beider ſich aufhebt, daß es daher ſeinen Platz in einer Sphäre über dieſen Gegenſätzen finden muß; und ebenda fordern auch zwei andere Formen des Geiſtes ihre Stelle: die Religion und die2 Philoſophie ſelbſt. Dieſe Formen gehören nämlich, wie die Schönheit, dem Geiſte an, der nicht mehr den Gegenſatz zwiſchen Subject und Object, ſey es als erkennender oder handelnder, zu überwinden erſt ſtrebt, ſondern überwunden hat und ſein ungetheiltes Weſen in einer abſoluten, reinen Form darſtellt. So2*20entſteht die dreigliedrige Eintheilung der Lehre vom Geiſte in den ſubjectiven (erkennenden), objectiven (handelnden) und abſoluten, ebenfalls wieder dreifach3 ſich theilenden, Geiſt, welche Hegel aufgeſtellt hat. Es macht ſich aber in der - ſelben nichts Anderes geltend, als das Geſetz der dialektiſchen Bewegung über - haupt, welches für das ganze Syſtem die dreigliedrige Eintheilung in Logik (Metaphyſik), Naturphiloſophie und Philoſophie des Geiſtes fordert und den Weg vom unentwickelt Einen durch den Gegenſatz zur vermittelten Einheit in jeder dieſer Sphären wiederholt.

1 Hier wie in den Bemerkungen zu den vorhandenen §§. iſt voraus - geſetzt, daß das Schöne ſeine Wirklichkeit in der Kunſt habe, welche Vor - ausſetzung doch §. 1. in der Definition nicht zugelaſſen hat. Allein ein Anderes iſt die Definition, ein Anderes orientirende Vorbemerkungen, wobei gewiſſe Vorausnahmen unvermeidlich ſind.

Warum die Aeſthetik weder theoretiſch, noch praktiſch ſey, iſt in Kürze ſchon geſagt; ſie iſt aber beides in dem Sinne, daß der äſthetiſch Genießende dem Schönen gegenüberſteht als betrachtender, der den Gegenſtand rein auf ſich wirken läßt und dadurch freilich das Objective in ein Sub - jectives verwandelt, aber ſo, daß er ihn doch in ſeiner Selbſtändigkeit beſtehen läßt; daß umgekehrt der Künſtler, unzufrieden, das Schöne nur als inneres Phantaſiebild zu haben, dasſelbe im Kunſtwerk objectiv macht. Allein eben hierin bewährt ſich jenes Weder Noch, denn das Aufnehmen iſt keine Arbeit des Subjects wie im eigentlich theoretiſchen Gebiete: was es aufnimmt, iſt Bild des verſöhnten Geiſtes, wie es aufnimmt, iſt unmittel - bares Zuſammengehen, und der Genuß iſt contemplativ in ſich beruhigt, hat nicht das Bedürfniß, das Aufgenommene erſt wieder durch That zu ver - wirklichen; der Künſtler dagegen muß zwar ein Inneres herausarbeiten, es iſt aber ein Drang ohne Zwang und ohne Willkür, in ſich gefüllt und frei von der Noth des Handelns, das die Welt erſt überwinden ſoll. Dies nun iſt ungetheilter Geiſt, freier, ganzer Geiſt, und dieſer fordert eine Sphäre über dem endlichen, im Gegenſatz arbeitenden Geiſte.

2 Dasſelbe Gebiet des abſoluten Geiſtes nimmt die Religion und die Philoſophie, wie ſie ſich ſelbſt im Syſteme Gegenſtand wird, in Anſpruch. Dies kann ſelbſt als dem gewöhnlichen Bewußtſeyn geläufig vorausgeſetzt werden und wird hier zunächſt nur erwähnt, um die Nothwendigkeit der Aufſtellung dieſer dritten Sphäre auszuſprechen. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß der ganze Gang ſeine innere Nothwendigkeit im Syſteme der Philoſophie dialektiſch durchzuführen hat; der ſubjective Geiſt treibt ſich21 zum objektiven, der objective zum abſoluten weiter, die Uebergänge an dieſen Hauptpunkten darzuſtellen iſt die Aeſthetik als beſondere Wiſſenſchaft nicht verpflichtet; nur auf den letztern hat ſie zurückzuſehen und wird, indem ſie das Verhältniß des Schönen zum Guten erörtert, ein beſtätigen - des Licht auf ihn werfen. Gründlicher aber hat ſie ſich mit den Sphären auseinander zu ſetzen, welche mit ihr in das Gebiet des abſoluten Geiſtes fallen.

3 Die Nothwendigkeit der dialektiſchen Bewegung des allgemeinen Gedankens durch die drei Momente, welche Hegel durch Anſich, Für - ſich und An und Fürſich bezeichnet hat, und die daraus folgende drei - gliedrige Eintheilung des ganzen Syſtems kann die Aeſthetik als ein in der jetzigen Philoſophie anerkanntes Grundgeſetz einfach hinſtellen. Selbſt die Mehrzahl derjenigen, welche über das Hegel’ſche Syſtem in den metaphyſiſchen Grundlagen hinausſtreben, meint, den Inhalt zwar be - ſtreiten, die Form aber, nämlich eben die Dialektik und ihre Momente, gelten laſſen zu können. Es hat ſich zwar neuerdings überhaupt ein Kampf entwickelt gegen das, was man Speculation nennt. Fordert dieſer, ſelbſt wiſſenſchaftlich, nur freiere Auflöſung aller Tranſcendenz und Durchführung des Begriffs durch die Wirklichkeit, ſo iſt damit gegen die Gültigkeit der dialektiſchen Grundgeſetze noch gar nichts geſagt; dringt er auf reine Empirie, ſo wäre dieſe durch eine einfache Aufweiſung nicht ſchwer zu überführen, daß ſie überall auf das Geſetz der Bewegung durch drei Momente ſtößt. Für den Zweck der Aeſthetik aber genügt es zunächſt, die Nothwendigkeit der dreifachen Theilung des geiſtigen Gebiets mit Obigem im Umriß angezeigt zu haben; dieſelbe Theilung für das ganze Syſtem der Philoſophie zu begründen, überläßt ſie dieſem ſelbſt. Daß nun der abſolute Geiſt ſich wieder in drei Sphären theilt, hat ſie nur ſo weit zu beweiſen, als die oben geforderte Auseinanderſetzung mit ihren Nachbarſphären es mit ſich bringt. Warum die Ethik nicht in dieſes Gebiet gehöre, iſt oben, §. 2, 2 beſprochen. Anders aber verhält es ſich mit der Durchführung ihres eigenen Inhalts. Kehrt hier überall die dreigliedrige Theilung wieder, ſo kann nur jene ſelbſt den Beweis führen, daß dieß kein Zwang, ſondern ein Geſetz der Sache ſelbſt iſt; wo nicht, ſo iſt jeder Vorwurf tranſcendenter Speculation ein gerechter.

§. 5.

Nach dem Geſetze dieſer Bewegung tritt als erſte Stufe im Gebiete des abſoluten Geiſtes die Religion, als zweite das Schöne, als dritte die Philo -22 ſophie auf. Zur Rechtfertigung dieſer Ordnung beſchränkt ſich die Einleitung auf die allgemeine Bemerkung, daß auch der abſolute Geiſt die Theilung in Subject und Object wiederholt, aber ſo, daß das Object das eigene, ſelbſt - erzeugte Gegenbild des vom abſoluten Gehalte durchdrungenen Subjects iſt. Die Rangordnung der Stufen nun hängt davon ab, ob das Gegenbild dem Subjecte und ſeinem abſoluten Gehalte vollkommen adäquat iſt und ob dieſes ſich mit Freiheit als Urheber deſſelben in ihm wiedererkennt. In der Religion, der ſtoffartigen Urform des abſoluten Geiſtes, bleiben dieſe beiden Bedingungen unerfüllt, indem ſie mit ihrem ſinnlichen beſtimmten Gegenbilde in unfreier Verwechslung ſich zu einer dunkeln Einheit verſchlingt; im Schönen iſt das Gegenbild ebenfalls noch ſinnlich beſtimmt, aber es genügt der zweiten Be - dingung, indem das Subject ihm als dem ſeinigen frei gegenübertritt; die Phi - loſophie aber genügt beiden: das Gegenbild iſt Geiſt, wie die Subjectivität, die es durch die reine und freie Thätigkeit des Denkens erzeugt und in ihm ganz bei ſich bleibt.

Von Hegel weicht dieſe Eintheilung darin ab, daß er die Religion als die zweite Form aufführt. Chr. H. Weiße (Syſtem der Aeſthetik als Wiſſenſchaft von der Idee der Schönheit 1830) hat die Ordnung Hegels ganz umgedreht und beginnt mit der Idee der Wahrheit (Philo - ſophie), ſetzt die Idee der Schönheit in die Mitte und die dritte, höchſte Stelle, weist er, nicht ſowohl der Religion (denn er will das blos Phänomenologiſche aus ihrer Auffaſſung verbannen), als vielmehr der Theologie ( Idee der Güte ) an. Dagegen ſtellt Wirth in der Sphäre, worin er Religion, Kunſt und Philoſophie (Metaphyſik, wie er es nennt) vereinigt, die Religion ebenfalls als die erſte und unmittelbarſte Geſtalt auf, die Philoſophie ſonderbarer Weiſe in die Mitte und die Kunſt als die höchſte Form. Daß er als die gemein - ſame Sphäre derſelben nicht den abſoluten Geiſt, ſondern den ſeines abſoluten Weſens ſich zwar bewußten, aber dieß Selbſtbewußtſeyn noch nicht verwirklichenden Geiſt annimmt, daher über dieſe ganze Sphäre die Ethik ſtellt, davon kann hier abgeſehen werden.

Zunächſt ſcheint nichts einleuchtender, als der Grund, warum Hegel die Kunſt vor die Religion ſtellt. Die Kunſt iſt unmittelbar, d. h. ſowohl nach der Seite des Künſtlers ein beziehungsweiſe unbe - wußtes, mit Natur behaftetes Pathos, als nach der Seite des Kunſt - werks ein ſinnliches Hinſtellen des abſoluten Gehalts in das äußerliche,23 gemeine Daſein, wodurch jener zugleich nothwendig in eine Vielheit ein - zelner Geſtalten zerſplittert wird. (Vgl. Encyclop. d. ph. W. §. 556. ff.) Die Religion dagegen hebt dieſe Unmittelbarkeit auf in der ihr eigenen Form des ſubjectiven Wiſſens: der Vorſtellung. Durch dieſe wird, was in der Kunſt ſinnliche Geſtalt war, ein inneres Bild; hiemit iſt der Gehalt zwar wiederum verendlicht, indem die innere Sinnlichkeit ihn unter Kategorien des Raums und der Zeit dem Selbſt gegenüberſtellt, aber dieſes innere Jenſeits wird in dem Glauben an den Einen Geiſt und in der Andacht des Cultus auch aufgehoben (a. a. O. §. 565.), und, was aus der Religionsphiloſophie, (Th. 1, S. 86 ff. ) noch beizuziehen iſt, mit Gedankenbeſtimmungen, alſo mit Formen der Allgemeinheit, durch - flochten. Der letzte Punkt ſcheint es noch insbeſondere einleuchtend zu machen, daß die Religion in die Philoſophie münden, alſo den zweiten Platz behaupten müſſe. Allein wenn der Begriff des Schönen ſoweit entwickelt ſeyn wird, um ihn mit dem Verhalten der Religion vergleichen zu können, ſo wird ſich ein ganz Anderes ergeben. Es wird ſich, um davon vorläufig das Allgemeinſte heraufzunehmen, nicht nur zeigen, daß in der Religion das Subjekt, ſinnlich beſtimmt, wie es iſt, ſich ein ſinnlich beſtimmtes, in eine Vielheit von Geſtalten auseinandergezogenes Gegenbild gibt, wie in der Kunſt, ſondern auch, daß das Hereinnehmen in’s Innere, wie es durch die Vorſtellung und den Cultus vollzogen wird, ſammt den hineingeflochtenen Reflexionsmomenten nur dazu dient, die Sinnlichkeit um ſo viel hartnäckiger zu fixiren, weil ſie innerlich ge - ſetzt iſt; es wird ſich zeigen, daß in dieſer primitiven, dieſer Ur - und Kindheitsform des abſoluten Geiſtes das Subject mit ſeinem Gegenbilde ſich zu einem ſtoffartigen Knoten, deſſen innerſter Kern zugleich ſelbſtloſe Subſtantialität und zugleich ungebrochene Selbſtſucht iſt, zuſammenſchlingt.

Dagegen wird ſich ergeben, daß das Schöne vor Allem deßwegen nach der Religion folgen muß, weil es die Vorſtellungen derſelben zwar nicht als den einzigen, wohl aber als den erſten und zunächſt wichtigſten Stoff ihrer Thätigkeit vorausſetzt, der Geſchichte wie dem Begriffe nach, richtiger: der Geſchichte weil dem Begriffe nach. Hegel ſelbſt ſetzt in der Kunſtlehre die Religion durchweg voraus, ja er bleibt nur zu ſehr und auf Koſten der ſpezifiſchen Selbſtſtändigkeit des Schönen in ihr ſtehen.

Wenn nun die Religion ihr Gegenbild weſentlich in’s Innere her - einnimmt, ſo iſt dagegen das Schöne durchaus thätig, das innerlich Geſetzte ganz und beſtimmt in die Sinnenwelt hinauszuſtellen. Darum24 erſcheint dieſes Verhalten zunächſt noch mehr ſinnlich als die Religion, ſein Gebilde noch mehr vereinzelt und daher in Vielheit zerſplittert. Allein gerade das Deutlichmachen, welches dieß ganze Hinausſtellen mit ſich bringt, das Schärfen der Umriſſe, welche in der Vorſtellung zitternd verſchweben, wird ſich als eine Befreiung erweiſen, eine Ablöſung, worin das Subject, ſo ſehr ſein Thun verglichen mit der Philoſophie noch bewußtlos und zufällig ſeyn mag, ſich die Gewißheit gibt, der Meiſter ſeines Gegenbildes zu ſeyn, mit dem es ſich nicht mehr als dunkles und gebundenes Selbſt zuſammenwirrt, ſondern in dem es ſich als Entbundenes hell und frei wiederfindet. Alle Formen des abſoluten Geiſtes ſind ſubjectiv und objectiv zugleich. Die Kunſt erſcheint durch das Hinausbilden objectiver, die Religion ſubjectiver, daher Wirth (Ethik S. 9.) die Kunſt als die ideale Objectivirung des Selbſtbewußt - ſeyns auffaßt, das in den vorhergehenden Stufen in ſein Centrum zu - rückgegangen war. Das Handeln der Religion von ihrem Standpunkte aus hat den Charakter der Ausſchließlichkeit und der Enge; ſehr wahr ſetzt daher Wirth hinzu, daß die Kunſt die Idee der Religion ſchon concreter in der Form des Volksgeiſtes mit ſeinen beſondern Ständen, des individuellen Lebens mit allen ſeinen Leidenſchaften darſtellt. Ob - wohl nämlich die Werke der Kunſt nicht nur als ſolche ſich in die Einzelheit zerſtreuen, ſondern auch dem Inhalte nach ſich nie über die ganze Objectivität, ſie darſtellend, ausbreiten, ſo iſt doch jedes ächte Kunſtwerk von einer Univerſalität der Bedeutung, wodurch es mitten in der Begrenzung eine unendliche Perſpektive auf das All der Objecte er - öffnet. Allein ebenſoſehr kehrt ſich das ganze Verhältniß um, denn die Subjectivität der Religion hat ihren Grund eben darin, daß das Subject ſich deßwegen nicht von ſich ablöſen kann, weil es mit dem Object, der Subſtanz als Vorſtellung, dunkel verwachſen iſt; dieß iſt Subjectivität in der Form objectiver Gebundenheit. Die Objectivität der Kunſt dagegen iſt eine ſolche, worin die Subjectivität ſich frei ausbreitet, in den Erſcheinungen der Welt ſich wiederfindet, ſich ahnend in das Object legt, das innerlich Angeſchaute wieder herausarbeitet, und in dieſem weiten und offenen Thun ſich ſelbſt als reine Formthätigkeit des abſoluten Geiſtes ge - nießt. Am vollſten bewährt ſich dieß im Drama, worin die Kunſt, wie auch Wirth (S. 10.) anerkennt, die unendliche Objectivität als Seele der Geſchichte an den Tag arbeitet. Durch dieſe Geiſtigkeit iſt es die Kunſt, welche der Philoſophie unmittelbar vorangeht und in ſie hinüberführt, daher auch die Poeſie gewiſſe proſaiſche Formen anſetzt, welche dieſen25 Uebergang darſtellen. Sie iſt die Mitte zwiſchen Religion und Philo - ſophie, ſie hebt die Innerlichkeit der Religion auf, indem ſie das Gegen - bild zu einem deutlichen Aeußern macht, erwirkt aber ebendadurch eine freiere Innerlichkeit; ſie iſt objectiver als die Religion und ebendadurch ſubjectiver.

Nimmermehr aber kann die Philoſophie der Kunſt vorangehen. Das beziehungsweiſe unbewußte und zufällige Thun und die ſinnliche Verein - zelung in dem, was gethan wird und iſt, kann nimmermehr eine reifere Stufe ſeyn, als das reine Denken des Allgemeinen, in der Form der Allgemeinheit und Nothwendigkeit. Wirth nennt die Wiſſenſchaft, die er zwiſchen die Religion und Kunſt ſtellt, Metaphyſik, unterſcheidet ſie (S. 3.) von der Philoſophie des Weltweſens, der Dialektik und ſagt, ſie ſey in dem von ihm gemeinten Sinne erſt zu gründen. Bis dahin wollen wir aber dieſe Wiſſenſchaft Philoſophie nennen, um ſo mehr, da er anderswo ſelbſt dieſen Ausdruck braucht. Er gibt nun als Grund davon, daß er auch dieſe vor die Kunſt ſtellt, die Thatſache an, daß die Kunſt ſpäterhin, wenn der Geiſt zum ſpeculativen Be - wußtſeyn gelangt iſt, auch die philoſophiſchen Ideen zur Schönheit ver - lebendigt. Dieß iſt aber allegoriſche Kunſt, Kunſt, die ihre Grenze überſchreitet und in ein Gebiet übergreift, das, wenn es in ſie einfließt, ſie desorganiſirt; und dieß führt uns nun auf Weiße’s Anſicht.

Was dieſe betrifft, ſo geht die Stellung auf die dritte und höchſte Stufe, welche hier der Religion, oder wie Weiße ſagen muß, der Theologie, eingeräumt wird, aus einer metaphyſiſchen Grundanſicht hervor, auf welche hier nur mit wenigen Worten eingegangen werden kann. Die Schönheit, ſagt er, geht mit der Wahrheit zugleich in die Idee der Gottheit ein, welche die höhere Einheit und Vermittlung beider iſt. Die Wiſſenſchaft ſoll auf dieſem Punkte nicht in ihren Anfang zurück, ſondern über ſich ſelbſt hinaus gehen und einen höheren Gegenſtand als ſich ſelber erhalten. Die Religion ſoll nicht phänomenologiſch gefaßt werden (auch die Aeſthetik nicht, wovon nachher) ſondern Gott in der Form der Selbſtheit und Perſönlichkeit erkennen (Aeſth. S. 19). Dieſer Gott iſt als ein mit Freiheit ſchaffender zu faſſen, die Gedanken des Geiſtes über die ſo geſchaffene Welt, wie über Gott, ſind nur Gedanken über die Welt, über Gott, ſie ſind nur Abbilder, Gleichniſſe, Wiederholungen des Weſens der Dinge; d. h. die Identität des Seyns und Denkens iſt aufgehoben. Weiße erkennt, daß er hiemit die Wurzel aller Philoſophie aufhebt, und entſchließt ſich nun, einen Gang zu nehmen,26 worin er dieſe Identität ſowohl ſtatuirt als nicht ſtatuirt. Zunächſt nämlich wird (vergl. Aeſth. §. 5.) abſolute Identität des geiſtigen Er - kennens mit dem Erkannten als die Idee der Wahrheit in Einſtimmung mit Hegel aufgeſtellt, freilich auch dieß ſogleich mit einem Zuſatze, der den Satz aufhebt: nicht blos das Logiſche und der Geiſt, ſondern auch die Natur iſt das, was ſie iſt, ebenſoſehr in dem Erkennen, als außerhalb des Erkennens; nur daß alle dieſe Weſenheiten außerhalb des Erkennens eine Vielheit, in dem Erkennen aber eine Einheit bilden, in welcher die Vielheit enthalten iſt . Die Meinung des Satzes iſt ja aber, daß alle dieſe Weſenheiten auch außerhalb des Erkennens an ſich Erkennen ſind, richtiger Denken; ſie werden vom Gedanken erkannt, weil ſie ſelbſt durch und durch zum voraus an ſich ein Denken ſind. Die Vielheit aber, d. h. die empiriſche, als einen Schein zu begreifen, damit fängt die Philoſophie an, und weil ſie ein Schein iſt, müſſen die empiriſch Vielen untergehen und erhält ſich auch außerhalb des von Weiße gemeinten Erkennens in ihrem Untergang nur die Einheit. Weiße iſt in dem Momente Dualiſt, wo er den Moniſmus anerkennt. Er hat ein irrationales Plus bereit, das er nicht nennen kann, und das in Wahrheit nichts als die abſtracte Vorſtellung der Materie iſt. Wirklich bleibt es auch nicht bei dieſer zugeſtandenen Identität; ſie iſt nur ein nothwendiger Durchgangspunkt , und Weiße verläßt dieſen Standpunkt mit dem Einwurf gegen die Identitäts-Philoſophie, daß, wenn ſie die ganze Wahrheit wäre, die erkannten Dinge nur durch das Erkennen geſetzt wären und beſtänden, daß das abſolute Erkennen dann Schöpfer und Erhalter, Ordner und Regierer der Welt wäre, und daß die Identitäts-Philoſophie die Erklärung ſchuldig geblieben ſey, weßhalb denn dieſes in Wahrheit ſich nicht ſo findet. Dieß iſt nichts Anders, als der bekannte Einwurf des ſogenannten geſunden Menſchenverſtands, welcher durchaus unter dem Denken, das die Philoſophie als den Kern aller Dinge darſtellt, nichts Anderes verſtehen kann, als das Denken des dem Object gegenüberſtehenden Subjects, d. h. das Erkennen. Da wird denn der Philoſophie untergeſchoben, ſie ſetze zuerſt einen denkenden Menſchen und laſſe dann aus ſeinem Denken die Welt entſtehen. Die Philoſophie ſetzt aber als Prinzip aller Dinge ein Denken, das ſich in ein gedachtes Object und ein denkendes Subject ſpaltet; das Object iſt auch Denken, aber in der Form das Anſich oder des Seyns, verhülltes, nicht entbundenes Denken; dieſes Denken kommt zu ſich im Subjecte und findet ſich durch daſſelbe im Gegenſtand, d. h. es erkennt ſich. Dieſes27 Erkennen iſt aber weſentlich auch ein Begreifen, daß das verhüllte Denken ein unfreies ſey, d. h. eine Naturnothwendigkeit, die das ent - hüllte und enthüllende Denken im Subjecte nicht zur Freiheit umſchaffen, nicht in die Macht ſeiner Willkühr bekommen kann. Nur dieß poſtulirt die Philoſophie, daß das freie Denken, da es in der verhüllten Form nicht ſich ſelbſt entſpricht, nothwendig in allen Zeiten auch als ent - hüllendes Denken müſſe dageweſen ſeyn und bleiben, d. h. daß nie eine Zeit ſeyn konnte und könne, wo keine ſelbſtbewußte Weſen exiſtirten. Wohl aber iſt Weiße und der formaliſtiſche Verſtand überhaupt die Antwort auf die Frage noch ſchuldig, wie es denn komme, daß das Erkennen und das Erkannte zuſammenſtimme. Die Erkenntniß ſoll wahr ſeyn und doch nur ein Abbild des Gedachten. Wer bürgt denn, daß dieſe zwei Uhren ſo gleich gerichtet ſind? Der Glaube bürgt, ſagt Weiße ſelbſt, der Glaube des ſpeculativen Bewußtſeyns an eine ihm im Jenſeits bleibende Wahrheit! Und dazu, um beim Glauben anzukommen, braucht es alle dieſe Anſtalten? Dazu die Phi - loſophie, um ſich ſelbſt aufzuheben? Weiße kommt auf die präſtabilirte Harmonie zurück. Der Meiſter, der die Uhren zuſammenrichtet, der die Beziehung zwiſchen dem Erkennen und ſeinem Gegenſtande Hervor - rufende iſt Gott . Zu der Idee der Gottheit nämlich geht die philoſo - phiſche Erkenntniß dialektiſch ſich verneinend und aufhebend über ſich ſelbſt hinaus fort. Hier wird der Gegenſtand ein jenſeitiger, über - ſchwenglicher , das Wiſſen ein Glauben. Nunmehr hat es aber auch mit der vorher eingeräumten Einheit des Denkens und Seyns überhaupt ein Ende, denn dieſer Gott wird jetzt als Schöpfer geglaubt, er befreit auch die Totalität der Natur und des endlichen Geiſtes von jener ihrer bindenden Einheit und gibt ihnen ein ſelbſtſtändiges Daſeyn , und von dieſem Geſichtspunkt aus ließe ſich vielleicht auch Jakobi’s Sprachge - brauch rechtfertigen, der auch für das Beſtehen der ſinnlichen und natür - lichen Dinge den Glauben fordert. Ehe ſich dieſe Aufhebung aller Philoſophie als ein Fortſchritt über Hegel hinaus behaupten darf, ſoll ſie uns Alles das widerlegen, was die Phänomenologie und die Logik in der Auflöſung der Kategorieen der Sinnlichkeit und des Verſtandes geleiſtet hat, denn ſolche und nichts Anderes liegen dieſem ſinnlich trennenden und ausſchließenden Denken zu Grunde. Das Seyn, das jenſeits des Denkens bleiben ſoll, mag es Gott oder Natur heißen, iſt gar nichts als eine vorgeſtellte Materie, ein verlornes, in der Dialektik jener Kategorieen neben durchgeſchlüpftes Stück ſinnlichen Dunkels, und für die tiefe Trivia -28 lität dieſes Standpunktes zeugen Bemerkungen wie folgende: es iſt aber die Idee der Wahrheit das Erkennen unter der Geſtalt der Ewig - keit, d. h. das Bewutßſeyn des Geiſtes erſtens über das unbedingt Nothwendige, welches das Logiſche mit Einſchluß des Raums und Zeit - begriffes, in denen die logiſche Idee als ſolche ſich ausprägt, und des geſammten Mathematiſchen iſt; und ſodann zweitens über die Natur und über den Geiſt ſelbſt als über Weſenheiten, die an ſich zwar nicht mit gleicher Nothwendigkeit, wie die logiſche Idee, aber ſobald ſie einmal ſind (!), nothwendig unter der Geſtalt dieſer Idee beſtehen . Anmer - kung: Auch das Seyn der Gottheit iſt nicht als unbedingte Nothwendigkeit, ſondern als That ihrer ſelbſt zu faßen. Es ſtände bei ihr, nicht ſie ſelbſt zu ſeyn, wenn ſie gar nicht ſeyn wollte, aber es ſtände nicht bei ihr, die logiſchen Geſetze und Begriffsformen des Seyns zu verändern oder zu vernichten.

Dem ſinnlichen Gotte, der hier über die Idealität des Denkens und Seyns hinaufgeſtellt wird, ſteht nun die Schönheit, weil ſie ſinnlich iſt, um eine Stufe näher als die Wahrheit; ſie bildet ihn vor, während doch klar iſt, daß ſie ihn, als in der religiöſen Vorſtellung unvollſtändig vorgezeichneten Stoff nachbildet. So verliert Weiße, indem er die Religion nach der Kunſt aufführt, nicht nur die unentbehrliche Voraus - ſetzung derſelben, ſondern indem er das Verlorne hereinzuholen meint, verliert er die Kunſt. Statt nämlich die in der religiöſen Vorſtellung (phänomenologiſch) gegebenen Stoffe frei fortzubilden (die Poeten ſchaffen die Götter, und die Bildſamkeit der religiöſen Stoffe durch die Kunſt zeigt unter Anderem eben ihren phänomenologiſchen Charakter; die Kunſt iſt, wie kürzlich jemand ſagte, die Ironie des Ueberſinnlichen), muß nun die Kunſt ſich in die über ihr ſtehende Theologie auflöſen, wenn ſie religiöſe Stoffe gewinnen will, ſie muß der Kirche dienen und aufhören, das zu ſeyn, was doch Weiße ſelbſt mit beſonderem Nachdruck ihr vindicirt, ein ſelbſtändiges reines Formweſen. Die Aeſthetik wird ebenſo und noch mehr zur Theoſophie, wenn ſie ſich in die Theologie hinübertreiben ſoll, als wenn ſie aus ihr abgeleitet wird, wie bei Solger, dem Weiße eben dies vorwirft.

Auf der andern Seite hat Weiße der Kunſt die Idee der Wahr - heit vorangeſtellt, das reine Erkennen. Von der Frage, wie er denn aus dem objectiven Geiſte ſogleich auf dieſe reine Höhe heraufgelangen kann, wollen wir hier abſtrahiren und nur das nun behauptete Ver - hältniß zwiſchen Wahrheit und Schönheit einleitend in’s Auge faſſen. 29Weiße ſetzt den Widerſpruch, den das Schöne löſen ſoll, ausdrücklich (a. a. O. §. 8.) in das Subject. Es iſt nicht der metaphyſiſche Wider - ſpruch des Allgemeinen und Einzelnen, der zu löſen iſt, ſondern es iſt der Widerſpruch, daß das Subject der ſpeculativen Erkenntniß zugleich einzelnes und endliches Weſen und, dem Begriffe dieſer Erkenntniß zu - folge, Totalität alles Seyenden iſt. Darauf iſt zunächſt zu ſagen, daß, wenn man den Widerſpruch in dieſem Sinne als einen faktiſchen und ſeyenden faßt, dies weiter zurück in das Syſtem der Philoſophie gehört, dahin nämlich, wo das theoretiſche Denken übergeht in den Willen, um durch die Handlung als eine reale Bewegung das Subject als ſeyendes, aber vereinzeltes mit der Totalität des Seyenden that - ſächlich zu vermitteln. Da nun aber allerdings das Handeln die In - einsbildung des Allgemeinen und Einzelnen in keinem gegebenen Zeit - punkte vollendet, ſo genügt es ebenfalls nicht, und der Geiſt erhebt ſich auf den Standpunkt der abſoluten Idee, auf welchem er den ganzen Widerſpruch, jenen Reſt, der im Verſuche der realen Löſung unüber - wunden bleibt, miteingeſchloſſen, als einen in der unendlichen Bewegung des Univerſums ewig ſich löſenden, vor ſeiner Löſung ſchon gelösten erkennt. So im Bewußtſeyn vollzogen heißt die abſolute Idee abſoluter Geiſt. Unmöglich kann nun aber, wie ſo eben ſchon berührt iſt, die erſte unter den Formen, welche dieſe abſolute Löſung ſtufenförmig auf - ſteigend ſich gibt, die des ſpeculativen Denkens ſeyn. Weiße ſieht ſie als die erſte und ärmſte deßwegen an, weil er vorausſetzt, daß das Logiſche nicht das Weſen der Dinge ſelbſt ſey, daß das Denken das Beſondere, Einzelne, Endliche nicht wahrhaft begreife, ſondern ihm das Allgemeine nur anhefte, daß daher die moderne Philoſophie Akosmis - mus ſey. Daher ſucht er eine Form, in welcher das Allgemeine und Einzelne abſolut, nicht blos äußerlich verſchmolzen ſeyn ſoll. Dieſe ſoll die Schönheit (und höher die Gottheit) ſeyn. Allein eben weil in Wahrheit das Einzelne nie das Ganze ſeyn kann, weil auch das von abſolutem Gehalt durchdrungene Subject der Totalität als einzelnes gegen - überſtehen bleibt, weil dieſer Widerſpruch auch durch das Handeln nicht völlig gelöst wird, ſo kann nur eine Form, welche dieſen Widerſpruch noch nicht mit der Strenge des Gedankens ergründet und zu löſen ver - ſucht hat, ſich mit jenem Schein einer Löſung durch Verſchmelzung der Gegenſätze in eine ſinnliche Geſtalt begnügen, wie dies das Schöne thut. Eben darum ſteht aber auch die Religion noch unter dem Schönen, weil ſie nicht einmal zu dieſem Schein als Schein ſich erhebt, ſondern ſtoffartig alles30 Ernſtes glaubt, es gebe Individuen, die zugleich Individuen und ſchlechtweg das Abſolute ſeyen, der Widerſpruch ſey alſo unmittelbar ſinnlich gelöst. Die letzte Löſung aber iſt eben nur da, wo das Subject jenen Widerſpruch in ſeiner Strenge denkt und denkend aufhebt. Der Philoſoph bleibt nun freilich ein Einzelner in Fleiſch und Blut, aber er begreift ſich auch als dieſen Einzelnen im Ganzen und Allgemeinen als Glied desſelben; er muß ſterben, weil er dennoch Einzelner bleibt, aber auch darüber erhebt er ſich, weil er den Tod als nothwendigen Act des Allgemeinen gegen das Einzelne begreift. Soll denn dagegen viel - mehr dies die letzte Löſung ſeyn, wenn ich mir vorſtelle: ich zwar bleibe, wie ich auch das Allgemeine denkend bin, doch dieſer Einzelne, aber über den Wolken iſt Einer, der auch ein Einzelner und doch zugleich real das abſolute Ganze iſt? Dahin kann der Philoſoph nicht zurück, und dies iſt die Hauptſache: wenn das Subject einmal ſo weit iſt, um den Gegenſatz des Allgemeinen und Einzelnen in ſeiner Schärfe zu denken, ſo kann es ihn nicht mehr in der Form der Unmittelbar - keit, welche das Schöne iſt, löſen, ſondern der durch die Vermittlung des Denkens erfaßte Gegenſatz kann nur durch dieſelbe Vermittlung ge - hoben werden, wird aber dadurch auch tiefer gelöst, und wenn nach einem bekannten Geſetze allerdings auch Vermittlung wieder in Un - mittelbarkeit erliſcht, ſo iſt dies doch in dieſem Sinne hier durchaus nicht anzuwenden. Die gemeine Erfahrung zeigt, daß die philoſophiſche Bildung ſpäter iſt als die äſthetiſche, daß das philoſophiſche Denken die Unmittelbarkeit der äſthetiſchen Anſchauung, der erfindenden Phantaſie in dem denkenden Subjecte aufhebt (worüber Schiller ſo aufrichtig klagt) und daß ebenſo ganze Zeitalter, in denen die Spekulation und Kritik herrſcht, die Friſche des künſtleriſchen Schaffens und des unmittel - baren Kunſtgenuſſes verlieren. Weiße beſtimmt nun (§. 9) die Schön - heit als die aufgehobene Wahrheit, ſie iſt aber vielmehr, wie ſich im folgenden Syſteme weiter begründen wird, die noch nicht vor - handene Wahrheit, d. h. die noch nicht vorhandene ſpeculative Erkenntniß, und es kann hier in der Einleitung gegen ſeine Beſtimmung ganz einfach die Kantiſche geſetzt werden, daß das Schöne weſentlich in einer Uebereinſtimmung der Form eines Gegenſtandes in der Auffaſſung des - ſelben vor allem Begriff mit dem Erkenntnißvermögen beſtehe. Das Schöne iſt demnach keineswegs mehr, ſondern weniger als das Wahre. Weiße ſetzt das Irrationale, d. h. das Sinnliche hier, wie in der Stellung, die er dem Inhalte der Theologie, d. h. dem anthropomi -31 ſchen Gotte gibt, höher als das Geiſtige; das Vorſtellen und Anſchauen iſt ihm reicher als das Denken. Den Vorwurf, den er von dieſem Stand - punkte gegen Hegel erhebt, daß durch das Aufſteigen des Syſtems von der Schönheit zur Wahrheit jene als eine verhüllte Wahrheit erſcheine und daß demnach immer der Begriff im Schönen die Hauptſache wäre, hat Danzel weiter ausgeführt und wir werden darauf zurückkommen. Hier iſt vorläufig nur zu ſagen, daß Jedem von ſelbſt einleuchten muß, wie dieſer Vorwurf vielmehr gegen Weiße zu erheben iſt, der, wie er bei dem Schönen ankommt, bereits den als Begriff fertigen Begriff mitbringt. Er mag ſehen, wie er ihn wieder auslöſcht, wenn er ihn ſchon hat. Der noch nicht gedachte, der noch nicht enthüllte Begriff als Grundlage des Schönen hebt deſſen Selbſtſtändigkeit nicht auf; es liegt in jeder niederen Form unentbunden die höhere, und die niedrigere bleibt um dieſer Zukünftigkeit willen dennoch beſtehen. Was aber das Andere begreift, iſt das Höhere. Weiße ſucht das Schöne in der Aeſthetik zu begreifen: das, womit er begreift, der Begriff, gehört alſo, wo er als ſolcher Gegenſtand wird, in eine höhere Sphäre. Nach Hegel und nach Weiße liegt dem Schönen das Wahre zu Grunde, nach Hegel das objectiv, das noch nicht begriffmäßig gedachte Wahre, nach Weiße das vorher bereits gedachte Wahre: wie? und Weiße darf Hegel vorwerfen, daß er die Schönheit in Wahrheit zerpflücke, was ja eben umgekehrt Hegel ihm vorzuwerfen hat? Wenn nun Hegel weiterhin den begreifenden Gedanken höher ſtellt, als das nicht begreifende An - ſchauen, ſo folgt daraus keineswegs, daß er die einzelne Umbildung des einzelnen Kunſtwerks in einen Gedankenbau, das Aufſuchen der in ihm verborgenen Wahrheit wohlweis über dieſes Kunſtwerk ſetzt; davon nach - her an ſeinem Orte.

§. 6.

Jeder philoſophiſchen Wiſſenſchaft außer der Metaphyſik ſteht eine empi - riſche Sammlung desjenigen Stoffs, welchen jene begreifend durchdringt, zur Seite. Beide ſtehen zu einander in dem doppelten Verhältniſſe: die philoſophi - ſche Wiſſenſchaft erhält den Stoff von der Empirie und bildet ihn um in den freien Gedanken und ſeinen Organismus, zugleich beſtätigt und regelt ſie die von dem Standpunkte der letzteren ſchon gefundenen, den maſſenhafter belaſſenen Stoff ordnenden allgemeinen Beſtimmungen und ſo geſtaltet ſich dieſe als Er - fahrungswiſſenſchaft. Durch die erſtere Seite des Verhältniſſes iſt aber jene32 keineswegs genöthigt, ihre Gründung aufzuſchieben, bis aller Stoff geſammelt iſt; vielmehr entſteht ſie mit Nothwendigkeit, ſobald die Erfahrung ſelbſt in einer gegebenen Maſſe von Stoff das Geſetz zu ſuchen und zum zuſammenhän - genden Denken aufzuſteigen befähigt und getrieben iſt; durch die zweite Seite iſt die Erfahrungswiſſenſchaft nicht an die philoſophiſche gebunden, ſondern be - ſteht frei neben ihr. So ſteht der Aeſthetik die Kunſtgeſchichte zur Seite.

Die Einleitung hat, nachdem ſie von der Stellung der Aeſthetik zu den umgebenden Wiſſenſchaften gehandelt, noch ein Verhältniß zweier, wie es ſcheint, verſchiedenartiger Beſtandtheile innerhalb der vorliegenden Wiſſenſchaft ſelbſt, dem ſtoffartigen nämlich und dem ſpeculativen, in’s Auge faßen. Der §. geht zu dieſem Zwecke von der allgemeinen Pa - rallele aus, welche ſich durch das ganze Syſtem der philoſophiſchen Wiſſen - ſchaften hindurchzieht; wie der Aeſthetik die Kunſtgeſchichte, ſo ſteht der Naturphiloſophie die Naturgeſchichte, der Lehre vom ſubjectiven Geiſt die empiriſch ſammelnde Anthropologie und Pſychologie, Sprachwiſſenſchaft u. ſ. w., der Lehre vom objectiven Geiſte das poſitive Recht, die Ver - waltungswiſſenſchaft, die Geſchichte, der Lehre von der Religion die Theologie, der Philoſophie ſelbſt die Geſchichte der Philoſophie zur Seite. Das Verhältniß zwiſchen der philoſophiſchen und empiriſchen Behandlung eines Gegenſtandes faßt der §. zunächſt nur als ein hiſtoriſch gegebenes Wechſelverhältniß. Daß und warum der ganze Gegenſatz nur ein relativer iſt, davon berührt der folgende §. den objectiven Grund. Es wäre aber längſt an der Zeit, den ganzen Gegenſatz auch nach der ſubjectiven Seite gründlich zu prüfen und den Uebermuth ſowohl der Empiriker als der abſtracten Philoſophen zurückzuweiſen. Es wäre darzuthun, daß es genau genommen gar keine bloſe Empirie gibt, es wäre zu zeigen, wie dem erfahrungsmäßigen Vorfinden der Gedanke, wenn auch nur als Inſtinct des Suchens und Findens, ſchon vorausgeht, dem Beobachten weſentlich involvirt iſt und ebendaher als Reſultat desſelben hervortritt. Es wäre umgekehrt darzuthun, z. B. an dem Exempel der ſpeculativen Theologie der älteren Hegel’ſchen Schule, wie die Philoſophie ſich verirrt, wenn ſie gewiſſe Reſultate der geſchichtlichen Prüfung nicht abwartet oder aus Geringſchätzung der kritiſchen Empirie nicht aufſucht. Daß überhaupt jede philoſophiſche Wiſſenſchaft die Erfahrung, die Anſammlung des von ihr zu durchdringenden Stoffes als bis zu einem gewiſſen Punkte ge - langt vorausſetzt, wiewohl ſie dieſen Ausgangspunkt, ſowie ſie entſteht, aufhebt, iſt durch die neuere Philoſophie gehörig nachgewieſen. Vergl.33 über das ganze Verhältniß Hegels Encyklopädie der philoſophiſchen Wiſſenſchaften Einleitung. Ihre Entſtehung iſt möglich, wenn der Stoff ſo weit geſammelt iſt, daß die Empirie ſelbſt vermöge des zwar nicht reinen, doch theils ſinnreich überſchauenden, theils ſcharfſinnig reflectirenden Denkens, das ihr involvirt iſt, gewiſſe allgemeine Standpunkte, Geſetze, Eintheilungen findet, welche die reine Philoſophie reizen, den Gedanken in ſeiner reinen Allgemeinheit und Nothwendigkeit in dieſes Gebiet hin - einzutreiben. Die unabſchließbare Natur der Erfahrung, welche eine un - endliche Reihe einzelner neuer Entdeckungen in Ausſicht ſtellt, darf ſie von ihrem Unternehmen nicht abſchrecken; ſie darf und ſoll das Zutrauen haben, daß ſie zu entſcheiden vermag und daß ihre Reſultate geſichert ſind, wie ſehr auch die Erfahrung den Stoff noch erweitern mag. Das beſte Beiſpiel bietet die Aeſthetik ſelbſt. Sie war in dem Augenblicke möglich, als Schelling das Prinzip der Einheit des Idealen und Realen gefunden hatte. Dies war zunächſt nur die metaphyſiſche Vor - ausſetzung ihrer Möglichkeit, doch ſelbſt der metaphyſiſchen Entdeckung mußte jene künſtleriſche Anſchauungsweiſe der Natur und jener plaſtiſche Sinn vorausgegangen ſeyn, den namentlich Winkelmann geweckt hatte. Wirklich konnte aber die Aeſthetik allerdings erſt werden, als eine geiſtvolle Kritik an der Hand der ſinnvollen Empirie, der unbefangenen An - ſchauung das große Hauptgeſetz der Kunſtgeſchichte, den Gegenſatz des Klaſſiſchen und Romantiſchen, entdeckt hatte. Schelling ſelbſt ſpricht dieſen Dualismus als leitenden Gedanken aus (Vorleſ. über die Meth. d. akad. Stud. S. 319). Nun erſt konnte der allgemeine Begriff des Schönen, zu deſſen Feſtſtellung zunächſt jene Metaphyſik die Bedingung enthielt, als Seele der wirklichen Schönheit ſyſtematiſch durch die Stufen ſeiner Realität verfolgt werden. Zugleich hatte die Empirie und Kritik eine anderweitige Maſſe von Stoff geſammelt, den dieſe Arbeit als gegeben vorausſetzte. Nun iſt allerdings ſeit den erſten ſyſtematiſchen Durchführungen der Aeſthetik unendlich viel Stoff einzelner neuer kunſt - geſchichtlicher Entdeckungen geſammelt worden und wird in alle Zukunft geſammelt werden, z. B. über einzelne Tempel des Alterthums, über die vorgothiſchen Bauſtyle, über die Entſtehung des gothiſchen u. ſ. w. Allein die Aeſthetik konnte auf die klare Erkenntniß des weſentlichen Unterſchieds im Grundcharakter zwiſchen dem Style des Mittelalters und des klaſſiſchen Alterthums in der Baukunſt (wie in den anderen Künſten) ihre Entwicklung des Ideals begründen ohne Furcht, durch neue Ent - deckungen in ihren Haupt-Reſultaten geſtört zu werden. So ſcheint,Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 334um noch ein Beiſpiel anzuführen, die hiſtoriſche Unterſuchung gegen das ſtrenge Geſetz der Farbloſigkeit, das die Aeſthetik auf das Weſen der Plaſtik und weiter zurück auf das bis dahin geſchichtlich Bekannte gegründet hatte, zum Theil umgeſtoſſen zu haben. Allein die Thatſache, daß die Griechen Statuen farbig behandelten, ſtößt ein auf das Weſen einer Kunſtgattung richtig zurückgeführtes Geſetz nicht um. Vielmehr iſt die Kennt - niß dieſes Geſetzes für den ächten Hiſtoriker ein Reiz, zu unterſcheiden zwiſchen den roheren und reineren Producten jener Kunſt, und die ſparſamen Andeutungen von Farbe, die man bei den letzteren gefunden hat, ſtehen noch nicht in Widerſpruch mit jenem Geſetze. Schwierig iſt hier am meiſten die Frage über Farbe oder Farbloſigkeit des Auges. Darüber an ſeinem Orte mehr. Neue Zeiten werden ferner neue Kunſtformen ſchaffen, die den Begriff nöthigen werden, ſich nach dieſer Seite zu erweitern; iſt aber die Entwicklung des Begriffs als bewegenden Prinzips der bisherigen Kunſtgeſchichte richtig dargeſtellt, ſo muß ſie auch nach dieſer Seite eine Perſpektive in die Zukunft mit ſich führen, welche die Probe der Erfahrung beſtehen wird.

Die entſprechende Erfahrungswiſſenſchaft von ihrer Seite entlehnt von der bereits begründeten philoſophiſchen Wiſſenſchaft eine ſtrengere Sichtung und Bindung der allgemeinen Standpunkte, welche das ihr inwohnende, wiewohl nur discurſive Denken ſchon gefunden hat, beſteht aber in ihrer Unabhängigkeit fort. Wie nothwendig dieſe Freiheit der Empirie in ihrer Trennung von der Speculation, wie heilſam für beide Theile, wie förderlich ſelbſt für den möglichen Grad der Vereinigung beider, braucht hier nicht dargethan zu werden.

§. 7.

Die philoſophiſche Wiſſenſchaft hat aber die Anſammlung von empiriſchem Stoffe bis auf einen gewiſſen Punkt deswegen abzuwarten, weil der allgemeine Begriff eben in demſelben ſeine Wirklichkeit hat. Wenn ſie daher dieſen, von der Empirie ausgehend, aber dieſen Ausgang wieder aufhebend, im Elemente des Gedankens frei erzeugt hat, ſo muß ſie ihn als Grund ſeiner Wirklichkeit weiter entwickeln, in die Gegenſätze ſeines geſchichtlichen Daſeyns verfolgen, und ſo nimmt ſie den durch die Erfahrung gegebenen Stoff wieder auf, jedoch nicht nur als einen begriffenen und daher in ſeinem Weſen umgewandelten, ſondern ebendaher auch in ſeiner Ausdehnung beſchränkt auf die für das Entwicklungs - geſetz ſchlechthin bezeichnenden Momente. Die Aeſthetik verhält ſich daher in35 dieſem Theile ihres Inhalts zur Kunſtgeſchichte, wie die Philoſophie der Ge - ſchichte zur Geſchichte.

Der §. nennt den objectiven innern Grund, warum der reine Begriff ſich erſt bildet, wenn der erfahrungsmäßige Stoff bis auf einen gewiſſen Punkt geſammelt iſt, wobei freilich ein ſubſectives Moment vorausgeſetzt iſt, das Bedürfniß der Erinnerung nämlich. Das heißt: das allgemeine Weſen oder der Begriff des Schönen an ſich iſt wirklich in der Geſchichte der Kunſt. Derſelbe ruht zugleich als Möglichkeit, ſich in der Form des Denkens zu faſſen, in dem Geiſtet welcher, wie er auch übrigens ſich ſchon als philoſophiſcher ausgebilde, haben mag, in dieſer Richtung wenigſtens noch nicht begonnen hat zu philoſophiren. Hier tritt das ſubjective Bedürfniß der ἀνάμνησις ein; das Urbild tritt im Subjecte erſt nach reicherer Anſchauung des Abbilds hervor in’s Bewußtſeyn. Es würde dies aber nicht, wäre das Abbild nicht wirklich das Abbild, oder vielmehr wiſſenſchaftlicher ausgedrückt mehr als dies: die objective Wirklichkeit des, nur noch nicht in der Form des reinen Begriffs gedachten, Urbilds. Dieſer ſubjective Anſtoß hebt ſich aber durch die wirkliche Bildung des Begriffs wieder auf, der Ausgang von der Erfahrung wird überwunden, der Begriff erzeugt ſich ſelbſtſtändig. Dann erſt kehrt ſich das Verhältniß wieder um, der reine Begriff entwickelt ſich, und breitet ſich aus, und der zuerſt in der Erfahrung vorgefundene Stoff wird wieder aufgenommen, denn die Entwicklung und Ausbreitung des Begriffs iſt eben die Geſchichte deſſen, was durch ihn begriffen iſt. Dieſer Stoff iſt aber jetzt ein Anderes geworden; der Begriff verliert ſeine Freiheit, das Element des reinen Denkens, nicht, indem er ſich in dieſes Reich der ſcheinbaren Zufälligkeit hineinarbeitet, er tilgt vielmehr am Stoffe die Unmittelbarkeit und begreift ihn als die nothwendige Wirklichkeit des Begriffs, worin die Gegenſätze, welche logiſch in dieſem liegen, als Zeitfolge hervortreten. Es wird ſich dies bewähren, wenn ſich der Begriff des Schönen als Phantaſie in die großen geſchichtlichen Gegenſätze des Ideals aufſchließen und der Begriff der einzelnen Künſte die verſchiedenen Zweige, die in ihm enthalten ſind, als geſchichtlich nach einander hervortretende darſtellen wird. Dieſe Umwandlung des Stoffs iſt aber zugleich weſentlich eine Zuſammenziehung der Maſſe auf die bedeutenden Hauptmomente, auf jene großen Uebergänge und durch - greifenden Formen in der Kunſtgeſchichte, worin ſo zu ſagen ihre Seele an die Oberfläche tritt. Nicht zur Kunſtgeſchichte, ſondern zur Philoſophie3*36der Kunſtgeſchichte breitet ſich die Aeſthetik aus. Alles, was die Bedeutung des weſentlich Bezeichnenden nicht hat, bleibt als rein poſitiv der Kunſt - geſchichte aufbehalten. Ueber den Gegenſatz des Poſitiven und des Philoſophiſchen iſt hier nur ſo viel zu bemerken. Ganz ſtreng genommen gibt es allerdings gar nichts rein Poſitives; das ſogenannte Poſitive ent - ſteht dadurch, daß, was in ſeiner Sphäre aus Naturgeſetzen oder Geiſtes - geſetzen allerdings begreiflich wäre, in der Verwachſung von Bedingungen, in welche es mit Erſcheinungen aus andern Sphären verſchlungen iſt, ſich mit Anderweitigem vermiſcht, auf deſſen Erklärung die Wiſſenſchaft, wenn ſie es eben nur mit dieſer Sphäre zu thun hat, ſich jetzt nicht einlaſſen kann. Das Schöne, deſſen Begriff hier Aufgabe iſt, bietet zugleich als Kunſt das paſſendſte Beiſpiel. Daß irgend ein Kunſtwerk gerade in einem gewiſſen Jahre, unter gewiſſen räumlichen und andern Bedingungen entſtand, dies iſt, ſobald man die äußere Geſchichte des Volkes, das es hervorbrachte, bis auf ihre urſprünglichſten Grundlagen verfolgt, die politiſche Geſchichte ſammt ihren Hülfswiſſenſchaften hinzu - zieht und weiter erwägt, daß auch dieſe ſich bis auf letzte nothwendige und begriffsmäßige Grundlagen verfolgen laſſen, keineswegs etwas Zu - fälliges. Die Kunſtgeſchichte aber, wiewohl ſie mit allen concreten Be - dingungen des Volkslebens ſich lebendig durchdringen muß, kann dies doch ſo weit keineswegs verfolgen, noch weniger die Philoſophie der Kunſt - geſchichte als Theil der Aeſthetik; ſie läßt ſich daher nur auf diejenigen Kunſtwerke und ihre hiſtoriſchen Bedingungen ein, in welchen die letzteren ſo günſtig zuſammenwirkten, daß das reine Weſen der Kunſt bedeutungsvoll hervortrat, führt auch ſie nicht in hiſtoriſcher Weiſe auf, ſondern hebt nur das Allgemeine in ihnen hervor; alles Uebrige aber iſt für ſie ein Zufälliges, was ſie als blos Poſitives der Kunſtgeſchichte überläßt; auch dieſe aber trifft noch eine Auswahl und weist das Uebrige an das Geſchäft der bloßen Stoffſammlung, in welcher die Zufälligkeit das Herrſchende iſt und daher ein bloßes Aggregat zu Stande kommt. Uebrigens hat be - kanntlich die Bezeichnung: poſitiv noch eine andere Bedeutung; ſie be - zeichnet nicht blos das, was in das Wiſſen aufgenommen wird als ein Zufälliges, das einmal ſo und nicht anders iſt, ſondern auch das, was das Empfinden und Wollen der Völker durch Autorität beherrſcht, d. h. ohne ſich zu beweiſen. Die letztere Bedeutung des Worts gehört nicht hieher. Hettner (Gegen die ſpekulative Aeſthetik S. Wigand’s Vierteljahrsſchrift 1845. B. 4.). bekämpft die hier ausgeſprochene Anſicht über das Verhältniß der Aeſthetik und Kunſtgeſchichte. Er verlangt eine37 völlige Aufhebung ihrer Trennung. Dies iſt aber ſowohl gegen das Naturgeſetz der Theilung der Kräfte, als gegen das Arbeitsgeſetz der Geſchäfte. Der Sammler, der Geſchichtſchreiber und der Philoſoph arbeiten an Einem Ziele, aber auf verſchiedenen Wegen. Der erſte ſchafft dem zweiten den Stoff in die Hände und dieſer übergibt ihn, ſchon aus - geleſen und verarbeitet, zur letzten geiſtigen Umbildung dem dritten. Der dritte gibt dem zweiten die Idee in einzelne Maximen, Einſchnitte, Stand - punkte umgeſetzt, der zweite überliefert dieſe dem erſten, wo ſie nur noch als Inſtinkt und Takt des rechten Suchens wirken. Aber welches Monſtrum würde die Aeſthetik, wenn ſie den ganzen Stoff des erſten oder auch nur des zweiten, alle Jahreszahlen, Namen Orte aufnehmen würde, und wohin würde ſich die Geduld, der Stoffſinn der letzteren verflüchtigen, wenn ſie ſtreng philoſophirten?

§. 8.

Die Geſchichte der Aeſthetik als Wiſſenſchaft iſt in das Syſtem ſelbſt in der Weiſe aufzunehmen, daß die bedeutendſten Gedanken, welche in ihr hervor - getreten ſind, als Momente desſelben ſich einreihen. Es kann dies nicht in dem Sinne vollzogen werden, in welchem die gegenwärtige Philoſophie es als Geſetz des Verhältniſſes zwiſchen der Geſchichte der Philoſophie und den Stufen der logiſchen Idee aufſtellt; denn nicht nur iſt die Aeſthetik als Wiſſenſchaft zu neu, um eine ſolche Reihe von Prinzipien darzuſtellen, ſondern es kann über - haupt, was von den Grundlagen der philoſophiſchen Syſteme gilt, nicht ebenſo auf die abgeleiteten Theile angewandt werden. Nur ungefähr und theilweiſe läßt ſich die logiſche Folge der Begriffsmomente in der Metaphyſik des Schönen mit der geſchichtlichen Folge der hierüber vorgebrachten Gedanken zuſammen - ſtellen; im Uebrigen reihen ſich dieſelben ohne beſondere Rückſicht auf ihre zeit - liche Ordnung allerdings in das Syſtem ſo ein, daß ſie, ihres Anſpruchs auf erſchöpfende Bedeutung enthleidet, als Glieder ſich zur Totalität des Begriffs zuſammenfügen.

Hegel’s wichtige Entdeckung, daß man, wenn die Grundbegriffe der in der Geſchichte der Philoſophie erſchienenen Syſteme deſſen ent - kleidet werden, was ihre äußerliche Geſtaltung, ihre Anwendung auf das Beſondere u. dgl. betrifft, die verſchiedenen Stufen der Beſtimmung der Idee ſelbſt in ihrem logiſchen Begriffe erhält, wird ſelbſt von denjenigen in ihrer allgemeinen Wahrheit nicht verworfen, welche ihre durchgängige38 Richtigkeit beſtreiten. Es iſt klar, wie viel gewonnen würde, wenn ſich in derſelben Weiſe die Geſchichte der Aeſthetik in die Aeſthetik aufnehmen ließe. Allein es verſteht ſich, daß, was von der Metaphyſik gilt, nicht ebenſo von den beſondern Disziplinen ausgeſagt werden kann. Es kann z. B. eine Philoſophie ein verhältnißmäßig ſchon reiches und erfülltes metaphyſiſches Prinzip aufgeſtellt haben, und da die Aeſthetik eine der richtigſten Proben einer Metaphyſik iſt, ſo ſollte man erwarten, daß ein ebenſo concretes äſthetiſches Prinzip ſich hier finden laſſe, das ſich von ſelbſt im Syſtem da einreihe, wo zuerſt die Grundidee in ihrer weiteſten Allgemeinheit vorangeſtellt wird, dann die abſtracteren Momente ihrer Entwicklung ſich in ihre Geſammteinheit zuſammenfaſſen. Allein die Zeit, worin jene Metaphyſik entſtand, kann ſo wenig Intereſſe für das Aeſthetiſche gehabt haben, daß dieſe ihre Folgerungen nach dieſer Seite nicht zog, ſondern nichts oder nur arme Beſtimmungen hierüber vorzu - bringen wußte. Aus Spinoza’s Prinzip, aus der Leibniz’ſchen Monadologie öffnen ſich große Ausſichten in das Schöne, allein das Intereſſe lag ferne. Von Kant’s und Fichte’s Subjectivismus ließen ſich tiefe Gedanken über das Komiſche erwarten, allein Kant gibt ſo gut als Nichts, Fichte gar nichts. Umgekehrt finden ſich bei Ariſtoteles, der über das allgemeine Weſen des Schönen nur gelegentliche Winke gibt, treffliche Gedanken über das Weſen des Komiſchen und Tragiſchen, die doch zu den erfüllteſten in der Metaphyſik des Schönen gehören; denn Ariſtoteles hatte eine große reale Kunſtwelt vor ſich, deren concrete Betrachtung ungeſucht die gediegenſten ſpeculativen Ideen darbot; und ſo treten auch jene Gedanken freilich nur bei Gelegenheit der Unterſuchung beſtimmter Kunſtgattungen hervor. Es iſt hier jedoch nicht die Rede von der Ungleichheit der geſchichtlich vorhandenen äſthetiſchen Unterſuchungen mit ſich ſelbſt in Betreff ihrer Leiſtungen in der realen Kunſtſphäre ver - glichen mit denen in der Metaphyſik des Schönen; denn wie Hegel ein Entſprechen der geſchichtlichen Prinzipien und der Stufen des Begriffs nur in Beziehung auf die Logik behauptet, ſo kann auch hier die Frage nur die ſeyn, ob ſich ein ſolches Entſprechen in Beziehung auf den erſten Theil der Aeſthetik, den allgemeinen Begriff des Schönen nämlich und ſeine Stufen, finden laſſe. Praktiſche Bemerkungen über die Kunſt fehlen da am wenigſten, wo die allgemeinen Prinzipien noch am dürftigſten ſind: bei den Alten. Um die letzteren aufzuſuchen bedurfte es erſt der Anerkennung der Selbſtſtändigkeit des Schönen, und dies konnte im Alterthum, wo die Kunſt mit dem ganzen Leben ſo untheilbar verflochten39 war, noch gar nicht eintreten. Die neuere Zeit dagegen mußte, nachdem ſie dieſe Trennung vorgenommen, erſt aus dem ſubjectiven Idealismus zum objectiven fortgeſchritten ſeyn, ehe ſie eine ganze Aeſthetik bauen konnte; ſie war erſt ſeit Schelling möglich, und wir haben das erſte Syſtem der Aeſthetik aus Solgers Hand. Dieſe Wiſſenſchaft iſt alſo auch viel zu neu, um eine logiſch ſich aufbauende Reihe geſchichtlicher Prinzipien darzubieten.

Dagegen iſt ein ungefähres Entſprechen allerdings in folgender Weiſe zu bemerken. Die Metaphyſik des Schönen, der erſte Theil der Aeſthetik, handelt zuerſt von der einfachen Schönheit vor ihrer Spaltung in die contraſtirenden Formen des Erhabenen und Komiſchen. Der Begriff des Schönen zerfällt in die Momente: Idee, Bild, Einheit beider. Man erkennt ſogleich, daß dem erſten Momente der platoniſche Standpunkt entſpricht. Das zweite, die ſinnliche Geſtalt: hieher könnte man außer einzelnen Beſtimmungen über die Form, welche Plato, Ariſtoteles, die Neuplatoniker bieten, die reichen empiriſchen Bemerkungen des ſpätern Alterthums ziehen, wenn ſie nicht weſentlich auf die wirkliche Kunſt ſich bezögen, von der hier noch nicht die Rede iſt; wohl aber gehören hieher die ſenſualiſtiſchen, in ihrer Grundlage materialiſtiſchen Reflexionen der Engländer des vorigen Jahrhunderts, alſo der Anfänge der modernen Aeſthetik. Das dritte Moment, die Einheit von Idee und Bild: hier tritt Baumgarten’s ſchwankende Definition ein, aber Kant wirft aus ihr Alles heraus, was objectiv ſeyn ſollte und die Parallele der ge - ſchichtlichen mit der logiſchen Ordnung iſt unterbrochen. Die wahre Erfüllung des von Baumgarten ſchwankend Umriſſenen gibt die neuere Philoſophie ſeit Schelling und dieſe tritt dann ganz am rechten Orte bei dieſem dritten, concreteſten Momente ein, wo ſich dann beſtätigt, daß ſie auch die erſte noch abſtracte Beſtimmung, die der Auseinanderſetzung jener drei Momente voranging, dargeboten hat. Den Abſchluß dieſes Abſchnitts bildet die Darſtellung des ſubjectiven Eindrucks des Schönen und hier widerfährt Kant ſein Recht. Es folgt der zweite Abſchnitt, der die contraſtirenden Formen des Schönen zum Inhalt hat, zuerſt das Erhabene. Einen Theil dieſer Form hat Kant auf’s Tiefſte erfaßt und der Rigorismus der ſubjectiven geiſtigen Geſetzgebung gegen den ſinnlichen Impuls erklärt, warum dieſe Philoſophie um den Begriff des Erhabenen, nicht ebenſo um den des Komiſchen ſich verdient machte, während ſie doch zu der Ergründung des letzteren ſo weſentliche Bedingungen enthielt. Dagegen verläßt ſie uns völlig in der höchſten Form des Erhabenen, dem40 Tragiſchen, um der neueren ſpeculativen Philoſophie, welche hier allein die hinreichend gerüſtete iſt und die erwähnten Winke des Ariſtoteles erſt zu benützen vermag, Platz zu machen. Die zweite Form des äſthetiſchen Kontraſts nun, das Komiſche, hat allerdings ſeit den Anfängen der Aeſthetik in der neueren Zeit die Aufmerkſamkeit in hohem Grade in Anſpruch genommen; einzelne treffende Gedanken, wie ſchon der glückliche Wurf des Ariſtoteles, liefern gediegene Bauſteine, allein Bedeutendes und Zuſammenhängendes konnte erſt geleiſtet werden in der neueſten Zeit, denn wie die Komödie in der Poeſie, ſo iſt der Begriff des Komiſchen die letzte und höchſte Frucht in der Aeſthetik. Jean Paul, der hier ſo fruchtbare Vorarbeit geliefert hat, ſteht nach der Grundlage ſeiner ganzen geiſtigen Stimmung zwar auf dem ſubjectiv idealiſtiſchen Boden Kant’s und Fichte’s, aber er iſt als Humoriſt ebenſo realiſtiſch, oder richtiger, er befindet ſich mitten in dem unverſöhnten Widerſpruch beider Stand - punkte. Indem die Philoſophie Schelling’s und Hegel’s dieſen Widerſpruch begreift und löst, wird eine methodiſche Durcharbeitung des Begriffes möglich, allein Hegel iſt hier noch zu ſubſtantiell wie in der Staatslehre und wird ungerecht gegen den Humor. Die freie Fort - bewegung ſeiner Schule hatte die Aufgabe, hier die letzte Hand anzulegen; Ruge’s und Weiße’s Verdienſte ſind bekannt und ſo faßt ſich die Spitze des Begriffs mit der Spitze der in der Zeitfolge letzten hiſtoriſchen Bewegungen zuſammen.

Obwohl nun im zweiten und dritten Theile des Syſtems, die von der Wirklichkeit des Schönen handeln, ein ſolches Entſprechen gar nicht mehr zu verfolgen iſt, ſo laſſen ſich doch im Einzelnen wenigſtens gewiſſe Andeutungen eines Parallelismus aufzeigen. Dabei fällt der erſte Ab - ſchnitt des zweiten Theils, die Lehre von der Naturſchönheit, ſogleich weg. Dieſe iſt noch am wenigſten angebaut und gibt ganz ein Bild des Zurückbleibens der Philoſophie hinter ihrer Aufgabe, die Naturwiſſen - ſchaften zu durchdringen. Hegel bietet treffliche Anfänge, iſt aber äußerſt unvollſtändig. Der zweite Abſchnitt dagegen, die ſubjective Wirklichkeit des Schönen als Phantaſie, verdankt der ſubjectiven Philoſophie Kant’s, die hier freilich über ihre Grenzen vordrang, gewiſſe unvergleichlich treffende Gedanken über das Genie, die für immer Bahn gebrochen haben. Die Phantaſie breitet ſich aus zur Phantaſie der Völker; eben an die Kantiſche Schule hängt ſich hier die Epochemachende Entdeckung des Gegenſatzes zwiſchen klaſſiſch und romantiſch; Schiller’s und der Schlegel Verdienſte finden hier ihre Stelle. Der dritte Theil enthält41 die Lehre von der Kunſt. Obgleich nun in dieſer adäquateſten Wirklich - keit des Schönen vorzüglich die Unterſuchungen der alten Philoſophie ſich bewegten, ſo iſt doch weder über den Grundbegriff der Kunſt, noch über die Gliederung der Künſte von ihnen eine zuſammenhängende Leiſtung zu erwarten; zudem mußten die zwei Künſte Malerei und Muſik ſchon des - wegen in ihrer Betrachtung zu kurz kommen, weil ſie wirklich als Künſte ſelbſt noch gar nicht in die Tiefe ihres Weſens geſtiegen waren. Großes und Ganzes konnte hier vielmehr erſt die moderne Philoſophie ausführen, denn die Kunſt iſt ſubjectiv-objective Wirklichkeit des Schönen; ſie zu begreifen bedarf es einer Philoſophie, deren Prinzip Einheit des Sub - jectiven und Objectiven und deren Werk Durchführung dieſer Einheit iſt. Demnach iſt in dieſen Theilen wenigſtens ſo viel Parallele zwiſchen der Aeſthetik und der Geſchichte der Aeſthetik, daß das ſubjectivere Gebiet von der Philoſophie des Subjectivismus, dasjenige, welches von da den Uebergang zum Objectiven darſtellt, von den das Speculative ahnenden Ausläufern dieſer Philoſophie, dagegen das objektivſte und zugleich ſubjectivſte Gebiet nur von der ſpeculativen Philoſophie ergründet werden konnte. Indem durch dieſe ſchließliche Leiſtung das ganze Syſtem ſich vollendet, iſt allerdings die Bemerkung zu §. 7 noch dahin näher zu beſtimmen, daß dieſe ſyſtematiſche Ergründung und Durchführung erſt möglich war, nachdem der Stoff bis auf den Punkt geſammelt, vorlag, wo eine ganze lange Kunſtbildung ſammt einer Summe der auf ihre Beurtheilung gerichteten vereinzelten Leiſtungen der Kritik und der Kunſt - geſchichte abgeſchloſſen war. Was im Gedanken als ein Ganzes auf - erſtehen ſoll, muß als Ganzes in der Wirklichkeit abgeblüht ſeyn. Die Verwelkung wirft aber neue Blüthen in den empfänglichen Boden; eine neue Kunſtwelt iſt, wenn das ſchon Gebildete wieder Stoff geworden ſeyn wird , in unbeſtimmter Zukunft zu erwarten und nach ihr eine neue Aeſthetik; die Aeſthetik, wie ſie jetzt eine fertige Welt abſchließt, muß nur den Ausblick in dieſe Zukunft der Kunſt ſowohl als ihrer Wiſſen - ſchaft, wie oben ſchon bemerkt wurde, offen halten und dies wird einſt ihre Probe ſeyn.

[42][43]

Erſter Theil. Die Metaphyſik des Schoͤnen.

[44][45]

Die Metaphyſik des Schoͤnen.

§. 9.

Die Metaphyſik des Schönen entwickelt den Begriff des Schönen in1 ſeiner reinen Allgemeinheit, abgezogen von ſeiner Verwirklichung, durch die Ge - ſammtheit der Momente, welche überall, wo Schönes wirklich wird, mit Noth - wendigkeit hervortreten, weil ſie in der ideellen Einheit des Begriffs an ſich ſo enthalten ſind, daß ſie einander fordern. Es iſt dies inſofern eine Abſtraction, welche nur die Wiſſenſchaft vollzieht, als der reine Begriff als ſolcher kein objectives Daſeyn hat; derſelbe iſt aber darum keineswegs als eine bloſe Form des ſubjectiven Denkens anzuſehen, ſondern er ſelbſt iſt der Grund und Inhalt ſeiner Wirklichkeit. Das Andere, was in dieſer hinzukommt und eine Reihe2 neuer Unterſchiede mit ſich bringt, wird ſich als ein Solches erweiſen, wodurch dieſer Satz keineswegs aufgehoben wird.

1. Der reine Begriff iſt keine leere Allgemeinheit, ſondern in ſich ſchon eine Geſammt-Einheit von Momenten. Dieſe Momente, welche weſentlich ſchon in dem Begriff als ideelle Einheit enthalten ſind, treten ebendeßwegen überall, wo er ſich verwirklicht, hervor. Wo irgend Schönes ſich realiſirt, da realiſirt ſich auch Erhabenes und Komiſches, weil dieſe Momente ſchon im Begriffe ſich gegenſeitig fordern und ſetzen.

2. Dagegen wird von dem Punkte an, wo der Begriff in ſeine Wirklichkeit übergeht, eine Reihe neuer Unterſchiede hervortreten. Daraus ſcheint zu folgen, daß zwiſchen dem Begriff und ſeiner Realität ein Weſens - Unterſchied ſey, ſo daß jener im Sinne des formaliſtiſchen Denkens der ſubjectiven Abſtraction zugewieſen würde. Die gegenwärtige Unterſuchung ſetzt dieſen Standpunkt überhaupt als überwunden und die Einſicht als vorhanden voraus, daß der Begriff ſelbſt als allgemeine hervorbringende und bewegende Seele in ſeiner Realität wirklich iſt. Nicht die Dar -46 ſtellung des Begriffs, ſondern nur die Trennung derſelben von der Dar - ſtellung ſeiner Wirklichkeit iſt, eben weil dieſe ſeine Wirklichkeit iſt, ſubjective Abſtraction, doch nicht willkürliche, ſondern von dem Geſetze der Wiſſenſchaft geforderte. Wenn hiedurch der Begriff für eine Macht erklärt wird, welche ſelbſt der Grund ihres Daſeyns iſt, ſo wird darum kein ſpeculatives Phantom aufgeſtellt. Der Erfolg wird dies im zweiten und dritten Theile des Syſtems zeigen. Was nun aber das Andere ſey, das in der ideellen Allgemeinheit des Begriffs noch nicht enthalten iſt, in ſeiner Verwirklichung hinzukommt und jene Reihe neuer Unterſchiede in ihn einführt, wird ſich zeigen. Hier nur ſo viel: dieſes Andere iſt eine Be - dingung der Realität, welche, an ſich ſelbſt auch nichts als die Wirklichkeit eines Begriffs, aber eines ſolchen, der, urſprünglich ein anderer als der der Schönheit, in ſeiner Entfaltung dieſem entgegenkommt und von ihm in ſeinen Dienſt gezogen wird, aber ſich in dieſem Verhältniß zu ihm als dem Thätigen als das blos Verwendete und Benützte verhält. So iſt es mit jedem Begriffe und ſeiner Verwirklichung, Er bleibt in dieſer das weſentlich Beſtimmende, verwendet aber Realitäten, welche übrigens die Wirklichkeit anderer Begriffe ſind, zu ſeinen Zwecken und gibt ſich in dieſer concreten Verflechtung eine neue Reihe von Beſtimmtheiten. Dies iſt der einzige Unterſchied zwiſchen dem Begriff und der Realität. Derſelbe iſt in der Anmerkung zu §. 7 ſchon berührt, dort aber nur in Beziehung auf dasjenige, was die Aeſthetik als zur Maſſe des rein Poſitiven gehörig ausſchließen muß, während es ſich hier um Geſtaltungen des Begriffs handelt, welche allerdings weſentlich ſind, nur nicht für den erſten, meta - phyſiſchen Theil der Wiſſenſchaft. Zu dem Anderen, was nun hier als Bedingung der concreten Geſtaltungen des Schönen genannt iſt, gehört aber nicht die Phantaſie. Dieſe wird ſich im zweiten Theile als der lebendige Begriff des Schönen ſelbſt erweiſen. Dagegen z. B. die Unter - ſchiede der Phantaſie als klaſſiſche, romantiſche u. ſ. w. haben ihren Grund in ſolchem Anderen: der klimatiſch und hiſtoriſch beſtimmte Volkscharakter wird von dem Schönen in ſeine Macht gezogen und gibt ihr beſondere Formen, die nicht in die Metaphyſik des Schönen gehören.

[47]

Erſter Abſchnitt. Das einfach Schoͤne.

§. 10.

Die Aeſthetik lehnt ſich an die Metaphyſik und ſetzt als durch dieſe1 begriffen die abſolute Idee voraus. Die abſolute Idee iſt die Einheit aller Gegenſätze, welche ſich in dem höchſten Gegenſatze, dem des Subjects und Ob - jects, ſammeln, der ſich durch die getheilte, aber ſelbſt wieder zur Einheit ſich zuſammenſchließende Thätigkeit des Erkennens und Wollens aufhebt. Dieſe höchſte Einheit iſt nicht blos ein formaler Begriff; ſie kann aber auf keinem2 einzelnen Punkte der Zeit und des Raumes als ſolche zur Erſcheinung kommen, ſondern ſie verwirklicht ſich blos in allen Räumen und im endloſen Verlaufe der Zeit durch einen beſtändig ſich erneuernden Prozeß der Bewegung.

1. Würde die Aeſthetik encyclopädiſch gelehrt, ſo würde hier nicht vom Schluſſe der Metaphyſik, der abſoluten Idee, mit Ueberſpringung aller Formen des wirklichen Geiſtes unmittelbar ausgegangen; die Ent - wicklung käme her von der Betrachtung des ſubjectiven, dann des objectiven Verhaltens, worein der Geiſt ſich getheilt hat; hierauf eingetreten in die Lehre vom abſoluten Geiſte hätte ſie die Religion dargeſtellt als erſte und unmittelbarſte Form, worin die Einheit aller Gegenſätze blos empfunden und durch die verwechſelnde Vorſtellung vor das Bewußtſeyn gebracht wird, und nun wäre der einfache Schritt der, daß entwickelt würde, wie das Empfundene und vorgeſtellte vermöge eines durchgreifenden Grund - geſetzes als Gegenſtand der Anſchauung vor den Geiſt treten ſoll. Daß dies nur durch die Kunſt geſchieht, dürfte auch bei dieſem Wege nicht unmittelbar hingeſtellt werden; der Ausgang von der Nothwendigkeit des48 ſinnlichen Scheinens müßte auch dann erſt durch viele Mittelglieder weiter gehen, bis erhellen würde, daß dieſes ſinnliche Scheinen eben ein Werk des hervorbringenden, nicht blos zuſehenden Geiſtes, der Kunſt iſt. Da aber die Aeſthetik hier nicht im encyclopädiſchen Zuſammenhang gelehrt wird, ſo hat ſie ſich zunächſt einfach an das Schlußreſultat der Metaphyſik anzulehnen und muß dieſes als bekannt, ja als anerkannt und als einen geiſtigen Beſitz der Zeit vorausſetzen. Die Einleitung zwar durfte hierin vorgreifen, weil ſie das Verhältniß der Aeſthetik zu den benachbarten Sphären vorläufig zu beſtimmen hatte; das Syſtem ſelbſt aber hat in dieſer Beziehung analytiſch zu verfahren: von dem entwickelten Begriffe des Schönen ſieht es zurück und indem es ihm ſeine Stelle anweist, über - ſchaut es den Gang des Geiſtes in den Schritten, die er zuletzt noch zurück - legt, um zum Schönen, dann weiter, um über es hinaus zu gelangen. Doch im erſten metaphyſiſchen Theile wird auch dieſes Eingehen ſich noch in ab - ſtracten, aus den Lehnſätzen ſynthetiſch gewonnenen Beſtimmungen bewegen; als ein Thun des concreten lebendigen Geiſtes neben anderen Weiſen ſeines Thuns wird das Schöne erſt im zweiten Theile ſich darſtellen. Jenes Reſul - tat der Metaphyſik nun, von dem hier ausgegangen wird, iſt reiner Pan - theismus. Es könnte zweierlei eingewandt werden: entweder, es ſey gleich - gültig, ob die Aeſthetik vom Theismus oder vom Pantheismus aus conſtruirt werde, denn das Schöne ſetze zwar die Immanenz voraus, aber der Theismu[s]habe auch die Immanenz, nur die Tranſcendenz dazu; oder: es müſſe und ſolle ſogar vom Theismus aus conſtruirt werden, denn die allein wahre Kunſt ſey diejenige, welche die perſönliche Gottheit feire. Beide Einwendungen verhalten ſich ſo zu einander: die erſte verſteht die Kunſtgeſchichte nicht, die zweite mißverſteht ſie. Der höchſte Gegenſtand der Kunſt iſt immer das Abſolute; wird dies als perſönlicher Gott behauptet, ſo iſt und bleibt, ihn mit ſeinen Umgebungen und den Erſcheinungen ſeines Eingriffs in die Welt darzuſtellen, die höchſte Aufgabe der Kunſt, und dadurch ſind alle Fortſchritte rein weltlicher Kunſt ſeit der Reformation entweder verkannt oder verdammt. Der Standpunkt der erſten Einwendung verkennt dieſelben; er läßt ſie zu, da er neben der Tranſcendenz Immanenz behauptet, aber er muß ſie niedrig ſchätzen. Der Standpunkt der zweiten muß ſie ver - dammen. Es leuchtet ein, daß hievon auch die ganze Stellung der Aeſthetik im Syſteme abhängt, und daß die Weiß’ſche gefordert iſt, ſobald man vom Theismus ausgeht. Doch nicht blos um den Sinn der Kunſtgeſchichte und um die Stellung der ganzen Wiſſenſchaft handelt es ſich; ſchon die ganze Begriffsfolge in der Metaphyſik des Schönen wird durch die Vor -49 ausſetzung des Theismus zerſtört. Die höchſte Einheit des Subjects und Objects iſt auf keinem einzelnen Punkte der Zeit und des Raums wirklich, aber ein geiſtiges Geſetz fordert den Schein dieſer Wirklichkeit. Der Theismus, wie er ſich immer ſträuben mag, ſetzt einen ſolchen Punkt; dieſer Punkt iſt Gott, dem bei irgend einiger Conſequenz ein eigener Leib und ein Wohnort vom Theismus zugeſchrieben werden muß. Aeltere Kirchen - lehrer waren ſo aufrichtig, dieſe Conſequenz zu ziehen, Tertullian ſpricht ſie aus, die Clementiniſchen Homilieen ſtellen einen leiblichen Gott als Ideal der Schönheit auf. Die Darſtellung dieſes Gottes, wie er einmal vorgeſtellt wird, muß dann für die höchſte Aufgabe der Kunſt erklärt werden, während die wahre Auffaſſung ſolche Verſuche als etwas rein Phänomenologiſches in die Kunſtgeſchichte einreiht. Als ein Aufblick zu dieſem transſcendenten Leibe muß aber dann das Schöne vornherein con - ſtruirt werden. Es iſt nicht reiner Schein, es iſt Porträtiren eines abſoluten Körpers, der ihm freilich niemals ſitzt. Der Theismus, der dieſen über - irdiſchen Leib begriffsmäßig zu halten ſucht, iſt gar keine Form der Wiſſen - ſchaft; er iſt ein Verſuch des gemeinen Menſchenverſtands, die Phantas - magorie des Doppeltſetzens zu ſyſtematiſiren.

2. Die einzige Tranſcendenz, welche die Philoſophie kennt. Die abſolute Idee iſt ewiger Prozeß. Der Theismus hat einen todten d. h. einen ein für allemal fertigen, der Pantheismus einen lebendigen Ueber - ſchuß, und dadurch Raum genug für alle die poetiſchen Kräfte des Gemüths, die man ihm abſtreiten will, Sehnſucht, Hoffnung, Glauben, Beugung vor einer unendlichen Tiefe, die kein Zeitmoment erſchöpft. Nicht von dieſen Kräften iſt aber hier die Rede; der Fortgang der Begriffsfolge wird ſich zeigen.

§. 11.

Die abſolute Idee legt ſich in einen Umkreis beſtimmter Ideen aus - einander, und auch die einzelne beſtimmte Idee iſt auf keinem gegebenen Punkte des Raums und der Zeit unmittelbar wirklich, ſondern ſie verwirklicht ſich nur in der unendlichen Zahl und Bewegung der unter ihr begriffenen Weſen.

Der §. bereitet die Ergänzung eines weſentlichen Mangels der Hegel’ſchen Aeſthetik vor, wovon nachher. Die beſtimmten Ideen ſind die Reiche des Lebens, ſofern ihre Wirklichkeit als ihrem Begriffe entſprechend gedacht wird; denn Idee bezeichnet immer den in ſeiner Wirklichkeit rein und mangellos gegenwärtigen Begriff. Dieß reineViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 450Daſeyn ſtellen aber nur alle dieſem Begriff, d. h. dieſer Gattung ange - hörigen Weſen dar, wie jedes in unendlicher Reihe das andere ergänzt, die Mängel des vorhergehenden Zuſtands im folgenden überwindet. Iſt alſo Idee das Subject im Satze des §. und wird eine gewiſſe Art der Wirklichkeit ihr doch abgeſprochen, ſo iſt ſie in dieſer Beziehung blos gedachte Einheit des Begriffs und der Wirklichkeit, was ſogleich her - vorzuheben iſt.

§. 12.

Dieſe Wirklichkeit der Idee, welche in keinem einzelnen Momente und an keinem einzelnen Orte je vollendet iſt, kann in Wahrheit nur durch den Gedanken erfaßt werden. Auf zweierlei Weiſe alſo iſt ſie wirklich: im all - gemeinen, ewigen Weltverlaufe und im zuſammenfaſſenden Geiſte des Denkenden. Zwiſchen dieſe beiden Weiſen aber tritt eine andere ein. Es beherrſcht nämlich alle Sphären des Geiſtes das Geſetz des Ausgangs vom Unmittelbaren zum Vermittelten (vergl. §. 4); dieſes Geſetz, deſſen Grund und Allgemeinheit als erwieſen hier aus der geſammten übrigen Philoſophie vorauszuſetzen iſt, fordert mit Nothwendigkeit, daß auch die abſolute Idee, welche in entſprechender Wahrheit nur durch die Vermittlung des Denkens zu ergreifen iſt, zuerſt in der Form der Unmittelbarkeit oder der[Anſchauung] vor dem Geiſt auftrete.

Es iſt unvermeidlich, hier einen neuen Satz aus der Logik, wo er dialektiſch begründet wird, und aus der geſammten übrigen Philoſophie, wo er ſich als Geſetz alles Lebens bewährt, als Lehnſatz aufzunehmen, den zwar die Einl. ſchon im weiteren Sinne berührt hat in §. 4. Die beſondere Wiſſenſchaft der Aeſthetik kann ſich auf eine Begründung dieſes Geſetzes nicht einlaſſen, denn ſie würde ſich dadurch kein geringeres Geſchäft auf - legen, als eine Recapitulation der ganzen Philoſophie. Inzwiſchen kann der weniger Bewanderte ſich ſelbſt, der Bewanderte dem Schüler mit wenig Schwierigkeit begreiflich machen, daß alle Bewegung anfängt mit dem, was, um zu ſeyn oder begriffen zu werden, nicht erſt ein Anderes voraus - ſetzt, und dies iſt das Unmittelbare; daß ſie fortgeht zu dem, was ein Anderes vorausſetzt und was daher von dieſem geſetzt iſt, was ſich alſo nur durch dieſes Hindurchgehen von dem Einen zum Andern, nur durch dieſe Gegenſeitigkeit erhält oder begreifen läßt; daß ſie endlich ſchließt mit dem, worin ſich dieſe Theilung in Eines und Anderes, das einander ſetzt und trägt, wieder zur Einheit aufhebt, indem ſich zeigt, wie das Eine im Andern und das Andere im Einen iſt und ſo ihr Gegenſatz ſich auflöst. Leicht iſt es, dieſes Geſetz an jeder Sphäre des Lebens, des51 geiſtigen insbeſondere, vorſtellig zu machen. Sphäre des ſubjectiven Geiſtes: unmittelbare Einheit in der fühlenden Seele, Vermittlung im Erkennen durch den Gegenſatz des Subjects und Objects, vernünftiges Denken der Einheit dieſes Gegenſatzes. Sphäre des objectiven Geiſtes: der Wille in der unmittelbaren Geſtalt des Triebes, in der vermittelten als wählende Freiheit, in der harmoniſch mit ſich ſelbſt Einen als Wille des Guten. Staat: Naturſtaat, verſtändiger Staat (Polizeiſtaat), ver - nünftiger Staat. Sphäre des abſoluten Geiſtes, Religion: Natur - Religion, vermittelte oder verſtändig trennende Religion (Judenthum), vernünftig einigende Religion (Chriſtenthum). Je die dritte und höchſte Form, in welcher die Unterſchiede der Vermittlung zuſammengiengen, wird aber wieder zu einem Einfachen und Unmittelbaren, derſelbe Prozeß wieder - holt ſich. Dies iſt an nichts klarer nachzuweiſen, als an dem Bildungs - gange der Menſchheit, worin immer die letzte und vermeintlich bewußteſte Form einer neuen Zeit zum Gegenſtand eines höheren Bewußtſeyns, zum Stoffe einer tieferen Arbeit, alſo wieder zum Unmittelbaren und zum Aus - gangspunkte der Vermittlung wird. Dieſe Bewegung wiederholt ſich, was die beſonderen Sphären des Geiſtes betrifft, ſo lange, bis die Form gefunden iſt, welche dem Inhalte ſchlechthin entſpricht, ſo daß der Drang, den letzten Reſt des Dunkels im verhüllten Unmittelbaren aufzulöſen, geſättigt iſt und die Idee bei ſich ſelbſt ankommt. Dieſe Form iſt das reine Denken als Philoſophie; was aber den Bildungsgang des Geiſtes überhaupt betrifft, ſo iſt mit ihr die Bewegung nicht geſchloſſen; immer auf’s Neue ſchickt ſich die Vermittlung das Unmittelbare voran, um es in ſich zu verarbeiten, die Philoſophie ſelbſt hat ihre Geſchichte, worin jener Prozeß unendlich wiederkehrt, nur verbeſſert ſie in dieſem blos ihre eigenen Formen und ſucht keine weitere über ſich ſelbſt hinaus. Die Nothwendigkeit des Schönen beruht nun darauf, daß der Geiſt, nachdem er den Standpunkt bereits eingenommen hat, worin die Gegenſätze der Endlichkeit aufgehoben ſind, auch auf dieſem Standpunkt, welcher der reichſte und vermitteltſte von allen iſt, ſelbſt wieder zunächſt mit der Form der Unmittelbarkeit beginnt, daß er die abſolute Idee ſelbſt wieder in ſinnlicher Form, welche (beziehungsweiſe) ohne Vermittlung im Gefühl und der Anſchauung auftritt, vor ſich hinſtellt. Genauer betrachtet handelt es ſich von zwei der Philoſophie vorangehenden Formen, der Religion und der Kunſt (vergl. §. 5), von welchen die erſte im ſtrengſten Sinn unmittelbar und Ausgangspunkt iſt, die zweite entſchieden ſchon die Ver - mittlung darſtellt, während die dritte (die Philoſophie) mit dem rein4*52Allgemeinen beginnt und aufhört, was die Aufhebung aller Vermittlung vorausſetzt und dieſe in der Mitte ihres Wegs nur frei und ſelbſtthätig, ebendaher mit der bewußten Beſtimmung, daß ſie zu überwinden ſey, hervortreten läßt. Die Religion wird ſich als Gefühl darſtellen, worin Subject und Object noch gar nicht geſchieden ſind; was ſie von Formen der Vermittlung aus ſich erzeugt, das bleibt, eben weil ſie ſich von jener Grundlage auch in ihren höheren Formen nicht zu befreien vermag, in der ſtoffartigen Verwechslung von Subject und Object hängen, welche in §. 5 Anm. ſchon berührt iſt. Die Kunſt dagegen entſpricht der An - ſchauung, worin dem Subject zwar in ſinnlicher Weiſe klar ge - ſchieden ein Object gegenübertritt; dieſe Gegenüberſtellung iſt offenbar bereits Vermittlung. Die Kunſt wird ſich auch wirklich als die Ver - mittlerin zwiſchen Religion und Philoſophie darſtellen. Der §. hat ſich jedoch auf die beſonderen Formen Religion und Kunſt noch nicht einzulaſſen, ſondern nur abſtract zu Behuf der erſten Grundlegung auf das dargeſtellte Geſetz des logiſchen Prozeſſes überhaupt zu berufen, der auch der Prozeß des wirklichen Geiſtes iſt. Gegeben iſt im obigen Zuſammenhang zunächſt nur die Philoſophie, welche als die einzig adäquate Form der abſoluten Idee im Anfang des §. ausgeſprochen iſt; nur mit dieſer iſt jetzt der Stand - punkt des Schönen zu vergleichen, und da alſo nur ein Verhältniß zwiſchen zwei Formen gegeben iſt, ſo kann das in Rede ſtehende Geſetz nur nach der allgemeinen Beſtimmung aufgeführt werden, daß es einen Ausgang vom Unmittelbaren und einen Fortgang zum Vermittelten mit ſich führt. Nun erwäge man, daß das Schöne als ein gegenüberſtellendes Anſchauen verglichen mit dem, Subject und Object dunkel in Eins ſchlingenden, Gefühl zwar allerdings eine vermittelte Form iſt, wenn es aber nach vorwärts mit dem Denken verglichen wird, durchaus als gegründet auf Unmittel - barkeit erſcheint, ſo wie die Anſchauung überhaupt im pſychologiſchen Gebiete mit dem Gefühl verglichen zwar eine Vermittlung, mit dem Denken aber verglichen eine Unmittelbarkeit, eine ſinnliche Form iſt; man erwäge überhaupt, daß das Moment der Vermittlung in der philoſophiſchen Methode ſelbſt überall noch in Kategorieen der Sinnlichkeit hängt (alles blos verſtändige Trennen rührt daher, daß der Verſtand noch von den Grundformen der Sinnlichkeit, Raum und Zeit, nicht frei iſt); man erwäge aber weiter, daß die Vermittlung ebenſoſehr die Thätigkeit iſt, dieſen Reſt des Unmittelbaren aufzuheben: ſo erhellt, daß im §. der Standpunkt des Schönen als eine im abſoluten Geiſte ſelbſt noch geforderte Form der Unmittelbarkeit, das reine Denken aber als Form der (ſich im Fortgang53 aufhebenden) Vermittlung aufzuführen und davon in dieſem Zuſammen - hang zu abſtrahiren war, daß im ſtrengſten Sinne unmittelbar allerdings vielmehr die der Kunſt vorangehende Form der Religion iſt. Daher heißt es im §. : die Form der Unmittelbarkeit oder der Anſchauung ; die Un - beſtimmtheit, die darin liegt, wird in der weiteren Entwicklung verſchwinden.

§. 13.

Dieſem Geſetze entſprechend erzeugt ſich ihm der Schein, daß ein Einzelnes1 in der Begrenzung von Zeit und Raum Daſeyendes ſeinem Begriffe ſchlechthin entſpreche, daß alſo in ihm zunächſt eine beſtimmte Idee und dadurch mittelbar die abſolute Idee vollkommen verwirklicht ſey. Dies iſt zwar inſofern ein bloſer2 Schein, als in keinem einzelnen Weſen ſeine Idee vollkommen gegenwärtig iſt; da aber die abſolute Idee nicht eine leere Vorſtellung, ſondern allerdings im Daſeyn, nur nicht im einzelnen, wahrhaft wirklich iſt, ſo iſt es inhalts - voller Schein oder Erſcheinung. Dieſe Erſcheinung iſt das Schöne.

1. Erzeugt ſich ihm der Schein. Abſichtlich unbeſtimmt, ſonſt wäre zu ſagen: er erzeugt ſich den Schein. Es wird hier immer noch die Anſicht freigegeben, als ob dem Geiſte dieſer Schein von auſſen gegeben ſey, im Naturſchönen. Eigentlich iſt es ein Schein anderer Art, ein Schein, als ſey der wahrhaft geſuchte Schein von ſelbſt da, daß wir meinen, die Schönheit ſey eine vorgefundene; er rührt daher, daß der Act, wodurch wir die Natur unter den Standpunkt der Schönheit rücken, ein unbe - wußter iſt: was Alles hier noch nicht erörtert werden kann.

Der Schein beſteht darin, daß ein in Raum und Zeit Daſeyendes Alles zu erſchöpfen ſcheint, was unter reinſter Vereinigung ſeines Begriffs (ſeiner Gattung mit allen in ihr enthaltenen Momenten und Merkmalen) und ſeiner Wirklichkeit gedacht wird, d. h. was in ſeiner Idee liegt. Ganz derſelbe Gedanke iſt ausgeſprochen von Schelling (Syſtem des tranſc. Idealism. S. 473, 474): durch die objective Welt als Ganzes, niemals aber durch das einzelne Object wird ein Unendliches dargeſtellt, während dagegen als Product der Kunſt jedes einzelne Object die Unendlichkeit darſtellt.

2. Bloſer Schein iſt hierin nur das, daß dieſes Einzelne mangel - loſe Darſtellung der reinen Harmonie zwiſchen dem Begriff und der Wirklichkeit ſey. Der ganze Umfang und Verlauf des Lebens ſtellt aber, wiewohl wir in unendlichem Progreſſe und daher nicht in be -54 grenztem Punkte für die Sinne faßbar, allerdings die abſolute Idee vollkommen dar. Alſo ein Schein und hinter dieſem Schein eine Wahr - heit. Dies iſt inhaltsvoller Schein: Erſcheinung. Die Etymologie des Wortes Schön iſt übrigens zweifelhaft; es kann zu Scheinen aber auch zu Schauen (schouwen, wie frône zu frô, frôwes vergl. Wacker - nagels Wörterbuch) gehören; beide Ableitungen entſprechen jedoch gleich gut dem Begriffe.

§. 14.

Das Schöne iſt alſo die Idee in der Form begrenzter Erſcheinung. Es iſt ein ſinnlich Einzelnes, das, als reiner Ausdruck der Idee erſcheint, ſo daß in dieſer nichts iſt, was nicht ſinnlich erſchiene und nichts ſinnlich erſcheint, was nicht reiner Ausdruck der Idee wäre. Es unterſcheiden ſich alſo drei Momente: die Idee, die ſinnliche Erſcheinung und die reine Einheit beider. Jedes dieſer drei Momente iſt gemäß dem wiſſenſchaftlichen Zwecke geſondert zu betrachten.

Die Definition ließe ſich mit unendlich vielen verwandten Wendungen anderer Aeſthetiker zuſammenſtellen. Dieß iſt jedoch von keinem Intereſſe, da die wichtigſten nach der in der Einleitung §. 8 aufgeſtellten Aufgabe, die Geſchichte der Aeſthetik in das Syſtem ſelbſt einzuführen, an ihrem Orte hervorzuheben ſind.

[55]

A. Die Idee.

§. 15.

Es kann nach §. 13 zunächſt immer nur eine beſtimmte Idee ſeyn, welche1 in der ſchönen Erſcheinung zum Ausdrucke kommt; denn das Allgemeine kann ſich überhaupt im Einzelnen nur durch die Mitte des Beſonderen darſtellen. Jede beſtimmte Idee iſt aber nichts Anderes, als eine Form und Stufe der2 abſoluten, es ſind in jeder alle miteingeſchloſſen; daher iſt ebenſo weſentlich die andere Seite feſtzuhalten, daß in jedem Schönen mittelbar nicht nur dieſe oder jene, ſondern die Idee als gegenwärtig erſcheint.

1. Es iſt der Inhalt von §. 13, 1. noch ausdrücklich hervorzu - ſtellen und näher auszuführen. Der erſte Satz des §. nun ſcheint ſich ſo von ſelbſt zu verſtehen, daß er als müßig angefochten werden könnte. Eine ſchöne Frucht kann nicht unmittelbar die Idee der Frucht überhaupt zur Erſcheinung bringen, ſondern zunächſt nur ihre beſondere Art und dadurch mittelbar die Form des Naturlebens, welcher dieſe Art angehört, und ſofort die Fülle des Lebens überhaupt; ein ſchöner Menſch nicht unmittelbar die Menſchheit, ſondern zunächſt eine beſtimmte Volksart, Stammes-Art, Bildungsform, Geſchlecht, Stand u. ſ. w., und nur mittelbar, weil in allen dieſen Formen die Menſchheit ſich entfaltet, die letztere. Zieht man hier ſogleich (was eigentlich ungehörig iſt) die Religion herbei, ſo ſucht dieſe allerdings, ſo ſcheint es, unmittelbar die abſolute Idee im Phantaſiebilde, das ſie der Kunſt übergibt, zu ver - gegenwärtigen. Allein auch die Religion iſt genöthigt, den Inbegriff des Vollkommenen für dieſen Zweck in einen Kreis von Göttern und Mittelweſen oder in eine Mehrzahl von Perſonen in der Gottheit, von56 Engeln, Heiligen u. ſ. w. auseinander zu legen, denn die Geſtalt iſt zu begrenzt und beſtimmt, um ohne die Mitte der Beſonderheit das All - gemeinſte in ſich darzuſtellen. Dennoch hat Hegel, indem er zwar ſonſt dieſe nothwendige Einſchränkung nicht überſah, ja ſogar mit Vor - liebe ſich für eine Epoche der Kunſt ausſprach, welche nichts weniger als unmittelbar nach dem höchſten Stoffe griff, ſich den Vorwurf zu - gezogen, daß er gerade an den entſcheidenden Stellen dieſen weſentlichen Punkt ſchief darſtellte. Die Hauptſtelle iſt Aeſthetik B. 1. S. 96, 97. Die Forderung zunächſt einer beſtimmten Idee liegt zwar hier entſchieden in dem Ausdrucke vor: die Idee als das Kunſtſchöne iſt die Idee mit der näheren Beſtimmung, weſentlich individuelle Wirklichkeit zu ſeyn, ſo wie eine individuelle Geſtaltung der Wirklichkeit mit der Beſtimmung, in ſich weſentlich die Idee erſcheinen zu laſſen. Die individuelle Geſtalt kann offenbar zunächſt nur dieſe oder jene Idee in ſich zur vollen Er - ſcheinung bringen. Gleich darauf aber wird dies geradezu abgewieſen und behauptet, es werde, wenn man es dem Kunſtſchönen freiſtelle, dieſe oder jene Idee zur Darſtellung zu bringen, in formaliſtiſcher Weiſe bloſe Richtigkeit ſtatt Schönheit gefordert. Dies iſt ein ganz über - eilter Schluß, deſſen Grund ſich übrigens einſehen läßt. Hegel hat vorher ausgeſprochen, daß die Idee im Kunſtſchönen nicht die Idee in dem Sinne ſey, wie ſie eine metaphyſiſche Logik als das Abſolute aufzu - faſſen habe, ſondern die Idee, inſofern ſie zur Wirklichkeit fortgeſtaltet ſey und mit dieſer Wirklichkeit in unmittelbar entſprechender Einheit ſich darſtelle. Nun fürchtet er, wenn er dieſe oder jene Idee als Inhalt des Schönen zulaſſe, ſo denke man an blos logiſche Kategorien, oder ab - ſtracte Begriffe, wie man ja ſolche häufig genug als Inhalt künſtleriſcher Darſtellung wählen zu dürfen gemeint hat. Allein gegen dieſe Beſorg - niß hat er ſich ja vielmehr ebendadurch gedeckt, daß er ausdrücklich die äſthetiſch darſtellbare Idee erſt im Reiche des Lebens beginnen läßt, und es bedurfte etwa nur noch einer beſonderen Verwahrung, wie ſie im folgenden §. niedergelegt werden wird, um dieſes Mißverſtändniß aus - zuſchließen. Allerdings ſcheint dieſem Mangel noch eine andere, geheime Urſache zu Grunde zu liegen. In der Lehre vom Ideale nämlich unter - läßt Hegel zwar nicht, dasſelbe als ein beſtimmtes darzuſtellen, d. h. als ein ſolches, das ſich durch die Religion in einen Götterkreis, das ſich in der menſchlichen Welt in verſchiedene Zuſtände, Mächte des Handelns, Charaktere auseinanderlegt. Ueberall jedoch zeigt er hier und ſonſt eine entſchiedene Neigung, ſogleich nur den höchſten und bedeutendſten57 Inhalt, den das Schöne in ſich aufnimmt, in’s Auge zu faſſen, woraus denn auch folgt, daß er die Kunſt zu wenig von der Religion trennt. Nicht dies iſt ihm dabei zum Vorwurf zu machen, daß er gewichtigen Inhalt fordert, aber dies, daß er darüber den weiten Umkreis unendlicher Lebens - formen überſpringt, welche zwar nicht den bedeutendſten, aber gewiß auch einen würdigen Inhalt abgeben. Dies veranlaßt ihn ſogar zu dem logiſchen Fehler, das Naturſchöne von dem Kunſtſchönen oder Ideal ſo zu unterſcheiden, daß er dieſes da eintreten läßt, wo ſich das blos beſeelte Leben in begeiſtetes Leben erhebt, wiewohl er übrigens auch dieſes als der künſtleriſchen Läuterung noch bedürftig nachweist (B. 1, S. 191 ff.). Allein das Schöne jener tiefer ſtehenden Stufen des Naturlebens iſt ja auch ein Gegenſtand der Kunſt, kommt als ein Zweig der Darſtellung auch vor im Ideale; daher nimmt Hegel in dieſes viel zu wenig auf. Hegel dringt alſo auf großen Gehalt zu ſehr auf Koſten der unendlichen anderweitigen Arten von Gehalt, und dies eben iſt wohl auch der Grund, warum er ſchon in der Grundlegung des Begriffs ausdrücklich nur von der abſoluten, nicht von der beſtimmten Idee geſprochen wiſſen will.

Aus dieſem Vorwurf, der allerdings Hegels Entwicklung trifft, iſt ihm neuerdings ein weiterer geſchmiedet worden, der nicht ihn, wohl aber alle Wiſſenſchaft des Schönen und am Ende alle Wiſſenſchaft trifft und im Grunde alle Kunſt zerſtört. In der Einleit. §. 5. Anm. iſt hervorgehoben worden, wie Weiße einen Grundfehler der Hegel’ſchen Aeſthetik darin finden will, daß in ihr die Schönheit als eine verhüllte Wahrheit gefaßt werde. Er ſagt: dann bliebe, was in ihr Wahrheit iſt, die ſpeculativen Gedanken und Begriffe, die dem Schönen eingebildet und in ihm niedergelegt ſeyn ſollen, das allein wahrhaft Seyende in ihr, und die Bilder und Vorſtellungen, in die ſie gehüllt iſt, wären ein äußerliches Nebenwerk, von welchem jene das abſolut Geiſtige der Schön - heit ausmachenden Begriffe befreit, weit reiner und vollkommener, als mit ihnen, ſie ſelbſt wären. Wer daher die Schönheit, ſtatt für eine aufgehobene, für eine verhüllte Wahrheit hält, muß nothwendig, in dem Wahne ſtehen, daß es für jedes einzelne Schöne einen adäquaten Begriff gebe, in welchem das Weſen oder der innerſte Kern der Schönheit vollſtändiger, als in dem Schönen ſelbſt enthalten ſey. Dieſer Wahn hat außer vielen andern Mißverſtändniſſen auch das einer Kunſt - philoſophie und Kunſtkritik hervorgerufen, welche in Gedankenkunſt - werken das Beſte und wahrhaft Geiſtige, gleichſam die Quinteſſenz jedes wirklichen Kunſtwerkes, wiedergeben und ſolchergeſtalt dieſe letzteren wie58 alle Schönheit entbehrlich mache, indem ſie ſie in dem höhern und edlern Elemente des reinen Gedankens wiederſchaffe. (Syſt. der Aeſth. 1. Thl. §. 9 Anm.) Es mußte ſchon oben vom encyklopädiſchen Stand - punkte der Einleitung aus dieſer Vorwurf auf Weiße ſelbſt zurückge - wendet werden, welcher durch die Voranſetzung der Wahrheit vor die Schönheit jene ja ſchon vorher enthüllt hatte und nun erſt wieder verhüllen muß. Meint er nun, das Organ des Schönen, die Phan - taſie, ſey fähig, dieſe Verhüllung im Sinne der von ihm geforderten Aufhebung vorzunehmen, ſo ſollte man doch wenigſtens meinen, ſie ſey noch weit gewiſſerfähig, eine reine Durchdringung der Wahrheit mit der Form, wodurch die erſtere gar nicht mehr als eine geſonderte wahrzu - nehmen iſt, dadurch zuführen, wo jene Enthüllung noch gar nicht vorher - gegangen iſt. Man ſieht aber aus den weiteren Sätzen ganz deutlich: Weiße hat zwei Fragen völlig verwechſelt. Die eine iſt: was unterſcheidet die Wiſſenſchaft im Schönen? die andere: welche Verbindung dieſes von ihr Unterſchiedenen ſagt die Wiſſenſchaft vom Schönen und von der Art des erſten, rein äſthetiſchen Eindrucks desſelben auf das Subject aus? Wenn die Wiſſenſchaft im Schönen einen beſtimmten Ideengehalt und eine ſinn - liche Form, worin er niedergelegt iſt, unterſcheidet, ſo meint er, ſie finde keinen Weg und Steg mehr, nachzuweiſen, daß das Weſentliche des Schönen eine reine Verſchmelzung beider ſey. Er meint, die Wiſſenſchaft lege die Trennung, die ſie vornehmen muß, der Phantaſie oder dem Künſtler unter; er meint, weil die Wiſſenſchaft den Gehalt, den ſie vom Kunſtwerke fordert, nur in beſtimmter Gedankenform als Idee faſſen kann, ſo vergeſſe ſie, daß der Künſtler ebendenſelben Gehalt, aber nicht in der Weiſe des Gedankens, ſondern vorneherein als untrennbar eingeboren in ſinnliche Form in ſich hegt und darſtellt, er meint, weil die Kunſtphiloſophie über den reinen ungetheilten Empfindungsgenuß hinausgehend das Kunſtwerk im Gedanken noch einmal aufbaut, ſo zerſtöre ſie jenen und dieſes, da ſie doch ſelbſt durchaus nicht für einen äſthetiſchen Akt, ſondern nur für einen Akt des Nachdenkens über das Aeſthetiſche gehalten ſeyn will, und da ihr Gedanken-Umbau des Kunſtwerks zum Hauptziele hat, nicht etwa blos die Beſtandtheile desſelben aufzuweiſen, ſondern vielmehr gerade das äſthetiſche Band, das ſie künſtleriſch vereinigt; er vergißt, daß eben - daher die Philoſophie zwar mehr zu ſeyn behauptet, als die Kunſt, aber nicht der philoſophiſche Nachbau eines einzelnen Kunſtwerks mehr als dieſes, denn er dient ja eben zur Ehre des Kunſtwerks und verherrlicht es, indem er das ſpezifiſch äſthetiſch Einigende in ihm aufzeigt. Wenn59 nun die Philoſophie nicht mehr als den Kern aller Dinge den Gehalt ſoll aufweiſen dürfen und können, der unendliche Formen annimmt und für ſie und durch ſie erſt zum gedachten Begriffe wird, ſo iſt ſie aufge - hoben, ihr höchſtes Ziel iſt, ſich zu zerſtören und den Gedanken dazu zu benützen, um die Undenkbarkeit ihrer Gegenſtände zu beweiſen; die Kunſt ſelbſt aber wird ein Geſpenſt, das aus Furcht, durch Aufnahme eines Gehalts unſelbſtändig zu werden, im leeren Scheine ſpuckt.

Dieſen Keim einer falſchen Kritik hat neueſtens W. Danzel aus - geſponnen: Ueber die Aeſthetik der Hegelſchen Philoſophie (1844). Er hat in dieſer Schrift viel Wahres und Zeitgemäßes vor - gebracht, denn es thut wirklich noth, die alte Kantiſche Einſicht wieder in ihre Kraft einzuſetzen, daß das Schöne ein reines Formweſen und alles ſtoffartige Intereſſe ihm fremd iſt. Auch iſt nicht zu läugnen, daß die von Hegel zunächſt ausgegangene äſthetiſche Kritik, wie ihr der Verfaſſer vorwirft, bei der Beurtheilung von Kunſtwerken häufig nur auf den Gehalt losging, ihn ſogar blos als Gelegenheit benützte, das aus Religions - und Rechts-Philoſophie anderweitig Bekannte zu wieder - holen, während man ja gerade wiſſen wollte, was die Form als ſolche ſey, woher ſie ſtamme, und wie man ihre Wirkung zu erklären habe . Von dieſer Verwechslung der ſpezifiſch äſthetiſchen Kritik mit einer auf den Gehalt gerichteten philoſophiſchen ſucht Danzel den ur - ſprünglichen Grund in einer ſtoffartigen Auffaſſung des Schönen, die der geſammten Kunſtbetrachtung des Meiſters zu Schulden kommen ſoll. Zunächſt mit Rückſicht auf die Stellen in der Phänomenologie und Encyclopädie wird Hegel Vermiſchung der Kunſt und Religion vorgeworfen; dieſer Vorwurf iſt nicht umzuſtoßen, auch die Vorleſungen über Aeſthetik trifft er in einem gewiſſen Sinne, namentlich den ganzen zweiten Theil. Wenn nun aber gerade die Vorleſungen durch die ander - weitige Entwicklung der Hauptbegriffe das Spezifiſche des Schönen mit aller Entſchiedenheit in die völlige Durchdringung des Gehalts mit der Form ſetzen, von welcher die Vorſtellung, welche Hegel als das Element der Religion aufſtellt, wohl zu unterſcheiden iſt, ſo beſchränkt ſich hier der Vorwurf, ſoweit er gerecht iſt, dahin: Hegel verkennt nicht den Unter - ſchied beider Sphären, aber er dringt, wie wir ſahen, zu unmittelbar auf den höchſten Gehalt in der Kunſt; dieſen faßt er theils als einen ſubſtanziell ſittlichen, theils als religiöſen; nun überſieht er zwar nicht, daß die Kunſt dieſen Gehalt nur in ihrer Weiſe darzuſtellen hat, aber er weist ihr einen zu engen Gehalt an und zieht ſie darum zwar nicht in60 eine Vermiſchung mit, aber in eine Abhängigkeit von der Religion und Ethik hinein: ein Mangel, deſſen erſter Anſatz eben in der Ueber - ſpringung der einzelnen beſtimmten Idee liegt, die wir oben gefunden haben. Jenes, daß nämlich Hegel das Spezifiſche der Schönheit im Uebrigen wohl erkannt habe, iſt es nun aber eben, was Danzel über - haupt läugnet, und den Vorwurf einer Vermiſchung mit der Religion wendet er in Rückſicht auf die Vorleſungen zu dem Vorwurf einer Ver - miſchung mit der Wahrheit. Es erſcheine, ſagt Danzel, die Kunſt nur als eine beſtimmte Form der Aeußerung und Darſtellung des Wahren, als ein beiläufiges Surrogat für das Denken; Alles, was die Kunſt vom Wahren unterſcheide, trete nur als Zweites hinzu, der Gedanke werde durch etwas Anderes, als er, getrübt, die Beſonderung komme dem Ideale von außen; Hegels ganze Aeſthetik ſey daher nichts als verfeinerter Baumgartenianiſmus. Daher werde Hegels Moniſmus des Gedankens, weil ihm eine falſche Anwendung gegeben ſey, hier zum Dualiſmus. Die falſche Anwendung ſoll darin beſtehen, daß man jenen, welcher nur das Prinzip der wiſſenſchaftlichen Behandlung der Kunſt ſeyn ſollte, dieſer als Inhalt untergeſchoben habe (a. a. O. S. 52 68). Da nun Hegel ſelbſt überall, wo er das Weſen des Schönen darſtellt, in der Lehre vom Ideal, vom Künſtler, von den einzelnen Künſten, die auf jeder Stelle zum allgemeinen Be - griffe des Kunſtſchönen zurückführt, mit wiederholter gründlicher Ent - wicklung, mit warmer Beredtſamkeit das Schöne vielmehr eben in jenen Mittelpunkt ſetzt, in welchem das Aeußere zu dem Innern nicht hinzu - kommt, ſondern mit ihm zuſammenfällt, ſo fragt ſich, mit welchem Rechte Danzel gerade dieſe Stellen für Inconſequenzen erklärt, einige Wendungen, wo in ungenauerer Weiſe von einem bloſſen Verſchmolzen - ſeyn, von einem Hineinlegen des Gehalts in die Erſcheinung durch den Künſtler die Rede iſt, für ſich benützt und als die Grundlage des Ganzen vielmehr jenen Dualiſmus behauptet. Es iſt das Eine Denken, das durch Hegels ganzes Syſtem Stufe um Stufe Inhalt und Form wechſelt. Angekommen auf der Stufe des Schönen erſcheint es als reine Durchdringung des Inhalts und der ſinnlichen Form ohne Bruch und Reſt. Dieß und nichts Anderes ſagt und entwickelt Hegel. Es kommt nun darauf an, das Geheimniß aufzudecken, wodurch dieſe Durchdringung ſich verwirklicht. Dieß Geheimniß iſt das Weſen der Phantaſie. Hegel hat dieſes nicht am rechten Orte und nicht hinreichend zur Darſtellung gebracht. Die Phantaſie ſollte vor dem Ideale ſtehen, denn ſie ſchafft61 dieſes und ſie ſollte erſchöpfender unterſucht ſeyn. Nie aber wird auf die Frage: wie und unter welchen Bedingungen wird ein Einzelnes ſchön? anders geantwortet werden können, als: dadurch, daß die Phantaſie den reinen Gehalt des Gegenſtands, d. h. die beſtimmte Idee, die in ihm individualiſirt iſt, durch den Läuterungsprozeß, dem ſie den Gegenſtand unterwirft, zum reinen, die ganze Form durchfließenden Ausdruck bringt. In der untrennbaren Einheit bleibt die Idee das Beſtimmende, aus ihrer Durchführung fließt der reine Styl, der den Formen die Zu - fälligkeit und Partikularität nimmt, alſo die Schönheit. Wie nun die Phantaſie, welche die Idee keineswegs in der getrennten Form des Gedankens hat, dieß bewerkſtellige, darauf iſt die Antwort nicht leicht, aber, wenn Hegel dieſe Schwierigkeit nicht völlig gelöst hat, ſo findet ſich eben auch in Danzels ganzer Kritik keine Andeutung zur tieferen Löſung dieſer Schwierigkeit, und wenn es bei jenem an der Ausführung mangelt, ſo iſt darum nicht der Grundbegriff ſchief und dualiſtiſch. Die Idee, welche die Phantaſie im Gegenſtande als reinen Ausdruck des Ganzen zu entbinden und als reinigende Kraft der Allge - meinheit durch ſeine Formen[durchzuführen] hat, iſt die Idee des Gegen - ſtands, d. h. der beſtimmte Gehalt, den der beſtimmte vorliegende Stoff in ſich als ſeinen eigenen hat und trägt. Allerdings entſteht nun, da Hegel immer unmittelbar auf den höchſten Gehalt dringt, der Schein, als fordere er, daß die Phantaſie dieſen höchſten Gehalt in ihren Gegenſtand, gleichgiltig, ob er an ſich in ihm liege, oder nicht, von außen hineintrage. Dieß iſt die üble Folge davon, daß er die Beſonderung der Idee in beſtimmte Ideen überſpringt. Allein es iſt auch ein bloßer Schein, denn Hegel tritt gegen dieſes Hineintragen überall ſo ent - ſchieden auf, daß nicht dieſer, ſondern nur der andere, zwar nicht geringe, aber die Richtigkeit des ganzen Grundbegriffs nicht aufhebende Haupt - übelſtand zurückbleibt, der nämlich, daß der Künſtler nur ſolche Stoffe behandeln dürfte, in welchen der gewichtigſte Inhalt vorliegt. Der wahre Grund von Danzels Polemik ſcheint daher tiefer hinten zu liegen. Wenn es mit dem Moniſmus des Gedankens Ernſt iſt, ſo muß der Gedanke auch ernſtlich als das Weſen aller Dinge entwickelt werden. So iſt er auch im Schönen das Beſtimmende, nur nicht in der Faſſung des Be - griffs, ſondern in der bewußtloſen der Phantaſie; er iſt verborgener Gedanke, der höher hinauf in der Philoſophie als ſich begreifender Ge - danke zu Tage kommt. Danzel aber, da er dieß nicht will, und da er, wo der Gedanke als treibende, zu adäquater Form fortarbeitende62 Seele zu Grund gelegt wird, die Selbſtändigkeit der ganzen Sphäre aufgehoben ſieht, da er es nicht reimen kann, daß ebendaſſelbe, was einer Sphäre, auch allen anderen zu Grunde liegt, und daß dennoch jede Sphäre ſich in ihrer Eigenheit behauptet, daß z. B. das Thierreich beſteht, obwohl das Daſeyn des Menſchen es als wahre Geſtalt des Lebens widerlegt, daß daher in der Lehre vom Geiſte alle Sphären ebenſoſehr zugleich bleibende, als phänomenologiſch verſchwindende Formen ſind; ſo ſetzt er offenbar voraus, daß der Gedanke je in der Sphäre, wo er nicht als ſelbſtbewußter Begriff auftritt, ſich in ein irrationales Plus aufhebe, d. h. er iſt Dualiſt, wie Weiße, auf dem er fußt.

2. Der zweite Theil des §. hebt mit ausdrücklicher Beſtimmtheit noch einmal hervor, was in §. 13 ebenfalls ſchon ausgeſprochen iſt: daß nämlich durch die volle Gegenwart einer beſtimmten Idee in ihrem Individuum die abſolute Idee als gegenwärtig erſcheint, was Weiße durch den Ausdruck bezeichnet, das Schöne ſey ein Mikrokoſmus (a. a. O. §. 14). In der nächſten Bedeutung des ſchönen Gegenſtands liegt die unendliche miteingeſchloſſen. Kann eine Idee ihr Individuum rein erfüllen, ſo können es alle, und zwar nicht nur jede irgend einmal und irgendwo, ſondern wirklich iſt die Allheit in der Gegenwart der einen mitgegenwärtig, denn es iſt (§. 11) die abſolute Idee ſelbſt, die ſich in den Umkreis der beſtimmten Ideen auseinanderlegt. Sehe ich auch nur eine Pflanze, ein Thier vollkommen, ſo ſehe ich die vollkom - mene Welt. Dieſe Wahrheit ſcheint ſich auf dem Standpunkt, wohin Hegel die Philoſophie geführt hat, ganz einfach zu ergeben. Allein nicht nur die Auslaſſung der Mitte (der beſtimmten Idee) wirft ihm Danzel vor, ſondern auch, daß es nach ſeinem eigenen Prinzip un - möglich ſey, die abſolute Idee mit einer beſtimmten ſo in Verbindung zu bringen, daß ſie mit dieſer (als ihr Hintergrund) zugleich ergriffen werde. Freilich findet ſich in dieſer Stelle bei Danzel zunächſt eine Verwirrung von Begriffen. Er nennt die Anſchauungsweiſe, wonach der einzelne Begriff von der Ergreifung des allgemeinen Vegriffs be - gleitet ſeyn (a. a. O. S. 53) oder dieſer hinter jenem hervorſchimmern ſoll, Theoſophie. Aber nicht dieß iſt Theoſophie, ſondern nur dieß, wenn ein Individuum ohne die Mitte des einzelnen Begriffs, d. h. der beſtimmten Idee die abſolute Idee in ſich darſtellen ſoll. Wir können jedoch davon hier abſtrahiren und dahingeſtellt ſeyn laſſen, ob das Unmittelbare, deſſen unendliche Bedeutſamkeit als durchſichtiges Ge - fäß der abſoluten Idee hier als etwas auf Hegels Standpunkt Un -63 mögliches behauptet wird, das Individuum ſey oder die beſtimmte Idee. Genug, Danzel erklärt, daß der Ruhepunkt für ein ſolches Einzelnes, in deſſen Ring die Ewigkeit gefaßt wäre, ſich in Hegels Philoſophie gar nicht finde. Seine Bedeutung in der Geſchichte der Philoſophie nämlich ſey dieſe, das Abſolute für weſentliche Vermittlung in ſich er - klärt zu haben. Wie ſoll nun in unmittelbarer Weiſe erſcheinen, was die Vermittlung ſelbſt iſt? Das Abſolute oder die Idee überhaupt iſt bei Hegel gar nicht etwas, das einem Andern ſimultan ſeyn könnte. Der Sinn der Vermittlung deſſelben in ſich iſt kein anderer, als der einer Vermittlung des Einzelnen unter ſich. Daher iſt nach Hegels Lehre durchaus keine andere Ergreifung des Beſondern als Beſonderung der Idee möglich, als in vollkommen ſtreng wiſſenſchaftlichem Fortgange der abſoluten Dialektik. Er kann das Allgemeine niemals, ſelbſt in der innigſten Durchdringung nicht, zugleich mit dem Einzelnen ergreifen, weil es für ihn gerade nur in dem Nacheinander dieſes letzteren beſteht. Das Abſolute kann nicht etwa nur darum in keiner andern Form er - griffen werden, weil Form und Inhalt unzertrennlich ſind, ſondern weil es gar nichts Anderes iſt, als dieſe beſtimmte Form. Daher iſt hier eine jede Unmittelbarkeit unmöglich. Die einzige Weiſe, wie das Ab - ſolute unmittelbar wird, iſt, inſofern es vom zeitlichen Menſchen gedacht wird. Dieſen kann, wenn er Seyn und Nichts geſagt hat, der Schlag rühren, ehe er Werden ſagt; ohnehin bricht er jeden Abend das Denken ab, um ſich ſchlafen zu legen u. ſ. w.

Gut, und ſo hätte auch den Verf. dieſer Kritik der Schlag rühren können, ehe er bei der zweiten Zeile der Behauptung ankam, daß die abſolute Wahrheit ein fertiges Ding ſey, das man mit Einem Schlage haben könne, ſo könnte er Jeden in dem Augenblicke treffen, ehe er das auf Einen Schlag fertige Abſolute in ſeinen Beſitz bekommt. Hier ſind wir wirklich an der Grenze der Philoſophie und aller Vernunft. Wenn die Philoſophie das Abſolute erkennt als die Bewegung der Ver - mittlung mit ſich ſelbſt, wenn ſie ebendaher als die höchſte, allein wahr - haft entſprechende Form, es zu faſſen, ebenfalls die ſich als ſolche wollende und ſetzende Vermittlung, das reine Denken begreift, ſo iſt weder ob - jectiv noch ſubjectiv dadurch das Unmittelbare ausgeſchloſſen. Objectiv nicht, denn eben weil das Ganze Vermittlung iſt, ſo iſt jeder Knoten, den dieſe Vermittlung ſchürzt, wieder unmittelbar. Jeder weſentliche Punkt in der Reihe dieſer Vermittlungen enthält alle vorhergehenden und alle folgenden in ſich, aber ſo, daß jene in ihm zur Ruhe gekommen64 und dieſe noch nicht zur Unruhe hervorgetreten ſind, d. h. er iſt un - mittelbar, und Danzel müßte eigentlich von Hegel ausſagen, daß er nicht nur nicht das Schöne, ſondern keinerlei Exiſtenz aus ſeinem Stand - punkt ableiten könnte, daß es hier überhaupt nichts Feſtes gebe. Es gibt auch inſofern nichts Feſtes, als ſich Alles durch Alles hindurchzieht, allein ebendeßwegen, weil jedes auf ſeine Weiſe das Andere mitenthält, erhält es ſich auch im Fluſſe des Ganzen und kann feſt auf ſich ſtehen. Subjectiv nun wird dieſes Ganze freilich nur dann wahrhaft begriffen, wenn jedes Feſte in wirklichen Fluß gebracht, wenn die Reihen der Ver - mittlung, die ſich in ihm anſammeln und von ihm wieder ausfließen, auch wirklich denkend durchlaufen werden; dadurch wird aber keineswegs ausgeſchloſſen, daß auch das Ergreifen des ganzen Fluſſes auf jedem ſeiner Sammelpunkte durch eine Form der Unmittelbarkeit möglich ſey, ſo nämlich, daß in dem Einen, was der unmittelbaren Gewißheit entgegen - tritt, die Summe der Vermittlungen geahnt wird. Vielmehr gefordert wird dieſe Natur der Sammelpunkte, denn wie der Gegenſtand eben durch die Natur der Vermittlung das Unmittelbare ſetzt, um es aufzu - heben, ſo auch der Geiſt, der den Gegenſtand erkennt: er ſetzt die Kunſt und geht fort zur Philoſophie, (denn daß ſie weniger iſt als dieſe, muß ſie ſich freilich gefallen laſſen); er ahnt die Geſammtreihe der Vermitt - lungen im unmittelbar Angeſchauten, ehe er ſie denkt, er ſetzt das Ein - zelne in die Perſpective der Unendlichkeit. Dieß iſt nicht ein Ueberſpringen der Vermittlungen, wodurch freilich die Theoſophie, und, wie Danzel hätte hinzuſetzen können, als einziges Darſtellungsmittel die Allegorie in die Kunſt eingeführt wird, ſondern es iſt ein Ineinander. Im Denken wird dieß ein Nacheinander; doch dieſe Zeitform iſt Explication eines Außerzeitlichen, der Geiſt bewegt ſich in der Form der Zeit, aber er iſt nicht die Zeit, daher nimmt er ſich auch aus ihr in ſich zurück und die Philoſophie wird im Philoſophen zum Charakter, zum Beſitze und ſelbſt zur Seeligkeit der Empfindung. Hegel hat alſo Recht, wenn er aus - ſpricht, daß die Kunſt die Dinge in ihrer Wahrheit erfaßt, indem ſie ſie iſolirt (Aeſth. 1, S. 196.). Jede Anſammlung der Vermittlungen zu einem Unmittelbaren weist zugleich hinter ſich zurück und über ſich hinaus. Dadurch iſt dieſe Exiſtenz zugleich arm und reich. Was ſie in ſich auf - genommen und zur Selbſtändigkeit fixirt, das hat ſie zugleich als ſeinen Feind in ſich und um ſich. Der menſchliche Leib iſt die höchſte Samm - lung aller Naturkräfte, aber ſie prozeſſiren in ihm fort, nähren ihn von außen und zehren zugleich an ihm. Die Kunſt erhöht die Seite des65 Reichthums, indem ſie das Feindſelige und Bedürftige in dieſem Ver - hältniß ausſcheidet, den menſchlichen Leib z. B. darſtellt als begünſtigt von den umgebenden Elementen und geſund. Sie hat (im Tragiſchen und Komiſchen) freilich auch verſtärkte Abhängigkeit darzuſtellen; dieß ge - hört aber in einen andern Zuſammenhang, wo ſich zeigen muß, daß hier die Bedürftigkeit nur um ſo tiefer überwunden wird. Löst nun die Schönheit ſo den Gegenſtand von dem Hintergrunde der Bedürftigkeiten ab, ſo ſollte man meinen, um ſo weniger weiſe er über ſich hinaus, alſo um ſo weniger führe er in das Abſolute. Aber umgekehrt, je mächtiger er die fließenden Kräfte des Ganzen in ſich zur Selbſtändigkeit bindet, deſto mehr ſehe ich: das Ganze erſteigt wohl höhere Stufen, jede aber iſt recht und gut und ſelbſt ein Ganzes im Ganzen. Dieſe Erhöhung bewirkt, wie ſich zeigen wird, die Phantaſie. Danzel ſagt an einer andern Stelle (S. 38. ff. ), Hegel habe die Anſchauung vorneherein zu niedrig gefaßt. Sie iſt an ihrer Stelle vergleichungsweiſe niedrig, aber ſie kehrt bereichert als Phantaſie zurück; dieſe bereicherte Rückkehr des Niedrigeren herrſcht im ganzen Syſtem und Danzel hat ſie nicht widerlegt. Die Anſchauung ſchaut nicht nur das Sinnliche, ſie erinnert ſich nur noch nicht, daß ſie in dieſem unendlich mehr ſieht; als Phantaſie erhebt ſie ſich dahin. Danzel behauptet, eben dieſe Erhebung ſey gar nicht deducirt. Hievon muß in der Lehre von der Phantaſie die Rede werden. Zuzugeben iſt: in der Encyclopädie iſt die Deduction ſkizzenhaft, wie natürlich, der Aeſthetik gereicht es zu großem Tadel, daß ſie ganz fehlt; aber keineswegs iſt ſie, wie Danzel behauptet, durch die Prämiſſen des Syſtems abgeſchnitten.

§. 16.

Die Idee iſt ſtreng zu unterſcheiden vom abſtracten Begriff. Abſtracte1 Begriffe ſind alle diejenigen Beſtimmungen des Denkens, welche blos ein all - gemeines Moment enthalten, das zu dem Inbegriffe deſſen, was ein ſelbſtändiges lebendiges Weſen in ſich vereinigt, und wodurch es in Beziehung zu anderen tritt, mitgehört, aber ein ſolches nicht ausmacht. Dieſer Inbegriff dagegen,2 ſofern er gedacht wird als in der Objectivität völlig durchgeführt, heißt Idee; die Welt der Ideen und ebenhiemit des Schönen beginnt daher erſt mit den Reichen des Lebens und auch das Lebendige darf nicht durch bloße Auffaſſung einer Beziehung unter eine abſtracte Kategorie fallen, ſondern muß in ſeiner Selbſtändigkeit erſcheinen. Dies Alles folgt nothwendig aus der Begriffsbe - ſtimmung §. 14.

Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 566

1. Abſtracte Begriffe ſind alle blos logiſchen Begriffe, die Logik auch im Hegel’ſchen Sinne gefaßt, wo ihre Beſtimmungen als objectiv gelten und wo die Grundbeſtimmungen des Objects, wo ferner das Leben, das Erkennen (und Wollen) hereingezogen werden. Denn nach Hegel kann erſt die Idee, welche als Begriff kein weiteres Moment in ſich aufnehmen kann, ſondern ſich mit allen ſchon erfüllt und die Gegenſätze aller in ihre Einheit zurückgeführt hat, als Natur und Geiſt daſeyn und nun in den Formen beſtimmter Gattungen und Arten von Weſen ſich ausbreiten. Solche aber werden im Schönen gefordert. Abſtract ſind alle jene Begriffe, weil kein ſelbſtändig lebendiges Weſen in ihnen erſchöpft iſt, weil ſie alſo nicht als beſtimmende und durchdringende Seele eines begrenzten Umkreiſes erſcheinender Zuſtände und Lebensthätigkeiten ſich offenbaren können. Die Beſtimmungen der Qualität, Quantität, des Maßes, die ſogenannten Kategorieen, der Begriff ſelbſt in ſeinen Momenten und mit den weiteren Beſtimmungen und Gegenſätzen, welche Hegel in die Logik aufgenommen hat, ſprechen noch nicht ein daſeyendes, einer beſtimmten Gattung angehöriges Weſen aus; denn damit auch nur Eines als exiſtirend begriffen werde, iſt die Idee als erfüllte Rückkehr aller Gegenſätze in ſich vorausgeſetzt, welche nun erſt als Lebenspunkt, als concrete Lebens-Einheit, als Selbſt exiſtiren kann, und auch das unterſte Naturweſen, das einen verhältnißmäßig beſchränkten Umkreis von Beſtimmungen zur Concretion in ſich vereinigt, ſetzt die ganze Kette aller übrigen voraus, in welcher die Idee ihre Fülle ausbreitet und immer vertiefter ſammelt. Man erinnere ſich, um die Wichtigkeit dieſes Satzes zu erkennen, an abſtracte Kunſtdarſtellungen, z. B. von Carſtens. Der Maler in Tiecks Geſellſchaft auf dem Lande parodirt ſolche Be - ſtrebungen, indem er die Caſus der Declination malt.

2. Nicht dies gehört zu der durch obigen Satz abgewieſenen Ab - ſtraction, wenn unter dem Allgemeinen eine Art lebendiger Weſen ver - ſtanden wird, wie Eiche, Pferd, Menſch. Man erwäge, daß hier von dem, wodurch eine ſolche Allgemeinheit im Sinne des Schönen individuell wird, noch nicht die Rede iſt. Es ſteht blos ſo viel feſt: ſie kann in einem Individuum erſcheinen. Wie weit auch die unorganiſche Natur im Reiche der wirklichen Idee als Inhalt des Schönen berechtigt ſey, wird ſich in der Lehre von der Naturſchönheit zeigen. Auch das Lebendige aber darf nicht vom Standpunkte einer bloſen Beziehung aufgefaßt werden. Eine ſolche iſt namentlich die äußere Zweckmäßigkeit, wodurch es in ſeiner Selbſtändigkeit, hiemit als Idee aufgehoben wird. Was wirklich blos für67 einen äußern Zweck da iſt, iſt kein Lebendiges. Daher müſſen z. B. Thiere in ihrer Freiheit erſcheinen, oder, wenn verwendet zum Dienſte und Ver - gnügen des Menſchen, als frei und ungezwungen auch in dieſem Ver - hältniß. Was das Erſtere betrifft, ſo denke man z. B. nur an die gewaltigen Schilderungen wilder Thiere im Hiob, was das Zweite, an die des Pferdes ebendaſelbſt. Auch aus dem geiſtigen Leben können wieder Momente ausgezogen werden, welche nur Verhältniſſe und Formen ent - halten, in welche die Perſönlichkeit denn dies iſt hier die Idee nicht ihre Totalität legen kann. Dies hat das weitere Syſtem nachzuweiſen.

§. 17.

Die Idee beſtimmt ſich demnach als Gattung und dieſes Wort begreift in1 ſich zunächſt die Reihe der Ideen innerhalb der Grenze, wo ſich die Idee erſt noch als bewußtloſe Lebenskraft verwirklicht. Jede Gattung aber iſt die Be -2 ſonderung oder Art einer höheren Gattung und dieſe aufſteigende Linie, welche jedoch bei der inneren Einheit, die ihr Grund iſt, die Unterſchiede ihrer Gattungen und Arten feſthält und nicht die eine aus der andern natürlich er - zeugt, und welche ſich durch feſte, nur durch Andeutungen des Uebergangs ge - öffnete, Grenzen in geſchloſſene, die großen Hauptſtufen darſtellende Sphären und umfaſſendere Reiche theilt, iſt die Stufenfolge, in welcher die abſolute Idee ihren Gehalt in wachſender Tiefe und Fülle verwirklicht. Je höher in dieſer3 Reihe eine Idee ſteht, deſto größer muß auch die Schönheit ſeyn, aber auch je die niedrigere enthält die weſentliche Bedingung der Schönheit, weil jede ein integrirendes Glied iſt in der Totalität der Ideen.

1. ἰδέα, εἶδος, Gattung. Die deutſche Sprache hat kein anderes Wort als dieſes, um das Allgemeine als wirkliches Lebensprinzip der Sphäre, in der es ſich verwirklicht, zu bezeichnen. Gattung wird nun zwar wohl auch von den Sphären des geiſtigen Lebens gebraucht, zunächſt aber erinnert das Wort durch ſeinen Urſprung immer an das Naturleben, wie es einen beſtimmten Typus durch die Fortzeugung ge - trennter Geſchlechter bildet und erhält, kann jedoch auch für die Formen des unorganiſchen und die niedrigeren des organiſchen Lebens gelten, welche ſich nicht durch den geſchlechtlichen Prozeß fortpflanzen. Der §. überblickt das Naturleben, den Menſchen als bloßes Naturweſen mit eingeſchloſſen. Die Aeſthetik ſetzt das Syſtem der philoſophiſchen Wiſſen - ſchaften, hier alſo zunächſt die Naturwiſſenſchaft, voraus. Iſt aber nicht5*68dieſe Unterſcheidung der natürlichen und geiſtigen Welt mit ihren Sphären eine Vorwegnahme innerhalb der Aeſthetik ſelbſt? Nein; denn der Gegen - ſatz der Naturſchönheit und der aus dem Geiſte hervorgebrachten Schön - heit, der im Verlaufe auftreten wird, iſt, wie ſich zeigen wird, ein ganz anderer als der Gegenſatz der natürlichen und geiſtigen Welt über - haupt; in der Lehre vom Naturſchönen muß auch die geiſtige Welt dar - geſtellt werden, wie ſie verglichen mit der Kunſt noch bloſe Natur iſt, und ſomit iſt auch der Uebergang der Metaphyſik des Schönen in die Lehre vom Naturſchönen ein ganz anderer, als der Uebergang der Metaphyſik in die Naturphiloſophie. Wird aber nicht wenigſtens eine Wiederholung entſtehen, da die Reiche des Daſeyns allerdings in dem Abſchnitte vom Naturſchönen wieder durchwandelt werden müſſen? Auch dies nicht. Die Metaphyſik des Schönen gibt nur den idealen Grundriß, die Lehre vom Naturſchönen aber wird einen gewiſſen Begriff, der hier noch nicht vorliegt, als Rechtfertigungsgrund vorausſchicken, warum ſich das Syſtem ſofort in die reale Breite des Daſeyns mit der Hoffnung einlaſſen darf, hier das Schöne zu finden.

2. Der Begriff der Gattung und Art iſt hier zunächſt ſo allgemein ge - faßt, daß er das unter ſich begreift, was man ſonſt Reiche, Claſſen, Ordnungen, Familien, Gattungen, Spezies u. ſ. w. nennt. Die Natur baut ſich Stufe um Stufe ſo auf, daß Gattung und Art ihre Stelle wechſeln, mag man die Stufenfolge aufwärts oder abwärts durchwandeln. So iſt der Begriff Reich ein Gattungsbegriff, die einzelnen Reiche ſeine Arten. Dieſe Arten ſind Gattungen, ſofern ſie die ſogenannten Typen oder Plane (von Cüvier in die Zoologie eingeführt) als ihre Arten unter ſich befaſſen. Dieſe ſind wieder Gattung und die Claſſen ſind die Art. Die Claſſen ſind die Gattung und die Ordnungen ihre Arten, dieſe verhalten ſich wieder zu den Familien wie Gattung zur Art; auf die Familien folgt, was die Naturforſcher gewöhnlich Gattung nennen, als Art derſelben, und dieſe begreift endlich als ihre Art die Spezies unter ſich, aber dieſe ſelbſt theilt ſich ja im Thierreich wieder in Raſſen, wie die Gattung in Arten. Eben dieſer Stellenwechſel der Begriffe von Gattung und Art verwirrt den ſtoffartigen Empiriker, ſo daß er an aller Möglich - keit einer Eintheilung verzweifelt, iſt aber in Wahrheit der Beweis, daß die Natur ein Syſtem von Stufen iſt, das auf den Menſchen als höchſte hinarbeitet. Es verſteht ſich jedoch, daß die innere Einheit, die das ſtufenbildende Band iſt, nicht eine Stufe aus der andern natürlich erzeugt (vergl. Hegel Encyclop. §. 249). Vielleicht nahm die urweltliche69 Natur mit den noch unausgebildeten Gattungsformen Umbildungen vor, als deren Analogie der menſchliche Fötus betrachtet werden kann, der die Hauptformen des Thierreichs in ſeinen Metamorphoſen darſtellt. Dieſe Frage gehört aber nicht hieher; wir haben es mit der ausgebildeten jetzigen Welt zu thun. Nur Spielarten ſind neue Formen, welche aus Impfung, Zeugung entſtehen; alle andern Unterſchiede ſind conſtant und bleiben bei ihrem Typus. In den allgemeinen Linien des Unterſchieds treten als die ſchärfſten Grenzen hervor die der Reiche. Darauf folgt die abgrenzende Linie der Hauptſtufen, unter welchen man z. B. im Thierreich die von Cüvier eingeführten vier Typen (Wirbelthiere u. ſ. w.), dann die ſogenannten Claſſen auf rein naturwiſſenſchaftlichem Boden zu be - faſſen hätte; die Aeſthetik wird aber hierin, wenn ſie im zweiten Theile ſich auf das Beſtimmte einläßt, einen andern Weg zu nehmen haben und ſich vorzüglich an die Unterſchiede halten, die durch das Element bedingt ſind. So ſtehen denn z. B. die Vögel als Art unter der Gattung Thier, zunächſt über ihnen die Säugethiere des Landes. Dieſe beiden Formen ſind nicht coordinirt, ſondern die eine ſteht als Stufe über der andern; die Linie iſt aber ſo feſt gezogen, daß dieſe ſich niemals zu jenen als Gattung zur Art verhalten können. Nun zeigen ſich zwar auf allen Grenzpunkten ſowohl der Reiche als der Haupt - ſtufen Uebergangsformen als lebendiger Beweis, daß es dieſelbe Natur iſt, welche eines wie das andere gebildet hat, aber ſie ſind durch das auffallend Verworrene ihrer Bildung, das ſich aufdrängt, ſobald man ſie nicht nur mit ſich ſelbſt, ſondern mit den klaren Hauptſtufen vergleicht, gerade die Beſtätigung der Grenze. Davon mehr im folg. §. Grobe Empiriker bezweifeln übrigens nicht nur die Möglichkeit einer Eintheilung, ſondern noch mehr die Stufenfolge in der Natur. Es kann aber nicht die Pflicht der Aeſthetik ſeyn, die Wahrheit dieſer Anſchauungsweiſe, ohne welche die Betrachtung der Natur alles höhere Intereſſe verliert, zu beweiſen; den bekannten Schwierigkeiten der Durchführung dieſer Idee im Kleinen und Einzelnen, wie ſie theils durch die lückenhafte Kenntniß der Natur, theils durch die unendliche Vielfältigkeit der Formen, theils dadurch ent - ſtehen, daß neben der Stufenordnung die horizontale Linie verſchiedener localer, klimatiſcher und anderer Bedingungen zu berückſichtigen iſt, kann ſie jedoch belehrende Beiſpiele aus ihrem eigenen Gebiete gegenüberſtellen. So hat die lyriſche Dichtkunſt unzählige Formen, die ſo ſchwer einzu - theilen ſind, als die Inſekten; trotzdem ſtellen ihre Hauptformen eine ganz deutliche Stufenfolge dar.

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3. Hier nimmt die nothwendige Ergänzung des eingeräumten Mangels der Hegel’ſchen Aeſthetik bereits eine beſtimmtere Form an. Selbſt den ver - gleichungsweiſe dürftigen Naturerſcheinungen iſt ihre Stelle im Schönen durch dieſen Satz geſichert. Ein Baum, ein unvollkommen organiſirtes Thier, wenn es ſich ſo darſtellt, daß ſeine Idee, d. h. ſeine Gattung in ihm zum reinen Ausdruck gelangt, eröffnet die Ausſicht in die ganze Fülle und edle Beſtimmtheit des Naturlebens, und da dieſes zum Geiſte[aufwärts] weist, läßt es auch dieſen ahnen, iſt alſo eine Welt. Der gegen Hegel erhobene Vor - wurf eines ſtoffartigen Verfahrens erſcheint hier auch gegen uns doppelt begründet, indem wir eine ſolche durch das Gewicht des Lebensgehalts beſtimmte Stufenfolge für das Schöne feſtſetzen; er kann aber hier noch nicht beſeitigt, im Gegentheil, dieſe Betrachtungsweiſe muß noch weiter geführt werden. Es wird zwar im nächſten Fortgange Veranlaſſung ſeyn, ihn zu berühren, aber erſt wenn die Formfrage zur Sprache gekommen ſeyn wird, kann das wahre Verhältniß zwiſchen Stoff und Form erledigt werden. Uebrigens laſſen ſich aus dem Bisherigen bereits wichtige Folge - rungen zur Beleuchtung der Wahrheit oder Unwahrheit des Ausdrucks ſchön in ſeiner Art ziehen.

§. 18.

1

Der Begriff der Stufenfolge beſchränkt ſich jedoch. Die Idee ſtellt, da ſie in jedem Gebiet wieder von unten beginnt, auf der niedrigeren Stufe des höheren Gebiets Gattungen oder Arten auf, welche ihr Gebiet dürftiger dar - ſtellen, als ein untergeordnetes von ſolchen ſeiner Gattungen oder Arten dar - geſtellt wird, welche eine höhere Stufe in dem Zuſammenhang des ihrigen ein - nehmen. Ferner, weil es die eine Idee iſt, welche dieſe Stufenfolge bildet, ſo ſind dadurch Uebergangsformen bedingt, welche verſchiedene Beſtimmungen verſchiedener Gebiete auf widerſprechende Weiſe in ſich vereinigen und daher auch der Forderung, daß das Schöne ein in ſich geſchloſſenes Ganze ſey, entgegen2 ſind. Eine weitere Einſchränkung wird darauf beruhen, daß die Idee auf ge - wiſſen Stufen ihren Inhalt auf Koſten der Geſtalt in der Tiefe ſammelt. Dieſe Einſchränkung iſt jedoch hier, wo von dem Unterſchiede zwiſchen dem Schönen und der Idee an ſich noch nicht die Rede iſt, nur ſo weit zu erwähnen, als zum voraus einleuchtet, daß auch das Schöne ſich verſchieden wird wenden und jenes umgekehrte Verhältniß in ſein Intereſſe ziehen können.

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1. Die hier zuerſt aufgeführten Einſchränkungen des Begriffs einer Stufenfolge treffen ganz auf gleiche Weiſe die Idee und das Schöne. Die Unterſuchung iſt noch nicht an den Punkt gekommen, wo beide ſich trennen. Man wird dieſe Einſchränkungen anführen und hat ſie ange - führt als Einwurf gegen jenes Zuſammenfallen der Stufenfolge des Schönen mit der Stufenfolge der Gattungen. Denn ein Thier z. B., um hier die erſte Einſchränkung aufzufaſſen, das rauhe und unorganiſch erſcheinende Bedeckungen und träge Bewegung hat, gilt überall als häßlicher denn ein edler Baum, iſt aber doch gewiß eine höhere Organiſation; alſo iſt das Schöne durchaus nicht mit der größeren oder geringeren Vollkommenheit der Organiſation zuſammenzuwerfen. Allein es liegt hier in Wahrheit der Grund vielmehr wirklich in der Stufenfolge der organiſirenden Natur ſelbſt. Denn wo ſich das bedeutendere Gebiet ſchon er - öffnet hat, muß das Höhere ſelbſt wieder von unten mit ärmeren Bildungen beginnen und ſteht nun unter ſich ſelbſt, ſo daß z. B. Bewegungsloſigkeit und wirklich unorganiſche Bedeckung nothwendig harmoniſcher wirken muß, als Bewegung und thieriſche Bedeckung, die ihren Begriff ſo dürftig darſtellt. Es nützt nichts, zu ſagen: ein ſolches Thier iſt in ſeiner Art ganz recht, wie es iſt und ſteht unendlich höher als die Pflanze. Man muß, wie ſchon im §. 17, 2 berührt iſt, das Ganze betrachten und es mit dieſem zuſammenhalten. Ebenſo verhält es ſich mit den Uebergangs - ſtufen. Danzel bringt gegen Hegel vor (a. a. O. 57): Die Wahr - heit der einzelnen Dinge wird zum Inhalt der Kunſt gemacht. Aber dies widerſpricht ſich in ſich ſelbſt. Wir ſollen z. B. (169) das Schnabelthier häßlich finden, weil wir eine Ahnung von der Zuſammengehörigkeit der Formen des Vogels haben. Aber würde das Schnabelthier exiſtiren, wenn nicht das Fremdartige in ihm auf irgend eine Weiſe zuſammengehörte? Gewiß nicht. Auch der Affe, der ſo häßlich iſt, weil er dem Menſchen ſo nahe ſteht und doch Thier iſt, gehört zuſammen. Hier kommt es darauf an, den Begriff eines realen Widerſpruchs durch feſten Ueberblick des Ganzen und der deutlichen Intention in den Hauptſtufen gefaßt zu haben. Dieſen müßte Danzel widerlegen, ſtatt die abſtracte Form auf irgend eine Weiſe zuſammengehören , die Niemand läugnet, vorzubringen. Auf dieſe Weiſe dürfte man auch Abnormitäten (die ich hier nur als Beiſpiel anführe, denn ſie ſind freilich etwas Anderes als Uebergangsformen) nicht Abnormitäten nennen. Im Buckligen gehört auch Alles irgendwie zuſammen.

2. Die hier angeführte Einſchränkung anticipirt etwas aus der weiteren Entwicklung, wo von dem weſentlichen Unterſchiede zwiſchen dem72 Schönen und Wahren die Rede iſt, welcher darin beruht, daß im Schönen Alles auf die Oberfläche der Geſtalt ankommt. Dennoch war ſie hier zu erwähnen, denn es gilt, den Satz von der innern Einheit des Wahren und Schönen (bei allem Unterſchiede) zu ſchützen. Es wird alſo im §. angeführt, daß die Idee auf gewiſſen Punkten ihren Inhalt auf Koſten der Geſtalt in der Tiefe ſammelt. Gewiſſe Thiere z. B. ſind klug und zugleich plump an Geſtalt. Allein das Schöne kennt ja von ſeiner Seite auch eine Bewegung und geht über einen Gegenſatz, wie ſich zeigen wird; es gehört auch in’s Schöne, wenn eine Reihe von Thätigkeiten den erſten üblen Eindruck der Geſtalt aufhebt. Freilich mit dem innern Grunde jenes umgekehrten Verhältniſſes, d. h. mit dem Bau des Gehirns und ſeinem Verhältniß zum Bau der feſten Theile beſchäftigt ſich das Schöne nicht, und jene Aeußerungen, welche den erſten Eindruck vergüten, müſſen ſelbſt anſchaulich ſeyn: da liegt der Unterſchied. Auch die umgekehrte Art des Mißverhältniſſes findet ſtatt, wurde aber im §. nicht erwähnt: arme Organiſation bei glänzender Oberfläche. Von dem blos beſtechenden Glanz der Oberfläche läßt ſich nämlich auch der äſthetiſche Standpunkt nicht verführen, über die Dürf - tigkeit des Ganzen wegzuſehen. Farbenglanz z. B. kann für Mangel - haftigkeit der Geſtalt, der Bewegung, des Ausdrucks in Ruhe und Thätigkeit nicht wirklich entſchädigen.

§. 19.

1

Die Idee baut jene Stufenfolge nur, um auf der höchſten Stufe bei ihrer eigenen, in den vorhergehenden Stufen verborgenen Wahrheit anzukommen und in ſich zurückzugehen, ſie tritt als Selbſtbewußtſeyn hervor und wird Perſönlichkeit. Auch dieſe höchſte Gattung theilt ſich wieder in gewiſſe Arten, geht aber nicht ſelbſt als Art in eine höhere Gattung über, denn der Endzweck jener ſtufen - förmigen Ueberordnung iſt erreicht. Ebendaher ſcheidet ſie ſich von den tieferen Stufen weſentlich dadurch ab, daß ſie ſelbſt ebenſoſehr Stufe als eine abſolut2 neue Welt iſt. Dieſer höchſte Gehalt der Idee iſt zugleich der höchſte Gehalt des Schönen. Das Schöne iſt perſönlich und alle vorhergegangenen Stufen er - halten nun die Bedeutung, die Perſönlichkeit als werdende anzukündigen.

1. Was den Hervorgang des Geiſtes aus der Natur durch die menſchliche Gattung betrifft, ſo kann hier keine Verpflichtung zu einer Auseinanderſetzung Statt finden. Es gehört dieſe Erkenntniß, wie die73 Natur im Menſchen ſich ſelbſt zum Geiſt aufhebt und die in ihr ver - borgene Idee in dieſem ſich ſelbſt erreicht, indem ſie als Selbſtbewußtſeyn Subject und Object in einem wird, zu den reinen und unbeſtrittenen Erwerbungen der neueren Philoſophie. Das Menſchengeſchlecht theilt ſich in Raſſen, die im weiteren Sinne Arten heißen können, aber nicht in Spezies. Theilung in die letzteren iſt eben der Beweis, daß die höchſte Stufe noch nicht gefunden iſt, daß über der Gattung eine höhere ſteht. Der §. ſagt: die Idee tritt als Selbſtbewußtſeyn hervor und wird Per - ſönlichkeit. Das wird ſoll andeuten, daß Perſönlichkeit ein reicherer Begriff und daß das Subject als ſelbſtbewußtes noch nicht perſönlich iſt. Die innere Unendlichkeit der im Unterſchiede ſich ſelbſt gleichen Be - ziehung auf ſich, die im Selbſtbewußtſeyn erſt als ein unmittelbares, von ſelbſt in dem dazu organiſirten Lebendigen auftauchendes Wiſſen geſetzt iſt, führt ſich als Macht durch, indem ſie das Widerſtrebende in der umgebenden Welt und in der eigenen Natur wirklich durchdringt: das Selbſtbewußte, was das Andere wahrhaft in ſeiner Macht hat, iſt perſönlich. Gewöhnlich wird der Begriff nur formell gefaßt und ſo in der Sphäre des Rechts aufgeführt: der Einzelne iſt als unendliche Be - ziehung auf ſich, abgeſehen von allem beſtimmten Inhalte, Perſon; er wird als unendlicher, freier Punkt geſetzt, und vom Begriffe des Selbſt - bewußtſeyns unterſcheidet ſich auch dieſer abſtracte Begriff der Perſön - lichkeit dadurch, daß in dieſem die Unendlichkeit, die im Selbſtbewußtſeyn und in dem reinen, abſtracten Willen liegt, zum Gedanken erhoben und auf ihn die Forderung der unbedingten Achtung begründet wird. Die Wiſſen - ſchaft und auch die gewöhnliche Sprache hat aber dem Begriffe der Perſönlichkeit eine weit inhaltsvollere Beſtimmung gegeben. Wer ſich nicht am Bande ſeines Willens hat, wer ſich gehen läßt und was ihn umgibt ebenfalls, den nennen wir unperſönlich.

2. Die Idee iſt ein weſentlich Thätiges und die wahre Form dieſer Thätigkeit iſt eben der ſich durchführende Wille, der Wille, der ſeine Freiheit verwirklicht, indem er den Widerſtand ſeines eigenen Organes ſowie der andringenden Welt überwindet. Von der Härte des Kampfes, die dazu gehört, wird hier noch abgeſehen; die beſondere Hervorhebung dieſer Seite bleibt einem andern Zuſammenhang vorbehalten. Das ein - fach Schöne in ſeiner Liberalität hält ſich an die Gewißheit des Sieges. Ruge (Neue Vorſchule der Aeſthetik 1837) hat das Schöne eigentlich auf den Begriff der Perſönlichkeit gegründet; es iſt dies aber in dem entwickelten Sinne zu verſtehen, daß die thätige Erzeugung und die thätige74 Aufnahme des Schönen von ihm ſogleich mit einbegriffen iſt: eine Ent - faltung, welche nach unſerem Gange erſt im Verlauf eintreten kann. Wir haben vor Allem erſt die ſpezifiſch äſthetiſche Formfrage noch zu er - örtern; daß Ruge in ſeinem übrigens ſehr geiſtvollen Werke dieſe faſt ganz überſehen und dadurch das äſthetiſche Perſonbilden mit dem ſittlichen vermengt hat, ſcheint Danzel nicht bemerkt zu haben, deſſen Kritik überall auf die ſpezifiſche Formfrage hindringt und doch das Verdienſt, die Mög - lichkeit eines Monismus der Kunſt begründet zu haben, Ruge zuerkennt. Iſt Hegels Aeſthetik ſtoffartig, ſo iſt es Nuges noch weit mehr. Denn daß dieſer, indem er die Schönheit als eine lebendige Bewegung erkennt, auch für dürftige und getrübte Formen des Geiſtes einen weiten Raum hat, verändert die Sache nicht; er muß, ſo lange er, ohne auf die ſpezifiſche Formfrage einzugehen, Alles aus einem ſich Wiederfinden des Geiſtes in ſeinem Andern erklärt, um ſo mehr ſittliche Kraft im er - zeugenden Subjecte vorausſetzen und er thut dies ſogar in eigentlich ethiſirender Weiſe, wie wir dies nicht billigen. Auf was es aber hier ankommt, ſind zweierlei Fragen. Die erſte iſt: ob, ſolang man bei der Frage über den Gehalt im Schönen verweilt und die Perſönlichkeit als den würdigſten darſtellt, darum die ganze Welt der im gewöhnlichen Sinne unperſönlichen Gegenſtände vom Schönen ausgeſchloſſen oder zu niedrig geſchätzt werde, wie dies Hegel wegen ſeines durchgängigen Dringens auf ſubſtantiellen ſittlichen Gehalt vorgerückt wird? Allein ſchon das unterſte Naturgebilde kündigt die Zukunft der Perſönlichkeit an; es wirkt nicht blos die Kraft des Künſtlers, Alles perſönlich zu machen, er könnte es nicht, wäre nicht Wahrheit darin und es iſt Wahrheit darin, weil das Ganze ein Syſtem von Stufen iſt. Pan-Anthropismus iſt der Standpunkt des Schönen gegenüber der Natur. Die andere Frage iſt: ob man denn dadurch, daß man einen Unterſchied der Dignität im Gehalte macht, die Unterſuchung über die ſpezifiſche Form, in welche dieſer Gehalt einzubilden iſt, zu vernachläßigen genöthigt ſey? Gewiß nicht. Wohl aber geht, wenn man gegen jene Werth-Unterſcheidung des Gehalts auftritt, als Reſultat jene formaliſtiſche Kunſt-Beurtheilung hervor, welche die Wahrheit, daß im Schönen Alles auf die Form ankomme, dahin verkehrt, daß ſie meint, es ſey dadurch eine Abſtraction vom Stoffe gerechtfertigt, während um - gekehrt, je mehr man auf die Form dringt, deſto mehr die Bedeutung des Gehalts in ihr Gewicht eintritt: denn Form-Vollendung bei geringem Gehalt erweist ſich in der Nähe vielmehr als Bedeutungsloſigkeit der Form ſelbſt, als Verflachung in äußerlicher Fertigkeit. Große Form75 macht nur großer Gehalt möglich. Göthes Kunſt-Urtheil hat Einiges zur Entſtehung dieſes Formalismus der Kunſt beigetragen. Es mag über dieſen wichtigen Punkt ſogleich folgender beleuchtender Satz aufge - ſtellt werden. Man ſtelle neben ein in der Form vollendetes Landſchaft - gemälde, Thierſtück oder Genre-Bild, worin Menſchen in anſpruchs - loſem Zuſtande dargeſtellt ſind, ein hiſtoriſches Gemälde, worin ein großer weltgeſchichtlicher Act ſchlecht dargeſtellt iſt. Hier hat das erſtere ohne Frage äſthetiſchen Vorrang; allein der Fall iſt nicht richtig gewählt. Man ſtelle vielmehr neben jene ein Gemälde der letzteren Gattung, das ebenfalls meiſterhaft in der Form iſt. Jetzt ſteht dieſes ohne Frage höher als jene.

§. 20.

Die Perſönlichkeit erweitert ſich über den Umfang ihrer ſubjectiven Ver -1 einzelung zu einer Geſammt-Perſon, welche durch vereinte Thätigkeit die weſentlichen ſittlichen Zwecke des Geiſtes verwirklicht. In dieſer geiſtigen Welt erreicht die Idee ihre wahre Bedeutung und Ideen heißen nun die großen, bewegenden ſittlichen Mächte, auf welche jedoch in dem Sinne auch der Begriff der Gattung noch angewandt werden kann, daß ſie ſich zu ihren engeren Sphären und den ſie verwirklichenden einzelnen Perſönlichkeiten verhalten, wie die Gat - tung zu ihren Arten und Individuen. Auch dieſe ſittliche Welt ſetzt ſich ihre2 Stufen, und von dieſen gilt dieſelbe Einſchränkung wie §. 18, 2. Die ſittliche Idee fügt in den Aufbau ihrer Sphären ſolche Stufen ein, worin ſie ſich von dem Schönen zu trennen ſcheint; das Schöne wird ihr aber unter gewiſſen Bedin - gungen auch dahin folgen können.

1. Der würdigſte Gehalt des Schönen liegt in den ſittlichen Mächten des öffentlichen Lebens. Die jetzige Zeit hat dies erkannt und fordert geſchichtlichen, politiſchen Gehalt. Daraus an ſich würde noch keines - wegs Tendenzkunſt und Tendenzkritik entſtehen; der Schein dieſer Con - ſequenz kann nur hier noch nicht gründlicher widerlegt werden, als er es durch die früheren Bemerkungen ſchon iſt. Die ſittliche Macht wird Lebensluft beſonderer Stände wie der einzelnen Perſönlichkeit und verwirklicht ſich in ihnen, wie die Gattung in ihren Arten und Individuen, daher auch hier die Idee Gattung heißen kann. Die Perſönlichkeit im Dienſte der Idee tritt im Colliſionsfalle aus der Gat -76 tung im unmittelbaren, natürlichen Sinn aus und opfert dieſes Band der höheren, ſittlichen Gattung, in die ſie ſich eingereiht.

2. Es gibt allerdings Stufen, worin die ſittliche Idee und das Schöne ſich zu trennen ſcheinen. Die hier gegebene Skizze des reinen Gehalts, der in das Schöne eingeht, muß weite Schritte nehmen. Im vorhergehenden §. iſt der erkennende Geiſt nicht erwähnt. Er iſt rein innerlicher Art, allein mit dem Object noch in einem Gegenſatze be - griffen, der zu Spannungen führt, welche allerdings Inhalt für das Schöne abgeben (Empedokles, Fauſt), nur gehört dies noch nicht in die Lehre vom einfach Schönen. Abſtractere Formen des handelnden Geiſtes ſind namentlich das Recht und die ſubjective Moral, jenes zu äußerlich, dieſe zu innerlich. Allein wenn ſich zeigen wird, wie das Schöne ſeine Formen wechſelt, ſo werden wir finden, daß es auch dieſen Sphären folgen kann; freilich nur unter gewiſſen Bedingungen, d. h. um es vorher anzudeuten, nur in gewiſſen Kunſt-Gattungen und nur ſo, daß eine ſolche Sphäre nicht das Ganze eines Kunſtwerks ausmacht, ſondern blos ein Moment darin bildet. Man denke z. B. an den Rechtshandel im Kaufmann von Venedig.

§. 21.

Jede einzelne Idee für ſich betrachtet begreift eine Einheit von Momenten in ſich, die ſie theils gleichzeitig vereinigt, theils in der Zeitfolge durch Be - wegung ausbreitet. Je bedeutender aber eine Idee, deſto reicher und deſto be - ſtimmter treten, indem ſie den Inhalt der untergeordneten Ideen vertiefend und erweiternd in ſich aufnimmt, dieſe Momente als Kreiſe im Kreis hervor, deſto lebendiger durchdringt ſie aber auch die Einheit und führt ſie in ſich zurück.

Dieſer §. iſt durch einen vorläufigen Blick in die beſtimmten Er - ſcheinungen der natürlichen und ſittlichen Welt zu erläutern. Selbſt das gewöhnlich ſogenannte Unorganiſche iſt nicht einfach, ſondern eine Ein - heit von Unterſchiedenem und entweder Reſultat eines lebendigen Pro - zeſſes oder wirklich ein ſolcher. Je höher aber ein Weſen, deſto man - nigfaltiger und lebendiger die Einheit. Das Thier vereinigt die Syſteme in ſich, welche in der Pflanze ſind, vermehrt ſie und gibt ihnen ver - änderte Bedeutung durch einen neuen Einheitspunkt, im Menſchen treten neue Organe zu den thieriſchen und alle ſind in eine weſentlich andere Einheit zuſammengefaßt. Höher aber entfaltet ſich das Staatsleben in77 den beſonderen Kreiſen der Familie, der Gewerbsthätigkeit, der Kriegs - beſtimmung, der Schule, der Kirche u. ſ. w.

§. 22.

Indem die Idee ſich zuletzt in höchſter Bedeutung als der ſich verwirk -1 lichende ſittliche Zweck, hiemit als das Gute dargeſtellt hat, ſo iſt das Schöne ſeinem Gehalte nach einfach als identiſch mit dieſem zu faſſen. Selbſt das2 Reich, worin ſich die Idee erſt als unbewußte Lebenskraft ausführt (§. 17.) kann in dem Sinne unter den Begriff des Guten geſtellt werden, daß dieſes unbewußte Leben nach der einen Seite ebenſoſehr die werdende Perſönlichkeit ankündigt (§. 19.), als es nach der andern, weil es die Entzweiung derſelben noch nicht in ſich trägt, durch die feſte Geſchloſſenheit und Beſtimmtheit ſeiner Geſtaltungen ſogar als ein vorgezeichnetes Bild der Perſönlichkeit erſcheint, wie ſie ihren ſittlichen Zweck bereits verwirklicht und ſich zu einem feſten Ganzen mit ſich zuſammengeſchloſſen hat.

1. Es handelt ſich hier nur um den Gehalt des Schönen, und ſo lange blos von dieſem die Rede iſt, muß die im §. ausgeſprochene Identität mit dem Guten behauptet werden. Einſchränkungen, die jedoch ſchon §. 20, 2 berührt wurden, ſind im folg. §. wieder bis auf einen gewiſſen Punkt aufzufaſſen.

2. Auch die Natur kann unter dem Standpunkt des Guten be - trachtet werden. Die Alten ſtanden weſentlich auf dieſem Standpunkte und vergötterten daher die Naturkräfte. In der Natur ahnt ſich die Perſönlichkeit; als wirkliche iſt ſie eine geiſtige Verwendung und Umbil - dung von Naturkräften, die als ihre Grundlage und ihr Material auch vom Standpunkte der Religion des Geiſtes zu verehren ſind. Allerdings ſcheint eben ſo gut das Umgekehrte zu folgen: die Selbſtändigkeit der Natur verſchwindet, wenn ſie um eines Andern, um des Geiſtes willen da iſt, ihre Stufen und Gattungen verflüchtigen alle Grenzen, wenn ſie nur über ſich hinausweiſen ſollen. Allein die Natur iſt eben deßwegen, weil ſie als noch verhüllter Geiſt auch die Entzweiung des Bewußtſeyns noch nicht in ſich hat, einfach, compact, geſättigt und ſaftig in ſich. Ihre Stufen weiſen über ſich hinaus, dies ſehen aber nur wir, die Geiſtigen, ihnen an; ſie ſelbſt verfallen zwar der creatürlichen Angſt der bewußtloſen Exiſtenz, jedoch nur in dem Moment, wo ihnen das Schickſal der Nothwendigkeit von außen kommt, ſie ſind übrigens ganz78 was ſie ſind, zufrieden damit und ebendadurch einfach, ungetheilt, gedie - gen. Das A. Teſtament hat treffliche Stellen, worin dies Gefühl aus - geſprochen wird, daß hier Alles recht und ganz iſt und dieſe Werke gut. Der Menſch führt als Sinnenweſen ſelbſt ein animaliſches Leben, das an ſeiner Stelle die äſthetiſche Kraft dieſer Geſundheit und Ganzheit hat. Die Kunſt zieht aus dieſem Reiche eine Welt von Motiven, welche Göthe (Geſpr. mit Eckermann: über eine antike Gemme, worauf ein Knabe dargeſtellt iſt, den ein Alter trinken läßt) naiv genannt und mit Recht bewundert hat. Die geſchloſſene Ganzheit der natürlichen Exiſtenz iſt aber in ihrer kräftigen Geſtalt auch Bild der Perſönlichkeit, die zwar ſchon auf ſittlichem Boden ſteht, aber eine ganze Natur iſt. Daher werden im alten Epos die Helden ſo ſchön mit der compacten Kraft von Thieren verglichen.

§. 23.

1

Das Gute im eigentlichen Sinne hat zu ſeiner Vorausſetzung und Unter - lage das Reich der blos äußern Zwecke, der Befriedigung der Bedürfniſſe, welche als Fülle des ſich ſelbſt genießenden Lebens das Gut heißt. Dies Reich der äußeren Zweckmäßigkeit fällt gemäß §. 16 aus dem Schönen weg, weil es blos eine Beziehung, worin ein Solches, das um ſeiner ſelbſt willen da iſt,2 ſteht, und nicht dieſes ſelbſt darſtellt. Jedoch wenn entweder von den höheren Zwecken, die als Selbſtzwecke den Mittelpunkt einer Perſönlichkeit bilden können, abgeſehen und die perſönliche Welt unter den Standpunkt des unbe - wußten Lebens gerückt wird, oder wenn die blos äußern Zwecke als fördernde Momente in eine erfüllte Einheit mit dieſen unter dem Standpunkte des höch - ſten Gutes zuſammenbegriffen werden, ſo kann unter gewiſſen Bedingungen auch3 jenes Reich als Inhalt in das Schöne eintreten. Eine andere Frage iſt, ob Werke der äußeren Zweckmäßigkeit ſich nicht wenigſtens beiläufig mit dem Schönen verbinden können, und dieſe iſt nicht nur zu bejahen, ſondern es liegt ſogar nothwendig im Weſen des Geiſtes, daß er das, was um der blos äußer - lichen Zweckmäßigkeit willen vorhanden iſt, in die Sphäre ſeiner reinen Selb - ſtändigkeit heraufzieht, um die Nothdurft, mit der er behaftet iſt, zu vergeſſen und auch hierin ſich das Bewußtſeyn ſeiner Unendlichkeit zu geben. Hierauf grün - det ſich die wichtige Unterſcheidung einer ſelbſtändigen und einer anhängenden Schönheit.

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1. Die äußere Zweckmäßigkeit gehört zu den abſtracten Begriffen, welche durch §. 16 ausgeſchloſſen ſind. Er hat ſeinen eigentlichen Ort im Syſtem der menſchlichen Bedürfniſſe und ihrer Befriedigung. Die unbewußte Natur kann auch unter den Standpunkt der äußeren Zweck - mäßigkeit gerückt werden; Luft, Erde, Waſſer, Licht dient der Pflanze, jene und dieſe dem Thier u. ſ. w.; dieſer Standpunkt iſt aber nicht nur nicht äſthetiſch, ſondern er iſt auch ſchließlich nicht der wahre. Noch un - wahrer iſt es, wenn innere Zwecke des Geiſtes, die Selbſtzwecke ſind, unter der Kategorie der äußeren Zweckmäßigkeit betrachtet werden, z. B. der Staat. Im Reich der Bedürfniſſe aber und des äußern Wohls handelt es ſich um die Befriedigung deſſen, was im Menſchen ſelbſt nur um eines Andern, um des Geiſtes willen, iſt; dieſem an ſich Unſelbſtändigen dient nun die äußere Natur und wird zu Werken ver - arbeitet, welche durchaus nur Mittel ſind, eines für das andere und alle für den ſinnlichen Menſchen, dieſer aber für den geiſtigen. Hier handelt es ſich alſo um bloſe Beziehungen, nicht um freie Wirklichkeit eines Selbſtändigen in ſeiner Totalität. Der ſich verwirklichende Selbſt - zweck heißt das Gute, die Fülle der erwirkten Mittel des äußeren Zwecks, ſofern der Menſch als Sinnenweſen, aber auf dieſer Unterlage auch als geiſtiges Weſen in ihr ſich ge nießt, heißt das Gut.

2. Es kann von dem Gegenſatze der geiſtigen Selbſtzwecke und der äußeren Zwecke abgeſehen und der Menſch unter dem Standpunkte einer höheren Natur, einer edleren Thierheit angeſchaut werden. Dann wird nicht in Erwägung genommen, daß das ſinnliche Daſeyn genährt und gepflanzt wird, blos damit der Geiſt Zeit und Raum gewinne für ſeine abſoluten Zwecke. Es iſt dieſer Standpunkt keine Erniedrigung, denn indem ſich der ganze Menſch ungetheilt in dieſe äußere Sphäre legt, bringt er auch den Geiſt als adelnde und maßgebende Seele mit. So wird dieſe Sphäre ſelbſtändig und äſthetiſch; jedoch nur unter ge - wiſſen weiteren Bedingungen. Dieſe Bedingungen können nicht hier erledigt werden, ſie gehören theils zur Frage nach den geſchichtlichen Formen der Cultur, theils zur Lehre von den verſchiedenen Künſten. Es gibt Cultur-Epochen, welche die Sphäre der Zweckmäßigkeit im Sinne jener ſelbſtändigen Anſchauung, andere, welche ſie rein als Mittel behandeln und davon tragen die Werke den Stempel in ihren Formen. Was die Künſte betrifft, ſo erinnere man ſich nur z. B., wie anders die bildende Kunſt als die Poeſie, wie anders in dieſer das Epos (namentlich die Idylle) als das Drama ſich zu dieſer Sphäre ſtellt. 80Es gibt aber noch einen andern Fall der Zuläſſigkeit. Das Zweckmäßige kann ganz als bloſes Mittel erſcheinen, aber in den Fluß der geiſtigen Selbſtzwecke ſo glücklich eingreifen, daß es als ein Beſonderes für ſich, d. h. als ein Proſaiſches, ſich gar nicht in der Anſchauung fixirt. Die angedeuteten Bedingungen gelten für dieſen Fall in eingeſchränkterem Sinne. Der Geiſt mag das äußerlich Zweckmäßige in der kürzeſten Zeit und in ſparſamer Form abthun; treten nur ſeine abſoluten Zwecke gehörig in die Anſchauung, ſo wird mit dieſer jenes Unſelbſtändige, wenn es nur leicht geht und gelingt, in Ein Bild ohne Anſtoß aufge - nommen, und dieſes Eine Bild iſt das Bild des höchſten Gutes, worin der innere und äußere Zweck, Tugend und Glückſeligkeit harmoniren.

3. Kant Kr. d. äſth. Urtheilskr. §. 16 ſtellt den wichtigen Unter - ſchied der freien und anhängenden Schönheit auf, gibt aber mehrere falſche Beiſpiele. Das blos Dienende wird äſthetiſch, wenn es ſo behandelt wird, daß es frei und ſelbſtändig erſcheint. Ein in dieſem Sinne behandeltes Geräthe z. B. wird gleichſam perſönlich, gehört zur Familie, ſcheint die Seele des Gebrauchenden in ſich aufgenommen zu haben. Der Geiſt legt ſeine Unendlichkeit in den blos endlichen (die - nenden) Gegenſtand und zeigt dies durch Entfaltung an ſich überflüßiger, doch wohl motivirter Formen, wodurch die gerade Linie, welche als den kürzeſten Weg zum Ziele das Bedürfniß nimmt, in eine ſpielende verwandelt wird. Das Nähere gehört zur Formfrage. Ihre ganze Wichtigkeit erhält dieſe Unterſcheidung in der Lehre von der Kunſt.

§. 24.

1

Ueber dieſer Grundlage erhebt ſich die Welt der ſittlichen oder der Selbſt - zwecke, welche den bedeutendſten Inhalt des Schönen abzugeben beſtimmt ſind. Dieſer höchſte Inhalt der Idee nun oder das Gute iſt aber ſo wenig als irgend eine andere Stufe der Idee auf einem beſtimmten Punkte des Raumes und der2 Zeit abſolut verwirklicht. Da nun das Schöne die Idee gerade als in die - ſem Sinne verwirklicht zur unmittelbaren Anſchauung bringen ſoll, ſo iſt hier eigentlich die Stelle, wo der gegenſtändliche Inhalt des Schönen, worin es mit der Idee zuſammenfällt, geſchloſſen iſt und die Darſtellung des Unter -3 ſchieds zwiſcken beiden zu beginnen hat. Ehe jedoch dieſer Uebergang eintritt, ſcheint noch ein höherer Inhalt eingeführt werden zu müſſen, eben um begreiflich zu machen, wie das Schöne jene Wirklichkeit als eine vollendete zur Anſchauung81 bringen könne. Einen ſolchen Inhalt ſcheint die Religion darzubieten als der Glaube an die Wirklichkeit eines Einzelnen, welches zugleich abſolut iſt.

1. Die Idee als ſittlicher Zweck iſt Selbſtzweck, das heißt erſtens: ſie ſelbſt ſetzt ſich den Zweck oder vielmehr als Zweck, ſie ſetzt ſich in Form der Zukunft, um ſich zu entfalten; zweitens: die Mittel, die ſie dazu anwendet, ſind ihre eigenen Momente, werden nicht von außen genommen, denn der Idee gehört Alles; drittens: indem ſie bei dem Zwecke ankommt, kommt ſie bei ſich ſelbſt an, denn ſie hat ſich entfaltet. Allein jedes Anlangen iſt ein neues Anfangen jenes Hinausſetzens, die Kategorie des Sollens kehrt im Reiche des Handelns, um ſich immer aufzuheben, immer wieder (vergl. Einl. §. 2, 2); denn eben jene Thä - tigkeit iſt die Idee, und wenn ſie jemals aufhörte, thätig zu ſeyn, wäre ſie todt, alſo nicht Idee. Das Wiſſen erkennt dies Verhältniß und begreift, daß eben dieſe unendliche Bewegung das Abſolute iſt. Das Wiſſen iſt alſo eben die wahre Form, durch welche das Abſolute ſchließlich in den Begriff ſeiner ſelbſt eingeht und ſich nur im Sinne gedachter Allgemein - heit zu ſeinem eigenen Gegenſtande macht. Allein das Wiſſen iſt nicht ſogleich, nachdem der Geiſt über die ganze bisher dargeſtellte Breite der Verwirklichungsſtufen der Idee ſich erhebt und ſie überblickt, vorhanden. Jene Wahrheit der unendlich ſich verwirklichenden Idee wird zuerſt als Schein einer Vollendung auf einem einzelnen Punkte (welche aber zugleich Ausdruck jener unendlichen Thätigkeit, alſo nicht etwas Todtes iſt) gefaßt. (ſ. §. 13. 14.)

2. Die Welt der Gegenſtände, welche den Gehalt des Schönen bilden, iſt hier, da es keinen höheren Gegenſtand als das Gute geben kann, zu Ende. Der Gegenſtände: dieß iſt nicht gemeint, als werde überſehen, daß es die eine und ſelbe Idee iſt, welche ſich als Natur ausbreitet, als Geiſt im Gegenſatze thätig iſt und dieſe ganze Entfaltung wieder in den höchſten Sphären des Geiſtes in Eins zuſammenfaßt. Die Trennung iſt aber hier nothwendig, eben weil ein Punkt geſetzt werden muß, wo nun das Spezifiſche eintritt, wodurch der bisher dargeſtellte Inhalt im vorliegenden Gebiete aufhört, bloßer Gegenſtand zu ſeyn. Jetzt alſo hätte die Unterſuchung zu beginnen, was im Schönen mit dem bisher geſchilderten Inhalt vorgehe, und wie eben dieſer Vorgang nun den Unterſchied des Schönen von dem bisher entwickelten Gehalte bilde.

3. Hier tritt nun aber die Frage dazwiſchen, ob nicht das Schöne, wenn es die abſolute Idee als ſchlechthin verwirklicht oder als mangellosViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 682thätig in einem Einzelnen zur Erſcheinung bringen ſolle, eben dieſe Art ihrer Wirklichkeit zuerſt als Inhalt vor ſich haben müſſe. Es ſcheint, als müſſe das Abſolute auch erſt als ein beſchloſſenes Seyn auftreten, müſſe auf dieſe Weiſe Gegenſtand ſeyn und als bilde dann das Schöne dieſen Gegenſtand ab. In Wahrheit iſt es vielmehr das Schöne ſelbſt, was das Abſolute in dieſem Sinne zum Gegenſtande macht, als eine zu - gleich unendliche und doch zugleich in einem Einzelnen beſchloſſene Thä - tigkeit nämlich, was freilich nur durch einen Schein möglich iſt; eben hier beginnt alſo das unterſcheidend Eigene im Schönen; es tritt zwi - ſchen das Wiſſen, das den bisher betrachteten Inhalt in ſeiner Allge - meinheit denkt und zwiſchen dieſen Inhalt, nimmt dieſen zu ſeinem Gegen - ſtand und ſtellt ihn ſo dar, als wäre er nicht nur Gegenſtand im bis - herigen Sinne einer nie im Einzelnen beſchloſſenen Verwirklichung, ſon - dern in dem Sinne einer zugleich einzelnen und zugleich abſoluten Wirk - lichkeit. Die Meinung Vieler aber iſt vielmehr, daß nicht erſt das Schöne dieſen Gegenſtand als Schein erzeuge, ſondern, daß derſelbe noch zu den ſeyenden Gegenſtänden gehöre. Kunde von dieſem Gegen - ſtand nun, iſt die weitere Meinung, gebe die Religion; deßwegen habe ſie hier ihre Stelle. Die Religion gehört hieher, wie ſich ſogleich zeigen wird, aber aus einem andern Grunde. Was das Wiſſen oder die Philoſophie betrifft, ſo haben wir ſchon früher einleitend gezeigt, daß es nur nach dem Schönen ſtehen könne (§. 5 Anm.). Dieſer Punkt iſt noch genauer zu unterſuchen, hier aber nur ſo viel zu ſagen, daß es zwar auch noch zu den Gegenſtänden des Schönen treten kann, aber nicht von der Seite, die ſein Weſen begründet, ſondern ſofern es ſelbſt wieder in ein Unmittelbares übergeht oder auf ein ſolches wirkt, wie §. 20, 2 ſchon angedeutet iſt.

§. 25.

Dieß iſt jedoch eine logiſche Verwirrung. Die Idee kann ſich anders nicht verwirklichen, als in dem Prozeſſe einer unendlichen Bewegung, alſo auch in keinem andern Sinne zu der Welt der Gegenſtände gezählt werden, welche in den Geiſt eingehen. Wenn nun der Geiſt, in den ſie eingeht und der ſie zum Gegenſtande hat, ſie anders faßt, das heißt, wenn er, noch ehe das Schöne eintritt, ſie in der Weiſe des Glaubens als vollkommen gegenwärtig in einem Einzelnen hinſtellt, ſo iſt dies kein Gegenſtand, der außer dem Glaubenden vorhanden wäre, ſondern ein Gegenſtand, den der Glaube ſelbſt erzeugt, und83 die Wahrheit des Glaubens iſt nicht, was er glaubt, ſondern daß er glaubt. Wirklich meint die Religion in dem, was ihr Bewußtſein vor ſich hat, zwar einen Gegenſtand zu beſitzen, der ohne ihr Bewußtſeyn ſchon ſey, hebt ihn aber als Gegenſtand unvermerkt auf, indem ſie ihn in Bewegung ſetzt.

Der Inhalt der Religion ſcheint ihr ſelbſt ein Gegenſtand, der ohne ſie und außer ihr da ſey. Daß dieß nicht Wahrheit iſt, folgt aus allem bisherigen. Die Religion ſetzt die abſolute Idee als rein vollendet in Gott als einem Einzelnen oder in Göttern als Einzelnen, näher beſtimmt zur Idee der Menſchheit als rein vollendet im Sohne Gottes u. ſ. w. Indem ſie nun daran geht, die Eigenſchaften und Thätigkeiten dieſer Weſen, welche einzelne ſeyn ſollen, ſich auseinanderzuſetzen, hebt ſie unvermerkt das Subjekt dieſer Eigenſchaften und Thätigkeiten als einzel - nes auf, Gott wird als allgegenwärtig und unzeitlich durch alle Zeit wirkend und ſchaffend im Univerſum, der Sohn Gottes ebenſo in der beſonderen Beziehung zum ſittlichen Leben der Menſchheit gefaßt u. ſ. w., d. h. ſie ſind keine Einzelnen mehr, ſondern der Geiſt des Ganzen. Die Religion merkt aber dieſe Auflöſung, die ſie ſelbſt vornimmt, nicht, ſie glaubt trotz dem Widerſpruch an die Gegenſtändlichkeit ihrer Vor - ſtellung. Die Schönheit wird ſich dagegen als eine Macht erweiſen, welche dieſen verwechſelnden Glauben auflöst, alſo weit entfernt, ihren Inhalt als reinen Gegenſtand von der Religion zu entlehnen, vielmehr die Beſtimmung dieſes Inhalts, wonach er Gegenſtand iſt außer dem Glauben, der ihn glaubt, aufhebt. Der Glaube, womit die Religion glaubt, nicht das, was dieſer Glaube glaubt, iſt die Bedeutung der Religion. Sie hat in dieſer Intenſität mehr, als ſie weiß; was ſie glaubt, iſt nicht als Geglaubtes Wirklichkeit, aber der Glaube ſelbſt iſt dieſe Wirklichkeit; die Idee wird zur Gegenwart im glaubenden Subjekte, das Vorgeſtellte in dieſer Gegenwart iſt nicht die Wahrheit, aber die Innigkeit der Empfindung, aus der dieſe Vorſtellung herauswächst, iſt die Wahrheit.

§. 26.

Die Religion und die Schönheit gehören alſo allerdings in daſſelbe Gebiet, denn beide ſind Weiſen, worin der Geiſt die Idee als wahrhaft wirkliche zu ſeinem Inhalte hat, worin alſo die Idee ihre Wirklichkeit in die Gewißheit von ſich erhebt und dadurch der Gegenſatz zwiſchen objektivem und ſubjek -6*84tivem Geiſt ſich zum abſoluten Geiſte auflöst. Dieſe Gewißheit ſelbſt bewegt ſich durch verſchiedene Stufen; ſie beſtimmt ſich als Glaube in der Reli - gion, und da dieſer Glaube die Wirklichkeit der Idee unter der Form der Einzelheit auffaßt, die Schönheit aber ebenfalls ein Schein iſt, als ſey dieſe Wirklichkeit im Punkte einer Einzelheit beſchloſſen, ſo folgt, daß beide Weiſen des abſoluten Geiſtes ſeyen, die in weſentlicher Verwandtſchaft ſtehen. Der Unterſchied zwiſchen beiden Weiſen, der es nicht erlaubt, dies Verhältniß anders zu bezeichnen, iſt hier noch nicht zu unterſuchen.

Die Religion und die Schönheit ſind die zwei erſten unmittelbaren Formen des abſoluten Geiſtes. Der abſolute Geiſt gibt ſich das Wiſſen von der Wirklichkeit der abſoluten Idee; dieſes Wiſſen hat in jenen beiden Sphären noch die Beſtimmtheit des Unmittelbaren, welche nicht Wiſſen, ſondern nur Gewißheit zu nennen iſt. Beide erzeugen den Schein, als ſey die Wirklichkeit der Idee in einem Einzelnen beſchloſſen. Dieſer Schein iſt aber in beiden verſchiedener Art; der Unterſchied iſt durch die Bezeichnung der Religion als Glauben angedeutet, kann aber hier noch nicht erörtert werden, wo vom Gehalte, nicht von der Form die Rede iſt. Es leuchtet alſo ein, daß Religion und Schönheit denſel - ben Gehalt haben, und daß auch ihre Form eine verwandte iſt (bei dieſem unbeſtimmten Ausdruck muß es vorläufig bleiben). Allerdings wird ſich bei der Erörterung des Unterſchieds zeigen, daß mit der Form auch der Inhalt ſich ändert, es iſt aber Inhalt von Inhalt, d. h. es iſt verborgener oder Grund-Inhalt zu unterſcheiden von dem Inhalt, der ins Bewußtſeyn tritt; der letztere kann auch zur Form gezogen werden.

§. 27.

1

Dieſe Verwandtſchaft wird ſich als thätiges Verhältniß zwiſchen beiden dahin beſtimmen, daß die Religion dem Schönen denſelben Inhalt, den das Schöne ohnedies auch hat, die Wirklichkeit der Idee nämlich, als einen im2 Sinne des abſoluten Geiſtes bereits geformten überliefert. Meint man, die Schönheit empfange von der Religion in dieſem ſo geformten Gehalt einen von dieſer in Erfahrung gebrachten, außer ihr und der Kunſt vorhandenen neuen Gegenſtand, ſo entſteht der Fehler einer theologiſchen Ableitung des Schönen. 3Es wird ſich aber auch zeigen, daß ſelbſt jene Gemeinſchaft des Stoffes eben85 wegen des Unterſchieds in der Verwandtſchaft keine abſolute und keine dauernde iſt. Die Religion wird fernerhin in einem ganz anderen Sinne der Schönheit Stoff darbieten, ſie wird ſelbſt als Stoff in dieſe eingehen, indem nicht der vermeintliche Gegenſtand des Glaubens, ſondern der Glaube ſelbſt als vollendete Wirklichkeit vom Schönen wird zur Darſtellung gebracht werden.

1. Die Religion wird der Schönheit Stoff überliefern, aber keines - wegs im Sinne eines neuen Gegenſtands. Die Sphären des abſoluten Geiſtes haben die reine Wirklichkeit der abſoluten Idee zum Inhalte. Jede dieſer Sphären formirt dieſen Inhalt auf ihre Weiſe, die Religion in einer ſolchen, welche der Schönheit verwandt iſt, denn eine ähnliche Art des Scheines iſt in beiden. Das Leben der Natur und des Geiſtes zieht die eine wie die andere in einzelne abſolute Geſtalten zuſammen. Nur dadurch ſchöpft die Schönheit Stoff aus der Religion, daß dieſe Geſtalten, nicht das, was in ihnen zuſammengezogen iſt, ihr als will - kommene Motive entgegentreten, das zur Anſchauung zu bringen, was ſie ohnedies auch ſchon hat, den Gehalt des Lebens. In dieſen Sätzen iſt vorausgeſetzt, daß die Religion primitiver ſey und die Schönheit ihr folge: dieß wird gründlicher erſt dargethan werden, wenn vom Unter - ſchiede beider die Rede ſeyn wird, inzwiſchen kann auf die nothwendige Vorausnahme der Einleitung (§. 5) hier verwieſen werden.

2. Die theologiſche Ableitung des Schönen iſt nicht zu verwechſeln mit einer Vermengung des Schönen und der Religion. Der neueren Philoſophie von Schelling bis Hegel iſt nicht eigentlich die erſtere, ſondern die letztere vorzuwerfen. Schelling hält die Kunſt ſelbſt für thätige Erzeugung der Einheit des Idealen und Realen, nicht alſo für Nachbildung Gottes als eines von der Religion zur Kunde gebrachten und außer ihr und der Kunſt vorhandenen Gegenſtands. Allerdings iſt das Abſolute als Grund dieſer Einheit vor derſelben, aber nur implicite. Auch über das Geſchichtliche der Perſon Chriſti ſprechen d. Vorleſ. über d. Meth. des akad. Studiums in einer Weiſe, daß hier nicht von einem gege - benen Gegenſtand, ſondern nur von einem Erzeugniß der idealen Anſchauung ſelbſt die Rede ſeyn kann. Allerdings fehlt bei Schelling die ſyſtema - tiſche Aufführung der Mittelſtufen, durch die ſich der Geiſt bewegt, bis er bei dieſer Form reiner Ineinsbildung des Idealen und Realen an - langt, es iſt aber in ſeiner Meth. des akad. Studiums der Grundriß jener Durchführung, welche Hegel gegeben hat, in hingeworfenen Zügen wohl zu erkennen. (vergl. z. B. 313.) In der Darſtellung der Kunſt86 für ſich ſcheint es zwar, als ſolle die Kunſt das Abſolute ſchlechthin offenbaren; es fehlt aber natürlich die Einſicht nicht, wie dieß die Kunſt dadurch thut, daß ſie die Formen der Dinge an ſich und wie ſie in den Urbildern ſind, alſo daß ſie nicht eine ohne ſie fertige einzelne Ge - ſtalt, welche ſchlechthin das All in ſich begriffe, ſondern zunächſt irgend eine einzelne Idee in beſchloſſener Geſtalt und dadurch das All darſtellt (vergl. insbeſondere d. Rede über das Verhältniß der bildenden Kunſt zur Natur); nur iſt dieſe Einſicht wie bei Hegel in der allgemeinen Ab - leitung nicht durchgeführt. Wohl aber wird die Kunſt mit der Religion auf ganz unſtatthafte Weiſe vermengt; Schelling ſpricht ſogar eine Unmöglichkeit aus, der Kunſt eine andere poetiſche Welt als innerhalb der Religion und durch Religion zu geben (a. a. O. 322) und dieß würde in ſeiner Conſequenz auch den Satz wieder aufheben, daß die Kunſt das Abſolute durch die Zwiſchenglieder der einzelnen Ideen dar - ſtellt; denn die Religion hat den Charakter der Ausſchließlichkeit, daß ſie ſich nicht über das Ganze des Lebens ausdehnt, ſondern nur die ſittlichen Höhen deſſelben in ihre Symbolik aufnimmt und das Uebrige abweist. Ganz unklar bleibt in dieſem Punkte Solger, der zuerſt Schellings Ideen zu einer Philoſophie der Kunſt durchgeführt hat. Er nennt die abſolute Idee Gott und legt auf den Begriff eines ſchaffen - den Gottes ein Gewicht, als wäre nur aus ihm das Schöne abzulei - ten. Dazwiſchen wird gegen die Anſicht, als wäre Gott ein einzel - nes und für ſich beſtehendes Weſen, proteſtirt (Erwin 1, 136. 138. 247). Es bleibt aber ein völliges Dunkel über dieſem Punkte. Die Idee eines ſchaffenden Gottes erſcheint dennoch wieder als die einzige Aushilfe aus den Irrwegen der Dialektik, die das Schöne nicht zu begreifen ver - mag. In den nachgel. Schr. Th. 2, 428 wird ein Ausdruck des Boccaccio gebilligt, die Kunſt ſey blos eine andere Art der Theologie. Solger unterſcheidet eine göttliche und irdiſche Schönheit. Jene enthält die abſoluten Geſtalten der alten Mythologie und der chriſtlichen Myſtik. Die erſteren nun ſind natürlich nur Bilder der Phantaſie, allein die zweite wird unter dem Begriff der Allegorie ſo gefaßt, daß die wahre Allegorie auch ſeyn ſoll, was ſie bedeutet. Daraus folgt, daß die wirkliche Geſchichte in heilige, abſolute Geſchichte aufgehoben werden ſoll, und der Werth der beſtimmten Idee iſt ebenhiemit in dieſer Beziehung geläugnet. Ein Gegenſatz, der nur in die Geſchichte des Ideals gehört, iſt in dieſer Entgegenſetzung des göttlichen und irdiſchen Schönen als bleibender feſtgehalten, es wird nicht als Fortſchritt der Kunſt be -87 griffen, wenn ſie die transcendenten Geſtalten aufgiebt, wenn ſie die beſtimmte, wirkliche Idee rein menſchlich und natürlich und nur durch ſie die abſolute Idee darſtellt. Aber nicht nur dies; die überirdiſchen Geſtalten wären demnach wirkliche Weſen und das Schöne hätte ihnen nur als ihre Nachbildung zu folgen. Nimmt man alſo nun Solger beim Wort, ſo iſt ihm allerdings theologiſche Ableitung des Schönen vorzuwerfen; hilft man ſeiner ſichtbaren Unklarheit nach, erwägt man, daß ihm die Vorſtellung Gottes und der ganze Bilderkreis der Religion doch nur Bild ſeyn kann, ſo iſt ihm nur dies vorzuwerfen, daß er die Kunſt nicht von der Religion emancipirt, ſondern mit dieſer vermengt. Von Hegel iſt ſchon zugegeben, daß er mit Ueberſpringung der Mittelglieder im Gehalte zu ſubſtantiös unmittelbar auf den höchſten hindrängt. Dieß äußert ſich nun allerdings weſentlich auch als Vermengung mit der Religion. Der ganze zweite Theil von den beſonderen Formen des Kunſtſchönen bezeugt dieſelbe. Er enthält zu viel namentlich über orientaliſche Religion und zu wenig: d. h. er vernachläßigt völlig den Punkt, wo in der neueren Zeit die Tranſcendenz der Religion über - haupt durch die Bildung ausgeſchieden, dadurch erſt die einzelne Idee in unbefangene Geltung geſetzt und das moderne, weltliche oder rein menſchliche Ideal hergeſtellt wird.

Eigentlich theologiſch könnte man die unvermittelte Weiſe nennen, in welcher Winkelmann die Idee der Schönheit aus Gott ableitet; allein man muß den zweiten Theil der betreffenden Stelle nicht überſehen. Es heißt (Geſch. der Kunſt, Buch 4, Kap. 2, §. 22) zuerſt: die höchſte Schönheit iſt in Gott und der Begriff der menſchlichen Schönheit wird vollkommen, je gemäßer und übereinſtimmender derſelbe mit dem höchſten Weſen kann gedacht werden, welches uns der Begriff der Einheit und der Untheilbarkeit von der Materie unterſcheidet. Dieß iſt nichts als ein Geſtändniß, das Schone nicht erklären zu können; eigentlich weiß Winkelmann wohl, daß, wo man alle Materie abzieht, die Schön - heit ihr Ende hat. Aber dann folgen die trefflichen Worte über das Ideal: dieſer Begriff der Schönheit iſt wie ein aus der Materie durchs Feuer gezogener Geiſt, welcher ſich ſuchet ein Geſchöpf zu zeugen nach dem Ebenbilde der in dem Verſtande der Gottheit entworfenen erſten vernünftigen Kreatur. Alſo nicht Gott ſelbſt, ſondern das Prototyp der Geſtalt iſt die Urſchönheit. Ein ächtes Beiſpiel theologiſirender Aeſthetik iſt dagegen die §. 10, 1 als ältere chriſtliche Vorſtellung er - wähnte Anſicht von Gott als dem in Leiblichkeit exiſtirenden Ideale der88 Schönheit und ebenſo eine moderne Schrift: Aeſthetik oder die Wiſſen - ſchaft des Schönen auf dem chriſtlichen Standpunkte dargeſtellt von Durſch. 1839. Hier werden die Vorſtellungen der Religion als abſolute Gegenſtände aufgeführt, welche die Kunſt von dieſer zur Darſtellung überliefert erhält: Gott, die Engel, die Seligen u. ſ. w. Dieſe Weſen werden wie Erfahrungs-Gegenſtände hergezählt. Gab es nie einen Kant? Theologiſirend iſt ferner die Aeſthetik von Weiße. Er nennt Solgers Aeſthetik theoſophiſch. Dieß wäre ſie nur, wenn ſich beweiſen ließe, daß Solgers Religionslehre theoſophiſch, d. h. Vermengung von Phantaſie und Begriff Bild und Sache ſey. Wenn nun aber Solger allerdings Miene macht, das Schöne von der Gottheit abzu - leiten, ſo verflüchtigt es dagegen Weiße in die Gottheit. Am beſten kann man ſich davon überzeugen, wenn man außer dem oben in §. 5 Anm. Angeführten und dem in §. 10, 1 Geſagten liest, wie das Er - habene über ſich ſelbſt hinaustreiben ſoll zum Guten und Göttlichen im Sinne der perſönlichen Gottes (Aeſth. §. 24) und wie daneben das Schöne, das nicht auf ein außer ihm liegendes Allgemeines hinausweist, ſondern ſich ſelbſt genügt, als das Häßliche gefaßt wird a. a. O. §. 25).

3. Es wird im zweiten Theile eine Form des Ideals auftreten, worin der Bund der Kunſt und Religion ſich auflöst. Aber noch vorher wird ſich zeigen, daß die Schönheit nicht nur dem Inhalt der religiöſen Vorſtellung, ſondern das vorſtellende Subject ſelbſt ſammt jenem, nicht nur das Geglaubte, ſondern den Glauben zu ihrem Stoffe macht: ein Beweis, daß ſie frei darüber ſteht.

§. 28.

1

Wenn die Idee als Totalität und als ewige Wirklichkeit durch das be - griffsmäßige, ſeinen Inhalt beweiſende Denken erhoben wird zum Wiſſen, ſo nennt man die Wahrheit, ſofern nämlich dieſes Wort mit genauer Unterſcheidung2 gebraucht wird. Dasſelbe wird aber auch in der Bedeutung angewandt, daß es den reinen Inhalt der ſich verwirklichenden Idee bezeichnet, abgeſehen davon, daß er in die Form des Denkens gefaßt wird. Von der Wahrheit in dieſem Sinne iſt alſo der Inhalt der abſtracten Begriffe (§. 16) ebenſo wie vom Schönen auszuſchließen, denn er iſt, obwohl nicht blos von ſubjectiver Gültigkeit, doch allein durch das ſubjective Denken in der Abſtraction feſtzuhalten; ſie fällt mit dem Schönen, wie es bis jetzt entwickelt iſt, einfach zuſammen und es muß der Satz aufgeſtellt werden: alles Schöne iſt wahr.

89

1. Wahrheit im erſten Sinn iſt der gedachte weſentliche Inhalt. Hier entſtände alſo die Vergleichung der Schönheit mit der dritten und reinſten Sphäre des abſoluten Geiſtes, der Philoſophie. Dieſe iſt jedoch hier noch nicht an der Stelle, da erſt das Spezifiſche der Form im Schönen unterſucht ſeyn muß.

2. Wahrheit wird in weiterem Sinne gebraucht von dem, was wahrhaft iſt, Lebenswahrheit, ächter Gehalt. So geht es auf die Wirk - lichkeit der Idee abgeſehen davon, daß der Gedanke die reinſte Weiſe iſt, ſie als Wahrheit zu begreifen und zu beweiſen. Man nennt nun zwar auch abſtracte Kategorieen Wahrheiten, das Cauſalitätsgeſetz, die arithmetiſchen, geometriſchen Geſetze u. ſ. w.; und zwar eben in dem Sinne, daß ſie nicht blos ſubjective Gedanken, ſondern wirkliche Be - ſtimmungen der Dinge ſind. Allein irgend eine Conſequenz und Grenze muß die Wiſſenſchaft auch im weiteren Gebrauche der Ausdrücke ziehen und ſo ſind die abſtracten Begriffe vom Wahren in dieſem objectiven Sinn auszuſchließen, weil ſie in ihrer Abſtraction kein Wirkliches füllen, ſondern damit auch nur Eines exiſtire, ihre geſammte Einheit voraus - geſetzt wird. Wahr im gegenwärtigen Sinne heißt alſo nur das volle Leben. So gibt der Satz: alles Schöne iſt wahr. Um unzeitige Ein - wendungen zurückzuhalten, erwäge man, daß er an einer andern Stelle wieder aufzunehmen iſt, wo ſich das Verhältniß ganz anders beſtimmen wird. Falſch iſt es freilich bereits, wenn Schelling im Bruno aus dem Satze, daß die höchſte Vollkommenhett nur in der ewigen und zeit - loſen Idee eines Dings ſey, den andern ableite, daß ein Kunſtwerk allein durch ſeine Wahrheit ſchön ſey. Folgende Einwendungen ſind aber ſchon im bisherigen berückſichtigt: kann auch die unorganiſche Natur, welche ja ſelbſt auch nur abſtracte Unterlage des Lebens iſt, Inhalt des Schönen ſeyn? Es iſt §. 16, 2 geſagt worden, die Grenze werde im gehörigen Zuſammenhang aufgeſucht werden. Es wird leicht zu zeigen ſeyn, in welchem Sinne auch die unorganiſche Natur Leben zu nennen iſt, und der Anſchaung Punkte genug bietet, um die werdende Perſön - lichkeit in ihr zu ahnen (§. 19, 2). Ferner: gibt ſich die Wahrheit, die alſo mit der Idee im Stufenbau ihrer Wirklichkeit zuſammenfällt, nicht Weiſen des Daſeyns, die ſich vom Schönen trennen? Die vorläufige Antwort enthält §. 18 und §. 20, 2.

Sagt man: alles Schöne iſt wahr oder ſoll wahr ſeyn (die letztere Wendung iſt eigentlich unrichtig, denn Unwahrheit hebt auch das Subject Schönheit auf), ſo wird aber damit nicht nur ausgedrückt, daß es einen90 Inhalt habe, dem wirkliches und lebendiges Seyn zukomme, ſondern man ſetzt auch voraus, daß ein Weſen zwar empiriſcher Weiſe leben, aber innerlich ſo entartet ſeyn kann, daß ſein Leben Lüge zu nennen iſt. Zu dieſer Emphaſe ſchärft ſich der Ausdruck da, wo bereits die Erfahrung vorliegt, daß auch ſolcher lügenhafter Inhalt ſich als Kern des Schönen aufzuwerfen ſucht. Das Schöne kann und muß ſogar ſolchen Inhalt aufnehmen, jedoch ſo, daß es die fortdauernde Wahrheit in der Unwahrheit aufdrückt, ſey es als heilende, ſey es als zerſtörende Kraft. Wirklich wäre ja das Unwahre nicht, ſondern müßte ſogleich zerfallen, wenn es nicht die Wahrheit in die Verdrehung ſelbſt herüber - genommen hätte.

§. 29.

Es erhellt nun aber, daß in dieſer Identität mit dem Guten, der Religion und dem Wahren das Schöne etwas Beſonderes gar nicht iſt und daß das in §. 12 aufgeſtellte Geſetz in des bisherigen Beſtimmung des reinen Gehalts im Schönen ſeine Erfüllung noch gar nicht gefunden hat. In der griechiſchen Welt war die Schönheit mit dem Leben ſo verſchlungen, daß das Moment des Unter - ſchieds, zu welchem die Einſeitigkeit dieſer Betrachtung überzugehen nöthigt, nicht in ſeiner Schärfe gefaßt werden konnte. Plato überſteht zwar in ſeiner mythiſchen Darſtellung dieſes Moment nicht, wo er aber die Idee des Schönen in ihre Verwirklichung verfolgen ſoll, vermiſcht er ſie dennoch mit der des Guten und Wahren.

Καλοκἀγαϑὸν der Griechen. Plato nimmt in der mythiſchen Dar - ſtellung im Phädrus eine Wendung, aus welcher der Unterſchied des καλὸν und des ἀγαϑὸν wohl wäre abzuleiten geweſen. In der Idee des Schönen iſt kein anderer Inhalt, als in der Idee der Güte und Weis - heit: τὸ ϑεῖον καλὸν, ϐοφὸν, ἀγαϑὸν καὶ πᾶν τι τοιȣ῀το; ſie allein aber iſt, wo ſie mit jenen Ideen am überhimmliſchen Orte verweilt, hellſchimmernd und liebreizend, ἐκφανέςαι ον καὶ ἐραςμιώτατον. Ver - wirrung iſt es, wenn Plato hinzuſetzt, die andern Ideen, Weisheit und Gerechtigkeit, ſchauen wir nicht ebenſo im ſichtbaren Bilde, weil eine zu heftige Liebe dann entſtehen würde. Denn wenn das Schöne denſelben Gehalt hat, wie das Gute und Wahre, ſo iſt es ja wirklich eben dieſer, der im Schönen hellſchimmert. Allein das Bedenkliche liegt ſchon in der Platoniſchen Ideen-Lehre überhaupt. Dieſe fixirt die Abſtraction91 des Allgemeinen gegenüber ſeiner Wirklichkeit im Beſondern als eine Hypoſtaſe und ſo kommt das Abbild gegen das Urbild zu kurz; was aber insbeſondere die Idee des Schönen betrifft, ſo muß jene Fixirung noch einen weitern Uebelſtand zur Folge haben. Da nämlich das, was dieſe vom Wahren und Guten unterſcheidet, die ſinnliche Form, eben in der Welt des Abbilds, in der Gegenwart der Sinnenwelt zu Hauſe iſt, ſo kann es mit der Aufnahme dieſes unterſcheidenden Kennzeichens in die Idee des Schönen eben um dieſer Jenſeitigkeit willen kein rechter Ernſt ſeyn und daher wird nicht nur das Abbild mißtrauiſch angeſehen, ſondern auch das Urbild wieder mit dem rein geiſtigen Weſen der Ideen, die dem denkenden Geiſte und dem Innern der Geſinnung angehören, des Guten und Wahren, confundirt. Wo daher Plato die Idee des Schönen verfolgen ſoll in ihre Verwirklichung, da benützt er jenes Moment des Unterſchieds nicht. Denn zwar heißt es im Philebus, das Schöne entſtehe, wenn μετριότης und συμμετρία durch die ordnende königliche Seele des Zeus in die Mannigfaltigkeit, wenn τὸ πέρας in das ἄπειρον und ἄμετρον trete, und wenn nun weiter[die] Tugenden einer wohlgeordneten Seele, Weisheit und Gerechtigkeit, als der wahre Inhalt des Schönen dargeſtellt werden, ſo hätten wir, da die königliche Seele des Zeus zunächſt die Naturordnung iſt, das Ergebniß: das Schöne iſt der göttliche Geiſt, wie er ſich in der Natur und in der ſittlichen Welt durch die Harmonie der Form offenbart. Allein im Sympoſion, im Phädrus, im Timäus, im Staat wird nun Seelenſchönheit und körperliche Schönheit ſo unterſchieden, daß die erſtere allein als wahre Schönheit, die letztere nicht als ihr Ausdruck, ſondern nur als ihr Symbol erſcheint; es handelt ſich darum, zu zeigen, wie die nicht rein äſthetiſche, ſondern begierdevolle Liebe zu der letzteren in eine ſittliche und erziehende zu der erſteren verwandelt werden ſoll, im Timäus wird ausdrücklich geſagt, alles Gute ſey ſchön, und in den Geſetzen heißt es ſogar: alle Gerechten ſind ſchön und Alles, was ſie thun und leiden, wenn ſie auch noch ſo häßlich von Geſtalt ſeyn ſollten. Wie mit dem Guten, ſo wird das Schöne durchgängig auch mit dem Wahren nicht nur an ſich, ſondern dem Wahren als der geiſtigen Thätigkeit des Denkens, d. h. mit der Weisheit verwechſelt, beſonders im Staate. Der pädagogiſche Rigorismus, der in den Urtheilen über die Kunſt herrſcht, iſt eine nothwendige Folge dieſer Vermiſchung, deren genauere Kritik aus der folgenden Entwicklung des Unterſchieds von ſelbſt ſich ergeben wird. Vom blos relativ Wohlgefälligen, vom Nützlichen und92 Angenehmen, weiß übrigens Plato eben durch dieſen Nachdruck, der auf den geiſtigen Gehalt fällt, das Schöne wohl zu unterſcheiden, beſonders im größ. Hippias (deſſen Aechtheit freilich bezweifelt wird). Die Neuplatoniker fixirten dieſen Idealismus. Plotin unterſcheidet weſent - lich geiſtige Schönheit und Körperſchönheit und ſtellt die erſtere, die gar nicht erſcheint, unendlich über dieſe. Das vierte Kap. 1. Schr. περὶ τȣ῀ καλȣ῀ (ed. Creuzer,) beginnt mit der Forderung, aufzuſteigen zu der höheren Schönheit, welche der Anſchauung nicht offen ſteht, ſondern von der Seele ohne Werkzeuge geſchaut und ausgeſprochen wird, wobei wir alle Sinnenwahrnehmung in der Tiefe znrücklaſſen. Dieſe höhere Schönheit iſt die Gerechtigkeit und Wohlordnung des Gemüths (σωφροσ ύνη) die Reinheit vom Affect, die wahrnehmbare Schönheit nur ihr Schatten und Scheinbild.

[93]

B. Das Bild.

§. 30.

Die Idee ſoll gemäß §. 13 erſcheinen als vollkommen verwirklicht in einem Einzelnen, das als ſolches ein räumlich und zeitlich begrenztes endliches Weſen iſt. Dies Weſen heißt Bild im Sinne eines Gebildes, das ein Indi - viduum der je im vorliegenden Falle den Inhalt des Schönen abgebenden be - ſtimmten Idee oder Gattung iſt.

Wie ſich die Gattung zu ihren Individuen verhalte, darüber hat dieſer §. noch nichts auszuſprechen, vielmehr ſind gerade die Momente des Gegenſatzes zwiſchen der Einzelnheit des Individuums und der Allgemeinheit der Idee zunächſt zu verfolgen. Es iſt nur ausdrücklich hervorzuheben, daß dies Bild ein Individuum der je im gegebenen Falle den Inhalt des Schönen abgebenden beſtimmten Idee ſeyn müſſe. Der Ausdruck Bild könnte ſonſt mißverſtanden und an das äußerliche Ver - hältniß gedacht werden, das in der bloſen Vergleichung und im Symbole zwiſchen dem Sinnlichen und dem Gedanken Statt findet. Bild hat aber hier und im Folgenden durchaus ſeine urſprüngliche Bedeutung: Gebilde. Daß nun unter dieſem durchaus nur das Gebilde verſtanden iſt, worin je die den Inhalt des Schönen ausmachende Gattung als ihrem eigenen ſich darſtellt, dies ſcheint ganz von ſelbſt einzuleuchten, aber dieſe Grund - wahrheit wird von der Kunſt ſo vielfach verkannt, daß der Inhalt des §. von den gewichtigſten Folgen iſt für die wahre Anſicht von dieſer. Dies wird ſich namentlich in der Lehre von der Allegorie zeigen.

94

§. 31.

Das Individuum iſt zufällig, d. h. die Gattung kann ſich zwar nur durch die Reihe ihrer Individuen verwirklichen, aber wann und wo ein ſolches entſtehe, iſt durch die Gattung allein nicht beſtimmt, ſondern durch ein Zuſammentreffen von Bedingungen, welche aus dem gleichzeitigen Zuſammenſeyn der einen Gat - tung mit allen andern fließen.

Der Begriff der Zufälligkeit iſt weſentlich im Schönen. Man hüte ſich, hier und in der zunächſtfolgenden weiteren Ausführung dieſes Be - griffs ſchon an diejenige Art der Zufälligkeit zu denken, welche das Schöne, wie es außer der Kunſt exiſtirt, trübt und durch dieſe zu tilgen iſt. Davon muß an ſeinem Orte ausdrücklich erſt die Rede werden. Vielmehr erinnere man ſich vorläufig, daß auch im Ideal die Zufällig - keit, von der hier die Rede iſt, erhalten ſeyn muß. Das ächte Drama z. B. behandelt eine wahre und nur etwa von der Sage vorher ſchon erhöhte Begebenheit, welche die Zufälligkeit der Jahreszahl, des be - ſtimmten Ortes u. ſ. w. an ſich trägt; ſeine Perſonen müſſen den Eindruck machen, daß ſie einmal leben konnten unter allen den zufälligen Umſtänden, die dazu mitwirken, daß dieſes oder jenes Individuum jetzt und nicht ein andermal entſteht oder auf den Schauplatz ſeines Handelns hervortritt.

§. 32.

Dieſe Bedingungen treffen in jedem einzelnen Falle der Entſtehung eines Individuums in ſo unberechenbarer Weiſe zuſammen, daß eine unendliche Ver - ſchiedenheit die Individuen derſelben Gattung von einander trennt. Die Zu - fälligkeit der Entſtehung iſt alſo der Grund einer weiteren Zufälligkeit, der unendlichen Eigenheit des Individuums.

Es darf nicht befremden, daß die Eigenthümlichkeit des Individuums hier vom Zufalle der Entſtehung abgeleitet wird, und wenn dies in ſeiner Anwendung auf den Menſchen härter klingen ſollte, als auf die Phyſiognomie beſtimmter Landſchaften, auf Pflanzen und Thiere, ſo ver - geſſe man nicht, daß hier erſt von der einen Hälfte, der Naturbaſis die Rede iſt und daß jene eigenthümliche Miſchung zum Vorzüglichen erſt wird, wenn das Allgemeine, das Gattungsmäßige, was hier der Geiſt iſt, ſich mit derſelben durchdringt. Die nothwendige Trennung der Wiſſenſchaft bringt es aber mit ſich, daß dieſe Durchdringung erſt95 in der Folge als Ergänzung des Begriffs auftreten kann. Das Eigenthüm - liche iſt angeborner Naturgrund, bedingt durch den Zufall der Entſtehung in dieſem Klima, Jahrgang, von dieſen Eltern und in dieſem Momente, wobei die Naturkräfte und auch von den geiſtigen Kräften Alles, was angeboren heißt, als verhüllter Seelenkeim in jedem einzelnen Falle verſchiedene Proportion eingehen. Das Eigenthümliche iſt immer eine Abweichung von derjenigen Einheit der Kräfte, welche in der Gattung liegt; ſehr ſchwer iſt die Linie zu beſtimmen, wo dieſe Abweichung in eigentliche Trübung, äſthetiſch betrachtet in Häßlichkeit übergeht. Dieſer Punkt iſt wieder aufzunehmen. Uebrigens handelt es ſich hier nicht blos von der Idee im Sinne der Naturgattung, ſondern auch der ſittlichen Sphäre. Der Stoff, den in jeder ſittlichen Sphäre der Geiſt verarbeitet, findet ſich in jedem einzelnen Falle auf andere Weiſe zuſammen. Kein Staat iſt wie der andere, kein Krieg, keine Revolution u. ſ. w.

§. 33.

Das vorhandene Individuum bleibt mit den außer ſeiner Gattung liegenden Bedingungen des Lebens, ſowohl denjenigen, welche zu ſeiner eigenen Ent - ſtehung zuſammenwirkten, als auch einer unbeſtimmbaren Vielheit anderer in einer fortdaurenden Wechſelbeziehung, welche als ſtetiger Lebensreiz eine Reihe von Zu - ſtänden und Thätigkeiten mit ſich bringt, die ſich ebenfalls nicht beſtimmen läßt.

Auf gewiſſen Punkten iſt, da Manche eine Aeſthetik leſen, die keine Kenntniß der Kunſt haben, ein vorläufiger Fingerzeig unentbehrlich. Daher muß ſolchen Leſern hier geſagt werden, daß der Satz des §. für alle Kunſt darum unendlich wichtig iſt, weil nirgends Bewegung, ſey es ſinnliche oder geiſtige, irgend zur ſchönen Darſtellung kommt, wo ſie nicht den Ausdruck der natürlichen Freiheit von aller mathematiſchen Nothwendigkeit hat, welche Freiheit von der ſittlichen noch ſehr zu unter - ſcheiden iſt. Ein Thier z. B. wird bald, ſo bald ſo zur Aufmerkſamkeit, zur Thätigkeit gereizt, es ſpielt, ſpitzt die Ohren, läßt ſie hängen, legt ſich bequem nieder, wie es eben der Boden gibt, ſpringt auf u. ſ. w. Es liegt freilich ſtreng in der Raſſe, wie ſich z. B. ein Hund niederlegt, ob er ſich erſt öfters im Ring dreht, die Füße gekreuzt übereinander legt u. dergl. ; aber der Zufall des Ortes, der Wärme oder Kälte, der größeren oder geringeren Müdigkeit z. B. bringt dieſe oder jene Beſonder - heit in die Lage, und der Thiermaler, der dieſe Zufälligkeit nicht dar -96 zuſtellen weiß, bringt ein mechaniſches Bild hervor. Dieſe Liberalität und légèreté der Zufälligkeit iſt ganz weſentlich, und zwar auch in der Dar - ſtellung des Menſchen; der erſte Reiz muß zufällig erſcheinen, der Wille er - hebt ihn erſt in den Zuſammenhang der ſittlichen Ordnung. Das Lebendige wählt, aber zum Wählen muß etwas da ſeyn; es nimmt es daher, wie es kommt: dies muß man dem Schönen durchaus anſehen.

§. 34.

Dieſe Zufälligkeit, wie ſehr ſich dadurch der Gegenſatz zwiſchen den Be - ſtimmungen dieſes und den Beſtimmungen des erſten Moments, der Idee, zum Widerſpruch ſteigern mag, iſt Geſetz im Schönen. Denn wenn aus der Allge - meinheit und Nothwendigkeit der Idee heraus die Abſtraction einer Geſtalt und ihrer Bewegungen abgeleitet würde, die ohne alle Abweichung ihrem Gat - tungsbegriff entſpräche, ſo ließe ſich nicht jener Schein der Verwirklichung der Idee begründen, welcher in §. 13 gefordert iſt. Der Widerſpruch aber iſt aller - dings erſt zu löſen.

Auch hier iſt, um die Sache in ihrer Conſequenz klar zu machen, vorläufig an die Kunſt zu erinnern. Mathematiſcher Charakter des abſtracten Idealismus. Der Künſtler: auch er geht, wie ſich zeigen wird, in ſeinem Schaffen vom Zufall aus. Der Grund aber, warum alle Kunſt Todtes hervorbringt, wenn ſie den Charakter der Zufälligkeit opfert, iſt in der Metaphyſik des Schönen aufzuſtellen. Die Idee er - ſcheint nämlich nicht als wirklich, wenn das, was ihre Verwirklichung zu ſtören ſcheint, weggelaſſen wird. Wenn ſich z. B. im Drama ein Charakter, weil er durch Lokal-Einflüſſe, Temperament, Erziehung u. ſ. w. ſchon anderwärts beſtimmt iſt, mit dem ihm zugetheilten Pathos nur ſchwer und widerſtrebend durchdringt, dann erſt erſcheint dieſes in ſeiner Kraft; je planer es dagegen mit jenem zuſammenfällt, deſto unmächtiger erſcheint es. Hier aber iſt noch nicht von der Löſung die Rede; es iſt zuerſt nur der Gegenſatz des idealen und des realen Moments im Schönen bis zum vollen Widerſpruch hervorzuheben; die Spitze desſelben iſt jedoch mit dem Bisherigen noch nicht ausgeſprochen.

§. 35.

Da alſo immer beides, die Regel, welche durch die Gattung, und die Abweichung, welche durch die Zufälligkeit des Individuums gegeben iſt, in der Geſtalt ſich vereinigt, ſo erhellt, daß keine Beſtimmtheit derſelben aufzufinden iſt, welche als Merkmal oder Richtmaß der Schönheit gelten könnte. Es iſt97 die ſpezifiſche Art aufzuſuchen, in welcher ſich jene beiden Gegenſätze zur Einheit des Schönen durchdringen; jede andere Feſtſtellung gewiſſer Eigenſchaften, durch welche ein Körper ſchön ſeyn ſoll, iſt entweder zu weit oder zu eng, oder vielmehr immer beides zugleich.

Man hat gemeint, das Schöne, das ein durch die Geſtalt ergoßener Geiſt iſt, mit dem Zollſtab einfangen, oder wenn man ſich hütete, das Unmeßbare meſſen zu wollen, wenigſtens einen Satz über die allgemeine Beſtimmtheit der Geſtalt, wodurch ſie eben ſchön ſey, aufſtellen zu können. Die Eigenſchaften, die man von ihr ausſagt, heißen Merkmale, ſofern man den inneren Grund, eben die ſpezifiſche Durchdringung der Gegen - ſätze (Regel und Individualität), nicht zu begreifen geſteht und nun an einer gewiſſen Beſtimmtheit der Oberfläche das Schöne zu erkennen, zu merken meint, Richtmaß oder Kanon, ſofern man gewiſſe Meſſungs - Verhältniſſe, welche man über dieſelbe aufſtellt, nur in Anwendung bringen zu dürfen glaubt, um ein Schönes hervorzubringen. Ein eigent - licher Kanon iſt zwar nur für die menſchliche Geſtalt aufgeſtellt worden, allein dieſer Verſuch eben iſt von allgemein belehrender Kraft über die Unmöglichkeit, das Schöne zu meſſen. Der Gang unſerer Entwicklung iſt nun aber der, daß wir die Nothwendigkeit, jene ſpezifiſche Durch - dringung der Gegenſätze als das Weſentliche im Schönen zu begreifen, uns erſt aus der Einſicht entſtehen laſſen, daß vor und außer dieſem Begreifen über die ſchöne Geſtalt durchaus nichts Beſtimmtes ausgeſagt werden kann. Es handelt ſich alſo hier von Erklärungsverſuchen, welche eine gewiſſe Beſtimmtheit der ſchönen Erſcheinung ſtatt des inneren Grundes aller ihrer Beſtimmtheiten, richtiger ſtatt des Einen Begriffes, der dieſen Grund ſammt ſeiner Folge, den Beſtimmtheiten ſelbſt enthält, aufſtellten. Es ſind Definitionsverſuche von außen nach innen ſtatt von innen nach außen, und ſie fixiren das Aeußere als das Innere. Dieſer Vorwurf ſcheint diejenigen nicht zu treffen, welche darauf verzichteten, eine äußer - liche Beſtimmtheit des ſchönen Körpers feſtzuſtellen, vielmehr ein Allge - meines von ihm ausſagten, das geiſtiger Natur iſt und bereits auf jene Durchdringung hinweist. Es wird ſich aber im folg. §. zeigen, daß auch dieſe, ſofern ſie diejenige Art der Durchdringung nicht nannten, die dem Schönen im Unterſchied von andern Arten der Durchdringung eigen iſt, zugleich zu viel und zu wenig von demſelben ausſagten.

Es iſt nur noch zu bemerken, daß man gegen den Ausdruck Ge - ſtalt hier nicht geltend machen möge, daß derſelbe weſentlich auf dasViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 798Sichtbare gehe, da doch zum Schönen auch Muſik und Poeſie gehöre. Man laße ſich zunächſt die Zurechtlegung gefallen, daß im Tone etwas wirkt, was den im Raume bildenden Geſetzen geheimnißvoll verwandt iſt, und daß in der Poeſie das Sichtbare als inneres Bild wiederkehrt. Das weitere Syſtem wird dieſen wichtigen Punkt gründlich beleuchten.

§. 36.

1

Zu weit iſt die Beſtimmung des Plato und Ariſtoteles, daß das Schöne beſtehe in einer Einheit des Mannigfaltigen, welche ſich durch Ordnung, Ebenmaß und Begrenzung ausdrücke. Allerdings wird ſich die Gegenwart der Idee im Körper als eine ſolche organiſche Einheit äußern, aber es gilt dieß nicht blos von dem Schönen; dieſes wird ſich vielmehr durch eine beſondere Art des Einklangs vom Einklang anderer Art unterſcheiden. Daher iſt dieſe Beſtimmung ebenſoſehr zu eng, weil zum Schönen mehr gehört, als ſie enthält. Die nähere Angabe des Ariſtoteles, daß das Schöne um der Ueberſchau - lichkeit willen ein gewiſſes Maß von Größe haben müße, iſt richtig und2 weſentlich, aber ganz unbeſtimmt. Dagegen ſtellten engliſche Senſualiſten ein beſtimmtes Maß, beſtimmte Linien, Arten der Oberfläche u. ſ. w. als Merkmal und Richtſchnur des Schönen auf und geriethen dadurch in den ent - gegengeſetzten Fehler einer zu engen Beſtimmung, die aber ebenſo zugleich zu weit iſt, weil ſie auch auf Anderes, als das Schöne paßt.

1. Dem Plato und Ariſtoteles kann nicht vorgeworfen werden, daß ſie das Schöne vermeſſen zu können meinten; ſie ſuchten eine geiſtige Einheit in demſelben. Plato ſagt ausdrücklich, es ſey die Idee, welche in das Mannigfaltige Einheit bringe, Ariſtoteles hat bekanntlich vor Allem die Tragödie im Auge, und die Einheit iſt hier die Handlung, die Handlung aber Verwirklichung einer Idee, alſo auch hier iſt wenigſtens mittelbar die Idee als Grund dieſer Einheit aufgeſtellt. Allein beide haben nirgends das Wort für die ſpezifiſche Art der Durchdringung des Stoffes durch die Idee, welche das Schöne bedingt, gefunden, wie dieſelbe unter dem folg. Abſch. C. darzuſtellen iſt; daher geſchieht es ihnen dennoch, daß ſie das einmal zwar von dem inneren Grunde der begrenzenden Einheit ausgehen, das andremal aber dieſe, die Begrenzung des Stoffes zur Einheit des Ganzen, für die Sache ſelbſt ausgeben. Ihnen fehlt die Mitte: nämlich eben die ſpezifiſche Art des durch die Idee bedingten Einklangs im Schönen. Es giebt ja Arten von Einklang,99 welche das Zufällige ſtreng ausſchließen, es giebt andere, die ſich ſeiner als eines zerſtörenden Feindes nicht erwehren können; es giebt mathe - mathiſche, es giebt moraliſche, philoſophiſche, techniſche, natürliche Ein - heiten, und wir wollen erſt wiſſen, wie ſich das Schöne zu denſelben verhalte. Die neueren Aeſthetiker dagegen, wo ſie die Einheit des Mannigfaltigen als weſentliches Merkmal feſthielten, ſtanden nicht einmal auf dem Standpunkte der Idee und wußten daher den inneren Grund des Einklanges nicht nur nicht in der geforderten Weiſe näher zu beſtimmen, ſondern überhaupt nicht anzugeben.

Plato hat den Ausdruck: Einheit in der Mannigfaltigkeit nicht ausdrücklich vom Schönen gebraucht. Er geht aber im Philebus von dem Verhältniſſe des Einen und Vielen aus. Jenes iſt die Idee, dieß ihr Gegenſatz, der unendliche Stoff, worin ſie wird. Als das Band zwiſchen dem Vielen und Einen wird hierauf die Grenze, τὸ πέρας, be - griffen, welche in jenes, τὸ ἄπειρον, Zahl und Maß bringt. Sogleich wird die Tonkunſt als Darſtellung dieſes Verhältniſſes angeführt, und ſo wird nun, wie ſchon zu §. 29 bemerkt iſt, μετριότης καὶ συμμετρία, ausdrücklich als das Weſen der Schönheit geſetzt. Was dazwiſchen geſagt iſt von der königlichen Seele des Zeus als der Urſache dieſes Verhält - niſſes iſt eine mythiſirende Darſtellung, die neben der Lehre von der Idee überflüſſig iſt. Dieſe Eigenſchaft des Maßes nun und der inneren Verhältnißmäßigkeit oder Proportion (dies heißt συμμετρία) die ſich zugleich nothwendig als Vollendung, τὸ τέλεον, das zwar eigentlich neben dem Schönen und dann als Charakter des Guten aufgeführt, aber offenbar ebenſo zum inneren Weſen des Schönen gezählt wird, d. h. als Abgeſchloſſenheit des Ganzen darſtellen muß, wird allerdings der ſchönen Geſtalt weſentlich ſeyn, denn die Idee, welche in ihr erſcheint, kann ſich nicht anders offenbaren, denn als ein die Theile abmeſſender und in ſtrenger organiſcher Einheit um ſich verſammelnder Mittelpunkt; aber dieſelbe Eigenſchaft hat nach Plato ſelbſt das Gute ſowohl als einzelner ſich vernünftig beherrſchender, weiſer und gerechter Geiſt, als auch in ſeiner Erweiterung zum harmoniſchen Bau des Staats, und ſo haben wir wieder die Identificirung des Schönen mit dem Guten und Wahren, aber keine ſpezifiſche Beſtimmung des Schönen als ſolchen. Anderes iſt auch ſo beſtimmt, der Begriff iſt alſo zu weit, und das Schöne noch etwas Anderes, als dies, er iſt alſo zu eng. Ganz einfach wäre geholfen, wenn man nun mit Ruge (Die platoniſche Aeſthetik S. 50) die gelegentliche Aeußerung Platos: mir ſcheint, wie eine unkörperliche7*100Ordnung, die ſchön über einen belebten Körper herrſchen ſoll, die ge - genwärtige Rede fertig zu ſeyn benützen und die Platoniſche Anſicht weiter dahin beſtimmen wollte: das Schöne iſt die unkörperliche Ordnung (das Gute und Wahre), wenn ſie in einem durch ſie beſeelten Körper zur Anſchauung wird. Dann würde nur noch Ein Mittelbegriff fehlen, der nämlich zu enthalten hätte, was erſt mit dieſem Körper vor ſich gehen müſſe, wenn jene Ordnung in ihm zur Anſchauung kommen ſoll, und es wäre der Unterſchied vom Guten und Wahren (bei der Einheit) gefunden. Allein Ed. Müller (Geſchichte der Theorie der Kunſt bei den Alten, B. 1, S. 71) wendet gegen dieſe Folgerung mit Recht ein, daß man ſich hüten müſſe, dem Plato unterzuſchieben, und es iſt nicht zu läugnen: es herrſcht hierin bei ihm große Confuſion. Die Folgerung Ruges wird ſchon dadurch aufgehoben, daß Plato an mehr als Einer Stelle (vergl. Ed. Müller a. a. O. 72 ff. ) vielmehr eine Stufen - leiter annimmt, auf welcher er die körperliche Schönheit als niedrigere, die geiſtige Schönheit als höhere Stufe ſetzt und ſo die Logik des Schönen völlig verwirrt. Zwar erklärt er im Staat für das allerſchönſte Schauſpiel dies, wenn geiſtige Schönheit und Körperſchönheit zuſammen - fällt; allein das Schiefe liegt ſchon darin, daß er überhaupt rein geiſtige Vollkommenheit an ſich Schönheit nennt. Der tiefere Sitz der Ver - wirrung liegt alſo auch hier auf demſelben Punkte, auf welchem, wie §. 29 Anm. nachgewieſen iſt, überhaupt die Schwäche der Platoniſchen Lehre liegt, der Fixirung der Ideen gegen ihre Wirklichkeit. Plato verwechſelt den abſtracten Begriff des Schönen trotzdem, daß er das Hellglänzende in denſelben aufnimmt, mit der Idee überhaupt, und ſtatt ihn vom einzelnen wirklich Schönen zu unterſcheiden, unterſcheidet oder richtiger trennt er ihn mit der Idee überhaupt von der Erſcheinungswelt überhaupt, confundirt ihn daher mit jener, vergißt, daß, wenn das Urbild hellleuchtend und glänzend iſt, auch das Abbild es ſeyn muß, was doch im Phädrus ausdrücklich und mit beſonderer Beziehung auf den Ge - ſichtsſinn ausgeſprochen iſt, und kann nun den Begriff des Maßes nicht mehr als den des wahren Bands der Idee mit einem individuellen Leibe benützen.

Auch Ariſtoteles ſetzt die weſentlichen Merkmale des Schönen in die τάξις καὶ συμμετρία καὶ τὸ ὡρισμένον. Bei dieſer Beſtimmung, welche E. Müller a. a. O. B. 2, S. 97 anführt, mag znnächſt davon abgeſehen werden, daß ſie von Ariſtoteles auch auf das Mathe - matiſche angewandt wird. Hiedurch iſt eine Einheit als Band des101 Mannigfaltigen ausgeſprochen wie bei Plato und die Poetik, da ſie es mit einer beſtimmten Kunſt zu thun hat, ſetzt dieſe Einheit in die Handlung, welche Eine und eine ganze ſeyn muß (Cap. 7. 8.). Die Begriffe, die darin enthalten ſind, werden ſchärfer beſtimmt als bei Plato, zwar freilich immer nur in der Anwendung auf die dramatiſche Handlung. Die Ordnung iſt eine organiſche, kein Theil darf verſetzt werden, ohne daß das Ganze leidet. Die Symmetrie wird ebenfalls genauer begriffen als ein quantitatives gegenſeitiges Verhältniß der Theile in ihrer Zuſammenſtimmung zum Ganzen. Dies Ganze iſt noth - wendig begrenzt und abgeſchloſſen, vollendet. Der Begriff des τέλειον folgt auch bei Plato von ſelbſt aus ſeiner allgemeinen Beſtimmung und wird beſonders im Timäus ausgeſprochen. Obwohl nun Ariſtoteles dieſe Begriffe ſchärfer beſtimmt als Plato und ſchon durch die ſpezielle Natur ſeiner Unterſuchung immer die Einheit des ſo abgegrenzten Mannig - faltigen als eine ſpezifiſch äſthetiſche praktiſch im Auge behält, ſo hat doch auch er in dieſen Beſtimmungen noch keine genügende Unterſcheidung des Schönen vom Guten und Wahren, Ed. Müller giebt (a. a. O. B. 2, 95 97.) ſolche Stellen, worin er das Schöne mit dem Guten vermengt, und nun iſt auch hervorzuheben, daß es ſelbſt der Mathematik vindicirt wird. Ein Unterſchied von dem Guten ließe ſich zwar aus der Stelle in der Metaphyſik (XIII, 3) ableiten, welche ſagt, das Gute ſey immer im Thun, das Schöne aber auch im Unbewegten. Das Thun wäre dann zu faſſen als ein Thun mit der Kategorie des Sollens, das Un - bewegte aber als etwas, worin ſich zwar auch ein Thun, aber ein vollendetes, darſtellt. Dagegen iſt jedoch der Zuſatz: auch . Eigen iſt nun aber dem Ariſtoteles die Forderung einer beſtimmten Größe (Poetik 7). Nicht nur die Tragödie ſoll eine beſtimmte Größe haben, ſondern alles Schöne. Es darf nicht zu klein ſeyn, ſonſt markirt es ſich nicht in der Anſchauung, nicht zu groß, ſonſt iſt keine Ueberſicht möglich. Dieß iſt ein ſehr richtiger Begriff und von großer Wichtigkeit. Er iſt zwar in dem der Begrenztheit (§. 30) ſchon enthalten, aber er muß allerdings noch beſonders herausgeſtellt werden, wozu hier Ariſto - teles eben die Veranlaſſung giebt. Nur der überſchauliche Ausſchnitt eines Ganzen, das als Ganzes unüberſehlich iſt, kann ſchön ſeyn. Die Herrlichkeit des Weltgebäudes z. B. kann äſthetiſcher Gegenſtand werden nur durch Darſtellung eines leicht überſchaulichen Theiles, der aber ſo beſchaffen iſt, daß er die Ahnung des Ganzen erweckt. Iſt der Gegen - ſtand ſchön im Zuſtand der Ruhe, ſo heißt er vermöge dieſer Eigenſchaft102 εὐσύνοπτος, bewegt er ſich in der Zeit, εὐμνημόνευτος. Er darf aber auch nicht zu klein ſeyn: συγχεῖται γὰρ ϑεωρία ἐγγὺς τȣ%1FC0; ἀναισ - ϑήτȣ χρόνȣ γινομένη. Dieſer Begriff des Ueberſchaulichen und in ſich Unterſcheidbaren iſt nun zwar weſentlich, aber ebenfalls keine Be - griffsbeſtimmung des Schönen; er giebt die Grenze, nicht die innere Natur an. Das innere Weſen der Durchdringung zu begreifen, wodurch die Geſtalt zur ſchönen wird, dazu hat Ariſtoteles mehr als irgendwo einen Schritt gethan in der Stelle, die Ed. Müller anführt (a. a. O. S. 105, aus der Politik III, 6.): ſchöne Menſchen unter - ſcheiden ſich dadurch von nicht ſchönen und ſo auch die Gemälde der Kunſt von der Wirklichkeit, daß das hie und da Zerſtreute in ihnen verbunden und vereinigt iſt, denn ſonſt wäre wohl, was das Einzelne anbetrifft, auch einmal ſchöner dieſes Menſchen Auge, von einem Anderen ein anderer Theil, als in den Gemälden. Allein dieſer Gedanke, der geradezu dahin führt, wohin wir unter Abſchn. C. uns zu ſtellen haben, wird nicht verfolgt.

Haben nun dieſe Beſtimmungen der Alten eine Wirkung der im ſchönen Körper gegenwärtigen Idee auf deſſen Form zwar aufgefaßt, aber eine ſolche, welche dieſer gemein hat mit Anderem, worin die Idee auf andere Weiſe wirkend gegenwärtig iſt, ſo liegt es nahe, dieſer zu großen Weite dadurch abzuhelfen, daß man ins Enge geht und nicht nur Harmonie der Form, ſondern eine beſtimmte Form oder beſtimmte Formen als das aufzuſtellen, worin das Weſen des Schönen liege. Die Sache wird jetzt erſt bedenklich; denn Plato und Ariſtoteles giengen aus von dem Grunde der inneren Einheit, verfolgten ihn in ſeine Wirkungen auf die Form, und wußten nun hier zwar das ſpezifiſch Aeſthetiſche nicht zu finden, hatten aber doch, wenn ſie nun die Merkmale der ſchönen Form zu nennen ſuchten, den inneren Grund dabei immer, wiewohl unvollſtändig, im Auge, konnten alſo nicht meynen, das Weſen erſchöpft zu haben, wenn ſie ſolche Merkmale angaben. Plato nennt zwar im Philebus auch gewiſſe abſtracte geometriſche Formen ſchön, die Kugel - geſtalt um ihrer Vollendung willen im Timäus, reine Flächen, gerundete Formen und Winkel im Philebus, ebenda reine Töne und reine Farben, beſonders das reine Weiß. Da er ſonſt das Schöne nur in einem organiſchen Ganzen ſucht, ſo hat dieſe Stelle (Phileb. 51) ihre eigen - thümliche Schwierigkeit. Nimmt er hier das Wort: ſchön nicht genau und redet nur von Momenten des Schönen, welche erſt in ihrer Zuſammen - ſtellung ein Schönes bilden können? Keineswegs. Plato bringt hier103 einen Standpunkt herein, durch den er ſeine Lehre vom geiſtigen Einklang unvermerkt verläßt, indem er ſie nur zu verengern meint. Reine Formen, Farben, Töne erklärt er für ſchön, weil die in ihnen ent - haltenen Punkte, Miſchungstheile, mittönende Faſern u. ſ. w. rein diſponirt ſind zum Ausdruck der jeweiligen Form. Er findet offenbar ſchon hierin den erforderlichen Einklang. Geht aber nun die Form ins Große und Ganze, wird ſie zur Totalität des organiſchen Körpers, ſo meint nun Plato, gerade hier ſey die Schönheit nicht rein, weil dieſe Körper (und ihre Darſtellungen) πρός τι καλὰ, d. h. weil ſie zweck - mäßig ſeyen. Genau ſo zählt Kant (a. a. O. §. 16. 17) die Schönheit des Menſchen zur blos adhärirenden, weil ſie einen Begriff vom Zwecke vorausſetze. Beide verkennen, daß die durchgeführte innere Zweck - mäßigkeit ſich als bloſe Zweckmäßigkeit aufhebt und ſelbſtändige Totalität wird. Sonſt ſpricht aber Plato ohne Einſchränkung vom Werthe der organiſchen Schönheit und wird nun ſeinem Grundbegriffe wieder treu. Ganz ebenſo Plotin (περὶ τȣ῀ καλȣ῀ Cap. 1); nur wird hier die Inconſequenz voll. Denn zuerſt läugnet er, daß das Ebenmaß aller Theile die Schönheit begründe, und nennt einzelne Theile eines ſchönen Körpers, einzelne Farben u. ſ. f. ebenfalls ſchön, dann ſagt er, ſchön werde die Materie durch Theilnahme an der geſtaltenden Idee, und vergißt, daß dieſe Geſtaltung gerade als Zuſammenſtimmung der Theile weſentlich ſich äußert.

2. Hat man nun aber die Idee als Einheitspunkt im Schönen verloren, ſo meint man ſchlechtweg in vereinzelten äußeren Merkmalen das Weſen des Schönen ſelbſt einzufangen; man vergißt, daß nur eine Concretion ſolcher formeller Beſtimmungen ein Schönes bilden kann, man vergißt alſo z. B., daß das Schöne auf gewiſſen ſeiner Stufen zwar ſymmetriſch (im jetzigen Sinne einer Wiederholung gleich gezählter ſich gegenüber - ſtehender Theile) iſt, aber nicht blos ſymmetriſch, ſondern ſo, daß das Symmetriſche von freien Linien umſpielt wird, und glaubt trotzdem durch die Symmetrie nicht nur ein Merkmal, ſondern eine Definition des Subjects der Merkmale gegeben zu haben. In dieſer Enge befanden ſich die engliſchen Senſualiſten des vorigen Jahrhunderts, welche freilich einen ganz anderen Ausgang nahmen, nämlich von dem Sinne, womit das Schöne aufgenommen wird; eine ſubjective Wendung, die uns als ſolche hier noch nicht beſchäftigt. Der Sinn nun aber, eine gewiſſe Anlage, die vom Schöpfer in uns gelegt und nicht weiter zu definiren iſt, wird zwar nicht als eine blos ſinnliche Anregungsfähigkeit genommen;104 zunächſt jedoch berührt er ſich mit ſeinem Objecte ſinnlich, man ſucht auf rein empiriſchem Wege auszufinden, wie das Object auf den Sinn ſinnlich wirke, und läßt den Reflex dieſer erſten Berührung auf die geiſtige innerliche Seite des Sinns mehr oder weniger gleichgiltig zur Seite liegen. Ebenſo geht man objectiv nicht hinter die formellen Eigenſchaften, durch die der Gegenſtand den Sinn berührt, zurück, man iſt von der Idee als innerem Grunde der Form im Gegenſtande ſo weit als möglich entfernt, und ſo geſchieht es, daß man ein äußeres Merkmal als das Weſen der Sache fixirt. Doch haben auch dieſe Unterſuchungen ihren Werth, da die ſinnliche Beſtimmtheit des ſchönen Gegenſtands zwar nie das Ganze, aber doch weſentlich iſt. Hutcheſon: Enquiry into the original of our ideas of beauty and vertue 1720 iſt dieſer Fixirung äußerer Merkmale nicht unmittelbar anzuklagen; aber indem er die Platoniſche Beſtimmung des Schönen als der Einheit im Mannigfaltigen empiriſch darzuthun ſucht, ſo verliert ſie ihm die Bedeutung eines geiſtigen Bandes, wird ihm zur Einförmigkeit und ſofort zur Symmetrie im engeren geometriſchen Sinne; ſo hält er ſie als kryſtalliſche Form feſt, ferner in den Reichen des Organiſchen namentlich in dem gewöhnlichen ebengenannten Sinne eines Gegenüberſtehens gleicher gedoppelter Glieder und endlich als meßbare Proportion insbeſondere in den Verhältniſſen des menſchlichen Leibes. Er überſieht völlig, daß die Symmetrie und Proportion in dieſem geometriſchen Sinne nur das Gerippe der Schönheit iſt, zwiſchen welchem die zufällige Linie frei hindurchſpielt. Ebendaher nun, weil ihm ganz der Begriff einer Durchdringung der Regel mit dem Zufälligen der einzelnen Exiſtenz fehlt, ſpricht er auch ganz unbefangen von der Schönheit in mathematiſchen Figuren und in Lehrſätzen. Dieſe ſind ſchön, weil ſie eine Menge von Wahrheiten in genauer Ueber - einſtimmung enthalten u. ſ. f.

Hogarth in ſeinem barocken, doch nicht unintereſſanten Buche: Analysis of beauty 1753 hat das Verdienſt, über die mathematiſche Fixirung inſofern hinausgekommen zu ſeyn, als er das, was blos eine der Grundlagen und blos theilweiſe conditio sine qua non der ſchönen Form iſt, in dieſem blos relativen Sinne auch begriffen hat. Freilich geht er dabei ſehr verworren zu Werke, indem er die Begriffe der Richtigkeit, der Mannigfaltigkeit, der Gleichförmigkeit (d. h. auch bei ihm der Regelmäßigkeit oder Symmetrie im Sinne des geometriſchen Paralleliſmus), der Einfachheit oder Deutlichkeit, ohne alle Ordnung, ohne alle Unterſuchung ihres inneren Zuſammenhangs aufführt, dazwiſchen105 unter dem Namen Verwicklung ſeine eigene Theorie einleitet, ſie durch den Abſchnitt von der Größe unterbricht und hierauf nachher noch auf die Proportion übergeht, die ja eben zu jenen relativen Begriffen gehört und eigentlich unter die Richtigkeit zu befaſſen war: Begriffe, deren blos precäre Bedeutung er nun aber mit viel polemiſchem Eifer gegen die Proportionslehre des A. Dürr und Lamozzo ins Licht ſtellt. Was nun Hogarths bekannte Theorie von der Wellenlinie und Schlangenlinie betrifft, ſo liegt darin gewiß eine Ahnung, die nicht zu verachten iſt. Hogarth ahnt in ihr die Linie der Individualität, welche die Linie des feſten Maßes, den Kanon der Gattung mit ihren rinnenden Wellen umſpielt, er weist nach, wie ſie in Muskel und Haut ſich um die feſten Beſtandtheile des menſchlichen Körpers legt, wie ſie in den Bewegungen wiederkehrt, und er faßt ſie ſelbſt von Anfang als eine bewegte, im Auge lebende; man darf nur über ſeine ſubjective Begründung (leichte Hinderniſſe beſchäftigen angenehm u. ſ. w.) hinausgehen, ſo öffnet ſich eine ahnungsreiche Ausſicht in weltbauende Geſetze, in die Symbolik der Linien. Hogarth iſt auch nicht der Meinung, in die abſtracte Wellen - linie das Ganze der Form gefaßt haben, er weiß, daß ſie mit anderen Linien verbunden werden ſoll, geht aber freilich gerade über dieſen ſchwierigſten Punkt viel zu kurz weg (S. 26. in der Ueberſ. v. Mylius 1754). Hogarth ſpricht nur von der bildenden Kunſt; die Verbindung der geraden und der gewundenen Linie in die Muſik und Poeſie im bild - lichen Sinne zu verfolgen wäre ihm ein Leichtes geweſen.

Der bedeutendſte unter dieſen Engländern iſt Burke: Enquriy into the origine of our ideas of the sublime and beautiful 1757. Man findet in ihm vielfach vorbereitet, was Kant in der Kritik der äſth. Urtheilskr. in Schärfe zuſammenfaßte. Auch er beſtreitet die Meinung, daß beſtimmte Maßverhältniſſe an ſich ſchon Schönheit begründen (a. a. O. Th. 3, Abſchn. 4 und 5): Proportion begründet nicht Schönheit, ſie beſtimmt nur die Gattung. Ueber eine gewiſſe Grenze derſelben darf zwar kein Individuum hinausgehen, ſonſt weicht es von dem all - gemeinen Begriffe ſeiner Gattung, wie ſie ſich allerdings durch das Maß und Verhältniß der Theile von andern Gattungen unterſcheidet, ab; dieſe Proportionen ſind jedoch bei keiner Gattung ſo fixirt, daß es nicht noch beträchtliche Abänderungen unter den Individuis geben könnte, und unter dieſen Abwechslungen in der Proportion, die jede Gattung zuläßt, ohne das Gemeinſchaftliche ihrer Form zu verlieren, iſt keine, bei der ſich nicht Schönheit finden ließe. In Einer Gattung können ſowohl Individuen106 von gleicher Schönheit ſehr weit in ihren Verhältniſſen von einander abgehen, als auch bei gleichen Verhältniſſen ſehr ungleich an Schönheit ſeyn. Eine nach den Verhältniſſen ſtreng gebildete Figur kann häßlich, eine von ihnen merklich abweichende kann ſchön und reizvoll ſeyn. Die männliche und die weibliche Geſtalt weichen in den Proportionen weit von einander ab und doch ſind beide der Schönheit fähig. Nicht die Größe und ihre Verhältniſſe, ſondern die Beſchaffenheit (Qualität) iſt die wirkende Urſache der Schönheit. Das wahre Gegentheil der Schönheit iſt nicht Disproportion oder Ungeſtaltheit, ſondern Häßlichkeit. Jene iſt nicht der Schönheit, ſondern der Voll - ſtändigkeit und der Richtigkeit der Form entgegengeſetzt; iſt ſie hinweg - geräumt, ſo iſt darum noch nicht Schönheit da. Schönheit iſt eine poſitive Kraft, Verhältnißmäßigkeit der Theile nur ihre negative Bedingung. Ein Buckligter iſt ungeſtalt, aber darum ein nicht Buckligter noch nicht ſchön. Bloſes Maß läßt gleichgültig, beſchäftigt nur den Verſtand; die dunkle Empfindung des Schönen mißt gar nicht, hat nichts mit Rechnungs - kunſt und Geometrie zu thun. Das Letzte iſt nicht ganz richtig, ein Meſſen iſt allerdings in dieſer Empfindung, nur bewußtlos, und ſo, daß das Meſſen ſpielend ebenſoſehr aufgegeben wird. Die Proportion iſt überhaupt zwar nicht die Schönheit; aber nicht ein Fremdes neben ihr, ſondern ein Moment in ihr. Unter der Kategorie der Schick - lichkeit, d. h. in ſeinem Sprachgebrauch der Zweckmäßigkeit, entwickelt er nun (Abſchn. 6. 7.) Gedanken, welche ganz ſchon auf Kant hinweiſen: man braucht, um einen Gegenſtand ſchön zu finden, den Zweck desſelben vorher nicht zu kennen und der erkannte Zweck befriedigt blos den Ver - ſtand, die Imagination denkt nicht an die Zweckmäßigkeit des inneren Baus; dieſen zerlegt die Anatomie, die dem äſthetiſchen Intereſſe gerade entgegen iſt. Burke ſteht durch dieſe Entdeckung weit über ſeinen Lands - leuten, welche geradezu von der Schönheit einzelner Theile in ihrer inneren Zuſammenſetzung reden, wie denn z. B. ſelbſt Hogarth die Wellenlinie ganz anatomiſch bis in die Faſern und Knochen verfolgt, und Home (Elements of criticism. 1762 ein im äſthetiſchen Theile begriffloſes Buch, das wir ebendarum nicht beſonders aufführen) das Schöne ſo ſehr mit dem Zweckmäßigen verwechſelt, daß er eine Maſchine zum Schönen zählt und ausdrücklich die Schönheit eines Ganzen als Zuſammenſetzung von Theilen anſieht, die jeder für ſich ſchön ſind. Wäre Burke auf dieſer Spur weiter gegangen, ſo hätte er wichtigere Entdeckungen machen müſſen und gewiß über die Vollkommenheit Tieferes geſagt, als er unter dieſer107 Kategorie vorbringt. Was dieſen Begriff anlangt, ſo wird er an ſeinem Orte genauer betrachtet werden; er beſagt mehr, als alle Beſtimmungen, die hier erſt in Betracht kommen. Nach ſo ſcharfſinnigen Erörterungen geräth nun aber Burke in einen Senſualismus der ſchlimmſten Art. Er hat (im erſten Th. ſ. Schr.) den Ausgang von den Trieben der Selbſt - erhaltung und der Geſelligkeit genommen; das Erhabene erſchüttert jenen, das Schöne ſchmeichelt dieſem. Dieſer Dualismus der Triebe als äſthetiſches Prinzip iſt ſchon dadurch Urſache des Unrichtigen, weil dadurch das Erhabene und Schöne ſogleich getrennt und daher dieſem ſeine Hohheit genommen wird. Nun aber läßt Burke weiterhin das Pſychiſche einfach fallen, deutet (Th. 2. Abſchn. 12) nur an, das Schöne (und Erhabene) wirke durch die Sinne mechaniſch auf die Seele, und fällt nun ganz in’s Phyſiologiſche, was allerdings weſentlich iſt im Schönen, aber nicht in dieſem groben Sinne, wie bei Burke, der ſofort das Schöne und Erhabene als beſtimmte Eigenſchaft der Körper als ſolcher auffaßt, wodurch ſie ſo auf die Nerven wirken, daß ſie (als erhabene) wohlthätig anſpannen, erſchüttern und von gefährlichen und beſchwerlichen Verſtopfungen reinigen (Th. 3. Abſchn. 7), oder (als ſchöne) die Fibern losſpannen und durch - aus eine angenehme Erſchlaffung und Auflöſung hervorbringen (Th. 3. Abſchn. 19). Und nun wird aufgeſtellt: ſchöne Körper müſſen klein, von glatter Oberfläche, ferner von ſtufenweiſe abwechſelnder (Hogarths Anſicht von der Wellenlinie wird gebilligt, nur für zu eng erklärt), zart und delicat ſeyn. Dann geht er auf die Farben über, verlangt Reinheit, ſanften Ton oder Dämpfung des ſtarken durch Zuſammenſtellung, fließende Uebergänge, ſagt aber kein Wort darüber, daß und warum Farben für ſich nicht ſchön, ſondern nur angenehm heißen können, ſondern ſich an einem Körper zu einer Geſammtwirkung vereinigen müſſen. Zuſammen - hangslos ſpringt er auf die Phyſiognomie über, fordert einen ſanften Seelen-Ausdruck, führt aber, nachdem er dieſen Gegenſtand verlaſſen hat, ſogar eine Schönheit für den Taſtſinn auf, wo er zum Glatten, zur ſanften Abwechslung der Oberfläche das Weiche und Warme fügt, und ſucht endlich alle dieſe Eigenſchaften bildlich gewendet auch für die Schönheit der muſikaliſchen Töne geltend zu machen. Das Erhabene fordert natürlich überall die entgegengeſetzten Eigenſchaften. Ganz am Schluße kommt er auf die Kunſt der inneren Vorſtellung, auf die Poeſie; er iſt aber der Meinung, das Wort wirke nicht durch Vergegenwärtigung der Sache als inneres Bild äſthetiſch, ſondern nur durch die Gewohnheit der Verbindung gewiſſer Empfindungen mit demſelben, wo denn nur von Rührung über -108 haupt, von jenen phyſiologiſchen Wirkungen aber nicht weiter die Rede iſt. Burke hat, nachdem er klar eingeſehen, daß gewiſſe überlieferte Begriffe bloſe Momente des Schönen enthalten, ſeinen Weg nicht fortgeſetzt zu dem Begriffe des Schönen als einer Totalität, er iſt vielmehr ſeiner eigenen Einſicht untreu geworden.

Alle dieſe Beſtimmungen nun, wie ſie neben ihrer tieferen, doch ebenfalls noch unzureichenden Anſicht die Griechen, conſequent aber dieſe Engländer feſtſtellten, ſind zu eng und weil Anderes als das Schöne auch die Eigen - ſchaften aufzuweiſen hat, die das Schöne begründen ſollen, ebenſoſehr auch zu weit. Einiges Schöne wirkt z. B. vorzüglich durch Farbe, aber weder durch Eine Farbe allein, wie ſehr ſie durch Reinheit ein entferntes Symbol concreter Durchleuchtung eines gegliederten Gebildes durch die Einheit der Idee ſeyn mag, noch durch Zuſammenwirkung verſchiedener Farben, ſondern durch Zuſammenwirkung von Farben als der Oberfläche einer Form; und es wirkt durch Farben auch Anderes, als das Schöne, nämlich das blos Angenehme. Einiges Schöne wirkt vorzüglich durch Form und zwar entweder durch ſtrict mathematiſche, worin die gerade Linie und die ſtreng gemeſſene runde die Grundbeſtimmungen ſind (wie die Baukunſt), oder durch ein Zuſammentreten gewundener Linien, deren Proportion und Symmetrie nur von unſichtbar hindurchgehenden Maßen beſtimmt erſcheint (wie die organiſche Geſtalt), aber jedes individuelle Gebilde weicht von dem Grundmaße, wiewohl nur bis zu einer gewiſſen Grenze, ab; die Form iſt es nicht allein, welche die Schönheit begründet, ſondern Bewegung, Ausdruck u. ſ. w. kommt dazu, und Anderes, z. B. mechaniſche Werke, gefällt ebenſo durch die Regelmäßigkeit der Form. Es liegt freilich für das Formgefühl ein eigener Reiz in den reinen Winkeln, Flächen, Rundungen, von denen Plato im Philebus ſpricht; allein dabei ſetzt er ſchon Körper voraus, an denen ſie ſich zeigen, und äſthetiſch iſt jener Reiz nur, ſofern in ihnen ein formbildender Geiſt geahnt wird, der Körper baut nach dieſen Geſetzen, aber frei, d. h. ſo, daß das ſtrenge Maß von ſpielenden Linien umfloſſen iſt.

§. 37.

Abgeſehen aber davon, daß jeder Verſuch, das Schöne auf andere Weiſe zu begreifen, als durch Auffindung der ſpezifiſchen Art, auf welche die Gattungs - regel und die Zufälligkeit des einzelnen Gebildes ſich durchdringen, oder es gar in die Enge einer äußerlichen Beſtimmtheit zu zwingen, ſchon an der gleichen109 Berechtigung jener Gegenſätze ſcheitert, ſo hebt ſich die Möglichkeit einer ſolchen Ausſage auch dadurch auf, daß ſowohl die Gattung als die Zufälligkeit der Individuen eine Reihe verſchiedener Stufen durchläuft. Was die Gattung be - trifft, ſo wechſelt je mit der Stufe der beſtimmten Idee (§. 17 ff. ) auch die ſinnliche Geſtalt ihrer Individuen, ſie ſteigt von niedrigeren und ärmeren zu reicheren und beſeelteren Organismen auf und was Richtmaß für den einen iſt, kann es natürlich nicht für den andern ſeyn.

Eigentlich leuchtet dieſe Wahrheit, welche ſchon in den Anm. zum vorh. §. auszuſprechen nicht vermieden werden konnte, völlig von ſelbſt ein; man wird ſich aber überzeugen, wie nothwendig es iſt, das Einfachſte aus - drücklich herauszuſtellen, wenn man die Verwirrung in der betreffenden Literatur betrachtet, die in jenen Anmerkungen dargeſtellt iſt. Burke z. B. verkennt nicht, daß das Schöne jeder Gattung andere Verhältniſſe hat , ſtellt aber im Verlaufe ſeine iſolirten äußerlichen Beſtimmungen auf, nicht nur ohne zu zeigen, wie jede Stufe eine reiche Concretion ſolcher Be - ſtimmungen darſtellt, ſondern überhaupt ohne an eine Stufenfolge zu denken; läßt er doch nach der Schönheit der Phyſiognomie noch die Schönheit für den Taſtſinn folgen.

§. 38.

Als Löſung dieſer Schwierigkeit ſcheint ſich einfach die Aufgabe darzu -1 bieten, für jede Stufe ein anderes Merkmal oder Richtmaß aufzuſtellen, um ſo mehr, da, je größer der Reichthum der Momente, den eine Stufe in ſich begreift, um ſo deutlicher auch die Idee als bindender und Maße beſtimmender Einheitspunkt in ihr wirkt. Allein in demſelben Grade, wie die hiedurch2 gegebene Regelmäßigkeit, wächst auch mit jeder Stufe die Zufälligkeit, entbindet ſich zur Freiheit und Eigenheit des gegen die Gattung ſich behauptenden In - dividuums und macht ſich als Spiel der Abweichung von der Regel geltend.

1. Die Regelmäßigkeit der Proportion, ſelbſt theilweiſe als Symmetrie im Sinne geometriſch gleich ſich gegenüberſtehenden Theile, wächst mit der Höhe und dem Reichthum der Stufen. Man könnte dagegen einwenden, daß gerade niedrige Naturproducte, wie Kryſtalle, Salze, in der Thier - welt die Muſcheln, die ſtrengſte Regelmäßigkeit zeigen; man könnte dazu ſetzen, daß auch die vergleichungsweiſe am wenigſten ſprechende Kunſt, die Baukunſt, am ſtrengſten ſich in mathematiſche Regel einſchließe. Allein es iſt hier von der höheren Regelmäßigkeit die Rede, welche ihre con -110 cretere Macht in der Gegenüberſtellung, Eintheilung, Beherrſchung ſelb - ſtändig zu Gliedern entlaſſener Theile ausſpricht. Dieſe nimmt mit der Bedeutung der Organismen zu, die menſchliche Geſtalt iſt die ſtrengſte und gerade für dieſe hat man ausſchließlich den ſogenannten Kanon auf - geſtellt. (Schon die Griechen hatten ihren, jedoch liberalen Kanon. Später ſuchten Dürer, Lamozzo, Nic, Pouſſin, Audran die Proportionen zu beſtimmen.) Anders ſcheint es zu ſeyn in der Welt der ſittlichen Idee, wo die Theile am freieſten, als Perſönlichkeiten, Stände, Staats - körper aus der Einheit entlaſſen ſind. Allein auch hier iſt ſtrenges Maß und die freieſte Handlung zerfällt in Vorbereitung, Spannung, Kataſtrophe und weitere Momente eines gemeſſenen Rhythmus, der Staat in ſeine Sphären als ſtrenger Organismus u. ſ. w. Die Regel wird nur geiſtiger.

2. In demſelben Grade wächst aber auch die Zufälligkeit und um - ſchlingt als Wellenlinie im weiteſten Sinne die feſten Maße der Regel. Je höher eine Gattung, deſto eigener an Geſtalt, Ausdruck, Bewegung, u. ſ. w. die Individuen. Dies ſcheint freilich ein Widerſpruch gegen den vorhergehenden Satz; man darf nur die Naturreiche näher anſehen: zunächſt herrſcht die größte Ungleichheit der einzelnen Gebilde im Un - organiſchen (die innere Structur der Mineralien kommt hier gegen die unendliche Abweichung von Profilen der Gebirge u. ſ. w., welche ſelbſt bei derſelben geognoſtiſchen Beſchaffenheit Statt findet, wenig in Betracht). Ebenſo im Pflanzenreiche. Kein Thier kann vom andern in Maß und Form ſo abweichen, wie ein Baum von allen andern derſelben Gattung. Je höher eine Sphäre, deſto beſtimmter die Gebilde, deſto weniger Spiel - raum alſo auch für die Abweichungen individueller Form. Von Abnor - mitäten iſt hier nicht die Rede. Allein die Zufälligkeit und Eigenheit ſchlägt nun nach innen, ſie wird ein Unterſchied des Temperaments, der Anlagen ſchon bei den Thieren, noch mehr bei den Menſchen, und dieſer Unterſchied der Seele prägt ſich in feineren, aber gerade dadurch, weil ausdrucksvoll, um ſo ſchärferen Unterſchieden der Phyſiognomie n. ſ. f. aus. In der menſchlichen Gattung iſt nun gerade dieſes Zufällige, Angeborne der Stoff, aus dem ſich, indem er in den Willen erhoben wird, der Charakter bildet. Denn der Charakter iſt ein Ineinander-Arbeiten der Naturanlage einerſeits, allgemeiner ſittlicher Potenzen andererſeits durch den Willen, der die lebendige Mitte iſt. Dies iſt freilich bereits eine Durchdringung des Zufälligen im Individuum mit dem Allgemeinen der Gattung, und von dieſer iſt ja hier noch nicht die Rede, ſondern ſoll erſt unter Abſchn. C. die Rede werden. Dennoch iſt hier keine unerlaubte111 Vorwegnahme. Denn wie gewiß es iſt, daß die Naturbaſis des Charakters erſt wahrhaft als Eigenheit geſetzt wird durch das Eindringen des Geiſtes in ſie, ſie bleibt Naturbaſis, ihre Züge ſind dem Aeußeren feſt aufgedrückt, ehe der Wille ſich ihrer bemächtigt, ſie beſtimmt die ganze Oberfläche, Bewegung, Aeußerungsweiſe, und was immer durch Umbilden aus ihr wird, das Individuum kann niemals völlig über ſie hinaus. Sie iſt aber zufällig, denn ſie iſt unter unberechenbaren und jedem Einwirken der Abſicht entzogenen Umſtänden der Zeugung u. ſ. w. entſtanden und an - geboren.

§. 39.

Die Streitfrage, ob das Schöne zu beſtimmen ſey als das Charakteriſtiſche, iſt eine müßige; denn unter dem Charakteriſtiſchen ſind ebenſowohl die Grund - züge der Gattung und der ihr untergeordneten Beſonderheit der Art, als die des Einzelweſens, wie ſie aus ſeiner zufälligen Eigenheit fließen, zu verſtehen, und es folgt aus allem Bisherigen, daß im Schönen alle dieſe Momente gleich weſentlich ſind. Obwohl noch nicht erörtert iſt, wie ſich dieſelben durchdringen, ſo iſt doch die Forderung geſetzt, daß ſie ſich durchdringen ſollen, und in dieſer Durchdringung kann die Berechtigung des einen Moments nicht die des andern ausſchließen. Eine ganz andere Frage aber iſt die, ob nicht das ganze Schöne in unterſchiedene Formen auseinander trete, in welchen das eine oder andere dieſer Momente zwar die übrigen nicht ausſchließt, wohl aber als das be - ſtimmende hervorſticht. Dieſe Frage gehört jedoch nicht hieher.

Die erſte Andeutung dieſer neuerdings vielfach abgehandelten Vexir - frage findet ſich in Winkelmanns bekannter Aeußerung, daß die höchſte Schönheit charakterlos ſey. Er ſagt (Geſch. d. Kunſt Buch 4, Cap. 2, §. 23), die Einheit der hohen Schönheit fordere eine Geſtalt, die weder dieſer oder jener beſtimmten Perſon eigen ſey, noch irgend einen Zuſtand des Gemüths oder Empfindung der Leidenſchaft ausdrücke, als welche fremde Züge in die Schönheit miſchen und die Einheit unterbrechen. Nach dieſem Begriff müſſe die Schönheit ſeyn wie das vollkommenſte Waſſer aus dem Schooße der Quelle geſchöpfet, welches, je weniger Geſchmack es hat, deſto geſunder geachtet wird, weil es von allen fremden Theilen geläutert iſt. In vollem Widerſpruch damit ſteht, was Kant ſagt (Kr. d. äſth. Urtheilskr. §. 17): die vollkommene Normalgeſtalt dürfe nichts ſpezifiſch Charakteriſtiſches enthalten, ſey aber nicht Urbild der112 Schönheit, ſondern nur unnachläßliche Bedingung derſelben, ſie ſey nur ſchulgerecht. Dazu fügt die Anm.: man wird finden, daß ein vollkommen regelmäßiges Geſicht, welches der Maler ihm zum Modell zu ſitzen bitten möchte, gemeiniglich nichts ſagt, weil es nichts Charakteriſtiſches enthält, alſo mehr die Idee der Gattung, als das Spezifiſche einer Perſon aus - drückt. Auch zeigt die Erfahrung, daß jene ganz regelmäßigen Geſichter im Innern gemeiniglich auch nur einen mittelmäßigen Menſchen verrathen; vermuthlich (wenn angenommen werden darf, daß die Natur im Aeußern die Proportionen des Innern ausdrücke) deßwegen: weil, wenn keine von den Gemüthsanlagen über diejenige Proportion hervorſtechend iſt, die erfordert wird, blos einen fehlerfreien Menſchen auszumachen, nichts von dem, was man Genie nennt, erwartet werden darf, in welchem die Natur von ihren gewöhnlichen Verhältniſſen der Gemüthskräfte zum Vortheil einer einzigen abzugehen ſcheint. Göthe und ſeine Umgebung legten ſich in den Streit, der bekanntlich im Athenäum, den Propyläen und in Fernows Schriften geführt wurde. Von der Verworrenheit, die in dieſem Streite aus Mangel an klarer Unterſcheidung in den Grund - beſtimmungen herrſchte, geben die Stellen aus Hirts Aufſatz in den Horen 1797 Zeugniß, welche Hegel anführt (Aeſth. Einl. S. 24). Das erſte Licht wirft Schelling auf einen Punkt, wo die Löſung einzutreten hat, in ſeiner Rede über das Verhältniß der bildenden Künſte zu der Natur 1807, wo er die verſchiedene Berechtigung des Charakteriſtiſchen in der Plaſtik und in der Malerei beleuchtet. Man bemerke auch wohl, daß Kant in der obigen Anm. den Maler im Auge hat. Einen weiteren weſentlichen Punkt der Löſung deckt Solger auf (Vorleſ. über Aeſth. S. 159 162. vergl. mit S. 80 und mit Erwin Th. 1, S. 206. 207. ), indem er den Gegenſatz des claſſiſchen und romantiſchen Ideals herbeizieht. Die Ver - wirrung kam auch dadurch, daß man die Frage über das Charakteriſtiſche mit der Frage über Naturnachahmung vermengte: eine Vermengung, welche nahe lag, weil der gewöhnlichen, nicht künſtleriſchen Anſchauung nur das Individuum mit den Zufälligkeiten ſeiner ihm eigenen Züge ſinnlich gegeben iſt. Allein dieſe Zufälligkeit ſelbſt, wie ſehr oder wie wenig ſie auch im Schönen zugelaſſen ſeyn mag, liegt in der unmittelbaren Natur nicht rein vor; auch ſie in ihrer Wahrheit zu ſehen, braucht es ein im Anblick idealiſirendes Auge, und wenn ich daher dieſer Eigenheit der individuellen Züge auch das vollſte Recht im Schönen geſtatte, ſo iſt dadurch die Frage über Naturnachahmung noch keineswegs zum Vortheil der letzteren ab - gemacht; die Fragen ſind alſo total verſchieden.

113

Den eigentlichen Grund der Verwirrung aber in jenem Streite gibt der §. Charakter kann bedeuten: Gattung (z. B. die reinen Formen des Menſchen); es kann bedeuten: Art (z. B. Geſchlecht, Lebensalter, Volk, Volksſtamm, Stand und ſein beſonderes Gepräge); es kann bedeuten: die Eigenheit dieſes oder jenes Individuums, fließend aus den oben an - geführten Momenten der Zufälligkeit. Da nun nirgends klar vorbeſtimmt war, welche dieſer Bedeutungen man im Auge habe, ſo konnte die Ver - wirrung nicht ausbleiben. In der Metaphyſik des Schönen nun iſt keine andere Entſcheidung möglich, als: dieſe drei oder (wenn man die Art zur Gattung ſchlägt) zwei Momente ſind gleich berechtigt. Ein Unterſchied der Berechtigung (wiewohl niemals eine Ausſchließung des einen oder andern Moments) aber dringt ein, erſtens durch den großen Haupt - gegenſatz in den allgemeinen Formen des Schönen: das Erhabene und Komiſche, zweitens durch die großen Haupt-Epochen der Völker-Phantaſie (claſſiſch, romantiſch u. ſ. f.), drittens durch die verſchiedenen Künſte, viertens durch die verſchiedenen Zweige der einzelnen Künſte. Die Dar - ſtellung dieſer beſonderen Wendungen in dem Verhältniſſe beider Momente können alſo nur die betreffenden weiteren Theile des Syſtems geben.

§. 40.

Der Gegenſatz zwiſchen der Idee oder der Gattung und dem Individuum iſt jedoch in den §. 31 33 hervorgehobenen Formen der Zufälligkeit noch nicht auf ſeine Spitze geſtiegen. Aus dem Zuſammenſeyn der einen Gattung mit allen andern Gattungen in demſelben Raume und derſelben Zeit geht nämlich noch eine Form der Zufälligkeit hervor, wodurch jene erſtgenannten und nach §. 34. im Schönen unentbehrlichen Zufälligkeiten ſelbſt getrübt werden, ſo daß ſie nicht rein erſcheinen. Jede Gattung iſt zwar, auf welcher Stufe des Ganzen ſie ſtehen mag, vernünftig und in ſich zweckmäßig, indem ſie aber zugleich mit allen andern ihre Zwecke durchführt, ſo ſtößt ſie mit den Zwecken anderer aus abſoluter oder beziehungsweiſer Bewußtloſigkeit ebenſo leicht ſchlechtweg feindſelig d. h. ſo, daß daraus nicht ein Lebensreiz, ſondern eine völlige Störung entſteht, zuſammen, als ſie mit ihnen unmittelbar oder mittelbar günſtig zu - ſammenwirkt. Durch dieſen Conflict ſtellt jedes Individuum, während es ſeine Gattung darſtellt, zugleich Anderes mit dar, was in den Zuſammenhang ſeiner Gattung nicht gehört: eine Trübung und Störung, welche bis zu rein zufälliger Aufreibung fortgeht. Dies erſt oder das ſinnloſe Uebel als Gegenſatz desViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 8114Guten im Sinne von §. 22, 2 und des Guts §. 23 erſcheint als Widerſpruch zwiſchen der Gattung und ihrer Wirklichkeit in den Individuen.

1. Es iſt davon noch nicht die Rede geweſen, wie ſich zu den §. 31 33 aufgeführten Formen der Zufälligkeit die Macht der Gattung verhalte. Das Verhältniß zwiſchen dieſer und jener iſt §. 35 als ein Gegenſatz, aber nicht als ein Widerſpruch bezeichnet und der Voraus - ſetzung Raum gelaſſen, daß die Gattung den Zufall in ſich aufzunehmen und zu bezwingen vermöge; worauf aber erſt unter C. einzugehen iſt. Eigentlich iſt durch jene Sätze noch gar nicht ausgeſprochen, daß ſolches in die Gattung eindringe, was ihr fremd iſt oder fremd bleibt.

2. Es geht aber aus dem Zuſammenſeyn jeder einzelnen Gattung mit allen andern in demſelben Raume und derſelben Zeit nothwendig eine Colliſion hervor, wodurch Fremdes und unüberwindlich Feindſeliges in ihre Wirklichkeit eindringt. Jede Gattung iſt in ſich und als Stufe des Ganzen vernünftig, aber dieß iſt ihr ewiges, außerzeitliches Seyn als Idee. In ihrer Verwirklichung geräth ſie in jenes Gedränge, worin neben dieſem Stufenſyſtem ein ganz anderes Verhältniß, ein Ver - hältniß außer der Linie und ein unvernünftiger Zuſammenſtoß entſteht. Ein Beiſpiel wird dieß ſogleich beleuchten. Die Atmoſphäre unſeres Planeten iſt eine Form des unbewußten Seyns, die in ſich geſetzmäßig, alſo auch ein Werk der im Univerſum thätigen Vernunft und nothwendig iſt an ihrem Orte. Alle belebten Weſen athmen in ihr, auch der Menſch. Nun unternimmt ein Menſch oder eine Geſellſchaft von Menſchen ein ſittliches Werk, ein ſolches alſo, das ganz einer andern Welt angehört, als der phyſiſchen; aber durch eine plötzliche Veränderung der Atmoſphäre, welche nicht vorauszuſehen war und gegen welche ſich nicht geſchützt zu haben alſo auch dem Menſchen nicht zum Vorwurf gereichen kann, wird das Werk vereitelt. Nun iſt darin wohl Vernunft, daß der Menſch zu ſeiner Exiſtenz die Natur bedarf; aber in dieſer Colliſion iſt keine Vernunft, es iſt reiner, roher Zufall. Die Atmoſphäre hat ihre Zwecke, welche blinde Geſetze ſind, vollführt und dabei wußte ſie um die ſittlichen Zwecke jenes Werkes nicht, und in dieſem Werk war zwar bewußter Geiſt, er konnte aber jene Störung nicht voraus in Rechnung nehmen, denn wer dieß thäte, könnte überhaupt gar nichts unternehmen. Die Handlung alſo hat jetzt etwas in ihre Mitte bekommen, was rein nicht hineingehört, etwas Fremdes, einen Feind, der ſie ſprengt. Ebenſo aber geſchieht es umgekehrt, wenn der Geiſt einen Zweck verfolgt, wobei115 er einem ungeiſtigen Naturweſen weder ſchaden noch es fördern wollte, ſondern es gar nicht zu berückſichtigen hatte, und es nun zufällig ſtört oder vernichtet. Ein Thier wäre ſchön, aber ein Menſch hat ihm zu - fällig ein Glied zertreten, abgeſtoßen u. ſ. w. Wohlverſtanden, es iſt alſo nicht die Rede von dem Fall, wo er es um ſeiner Zwecke willen ver - letzen oder tödten wollte: darin iſt Zuſammenhang, daraus kann unter Umſtänden auch ein äſthetiſches Ganzes werden (Jagd ꝛc.). In dem hier gemeinten Vorgange iſt aber kein Sinn, hier hat ſich der Geiſt (be - ziehungsweiſe) blind verhalten. Ebenſo iſt bei dem erſten Beiſpiele nicht die Rede von ſolchen Fällen, wo die Art des Zwecks es mit ſich bringt, die Natur in Rechnung zu nehmen, wie die Schifffahrt u. dgl. Hier iſt das Uebel ſelbſt ein Lebensreiz, gehört zu dem äſthetiſch ganz zuläßigen und berechtigten Zufalle (Schiff im Sturme u. dgl.). Wenn aber z. B. ein würdiger Redner eine Verſammlung zu einem großen Werke begeiſtern will und ein Schnupfen hindert ihn, dieß iſt roher, unäſthetiſcher Zufall. Hier ſind nun die Beiſpiele aus dem Zuſammen - ſtoß von Gattungen gewählt, zwiſchen denen viele Stufen liegen; aber es tritt ſolche Störung auch zwiſchen näher verwandte Gattungen. Es wird Frühling, die Blumen blühen, die Bäume ſchlagen aus, aber ein Nachwinter zerſtört Alles. Die Pflanzen wußten nicht um dieß drohende Uebel, die Luft weiß nicht um die Pflanzen, die ſie doch nährt, und folgt blind den atmoſphäriſchen Geſetzen. Das Wetter iſt wirklich einer der ſchlimmſten Feinde des Schönen. Man denke nun überhaupt bei ſolchen Störungen nicht an ſolche, welche im Zuſammenhange des vor - liegenden Falles liegen; dieſe gehören zur Sache, oder vielmehr ſie ſind keine Störungen, ſondern organiſche Kämpfe der einer Idee ſelbſt im - manenten Momente. Es kann z. B. das Intereſſe eines Gedichts ſeyn, ſolche Störungen des Pflanzenlebens darzuſtellen, wie die ebengenannte, wenn es nämlich zum Zwecke hat, Stimmungen des Menſchen, die dar - aus erwachſen, u. dergl. zu entfalten. Iſt aber der Frühling als ſolcher der Gegenſtand, ſo muß es ein ganzer Frühling ſeyn ohne Störungen dieſer Art: und davon iſt die Rede. Die Trübung der einer Gattung angehörigen Individuen durch einen Zuſammenſtoß mit Wirkungen anderer Gattungen außer dem Zuſammenhang geht fort bis zur Aufreibung. Auch hiemit iſt eine Aufreibung außer der Linie gemeint. Z. B. Tod aus Altersſchwäche gehört nicht hieher, ſondern liegt im Geſetze der Gattung. Tod durch einen gewollten Kampf gehört auch nicht hieher, denn er gehört zum Ganzen dieſes Kampfes. Wenn aber ein edler Krieger nicht8*116durch einen Tapferern fällt, ſondern weil ein Regen ſeine Waffen un - brauchbar machte, dieß gehört hieher. Die Formen der Zufälligkeit, welche §. 31 33 aufgeführt ſind, ſind nach §. 34 Geſetz im Schönen. Dieſe werden durch die letztgenannte Form ſelbſt getrübt, daß ſie nicht rein erſcheinen. Zu der ganzen Sphäre der Zufälligkeit werden die wider - ſtreitenden Formen des Schönen, das Erhabene und Komiſche, allerdings eine andere Stellung einnehmen, als das einfach Schöne. Wenn ſich aber zeigen wird, daß das Komiſche, wie es dem Zufall einen ganz andern Spielraum gönnt, als das Erhabene, auch die hier aufgeführte Form des ſtörenden Zufalls einläßt, ſo wird dies unter Bedingungen geſchehen, welche den ganzen Standpunkt verändern.

Dies iſt der dumpfe, dies iſt der zuſammenhangsloſe Zufall, hier iſt der volle Widerſpruch zwiſchen der Idee und ihrer Wirklichkeit, wo aller Weſen unharmon’ſche Menge Verdrießlich durcheinander klingt.

[117]

C. Die Einheit der Idee und des Bildes.

§. 41.

Was ſich zwiſchen die Idee und das Einzelweſen als ihr Bild ſtellt, iſt1 alſo die Zufälligkeit. Es iſt die Aufgabe, dieſe Zufälligkeit wie in der Noth -2 wendigkeit ihres Daſeyns, ebenſo in der Nothwendigkeit ihrer Aufhebung zu begreifen. Dies gilt zunächſt noch abgeſehen von der beſondern Aufgabe des Schönen ganz allgemein von der Idee überhaupt im Verhältniß zu ihrer Ver - wirklichung; das ganze Leben als das unendliche Zugleichwirken der in der abſoluten Idee enthaltenen beſtimmten Ideen iſt beſtändige Setzung und Auf - hebung des Zufalls und die Wiſſenſchaft des Schönen wird durch die Anerken - nung des Zufalls ſo wenig aus der Geſetzmäßigkeit des Begriffs in ein Gebiet des Unbegreiflichen getrieben, als die übrigen Wiſſenſchaften von den verſchie - denen Sphären der wirklichen Idee.

1. Das Einzelweſen als ihr Bild . Das abſolute Zuſammenge - hören von Idee und Bild wird alsbald näher aufgefaßt werden; hier liegt nur erſt ſo viel vor, daß das Bild ein Einzelweſen eben der Gattung iſt, welche je im vorliegenden Falle den Inhalt des Schönen bildet, wie dies ſchon oben aufgeſtellt wurde.

2. Der Mangel des Hegel’ſchen Syſtems iſt nicht, daß es für den Zufall keine Stelle hätte, ſondern daß es ihn nur als Betrachtungs - weiſe, als eine Anſicht der Dinge unter dem Standpunkte der ſchlechten Endlichkeit momentan aufnimmt, um ihn als Vorſtellung ſofort in die denkende Betrachtung aufzulöſen. So verhält es ſich mit der Zufälligkeit in dieſem Syſteme überhaupt und namentlich mit der beſonderen Form118 derſelben, die uns im gegenwärtigen Zuſammenhang nicht beſchäftigt, der Freiheit nämlich als Willkür. Frage ich: gibt es eine ſolche? So ant - wortet Hegel: es iſt nicht die wahre Form des Willens. Dieß mag ganz wahr ſeyn, aber ich will es jetzt nicht wiſſen. Die Natur und Nothwendigkeit des Zufalls müßte begründet ſeyn in der Logik und zwar, wie wir behaupten, in der Lehre von der Idee. Die innere Theilung derſelben in die Hauptſtufen ihrer Verwirklichung iſt, wie es ſeyn muß, im idealen Grundriß gegeben unter den Abſchnitten: Leben und Erkennen. Es war darzuthun, daß zwei Linien entſtehen müſſen: die vernünftige, ſtufenförmige, die eben Hegels Logik begründet, und eine zweite, welche die erſtere durchſchneidet, die Linie des Zufalls nämlich, begründet im Zuſammenſtoßen der in Einen Raum und Eine Zeit fallenden thätigen Bewegung der verſchiedenen Stufen. Raum und Zeit gehören nämlich offenbar in die Logik, in die Lehre vom Seyn, und dieſe unteren Formen wirken überall, alſo auch in den höchſten, als aufgehobene und ſtets von Neuem aufzuhebende Momente fort. Von dieſer Wahrheit mußte die Natur-Wiſſenſchaft und Geiſtes-Wiſſenſchaft die Anwendung machen und überall zeigen, daß jede Form der Idee in ihrer Verwirklichung mit allen andern ſich durchkreuzt und daß ihre Thätigkeit weſentlich die iſt, ebendieſen Zufall aufzuheben, als Stoff zu verarbeiten und zu ver - wenden. Daß Hegel den Zufall zu wenig in die Rechnung mit auf - nimmt, zeigt insbeſondere die Philoſophie der Geſchichte und die Religions - Philoſophie. Der Begriff wird überall zu ſchnell gefunden, ehe nämlich nachgewieſen iſt, wie er als thätige Wirklichkeit ſich aus dem Zufall herausarbeitet. Z. B. die Götterculte der alten Völker waren zunächſt ein Aggregat von Lokal-Kulten, die zufällig zuſammenfloßen; der tiefere Inſtinkt führte erſt einen Zuſammenhang in ſie ein, hier erſt liegt der Begriff. So verhält es ſich nach neueren Forſchungen z. B. auch mit der indiſchen Götterlehre; die Trimurti iſt kein aus dem Begriff ent - ſtandener Zuſammenhang, ſondern zunächſt eine Anreihung von örtlichen Culten.

Dieſe Bemerkungen ſind keine Einräumung für die Polemik, welche der Hegel’ſchen Philoſophie vorwirft, daß ſie die Unmittelbarkeit zu niedrig geſtellt. Die Unmittelbarkeit iſt zunächſt ein anderer Begriff. Es handelt ſich hier um die Frage, ob die reelle Zuſammenfaſſung einer Summe von Vermittlungen in die Spitze der lebenskräftigen einzelnen Gegenwart, welche ſo zu ſagen die Brücke der Vermittlung hinter ſich abwirft und von vornen entſchloſſen beginnt, darum verkannt werde,119 weil die Philoſophie jene Brücke im Auge behält, hinter dieſe Un - mittelbarkeit ſieht, ſie als vermittelt erkennt und daher die Unendlichkeit des dialektiſchen Zuſammenhangs einſieht, wo die empiriſche, objective Unmittelbarkeit ſelbſt ſich ihrer nicht erinnert. Das ganze Hegel’ſche Syſtem auf allen Punkten ſpricht es in unzählichen Wendungen aus, daß beidem ſein Recht bleiben ſoll, ſowohl der Nothwendigkeit, daß das Ver - mittelte ſich in die Form der Unmittelbarkeit zuſammenfaſſe, als auch der Einſicht des Philoſophen darein, daß das Unmittelbare ein Vermit - teltes iſt. Allein Hegel hat das weitere weſentliche Moment zu leicht abgethan, daß in der Summe von Vermittlungen, die ein Unmittelbares in ſich zuſammenfaßt, außer den Vermittlungen ſeiner eigenen Gattung und außer den homogenen Vermittlungen verwandter Gattungen, die das Leben in ſich verarbeitet, auch unberechenbare fremdartige Einflüſſe heterogener Gattungen des Daſeyns nothwendig mitenthalten ſind, daß das Leben als Unmittelbares weſentlich die Macht ſeyn muß, dieſes Fremde, was es in ſich aufnimmt, in ſich und ſein Eigenes zu verarbeiten: dies aber iſt der Zufall und ſeine Aufhebung. Alles Leben, alle Ge - ſchichte, alle Bewegung des Geiſtes in jeder Sphäre iſt weſentlich dieſe Geſchichte der Aufhebung des Zufalls. Man wendet den Vorwurf gegen Hegel auch ſo, daß er den Werth der Einzelheit, alſo insbeſondere der ein - zelnen Perſönlichkeit verkannt habe. Umgekehrt, kein Philoſoph iſt in die - ſem Sinne weniger abſtracter Idealiſt als er, denn keiner hat den Zuſammen - ſchluß des Allgemeinen und Beſondern im Einzelnen ſo ſtreng begriffen, dieſes in der Conſequenz des Ariſtoteles ſo ſicher feſtgehalten als erfüllte Spitze der thätigen Kraft der Gattung. Allerdings muß er von dem logiſch Einzelnen das unmittelbar Einzelne, das Endliche unterſcheiden als trennbare Einheit, aber durch dieſe ſeine Endlichkeit iſt ihm die Lebensmacht des Wirklichen keineswegs abgeſprochen. Der Mangel liegt vielmehr darin, daß in der reichen Geſammtheit von Kräften, als deren lebendige Zuſammenfaſſung es erkannt wird, der Zufall nicht in ſeiner Bedeutung und ſeinem Rechte mitbegriffen, ſondern nur kurzweg zum Schlechten am Endlichen geworfen wird. Daher wird auch das Recht des Einzelnen, originell zu ſeyn, nicht in Kraft geſetzt, denn Origina - lität, was ſie auch weiter ſeyn mag, ruht ohne Frage auf der Naturbaſis des Zufalls. Die Individualität ſoll ſich mit dem Allgemeinen durch - dringen, aber eben ſo, daß dieſe, in ihrem Urſprung zufällige, Eigenheit nicht aufgehoben werde, ſondern in’s Allgemeine ſelbſt erhoben ihm erſt Farbe gebe. Wie nun das Einzelne ſammt ſeiner Zufälligkeit weſentlicher Inhalt120 des Schönen iſt, ſo iſt auch das, wodurch das Schöne wahrhaft wirklich iſt (die Kunſt, wie ſich zeigen wird), als hervorbringendes Subject weſentlich von dieſem Elemente beſtimmt. Der Stoff, zufällig an ſich, erfaßt zufällig auch den Künſtler und wie ſehr im Schaffen dieſer Aus - gang vom Zufall ſich zu einer Nothwendigkeit umbilden mag, der Charakter der unendlichen Eigenheit, die ſo nur einmal unter dieſer Zuſammen - wirkung der Zufälligkeit möglich war, ſoll ihm bleiben. Die Wiſſen - ſchaft muß dieß anerkennen und begründen; rückt man ihr aber als Mangel vor, daß ſie nicht die ganze Summe aller empiriſchen Zufälle als ebenſo - vieler Gründe der Eigenheit der unendlichen Werke der Schönheit zu be - ſtimmen vermöge, ſo heißt dies freilich alle Wiſſenſchaft aufheben. Der Zufall läßt ſich, ehe er da iſt, in ſeinem allgemeinen Weſen begreifen, aber was für einer er in jedem Erfahrungsfalle ſeyn werde, iſt vorher durchaus nicht zu beſtimmen. Es gibt keine Vorherbeſtimmung, weder objectiv noch ſubjectiv. Iſt er aber da, ſo wirkt objectiv die Macht der Allgemeinheit, ihn umzuwandeln, die Kraft der beſtimmten Wirklichkeit aus ihm zu ziehen, und ſubjectiv vom Philoſophen kann und ſoll er begriffen werden. Ich kann alſo z. B. nicht beſtimmen, wann und wo ein Stoff auftauchen werde, der ſich zum Kunſtwerk eignet, wann und wo ein Künſtler gerade in der Stimmung ſeyn werde, ihn zum Kunſtwerk zu benützen. Meine Aufgabe iſt nur, als nothwendig zu er - kennen, daß dies nicht vorherzubeſtimmen ſey. Iſt aber der Stoff ge - kommen, das Kunſtwerk da, ſo iſt jener und dieſes zu begreifen, dieſes ſelbſt hat den Zufall, indem es ihn aufnahm, zugleich aufgehoben, und der Philoſoph leiſtet dies in noch höherem Sinne, indem er das reine, all - gemeine Weſen der Kunſt eben in dieſer Concretion aufweist. Kann ich denn die Phantaſie und ihr Weſen darum nicht begreifen, weil ich nicht beſtimmen kann, welche Stoffe ſie in den unbekannten Fällen der Zu - kunft aufnehmen und verarbeiten wird? Und wenn ich in dem verar - beiteten Stoffe ihre Thätigkeit nun als Bau des Kunſtwerks begreife, ſoll dieſes Begreifen nicht höher ſeyn, als die Phantaſie ſelbſt, die in beziehungsweiſe unbewußter Verſchlingung mit dem Zufall das Kunſt - werk entwarf? Danzel (a. a. O. S. 44) wirft Hegel vor, er habe keinen Standpunkt für das einzelne Kunſtwerk in ſeiner unendlichen Individualität. Der Vorwurf trifft zum Theile mit dem zuſammen, was zu §. 15 ausgeführt wurde. Wie nun dort zugegeben iſt, daß Hegel das Unmittelbare als Schaffendes, die Phantaſie, zu flüchtig behandelt habe, ſo iſt auch im jetzigen Zuſammenhang zugegeben, daß er das Zu -121 fällige als Bedingung des Individuellen zu ſehr von oben herab angeſehen hat, allein was er immer hätte thun mögen, dieſe Lücke auszufüllen, er hätte auch das Zufällige in das rein Allgemeine zurücknehmen und auflöſen müſſen. Dieſe Auflöſung iſt aber kein Weglaſſen der wunderbaren Ver - ſchlingung des einzelnen Werks. Die Wiſſenſchaft weist nach, aus wie vielerlei Sphären der behandelte Stoff ſeine Eigenheit zog, ſie weist nach, aus wie vielerlei in dieſem Falle ſo und nicht anders zuſammen - wirkenden Bedingungen die Perſönlichkeit des Künſtlers ihre Beſtimmtheit zog, ſie kann auch anzuführen wiſſen, wie es kam, daß ihn irgend ein Stoff anlockte (z. B. den Shakespeare die damals erſchienenen Novellenſammlungen). Dieſe Sphären, Bedingungen, nach unſerem Aus - druck Gattungen, ſind aber freilich ſelbſt ebenfalls Allgemeinheiten. Allein hier ſind wir an der Grenze; etwas Anderes, als ein Zuſammen - treten von Solchem, was allgemeiner Art iſt, kann an dem Dieſen nicht aufgewieſen werden und was Hettner (a. a. O. S. 18, 19) von L. Feuerbach gegen den erſten Abſchnitt von Hegels Phäno - menologie aufnimmt, iſt keine Inſtanz, weil es nur ſagt, daß das Dieſe ein Erfülltes ſey; denn das Erfüllende iſt ſelbſt allgemeiner Art.

Weiße, der dieſelbe Polemik übt (Syſtem d. Aeſth. §. 12 15) hat ſich hiezu den Standpunkt gewonnen, indem er zum voraus die Erſcheinung, in welcher die Gattungs-Allgemeinheit ihre Abſtractheit auslöſcht, für ein Mehr erklärt hat, was durch Wiſſenſchaft, Philo - ſophie und Kritik auf keine Weiſe erſetzt werden könne . Jene All - gemeinheit nennt er, wie wir zu §. 5 u. 15 ſahen, Wahrheit, das Schöne daher aufgehobene Wahrheit. Im jetzigen Zuſammenhang müßte nun eben die wunderbare Verſchlingung der Zufälligkeit im einzelnen Schönen dieſes Mehr ſeyn. Allein ein ſolches Mehr hat jede Wirklich - keit, jedes Naturweſen, jede Perſönlichkeit, jeder Staat, und das All - gemeine bewirkt ſich in jeder Sphäre, indem es das Dunkel dieſer Verſchlingung mit ſeiner Macht durcharbeitet. Das Schöne verhält ſich nur darin anders, daß es bis zu einem Punkte der Zufälligkeit mehr Recht läßt, als alle andern Sphären, von einem andern Punkte an aber, wie ſich zeigen wird, ſie tiefer ausſcheidet. Die Wahrheit als Wiſſenſchaft nun hat keineswegs blos das getrennt Allgemeine, ſondern gerade ſeine Miſchungs-Verhältniſſe in der Einzelheit zu durchdringen und iſt daher nicht nur mehr, als eine Abſtraction des erſteren, ſondern auch als das Wahre in dem Sinne, wie es ihr Gegenſtand iſt, d. h. als das Allgemeine an ſich in den Verbindungen, die es in der Realität mit anderem122 Allgemeinem eingeht, um ſich als erfülltes Einzelnes zu verwirklichen. Wenn aber dieſe Verbindungen unbegreiflich ſeyn ſollen und das Unbegreif - liche das wahre Mehr ſeyn ſoll, warum ſchreibt Weiße eine Aeſthetik, warum hält er irgend eine wiſſenſchaftliche Erkenntniß des Realen für möglich?

§. 42.

1

Die Art der Aufhebung der Zufälligkeit muß im Schönen eine beſondere2 ſeyn. Soll ſie aber überhaupt als möglich gedacht werden, ſo muß zuerſt ganz im Allgemeinen das wahre Verhältniß zwiſchen der Idee und ihrer Erſcheinung3 in den Einzelweſen begriffen ſeyn. Dieſer Begriff fehlte der Wolffiſchen Philoſophie, daher ihre Definition des Schönen durch: ſinnlich angeſchaute Voll - kommenheit nicht leiſtet, was ſie verſpricht. Vollkommenheit nämlich ſcheint eine dem Stoff immanente und ſich ſelbſt in ihm durchführende Einheit der Idee zu bezeichnen, welche eben deßwegen, indem ſie die ganze Oberfläche des von ihr gebildeten Stoffes beſtimmt, ſinnlich angeſchaut werden kann. Da aber dem Syſteme die Bedingungen dieſes Begriffes fehlten, ſo vermochte es durch ſeine Definition das Schöne nicht von Werken, worin dem Stoff nur eine äußere Einheit aufgenöthigt iſt, insbeſondere von dem blos Zweckmäßigen, zu unter - ſcheiden, und gerieth durch den Zuſatz: ſinnliche Anſchauung in einen Wider - ſpruch.

1. Daß das Zufällige im Schönen in einem anderen Sinne aufge - hoben ſey, als in den übrigen Sphären der wirklichen Idee, geht ſchon §. 34 hervor, worin ihm eine ausdrückliche Geltung zuerkannt iſt. Dies iſt hier noch nicht weiter zu verfolgen. Der Ausdruck: Aufhebung muß ſchon darum noch unbeſtimmt gelaſſen werden, weil er eine andere Be - deutung in Beziehung auf §. 40 erhalten muß, als in Beziehung auf §. 31 33.

2. Das Verhältniß der Idee zur Erſcheinung iſt ſchon im §. 10 als Immanenz ausgeſprochen. Hier iſt dieſer Begriff wieder aufzu - nehmen, denn er tritt jetzt erſt durch den Zuſammenhang der Entwick - lung in das volle Licht einer unterbehrlichen Grundlage der Erklärung des Schönen. Nicht unmittelbar vom Schönen iſt aber die Rede, ſon - dern eben von dieſer allgemeinen metaphyſiſchen Vorausſetzung.

3. Die Wolffiſche, näher Baumgarten’ſche Begriffsbeſtimmung definirte die Vollkommenheit auch durch: Einheit in der Mannigfaltigkeit123 und ſcheint deßwegen zu §. 36 zu gehören. Allein Vollkommenheit ſcheint mehr zu ſagen, als jener Begriff, der jeder ganz abſtracten Art der Unterordnung des Mannigfaltigen unter der Einheit Raum läßt; es liegt dies ſchon in dem Worte; vollkommen erinnert an ein völli - ges Herauskommen der den Gegenſtand als ſeine Architektonik bauenden, ſich in ihm als Organismus durchführenden Idee. Vollkommen iſt das, was zu ſeiner Völle gekommen, oder was gänzlich, ohne Mangel und Ueberfluß, das iſt, was es ſeyn ſoll (Sulzer, allg. Theorie d. ſch. K. Th. 4, S. 406). Baumgarten ſchrieb lateiniſch perfectio, aber der Zuſatz: ſinnlich angeſchaut (phaenomenon s. gustui observabilis. Metaphys. §. 662), ſcheint zu ſagen, daß er eben an dieſe Plaſtik der Idee dachte, doch nur dem, der nicht weiß, was ſchon oben §. 1, 3 vorgebracht iſt. Dieſe ganze Philoſophie war formaliſtiſch, die Einheit des Begriffes war ihr eine reine Abſtraction, und ſo geräth jene Definition durch ihren erſten Theil in eine fremde Sphäre und durch ihren zweiten in einen Widerſpruch. Vollkommen nämlich in dem Sinne, in welchem ſie das Wort allein verſtehen kann, iſt eigentlich nur das Werk der äußeren Zweckmäßigkeit, worin einem von dem Verfertiger hinzugebrach - ten Begriffe der Stoff, aus ſeiner ihm immanenten Gattung (Holz ꝛc. ) herausgenommen, äußerlich ſich unterordnet. So aber ſtellte ſich die Wolffiſche Philoſophie allerdings auch das vor, was weit über dem Begriff der Zweckmäßigkeit liegt, ſo überhaupt die Welt in ihrem Ver - hältniſſe zu Gott. Gott hat als außerweltliches Weſen den Begriff zu den Dingen und dieſe ſind nach demſelben gemacht, tragen ihn nicht in ſich, führen ihn nicht ſelbſt in ſich durch. Wir ſollen z. B. nach Mendelsſohn (Ueber die Hauptgrundſ. d. ſchönen Künſte u. Wiſſenſch. Philoſ. Schr. Th. 2, S. 80) in der Schönheit der Natur die Voll - kommenheit des Meiſters bewundern, der ſie hervorgebracht. Die Dinge ſind aber nicht nur nicht wahrhaft ſelbſtthätig, ſondern der Begriff, dem ſie mechaniſch gehorchen, iſt ein bloſer Begriff der Nützlichkeit; Wolffs Teleologie iſt ganz äußerlich. Demnach müßte conſequenter Weiſe dieſe Philoſophie nicht nur auf die Unterſcheidung des Schönen vom Zweck - mäßigen, ſondern auf die Erklärung des Schönen überhaupt verzichten. Die weitere Entwicklung des Begriffs des Schönen wird ferner zeigen, wie ſich das Schöne nicht blos vom Zweckmäßigen, ſondern auch von dem Guten und dem Wahren (im engeren Sinn) unterſcheidet. Nun kann davon abgeſehen werden, daß die Wolffiſche Philoſophie auch dieſe Sphären formaliſtiſch faſſen mußte; es ſey vielmehr angenommen,124 daß ſie das Gute als organiſche Einheit des Willens, das Wahre als ſelbſtthätigen Bau des Gedankens faßte, und ſo kann man es vollkommen nennen. Immer aber wird das Schöne von dem Guten und Wahren, es wird geiſtige Vollkommenheit von plaſtiſch erſcheinender nicht unter - ſchieden; die Aeſthetiker der Schule (z. B. Sulzer) waren in großer Verlegenheit über das Verhältniß zwiſchen dem Schönen und Guten, und Baumgarten ſelbſt vermag es durch den rhetoriſchen Schmuck, den er im Grunde allein unter phaenomenon verſteht, nicht vom Wahren abzugrenzen. In ihrem zweiten Theile, der näheren Beſtimmung des Vollkommenen als eines Objects der ſinnlichen Anſchauung, nimmt die Definition eine Wendung nach der ſubjectiven Seite, welche den Mangel der objectiven zu ergänzen ſcheint. Allein er kann nicht mehr ergänzt werden und es entſteht daher ſtatt der Ergänzung ein Wider - ſpruch; denn der Begriff, der nicht als gegenwärtige Einheit im Körper ſich ſeine eigene Geſtalt baut, ſondern über ihm als Formel ſchwebt, kann nicht ſinnlich angeſchaut werden. Wollte man nun den Wider - ſpruch um der tieferen Ahnung willen, die dunkel in ihm liegt, überſehen, ſo tritt dagegen ein beſonderer Mißſtand auch in der ſubjectiven Beſtimmung: die Anſchauung wird zu niedrig gefaßt. Die cognitio sensitiva heißt inferior, ſie iſt ſchlechthin ein complexus repraesentationum infra distinctionem subsistentium (als ob die Anſchauung nicht auch ihre Klarheit hätte), ſie wird theologiſch caro genannt und als Rechtfertigung der Ehre, die ihr widerfährt, geſagt: imperium in facultates inferiores poscitur, non tyrannis (Baumg. Aesth. §. 12). Dieſe Philoſophie hat die Mittel nicht, die Vernunft in die Form der Anſchauung ſich ergießen zu laſſen und eine ſinnlich geiſtige Erkenntniß zu begreifen; ſie hat ſie nicht, weil ſie keine objective Vernunft kennt, und ſie hat ſich den Weg, eine ſolche zu kennen, ſchon dadurch verrannt, daß ſie die Anſchauung zu niedrig faßt: es iſt ein nothwendiger Cirkel. Auf der Seite des ſubjectiven Momentes geſchah aber und mußte geſchehen der Fortſchritt. In der Philoſophie überhaupt mußte zuerſt die Idee als gegenwärtiges Subject begriffen werden, ehe ſie ſich als Object begriff. Ebenſo im Schönen. Hier tritt Kant ein. Baumgarten ſteht ihm aber bereits viel näher, als man glaubt, vergl. §. 1, 3. Die Aeſthetik wird ſchon vor Kant Empfindungslehre; ſo namentlich bei Mendelsſohn. Ganz ſubjectiv verſteht auch Eberhard (Theorie der ſchönen Künſte u. Wiſſenſch. 1783) die Vollkommenheit. Er ſetzt ſie rein in die Darſtellung und das daraus entſpringende Gefühl. Allein auch im Werke der Darſtellung ſoll ja125 der Begriff ſinnlich wirken und nicht über dem Körper ſchweben, ſondern ſeine Allgemeinheit in ihm auslöſchen. Alſo kehrt der Widerſpruch auf allen Punkten zurück.

§. 43.

Die Einheit, welche im Vollkommenen das Mannigfaltige verbindet, faßt Kant im Sinne Wolffs als Zweck und widerlegt die Anſicht der Schule Wolffs vom ſubjectiven Standpunkte aus durch den Einwurf, daß, um den Zweck zu erkennen, erſt ein Begriff vorausgehen müßte, was im äſthetiſchen Urtheile nicht der Fall ſey. Er ſelbſt erkennt nicht, daß er in der inneren Zweckmäßigkeit, wie er deren Begriff im Unterſchiede von dem Wolffiſchen Formalismus entwickelt, die Idee erfaßt hat als die ſich ſelbſt hervorbringende Einheit des Allgemeinen und des ſinnlichen Stoffes im Einzelnen, welche im organiſchen Leben als Wechſelaufhebung des Mittels und Zwecks ſich ſo durch - führt, daß ſie auf die Oberfläche des Ganzen heraus und ohne Begriff in die Anſchauung tritt. Dagegen unterſucht er den ſubjectiven Vorgang im Schönen mit einer Schärfe und Tiefe, welche ihn auf anderem Wege zu der wahren Grundlage einer objectiven Beſtimmung des Schönen, der Einheit des Begriffs und der Realität, hätte führen müſſen, wenn er die Schranken ſeines Syſtems wirklich zu überwinden vermocht hätte. Schiller ſtellt überall dieſe Einheit in Ausſicht, kann ſie aber, in Kantiſchen Vorausſetzungen befangen, nicht begründen.

Die Einheit im Mannigfaltigen, welche als Wechſelbegriff für das Vollkommene geſetzt wurde, faßte in der Aeſthetik nicht ſowohl Baum - garten, als andere, die ſich ihm anſchloſſen (Eberharo, Men - delsſohn, Sulzer) mit Rückgang auf eine Beſtimmung Wolffs (Ontologie, 3r Abſchn. ) als Zweck. Indem nun Kant dieſe Erklärung des Schönen widerlegt, überſieht er nicht, daß äußere Zweckmäßig - keit (bloſe Nützlichkeit) und innere zu unterſcheiden und daß unter Voll - kommenheit die letztere zu verſtehen iſt. Nun widerlegt er dieſe Anſicht (Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 15) von dem Geſichtspunkte der Beſchaffen - heit des ſubjectiven Wohlgefallens am Schönen, von dem er nachge - wieſen, daß es eine von Begriffen unabhängige reine Gefühlsſtimmung ſey. Um ſich ein Ding als zweckmäßig vorzuſtellen, muß der Begriff von dieſem, was es für ein Ding ſeyn ſolle, vorangehen und dies iſt ein Verſtandes-Urtheil, nicht ein äſthetiſches. Der Einwurf iſt richtig,126 ſo lange die innere Zweckmäßigkeit ſelbſt wie eine mechaniſche gefaßt wird, in welcher der Begriff außerhalb der Materie, in der er ſich durchführen ſoll, als ein blos gedachter und blos durch Abſtraction zu findender verbleibt. So äußerlich verſtand allerdings Wolff die Zweck - mäßigkeit (ſ. §. 42 u. Erdmann Verſuch einer wiſſenſch. Darſt. d. Geſch. d. neueren Philoſ. II, 2. S. 351). Allein Kant ſelbſt faßte den Begriff des Zwecks in ſeiner Tiefe. Man muß ſeine Kritik der teleolog. Urthlskr. hinzunehmen. Hier erhebt er ſich zu dem Begriffe des immanenten Zwecks, der im organiſchen Leben den Gegenſatz von Mittel und Zweck aufhebt und eben daher in der Totalität des ſinnlichen Stoffes, worin er ſich vollführt, die Trennung ſeiner Allgemeinheit von dem Beſonderen, die im abſtracten Denken, doch nur um wieder aufgehoben zu werden, geſetzt wird, in der Geſtalt auslöſcht. Wenn Kant den Zweck definirt hat als den Begriff von einem Object, ſofern er zugleich den Grund der Wirklichkeit dieſes Objects enthält, ſo iſt nach dieſer tieferen Be - ſtimmung dieſer Begriff nun nicht ein ſolcher, den ein Subject zum Objecte hinzubringt, ſondern es iſt der im Object ſelbſt thätige, bauende Verſtand, der Demiurg, es iſt intuitiver Verſtand, intellectus arche - typus, kurz es iſt Geiſt in der Natur, Geiſt als Natur : das Prinzip iſt gefunden. Nun braucht das Subject, um dieſe Einheit im Objecte zu empfinden, keinen Begriff jenes Zwecks, denn er iſt ganz gegenwärtig in ſeinem Stoffe und braucht nicht von ihm geſondert zu werden, um in das Gefühl und die Anſchauung zu treten. Ebendies aber benützt Kant für die Aeſthetik gar nicht. Auch abgeſehen nämlich davon, daß er jenen tiefen Blick wieder aufgibt, indem er ihn nur für eine leitende ſubjective Vorſtellung erklärt, zieht er nämlich die obenge - nannte Folge nicht, daß der Begriff, indem er ſich als Realität durch - führt, ſeine innern Momente ſubjectiv herausſtellt, als Geſtalt vor das Auge tritt und nun, wie er ſelbſt ein ungetrennt Sinnliches und Geiſtiges iſt, durch das Organ der ſinnlich geiſtigen Anſchauung allerdings in das Subject eingeht, ohne daß es ihn als Begriff in ſeiner Abſtraction denkt. Die Anſchauung iſt freilich nicht ein verworrenes Denken , wie ſie in der Wolff’ſchen Anſicht erſcheint, ſondern gar kein Denken, und als ſolche zwar dunkel gegenüber dem Denken, aber hell in ſich und die Begriffs - momente als Glieder der Geſtalt klar unterſcheidend. Wie ganz ihm ſein Fund verloren ging, zeigt Kant §. 16, wo die Schönheit eines Menſchen, eines Pferdes u. ſ. w. für blos anhängende Schönheit erklärt wird, weil ſie einen Begriff vom Zwecke vorausſetzt, welcher beſtimmt, was das127 Ding ſeyn ſoll ; das genaue Gegentheil des Richtigen, denn eben in dieſen organiſchen Geſtalten erſcheint der Begriff als immanenter Zweck ſo, daß man das Ganze genießt völlig ohne ſubjectiv abſtrahirten Begriff von dem, was es ſeyn ſoll. Kant iſt hier ganz formaliſtiſch. Da er nun demgemäß eine objective Beſtimmung des Schönen gar nicht finden kann, ſo wirft er ſich ganz auf die ſubjective Seite. Sein Ver - dienſt in der Analyſe derſelben iſt im §. vorläufig anerkannt, aber nicht erwähnt, wie ihn der objectiv aufgegebene Begriff des Zwecks hier ver - folgt und für jenes Aufgeben beſtraft, denn das Weſentliche iſt in den Anm. zu §. 3 gegeben. In dieſer rein formalen Zweckbeſtimmung, dieſer Zweckmäßigkeit ohne Zweck , welche eigentlich eine bloſe Zweckmäßigkeit der Stimmung ſeyn, aber doch mit der unbeſtimmten Vorſtellung eines im Gegenſtande ſich darſtellenden Zwecks ſpielen ſoll, liegt in Wahrheit die volle, aber ſich ſelbſt dunkle Ahnung der objectiven, inneren, plaſti - ſchen Zweckmäßigkeit. Dieſe tritt wohl nirgends erkennbarer ans Licht, als in §. 23, wo er ſagt, die ſelbſtändige Naturſchönheit entdecke uns eine Technik der Natur, wodurch unſer Begriff von derſelben über den eines bloſen Mechanismus zu dem Begriff von der Natur als einer Kunſt erweitert werde: welches zu tiefen Unterſuchungen über die Mög - lichkeit einer ſolchen Form einladet. Allein wie durch Kant die ganze Philoſophie, ſo nimmt nun auch ſeine Aeſthetik, da ſie dieſe Ahnung nicht zu benützen verſteht, einen ganz andern Weg, den Weg zum ſub - jectiven Idealismus. Wenn ſchon in der Analyſe des äſthetiſchen Wohl - gefallens die nahe liegende Frage, wie es denn komme, daß ein Gegenſtand dieſes Wohlgefallen errege, der andere nicht, gar nicht auf - geworfen, alſo auch nicht beantwortet wird, ſo ſchwebt offenbar zwiſchen den Zeilen die Anſicht, daß das Subject überhaupt die Schönheit erſt in die Gegenſtände hineinſchaue. Nun erwäge man, wie in dieſer Analyſe durchaus eine reine Harmonie der Geiſtigkeit und Sinnlichkeit im Subjecte gelehrt iſt, man gehe von da weiter zu den tiefen Be - ſtimmungen Kant’s über das Genie, das, ſelbſt eine volle Einheit von geiſtiger Regel und Natur, ein Werk ſchafft, das ebenfalls Geiſteswerk und Naturwerk zugleich iſt, ſo kommt man bei dem Schluſſe an, daß alles ſchöne Object überhaupt erſt durch die Phantaſie geſchaffen wird, ebenſo wie man durch die Conſequenzen der ganzen Philoſophie Kant’s bei Fichte anlangt. Wenn nun die folgenden Theile unſeres Syſtems uns (es kann in dieſer Anm. immerhin ſo viel anticipirt werden) im Schönen ebenfalls dieſe Schöpfung der Phantaſie enthüllen werden,128 warum wird in unſerer ganzen Entwicklung dieſer Gang nicht geradezu als der richtige aufgenommen? Darum nicht, weil dieſe Einheit von Natur und Geiſt, wenn ſie im Subjecte und durch daſſelbe ihre wahre Wirklichkeit erhalten ſoll, vorher als allgemeine Wirklichkeit der Idee metaphyſiſch begriffen ſeyn muß und weil, wenn es ſich auch als wahr erweiſen wird, daß die Schönheit durch das Subject in den Gegenſtand hineingetragen wird, ſofern ſie Naturſchönheit, und daß ſie von ihm ganz erſt geſchaffen wird, ſofern ſie Kunſtſchönheit iſt, immer noch die Frage vorausgeht, was denn im Gegenſtande es ſey, wodurch das Sub - ject zu jenem Hineintragen berechtigt und aufgefordert werde? Ganz gemeinverſtändlich ausgedrückt: der Künſtler ſucht Stoffe und macht Studien in der wirklichen Welt. Einiges taugt ihm dazu, Anderes nicht. Ich muß aber zuerſt aufweiſen, warum und wodurch ihm die vor ihm und ohne ihn vorhandene Wirklichkeit eine Fundgrube iſt, ehe ich ihn ſelbſt zum Gegenſtande mache; die Welt, die der Ort ſeiner Studien ſeyn ſoll, muß ſchon gefunden ſeyn, ehe er in ſie eintreten kann.

Schiller’s treffliche äſthetiſche Abhandlungen ſtehen ganz auf Kanti - ſchem Boden. Wenn nun in den genannten Punkten Kant ſelbſt über ſich hinausſtrebt, ſo iſt dies Hinausſtreben über den Dualismus des Begriffs und der Realität in Schiller’s Betrachtungen der Grund - charakter wie in ſeiner Poeſie. Aber die Einheit von Geiſt und Natur, Unendlichkeit und Endlichkeit, Materie und Form, Pflicht und Neigung, Idee und Begrenzung, Freiheit und Nothwendigkeit, die freie Zuſtim - mung des ſinnlichen Impulſes zum ſittlichen, wie ſie Schiller in hundert Wendungen ausſpricht, iſt bei ihm immer nur Ziel, Erſtrebtes, Poſtulat; zu erklären iſt ſie nicht, eine Wirklichkeit iſt ſie nicht und Schiller bleibt daher bei der Begriffsbeſtimmung des Naiven und der Anmuth immer die letzten Gründe ſchuldig, während er das Sentimentale, die Würde und das negative Pathos ſehr richtig und erſchöpfend begreift. Wir werden ihm auf einzelnen Punkten wieder begegnen und ſeine ſpezielleren Verdienſte würdigen.

§. 44.

1

Der ſubjective Idealismus Fichte’s iſt zu naturlos, um den nach §. 43 von Kant nahe gelegten Weg einzuſchlagen und einem tiefen Gedanken über das Schöne, den er in dieſer Richtung vereinzelt erzeugt hat, Folge zu geben. 2Er ſollte erſt durch Schelling zum objectiven Idealismus umgebildet werden,129 und mit dieſem Schritte iſt das metaphyſiſche Prinzip gefunden, welches die wahre Grundlage der Ableitung des Schönen enthält. Der Standpunkt der abſoluten Idee (§. 10) iſt gewonnen; jede Wirklichkeit als eine beſtimmte Form der abſoluten Einheit des Idealen und Realen zu faſſen iſt nun als Aufgabe begriffen und die Schönheit wird als diejenige Form ausgeſprochen, worin dieſe Einheit am vollkommenſten zur Erſcheinung kommt, indem ein beſtimmtes Da - ſeyn als mangelloſe Gegenwart der Idee in die Anſchauung tritt. Solger3 bildet den Grundgedanken bereits zu einem gegliederten Syſteme aus.

1. Fichte (Syſtem d. Sittenlehre §. 31: Ueber die Pflichten des äſthet. Künſtlers): die Kunſt macht den tranſcendentalen Geſichtspunkt zum gemeinen. Auf dem tranſcendentalen Geſichtspunkte wird die Welt gemacht, auf dem gemeinen iſt ſie gegeben: auf dem äſthetiſchen iſt ſie gegeben, aber nur nach der Anſicht, wie ſie gemacht iſt. Die Welt hat zwei Seiten: ſie iſt Produkt unſerer Beſchränkung, ſie iſt Produkt unſeres freien, idealen Handelns. In der erſten Anſicht iſt ſie ſelbſt allenthalben beſchränkt, in der letzten ſelbſt allenthalben frei. Die erſte Anſicht iſt gemein; die zweite äſthetiſch. Z. B. jede Geſtalt im Raume iſt anzuſehen als Begrenzung durch die benachbarten Körper, ſie iſt an - zuſehen als Aeußerung der innern Fülle und Kraft des Körpers ſelbſt, der ſie hat. Wer der erſten Anſicht nachgeht, der ſieht nur verzerrte, gepreßte, ängſtliche Formen, er ſieht die Häßlichkeit; wer der letzten nachgeht, der ſieht Leben und Aufſtreben, er ſieht die Schönheit. Der ſchöne Geiſt ſieht Alles frei und lebendig u. ſ. w. Fichte vergaß nur, auch den andern, vorangeſtellten Satz näher auszuführen, daß nämlich der Philoſoph ſich auf dieſen Geſichtspunkt mit Arbeit und nach einer Regel erhebe, der ſchöne Geiſt aber unbewußt darauf ſtehe und Andere unvermerkt zu ihm erhebe. Der ganze Gedanke iſt höchſt fruchtbar und müßte auf dem Wege verfolgt werden, der zum vorh. §. angegeben iſt, aber in einem Syſteme, wo die ganze Natur blos als Object abgeleitet und dargeſtellt iſt, kann dieſer Keim nicht zur Entfaltung kommen und ſo wird gleich darauf die Kunſt als Mittel der Thätigkeit, nämlich als Schule zur Tugend betrachtet.

2. Schelling hat zuerſt in der abſoluten Einheit des Idealen und Realen den Grund aller Möglichkeit des Schönen gefunden; der Begriff iſt nun als immanenter Zweck erkannt, was eben in der Kantiſchen Lehre vermißt wurde. Wie nun im Ganzen, ſo im Einzelnen: dasViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 9130Individuum fällt nicht neben und außer den Begriff ſeiner Gattung, ſondern dieſer iſt in ihm gegenwärtig eben als ſich durchführender Zweck. Das Individuum iſt Verwirklichung der Gattung im Naturſtoffe, dieſer erſcheint nun nicht mehr als ein Fremdes gegen die geiſtige Allgemein - heit der Gattung oder Idee, denn die Natur iſt gebundener Geiſt und der Geiſt zu ſich gekommene, eine zweite Natur ſchaffende Natur. Die Gattung ſelbſt aber iſt eine Idee, die ihren beſtimmten Ort hat in dem Kreiſe der Ideen, ſo daß mit ihr die abſolute Idee ſelbſt zum Ausdrucke kommt. Von da aus nun fehlt blos noch der Schritt zum Schönen, daß in dieſem das Individuum nicht nur als Ausdruck, ſondern als mangellos reiner Ausdruck der Idee gefaßt werde; und ſo hat Schelling wirklich das Schöne beſtimmt. Der Terminus Vollkommen - heit tritt wieder auf, allein jetzt ohne die Zweideutigkeit, die er in der Wolffiſchen Schule hatte. Die Schönheit heißt im Bruno der äußere Ausdruck der organiſchen Vollkommenheit. Vollkommenheit iſt aber hier nicht eine relative, eine Angemeſſenheit zu einem Zwecke außerhalb, ſondern Vollkommenheit an ſich, größte Unabhängigkeit von Bedingungen. In der Rede über das Verh. d. bild. Künſte z. Natur iſt der durchaus herrſchende Gedanke die Lebendigkeit der Natur. Keine Kunſt und keine Kunſt - philoſophie iſt möglich, wo die Natur als ein Todtes vorſchwebt. Das thätig wirkſame Band des Begriffs und der Form wird geſucht, die Kraft, durch welche die Seele ſammt dem Leib zumal und wie mit Einem Hauche geſchaffen wird. Dieſes Band liegt nicht erſt in der Kunſt, ſondern ſchon in der Natur; zu dem thätigen Prinzip in der Natur muß die Kunſt zurückgehen, wenn ſie lernen will, wie die Formen vom Begriff aus erzeugt werden, auf die poſitive Kraft, welche als ſchaffender Begriff den Theilen der Materie eine ſolche Lage und Stellung gegeneinander gibt, durch welche er ſelbſt als ihre weſent - liche Einheit ſichtbar werden kann. Dies thätige Prinzip kann nur Geiſt ſeyn, denn alle Einheit iſt geiſtiger Abkunft; die Natur iſt werkthätige Wiſſenſchaft, eine Wiſſenſchaft, worin der Begriff nicht von der That, noch der Entwurf von der Ausführung verſchieden iſt. Jedem Ding ſteht ein ewiger Begriff vor, der in dem unendlichen Verſtande entworfen iſt, die Natur als ſchaffende Wiſſenſchaft verkörpert ihn. Zu dieſem Kerne der Natur, zu dieſem im Innern der Dinge wirkſamen, durch Form und Geſtalt redenden Naturgeiſt muß der Künſtler durchdringen, und indem er ausſcheidet, was ihn nicht darſtellt, ſtellt er nur das Nichtſeyende als nichtſeyend dar und bringt das in der Natur in der131 That Seyende an’s Tageslicht; Schönheit iſt daher nichts Anderes, als volles, mangelloſes Seyn. Dieſe Sätze ſind hier, wo der Inhalt von §. 9 14 nicht rein metaphyſiſch, ſondern an der Hand der Geſchichte der Philoſophie und zwar mit dem beſondern Augenmerke näher begründet werden ſoll, daß immer gefragt wird, welches Licht ein Syſtem aus ſeinem Prinzip für die Erklärung des Schönen gewonnen habe, auch darum beſonders am Orte, weil ſie die Richtigkeit unſerer ganzen Anordnung beweiſen, welche die Schönheit nicht aus der Phantaſie conſtruirt, ſondern zuerſt jene Einheit der Dinge begründet, durch welche die Phantaſie ſelbſt erſt möglich iſt. Sollte es nun aber ſcheinen, als ver - ſtehe Schelling unter dem Nichtſeyenden, welches auszuſcheiden iſt, gerade das, was wir als weſentliches Moment im Schönen aufgeſtellt haben, die Zufälligkeit nämlich und insbeſondere die Eigenheit des Individuums, ſo ergänzt er ſich in dieſem Punkte durch das, was er (a. a. O.) über das Charakteriſtiſche vorträgt. Das Eigenthümliche der Dinge wird hier als ein Poſitives anerkannt, es heißt Kraft der Einzelheit, die Indi - vidualität lebendiger Charakter. Hiemit iſt die Gattung als die Macht ausgeſprochen, die das Zufällige ſelbſt in ſich aufnimmt und mit ihrem Inhalt erfüllt: eben der Begriff, den wir ſuchen. Die Anſichten Schellings über die Kunſt und ihren Rang ſind anderswo anzuführen.

3. Solger begründet im Erwin (Vier Geſpräche über das Schöne und die Kunſt 1815) und in den Vorleſungen das Weſen des Schönen durchaus auf die Immanenz des Begriffs in dem zu ſeiner Gattung gehörigen Individuum ſammt der ganzen Mannigfaltigkeit ſeiner Eigen - ſchaften und Zuſtände. Das Mannigfaltige iſt nur der entwickelte oder auseinander gezogene Begriff, die Einheit nur das zuſammengefaßte Mannigfaltige, die Seele der vollſtändige Gedanke des Körpers, der Körper die erſcheinende Seele, vollſtändig und ohne Scheidewand von ihr angefüllt. Beides iſt Ein Schlag, es braucht keine Abſonderung des Begriffs vom Gegenſtand, kein Urtheil. Der Begriff iſt ſchon ganz im Geiſte Hegels dargeſtellt am menſchlichen Körper als das Ganze, das ſich in dem vollkommenen und in ſich ſelbſt zurückkehrenden Zuſammen - hang des Einzelnen offenbart (Erwin Thl. 1, S. 61). Der Begriff des Zwecks wird eingeführt und als die vollkommene Geſtalt diejenige er - kannt, in welcher Zweck und Mittel ganz miteinander geſättigt ſind (63). Der Begriff iſt das Maß des Mannigfaltigen, aber das Maß, welches ſchon ſein eigenes Gemeſſenes iſt und das Gemeſſene, welches als ſolches ſchon zugleich ſein eigenes Maß in ſich trägt (65). 9*132Durch dieſen trefflichen Satz erhellt plötzlich, wo es eigentlich der Platoni - ſchen Beſtimmung (§. 36, 1) fehlt. Das Schöne nun begreift Solger, nachdem er zwiſchen dieſe Entwicklung Deductionen eingeſchoben hat, welche freilich von der Wiſſenſchaft plötzlich und unvermittelt zur Vor - ſtellung Gottes abſchweifen, welche aber hier nicht zu beurtheilen ſind, ganz ſo, wie wir es beſtimmt haben, als jene reine Einheit des Weſens und der Erſcheinung, welche in einem Einzelnen zum Ausdrucke kommt. Das Schöne iſt die vollſtändige Durchdringung des Begriffs und der Erſcheinung, welche ſelbſt erſcheint (Thl. 1, S. 170), die Einheit des Weſens und der Erſcheinung in der Erſcheinung, wenn ſie zur Wahrnehmung kommt. (S. 161). Ein ſolches Einzelnes iſt daher eine Welt für ſich, ein Weltall, dies hebt Solger durchgängig in’s Licht (Weiße: Mikrokosmus vergl. §. 15, 2). Aber es darf darum nicht aus dem Zuſammenhange der übrigen Dinge herausgenommen, es muß ein ganz Einzelnes und Beſonderes nicht blos Denkbares und Erſchloſſenes, in den allgemeinen Begriff Zerfließendes, ſondern die ganze Kraft der Beſonderheit, Begrenztheit und Gegenwart muß darin ſeyn. An mehreren Orten wird ausdrücklich die Zufälligkeit mit einbedungen, namentlich S. 180: was der Zufall der Einzelheit mit ſich bringt, iſt hier zugleich das Ewige und Nothwendige und Urſprüng - liche, ſo daß die weſentliche, ſich ſelbſt genügende Einheit Gottes unver - ſehrt durch jeden auch noch ſo kleinen Theil des Wirklichen und Einzelnen hindurchleuchtet. In dieſem Begriffe hat nun erſt die Aeſthetik ein Prinzip, und was auch gegen Solgers Entwicklung dieſes Prinzips zum Syſtem im Einzelnen einzuwenden ſeyn mag, er iſt der Erſte, der erkannt hat, daß das Syſtem die innere Bewegung der verſchiedenen Stellungen, welche die in jenem Prinzip eingeſchloſſenen Momente gegen - einander einnehmen können, zu entfalten habe.

§. 45.

1

Die Mängel der dialektiſchen Entwicklung, an welchen jedoch die erſte Aufſtellung jenes Prinzips leidet, liegen darin, daß, wie das Prinzip ſelbſt mehr gefunden, als begründet iſt, ebenſo auch die beſtimmte Idee nicht mit Nothwendigkeit aus der obſoluten entwickelt und an ihren Ort geſtellt, daß ferner die Individualität nicht als weſentliche Wirklichkeit und lebenskräftiger Zuſammenſchluß der mit ihren Momenten in ihr gegenwärtigen Idee begriffen wird, was auf die Lehre vom Schönen den Einfluß hat, daß ſowohl der Inhalt133 von §. 16 ff., als von §. 31 ff. nicht gehörig zu ſeinem Rechte kommt. Hegel2 hat durch die dialektiſche Begründung und Durchführung des Standpunkts der abſoluten Idee dieſe Mängel in dem Sinne getilgt, daß die Reihe der beſtimm - ten Ideen folgerichtig entwickelt, die Einzelheit in ihrer Bedeutung erkannt erſcheint, allein er hat dem erſteren Fortſchritt nicht die volle Anwendung auf das Schöne gegeben und bei dem zweiten überhaupt der Berechtigung der Zu - fälligkeit nicht volle Rechnung getragen.

1. Schelling leitet, wie er ſeine abſolute Einheit nicht durch dialektiſche Auflöſung der Mannigfaltigkeit gewonnen hat, ebenſo die Reihe der beſtimmten Ideen und den Naturſtoff, worin ſie wirklich ſind, nicht dialektiſch aus jener ab. Der Formalismus, der willkürliche Sche - matismus der Naturphiloſophie, das Schwanken in der Eintheilung der Sphären des Geiſtes iſt bekannt. Im Schönen handelt es ſich zwar nicht von der rein philoſophiſchen Ableitung des beſtimmten Gehalts aus der abſoluten Einheit, allein, wo dieſe nicht vorangieng, wird auch die Kraft ſeiner äſthetiſchen Geltung verkannt; es wird von jedem Punkte auf das Abſolute übergeſprungen und es zerfließt Alles, wie bei Novalis, in den dunkeln Grund. In der Rede über d. Verh. d. b. K. z. d. N. wird zwar die Stufenleiter der Sphären des Daſeyns als Inhalt des Schönen angedeutet, aber es wird von keinem Schüler Schellings damit Ernſt gemacht und Schelling ſelbſt fällt, weil er ſeiner Andeu - tung nicht Folge gibt, anderswo in die Vermengung mit der Religion (§. 27, 2). Ferner iſt das Verhältniß des Individuums zur Gattung nicht im Sinne der Entelechie begriffen. Jene Rede nennt zwar die Eigenthümlichkeit der Dinge ein Poſitives, die Beſtimmtheit und In - dividualität, heißt es, dürfe nicht als bloſe Begrenzung und Verneinung, ſondern müſſe als Bejahung der ſchaffenden Kraft der Gattung, als ein Maß, das dieſe ſelbſt ſich auferlegt, angeſehen werden, aber es bleibt ſchwankend, ob damit Gattung und Art oder Individuum gemeint iſt, denn es iſt in demſelben Zuſammenhange zunächſt nur von der ſcharfen Beſtimmtheit der gattungsmäßigen Geſtalt in den verſchiedenen Natur - reichen die Rede und hierauf zwar wird geſagt, in der Menſchenwelt lege die Natur ihren Weg noch einmal von vorn zurück und wiederhole ihre ganze Mannigfaltigkeit; allein ganz individuell iſt auch jede Pflanze und jedes Thier und weil Schelling die unendliche individuelle Mannigfaltigkeit erſt in der menſchlichen Gattung beginnen läßt, ſo zweifelt man, ob er nicht blos Raſſen, Völker, Stände, Ausdruck der134 Affekte, Temperamente, alſo wieder Allgemeines im Auge habe. Nimmt Schelling überhaupt zu der Vorſtellung eines Abfalls die Zuflucht, um die Wirklichkeit der Idee zu erklären, ſo wird ihm conſequent das In - dividuum zu einem flüchtigen und nichtigen Schattenbilde der Idee. Die Zufälligkeit, die ſich zur Baſis der Eigenheit des Individuums ſteigert, wird von ihm als falſcher Standpunkt zur Seite geſchoben und bleibt daher, ſtatt daß ihre Aufhebung dargethan wird, unüberwunden. Eine andere Seite, die Kunſtvergötterung, ein Ausfluß der zu hohen Stellung des Unbewußten, iſt anderswo zu beurtheilen.

Solger ringt, dieſe Mängel aufzuheben und ſein Erwin iſt durch dies bloſe Ringen ein bei aller Trefflichkeit beunruhigendes und hetzen - des Buch, die Vorleſungen, übrigens klarer geordnet, in dieſem Punkte ebenſo. Der Gang iſt durchaus, die Erkenntnißweiſen als falſch aufzu - löſen, welche nur Gegenſätze aufeinander beziehen, aber die Gegenſätze ſelbſt werden nicht objectiv ineinander aufgelöst. Es iſt ſubjective Dialektik. Daher wird Gott und das Wunder zu Hilfe genommen, um die reine Immanenz der Idee zu erklären. Hinter dieſen ſinnlichen und ſtoffartigen Hilfen öffnet ſich eine reinere Ausſicht in den philoſophi - ſchen Begriff der abſoluten Thätigkeit (Entelechie), aber ſie ſchließt ſich wieder, die platoniſche Trennung der Idee von ihrer Wirklichkeit tritt wieder hervor und ein Schaffen Gottes in die Lücke. Solger ver - gißt nicht die Zufälligkeit als weſentliches Moment in der Wirklichkeit der Idee als Individuum, aber es wird, zunächſt abgeſehen vom Schönen, nicht dargethan, wie ſie ſich aufhebt und überwindet im Ganzen, dann, was das Schöne betrifft, wird nicht dargethan, wie ſie ſich aufhebt im Einzelnen. Darzuthun, daß dieſe letztere Aufhe - bung nur möglich iſt durch die Phantaſie und Kunſt, dahin ſtrebt Solger, dahin ſtreben auch wir; aber wie der Genius dazu gelangt, die Zufälligkeit zugleich ſo in ihr Recht zu ſetzen und ſo aufzuheben, daß dieſer Akt in Einem Gegenſtande für die Anſchauung beſchloſſen erſcheint, dieß kann nicht erklärt werden, ſo lange nicht dargethan iſt, wie die Zufälligkeit auch objektiv, vor der beſonderen Art, wie der Genius ſie in Einem Schlage aufhebt, ſich fortwährend aufhebt. Von dieſem Hauptpunkte bald mehr.

2. Es iſt hier nicht der Ort, zu beweiſen, wie durch Hegels ganzes Syſtem überall die Beſonderung des Allgemeinen ſich in die für ſich ſeyende Einheit der Einzelnheit, die Subſtanz ſich in das Subjekt zu - ſammenfaßt. Dieſe Immanenz, dieſe Ergänzung des Plato durch Ari -135 ſtoteles und beider durch den Begriff der Subjektivität iſt ſo ſehr Charakter des Syſtems, daß nur das ganze Syſtem der Beweis dafür iſt. Das wahre Subjekt iſt nun allerdings nur das abſolute Subjekt, das ebenſoſehr Objekt iſt; das einzelne Subjekt aber hat ſeinen unend - lichen Werth nur als ſubſtantielles, als ſeiner Allgemeinheit gemäßes Subjekt. Es iſt jedoch ſchon oben zugegeben, daß die im übrigen Syſtem ſtreng entwickelte Beſonderung der abſoluten Idee zu den beſtimm - ten Ideen in der Aeſthetik nicht zu ihrer gehörigen Anwendung kommt, daher Vermengung mit der Religion eintritt (§. 15, 1); es iſt ferner bereits zugegeben, daß die Zufälligkeit, ſowohl im Syſteme überhaupt, als insbeſondere in der Aeſthetik nicht zu ihrem ganzen Rechte kommt (§. 41, 2) Das Einzelne als Subjekt ſoll dem Allgemeinen gemäß ſeyn, aber mit Einſchluß ſeiner Eigenheit: dieſe ſoll ſich mit dem Allgemeinen frei durchdringen und es ſoll gezeigt werden, wie ſie dies kann und muß; dies fehlt bei Hegel, daher erhält in der Lehre vom Staate die Subſtanz ungerechtes Uebergewicht, degenmäßig zu ſeyn wird die höchſte Tugend des Subjekts, und darin liegt ein weiterer Grund, warum die Aeſthetik zu unmittelbar auf ſubſtantiellen Gehalt hindrängt.

§. 46.

Die Bedeutung der Einzelheit iſt dem reinen Begriffe nach keine andere, als daß ſie der erfüllte Inbegriff des Allgemeinen und Beſondern iſt, d. h. daß in ihr eine Art und durch ſie die Gattung ſich verwirklicht. Die Gattung alſo iſt der innere Grund und die lebendige, bildende und bewegende Macht im Individuum. In dies Verhältniß nun ſcheint eine Trübung einzutreten, wenn die empiriſche Gattung im empiriſchen Individuum ſich verwirklichen ſoll, denn dies geſchieht eben auf dem Boden, auf welchem die Gattungen anders, als wie es ihre innere Stufen-Ordnung verlangt, aufeinander wirken und daher ihre Durchführung in ihren Individuen der Zufälligkeit verfällt.

Der wahre Begriff des Verhältniſſes zwiſchen dem Individuum und der Gattung, wie ihn der §. beſtimmt, kann als ein ſicherer Erwerb der neueren Philoſophie hingeſtellt werden. Hegels Logik zeigt das Einzelne durch die Dialektik aller verſchiedenen Stellungen, die es mit dem Allgemeinen und Beſondern eingehen kann, als den concreten Zu - ſammenſchluß dieſer beiden auf (in der Lehre vom Begriffe). Das Ein - zelne iſt nichts Anderes, als die wirkliche Gattung; nicht unmittelbar,136 ſondern durch die Mitte des Beſondern oder der Art. Diejenige Man - gelhaftigkeit des Individuums, welche daraus fließt, daß es nur durch dieſe Mitte die Gattung darſtellt, kann noch nicht als Trübung ange - ſehen werden. Die Gattung theilt ſich in Arten, dieſe als Gattung wieder in Arten und jedes Individuum iſt, ſofern es nur Einer der Arten angehören kann, ein bloſes Bruchſtück der Gattung. Dies Alles kommt noch auf Rechnung der beſtimmten Idee (§. 13. 15), denn unter dieſer ſind nicht nur die Hauptſtufen, ſondern alle Arten der ein - zelnen Stufe verſtanden. Sey das Subjekt auch nur ein Bruchſtück, es iſt und kann immer ſchön ſeyn, wenn es nur das, was es ſeyn kann und ſoll und ſeiner Möglichkeit nach iſt, auch ganz und wirklich iſt. Das Bruchſtück ſelbſt kann reicher oder ärmer ſeyn, die Gattung durch eine vollere oder dürftigere Vereinigung der Kräfte derſelben, wie ſie in Arten ſich getheilt, in ſich darſtellen: daraus entſteht nicht ein weſentlicher, ſondern nur ein Grad-Unterſchied. Die Trübung aber ſcheint einzutreten durch das ſich kreuzende Zuſammenſtoßen der Gattun - gen und Arten auf Einem Raum und in Einer Zeit; dieſe nämlich wird, ſo ſteht zu erwarten, dem Individuum ſolche Hinderniſſe in den Weg legen, daß es auch ſeine noch ſo beſchränkte Aufgabe nicht rein löſen, ſondern nur Bruchſtück des Bruchſtücks ſeyn kann.

§. 47.

In Wahrheit aber tritt dieſe Trübung zunächſt durch die in §. 31 auf - geführte Form der Zufälligkeit noch nicht ein. Iſt nämlich die Gattung überhaupt die ihr Individuum bildende Macht, ſo muß ſie als ein unvergäng - licher Typus wirken, der den Stoff zu ſeiner Durchführung in einem Individuum zwar jederzeit durch das Zuſammentreffen von Bedingungen, die in ſeinem Zu - ſammenſeyn mit der Wirkſamkeit anderer Typen liegen, ſich geben laſſen und daher den Moment, wo er ein Individuum zeugen kann, gleichſam abwarten muß; allein es gibt keinen Stoff an ſich, der als ſelbſtändiges Prinzip dieſem Werk widerſtreben könnte, jeder Gattungs-Typus verwendet zu der Zeugung ſeiner Individuen den ſchon von andern geformten Stoff und wird daher in dem Augenblicke zeugend, wo die geformten Stoffe, deren er bedarf, zuſammentreten.

Zufälligkeit des Orts und der Zeit der Entſtehung. Beyſpiel: Die Zeugenden müſſen das Alter der Zeugungsfähigkeit erreicht haben, wenn ein menſchliches Individuum entſtehen ſoll; eine Welt von ſchon ge -137 formten Stoffen, Luft, Waſſer, nährenden Pflanzen, Thieren u. ſ. w. iſt vorausgeſetzt, um dieſe Reife hervorzubringen. Allein jede Gattung bedarf ſolchen von andern Gattungen ſchon geformten Stoffes und nimmt durch denſelben nichts Fremdes und Trübendes in ſich auf, ſondern iſt mit der wohl geſchnittenen Stempelform zu vergleichen, welche dem ihr, wann und wo es ſey, gegebenen Stoffe ſcharf und beſtimmt ihre Form aufprägt.

§. 48.

Die unendliche Eigenheit der Individuen (§. 32) iſt auf denjenigen1 Stufen, wo die Idee nicht als Subjectivität wirklich iſt, von geringer Be - deutung, das Einzelne erſcheint nur als ſelbſtloſer Durchgang des Allgemeinen. Dagegen wo die Idee als Seele und höher als Geiſt wirkt, da ſteigt in dem2 Grade, in welchem ein Individuum das Allgemeine ſeiner Gattung in ſich darſtellt, die Eigenthümlichkeit und umgekehrt; weit entfernt, einander auszu - ſchließen, fordern ſich alſo vielmehr dieſe Gegenſätze und hebt ſich der in §. 38 aufgeſtellte Widerſpruch in ſeiner Entſtehung auf. Die Eigenthümlichkeit iſt nämlich zunächſt eine nur dieſem und keinem andern Individuum eigene Weiſe, wie ſich die Kräfte der Gattung in ihm durchdringen; dieſe Durchdringung ſetzt aber für ihre verſchlungene Einheit einen Reichthum von Kräften voraus, und wo dieſer iſt, da werden allerdings die fehlenden vermißt, fällt alſo die Indi - vidualität als ſolche im Unterſchied von der Gattung in die Augen, da erſcheint aber ebenſoſehr die Gattung in einer Fülle von Kräften dargeſtellt, gewinnt daher das Individuum allgemeine Bedeutung und ſticht dadurch von den ge - wöhnlichen Individuen ab.

1. In der unorganiſchen und vegetabiliſchen Natur iſt das Einzelne von ganz verſchwindender Bedeutung. Im Zuſammenhange der Aeſthetik wird dies ſogleich dadurch klar, daß nicht vereinzelt eine Wolke, Erd - bildung u. ſ. w. zur Darſtellung kommen kann; der Gegenſtand ſelbſt läuft in dieſen Sphären in eine Continuität aus, worin das Einzelne ſich nicht abſchneidet. Von mineraliſchen Gebilden wird an ſeinem Orte die Rede ſeyn. Einzelne vegetabiliſche Bildungen, ein Baum z. B., werden wohl auch bewundert und dargeſtellt, aber nie wird ein Maler einen Baum dar - ſtellen dürfen ohne Luft, Erde, ein Stück Landſchaft, thieriſche oder menſch - liche Staffage, während er doch ſehr wohl einen Menſchen abbilden kann ohne irgend ein Beiwerk und mit einem bloſen Schatten als Hintergrund; ja wohl138 auch ein Thier läßt ſich ſo darſtellen. Die Individualität hat in jenen Sphären ebenſowenig Eigenheit als die Regel Strenge (vergl. §. 38). Dieß ſcheint ein Widerſpruch, denn je weniger dieſe bindet, deſto freier ſcheint ſich jene zu ergehen. Allein dieſe Freiheit iſt nicht Eigenheit; die Kraft der Eigenheit erkenne ich an der Kraft ihres Gegenſatzes, der bindenden Regel; dieſe Freiheit iſt ein unintereſſantes Hinſchweifen und das Schweifen iſt eben der Charakter der Gattung ſelbſt.

2. In der Thierwelt zeigen ſich Individuen, welche als originell in ihren Anlagen mit einigem Rechte bezeichnet werden können, aber ihre wahre Bedeutung erhält die Frage erſt in der Menſchenwelt. Es ſticht ein Individuum aus allen übrigen hervor, es ſind die Kräfte der Menſchheit ſo eigenthümlich in ihm gemiſcht, daß es keinem andern gleicht. Dazu braucht es offenbar eine ungemeine Fülle von Kräften, ſonſt iſt nicht vorhanden, was ſich miſchen könnte; eine Individualität, die ſich die Miene giebt, etwas ganz Beſonderes zu ſeyn ohne die dazu nöthigen Mittel, iſt vielmehr trivial und gewöhnlich. Eben durch den Beſitz jener Kräfte fällt aber auch in die Augen, was von Kräften der Gattung ſelbſt dem begabteſten Individuum fehlt, alſo iſt jener Unterſchied des Individuums von andern zugleich der des Individuums vom Ganzen der Gattung. Zugleich jedoch iſt ebenſoſehr die Gattung in größerer Fülle gegenwärtig in dem ſo hervorſtechenden Individuum, als in allen andern, und was daſſelbe von dieſen trennt, hebt es alſo vielmehr gerade in das Licht der Gattungs-Allgemeinheit um ſo mehr empor. Das Ungemeine iſt in dieſem Sinne das Allgemeinſte. Alſo ſteigt nicht nur mit der Beſtimmtheit der Regel, wie ſie die Gattung giebt, die Eigenheit der Individuen (§. 38), ſondern auch, während ebendadurch der Widerſpruch zwiſchen beiden zu ſteigen ſcheint, hebt er ſich vielmehr in demſelben Grade auf. Benvenuto Cellini z. B. iſt ganz Orginal, aber ebenſoſehr, ja ebendadurch ganz Repräſentant ſeines Jahrhunderts, ſeines Volks, ja vielleicht der geſammten Menſchheit. Solche Naturen können als geiſtige Flügelmänner angeſehen werden, die uns mit heftigen Aeußerungen dasjenige andeuten, was durchaus, obgleich oft nur mit ſchwachen unkenntlichen Zügen, in jeden menſchlichen Buſen eingeſchrieben iſt. Ein bedeutendes, gleichſam unbegrenztes Individuum. (Göthe). Unter den ſogenannten Originalen pflegt man allerdings Individuen von einer nicht nur aus reichen Kräften gemiſchten, ſondern mehr oder minder krankhaft überworfenen, in ſich widerſprechenden Eigenthümlichkeit zu verſtehen; allein man wird finden, daß ſolche in Nationen zum139 Vorſchein kommen, wo ein ſolcher Widerſpruch zum Volkscharakter gehört, ſo daß das originelle Individuum ſelbſt als ſolches Repräſentant einer Allgemeinheit iſt. Wenn nun aber das Prädicat der Allgemeinheit vielmehr gerade den gewöhnlichen, nicht hervorſtechenden Individuen bei - gelegt wird, ſo iſt zu unterſcheiden zwiſchen dem doppelten Sinne, der in dem Begriffe der Gattung liegt. Menſchheit und Volk heißt Gattung im Sinne des animaliſchen und blos ſeeliſchen Weſens; in höherer An - wendung aber bezeichnet das Wort die geiſtige Allgemeinheit, zu der ſich das Menſchengeſchlecht auf ſeiner Natur-Grundlage erhebt. Das Individuum nun, das geiſtig werthlos iſt, gibt nicht Anlaß, an die Gattung im zweiten, höheren Sinne ſich zu erinnern, es gehört alſo der Gattung im Sinne der Natur an, dieſe als ſolche aber individualiſirt überhaupt nur oberflächlich; der gemeine Menſch iſt daher der allgemeine im Sinn der animaliſchen Gattung und der nichtige, der vereinzelte im Sinn der geiſtigen. In der Gattung als geiſtiger Allgemeinheit dagegen ſteigt Eigenthümlichkeit und Bedeutung für das Ganze und Allgemeine in gleichem Schritte. Der große Mann iſt nur ſich ſelbſt gleich und ebenſoſehr ganz Menſch. Allerdings haben wir den Grund ſelbſt der geiſtvollen Eigenheit in einer Naturbaſis geſucht; die Kraft, aus der Gattung als animaliſcher Natur ſich hervorzuheben, iſt als Genie ſelbſt wieder Natur-Anlage. Allein es verhält ſich mit dem höheren Gattungstypus ſo, daß er, wo er die ihm dienenden Naturſtoffe aufs Glücklichſte organiſirt, dieſelben zu geiſtigen Organe bildet, welche durch ihre Thätigkeit ihre Herkunft aus der Natur, die ſie ebenſoſehr zu einem ſpezifiſch Neuen erheben, als ſie ſelbſt aus ihr ſtammen, vergeſſen machen: ſo daß ihnen gegenüber die Gattung als Naturtypus wie gemeine Natur erſcheint, während ſie in ihnen ſich ebenſoſehr übertrifft, als ſie ganz ſie ſelbſt iſt. Auf jene Umbildung der Naturbaſis geht der folg. §. über.

§. 49.

Vermag die Gattung die in ihrem Einzelweſen vereinigten Stoffe mit ihrer Allgemeinheit und Einheit zu durchdringen, ſo wird auch der Zufall der wechſelnden Erregungen (§. 33) nur die Bedeutung einer beſtändigen Sollizi - tirung haben, wodurch eben die Aeußerungen der Thätigkeit hervorgerufen werden, welche im Weſen der Gattung liegen. Wo aber die Gattung der Sphäre des ſelbſtbewußten Lebens (§. 19. 20) angehört, da beſteht ihr Weſen darin, den ganzen, durch dieſe Art der Zufälligkeit gegebenen Stoff nicht140 nur zur organiſchen Form und für blinde Zwecke zu verarbeiten, ſondern dieſes ſo Geformte durch einen zweiten Act, in welchem ſie die Unmittelbarkeit aufhebt, in die Idealität des Willens umzubilden, welcher die geiſtige All - gemeinheit und die gegebene Eigenthümlichkeit des Individuums ſammt ihren wechſelnden Erregungen zur Einheit eines Ganzen verſchmelzt. Er kann ſich zwar von den Grenzen ſeiner Eigenheit nicht befreien, aber dieſe ſelbſt er - ſcheinen nun als gewollte und offenbaren in der Beſchränkung die Unbeſchränktheit.

Keine Perſönlichkeit kann über die in ihrer Naturbaſis begründeten Eigenheiten ganz hinaus. Indem ich aber dieſe Nothwendigkeit erkenne und darnach mit meiner geiſtigen Kraft haushalte, erhebe ich dieſe Grenze ſelbſt zu dem Meinigen und bin in der Begrenzung unbegrenzt, denn das frei Gewollte iſt unbegrenzt. Jede Gattung des Lebendigen nimmt, was kommt, ergreift den innern und äußern Zufall als Stoff der Thätigkeit. Was er bringt, läßt ſich nicht vorherbeſtimmen, alles Leben iſt ein ſtetes Verarbeiten des Zufälligen. Den Geſetzen ſeines Organismus und ſeines Inſtinctes treu verarbeitet das Thier die Stoffe, die ſich ihm bieten; der Menſch baut über der phyſiſchen Welt eine zweite; auch dieſe hängt vom Zufall ab, ſowohl dem der Geburt, als dem der ſtets neuen Erregungen, aber wie denſelben zuerſt der Leib und das Bedürfniß ergriffen hat, ſo ergreift das ſinnlich Geformte erſt der Geiſt und gliedert daraus die Welt des Willens.

§. 50.

Dieſe Einheit iſt keine ruhende, ſondern eine thätige, worin das Allge - meine der Gattungsregel und das Zufällige der Individualität ſich im Kampfe einander entgegenbewegen, der bis zu der Empörung des Einzelwillens gegen den vernünftigen und allgemeinen, zum Böſen ſich ſteigert. Allein dieſer Kampf bringt die untrennbare Zuſammengehörigkeit beider Momente dadurch zum Vorſchein, daß der Widerſtreit als ein ſich ſelbſt aufhebender Widerſpruch ſich offenbart; es kann daher in demſelben ſo wenig ein Hinderniß des Schönen liegen, daß es demſelben nicht nur zu folgen vermag, ſondern vielmehr aus ſich ſelbſt in ſeinem eigenen Intereſſe das Schauſpiel deſſelben erzeugen wird.

Der Kampf, von dem hier die Rede iſt, heißt im äſthetiſchen Gebiete das Tragiſche und Komiſche. Hiedurch ſcheint eine beſtimmte Form des Schönen vorweggenommen zu ſeyn, von welcher hier noch nicht die Rede141 ſeyn darf, da die Unterſuchung ſich noch mit der einfachen, kampfloſen Schönheit beſchäftigt. Allein es ſind zwei ganz verſchiedene Fragen: ob die aus der Wirklichkeit des ethiſchen Lebens aufgenommene Nothwendigkeit dieſes Kampfes das Schöne nicht unmöglich mache? und: ob das Schöne nicht gemäß ſeinem eigenen Geſetze und Intereſſe das Schauſpiel desſelben hervorrufe? Die erſtere Frage liegt hier vor, die zweite iſt erſt ſpäter aufzuwerfen und dann erſt heißt dieſer Kampf tragiſch und komiſch. Hier handelt es ſich nur um die Wahrheit, daß die Individualität ſich ver - nichtet, wenn ſie ſich gegen die Allgemeinheit ſträubt, und daß die All - gemeinheit, wenn ſie als äußere geiſtloſe Macht beharren will, der Individualität zum Spiele wird, daß alſo in beiden Fällen der Widerſtand ſich rächt zum Beweiſe der abſoluten Einheit beider Momente, daß daher das Schöne, das eben in dieſer Einheit beruht, durch dieſen Kampf kein Hinderniß ſeiner Exiſtenz findet.

§. 51.

Wie vollkommen aber die Allgemeinheit der Gattung das Individuum durchdringt, das Band iſt dennoch kein bleibendes. Das Individuum geht unter, die Gattung dauert. Das Schöne iſt aber, wie aus §. 13 folgt, eine Verewigung des Individuums. Allein da die Gattung das Individuum zwar überdauert, aber doch nur im Individuum wirklich iſt, ſo verewigt der Tod ſelbſt, wenn er nur aus ſeinem Verhältniß zur Gattung rein hervorgeht, das Individuum, denn es kommt in ihm die Wahrheit zum Ausdruck, daß die reine Bedeutung des Individuums aufbewahrt im Leben der Gattung ſeine zeitliche Exiſtenz überlebt.

Wenn der Tod aus dem Verhältniß des Individuums zur Gattung rein hervorgeht, d. h. wenn nicht Zufälligkeit in dem Sinne ſich einmiſcht, in welchem ſie ſofort wieder aufzuführen iſt, wenn vielmehr das Individuum entweder als Naturweſen ſtirbt, weil nach natürlicher Ordnung ſeine Lebenskraft ſich erſchöpft hat, oder wenn es als geiſtiges Weſen im Dienſte einer Gattung im höheren Sinne, nämlich einer geiſtigen Macht, ſein Leben opfert. In beiden Fällen vollführt es den Kreis der in ihm liegenden Wirkungen ſo, daß es ſich in ihnen überlebt. Rückerts ſinnvolles Gedicht Die ſterbende Blume ſpricht dieſe Wahrheit aus. Die Gattung als ſinnlicher Typus wie als ſittliche Sphäre überdauert das Individuum, aber nur in neuen Individuen. Sie iſt142 ſelbſt in den Individuen das abſolute Individuum. Das einzelne In - dividuum, das wahrhaft ſeiner Beſtimmung genügt, erhebt ſich aus der Reihe der einzelnen in das abſolute Individuum und dies an ihm iſt das Bleibende, wodurch es mit dem Urbilde in den Abbildern unſterblich fortlebt.

§. 52.

1

Alle dieſe Formen der Zufälligkeit heben alſo die volle Gegenwart der Gattung in ihrem Individuum, welche zum Schönen gefordert wird, nicht auf, vielmehr werden ſie weſentlich in dieſelbe mit aufgenommen und bedingen ihre Vollendung. Allein mit denſelben dringt unaufhaltſam auch die in §. 40 dar - geſtellte Art der Zufälligkeit ein und hier hat die Macht der beſtimmten Idee ihre Grenze; das Individuum verkümmert oder erliegt im Zuſammenſtoße mit dem Fremdartigen, was die Natur der Gattung in ihm weder abzuhalten noch2 auszuſcheiden vermag. So wie nun dieſes Uebel entſteht durch das Zuſammen - ſeyn der beſtimmten Gattung mit allen andern, ſo wird ſie auch aufgehoben nur durch eben dieſes Zuſammenſeyn, das aber zugleich ein unendliches Werden iſt. Im unendlichen Raume und in der unendlichen Zeit ergänzen und erſetzen ſich alle Trübungen der Idee und bewirkt ſich in der Vereinigung des Guten mit dem Gute das höchſte Gut. (Rückkehr zu den nunmehr entwickelten §§. 10. 11.)

1. Dieſe ſchlechtweg trübende Art der Zufälligkeit iſt freilich nur eine Form derſelben allgemeinen Zufälligkeit, aus welcher auch die nicht trübenden Einflüſſe fremder Potenzen hervorgehen. Die Grenze zwiſchen jener und dieſer läßt ſich durchaus nicht angeben, weil eben das Zu - fällige nicht eher beſtimmbar iſt, als bis es eingetreten iſt. Das Ve - getabiliſche z. B. iſt Nahrung für den Menſchen. Der Stoß des Zufalls führt einen Volksſtamm in ein Land, wo er eine andere Pflanzenwelt findet, als in der frühern Heimath, aber der menſchliche Organismus gewöhnt ſich an dies Neue und vermag es in ſich zu verarbeiten. Allein ein Einzelner ſtößt auf eine Giftpflanze und erkrankt oder erliegt ihrer mit dem menſchlichen Natur unvereinbaren Subſtanz. So eine Menge ſchädlicher klimatiſcher und anderer Einflüſſe. Zu den furchtbarſten Schickſalen der Menſchheit durch den Zufall gehört der Kretinismus mit ſeinen Urſachen. Wären ſie auch ergründet, wie ſie es noch nicht ſind, ſo wäre er doch nicht zu verhüten, da weitere Zufälle es mit ſich bringen, daß die Bevölkerung, die ſolchen Einflüſſen des Elementariſchen143 ausgeſetzt iſt, nicht nach Belieben ihre Sitze verlaſſen kann. Die Grenz - Linie zwiſchen dem nicht ſtörenden und dem ſchlechtweg ſtörenden Zufalle iſt aber um ſo weniger zu finden, da ebendas, was ſonſt weſentliche Bedingung oder Vorausſetzung des Lebens iſt, wie z. B. das Geſetz der Schwere, zugleich zahlloſe Verſtümmlungen und Todesfälle da ver - urſacht, wo nicht etwa mögliche, aber verſäumte Vorſicht, alſo eine Schuld oder durch einen ſittlichen Zweck gebotene Uebernahme der Gefahr ſolchen Störungen Sinn und Zuſammenhang giebt, wo ſie alſo rein zufällig ſind. Wo nun ſolcher Zufall eindringt, ſucht die Gattung ihr Individuum durch ihre Heilkraft zu retten, ſo gut es geht; ſie vermag es aber nicht ohne vorübergehende oder dauernde Verkümmerung oder Verſtümmlung der Geſtalt, oder ſie vermag es gar nicht, ſie muß es Preis geben. Nun könnte man einwenden, daß die Trübungen, welche aus dieſem Herrſchen des Zufalls fließen, doch auch äſthetiſch brauchbar ſeyn müſſen und daß doch kein Grund ſey, hier plötzlich eine äſthetiſche Grenzlinie zu ziehen, wo ſich abgeſehen von der Aeſthetik keine ziehen läßt. Aus dieſer Einwendung macht auch der Naturalismus in der Kunſt wirklichen Ernſt. Vergl. Diderots Verſuch über die Malerei, überſetzt und mit Anm. begl. von Göthe. 1. Cap. Hier heißt es, ein Buckliger ſey eine in ſich ganz vollkommene und zuſammengehörige Geſtalt, nur nach den armen Regeln der Menſchen ſey er übel gemacht, aber nach der Natur beurtheilt werde es anders klingen. Eine ſolche Anſicht iſt jedoch als durch unſere ganze Begründung widerlegt anzuſehen; denn die Regel, die in der Gattung liegt, ſoll ja die Abweichungen des Individuums als frei umſpielende Linie zwar zulaſſen, aber ſolche Abnormitäten ſtören ſie in ihren Grundgeſetzen. Ferner iſt in §. 40 ſchon hervorgehoben, daß durch die hier aufgeführte Form der Zufälligkeit die vorgenannten, berechtigten ſelbſt getrübt werden. Z. B. die phyſiogno - miſche Eigenthümlichkeit eines Kopfes mag bis nahe an die Grenze der Abnormität und Häßlichkeit gehen und doch äſthetiſch ganz brauchbar ſeyn. Den Grund aller individuellen Eigenheit haben wir auch wirklich in der Naturbaſis des Zufalls geſucht. Allein nun iſt von Trübungen die Rede, durch welche dem Individuum dieſe ſeine Eigenheit ſelbſt ver - kümmert und gedrückt wird, ſo daß es ſich ſelbſt nicht gleich iſt, und das unregelmäßige Angeſicht erſcheint nun ſo, daß dieſe Unregelmäßigkeit ſelbſt in ihrer Bedeutung nicht hervortreten kann. Um hier, wie in §. 40, 2 das Erhabene und Komiſche zum voraus in Rechnung zu nehmen, ſo erwäge man, daß das Erhabene zwar Verkümmerung zuläßt, ja fordert, aber144 als Wirkung einer höhern Idee, welche dadurch gerade ihrem Weſen gemäß unverkümmert thätig iſt; daß dagegen das Komiſche die Verküm - merung im größten Umfange zwar aufnimmt, um ſie in ſeiner Weiſe aufzuheben, welche eine ganz andere iſt, als die, worin im nicht äſthe - tiſchen Seyn das Verkümmerte ſich aufhebt, nämlich nicht eine Auf - hebung, welche, wie im einfach Schönen, ſchon vollendet ſeyn muß, wenn der Gegenſtand überhaupt äſthetiſch ſeyn ſoll, ſondern welche dem Feinde des Schönen vielmehr zuerſt Spielraum läßt, um ihn im Fortgang auf - zuheben; aber auch dieſer Fortgang muß alsbald und in derſelben Erſcheinung eintreten, nicht anderswo oder ein andermal, wie außer dem Schönen.

2. Hier iſt der eigentliche Ort, in welchem der Theismus als Volks - glaube wurzelt. Beim Eintritt des ſchädlichen ſinnloſen Zufalls wird eine perſönliche Intelligenz angenommen, welche geheime Zwecke haben müſſe, dies zuzulaſſen, und in dieſem Vorausſetzen unbekannter Zwecke liegt für das einfache Bewußtſeyn der Troſt. Dasſelbe erkennt nicht, daß wahrer Troſt nur im Verſtehen liegt, und zieht den unendlichen Fluß des Lebens und Geiſtes, der die ewige Herſtellung und Wechſel-Ergänzung des Unvollkommenen iſt, auf den undurchdringlichen Punkt jener verborgenen Perſon zuſammen. Es iſt aber dieſe Vorſtellung hier nur anzuführen, um zu zeigen, daß der Theismus den Standpunkt der Aeſthetik in Wahrheit ausſchließt. Denn die Aeſthetik ſucht einen Act, wodurch jene unendliche Bewegung der Ueberwindung des Zufalls freilich auch auf Einen Punkt, aber einen rein gegenwärtigen, zuſammengezogen wird, der Theismus aber verlegt dieſen Punkt in ein undurchdringliches Jenſeits. Da nun der perſönliche Gott nicht abgebildet werden kann ( vom Polytheismus iſt hier nicht die Rede ) ſo iſt die Schönheit aufgehoben. Dagegen wenn ſich der Theismus mit dem ſpeziellen Offenbarungsglauben verbindet, ſcheint er den Punkt als einen präſenten zu beſitzen im Leben des Gottesſohns. Allein dann wird ein Individuum als reiner Reprä - ſentant nicht einer beſtimmten, ſondern unmittelbar der abſoluten Idee geſetzt, was gegen §. 13 und 15 iſt. Feſtzuhalten alſo iſt dieſes: alle früher genannten Formen der Zufälligkeit heben ſich ohne beſonderes Zuthun auf im Einzelnen ſelbſt und ſeiner Thätigkeit, alſo immer in einem überſichtlich begrenzten Punkte; die letztgenannte aber hebt ſich auf nur im unendlichen Raume, wo jenes Individuum hat, was dieſem fehlt, und ſofort in’s Unendliche, und in der unendlichen Zeit, wo die Zukunft herſtellt, was in der Gegenwart verkümmert iſt, und ſofort ins Unend -145 liche. Hier tödtet der Regen die Pflanzen, hundert Stunden entfernt iſt er wohlthätig und erſehnt: das tröſtet über jenes Uebel, aber es iſt nicht äſthetiſch, denn ein ſchönes Werk kann nicht ſo entfernte Landſchaften zuſammenfaſſen. Krankheit tödtet ein ſchönes Kind, Lebensernſt und Sammlung erwächst vielleicht daraus für leichtſinnige Eltern: aber damit kann der Maler, der das Kind darſtellen ſollte, nichts anfangen.

Als vorläufiger Wink über die Art, wie die Kunſt den Zufall be - handelt, mag hier eine Stelle des Ariſtoteles ſtehen, welche zwar Bedenken erregen mag, aber auch viel zu denken giebt (Poet. Cap. 9): wenn die Handlungen einander bedingen, wird mehr Bewunderung erregt, als wenn ſie ſich von ſelbſt und aus Zufall ereignen. Denn auch unter den zufälligen Begebenheiten ſcheinen diejenigen am bewundernswürdigſten, welche wie aus Abſicht geſchehen zu ſeyn ſcheinen; z. B. die Bildſäule des Mitys in Argos erſchlug den, welcher die Urſache ſeines Todes ge - weſen war, indem ſie auf ihn fiel, während er ſie beſchaute.

§. 53.

Da nun aber das Schöne nach §. 13 und 30 die reine Wirklichkeit der Idee in einem begrenzten, daher überſchaulichen einzelnen Weſen fordert, ſo folgt, daß dieſe Aufhebung dieſer Form der Zufälligkeit in der unendlichen Ausdehnung und dem unendlichen Fortgange nicht genügt, ſondern etwas ge - ſchehen muß, wodurch der Schein einer Zuſammenziehung dieſes unendlichen Flußes auf Einen Punkt erzeugt wird. Das Schöne kann nunmehr beſtimmt werden als eine Vorausnahme des vollkommenen Lebens oder des höchſten Guts durch einen Schein. Das weitere Syſtem hat die Aufgabe, darzuthun, wodurch dieſer Schein zu Stande kommt; möglich aber iſt er nur, wenn, was durch ihn als Vorgang im Einzelnen dargeſtellt oder vorausgenommen wird, im unendlichen Ganzen wirklich iſt, und gefordert iſt er durch das in §. 12 aufgeſtellte Geſetz.

In der Anm. braucht, da kein Grund iſt, hier zu ſpannen und zu überraſchen wie in einem Roman, nicht verſchwiegen zu werden, daß dieſer Act die That der Phantaſie iſt. Sie ſiſtirt den unendlichen Fluß und drängt ihn auf Einen Punkt zuſammen, bannt ihn in die Einzelheit und vollzieht ſo die große Antizipation, durch welche je auf einem beſtimmten Punkte vollendet erſcheint, was nie und immer, nirgends und überall ſich vollendet. Sie dividirt das Unendliche der Vielheit mit der Einfachheit des Geiſtes (vergl. hiezu Leſſing Hamb. Dramat. Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 10146Abſchn. 79, von den Worten: Man ſage nicht u. ſ. w. Kant aber iſt es, der die Idee der Phantaſie als einer verhüllten Diviſion zuerſt eigentlich ausgeſprochen hat Kr. d. äſth. Urtheilskr. §. 17. Dies wird an ſeinem Orte entwickelt werden). Allein das Räthſel der Phantaſie kann nicht gefunden werden, wenn nicht zuerſt metaphyſiſch entwickelt iſt, wie hinter ihrem Schein eine Wahrheit liegt, wie im großen Ganzen ſich allerdings verwirklicht, was ſie als Einzelnes vorzaubert, oder: das Urbild kann durch die Phantaſie nicht in Eins zuſammengezogen werden, wenn es nicht außer ihr im unendlichen Ganzen wirklich iſt und zwiſchen den Dingen ſchwebend ſich unabſehlich hindurchzieht. Die Phantaſie ſchaut dieſen ſchwebenden Geiſt, wie ein geiſtreicher Leſer zwiſchen den Linien liest. Dieſer objective Grund der Möglichkeit der Phantaſie iſt nun, nachdem er §. 10 und 13 als Theſis aufgeſtellt war, entwickelt, es iſt dargeſtellt, warum das Schöne nicht leerer Schein, ſondern Erſcheinung iſt; wir wiſſen, was das Schöne leiſtet, und warum dies überhaupt geleiſtet werden kann; aber die Kraft, wodurch es geleiſtet wird, haben wir noch zu ſuchen, und zwar, wie ſich zeigen wird, auf einem weiten Wege.

§. 54.

Da nun die Wirkung dieſes Acts darin beſtehen muß, daß das In - dividuum jedem Zuſammenhange entnommen erſcheint, welcher die reine Gegen - wart der Idee in ihm trübte, ſo darf die Geſtalt desſelben nicht nach ihrer inneren Miſchung und Structur, ſondern nur nach der Totalwirkung derſelben, wie ſie auf der Oberfläche erſcheint, in Betracht kommen: nur dieſe, vom Durch - meſſer abgelöst, nur der Aufriß, nicht der Durchſchnitt. Es kommt nur darauf an, wie der Körper ausſieht, er iſt umgewandelt in reinen Schein. So lange nämlich dieſe Ablöſung der auf der Oberfläche hervortretenden Geſammtwirkung von den ſie bedingenden Theilen der inneren Zuſammenſetzung nicht vorgenommen, ſondern der Körper als ein Zerlegbares betrachtet oder wirklich zerlegt wird, ſo fällt er theils unter den Begriff der Zweckmäßigkeit, alſo einer abſtracten Kategorie (§. 16. 23), theils als empiriſcher Stoff in den Zuſammenhang der trübenden Zufälligkeit. Durch dieſen Schein verewigt das Schöne erſt wahr - haft ſeinen Gegenſtand.

Ueber dieſes wichtige Moment vergl. die Schrift des Verf. : Ueber das Erhabene und Komiſche, ein Beitrag zu der Philoſophie des Schönen. Auch Weiße hat dasſelbe ausgeſprochen (Aeſth. §. 17. 18), aber nicht147 genug hervorgehoben. Was unter dieſem reinen Scheine verſtanden ſey, zeigen am beſten zwei Stellen aus Göthe, die eine in Dichtung und Wahrheit, wie ihm die Werkſtätte des Schuſters zu Dresden als ein Bild von Oſtade, die andere in der italieniſchen Reiſe, wie ihm die Lagune mit der Gondel ganz als venetianiſches Gemälde erſcheint. Es iſt dies zwar Betrachtung von dem Standpunkte einer beſtimmten Kunſt, aber weſentlich dieſe Abſtraction vom Stoffartigen im Gegenſtande, welche auch ohne jenen Standpunkt einer beſtimmten Kunſtſchule oder der Kunſt über - haupt vollzogen werden kann. Uebrigens ſpricht Göthe das Geſetz ſelbſt in ſeinem Begriffe aus in ſ. Anm. zu Diderots Verſuch über die Malerei (Werke B. 36. S. 217. 233). Hogarth ſucht in der Einl. ſ. analysis of beauty einen Begriff von der reinen Form zu geben, indem er jeden Gegenſtand ſo zu betrachten auffordert, als ob Alles, was inwendig darinnen iſt, ſo rein herausgenommen ſey, daß nichts übrig bleibt, als eine dünne Schaale, die man ſich aus reinen Linien gebildet vorſtellen muß und deren innere und äußere Fläche natürlich ganz gleich iſt. Dann macht er einen Vorſchlag, durch einen wächſernen Rumpf Drähte zu ſtecken, deren frei hervorſtehender Theil anders gefärbt wird, als der, welcher innen ſteckt. Statt deſſen hätte er nur das Punktiren der Bildhauer auseinanderſetzen dürfen. Hogarth iſt freilich dieſen Betrachtungen nicht treu geblieben (vergl. §. 36, 2), ſie ſind aber höchſt lehrreich. Man gehe vom Innern eines plaſtiſchen Körpers heraus auf allen Punkten dahin, wo der Körper aufhört: dies iſt eben ſeine Grenze, ſeine reine Form; ſie iſt nicht ſelbſt etwas; der Grund, warum die Stoffe des Körpers auf allen Punkten ihre Raumerfüllung eben da abſchließen, wo ſie zu Ende iſt, liegt im ganzen innern Bau, aber von dieſem Grunde wird jetzt ab - ſtrahirt und nur die Wirkung, die reine Grenze aufgefaßt, welche ſelbſt kein Stoff mehr iſt. Handelt es ſich nicht von einer einzelnen Geſtalt oder Zuſammenſtellung mehrerer in ruhender Raum-Erfüllung, ſondern von bewegter Handlung, worin ein ſittlicher Gehalt erſcheint ( auch dies reichere Ganze kann Individuum heißen ) ſo ſind unter innerer Miſchung und Structur die Momente der Handlung, die Perſonen, wo - durch ſie repräſentirt ſind, die einzelnen Umſtände u. ſ. w. zu verſtehen: die Handlung erſcheint äſthetiſch nur, wenn dieſe einzelnen Beſtandtheile, durch deren Zuſammenwirkung ſie entſteht, nicht herausgenommen werden und für ſich wirken, denn außer dieſer Stelle im Ganzen ſind ſie bloſer Stoff. Nicht anders verhält es ſich mit der Farbenwirkung. Es erſcheint z. B. der menſchliche Leib als ein von Blut durchſtrömter durch die Haut -10*148färbung, und die größere oder geringere Wärme dieſes lebendigen Blut - ſchimmers iſt wichtig, denn derſelbe iſt weſentlich zum Ausdruck des Tem - peraments, aber zugleich wird in der maleriſchen Auffaſſung vom Blut als einem beſonderen Stoffe ebenſoſehr rein abſtrahirt, denn durch dieſen beſondern Stoff verfällt der einzelne Körper theils der Verkümmerung und Aufreibung durch den Zufall, theils intereſſirt er nur den zerlegenden Phyſiologen. Hiemit iſt an dieſem Beiſpiel zugleich der allgemeine Grund dieſer Reduction des Körpers auf den Geſammtſchein ſeiner Oberfläche angegeben. Er iſt ein doppelter. Blickt man hinter die Oberfläche und zerlegt man, ſo erhält man die einzelnen Theile: dieſe dienen dem Ganzen, und hiemit iſt man im Gebiete der bloſen Zweckmäßigkeit; nur wenn man das Ganze mit Einem Schlage betrachtet, ſo tritt die Wechſel - Aufhebung von Zweck und Mittel, alſo die Idealität des Ganzen in An - ſchauung und Geiſt (vergl. §. 16 und 23). Zerlegt man aber immer weiter, ſo bleibt am Ende der Stoff im engſten Sinne, ſofern er nämlich nur die denkbar ärmſte Form hat, und ſo heißt er gegenüber dem edlen organiſchen Gebilde roher Stoff. Dieſe theilweiſe oder ganze Zerlegung nimmt aber nicht nur die Wiſſenſchaft für ihre geiſtigen Zwecke vor, ſondern unbewußt auch die rohe, ſinnliche Betrachtungsweiſe, welche ſich auf den Bodenſatz dieſer Zerpflückung eines Ganzen durch Begierde oder Abneigung bezogen fühlt. Davon mehr in der Lehre vom ſubjectiven Eindrucke des Schönen. So unendlich dieſe beiden Arten der Zerlegung verſchieden ſind, in ihrem Gegenſatz gegen den äſthetiſchen Act des reinen Genuſſes der Totalwirkung treffen ſie, wie ſich zeigen wird, zuſammen. Das Schöne iſt wie die Baſis eines Monuments, welches den Gegenſtand der ver - ewigenden Kunſt aus dem Gedränge der gemeinen Verflechtung der Dinge emporhebt. Hier erhellt auch die idealiſirende Kraft der Raumferne, der Zeitferne und des Todes.

Es wird leicht ſeyn, das Geſagte vorläufig auch auf den Ton an - zuwenden. Jeder Ton iſt eine Vereinigung einzelner vibrirender Theile eines Stoffs zu einer Geſammtwirkung. Hört man dieſe einzelnen Schwingungen und die Materie der erzitternden Faſern u. ſ. w. heraus, ſo wird er ſtoffartig.

§. 55.

1

Das Schöne iſt daher reiner Schein in dem doppelten Sinne, daß in ihm blos die vom Stoffe abgelöste Oberfläche wirkt, und daß in dieſer ebendaher Alles das,149 wodurch die Geſtalt dem Einfluſſe des ſtörenden Zufalls verfällt, durch jene Zuſam - menziehung (§. 53) unſchädlich gemacht iſt. Dieſe beiden Bedeutungen faſſen ſich in dem Begriff zuſammen, daß das Schöne reines Formweſen iſt. Nicht die be -2 ſtimmte Idee, welche in der Geſtalt zum Ausdruck kommt, wird unter dem Stoffe verſtanden: dieſe heißt nicht Stoff, ſondern Inhalt; gerade ſie iſt es, welche aus der zu ſolcher Durchſichtigkeit geläuterten Geſtalt hervorleuchtet und ihr, indem ſie ſelbſt nur eine Stufe der abſoluten Idee iſt, die Bedeutung eines Weltalls gibt. Anderes als dies nun iſt über die Vereinigung der durch die Gattung gegebenen3 Regel und der Individualität im Schönen (vgl. §. 35 38) nicht feſtzuſtellen: jene iſt das Geſetz, durch welches die ſtörende Form des Zufalls (§. 52) ausgereinigt wird, dieſe umfließt die Regel mit der ſpielenden Linie der berechtigten Formen des Zufalls (§. 47 51), und beide befreiten ſich zur reinen Form, d. h. der ganz zur Geſtalt gewordenen Idee und der von allem bloſen Stoffe zum vollen Ausdruck der individualiſirten Idee befreiten Geſtalt. Dieſe Einheit iſt als eine dem Schönen ſpezifiſch eigene wohl zu unterſcheiden von dem all - gemeinen Begriffe der Einheit im Mannigfaltigen (§. 36, 1); ſie kann aber niemals in eine äußere Beſtimmtheit eingezwängt werden (§. 36, 2).

1. Wie die Ablöſung der Oberfläche von den in ihr zuſammenwirkenden ſtoffartigen Miſchungs-Elementen zugleich eine Reinigung von Allem iſt, was nicht die Idee ausdrückt, dies erhellt z. B., wenn ich erwäge, daß der ſchönſte Baum, wenn ich ihn mikroſkopiſch betrachtete, voll von In - ſekten gefunden würde. Dieſe Inſekten nähren ſich von ſeinen Säften, ſie nöthigen mich alſo, an die einzelnen Stoffe ſeiner Structur zu denken, und ſo erſcheint das Störende, die Schönheit Aufhebende in unmittelbarem Zuſammenhang mit dem Stoffartigen im Gegenſtande. Die Ausſcheidung jedes Stoffartigen, was nicht reiner Ausdruck der Idee iſt, bezeichnet Hegel treffend, indem er ſagt: die Kunſt (die wir nur hier noch nicht als die Urheberin dieſer Reinigung kennen) habe das Erſcheinende an allen Punkten ſeiner Oberfläche zum Auge umzuwandeln, welches der Sitz der Seele iſt und den Geiſt zur Erſcheinung bringt (Aeſth. 1, 197). Im Sinne dieſer Ablöſung der Oberfläche von der ſtoffartigen inneren Miſchung und Structur, welche zugleich Reinigung von Allem iſt, was an die Be - dürftigkeit und Abhängigkeit vom ſtörenden Zufall erinnert, heißt das Schöne reine Form. Dieſer Begriff iſt zuerſt von Göthe und Schiller in ſeiner ganzen Bedeutung gefaßt und in unzähligen Wendungen aus - geſprochen worden, von denen hier nur die eine angeführt werden mag:150 das Kunſtgeheimniß des Meiſters beſteht darin, daß er den Stoff durch die Form vertilgt (Ueber die äſth. Erz. d. Menſchen Br. 22).

2. Häufig genug iſt nun aber dieſer Begriff ſo mißverſtanden worden, als ſey der Inhalt gleichgültig, wenn nur die Form ſchön ſey. Schon Baumgarten zieht aus der Unterſcheidung des Inhalts und der Form den falſchen Satz: possunt turpia pulcre cogitari, ut talia, et pulcriora turpiter (Aesth. §. 18), und er hat viele Nachfolger gefunden bis auf einen Menzel herab, der Göthe als Meiſter ſchöner Form bei unſittlichem Gehalt verläumdet. Die Quelle ſolcher Schiefheiten iſt vor Allem in einer Verwirrung der Begriffe zu ſuchen. Stoff kann dreierlei bedeuten: erſtens die Idee, die ein ſchönes Ganze durchdringt. Dieſe nennen wir, um der Verwirrung vorzubeugen, nicht Stoff, ſondern Inhalt. Dieſer Inhalt nun iſt ſo wenig gleichgültig, daß, wie ſchon §. 19, 2 geſagt iſt, von zwei Kunſtwerken, welche in der Form gleich vollendet ſind, entſchieden dasjenige höher ſteht, deſſen Inhalt eine höhere Stufe in dem Leben der abſoluten Idee einnimmt. Die Idee ſoll ganz in Form übergehen und aufgehen, aber eben ſie iſt es, welche übergeht und aufgeht, und ihr Rang bleibt ja natürlich nach wie vor derſelbe. Wo ſie nicht in reine Form aufzugehen vermochte, da iſt ein wahrhaft Schönes gar nicht ent - ſtanden, da iſt von ihr ſo wenig als von der Form zu reden, und das Werk iſt daher nichts neben einem wahrhaft ſchönen, das übrigens eine vergleichungsweiſe noch ſo arme Idee zum Inhalte haben mag. Iſt aber die Uebertragung in die reine Form darum mißlungen, weil die Idee ſchon an ſich nicht wahre Idee, ſondern abſtracter Begriff iſt (§. 16), ſo iſt dies ein anderer Fall, der nicht hieher gehört; man kann dann nicht ſagen, die Idee wäre gut, aber die Form ſey ſchlecht, die Idee ſelbſt iſt vielmehr ganz zu verwerfen, weil ſie in Wahrheit keine iſt. Unter den äſthetiſch darſtellbaren Ideen dagegen iſt es ja immer die höhere, welche an ſich ſchon und abgeſehen von der Läuterung zur reinen Form ihr Individuum auch höher organiſirt; eine Menſchengeſtalt iſt höher, als eine Thiergeſtalt u. ſ. w. Wird nun die Geſtalt zur reinen Form, ſo iſt doch gewiß die an ſich höhere unter Vorausſetzung gleichen Gelingens dieſer Reinigung auch die äſthetiſch höhere. Dieſe Frage hat aber noch zwei beſondere Beziehungen: eine ſittliche und eine geſchichtliche. Hierüber kann vorläufig ſo viel geſagt werden: ein unſittlicher Inhalt iſt ebenſowenig wahrer Inhalt, als ein abſtracter Begriff. Zwar baut ſich dieſer gar keine individuelle Form, jener dagegen kann ſich eine Form bilden, aber eine ſolche, die ſich von ſelbſt aufhebt, wovon ſogleich mehr. 151Was das Geſchichtliche betrifft, ſo iſt an ſeinem Orte die Forderung auf - zuſtellen, daß der Künſtler zeitgemäße Ideen behandle. Eine Idee kann ihres Orts hoch ſtehen, aber eine Zeit nicht intereſſiren, wie z. B. Liebe und Freundſchaft jetzt das von höheren Fragen in Anſpruch genommene Gefühl der Zeit wenig beſchäftigen. Dagegen können zeitgemäße Ideen ſittlicher Art darum zu mißrathen ſeyn, weil ſie abgeſehen von der Kunſt noch keine concrete Geſtalt haben und daher zu den abſtracten Begriffen fallen, wie die politiſchen Ideen der Gegenwart. Aus dieſem Allem wird man hinreichend erſehen, daß es allerdings höchſt nothwendig iſt, der Frage über die Kunſt die Frage über den Inhalt (die ſog. Stoffe) zu Grund zu legen, wie wenig man immer verkennen mag, daß das Schöne ein reines Formweſen iſt. Zweitens bedeutet Stoff: die Idee, wie ſie irgend einmal, abgeſehen von der Kunſt, Form angenommen hat; der Künſtler findet dieſen ſo weit ſchon geformten Stoff in der Erfahrung vor und wählt ihn zur Umbildung in die reine Form: eine Begebenheit, Sage u. ſ. w. In dieſem Sinne wird der Begriff des Stoffs auftreten im erſten Abſchnitte des zweiten Theils unſeres Syſtems. Drittens: Stoff heißt das Materielle, was auszuſcheiden iſt, der rohe Stoff (§. 54). Nach dieſem als Solchem darf im Schönen natürlich gar nicht weiter gefragt werden. Was nun die Form betrifft, ſo wird ſich erſt in der Lehre von der Kunſt zeigen, daß ſie ſelbſt eine äußere und eine innere Seite hat; höchſtens jene kann noch durch Schönheit täuſchen, wenn der Inhalt ſchlecht (unſittlich) iſt, niemals dieſe: was Strauß gegen Menzel treffend nachgewieſen hat (Streitſchr. H. 1, S. 127).

3. Dies alſo iſt die einzige Art, wie das Schöne als allgemeiner Begriff zu beſtimmen iſt. Es mag hier eine Stelle aus Hegels Aeſth. Platz finden, welche zwar das Schöne ſchon als Ideal beſtimmt, während wir noch vorausſetzen, daß der Schein, als finde es ſich auch außer der Ideal-ſchaffenden Thätigkeit vor, Grund haben könne: Das Ideal ſetzt ſeinen Fuß in die Sinnlichkeit und deren Naturgeſtalt hinein, doch zieht ihn wie das Bereich des Aeußern zugleich zu ſich zurück (Th. 1, S. 201).

§. 56.

Wenn demnach das Weſen des Schönen reine Form und dieſe nichts Anderes iſt, als die allgemeine Harmonie der Idee mit der Wirklichkeit, aber nicht in ihrer Allgemeinheit, ſondern zur vollendeten Erſcheinung heraustretend im Einzelnen, ſo erhellt nunmehr der weſentliche Unterſchied in der Einheit152 (§. 22) des Schönen und Guten. Das Gute iſt die Thätigkeit, welche jene Einheit als eine noch nicht vorhandene ſtets erſt zu erarbeiten ſtrebt, und ruht alſo auf der Vorausſetzung des Gegenſatzes zwiſchen der Idee und der Wirk - lichkeit. Auf dieſem Standpunkte des Sollens (§. 2) kann, wiewohl auch jene Thätigkeit nothwendig in Erſcheinung tritt, nicht wie im Schönen danach gefragt werden, wie die Erſcheinung ausſehe, ja derſelbe bringt nicht nur eine Gleich - gültigkeit, ſondern auch ein Mißtrauen dagegen mit ſich, daß das Zufällige in der Individualität, wie es als weſentlich Berechtigtes in die ſchöne Form ein - geht, dieſes Recht genieße, ehe es wirklich durch den bearbeitenden Willen real umgebildet iſt, und da dieſe vergeiſtigende Durcharbeitung unendliche Aufgabe bleibt, ſo iſt dieſes Mißtrauen ein beſtändiges. Das Ganze ſoll erſt harmoniſch werden und das Einzelne als ſolches darf dieſe Harmonie nicht in der reinen Form in Anſpruch nehmen, als wäre ſie vollendet.

Solger (Erwin, 1, 177): Für die Thätigkeit des Willens, worin die Güte liegt, iſt das Hervorgebrachte, inſofern es Erſcheinung für ſich iſt, gar nichts werth, ſondern blos ſofern es die aus dem reinen göttlichen Begriff hervorgehende Handlung ſelbſt nicht ſowohl darſtellt, als wirklich iſt. Wirth (Syſtem der ſpeculativen Ethik S. 12 ff. ) ſtellt die Sittlichkeit darum höher als die Kunſt, weil ſich in ihr der Geiſt als Wille in Wirklichkeit das erarbeitet, was ihm die Kunſt durch Magie ſchenkt, und weil dieſe Thätigkeit eine totale, auf die ganze widerſtrebende empiriſche Realität gerichtete iſt, während die Kunſt die letztere je nur auf Einem Punkte idealiſirt. Das Erſtere iſt treffend ausgedrückt S. 13: Fleiſch und Blut nimmt ſo die Idee nicht an, wie das Ideal ſie hin - ſtellt. Das Empiriſche, die Nothwendigkeit, ſich in die Gegenſätze des Willens und des Stoffs einzulaſſen und dieſen zu bewältigen, wie die andere, ſich in der ſtrengen Ordnung der Geſetzlichkeit zu bewegen, alles dies fällt fort für die Magie der ſchönen Phantaſie, welche wie ein zauberiſcher Gott dem Geiſte eine fertige Welt, der Form eine fließende Materie als ihre leichte Gegenwart leiht. Die Sittlichkeit hat allerdings einen herberen, darum tieferen, und einen breiteren, ja unendlich breiten Kampf. Allein dieſer Kampf wird ebendarum niemals fertig, und weil er niemals fertig iſt, ſo iſt die Schönheit gefordert, welche das, was nie und immer fertig iſt, d. h. was immer erſt fertig wird, als wirklich ſchon Fertiges in ihrem Scheine hinſtellt. Dieſer Schein iſt als abſolute Vollendung im Einzelnen nur Schein, aber in ihm erſcheint das ewige153 ſich Vollenden, was eine Wahrheit iſt. Die Schönheit wartet nicht, bis die Sittlichkeit fertig iſt, darum wird ihr freilich die Arbeit leicht, oder richtiger, ſie hat in dem Sinne, in welchem der ſittliche Wille ſie hat, gar keine Arbeit, keinen Kampf; die Arbeit, welche ſie braucht, um dies Arbeitsloſe darzuſtellen, hat zwar auch ihre Herbe, gehört aber nicht hieher. Dies Müheloſe ſetzt alſo jenes Mühevolle voraus, ſteht über ihm. Nur wenn ſubjectiv der falſche Standpunkt eingenommen würde, das Schöne zu preiſen, als erſpare es den ſchweren realen Kampf des Guten, dies wäre verwerflich. Es iſt dies der Standpunkt des Schöngeiſts, der insbeſondere in der eigenen Perſönlichkeit die ungebundene Natur des Schönen darzuſtellen eilt, ehe er dem bindenden Geſetze des Guten zu gehorchen verſtand. In wiſſenſchaftlichem Zuſammenhang kann aber nicht davon die Rede ſeyn, daß eine Veranlaſſung wäre, die vorausgeſetzte Sphäre darum als eine überflüßige anzuſehen, weil eine höhere über ſie tritt. Auch haben alle wahrhaft großen Künſtler-Naturen einfach und menſchlich dem Guten gedient und ſelbſt in ihrem äſthetiſchen Hervor - bringen ſich zwar billig mit den reinen Form-Prinzipien beſchäftigt, im Grunde des Herzens aber meinten ſie nur den großen Forderungen eines großen Gehalts zu folgen und waren ſich nicht einmal bewußt, daß er in ihren Händen aufhörte, bloſer Gehalt zu ſeyn. Die großen alten Dichter ſetzen, unbewußt über das Geſetz ihres eigenen Thuns, den Werth ihrer Werke in ſittliche Erhebung. Die Sittlichkeit iſt ferner als realer Kampf totaler, aber der kleine Punkt, in welchen die Schönheit das vollendete Ganze zaubert, iſt ein Weltall und zieht die extenſiv unendliche Thätigkeit des Guten intenſiv in Eins zuſammen. Wirth führt am Schluſſe die Schönheit in die Sittlichkeit ſelbſt ein als ihre höchſte Vollendung, das Syſtem der ſchönen Sittlichkeit bildet den Gipfel ſeiner Ethik und ſo behauptet er, die Sittlichkeit ſetze das ſchöne Element zu einer bloſen Potenz ihrer ſelbſt herab (S. 14). Allein zuerſt iſt zu erwägen, daß die Welt der Sittlichkeit als Stoff (Inhalt) in die Schönheit eingeht; dies iſt das Hauptverhältniß und die Sphäre, welcher die andere zum Stoff wird, ſteht höher, alſo in der Rang-Ordnung weiter vorwärts. Wirklich iſt es gerade das Bewußtſeyn, daß in der Welt der Sittlichkeit ein niemals überwundener Reſt bleibt, was den Geiſt eben von da hinaufführt in die Sphäre des Abſoluten, wo er dieſen letzten Reſt als gehoben anſchaut. Der Geiſt kommt, ſo zu ſagen, müde von dem Kampfe des Willens im Reich des Abſoluten an, wo er die unendliche Verſöhnung ſich gibt. Wenn nun aber allerdings auch der ſittliche Geiſt die Schönheit in ſich auf -154 nimmt, wiewohl nur als Zugabe der Arbeit, als eine feſtliche Voraus - nahme ihrer Vollendung, durch welche er zu erneuerter Arbeit ſeines Werk - tags ſich ſtärkt, ſo iſt dies nicht ein Herabſetzen des ſchönen Elements zum bloſen Momente, ſondern es iſt das Hinaufſtreben des ſittlichen Elements in das Leben der Schönheit. Dieſer Punkt wird im Folgenden noch be - ſonders aufgefaßt werden.

§. 57.

Hiemit ſcheint eine negative Sittenlehre vorausgeſetzt. Die wahre Sitten - lehre iſt jedoch poſitiv, ſie geht von der unmittelbaren Einheit des reinen Willens und des Triebes, der Unſchuld, aus, zeigt die Nothwendigkeit ihrer Auflöſung und des ſittlichen Kampfes auf und begreift dieſen als die noth - wendige Bewegung, wodurch der Geiſt ſeiner ſinnlichen Beſtimmtheit die Natur der Unfreiheit abſtreifen und ſie zum Organe des reinen Willens umbilden ſoll: Pflicht. Sie ſtellt endlich die Verwirklichung dieſer Aufgabe als Ziel auf, worin die Welt der Triebe als durchdrungen vom Geiſte, der Geiſt als durch ſie erfüllt und ſich ſelbſt in ihr als ſeiner Welt genießend geſetzt iſt: Tugend und höchſtes Gut.

Alle Ethik, da ſie weſentlich auf dem Standpunkte des Sollens ſteht, iſt dualiſtiſch; allein der Dualismus muß auf dem Standpunkte des Monismus als ſeiner metaphyſiſchen Baſis ſtehen. Nur die Ethik, welche doppelt dualiſtiſch iſt, d. h. den Dualismus auch zur metaphyſiſchen Grundlage hat, ſetzt den Gegenſatz, den ſie als einen durch den Willen zu löſenden darſtellt, im Widerſpruche mit ſich ſelbſt als abſoluten. Es iſt zwar der Ethik weſentlich, den Gegenſatz in keinem Momente als gelöst anzuſehen, allein die unendliche Thätigkeit ſelbſt iſt zu begreifen als das ſtets neu beginnende Werk der Löſung. Kant hatte den Dualismus fixirt, Schiller ſtrebt darüber hinaus, Schelling ſtellt ſeinen Widerſpruch in genialen Blicken dar, Hegel löst ihn in der Phä - nomenologie in reine Ironie auf. Die Aeſthetik hat dies nicht weiter zu entwickeln; es genügt für ihren Zweck, die drei Hauptmomente aller Ethik hervorzuheben.

§. 58.

Dieſe poſitive Ethik wird auch die Individualität im Recht ihrer Eigenthümlichkeit und Begrenzung nicht verſäumen als Moment in ſich auf -155 zunehmen und durch dieſe drei Formen durchzuführen; ja ſie wird das Schöne ſelbſt als Pflicht des Geiſtes gegen ſeine Erſcheinung in ihren Kreis ziehen. Allein der ganze Standpunkt bleibt dennoch von dem des ſelbſtändigen Schönen völlig verſchieden. Wie beſtimmt der ſittlichen Betrachtung die Einheit der Gegenſätze zu Grund gelegt ſeyn und in der erſten und dritten jener drei Formen hervortreten mag, die ganze Ethik ſtellt ſich doch gegenüber der ganzen Wirklichkeit auf den Standpunkt der zweiten, d. h. der Pflicht oder des Sollens; ſie ſieht in der Unſchuld ſchon die Entzweiung und Schuld, in der Verſöhnung neue Entzweiung und Schuld voraus; ſie erkennt die Indivi - dualität als berechtigt an, faßt aber auch die gerechte Selbſtbegrenzung aus dem Geſichtspunkte der Pflicht und ebenſo die ſchöne Selbſtdarſtellung der Perſönlichkeit.

Hieraus folgt bereits, daß und warum die Tendenz nicht in die Kunſt gehört. Sie zieht die dargeſtellte Wirklichkeit in die Unruhe des ethiſchen Standpunkts. Die Kritik iſt aber in dieſem Punkte ſehr verworren und pflegt zwiſchen einem ſittlichen Gehalte, der im Sinne der Tendenz, und einem ſolchen, der nicht im Sinne der Tendenz den Mittelpunkt eines Kunſtwerks bildet, nicht gehörig zu unterſcheiden. Die ganze Frage gehört aber in die Lehre von der Kunſt.

§. 59.

Der äſthetiſche Standpunkt kennt und unterſcheidet ebenfalls jene drei1 Formen. Das Schöne umfaßt ein Gebiet kampfloſer Zuſtände, worin die Sinnlichkeit in edler Unſchuld ſich frei ergehen darf; es wird dieſe Sphäre durchbrechen und den in §. 50 angedeuteten ſittlichen Kampf in ſich aufnehmen, es wird den Kampf löſen und in die urſprüngliche Harmonie zurückkehren. Allein wenn im Guten die zweite, ſo iſt es im Schönen die erſte und dritte2 dieſer drei Formen, welche den ganzen Standpunkt beſtimmt. Wo das Gute erſt anlangen ſoll, da iſt das Schöne von Anfang an. Indem es keine andere Sinnenwelt kennt, als eine mit dem Geiſt harmoniſche, daher jeden Inhalt unmittelbar in der Form adäquater ſinnlicher Erſcheinung anſchaut, ſo iſt ſein Zweck niemals, das Gute an ſich, ſondern immer, ſelbſt wenn es in käm - pfender Form auftritt, daſſelbe in rein entſprechender ſinnlicher Form zur Erſcheinung zu bringen. Das Gute iſt Inhalt des Schönen und zwar der würdigſte, aber nur wie es in der reinen Form aufgeht; es iſt nicht lobens -156 werth, weil es gut, ſondern weil es ſchön iſt, und das Schlechte nicht tadelns - werth, weil es ſchlecht, ſondern weil es häßlich iſt. Uebrigens kann ſich mit dem Guten wie mit dem blos Zweckmäßigen (§. 23) die anhängende Schönheit verbinden.

1. Es kann bei dieſer Vergleichung mit dem ethiſchen Standpunkte nicht vermieden werden, das Erhabene und Komiſche anzudeuten, denn dies ſind eben die Formen, wodurch das Schöne den ſittlichen Kampf in ſich aufnimmt. Allein der Vorgriff iſt um ſo zuläßiger, da hier noch nicht als bewieſen vorausgeſetzt iſt, daß das Schöne dieſe Formen in ſeinem eigenen Intereſſe ſchafft, ſondern nur vorläufig angenommen, daß es dem ſittlichen Kampfe werde zu folgen vermögen (vergl. Anm. zu §. 50). Im jetzigen Zuſammenhang iſt zu ſagen, die Harmonie bleibe trotzdem, daß dieſer Kampf als Inhalt in das Schöne eingeht; hingegen da, wo das Schöne ſelbſt den Uebergang in dieſe ſtreitenden Formen fordert, wird der Uebergang ein ganz anderer ſeyn. Aber auch dies kann vorläufig geſagt werden, daß nichts ſicherer den Unterſchied des Schönen vom Guten beweist, als der Uebergang des Erhabenen in’s Komiſche. Der ſpezifiſch ethiſche Standpunkt kennt die Komik nicht, weil er nicht die Ruhe hat, das Reich der Zufälligkeit und des Eigenſinns einmal als unſchädlich und in ſeiner Willkür ſelbſt als berechtigt zu erkennen. Allerdings wird ebendeßwegen gefordert, daß er ſich in die äſthetiſche Freiheit zu erheben wiſſe, und ſo darf es ſogar als ſittliche Aufgabe erſcheinen, ſich nicht gegen die Komik zu verſchließen, aber dies iſt Ergänzung der Ethik durch Hereinziehung einer Sphäre des abſoluten Geiſtes, nämlich eben der äſthetiſchen.

2. Im Schönen kommt es bei allen drei Formen, die ſein Gebiet mit dem ethiſchen gemein hat, darauf an, wie die Sache ausſieht, denn der Standpunkt bleibt immer der des reinen Entſprechens zwiſchen dem Innern und Aeußern. Das Gute iſt im Schönen aufgehoben im Sinne von tollere und conservare: dasjenige an ihm, wodurch es ein Beſonderes und von der Welt der Formen Verſchiedenes iſt, erliſcht. Mit dem Guten verhält es ſich im Schönen, wie mit dem Knochenge - rüſte im lebendigen Körper. Dieſes wird nicht für ſich ſichtbar, ſondern nur, ſofern es durch die Umgebung der weichen Theile hindurch erkennbar iſt, welche allerdings an ihm Halt und Baſis haben. Iſt es leidend, ſo erſcheinen auch dieſe unſchön. Der Anatom zergliedert, nimmt als Oſteolog das Knochengerüſte heraus: ſo fragt der Moraliſt nicht nach157 der Oberfläche, ſondern beurtheilt den Gehalt für ſich. Die Bemerkungen über Inhalt und Form §. 55, 2 haben gelegentlich bereits auf dieſen Punkt geführt, und in der dort erwähnten Stelle ſagt Strauß, daß die innerliche Seite der Form, nämlich die Structur, die Oekonomie eines Gedichts immer leiden werde, wenn der Inhalt unſittlich ſey. Sind die Wahlverwandtſchaften Göthes ein giftiges Buch: nun ſo werden die Mißbildungen nicht fehlen, die ein ſo ungeſundes Blut an dem Leibe der Dichtung hervortreiben muß u. ſ. w. Ein wirklicher Verſtoß gegen das Geſetz des Sittlichkeit beim Dichten wird immer zugleich als ein Verſtoß gegen die Geſetze der Schönheit erſcheinen und ſich nach - weiſen laſſen u. ſ. w. Strauß vergißt nicht, die intereſſante Stelle aus einem Briefe Schillers anzuführen: Ich bin überzeugt, daß jedes Kunſtwerk nur ſich ſelbſt, d. h. ſeiner eigenen Schönheitsregel Rechen - ſchaft geben darf und keiner anderen Forderung unterworfen iſt. Hin - gegen glaube ich auch feſtiglich, daß es gerade auf dieſem Wege auch alle übrigen Forderungen mittelbar befriedigen muß, weil ſich jede Schönheit doch endlich in allgemeine Wahrheit auflöſen läßt. Der Dichter, der ſich nur Schönheit zum Zwecke ſetzt, aber dieſer heilig folgt, wird am Ende alle andern Rückſichten, die er zu vernachläßigen ſchien, ohne daß er es will und weiß, gleichſam zur Zugabe mit erreicht haben, da im Gegentheile der, der zwiſchen Schönheit und Moralität unſtät flattert oder um beide buhlt, leicht es mit jeder verdirbt. Das beſte Beiſpiel hievon iſt Wieland, der gerade durch ſein Hinüber - und Herüberſchielen zwiſchen Tugend und Sinnlichkeit, indem er ebendarum beide abſtract macht, frivol wird. Ganz im Sinne dieſer Schiller’ſchen Stelle wurde vom Verf. anderswo geſagt: trachtet am erſten nach dem Schönen, ſo wird euch das Gute von ſelbſt zufallen, und man hat ihm dieſes Wort verdreht, indem man meinte, es ſey als Wahlſpruch für das ſittliche Leben aufgeſtellt, was das genaue Gegentheil des richtigen Sinnes iſt. Es folgt aus dieſen Sätzen von ſelbſt, daß man einen Dichter oder Künſtler noch nicht gelobt hat, wenn man gezeigt hat, daß er ein guter Menſch iſt; nur gegenüber einer ganz verworrenen Kritik iſt es nöthig, ſolche Trivialitäten erſt hervorzuheben.

Durch Plato iſt die Frage angeregt worden, ob eine ſchöne Seele nothwendig auch einen ſchönen Leib habe und eine häßliche einen häß - lichen? So abſtract darf aber gar nicht gefragt werden. Es kommt darauf an, was man unter ſchöner Seele verſtehe. Verſteht man darunter ein Gleichgewicht der ſinnlichen und geiſtigen Kräfte, ſo wird ſich dieß,158 wie im Großen die ſüdlichen Völker zeigen, in einem entſprechenden Ebenmaß der Formen des Körpers ausdrücken. Verſteht man darunter den durch Kampf erworbenen Charakter, ſo ſetzt dieſer eine widerſtrebende Sinnlichkeit und die ihr entſprechenden gröberen Formen voraus; dagegen wird ſich die errungene Harmonie in den geiſtig ausdrucksvollſten Theilen und ihrer Bewegung zeigen, wie dieß im Großen bei den nördlichen Völkern der Fall iſt. Die ganze Frage verliert ſich aber, wie ſchon dieſe Andeutungen zeigen, in das weite Gebiet fernerer nothwendiger Unterſcheidungen in der Aeſthetik. Die Schönheit hat verſchiedene Formen; der reine Gehalt an innerem ſittlichem Werth iſt in ihnen verſchieden, wechſelt aber auch ebendaher den Ort ſeiner Erſcheinung auf der Ober - fläche der Form. Ferner aber handelt es ſich ja im Schönen nicht blos von einer einzelnen Perſönlichkeit; auch die großen ſittlichen Mächte haben ihren Leib, aber nur in vielen Einzelnen und ihrer Thätigkeit. Hier nun kann wiederum der Gehalt an ſich ſchon entweder mehr unmittelbar oder mehr innerlich und danach wird auch ſeine Erſcheinung in dieſem Leibe verſchieden ſeyn: da kommt alſo der Unterſchied der Zeitalter in Betracht; eine naturwüchſige Bildung wird ein offeneres und greiflicheres Schauſpiel darbieten, als eine reflectirte Bildung. Endlich muß außer dieſem Allem erſt der große Unterſchied zwiſchen Naturſchönheit und Kunſt - ſchönheit zur Löſung jener Streitfrage in Erwägung kommen. Für die Kunſt aber wird aus dem Inhalt des gegenwärtigen §. ein Satz gefolgert werden müſſen, der ſchon hier anzukündigen iſt: da das Gute nur ſchön wird durch die Erſcheinung, in die es ununterſcheidbar aufgeht, ſo muß es ſeinen Leib an ſich ſelbſt haben und für den Künſtler ſchon mitbringen, ſonſt entſteht, indem dieſer den Gehalt für ſich hat und dazu die Form erſt ſucht, nothwendig eine Behandlung im unſtatthaften Sinne der Tendenz. Daraus wird folgen, daß große ſittliche Bewegungen, wenn ſie der Künſtler wahrhaft äſthetiſch ſoll behandeln können, vergangen ſeyn müſſen.

3. Mit dem Guten verbindet ſich anhängende Schönheit z. B. in der Kleidung, ſofern ſie (neben dem Bedürfniß zugleich) von dem ſitt - lichen Zwecke der Schamhaftigkeit gefordert iſt und nun der Schönheits - ſinn einen Ueberfluß hinzufügt. So hat in der Kunſt alle tendenzmäßige und ſatyriſche Poeſie zunächſt einen ſittlichen Zweck und das Schöne iſt beiläufig mit ihr verbunden.

159

§. 60.

Daher tritt auch jede der drei unterſchiedenen Formen des ſittlichen Ver - hältniſſes im Schönen anders auf, als im Guten. Da das Mißtrauen gegen1 die Sinnlichkeit hier wegfällt, weil die lebendige Geſtalt dem Stoffartigen entrückt iſt, ſo darf ſich ungleich breiter und ſelbſtändiger die erſte Form ent - falten. Dies iſt der Grund, warum das Schöne insbeſondere über die dem gemeinen Leben vorgezeichneten Grenzen des Auſtands und der Scham erhaben iſt. In der zweiten Form darf ſelbſt der tiefſte Widerſpruch im Bunde2 mit allen Kräften der Erſcheinung auftreten und freigeſprochen von jedem moraliſchen Einſchreiten ſtetig ſeinen Gipfel erſteigen, ohne Furcht, daß die Harmonie verloren gehe, denn alle Entzweiung ſpielt nur auf ihrem Grunde und es kann nicht fehlen, daß ſie als Reſultat des Kampfes am Ende hervor - gehe. Bei der dritten Form jedoch als einer ſelbſtändigen zu verweilen hat3 das Schöne gerade darum, weil der Standpunkt derſelben ganz der ſeinige iſt, weniger Intereſſe, als das Gute.

1. Der Kreis der unſchuldigen ſchönen Sinnlichkeit iſt zwar durch die moderne Welt enger eingegrenzt, als im Alterthum und Mittelalter, aber es iſt darum nicht nöthig, hier ſchon an die Epochen des Ideals zu erinnern, denn jede Zeit und Bildung muß der Welt der Schönheit einen ſolchen Kreis vorbehalten, wie er z. B. in den römiſchen Elegieen von Göthe gezogen iſt. Das Leben ſelbſt iſt nothwendig mißtrauiſch und ungläubig, daß in der allgemeinen Verſchlingung des Guten und Böſen ein Kreis von gewiſſer Breite ſich abgrenzen laſſe, wo die Sinnlichkeit, ſelbſt die edlere und vom Gemüthe durchdrungene, aber vom beſorglichen Geſetz und der hütenden Sitte nicht anerkannte, ſich frei entfalten könne, ohne die rohe Begierde zu entfeſſeln und gegebene ſittliche Verhältniſſe zu verletzen. Im Schönen aber als Solchem iſt mit dem Stoffartigen Alles erloſchen, was am Nackten und an der Sinnlichkeit die Begierde weckt; es iſt in jener reinen Kühle untergegangen, die dem Schönen eigen iſt. Was daher die Sage der Völker in eine beſondere Zeit als ein Ver - gangenes legt, als paradieſiſchen Urzuſtand, das bleibt im Schönen Gegenwart. Daher iſt es auch entbunden von derjenigen Scham, welche eine künſtliche Bildung in die Gemüther gepflanzt hat. Vom ethiſchen Standpunkte muß die conventionelle Scham als ein Fortſchritt der wahren menſchlichen Natur behauptet werden; unſere wahre Natur iſt Ausbildung aller Kräfte, und an eine ſolche iſt in dem Zu -160 ſtande nicht zu denken, wo der Anblick des Nackten reizloſe Gewohnheit iſt. Dennoch hat dieſe Wahrheit auch auf ethiſchem Boden ihre Grenze, denn, um nur dies zu erwähnen, es gehört unbezweifelt zu den Uebeln einer allzu - künſtlichen, naturwidrigen Bildung, daß die Phantaſie durch die heimlichen Reize der Verhüllung zu ſehr verdorben iſt, um ohne Schaden die Enthüllung wenigſtens nur da, wo ſie erlaubt oder unvermeidlich iſt, ertragen zu können. Ganz andere Geſetze aber hat hierin das Schöne. Treffliche Bemerkungen hier - über enthalten Schleiermacher’s vertraute Briefe über die Lucinde, be - ſonders der Verſuch über die Schamhaftigkeit, wiewohl freilich der Lucinde, einem ſchlechten Buche voll Abſichtlichkeit, gerade jene keuſche Entbindung von der Scham vielmehr fehlt. Die Feigenblätter, die man an nackten Statuen anbringt, ſind ganz ein belehrendes Beiſpiel für die corrupte Scham. Michel Angelo, als er gehört, daß Daniel von Volterra im Auf - trage des Papſtes die Blößen an ſeinen Geſtalten im jüngſten Gerichte mit Lappen übermalt habe, ſagte: Dite al papa, che questa è piccola facenda e che facilmente si può acconciare; che acconci egli il mondo, che le pitture si acconciano presto. Das Gegentheil der ſchönen Unſchuld iſt der verſtohlene, durch das Gefühl des Verbotenen geſchärfte Reiz der halben Enthüllung; darin eben beſteht die Frivolität Wielandiſcher Darſtellung. Es kann aber in einem äſthetiſchen Ganzen auch dieſe Form auftreten, wenn es nämlich eben die Bildung mit ihrer künſtlichen Scham zum Schauplatze hat, ſofern ſie nur nicht als die wahre, ſondern als eine Form unter anderen ironiſch hingeſtellt wird; der blos moraliſche Standpunkt wird jedoch auch dagegen ungerecht ſeyn. Von den Vor - ſchriften der Scham ſind die des Anſtands zu unterſcheiden als Verwahrungen nicht vor unzeitiger Weckung der Begierde, ſondern vor Aufdeckung des abſtoßend Schmutzigen und Rohen in der Natur. Auch hierin weicht das Schöne von der ethiſchen Geſetzgebung des wirklichen Lebens ab durch die Forderungen der Komik, wovon an ſeinem Orte zu handeln iſt.

2. Die Einheit der Unſchuld löst ſich und die Verirrung beginnt. Der moraliſche Standpunkt ſpringt hier alsbald ein mit dem Ausſpruch, daß dies nicht ſeyn ſoll; der äſthetiſche iſt contemplativ und wartet ohne Furcht den Ablauf ab, wo das ſittliche Geſetz ſich herſtellen wird, denn er kennt es nicht nur als ſtetes Sollen, ſondern hält feſt, daß die Wirklichkeit gar nicht aus ihm heraus kann, ſondern durch die Empörung gegen dasſelbe es ſelbſt vollſtreckt. Aber auch unterwegs und abgeſehen vom Ende darf im Schönen niemals weder die Auflehnung gegen das Gute als gemeine Natur, als bloſe Häßlichkeit erſcheinen, ſondern nur als volles Leben, in welchem die161 Kräfte des Guten in ihrer Verkehrung ſelbſt fortwirken, noch der Kampf für das Gute als abſtracter Wille ohne Natur und Leidenſchaft. Davon weiß zwar die Ethik auch, aber ſie hat im Ernſte des Kampfes nicht Zeit, von ihrem Wiſſen die Anwendung zu machen, daß ebendarum der Kampf ſelbſt ſchön ausſehen muß, was eben das Weſen des Schönen fordert. Die Ethik wird im gemeinſten Verbrecher einen Reſt des Guten finden und ſeine Beſſerung daran knüpfen; das Schöne aber kann einen ſolchen in ſeiner Gedrücktheit nicht einführen, weil dieſer Funke zu ſchwach iſt, um aus dem Aeußern hervorzuleuchten; wenn dagegen im Schönen ein Verbrecher auftritt, der mit gewaltigeren Kräften ausgeſtattet grauſende Bewunderung einflößt, ſo fürchtet der blos ethiſche Standpunkt, es werde dadurch die Verkehrtheit dieſer Kräfte außer Augen gelaſſen. Kämpft der gute Wille gegen die Verirrung, ſo iſt der Ethik nicht unbekannt, daß das Feuer der Natur ihm zu Hülfe kommen muß, aber ſie beſchäftigt ſich nicht damit, daß ebendarum ſein Thun auch nach außen ein ſchönes Schauſpiel gewähren muß, denn ſie ſieht nur auf die Sache, nicht auf den Schein.

3. Dante’s Paradies, Natalie im Wilh. Meiſter haben zu wenig Schatten. Die ſittliche Harmonie als Reſultat intereſſirt gerade darum im Schönen weniger, als im Guten, weil ſie dort unverlierbar durch das Ganze ſchwebt, während ſie hier als Ziel ausdrücklich geſucht und hingeſtellt wird. Das Schöne verweilt nicht dabei als einer beſonderen, bleibenden Form; der Standpunkt des Guten beſchreibt ausführlich das Ideal der Tugend und das höchſte Gut, gerade weil er die Vollendung, ob zwar metaphyſiſch ihres ewigen Sieges gewiß, von dem ethiſchen Grundbegriffe der Thätigkeit aus als ſtetes Ziel des Strebens in deutlichen Zügen hin - ſtellen muß.

§. 61.

Nunmehr findet auch der Unterſchied der Schönheit von der Religion (vergl. §. 26) ſeine Erledigung. Die Formgebung, welche die abſolute Idee durch die Religion erhält (§. 24. 25. 27. ) iſt in dieſer weſentlich anders be - ſtimmt, als im Schönen. In der Religion als der erſten Sphäre des abſoluten Geiſtes erlöſchen die Gegenſätze der Endlichkeit, aus denen der Geiſt her - kommt, zur unterſchiedsloſen Unmittelbarkeit des Gefühls. Das Ich verſenkt ſich in das ſchlechthin Allgemeine. Dieſes ſich Verſenken iſt eine Bewegung und als ſolche ſetzt es eine Unterſcheidung voraus zwiſchen dem, was ſich, und zwiſchen dem, wohin es ſich verſenkt. Jenes iſt das Ich, das ſich müde fühltViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 11162der Wirklichkeit, deren Einheit in der Idee es verloren, und des Eigenwillens, zu dem es ſich als einer falſchen Einheit beſtimmt hat; dieſes iſt das Leben der Idee als das ſchlechthin Eine und Allgemeine, in welches das Ich mit Ver - tilgung des Eigenwillens als in ſeine Wahrheit eingehen ſoll. Da nun das Gefühl unterſcheidungslos iſt, ſo iſt ihm das Allgemeine, in das es ſich ver - ſenken ſoll, ein dunkler Abgrund. Allein das Gefühl iſt das fühlende Ich ſelbſt, untrennbar Eins mit ihm, und ſo zeichnet ſich dieſes, unfähig, ſich un - mittelbar zu erheben in das vernünftige Denken, wodurch die zweite Seite als concrete Einheit und Allgemeinheit begriffen würde, in jenen Abgrund hinein und findet ſich hier, wo es ſich vielmehr opfern wollte, als einzelne Geſtalt wieder. Dies iſt die Vorſtellung. Dennoch iſt dieſes Hinüberzeichnen nur vor - genommen um jener Bewegung willen, worin das Ich ſich aufzulöſen ſehnt, und ſchwebt daher nur in unbeſtimmtem Umriß über dem Gefühl als dem die ganze Bewegung Beſtimmenden. Die Vorſtellung iſt daher unſelbſtändig, ein bloſes Vehikel für dieſes, und leidet der Schönheit gegenüber an folgenden weſentlichen Mängeln.

Hegel hat das Gefühl als erſte Form der Religion ganz oberflächlich unterſucht, weil er meinte, nur die Frage liege zur Prüfung vor, ob dasſelbe Erkenntnißgrund des Inhalts der Religion ſey. Schleiermacher dagegen hat zwar erkannt, daß das Gefühl das den ganzen Charakter der Religion Beſtimmende iſt und bleibt, aber verkannt, daß, um eine Glaubens - lehre zu conſtruiren, erſt der Uebergang des Gefühls in die Vor - ſtellung, wiewohl das Gefühl das Element bleibt, einzuführen iſt. Der wahre Beweis, daß dieſes das Element iſt, liegt auf dem Punkte des Uebergangs vom gegenſätzlich beſtimmten, zunächſt vom objectiven oder praktiſchen Geiſte. Der Geiſt hat ſich ohne ſchließliche Verſöhnung im Wirklichen umgetrieben; der Staat, die Geſellſchaft, das Welt - leben iſt Wirklichkeit der Idee, aber im Gedränge ſelbſt geht dem Geiſte die Einheit der realen Gegenſätze in der Idee als ihrem Grunde verloren, er ſpannt ſich zwiſchen ihnen zur falſchen Einheit des Eigenwillens. Er be - kommt aber auch das Unglück und den Schmerz dieſer Endlichkeit in der Erfahrung unmittelbar zu fühlen. Die erſte Erhebung aus dieſer Enge, dieſer Unſeligkeit kann, weil der Grund ihrer Nothwendigkeit eben in dem Gegenſätzlichen und Getheilten liegt, nur in der Form des Ungetheilten, Unterſchiedsloſen, des Gefühls vor ſich gehen. Die Religion iſt ein Heim - weh des Geiſtes nach ſeiner Wahrheit. Schon dadurch iſt die Transcendenz in der Religion bedingt. Das Gemüth, das eben von dem Ueberdruſſe an163 der Welt herkommt, kann ſich das Vollkommene nur als ein Jenſeitiges vorſtellen. Hegel meint (Relig. -Philoſ. Th. 1, S. 66 ff. ), es handle ſich hier vom Gefühl überhaupt, und bringt vor, jeder Inhalt könne in dieſer Form auftreten. Allein es iſt hier nicht die Rede vom Gefühl überhaupt, ſondern vom Gefühl mit einem beſtimmten Inhalt; denn darauf iſt zu ſehen, wo der Geiſt herkommt bei dem Eintritte in die Religion. Er kommt von dem blinden Gedränge der Welt, er iſt ſpezifiſch erfüllt mit dem Gefühle der Nichtigkeit des Wirklichen, das er im Kampfe der Zwecke nicht als Wirklichkeit der Idee, alſo nicht als wahre Wirklichkeit zu verſtehen, zu überſchauen vermochte. Es iſt Gefühl des Ewigen, Urgefühl. Hierauf aber iſt allerdings feſtzuhalten, daß das Gefühl unterſcheidungslos iſt, daß es ſein Object nicht nennen kann. Die Gegenſätze der Idee als Wirklich - keit werden eben jetzt als nichtig gefühlt aus dem genannten Grunde, und die Einheit, worin ſie ihre Wahrheit haben, erſcheint ebendaher als leer, als Abgrund. Bei dieſer Objectloſigkeit kann es aber wiederum nicht bleiben, denn die Bewegung des Gemüths muß ein Wohin vor ſich ſehen. Könnte nun das müde Subject mit dem erſten Schritte in die wahrhaft Object - beſtimmende Thätigkeit, in das reine Denken, übergehen, ſo würde es ſeinem Gegenſtand dadurch Erfüllung geben, daß es die Wirklichkeit als Wirklich - keit der Idee, die Idee als vernünftige Totalität begriffe; dann würde es auch begreifen, daß die wahre Verſöhnung mit der Welt und die wahre Befreiung vom Eigenwillen eben in der Welt ſelbſt, wenn man ſie recht verſteht, in der Schule des Lebens und der Bildung zu ſuchen iſt. Allein bis dahin hat das Gefühl noch einen weiten Weg vor ſich. Es iſt nur erſt einer ſchwachen und unklaren Objectbeſtimmung fähig. Es ſoll jenen Ab - grund erfüllen, beſtimmen. Was hat es dazu? Die Welt liegt im Nebel hinter ihm; das fühlende Subject hat nur ſich ſelbſt, denn das Gefühl fällt mit dem fühlenden Subjecte trennungslos zuſammen. Es nimmt alſo ſich ſelbſt und zeichnet ſein Bild hinüber in das Dunkel des Abgrunds. Dies iſt ein Widerſpruch: es wollte ſich entfliehen und trifft ſich wieder an. Es wollte ſeinen Eigenwillen opfern, aber dies Opfer kann wahrhaft nur die Erziehung und Schule der recht verſtandenen Welt bewerkſtelligen. Es trägt alſo auch ſeinen Eigenwillen, den es gerade brechen wollte, mit ſeinem Ebenbild in das Jenſeits hinüber. Freilich zeichnet es mit ver - größernden Umriſſen und behauptet ſeine verklärte Geſtalt als abſolute Geſtalt und als die höchſte Liebe; aber es täuſcht ſich, denn wo es irgend Ernſt wird, beruft es ſich für all ſeinen böſen Willen und ſeine Grauſam - keit auf ſeinen Gott und macht ſo ſich ſelbſt zu ſeiner eigenen Autorität. 11*164Dies Hinüberzeichnen iſt es, was Hegel die Vorſtellung nennt. Die Zeichnung iſt aber ſchwach und zerfließend, denn das Gefühl bleibt das Beſtimmende.

§. 62.

Jede der zwei nun unterſchiedenen Seiten iſt wieder das Ganze. Das Ich, das ſich zum ſchlechthin Allgemeinen bewegen ſoll, ſchließt dieſes, aber als bloſe Möglichkeit, in ſich und da es durch die Sphäre der wirklichen be - ſtimmten Idee, weil es dieſelbe noch nicht als die vernünftige totale Wirklich - keit des ſchlechthin Allgemeinen begreift, in der Entwicklung dieſer Möglich - keit ſich geſtört fühlt, ſo verwirft es ſie als eine Scheinwelt, ſie wird als negativ geſetzt, das Ich ſoll ſich vom ſinnlichen Scheine losſagen. Die Seite des Allgemeinen aber enthält auch das Ich, und zwar angeblich zunächſt als ein verſöhntes, indem das Ich ſeine Verſöhnung als ſchon vollzogen in dasſelbe hinüberträgt. Aber nicht ebenſo wird das ganze Reich der beſtimmten Idee in das ſchlechthin Allgemeine vorſtellend hinübergetragen, ſondern nur ober - flächlich und mit Ueberſpringung aller andern werden einzelne Momente der wirklichen Idee, und zwar insbeſondere aus der Sphäre des ſelbſtbewußten, ſittlichen Lebens in das Allgemeine hinübergetragen. Hieraus ſchafft die Vor - ſtellung einen Kreis von überirdiſchen Geſtalten, deren das Gefühl zum An - halte für die verſöhnende Bewegung von ſeiner Seite bedarf. Dieſer Kreis iſt unvollſtändig, weil nicht das ganze Leben der Idee in ihm zur Vorſtellung kommt; ferner iſt in den Geſtalten dieſes Kreiſes durch jene Art der Voraus - nahme der Verſöhnung das Wirkliche überhaupt und das Subject, ſey es nun einfach ſeine Sinnlichkeit oder näher die Eigenheit ſeiner Individualität, welcher die Bejahung gilt, zwar poſitiv geſetzt, in allen Geſtalten auf der Seite der gegenwärtigen Wirklichkeit aber iſt es negativ geſetzt, von jener Verklärung ausgeſchloſſen und demſelben Mißtrauen unterworfen, wie auf dem ethiſchen Stand - punkte. Die Religion ſchafft eine Reihe bevorzugter Geſtalten und ſchließt alle andern aus; ſie iſt im äſthetiſchen Sinne ercluſiv, eine Ariſtokratie der Geſtalt.

Der Inhalt dieſes §. konnte aufgeführt werden, ohne einem ſpäteren Abſchnitte, wo die Religion in beſtimmtem geſchichtlichem Zuſammenhange mit der äſthetiſchen Phantaſie auftritt, zu ſehr vorzugreifen. Die unterſten Formen der Religion, welche das ſchlechthin Allgemeine unmittelbar mit einem ſinnlichen Dinge ohne ſchöpferiſch bildende Zuthat der Vorſtellung verwechſeln, ſind hier nicht berückſichtigt; man wird aber auch ſtreng ge - nommen gar keine Religion aufweiſen können, welche blos in dieſer165 unmittelbaren Verwechslung beſtände. Was geſagt iſt, gilt von allen Hauptreligionen. Ein Blick auf die Kunſt reicht hin, den Sinn der Sätze des §. zu erklären. Stoff der religiöſen Kunſt ſind die Götter oder, im Chriſtenthum, Gott, der Sohn und ſeine Wundergeſchichte, Maria, die Engel, die Heiligen u. ſ. w. Das wirkliche Reich der Natur - und Menſchenwelt aber in der Fülle ſeiner Kräfte und Richtungen und in der unbefangenen Zufälligkeit ſeiner Individuen iſt dadurch von der Kunſt verdrängt und ausgeſchloſſen. Die Griechen trugen, wie alle Völker auf dem Standpunkte der Naturreligion, auch einzelne Kräfte der Natur (nicht alle, dies bringt eben das Unvollſtändige der Vorſtellung mit ſich) hinüber in das Allgemeine und ſchauten ſie als Götter an: ebendarum aber war die wirkliche Natur von der Kunſt ausgeſchloſſen und ſie kannten keine eigentliche Landſchaftmalerei. Sie ſtellten ſittliche Mächte (wieder nicht alle) als Götter vor: ſo waren die übergangenen Kreiſe des Lebens und der wirkliche einzelne Menſch der Darſtellung eigentlich unwürdig. Heroen zwar wurden verherrlicht, von einzelnen Perſonen Statuen aufgeſtellt, aber ſie waren dadurch göttlicher Ehre gewürdigt; die rein hiſtoriſche Darſtellung aber konnte und durfte nicht aufkommen, das eigentliche Genre auch nicht. Es iſt Anfang des Verfalls, wo dieſe Sphären beliebt werden. Im Chriſtenthum iſt es nicht anders. Es ſind einzelne Momente des vertieften ſittlichen Lebens (auch hier nicht alle, ſonſt wäre das Jenſeits kein Jenſeits mehr und die Religion aufgelöst) hinübergetragen, aber die ganze Wirklichkeit, worin die weggelaſſenen Momente (Natur, Staat, alles ſogenannte Weltliche) ſich realiſiren, iſt dadurch ausgeſchloſſen; reine Geſchichtsdarſtellung, Genre und Landſchaft kommen auch hier erſt auf, wie dieſes religiöſe Ideal zuſammenfällt. Zwar was die Individuen betrifft, ſo will das Chriſtenthum, daß Allen geholfen werde, auch der gewöhnliche Menſch iſt daher der Darſtellung würdig; allein weil das Weltliche verworfen iſt, ſind in Wahrheit doch nur die Wenigen der Darſtellung durch die höhere, die eigentliche, d. h. die heilige Kunſt werth, die durch beſondere Aſceſe heilig geworden ſind. Dieſer Charakter der Ausſchließung geht durch Alles: die Prieſter ſind Uebermenſchen, die Andern haben keine geiſtige Perſönlichkeit; die politiſche Perſönlichkeit wird im Adel angeſchaut und die Andern ſind ebendadurch davon aus - geſchloſſen; man bewundert die Pracht des Monarchen und vergißt, daß man ſie ſelbſt gezahlt hat. Nun ſind freilich in den bevorzugten Ge - ſtalten, welche der Darſtellung allein wahrhaft würdig ſind, im Grunde alle wirklichen Subjecte vertreten, und alle Schönheit iſt ja eigentlich ein166 Vertreten aller übrigen Individuen einer Gattung durch Ein vollkommenes oder mehrere; allein jenes Vertreten in der durch Religion beſtimmten Schönheit iſt ein anderes, als das in der reinen. In der mythiſchen Kunſt der Griechen iſt zwar die Sinnlichkeit eine Bejahung, aber die unendliche Eigenheit der Individualität nicht; die Menſchengeſtalt iſt um den Preis ungetrübter Einheit der ſittlichen Bedeutung mit der ganzen Fülle der ſchönen Sinnlichkeit zur Darſtellung zugelaſſen, allein dabei hat der geſchichtliche, wirkliche Menſch das bloſe Zuſehen, weil die Grenze der individuellen Abweichung von der Linie der Gattungsregel ſo eng gezogen iſt, daß er als profanes Weſen, wenn nicht erſt mythiſche Vor - ſtellung, Sage u. ſ. w. ihn verklärt haben, ſich von jenem Himmel durch die tiefſte Kluft getrennt ſieht. Im Chriſtenthum dagegen hat auch die wirk - liche Geſtalt in der willkürlicher abweichenden Eigenheit ihrer Individualität Geltung; allein, wie ſchon geſagt, die Bedingung des Eintritts in den vor - nehmen Kreis der höchſten Geſtalten iſt nun der Ausdruck unendlicher Aſceſe, und da ſich zu dieſem nur wenige erheben und auch dieſe nur mit Hilfe der verklärenden Sage, ſo ſind auch hier alle Uebrigen in den profanen Vorhof verſtoßen. Die Religion iſt eine Vorausnahme (§. 53), wie das Schöne, aber eine durchaus unvollſtändige.

§. 63.

In dem Grade aber, in welchem die Religion ſich zur Religion des Geiſtes erhebt, im Grunde jedoch ſchon auf dem Standpunkte der Naturreligion, wird ſelbſt in der Geſtalt, welche die religiöſe Vorſtellung ſich bildet, die Sinnlichkeit negativ geſetzt und ihre Verklärung daher vielmehr eine Verzehrung. Das anbetende Subject ſtellt ſich eine düſtere und abweiſende Geſtalt gegen - über, denn ihr Anblick ſoll ihm die Forderung der Entſagung vergegenwärtigen, aber durch den Widerſpruch, der in jenem Hinüberzeichnen liegt (§. 61), iſt es vielmehr die ganze Härte des Eigenwillens im zeichnenden Subjecte ſelbſt, die aus ihren unerbittlichen Zügen ſpricht. Jene bejahende Verklärung (§. 62) iſt alſo vielmehr bereits ein Werk der Schönheit, welche als eine fremde, das ganze Verhältniß verändernde Macht in die Religion eingedrungen iſt, und dieſe hat in jener, indem ſie unendlich durch ſie gefördert ſcheint, ja den Unterſchied ihres Standpunkts von dem ihm beigemiſchten Aeſthetiſchen gar nicht bemerkt, vielmehr ihren Feind in ſich aufgenommen. Je inniger ſie ſich verbinden, deſto mehr trennen ſie ſich, der Moment ihrer höchſten Vereinigung iſt der Moment ihres völligen Bruchs.

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In jeder Religion iſt das negative Moment der Entſagung ſtärker, als das poſitive der Verſöhnung; wird der volle Umfang des Lebens in die Verſöhnung aufgenommen, ſo iſt das ſpezifiſch Religiöſe durchbrochen und die vernünftige, totale, ſittliche Bildung an ihre Stelle getreten. Auch der griechiſche Gott iſt in der ächt religiöſen urſprünglichen Vor - ſtellung düſter erhaben, kommt dem wirklichen, anbetenden Selbſt nicht entgegen, ſondern weist es ſtreng in ſich zurück. Dies iſt der eine Grund zur Erklärung von zwei bekannten griechiſchen Aeußerungen, deren eine von Aeſchylos berichtet wird, die andere im Pauſanias ſich findet, daß die ſtrengen, einfachen und düſteren Götterbilder aus der älteſten Zeit göttlicher ſeyen, als die neueren ſchönen. Den anderen Grund werden wir ſpäter finden. Im Chriſtenthum, wo der Bruch mit der Sinnlichkeit den Grund-Charakter bildet, leuchtet es von ſelbſt ein, daß das Ideal dieſen negativen Zug in ſeiner ganzen Stärke tragen muß; er trat auch in den alten chriſtlichen Bildern (der byzantiniſchen Malerei beſonders) in abweiſender Herbe hervor. Alle Götter ſind eigentlich und urſprünglich furchtbar; das anbetende Subject ſcheint ſich und ſeine Welt - luſt in ihnen als verdammt und verworfen hinzuſtellen, und zunächſt iſt es auch wirklich ſo. Allein alle Götter ſind auch launiſch, grauſam, böſe. Zu welchem Kinder-Eigenſinn und welcher blutigen Entſetzlichkeit ſelbſt die griechiſchen Götter von der ſchönſten Heiterkeit und Milde über - gehen, bedarf keiner Darſtellung; aber auch der Monotheismus hat von ſeiner Gründung im Judenthum an unendliche Reihen von Verbrechen und Schlächtereien ſeinem Gotte als Geheiß und Auftrag zugeſchoben. Es iſt leicht ſagen, dies ſey Mißbrauch. Der Gott iſt kein Erfahrungs - weſen; wir wiſſen von ihm eben nur dies, was das ihn anbetende Be - wußtſeyn von ihm ausſagt, und noch jetzt ſind es ebendiejenigen, die ſich des ächten Bewußtſeyns rühmen, welche in Bildern des Zorns, der Rache, der grimmigen Ausſchließung ihren Gott zu bezeichnen pflegen. Der innere Grund dieſes Göttercharakters iſt im §. und ſchon in der Anm. zu §. 61 genannt. Wo nun die Fülle und Lieblichkeit des Schönen in die Götter - welt einzudringen anfängt, da iſt bereits, ohne daß man es weiß, das ſpezifiſch Aeſthetiſche thätig. Die Griechen zwar kamen bald zum Bewußt - ſeyn, daß ihnen die Dichter ihre Götter gegeben, doch ohne die Con - ſequenz zu ziehen. Was nun den inneren Widerſpruch betrifft, der durch die Fortbildung des ſchönen Elements in die Religion eindringt, ſo verweiſen wir auf das Werk des Verf. Kritiſche Gänge Bd. 1, 183 187.

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§. 64.

1

Die Vorſtellung iſt Vehikel für den in der Form des Gefühls ſich bewegenden Verſöhnungsprozeß des Geiſtes. Dieſem Zwecke genügt aber ſowohl in der inneren Vorſtellung, als in der wirklichen ſinnlichen Anſchauung ſelbſt das dürftige und rohe Bild, denn es reicht hin, den Geiſt an ſich und ſeine Beſtimmung zu erinnern, ja es kann dieſem Zwecke ſogar ein äſthetiſch ganz abſtoßendes Werk beſſer dienen, als ein ſchönes. Daher verfährt auch der Cultus mit den zu ſeinem Gebrauch beſtimmten Leiſtungen der Schönheit häufig2 auf rückſichtsloſe Weiſe und zwar von ſeinem Standpunkte mit Recht. Je tiefer aber das Negative in jenem Prozeſſe von einer Religion gefaßt wird, um ſo weniger iſt es ihr um die äußere Anſchauung des Vorgeſtellten zu thun und dieſe Gleichgültigkeit kann, da ſie von derſelben Zerſtreuung, ja Götzendienſt zu befürchten hat, in Haß und Zerſtörung übergehen.

1. Das Bild mit aſcetiſchem Ausdrucke, wovon der vorhergehende §. ſpricht, kann dennoch deutlich vorgeſtellt oder mit Vollkommenheit äußerlich dargeſtellt ſeyn. Allein dies bedarf die Religion als ſolche nicht; die undeutliche innere und die rohe äußere Darſtellung genügt ihr, weil das Bild bloſes Vehikel, das Intereſſe ein praktiſches bleibt. Dies Intereſſe geht durchaus nicht auf die reine Form als ſolche; das Bild ſoll den Andächtigen in das Gefühl ſeiner Unwürdigkeit und der unverdienten Gnade zurückwerfen: eine Andeutung mit derben Strichen iſt dazu hin - reichend. Ein Chriſtusbild z. B., roh gearbeitet, mit Blutſtriemen bedeckt, graß, aber Mitleid erregend ſcheint ihm zu ſagen: dies Alles habe ich um dich gelitten! Gern verbindet ſich Rohheit der Ausführung mit äſthetiſch abſtoßender Natur des Gegenſtandes, doch tritt die letztere, welche von der erwähnten Strenge und Düſterheit noch wohl zu unterſcheiden iſt, auch mit höherer Kunſtfertigkeit in Verbindung. Die religiöſe Kunſt der chriſtlichen Kirche hat zu jeder Zeit, weil der Standpunkt nicht äſthetiſch war, neben den würdigſten die peinlichſten Dinge dargeſtellt, ſelbſt große Meiſter haben, wie es eben gerade kam, bald dieſe bald jene behandelt. Ja das rohe und das häßliche Bild dient beſſer, als das ſchöne; denn es führt den Geiſt nicht hinaus in die Fülle der Welt, wo er ſich in ſeiner Freiheit genießt, ſondern wirft ihn mit herbem Stoß in ſich zurück. Dieſes beſondere Intereſſe des Cultus iſt der zweite Grund, warum ſchon den Griechen die rohen und finſteren Götterbilder der alten Kunſt für göttlicher galten, als die anmuthsvollen der neueren. Daher auch169 die rückſichtsloſe Behandlung ſchöner Bilder durch den Cultus (Aufſtellung in ſchlechtem Lichte, Schwärzen durch Weihrauch, Lampendunſt u. dergl.).

2. Das ſchöne Bild löst den Andächtigen von ſich ſelbſt, zerſtreut ihn. Dieſe Zerſtreuung iſt nicht eine Zerſtreuung überhaupt, ſondern nur eine Zerſtreuung der Andacht; ſie führt auch zu einer Sammlung, aber einer äſthetiſchen. Die Religion, wenn ſie tiefer in’s Innere getreten, erkennt dies wohl, daher die abſichtliche Ausweiſung der Schönheit vom proteſtantiſchen Cultus. Es iſt überhaupt keine Nothwendigkeit da, daß die innere Vorſtellung äußerlich, wenn auch nur in dürftiger Weiſe, zugleich der Anſchauung gegenübertrete. Es kann zweckmäßig ſcheinen, um ihre Lebhaftigkeit zu erhöhen; allein mit dieſer Lebhaftigkeit iſt auch alsbald die wirkliche Verwechslung des äußeren Bilds mit dem Inhalte der Vor - ſtellung da. Dieſe herrſcht im ganzen Heidenthum: das Götterbild lebt und iſt der Gott ſelbſt; daß es unzähliche andere Bilder anderswo gibt und der Gott überdies zugleich auf dem Olymp wohnen ſoll, dies hebt jene Verwechslung nicht auf, denn der Polytheismus iſt nicht logiſch. Dieſelbe Verwechslung gieng in den Katholizismus über. Bilderſtreit. Reformation. Bilderſtürmerei. Die Barbarei der Bilderſtürmer iſt nicht vom äſthetiſchen Standpunkte zu beurtheilen; es war Fanatismus gegen jene Verwechslung und vom religiöſen Standpunkte ganz motivirt.

§. 65.

Götzendienſt iſt Verwechslung des äußeren Bildes mit dem Inhalte des inneren Bildes der Vorſtellung. Iſt nun aber durch einen Fortſchritt der Religion dieſe auch als ſolche erkannt, ſo wird darum eine andere Verwechs - lung, nämlich die des inneren Bildes der Vorſtellung mit ſeinem Inhalte, nicht aufgehoben. Auch dieſes iſt dem Gebrauche nach bloſes Vehikel (§. 64), aber keineswegs wird es von der Religion ſelbſt als ſolches erkannt, vielmehr ſitzt nun die Verwechslung, weil innerlich feſtgehalten, nur um ſo tiefer. Im Ge - fühle überhaupt iſt das Subject mit ſeinem Inhalte durchaus in dunkler Weiſe verwachſen (§. 61). Durch die Scheidung, welche die Vorſtellung hinzubringt, ſtellt ſich zwar das Subject ſeinen Inhalt gegenüber, aber die Wahrheit, daß er über alles einzelne Subject als das ſchlechthin Allgemeine hinausgeht, ver - kehrt es durch die ſinnliche Beſtimmtheit, die es ihm beilegt, zu dem Scheine eines einzelnen Subjects, das zugleich abſolut ſeyn ſoll. Dieſe ſinnliche Be - ſtimmtheit vermag es nicht abzuziehen, denn es iſt ſeine eigene; es gibt ſeine170 Göttergeſtalt ſo wenig auf, als ſich ſelbſt, und wird, wenn man ihm daran rührt, böſe. Der Schein in der Religion iſt ein unfreier.

Der Unterſchied zwiſchen Religion und Schönheit, wie er in §. 26 ſchon angekündigt iſt, beſtimmt ſich alſo jetzt als ein Unterſchied des ver - wechſelnden oder unfreien und des freien Scheins. Sucht die Wiſſenſchaft die dargeſtellte Verwechslung, die nur um ſo zäher iſt, je mehr ſie ſich in’s Innere zurückzieht, zu löſen, ſo kommt alsbald an den Tag, daß der Gott das anbetende Subject ſelbſt iſt, denn es nimmt den Verſuch als die ſchwerſte perſönliche Beleidigung auf und behandelt die Frage als ſeine eigene Exiſtenzfrage.

§. 66.

Der Schein im Schönen dagegen iſt dadurch ein freier, daß die Schönheit den Gehalt, wie ſie ihn zunächſt aus der Hand der Religion erhält, völlig in die reine Form herausbildet: er wird dadurch zum reinen, in der Unendlichkeit des Ausdrucks zugleich begrenzten Gegenſtande, und während in der religiöſen Vorſtellung durch jenes undeutliche Zeichnen (§. 61) mit den verſchwimmenden Umriſſen des inneren Bildes auch der Inhalt in Eins verſchwimmt, ſo kann nun das ſo Begrenzte nicht mehr mit dem Abſoluten verwechſelt werden. Das Subject ahnt und ergreift zwar in der ſo dargeſtellten Idee das All und ſich; aber es kann nicht mehr meinen, daß der Gegenſtand dieſes All unmittelbar wirklich ſey. Durch dieſe Befreiung des Bewußtſeyns aus jenem Verwachſenſeyn und jener Verwechslung wird die Schönheit die vorbereitende Bildungsſtufe für den Geiſt, der als denkender allen Schein auflöst.

Dieſer §. iſt Ergänzung zu §. 63. Das Schöne iſt frei und befreit. Wenn hier ſchon vom Künſtler die Rede wäre, ſo dürfte zum Beweiſe dieſes Satzes nur an die Wahrheit erinnert werden, daß derſelbe ſich einen Affect, mit dem er unfrei verwachſen war, indem er ihn objectivirt, von der Seele löst. Man denke an bekannte Geſtändniſſe Göthes. Wir ſtehen jedoch hier in der Religion und haben es mit dem religiöſen Bewußtſeyn zu thun, das ſich ſeinen Gehalt vom Künſtler in der Form der Schönheit zurückgeben läßt, in der Meinung, darin den Triumph ſeines Glaubens zu beſitzen. Allein das ſchöne Werk hat die undeutliche Vor - ſtellung deutlich gemacht, die verſchwimmenden Umriſſe geſchärft; es ſteht jetzt ein unverkennbar Einzelnes vor mir. Dieſes Einzelne iſt zwar durch - drungen von unendlicher Bedeutung, und in dieſe Bedeutung iſt auch171 mein Leben eingeſchloſſen; man ſollte daher meinen, von dieſer Seite wenigſtens werde ich mich nur um ſo ungetheilter mit dem Gegenſtande verwachſen fühlen. Allein dies Verwachſenſeyn iſt jetzt nur noch eine freie Vertiefung in die Bedeutung, welche dieſe vor mir ſtehenden klaren und ebendadurch begrenzten Formen zwar erfüllt, aber auch unendlich über ſie hinausgreift und nimmermehr in ihnen als gemeine Wirklichkeit aufgeht. Ich kann dieſe Formen bewundern, aber nicht mehr anbeten, ja ſie ſagen mir zugleich, daß auch meine innere Vorſtellung, die ich leichter mit der Sache verwechſeln konnte, weil ſie zerfließende Umriſſe hat, nur Bild war. Jetzt trifft das reine Denken, das allen Schein auflöst, in mir den Boden. Das Bilden der Kunſt iſt mit der Bildung im innigſten Einverſtändniß. Daß der äſthetiſche Schein kein Betrug, keine Unter - ſchiebung (Verwechslung), ſondern freies Spiel iſt, ſagt auch Schiller. Ueber d. äſth. Erz. d. Menſchen Br. 26.

§. 67.

Das Denken iſt jedoch nothwendig ſchon vorher auch in der Religion eingetreten, aber nicht als reines Denken, ſondern mit der Beſtimmung, daß es jene Vermiſchung von Bild und Inhalt durch den Beweis zu ſchützen ſucht. Dieſes unreine, blos reflectirende Denken geht, weil das Gefühl das Be - ſtimmende und die Vorſtellung zwar ſecundär, aber weſentlicher als das Denken iſt, auf die Autorität als letzten Beweisgrund zurück und als dieſe Verflechtung von Gefühl, Vorſtellung und Denken heißt die Religion Glaube. Ueberwindet aber das Denken die Reflexion, geht es hinter die Autorität zurück und löst es ſo den unfreien Schein auf, ſo iſt die Religion in das ſcheinloſe, begriffsmäßige Denken des Inhalts, alſo in die Wahrheit im engeren Sinne (§. 28) übergegangen. Bleibt daneben die Religion noch im Beſtand, ſo iſt wenigſtens die Abweichung des Schönen von ihr, wie ſolche im Gegenſatz gegen jenes unreine Denken bereits noch deutlicher hervortritt, vollendet.

Das Denken in völliger Abhängigkeit von der Religion, die Scholaſtik, gieng allerdings neben der Blüthe der Vorſtellung unſchädlich her. Sobald es aber kritiſch wurde, ſo entbanden ſich die auflöſenden Keime in der Scholaſtik und wiewohl es noch nicht die letzten Conſequenzen zog, hörte doch die Religion bereits auf, ein wahrer Stoff der Kunſt zu ſeyn. Klopſtocks Meſſias und die reflectirte Abſichtlichkeit der neueren religiöſen Malerei beweist dies. Die Niederländer hatten ſchon im ſieb -172 zehnten Jahrhundert einen richtigeren Inſtinct. Die ganze Unmöglichkeit aber, daß Kunſt und Religion nicht ganz auseinander fallen, tritt in dem Momente ein, wo dieſes ſeine Conſequenzen gezogen und den Schein als Schein erkannt hat, denn nunmehr geht die Religion ſelbſt in die freie, denkende Bildung auf. Ob dieſe eine neue Religionsform ohne die ver - wechſelnde Vorſtellung aus ſich erzeugen, ob es einen Cultus ohne dieſe Verwechslung geben könne, iſt eine Frage, welche die Zukunft zu löſen hat. Mit der Religion im urſprünglichen Sinne aber, d. h. mit jener verwechſelnden Vorſtellung, hat die Kunſt nunmehr entſchieden gebrochen.

§. 68.

Was nun das Wahre betrifft, ſo ergänzt ſich, nachdem das Schöne als die reine Form oder die vollkommene Mitte begriffen iſt, worin der Gegenſatz des Allgemeinen mit der in ihm gegebenen Regel und des Einzelnen als eines ſinnlich und zufällig beſtimmten erliſcht, auch die Beſtimmung des Verhältniſſes zwiſchen ihm und dem Schönen. Der in §. 28 aufgeſtellte Satz iſt nun, wenn der Begriff der Wahrheit zunächſt wieder im weiteren Sinne gefaßt wird, zu beſchränken, wenn aber im engeren Sinne, umzukehren. Die Beſchränkung heißt: was wahr iſt, iſt darum noch nicht ſchön. Die Umkehrung lautet: das Wahre iſt nicht mehr ſchön, alſo iſt nichts Wahres ſchön.

Wahrheit im weiteren Sinne heißt ein Gehalt, der, wenn er in’s Denken erhoben ſeyn wird, ſich vor demſelben als wirklich und vernünftig rechtfertigen wird, der aber noch nicht in jenes erhoben iſt. Ein ſolcher Gehalt iſt alles Lebenskräftige und Tüchtige. Derſelbe iſt aber darum noch nicht ſchön, denn er muß erſt in die reine Form aufgehen. Wahrheit im engeren Sinne heißt begriffener, wirklich in’s Denken erhobener und durch dasſelbe gerechtfertigter Gehalt. Das Denken nun als ſolches hebt eben den Schein unmittelbaren Zuſammenfallens der Idee mit einem Ein - zelnen, wodurch beide einander völlig decken, auf; alſo iſt die Schönheit nicht mehr, ſie iſt aufgelöst, und nichts in dieſem Sinne Wahres kann ſchön heißen. Man ſpricht von ſchönen Gedanken, ſoll aber dieſer Aus - druck berechtigt ſeyn, ſo kann er nicht methodiſche Gedanken bezeichnen, ſondern Blitze des Geiſtes, die ſich in Ahnung und Phantaſie einhüllen, alſo noch mit ſinnlicher Hülle verwachſen ſind. Wahrheit im erſten Sinn wird mit Wahrheit im zweiten Sinn verwechſelt, wenn man meint,173 Hegel vorwerfen zu müſſen, daß er dem Schönen die philoſophiſche Idee unterſchiebe (vergl. §. 15, Anm. 1). Uebrigens gehen aus dem Inhalte dieſes Paragraphen wichtige Folgeſätze für die Kunſt hervor. Das reine Weſen des Schönen iſt überall aufgehoben, wo ein als Wahrheit aus - geſprochener Gehalt ſich neben die ſinnliche Form in einem Kunſtwerke ſtellt, ſtatt ganz in Form geſetzt zu ſeyn und in ihr aufzugehen. Die Form wird dadurch blos Vehikel; die Begriffsbeſtimmung in §. 14 iſt verletzt und es entſteht Zwitterkunſt, die in das Gebiet der blos an - hängenden Schönheit gehört (§. 23).

§. 69.

Da die ſtrenge Wahrheit jene Mitte auflöst, da ſie alſo trennt, was die Schönheit vereinigt, ſo ſcheint dieſe höher als jene. Allein die Wahrheit trennt überhaupt alle Einheit im ganzen Umfange der wirklichen Idee nur, um ſie als Einheit wahrhaft zu begreifen, und ſo hebt ſie auch die beſondere Einheit des Schönen, den Schein nämlich eines unmittelbaren reinen Zuſammenfallens der Idee mit dem Einzelnen, nur auf, um auch ihn in ſeiner Nothwendigkeit zu denken. Wenn die Schönheit den Gegenſatz des Allgemeinen und Einzelnen ſcheinbar auf Einem Punkte löst, ſo löst ihn die Wahrheit überhaupt und im Ganzen. Die Wahrheit ſetzt nicht das Allgemeine und Nothwendige und läßt das Einzelne und Zufällige liegen, ſie begreift jenes in dieſem, für den auf - gelösten Schein der unmittelbaren Einheit gibt ſie die ſcheinloſe vermittelte Einheit; aber ebendarum begreift ſie unter den Formen der Löſung jenes Ge - genſatzes auf die äſthetiſche in ihrem Recht und Grund wie in ihrem Mangel. Nothwendig aber iſt dasjenige höher, was das Andere zum Gegenſtand macht und begreift.

Der Streit über die Rangordnung des Schönen und Wahren wurde zur Zeit der Reflexionsphiloſophie zu Gunſten des Erſten entſchieden. Obwohl Kant das Aeſthetiſche vor allen Begriff ſetzt (ſ. d. Einl. §. 5 Anm.) und demnach der Begriff, weil er darüber kommt und es als ſeinen Gegenſtand begreift, folgerichtig einen höheren Platz einnehmen muß, ſo ſtand es doch eben mit dem Begriffe in dieſer Philoſophie ſo, daß er weder die Einheit der Idee und der Wirklichkeit überhaupt, welche dem Schönen zu Grund liegt, noch die ſcheinbare beſondere Einheit im Schönen begriff, ſondern nur zu einer Ahnung derſelben ſich erhob; daher mußte das Schöne über den Begriff geſtellt werden. Nur174 in der Lehre von der geiſtigen Kraft, wodurch das Schöne als Kunſt geſchaffen wird, wurde für Kant jene Ahnung zum klaren Ge - danken; im Genie wagt er Natur und Geiſt als Eines zu faſſen. Der Künſtler aber, der ſich unmittelbar in dieſer Einheit fühlt, fand in der philoſophiſchen Ueberſchätzung des Schönen einen erwünſchten Anhalts - punkt. Schiller ſagt, der Philoſoph ſey immer blos ein halber, nur der Dichter der ganze Menſch. Dieſe Frage über die Perſönlichkeit des Künſtlers verglichen mit der des Philoſophen iſt zwar nicht ganz die - ſelbe mit der allgemeinen philoſophiſchen unſeres §. Denn nach der Art menſchlicher Dinge kann immer die Beſchäftigung mit dem rein All - gemeinen, wie ſehr es ihre Aufgabe iſt, dies eben im Einzelnen zu be - greifen, die ſinnlichen Kräfte im Philoſophen abſtumpfen und ihn hindern, die Durchdringung der Gegenſätze, die er begreifen ſoll, auch an ſich ſelbſt darzuſtellen. Wenn die Perſönlichkeit durch das beſtimmt wird, was das Weſen der Sphäre iſt, der ſie angehört, ſo muß eigentlich auch hier ſich erproben, was an ſich wahr iſt. Man muß dabei die ganze Perſönlichkeit zuſammenfaſſen ſowohl in der ſpezifiſchen Thätigkeit ihrer Sphäre, als im Uebrigen. Was jene betrifft, ſo iſt der Künſtler die unmittelbare Einheit, die er im Werke darſtellt, ſelbſt. Sie iſt aber als unmittelbare eine relativ unbewußte, wie ſich in der Lehre von der Phantaſie näher zeigen wird; das Unbewußte kann aber nicht höher ſtehen als das Bewußte. Weil nun im Scheine des Schönen das Zufällige der Einzelheit nur momentan und ſcheinbar überwunden iſt, wird den Künſtler im Leben die Zufälligkeit als innere Unbewußtheit verfolgen. Göthe, ſpezifiſch mehr Dichter als Schiller, ließ ſich in eine Zerſplitterung ſeiner Kräfte hineinziehen, die er ſelbſt beklagt. Künſtler und Dichter ſuchen im Nebel ihren Weg, ſind launiſch, eigenſinnig. Auch Kant erwähnt dieſe Seite (Kr. d. äſth. Urtheilskr. §. 42) und Schnaaſe (Geſch. d. bild. Künſte, Th. 1, S. 14) vergißt nicht, der Schattenſeite der Schönheit zu gedenken, die ſich in dem reizbaren Gemüthe der Künſtler geltend mache, die aber auch oft, wo nicht immer, ſelbſt ihren Werken einen, wenn auch nur leiſen, Anflug der Wehmuth verleihe. Wenn dagegen der Philoſoph Phantaſie, Gefühl, Leichtigkeit, Energie des Augenblicks nicht in ſich ausbildet, ſo iſt dies nicht unmittelbarer Aus - fluß des Weſens ſeiner Sphäre, denn er wäre ein ſchlechter Philoſoph, wenn er den Werth der Sinnlichkeit und der Wirklichkeit nicht zu ſchätzen wüßte. Der Künſtler wird faſt nothwendig das ſtrenge Denken und alles Methodiſche verkennen, der Philoſoph aber wird Raum in ſich haben, dies175 und den heiteren Schein, die Beweglichkeit ſeines ſinnlichen Elements, den Blitz der Erfindung gleichmäßig in ihrem Werthe zu erkennen; aber freilich die Kürze eines Menſchenlebens und die Schranke aller menſchlichen Dinge wird ihn hindern, das Erkannte in der eigenen Perſönlichkeit durchzuführen.

In Widerſpruch mit dem Obigen ſcheint es zu ſtehen, daß Schelling, der den Dualismus des Reflexions-Begriffs überwand, dennoch zuerſt die Schönheit unbedingt über die Wahrheit ſetzte. Allein er überwand ihn zunächſt eben in der Form vorauseilender Ahnung und Phantaſie, war ſelbſt ein Dichter in der Sphäre der Philoſophie, und ſo war ihm die Kunſt die höchſte Ineinsbildung des Idealen und Realen, der Freiheit und Nothwendigkeit, des Bewußten und Unbewußten, die Löſung eines unendlichen Widerſpruchs. Da in der Philoſophie ſelbſt dieſe Löſung nur durch Phantaſie gefunden war, ſo mußte die Kunſt natürlich auch über die Philoſophie geſtellt werden. Im Syſtem des tranſcenden - talen Idealismus (S. 468 ff. ) ſprach daher Schelling noch folgende Sätze aus: obgleich die Wiſſenſchaft in ihrer höchſten Function mit der Kunſt Eine und dieſelbe Aufgabe hat, ſo iſt doch dieſe Aufgabe wegen der Art, ſie zu löſen, für die Wiſſenſchaft eine unendliche, ſo daß man ſagen kann, die Kunſt ſey das Vorbild der Wiſſenſchaft, und wo die Kunſt ſey, ſolle die Wiſſenſchaft erſt hinkommen. Die Wiſſenſchaft geht von einem Prinzip aus, das als das abſolut Identiſche ſchlechthin nicht objectiv iſt und doch durch Begriffe nicht aufgefaßt und dargeſtellt werden kann. Die Kunſt allein liefert durch die allgemeine und von allen Menſchen anerkannte Objectivität einer unmittelbaren Anſchauung den Beweis, daß das abſolut Identiſche, an ſich weder Sub - noch Objective, welches der Inhalt einer nur intellectuellen Anſchauung iſt, keine blos ſubjective Täuſchung ſey. Die äſthetiſche Anſchauung iſt die objectiv gewordene intellectuelle. Die Einbildungskraft hebt einen unendlichen Gegenſatz in einem endlichen Producte auf. Die Kunſt iſt daher das einzige wahre und ewige Organon zugleich und Document der Philoſophie, welches immer und fortwährend auf’s Neue beurkundet, was die Philo - ſophie äußerlich nicht darſtellen kann, nämlich das Bewußtloſe im Handeln und Produciren und ſeine urſprüngliche Identität mit dem Bewußten. Die Kunſt iſt ebendeswegen dem Philoſophen das Höchſte, weil ſie ihm das Allerheiligſte gleichſam öffnet, wo in ewiger und urſprünglicher Ver - einigung gleichſam in Einer Flamme brennt, was in der Natur und Geſchichte geſondert iſt und was im Leben und Handeln ebenſo wie im Denken ewig ſich fliehen muß. Die Philoſophie, ſo wie ſie in der176 Kindheit der Wiſſenſchaft von der Poeſie geboren iſt, wird nach ihrer Vollendung in den Ocean der Poeſie zurückfließen. Ganz ähnlich ſagt Schiller (über d. äſth. Erz. d. Menſchen Br. 25), die Schönheit allein könne die unendliche Einheit der Materie und Form, der Be - ſchränkung und Unendlichkeit beweiſen. Allein die Kunſt kann ja die höchſte Einheit nur darum ſtets vollendet objectiv darſtellen, weil ſie dieſelbe nicht im letzten Grunde wahrhaft löst, ſondern nur auf der Oberfläche ſcheinbar. Dennoch hat auch die Kunſt ihre Geſchichte, weil ſie nie fertig wird, die Einheit in immer neuer tieferer und breiterer Weiſe zu faſſen. Die Philoſophie aber iſt vielmehr eine wahrhaft objective Durchführung der Einheit, denn das Objectivſte iſt der Gedanke und ſein Bau als Form iſt von der Objectivität in der Schönheit gerade nur dadurch verſchieden, daß er die reine durchſichtige Form alles Ob - jectiven iſt. Fertig iſt zwar auch ſie niemals, allein die Thätigkeit, die auf den letzten Grund zurückgeht, iſt mit jedem Schritte auf tiefere Weiſe ein Ganzes, als diejenige, welche nicht bis dahin dringt, welche den tiefſten Widerſpruch nicht nennt. Schelling ſelbſt hat jedoch ſeine Anſicht verändert. In den Vorleſ. über die Meth. des ak. Stud. (S. 313 ff. ) iſt anerkannt, daß die Kunſt, obgleich ganz abſolut, voll - kommene Ineinsbildung des Realen und Idealen, ſich doch ſelbſt wieder zur Philoſophie verhalte, wie Reales zum Idealen. Erſt in dieſer löst der letzte Gegenſatz des Wiſſens ſich in die reine Identität auf u. ſ. w. In das Innere der Kunſt kann wiſſenſchaftlich kein Sinn tiefer eindringen, als der der Philoſophie, ja der Philoſoph ſieht in dem Weſen der Kunſt ſogar klarer, als der Künſtler ſelbſt zu ſehen vermag. Inſofern das Ideelle immer ein höherer Reflex des Reellen iſt, inſofern iſt in dem Philoſophen nothwendig auch noch ein höherer Reflex von dem, was in dem Künſtler reell iſt u. ſ. w. Der Künſtler, da in ihm dasſelbe Prinzip objectiv iſt, was ſich in dem Philoſophen ſubjectiv reflectirt, verhält ſich darum auch zu jenem nicht ſubjectiv oder bewußt, nicht als ob er nicht gleichfalls durch einen höheren Reflex ſich desſelben bewußt werden könnte: aber dies iſt er nicht in der Qualität des Künſtlers. Als ſolcher iſt er von jenem Prinzip getrieben und beſitzt es darum ſelbſt nicht u. ſ. w. Wie der Philoſoph die Kunſt ſogar bis zu der geheimen Urquelle und in die erſte Werkſtätte ihrer Hervorbringungen ſelbſt verfolgen könne, iſt nur vom rein objectiven Standpunkte oder von dem einer Philoſophie aus, die nicht im Idealen zu der gleichen Höhe mit der Kunſt im Realen geht, unbegreiflich.

177

Dieſer letzte Satz iſt die rechte Antwort für diejenigen, welche Hegel angreifen, weil er die Philoſophie über die Kunſt geſetzt. Dieſe Angriffe gehen von der Meinung aus, der Philoſoph laſſe das Einzelne und Zufällige vom Allgemeinen weg, und da die Kunſt dieſe Gegen - ſätze bindet, ſo muß nun freilich die Philoſophie einſeitig ſeyn, ein Schattenweſen, grau in grau u. ſ. w. In ſtrengerer Form hat Weiße dieſe Angriffe vorgetragen. Seine Anſicht, welche ſchon in der Einleitung (§. 5 und 15 Anm.) beurtheilt werden mußte, faßt ſich am einfachſten in den Worten zuſammen, daß ſich das Schöne zum Wahren wie Urtheil zum Begriff verhalte (Aeſth. §. 12). Allein welche Subſumtion des Einzelnen unter das Allgemeine iſt die höhere, welche copula iſt die wahrhaft bindende: diejenige, welche blos ſcheinbar in ein Einzelnes die ganze Fülle des Allgemeinen fallen läßt, oder diejenige, welche das All - gemeine als die Macht begreift, die ob zwar nur im unendlichen Fort - gang alles Einzelne, wie ſie es geſetzt und in der Verflechtung der End - lichkeit dem Zufalle überantwortet hat, wirklich auch wieder in das Ihrige umwandelt und einſammelt? diejenige, welche ſtatt deſſen blos jenen Schein gibt, oder diejenige, welche auch dieſen Schein und ſeine Nothwendigkeit als letzte und höchſte, aber ebenfalls der tieferen und umfaſſenderen Vermittlung verfallende Form unmittelbarer Syntheſe begreift? Die Oppoſition gegen den höchſten Rang der Philoſophie vergißt immer und immer wieder, daß dieſe das Sinnliche nicht läugnet und wegläßt, ſondern durchdringt und ſo freilich als ein Solches darthut, worin ſchließlich ſich nichts aufzeigen läßt, was nicht Gedankenbeſtimmung wäre; ſie träumt von einer ungeformten Materie als Gegenſatz des Gedankens und ſetzt dieſe höher als den Gedanken. Voll von Klagen über das Tödtende des Begriffs iſt die Aeſthetik von Theod. Mundt. Der Begriff habe wie ein Nachtgeſpenſt das volle heiße Leben in ſeinen Armen erdrücken müſſen und dies Vergehen der Geſtalt in den Begriff hinein ſollte dann als das wahre Leben zurückbleiben! u. drgl. In Wahrheit iſt vielmehr nichts lebendiger und Leben bringender als der Gedanke. Je weniger er zunächſt das Unmittelbare ſchont, je mehr er es zerfrißt und verzehrt, um ſo ſicherer wird er, ohne ſein abſichtliches Zuthun, nachdem er ſich in das Bewußtſeyn der Zeit eingearbeitet hat, von ſelbſt wieder eine unmittelbare Macht und ſo hat er, nicht aber der ſchmeichelnde Schein des Schönen, das Ungeheuerſte in der Geſchichte bewirkt. In dieſem Buche, das von allen Entdeckungen der neueren Wiſſenſchaft mit affectirter Phraſenfülle leicht den Schaum abſchöpft, um bei der oberflächlichen Bildung die reine Arbeit in den Tiefen des Ge -Viſcher’s Aeſthetik. 1 Bd. 12178dankens anzuſchwärzen, herrſcht die trübſte Confuſion über die Begriffe des Unmittelbaren und Vermittelten. Allen denjenigen aber, welche die Kunſt bedauern, weil eine Zeit, welche vorzüglich im Gedanken arbeitet und ſelbſt die Durchführung desſelben in der Wirklichkeit, nach der ſie ſich ſehnt, auf gedankenmäßige Weiſe ſucht, allerdings zunächſt ihre Blüthe nicht begünſtigen kann, muß die ſichere Ausſicht zum Troſte dienen, daß die neue Geſtalt der Zeiten, welche hervorgehen wird, wenn erſt der Gedanke ohne viel Gerede vom Modernen, vom Unmittelbaren und von der That durch ſeine innere Nothwendigkeit eine praktiſche Macht geworden ſeyn wird, von ſelbſt auch wieder eine neue Kunſt hervortreiben muß.

Durch die §§. 56 69 iſt nunmehr die Stellung der Aeſthetik im Syſtem der philoſ. Wiſſenſchaften, wie die Einl. ſie angab, gerechtfertigt.

Der ſubjective Eindruck des Schönen.

§. 70.

1

Nachdem ſo das Schöne als allgemeiner Begriff in ſeinen Momenten entwickelt iſt, ſchließt es ſich auch nach außen auf; eine Beziehung, welche durch §. 12 und 13 bereits geſetzt iſt, aber nunmehr aus dem Gegenſtande ſelbſt mit2 Nothwendigkeit hervorgeht. Dieſer Gegenſtand nämlich iſt Erſcheinung der Idee in der Begrenztheit eines Einzelweſens. Durch den Begriff der Erſchei - nung iſt aber in dem Gegenſtande, welcher erſcheint, das Subject, dem er er - ſcheint, weſentlich mitgeſetzt, und zwar zunächſt als Sinnenweſen, das dieſelbe ſinnliche Beſtimmtheit, die im Gegenſtande als durchdrungen von der Idee3 erſcheint, ihm als lebendiges Organ entgegenbringt. Das Schöne iſt für Jemand da, es erwartet und fordert den Anſchauenden, und dies widerſtreitet auf keine Weiſe der durch die Abſolutheit ſeines Gehalts ihm zukommenden Selbſt - genugſamkeit und in ſich ruhenden Sättigung; denn ein Anderes iſt, mit Noth - wendigkeit wirken, ein Anderes, eine eitle Wirkung eitel ſuchen.

2. Die §§. 12 und 13 machten das allgemeine Geſetz des Geiſtes geltend, daß ihm, was nirgends und überall, niemals und immer wirklich iſt, irgendwo und irgendwann erſcheine. Dadurch wurde das Schöne als Gegenſtand erſt gefordert. Die Geneſis der Phantaſie wird weiter zeigen, daß dieſer Gegenſtand nur von demſelben Geiſte, dem er er - ſcheinen ſoll, durch eine beſtimmte Thätigkeit geſchaffen werden kann. In der Metaphyſik des Schönen darf dieſer Geneſis nicht vorgegriffen werden, ſie darf, wie ſchon mehrfach berührt iſt und ſich im Verlaufe179 noch ſtrenger erweiſen ſoll, nur in abſtracter Allgemeinheit ausführen, was das Schöne enthalten muß. Das Schöne iſt ohne ein Subject zum voraus gar nicht da: dies liegt implicite im Bisherigen und darf noch nicht explicirt werden, wenn nicht gegen alle richtige Ordnung der Be - griffe der vorhandene Schein, als bleibe der ſtörende Zufall zufällig auch einmal aus und laſſe der Gattung Luft, ein reines Exemplar zu ſchaffen, vor der Zeit zerſtört werden ſoll; iſt aber das Schöne einmal geſetzt, ſo liegt in ſeinem Begriffe weſentlich dies, daß es einem Subjecte erſcheine: dies kann und muß jetzt ſchon explicirt werden.

2. Ruge (Neue Vorſchule der Aeſthetik) iſt es, der mit treffender Dialektik das Schöne als ein weſentliches Zuſammengehen des Objects und Subjekts aufzeigt. Er geht aber in ſeiner Entwicklung ſogleich von dem ganzen Begriffe des Schönen aus, während wir nun analytiſch verfahren und das Zuſammengehen zuerſt nur als ein ſinnliches faſſen, um erſt hierauf den ſinnlichen Eindruck durch Rückgang auf den Ideen - Gehalt des Objects in einen geiſtigen zu erheben. In doppeltem Sinne iſt es der ganze Begriff, von welchem Ruge ausgeht. Er faßt das Sinnliche im Schönen ſogleich als Medium des darin eingeſchloſſenen geiſtigen Gehalts: eben dieſe Beſtimmung wird auch hier, aber erſt im Verlaufe eintreten. Er faßt aber das Schöne zugleich vorneherein als Solches, was, eben weil es Einheit von Geiſt und geiſtig durch - drungener Materie, alſo ein Perſönliches iſt, auch von der Perſönlichkeit geſchaffen, d. h. Kunſt iſt. Dieſe Seite wird aus dem unter 1. ge - nannten Grunde in unſerer Entwicklung noch nicht ausgeführt. Aber die erſte Seite genügt auch, denn als ein Perſönliches haben wir das Schöne bereits ſeinem reinen Gehalte nach und abgeſehen noch von der Perſönlichkeit als Urheberin desſelben in der Kunſt gefaßt in §. 19.

Hier wird alſo die Nothwendigkeit des mitgeſetzten ſubjectiven Mo - ments einfach abgeleitet von dem Begriffe der Erſcheinung, worin das Subject, dem etwas erſcheint, ſchon miteingeſchloſſen iſt. Dasſelbe Sinn - liche, das im Gegenſtande als reine Form wirkt, iſt in der weiten Welt überall, im Subject aber als Organ, wodurch das außer ihm vorhandene Sinnliche Gegenſtand für es wird, als Sinnlichkeit. Das Schöne will und muß geſchaut ſeyn, auch Göthe nimmt dies ſubjective Moment in den Begriff des Gegenſtandes auf, wenn er ſagt: das Schöne iſt das geſetzmäßig Lebendige in ſeiner größten Vollkommenheit Schauen. Von Ruge kann hier ſchon das geiſtreiche Wort angeführt werden, das er vom Komiſchen braucht, das aber ebenſo vom Schönen überhaupt gilt12*180(a. a. O. 264): an ſich exiſtirt das Lächerliche gar nicht, es iſt ein Wechſel auf Sicht, und ſeine Exiſtenz iſt der Augenblick, wo er honorirt wird. Man laſſe ſich an dieſer Wahrheit nicht durch gemeinen Verſtand irre machen, indem man ſich einbildet, einen vorhandenen ſchönen Gegen - ſtand ſich vorſtellen zu können, als ſehe ihn Niemand. Denn indem ich mir ihn vorſtelle, ſo ſehe ich ihn (innerlich) und nur ſo als geſehenen nenne ich ihn ſchön. Ich habe auch wirklich oder Andere haben Gegen - ſtände von derſelben Art der Schönheit geſehen und im letzteren Fall haben dieſe mir das Bild zum inneren Sehen überliefert; ich verſetze mich, indem ich es ſchön nenne, in das Sehen dieſer Andern hinein oder, im erſten Falle, in mein eigenes zurück. Das allgemeine Weſen, welches das Schöne ſchafft, ſorgt aber auch dafür, daß das Schöne ge - ſehen werde. Unzähliche Blumen verwelken ungeſehen, aber wir könnten von ihnen gar nicht reden, wenn nicht unzähliche andere geſehen würden, ſo daß wir die nicht geſehenen uns vorſtellen können: und in dieſem Augenblick erſt können dieſe ſchön heißen. Es iſt dafür geſorgt, daß es Menſchen gibt und Augen. Soll aber einmal vorausgeſetzt ſeyn, daß jenes allgemeine Weſen nur die Kunſt ſey: dieſe beſtimmt ja ihr Werk ausdrücklich für die Anſchauung. Ginge jedoch ein Werk zu Grunde, ehe es irgend Jemand geſehen, ſo hat es doch der Künſtler geſehen und in dieſem iſt dasſelbe Sehen wie in denen, für die es beſtimmt war. So lange es aber nicht geſehen wird, iſt es nur Stein, Farbe u. ſ. w. Es iſt ſchwer, dies zu denken, denn indem ich mir das Werk vorſtelle, iſt es ſchon nicht mehr dies, ſondern ſchön, weil es den Zuſchauer hat. Die ganze Erörterung führt auf den abſoluten Kreis des Bewußtſeyns, aus dem wir nicht heraus können, noch ſollen. Es iſt gegen die Phi - loſophie von Kant bis Hegel neuerdings der Angriff auch ſo gewendet worden, daß ſie Alles als Bewußtſeyn conſtruire. Allein im Kriege ſchießt man mit Fleiß auf die Leute. Da es kein Seyn gibt, außer für das Bewußtſeyn, ſo iſt es eben die Aufgabe der Philoſophie, das Bewußtſeyn zum Ganzen zu erweitern und das beſtimmte Bewußtſeyn als Act des abſoluten Bewußtſeyns zu begreifen. Wie nun aber Alles nur in dem Bewußtſeyn und durch dasſelbe iſt, ſo auch das Schöne.

3. Aus dieſer Nothwendigkeit im Schönen, vermöge deren der Zu - ſchauer in ihm mitgeſetzt iſt, folgt noch keine Aufhebung ſeiner in ſich beſchloſſenen, auf ſich ruhenden Sättigung. Dieſe fehlt nur dem Schein - bilde des Schönen, von welchem im weiteren Zuſammenhang die Rede ſeyn wird.

181

§. 71.

Welche Organe der Sinnlichkeit hiebei betheiligt ſeyen, kann allerdings nicht beſtimmt werden, ohne daß gemäß der Beſtimmung in §. 54 und 55 vor - ausgeſetzt wird, daß das Sinnliche in dem ganzen Acte nur ein Moment iſt. Ausgeſchloſſen nämlich ſind diejenigen Sinne, welche durch unmittelbare Be - rührung und Zerſetzung den Gegenſtand auf die blos ſinnliche Luſt und Unluſt beziehen: Taſtſinn, Geruch und Geſchmack. Dagegen dringen Geſicht und Gehör als freie und ebenſoſehr geiſtige wie ſinnliche Organe nicht auf die materielle Zuſammenſetzung ein, ſondern laſſen den Gegenſtand als Ganzes beſtehen und auf ſich wirken; er wird als Object frei gegenübergeſtellt und dieſer Gegenſatz frei aufgehoben. Daher ſind nur dieſe Sinne zur Aufnahme des Schönen berufen.

Der Taſtſinn fordert unmittelbare Berührung, Hingleiten über die Oberfläche mit den Fingerſpitzen und ſo nimmt er Wärme und Kälte, Glätte und Rauheit, Weichheit und Härte u. ſ. w. wahr. Ich kann ſo allerdings über die ganze Geſtalt hingleiten und mich ihrer Formen und Wendungen verſichern, allein ich bekomme nur eine nach der andern, nicht das Ganze; die Wirkung bleibt alſo ſtoffartig, was gegen §. 54 und 55 iſt. Das Zuſammenfaſſen in Einem Act iſt nur Sache des Auges. Wenn der Blinde dennoch durch Taſten ſich des Schönen als reiner Form verſichern könnte, ſo müßte, falls er blind geboren iſt, ein ahnendes inneres Sehen, falls nicht, eine Erinnerung des Sehens angenommen werden. Weil aber das bloſe Taſten ſtoffartig aufnimmt, ſo bezieht es den Gegenſtand ſogleich auf die Begierde. Allerdings iſt jedoch im Sehen der Taſtſinn als ein vergeiſtigter mitgeſetzt, denn wir ſehen nicht blos Licht und Farbe, ſondern auch Form im engeren Sinn, Art der Textur, ſelbſt Ton der Wärme oder Kälte. Der Geſichtsſinn trägt den über ſich ſelbſt erhobenen Taſtſinn in ſich. Ungebildete be - gnügen ſich damit nicht, ſondern ſetzen den Taſtſinn in ſeiner erſten Bedeutung aus dem Geſichtsſinn heraus und befühlen Statuen und Gemälde.

Der Geruch nimmt ſeine Stoffe auf, in die ſich ein Körper ver - flüchtigt; er iſt alſo auf dieſen als einen ſich zerſetzenden bezogen und ſo iſt auch er durchaus ſtoffartig, höchſt apprehenſiv, Neigung und Abneigung raſch bewirkend, und beſonders dient er dem Ernährungstriebe. Allerdings hat er auch eine feinere Bedeutung; gewiſſe Wohlgerüche rufen Bilder182 in der Phantaſie auf, welche mit reinen Gefühlen der Erinnerung und Sehnſucht unmittelbar verknüpft ſind, eckelhafter Geruch kann am rechten Orte ein Grauſen äſthetiſcher Art verſtärken. Allein theils iſt dabei der Geruch nur ein Mitwirkendes und nicht das Organ des Ganzen, theils fragt ſich erſt, ob in einem wahrhaft äſthetiſchen Zuſammenhang ein wirklicher oder wirklich dargeſtellter Geruch vorkommen darf (wie z. B. das bei Darſtellungen der Auferweckung des Lazarus häufig von Malern angebrachte Motiv, daß ſich ein Zuſchauer die Naſe zuhält), ob nicht vielmehr nur ein innerlich vorgeſtellter; denn dieſen Sinn wie alle andern werden wir als innerlich geſetzten wiederfinden.

Der Geſchmack zerſetzt, dient der Ernährung, iſt unmittelbar mit ſinn - licher Luſt und Unluſt verbunden; er kann in gewiſſen Verbindungen aller - dings auch in einem äſthetiſchen Ganzen mitwirken, aber nur unter denſelben einſchränkenden Bedingungen, wie der Geruch. Die Sinne ſind überhaupt, wie bereits vom Taſtſinn bemerkt iſt, nichts Iſolirtes, ſie ſind Zweige Eines Sinnes, können theilweiſe die Stelle von einander vertreten, klingt der eine an, ſo klingt der andere als Erinnerung, als beglei - tender Ton, als unſichtbare Symbolik mit, und ſo ſind allerdings auch die unedleren derſelben nicht ausgeſchloſſen. Uebrigens können dieſe ſtoffar - tigen Sinne, wie der Begierde und Abneigung, ebenſo der wiſſenſchaftlichen Zergliederung dienen, ſind aber in beiden Fällen gleich außeräſthetiſch.

Die eigentlich äſthetiſchen Sinne aber ſind Geſicht und Gehör. Sie laſſen beide den Gegenſtand in ſeiner Objectivität und ruhen nicht auf der dunkeln, ſtoffartigen Verwicklung des Subjects mit dem Object. Die andringende Materie iſt ſchon hinweggewälzt von den Sinnen und das Object entfernt ſich von uns, das wir in den thieriſchen Sinnen unmittelbar berühren (Schiller). Hegel nennt ſie daher die theoretiſchen, Schleiermacher (Aeſth. 93) willkürliche Sinne. Er verſteht dies ſo, daß ſie einer Thätigkeit, die von innen ausgeht, fähig und, ohne afficirt zu ſeyn, Geſtalten und Töne zu pro - duciren im Stande ſeyen. Er ſagt daher, es gebe ein inneres Sehen und Hören, von dem Riechen und Schmecken aber läugnet er zwar nicht ſchlechtweg, daß ſie auch innerlich thätig ſeyn können, ebenſo vom Taſt - ſinn, deſſen innerliche Mitthätigkeit in der Sculptur er zugibt, dagegen ſpricht er ihnen die Fähigkeit ab, auf Geheiß des Willens von innen Geſtalten - bildend thätig zu ſeyn. Je klarer nun in den zwei edleren Sinnen die Scheidung, um ſo tiefer auch das Eindringen, die Aufhebung der Fremd - heit zwiſchen Subject und Object; denn dieſe Aufhebung iſt geiſtig, iſt183 ein ſinnliches Denken. Der Geſichtsſinn umſpannt das Ganze der Geſtalt, er nimmt die Totalwirkung der Oberfläche in ſich auf, ſowohl in der Beſtimmtheit ihrer inneren und äußeren Grenzen, wie ſich Alles klar voneinander abſetzt und abbebt, hintereinander verſchiebt, (wobei er eben zugleich als höherer Taſtſinn wirkt), als auch in der ſtrengen Zuſammengehörigkeit der Theile oder Glieder Eines Körpers, hinter welche zerlegend in das ſtoffartig Innere zu treten er nur durch beſondere Veranlaſſung, ſey es der Umſtände oder des Willens, beſtimmt wird. Dann wirkt er nicht mehr äſthetiſch, wie er denn überhaupt nicht noth - wendig und nicht allein äſthetiſch wirkt; wir müſſen ihn an anderer Stelle wieder aufnehmen. Er dient, wenn er in das zerlegte Innere eingeführt wird, in die ſtoffartige Miſchung eines Körpers, entweder der unmittelbaren Luſt und Unluſt, wie die niedrigeren Sinne, oder dem wiſſenſchaftlichen Zwecke. Durch die Veränderung der Verſchiebungen nimmt aber der Geſichtsſinn auch die Bewegung wahr, und da dieſe zugleich Urſache des Tones iſt, ſo ſteht er dem Gehörsſinn nahe, der überhaupt in ihm mitgeſetzt auch bei nicht wirklichem Hören als ein innerliches Hören von Tönen wunderbar in ihm mitwirkt. Der Gehörsſinn für ſich kann auch ſtoffartig wirken, wenn der Körper nicht in reinem Zuſammenklange ſeiner Stoffe erzittert, ſondern dieſe in ihrer Materialität hindurchklingen. Im Zuſammenklang aber vernimmt er frei und objectiv, wie der Geſichtsſinn das Ganze eines Körpers, freilich in anderer Weiſe, ſo nämlich wie er in der Seele des Tons ſeine Räumlichkeit in die Zeitlichkeit aufhebt. Auf dieſem Punkte treten nun ſchwierige Fragen ein, welche auf die Eigenthümlichkeit führen, durch welche die Muſik von allen andern Künſten ſich unterſcheidet. Hier nur ſo viel: der Gehörſinn ſcheint einerſeits wieder, da im Tone ſich die Objectivität der Geſtalt aufhebt, in die dunkle Tiefe zu zeigen, worin Subject und Object verſchlungen ſind, andererſeits iſt er als Vernehmen des articulirten Tons ſo geiſtig, daß er über das Aeſthetiſche hinaus - geht und nur Vehikel für dasſelbe wird: die Muſik wird zwiſchen dieſe Pole in die Mitte treten. Uebrigens wie das Gehör das Geſicht, ſo begleitet das Geſicht als eine Art von Schluß aus dem Ton auf die Geſtalt und ihre Bewegung, auch wo nicht wirklich geſehen wird, das Gehör.

Es iſt, obwohl wir hier die Künſte noch nicht kennen, kaum mög - lich, die Frage zurückzuweiſen, wie es ſich denn mit der Poeſie verhalte, welche durch kein ſinnliches Organ (da das Gehör oder im Leſen das184 Geſicht nur Vehikel iſt) aufgenommen wird. Die Antwort iſt aber in dem Satze vorbereitet, daß alle Sinne als innerlich geſetzte wiederkehren; ein Satz, der jedoch erſt in der Lehre von der Phantaſie ſeine Auefüh - rung zu erwarten hat. Hier iſt es dann auch, wo die ſtoffartigen Sinne als mitanklingende Saiten äſthetiſche Berechtigung erhalten werden. Dies Zuſammentönen aller Sinne iſt aber nichts Anderes, als der Reflex des Ineinanderſeyns aller Beſtimmtheiten der ſich verwirklichenden Idee.

§. 72.

Die ſinnliche Beſtimmtheit des Gegenſtands iſt aber nichts Anderes, als die durchſichtige Form der in ihm erſcheinenden Idee. Die Idee iſt abſolute Thätigkeit und daher Bewegung im weiteſten Sinne; der Gegenſtand erſcheint daher weſentlich als ein bewegter. Dieſe Bewegung iſt aber zugleich eine Be - wegung zum Subjecte, das wie der Gegenſtand wirkliche Idee in der Form ſinnlicher Beſtimmtheit iſt. Nun iſt aber im Gegenſtande die Form von der Idee ſo durchdrungen, daß ſeine Zufälligkeit freigelaſſen und in die Idee mit vollkommener Zwangloſigkeit harmoniſch aufgenommen iſt. Das Subject ſucht die - ſelbe freie Harmonie und dieſem Suchen fließt der Gegenſtand durchaus homogen entgegen, indem er es durch die Sinnlichkeit und in derſelben geiſtig erfüllt und befriedigt. Dieſe Bewegung im Schönen als harmoniſches Hinüberfließen in das Subject heißt Anmuth oder Grazie.

Leſſing hatte zuerſt die Anmuth (er ſagt: Reiz, wovon nachher) als Schönheit in der Bewegung definirt (Laocoon Cap. 21). Er meint wirkliche Bewegung, die er ausdrücklich der bloſen Form und Farbe entgegenſtellt. Schiller (Anmuth und Würde) faßt den Begriff ebenſo, er beſtimmt nur genauer, welche Bewegung die anmuthige ſey. Wie Leſſing hat er hiebei nur den Menſchen im Auge. Er unterſcheidet nun die Anmuth von der durch die Natur geſchenkten architektoniſchen Schönheit der feſten Formen und ſucht ihren inneren Grund in der Schönheit der Scele, welcher die Tugend zur Neigung, zur Natur ge - worden iſt, in dem harmoniſchen Gemüthe, in welchem zum ſittlichen Impulſe die Sinnlichkeit frei und unbewußt zuſtimmt; ihre Erſcheinung aber findet er in denjenigen Bewegungen, welche die willkürlichen un - willkürlich begleiten als Ausdruck weder einer ausdrücklichen Willensbe - ſtimmung noch eines bloſen Naturtriebs, ſondern der unbewußt mitan - klingenden Empfindung, und welche er daher die ſympathetiſchen nennt185 (Mienenſpiel, Gebärden beim Sprechen, Linie des Arms, wenn er nach etwas greift u. ſ. w.). Solche Bewegungen werden endlich habituell und bilden feſte Züge, auch die Anmuth wird ſo ſchließlich zur architek - toniſchen Schönheit. In dieſer Entwicklung erſcheint die Anmuth als ein perſönliches Verdienſt, ſie iſt Schönheit der Geſtalt unter dem Einfluſſe der Freiheit , es iſt eine Art Zulaſſung, eine Gunſt, die das Sittliche dem Sinnlichen erzeigt . Es gibt allerdings eine Anmuth, welche Tren - nung der Triebe und des Willens, Kampf und Verſöhnung, alſo Ver - dienſt vorausſetzt. Göthes Iphigenie iſt eine ſchöne Seele, die ge - kämpft hat. Allein dieſe erworbene Anmuth muß auch abgeſehen davon, daß das Erworbene erſt, wenn es zur andern Natur geworden, als Anmuth erſcheint, was auch Schiller nicht verkennt, ſchon vor dem Kampf als Anlage und Talent, als Inſtinet in der Natur liegen, und dieſer Inſtinet der Harmonie in ſeiner Erſcheinung iſt ebenfalls nicht ein blos Sinnliches, ſondern ein ſittlich Sinnliches; nicht nur Iphigenie, auch die medizeiſche Venus iſt anmuthig. Im Kampfe ſelbſt könnte ſich dieſer Tact des harmoniſchen Spiels nicht erhalten, wenn er nicht vorher als Natur da wäre. Iſt er nun in der Natur da, ſo wird er auch da ſeyn, wo das Sittliche und Sinnliche überhaupt noch gar nicht zu ſcheiden ſind, wie im Kinde. Iſt er da, wo beide noch nicht zu ſcheiden ſind, ſo kann er auch da ſeyn, wo die Möglichkeit einer Scheidung durch die Grenzen der Gattung abgeſchnitten und in eine höhere Gattung hinaus - verlegt, doch dämmernd angekündigt iſt: in der Thierwelt. Man kann thieriſche Bewegungen, wie des elaſtiſchen Pferdes, des liebkoſenden Hundes ganz wohl anmuthig nennen. Iſt nun dieſer Anklang des Seelenſpiels im Thiere, ſo kann ihn die Ahnung auch in der unbeſeelten Natur finden und Säuſeln der Bäume, Spiel der Wellen anmuthig nennen. Erweitert ſich ſo der Begriff der Anmuth über das ganze Reich der Schönheit, ſo iſt er aber auch nach einer andern Seite noch zu eng. Kann nämlich nach Schiller die Gewohnheit des ſchönen Spiels zur habituellen, feſten Form werden, ſo muß dieſes Spiel als ein ſolches, deſſen Talent wir ſchon in die Natur ſelbſt ſetzen müſſen, auch ohne wirkliche Bewegung ſich im Körper ankündigen, und zwar nicht nur durch die Erwartung ihres wirklichen Eintritts, ſondern im Schwunge der feſten Formen ſelbſt, ohne daß man an wirkliche Bewegung denkt. Die Linien des ſchönen Körpers, auch wenn er ruht, fließen für das Auge, und dies liegt nicht nur im Acte des Sehens, ſondern ſie ſind an ſich eine Wirkung bauender und im Bauen den Stoff wirklich be -186 wegender Kräfte. Das Schöne überhaupt iſt nichts Ruhendes, denn ſein Inneres iſt die Idee, welche abſolutes Leben und daher bauende Bewegung iſt. Ganz wirkliche Bewegung iſt der Ton; nun erinnere man ſich, daß für den fühlenden Zuſchauer ſelbſt die ſtarren Formen der Architectur zu fließen und im Fließen zu tönen ſcheinen: ſo klingt fließend das ganze Reich der Schönheit. Allerdings kann bei einem ſchönen menſchlichen Körper jene (Schiller’ſche) Anmuth des Spiels im engeren Sinne ausbleiben; davon iſt anderswo zu reden, es hindert aber nicht, den Fluß der ſchönen Formen ebenfalls, im weiteren Sinne, anmuthig zu nennen. So iſt die Anmuth zunächſt im Gegenſtande als Ausdruck der lebendigen Bewegung der Idee erklärt. Dieſe Bewegung durchdringt den Stoff, aber durchaus liberal, ſo daß ſeiner Zufälligkeit kein Zwang angethan wird. Nun erwäge man, daß im Subjecte die - ſelbe Idee als Geiſt lebt und wirkt. Das Subject wird nach §. 70 vorausgeſetzt. Es iſt nun zwar in ihm daſſelbe vereinigt, was im Schönen, Geiſt und Sinnenweſen; aber im Schönen ſind beide rein von - einander durchdrungen, während das Subject zunächſt das empiriſche Subject iſt, von welchem nicht erwartet werden kann, daß dieſe freie Harmonie in ihm vollzogen ſey. Davon wird ausdrücklich die Rede werden. Das empiriſche Subject wird alſo die Harmonie ſuchen. Was es ſucht, muß es als Möglichkeit in ſich tragen. Im Schönen findet es das vollendet, was in ihm unvollendet iſt. So be - rühren ſich beide als ſchlechthin homogene Weſen, deren das eine dem anderen ergänzend entgegenkommt. Daher iſt die innere Bewegung im ſchönen Gegenſtande zugleich eine Bewegung nach dem Subjecte hin und dieſer Bewegung kommt das Subject ſuchend entgegen. Dieſes Herüber und Hinüber iſt die Anmuth. Der deutſche Name hebt mehr das innerlich Gemüthvolle, der römiſche (und der griechiſche: χάρις) mehr die Be - friedigung des reinen Formgefühls hervor.

§. 73.

1

Es iſt dies die Grazie des Schönen überhaupt, welche die in der Idee begründete Hohheit weſentlich in ſich ſchließt und von einer Abzweigung und einer Abart wohl zu unterſcheiden iſt. Die erſtere entſteht, wenn das Schöne in ſeine Gegenſätze auseinandertritt, wo denn im Unterſchiede von der allge - meinen Grazie, welche den Formen des Gegenſatzes bleibt, die Grazie im engeren Sinn vorzüglich derjenigen Erſcheinung beigelegt werden wird, in welcher187 die Idee einen an ſich wenig widerſtrebenden Stoff durchdringt und daher in ſpielender und anſchmiegender Leichtigkeit der Bewegung ſich äußert. Beſchränkt ſich der Stoff auf ein Geringſtes, ſo geht ſie in Zierlichkeit und Niedlichkeit über. Die Abart aber tritt dadurch ein, daß, da das Schöne dem Subject2 zuerſt ſinnlich entgegenkommt, dieſe erſte Wirkung ſich unter gewiſſen Bedin - gungen dem wahren Uebergang in die zweite geiſtige entziehen und an die Stelle derſelben eine zurückgetretene Sinnlichkeit ſetzen kann, deren Darſtellung und Aufregung als Reiz in dem übeln Sinne eines reflectirten Kitzels zu bezeich - nen iſt.

1. Sollte der Begriff der Anmuth abgegrenzt und insbeſondere der Vorwurf einer Vorwegnahme abgewieſen werden, ſo war es nicht mög - lich, eine andere in dieſem §. zu vermeiden. Es iſt nämlich herkömmlich, die Anmuth der Würde entgegenzuſtellen. Da nun hier das Gebiet der Schönheit überhaupt vorliegt, worin ſich das Erhabene noch gar nicht abgeſondert hat, ſo könnte die Meinung entſtehen, es ſey hier dieſer Sonderung vorgegriffen und was nur von einer gegenſätzlichen Art des Schönen gilt, dem ganzen Schönen beigelegt. Allein hier iſt die Rede von der Anmuth, welche die Großheit in ſich ſchließt und ſelbſt der kecken Auflehnung des Kleinſten gegen das Große, dem Komiſchen, eigen iſt; von der Anmuth, die der Venus von Melos ebenſoſehr als der medi - zeiſchen, ja jener noch mehr, als dieſer, dem Manne wie dem Weibe zukommt, von der Anmuth, welche die Rondaniniſche Meduſe wie die komiſche Maske hat, Aeſchylus wie der ungezogene Liebling der Grazien . Hier iſt alſo kein Vorgriff: die Grazie gehört allen Formen des Schönen. Tritt nun aber das Schöne in ſeine Gegenſätze ausein - ander, ſo wird, weil das Große, wiewohl ohne die Grazie im weiteren Sinn abzuwerfen, ſich als Erhabenes abſondert, dieſem aber das Komiſche entgegentritt, welches zwar in allem Kampfe ſeines Widerſpruchs ebenfalls ſo gewiß ſeine Grazie behauptet, als es die bekämpfte Idee zugleich rettet, neben dieſen beiden eine Geſtalt ſich zeigen, welcher allerdings auch, wenn ſie ſchön heißen ſoll, ein Ausdruck deſſen inwohnen muß, was Quelle aller Großheit iſt, aber doch in ſo kampfloſer und harmloſer Weiſe, daß das Anſchmiegende und Entgegenkommende der Anmuth ausdrücklich hervor - ſpringt, wie namentlich im Weibe im Gegenſatz gegen den Mann. Dieſe Erſcheinung hat man gewöhnlich im Sinne, wenn man von Anmuth ſpricht; aber die wahren Kenner der Schönheit behalten die Grazie mit voller Groß - heit vor Augen, welche den Jupiter mehr umfließt, als den Ganymed,188 und ſie ſchätzen die Venus von Melos höher als die medizeiſche. Nur dies iſt Vorwegnahme, daß dieſe Erſcheinung der harmloſeren Grazie hier beſon - ders erwähnt wird. Die Vorwegnahme iſt aber unerheblich, denn dieſe kampfloſe Geſtalt iſt zu unſelbſtändig, um im vorliegenden allgemeinen Theile als eine beſondere Form des Schönen aufgeſtellt zu werden. Wir nennen zwar das einfach Schöne, wie es in dieſem erſten Abſchnitte vorliegt, auch ein kampfloſes Schöne, aber darunter verſtehen wir das Schöne überhaupt, wie es den Kampf nur noch nicht als wirklichen bereits in ſich trägt; wogegen ſolche Geſtalten, welche in den Kampf gar nicht über - gehen, in welchen ſo zu ſagen das Glück der Kindheit fixirt iſt, erſt in den Sphären der in Natur und Kunſt wirklich daſeyenden Schönheit beſonders zu erwähnen ſind. Dieſe beſchränktere Form der Grazie ſteht ſchon jenem leichten Spiele nahe, deſſen Weſen darin beruht, einen Stoff quantitativ auf ein Minimum zu reduziren und ihm dennoch eine beziehungsweiſe Fülle von Form aufzuprägen: das Niedliche und Zierliche, was ein nicht zu ver - achtender Nebenzweig des Schönen, aber mehr als Schmuck und Zugabe ganzer Schönheit, denn als ſelbſtändig Schönes zu betrachten iſt. An dieſer Stelle geht aber das Schöne bereits in ein Gebiet über, wo ſich geſchichtliche Standpunkte, im vorliegenden Fall moderne Vorurtheile und Modebegriffe einmiſchen, durch die das Schöne mit dem Eleganten ver - wechſelt wird, was ſich zum Schönen verhält, wie die Arbeit des Schnei - ders und der Putzmacherin zum Werke des Bildhauers.

1. Hier geht der Vorgriff weiter und führt eine falſche Form, ein Afterbild der Armuth ein, das ſchon ganz dem beſtimmten Daſeyn des Schönen in der Menſchenwelt und der Kunſt angehört, aber zur Ab - grenzung des Begriffs hier ſchon genannt werden muß. Nicht vom bloſen Sinnenreiz iſt hier die Rede, denn dieſer iſt gar nicht äſthetiſch, ſondern von Formen und Bewegungen, welche auf die Phantaſie wirken und von dieſer ausgehen, aber ſo, daß das geiſtige Bild, das ſie hinter ihrer Form verbergen und dem Beſchauer zuführen, nur das Sinnliche wiederholt, und war, weil innerlich geſetzt und in’s Innere geworfen, um ſo pikirter und raffinirter. Das Bild behält einen Theil der Dar - ſtellung des Sinnlichen zurück, deutet ihn aber an, läßt den Zuſchauer merken, daß er im Bewußtſeyn des ſich darſtellenden Subjects verborgen lauſcht, und wirft ihn ſo auch ihm in’s Bewußtſeyn: die Grazie der Ballet-Tänzerin, die Muſe Wielands und häufig der Franzoſen, die ſeine Muſter ſind, wogegen die καλλίπυγος in Neapel, die Ueppigkeiten Ovids und[] die bekannte Scene im Titurel Unſchuld ſind.

189

§. 74.

Die erſte Wirkung des Schönen iſt alſo zwar ſinnlich, aber nur im Be -1 griff, in der Zeit kaum augenblicklich trennbar von der zweiten, welche geiſtig iſt, aber ſo, daß ſie die erſte, ſinnliche, völlig in ſich aufnimmt, wodurch das Verhältniß ſich umwendet. Das Sinnliche wird ſo die reine Mitte, durch welche der im Object und der im Subject lebendige Geiſt zuſammengeht, und indem ſich durch ſeine flüſſige Vermittlung die in §. 72 ausgeſprochene freie Harmonie bewirkt, ſo iſt das Schöne nicht nur überhaupt, im Sinne von §. 19, ſondern gemäß ſeiner reinen Form im Sinne zwanglos vollendeten Einklangs perſönlich in ebeademſelben, vom ethiſchen wohl zu unterſcheidenden, Sinne perſonbildend. Zuſammengefaßt mit dieſer Wirkung auf das Subject iſt nun2 das Schöne zu beſtimmen als die ſich ſelbſt erſcheinende oder ſich ſelbſt an - ſchauende Idee, der durch die Mitte des angeſchauten Bildes ſich mit ſich ſelbſt zuſammenſchließende Geiſt (Ruge).

1. Wodurch das Verhältniß ſich umwendet . Was der Zeit nach zuerſt wirkt, iſt die ſinnliche Beſtimmtheit des ſchönen Gegenſtands, und was ihr zuerſt begegnet, die Sinnlichkeit des Subjects. Allein in die erſtere iſt völlig und ohne Reſt die Idee ergoſſen, welche das eigentlich Weſenhafte und Thätige im ganzen Gegenſtande iſt. Daher iſt auch im anſchauenden Subjecte die Sinnlichkeit nur in einer unendlich kleinen Zeit - dauer für ſich betheiligt, der Geiſt eilt alsbald durch ſie dem Geiſte im Gegenſtand zu. Von einer ſtumpfen und rohen Betrachtungsweiſe, die ſich aus der reinen Geſtalt nichts entnimmt als ſinnlichen Reiz, kann hier nicht die Rede werden, ſie fällt der Moral zu. Nun iſt alſo auch im Subjecte die geiſtige Erhebung das Weſentliche, dem Werthe nach Erſte. Im Object und Subject iſt nun der Geiſt zwar das Durch - dringende, das Sinnliche das Durchdrungene, aber dies Durchdrin - gen und Durchdrungenwerden iſt nicht ein Zwang, der ausgeübt und gelitten wird, ſondern harmoniſches Durchfließen; das Sinnliche iſt daher hier die zwang - und widerſtandsloſe, reine Mitte zwiſchen Geiſt und Geiſt; Mitte, nicht Mittel. Der Gehalt im Gegenſtand und der Geiſt im Subjecte ſchickt ſich das Sinnliche voraus; aber nicht, um es ſofort wie einen bloſen Boten zu entlaſſen, ſondern nur durch es und in ihm begrüßen ſich beide Geiſter. In §. 19 wurde das Schöne als Perſön - lichkeit beſtimmt, aber nur im Sinne des ſittlichen Gehaltes, der in ihm erſcheint. In Abſchnitt C. wurde erſt entwickelt, wie dieſer Gehalt rein190 in die Form aufgeht. Nachdem dieſe Entwicklung erfolgt iſt, hat Perſön - lichkeit, wenn das Schöne als ſolche beſtimmt wird, einen anderen Sinn. Im Ethiſchen nämlich führt ſich der Wille durch die ſinnliche Beſtimmtheit nur mit Widerſtand und Kampf durch. Dieſer Kampf kann und muß auch Inhalt des Schönen ſeyn, aber die Darſtellung dieſes und jedes anderen Gehalts im Schönen iſt kampflos, iſt (vgl. §. 72) völlig liberal. Es iſt keine Nothwendigkeit vorhanden, den Begriff der Perſönlichkeit weſentlich in dieſem Sinne kampfloſer Harmonie zu faſſen, denn eigentlich bleibt er ein ethiſcher Begriff, und wenn die Ethik als höchſtes Ziel allerdings auch die höchſte Leichtigkeit des Guten hinſtellt, ſo ſtellt ſie doch auch dieſes Ziel unter den Geſichtspunkt des Sollens; aber er kann ſo gefaßt werden und es iſt hier am Orte, weil dadurch ein ſehr zweckmäßiger Ausdruck für die Wirkung des Schönen gewonnen wird, der Ausdruck nämlich, den Schleiermacher von der Wirkung des religiöſen Urbildes braucht: perſonbildend. Wie durch dieſes die Einheit zwiſchen dem abſoluten und dem relativen Bewußtſeyn, zwar innerlich und ohne Rückſicht auf Form, ſo wird durch das Schöne die Einheit des geiſtigen Gehalts mit aller ſinnlichen Erregung durch die reine Form und als reine Form im Subjecte begründet. In der empiriſchen Wirk - lichkeit ſind wir abwechſelnd ſinnlich auf Koſten des Geiſtes und geiſtig auf Koſten der Sinnlichkeit; jenes iſt wild, dieſes barbariſch. Im Schönen ſehen wir dieſen Zwieſpalt, ehe er in uns ethiſch-praktiſch ge - löst iſt, aufgehoben. Dies iſt zunächſt rein anticipirender Genuß. Der reale Menſch ſchwankt zwiſchen ſeinem Urbild und ſeinem Zerrbild ſagt Schleiermacher. Dies Schwanken iſt aufgehoben im Schönen; der momentane Genuß dieſer Anſchauung muß aber nothwendig auch praktiſch in uns fortwirken. Das Schöne tritt ausfüllend in jene Kluft; es ſpannt an und löst zugleich, es ſtählt und erweicht, es weist ab und lockt an, es erſchreckt, wie nach Plato der Weiſe erſchrickt, wenn er durch das Abbild des Schönen an das Urbild erinnert wird, und es löst dieſen Schrecken in volle Vertraulichkeit auf, es bildet ganze Menſchen. Vergl. die treffliche Darſtellung Schillers am Schluſſe des 15ten Briefes in ſ. Abhandlung über die äſthet. Erz. des Menſchen, beſonders die geiſtvollen Worte über die Juno Ludoviſi. Uebrigens faßt Schiller in Br. 11 den Begriff: Perſon anders als wir. Die reine Freiheit, das beharrende Ich im Subjecte nennt er Perſönlichkeit, das Wechſelnde der ſinnlichen Beſtimmtheit Zuſtand: die Schönheit ſoll beides verſöhnen. Es muß aber erlaubt ſeyn, auch dieſe verſöhnte Einheit Perſönlichkeit zu191 nennen. Uebrigens hat Schiller auch die Wahrheit ſchon ausge - ſprochen, daß das Schöne, indem es angeſchaut wird, aufhört, bloſer Gegenſtand zu ſeyn (a. a. O. Brief 25): die Schönheit iſt zugleich Gegenſtand für uns und Zuſtand unſeres Subjects. Sie iſt zwar Form, weil wir ſie betrachten, zugleich aber iſt ſie Leben, weil wir ſie fühlen. Mit einem Wort: ſie iſt zugleich unſer Zuſtand und unſere That . Nur hat er dies blos pſychologiſch erklärt.

1. Die ſpeculativ zuſammenfaſſende Schlußbeſtimmung iſt von Ruge: Das Sinnliche und Aeußerliche der Erſcheinungswelt, welches die Idee zeigt, iſt ſchön, es kann ſie aber nicht zeigen, als in der Anſchauung des Geiſtes; die Schönheit alſo iſt die Idee, ſofern ſie ſich ſelbſt durch ihr Aeußeres erſcheint (Neue Vorſch. d. Aeſth. S. 33). Die Idee, welche ſich ſelbſt ausdrückt, iſt die Schönheit. Die Idee kann ſich aber nicht ausdrücken, ohne ſich ausgedrückt zu finden, darum iſt es daſſelbe, ob ich ſage: die ſich ausdrückende oder die ſich anſchauende Idee (S. 33. 34). Die Schönheit iſt Geiſt für den Geiſt, durch die Außenwelt ſich bewirkend (S. 43). Dieſe Sätze begründet Ruge durch jene Dialektik (vgl. §. 70, 2), worin er zeigt, daß und wie in dem Object das Subject ſich ſelbſt findet, der Geiſt, der ſich in jenem ausdrückt und der dieſen Ausdruck anſchaut, derſelbe iſt. Spiegel und Spiegelbild ſind hier Eines. Wir können dieſe Beſtimmungen hier aufnehmen, obwohl Ruge den Geiſt, der das Aeußere zum reinen Ausdrucke des Inneren umbildet, in ſeiner Entwicklung aus - drücklich als die Thätigkeit der Phantaſie oder Kunſt einführt; denn es genügt in dieſem abſtracten Theile des Syſtems, zu wiſſen, erſtens, daß der Gehalt im Schönen die lebendige Idee iſt, zweitens, daß dieſe Idee in der ſinnlich beſtimmten Einzelheit rein aufgehen muß, ſo daß es keine ſelbſtändige Außenwelt, kein dem Geiſte fremdes Aeußeres mehr gibt , wie Ruge ſagt; obwohl wir noch nicht wiſſen, wie das Organ heißt und beſchaffen iſt, das dieſe Tilgung des Fremden bewerkſtelligt, oder ob nicht ſogar ohne ein ſolches Organ von ſelbſt jenes Geſchehen eintreten könne, wodurch mit Beſeitigung des ſtörenden Zufalls die günſtigen Bedingungen zur Herſtellung eines vollkommenen Individuums ſich frei entwickeln können. Wenn uns aber unſer Gang zur Geneſis deſſen führen wird, was dieſe Vollkommenheit wahrhaft be - werkſtelligt, ſo werden wir durch den Begriff des reinen Scheins und die ſtrenge Abgrenzung des Schönen gegen das Gute gewonnen haben, daß wir dieſen realen Grund nicht ethiſirend faſſen, wie dies (§. 19, 2) an Ruge’s Darſtellung getadelt wurde; ein Tadel, der ſich insbeſondere192 auf die Ausführung in Ruge’s Vorſch. S. 48 51 bezieht, wo jede liebevolle Vertiefung in die Natur, welche mehr in dieſe legt, als ſie hat, in die Perſönlichkeit, welche hinter dem Aeußeren derſelben den in - neren Werth findet u. ſ. w., als hinreichender Grund des ſchöpferiſchen Schauens behauptet wird, woraus das Schöne entſteht. Alle Handlung, alle Bethätigung des Geiſtes, die zur Erſcheinung kommt, iſt umgedichtet in Schönheit, ſobald ſie nur in ihrer Wahrheit, d. h. mit dem wahren Sinne angeſchaut wird (S. 50). Darin iſt das ſpezifiſch Aeſthetiſche ganz verwiſcht.

§. 75.

1

Die äſthetiſche Stimmung im Subjecte iſt als Reflex des Objects auch für ſich betrachtet eine reine Mitte der gegenſätzlichen Formen ſeiner Thätigkeit. 2Dieſe Mitte iſt von Kant als ein freies Spiel und die damit verbundene Luſt als ein reines Wohlgefallen beſtimmt worden, d. h. als ein ſolches, das jedes Intereſſe ausſchließt. Das Intereſſe nämlich geht hinter die reine Form zurück auf den Gegenſtand als Stoff (vergl. §. 54) und iſt mit einem Wohlgefallen verbunden, welches nicht blos durch die Vorſtellung des Gegenſtands, ſondern zugleich durch die vorgeſtellte Verknüpfung des Subjects mit der Exiſtenz des - ſelben beſtimmt wird . Dies ſetzt Bedürfniß voraus oder bringt eines hervor und als Beſtimmungsgrund des Beifalls läßt es das Urtheil über den Gegen -3 ſtand nicht mehr frei ſeyn (Krit. d. äſth. Urth. §. 5). Das Schöne iſt daher nicht mit dem Intereſſanten zu verwechſeln. Alles Wohlgefallen dieſer unfreien Art kann mit Kant pathologiſch, das freie äſthetiſche aber contemplativ ge - nannt werden.

1. Als Reflex des Objects. Wir mußten zuerſt ein Object haben, ehe wir die ſubjective Stimmung, die es hervorruft, zergliedern und ab - grenzen konnten. Kant hat das Letztere mit klaſſiſcher Schärfe voll - bracht, wiewohl es bei ihm an einer objectiven Beſtimmung des Schönen gänzlich fehlt. Dieſe konnte er nicht finden, weil er mit dem Begriffe der Zweckmäßigkeit nicht fertig zu werden wußte (§. 43). Er ſucht daher das Schöne rein ſubjectiv in jener Stimmung der Gemüthskräfte, worin die unbeſtimmte Vorſtellung der Zweckmäßigkeit vom Verſtande der Ein - bildungskraft zugeſchoben wird. Man fragt nothwendig: wie kommt es denn, daß ein Gegenſtand dieſe Stimmung hervorruft, ein anderer nicht? Darauf weiß Kant keine Antwort und er ſtellt ſich auch die Frage nicht. Deßwegen nicht, weil er, wie ſchon bemerkt, unbewußt bereits auf den ſub -193 jectiven Idealismus hinarbeitet, welcher das Schöne überhaupt nur als eine Art, die Dinge zu ſehen und danach ſelbſt Dinge hervorzubringen, welche ſo geſehen ſeyn wollen, zu begreifen hat. Allein wenn wir auch das Berechtigte im ſubjectiven Idealismus feſthalten und ihn über ſich hinaus dahin ſteigern, daß der ſubjective Geiſt als Moment des abſo - luten begriffen wird, ſo iſt das Schöne doch nur ſo zu entwickeln, daß dieſer Geiſt gefaßt wird zuerſt als derjenige, welcher eine objective Welt hervorbringt, die ſo beſchaffen iſt, daß ihr Spiegelbild im Subjecte zu einem äſthetiſchen werden kann, wogegen Kant ganz aus - drücklich das Ganze nur ſubjectiv beſtimmt. Was an der Vorſtellung eines Objects blos ſubjectiv iſt, d. i. ihre Beziehung auf das Subject, nicht auf den Gegenſtand ausmacht, iſt die äſthetiſche Beſchaffenheit der - ſelben (a. a. O. Einl. Abſchn. VII. u. and.). Dagegen haben wir nun, nachdem wir die metaphyſiſche Möglichkeit des Schönen auf das - jenige, was Kant innere Zweckmäßigkeit nennt, als auf ein objectives Prinzip begründet und in das ſo begründete Schöne freilich das Subject mitbegriffen haben, den Vortheil, alle Momente der Beſtimmtheit des Eindrucks, welchen das Schöne hervorbringt, und von welchem Kant den wahren Grund nicht angeben kann, als die einfache Kehrſeite des Gegenſtandes, als die ſubjectiv gewendete Beſchaffenheit deſſelben entwickeln zu können. Es iſt nur eine Ueberſetzung des Objectiven in’s Subjective, aber eine nothwendige.

2. Das freie Spiel erſcheint bei Kant freilich nur als ein Spiel der Erkenntnißkräfte (a. a. O. §. 9), er meint es nur im Gegen - ſatz gegen das Gebundene und Bindende im logiſchen Urtheil; er hätte es aber wohl in dem weiten Sinne nehmen dürfen, daß er alle Merk - male des äſthetiſchen Wohlgefallens im Gegenſatze auch gegen das prak - tiſche dadurch bezeichnete. Man könnte nun gegen die Anwendung dieſes Begriffes auf das Schöne freilich vorbringen, er ſey zu niedrig, da im Spiele eine blos verſtändige Ordnung und eine blos ſinnliche Befriedi - gung durcheinander gehen; doch muß der Begriff auch höher gefaßt werden dürfen. Schiller vertheidigt ihn (Ueber d. äſth. Erz. d. M. Br. 15): Dieſen Namen rechtfertigt der Sprachgebrauch vollkommen, der Alles das, was weder ſubjectiv noch objectiv zufällig iſt und doch weder äußerlich noch innerlich nöthigt, mit dem Worte Spiel zu bezeichnen pflegt. Da ſich das Gemüth bei Anſchauung des Schönen in einer glücklichen Mitte zwiſchen dem Geſetz und Bedürfniß befindet, ſo iſt es eben darum, weil es ſich zwiſchen beiden theilt, dem Zwange ſowohlViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 13194des einen als des andern entzogen. Dem Stofftriebe wie dem Formtriebe iſt es mit ihren Forderungen ernſt, weil der eine ſich, beim Erkennen, auf die Wirklichkeit, der andere auf die Nothwendigkeit der Dinge bezieht; weil, beim Handeln, der erſte auf Erhaltung des Lebens, der zweite auf Bewahrung der Würde, beide alſo auf Wahr - heit und Vollkommenheit gerichtet ſind. Aber das Leben wird gleich - gültiger, ſo wie die Würde ſich einmiſcht, und die Pflicht nöthigt nicht mehr, ſobald die Neigung zieht: ebenſo nimmt das Gemüth die Wirk - lichkeit der Dinge, die materielle Wahrheit, freier und ruhiger auf, ſo - bald ſolche der formalen Wahrheit, dem Geſetz der Nothwendigkeit, be - gegnet, und fühlt ſich durch Abſtraction nicht mehr angeſpannt, ſobald die unmittelbare Anſchauung ſie begleiten kann u. ſ. w. Das Schöne iſt eine weſentliche Erweiterung des Menſchen. Mit dem Ange - nehmen, mit dem Guten iſt es dem Menſchen nur ernſt; aber mit der Schönheit ſpielt er. Man dürfe ſich nicht an die gewöhnlichen Spiele erinnern, durch das Ideal der Schönheit ſey auch ein Ideal des Spiel - triebs gegeben. Die Vernunft thut den Ausſpruch: der Menſch ſoll mit der Schönheit nur ſpielen und er ſoll nur mit der Schönheit ſpielen. Denn der Menſch ſpielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Menſch iſt und er iſt nur da ganz Menſch, wo er ſpielt. Schiller ſtellt die reine Mitte der äſthetiſchen Stimmung in der genannten Ab - handlung in mannigfaltigen beredten Wendungen, bald Kantiſche, bald Fichte’ſche Terminologie aufnehmend, aber auch mit ſelbſtändigen tiefen Beſtimmungen dar; ſo gelangt er (Br. 21) zu dem Reſultate, daß im äſthetiſchen Zuſtande der Menſch gleich Null ſey, weil jede beſondere Determination fehle, aber (Br. 22) ebenſoſehr, wenn man auf die Summe der Kräfte achte, die hier mit Auslöſchung ihres Gegenſatzes gemeinſchaftlich thätig ſeyen, höchſte Realität: die unendliche Möglichkeit, Anlage, die Integrität der Menſchheit iſt uns zurückgegeben und daher die Schönheit unſere zweite Schöpferin.

Die weiteren höchſt fruchtbaren Beſtimmungen Kants ſ. a. a. O., außer der Einl., §. 2 6. Bedürfniß ſetzt auch das ſittliche Intereſſe voraus, obwohl ſein Gegenſtand abſolut iſt; das Subject trägt das Sitten - geſetz, ohne ihm empiriſch zu entſprechen, in ſich und ſucht daher im Gegenſtande nicht die Form, ſondern einen Gehalt, an dem es ſich erhebe.

3. Kant nennt nur das ſinnliche Intereſſe ein pathologiſch (durch Anreize, stimulos) bedingtes. Mit Recht aber haben ſchon Schiller und Göthe in ihrem bekannten Sprachgebrauche jedes, auch das mora -195 liſche, religiöſe Intereſſe am Schönen pathologiſch genannt, wovon nach - her weiter zu ſprechen iſt. Der Ausdruck wurde übrigens von dieſen bereits auch auf das Object angewendet. Iſt nämlich der Geiſt, der ein ſchönes Werk hervorzubringen ſucht, mit dem Inhalte deſſelben ganz oder theilweiſe unfrei verwachſen, ſo weiß er ihn nicht von ſich zu löſen und zur reinen Form herauszubilden. Davon iſt die Folge, daß auch der Anſchauende das Werk nicht als reine Form genießen kann, ſondern den Urheber dazu nehmen muß, deſſen Zuſtände ihm nun als bloſer Stoff (der Neigung, Abneigung, Beobachtung u. ſ. w.) intereſſant ſeyn mögen. Das Objective und Subjective ſind alſo auch hier nur die Kehrſeiten voneinander. Intereſſant heißt zunächſt ganz allge - mein, was aus der Reihe des Gewöhnlichen heraustritt, dadurch über - raſcht und anzieht. Das Schöne nun tritt aus der Umgebung des Gewöhnlichen allerdings heraus; allein es iſt eine reine Harmonie, in welche das Gewöhnliche, freilich über ſich ſelbſt erhoben, mitaufgenom - men iſt; es iſt daher einfach und reizt keine vereinzelte Kraft im Zu - ſchauer zur Thätigkeit. Das Intereſſante aber reizt eine vereinzelte Kraft auf und der Grund davon iſt, daß es ſelbſt ein Vereinzeltes iſt, d. h. daß es aus dem Gewöhnlichen nicht durch die Einfalt der Vollkommenheit hervor - ſticht, ſondern durch die Abnormität der Einſeitigkeit. Nun nehme man dazu das Unruhige, Unzufriedene einer gährenden, verſtimmten, ſubjectiven Zeit, wie die moderne, ſo leuchtet ein, daß ſie vorzüglich das Schauſpiel der Ver - ſtimmung anziehend finden wird, man erwäge ferner, daß die verſtimmte Perſönlichkeit, die ſich als Schauſpiel gibt, vermöge der Subjectivität der Zeit dieſen Eindruck hervorzubringen ſuchen und der Zuſchauer, weil er ebenſo iſt, dieſem Suchen entgegen kommen wird: ſo hat man den Begriff des Intereſſanten, wie ihn der Sprachgebrauch beſtimmt hat.

Den Ausdruck contemplativ hat ebenfalls Kant zuerſt gebraucht a. a. O. §. 5.

§. 76.

Das Intereſſe, das auf den Stoff im eigentlichen Sinne (§. 55) geht, iſt ein1 ſinnliches und die aus ſeiner Befriedigung entſpringende Luſt ein Wohlgefallen am Angenehmen; dasjenige, welches auf die Idee als Gehalt abgeſehen von ihrem Aufgegangenſeyn in die reine Form bezogen iſt, ein ſittliches und die Luſt ein Wohlgefallen am Guten (vergl. 56 60). So verſchieden dieſe beiden Arten des Intereſſes und Wohlgefallens ſind, ſo ſind ſie doch beide von der äſthetiſchen13*196Stimmung ausgeſchloſſen und, ſofern auch die Idee als bloſer Gehalt Stoff ge - nannt werden kann (§. 55, Anm. 2) beide ſtoffartig. Eine ſittliche Wirkung2 wird aber das Schöne abſichtslos und mittelbar allerdings zurücklaſſen. Die Auffaſſung unter dem Standpunkte der Zweckmäßigkeit, welcher zur einen oder andern dieſer beiden Formen das Intereſſe gezählt werden kann, iſt aus denſelben Gründen im Schönen unzuläſſig.

1. Das treffendſte Beiſpiel dafür, wie das äſthetiſche Intereſſe durch das ſinnliche aufgehoben wird, iſt das von der Eßluſt, das Kant §. 5 anführt. Wer Eßluſt hat, kann für die geſchmackvolle Form aufgeſtellter Speiſen (welche freilich nicht in das eigentliche Gebiet des Schönen gehört, doch im Sinn des Schmucks einen Anſatz davon hat) keinen Sinn haben, vielmehr er ſtrebt durch den Geſchmackſinn in das Innere, Stoffartige einzudringen. Die Eßluſt löst ihm ſchon im Sehen die Form auf. Angenehm iſt nun freilich ein feinerer Begriff, der nicht blos grobſinnlichen Genuß, ſondern, z. B. in geſelliger Unter - haltung, eine unbeſtimmte Vermiſchung ſinnlicher und theoretiſch oder praktiſch geiſtiger Genüſſe bezeichnet. Allein auch das Ganze dieſer unbeſtimmten Miſchung iſt ſinnlich zu nennen, ſofern es der Eine ſo, der Andere anders darin hält, alſo das Subjective mit ſeinen Neigungen und Abneigungen, wobei blos Sinnliches immer mitunterſpielt, dabei die Hauptrolle übernimmt. Eine ganz artige Auseinanderſetzung dieſer ganzen im engeren Sinn ſtoffartigen Weiſe des Intereſſes gibt Kant a. a. O. §. 2 von den Worten: Wenn mich jemand fragt u. ſ. w. Nur kann er auch hier den Grund nicht angeben. Er ſetzt ihn darein, daß das Wohlgefallen am Angenehmen nicht rein ſubjectiv ſey, weil nämlich darin die Exiſtenz des Gegenſtandes begehrt werde. Vielmehr aber iſt zu ſagen, daß dieſes Wohlgefallen zu ſubjectiv iſt, d. h. es geht zwar hinter die Form auf den Stoff, begehrt den Gegenſtand als empiriſch wirklichen, aber ſo, daß es ſich ſinnlich mit ihm zu durchdrin - gen, ihn als Stoff in ſich aufzuzehren ſucht und ebendies iſt ein blos ſubjectives Verhalten, denn eben in ſeinen ſinnlichen Gelüſten iſt das Subject bloſes Subject, jeder hat andere Gelüſte, der Geiſt aber iſt allgemeiner Natur. Dagegen läßt die wahre äſthetiſche Stimmung den Gegenſtand frei ſich gegenüber. Der wahre Grund davon liegt im Objecte: die ſinnliche Beſtimmtheit iſt in dieſem ſo in die Idee auf - genommen, daß ſie zwar Beſtimmtheit eines Einzelnen iſt, das aber durch dieſe ſo verallgemeinert und verewigt wird, daß dieſes Einzelne197 nicht mehr auf dem Boden ſteht, wo es als Dieſes neben anderen Dieſen dieſem Subjecte Begehren, jenem Verabſcheuen einflößt. Hat das Sub - ject nicht die Fähigkeit, den Gegenſtand in dieſem Geiſte zu faſſen, ſo iſt es ſeine Schuld, denn vorausgeſetzt im Gegenſtande iſt das wahr - haft Schöne.

Es ſcheint hart, auch das ſittliche Intereſſe vom Schönen auszu - ſchließen, beſonders in unſerer tendenzmäßigen Zeit, wo man ange - fangen, die unmittelbare Erregung einer Begeiſterung für ſociale und politiſche Erneuerung des Lebens für die Probe der Kunſt zu halten. Allein dies iſt das Zeichen einer gährenden Epoche, welche zunächſt nicht zum Schönen, ſondern zum Handeln berufen iſt. Es gibt jedoch noch einen andern, als den ſtreng äſthetiſchen Standpunkt: den hiſtoriſchen, und von dieſem aus ſind tendenzmäßige Werke und das Intereſſe, das ſie erregen, ganz anders und günſtiger zu beurtheilen als von jenem. In der Lehre von den Künſten wird für die Gattungen, worin durch vorherrſchende Tendenz das Schöne zum blos Anhängenden wird, ein beſonderer Raum aufzuſtellen ſeyn, womit denn auch das ſtoffartige In - tereſſe, das ſie erregen, in ſeine Berechtigung treten wird. Stoffartig iſt aber auch das ſittliche Intereſſe am Schönen zu nennen. In §. 55 wurde nämlich zwar, um Verwirrung zu verhüten, der Ideengehalt im Schönen nicht Stoff genannt, ſondern blos die eigentliche Materie abgeſehen von der Form. Hütet man ſich aber nur, Stoff in beiderlei Sinn zu ver - wechſeln, ſo kann allerdings auch die Idee oder die dargeſtellte ſittliche Macht, abgeſehen davon, wie ſie in reine Form aufgegangen iſt, Stoff genannt werden, ja es iſt dies im jetzigen Zuſammenhange ganz am Orte, um zu zeigen, wie in der ſubjectiven Aufnahme des Schönen das blos ſinnliche und das einſeitig moraliſche Verhalten in Einer Beziehung gleich falſch ſind, welche Beziehung eben eine ſtoffartige zu nennen iſt. Wer ſich z. B. zu einem Epos oder Drama ſo verhält, daß er das Ganze zerpflückt und danach aburtheilt, ob er gewiſſe Perſonen, die darin auftreten, leiden kann oder nicht, der nimmt es ſtoffartig auf in der Bedeutung der Sinnlichkeit; wer es aber zerpflückt, weil moraliſche Ach - tung oder Mißachtung einzelner Perſonen oder Handlungen ihn nicht zum Genuſſe des Ganzen gelangen läßt, der fehlt zwar aus anderem Grunde, aber äſthetiſch betrachtet in demſelben Punkte wie der Erſtere, er verhält ſich nämlich ſtoffartig. Die ganze Frage über die Einſeitig - keit des ſittlichen Verhaltens erledigt ſich übrigens einfach, wenn man ſich erinnert, daß hier nur ſubjectiv gewendet wird, was in §. 56 60198 objectiv ausgeſprochen iſt. In §. 55 Anm. 2 iſt noch eine weitere Be - deutung des Begriffes Stoff als die zweite aufgeführt worden: was man gewöhnlich Süjet nennt. Von dieſer Bedeutung iſt im jetzigen Zuſammen - hang nicht beſonders zu handeln; denn wer ſich für den Stoff in dieſem Sinne einſeitig intereſſirt, wer alſo z. B. nur fragt: iſt der Inhalt dieſes Trauerſpiels Geſchichte oder nicht, bei dem liegt im Hintergrunde immer entweder ein ſinnliches oder ein moraliſches Intereſſe, ſo daß dies mit den unterſchiedenen zwei Formen ſtoffartigen Intereſſes zuſammenfällt. Um nun aber dieſe Ausſchließung des ſittlichen Intereſſes nicht mißzu - verſtehen, erwäge man, daß eine ſittliche Wirkung, je weniger ſie ge - ſucht wird, um ſo ſicherer zurückbleibt. Im Grunde des Gemüths tönt, nachdem die Stimmung, worin Stoff und Form in Eins klang, vorüber iſt, der Gehalt nach. Schillers Tell z. B. wurde ſo zu einer Quelle der Begeiſterung für die deutſche Jugend in den Befreiungskrie - gen. Solche vom äſthetiſchen Standpunkt ſtoffartige Wirkungen ſind gewiß nicht zu verachten; ſo hat Homer und haben die Tragiker im Volke der Griechen Unendliches gewirkt; Göthe ſtellt überall in ſeinen Urtheilen dieſe Wirkung ſehr hoch, ſo wie er aber vom reinen äſthetiſchen Geſichtspunkte ſpricht, ſo redet er anders. Doch nicht blos durch Nachwirken eines ſpezifiſch ſittlichen Gehalts wird das Schöne eine ſittliche Gewalt; auch alle diejenigen Stufen der Idee, deren Ge - halt nicht eigentlich als ethiſch zu bezeichnen iſt (vgl. §. 22), bereiten jeder ſittlichen Erhebung den Boden und zwar aus dem Grunde, den wir mit Schillers Worten aufgeführt §. 75 Anm. 2, und dieſer Grund fällt mit dem objectiven in §. 22 zuſammen, denn wie von jeder Exiſtenz eine Linie zu den höchſten, den ſittlichen Sphären des Daſeyns führt, ſo führt jede Löſung des Zwieſpalts im menſchlichen Weſen zu der Ent - wicklung ſeiner bedeutendſten ſittlichen Kräfte.

2. Das Zweckmäßige kann ein Mittel zum Angenehmen ſeyn oder ein Mittel zum Guten; in ſeiner wahren Bedeutung iſt es beides, denn auch das Angenehme hat ſeine richtige Stelle im Begriffe des höchſten Guts. Die objectiven Hauptbedingungen, unter welchen das Zweckmäßige im Guten zuläſſig iſt, ſind §. 23 ausgeſprochen. Die eine beſtand darin, daß das Perſönliche, ganz in das Zweckmäßige vertieft, wie eine zweite Naturnothwendigkeit behandelt wird; ſo kann z. B. der Ackerbau poe - tiſch dargeſtellt werden. Die andere lag in der innigen Verbindung mit den abſoluten Zwecken. So iſt ein Dampfſchiff verglichen mit einem Segelſchiff, ein Dampfwagen verglichen mit einem von Pferden gezogenen199 oder einem Reiter proſaiſch, aber der ungeheure Zeitgewinn für die geiſti - gen Zwecke kann in einem poetiſchen Zuſammenhang dennoch große Wir - kungen thun. Hier aber iſt die Rede von der ſubjectiven Betrachtungs - weiſe, welche das, was wirklich nicht um eines äußern Zweckes willen da iſt, unter einen ſolchen rückt; daher z. B. der Landmann keine landſchaftliche Schönheit genießt, weil er Erde, Waſſer, Luft unter dem Standpunkte der Brauchbarkeit anſieht. Ebenſo kann das, was an ſich einem äußeren Zwecke dient, aber durch Behandlung in das Licht poeti - ſcher Selbſtändigkeit gerückt iſt, von einem proſaiſchen Sinn ſo betrachtet werden, daß die Schönheit zerſetzt wird. Ein Fuhrmannswagen mit tüchtigen Hengſten läßt ſich nicht ganz poetiſch auffaſſen, aber wohl vom Kaufmann, dem er die Waaren zuführt. So alle Sphären der Oekonomie.

§. 77.

Stoffartig und mit Intereſſe verbunden iſt, wiewohl hier das Intereſſe weder blos der ſinnlichen Materie, noch blos dem Gehalte, ſondern dem ganzen Gegenſtand als Stoff gilt, auch das religiöſe Verhalten; denn da es auf Ver - wechslung und unfreiem Schein beruht, ſo iſt ihm Alles an der Exiſtenz des Gegenſtandes, den es allerdings nur vermöge eines Widerſpruchs als empiriſch und zugleich als über aller Empirie vorhanden anſehen kann, und an der an - dächtigen Erhebung des Subjects zu dieſem Gegenſtande gelegen. Daher hat es mit der Form im äſthetiſchen Objecte als reiner Form nichts zu thun. Wer das Schöne mit der Stimmung betrachtet, die es nur als Mittel benützt, um die religiöſe Bewegung des Gemüths zu vollziehen, der empfindet die Schönheit nicht als Schönheit, und wer dieſe als ſolche frei anſchaut und genießt, iſt nicht im Zuſtande der Andacht. Vergl. §. 61 67.

Auch hier iſt nur ſubjectiv gewendet, was in §. 61 67 objectiv ausgeſprochen iſt. Es iſt in dieſem Zuſammenhang gleichgültig, ob das Götterbild wirklich als der Gott ſelbſt angebetet oder nur als eine Er - innerung an ihn zum Vehikel der Andacht wird, oder ob ſich das Bild als bloſe Vorſtellung in’s Innere zurückzieht; denn auch in den beiden letzteren Fällen iſt Alles an der Exiſtenz des Gegenſtandes gelegen, wiewohl dieſelbe nun nicht in dem vorliegenden Werke, ſondern auf dem Olymp, Himalaya, über den Wolken geſucht wird. Daß der ſo in ſtoffartigem Sinne als exiſtirend vorausgeſetzte Gegenſtand zugleich über200 alle Bedingungen der Exiſtenz erhaben geſetzt wird, iſt ein Widerſpruch, den die Religion nicht bemerkt, wie dies ebenfalls oben gezeigt iſt.

§. 78.

1

Vom Schönen iſt aber auch das Intereſſe der Wahrheit ausgeſchloſſen, mag es nun darauf gerichtet ſeyn, den Gegenſtand als empiriſch vorhandenen d. h. als Stoff abgeſehen von der reinen äſthetiſchen Form, oder mit und in dieſer zu begreifen, denn im erſten Falle wird der Schein durch Zurückgehen hinter die Geſammtwirkung der Oberfläche ſchlechtweg aufgehoben (§. 54), im zweiten zwar in ſeinem Grunde und ſeiner Berechtigung begriffen, aber dadurch2 als Schein ebenfalls aufgelöst. Das Subject gewinnt durch die Vollendung dieſer Auflöſung zwar ein reines Wiſſen, welches höher iſt, als die ſchöne Täuſchung (§. 69), aber wo das Schöne als ſolches ſeine Stelle hat und daher der Schein waltet, da wird dieſe, wenn das Denken als Weg zum Wiſſen ſich einmiſcht, zur Unzeit als Mangel, das Wiſſen als Bedürfniß gefühlt und ſo entſteht Intereſſe, welches in dieſem Zuſammenhang fremdartig, einſeitig und als niedrigeres Verhalten zu bezeichnen iſt.

1. Das Intereſſe der Wahrheit, d. h. des Denkens, das durch Voll - endung ſeines Durchdringens zum Wiſſen wird, kann ein doppeltes ſeyn. Entweder es nimmt den Gegenſtand abgeſehen von der reinen äſthetiſchen Form vor ſich, wie z. B. der Phyſiolog und Zoolog einen organiſchen Körper; oder mit und in dieſer Form, wie der wiſſenſchaftliche Aeſthetiker den - ſelben Körper, ſofern derſelbe durch den äſthetiſchen Act als reine Form hingeſtellt iſt. Jenes Verfahren legt den Körper auseinander und zer - ſtört die Geſammtwirkung der Oberfläche; nun bleibt zwar die Wiſſen - ſchaft bei der Zerlegung nicht ſtehen, ſondern begreift ebenſo auch die allgemeine Wechſelwirkung der zuerſt getrennten Theile, aber in dieſer Reconſtruction bleibt das Bewußtſeyn der Theile immer gegenwärtig. Der Phyſiolog als ſolcher vergißt, wenn er auch den Körper als leben - diges Ganzes anſchaut, nie, daß hier Venen, dort Arterien durch die Haut ſchimmern, hier dieſer, dort jener Muskel liegt, daß dieſer Theil auf der Oberfläche ſo und ſo erhöht iſt, weil im Innern dies oder jenes Organ ſeinen Raum braucht u. ſ. w. Daher bleibt dieſe Be - trachtung, obwohl ſie in ihrer Weiſe auch die Form begreift, gegenüber201 dem Schönen immer ſtoffartig. Nun ſteigt der Naturforſcher zwar auch zum allgemeinen Begriffe des Organismus auf, in welchem ausdrücklich geſetzt iſt, daß aller Stoff ſich in Form aufhebt, und wenn er es zum philoſophiſchen Wiſſen bringt, ſo weist er dieſem Begriffe ſeinen Ort im Ganzen des Syſtems der Idee an; allein jetzt hat er den Organismus überhaupt im Auge, er hat den Begriff in ſeiner Allgemeinheit und ihn be - ſchäftigt nicht mehr das Individuum, wie er auch übrigens etwa als Arzt ſeinen Begriff in der Behandlung des Letzteren in Anwendung bringen mag. Immer alſo iſt bei dieſem Verfahren der Schein völlig aufgehoben. Der wiſſenſchaftliche Aeſthetiker dagegen bleibt nicht bei dem Begriff in ſeiner Allgemeinheit ſtehen, ſondern er begreift auch die Nothwendigkeit des Standpunkts, auf welchem ein Einzelnes durch die reine Form unmittelbar als vollendete Erſcheinung des Allgemeinen ſich darbietet. Allein auch er ſteht nun nicht mehr im Scheine, ſondern über dem Scheine und hat ihn zum Gegenſtand, der Schein iſt ebenfalls aufgelöst.

2. Die ſtrenge Wahrheit iſt höher als die Schönheit (vgl. §. 69). Allein dadurch, daß ein Standpunkt einen höheren über ſich erkennt, verliert er ſeine Selbſtändigkeit nicht. Wo er berechtigt und an ſeinem Orte iſt, erſcheint der höhere als einſeitig und niedriger, wenn er ſich unzeitig eindrängt. Es iſt daher nicht ein Vorzug, ſondern eine Armuth, wenn man vor Kunſtwerke tritt, nicht um ſie zuerſt zu genießen und vielleicht ein andermal ſich vom Genuſſe philoſophiſche Rechenſchaft zu geben, ſondern um ſogleich zu kritiſiren und ſich über Kunſt zu belehren, wie dies jetzt immer allgemeiner wird. Der Genuß der ganzen Wahrheit in dem zum Wiſſen durchgedrungenen Denken iſt auf ſeinem Boden reicher als der äſthetiſche Genuß; allein der äſthetiſche Genuß iſt reicher als der auf ſeinem Boden ihn ſtörende Begriff, denn er iſt intereſſelos, dagegen die philoſophiſche Thätigkeit, wenn ſie ſich ſo einmiſcht, muß die reine äſthetiſche Stimmung als Täuſchung behandeln, fühlt dieſe als Mangel des Denkens und iſt nun durch das Intereſſe getrieben, dieſen erſt aufzuheben. Allein es kann auf dieſe Weiſe der Mangel nicht einmal aufgehoben werden: denn die Täuſchung ſoll begriffen werden, ſie iſt aber nur zu begreifen, wenn ſie vollendet iſt, und dies eben iſt ſie nicht, wo ſich das Denken vor der Zeit einmiſcht; es iſt keine Kunſtphiloſophie und Kunſtkritik möglich, wo ihr nicht der volle, ungetheilte, reine Kunſtgenuß vorangegangen iſt.

202

§. 79.

Obwohl alſo das Schöne vor allem und ohne allen Begriff gefällt, wird es dennoch, wie Kant richtig beſtimmt, als Object eines allgemeinen Wohlgefallens vorgeſtellt. Da nun allgemeine Uebereinſtimmung des Urtheils blos da gefordert werden zu dürfen ſcheint, wo ſie ſich nöthigenfalls durch Be - weis, alſo Begriff erzwingen läßt, ſo hat man, um dem vermeintlichen Wider - ſpruch zu entkommen, den Satz geläugnet und ihm den andern entgegengeſtellt, daß Jeder ſeinen eigenen Geſchmack habe. Allein Geſchmack und Schön - heitsſinn iſt zweierlei. Jener hat nur anhängende Schönheit (§. 23, 3; 59, 3) zum Gegenſtande und über dieſe gibt es allerdings ſo viele Anſichten als Sub - jecte, weil der Maßſtab der Empfindungsweiſe über dasjenige, was durch Verbindung einer äſthetiſchen Zuthat mit dem Zweckmäßigen und Guten entſteht, und was als angenehm (in weiterem Sinne als §. 76) zu bezeichnen iſt, in den unbeſtimmbar zufälligen Neigungen der Subjectivität liegt; zudem wechſelt ſie ihre Formen nach nationalen und geſchichtlichen Bedingungen, wonach nothwendig auch der Geſchmack am Vorhandenen wechſelt.

Die Thatſache hat Kant a. a. O. §. 6. ff. ebenſo richtig aufge - ſtellt, als mangelhaft (wiewohl mit richtigen Andeutungen) erklärt. In Anſehung des Angenehmen beſcheidet ſich Jeder, daß ſein Urtheil, welches er auf ein Privatgefühl gründet, ſich auch blos auf ſeine Perſon einſchränke. Daher iſt er es gern zufrieden, daß, wenn er ſagt: der Canarienſekt iſt angenehm, ihm ein Anderer den Ausdruck verbeſſere und ihn erinnere, er ſolle ſagen: er iſt mir angenehm u. ſ. w. Mit dem Schönen iſt es anders bewandt. Es wäre (gerade umge - kehrt) lächerlich, wenn Jemand, der ſich auf ſeinen Geſchmack etwas einbildete, ſich damit zu rechtfertigen gedächte: dieſer Gegenſtand iſt für mich ſchön. Denn er muß es nicht ſchön nennen, wenn es blos ihm gefällt. Reiz und Annehmlichkeit mag für ihn Vieles haben, darum bekümmert ſich Niemand; wenn er aber etwas für ſchön ausgiebt, ſo muthet er Andern ebendaſſelbe Wohlgefallen zu, er ſagt daher: die Sache iſt ſchön, er fordert von Andern die Einſtimmung, er tadelt ſie, wenn ſie anders urtheilen, und ſpricht ihnen den Geſchmack ab, von dem er doch verlangt, daß ſie ihn haben ſollen. Die For - derung der Allgemeinheit ſchließt den Begriff der Nothwendigkeit in ſich (a. a. O. §. 18 22); dies ſind Merkmale des Begriffs, der ſeine203 Wahrheit beweiſen, d. h. die Anerkennung derſelben von Allen erzwin - gen kann, und ſo iſt der volle Widerſpruch vorhanden, denn es iſt eben - ſo wahr, daß das Schöne ohne Begriffe und vor allem Begriffe gefällt, als daß es mit dieſer Allgemeinheit und Nothwendigkeit auftritt. Die - ſem Widerſpruch entgeht man freilich, wenn man die zweite dieſer Theſen läugnet und den ſprichwörtlichen Satz: jeder hat ſeinen Geſchmack, oder: de gustibus non est disputandum als ein Grundgeſetz des Schönen aufſtellt. Kant hat aber richtig nachgewieſen, daß dieſe völlige Frei - laſſung der Willkür nur auf das Angenehme angewandt werden kann. Er hätte dieſen Punkt noch ſchärfer und gründlicher beleuchten können, wenn ſeine Darſtellung nicht an zweierlei Mängeln litte: daß er näm - lich blos das Angenehme als dieſe Sphäre der Willkür beſtimmt und daß er den Namen Geſchmack (in der Weiſe ſeiner Bildungs-Epoche) ſowohl für das Schöne als für das Angenehme gebraucht, ſo daß er nur durch einen Zuſatz beides unterſcheiden kann: Geſchmack am Ange - nehmen und Geſchmack am Schönen, oder Sinnengeſchmack und Reflexions - geſchmack (§. 8). Allein es iſt etymologiſch ganz begründet, daß die jetzige Wiſſenſchaft dem Geſchmack, der von einem ſtoffartigen Sinne den Namen hat, nur die untergeordnete Sphäre der anhängenden Schönheit anweist und, wenn die ſubjektive Aufnahme des Schönen einen beſondern Namen führen ſoll, den Ausdruck Schönheitsſinn gebraucht. Es iſt aber nicht nur das Angenehme, in der Bedeutung des blos ſinnlich Wohlgefälligen, was unter den Geſichtspunkt des Geſchmacks fällt, oder vielmehr die Bemerkung §. 76, 1 iſt hier wieder aufzufaſſen und dahin zu ergänzen, daß dem Angenehmen eigentlich immer irgend eine geiſtigere Beziehung beigemiſcht iſt; angenehm kann nun alle anhängende Schönheit heißen, weil das Schöne, das einem Andern nur beigemiſcht iſt, in die Miſchung nicht rein aufgeht, ſondern als mehr oder minder blos ſinnlicher Ring daneben fällt; auf das Angenehme als ein ſo Gemiſchtes geht der Ge - ſchmack und ſo iſt es denn die ganze Sphäre der anhängenden Schön - heit, mag ſie nun an das Zweckmäßige (dem Bedürfniß Dienende) als Ueberfluß angehängt ſeyn (§. 23, 3) oder an den ſittlichen Selbſtzweck (das Gute §. 59, 3), von was es ſich hier handelt. Geſchmacksſachen ſind Hausgeräthe, Zurichtung einer Tafel und dergl., Geſchmacksſachen ſind aber auch geſellige Formen, in welchen ein ſittlicher Kern iſt, jedoch ſo, daß er durch den Unterſchied der Zeiten und Völker conventionell wird und daher die Zuthaten ſeiner Erſcheinung wechſelt, wodurch er den Veränderungen der Mode unterliegt. Hier iſt insbeſondere die Kleidung204 intereſſant. Es verbindet ſich in ihr das ſinnliche Bedürfniß, den Kör - per zu ſchützen, mit der ſittlichen Abſicht, ihn zu verhüllen. Beide Zwecke aber vereinigen ſich, indem ſie mit einem Ueberſchuſſe befriedigt werden, mit der Schönheit. Nach Kant könnte dieſe Verbindung an - genehm heißen nur darum, weil die wärmere, ſchmiegſamere Kleidung dem Körper wohler thut; allein in dem Angenehmen iſt auch die Be - friedigung der geiſtigeren Luſt, zu gefallen, die Perſönlichkeit in ein vortheilhaftes Licht zu ſetzen, miteingeſchloſſen. Dieſe ſo gemiſchte Schön - heit und die geltende Anſicht darüber wechſelt nun aber ſo, daß uns bekanntlich die letzte Mode, die wir ſo eben noch für ſchön hielten, beim Eintritt der neuen bald als unſchön, ja lächerlich erſcheint. Dieß iſt eines der Beiſpiele, worauf ſich diejenigen, welche dem Schönen die Allgemeinheit und Nothwendigkeit abſprechen, vorzüglich berufen. Allein dieſe erwägen nicht, daß es ſich hier um blos anhängende Schönheit handelt. Die Schönheit der Grundformen des menſchlichen Körpers bleibt immer dieſelbe, aber in die Art, ſie durch Kleidung zu ſchmücken, miſcht ſich außer dem Bedürfniß des Schutzes und der Verhüllung die Individualität mit ihren Launen, ihren Vorſtellungen vom Angenehmen und Gefälligen und ein Inſtinct der Zeit, in den Formen einen ſymbo - liſchen Ausdruck ihrer Geſittungsweiſe niederzulegen; dadurch wird als durch ein außeräſthetiſches Moment die äſthetiſche Zuthat beſtimmt. In dieſen Rückſichten bewußtlos befangen folgen wir der Mode. Liegt aber eine Mode ſo weit hinter uns, daß uns über dieſe bewußtlos mitſpie - lenden Beſtimmungsgründe der Blick frei wird, ſo vergleichen wir auch vorurtheilslos dieſelbe mit andern Moden und können nun allerdings über ihre Schönheit ein ganz objectives Urtheil abgeben.

Dieſe gemiſchten Nebenzweige des Schönen und der äſthetiſchen Stimmung hat Kant allerdings auch berührt, aber in anderem Zuſam - menhang und Sinn, ſo nämlich, daß er nicht von einem Zuſatze von Schönheit zu etwas nicht Schönem, ſondern von etwas Schönem, das in zweiter Linie einen nicht äſthetiſchen Zuſatz annimmt, ſpricht: §. 41 vom empiriſchen Intereſſe am Schönen, §. 42 vom intellectuellen Intereſſe am Schönen.

§. 80.

Der Widerſpruch löst ſich aber dadurch, daß etwas ſehr wohl als wirkliche Macht unmittelbar und ohne Begriff mit dem Anſpruche der Allgemeinheit und205 Nothwendigkeit auftreten und erſt durch einen zweiten Act, der dieſes unmittel - bar Wirkende zu ſeinem Objecte macht, in die Form des Begriffes gefaßt wer - den kann, der jenen Anſpruch beweist. So kann zwar nicht die äſthetiſche Stimmung ſelbſt, wohl aber die wiſſenſchaftliche Ergründung dieſer Stimmung beweiſen, daß der Gegenſtand derſelben in ſeiner, den Gegenſatz des Allgemei - nen und der erſcheinenden Einzelheit tilgenden, Form ein reines Bild der un - mittelbaren Harmonie der Kräfte der Perſönlichkeit enthält und daher der äſthetiſch Geſtimmte mit Recht fordert, daß der ſo beſtimmte Gegenſtand dieſe Harmonie als etwas allgemein Menſchliches in jedem Subjecte vorbereitet an - treffen, hervorrufen und mit ihr in Einer Bewegung aufgehen ſoll. Wo daher die Uebereinſtimmung über einen ſolchen Gegenſtand ausbleibt, läßt ſich durch denſelben zweiten Act nachweiſen, daß entweder das Subject ausnahmsweiſe einſeitig organiſirt oder dieſe Harmonie nicht vorbereitet ſey, und allerdings for - dert ſie eine Vorbereitung, worin auch ein Denken mitbegriffen iſt, aber nicht als beſonderes, ſondern als Denken in Formen, ein Form-Verſtändniß.

Die Löſung, welche Kant für den genannten ſcheinbaren Widerſpruch verſucht, iſt §. 78. Anm. mangelhaft genannt worden. Er beſchäftigt ſich wiederholt mühſam mit dieſem Gegenſtande, ſtreift immer an das Richtige und immer fehlt ihm zu ſeiner Erklärung der Gegenſtand, nämlich eine objektive Beſtimmung des Schönen. Vor Allem kann er den Grund nicht recht finden, warum zum Schönen, d. h. zum unmittel - baren äſthetiſchen Genuſſe des Schönen kein Begriff gehöre. In §. 6 gibt er unpaſſender Weiſe als Grund an, daß es von Begriffen (aus - genommen in rein praktiſchen Geſetzen, die aber ein Intereſſe bei ſich führen) keinen Uebergang zum Gefühle der Luſt oder Unluſt gebe. Zum Richtigen hätte ihn aber ſchon das führen müſſen, was er in demſel - ben §. unmittelbar vorher ſagt, daß ſich nämlich im Wohlgefallen am Schönen, da es ſich nicht auf irgend eine Neigung des Subjects, noch auf irgend ein anderes, überlegtes Intereſſe gründe, der Urtheilende ſich völlig frei fühle; daher könne er keine Privatbedingungen als Gründe des Wohlgefallens auffinden und müſſe es vielmehr als in demjenigen begründet anſehen, was er auch bei jedem Andern vorausſetzen könne. Hier fehlt nur noch ein Schritt, ſo wäre der Anſpruch des äſthetiſchen Wohlgefallens auf Allgemeinheit aus der Sache ſelbſt nachgewieſen. Privatbedingungen nämlich wären auf der Einen Seite die Sinnlichkeit, die zwar in Jedem, aber in Jedem andere Sympathieen und Anti -206 pathieen hat; auf der andern der Geiſt, der den Begriff denkt, aber ungleich ausgebildet iſt. Hätte nun Kant eine objective Beſtimmung des Schönen, ſo würde er zeigen, daß ſchon im Gegenſtande dieſer Gegenſatz getilgt iſt. Die ſinnliche Beſtimmtheit deſſelben iſt durchdrun - gen von der Allgemeinheit und das Allgemeine iſolirt ſich nicht als Begriff, ſondern geht eben im ſinnlich Einzelnen auf. Daher wendet ſich der ſchöne Gegenſtand auch im Subjekte nicht an das Gegenſätzliche, das ſo oder anders ſeyn kann: nicht an ſeine ſinnlichen Launen, ſondern an die allgemeine Sinnlichkeit in ihm, nicht an ſeinen Geiſt, ſofern er mehr oder minder fähig und gebildet iſt, das Allgemeine als Begriff zu denken, ſondern an den Geiſt in ihm überhaupt, wie er als reinmenſch - liche Fähigkeit ohne Gegenſatz zur Sinnlichkeit in der Einheit der Per - ſönlichkeit aufgeht; alſo es wendet ſich blos an den Menſchen im Sub - jekte, an das, worin ſich Alle gleich ſind, an die Gattung im Einzel - nen. Daher vereinigen ſich auch im Genuſſe des Schönen alle getrenn - ten Richtungen und Geſchäfte und löſchen die Beſonderheit des Hand - werks-Gepräges aus. Um feinen Geſchmack zu haben, muß man gebil - deter Weltmann, um tief zu denken, Gelehrter, um geſchickt zu handeln, Praktiker ſeyn u. ſ. f.; um das Schöne zu empfinden, darf man nur Menſch ſeyn. Kant nun, der ganz im Subjektiven bleibt, ſucht im Subjekte allerdings jene Mitte, welche vom Begriffe die Allgemeinheit und Nothwendigkeit, aber nicht die logiſche Strictheit haben ſoll. In §. 9 ſtellt er die ſcharfſinnige Frage, ob im Geſchmacksurtheile das Gefühl der Luſt vor der Beurtheilung des Gegenſtands oder dieſe vor jener vorhergehe? Die Luſt kann nicht vorangehen, denn dann wäre ſie eine blos ſinnliche, und dieſe hat nur Privatgültigkeit. Allgemein und allge - mein mittheilbar iſt nichts als Erkenntniß und Vorſtellung. Erkenntniß aber in der Form des beſtimmten Begriffs kann ebenfalls nicht vorher - gehen, denn dann wäre das Urtheil gar kein äſthetiſches. Zuerſt findet er nun den Ausweg, daß er an die Stelle der letztern die Beziehung einer gegebenen Vorſtellung auf Erkenntniß überhaupt ſetzt; er kommt auf jenes freie Spiel zurück, in welchem die Einbildungskraft, welche die Einheit in der Mannigfaltigkeit anſchaut, dem Verſtande ein Bild zuſchiebt, worin dieſer Zweckmäßigkeit ohne beſtimmten Zweck er - kennt, alſo die Einheit geiſtig zuſammenfaßt, ohne ſie in den ſtricten Begriff zu erheben. Dieſe Mitte, dieſe Belebung der Einbildungskraft und des Verſtandes zu unbeſtimmter, aber doch einhelliger Thätigkeit, geht nun der Luſt voran und ſie muß allgemein mittheilbar ſeyn: eine207 Vorſtellung, die als einzeln und ohne Vergleichung mit andern dennoch eine Zuſammenſtimmung zu den Bedingungen der Allgemeinheit hat, welche das Geſchäft des Verſtandes überhaupt ausmacht, bringt die Erkenntnißvermögen in die proportionirte Stimmung, die wir zu allem Erkenntniſſe fordern und daher auch für jedermann, der durch Verſtand und Sinne in Verbindung zu urtheilen beſtimmt iſt, (für jeden Menſchen) gültig halten. In §. 12 beſinnt er ſich jedoch darauf, daß auch dieſem Spiele der Erkenntnißkräfte die Luſt nicht als ihrer Wirkung nachfolgen darf, und löst nun erſt die ganze Schwierigkeit durch den Satz: die Cauſalität iſt eine innere, das zu Grund liegende Bewußtſeyn iſt die Luſt ſelbſt, weil es die Erkenntnißkräfte belebt. Wohl aber hat dieſe Luſt nach der andern Seite eine Cauſalität in ſich, nämlich, den äſthetiſchen Gemüthszuſtand ohne weitere Abſicht zu erhalten. Wir weilen bei der Betrachtung des Schönen, weil dieſe Betrachtung ſich ſelbſt reproducirt. Kant nimmt nun aber den Gegenſtand noch dreimal vor, ſo wichtig iſt er ihm; zuerſt unter der Kategorie der Modalität §. 18 22, wo der Begriff der Nothwendig - keit des äſthetiſchen Wohlgefallens, getrennt von dem der Allgemeinheit, noch beſonders unterſucht wird. Hier nennt er in der Weiſe der engli - ſchen Senſualiſten das allgemeine Menſchliche, deſſen harmoniſche Mitte als Anſchauung des Abſoluten in der Form der Unmittelbarkeit die jetzige Wiſſenſchaft aus dem allgemeinen Geſetze des geiſtigen Prozeſſes ableitet, einen Gemeinſinn. Er hebt aber das Punktuelle, was in dieſer An - nahme liegt, wieder auf, indem er tiefſinnig ſagt, daß, wenn ſich beſtimmte Erkenntniſſe (ſtricte Begriffe) allgemein mittheilen laſſen müſſen, weil ſie ſonſt keine objective Wahrheit hätten, nothwendig auch der Gemüthszuſtand, d. h. die Stimmung der Erkenntnißkräfte zu einer Erkenntniß überhaupt allgemein mittheilen laſſen müſſen. Hiemit iſt die Erkenntniß vor der Erkenntniß, d. h. die Grund-Einheit des Geiſtes, worin er noch von ſeiner Sinnlichkeit nicht unterſchieden iſt, ausgeſprochen: eben auf dieſe Grund-Einheit, aus welcher das beſtimmte Denken als Begriff erſt hervortaucht, wirkt das Schöne, und ſie gehört dem Menſchen als Menſchen und muß, ohne Begriff, als Gefühl allgemein mittbeilbar ſeyn. In §. 30 40 läßt Kant eine Deduction der rei - nen äſthetiſchen Urtheile folgen, d. h. eine Unterſuchung der objectiven Seite, welche die Rechtmäßigkeit des äſthetiſchen Urtheils in der Anwen - dung auf den Gegenſtand, der doch nicht durch Begriffe beſtimmt wird,208 begründen ſoll. Kant ſagt, das äſthetiſche Urtheil könne nur als einzelnes Urtheil allgemeine Gültigkeit haben, weil nämlich hier die begriffsmäßige, logiſche Allgemeinheit keine Anwendung finde. Es muß ein Object gegeben ſeyn, und je von dem vorliegenden Objecte wird ausgeſagt, es ſey ſchön, und dieſes Urtheil allen Andern angeſonnen; (durch Anſinnen nämlich bezeichnet Kant den Anſpruch des äſthetiſchen Wohlgefallens auf allgemeine Einſtimmung, im Gegenſatz gegen Poſtuliren, vergl. a. a. O. §. 8 and.). Dieſe Allgemeingültigkeit iſt aprioriſch, denn man fordert ſie, ohne die Zuſtimmung abzuwarten, ohne durch Stimmen - ſammlung und Herumfragen ſich ihrer zu verſichern; aber ſie beruht nicht auf logiſchen Beweisgründen a priori. Nun, meint man, komme endlich das Wahre, nämlich eine objective Beſtimmung, d. h. die Be - ſtimmung, daß zwar nicht der äſthetiſch Geſtimmte ſelbſt, wohl aber der, welcher über ihn und den Gegenſtand begriffmäßig denkt und ſowohl den Gegenſtand als dieſe Stimmung in ihren Elementen aufweist, logiſch beweiſen könne, daß und warum dieſer Gegenſtand ſchön ſey und ſchön gefunden werden müſſe, wodurch dann dasjenige durch Begriffe begründet würde, was der Erſtere ohne Begriffe fordert. Was ſollte man nun anders vermuthen, als daß die Schönheit für eine Eigenſchaft der Blume ſelbſt gehalten werden müſſe? Aber wie - der: es verhält ſich nicht ſo denn das Geſchmacksurtheil grün - det ſich gar nicht auf Begriffe. Freilich gründet es ſich nicht auf Be - griffe, aber der Begreifende kommt darüber und begründet durch ein zweites Urtheil, was der Genießende durch ſein rein äſthetiſches Urtheil nicht begründen konnte. So kommt Kant hier wieder auf ſeinen Ge - meinſinn hinaus und man erfährt nie, warum denn dieſer Gegen - ſtand, ein anderer nicht, dieſen Gemeinſinn in Thätigkeit ſetze, was denn in dieſem Gegenſtande es ſey, wodurch er jenes Spiel der Erkennt - nißkräfte hervorrufe. Es fehlt überall die Idee der Schönheit, welche ebenſo objectiv wie ſubjectiv iſt, ſich in Gegenſtänden niederſchlägt und aus dieſen in Subjecten reflectirt. Daß der objective Niederſchlag in Wahrheit ſelbſt das Werk des Subjects iſt, wie ſich im Verlaufe des Syſtems zeigen wird und wie Kant in §. 36 durch den Ausdruck: die äſthetiſche Urtheilskraft ſey ſich ſelbſt Gegenſtand und Geſetz, geiſtreich, aber ohne Bewußtſeyn der Conſequenz andeutet, dies geht uns hier nichts an, denn jedenfalls nicht im Sinne Kants, wie er ſich deſſen bewußt iſt, iſt dies wahr, welcher vom ſubjectiven Momente ja doch nur in der Bedeutung handelt, daß er ein vorgefundenes Object209 vorausſetzt. Hat man aber die Idee der Schönheit, ſo begreift ſich, daß der äſthetiſch Genießende berechtigt iſt, in Betreff des einzelnen vorliegenden Gegenſtands allgemeine Zuſtimmung aprioriſch zu for - dern, denn er befindet ſich mitten im Leben der Idee, indem er ſie in einem Gegenſtande verwirklicht anſchaut, und der, welcher über ihn und den Gegenſtand denkt, kann beweiſen, daß er ſich im Leben der Idee befand, denn dieſer begreift die Idee. Es iſt alſo nicht richtig, daß es ſich blos von einzelnen Urtheilen handelt; der unmittelbar Genie - ßende kann freilich blos einzelne Urtheile fällen; ſo verhält ſich aber mit jedem Allgemeinen, das in Form der Empfindung auftreten kann: der blos Empfindende findet es erſt, wenn es vorkommt, aber wer über ihn und hinter ihn zurückdenkt, der muß nothwendig allgemeine Urtheile fällen können, wie z. B.: der menſchliche Körper als Gattung iſt ſchön (wobei freilich noch gewiſſe Bedingungen fehlen, welche nicht erlauben, zu ſagen: alle menſchlichen Körper ſind ſchön, aber Bedingun - gen, die ganz wohl ebenfalls in ihrer Allgemeinheit zu begreifen ſind). Nun könnte man ſagen, Kant gebe dies Denken als einen zweiten Act wohl zu, er fügt ja hinzu (§. 33): der Verſtand kann durch die Ver - gleichung des Objects im Punkte des Wohlgefälligen mit dem Urtheile Anderer ein allgemeines Urtheil machen: z. B. alle Tulpen ſind ſchön; aber das iſt alsdann kein Geſchmacks -, ſondern ein logiſches Urtheil. Man ſieht, Kant meint das logiſche blos formell und läßt es blos auf comparativem Wege entſtehen; daher ſagt er auch §. 34: unter einem Prinzip des Geſchmacks würde man einen Grundſatz verſtehen, unter deſſen Bedingung man den Begriff eines Gegenſtands ſubſumiren und alsdann durch einen Schluß herausbringen könnte, daß er ſchön ſey. Richtiger ausgedrückt iſt dies Prinzip die Idee des Schönen, die er eben läugnet, indem er ſofort ein ſolches Prinzip für ſchlechterdings unmöglich erklärt. Zum letztenmal faßt er den Gegenſtand auf in der Dialektik der äſthetiſchen Urtheilskraft §. 55 58. Hier ſtellt er den vorliegenden Widerſpruch als Antinomie auf, löst dieſe dadurch, daß er zeigt, der Ausdruck Begriff ſey in der Theſe und Antitheſe verſchieden genommen, und nennt denjenigen Begriff, der dem äſthetiſchen Urtheil zu Grunde liegt, im Gegenſatze gegen den Verſtandesbegriff einen tran - ſcendentalen, theoretiſch unbeſtimmbaren Vernunftbegriff von dem Ueber - ſinnlichen. Dieſer Vernunftbegriff iſt nun kein anderer, als der von der Natur als einem innerlich zweckmäßigen Ganzen, und damit halte man nun das tiefſinnige Wort (§. 57) zuſammen: das GeſchmacksurtheilViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 14210bekommt durch dieſen Begriff, wiewohl er keine objective Geltung hat, doch Gültigkeit für jedermann, weil der Beſtimmungsgrund desſel - ben vielleicht im Begriffe von demjenigen liegt, was als das überſinnliche Subſtrat der Menſchheit angeſehen werden kann ; d. h. für uns: die Idee im ſchönen Object und im Subject iſt dieſelbe, es iſt die abſolute Idee von Natur und Geiſt. Ein Philoſoph, der ſo tiefe Ahnungen ausſpricht, durfte nicht flüchtig über - gangen werden.

Der Inhalt des §. iſt durch dieſe Kritik der Kantiſchen Begriffe zugleich poſitiv entwickelt. Anzuführen iſt noch, daß ja in der nächſten Nachbarſchaft des Schönen eine Idee thätig iſt, die ebenſo ohne Begriff als Macht wirkt und doch ganz begriffmäßig iſt: das Gute. Was den Unterſchied des Guten vom Schönen ausmacht, das Kategoriſche nämlich, beweist nur um ſo mehr: denn wenn auch das ſtrenge Geſetz als Macht der Empfindung wirkt, ſo erhellt, daß das Unmittelbare in der Form, wie ein Geiſtiges auftritt, nimmermehr ein Beweis iſt, daß es nicht durch Begriffe zu beſtimmen ſey. Das Gute wird auch von Kant ganz als Begriffs - mäßiges aufgefaßt, nur zu ſehr, ſo daß freilich ſeine Kraft der Unmittel - barkeit nicht einleuchtet. Wenn nun vom Schönen geſagt iſt, daß es perſönlich ſey und daher mit der Perſönlichkeit in Rapport treten müſſe, und ſo gewiß iſt dies, wie, daß Feuer Brennſtoff entzündet , wenn dies Zuſammengehen ganz unmittelbar iſt, weil eben im Schönen alle trennenden Vermittlungen erlöſchen, ſo ſind nur die Urſachen des häufigen Ausbleibens der Wirkung des Schönen, alſo der Uebereinſtimmung der Urtheile noch kurz in’s Auge zu faſſen. Wir machen in unſerem Urtheile über das Schöne durchaus keine Umſtände. Wem Raphael, Sophokles, Shakespeare nicht gefällt, dem räumen wir durchaus nichts ein, ſondern erklären ihn entweder für ſtumpf oder für ungebildet. Von totaler Stumpfheit iſt hier nicht die Rede, denn dieſe fragen wir überhaupt nicht nach ihrem Urtheil; aber es gibt einſeitige Naturen, die in gegenſätzlichen Thätigkeiten ſtark, aber eben dahin, wo die Kräfte am reinſten in Eins fließen, zum Schönen nämlich, ſehr mangelhaft organiſirt ſind. Wie dies zu erklären ſey, geht uns hier nichts an; genug, wenn dieſe Einſeitigkeit als Einſeitigkeit erkannt iſt, und ſie iſt es nach allem Bisherigen. Allein ob ſolche Einſeitigkeit ſtattfinde, iſt äußerſt ſchwer zu ermitteln, denn in den meiſten Fällen wird ſie ſich als Einſeitigkeit nicht der Organiſation, ſondern der Bildung aufzeigen laſſen. Die zwei Sätze nun, daß das Schöne ganz unmittelbar genoſſen werde und daß es Bildung211 vorausſetze, ſcheinen ſich zu widerſprechen. Allein man darf nur erwägen, daß der Menſch erſt werden muß, was er iſt, daß er nur durch Bildung bei ſeiner wahren Natur anlangt, daß Bildung durch die tiefſte Vermittlung zur wahren Einfachheit zurückführt, ſo löst ſich der Widerſpruch. Der ſinnliche Menſch, das rohe Individuum und das rohe Volk, iſt nicht der Gattung adäquat, ſtellt nicht die reine Menſchheit in ſich dar; das Bedürfniß, das Ganze an ſich darzuſtellen und ſich zum Genuß zu geben, äußert ſich dennoch als dunkler Trieb im Schmucke. Der Menſch, der ſeine Rohheit über - windet und, was man gewöhnlich Natur nennt, durch gegenſätzliches Denken und Handeln in Geiſt umbildet, iſt aber auch nicht der ganze Menſch. Humanität iſt erſt die ſpäte Frucht der Bildung, die zur Natur zurückkehren darf, weil ſie ſie nicht mehr zu fürchten hat, und hier erſt blüht der Sinn des Schönen auf. Iſt ihm nun der Boden geebnet, ſo braucht es, obwohl er, verglichen mit den gegenſätzlichen Thätigkeiten ganz unmittelbar iſt, eine Vermittlung innerhalb ſeiner ſelbſt, eine Bildung des Formſinns. In dieſem liegt nun allerdings auch ein Denken. Ohne tiefes Sinnen, ohne Reflexion über die Verhältniſſe der Compoſition iſt kein Kunſtwerk zu ge - nießen, und dazu muß erſt die Uebung des Auges und Ohrs für Form, Farbe, Ton, Rythmus u. ſ. w. treten. Das ſentimentale Entzücken über ſchöne Natur und Kunſt iſt nur die Luſt des ſpielenden Thiers im Graſe. Allein jenes Denken iſt ein eingehülltes. Es geht nicht fort zur Zerlegung der Gedankenmomente in der Idee, um ſie mit den Theilen der Com - poſition zu vergleichen: es behält dieſe als ſinnliche Verhältniſſe vor ſich, es iſt nicht ein Denken, ſondern ein Sinnen. Ebenſo der beſondere Sinn für Farbe, Form u. ſ. w. Um durch die Linien, die Modellirung, die Farbentöne eines Baumes, wie er ſich von anderen Gegenſtänden abhebt, wie die Maſſen ſeiner belaubten Aeſte auseinandertreten, wie die Schatten ſich mit den Farbentönen miſchen u. ſ. w., das innerſte Gefühl mit Wonne zu durchdringen, dazu gehört ein inneres Zeichnen und Malen, das theilt und wieder verbindet; der Gegenſtand wird aufgehoben und wieder zuſammengeſetzt, wird bildend innerlich nachgeſchaffen, die Linien fließen, ſie ſind nicht todt, die Farben athmen, Schatten und Lichter durchſchneiden ſich hier und verſchweben dort: dies Alles iſt ein Reflectiren, aber kein abſtractes, ein Reflectiren, ein Denken in Formen.

§. 81.

Dieſer zweite Act nun, welcher den erſten, unmittelbaren als vollzogen vorausſetzt, löst das Schöne auf (§. 69). Wenn er aber darum allerdings un -14*212berechtigt iſt, ſobald er dieſen in ſeiner Vollziehung ſtört (§. 78, 2), ſo iſt er dagegen an ſeinem Orte und in ſeiner Selbſtändigkeit nicht nur berechtigt, ſondern als Act der ſtrengen Wahrheit nach §. 69 höher als der erſte. Dieſer Satz kann nur dann Auſtoß erregen, wenn man, ſtatt die Gebiete ſo auseinander - zuhalten, meint, der zweite Act mache irgend einen Anſpruch, an die Stelle des erſten, rein äſthetiſchen, zu treten. Vielmehr gehört jener einer ganz andern Sphäre, als der des Schönen an, und nur in dieſem Zuſammenhange, als eine beſondere Anwendung ſeiner ganzen Sphäre auf ein beſtimmtes Object, iſt er höher, weil die ganze Sphäre höher iſt. Seine Thätigkeit aber beſteht darin, in einem gegebenen Schönen zuerſt die Idee zu ermitteln, ihre Momente (§. 21) aus - einanderzulegen, hierauf nachzuweiſen, wie der äſthetiſche Körper in ſeinen Gliedern dieſen Momenten entſpricht, endlich aber dieſes Entſprechen als eine reine Durchdringung zu begreifen, ſo daß der Gehalt mit und in ſeiner Form in einem Gedankenbau umgewandelt wird.

Der Satz dieſes §. ſollte geeignet ſeyn, manches landläufige Miß - verſtändniß über die Bedeutung und die Anſprüche der Kunſtkritik zu wider - legen. Derſelbe bedarf keiner weiteren Auseinanderſetzung, nachdem ſchon in §. 15, Anm. 1 Anlaß war, den Gemeinplatz der Enthuſiaſten, den Weiße (Aeſth. §. 9) vorbringt, zu widerlegen. In ſ. Abhandl. : Das Verhältniß der Philoſophie der Kunſt und der Kritik zum einzelnen Kunſt - werke (Abhandl. zur Philoſ. d. Kunſt) hat Rötſcher nachgewieſen, daß nur, ſolange die Philoſophie der Kunſt ſich auf abſtracte Reflexion be - ſchränkte, die Kunſt mehr gab, als der philoſophirende Geiſt zu faſſen im Stande war, daß die ächte Kunſtkritik das Kunſtwerk zuerſt zwar decomponirt, um ſeine Idee zu finden, hierauf aber den Bau herſtellt und die Idee in ihre Form verfolgt, die in ihrem vollen Rechte anerkannt wird. Nur darin hat er nicht ſcharf genug getrennt, daß er den Genuß, der dieſes Thun begleitet, als eine Vollendung des erſten, rein äſthetiſchen Genuſſes betrachtet. Es iſt vielmehr ein Genuß ganz anderer Art und man darf von dem letzteren nicht ſagen, daß hier mehr nur der Stoff in ſeiner unmittel - baren Gewalt uns ergreife, in ſeiner ganzen Organiſation aber noch gar nicht zu dem Unſrigen werde (a. a. O. S. 20). Der wahre äſthetiſche Genuß iſt ganz und nimmt mit dem Stoffe auch ſeine Organiſation auf; dieſer ganze Genuß iſt auf ſeinem Boden vollkommener als der Act des Kunſtphiloſophen, wenn er auf dieſen Boden ſich eindrängt (§. 78, 2). Allein er iſt nicht der einzige, er löst ſich auf, wie Rötſcher213 S. 28 ff. gezeigt hat, und nun tritt die philoſophiſche Kunſtkritik ein, deren Genuß aber ein reiner Genuß des Wiſſens und durch den Gegenſtand nur ſo gefärbt iſt, wie jeder beſondere Kreis von Gegenſtänden der Philoſophie dem Gefühle der innerſten Genugthuung des denkenden Geiſtes ſeinen be - ſonderen Ton gibt. Was nun das Geſchäft der Kunſtphiloſophen betrifft, ſo hat es jene Abhandlung nicht erſchöpfend dargeſtellt; die Aeſthetik als Syſtem hat jedoch die Auseinanderſetzung dieſes Geſchäfts deswegen nicht zur beſonderen Aufgabe, weil ſie von ſelbſt in ihr als einem Ganzen durch - geführt wird.

[214]

Zweiter Abſchnitt. Das Schoͤne im Widerſtreit ſeiner Momente.

§. 82.

Jede wahre Einheit enthält den Gegenſatz als Möglichkeit in ſich, ſie bethätigt ſich als Einheit, indem ſie ihn in die Wirklichkeit entläßt, wodurch er, weil die Entgegengeſetzten Glieder derſelben Einheit ſind, zum Widerſpruch wird; ſie bewährt ſich, indem ſie im Widerſpruch nicht verloren geht, ſondern ihn überwindet. Ebenſo erſchließt ſich die Einheit des einfach Schönen gemäß ihrem eigenen Geſetze zum wirklichen Widerſtreit der Momente, welcher nur durch eine nothwendige Abſtraction in §. 50. 59. 60 zum voraus erwähnt werden konnte; es tritt aber darum keineswegs aus ſeinem eigenen Kreiſe heraus, viel - mehr, was ſich entfaltet, iſt nur eine Bewegung und Gährung im Schönen ſelbſt und dieſes muß ſich aus dem Streite wieder zu ſeiner Einheit herſtellen.

Der §. beruft ſich für die Ableitung der gegenſätzlichen Formen des Schönen zunächſt auf den wahren Begriff der Einheit als einer lebendigen, welche den Gegenſatz als Keim in ſich verbirgt, entläßt und überwindet. Dieſes allgemeine Geſetz des Lebens und des Denkens wird hier in ſeiner Wahrheit vorausgeſetzt; es kann nur in dem Sinne eine eigene Be - gründung in einem der beſonderen Zweige der Wiſſenſchaft anſprechen, daß es ſich in dem Stoffe desſelben mit Nothwendigkeit durchführt. Seine urſprüngliche Begründung gehört in die Logik oder Metaphyſik.

Daß die gegenſätzlichen Formen des Schönen, das Erhabene und Komiſche, als Momente des Schönen überhaupt zu begreifen und daher in der allgemeinen Lehre vom Schönen zu entwickeln ſind, wurde ſchon von den engliſchen Kritikern des vorigen Jahrhunderts gefühlt; von einer215 wirklichen Ableitung derſelben aus dem Schönen ſelbſt als weſentlicher Momente ſeiner inneren Bewegung konnte jedoch früher nicht die Rede ſeyn, als bis die Philoſophie den Standpunkt der Idee als einer dialektiſch ſich bewegenden erreicht und ſo das Mittel gefunden hatte, den Wider - ſpruch in der Einheit zu begreifen. Burke, dem die Theorie des Er - habenen viel verdankt, hat ſeine zwei Triebe bereit, den der Selbſt - erhaltung und den der Geſelligkeit; das Erhabene erſchüttert den erſten, das Schöne ſchmeichelt dem zweiten: dies iſt die ganze Ableitung. Kant verrennt ſich den Weg des Uebergangs durch die falſche Unterſcheidung, daß das Schöne einen Verſtandesbegriff (Zweckmäßigkeit), das Erhabene einen Vernunftbegriff (Unbegrenztheit) in ſich darſtelle (a. a. O. §. 23). Die Zweckmäßigkeit, die als innere ſich ſelbſt aufhebt, iſt nicht ein Ver - ſtandesbegriff, ſondern ein Vernunftbegriff. Hegel hat das Mittel, das er in ſeiner Dialektik beſaß, nicht auf dieſem Punkte in Bewegung geſetzt, um das Erhabene und Komiſche als innere Momente des Schönen an ſich zu entwickeln, ſondern er hat dieſe Formen in die weiteren beſtimmten Theile des Syſtems zerſtreut. Die Hauptgründe dagegen ſ. in der Schrift des Verf. : Das Erh. u. Kom. S. 16 u. 17 u. Krit. Gänge Th. II. S. 348. 349. Noch vor dem Erſcheinen der erſteren Schrift hatte Weiße, mit deſſen Verfahren ſie ſelbſtändig zuſammentraf, jene gegenſätzlichen Formen als innere Momente des Schönen überhaupt abgehandelt. Allein gleich in der Lehre vom Erhabenen bleibt Weiße nicht ſeinem Verſprechen treu. Das Erhabene erſcheint nicht als eine Bewegung im Schönen, ſondern als eine Bewegung über das Schöne hinaus in die Sphäre des Guten und Göttlichen; das Schöne erhält ſich nicht im Erhabenen, ſondern wird von ihm nur vorausgeſetzt, um aus ſeiner eigenen Sphäre heraus in ein Jenſeits geriſſen zu werden (Aeſth. §. 24). Den umgekehrten Fehler hatte Solger gemacht. Wenn Weiße das Erhabene an den Ausgang des Schönen ſetzt, ſo hatte er es vor den Anfang desſelben geſtellt, als werdende Schönheit gefaßt, und unter den Gegenſätzen und Be - ziehungen aufgeführt, durch welche die Idee des Schönen wirklich wird. Die Idee begibt ſich durch ihre Thätigkeit in die Welt herab (Aeſth. S. 84). Dieſe Stellung des Erhabenen ſcheint weſentliche Gründe für ſich zu haben. Soll die Erſcheinung mit der Idee geſättigt ſeyn, ſo muß die Bewegung von dieſer ausgehen; dieſe Bewegung, dieſes Herein - brechen der Idee in die Wirklichkeit iſt ein noch formloſer Kampf, aus welchem die klar begrenzte Geſtalt ſich erſt entwickelt, und ebendies ſcheint das Erhabene zu ſeyn. Die Geſchichte aller Formen ſcheint dies zu be -216 ſtätigen. Der harmoniſchen Geſtalt der jetzigen Natur unſeres Planeten gingen jene Revolutionen voran, deren Vorſtellung und deren Zeugen ſo erhaben ſind. Die Völker waren kriegeriſch ſtark, ehe ſie ſich zum Schönen erhoben, und die orientaliſche Kunſt mit ihrer räthſelhaften Erhabenheit war vor der griechiſchen. Allein wenn im vageren Ausdruck allerdings der noch geſtaltloſe, Geſtalt erſt erzeugende Kampf der Kräfte erhaben heißt, ſo vergeſſe man darum nicht, daß im ſtrengen Begriffe das Erhabene, wenn es auch in gewiſſem Sinne geſtaltlos zu nennen iſt, dennoch ſelbſt in dieſer Geſtaltloſigkeit ſchön ſeyn muß. Das Erhabene im äſthetiſchen Sinne iſt nicht Kampf, wodurch Schönheit entſteht, ſondern der Kampf ſelbſt muß ſchön ausſehen. Erſcheinen uns jene Revolutionen des Planeten als äſthetiſch erhaben, ſo haben wir ſie bereits in einer Weiſe und mit einem Geiſte aufgefaßt, der ihnen die rohe Materialität abſtreift, und wir vollenden uns ihr Bild im Gegenſatze gegen die uns ſchon bekannte, daher vorausgeſetzte Schönheit der jetzigen Geſtalt der Erde, als auch ein Bild der Schönheit, nur einer andern, einer kämpfenden Schönheit. Die Urkraft der Völker im Naturzuſtande iſt roh, ſie iſt zwar eine Form des Erhabenen, aber der gebildete Geiſt, der das Schöne erzeugt, erzeugt höhere Formen auch des Erhabenen, und ſelbſt um jene rohe Erhabenheit äſthetiſch erhaben zu finden, müſſen wir uns ein Bild davon machen, worin am Rohen das Rohe, was äſthetiſch nicht brauchbar iſt, ausgeſchieden, alſo das ganze Schöne vorausgeſetzt iſt. Die orientaliſche Kunſt endlich war nicht erhaben über - haupt, ſondern erhaben in dem Sinne, daß ſie der Form noch nicht völlig mächtig war, welche ebenda, wo Erhabenes mit künſtleriſcher Abſicht her - vorgebracht werden ſoll, bereits vorausgeſetzt iſt, und die Griechen erſt, die der Schönheit mächtig waren, ſchufen auch das wahrhaft Erhabene. Der letzte Grund aber, warum das einfach Schöne vor das Erhabene zu ſtellen iſt, liegt in der allgemeinen Wahrheit, daß der Einheit gemäß dem Geſetze des Begriffs vor ihren Gegenſätzen ſtehen muß. Es iſt daher zu tadeln, daß Ruge zu der Auffaſſung Solgers zurückkehrt und das Erhabene (und Komiſche) als Formen der erſt ſich erzeugenden Schön - heit aufführt (a. a. O. S. 57 and.). Er hält ſich darin freilich nicht ganz klar, fügt aber ebendarum zum Rückſchritte die Verwirrung. Die letztere häuft ſich dadurch, daß er in die Conſtruction des allgemeinen Be - griffs der Schönheit ſchon ausdrücklich die künſtleriſche Thätigkeit aufnimmt. Wie ſich nämlich in unſerer Entwicklung weiterhin auch erweiſen mag, daß ſchon zum bloſen Sehen der außer der Kunſt vorhandenen Schönheit das äſthetiſche Schauen nöthig iſt, ſo unterſcheidet doch dies Schauen, das217 auf keinen Fall ſchon eigentliches künſtleriſches Thun iſt, bereits in der Sphäre der vorgefundenen Schönheit Schönes, Erhabenes und Komiſches und ebenſo erzeugt dann die eigentliche Kunſt fortwährend ſowohl die eine als die andere dieſer Formen; alſo kann man nimmermehr ſagen, die Thätigkeit, welche Schönes ſchafft, erhebe ſich zu dieſem Schaffen dadurch, daß ſie vorher Erhabenes und Komiſches ſchaffe. Dadurch entſteht ein Mißſtand, den wir an Ruge’s Entwicklung bereits gerügt haben, der nämlich, daß das Erhabene und Komiſche moraliſirend gefaßt wird als eine Erhebung, ein Zurückſinken und eine zweite Aufhebung dieſes Zurück - ſinkens, wodurch ſo zu ſagen die geiſtige Kraft erſt auf ethiſchem Boden vorgeübt würde zum Acte der reinen Schönheit. Daher nennt er auch jedes ſich Hinaufkämpfen des endlichen Geiſtes in’s Ewige , heiße es nun Frei - heit, Andacht, Begeiſterung, Verklärung: Erhabenheit (S. 62. 68. 71). Zwar wird nun (S. 71) geſagt, die Erhabenheit ſey äſthetiſche Erhaben - heit überall, wo ſie als dieſe Thätigkeit ſinnliche Erſcheinung werde, allein nirgends iſt mit voller Schärfe darauf gedrungen, daß dies Moment ganz abſolut weſentlich iſt, ſonſt müßte Ruge ſich erinnern, daß die Erhabenheit überall das ganze Formweſen der Schönheit ſchon vorausſetzt, alſo nicht der erſt ſich erzeugenden Schönheit angehört. An andern Stellen nun ſcheint Ruge ganz eine andere Ordnung im Auge zu haben. S. 63 unten und S. 64 werden die gegenſätzlichen Formen des Schönen einfach wie von uns als ein Kampf der Momente in der lebendigen Einheit des Ganzen hingeſtellt und ſo das Erhabene und Komiſche als Gegenſatz im Schönen abgeleitet: dies aber eben iſt die Verwirrung.

Den Kampf im Schönen, der nun darzuſtellen iſt, bezeichnet die Ueberſchrift des Abſchnitts durch: Widerſtreit; der §. ſagt, daß der Gegenſatz nothwendig auch zum Widerſpruch werde. Man hat bisher nur das Komiſche einen Widerſpruch genannt; aber auch das Erhabene iſt ein ſolcher, wie ſich ſogleich zeigen wird. In der Ueberſchrift ſollte aber dies nicht vorweggenommen ſeyn, das unbeſtimmtere Widerſtreit ſoll daher beides ausdrücken, den Begriff des Gegenſatzes ſowohl als den des Widerſpruchs.

Indem ſich nun dieſer Widerſpruch im Schönen entbindet, ſo be - währt ſich, was in §. 50 geſagt iſt: dort war von der Incongruenz und dem Kampfe zwiſchen der Allgemeinheit und der Individualität zu - nächſt in dem Zuſammenhange die Rede, daß darzuthun war, warum dieſer Widerſpruch, wie er zunächſt abgeſehen vom Schönen vorkommt, kein Hinderniß des letzteren ſeyn könne; ſogleich aber wurde hinzugeſetzt,218 daß das Schöne ſogar aus ſeinem eigenen Intereſſe dieſes Schauſpiel hervorrufen werde. Dies tritt jetzt ein. Die Welt iſt die Einheit, welche nothwendig durch Entfaltung des Kampfes ihre Lebendigkeit bewährt. Aber jeder Einheits-Kreis wiederholt in ſich dieſelbe Natur der Einheit, ſich durch den Widerſpruch zu bewegen: ſo auch das Schöne. Es müßte, ſelbſt wenn die Welt, die es vorfindet und verklärt, als eine kampfloſe denkbar wäre, in ſeinem Kreiſe den Kampf ſeiner Elemente entfalten. Das Schöne iſt aber ein Spiegel der Welt und die Welt kämpft: der Spiegel wird aber nicht getrübt durch den Kampf, ſondern will und ſucht ihn zur Vollkommenheit ſeines Bildes. Der Unterſchied iſt: in der Welt iſt der Kampf in ſeinem unmittelbaren Auftreten Störung und nur der Ueberblick zeigt ihn als Verwirklichung des Guten; im Schönen iſt das Vollkommene von Anfang und an allen Punkten un - verlierbar in der Anſchauung und der Kampf iſt darum unmittelbar angeſchautes Wachsthum des Vollkommenen. In §. 59 u. 60 mußte dies zum voraus ausgeſprochen werden, um den Unterſchied des Schönen vom Guten zu entwickeln.

§. 83.

Das Bild iſt in ſeiner Einheit mit der Idee, worin das Schöne beſteht, zwar das eigene, von ihr untrennbare Gebilde der Idee, dennoch aber die unſelbſtändige Seite des Ganzen, da es von dieſer erſt ſo durchdrungen ſeyn muß, daß es ſich zum reinen Scheine und zur reinen Form aufhebt, wenn es ſeine Geltung haben ſoll (§. 54 u. 55). Soll daher die Einheit des Ganzen ſich als lebendiger Gegenſatz bethätigen, ſo muß die Entgegenſetzung zuerſt von der weſentlich ſelbſtändigen Seite ausgehen: die Idee reißt ſich aus der ruhigen Einheit, worin ſie mit dem Gebilde verſchmolzen war, los, greift über dieſes hinaus und hält ihm als dem Endlichen ihre Unendlichkeit entgegen. So ent - ſteht der erſte Widerſtreit im Schönen, das Erhabene.

Weiße und Ruge haben, wie auch hier wieder erinnert werden muß, die Phantaſie als die Urheberin des Schönen bereits in den all - gemeinen Begriff deſſelben aufgenommen. Man könnte nun uns, indem wir nicht denſelben Gang einſchlagen, zum Vorwurf machen, daß dies an gegenwärtiger Stelle eine Erſchleichung zur Folge habe: denn nicht die Idee im Gegenſtande ſey es, die an ſich allein ſchon ihn zur Schön - heit verkläre, ſondern die Phantaſie, die als eine zweite, geiſtige Natur in ihn eindringend aus ſeiner Idee heraus ihn noch einmal und reiner219 bilde und baue; auch das Erhabene entſtehe daher nicht ſchlechthin objectiv aus einem Uebergreifen der Idee, ſondern aus einem Uebergreifen der von ihr erfüllten Phantaſie und es ſey daher hier ſtatt zweier vereinigter Subjecte (Idee des Gegenſtands und Thätigkeit der Phantaſie) nur Eines geſetzt. Allerdings wird die Idee, welche über das Begrenzte übergreift, von Weiße folgerichtig ſogleich als das Bewußtſeyn des Allgemeinen gefaßt, welches der Phantaſie inwohnt, von Ruge, der, wie geſagt, niemals rein im Aeſthetiſchen bleibt, als der über ſeine Endlichkeit ſich erhebende Geiſt. Allein in Wahrheit kann auf dieſem Punkte kein Vorwurf gegen unſern Gang erhoben werden, der nicht ſchon der Lehre vom einfach Schönen ebenſo gelten müßte. Können wir rechtfertigen was freilich erſt in der weiteren Entwicklung möglich iſt , daß wir überhaupt nicht von der Phantaſie ausgegangen ſind, ſo iſt ebendadurch auch gerechtfertigt, daß das Erhabene nicht aus der Phantaſie erklärt wird. So viel aber läßt ſich ſchon hier zeigen: es kommt ganz auf das Gleiche hinaus, ob der Uebergang zum Erhabenen mit jenen vereinigten zwei oder mit unſerem Einen Subjecte gemacht wird. Habe ich die Idee im Gegenſtande allein vor mir und laſſe die mitgeſetzte Kraft des ſubjectiven Schaffens noch eingehüllt, oder habe ich die Phantaſie, erfüllt mit jener Idee: der Grund des Ueberganges vom Schönen zum Erhabenen als der erſten Form kämpfender Schönheit kann immer nur darin liegen, daß zuerſt die Idee (ſey ſie objectiv gemeint oder ſchon in das Subjective der Phantaſie ausdrücklich überſetzt) als die ſelbſtändige Seite übergreifen muß. Man erwäge nur, daß ja jedenfalls der Künſtler, wenn er Erhabenes ſchaffen will, den rechten Gegenſtand wählen muß, d. h. denjenigen, in welchem auch ohne ihn die Idee mächtig iſt über die Form. Daß nun alſo die Bewegung, welche den Gegenſatz und Widerſpruch im Schönen entwickelt, von der Idee zuerſt ausgehen muß, hat der gegenwärtige §. auf die ſchon nachgewieſene Unſelbſtändigkeit des, der Idee zwar untrennbar eigenen, ſinnlichen Gebildes begründet; der urſprüngliche Grund aber, warum zuerſt das rein Allgemeine ſein Uebergewicht gegenſätzlich geltend macht, iſt ein metaphyſiſcher und in der Aeſthetik vorauszuſetzen. Es liegt hier ein Weltact vor, der ſich in jedem Kreiſe, alſo auch im Schönen, wieder - holen muß. So iſt der Menſch vor dem Aufgang des Selbſtbewußtſeyns ununterſchiedene Einheit von Seele und Leib. Im Selbſtbewußtſeyn ge - ſchieht die Scheidung, wodurch das Ich ſich ſelbſt ſich entgegenſetzend ſich ſetzt. Das Entgegengeſetzte in dieſem Acte iſt dasſelbe wie das Ent -220 gegenſetzende, untrennbar Eines mit dieſem, aber doch die beſtimmbare und paſſive Seite: ich bezwinge mich, ich entſchließe mich u. ſ. w. Ebenſo iſt das Gebilde im Schönen untrennbar von der Idee, welche in ihm nur ſich ſelbſt darſtellt, aber es hat ſeine Geltung nur wie es von ihr getragen und durchleuchtet iſt; die Idee wächst nun über dieſes ihr Gefäß über und macht an ihm geltend, daß ſie mehr iſt als es, daß ſie unendlich iſt. Der unbeſtimmte Ausdruck: Unendlichkeit iſt abſichtlich gewählt, um den verſchiedenen Formen des Erhabenen Raum zu laſſen.

[221]

A. Das Erhabene.

§. 84.

Im Erhabenen erſcheint alſo das Bild durch das Ueberwachſen der Idee als dasjenige, was nicht die Idee iſt, oder das Erhabene iſt diejenige Form des Schönen, wo das ideelle Moment in negativem Verhältniß zum ſinnlichen ſteht. Wenn nun die Idee über die Grenze ihres Bildes übergreift, ſo ſcheint ſie ebendadurch in ihre reine Allgemeinheit zurückzukehren und zwar nicht nur in ihre Allgemeinheit als beſtimmte Idee, ſondern in die Allgemeinheit der abſoluten Idee, ſo daß das Leben nicht nur des Individuums dieſer Gattung, ſondern aller Individuen aller Gattungen als nichtig verſchwindet. Allein die Idee iſt nur in ihren Individuen und durch das Schöne wird ſie weſentlich in Einem Individuum als vollendet zur Erſcheinung gebracht. Daher iſt im Er - habenen das Eine Individuum zugleich als weſentliche Erſcheinung der Idee und zugleich als verſchwindend gegen ihre Allgemeinheit geſetzt: dies iſt ein Wider - ſpruch und dieſer Widerſpruch iſt das Erhabene.

Die ſcharfſinnige Analyſe des Erhabenen, welche Kant gegeben hat, mußte ungenügend bleiben, weil er die Idee nicht als objective Wahrheit, ſondern nur als ſubjective Macht und auch ſo nur in ab - ſtractem und punktuellem Sinne erkannte. Daher wirft er ſich ebenda, wo der Grund darzuſtellen war, in welchen das Endliche verſchwindet, auf die ſubjective Seite herüber und nennt die Unendlichkeit des ſubjectiven Geiſtes als dasjenige, welchem die Bewunderung eigentlich gelte, welches aber durch eine Subreption der Natur-Erſcheinung untergeſchoben werde. 222Dadurch ſchneidet er ſich auch den Weg ab, vom Erhabenen der Natur aufzuſteigen zum Erhabenen des Geiſtes, denn hier fällt die Subreption weg, die er doch für weſentlich hält; wiewohl er übrigens in der An - merkung nach §. 29 treffliche Winke über das Pathos einſtreut. Man darf ſeiner Darſtellung jedoch nur mit Wenigem nachhelfen, um den Begriff des Widerſpruchs, wie er im §. als Weſen des Erhabenen auf - geſtellt iſt, in ihr zu finden. Er weist (a. a. O. §. 26), indem er auch hier ſtatt der Philoſophie des Gegenſtands nur eine Kritik des ſubjectiven Actes gibt, nach, wie im Erhabenen die zwei Handlungen des Auffaſſens und des Zuſammenfaſſens in Widerſtreit gerathen, indem die erſte fortrückt und die zweite nicht mehr folgen kann, ſondern eben - ſoviel, als ihr auf der einen Seite zugezählt wird, von den zuerſt auf - gefaßten Theilvorſtellungen verliert. Es iſt ein Fortſchreiten und Zu - rückſinken zugleich, ein Halten und Verlieren und dieſe Bewegung hat ihren Grund im Gegenſtande, der in jedem Moment ſeine Grenze auf - zuheben im Begriff iſt und ſie doch feſthält, der in der Grenze über die Grenze hinausgeht. Wenn Kant den Ausdruck braucht, daß uns die Größe des Weltgebäudes alles Große in der Natur als klein, eigentlich aber unſere Einbildungskraft in ihrer Grenzen - loſigkeit als gegen die Ideen der Vernunft verſchwindend vorſtelle, ſo iſt hierin eben dies in’s Auge zu faſſen, daß hier eine Bewegung des Verſchwindens vorliegt, ein Verſchweben im Bleiben, ein Bleiben im Verſchweben. Dieſe Natur des Erhabenen hat Weiße auf ihr objectives Weſen zurückgeführt, indem er ſagt (Aeſth. §. 22), die Schönheit erſcheine im Erhabenen in der doppelten Eigenſchaft: einer - ſeits als Attribut der einzelnen endlichen Dinge, andererſeits des Geſammt - weſens aller Endlichkeit, wiefern dieſes Geſammtweſen jedes einzelne end - liche Ding nicht nur in das Daſeyn hervorruft, ſondern es auch wiederum verneint und in den allgemeinen Fluß aller Dinge zurücknimmt. Es iſt ein Begrenzen der Gegenſtände durch die Macht der Totalität und Allge - meinheit oder richtiger, wie es S. 155 heißt, ein Aufheben und Be - grenzen der Grenze oder ſo zu ſagen eine grenzloſe Grenze. Weiße überſieht nicht, daß die Grenze im Verſchwinden bleibt, da die Be - grenzung des Beſondern unmittelbar nicht durch das Allgemeine, ſondern ſtets wiederum durch Beſonderes erfolgt , er ſtellt nur nicht ausdrücklich genug hervor, daß dies ein Widerſpruch und dieſer Widerſpruch das Erhabene iſt. Das beſondere und einzelne Ding iſt das Daſeyn des Allgemeinen und Unbedingten nicht, wiefern es in ſeiner Einzelheit iſt,223 ſondern wiefern es nicht iſt ; hiezu ſollte in demſelben Zuſammenhange geſetzt ſeyn: wiefern es aber das Daſeyn des Allgemeinen in ſeiner Einzelheit dennoch ebenſoſehr zugleich iſt. Denn wir ſind im Schönen; hier iſt wirklich dieſes Einzelne weſentlich die Erſcheinung des Allge - meinen und bleibt ſie auch in der Geſtalt der Erhabenheit. Weiße aber geht, wie ſchon geſagt, auf dieſem Punkte über die äſthetiſche Sphäre ganz hinaus in eine tranſcendente Welt, als deren Bruchſtück nun das Erhabene die einzelne Erſcheinung hinſtelle. Das Wahre iſt vielmehr, daß die Idee, wenn ſie im Erhabenen über das Einzelne hinausweist, nicht in eine andere Welt, ſondern nur in ihre eigene hineinweist, in welcher ſie das Einzelne als ihr Individuum, d. h. als das Indi - viduum ihrer präſenten Gattung ebenſoſehr ſetzt als aufhebt. Die Idee bleibt ganz Präſenz, aber die einzelne Präſenz derſelben weist über ſich in die unendliche Präſenz hinein, in welcher aber mit allem Andern eben auch die einzelne vorliegende Präſenz obwohl aufgehoben, doch ebenſoſehr geſetzt iſt.

§. 85.

Die Bewegung des Erhabenen hat demnach ihren Grund zwar in dem1 qualitativen Verhältniſſe der Idee zum Bilde; allein es tritt nun ein neues Verhältniß des äſthetiſchen Gegenſtands ein, nämlich ein Verhältniß zu um - gebenden Gegenſtänden. Denn ſoll die Uebermacht der Idee in einem einzelnen Gegenſtande angeſchaut werden, ſo müſſen andere neben ihm ſtehen, in welchem Bild und Idee ſich im Gleichgewichte ruhiger Einheit befinden. Es macht ſich alſo jetzt ein Größenbegriff geltend, das Qualitative wird quantitativ und der Größenbegriff ſchließt ein Maßverhältniß in ſich, denn der erhabene Gegenſtand ſoll nicht blos als groß, ſondern als ſchlechthin oder über alle Vergleichung groß erſcheinen (Kant), und dies ſetzt ein meſſendes Vergleichen mit den um - gebenden Gegenſtänden voraus. Allein wenn in dieſem Verhältniſſe die in dem2 ſchlechthin groß erſcheinenden Gegenſtande wirkende Idee zwar alles Umgebende als ein gegen ihre Unendlichkeit Verſchwindendes hinter ſich läßt, ſo ſcheint doch jener Gegenſtand ſelbſt ein genügender Träger derſelben: ſie verhält ſich alſo negativ gegen einige, aber nicht gegen ihr eigenes Gebilde. Die Negation iſt erſt eine volle, wenn auch der Gegenſtand, der im jeweiligen Falle der erhabene Träger der Idee iſt, trotz ſeiner Größe gegen ſie verſchwindet. Innerhalb der allgemeinen Negativität des Erhabenen unterſcheiden ſich daher224 zwei Formen: eine poſitive und eine ſtärkere negative. Dieſen Dualiſmus im Erhabenen bemerkt zu haben iſt das Verdienſt des Engländers Burke.

1. Daß das Erhabene ſich als Quantität, im Gegenſatz gegen das Schöne als Qualität, beſtimme, hat ſchon Kant (a. a. O. §. 23) ausgeſprochen, von welchem (§. 25) auch die Worte des §. entnommen ſind, daß erhaben ſchlechthin oder über alle Vergleichung groß ſey, und nach ihm hat dies Weiße (Aeſth. §. 22) weiter geführt. Kants ſcharfſinnige nähere Entwicklung der Bedingungen, unter welchen ein Gegenſtand nicht nur als groß, ſondern als ſchlechthin groß erſcheint (§. 26 Von der Größenſchätzung der Naturdinge, die zur Idee des Erhabenen er - forderlich iſt ) wird im Verlaufe aufgefaßt werden.

2. Burkes Schrift iſt ſchon §. 36 angeführt. Er nennt die negative Form des Erhabenen Privation. 2. Th. 7. Abſch. Alle gänz - lichen Privationen ſind groß, weil ſie alle ſchrecklich ſind u. ſ. w. Er hat freilich nicht ſtreng genommen das Geſetz des Dualismus entdeckt, er bringt es nicht zu dieſem allgemeinen Ausdruck, und er überſieht das Poſitive im Negativen, wovon ſogleich die Rede wird, daher ſich Solger gegen ihn wendet (Aeſth. S. 87).

§. 86.

1

Der Gegenſatz dieſer beiden Formen iſt jedoch nur ein relativer. In beiden nämlich iſt die Negation nur eine Wirkung der poſitiven Thätigkeit der Idee, welche (nach Solger) als ein Act lebendiger Bewegung allem Erhabenen zu Grunde liegt, eine Bewegung, welche häufig, aber objectiv betrachtet keineswegs immer,2 ſich als ein plötzliches Hervorbrechen darſtellen muß. Die Negation ſelbſt aber iſt nur ſcheinbar in der erſten, poſitiven Form eine engere, als in der zweiten, negativen, denn ſie erſtreckt ſich näher betrachtet auch in jener nicht nur auf die Umgebung des erhabenen Gegenſtands, ſondern auch auf dieſen als einen ſinnlich begrenzten ſelbſt, indem es doch nur die Macht der in ihm thätigen Idee iſt, die ſeine Grenzen ausdehnt und zwar ſo weit, daß ſie am Ende der ausdehnen - den Macht nicht mehr folgen können, ſondern dies ihr Gefäß zerbricht, wo3 denn die im engeren Sinne negative Form eintritt. Der Ausfluß der Negation aus dem poſitiv Thätigen bleibt auch da in ſeiner Geltung, wo völlige Ruhe, eine Abweſenheit des Lebens, die jedoch gemäß dem Geſetze alles Schönen ſelbſt noch ſinnlich ſich darſtellen muß, in der erhabenen Erſcheinung herrſcht, denn in dieſer gibt ſich entweder eine vorhergegangene oder eine mögliche und bevor -225 ſtehende, noch in ſich zuſammengehaltene Kraftentwicklung zu erkennen, und beidemal wirkt dieſer Rückhalt doppelt ſtark durch die Unendlichkeit des Hinter - grunds.

1. Die Idee iſt das abſolut Thätige; wo daher das Gewicht auf ihrer Seite iſt, muß die ganze Erſcheinung weſentlich als ein Act der von der poſitiven Macht ausgehenden Bewegung ſich darſtellen. Solger hat vorzüglich dies Moment hervorgehoben (Aeſth. S. 86 ff.). Das Er - habene iſt das Schöne, inſofern wir darin die lebendige Thätigkeit der Idee finden Weil die Erſcheinung des Erhabenen als von der Idee ausgehend erkannt wird, ſo erſcheint es uns immer als Thätigkeit in der Form eines Actes, einer Wirkſamkeit. Muß dieſe Bewegung die Form eines plötzlichen Hervorbrechens haben? Iſt Ueberraſchung im Erhabenen weſentlich? Longin περὶ ἵψȣς Sect. I, 4 behauptet es zunächſt vom rhetoriſch Erhabenen, man kann aber überhaupt ſagen: wenn die Idee nur allmählich fortwächst und ebenſo allmählich die Er - ſcheinung mit ſich emporhebt, ſo wird niemals das negative Verhältniß jener zu dieſer ganz einleuchtend. Einmal muß es reißen und einleuchten, daß alles Endliche unzulänglich iſt. Die Frage iſt intereſſant, weil ſie parallel wiederkehrt im Begriffe des Komiſchen, ſie kann aber ganz beantwortet werden, erſt wenn von dem ſubjectiven Eindrucke die Rede ſeyn wird. Objectiv nämlich iſt der plötzliche Stoß nicht nothwendig; ja es wird z. B. Niemand eine Rede erhaben nennen, welche nur durch das Mittel der Ueberraſchung und nicht ebenſo durch ruhige Würde wirkt. Allein der Zuhörer fühlt es der Würde an, daß ſie als eine Negation des Gemeinen mit dieſem nicht nur gebrochen hat, ſondern, wenn dieſer Bruch in der Geſinnung des Redners auch die Frucht allmählicher Bildung war, doch mit dem Gemeinen, das ihm von außen kommt, jeden Au - genblick bereit iſt, plötzlich und gewaltſam zu brechen. So ahnt der Zuſchauer überhaupt auch im allmählichen Aufſchwung und in der völligen Ruhe wenn nicht einen vorhergegangenen, einen ſtets möglichen Bruch und es liegt daher in dem Eindruck alles Erhabenen, wenn nicht ein wirklicher, doch ein imaginirter oder anticipirter Schrecken. Man ſieht aber, daß dieſe Frage ſchon zu N. 2 und 3 im §. führt.

2. Daß beide Formen negativ ſind durch Poſition (der Idee), leuchtet ein. Es ſind aber auch beide poſitiv nur durch Negation (des Bildes). Ein Gebirge z. B., neben welchem alles Umliegende ſich als unendlich klein darſtellt, ſcheint für ſich poſitiv erhaben. Allein in WahrheitViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 15226iſt das Materielle an dieſem Gebirge in negativem Verhältniſſe zu der Kraft, welche dieſe Maſſen emporgeworfen hat: die Naturkraft ſelbſt, welche unendlich mehr iſt auch als dieſes Gebirge, hat das ungeheure Gewicht, als wäre es ohne Schwere, übereinander gethürmt. Der große Menſch ſcheint die Macht der einzelnen Perſönlichkeit in ſich darzuſtellen, allein er ſtellt mehr dar: die Macht aller Perſönlichkeit. In der zweiten, ausdrücklich negativen Form, kommt dies Negative nur vollends zum Vorſchein, welches ſchon in der erſten liegt: ein Schritt weiter und das Gefäß kann die ausfüllende Kraft nicht mehr ertragen, es birſt; es bat ſich weiter und weiter gedehnt und nun, da es reißt, ſehen wir, daß ſchon vorher die ausfüllende Kraft unendlich mehr war, als das Gefäß. Vorher ſchien ein Bund noch möglich ohne Bruch, jetzt leuchtet ein, daß aller Bund zugleich Bruch iſt. Dieß iſt die Ironie im poſitiv Erhabenen, ein Begriff, der jedoch erſt im Tragiſchen ſo beſtimmt hervortritt, daß er ausdrücklich aufzufaſſen iſt.

3. Solger (a. a. S. 87): Negative Dinge, wie Burke meinte, können nicht erhaben ſeyn; wohl aber ein Concentriren der Kraft in einen Punkt, worin ſich die Kraft als in einer Entwicklung begriffen zeigt. Daher kann allerdings die Kürze in der Poeſie erhaben ſeyn, nicht aber wegen des Negativen, ſondern wegen des Concentrirens der Kraft; ebenſo das Schweigen wegen der nicht entwickelten Kraft. Die Negation hat freilich ihren Grund in der Poſition der Kraft, aber ſie wiegt vor in allen denjenigen erhabenen Erſcheinungen, die ſich als Ruhe, höchſte Kürze, Stille, Tod darſtellen; denn es iſt doch etwas Anderes, ob ich eine Thätigkeit der Idee ſehe, welche unmittelbar nicht zerſtörend erſcheint, und eine ſolche, welche die Zerſtörung nur eben in’s Werk ſetzt, aber noch nicht vollendet hat, oder aber eine ſolche, welche völlig zerſtörend oder überhaupt aufhebend gewirkt hat oder zu wirken ſich die Miene gibt. Beide letzteren Formen nämlich können eintreten: die Kraft hat zerſtört (Leiche, Ruhe und Stille eines Schlachtfeldes), oder ſie kann zerſtören, wird es (Stille vor einem Gewitter); ſie kann ſich freilich auch zurückhalten, ſie wird dann nichts Gewaltſames wirken, aber eben, weil ſie ſelbſt ſich nicht geſtattet, ſich auszudehnen, und ſo einen Theil ihrer Erſcheinung ganz unterdrückt: lauter Wirkungen, welche ſich nur als Negation bezeichnen laſſen. Wie aber die Idee als Poſition immer Thätigkeit und Bewegung iſt, ſo natürlich auch in dieſen Formen und zwar, weil, was ſich verborgen hält, von der Phantaſie zu einem Unendlichen erhoben wird, eine doppelt ſtarke. Uebrigens geht aus227 dem allgemeinen Geſetze des Schönen von ſelbſt hervor, daß auch die Zerſtörung alles Lebens ſelbſt wieder im ſinnlichen Bilde erſcheinen muß (Leichnam, Sarg u. ſ. w.).

§. 87.

Das Schöne iſt reine Form (§. 55). Die reine Form iſt weſentlich1 zugleich ein, zwar im Abſtracten nicht zu beſtimmendes (§. 55, 3), für jede Sphäre des Lebens aber aus ihrer Qualität ſtreng hervorgehendes und genau begrenztes Maß der Verhältniſſe des Gebildes. Dieſes Maß überſchreitet das Erhabene, und zwar in’s Unendliche, zugleich aber muß es gemäß der Beſtim - mung ſeines Weſens als Widerſpruch (§. 84) die Form oder das begrenzte Maß feſthalten. Die Form als Grenze muß zugleich bleiben und in’s Un - gewiſſe verſchwimmen; das Erhabene iſt in Einem geformt und formlos. Dieſe2 widerſprechende Beſtimmtheit ſtellt ſich in der erhabenen Erſcheinung entweder dadurch dar, daß ſie in die Form theilweiſe einlenkt und theilweiſe von ihr ſo abweicht, daß der Schein einer unendlich fortfließenden Abweichung entſteht, oder ſo, daß die Form im Ganzen zwar feſtgehalten, aber ſo erweitert iſt, daß die untergeordneten Einzeltheile verſchwinden. Im letzteren Fall wäre der Gegenſtand ſchön, wenn nicht der Abſtand der Umgebung wäre. Ueberhaupt, da das Erhabene ein Verhältnißbegriff iſt, ſo zieht es dadurch Vieles in ſeinen Kreis, was ohne den Abſtand unter eine andere Kategorie fiele. In beiden Fällen aber iſt der Gegenſtand dunkel und Dunkel iſt Merkmal aller Er - habenheit (Burke).

1. Schon Kant hat das Erhabene, wiewohl nicht ſtreng, als ein Formloſes beſtimmt (a. a. O. §. 23): das Schöne der Natur betrifft die Form des Gegenſtands, die in der Begrenzung beſteht; das Erhabene iſt dagegen auch an einem formloſen Gegenſtande zu finden, ſofern Un - begrenztheit an ihm oder durch deſſen Veranlaſſung vorgeſtellt und doch Totalität derſelben hinzugedacht wird. Dieſes auch hätte Kant weg - gelaſſen, wenn er die zwei Formen unterſchieden hätte, auf die unſer §. aufmerkſam macht; er mochte z. B. an erhabene Statuen denken, welche doch die reine Grenze der menſchlichen Proportion nicht verlaſſen. Weiße (Aeſth. §. 22) hebt die Geſtaltloſigkeit als weſentliche Beſtimmung alles Erhabenen hervor und definirt ſie als ein Hinausgehen der endlichen Erſcheinung über diejenigen Verhältniſſe, innerhalb deren als beſonderer und einzelner ihre eigenthümliche Schönheit beſchloſſen iſt ; überhaupt15*228geht er davon aus, daß im Erhabenen die Irrationalität, welche die Maßbeſtimmungen des Schönen ſo durchdringt, daß ſie in keine Formel gefaßt werden können, ſich entbinde (§. 21), er geräth aber in’s Mira - culöſe, wenn er ſofort am organiſchen Körper dieſes Hinausgehen in Bewegungen findet, die organiſch unmöglich ſind, wie Schweben, Fliegen menſchlicher Geſtalten u. dergl. Dies gehört in die Geſchichte der Phantaſie und Kunſt als Zug des Verhaltens eines beſtimmten Ideals zum Naturgeſetze. Der Grund ſitzt aber bei Weiße tiefer, er denkt an einen Einbruch einer zweiten, jenſeitigen Welt, einer Wunderwelt in die jetzige, ſonſt hätte ihn die Beobachtung der erſten von den zwei Formen, die unſer §. ſofort unterſcheidet, derjenigen nämlich, wo alle Regel - mäßigkeit der Geſtalt durchbrochen erſcheint, nicht zu ſolchen Wunderlich - keiten geführt. Davon ſogleich mehr; zunächſt iſt überhaupt feſtzuhalten, daß die Formloſigkeit nicht ſchlechthin aus der Form ausweichen darf. Dies folgt aus dem durch §. 84 im Erhabenen aufgewieſenen Weſen des Widerſpruchs. Reine Formloſigkeit iſt gleich Null; die Idee iſt das Formſetzende, daher freilich mehr, als das Geſetzte, und als dieſes Mehr kommt ſie im Erhabenen zum Vorſchein, allein nur indem ſie die Form ſetzt, kann ſie ſich zugleich darſtellen als das Prinzip, das als Urheber der Form auch über ſie hinausgeht. Die Form wird im Er - habenen zugleich geſetzt und aufgehoben.

2. Dies nun kann alſo auf doppelte Weiſe geſchehen. Entweder werden die natürlichen Formverhältniſſe des Gegenſtands theilweiſe feſt - gehalten, theilweiſe aufgehoben. Man ſtelle ſich z. B. einen Berg vor, der nicht die reine und ſchöne Linie des Veſuv hat, ſondern von der koniſchen Bergform in ſchroffen Linien theilweiſe abweicht. Dieſe ab - ſpringenden Formen reiſſen die Phantaſie aus dem erwarteten Zuſammen - hang der ihr geläufigen Grundform des Berges heraus, dieſe kecke Un - regelmäßigkeit kündigt eine Maſſenthürmende Urgewalt an, die fähig wäre, in’s Unendliche fortzuthürmen, und für die Phantaſie wächst daher die abſpringende Linie in’s Unendliche fort. Allein ſobald dies wirklich der letzte Eindruck wäre, ſo entſtünde ſtatt des Erhabenen ein Langweiliges, wie denn z. B. das offene Meer langweilig wird bei Windſtille und nur der Gegenſatz begrenzender Ufer oder der Wechſel der Wellen ſeiner Linie den Reiz der Erhabenheit gibt; vielmehr die abſpringende Linie kehrt zur regelmäßigen (z. B. zur geläufigen Berg - form) zurück und der Total-Eindruck iſt der einer zugleich Form ſetzenden, aber weil frei ſetzenden, auch überflügelnden Urkraft. Ebenſo der Geiſt229 des großen Mannes; eine oder die andere Grundkraft hebt ſich aus dem Kreiſe der perſönlichen Kräfte heraus, wir ſchwindeln vor dem Unerſchöpflichen, das jede gegebene Form hinter ſich läßt und die Grenzen des Individuums zur Gattung zu erweitern ſcheint. Allein das Individuum bleibt Individuum, kehrt zur Begrenztheit und ſelbſt Bedürftigkeit zurück und nun erſt, wenn wir ausrufen können: ſo klein und doch ſo groß! iſt der Eindruck des Erhabenen vollendet. Da - gegen ſtellt ſich ein anderes Verhältniß dar, wenn die Form als Grenze eines Gegenſtands, wie ſie aus ſeiner Gattung fließt, eingehalten, aber in dieſer Einhaltung überall erweitert iſt. Man denke an die weiche Linie des Veſuv, der doch als Ganzes erhaben iſt, an eine nicht rohe, ſondern rein künſtleriſch ausgeführte Colloſſalſtatue, an eine große Perſönlichkeit, welche überall Maß in ihrem Thun beobachtet. Die Erweiterung allein macht hier, wie Weiße richtig bemerkt, noch nicht das Erhabene, wohl aber die Erweiterung zuſammenwirkend mit ihrer nothwendigen Folge, daß die untergeordneten Einzeltheile verſchwinden. Die Kunſt, um ſie vor - läufig als Beiſpiel zu erwähnen, bewerkſtelligt dies durch die Art der Behandlung; ſie läßt ſich z. B. als hoher Styl der Plaſtik nicht ſo tief in die Einzelheiten der Muskulatur, der Adern u. ſ. w. ein, ſondern hebt mit keckem Meißel nur das Weſentliche hervor. Abgeſehen aber von der Kunſt bewerkſtelligt dies unſer Auge und unſere Beobachtung über - haupt, welche, wo die Umriſſe des Ganzen ſehr weit gezogen ſind, das untergeordnete Einzelne nicht mehr aufzufaſſen vermögen. Es erhellt jedoch, daß das Erhabene dieſer Art immer noch als ein Schönes erſcheinen würde, wenn nicht der Abſtand von den Umgebungen wäre, der als ein unendlicher erſcheint. Dies iſt ein durchaus weſentlicher Punkt. Auch eine Kraftäußerung z. B. kann an ſich immer noch ſo mild ſeyn, daß ſie nicht erhaben hieße, wenn nicht ihr Verhältniß zu andern ungleich ge - ringern Kraft-Aeußerungen das, was Kraft in ihr iſt, in den Vorder - grund ſtellte und zwar als unendliche Kraft. Uebrigens erhellt, daß die ſchroffere Art dem negativ Erhabenen näher ſteht, als die mildere; es wird ſich hieran ein Unterſchied der Ideale hängen, zu deſſen Er - zeugung ſchon die umgebende ſchroffere oder mildere Natur mitwirkt.

Dieſer Widerſpruch in der Form bei beiden Arten iſt dunkel zu nennen, und alles Erhabene iſt daher dunkel. Wie ſehr beide von ſinnlichem Dunkel oder Helldunkel unterſtützt werden, ſo daß ſelbſt ein an ſich nicht erhabener Gegenſtand durch das Verſchwimmen der Umriſſe und der Einzeltheile erhaben wird, davon nachher an ſeinem Orte. Das230 Dunkel gilt allerdings zunächſt den Sinnen. Nichts duldet das Erhabene weniger, als ein mikroskopiſches Sehen und Behandeln. Es gilt ferner dem Verſtande, ſofern er in dem äſthetiſchen Sehen und Darſtellen implicite mitbetheiligt nichts mehr zu ſcheuen hat, als Motiviren in’s Kleine, wo es Erhabenheit gilt. Für Kammerdiener gibt es keine Helden. Eine Fülle der fruchtbarſten Sätze für die Kunſt folgt hieraus. Die idealiſirende Kraft der Zeitferne und des Todes (vergl. §. 54, Anm.) iſt hier noch ungleich wichtiger als im Schönen. Nicht aber der Vernunft gilt das Dunkel, wie ſie nämlich in der Form des äſthetiſchen Organs auftritt.

Burke iſt es, der auch dieſes Moment des Erhabenen zuerſt be - merkt hat (a. a. O. Th. 2, Abſchn. 12. ff. Th. 4, Abſchn. 14. ff.). Er begründet nicht allgemein, bleibt im Phyſiologiſchen, gibt aber treff - liche Winke und Beiſpiele. Paſſend angeführt iſt namentlich die Stelle aus dem Buche Hiob: im Traume des Geſichts in der Nacht, wenn der Schlaf auf die Leute fällt, da kam mich Furcht und Zittern an und alle meine Gebeine erſchracken. Und da der Geiſt vor mir über ging, ſtunden mir die Haare zu Berge an meinem Leibe. Da ſtund ein Bild vor meinen Augen und ich kannte ſeine Geſtalt nicht, es war ſtille, und ich hörete eine Stimme: wie mag ein Menſch gerechter ſeyn als Gott?

§. 88.

Der Stufengang der Idee, welcher in der Lehre vom Schönen (§. 17 ff. ) nur anzudeuten war, ſondert ſich im Erhabenen beſtimmter nach den Haupt - ſtufen, weil die Frage entſteht, ob auf gewiſſen Stufen überhaupt dieſe gegen - ſätzliche Geſtalt der Schönheit möglich ſey, und weil die Unterſchiede dieſer Stufen auch einen weſentlichen Unterſchied der Formen des Erhabenen begründen. Dadurch wird jedoch das Gebiet des abſtracten Begriffs der Schönheit nicht überſchritten, da es ſich nur um die allgemeinen Kategorien, nicht um die be - ſtimmten Wirklichkeiten dieſer Sphären handelt und die Frage nach demjenigen Acte, wodurch das Schöne eigentlich realiſirt wird (§. 53), noch ganz ausge - ſchloſſen bleibt.

In der Lehre von der Schönheit konnte die Frage gar nicht auf - geworfen werden, ob eine ſinnliche und eine geiſtige Schönheit zu unter - ſcheiden ſey; eine bloſe Andeutung des Stufengangs der ſich verwirk -231 lichenden Idee reichte hin, zu zeigen, daß alles Schöne ſowohl ſinnlich als geiſtig, daß aber allerdings ein Stufen-Unterſchied der Begeiſtung ſey. Im Erhabenen aber tritt ein negatives Verhältniß beider Momente ein; jetzt fragt es ſich, ob die zum Erhabenen geforderte Selbſtändigkeit der Idee da vorhanden ſey, wo die Idee in dem Außerſichſeyn des Raums und der Zeit verloren iſt oder nur erſt als Selbſtgefühl in ſich zurück - ſcheint. In dieſer Sphäre der Idee entſteht die Frage, ob nicht dem Gegenſtande vom Subject erſt ſo viel zu leihen ſey, daß er in Wahrheit gar kein Gegenſtand iſt, und wenn er es doch ſeyn ſoll, ſo entſteht jeden - falls ein ſehr ſcharfer Unterſchied von Formen des Erhabenen. Wenn daher nun ein Erhabenes der Natur und des Geiſtes wohl zu unterſcheiden iſt, ſo wird jedoch dadurch der für den zweiten Theil beſtimmten Lehre vom Naturſchönen nicht vorgegriffen. Das Syſtem bleibt, wie ſich zeigen wird, durch die nun folgenden Kategorien ganz im Allgemeinen, die Frage nach dem Gegenſatz von Natur oder ſubjectiver künſtleriſcher Thätig - keit noch ganz ausgeſchloſſen (vergl. §. 17, 1); die Beiſpiele jedoch können natürlich aus jeder Exiſtenzform der wirklichen Schönheit be - liebig gewählt werden. Um jedoch ein Mißverſtändniß zu vermeiden, iſt dem Ausdruck: Natur ein anderer, aus weiteren Gründen ohnedies paſſenderer vorzuziehen.

a. Das objectiv Erhabene.

§. 89.

Die Eintheilung ſtellt nach dem Geſetze alles Denkens und Seyns die Form des Unmittelbaren oder Vorgefundenen als die erſte, objective Form auf. Das Vorgefundene iſt ein Solches, welches der als Selbſtbewußtſeyn verwirk - lichten Idee (§. 19) von außen begegnet und daher der Sphäre der Idee als unbewußten Wirkens angehört. Da nun die das Weſen des Erhabenen be - gründende Negation erſt durch die Scheidung des Selbſtbewußtſeyns wahrhaft ein - tritt, ſo ſcheint der Geiſt im Subjecte dem Object aus ſeinem Eigenen ſo viel leihen zu müſſen, daß dadurch dieſes als ſolches aufgehoben wird. Allein es bleibt ein weſentlicher Unterſchied, ob das Subject das Erhabene da anſchaut, wo dieſe Leihung nöthig iſt, oder da, wo ſie nicht nöthig iſt, und die Kate -232 gorien der Objectivität, welcher geliehen wird, bilden allerdings den beſtim - menden Unterſchied. Es iſt alſo der vorhandene Schein, als ob ein Erhabenes außer dem ſelbſtbewußten Geiſte ſey, zuerſt einfach feſtzuhalten.

Es ſcheint auffallend, daß gerade Kant, der es ausdrücklich aus - ſpricht, daß die Natur zwar extenſive, aber nicht intenſive Unendlichkeit mit ſich führe, daß alſo die wahre Erhabenheit nur im Gemüthe des Urtheilenden , nicht im Naturobjecte geſucht werden müſſe, die Er - habenheit dennoch auf die Natur, ja ſogar die unorganiſche rohe Natur mit Nachdruck beſchränkt (a. a. O. §. 26). Als Grund, warum er die organiſche Natur ausſchließt, gibt er an, daß deren Begriff ſchon einen beſtimmten Zweck bei ſich führe, ( z. B. Thiere von bekannter Naturbeſtimmung ). Hier nämlich, meint er, würde ſtatt des Erhabenen das Ungeheure entſtehen, weil der Zweck des Ganzen, der nur mit einem gewiſſen Maße der Größe vereinbar iſt, vernichtet würde. Alſo hat ihn wieder die Kategorie der Zweckmäßigkeit verwirrt. Die Frage aber, ob denn nicht das Erhabene des Geiſtes, ſinnlich erſcheinend, eine eigene und höhere Form des Erhabenen begründen müſſe, wirft er gar nicht auf. Der geheime Grund davon iſt offenbar, daß hier ſeine pſychologiſche Theorie von der Subreption, wovon nachher zu ſprechen iſt, nicht an - zubringen geweſen wäre; und dies mag ihm als tieferer Grund auch bei der Ausſchließung der organiſchen Natur ſchon vorgeſchwebt haben, denn hier iſt zwar ein Leihen noch nöthig, aber in ungleich minderem Grade. Die neuere Aeſthetik nun hat den Satz gerade umgekehrt. Ruge ent - wickelt das Erhabene unmittelbar als den aus ſeiner Verſunkenheit ſich erhebenden Geiſt und nun hebt er an Kant rühmend hervor, daß nach ihm die Erhabenheit wahres Eigenthum des Geiſtes ſey (a. a. O. S. 73), und tadelt Schiller und Jean Paul, daß ſie das Uebergroße und Uebermächtige da draußen erhaben nennen . Die ſogenannten erhabenen Erſcheinungen der Natur gelten ihm daher nur für ein Gleichniß der wahren Befreiung und der wahren Unendlichkeit, wie ſie der Geiſt erreicht. Darauf antwortet unſer §. Gleichniß klingt ganz allegoriſch. Der Geiſt legt ein Gefühl ſeiner Unendlichkeit in die Erſcheinungen der Natur, aber es iſt eben ein Unterſchied, ob er ſie da hineinlegt oder ob er ſie dort findet, wo ſie in adäquater Form iſt, und um ſie dort hinein - zulegen, dazu treibt ihn ein Inſtinct, der guten Grund hat und tiefer liegt, als ein Vergleichen, ein Inſtinct des Geiſtes, der ihm zuflüſtert, daß er in ſeiner dunkeln Wurzel ſelbſt Natur iſt.

233
§. 90.

Alle Erhabenheit iſt, mit dem Schönen verglichen, quantitativ. Allein es iſt ein Unterſchied, ob die Quantität ſchlechtweg oder ob die Qualität der in ihrem Größen-Verhältniſſe verglichenen Gegenſtände das Beſtimmende iſt. Es folgt zwar allerdings aus dem Weſen des Schönen (§. 16), daß nicht die abſtracte Kategorie der Ausdehnung, ſondern nur das Ausgedehnte von äſthe - tiſcher Wirkung ſeyn kann; allein ſobald die Qualität als ſolche in der äſthe - tiſchen Erſcheinung ſich geltend macht, ſo entſteht eine andere Form der Er - habenheit; die erſte und unmittelbarſte aber iſt die im engeren Sinn quantitative Erhabenheit, wobei die Qualität nur beiläufig mitwirkt.

Weiße (Aeſth. §. 22) behauptet, ein großer ſinnlicher Gegenſtand ſey als ſolcher noch nicht erhaben, er müſſe zugleich ſchön ſeyn. Ruge (a. a. O. S. 75 ff. ) nimmt dies auf, verbindet es mit ſeiner Anſicht, die das Erhabene der Natur blos als Gleichniß geiſtiger Erhebung gelten läßt, und verlangt insbeſondere Schönheit des Tags - und Farbenlichts zur Größe; er erinnert an die Gletſchergebirge, welche vorzüglich durch die ſtrahlende Reinheit der Farbe wirken u. ſ. w. Dies nun iſt jedenfalls zu viel geſagt, daß der große Gegenſtand zugleich förmlich ſchön, z. B. durch ſeine Farbe, ſeyn müſſe. In der Farbe kann er auch trübe ſeyn; das unendliche Meer wirkt erhaben nicht nur in ſchönem Farbenſpiele. Die Frage entſcheidet ſich durch §. 87; der Gegenſtand kann in der einen oder andern der dort unterſchiedenen Bedeutungen zwiſchen Geſtalt und Geſtaltloſigkeit ſchweben, was ſelbſt Weiße zugibt, ja verlangt. Er kann ſelbſt häßlich ſeyn und wir werden in Bälde zeigen, daß das Häß - liche ſchon im Erhabenen aufzuführen iſt, nur gehört dies hieher noch nicht. Wie er aber qualitativ beſtimmt ſeyn mag, die Frage iſt hier dieſe: was iſt das eigentlich Beſtimmende in der äſthetiſchen Wirkung? Was das nur Mitbeſtimmende? Läßt ſich nachweiſen, daß es die Aus - dehnung iſt, die auf das Gefühl unendlich erweiternd wirkt, ſo iſt die Beſchaffenheit deſſen, was ſich ausdehnt, zwar nicht gleichgültig und bringt mancherlei Modificationen der Empfindung hervor, aber es bleibt dabei, daß die Ausdehnung das beſtimmende Grundgefühl wirkt, und dies reicht hin, eine beſondere Eintheilung zu begründen. Daß dabei unter der Decke ſchon ein anderes Beſtimmendes ſpielt, das ſich alsbald auch geltend macht und zu einer neuen Sphäre führt, werden wir aufzeigen;234 allein daraus folgt nur eine Nothwendigkeit, zu einer andern Sphäre der Eintheilung fortzuſchreiten, nicht die Aufhebung der erſten.

α. Das Erhabene des Raums.
§. 91.
1

Die nächſte und einfachſte Form wie des Seyns überhaupt, ſo auch des quantitativ Erhabenen iſt die Form des Außer - und Uebeneinanderſeyns durch die gegenſeitige Ausſchließung der Körper: der Raum. Das Erhabene des2 Raums iſt (§. 85) entweder poſitiv oder negativ. Das poſitive entſteht zunächſt, wenn ein Gegenſtand zu ſeinen Umgebungen in einem ſolchen Verhältniß der Größe ſteht, daß er ſich in’s Unendliche auszudehnen ſcheint. Damit dieſer Schein ſich erzeuge, wird erfordert, nicht nur daß umgebende Gegenſtände einen Maßſtab an die Hand geben, ſondern auch, daß eine gewiſſe gleichmäßig fort - laufende Wiederholung nicht allzuſcharfer Abſtiche auf der Oberfläche den Zuſchauer in die Illuſion verſetze, als habe ihre Fortſetzung gar kein Ende. Bald ruhig3 erhebend, bald drohend wirkt die Höhe, unruhig und erſchütternd die Tiefe, erweiternd und Sehnſucht erregend die Breite.

1. Kant unterſcheidet ein mathematiſch - und ein dynamiſch Erhabenes der Natur, Schiller wendet dieſelbe Eintheilung ſubjectiv: was unſere Faſſungskraft überſteigt und was unſerer Lebenskraft droht (Ueber das Er - habene); Jean Paul (Vorſchule der Aeſthetik B. 1, §. 27) ſucht ſtatt deſſen die Eintheilung des Erhabenen der Natur in ein optiſch und ein akuſtiſch Erhabenes einzuführen. Davon nachher. Es iſt nachzuholen, daß der Letztere zuerſt den Gedanken hatte, die ſittliche oder handelnde Erhabenheit als beſondere Form aufzuſtellen. Zwiſchen dieſe Form und das Erhabene der Natur ſtellt er aber ganz ungehörig das Erhabene der Unermeßlichkeit und Gottheit: dies iſt vielmehr das Letzte und Ganze, denn alles Erhabene iſt unermeßlich und in dieſem Sinne göttlich. Wir unterſcheiden im Quantitativen zunächſt die Ausdehnung des Raums und der Zeit; die zweite dieſer Formen führt zum Erhabenen der Kraft, welches in der Quantität die Qualität zu gleicher Bedeutung erhoben in ſich trägt, und ſo mag die dreifache Eintheilung, da die Erhabenheit der Zeit ſchon aus der bloſen Quantität heraus und die Erhabenheit der235 Kraft an die Schwelle der eigentlich qualitativen (geiſtigen) Erhabenheit führt, ihr Recht behaupten.

2. Zunächſt . Es iſt im folg. §. noch eine andere Form der poſi - tiven Erhabenheit des Raums aufzuführen. Die Bedingung der Er - habenheit eines Gegenſtands iſt zuerſt, daß er ungleich größer ſey, als die umgebenden, ſey es ſeiner oder einer andern Gattung angehörigen; denn gemeſſen muß werden, wenn überhaupt etwas als groß beſtimmt werden ſoll. Allein ſo erhalten wir nur eine relative Größe, das Erhabene fordert aber den Eindruck einer unendlichen. Hier tritt eine weitere, den Gegen - ſtand ſelbſt betreffende Bedingung ein, welche ſchon Burke (a. a. O. Th. 4, Abſchn. 9 14) ſcharfſinnig, jedoch mit einſeitig phyſiologiſcher und empiriſcher Begründung entwickelt hat. Kant (a. a. O. §. 26) geht wiſſenſchaftlicher zu Werke, ohne in der Ausführung ſo vollſtändig zu ſeyn als Burke. Jean Paul (a. a. O. §. 27) ergänzt ihn und vollendet den Begriff. Die Sache iſt dieſe: der Gegenſtand ſelbſt, neben dem die umgebenden unendlich klein erſcheinen ſollen, muß gemeſſen werden; aber alles Maß muß ſich als unzureichend erweiſen, d. h. es muß eine Aufforderung gegeben ſeyn, in’s Unendliche fortzumeſſen. Zu dieſem Meſſen ſind, wie Kant aufzeigt, zwei Handlungen nöthig: Auf - faſſung und Zuſammenfaſſung. Die Auffaſſung nun muß ſo lange fort - rücken, daß die Zuſammenfaſſung nicht mehr folgen kann, ſondern, in - dem immer neu aufgefaßte Theilvorſtellungen ſich anſetzen, die vorher - gehenden in demſelben Grade erlöſchen, wodurch der Verſuch der Zu - ſammenfaſſung auf der einen Seite ebenſoviel verliert, als er auf der andern gewinnt. Dadurch nun verliert die Phantaſie den feſten Boden, ſie geräth in’s Schweben und ſetzt im Schwindel dieſen Widerſpruch des Auffaſſens und Zuſammenfaſſens in’s Unbeſtimmte fort, obwohl der Gegenſtand an ſich wirklich eine Grenze hat und die Auffaſſung daher eigentlich allerdings ihr Ende findet. So erſcheint denn der Gegenſtand als unendlich groß, er ſteigt und wächst fort, wir wiſſen nicht wohin, und wir glauben im Begrenzten das alle Grenze Setzende und allen Raum Füllende zu ſehen. Kommt nun noch einiges Dunkel dazu, wo - durch die vorhandene Grenze ſich in einen Schleier verhüllt, ſo findet auch die Auffaſſung in Wirklichkeit ihr Ende nicht und nur das abſtracte Wiſſen, daß in Wahrheit Alles eine Grenze hat, das aber im äſtheti - ſchen Gebiete als ſolches überhaupt nicht in Kraft iſt, bleibt als leicht beſiegtes Hinderniß der Täuſchung zurück. Demgemäß muß der Körper des Gegenſtands folgende Eigenſchaften haben: es müſſen ſich Einſchnitte,236 Abtheilungen an ihm zeigen, Wellen auf der Meeresfläche, Senkungen, Hebungen, brüchige Stellen u. dergl. auf einer Erdfläche, Fugen der Bauſteine, Stockwerke, Frieſe, Geſimſe, Ornamente u. dergl. an einem Gebäude; ſonſt mißt das Auge überhaupt nicht. Dieſe Einſchnitte aber dürfen nicht ſtark ſeyn, nicht grell (z. B. durch Farbe) von einander ab - ſtechen und müſſen ſich in langer Folge wiederholen. Sind ſie zu ſtark, ſo fängt das Auge mit jedem neuen Einſchnitt einen neuen Gegenſtand an, ſtechen ſie grell von einander ab, ſo iſt dasſelbe der Fall; doch iſt nicht völlige Einfärbigkeit nöthig, wie J. Paul behauptet. Vergl. was Kant nach Savary von den Pyramiden ſagt. Warum erſcheint die Peterskirche kleiner, als ſie iſt?

Hier iſt nun bereits der Ort, wo ſich bemerklich macht, daß im blos Quantitativen ſchon Tieferes mitſpielt. J. Paul ſagt: weder die Mitte, noch die Spitze der Pyramide iſt erhaben, ſondern die Bahn des Blicks. Alſo die Bewegung; aber nicht nur die Bewegung des Sehens und die damit gegebene Bewegung des inneren Vorſtellens, ſondern dies an dieſem Vorſtellen, daß der Gegenſtand ſelbſt ſich zu bewegen ſcheint. Auch war es ja einmal wirkliche Bewegung, wodurch Berge, Thürme entſtanden ſind; der Sehende ſchafft ſie neu, die Linien fließen und in ihnen die weltbauende Kraft: alſo liegt ſchon das Erhabene der Kraft zu Grunde. Die Phantaſie ſieht das Urgewäſſer ſtrömen, hört es toſen, das dieſen Berg zurückgelaſſen, ſieht das Feuer jenen emporſchleudern. Allein dies liegt auch nur zu Grunde; das Beſtim - mende bleibt, daß die Kraft dieſe Berge ſo hoch thürmen, jene Fläche ſo weit dehnen konnte u. ſ. w.

3. Beiſpiele zur Wirkung der Dimenſionen ſ. in der Schr. Ueber das Erhabene und Komiſche S. 55 58. Es wird hier noch klarer, daß Qualitatives mit einwirkt: die in ihren Umriſſen ſchöne Höhe er - hebt, die formloſere und überhängende droht; in beiden wird die Kraft anders vorgeſtellt, die ſie hervorbrachte, dort edel, hier wild; Tiefe erregt die Angſt der Exiſtenz, Breite wirkt elegiſch: dies ſind geiſtige Beſtimmungen, wie ſolche zur Bezeichnung der Wirkung der verſchiedenen Dimenſionen auch im §. gebraucht ſind. Allein geiſtig deutet der Menſch Alles; demnach wäre kein Unterſchied in den Dingen. Es kommt aber darauf, wie viel für die (unwillkürliche) Deutung oder leihende Vergeiſtigung zu thun bleibt: das macht den Unterſchied.

237
§. 92.

Den Uebergang zur negativen Form des räumlich Erhabenen verbirgt1 bereits in ſich die Erfülltheit eines Raums durch eine Menge von Gegen - ſtänden, welche ſo groß iſt, daß ſie unendlich ſcheint. Hier nämlich faßt zwar ein beſtimmter Naum die Vielen und zunächſt erſcheint dieſer Raum unendlich groß, aber indem der Anblick der Vielen zur Vorſtellung der unendlichen Vielheit führt, ſo iſt damit bereits gegeben, daß gegen die unendliche Er - füllung unendlicher Räume jedes einzelne Raumerfüllende und jeder beſtimmte Raum verſchwindet, wobei der Widerſpruch, der demnach in der ganzen Kate - gorie des Raums liegt, ſich in einem Schwindel des Gefühls ankündigt. Dieſe2 Nichtigkeit kommt aber wirklich zur Anſchauung in der eigentlich negativen Form der räumlichen Erhabenheit, der Leere. Sie wirkt theils drohend durch die Vorſtellung, daß das unendlich Raumerfüllende, dem aber kein Raum ge - nügt, hervorbrechen könnte, theils traurig durch die Vorſtellung, daß ein be - ſtimmtes Raumerfüllende, welches da war, in Nichts verſunken ſey und daß ebenſo alles andere verſinken müſſe, daß alſo ebendas, was durch ſein Daſeyn die Kategorie des Raums begründet, vergänglich ſey, wodurch der Uebergang in die Kategorie der Zeit gegeben iſt.

1. Geſtirnter Himmel, große Menſchenverſammlung u. ſ. w. Was den Raum erfüllt, iſt natürlich auch hier nicht gleichgültig; große Büffel - heerden bringen einen andern Eindruck hervor, als große Menſchenmengen u. ſ. w.; das Beſtimmende aber bleibt die Vielheit. Zunächſt erſcheint ein beſtimmter Raum in ſeiner Anfüllung unendlich groß und zwar durch dieſelbe Bedingung des Fortzählens, wie ſie in §. 91 aufgeſtellt iſt. Allein indem ich die Sterne, die Köpfe zählend und doch unfähig, weiter zu zählen, fortſetze, wächst mir die Menge über den beſtimmten Raum hinaus; nun genügt ihr kein Raum mehr, die Körper, welche einer neben dem andern den unendlichen Raum ſetzen, verſchwinden jeder in der unendlichen Reihe und mit ihnen jeder beſtimmte Raum: es tritt der Widerſpruch in’s Gefühl, daß das Räumliche in ſeiner Ausdehnung unendlich iſt, eigentlich aber die ganze Kategorie der Räumlichkeit eben in dieſem unendlichen Fortgang ſich aufhebt. Es folgt auf jedes Raum - Erfüllende ein neues, jedes alſo weist über ſich hinaus, aber jedes neue ebenſo: man geht immer weiter und kommt nie an. Es verſieht ſich jedoch, daß dieſer Widerſpruch noch nicht als ſolcher zum Bewußtſeyn238 kommt, ſonſt wäre dieſe ganze Form des Erhabenen ſogleich ganz aufgehoben: es iſt eine Angſt, ein Schwindel, wie ein Traum, daß Einer einen langen Gang immer weiter und unabſehbar weiter fortgehe, mit Fallen oder mit Schwindel endet (Kant).

Ich häufe ungeheure Zahlen, Gebirge Millionen auf, Ich wälze Zeit auf Zeit und Welt auf Welten hin: Und wann ich auf der Mark des Endlichen nun bin Und von der grauſen Höhe Mit Schwindeln wieder nach dir ſehe, Iſt alle Macht der Zahl, vermehrt mit tauſend Malen, Noch nicht ein Theil von dir; Ich zieh ſie ab, und du liegſt ganz vor mir.
((Haller, Hymne über die Ewigkeit). )

2. Es verſteht ſich, daß es keine abſolute Leere gibt: dem Verſuche, ſie vorzuſtellen, liegt vielmehr die logiſche Aufhebung der Kategorie des Raums zu Grunde. Allerdings führt aber ebendarum die relative Leere irgend eines beſtimmten Ortes, wie ſolche zunächſt durch die äſthetiſche Bedingung gefordert iſt, in dem Gefühle, das ſie erregt, über das Raumgefühl eigentlich hinaus. Je nach der äſthetiſchen Beſtimmtheit des beſonderen Falls wird nämlich das Gefühl, das die Leere erregt, ein verſchiedenes ſeyn. Iſt der Raum öde und unbewohnt, oder erſcheint ein ſonſt bewohnter Raum nicht nur von demjenigen entblöst, was an Be - wohner erinnert, ſondern noch insbeſondere in Dunkel gehüllt, ſo wird zunächſt eine Wirkung eintreten, welche vergleichungsweiſe poſitiv heißen kann. Aus dem dunkeln Schooße des in’s Unendliche zerfließenden be - ſtimmten Raumes fürchten wir, entſprechend dem im Raumbegriffe liegenden Widerſpruch, ein Unbekanntes aufſteigen zu ſehen, das dem Raume an - gehört und doch nicht; die Vorſtellung wird geiſterhaft. Dagegen Räume, welche in ihrer Leere noch deutlich und durch eine Fülle gebrauchter Gegenſtände an die Bewohner erinnern, wie z. B. Pompeji, wirken mild elegiſch und das Raumgefühl geht ſchon in das Zeitgefühl über. Der Lebendige tritt in den Raum, der ausſieht, als wäre er geſtern verlaſſen: die Geſchlechter wechſeln, die den Raum füllen, alſo iſt die Bedingung des Raums, die Körperwelt vergänglich, und ebenhiedurch der Raum als ein aufgehobenes Moment in der Empfindungsweiſe beſtimmt.

239
β. Das Erhabene der Zeit.
§. 93.

Was ſich im Raum ausſchließt, hat als Begrenztes ſeine Grenze auch in1 ſich ſelbſt und iſt daher dem Wechſel des Werdens und Vergehens unterworfen; die Zeit iſt der Inbegriff dieſes endloſen Verlaufs. In poſitiver Form tritt das Erhabene der Zeit auf, wenn eine Erſcheinung die umgebenden Dinge ſo lange überdauert, daß der Zuſchauer in ihr das Gefühl ihrer Endlichkeit mit dem Gefühle der unendlichen Zeit zuſammenfaßt. Die Qualität des Gegenſtands gibt dieſem Gefühle verſchiedene Beſtimmtheit, die Grundlage aber bleibt das Zeitgefühl. Wird jedoch die Vorſtellung in Beziehung auf ein einzelnes2 Lebendiges in dem Sinne wirklich vollzogen, daß es als unendlich gedacht wird, ſo ſinkt das Erhabene entweder in das Ermüdende herunter oder es wird in das Schauderhafte geſteigert.

1. Es iſt zum poſitiv Erhabenen der Zeit natürlich ein Gegenſtand vorausgeſetzt, welcher Spuren ſo langer Dauer an ſich trägt, daß man die Zeittheile derſelben und zugleich die Summe deſſen, was an ihm vorüberging, zuſammenzufaſſen ermüdet. Nunmehr ſcheint es, als habe der Gegenſtand, obwohl geworden und vergänglich, die unendliche Zeit an ſich zu bannen gewußt; Anfang und Ende verſchwinden im Dunkel. Dabei iſt es freilich nicht gleichgültig, was es für ein Gegenſtand iſt: ein uralter Baum, Thurm, Thier, Menſch. Es wird zwar auch dem Unbeſeelten untergeſchoben, als habe es dem Vielen, was an ihm vorüber - ging, zugeſehen, aber anders iſt natürlich das Gefühl, wo der Gegen - ſtand der Empfindung und des Denkens, daher des Erlebens wirklich fähig iſt. Das Beſtimmende bleibt jedoch immer jenes ſpezifiſche Gefühl der Zeit, das ſich dem Gemüthe ankündigt, wie ein inneres Hören eines un - unterbrochenen ſummenden Rauſchens. Es iſt natürlich auch im Erhabenen des Raums nicht gleichgültig, was es für ein Gegenſtand iſt, das den Raum erfüllt, dort aber wurde dies nur unter der Anm. berührt, hier dagegen in den §. aufgenommen, weil es hier wichtiger wird, denn die Zeit iſt ſchon eine Kategorie, in welcher das Leben als ein Vernehmen ſeiner ſelbſt und der Welt ſich bewegt, daher auch dem unbeſeelten Gegen -240 ſtande im zeitlich Erhabenen ungleich gewiſſer ein Bewußtſeyn untergeſchoben wird, als im zeitlich Erhabenen.

2. Die ausdrücklich vollzogene Vorſtellung, als daure ein Endliches unendlich, iſt leer und ermüdend, ſo lang man ihm kein Bewußtſeyn dieſes Widerſpruchs zuſchreibt; ſchreibt man ihm aber dieſes zu, ſo tritt alsbald ein Entſetzliches in das Gefühl und daher haben die Völker ſolche Vor - ſtellungen nur erdichtet in dem Sinne der äußerſten Strafe. Nicht ſterben können iſt ſchauderhaft. Sage vom ewigen Juden. Die ewige Ver - dammniß iſt nicht ſo ſchauderhaft, wie dieſe Vorſtellung, weil die poſitiven Qualen, womit hier die Fortdauer erfüllt erſcheint, nicht Zeit laſſen, das Bewußtſeyn auf die innerſte Qual, die unendliche Fortdauer des todes - müden endlichen Weſens, zu fixiren. Von dem Fortleben der Seligen aber hält man die Vorſtellung dieſer Qual ferne durch die Ungenauigkeit des Denkens, vermöge welcher man ſich die Zeit des fortlebenden Weſens mit Genüſſen ausgefüllt vorſtellt, welche zugleich über alle Zeitbedingungen er - haben ſeyn ſollen. Wir haben hier den Kreis dichtender Vorſtellung, freilich etwas vorgreifend, berührt, den Hauptpunkt mehr zu verdeutlichen; ſo wurde auch der Begriff des Schauderhaften hereingezogen, der in ſeiner ganzen Bedeutung allerdings erſt in das Erhabene der Kraft fällt. Die erhabene Stelle des Pſalm 90, v. 4.: Tauſend Jahre ſind vor dir wie der Tag, der geſtern vergangen iſt, und wie eine Nachtwache u. ſ. w. ſpricht dem Jehovah, obwohl ſinnlich vorgeſtellt, Erhabenheit über die Zeit zu und führt ſchon zur negativen Form.

§. 94.
1

Auch die Zeit beſtimmt ſich in gewiſſe Dimenſionen, je nachdem das empfindende Subject auf die verſchwundene oder auf die bevorſtehende Zeitreihe hinblickt. Der Standpunkt iſt die Gegenwart, jenes die Vergangenheit, dieſes die Zukunft. Die Vergangenheit wirkt immer eine, zwar verſchieden geſtimmte, Wehmuth, die Zukunft geheimnißvolle Erwartung, die Gegenwart, im Verſuche ſie zu halten, verſchwindend, hat kein beſonderes Gefühl für ſich, außer ſofern ſie jene beide verbindet. Dieſe Dimenſionen fließen ſo in einander über, daß ſchon2 dadurch der innere Widerſpruch der Zeitform in das Gefühl tritt. Erſcheint nun ſelbſt das lange Dauernde, das geeignet war, das poſitiv Erhabene der Zeit dar -241 zuſtellen, und mit ihm alles Dauernde als vergänglich, ſo kommt dadurch die reine Unendlichkeit der Zeit zum Ausdruck, wogegen das längſte Daſeyn ein ver - ſchwindender Punkt iſt. Dies iſt die negative Form. Da aber die unendliche Zeit nur das fortlaufende Setzen verſchwindender Punkte iſt, ſo ſtellt ſich das Gefühl der Nichtigkeit dieſer ganzen Kategorie ein und ſucht die Anſchauung die Sphäre einer andern.

1. Für die verſchiedene Modification des Gefühls der Vergangenheit und Zukunft, je nachdem die Gegenwart ſchlechter oder beſſer iſt, als jene, je nachdem eine ſchlechtere oder beſſere Zukunft erwartet wird, bietet ſich eine Fülle von Beiſpielen von ſelber dar. Der Rückblick oder Ausblick auf die verſchiedenen Lebensalter iſt von beſonders ergreifender Wirkung. Es iſt natürlich, daß auch hier der Gegenſtand nicht gleichgültig iſt, wie denn z. B. Vergangenheit und Zukunft von Völkern ſich anders fühlt, als von Individuen. Ein beſonders ſtarkes Gefühl erregt das unerwartete Herein - ragen einer Vergangenheit in die Gegenwart, wie in der Geſchichte von dem verſchütteten Bergmann in Falun, das Wiederfinden in Tiecks Zauber - pokal , die Aufgrabung von Pompeji. Bei aller Verſchiedenheit der Modificationen wird im Gefühle der Vergangenheit, ſelbſt wenn ſie ſchlechter war, immer ein wehmüthiger, der Zukunft, ſelbſt wenn ſie beſſer gehofft wird, ein banger Ton das beſtimmende ſeyn. Die Gegenwart aber läßt ſich auch im Gefühle nicht faſſen; ich kann nur zurück oder vorwärts fühlen. Nur dann kann ihr ein beſonderes Gefühl zugeſchrieben werden, wenn ſtark bezeichnete Zeiteinſchnitte das Gefühl der Vergangenheit und Zukunft auf Einen Punkt concentriren, wie z. B. in der Zwölfe einer Neujahrsnacht.

2. Man wird finden, wie die Aufhebung des Zeitgefühls in ein anderes der Aufhebung des Raumsgefühls in jenes genau entſpricht. Es iſt der nämliche Gang und bedarf keiner Auseinanderſetzung. Daß auch das negativ Erhabene der Zeit ſinnlich erſcheinen muß, folgt aus dem Weſen des Schönen. Kirchhöfe, Gräberſtätte, Trümmer großer und ſtarker Gebäude u. dgl. Phantaſievoll verkörpert Shakespeare die Zeit ſelbſt: Der alte Glöckner Zeit, der kahle Küſter .

Indem ſich aber das Gefühl in dem Widerſpruche der Zeitform ermüdet, fordert es eine andere Form, welche im Raume und in der Zeit über beiden iſt. Dies iſt der Uebergang.

Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 16242
γ. Das Erhabene der Kraft.
§. 95.

Das äſthetiſche Geſetz verlangt, indem das Erhabene des Raums und der Zeit ſich als erſchöpft zeigt, eine Form, welche dieſe beiden ebenſoſehr ſetzt und in ſich trägt, als auch über ſie hinaus iſt, indem ſie, während ſie ſich ausdehnt, von ſich als einem inneren Einheitspunkt ausgeht und in ſich bleibt. Dieſe Form iſt die Erſcheinung der Kraft, welche ſich ihr Organ bildet und dadurch den Raum erfüllt, aber, indem ſie ſich weſentlich als Bewegung äußert, den Raum in der Zeit, und ebenſo, da ſie in ihren Wechſeln ſich ſelbſt gleich bleibt, die Zeit überwindet. Dieſe Form iſt nicht mehr blos quantitativ, ſondern qualitativ, doch ſo, daß das Qualitative vorerſt an das Quantitative noch weſentlich gebunden bleibt, indem eines mit dem andern ſteigt und fällt. Als Luſterſchütterung iſt die Bewegung meiſt mit einem Schalle verbunden, daher das dynamiſch Erhabene häufig, doch nicht immer akuſtiſch.

Es darf nicht ſchlechthin ausgeſprochen werden, daß die Kraft weſentlich an die eigentliche, ſinnliche Quantität gebunden ſey. Das Verhältniß verändert ſich, wie ſich zeigen wird. J. Paul will das dynamiſch Erhabene, wie ſchon bemerkt, auf das Akuſtiſche zurückführen. Das Auge, ſagt er, könne nur ein quantitatives Erhabene anſchauen, die Intenſität ſey nicht für daſſelbe. Allein iſt die Straffheit der ruhenden Muskel und das Werk der Kraft, die Bewegung,[ni]〈…〉〈…〉das Auge? J. Paul ſagt, um von da auf die Kraft[zu]〈…〉〈…〉ſey erſt ein Schluß aus Erfahrungen nöthig. Allein dies involvirte und verhüllte Schließen in der Sinnesanſchauung darf durchaus keinen Anſtand begründen, es iſt in anderer Weiſe mit jeder verbunden und namentlich mit dem bloſen Hören, das ja auch ein verhülltes Schließen von dem Schall auf ſeine Urſache iſt. Es iſt ſeltſam, ſich durch eine ſolche Willkür die Aufnahme der beſonders furchtbaren Wirkung einer ſtille heranrückenden Kraft in die vorliegende Sphäre abzuſchneiden. Uebrigens iſt die Bedeutung, welche das Gehör hier gewinnt, zugleich ein Zeichen, daß wir in einem höheren und mehr innerlichen Gebiete uns befinden.

243
§. 96.

Dynamiſch erhaben iſt ein Gegenſtand, wenn er den umgebenden an1 Kraft ſo überlegen iſt, daß die ſeinige, obwohl durch ein Maß begrenzt, dennoch zugleich alles Maß zu überſchreiten ſcheint. Die Kraft wird durch2 Widerſtand gemeſſen, alſo ein möglicher Widerſtand vorgeſtellt und zwar, weil ſie unendlich erſcheint, als vergeblich. Da nun die Kraft zwar ein ſelbſtändiges, aber noch nicht vom Quantitativen geſchiedenes und in ſich reflectirtes, ſondern blindes Seyn iſt, und da ſie ſich in der Bewegung äußert, welche, wo ſie rück - ſichtslos vordringt, zerſtörend wirkt, da endlich der Zuſchauer ſich ſelbſt zu dem Umgebenden mitzählt, was von dieſer Zerſtörung getroffen werden kann, ſo er - ſcheint das Erhabene der Kraft im Allgemeinen als furchtbar.

1. Auch hier zeigt ſich die grenzloſe Grenze. Der kraftvolle Gegen - ſtand, der angeſchaut wird, hat nur ein begrenztes Maß der Kraft. Allein da er im beſtimmten Falle allen umgebenden Kräften überlegen iſt, ſo kommt jetzt nicht zum Bewußtſeyn, daß ihm ſelbſt eine andere Kraft überlegen ſeyn kann, ſondern dies bleibt verhüllt im Grunde des Gefühls. Der Gegenſtand wird als ein Weſen von beſchränkter Kraft zugleich feſtgehalten und zugleich dieſe Kraft in’s Unendliche erweiternd hinausgetragen.

2. Ueber das Meſſen nach der Größe des Widerſtands vergl. Kant a. a. O. §. 28. Es fehlt aber in ſeiner Darſtellung das weitere, im §. aufgeführte Moment, daß die Kraft als ſolche (in ihrem Unterſchied vom Geiſte) ein beſinnungsloſes iſt, von dem man den Eindruck hat, daß es nichts mit ſich führt, was es veranlaſſen könnte, den ſchwächeren Gegner zu ſchonen. Daher fürchten wir uns weit mehr, wenn wir dem Raubthiere, als wenn wir einem bewaffneten Menſchen gegenüber - ſtehen; ein unheimlicher Naturgrund thut ſich vor uns auf. Daß übrigens die Furcht keine eigentliche, ſondern der Fall eines Kampfes und vergeb - lichen Widerſtands, in den der Zuſchauer ſelbſt gerathen könnte, blos vorgeſtellt ſeyn darf, wenn das Furchtbare äſthetiſch ſeyn ſoll, folgt mit Nothwendigkeit aus der Intereſſeloſigkeit des Schönen. Wer ſich fürchtet, kann über das Erhabene der Natur gar nicht urtheilen, ſo wenig als der, welcher durch Neigung und Appetit eingenommen iſt, über das Schöne (Kant a. a. O.). Die Erklärung der Luſt im Anblicke des furchtbar Erhabenen aus dem Gefühle der eigenen Sicherheit dagegen iſt ſo veraltet, daß ſie keiner Widerlegung mehr bedarf; es leuchtet ein, daß ſie16*244den Gegenſtand aufhebt, ſtatt ihn zu begründen. Uebrigens iſt hinzuzuſetzen, daß die Gefahr nicht nothwendig eine blos vorgeſtellte ſeyn muß, ſie kann auch eine wirkliche ſeyn, aber dann iſt eine ſolche geiſtige Freiheit voraus - geſetzt, ſich auf dem äſthetiſchen Standpunkte zu erhalten, daß das ge - fährdete Subject die eigene Gefahr ganz vergißt und dadurch ſelbſt wieder Andern ein Schauſpiel geiſtiger Erhabenheit gibt, wie dies von einzelnen Marine - und Schlachten-Malern bekannt iſt.

§. 97.
1

Wo nun das Quantitative die Beſtimmung der Qualität in ſich aufnimmt, beſteht kein unterſchiedsloſes und ruhendes Verhältniß zwiſchen beiden, denn die Qualität beſtimmt ſich fortſchreitend zu verſchiedenen Graden der Intenſität und2 jeder derſelben bedingt eine verſchiedene Stellung zum Quantitativen. Auf der unterſten Stufe kommt die wirkliche Bewegung durch die Kraft des Stoßes von außen und iſt ebendaher die Maſſe und Menge noch weſentlich. Auf einer höheren Stufe dagegen wohnt die Kraft ihrem Organe ſelbſt inne, ſteht in unmittelbarer Einheit mit demſelben und wirkt nicht nothwendig durch die Größe der Maſſe, immer aber als rückhaltslos wilde Bewegtheit. Auf einer dritten aber ſammelt ſie ſich, zwar ohne eigentliche Reflexion in ſich, intenſiv in der Tiefe und ſtellt ſich ſogar in ein umgekehrtes Verhältniß zu ihrem Organ: die Qualität überwiegt bereits die Quantität.

1. Es wird hier ein Wechſel im Verhältniß der Qualität zur Quan - tität oder der Kraft zur Maſſe ihres Organs eingeführt, der ein Vorgriff ſcheinen könnte, denn es leuchtet ſogleich ein, daß die Sache nur deut - lich wird, wenn man ſich beſtimmter an die verſchiedenen Naturreiche erinnert. Allein es handelt ſich doch hier nur um das ganz Allgemeine eines Begriffs, der zwar in der Aeſthetik, wie jede Beſtimmung, nur ſeine Geltung hat, ſofern das in ihm Umfaßte ſinnlich erſcheint, hier aber nur erſt in der Abſtraction der in ihm enthaltenen Grundverhält - niſſe zur Betrachtung kommt. Die Allgemeinheit der Frage, wodurch ihr ihre Stellung in der Metaphyſik des Schönen angewieſen wird, erkennt man ſogleich daran, daß unter jedes der hier genannten Verhältniſſe eine unbeſtimmte Menge von Gattungen aus verſchiedenen Klaſſen, Ordnungen, Familien fällt und das, was ſie in der Lehre vom Naturſchönen genauer unter - ſcheiden wird, die Geſtalt, hier noch nicht nach ſeiner näheren Beſtimmtheit in245 die Unterſuchung tritt. Zudem erhellt, daß ein und daſſelbe Weſen ſchön oder furchtbar ſeyn kann je nach der Situation: ein weiterer Be - weis, daß hier von allgemeinen Unterſchieden die Rede iſt, welche in den wirklichen Exiſtenzen zwar ihre Anwendung finden, an ſich aber in die reine Begriffslehre gehören.

2. Das erſte Verhältniß ſtellt ſich vorzüglich in der unorganiſchen Natur dar, wo die Bewegung nur mechaniſch und die Maſſe beſtimmend iſt. Daß der Zuſchauer erſt aus ſeiner Phantaſie leihend nachhilft und z. B. dem Waſſerſturze etwas wie Zorn unterſchiebt, dies hindert auch hier nicht, die Sphäre beſtimmt abzugrenzen, denn nicht was, ſondern ob und wem geliehen wird, iſt das Beſtimmende. Das maſſenhaft Mechaniſche kehrt indeß auch in höheren Sphären zurück. Eine Völker - wanderung z. B., wo Volk auf Volk ſtoßend ſich fortdrängt, hat den elementariſchen Charakter der großen Mechanismen in der Natur. Die zweite Stufe ſtellt ſich vorzüglich im thieriſchen Leben dar. Hier iſt die Kraft als Selbſtgefühl ſchon Affect, aber dieſer kommt hier noch nicht als Analogon des Menſchlichen, nicht als Thierſeele in Betracht, ſondern nur als die mit der Kraft des Organs einfach gegebene Nothwendigkeit der Aeußerung. Schon Burke hat als Beiſpiel dieſer Form die herr - lichen Schilderungen des Kampfroſſes, des wilden Eſels, des Leviathan, des Behemoth im Buch Hiob angeführt und mit Recht hervorgehoben, daß zum vollen Eindrucke weſentlich Wildheit, Unbeugſamkeit unter das Joch des Menſchen gehört (a. a. O. Th. 2, Abſchn. 6). Maſſe iſt nicht mehr weſentlich. Der Wolf iſt furchtbarer als der Elefant. Hier tritt ſchon der Uebergang zur dritten Stufe ein. Dieſe ſcheint bereits in die Sphäre des Geiſtes zu führen, denn die Kraft, die hinter ihrem Organe lauert, ſcheint nur eine denkende ſeyn zu können. Allein es iſt noch nicht von einem bedachten Rückhalt die Rede, ſondern nur von einer Intenſität, die man dem Organe nicht anſieht, und die ſogar bei niedrigen Organismen vorkommt, wie als Giftzahn und Stachel bei Schlangen und Inſekten. Allerdings kommt aber hier auch die menſchliche Kraft in Betracht, doch nur die Körperkraft, abgeſehen vom Geiſte. Die Thatſache, von der es ſich handelt, iſt auch ſchon ſonſt ausgeſprochen worden. Das Mißver - hältniß zwiſchen Geſtalt und Ueberkraft öffnet der Phantaſie ein uner - meßbares Feld des Schreckens, daher unſere unverhältnißmäßige Furcht vor kleinen Thieren, und es muß ſchon ein kühner General ſeyn, der vor dem nahen ſuchenden Brummen einer erbosten Horniſſe ſo ruhig und ungeregt ſitzen kann, als vor dem Summen einer Kanone. In Träumen246 ſchaudert man mehr vor myſtiſchen Zwergen, als vor einer ſteilen, offenen Rieſengeſtalt (J. Paul a. a. O. §. 24). Es tritt hier durch dieſe Umkehrung bereits ein negatives Verhältniß in das Erhabene der Kraft ein, aber noch nicht in der Beziehung, welche in §. 85 u. 86 ausge - ſprochen iſt. Die eigentlich den Unterſchied begründende Negativität be - zieht ſich auf den Act der Anwendung und Zurückhaltung der Kraft; hier iſt nur erſt von der Stellung der Kraft zum Organe (in Beziehung auf deſſen Maſſe) im Subjecte der Kraft die Rede. Von jener im Hauptzuſammenhange den Unterſchied begründenden Form wird weiter unten die Rede ſeyn.

§. 98.
1

Das Verhältniß der Kraft zu ihrem Organe beſtimmt ſich aber gemäß dem Satze §. 87, 2 auch zu einem Unterſchiede der Form, wobei jene ver - ſchiedene Stellung derſelben zur Quantität des Organs mitbeſtimmend wirkt. 2Entweder nämlich durchbricht die Kraft die Harmonie der Form, ſey es, daß die ganze Gattung, ſey es, daß ein Individuum der Gattung durch überwie - gende Ausbildung der Kraft in einzelnen Gliedern ein Mißverhältniß der Formen darſtellt, wodurch einzelne derſelben aus der ihnen durch das Ganze angewieſenen Unterordnung heraustreten und ſo die Einheit des Gebildes ver - kehren. Dies iſt häßlich, und das Häßliche iſt im Schönen zuläßig, wenn es furchtbar iſt (Leſſing). Oder aber die Formen bewahren zwar ihre Har - monie, offenbaren aber, ſey es durch den Ausdruck der Intenſität, ſey es3 durch proportionirte Ausdehnung, außerordentliche Kraft. Derſelbe Unterſchied findet ſowohl im Ausdruck der möglichen als in der wirklichen Bewegung Statt. Eine vorzüglich intenſive Kraft heißt, wenn ſie zu ihrer Verherrlichung andere werthvolle Naturgegenſtände um ſich verſammelt, prächtig, in ihrer gemäßigten Bewegung majeſtätiſch, und wenn ſie durch dieſe eine noch höhere Kraft aner - kennt, feierlich.

1. In dem nun eintretenden Unterſchiede der Form iſt der Unter - ſchied des Verhältniſſes der Intenſität der Kraft zur Ausdehnung des Organs mitbeſtimmend. Die Sache konnte in Kürze nicht anders aus - gedrückt werden als durch die Worte des §. Eigentlich beſtimmend näm - lich iſt er nicht, denn häßlich oder von reiner Form kann das Erhabene der Kraft ſowohl in der unorganiſchen, als in der vegetabiliſch und247 thieriſch organiſchen, ſowie in der menſchlichen Welt ſeyn. Wildzer - klüftetes in den Umriſſen reines Gebirge (ſofern ſolches als das Werk von Revolutionen nunmehr unter den Begriff der Kraft geſtellt wird). Rauhe, knorrige edel geſtaltete Bäume. Rhinoceros, Nilpferd, Krokodil Löwe, Tiger. Ungeſchlacht formloſe große und edle Menſchen - geſtalt. Die intenſive Kraft gehört nun zwar vorzüglich den höheren Reichen an, und eben dieſe ſind in demſelben Grade, in welchem die Kraft geſammelter iſt, auch in der Form edler organiſirt. Je mehr ſie aber dies ſind, je mehr alſo hier das formlos Erhabene entfernt ſcheint, deſto häßlicher iſt vielmehr gerade ein Individuum, wenn es durch einſeitige Ausbildung der Kraft von den Formen ſeiner Gattung abweicht, oder eine Gattung, wenn ſie an die formloſen Urgebilde der wilden Kraft der früheren Erdrevolutionen erinnert, wie die oben genannten Thiere.

2. Hier begegnet zuerſt das Häßliche. Das Erhabene des Raums kann nicht wohl häßlich heißen, auch wenn es im engeren Sinn formlos iſt, denn hier iſt das organiſche Zuſammengehören der Glieder eines Gebildes ganz unweſentlich; das Organiſche aber kommt, ſoweit es unter den Geſichtspunkt der bloſen Größe fällt, nicht als Organiſches, ſondern als Maſſe in Betracht. Dagegen durch die Kategorie der Kraft auf höherer Stufe werden die Mittel des organiſchen Körpers gefordert und hier erſt beginnt das Häßliche. Weiße hat daſſelbe als eine beſondere Form im Uebergange vom Erhabenen zum Komiſchen aufgeführt und Ruge iſt ihm gefolgt. Allein es kann und darf durchaus nicht ver - mieden werden, das Häßliche ſchon im Erhabenen aufzuführen, wie dies unſer Zuſammenhang beweist und in einer weiteren Form des Erhabenen ferner beweiſen wird. Beide Aeſthetiker führen unter dem Häßlichen Erſcheinungen auf, welche ſpezifiſch Grauen und Entſetzen er - regen und ebendaher nothwendig in die Sphäre des Erhabenen fallen. Ob an der Stelle, wo ſie das Häßliche aufführen, noch ein Ort für daſſelbe bleibt, nachdem ein großer Theil deſſelben in unſerer Anordnung an das Erhabene gefallen iſt, wird ſich zeigen. Im vorliegenden Falle nun leuchtet die Sache einfach an den nächſten Beiſpielen ein. Das Krokodil z. B. iſt häßlich durch ſeine Geſtalt, welche nur gemacht zu ſeyn ſcheint, um Alles in dem ungeheuren Rachen zuſammenzufaſſen, ſo daß ein Organ, das nach dem Begriffe des organiſchen Lebens unterge - ordnet ſeyn ſoll, ſich anmaßt, das Ganze darzuſtellen, ebenſo durch ſeine an Unorganiſches erinnernde Bedeckung. Allein dieſer Rachen iſt durch Größe, Bewaffnung mit Zähnen furchtbar, die ſchwer verwundbare Härte der248 Bedeckung vermehrt den Eindruck des Gefährlichen: ſo hebt ſich das Häßliche im Furchtbaren auf und wird dadurch äſthetiſch. Ebenſo eine ungeſchlachte Menſchengeſtalt, die aber durch einſeitige Ausbildung der Muskel, Mißverhältniß der Organe der Intelligenz zu denen des ſinn - lichen Widerſtands häßlich erſcheint, nur um deſto drohender zu ſeyn. Dieſe Bedingung der Zuläſſigkeit des Häßlichen hat zuerſt Leſſing aus - geſprochen (Laokoon Abſchn. 23): Weil Häßlichkeit, von der Seite ihrer Wirkung, Häßlichkeit zu ſeyn aufhört, wird ſie dem Dichter brauch - bar; und was er für ſich ſelbſt nicht nutzen kann, nutzt er als ein Ingrediens, um gewiſſe vermiſchte Empfindungen hervorzubringen und zu verſtärken u. ſ. w. Wenn unſchädliche Häßlichkeit lächerlich werden kann, ſo iſt ſchädliche Häßlichkeit allezeit ſchrecklich. Im Abſchn. 25 nimmt er den Begriff des Eckelhaften hinzu, kommt ſo auf das Gräß - liche, das wir noch erwähnen werden, und erklärt es für zuläſſig eben - falls, wenn es ſchrecklich iſt.

3. Die zuletzt aufgeführten Seitenbegriffe beziehen ſich beinahe ſämmt - lich auf die Kraft in der Bewegung. Dieſe nämlich kann ebenfalls entweder häßlich oder edel ſeyn; man denke nur z. B. an die wilden Sprünge eines reißenden Thiers, die Convulſionen eines Wüthenden und vergleiche damit den gemeſſenen Schritt einer ruhig anrückenden, beſonnen und kunſtreich kämpfenden edeln Kraft. Das Prächtige allerdings kann ſich ebenſoſehr in der Ruhe, als in der Bewegung darſtellen. Doch zeigt es ſich beſonders auch als bewegt. Ein Sonnen-Aufgang z. B. iſt prächtig, ſofern das ſteigende Geſtirn durch das ſich ausbreitende Licht die Erde und den Luftraum gleichſam als Schmuck ihrer Herrlichkeit aufzeigt oder ſein Glanz und es ſelbſt als Schmuck der abſoluten Naturmacht betrachtet wird. Die hebräiſche Poeſie hat herrliche Stellen, die Natur als Prachtſchmuck Jehovah’s zu ſchildern, der die Himmel ausbreitet wie einen Teppich u. ſ. w. Der Menſch verherrlicht durch Schmuck ſeine geiſtige Herrſchaft über die Natur; das Edelſte ſelbſt muß unbenützt dienen, nur ihn zu ſchmücken. Majeſtätiſch iſt das Erhabene von edler Form in der ge - mäßigten Bewegung, ſo z. B. das ſtille, ſtolze Kreiſen des Adlers, ein Sonnen-Aufgang, ſofern nicht durch den Begriff der Pracht zwei Seiten, eine ſchmückende und geſchmückte, an ihm unterſchieden werden. Feierlich: edle Kräfte bewegen ſich in langſamer und gemeſſener Ordnung, eine noch höhere Kraft, vor der ſie ſich beugen und zurückhalten, zu ehren. Eine verborgene Furcht und Bangigkeit begleitet übrigens die Empfindung249 auch bei dieſen Formen, freilich nur als erſtes Moment, denn das zweite iſt, wie ſich zeigen wird, überall Erhebung.

§. 99.

Die Kraft, vorzüglich die intenſiv geſammelte, kann aber auch im Ueber - gang zu einem Ausbruch ſchädlicher Art an ſich halten und ſich langſam an - ſchwellend, ihre Bewegung durch Pauſen unterbrechend entladen. Dieſe Form iſt noch poſitiv, aber ſie nähert ſich bereits der negativen, denn die Bewegung, die mit dem vollen Ausbruch zurückhält, ſpannt die Erwartung ſo ſehr, daß die Ahnung einer unendlichen Kraft, welche fähig wäre, die höchſte Wirkung durch eine noch höhere aufzuheben, erweckt wird. Den Eindruck der langſamen und gleichförmig unterbrochenen Bewegung verſtärkt beſonders der leiſe, ebenſo fortſchreitende und anſchwellende Ton. Der wirkliche Ausbruch aber wirkt trotz der Erwartung, ja durch ſie einen ebenſo verdoppelten Schrecken.

Burke hat die hier bezeichneten Erſcheinungen fein beobachtet (ſ. a. O. Thl. 2, Abſchn. 18 22 ff.). Er ſpricht vorzüglich von der Kraft des unterbrochenen, in Pauſen fortſchreitenden Schalles. Das leiſe, ſteigende Kniſtern einer beginnenden Feuersbrunſt, das zuerſt mäßige, aber anſchwellende Rauſchen einer Ueberſchwemmung, das ferne Grollen eines Gewitters, das feine Pfeifen des Sturms in den Tauen, das Flüſtern und Raunen eines Mordanſchlags iſt durch Erwartung unendlich furchtbar. Anſchwellen der Trommel im Sturmſchlagen. In Pauſen: Marſchmuſik von drohendem Ausdruck, in der Modification des Melancho - liſchen der Todtenmarſch auf der Trommel; auch das Brüllen der ſtürmiſchen See hat einen in immer neu anſchwellende Wiederholung ſich theilenden Takt. Dieſe Form überhaupt nun iſt inſofern bereits negativ, als die Ahnung den noch verborgenen Schooß der Kraft als einen unendlichen vorſtellt. Unendlich muß zwar alles Erhabene erſcheinen. Hier aber iſt es eine ſo zu ſagen ver - doppelte Unendlichkeit. Man ſtellt ſich vor, daß eine ſolche Kraft das Furcht - barſte wirken könne, das man ſich dann gemäß der Natur alles Erhabenen unendlich vorſtellen würde; aber man hat zugleich eine Empfindung, als ob eine ſolche Kraft ſelbſt dieſe Wirkung wieder vernichten und über - bieten könnte. Doch iſt dies nur in der Ahnung; die Erſcheinung geht auf eine poſitive Wirkung los, welche unendlich erſcheint nur in dem Sinne, in welchem bei allem Erhabenen das Begrenzte zugleich als250 Unbegrenztes aufgefaßt wird, und über welche hinaus erſt die eigentlich negative Form liegt, wovon ſogleich zu reden iſt. Uebrigens, wenn nun nach der Erwartung einer unendlichen Wirkung doch nur eine im Ausbruche begrenzte und blos in dem allgemeinen Sinn aller Erhabenheit unbegrenzte eintritt, ſo iſt darum der Schrecken nicht geringer: die Er - wartung hat die Empfänglichkeit für den Schrecken geſchärft. Wäre freilich ein Mißverhältniß zur Drohung in der Wirkung, ſo würde das Komiſche eintreten, was nicht hieher gehört.

§. 100.
1

Die eigentlich negative Form tritt erſt ein, wenn die wirkliche Kraft - entwicklung, die zuerſt als die größtmögliche erſchien, wirklich von einer noch2 höheren Kraft gebrochen wird: das Bild allgemeiner Zerſtörung. Dieſes Bild ſteigert, wenn es ſich in den Einzelheiten des Zerſtörungsprozeſſes der edeln lebendigen Geſtalt unmittelbar den Sinnen aufdrängt, das Häßliche zum Gräß - lichen, welches Leſſing als eckelhaftes Schreckliche beſtimmt, und dieſes iſt unter derſelben Bedingung, wie das Häßliche überhaupt, im Schönen berechtigt.

1. Bilder des Weltuntergangs, Götterdämmerung u. ſ. w. Dies ſind blos mythiſche Dichtungen, aber auch in Wirklichkeit drängt ſich das Bild einer abſoluten Kraft, welcher wirklich keine mehr gewachſen iſt, da auf, wo vereinte höchſte Anſtrengung der Kräfte, die als die höchſten er - ſchienen, dem Ausbruche eines ungeheuren Uebels erliegt: Peſt, Hungers - noth, Verwüſtungen durch Erdbeben, Völkerſchlachten. Die Zerſtörung Jeruſalems z. B. iſt die Erfüllung des damals vorgeſtellten Weltunter - gangs. Nun wird zwar in dieſen Fällen eine große Kraft nur durch eine andere große und ebenfalls begrenzte zerſtört, allein das Ungeheure der Zerſtörung übertönt dieſe Grenze und die Unendlichkeit, welche auch im poſitiv Erhabenen der Kraft liegt, tritt daher förmlich und aus - drücklich als allgemeine Negativität der ſonſt bekannten Kräfte in’s Bewußtſeyn oder Gefühl.

2. Verſtümmlung durch Wunden, Eiter, Verweſung u. ſ. w. Es iſt eine Verkehrung des Organismus, welche durch das Ueberwachſen des blos chemiſchen Prozeſſes über den ihn beherrſchenden organiſchen das gerade Gegentheil des Schönen erzeugt, welches das Häßliche iſt, aber in der unmittelbar apprehenſiven Form des Eckelhaften. Beiſpiele ſ. bei Leſſing a. a. O. Abſchn. 25. Das Eckelhafte iſt der gefährlichſte Feind251 des Schönen. Es ſetzt die Sinne in Bewegung, die von ihm ausgeſchloſſen ſind (§. 71) und zwar abſtoßend: den Geruchſinn, den Taſtſinn, denn wir meinen die widerlich widerſtandsloſe Maſſe berühren zu müſſen, den Geſchmack, denn es iſt im Eckel eine Vorſtellung, als müßte man den Gegenſtand eſſen: nur eine Art Häßlichkeit kann nicht der Natur gemäß vorgeſtellt werden, ohne alles äſthetiſche Wohlgefallen, mithin die Kunſt - ſchönheit zu Grunde zu richten: nämlich diejenige, welche Eckel erweckt. Denn weil in dieſer ſonderbaren, auf lauter Einbildung beruhenden Em - pfindung der Gegenſtand gleichſam, als ob er ſich zum Genuße aufdränge, wider den wir doch mit Gewalt ſtreben, vorgeſtellt wird, ſo wird die künſtliche Vorſtellung von der Natur dieſes Gegenſtands ſelbſt in unſerer Empfindung nicht mehr unterſchieden und jene kann alsdann unmöglich für ſchön gehalten werden (Kant a. a. O. §. 48). Das Schöne wird dadurch ſo ganz aufgehoben, daß ſelbſt ein wahrhaft ſchöner Gegenſtand, wenn zufällig, wo er geſehen wird, Geſtank iſt, Widerwillen erregt. Dennoch iſt, wenn es ſchrecklich iſt, auch das Eckelhafte als Moment im Schönen berechtigt. Es iſt dabei freilich ein großer Unterſchied unter den Künſten; es kommt Alles darauf an, ob es nur innerlich vorgeſtellt wird oder auch der äußeren Anſchauung ſich aufdrängt, und wenn das Letztere, wie weit die Verſinnlichung geht (was ſchon zu §. 71 berührt iſt).

§. 101.

Ruhe und Stille, welche auf die Zerſtörung folgt, zeigt durch die Spuren1 derſelben eine Kraft, welche ſich auch in dieſer größtmöglichen Wirkung nicht erſchöpft hat, es ſchwebt die Möglichkeit einer unendlichen neuen Kraftent - wicklung vor, und dieſen Eindruck kann Ruhe und Stille auch ohne vorher - gegangenen Ausbruch hervorrufen, wenn ſie von Zeichen begleitet iſt, welche eine über Vergleichung große Zerſtörung verkündigen. Nun verbindet ſich mit der Negativität der ganze Nachdruck der geahnten Unendlichkeit (§. 99). Dieſe2 Kraft nun aber, welche hinter der größtmöglichen Wirkung ſich noch als eine Unendlichkeit verbirgt, iſt wirklich nichts quantitativ Unendliches mehr. Ueber jede Kraft läßt ſich eine höhere vorſtellen und der Abſchluß dieſer Steigerung durch die Vorſtellung einer zugleich offenbaren und verborgenen, wirklich un - bedingten Kraft iſt vielmehr die Aufhebung dieſer ganzen Kategorie. Der Fortgang in’s Unendliche hebt ſich in die ideelle, wahrhaft bei ſich bleibende Einheit der Reflexion in ſich auf: die Stille und Ruhe iſt das Beſinnen ſowohl der Kraft als auch des Zuſchauers auf ſich.

252

1. Die Walſtätte nach einer Völkerſchlacht, die Leichenhaufen bei einer Peſt u. ſ. w. zeigen immer noch die Kraft, welche zerſtört hat, als eine Fähigkeit unendlicher neuer Zerſtörung. Man erinnert ſich jetzt nicht, daß das Leben ſich erneuert: alles Leben erliegt ja dem Tode. Schon hierin liegt der Abſchluß der ganzen Kategorie. Wenn alles Leben unter - geht, ſo geht es unter, weil es blos Kraft iſt. Die Kraft, obwohl ein progressus in infinitum, iſt alſo endlich. Damit iſt gegenſätzlich bereits ein wahrhaft, in ſich bleibendes Unendliches gefordert. Die Stille und Ruhe kann aber als Drohung einer unendlichen zerſtörenden Kraft erſcheinen auch ohne wirklich vorhergegangenen Ausbruch. Es kommt auf die begleitenden Umſtände an. Die Stille vor einem Gewitter iſt furchtbar, aber die Verheerungen, die uns von dieſer Naturkraft bekannt ſind, ſind nicht groß genug, um die ganze Kraft negativer Erhabenheit darin zu fühlen. Dagegen die ſtille Bangigkeit einer Bevölkerung vor Heran - nahen einer Peſt, die Stille ſchlagfertiger Völker vor einer großen Schlacht, die unendlich fürchterlichen Pauſen der Erholung in der Nibelungen Noth, wo ja um der Menge und Gewalt der entfeſſelten Kräfte willen der Schluß als ein Weltgericht erſcheint: hierin liegt das Gefühl einer Kraft, die nicht nur dies oder jenes, ſondern Alles zerſtört. Die ver - doppelnde Ahnung tritt hinzu.

2. Was alle Kräfte zerſtören kann, iſt keine Kraft mehr. Ueber die höchſte Kraft läßt ſich noch eine höhere vorſtellen, von welcher jene zerſtört würde. Was über den Kräften ſteht, muß ein Anderes ſeyn, ein in ſich Unendliches: ideelle Einheit. Hier geht der Geiſt auf. Die moſaiſche Religion ſteht auf dieſem Punkte: der Uebergang der Natur-Religion, d. h. der Religion der Furcht in die des Geiſtes und der Freiheit. Die romantiſche Anſchauung läßt hier das Geiſterhafte eintreten. Ein Geiſt iſt ein Weſen, das ohne Körper, alſo ohne Quantität unendliche zerſtörende Kraft hat. Es liegt aber der Widerſpruch in dieſer Vorſtellung, daß dieſe Kraft noch ſinnlich gedacht wird: ein Körper ohne Körper, ein überſinnlich Sinnliches. Dieſer Widerſpruch iſt ſchauderhaft, hier iſt kein Widerſtand denkbar. Komm du mir nah als zott’ger, ruſſiſcher Bär, geſchuppt Rhinoceros u. ſ. w. (Macbeth zu Banquo’s Geiſt). Der wahre Dichter legt freilich eine geiſtig-ſittliche Tiefe in die Vorſtellung. Nur als be - leuchtende Anführung gehört übrigens dieſe Form hieher, ihre eigentliche Stelle hat ſie in dem Abſchn. von dem romantiſchen Ideal; erinnert aber wurden wir daran in einem ähnlichen Zuſammenhang ſchon in §. 92, Anm. 2. Hier iſt der Uebergang zum wirklichen Geiſte zu nehmen. Rein253 metaphyſiſch ausgedrückt iſt es die Negation der Negation: Kraft hebt Kraft auf und die Kräfte ſinken in ein Drittes ein; im äſthetiſchen Zuſammenhang aber iſt der Uebergang weſentlich zu faſſen als eine Forderung der Anſchauung. In dem ſtillen Brüten der ver - borgenen Kraft ſucht der Geiſt die Erſcheinung ſeiner ſelbſt, indem er ſich auf ſich ſelbſt beſinnt. In der zu §. 92 angeführten Stelle geht auch Kant von der extenſiven Unendlichkeit auf die wahre des Geiſtes über, auf das Individuum, das auf ſein unſichtbares Ich zurückgeht und die abſolute Freiheit ſeines Willens allen Schrecken des Schickſals und der Tyrannei entgegenſtellt, von ſeinen nächſten Umgebungen anfangend ſie für ſich verſchwinden, ebenſo das, was als dauernd erſcheint, Welten über Welten in Trümmer zuſammen - ſtürzen läßt und einſam ſich als ſich gleich ſelbſt erkennt. Dieſe Stelle kann uns in unſerem Zuſammenhang allerdings auch in dem Sinne dienen, daß hier mit dem Gegenſtande der ſubjective Eindruck in ſein Gegentheil umſchlägt. Sobald jene Beſinnung auf ſich eintritt, iſt auch das Gefühl desjenigen im Zuſchauer da, woran alle bloſe Kraft ſcheitert, des Willens, welchen, si fractus illabatur orbis, impavidum ferient ruinse, und welchem nun nicht mehr bloſe Kraft, ſondern nur überlegener Geiſt imponiren kann.

§. 102.

Zugleich mit der Kraft heben ſich aber, weil ſie in ihr als aufgehobene enthalten ſind, alle Formen des objectiv Erhabenen auf. Es ergibt ſich jetzt für das anſchauende Bewußtſeyn ſelbſt, daß nur eine doppelte Täuſchung von Seiten des Subjects den Schein der wahren Erhabenheit in dieſe ganze Sphäre gelegt hat. Die erſte Täuſchung beſtand darin, daß der in Wahrheit begrenzte Gegenſtand als ein in’s Unendliche fortgeſetzter, die zweite darin, daß dieſe Unendlichkeit der bloſen Fortſetzung als wahre Unendlichkeit aufgefaßt wurde. Das Subject würde kein Object erhaben finden, wenn es ihm nicht ſeine Un - endlichkeit durch einen gewiſſen Vorgriff unterlegen würde; ſobald es ſich darauf beſinnt, ſo erſcheint nicht mehr das Object, ſondern das Subject als erhaben: das Leihende tritt an die Stelle deſſen, dem geliehen wurde.

Was hier vom Erhabenen geſagt iſt, gilt allerdings auch vom einfach Schönen. Die nicht wahrhaft begeiſteten Naturweſen erſcheinen als per - ſönlich, wie dies zum Schönen gefordert wird, nur durch denſelben Vor -254 griff (vergl. §. 19, 2). Unter Vorgriff iſt hier zu verſtehen die Unter - ſchiebung, durch welche da, wo Perſönlichkeit ſich erſt als werdende von ferne ankündigt, ſolche ſchon beſtimmter untergelegt wird. Es muß in Beziehung auf das objectiv Erhabene von der Art dieſer Unterſchiebung noch einmal die Rede ſeyn, wo ſich zeigen wird, wie ſie allerdings keine förmlich vollzogene iſt und gerade darin ihre Eigenthümlichkeit beſteht. Dies muß nachgeholt werden, wenn der ſubjective Eindruck des Erhabenen erörtert werden wird. Obwohl nämlich überall ſchon dargethan wurde, daß das objectiv Er - habene ohne einen leihenden Act des Subjects gar nicht entſteht, ſo bleibt für dieſe Erörterung doch noch der Charakter des Genuſſes zu beleuchten übrig, der jenen Act begleitet. In der Lehre vom einfach Schönen nun wurde bei der Darſtellung des ſubjectiven Eindrucks die beſondere Be - ſtimmtheit, die derſelbe gegenüber den bewußtloſen Naturweſen durch die Nothwendigkeit jenes Leihens annimmt, nicht hervorgehoben; hier aber, im Erhabenen, wird es nöthig, dies genauer und geſondert zu betrachten, und zwar aus demſelben Grunde, aus welchem auch gegenſtändlich die Sphären jetzt geſondert werden (§. 88): weil nämlich erſt, wenn der geiſtige Gehalt und das ſinnliche Bild in ein negatives Verhältniß zu einander treten, ausdrücklich zu fragen iſt, ob denn die Natur den zu dieſer Negation geforderten Geiſt beſitze; ebendaher alſo iſt auch die ſub - jective Seite geſondert zu erörtern, und hierüber iſt ſo viel bereits dar - gethan, daß der Beitrag des Subjects ein ungleich bedeutenderer iſt, als im Schönen. Dieſes (das unbegeiſtet Schöne nämlich) fordert einfache Unterſchiebung einer empfindenden Seele; jenes aber fordert eine doppelte: zuerſt muß der Gegenſtand wirklich als ein quantitativ, als ein ſinnlich unendlicher gefaßt, dann erſt dieſe ſinnliche Unendlichkeit mit einer wahren, geiſtigen verwechſelt werden. Das Letztere geſchieht, indem das Subject in das räumlich Erhabene die Vorſtellung einer Maſſen thürmenden, in das der Zeit einer Maſſen verzehrenden Kraft legt, dann ſchaut es die wirkliche Kraft und leiht ihr die innere geiſtige Unendlichkeit; jetzt wird es inne, daß es ſowohl dieſem Erhabenen als auch demgemäß dem räumlich und zeitlich Erhabenen nur ſich ſelbſt untergeſchoben hat, und nun iſt alſo, ſowie dies erkannt iſt, das Subject ſelbſt das Erhabene.

255

b. Das Erhabene des Subjects.

§. 103.

Die Negation im objectiv Erhabenen (§. 92. 94. 100 ) erſcheint alſo jetzt als eine Negation des objectiv Erhabenen und dieſe Negation iſt das ſich als ideelle Einheit des Ich ſetzende Subject. In dieſer ideellen Einheit iſt das unendliche Außer - und Nebeneinander der endlichen Dinge zum Inſichſeyn auf - gehoben. Das Ich erſcheint, es iſt in Raum und Zeit geſtellt, aber ſo mit der Endlichkeit behaftet, iſt es als wahre Unendlichkeit zugleich über ſie hinaus, es unterſcheidet ſich in ſich ſelbſt, geht erkennend und handelnd aus ſich heraus, bleibt aber in ſeinen Unterſchieden und Aeußerungen immer bei ſich, ſein eigener ſelbſtbewußter Grund, der wiſſend von ſich aus und in ſich zurückgeht. Unter den Thätigkeiten des Ich kommt aber nur der Wille in Betracht; die Intelligenz kann die Erſcheinung der Erhabenheit nicht begründen, außer ſofern ſie die geſammte perſönliche Erſcheinung, das Wollen und ſeine Folgen bedingt.

Der Zweifler, der Philoſoph, auch der praktiſche Menſch, ſofern ſein Werk den abſtracten Charakter der Verſtändigkeit und des Denkens trägt, ſind an ſich keine äſthetiſche Erſcheinung, denn das Schöne fordert An - ſchauung, das Denken aber iſt rein innerlich und darum im äſthetiſchen Zuſammenhang abſtract. Dies muß in der Lehre vom Erhabenen ausdrücklich hervorgehoben werden, was in der Lehre vom Schönen nicht vonnöthen war. Denn auch hier gilt es, daß erſt, wenn Geiſt und Natur in ein negatives Verhältniß zu einander treten, die Forderung entſteht, daß man unterſuche, ob nicht das eine oder andere Moment fehle. So mußte in der Lehre vom objectiv Erhabenen gefragt werden, ob der Geiſt nicht fehle, ſo hier, ob die Natur vorhanden ſey. Das Denken iſt aber zu naturlos. Erſt, wenn es der Geſtalt den Charakter ſeiner Tiefe aufdrückt, Affecte hervorruft, in die Geſinnung übergeht und das Handeln, dadurch aber das perſönliche Schickſal beſtimmt, wird es äſthetiſch. Hamlet, Fauſt, Sokrates, Spinoza ſind nur dadurch äſthetiſche Erſcheinungen. Der Wiſſensdurſt iſt der eben bezeichnete Affect; die Sage von Empe - dokles, daß er ſich in den Aetna geſtürzt habe, um ſich der dunkeln Natur - kraft zu vermählen, von Ariſtoteles, daß er ſeinen Tod im Euripus256 geſucht, weil er ſeine Strömung nicht begreifen konnte, nicht aber das reine Denken dieſer Philoſophen iſt äſthetiſch.

§. 104.
1

Erhaben erſcheint ein Subject, wenn es durch die Macht ſeines Willens die umgebenden Subjecte ſo weit übertrifft, daß ſeine eigene, obwohl ſie be - grenzt iſt, in das Unbegrenzte zu ſteigen ſcheint. Wahre Unendlichkeit iſt nämlich allerdings ſchlechtweg im Subjecte als ſolchem und inſofern iſt hier die Kategorie der Quantität ganz überwunden. Allein das Endliche, womit das Subject behaftet iſt, ſetzt ſich in dieſe Unendlichkeit ſelbſt fort und bringt Unterſchiede des Maßes herein, welche der Wille zwar zu den ſeinigen er - heben und bis an eine gewiſſe Grenze ſelbſt überbieten kann, aber nur ſo, daß dadurch gerade eine neue Maßbeſtimmung entſteht. Im Erhabenen des Sub - jects nun erſcheint dieſes Maß zugleich als geſetzt und, in der Vergleichung2 mit dem Maß des Willens in andern Subjecten, als aufgehoben. Außer dieſer Vergleichung würde, wenn die Bedingungen dazu vorhanden ſind, das erhabene Subject als ſchön erſcheinen, dieſe aber bringt den Gegenſatz herein, der das Erhabene begründet.

1. Der Wille iſt ſeinem Weſen nach unendlich und darin jedes Subject dem andern gleich. Der innere Widerſpruch des einzelnen Subjects aber den als ſolchen eine höhere Form des Erhabenen aufdecken wird iſt eben der, daß die Natur, über die es hinaus iſt, ebenſoſehr ſich in es fortſetzt und darum auch die Beſtimmung der Quantität hineinträgt. Die Unterſchiede der Quantität ſind zunächſt Naturgrundlage; der Eine hat mehr, der Andere weniger Energie, Tiefe und Umfang des Willens (wobei freilich auch die Intelligenz weſentlich iſt, aber nicht für ſich, ſondern eben, wie ſie in Willen übergeht). Allerdings werden dieſe Unterſchiede erſt geiſtig, wenn ſie der Wille zu den ſeinigen erhebt und frei ſetzt; er kann ſie bis an eine Grenze (denn ganz kann Keiner über ſich hinaus) noch überbieten: aber dadurch entſtehen neue Maß-Unterſchiede. Denn wer ſich ſelbſt bezwingt und mehr aus ſich macht, als die Natur in ihn gelegt zu haben ſcheint, zeigt ebendadurch mehr Willen, als wer ſich in dem Maße des Angeborenen bewegt oder unter dasſelbe ſinkt. Es beginnt zwar hier ſchon der Begriff der Schuld, aber dieſe ſelbſt hat Grade.

257

2. Es könnte eingewandt werden, die Freiheit in der ſubjectiven Erſcheinung, d. h. die Perſönlichkeit ſey ſchön, nicht erhaben (§. 19). Allein was ohne eintretende Vergleichung ſchön hieße, wird erhaben, wenn dieſe und der ihr zu Grund liegende Gegenſatz zwiſchen den Ver - glichenen eintritt. Allerdings jedoch wird die Sphäre des Erhabenen immer ſolche Erſcheinungen fordern, worin die Anmuth ſelbſt, welche die ſittliche Größe als reifſte Frucht ſich aneignet, im Zuſammenhange der umgebenden Bedingungen als der Preis eines Kampfes, als Er - werbung der Freiheit erſcheint. Die zwangloſe Leichtigkeit der kampf - loſen Anmuth fällt daneben in ihre beſchränkte Sphäre vergl. §. 73.

α. Das Erhabene der Leidenſchaft.
§. 105.

Dieſe Form des Erhabenen tritt, da das Subject erſt werden ſoll, was es an ſich iſt, zunächſt ſelbſt wieder in der Form unmittelbarer Beſtimmtheit oder als Kraft auf. Es iſt nicht mehr bloſe Kraft, ſondern aus der Inner - lichkeit des Subjects bewegte Kraft oder Kraft mit Bewußtſeyn, jedoch ſo, daß von dem Gehalte dieſes Bewußtſeyns abgeſehen wird und blos die Gewalt der Bewegung, worin das Unmittelbare und das mit Bewußtſeyn Gewollte in - einander verſchwindet, den äſthetiſchen Eindruck beſtimmt: die Bewegung der Leidenſchaft. Sie gleicht dem Erhabenen der Kraft auch darin, daß ſie weſent - lich furchtbar iſt und daß die Quantität im Sinne der Vielheit von Subjecten, das Gewicht der Maſſe in ihr von großer Bedeutung iſt.

Das Erhabene des Subjects verliert die früher betrachteten Formen nicht, ſondern nimmt ſie in ſich auf und wälzt ſie als einen Strom, den es nun von geiſtigem Mittelpunkte in Bewegung ſetzt, mit ſich fort. Zuerſt erſcheint es ſelbſt wieder in unmittelbarer Form als Naturkraft, als Leidenſchaft. Dieſe iſt vom Pathos wohl zu unterſcheiden, das erſt im Verlaufe auftreten wird. Pathos iſt Leidenſchaft für einen ſittlichen Zweck, in der Leidenſchaft kann der Zweck ſittlich oder unſittlich ſeyn, es kommt zwar in Betracht, daß es ein geiſtig Innerliches iſt, was Nerven, Blut und alle Organe in feurige Bewegung ſetzt, aber jenes verſchwindet unterſchiedslos als blinde Kraft in dieſem Tumulte; z. B. Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 17258der furchtbare Ausbruch Northumberlands in Heinrich IV, den die Schrift über das Erh. und Kom. (S. 78) als Beleg der poſitiven Form innerhalb der Sphäre des negativ Pathetiſchen angeführt hat, gehört vielmehr hieher. Dieſe Wuth iſt nämlich zwar als Erhebung aus einem niederſchlagenden Affect zunächſt ſittlich in ihrem Urſprung, wird aber blind, erprobt ſich nachher nicht als ſtandhafte Tapferkeit, bleibt jedoch erhaben gerade nur durch die glühende Kraft ihres Ausbruchs, wobei von jenem Urſprung und dieſem Ausgang abſtrahirt wird. Griechiſch wäre dieſe Form ϑνμὸς zu nennen. Ihre Hauptform iſt die Kraft des Zorns. Selbſt die Liebe als blinde Leidenſchaft, worin Geiſt und Sinne aufgehen, ſetzt Hinderniſſe voraus und iſt nach dieſer Seite ein Zorn. Der Zorn iſt drohend, auf Hinderniſſe zerſtörend gerichtet, daher dieſe Form weſent - lich furchtbar. Der ganze Eindruck ſchwankt zwiſchen dem elementariſchen, den das Erhabene der Natur, und dem geiſtigen, dem das höher Er - habene des Subjects erregt. Das Maſſenhafte iſt von großer Bedeutung. Wilder Angriff kriegeriſcher Maſſen, empörte Volkshaufen, ihr dunkles Summen und Lärmen. Schlachten gehören hieher, ſofern von einer ſitt - lichen Begeiſterung der Maſſen und von der Intelligenz der Taktik ab - geſehen wird.

§. 106.
1

Wird aber die Leidenſchaft zu einem die ganze Subjectivität beſtimmen - den und bleibenden Zuſtande und verliert dieſe dadurch ihre geiſtige Allge - meinheit unter der Verſenkung in ein Einzelnes, ſo kann ſie dabei noch furcht - bar ſeyn, aber der Zuſchauer beſinnt ſich auf die reine Freiheit des Willens2 und die Erſcheinung wird aus einer erhabenen zu einer häßlichen. Die reine Freiheit nun, wenn ſie der äſthetiſchen Forderung entgegentritt, iſt, noch un - vereinigt mit der ſinnlichen Kraft und Fülle der Leidenſchaft, eine abſtracte und geht zunächſt in ſchwankendem Wechſel neben der unfreien Beſtimmtheit der Leidenſchaft her. Die Erſcheinung dieſes unſteten Willens kann nur im Zu - ſammenhange und Contraſte mit höheren Formen des Willens ein äſthetiſcher Gegenſtand ſeyn.

1. Man wird finden, daß die Hauptſtufen des Willens, wie die Ethik ſie entwickelt, hier auftreten. Allein unſer Zuſammenhang iſt der äſthetiſche, der Uebergang je zu einer weiteren Form muß als eine Forderung vom Standpunkte des Schönen erſcheinen; daher kann hier keine Verpflichtung259 ſeyn, der Ordnung der Ethik durch das Einzelne zu folgen. Hier nun vermittelt ſich der Uebergang durch nähere Betrachtung der Leidenſchaft. Sobald ſie total und habituell wird, geht ſie in Häßlichkeit über. Es iſt vorzüglich der Haß, der hier in Betracht kommt. Nicht jeder Haß iſt habituell gewordene Leidenſchaft des Zorns. Zum Habituellen gehört, daß das Subject ſich in der Leidenſchaft ſo verbeißt, daß es ſeine beſten Kräfte darin verzehrt. Der Haß kann aber, obwohl er als Richtung gegen den Feind conſtant gewordener Zorn iſt, aus einem ſittlichen Kerne, aus der Liebe des Guten fließen und daher zwar ſtetig ſeyn, aber doch nur bei gegebenem Anlaſſe hervortreten. Dieſer Haß iſt ein weſentliches Moment im ſittlichen Pathos, das im jetzigen Zuſammenhang zwar als ſolches noch nicht aufgetreten iſt, aber die Kraft der Leiden - ſchaft als Unterlage und ihm beſtimmtes Organ ſich vorausſchickt. Der ſchlechte Haß iſt der verbiſſene und ſein Object iſt, weil er nicht aus dem Geiſte fließt, keine geiſtige (böſe) Allgemeinheit, ſondern eine Einzel - heit. Kant hat dieſen gemeinen Haß im Auge, wenn er (Anm. zu §. 29 a. a. O.) behauptet, der Haß könne niemals erhaben genannt werden. Eine andere Erſcheinung, das Laſter, iſt im §. nicht er - wähnt worden. Es iſt das Habituell werden eines auf Genuß gerichteten Triebs, und die Triebe des bloſen Genuſſes ſind zu gering, um im Erhabenen erwähnt zu werden, ſie gehören in’s Komiſche Die neuere Tragödie hat freilich ſogar das bleierne, ſelbſt des Reizes der Sinnlich - keit baare, hohle und arſenikaliſche Laſter des Spiels zum tragiſchen Hebel benützt: eine der ſchlimmſten Verirrungen.

Die größeren Leidenſchaften, von welchen hier die Rede iſt, können zwar auch in ihrer Häßlichkeit noch furchtbar ſeyn und ſind eben darum als äſthetiſcher Gehalt allerdings zuläßig. Aber in ihrer Unfreiheit liegt dennoch bereits zu Tage, daß ſie in Wahrheit willenlos ſind, und da ſie den Zuſchauer nöthigen, ſich auf den Willen zu beſinnen, der nicht Leiden - ſchaft, ſondern reine Freiheit iſt, ſo fühlt ſich dieſer in dem unantaſtbaren Heiligthum, das keine Drohung des Affects fürchtet. Das Furchtbare ver - ſchwindet alſo und das nur Häßliche bleibt, d. h. die Leidenſchaft iſt als äſthe - tiſcher Gegenſtand aufgehoben und ein anderer, die[wahre] Freiheit gefordert.

2. Dieſe, wie ſie nun ohne die Fülle der Leidenſchaft, da die letztere ſo eben als häßlich verworfen wurde, auftritt, iſt abſtract. Soll ſie äſthetiſch werden, ſo muß ſich die Leidenſchaft mit ihr vereinigen, allein ſie ſteht jetzt nur äußerlich neben ihr; Gegen - ſtand iſt alſo nunmehr die zwiſchen Leidenſchaft und reiner Freiheit17*260ſchwankende Willkür. Solche Charaktere können wirkſam eintreten neben andern. Die Leidenſchaft kann übrigens jetzt, da ſie nicht mehr der ganze Gehalt iſt, auch in der weicheren Form der Neigung, der Eitelkeit u. ſ. w. hervortreten: Werther, Weislinger, Eduard in den Wahl - verwandtſchaften und verwandte Geſtalten. Sie ſind unter anderen ebenfalls zu verwenden. Göthe bei Eckermann über Eduard: ich kann ihn auch nicht leiden, aber ich brauchte ihn ſo .

β. Das Erhabene des böſen Willens.
§. 107.

Falſche Vereinigung dieſer Gegenſätze entſteht dadurch, daß die Leiden - ſchaft als unmittelbarer Wille des Subjects unvergeiſtigt in die Form der ab - ſtracten Freiheit erhoben und ſo der als Prinzip aufgeſtellte Eigenwille ſich als allgemeiner und vernünftiger Wille behauptet. Dieſe Umkehrung der ge - forderten wahren Einheit iſt das Böſe. Das Böſe iſt erhaben, wenn in dieſer Umkehrung ſo bedeutende Kräfte thätig ſind, daß der Widerſtand der umgebenden Subjecte, ſey nun ihr Wille der ſinnlich leidenſchaftliche (§. 105) oder der ſchwankende (§. 106, 2) oder der gute, aber nicht durch perſönliche Stärke ausgezeichnete, dagegen in nichts verſchwindet und ſo das negative Weſen ſich in eine ſchauderhafte, einſame Unendlichkeit poſitiver Wirkungskraft zu erweitern ſcheint. Zu jenen Kräften wird ebenſoſehr ungewöhnliche Gewalt der Leiden - ſchaft, als Feinheit der das verkehrte Prinzip beſchönigenden und die Anſchläge ausführenden Intelligenz und Fähigkeit der Abſtraction von der einzelnen Be - friedigung für die umfaſſenderen Zwecke der Leidenſchaft erfordert.

Der wahre Begriff des Böſen, nicht als bloſer Abweſenheit, ſondern als einer Verkehrung des Guten, iſt hier kurz ausgeſprochen und findet ſeine Erläuterung in der Ethik. Man vergegenwärtige ſich hier, im äſthetiſchen Zuſammenhang, ſogleich die Ungeheuer der Herrſchſucht in der Geſchichte und die vollendetſte Darſtellung des Böſen in der Kunſt, Richard III von Shakespeare. Die ihn umgebende Welt theilt ſich in unmächtige Leidenſchaft, vorzüglich Weiberwuth, ſchwache, weil inconſequente Bosheit in den Vaſallen; der gute Wille erſcheint hier und im Macbeth ſo lange machtlos, bis er durch die Selbſtzerſtörung261 des Böſen und durch die Kraft der Vielheit erſtarkt; Richmond ſelbſt hat perſönlich ungleich weniger Bedeutung als Richard. Richard wird durch die poſitive Fülle ſeiner Kräfte, welche doch rein negativ wirkt, dämoniſch in dem Sinne, wie Göthe den Ausdruck gebraucht (Eckermann II, 298). Durch dieſes Wort läßt ſich hier die Unend - lichkeit im Erhabenen bezeichnen. Die böſe Kraft nämlich wächst für den Anblick über das Maß der individuellen Kraft, an das ſie doch gebunden iſt, in’s Unbegrenzte hinaus, was bei Richard insbeſondere dadurch bewirkt wird, daß der wunderbare Geiſt des Dichters ihn ganz zu dem Gefäße einer lang angeſammelten, weit über den Einzelnen hin - ausreichenden, geſchichtlichen Nothwendigkeit macht. Er hört faſt auf, ein Menſch zu ſeyn, er iſt ein Geiſt. Wenn aber dem ſittlich Wollenden die Bewunderung in die unbegrenzte Höhe folgt, um ſich hier mit der Menſchheit in ihm wiederzufinden, ſo ſteht der Böſe in dieſer Ferne einſam. Ich bin ich ſelbſt allein . Durch dieſe Einſamkeit iſt das Böſe nur um ſo erhabener, denn es gehört eine unendliche Stärke des Willens dazu, ſie auszuhalten. Der Böſe hat nicht nur die Guten, ſondern auch die Böſen gegen ſich. Es gibt wohl auch einen Bund der Böſen, aber ohne Zuſammenhalt, er hebt ſich von ſelbſt auf. Wo man bei unverkennbar böſem Wirken geſchloſſene Verbindung findet, wie bei den Geſellſchaften, die ſich als Stützen verfallender Religionsformen bilden, Jeſuiten und Pietiſten, da iſt die Grundlage nicht Böſes, das als ſolches gewollt wird, ſondern Selbſttäuſchung des Fanatismus, der den hartnäckigſten Bund mit ſich bringt, und von dieſer Grundlage erſt geht das verführte Herz zum eigentlich Böſen fort. Der große Böſewicht aber unterliegt der Täuſchung, einen Bund der Böſen errichten zu wollen, gar nicht. Trotz dieſer geſpenſtiſchen Einſamkeit muß jedoch das Böſe ganz real erſcheinen, ſinnlicher Muth und Gewalt darf nicht fehlen und Shakespeare hat ſeinem Richard dieſe grobe Unterlage zu geben nicht verſäumt. Die ganze Feinheit der Liſt und einer falſchen Metaphyſik, die Umkehrung der Wahrheit zu beſchönigen, muß ſich auf dieſer Baſis entwickeln. Das Böſe iſt nicht Sinnlichkeit, ſondern ſublimirte, zur Maxime erhobene Sinnlichkeit; daher muß die Kraft der Sinnlichkeit da - ſeyn, aber ebenſoſehr immer in dieſe Abſtraction verflüchtigt werden. Der Böſe hat die Willenskraft, den einzelnen ſinnlichen Zwecken entſagen zu können, wie die höchſte Tugend, während doch der letzte Zweck das empiriſche Ich iſt, das abſolut herrſchen will. Herrſchen iſt dieſes ſinnlich Unſinnliche, was der Böſe will. Weitere Beſtimmtheit262 werden die ferneren Theile des Syſtems in den Begriff des Böſen bringen. Hier war das Weſen desſelben in ſeiner Gedrängtheit anzu - geben; in untergeordneten Böſewichtern wie z. B. Jago ſind nur einzelne Momente ausgebildet.

§. 108.
1

Die innere Umkehrung ſtellt ſich nothwendig in der Mißgeſtalt der per - ſönlichen Erſcheinung und der ſich ſelbſt aufhebenden Schein Ordnung des Werkes als Häßlichkeit dar. Wie nur im Subjecte die zum Erhabenen erfor -2 derte wahre Unendlichkeit, ſo iſt nur im Böſen die wahre Häßlichkeit. Würde nun der innere Widerſpruch des Böſen und die ihr entſprechende Verzerrung der Geſtalt und des Werks in ihrer Nichtigkeit geſondert in’s Auge gefaßt, ſo entſtünde eine Häßlichkeit, welche äſthetiſch entweder verwerflich, oder nur unter der Bedingung zuläſſig wäre, daß ſie durch Uebergang in ein anderes Moment des Schönen von der vorliegenden Sphäre abführen würde. Allein die im Böſen um einen falſchen Mittelpunkt vereinigten poſitiven Kräfte wirken, weil das Böſe weſentlich Herrſchſucht iſt, zerſtörend, verbreiten daher Furcht und Grauen um ſich, ziehen ſo den Blick von der reinen Betrachtung des inneren Widerſpruchs auf dieſe Seite ab, und unter dieſer Be〈…〉〈…〉 gung iſt die Häßlich - keit im Erhabenen berechtigt (vergl. §. 98, 2).

1. Wie vom Erhabenen, ſo behauptet Ruge vom Häßlichen, daß es nur der geiſtigen Welt angehöre. Erhaben ſey nur die Erhebung, häßlich nur der prinzipielle Abfall des Geiſtes; alle Erſcheinung alſo, die nicht Geiſt zu ſeyn prätendire, könne ebenſowenig für häßlich als für ſchön angeſprochen werden. Die Häßlichkeit in der Natur ſey daher in derſelben Art nur Gleichniß wie ihre Schönheit und Erhabenheit, (a. a. O. S. 94 ff.). Allein der Begriff Gleichniß iſt auch hier, wie in §. 89, Anm. als ein zu weiter und äußerlicher zu bezeichnen. Der Geiſt könnte eine Ahnung ſeines Abfalls nicht in die Natur legen, wenn nicht wirklich der werdende Geiſt ſich in ihr ankündigte, und wir haben das Häßliche in §. 98 als eine eigene Sphäre ebenſo feſtzuhalten, wie das objectiv Erhabene, denn der Unterſchied wird ebendadurch begrün - det, daß das einemal die Anſchauung ahnend leihen muß, das andremal nicht. Allerdings erregen häßliche Gegenden, Bäume, Thiere ein Grauen, wie wenn ein böſer Geiſt aus ihnen ſpräche, aber gerade dieſes wie wenn bewirkt eine Stimmung ganz ſpezifiſcher Art, welche263 eine beſondere Stelle für den Gegenſtand fordert. Das Chaotiſche, Wilde, Formloſe in der Natur gemahnt uns, daß auch im moraliſch Häßlichen der zum Prinzip erhobene Naturgrund ſich entfeſſelt. Wir können alſo Ruge’s Satz auch umkehren: das moraliſch Häßliche reißt den Menſchen in das Chaos, zu Wölfen und Bären zurück und iſt ein Gleichniß des Häßlichen in der Natur. Darum ſoll aber keineswegs geläugnet werden, daß erſt der zum Prinzip erhobene Naturgrund als Böſes die wahre, ganze Häßlichkeit iſt. Die Mißgeſtalt nun, worin ſich das Böſe darſtellt, muß nicht nothwendig eigentliche Miß - bildung ſeyn, wie bei Richard III, wo ſie aber als Motiv ſo wun - derbar vom Dichter verarbeitet iſt; die Formen können ſchön ſeyn, und gerade dann erſcheint die Bewegung, welche der Charakter dazu gibt, das Mienen - und Gebärdenſpiel, das ſich freilich auch in bleibenden Zügen eingräbt, um ſo häßlicher, wenn es die Formen, welche zum Ausdruck einer hohen Seele beſtimmt ſind, durch dieſe Züge trübt, worin der lauernde Tiger, die ſchleichende Katze ſich in das edle Menſchenbild eingedrängt zu haben ſcheint. Die eigentliche Mißgeſtalt des Böſen aber erſcheint in ſeinen Werken.

2. Die Häßlichkeit führt zum Komiſchen, wenn die Seite des reinen Widerſpruchs im Gegenſtande als ſolche in’s Auge gefaßt wird. Dies mußte hier ſchon[a]ngedeutet werden, um zeigen zu können, warum das Böſe eine Häßlichkeit furchtbarer Art behaupten muß. Daß gute Kräfte im Böſen fortwirkend gegen ſich ſelbſt wüthen, daß die tiefe Einſicht des Böſen ihm ſeine Verkehrtheit, ja den logiſchen Grundirrthum in ſeiner Bosheit nothwendig zeigen ſollte und in einem unausgebildeten Wahrheitsgefühle wirklich zeigt, dies iſt reiner Widerſpruch; allein der Zuſchauer hat keine Zeit, dabei zu verweilen, weil dieſes widerſprechende Weſen abſolut ſchädlicher Art iſt und ihn mit Grauen überzieht. Der Verbrecher darf daher im äſthetiſchen Zuſammenhang niemals ärmlich und gedrückt, er muß noch im Untergang groß und furchtbar erſcheinen. Schon daraus folgt die Verwerflichkeit des Armenſünder-Motivs in Romanen und Schauſpielen. Wenn nun aber, wie im religiöſen Glau - ben, ein abſolut Böſes als Perſon vorgeſtellt wird, ſo iſt der Ueber - gang in’s Komiſche nicht mehr abzuhalten. Denn wie furchtbar die Erſcheinung gedacht ſeyn mag, der volle Widerſpruch eines Weſens, welches das Böſe um des Böſen willen bei vollkommen ausgebildeter Einſicht in ſeine Nichtigkeit unabläßig will, iſt zu ſtark, um von dem Eindruck des Furchtbaren zugedeckt zu werden. Der wahre Künſtler muß daher den Teufel nicht pathetiſch, ſondern humoriſtiſch behandeln. 264In das menſchlich Böſe ſetzen ſich die guten Kräfte nicht nur in der Form der Umkehrung fort, ſondern als Lichtblicke gelegentlicher Güte vorübergehender Reue, und daraus entſteht ein neues Motiv, das keine Komik aufkommen läßt: die vom Grauen ſelbſt nicht aufgehobene Theilnahme. Komiſch iſt der menſchliche Böſewicht allerdings in dem activen Sinne, daß er durch ſeinen Verſtand die Umgebungen ironiſirt; dies gehört aber nicht hieher. Er iſt komiſch auch in dem paſſiven Sinne, daß er in der Entſchiedenheit ſeines böſen Wollens, als wäre es gut, naiv erſcheint (wie namentlich Richard III). Allein auch dies gehört nicht hieher, denn darin hat er gegen die halbe Bosheit der umgebenden ſchwachen Subjecte Recht, indem er eine Natur iſt.

§. 109.

Die negative Form der Erhabenheit des böſen Willens tritt ein, wenn über den ſcheinbar vollendeten Böſewicht die noch zerſtörendere Kraft der Bos - heit durch einen andern kommt. Der eine wie der andere kann das Böſe in der Form des drohenden Rückhalts oder des vollen Ausbruchs darſtellen und die wirkſamſte Erſcheinung iſt die, wenn die größtmögliche Zerſtörung in der darauf folgenden Stille und Ruhe eine unendliche Möglichkeit neuer Verbrechen verbirgt; denn hier vereinigt ſich mit der Wirkung der geahnten Unendlichkeit die volle Kraft der Negativität. Allein ſobald ſich der Zuſchauer in dieſen Abgrund vertieft, ſo erblickt er darin die innere Selbſtzerſtörung, welche aber auch im Aufbau ihres Werks an eine Grenze gelangt, wo die äußere Zerſtö - rung eintritt. Das Böſe hebt ſich auf und führt zu der Nothwendigkeit, daß der Wille des Subjects ſich mit dem allgemeinen und vernünftigen verſöhne.

Es wurde in §. 107 geſagt, das Böſe ſey einſam. Dies hindert nicht die Vereinigung vieler Böſen in einem äſthetiſchen Ganzen, denn daß jeder derſelben einſam bleibt, daraus geht gerade die Dialektik her - vor, worin ſie ſich aufreiben und das Gegentheil von dem, was ſie wollten, das Gute herſtellen. Im Lear und in der Dramenreihe von Heinrich VI Richard III herrſcht dieſe Dialektik, wo über den großen Böſewicht vernichtend der größere kommt und der größte an der inneren Nichtigkeit des Böſen ſcheitert. Der übrige Inhalt des §. bedarf keiner Erläuterung und die nähere Motivirung des Prozeſſes, wodurch ſich der böſe Wille in den guten aufhebt, gehört in die Ethik.

265
γ. Das Erhabene des guten Willens.
§. 110.

Der Wille des Subjects, der ſich dem allgemeinen und vernünftigen Willen1 als Organ hingibt, iſt der gute Wille, die concrete Freiheit. Das Subject als Einzelnes kann aber aus dem in dem allgemeinen Willen enthaltenen In - begriff der ſittlichen Ideen nur eine beſtimmte zu ſeinem Lebenszwecke erheben. Wenn der Wille des Subjects ſammt dem ganzen Umfange ſeiner Perſönlichkeit, ohne daß jedoch die Vielſeitigkeit derſelben ausgeſchloſſen wird, ſo mit dieſem ſittlichen Zwecke verwächst, daß derſelbe dem ganzen Leben des Subjects ſeine Einheit und Stetigkeit gibt, ſo ſcheint dieſes, in Vergleichung mit umgebenden Subjecten von geringerer ſittlicher Stärke, zugleich Subject zu bleiben und zu - gleich zum Geſammtſubjecte der Gattung ſich zu erweitern. Das Subject hat2 aber ſeine ſittliche Kraft durch wirkliche Thätigkeit im Widerſtande zu meſſen. In dieſem Kampfe muß ihm das Erhabene der Leidenſchaft beiſtehen. Der gute Wille im poſitiven Verhältniſſe zu der mit ihm vereinigten Kraft der Lei - denſchaft heißt Pathos im poſitiven Sinne. Das Wort kann auch objectiv den Gehalt bezeichnen, aber nie in ſeiner Abſtraction, ſondern als Macht im Gemüthe.

1. Durch die Hervorhebung der Schranke, welcher das Subject als einzelnes unterliegt und wodurch es beſtimmt iſt, nur Eine ſittliche Idee zu ſeinem Lebensgehalte zu machen, iſt bereits die Aufhebung dieſer ganzen Form der Erhabenheit vorbereitet, aber auch nur vorbereitet, denn zunächſt iſt feſtzuhalten, daß auch in dieſer beſtimmten Idee der Inbegriff der ſittlichen Ideen irgendwie enthalten iſt und daß die abſolute ſittliche Idee nur durch das Subject wirkt und lebt. In der Beſtimmung dieſer Subjectivität hat der §. den Ausdruck: Charakter vermieden. Denn Charakter iſt eine concretere Beſtimmung, welche alle die realen Momente bereits vorausſetzt, aus denen das Subject die geſchichtliche Form und Färbung ſeines ſittlichen Zweckes entnimmt und in der Wechſelwirkung mit welchen es ſein ſittliches Leben fortwährend erzeugt. Charakter iſt daher das ſittliche Subject erſt da zu nennen, wo das Syſtem ſich in das wirkliche geſchichtliche Leben ein - läßt. Dagegen war hier allerdings die Bedingung der Vielſeitigkeit ſo - gleich aufzunehmen, welche Hegel unter dem Begriffe des Charakters266 (Aeſth. 1, S. 303 ff. ) aufführt und ſo ſchön entwickelt. Ein ſittlicher Gehalt erſcheint nämlich nicht als wirkliche Macht in einem Subjecte, wenn er den Reichthum der übrigen Neigungen, Intereſſen, Thätigkeiten der Perſönlichkeit von ſich ausſchließt. Entweder er läßt ihnen gar nicht Luft und das Subject lebt nicht, oder er verkehrt ſie gewaltſam zu ſeinem Zweck und das Subject iſt fanatiſch. In jenem Falle entſtehen die falſchen ſchematiſchen Charaktere des Drama: der Geizhals, der Polterer u. ſ. w. Erſt wenn ich ſehe, daß ein Subject auch nach anderen Seiten mannigfaltig bewegt und ein ganzer Menſch iſt, daß aber dieſe abweichenden Bewegungen alle wieder ſich umbiegen nach der Einen Grundbewegung, ſo erkenne ich die Macht der ſittlichen Idee, welche dieſen Mittelpunkt bildet. Die Ab - weichung muß ſelbſt bis zum Widerſpruch gehen, aber dieſen im Fortgange wieder aufheben. Dieſer Widerſpruch gibt den Charakteren Shakes - peares ihr Leben und ihr Dunkel für den abſtracten Verſtand und für eine deklamatoriſche Schauſpielkunſt. Das ſo erfüllte Subject nun iſt erhaben in der Zuſammenſtellung mit ſchwächeren, wenn der Abſtand ſo groß iſt, daß er unendlich ſcheint. Es ſcheint ſich zum Geſammtſubject der Gattung zu erweitern , aber in dieſer Höhe wird es dennoch als einzelnes Subject feſtgehalten. Dies iſt wohl zu merken, ſonſt gerathen wir zu frühe in’s Tragiſche. Jetzt iſt der Sinn der: das Subject iſt Subject und ſcheint doch ſich zur Unendlichkeit zu erheben; im Tragiſchen aber: die ſittliche Idee gibt ſich die Beſchränkung des Subjects und geht doch unendlich darüber hinaus.

2. Das Vergleichen iſt kein todtes, das Subject ſelbſt vergleicht ſich praktiſch, es mißt ſich, es kämpft, und zwar gegen alle bisher aufgeführten Formen des Erhabenen ſowohl als gegen das in ſeinem eigenen Sinne, d. h. im Sinne des Guten, große, aber minder große Subject. Dieſer Kampf kann bald die Form kriegeriſchen, bald mehr eines geiſtigen Streites annehmen: ein Unterſchied, der eine neue Stufenfolge erzeugen würde, wenn die Wiſſenſchaft der Aeſthetik an dieſer Stelle ſich darauf einzulaſſen Raum hätte. Welche Waffen aber der Kampf führen möge, die Leidenſchaft muß dem Subjecte beiſtehen. So entſteht das poſitiv Pathetiſche. Es iſt eigenthümlich, daß die von Kant angeregten Aeſthetiker das Pathetiſche nur in der negativen Form des Kampfes gegen die (eigene) Leidenſchaft kannten (ſo Schiller: die moraliſche Inde - pendenz von Naturgeſetzen im Zuſtande des Affects ſ. Ueber das Pathe - tiſche), da doch Kant ſelbſt ein affirmatives Verhältniß zwiſchen dem ſittlichen Willen und dem Affect ausſpricht: die Idee des Guten mit Affect heißt Enthuſiasm u. ſ. w. Aeſthetiſch iſt der Enthuſiasm erhaben,267 weil er eine Anſpannung der Kräfte durch Ideen iſt, welche dem Gemüthe einen Schwung geben, der weit mächtiger und dauerhafter wirkt, als der Antrieb durch Sinnenvorſtellungen. Ein jeder Affect von der wackern Art (der nämlich das Bewußtſeyn unſerer Kräfte, jeden Widerſtand zu überwinden (animi strenul) rege macht) iſt erhaben, z. B. der Zorn, ſogar die Verzweiflung (nämlich die entrüſtete, nicht aber die verzagte). Allein freilich dieſe Anerkennung eines poſitiven Verhältniſſes zwiſchen dem Geiſte und ſeiner Natur widerſprach zu ſehr dem Geiſte der Kritik der prakt. V., um furchtbar zu werden, ſie verliert ſich daher auch in eine Anmerkung (nach §. 29) und wird durch die Zwiſchenbemerkung auf - gehoben, daß jeder Affect blind ſey und das Gemüth unvermögend mache, ſich nach freier Ueberlegung der Grundſätze zu beſtimmen. Erſt nachdem die Ethik affirmativ geworden, konnte Hegel ſagen, daß noch nichts Großes ohne Leidenſchaft geſchehen ſey. Es iſt kein Grund vorhanden, unter Leidenſchaft blos habituelle Verſenkung des Willens in ein Einzelnes zu verſtehen. Sie ſtand uns ſchon in §. 105 höher; jetzt aber hat ſie einen ſittlichen Mittelpunkt, deſſen Bote und Vollſtrecker ſie iſt. Man denke an den gewaltigen ſittlichen Zorn großer Männer, z. B. eines Luther. Für dieſen Begriff hat Hegel den Ausdruck Pathos nach den Alten ein - geführt. Er gebraucht das Wort gewöhnlich objectiv: die allgemeinen Mächte, welche nicht nur für ſich in ihrer Selbſtändigkeit auftreten, ſondern ebenſoſehr in der Menſchenbruſt lebendig ſind und das menſchliche Gemüth in ſeinem Innerſten bewegen (Aeſth. 1, 297). Hegel will den Ausdruck Leidenſchaft vermeiden, weil er den Nebenbegriff des Nie - drigen habe; er verdiente, wieder geadelt zu werden. Das Wort Pathos läßt ſich aber ebenſo auch ſubjectiv gebrauchen: die Bewegung des Gemüths aus einem ſittlichen Mittelpunkte, die Perſönlichkeit, für ein ſittliches Grundmotiv die ganze Erhabenheit der Kraft in ſich auf - bietend. Wir behalten uns einen Wechſel des objectiven und ſubjec - tiven Gebrauchs vor.

§. 111.

Das Pathos kann als ruhende Kraft den Ausbruch drohen und nach dem Ausbruch in drohende Stille zurückkehren. Dieſe Ruhe wirkt auch hier, als negative Form in der poſitiven, ſtärker, als der Ausbruch, aber auf andere und tiefere Weiſe, als die Ruhe im blos dynamiſch Erhabenen. Während nämlich hier (vergl. §. 99 und 101) der durch den Rückhalt verdoppelte Ein -268 druck der Unendlichkeit noch nicht die Anſchauung eines in die Kraft ſelbſt durch die Negation der Beſinnung eintretenden Bruches in ſich ſchloß, ſo hat dagegen das Pathos als wirklich geiſtige Macht die Negation in ſich, wodurch es ſich mit Bewußtſeyn ſeinem Ausbruch entgegenſetzen und über ihn ſtellen kann. Hieraus geht nun die wirklich negative und ungleich ſtärkere Form des ſittlich Erhabenen hervor.

Um die ſtarke Wirkung der ruhig drohenden Kraft ſich zu vergegen - wärtigen, denke man z. B. an Volker und Hagen in der 29ten Aventiure des Nibelungenlieds. Die Stille vor einer Schlacht gehört hieher, ſofern nun der Krieg als Kampf um ſittliche Güter betrachtet wird. Daß das Pathos die Negation der Entgegenſetzung in ſich trägt, bedarf keines Be - weiſes, denn es iſt eine ſelbſtbewußte Kraft. Es gibt auch höhere Er - ſcheinungen drohender beſonnener Kraft, als jene der Nibelungenhelden, wozu die Beiſpiele ſich leicht darbieten. Der ganzen, nun eintretenden Sphäre des negativ Pathetiſchen kann man das bekannte Wort des Seneca vorſetzen: Ecce spectaculum dignum, ad quod respiciat intentus operi suo Deus: vir fortis cum mala fortuna compositus.

§. 112.

Dieſe negative Form ſetzt zunächſt eine noch höhere Erſcheinung des ſittlichen Willens voraus, wodurch die, wie es ſchien, größtmögliche ſittliche Stärke ſelbſt beſiegt wird. Allein die Betrachtung wendet ſich jetzt nicht auf das thätige Subject in dieſem Verhältniß; denn das leidende Subject nimmt, da es die Negativität der geiſtigen Unendlichkeit in ſich trägt, durch einen Act der ſittlichen Erhebung die zerſtörende Macht mitten im Leiden, das ihm durch ſie bereitet iſt, in freier Anerkennung in ſich herein, und nun mag das Leiden kommen, woher es mag, von der blinden Kraft, von der Leidenſchaft, vom ſchwankenden, böſen, oder ſittlich ſtärkeren Willen: das Subject erkennt es als gut an. Aber eben dieſe Seite führt von der vorliegenden Sphäre ganz ab und die letztere wird nur eingehalten, ſofern die Anſchauung bei dem leidenden Subjecte verweilt, wie es durch die Kraft der ſittlichen Freiheit ſein Leiden überwindet. Dieſes Schauſpiel des ſittlichen Willens, der ſich im Leiden be - währt, iſt das negativ Pathetiſche.

Es iſt ein Mangel der bisherigen äſthetiſchen Unterſuchungen, daß ſie die Nothwendigkeit der im §. enthaltenen Motivirung überſahen. Man269 ſetzte ohne Weiteres voraus, daß im Pathetiſchen überhaupt das leidende Subject der Gegenſtand der Unterſuchung ſey. Der eine Fehler da - bei war der ſchon gerügte, daß man dabei nur an die negative Form dachte, die uns jetzt vorliegt; der andere der, daß man überſah, wie an dieſer Stelle, ſobald man die Urſache des Leidens in ihren letzten Grund verfolgt, eigentlich ſogleich das Tragiſche beginnt. Dadurch ließ man ſich nicht verlegen machen, weil man in Wahrheit ein Tragiſches eigentlich gar nicht hatte, ſondern es eben im Schauſpiele der Seelenſtärke im Leiden ſuchte. Wir aber haben uns zu verantworten, warum wir auf dem Punkte ſtilleſtehen, der hier unmittelbar zum Tragiſchen hinweist. Was nämlich immer die nächſte Urſache des Leidens ſey, wenn auch nur eine äußere Nothwendigkeit, in deren Eingreifen ſehr unrichtig von früheren Aeſthetikern der Hebel des Tragiſchen geſucht wurde: der ſittliche Wille, der ſich im Leiden bewährt, ſieht darin als letzte Urſache ein höheres Geſetz, das über allem Subjecte liegt, und hiemit iſt die Erhabenheit des abſoluten Geiſtes eingetreten. Soll alſo die Sphäre der ſubjectiven Erhabenheit eingehalten werden, ſo muß man dieſe Seite fallen laſſen. Dies iſt aber keine willkür - liche Abſtraction. Denn das leidende Subject verdoppelt ſich in ſich ſelbſt und wir haben zwei in Einem. Es nimmt den Feind in ſich herüber durch die Anerkennung eines abſoluten ſittlich waltenden Geſetzes, und dies führt, im objectiven Sinne verfolgt, zum Tragiſchen, allein ſubjectiv entſteht da - durch ein neues Verhältniß: das Subject hat noch einen Feind in ſich, der dies Anerkennen zu verhindern und im Erliegen den Geiſt zu verfinſtern droht: ſeine eigene Sinnlichkeit. Der innere Kampf des Subjectes mit ſich, abgeſehen von dem Gehalte jener Anerkennung, wird nun Gegenſtand, ein Prozeß, der ſich in Einem, ſich zu ſich ſelbſt negativ verhaltenden, Subjecte vollzieht, und dies iſt das negativ Pathetiſche.

§. 113.

Der Wille ſetzt dem eigenen Leiden die Unendlichkeit ſeiner Freiheit1 entgegen und wandelt die niederſchlagende Bewegung in eine muthige um. Dieſe Bewährung der Freiheit erſcheint um ſo tiefer, je mehr das Leiden nicht blos die ſinnliche, ſondern ſelbſt die an ſich allerdings, nur im vorliegenden Falle nicht, geiſtig berechtigte Empfindung trifft. Dieſer Act des negativen Pathos theilt ſich alſo in zwei Momente. Das erſte iſt das Leiden, welches, wenn das andere Moment ſeine Macht bewähren ſoll, bis zum äußerſten Sturme fortgehen muß, wodurch das Häßliche der Zerſtörung (§. 100), doch in mehr2702 innerlicher Form, wieder ſeine Geltung behauptet. Das zweite Moment iſt die Bewährung der Freiheit, welche dem Gefühle des Leidens ſeine Grenze ſetzt und es in Gefühl des Sieges aufhebt. Bleibt dieſes zweite Moment aus oder wird dem Leiden nur ein Widerſtand klagender und ſanfter Art entgegen - geſetzt, ſo entſteht das Rührende, welchem nur ein beſchränkter Raum im Schönen zukommt.

1. In der Darſtellung dieſer negativen Form iſt Schiller in ſeinem Elemente. Da der Widerſtand der Freiheit nur nach der Stärke des An - griffs geſchätzt werden kann, ſo muß das Subject die ganze volle Ladung des Leidens bekommen (Ueber das Pathetiſche). Für dieſes Gewicht des Leidens muß aber auch die volle Empfindlichkeit da ſeyn und daher das Leiden ſelbſt in bewegter Lebendigkeit erſcheinen. Die Natur muß ihr volles Recht haben; ihre Forderung iſt immer die erſte; der Menſch iſt, ehe er etwas Anderes iſt, ein empfindendes Weſen. Die Art, wie nun Schiller den Umfang zu bezeichnen ſucht, in welchem das Leiden ſeine Herrſchaft ausdehnt, muß unbeſtimmt bleiben, weil dieſelben Organe, die der Wille beherrſcht, dem erſten Inſtincte des Schmerzes gehorchen, ehe dieſer Zeit hat, ſeine Obmacht zu bewähren. Die ganze Darſtellung hat überhaupt den Mangel, daß blos das Animaliſche als die leidende Seite aufgenommen wird, und hierin ergänzt ſie ſich durch die, nur nicht ausgeführte, Be - merkung in der Abh. über den Grund des Vergnügens an tragiſchen Gegen - ſtänden: die Tragödie (in Wahrheit iſt es vielmehr nur das ſubjectiv Erhabene) umfaſſe alle möglichen Fälle, in denen irgend eine Naturzweck - mäßigkeit einer moraliſchen oder auch eine moraliſche Zweckmäßig - keit der andern, welche höher iſt, aufgeopfert werde. Regulus z. B. unterzieht ſich nicht nur phyſiſchen Schmerzen, er leidet auch um ſeine Familie, Jeſus um die Menſchheit. Das Leiden muß den ganzen Menſchen aufwühlen, der innerſte Geiſt iſt als Empfindung auf der leidenden Seite betheiligt. Im Kampfe dieſes Leidens tritt wieder das Häßliche ein, nur daß es nicht als blos äußerer Zerſtörungsact, wie im Erhabenen der Kraft §. 100, ſondern zugleich oder blos als Qual der Seele, die freilich auch im Nervenleben und der äußern Bewegung ſich äußert, erſcheinen muß. Es fragt ſich, wie weit es gehen dürfe. Eine buchſtäbliche Grenzbeſtimmung iſt hier nicht möglich; es iſt nur im Allge - meinen der Satz aufzuſtellen: der Widerſtand des Geiſtes ſoll nicht aus - bleiben. Der Gekreuzigte in der byzantiniſchen und häufig in der alt - deutſchen Malerei war nur häßlich, weil keine Erhebung zu ſehen war. 271Verſchiedene Künſte haben freilich verſchiedenen Umfang der Freiheit, wovon an ſeinem Orte zu reden iſt.

2. Die Bewährung der Freiheit kann entweder erſt auf einem Punkte des fortgeſchrittenen Leidens eintreten, oder ſich von Anfang an zugleich mit dieſem ankündigen. Bleibt ſie aus oder wird ſie nur in Klagen, Thränen, Bitten ſchwach geübt, ſo entſteht das Rührende. Man hat an dieſem Orte häufig überhaupt von dem Werthe und Unwerthe ſchmelzender Affecte geſprochen. So ſchon Kant (a. a. O. Anm. zu §. 29). Eigentlich gehört dies nicht hieher, denn das Schmelzende iſt eine Afterform des Schönen, welche, ſtatt Geiſt und Sinne zugleich zu beglücken und zu be - freien, mit einem bloſen Scheine geiſtiger Beimiſchung durch wollüſtig hin - ſinkende Bilder die Sinne kitzelt. Darin liegt aber ein Gefühl der Auf - löſung, das einer Wehmuth gleicht, einem ſüßen Mitleid mit ſich ſelbſt, daß man ſich ſo in den bezaubernden Gegenſtand verliere, wie Zucker im Munde ſchmilzt: dies erinnert an das, was im eigentlichen Sinne Rührung heißt und hieher gehört. Alles Leiden, auch das des Tapferen rührt. Aber es rührt nicht blos, es ſtärkt und erhebt zugleich. Rührend nennt man, was blos rührt, weil es zum Widerſtand ſowohl gegen den äußern, als gegen den innern Feind, die auflöſende Empfindung, zu ſchwach iſt, ſo daß nur Thräne, Klage, oder höchſtens die ſanfte kindliche Bitte bleibt, wie dem Knaben Arthur. Es iſt am Platze, wo hilfloſe Weſen auftreten, Kinder, Weiber. Dagegen ſteht es Männern ſchlecht an. Der erfrierende Sigwart iſt ein rührender Mann. Doch vorübergehend iſt es am Platze, wie z. B. ſelbſt Wallenſtein in ſeiner letzten Stunde im Andenken an Max Piccolomini weich wird. Je nach dem Zuſammenhang ſoll aber auch das Weib durch Erhebung ſich ſtark zeigen. Maria Stuart erhebt ſich im Angeſicht des Todes; die lange Abſchiedsſcene iſt zu rührend, ſofern ſie trotz der Erhebung zu lang bei der Darſtellung des auf - löſenden Schmerzes verweilt.

§. 114.

Es kommt nun darauf an, ob die Freiheit gegen den niederſchlagenden1 Affect des Leidens ſelbſt einen Affect erhebender Art zum Beiſtande hat, oder ob ſie ihm in affectloſer Strenge ihre abſtracte Unüberwindlichkeit entgegenhält. Die erſte Form iſt die ſchwächere, poſitive des negativ Pathetiſchen, die2 zweite die negative und ſtärkere, welche aber leicht durch den Schein der Un - empfindlichkeit ſich vernichtet und nur unter Bedingungen am Platze iſt. Dieſe272 Form bewährt aber einen Willen, dem die Bezwingung des Affects zur andern2 Natur geworden iſt. Dieſe vollendete Feſtigkeit heißt in ihrer Erſcheinung Würde. Durch das Stehendwerden in der Erſcheinung verliert aber auch leicht der innere Werth.

1. Beiſpiel der poſitiven Form im negativ Pathetiſchen iſt der furcht - loſe Kampf eines ſchon verwundeten, der negativen das ruhige Aushalten eines dem feindlichen Feuer ausgeſetzten Kriegers. In höherer Sphäre bewaffnet die edle Scham, das Ehrgefühl, die Begeiſterung den Leidenden gegen den niederſchlagenden Affect, während der ruhig und ſtreng gefaßte Geiſt ſich einfach in die Ataraxie der abſtracten Freiheit zurückzieht. Dort ein Zorn gegen ſich ſelbſt im Gedanken einer möglichen Feigheit, hier die kalte und feſte Ruhe. Dies iſt freilich nur unter Bedingungen die er - habenere Form, dann nämlich, wenn nicht gehandelt werden kann. Ein Ludwig XVI, der zuletzt apathiſch das Scheußlichſte erträgt, wo er handeln ſollte, iſt ein unäſthetiſches Bild; es brauchte viele dichteriſche Kraft, eine ſolche Erſcheinung erträglich zu machen, die jedoch Shakes - peare in Heinrich VI wunderbar gezeigt hat.

2. Den Begriff der Würde hat Schiller (Ueber Anmuth und Würde) gründlich entwickelt. Würde iſt die ſittliche Erhabenheit als die zur andern Natur gewordene, nicht nur alle Bewegungen beherrſchende, ſondern auch den ruhenden Formen als feſter Stempel aufgedrückte Gewohnheit der Be - herrſchung des Affects. Sie muß ſich natürlich auch in der Verſuchung zu haltungsloſer Luſt bewähren, aber der eigentliche Moment ihrer Bewährung iſt die Verſuchung zum Erliegen in der Unluſt. Die Zeichen des Leidens haben hier den kleinſtmöglichen Raum, aber ebendadurch entſteht leicht der Verdacht der Unempfindlichkeit und das Erhabene iſt aufgehoben. Ueberhaupt hat der Begriff etwas Aeußerliches. Denn da die Würde ein vollkommener Niederſchlag der inneren Erhabenheit in der Erſcheinung iſt oder wie ſie Solger (Aeſth. S. 88. 89) beſtimmt: die in die Wirklichkeit der Er - ſcheinung übergegangene Erhabenheit die Erhabenheit zum Zuſtand des gemeinen Lebens geworden , ſo verflüchtigt ſich in dieſer Verfeſtigung leicht der Spiritus. Daher ſucht man Würde vorzüglich als conſtanten Typus gewiſſer Stände, Aemter u. ſ. w., wo denn nicht mehr gefragt wird, ob der Einzelne auch von dem ſittlichen Gewichte des Amts erfüllt ſey, ſondern ein gewiſſer Mechanismus der Repräſentation eintritt. Es iſt freilich etwas Anderes, wenn Lear ſagt: Jeder Zoll ein König.

273
§. 115.

Der Begriff der Sache fordert nun aber allerdings, daß nicht überſehen1 werde, woher das Leiden kommt, und es muß dem wahren, hier zunächſt vor - liegenden Zuſammenhang gemäß allerdings von einem Subjecte ausgehen, welches das vorher als erhaben vorgeſtellte noch an ſittlicher Stärke überbietet. Nun offenbart das beſiegte Subject in ſeiner Selbſt-Ueberwindung eine vertiefte innere Unendlichkeit, und auch dieſe muß noch in höherem Grade dem beſiegenden Subjecte zuerkannt werden. Hiedurch tritt auf’s Neue die Quantitätsbeſtimmung2 ein und es entſteht eine unendliche Steigerung, worin je das höhere Subject ſowohl an Tiefe als an Umfang der ſittlichen Macht das niedrigere über - trifft. Da nun aber durch Selbſtüberwindung die Eiferſucht und Feindſchaft getilgt wird, ſo ſchließen ſich die Guten zu gegenſeitiger Ergänzung zuſammen. Das Gewicht der Menge wird in höherem Sinne als in §. 97, 2 und 105 wichtig und es entſteht das Bild des Guten als einer durch Vielheit der Sub - jecte unendlich verſtärkten Macht.

1. In §. 112 wurde die Betrachtung auf den Vorgang im leiden - den Subjecte herübergezogen; jetzt aber auf dem Punkte, wo das Er - habene des Subjects ſich auflöſen muß, iſt allerdings die objective Seite, die Betrachtung des Subjects nämlich, von welchem das Leiden kommt, nachzuholen. Der dort aufgeſtellte Satz, daß es nun zunächſt gleichgültig werde, von woher das Leiden komme, bleibt, wie ſich zeigen wird, dennoch in ſeiner Wahrheit, oder richtiger, es wird ſich im Tragiſchen eine Stufenfolge ergeben, worin ſowohl das ſcheinbar zufällige als auch das in einem höheren ſittlichen Willen begründete Leiden in ſeine Geltung tritt. Der ganze Gang, den der Begriff genommen, fordert nun an der gegenwärtigen Stelle, daß der Gute durch einen Beſſeren beſiegt werde, und zwar durch einen Beſſeren in dem doppelten Sinn der Tiefe, d. h. der Fähig - keit, im innern Kampfe, und Stärke, d. h. der Fähigkeit, im äußern Kampfe zu ſiegen. Dieſes Verhältniß wird ſich im Tragiſchen allerdings nicht als das wahre halten laſſen; es wird hier in der ſittlich reinſten Form zwar ein Kampf zwiſchen guten Subjecten eintreten, aber auf beiden Seiten werden dieſe Subjecte alsbald auch einſeitig erſcheinen; es wird zwar zu unterſcheiden ſeyn, woher das Leiden kommt, aber alle nächſten Urſachen werden vorneher - ein als Ausfluß der abſoluten Urſache erſcheinen. Hier aber iſt der Ausgang des Leidens von dem ſittlich ſtärkeren Subject als einzelnem und nächſter Urſache vorerſt feſtzuhalten, freilich nur als verſchwindender Uebergangs -Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 18274punkt, der zu einer unendlichen Steigerung führt, welche aber ſich ſelbſt aufhebt und einer ganz anderen Form des Erhabenen, eben dem Tragi - ſchen, Platz macht.

2. Im Erhabenen der Leidenſchaft war, wie im Erhabenen der Kraft, das Gewicht der Maſſe von Wichtigkeit, das Böſe in ſeiner Abſtractheit war einſam, das Gute aber wirkt wieder durch Maſſe und Vielheit, und zwar nicht nur, weil es die ſinnliche Kraft und den Nach - druck der Leidenſchaft in den Dienſt des ſittlichen Mittelpunkts zieht, um mit ſo verſtärkten Waffen für ihn zu kämpfen, ſondern auch weil der geiſtige Zweck ſelbſt ſich reinigt und die Kraft der Nothwendigkeit ge - winnt, wenn er von Vielen gewollt wird. Eine Idee dringt nicht durch, ſo lange nicht der vereinzelte Vorkämpfer das allgemeine Bedürfniß zum Hinterhalt hat; man denke nur an die Reformation. Dies macht ſich in allen Verbindungen, Volksverſammlungen u. ſ. w. geltend, wo auch ohne eine eigentliche That die imponirende und nöthigende Kraft der All - gemeinheit durch die Demonſtration ſelbſt wirkt. Im concreten Ausdruck heißt hier die Vielheit ſittlicher Volkswille, die Betrachtung hat ſich aber noch in allgemeinen Kategorien zu halten.

§. 116.

In Wahrheit aber hebt ſich durch beide Bewegungen, ſowohl durch die des unendlichen Aufſteigens, als auch durch die des Ausdehnens über Viele, das ſubjectiv Erhabene auf. Läßt ſich nämlich über jedes ſittlich erhabene Sub - ject ein erhabeneres vorſtellen, ſo iſt kein einzelnes Subject wahrhaft ſittlich erhaben; gewinnt das Gute an Macht und Bedeutung in dem Grade, in welchem es zur Gemeinſchaft vieler Subjecte wird, ſo ſind es eben die Grenzen der Subjectivität, die ſich in dieſem Verhältniſſe gegenſeitiger Ergänzung aufheben. Der in §. 103 und 110 aufgeſtellte Widerſpruch der Unendlichkeit und End - lichkeit im Subjecte, der Einzelheit desſelben mit der Allgemeinheit ſeines zwar beſtimmten ſittlichen Pathos, ſowie des letzteren mit dem Inbegriff aller ſittlichen Ideen, ein Widerſpruch, der aber in der Sphäre des ſubjectiv Er - habenen noch nicht zum Ausbruch kam, tritt in Kraft und es wird offenbar, daß das Subject in ſeiner Erhabenheit mehr iſt als es ſelbſt.

Die hier ausgeſprochene, ganz einfache Dialektik in dem Erhabenen des Subjects wird völlig verkannt, wenn man die ſogenannten voll - kommenen Charaktere oder Ideale in der Poeſie in Schutz nimmt, wie275 Jean Paul (Vorſch. d. Aeſth. Thl. 1, §. 58) noch einmal gethan hat, nachdem ſchon durch Leſſing, ja durch Ariſtoteles die Verhandlung über dieſe leicht zu löſende Frage als beendigt betrachtet werden konnte. Er führt neben Epaminondas, Sokrates, Jeſus vorzüglich weibliche Charaktere an, die Töchter des Oedipus, Göthes Iphigenie und Leonore u. ſ. w. Er vergißt, daß der Mann immer nur ein beſtimmtes Pathos zu dem ſeinigen machen kann und ſchon dadurch ſchuldig wird, daß das Weib ſchon durch ſein Geſchlecht auf beſtimmte Tugenden beſchränkt iſt. Jeſus iſt nicht zu erwähnen; denn die religiöſe Vorſtellung hat ihn freilich zu dem abſoluten Widerſpruch erhoben, Abſolutes und Subject zugleich zu ſeyn, aber es braucht keines Beweiſes, daß dieſer Widerſpruch, der als Exiſtenz undenkbar iſt, auch die äſthetiſche Darſtellung ausſchließt, denn was nicht ſeyn kann, iſt auch nicht darzuſtellen. Jean Paul kannte die Wahrheit nicht: determinatio est negatio. Er kannte ebendarum das Tragiſche nicht, und dies lag in der ganzen ſubjectiven Reflexionsweiſe der Zeit, wie man auch aus Schillers Behauptung ſieht, daß der wahrhaft tragiſche Held unſchuldig ſeyn müſſe. Schiller hat (vergl. §. 112, Anm.) überhaupt in ſeinen beiden Abhandlungen: Ueber den Grund des Vermögens an trag. Gegenſtänden, und: Ueber die tragiſche Kunſt in der Meinung, das Tragiſche zu erörtern, nur das negativ Pathetiſche, eine Form des ſubjectiv Erhabenen, dargeſtellt. Es gilt aber nicht nur von der Tragödie als Kunſtform, ſondern von allem Tragiſchen, wenn Ariſtoteles (Poetik 6) ſagt, jene ſey nicht eine Darſtellung von Menſchen, ſondern von Handlungen, von Leben, Glück und Unglück. Er drückt dies in ſeiner Weiſe realiſtiſch aus, wo wir ſagen würden: das ſubjectiv Erhabene iſt ein verſchwindendes Moment in der Bewegung des Tragiſchen. Schillern folgte Wilhelm Schlegel (Vorleſ. über dramat. Kunſt und Liter. 3. Vorleſ. ), der zwar auch eine höhere Ordnung erwähnt, die ſich im Gang der Begebenheiten geheimnißvoll offenbare, dann aber ganz die Schiller’ſche Begriffs - beſtimmung aufnimmt, wonach im Tragiſchen die ſittliche Freiheit ſich im Widerſtreit mit den ſinnlichen Trieben bewährt. Was nun die Triebe feindlich berührt, nannte man als Ausfluß des unvermeidlichen Natur - geſetzes Nothwendigkeit und ſchlug ſich ſo mit den Begriffen der Freiheit und Nothwendigkeit im Trüben umher, bis Solger Licht brachte. Vergl. die Schrift des Verf. über das Erhabene und Komiſche S. 87 89 und Solgers Kritik von W. Schlegels ebengenannten Vorleſ. Nachgel. Werke B. 2.

18*276

Das abſolut Erhabene, das uns aus der dialektiſchen Auflöſung des ſubjectiv Erhabenen entſteht, wird nun ſogleich als eine Bewegung, als ein Act aufgefaßt werden. Anders verfährt Bohtz (Ueber das Komiſche und die Komödie. Ein Beitrag zur Philoſophie des Schönen S. 17 ff). Er führt als das abſolut Erhabene den Gott ein und als deſſen Thätigkeit läßt er erſt das Tragiſche folgen. Er meint den griechiſchen Gott in ſeiner ungetrübten Seligkeit. Allein wie darf zwiſchen die Unterſuchung der reinen allgemeinen Begriffe ſogleich eine beſtimmte Geſtalt eines beſtimmten Ideals eingeführt werden? Man könnte ſagen, nicht der griechiſche Gott, wohl aber der chriſtliche Gott müſſe hier ſtehen und das Tragiſche als das Geſetz ſeiner Lenkung des Irdiſchen folgen. Allein auch der chriſtliche Gott iſt das Werk der Phantaſie auf einer beſtimmten Stufe des Ideals und gehört daher gar nicht in dieſen Theil der Aeſthetik. Denn dieſer Theil hat es blos mit der Idee zu thun, wiefern ſie in Individuen wirkt, welche der Gegenſtand einer möglichen Erfahrung ſind. Die reine Philoſophie kennt keine Idee, welche anders wirklich iſt, als in den Bedingungen des begrenzten Lebens; Ideen, welche als anders exiſtirend vorgeſtellt werden, nämlich als einzelnes und doch unbedingtes Seyn, kennt ſie blos als Phänomene des Bewußtſeyns. Der Geiſt des Univerſums kann Gegen - ſtand der Anſchauung nur ſeyn durch ſein Wirken, alſo in der Bewegung der menſchlichen Dinge. Der ganze Kreis aber von neuen Gegenſtänden der Aeſthetik, welche die Religion als Glaube an tranſcendente Weſen der Kunſt in die Hände liefert, gehört nicht hieher, ſondern in die Lehre von der Phantaſie. Wir werden in dem nun folgenden Abſchnitte das ab - ſolut Erhabene auch Subject nennen, aber nicht im Sinne der Tran - ſcendenz. Die allgemeine Begriffslehre des Schönen wird durch fremd - artige dogmatiſche Beſtandtheile aus den Fugen getrieben, wenn man Geſtaltungen des rein Allgemeinen, wie ſie durch die Religion gegeben ſind, in ſie aufnimmt und es leuchtet hier bereits ein, von welch wich - tiger Einwirkung die in §. 24 und 25 aufgeſtellten Sätze auf das ganze Syſtem ſind. Gelegentlich mag hier eine Bemerkung über das Verhalten der kritiſchen Bildung zum religiöſen Stoffe auch abgeſehen vom äſthetiſchen Gebiete gemacht werden. Die Religion behauptet die ewigen Wahrheiten als Perſonen und Thatſachen; ſie ſetzt ſie dadurch in das Gebiet der einzelnen Erfahrung und ſie muß es ſich ſchlechter - dings gefallen laſſen, wenn Jemand ſagt: ſo etwas, wie du behaupteſt, müßte ich erſt geſehen haben, wenn ich es glauben ſoll, und dem Berichte277 Anderer, die es geſehen zu haben behaupten, kann ich nicht vertrauen; bis dahin aber berufe ich mich auf die allgemeinen Geſetze aller Erfahrung. Ebenſo nun ſagt billig der moderne Künſtler: was den bekannten Ge - ſetzen aller Erfahrung widerſtreitet, ſtelle ich auch nicht dar; das wahr - haft Ideale aber widerſtreitet ihnen nicht.

c. Das Erhabene des Subject-Objects oder das Tragiſche.

§. 117.

In die höhere Form des Erhabenen iſt die Aufhebung der niedrigeren in1 dem doppelten Sinne, daß dieſe als ſelbſtändige Form verneint, was aber Wahres in ihr liegt, in die höhere Form als ein zum Mittel ihrer Thätig - keit herabgeſetztes Moment aufgenommen iſt. Darum hört aber die aufgehobene Form nicht auf, auch neben der höheren fortzubeſtehen, vielmehr dient ſie dieſer außer dem durch ihre eigene Sphäre ihr gegebenen Stoff als Sollicitation und Gegenſtand. Ueber dieſes Verhältniß herrſcht das Geſetz des ſtets eindringenden2 und der Aufhebung beſtimmten Zufalls, das für das ganze Schöne gilt (vergl. §. 31 ff). Zudem iſt das Erhabene überhaupt zwar eine Gährung im Schönen,3 aber auch dieſes verſchwindet nicht durch den Uebergang in jenes, ſondern be - ſteht neben ihm und vermehrt die Verkettung in’s Unendliche. So entſteht ein unberechenbarer Complex unendlichen Wechſelwirkens und Uebergehens.

1. Es iſt nun vor Allem nöthig, die ſämmtlichen bis jetzt da ge - weſenen Formen zuſammenzufaſſen, um die ganze Maſſe vor uns zu bringen, in welcher als ſeinem Stoffe das tragiſche Schickſal herrſcht. Zunächſt mußte daher ausdrücklich ausgeſprochen werden, was zwar als dialektiſches Geſetz bis hieher ſich in der That geltend machte: daß die niedrigere Form, was Wahres an ihr iſt, in die höhere hinüberrettet, aber zum Mittel herabgeſetzt. So wird das Erhabene der Kraft zur Waffe der Leidenſchaft, ſo die Leidenſchaft zur Waffe des ſittlichen Willens. Aber außerdem beſteht die niedrigere Form, wiewohl es an den Tag gekommen iſt, daß ſie nicht die wahre iſt, fort und reizt die höhere zur Thätigkeit, der ſie als Stoff dient. So kämpft die Leidenſchaft nicht278 nur mit der Leidenſchaft Anderer, ſondern auch mit Naturkräften, und den Schrecken des räumlich und zeitlich Erhabenen. So kämpft der gute Wille nicht nur mit dem beſchränkteren guten, ſondern auch mit dem böſen, dem unſteten, dem leidenſchaftlichen und zugleich mit allem dem, womit dieſer kämpft.

2. Ueber dieſe ſich breit wälzende Maſſe herrſcht der Zufall, der aus dem Zugleichſeyn der Gattungen entſteht. Ich kann nicht wiſſen, wann und wo eine Kraft Gelegenheit und Anſtoß findet, mit dieſer oder jener Kraft, ein Subject, mit dieſer oder jener Form des Willens u. ſ. w. zu kämpfen. Der Kampf ſelbſt hebt erſt den Zufall auf: die Kraft, der Wille hat gekämpft und nun hat ſich dadurch ihr Weſen bewährt, es iſt ein Fortſchritt gewonnen, ein Sinn in das Spiel des Zufalls eingetreten, allein dies iſt noch ganz unbeſtimmt und abſtract, wir ſuchen erſt die höhere Ordnung, die den Kampf ſelbſt durchdringt und be - herrſcht.

3. Das Schöne iſt jetzt das Erhabene. Aber es beſteht dennoch außer ihm auch als beſondere Geſtalt, welche freilich, da nun der geiſtige Gehalt mit überwiegender Bedeutung in einer anderen Erſcheinung neben ſie tritt, zur untergeordneten Form wird (vergl. §. 73, 1), und ſo ſpielt es nun ebenfalls in dieſem unendlichen Complex eine Rolle. Z. B. im Trauerſpiel, von dem zwar keineswegs allein hier die Rede iſt, treten als betheiligte Geſtalten, um die erhabenen Charaktere in Bewegung zu ſetzen, harmlos anmuthige Geſtalten auf, wie Rüdigers Tochter in den Nibelungen, Max neben Wallenſtein, die Söhne Eduards, Margarete und Klärchen in ihrer erſten Phaſe (denn nachher erheben ſie ſich zum innern Kampfe). Sie ſind in dieſem Zuſammenhang gewöhnlich beſtimmt, als Opfer zu fallen, ſie ſtehen wie die Alpenblumen am Waſſerſturz . Auch eine ſchöne landſchaftliche Natur kann in dem erhabenen Charakter vorbereitende Stimmungen hervorrufen.

§. 118.

Dieſer Complex ſtellt, nachdem ſich die letzte Form, welche als die höchſte und wahrſte erſchien, aufgehoben hat, eine Maſſe ohne Geſetz und Einheit dar. Allein dieſe Form hat ſich nicht ſchlechtweg aufgehoben, ſondern in ein Erhabenes, das im guten Subject mehr als Subject iſt. Dieſes Erhabene ſtellte ſich zugleich als ein Solches dar, welches in der Anreihung der Subjecte, die279 es durchdringt, über ſie hinausgreift und ſie als ein Gemeinſames zuſammen - ſchließt, oder als ein Geſammtſubject. Dieſes iſt jedoch keine bloſe Sammlung von Subjecten, ſondern dieſelbe wahre Unendlichkeit, welche in einem Subjecte gegenwärtig, aber mit dem Widerſpruch der Einzelheit (§. 116) behaftet iſt, wirkt auch in dem andern und ergänzt je die Mängel des einen durch die Vollkommenheiten des andern. Es iſt aber ebendarum kein einzelnes Subject, ſondern eine reine, thätige Einheit, welche als unendliche Wechſel-Ergänzung der Subjecte ſich als allgemeine Subjectivität oder als abſolutes Subject ewig erzeugt.

Während der Theiſt meinen wird, hier eben ſey die Nothwendigkeit des Ueberganges zu dem Begriffe Gottes, der ein einzelnes Subject und doch zugleich die allgemeine Subjectivität ſeyn ſoll, ſo iſt es vielmehr umgekehrt gerade nur dieſe unendliche Entzündung der abſoluten Sub - jectivität in der Säule der einzelnen Subjectivitäten, die uns entſteht. Sobald Gott ein einzelnes Subject ſeyn ſoll, ſo iſt er auch mit dem Widerſpruch der Einzelheit behaftet.

§. 119.

Wenn nun je in der höheren Form die niedrigere mitenthalten iſt, ſo iſt dies abſolute Subject nicht nur die wahre Unendlichkeit in den guten Subjecten, ſondern in allen, und da der gute Wille die untergeordneten Formen des Willens beherrſcht, ſo iſt ſie das Waltende in der Welt der Subjecte, ebenſo aber auch der innere Grund im objectiv Erhabenen und in den harmloſen Geſtalten des Schönen, die in dieſen Kreis verwickelt ſind. Da nun aber die Subjectivität, wie ſie ſich über dieſen objectiven Grund ihres Lebens auch erheben mag, nie ſchlechtweg über ihn hinaus kann (vergl. §. 32. 49), ſo herrſcht die Unendlich - keit zunächſt von unten herauf als ſtrenge objective Nothwendigkeit und der Widerſpruch zwiſchen dieſem Satz und dem erſten, daß der gute Wille von oben herab das Ganze beherrſche, bleibt vorerſt ſtehen. Aber ebenſoſehr iſt das wahrhaft Unendliche abſolutes Subject in den Subjecten, wie ſie ſich über den objectiven Lebensgrund erheben, oder in der Freiheit der Einzelnen die abſo - lute Freiheit, und ſo bildet es aus dieſer eine zweite, geiſtige Objectivität; denn die Freiheit, die ſich durch Wechſel-Ergänzung der Subjecte heraus - arbeitet und das Zufällige der einzelnen Subjectivität abſtreift, wird eine Macht,280 wogegen die Freiheit des Einzelnen als ſolche verſchwindet: eine ſittliche Nothwendigkeit.

Der Widerſpruch, der in dieſem §. zunächſt vorliegt, mußte zuerſt in ſeiner Härte ausgeſprochen werden, ſonſt würde der ganzen weiteren Entwicklung ein weſentliches Stück fehlen. Denn man vergegenwärtige ſich zum voraus, wie im Tragiſchen das herrſchende Sittengeſetz ſich mit einem Naturgeſetz geheimnißvoll durchdringt: das Vergehen iſt Schuld und doch ſagen wir, daß der Schuldige mit dieſen Nerven, dieſem Temperament u. ſ. w. nicht anders handeln konnte. Wir haben alſo hier eine doppelte, widerſprechende Linie. Die abſteigende Linie ſtellt eine Herrſchaft dar, die ſich vom guten Willen, wie er nun in das ab - ſolute Subject aufgenommen erſcheint, auf alles Erhabene erſtreckt. Denn Schritt für Schritt haben ſich die niedrigeren Formen in die höheren aufgehoben, dieſe ſchicken ſich jene als ihre Baſis voraus. Die harmloſe Schönheit war hier unter den beherrſchten Formen wieder zu nennen. In der Lehre vom einfach Schönen nämlich war freilich vorneherein klar, daß ſein Gehalt die abſolute Idee iſt. Jetzt aber tritt das Schöne als eine beſondere Nebenform in das Erhabene ein und neben der Ueber - macht der oberſten Formen des letzteren erſcheint es als hilfloſe, vom ſtärkeren Willen bewältigte Geſtalt. Allein die Löſung iſt ſo leicht nicht, wie ſie demnach ſcheint, denn die Freiheit des Subjects kann über ihren Naturgrund nicht ſchlechtweg hinaus und ſo beſteht neben der abſteigen - den Linie eine aufſteigende, eine Nachwirkung von unten nach oben fort: das dunkle Naturgeſetz. Es liegen zwei Nothwendigkeiten vor, wir ſollen finden, wie ſie ſich vereinigen und ſo erſt das tragiſche Geſetz auf - ſuchen. Was die zweite, die ſittliche Form der Nothwendigkeit betrifft, ſo kann ſich die Aeſthetik auf die Ethik berufen, welche den Uebergang der Freiheit in die ſittliche Nothwendigkeit zu begründen hat. Dieſe Be - gründung mag in Hegels Rechtsphiloſophie immer den Mangel haben, daß die ſubjective Freiheit gegen die ſittliche Subſtanz zu kurz kommt: wir brauchen uns darauf ſchon darum nicht einzulaſſen, weil in dem Zuſammenhang der Aeſthetik nicht nur die feſte Staats-Ordnung gemeint wird, wenn von der ſittlichen Nothwendigkeit die Rede iſt, ſondern auch die Geſellſchaft, das Leben der Sitte, der gährende Staat, wo die Subjectivität als berechtigtes Moment nicht fehlen kann. Zudem kann das Folgende ſelbſt als ein Beitrag der Aeſthetik zur ethiſchen Wahrheit dieſer Berechtigung der ſubjectiven Freiheit gelten.

281
§. 120.

Dieſe Nothwendigkeit als das Geſetz einer ſittlichen Welt breitet ſich in1 unterſchiedene Kreiſe des ſittlichen Lebens, die abſolute ſittliche Macht in be - ſondere ſittliche Mächte aus (vergl. §. 20); denn ſie kann ſich keinen andern Inhalt geben, als indem ſie die Naturtriebe mit der Freiheit des Geiſtes durchdringt und der natürliche Unterſchied dieſer begründet daher in ihrer Um - bildung ſelbſt den Unterſchied der ſittlichen Mächte oder Ideen. Dieſer Unter -2 ſchied geſtaltet ſich zum Gegenſatze, der Gegenſatz iſt aber in der abſoluten Idee, welche nunmehr als abſolutes Subject gefaßt iſt, in harmoniſche Einheit aufgehoben.

1. Die Welt der ſittlichen Mächte iſt in §. 20 vorausgeſetzt als etwas, das die Aeſthetik nicht zu begründen hat. Auch hier wäre dies nicht nöthig, wenn nicht dieſe ſittlichen Grundzwecke im Erhabenen mit dem beſonderen Nachdruck einzuführen wären, daß in ihrem Unterſchiede eine Quelle des ſittlichen Conflictes liegt, was in unſerer Entwicklung ſofort hervortreten wird. Im Schönen iſt eine ruhige Einheit des Triebs oder der Neigung mit einem ſittlichen Lebensmotive gegeben; der ſittliche Charakter kann außer dem Kampfe auch als harmoniſches Bild die Wirkung der Anmuth mit der Hohheit verbinden. Im Erhabenen aber hat er zu kämpfen, daher erſcheint der Naturtrieb, auch wo er als Pathos ſich poſitiv zu dem ſittlichen Streben verhält, in der Form eines gewaltſam mit Fortgeriſſenen oder Unterworfenen; iſt er aber auch unter - worfen, ſo treibt er doch als befeuernde Gewalt das an ſich berechtigte Pathos über das Maß, das ihm durch ſeine Einordnung in die Ge - ſammtheit der ſittlichen Zwecke vorgeſchrieben iſt, hinaus. Deswegen wurde hier der Naturtrieb als Baſis der Unterſchiede in der ſittlichen Welt ausdrücklich hervorgehoben. Solche Unterſchiede ſind z. B. Liebe, Familie, Ehre, Staat, im Staat der Unterſchied der Stände, wie er auf der Geburt ruht, der einzelnen Gewalten, wie dieſem ebenfalls geiſtig um - gebildete Naturtriebe, Rache, Herrſchtrieb u. ſ. w. zu Grunde liegen, der Krieg, wie er auf Gegenſatz der Volksabſtammung ruht u. ſ. w.

2. Was vorher abſolute Idee hieß (§. 10. 11), heißt jetzt abſolutes Subject im Sinne der Entgegenſetzung des freien geiſtigen Mittelpunkts gegen die objectiv bindende Gewalt der Naturnothwendigkeit, welche wir in die ſittliche noch nicht aufgelöst haben. Im abſoluten Subjecte nun ſind die ſittlichen Sphären in Einheit. An ſich collidirt der Staatszweck nicht282 mit dem Pietäts-Intereſſe der Familie, auf der er ruht u. ſ. w. Der Unterſchied dieſer ſittlichen Mächte heißt Gegenſatz, wenn zwei oder mehrere derſelben, zwiſchen denen an ſich Uebergangsformen ſtehen, un - mittelbar aneinandergerückt ſich verhalten wie ein logiſcher Gegenſatz; z. B. Familie und Staat: dort das Einzelne und die Empfindung, hier das Allgemeine und der gedachte Zweck. Dieſer Gegenſatz deutet aller - dings ſchon den Uebergang zu einem Conflict an; allein Gegenſatz iſt doch noch ein ruhiges Verhältniß, das ſich auch der reinen Betrachtung darſtellt, ſo lange nicht die Beſchränkung beſtimmter Verhältniſſe und einzelner Subjectivität den Keim des Widerſpruchs im Gegenſatze aufreizt.

§. 121.
1

Die doppelte Form der Objectivität oder Nothwendigkeit (§. 119) ſoll ſich zu Einem Ganzen vereinigen, und dieſe Vereinigung muß davon ausgehen, daß beide Formen einander vorausſetzen, indem gerade die Wechſelwirkung zwi - ſchen der bindenden Gewalt der einen und der frei übergreifenden der andern das ſittliche Leben erzeugt; dies kann ſich aber nur in einer Bewegung, einem2 Prozeſſe darſtellen, welcher nun aufzuzeigen iſt. Durch die Auflöſung der Noth - wendigkeit, die auf dem unmittelbaren Lebensgrunde beruht, und der ſittlichen mit ihren beſondern Sphären in eine Einheit fügt ſich nun aber das Ganze einer Nothwendigkeit zuſammen, welches eine unendliche Verkettung darſtellt nicht mehr in dem maſſenhaften Sinne, wie in §. 118, ſondern in dem Sinne einer von einem abſoluten Geſetze beherrſchten Ordnung. Dieſe Ordnung ver - wirklicht ſich aber allerdings in dem Complexe ihrer Maſſe auf unüberſehliche Weiſe, und iſt daher zwar als Prinzip klar, aber in der Vollführung der un - endlichen Bewegung, in der ſie das Naturgeſetz mit dem ſittlichen verflicht und an der Reihe des Zufalls hinlaufend, über unendliche Räume und Zeiten fort - greifend Alles an Alles bindet, dem beſchränkten Ausblicke des Einzelnen, obwohl ſie ſich in einer begrenzten Erſcheinung äſthetiſch darſtellt, wobei jene Aufhebung des ſtörenden Zufalls im allgemeinen Sinne (§. 53) bereits voraus - geſetzt iſt, nothwendig verborgen, alſo dunkel.

1. Die Gebundenheit der Naturbaſis und die ſittliche Nothwendig - keit geht zu einer großen Einheit zuſammen, deren allgemeiner Grund zunächſt wohl zu erkennen iſt. Erſtens nämlich iſt ja der Geiſt über - haupt weſentlich Negation der Natur, alſo nicht ohne ſie, ſondern an283 ſie gebunden, mag nun dieſe Negation eine wirkliche Ueberwindung der Naturgrenzen oder eine freie Anerkennung derſelben ſeyn, denn Negation iſt in beiden Acten. Schon darum iſt der Naturgrund zugleich mit dem ſittlichen Leben heilig und ehrwürdig. Ich ſoll z. B. meine Eltern ehren nicht nur weil ſie mich erzogen haben, ſondern weil in meiner Natur-Abſtammung von ihnen der geheimnißvolle Schooß meiner Kräfte und Eigenheit liegt, worauf mein ſittliches Wollen als ſeiner Baſis ruht. Zweitens das auf dieſem Grunde ſich verwirklichende ſittliche Leben ſtößt in unberechenbaren Zufällen wieder mit der Natur-Nothwendigkeit außer ihm zuſammen; dieſe iſt Reiz, Quelle, Stoff der Thätigkeit, unendliche Sollicitation und auch darum iſt ſie mit jenem heilig. Der Wille kann und ſoll gegen ſie kämpfen, aber ihre Geſetze nicht verachten und es iſt daher tragiſche Vermeſſenheit, wenn Xerxes den Helleſpont geiſelt. Allein die Verwirklichung der Einheit dieſer zwei großen Geſetze kann ſich nur in dem Prozeſſe einer Bewegung darſtellen, worin ihre Colliſion und die daraus erwachſende Schuld ſich erzeugt und aufhebt.

2. Das Ganze der Nothwendigkeit muß natürlich dem äſthetiſchen Geſetze gemäß als begrenzter Fall in einem Volke, einer Sphäre der Geſellſchaft erſcheinen. Der Ausſchnitt des Ganzen repräſentirt das Ganze, die Völker, die Gattung und dieſe in ihrem Geſammtverhältniß zu allem Seyn. Es bleibt bei dem, was in §. 53 aufgeſtellt iſt, daß der ſtörende Zufall, der abgeſehen vom Schönen ſich nur im unendlichen Verlaufe aufhebt, im Schönen aufgehoben auf Einem Punkte erſcheinen muß. Nun iſt zwar die abſolute Idee in jeder äſthetiſchen Erſcheinung, alſo auch einer einfach ſchönen, der Hintergrund, auf den die Anſchauung durch die dargeſtellte beſtimmte Idee hindurchſieht; aber ſie iſt es im Tragiſchen auf andere Weiſe, als im einfach Schönen. Das Einzelne verſchwindet in ſie, auf welche Weiſe wird ſich weiter zeigen. Wenn daher eine unendliche Perſpektive zum Weſen aller Schönheit gehört, ſo muß in dieſer Form der Schönheit der ganze Nachdruck auf dieſer Unendlichkeit als einem unabſehlichen Dunkel und Abgrund liegen, aus welchem Alles kommt und der Alles in ſich zurückſchlingt. Die Perſpec - tive iſt negativ, daher liegt der Accent auf dem Dunkel. Das Prinzip dieſer unabſehlichen Ordnung iſt klar und hell, aber ſie vollführt ſich in unendlich unberechenbarer Wechſelverflechtung, und dies macht, daß die Grenzen verſchwimmen, daß die Umriſſe wie in einem Helldunkel ver - zittern, in welches unbeſtimmbar weit ein Licht hineindämmert. Wir haben auch hier die grenzloſe Grenze von §. 84. Das abſolute284 Subject iſt das alles Seyn und alle Subjecte ebenſo Setzende wie Auf - hebende und kommt als ſolches im Tragiſchen ausdrücklich zur Dar - ſtellung. Im wirklichen Leben, ſofern es nicht durch zufälliges Aus - bleiben des ſtörenden Zufalls oder etwas Anderes, das wir noch nicht kennen, zu einer reinen äſthetiſchen Erſcheinung befreit iſt, collidiren zwei ſittliche Mächte, z. B. Freiheit und Geſetz. Nun bleibt aber für eine Schuld, die auf Einer Seite begangen iſt, die Strafe aus, es tritt nichts ein, es geſchieht nichts, woraus das Geſetz einer höheren, ab - wägenden Gerechtigkeit hervorleuchtete; wir müſſen uns damit vertröſten, daß es anderswo und ein andermal gerechter hergehen werde. Dies iſt unäſthetiſches Dunkel, ſolches Dunkel iſt abgewieſen durch §. 53, von ſolchem iſt alſo im §. nicht die Rede. Dagegen halte man ein Drama, das abwägende Gerechtigkeit in dem einzelnen, beſtimmten Falle, den es vorführt, zur Erſcheinung bringt. Hier iſt Klarheit, allein ich ſehe zugleich in ein Weltgeſetz hinaus, das in unberechenbarer Weiſe eine alte Schuld beſtraft, eine verborgene Tugend an’s Licht führt, das in ſeinen Erfolgen deutlich, in ſeinen einzelnen Combinationen und Zufalls - verflechtungen dunkel waltet. Dort kommt das Walten gar nicht zur Erſcheinung, nur innerlich glaube ich daran; hier iſt das Walten gewiß, aber wie das Geſetz der höchſten Gerechtigkeit waltet, kann man nie vorherwiſſen, ein Abgrund angedeuteter Verſchlingungen thut ſich hinter dem klar Vorliegenden auf: dies iſt das äſthetiſche Dunkel des Tragi - ſchen. Das Schöne hat dieſen Abgrund überall, aber im einfach Schö - nen wird man nicht fortgeriſſen, in ſeine dunkeln Tiefen zu ſehen. Es iſt ein Unterſchied wie zwiſchen dem aufgewühlten und dem ruhigen Meer.

§. 122.

Um nun jene Bewegung zu begreifen, iſt zuerſt feſtzuhalten, daß die Erhabenheit des Subjects nicht ſchlechtweg zu Grunde gegangen, ſondern ein aufgehobenes Moment iſt. Als ſolches tritt es wieder auf, ſo nämlich, daß das Verhältniß ſich umgedreht hat. Vorher ſchien das erhabene Subject ſich über ſich ſelbſt zu erweitern und blieb doch Subject. Jetzt iſt die Erhabenheit auf diejenige Seite getreten, wohin das Subject ſich erweitert, und dieſes er - ſcheint als eine Beſchränkung, welche das höchſt Erhabene ſich ſelber gibt und wieder aufhebt. Das Subject tritt hervor auf dieſem Hintergrunde und dieſer iſt vor ihm da, es kommt aus ihm. Seine Erhabenheit iſt daher zwar die ſeinige, der Hintergrund iſt in ihm ſelbſt, es iſt frei, aber ebenſoſehr geht der285 Hintergrund unendlich über es hinaus, es hat ſeine Erhabenheit von ihm em - pfangen und ſo auch ſein Pathos, welches Wort jetzt in objectiver Bedeutung (vergl. §. 110) gilt. Dieſer Widerſpruch ruht zunächſt unentfaltet, das Sub - ject iſt ſich mit allem Eigenthum ſeiner Erhabenheit dem Hintergrunde ſchuldig. Dies iſt noch unwirkliche Schuld, Urſchuld.

Das abſolute Ganze, das jetzt zum Subjecte der Erhabenheit wird und das vorher allein erhabene Subject aus ſeinem Schooße entſendet, um es in ihn zurückzunehmen, heißt hier Hintergrund, um anzuzeigen, daß das Negative in dieſem Verhältniß noch verhüllt und ſchlummernd nur wie ein Element, eine allgemeine Atmoſphäre, worin der ſub - jective Wille ſcheinbar ganz frei ſich ergehen kann, dieſen umgibt. Dieſer Hintergrund iſt aber zuerſt da. Was darunter verſtanden iſt, kann am Beiſpiel der Tragödie klar gemacht werden, welche in der Expoſition bereits den ganzen Boden, auf dem der Held auftritt, als einen vom Keime der unendlichen, übermächtigen Verwicklung ſchwange - ren hinſtellt. Der Zuſchauer weiß, daß der Held auf unterhöhltem Grunde wandelt; dieſer ſelbſt freut ſich noch der Freiheit als ſeines Eigenthums. Er iſt aber bereits ſchuldig, zunächſt nur in dem Sinne der Verpflichtung. Er wird und ſoll es zu fühlen bekommen, daß ſeine Größe aus dem Ganzen geliehen iſt. Mag er auch bereit ſeyn, es anzuerkennen; es kann nicht fehlen, daß er es auch thatſächlich erfahren muß. Dies nennen wir die noch unwirkliche Urſchuld. Der Begriff des Pathos hat jetzt objective Bedeutung wie bei Hegel.

§. 123.

Das Subject iſt thätig, es handelt. Indem es handelt, objectivirt es1 ſeine Freiheit und greift dadurch in den Complex der allgemeinen Objectivität oder Nothwendigkeit hinein. Die Handlung iſt aber unvermeidlich mit der Ein - zelheit behaftet, welche den ſubjectiven Willen begrenzt; ſie trennt daher das Zuſammengehörige und verletzt die abſolute Einheit der objectiven Verkettung. Getrennt wird entweder die erſte Form der Nothwendigkeit von der zweiten (§. 119), ſo daß nach dem Geſetze der einen gehandelt und die andere verletzt wird, oder eine ſittliche Sphäre von der andern (§. 120) mit derſelben Folge, wodurch ihr Gegenſatz Widerſpruch wird. Allein beide Fälle kommen auf daſſelbe hinaus, denn eben jetzt erweist ſich die §. 121, 1 behauptete Einheit beider Hauptformen dadurch, daß es nirgends eine Stelle gibt, wo nicht der286 dunkle Lebensgrund in einen ſittlichen Zuſammenhang aufgenommen wäre, wo - durch er zur Pflicht wird, welche mit andern Pflichten im Einklang ſeyn ſoll. Die verletzende Trennung nun iſt wirkliche Schuld. Die Schuld iſt ein Werk der Freiheit, aber der Freiheit, welche nicht anders handeln kann, weil ſie nur die Freiheit des einzelnen Subjectes iſt. Sie iſt daher nichts anders als2 Verwirklichung der Urſchuld und in dieſem Sinne ebenſoſehr Unſchuld. Nur um ſo mehr aber leuchtet ein, daß das Subject, indem es in ſeinem Handeln ſeine Größe entwickelt, ebendadurch ſeine gegen das Ganze verſchwindende unendliche Kleinheit entfaltet, und dieſe widerſprechende Bewegung kann eine ironiſche genannt werden.

1. Die eigentliche Schuld liegt alſo in dem Weſen der Verein - zelung, oder darin, daß von den Elementen, welche der große Complex der Nothwendigkeit in ſich zuſammengreift, das eine oder das andere herausgeſetzt, iſolirt wird. Dieſe Elemente ſind zunächſt die Noth - wendigkeit des bindenden Lebensgrundes und die ſittliche. Die erſtere wird verletzt, wenn ich in Verfolgung eines ſittlichen Zweckes z. B. die Thierwelt mißhandle, die Familie nicht ehre, die zweite im um - gekehrten Falle. Die Elemente des ſittlichen Ganzen ſind ferner die einzelnen Sphären in der zweiten, der ſittlichen Form der Nothwendig - keit. Die Vereinzelung liegt hier theils darin, daß das Subject nur Ein Lebenspathos in ſich aufnehmen kann, daß es alſo handelnd andere, in der Harmonie des Ganzen ebenfalls berechtigte verletzt, theils darin, daß es auch abgeſehen von dieſer Einſeitigkeit des Pathos den Umfang, den dieſes innerhalb ſeiner ſelbſt hat, nicht auf einmal, durch Eine Handlung, ja nicht einmal durch die Reihe von Handlungen, die ein Menſchenleben umſpannen kann, zu verwirklichen vermag, indem ſelbſt die edelſte einzelne Handlung durch die Beimiſchung deſſen, was im Sub - jecte vom ſittlichen Willen immer undurchdrungen zurückbleibt, ihre reine Abſicht trübt. Allein beide Arten von Verletzung, die der einen Haupt - form der Nothwendigkeit durch einſeitige Verfolgung der andern, ſowie die der einen Sphäre der ſittlichen Nothwendigkeit durch die vereinzelnde Vollführung der andern, kommen ganz auf daſſelbe hinaus. Auf der einen Seite nämlich iſt nichts im Naturgrund, was nicht ſittliche Be - deutung hätte, denn die ganze Welt der ſittlichen Nothwendigkeit ruht auf Naturgeſetzen, welche in ihrer Umbildung zugleich als heilig aner - kannt ſind. Um kein allzubequemes Beiſpiel zu wählen, um alſo z. B. nicht an die Pflicht der Pietät und den mütterlichen Buſen zu erinnern, den Klytemneſtra dem Oreſtes entgegenhält, erinnern wir nur an die287 Prinzeſſinn im Mährchen, die alle Fröſche tödten läßt. Sie folgt dem Geſetze der Abneigung, das in Temperament u. ſ. w. wurzelt, was vernünftig ausgebildet auch ſein Recht hat, und ſie verletzt das Natur - geſetz, das Fröſche hervorbringt wie Menſchen mit dieſen oder jenen Abneigungen. Auf der andern Seite gibt es, was ebenhiemit bereits ausgeſprochen iſt, kein ſittliches Geſetz, das nicht ſeine dunkle Wurzel in der Natur hätte. So oft ich nun ein ſolches verletze, ſo verletze ich den heiligen Schooß der Natur, indem ich einem der Zweige, die er in’s Licht treibt, vor dem andern Vorrecht gebe. Ich thue dies aber, weil ich ſelbſt mit Natur behaftet bin, ich gebe alſo meinem Naturgrund einſeitig Recht gegen denſelben Naturgrund, der jetzt für einen andern ſeiner zur Pflicht erhobenen Triebe Recht verlangt. Man ſieht deutlich, wie ſich nun die §. 121, 1 ausgeſprochene Einheit beider Hauptformen der Nothwendigkeit bereits auf concrete Weiſe offenbart. Ich kann aber dieſer Verletzung nicht entgehen, denn da ich den Naturgrund zu individueller Form gebildet ſelbſt in mir trage, ſo bringe ich eine Seite deſſelben immer zu meiner Handlung mit und verletze die andere, auch berechtigte. Die tragiſche Handlung muß daher immer ſo beſchaffen ſeyn, daß man ſieht: der Held hat gefehlt und er konnte doch nicht anders handeln. Romeo z. B. fehlt, indem er bei der erſten Nachricht von Juliens Tod ſogleich an Selbſtmord denkt, ſich nicht in Verona erſt unterrichtet; allein hätte er die dazu nöthige Ruhe, ſo wäre er nicht Romeo, nicht dieſe Feuer-Natur, welche der Dichter zum Repräſentanten der glühenden Jugendliebe brauchte, die Tragödie wäre aufgehoben (vergl. Tiecks Dramaturg. Bl. B. 1, S. 259 ff.). Othello läßt ſich von Jago täuſchen, er ſtellt nirgends eine ruhige Unterſuchung an; hätte er aber die nöthige Kälte dazu, ſo wäre er nicht der aus anfangs gefaßter Manneskraft hervorbrechende Vulkan, den die Tragödie fordert. Göthe ſagt: der Handelnde iſt immer gewiſſenlos; es hat Niemand Gewiſſen, als der Betrachtende. Dieſes Wort iſt wahr, wird aber darum keine Natur, die zum Handeln beſtimmt iſt, von der Handlung abhalten. Dieſe Gewiſſenloſigkeit ſoll und muß ſeyn. Der Held erſchrickt daher vor der Schuld nicht: man könnte ihm nichts Schlimmeres nachſagen, als daß er unſchuldig gehandelt habe. Es iſt die Ehre großer Charaktere, ſchul - dig zu ſeyn. (Hegel Aeſth. B. 3. S. 553). Da nun die ganze geſchil - derte Einſeitigkeit und Vereinzelung der Handlung, worin die Schuld liegt, ihren letzten Grund in der Einzelheit des Subjects und der ganzen damit gegebenen Beſtimmtheit ſeines Temperaments u. ſ. w. hat,288 ſo iſt alſo die Schuld nur unvermeidliche Verwirklichung der Urſchuld und daher zugleich Unſchuld. Die tragiſchen Heroen ſind ebenſo ſchul - dig als unſchuldig, ſie handeln aus dieſem Charakter, dieſem Pathos, weil ſie gerade dieſer Charakter, dieſes Pathos ſind (Hegel a. a. O. S. 552). Es wird auch darum dem Tragiſchen alle univerſale Be - deutung, aller Geiſt genommen, wenn man mit Schiller (Ueber die trag. Kunſt) behauptet, unſer Antheil werde geſchwächt, wenn der Un - glückliche aus eigener Schuld ſich in’s Verderben ſtürze; unſerer Theil - nahme an dem unglücklichen Lear ſchade es nicht wenig, daß dieſer kindiſche Alte ſeine Krone ſo leichtſinnig hingegeben habe u. ſ. w. Das Unglück müſſe durch den Zwang der äußern Umſtände herbeigeführt werden, dann ſey das Mitleid reiner und werde durch keine Vorſtel - lung moraliſcher Zweckwidrigkeit geſchwächt. Gegen dieſe ganze, von W. Schlegel adoptirte Anſicht ſagt Solger einfach und treffend, daß nach der tragiſchen Anſicht vielmehr gerade in unſerer Stärke unſere Schwäche beſtehe. (Kritik von W. Schlegels Vorleſ. über Geſch. d. dramat. Kunſt und Lit. Nachgel. Werke B. 2, S. 517).

2. Ebenhiemit iſt bereits das Ironiſche in der tragiſchen Bewe - gung ausgeſprochen. Der Sinn, in welchem Solger den Begriff der Ironie auf das Tragiſche anwendet, wird aufgenommen werden, wenn erſt das Ganze dieſer Bewegung entwickelt ſeyn wird, wovon jetzt erſt ein Moment hervorgetreten iſt. Aber auch dies Moment kann allerdings bereits ironiſch genannt werden. Ich rede ironiſch, wenn ich ſcheinbar lobe, um vielmehr zu tadeln. Indem ich Zug für Zug von rühmlichen Eigenſchaften an einem Gegenſtande hervorhebe, die dieſer vielmehr nicht hat, ſo wird mit jedem Schritte das Gegentheil klarer. Die ſich ſelbſt widerſprechende Bewegung, die in dieſer Redeform ſubjectiv vorgenom - men wird, liegt objectiv in der Entfaltung des tragiſchen Subjects, das weiter und weiter ſich auszubreiten ſcheint, aber in demſelben Grade ſich verengert, in der Vereinzelung ſeiner Handlung ſchuldig wird und ſo gegen das abſolute Ganze verſchwindet.

§. 124.
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Die Verletzung gibt ſich dem Subjecte ſelbſt zu erfahren, indem ſie den Hintergrund aufregt, daß er ſich als abſolutes Ganzes in Bewegung ſetzt, wo - durch die vereinzelnde, einen Bruchtheil des Ganzen herausſetzende Handlung in eine unabſehliche Folgenkette hineingezogen wird, ſo daß das Subject nicht289 mehr die ſeine darin erkennt, während es doch trotz der Einſicht in dieſe Ent - reißung des Gewollten ſie als die ſeinige fortbehaupten und dafür einſtehen muß. Dieſe Folgen ſind aber in ihrer objectiven Reihe weſentlich zugleich Gegenſchlag2 des verletzten Ganzen gegen den Verletzenden: eine Saat des Uebels, die ihm Leiden trägt. Das Leiden aber, wie wenig oder viel deſſen ſeyn mag, iſt unendlich und ſteht daher in einem Mißverhältniſſe zur wirklichen Schuld, aber nicht zur Urſchuld, denn wie jene aus dieſer fließt, ſo reizt ſie auch im Com - plexe des Ganzen das unendliche, durch die Geſammtſchuld aller Einzelnen, in welcher die einzelne wirkliche Schuld nicht mehr zu unterſcheiden iſt, aufgehäufte Uebel gegen den Thäter auf. Auch dieſe Bewegung, in welcher das Subject ein Gut zu ſchaffen ſtrebt und ein Uebel ſchafft, iſt ironiſch zu nennen. Dieſe Ironie verſtärkt ſich, wenn der Bedrohte das Uebel vorausſieht und gerade durch die Mittel, durch die er es zu vermeiden ſtrebt, hineinſtürzt.

1. Ein anderes Antlitz, eh ſie geſchehen, ein anderes zeigt die voll - brachte That : nicht nur dem Brudermörder, ſondern auch dem, der Großes und Gutes durch energiſche That vollbringen will. Sie weckt ein unendliches Echo, hallt unabſehlich weiter, der Gegenſchlag des getrennten Ganzen erfolgt. Der Held muß für ſie einſtehen, er hat den Zweck gewollt, er muß Alles auf ſich nehmen, was ſich daran hängt, und er weigert ſich nicht, denn er ſelbſt iſt ganz und unge - brochen, eine feſte Geſtalt der Freiheit. Selbſt Buttler ſagt: ich wußte immer, was ich that, und ſo erſchreckt und überraſcht mich kein Erfolg.

2. Das Maß des Leidens, das der aufgereizte objective Complex in ſeiner Reaction über das Subject verhängt, iſt hier in ſeinem äuße - ren Umfang unbeſtimmt gelaſſen, es iſt aber in ſeiner inneren Wirkung immer unendlich, denn es iſt ein geiſtiger Schmerz über die Verkehrung des ſittlichen Zweckes, der dem Subject ein abſoluter war. Lear z. B. irrt ohne Obdach im Gewitter, aber dies wäre noch geringes Leiden, die Tiefe ſeines Schmerzes iſt, daß gerade die Liebe, auf die er Alles ſetzte, ihn ſo ungeheuer täuſchte. Allerdings iſt aber auch gewöhnlich das äußere Maß, wie eben in derſelben Tragödie die Mißhandlung des Greiſes, ein unverhältnißmäßiges. Lear ſagt: ich bin ein Mann, an dem man mehr geſündigt, als er ſündigte. Dies Mißverhältniß ſcheint ungerecht, aber die Schuld iſt nur Verwirklichung der Urſchuld, daher ſo allgemein als dieſe, und wie die allgemeine Urſchuld auf allen Punk -Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 19290ten immer und ununterſcheidbar auch in wirkliche Schuld übergeht, ſo iſt auch jederzeit eine Totalſumme des Uebels aufgehäuft, welche hervor - bricht, wo eine wirkliche Schuld ſie aufſtört. Lears Töchter ſind ver - dorben, wie Gloſters Sohn; man erkennt einen morſchen Staat im Zuſtande der böſen Wildheit. In dieſes alte Uebel greift Lear hinein, ſeine Schuld iſt nur ein Wahn, aber ſelbſt ſchon ein Theil und Ausfluß der Verderbniß in einer Umgebung, wo ſchöne Worte für Wahrheit wiegen, und ſo zieht er ſich das ganze Gewebe der Schwärze, das er an einem Faden ergriffen, über das Haupt. Indem ſo der tragiſche Held durch das Ganze leidet, wird er ein Zeichen, aufgeſteckt, daß man das Menſchenſchickſal daran ſehe, ein Typus, ein Symbol deſſen, wie es um’s Geſchlecht ſteht. Er iſt von den Göttern geheiligt, wie Oedi - pus. Alle natürlichen Völker haben eine heilige Scheue vor dem, den der Gott gezeichnet. Uebrigens liegt in dieſem Uebergang der Schuld in’s Leiden die andere Seite der ſchon im vorhergehenden §. als ironiſch bezeichneten Bewegung. Das tragiſche Subjekt will ſeinen Zweck zugleich als Genuß, d. h. als Gut; nicht als individuellen und ſinnlichen, ſon - dern als geiſtigen und allgemeinen Genuß, denn ſein eigenes Glück will es gerne opfern; das Glück, das aus dem Guten fließt, ſoll auch ſein Glück ſeyn. Es trennt nicht, es will, daß das Gute herrſche, es hält ſeinen Zweck für gut und ſo will es in ſeiner Durchführung mitherr - ſchen. Aber der Dank iſt Verfolgung, eigenes Leiden und das Leiden der Menſchheit, in welcher das Entgegengeſetzte von dem herrſcht, was für gut erkannt iſt, dazu. In dieſer ironiſchen Bewegung tritt häufig das Moment der Plötzlichkeit (vergl. §. 86) in ſeiner eigentlichen Bedeutung ein. Man ſieht es kommen, aber das Subject ſteigt auf die Spitze ſeines Glücks, ſeines Selbſtgenußes, um dann plötzlich zu ſtürzen. So erſcheint Sigfried nie glänzender und heiterer, als auf der Jagd vor ſeinem Tode, Geßler fällt auf der Höhe ſeines Uebermuths, Wallenſtein ſpricht Worte des glücklichſten Selbſtvertrauens zu Gordon in Eger, wo er fallen ſoll. Doch kann das Unglück auch ſchrittweiſe hereinbrechen, wie bei Lear. Wie der erſtere Fall beſonders in der Tragödie wirkt, gehört in die Kunſtlehre vom Drama. Dieſen Theil der ironiſchen Bewegung nennt Ariſtoteles die Peripetie (Poet. 11); Peri - petie iſt nicht Glückswechſel überhaupt, ſondern ein ironiſches Umſchlagen des Glücks in das Gegentheil des Erwarteten und Erſtrebten. Die Ironie der Umdrehung erſtrebten Glücks in Unglück verdoppelt ſich, wenn die Sache ſich ſo verhält, daß neben dem Streben nach Größe und291 Glück die Anſtalten hergehen, ein gedrohtes Unglück zu vermeiden und gerade dieſe Anſtalten das Gegentheil ihres Zwecks bewirken. Dieſer Fall iſt weniger rein bei Oedipus, weil hier das gedrohte Uebel ohne allen Zuſammenhang mit einer früheren eigenen Schuld irrationell ge - weiſſagt iſt, wovon bei der Darſtellung des claſſiſchen Ideals die Rede ſeyn muß. Hingegen Ludwig XVI ſtürzt gerade durch die Ahnung und verſuchte Abwehr eines Unglücks, die jedoch ſelbſt geahnte Schuld iſt, in’s Unglück. Ihn verfolgt von Anfang der Revolution die Beſorgniß, er möchte wie Carl I von England durch die Anklage, daß er das Blut ſeines Volks vergoſſen, untergehen. Nun iſt aber dieſe Ahnung ſelbſt eine Schuld: ſie iſt ſchon Gefühl ſeiner Schwäche; er weiß, daß er nicht den Muth hat, das Blut einiger Elenden zur rechten Zeit zu vergießen, er vergießt dadurch wirklich das Blut unzählicher Getreuer. Er ahnt, daß das Gefürchtete durch ſeine Paſſivität zur Unzeit geſchehen wird. Er ahnt richtig und mit der Ahnung, welche das Gefürchtete ſtets zu vermeiden ſucht, wächst ſeine Schuld. Endlich ohne ſeinen Be - fehl fließt Volksblut bei der Erſtürmung der Tuilerien, während er eine halbe Stunde vorher durch den Entſchluß, es zu vergießen, ſich gerettet hätte, und das lang Befürchtete ſteht vor ihm.

§. 125.

Das Leiden kann, obwohl innerlich unendlich, äußerlich ein Ende nehmen und dem Subject Raum laſſen, ſein Werk zu vollenden. Allein ſchon in dieſem Falle tritt der Inhalt von §. 112 wieder in Geltung. In §. 112 wurde, noch innerhalb der Sphäre des ſubjectiv Erhabenen, die Ausdauer im Leiden aus der Anerkennung der Quelle des Leidens als einer guten erklärt. Nun aber iſt dieſe Quelle nicht nur als gut überhaupt, ſondern als das abſolut Gute des im großen Ganzen ſich durchführenden Zwecks objectiv begriffen. Indem nun das Subject ſein Leiden in dieſem Zuſammenhange und ebendaher als Folge ſeiner Schuld erkennt, ſo reinigt es ſich und ſein Werk und führt dieſes nun nicht mehr nach ſeinem eigenen Sinne, ſondern im Sinne des abſoluten Ganzen, als Werkzeug deſſelben, durch.

Wir werden alsbald auf dieſe Form zurückkommen, wo das unbe - ſtimmte kann einem ſchärferen Begriffe weichen wird. Als Beiſpiel mag man ſich große Acte der Völkerbefreiung und die Helden an der Spitze derſelben vorſtellen, wie die Perſerkriege und die deutſchen Be -19*292freiungskriege. In den letzteren beſonders wurden die großen Opfer als Buße für eine langgehäufte Schuld der Willenloſigkeit der Nation ge - fühlt, in beiden wurde der Sieg als ein Schickſalsgeſetz erkannt: dort wußten ſich die Griechen als Vormauer gegen den Einbruch orientali - ſcher Barbarei, hier die Deutſchen als berufen, deutſches Weſen und Charakter in der Geſchichte aufrecht zu halten.

§. 126.
1

Das Leiden kann aber auch bis zu dem Untergange des Subjects und ſeines Werks ſich fortſetzen, und nun iſt der Hintergrund (§. 122) ganz zum Vordergrunde geworden. Allein das Werk iſt hiemit nicht ſchlechtweg aufge - hoben, die objective Folgenreihe überdauert das Subject und muß ſich dem wahren Begriffe des Ganzen als einer ſittlichen Einheit gemäß in dieſem Fort - gange von der durch das Subject ihm gegebenen Vereinzelung reinigen. Eignet2 ſich nunmehr auch das Subject im Untergange das Bewußtſeyn dieſer reinigenden Fortdauer und der Gerechtigkeit ſeines Leidens an, ſo iſt ebenhiemit volle Ver - ſöhnung eingetreten und das Subject ſelbſt iſt in dieſe Verewigung als ſich überlebende verklärte Geſtalt aufgenommen: ſonſt würde ſich das Ganze, das3 doch nur durch Subjecte wirkt, ſelbſt aufheben. Dieſer Schluß iſt nicht mehr, wie Solger meint, Ironie zu nennen, denn das abſolute Subject wirkt in der Negation durchaus poſitiv.

1. Die Idee wirkt über das Subject und die Form, die es ihr gegeben, hinaus und in dieſem Fortwirken reinigt ſie ſich von der Ver - einzelung dieſer Form. Eine berechtigte Revolution kann mit ihren Helden ſcheitern, aber ſie überlebt ihren Untergang, ſie wirkt unſichtbar fort und bricht wieder hervor. So iſt die franzöſiſche Revolution in Entſtellung untergegangen, aber ſie iſt nicht zu Ende. In einem äſthe - tiſchen Ganzen muß eben dies Ueberleben des empiriſchen Endes zur Anſchauung kommen, der künftige reinere Sieg zur deutlichen Ausſicht werden. Gerade die Fixirung durch den erſten Sieg iſt häufig das größte Uebel, das einem idealen Unternehmen zuſtoſſen kann. Die Deutſch - Katholiken werden zu einer beſchränkten Sekte herabſinken, ſobald ſie ſich vom Staate verführen laſſen, ſich zu einer ſchiefen Einheit des dogma - tiſchen Bekenntniſſes zuſammenzufaſſen und als Kirche zu conſtituiren. Sie ſollen als flüſſiges Ferment fortgähren und endlich beweiſen, daß eine Kirche ein reiner Widerſpruch iſt.

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2. Es iſt bedingt ausgedrückt: Eignet ſich u. ſ. w., um einer Form des Tragiſchen Raum zu laſſen, wo der böſe Wille mit ſeinem Werk untergeht, ohne ſeine Schuld anders als mit Murren anzuerken - nen. Die Schuld iſt bis hieher zwar immer nur als eine Trübung, Verletzung, Vereinzelung bezeichnet, wodurch die völlige Verkehrung, das Böſe, ausgeſchloſſen ſcheint. Um jedoch dieſem Raum zu laſſen denn es muß als eine beſondere Weiſe der tragiſchen Schuld allerdings auf’s Neue hervortreten , erinnere man ſich zunächſt nur, daß auch der tragiſche Böſewicht ein geſchichtliches Recht, freilich in anderem Sinne, als in welchem er es in Anſpruch nimmt, haben muß. Die vorliegende allgemeine Betrachtung des Tragiſchen verweilt aber, um das Weſent - liche, die Verſöhnung, an dem bedeutendſten Falle, nämlich dem Unter - gange des Guten, nachzuweiſen, bei dem Untergange des ſittlich ſtreben - den Subjects. Dieſes nun ſieht, unterliegend, nicht nur die ſiegreiche Fortdauer ſeines Werks voraus, ſondern es wird auch im Tode zu einer verklärten Geſtalt, welche verewigt über ihrem Grabe ſchwebt. Sie iſt als unvergeßliches Bild aufgenommen in das Leben der Idee und es tritt die Schluß-Empfindung ein, daß dieſe als abſolutes Subject ſelbſt ewig doch nur durch einzelne Subjecte wirkt und daher das von ſeiner Endlichkeit gereinigte Subject in dem Ahnen-Saal ihrer unſterblichen Monumente aufſtellt.

3. Solger hat die ganze Bewegung des Tragiſchen nur in den allgemeinſten Zügen dargeſtellt und da nun, ſobald man das Ganze vor Augen hat, das Reſultat des negativen Prozeſſes als ein poſitives zu begreifen iſt, ſo hat er allerdings Unrecht gethan, dieſes Ganze durch Ironie zu bezeichnen. Dies hat ſeinen letzten Grund in einem tieferen Mangel ſeines Philoſophirens. Solger ſetzt nämlich den Begriff des Tragiſchen darein, daß nicht blos die äußere Erſcheinung, ſondern die Idee, das Schöne ſelbſt untergehe, weil ſie nämlich in die Widerſprüche und Gegenſätze des Lebens herabgezogen war. Gerade das Höchſte und Edelſte in uns müſſe untergehen, weil die Idee nicht exiſtiren könne, ohne Gegenſatz zu ſeyn; eben der Moment der Ver - nichtung nun ſey die Offenbarung der göttlichen Idee. (Vorleſ. S. 94 98. vergl. Erwin Th. 1, S. 256 ff.) Die Ironie nun iſt ihm zunächſt ſubjectiv eine Kraft und Stimmung des künſtleriſchen Geiſtes. Sie iſt die Verfaſſung des Gemüths, worin wir erkennen, daß unſere Wirklichkeit nicht ſeyn würde, wenn ſie nicht Offenbarung der Idee wäre, daß aber ebendarum mit dieſer Wirklichkeit auch die Idee294 etwas Nichtiges wird und untergeht. (Vorleſ. S. 241. 242). Sie ſoll nun freilich mit der andern Seite des künſtleriſchen Geiſtes, die das Poſitive in der reinen Thätigkeit der Idee wahrnimmt, mit der Be - geiſterung identiſch ſeyn; allein die thätige Gegenwart der Idee ſoll vielmehr eben nicht blos die Aufhebung des Wirklichen, ſondern die Aufhebung ihrer ſelbſt in der Wirklichkeit, d. h. der Erſcheinung ſeyn, die zwar von ihr erfüllt iſt, aber ſie zugleich in die Gegenſätze des Wirklichen hineinzieht; alſo bleibt Alles in der Negativität aufgefaßt. Dies wird nun auf das Tragiſche übergetragen und jener Untergang der Idee ſammt der Erſcheinung auch objectiv (dies iſt gleichgültig, denn Solger hat ſogleich die Kunſt im Auge) Ironie genannt. Der große Mangel nun iſt der, daß Solger nirgends darthut, wie die Idee ihren Untergang auch in dieſer Gegenwart des Daſeyns überlebt, wie zwar dieſe ihre getrübte Form, das heißt freilich nicht blos dieſes ſie wollende Subject, ſondern mit ihm der Zweck ſelbſt als einſeitiger und ge - trübter, untergeht, wie ſie aber dennoch mitten in dieſem widerſpruchs - vollen Leben, ſich ewig von Trübung reinigend, als Zweck in Subjecten fortwirkt. Solger ſagt z. B. (Vorleſ. S. 95): indem das Schöne untergeht, iſt es ebendadurch und in dieſem Momente reine göttliche Idee, die ſich offenbart, ſo wie das Zeitliche geopfert wird. Soll der Moment blos der Moment ſeyn, worin die Idee erkannt wird als hinausgehend über die Vereinzelung und ſich durch immer neues Eingehen in dieſelbe reinigend, ſo iſt dagegen nichts einzuwenden; allein Solger will ſagen, daß die Idee in dieſem Momente als ein Ganzes, eben in ſeiner Reinheit Transcendentes ſogleich völlig ſich offenbare. Dies iſt ein Reſt von platoniſchem Idealismus. Iſt die Idee ein fertiges, jenſeitiges Ganzes, ſo iſt ihre Offenbarung im Diesſeits weſentlich negativ: man ſieht auf ſie hindurch, wo die Gegenwart durchlöchert wird durch Vernichtung. Solger hält die Negativität, die nur ein Moment iſt, für die ganze Bewegung. (vergl. Hegel Aeſth. Th. 1, S. 90). Tilgt man dieſen Mangel und legt man das Tragiſche gründlicher auseinander, ſo ſind nur die beiden Momente in §. 123 und 124 ironiſch zu nennen, der Schluß aber nicht mehr. Hier tritt die Poſition aus der Negation hervor.

§. 127.

Dieſe ganze Bewegung heißt das Schickſal oder das Tragiſche. Alle bisherigen Formen des Erhabenen gehen, indem jede derſelben über ſich hin -295 auswies, in ſie als ihre Einheit ein; dieſe höchſte Form erweist ſich nun als diejenige, welche jene als die ihrigen ſich vorausſchickte. Sie ſelbſt aber kann ſich in keine höhere verlieren und das Hinausgehen über ſich ſelbſt, worin das Weſen der erhabenen Erſcheinung liegt, beſteht hier darin, daß dieſes abſolut Erhabene zuerſt den ganzen Boden der auftretenden Erſcheinungen als verbor - gene Macht einnimmt, hierauf den Schein erzeugt, als wären dieſe das Subject der Erhabenheit, aber dann als hervortretende Macht ſie in ſich auflöst. Es wird aus dem Verſchwinden in ein Anderes Ernſt, aber dies Andere offenbart ſich vielmehr als das Eine, das Allem, was in den früheren Formen in An - deres zu verſchwinden nur ſchien, wirklich zu Grunde liegt, ſich in ihnen ſetzt und dieſes Setzen als Beſchränkung ebenſoſehr wieder aufhebt. Es iſt ein analytiſcher Gang, durch deſſen End-Ergebniß das Letzte als das Erſte geſetzt wird.

Wenn die nun in ihrem allgemeinen Weſen dargeſtellte Form des Erhabenen jetzt ausdrücklich das Schickſal oder das Tragiſche genannt wird, ſo wende man nicht ein, dies ſey eine Form, welche erſt in die Lehre von der Kunſt oder gar nur von der dramatiſchen Poeſie gehöre. Sie tritt in der letzteren nur in der durchſichtigſten und ſchärfſten Geſtalt hervor, aber ebenſo in der lyriſchen Poeſie als Empfindung über einen ſolchen Vorgang und das allgemeine, darin ſich ſpiegelnde, Menſchenloos, in der epiſchen als erzählte Begebenheit. Die anderen Künſte aber ſind ſämmtlich, nur freilich jede in ihrer Weiſe, dieſer Form des Schönen mächtig. Die Muſik bringt ſie zum Ausdruck wie die lyriſche Poeſie, voller und objectiver in der Oper; die Malerei ſtellt ſie in Hiſtorie und Genre dar, die Plaſtik kennt ihre Niobe und auch die Grund - Empfindung religiöſer Baukunſt kann man tragiſch nennen. Das Tragiſche tritt aber auch überall, wo Schönheit außer der Kunſt angeſchaut wird, als allgemeine Macht hervor. Es iſt alſo ein Moment, das ſich weſentlich durch das ganze Schöne hindurchzieht und daher durchaus nothwendig in der Metaphyſik des Schönen zu entwickeln iſt. Weiße iſt anders verfahren, er hat das Tragiſche erſt in die Lehre vom Drama aufge - nommen. Es läßt ſich aber in dem Begriffe des Tragiſchen, den er hier (Aeſth. Th. 2, §. 68) aufſtellt, kein Grund für dieſe Stellung finden, vielmehr gerade dieſem gemäß hätte er es in die allgemeine Be - grifflehre des Schönen aufnehmen müſſen. Er greift nämlich auf, was Solger unbeſtimmt neben anderen Wendungen vorbringt: im Tragiſchen gehe das Schöne zu Grunde, und bildet ſich nun die Theorie, das296 Tragiſche ſtelle den Untergang dar, welchen das Schöne unaufhörlich in der geſchichtlichen Wirklichkeit erleide. Das Drama bringt nach dieſer Anſicht nicht das Weltſchickſal, ſondern das Schickſal des Schönen ſelbſt, der Kunſt ſelbſt zur Anſchauung. Das Schöne ſammelt den Inhalt aller Wirk - lichkeit in einem beſonderen Gebilde, das nun als ſelbſtändige Subſtanz losgetrennt von der allgemeinen ſich befeſtigen will, aber vielmehr von dieſer, der Wirklichkeit der Natur und der Weltgeſchichte, verſchlungen wird. Um über dieſe Negativität des allgemeinen Lebens zu tröſten, weist der Verf. auf ein Poſitives hin, welches über dieſer ganzen Sphäre liegen ſoll. Ebendarum aber gehört ja das Tragiſche in die Lehre Weißes vom Erhabenen und zwar an die Stelle, wo von dem Er - habenen behauptet wird, daß es an einer Grenze des Schönen liege, wo dieſes über ſich hinaus in die Sphäre des Guten und Göttlichen weiſe. Allein es handelt ſich hier nicht darum, mit Weiße über den Ort zu ſtreiten, wo das Tragiſche ſtehen ſoll, auch nicht zu beweiſen, daß das keine Wiſſenſchaft heißen kann, was an allen Ecken und Enden ſich in eine andere Sphäre zu verflüchtigen behauptet, und daß in dieſem beſonderen Punkte die Verſöhnung mit der herben Negation des Tragiſchen genau nur im Fortgang zum Komiſchen liegt; vielmehr es fragt ſich, ob ſein Begriff richtig ſey. Nach dieſem Begriff müßte nun der untergehende Held in der Tragödie eine ſchöne Erſcheinung und die Macht, in die er verſinkt, müßte die Wirklichkeit ſeyn, wie ſie ohne die Kunſt als bittere Realität ſich ausbreitet. Allein in der Tragödie muß ja alles das, was den Helden bekämpft und aufreibt, ebenfalls künſtleriſch ſchön ſeyn, der Tragiker muß ja ſelbſt den Böſewicht, noch viel mehr aber den Guten, durch den der Gute untergeht, ſammt allem Umgebenden ebenſogut wie dieſen ſchön darſtellen. Man kann nichts Schieferes ſagen, als (S. 322): die Kunſt ſehe im Tragiſchen das nothwendige Schickſal ihrer ſelbſt und aller Schönheit unter dem Bilde des in jeder einzelnen menſchlichen Begebenheit ſich wiederholenden Welt - ſchickſals. Alles, was man der Romantik von Schöngeiſterei der Selbſt - beſchauung vorgeworfen hat, iſt in dieſem Satze ſublimirt, nach welchem die Kunſt in jeder Form des Schönen nur ſich ſelbſt beäugeln müßte; ſo wäre dann das Komiſche z. B. der Spiegel, worin die Kunſt ſich über ihre Exiſtenz erfreut u. ſ. w. Nein: im Tragiſchen geht das Einſeitige am Guten zu Grunde und dies Schauſpiel ſammt Allem, was dazu gehört, dem Untergehenden, ſeinen Feinden, der umgebenden Natur u. ſ. w. iſt eine Form der auf die Bedingungen, die unſer erſter Abſchnitt297 auseinandergeſetzt hat, begründeten Schönheit. Wenn nun Hegel die Dialektik der ſittlichen Idee als Inhalt des Tragiſchen ausſpricht, ſo wiederholt Weiße (S. 326 Anm.) den alten Vorwurf der Stoffar - tigkeit: es werde unaufhörlich der blos baſiſche Inhalt der Kunſtdarſtel - lung mit dem Zwecke und den höchſten Intereſſen dieſer Darſtellung verwechſelt. Es fehlt aber bei Hegel nirgends die Einſicht, daß jener Inhalt blos Inhalt iſt und zum Aeſthetiſchen nur dadurch wird, daß er in reiner Durchſichtigkeit der Form erſcheint; Weiße dagegen wird, nachdem er zuerſt freilich nicht ſtoffartig verfuhr, wohl aber ſtofflos das Schöne als einen Narziß in’s Leere ſetzte, in einem ganz andern und ſchlimmen Sinn ſtoffartig, wenn er die Verſöhnung mit der Bitterkeit der Tragödie nicht im Schönen, ſondern außer dem Schönen ſucht. Für ein ſo eitles Schöne muß die derbe Subſtantialität der Dogmatik entſchädigen und Weiße baut eine Wiſſenſchaft, die an allen Punkten wie ein launiſches Rennpferd aus der Bahn bricht und über den Zaun ſetzt, ſowie ja überhaupt nach ihm die höchſte Aufgabe der Philoſophie iſt, ſich ſelbſt aufzuheben, um bei dem Gott der Theologen anzukommen.

Der weitere Inhalt des §. bedarf keiner Erläuterung, enthält aber einen ſehr wichtigen und weſentlichen Begriff. In allem Erhabenen zeigte ſich ein Hinausgehen über ſich ſelbſt, und ſo kamen wir progressive zum Tragiſchen. Dieſes als höchſte Form kann nicht über ſich hinaus - gehen. Die Bewegung des Hinausgehens iſt aber hier darin vorhanden, daß es die aufgelösten Formen als ſcheinbar ſelbſtändige auftreten läßt und ſie dann in ſich auflöst. Es ſtellt alſo eine Progreſſion durch eine Regreſſion dar. Dies verhält ſich ſo in einem beſtimmten tragiſchen Ganzen, aber ebendies liegt in unſerer ganzen Entwicklung des Erha - benen vor. Das Tragiſche iſt das Letzte, aber es iſt auch das Erſte, denn es iſt in allem Erhabenen das Erhabene. So findet die analytiſche Methode das Allgemeine durch Zerlegung des Einzelnen. Sie geht von dieſem als dem erſten aus, aber wenn ſie das Allgemeine gefunden, dreht ſich das Verhältniß um: dieſes erſcheint als Grund des Einzelnen.

§. 128.

In §. 125 und 126 iſt der Dualismus, der durch alles Erhabene geht,1 bereits auch als Geſetz des Tragiſchen hervorgetreten. Die in §. 125 auf - geſtellte Form iſt die poſitive. Dem erhabenen Subjecte iſt unter der Bedingung, daß es ſeine Erhabenheit als Ausfluß der abſoluten und ebendaher die vorüber -298 gehenden Leiden, denen es ſich nicht entziehen kann, als Rückwirkung ſeiner Schuld ausdrücklich anerkenne, vergönnt, die gute Sache ſiegreich durchzuſetzen2 und mit ihr das eigene Glück zu retten. Die Negation iſt demnach auch hier in der Poſition enthalten, allein dieſe Form iſt dennoch, wie auf allen Stufen des Erhabenen, die ungleich ſchwächere, denn hier, wie überall, beurkundet ſich das eigentliche Subject des Erhabenen als poſitive Macht erſt, wenn es die Selbſtändigkeit der in es aufgenommenen niedrigeren Formen wirklich negirt.

1. Das Bewußtſeyn, die eigene Größe der abſoluten zu verdanken, tritt in Helden des handelnden Willens, weil ſie überhaupt ſchließlich unbewußtere Naturen ſind, nur in naiven Momenten als dunkle Ahnung eines Weltgeſetzes, das ſie vollſtrecken, hervor, wie man z. B. einige geiſtreiche fataliſtiſche Aeußerungen von Napoleon kennt; nur in geiſtigen Helden, welche freilich blos unter der in §. 103 genannten Bedingung äſthetiſche Erſcheinungen ſind, iſt dieſes Bewußtſeyn heller, z. B. in Künſtlern, Religionshelden, wie Luther, in Philoſophen und überhaupt Befreiern des denkenden Geiſtes. Bei Völkern dagegen, wenn ſie für ihre höchſten Güter mit Bewußtſeyn kämpfen, kann es nicht fehlen, daß, mögen auch die kämpfenden Kräfte zunächſt ganz in der unbewußteren Region des realen Geiſtes ſich bewegen, ſchon durch den Austauſch der tiefer Blickenden mit den Andern ſich ein Bewußtſeyn der weltgeſchichtlichen Aufgabe, der Beſtimmung ſich erzeugt, und daß ſie demgemäß die Leiden und Opfer, die der Sieg koſtet, als gerechte Buße für die vorhergehende Erſchlaffung, Uneinigkeit, für die mancherlei Verletzungen berechtigter Sphären, ohne welche es im Kampfe ſelbſt nicht abgehen kann, demnach als gerechte Strafe der Schuld erkennen und daher ſich im Triumphe ſelbſt mäßigen, wie Odyſſeus, wenn er nach der Tödtung der Freier zur Eurykleia ſagt: Freue dich, Mutter, im Geiſt, doch enthalte dich jauchzenden Ausrufs! Sünde ja iſt es, ſich ſtolz erſchlagener Männer zu rühmen.

2. Es iſt in dieſer poſitiven Form immer noch ein Schein, als ſey das erhabene Subject das Subject im Erhabenen. Freilich konnte nur eine gewiſſe Periode der Poeſie dieſen Schein zu jener falſchen Geſtalt des Tragiſchen verkehren, von welcher der Dichter ſagt, daß es am Ende heiße: wenn ſich das Laſter erbricht, ſetzt ſich die Tugend zu Tiſch. Jener Schein iſt aber allerdings erſt aufgehoben, wenn das Gefäß wirklich den erfüllenden Inhalt, der mehr iſt als es, nicht mehr zu faſſen vermag (vergl. §. 85, 2). Auch die poſitive Form iſt näher299 betrachtet negativ: denn nicht der Menſch iſt es, ſondern der Gott im Menſchen, aber dies tritt erſt in Kraft, wenn die Negation durchdringt als volle Wirkung davon, daß das höher Erhabene als poſitive Macht die Beſchränkung, die es ſich gegeben, durchbricht. Ich bin der Herr, dein Gott, du ſollſt keine andere Götter neben mir haben. Es liegt daher im Weſen des Tragiſchen ſelbſt der Grund, warum die beſondere Kunſtform, in welcher es ſich ſeinen höchſten Ausdruck gibt, die Tragödie, ſo wenig Stücke mit glücklichem Ausgange hervorgebracht hat und auch in dieſen der glückliche Schluß nur als das Ende langer Leiden erſcheint. Auch Ariſtoteles ſagt (Poctik 13): ἀνάγκη τὸν καλῶς ἔχοντα μῦ - ϑον μεταβάλλειν, ȣ᾽κ εἰς εὐτυχίαν ἐκ δυστυχίας ἀλλὰ τοὐναντίον ἐξ εὐτυχίας εἰς δυστυχίαν, und leitet dies aus ſeiner Theorie von Mitleid und Furcht ab, hinter welcher aber als ihr wahrer Gegenſtand das abſolut Erhabene liegt. Daher rühmt er an Euripides, daß viele ſeiner Tragödien ein unglückliches Ende nehmen, erklärt eine Vorliebe für das Tragiſche mit glücklichem Ausgang aus der ἀσϑένεια τῶν ϑεάτρων und ſagt, ein ſolcher ſiehe der Komödie, nicht der Tragödie an.

§. 129.

In der negativen Form wird auch der letzte Schein aufgehoben, als könne das ſubjectiv Erhabene ſeine Selbſtändigkeit retten, und indem auch das Höchſte und Edelſte dieſer Art ſich der zum Untergang führenden Schuld nicht entziehen kann, ſo tritt in ganzer Majeſtät das abſolut Erhabene hervor. Das Außerordentliche muß im Kampfe mit dem ebenfalls berechtigten Mittelmäßigen dem Augenſcheine nach immer untergehen, um ſein Streben gereinigt der Nach - welt zu hinterlaſſen. Dieſe Wahrheit als höchſtes Geſetz der in der ſittlichen Welt ſich verwirklichenden abſoluten Idee geht mit dem ganzen Leben der Idee in die Schönheit ein und tritt als reine Form an die Spitze des Er - habenen.

Zunächſt abgeſehen vom Schönen iſt anfängliche Niederlage die Beſtim - mung alles Großen und Außerordentlichen in der Welt, denn es iſt Revo - lution gegen das Beſtehende, das, bequem und verſtandesgerecht geworden, die ſtabile Maſſe durch das Geſetz der Gewohnheit beherrſcht. Die Welt kann das Jugendliche, das Freie nicht leiden, denn es iſt ein Gericht über ſie und ihre Trägheit. Sie macht ſich auf und bekämpft es, ſie ſiegt, denn das Mittelmäßige iſt extenſiv ſtärker, das Große und Gute300 intenſiv, aber dieſe Intenſität kann die Vordermänner nicht vom Unter - gang retten, wohl aber ihre Sache, die ſie überdauert. Das Große und Umbildende aber iſt auch wirklich in ſeiner erſten,[anſchaulich] hervor - brechenden Geſtalt unreif, es fehlt ihm die Vermittlung und der an - knüpfende Verſtand, der es zum Beſtehen erſt befähigen ſoll: dies iſt die tragiſche Schuld der Vorkämpfer, wodurch ſie dem Menſchen an ſeinen würdig alten Hausrath rühren, das theure Erbſtück ſeiner Ahnen. Aber ihr Geiſt überlebt ſie, nimmt die Vermittlung in ſich auf; was Verbrechen war, wird jetzt das Beſtehende, ſinkt endlich ſelbſt zur todten Form und geiſtloſen Gewohnheit herab und dieſelbe Bewegung beginnt von Neuem. Dies iſt der Gang der Welt, und wer daher etwas Großes will, muß auf Leiden gefaßt ſeyn. Darum aber iſt dieſe Er - ſcheinung noch nicht äſthetiſch. Der Vorwurf des Stoffartigen, Baſiſchen wird ſich hier wieder erheben, daher müſſen wir auf dieſen Punkt noch einmal zurückkommen. Die Sache verhält ſich ſo: was geſchichtlich wahr, was eine Idee, d. h. eine wahre Wirklichkeit iſt, iſt darum allerdings noch nicht eine Schönheit; ſoll es zu dieſer werden, ſo muß erſt das in §. 53 55 Geforderte eintreten. Aber auch hier gilt, was §. 19, Anm. 2 und §. 55 Anm. 2 geſagt iſt: daß der Unterſchied der Stufen im Schönen allerdings immer ein Unterſchied des Gehalts und der Form zugleich iſt. Die Wahrheit geht in die Schönheit ein, hebt ſich zur reinen Form auf, ſo aber, daß die höhere Wahrheit auch die höhere äſthetiſche Form fordert. Was die höchſte Wahrheit iſt in der Bewegung und dem Prozeſſe der ſitt - lichen Idee, kehrt, in reine Form verwandelt, auch als höchſte Geſtalt der Schönheit in dem beſtimmten Gebiete des Erhabenen wieder.

Es ſind nun die verſchiedenen Formen des negativ Tragiſchen auf - zuführen. Wenn die erſte derſelben bezeichnet wird durch: das Tragiſche als Geſetz des Univerſums, ſo wird ſich dieſe Benennung ſogleich erklären.

α. Das Tragiſche als Geſetz des Univerſums.
§. 130.

Das negativ Tragiſche beſtimmt ſich gemäß dem durchgängig herrſchenden Geſetze, das in §. 12 aufgeſtellt iſt, zu einem Unterſchiede von Formen, deren301 erſte die im Ganzen enthaltenen Momente in dunkler Verhüllung ſo zuſammen - gefaßt enthält, daß das Sittliche als blos nahe gelegte Möglichkeit einer Schuld und ihrer Strafe im Grunde bleibt und daher das abſolute Subject erſt in der unmittelbaren Form einer blinden Macht erſcheint, welche an dem ein - zelnen Subjecte, das mehr durch Güter als durch Tugenden hervorglänzt, ein Beiſpiel aufſtellt, daß das Einzelne zu Grunde gehen muß, weil es Einzelnes iſt. Da Ueberhebung dem ſo bevorzugten Subject zwar nahe liegt, aber noch nicht eingetreten iſt, ſo bleibt die Schuld Urſchuld (§. 122). Das Uebel kommt eben - daher nicht von einem verletzten ſittlichen Willen, ſondern vom Zufall, der in dieſer Form am wenigſten ausgeſchieden iſt, dennoch aber ſeinen Sinn in der verſöhnenden Idee der nothwendigen Allgemeinheit des Todes findet. Die ganze Bewegung geſchieht auf dem Boden der ſtrengen, objectiven Nothwendigkeit (§. 119), worin die Welt der ſittlichen Nothwendigkeit noch unentfaltet ſchlummert.

Hegel hat die Formen des Tragiſchen zu wenig unterſchieden, ſondern im Grunde nur die vollendetſte im Auge gehabt, die wir als die dritte nennen werden. Auch hier beginnt der Stufen-Unterſchied wieder mit dem Unmittelbaren: ein Gang, der hier keiner beſonderen Begründung bedarf. Dieſe erſte Form iſt als das Tragiſche das Univerſums be - zeichnet. Univerſum heißt hier der tragiſche Complex, weil die Natur - baſis (§. 119) in den Vordergrund tritt, die Welt der ſittlichen Noth - wendigkeit aber, die ſich über ihr erhebt, nur unentfaltet im Keime ſich andeutet, ſo daß mehr ein Natur-Verhältniß als ein ethiſches vorliegt. Der in §. 119 angegebene, in §. 121 und 123 aber ſofort gelöste Widerſpruch zwiſchen den zwei Hauptformen der Nothwendigkeit tritt aber hier darum eigentlich gar nicht ein, weil noch kein Sittliches als ſolches da iſt, das ſich gegen den dunkeln Lebensgrund in Gegenſatz ſtellen könnte. Man erinnere ſich nun hier an das allgemeine Gefühl, das durch frühen Untergang der Schönheit, der Macht, des Reichthums erregt wird, und das Schiller in ſeiner Nänie niedergelegt hat: auch das Schöne muß ſterben u. ſ. w. Zunächſt ſey bemerkt, daß, wenn hier das untergehende Subject das Schöne heißt, dadurch keineswegs die in §. 127 abgewieſene Anſicht Weißes gerechtfertigt wird. Die Schönheit muß nämlich hier in einer Umgebung hervortreten, die ſie überragt, die aber ſelbſt in dieſem oder jenem Sinne ſchön iſt; dadurch tritt ein Vergleichungs-Verhältniß ein, wodurch das, was ſonſt blos ſchön ge - heißen hätte, unter den Standpunkt des Erhabenen fällt. Wirklich aber302 muß in dieſer Schönheit auch Kraft ſeyn, wie in Adonis, in Achilles, und wie Herrſchaft und Reichthum auch in die Sphäre der Kraft fallen. Ueberhaupt kann man das Ganze auch ſo ausdrücken: das Tragiſche tritt hier, wie das ſubjectiv Erhabene, zunächſt wieder als Kraft auf. Wie nämlich das untergehende Subject, ſo erſcheint auch das dieſen Untergang bewirkende abſolut Erhabene noch als blinde Kraft. In dieſem dunkeln Grunde ſchlummert allerdings bereits das Sittliche, denn von großem Glück und Glanz iſt zur ὕβρις ebenſo nur ein Schritt, wie von großer Tugend zu den Fehltritten, die aus der concentrirten Energie ihrer noth - wendigen Beſchränkung fließen. In der Schrift des Verf. über das Er - habene und Komiſche iſt nachgewieſen, daß in den von Herodot erzählten Fällen, welche beſonders ſchlagende Beiſpiele dieſer Gattung an die Hand geben, wie von Kröſus und Polykrates, noch keineswegs ὕβρις da iſt, ſondern vor ihr gewarnt wird, weil die Gottheit neidiſch ſey (S. 99 ff.). Die Schuld bleibt daher Urſchuld, mögliche Schuld. Ebenſo kommt das Uebel vom Naturgeſetz, nicht vom beleidigten Sittengeſetz. Den Adonis tödtet ein Eber, Achill fällt zwar durch Meuchelmord und hat Schuld gegen die Troer, doch dies tritt, wenn ſein früher Tod beweint wird, nicht in’s Bewußtſeyn. Der Untergang kommt alſo vom Zufall; allein es iſt nicht der ſinnlos ſtörende Zufall (§. 40), der in §. 53 einer beſonderen Weiſe äſthetiſcher Aufhebung zugewieſen iſt; denn er ſtört keinen ſittlichen Zu - ſammenhang, ſondern das ſinnliche Glück gehört eben in die Sphäre, wo auch das Unglück herrſcht, und muß ſich auf dergleichen gefaßt machen. Wer lebt, muß ſterben. Darin liegt auch der Troſt. Es iſt das einfache Geſetz des Verhältniſſes zwiſchen Individuum und Gattung, daß dieſe bleibt, jenes vergeht, was durch irgend einen Zufall vollſtreckt wird. Dagegen iſt nicht zu murren. Schiller ſagte kurz vor ſeinem Tode: der Tod kann kein Uebel ſeyn, weil er etwas Allgemeines iſt. Geht ein ſchöner Theil des Lebens verloren, ſo iſt auch die langſame Erſchöpfung nicht empfunden worden. In der Jugend ſterben, iſt auch ſchön. Es iſt nur das allgemeine Schickſal, das ſich aber da markirt, wo die Lebenskraft hervorleuchtet und wo man daher den Fall nicht erwartete. Dies nannten die Griechen Neid der Götter. Vergl. beſonders Herodot 1, 32. 7, 10. Hegel nennt es (Rel. -Philoſ. Th. 2, S. 90) ein Nivelliren. Die Griechen kannten wohl ein höheres tragiſches Geſetz, aber ſie mußten ſich, da ihre Religion Natur-Religion war, für dieſe Erſcheinung, das Natur-Tragiſche, be - beſonders intereſſiren. Erſt die vorgeſchrittene Philoſophie und die tragiſche Poeſie, wo ſie höhere, ſittliche Formen des Tragiſchen behandelte und303 daher dieſe Form als die beſtimmende abweiſen mußte, trat gegen dieſe Vorſtellung der Gottheit als einer neidiſchen auf.

β. Das Tragiſche der einfachen Schuld.
§. 131.

Das Subject überhebt ſich und die Urſchuld geht durch den nothwendigen1 Art der Freiheit in wirkliche Schuld über. Dieſe Schuld iſt aber einfach, das heißt zunächſt, ſie liegt, wenn der Wille gut iſt, nicht in einem objectiven unvermeidlichen Widerſpruch, worein ſein Pathos geriethe, ſondern in irgend einer Verirrung, welche mit dem ſittlichen Kraftgefühle eines ſolchen Willens in näherem oder entfernterem ſubjectivem Zuſammenhange ſteht, allerdings aber eine ſtrengere äſthetiſche Einheit gründet, wenn ſie als die unmittelbare Kehr - ſeite von jenem, daher ſubjectiv nach dem abſtracten Begriffe der Freiheit zwar vermeidlich, in Betracht der Beſtimmtheit der Perſönlichkeit aber unvermeidlich erſcheint. Es tritt aber in dieſem Gebiete keineswegs blos das Erhabene des2 guten Willens auf. Durch dasſelbe hat ſich zwar der Uebergang zum Tragiſchen vermittelt, aber als die mit allen vorhergehenden Formen des Erhabenen er - füllte Einheit ſetzt dieſes die eine oder die andere Form aus dem Erhabenen des Subjects als Organ und Object ſeiner Bewegung in den Vordergrund. Nur iſt die Leidenſchaft und der unſtete Wille unfähig, dieſe Stelle einzu - nehmen; außer dem guten Willen, der ſich verirrt, tritt daher als weiterer möglicher Mittelpunkt der tragiſchen Bewegung nur das Böſe hervor, und wenn dieſe Spitze der Ueberhebung des Subjects den Hebel bildet, ſo iſt die Schuld einfach nicht nur in jenem Sinne irgend einer Verirrung, ſondern auch, weil ſie unvermiſcht iſt.

1. Die einfache Schuld iſt die ἁμαρτία τις des Ariſtoteles, (Poet. 13). Dieſe Stelle ſcheint mit unſerer Entwicklung inſofern in Widerſpruch zu liegen, als wir dieſe ἁμαρτία nothwendig als die Ver - irrung eines erhabenen Charakters auffaſſen müſſen; denn das ſubjectiv Erhabene iſt ja immer das zum Verſchwinden beſtimmte Moment im Tragiſchen. Ariſtoteles nämlich verlangt einen Helden, der weder durch Tugend und Gerechtigkeit ſich auszeichnet, noch durch Bosheit und Laſter304 in’s Unglück ſtürzt, ſondern durch irgend einen Fehl (ἁμαρτίαν τινὰ), Einen von denen, die in großem Ruhm und Glück leben, wie Oedipus und Thyeſtes und die glänzenden Männer aus ſolchen Geſchlechtern. Kurz vorher ſagt er ſogar, es dürfe nicht der Sturz von braven Männern (ἐπιεικεῖς ἄνδρες) dargeſtellt werden. Allein was jene Stelle betrifft, ſo wird man ſogleich fragen, ob denn der Ruhm ein unverdienter ſeyn dürfe, ob denn Oedipus nicht Ruhm und Glück durch ausgezeichnete Eigenſchaften verdient habe, Thyeſtes nicht eine heroiſche Natur ſey, was die zweite betrifft, ſo ſcheint ſie in geradem Widerſpruch zu ſtehen mit der Stelle in C. 15, wo es heißt, der Dichter müſſe auch den fehler - haften Charakter heben, daß er brav erſcheine: ἐπιεικεῖς ποιεῖν. Wirk - lich iſt die Poetik voll von Stellen, wo ein ausgezeichnet edler Charakter zum Tragiſchen gefordert wird; die Dichter werden gelobt, welche die Charaktere βελτίονας καϑ̕ ἡμᾶς (z. B. C. 2, vergl. 26) darſtellen, die Tragödie heißt (15) μιμησις βελτιόνων, und in der erſtgenannten Hauptſtelle (13) wird, nachdem zumal die ἁμαρτία eine μεγάλη genannt iſt, der Satz über den Charakter durch ein oder dahin näher beſtimmt, er ſolle eher beſſer als ſchlechter ſeyn. Gerade aber, wo von der Com - poſition des Charakters ausdrücklich die Rede iſt (15), wird als erſtes Geſetz aufgeſtellt, daß er gut (χρηϛὸς, altdeutſch: frum) ſey, und man kennt die emphatiſche Bedeutung dieſes Worts bei den Griechen. Aus allem dieſem folgt, daß Ariſtoteles in der Hauptſtelle (13) ungenau geſprochen hat, daß er nur die abſtract idealen Charaktere ausſchließen wollte, und wenn er ſagt, es dürfen nicht ἐπιεικεῖς ἄνδρες als unglücklich dargeſtellt werden, ſo will er offenbar ſagen: nicht als ſolche, ſondern durch Vermittlung eines Fehls. Was er unter dem Fehl verſteht, zeigt am deutlichſten die Stelle 15, wo er ſagt, der Dichter müſſe jähzornige und leichtſinnige Männer in ein beſſeres Licht ſtellen (ὀργίλȣς καὶ ῥαϑύμȣς), wie Agathon und Homer den Achilles. Dies iſt die ἁμαρτία, wovon die Rede iſt: die Ueberſtürzung eines edlen Charakters.

Um auf das Allgemeine zurückzugehen, ſo hat der §. die Schuld auf dem Act der Freiheit ſelbſt abgeleitet, welche als Trennung des Subjects von der ſittlichen Subſtanz, mag ſie ſich im Fortſchritt auch mit dem Guten erfüllen, den Eigenſinn der Einzelheit an ſich behält. Aus dieſem fließt dann die Sicherheit, wodurch die ſittliche Energie ſich eine Grube gräbt. Die Schuld, von der hier die Rede iſt, heißt aber zu - nächſt einfach, weil ſie nicht in den ſittlichen Conflict gehört, welcher ſofort als dritte Form auftreten wird. Sie kann dies oder jenes Ver -305 hältniß treffen und verletzt immer ein ſittliches Recht, aber nicht ein ſolches, welches im vorliegenden Falle mit dem andern, durch das Patbos des Helden vertretenen, an ſich eine weſentliche ſittliche Einheit bildet, wo denn die Schuld in der Trennung des Zuſammengehörigen läge, ſondern es iſt zufällig, welches Verhältniß verletzt wird. Ajax z. B. verletzt durch ſein Raſen die Helden-Ehre: er hätte in ſeiner Leidenſchaftlichkeit auch eine andere Schuld begehen können; Sigfried verletzt die Pflicht der Verſchwiegenheit, indem er Chriemhilden das Geheimniß von Brunhildens Brautnacht mittheilt: er hätte in ſeiner Harmloſigkeit auch ein Verſehen anderer Art ſich zu Schulden kommen laſſen können. Die Schuld ſteht alſo mit dem Streben des Helden nicht in dem orga - niſchen Verhältniß, wie ſich dies in der dritten Form zeigen wird. Subjectiv aber ſoll wo möglich ein innerer Zuſammenhang ſeyn. Die Schuld ſoll aus denſelben Temperaments-Eigenſchaften fließen, wie die Tugend. Der Reformator eines Staats, einer Kirche z. B. mag in ſeinem Eifer zu raſch verfahren u. dgl. Im Temperamente des Ajax iſt jene Raſerei ganz begründet. Oedipus erſcheint zwar vorzüglich als weiſer Heros, aber er hat doch auch die jähzornige Helden-Natur, und ſo bedenkt er nicht, daß der Zufall ihm auflauert, daß er durch den Orakelſpruch gewitzigt ſeyn ſollte, da er den Begegnenden, übrigens nach griechiſchen Begriffen an ſich mit Recht, erſchlägt. Einem Sigfried, gut und arglos, vertraulich wie er iſt, liegt nichts näher, als jener Fehler des Verplauderns. Conradin fällt durch ſeine Unvorſichtigkeit nach dem Siege bei Scurcola: ein Fehler, der ganz ſeiner Jugend entſpricht, deren Unternehmungsgeiſt eben ihn zugleich zum tragiſchen Helden erhebt. Othello rast um ſo fürchterlicher und iſt um ſo leichter zu täuſchen, je gewaltiger ſeine argloſe Natur vorher die Leidenſchaft in ſich zuſammenhielt. Hamlet, ſo weit er hieher gehört, muß unge - ſchickt zum Handeln ſeyn gerade durch den Tiefſinn ſeiner denkenden Natur. Egmont in der Darſtellung des Dichters fällt durch denſelben Leichtſinn, der ihn zu dem beliebten Helden eines luſtigen Volkes macht.

2. Ariſtoteles weist bekanntlich (Poet. 13) die überaus Schlechten und ihren Sturz von der Tragödie völlig aus; denn dieſer Sturz würde, wie er meint, weder Mitleid noch Furcht erregen, weil wir jenes nur dem unverdienten Unglück ſchenken, mit dieſer nur Menſchen unſeres Gleichen begleiten. Unter dem unverdienten Unglück verſteht er natürlich kein ganz unverdientes, ſondern ein ſolches, das nur durch eine Schuld verdient iſt, die zur Strafe in keinem Verhältniſſe ſteht. Sein Grund ließe ſich leichtViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 20306widerlegen, denn die höchſte Bosheit findet noch den Anklang ſowohl des Mitleids als der Furcht, weil der Böſewicht keineswegs aus der Gattung tritt und ſeine höchſte Schuld noch auf einen Reſt der Menſchheit und der Verkehrung aus Unſchuld hinweist. Das tiefe Bedürfniß der Liebe, das Macbeth und Richard III vor ihrem Untergang ausſprechen, erregt die innerſte Theilnahme, und wie wir ihnen auch den Untergang gönnen, wir zittern doch mit ihnen für uns ſelbſt, denn der Dämon, den hier die Nemeſis ereilt, ſchlummert auch in uns. Der Grund ſitzt aber tiefer. Im antiken Staate, dem das Gute ein χρηϛὸν war, gilt das Böſe als etwas nicht Poſitives, ſondern kläglich Elendes, als ein φαῦλον; der Böſe iſt Taugenichts, daher untragiſch. Erſt nach der Auflöſung der antiken Republik wurde die Größe in der Bosheit möglich. Weitere Momente entwickelt Rötſcher (Cyclus dramatiſcher Charaktere S. 39 ff.). Zwar treten in der antiken Tragödie ungeheure Verbrechen auf, Thaten, welche die Menſchheit beleidigen, werden ſelbſt von Weibern begangen. Aber es ſind einzelne Thaten der Rache, es ſind nicht Reihenfolgen von Verbrechen aus Bosheit, die zum Charakter geworden. In unſerer allgemeinen Begriffslehre aber iſt die Beſtimmung ſo weit zu ziehen, daß für jede Form des Tragiſchen, alſo auch die des modernen Ideals, worin vollendet böſe Charaktere auftreten, Raum iſt. Die Schuld des Böſen nun beſteht nicht in der Einſeitigkeit eines berechtigten Pathos im Kampfe mit einem ebenfalls einſeitigen und berechtigten; die Seite wenigſtens, wodurch es in einem geſchichtlichen Rechte iſt, gehört zunächſt nicht hie - her, denn der Böſe will nicht Gerechtigkeit üben an ſolchen, die es ver - ſchuldet haben, ſondern er will nur ſeine böſen Zwecke, und was er Gerechtes wirkt, das wirkt die Weltgeſchichte durch ihn ohne ſein Ver - dienſt. Ebendaher iſt ſeine Schuld auch unvermiſcht; der Reſt des Guten in ihm gehört ebenfalls nicht hieher, es handelt ſich um ſeine That, und dieſe iſt einfache, volle Verletzung des ſittlichen Complexes.

§. 132.

Die Schuld verletzt auf irgend einem Punkte den ſittlichen Complex. Es leiden durch ſie andere Subjecte, und da die Schuld einfach iſt, ſo ſcheint es zunächſt, ſie leiden unſchuldig. Allein dann wären ſie reine Objecte der Schuld des tragiſchen Subjects und für den äſthetiſchen Zuſammenhang bloſe Mittel, was dem abſoluten Werthe der Subjectivität, ſie wäre denn noch ganz unent - wickelt, widerſpricht. Daher dürfen ſie nicht als völlig ſchuldlos erſcheinen,307 ſondern ſie müſſen durch irgend einen Fehl dem ſchuldigen Subjecte eine Blöſe dargeboten haben und auch bei ihnen ſoll dieſe Blöſe in innerem Zuſammen - hang mit ihrer Tugend ſtehen. Leiden ſie aber, damit die Schuld des tragi - ſchen Subjects in ihr volles Licht trete, für ihre geringe Schuld ganz unver - hältnißmäßig, ſo tritt als Verſöhnung damit entweder der Standpunkt der erſten Form des Tragiſchen (§. 130) ein, oder die Erhebung im Leiden offenbart eine innere Unendlichkeit (§. 113), welche dem Mißverhältniſſe ſeine Herbe nimmt.

Die unentwickelte Subjectivität iſt die Kindheit und hier tritt blos die Verſöhnung ein, die in der erſten Form des Tragiſchen liegt; ſo die Söhne Eduards in Richard III, die Kinder der Niobe. Die in den Werth freier Selbſtbeſtimmung eingetretene Perſönlichkeit, welche ſcheinbar unſchuldig leidet, in Wahrheit aber durch einen, jedoch nur kleinen, Fehl ihr Leiden verſchuldet hat, wird vorzüglich die noch nicht völlig gereifte jugendliche Natur ſeyn, wie z. B. Giſelher im Nibelungenliede, der aller - dings gegen den Anſchlag auf Sigfrieds Leben, wenigſtens ſo viel in ſeinen Kräften ſtand, energiſcher hätte auftreten müſſen, wenn er ganz unſchuldig daſtehen ſollte, oder die weibliche. Dem reifen Manne dagegen ſteht es nicht an, wegen einer kleinen Schwäche unterzugehen wie z. B. Desdemona wegen des unklugen und unzeitigen Eifers in der Verwen - dung für Caſſio und wegen des ganz nach Weiberart unpaſſend gewählten Vorwands wegen des verlorenen Tuchs, oder wie Cordelia wegen eines aus ſtrenger Wahrheitsliebe zu herben Worts, oder wie Ophelia im Hamlet, die den Schwüren des Prinzen zu wenig mißtraute. Allerdings treten auch Männer auf, die nicht durch ſo deutliche Schuld, wie z. B. Haſtings und Buckingham in Richard III, Paris in Romeo und Julie durch den Zwang Juliens zu einer Verbindung ohne Liebe, Roſenkranz und Güldenſtern durch ihre Falſchheit gegen Hamlet leiden, ſondern z. B. durch den liebenswürdigen Fehler zu großer Milde, wie ihn Holinſhed, Shakespeares Quelle, ausdrücklich dem Duncan zur Laſt legt, oder durch eine aus den Umſtänden erklärliche Liebloſigkeit, wie Macduff in Shakespeares Tragödie, indem er fliehend ſeine Familie zurück - läßt, wie Polonius durch wohlweiſe Zudringlichkeit. Allein hier muß der kleine Fehl wenigſtens im Zuſammenhang ſtehen mit einem klar ge - wollten männlichen Entſchluß, und ein ſolcher iſt Macduffs Flucht; Duncan dagegen erſcheint bei Shakespeare von ſo kindlichem Gemüthe, daß ihm jene Form des Mitleids zu Theil wird, wie dem Bilde rührender Jugend,20*308die ſchuldlos untergeht. Schwieriger iſt es, Banquos Untergang unter unſern Satz zu begreifen, denn dieſer ſcheint bei Shakespeare ganz un - ſchuldig, doch kann man ohne Zwang geltend machen, daß er, wenn Macbeth, wie er fürchtet, ein ſchändlich Spiel ſpielte , nicht unthätig am Hofe hätte zurückbleiben ſollen. Er hat ſchon Theil an der allgemeinen Schuld Schottlands, welche ſpäter auch die Flüchtlinge ſich vorwerfen, dem Tyrannen zu lang als widerſtandsloſer Stoff gehalten zu haben. Klar aber iſt die allgemeine Schuld Englands in Richard III. Die Kaſſandra, gemordet mit Agamemnon, hat nach antiker Weiſe ohne be - ſondere Schuld doch Theil an der allgemeinen der Trojaner; dagegen iſt Agamemnons Schuld deutlich. Max und Thekla im Wallenſtein gehen freilich ganz unſchuldig zu Grunde, aber ſie ſind auch abſtract ideale Figuren. Wären ſie mit mehr Lebenswahrheit hingeſtellt, ſo wäre mit dem nöthigen Schatten auch der Anknüpfungspunkt gegeben, um ſie wenigſtens unter den Standpunkt der Urſchuld der Individualität zu ſtellen. Dem Mißverhältniß nun zwiſchen der Schuld und dem Leiden wird, wo der Charakter ein ausgebildeter ſchon iſt oder im Fortgange wird, weſentlich da - durch ſein Stachel genommen, daß das Leiden die innere Erhabenheit zur Entfaltung bringt. Wir hätten ohne dieſes nicht geſehen, welche Unend - lichkeit der Liebe in Desdemona, Cordelia, welche Anmuth im Wahnſinn ſelbſt in Ophelia, welche Kraft der Tapferkeit in Macduff wohnt: dies verſöhnt mit dem Leiden. Alſo tritt hier wieder die negative Erhabenheit des Subjects (§. 113) ein; nur iſt nicht zu überſehen, daß dieſe Form jetzt in einem ganz andern Zuſammenhange ſteht.

§. 133.
1

Es erfolgt die Strafe durch den verletzten ſittlichen Complex und die äſthetiſche Einheit iſt eine um ſo höhere, je mehr auch ſie als die einfache2 Kehrſeite der Schuld erſcheint. Iſt jedoch dieſe von unbeſtimmter Art, ſo kann die Strafe aus einem unglücklichen Zufall hervorgehen. Iſt ſie von beſtimmter Art, ſo ſind Subjecte mit Abſicht die Organe derſelben, und dieſe ſind ent - weder als die verletzten, obwohl nicht völlig unſchuldig (§. 132), doch gegen das ſchuldige Hauptſubject im Rechte und die Strafe erſcheint unmittelbar als gerecht, oder ſie ſind nicht die verletzten und verfallen, indem ſie über das nicht gegen ſie ſchuldige Hauptſubject das Uebel verhängen, ſelbſt in Schuld und Strafe, aber dieſes ſetzt ſein unmittelbar nicht verdientes und inſofern309 zufälliges Leiden durch ſein Bewußtſeyn in Zuſammenhang mit ſeiner Schuld. Anerkennung des Zuſammenhangs zwiſchen Schuld und Uebel wird immer ge -3 fordert; dieſelbe kann aber eine freiwillige ſeyn und das Subject ſogar das äußerſte Uebel ſelbſt an ſich vollſtrecken oder eine unfreiwillige, welche das Gewiſſen dem böſen Willen abnöthigt. Iſt dieſer der Mittelpunkt, ſo muß die äußere Zerſtörung die reine Kehrſeite der Selbſtzerſtörung darſtellen (vergl. §. 109).

1. Der äſthetiſche Zuſammenhang iſt um ſo reiner, je mehr die Strafe als einfacher Reflex, als bloſe Kehrſeite der Schuld erſcheint. Macbeth und Richard III haben durch ihr Handeln jedes Band der Liebe zerſchnitten und zuletzt, da die Furcht nicht mehr wirkt und ſie die Liebe bedürfen, um die Vaſallen feſtzuhalten, machen ſie die Erfahrung, wie ſich das von ihnen aufgeſtellte Geſetz an ihnen ſelbſt vollſtreckt. Schon in dieſem Sinne erſcheint hier die von außen kommende Zerſtörung als bloſer Rückſchlag der eigenen That, alſo als Selbſtzerſtörung. So ſtreng, wie hier, iſt keineswegs nothwendig immer der Zuſammenhang, doch in ſchwächerer Spur muß er ſich verfolgen laſſen. Oedipus z. B. läßt ſich vom Zufall des aufbrauſenden Zornes überraſchen und tödtet den grob Entgegnenden, den er nicht kennt. Gerade den Zufall hat er, das muß er wiſſen, zu fürchten und der zufällig Begegnende war ſein Vater. Maria Stuart hat eine durch Launen und Verirrungen der Liebe befleckte Jugend zu bereuen und eiferſüchtige Weiberlaune iſt das Grundmotiv, warum Eliſabeth das Todesurtheil unterzeichnet.

2. Unbeſtimmte Schuld heißt hier eine Schuld aus momentanem Affect und Vergeſſenheit, wie die des Oedipus, an welchem Beiſpiel zugleich die Zufälligkeit der Nemeſis einleuchtet. Romeo läßt ſich vom Zufall ſeines Temperaments zu einem verzweifelten Entſchluſſe hinreißen und an ihm rächt ſich der Zufall falſcher Kunde. Beſtimmte Schuld iſt entweder vorbedachtes Verbrechen, wie die Thaten des Böſen, oder wenigſtens ein ſehr ſtrafbarer Leichtſinn, wie Sigfrieds Ausplaudern, Egmonts Bleiben, eine maßloſe Leidenſchaft, wie die Raſerei des Ajax. Die Subjecte, welche die Strafe verhängen, ſind z. B. gegen Macbeth und Richard III, obwohl ſie übrigens durch zu langes Zögern auch ſchuldig geworden, an ſich im Rechte. Selbſt Sigfrieds Mörder Hagen handelt aus Vaſallentreue, da durch Sigfrieds Ausplaudern ſeine Herrinn Brun - hilde unendlich verletzt iſt, er wird aber, indem er den Meuchelmord310 als Mittel gebraucht, im ſtrengſten Sinne ſchuldig und verfällt dem allgemeinen blutigen Gerichte, ebenſo Chriemhilde, die zuerſt die Schuld beging, Sigfrieds Geheimniß mit Entſtellung der Wahrheit aus Weiber - zorn zu verrathen, dafür durch Hagen über alles Verhältniß leidet, dann Rache übt, aber jedes Maß überſchreitet und nun abermals der neuen, letzten Strafe verfällt. So wirft ſich Schuld und Strafe herüber und hinüber; der Begriff hat es aber mit den einfachen Grundverhältniſſen zu thun. Eliſabeth in Schillers Maria Stuart iſt gegen dieſe nicht im Rechte, denn des Verbrechens, wofür ſie eingekerkert und zum Tode verdammt wird, iſt ſie nicht überwieſen noch geſtändig. Eliſabeth ſelbſt wird daher die Schuldige und verfällt am Ende, verlaſſen von dem beliebteſten Günſtlinge, der Laſt ihres Bewußtſeyns. Leidet nun die ſchuldige Hauptperſon durch ſolche, welche durch ihre Schuld nicht ver - letzt waren, wie Maria Stuart, ſo muß das Bewußtſeyn derſelben den inneren Zuſammenhang zwiſchen Schuld und Uebel herſtellen. Das beſte Beiſpiel iſt eben die Letztere, welche verſöhnt, im Gefühle, durch den unverdienten Tod ihre wahre Schuld zu büßen, in den Tod geht.

3. Das äußerſte Uebel iſt der Tod nur im objectiven Sinne; Ajax, Othello tödten ſich ſelbſt, weil ihnen der Tod gegen die Qual des Bewußtſeyns ſubjectiv noch als Gut erſcheint. Oedipus blendet ſich, weil er das Licht nicht mehr ſehen kann, das ihm Unerträgliches zeigt, Don Ceſar in der Braut von Meſſina reinigt ſeine Schuld ebenfalls durch den Tod und ſpricht aus, daß das Leben der Güter höchſtes nicht iſt. Mit Murren erkennt der Böſe in der organiſchen Selbſtzerſtörung ſeines Werks die gerechte Ordnung der Dinge. Die eigentliche Selbſtzerſtörung aber iſt die Qual das Ich, das ſich entfliehen möchte und nicht kann. Das ſittliche Bewußtſeyn iſt nun eine Macht, die wie ein fremder Geiſt, der zugleich das eigene Ich und deſſen Feind und Richter iſt, aus dem Böſewicht ſelbſt zu ihm ſpricht. Macbeth und Richard III enthalten berühmte Stellen dieſes Inhalts. Es iſt dies die negative und dadurch um ſo ſtärkere Form der Anerkennung. Die Selbſtzerſtörung des Böſen iſt ſchon in §. 109 aufgeführt, dort, um den Uebergang zum Erhabenen des guten Willens zu vermitteln, alſo eben nur als verſchwindendes Durchgangsmoment; hier aber tritt ſie als Schauſpiel für ſich, als ſelbſtändige Form auf, die freilich auch ſo den Aufgang des Guten als ihre andere Seite in ſich trägt. Richmond iſt das Poſitive des Negativen in Richard.

311
§. 134.

In dieſer zweiten Form iſt der Zufall (vergl. §. 117) zwar in den1 Zuſammenhang eines ſittlichen Ganzen gerückt, allein es wird eine höhere Form ſeiner Aufhebung gefordert, welche nur darin beſtehen kann, daß die Schuld mit dem ſittlichen Streben des Hauptſubjects nicht nur durch ein näheres oder ent - fernteres ſubjectives Band verknüpft iſt, ſondern mit ihm in Einem Punkte zuſammenfällt. So iſt ſie nicht mehr irgend eine Schuld und verletzt nicht mehr irgend ein Verhältniß, ſondern diejenige ſittliche Macht, welche mit der andern, die der Inhalt jenes Strebens iſt, in innerer Einheit ſtände, wenn dieſes Streben nicht ſchuldig wäre. Nun iſt ſchon in der zweiten Form der reinere Fall derjenige, wenn die Strafe durch Subjecte kommt, welche ſchuldig, und zugleich gegen den Verletzenden im Rechte ſind (§. 132 und 133), und die geſuchte höhere Form des Tragiſchen wird entſtehen, wenn dieſe, indem ſie die Strafe ausüben, auf dieſelbe Weiſe ſchuldig werden, wie das erſte Subject. Die Keime dieſer Form liegen ſchon in der zweiten vorbereitet. 2

1. Zufällig iſt die Schuld auch als Kehrſeite der Tugend, wenn nur das Temperament, das, ſo wie es iſt, zu der Aufnahme des ſittlichen Zwecks geeignet war, gerade auch die natürliche Quelle der damit ver - bundenen Uebereilungen u. ſ. w. iſt. Egmont z. B. iſt leichtſinnig als Repräſentant genußluſtiger niederländiſcher Art und Weiſe im Streben nach Freiheit, aber objectiv liegt in dieſem Pathos nicht die Nothwendig - keit eines ſolchen Fehlers, Horn iſt vorſichtig. Zufällig iſt die Strafe zunächſt dadurch, daß gemeinhin ſogenannter Zufall eingreift, der aber zurechenbar iſt, wie bei Oedipus wenigſtens in dem oben angegebenen Sinne, ebenſo bei Romeo. Hier kann auch die Verwechslung der Rappiere im Hamlet noch angeführt werden; ſie iſt ein Zufall, aber Laertes, der durch dieſe Verwechslung fällt, muß ſie auch auf ſeine Rechnung nehmen, weil wer ein tückiſches Spiel mit ſinnlichen Gegenſtänden treibt, die dem Zufall unterworfen ſind, ſich dieſen gefallen laſſen muß, wenn er ſich gegen ihn ſelbſt kehrt. Zufällig iſt ferner die Strafe, wenn ſie zwar von einem Subjecte kommt, aber einem ſolchen, das, indem es ſie ver - hängt, nicht im Rechte iſt, wie Eliſabeth in Maria Stuart. Zufällig iſt aber die Strafe auch wenn das zweite Subject im Rechte iſt, ſofern es nämlich von dem ſchuldigen Hauptſubjecte zwar verletzt war, aber nicht auf dem Punkte, wo das höchſte ſittliche Streben ſeines Lebens liegt,312 ſondern nur auf irgend einem Punkte, der auch ein anderer ſeyn könnte. Die Zufälligkeit ſoll nun alſo in höherer Weiſe ſich aufheben, wie dazu der §. den Uebergang nachweist.

2. Viele der angeführten Beiſpiele enthalten ſchon, nur nicht in völliger Ausbildung, die höhere Form, worin zwei Subjecte durch die innere Einheit der ſittlichen Lebenszwecke, die ſie durch ihre Einſeitigkeit trennen, aufeinander geſpannt ſind. In Romeo und Julie tritt die Liebe mit dem politiſchen Haß der Familien und dem Willen der Eltern in Conflict, nur iſt dieſe Seite hier zu unrein, tritt in zu unberechtigter Form auf, um von einem vollen Conflicte zu reden; im Lear die Vater - liebe, die kindiſch wird, mit der Kindesliebe, die aus Wahrhaftigkeit herb wird; in Shakespeares engliſchen Stücken das Recht des Vaſallen, der ſo gut König ſeyn kann, als der König, der einſt auch Vaſall war, mit dem Rechte des Königs, der es einmal iſt, die ſchuldige Empörung mit der ſchuldigen Legitimität; im Hamlet wirft ſich der Conflict in den Buſen des Helden, der ſich zwiſchen Wiſſen des geſchehenen Verbrechens und Nichtwiſſen, was thun, Entſchluß und Unſchlüſſigkeit in kranker Betrachtung zerarbeitet. Hegel rückt ſelbſt den Oedipus unter den Standpunkt eines Widerſtreits zwiſchen einſeitig Berechtigten, dem Rechte des Selbſtbewußt - ſeyns und des Weſens (Phänomenol. S. 348 ff. vergl. S. 553 ff.). Wallenſtein, der manche Momente für die Beleuchtung der zweiten Form dargeboten hätte, wurde nicht angeführt, weil hier mit Beſtimmtheit der Conflict zwiſchen dem ſich überhebenden Recht des Feldherrn-Genius zur Selbſtherrſchaft und der beſtehenden Macht, die ihn mißtrauiſch belauſcht, als Idee der Tragödie hervortritt.

γ. Das Tragiſche des ſittlichen Conflicts.
§. 135.

Es rücken nunmehr die den tragiſchen Vorgang bewirkenden Subjecte in ein Verhältniß zuſammen, das ſie ſo enge bindet, daß kein auffallender Eingriff des Zufalls mehr Raum hat. Das Bindende iſt der reinſte geiſtige Mittel - punkt des in §. 117 ff. entwickelten Complexes der Nothwendigkeit, nämlich die ſittliche Idee als Einheit eines Kreiſes ſittlicher Mächte (§. 120). Aus dieſem Kreiſe ſondert das äſthetiſche Geſetz der Begrenzung den Gegenſatz zweier313 beſtimmter ſittlicher Mächte aus, die einander weſentlich fordern und in der reinen Idee im Einklang ſtehen. Der reinſte Fall nun iſt, wenn dieſer Gegen - ſatz nicht blos in Ein Subject fällt, ſo daß es nicht handeln kann, ohne das eine oder das andere Glied desſelben zu verletzen, ſondern wenn jedes der Glieder einem von zwei Subjecten, die als Vorkämpfer einer Vielheit von Subjecten ſich gegenüberſtehen, als ſein Pathos zufällt.

Ariſtoteles (Poet. 14) ſagt, indem er die Stoffe aufſucht, welche tragiſche Furcht und Mitleid erregen: wenn ein Feind den andern tödtet, ſo liegt weder in der Handlung ſelbſt, noch in dem Vorhaben etwas Mitleidbewegendes außer dem, was aus dem Leiden ſelbſt entſpringt; ebenſowenig bei denen, welche weder Freund noch Feind ſind. Bricht aber zerſtörende Leidenſchaft in Verhältniſſen aus, deren Weſen die Liebe iſt, wie wenn ein Bruder den Bruder oder ein Sohn den Vater oder eine Mutter den Sohn oder ein Sohn die Mutter tödtet oder tödten will oder ſonſt etwas der Art thut, ſolche Stoffe muß man ſuchen. Dieſe Stelle enthält einen ſehr treffenden Wink für die wahrhaft tra - giſchen Colliſionen, iſt aber keineswegs allein für die vorliegende dritte Form des Tragiſchen als Beleg anzuführen, wie Rötſcher zu wollen ſcheint, wenn er (Staatsler. v. Rotteck und Welcker B. 15. Theater und dram. Poeſie S. 390) dieſelbe auf den Conflict ſolcher Mächte anwendet, welche durch ihre eigene Natur aufeinander bezogen, d. h. als Gegenſätze gegeneinander geſpannt ſind. Die Worte des Ariſtoteles gehen nämlich ebenſo auf die zweite Form, die einfache Schuld, wie auf die dritte, den tragiſchen Conflict; denn wenn ein Bruder den Bruder u. ſ. w. tödtet, ſo kann dies geſchehen aus Haß überhaupt und Schlechtig - keit, wie es Richard III thut, es kann ihn aber auch ein berechtigtes Pathos dazu treiben, wie den Polyneikes gegen Eteokles, der ihm ſeinen Antheil an der Herrſchaft über Thebe verweigert. Tragiſch iſt auch die erſtere Form, denn ſie verletzt, was durch Liebe gebunden ſeyn ſoll, tragiſcher aber die letztere, denn hier erſt geräth mit der Liebe ein anderes Geſetz, das Recht, in Streit, dem nicht Genüge geſchehen kann, ohne jene zu verletzen. Ariſtoteles hat beide Formen nicht unterſchieden. Daß auch die erſtere, von uns als zweite aufgeführte ein Verhältniß vorausſetzt, wo Einheit herrſchen ſollte, liegt einfach in dem dort aufgeführten Begriffe der Schuld; denn dieſe iſt nur, wo verletzt wird, was geachtet werden ſoll. Die dritte, vorliegende Form nun hat Hegel in mehreren Stellen ſeiner Werke entwickelt: in der Phä - nomenol. S. 346 ff. 550 ff. Religionsphiloſ. 2, 113 ff. Aeſth. 3, 527 ff. 314Die trefflichſte Darſtellung iſt jene in der Phänomenologie; wie die That das Unbewegte bewegt , den ſchlummernden Geiſt der Einheit, die das Weſen und das Selbſtbewußtſeyn, den ſittlichen Zweck und den ihm entgegengeſetzten in ſich im Einklang hält, gegen ſich aufreizt, könnte mit tieferem Schickſalsgefühle nicht ausgeſprochen werden. Um nun vorläufig ein Bild dieſer Form zu geben, mag an folgende Beiſpiele erinnert werden, wobei die Fälle zu unterſcheiden ſind, wo der Conflict ſich klar an zwei Kämpfer vertheilt, oder wo blos Einer den Kampf im Buſen trägt, welchem die ver - letzte Seite nur in übermenſchlicher oder rathender, mahnender, aber nicht mitkämpfender menſchlicher Perſönlichkeit zur Seite ſteht. Daß der erſtere Fall der äſthetiſch höhere iſt, leuchtet von ſelbſt ein. Erſcheint dennoch ein Kunſtwerk der zweiten Art als höher, ſo iſt dies nicht, weil das Tragiſche darin bedeutender iſt, ſondern hier kommt theils die Kunſtgattung, theils die Intenſität der Behandlung und Anderes in Rechnung, was hier noch nicht zu verfolgen iſt. Geſchwiſterliebe und Staatsgeſetz in der Antigone des Sophokles. Sohnesliebe und Blutrache in der Oreſtie: hier ſind nicht zwei Kämpfer, die Pietät ſpricht aus dem Munde der mitleidflehenden Mutter, die Blut - rache aus Apollo und Elektra, aber jene fällt ſchnell und nun ſpielt ſich der tragiſche Conflict im Buſen des Oreſtes ab, nur in übermenſch - lichen Weſen iſt er zugleich objectivirt. Rüdigers Conflict zwiſchen der Pflicht der Freundſchaft gegen die Nibelungen und des Vaſallen, welche letztere durch einen der Chriemhilde geſchworenen Eid verſtärkt iſt; der Kampf iſt innerlich. Im Mittelalter: Kampf der Kaiſer und Päpſte, d. h. des Staats, der ſich als vernünftige Einheit bilden will, und der ihn auf - hebenden transcendenten Macht der Kirche. Der Kampf iſt tragiſch, weil beide Mächte in ihrer Zeit berechtigt ſind. Hat ſich dagegen eine Religions - form ausgelebt, ſo iſt ihr Kampf gegen den Staat, der nur Einen, nicht zwei Willen in ſeinem Mittelpunkte dulden kann, ſowie gegen die Auf - klärung des Geiſtes nicht mehr tragiſch im Sinne der vorliegenden Form, ſondern im Sinne der zweiten, es iſt das Tragiſche der einfachen Schuld, nämlich des aus Selbſttäuſchung bös gewordenen Willens. Conflict im Staate: demokratiſches und monarchiſches oder ariſtokratiſches Prinzip (Shakespeare’s Julius Cäſar und Coriolan, nur iſt das Volk zu ſchlecht behandelt; franzöſiſche Revolution); Kämpfe der Vaſallen gegen den Thron im Feudalſtaate, an den ſie ein Recht haben, in dem Sinne, wie es §. 134, 2 erwähnt iſt (Shakespeare’s hiſtoriſche Stücke). Ende des Feudalſtaats: Recht der ungebundenen heroiſchen Perſönlichkeit und Recht des ſich bildenden Polizeiſtaats; Göz von Berlichingen. Privat -315 leben: Herz und Pflicht, Geſetz der Zukunft für die Individualität und Anſpruch eingegangener Verpflichtung: Göthes Wahlverwandtſchaften, Clavigo. In jenen iſt der Kampf auf zwei Seiten je in zwei Perſonen innerlich, das Geſetz der Pflicht ſteht nur mahnend in der Perſon des Mittler zur Seite, im Clarigo ſchwankt der Held zwiſchen den Einflüſſen ſeiner Mahner, die Pflicht der Treue, iſt in Marien und ihrem Bruder, das Geſetz der Zukunft in Carlos repräſentirt. Recht der Phantaſie, der poetiſchen Freiheit und Recht des Verſtandes, der Convenienz, des praktiſchen Takts: Göthes Taſſo. Recht der Unendlichkeit des denkenden, genießenden, wollen - den Geiſtes und Geſetz der Beſchränkung, der Erfahrung: Göthes Fauſt. Der letztere Kampf ſpielt innerlich in Fauſt; das Geſetz der Beſchrän - kung iſt zwar in Margareten und Valentin objectivirt, hat aber ſeine - here und zweideutige Vertretung in der außermenſchlichen Geſtalt des Mephiſtopheles, der Fauſt an beſchränkten Genuß zu ketten ſucht, um ihn zu verderben, aber dennoch ihn erzieht, ohne es zu wollen.

§. 136.

Unter dieſen zwei Mächten ſteht die eine im Vorrecht gegen die andere, obwohl auch dieſe berechtigt iſt. Das Leben der ſittlichen Idee bringt nämlich einen ſteten Gegenſatz des freien Fortſchritts und des nothwendig Beſtehenden, des Jugendlichen und des Hemmenden mit ſich, denn der Wille ſchafft ſich Formen und ſtrebt ſie, nachdem ſie ihm nicht mehr angemeſſen ſind, als todten Niederſchlag abzuſchütteln, während ſie doch Dauer anſprechen, ſo lange ſie den Bedürfniſſen der noch nicht fortgeſchrittenen Sphäre des Willens genügen und die neue Form erſt geſchaffen werden ſoll. Daraus entſteht ein Kampf, der wirklicher Conflict iſt, weil beide Geſetze, das der neuen Schöpfung und das des Beſtandes der alten, berechtigt ſind. Das tiefere Recht iſt aber, weil die ſitt - liche Idee abſolute Bewegung iſt, auf der erſten Seite.

Der wahre Inhalt des Tragiſchen ſind, wie ſchon berührt, Revolutionen, die höchſte Darſtellung desſelben, die Tragödie, iſt durch ängſtliche Ueberwachung der Bühne vernichtet. Das Recht des freien Fortſchritts nun hat ge - wöhnlich auch den genialeren, jugendlicheren, glänzenderen Vertreter. Die Theilnahme tritt auf ſeine Seite und meint, aber mit Unrecht, er falle unſchuldig. Antigone, welche ein zwar in uralter Volksſitte gegründetes Geſetz der Pietät gegen ein Geſetz des Staates geltend macht, aber eben hierin dem jugendlichen Gefühle gegen ein Gebot des Staates folgt, das316 zwar nur für dieſen Fall, jedoch im Intereſſe des Ganzen gegeben iſt, welches jede Familie überdauert, Taſſo, der in der Gluth ſeiner Dichternatur Verſtand und Convenienz bei Seite wirft, Wallenſtein, der das Miß - trauen Oeſtreichs, welches den Genius nicht ertragen kann, mit Verrath erwiedert, Göz, der den neuen Landfrieden nicht faſſen kann, ſteht im Vorrecht unſerer Liebe. Aber es iſt ein Irrthum, wenn man den Helden des Strebens, der Revolution im Untergang wie einen ganz Unſchuldigen betrauert; das Beſtehende hat auch ſein Recht. Das Wahre liegt in der Mitte. Aber Vermittler ſind ganz untragiſch. Denn es kann nicht ge - handelt werden, ohne umzuſtoßen, durch die Vermittler geſchieht vielmehr einfach nichts. Erſt die weite Zukunft, wenn der entſchiedene Wille ſchuldig geworden iſt, bringt die wirkſame Vermittlung herbei. Antigone kann nicht den Bruder zugleich begraben und nicht begraben, Kreon nicht ein Geſetz geben und nicht vollſtrecken, aber es bleibt die Ausſicht, daß die blutige Lehre eine Vermittlung in künftigen Fällen, d. h. eine zum voraus den Conflict vermeidende Mäßigung, eine Humanität des Staates zur Frucht haben müſſe.

§. 137.

Indem nun jede der ſittlichen Mächte einem beſtimmten Subjecte zufällt, tritt alſo nothwendig eine Trennung des ſchlechtweg gegenſeitig ſich Fordernden ein. Das Subject kann vermöge der Schranke ſeiner Einzelheit nur Eine ſitt - liche Macht zu ſeinem Lebensgehalte erheben. Nun mag es im betrachtenden Bewußtſeyn den reinen Einklang derſelben mit der gegenüberſtehenden gerecht erwägen; aber die Beſtimmtheit des Falls fordert beſtimmte Handlung; es kann nur Eines gethan werden. Die abwägende Betrachtung weicht in dieſem Ge - dränge der einſeitigen Stärke des Pathos und rechtfertigt nur dieſe durch den begründenden Gedanken. Die Leidenſchaft im Pathos aber iſt zugleich Haß gegen das andere Pathos und ſeinen Vertreter; denn der Haß iſt die verkehrte Liebe, die den Unwillen, den das Subject ſich ſelbſt ſchuldig iſt, weil es das von dem einen Pathos geforderte andere nicht zugleich in ſich aufnehmen kann, auf den wirft, der es in ſich aufgenommen hat. Gerade die Einheit des Gegenſatzes in der Idee entzweit die Vertreter ſeiner auf einander geſpannten Glieder und macht ſie zu Feinden. So reizt und ſtört denn die That, wie ſie ſelbſt gereizt iſt, die Ruhe der an ſich unbewegten Einheit der ſich fordernden ſittlichen Mächte.

317
Wie ſchwer zu rathen ſey, das fühlſt du ſelbſt Nach dem, was du geſagt. Es iſt nicht hier Ein Mißverſtändniß zwiſchen Gleichgeſinnten; Das ſtellen Worte, ja im Nothfall ſtellen Es Waffen leicht und glücklich wieder her. Zwei Männer ſind’s, ich hab es lang gefühlt, Die darum Feinde ſind, weil die Natur Nicht Einen Mann aus ihnen beiden formte.
(Leonore in Göthes Taſſo.)
§. 138.

Durch die That des einen Subjects wird das andere, das von dem Pathos durchdrungen iſt, welches durch die Idee ebenſo weſentlich gefordert iſt wie das Pathos des erſten, in ſeinem Rechte verletzt und führt aus ſeinem Pathos den Gegenſchlag. Aber es verhält ſich mit ihm, wie mit dem erſten Subjecte: es hat wie dieſes im Rechte Unrecht und verfällt in Schuld. Beide erfahren nun durch ihre That das Gegentheil ihres Zwecks: es geſchieht, was ſie wollten, aber es geſchieht auch das, was dieſes Gewollte verkehrt und aufhebt. Hiedurch leiden beide unendliches Uebel. Die Straffheit der Spannung fordert, daß dieſes nicht nur in der Unendlichkeit des inneren Schmerzes über die Verkehrung des höchſten Lebenszwecks beſtehe, ſondern daß Blut fließe. Allein während das Subject, das im einleuchtenderen Rechte ſteht (§. 136), ſich durch die Raſchheit des volleren Pathos in den Tod ſtürzt, ſo iſt für das Subject, welches für das Beſtehende kämpft, ein trübes Ueberleben theurer Verlorener nach ſchein - barem Siege angemeſſener. Was die in dieſen Kampf hineingezogenen, aber nicht in erſter Linie betheiligten Subjecte betrifft, ſo gilt für das Verhältniß ihres Untergangs zu ihrer Schuld dasſelbe, was in der zweiten Form (§. 132).

Der Inhalt des §. mag an der Antigone des Sophokles ver - gegenwärtigt werden. Die von Solger, Hegel, Süvern aufgeſtellte Auffaſſung iſt bekanntlich, von Gruppe beſonders, angefochten worden. Die Gegengründe ſ. Ueber d. Erh. u. Kom. S. 135 ff. Kreon ſetzt die Beſtrafung der Antigone durch, wie ſie auf ihrem Willen, Polyneikes zu begraben, beſtand. Allein die Familienliebe, deren uralt ungeſchrie - benes Geſetz er durch neue Menſchenſatzung umſtoßen wollte, rächt ſich an ihm, der zwar das Intereſſe des Staates für die Aufſtellung ſeines Verbots und die Heiligkeit des ausdrücklichen Geſetzes für die Aufrecht - erhaltung deſſelben in Anſpruch nimmt, aber freilich als unſchöner Cha - rakter erſcheint, unreine Motive einmiſcht, die σωφροσύνη vergißt. Die Ver - kündigung des Tireſias ändert ſeinen Sinn, er ſelbſt von ſchlimmer Ahnung318 erſchüttert, thut jetzt, was er vorher bei Todesſtrafe verboten hatte, er läßt den wieder ausgeſcharrten Todten begraben. Es iſt zu ſpät; er verliert Sohn und Gemahlinn, welche die ſterbende Antigone in’s Grab nach ſich zieht, und ſo hat er dem Geſetze der Oberwelt Genüge gethan, aber das der Unterwelt holt ſich ebendadurch ſein Recht. Kreon überlebt, aber gebrochen und innerlich vernichtet. In andern Fällen ſcheint die zweite der in §. 136 unterſchiedenen Seiten ſogar zu ſiegen. Wallen - ſtein fällt und das öſtreichiſche Hofſyſtem ſiegt durch Octavio’s gelungenen Plan. Hiedurch verſtärkt ſich der Schein, als fallen die Vertreter des glänzenderen Rechts unſchuldig und triumphire das Unrecht. Allein dies wäre außer aller Schönheit; denn wenn es in dem Gebiete, wo der ſtörende Zufall (§. 40. 52) nur in unüberſehlichem Fortgang aufgehoben wird, oft genug ſo ausſieht, als wäre Gerechtigkeit nicht das Geſetz der Geſchichte, ſo rückt ja eben das Schöne, was auseinandergeſprengt iſt, aneinander und hier muß Gerechtigkeit im einzelnen Falle ſichtbar walten. Piccolomini überlebt, aber mit zerſchlagenem Herzen und mit dem Verluſte des ge - liebten Sohnes. Der Dichter hätte nur mit ein paar Worten auch dies andeuten müſſen, daß das ſcheinbar ſiegreiche Syſtem des Kaiſers noch in weiter Zukunft Fluch tragen und ſo aus Wallenſteins Blut die Erinnye aufſteigen werde. Wirklich zeigt ein Blick auf die neuere Kriegs - geſchichte Oeſtreichs, welche Früchte das Syſtem trägt, den Genius auch an der Spitze des Heers nicht zu dulden, ſondern durch den Kriegs - rath zu beſchneiden und zu lähmen. Wallenſtein könnte in den letzten ſchönen Momenten ſeines Lebens mit Seherblick dieſe Nemeſis über der Zukunft ſchwebend erblicken. In Shakespeares Julius Cäſar ſtellt ſich dies gebrochene Ueberleben in doppelter Wendung ein. Zuerſt über - leben die Verſchworenen mit dem Dolche des Vorwurfs im Buſen den Mord des Helden, den die geſunkene Kraft Roms zum monarchiſchen Pathos berechtigte. Dann gehen ſie ſelbſt unter, da ſie doch gegen die Triumvirn, die nicht eines Cäſars Beruf für ſich haben, im Vorrechte des edleren Pathos ſind. Sie ſterben nach Römerbrauch durch das eigene Schwert und Antonius, Octavius ſprechen an der Leiche des Brutus die tiefſte Achtung vor ihm aus. Will man Antonius und Cleopatra als eine Tragödie des Conflicts zwiſchen der Poeſie der Leidenſchaft und dem Geiſte der männ - lichen That, welche durch die gegenüberſtehende Liſt und Conſequenz der Politik gefordert iſt, betrachten, ſo ſiegt zwar dieſe, aber Octavius ſteht, als Sieger beſiegt, mit Thränen vor den edeln Leichen des Antonius und der Cleopatra. So erſcheint es ſelbſt als ſchönes Vorrecht der Helden,319 die das Jugendliche wollen, daß ſie raſch dem tragiſchen Geſetze verfallen und im Tode die Lethe ihrer Schuld trinken. Raſch, wie ſie ſind, und be - geiſtert, ſteht ihnen ein raſcher Tod an; zäh und klug, wie ſie ſind, ſteht es den proſaiſchen Helden der Berechnung und des Poſitiven an, ein Patent, das ſie zum Fürſten erhebt, mit ſchmerzvollem Blick zum Himmel zu empfangen. So ſiegt Heinrich IV über die aufrühreriſchen Vaſallen, der lodernde Percy fällt auf dem Bette der Ehre, aber der Sieger, der ſelbſt den Thron als aufrühreriſcher Vaſall beſtiegen, trägt den ſchweren Flecken und den Gram um den Sohn, deſſen ſittliche Erhebung er nicht erleben ſoll, in’s ruhmloſe Krankenbett mit ſich, in welchem er den trüben Geiſt aushaucht.

Ueber die Nebenperſonen gilt, was §. 132 für die zweite Form des Tragiſchen ausgeſprochen wurde. Ein Beiſpiel vollerer Schuld und um ſo edlerer Erhebung im Leiden iſt Margarete in Göthes Fauſt. Valentin ſtirbt unſchuldig, denn daß er die Verführung der Schweſter mit dem Degen rächen will, iſt nach den Sitten der Zeit keine Schuld. Aber er erträgt den Tod feſt und geht zu Gott ein als Soldat und brav. Hämon in der Antigone tödtet ſich ſelbſt, denn der Tod, der ihn der Braut vereinigt, iſt ihm Wohlthat. Der wackere Georg in Götz von Berlichingen ſtirbt als braver Reitersmann den ehrlichen Soldatentod. Die Begründung des Allgemeinen hat ſich hier nicht weiter einzulaſſen, weil Zahl und näheres Schickſal der Nebenperſonen, theils von dem einzelnen Falle, der in abstracto nicht zu beſtimmen iſt, theils von den beſonderen Geſetzen der Kunſtgattungen abhängen, die hieher nicht ge - hören.

§. 139.

Die Negation iſt in dieſer Form des Tragiſchen die härteſte, da der in -1 nerſte Kern des ſittlichen Wollens ſelbſt die Schuld in ſich ſchließt und in der ſtrengen Dialektik der Handlung Alles aus dem Innern hervor und in’s Innere eindringt. Ebendeßwegen aber, weil es hier für die Schuld keine Berufung2 auf den Zufall gibt, gibt es auch keine Klage über Zufälligkeit der Strafe und iſt dieſe Form vielmehr die gerechteſte, daher auch ihre Verſöhnung die tiefſte. Die in jeder der kämpfenden Mächte enthaltene Forderung des ſittlichen Geſetzes iſt durch die That erfüllt, aber zugleich die Einſeitigkeit in beiden Thaten durch die entgegengeſetzte getilgt und hiedurch die Ausſicht eröffnet, daß jene ſich reinigend ihre Niederlage überleben werden. Die Subjecte, in3320 ihr Inneres gewieſen, erweitern die Deutlichkeit des Denkens, womit ſie vor - her nur ihr Pathos rechtfertigten, zur gerechten Betrachtung, der Haß erliſcht in Liebe und anerkennend, daß ſie gefehlt, gehen ſie zwar unter, aber in den ſittlichen Einklang, der über ihren Leichen ſchwebt, iſt auch ihr vereinigtes Bild aufgenommen (vergl. §. 126).

1. Die Härte der Negation, die feine geiſtige Schärfe der Schuld, die ſich hier in’s Innerſte ſelbſt hineinſtreckt, das Edelſte ſelbſt als ein - ſeitig offenbart, iſt es vorzüglich, von welcher zurückgeſchreckt Gruppe in ſeiner Ariadne dieſe Form des Schickſals weder in der Antigone, noch in einem andern Drama anerkennen will, freilich nur um die größere Härte an ihre Stelle zu ſetzen, daß das Schickſal unverdient iſt und außer der Zurechnung ſteht, daß aber doch für den davon Getroffenen die Illuſion entſteht, als hafte es an ſeiner Zurechnung und ſey ſeine Schuld (S. 176). Es iſt der praktiſch moraliſche Standpunkt, äſthe - tiſch gefaßt die Abneigung, die Form des ſubjectiv Erhabenen in die des abſolut Erhabenen aufzulöſen, was die Behauptung zur Folge hat, es ſey die vollſtändigſte Unpoeſie, daß alles Edle dadurch ſchlecht wer - den ſolle, daß man ſich ihm mit ganzer Seele hingebe, es ſey eine Feier des Phlegma, der Gleichgültigkeit und Proſa. Der Menſch bleibt nach Gruppes Anſicht gerecht, das Schickſal ungerecht. Aber auch praktiſch wird kein Mann, der Thatkraft hat, darum zögern, zu handeln, weil er in der reinen Betrachtung ſich bewußt iſt, daß das beſte Handeln nothwendig einſeitig ſeyn muß, weil man nicht Alles zugleich thun kann; denn die Betrachtung ſagt ihm ja auch, daß die Summe dieſer Ein - ſeitigkeiten die Vermittlung des allſeitigen Ganzen vollzieht. Nur Na - turen, die zum voraus zur Betrachtung und nicht zum Handeln geboren ſind, werden durch die Furcht vor Einſeitigkeit vom Handeln abgehalten, wie Hamlet, der aber gerade dadurch nur doppelt ſchuldig wird.

2. Ich ſehe mir den Gegner deutlich gegenüber, er ſagt, was er will, wie ich, die Gründe werden ausgetauſcht, es iſt kein lauernder Zufall, kein geweiſſagter Fluch, kein vier und zwanzigſter oder neun und zwanzigſter Februar zwiſchen dem Bewußtſeyn und der That. Alles iſt knapp und durchſichtig beiſammen; Schuld und Untergang fließt genau aus dem Verhältniß der einzelnen Subjectivität zur abſoluten. Je reiner daher die Gerechtigkeit, um ſo tiefer auch die Verſöhnung. Liegt keine Schuld hinter dem Innern, ſondern nur im Innern (in der Antigone wird zwar der Unglücksſtern ihres Hauſes öfters erwähnt, aber nirgends321 als das den Mittelpunkt der Tragödie Beſtimmende) ſo iſt auch kein Schickſal anzuklagen. Poſitiv aber liegt die Verſöhnung nach der objec - tiven Seite nicht nur darin, daß für den Augenblick wirklich geſchehen iſt, was jedes der kämpfenden ſittlichen Geſetze forderte, ſondern in der Ausſicht, daß die harte Lehre künftig eine Ausgleichung des einen mit dem andern vor der Vollſtreckung eines grauſamen Gegenſchlags mit ſich führen werde. So wird aus dem Handeln des Kreon vom Chor die Lehre der Beſonnenheit und des Weiſe-Werdens im Alter gezogen, nur darf man nicht wie Böckh (Ueber d. Antig. d. Soph. Abh. d. Berl. Akad. 1824) dies für den Grundgedanken der Tragödie erklären. Kreon würde, wenn der Fall ſich wiederholte, die Todesſtrafe verkündigen, aber nicht vollſtrecken. Man könnte einwenden, daraus folge ja eben die untragiſche ſtumpfe Vermittlung, allein es iſt ein Anderes, ob dies in Ausſicht geſtellt oder in die Tragödie ſelbſt aufgenommen wird. Aller - dings liegt es der modernen Bildung näher, ſolche humane Ausgleichung in den tragiſchen Gang ſelbſt aufzunehmen, wie im Prinzen Heinrich von Heſſen-Homburg, wo der Churfürſt das todesurtheil ankündigt und nicht vollzieht, wodurch das Ganze glücklich ſchließt. Man vergeſſe aber nicht, daß Heinrich trotzdem durch alle Schrecken des Todes hin - durch muß; man erwäge ferner, daß ein Conflict zwiſchen Kampfwuth und Subordination eine ſchonendere Löſung duldet, als zwiſchen ſo großen Mächten wie Staatswohl und Familienliebe. Doch auch die Humanität der Bildung mit in Rechnung genommen iſt das Tragiſche tiefer, wenn ihr ſchonendes Thun nur in Ausſicht geſtellt iſt. Allerdings liegt nun darin ein Widerſpruch: ſchonende Ausgleichung iſt in Ausſicht geſtellt, und der Zuſchauer weiß doch: daß, ſobald ein Fall des Conflicts wieder - kehren wird, ſo fordert das tragiſche Geſetz wieder den blutigen Kampf. Dies iſt ein Widerſpruch, der nicht zu läugnen iſt und daher die Aeſthe - tik über das Erhabene hinaustreibt in eine andere Sphäre.

3. Dem Subjecte, das ſein Pathos mit Gründen verfochten hat, kann die Helle des Gedankens nicht ferne liegen, um, durch Leiden be - lehrt, es auch mit dem entgegenſetzten in Einer gerechten Erwägung zu - ſammenzufaſſen, ſeine Schuld zu erkennen, zur Reinheit der Contempla - tion zurückzukehren, den Haß zu opfern, wie Taſſo und Antonio (die freilich beide am Leben bleiben, weil überhaupt in dieſer Tragödie zu wenig geſchieht) und dem Feinde vereint über den Gräbern als die geiſtige Geſtalt des Einen Mannes zu ſchweben, von dem Leonore ſpricht.

Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 21322

Der ſubjective Eindruck des Erhabenen.

§. 140.

Im Erhabenen nimmt wie im Schönen (vergl. §. 70) das anſchauende Subject den Gegenſtand zuerſt vermittelſt der Sinne auf; ſobald er aber als Ganzes aufgefaßt iſt, ſtellt ſich ein anderes Verhältniß ein, als im Schönen. Im Erhabenen iſt das Sinnliche gegen die Idee negativ geſetzt. Da nun das erſte Verhalten des Subjects ein ſinnliches iſt, ſo wird dieſes in ſeinem Zuſammengehen mit dem Gegenſtande (vergl. §. 70 ff. ) zuerſt gewaltſam abgeſtoßen, die Unluſt, die im Schönen gebunden blieb, weil der Eindruck ſeiner Hoheit mit dem Ge - fühle der Nähe und Vertraulichkeit ganz zuſammenſchmolz, entbindet ſich. Nun iſt aber die Negation im Gegenſtande zugleich Poſition und zwar nicht nur der Idee, ſondern des individuellen Gebildes, das die Idee ebenſoſehr in ſich enthält, als ſie zugleich unendlich über es hinausgeht (§. 84). Das Subject alſo, weil es im Gegenſtande miteingeſchloſſen iſt, muß ſich durch einen zweiten Act erinnern, daß es ſelbſt, wie dieſer, Idee iſt, die ihre begrenzte Geſtalt ſetzt und überwindet: ſo wächst der Geiſt im Subjecte mit dem Geiſt im Ob - jecte zuſammen und es entſteht eine durch Unluſt vermittelte, alſo in ihrer Entſtehung weſentlich bewegte Luſt (Kant).

Kant (Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 23): das Schöne führt directe ein Gefühl der Beförderung des Lebens bei ſich; das Gefühl des Er - habenen aber iſt eine Luſt, welche nur indirecte entſpringt, nämlich ſo, daß ſie durch das Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte und darauf ſogleich folgenden deſto ſtärkeren Ergießung derſelben erzeugt wird. Das Gemüth wird von dem Gegenſtande nicht blos angezogen, ſondern wechſelsweiſe auch abgeſtoßen; daher das Wohlgefallen am Er - habenen nicht ſowohl poſitive Luſt, als vielmehr Bewunderung und Ach - tung enthält, d. i. negative Luſt genannt zu werden verdient. Die Unluſt faßt Kant als ein Gefühl der Zweckwidrigkeit, welches dadurch entſteht, daß die Einbildungskraft in ihrem Verſuche, den Gegenſtand als Ganzes zuſammenzufaſſen, immer wieder in Ohnmacht zurückſinkt. Er nennt[daher] das Erhabene gleichſam gewaltthätig für die Einbil - dungskraft. Was es eigentlich ſey, dem die Luſt gilt, werden wir bei Kant nachher ſehen, da er blos Eine Hauptform des Erhabenen kennt. 323Er folgert aber aus ſeiner treffenden Darſtellung jenes Strebens und Zurückſinkens, Haltens und Verlierens, Steigens und Schwindelns, was weſentlich durch den Widerſpruch der Auffaſſung und Zuſammenfaſſung bedingt iſt (vergl. §. 84, Anm.), daß die Luſt eine bewegte ſey (a. a. O. §. 27): das Gemüth fühlt ſich in der Vorſtellung des Erhabenen in der Natur bewegt: da es in dem äſtbetiſchen Urtheile über das Schöne derſelben in ruhiger Contemplation iſt. Hierauf wiederholt er den Satz von einem ſchnell wechſelnden Abſtoßen und Anziehen und findet dieſe Bewegung ganz richtig vorzüglich im Anfange des Acts; denn allerdings legt ſich die Bewegung gegen das Ende und beruhigt ſich im Bewußtſeyn der gleichen Höhe mit der Idee das Subject zu voller Luſt. Das Ueberſchwengliche für die Einbildungskraft nennt Kant gleichſam einen Abgrund, worin ſie ſich ſelbſt zu verlieren fürchtet u. ſ. w. Daß er übrigens auch dieſe bewegte Luſt von der außeräſthetiſchen, durch Intereſſe beunruhigten, ſtreng unterſcheidet, verſteht ſich bei Kant von ſelbſt.

Für die Luſt in dieſem Eindruck läßt ſich kein beſſeres Wort finden, als welches Longin von der Wirkung des rhetoriſch Erhabenen braucht (περὶ ἵψȣς Sect. VII. 2): φίσει γάρ πως ὑπὸ τȣ῀ ἀληϑȣ῀ς ἵψȣς ἐπαίρεταί τε ψυχὴ, καὶ γαῦρόν τι ἀνάςημα λαμβάνȣσα πληρȣ῀ται χαρᾶς καὶ μεγαλαυχίας, ὡς αἰτὴ γεννήσασα ὅπερ ἤκȣσεν. Das Subject ſagt zu dem Gegenſtande: ich bin, was du biſt! wie Hamlet, indem er dem Geſpenſte zu folgen entſchloſſen iſt, ausruft:

Was wäre da zu fürchten?
Mein Leben acht ich keiner Nadel werth,
Und meiner Seele, kann es der was thun,
Die ein unſterblich Ding iſt wie er ſelbſt?

Es iſt ein Zuſammenwachſen des ebenbürtigen Geiſts im Subjecte mit der unendlichen Idee im Gegenſtande, ein Aufgeben beider in Einen Strom, ein Schwung, als führte uns Sturmwind mit in die Höbe. So ſchließen ſich Luſt und Unluſt zuſammen wie in den Worten Fauſts, da er den Erdgeiſt erblickt hat: in jenem ſel’gen Augenblicke, ich fühlte mich ſo klein, ſo groß!

§. 141.

Was bei der Anſchauung des objeetiv Erhabenen empfunden wird,1 kann, da das Erhabene des Raums und der Zeit im Fortſchritte unter die21*324Kategorie der, jederzeit Furcht erregenden, Kraft befaßt wird (§. 95. 96) überhaupt als Furcht bezeichnet werden, nur daß die Furcht bei den zwei erſten2 Formen nicht eine ſo gewaltſame iſt, wie bei der dritten. Nun iſt in §. 102 dieſer ganzen Stufe des Erhabenen die wahre Unendlichkeit abgeſprochen und für eine Täuſchung im Subjecte erklärt worden, das vorgreifend ſeine Unendlich - keit dem Gegenſtande unterſchiebt. Dieſe Wahrheit macht Kant in dem Sinne geltend, daß er die Erhebung aus der Unluſt in ein Beſinnen des Subjects auf ſeine eigene, wahre Unendlichkeit ſetzt und nun erſt eine Subreption an - nimmt, durch welche es die Achtung vor ſeiner Vernunftbeſtimmung auf den Gegenſtand übertrage. Allein ſobald dieſe Beſinnung wirklich eintritt, iſt nicht nur die Erhebung abgeſchnitten, ſondern auch die Furcht aufgehoben. Vielmehr ſetzt das Subject ſeine Täuſchung dahin fort, daß ihm auch ſeine wahre, geiſtige Unendlichkeit wie eine ſinnliche Macht erſcheint, daß es ſich ſelbſt zu einer grenzenloſen Größe und Kraft erweitert und ſo mit dem Gegenſtande in Eins zuſammengefloſſen ſich in’s Unendliche fortſtrömend und durchaus muthig fühlt.

1. Daß die Furcht keine wirkliche ſeyn darf, iſt ſchon in §. 99, 2 geſagt. Die Furcht gegenüber der eigentlichen Kraft iſt deßwegen eine gewaltſamere, weil eine wirkliche Zerſtörung der Glieder unſeres Körpers vorgeſtellt wird, wogegen wir bei Anſchauung des räumlich und zeitlich Erhabenen zwar bald hinauf - und hinauszufließen oder wie in einen Abgrund bodenlos zu ſinken fürchten, aber ohne die Vorſtellung einer Wunde.

2. Hier iſt ein, durch die ganze Lehre vom Erhabenen bei Kant a. a. O. §. 23 29 ſich hindurchziehender, aus dem Subjectivismus des ganzen Standpunkts fließender Irrthum aufzudecken. Kant weist nach, daß in der ganzen Natur keine abſolute Größe zu finden iſt, welche doch zum Erhabenen gefordert wird. Die abſolute Größe als Totalität iſt Idee eines Noumens, das nur im Subjecte liegt und der Sinnenwelt als Subſtrat untergeſchoben wird. Das eigentliche Gefühl iſt daher (a. a. O. §. 27) Achtung für unſere eigene Beſtimmung, für das Vermögen unſeres Gemüths, das Unendliche als Ganzes denken zu können, für die Ideen der Vernunft, die nur dem Subjecte ange - hören, und Kant findet daher (§. 25) die Formel: erhaben iſt, was auch nur denken zu können ein Vermögen des Gemüths beweiſet, das jeden Maßſtab der Sinne übertrifft. Hierauf läßt er denn die Subreption eintreten: alſo iſt das Gefühl des Er -325 habenen in der Natur Achtung für unſere eigene Beſtimmung, die wir einem Objecte der Natur durch eine gewiſſe Subreption (Verwechſelung einer Achtung für das Object ſtatt der für die Idee der Menſchheit in unſerem Subjecte) beweiſen, welches uns die Ueberlegenheit der Vernunft - beſtimmung unſerer Erkenntnißvermögen über das größte Vermögen der Sinnlichkeit gleichſam anſchaulich macht. Dies gilt zunächſt vom ma - thematiſch Erhabenen, bei dem dynamiſch Erhabenen wendet es ſich da - hin, daß (a. a. O. §. 28) die Unwiderſtehlichkeit der Naturmacht uns, als Naturweſen betrachtet, zwar unſere phyſiſche Ohnmacht zu er - kennen gibt, aber zugleich ein Vermögen entdeckt, uns als von ihr un - abhängig zu beurtheilen, und eine Ueberlegenheit über die Natur, worauf ſich eine Selbſterhaltung von ganz anderer Art gründet, als diejenige iſt, die von der Natur außer uns angefochten und in Gefahr gebracht werden kann, wobei die Menſchheit in unſerer Perſon unerniedrigt bleibt, obgleich der Menſch jener Gewalt unterliegen müßte. Hier wird alſo die Selbſtſchätzung der Unendlichkeit des Willens in uns, der Freiheit, dem Objecte, der endlichen Kraft untergeſchoben. Kant bemerkt nicht, daß er dadurch nicht nur im Momente der Erhebung oder Luſt ganz aus der vorliegenden Sphäre herausgeht, ſondern daß er auch das Moment der Unluſt, das Erliegen vor der Größe nämlich und die Furcht, und hiemit den ganzen Gegenſtand aufhebt. Eine Täuſchung iſt da, aber wenn ich mich einmal auf ſie beſonnen habe, wenn ich mich erinnere, daß wahre Unendlichkeit nur in meinem Geiſte iſt, ſo hat Furcht und Erliegen ein Ende. Kant will das Furchtbare erklären und erklärt, daß wir es nicht zu fürchten brauchen. Daher hat er keinen Raum mehr für das Erhabene des Subjects: er hat es ſchon in der Lehre vom objectiv Erhabenen ganz ausgegeben und in Wahrheit hat er viel - mehr, ohne es zu wiſſen, nur das Erhabene des Subjects. Schon die einfache Beobachtung hätte ihn eines Andern belehren können, daß es der ſinnlichere Menſch iſt, der für das Erhabene der Natur am meiſten Gefühl, daß es die Naturreligion iſt, die ganz in dieſer Em - pfindung ihre Heimath hat. Die Täuſchung ſetzt ſich im ſubjectiven Ein - drucke vielmehr dahin fort, daß das Subject nicht nur die endliche Unend - lichkeit des Gegenſtandes mit der wahren, geiſtigen verwechſelt, ſondern umgekehrt, wenn es hierauf mit dem Gegenſtande zuſammenfließt, auch dieſe ſeine eigene Unendlichkeit wie eine maſſenhafte, ſinnlich beſtimmte fühlt. Wir erweitern uns zum Allleben der Natur, wir ſind elementariſch ge - ſtimmt, wir halten es mit dem Sturm, den Wogen, ſchwimmen in326 dieſem Strom in’s Unendliche hinaus, wir gleichen Fauſt, der bei dem Anblick des Erdgeiſtes ſeine freie Kraft durch die Adern der Natur fließen fühlt und ſchaffend Götterleben zu genießen ſich ahnungsvoll ver - mißt, der mit dem geſchäftigen Geiſte die weite Welt umſchweift.

§. 142.
1

Das Erhabene des Subjects erregt als Leidenſchaft ein Gefühl des Erliegens vor der angeſchauten Größe, das noch der Furcht vor der bloſen Kraft enge verwandt iſt, das Böſe Grauſen, das poſitiv Pathetiſche Beſchämung und Hochachtung, das negativ Pathetiſche, nachdem zuerſt die Furcht vor dem angedrohten Leiden in Bewegung geſetzt iſt, Mitleiden, welches mit der Furcht für den Bedrohten ſich wechſelſeitig bedingt, und darauf Ehrfurcht. Aus2 dieſen Empfindungen der Unluſt erhebt ſich das anſchauende Subject zu dem Bewußtſeyn ſeiner eigenen wahren Unendlichkeit, verbrüdert ſich mit dem ange - ſchauten Subjecte, und die Furcht vor der Gewalt der Leidenſchaft wird eigenes Kraftgefühl und Muth, das Grauſen genießt im Anblicke der Verkehrung ſelbſt die Unendlichkeit der Subjectivität, die Hochachtung wird Selbſtachtung, das Mitleid reinigt ſich durch die Ehrfurcht zu dem Gefühle der eigenen Fähigkeit, im äußerſten Leiden ſelbſt die reine Freiheit des Willens zu be - währen.

1. Es kann hier nicht Aufgabe ſeyn, die ganze Tonleiter der Em - pfindungen zu verfolgen, welche das Erhabene des Subjects erregt. So iſt auch der Wechſel zwiſchen Achtung und Geringſchätzung nicht beſonders hervorgehoben, den der Anblick des ſchwankenden Willens (§. 116) her - vorrufen muß. Hochachtung und Ehrfurcht ſind zunächſt als Gefühle der Unluſt bezeichnet, indem das negative Moment, welches darin liegt, durch die wiſſenſchaftliche Betrachtung von dem poſitiven getrennt wird. Man denke an einen Burgognino, der, da Fiesko die Maske von ſeiner Größe fallen läßt, in einen Stuhl ſinkt mit den Worten: bin ich denn gar nichts mehr? Zu den Gefühlen der Unluſt iſt auch das Mitleiden gezählt. Es iſt in der Furcht ſchon eingeſchloſſen, denn: alles das iſt uns furchtbar, was, wenn es einem Andern begegnet wäre oder begegnen ſollte, unſer Mitleid erwecken würde, und Alles das finden wir mit - leidswerth, was wir fürchten würden, wenn es uns ſelbſt bevorſtände (Ariſtoteles Rhetor. II, 5.), und umgekehrt: Mitleid iſt Schmerzgefühl327 über ein Uebel, das wir uns auch für uns oder die Unſrigen als möglich vorſtellen (a. a. O. II, 8) oder wie Leſſing (Hamb. Dramat. Abſchn. 75) kurz ſagt: und Alles das finden wir mitleidenswürdig, was wir fürchten würden, wenn es uns ſelbſt bevorſtände. Hiebei iſt ein geiſtig geſtimmtes Gemüth vorausgeſetzt, denn die Aeſthetik hat ſich nicht mit der Frage zu beſchäftigen, wie die Gefühle aus ihrer erſten Natur-Rohheit herauszu - bilden ſeyen, ſondern ſetzt den äſthetiſchen Boden auch bei dem an - ſchauenden Subjecte als geebnet heraus. Es ſtreift dies ſchon an gewiſſe Fragen, welche die bekannte Ariſtoteliſche Stelle Poet. 6 in Anregung gebracht hat, wovon in den ff. §§. mehr. Im außer-äſthetiſchen Gebiete nun kann das gemeine Mitleiden ein Genuß ſeyn, weil der Grad, in welchem auch das rohe Subject ſich in den Leidenden hineinverſetzt, nur dazu dient, die Schadenfreude um ſo mehr zu befriedigen. Der Thier - und Menſchen-Quäler fühlt bei einiger Nervoſität die Qualen des Ge - quälten alle mit, aber nur um ſo mehr kitzelt ihn das Bewußtſeyn der Ueberlegenheit, ſie erregen zu können. Das Mitleid in ſeiner rohen Natürlichkeit iſt mit der größten Grauſamkeit vereinbar. Iſt es nicht Grauſamkeit im activen Sinne, ſo iſt es doch Schadenfreude im Zuſehen; der Grauſame iſt entweder ſelbſt die beſchädigende Kraft und freut ſich ihrer, oder er verbindet ſich, wenn er ſie nicht ſelbſt ausübt, in der Vorſtellung mit ihr und hat ſo das Gefühl der Activität, während er aus ſeinem Mitgefühle wohl weiß, was das angeſchaute Weſen leidet. Dieſes grauſame Mitleiden iſt der Grund der Luſt bei dem Genuſſe, den die rohe Menge im Anblicke von Hinrichtungen und die verdorbene im Leſen und Anſchauen peinlicher Dichtungen und Aufführungen ſucht. Der etwas Beſſere, dem dieſe Grauſamkeit ferne iſt, aber auch die Reinheit des Gefühles noch fehlt, welche ächte Schönheit vorausſetzt, genießt bei ſolchem Anblicke wenigſtens die Luſt allgemeiner Aufregung ſeines Gefühl - lebens; freilich iſt dieſe bloſe Aufregung nur dem ein Genuß, der zwar nicht ſchlecht iſt, aber ſtumpf. Dies wird im Folgenden noch ausdrücklich hervorzuheben ſeyn. Auf wahrhaft äſthetiſchem Boden aber (auch auf ſittlichem, jedoch auf andere Weiſe) iſt das Mitleiden an ſich bloſe Unluſt ebenſo wie objectiv das Häßliche (der Zerſtörung) an ſich verwerflich iſt, aber es hat die Bedeutung, mächtiger negativer Hebel einer Luſt zu ſeyn, wie das Häßliche zuläſſig iſt um des Furchtbaren willen.

2. Correggio vor Raphaels Sixtiniſcher Madonna: auch io sono pittore! Was das Böſe betrifft, ſo darf hier noch nicht geltend gemacht werden, daß die Erhebung für den Zuſchauer in der Zerſtörung desſelben328 liege, denn dies iſt ſchon tragiſch. Es thut ſich im Böſen der Abgrund der Subjectivität in der Form der entſetzlichſten Abſtraction auf; die un - geheuren Kräfte die darin walten, verkehrt freilich, bewirken ein Staunen vor den Untiefen, die im Zuſchauer ſelbſt ſchlummern, welches allerdings energiſch erhebender Art iſt. Die Sehnſucht des untergehenden Böſewichts nach Liebe und der Gedanke, wie ſchade es um ſo viel Kraft ſey, bewirken (vergl. §. 108, 2 und 131, 2) ſogar Mitleiden: dieſes aber löst ſich nicht in Ehrfurcht vor dem im Leiden ſich verklärenden Subjecte, ſondern in Ehrfurcht vor dem Schickſal. In dem Uebergang aus dem Mitleiden mit dem edeln Subjecte dagegen zur Luſt verſchwindet zunächſt das vor - angehende Gefühl der Furcht. Dieſes Gefühl kann hier nicht wie da, wo die bloſe Kraft der Gegenſtand iſt, für ſich zur Luſt werden durch Zuſammenſtrömen eigenen Kraftgefühls mit der Kraft im Gegenſtande, denn dieſe Seite wird ganz verlaſſen, die Theilnahme kehrt ein in das Innere des leidenden Subjects und nun tritt das Poſitive und Luſt - erregende in der Ehrfurcht hervor: der Zuſchauer hebt ſich an der Stärke des Leidenden, an der Ruhe des Würdigen hinauf und fühlt in ſich die - ſelbe Tiefe ſittlicher Ueberwindung.

§. 143.

Das Tragiſche erregt durch ſeinen Vordergrund zunächſt dieſelben Ge - fühle, wie das Erhabene des Subjects; allein dieſe ſind von Anfang an durch den drohenden Hintergrund, auf welchem die Subjecte ſtehen, unter ein Ge - fühl dunkler Furcht befaßt und dieſe Furcht unterſcheidet ſich von der obigen (§. 142), wie ſie auch zunächſt durch einzelne drohende Umſtände und Subjecte erregt ſeyn mag, dadurch, daß ſie allgemeiner Art iſt, denn auch dem drohen - den Subjecte und jedem Einzelnen droht das erwartete Uebel und das an - ſchauende Subject, das überhaupt nur fürchten kann als ein im angeſchauten mitgeſetztes, befaßt auch ſich unter die abſolute Drohung. Allein der Eindruck des noch in der Fülle ſeiner Erhabenheit glänzenden Subjects, worin der un - endliche Abſtand zwiſchen der ſittlichen Macht, von der es durchdrungen iſt, und der einzelnen Subjectivität noch verborgen iſt, ſtellt den drohenden Hinter - grund in Dunkel und läßt ihn als einen Abgrund von Kraft erſcheinen, deſſen ſittliche Bedeutung erſt geahnt wird. Die Unluſt, die in der Furcht liegt, ſchließt indeſſen bereits ein Gefühl der Luſt in ſich, indem ſich der Zuſchauer zu - gleich auf die Seite der Kraft ſchlägt, auf deren Entladung er geſpannt iſt.

329

Dieſer und die ff. §§. ſollen kein Commentar der Stelle des Ariſto - teles ſeyn, Poet. 6: ἔςιν ȣ῏ν τραγωδία μίμησις πράξεως σπȣδαίας καὶ τελείας, μέγεϑος ἐχȣ´σης u. ſ. w., δι̕ ἐλέȣ καὶ φόβȣ περαίνȣσα τὴν τῶν τοιȣ´των παϑημάτων κάϑαρσιν. Die Stelle und was in der Rhetorik, Politik und Poetik mit ihr zuſammenhängt, iſt ebenſo anregend als un - genügend, und wenn der Philolog billig dem Reize der Ergänzung folgt, ſo hat der Aeſthetiker ſich zu erinnern, daß die Zeit der Autoritäten vorüber iſt. Das Treffende der Stelle iſt, daß richtiger und einfacher die negativen Grundgefühle des Tragiſchen nicht ausgeſprochen werden können, das Mangelhafte (ob Lücke, ob Unterlaſſung iſt hier nicht zu unterſuchen), daß die poſitiven oder Luſt-Gefühle, zu denen jene beiden in ihrer Reinigung ſich umbilden, nicht genannt ſind; denn mag auch die ganze Reinigung nur homöopathiſch ſeyn und gerade in der Steigerung zu einer Kriſe beſtehen, gereinigt müſſen jene Gefühle doch andere Namen führen, als ungeläutert. Allein es handelt ſich hier noch von etwas Anderem, warum die Stelle für eine Wiſſenſchaft der Aeſthetik nicht Autorität ſeyn kann. Ariſtoteles ſpricht, ganz in antiker Weiſe, von Furcht und Mitleid, wie ſie außerhalb des Gebiets äſthetiſcher Wirkung als natürliche Affecte und zwar mit der Leidenſchaftlichkeit des Südens auftreten, während die jetzige Aeſthetik dieſe Affecte, ſelbſt wie ſie als noch unvollkommene erſte Wirkung des Tragiſchen auftreten, als eine geläuterte contemplative Unluſt aufführt: d. h. als eine Unluſt, welche zwar nur möglich iſt, ſofern der Zuſchauer ſich in die Bedrohten und Leidenden hineinverſetzt, aber wobei doch von rein ſtoffartiger Furcht und Mitleid nicht mehr die Rede iſt. Stoffartig alſo, wie ſie ſind, ſollen dieſe Affecte durch die Tragödie geläutert werden. Bei dieſer Läuterung nun berückſichtigt offenbar Ariſtoteles zunächſt den idealen Gehalt der Tragödie nicht, ſondern nur folgende Punkte: erſtens die μίμησις. Aus dieſer entſteht (a. a. O. 14) ἀπὸ ἐλέȣ καὶ φόβȣ ἡδονὴ. (Vergl. Ed. Müller Geſch. d. Theorie d. Kunſt bei d. Alten Th. 2, S. 62. 66. 67). Die Affecte werden dadurch gereinigt, daß ſie durch eine Handlung erregt werden, die nicht wirklich, nur dargeſtellt iſt. Dies iſt es alſo, dieſe Entfernung des Stoffartigen, was die jetzige Aeſthetik ſchon vorausſetzt. Zweitens: das Hineinverſetzen in die bedrohten und leidenden Subjecte, welches daraus folgt; ich fürchte und leide zwar mit ihnen, aber doch weſentlich nur in ihnen, ſo daß in der Theilnahme das Stoffartige des Affects aus mir gezogen wird, ſich von mir ablöst. Hier nun iſt das Wichtigſte dies, was ſchon §. 142, 1 angeführt iſt: daß Ariſtoteles Furcht und Mitleiden als Momente Eines Affects ſcharf -330 ſinnig auffaßt, wozu Rhetorik 2, 5. 8. beizuziehen iſt. Auch Leſſing iſt dort ſchon genannt; er hat das Verdienſt, dieſen Punkt in Ari - ſtoteles zuerſt aufgehellt zu haben (Hamb. Dram. Abſchn. 74 ff.). Beiläufig geſagt: ſchon dieſe Stellen der Rhetorik, ebenſoſehr aber alle in der Poetik über Furcht und Mitleid widerlegen auf den erſten Anblick die von Göthe (Nachgel. W. B. 6, S. 16 21) aufgeſtellte, von A. Stahr (deutſche Jahrb. April 1842) aufgenommene Anſicht. Die Furcht wird Mitleid, wenn das befürchtete Uebel einſchlägt, ſie iſt zukünftiges Mitleid. Die Furcht hingegen, welche Furcht bleibt und, wenn das Uebel einſchlagend mich trifft, in Schrecken, der nur mir gilt, übergeht, kann nicht Mitleid werden, ſie bleibt alſo ſtoffartig. Umgekehrt: das Mitleid, das nicht das Ende einer Furcht iſt, die ich theilte, die alſo einen allgemeinen Grund hat, ein Gefühl des allgemeinen Menſchenlooſes iſt (E. Müller a. a. O. S. 65. 66), iſt gemeines und rohes Mitleid. Ariſtoteles hatte alſo vorzüglich eine Reinigung dieſer Affecte durch gegenſeitiges Einſchließen und Uebergang ineinander im Auge. Das Geheimniß ſitzt demnach vorzüglich da, wo es Leſſing (a. a. O. Abſchn. 78) aufſucht: wer den Sinn des Ariſtoteles ganz erſchöpfen will, muß ſtückweiſe zeigen 1) wie das tragiſche Mitleid unſer Mitleid, 2) wie die tragiſche Furcht unſere Furcht, 3) wie das tragiſche Mitleid unſere Furcht, und 4) wie die tragiſche Furcht unſer Mitleid reinigen könne und wirklich reinige. Nun erſt drittens iſt beizuziehen, daß Ariſtoteles auch auf den Gehalt eingeht und namentlich Poet. C. 13 als Inhalt der Tragödie das Leiden großer Menſchen ohne entſprechende Schuld verlangt. Sieht der Zuſchauer, wie auch der Beſte nicht ausgenommen iſt, ſo wird dadurch erſt ſein Schmerz groß, erhaben, all - gemein (Ed. Müller a. a. O.). Auf dieſem Punkte nun aber fehlt bei Ariſtoteles ein Hauptmoment. Er ſpricht zwar von einer ἁμαρτία, aber er entwickelt den Begriff der Schuld nicht weiter und geht alſo auch nicht auf den Begriff der abſoluten Gerechtigkeit über, deren Anſchauung erſt Furcht und Mitleid in weſentlich andere Gefühle ver - wandelt. Dieſen Mangel hat Ed. Müller nicht gehörig hervorgehoben und Bohtz (die Idee des Tragiſchen S. 109 ff. ) hat ihn ergänzt, ohne ihn bei Ariſtoteles aufzudecken. Für uns aber, dir wir nicht von der erſten Läuterung jener Gefühle aus ihrer Stoffartigkeit, ſondern von ihrer weiteren Umbildung, nachdem ſie zum voraus als äſthetiſche vorausgeſetzt ſind, zu reden haben, wird dies Moment das wichtigſte ſeyn. In Beziehung auf den vorliegenden §., der keiner Erläuterung bedarf, iſt nur noch hinzuzuſetzen, daß, wenn Ariſtoteles unter τοιȣ´των331 die ganze Tonleiter der in Furcht und Mitleid begriffenen Gefühle verſteht, in der Furcht namentlich das beſondere Moment der Spannung hervor - zuheben iſt, in welcher außer der ſteigenden Bangigkeit, die ſelbſt nicht ohne Luſt iſt, ſobald der Zuſchauer ſich auf der Seite der drohenden Kraft ſchlägt, noch ein Reiz der Wißbegierde liegt.

§. 144.

Das Uebel bricht aus, die Furcht geht in Schrecken und Mitleid mit allen ihren Abſtufungen über. Dieſe Gefühle nun ſchließen noch abgeſehen von weiterer Erhebung nur die ganz allgemeine Luſt durchgreifender Aufregung in ſich, welche um ſo ſtärker iſt, wenn beide zwiſchen wechſelsweiſe ſich verletzenden Kämpfern ihre Theilnahme wechſeln. Aber nur das rohe oder ſtumpfe Gemüth befriedigt der Schrecken, weil er reizt, das Mitleid, weil es aufregend auflöst; dem äſthetiſch Geſtimmten werden beide zu einem Gefühle wahrer Unluſt, weil bei dem Anblicke des Leidens, ſofern zunächſt deſſen Mißverhältniß zur Schuld einſeitig be - trachtet wird, auch die Luſt verſchwindet, die im vorigen Gefühle drohender Kraft lag.

Die Aufregung des Gemüths, die Aufrüttlung aller Nerven iſt darum ſo tief und allgemein, weil Schrecken und Mitleid in widerſprechenden Stellungen um ſo mehr das Herz beſtürmen, je reiner das Tragiſche iſt, insbeſondere alſo bei der dritten Form des negativ Tragiſchen. Ich er - ſchrecke für den Feind des Helden und bemitleide ihn, ich ſehe den Gegen - ſchlag und beide Gefühle werden auf dieſen und ebenſo auf betheiligte Nebenperſonen übergetragen. Es liegt in dieſer Durchwühlung des Innern die abſtracte Luſt allgemeiner Aufrüttlung, aber, wie in anderem Zu - ſammenhange die Anmerkungen ſchon §. 142, 1 ausgeſprochen haben, nur dem unreinen Gemüthe genügt ſie, nur die Barbarei der Rohheit oder Blaſirtheit iſt zufrieden geſtellt durch unaufgelöste peinliche Effecte, etwa auch die phantaſieloſe Ordentlichkeit, weil ſie von der langen Weile befreit wird. Dem äſthetiſchen Gefühle fehlt nun die Verſöhnung, denn mit der bloſen Kraft kann es nicht mehr halten, da auf die Kraft ein neues Licht fällt, das ſittliche, in deſſen Beleuchtung ſie als bloſe Kraft keinen Werth hat oder vielmehr Unwillen erregt, da ſie nun als ungerecht erſcheint.

§. 145.

Allein inzwiſchen hat ſich im Fortgange das Ganze verändert. Die be - drohten Subjecte ſind ſchuldig geworden und da dieſe Schuld darin beſtand,332 daß ſie ihr Pathos mit der Einſeitigkeit der einzelnen Subjectivität behafteten, ſo löst ſich die ſittliche Macht, von der ſie durchdrungen waren, aus dieſer Durchdringung und ſtellt ſich unendlich über ſie. Indem ſie leiden, wird aller - dings auch die von ihnen vertretene ſittliche Macht verletzt und dies erhöht zunächſt das Gefühl der Unluſt. Aber dieſe Macht hat noch einen anderen Boden, ſie iſt im reinen Einklang der abſoluten ſittlichen Idee aufgehoben und das Geſetz dieſes Einklangs tritt nun als wahrer Kern der vorher dunkeln tragiſchen Kraft hervor und übt an den Schuldigen Gerechtigkeit. Der Zu - ſchauer nun, mitgeſetzt in den angeſchauten Subjecten, fühlt die allgemeine Schuld ebenſo wie das Leiden auch als die ſeinige und richtet ſich in dieſem Anblicke zu dem Gefühle der abſoluten Ehrfurcht vor der abſoluten ſittlichen Macht auf.

Bohtz (a. a. O. S. 135) nennt dieſe wahrhaft gereinigte Furcht Ehrfurcht oder mit der h. Schrift Furcht des Herrn. Jener Name mußte allerdings ſchon für das Gefühl gebraucht werden, das ſubjective Erhabenheit erregt (§. 142). Dagegen führen Ausdrücke wie: Furcht des Herrn oder Anbetung auf das ſalbungsreiche Gebiet ab.

§. 146.

Der Zuſchauer ſchlägt ſich nun ſelbſt auf die Seite des ausübenden abſoluten Subjects und in dieſes höchſte Gefühl, ein Glied des ewigen Ganzen zu ſeyn, löst ſich auch die Unluſt auf, die als erſte Stimmung in der Ehrfurcht liegt. Kommt dazu im angeſchauten Subjecte die Anerkennung der Schuld und dadurch die innere Ueberwindung des Leidens, ſo wird die Luſt durch den Anblick der wiederhergeſtellten, in die abſolute aufgenommenen ſubjectiven Erhabenheit verdoppelt. Die verletzten Momente der abſoluten ſittlichen Einheit aber, d. h. die einzelnen ſittlichen Mächte werden nicht nur innerlich durch jene Aner - kennung wieder in Einklang geſetzt, ſondern ebendadurch wird in Ausſicht ge - ſtellt, daß ſie, den Untergang ihrer einſeitigen Vertretung überdauernd, einer Reinigung entgegen gehen (§. 139, 2). So erſcheint die abſolute Macht als eine weſentlich erhaltende. Die volle Luſt, welche durch dieſes Schauſpiel aus der vollen Unluſt entſpringt, gewährt in ihrer Reinheit nur die dritte Form des negativ Tragiſchen, die übrigen führen dazu in unvollſtändigen Stufen.

333

Es hätte zu unendlicher Breite geführt, wenn der ſubjective Eindruck jeder Form des Tragiſchen beſonders hätte behandelt werden ſollen. Im poſitiv Tragiſchen nimmt die Unluſt nicht ihren vollen Verlauf, da Schuld und Leiden nicht bis zum Letzten und Aeußerſten gehen; allerdings iſt ebendarum die Luſt um ſo weniger tief. In den zwei erſten Formen des negativ Tragiſchen dehnt ſich die Unluſt vollſtändig aus und geht nicht in reine Luſt über, man kann aber ebenſogut auch hier ſagen, daß dieſe nicht vollſtändig ſey, weil jene nicht tief genug geht, indem der Schmerz über eine blos anhängende und beiläufige Schuld ungleich ober - flächlicher iſt, als der über die innere Schuld im ſittlichen Streben ſelbſt.

Mit dem bisherigen glauben wir das Erhabene entwickelt zu haben und faſſen es in ſeiner Spitze mit den Worten des Dichters zuſammen: Das große, gigantiſche Schickſal, Welches den Menſchen erhebt, wenn es den Menſchen zermalmt.

[334]

B. Das Komiſche.

§. 147.

Der reine Einklang des Schönen iſt im Erhabenen durch die negative Stellung der Idee gegen das Bild zu dem Widerſpruche eines Uebergreifens1 jener über dieſes bei fortgeſetzter Unzertrennlichkeit aufgehoben. Die Verſöhnung am Schluße des Tragiſchen iſt keine Herſtellung, ſondern nur eine täuſchende Hinausſchiebung der poſitiven Geltung des Bildes; dieſe behauptet aber ver - möge der im Begriffe des Schönen geſetzten reinen Durchdringung das Bild trotz der in §. 83 eingeräumten Unſelbſtändigkeit, denn ungeachtet dieſer ſollen2 Bild und Idee einander vollſtändig decken. Das Weſen des Schönen ſelbſt fordert daher eine Herſtellung dieſer Störung, eine völlige Genugthuung für das verkürzte Recht des Bilds, und dieſe kann nur in einem neuen Wider - ſpruche beſtehen, nämlich in einer negativen Stellung, welche ſich nun das Bild zur Idee gibt, indem es ſich der Durchdringung mit der Idee widerſetzt und ohne ſie als das Ganze behauptet.

1. Die Verſöhnung im Erhabenen war durchaus unvollkommen. Objectiv kam das Recht des begrenzten Gebildes im Schönen mit dem ganzen, ihm eingeräumten Reiche der Zufälligkeit (§. 30 ff. ), ſubjectiv, das Recht des Bewußtſeyns, ſich in dieſer Welt heimiſch zu empfinden, immer zu kurz. Im Tragiſchen ſchloß zwar jede Form mit einer Ver - ſöhnung, die um ſo tiefer ging, je tiefer die Negation und der Schmerz. Allein dieſe Verſöhnung war immer zu theuer erkauft. Sie ſchwebt über Leichen; Falſtaff mag nicht ſolche grinſende Ehre. In §. 138 Anm. 1; 139, 2 eröffnete ſich ein Ausblick auf die Milderung der im335 Tragiſchen ſich bekämpfenden Gegenſätze durch die im einzelnen vor - liegenden Falle liegende blutige Lehre. Allein dieſe Milderung war innerhalb des Tragiſchen wirklich nicht zu erwarten; denn wo immer ein ernſtlicher Fall kommt, kann ja doch im Conflicte von beiden kämpfenden Seiten nur Eines geſchehen, das Andere nicht. Wird aber der Fall eines nicht abſoluten, ſondern eines ſolchen Conflicts vorgeſtellt, der durch Humanität lösbar iſt, ſo entſteht entweder das Schauſpiel des poſitiv Tragiſchen und auch hier geht es ohne ſchweres Opfer nicht ab, oder es entſteht etwas, was gar nicht tragiſch iſt, weil wirklich der Conflict nur ein ſcheinbarer war, und dies Etwas kann nur ein Vorgang ſeyn, der in das Gebiet fällt, welches jetzt vor uns liegt. Das Bild iſt nun zwar in dem Ganzen, das die Schönheit iſt, die unſelbſtändige Seite, allein dadurch iſt ihm ſeine Beſtimmung nicht abgeſprochen, zwar das Gefäß, aber das zureichende Gefäß der Idee zu ſeyn. Bild und Idee ſollen ſich vollſtändig decken.

2. Das Geſetz des Schönen ſelbſt treibt daher weiter zu einer neuen Form des Widerſtreits. Nicht das einfach Schöne kann hier als Genug - thuung des verkürzten Rechts des Bildes wieder eintreten. Eine Nega - tion iſt nur durch eine zweite Negation aufzuheben. Der Staat iſt nicht zufrieden, ſich gegen das Unrecht als das gerechte Ganze thatlos binzu - ſtellen, ſondern er verletzt den Verletzenden, er negirt ihn thatſächlich, wie dieſer durch das in ſeiner That aufgeſtellte Prinzip ihn negirt. So kann die Gäbrung des Widerſtreits im Schönen ſich nicht plötzlich legen, die Verkürzung des Einen Moments durch das andere muß ſich durch Verkürzung des anderen durch das eine erſt zum Gleichgewichte herſtellen. Der Geiſt des Ganzen muß dem beeinträchtigten Gliede ſeines Einklangs dadurch das entzogene Recht wiedergeben. Du sublime au ridicule il n’y a qu un pas. Dieſes Wort muß man nicht durch ſtoffartige Anführungen aus der Wirklichkeit, ebenſowenig durch Berufung auf einen äſthetiſchen Zuſammenhang, der die Einmiſchung des Komiſchen nicht zuläßt, abſtumpfen wollen. Es kann dadurch nur bewieſen werden, daß der Satz nicht überall anzuwenden iſt; allein damit iſt gar nichts geſagt, denn es gibt kein Geſetz, das anderswo, als in ſeinem Kreiſe, gälte.

§. 148.

Dies iſt ein Widerſpruch, weil das Bild ohne die Idee nichts iſt. Derſelbe1 begründet eine Erſcheinung, worin das Unterſte zu oberſt geſtellt iſt, indem das336 Einzelne, das vom Allgemeinen zur Unterordnung beſtimmt iſt, die Stellung ſich anmaßt, welche derjenigen Seite des Bildes zukommt, die weſentlich das Allgemeine in ſich darſtellen ſoll. Dieſer Widerſpruch iſt das Häßliche. Nun2 iſt das Häßliche bereits im Erhabenen (§. 98. 100. 106. 108. 113 ) aufge - treten, und dies ſcheint mit der richtigen Begriffsfolge zu ſtreiten, denn jetzt wird es aus der negativen Stellung des Bildes gegen die Idee abgeleitet, dort folgte es aus der negativen Stellung der Idee gegen das Bild. Allein es folgte aus einem Uebermaße, welches die Ordnung des Gebildes zwar verkehrt, aber zu furchtbar iſt, als daß der Nachdruck auf die Verkehrung fallen kann. Was an ſich Verkehrung der Idee, die das Gebilde als ſein Gattungsbegriff beherrſcht, in Häßlichkeit wäre, trat dadurch unter einen andern Standpunkt, in welchem es der Idee dient, nämlich derjenigen, welche je in der beſonderen Sphäre das Erhabene bedingte.

1. §. 98 gab bereits eine vorläufige Begriffsbeſtimmung des Häß - lichen. Dieſe ergänzt ſich an der gegenwärtigen Stelle zunächſt dadurch, daß die Umkehrung der Harmonie eines Bildes als eine falſche Stellung der geiſtig ſprechenden und der geiſtig bedeutungsloſeren, zur Unterordnung beſtimmten Theile ausgeſprochen wird; wie wenn z. B. die Naſe, die nur einen ſchwachen Antheil an dem geiſtigen Ausdrucke des Geſichtes hat, durch unverhältnißmäßige Größe diejenigen Theile verdunkelt, wo derſelbe vorzüglich ſeinen Sitz hat. In §. 98 handelte es ſich von der Kategorie der Kraft, von einer Ueberladung einzelner Organe mit der - ſelben, wo alſo dieſe geiſtige Schärfe des Häßlichen noch nicht hervortrat. Im Böſen §. 108 nahm freilich die Häßlichkeit ſchon dieſe geiſtige Be - deutung an, allein auch hier iſt die Verkehrung zu furchtbar, um als ſolche den Nachdruck auf ſich zu ziehen, es bleibt alſo auch hier die auf einzelne Theile gelegte Ueberladung der Kraft das Beſtimmende der Erſcheinung. Dieſe Bemerkungen führen bereits zu der folgenden.

2. Das Häßliche trat ſchon im Erhabenen hervor, war aber hier nicht das Geſuchte, nicht das, worauf die Unterſuchung als ihren Zweck hindrängte. Es ſtand in zweiter Linie, denn es wurde aufgenommen nur um des Furchtbaren willen. Das Häßliche iſt nun an der jetzigen Stelle zu begreifen als verzerrende Auflehnung des Bilds gegen die Idee, d. h. gegen die Idee, die als Gattung das Gebilde beherrſchen ſoll. Allein im Erhabenen ſtand dieſe Verzerrung in einem andern Zu - ſammenhange, ſie diente ſelbſt einer anderweitigen Idee. Wenn337 alſo z. B. der Rachen des Krokodils ſo vorherrſchend hervortritt, daß alles Ebenmaß verſchwindet, wenn Schultern, Bruſt und Arme an einem Menſchen ſo ſtark ſind, daß der Kopf dagegen unverhältnißmäßig klein erſcheint, ſo wird im Erhabenen nicht dies in Betrachtung gezogen, daß dort in der Thiergeſtalt der Begriff des thieriſchen Organismus, der aller - dings ſchon harmoniſchere Ausbildung der Organe in ſich ſchließt, hier der Begriff des reinen menſchlichen Organismus beleidigt iſt, ſondern das Mißverhältniß wirkt im Dienſte der Idee auf der Stufe, wo dieſe eben im dortigen Zuſammenhange ſteht, nämlich der furchterregenden Kraft. Die Sache verhält ſich alſo im Grunde ſo: das Häßliche wurde dort nur ſtoffartig aufgenommen, um im Sinne des Furchtbaren zur reinen Form erhoben zu werden, nun aber ſucht und ſetzt der innere Zuſammenhang des Schönen ſelbſt das Häßliche als den beſtimmenden Begriff, und jetzt tritt die Verkehrung der eigenen, dem Gebilde in - wohnenden Idee als das Weſentliche hervor.

§. 149.

Ebendarum war der Widerſpruch des Häßlichen nicht in ſeiner Strenge1 vorhanden, wo dasſelbe im Erhabenen hervortrat, denn die Verkehrung des Einklangs, wodurch das Unterſte zu oberſt geſtellt wird, behauptete ſich dort nicht als ſchön, ſondern war nur Mittel des Furchtbaren. Alle Häßlichkeit, welche furchtbar iſt, fällt aus der reinen Häßlichkeit, die an der gegenwärtigen Stelle auftritt, weg, da der in §. 147 gegebene Uebergang das Häßliche als2 ſolches fordert, d. h. eine Erſcheinung, welche ſich nicht nur gegen ihre eigene Idee oder gegen die aus ihrer eigenen Gattung fließenden Bildungsgeſetze auf - lehnt, ohne welche ſie doch nichts iſt und deren verzerrtes Bild ſich ſelbſt in der Verkehrung noch darſtellt, ſondern in dieſer Verkehrung ſelbſt das Schöne zu ſeyn ſich anmaßt.

1. Weiße hat das Verdienſt, dem Häßlichen den Ort, der ihm gehört, nämlich auf dem Uebergange vom Erhabenen zum Komiſchen an - gewieſen zu haben; eine Stellung, die durch einen Wink Leſſings an - gedeutet war, von welchem die Rede ſeyn wird. Allein ſowohl er, als Ruge, der ihm folgt, führen hier eine dämoniſche Geſpenſterwelt auf, welche weſentlich grauenhaft iſt und daher unter das Furchtbare, alſo das Erhabene, fällt. (Weiße Aeſth. I, §. 26 28. Ruge Neue Vorſch. Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 22338d. Aeſth. S. 106. 107). Was ihnen vorſchwebt, iſt eine Kunſt, welche Larven ſtatt Schönheit gibt, die verzerrte Romantik. Allein wo irgend die Kunſt dieſen Abgrund ausbeutet, da thut ſie es in der Meinung, wahrhaft erhaben (und wodurch der folgende Uebergang freilich ſchon ausgeſprochen iſt komiſch) zu ſeyn. Keine Richtung der Kunſt wird den Satz: le laid est le beau, den eine geiſtreiche Caricatur als Looſung der franzöſiſchen Romantiker aufgeſtellt hat, in einem anderen Sinne zum leitenden erheben, als weil ſie durch das Häßliche tragiſch (oder komiſch) zu erſchüttern meint. Man könnte zwar ſagen, es bleibe eine ſolche Richtung doch im rein Häßlichen ſtehen, weil ihr das Moment der Verſöhnung fehle, das auch im Furchtbaren liegen ſoll. Allein nicht alle Verſöhnung fehlt, ſondern diejenige, welche je die vorliegende Form fordert; z. B. wo ſittliche Verſöhnung eintreten ſollte, bleibt es bei dem allge - meinen Luſtgefühle, welches die bloſe Kraft mit ſich führt. Dies iſt aber eine Verirrung, welche nur in der Lehre von der Phantaſie, ihren geſchichtlichen Idealen, und von der Kunſt zu erwähnen iſt. Weil nun jene Aeſthetiker überſehen, daß der größte Theil der Häßlichkeit, die ſie darſtellen, in das Erhabene fällt, wird die Lehre von dieſem rein ver - ſchwindenden Begriffe, der für ſich gar keine wirkliche Welt des Schönen begründen kann, zu ſelbſtändig und nimmt eine beſondere abgegrenzte Stellung ein, ſtatt einen fließenden Uebergang darzuſtellen.

2. Der Uebergang, der zur reinen Häßlichkeit führt, liegt nach §. 147 in einer Forderung, die nothwendig und blos aus dem Schönen folgt. Er iſt rein äſthetiſch. Anders bei Weiße (a. a. O. §. 24). Nach ſeiner Darſtellung trieb, wie ſchon oben angeführt, das Erhabene über das Schöne hinaus, dieſes erſchien nur als Anklang und Vorbild eines höher liegenden Göttlichen (a. a. O. S. 165). Das Schöne nun, das ſchön ſeyn will, ohne auf dieſes Höhere hinauszuweiſen, iſt nach ihm die Häßlichkeit. Demnach wäre Alles, was ſchön iſt, aber nicht auf die Weiſe des Erhabenen, häßlich, oder nach Weißes Er - klärung des Erhabenen alles Schöne, das ſich dagegen ſträubt, ſich (wahrſcheinlich als froſtige Allegorie?) in die Theologie und theologiſche Moral aufzulöſen. Das Häßliche ſträubt ſich aber nicht gegen etwas außer ihm, nicht gegen eine Allgemeinheit, die zuvor als etwas außer dem Gegenſtande Vorhandenes betrachtet werden mußte (S. 177), ſondern es ſträubt ſich gegen die Allgemeinheit, welche das Gebilde als deſſen eigenſtes, innerſtes Leben, als ſein Gattungsgeſetz ſo durchdringen ſoll, daß es ſie in ſich ſelbſt darſtellt. Aus dieſer Ableitung ergibt ſich339 für Weiße (§. 27), daß die Geſpenſterwelt der Häßlichkeit nichts Anderes ſey, als die reine, d. h. durch keine Zucht noch Bildung be - zwungene Phantaſie, die eigenſinnige Phantaſie des Individuums. Die zuchtloſe Phantaſie iſt vielmehr noch nicht oder nicht mehr Phantaſie; die Phantaſie hat das Gute als aufgehobenes Moment in ſich und braucht keine Zucht von der Theologie. Weiter (§. 28) wird der letzte und zureichende Grund dieſer Geſpenſterbildung in dem Böſen geſucht: die Vollendung des Abirrens von dem Zuſammenhange der Aeſthetik. Wenn die Phantaſie ſich erſt durch poſitive Religion ergänzen ſoll, iſt freilich die reine Phantaſie das Böſe. In anderer, doch ebenfalls ethiſirender Weiſe nimmt Ruge (a. a. O. S. 90 ff. ) den Uebergang: der Geiſt muß aus der Erhebung zurückſinken; hält er dieſen Zuſtand des Stagnirens feſt und behauptet ihn als das Wahre, ſo wird der Abfall prinzipiell, und die Erſcheinung dieſes Abfalls iſt die Häßlichkeit. Allein was die Aeſthetik ſucht und fordert, iſt eben die Erſcheinung, die Ruge nur nachträglich hinzugibt, mag ſie nun das eigentlich Böſe oder Verkehrung des Geiſtes, der erſt Seele iſt (vergl. §. 108, 1) oder irgend eine andere der nun zu nennenden Formen zu ihrem Innern haben.

§. 150.

Soll nun die reine Häßlichkeit entſtehen, ſo muß das Schöne dasjenige in der Erſcheinung aufbieten, wodurch, wenn nicht der weitere Act der Auf - hebung in der Idee folgt, dieſe in Verkümmerung untergeht: die verworrenen Uebergangsformen zwiſchen den Reichen der als unbewußtes Leben wirklichen Idee (§. 18) und das ganze Gebiet der Zufälligkeit, wie ſie ſowohl die Entſtehung der Individuen beherrſcht (§. 31), als auch in der unendlichen Eigenheit derſelben (§. 32), die ſich aber hier nicht, wie in der Lehre vom Er - habenen, zur furchtbaren Bosheit ſteigern darf, und im Wechſel der Sollizitation (§. 33) wirkſam iſt. Das Erhabene hat die Zufälligkeit zwar nicht aufgehoben, aber ſtreng durch die bindende Idee zuſammengehalten; ſie muß nun in ihrem ganzen Umfang hereinbrechen und ſelbſt die ſchlechtweg ſtörende Form der Zu - fälligkeit, welche in §. 40 als unäſthetiſch behauptet iſt, das ſinnloſe Uebel nämlich, bleibt dabei nicht aus; denn hat die Idee nicht die Kraft, jene Zufälligkeiten zu beherrſchen, ſo muß auch dieſe wirkliche Verkümmerung ein - brechen.

22*340

Es iſt viel zu wenig geſchehen, wenn man das Häßliche einfach auf das Böſe reduzirt. Zunächſt halten wir einfach an dem allgemein Geltenden, daß, was zuerſt die genannten Uebergangsformen betrifft, z. B. viele Amphibien, der Affe u. ſ. w. häßlich ſind. Die Redensart, ſie ſeyen ſchön in ihrer Art, ſagt gar nichts; es liegt bei jenem Urtheil eine ganz wahre Idee der Bedeutung des Organismus zu Grunde. Die ganze Wendung, die nun die Gährung im Schönen nimmt, muß aber vor Allem darin beſtehen, daß nun die vom Erhabenen ſtreng beherrſchte Zufälligkeit entfeſſelt wird, und zwar in allen §. 30 ff. unterſchiedenen Formen; zuerſt die Zufälligkeit, ob ein Subject da iſt oder nicht. Man erinnere ſich nur z. B. an das zweckwidrige, den von den übrigen Perſonen be - abſichtigten Zuſammenhang ſtörende Auftreten unbequemer Perſonen im Luſt - ſpiel u. ſ. w. Dies iſt komiſch, aber wenn man die Wendung des Verlaufs, wodurch es komiſch wird, wegläßt (und wir laſſen ſie hier noch weg) iſt es häßlich. Die unendliche Eigenheit: das ganze Feld der Grillen, Willkürlichkeiten, Abſonderlichkeiten, Launen, und an ſeiner Spitze erſt dieſe Welt zum Prinzip erhoben: das Böſe. Hier aber iſt ſogleich zu bevorworten, daß das Böſe nicht furchtbar ſeyn darf, ſonſt entſteht Häß - lichkeit erhabener Art; ehe dieſer Punkt weiter verfolgt wird, nennen wir ſtatt des Böſen das Schlechte. Die Zufälligkeit der Sollizitation: alle die Handlungen, Naturzufälle, wodurch dargeſtellte Individuen ganz außer dem Zuſammenhange ihrer begründeten Zwecke gereizt, zu unzeitiger Thätigkeit durch unzeitige Erfahrung genöthigt werden: Diarrhoe im Eilwagen und dergl. Hiedurch nun iſt die ſchlimmſte Form der Zufälligkeit, die ſchlechtweg ſtörende Verkümmerung durch ſinnloſes Uebel bereits ein - gebrochen: alle Abnormitäten und Krankheiten, Höcker, Kropf, Schielen, was es ſeyn mag, der widerlichſte Krampf des Leidens, die Vernichtung alles Zuſammenhangs, Ernſt zur Unzeit, Scherz zur Unzeit. Im Er - habenen war der Zufall keineswegs ganz ausgeſchloſſen (vergl. §. 117. 130. 133. 134 ), aber er war in einen ſolchen ſittlichen Zuſammenhang gerückt, daß er Sinn bekam, daher war dieſe Form ganz abgewieſen. Alles Uebel mußte gerecht erſcheinen. Untergang eines Helden durch einen Ziegel vom Dache u. dergl. wäre abſolut unſtatthaft. Das Häßliche der Kraft zwar (§. 98) und wie es als angeborne Mißgeſtalt gerne in der Erſcheinung des Böſen (§. 108) zu der Häßlichkeit des Ausdrucks noch hinzugegeben wird, kann in gewiſſen Formen auch als Zufälligkeit betrachtet werden, aber nur wenn von dem Zuſammenhange, den es dort hat, abgeſehen wird. Es iſt nämlich Störung der Idee als Gattungs -341 begriff durch Zufall, aber es iſt gefordert von der Idee, wie ſie dort herrſcht, als furchtbare Kraft nämlich, und die Kraft muß freilich auch in der Gattung des Individuums liegen, aber wo ſie dieſe ihrer Reinheit als ſolche erſcheinen ſoll, nicht als ihre wahre und höchſte Aufgabe. Nun könnten diejenigen, welche alles Häßliche im Böſen ſuchen, die Phantaſie als ſchaffende Urſache des Schönen hier einführen und ſagen: aber dieſe Störungen ohne Verſöhnung darſtellen ſetzt eine Phantaſie voraus, die im Dienſte eines böſen Willens ſteht. Allein das Böſe der Phantaſie iſt ihr eigenes Böſes und heißt Häßlichkeit. Wie das Gute in ihr zum Schönen aufgehoben iſt, ſo das Böſe zum Häßlichen. Dieſe verkehrte Welt aber zur Darſtellung zu bringen, dazu iſt ſie beſtimmt durch ein ihrer Welt überhaupt, die eine objective Macht iſt, inwohnendes Geſetz und von dieſem iſt hier zu reden noch ohne Lob oder Vorwurf für das ſubjective Organ, die Phantaſie. Hält ſie das Häßliche feſt, ſtatt es in’s Komiſche aufzulöſen, wie das objective Geſetz es fordert: dann erſt tritt Lob oder Todel ein, und dies gehört in die eigentliche Lehre von der Phantaſie. Hier aber wird das Häßliche aufgeführt, um es alsbald wieder aufzulöſen. Der ſcheinbare Widerſpruch gegen §. 40. 53, wo der ſtörende Zufall einer völligen Umbildung durch den beſondern Act einer Zuſammenziehung zugewieſen wurde, wird im zunächſt Folgenden ſeine Löſung finden.

§. 151.

Alle dieſe Formen bis auf die letzte ſchloß das einfach Schöne nicht aus, ſondern es nahm ſie auf, um ſie im Sinne der Durchdringung mit der Idee aufzuheben (§. 47 51); die letzte aber mußte es in der Weiſe der Zuſammen - ziehung aufheben (§. 53). Allein in den widerſtreitenden Formen des Schönen verändert ſich der Umfang der Aufhebung. Das Erhabene hemmt die freie Ausdehnung auch der im Schönen geſtatteten Zufälligkeit; das Häßliche (als verſchwindender Uebergang) läßt auch die verbotene ein. Hierin liegt zunächſt die Schwierigkeit, daß die verſchiedenen Formen der Zufälligkeit, wenn ſie ſich in der letzten, abſolut ſtörenden vereinigen, nicht eine Verkehrung im Schönen zu begründen ſondern überhaupt außer dem Schönen zu liegen ſcheinen. Allein die Störung wird nunmehr, da das Schöne ihrer Aufhebung gewiß iſt, durch ſein eigenes Geſetz als ein ebenſo reiner Schein, wie die einfach ſchöne Er - ſcheinung, hervorgerufen, indem es, um ganz zu ſeyn, was es iſt, ſich ſelbſt als ſein Gegentheil zeigt. Iſt das Charakteriſtiſche die zufällige Eigenheit342 des Individuums (§. 39), ſo lädt nun das Schöne ſelbſt dem Individuum einen Ueberfluß des Charakteriſtiſchen auf und begründet ſo die Caricatur im weiteren Sinne des Worts.

Der ſchwierige Punkt, der hier liegt, ſcheint gar nicht gelöst werden zu können, ohne durch einen unſtatthaften Vorgriff ausdrücklich die Phantaſie oder Kunſt hier ſchon herbeizuziehen. Es iſt nämlich in §. 53 behauptet worden, der ſinnloſe Zufall ſey aufzulöſen, im Schönen durch eine Zuſammenziehung des endloſen Verlaufs, durch den er ſich in der Wirklichkeit aufhebt, auf Einen Punkt. Hiedurch war nun freilich ſchon dort Phantaſie und Kunſt mit in das Schöne einbegriffen, aber nicht auf unſtatthafte Weiſe. Denn weil man es ſonſt weiß, ſieht man freilich voraus, daß nur dieſe den Knoten löſen können, aber das Syſtem, das Phantaſie und Kunſt genetiſch erſt entſtehen laſſen ſoll, darf darüber noch nicht entſcheiden, ſondern muß es, wie ſchon öfters bemerkt, als etwas Implizirtes noch unausgeſprochen laſſen. Hier aber ſoll das abſolut Störende vom Schönen ſelbſt geſetzt und aufgenommen werden; die Zu - ſammenziehung, die Fixirung des Fluſſes, die in §. 53 gefordert iſt, ſoll auf andere Weiſe Statt finden, als dort, nämlich nicht als unmittelbare Ueberwindung des Störenden, ſondern das Störende ſelbſt ſoll recht concen - trirt als das eigentlich Geltende auf Einen Punkt geſammelt werden: kurz es handelt ſich von der Idealität des Häßlichen. Z. B. der Künſtler braucht einen Buckligten. Nun iſt aber jener ſtörende Zufall auch Urſache, daß dieſe Verkümmerung ſelbſt verkümmert in der Wirklichkeit erſcheint, und um das Spezifiſche dieſer Mißgeſtalt recht zu ſammeln, muß der Künſtler mehrere Formen derſelben vergleichen, hier erhöhen, dort weglaſſen. Allein in Wahrheit brauchen wir auch hier dies noch nicht zu wiſſen, ſondern es genügt, einzuſehen, daß das ſtreitende Schöne etwas, was das einfach Schöne im erſten Zuge auflöst, frei aufnimmt, um dann erſt das Störende an dem jetzt berechtigten Störenden auszuſchei - den. Können wir die einfache Idealität des Schönen darſtellen, ohne der Lehre von der Phantaſie und Kunſt vorzugreifen, ſo können wir ebenſo auch die durch Negation vermittelte Idealität aufnehmen. Was ſpäter Abſicht der Phantaſie heißt, heißt jetzt noch Geſetz des Schönen. Dieſes Geſetz nun hat ja ſchon im Erhabenen eine Schwankung in die zum einfach Schönen geforderte ruhige Aufhebung der Zufälligkeit gebracht: es hat ſie enger begrenzt. Jetzt entläßt es mit der zugelaſſenen auch die nicht zugelaſſene Art der Zufälligkeit; dies ſcheint nun freilich zu343 viel und ein Ausſchritt aus dem Schönen überhaupt. Allein das Schöne ſetzt ſich jetzt frei als Gegentheil ſeiner ſelbſt: es will die Störung aufnehmen, und es iſt gewiß, daß es ſeinen reinen Schein auch über ſie erweitern, auch ſie wieder auflöſen wird. Es ſtößt dem Schönen nicht zu, daß (ſtoffartig) ſein Feind in es einbricht, das Schöne fordert ihn ſelbſt heraus und er iſt, wie ſich alsbald zeigen wird, in neuer Weiſe ſchon beſiegt, wie er eintritt. Es ſammelt, wie für den Zweck des einfach Schönen die Vollkommenheiten, ſo für den Zweck des, alsbald aufzulöſenden, Häßlichen die Unvollkommenheiten auf Einen Punkt. In der Sphäre der zufälligen Eigenheit des Individuums erſcheint dies als Ueberladung des Charakteriſtiſchen (verg. §. 39) und man kann alles Häßliche dieſer Sphäre Caricatur (von caricare, beladen) nennen, wenn man den gewöhnlichen engeren Sinn dieſes Worts weiter faßt.

§. 152.

Nunmehr aber erſcheint die ſo hervorgerufene Welt der Mißgeſtalt noth - wendig als eine im Entſtehen verſchwindende, denn da ſie ſich nicht in das Furchtbare aufhebt, ſo bleibt entweder nur die reine Selbſtzerſtörung des Schönen, oder ſie muß ſich in ein Anderes aufheben. Aus dieſer Aufhebung erſt erhellt, warum die Zulaſſung des das Häßliche begründenden Zufalls (§. 151) gefahrlos iſt. Die in §. 53 geforderte Zuſammenziehung nämlich iſt im Schönen ſelbſt eine verſchiedene. Sie iſt entweder als eine vollendete vor - ausgeſetzt, wenn Schönes überhaupt eintreten ſoll, oder ſie iſt eine bewegte, welche dem Störenden zuerſt den Eintritt läßt, aber es dann, und zwar in demſelben Gegenſtand und Zuſammenhang (nicht anderswo oder ein andermal vergl. §. 52. 53), im Fortgang aufhebt. Das Andere nun, worein ſich das Häßliche aufhebt, muß hervorgehen aus dem jetzt in ſeiner Schärfe zuſammengefaßten Widerſpruch der reinen Häßlichkeit. Die Idee iſt in dieſem Widerſpruche nicht zu Grunde gegangen, denn wiewohl das Bild ohne ſie das Ganze zu ſeyn be - hauptet, ſo bleibt ſie in Wahrheit doch die lebendige und bildende Macht der Einzelheit (§. 46), ſie muß ſich alſo in dem Widerſtreben des Individuums gegen ihre Durchdringung fortbehaupten. Das häßliche Individuum aber maßt ſich an, ſchön zu ſeyn; dadurch geſteht es die Schönheit, alſo die Idee, die es doch von ſich ausſchließt, als das Geltende. Aus dieſem objectiven und ſubjectiven Verhältniß im Widerſpruch erzeugt ſich ſeine Verſöhnung.

344

Das Häßliche hat ſeinen Ort zwiſchen dem Furchtbaren und Lächer - lichen, ſo daß es Alles, was poſitiv an ihm iſt, an die eine oder andere dieſer Sphären abgibt, während ihm ſelber nichts bleibt, als dieſes Ab - geben, dieſe Bewegung des Zergehens, ſo daß es, wie man zu ſagen pflegt, zwiſchen zwei Stühlen niederſitzt. Es iſt Leſſing, der dies zuerſt ausgeſprochen hat in derſelben Stelle, deren einer Theil ſchon §. 98 an - geführt iſt, (Laok. Abſchn. 23): was der Dichter für ſich ſelbſt nicht nutzen kann, nutzt er als ein Ingrediens, um gewiſſe vermiſchte Em - pfindungen hervorzubringen und zu verſtärken, mit welchen er uns in Ermangelung rein angenehmer Empfindungen unterhalten muß. Dieſe vermiſchten Empfindungen ſind das Lächerliche und das Schreckliche. Wenn unſchädliche Häßlichkeit lächerlich werden kann, ſo iſt ſchädliche Häßlichkeit allezeit ſchrecklich. In der Mitte, wo es nicht mehr ſchrecklich, aber noch nicht komiſch iſt, hat Ariſtoteles in ſeiner bekannten Be - griffsbeſtimmung der Komödie das Häßliche ergriffen und es ſo bereits als das Komiſche zu faſſen gemeint. Dies iſt der Mangel der Ariſto - teliſchen Beſtimmung. (Poet. 5). δὲ κωμῳδία ἐςὶ μίμησις φαυλοτέρων μέν, ȣ μέντοι κατὰ πᾶσαν κακίαν, ἀλλὰ τȣ͂ αἰσχρȣ͂ ἐςὶ τὸ γελοῖον μόριον. τὸ γὰρ γελοῖόν ἐςιν ἁμάρτημά τι καὶ αἰσχος ἀνώδυνον καὶ ᾿ȣ φϑαρτικὸν. Das ᾿ȣ μέντοι κατὰ πᾶσαν κακίαν (das Schlechte, aber nicht nach dem ganzen Umfange der Bosheit, oder, wie wir §. 150 ſagten, nicht in ſeiner drohenden Spitze als Böſes) enthält ſchon den weiteren Satz, der zweierlei ausdrückt: das Häßliche, wenn es lächerlich ſeyn ſoll, darf nicht zerſtörend, furchtbar (φϑαρτιχὸν) ſeyn und auch dem häßlichen Subjecte ſelbſt nicht ernſtliche Schmerzen bereiten (ανώδυνον). Wir werden dies an ſeinem Orte noch einmal auffaſſen. Wir wiſſen nun, was das Häßliche, um ſich in das aufzu - heben, was wir als das Lächerliche zwar ſonſt kennen, was uns aber hier wiſſenſchaftlich noch nicht entſtanden iſt, nicht ſeyn darf, aber nicht, was es ſeyn muß, wenn es in dies Andere übergehen ſoll. Dieſes Andere iſt jedoch der Möglichkeit nach bereits in dem Widerſpruche des Häßlichen ſelbſt enthalten, deſſen objective und ſubjective Seite der §. hervorſtellt. Zugleich hat aber der §. zur ausdrücklichen Beſtimmung erhoben, was ſchon zu §. 52, 1, um einer Irrung im dortigen Zu - ſammenhange vorzubeugen, bemerkt wurde. Vom ſtörenden Zufalle wurde dort geſagt, daß er ſich im Schönen anders aufheben müſſe, als außer dem Schönen; daran konnte man irre werden durch einen vor - läufigen Ausblick auf das Komiſche. Daher wurde ſogleich angedeutet,345 was jetzt an ſeinem Orte entwickelt wird: daß nämlich auch im Komiſchen dieſe Welt der Verkümmerung, zwar zugelaſſen, aber doch anders, als in der nicht ſchönen Wirklichkeit aufgehoben wird, nämlich in einem Fort - gange, der innerhalb der je vorliegenden äſthetiſchen Erſcheinung, nicht in der unendlichen Breite und Länge des Weltlaufs vor ſich geht.

§. 153.

Wenn nun objectiv die Idee in ihrer Brechung durch den Widerſtand des individuellen Gebildes ſich fortbehauptet und wenn ſubjectiv das häßliche Individuum, indem es für ſchön gelten will, die Geltung der Idee einräumt, ſo kann nicht ausbleiben, daß das Bewußtſeyn hievon, welches das, wie überall, ſo auch hier im Gegenſtande mitgeſetzte (§. 70), dieſer Bewegung zuſchauende Subject hat, auch in das angeſchaute Individuum irgendwie übergehe, das ebenfalls Subject iſt (§. 19). Denn trägt es in die Brechung ſelbſt hineinleuchtend die Idee in ſich, ſo muß ihm dies auch zum Bewußtſeyn kommen, und iſt dieſes Bewußtſeyn in der Häßlichkeit zwar vorhanden, aber verkehrt, ſo muß auch dieſe Verkehrung ſich ſelbſt verkehren in die Erkenntniß, daß die Behauptung der Häßlichkeit, das Schöne zu ſeyn, das Zugeſtändniß der Idee als des weſentlichen und ſelbſtändigen Gehaltes ſey. In dieſe Beſinnung auf ſich als Widerſpruch hebt ſich die Häßlichkeit auf. Durch die den ganzen Vorgang be - herrſchende Bedeutung dieſes Moments wird ſich die nunmehr entſtehende neue Geſtalt als eine weſentlich ſubjective Form darſtellen.

Wir nähern uns der geiſtreichen Entwicklung Ruges, von der wir zunächſt nur folgende Sätze als Wendungen für daſſelbe, was im §. geſagt iſt, aufnehmen. Die Wahrheit, daß zunächſt objectiv im häßlichen Individuum die Idee ſich fortbehauptet, und daß es, da es weſentlich Subject iſt ( welche Unterſchiebung bei Weſen ohne Selbſt - bewußtſeyn nöthig ſey, davon nachher ) davon auch ein mögliches Bewußtſeyn haben muß, drückt er (a. a. O. S. 108) ſo aus: auch die Trübung des Geiſtes iſt, weil ſie doch Geiſt und der Geiſt das ſich über ſich ſelbſt Beſinnende iſt, ſchon in der Möglichkeit die Erheiterung, die Beſinnung in der Trübung und das heißt zugleich über die Trübung ; denn (heißt es S. 110) die Geiſtesgegenwart iſt doch wohl der ge - wöhnliche Zuſtand des Geiſtes. Daraus folgt freilich ſogleich, daß verhärtete Häßlichkeit (oder Bosheit, ſetzt Ruge ſynonym) kein Gegen - ſtand des Gelächters (das wir als den befreienden Act ſuchen), ſeyn346 kann (S. 113). Es könnte ſtrenger geſagt ſeyn, daß eine abſolute Verhärtung im Komiſchen gar nicht als etwas Vorhandenes ſtatuirt, daß das Komiſche die Fälle der Verhärtung, die nur auf dem Wege des Furchtbaren oder negativ Pathetiſchen ſich reinigen können, gar nicht ſieht. Was nun im häßlichen Subjecte nur erſt möglich iſt, dieſe Beſinnung, wird zuerſt im Anſchauenden wirklich, und dies ſpricht Ruge (S. 108) einfach ſo aus: die Anſchauung, wenn ſie doch die Anſchauung deſſen iſt, was iſt, kann die Häßlichkeit gar nicht anſchauen, denn wenn der Geiſt das wirklich ſieht, was er iſt, ſo beſinnt er ſich ja über ſich ſelbſt. Das anſchauende Subject eilt darin freilich dem angeſchauten voraus und in dieſem Punkte liegt hier der Gegenſatz ſowohl gegen das einfach Schöne, als gegen das Erhabene. Im einfach Schönen iſt der Gegenſtand als reine Einheit der Idee und des Bildes fertig, ehe das anſchauende Subject ſich mit ihm zuſammenbewegt, ja die Idee ſitzt ſo tief und feſt, daß dieſes von ihr zuerſt gleichſam getäuſcht wird, indem es, ſinnlich angelockt, ſie mitzuſchauen bekommt ohne ein ausdrückliches Bewußtſeyn darüber. Im Erhabenen dagegen iſt die Idee ſo gegenſätzlich thätig, daß das anſchauende Subject gleich nach dem erſten Blick von ihr geblendet und ſogar zurückgeſtoßen wird. Im Komiſchen aber überholt das anſchauende Subject das angeſchaute und entbindet in dieſem die in Trübung verhüllte Idee. Wir finden ſchon hier die Beſtimmung, daß das Komiſche die ſubjectivſte Form des Schönen iſt. Allein dieſe Be - ſtimmung iſt einſeitig, wenn man ſie nicht eben auf jenes Entbinden begründet, das Zuſammengehen des Subjects mit dem Objecte. In der Entwicklung dieſes Punktes nun hat Ruge ſeine vorzüglichſte Stärke. Der §. hat ſich zunächſt einfach auf den Satz §. 70 berufen, daß in allem Schönen das Subject im Objecte mitgeſetzt iſt. Dies iſt aber noch ganz abſtract. Wir ſollen erſt ſehen, wie ſich beide zuſammenbewegen; dann werden wir auch auf Ruge zurückkommen.

§. 154.

1

Dieſe Entbindung der Beſinnung im häßlichen Subjecte iſt nun zwar wie der ganze Vorgang und alles Aeſthetiſche überhaupt nichts blos Gedachtes, ſondern das, woran ſie anknüpft, muß in die Anſchauung treten, aber es liegt2 nicht in dem Sinne ein im Gegenſtand ſelbſt wirklicher Prozeß vor, daß das angeſchaute Subject darum zur Schönheit zurückkehrte, denn es bleibt dabei, daß das Bild ſein äſthetiſches Recht auf Koſten der Idee behauptet. Negirt347 wird dieſe fortwährend; da ſie aber durch die Beſinnung bejaht wird als dem3 häßlichen Subjecte ſelbſt inwohnend, ſo trifft die Negation die Idee nur als ſolche, welche ſich die Miene gibt, ſich vom Bilde loszureißen und in das Unendliche zu entfernen, d. h. als Idee in der Form der Erhabenheit. Der Sinn iſt alſo, die Negation im Erhabenen, d. h. die Entfremdung der Idee als einer über die Grenze übergreifenden und daher von außen kommenden zu negiren und vielmehr geltend zu machen, daß das Bild trotz ſeiner allen Brechungen des Zufalls hingegebenen Einzelheit völlig im Beſitze der Idee iſt. Solger.

1. Die Beſinnung muß erſcheinen. Dieſes Erſcheinen muß irgend eine auf die ſinnliche Oberfläche der angeſchauten Perſönlichkeit tretende Form ſeyn. Da hier vorerſt noch ungewiß iſt, wie ſtreng der Satz zu nehmen ſey, daß die Beſinnung vom Zuſchauer in das angeſchaute Subject übergehen muß, ſo halte man zunächſt nur feſt: eine Möglichkeit, zur Beſinnung zurückzukehren, muß man dieſem mitten in der Verkehrung anſehen, eine Fähigkeit, über ſich ſelbſt zu lachen, eine Flüſſigkeit des Gemüths. Falſtaff muß mitten in ſeinen Schlechtigkeiten in jedem Zuge die Laune zeigen, ſich in jedem Augenblick durch ein Hineinſehen in ſich zu abſolviren. So lange dies nicht entbunden iſt, iſt die Beſinnung als wirkliche erſt im Zuſchauer. Iſt dieſer in dem äſthetiſchen Acte ſelbſt als Perſon betheiligt, ſo muß dieſe Freiheit des Gemüths unbedingt an ihm erſcheinen, wie an Falſtaff immer, wenn er über ſeine Kameraden Witze macht. Iſt aber der Zuſchauer außer dem äſthetiſchen Acte, ſo iſt die Sache ſchwieriger. Dann entſteht insbeſondere die Frage, ob der bloſe Witz über ein ſeiner Häßlichkeit noch nicht bewußtes Subject auch äſthetiſch ſey. Hierüber muß in der Lehre vom Witze die Rede ſeyn; vor der Hand aber erwäge man wenigſtens, daß auch bei einem blos geleſenen oder gehörten Witzwort die Phantaſie ſich den Gegenſtand des Witzes vermöge ihrer ſchlechtweg veranſchaulichenden Natur innerlich immer vorſtellen wird, und zwar als einen beſinnungsfähigen, elaſtiſchen. J. Paul (Vorſch. d. Aeſth. Th. 1, §. 28) fordert eine anſchauliche Handlung zu allem Komiſchen. Ruge beſtreitet dies (a. a. O. S. 119): die ſinnliche Anſchaulichkeit iſt nicht nöthig: man kann in ſich ſelbſt über ſich ſelbſt, indem man ſeine Gedankenthätigkeit als die Verwirrung des Geiſtes anſchaut, lachen. Dies geht aber aus allem Aeſthetiſchen heraus. In dieſem rein innerlichen Acte muß, wenn er äſthetiſch ſeyn ſoll, auch dies vor ſich gehen, daß ich mich als den Irrenden innerlich348 mit dem Ausdrucke der, jedoch beſinnungsfähigen, Verdummung ſehe; und wenn ich dies erzähle, ſo ſtellt ſich der Zuhörer auch mich den Sehenden als Lachenden vor. Ruge ſetzt freilich hinzu: Anſchauung ſey dann wohl, aber keine ſinnliche; ebenſo bei aller Erzählung. Allein die zur inneren Vorſtellung gewordene Anſchauung nimmt ja natürlich auch J. Paul hinzu, wenn er ein blos erzähltes Beiſpiel (von Sancho Panſa) anführt. Ruge ſollte hier den Unterſchied zwiſchen wirklicher oder eigentlich ſinnlicher Anſchauung und Vorſtellung gar nicht premiren; dies gehört in die Lehre von den Künſten, von der Poeſie im Unter - ſchiede von der bildenden Kunſt. Es liegt aber der tiefere Fehler zu Grunde, daß Ruge auch hier ethiſirend ſich verhält und des Weſentliche der Erſcheinung in allem Aeſthetiſchen nicht genug im Auge hat. Kurz es verſteht ſich von ſelbſt: man muß den häßlichen Gegenſtand ſehen und man muß ihm auch die Beſinnung oder die Fähigkeit dazu anſehen.

2. Die Beſinnung iſt keine Umkehr zur Schönheit (wäre dieſe nun der Ausdruck moraliſcher Umwendung oder einer Aufhellung der In - telligenz. Falſtaff verändert ſeine Lebensart nicht und die Häßlichkeit, welche die Frucht davon iſt, ſein Bauch, erleidet keine Reduction. Die Flüſſigkeit ſeiner Beſinnung bedarf ſtets den Stoff, aus dem ſie ſich erzeugt, den Rückfall: nur dieſes ſtete Spiel iſt komiſch. Ruge erinnert mit J. Paul für das Komiſche an die Thür-Angel in Triſtram Shandy, die immerfort umſonſt nach Oel ſchreit (J. P. a. a. O. §. 35, Anm.). Sowie nämlich reale Umkehr einträte, würde zunächſt das Erhabene, und wenn erſt die Selbſtbezwingung fertig wäre, das Schöne zurückkehren. Dann hätte das Endliche, das Bild in aller ſeiner Einzelheit und Zu - fälligkeit, ſein Recht nicht erhalten; es wäre eine abgeſchloſſene Geſtalt vorhanden, da doch das Komiſche ſo gut wie das Erhabene ſeine eigene Bewegung hat, die es ganz durchlaufen ſoll.

3. Das Komiſche iſt Negation einer Negation. Die erſte Negation iſt das Erhabene und eben dieſe wird vom Komiſchen negirt. Hätte nun die Negation im Erhabenen einfach Recht gehabt, d. h. hätte die Idee wirklich die Grenzen des Bildes ganz überfliegen können, ſo wäre keine Negation dieſer Negation möglich, es bliebe dabei. Aber die Idee blieb im Erhabenen doch an das Bild gebunden und nun macht das Bild daraus Ernſt, bindet von ſeiner Seite die Idee an ſich, ſchließt ſie nicht ſchlechthin aus, ſondern nur ſofern ſie überſchwänglich ſeyn will, vindicirt ſie ſich ſelbſt. Im Erhabenen ſagte die Idee zum Bilde: ich in dir bin das Geltende, nicht du. Im Komiſchen ſagt das349 Bild zur Idee: du brauchſt mich, du biſt nichts außer mir, ich bin du. Dieſen letzten Sinn des Komiſchen hat Solger zuerſt in Worte gebracht (Aeſth. S. 104): auch im Komiſchen zeigt ſich ein Widerſpruch zwiſchen Idee und Wirklichkeit, mit welchem aber zugleich eine Beruhigung ver - bunden iſt, und zwar die umgekehrte, wie beim Tragiſchen, beſtehend in der Wahrnehmung, daß Alles doch zuletzt gemeine Exiſtenz und auch in dieſer überall die Idee (des Schönen, ſetzt Solger ungenau hinzu) gegenwärtig iſt, daß wir mithin in unſerer Zeitlichkeit doch immer im Schönen leben. Wir finden in der geſammten menſchlichen Natur und in allen ihren Widerſprüchen doch immer die Idee. Dies Gefühl, daß die Idee in der Exiſtenz bleibt und wir nie ganz von ihr verſtoßen ſind, macht uns froh und glücklich (105). Im Komiſchen zeigt ſich die Idee als den Widerſprüchen unterworfen, in ſie aufgelöst, blos durch den Zuſammenhang des gemeinen Bewußtſeyns erhalten; aber wir ſehen in dem flüchtigen Augenblick immer die Offenbarung der Idee, und dies eben iſt es, was uns aufheitert (106). Vergl. Erwin Th. 1, S. 248 ff., wo die edlere Freude darüber geſchildert wird, daß auch das Schlechteſte und Gemeinſte von dem Weſen und deſſen Ausdruck durch die Schönheit nicht entblöst iſt, ſollte ſich dasſelbe auch auf eine etwas verzerrte Weiſe darin offenbaren (251). Es iſt von der behaglichen Befriedigung die Rede, welche ſich erzeugt, indem wir uns zugleich ganz gemein und darin ganz ſchön fühlen, wo wir über das ganze Zeitliche und über uns ſelbſt, weil Nichtiges und Weſentliches für uns Eins und dasſelbe wird, unerbittert über das Gemeine und ſehr demüthig wegen des Edlen in uns, gemüthlich lachen (252). Dieſer Schilderung fehlt das Eingehen in den ſubjectiven Prozeß, den wir zunächſt im All - gemeinen ausgeſprochen und ſofort im Einzelnen zu entwickeln haben, und ebendaher fehlt der Schlußſtein, der Begriff der unendlichen Sub - jectivität. Was aber an ſich der Bewegung dahin zu Grunde liegt, iſt treffend ausgeſprochen. Seltſam iſt es, daß Weiße nicht nur dieſen Inhalt des Komiſchen an ſich, ſondern auch ſeine Spitze, die unendliche Subjectivität, ohne Weiteres aufnimmt, nachdem er ſich durch die Jen - ſeitigkeit der Idee, auf die er im Erhabenen anweist, den Weg dazu völlig abgeſchnitten hat. Bei näherer Betrachtung ſoll (Aeſth. Th. 1, §. 29) auf einmal die Idee als Diesſeits erſcheinen und das Subject ſich im Beſitze derſelben, das endliche Individuum als freien Inhaber der Subſtanz wiſſen. Es wird der ſehr richtige Ausdruck gebraucht, daß die Selbſtentäußerung des abſoluten Geiſtes an das endliche Subject im350 Komiſchen acceptirt werde. Aber welche Frivolität gegen die jenſeitige Idee iſt dies!

§. 155.

Das Ganze dieſer Bewegung iſt das Komiſche. Indem ſich dieſelbe nun in ihren Momente beſtimmter entwickelt, ſo muß, obwohl die Rang - Ordnung dieſer Momente verglichen mit dem Erhabenen die umgekehrte iſt, dennoch zuerſt ein Erhabenes irgend einer Art hervortreten. Die Eigenmacht der das Erhabene entſtellenden begrenzten Erſcheinung iſt nämlich zwar dem Werthe nach jetzt das Erſte und das Subject des ganzen Vorgangs, ſetzt aber das Erhabene als Object ſeiner eigenmächtigen Thätigkeit voraus. Dies iſt eine Begriffsfolge, welche ebenſoſehr auch eine Zeitfolge ſeyn kann, indem der komiſche Vorgang mit einem gegen das Subject ſich heranbewegenden Erhabenen beginnt; iſt aber das, was ſich zuerſt aufdringt, ein bereits in Entſtellung ver - ſtricktes Erhabenes, ſo folgt nothwendig auf den erſten Anblick ein Rückblick, der die Zeitfolge der Eindrücke nach der Folge der Begriffe umkehrt.

Die Zeitfolge iſt klar, wo immer etwas großartig beginnt und plötzlich in Kleinheit verſchwindet, wie alles Stocken und Steckenbleiben der Rede oder Einmiſchung platter Ausdrücke in rhetoriſches Pathos, Straucheln und Fallen im ſtolzen Gang u. ſ. w. Parturiunt montes, nas - cetur ridiculus mus. Dagegen dringt ſich zuerſt die Entſtellung auf z. B. in der Fabel von dem Froſch, der ſich zur Größe des Ochſen auf - zublaſen bemüht, in jeder häßlichen Menſchengeſtalt, welche ſich erhaben anſchickt, wie z. B. Shakespeares Piſtol, der aufgeſpreizte kalekutiſche Hahn u. ſ. w. Allein im letzteren Falle wird die Folge der Eindrücke im Bewußtſeyn des Wahrnehmenden umgedreht. Man ſieht zwar zuerſt ein Kleines oder Entſtelltes, das ſich ſofort aufbläht, allein das Auf - blähen wird zu nichte und nun geht der Zuſchauer zurück, hält den Gegenſtand, der in ſeiner Kleinheit nicht aufgefallen wäre, wenn er ſich nicht aufgebläht hätte, mit der Größe zuſammen, zu der er ſich auf - treiben wollte, legt ihm dieſe als Folie unter und ſo hat er zuerſt ein Erhabenes, das, indem es wirklich werden wollte, in ſeinem entſtellenden Gefäße ſich verkehrte. J. Paul nennt das Komiſche den Erbfeind des Erhabenen (a. a. O. §. 26) und den Humor ein umgekehrtes Erhabenes (a. a. O. §. 32). Auch das Letztere gilt von allem Komiſchen. Dies iſt jedoch nicht die Rang-Ordnung, ſondern nur die Folge der Momente,351 denn dem Range nach iſt das unendlich Kleine jetzt das Erſte, wie ſich weiter entwickeln wird.

Das erſte Glied.

§. 156.

Es entſteht nun die Aufgabe, das Reich des Erhabenen wieder zu über - blicken, um diejenigen Formen desſelben zu unterſcheiden, welche dem komiſchen Prozeſſe verfallen können. Das ſubjective Weſen des Komiſchen (§. 153) bringt es nämlich mit ſich, daß die Grenzen ſich hier anders beſtimmen, als wo das Erhabene allein ſich in ſeinem Umfang ausbreitete. Zunächſt ſtellen ſich die Grenzen des Komiſchen als weiter dar. Es iſt nämlich das Komiſche, was ſchon aus dem Bisherigen folgt, aber ſich näher zeigen wird, ein Verhältniß - begriff wie das Erhabene (§. 87). Dieſes zieht als ein ſolcher Vieles in ſeinen Kreis, was ohne den Act des Vergleichens nicht erhaben, ſondern ſchön geweſen wäre; das Komiſche aber nimmt in größerer Weite jede Erſcheinung auf, in welcher ein Thätiges iſt, das einer ſo ſtarken entſtellenden Unterbrechung unter - liegt, daß es durch die Wirkung des Gegenſatzes unter den Geſichtspunkt des Erhabenen fällt, unter welchen es ſonſt nicht gefallen wäre: ſo daß erhaben jetzt Alles heißt, was irgend eine, wenn auch an ſich unbemerkliche, Erwartung und Spannung erregt.

Es iſt nicht erhaben, wenn ich lang nach etwas ſuche, allein wenn ich ſtatt des Geſuchten nach geſteigerter Spannung etwas Verkehrtes finde, wie z. B. der Rath in Tiecks Novelle: die Wunderſüchtigen, der in Sangerheims geheimnißvollem Packet nach Löſung unendlicher Ver - packungen eine alte franzöſiſche Grammatik findet, ſo wird das Suchen lächerlich, weil durch den Kontraſt mit dem unendlich Unbedeutenden, worauf ſie ſtößt, dieſe Zweckthätigkeit einen Anſchein von Größe oder vergleichungsweiſer Erhabenheit erhält. Wo aber vom Erhabenen allein die Rede iſt, könnte eine ſolche an ſich ſelbſt unbedeutende Thätigkeit niemals in den Kreis desſelben fallen.

§. 157.

Dagegen verengt ſich bei dem wirklichen Eintritte in die Stufenfolge des Erhabenen der Kreis des Komiſchen dadurch, daß das geſammte Erhabene des352 Raumes und der Zeit, ſofern nicht ausdrücklich erſt eine höhere Form des Erhabenen ihm untergelegt wird, hier wegfällt. Dieſe Formen konnten zwar auch als erhaben nur dadurch gelten, daß ihnen die Idee als Bewegung oder Kraft und ſofort als geiſtige Unendlichkeit untergeſchoben wurde (§. 89. 102. 141). Allein diejenige Unterſchiebung, welche ſich als nöthig erweiſen wird, wenn das in §. 153 zum Komiſchen geforderte Ineinsfließen des an - ſchauenden Subjects mit dem Objecte eintreten ſoll, iſt eine beſtimmtere und bedarf in dem Objecte einen wirklichen Anhaltspunkt, um es durch einen aus - geſprochenen Act als Subject faſſen und ſo die Beſinnung in ihm als möglich vorausſetzen zu können.

Im Schönen wird die ganze Welt, auch die unterſten Stufen des Daſeyns, perſönlich, dies iſt ſchon in §. 19 andeutend ausgeſprochen. Im Erhabenen mußte davon ausdrücklicher die Rede ſeyn, wie ſelbſt der unorganiſchen Natur Seele geliehen wird. Allein im Komiſchen iſt es anders. Ein Berg mag durch ſeine aufſteigende Linie mich erheben, eine Ahnung ſittlicher Erhebung mag dabei anklingen, allein wie dieſe Linie auch plötzlich abbrechen, in verworren abſpringenden Formen ſich verlieren mag, komiſch kann er dadurch noch nicht werden. Nun können wir wohl auch einmal in einer kecken komiſchen Stimmung über die Formen eines Felſen, Berges, einer Wolke u. ſ. w. lachen; allein da müſſen wir immer erſt vorher durch eine ausdrücklich gemachte Vergleichung dem Gegenſtand ein Streben, ein Wollen, Wiſſen, kurz einen Menſchen unter - geſchoben haben. Im Erhabenen findet freilich auch ein Unterſchieben ſtatt bei dieſen unteren Formen, allein kein ausdrückliches; der Anblick eines Berges kann mich erheben, ohne daß ich mir oder Andern wirklich ſage, ich ſehe darin das Bild einer edlen, aufſtrebenden Seele u. dgl., das Unter - ſchieben bleibt ganz verhüllt. Den Grund dieſes Unterſchieds werden wir erſt vollſtändig erkennen, wenn ſich der ſubjective Charakter des Komiſchen (§. 153) in dem Sinne beſtimmter enthüllen wird, daß ſich zeigt, welcher beſtimmtere Act im Zuſammengehen des Subjects und Objects durch den - ſelben gefordert iſt. Hier nur ſo viel: die Beſinnung ſoll von dem Zuſchauer auf den Gegenſtand übergetragen werden, und zwar mit der beſtimmten Wendung: er (die komiſche Perſon) hätte es (daß die Erhabenheit zerplatzen wird) wiſſen können. Dazu iſt die Unterſchiebung nöthig, von der die Rede ſeyn wird; möglich aber iſt ſie nur, wo, wenn nicht Geiſt, doch wenigſtens Lebensgefühl iſt oder ausdrücklich geliehen wird, das ihr den An - knüpfungspunkt gibt. Etwas ganz Anderes iſt es, wenn Erhabenheit des353 Raums und der Zeit als herabgeſetztes Moment an anderem Erhabenen vorkommt. Wenn z. B. Einer größer von Wuchs ſcheinen will oder älter, als er iſt, ſo wird nicht eine bloſe Erhabenheit des Raums oder der Zeit komiſch, ſondern die Anmaßung des Subjects.

§. 158.

Dagegen eröffnet ſich dem Komiſchen als erſte Sphäre das Erhabene1 der Kraft. Nur die blos maſſenhafte Kraft des Stoßes (§. 97) fällt ebenſo weg wie die in §. 157 genannten Formen. Dagegen die Kraft, die ihrem2 Organe ſelbſt inwohnt, verfällt dem Komiſchen theils überhaupt als die das Organ durch eine innere Zweckthätigkeit bauende, wenn dieſer Bau durch einen das Ganze entſtellenden Uebergriff eines untergeordneten Glieds als mißlungen erſcheint, theils als Bewegung, wenn ſie ihren Zweck verfehlt und dadurch in3 eine ungleich tiefere Stufe geſtaltender Kraft oder gar zu der blos maſſenhaften herabzuſinken ſcheint. In beiden Fällen erſcheint die Häßlichkeit als Zweck -4 widrigkeit, obwohl jene bauende und bewegende Kraft nur unbewußt thätig iſt; der Anknüpfungspunkt, ſie als bewußte zu faſſen, iſt gegeben, wenn ſie nur Gefühl von ſich hat. Das ganze Gebiet der Bewegung aber iſt im Komiſchen, wie aus §. 156 folgt, weiter als im Erhabenen.

1. Mechanismus kann wie das blos quantitativ Erhabene nur unter der Bedingung das erſte Moment im Komiſchen oder das Erhabene ſeyn, welches dem Lachen verfällt, daß ihm ausdrücklich Gefühl, Abſicht unter - geſchoben wird, wie wenn z. B. ein Windſtoß, der mir den Hut abwirft, als ein Grobian aufgefaßt wird u. dergl. ; wohl aber kann blos mechaniſche Bewegung das Gegenglied bilden, worein das Erhabene ſtürzt, wie ſich zeigen wird. Sogleich hier kann hinzugeſetzt werden, daß auch aus der Sphäre der organiſchen Kraft die vegetabiliſche zunächſt wegfällt. Das Leben der Pflanze entwickelt zwar bereits ſo viele Momente der ſich ſelbſt erzeugenden Thätigkeit, daß ihr auf unvermerktere, nicht nothwendig ausdrückliche Weiſe Seele geliehen werden zu können ſcheint; allein es fehlt ihr das Lebensgefühl, welches im Gegenſtande doch immer erforderlich iſt zu einer ſolchen Leichtigkeit des Leihens. Wohl aber kann das Pflanzenhafte das Gegenglied bilden, wie das Mechaniſche, wenn z. B. Auswüchſe an dem menſchlichen Organismus wie ein Entarten des - ſelben in das Vegetabiliſche behandelt werden: Warzen, ein wachſender Bauch, der mit dem ſeine Ringe vermehrenden Baume verglichen wird u. ſ. w.

Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 23354

2. Die organiſche Kraft kommt zuerſt in Betracht als Geſtalt. Es könnte ſcheinen, hier müſſe von der Schönheit ausgegangen und die Häß - lichkeit als Entſtellung dieſer, nicht aber der Erhabenheit als Kraft, gefaßt werden. Allein wie vom Erhabenen (§. 87) galt, daß durch die ver - gleichende Meſſung Vieles erhaben wird, was ſonſt ſchön wäre, ebenſo gilt hier, daß durch den Abſturz in Entſtellung Vieles als eine dem Komiſchen verfallende Erhabenheit erſcheint, was ſonſt unter dem Ge - ſichtspunkte der Schönheit angeſchaut worden wäre. Es tritt etwas ein, was die bauende Natur hindert, ihren Zweck zu vollführen: durch dieſes Hinderniß erſcheint dieſe als eine Kraft, welche zwingen möchte, wenn ſie könnte. So nennen wir die aufrechte Stellung des Menſchen an ſich ſchön, wenn wir ſie aber mit der horizontalen thieriſchen vergleichen, erhaben. Iſt nun eine menſchliche Geſtalt nicht aufrecht, ſondern ſchief, gebückt, u. ſ. w., ſo entbinden ſich thieriſche Merkmale und im Wider - ſpruch mit dieſem Sinken in’s Thieriſche iſt alſo jetzt die urſprüngliche Intention der Geſtalt eine dem Komiſchen verfallende Erhabenheit. Das häßliche Glied ſollte gehorchen, emanzipirt ſich aber, wird frei wie Bar - dolfs Naſe, die in Falſtaffs Vergleichung als ein mit unendlichem Sekte zu ernährender ſelbſtändiger Salamander erſcheint, oder wie in Haugs Epigramm Herrn Wahls große Naſe, die Stundenlang zum Königsthor in Stuttgart hereinkommt, bis ſich endlich ein kleiner, an ſie angewachſener Mann als ihr Beſitzer erweist: der ganze Mann, deſſen Geſtalt dies beſondere Glied beherrſchen ſollte, iſt nun die Erhabenheit, die ihren Zweck nicht durchführen kann, ſondern im erſten Beiſpiel dem Chemiſchen und Thieriſchen, im zweiten dem Mechaniſchen oder Vege - tabiliſchen verfällt.

3. Ungeſchickte Bewegung, die ihr Ziel verfehlt, kommt hier in Be - tracht, ſofern noch von keinem eigentlich geiſtigen Zwecke die Rede iſt, ſondern einem inſtinktmäßigen Thun, wie Gehen, Langen, Athmen u. ſ. w.; denn ſonſt kämen wir über das Gebiet der bloſen Kraft hinaus. Selbſt Bewegungen einer edleren Thiergattung erſcheinen komiſch, wenn ſie einer unedleren ähnlich ſind, wie z. B. Bocks - und Kuh-Beine beim Pferde. Strenger iſt der Contraſt in der menſchlichen Bewegung, wenn ſie von ihrem Organe nicht Beſitz zu nehmen wußte, ſondern in das Rudern, Wanken, Schleichen, Hüpfen von Thieren oder in das ganz Maſchinen - Artige ſinkt. Der Pierrot ſtellt alle dieſe Uebel mit komiſcher Abſicht dar.

4. J. Paul definirt das Komiſche als ſinnlich angeſchauten Un - verſtand (a. a. O. §. 28) und beſchreibt es als eine Handlung, die im355 Widerſpruch mit der Lage des Handelnden ſteht; der Unverſtand iſt alſo Zweckwidrigkeit. So gefaßt eignet ſich die Beſtimmung, wie ſich zeigen wird, nicht zur allgemeinen Definition, auf den vorliegenden Kreis kann ſie aber angewandt werden, da der Begriff der Zweckthätigkeit allerdings auch da in Wahrheit gilt, wo kein Bewußtſeyn iſt (vergl. §. 43). Wo aber Zweckthätigkeit in der Natur concentriſch im organiſchen Gebilde ſich zuſammenfaßt und zwar in der höheren Weiſe ſelbſtändigen Lebens wie im Thiere, da iſt auch Lebensgefühl, ſomit Gefühl des Zwecks vorhanden, und von da iſt der Schritt zum Bewußtſeyn des Zwecks zwar an ſich immer noch groß genug, aber verglichen mit der Kluft, die das unlebendige Naturreich und auch die gefühlloſe Pflanze vom Bewußtſeyn trennt, ſo klein, daß das zum Komiſchen erforderliche Leihen ganz ohne Anſtoß, ohne ausdrücklichen Act, ohne vergleichendes Witzwort unvermerkt ſich einſtellt. Daher können Thiere allerdings komiſch werden, doch nur die klügeren, wie J. Paul (a. a. O. §. 28) richtig bemerkt. Es kann hier Einiges vorweggenommen werden, um auf dieſen Punkt nicht öfter zurückkommen zu müſſen. Hieher gehört nämlich eigentlich nur die Geſtalt der Thiere und ihre phyſiſch nothwendigen Bewegungen; das Lebensgefühl, von dem hier die Rede iſt, gilt alſo noch nicht von einzelnen Verrichtungen für beſtimmt gefühlte Bedürfniſſe, ſondern es iſt zunächſt nur das allgemeine Selbſt - gefühl des Lebens. Die Thiere können nun ſchon in dieſer Beziehung komiſch erſcheinen, weil ihr Lebensgefühl uns überhaupt Veranlaſſung gibt, ihnen einen Menſchen unterzuſchieben und dieſe Unterſchiebung ſofort auch auf den reinen, ihre Geſtalt bauenden, ihren Körper bewegenden Gattungs - typus, als wäre er mit Bewußtſeyn ſchaffend und bewegend, überzutragen. Aber die Thiere thun Vieles, was ihrem beſtimmteren Inſtinkte angehört und als wirkliches Analogon geiſtiger Gedanken und Zwecke erſcheint, und davon wäre eigentlich erſt zu ſprechen, wenn von ſolchen die Rede ſeyn wird. Sie wenden Liſt an, ſie ſchmeicheln, ſie ſtehlen, ſie ſuchen ſich Schlägen zu entziehen u. ſ. w. Dies veranlaßt, ihnen in tieferer Weiſe einen Menſchen unterzulegen, und auf dieſer Folie erſchienen ſie höchſt komiſch, wenn ſie irren. Ruge (a. a. O. S. 131 u. ſ. w.) erzählt paſſende Fälle. Dazu gehört auch der Hund, der vor einem Speiſen - ſchranke in einem Zimmer, wo kein Menſch gegenwärtig iſt, aufwartet. Anders verhält es ſich mit Unanſtändigkeiten, welche Thiere begehen; hier folgen ſie nicht dem höheren Inſtincte, ſondern der groben Nothdurft, aber weil ſie ſonſt klüger ſind, ſo legt man ihnen unter, ſie hätten um den Anſtand wiſſen können, und dadurch erſcheinen jene komiſch. 23*356Wenn übrigens Ruge J. Pauls Bemerkung dahin erläutert, daß Hunde und Affen faſt die einzigen Komiker unter den Thieren ſeyen, ſo ſind doch Bären, Böcke, Katzen, Eichhörnchen ꝛc. auch nicht zu vergeſſen, und faſt alle Thiere, wenn ſie jung ſind, erheitern durch die Freiheit des Spieles, das doch zugleich Naturnothwendigkeit iſt. Davon noch ein Wort, wenn von Stephan Schützes Theorie die Rede ſeyn wird.

§. 159.
1

Der wahre Stoff des Komiſchen eröffnet ſich jedoch allerdings erſt mit dem Erhabenen des Subjects. Hier tritt überall die zum Komiſchen noth - wendige Entſtellung ein, wo das Selbſtbewußte durch das Unbewußte, wovon es umgeben und womit es ſelbſt behaftet iſt, in der Strenge des Zuſammen - hangs ſeiner Thätigkeit unterbrochen wird. Das Komiſche der Kraft, wenn es am wirklichen Subjecte erſcheint, tritt nun ſelbſt in dieſe höhere Bedeutung ein. 2Faßt man den Begriff des Naiven in ſo weitem Sinne, daß er überhaupt das Eintreten eines beziehungsweiſe Unbewußten, wo man Bewußtes erwartete, be - zeichnet, ſo kann alles Komiſche als naiv beſtimmt werden. Im engeren Sinne3 aber hat das Naive ſeine beſondere Sphäre, nämlich die des Anſtands. Der Anſtand als ein Verbergen der Natur aus geſelligen Rückſichten iſt zu ſehr blos formell, um in das Erhabene aufgenommen zu werden, wo aber zwiſchen ſeine künſtlichen Vorſchriften unerwartet reine Natur hervorbricht, erſcheint er als ein Zwang, der erhaben ſeyn wollte und in dieſem Verſuche erliegt.

2. Das Komiſche iſt deßwegen beſonders ſchwer zu entwickeln, weil ſeine Gegenglieder getrennt zu beſchreiben ſind und doch mit dem erſten immer ſchon das zweite zu nennen iſt. So muß hier ausgeſprochen werden, in was das Erhabene des Subjects ſich verſtrickt, wenn es komiſch wird. Es iſt das Unbewußte. Angedeutet iſt, daß es von außen aufſtoßen oder von innen aufſteigen kann, aber dies und wie ſelbſt der erſtere Fall auf ein innerlich Unbewußtes hinauskommt, iſt ſpäter aus - einander zu ſetzen. Im Komiſchen der Kraft wurde (§. 158) bereits auch die menſchliche Geſtalt und Bewegung unter den Beiſpielen auf - geführt. Wo aber das Subject als ein ſelbſtbewußtes wirklich das erſte Glied bildet, treten die Mißbildungen und Verſtöße der Seele, wie ſie als unbewußte Kraft den Leib bildet und bewegt, in einen ganz andern Zuſammenhang. Man kann über eine thieriſche Mißbildung lachen, aber ganz anders über eine menſchliche, weil der Ausdruck des wirklichen357 Geiſtes, dem das Ganze dient, einen ungleich beſtimmteren Anhalt dar - bietet, das ſelbſtbewußte Thun ſchon dem dunkeln Bildungsgeſetz des Körpers unterzuſchieben und nun ſich vorzuſtellen, als habe dieſes ſich trotz allem Bewußtſeyn vergriffen. Ebenſo iſt es mit den Bewegungen; z. B. die Bewegung der Organe im Sprechen iſt inſtinctmäßig, aber der Inhalt der Rede iſt bewußt und gewollt und daher erſcheint Stottern, Lallen u. dergl. als Widerſpruch eines nicht blos inſtinctmäßigen, ſondern geiſtigen Thuns mit ſich ſelbſt. Dahin gehören z. B. auch die Be - wegungen eines Trunkenen, wenn man von allem ſittlich Imputabeln des Zuſtands abſtrahirt: ſie ſind gewollte, aber die Organe, welche die Ausführung inſtinkimäßig übernehmen ſollen, verſagen den Dienſt.

2. Der Begriff des Navien iſt ſo unbeſtimmt weit, daß er auf den verſchiedenſten Punkten der Aeſthetik hervortritt. Zunächſt kann das Schöne überhaupt als Naives bezeichnet werden, weil das Naive eine reine Einheit des Geiſtigen und Natürlichen in ſich darſtellt, dann auch das Erhabene, weil es als Pathos die Kraft des Affects mit der Kraft des reinen Willens vereinigt. Es ſind aber Gründe vorhanden, dieſe Beſtimmung in der Metaphyſik des Schönen nicht zu gebrauchen. Für’s Erſte nämlich iſt der Ausdruck ſubjectiv und bezeichnet, wenn er allgemein dem Schönen gelten ſoll, bereits das Weſen der das Schöne ſchaffenden Kraft und Perſönlichkeit, die Phantaſie nämlich als jene reine Mitte eines bewußten, geiſtigen und eines unbewußten, ſinnlichen Thuns. Naiv iſt der Künſtler in ſeinem Werke. Für’s Andere iſt aber im Begriffe des Naiven immer ein gegenſätzlicher Standpunkt des Urtheilenden mitgeſetzt. Naiv nennt das Schöne derjenige, der ſelbſt jene reine Einheit geiſtiger und ſinnlicher Be - ſtimmtheit verloren hat. Hier zieht ſich nun allerdings ſchon ein Anklang des Komiſchen herein, der aber nicht in dieſen Zuſammenhang gehört, denn das Schöne weiß nichts davon, daß es außer ſeiner ganzen Natur eine getrennte gibt. In die allgemeine Begriffslehre des Schönen gehört daher das Naive noch nicht. Der zweite der eben genannten Gründe führt nun weiter auf das culturgeſchichtliche Feld. Jede vorhergehende Bildungsſtufe erſcheint der folgenden als eine naive, weil ſie im Verhältniß zu ihr ein bewußtloſerer Zuſtand iſt, ebenſo im Kleinen das vorhergehende Lebens - alter dem reiferen, das weibliche Geſchlecht dem männlichen, das Volk den gebildeten Ständen. Dies iſt zunächſt eine allgemeine Relation, welche aber auf die Aeſthetik ſo angewendet werden kann, daß je die frühere Epoche des Kunſtideals der folgenden höheren als naiv erſcheint, weil die Einheit des Bewußten und Unbewußten, die zwar aller Phantaſie eigen358 iſt, verſchiedene Stufen hat. Da nun dieſe Einheit ſich als reinſte Mitte zeigt im claſſiſchen Ideal, ſo hat Schiller dieſes in der Abh. über naive und ſentimentale Dichtkunſt als ſpezifiſch naiv bezeichnet, freilich aber den Begriff des Naiven in dieſer Anwendung falſch erklärt, wovon an ſeinem Orte zu reden iſt. Dieſer ganze Gebrauch des Begriffs der Naivetät gehört aber nicht hieher, weil komiſch im eigentlich äſthetiſchen Zuſammen - hang das Naive nur dann iſt, wenn der nicht naive Standpunkt in den äſthetiſchen Gegenſtand mitaufgenommen iſt. Wenn wir über Homer lächeln, ſo iſt dies keine Form des Komiſchen; wenn aber vorgeſtellt wird, als trete Homer oder einer ſeiner Helden in eine moderne Geſellſchaft, ſo müßte er Dinge thun, wodurch er komiſch würde, weil er in der Meinung, ganz klar zu erſcheinen, vielmehr durchaus als Kind erſcheinen würde; oder umgekehrt, wenn ein moderner Menſch vorgeſtellt würde, wie er mit ſeinen künſtlichen Begriffen in die Geſellſchaft alter Götter und Helden träte, ſo würde ſein Mangel an Naivetät, als wäre er ſelbſt eine ſolche, zum Gelächter für dieſe werden (Götter, Helden und Wieland). Eigentlich komiſch alſo wird das Naive erſt, wenn die darin enthaltene Natur mit dem Geiſte nicht einfach und ſchlechthin Eins iſt, ſondern gegenſätzlich mit ihm in einem Ganzen ſich ſo bewegt, daß der Geiſt, wo man eine ununterbrochene Darſtellung ſeiner klaren Strenge erwartete, plötzlich in Unbewußtes übergeht. Alles Unbe - wußte und das ganze Reich der Zufälligkeit, wie es den Geiſt beſchleicht und unvermerkt in ſeine Zwecke ſich miſcht, kann unter dem Namen der Natur befaßt werden und ſo iſt alles Komiſche, wie von frühern Aeſthetikern öfters geſchehen, naiv zu nennen. Kindliche Zeitalter, Völker, Lebensſtufen, Bildungsformen, wie ſie oben erwähnt worden, können nun als Stoff dieſer wirklichen Komik erſcheinen unter der genannten Bedingung, daß der Gegenſatz mitaufgenommen ſeyn muß, aber ebenſogut abgeſehen von ſolchen Bildungsgegenſätzen der ganz gebildete Menſch an ſich oder auch der minder Gebildete, kurz Jeder, ſofern er da, wo er geiſtig er - ſcheinen wollte, von der Natur, insbeſondere von bewußtlos hervortretender Eigenliebe überraſcht wird. Daß die Natur nicht nackte Rohheit ſeyn darf, ſondern unſchuldige Natur ſeyn, richtiger, daß in der Rohheit ſelbſt die gute Natur durchblitzen muß, folgt ſchon daraus, daß ja das Gegenglied, worein das erſte, erhabene Glied verſinkt, im Komiſchen das Berechtigte iſt: davon iſt aber erſt zu reden, wenn das zweite Glied für ſich betrachtet werden wird. Schon hier könnten wir Stephan Schützes Definition aufführen, die das Komiſche als ein Spiel beſtimmt, das die Natur mit der Freiheit des Menſchen treibt (Verſuch einer Theorie des Komiſchen359 S. 23 ff.). Allein Schütze faßt das Komiſche zu eng, indem er das Selbſt - bewußte ſogleich als Freiheit verſteht, alſo an die Verirrungen des praktiſchen Geiſtes denkt. Er führt freilich auch Verirrungen des denkenden Geiſtes auf, aber ohne beſtimmte Eintheilung, und darin, daß ſie die verſchiedenen Formen des Geiſtes, welche dem Komiſchen verfallen können, nicht unter - ſchieden und in deutlicher Ordnung aufgeführt haben, zeigen ſich alle bis - herigen Unterſuchungen des Komiſchen, auch die Ruge’ſche, als mangelhaft.

3. Dem Naiven im engeren Sinne als einer Verletzung künſtlicher Form - und Anſtandsgeſetze durch unſchuldige Natur, wo ſie nicht er - wartet wurde, weiſen wir hier ſeine Stelle an, weil der Begriff des Naiven überhaupt ſogleich darauf führt. Sonſt hätte es auch bei den Verirrungen des praktiſchen Geiſtes ſeinen Ort finden können oder am Schluſſe des vorliegenden Gebiets, des Komiſchen der ſubjectiven Er - habenheit. Der Menſch ſtellt ſeine geiſtige Würde in conventionellen Formen des Anſtands dar. Er zeigt durch ein Zurückhalten, ein Anſich - halten und Verhüllen, daß er nicht bloſe Natur iſt. Dies kann nun ebenſogut gefaßt werden als eine Vorbereitung und Vorankündigung der wahren geiſtigen Würde, wie als ein Ausdruck der letzteren als einer vorhandenen. Es wird nichts dagegen eingewandt werden, daß wir uns vom Zuſammenhang beſtimmen ließen, die erſte Stellung zu wählen. Was nun die Sache betrifft, ſo iſt das Verhalten des einfach Schönen zu den Formen conventioneller Scham als ein völlig unbefangenes in §. 60 dargeſtellt worden. Hier iſt kein Gegenſatz, außer der in der Anm. zum gegenw. §. unter 2 genannte, der außerhalb des äſthetiſchen Gegenſtandes liegt. Dagegen zu dem im engeren Sinne Naiven wird natürlich wie zum Naiven überhaupt, wenn es als gleichbedeutend mit dem Komiſchen genommen wird, gefordert, daß im äſthetiſchen Vorgange ſelbſt, nicht außerhalb im Betrachtenden, künſtliche Zurückhaltung der Natur zunächſt als geltend erſcheine, dann plötzlich durch den Eintritt wahrer Natur überraſcht werde. In der Lehre vom Erhabenen konnte der Anſtand nicht aufgeführt werden, wiewohl er jetzt als eine Art Er - habenheit genannt wird, die dem Komiſchen verfällt; denn auch mit dieſer Erſcheinung verhält es ſich ſo, daß ſie, wenn ſie nicht durch einen Contraſt betont wird, zu gering iſt, um an ſich erhaben genannt zu werden. Es gibt wohl einen erhabenen Anſtand; er gehört zum Feierlichen und zur Würde, allein er hat eine zu tiefe Grundlage, um unter die bloſe Ein - haltung formeller Rückſichten, von der hier die Rede iſt, befaßt zu werden und ſo eine beſondere Form des Erhabenen zu begründen, wo dieſes als360 ſolches gilt: er iſt unmittelbarer Ausfluß der Geſinnung und dieſe als ſeine Quelle iſt dann der eigentliche Kern der erhabenen Erſcheinung; das Erhabene wirft daher, wo es zu einem ernſten Kampfe kommt, dieſen Anſtand auch noch ſorgloſer weg, als das Schöne, wie denn z. B. bei einem großen Bilde der Zerſtörung danach gar nicht mehr gefragt wird. Anders alſo iſt es im Komiſchen; ein Herausplatzen der lieben Natur wirft hier auf die Vorſchriften der Convenienz ein Schlaglicht, wodurch ſie als eine Anſtrengung erſcheinen, die erhaben im Sinne der Würde ſeyn ſollte und wirklich auch in der Scham des Geiſtes an ſeiner Natur eine Grundlage des Erhabenen beſitzt, aber zur bloſen Form geworden iſt, zum Unrecht gegen die Natur fortgeht und daher an dieſer ſcheitert. Daß dieſe Natur da hervorbrechen muß, wo man ſie nicht mehr erwartete, hebt auch Schiller hervor, wo er in der genannten Abh. zunächſt das Naive im engeren Sinn darſtellt: das Naive iſt eine Kindlichkeit, wo ſie nicht mehr erwartet wird u. ſ. w. Das naive Subject muß um die Convenienz und ihr Recht haben wiſſen können, oder es muß ihm dies untergeſchoben werden, wie den Thieren; ſonſt fehlt der zum Komiſchen nöthige Widerſpruch. Dadurch iſt auch hier die Rohheit völlig abgewieſen; es handelt ſich um eine Einfalt, die auch ihren Anſtand hat, aber einen andern als die künſtliche Bildung: sancta simpli - citas. Uebrigens iſt auch in der Beſtimmung dieſes Begriffs Kant voran - gegangen (a. a. O. Anm. zu §. 54): Naivetät iſt der Ausbruch der der Menſchheit urſprünglich natürlichen Aufrichtigkeit wider die zur andern Natur gewordene Verſtellungskunſt. Man lacht über die Einfalt, die es noch nicht verſteht, ſich zu verſtellen, und erfreut ſich doch auch über die Einfalt der Natur, die jener Kunſt hier einen Querſtrich ſpielt. Man erwartete die alltägliche Sitte der gekünſtelten und auf den ſchönen Schein vorſichtig angelegten Aeußerung; und ſiehe! es iſt die unverdorbene ſchuld - loſe Natur, die man anzutreffen gar nicht gewärtig, und die der, welcher ſie blicken ließ, zu entblößen auch nicht gemeint war. Daß der ſchöne, aber falſche Schein, der gewöhnlich in unſerem Urtheile ſehr viel bedeutet, hier plötzlich in ein Nichts verwandelt, daß gleichſam der Schalk in uns ſelbſt blosgeſtellt wird, bringt die Bewegung des Gemüths nach zwei entgegengeſetzten Richtungen nacheinander hervor, die zugleich den Körper heilſam ſchüttelt. Daß aber etwas, was unendlich beſſer als alle an - genommene Sitte iſt, die Lauterkeit der Denkungsart (wenigſtens die Anlage dazu) doch nicht ganz in der menſchlichen Natur erloſchen iſt, miſcht Ernſt und Hochſchätzung in dieſes Spiel der Urtheilskraft. Weil361 es aber nur eine auf kurze Zeit ſich hervorthuende Erſcheinung iſt und die Decke der Verſtellungskunſt bald wieder vorgezogen wird, ſo mengt ſich zugleich ein Bedauern darunter, welches eine Rührung der Zärtlichkeit iſt u. ſ. w. Eine Kunſt, naiv zu ſeyn, iſt daher ein Widerſpruch u. ſ. w.

§. 160.

Tritt man aus dieſer Sphäre der blos formellen Selbſtdarſtellung der1 Perſönlichkeit in die Gebiete ihrer wirklichen Thätigkeit ein, ſo zeigt ſich der Kreis des Komiſchen dadurch ungleich weiter, als der des Erhabenen, daß nicht nur der Wille (vergl. §. 103), ſondern auch der denkende Geiſt durch Ein - miſchung des Zufälligen und Unbewußten, das ſeinen Zuſammenhang trübt, komiſch wird. Der denkende Geiſt nämlich, wo er den Zuſammenhang ſeines Denkens in richtiger Folge feſthält, iſt an ſich zu unſinnlich für das äſthetiſche Gebiet; die Störungen aber, die aus jener Einmiſchung fließen, bringen, wenn ſie nur anſchaulicher Art ſind, mit der allgemeinen äſthetiſchen Bedingung auch die zum Komiſchen erforderliche Brechung hinzu. Alle Formen des Denkens2 von der bloßen Wahrnehmung der Außenwelt, ſofern ſie zwar auch dem Handeln dient, doch je im vorliegenden Acte nicht unmittelbar in dieſes übergeht, bis zur reinſten Abſtraction treten hier auf und gerade je höher und reiner die Form, deſto ſtärker die Komik, weil die Brechung deſto ſtärker iſt. Einge - wurzelter Irrthum vollendet das komiſche Subject; dagegen kann völlige Störung nicht leicht komiſch ſeyn, weil jene Brechung fehlt.

1. Ruge führt zwiſchen Beiſpielen der Unſittlichkeit, deren Reich er mit Recht dem Komiſchen vorzüglich vindicirt, auch Beiſpiele der Zer - ſtreutheit auf, reine Irrthümer u. dgl. Weil er aber beide nicht genug unterſcheidet, ſo erſcheint er auch von dieſer Seite zu ſehr ethiſirend. Das ganze Reich des theoretiſchen Geiſtes, an ſich aus dem in §. 103 ge - nannten Grunde nicht erhaben zu nennen, wird durch die Brechung des Irrthums eine dem Komiſchen verfallende Erhabenheit. Dies iſt nun allerdings näher zu beſtimmen. Ein Irrthum iſt nämlich allerdings, wie J. Paul (a. a. O. §. 28) ſagt, an und für ſich nicht lächerlich, ſo wenig, als eine Unwiſſenheit. J. Paul fehlt aber darin, daß er die Anſchaulichkeit, die hinzutreten muß, nur in einer Handlung ſucht, die den Irrthum zur Erſcheinung bringen ſoll; er geräth dadurch ſogleich in den praktiſchen Geiſt und verliert eine ganze, große Sphäre der Komik. Das Denken braucht nicht in Handlung überzugehen, aber die Störung362 darf ihren Grund nicht in den verborgenen Geheimniſſen der in den Geiſt ſelbſt ſich fortſetzenden Sinnlichkeit, ſondern muß ihn in der anſchaulichen Sinnlichkeit haben. Es iſt z. B. ein reiner Irrthum, der eben nicht komiſch iſt, wenn Kant die Muſik zu niedrig beurtheilt. Wenn man nun aber findet, daß er ihr vorzüglich Aufdringlichkeit vorwirft, ſo vermuthet man ſchon eine zufällige Urſache von Widerwillen. Nun darf man nur hören, daß häufige Tanzmuſik, die ſich aus einem ſeiner Wohnung nahen Wirthshauſe, und trübſeliger Geſang von Frömmlern, der ſich von einer andern Seite aufdrängte und ſeine Arbeit ſtörte, dieſe Urſache war: ſo ſieht man ein, daß dem irrenden Denker ſtatt der wahren Natur des Gegen - ſtandes unvermerkt eine beſondere, ſinnliche Erfahrung vorſchwebt, und man wird nun nicht ermangeln, ſich die Geſtalt des Mannes ſelbſt, den Ausdruck des Aergers in dem Geſichte des geſtörten Gelehrten u. ſ. w. vorzuſtellen.

2. Es können nun alle Formen des theoretiſchen Geiſtes als das eine Glied eines komiſchen Vorgangs auftreten. Selbſt die Sprache, die zu - nächſt durch Stottern, Vernennen u. dgl. dem Komiſchen der Kraft anzu - gehören ſchien, aber ſchon §. 159, 1 in höheren Zuſammenhang geſtellt wurde, iſt nun als Ausdruck des theoretiſchen Geiſtes zu faſſen und ſolche Störungen treten dadurch in ein höher komiſches Licht. Falſche Auffaſſung der Außenwelt aus Zerſtreutheit u. dgl. öffnet ferner hier eine unendliche Welt des Lachens, ſofern nur ein ſolcher Act nicht unmittelbar im Zuſammen - hange mit einer Handlung ſteht, denn dann gehört er in das Komiſche des praktiſchen Geiſtes. Gerade am lächerlichſten aber werden die höchſten und reinſten Acte des denkenden Geiſtes, weil die Brechung durch ſinnliche Störung oder der Contraſt ihrer Fortſetzung mit einer veränderten äußeren Lage gerade durch die geiſtige Reinheit des Anfangs erhöht wird. Treff - liche Beiſpiele enthält des Amtsvogts Joſua Freudel Klaglibell gegen ſeinen verfluchten Dämon im Qu. Fixlein von J. Paul. Es wird ſich aber im Verlaufe noch ein weiterer Grund zeigen, warum das Lächerliche mit der Höhe der Intelligenz wächst. Als wichtiger Punkt iſt hier noch beſonders die Einwurzlung des Irrthums und die Angewöhnung der Zer - ſtreutheit hervorzuheben. Wie nämlich im Erhabenen des Subjects die höhere Form die der Stetigkeit iſt, die zur andern Natur gewordene ſittliche Größe, ſo fordert auch das Komiſche eine ganze Perſönlichkeit, einen Narren. Nur kann dieſe Erſcheinung hier noch nicht verfolgt werden; denn wie auch der Sitz der Narrheit im Denken oder Vorſtellen liegen mag, ſo geht ſie doch nothwendig, wenn ſie ſich in der Perſönlichkeit befeſtigt, in’s363 Handeln über und erſcheint daher immer als Verirrung des praktiſchen Geiſtes. So verbrennen Ritterromane zuerſt Don-Quixotes Gehirn, aber erſt da er auszieht, ſein Ideal zu verwirklichen, wird der Narr fertig. Hier iſt der Uebergang zum eigentlichen Wahnſinn. Wenn es der Raum geſtattete, die wichtigſten Formen dieſer Seelenkrankheit durchzugehen, ſo könnte der im §. zuletzt ausgeſprochene Satz vielfach näher beſtimmt und beſchränkt werden. Entſchieden hört das Komiſche auf bei dem Blödſinn, denn hier geht, wie beim Kretinismus der Anknüpfungspunkt für die Unterſchiebung der Beſinnung, alſo auch die gegenſätzliche Brechung verloren. Die andern Formen dagegen können komiſch ſeyn, ſo lange es möglich iſt, vom Mitleid oder von Mitleid und Furcht zu abſtrahiren. Blos die Abſtraction vom erſteren iſt nöthig bei den ungefährlichen Narren und ſie erleichtern ſie, wenn ihre Narrheit luſtiger Art iſt; die Abſtraction von beiden bei den gefährlichen Narren. Wird nun von dem Schmerz - lichen und Verderblichen abſtrahirt, ſo iſt noch die Frage, ob in der habituellen Seelenſtörung noch das allgemeine Weſen des wahren Geiſtes als Keim einer möglichen Heilung hindurchſchimmere; daran anknüpfend kann dann dem Wahnſinnigen ein mögliches Bewußtſeyn ſeiner Ver - kehrtheit geliehen und ſo ſeine Krankheit im Sinne der Komik angeſchaut werden, ſofern nämlich dieſer Keim nicht vom Standpunkte des Seelen - Arztes, ſondern nur in freier Betrachtung zu Behuf des nöthigen Kontraſtes aufgefaßt wird.

§. 161.

Das bedeutendſte Gebiet des Komiſchen thut ſich jedoch allerdings in1 derjenigen Sphäre auf, welche in der Lehre vom Erhabenen die allein geltende war, nämlich in der Sphäre des praktiſchen Geiſtes oder des Willens. Das Weſen des Willens iſt die Freiheit und alle Verirrungen, wodurch ſeine Erhabenheit dem Komiſchen verfällt, erſcheinen als ein Herabſinken in die Natur - nothwendigkeit, daher hier die Begriffsbeſtimmung St. Schützes, welche für das Ganze des Komiſchen zu eng iſt, in Geltung tritt: das Komiſche ſey Wahr - nehmung oder Vorſtellung eines Spiels, das die Natur mit dem Menſchen treibe, während er frei zu handeln glaube oder ſtrebe. Die in §. 156 be -2 hauptete weitere Ausdehnung des Komiſchen zeigt ſich nun hier beſonders, indem auch die Thätigkeit für blos äußere Zwecke und die ihr dienende Klugheit komiſch wird ohne eine andere äußere Bedingung, als daß ſie Mittel ergreife oder auf eine Weiſe gehindert werde, wodurch der Zweck ſich vielmehr aufhebt.

364

1. St. Schützes Verſuch einer Theorie des Komiſchen verdient aus unverſchuldetem Dunkel hervorgezogen zu werden und hat gewiß mehr Werth, als ihm Ruge zugeſteht. Es fehlt an der gehörigen Schärfe, aber die weſentlichen Elemente des Komiſchen ſind als ſehr brauchbares Material für einen genaueren Bau zuſammengeſtellt und der Hauptfund, die obige Definition (S. 23 ff. ) iſt ein ganz glücklicher zu nennen. Aehnlich un - vollkommen bei übriger Wahrheit iſt Schleiermachers Beſtimmung, das Komiſche bringe den Gegenſatz zwiſchen dem Wirklichen und dem, was durch dasſelbe (vermöge der Intention oder Freiheit des Handelnden) repräſentirt werden ſoll, in dem Innern des menſchlichen Lebens zur Anſchauung (Aeſth. S. 195). Die Ausführung von Schützes Begriffsbeſtimmung iſt jedoch hier noch nicht an der Stelle, weil wir das Gegenglied, worein die Freiheit verſinkt, jenen neckiſchen Genius, wie ihn Schütze treffend beſchreibt, der bei den Handlungen der Menſchen überall die Hand im Spiele hat und, während ſie in denſelben frei zu ſeyn meinen, ihnen unver - merkt etwas unterſtellt, wodurch das, was Perſon iſt, zur bloſen Sache, zum Mechanismus zu werden ſcheint, hier noch nicht darzuſtellen haben. Vor - läufig aber ſtelle man ſich, um dieſe hinkende Freiheit (a. a. O. S. 70) als Weſen des Komiſchen ſich deutlich zu machen, einen Menſchen von einiger Gabe der Selbſttäuſchung vor, der rein für einen erhabenen Zweck zu handeln meint und unbewußt vielmehr vom Inſtincte nach einem mit der Erreichung des Zwecks äußerlich verbundenen kleinen Genuſſe getrieben wird. Herr Schnaps in Göthes Bürgergeneral, der die Erſtürmung der Baſtille darſtellt, um zu einer ſauren Milch zu gelangen, iſt darum nicht rein komiſch, weil es ihm nur mit dem Hunger Ernſt iſt. Ein treffendes Bild des Ganzen iſt Trunkenheit, nicht übermäßig, doch bis zum Faſeln, Stottern und Taumeln. Der Wille iſt da und zwar in großem Selbſtgefühle, aber Füße, Zunge und ſelbſt Ideenverknüpfung handeln für ſich, ohne bei ihm anzufragen. Man erinnere ſich auch an die Thiere wieder, an welchen ſich Schützes Darſtellung ganz ergötzlich erprobt. Freilich leihen wir ihnen nur durch Unterſchiebung Freiheit; nun aber erregt es das heiterſte Lachen, wenn man ſich z. B. die Bemühungen eines Hunds, zur Befriedigung des Geſchlechtstriebs zu gelangen, als die eines Stutzers vorſtellt, der nach freier Wahl des Geſchmacks einer Dame den Hof macht, während er vielmehr ſo muß.

2. Das Reich der äußeren Zweckmäßigkeit konnte nur auf ſehr be - dingte Weiſe im einfach Schönen zugelaſſen werden, vergl. §. 23. Im Erhabenen konnte es gar keinen Platz behaupten, weil die äußeren Zwecke365 nur relativ ſind. Im Komiſchen aber verhält es ſich anders aus dem §. 156 genannten Grunde. Man denke z. B. an den Mann auf einem Bilde Hogarths, der eine hölzerne Dachrinne abſägt und ſich auf das Ende ſetzt, das abzuſägen iſt, und mit dem er auch, nachdem er durchgeſägt, herabfällt.

§. 162.

Wie leicht das Erhabene der Leidenſchaft dem Komiſchen verfällt,1 geht daraus hervor, daß bei dieſer Form von dem ſittlichen Gehalte noch ab - geſehen wird (vergl. §. 105). Es darf nur etwas eintreten, was ihr die Furcht - barkeit nimmt und zugleich ein Mißverhältniß zwiſchen der Gewalt der Erregung und ihrem Gegenſtande aufdeckt, ſo iſt die komiſche Brechung vorhanden. Aber2 auch die zum bleibenden Zuſtande gewordene Verſenkung in ein Einzelnes, ſey dies nun eine unter der Bedingung des richtigen Maßes berechtigte Befriedigung des Geiſtes oder der Sinne, in welch letzterem Falle die Leidenſchaft Laſter heißt, tritt nun auf als ein durch den komiſchen Bruch ſich zerſtörender Anſchein von Erhabenheit, wenn der Widerſpruch der reinen Allgemeinheit des Willens mit dem einzelnen Zwecke, in den ſie ſich legt, in der Thätigkeit ſelbſt vor die Anſchauung tritt. Noch unmittelbarer ſtellt ſich der unſtete Wille als komiſch3 dar.

1. Der Zorn z. B. iſt erhaben durch ſeine ſtürmiſche Gewalt; er iſt auch berechtigt, wenn er für einen wahrhaften Zweck durch Trägheit und Ränke durchſchlägt. Allein Jähzorn ohne entſprechende Urſache iſt komiſch. Allerdings wird dazu noch etwas gefordert, nämlich die Abweſenheit des Furchtbaren. Aus allem Bisherigen erhellt, daß dies bewirkt wird durch ein auffallendes Mißlingen. Es kann nicht vermieden werden, dieſe negative Bedingung ſchon hier in der Darſtellung des erſten Glieds bald anzudeuten, bald auszuſprechen; eigentlich aber iſt der Ort, ſie als weſentlich hervorzuſtellen, in der Darſtellung des Gegenglieds.

2. Die Grillen, Schrullen, üblen Angewöhnungen, die eingewurzelten Fehler, die Laſter treten hier auf. Sie haben ihren Grund zum Theil in einem an ſich berechtigten geiſtigen Zwecke: die Neugierde im Wiſſenstrieb, die Geſchwätzigkeit im Zwecke der geiſtigen Mittheilung, die Eitelkeit im Selbſtgefühle, die Pedanterei im Ordnungstriebe, die Liebhabereien z. B. des Sammlers, des Alterthümlers u. dgl. in der Wiſſenſchaft oder einer andern an ſich wohlbegründeten Richtung, und alle dieſe Ausartungen ſind366 eben die Grube, worin der zu Grund liegende wahre Gehalt verſinkend ſeine urſprüngliche Kraft, die vergleichungsweiſe nun Erhabenheit iſt, einbüßt. Der Haß, ſowohl der in ſeiner Quelle gewaltigere (wie z. B. deutſchthümelnder Franzoſenhaß), als der kleine und verbiſſene (vergl. §. 106, Anm. 1) tritt unter den Leidenſchaften erſterer Art ebenfalls als Stoff der Komik auf. Den Begriff des Laſters beſtimmt der §. als Aus - artung eines ſinnlichen Genuſſes in die Unfreiheit der bleibenden Ver - ſenkung. Man nennt freilich auch Hochmuth, Lügenhaftigkeit (il bugiardo von Goldoni: eine treffliche Komik) und andere Entartungen geiſtiger Art Laſter, da es an einem anderen Worte für habituelle Unſittlichkeit fehlt, urſprünglich aber wird das Wort für die habituelle Verhärtung in ſinnlichem Genuſſe gebraucht. Laſter nennt man in komiſcher Abſicht ſelbſt üble Angewöhnungen an kleine Bedürfniſſe, wie Schnupfen, Rauchen; dann treten die größeren Laſter des Geizes, Trunkes u. ſ. w. hervor. Man muß nicht meinen, das ſittlich Verdorbene fordere hier eine Grenze. Fal - ſtaff iſt grundliederlich und doch ganz komiſch. Die Grenze liegt nicht im Inhalte, ſondern in weiteren Momenten, wovon hier noch nicht die Rede iſt. Hegel will die Laſter ausſchließen (Aeſth. Th. 3, S. 534) und nennt als Grund die bittere Ernſthaftigkeit des Zwecks im Laſterhaften. Allein gibt es denn nicht Laſterhafte, die mit dem einen Fuß aus dem Laſter heraus, mit dem andern in demſelben ſind? Wenn es aber ſolche nicht geben und ſich der Wortſtreit erheben ſollte, ob dies noch Laſter zu nennen ſey oder nicht, ſoll denn die Weiſe der Anſchauung nicht einen ſolchen Doppelſchein auf das Laſter werfen können?

3. Der unſtete Wille fällt als komiſch ſogleich in die Augen. Nur muß er in ſeinen Uebergängen ganz, in ſeinen Selbſttäuſchungen voll ſeyn, wie feurige Naturen in der Reihe ihrer Jugend-Enthuſiasmen; ſonſt fehlt das erſte Glied des Komiſchen, das Erhabene.

§. 163.

Dagegen ſcheint das Böſe durch die weſentlich in ihm miteinbegriffene Thatkraft immer zu furchtbar zu ſeyn, um in das Komiſche übergehen zu können. 1Davon bilden jedoch einzelne Uebertritte des blos leidenſchaftlichen und laſter - haften Willens in dasſelbe eine Ausnahme, weil hier die zuſammenhängend ausgebildete Thatkraft des Böſen fehlt. Ferner, da das Böſe wie alles Er - habene ein Verhältnißbegriff iſt, ſo kann ſich ſelbſt über ausgebildete Ränke - ſucht eine höhere ſtellen, wodurch die erſtere komiſch wird. Aber auch die367 möglichſt vollendete Bosheit verfällt dem Komiſchen, wenn von der Reihe der2 Zerſtörungen, die ihr allerdings gelingen, abgeſehen und die ſittliche Welt - ordnung in’s Auge gefaßt wird, welche, ſelbſt unzerſtörbar, die Abſicht der all - gemeinen Zerſtörung gegen den Verbrecher umkehrt, in welchem ſelbſt ſie zum voraus als unverlierbares Bewußtſeyn gegenwärtig iſt.

1. Falſtaff wird aus einem Trinker, Hurer, Prahler gelegentlich zum Straßenräuber. Dies iſt böſe genug, aber man vergißt den ſittlichen Unwillen völlig, weil weitere Momente eintreten, welche, indem ſie den Verſuch des Böſen dem Komiſchen überliefern, zugleich den ganzen Stand - punkt verändern. Auch ſyſtematiſche Ränkeſucht kann komiſch werden, wenn ſie auf eine gewiſſe Weiſe an der höheren ſcheitert. Man denke an den Reineke Voß, der doch immer ein Bild des menſchlichen Lebens iſt. Hier ſind die übrigen Thiere nichtsnutzig, gefräßig, lüſtern, diebiſch u. ſ. w. wie Reineke, aber ihre Tücke ſcheitern komiſch an ſeinem ganzen und vollendeten Egoismus.

2. Das Böſe iſt die Kraft, die ſtets das Böſe will und ſtets das Gute ſchafft. Mephiſtopheles hat ſelbſt ein humoriſtiſches Bewußt - ſeyn davon. Der Teufel galt immer als dummer Teufel. Die Komik des Böſen iſt eine doppelte: ohne daß dadurch der ſchauderhaft erhabene Eindruck des Ganzen aufgehoben würde, iſt der Böſe perſönlich humoriſtiſch und zwar aus dem vorhin unter 1 genannten Grunde. Aber das Ganze des Schauſpiels wird komiſch durch den im §. genannten Blick auf die Ironie der ſittlichen Weltordnung. Aus der Bemerkung 1 und 2, ſowie aus den Bem. zu §. 162 ergibt ſich von ſelbſt, wie das ȣ᾽ μέντοι κατὰ πᾶσαν κακίαν des Ariſtoteles (§. 152 Anm.) zu erklären iſt. Die Auseinanderſetzung des dritten Moments, der Zuſammenfaſſung der beiden Glieder im Komiſchen, hat aber dies Alles erſt noch zu ergänzen.

§. 164.

Der Wille des Guten iſt vom Komiſchen keineswegs, wie Hegel meint, auszunehmen, denn gerade je reiner er iſt, deſto fühlbarer ſeine Brechung durch das Zufällige und Unfreie, was ſich in ſein inneres Leben und in ſeine Thätig - keit einſchleicht. Ja gerade, je wahrhafter erhaben der Gegenſtand, deſto ächter, je mehr nur ſcheinbar erhaben, deſto geringer die Komik. Leichter aber tritt das Komiſche ein in dem poſitiv als in dem negativ Pathetiſchen, da von dem Letzteren Mitleid und Furcht zu ſchwer fernzuhalten ſind.

368

Hegel ſagt (Aeſth. Th. 1, S. 88): das Komiſche muß darauf beſchränkt ſeyn, daß Alles, was ſich vernichtet, ein an ſich ſelbſt Nichtiges, eine falſche und widerſprechende Erſcheinung, eine Grille z. B., ein Eigenſinn, eine beſondere Caprice, gegen eine mächtige Leidenſchaft, oder auch ein vermeintlich haltbarer Grundſatz und feſte Maxime ſey. Mit dem letzten Theile dieſes Satzes ſcheint er wieder liberaler zu ſprechen, aber er meint offenbar nur eine ſchiefe Maxime. Sein Eifer gegen die romantiſche Ironie hat ihn unfrei gegen die Komik geſtimmt und er widerſpricht ſich ſelbſt, wenn er (a. a. O. Th. 2, S. 117) ſagt: es iſt nicht eben eine poetiſche Luſtigkeit, welche ſich damit begnügt, was ſchlecht iſt, lächerlich zu machen. Allerdings iſt auszuſprechen, daß auch der gute Wille, eben inſofern ſich auch in ihn die Trübung einſchleicht, nicht wahrhaft erhaben ſey; allein der Vorwurf des bloſen Scheins trifft nur den Anſpruch auf abſolute Vollkommenheit, nicht die wirkliche Güte des Kerns, und nur in jenem Sinne iſt der Satz aufzuſtellen, daß das Komiſche allerdings darauf ausgeht, nichts wahrhaft Erhabenes gelten zu laſſen. Nur völliger Un - verſtand könnte dieſer Behauptung Frivolität vorrücken, denn es wird ſich zeigen, wie durch das wahre Lachen der verlachte Gegenſtand in das lachende Subject gerettet, nicht das Erhabene in den Staub gezogen wird. Das Komiſche hat im Stoffe keine Grenzen, nur in der Form. Es braucht kaum darauf aufmerkſam gemacht zu werden, wie alle ächten Humoriſten die edelſten Gefühle, Stimmungen, Charaktere durch Anheftung unſchuldiger Schwächen in’s Komiſche zu ziehen wußten, ohne frivol zu werden. Je reiner freilich ein alſo dargeſtellter Charakter, deſto gewiſſer muß er, weil ihm Beſinnung auf ſich nothwendig zukommt, das Lachen auch ſelbſt übernehmen: von dieſer Erſcheinung, dem ſubjectiven Humor, muß an ſeinem Orte die Rede ſeyn. Das negativ Pathetiſche wird aller - dings ſchwerer komiſch, als das poſitiv Pathetiſche. Wenn nämlich Jemand den Märtyrer zu ſpielen blos vorgibt oder zur Durchführung gar nicht die Kraft hat, ſo gehört dies nicht hieher, ſondern dann iſt es die Leiden - ſchaft oder der unſtete Wille und der denkende Geiſt in ſeiner Selbſt - täuſchung, was komiſch wird. Doch auch die wirkliche Kraft der Selbſt - überwindung kann einen Fall vor ſich zu haben glauben, wo ſie nöthig ſey, aber wirklich nicht nöthig iſt, kann in der Durchführung des Kampfes verſagen u. ſ. w.

369
§. 165.

Die Lehre vom Erhabenen ging von der Erhabenheit des ſittlichen Willens1 im Subjecte unmittelbar zum Tragiſchen über, und hier trat zuerſt als For - derung, ausgebildet aber als ein weſentliches Moment der Verſöhnung im Leiden die ſubjective Erhebung des Bewußtſeyns in das abſolute Subject hervor. Dieſe Erhebung war nur in ihrer allgemeinſten Bedeutung zu erwähnen; jetzt aber muß ſie als die höchſte Form der Erhabenheit des Subjects beſonders auftreten, weil gerade von den Trübungen die Rede ſeyn ſoll, welche als ſub - jective Zuthaten zu dem wahren Gehalte der Religion dieſe Form des Be - wußtſeyns in’s Komiſche ziehen. Dieſe Trübungen beſtehen theils in der Ab -2 hängigkeit von äußern Unterbrechungen und inneren Störungen, welchen die Religion als Stimmung und Thätigkeit des Subjects unterworfen iſt, theils bieten die Widerſprüche, worein ſie ſich als mythiſche Vorſtellung über ihren Gegenſtand verwickelt, der Bildung, welche ſich von der letzteren befreit hat, reichen komiſchen Stoff. Das abſolute Subject aber, in ſeiner wahren All - gemeinheit erfaßt, kann dem Komiſchen ſo wenig unterworfen ſeyn, daß es viel - mehr ſelbſt der Vollzieher des komiſchen Prozeſſes iſt, der an die Stelle des tragiſchen tritt.

1. In der Lehre vom Erhabenen trat, nachdem das Erhabene des Subjects bis zur ſittlichen Größe geführt war, ſofort das Tragiſche ein. Hier nun wurde ſogleich die Anerkennung von Seiten des tragiſchen Sub - jects gefordert, daß es ſeine Größe nicht ſich, ſondern dem Abſoluten ver - danke; aber erſt im Leiden konnte das volle Bewußtſeyn dieſes Verhält - niſſes in demſelben ſich entwickeln und es ſich dadurch von ſeiner Schuld reinigen (vergl. z. B. §. 126). Es konnte aber dort nicht die Aufgabe ſeyn, die beſondere Form der Religion, welche dieſes Bewußtſeyn annimmt, hereinzuziehen. Denn für’s Erſte war dort überhaupt darum nicht der Ort, auf dieſes Gebiet einzugehen, weil das Schauſpiel des Leidens und Untergangs dem Intereſſe für die beſonderen Bildungsformen, welche die Erhebung des Gemüths zum Abſoluten als Religion annimmt, gar keinen Raum geſtattete; zweitens treten durch dieſe beſonderen Formen Irrthümer ein, welche ſelbſt wieder nicht ohne Schuld ſind, und dieſe Einführung einer neuen Schuld hätte dort den ganzen Zuſammenhang verrückt. Im Komiſchen iſt es anders; hier gehört die Religion um der Trübungen willen, die ihr Gehalt durch ſeine ſubjective Beſtimmtheit erleidet, noch zu dem Erhabenen des Subjects, das durch die Einzelheit, womit es be -Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 24370haftet wird, ſich dem Lachen Preis gibt. Dabei können die beſtimmten Religions-Vorſtellungen als bekannt vorausgeſetzt werden und es iſt dies, obwohl dieſelben in einem ſpätern Theile des Syſtems erſt in ihrer all - gemeinen äſthetiſchen Bedeutung aufzuführen ſind, kein unerlaubter Vor - griff, denn das Sinnliche, was durch dieſe Vorſtellungen dem reinen Geiſte angeheftet wird, läßt ſich von zwei ganz verſchiedenen Seiten betrachten. Es kann, wie irrig dieſe Zuthat ſeyn mag, eine Welt tranſcendenter Schönheit begründen: dies iſt die Seite, welche im weiteren Syſteme geltend gemacht wird. Es kann aber das Irrige daran durch Vergleichung der ſinnlichen Zuthat mit der reinen Geiſtigkeit des Gehalts auf - gedeckt und der Widerſpruch, der darin liegt, zur Anſchauung gebracht werden: dies iſt die Seite, welche auf dem jetzt vorliegenden Standpunkte der Komik geltend zu machen iſt.

2. Aeußere Störungen der Andacht werden mit komiſcher Wirkung in Menge dadurch herbeigeführt, daß gerade im Zuſammenſtoße mit der reinen Geiſtigkeit, welche dieſe Stimmung darſtellt, jedes kleine Ungeſchick zufälliger Verwicklung mit dem Aeußeren, in das ſie ja doch hineingeſtellt iſt, doppelt fühlbar wird. Innere Störungen der Andacht: Feldprediger Schmelzle beim Nachtmahl, der religiöſen Thätigkeit: Freudel auf der Kanzel, Eymanns Ungeduld im Religions-Unterricht u. dergl. Sittliche Thätigkeit, die durch religiöſe Begründung höher erſcheinen ſoll, als wenn ſie rein ethiſch wäre: hier fließen die Beiſpiele aus der geſammten Hand - lungsweiſe der Frömmler und Hierarchen in Maſſe zu. Was die Vor - ſtellungen der Religion betrifft, ſo gibt gewiß jeder die Fratzen Aegyptens und Indiens, die Widerſprüche der griechiſchen und römiſchen Götterlehre, natürlich unter denſelben Bedingungen, welche auch von ſittlichen Ent - artungen erſt Mitleid und Furcht fern halten müſſen, wenn ſie komiſch werden ſollen, einem Lucianiſchen Lachen Preis. Anders iſt es mit Religionsvorſtellungen der Gegenwart, welche zwar zur Komik auffordern, aber im Hinblick auf eine Menge ſolcher, welche ſie noch bedürfen, außer - äſthetiſche Rückſichten der Schonung auflegen. Ebendarum aber hat es mit ſolchen Rückſichten nicht die Aeſthetik, ſondern die Pädagogik zu thun und auch dieſe hat dreierlei wohl zu erwägen: zuerſt, ob die Menge der Bedürftigen ſo groß ſey, als behauptet wird, und ob nicht das Geſchrei über Aergerniß vielmehr von ſolchen komme, welche auf die Erhaltung des Irrthums ihren Lebenszweck begründet haben; ferner, was heraus - kommen würde, wenn man mit der Komik gegen jede abſurde Legende ſo lange zurückhalten wollte, bis mathematiſch ausgemacht wäre, daß371 keine Seele mehr daran glaubt; endlich aber, daß der ganze Grundſatz ſtreng zu prüfen iſt. Daß nämlich, was von der beſtehenden Bildung als Irrthum erkannt iſt, ebendaher auch aus dem Bewußtſeyn des Volkes zu entfernen ſey, fordert die Ethik der Erziehung ſelbſt; nur, meint ſie, dürfe dies blos auf dem Wege ernſter Belehrung geſchehen. Allein man verſuche es, die zähe ſinnliche Vorſtellung in ihren Widerſprüchen aufzu - decken, und ſehr zu, ob dies ohne Ironie angeht, ob nicht vielmehr die innere Komik der Sache ſelbſt wider Willen zum Vorſchein kommt. Was insbeſondere die ſogenannte Frivolität betrifft, ſo wird davon noch die Rede werden; hier ſey nur ſo viel bemerkt: Frivolität und Komik ſind zweierlei. Jene zerſtört nicht den Irrthum an der Wahrheit, ſondern ſie glaubt keinen Geiſt, und gefällt ſich, jede geiſtige Erſcheinung, insbeſondere jede ſittliche, als eine Lüge der Begierde darzuſtellen, während dagegen die Komik nur das am Geiſte aufzehrt, wodurch er ſich die Miene gibt, ſeine Begrenzung zu überſpringen, ſeine Wahrheit aber frei in das lachende Subject ſelbſt herüberzieht. Frivol iſt es, nicht wenn ich die Widerſprüche eines Mythus aufdecke, ſondern wenn ich z. B. in der Liebe das Sinnliche mit der Abſicht heraushebe, das Geiſtige darin zu läugnen. Die Komik rettet das Geiſtige, indem ſie es um des Sinnlichen willen, das ihm bei - wohnt und gerade unter der Anmaßung einer von allen ſinnlichen Be - dingungen freien Autorität verſteckt iſt, gutmüthig belacht. Dies iſt eben der Begriff der Fortbehauptung des Erhabenen in und trotz ſeinem Falle der noch weiterhin zu erörtern iſt.

§. 166.

Das Erhabene des abſoluten Subjects nun oder das Tragiſche ſtellte1 ſich als ein Umkreis weſentlicher, das Subject tragender und über es hinaus - gehender ſittlicher Mächte dar und faßte dieſe ſammt allen Formen des Er - habenen, des einfach Schönen und des Zufalls, wie er ſich nämlich in die Strenge des ſittlichen Zuſammenhangs aufhebt, in eine große Einheit zuſammen. Das Komiſche aber entfeſſelt den äußern und innern Zufall und ſo gerathen jene Mächte in die unendlichen Trübungen ſeiner verkehrten Welt. Der letzte Grund dieſer Trübungen iſt immer die innere Zufälligkeit, ohne welche auch2 die äußere nicht in Kraft träte. Indem daher das Subject ſeine Erhabenheit im höheren Sinne als Vertreter einer ſittlichen Macht zu entwickeln ſcheint, entwickelt es ebenſo wie im Tragiſchen ſeine Schwäche und dieſe erſte Bewegung ſtellt dieſelbe Ironie dar, wie im Tragiſchen (vergl. §. 123).

24*372

1. Die Komödie wird ebenſo in der Wurzel aufgehoben, wie die Tragödie, wenn eine Regierung ihr verbietet, die großen Kreiſe des öffent - lichen Lebens, den Staat und ſeine beſonderen Körper und Anſtalten in ſich aufzunehmen. Sie wird dadurch auf die kleinen Lächerlichkeiten des Privatlebens geiſtlos beſchränkt und ein Ariſtophanes iſt freilich in ſolcher Unfreiheit nicht möglich. In Wahrheit aber ſind ſelbſt dieſe kleinen Sphären nicht ſo unſchuldig, wie man meint. Es wird z. B. die Liebe nicht blos als Zuſtand dieſes oder jenes Subjects, ſondern als Lebens - macht überhaupt in’s Komiſche gezogen, und da ſie als die Macht, welche die Familie begründet, die Mutter des Staates iſt, ſo iſt dieſer ſelbſt an einem ſeiner ſchwächſten Punkte angegriffen. Die Stände werden lächerlich gemacht, und dieſe ſind ſchon entſchiedener ein Allgemeines und Weſentliches im Staate. Schließlich aber geſteht der Staat durch ſolche Verbote ſeine Schwäche auf eine viel gefährlichere Weiſe, als wenn er ſich der Ironie der öffentlichen Komik mit Freiheit unterzöge; er bekennt, daß er eine rohe Gewalt und nicht eine vernünftige Macht iſt, denn dieſe wird ſich niemals durch Zwang dem Scherze entziehen wollen.

2. Von dem Unterſchiede des äußeren und inneren Zufalls iſt nachher noch zu reden. Hier nur ſo viel: der äußere beſteht in den Hinderniſſen, welche durch das Ungefähr aufſtoßen; ſie wären aber keine, wenn die ſittlichen Mächte nicht in der Trennung, der ſie in ihrer Verwirklichung unterliegen, ihren urſprünglichen Einklang aufheben und ſich ſo der Schuß - Linie äußeren Zuſammenſtoßes ausſetzen würden, und dieſe Trennung hat ſchließlich ihren Grund in der Einzelheit überhaupt, als welche die Sub - jectivität beſtimmt iſt und welche ſammt allen in ihr enthaltenen Zu - fälligkeiten auch durch den ſich gegenſeitig ergänzenden Zuſammentritt vieler Subjecte ſich nicht ausrotten läßt, alſo in der inneren Zufälligkeit. Das Subject tritt nun auch im Komiſchen zunächſt als Vertreter einer ſittlichen Macht auf, ſtellt aber, indem es die ungetrennte Erhabenheit ſeiner Perſon und der ſie erfüllenden Idee zu entfalten meint, vielmehr die Schwäche der einen und ebendaher auch der andern in’s Licht. Dies iſt dieſelbe ironiſche Bewegung wie im Tragiſchen §. 123. Daher iſt ſchon in der Darſtellung des Tragiſchen die Vorbereitung des Komiſchen nicht zu vermeiden und beſteht zwiſchen beiden nicht nur eine Wahl - verwandtſchaft, ſondern es iſt wirklich ſchon Komiſches im Tragiſchen. Allein der Schluß verändert Alles, hier tritt völlige Scheidung ein, wie der folgende §. zeigen wird. Für jetzt mag zur Erläuterung daran erinnert ſeyn, wie z. B. im König Lear der Narr ſo lange mitſpielt, als Lear373 erſt als Thor erſcheint, der zur Selbſtkenntniß gebracht werden ſoll, da - gegen am Schluſſe, wo das unendliche Uebel und die ernſte Form der Verſöhnung eintritt, verſchwindet.

§. 167.

Allein ganz anders als im Tragiſchen iſt der Schluß dieſer Bewegung im1 Komiſchen. Denn indem hier die Zufälligkeit gegen das Erhabene im Rechte iſt, ſo erſcheint die Trübung der Idee nicht als Schuld des Subjects. Geht die That desſelben bis zum Böſen fort, ſo iſt zunächſt das Mißlingen des Verſuchs die, wiewohl nur negative, Bedingung des Komiſchen, indem dadurch das Furchtbare ferngehalten wird. Nun erreicht das Subject zwar nicht, was2 es wollte, allein es leidet, eben weil es mit der Schuld nicht Ernſt iſt, kein unendliches, ſondern nur ein kleines und vorübergehendes Uebel, auf welches vielmehr die Erreichung eines Gutes folgt, und es verbreitet ſich über die betheiligten Subjecte als ein trotz ihrer Mangelhaftigkeit unverlierbares Erb - theil ein allgemeines Glück. Im Komiſchen gibt es daher keinen Unterſchied einer poſitiven und negativen Form wie im Tragiſchen; wohl aber tritt als reinſter Fall eine der dritten Stufe des negativ Tragiſchen entſprechende Dialektik ſich gegenſeitig aufhebender Trübungen der ſittlichen Idee durch den unblutigen Kampf komiſcher Subjecte ein. Das End-Ergebniß iſt der gewöhnliche Zuſtand des Lebens in allen ſeinen Zufälligkeiten als ein guter und glücklicher.

1. Es war hier nur als negative Bedingung das Mißlingen noch einmal hervorzuheben, aber auch auszuſprechen, daß noch eine weſentliche poſitive Bedingung eintreten muß, um den Standpunkt der Schuld fern - zuhalten. Das Mißlingen iſt als nothwendige negative Bedingung ſchon im Bisherigen dadurch hinreichend begründet, daß ein Zuſammenſtoß mit dem Zufall äußerer Hinderniſſe gefordert iſt; es wird aber noch eine tiefere Begründung im Folgenden finden. Uebrigens leuchtet ſchon hier ein, warum Shakespeare überall, wo ſein Stoff den Ausgang des poſitiv Tragiſchen forderte, in die Komödie überging. Trifft den Schuldigen kein unendliches Uebel, ſo geſchieht dies, weil auch die Schuld nicht in ihrer Unendlichkeit, alſo nicht weſentlich als Schuld erſcheint, und hiemit iſt auch ſchon das Komiſche da.

2. Der Glückszuſtand, in welchen die komiſche Bewegung ausläuft, wird nun die Unterſuchung auf das Gegenglied im Komiſchen führen, wo ſich dieſe Frage näher erledigt. Die Dialektik des komiſchen Con -374 flicts liegt in allen bedeutenderen Werken der komiſchen Kunſt vor, in Ariſtophanes, in der neueren Komödie der Alten, in vielen Shakes - peareſchen Stücken und modernen, beſonders franzöſiſchen Luſtſpielen. Die Aufgabe iſt vorzüglich, zur Darſtellung zu bringen, wie nicht nur Narren verſchiedener Art zuſammenhandeln, ſondern Narren, die in demſelben Punkte, aber auf verſchiedene Weiſe Narren ſind, ſo daß die eine Form an der andern ihre Ironie findet. Jeder leidet durch den Andern eine Verkehrung ſeiner Zwecke, kommt aber dabei ganz leidlich mit einer Beſchämung, Entbehrung, Verlegenheit oder, wo es derber her - geht, einer Tracht Prügel u. dergl. davon, das beſondere eingebildete Glück wird ihm nicht zu Theil, aber die gewöhnlichen Genugthuungen des Lebens, welche ſchließlich übrig bleiben, erſcheinen gerade als das Be - haglichere und Luſtigere.

Das Gegenglied.

§. 168.
1

Das Erhabene bricht ſich an ſeinem Gegentheil. Da jenes ein unendlich Großes iſt, ſo muß dieſes ein unendlich Kleines ſeyn. Dies iſt die räumlich2 und zeitlich begrenzte Einzelheit des Gebildes ſammt allen mit ihr gegebenen Formen der Zufälligkeit; dieſe ſeine Beſtimmtheit iſt nicht blos äußere, ſondern auch innere Grenze und erſtreckt ſich daher in das Selbſtbewußtſeyn als Unbe - wußtes (§. 159. 160), in die Freiheit als Unfreies (§. 161). Grund des3 unendlich Großen iſt die Idee; Grund des unendlich Kleinen muß alſo Idee - loſigkeit ſeyn. Nun iſt in Wahrheit dieſe ganze Sphäre nicht außer der Idee (§. 152. 154) und gerade im Komiſchen ſoll ſie als eine der Idee ſelbſt mäch - tige ſich auf Koſten dieſer, ſoferne ſie als eine fremde Macht andringt, gel - tend machen. Zuerſt aber muß der Widerſtreit in’s Licht treten, der Gegenſatz als unendlich und daher das, worein die Idee untergeht, als ein von der Idee Verlaſſenes erſcheinen.

1. Als ein unendlich Kleines hat ganz richtig J. Paul das Gegen - glied beſtimmt a. a. O. §. 26, wo er es auch eine ideale Kleinheit nennt, und §. 28. Er gibt dem Humor zur Loſung: vive la bagatelle! aber nicht nur dieſem, ſondern allem Komiſchen gilt ſie und das Geſetz des Individualiſirens in’s Kleinſte (a. a. O. §. 35): wenn der Ernſt überall das Allgemeine vorhebt und er uns z. B. das Herz ſo vergeiſtert,375 daß wir bei einem anatomiſchen mehr an ein poetiſches denken, als bei dieſem an jenes, ſo heftet uns der Komiker gerade eng an das ſinnlich Beſtimmte und er fällt z. B. nicht auf die Knie, ſondern auf beide Knieſcheiben u. ſ. w. Ebenſo St. Schütze a. a. O. S. 131. 132: der Ausdruck ſtrebt im Komiſchen nach dem Kleinſten und Speziellſten und vermeidet das Allgemeine, welches dagegen am liebſten im Erhabenen gebraucht wird, weil dieſes ſich der ſinnlichen Bedürfniſſe ſchämt. Indem die erhabene Vorſtellung gern in das Materielle noch einen activen An - theil legt und z. B. von einer Beſchirmung und Bedeckung des Hauptes ſpricht, nennt der Komiker geradezu die Sache, von der der Menſch abhängt, und ſetzt dafür nicht nur den Hut und die Mütze, ſondern wohl gar den Filzhut, den Filz, die Strumpfmütze, die Nachtmütze, und damit der hohe Geiſt dadurch recht ſehr beſchämt werde, fragt er z. B. nach dem Befinden des Verſtandes unter der Schlafmütze, wo gleich mehr als Ein Bedürfniß ſich an die Freiheit hängt.

2. Es ſind bisher verſchiedene Bezeichnungen für das Gegenglied gebraucht worden je nach der aufgeführten Form des Erhabenen. Der §. faßt ſie zuſammen, wobei nur die weſentlichen zu wiederholen ſind. Bei dem Erhabenen der Kraft hieß das Gegenglied mechaniſcher Stoß, bei dem Zweckmäßigen Zweckwidrigkeit u. ſ. w.: nicht alle dieſe einzelnen Wendungen mußten wieder aufgezählt werden.

3. Selbſt die vorhin genannte Schlafmütze iſt nicht etwas vom Geiſte völlig Verlaſſenes, denn für einen Zweck iſt ſie erfunden und ihr ihre Form gegeben worden. An ſeinem Orte hat Alles Sinn und es gibt keine Materie, die nicht irgendwie geformt wäre. Auch mag es unter Umſtänden ganz nützlich und vernünftig ſeyn, von Schlafmützen Gebrauch zu machen; im Komiſchen ſtehen eben die Sachen ſo, daß ebendies geltend gemacht werden ſoll gegen den, der etwa über dieſe und andere Bedürfniſſe erhaben zu ſeyn ſich ſtellen wollte: dieſe Dinge mit ihrem bischen Vernunft ſind jetzt im Rechte. Allein zuerſt ſoll der unendliche Abſturz des erhabenen Scheins in’s Licht treten und es be - darf einer Erklärung, warum er unendlich iſt, da doch eigentlich ſelbſt das Kleinſte noch Sinn, alſo Theil an der Idee hat.

§. 169.

Da auch das Komiſche ein Verhältnißbegriff iſt, ſo mußte nicht nur das Erhabene, das ſein erſtes Glied bildet, in unbeſtimmter Weite gefaßt werden (§. 156), ſondern ebenſo verhält es ſich mit dem Einzelnen, welches das376 Gegenglied abgibt. Dieſes, welcher Art es ſeyn mag, wäre allerdings außerhalb der Vergleichung immer irgendwie von der Idee beſtimmt und durchdrungen und daher in einer Zuſammenſtellung mit Solchem, was ebenfalls von der Idee, nur auf einer noch ungleich niedrigeren Stufe ihrer Wirklichkeit, durchdrungen iſt, vielleicht ſogar erhaben; allein wenn es unter gewiſſen Bedingungen, welche weiterhin zu entwickeln ſind, mit der Idee auf einer ſolchen Stufe zuſammen - ſtößt, welche weſentlich eine ungleich höhere Form fordert, ſo wirkt der Con - traſt zwiſchen dieſer und jenem ſo ſtark, daß die Mittelglieder, die an ſich allerdings von der unterſten Form der Gegenwart der Idee im Einzelnen bis zur höchſten führen, verſchwinden und die Kluft unendlich erſcheint.

Von der Pflanze zum Menſchen z. B. führt eine ununterbrochene Stufenkette durch das Thierreich. Tritt aber auf eine gewiſſe Weiſe dieſe iſt eben noch zu entwickeln eine menſchliche Geſtalt in ein Licht, als hätte ſich eines ihrer Glieder von dem Ganzen wie ein fortwachſender Aſt, Zweig abgelöst, Pilze angeſetzt u. ſ. w., ſo iſt der Uebergang zu raſch, ich habe jetzt nicht Zeit, zu erwägen, daß im Menſchen wirklich das Vegetabiliſche als organiſch aufgehobenes Moment fortwirkt, daß ſolche Abſetzung eines abnormen Bildungstriebs an einzelnen Theilen von kaum merklichen Anfängen ſich allmählich vergrößert hat u. ſ. w.; das Auge geht von der geſunden Geſtalt der übrigen Glieder zu unmittelbar zu dem entſtellten über: und ſo iſt ein Lapſus da, der unendlich erſcheint.

§. 170.

Die Stufenleiter der Erſcheinungen, welche durch den Contraſt mit einer von der Idee auf ungleich höherer Stufe gebildeten ſich als verlaſſen von der Idee darſtellen, geht daher von den unterſten Formen des Daſeyns bis hinauf zu den Formen des ſelbſtbewußten Lebens, welche, ſo hoch ſie übrigens ſtehen mögen, immer noch mit Einzelheit und Zufälligkeit in dem Grade behaftet ſind, daß zwiſchen ſie und die denkbar reinſte noch der Schein einer unendlichen Kluft treten kann. Je erhabener das erſte Glied iſt, deſto höher darf auch das Gegenglied, abgeſehen von dem vorliegenden Contraſte, ſtehen, doch iſt hier im Allgemeinen keine feſte Grenze zu ziehen; je weniger hoch das Erhabene ab - geſehen von dem vorliegenden Contraſte ſteht, deſto niedriger muß die Sphäre ſeyn, woraus ihm die Störung oder Brechung kommt.

Das thieriſch Organiſche verſinkt in das vegetabiliſch Organiſche oder tiefer auch in das Mechaniſche, das menſchlich Organiſche kann in alle377 drei verſinken. Im geiſtigen Leben des Menſchen nun muß, ſo ſcheint es zunächſt nach dem im §. gegebenen Kanon, mit der Höhe des erſten Gliedes beziehungsweiſe auch die Höhe des Gegengliedes ſteigen. Ver - ſtand erleidet komiſche Brechung durch ſinnliche Täuſchung, Begierde, unzeitige Rührung, phantaſtiſcher Enthuſiaſmus durch Verſtand (Don Quixote hat ſeinen Doppelgänger an Sancho Panſa’s ſchlichtem Volks - verſtand, Fauſt an der unerbittlich negativen Schärfe des Mephiſtopheles, Gottwalts überſchwengliches Gefühl an Vults Schelmerei und Erfah - rung), Vernunft durch Phantaſie, Bewegungen des Gemüths, hohe Geſinnungen und Thaten durch Einmiſchung von Motiven, die, an ſich berechtigt, in dieſer Verbindung als unrein erſcheinen. Allein es mußte im §. hinzugeſetzt werden, daß die Grenze nicht zu beſtimmen ſey. Nach Umſtänden kann dem noch ſo erhabenen erſten Gliede ein ganz niedriges Gegenglied aus der Reihe heraus gegenübertreten, wenn nicht unmittelbar, doch ſo, daß ein an ſich leidlich bedeutendes Niedrigeres, worein zunächſt das Erhabene verſinkt, ſelbſt wieder an ein noch Niedrigeres erinnert. J. Paul führt z. B. (a. a. O. §. 28) an: ſo lange predigen, bis man ausdünſtet. Predigen gehört unter die reinſten geiſtigen Thätig - keiten und es ſcheint, als Gegenglied dürfe nichts ſo ganz Niedriges, ſondern etwa nur Eitelkeit u. dergl. eintreten. Fortpredigen, bis eine der Geſundheit zuträgliche Ausdünſtung eintritt, kann nun wohl ſo ge - faßt werden, daß die begleitende Nebenrückſicht auf die Geſundheit nicht eben ſo ganz niedrig erſcheint, allein im Gegenſatz gegen den ſehr hohen Hauptzweck ſieht das Hinarbeiten auf Tranſpiration ſogar nach weniger aus, als es iſt, nämlich nach Mechaniſchem. Aehnlich: alle Samſtage ein Gedicht machen u. dergl. So iſt z. B. das Mathematiſche wohl geiſtig, ſelbſt höher, als Affect, ſieht aber komiſch mechaniſch aus, wenn Herr Rector Fälbel vom ſchnarchenden Grobian A, vom Wütherich B ſpricht u. ſ. w. Auch kann die geiſtigſte Thätigkeit durch ein ſo niedrig ſtehendes Gegenglied wie Nieſen, Rutſchen u. dergl. unterbrochen werden. Dagegen iſt der andere Kanon, daß, je weniger an ſich erhaben das erſte Glied, um ſo niedriger das Gegenglied ſeyn müſſe, von weniger unbeſtimmter Grenze: die Anſtrengungen des Hanswurſts können nur in Straucheln, Fallen u. dergl. endigen.

§. 171.

Wie ſehr ſich übrigens auf dieſer Stufenleiter das Gegenglied verfeinern und vergeiſtigen mag, theils erſcheint durch die Wirkung des Gegenſatzes auch378 in der verhältnißmäßig feinſten Form das Gegenglied noch gemein und niedrig und bleibt es nach §. 170 unbeſtimmt, wie tief auch gegenüber der bedeutendſten Erhabenheit nach den Stufen des gröbſten Daſeyns zurückgegriffen wird, theils ſteht, wo dies auch nicht geſchieht, die oberſte mit der unterſten in einer un - unterbrochenen Kette des Zuſammenhangs, und endlich muß auch das in §. 170 zuletzt genannte Verhältniß neben den höheren durchaus zu ſeinem Rechte kom - men. Der Gegenſatz zwiſchen niedrigem und höherem Komiſchen iſt daher ein blos beziehungsweiſer.

Ein Vorblick auf die ganze Kunſtwelt beweist, daß der Komiker, auf die Welt der Sinnlichkeit angewieſen, nothwendig auch Naturaliſt und Cyniker ſeyn muß, wie hoch ſeine Komik gehen mag. An einen Ariſtophanes, Fiſchart, Shakespeare braucht man kaum zu erinnern; aber ſchwache und boshafte Gemüther meinen den Cyniſmus einer mo - dernen Komik verwerfen und verfolgen zu müſſen, während ſie den einer vergangenen frei laſſen. Dagegen iſt ſtatt alles Andern nur auf J. Paul hinzuweiſen, der das Unfläthigſte mit den eigentlichen Worten nennt, wenn es ihm dient. Wo der Gegenſatz des ſogenannten niedrigen und höheren Komiſchen in ſeiner relativen Geltung hingehöre, wird ſich zeigen. Er bezieht ſich keineswegs auf die größere oder geringere Keck - heit im Schmutzigen, ſondern auf eine totale Art der Wendung des ganzen komiſchen Verhältniſſes.

§. 172.

Das Gemeine und Niedrige kann auf zwei verſchiedenen Punkten hervor - brechen, um dem Erhabenen den Fall zu bereiten: entweder als äußerer Zufall durch einen Zuſammenſtoß, der von dem erhabenen Subjecte nicht vorhergeſehen werden konnte, oder von innen durch eine wirkliche Beſinnungsloſigkeit des letzteren (vergl. §. 166. 168). Der erſtere Fall iſt ſchwieriger zu erklären, als der zweite, denn dem zuſammenfaſſenden Acte von Seiten des anſchauenden Subjects, der nunmehr zu entwickeln iſt, um die bisher getrennten Glieder in die widerſprechende Einheit des Komiſchen zu verbinden, gibt hier der Gegen - ſtand nicht denſelben Vorſchub, wie im zweiten Falle.

Der doppelte Fall, der hier unterſchieden wird, kann zunächſt als ein empiriſch ſich vorfindender aufgeführt werden, denn es braucht, nach379 der ganzen Lehre vom Zufall im erſten Theile, der Unterſchied des äußern und innern Zufalls, der ſchon in den §§. 166 und 168 auftauchte, nicht weiter begründet zu werden, als in den Anm. zu dieſen §§. ſchon geſchehen iſt. Die Idee, wie ſie in ihrer Verwirklichung als beſtimmte Idee ſich in die Gegenſätze des Endlichen auseinanderlegt, ſtößt theils äußerlich auf Exiſtenzen einer andern Idee oder Gattung, theils iſt ihre eigene Exiſtenz als ſubjectives Leben mit der Grenze und dem Dunkel der ſinnlichen Beſtimmtheit innerlich behaftet. Dieſer Unterſchied bereitet im Komiſchen eine Schwierigkeit. Wenn Einer eine Feder lange ſucht, die er hinter dem Ohre ſtecken hat, oder fehltritt und fällt, weil er nicht Acht gab, ſo iſt dies etwas Anders, als wenn z. B. J. Paul im Titan eine ſentimentale Scene zwiſchen Albano und Liane dadurch komiſch aufhebt, daß er uns in der Entfernung den Erzieher Schoppe zeigt, der aus dem Fenſter ſieht und einen ſoliden Blick auf einen Pflaſterſtein heftet, den er mit Anſpucken zu treffen ſucht. Jene beiden können darum nicht wiſſen, daß dieſer Anblick ihrer wartet, daher auch nicht erwägen, daß ſie in einer Welt, wo es ſolche kleine Momente gibt, ihre Gefühle von ihrer Ueberſchwenglichkeit billig etwas herab - ſtimmen ſollten. Dieſer Unterſchied der Fälle nöthigt, auf das dritte Moment in der Erklärung des Komiſchen, wodurch beide Glieder erſt in Einheit zuſammengefaßt werden ſollen, überzugehen, wo ſich zeigen wird, ob beide Fälle ſich unter Einen Standpunkt zuſammenbringen laſſen. Dahin drängt aber überhaupt die ganze bisherige Entwicklung; wie es ſchwer iſt, jedes der beiden Glieder getrennt darzuſtellen, ebenſo groß iſt die Schwierigkeit, ſie beide darzuſtellen in ihrer Trennung vom dritten Momente, dem Acte der Zuſammenfaſſung. Es mußte daher durchgängig ſchon die Andeutung deſſen, was derſelbe enthält, hervortreten. Dennoch iſt dieſe Trennung nothwendig; ohne ſie kann in den verwickelten Gegen - ſtand keine Klarheit kommen.

Zuſammenfaſſung beider Glieder zu widerſprechender Einheit.

§. 173.

Die dargeſtellten beiden Glieder bilden einen Gegenſatz und dieſer heißt,1 wenn dieſelbe äſthetiſche Beleuchtung zwei gegenſätzlich geſpannte Erſcheinungen zugleich trifft, Contraſt. Soll aber Contraſt entſtehen, ſo dürfen die Glieder2380 nicht allmählich ſich gegeneinander bewegen, denn ſonſt würden ſie nicht vonein - ander abſtechen, weil der in §. 169 geforderte Schein einer unendlichen Kluft nicht eintreten würde. Sie müſſen vielmehr plötzlich aufeinander ſtoßen und dieſer Zuſammenſtoß erſcheint als das Aufblitzen einer Helle, wodurch das Dunkel des Erhabenen (vergl. §. 87) zu ſeinem Nachtheile deutlich wird, indem ein geſchärftes Sehen ſeine Schwächen, das heißt die Unlösbarkeit der Idee von der Grenze, erkennt.

1. Das Komiſche wurde von der älteren Aeſthetik, insbeſondere der - jenigen, welche aus der Wolffiſchen Schule hervorging, durchgängig aus einem Contraſte (von Vollkommenheiten mit Unvollkommenheiten u. dgl. ) erklärt. Anführungen wären überflüſſig. Außer dem Mangel in dieſer ganzen Beſtimmung, den der folg. §. aufzeigen wird, fehlte auch der Beſtimmung ſelbſt die Schärfe. Man ſprach von einer Zuſammenſtellung ungleichartiger Dinge. Allein das Ungleichartige genügt nicht, es muß Gegenſatz ſeyn, das heißt, die Seiten müſſen ſich ſo entgegenſtehen, daß die eine gerade das enthält, was die andere durch ihren Begriff ausſchließt, wie Weisheit und Thorheit, Freiheit und Unfreiheit. Ferner: ſie müſſen zuſammengeſtellt ſeyn und zwar äſthetiſch, d. h. in Eine An - ſchauung vereinigt, und dies erſt nennt man Contraſt. Beattie iſt es, der dies nicht überſehen hat, wenn er zum Komiſchen eine ungewöhn - liche Miſchung von Verhältniß und Gegenſatz fordert, die in derſelben Combination verbunden ſeyn müſſen (Neue philoſ. Verſ. Ueberſ. Leipzig 1780. B. 2, S. 33. 173). Combination iſt nur noch ganz äußerlich und formal, wie Zuſammenſtellung. Hier zeigt ſich eben der Mangel der ganzen Beſtimmung.

2. Das Plötzliche war ein fragliches Moment im Erhabenen (vergl. §. 86). Man hat immer ein Gefühl, als wolle das Band, das die Idee mit ihrem ſinnlichen Gefäße zuſammenhält, reißen; es kommt aber nicht nothwendig zu einem wirklichen Riß. Dagegen eben - dieſer Schein des Reißens reißt plötzlich im Komiſchen; es nimmt mit dem Anſehen, als werde die Idee das Endliche plötzlich überwachſen und überfliegen, ein plötzliches Ende: ein Gefühl, wie wenn man meint, im Steigen noch eine Staffel vor ſich zu haben, und der gehobene Fuß auf ebenen Boden herunterknickt. Es gibt nun zwar auch ruhende komiſche Gegenſtände in Menge, z. B. jede Geſtalt, die auf komiſche Weiſe häß - lich iſt auch ohne eine Bewegung, Sancho in der Schwabe, der einen Abgrund unter ſich zu haben meint u. dergl. Allein dann übernimmt das381 Gefühl des Zuſchauers, und zwar ungleich beſtimmter als im Erhabenen, die Bewegung des plötzlichen Abreißens, indem es von dem Beſtreben der geſtaltenden Natur zu der Verwicklung in Widerſtrebendes, von der Abſicht und Bemühung zum wahren Sachverhalte, der ſie überflüßig macht, fortgehend ſich plötzlich getäuſcht findet. Man unterſcheide z. B. folgende zwei Fälle. Es weint Jemand aus wahrer Rührung. Da er aber ein leidenſchaftlicher Raucher iſt, ſo greift er aus einem Inſtincte, der ſich allmählich nebenher einſtellte, nach der Pfeife und raucht zum Weinen. Oder aber er rauchte vorher, gerieth in’s Weinen und beides geht nebeneinander. Im erſtern Falle iſt der Uebergang plötzlich, denn wir mögen wohl irgendwie das allmähliche Hervortreten des Bedürfniſſes uns vorſtellen, aber der Eintritt des ſichtbaren verkehrten Thuns iſt doch ein beſtimmter Moment; im zweiten Falle fehlt dieſes Plötzliche: aber im Uebergange der Aufmerkſamkeit des Zuſchauers von den Thränen zum Rauchen kann der Riß des Plötzlichen dennoch nicht fehlen. Den Grund der Nothwendigkeit dieſes plötzlichen Riſſes gibt der §. : er iſt nöthig, um die Mittelglieder, die an ſich zwiſchen den Gliedern liegen, zu ver - bergen. Somit iſt eine der in §. 169 in Ausſicht geſtellten Bedingungen erklärt. Dieſes plötzliche Zuſammenſtoßen iſt ſchon oft genug mit einem aufblitzenden Lichte, das ſich wie aus ſchneller Reibung erzeugt, ver - glichen worden, und die Vergleichung iſt um ſo paſſender, da ein plötzliches Deutlichwerden des Erhabenen, eine Aufhebung des ihm un - entbehrlichen Dunkels die Folge iſt. Hier tritt das mikroſkopiſche Sehen ein, das in §. 87, 2 ſo ſtreng vom Erhabenen abgehalten wurde. Jetzt ſind Sinne und der alte Erzfeind des Erhabenen , der Verſtand, die Alles vereinzeln, im Rechte.

§. 174.

Allein der Begriff des Contraſtes genügt nicht, er muß ſich durch eine1 Bewegung, wodurch die vorher blos äußerlich zuſammengerückten Glieder in - einander übergehen, zum Widerſpruch ſteigern. Es muß dasſelbe Subject als Gegenſtand ſeyn, das von dem einen Ende plötzlich auf das andere um - ſpringt. Würde aber dies Umſpringen blos nach der Zeitfolge als ein Nach - einander von Zuſtänden oder Thätigkeiten betrachtet, ſo würde der Widerſpruch nicht in ſeiner Strenge zu Tage kommen, denn die Identität des Subjects würde hinter dieſer Succeſſion zurücktreten. Vielmehr, wenn in Kraft treten ſoll, daß es dasſelbe Subject iſt, das dieſe Folge durchläuft, ſo muß in der382 vorhergehenden Weiſe des Zuſtands oder Thuns ſchon die folgende entgegen - geſetzte und in der folgenden noch die vorhergehende enthalten ſeyn, ſo daß unter dem Erhabenen, das ſich zuerſt kund gab, bereits das unendlich Kleine verborgen ſpielte und nur jetzt erſt an den Tag kommt, umgekehrt aber im unendlich Kleinen auch das Erhabene, ſeines Anſpruchs auf das Anſehen einer fremden Macht entkleidet, ſich forterhält. Nun fallen die Gegenglieder in Eine Zeit Eines Subjects zuſammen und ſind daher ein voller Widerſpruch. 2Das Komiſche iſt eine ſich ſelbſt aufhebende Bewegung, die zugleich nach dem Ziele hin und davon abführt.

1. Schon Leſſing hat angedeutet, was der §. enthält und hat dadurch noch um ein bedeutendes tiefer geſehen, als Beattie, wenn er (Laokoon §. 23) ſagt, die Oppoſita müſſen ſich im Komiſchen in einan - der verſchmelzen laſſen. Aehnlich St. Schütze a. a. O. S. 93. 94. Beide aber meinen darum den Kontraſt abſchwächen zu müſſen, er ſoll nicht zu krall und ſchneidend , nur ein großer Abſtand ſeyn. Im Gegentheil entſteht mit dem Ineinander der Widerſpruch, der mehr noch iſt als Contraſt. Es muß nämlich nicht nur in dem lockeren Sinne daſſelbe Subject ſeyn, welches ſich von einem Extrem zum entgegen - geſetzten bewegt, daß Einer heute weiſe oder ſtark, morgen thöricht oder ſchwach erſcheint. Darüber lachen wir noch nicht, wenn wir in bloßer Zeitfolge auf nebeneinander liegenden Punkten Gegenſätze ſehen. Wenn in Wirklichkeit dieſer Wechſel des Subjects in verſchiedene Zeiten aus - einanderfällt, ſo muß der Zuſchauer, wofern der Fall komiſch ſeyn ſoll, durch ſcharfe Feſthaltung der Identität des Subjects das Getrennte in Eins ſetzen; der ächte komiſche Act aber verlangt, daß der Moment des Uebergangs als Moment vor die Augen trete, in welchem der vorher - gehende Zuſtand oder Act mit dem folgenden mitten im Umſpringen ſich an der Hand faßt. Die Identität des Subjects darf ſich nicht wie Sub - ſtanz hinter Accidens hinter dem Wechſel ihrer Eigenſchaften verbergen, ſonſt iſt dieſer Wechſel kein Widerſpruch. Daſſelbe Subject muß in demſelben Punkte zugleich als weiſe oder ſtark und als thöricht oder ſchwach erſcheinen. Dieſer wandelnde Widerſpruch iſt ja eben der Menſch. So kommt es nun heraus, daß in der Anſtrengung, erhaben zu ſeyn, ſchon die Narrheit, eine Einflüſterung des Inſtincts, eine Grille, eine Gedankenloſigkeit u. ſ. w. unter der Decke ſpielte, dieſe Narrheit bricht im Umſpringen plötzlich hervor und unſer Gefühl iſt: Ja ſo! Nun iſt aber wieder die jetzige Narrheit oder Schwäche nicht das Ganze; war383 vorher ein Widerſpruch da, ſo iſt auch jetzt noch einer da, mit denſelben Momenten, nur in umgekehrter Stellung. In der Narrheit iſt noch die Weisheit, aber ihrer vorigen Anſprüche auf die Autorität einer abſoluten, entſagenden Kraft entkleidet, und ſpielt, zur Beſcheidenheit des mittleren Lebens herabgeſtimmt, jetzt in der Thorheit mit fort. Dieſe zweite Seite fehlt der Frivolität und dadurch beweist ſich, was §. 165, Anm. 2 von ihr geſagt wurde. Ihr geht das Erhabene ganz zu Grunde in ſeinem Widerſpiel; ſie will dem Geiſte nicht zu fühlen geben, daß er den An - ſpruch einer abſtracten Unendlichkeit aufzugeben hat, ſondern ſie will es ihm anhängen, daß er die Krankheit des Leibes, daß er nichts ſey. Ihre Lebensanſicht iſt einfach, der komiſche Standpunkt doppelt in ſich, eine Einheit, die durch einen Bruch geht. Er verlacht, was er achtet, und er achtet, was er verlacht. Wieland entgeht dem Vorwurfe der Frivolität dadurch nicht völlig, daß er dem durch lüſterne Reize zierlich zu Fall gebrachten Tugendſtolze nach ſeinem Falle einen Lebensgenuß mit geſchmackvollem Maße predigt, denn das Maß iſt ein rein forma - ler Begriff, der gegen die in Bewegung geſetzten Hebel der Lüſternheit keine Kraft mehr hat. Der mittlere Zuſtand, der das End-Ergebniß der ächten Komik iſt, wird ſich als etwas ungleich Tieferes und Geiſt - volleres erweiſen, wenn wir erſt den ganzen Prozeß entwickelt haben werden.

2. Die ſich ſelbſt aufhebende Bewegung, als welche ſich nun das Komiſche darſtellt, gleicht dem Vorwärtsgehen in einem Tretrade oder auf einem Schiff gegen den Gang des Schiffes. Treffliche Beiſpiele für dieſe innerſte Natur des Komiſchen ſind: das Verhör im zerbrochenen Kruge von H. v. Kleiſt, ein engliſches Schiff, das nach Indien eine Ladung von Gözenbildern aus indiſchen Fabriken und zugleich zwei Miſſionäre brachte, u. ſ. w.

§. 175.

Die Identität des Subjects iſt aber weſentlich Identität des Selbſtbe - wußtſeyns. Der Widerſpruch iſt daher in ſeiner ganzen Tiefe erſt geſetzt, wenn er als Widerſpruch des Selbſtbewußtſeyns mit ſich zu Tage kommt. Das Subject muß alſo erſcheinen als um ſeine Verirrung wiſſend und ſich in dem - ſelben Momente dennoch verirrend, oder als bewußt und unbewußt zugleich. Wirklich bewußt iſt es um ſein erhabenes Streben, unbewußt um das unendlich Kleine, das hinter demſelben ſpielt. Dies iſt aber noch nicht der geforderte384 Widerſpruch; das Subject muß vielmehr als bewußt erſcheinen in demſelben Punkte, in welchem es unbewußt iſt, d. h. es muß geſetzt werden als bewußt um die Verkehrung ſeines Strebens durch das unendlich Kleine, worin es be - fangen iſt. Dazu liegt zunächſt die allgemeine Möglichkeit in dem Weſen des Selbſtbewußtſeyns, welches ſich über den geſammten Umfang des Seyns im Subjecte auszudehnen beſtimmt iſt und zu der Annahme einer ſolchen Aus - dehnung im beſtimmten Falle den Zuſchauer herausfordert.

Es zeigt ſich ſogleich, wohin dieſer §. führt, nämlich zu der Nach - hilfe von Seiten des Zuſchauers aus deſſen eigenem Bewußtſeyn: ein Begriff, der ſchon oben (§. 153) vorbereitet und nun zu entwickeln iſt. Den begründenden Uebergang zu dieſem Begriffe gibt J. Paul nicht; auch hierin hat Ruge dieſen ergänzt, der zuerſt das geltend machte, was der Schluß des §. enthält: der Grund der Uebertragung des beſſeren Bewußtſeyns liegt darin, daß der Irrende dazu herausfordert durch das, was er in Wahrheit iſt, nämlich Selbſtbewußtſeyn, deſſen Verdunklung ja eben ſeine unwahre Geſtalt iſt; alſo nicht, wie J. Paul meint, darin, daß der Irrthum überhaupt angeſchaut werden kann, ſondern darin, daß er eigentlich von dem Irrenden ſelbſt ange - ſchaut werden ſollte (a. a. O. S. 119). Es wird der verlachten Perſon keine andere Gewalt durch das Lachen angethan, als daß fingirt wird, ſie ſey klüger, als ſie iſt ſofern ihr zugemuthet wird, das zu ſeyn, was ſie an und für ſich iſt, nämlich Perſon (S. 126). Hier zeigt ſich bei Ruge nur der Mangel, daß es ſcheint, als werde nun das Subject als vernünftig vorgeſtellt; allein dann käme man aus dem Komiſchen gerade heraus; vielmehr erſt recht ein Widerſpruch von Ver - nunft und Unvernunft erſcheint es, weil dieſes Herausfinden der wah - ren Geſtalt aus der unwahren (S. 128) beide Geſtalten zugleich feſt - hält. Dies wird ſich weiterhin genauer zeigen.

§. 176.
1

In Wirklichkeit iſt jedoch dieſe Ausdehnung des Selbſtbewußtſeyns in dem irrenden Subjecte nicht vorhanden. Daher muß der Zuſchauer an die Stelle jener unbeſtimmten Annahme einen Act ſetzen, wodurch er ihm das man - gelnde Selbſtbewußtſeyn aus den Mitteln des eigenen leiht oder unterſchiebt, und hiedurch kehrt die Unterſuchung zu dem Momente zurück, von dem ſie ausging, nämlich zu der Entbindung der Beſinnung, welche in §. 153. 154385 gefordert wurde und nun durch dieſen Act des Leihens begriffen wird. Dieſen als weſentliche Bedingung des Komiſchen erkannt zu haben, iſt das Verdienſt J. P. Fr. Richters. Wiewohl nun die Natur des Selbſtbewußtſeyns im2 angeſchauten Subjecte den Zuſchauer zu dieſer Uebertragung herausfordert, ſo fühlt er dennoch, daß dies Leihen ein bloſes Leihen iſt, er führt es aber, ge - nöthigt durch ebenjene Natur des Selbſtbewußtſeyns, trotzdem fort und ſo ſetzt er ſich ſelbſt wie das verlachte Subject als bewußt und unbewußt zugleich. Dieſes Herüber und Hinüber vollendet erſt das Weſen des Komiſchen.

1. Das Ineinander, das §. 174 gefordert wurde, muß ein In - einander des Bewußtſeyns ſeyn, denn ſonſt bleibt das Gegenglied oder die Verirrung dem erſten Gliede oder dem Erhabenen im Subjecte immer noch äußerlich. Hier tritt denn J. Pauls tiefſinnige Entdeckung ein. Er geht (a. a. O. §. 28) von dem Beiſpiele einer Handlung aus, die durch einen Irrthum mit der Lage des Handelnden im Widerſpruch ſteht. Der Anblick derſelben gibt aber nur einen anſchaulich ausgedrückten endlichen Irrthum, der noch keine unendliche Ungereimtheit iſt; denn kein Menſch kann im gegebenen Falle anders handeln als nach ſeiner Vorſtellung davon. Wenn Sancho eine Nacht hindurch ſich über einem ſeichten Graben in der Schwebe erhielt, weil er vorausſetzte, ein Abgrund klaffe unter ihm, ſo iſt bei dieſer Vorausſetzung ſeine Anſtren - gung recht verſtändig und er wäre gerade erſt toll, wenn er die Zer - ſchmetterung wagte. Warum lachen wir gleichwohl? Hier kommt der Hauptpunkt: wir leihen ſeinem Beſtreben unſere Einſicht und Anſicht und erzeugen durch einen ſolchen Widerſpruch die unendliche Ungereimt - heit. Den dadurch entſtehenden Widerſpruch nennt J. Paul den ſub - jectiven Contraſt im Unterſchiede vom objectiven, der im Widerſpruch des Beſtrebens mit der Lage beſteht, wozu er ganz überflüßig noch das ganze ſinnlich angeſchaute Verhältniß als ſinnlichen Contraſt aufzählt. Statt nun den allgemeinen Grund dieſes Leihens aus der Natur des dem verlachten und dem lachenden Subjecte gemeinſchaftlichen Selbſt - bewußtſeyns abzuleiten, bringt er wenigſtens die richtige pſychologiſche Beobachtung hinzu, daß die Allmacht und Schnelle der ſinnlichen An - ſchauung uns in dieſes Irrſpiel hineinzwinge und hineinreiße, und daß daher nur die Fälle, wo dieſe ſinnliche Wirkung ſtatt finde, komiſch werden können. Wenn z. B. in Hogarths reiſenden Komödianten das Trocknen der Strümpfe an Wolken lachen macht, ſo dringt uns die ſinnliche Plötzlichkeit des Widerſpruchs zwiſchen Mittel und Zweck den flüchtigenViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 25386Glauben auf, daß ein Menſch wahre Regenwolken zu Trockenſeilen gebrauche. Den Komödianten ſelber und ſpäter auch uns iſt das Trock - nen an einer feſten Scheinwolke nichts Lächerliches. Ohne dieſe vor - eilige Unterſchiebung, gleichſam ein Syllogismus der Empfindung, würde das Paaren alles Ungleichartigſten doch kein Lachen gebähren. Durch dieſen Satz wird nun Alles erklärt, was in §. 153. 154 zuerſt thetiſch aufgeſtellt wurde über die Entbindung der Beſinnung als das Moment, wodurch das Häßliche komiſch wird, und in §. 157. 158. 160 über die Grenze der Komik, wie ſie da eintritt, wo die Unterſchiebung nicht möglich iſt. J. Paul ſelbſt gibt dieſe Grenze in raſchen Blicken an: vollen - dete Dummheit oder Verſtandesloſigkeit wird ſchwer lächerlich, weil ſie uns das Leihen unſerer contraſtirenden Anſicht erſchwert oder verbeut u. ſ. w. Hier folgt eine Bemerkung über die Nothwendigkeit eines tieferen, tota - len, perſonifizirenden anthropomorphotiſchen Leihens bei bewußtloſen Weſen, worüber vergl. §. 158, 4. Daher wächst das Lächerliche mit dem Verſtande der lächerlichen Perſon. Daher bereitet ſich der Menſch, der ſich über das Leben und deſſen Motive erhebt, das längſte Luftſpiel, weil er ſeine höheren Motive den tieferen Beſtrebungen der Menge unterlegen und dadurch dieſe zu Ungereimtheiten machen kann u. ſ. w. In §. 153 iſt geſagt, daß das Bewußtſeyn von dem an - ſchauenden in das angeſchaute Subject irgendwie übergehen müſſe. Dieſer unbeſtimmte Ausdruck mußte gewählt werden, um der jetzigen Auseinanderſetzung Raum zu laſſen.

2. Dieſes Leihen muß natürlich unbewußt ſeyn und da es doch ein bloſes Leihen iſt, ſo ſagt dem Leihenden ſein Bewußtſein, daß er eigent - lich nicht leihen darf. Allein das Gefühl des wahren Sachverhalts, mit welchem das angeſchaute Subject in vollen Widerſpruch tritt, iſt zu ſtark: er ſetzt daher trotzdem das Leihen fort. So ſtraft ſein Bewußt - ſeyn das Unbewußte in ihm und über das ſtrafende Bewußtſeyn wächst wieder das Unbewußte her. Er iſt daher ein Thor wie der Verlachte, beide ſind, wie Flögel ſagt, in demſelben Spitale krank und tauſchen Thorheit um Thorheit. Schon dadurch iſt die veraltete Erklärung des komiſchen Luſtgefühls aus einer Genugthuung der Selbſtliebe widerlegt. Weil Ruge dieſes Moment nicht erfaßt hat, ſchließt ſeine Erklärung des Komiſchen fälſchlich mit einer einfachen Herſtellung der Vernunft oder wahren, freien Perſönlichkeit (§. 175, Anm.). Dagegen hat J. Paul dieſes Herüber und Hinüber, dieſes Reimenwollen und nicht Können angedeutet (a. a. O. §. 30), wo er drei Reihen unterſcheidet, die387 eigene wahre Reihe im Denken des Zuſchauers, die fremde wahre, und die fremde von dieſem untergelegte illuſoriſche, und nun fortfährt: die Anſchaulichkeit zwingt uns zum Hinüber - und Herüber-Wechſelſpiel mit dieſen drei einander entgegenſtrebenden Reihen, aber dieſer Zwang ver - liert durch die Unvereinbarkeit ſich in eine heitere Willkür. Das Ko - miſche iſt alſo der Genuß oder die Phantaſie und Poeſie des ganz für das Freie entbundenen Verſtandes, welcher ſich an drei Schluß - oder Blumenketten ſpielend entwickelt und daran hin - und wieder tanzt. Von der Geltung des Verſtandes iſt noch zu ſprechen.

§. 177.

Es iſt aber nun dieſe Erklärung auf die zwei in §. 172 unterſchiedenen Fälle anzuwenden. Kommt die Störung aus dem eigenen Innern des verlachten Subjects, ſo ſtößt das Leihen darum auf ungleich geringere Schwierigkeit, weil Ausdehnung auf das eigene Innere die unzweifelhafte Beſtimmung des Selbſt - bewußtſeyns iſt, alſo dem Subjecte ein Wiſſen um ſeine Verirrung unterzuſchie - ben ganz nahe liegt. Dagegen erwächst daraus auch in dieſem Falle eine große Schwierigkeit, daß zur Kraft des Widerſpruchs zunächſt ein vollkommen ge - ſpannter Gegenſatz, alſo zum erſten Gliede Sicherheit des Selbſtbewußtſeyns, wirklicher Glaube an die Erhabenheit des Strebens gefordert wird, wie St. Schütze mit Recht behauptet. Auch der Thor muß zunächſt als ungetheil - tes, in voller Selbſttäuſchung mit ſich abgeſchloſſenes Subject erſcheinen. Allein trotzdem darf das Selbſtvertrauen nicht ein ſchlechtweg verhärtetes ſeyn, viel - mehr müſſen die zur Selbſtbeſchönigung aufgebotenen Mittel das im Hin - tergrunde arbeitende Bewußtſeyn der Verirrung verrathen und ebendies bietet dem Unterſchieben den Anknüpfungspunkt dar.

St. Schütze a. a. O. S. 44. 48 und an mehreren andern Stellen. Er erwägt aber die Schwierigkeit nicht, die durch die Forderung voller Selbſtzufriedenheit der komiſchen Perſon für das Leihen entſteht, weil er dieſen nothwendigen Act zwar erwähnt (S. 75. 99), aber weit nicht mit der gehörigen Schärfe und Wichtigkeit. Dagegen gibt Ruge, der jedoch die Nothwendigkeit des Selbſtvertrauens hervorzuheben verſäumt, in anderem Zuſammenhang den Grund an, wodurch das Leihen trotz demſelben begreiflich wird: es darf dennoch nicht ganz feſtgewurzelte, un - flüſſige, verhärtete Trübung des Geiſtes, verſtockte Unſittlichkeit u. ſ. w. vor - liegen (a. a. O. S. 111. 113). Dieſe, von uns ſchon zu §. 153 aufgenom -25*388mene Bedingung kehrt hier mit verſtärkter Wichtigkeit zurück, denn ſie ſoll ſich gegen den Einwurf behaupten, daß ſie durch die Zulaſſung ſelbſt des Laſters (§. 162) und des Böſen (§. 163) als komiſchen Stoffes wieder aufgehoben ſey. Die Künſte der Selbſtbeſchönigung ſind die ſchwache Stelle der Selbſtzufriedenheit, woran der zu jener Unterſchie - bung bereite Zuſchauer ſelbſt das in ſeiner Verirrung ſcheinbar ganz feſte Subject erfaßt. Das reinſte Muſter iſt Falſtaff. Es iſt ihm mit ſeinem Prahlen, Lügen, Betrügen ganz Ernſt und er weiß, ſelbſt auf der That ertappt, die anmuthigſten Vorwände aufzubringen; allein die Beſchönigung und Ausflucht verräth die Selbſtkenntniß und wenn ſtumpfere Naturen ſich mit ihren Ausflüchten ganz vertröſten, ſo lacht dagegen ein Falſtaff, indem er ſie vorbringt, doch zum Voraus ſchon mit denjenigen, die über ſie lachen, er iſt nicht ſo zähe, ſie ihnen als bittere Wahrheit aufbinden zu wollen, und in unbelauſchten Augenblicken läßt ſich ſein Gewiſſen auf das Naivſte vernehmen. Freilich iſt dies ein Beiſpiel, das die Erklärung allzuſehr zu erleichtern ſcheint, da Falſtaff ſubjectiv komiſch iſt und ſo dem Zuſchauer das Leihen geradezu abnimmt: eine Erſcheinung, von der in ihrem Unterſchiede von der blos objectiv komiſchen Perſönlichkeit bis jetzt nicht die Rede war, ſondern erſt weiter - hin werden muß. Allein auch bei komiſchen Perſonen, die nicht zugleich ſowohl ſelbſt witzig als auch Urſache ſind, daß Andere witzig werden, muß durchaus derſelbe Anknüpfungspunkt für das Leihen aufzuweiſen ſeyn, ſelbſt bei Don Quixote, dem oft eine Ahnung ſeiner Verrücktheit aufgeht.

§. 178.

Dagegen ſcheint das Leihen unmöglich zu werden, wenn die Störung von außen kommt und zwar ſo, daß das komiſche Subject gar nicht darum wiſſen konnte. Dieſe Störung iſt doppelter Art: ſie kommt entweder von einem Be -1 wußten oder von einem Unbewußten. Im letzteren Falle folgt der Zuſchauer zuerſt dem in ihm ſelbſt wirkenden Beſtreben des Selbſtbewußtſeyns, ſich über das Weltganze zu erweitern, und leiht, hingeriſſen von dem Scheine einer plan - mäßigen Störung, dem bewußtloſen Gegenſtande des Strauchelns ein Vorherwiſſen2 und eine Beabſichtigung dieſes Anſtoßes. Es eröffnet ſich hiedurch ein Einblick wie in eine neckende zweite Macht, welche die Welt des bekannten Bewußt - ſeyns und Wollens durchkreuzend überall mithandelt und an die Grenze heilſam erinnert, und dieſes Bild entſteht im Grunde auch bei der Störung von innen (§. 177): das Unbewußte im Subject erſcheint wie ein zweiter Geiſt in ihm. 389Kommt aber die äußere Störung aus einem Bewußtſeyn und iſt wirklicher Plan,3 ſo iſt dieſer Theil des Leihens dem Zuſchauer erſpart. Allein in beiden Fällen4 geht nun das Leihen auf das verlachte Subject zurück. Hat nämlich der Zu - ſchauer an ſich ſelbſt erfahren, daß das Selbſtbewußtſeyn auch dahin ſich erwei - tert, das Bewußtloſe als ein Bewußtes vorzuſtellen, ſo kann er noch leichter dem ſtrauchelnden Bewußten zutrauen, es habe um den lauernden Feind wiſſen können und wiſſend ihn doch nicht vermieden.

1. Es iſt im zweiten Falle von einem Anſtoße die Rede, der ohne mögliches Vorherwiſſen der Perſon unvermeidlich durch ein Unperſönliches eintritt; z. B. etwas lange ſuchen, das der Suchende nicht durch Zerſtreutheit ſelbſt verlegt hat, mitten in einer erhabenen Rede nieſen müſſen und dergl. Hier muß zunächſt von dem verlachten Subjecte ganz abgeſehen werden. Ein Leihen anderer Art tritt zuerſt ein und muß ſo gewiß eintreten, als das Selbſtbewußtſeyn der Angel der Welt iſt und ſich durch einen nothwendigen Act des Vorgriffs ſelbſt da als vorhan - den vorſtellt, wo es nicht iſt; der ſtarke Schein aber einer planmäßigen Störung befördert dieſes Leihen, welches dem Gegengliede, dem Bewußt - loſen, woran geſtrauchelt wird, ein Bewußtſeyn unterſchiebt. Es ſieht ja auch gerade aus, als ſtecke ein Kobold dahinter; der Stein, an dem Einer ſtrauchelt, ſcheint ihm aufgelauert, das Glas, das ſeiner Hand ent - gleitet, auf den Moment gepaßt zu haben und das Geklirr der Scherben tönt wie Gelächter; ſo ſcheint auch, was Einer lange vergeblich ſucht, in ſeinem ſicheren Winkel den Suchenden zu verhöhnen und jenes Nieſen ſieht vollends wie ein Einfall des Satans aus.

2. Nun entſteht das Bild einer neckiſchen Macht, die überall mit - handelnd die Welt des Bewußtſeyns und Wollens durchkreuzt, ihre Be - ſchränktheit aufdeckt, ſie daran erinnert, damit ſie ſich nicht überhebe. Ohne den Prozeß des Komiſchen in dieſe Geheimniſſe verfolgt und ins - beſondere das unter 1. Geſagte entwickelt zu haben, hat St. Schütze doch dieſen Punkt ſehr anerkennenswerth beleuchtet. Er ſtellt das Ko - miſche als einen Kampf dar, in welchem nothwendig beide Theile, der Menſch und die Natur, als handelnd erſcheinen müſſen. Dieſe darf keinen peinlichen Zwang ausüben, ſondern muß der Freiheit einen Spiel - raum laſſen, aber ein Geiſt muß ihr zu Grunde liegen oder gelegt werden, ſie muß als ein wohlmeinender neckender Genius erſcheinen, der die Freiheit an ihre Grenze mahnt und in dieſer Abſicht überall ſeine Hand im Spiele hat. Sehr treffend wird dieſer Kampf einer auf beiden390 Seiten in die Schranken tretenden Verbindung von Beſtimmtheit und Unbeſtimmtheit mit dem Spielraum zwiſchen Berechnung und Zufall im Kartenſpiele verglichen (a. a. O. S. 26 29. 71 78). Es fehlt nur die ſchließliche Zuſammenfaſſung in das Selbſtbewußtſeyn und die abſolute Subjectivität, zu der unſere Unterſuchung fortzuſchreiten hat. Uebrigens erhellt von ſelbſt, daß dieſer Schein einer zweiten necki - ſchen Macht eigentlich ſchon da eintritt, wo die Störung von innen kommt. Das Unbewußte und Unfreie im Subjecte ſelbſt, eben weil das Bewußtſeyn und die Freiheit nicht Beſitz davon ergriffen hat, erſcheint als ein in das Subject ſich hineinerſtreckendes Grundſtück des Territo - riums jenes Kobolds, und nun ſtreiten ſich zwei Geiſter um den Men - ſchen, deren Zwiegeſpräch die Parodie jenes tragiſchen Dialog-Monologs iſt, worin Gewiſſen und Selbſtbeſchönigung ſich um Richard III ſtreiten (5. Aufz. 3. Sc.). In der Mitte zwiſchen rein äußerer und innerer Störung liegen körperliche Gebrechen, welche die eigene anima der Per - ſönlichkeit wie in Schadenfreude gegen den animus dieſem angeheftet hat.

3. Dieſer Theil des Leihens iſt dem Zuſchauer erſpart, wenn wirklich ſelbſtbewußte Perſonen die Störung ausführen, wie Heinrich und Poins, da ſie dem Falſtaff bei ſeinem Straßenraub auflauern und ihm den Fang abjagen.

4. In beiden Fällen geht nun das Leihen zurück vom Gegengliede auf das erſte Glied, d. h. auf das ſtrauchelnde Subject und leiht dieſem trotz der anfänglich, wie es ſchien, vorliegenden Unmöglichkeit eines Vorherwiſſens der Störung ein mögliches und halbwirkliches Vorher - wiſſen. Kommt doch das verlachte Subject dieſem zweiten Leihen ſchon dadurch entgegen, daß es ſelbſt den Stein ſeines Anſtoßes, wäre er auch ein wirklicher, eigentlicher Stein, unwillig anredet, als wäre er ein lauernder Feind. Dies thun nicht blos kindiſche Leute, ſondern Jeder, der Phantaſie hat; ebendadurch erklärt er ſich aber als Einen, der mit einer auflauernden Macht im Kampfe ſteht: weiß er das, ſo kann er ſich und ſoll er ſich zum Voraus wohl in Acht nehmen und zuſehen, daß ihm nicht eine Grube gegraben ſey: das komiſche Widerſpiel vom Falle des Oedipus, der ebenſo die halbe Schuld trägt, dem unterhöhlten Boden nicht bei jedem, ſonſt noch ſo erlaubten, Schritte mißtraut zu haben.

§. 179.
1

Wenn nun auf dieſe Weiſe die Beſinnungsloſigkeit zugleich als beſonnen, das Subject zugleich als wiſſend um ſeine Verkehrtheit und doch ſich verkehrend391 geſetzt wird, ſo fällt ebendadurch das Augenmerk von dem Unſittlichen der Ver - kehrtheit und ſolcher Vorwurf trifft im Grunde jede Verirrung, auch die des Denkens weg und verweilt bei dem reinen Widerſpruch, der als ſolcher nur den in der Anſchauung thätigen Verſtand beſchäftigt, und J. P. Fr. Richter hat in dieſem Sinne Recht, das Komiſche dem Gebiete des Verſtandes zuzu - weiſen. Hiedurch erſt erklärt ſich vollkommen, wie dem Häßlichen in der2 Komik ſein Stachel genommen wird (vergl. §. 152. 153). Iſt es nun dem verkehrten Subjecte gemäß der ihm geliehenen Beſinnung mit ſeinem Zwecke zugleich Ernſt und doch nicht Ernſt, ſo werden auch ſeine Anſtalten zur Durch - führung desſelben ſo unvollſtändig ſeyn, daß daraus das Mißlingen folgen muß, und hiemit iſt dieſes und das Verſchwinden der Schuld (vergl. §. 167, 1) erſt wahrhaft begründet.

1. Im moraliſchen Reiche gibt es nichts Kleines, denn die nach innen gerichtete Moralität erzeugt eigene und fremde Achtung und ihr Mangel Verachtung, und die nach außen gerichtete erweckt Liebe und ihr Mangel Haß; zur Verachtung iſt das Lächerliche zu unwichtig und zum Haſſe zu gut. Es bleibt alſo für dasſelbe nur das Reich des Verſtandes übrig und zwar aus demſelben das Unverſtändige (J. Paul a. a. O. §. 28). Hierauf läßt er denn ſeine oben aufgeführte Erklärung des komiſchen Prozeſſes folgen, die eben für dieſen Satz die Begründung iſt; in §. 30 wird dann das Komiſche ganz als ein freies Spiel des Verſtandes dar - geſtellt. Man darf dagegen nicht einwenden, daß das Komiſche in ſeinem erſten Gliede nicht nur die Welt des Verſtandes, ſondern auch die ganze ſittliche befaſſe, denn J. Paul redet hier nicht vom Stoffe, ſondern von der Form, die dem Stoffe den ſittlich verletzenden Stachel nimmt. Er hat nur vergeſſen, zu unterſuchen, wie weit das Komiſche in das Unſitt - liche als ſeinen Inhalt ſich einlaſſe. Als unſittlich aber iſt nicht nur das eigentlich Laſterhafte und Böſe anzuſehen; es gibt keine ἀδιάφορα, auch das Verfehlen eines äußeren Zwecks und der Irrthum fällt irgendwie unter den ethiſchen Standpunkt und daß dieſer fernzuhalten ſey, gilt daher allem Komiſchen. Der trockene Sittenrichter wird z. B. nicht begreifen, wie man über einen Lumpen, der ſich immer beſſert und immer rückfällt, lachen kann. Das Komiſche iſt hier das Eindringen eines Mechaniſchen, da ein ſolcher Menſch einem Weißzeuge gleicht, das immer wieder gewaſchen und immer wieder beſchmutzt wird, die mathematiſche Gewißheit, die Con - ſequenz der Inconſequenz. Der Lump kann davon auch ſelbſt ein Bewußtſeyn392 haben, wie der Berliner Straßenjunge, der ſagt: des Sommers vagir ich und des Winters laß ich mir beſſern. Wer nun darüber lacht, fühlt im Uebrigen recht wohl, wie traurig ſolche Geſunkenheit iſt, aber jetzt hat er nicht dieſe Seite im Auge, ſondern den Widerſpruch als ſolchen. Ferngehalten wird aber der ethiſche Standpunkt eben durch den Eintritt des verſtändigen Standpunkts, deſſen Geſchäft es iſt, den Widerſpruch wahrzunehmen. Daß nun dies der Forderung ſinnlicher Anſchauung nicht widerſtreitet, bedarf keines Beweiſes: denn dieſe iſt ja im Schönen immer ungetheilt zugleich geiſtig. Aber, wird man einwenden, es ſoll ja der ganze Geiſt in ſeiner höchſten Thätigkeit als Vernunft ſich in ſie legen und das Komiſche würde, wenn von geiſtigem Intereſſe nur der Verſtand betheiligt wäre, unter das Aeſthetiſche herabſinken. Darauf dient zur Antwort: freilich legt ſich der ganze Geiſt in das Komiſche, und ſo iſt er ja bei allen ſittlichen Stoffen der Komik auch als Herz weſentlich betheiligt; das Ganze des komiſchen Vorgangs kann nur für die in ſinnlicher Anſchauung thätige Vernunft ſeyn, da der Widerſpruch im Komiſchen ein Weltwiderſpruch iſt; allein man muß nicht meinen, der Widerſpruch könne nur ſo unmittelbar durch die höchſte Thätigkeit der Vernunft aufgefaßt werden, ſondern zuerſt und vor Allem iſt er ein Wider - ſpruch, der aus dem Ganzen der geiſtigen Bewegung im Zuſchauer den Verſtand in den Vordergrund der Betheiligung ſetzen muß, weil dieſer überhaupt ſich mit dem Logiſchen im Widerſpruch zu beſchäftigen hat. Löſen kann der Verſtand allerdings keinen Widerſpruch, aber er iſt das Erſte, was den Widerſpruch anfaßt und ihn zu löſen ſucht. Der Schluß des Actes aber geht in die Vernunft-Tiefe, wie ſich zeigen wird.

2. Es erklärt ſich nun erſt völlig, warum es im Komiſchen keine eigent - liche Schuld gibt. Auch der dolus kommt auf eine mäßige culpa hinaus, wenn Alles erſcheint als Werk eines Geiſtes, der dem Menſchen nachſtellt und ihn verblendet, wenn dem Menſchen zugleich gerade ſo viel Beſinnung über die Verwicklung durch dieſe Tücke des Puck geliehen wird, um im Grunde den Ernſt ſeines üblen Wollens heimlich zu brechen, und wenn ebendaraus die Fahrläſſigkeit folgen muß, welche ſehr natürlich das Mißlingen zur Folge hat, um deſſenwillen ja auch der Richter den Ausführungs-Verſuch eines Verbrechens milder beſtraft. Wer zu einem Straßenraub die nöthige Gefährlichkeit ſo wenig mitbringt, wie Falſtaff, von deſſen Schuld läßt ſich abſehen. Zuerſt fällt das Schlaglicht vom Verbrecher darum weg und auf den Widerſpruch, weil er mehr Angſt hat als die beraubten Kaufleute, ja ſogar ausruft: man wird uns doch393 nicht ausrauben? Sodann gelingt zwar für den Moment die üble That, aber wir wiſſen nicht nur Heinrich und Poins im Hinterhalte, ſondern wir wiſſen auch, daß Falſtaff im Augenblicke ihres Anfalls die Beute fahren laſſen wird. Daher kommt er mit einer Beſchämung davon.

§. 180.

Das verlachte Subject wird entweder, ſey es durch einen ſtarken Zuſam -1 menſtoß mit dem äußern Zufall, ſey es dadurch, daß es ſich von dem Zuſchauer ertappt findet, wirklich zu ſich kommen, oder dieſer wird ihm als nothwendigen Schluß des Verlaufes der Verirrung die ausbleibende Beſinnung erſt mit Beſtimmt - heit leihen: das End-Ergebniß ſcheint in allen Fällen die Aufhebung des zuerſt geſetzten Widerſpruchs zu ſeyn. Allein dies wäre die Aufhebung des Komi -2 ſchen. Vielmehr wie zuerſt der Beſinnungsloſigkeit Beſinnung geliehen wurde, ebenſo muß auch (vergl. §. 176, 2) nach eingetretenem Wendepunkt ſich die Beſin - nungsloſigkeit als Möglichkeit des Rückfalls und fortdauernder Widerſpruch in die Beſinnung fortſetzen, und dieſer bewegte mittlere Zuſtand des Bewußtſeyns iſt der poſitive Grund, der nicht bloſe Verſchonung mit großem Uebel, ſondern ſogar Gut und Glück, nur nicht das geſuchte außerordentliche, an der Stelle des tragiſchen Schickſals fordert (vergl. §. 167, 2). Dieſer Zuſtand rückkeh - render Verweiſung auf die gewöhnlichen Lebensgüter, den auch St. Schütze als Schluß des Komiſchen fordert, iſt nämlich die nothwendige äußere Seite zu dem innern Selbſtgenuße des mit jener ſtets wiederkehrenden Brechung des Er - habenen an dem unendlich Kleinen, das die Idee als eine fremde Macht negirt, um ſie in ſich herüberzunehmen, ſpielenden Subjects.

1. Die unterſchiedenen Arten, wie der Beſinnungsloſe von der halben und ungewiß geliehenen Beſinnung zu der ganzen kommt, führen eigentlich auf die Frage nach der Plötzlichkeit des Wendepunkts zurück. Im letzten der genannten Fälle tritt objectiv jene nicht ein, allein der Riß, den der Zuſchauer im Uebergang der Anſchauung vom erſten Gliede zum Gegengliede erfährt, gibt dieſem das Gefühl: es iſt ja nicht möglich, ſobald das verlachte Subject nur wirklich auf ſich aufmerkſam wird, muß es den Widerſpruch ganz und völlig gewahr werden! Die andern Fälle wird man ſich eben an Falſtaffs mißlungenem Straßenraub und der darauf folgenden Ertappung über ſeinen Lügen leicht deutlich machen.

394

2. Die Annahme einer vollen Beſinnung und die Annahme eines wirklichen Uebels als Strafe der Verirrung fordern ſich wie Inneres und Aeußeres; denn iſt die Beſinnung eine volle, ſo wird ihr auch ein geringeres Uebel die ethiſche Bedeutung einer ſehr fühlbaren Zurechtweiſung haben, noch beſſer aber wird es ſeyn, wenn ein wirklich ſchweres Uebel volle Beſinnung, ernſtes Inſichgehen mit ſich bringt. Dann iſt aber das Komiſche aufgehoben; der Schluß iſt ſtoiſch, ein Verzicht auf Glück und Wunſch. Das Komiſche iſt aber epikuräiſch, ſtoiſch iſt das Erhabene. Umgekehrt fordert daher das Komiſche als innere Seite ſeines Ergebniſſes eine in die eingetretene Beſinnung ſich fortſetzende Beſinnungsloſigkeit und den darin gegebenen Anſatz zu Rückfällen, als äußere ein Gut, zwar nicht das geſuchte außerordentliche, aber ein mittleres Lebensgut. Die Er - fahrung macht den Narren nicht nur nicht traurig, ſondern wie er nie klug wird, ſo bleibt er immer luſtig. So hat dem Falſtaff kaum das Zipperlein Gewiſſensbiſſe abgenöthigt, als er den Kameraden bittet, ihm ein Zotenlied zu ſingen; kaum iſt er über ſeiner Feigheit und ſeinen fauſtdicken Lügen auf das Beſchämendſte ertappt, ſo ruft er im Glücke darüber, daß das erbeutete Geld nun verſchmaust werden ſoll, aus: brave Jungen, Goldherzen! He, ſollen wir luſtig ſeyn? Sollen wir eine Komödie extemporiren? Das komiſche Subject muß in ſeiner Ver - irrung unverbeſſerlich, in ſeiner guten Laune bei allem Mißlingen un - verwüſtlich, es muß ihm unter immer neuen Verſuchen, zu einem höheren Glücke zu gelangen, bei dem halben, das es immer erreicht, immer aufs Neue wohl ſeyn. Hiedurch ergänzt und begründet ſich, wie oben der Satz von der Schuld, ſo jetzt der Satz vom Glücke §. 167, 2. Liegt keine ganze Perſönlichkeit, ſondern ein Moment einer Perſönlichkeit vor, ſo ſetzt der Zuſchauer die Brechung fort und dehnt ſie, wie auch in jenem Falle, nicht nur auf das ganze Subject, ſondern auf die Menſchheit aus. Auch dieſe Wahrheit vom Glücke im Komiſchen hat St. Schütze zwar nicht abgeleitet, aber ganz richtig geſehen. Die ewigen, nothwendigen Geſetze der Natur müſſen in den einzelnen Hinderniſſen, die dem Menſchen entgegentreten, nicht drückend werden, ſondern die Schranken, die ſie dem Menſchen ſetzt, müſſen wieder als belebte Mittel wirken, die Freiheit des Menſchen wie durch eine Neckerei zu prüfen und anzuregen (a. a. O. S. 26). Darf im Komiſchen die Gegenwirkung der Natur die Freiheit des Menſchen nicht völlig aufheben, ſo verſteht es ſich auch von ſelbſt, daß das Leben und Gedeihen, die Glückſeligkeit des Menſchen dadurch nicht als vernichtet erſcheinen darf (S. 32. 33). Das Be -395 ſtreben des Thoren erſcheint ſein ganzes Leben hindurch halb vereitelt und halb beglückt u. ſ. w. (S. 48) er wird am Ende klug, ohne es gewollt, oder glücklich, ohne es erſt verdient zu haben (121). Es folgt aus dieſem Allem, daß der Mittelzuſtand, auf den das Komiſche führt, nicht als formales Maß der Mitte zu faſſen iſt, ſondern als fortdauernde Oscillation. Die Idee muß immer hinauswollen und zu - rückſinken, das Komiſche iſt nicht die geiſtloſe Zufriedenheit des Philiſters; das Kleine muß immer dazwiſchen ſpielen, vereiteln, zu einem leidlichen Glücke führen, aber es iſt dem Thoren nicht darum wohl in ſeiner Haut, weil er dieſes Mittelglück ruhig zu genießen der Mann wäre, es prickelt vielmehr immer in ihm, darüber hinaus in’s Ungewöhnliche zu ſtreben und dieſes Streben mitten im Anlauf wieder aufzugeben: eben ein Beweis, daß im unendlich Kleinen die Idee wohnt, die ſich ſelbſt das Spiel bereitet, ſich außer ſich zu ſetzen, und von dieſer Fata Morgana ihrer ſelbſt auf den feſten Boden zurückzufallen. Nur etwas bleibt feſt: und dies iſt eben dieſe Bewegung als Bewegung der Subjectivität.

§. 181.

Es iſt zu dem Acte des Komiſchen ein Leihen von Seiten des Zu - ſchauers gefordert, aber auch der Fall angenommen worden, daß das verlachte1 Subject ſelbſt zum Bewußtſeyn komme (§. 180). Das Letztere wird bei jedem geiſtig freieren Subjecte der Fall ſeyn, doch nicht im Anfange, ſondern erſt am Wendepunkt oder Schluß der Verirrung. Uebrigens kann ſich, je den Anfang der einzelnen Verirrung ausgenommen, dieſe Freiheit des Bewußtſeyns auch als dauernde Selbſtbeſchauung auf die ganze Perſönlichkeit ausdehnen. Für den wiſſenſchaftlichen Begriff des Komiſchen iſt es aber, wie Ruge nachge -2 wieſen, gleichgültig, ob das Bewußtſeyn in das verlachte Subject ſelbſt wirklich, oder in dieſes nur als Möglichkeit, eigentlich aber in das zuſchauende, dieſe Mög - lichkeit durch Unterſchiebung zur Wirklichkeit erhebende fällt; denn es iſt die Eine Subjectivität in beiden, die ſich gerade im Momente der Wahrnehmung des Komiſchen, ihr Bewußtſeyn gegenſeitig ergänzend, zu Einer Perſönlichkeit zuſammenbewegt, und auch wenn jener erſte Fall vorliegt, iſt das zuſchauende Subject nicht nur aus dem allgemeinen äſthetiſchen Grunde (§. 70), ſondern auch aus dem beſonderen, daß dem verlachten Subjecte das wirkliche Be - wußtſeyn jedenfalls im Aufange mangelt, weſentlich mitgeſetzt.

396

1. Ueber den Fall der eigenen Beſinnung des verlachten Subjects und deren Beſchränkung ſagt J. Paul (a. a. O. §. 28): daher kann Niemand ſich ſelber lächerlich im Handeln vorkommen, es müßte denn eine Stunde ſpäter ſeyn, wo er ſchon ſein zweites Ich geworden und dem erſten die Einſichten des zweiten andichten kann. Eine Stunde ſpäter: dies iſt etwas zu wenig zugegeben; die Beſinnung kann unmit - telbar im Momente des Anpralls an das Hinderniß eintreten, und zwar, wenn er ſtark iſt, ſelbſt bei geiſtig minder freien Subjecten. Je geiſt - voller das Subject, deſto leichter tritt ſie ein und deſto ſicherer wird ſich das Bewußtſeyn der eigenen Thorheit auch als Totalſtimmung über den ganzen Charakter verbreiten, welche nur während der einzelnen komiſchen Verwicklung vorerſt immer wieder unterbrochen wird. Ueber Gebrechen der eigenen Geſtalt z. B. kann ein fortdauerndes ſpielendes Bewußtſeyn ſtatt finden und ſich von da über die ganze Welt ausdehnen; aber in dem Momente, wo ein ſolches Gebrechen beſchwerlich wird, erlaubt der Aerger nicht ſogleich den Scherz. In allem Komiſchen iſt der Begriff der Folie weſentlich: mit der höhern Anſicht ver - lachen wir die niedere (St. Schütze a. a. O. S. 68). Je tiefer nun ein Geiſt, deſto mehr verdoppelt er ſich in ſich ſelbſt, wird ſich zum Object, ſieht in ſich hinein und legt allem dem, worin er bloſes Seyn (bewußtlos) iſt, ſein Wiſſen als durchſchimmernde Folie unter.

2. Der Unterſchied nun, ob ein volles Leihen Statt findet, oder ob das verlachte Subject dem Lachenden die Hälfte der Arbeit abnimmt, iſt ſchon deßwegen für den Begriff des Komiſchen unweſentlich, weil, wie der Schluß des §. ſagt, doch ja eben nur die Hälfte abgenommen wird. Dieſer Unterſchied wird erſt in der Eintheilung des Komiſchen an einem gewiſſen Punkte wichtig. Hier hat Ruge aufgehellt (a. a. O. 114 ff. ): ob dieſe Thätigkeit (der Befreiung durch die bloſe Be - ſinnung des abgewichenen Geiſtes über das, was er in Wahrheit iſt) von Hinz oder Kunz ausgeht, ob von dem, der durch ſeine innere Ver - wirrung den Anlaß gibt, ſelbſt, ſo daß ihm ſeine eigene Confuſion erſcheint, er alſo erſt in der Verwirrung iſt und dann ſich darin erkennt, oder ob ein Anderer die Geiſtesverwirrung und Verzerrung auffaßt als dieſe feſtgewordene Thätigkeit und ſie durch dieſe erkennende Auffaſſung oder dieſe bewußte Anſchauung in die wahre Thätigkeit und freie Flüſſigkeit des Geiſtes wieder umſetzt, das iſt gleichviel. Der komiſche Vorgang iſt dieſer Eine, daß zuerſt die Entzweiung, der Abfall des Geiſtes von ſich vorhanden iſt; der Geiſt unterſcheidet ſich in ſich, ſeine397 unwahre Geſtalt, die Häßlichkeit, ſteht als das eine Subject auf der einen Seite: als das eine Subject, denn es iſt Thätigkeit, wenn auch nur die endliche und halbe Thätigkeit, es iſt darum freilich in Wahrheit unwahres Subject, weil es ja von ſich ſelbſt nicht weiß und ſeine Thä - tigkeit nicht ſich ſelbſt zum Gegenſtande hat; wir nennen es aber Subject, weil es die Möglichkeit der Selbſtbethätigung iſt. Dies ſteht auf der einen Seite als Gegenſtand, der ebendarum wieder bloſer Gegenſtand und ſchlechtes Daſeyn iſt, weil ihm die Freiheit fehlt. Auf der andern Seite ſteht das freie Subject, welches aber ebenfalls noch nicht das freie iſt, denn es iſt frei erſt, indem es die ſelbſtbewußte Anſchauung des unfreien Subjects iſt, oder vielmehr es wird frei, befreit ſich ſelbſt aus jener Trübung, auf die es eingeht, die es in ſeine Thätigkeit aufnimmt. Solange beide auseinander gehalten werden, ſind beide nur das Mangelhafte, das Einſeitige, das Unwirkliche. Denn auch das nichthäßliche Subject, ein Selbſtbewußtſeyn, welches ſich noch nicht als ſolches bethätigt, hat ſich zwar noch nicht verloren, wie im Häßlichen, aber es hat ſich auch nocht nicht gewonnen und iſt daher noch ebenfalls unwirklich. Seine Wirklichkeit iſt der Augenblick, wo es ſein anderes Theil ergreift und darin ſein Licht ent - zündet. Es ſind im Komiſchen nicht mehr dieſe zwei vorhanden, ſondern ihre Entzweiung iſt beendigt und in Eins gefaßt. Der Geiſt iſt dieſe Eine Thätigkeit der beiden Seiten der Unterſcheidung und der Zuſammenfaſſung derſelben, er iſt alſo die allgemeine, die ganze Thätigkeit. Er muß ſich freilich zum Behufe ſeiner Befreiung aus der Beſinnungsloſigkeit zuvor zu ſeinem eigenen Gegenſtande werden, ſich entzweien. Darum iſt allerdings vom Subject und Object im Komiſchen die Rede, J. Paul kann aber von dieſem Geiſte, welcher das Komiſche iſt, nicht ſagen: es (das Komiſche) wohne nie im Objecte, ſondern im Subjecte, denn ſo wohnt es überhaupt nicht, ſondern es iſt dieſe Thätigkeit, in welcher das Object und das Subject zuſammenziehen, um doch bei dem Bilde des Logirens zu bleiben. Iſt aber das inhalts - volle Subject, die Thätigkeit gemeint, in welcher ſowohl das Object, als das Subject vorhanden ſind, ſo iſt das Komiſche allerdings Subject, und wenn man ſagen wollte, es wohne im Subject, ſo wohnt freilich das Subject in ſich ſelber, wenn es überhaupt wohnt. Sofort nennt Ruge die zuerſt getrennten Zwei zwei Individuen, das aber, was aus ihrer gegenſeitigen Durchdringung hervorgeht, die Eine freie Perſön - lichkeit, deren Begriff eben darin beſteht, das concrete Subject zu ſeyn,398 mithin die Thätigkeit, die ihren Gegenſtand ganz durchdringt und gegen - theils ganz von ihm durchdrungen iſt. Und ſo wird das Komiſche beſtimmt als die Beſinnung des Geiſtes in ſeiner unwahren Geſtalt auf ſeine wahre, welche Wiedergewinn der Perſönlichkeit iſt. Wir haben (zu §. 176 und 177 Anm. 2) ſchon ausgeſprochen, daß wir mit dieſem Ergebniß nicht ganz und ſchließlich übereinſtimmen: davon noch mehr; aber das Aufblitzen der Einen Subjectivität aus zweien iſt jedenfalls tief und geiſtreich aufgewieſen. Uebrigens war ſchon St. Schütze auf der Spur der Entdeckung, nur verfolgte er ſie nicht. Er ſagt (a. a. O. S. 101), daß der Menſch in dem Grade, als er einer Reflexion über ſich fähig ſey, ſehr wohl dem Kampfe in ſich zuſehen und über ſich ſelbſt lachen könne; dann fährt er fort: der Klügere lacht freilich über den minder Klugen, aber beides iſt der Menſch ſelbſt.

§. 182.

Da aber das Komiſche ein Verhältnißbegriff iſt wie das Erhabene, ſo bildet ſich, wie bei allen Formen des Letzteren bis zu der des Tragiſchen, eine aufſteigende Reihe, worin über dem Subjecte, welches unbewußt komiſch iſt, ein höheres ſteht, welchem das erſtere und welches ſich ſelbſt komiſch erſcheint, das aber ſammt dieſem freien Bewußtſeyn einem geiſtig noch freieren durch einen nicht überwundenen Reſt von Beſinnungsloſigkeit ſelbſt wieder Gegenſtand des Lachens iſt. Dasjenige Subject, das einer ſolchen Reihe zuſieht, muß ſich ſelbſt als das freieſte an der Spitze jener Subjecte vorkommen; aber da ihrem Begriffe nach die Reihe mit ſtets verdoppelter Tiefe der Komik weiter ſteigt, ſo tritt dieſes Subject, nämlich der Zuſchauer, ſelbſt auf die Seite der Zu - ſchauer, denen er vorher zuſchaute, und wird Gegenſtand einer möglichen noch reineren Freiheit der Subjectivität in einem andern Subjecte.

Der Hanswurſt benützt Straßenjungen als Gegenſtände des Lachens für das Publikum. Unter dieſen mag ſelbſt ſchon einer oder der andere ſeyn, der mitlachend in die Komik, durch die er leidet, frei eingeht. Bauern lachen über das Spiel, das der Hanswurſt mit den Jungen treibt. Ein Pedant lacht über das Lachen der Bauern. Ein wirklich Gebildeter lacht über dies Lachen über das Lachen. Alle dieſe lachen zuſammen und über dem Letzten iſt noch ein Gebildeterer denkbar, der über deſſen Vergnügen lacht, da es doch höhere Stoffe des Lachens gebe u. ſ. w. u. ſ. w. Eine herrliche Skala iſt in Heinrich IV: über399 dem rohen Piſtol und der Wirthin Hurtig ſteht der witzigere Bardolf, über dieſen und über ſich ſelbſt Falſtaff, Poins auch über dieſen, Prinz Heinrich über Allen, aber der Zuſchauer lacht über dieſen ſelbſt, da er ſich zwiſchen ſolchen Lachſtoffen herumtreibt. Der Zuſchauer kann aber über ſich ſelbſt und muß ſogar noch einen freieren Geiſt als möglich ſich vorſtellen, der als Zuſchauer über ihm ſteht. Es iſt aber auch hier gleichgültig, ob das leihende und lachende Subject als Zuſchauer gegen - überſteht oder mitſpielt: im Stücke ſelbſt ſind ſchon ſolche, die Andern zu - ſchauen, und die ganze Welt iſt dies Schauſpiel, wo jeder zugleich zuſchaut und Andern, wiſſend oder nicht, aufſpielt. Ein ſolche Skala iſt auch in Loves labours lost. Man vergleiche beſonders Act 4, Sc. 1. (in Tieks Einth.).

§. 183.

In Wahrheit geht aber dieſe aufſteigende Linie in ſich ſelbſt zurück, wo irgend ein Subject andere und ſich ſelbſt zum Gegenſtande ſeiner Komik macht; denn es kehrt immer nur derſelbe Prozeß wieder und das Subject, welches Object und Subject der Komik zugleich iſt, faßt als Mitte die Pole des Komiſchen ſo in ſich zuſammen, daß es die unendliche Linie zum Kreiſe um - biegt. Es iſt nur die Eine, allgemeine, ſich in ſich zum Gegenſatze des Ob - jects und Subjects verdoppelnde Subjectivität, die durch die ganze Kette geht. Dieſe Subjectivität iſt aber nicht in dem negativen Sinne, wie im Tragiſchen, abſolutes Subject, daß ihre Thätigkeit eine Tilgung aller Zufälligkeit und ſinn - lichen Beſtimmtheit wäre, ſondern ebendieſe und daher mit ihr zugleich das einzelne, endliche Subject iſt in ihr als geltend und berechtigt geſetzt und es kommt in ihr das ſtete Spiel der Selbſtaufhebung des im ausſchließenden Sinne abſoluten Subjects im zufälligen und endlichen, einzelnen Subjecte, alſo die Negation der Negation oder die unendliche Negativität der Idee als Poſition des rein gegenwärtigen Subjects zur Anſchauung (vergl. §. 154, 2).

J. Paul ſpricht (a. a. O. §. 30) den Gedanken der unendlichen Stufenleiter des Komiſchen aus und ſetzt hinzu: und noch über einen Engel iſt zu lachen, wenn man der Erzengel iſt. Dies iſt ſehr ein - ladend, über den zu lachen, der ſo ſpricht; denn iſt über jede Art von Engeln noch eine höhere vorzuſtellen, ſo gibt es keine Engel und gerade der komiſche Standpunkt bemächtigt ſich der Vorſtellung einer außer - weltlichen ſubjectiven Exiſtenz, welche über die Schranken der Subjectivi - tät zugleich hinaus ſeyn ſoll. Soll ſich die Kette in einem theiſtiſch400 vorgeſtellten Gott abſchließen, ſo iſt ebendieſer ein ſolcher, dem ſeine behauptete Trennung von der Welt Schranken gibt, welche ihn im Wider - ſpruch mit der Abſicht der Vorſtellung in das Komiſche herüberziehen. Das Komiſche iſt ſchlechtweg pantheiſtiſch und der Herr ſpricht in Göthes Fauſt darum ſo leutſelig mit Mephiſtopheles, weil er weiß, daß, ſobald er den Geiſt, der verneint, nicht anerkennen würde, ebendieſe Aus - ſchließung ihn ſelbſt der Negativität, die er in ſich bewegt, als Stoff überliefern würde. Darum iſt ihm von allen Geiſtern, die verneinen, der Schalk (d. h. die Negativität, die ſich in Komik ſelbſt aufhebt, das αἶσχος ἀνώδυνον) am wenigſten zur Laſt. Der Geiſt der Komik iſt alſo ganz Geiſt der Immanenz. Kann über jedem Lacher ein höherer Lacher ſtehen, ſo iſt es gleichgültig, wie weit man die Linie fortſetzt, denn eben auf dem Punkte, wo irgend Einer über Andere und ſich zu - gleich lacht, da iſt das Weſen des Lachens und blitzt das in ſich ſchei - nende Licht auf, das durch die ganze Kette läuft, da iſt die Unendlich - keit, ſich ſelbſt aufhebend zum endlichen Gegenſtand und dieſe Endlichkeit in der komiſchen Wahrnehmung ſelbſt wieder aufhebend: da iſt alſo dieſe Selbſtbeleuchtung der Endlichkeit, welche, wo ſie nur Einen Stoff ergreift, im Grunde allen Stoff ergreift. Man lacht, wo man irgend lacht, nicht blos über ein Einzelnes, ſondern über das ganze Verhältniß der Idee zum Zufälligen des Seyns, und es iſt zwar ein Unterſchied, in welche Tiefe und Breite dies wirklich verfolgt wird, aber das Prinzip iſt in jedem Lachen vorhanden. Der Gedanke alſo, es könnte noch freiere Subjecte geben, die es ſelbſt verlachen, kann das freie Sub - ject, das ſich ſelbſt in dem belachenswerthen Weltwiderſpruch miteinbe - greift, nicht verlegen machen, denn dieſe thun nur dasſelbe, was es thut, und die Endlichkeit wie den Geiſt, der ſie lachend ſich gefallen läßt, müſſen ſie in ſich tragen, wie es ſelbſt; ſie ſind alſo ſchon da, ſie lachen ſelbſt mit ihm und aus ihm heraus. Daher iſt die Bemerkung über die komiſche Leiter in Heinrich IV im vorh. §. nun zu verändern. Ueber Falſtaff ſtehen zwar Andere, die auch über ihn lachen, aber dieſe Andern ſind nicht ſo komiſch als er, wenigſtens der Prinz lacht nur über ihn, während er ſeine eigene Ausgelaſſenheit als Maske wieder ab - zuwerfen den ſittlichen Vorſatz hat. Falſtaff iſt die rechte Mitte in jener Skala, denn er iſt ganz Gegenſtand und ganz Subject der Komik, indem er, wo über ihn gelacht wird, immer ebenſo mitlacht, wie er über Andere lacht. Freilich läßt ſich eine gebildetere Komik denken, aber eine vollere hat die Welt nie geſehen. Gehen wir nun auf die univerſale401 Bedeutung des komiſchen Subjects zurück, ſo iſt es nun alſo nicht mehr dieſes einzelne Subject, das lacht, ſowie es nicht mehr dieſer einzelne Mangel iſt, über den es lacht: es iſt die Subjectivität, die ſich als Gegenwart in ihrem Widerſpiel, dem Unbewußten, Zufälligen, als die freie Unendlichkeit im Endlichen ſetzt und anlacht; aber weil jetzt das Mangel - hafte in dieſen Prozeß eingeht und die Subjectivität durch denſelben ſich von ihm zugleich befreit, ſo iſt das ganz empiriſche Subject als geltende Form der Subjectivität überhaupt mitgeſetzt und erfreut ſich der reinen Gegenwart derſelben im Geringſten ſelbſt. Die doppelte Negation (§. 154, 2) iſt alſo jetzt in ihrem ganzen Umfange deutlich. Das Erhabene auf ſeiner Spitze als Tragiſches iſt das abſolute Subject, welches das wirkliche einzelne Subject zwar ſetzt, aber um ſeiner Begrenztheit willen ſtreng richtet und aufhebt. Im Komiſchen aber wird dieſe Begrenztheit oder Kleinheit darum als berechtigt geſetzt, weil ſie, ſich auf ſich beſinnend, ſich in ſich von ſich ſelbſt befreit, und um dieſen Preis ſteigt das abſolute Subject in das endliche ſelbſt herein und wird zur vollen Gegenwart in ihm. Die Negation greift alſo über jene erſte Negation ſelbſt über und hebt ſich dadurch auf zur Poſition: was negirend ausſchloß, negirt dieſe Negation ſelbſt und nimmt das Ausgeſchloſſene in ſich herein oder tritt in es über.

§. 184.

In dieſer Vollmacht ſeiner Bejahung nun negirt alſo das Subject jede1 Erhabenheit, d. h. jede unendliche Größe, welche ihm von außen zu kommen, die Grenze zu überfliegen und von ſich auszuſchließen ſich die Miene gibt: ſie fällt, aber der Ort, wohin ſie fällt, iſt das gegenwärtige Subject, welches das abſolute in ſich hereingenommen hat; in ihm iſt ſie alſo aufgehoben, es iſt ihre lebendige Aufbewahrung. Der allgemeine Taumel, in welchen demnach das2 freie Subject durch die Komik jedes Object hineinzieht, iſt nicht mit Ruge einfach als die durch Correction der Beſinnungsloſigkeit hergeſtellte freie Perſön - lichkeit zu faſſen, wodurch unmittelbar das Schöne, das zudem hier vom Guten nicht gehörig unterſchieden wird, wieder einträte; denn da das Beſinnungsloſe ſelbſt als berechtigt erſcheint, ſich alſo (vergl. §. 180) in die Beſtinnung viel - mehr forterſtreckt, ſo iſt das Ergebniß nur dieſe fortlaufende Unruhe, in welcher die ſtets wieder aus dem Subject hinausgeſtellte Idee ſtets wieder in es her - eingenommen und trotz den Grenzen desſelben als gegenwärtig in ihm bejaht wird, und daher nichts feſt und gewiß, als der Selbſtgenuß der Subjectivität im unendlichen Spiele.

Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 26402

1. Die verlachte Erhabenheit behauptet ſich durch den Bruch der Komik fort, dies ergab ſich ſchon in §. 152. 153. Jetzt aber iſt dieſer Satz dahin entwickelt, daß als der Ort, das Organ dieſer Fortbehaup - tung das den komiſchen Act vollziehende Subject ſelbſt geſetzt iſt. Der erhabene Gegenſtand ſchlüpft ſo zu ſagen in es hinein und lacht aus ihm heraus. Das Selbſt iſt die letzte Inſtanz. Nicht geläugnet wird, daß es ewige Mächte gibt, die das Leben regieren, allein ſo mangelhaft das Subject ſeyn mag, dieſe Mächte können immer nur in Subjecten und durch ſie herrſchen und jedes einzelne Subject iſt ſo gut Subject wie die andern. Ich kann z. B. anerkennen, daß die Hierarchie einmal ihre Zeit hatte; allein der Prieſter will nicht nur reinmenſchlicher Verwalter des göttlichen Geiſtes, ſondern er will mehr als Menſch, er will durch gewiſſe Verzichtungen ein magiſches Weſen ſeyn. Der komiſche Stand - punkt iſt daher ſogleich mit der Einrede da: der will mehr ſeyn, als Andere? Ich danke dafür, ich bin auch da, er iſt Menſch wie ich und weil ich im rein menſchlichen Sinne ſelbſt Prieſter bin, ſo ziehe ich ihm lachend ſeinen Heiligenſchein herunter. In dieſem Sinne iſt das Komiſche ganz egoiſtiſch.

2. Der Mangel im Schluß-Ergebniß bei Ruge wurde ſchon mehr - fach berührt, iſt aber hier, wo Alles ſich zuſammenfaßt, noch einmal aufzunehmen. Ruge überſieht, daß im Komiſchen, wenn eben die Be - ſinnung eingetreten iſt, der Spaß von vornen wieder anfängt. Das Komiſche kommt vom Erhabenen her; es hat den Geiſt, der über die Grenze zu ſeyn behauptet, als Feind vor ſich und beſteht nur in dieſem Kampfe. Hat es den Feind verſchlungen, ſo wirft es ihn ſogleich wieder hinaus, ihn auf’s Neue zu beſiegen, und es bleibt bei dieſer Ebbe und Fluth, dieſem in’s Dunkel wogenden Lichte. Wohl wird ſich zeigen, wie ſich aus der doppelten Negation des Komiſchen das Schöne herſtellt, aber nicht dadurch un - mittelbar kann es ſich daraus herſtellen, daß man bei dem Herausfinden der wahren Geſtalt aus der unwahren (Ruge a. a. O. S. 128) ſtehen bliebe. Ruge ſagt, das Komiſche ſey nicht ſelbſt das Ideal, nur das erſte Finden, das Erfinden der Schönheit (ebenda); aber das Komiſche iſt ſo wenig als das Erhabene (vergl. §. 82, Anm.) eine Form der ſich erſt erzeugenden Schönheit, es iſt eine Form des Schönen und ſammt dem einfach Schönen und dem Erhabenen wird es auftreten zuerſt in der unmittelbaren Weiſe der Naturſchönheit, dann wahrhaft im Ideal. Tritt es ſammt jenen andern Formen im Ideale auf, ſo iſt es auf ſeine Weiſe, auch ehe es in dieſe reine Wirklichkeit des Schönen eingeht,403 eine Form des letzteren, aber nicht ſo, daß es unmittelbar wieder zum einfach Schönen, wiewohl als Ideal, führte, es als ſein Ergebniß in ſeinen Schluß hereinnähme, denn das Komiſche hat kaum die wahre Ge - ſtalt aus der unwahren herausgefunden, ſo erzeugt es wieder die unwahre und bleibt ſo fortſpielend ganz in ſich. Die Rückkehr zur Beruhigung des Schönen, welche der Taumel des Komiſchen fordert, iſt alſo mit völliger Beiſeitlaſſung eines vorſchnellen Uebergangs zum Ideale ganz anders zu finden, als auf dem Wege Ruges.

§. 185.

Mit Recht beſtimmt daher die Schule Schellings das Komiſche als die negative und unendliche Freiheit des Subjects, welches in reiner Zweck - loſigkeit und Willkür die Welt vernichtet, indem es ſie des bindenden Geſetzes entleert durch Umkehrung alles Objectiven und Poſitiven, aber nur, um ſie als urſprünglich in ihrer Fülle Eins mit dem Unendlichen darzuſtellen und ſie zum Spiegel der eigenen Freiheit zu machen, Hegel als den Verrath der allge - meinen Weſenheit an das Selbſt, als die negative Kraft des einzelnen Selbſt, in welcher die Götter als Naturmächte wie als die ſittlichen Geſetze der allge - meinen Ordnung verſchwinden, die abſolute Macht die Form eines Vorge - ſtellten, von dem Bewußtſeyn überhaupt Getrennten und ihm Fremden verliert und eben nur die Gewißheit ſeiner ſelbſt bleibt, worin das einzelne Bewußtſeyn ganz bei ſich und die einzige Wirklichkeit iſt: eine Rückkehr alles Allgemeinen in die Gewißheit ſeiner ſelbſt, die hiedurch eine vollkommene Furcht - und Weſenloſigkeit alles Fremden und ein reines Wohlſeyn und Sich-wohlſeyn-laſſen des Bewußtſeyns iſt.

Die Anſicht, die aus Schellings Schule hervorgegangen, iſt nach Aſt dargeſtellt, der ſie am vollſtändigſten gibt (Syſtem der Kunſt - lehre oder Lehr - und Handbuch der Aeſthetik u. ſ. w. §. 193 ff.). Seine Entwicklung ermangelt der Schärfe und man mag dies der Dar - ſtellung im §., die aus verſchiedenen, ſich folgenden Wendungen zuſammen - geleſen iſt, immerhin anmerken. Das Schwankende liegt namentlich darin, daß die unendliche Subjectivität bald Freiheit, bald Willkür heißt. Den letztern Begriff, welchen er dem des zweckloſen Spiels gleichſtellt, hat auch W. Schlegel (Vorleſ. über dramat. Kunſt und Liter. Vorl. 2 und 6). Wie damit die Oberhand des Sinnlichen , die Abhängig - keit vom thieriſchen Theile, der Mangel an Freiheit und Selbſtändigkeit 26*404in Einen Begriff zuſammengehe, unterſucht er nicht. Hätte er die Willkür beſtimmt als ein Schwanken des Willens zwiſchen der reinen Freiheit und zwiſchen der ſinnlichen Beſtimmtheit des thieriſchen Theils, ſo hätte er ſich dem Wahren zunächſt von Weitem genähert. Das Wahre aber iſt dies, daß das innerſte Leben des Komiſchen die reine Subjecti - vität iſt, welche keine Beſtimmtheit duldet, wäre es eine ſittliche oder ſinnliche, welche aber ſofort in eine ſittliche, richtiger erhabene Be - ſtimmtheit herausgeht, dieſe als ſelbſtändige wieder negirt und in ihrer Vollmacht die ſinnliche Beſtimmtheit als berechtigt ſetzt, dieſen Wechſel aber und dieſe Brechung in’s Unendliche hinſpielt. Freiheit nun kann jene reine Subjectivität heißen, ihr Spiel aber mit dieſen beiden Be - ſtimmtheiten Willkür, wenn man unter Willkür nicht den ſchwankenden, unſteten Willen verſteht, der in §. 162 vielmehr als einer unter den Stoffen der Komik auftrat, ſondern ein Hinüber und Herübergehen, das ſich ſelbſt will und im Namen der Dialektik der Idee ſein Spiel ſo unternimmt, daß das Subject als die reine Thätigkeit des Spiels in ſich und bei ſich bleibt. Verſteht man aber unter Willkür, wie die jetzige Ethik es thut, den nur ſcheinbar wählenden Willen, der heimlich ein roher, ſinnlicher Wille iſt, ſo bezeichnet ſie nichts Anderes als die zweite jener Beſtimmt - heiten und iſt in die Definition gar nicht aufzunehmen.

Hegels Anſicht iſt aus der Phänomenologie genommen (Seite 558 ff. ); die Darſtellung in der Aeſthetik (Th. 3, S. 533 ff. ) iſt leichter und weniger tief. Hegel ſpricht von der griechiſchen Komödie, allein dieſe iſt eine reine Wirklichkeit des Komiſchen und wer ſie begreift, hat daſſelbe in ſeinem Weſen begriffen. Auch Aſt ſpricht von der Komödie, zunächſt von der griechiſchen; beide aber haben allerdings den Fehler, daß ſie das Komiſche erſt an dieſer Stelle entwickeln. Es iſt jedoch abſichtlich die beſtimmte Bezeichnung des Komiſchen als einer Götterläugnung aus Hegels Darſtellung aufgenommen worden, welche, zwar zunächſt von der griechiſchen Komödie geltend, doch als allgemeine Beſtimmung des Komiſchen beſonders brauchbar iſt, weil die Götter eben die Mächte des Lebens ſind als projicirt außer die Gegenwart des Bewußtſeyns hinaus, und ſo kann überhaupt das Erhabene, das ſich als fremde Macht gegen das Bewußtſeyn behaupten will, immer ein Gott heißen. Das Be - wußtſeyn erinnert ſich, daß das Erhabene ſein Werk iſt, nimmt es in ſich herüber und iſt bei ſich. Auch Aſt hat das Objective oder Poſitive zuerſt Tugend, bindendes Geſetz, Nothwendigkeit genannt, dann fährt er fort: die höchſte Begeiſterung, die abſolute Fülle des unendlichen Lebens405 trachtet nach der Vernichtung ihrer ſelbſt, um ſich als Beſtimmtheit und Ernſt aufzulöſen, und am liebſten ſucht ſie das poſitive Göttliche durch Herabziehung desſelben in das Reich der freieſten und individuellſten Zu - fälligkeit zu vernichten, weil ſie ſelbſt göttlich und unendlich, folglich in der Vernichtung des Göttlichen und Großen ſich ſelbſt als Beſtimmtheit mitvernichtet, worin ſich eben ihr unendlicher Frevel, ihr zügelloſes Spiel am herrlichſten offenbart. Fülle nennt er hier (§. 198 und ebenſo in §. 193) die Breite des Daſeyns, die in der Verflechtung alles Zufalls dennoch von der Idee ſich durchdrungen weiß, im Gegenſatz gegen die durchſchneidende Strenge des tragiſchen Geſetzes. Uebrigens führt die hier gegebene Stelle am zweckmäßigſten zum folg. §.

§. 186.

Wenn dieſes Weſen der Komik, das in einem gewiſſen Sinne als ein Frevel zu bezeichnen iſt, als bedenklich erſcheint, ſo iſt nicht nur zu erwägen,1 was im Bisherigen von ſelbſt liegt, daß die Selbſtüberhebung der Komik zugleich Selbſtdemüthigung iſt, daß ferner das Syſtem auf dem vorliegenden Punkte noch2 nicht zu unterſuchen hat, wie und wo das Komiſche dieſes ſein Weſen nur auf unreine und gemiſchte Weiſe verwirkliche, ſondern namentlich auch, daß das3 Komiſche nicht das ganze Schöne iſt.

1. Die komiſche Subjectivität iſt ruchlos, ſobald man ſie vom Stand - punkt des Erhabenen, das ſie eben zu Falle bringt, betrachtet, mag man nun dieſen Standpunkt in äſthetiſchem oder, bei ungenauerem Gebrauch des Worts: erhaben, in moraliſchem Zuſammenhang einnehmen. Man vergißt aber dann, was der §. aus der bisherigen Darſtellung noch einmal ausdrücklich hervorhebt: daß ſich das Subject im Komiſchen zugleich klein und groß weiß. Darin liegt von ſelbſt das Andere, daß das einzelne Subject ſich zwar als berechtigte Monade in der unendlichen Sub - jectivität geltend macht, aber ſich ebenſo des reinen allgemeinen Lebens der Subjectivität, das als Funke von ihm zu allen Subjecten in unend - licher Kette hinläuft, bewußt iſt, und daher im Acte des Komiſchen nicht einen einzelnen, ſondern einen Weltwiderſpruch mit reiner Univerſalität aufdeckt. Ich lache über Jenen, weil ſeine Größe in Kleinheit aufgeht, aber ſo bin auch ich und ſind Alle. Sobald ich mich überhebe, ſo iſt dieſe Ueberhebung nur ein neuer Stoff für das Komiſche.

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2. Wir wiſſen noch nicht, wo das Weſen des Schönen in ſeiner Reinheit erſcheint, wir wiſſen es auch vom Komiſchen noch nicht. Die hergebrachten Unterſcheidungen zwiſchen Lachen und Verlachen, zwiſchen Lächerlich und Komiſch werden erſt da ihre Stelle finden, wo zu zeigen iſt, wie in der Natur, d. h. in der durch Phantaſie und Kunſt nicht idealiſirten unmittelbaren Exiſtenz des Schönen, auch das Komiſche vermiſcht auftritt mit einem Reſte von Bitterkeit und gemeinem Egoismus. Ferner wird ſich zeigen, daß aus anderen Gründen eine unreine Form des Komi - ſchen eintritt in die Welt der Phantaſie oder richtiger eine falſche Ausdehnung des Standpunkts, der nur in der Komik Recht hat, auf das ganze Schöne: es iſt die ſogenannte Ironie der Romantiker, woge - gen Hegel ſo ſehr eifert. Dies bringt dann kranke Producte in der Kunſt hervor. Aber wieder aus andern Gründen tritt eine beſondere Kunſtgattung ein, welche zu den Anhängen gewiſſer Künſte, beſonders der Poeſie, gehört, wo ſich Proſa und freie Schönheit vermiſcht: die Satyre nämlich.

3. Der letzte im §. genannte Schutzgrund für die Freiheit der Komik iſt ſchon ſo eben unter 2 geſchichtlich angedeutet und als logiſcher hier noch beſonders hervorzuheben. Hegel iſt es vorzüglich, der ihn verkennt und daher, um mit jenem ſeinem Eifer nicht in Widerſpruch zu gerathen, an andern Orten wieder zurücknimmt, was er über die Komödie zuge - ſtanden. So in der Aeſthetik Th. 3, S. 536. 537. Hier ſagt er, die Komödie dürfe nicht das wahrhaft Vernünftige zu ihrem Gegenſtande machen, ſondern nur deſſen verkehrte Geſtalt. Allein dies iſt es eben, darauf gründet ſich eben das Komiſche, daß auch das wahrhaft Vernünftige ſich dem Uebergang in Verkehrung nicht entziehen kann. Das gediegene ſittliche Leben der Griechen, deſſen Verfall Ariſtophanes geiſelt, war an ſich ſelbſt, nicht an etwas Anderem erkrankt. Es iſt nicht wahr, daß Ariſtophanes über die ächte Philoſophie, den wahren Götterglauben ſich nicht luſtig macht. Es iſt in allem Götterglauben etwas Wahres, aber es gibt keinen wahren Götterglauben und Ariſtophanes traveſtirt aller - dings den Götterglauben ſelbſt, deſſen alte Einfalt er zugleich preist, weil er den reinen Gottesdienſt des allgemeinen Geiſtes, der vielmehr allein von ihm als Wahrheit übrig bleibt, nicht kennt. Ebenſo verſpottet er die ächte Philoſophie in Sokrates, welche freilich gegen das altgriechiſche Leben be - rechtigt unberechtigt war, und wenn Hegel das Schickſal des Sokrates (Geſch. d. Philoſ. Th. 2, S. 48) tragiſch nennt, weil zwei berechtigte geiſtige Mächte in Colliſion traten, ſo iſt es nur eben deswegen ächt komiſch, weil beide in407 ihrer Wahrheit zugleich einſeitig waren. Die Komik abſtrahirt nur vom Schmerzlichen des Ausgangs. Ferner ſagt Hegel a. a. O., die Subjectivität dürfe als ſolche nicht in der Komödie zu Grunde gehen. Sie geht freilich nicht zu Grunde, aber nicht, weil ſie nur das in ſich der Komik opfert, was bloſe Einbildung des Subſtantiellen wäre, ſondern weil ſie auch das ächt Subſtantielle in ſeine Widerſprüche verfolgt, um es darin fort - zubehaupten.

§. 187.

Da nun das Weſen des Komiſchen darin beſteht, daß es vom Mittel - punkte der Subjectivität aus jede Art des Erhabenen ergreift und verkehrt, ſo kann die Eintheilung ſeiner Formen nicht aus jener Stufenfolge hervorgehen, welche die des Erhabenen beſtimmte. Das Erhabene iſt jetzt Stoff geworden und nicht der Unterſchied des Stoffs kann den Unterſchied der Formen des Komiſchen bedingen; nicht was die Komik in ihren Kreis zieht, ſondern wie ſie es thut, darauf kommt es an. Der Unterſchied dieſes Wie kann nur aus den verſchiedenen Stellungen hervorgehen, welche die im Komiſchen thätige Subjectivität zum objectiven Vorgange annimmt, je nachdem ſie nämlich, ſelbſt beziehungsweiſe bewußtlos und ſinnlich beſtimmt, in ihm aufgeht, oder ſich mit freier Reflexion aus ihm in ſich zurückzieht, oder mit erfüllter Innerlichkeit ſich wieder mit dem Seyn vereinigt und ſich in dasſelbe ergießt. Je mit dem Grade der ſubjectiven Tiefe und Erweiterung wechſelt aber allerdings auch die Weiſe, wie der Stoff gefaßt wird.

Das Erhabene heißt hier Stoff und wurde ſo ſchon öfters in dieſer Entwicklung des Komiſchen genannt. Hiebei iſt die Unterſcheidung des Sinns im Begriffe des Stoffs, wie ſie zu §. 55, 2 gegeben wurde, ganz aus dem Auge zu laſſen. Denn dort wurde unterſucht, was Stoff im rein äſthetiſchen Sinn heiße, hier aber wird der Ausdruck in der allgemeinen Bedeutung gebraucht, wie er überall vorkommt: Stoff iſt der Gegenſtand einer Thätigkeit, Stoff iſt, was verarbeitet wird.

Um den Inhalt des §. ſogleich durch Vorerwähnung der verſchiedenen Formen des Komiſchen zu erläutern, ſo darf nur daran erinnert werden, wie z. B. ſchon die Poſſe die Entſtellung der Religion, alſo des höchſten Stoffes, durch die Kirche in öffentlichen Aufzügen auf ihre Weiſe zum komiſchen Gegenſtande macht, was die ungleich reflectirtere Form des Witzes auf andere Weiſe ebenfalls und durch Aufdeckung der tiefſten und408 geheimſten Störungen des religiöſen Gefühlslebens auch der Humor thut. Die Stufen, welche den Unterſchied dieſer Formen des Komiſchen be - gründen, ſind im §. vorläufig angedeutet und dieſe Andeutung wird ſofort begründet werden. Die Schrift des Verf. über d. Erh. u. Kom. (188) meinte noch, durch Aufführung derſelben einen Vorgriff in die Lehre von der Phantaſie zu thun; es wird ſich aber zeigen, daß dies keineswegs der Fall iſt. Bei der erſteren Form wird es noch gar nicht nöthig ſeyn, dies darzuthun, weil ſie ſich als die am meiſten objective erweist. Bei der zweiten und dritten aber treten allerdings pſychologiſche Namen auf, und hier wird eine Rechtfertigung nöthig ſeyn.

a. Das objectiv Komiſche oder die Poſſe.

§. 188.
1

Nach dem durchgängig herrſchenden Geſetze des Ausgangs vom Unmittel - baren und Fortgangs zum Vermittelten (vergl. §. 12. 89 u. a.) muß unter den genannten drei Formen zuerſt diejenige hervortreten, wo der ſubjective Prozeß als ein beziehungsweiſe bewußtloſer und ſinnlich beſtimmter im objectiven Vorgange aufgeht und das Ganze ſo als eine reale Bewegung auftritt. Wie2 weit die Thätigkeit der Subjectivität in der Zuſammenfaſſung der beiden Glieder des Komiſchen gehen müſſe, begründet auch hier keinen weſentlichen Unterſchied (vergl. §. 181); mag ſie einen Vorgang vor ſich haben, worin ſie dem verlachten Subjecte mehr oder weniger die Beſinnung erſt unterſchieben muß, mag ſie in ihrem ſinnlichen Wohlgefühle ſich ſelbſt als Träger des Vorgangs darſtellen: immer iſt das Beſtimmende dies, daß ſie im erſteren Falle unter den komiſchen Vorgängen die ſinnlich beſtimmten aufſucht und im zweiten ihrer Ausgelaſſenheit in durchaus handgreiflicher Form Luft macht, ſo daß ſelbſt Handlung ohne Rede hinreicht, den komiſchen Prozeß zur Erſcheinung zu bringen.

1. Die Poſſe: dieſer Name könnte vielleicht zu ſehr nach einer be - ſtimmten Production beſtimmter Künſte ausſehen oder wenigſtens überhaupt nach einer bloſen Action der Selbſtdarſtellung komiſcher Laune. Vielleicht wäre es zweckmäßiger, zu ſagen: das Drollige, nur klingt dies zu ſpeziell, eine ganze Art zu bezeichnen. Die Italiener haben den Namen burlesco409 oder gewöhnlicher: buffo. Es iſt einmal ein Terminus nöthig und da das Deutſche keinen paſſenderen hat, mag Poſſe ſtehen bleiben. Vielleicht wäre auch die Bezeichnung: Schwank zuläßig. J. Paul (a. a. O. §. 41) und Ruge (a. a. O. S. 195) weichen von der Faſſung in unſerer Ein - theilung völlig ab. Sie befinden ſich ſchon ganz im Gebiete des ſubjectiv innerlichen Lebens der Komik, beſtimmen das Burleske ſogar als ſubjective lyriſche Empfindung und Laune und denken vorzüglich an Dichter und Traveſtieen. Das Niedrige, was ſie allerdings als weſentlichen Charakter anſehen, wird dann vom Subjectiven aus ſo beſtimmt, daß die höchſte Ausgelaſſenheit ſich abſichtlich und gefahrlos in das Gemeinſte werfe. Dieſe ganze Auffaſſung iſt nur eine Folge des falſchen Gebrauchs, den die neuere deutſche Bildung von dem Namen des Burlesken gemacht hat. Burlesken und buffi ſind die italieniſchen Harlekinſpiele und dieſe die drama - tiſche Geſtaltung des Komiſchen in der realen und handgreiflichen Form, die es als vergleichungsweiſe bewußtloſer Vorgang im volksthümlichen Elemente erhält, burlesk ſind der Eulenſpiegel, die Schwänke und Faſtnachtſpiele des Hans Sachs u. ſ. w. Es iſt wohl der höchſte Muthwille der Aus - gelaſſenheit, dem die Völker in ihren Saturnalien Luft machen, wo dieſe Form der Komik herrſcht; allein das Beſtimmende des Begriffs iſt, daß dieſe feſſelloſe komiſche Stimmung hier die tieferen Bewegungen des in ſich getretenen Geiſtes, welche den ſelbſtändigen Witz und den weltverlachenden Humor hervorbringen, noch vor ſich, noch nicht ausgebildet hat, daß alſo das Subjective, was die Form ſchafft, dem frohen Inſtinctleben der Unmittel - barkeit angehört. Mit dieſer inſtinctiven Form der Komik und mit keiner andern iſt in der Eintheilung anzufangen; nimmermehr mit dem reflectirenden Witze. Was Bauer und Hausknecht an Komik produziren, iſt die erſte einfachſte Geſtalt. Wohl erſtirbt dieſe Geſtalt nicht, auch wenn die höchſten Formen ſchon hervorgetreten ſind, J. Paul hat Prügeleien, Cynismen, Wirthshaus-Schwänke wie das Wein - und Semel-Eſſen in den Flegel - jahren, noch in Fülle, aber hier eben greift er zurück nach der Urform der Komik. Alle dieſe Beiſpiele ſind aus der Kunſt gewählt; befänden wir uns ſchon in dieſer oder wenigſtens in der Lehre von der Phantaſie, ſo wäre hier auch das Groteske aufzunehmen, wie in der Schrift des Verf. über das Erh. und Komiſche. Allein dieſes hebt die Naturgeſetze auf, gehört daher nur dem das Schöne hervorbringenden künſtleriſchen Geiſte an und ſoweit ſind wir noch nicht, daher auch in der Lehre vom Er - habenen das Wunderbare nicht aufzuführen war. Das Burleske aber iſt ſowohl außer der Kunſt als in der Kunſt vorhanden und auch im410 erſten Falle bald als ein Angeſchautes, bald als ein vom Subjecte an ihm ſelbſt Gargeſtelltes.

3. Es iſt hier ein Fall genannt, der ein Vorgriff in die be - ſtimmten Formen der ſubjectiven Exiſtenz des Schönen, ja ſchon der Kunſt ſcheinen könnte. In der allgemeinen Erörterung des Begriffs des Komiſchen wurde nämlich nur dies unterſchieden, ob dem verlachten Subjecte das Bewußtſeyn ſeiner Verkehrung ganz oder nur theilweiſe unterzuſchieben iſt; hier aber wird auch der Fall eingeführt, wo das Subject (das dann weder blos anſchauendes noch blos angeſchautes, ſondern beides zugleich iſt) das Komiſche an ſich ſelbſt darſtellt. Allein die Subjectivität iſt in der Poſſe ſo ſehr ſinnlichgeiſtig, inſtinctiv beſtimmt, daß entſchieden auch ſchon vor und außer der Kunſt eine Selbſtdarſtellung des Vorgangs eintreten muß. Das ſinnliche Wohlgefühl ſtellt Taumeln, Fallen, Stottern, Sprünge machen, ſich Ueberſtürzen an der eigenen Perſon dar auch ohne alle Abſicht künſtleriſcher Mimik; es ergießt ſich, eben weil es ſinnlich iſt, unmittelbar in die Organe und treibt ſie zu Narrenſprüngen. Die eigentliche Kunſt vereinigt dann beide Fälle; in den Harlekinaden treten Perſonen auf, die durch Höcker, Bäuche, Ungeſchicklichkeit aller Art die mitſpielenden Spaßmacher auffordern, ſie zu foppen; dieſe ſelbſt aber ſind zwei: der Pierrot, durchaus Tölpel, und der Harlekin, gewandt und liſtig, der den erſteren, welcher zuerſt ſeinerſeits die übrigen Perſonen äfft, beſtändig wieder äfft. Abgeſehen von dieſer feinen Theilung iſt der Hans - wurſt immer Scheibe und Schütze zugleich; er iſt feig, geſchwätzig, tölpel - haft, aber aus eigener komiſcher Luſt ſtellt er ebenſo dieſe und andere greifliche Mängel auch an ſich ſelbſt dar. Es ſind hier vorzüglich Körper - gebrechen genannt worden; dieſe ſind aber keineswegs der einzige Stoff der Poſſe. Es können auch Vorgänge mit moraliſchen Motiven ſeyn, aber weſentlich iſt immer, daß die Verwirklichung des Zwecks, welcher Art er ſeyn möge, ſich als leibliches Leben ausbreite und Alles ganz greiflich ſey. Ein Freier mit ungeheurem Bauch will die Braut umarmen, aber ſie ſtößt an dieſes Hinderniß ſo auf, daß ſie wie von einem Wollſack zurückprallt und fällt u. dgl. Weil ſo die geiſtigen Beſtrebungen ganz in der leiblichen Vollziehung aufgehend ſich verſtricken, wird die Rede, die weſentlich nöthig iſt, jene zum Bewußtſeyn zu bringen, leicht überflüſſig. Daher die italieniſche Burleske, worin dieſe Art des Komiſchen am reinſten zur Dar - ſtellung kommt, ſich als Pantomime ausgebildet hat und ſo ganz verſtändlich iſt. Freilich nimmt dieſe Art auch reflectirtere Komik, Witz u. ſ. f. in ſich auf und dann iſt Rede nöthig; aber die ganz greifliche Körperlichkeit bildet411 den Grundcharakter. Es iſt zwar nun erſt der Begriff des Ganzen näher zu beſtimmen, wie er zwar durch dieſe Bemerkungen bereits eingeleitet iſt.

§. 189.

Das Erhabene, das in dieſem Vorgange dem Komiſchen verfällt, iſt daher1 immer bereits ſelbſt ein ſolches, deſſen geiſtiger Mittelpunkt nicht als ſolcher zum Bewußtſeyn kommt, ſondern in feſter Geſtalt verkörpert iſt. Daher wird allerdings beſonders die Sphäre der Kraft, des Anſtands, der äußeren Zweck - mäßigkeit, der Leidenſchaft den Stoff bilden, aber ebenſo auch die höchſten Gebiete, nur immer in handgreiflich verleiblichter Erſcheinung. Der Gegenſtoß,2 an dem dieſes Erhabene ſcheitert und welcher hier häufiger von außen als von innen kommt, wird daher nothwendig je zu den niedrigeren und gröbſten Formen des Daſeyns (vergl. §. 171) zurückgreifen und den Anſtand nicht nur da, wo der Kampf gegen ihn als erſtes Glied ausdrücklich geht, auf’s Derbſte verletzen; der Naturgrund, womit das Subject behaftet iſt, wird völlig durchwühlt, um ſich von ihm zu befreien. Aus dieſem Grunde ſowohl (vergl. §. 159, 3), als auch in dem weiteren Sinne des Unbewußten, das aber ebenfalls hier nicht blos (wie §. 159, 2) im Gegengliede, ſondern im ganzen Prozeſſe herrſcht, kann dieſe ganze Form als vorzüglich naiv bezeichnet werden.

1. In der Kraft iſt innere, qualitative Unendlichkeit, aber bewußtlos. Nichts iſt der Poſſe lieber als Scherz über die Verirrungen bildender Naturkraft, welche ſie z. B. gern und glücklich in’s Mechaniſche herabzieht. Rechnet man die Sprache zu den organiſchen Kraftwirkungen (ſofern nicht eben ihre höhere Bedeutung für die Intelligenz in Anſchlag kommt), ſo iſt das Stottern eine hierüber beſonders belehrende Figur. In dem Schwanke, der in der Schr. über d. Erh. u. Kom. S. 194 erzählt iſt, fängt ſich ein Wort wie eingeſpannt in der Kehle und fliegt dann wie ein Knebel heraus. Es iſt dies nicht das gewöhnliche Stottern, ſondern die andere Form, womit Leute behaftet ſind, die den Uebergang vom Athmen zu der Verwendung des Athems, welche das Sprechen verlangt, nachdem ſie irgend einmal ihn nicht fanden, nie wieder in’s Geleiſe bringen können. Das gewöhnliche Stottern tritt ſtehend im Stentorello des Theaters S. Carlino zu Neapel auf. Auf dem Komiſchen des in Mechanismus ver - ſinkenden Organiſchen ruht großentheils die ergötzliche Wirkung der Marionetten und der Puppen im Puleinellkaſten. In der lebendigen Darſtellung der verſchiedenſten Körpergebrechen, jeder Ungeſchicklichkeit,412 Zweckwidrigkeit im äußern Thun ſind die Italiener ausnehmend glücklich. Die Welt der Leidenſchaft fällt natürlich noch ganz in dieſen Kreis, weil ſie blind iſt; allein auch alle andern und ſelbſt die reinſten Formen des Erhabenen. Das Denken z. B., in ſeiner höhern Thätigkeit, ſcheint ein zu ſchwerer Gegenſtand für die Poſſe, allein es kann gerade durch ſeine Ab - ſtractheit eine Barbarei, Vernachläſſigung der Form, Unfläthigkeit u. ſ. w. in der ihm gewidmeten Perſon zur Folge haben, wodurch es ſich völlig für jene eignet. Der Cynismus des Mediziners z. B., als reinen Fachmanns, iſt im Katzenberger durchaus in der trefflichſten Weiſe für die niedrige Komik verarbeitet. Der tieferen Forſchung bemächtigt ſich das Burleske im Puppenſpiele von Dr. Fauſtus. Das Böſe tritt als Teufel auf. Das Gute kann allerdings in ſeiner ſubjectiv vertieften Geſtalt ſchwer in dieſen Kreis treten, um ſo beſſer aber als objectives Pathos. Ariſtophanes iſt allerdings mehr als burlesk und hat ein volles Bewußtſeyn davon, daß er die Komödie über das Poſſenhafte gehoben hat; aber neben den höheren Formen des Witzes und des tiefſten Gefühls, das humoriſtiſch umſchlägt, iſt ihm doch das Burleske Hauptmittel, den Zerfall des Staatslebens zur komiſchen Anſchauung zu bringen. Von der Religion war zu §. 187 die Rede; an ihr wird der Sinn des im vorliegenden §. ausgeſprochenen Satzes beſonders deutlich. Als Kirche wird die Religion ganz objectiv und eben - dadurch für die Poſſe greiflich; ſie verfällt aber zugleich in dieſer Geſtalt mit Recht der Komik, denn ihr geiſtiger Mittelpunkt verliert wirklich an ſeiner Reinheit ebenſoviel als der objective Körper der Kirche gewinnt. Die ſogenannten Mißbräuche ſind daher nicht zufällige, ſondern nothwendige Folgen dieſer Verleiblichung. Dogmenzwang und geiſtliche Herrſchſucht und Habſucht ſitzen mitten im Weſen der Kirche.

2. Der Gegenſtoß iſt ſo grob als möglich und kommt natürlich lieber von außen als von innen. Zwar nicht allein das Erſtere: Ungeſchick - lichkeit, Geſchwätzigkeit, Feigheit, Gefräßigkeit u. ſ. w. ſind innere Ver - ſtrickungen des ſtrebenden Subjects mit ſich ſelbſt; allein der rein äußere Stoß muß natürlich in dieſer Komik einer ſich hart und derb reibenden Körperwelt die größere Rolle ſpielen: Prügel bekommen, Stolpern und Fallen u. dgl. greifliche Uebel ſpielen eine Hauptrolle, Falſtaff wird in einen Waſchkorb gepackt, in’s Waſſer geworfen u. ſ. w. Eine höhere Form der Komik kann z. B. die Leidenſchaft der Liebe durch die feinſte Andeutung mitunterſchleichender ſinnlicher oder eitler Motive dem Lächeln preisgeben, aber die Poſſe braucht den derben Ausbruch des Sinnlichen, die ungezwungenſte Bezeichnung desſelben und iſt daher beſonders ſtark413 in der Zote, wie Ariſtophanes, Boccaccio, Luther in allen ſeinen Aeußerungen gegen das Verbrechen des Cölibats, Fiſchart, Shakes - peare genugſam beweiſen. Auf welche Weiſe der Zuſtand der Kirche verſpottet wird, beweiſen die Darſtellungen von Eſeln, die Meſſe leſen, von Mönchen, die an Schweins-Eutern trinken u. dgl. Die Poſſe iſt völlig cyniſch. Das Cyniſche iſt keineswegs einfach als Schmutz zu verſtehen, ſondern es iſt die abſichtliche Aufdeckung der Natur in ihren gröbſten Bedürfniſſen aus Oppoſition gegen die Unnatur, daher wird die feinſte Bildung, wenn es eine Revolution gegen Verkennung der Natur, gegen den Schein des Erhabenen in falſcher Zartheit und Anſtändigkeit gilt, cyniſch, wie z. B. Göthe in: Götter, Helden und Wieland, und die geſammte Sturm - und Drangperiode. Der wahre Cynismus iſt ein Kampf der Geſundheit und Sittlichkeit gegen Verbildung und ihre Ver - dorbenheit. Ja der Stoff für den Cynismus ſteigt in dem Grade, in welchem man ſich ſeiner ſchämt. Je delicater die Bildung wird, deſto mehr erröthet der Geiſt über ſeinen Leib, deſto mehr Schmutziges gibt es. Die allgemeine Empfindlichkeit reizt ſtarke Naturen, den Stoff aus - zubeuten im Namen der Schönheit und ihres Naturrechts. Aber nur dieſe negative Stellung rechtfertigt; iſt der Kampf zu Ende, ſo kehrt als Grundlage die milde Schönheit zurück, welche zwar in Unſchuld frei iſt, aber nicht mehr den oppoſitionellen Accent auf die Naturſeite zu legen nöthig hat; das niedrig Komiſche kann nicht mehr Tendenz, ſondern nur Moment an ſeinem Orte ſeyn. In dieſer Einſchränkung aber bleibt es immer berechtigt; befreit das Komiſche überhaupt, indem es die Grenze aufdeckt, ſo ſoll es auch die Tiefen des Häßlichſten aufdecken, womit der Geiſt behaftet iſt, und das ganze ſogenannte Schmutzige durchwühlen, um uns zu zeigen, daß wir uns nicht ſtellen dürfen, als ſey uns Verdauung, Blähung, Aufſtoßen, Erbrechen u. dgl. erſpart, wenn wir einmal leben, daß wir aber in und ſammt unſern gröbſten Bedürfniſſen und Zufällen doch, gerade indem wir uns in dieſem Widerſpruch erfaſſen, freie und unendliche Weſen ſind. Es braucht alſo nicht nothwendig eine Oppoſition gegen eingedrungene Naturloſigkeit der Bildung, um dieſe Befreiung vorzunehmen. Schon die bloſe Möglichkeit einer ſolchen, die mitten im natur - gemäßeſten Zuſtande gegeben iſt, reizt zum Cynismus und ſo iſt die Poſſe auch ohne die beſondere Oppoſition gegen unnatürliche Bildung als Ganzes überhaupt naiv. Damit iſt allerdings überhaupt eine Bildungsſtufe be - zeichnet, doch eine ſolche, welche den Fortſchritt auf eine höhere überlebt, daher dieſes Prädicat ohne Vorgriff hier aufgeſtellt werden darf. Das414 Alterthum, Mittelalter, die ſüdlichen und katholiſchen Völker üben am glücklichſten die Poſſe, in der nordiſchen und proteſtantiſchen Welt iſt dieſe Form ſo zurückgedrängt, wie ihr Feſt, der Carneval, erſtorben iſt, doch verſchwunden iſt ſie darum nicht; die unteren Stände bleiben ihr zugethan und die höchſte Bildung kann, darf und ſoll ſie nicht fallen laſſen. J. Paul und Göthe ſind genannt, auch Tieck iſt noch ſehr ſtark im Derb-Komiſchen. Der Gebildetſte ſoll noch über das Komiſche der groben Colliſionen der vollen und herzlichen Lache ſich nicht ſchämen.

§. 190.

Naiv iſt alſo die erzeugende Thätigkeit im ganzen Vorgange; ſie bedarf für das erſte Glied und das Gegenglied einer greiflichen Form, weil ſie den innern Mittelpunkt im Gegenſtande noch nicht von ſeiner äußern Erſcheinung unterſcheidet, und dies kann ſie nicht, weil die ganze Subjectivität in ſich ſelbſt den Bruch dieſer Unterſcheidung noch nicht vollzieht. Ebendaher und weil die Greiflichkeit der Form einen ganz öffentlichen und maſſenhaften Charakter be - dingt, iſt dieſe Stufe des Komiſchen zugleich volksthümlich und als mütterlicher, urſprünglicher, aber bei allem Fortſchritte zu feineren Stufen ſich erhaltender Boden aller Komik elementariſch zu nennen. Mangelt ihr nun tieferes Bewußtſeyn und Inſichgehen, ſo iſt ſie dafür ohne alle Heimlichkeit und Abſicht - lichkeit und geht vertraulich und gemüthlich im Strome der Dinge mit fort.

Die hier aufgeſtellten Begriffe ſind ſchon durch die früheren Be - merkungen begründet. Das Vertrauliche und Gemüthliche iſt noch be - ſonders hervorzuheben, wird aber ſeinen ganzen Werth erſt im Gegenſatze gegen den jetzt darzuſtellenden Charakter des Witzes zeigen. Weil Alles herausgeht, iſt auch kein Rückhalt da. Daher hat auch die Kirche die Narren - und Eſelsfeſte nicht gefürchtet; als aber einſt in Frankreich ein Geſetz dagegen erſchien, erklärte die Geiſtlichkeit einer Diöceſe, man ſolle der Narrheit den Sponden nur öffnen, ſonſt ſchlage er dem Faſſe den Boden aus. Die Poſſe iſt grob, ſelbſt grauſam, aber nicht ſchneidend; ſie gehört Menſchen, die ſich und der Welt ihren Lauf laſſen und in der Maſſe des Lebens harmlos mitſchwimmen.

§. 191.

Dieſer Form des Komiſchen fehlt demnach zwar im Umfange ihrer Momente nichts, was zum Weſen des Komiſchen gehört; allein wenn die415 Subjectivität, deren freie, Glied und Gegenglied und ebendaher mit dem verlachten Subjecte ſich ſelbſt in Eins zuſammenfaſſende Unterſchiebung als der thätige Mittel - punkt des Komiſchen erkannt iſt, in ihre volle Bedeutung treten ſoll, ſo folgt, daß diejenige Subjectivität, welche dieſen Act in vergleichungsweiſe bewußtloſe Art ſo vollzieht, daß ſie in ihrem Stoffe aufgeht, gemäß der in §. 182 auf - geſtellten Stufenleiter eine höhere über ſich fordert und findet, welche den Act des Komiſchen gemäß dem wahren Begriffe der Subjectivität mit Wiſſen und Wollen vollzieht und welcher daher die naiv komiſche Subjectivität ſammt ihrem Stoffe zum Stoffe wird. Zwar kehrt nach §. 183 die unendliche Linie dieſer Stufenleiter als Kreis in ſich ſelbſt zurück, allein innerhalb der beſonderen Formen des Komiſchen kann dieſer Abſchluß der Fortbewegung nicht früher eintreten, als bis diejenige Subjectivität gefunden iſt, welche das Komiſche in ſeiner Tiefe wie in ſeiner Weite ſo erſchöpft, daß eine Ueberordnung des ein - zelnen Bewußtſeyns über ein anderes einzelnes nichts mehr in der Sache ſelbſt verändern kann.

Dieſer Fortſchritt iſt ſchon dadurch gefordert, daß das objectiv Ko - miſche als ein naives beſtimmt, ja überhaupt, daß es objectiv genannt wurde. Objectiv heißt zunächſt, daß das zuſchauende Bewußtſeyn einen greiflichen Stoff bedarf, weil es in ſeinem Gegenſtande aufgeht; eben - daher iſt dies Bewußtſeyn naiv. Die Subjectivität aber, die ſo ihrem eigenen wahren Begriffe noch nicht entſpricht, iſt ebendaher objectiv in dem übergreifenden Sinn, daß ſie einer andern Subjectivität, die ihrem Begriffe, ſelbſtbewußt zu ſeyn, entſpricht, zum Objecte wird, und eben - ſo, wenn ich etwas naiv nenne, ſo ſpreche ich ſchon aus, daß ein hel - leres Bewußtſeyn ihm in ſein Geheimniß hineinſieht und es ſich zum Gegenſtande macht. Auch der Poſſe kommt freilich zuerſt ihr Gegen - ſtand, das von ihr verlachte Subject, naiv vor, aber daß ſie in ſo derben Colliſionen das Naive ſucht, iſt von ihr ſelbſt naiv. Der Witz, zu dem wir hiemit übergehen, gehört der Subjectivität, welche ihrem Begriffe, ſich zu wiſſen und was ſie thut, zu wollen, entſpricht. Schon St. Schütze (a. a. O. S. 143) hat den Witz als ein bewußtes Vollbringen des Komiſchen beſtimmt, er drückt dies (S. 144) auch ſo aus: was die Einfalt im Dunkeln findet, das ſucht der Witz im Hellen und bringt es hervor mit der Selbſtſchätzung ſeines Products. Genauer beſtimmt Ruge (a. a. O. S. 137 ff. ) den Witz als die ſich ſelbſt kennende und in Wirkſamkeit ſetzende komiſche That, als das Sichwiſſen416 des Geiſtes im Acte ſeiner Befreiung, worin er alſo aus ſeiner un - wahren Geſtalt ſich nicht erſt herauszuarbeiten hat, ſondern dieſe oder die confundirte Geiſtes-Erſcheinung ſchon aufgehoben in ſich enthält, als das Wollen der Pointe u. ſ. w. Allein Ruge kommt nicht von der Poſſe her, er beginnt mit dem Witze als der erſten Form, daher zeigt ſich ſogleich ein Mangel. Zunächſt erhellt an ſich ſchon, daß es falſch iſt, eine bereits ſo reflectirte Geſtalt, wie den Witz, als die erſte aufzu - führen; daraus eben fließt aber auch der Mangel in der Beſtimmung dieſer Geſtalt ſelbſt. Ruge gibt nämlich dem Witze nur die unwillkür - liche Thorheit zum Gegenſtande und bringt dafür S. 138. 139 Beiſpiele. Allein Gegenſtand des Witzes iſt nicht nur Thorheit, welche ohne ihn unbemerkt und durch keine Komik genoſſen geblieben wäre, ſondern vor Allem eine Thorheit, welche auch ſchon ihre Lacher gefunden hat, aber ſolche, über welche ſelbſt noch von einem bewußteren Subjecte zu lachen iſt. Der Witz hat ſeiner ganzen Natur nach ſchon eine Geſtalt des Komiſchen hinter ſich und kann ausrufen: wie ſich die platten Burſche freuen! Die platten Burſche in Auerbachs Keller haben ihren Spaß ſchon vorher gehabt, dann erſt macht ſich Mephiſtopheles mit ihnen ſeinen Spaß, der freilich in dieſem Beiſpiel ſelbſt poſſenhafte Form an - nimmt, aber von einem Subjecte ausgeht, deſſen reflectirte Subjectivität ſich im Allgemeinen in der Form des Witzes bewegt. Die Subjectivität, welche das Komiſche erſt in der Form des Burlesken zu produziren vermag, gehört ſammt ihrem Stoffe unter die Stoffe des Witzes.

b. Das ſubjectiv Komiſche oder der Witz.

§. 192.

Die Subjectivität reflectirt ſich aus dem naiven Verhalten des objectiv Komiſchen in ſich und ſtellt ſich zunächſt über dieſes ſammt ſeinem Gegenſtande, um es zum Stoffe einer andern, vermittelten Form der Komik zu machen. Allein wenn dieſe reflectirte Subjectivität eine ihm vorausgehende Form der Komik zu durchſchauen und ſich als Stoff zu unterwerfen vermag, ſo hat ſie ebendaher nicht nur das Auge für den Widerſpruch eines in dieſer unwillkür - lichen Weiſe ſchon fertigen Komiſchen, ſondern ebenſo für jeden Stoff, der nur417 an ſich und noch ohne belacht worden zu ſeyn, die zur Entſtehung des Komi - ſchen geforderte Bedingung der Häßlichkeit in ſich enthält. Dieſer Widerſpruch kann von ſo greiflicher Art ſeyn, wie ihn die Poſſe bedarf; die reflectirte Ko - mik wird ihn aber nicht ſo belaſſen, ſondern ihn erſt in das Licht eines tieferen Widerſpruchs rücken, um ihn in ihrer Weiſe zu belachen, noch mehr aber wird ſie überall die wirklich feineren Widerſprüche aufſuchen, in welche das aus ſeiner Niederlegung in greifliche Formen des Seyns in ſich zurückgegangene Subject ſich verwickelt.

Der Stoff des Witzes kann dadurch natürlich nicht erſchöpft ſeyn, daß zunächſt das objectiv Komiſche als ſolcher begriffen iſt. Steht es um den Witz ſo, daß er dem naiven Subjecte über die Schulter hereinſieht, ſo iſt ſchon erkannt, daß innere Vorgänge im ſubjectiven Leben vorzüglich ſein Thema ſeyn werden, Verwicklungen, die ſich nicht in einem äußeren Vorgang völlig ausſprechen, ſondern deren Beobachtung ein bewußtes Verſtändniß des Seelenlebens vorausſetzt. Dies hat eine doppelte Be - deutung; zuerſt die, daß der Witz allerdings aus dem Kreiſe des Er - habenen gewiſſe Gebiete mehr ſein nennen kann, als die Poſſe. Er hält ſich weniger bei den Erſcheinungen der Kraft auf und nimmt ſich aus dem Erhabenen des Subjects vorzüglich diejenigen Stufen, die der Poſſe ferner liegen: die Intelligenz und den ſittlichen Willen. Allein auch hier gilt, daß nicht der Stoff den Unterſchied macht; wie ſich die Poſſe über alle, auch die höheren Gebiete, des Erhabenen verbreitet, ſo faßt der Witz auch ebenda ſeinen Boden, wo dieſe vorzüglich zu Hauſe iſt, im Greiflichen nämlich, und den Unterſchied bildet nur die Art der Faſſung. Allerdings beſchäftigt er ſich daher auch mit der Sphäre der Kraft und ihren drolligen Stößen, aber er läßt es nicht bei der einfachen An - ſchauung, ſondern thut etwas Weiteres hinzu, was ſich zeigen wird. Im Erhabenen des Subjects iſt er ſo gerne cyniſch, als die Poſſe, aber er deutet den Anſtoß des Geiſtigen an die groben Bedürfniſſe und Triebe feiner an; gewöhnlichen Verletzungen des Anſtands zieht er zwar Naive - täten vor, wodurch nicht etwa nur der äußere Anſtand, ſondern das innere Schicklichkeitsgefühl, Rückſichten auf anweſende Perſonen u. drgl. verletzt werden, doch kann er die gröbſte Unanſtändigkeit auf ſeine Weiſe ebenſogut zum Gegenſtande nehmen. Dieſe bringt es mit ſich, daß er alle Geſtalten der ſubjectiven Erhabenheit in’s Innere verfolgt; wenn z. B. die Poſſe ſehr heimiſch iſt in der Sphäre der äußeren Zweckmäßigkeit, ſo iſt es auch der Witz, aber er bleibt nicht dabei ſtehen, die anſchaulicheViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 27418Handlung in ihrem Mißlingen darzuſtellen, ſondern er verfolgt die Un - klugheit tiefer, zeigt das falſche Berechnen und Rechnen u. ſ. w. auf; die Intelligenz belauſcht er in ihren geheimen, feinen Täuſchungen, in der moraliſchen Welt geht er der Leidenſchaft in ihre inneren Widerſprüche nach, die Liebe z. B. läßt zwar auch er in Trübung übergehen durch ſtörende Sinnlichkeit, dieſe ſelbſt aber behandelt er wieder wie einen Irr - thum der Reflexion und noch lieber deutet er nur ein Mitunterſpielen der ſinnlichen Regungen im Innern an; dem Geizigen läßt er nicht unter Prügeln ſein Geld nehmen, ſondern er zeigt den reinen Widerſpruch im Geize ſelbſt auf und in das Gebiet der Laſter führt er überhaupt das der Klug - heit ſo herein, daß es als eine Welt der verwickelten, dem Genuſſe dienenden, aber ſich ſelbſt aufhebenden Intrike erſcheint. Spitzt ſich die Intrike zum Böſen zu, ſo lauert er dieſem auf, wo ſich in der Verſchmitztheit ſeine Dumm - heit zeige; dem guten Willen weiß er alle kleinen Eigenheiten, Liebhabereien, Neben-Motive aufzuweiſen, durch die er ſich heimlich untreu wird; die Religion verfolgt er nicht nur in die groben Mißbräuche der Kirche, ſondern die Verſtandes-Widerſprüche der Dogmen, die feine Heuchelei und Herrſchſucht der Prieſter, aber auch alles Kleine deckt er auf, was ſich in die wahre Andacht miſcht. Das öffentliche Leben öffnet ihm ſeine Weite, aber auch hier tritt er hinter die Couliſſen, ſpürt den Heimlich - keiten nach, welche die Poſſe mit ihren ſchweren Fingern nicht findet: dem Spiel der Einflüſſe, der Hofränke, der Weiber, der verborgenen Liebſchaften u. ſ. w. hinter den großen und objectiven Kräften, die die Welt bewegen. Nachdem dies gezeigt iſt, ſo iſt es nicht mehr nöthig, von dem Gegengliede ausdrücklich zu ſprechen, wie in der Darſtellung des objectiv Komiſchen; die Art, wie es ſich beſtimmt durch die Ver - folgung der Dinge in ihr Inneres, iſt mit dieſer bereits ausgeſprochen. Es kommt jetzt Alles darauf an, erſt das Verfahren des Witzes kennen zu lernen, wo ſich über das Gegenglied, das er in Thätigkeit ſetzt, etwas ganz Neues entdecken wird.

§. 193.
1

Da nun der Widerſpruch im Gegenſtand aus dem Gebiete der Anſchauung in’s Innere verlegt iſt, ſo muß die das Komiſche erzeugende Subjectivität ihren Stoff überhaupt in ein innerlich Vorgeſtelltes und Gedachtes verwandeln und daher kann ſie ihn nicht einfach als objectiven Vorgang zeigen, ſondern muß ihn auch in der Form des für das Innere Ermittelten ausſprechen. Sie419 bedient ſich daher weſentlich der Sprache und ſofern ſie ſinnliche Bilder gebraucht, ſind dieſe bloſe Zeichen. Mit dieſem Mittel thätig ſtellt ſie ſich über ihren2 Gegenſtand, ſpricht ihn aus, holt aber aus der unendlichen Welt des Vorſtell - baren durch einen Sprung, welcher Sache des unmittelbaren, ahnenden Ergrei - fens iſt und dieſem Reflections-Acte den äſthetiſchen Charakter gibt, eine Vor - ſtellung aus einem ganz entlegenen Kreiſe herbei und wirft ſie mit der des vorliegenden Gegenſtandes plötzlich in Einen Gedankenzuſammenhang. Das Weglaſſen aller Mittelglieder (vergl. §. 169), das nothwendig die größte Kürze des Ausdrucks fordert, ſpannt den Widerſpruch auf ſeine Spitze. Auf derſelben Spitze aber ſpringt ein Punkt hervor, durch welche die entlegene Vorſtellung mit der vorliegenden in eine ſcheinbare Einheit ſich zuſammenfaßt, und ſo entſteht der äſthetiſche Lichtſchein eines neuen Verhältniſſes, indeß unſer Wahrheits - gefühl das alte fortbehauptet und durch dieſen Zwieſpalt zwiſchen doppeltem Scheine jenen ſüßen Kitzel des erregten Verſtandes unterhält, der im Komiſchen bis zur Empfindung ſteigt (J. P. Fr. Richter). Dies Verfahren heißt Witz. 3

1. Der §. ſagt: ein innerlich Vorgeſtelltes und Gedachtes, nachher wird das einemal Vorſtellung, das andremal Gedankenzuſammenhang ge - nannt. Es iſt nicht anders möglich, als ſo im Unbeſtimmten zu bleiben, wenn dieſer Punkt nicht eine unverhältnißmäßig breite Erörterung her - beiführen ſoll. Das Wahre iſt, daß der Witz zwiſchen Vorſtellung und Begriff auf ſchmaler Linie hinſpielt. Er erhebt ſeinen Gegenſtand in die Sphäre der Allgemeinheit oder des Gedachten, läßt aber mehr oder weniger Spielraum, ſich ihn innerlich vorzuſtellen. Er kann bei einem einzelnem vorliegenden, ſinnlichen Falle ſtehen bleiben, wie Liskow in einem nachher anzuführenden Epigramm; dieſer Fall iſt nicht gegen - wärtig, wird aber als ſinnlicher Vorgang innerlich vorgeſtellt. Er kann einen allgemeinen Satz daraus abſtrahiren, die Pointe auf ein allgemeines Verhältniß hinüberziehen, wie wenn J. Paul ſagt: ſo ſehr ſieget bloſe Stellung, es ſey der Krieger oder der Sätze. Stellung der Sätze iſt hier das Subject, das durch Einſchiebung der Krieger komiſch gebrochen wird. Dies iſt etwas ganz Allgemeines, doch ſtellt man ſich auch hier noch einen Gelehrten ſitzend und ſeinen Styl ordnend vor. Ganz allge - mein iſt der Satz Petions in der Nationalverſammlung: la théologie est à la religion ce que la chicane est à la justice; vom vorliegenden Streit mit der Kirche ſind reine allgemeine Begriffe abgezogen. Hier bringt aber die witzige Vergleichung die Aufforderung zur Vorſtellung27*420hinzu: bei Chikane ſtellt man ſich innerlich die Geſtalten der ſtörenden Scholaſtiker vor, ihr Thun in ſinnlicher Erſcheinung. Hiemit iſt ſchon geſagt, daß, wenn das Subject auch ganz allgemein als Begriff geſetzt ſeyn mag, doch das herbeigebrachte Gegenglied, ſey dieſes nun wirklich ein ſinnliches wie im bildlichen Witz oder nicht, weil es nicht auf dem Wege methodiſch fortgehenden Denkens, ſondern eines Sprungs gefunden wird, immer die Vorſtellung aufruft, den reinen Begriff nur wie ein Durchſchimmerndes mit innerlich geſchauter ſinnlicher Beſtimmtheit zu umhüllen, bald mehr auf der Seite des erſten Glieds, bald mehr des Gegenglieds. Hienach rechtfertigt ſich auch in Anwendung auf dieſe Form des Komiſchen die allgemeine Forderung der Anſchaulichkeit §. 154. Daß nun dieſe Komik ſich nur durch die Sprache ausdrücken kann im vollen Gegenſatze gegen die erſte Form, welche bei der Anſchaulichkeit ihres ganzen Prozeſſes ſie leicht ganz entbehrt, folgt aus dem Geſagten. An ihre Stelle können wohl Bilder treten, ſie ſind aber bloſe Vehikel im Sinne des Zeichens, wie z. B. Hörner, um einen als Hahnrei dar - zuſtellen, der Auftritt mit der Flöte im Hamlet, Aufführung witzig poin - tirter Charaden und die Mehrzahl von Caricaturbildern. Wenn z. B. in der Caricature Louis Philipp als Balliniſt dargeſtellt war, der mit Geſetz, Verfaſſung, Gerechtigkeit, Vaterland als Bällen, Meſſern in der Luft ſpielt, ſo hat hier das Sinnliche ganz die Bedeutung eines Witz - worts. Oft fällt, beſonders bei den franzöſiſchen Caricaturen, Bild und Witz ſo auseinander, daß man dieſen nicht aus der dargeſtellten Si - tuation errathen könnte, er muß darunter geſchrieben ſeyn, er beſteht in Worten, welche von den gezeichneten Perſonen geſprochen werden; die Situation ſtellt dar, wie Menſchen ſich in ihren Bewegungen und Ma - nieren gehen laſſen, während ſie ſo etwas ſagen, und wäre als Veran - ſchaulichung von Manieren gewiſſer Stände u. ſ. w. auch für ſich ver - ſtändlich: ſo entſteht aber eigentlich ein Genrebild und der Witz iſt ganz Nebenſache oder fällt als ſolcher wirklich weg.

2. Die alte Definition des Witzes als einer Fertigkeit, Aehnlich - keiten zwiſchen Unähnlichem aufzufinden, wurde von J. Paul (a. a. O. Th. 1, §. 42 ff. ) aufgegeben, allein nachdem er den Begriff der aufge - fundenen Aehnlichkeit widerlegt hat, ſetzt er an ſeine Stelle den der Vergleichung, nämlich einer beſondern Art derſelben, und zwar derjenigen, welche theilweiſe Gleichheit bei größerer Ungleichheit entdeckt. Dadurch ſucht er den Witz vom Scharfſinn, welcher theilweiſe Ungleichheit unter größerer Gleichheit verborgen, und dem Tiefſinn, welcher trotz allem421 Scheine der Ungleichheit gänzliche Gleichheit finde, zu unterſcheiden. Zunächſt hätte J. Paul bemerken ſollen, daß der Scharfſinn und Tiefſinn hier nur ganz beiläufig als Hülfen zur näheren Begrenzung des Begriffes anzuführen ſind, indem das, was im Witz allein äſthetiſch iſt und was ihn von dieſen völlig trennt, ihm ſelbſt nicht verborgen blieb: daß nämlich der Witz allein erfindet und zwar unvermittelt. Das Unmethodiſche, rich - tiger die ausdrückliche Oppoſition gegen das methodiſche Denken, welche in dem Fluge zu einer völlig entlegenen Vorſtellung liegt, deren Herbei - Bringung zuerſt als volle Zweckwidrigkeit erſcheint: dies macht den Witz zu einer äſthetiſchen Kraft im Gebiete des Komiſchen. Es ſey ein Inſtinct der Natur, ſagt er ſelbſt, was die Aehnlichkeit zwiſchen zwei incommenſurabeln Größen auffinde: darum liege ſie offener und ſtets auf einmal da; das witzige Verhältniß werde angeſchaut, während der Scharfſinn durch eine lange Reihe von Begriffen das Licht trage, das bei dem Witze aus der Wolke ſelber fahre u. ſ. w. Was nun aber das Vergleichen betrifft, ſo iſt allerdings auch dieſer Ausdruck nicht zweckmäßig, nur darf man ihn nicht um den leichten Preis verwerfen, daß man das Verfahren des Witzes, die Form ſeines Prozeſſes, gar nicht näher analyſirt, ſondern unmittelbar blos auf ſeinen letzten Sinn, die Herſtellung des freien Geiſtes aus dem getrübten, losgeht, wie Ruge, der auch hierin ethiſirt (a. a. O. 149 151 u. and.). Das Mangel - hafte der Erklärung des Witzes aus einem Vergleichen zeigt ſich am deutlichſten, wenn man die Art des Witzes, die geradezu ein Vergleichen ſcheint, näher betrachtet: den bildlichen. Auch dieſer iſt gerade dann erſt geiſtreich, wenn er den Schein erzeugt, als vergleiche er nicht nur, ſondern ſetze identiſch. Wenn z. B. der Volkswitz ſagt: der Kerl trinkt Waſſer, daß ihm die Gänſe nachlaufen. Warum? Weil ihm Brunnen - kreſſe hinten auswächst: ſo iſt das Witzige ebendies, daß man ſich den ſo ins vegetabiliſche Reich verpflanzten Mann ſelbſt in dieſem Zuſtande denken ſoll, ihn nicht etwa blos mit einem grünenden Brunnen oder Bach vergleicht. Im unbildlichen Witze aber iſt auch nicht einmal Anſatz zu einer Vergleichung; z. B. wenn Talleyrand ſagt, die Sprache ſey erfunden, um die Gedanken zu verbergen, ſo wird in eine Abſicht das Gegentheil des Beabſichtigten hineingeſchoben und iſt hier von keiner Vergleichung die Rede. Statt: unähnlich oder ungleich ſagt daher der §. entfernt, fremd; ſtatt ähnlich oder gleich: es wird der Schein einer Einheit erzeugt. Die Pointe des Witzes nun iſt der Moment, wo zu - gleich die ganze Spannung der abſtoßenden Fremdartigkeit des herbei -422 gezauberten Gegenglieds und zugleich der Zauber der Einheit in die Augen ſpringt. Hauptmittel dieſer Wirkung iſt Kürze und Schnelligkeit: dieſe läßt alle Zwiſchenglieder weg, welche an ſich denn nichts in der Welt iſt ohne Zuſammenhang auch das Entfernteſte mit dem Entfernteſten verbinden (vergl. §. 169), und bringt dadurch den Zuſammenſtoß hervor. J. Paul nennt dies (a. a. O. §. 45) Wegſchneiden der Nebengedanken. In demſelben Augenblick aber, wo ſie ſich abſtoßen, ziehen ſich die Glieder an und fallen in den Zauberſchein einer Einheit: Sinn im Unſinn, Unſinn im Sinn. Dies iſt es, was J. Paul durch die in dem §. aufgenommenen Worte (a. a. O. §. 44), worin er das Weſen des Witzes ungleich richtiger aufdeckt als in ſeiner Vergleichungstheorie, ſo treffend ausſpricht. Wirkt daher alles Komiſche durch Plötzlichkeit, ſo am meiſten der Witz, welchem die Spitze der Kürze durchaus weſentlich iſt und nichts weher thut, als wenn man ihn erklären muß, die Pointe verfehlt oder durch Zwi - ſchenglieder der Auseinanderſetzung ſchwächt. Geiſtreich nennt J. Paul (ebenda) den Witz den verkleideten Prieſter, der jedes Paar copulirt. Er iſt aber der Schmied zu Gretna-Green, der lauter Paare traut, deren Trauung die Verwandten (der methodiſche wahre Zuſammenhang) nicht dulden wollen. J. Paul berührt aber auch die tiefere Befreiung, welche ſich durch den Witz die Subjectivität gibt, und auf welche Ruge, nur mit Weg - laſſung näherer Darſtellung des Verfahrens im Witze, hindringt, durch die tiefe Bemerkung (§. 54): der Witz gibt uns Freiheit, indem er Gleich - heit vorhergibt. Dies will zunächſt ſagen, daß der Witz ein freies Be - ſchauen iſt, welches ſich nicht in den Gegenſtand oder deſſen Zeichen einge - kerkert verliert und vertieft ; der Kopf wird zu einem Polterabend der Brautnacht, es herrſcht eine Gemeinſchaft der Ideen wie der Weiber in Platons Republik und zeugend verbinden ſich alle. Allein hier ſitzt noch eine wichtige Frage, die nämlich über den eigentlichen Gehalt des Witzes, oder richtiger, ob er überhaupt einen hat: wovon im folgenden §. zu handeln iſt.

3. Witz iſt eine pſychologiſche Benennung und es ſcheint hier ent - ſchieden ein Vorgriff in die Lehre von der Phantaſie Statt zu finden, wie denn der Verf. in ſ. Schr. über d. Erh. u. Kom. (S. 188. 190) noch meinte, die ganze Eintheilung des Komiſchen gehöre eigentlich da - hin. Der Witz muß nun allerdings in der Pſychologie vorkommen und demnach ſollte er, ſo ſcheint es, auch in der Aeſthetik jedenfalls in der Lehre von der Phantaſie ſeine Stelle finden. Allein in dieſem Zuſammen - hang wäre die Unterſuchung ganz abſtract; es würde nämlich völlig ab - geſehen von der Geſtaltung des Erhabenen, aus dem wir jetzt kommen,423 und davon, wie dieſes unter andern Formen ſeiner Aufhebung auch die des Witzes fordert. Dies eben iſt der objective Zuſammenhang, der die Aufführung des Witzes an dieſer Stelle verlangt. Nun könnte einge - wandt werden, der geſammte Stoff des Erhabenen werde ja ſchon vom objectiv Komiſchen aufgelöst, dieſe rein ſubjective Form, der Witz, ſey daher durch die objective Bedingung des Erhabenen nicht nothwendig gefordert, ſondern nur eine Forderung der Phantaſie bedinge auch dieſe Form der Auflöſung. Dies iſt aber unrichtig, denn die verſchiedenen Vertiefungsgrade des Erhabenen gehören ebenfalls zu der Geſammtheit ſeines Stoffs und die Poſſe kann daher in dieſem Sinn allerdings nicht über das ganze Erhabene ſich ausdehnen, ſondern läßt noch eine ganze Welt des Stoffs für feinere Formen der Verlachung zurück. Dies wird ſich noch deutlicher im Folgenden zeigen, wo klar werden wird, was denn der Witz eigentlich trifft. Daß nun die Pſychologie das Recht habe, alle Formen ſubjectiver Thätigkeit abgeſehen von dem objectiven Weltzuſammenhang ihrer Gegenſtände darzuſtellen, wird durch die Her - vorhebung des letzteren nicht beſtritten. Die Pſychologie der Aeſthetik aber, d. h. die Lehre von der ſubjectiven Exiſtenz des Schönen als Phantaſie, hat ſich, nachdem dieſe Formen der komiſchen Thätigkeit im allgemeinen Theile nach der objectiven Forderung des Zuſammenhangs dargeſtellt ſind, nicht weiter mit dieſen zu beſchäftigen, ſondern nachdem ſie gezeigt haben wird, was reine Phantaſie iſt, darf ſie nur hinzu - ſetzen, daß die verſchiedenen Hauptformen des Schönen, alſo die des Komiſchen wie die des einfach Schönen und Erhabenen, als reine Thätig - keiten wieder in ihr hervortreten. Kurz: das Komiſche trotz der Sub - jectivität ſeiner Formen iſt ein weſentliches Grundverhältniß im Schönen, das, rein oder unrein, überall vorkommt, wo Schönes lebt, und ge - hört daher in den allgemeinen Theil, die Metaphyſik des Schönen.

§. 194.

Könnte nun dieſer Sprung mit Chr. H. Weiße als eine nur nachdrück -1 lichere Form des in §. 176 geforderten Leihens angeſehen werden, ſo gälte auch vom Witze, was vom Komiſchen überhaupt gilt, daß es nämlich in irgend eine beſtimmte Erſcheinung des Erhabenen eingeht und durch ein Leihen des Bewußtſeyns die verlorene Beſinnung in dem Subjecte derſelben entbindet. Allein die vom Witz herbeigeholte zweite Vorſtellung liegt zu entfernt, als daß ſie dem verlachten Subjecte untergeſchoben werden könnte; der Witz verläßt2424 vielmehr dieſes und treibt blos mit der Vorſtellung von ihm oder ſeinem Thun jenes Spiel. Der Gegenſtand bleibt außer ihm ſtehen, Inhalt und Form fallen auseinander, oder vielmehr die Form erhält einen andern Inhalt, als der iſt, welcher ſie in Bewegung zu ſetzen den erſten Anſtoß gab, und dieſer andere Inhalt iſt eigentlich der ſtrenge Zuſammenhang der Dinge in dem geordneten Denken: gegen dieſes macht der Witz die Wahrheit geltend, daß die Dinge ihre Stelle müſſen wechſeln können, weil Eines in Allem iſt, und ſo befreit er allerdings und bewährt Freiheit, indem er die Flüſſigkeit der abſoluten Idee zu Tage bringt, aber er verliert den feſten Boden der Grenze, welchen alles Schöne fordert (§. 30 ff.).

1. Weiße (Aeſth. §. 32) ſieht in dem Witze daſſelbe Leihen wie im Komiſchen überhaupt, nur mit höherer Intenſität und Selbſtbewußtſeyn. Daran darf man nur knüpfen, daß durch dieſes beſtimmtere Leihen eben noch beſtimmter die Beſinnung in dem Verirrten entbunden wird, ſo ſteht man in Ruges Anſicht über den Witz. Allein die Vorſtellung, die der Witz herbeibringt, iſt zu entlegen, um ſie ſo zu verſtehen. Wenn z. B. Liskow auf den Magiſter Sievers in Lübeck, welcher als Kämpfer für die Orthodoxie gegen ihn als den Kämpfer für lebendige Sittlichkeit auf der Kanzel ſich in ſolchen Eifer predigte, daß der Wille die unter - geordneten Theile ſeiner Perſönlichkeit zu beherrſchen vergaß, welche nun dieſe Gelegenheit ergriffen und in einem reichlichen materiellen Erguſſe den oberen, geiſtigen zugleich bildlich darzuſtellen beſtrebt waren, (welcher Vorfall, beiläufig geſagt, im burlesken Sinne ganz komiſch iſt auch ohne Satyre, folgendes Epigramm machte:

Bei jener edlen Feuchtigkeit,
Die jüngſt vom Predigtſtuhl gefloſſen,
Erinnerte ich mich der Zeit,
Da Paul gepflanzt, Apoll begoſſen;
Ich freuete mich inniglich
Und ſprach: die Zeiten beſſern ſich;
Ein Mann thut, was ſonſt zweene thaten;
Drum Spötter, iſt euch noch zu rathen,
So lacht nicht, wenn mein Sievers pießt
Und wenn er pflanzt, zugleich begießt.

ſo kann er dem eifrigen Manne nicht unterlegen wollen, als habe er im figürlichen Sinne den Baum der Kirche begießen wollen und es nur allzu unbildlich ausgeführt; die Vorſtellung des Begießens liegt zu fern, um ſolche Abſicht dem verlachten Subjecte unterzuſchieben. Ebenſo Börnes Witz: als Pythagoras ſeinen Lehrſatz erfunden hatte, opferte er eine425 Hekatombe: ſeitdem zittert jeder Ochs, ſo oft eine neue Wahrheit ent - deckt wird ; hier kann man den zitternden bildlichen Ochſen nicht unter - legen, als hätten ſie ſich im Irrthum über ihre Menſchenwürde die eigentlichen Ochſen der Hekatombe zum Muſter genommen. Daher bleibt beim Witze das getroffene Subject draußen ſtehen, denn es kann das nicht in ſich aufnehmen, ſich nicht als verborgene Wahrheit ſeines Be - wußtſeyns ſagen laſſen, was der Witz herbeiholt.

2. Die angeführten Witze treffen. Der folgende §. wird auf den Witz, der trifft, d. h. der irgend eine Häßlichkeit ſtrafend erfaßt, zu - rückkommen; die Unterſuchung hat aber zunächſt einen andern Witz in’s Auge zu faſſen oder richtiger das reine Weſen des Witzes. Wenn näm - lich der Witz, wie gezeigt, nicht innerlich eingeht in das Bewußtſeyn des Irrenden, ſondern ihn, wenn er ihn auch trifft, getroffen ſtehen läßt, ſo ſitzt ſein eigentliches Weſen offenbar gar nicht in dieſem Zu - ſammengehen mit dem verlachten Subjecte, und dies zeigt ſich am reinſten darin, daß er ſein Spiel ausüben kann ganz ohne etwas oder etwen zu treffen. Die Schrift des Verf. über d. Erh. u. Kom. hat (S. 196 u. 202) vom Witze überhaupt ausgeſagt, er habe keinen eigentlichen Sinn, es ſey nur der methodiſche Zuſammenhang, die Location der Begriffe, womit er ſpiele, und nur ſubjective Nebenbeziehungen geben ihm den ſogenannten Gehalt. Bohtz (über d. Kom. und d. Komödie S. 93) hat dies angegriffen. Der Punkt iſt ſchwierig. J. Paul ſchwankt; das Einemal (z. B. a. a. O. §. 53) ſagt er, es müſſe ge - ſtanden werden, daß bloſer Witz als ſolcher nur abmattend er - götze, ſobald er auf ſeinen bunten Spielkarten nicht etwas Weſentliches z. B. Empfindung, Bemerkung u. ſ. w. zu gewinnen gebe; allein §. 54 ſagt er ganz allgemein, der Witz ſey von Natur ein Geiſter - und Götter - Läugner, der an keinem Weſen Antheil nehme, ſondern nur an deſſen Verhältniſſen. Dies ſtimmt nur dann zuſammen, wenn man hinzuſetzt, daß der Witz freilich einen Gegenſtand treffen und ſo einen Gehalt haben müſſe, daß dies aber äußerlich hinzukomme, nicht noth - wendig im Weſen des Witzes liege, und dies eben iſt die richtige Anſicht, wie der folg. §. zeigen wird. Die Aeußerungen in der genannten Schrift des Verf. haben nur den Mangel, daß ſie blos andeuten und nicht beſtimmt unterſuchen, wie ſich dieſer ſogenannte Gehalt im Witz verhalte, ob organiſch, oder nur äußerlich hinzukommend, und daß Beiſpiele ange - führt werden (S. 197), welche allerdings treffenden Gehalt haben und von welchen nicht hätte geſagt werden ſollen, ſie haben keinen Sinn,426 ſondern nur, das Mittel, wodurch ſie ihn haben, verhalte ſich zu dieſem nicht innerlich und organiſch. Ruge natürlich muß überall Gehalt for - dern und thut dies namentlich bei Gelegenheit des Wortſpiels S. 152: wenn an der Sache gar nichts iſt, d. h. die Worte nichts bedeuten, ſo iſt auch an dem Witze gar nichts . Allein zuvörderſt beſinne man ſich nur auf Witze, die nichts und Niemand treffen, und frage ſich, ob man darüber nicht voller und herzlicher lacht, als über Witze mit ſatyriſchem Stich, z. B. an Fiſcharts trunkenen Wortſpieltaumel, Abrahams a S. Clara närriſche Wienerſpäſſe, das Krähwinkler-Blatt, wo ein Mädchen am Klavier und ſonſt Niemand zu ſehen iſt, unten aber ſteht: wie der Schulmeiſter von Krähwinkel aus Entzücken über das ſchöne Spiel ſeiner Tochter ganz weg iſt. Vieles aus dem engliſchen Auctions-Verzeichniß, das Lichtenberg überſetzt und vermehrt hat, kann man mit vollerem Lachen leſen, wenn man davon abſieht, daß es urſprünglich eine Satyre auf einen reichen, aber unwiſſenden Raritätenſammler war: ein Meſſer ohne Klinge, woran der Stiel fehlt; ein doppelter Kinderlöffel für Zwillinge; eine Sonnenuhr, an einen Wagen zu ſchrauben; eine Mäuſefalle nebſt den Mäuſen dazu; einige Brillen für alte Jagdhunde, die nicht gut in die Ferne ſehen; ein meſſingenes Schlüſſelloch. Oder aus Lichtenbergs Relation von den ſchwimmenden Batterien vor Gibraltar: in jedem Schieß - loch noch ein Loch, das war fürwahr faſt größer noch, als erſtgedachtes Schießloch. In ſolchen Spielen, deren Weſen meiſt darin beſteht, daß die nähere Beſtimmung des Subjects das Subject aufhebt, bewegt ſich der komiſche Geiſt frei durch das Gebiet des verſtändigen Zuſammenhangs, den er durcheinander wirft und deſſen Aufhebung er doch als einen neuen verſtändigen Zuſammenhang behauptet. Auch das Wortſpiel liebt die freien, zweckloſen Verkröpfungen; z. B. Kühne: wir Gelehrte ſind ſämmt - lich Unterleibnizianer. Am beſtimmteſten iſt dies der Fall im bildlichen Witze, der ſich an dem beigebrachten Bilde zu weiden liebt ganz ohne ſich weiter bei dem Subjecte, das dadurch getroffen werden ſoll, aufzu - halten. Man nennt dieſen Witz gewöhnlich den ſchlechten; richtiger wäre es, ihn den freien oder ſchweifenden zu nennen. Ein Object hat auch er: es iſt der Zwang des verſtändigen Zuſammenhangs, gegen welchen die Subjectivität ſich als die freie Negativität aufwirft, ſich ſelbſt als Beweis geltend macht, daß die Dinge flüſſig ſind, daß in allen Räumen Eines, in allen Wellenſchäumen Eines, in allen Träumen Eines iſt . Allerdings aber fordert das Geſetz des Schönen ein beſtimmt Begrenztes und Bleiben bei demſelben: darum erſcheint dieſer freie Witz leer.

427
§. 195.

Diejenige Form des Witzes, welche dieſe Freiheit in reinem Spiele wirk - lich geltend macht, kann freier oder ſchweifender Witz genannt werden; die Leerheit derſelben nöthigt aber den Witz, beſtimmteren Gehalt zu ſuchen, und, obwohl er durch die Fremdartigkeit der herbeigeholten zweiten Vorſtellung den unmittelbar vorliegenden Gegenſtand im weiteren Sinne immer verläßt, ſo wendet er doch ſein Spiel ſo, daß er ihn mit ſeiner Spitze trifft, alſo ein Subject um einer Häßlichkeit willen dem Lachen preisgibt. Dadurch entzieht er ſich dem Vorwurfe eines bodenloſen Spieles, aber nur um in den andern der Stoffartig - keit zu fallen, denn das Spiel ſelbſt wird jetzt bloſes Mittel, Inhalt und Form fallen ſo beſtimmt auseinander, daß derſelbe Witz je nach dem Zuſammen - hang, in den er zu ſtehen kommt, ein freier oder ein treffender ſeyn kann. Der treffende Witz iſt als der ethiſch gehaltvollere vorzuziehen; doch auch dieſer Werth erleidet die Beſchränkung, daß das getroffene Subject, weil das Ver - fahren nicht in ſein Bewußtſeyn eingeht, nicht oder nur zufällig mit dem be - lachenden in Ein befreites Selbſtbewußtſeyn aufgeht, und er verſchwindet ganz, um vielmehr einem ethiſchen Vorwurfe zu weichen, wenn, was ganz nahe liegt, das Subject mit boshafter Abſicht getroffen wird.

Das Epigramm von Liskow, die Ochſen Börnes: dies ſind Witze, die bei ihrem Gegenſtande bleiben und ihn mit ſcharfer Spitze treffen. Man kann, wie dies Wort ſchon oben gebraucht iſt, dieſen Witz den ſatyriſchen nennen und das gemeine Urtheil der Gebildeten zieht ihn un - bedingt vor. Allein auf ſtreng äſthetiſchem Boden iſt nicht zu überſehen, daß hier zwiſchen dem ſogenannten Gehalte, d. h. eben dem Treffen und dem Mittel gar kein organiſches Verhältniß iſt. Das Bild des Begießens, die eigentlichen Ochſen gehören in Wahrheit eigentlich nicht her; es wird dadurch über H. Sievers und über die Feinde des fort - ſchreitenden Geiſtes nichts Neues geſagt und man könnte beide ebenſogut mit einem andern Bilde, im ſtrengſten Sinne aber nur durch einfache Aufdeckung ihres verfinſterten Bewußtſeyn wahrhaft treffen. So äußerlich iſt beides verbunden, daß derſelbe Witz nach Umſtänden ein freier oder treffender ſeyn kann; z. B. der angeführte Krähwinkler Witz wäre ſaty - riſch, wenn der Schulmeiſter etwa ein Trinker wäre, der gern im Wirths - hauſe ſäße und ſich gelegentlich ſchon damit ausgeredet hätte, daß das Klavierſpiel ſeiner Tochter ihn ſo ſehr aufrege, daß er ein anderes Lokal,428 eine Stärkung ſuchen müſſe. Daher wegen dieſes unorganiſchen Verhältniſſes zwiſchen Stoff und Form iſt der treffende Witz ſtoff - artig. Warum er den weiteren Mangel hat, in den Getroffenen nicht einzugehen, iſt ſchon im vorh. §. nachgewieſen. Ebendaher liegt es im Witze ſelbſt, daß er gern boshaft iſt, und hiemit gerathen wir ganz aus der Aeſthetik heraus in ethiſche Verhältniſſe. So etwas Schwebendes iſt der Witz: er iſt entweder äſthetiſch, aber ſchweifend ohne Boden, oder er hat Boden und geht dann auf der Linie hin, wo das Aeſthetiſche den ſtoffartigen Verhältniſſen und ethiſchen Fragen weicht. Dies iſt ſo - gleich im folg. §. ausdrücklich aufzufaſſen.

§. 196.

Der Witz ſchwankt alſo zwiſchen zwei Mängeln, deren einer leicht ein doppel - ter wird: er iſt entweder äſthetiſch ohne ethiſchen Gehalt oder ethiſch ohne äſt - hetiſche Einheit der Form und des Gehalts oder dazu noch ethiſch verwerflich. Dieſer Mangel wirkt in ihm als Nothwendigkeit, ſolche Formen zu ſuchen, worin er ſich in ein begrenztes Object eingehend hineinarbeitet und ſo der wahren äſthetiſchen Einheit der Idee und des Bildes näher kommt. In die - ſer Bewegung zu höheren Stufen iſt diejenige Gattung als die niedrigſte und leerſte zu ſetzen, worin, mag der Witz nun frei ſchweifender oder treffender ſeyn, ganz das dargeſtellte äußerliche Verhältniß zwiſchen Inhalt und Form Statt findet. Aber dieſe erſte Gattung, welche als die abſtracte zu bezeichnen iſt, ſteigt ſelbſt nach dem allgemeinen Geſetze des Syſtems von einer erſten, unmittelbaren Form zu weiteren, vermittelten Formen auf.

Es kann ein Widerſpruch gegen die bisherige Weiſe der Anordnung ſcheinen, daß die Eintheilung des Witzes mit der abſtracten Gattung beginnt; allein dies bringt die Stellung des Witzes in der Eintheilung des Komiſchen mit ſich. Dieſe ſelbſt ſteigt vom unmittelbar Concreten durch das Abſtracte zum erfüllten Concreten auf. Verglichen mit jenem iſt das Abſtracte der Durchgang zum Höheren; verglichen mit dieſem iſt das Abſtracte das Aermere und leidet ebenſo, wiewohl aus anderem Grunde und auf andere Weiſe, an undurchdrungener Einfachheit, wie das erſte, Unmittelbare, ſinnlich Erfüllte, aber geiſtig Ungebrochene. Uebrigens verwechsle man den abſtracten Witz nicht mit dem freien oder ſchweifenden. Die Unterſcheidung zwiſchen dieſem und dem treffenden be -429 gründet nicht die Eintheilung der Arten des Witzes; vielmehr jede Art kann treffen oder nicht. Die abſtracte Gattung hat aber ſelbſt zunächſt wieder eine ſinnlich unmittelbare Form, die ſogleich auftreten wird.

α. Der abſtracte Witz.
§. 197.

Der abſtracte Witz ergreift zuerſt das Nächſte, was ſich ihm in dem1 Gebiete ſeines Ausdrucksmittels, der Sprache, darbietet, die ſinnliche Ver - wandtſchaft des Wortklangs für das Ohr, um durch ſie das Schlaglicht einer Einheit entlegener Vorſtellungen hervorzubringen. Dieſe Form, der Klang - Witz oder das akuſtiſche Wortſpiel, ſteht durch ihre ſinnliche Unmittel - barkeit der Poſſe am nächſten, iſt naiv und volksthümlich wie ſie, und wie der Witz durch dieſelbe in die Poſſe zurückgreift, ſo erhebt ſich dieſe, welche überhaupt auf der Grundlage ihrer eigenen Form auch die höheren aufnimmt, vorzüglich in dieſe Art des Witzes. Aus dieſer Form erhebt ſich aber der2 Witz in ſein reines Reflexions-Gebiet, indem er ſich nicht mehr an die bloſe Aehnlichkeit des Klangs, ſondern an die Vieldeutigkeit der Wörter hält, wo - durch ſich das Sinn-Wortſpiel erzeugt. Auch dieſes ſteht mit der Poſſe noch in näherem Zuſammenhang.

1. Beide Arten des Wortſpiels ſind nicht zu verwechſeln. Die erſte benützt blos den Klang, wie der Berliner-Witz über die Aufführung der Antigone: Antik? o nee! Reiche Ausbeute bei Ariſtophanes, Fiſchart, Abraham a. S. Clara, Shakespeare, J. Paul. Der letztere nennt dieſe Art (doch ohne ſie von der zweiten gehörig zu unterſcheiden) Sprach - oder Kling-Witz, auch akuſtiſchen Witz und ſehr geiſtreich den älteren Bruder des Reims oder deſſen Auftact (a. a. O. §. 52), in den er ja auch bei Abraham und Fiſchart ſo häufig übergeht. Unrichtig aber iſt es, wenn J. Paul Luſt bezeugt, wirkliche Verwandtſchaft des Sinns bei verwandtem Klang durch Hindeutung auf die Urbildungen der Sprache geltend zu machen. Da fiele gerade der Widerſinn weg. Wenn Abraham z. B. vermuthet, der verlorene Sohn werde wohl ein Irländer geweſen ſeyn, und ihn mit der Donau vergleicht, die nach langen Reiſen in die430 Sau fließe, ſo wäre der Spaß gerade verloren, wenn man irgend denken könnte, die Wurzel Ire ſey mit Irren und Sawe mit Sau ver - wandt. Daher iſt vielmehr der zweite Grund, den J. Paul für den Reiz des Wortſpiels angibt, der wahre: es ſey das Erſtaunen über den Zufall, der durch die Welt ziehe, ſpielend mit Klängen und Welttheilen, und der dritte: es ſey das Gefallen an der Geiſtesfreiheit, welche im Stande iſt, den Blick von der Sache zu wenden gegen das Zeichen hin. Es braucht keine Nachweiſung, wie dieſe Form ſinnlich unmittelbar, daher naiv, volksthümlich und im Burlesken, das die höheren Formen in ſich aufnimmt, ſo gut es auf ſeinem Boden kann, vorzüglich beliebt iſt.

2. Das Sinn-Wortſpiel dagegen hält ſich an die Bedeutung und iſt daher ungleich reflectirter, denn es unterſcheidet z. B. eine ſinnliche und eine unſinnliche Bedeutung deſſelben Worts, wie Bardolf, wenn er auf Falſtaffs reumüthiges Geſtändniß, er lebe außer allen Schranken, antwortet: ei, ihr ſeid ſo fett, daß ihr wohl außer allen Schranken ſeyn müßt, allen erdenklichen Schranken, oder wie Falſtaff, da ihm Heinrich und Poins ſein Pferd geſtohlen, ausruft: wenn ein Spaß ſo weit geht und zwar obendrein zu Fuße, das haſſe ich in den Tod. Beide Arten des Wortſpiels, das akuſtiſche und das Sinn-Wortſpiel, wechſeln ſich ab in folgender Stelle: Falſtaff: meine ehrlichen Jungen, ich will euch ſagen, was mir vorſchwebt. Piſtol: ein Wanſt von hundert Pfund. F.: keine Wortſpiele, Piſtol! Allerdings hat mein Wanſt es weit in der Dicke gebracht, aber es iſt hier die Rede nicht von Wänſten, ſondern von Gewinnſten, nicht von Dicke, ſondern von Tücke. Namen werden häufig benützt; ſie haben als bloſes Zeichen durch Gewohnheit ihre Be - deutung verloren, der Wortwitz ſucht dieſe wieder auf; ſo ſagt Falſtaff zu Piſtol: drücke dich aus unſerer Geſellſchaft ab, Piſtol!

Wenn man das Abſterben dieſer beiden Formen des Witzes, das mit der modernen Bildung mehr noch als Schickſal der erſten als der zweiten eingetreten iſt, nicht eben bedauern zu dürfen glaubt, ſo vergißt man, daß die ſubjective Freiheit, die auch in dieſer Form ſchaltet, ihr Weſen iſt, nicht der Werth des einzelnen Witzes. Shakespeare’s Narren z. B. wollen durch beſtändiges Mißverſtehen, Verdrehen beſchwerlich ſeyn, damit jeder Begegnende zu erfahren bekomme, daß er auf die hausbackene geläufige Ordnung der Begriffe ſich nicht zu viel einbilden dürfe, auf die Weisheit und Ernſthaftigkeit des methodiſchen Denkens und Verfahrens. Freilich bekommt der Narr durch dieſe Abſicht ſchon etwas Univerſelles und wird eine Perſönlichkeit: dies führt zum Humor.

431

Uebrigens iſt in der zweiten Art des Wortſpiels vorzüglich die Zweideutigkeit heimiſch, welche mit dem Geſchlechts-Verhältniſſe ſpielt, oder die Zote. Die Natur des Witzes bringt es mit ſich, daß im Abſtracten ſchwer iſt, ihre Grenze zu beſtimmen. Nicht ihre Feinheit oder Grobheit bildet einen Unterſchied für das Urtheil, denn die Oppoſition gegen gewaltſame Naturwidrigkeit kann im edelſten Gemüthe ſich zu einem Zorn entzünden, der ſich in der gröbſten Hervorhebung des Naturtriebs äußert; ſchon bei der Poſſe wurde in dieſer Hinſicht Fiſchart und Luther angeführt. Es kommt auf die Freiheit oder Unfreiheit des Gemüths an. Wie alle Komik von dem Gemeinen, indem ſie es aufdeckt, aber zugleich das Licht des Geiſtes in dasſelbe fortleitet, vielmehr befreit, ſo auch die witzige Zote von dem Drucke, welchen das Bewußtſeyn der Schwierigkeit, die geiſtige und ſinnliche Liebe in reinen und ſchönen Einklang aufzuheben, auf das Gemüth wälzt. Aber das Gemüth, das vielmehr von der Be - gierde ſelbſt beherrſcht iſt, treibt dieſen Witz ſo, daß das Gewicht ganz auf die ſinnliche Seite fällt und die häßliche Eindeutigkeit der im Ein - zelſten des ſinnlichen Genuſſes wühlenden Phantaſie ſich zu Tage legt. Gerade die allzu eindeutige Zweideutigkeit iſt häßlich. Doch auch dieſe Lüſternheit, welche vorzüglich bei alten Junggeſellen zu finden iſt, muß noch wohl von der Frivolität unterſchieden werden, welche ſich den armen Genuß gibt, hinter den edelſten Beſtrebungen den Geſchlechtstrieb nicht etwa als fein mitſpielendes, leicht angedeutetes, ganz untergeordnetes Nebenmotiv, ſondern als einziges Motiv anzudeuten: dies iſt im Grunde nicht komiſch, aber Witz kann es, bei der zweifelhaften Natur dieſer ganzen Form der Komik, immer noch ſeyn.

§. 198.

Indem nun aber die Bedeutung das Weſentliche geworden iſt, ſo läßt1 der Witz auch den letzten ſinnlichen Zuſammenhang, der ſich aus der Sprache als ein Unmittelbares aufdringt, fallen und verbreitet ſich als Spiel der reinen Reflexion über das ganze Reich der zum Gedanken erhobenen Dinge mit der unendlichen Möglichkeit ihrer Verhältniſſe, wie ſie ſich ihren folgerechten Aus - druck in den Geſetzen des Sprachbaus gibt, hebt dieſe Geſetze, indem er ein widerſprechendes Glied in den Zuſammenhang wirft, auf und behauptet ſie zu - gleich dennoch fort. Ebenſo behandelt er das Zahlenverhältniß. Da nun in dieſer Sphäre das letzte ſinnliche Band, bei welchem die bloſe Vorſtellung ver -2 weilen und ſich mit dem ſchweifenden Spiele des freien Witzes (§. 194. 195)432 begnügen könnte, in dem Grade verſchwindet, in welchem der Gedanken-Aus - druck nicht ein ſinnlich Einzelnes zum Gegenſtande hat, ſondern etwas Allge - meines ausſpricht, ſo wird von dieſer Gattung des Witzes mit Beſtimmtheit eine treffende Spitze (§. 195) verlangt.

1. Das Reich iſt unendlich; nur wenige Beiſpiele. Declination: Begriff des Genitivs: statua statuae. Genus: Spiele mit: der Menſch und das Menſch. Bindewort: und Schillers Witz von den Minne - ſängern, hier ſey ewig nur der Frühling, der kommt, der Winter, der geht, und die lange Weile, die bleibt. Subject und Prädikat: Lichten - bergs zweiſchläfriger Kirchſtuhl. Theil mit ſeinem ſprachlichen Ausdruck: zu den redenden Künſten gehört die ſchweigende. Thätigkeitswort: Witz der Mad. Düdeffant von dem Maſchinen-Meiſter Vaucanſon: ich wette, er hat ſich ſelbſt gemacht. Zweck mit ſeinem Ausdruck in der Conjunction: er macht ſich einen Denkzettel, um es zu vergeſſen. Negative Steigerung in Siebenkäs, der verſichert, ein Buch nicht recenſiren, geſchweige denn leſen zu können u. ſ. w. u. ſ. w. Auch Zahlen-Verhältniſſe: zum Kriege gehört erſtens Geld, zweitens Geld, drittens Geld; Wirthsrechnung: dreimal vier iſt zwanzig u. ſ. w. u. ſ. w.

2. Bei dem Wortwitze kann man ſich, wenn er auch keine treffende Spitze hat, noch immer des reinen Spiels erfreuen, weil Sinnliches, ein Anklang, ein inneres Hören darin iſt; man ſtellt ſich vor, wie dem Wunderlichen, der das erfunden, wohl das verwandte Wort im Ohre geſummt haben mag. Im reinen Reflexions-Witz geht Abſichtsloſigkeit noch am leichteſten, wenn ein ſinnliches Dieſes bezeichnet wird, wie das obige Meſſer aus Lichtenbergs Auction: man verſucht, ſich das Meſſer, das ſich unter dem Vorſtellen vielmehr aufhebt, doch vorzuſtellen und dies ergötzt. Iſt aber der Satz allgemein, ſo muß er einen Sinn haben, der den Gegenſtand ſtrafend faßt, ſonſt entſteht kindiſche Plattheit, reiner Unſinn.

β. Der bildliche Witz.
§. 199.

Hiedurch iſt aber der Witz von der Bodenloſigkeit des freien Spiels in die andere Einſeitigkeit der Anwendung ſeines Spiels als unſelbſtändigen Mittels433 für einen ſtoffartigen Zweck gerathen. Er muß daher eine Form bilden, welche zwar treffenden Gehalt hat, aber als Mittel für dieſen eine Kraft in Bewe - gung ſetzt, wodurch in erhöhter Weiſe die freie ſinnliche Fülle des objectiv Komiſchen wieder eintritt. Er bringt, um den Widerſpruch in ſeinem Gegen - ſtande aufzudecken, aus entlegener Sphäre eine zur Vorſtellung umgeſetzte ſinnliche Anſchauung herbei, welche, indem ſie durch Zweckwidrigkeit überraſcht, zugleich einen ſchlagenden Vergleichungspunkt darbietet. Dies iſt der bildliche oder vergleichende Witz. Die ungetheilte Einheit der Poſſe iſt hiedurch aller - dings nicht wieder gewonnen, denn das herbeigeholte Sinnliche dient doch nur als unſelbſtändiges Mittel für die treffende Spitze.

Das witzige Bild unterſcheidet ſich durchaus von der ernſten Ver - gleichung. Wenn dieſe ein Bild für ein Geiſtiges aus der Natur nimmt, ſo muß ſie dieſe ſelbſt als beſeeltes Weſen darſtellen; ob ſie auch Geiſtiges als Bild für Natur-Erſcheinungen benützen dürfe, iſt eine ſchwierige Frage, von der hier nur ſo viel zu ſagen iſt, daß wenn es geſchieht, eigentlich das Verhältniß des Bildes ſich unter der Hand umdreht und, was zur Vergleichung dienen ſollte, den Werth des Subjects erhält, dem die Vergleichung dient. Das Bild des Witzes nun muß dagegen aus ſo tiefer Sphäre gegriffen ſeyn, daß alle Mittelglieder, wodurch auch in die Natur das Licht des Geiſtes ſich fortſetzt, wegfallen und ſo das Natürliche als ganz gemein erſcheint, wie wenn in den Wolken des Ariſtophanes das Gewitter (das dem Griechen eine höchſte, göttliche Erhabenheit war) ausführlich verglichen wird mit den Entwicklungen eines Losbruchs in der menſchlichen Verdauungswerkſtätte: bis dahin hatte der Grieche nie das Göttliche verfolgt. Der Witz allerdings kann jedenfalls auch umgekehrt vergleichen durch Vergeiſtigung des Körper - lichen; allein hier tritt dann unfehlbar jene Umdrehung ein. Beſeele ich z. B. ein Glied, wie Falſtaff Bardolfs Naſe, ſo wird dieſe ſo ſelbſtändig, als wäre ſie der geiſtige Mittelpunkt der Perſönlichkeit; allein eben - dadurch iſt die Naſe in Wahrheit um ſo niedriger geſetzt, indem zum Bewußtſeyn kommt, daß ſie im Ganzen der perſönlichen Erſcheinung eine Rolle ſpielt, die ihr nicht gebührt. Auch die unorganiſche und nur vegetabiliſch organiſche Natur kann der Witz beſeelen; hier tritt ein, was §. 157. 158, Anm. geſagt iſt. Allein wenn ich z. B. von Fels und Baum ſage, ſie ſchneiden Geſichter und dergl., ſo wird gelacht, weil man fühlt, wie tief jene Naturdinge unter der geiſtigen Bildung des menſchlichen Angeſichts ſtehen und man dennoch dieſe darin erblicken ſoll. Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 28434Eigentlich findet hier nichts Anderes Statt, als was in §. 155 von allem Komiſchen geſetzt wurde: es kann auch vom Kleinen beginnen und dieſes zum ſcheinbar Erhabenen ſteigern; aber der Rückblick dreht dies um: ein Erhabenes ſollte werden, aber es ſprang ein Kleines heraus. Der zweite Unterſchied zwiſchen dem komiſchen und dem ernſten Bilde iſt die Zweck - widrigkeit des erſteren, welche aus dem tiefen Rückgriffe, den es thut, von ſelber folgt. Dieſen Punkt hat J. Paul (a. a. O. §. 49 51) ganz vergeſſen. Man muß das Gefühl haben: wie kann Einem nur ſo etwas ganz verwünſcht Fremdes einfallen! aber in demſelben Momente muß mitten unter lauter weit abweichenden Eigenſchaften im Bilde der Blitz des Vergleichungspunktes hervorſpringen. So der bekannte Volkswitz über einen Verdrießlichen: er macht ein Geſicht wie ein Hausknecht, der zehn Jahre kein Trinkgeld bekommen hat. Das Volk tritt hier, wie wieder die vollere Sinnlichkeit in das Komiſche eintritt, mit dem vollſten Berufe hervor. Das Seyn und Zuhauſeſeyn in den Dingen, das Schauen und Kennen des ſinnlich Einzelnen wird wieder nöthig wie in der Poſſe. Aber der Unterſchied von dieſer bleibt; der Witz iſt geiſti - ger, weil er das Doppelte, den Bruch und die ſcharfe Spitze der Bedeutung hat, aber äſthetiſch ſchwächer, weil das äſthetiſche Mittel, wiewohl jetzt ein volles Sinnliches und nicht mehr blos in dem ahnenden Ergreifen beſtehend wie in §. 193, der Bedeutung unſelbſtändig dient.

§. 200.

Dies unſelbſtändige Sinnliche kann ſich jedoch erweitern zu der Vorſtellung eines erfüllten Ganzen, das auch auſſer dieſer Verbindung komiſch wäre, und die innere Anſchauung kann ſich am Bilde weiden ganz abgeſehen von ſeiner Anwendung. Dieſem Verweilen gibt der Witz ſelbſt Vorſchub, indem er das Bild weiter ausmalt, als jene es fordern würde, und ſo wird das Treffen des Gegenſtandes wieder erläßlich. Zu weit aber darf der Witz ſein Bild nicht ausdehnen, ohne doch daran zu erinnern, daß es den Zweck des Treffens hatte und ihn nun entweder verliert oder nur gewaltſam feſthält, wo dann im letzteren Falle das Bild ſelbſt auch als ſolches eine Störung des Zuſammenhangs durch unvermerkte Vertauſchung mit einem andern erleidet. Dadurch entſteht eigentlich eine Reihe verſchiedener Bilder und es kommt der Hauptmangel des Witzes zu Tage, daß er nämlich nur punktuell iſt. So ſucht er nun überhaupt die man - gelnde Qualität, das äußerliche Verhältniß zwiſchen Form und Inhalt, durch die Quantität wechſelnder Bilderwitze zu erſetzen.

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Das Bild kann eine ganze Erzählung werden, die auch für ſich komiſch wäre, indem ſie alle Bedingungen, die zu einer komiſchen Er - zählung gehören, enthält, wie z. B. Folgendes. Es beutete Jemand den Tod einer theuren Verwandten zu mehreren Schriften aus. Einer, der um ſein Urtheil darüber befragt wurde, erzählte ſtatt aller Antwort: ein Fiſcher vermißte viele Tage ſein Weib, endlich fand man ihren Leichnam im Waſſer voll von Krebſen, die ſich in ihrem Fleiſche gütlich thaten. Dieſe wurden verkauft und warfen ein Hübſches ab; der Fiſcher beſchloß nun, ſeine Frau noch einmal in’s Waſſer zu werfen, und ſo noch mehrmals. Wird auf dieſe Weiſe das Bild umſtändlich ausgeführt, ſo wird es ſelbſtändig und man kann von der Pointe abſehen. Allein nicht alle Bilder ſind ſo glücklich, einen ſchon vorher fertigen komiſchen Vorgang herbeizubringen; vielmehr es wird irgend ein einzelnes Sinn - liches aufgegriffen, Zug um Zug an ihm aufgeſucht und ſo Zug um Zug mit dem Gegenſtande verglichen. Allein unter der Hand fühlt man die Beſchwerlichkeit, verläßt das erſte Bild und ſchiebt wechſelnd andere Bilder ein. Leſſing liebt dieſe Art, welche J. Paul unpaſſend Allegorie nennt und richtiger als Witzkette bezeichnet hätte, denn die Allegorie iſt nicht komiſch. An einem ausgeſponnenen Bilde, das freilich eben gerade für den Zuſammenhang des Komiſchen von J. Paul nicht glücklich gewählt iſt, weist er Leſſing nach, wie er es unvermerkt immer mit andern vertauſcht a. a. O. §. 51). Allein nicht das Vertauſchen iſt ein wirklicher Fehler; dies iſt dem bildlichen Witze völlig erlaubt, ſondern daß Witz nur Witz iſt. Als ſolcher will er von der Kraft der breiteren Sinnlichkeit Gebrauch machen, allein wenn er nicht das Glück hat, ein ganzes fertiges Komiſche vorzufinden, das dieſe Breite hat, ſo ſieht man gerade dem Ausſpinnen vielmehr die Abſichtlichkeit doppelt an und daher wird im Umwenden das Bild mit immer andern vertauſcht. Hier kommt die Punktualität, die allem Witz eigen iſt, zum Vorſchein; ſie iſt noch weiter hervorzuheben, wenn unten die Mängel des Witzes werden zuſammengefaßt werden. Es iſt alſo, wenn man den Witz als ſolchen und ſeine Bedingungen im Auge hat, gleichgültig, ob gerade das zuerſt gewählte Bild ausgeſponnen werde; es fällt doch auseinander und der Witz mag ohne die Bemühung um einen ſolchen Zuſammenhang ſeine Bilder häufen. Sprudeln müſſen ſie gerade deswegen, weil jedes einzelne äußerlich und unorganiſch neben ſeinen Gegenſtand fällt: dieſer qualitative Mangel treibt zur quantitativen Häufung, und ſo ſprudelt beſonders Shakespeare. Welcher Ueberfluß wird nur über Falſtaffs Bauch und Bardolfs Naſe ausgegoſſen!

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γ. Der in ſeinen Gegenſtand eingehende Witz oder die Ironie.
§. 201.

Soll die Aeußerlichkeit des Witzes, wie ſie in der Trennung des an - ſchauenden Subjects von dem angeſchauten ihren Grund hat und in dem Aus - einanderfallen von Gehalt und Form zu Tage kommt, verſchwinden, ſo iſt das anſchauende Subject genöthigt, in das angeſchaute wirklich einzugehen und das Fortſchweifen nach einer entlegenen zweiten Vorſtellung, das aus dem Fürſich - bleiben ſeiner reflectirenden Stellung floß, aufzugeben. Es läßt ſich mit dieſem ein, knüpft an die Möglichkeit der Beſinnung an, die in ihm als verirrtem Subjecte ſchlummert, legt ihm ſeine eigene wirkliche Beſinnung in demſelben Punkte, worin es irrt, alſo mit Verzichten auf die weit hergeholte zweite Vor - ſtellung unter, ſtellt es dar, als wäre es ſelbſt beſonnen, und ſtatt es zu tadeln, lobt es daſſelbe zum Scheine, aber nicht zu auffallend, ſondern fein und mit anſich - haltender Mäßigung. So entſteht eine anſteigende Linie, welche ſich immer mehr dem Punkte nähert, wo plötzlich der Widerſpruch zwiſchen der Häßlichkeit des Dargeſtellten, in welcher die Beſinnung nur als mögliche ſchlummert, und der untergelegten wirklichen Beſinnung in der Darſtellung hervorſpringt: dies iſt die Ironie.

Die Darſtellung der Ironie gehört zu dem Beſten in J. Pauls Vor - ſchule der Aeſthetik. Zunächſt zwar beſtimmt er ſie als den epiſchen Humor, und nicht nur dieſe Ueberweiſung an eine beſtimmte Kunſtgattung müſſen wir für eine falſche Einſchränkung erklären, ſondern überhaupt daran erinnern, daß dieſe Form wie alle andern auch außer und vor aller Kunſt vorkommt. Statt epiſch ſagen wir objectiv und nehmen daher für unſern Zweck J. Pauls weitere Beſtimmung auf, es ſey die Form des Komiſchen, worin blos der objective Contraſt oder die objective Maxime hervorgehoben und der ſubjective Contraſt verborgen wird. Daß aber die Ironie noch nicht Humor, ſondern nur der Uebergang zu dieſem iſt, dies wird ſich aus ihrer Darſtellung ergeben. Unſere Unterſuchung nun kommt von dem bildlichen Witze her, hat die Mängel aufgedeckt, an denen auch er leidet, und ſie darin gefunden, daß noch das lachende außerhalb und über dem verlachten Subjecte ſtehen bleibt und ebenſo die zweite Vorſtellung,437 welche kein Leihen ſeyn kann, daher nur als äußerliches Mittel der treffen - den Spitze dient. Die Ironie nun, zu welcher als höherer Form durch dieſen Mangel der Witz fortgetrieben wird, iſt, um es empiriſch ſogleich zu ſagen, eine ſcheinbar lobende, in Wahrheit tadelnde Darſtellung eines in Häßlichkeit verſtrickten, verirrten Subjects. Es wird nicht etwas Anderes an dieſem, ſondern gerade das Häßliche gelobt. Das thätige Subject, das dies Verfahren vornimmt, hat demnach die Stellung, die es bisher im Witze einnahm, geändert. Es läßt ſich ein, es geht ein auf das verirrte Subject (vergl. Ruge a. a. O. S. 163. 164) und ebendaher ſchweift es nicht hinweg und hinaus nach einer entlegenen zweiten Vor - ſtellung, die ſich nicht unterſchieben läßt, ſondern es bleibt bei der Stange und ſchiebt dem Verirrten, in welchem das Bewußtſeyn der Verirrung als ein nur mögliches verborgen liegt, ſein eigenes wirkliches eben in dem Punkte, wo die Verirrung liegt, unter. Wir fanden dies Leihen überhaupt im Komiſchen, die Ironie aber vollzieht es ausgeſprochener Maßen, hierin hat Weiße Recht (Aeſth. Th. 1, S. 246) und es wird dies noch als ausdrückliche Beſtimmung aufgenommen werden. Hier tritt der Begriff der Folie in ſeine volle Bedeutung: das ſchon fertige Bewußtſeyn des anſchauenden Subjects ſchimmert in der ironiſchen Darſtellung durch das trübe des verirrten, als wäre es das eigene des letzteren und man ſieht doch, es iſt nur untergelegt; man iſt getäuſcht und nicht getäuſcht. Die Täuſchung wächst an, mit ihr die Enttäuſchung, bis jene reißt und dieſe hervorſpringt, aber der Rückblick erneuert die Bewegung. Soll nun die Täuſchung ſteigen, ſo iſt Geduld und Mäßigung, volles Beſcheiden, die wahre Meinung heraus zu ſagen, durchaus nothwendig; das witzige Subject muß ganz hinter der Couliſſe ſtehen. Nichts iſt ſchlimmer, als Herausplatzen mit directem Tadel (wie dies im Aufang des Don Quixote einmal vorkommt) und allzu lebhaftes Lob. J. Paul (a. a. O. §. 37) fordert daher den Schein des Ernſtes, um den Ernſt des Scheines zu treffen. Unter dem Ernſte des Scheines verſteht er eben das Anſichhalten des Ironikers, der ſein Lachen völlig verbergen muß, und ſagt ſehr wahr, daß die Ironie deſto ſchwieriger werde, je komiſcher der Gegenſtand ſey. Er gibt treffliche Beiſpiele der plumpen und der feinen, d. h. wahren Ironie.

§. 202.

Die Ironie lobt entweder eben die Eigenſchaften des Subjects, die ſie tadeln will, indem ſie ihnen Gründe vorſtreckt, deren Unhaltbarkeit gerade in438 der Anpreiſung zu Tage kommt, oder ſie ſagt die entgegengeſetzten ſchönen Eigenſchaften von ihm aus. Jene Form iſt reiner als dieſe, denn ſie erzeugt ſicherer den geforderten Schein und zugleich geht ſie inniger in das verlachte Subject ein, entbindet in ihm die Beſinnung und zieht es zu ſich heran; dieſe dagegen iſt ihrem eigenen Schein im Wege, ſtößt das verlachte Subject ab und kann ihre Bitterkeit bis zu dem vernichtenden Hohne des Sarkaſmus ſteigern. Aber auch jene reinere, anknüpfende Form iſt in ihrer Milde ſtrafend, indem das verlachte Subject nur um den Preis herber Selbſterkenntniß in das leihende freiere Bewußtſeyn aufgenommen wird.

Wenn die Schildbürger das Licht in Säcke packen und die Stämme, die ſie einen jähen Berg herabtragen, nachdem ſie entdeckt, daß man ſie herabrutſchen kann, wieder hinaufſchleppen, um dieſe zweckmäßigere Manier mit ihnen vorzunehmen, ſo iſt dies ſchwer ironiſch zu behandeln, weil es allzu komiſch iſt. Dennoch hat das Volksbuch den ironiſchen Standpunkt gewonnen, indem es ihnen für alle Thorheiten den Grund vorſtreckt: ſie mußten ihre Weisheit verbergen, um nicht immer in alle Welt als Räthe fortgerufen zu werden, und geriethen darüber allmählich in die Rolle der Narrheit ſo hinein, daß ſie ihnen eine Naturnothwen - digkeit wurde. Bei weniger plumpen Thorheiten iſt dieſes Vorſtrecken von Gründen viel leichter und hat dann freilich auch den Vortheil, ſpezieller ſeyn zu können. Wird aber geradezu von einer Thorheit ausgeſagt, ſie ſey höchſt weiſe, ſo fehlt der Schein des Ernſtes. Auch dies hat J. Paul ausgeſprochen: der Ironiker kann ſeinem Objecte kaum Gründe und Schein genug verleihen. Für das getroffene Subject iſt dieſes Gründe leihende Ver - fahren eigentlich das ſchmerzlichere, aber eben weil es in’s Innere geht, ſo erleichtert es demſelben das Inſichgehen und ebendaher das Zuſammengehen mit dem Ironiker, wogegen das poſitive unmotivirte Lob kränkender Hohn ohne Verſöhnung iſt. Dieſes nämlich hält dem Verirrten unerbittlich vor, was er nicht hat, indem man ſpricht, als hätte er es; dagegen das erſtere wühlt dem Getroffenen zwar im Innern um, indem es ſeine Verirrung aus ihrer eigenen Dialektik heraus als ſolche aufweist, läßt aber auch ebendarum aus der Verirrung ſelbſt heraus das wahre Bewußtſeyn entſtehen, weist die Möglichkeit der Rückkehr zur Beſinnung, zwar negativ, in ihr ſelbſt auf. Zum Sarkasmus wird jener Hohn, wenn die Größe der Häßlichkeit dem Ironiker jeden Gedanken einer Zurechtlegung, eines wohlmeinend eingehenden Leihens abſchneidet, mag dies an ſich oder nur für ſein Bewußtſeyn ſich ſo verhalten; der Gegenſtand kann nicht biegen,439 ſondern nur brechen, er ſoll vernichtet werden. So Hamlet, wenn er von der ſchnellen zweiten Heirath ſeiner Mutter ſagt: Pah! Oekonomie! Oekonomie! das Gebackene zum Leichenſchmaus gab kalte Hochzeitſchüſſeln. Dieſes Witzwort der Entrüſtung ſcheint zwar derjenigen Art anzugehören, welche als die ſchonendere bezeichnet iſt, denn es leiht ein Motiv; allein es leiht ein ſo unmögliches, aller Anknüpfung entbehrendes, daß es ganz ebenſo wirkt, wie wenn es ohne alle auch nur ſcheinbare Anknüpfung die entgegengeſetzte Tugend von der verhöhnten Schlechtigkeit ausgeſagt hätte.

Ruge (a. a. O. S. 164 ff. ) unterſcheidet eine milde Ironie, die das getroffene Subject nicht von ſich ausſchließt, ſondern es an der Möglichkeit der Beſinnung ſchonend ergreift und zu ſich herübernimmt, und eine ſcharfe, unerbittliche, kalte: dieſe, erwartet man, werde als ſolche gefaßt, welche jenes Zuſammengehen abſchneidet, den Gegner ſtehen läßt; allein ſtatt deſſen hebt er hier nur dieſelbe Schärfe hervor, welche auch der milden Ironie deßwegen inwohnt, weil wirklich die Verirrung in dem beſinnungsfähigen Subjecte nicht geſchont werden kann. Er gewinnt zwar dadurch einen Gattungs-Unterſchied, daß die milde Seite gegen den biegſamen, die ſcharfe gegen den ſpröden und unverbeſſerlichen Gegner hervortreten ſoll; für jene führt er den Theätet, für dieſe den Eutyphron an. Allein das ironiſche Subject ſelbſt iſt dann doch die Einheit beider Seiten und läßt nur nach Umſtänden die eine oder andere vorherrſchen: ſo Sokrates. Ruge fordert dann nur von der ſcharfen Ironie, daß ſie ſich nicht erbittere, vereinigt ſie ſo mit der milden und geht zum Humor über. Auf dieſe Weiſe hat er aber ſchon zu viel in der Ironie: eine ganze Perſönlichkeit, welche auch hinter der Schärfe die Geſinnung des milden Eingehens hegt, alſo eine Continuität des höheren Bewußtſeyns. Allein wir ſind noch im Witze, der ſeinem Weſen nach vereinzelt und in welchem ungewiß iſt, ob nicht bald blos die ſcharfe, bald die milde Ironie, welche freilich die Schärfe auch in ſich hat, hervortrete, wir haben noch keinen Sokrates. Daher unterſcheiden wir zunächſt nur zwei Verfahrungsweiſen, deren eine in der Schärfe ſchonend, die andere ſchonungslos wirkt, und decken dann den Mangel aller Ironie auf, um erſt zum Humor zu gelangen.

§. 203.

Die Ironie iſt in §. 166 als ein Moment in der Bewegung des Komiſchen, das ebendadurch auf das Tragiſche zurückweist, ausgeſprochen worden,440 nunmehr aber als der ausdrückliche beſondere Act, woher jenes Moment den Namen entlehnt, an ihrer eigentlichen Stelle aufgetreten. Als ſolcher nun iſt ſie nur ein einzelner und leidet trotz der nothwendigen Ausführlichkeit an der Punktualität des Witzes überhaupt. Ferner bleibt ſowohl dies zufällig, ob auch bei der reineren Form derſelben das geſtrafte Subject in das befreiende Be - wußtſeyn eingeht oder nicht, als auch, ob jene überhaupt eintrete oder nicht, denn die Perſönlichkeit, welche dafür bürgt, iſt noch nicht gefunden. Endlich, wie die Ironie im ganzen Komiſchen nur ein Moment iſt, ſo bleibt ſie auch als ausdrückliche Witzform in ihrem Schluſſe unvollſtändig, weil das unendlich Kleine, das ſie ſtraft, nicht im Genuſſe der Berechtigung erſcheint, die ihm im Komiſchen gebührt. Eben an dieſem Mangel leidet aber aller Witz, nur der zweckloſe, darum aber aus anderem Grund (§. 195) mangelhafte nicht. Die Kälte der Reflexion, welche dem Witz überhaupt inwohnt und wodurch er bei ſeiner höheren Geiſtigkeit dennoch gegen das zutrauliche Inſtinctleben des naiv Komiſchen im Nachtheile ſteht, hängt alſo auch der Ironie an.

Der §. faßt zuſammen, was in verſchiedenen Anmerkungen ſchon aufgeſtellt iſt. Was den zweiten Mangel betrifft, der von der Ironie ausgeſagt wird, ſo gibt ihn Ruge ſelbſt (a. a. O. S. 163: die Ironie überläßt es dieſer Endlichkeit in jedem einzelnen Falle ſelbſt, ob ſie ſich ihres Rechtes bedienen, oder ob ſie für ſich bleiben will ) freilich nicht ganz zu, denn es liegt in dieſen Worten nur, daß die Ironie der End - lichkeit hiezu jedenfalls die Gelegenheit gebe; aber wir beſtreiten dieſes: jedenfalls. Den dritten Grund aber hat er, auch hier ethiſirend, über - ſehen. Die Ironie erſcheint bei ihm ganz wie eine Beſſerungsanſtalt. Allein in allem Komiſchen ſoll ja die Thorheit als berechtigt erſcheinen. Schon oben (§. 201, Anm.) haben wir daher den Rückblick auf den ironiſchen Act als weſentlich erwähnt, welcher die Sache noch einmal umdreht, alſo nicht auf die Herſtellung des Bewußtſeyns, ſondern eben auf den Doppelſchimmer des Unbewußten mit dem Bewußten den Nach - druck legt. Das Wahre iſt, daß der Ironiker ſelbſt mit ſeinem freieren Bewußtſeyn ebenſo als Narr erſcheinen müßte, wie der Verirrte mit ſeinem unfreien. Ebendies thut jener aber nicht; auch ſchonend ſtellt er ſich wohlweiſe über den Getroffenen. Die Stelle Ruges (a. a. O. S. 174) von der Nichtigkeits-Erklärung des Endlichen verläßt ganz den komiſchen Standpunkt; der Ironiker ſollte das Endliche für ein trotz ſeiner Verirrung Berechtigtes erklären und weil er dazu die441 Liebe nicht hat oder vielmehr ebenſogut nicht haben als haben kann, iſt die Ironie noch nicht die wahre Komik. Setzen wir nun auch, wir hätten hier ſchon einen Charakter mit der Continuität der ſchonenden Ironie, wie Sokrates und Nathan, ſo wären doch dieſe ebendarin unvollkommene Erſcheinungen des komiſchen Standpunkts, weil ſie doch eigentlich vom moraliſchen Bewußtſeyn ausgehen, welches, wie weiſe es ſchonen mag, doch weſentlich darauf geht, alle Verirrung als etwas, was nicht ſeyn ſoll, zu bekämpfen. Was übrigens die andern Formen des Witzes betrifft, ſo iſt nun, was hier als dritter Mangel der Ironie hervorgehoben wurde, leicht auf ſie anzuwenden. Der zweckloſe Witz freilich gibt der Narrheit volles Recht, dafür hat er aber auch keinen Boden; der treffende dagegen hält aus demſelben Grunde, warum er das getroffene Subject außerhalb ſtehen läßt, an dem Rechte der zurechtweiſenden Weisheit und gibt ſich nicht herunter, das der Thorheit anzuerkennen.

§. 204.

Der erſte Mangel iſt aber nur äußerlich bezeichnet, wenn er Punktualität1 genannt wird. Der Witz kann ſich zum continuirlichen fortbilden; wie der bildliche, ſo aller. Allein er ſtellt dadurch ſeine Schwäche um ſo mehr an’s Licht; denn wenn der einzelne Witz nur momentan wirkt, ſo ſtumpft der fort - geſetzte und gehäufte ab und ermüdet, weil durch die äußere Continuität die innere Vereinzelung jedes der aneinandergereihten Punkte nicht aufgehoben wird. Was alſo fehlt, iſt die innere Continuität eines Totalbewußtſeyns über die all - gemeine Brechung, welche die abſolute Idee durch ihre Selbſtaufhebung im End - lichen ſich gibt. Der zweite Mangel der Ironie wie alles Witzes iſt das Ausein -2 anderfallen des anſchauenden und des angeſchauten Subjects, durch deren wahres und von jener Continuität verbürgtes Zuſammengehen in Ein Subject erſt das gemüthliche Fortfließen der naiven Komik mit den Dingen ſich in höherer Weiſe wiederherſtellen ſoll. Ebenhiedurch muß ſich der dritte Mangel heben;3 denn wenn das anſchauende Subject ſich ganz in das angeſchaute und dieſes in ſich verſetzt, ſo weiß es ſich ſelbſt als mit deſſen Verirrung behaftet und in der - ſelben dennoch frei, gibt alſo der Verirrung ſelbſt das auf dem komiſchen Standpunkt ihr zuſtehende Recht.

1. Ruge begründet den ſo eben ſchon angedeuteten Uebergang zum Humor näher darauf, daß in der Ironie die Endlichkeit zugleich als der bleibende und unſterbliche Gegenſatz des unendlichen Geiſtes und zugleich442 als nichtig geſetzt ſey: eine unſterbliche Nichtigkeit, alſo allgemeine Ideell - ſetzung der Endlichkeit des Geiſtes (a. a. O. S. 174. 175). In der Ironie ſelbſt konnten wir dieſe Allgemeinheit, Univerſalität noch nicht finden; vielmehr dies fanden wir, daß ihr Mangel dieſelbe erſt zu ſuchen fordert. Ferner iſt im vorh. §. Anm. hervorgehoben, daß dieſe Beſtimmung des Endlichen als eines Nichtigen den komiſchen Standpunkt verläßt. Zwar liegt ein unentwickelter Keim der Anerkennung des Endlichen darin, daß die endliche Geſtalt des Geiſtes als unſterblich ausgeſprochen iſt; allein in dieſer Unſterblichkeit liegt zweierlei: der ewige Geiſt gibt ſich, um in ihr wirklich zu ſeyn, ſtets und unendlich auf’s Neue die endliche Geſtalt, und: er gibt ſie ſich ſtets, um ſie zu negiren. Ruge nun legt den ganzen Nachdruck auf das zweite Moment, das vielmehr dem Erhabenen zu Grunde liegt, ſtatt auf das erſte. Im Komiſchen heißt es ja: dieſe endliche Geſtalt taucht trotz ihrer Vernichtung ſtets auf’s Neue auf, weil der unendliche Geiſt ſelbſt ſie nicht entbehren kann; aus der Vernichtung ſelbſt ſieht ſie ſchon wieder heraus. Dies hat Ruge nicht ausgeſprochen, nicht entwickelt. Richtig aber iſt, daß er zum Humor, zur wahren und ganzen Komik die innere, geiſtig allgemeine Continuität der Idealität des Endlichen (Idealität nämlich nach unſerer Beſtimmung, im Sinne von: Berechtigung genommen, weil die Idee in den Wider - ſprüchen ſelbſt ſich fortbehauptet) gegen Weiße fordert, welcher die Con - tinuität, in der ſich das Totalbewußtſeyn des Humors ſeinen Ausdruck geben ſoll, nur in quantitativem Sinne als einen in zuſammenhängende Reihen oder Ketten fortgezogenen Witz verſteht. Dieſe Continuität hat auch der Witz ſchon als bloſer Witz, er ſucht ſie ſogar, und was in §. 200 vom bildlichen Witze geſagt wurde, gilt nun von allem. Im Gefühle ſeiner Punktualität ſucht er durch quantitative Fülle zu erſetzen, was ihm an Qualität fehlt. J. Paul, im Gefühle der Nothwendigkeit der Selbſtvertheidigung, fordert, weil der einzelne Witz ſchnell verpufft und wie die Biene mit ihrem Stich den Stachel verliert, daß der Witz fortreize, denn jeder Reiz mache einen zweiten nöthig und ſofort, daß er gieße, nicht tröpfle (a. a. O. §. 53). Dies iſt ſo weit wahr, als dieſe kleine Münze, wenn Einer zeigen will, daß er reich iſt, in Menge aus - geworfen werden muß. Allein kleine Münze bleibt kleine Münze, der Reiche hat auch Diamanten. Den ſprudelnden Witz ſoll eine höhere Komik ablöſen, welche da eintritt, wo er durch die Fortſetzung ſeiner ſcharfen, aber immer vereinzelten, Reize anfängt zu ermüden und abzu - ſtumpfen. Der Witz verbeſſert durch Anhäufung ſeinen Mangel nicht. 443Da J. Paul ſelbſt weit mehr als blos witzig iſt, ſo hätte er ſich die halbwahre Vertheidigung der Verſchwendung des Witzes erſparen können; die Verſchwendung iſt nöthig, aber ſie ſoll ſelbſt ein Ende nehmen und eine komiſche Fülle höherer Art in die Leere, die ſie zurückläßt, treten laſſen. Schriftſteller, die blos witzig ſind, erſcheinen ärmlich und gemein.

2. Was fehlt, iſt ein Seyn. Das komiſche Subject ſoll, was es als komiſch weiß, ſelber ſeyn, es ſoll zu dieſer Unmittelbarkeit zurückkehren. In der Poſſe ſtand zwar der komiſche Gegenſtand auch außer dem lachen - den Subjecte, aber dieſes, ſinnlich wie es iſt, fühlte ſich mit ihm in Einer Welt und trennte nicht; daher nahm es gerne die Narrenſprünge auch auf ſich ſelbſt. Nun ſoll dies in höherem Sinne zurückkehren. Das thätige Subject ſoll ſelbſt komiſch ſeyn, aber freilich dieſes Seyn als einen Bruchtheil des allgemeinen Seyns wiſſen und ſo wiſſend den belachten Thoren zugleich in ſich und überall ſehen, ſich zugleich über ihn ſtellen und demüthig mit ihm fortleben und wo es ihn trifft, zutraulich ihm die Hand reichen, nicht einſam bleiben, ſondern im allgemeinen Fluße mitſchwimmen. Was dem Witze fehlt, ſpricht J. Paul in der ſchon zu §. 94, 2 theilweiſe angeführten Stelle vollſtändiger ſo aus: der Witz, das Anagramm der Natur, iſt von Natur ein Geiſter - und Götter-Läugner, er nimmt an keinem Weſen Antheil, ſondern nur an deſſen Verhältniſſen; er achtet und verachtet nichts; Alles iſt ihm gleich, ſobald es gleich und ähnlich wird; er will nichts als ſich und ſpielt um das Spiel; er iſt atomiſtiſch ohne wahre Verbindung; gleich dem Eiſe gibt er zufällig Wärme, wenn man ihn zum Brennglaſe erhebt, und zufällig Licht oder Eisblink, wenn man ihn zur Ebene ab - plattet, aber vor Licht und Wärme ſtellet er ſich eben ſo oft, ohne minder zu ſchimmern. Darum wird auch die Welt täglich witziger und geſalzener, wie das Meer ſich nach Halley jedes Jahrhundert ſtärker ſalzt. (Der letztere Witz dient freilich dem Witze nicht eben zur Empfehlung, denn er iſt matt, weil er weder trifft, noch ohne Treffen ergötzt).

3. Ein ſolches Bewußtſeyn wird gegen alles unendlich Kleine gerecht werden. Wie es an ſich ſelbſt erfährt, daß in dieſem das Höchſte ſelbſt ſeine Wurzeln hat, wird es die Wohlweisheit des züchtigenden Witzes laſſen. Es wird hinter dem unendlich Großen das unendlich Kleine her - vorlauſchen, im unendlich Kleinen aber die eigene freie Strahlenbrechung des unendlich Großen ſehen.

444

c. Das abſolut Komiſche oder der Humor.

§. 205.

Der Witz hat ſich nicht nur dem Stoffe nach über die ganze Welt des Erhabenen verbreitet, ſondern auch, da er zu jedem Nächſten das Entlegenſte herbeizog, die Welt der Objecte zu einem allgemeinen Ortswechſel und In - einander durchgearbeitet. Dieſes Herbeiziehen des Entlegenen hat er als Ironie zwar aufgegeben, aber während er durch das ironiſche Anſichhalten den erſten Schritt that, ſich in ſein Object einzulaſſen, hat er doch zugleich das Ergebniß jener Willkür nicht verloren, und wenn ſich nun das Subject ſowohl in anderen Formen des Witzes, als auch in der ironiſchen, durch das dem Witz inwohnende Bedürfniß ſtets neuer Stoffe und neuer Auflöſung derſelben über Alles und Jedes in’s Unendliche ausbreitet, ſo muß der Punkt eintreten, wo das wiſſen - ſchaftliche Bewußtſeyn des Mangels im Witze ſein eigenes wird: das Subject muß ſich ſelbſt unter ſeine komiſche Thätigkeit ſubſumiren. Jetzt iſt die Ob - ject und Subject trennende Reflexion aufgehoben; die Reflexion kommt bei dem reflectirenden Subjecte ſelbſt an und hebt daher die erſte einſeitige Reflexion auf.

Dem Witze muß endlich einfallen, daß er ſich ſelbſt ausgelaſſen hat: ſo und nicht anders iſt der Uebergang zum Humor zu begründen. Weiße und Ruge, ſchon Jean Paul, gehen vom Begriffe der Univerſalität, der allgemeinen Nichtigkeit des Endlichen aus, welche die Erſteren ſchon in der Ironie finden; die Selbſtverlachung des Humoriſten wird dann erſt aus dieſer Allgemeinheit abgeleitet. Allein dies iſt umzukehren; denn daß ich mich ſelbſt unter das Komiſche ſubſumire, iſt die erſte Bedingung univerſaler Komik. Ihr Eintritt vermittelt ſich nothwendig dadurch, daß der Witz, da er an Allem herumkommt, auch bei dem eigenen Subjecte ankommen muß. Seine Continuität war eine äußerliche, allein dieſe iſt die Uebung und Bildung zur innerlichen. Sie war aber nicht nur eine Ausdehnung über alle möglichen Stoffe, ſondern auch ein allgemeines Durcheinanderſchütteln vermittelſt des Sprungs zur entlegenen zweiten Vorſtellung. So wird das Subject reif zu der Subſumtion des Humors. Der blos Witzige, der immer als Ich handelté, aber nur über ein Nicht - Ich etwas ausſagte, muß endlich auch: Ich ſagen, d. h. er muß ſagen: auch ich bin komiſcher Stoff. Es iſt dies Reflexion der Reflexion. Die erſte Reflexion war ein Reflectiren des Ich über die Nicht-Ich; als Nicht -445 Ich nämlich wurde auch das verlachte Ich in Anderen behandelt, weil der Witz lieblos war, und das eigene Ich ſelbſt ſtellte ſich außer den Schuß. Jetzt biegt es ſich auf ſich zurück, reflectirt ſich auf ſich ſelbſt und hebt dadurch die erſte Reflexion, welche ſich zwar ihres trennenden Actes, aber des eigenen Subjectes nicht als eines miteingeſchloſſenen Stoffs bewußt war, auf. Das eigene Subject gehört mit zum Stoffe und das verlachte fremde Ich Anderer iſt ebendarum nicht mehr Nicht-Ich, ſondern das eigene andere Ich des Lachenden. Es iſt dies natürlich nicht ſo vor - zuſtellen, als ſey ein empiriſch gegebenes Subject zuerſt blos witzig und ſchreite nachher zum Humor fort; im Begriffe aber ſetzt der Humor den Witz voraus. Wie ſich das Nacheinander der Stufen im Begriff zu Bildungsſtufen in der Zeit verhalte, dies zu erörtern iſt nicht hier der Ort. Nur ſo viel iſt hier zu ſagen, daß man in’s Große gehen und die Weltalter in’s Auge faſſen muß. In der Lehre von der Phantaſie wird dieſer Standpunkt eintreten; der allgemeine Theil aber muß daran halten, daß in irgend einer Form auch der Humor wie der Witz ſchon da vorkommen muß, wo die objective Komik die der Kunſtſtufe einer Zeit entſprechende allgemeine Grundlage bildet; dafür kann vorläufig auf Ariſtophanes hingedeutet werden.

§. 206.

Wenn aber den Witz an ſich ſchon ſein innerer Mangel zu dieſer Um - wendung treibt, ſo ſtellt ſich überdies der in §. 182 aufgeſtellte Begriff einer unendlichen Reihe als weiterer Grund der Nothwendigkeit dieſes Uebergangs ein; denn der Abſchluß dieſer unendlichen Stellung von Subject über Subject kann, da dem Witze als ſolchem die Bedingung desſelben (§. 183) fehlt, noch nicht unmittelbar eintreten. Wohl aber muß, wenn je über dem Witzigen noch ein Witzigerer ſteht, der jenen zu ſeinem Objecte macht, der Witz an ſich ſelbſt die Erfahrung machen, daß er das eigene Subject nicht von ſeiner Thätigkeit ausnehmen durfte. Die Reibung des Witzes am Witze, zuſammenwirkend mit dem, was ihn vermöge ſeines inneren Weſens vorwärts drängt (§. 204), wirft ſein Bewußtſeyn nach innen und ſo geht aus der Vielheit der witzigen Subjecte ebenſo wie in §§. 115. 116 aus der Vielheit der erhabenen eine neue Einheit hervor, die Einheit des komiſchen Subjects und Objects, welche aber nicht wie im Tragiſchen das einzelne Subject negirt, ſondern vermöge ſeiner Berechtigung im Komiſchen ſich als eine einzelne ungetheilte Perſönlichkeit darſtellt, in welcher die trennende Neflexion des Witzes erloſchen, welche das Komiſche, das446 ſie erzeugt, auch iſt: ein Seyn, worin die ſinnliche Wirklichkeit des objectiv Komiſchen wieder gewonnen iſt.

Die Reibung des Witzes am Witze würde an ſich allein den Witz noch nicht zur Selbſterkenntniß bringen, denn der Witz ſchließt ja ſeinen Gegenſtand aus, entbindet in ihm nicht das Bewußtſeyn der Verirrung; gegen dieſe Entbindung wird ſich der Witzige, der als ſolcher immer ſelbſtgefällig iſt, noch mehr ſträuben, wenn er ſelbſt vom Witzigeren, als der nicht Witzige, der von dem Witze eines Andern getroffen wird. Allein dies Moment wirkt nun zuſammen mit der Durcharbeitung des Bewußt - ſeyns oder der Hineinarbeitung alles Stoffs in’s Bewußtſeyn, welche nach §. 205 den Witz reif macht zum Inſichgehen. Ebenſo ſahen wir das erhabene Subject im negativ Pathetiſchen (§. 112 ff. ) durch ein er - habeneres beſiegt, in ſich zurückgewendet und genöthigt, in ſich mit ſich ſelbſt zu kämpfen. Nach der Betrachtung dieſes Kampfes wandten wir uns zu der aufſteigenden Linie, welche durch die Stellung des erhabeneren Subjects über dem erhabenen entſteht (§. 115, 1); dann aber ſahen wir die erhabenen Subjecte ſich zuſammenſchließen (115, 2) und daraus ging uns eine neue Form, das abſolut erhabene Subject, das Tragiſche hervor (§. 116 ff.) Dasſelbe verhielt ſich aber negativ, in der Einſchließung ausſchließend, zum einzelnen Subjecte; im Komiſchen dagegen iſt dieſes berechtigt, die abſolute und übergreifende Natur des Allgemeinen muß alſo hier ganz als eigener Prozeß des einzelnen Subjects, der ihm die reale Auflöſung in das allgemeine durch Leiden und Untergang erſpart, ſich darſtellen (vergl. §. 183); innerhalb dieſes wirklichen Subjects ſelbſt biegt ſich die unendliche Linie in den Kreis zurück, es iſt Object und Subject der Komik zugleich und hiemit iſt das Ende gefunden, worin das Komiſche ſich abſchließt. Zunächſt jedoch iſt nicht dies in’s Auge zu faſſen und zu verfolgen, wie das humoriſtiſche Subject ſich in ſich von ſeinem Widerſpruche befreit, ſondern das Erſte iſt dies, daß die trennende Reflexion erloſchen iſt. Dem Subjecte fällt es ein, daß es ſelbſt komiſch iſt; daraus folgt freilich der erfüllte Act der Reflexion über ſich ſelbſt, vorerſt aber iſt nur feſtzuhalten, daß das blos witzige Reflectiren über Andere ein Ende hat und eine komiſche Perſon vor uns ſteht, ein Seyn: das ſinnliche Ganze des objectiv Komiſchen iſt wieder vorhanden. Eine lebendige Perſönlichkeit iſt gewonnen, die ſich Menſch unter Menſchen fühlt; wie ſich ihr Bewußtſeyn ausdrücklich über ſich und die Welt aus - breitet, dies iſt erſt im Weiteren zu erörtern.

447
§. 207.

Zunächſt nun iſt dieſe Perſönlichkeit zu betrachten, wie ſie an ſich be -1 ſtimmt iſt. Soll ſie den ganzen komiſchen Prozeß innerhalb ihrer ſelbſt voll - ziehen, ſo muß ſie das erſte Glied deſſelben, das Erhabene, als ihren eigenen Gehalt in ſich tragen. Im Witze iſt die allgemeine Beſtimmung des Komiſchen (§. 184), daß die Subjectivität das Erhabene, das ſie als eine ihr fremde Macht vernichtet, in ſich ſelbſt aufbewahre, in’s Unſichere gerathen, während ihre Erfüllung im objectiv Komiſchen durch deſſen zwar noch unmittelbare und des tieferen Kampfes entbehrende Gemüthlichkeit geſichert iſt; denn da das witzige Subject ſich ſelbſt ausnimmt, ſo fragt es nicht nach ſeiner Ermächtigung zum Komiſchen, und es kann den komiſchen Act ebenſogut in liebloſer als in wohlmeinender Geſinnung vollziehen (§. 203). Das humoriſtiſche Subject aber2 kann das ganze Komiſche nur dann ſeyn, wenn auch das erſte Glied in ihm als Wirklichkeit gegenwärtig iſt, alſo nicht nur als Wiſſen, ſondern ebenfalls in der Beſtimmtheit des Seyns, als Gefühlsleben, als Macht des Gemüths in dem erfüllteren Sinne ſittlicher Begeiſterung.

1. Das objectiv Komiſche lebt und läßt leben; es iſt gutmüthig. Spielt es mit der bloſen Kraft, ſo entſteht die Frage nach ſittlichem Werthe gar nicht. Spielt es mit dem Guten, ſo iſt es ſchon als Spiel eines glücklichen und geſunden Volkes ſicher, in der ſittlichen Subſtanz zu verbleiben. Dieſe iſt im Witze geſprengt. Was über deſſen formelle Subjectivität, in welcher die ſittliche Geſinnung zufällig wird, im §. geſagt iſt, bedarf keiner weiteren Auseinanderſetzung. Näher tritt die Forderung ſittlicher Würdigkeit wieder in der Ironie; denn ich darf mich nicht als Folie dem Verirrten unterlegen, wenn ich mich nicht als wahren, ſittlichen Geiſt weiß. Allein auch die Ironie wartet dennoch nicht ab, bis ihr Beruf in dieſem Sinne entſchieden iſt. Bürgſchaft gibt nur ein Charakter, der ſchon mehr als ironiſch iſt (§. 203).

2 Gibt es nicht humoriſtiſche Charaktere, wie Falſtaff, in welchen das Gute nichts weniger als eine Macht im Gemüthe iſt? Darauf wird die Antwort folgen, wenn in der Darſtellung der verſchiedenen Stufen des Humors die Beſchränkungen und Wendungen, welche dieſe Sätze er - leiden, zur Sprache kommen werden. In Hamlet aber, der freilich, aber aus anderem Grunde, auch nicht der reinſten Stufe des Humors angehört, lebt glühender Eifer ſittlicher Geſinnung.

448
§. 208.

Dieſe Erhabenheit iſt nun in Einem und demſelben Subjecte mit dem unendlich Kleinen behaftet. Es iſt zunächſt gleichgültig, ob dieſer Druck ein beſonders empfindlicher iſt, wie er durch die Laſt einer dem innern Adel wider - ſprechenden Erſcheinung, durch ärmliche Lage, widerwärtige Zufälle, kleinliche Schwächen für das edle Subject ſich geſtaltet, oder ob er nur Gefühl der all - gemeinen menſchlichen Schwäche und Abhängigkeit bei geringem Maße der eigenen iſt. Denn einestheils iſt in dieſer Form der Komik die ſinnlich helle Beobachtung der Poſſe und das geſchärfte Auge des Witzes für jeden Anſtoß erhalten, anderntheils wird dieſe Schärfe noch geſteigert durch die Tiefe und Reinheit des Gefühlslebens, welches, im Erhabenen heimiſch, für den Druck des unendlich Kleinen im höchſten Grade empfindlich wird. Daher wird jeder Anſtoß zu einem unendlichen Schmerzgefühle und da das Leben eine Reihe von ſolchen iſt, ſo ſchwebt die Grundſtimmung zwiſchen dem Genuß jener reinen Erhebung und der tiefſten Trauer und Entrüſtung über dieſe unendlichen Hem - mungen.

Die humoriſtiſche Perſönlichkeit braucht kein Gottwalt im dünnen Nankingröckchen, kein armer Dorfſchulmeiſter, auch kein grundliederlicher Falſtaff zu ſeyn. Katarrh und Hühneraugen reichen hin, eine Natur, wie ſie der Humor fordert, unendlich unglücklich zu machen, denn ſie hat die geiſtige Organiſation, zu fühlen, was das heißen will, in der Aus - führung der reinſten Zwecke gehindert, in den ſchönſten Augenblicken ge - ſtört zu ſeyn durch Huſten, Schnäuzen, Spucken, Nieſen, Hinken. Sie iſt darin ſo empfindlich wie nacktes Fleiſch in einer Wunde, ſie iſt ein ſchaalloſes Ei. Wir werden weiter unten von der Hypochondrie des Humoriſten beſonders reden. Ebenſo macht er ſich über den kleinſten ſittlichen Flecken die grauſamſten Vorwürfe. Der Humor ſetzt daher, da die Hemmungen beider Art endlos fortgehen, das tiefſte Unglück des Bewußtſeyns voraus.

§. 209.
1

So iſt die ſeyende Perſönlichkeit beſtimmt, in welcher ſich zunächſt die Reflexion des Witzes ausgelöſcht hat; aus dieſem Seyn aber befreit ſich der Humor durch die Bewegung einer zweiten, auf das eigene Subject zurückgehenden,449 ganzen Reflexion. Durch dieſe begreift er ſich als Ein Subject und ſetzt die beiden Gegenglieder ineinander, ſo daß er ſeinem erhabenen Ich das un - endlich kleine und dieſem jenes unterſchiebt ganz im Sinne von §. 174 ff., der aber nun erſt durch die Einheit des in ſich gegangenen Subjects ſeine Erfüllung findet. Das unendlich Kleine im eigenen Subject erkennt er nunmehr als berechtigt und unendlich werthvoll, weil er es als Grund und Boden des Erhabenſten erfaßt, und auf dieſes iſt er nicht ſtolz, weil es jenes Bodens nicht entbehren kann, und ſo geht der Widerſpruch der ſittlichen Größe und Kleinheit, der Begeiſterung und Verzweiflung in die reine Einheit der Selbſt - erhebung und Selbſtverlachung auf: die Frucht eines ſelbſterlebten Kampfes,2 worin die Bewußtheit des Witzes in höherer Form als eine errungene wiederkehrt.

1. J. Paul, deſſen Beſtimmungen über den Humor nach Grund - lage und Ausgangspunkt hier noch nicht zu beurtheilen ſind, hebt als weſentliches Moment deſſelben die Selbſtverlachung des Humoriſten her - vor, zwar, wie ſchon geſagt, in anderem Zuſammenhange, ſo nämlich, daß die Weltverlachung vorausgeſetzt iſt, zu der wir erſt übergeben und in welcher wir die Selbſtverlachung als weſentlichen Theil allerdings werden eingehen ſehen. Ganz richtig aber ſtellt er auf, wovon wir ausgi[n]gen, daß die Idee oder Unendlichkeit im Komiſchen des Humors eine innere im Subjecte ſeyn müſſe (a. a. O. §. 34); ſonſt kann ich ihr, ſagt er, den ſubjectiven Contraſt nicht als objectiven unterlegen, d. h. nicht mir vorſtellen, als habe die unendliche Idee ſelbſt wiſſentlich gegen ſich gehandelt, indem ſie ſich in die Widerſprüche der Exiſtenz verſtrickte. Widerſpruch des Bewußtſeyns mit ſich kann die abſolute Idee nur ſeyn, wenn ſie Subject iſt. Nun fährt er fort: folglich ſetze ich mich ſelber in dieſen Zwieſpalt und zertheile mein Ich in den endlichen und unendlichen Factor und laſſe aus jenem dieſen kommen . Im Humor ſind die Fehler des Menſchen als liebenswürdig anerkannt und zuerſt findet der Humoriſt in ſich ſelbſt das unendlich Kleine als den - ſelben Boden, worin das Höchſte die Wurzel hat, das empiriſche Ich als Baſis und Erſcheinung des reinen Ich. Wem dies Selbſtliebe und verwerfliche Selbſtbeſchönigung ſcheint, der vergißt, daß das Subject in dieſem Bewußtſeyn ſich wohl beſcheidet, um des Hohen willen, was viel - mehr der wahre Gegenſtand der Selbſtliebe iſt, als wäre es etwas Reines und Abſolutes, über die Mängel und Fehler, womit es in derſelben Perſönlichkeit behaftet iſt, hinwegzuſehen. Der Humoriſt erkennt ſichViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 29450ſelbſt als einen Thoren; er erkennt ſich ſo, und dies kann er nicht an - ders, als wenn er von dem wahren Geiſte, der ihn erfüllt, ausgehend das Niedrige und Unbewußte in ſich von dieſer Widerlage aus als ſolches erkennt. Aber er ſetzt ſich ebendadurch in Einem Athem als weiſe und thöricht, denn der ſo Setzende und ſo Geſetzte iſt derſelbe und ebendieſer in Identität zuſammenfaſſende Act iſt die Selbſtbefreiung. Die Weisheit und Hohheit ſetzt ſich darin herab und die Thorheit abſolvirt ſich, be - gnadigt ſich (Ruge a. a. O. 186).

2. Die Beſtimmtheit des Subjects abgeſehen von dieſem Acte der Zuſammenfaſſung ſeiner ſelbſt wurde ein Seyn genannt. Sie iſt freilich ſchon Leben und Bewegung, aber noch abgeſehen von dieſem Acte der Selbſtbefreiung doch erſt bloſer Stoff. Ebendieſes Stoffleben iſt es, wodurch die ſinnliche Fülle der Poſſe wieder in das Komiſche hereintritt. Wenn dieſer Gehalt vor dem Acte der Zuſammenfaſſung ſchon Perſön - lichkeit hieß, ſo iſt das Wort noch unbeſtimmter oder im Vorgriffe jenes Acts gebraucht; in Wahrheit iſt die Perſönlichkeit erſt da, wo derſelbe irgendwie eingetreten iſt, denn ſonſt fällt ſie in ihren Widerſpruch ausein - ander: was bei der Stufe des gebrochenen Humors wieder aufzufaſſen ſeyn wird. Die humoriſtiſche Perſönlichkeit iſt eine ſich ſelbſt verarbeitende, ihre Komik iſt die Frucht eines ſelbſterlebten Kampfes, und ſo kehrt, was dem Witze den höheren Werth gibt, das Selbſtbewußte ſeines Thuns nämlich, in tieferer Weiſe zurück als ein im Kampfe und in Schmerzen geborenes Selbſtbewußtſeyn. Schon darum und noch ehe wir die Aus - dehnung dieſes Bewußtſeyns auf die nun in demſelben Lichte betrachtete Welt in’s Auge faſſen, iſt der Humor als ein bewußter Act, als ein freier Entſchluß (J. Paul a. a. O. §. 34) zu faſſen, als ein vermittelter, errungener, bleibender Beſitz des Geiſtes (Ruge a. a. O. S. 184). Der Humor gehört der Erfahrung, der Bildung, nicht der leichten Un - ſchuld der Jugend.

§. 210.

Da aber der ſittliche Gehalt dieſer Perſönlichkeit ſeinem Weſen nach ein allgemeiner, ein Zuſammenleben mit allem Erhabenen und der Wirklichkeit der Idee überhaupt iſt, und da die Schärfe des Anſchauens und Fühlens dem humoriſtiſchen Subjecte alles Kleine, Aermliche und Schlechte aufdeckt, womit dieſe in ihrer Verwirklichung überall und immer ſich verſtrickt, ſo iſt ihm ſein eigenes Selbſt nur Bild und Brennpunkt des Widerſpruchs, der durch das Welt -451 ganze geht. Dem Stoffe nach kann auch der Humor dieſes oder jenes Erhabene ergreifen; er wird ſich zwar noch gewiſſer als der Witz zu den höchſten Formen deſſelben wenden und ſie, wie er ſelbſt innerlich iſt, als innere Gegenwart des geiſtigen Lebens in ihre Tiefe verfolgen; allein das weſentlich Unterſcheidende iſt nicht dies, ſondern daß der Humor das Bewußtſeyn der Allgemeinheit hat und jedes Erhabene, das er in ſeinen Fall begleitet, als Form des abſolut Erhabenen weiß.

Der Humor legt das ganze Endliche auf die Folie des ganzen Un - endlichen: darin findet auch J. Paul den Unterſchied von allem übrigen Komiſchen, das nur Endliches mit Endlichem contraſtirt. Das Letztere weist er dem Verſtande zu, den Humor aber, der jenen unendlichen Contraſt zwiſchen den Ideen und der ganzen Endlichkeit ſelbſt erzeugt, der Vernunft (a. a. O. §. 31). Allein dies iſt eine mangelhafte Be - ſtimmung. Wo irgend ein Erhabenes aufgelöst wird, geht alles andere Erhabene mit; fällt Eins, ſo fällt Alles. Wo irgend über etwas ge - lacht wird, wird immer über Alles gelacht. Allein die Poſſe und der Witz haben davon kein Bewußtſeyn; ſie nehmen, was kommt und ſorgen für das Uebrige nicht. Verſtand, im Vordergrunde der Vernunft thätig, wirkt in allem Komiſchen, nur iſt die Vernunft erſt im Humor zum Be - wußtſeyn des Allgemeinen entwickelt. Ruge macht dies geltend, zwar in anderem Zuſammenhang, da er ſchon von dem Acte der Befreiung ſpricht, während wir jetzt wieder bei dem erſten Gliede des Stoffes dieſer Befreiung verweilen; aber auch ſchon von dieſem gilt es, daß, während der Witz nur dieſen Fall, dieſe Erſcheinung (a. a. O. S. 182. 183) meint und trifft, der Humor dagegen jedes Erhabene in die abſolute Idee ein - reiht. Dies folgt ſchon aus ſeiner eigenen ſittlichen Erfüllung, denn bewußter Wille des Guten iſt allgemein. Eine weitere Unterſuchung dar - über, welcherlei erhabene Stoffe der Humor vorzüglich ergreife, iſt daher nicht anzuſtellen. Daß er das Erhabene vorzüglich in ſeinen höchſten Formen erfaßt und zugleich in ſeine Tiefen als ſubjectives Leben verfolgt, bedarf keines Beweiſes. Die Schrift des Verf. über das Erh. u. Kom. meinte noch (S. 208) einen Stoff-Unterſchied ziehen zu können und überſah, daß ſelbſt jene tiefere Art der Faſſung den Humor noch nicht wahrhaft vom Witze unterſcheidet. Allerdings aber iſt auch der letztere Punkt nicht zu überſehen. Der Witz faßt z. B. die Religion nicht mehr blos als ſichtbare Kirche, wie das objectiv Komiſche, ſondern als geiſtiges Leben, doch beſchäftigt er ſich mehr mit dem theoretiſchen Widerſpruch29*452und mit dem in ſeine geheimen Motive verfolgten praktiſchen, als mit dem Gemüthsleben der Religion. Dies erfüllte innere Leben in der Art komiſch darſtellen, wie Schmelzle von ſich erzählt beim Abendmahle, iſt Humor.

§. 211.
1

Der Humor weiß daher, wo er nur irgend ein Erhabenes in ſeine Stö - rung verfolgt, daß nichts rein iſt, und ſein Schmerz iſt ſo allgemein, wie ſeine2 Begeiſterung, ja der tiefſte Eckel und Ueberdruß an der Welt. Was nun die Natur des Gegenglieds betrifft, ſo öffnet ſich ihm ſchon darum, weil er das Erhabene als Gemüthsleben aufſucht, vor Allem das Gebiet der inneren Stö - rungen und er hat den tiefſten Blick in ihren geheimen Urſprung, allein dadurch iſt der äußere Zufall und der gröbſte Gegenſtoß nicht ausgeſchloſſen; das Eigene des Humors iſt, daß er auch dieſen mit Bewußtſeyn in Ein allgemeines Subject3 mit dem Erhabenen, das ſich in ihn verſtrickt, zuſammenfaßt. Er erweitert ſo ſein Ich zur Welt, ſeinen innern Widerſpruch zum Weltwiderſpruch und was ſich ihm als ein Verſtricktes darſtellt, iſt ihm, weil in Wahrheit in der Sub - jectivität ſich ewig das Ganze des Daſeyns in ſich zuſammenfaßt, die Welt als unendliches Subject.

1. Der Humoriſt treibt immer Metaphyſik. Wo der Naive ein Uebel als einzelnes verſchmerzt, der Witzige den Aerger los wird durch einen Witz, da denkt der Humoriſt weiter und ſieht das allgemeine Elend und Uebel, daß in Wahrheit nichts rein iſt. Dieſer Satz kann nur miß - verſtanden werden, wenn man ihn böswillig aus dem Zuſammenhang reißt. Der Schmerz des Humoriſten iſt daher immer allgemein und wäre als Weltſchmerz zu bezeichnen, wenn dies Wort nicht durch Mißbrauch lächerlich geworden wäre. Ihm iſt die Welt eckel, ſchaal und uner - ſprießlich, ein wüſter Garten, der auf in Samen ſchießt: verworfnes Unkraut erfüllt ihn gänzlich .

2. Die innern Störungen ſcheinen oft ſo außer Zuſammenhang mit dem reinen geiſtigen Leben des Subjects zu ſtehen, daß die Vorſtellung ſie dem Teufel zuſchreibt, wie dies humoriſtiſch Schmelzle in der vorhin angeführten Scene thut. Der Humor kennt aber wohl ihre Quelle in den geheimen Abgründen der menſchlichen Seele. Es folgt aus der Inner - lichkeit des Humors, daß er vorzüglich Störungen dieſer Art aufſucht; aber auch den äußern Zufall zieht er ebenſogern herein, ſey es im ſtrengen453 Sinne, wo er wirklich bloſer Stoß von außen iſt, ſey es im ungenaueren, wo er z. B. in zufälligen Anwandlungen des Körpers beſteht, worin der Humor ſo cyniſch iſt als die Poſſe. Der Unterſchied liegt auch hier nicht im Stoffe, ſondern in der Form, und dieſe beſteht darin, daß der Humor eigentlich erſt es iſt, der aus dem Ernſt macht, was in §. 178 geſagt iſt, aber ſo, daß er die Gegenglieder nicht etwa nur in irgend ein Subject zuſammenfaßt, ſondern in das Subject überhaupt.

3. J. Paul drückt den in §. 210, Anm. angeführten Satz näher ſo aus, daß der Humor die Endlichkeit als ſubjectiven Contraſt der Idee (Unendlichkeit) als objectiven unterſchiebe und leihe, d. h. (vergl. §. 209, 1) ſich vorſtelle, als ſey die Idee ſelbſt als Ganzes ein Sub - ject, das im Endlichen mit Bewußtſeyn um dieſe Verſtrickung ſich ver - ſtricke, wie das eigene, einzelne Subject des Unterſchiebenden. Die Idee iſt aber wirkich dieſes Subject, indem ſie ihre erſte Verwirklichung als Natur unendlich in unendlichen Subjecten zuſammenfaßt. Was daher der Humoriſt in ſich ſelbſt findet, dieſen Widerſpruch, erweitert er mit Fug und Recht zum Weltwiderſpruche. Die blos fingirende Zuthat iſt nur dieſe, daß er dieſe Zuſammenfaſſung, die ſich im Weltganzen ewig vollzieht, ſchon da als eine vollzogene ſetzt, wo ſie im beſonderen Falle nur eine mögliche iſt.

§. 212.

Ebendieſe Zuſammenfaſſung des Weltganzen in Ein Subject iſt aber, wie ſie den Schmerz nur um ſo ſchneidender macht, ebenſo auch der Schritt zur Verſöhnung, die ſich nun aus dieſem allgemeinen Widerſpruche ebenſo erzeugt, wie nach §. 209 aus dem einzelnen des humoriſtiſchen Subjectes ſelbſt. Iſt die Einheit der widerſprechenden Glieder auch hier Subject, ſo iſt dies All - Subject dieſelbe freie Bewegung, die ihre Erhabenheit zwar dem unendlich Kleinen Preis gibt, aber nur, weil dieſes auch im Weltganzen als Hei - math, Reiz und heilſame Grenze derſelben ſie wahrhaft in ſich aufnimmt. Iſt das Kleinſte im Größten, ſo iſt das Größte auch im Kleinſten. Der Humor iſt daher gegen die Thorheit, die er auflöst, nicht nur darum liebevoll, weil er in jeder einzelnen die allgemeine ſieht, daher ſich miteinſchließt und die nunmehr begründete Weltverlachung nothwendig ſtets zur Selbſtverlachung zu - rückkehrt, ſondern weil in jener wie in dieſer das Bewußtſeyn des unendlichen Werthes des unendlich Kleinen mitenthalten iſt.

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Hier iſt ein tieferer Mangel, der ſich durch J. Pauls ganze Darſtellung hindurchzieht, hervorzuheben. Er nennt die weltverachtende Idee die Widerlage in dieſer Form des Komiſchen, er ſagt, der Humor verlaſſe den Verſtand, um vor der Idee fromm niederzufallen, er ziehe die Sinnenwelt wie in einem Hohlſpiegel eckig und lang auseinander, um ſie gegen die Idee aufzurichten und ſie ihr entgegenzuhalten, u. ſ. w. Die wahre Meinung iſt daher offenbar die, daß die Sinnenwelt, indem ſie in ihrer ganzen Breite auf die Idee als Folie gelegt wird, in ihrer ganzen Nichtigkeit erſcheinen ſoll. Ebenſo faßt, wie wir ſahen, Ruge den Humor. Allein dies wäre vielmehr Satyre, nicht Komik, nicht Humor. Je mehr ſich die Sinnenwelt aufſpreizt, deſto unfähiger ſoll ſie erſcheinen, die Vernunft in ſich zu tragen, welche wie Gott nicht einmal im größten Tempel eingeſchloſſen iſt . Der Sinn des Humors iſt vielmehr, daß Gott ſelbſt im kleinſten Tempel, ſelbſt in dem ſchwachen, eigenſinnigen Menſchenherzen ſich einzuſchließen nicht verſchmäht, weil er ſich dieſer Einſchließung als Einſchließung bewußt, daher ebenſo über ſie hinaus iſt. Dieſe falſche Erklärung des Humors als Satyre iſt ſelbſt in den ſo geiſt - vollen Bildern J. Pauls ausgeſprochen: wie Luther im ſchlimmen Sinn unſern Willen eine lex inversa nennt, ſo iſt es der Humor im guten, und ſeine Höllenfahrt bahnt ihm die Himmelfahrt. Er gleicht dem Vogel Merops, welcher zwar dem Himmel den Schwanz gekehrt, aber doch in dieſer Richtung in den Himmel auffliegt. Dieſer Gaukler trinkt, auf dem Kopfe tanzend, den Nectar hinaufwärts (§. 33). Nun folgen zwar Stellen, welche entſchieden die Berechtigung des Endlichen ausſprechen, ſo die in §. 209, 1 angeführte, ſo in §. 33: wenn der Menſch, wie die alte Theologie that, aus der überirdiſchen Welt auf die irdiſche her - unterſchauet, ſo zieht dieſe klein und eitel dahin; wenn er mit der kleinen, wie der Humor thut, die unendliche ausmiſſet und verknüpft, ſo entſteht jenes Lachen, worin noch ein Schmerz und eine Größe iſt ; allein J. Paul bringt dieſe Anſichten nicht zuſammen, der Schmerz und die Größe bleiben daher am Ende doch der feſte Punkt, das Lachen nur ein Mittel, ſtatt daß Alles in Ein geiſtig freies Lachen aufgeht. Auch in Ruges Auffaſſung gilt die Endlichkeit zwar ebenſo Alles, als nichts, ſie iſt zwar ebenſo Gefäß des Ewigen, als ſündhaft (S. 186), aber dieſe Begnadigung des Endlichen durch die Liebe kann nicht mehr aufkommen, nachdem von der Nichtigkeit als dem Grundbegriff ausgegangen iſt. Beide nun haben ferner ganz richtig die Allgemeinheit der Weltverlachung als weſentliches Merkmal des Humors ausgeſprochen, deren Bürgſchaft die Selbſtver -455 lachung des Humoriſten iſt. Ruge führt S. 188 die ſchönen Stellen aus J. Paul an, worin dieſer zeigt, wie der Humoriſt nie den einzelnen Thoren, ſondern immer die allgemeine Thorheit meint und trifft und ſich dadurch von dem gemeinen Satyriker (hiedurch verräth ſich J. Paul, denn der edle Satyriker wäre demnach Humoriſt) unterſcheidet. J. Paul nennt dies die humoriſtiſche Totalität. Als Ausdruck dieſer Totalität fordert er eben die Selbſtverlachung und ſo auch Ruge. Allein dies Alles iſt nicht genug. J. Paul verräth auch dadurch ſeine Verwechs - lung des Humors mit der edleren Satyre, daß er ſagt (§. 32), der Humor ſey gegen einzelne Thorheiten darum mild und duldſam, weil dieſe in der Maſſe weniger bedeuten und beſchädigen und weil der Humoriſt ſeine eigene Verwandtſchaft mit der Menſchheit ſich nicht läugnen könne; allein gegen die ganze Maſſe müßte ja dann der Humor um ſo mehr Verachtung haben und eben dann könnte er das eigene Subject entweder nicht einſchließen oder nur mit Zerknirſchung. Vielmehr gilt auch hier, daß, was ganz allgemein iſt, kein abſolutes Uebel ſeyn kann, und daß in der großen Thorenwelt die Thorheit als Unterlage, Reizmittel und geheime Geburtsſtätte der Weisheit gerade wirklich liebenswürdig wird.

§. 213.

Wendet man §. 181, 1 auf den Humor an, ſo entſteht die Frage, ob eine objectiv und eine ſubjectiv humoriſtiſche Perſönlichkeit zu unterſcheiden ſey. Nur in ganz relativer Bedeutung iſt dies auf dieſer höchſten Stufe zu bejahen, denn eben die freiere Perſönlichkeit, welcher dort das eigene Bewußtſeyn des Widerſpruchs als dauerndes Eigenthum zuerkannt wird, iſt die Bedingung des Humors. Das Subject von tieferer ſittlicher Lebendigkeit, deſſen reines Selbſt - gefühl durch die Unangemeſſenheit der eigenen Erſcheinung, durch Druck des Zufalls und unbeſiegte Nachwirkung innerer Unfreiheit gebrochen iſt, wird noth - wendig in ſich zurückgeworfen und vollzieht ſelbſt in ſich über ſich und die Welt den komiſchen Prozeß. Es kann nun zwar allerdings dieſer Prozeß mehr oder minder ſich zur freien Fertigkeit entwickeln; wenn aber hiedurch über den ver - gleichungsweiſe bewußtloſeren der vergleichungsweiſe bewußtere Humoriſt tritt, ſo hört darum jener nicht auf, das ganze Komiſche in ſich darzuſtellen und die Stelle einzunehmen, wo dieſes qualitativ ſeine Stufenleiter abſchließt.

Man pflegt einen objectiv und einen ſubjectiv humoriſtiſchen Charak - ter zu unterſcheiden und unter jenem die unendlich gehaltvolle, aber durch456 Widerſprüche gehemmte und dieſer ihrer Verſtrickung ſich nicht bewußte Perſönlichkeit, unter dieſer die bewußte zu verſtehen. J. Paul nennt die letztere Perſönlichkeit den humoriſtiſchen Dichter und bringt ſo den Gegenſatz der unmittelbar ſeyenden und der künſtleriſch hervorgebrachten Schönheit herein. Dies iſt jedenfalls zu viel, denn man iſt darum, weil man den Widerſpruch in ſich und der Welt belacht, noch nicht Dichter; der Humor iſt außer und vor der Kunſt da, wie alles Schöne in dem Sinne, der noch zu unterſuchen iſt. Allein J. Paul hat auch überſehen, daß er dieſen Gegenſatz überhaupt nur ganz relativ ziehen kann, nach - dem er einmal die Meinung, der Humor könne oder müſſe unbewußt und unwillkürlich ſeyn, einen Wahn genannt hat; demnach dürfte er den blos objectiv ſich ſelbſt widerſprechenden Charakter nicht humoriſtiſch, ſondern nur komiſch nennen. Das Wahre aber iſt dies, daß zum Humor immer eine Perſönlichkeit von gebrochenem unendlichem Gehalt vorausgeſetzt wird, welche nothwendig irgendwie, als entwickeltere oder unentwickeltere Anlage, auch den Blick in das eigene Innere und in den Widerſpruch der Welt frei hat. Gottwalt iſt neben Vult blos objectiv humoriſtiſch, er iſt jünger, unerfahrener und von der Noth unmittelbarer gedrückt, wogegen Vult ſchon ſeiner ganzen Lage nach freier iſt, daher in jenem der Blick in ſich und die Welt noch nicht entbunden ſeyn kann; allein im Fortgang müßte er nothwendig von Vult das humoriſtiſche Bewußtſeyn aufnehmen, wie dieſer an ihm auf’s Neue zu Herz und Gemüth ſich erwärmt. Als blos relativ erſcheint der Gegenſatz auf den erſten Blick in Siebenkäs und Leibgeber. Der, welcher mehr leidet, iſt allemal der ſcheinbar oder mehr blos objectiv Humoriſtiſche, denn im Zuſtande des gegenwärtigen Leidens iſt ſchwer lachen; er befindet ſich zwiſchen der Stellung des komiſchen Objects und zwiſchen dem Humor; allein die innere Tiefe vorausgeſetzt, wie dies das Weſen des Humors verlangt, ſo muß nach dem Leiden oder nach einer Reihe von Erfah - rungen nothwendig das humoriſtiſche Bewußtſeyn ſich in ihm entbinden.

§. 214.

Der Humor muß ſeinem komiſchen Bewußtſeyn beſtimmten Ausdruck geben und dies geſchieht durch die Formen der Poſſe und des Witzes, welche in ihm als ihrer höheren Einheit aufgehoben ſind, indem die Reflexion des Witzes in ein Seyn und perſönliches Leben zurückgegangen iſt, aber als Innigkeit und Allgemeinheit des komiſchen Bewußtſeyns ſich aus dieſem wieder erzeugt hat. 457Sie ſind darum auch als beſondere Formen nicht verloren, ſondern nur zu Mitteln der ganzen Perſönlichkeit, die ſie in ſich aufnimmt und trägt, herab - geſetzt. Hauptmittel ſind die höchſten Formen des Witzes, der bildliche und die Ironie. Wenn nun der geiſtreichere bildliche Witz ſchon als ſolcher die Vergleichungsformel wegläßt, ſo nimmt der Humor dies Verfahren mit der Ironie verbunden in dem tieferen Sinne auf, daß er, da ihm wirklich die Welt als Ein Weſen erſcheint, wo in jeder Geſtalt die Möglichkeit der an - dern enthalten iſt, in muthwilliger Verwechslung aus einer Geſtalt die andere hervorſcheinen und hervorwachſen läßt, ja er greift zu der ſinnlichen Ausgelaſſen - heit der Poſſe zurück, verſtellt das eigene Subject und ſpielt hinter ſeiner Maske mit dem einfachen Bewußtſeyn der umgebenden Subjecte, wobei er mit der Greiflichkeit der Poſſe die witzige Rede zu einer vollen Einheit verbindet.

Shakespeare, Theodor Hoffmann und Jean Paul geben Beiſpiele in Fülle für den Inhalt dieſes §. Der Humoriſt liebt auch die Poſſe; Hamlet ſelbſt macht Narrenſprünge, ebenſo Kreisler und andere humoriſtiſche Figuren. Das Umſchlagen einer Geſtalt in die andere, wie z. B. Hoffmanns Magiſter Pepſer eine Fleiſchmücke wird, Archivarius Lindhorſt als Geier auffliegt, ſcheint als ein Wunderbares einem beſtimmten Ideal, dem romantiſchen, alſo nicht dieſer allgemeinen Sphäre anzugehören, in der wir uns jetzt noch bewegen. Allein ebenſo wie die Romantik liebt es ſchon das klaſſiſche Ideal: man darf ſich nur an die Fröſche, Vögel, Wolken, Weſpen des Ariſtophanes erinnern, und auch außer der Kunſt wird der Humoriſt immer ſolche Darſtellung lieben; er iſt darin myſtiſch pantheiſtiſch, das einzelne Ding iſt ihm Verlarvung eines andern. Dabei ſpielt er ſelber gern mit. Wenn Hamlet nach dem Geſpräche mit dem Geiſte ſeines Vaters ſogleich beſchließt, ſich wahnſinnig zu ſtellen, und von nun an hinter einer Maske ſich verbirgt, durch welche wieder ſein wahres Bewußtſeyn hervorſcheint: dieß iſt für ſeine tragiſche Aufgabe ſo zweckwidrig, daß es nur aus der urſprünglichen Liebhaberei des Humoriſten zu erklären iſt. J. Paul und Ruge berühren dieſes ausgelaſſene Spiel unter dem Burlesken und Grotesken; jenem aber haben wir eine andere Stelle angewieſen, dieſes gehört in die Kunſt, man verſtände denn darunter die Ausgelaſſenheit der Bewe - gungen, welche das Mögliche zu überſchreiten nur ſcheint, wie ſie wohl außer der Kunſt vorkommen und von dieſer ſyſtematiſirt werden z. B. im gro - tesken Tanze. J. Paul aber ſpricht auch an der rechten Stelle nur immer mit Grundlegung ſeiner den Humor mit der Satyre verwechſeln -458 den Anſicht, in welcher Beziehung die Stelle zum Theil ſchon angeführt wurde von jenem Dithyrambus, welcher im Hohlſpiegel eckig und lang die Sinnenwelt auseinanderziehe; inſofern ein ſolcher jüngſter Tag die ſinnliche Welt zu einem zweiten Chaos ineinanderwirft blos um göttlich Gericht zu halten , der Verſtand aber nur in einem ordentlich eingerichteten Weltgebäude wohnen kann, indeß die Vernunft, wie Gott, nicht einmal im größten Tempel eingeſchloſſen iſt: inſofern ließe ſich eine ſcheinbare Angrenzung des Humors an den Wahnſinn denken, welcher natürlich, wie der Philoſoph künſtlich, von Sinnen und von Verſtande kommt und doch wie dieſer Vernunft behält. Der Humor iſt, wie die Alten den Diogenes nannten, ein raſender Sokrates (a. a. O. §. 35). Dieſer Schein des Wahnſinns gehört ſo zur Sache, daß er nun als weſentlicher Zug aufzunehmen iſt.

§. 215.

Erwägt man nun, wie der Humor den Doppelſchein ſeines Bewußtſeyns als ſtetige Weltanſchauung in ſich trägt und in dieſem Lichte Alles anſchaut und aufzeigt, was dem gewöhnlichen Bewußtſeyn als gerade und richtige Exiſtenz vorkommt, wie er, um dieſe Weltanſchauung geltend zu machen, ſich in allen Formen der Poſſe und des Witzes in unendlichen Uebergängen herumwirft, ſo begreift ſich, wie er dem gemeinen Verſtande ſich als Wahnſinn darſtellen muß. Allerdings aber verliert er, ſtets von ſich ausgehend, in ſeinen eigenen Wider - ſpruch vertieft und nur deſſen Widerſchein in der Welt aufſuchend, den einfachen Blick in die Objectivität, und ſein Ich, wiewohl nicht im Sinne der Selbſtliebe, ſondern der Selbſtverlachung, ſpielt in ſeiner Aeußerung überall die erſte Rolle, ſo daß zwar er ſelbſt, aber nicht ſeine Darſtellung ein Ganzes iſt.

Die Berührung der Humors mit dem Wahnſinn bedarf nach dem, was hier und ſchon zum vorh. §. geſagt iſt, keiner weitern Auseinan - derſetzung. Der ſubjective Eigenſinn aber, der kein Ding läßt, wie es iſt, nie bei der Sache aushält, nie die Geduld hat, ein Ganzes zu geben, ſondern überall von ſich ausgeht, auf ſich zurückkommt und ſo die Sache verſchiebt und durcheinanderwirft, gehört, ſo könnte es ſcheinen, als ein künſtleriſcher Mangel in die Lehre von der Kunſt. Man erinnert ſich dabei ſogleich an Sternes und Jean Pauls ermüdende Epiſoden, Geſchwätzigkeit, Selbſteinmiſchung, unendliche Parabaſen. Allein dies Alles iſt ebenſo vorhanden, wenn man den Humoriſten nicht als Künſtler, ſondern nur als Menſchen betrachtet; der Uebergang von der unmittel -459 baren Selbſtdarſtellung des Humoriſten im gewöhnlichen Umgang zu dem Verſuch, ſich in einem Kunſtwerke niederzulegen, geht uns hier noch gar nichts an. Hätte der Humoriſt die volle Geduld zur Kunſt und würde er mit dieſer einen Humoriſten darſtellen, ſo hätte er eben dieſe Unge - duld darzuſtellen.

α. Der naive Humor oder die Laune.
§. 216.

Dieſes ſein Weſen bildet auch der Humor erſt in einer Reihe von Stufen1 aus, deren erſte nach dem wiederkehrenden allgemeinen Geſetze als unmittel - bare Form, als eine Naturſtimmung zum Humor, oder als Laune auftritt. Das objectiv oder naiv Komiſche iſt als ſolches auch mit dieſer Stufe nicht zu2 verwechſeln, ſondern bleibt in ſeinem Weſen ein Anderes; allerdings aber er - hebt es ſich von ſeiner Grundlage aus wie zum Witze, ſo auch zu dieſer Stufe des Humors, die, wie es ſelbſt, als die naive zu beſtimmen iſt. Die luſtige Perſon faßt ſich in die Einheit des objectiv und ſubjectiv Komiſchen zuſammen und ſpricht ebenſo auch eine Ahnung des allgemeinen Widerſpruchs aus, der ſich in dem handgreiflichen verbirgt, welcher ihr vorliegt; aber vergleichungsweiſe bewußtlos, wie ſie bleibt, hat ſie ſich weder zu der ſittlichen Tiefe ausgebildet, noch den unendlichen Schmerz erlebt, den der wirkliche Humor vorausſetzt; daher bringt es jene Ahnung weder zu einer tieferen Reflexion in ſich, noch zu einer wahren Allgemeinheit des Gedankens, daher bleibt hier auch das Gefühl des unendlichen Widerſpruchs in dem Natur-Elemente ungebrochener Luſtigkeit ſtehen.

1. Für dieſe Form mag die urſprüngliche Bedeutung des Wortes Humor am meiſten paſſen. Es kam in England am Ende des ſechs - zehnten Jahrhunderts auf und bezeichnete, da die phyſiologiſchen Anſichten der Zeit die Grund-Dispoſition des Individuums auf das Flüſſige im Körper zurückführte, zunächſt das Temperament, häufig auch den darauf begründeten Charakter. Nun iſt aber das engliſche Temperament über - haupt zur Launenhaftigkeit, zu kranker Tiefe und zu excentriſchen Aus - brüchen verſchloſſener Lebendigkeit geneigt: dieſe Wunderlichkeiten und ihre Streiche bezeichnete nun das Wort weiter und wurde ſo auch objectiv460 von dem närriſchen Streiche gebraucht. Erſt ſpäter, am Ende des acht - zehnten Jahrhunderts, bekam es die jetzige tiefere Bedeutung. (Vergl. Tieck, Shakespeares Werke überſ. von ihm und Schlegel, B. 9, S. 310). Es bleibt immer ein glücklicher Zufall, der das Wort ſo befeſtigt hat; denn was einſt von der humoral-pathologiſchen Erklärung des Charakters im Ernſte gemeint war, erinnert jetzt bildlich an die geiſtige Flüſſigkeit des Komiſchen, worin alles Feſte ſich auflöst. Ebenſo paſſend nennt man die beſchränkten Naturen, denen Alles feſt iſt, trocken. Zwar gibt es auch einen trockenen Witz und Humor, ja aller ſoll mit trockener Miene vorgetragen werden, ſonſt bleibt der erhabene Schein des erſten Gliedes aus; dies gehört aber nicht hieher. Aus jenem früheren Gebrauche des Worts Humor nun nehmen wir den Begriff des Inſtinctmäßigen natürlicher Stimmung, laſſen aus dieſer die Sonderbar - keiten einer ſchon höheren Stufen angehörigen gebrochenen Individualität weg und ſetzen für dieſen Natur-Humor auch den Begriff Laune. Dieſes Wort nimmt Ruge (J. Paul hält ſich in §. 41 zu unbeſtimmt, ſteht uns aber durch den Nachdruck, den er auf das Niedrige legt, näher) in höherem Sinne und bezeichnet durch es den bedeutenderen, ausgebil - deteren Humor als ſubjective Stimmung. Allerdings wird das Wort gewöhnlich ſo gebraucht; man ſpricht von der Laune Swifts, Sternes, J. Pauls u. ſ. w. Dieſe Bedeutung ſcheint um ſo mehr berechtigt, da Laune ſowohl den Begriff des Launigen als den des Launiſchen ent - hält, das Letztere aber den grillenhaften Wechſel in der Stimmung einer gebildeteren Perſönlichkeit bezeichnet. Allein das Weſentliche und Urſprüng - liche iſt doch das von der Natur Gegebene und Inſtinctive der luſtigen Stimmung, und ſo mag das Wort dieſe anfängliche Bedeutung, ange - wendet auf den Humor ohne Tiefe des Kampfes, behalten.

2. Das naiv Komiſche erhebt ſich auch in den naiven Humor, wiewohl es als Ganzes mit dieſem oder als Grundlage mit dieſer ſeiner Erhebung über die Grundlage nicht zu verwechſeln iſt. Der Narr, Hanswurſt, die luſtige Perſon reißt neben der Selbſtbelachung und Welt - belachung, zu deren Einheit ſie ſich erhebt, Poſſen der geiſtloſeſten Art und dieſe ſind ihr urſprüngliches Element. Die luſtige Perſon hat ihre Geſchichte und iſt z. B. in England durch Shakespeare in dem Momente höher gehoben worden, wo ſie in den letzten Zügen lag, ja man kann ſagen, dieſe Steigerung ſelbſt ſey ihr Tod geweſen. In ihrer höheren Form nun iſt ſie noch immer dummlich, tölpiſch, gefräßig, feig, geſchwätzig u. ſ. w.; ſie weiß es aber und ſtellt ſich dummer, als ſie iſt, um die461 Narrenfreiheit hinter dieſer Maske ſpielen zu laſſen. Durch dieſe nun läßt ſie, wer ihr begegnet, anlaufen und zeigt ihm den Narren, den er in ihr objectiv zu finden meinte, in ihm ſelbſt. So iſt die Thorheit in ſich reflectirt und fördert zugleich das Bewußtſeyn ihrer Allgemeinheit zu Tage. Allein es geht nicht tief; Alles bleibt bloſer Spaß; es iſt nirgends Metaphyſik, Denken des eigenen und des Welt-Widerſpruchs als eines ſolchen. Nach unſerer Entwicklung müſſen wir den erſten Grund dieſes Mangels ſchon darin ſehen, daß die luſtige Perſon zum voraus nicht den Stoff der geiſtigeren Komik, den vertieften ſittlichen Gehalt und Schmerz über ſeine Verwicklung, den Kampf des ſittlichen Bewußtſeyns in ſich trägt. (Der Narr im Lear nimmt freilich am ſitt - lichen Leben tieferen Antheil, als ſonſt der Narr pflegt.) Aus jener ober - flächlichen Theilnahme an den Gegenſätzen des Lebens kann auch nur eine oberflächliche Befreiung hervorgehen.

§. 217.

In dieſe unmittelbare Luſt muß die herbere Erfahrung der allgemeinen1 ſittlichen Unreinheit und des allgemeinen Uebels, denen ſich auch das luſtige Subject nicht entziehen kann, als Quelle inneren Kampfes einbrechen. Die jugendliche Fülle des ſinnlichen Wohlſeyns läßt dieſen jedoch nicht über den erſten Anſatz hinauskommen und der Humor bleibt naiv mit einem bloſen An - fluge erlebten tieferen Widerſpruchs. Geht jedoch dieſe Naturkraft in ihrem2 Mangel an Selbſtbewachung zu gewiſſenloſem und rohem Genuß über und ärndtet ſie als Frucht deſſelben zu anderen Uebeln etwa grobe Häßlichkeit, ſo ſcheint aufgehoben, was §. 207 und 208 forderte. Allein zugleich mit dieſem Bruche des natürlichen Wohlſeyns geht das Subject in ſich, das ſittliche Leben wacht als Gewiſſen auf. Die Verſchlechterung geht jedoch nicht ſo tief, daß ſie nicht auf dem Grunde jener erſten, noch nicht verlorenen Naturluſtigkeit durch ein ſtetes Spiel zwiſchen der Selbſtbeſchönigung und dem immer neu zu - fließenden Stoffe der Selbſtanklage ſich entlaſten könnte: der humoriſtiſche Taugenichts.

1. Starke, jugendliche Naturen, die freilich zu dem Bewußtſeyn gelangen, daß ſie mit den Wölfen heulen müſſen, aber die Fülle der unüberwindlichen Geſundheit einer ungebrochenen Kraft ſchäumt über das462 Gefühl, wie krank die Welt iſt, brauſend in Jugendſcherz hin. Man denke an einen Mercutio.

2. Soll vom naiven Humor zum innerlichen der Uebergang gemacht werden, ſo muß ein Punkt eintreten, wo ein Widerſpruch gegen die in §. 207 aufgeſtellte Forderung tiefen ſittlichen Gehalts und die in §. 208 ausgeſprochene Beſchränkung der dem Humoriſten nöthigen Erfahrung auf feine, kleine Hinderniſſe und Leiden, die erſt im Bewußtſeyn un - endlich werden, einzutreten ſcheint. Der naive Humor hat inſtinctive Sittlichkeit und kommt mit oberflächlicher Erfahrung des Uebels weg. Hier nun tritt eine Form ein, wo ſeine Auflöſung in der Nähe iſt: ſeine ſubſtantielle Sittlichkeit wird gebrochen und die vertiefte innerliche iſt noch nicht da. Ein grober realer Prozeß liegt vor. Die Luſtigkeit wird liederlich, ſie ſinkt in Laſter, wie die blinden Heiden, die kein Geſetz haben. Soll nun ein Inſichgehen, ein bewußtes ſittliches Leben, ein innerer Kampf beginnen, ſo braucht es grobe Püffe. Falſtaff trägt ſchwer an der Bürde ſeines Fetts und wird viel geplagt, Geld hat der Lump ohnedies niemals. Jetzt ſtellt ſich das Gewiſſen ein. Damit iſt aber die Sache nicht zu Ende; bliebe es dabei, ſo geriethen wir aus dem komiſchen Standpunkt in den ethiſchen. Nun iſt aber nicht zu vergeſſen, daß die Liederlichkeit, von der hier die Rede iſt, nicht raffinirte Ver - dorbenheit iſt; die geſunde Rohheit des naiven Humors iſt noch nicht verloren. Dem Gewiſſen tritt daher ſogleich die Selbſtbeſchönigung des guten alten Adams, der im Grunde ſo böſe nicht iſt, gegenüber; der Lump bleibt Lump und entlaſtet ſich durch ſtete Selbſt-Freiſprechung in unverwüſtlichem Witz und Scherz von ſeinem Bewußtſeyn. Er iſt eine arme luſtige Haut; hat Adam im Stande der Unſchuld geſündigt, was ſoll der arme Hans im Stande der Sünde thun? Dies iſt die unver - tilgbare Flüſſigkeit im Humor eines Falſtaff. Er iſt der Vertreter eines verbreiteten Geſchlechts. Der Trinker vorzüglich pflegt als Surrogat der Buße dieſen Humor auszubilden, deſſen beliebteſte Heimath im Wirthshaus iſt. Falſtaff ſinkt immer zurück und indem er durch eigenes Lachen dem fremden zuvorkommt, jede Ertappung, jedes Uebel mit einem Witze abthut, ſchwebt er immer frei über ſich ſelbſt; ein klaſſiſches, vollkommenes Spiel des Humors.

463
β. Der gebrochene Humor.
§. 218.

Die ganze erſte Stufe des Humors verfällt, weil ſie den Prozeß ſeiner Bewegung zwar vollzieht, aber nicht mit vollem Bewußtſeyn, einem freieren Bewußtſeyn als Object und auch die zuletzt dargeſtellte Form, obwohl bereits mehr innerlich, hat doch mit ſich ſelbſt zu viel zu thun, um ſich dieſem Schickſal zu entziehen. Soll alſo die reine perſönliche Einheit entſtehen, worin der ganze komiſche Stoff in völlig übergreifender Reflexion ſich ſelbſt von ſich befreit, ſo wird zuerſt erfordert, daß der reale Prozeß weniger grob und beläſtigend ſey. Die zarter organiſirte und innerlicher gebildete Perſönlichkeit wird von einer Unfreiheit edlerer Art überraſcht und ſucht ſich durch Selbſt - belachung und Necken der fremden Schwäche von dem Drucke derſelben zu befreien. Dieſe Befreiung iſt aber ſelbſt noch mehr ein Werk der Selbſthilfe natürlicher Geſundheit, als denkenden Bewußtſeyns; ſie bildet ſich daher noch nicht zur Allgemeinheit des komiſchen Bewußtſeyns durch und ſie leidet im Falle tiefer Verwicklung zu ſehr ſelbſt, um ſich völlig zu befreien.

Das Komiſche muß ſich ſo lange zu höheren Stufen forttreiben, als noch eine Schwere des Stoffs in ihm iſt, welche nicht ganz in das durch Reflexion auf ſich ſich befreiende Bewußtſeyn aufgeht. Die urſprünglich gute, aber in Rohheit haltungslos ausgeartete Natur hat viel zu viel damit zu thun, ſich die Laſt ihrer derben Häßlichkeit durch Selbſt - und Weltbelachung vom Halſe zu ſchaffen, als daß ſie nicht noch Object und Stoff für ein freieres und allgemeineres komiſches Bewußtſeyn werden ſollte. Wenn z. B. der geſchlechtlich Ausſchweifende über die Uebel, die ihm aus ſeinem Laſter erwachſen, ſich durch immer neuen Witz weghilft, wie Falſtaff, ſo iſt dies nicht die freie Komik, wie in dem, der zwar die Schwäche des Fleiſches kennt, aber nicht den ganzen Witz darüber zur Selbſtfreiſprechung nöthig hat, ſondern das Uebel in ſeiner Allge - meinheit als Schranke und Kehrſeite der wahren Liebe frei erfaſſen kann. Zunächſt alſo muß das Selbſterlebte weniger ſchwer und grob ſeyn; wir brauchen eine zartere, reinere, zum Voraus tiefer in ihr eigenes Innere blickende Natur und dürfen dies ohne Anſtand aus den ſonſt bekannten464 Formen des Geiſtes herbeiziehen und aufnehmen; doch nicht ſogleich zu der Bildung, die es zur Allgemeinheit des Denkens gebracht hat, dürfen wir übergehen, es liegt dazwiſchen noch eine weſentliche Stufe, welche zwiſchen dem naiven und dem wirklich reflectirten Humor die Mitte hält. Um dieſe, wie ſie im §. dargeſtellt iſt, ſich zu vergegenwärtigen, denke man vorzüglich an edle weibliche Naturen, wie z. B. Roſalinde in Wie es euch gefällt. Ihr Eigenthum iſt geiſtiges Leben, Bildung, Grazie. Eine Leidenſchaft, eine unglückliche Liebe befällt ſie; dieſe Erfahrung iſt noch zu unmittelbar real, um völlige Freiheit des Humors zuzulaſſen, ſie belächelt den Schmerz, an deſſen ſchamhafter Schönheit ſie ſich zugleich weidet, ſie iſt in ihn verliebt, denn er iſt das eingehüllte Bild des Ge - liebten, und ſie ſehnt ſein Ende herbei, ſie verbirgt ihn und ſie verräth ihn mit der Anmuth der unſchuldigen Koketterie, und Alles dies mit ſprudelndem Witz und Scherz, der zwiſchen Thränen lächelt und in der eigenen Qual noch Zeit hat, den Geliebten ſelbſt und jedermann zu necken. Dieſe Naturen im Zuſtande des Leidens ſind doch zu unfrei, ſie ſind noch zu unglücklich, um ſie dem reinen und vollen Humor zuzutheilen, und wie weit ſie ſich befreien, dies iſt ſelbſt wieder ebenſoſehr und noch mehr Geſchenk der von Hauſe aus ſchönen Natur, als ein Werk erarbeiteten innerlichen Lebens. Was aber dieſe Form dem gebrochenen Humor zuweist, iſt dies, daß ſie, je mehr allerdings ſchon innerlich und gebildet, deſto tiefer auch das Unglück ihres Bruches fühlt und deſto weniger es völlig aufzulöſen vermag. Die anmuthige Natur, die es freilich nicht zu vollem innerlichem Bewußtſeyn kommen läßt, erleichtert dieſen Bruch, aber eben weil ſie blos Natur iſt, erſchwert ſie auch die Befreiung wieder, denn das Schickſal kommt über ſie und ſie kann nicht ſeiner ganz Herr werden, wenn es nicht durch die Gunſt des Zufalls eine glückliche Wendung nimmt. Es gibt freilich auch im Elemente ſchöner, glücklich organiſirter Weiblichkeit höhere Naturen, die mehr Charakter zu nennen ſind und in ihrer ſittlichen Feſtigkeit eine ſo ſichere Bürgſchaft haben, ſelbſt die trübſten Verwicklungen zu löſen, daß ſie mitten in ihrer Verſtrickung die innere Freiheit behaupten und das Widerwärtigſte mit leichtem Scherze entwirren. Ein ſolches Weſen iſt Porzia im Kaufm. v. Venedig, deren herrlicher Humor dieſe männliche Grundlage mit der Anmuth des flüſſigen Scherzes umkleidet .. Naturen dieſer Art können weder blos dem naiven Humor, noch auch der dritten Stufe desſelben, wie ſich aus ihrer Darſtellung ergeben wird, zugetheilt werden, und da doch ihr Humor nichts weniger als gebrochen genannt werden kann, ſo ſcheint unſere Eintheilung für eine weſentliche465 Form keinen Raum zu haben. Allein man denke ſich eine Porzia getroffen von dem wahrhaft männlichen Bewußtſeyn des Weltwiderſpruchs in ſeiner Tiefe und nicht blos von dem Gefühle ſolcher Uebel, welche mit ihrer unmittelbaren weiblichen Angelegenheit, der Liebe und Ehe, in näherem oder entfernterem Zuſammenhang ſtehen, ſo wird ihr der Humor nicht mehr ausreichen, ſondern nur der Ernſt des Charakters. Denn ſie iſt Weib; nur der männliche Geiſt kann zugleich in die Tiefe des ganzen Weltübels ſehen und auch dieſes Bewußtſeyn in der Form des Scherzes überwinden.

§. 219.

Aber die tiefere Arbeit der Bildung bricht auch dieſe letzte Leichtigkeit1 der naiven Selbſthilfe. Das denkende Subject geht in ſich und erkennt den eige - nen Widerſpruch und den der Welt in ſeiner ſchneidenden Herbe dadurch, daß es ihn in ſeiner Allgemeinheit denkt, erliegt aber mitten im Verſuche der Befreiung von dieſem Schmerze, entweder weil es ſelbſt in realem Sinne zu tief in den Wi - derſpruch verſtrickt iſt und, nach außen gebunden, ſich in kranker Bitterkeit zerarbeitet, oder weil es, bei verhältnißmäßig geringem Drucke des ſelbſterlebten Widerſpruchs, gemäß der nun eingetretenen Innerlichkeit des Bewußtſeyns, ein2 ſelbſtquäleriſches Denken in ſich nährt, das Störungen erfindet, die nicht ſind, die wirklich vorhandenen dichtend vervielfältigt und ſo jenes unendliche Schmerzgefühl des Humors (§. 208) noch verdoppelt. In beiden Fällen ſtockt die Selbſtbefreiung und es bleibt eine nicht aufgelöste Verzweiflung an der Kraft der Idee, ſich in ihren Widerſprüchen und durch ſie fortzubehaupten, ein nicht überwundener Aerger zurück. Es ſind Subjecte, welche die Erfahrung nicht überwinden können.

1. Zu tief verſtrickt in eine reale Colliſion der Aufgabe des Handelns mit der Innerlichkeit einer edeln, denkenden Natur iſt z. B. Hamlet. Dagegen iſt die reale Verſtrickung anderer Art, wo das Subject ſein Leben durch Leidenſchaft, frühen Genuß, wilde Sitten getrübt hat, wie Byron, Grabbe, durch Maßloſigkeit und Haltungsloſigkeit irgend einer Art bei idealen Anforderungen des reineren Selbſt. Theodor Hoffmann, Heine mögen ebenfalls im gebrochenen Humor hängen geblieben ſeyn, weil ſie ihr Leben nicht mit weſentlichem Gehalte zu erfüllen, mit Beſonnenheit zu ordnen wußten. Es bleibt im Humor ſolcher Naturen ein Reſt von Bitterkeit und Verzweiflung, der nie ganz in die reine Freiheit des Bewußtſeyns aufgeht. Eine intereſſante Frage iſt, ob Shakespeare als Menſch und Charakter, wenn man alle ſeine Werke zuſammennimmtViſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 30466und Troilus und Creſſida und den Timon nicht überſieht, ſich zum reinen Humor erhoben habe. Er wurde gegen das Ende ſeines Lebens durch Erfahrungen von Bedrückung der Kunſt, Intriken, durch den Anblick wachſender Verdorbenheit, Heucheley, Ungerechtigkeit im höchſten Grade verbittert. Damit man nicht meine, es ſey hier blos von einer beſtimmten Zeitform der Bildung die Rede, muß noch an Ariſtophanes erinnert werden. Hier iſt freilich nicht nach unmittelbar an der eigenen Perſon erlebtem Uebel zu fragen, aber der Anblick des Verfalls altgriechiſchen Lebens gehört auch zu den allzuherben perſönlichen Erfahrungen und es wäre auch hier von Intereſſe, zu unterſuchen, ob nicht durch die Ge - ſammtheit ſeiner Werke ein Geiſt ſich verfolgen laſſe, deſſen Bitterkeit nicht in das reine Element der komiſchen Befreiung völlig aufging.

2. Die Melancholiker und Hypochondriſten. Sie brauchen wenig Uebel erlebt zu haben, um den Humor auszubilden, der ſeine beſte Flamme aus dem Schmerze nährt. Sie ſind feinere, innerliche, nervöſe Naturen und von Trübung des eigenen Lebens durch ſchwere Verirrung iſt hier auch nicht die Rede, vielmehr hier gilt, was J. Paul (a. a. O. §. 34) ſagt, daß der Cynismus des Humors freier Entſchluß ſey und ſeine Flamme ohne Schaden durch die brennbare Sinnlichkeit hindurchlaufe, wozu er denn als Beleg die Platoniſche Enthaltſamkeit des ſehr unan - ſtändigen und verfänglichen Swift anführt. Jenes kranke Denken aber, das einen vorhandenen geringen Schmerz mit unſeliger Metaphyſik zu einem unendlichen verinnerlicht und mit ſelbſtquäleriſcher Erfindſamkeit Uebel ſieht und fürchtet, wo keine ſind, hat Niemand beſſer dargeſtellt, als Jean Paul. Auch die trefflich dargeſtellte Natur des Jacques aus: So wie es euch gefällt, gehört hieher. Solche Hypochondriſten nun können und wollen ſich ebenfalls von der Laſt des Bewußtſeyns menſchlicher Schwäche und Noth nicht in reinem Scherze befreien; ihr Scherz iſt ärgerlich, aber dieſer Aerger und Eigenſinn iſt freilich ſchon ungleich unſchädlicher als jene ſchneidende Verzweiflung der wirklich durch Erfahrung Verbitterten. Doch kann man von beiden ſagen, was der Schlußſatz des §. ausſpricht: die Geſundheit und Flüßigkeit des Geiſtes ſtockt, weil dieſe Naturen die Erfahrung nicht überwinden können. Von Hippel mag es dahingeſtellt bleiben, ob das Trübe, was in der Miſchung ſeines Humors ſich nicht rein auflöst, mehr den bekannten Härten und Flecken ſeiner Perſönlichkeit oder mehr ſeinem kranken Wühlen in Grabesgedanken angehöre.

467
γ. Der freie Humor.
§. 220.

Allerdings wird aber dieſer unüberwundene Reſt von Bitterkeit in dem Grade unſchädlich, in welchem er ein Werk des ſelbſtquäleriſchen Dichtens iſt; denn dieſes verräth die Empfindlichkeit eines reinen Gemüths für die Entſtellung der in ihm lebendigen Idee, welche aber zugleich auch als unendliche Weich - heit das Entſtellende nicht von ſich abſtößt, ſondern ſich mit flüßiger Liebe in dasſelbe fortſetzt und in dem Ungereimten ſelbſt, dem ſie zürnt, den eigenen, innerlich verborgenen Werth entdeckt. Das Subject weidet ſich mehr an ſeiner Qual, als ſie wirklich iſt, und lebt ſich daher mit ſeiner Innerlichkeit leichter, als es ſcheint, in den verborgenen Werth ebendeſſen ein, was die Idee in’s unendlich Kleine verkehrt. Dieſe hinüberfließende Liebe iſt nicht mehr ein Werk glücklicher Naturſtimmung, ſie ſetzt den Gedankenbeſitz der Humanität als ein Errungenes, aber in das weiche Element beſchaulicher Empfindung Umgebil - detes voraus; allerdings aber iſt dieſe Form zwar des Widerſpruchs als eines allgemeinen ſich bewußt, aber doch zu innerlich, um von dem engen Geſichts - kreiſe ihrer ſtillen und innigen Heimlichkeit über das wirkliche Schauſpiel der Kämpfe der Idee und der Gegenſätze der Welt im Großen die unerſchloſſene Unendlichkeit ihrer Subjectivität zu erweitern.

Der zweite der in §. 219 unterſchiedenen Fälle führte zu der Innerlichkeit, welche als Bedingung des wahrhaft freien Uebergriffs der Subjectivität über die Verſtrickung der Idee weſentlich gefordert iſt. Die Hypochondrie des Humoriſten leitete dies mit gutem Grunde ein, denn ſie iſt bereits eine Aeußerung der Verwundbarkeit, welche einem nach innen tief ausgebildeten Gemüthsleben anzuhängen pflegt. Der Unter - ſchied iſt nur der, daß dieſe Empfindlichkeit dort den Grundzug bildete, nun aber der Fortſchritt des Begriffs das Verhältniß umdreht und das, woran ſie hängt, zuerſt und als Mittelpunkt, ſie ſelbſt als auflösbares Hinderniß aufſtellt. Zu dieſem Fortſchritte treibt den Begriff der Mangel des gebrochenen Humors und die aus dem wahren Weſen des Humors fließende Nothwendigkeit der Aufhebung dieſes Mangels. Es tritt nun30*468eine Geſtalt auf, welche ganz Innigkeit iſt, aber auch an Weite verliert, was ſie an Tiefe eines inneren Himmels von Liebe gewinnt. Sie ſelbſt hat zwar zu leiden, aber nur die Uebel des kleinen Lebens, Armuth, dürftige Geſtalt, Unſtern; ſie erfährt auch die Schlechtigkeit der Welt, aber nur im Privatleben. Es fehlt das öffentliche Bewußtſeyn, das Welt - bewußtſeyn, ſie iſt nicht politiſch; ſie liebt das Menſchengeſchlecht, aber ſie meint, im Menſchen den Menſchen mit Abzug ſeines wirklichen öffent - lichen Lebens umfaſſen zu können, ſie iſt philanthropiſch, ein Kind der Humanitäts-Bildung. Die Uebel, die in ihren Geſichtskreis fallen, verklärt ſie, wie ein ſtilles Gemüth in ſein wohnliches, warmes, enges Zimmer ſich einlebt, mit dem Ueberfluß ihrer Liebe und Güte, mit wohl - meinendem Scherze. Es iſt der philiſteriöſe und empfindſelige Humor. Seine unendliche Humanität wäre ohne den Gedankenbeſitz einer weiten und offenen Bildung nicht möglich; aber er nimmt von dieſer nicht die weltumbildenden Gedanken, ſondern nur die fertige Frucht der wohl - wollenden ſubjectiven Stimmung auf. J. Paul gehört hieher als Dichter eines Quintus Fixlein, als Schöpfer eines Eymann, eines Sieben - käs, den übrigens ſein männlicher Zorn anderntheils bereits auf die folgende höhere Stufe hebt, eines Gottwalt, als Freund der Armen, wie ihn Börne ſo ſchön geſchildert; aber nicht als Schüler Rouſſeaus, nicht als ſchneidender politiſcher Denker; wohl aber ganz der milde Goldſmith, die ſich ſelbſt belächelnde Hausväterlichkeit und Gutmüthigkeit eines Muſäus. Den Namen der Sentimentalität hat Sterne dieſer Form des Humors geſchöpft und Hamann trefflich durch Empfindſeligkeit über - ſetzt. Sterne apoſtrophirt das große Senſorium der Welt, den Gott dieſes Humors, die unerſchöpfliche Quelle der theuren Empfindungs - fähigkeit. Er wäre ohne Frage ein beſonders reiner Typus dieſer Form, wenn nicht ein fremder Ton, die Lüſternheit, die auch Wielands und Thümmels ärmeren Humor entſtellt, fauniſch bei ihm überall ſich hindurchzöge. Der Humor wird wohl vorzüglich auch das Geſchlechts - verhältniß in’s Auge faſſen, aber nicht dieſen Reſt unaufgelöster, lauernder Begierde als ſchweren Stoff zurücklaſſen. Der Begriff des Sen - timentalen nun iſt in ſeiner allgemeinen Bedeutung anderswo zu erörtern; hier weicht er von dem gewöhnlichen Gebrauche darin ab, daß der wohlmeinende Scherz in die ſich und die Welt umfaſſende Empfindung miteinbegriffen iſt, wogegen das Sentimentale im gewöhnlichen Sinne den Widerſpruch des Gemeinen und Kleinen als Gegengewicht ſeines abſtracten Ideals und den Scherz darüber gerade nicht zu ertragen mag. 469Von dieſer Ausſchließung des Komiſchen iſt in der humoriſtiſchen Sen - timentalität nur ſo viel enthalten, daß ſie ihren komiſchen Kreis ver - hältnißmäßig doch enge zieht aus Scheu vor den männlichen Kämpfen und Widerſprüchen der großen, politiſchen Welt.

§. 221.

Stoßen auf dieſe Subjectivität die großen Widerſprüche der zu einer objec - tiven Welt ausgebreiteten ſittlichen Idee, ſo muß ihr der Humor ausgehen, weil die Innigkeit ihrer inneren Liebeswelt nicht ausreicht, auch ſie in freiem Scherze zu bewältigen. Sie hat an Objectivität und Totalität verloren, was ſie an innerlich vertieſter Unendlichkeit gewonnen hat. Daher entſteht zuerſt die Forderung, daß dieſe Innigkeit ſich zur Gewalt des von dem allgemeinen Pathas für dieſe objective Welt erfüllten Geiſtes erweitere, der handelnd ſich ſelbſt in ſie einläßt und wohl auch an ſich die herbe Erfahrung ihrer Un - reinheit machen mag, aber dieſen realen Prozeß auch durch das Intereſſe des ſelbſtändigen und umfaſſenden Denkens, das ihm unerläßlich iſt, erſetzen mag. Da nun der Geiſt den allgemeinen Widerſpruch durch dieſes Denken in ſeiner ganzen Beſtimmtheit und Härte erfaßt, tritt dem ſtillen und liebevollen Humor ein ſchneidender Realiſmus gegenüber, und dieſer noch unaufgelöste Gegenſatz kann ſich ſogar in Einem Subjecte vereinigen.

Jener ſtille und heimliche Humor weiblicher Männer, gutmüthiger, ländlicher, kleinſtädtiſcher Naturen erſcheint als leichtes Thun, wenn man die männlichen Kämpfe des öffentlichen Lebens, die er nicht in ſeinen Kreis zu ziehen vermag und deren Anblick ihn aus der Stimmung bringt, in’s Auge faßt. Aber eine ſittliche Welt verſinken ſehen, wie der männ - liche Geiſt des Ariſtophanes, Undank, Ungerechtigkeit, Schwäche der Geſetze, Beſtechung, Ränke walten ſehen mit dem Feuer-Auge Shakes - peares, und doch den Humor auch über dieſe Welt-Uebel erweitern, dies iſt das Höchſte, das Schwerſte. Eigene Erfahrung in dieſem Kreiſe und eigenes Schuldbewußtſeyn kann vorausgehen, wie es ſo ſchmerzvoll kämpfend aus Shakespeares Sonetten ſpricht, aber wie weit dies gehen müſſe oder dürfe, muß unbeſtimmt bleiben, denn der äſthetiſche Geiſt erſetzt ſich durch ein inneres Weltblild die Mängel der Erfahrung. Dieſe Weite des Blicks iſt im §. als ein Denken bezeichnet; um die Befreiung von dieſem totalen Schmerze in der Form des Humors zu erzeugen, muß auch dies Denken freilich erſt Beſitz und Eigenthum der Per -470 ſönlichkeit geworden, in das Element der Unmittelbarkeit zurückgetreten ſeyn; wir ſprechen aber noch nicht von dieſer Befreiung, ſondern vom Wider - ſpruche des ſittlichen Pathos mit der Erfahrung, und um dieſen in ſeiner Allgemeinheit zum Bewußtſeyn zu bringen, dazu iſt eigentliches Denken nöthig. So hat J. Paul über den Staat gedacht und durchſchaut die Verdorbenheit des öffentlichen Lebens mit ſtrengem, grauſamen Blicke. Er iſt es, in welchem der ſentimentale Humor, der jetzt als bloſe Hälfte auf die eine Seite tritt, mit dem härteſten Realismus und radikalſten Haſſe der Schlechtigkeit der öffentlichen Zuſtände zu einer widerſprechenden Einheit zuſammenfällt. Zunächſt erſcheint dieſer herbe Geiſt, dieſer Nordpol ſeines Ich, als geſundes und heilſames Gegengift gegen ſeine Empfindſamkeit und ſtille, allzuweiche Heimlichkeit. Zieht man einen Theil der letzteren, das unendliche Mitleiden mit den Armen und Ge - drückten, aber mit Weglaſſung der Auflöſung, die er dieſem Schmerze durch das Bild lächelnder Zufriedenheit gibt, herüber zu dieſer herben Seite, ſo ſteht ein Republikaner, ein Communiſt, ein Demokrat vor uns. Demokratiſch, nicht blos in dieſem beſtimmten, ſondern im weiteſten Sinne, iſt alles Komiſche.

§. 222.

Erſt nachdem dieſes Denken die letzten Haltpunkte einer blos objectiven abſoluten Erhabenheit, bei der ſich die myſtiſche Innerlichkeit des empfindſamen Humors, unfähig die Conſequenzen des Komiſchen völlig zu ziehen, beruhigt, als vollendete Kritik zerſtört und ſo, wie es ſcheint, die Verzweiflung auf ihre Spitze geführt hat, ſo kann, und zwar gerade dadurch, die Befreiung eintreten. Denn die Reflexion wendet ſich jetzt einfach auf das Ganze, das vorliegt, und hat nun dies vor ſich, daß das eigene Subject, in die allgemeine Unreinheit und ihr Schickſal verwickelt, eben durch ſeinen unendlichen Schmerz unendlich darüber ſteht, gerade durch den Selbſtverluſt zu ſich zurückkehrt, und daß ebenſo im ganzen Umfange der Geſchichte durch den Reiz und Schmerz des Wider - ſpruchs ihr großer Zweck ſich herausarbeitet. Nun erſt, da nichts ausgenommen wird und doch in der allgemeinen Verwicklung das Verwickelte ſich rein zu ſich zurückbewegt und dieſer Bewegung zuſchaut, kann die Subjectivität, welcher auch jenes ſtrenge Denken zum innerſten Beſitze und zur geläufigen Unmittelbarkeit geworden, dieſe ewige Rückkehr in jedem Momente als vollendet antizipiren und ſich ſo den Genuß ihrer unendlichen Freiheit geben.

471

In J. Paul finden ſich Elemente zu dieſer höchſten Befreiung aus dem totalen Bewußtſeyn des Widerſpruchs. Schoppe und Leibgeber, zum Theil auch Horion, ſchreiten auf der einen Seite fort zu der Ver - zweiflung an den letzten feſten Punkten objectiver, dem Subjecte jenſeitiger Erhabenheit, an denen der ſtille und weiche Humor in ſeiner Erbaulichkeit noch feſthält, wenn die ihm unerträgliche Erfahrung des Uebels in den großen Kreiſen des Weltweſens auf ihn eindringt; auf der andern Seite iſt in ihnen auf der Grundlage Fichte’ſcher Ideen ein Bewußtſeyn der Unendlichkeit des Ich ausgeſprochen. Allein theils ſind jene athei - ſtiſchen Humoriſten wieder zu ſehr nur mit der inneren Welt beſchäftigt, um den größeren politiſchen Schmerz des Dichters, der daher unüber - wunden zur Seite liegen bleibt oder ſich nur didaktiſch durch Muſter wahrer Erziehung künftiger Fürſten zu löſen ſucht, in ihren Humor hereinzuziehen; theils bleibt ihr Humor ein gebrochener, weil ſie nur das Unglück des Zweifels fühlen, nicht die Auferſtehung des Be - zweifelten in der Unendlichkeit des zweifelnden Geiſtes ſelbſt erkennen; und endlich ſteht gerade in jenem genialen Wahnſinn, zu welchem J. Paul die Ideen Fichtes benützt, der ſubjective Idealismus im Hintergrunde, welcher nicht die Mittel hat, in der Idee der unendlichen Subjectivität die zerſtörten objectiven Mächte als ein freies Beiſichſeyn der mit ſich und der Natur kämpfenden Menſchheit im Großen her - zuſtellen. Die politiſche Anſchauung iſt aus Rouſſeau geſchöpft und daher ebenfalls zu abſtract, ſich mit der Geſchichte zu verſöhnen. Dagegen iſt hier noch einmal an Ariſtophanes zu erinnern. Hätte er mit ſeinem großen politiſchen Humor das vollkommene Bewußtſeyn ver - einigt, daß die alten Götter und Sitten in einer neuen Geſtalt des Lebens, die ſich aus dem verſinkenden griechiſchen Staat herausringen müſſe, als unendlicher eigener Gehalt des freien Geiſtes fortleben werden, ſo hätte er die höchſte Form des Humors, welche hier gefordert iſt, verwirklicht. Dazu hätte er freilich die Bedeutung der Sokratiſchen Philoſophie beſſer verſtanden gehabt müſſen, als dies der Fall iſt. So aber iſt er ſelbſt getheilt zwiſchen der Sehnſucht nach der alten ſub - ſtantiellen Einfalt und zwiſchen der unendlichen Selbſtgewißheit, die der wahre Sinn ſeiner Komödien iſt. Man wird dies bei den meiſten Humoriſten finden: ſie theilen als vollkommene Kinder einer kritiſchen Zeit die ganze Selbſtgewißheit der freien Bildung, welche die Anhänger des Alten Frivolität zu nennen belieben; da aber dieſe Selbſtgewißheit in der Maſſe der oberflächlichen Bildung allerdings wirkliche Frivolität472 wird, ſo werfen ſie ſich dieſer gegenüber auf die Sentimentalität des geſchichtlichen Jenſeits, ſie ſind laudatores temporis acti, ſie ſchwärmen für die Biderbigkeit des Altvordern. Kaum findet man ſie aber auf dieſem Boden, ſo drehen ſie ſich um, gehören der berechtigten Gegen - wart und verlachen die alte Einfalt in ihrer Rohheit, Härte, Bornirtheit. Hätten ſie den vollen und ganzen Blick in die Tiefe des Geiſtes, ſo würde ſie aus dieſem (unwillkürlichen) Widerſpruch die einfache Er - wägung befreien, daß der wahre Gehalt des Vergangenen ſelbſt ſich eben in dem freien Bewußtſeyn, das dieſes ſtürzt, erhalten muß. Allein hieran hindert den Humor ein äſthetiſches Bedürfniß: die freie Gegen - wart zerſtört die Naturformen der alten Einfalt, welche weſentlich ſchön waren. So würde z. B. ein Humoriſt der jetzigen Zeit vielleicht gerne den letzten Reſpect vor dem Naturſtande heroiſcher Zeiten mit aller ihrer Grauſamkeit, ihrem trüben Aberglauben, ihren Folterkammern und Schei - terhaufen in den Fluß der Humors ſchleudern und ganz beherzigen, daß die wahre Natur nur die Bildung iſt, wenn nur jene rohe Zeit nicht in Allem, was Auge und Geſtaltenſinn erfreut, bedeutender geweſen wäre, als die modernen Zuſtände. Dieſer nicht gewollte und nicht zum wahrhaft Komiſchen gehörende Widerſpruch im Humoriſten könnte ſich nur dann löſen, wenn die kritiſche Bildung zugleich auf dem Momente angekommen wäre, wo ſie auch die Formen ſchon erzeugte, welche für den Verluſt der alten entſchädigten und welche der Humor als äſthetiſche Kraft fordert. Dann erſt hätte der Humoriſt Alles in der Gegenwart beiſammen; er könnte mit ihr jede Erhabenheit, die von außen zwingen will, belachen; er könnte aber auch ſie ſelbſt um der Häßlichkeit ihrer gährenden Formen willen belachen und brauchte dazu nicht als Baſis das Jenſeits der Vergangenheit mit ihren Autoritäten, ſondern der innere Kern ebenderſelben Gegenwart, die Freiheit, welche ihm die Herſtellung neuer entſprechender und gediegener Formen verſpräche, gäbe ihm die Widerlage. Das neue Weltbild muß zwiſchen den Trümmern einer alten Welt ſchon im vollen Werden begriffen und das Element desſelben muß Freiheit mit ſchönen und edlen Formen ſeyn. Nur in der Freiheit iſt der ganze und totale Humor möglich, von dem hier die Rede iſt; ſeit Ariſtophanes iſt aber ein Staatsleben noch gar nirgends dageweſen, worin ein Humoriſt, wie er es ſammt dem inneren Mangel ſeines Humors iſt, geſchweige denn ein Humoriſt ohne dieſen Mangel möglich geweſen wäre. Der Begriff dieſes Humors iſt nothwendig, ſeine Ver - wirklichung bleibt Aufgabe. Zu erwähnen aber iſt noch ein Geiſt, der473 ihr näher ſteht, als man weiß: Fiſchart. Nicht nur von den ſittlichen Mächten des engeren Lebens-Kreiſes hat er, während er mit ſchonungs - loſer Tollheit ihre Gebrechen wild hervorkehrt, das reinſte Bewußtſeyn, nirgends iſt z. B. über die Ehe ſo tief Sittliches geſagt worden als von ihm in dem Cap. ſeiner Geſchichtsklitterung: wie ſich Grandgoſchier verheirath. Das Capitel gehört ihm allein, iſt nicht aus Rabelais überſetzt. Eben indem er in das Kleinſte des ehelichen Lebens eingeht, fördert er ſein Gold zu Tage; ein wahrhaft herrliches Gemüth. Aber auch der Schluß des Buchs gehört ihm, wo er aus den tollen Larven einer verwilderten Ritter - und Pfaffenwelt das ſchöne Bild eines Ge - ſammtlebens auftauchen läßt, worin die ganze menſchlich freie ſittliche Zukunft, die in der Reformation als Keim liegt, ſich als heiterer Tag ausbreitet. Auch ſein glückhaftes Schiff iſt die reinſte nationale Geſin - nung im ſprudelnden Scherze; ein Keſſel voll Hirſenbrei wird hier zum Bande deutſcher Einheit. Seine rohe Formloſigkeit ſtellt ihn jedoch unter ſeinen eigenen Werth.

Der ſubjective Eindruck des Komiſchen.

§. 223.

Nachdem das Weſen der ſubjectiven Thätigkeit in der Entſtehung des Komiſchen erörtert iſt, bleibt noch übrig, den ſie begleitenden Genuß für ſich darzuſtellen. Mag das Komiſche unmittelbar mit dem Andringen eines Erha - benen oder mit der Erſcheinung eines Kleinen, das ſich ſofort zu einem Erha - benen aufzutreiben verſucht (vergl. §. 155) beginnen: in beiden Fällen bildet, da auch im zweiten das Kleine erſt in Folge dieſes Verſuchs als ein unendlich Kleines ſich darſtellt, den Anfang des Komiſchen Gefühls die Unluſt, die alles Erhabene zuerſt erregt, und die hier weſentlich die Form der Spannung und Erwartung annimmt. Zugleich äußert ſich aber das Vorgefühl der Auf - löſung dieſer Unluſt, erregt durch ein Merken des unendlich Kleinen, das ſchon unter der Decke des Erhabenen ſpielt, als ein leiſe ſich ankündigender Kitzel.

Der zweite der im §. genannten Fälle hebt die Spannung, die das ſich heranbewegende Erhabene erregt, nicht auf, denn das Kleine, was ſich groß macht, wie der Froſch in der Fabel, iſt urſprünglich an ſeiner Stelle auch ein ganzes, wohlberechtigtes Daſeyn und ſo gut wie etwas Anderes; erſt nachdem es ſich weiter und weiter auftreibt und endlich474 zerplatzt, erinnert man ſich, wie es gegen die angeſtrebte Größe ſo klein iſt, daß es durch die Weglaſſung der Mittelglieder, welche die Schnellig - keit des Platzens bewirkt, als unendlich klein erſcheint. Solang es ſich aber aufbläht, meint man Wunder, was werden wolle, und fühlt ſo die Unluſt der Spannung, doch ſieht man auch das Zerplatzen zum voraus kommen, man ahnt das Umſchlagen, daher der vorausgehende Kitzel.

§. 224.
1

Plötzlich reißt die Spannung entzwei und der Stoß, den die Em - pfindung dadurch erleidet, muß ein augenblickliches neues Schmerzgefühl be - wirken. Allein das Erhabene löst ſich nicht in Nichts auf, ſondern in ein unendlich Kleines, das ſich anmaßte, erhaben zu ſeyn: dies iſt häßlich, und daraus ſcheint eine neue Unluſt zu entſtehen, welche widerlicher, während die2 Unluſt, die das Erhabene erregte, äſthetiſcher Art iſt. Alsbald jedoch er - greift das Gefühl die angeſchaute Wahrheit, daß das Erhabene, nur der An - maßung entkleidet, ein Beſonderes und Fremdes ſeyn zu wollen, ſich in das unendlich Kleine ſelbſt hinüberrettet, an dem es ſcheiterte. Nun erſcheint dieſes als unendlich berechtigt und der Zuſchauer mit ihm in das volle Recht ſeiner beſchränkten und zufälligen Natur als einzelnes Subject eingeſetzt; die Unluſt des Erhabenen als eine Zumuthung, dieſem Rechte zu entſagen, ſchwindet mit einem Male und macht einer reinen Erleichterung und Erholung Platz, welche aber in das poſitive Gefühl eines erfüllten Genuſſes der Gewißheit dieſer Be - rechtigung und unendlichen Bedeutung des Endlichen übergeht.

1. Kant (Kr. d. äſth. Urthlskr. §. 53, Anm.) beſtimmt das Lachen als einen Affect aus der plötzlichen Verwandlung einer ge - ſpannten Erwartung in Nichts. Ausdrücklich ſagt er, dieſe dürfe ſich nicht in das poſitive Gegentheil eines erwarteten Gegenſtandes denn das ſey immer Etwas und könne oft betrüben , ſondern müſſe ſich in Nichts verwandeln. Nach unſerer Entwicklung braucht dieſe An - ſicht nicht weiter widerlegt zu werden. Kant fürchtet das Häßliche, was hervorſpringt, weil er nicht ſieht, daß es in demſelben Augenblicke aufhört, Häßliches zu ſeyn, indem die Idee, des Uebermaßes entkleidet, mit dem ſie auftrat, als wahrer innerer Werth in das unendlich Kleine ſelbſt herübertritt. Da nun die reine Auflöſung einer Erwartung in Nichts für den Verſtand nicht erfreulich ſeyn kann , ſo ſucht Kant in der475 Wirkung des Komiſchen einen rein ſinnlichen Genuß, indem er das Lachen als eine der Geſundheit zuträgliche Bewegung ſchildert. Dieſe Bewegung ſoll aber doch die Wirkung eines Spiels der Vorſtellungen ſeyn, und dadurch geräth Kant in Widerſpruch mit ſeiner eigenen phyſiologiſchen Anſicht, denn dieſes Spiel iſt ja Formbewegung des Geiſtes, die einen Gehalt im Sinne bloſen Stoffs zwar verflüchtigt, aber nur um ſich durch dieſe Verflüchtigung den wahren Gehalt, das Gefühl der reinen Freiheit, zu geben. Dies iſt jedoch das Letzte; zuerſt ſind die einzelnen Momente dieſer ganzen Gemüthsbewegung zu verfolgen. Die Enttäu - ſchung nun, die mit der Auflöſung des erhabenen Scheins eintritt, dop - pelt ſtark, weil ſie in Form eines plötzlichen Rucks einbricht, ſcheint ſelbſt ein Schmerzgefühl und zwar ein poſitives, weil an die Stelle des Erhabenen für den erſten Augenblick ein Häßliches tritt. Gegen die Unluſt, die das Häßliche erregt, war die Unluſt aus dem Erhabenen noch eine Luſt; denn dieſe iſt mit der Ausſicht verbunden, zu dem Erhabenen ſich ſelbſt zu er - heben (§. 140), jene aber iſt Widerwille der völligen Abſtoßung durch das Gegentheil des Schönen.

2. Aus dem Häßlichen wird aber, wie gründlich nachgewieſen iſt, ein berechtigtes unendlich Kleines; die ſinnliche Natur und mit ihr die des Subjects, wird in ihr volles Recht eingeſetzt. Gegen dieſes Luſt - gefühl iſt auch dasjenige, das auf die Unluſt aus dem Erhabenen folgt, noch Unluſt; denn um das letztere zu genießen, muß ich entſagen. Ich meinte auch im Komiſchen, wie es mit dem Andringen eines Erhabenen begann, entſagen zu müſſen; meine Werktagsſtimmung, meine Behaglichkeit, meine Bedürfniſſe, kleinen Liebhabereien, mein Appetit, meine Suppe und mein Braten ſollten verächtlich ſeyn. Aber nun iſt es anders; ich bin zu Hauſe in der Welt, es iſt mir wohl, und zwar ganz, ohne Opfer; ich darf mir’s ſchmecken laſſen. Zunächſt iſt dies, ganz abſtract oder von ſeiner negativen Seite, ein Gefühl der reinſten Erholung; es iſt mir eine Laſt abgenommen. Es iſt ein weſentlicher Theil der wahren Erklärung des Komiſchen, daß wir es ſegnen müſſen, weil ohne ſeine Hilfe das ganz Gemeine, mit dem wir behaftet ſind, unerträglich wäre. Das Komiſche iſt ſchon in dieſem Sinn wahrhaft ein Balſam, ein guter Engel. Kant übertrifft ſeine geringe Schätzung des Komiſchen ſelbſt, wenn er bemerkt: Voltaire ſagte, der Himmel habe uns zum Gegengewichte gegen die vielen Mühſeligkeiten des Lebens zwei Dinge gegeben: die Hoffnung und den Schlaf. Er hätte noch das Lachen dazu rechnen können . Auch Solger ſpricht dieſe Seite treffend aus und nennt es um dieſer be -476 freienden Kraft willen einen erfriſchenden Thau vom Himmel, der uns zugleich von dem Elend der Gemeinheit und von der ermüdenden Be - mühung um das Höhere zum glücklichen Gleichgewichte der Schönheit aufrichtet (Erwin. Th. 1, S. 252). Die Einmiſchung des Komiſchen in die Tragödie, das Satyrſpiel der Griechen, die Farce der Italiener und Franzoſen nach dieſer begründen ſich auf dieſes Bedürfniß der Er - holung. Freilich iſt aber die Erholung nicht das Ganze. Sie iſt blos das eine Angeſicht der komiſchen Luſt, das rückwärts ſieht nach der Un - luſt der Spannung und Zumuthung. Das andere ſieht vorwärts auf die reſtituirte Welt der Schranke und des Zufalls; daraus erſt fließt das erfüllte, poſitive Luſtgefühl. Es fehlt aber noch, daß dieſes, im §. zwar nach ſeinem allgemeinen Charakter beſtimmt, erſt in ſeiner Bewegung anerkannt werde.

§. 225.

Dieſes Luſtgefühl darf aber mit demjenigen nicht verwechſelt werden, welches aus der Anſchauung des Schönen fließt, denn es iſt ein gegenſätzlich bewegtes. Nicht einfach nämlich iſt die Schranke und die Zufälligkeit in ihr Recht eingeſetzt, ſondern in dem beſtimmten Sinne einer Negation des Ueber - ſchwungs zum Schrankenloſen und des zwingenden Geſetzes. Das Erhabene, das mit der Zumuthung dieſer Jenſeitigkeit auftrat, reißt ſo ſchnell, daß es über den Riß hinauswirkt. Der Zuſchauer ſieht daher zurück, fühlt ſich auf’s Neue angeſpannt, ſieht vor ſich auf den gewonnenen Boden, aber dieſer iſt, was er iſt, gerade durch den Gegenſtoß gegen jene Zumuthung, er ſchwankt; die gegenſätzlichen Glieder bilden eine widerſpruchsvolle Einheit und ihr Inein - ander nöthigt das Gefühl, zwiſchen ihnen herüber und hinüberzugehen, was als ein raſcher Wechſel zwiſchen Luſt und Unluſt empfunden wird, ſo zwar, daß jene durch dieſe verdoppelt, aber auch durch ſie bedingt iſt.

Das Zurückſehen auf den täuſchenden Schein hat ſchon Kant als ein weſentliches Moment im komiſchen Eindruck hervorgehoben; man blicke zurück, ſagt er, um es mit dem Gegenſtand noch einmal zu verſuchen. Das ſchnelle Abreißen bewirkt im Gefühl ein Fortſauſen wie von einem ganz augen - blicklichen ſtarken Schall oder Schlag. Wirklich hat ja aber das einge - ſetzte Recht des Niedrigen ſeine Bedeutung gerade in der Zurückweiſung einer Anmaßung des Erhabenen. Verliert oder gewinnt es dadurch, daß477 es nur in dieſer gegenſätzlichen Spannung ſein Gelten hat? Beides zu - gleich: in dem Augenblick, wo es nur den negativen Werth, den ihm dieſe Spannung gibt, zu haben ſcheint, nimmt es, was am Erhabenen nach Abzug der Ueberſchwenglichkeit und Fremdheit Wahres iſt, in ſich herein und hat nun, ſo durchdrungen von eigenem Werthe, die unendliche Kraft, dieſe imponirende Anmuthung zurückzuweiſen. Aber der Vorgang ſitzt eben in dieſem Augenblick: das unendlich Kleine iſt zwar ſelbſt un - endlich groß, aber es iſt zugleich gegenüber dem außer es geſtellten un - endlich Großen noch als unendlich Kleines geſetzt, denn im Momente jenes Uebergangs liegt eben dies Widerſprechende: ſo eben iſt es noch unendlich klein und ſo eben iſt es ſelbſt vom Inhalte des unendlich Großen durch - drungen; die Grenze iſt nicht zu nennen. So iſt ja z. B. in einer ſehr naiven Aeußerung die liebe Unſchuld ſo eben, da ſie Anſtand und Rückſicht durchbrach, ganz dummlicht und queer, und ſo eben hat ſie darin das ganze Recht der wahren, der unſchuldigen Natur, welche Anſtand und Rückſicht als falſchen Schein durchbrechen darf, weil ſie, was an dieſem bleibt, wenn man die falſche Kunſt wegnimmt, ganz ſelbſt beſitzt. Ließe man aber jenes erſte ſoeben weg, ſo fiele der ganze Act zuſammen und es bliebe nicht etwa, wie es ſcheinen möchte, die ruhige Geſtalt un - ſchuldiger Schönheit übrig, denn dazu war doch die naive Handlung zu ſtark, fing zu ſehr mit etwas an, was anfangs einen Moment lang als häßlich erſchien. Die Luſt iſt daher eine gewürzte und doppelte, weil das Endliche nicht nur gilt, ſondern mit dem Nachdrucke gilt, ſeinen Feind beſiegt zu haben; aber dieſe Würze iſt wie alle Würze, die an - fangs durch ihre Schärfe leiſe abſtößt, denn das Endliche wäre ſo eben noch bloſes, ſchlechtes, in ſeiner Anmaßung gegen das Erhabene häß - liches Endliches, wenn es nicht ſo eben den Geiſt und das Aroma zur Verſüßung jener Schärfe in ſich aufnähme. Es iſt alſo Luſt durch Un - luſt; doppelte, weil durch Unluſt gewürzte Luſt, aber doch Luſt mit Unluſt. Es iſt ein durchaus bewegtes Gefühl, worin Unluſt in Luſt, Luſt in Unluſt hinüberzittert. Der Genuß wäre demnach, ſo beſtimmt, noch kein voller; es fehlt noch das Letzte, was dieſe Bewegung in Ein Gefühl voller Luſt zuſammenfaßt.

§. 226.

Sowohl durch die Unruhe dieſer Bewegtheit, als auch durch die be - ſondere Befriedigung der Sinne und des Verſtandes, welche daraus fließt,478 daß das Beſchränkte ausdrücklich in ſeine Geltung eingeſetzt und daß in dieſer Geltung ein Widerſpruch aufzuſpüren iſt, ſcheint die Einheit des äſthetiſchen Genuſſes aufgehoben zu werden. Allein die ganze Bewegung und die Ent - laſſung einzelner Kräfte zu beſonderer Befriedigung faßt ſich ſchließlich in dem reinen und ungetheilten Gefühle der Freiheit zuſammen. Das Subject ſelbſt vollzieht (§. 176 185) den ganzen Act; es ſpielt, ſie zugleich ſetzend und aufhebend, mit beiden Gliedern des Widerſpruchs, und was bleibt, iſt ebendieſe ungehemmte, unendlich freie Bewegung des Spielenden. Dieſer volle Genuß ſteigt in das innerſte Nervenleben des Organiſmus und gibt ſich den Ausdruck ſeiner gegenſätzlichen Bewegung durch eine ſchnellwechſelnde Anſpan - nung und Loslaſſung der Eingeweide, welche als Lachen auf die Oberfläche tritt.

Kant hat das Lachen trefflich geſchildert, aber durch das, was ſchon zu §. 225 angeführt iſt, unvollkommen erklärt. In allen Fällen muß der Spaß etwas in ſich enthalten, welches auf einen Augenblick täuſchen kann; daher, wenn der Schein in Nichts verſchwindet, das Gemüth wieder zurückſieht, um es mit ihm noch einmal zu verſuchen, und ſo durch ſchnell hinter einander folgende Anſpannung hin - und zu - rückgeſchnellt und in Schwankung verſetzt wird, die, weil der Abſprung von dem, was gleichſam die Saite anzog, plötzlich (nicht durch ein all - mähliches Nachlaſſen) geſchah, eine Gemüthsbewegung und mit ihr har - monirende inwendige körperliche Bewegung verurſachen muß, die un - willkürlich fortdauert und Ermüdung, dabei aber auch Aufheiterung (die Wirkungen einer zur Geſundheit gereichenden Motion) hervorbringt. Denn wenn man annimmt, daß mit allen unſern Gedanken zugleich irgend eine Bewegung in den Organen des Körpers harmoniſch verbunden ſey, ſo wird man ſo ziemlich begreifen, wie jener plötzlichen Verſetzung des Gemüths bald in den einen bald in den andern Standpunkt, um ſeinen Gegenſtand zu betrachten, eine wechſelſeitige Anſpannung und Loslaſſung der elaſtiſchen Theile unſerer Eingeweide, die ſich dem Zwerchfell mit - theilt, correſpondiren könne (gleich derjenigen, welche kitzliche Leute füh - len); wobei die Lunge die Luft mit ſchnell einander folgenden Abſätzen ausſtößt und ſo eine der Geſundheit zuträgliche Bewegung bewirkt . Dieſe, mit ihrem Wiederklang im Körper hier ſo fein dargeſtellte Be - wegung nun iſt ferner eine Entfeßlung einzelner beſtimmter Kräfte; vergl. namentl. §. 173, wo das Komiſche als ein deutlich gewordenes Erhabenes gefaßt und in der Anm. das mikroſkopiſche Sehen durch Sinne und Ver - ſtand gerechtfertigt iſt. Als einen Genuß freier Entbindung, als ein479 frei gelaſſenes Spiel ſtellt auch J. Paul das Vergnügen vom Lächer - lichen dar (a. a. O. §. 30), nur daß er einſeitig den Verſtand als die entfeſſelte Kraft anſieht; er ſagt, das Komiſche gleite ohne Frictionen der Vernunft und des Herzens vorüber und der Verſtand bewege ſich in einem weiten luftigen Reiche frei umher, ohne ſich an etwas zu ſtoßen. Der Verſtand iſt aber im komiſchen Vorgange nur thätig, den Wider - ſpruch aufzuſpüren, und hat ſo freilich die beſondere Genugthuung, die im Erhabenen ihm ganz verweigert iſt, aber mit ihm iſt weſentlich die Sinnlichkeit entbunden, auf welcher er ja an ſich ſchon ruht. Es ſind die Kräfte, welche im Begrenzten heimiſch ſind, die das Komiſche aus - drücklich in ihr Recht einſetzt. Allein es hat ſich oben (§. 179, Anm. 1) auch gezeigt, daß Vernunft und Herz dabei keineswegs leer ausgehen. Das Begrenzte wird als begrenzt ganz ausdrücklich empfunden und erkannt, doch aber ſammt ſeinem Widerſpruch, ja vermöge deſſelben als erfülltes Subject des Unbegrenzten, was die Vernunft erhebt und das Herz er - wärmt. Dieſe ſind nun freilich im Genuſſe weſentlich mitbetheiligt, aber die ganze Bewegung in demſelben iſt eine gegenſätzliche und dieſe Gegen - ſätzlichkeit iſt, weit entfernt, ohne Friction zu ſeyn, vielmehr zunächſt die härteſte Friction zwiſchen den Kräften der Grenze und den Kräften des Unbegrenzten. Der Fluß des komiſchen Genuſſes ſchäumt über eine Wehr. Dieſer Bruch ſcheint ihm ſeine äſthetiſche Einheit zu nehmen, allein der Schaum ſelbſt iſt die Einheit, oder der Funke, der durch die Reibung hervorgerufen wird. Alles Gegenſätzliche hebt ſich auf in dem reinen Genuſſe der Freiheit, welche das Subject des bewegten Spieles iſt. Hierin iſt kein Gegenſatz mehr; das Ich, das ſich durch ihn bewegt, fühlt ſich als ganzes Weſen, als Vernunftweſen und als empiriſches Einzelweſen zugleich, völlig freigelaſſen, und nun wird erſt klar, warum der Eindruck in die Tiefen des körperlichen Daſeyns ſteigt und indem er gerade die Theile ergreift, welche als Sitz der niedrigen Be - gierde gelten, ſie von dem Gefühle der ſtoffartigen Schwere durch ſein wohlthätiges Schütteln befreit. Dies hat Weiße hervorgehoben (Aeſth. Th. 1, S. 219 221).

§. 227.

Das objectiv Komiſche bewirkt ein volles Lachen ohne Rückhalt, das andauert, wie die Breite des ſinnlichen Vorgangs, der es erregt, es mit ſich bringt. Der Witz iſt es vorzüglich, der plötzlich und raſch vorübergehend wirkt. 480Ein volles Lachen ruft nur der zweckloſe Witz hervor, das Lachen des treffenden Witzes nimmt ſich vor ſeinem Ausbruche zurück und gibt der Phyſiognomie den Ausdruck eines außer-äſthetiſchen Rückhalts egoiſtiſcher Genugthuung. Der Humor gibt dem Lachen ſeine Harmloſigkeit zurück, mäßigt aber deſſen ſinnliche Gewalt zu dem tieferen Ausdruck des bewußtvollen Kampfes, aus dem die Befreiung ſich erzeugt, und erweitert den Genuß zu der Dauer des eine Welt - anſchauung begleitenden Grundgefühls.

Es bedarf im Komiſchen nicht der umſtändlichen Auseinanderſetzung des Eindrucks nach den verſchiedenen Formen ſeines Grundes, wie im Erhabenen; denn ſchon die Darſtellung des urſprünglichen Vorgangs muß überall die Seite des Genuſſes oder des Nachhalls in der Empfin - dung ſo mitaufnehmen, daß es ein Leichtes iſt, was in dieſem noch nicht ausdrücklich zur Darſtellung kam, ſich abzuleiten. Was den Witz betrifft, ſo wird es ſchwerlich geläugnet werden, daß über den ganz zweckloſen am vollſten gelacht wird. Die ernſthafteſten Leute, die ſelten lachen, brechen aus bei der völligen Thorheit des ſogenannten ſchlechten Witzes. Von dem treffenden Witze allein gilt eigentlich die Erklärung, die ein Hobbes, Addiſon und Andere von allem Komiſchen aufſtellen: der Genuß liege in dem Gefühl ſubjectiver Ueberlegenheit über den ver - lachten Gegenſtand. Uebrigens iſt hier nicht der Ort, das äſthetiſche Lachen mit dem nicht äſthetiſchen, worin nicht einmal der Genuß des Witzes, ſondern nur irgend ein ſtoffartiger Affect zu Tage kommt, zu vergleichen. Dies, ſo wie eine Erwähnung der unreinen Formen komi - ſcher Thätigkeit, z. B. der Perſiflage, gehört an die Stelle, wo zu zeigen iſt, wie das Schöne, ſomit auch Komiſche, mit fremden und ſtoffartigen Beimiſchungen da auftritt, wo es erſt unmittelbar, noch nicht zur Phantaſie und Kunſt geläutert, ſich vorfindet. Den Eindruck des Humors nach den verſchiedenen Geſtalten deſſelben in ſeine Unterſchiede zu verfolgen, bleibt dem Leſer überlaſſen. Er wird leicht finden, daß hier zunächſt die Friction am ſtärkſten iſt, weil Vernunft und Herz im Widerſpruch mit Verſtand und Sinnen auf’s Vollſte betheiligt ſind, daß aber auch das reine Freiheitsgefühl um ſo tiefer geht, entſprechend der Verſöhnung im Tragiſchen, welche mit der Herbe der Negation zunimmt.

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C. Rückkehr des Schönen in ſich aus dem Wider - ſtreit ſeiner Momente.

§. 228.

Es war das Weſen des Schönen ſelbſt, das ſich in den Widerſtreit ſeiner Momente fortbewegte, um ſich als Einheit zu bethätigen (§. 82). Dieſem Bewegungsgeſetze gemäß trat zuerſt das Erhabene hervor und zum Beweiſe, daß es nur eine Gährung im Schönen ſey, drang es in allen ſeinen Formen auf eine Verſöhnung hin; dieſe war aber ungenügend (§. 147) und das Weſen des Schönen forderte daher in Kraft ſeiner Einheit das Komiſche. Das Ko - miſche nun führte die Häßlichkeit, von der es ausging, getrieben von demſelben inwohnenden Weſen des Schönen, zur Verſöhnung, indem es die Idee, die es als objective Macht negirt, in das unendlich Kleine und das mit ihm behaftete Subject ſelbſt, das ſich in der Erzeugung des komiſchen Widerſpruchs die Ge - wißheit, aller Gehalt ſelbſt zu ſeyn, und daher das Bewußtſeyn ſeiner unend - lichen Freiheit gibt, hinüberrettete.

Das Ergebniß des verfolgten Prozeſſes, das nun auszuſprechen iſt, kann keinen neuen Abſchnitt bilden, ſondern nur in einer untergeordneten Abtheilung auftreten, denn es beſteht, wie ſich alsbald zeigen wird, nicht in einer eigenen ſelbſtändigen Geſtalt, ſondern treibt weiter in den zweiten Theil. Ueber dieſe Zweigliedrigkeit der drei Haupttheile, in in welcher je das zuſammenfaſſende Dritte nur eine Unterabtheilung bildet, um ſofort erſt zu einem höheren Begriffe weiter zu führen, der aber eine neue Sphäre eröffnet, vergl. die Schrift des Verf. : Kritiſche Gänge B. 2, S. 392.

Viſcher’s Aeſthetik. 1. Bd. 31482

§. 229.

Dieſe Verſöhnung iſt aber ſelbſt wieder mangelhaft, Unrecht gegen Un - recht. Im Erhabenen war die reine Einheit des Schönen aufgehoben durch die Negation des Bildes, im Komiſchen iſt ſie es durch die Negation der Idee, welche im Schönen nicht unter der Bedingung eines Bruchs durch die Häßlich - keit, ſondern bruchlos ihr Bild erfüllen ſoll. Daher kann auch das Komiſche nicht der Abſchluß ſeyn, worin dieſe Bewegung ſich beruhigt. Die Subjectivität, die ſich als allen Gehalt weiß, muß daher, um der Idee ihr Recht zurückzu - geben, ſie wieder als objective Macht aus ſich entlaſſen; ſobald ſie aber wieder als ſolche auftritt, wird ſie erhaben und verfällt durch dieſe Negation abermals dem Komiſchen. Dieſes kann ſich alſo nicht weiter bewegen, ſondern nur zurück in das, durch welches als ſeinen Gegenſatz es iſt, was es iſt, um wieder bei ſich anzukommen.

Wie im Komiſchen das Subject ſich ſelbſt als allen Gehalt weiß, zeigte ſich zuletzt am Vollſten im Humor und zwar insbeſondere in der höchſten, totalſten Geſtalt deſſelben. Dieſer geht weſentlich vom tragi - ſchen Bewußtſeyn aus, um auch von dieſem ſich durch den reinſten Scherz zu befreien. Dieſe ganze Form der Befreiung iſt nun aber ſelbſt ebenfalls mangelhaft. Iſt das komiſche Subject des Gehaltes voll, ſo ſoll es ihm auch darin ſein Recht geben, daß es ihn verwirklicht, es ſoll zeigen, daß es die Idee als objective Macht nur darum auflöst, weil es ſelbſt ihr Gefäß iſt, das ſie auch wieder entläßt und in die Wirklichkeit ausgießt. Wirklich kann ja auch die Sehnſucht des großen Humoriſten nur die ſeyn, daß ſich das ſittliche Leben in reiner Geſtalt aus ſeinem Verfall herſtelle; er bereitet ihm den Boden durch ſein Ni - velliren, er macht das Höckerige eben. Sobald aber dieſe neue Geſtalt da ſeyn wird, wird ſie, wie ſehr ſie Werk und Leben der Freiheit ſeyn mag, als Macht, als Autorität und daher ebenſoſehr als Zwang, wie als eigene That, gegen das endliche, einzelne Subject auftreten. Das Erhabene iſt alſo wieder da und das Komiſche, der Humor beſonders, beginnt ſein Werk auf’s Neue. Dies ſcheint Berufung auf einen rein ethiſchen Prozeß; allein es iſt ja ſo gemeint, daß der Humor das Er - habene als objective Macht nicht aus ſtoffartigen Gründen anficht, ſon - dern weil in ihm die Schönheit, die anſchauliche Lebendigkeit der ſub - jectiven Kräfte beeinträchtigt iſt, daß er es aber wiederherſtellt, weil483 dieſe in ihrer Entfeßlung die Idee in ihrer reinen Erſcheinung entſtellten, und ſo fort. Wir befinden uns alſo durchaus im Schönen, aber noch in dem allgemeinen Gebiete, wo die Belege aus dem Leben oder aus der Kunſt mit gleichem Rechte aufgenommen werden können, daher berufen wir uns noch insbeſondere auf einen Satz, der von einer beſtimmten Kunſtform ausgeſprochen iſt. Am Schluße des Platoniſchen Sympoſion wird die Behauptung aufgeſtellt, der wahre Komödiendichter müſſe auch der Tragödiendichter ſeyn. Der Wink wird hingeworfen und nicht ver - folgt. Unſere ganze Entwickelung aber zeigt, wie im Erhabenen nicht nur durch den beſondern Theil der tragiſchen Bewegung, welcher ironiſch zu nennen iſt (§. 123. 124), ſondern durch die Einſeitigkeit der ganzen Negation nothwendig die Forderung des Uebergangs zum Komiſchen liegt, und ebenſo in dieſem nicht nur wegen des durchgängigen Ausgangs von einem Erhabenen, das negirt wird, und wegen des beſtimmteren tragi - ſchen Bewußtſeyns im Humor ein Nachklang des Erhabenen, ſondern ebenfalls wegen der Einſeitigkeit der ganzen Negation die Forderung eines Rückgangs zum Erhabenen. Allein ebendeßwegen, weil im Tragi - ſchen das Komiſche ſchon vorbereitet liegt und dieſes auf das Tragiſche zurückweist und zurückführt, kann ſich der wirkliche Dichter auch auf das Eine oder Andere beſchränken. Es iſt der einzige Shakespeare, der beides umfaßt hat, aber nicht mit gleicher Ausdehnung, denn im Komi - ſchen beſchränkt er ſich auf die Sphäre der Privatleidenſchaft, wo - gegen Ariſtophanes das große politiſche Leben mit jenem totalen Humor umſchließt, der freilich das Tragiſche nicht als beſondere Geſtalt ausbildet, ſondern nur ſo, wie es in den Humor als Moment einge - ſchloſſen iſt. Jedenfalls könnte man aber leichter vom tragiſchen Dichter fordern, er ſolle auch Komödiendichter ſeyn, als umgekehrt, denn er hat das Komiſche vor ſich, der komiſche Dichter aber das Tragiſche, zwar mit dem Geſetze, daß es ſich aus dem Komiſchen neu erzeuge, hinter ſich, und es liegt näher, daß jener Uebergang von Einem Sub - jecte vollzogen werde, als dieſer Rückgang. In der Lehre von der Kunſt wird ſich zeigen, daß die Komödie eine Reife des Geiſtes ver - langt, welche von ihrer überſchwebenden Heiterkeit ſchwer in die Härte der erſten Negation ſich zurückwendet, wiewohl die ganze Kunſt immer verlangt, daß auf Komödiendichter wieder Tragödiendichter folgen. In der neueren Zeit iſt es mit der Komödie ſo ſchlecht beſtellt, als möglich, weil, als der weiche Humor blühte, der politiſche Sinn fehlte, ſeit die - ſer ſich ausgebildet, die Freiheit fehlt. Göthe bildete zwar eine Form484 des Tragiſchen aus, allein ſein Element war doch zu ſehr die bruchloſe Einheit des Schönen, um den Uebergang in das Komiſche weiter, als bis zu den naiven Formen deſſelben mit Glück zu verfolgen. Er wird daher im Komiſchen ſogar unrein und verwerflich, wie in den Mitſchuldigen und dem Bürgergeneral. Im Fauſt liegen zwar große Elemente des höchſten Humors, ja der Held und Mephiſtopheles bilden eines jener unſterblichen Paare, in welchen das Grundweſen des Komiſchen in ſeinem es bedin - genden Gegenſatze zum Erhabenen typiſch verewigt iſt; aber das Paar iſt nicht in fortlaufende Handlung geſetzt, denn wo dieſe recht anfangen ſollte, ging dem Dichter die Kraft der Schöpfung aus. Schillers Erhabenheit fordert das Komiſche heraus, aber um der Abſtractheit ihrer Grundlage willen, welche dem Dichter verborgen iſt, ſo, daß nicht er das Geforderte vollziehen konnte, denn es widerſtand ihm völlig, ſondern der Reiz zur Parodie in Andern entſteht.

Könnte aber nicht die Frage aufgeworfen werden, ob der Rückgang des Komiſchen nicht vielmehr in das einfach Schöne gehe, als in’s Er - habene? Es wäre dieſe Anſicht immer noch grundverſchieden von dem Verfahren Weißes und Ruges, welche vom Komiſchen in das Ideal den Uebergang nehmen. Davon nachher; wir laſſen den Gegenſatz von Ideal und Schönheit, die nicht Ideal iſt, noch ganz zur Seite liegen. Die Antwort auf jene Frage aber iſt, daß unmittelbar das Komiſche nicht in die Ruhe der einfachen Schönheit zurückkann. Was es zu ſeiner Ergänzung fordert, iſt ſein Gegenſatz, das Erhabene; nur mit dieſem erlöſcht es wieder im Schönen. Man könnte etwa ſagen: der Humor erkennt im Kleinen, im beſchränkten Daſeyn die Gegenwart der Idee, alſo ſieht er den Widerſtreit zwiſchen Idee und Bild gelöst und ſteht wieder im Schönen. Dieſen Uebergang nehmen Weiße und Ruge, indem ſie auf dieſem Punkte das Naive als eine ſeelenvolle, liebens - würdige Natur einführen. Allein das komiſch Naive führt nicht zu der reinen Naivetät des Schönen, ſondern es verletzt einen Zuſammenhang, in welchem eine Forderung künſtlicher Rückſicht und Anſtändigkeit auftrat. Gegen dieſe behält dann zwar die unſchuldige Natur Recht, aber dies Recht hat ſeinen Sinn ganz nur in jenem Gegenſatze und die Bewegung hebt durch den ſchnellen Riß auch hier mit einer momentanen Häßlich - keit an. Das ſchöne Naive kennt dieſen Gegenſatz gar nicht; in der Welt der einfachen Schönheit weiß man von keinen Convenienz-Rückſichten der Unnatur und es gibt daher hier nichts über die Naivetät zu lachen, richtiger, es gibt keine Naivetät. So iſt aber die ganze Durchdringung485 mit der Idee, welche im Komiſchen dem Bilde zu Theil wird, durch Gegenſatz und Häßlichkeit bedingt, die Schranke und Zufälligkeit überall in einem Grade freigelaſſen, der zwiſchen dem Komiſchen und Schönen eine feſte Scheidewand zieht, welche nur in dem Augenblicke fällt, wo das Komiſche ſammt dem Erhabenen, das es unmittelbar allein zu ſeiner Ergänzung fordert, wieder erliſcht. In der wirklichen Kunſt wird daher die bruchloſe Schönheit Niemand ſchwerer werden, als dem Komiker, ſowie die Komik Niemand ſchwerer, als dem Künſtler des ein - fach Schönen. Was das Letztere betrifft, ſo erinnere man ſich nur, wie diejenige Kunſt, welche am ſtrengſten im Elemente der einfachen Schönheit ſteht, die Plaſtik, auch das Komiſche am meiſten meidet. Natürlich, denn zwiſchen dem einfach Schönen und dem Komiſchen ſteht trennend als breites Gebiet das Erhabene. Erhabenes aber zu bilden wird dem Komiker ungleich näher liegen, denn hier iſt Negation, Ueber - maß und Unruhe, wie in ſeinem heimiſchen Elemente.

§. 230.

Da nun das Erhabene und Komiſche zwei Einſeitigkeiten ſind, welche ſich fordern und bedingen und deren keine ſich anderswohin bewegen kann, als in die andere, ſo entſteht die Forderung, daß beide vereinigt ſich weiter be - wegen. Dieſe Bewegung kann aber keine andere ſeyn, als zurück in das ein - fach Schöne, oder richtiger: die Bewegung hat nun ihr Ende erreicht und es tritt der Satz in ſeine Geltung, daß eine doppelte Verneinung bejaht. Jedes der beiden Momente im Schönen iſt durch Negation des andern zu ſeinem Rechte gekommen und indem jedes ſein Recht eben durch dieſe Negation des andern zum Unrecht kehrte, wodurch es wieder in ſeinen Gegenſatz hinüberge - trieben wurde, ſo erliſcht der Streit in der urſprünglichen Einheit, die nun in der That als das Bewegende ſich ergibt, welches, in jedem der Entgegen - geſetzten thätig, es zu dem andern hinübernöthigte.

Dieſe Bewegung des Begriffs iſt ſo klar, daß ſie eher als eine einleuchtende Bewährung des von Hegel entdeckten und im ganzen bisherigen Verlaufe unſeres Syſtems durchgeführten dialektiſchen Geſetzes hingeſtellt werden, als eine Begründung des letztern zu ihrer Rechtfer - tigung erfordern kann. Jede der widerſtreitenden Formen führt auf die andere, weil ſie nicht das ganze Schöne iſt; dieſes iſt alſo die Seele486 und das Reſultat der Bewegung. Das Bild iſt negirt im Erhabenen, die Idee im Komiſchen, die Idee behauptet ihr Vorrecht im Erhabenen, das Bild im Komiſchen; die Momente haben den möglichen Stellen - wechſel erſchöpft und mit doppelten Zinſen jedes ſeinen verkürzten Beſitz zurückerhalten; die arme Seele hat alſo Ruhe und zurücktretend in ihre Linie formiren die Momente wieder das ganze Schöne. Der Satz: duplex negatio affirmat galt ſonſt für einen blos formal logiſchen; hier zeigt ſich ſeine objective Wahrheit. Die Negation war zwar jedesmal nur Negation des einen Moments im Schönen, da aber dieſes nur in der reinen Einheit beider beſteht, ſo war jedesmal das ganze Schöne negirt, d. h. nicht vernichtet, aber weſentlich verletzt und dadurch ſogleich in die Bewegung verſetzt, die Verletzung wiederherzuſtellen. Wäre im Erhabenen und Komiſchen nicht dieſe Bewegung, ſo wäre jedesmal das Schöne vernichtet, aber die eindringende Negation iſt bereits auch die Nothwendigkeit ihrer eigenen Aufhebung.

§. 231.

1

Dieſe urſprüngliche Einheit iſt aber jetzt eine andere geworden, ſie hat die in ihr eingeſchloſſenen Gegenſätze entfaltet und kehrt als ihr eigenes Er - gebniß in ſich als vermittelte oder erfüllte Einheit zurück. Als ſolche iſt ſie jedoch nicht eine neue, beſondere Geſtalt im Schönen; die urſprüngliche Einheit oder das einfach Schöne wird zwar durch ſie zu einer ſolchen herabgeſetzt (§. 73, 1 §. 117, 3), ſie ſelbſt aber iſt nichts Anderes als der Geiſt des Ganzen, der eben in2 dieſen Gegenſätzen da iſt, ſie durchläuft und aus ihnen in ſich zurückkehrt. Dieſe lebendige Einheit iſt als Einheit des Objectiven und Subjectiven zu begreifen, denn das Erhabene, obwohl ſelbſt Subject, iſt Ausſchließung des Subjects in ſeiner Zufälligkeit, das Komiſche aber iſt Ausſchließung der Idee als objectiver3 Macht durch dieſes. Soll ſich nun das Schöne weiter bewegen, ſo kann es dies nur als Ganzes und zwar nach dem Geſetze, daß der durch die Entfaltung aller ſeiner Momente erfüllte Begriff über ſich ſelbſt, d. h. über die Abſtraction ſeiner Allgemeinheit, ſich hinausbewegt in die Form ſeines unmittelbaren Da - ſeyns.

1. Das End-Ergebniß iſt der Geiſt des Ganzen und keine beſon - dere Geſtalt. Eine ſchöne Erſcheinung, ein Kunſtwerk, kann kampflos Schönes, Erhabenes, Komiſches hervortreten laſſen, aber die Schönheit,487 die jetzt als Ergebniß vor uns ſteht, iſt nur das Unſichtbare, was dieſe Formen zu einem Ganzen bindet. Als einzelnes Ganzes aber ge - hört eine beſtimmte äſthetiſche Erſcheinung oder ein Kunſtwerk ſelbſt nur Einer dieſer Formen an; die Reihe der Werke eines Künſtlers, eines Volks, einer Zeit faßt ſich wieder zu beſonderen Ganzen zuſammen, die ſelbſt noch, wiewohl hier ganz andere, neue, reale Momente als Ur - ſachen neuer Beſtimmungen im Schönen einwirken, nicht das ganze Schöne darſtellen, ſondern nach dem einen oder andern ſeiner Gegenſätze gravitiren, und das wahre, allgemeine Ganze, das Schöne als erfüllte Einheit iſt nur der Geiſt der ganzen Kunſtwelt und ihrer ganzen Ge - ſchichte. Zu wiederholen iſt aber hier, daß die Schönheit, wie ſich ihr Weſen vor der Entfaltung der Gegenſätze zeigte, nun zu einer beſondern Form herabgeſetzt iſt. Zwar wurde der Grazie des einfach Schönen auch ihre Hohheit zuerkannt (§. 73), aber dieſe iſt noch etwas Anderes, als das Erhabene, ſie hat ſich noch nicht im Kampfe bewährt, wie die Hohheit des Erhabenen. Die Venus von Melos iſt eine weltbezwin - gende Macht voll Hohheit; ſie gehört noch dem einfach Schönen an, wie - wohl die Mediceiſche wie ein liebliches Mädchen ohne Göttergröße neben ihr ſteht; denn ihr Sieg über das Widerſtrebende iſt leicht und ein Kampf ohne Kampf. Dagegen der Zeus des Phidias war zwar auf - gefaßt als der milde Geber der Wohlfahrt und neigte ſich hernieder mit Olympiſcher Seligkeit, aber es war der Zeus, der die Titanen be - kämpft hat und auf das Winken von deſſen Augenbraunen die Himmel donnern; er war erhaben. Nicht alſo das Liebliche ohne Hohheit iſt jenes zur beſondern Geſtalt herabgeſetzte einfach Schöne; ſieht man die Medi - ceiſche Venus nicht neben der von Melos, ſo hat auch ſie ihre Hohheit; wo die Unendlichkeit des Ausdrucks verſchwindet, da beginnen die bloſen Nachbarbegriffe des Schönen das Zierliche u. dergl. ; das einfach Schöne iſt vielmehr nun das Liebliche, das nur ſeine Hohheit noch nicht zum herben Kampfe erſchloſſen hat. Wo aber dieſer iſt, da iſt nicht mehr das einfach Schöne; wo die Komik ihn löst, iſt nicht mehr das Erhabene und nicht mehr dieſes; wo dagegen dieſe kämpfenden Formen ſelbſt beruhigt ſind, da folgt kein neues Schauſpiel, ſondern überſieht der Zuſchauer, erfüllt von dem Athem, der alle dieſe Formen durchdringt, das Ganze, und dieſes iſt die erfüllte, vermittelte Schönheit.

2. Der Gegenſatz des Objectiven und Subjectiven iſt in den Formen des Erhabenen und Komiſchen hervorgetreten und hat ſich zuletzt im Humor zuſammengefaßt, welcher ſowohl darum, weil er zugleich eine komiſche488 Perſönlichkeit iſt und zugleich in dieſer ſich als komiſch weiß, als auch weil er dieſes Bewußtſeyn des Subjects über die ganze Welt erweitert, objectiv und ſubjectiv in Einem iſt. Es wäre leicht, die beſondern Stufen des Humors und ebenſo die untergeordneten Unterſchiede in ihnen auf den - ſelben Gegenſatz zurückzuführen, wenn nicht für die erfülltere Form auch der concretere Name vorzuziehen wäre. Warum aber dennoch das Komiſche im Ganzen als ſubjectiv wie das Erhabene im Ganzen als objectiv ſich beſtimmt, bedarf keiner Nachweiſung mehr, ſondern nur des Zuſatzes, daß das Erhabene weiter auch darum objectiv iſt, weil es Object für das Komiſche wird. Derſelbe Gegenſatz wird nun aber als Prinzip der Ein - theilung des ganzen Syſtems auftreten, denn das Schöne als Einheit des Objectiven und Subjectiven wird ihn alsbald in neuem Sinne aus ſich hervorgehen laſſen und durch die ganze Bewegung, wodurch es ſich als Daſeyn verwirklicht, als Eintheilungsgrund hindurchführen.

3. Weiße und Ruge gehen, wie ſchon berührt, von den wider - ſtreitenden Formen des Erhabenen und Komiſchen zum Ideale über. Weiße betrachtet das Komiſche als eine Durcharbeitung und Schmelzung des der Schöpferthätigkeit ſtarr gegenüber ſtehenden endlichen Stoffes (vergl. z. B. Aeſth. Th. 1, S. 243). Der Geiſt gibt ſich ſeine Frei - heit vom Stoffartigen, um ſich dann im Objecte als nicht mehr wider - ſtrebender Form, die er rein zum Ideale durchdringt, niederzulegen. Den Uebergang bildet, wie geſagt, das Naive als die objective Erſcheinung, welche von dem Humor als ſelbſt erfüllt mit dem Geiſte, den er ſonſt den Dingen nur leiht, als ſeelenvolles Endliche erkannt wird. Im Ge - fühle aber, daß dieſer Uebergang nicht ausreicht, bringt Weiße die weltgeſchichtliche Thätigkeit der Bildung herbei (a. a. O. §. 33), welche hieher gar nicht gehört. Die Bildung iſt überall vorausgeſetzt, um das Schöne als Ideal zu realiſiren, und das Ideal ſelbſt iſt ſowohl ſchönes, als auch erhabenes und komiſches Ideal; alle dieſe Formen des Ideals ſind in unmittelbarer Weiſe auch außer oder vor dem Ideale da, dann verwirklicht ſich dieſes durch die Bildung der Phantaſie; das komiſche Ideal aber iſt, wenn einmal das Schöne überhaupt als Ideal wirklich wird, das Letzte und Reifſte in dieſem, es fordert die höchſte Bildung. Ruge nun betrachtet das Erhabene (vergl. §. 82 Anm.) als die erſte Form des ſich erſt erzeugenden Schönen; das Komiſche iſt alſo die zweite. Den Uebergang nimmt dann auch er durch das Naive (a. a. O. 207) und weiter durch eine Form, die er humoriſtiſche Ironie nennt (S. 210). Aber als hätte er vergeſſen, daß er nun beweiſen ſoll, was er zuerſt an -489 gelegt, daß nämlich aus dieſen Formen das Ideal ſich erzeuge, geht er, ſtatt in das Ideal überhaupt, auf einmal in eine beſondere Form deſſelben, in das komiſche über (S. 218). Dies iſt neue Confuſion; die Con - fuſion in dieſer ganzen Anlage iſt aber, wie ſchon in dem ſo eben gegen Weiße Bemerkten ausgeſprochen iſt, die, daß ja offenbar ſowohl das einfach Schöne, als das Erhabene und Komiſche in der Wirklichkeit auf - treten zuerſt als ein ſcheinbar nur vorgefundenes, von ſelbſt daſeyendes Schauſpiel, dann aber als Phantaſie, d. h. als erſt noch innerliches Ideal, dann als Kunſt-Ideal. Meint Weiße, es werde dann, da das Erhabene und Komiſche als Mittel ſchon ausgegeben ſind, um zum Ideal zu gelangen, in dieſem keine erhabene und komiſche Form mehr geben? Und meint Ruge ebendies, aber zugleich auch ebenſoſehr, es werde dann nur ein komiſches Ideal geben? Oder meint er, das Komiſche vor dem Ideal nehme ſeinen eigenen Weg, um Ideal zu werden, und das einfach Schöne und Erhabene ſolle zuſehen, wie ſie auch ihren eigenen Weg dahin finden? Wir werden einen andern Gang gehen: das ganze Schöne ſoll ſich nun zu einem wirklichen Daſeyn erſchließen, aber nicht ſogleich zum Ideale. Der Uebergang ſoll ſich uns aus dem Satze bilden, daß der ganz erfüllte Begriff zur Unmittelbarkeit des Seyns ſich erſchließt. Wenn ich ein Allgemeines in allen ſeinen Momenten begriffen habe, bin ich bei ſeinem Daſeyn angekommen, es kann nicht nur ſeyn, es muß ſeyn, es iſt. Von dieſem Satze, zu deſſen Begründung die Aeſthetik nur auf das in der Philoſophie überhaupt ſchon Ermittelte ſich zu berufen hat, wird der zweite Theil ausgehen.

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About this transcription

TextÄsthetik oder Wissenschaft des Schönen
Author Friedrich Theodor von Vischer
Extent507 images; 180584 tokens; 17005 types; 1267987 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationÄsthetik oder Wissenschaft des Schönen Zum Gebrauche für Vorlesungen Erster Theil: Die Metaphysik des Schönen Friedrich Theodor von Vischer. . VIII, 489 S. MäckenReutlingenLeipzig1846.

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