PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I][II]
Aeſthetik oder Wiſſenſchaft des Schönen.
Zum Gebrauche für Vorleſungen
Zweiter Theil: Die Lehre vom Schönen in einſeitiger Exiſtenz oder vom Naturſchönen und der Phantaſie.
Reutlingen und Leipzig. Carl Mäcken’s Verlag. 1847.
[III]
Aeſthetik oder Wiſſenſchaft des Schönen.
Zum Gebrauche für Vorleſungen
Zweiter Theil. Erſte Abtheilung. Die Lehre vom Naturſchönen.
Reutlingen und Leipzig. Carl Mäcken’s Verlag. 1847.
[IV][V]

Inhaltsverzeichniß.

  • §§. Seite.

Zweiter Theil. Das Schöne in einſeitiger Exiſtenz.

  • Grundbegriff2321 2

Erſter Abſchnitt. Die objective Exiſtenz des Schönen oder das Naturſchöne.

  • Grundbegriff233 2393 24
  • A. Die Schönheit der unorganiſchen Natur.
  • Grundbegriff24025 27
  • a. Das Licht241 24528 37
  • b. Die Farbe246 25337 55
  • c. Die Luft254 25655 59
  • d. Das Waſſer257 25959 64
  • e. Die Erde260 26965 78
  • B. Die Schönheit der organiſchen Natur.
  • a. Die Schönheit des Pflanzenreichs.
  • Die Pflanze überhaupt270 27779 92
  • Erſter Typus27892 94
  • Zweiter Typus27995 96
  • Dritter Typus28096 99
  • Gruppen28199 100
  • b. Die thieriſche Schönheit.
  • Das Thier überhaupt282 291101 117
  • Die wirbelloſen Thiere292 294117 124
  • Die Wirbelthiere
  • Ueberhaupt295 298124 129
  • Die Fiſche299 301129 133
  • Die Amphibien302133 134
  • Die Vögel303 305134 141
  • Die Landthiere306 315141 156
  • VI
  • C. Die menſchliche Schönheit.
  • Grundbegriff316157 158
  • a. Die menſchliche Schönheit überhaupt.
  • α. Die allgemeinen Formen.
  • Die Geſtalt317 319159 166
  • Zuſtände und Altersſtufen320166 169
  • Die Geſchlechter, die Liebe321 322169 173
  • Die Ehe, die Familie323173 175
  • β. Die beſondern Formen.
  • Die Racen und Völker324 326175 181
  • Die Culturformen327182 187
  • Das Staatsleben328 330187 192
  • γ. Die individuellen Formen.
  • Die natürliche Beſtimmtheit des Individuums331193 195
  • Die ſittliche Beſtimmtheit des Individuums332195 196
  • Der Charakter333 337196 206
  • Phyſiognomik, Pathognomik338 340206 219
  • b. Die geſchichtliche Schönheit.
  • Grundbegriff341220 221
  • α. Das Alterthum:
  • Ueberhaupt342222
  • Vorſtufe: der Orient343 347223 233
  • Mitte: die Griechen348 351233 241
  • Ausgang: die Römer352 353241 245
  • β. Das Mittelalter:
  • Der germaniſche Charakter354246 249
  • Vorſtufe355 357249 254
  • Mitte358 361254 261
  • Ausgang362 364261 267
  • γ. Die neue Zeit:
  • Ueberhaupt365268 269
  • Vorſtufe366 369269 279
  • Mitte370 378279 298
[1]

Das Schöne in einſeitiger Exiſtenz.

§. 232.

Indem das Schöne aus der reinen Allgemeinheit des Begriffs in die1 Beſtimmtheit der Exiſtenz übertritt, ſo ſtellt es ſich nach dem Geſetze aller ſich verwirklichenden Idee zuerſt in zwei aufeinander folgenden Formen dar, deren erſte als unmittelbare, deren zweite als vermittelte zu bezeichnen iſt. Beide2 Formen ſind einſeitig, denn es liegt im Weſen des Unmittelbaren, in das Vermittelte aufgehoben zu werden, und im Weſen des Vermittelten, das Unmittelbare als ein von ihm Durchdrungenes wiederherzuſtellen. Obwohl nun jene Aufhebung ſchon im vorliegenden Theile ſich vollzieht, ſo tritt doch, weil dieſe Wiederherſtellung noch ausbleibt, das Vermittelte als eine einſeitig ſelbſtändige Exiſtenz dem Unmittelbaren, das ebendaher trotz ſeiner auf - gewieſenen Unhaltbarkeit dasſelbe Recht einſeitiger Selbſtändigkeit gegen jenes behält, gegenüber.

1. Der §. iſt nur einführenden Inhalts und hat daher keine Beweiſe zu geben, ſondern vorerſt nur auf ein allgemeines Geſetz des Denkens und Seins ſich zu berufen. Der Schein einer Platoniſchen Fixirung der Ideenwelt, welcher entſtehen könnte, wenn von einem Uebertreten aus der reinen Allgemeinheit des Begriffs in die Beſtimmt - heit der Exiſtenz die Rede iſt, wird ſich im Folgenden alsbald aufheben. Aufgabe aller Philoſophie iſt Deſtruction der Metaphyſik durch Metaphyſik. Die beſondere Wiſſenſchaft der Aeſthetik hat dieſe Aufgabe nicht zu löſen, ſondern nur ihre Stellung zu den Löſungsverſuchen der Philoſophie in der gegenwärtigen Zeit einzunehmen; ſie kann aber von ihrer Seite zeigen, daß ſich eine Art, die Aufgabe zu löſen, an ihrem Stoffe bewährt, eine andere nicht. Der Uebergang von der Metaphyſik in die Natur - philoſophie iſt ein anderer, als der von der Metaphyſik des Schönen in die Naturlehre des Schönen, aber beide müßen nach demſelben Geſetze erfolgen und ein unphiloſophiſcher Verſuch, jenen Uebergang zu begründen, muß ſich auch in dieſem als unphiloſophiſch erweiſen.

Viſcher’s Aeſthetik. 2. Band. 12

2. Die unmittelbare Exiſtenz des Schönen iſt, wie ſich fogleich zeigen wird, das Naturſchöne, die vermittelte iſt die Phantaſie. Jenes wird ſich aufheben in dieſe, dieſe aber ſoll ſelbſt wieder das Unmittelbare, das ſie in ſich aufgelöst hat, zur Freiheit entlaſſen und ſo die wahre und ganze Wirklichkeit des Schönen, die Kunſt, entſtehen, welche den Inhalt des dritten Theils bilden wird. Solange nun dieſer dritte Schritt noch nicht gethan iſt, ſo zeigt ſich die Phantaſie ſelbſt noch als mangelhaft und was ihr mangelt, iſt eben die Objectivität des Unmittelbaren; darum behauptet ſich das Naturſchöne, obwohl es nicht die wahre Form der Unmittelbarkeit hat, neben ihr als ſelbſtändige Welt und ſie neben ihm. Man könnte die Lehre vom Naturſchönen die äſthetiſche Phyſik, die Lehre von der Phantaſie die äſthetiſche Pſychologie nennen. Dieſe Namen bieten einen bequemen Gegenſatz gegen den Namen des erſten Theils: Metaphyſik des Schönen, wobei freilich die Ungleichheit bleibt, daß, während dieſer Name dem ganzen erſten Theile galt, mit jenen Bezeichnungen nur jedem der zwei Abſchnitte des zweiten Theils ſein beſonderer Name gegeben iſt. Dieß liegt in der Natur der Sache; der in ſich zwar unterſchiedene, als Ganzes aber einfache Begriff geht in der Bewegung ſeiner Verwirk - lichung zunächſt in zwei Zweige auseinander, welche ſich, ſo nothwendig auch der Uebergang vom einen zum andern iſt, aus dem genannten Grunde als ſelbſtändige und getrennte Welten gegenüberſtehen; im dritten Theile erſt vereinigen ſich dieſe Welten wieder zu Einer und der einfache Name Kunſtlehre umfaßt dieſen ganzen Theil. Der Name Pſychologie für den zweiten Abſchnitt des zweiten Theils könnte angefochten werden, ſofern er nicht nur die Lehre von der Phantaſie als Thätigkeit des Subjects, ſondern auch die Lehre von der Phantaſie der Völker, die Hauptformen des Ideals zu bezeichnen hat. Allein das Ideal kommt hier doch in Betracht weſentlich nur als ein erſt inneres, wobei von ſeiner Darſtellung in Kunſtwerken noch nicht die Rede iſt; concrete Bedingungen, die beſtimmten Zuſtände und insbeſondere die Religion der Völker ſind dabei zwar vorausgeſetzt und dadurch ſcheint das Gebiet der Pſychologie weit überſchritten zu ſein; allein wir befinden uns nicht in der Philoſophie überhaupt, ſondern in der Aeſthetik: für dieſe bleibt das Daſein des Schönen als inneres Bild, ſo lange es ſich nicht in der Kunſt verwirklicht, wie reiche geſchichtliche Bedingungen auch zu demſelben zuſammenwirken mögen, immer eine blos pſychologiſche Form.

[3]

Erſter Abſchnitt. Die objective Exiſtenz des Schönen oder das Naturſchöne.

§. 233.

Nachdem die Totalität der im allgemeinen Begriffe liegenden Momente entwickelt iſt, hebt ſich, indem dieſe durch gegenſeitige Negation ihre Trennung ausgelöſcht haben, die abſtract logiſche Vermittlung auf und tritt der Begriff in die erſte Form ſeiner realen Exiſtenz, in die Unmittelbarkeit des einfachen Seins über. Dieſes Geſetz begründet den Uebergang von der Metaphyſik zur Naturphiloſophie und ebenſo den Uebergang von der Metaphyſik des Schönen zu der Lehre vom Naturſchönen. Sucht man dagegen den Grund dieſes Ueber - gangs in einem Willen, ſo wird die ganze Ordnung der Begriffe hier wie dort verkehrt und dasjenige, welches vorausſetzt, daß erſt ein Anderes vor ihm ſei, gegen ſein eigenes Weſen zuerſt geſetzt. Die erſte Form der Exiſtenz des Begriffs muß vielmehr das ſein, was ohne Zuthun da iſt und was vorausgehen muß, damit ein Anderes, das durch Zuthun da iſt, an ihm ſeine Grundlage und ſein Object habe. Dieſe erſte Form aber iſt das Unmittelbare, welches ſich zu dem Erkennenden als ein ſchlechthin Vorgefundenes verhält. So iſt nun die erſte Weiſe der Exiſtenz auch des Schönen dasjenige Daſein, welches ohne Zuthun eines Willens, alſo eines Subjects, als ſchön einfach vorgefunden wird, und dieſes Daſein iſt weſentlich ein objectives ſowohl weil es ein vor - gefundenes, als auch weil es, wie der Fortgang des Begriffs zeigen wird, beſtimmt iſt, der vermittelten Exiſtenz des Schönen, welche aus einem Willen kommt, Ausgangspunkt und Stoff zu werden.

Der Uebergang vom reinen Gedanken zu dem realen Sein, wie ihn die Philoſophie auf dem Punkte des Fortgangs von der Metaphyſik zur Naturphiloſophie zu vollziehen hat, kann nur auf den in §. 231, 3. ausgeſprochenen Begriff gegründet werden, daß der ganz erfüllte Begriff1*4nothwendig zur Unmittelbarkeit des Seins ſich erſchließt. Wenn ich alle Momente durchwandelt habe, welche der Begriff in ſeiner Allgemeinheit enthält, wenn ich jedes in das andere dialektiſch aufgelöst habe, ſo habe ich das Ganze als dieſes Einfache, worin Gegenſatz und Vermittlung erloſchen iſt, als das unmittelbare, aber erfüllt unmittelbare Sein. Es liegt hierin zweierlei. Das Eine iſt, daß die Wiſſenſchaft von dem abſtracten Begriffe zu ſeiner Realität eher nicht übergehen kann, als bis ſie alle Momente durchlaufen hat, welche den Begriff conſtituiren. Soll auch nur ein Stein exiſtiren können, ſo iſt die ganze Natur und mit ihr die Welt des Geiſtes, denn ſie iſt ſeine Grund - und Widerlage, vorausgeſetzt. Es müßen alſo alle Gegenſätze und Mächte, welche in ihrer unendlichen Bewegung und Thätigkeit die Welt bilden, erſt in ihrer Allgemeinheit gedacht ſein, ehe ich auch nur die unterſte Exiſtenz in ihrer Realität denken kann, denn auch ſie iſt eine Concretion von Beſtimmungen, welche mit dem Inbegriffe der Weltbeſtimmungen ein untheilbares Ganzes bilden. Auf die beſondere Sphäre, welche hier vorliegt, das Schöne, angewandt, lautet dieß ſo: wo irgend Schönes wirklich iſt, da iſt auch Erhabenes und Komiſches in allen Begriffs-Unterſchieden, welche dieſe Gegenſätze, ſo wie das einfach Schöne in ſich ſchließen; auch die geringſte Exiſtenz des Schönen iſt eine geſchloſſene Einheit von Beſtimmungen, welche alle übrigen Beſtimmungen des Schönen in ſich begreifen, fordern, ſetzen; ich kann alſo früher von keiner Wirklichkeit des Schönen reden, als bis ich die Totalität der im Begriffe des Schönen liegenden Momente entwickelt habe. Das Andere, was in dieſem Uebergange liegt, iſt dieß: wenn ſo der allgemeine Begriff durch ſeine Momente verfolgt, wenn er mit ihrer Totalität erfüllt und geſättigt iſt, ſo kann nicht nur zu ſeiner Realität übergegangen werden, ſondern es iſt ſchon dazu übergegangen, man iſt bei ihr ſchon angekommen, ſie iſt ſchon da. Dieß iſt die Deſtruction der Metaphyſik durch Metaphyſik, von welcher zu §. 232 die Rede war. Sobald man fordert, daß zwiſchen die reale Welt und die Begriffswelt ein Drittes eingeſchoben werde, um den Uebergang begreiflich zu machen, wie der Begriff eines Abfalls, einer Emanation, einer Schöpfung, ſo ſetzt man voraus, daß Denken und Sein ein abſoluter Gegenſatz ſei: ein Standpunkt, welcher zuerſt ſelbſt ſein angemaßtes Recht zu beweiſen hätte und deſſen Schein die wahrhaft philoſophiſche Metaphyſik ſich viel - mehr frei erzeugt, um ihn aufzuheben. Die Philoſophie als Metaphyſik beſchäftigt ſich nicht mit Anderem, als was in der Welt real iſt, ſie faßt es nur in ſeiner reinen Allgemeinheit; ſie unterſucht, was den Dingen gemeinſam iſt und wenn ſie das Gemeinſame begriffen hat, ſo ſteht ſie ſchon mitten in ihnen ſelbſt. Durch die beſtimmten Gattungen und Arten der Dinge ſcheint auf den erſten Blick etwas Neues und Anderes zu5 dem Allgemeinen hinzuzukommen, das Inhalt der Metaphyſik war, und dieſer Schein des Hinzukommens iſt das berühmte Kreuz der Philoſophie. Ich habe, ſagt man, wenn in der Sphäre des reinen Begriffs auch die Begriffe Art und Gattung metaphyſiſch oder logiſch unterſucht ſind, noch kein Thier, keinen Fuchs, Haſen u. ſ. w. demonſtrirt; ebenſo iſt freilich z. B. noch kein Unterſchied der Künſte und Zweige der einzelnen Künſte abgeleitet, wenn die allgemeinen Begriffsmomente des Schönen entwickelt ſind. Allein in der Metaphyſik muß auch dieß bewieſen ſein, daß der Begriff in jeder ſeiner allgemeinen Formen ein thätig ſich Bewegendes iſt, das, um ſich bewegen zu können, ein Anderes vorausſetzt, ſich voraus - ſchickt und gegenüberſtellt, an welchem, mit welchem, gegen welches er thätig iſt; dadurch und durch nichts Anderes ſind die wirklichen Reiche des Seins bedingt, welche nur durch die Namen, die wir ihnen über - lieferter Weiſe beilegen, ſo als etwas ganz Beſonderes, in der Vernunft nicht Begründetes erſcheinen. Sie ſind aus keinem Stoffe gemacht, der zu dem Denken als ein Fremdes hinzukäme; ſo weit du die ſinnlichen Dinge durchſchneideſt, du findeſt nichts, als das Eine, was tauſend Formen annimmt, was Erde, Pflanze, Thier, Geiſt iſt, und dieß Eine nimmt dieſe Formen an, eben um durch Gegenſatz zu leben. So iſt auch in allen wirklichen Formen des Schönen nichts Anderes zu finden, als das Schöne, das, um ſich zu realiſiren, Formen einander gegenüber - ſtellt, deren eine gegen die andere ſpannt, über die andere erhebt; nur daß hier, weil eine beſondere Sphäre des Einen und Allgemeinen vorliegt, Neues und anfänglich Fremdes aus anderen Sphären hinzutritt, was aber ganz in das Schöne verarbeitet wird (vergl. §. 9, 2.).

Die erſte Form der Exiſtenz nun, in welche der Begriff aus ſeiner reinen Allgemeinheit eintritt, muß das Unmittelbare ſein: die Natur, in der Aeſthetik das Naturſchöne. Das Vermittelte, was auf der Seite der Metaphyſik dem Unmittelbaren entgegenſteht, wurde im §. abſtract logiſche Vermittlung genannt, denn vermittelte Form nimmt auch die wirkliche Exiſtenz des Begriffs an, dieſe aber iſt real vermitteltes Sein, wogegen die Vermittlung, welche zum Ende und zur Ruhe gelangt ſein muß, wenn zu dem realen Sein überhaupt ſoll übergegangen werden können, die rein dialektiſche iſt, die im allgemeinen Elemente des Gedankens geſchieht. Während nun die beſondere Wiſſenſchaft der Aeſthetik nicht die Pflicht hat, den Uebergang aus der Metaphyſik überhaupt in die Natur - philoſophie zu demonſtriren, ſo kann ſie der wahren Führung dieſer Demonſtration doch von ihrer Sphäre aus dadurch negativ zu Hilfe kommen, daß ſie zeigt, welche Verkehrung der richtigen Ordnung es zur Folge hat, wenn man einen fremden hypoſtatiſchen Begriff zwiſchen das Allgemeine der Metaphyſik und die reale Welt einſchiebt. Dieſer Begriff6 iſt in der neueſten Philoſophie, welche über den Pantheismus Hegels hinausſtrebt, der des Willens, des abſoluten Willens nämlich, durch den ein perſönlicher Gott die Welt ſetzt. So iſt ein Wille da vor dem Willen und ein Subject vor dem Subject. Denn erſt über der Natur, auf ihrer Grundlage und in der Spannung der Thätigkeit gegen ſie iſt Wille und Subject möglich; erhebt ſich die Natur über ſich ſelbſt in Subject und Wille, ſo muß ſie freilich ſchon vorher die Möglichkeit von Subject und Wille ſein, jene Behauptung aber ſetzt wirkliches Subject und Willen vor dieſe Möglichkeit, ſie ſetzt die reichſte Exiſtenz voraus, um die einfachſte und ärmſte zu erklären, ſie ſchickt den Geiſt des Ganzen als einzelne Exiſtenz ſeinem Ganzen voran. Nach demſelben Begriffe müßte in der Aeſthetik ein das Schöne ſchaffender Wille ſein vor dieſem Willen, d. h. ein Künſtler müßte da ſein, ehe wir das Naturſchöne haben, das dem Künſtler vorliegt, in deſſen Angeſichte und in deſſen überwindender Umbildung der Künſtler erſt wird. Man ſage nicht: jener Künſtler vor dem Künſtler ſei der abſolute Künſtler oder Gott, und der andere, menſchliche Künſtler bilde die Schönheit, die jener in der Natur aus - gebreitet, nach. Denn die Naturſchönheit müßte dann höher ſein als die Kunſtſchönheit, da doch jede Prüfung derſelben zeigt, daß ſie auf allen Punkten darum mangelhaft iſt, weil ſie nicht als ſolche gewollt iſt, weil ſie von keinem Bewußtſein des Schönen herrührt. Gehen wir auf den allgemeinen dialektiſchen Satz zurück, der hier in Anwendung kommt: daß in einem Stufenſyſtem die höhere Stufe die Wahrheit der niedrigeren ſei. Die innere Zweckmäßigkeit in der Natur weist hinauf zu dem Willen, wie er im geiſtigen Leben in angemeſſener Form ſich offenbart, er iſt ihre Wahrheit; ſo erſcheint das Ganze als Wille, als Gewolltes. Allein daraus ſchließen, daß vor jenem implicirten Willen ein explicirter zu ſetzen ſei in der Perſon Gottes, dieß heißt den Sinn jenes dialektiſchen Satzes geradezu wieder aufheben und das Räthſel unlösbar machen. Wenn das Geheimniß der Natur dieß iſt, daß ſie das, wozu nach unſerer Vorſtellung Wille gehört, ohne Willen, alſo, da Bewußtſein und Denken im Willen miteinbegriffen ſind, ohne Bewußtſein und Denken thut, ſo habe ich zur Löſung desſelben rein nichts beigetragen, wenn ich ſage, es ſei ihr, was ſie vollbringe, von einem perſönlichen Willen vorgedacht, vorgewollt; ſie muß es ja doch Alles ſelbſt thun, was ſie thut, und es hilft dem Baume nichts, daß ein entferntes Weſen, da er nicht denken kann, für ihn denkt, er iſt dennoch genöthigt, ohne Denken zu thun, wozu Denken zu gehören ſcheint. Dieß iſt das vergebliche Doppeltſetzen des Theismus (§. 10, Anm. 1.). Ebenſo wenn das Geheimniß der Natur - ſchönheit dieß iſt, daß ſie ſchön iſt, ohne daß doch die Naturkräfte mit Wiſſen und Willen auf Schönheit arbeiten, ſo iſt nichts zur Erklärung7 geſagt, wenn man dieſe Erſcheinung auf einen Schöpfer als ſein Werk hinüberſchiebt, es iſt dasſelbe, wie dort, es hilft der Natur gar nichts, wenn ſie einen vorbildenden Spiegel hat, ſie iſt und bleibt auf ſich ſelbſt angewieſen. Kurz, es iſt verkehrt, das Explicirte hinter das Implicirte als Explicirtes zurückzuwerfen und die Verkehrtheit leiſtet den erwarteten Dienſt nicht, ſie erklärt nichts.

Daß nun die Naturſchönheit als eine ſchlechthin (ſo ſcheint es wenigſtens vorerſt) vorgefundene, unmittelbare und in dem doppelten Sinn des §. objective Form der realen Exiſtenz des Schönen zuerſt zu ſetzen ſei, ſollte ſelbſt von denjenigen zugegeben ſein, welche die Welt aus dem Theismus conſtruiren; denn die Wendung ſteht ihnen immer noch frei, daß der göttliche Verſtand und Wille beſchloßen habe, der geiſtigen Schöpfung die natürliche zur Vorausſetzung zu geben, und ebenſo, in der Sphäre der Schönheit, dem menſchlichen Künſtlergeiſte die Naturſchönheit als ſeine Vorlage voranzuſchicken. Freilich liegt es dieſer Anſicht jeden - falls nahe, die Vorlage für das Vollkommene, alſo für das nicht nur der Folge, ſondern auch dem Werthe nach Erſte zu erklären. Die wahre und ganze Schönheit iſt dann jenſeits hinter der Welt in Gott, ihr erſter, friſcher Abglanz iſt in der Natur, der ſchwächere zweite in der Kunſt. In Wahrheit wäre dadurch die Aeſthetik aufgehoben: ein geheimes Buch, das nicht in dieſer Welt geſchrieben werden kann. Doch nicht alle Schlußfolgen werden gezogen und die Nothwendigkeit, dem Kunſtſchönen das Naturſchöne als Stoffwelt vorauszuſchicken, kann als allgemein zugeſtanden angeſehen werden. Nur Chr. H. Weiße macht Ernſt aus der Logik der Tranſcendenz und ſtellt demgemäß das ganze Syſtem der Aeſthetik auf den Kopf, indem er die Naturſchönheit unter dem Namen der Genius in objectiver Geſtalt an den Schluß des Ganzen ſetzt. Ihr voran ſtellt er den ſubjectiven Genius, den Künſtlergeiſt, und vor dieſen die Kunſt. Während alſo nach jedem Begriffe einer richtigen Ordnung, nachdem der abſtracte Begriff des Schönen dargeſtellt iſt, zuerſt die Naturſchönheit, dann der Genius, zuletzt deſſen Werk, die Kunſt, ſtehen müßte, ſteht zuerſt das Werk, dann der Meiſter des Werks, dann die Vorlage und Stoffwelt, von welcher der Meiſter ausgeht. So unbegreiflich dieſe Anordnung ſcheint, ſo folgt ſie doch ganz richtig aus der ſtrengen Conſequenz des tranſcendenten Standpunkts. Der abſolute Geiſt, welcher, der Welt jenſeitig, nur den Abglanz einer höheren, über - ſinnlichen Ordnung der Dinge auf ſie wirft, offenbart ſich als der einzig wahre Grund der Schönheit in dem Grade vollkommener, in welchem die feſt beſchloſſene Geſtalt gegenwärtiger Schönheit ſchwindet und dem Unbeſtimmten weicht, das auf ein Fernes und Jenſeitiges hinüberzuweiſen ſcheint. Er zieht ſich aus dem Kunſtwerk als inneres Selbſt, als8 geheimnißvolle Macht in den Genius zurück. Die bloße Innerlichkeit iſt noch ein Mangel, und während man meinen ſollte, dieſer Mangel werde eben durch die höhere Objectivität der Kunſt getilgt, ſo iſt vielmehr die letzte und höchſte Station des in die Welt ſchimmernden abſoluten Geiſtes die Naturſchönheit. Die Zufälligkeit, die Unzuverläßigkeit des ſtets ſeine Stelle wechſelnden Naturſchönen wird zugegeben; wenn aber aus dieſem Mangel eben dieß zu folgen ſcheint, daß der Genius im Künſtler das Flüchtige feßle, das Wechſelnde befeſtige, das Zerſtreute in den Brenn - punkt des innern Phantaſiebildes und dann des Kunſtwerks ſammle, ſo ſagt Weiße (Aeſth. §. 77) umgekehrt, gerade daraus folge, daß, weil es nicht die Naturkräfte ſelbſt ſeien, die das Schöne als ſolches wollen, weil die Bedingungen des Schönen nur beiläufig eintreten, ein höherer, abſoluter Grund der Schönheit es ſein müße, welcher die Naturkräfte in ſeinen Dienſt zwingend, auf der Oberfläche der Natur hin - und wieder - ſchimmernd und umherziehend ſich wechſelnde Bezirke auserleſe, worin er ſich Erſcheinung gebe. Die Naturſchönheit iſt daher keineswegs Vorlage der Kunſt im Sinne des bloßen Ausgangspunkts und Stoffs, wie wir dieß Wort verſtehen, ſondern ſie iſt wirkliches Vorbild, Muſter oder Endziel derſelben und der künſtleriſche Genius ſtrebt ihr nach, weil er ſich weſentlich zugleich einer noch höher ſtehenden, aber andern Sphären angehörenden und deßhalb auf die Kunſt nicht unmittelbar zu über - tragenden Schönheit bewußt iſt (S. 427). Näher wird der Vorzug der Naturſchönheit vor der Kunſtſchönheit in ihre Lebendigkeit geſetzt. Wie es mit dieſem Vorzuge beſtellt ſei, wird ſich an ſeinem Orte zeigen.

Wir gehen einen andern Weg und dieſer bringt es mit ſich, daß der §. bereits auf das weitere Syſtem hinausweist, darauf nämlich, daß die Naturſchönheit beſtimmt iſt, ſich in die Phantaſie und Kunſt aufzuheben. Dieſe Hinausweiſung iſt durch die zweite der Bedeutungen ausgeſprochen, welche der §. in dem Begriffe der Objectivität, unter welchem er das geſammte Naturſchöne begreift, unterſchieden hat. Das Naturſchöne, heißt es, ſei beſtimmt, Ausgangspunkt und Stoff zu werden. Stoff hat hier den Sinn, der in §. 55 Anm. 2. dieſem Worte folgender - maßen zugeſchrieben iſt: zweitens bedeutet Stoff die Idee, wie ſie irgend einmal, abgeſehen von der Kunſt, Form angenommen hat; der Künſtler findet dieſen ſo weit ſchon geformten Stoff in der Erfahrung vor und wählt ihn zur Umbildung in die reine Form u. ſ. w. Das Naturſchöne liegt uns nun zunächſt als das Subject der Schönheit vor; es wird ſich aber zeigen, daß es im Fortgang zum bloßen Süjet wird, d. h. daß es den Künſtler erregt, es nachzubilden, daß es aber in dieſer Nachbildung eine Umbildung erfährt, wodurch es Object der Schönheit (denn dieß bedeutet Süjet) Gegenſtand, Stoff wird. Hiemit eröffnet ſich eine ganz andere9 Streitfrage, als jene über die Idee in der Bedeutung des Inhalts, was man ebenfalls in ungenauer Weiſe Stoff zu nennen pflegt. Wer ſich in der Frage über das Gewicht des Inhalts im Schönen ſo oder ſo entſchieden hat, der hat ſich in der andern über das Verhältniß der Naturſchönheit zur Kunſt noch keineswegs entſchieden. Dort handelt es ſich um das Gewicht der Idee im Schönen, um die Frage, ob ihre reine Einheit mit dem Bilde nicht aufgehoben werde, wenn man den Werth des ganzen Schönen nach dieſem Gewichte beſtimmt und zu dieſem Zwecke Idee und Bild zuerſt ſtreng ſcheidet. Hier fragt es ſich, wo das Schöne in der ungeſchiedenen Einheit ſeiner Momente in Wahrheit wirklich ſei, ob in der Natur, ſo daß die Kunſt nur eine arme Nachahmung wäre, oder in der Kunſt. Die erſte Streitfrage geht auf den Unterſchied von Gehalt und Form, die zweite auf den zwiſchen Gegenſtand und ſubjectiver Thätigkeit in Darſtellung des Gegenſtands, es handelt ſich hier darum, ob er gegeben iſt oder geſchaffen wird, ob die Schönheit im Objecte oder im Subjecte liegt. Beide Streitfragen ſind nicht zu verwechſeln. Wenn ich z. B. etwa mit Hegel behaupte, nur eine Erſcheinung des gewichtigſten ſittlichen Gehalts ſei ſchön, ſo bleibt mir, da die Geſchichte ſowohl als die Kunſt ſolche Erſcheinungen darbietet, unbenommen, entweder hinzuzuſetzen: kein Dichter kann ſo ſchön dichten, kein Maler ſo ſchön malen, als die Geſchichte ſelbſt, oder aber: auch die gehaltvollſte Begebenheit iſt verglichen mit der Umbildung im Gedicht noch roher Stoff. Wenn ich umgekehrt behaupte, es komme auf den Inhalt als ſolchen nicht an, ſondern auf die Form und jeder Gehalt könne durch ſeine Form ſchön werden, ſo habe ich damit noch nicht entſchieden, ob ich unter Form die Naturbildung verſtehe, wie ſie der Gehalt ſchon außer der Phantaſie und Kunſt an ſich hat, oder die Geſtaltung, die er durch den Künſtler erhält. Wirklich haben wir im erſten Theile die erſte Streitfrage ſo entſchieden, daß wir den Gegenſatz der Anſichten in eine höhere lösten, und dieſe Löſung beſtand darin, daß wir zwar jedem Lebensgehalte, der Idee auf jeder Stufe ihrer Wirklichkeit mit wenigen einſchränkenden Bedingungen ihre Berechtigung in der Schönheit einräumten, allerdings aber ſo, daß je die höhere Stufe der Idee auch höhere Schönheit begründe. Nicht der Gehalt als ſolcher begründet die Schönheit in der Stufenfolge des Werth-Unterſchieds, ſondern der Gehalt wie er in die Form aufgeht; dieß hebt aber den Satz nicht auf, denn der Gehalt beſtimmt nach ſich und bringt mit ſich auch ſeine Form und zwar der höhere die höhere; die Idee baut ſich z. B. einen anderen Leib als vegetabiliſches Leben, einen anderen als thieriſches, als geiſtiges Weſen. Vergl. hiezu §. 17, 3. §. 19 u. §. 55. Nun forderten wir allerdings nicht Form überhaupt, ſondern reine Form, und ſo ſcheint es, wir haben auch die zweite Streitfrage und zwar zu Gunſten der ſubjectiven Thätigkeit,10 der Phantaſie und Kunſt, ſchon entſchieden. Allein in Wahrheit wiſſen wir noch nicht, ob die reine Form nicht durch den Zufall eines glücklichen Ausbleibens des ſtörenden Zufalls eintreten könne, wovon im nächſten §. die Rede ſein wird. Nur der ganze vorliegende zweite Theil wird alſo vielmehr die zweite der genannten Streitfragen löſen und zwar ebenſo wie die erſte, nämlich durch eine Aufhebung des Gegenſatzes der Anſichten in eine höhere. Wäre die reine Form geradezu als Phantaſie ausgeſprochen worden, ſo hätten wir die ganze Stoffwelt verloren, worin der Künſtler ſeine Studien macht, wie dieß in der Vorrede zum erſten Theile und zu §. 43 S. 128 geſagt iſt und weiterhin ſich noch ſchlagender darthun wird. Allerdings iſt im vorliegenden §. ſchon der Grund zur Löſung der zweiten Streitfrage gelegt, indem ausgeſprochen iſt, daß dieſe Welt der vorgefundenen Schönheit im Verlaufe zur bloßen Stoffwelt herabgeſetzt erſcheinen wird. Ehe ſie aber dieſem Verluſte des Scheins ihrer Selbſtändigkeit unter - liegt, ſoll ſie ſich erſt in der Fülle dieſes Scheins ausbreiten.

Vor uns alſo liegt die Welt als Fundgrube der Schönheit für den Künſtler; was er mit dem Gefundenen vornimmt, wird ſich zeigen.

§. 234.

Dieſem einfachen Schritte von der Metaphyſik des Schönen zu der Naturlehre des Schönen ſcheint die im §. 53 aufgeſtellte Forderung einer Zuſammenziehung des unendlichen Flußes, worin der ſtörende Zufall ſich aufhebt, zu widerſprechen, denn dieſe ſcheint einen Willen, alſo ein Subject voraus - zuſetzen. Allein da das Weſen des Zufalls iſt, daß etwas ſo oder anders ſein kann, ſo iſt vorerſt ſchlechthin die Möglichkeit feſtzuhalten, daß zufällig der ſtörende Zufall ein - und das andremal ausbleibe, oder, wenn er nicht ausbleibt, ſich eine Aufhebung des Häßlichen in das Erhabene oder Komiſche durch eine alsbald hinzutretende Gunſt des Zufalls einſtelle, und es hat ſich die Wiſſen - ſchaft für den vorhandenen Schein der Selbſtändigkeit des Naturſchönen nur auf das durchgängige Geſetz, daß die erſte Form jeder Wirklichkeit einer Idee die Unmittelbarkeit ſei, zu berufen. Es ſcheint einmal ſo, daß es neben häßlichen Individuen auch wahrhaft ſchöne, erhabene und komiſche gebe und dieſer Schein muß vorerſt ſein Beſtehen haben.

Ein Thiermaler ſieht unzähliche Pferde, die er nicht brauchen kann, aber die gute Gelegenheit führt ihm da und dort ein Pferd vor die Augen, bei deſſen Anblick er ausruft: das iſt einmal ein Pferd, das kann ich brauchen! Ebenſo findet der Bildhauer einmal ein ausgezeichnetes Modell, der Seemaler belauſcht die See in einem entzückenden Momente u. ſ. w. Dieſelbe Gunſt des Zufalls, unter welcher ein Individuum ſich ungehemmt11 zu mangelloſem Sein entwickelt zu haben ſcheint, kann aber auch auf andere Weiſe eintreten. Es iſt etwas durch Uebermaß, durch Zuſtand der Zerſtörung, durch verzerrte Bildung häßlich; aber es ſtellt ſich in demſelben Zuſammenhang (vergl. §. 152) der glückliche Zufall ein, daß es eine furchtbare Wendung nimmt, wenn wir z. B. ein häßliches Thier im Kampfe die Kraft entwickeln ſehen, die ihm gerade durch ſeine Miß - bildung gegeben iſt, oder eine komiſche, wie dieß tauſendmal ſo erleichternd geſchieht in Momenten, welche zuerſt durch Verletzung aller Sinne und jedes Anſtandsgefühls eckelhaft zu werden drohten. Das Glück dieſer guten Stunden iſt rein zu genießen, der Künſtler iſt in der Meinung, daß ihm hier das Schöne ſelbſt in reiner Geſtalt begegne, zu beſtärken; nicht jetzt iſt es am Orte, ihm zu ſagen: ſieh den Gegenſtand näher an, da iſt immer noch unendlich Vieles an demſelben, was du ſo nicht brauchen kannſt, überall mußt du nachhelfen und dabei entdecken, daß das Urbild in deiner Phantaſie das wahre Correctiv des in der Außenwelt Gefundenen iſt; nicht ſogleich iſt ihm dieſer Schein, dieſe erſte Freude zu nehmen. Thatſache iſt: er hat es gefunden, es iſt ihm ein Gegebenes und was immer weiter mag folgen müſſen, es iſt der Ausgangspunkt. Der idealiſtiſche Aeſthetiker, der von dem Satze ausgeht, die Kunſt ſei Ausdruck des Innern und nichts Anderes, begeht die Verkehrtheit, am falſchen Ort ſtatt einer Analyſe eine Syntheſe zu ſetzen. Soll alſo die Wiſſenſchaft nicht die Wahrheit und die Ordnung des Hergangs in der Entſtehung des Schönen verkehren, ſo darf ſie ſich nicht daran ſtoßen, daß ſie auf dieſem Punkte ganz in die Empirie, in die Nacktheit eines unbewieſenen thatſächlichen Scheins ſich ergeben muß. Sie thut es mit Wiſſen in Gemäßheit des im §. wiederholten, jede erſte Form in unſerem Syſtem, ja die ganze Begründung des Schönen von Anfang an bedingenden Geſetzes, daß das Unmittelbare, d. h. dasjenige, was ſelbſt nicht Anderes vorausſetzt, aber vorausgeſetzt iſt, wenn Anderes ſoll ſein können, überall den Aus - gang bildet. So iſt das Naturſchöne dasjenige, was von Kräften hervor - gebracht wird, welche die Schönheit als ſolche nicht wollen und bezwecken, es iſt die zufällige Schönheit, welcher kein ſie hervorbringender Wille, welche vielmehr ſelbſt einem ſolchen vorausgeſetzt iſt, und der Fortgang wird zeigen, wie ſich dieſes Unmittelbare aufhebt; dieſer Wille wird das Unmittelbare, durch das er vermittelt iſt, in ſeine Macht nehmen, er wird, indem er das Letzte ſcheint, zum Erſten, zum Anfang werden. Jenes Wiſſen, womit die Wiſſenſchaft dieſen ſcheinbar nackt empiriſchen Ausgang nimmt, iſt zugleich das Vorauswiſſen dieſes analytiſchen, das Letzte im Verlauf zum Erſten ſetzenden Ergebniſſes.

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§. 235.

Es ergibt ſich nun für die Lehre von dem Naturſchönen die Aufgabe, zunächſt die Reiche der gewöhnlich ſogenannten Natur oder der Idee, wie ſie erſt als bewußtloſe Lebenskraft wirklich iſt (vergl. §. 17), zu durchgehen und unter der Vorausſetzung des glücklichen Zufalls (§. 234) das Eigenthümliche der Schönheit jeder Hauptſtufe in ihren Gattungen und Arten zu betrachten. Die Aeſthetik geht auf dieſem Wege Hand in Hand mit der Naturwiſſenſchaft und wird zu einer Phyſiognomik der Natur.

Der Schritt von der Metaphyſik des Schönen zu der Phyſik des Schönen iſt, wie ſchon bemerkt, keineswegs mit dem Uebergang von der Metaphyſik überhaupt in die Naturphiloſophie zu verwechſeln. Der weſentliche Unterſchied der äſthetiſchen und der allgemein philoſophiſchen Naturlehre wird im folgenden §. aufgezeigt und dargethan werden, daß das Naturſchöne auch das ganze ſittliche Leben in der Unmittelbarkeit ſeiner äſthetiſchen Erſcheinung befaßt. Man könnte nun einwenden: wenn die Lehre vom Naturſchönen etwas ganz Anderes iſt, als die Natur - philoſophie, wenn daher die letztere als gegeben in der Aeſthetik voraus - geſetzt iſt, warum ſoll erſt jetzt, im zweiten Theile, das Naturgebiet (wie nachher das ſittlich geſchichtliche) vom Standpunkte der Aeſthetik durch - wandert werden? Warum geſchah dieß nicht ſchon im erſten Theile in der Lehre von der Idee, §. 15 bis 29? Warum dort nur eine Skizze der Hauptſtufen der wirklichen Idee, der Reiche des Lebens, und jetzt erſt ein genaueres Eingehen? Der Grund iſt einfach der: die Metaphyſik des Schönen hatte die Grundbegriffe zu entwickeln, das weitere Syſtem im idealen Grundriſſe vorzubilden; hier wurde die Frage noch nicht auf - geworfen, ob die wirkliche Welt unmittelbar, wie ſie erſcheint, oder nur durch das umbildende Zuthun des Subjects ſchön ſei. Nun aber iſt dieſe Frage aufgeworfen und zunächſt mit Abſicht der Schein hingeſtellt, als ſei das Erſtere zu bejahen. Jetzt erſt gilt es alſo, ſtatt der ganz gedrängten Skizze der wirklichen Idee, welche im erſten Theile §. 15 29 gegeben iſt, die Reiche des Lebens, zuerſt die der bewußtloſen Natur in der Nähe darauf anzuſchauen, wie viel oder wenig Schönheit das Leben ſelbſt in ſeinen Organiſationen, wenn ihnen nur der Zufall unverkümmerter Entwicklung gegönnt iſt, der Anſchauung darbiete. Die Natur ſcheint jetzt die Werkmeiſterinn des Schönen, ſie iſt uns jetzt Subject und unſere Aufgabe die, ihre Werke der Reihe nach anzuſchauen. Im zweiten Abſchnitte wird es anders lauten, jetzt iſt die Natur in ihrem Rechte und ſoll ſich daher in ihrer Breite entfalten.

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Es tritt nun das Syſtem einer großen, bisher noch ungelösten, ja in ihrem ganzen Umfang noch nicht einmal geſtellten und unendlich ſchwierigen Aufgabe entgegen. Die Phyſiognomik der Natur, welche dieſe Aufgabe iſt, fordert eine Verbindung des Naturforſchers und des Aeſthetikers, welche in der unvermeidlichen Theilung ſubjectiver Kräfte vielleicht überhaupt nicht möglich iſt. Der Aeſthetiker müßte mit umfaſſender naturwiſſenſchaftlicher Bildung ausgerüſtet ſein und der Naturforſcher nicht nur mit philoſophiſcher Einſicht in das Weſen des Schönen, ſondern mit dem feinen Gefühle, dem ſpeziellen erfahrungsreichen Formſinn des Künſtlers. Die Natur - kenntniß müßte gerade deßwegen um ſo gründlicher und vollſtändiger ſein, weil es gälte, über die ganze Maſſe des Stoffs mit der vollkommenen Freiheit des geläufigen Ueberblicks verfügen zu können, mit raſchem Blicke zu unterſcheiden, was für die Aeſthetik brauchbar, was der Naturwiſſenſchaft als ſolcher zu überlaſſen ſei, und ebendarum müßte mit dieſer umfaſſenden Naturkenntniß das Auge des Künſtlers für die Form vereinigt ſein. Die höchſte bis jetzt gekannte Einheit des Naturforſchers und des formfühlenden Auges iſt in Ritter u. A. v. Humboldt aufgetreten, allein liest man z. B. die Ideen zu einer Phyſiognomik der Gewächſe, worin der Letztere ausdrücklich der Aeſthetik in die Hand arbeiten wollte, ſo erkennt man ſogleich, daß der Verf. doch viel zu beſtimmt auf der Seite der Natur - forſchung ſteht, um der Aeſthetik zu genügen, denn dieſe hätte an den Botaniker noch eine Menge weſentlicher Fragen über die richtigſte Anordnung der Pflanzen in Rückſicht auf die äußere Phyſiognomie ihres Baus, welche Humboldts geiſtvolle Skizze unbeantwortet läßt. Iſt es äußerſt ſchwer, auch nur in einem einzelnen Zweige der Naturwiſſenſchaft, wie Geognoſie und Botanik, den Blick auf die Form, welcher der Aeſthetik, und den Blick in die innere Bildung, welcher der Naturwiſſenſchaft eigen iſt, ſo zu vereinigen, daß jener von dieſem nur überall das entlehnt, was für ihn abfällt und dieſer jenem das in die Hände arbeitet, was er braucht, ſo wird die Schwierigkeit unendlich, wenn man erwägt, daß die Aeſthetik von einer umfaſſenden Kenntniß aller Naturreiche unterſtützt ſein müßte und daß auch der erbetene Rath wenig abwirft, weil er vor Allem die abſolute Verſchiedenheit der Standpunkte aufdeckt und die Stelle, wo die Aeſthetik ſoviel vorgearbeitet finden ſollte, um von der Naturkenntniß das Feinſte für ihren Zweck abſchöpfen zu können, als eine noch unbebaute aufzeigt. Im Angeſichte einer ſolchen Aufgabe wird der folgende ſchwache und dürftige Verſuch Nachſicht verdienen.

§. 236.

Der weſentliche Unterſchied beider Gebiete iſt darum nicht zu verkennen,1 denn die Naturgeſchichte behandelt, vom Standpunkte der Aeſthetik betrachtet,14 ihren Gegenſtand ſtoffartig, indem ſie auf die innere Zuſammenſetzung der Dinge ſieht und die Geſtaltung der Oberfläche nur als letztes Ergebniß dieſer darſtellt, wogegen die Aeſthetik den reinen Schein der Oberfläche in’s Auge2 faßt (vergl. §. 54); ebendarum iſt das mißbildete oder kranke Individuum für die Naturwiſſenſchaft nicht ein häßliches, wie für die Aeſthetik, und auf ganz andere Weiſe zieht jene das Reich ſolcher Störungen in ihr Gebiet, als dieſe;3 endlich unterliegt die Verbindung der Aeſthetik mit der Naturwiſſenſchaft den4 in §. 18 ausgeſprochenen Einſchränkungen. Dieſer Unterſchied hebt jedoch die Anſchließung der Aeſthetik an die Naturwiſſenſchaft keineswegs auf, denn die innere Zuſammenſetzung der Körper behält für jene die wichtige Bedeutung, daß ſie der Grund der äußeren Geſtalt iſt; das Stoffartige geht auf in der Form, aber zu kennen, was in ihr aufgeht, fördert weſentlich ihr Verſtändniß und ihre Auffindung.

1. Der Hauptgrund des Unterſchieds iſt in §. 54 gehörig auseinander - geſetzt. Wenn ich die Formen eines Gebirgs äſthetiſch betrachte, frage ich nicht, ob es aus Granit, Baſalt, Sandſtein, Kalk oder anderer Maſſe beſteht, bei einem Baume nicht, in welche Klaſſe ihn Linné mit Rückſicht auf ſeine Befruchtungsorgane geſetzt, bei einem ſchönen menſchlichen Körper nicht, wie dieſer und jener Muskel vom Anatomen benannt wird. Dieſe Fragen ſind vom Standpunkte der Aeſthetik ſtoffartig; nicht an ſich ſind ſie es, denn die Naturwiſſenſchaft kennt auch von ihrem Standpunkt nur geformten Stoff, aber für die Aeſthetik, denn für ſie iſt Alles, was durch Zerlegung und Auflöſung der Oberfläche in ihrer Geſammtwirkung gefunden wird, roher Stoff. Der Geognoſt ſieht nach dem Umriſſe der Gebirge, um aus ihnen vorläufig auf die Formation zu ſchließen; der Aeſthetiker fragt nach der Formation, um aus ihr, ſo weit es möglich, zu ſchließen, was für Umriſſe zu finden ſein werden. Hat dieſer die Umriſſe vor ſich, ſo vergißt er den Namen der Formation, nur ein allgemeiner Eindruck der Gewalt ſchwebt ihm vor, deren Wirken dieſe Umriſſe bedingte. Er braucht auch als Künſtler oder einfach Beſchauender jenen Namen nie gewußt zu haben; nur die Wiſſenſchaft der Aeſthetik, da ſie in geordnetem Zuſammenhang die Naturreiche darauf anzuſehen hat, wie viel Stoff ſie dem Schönen abgeben, muß ſich bis auf einen Punkt auf die Namen und Eintheilungen der Naturwiſſenſchaft einlaſſen.

2. Die ſchlechten Individuen exiſtiren für die Aeſthetik, ſofern ſie ſchlechtweg häßlich ſind, gar nicht oder nur als Solches, was nicht ſein ſoll und daher nur das Gefühl des Abſtoßenden erregt. Für die Natur - wiſſenſchaft dagegen exiſtiren ſie zwar freilich nicht als normale Erſcheinung der Gattung, allein die Krankheit und jede Entartung hat auch ihre Geſetz - mäßigkeit und dieſe iſt für die wiſſenſchaftliche Betrachtung, welche zwar15 Gefühl und Einſicht des Zweckwidrigen, aber keinen Eckel und Abſcheu kennt, weil ſie nicht bei der Oberfläche verweilt, ſondern wiſſen will, was hinter ihr ſei, der Gegenſtand einer beſonderen Unterſuchung, wodurch für die Wiſſenſchaft des höheren organiſchen Lebens ein ſelbſtändiger Zweig, die Pathologie, bedingt iſt. Dieſe führt nun zur praktiſchen Medizin und hier wird der Gegenſatz gegen die Aeſthetik vollkommen. Wenn nämlich ſchon die blos theoretiſche Betrachtung der Naturwiſſenſchaft gegenüber dem Standpunkte der Aeſthetik darum ſtoffartig iſt, weil die getrennten und zerlegten Organe in den Geſichtspunkt der Zweckmäßigkeit fallen (§. 54), ſo wird nun aus dieſem wirklich Ernſt gemacht in der Heilkunde, der Arzt aber und der äſthetiſch Betrachtende ſtehen ſich ſo gegenüber, daß ſie einander reichlichen Stoff zum Lachen geben. Wenn nun ſo die Naturwiſſenſchaft das Entartete, was für die äſthetiſche Anſchauung häßlich iſt, einem theoretiſchen oder praktiſchen Intereſſe unterwirft, das mit dem Gefühle des Häßlichen gar nichts zu ſchaffen hat, vielmehr durch eine Verwechslung der Ausdrücke das Häßliche ſogar ſchön (ſtatt: belehrend) nennen kann, ſo vermag allerdings auch die Aeſthetik dem Häßlichen einen Werth abzugewinnen, wenn es nämlich einen Uebergang in das Erhabene oder Komiſche darbietet; es leuchtet aber ein, daß dieß ein ganz anderer Weg iſt, als der, den die Naturwiſſenſchaft einſchlägt. Dort erhält ſich Eckel und Abſcheu, nur aber als bloßes Moment, als Hebel eines anderweitigen, verſöhnenden Gefühls, das Häßliche bleibt häßlich und wird nur zugleich etwas Anderes, hier aber, für die Naturwiſſenſchaft, iſt das Häßliche gar nicht vorhanden. Dieß iſt nun auf gleiche Weiſe der Fall bei normalen, aber an ſich verworrenen, wie bei ſolchen Bildungen, die durch abnormen Zuſtand entſtellt ſind; von den erſteren reden wir in der folg. Anmerkung und dieß wird zu näherer Beleuchtung dieſes ganzen Unterſchieds im Standpunkte des naturwiſſenſchaftlichen und äſthetiſchen Gebietes führen.

3. Die Einſchränkungen, welche hier mit Verweiſung auf §. 18 wieder genannt werden, treten namentlich in der Thierwelt hervor und werden beſtimmter angegeben werden, wenn von dieſer die Rede iſt. Für die Naturwiſſenſchaft iſt ein von Hauſe aus verworren gebildetes Thier ebenſowenig häßlich, als ein durch Lebensſtörungen entſtelltes; ſie begreift die Bildung einer Fledermaus, eines Krokodils als etwas, was auf dieſer Stufe nicht anders ſein kann. Allerdings muß zwar auch ſie die Bildung dieſer und anderer Uebergangsſtufen als ſolche erkennen, welche zu einer auffallend widerſprechenden Einheit Organe in ſich vereinigen, die in reinerer, ebnerer, flüſſigerer Verbindung anderen Ordnungen angehören; nur nennt ſie dieſe widerſtrebenden Verbindungen nicht häßlich. Das Ver - hältniß wäre alſo hier daſſelbe, wie bei abnormen Entſtellungen: wie16 dieſe auch für die Naturwiſſenſchaft Störungen ſind, ſo iſt queere Bildung auch für ſie, obwohl nothwendig und geſetzmäßig zuſammenhängend, wenn ſie die Gattung nur mit ſich vergleicht, doch, wenn ſie das Thierreich über - blickt und das Zuſammengehören der Glieder in anderen Stufen an die vor - liegende hält, auffallend und gewaltſam. Die Aeſthetik aber nennt auch dieß häßlich und ſtößt es von ſich. Die Naturwiſſenſchaft hebt nun das Gefühl der Zweckwidrigkeit, das auch ihre Einſicht in die verworrene Bildung als ſolche (wie oben in die Entſtellung als Entſtellung) begleitet, durch die weitere Einſicht auf, daß unter ſolchen Bedingungen und auf ſolcher Stufe nichts Anderes entſtehen konnte, daß, wie die Krankheit ihre Geſetze hat, auch das ſeltſam gebildete Thier gerade die Organe beſitzt, die es auf ſeiner Stufe haben kann und braucht. Dieß beruht aber auf einer weitſchichtigen Unterſuchung, wogegen im Schönen das Häßliche in Einem und demſelben Zuſammenhang raſch in das Licht des Erhabenen oder Komiſchen gerückt wird. Dieß Letztere erſt begründet den ganzen Unterſchied. Raſch, in Einem Acte, muß für die äſthetiſche Anſchauung das Häßliche umſchlagen; langſam auf dem Wege der Forſchung wird für die Wiſſenſchaft das Zweckwidrige zu einem Nothwendigen.

Wenn wir nun behaupten, daß auf ſolche Weiſe die Aeſthetik und die Naturwiſſenſchaft auseinander gehen, ſo iſt dieß etwas ganz Anderes, als wenn wir behaupteten, es gebe nichts (Schönes und nichts) Häßliches in der Natur (ſondern nur in der Phantaſie und Kunſt). Auch noch ehe wir die Kunſt kennen, behaupten wir ein Schönes und Häßliches, ſowie ein in das Erhabene oder Komiſche übergehendes Häßliches, das in der Natur vor uns tritt; nur ſagen wir aus, daß dieß vermöge einer andern Betrachtungsweiſe geſchehe, als vermöge der naturwiſſenſchaftlichen, durch diejenige nämlich, welche nur die Geſammtwirkung der Oberfläche im Auge hat. Liegt es im Unterſchiede der Betrachtungsweiſen, ſo iſt ja aber, wird man uns einwenden, der ſubjective Sitz des Schönen eben - hiemit ſchon ausgeſprochen. Wir antworten darauf: dieß heißt zu viel, alſo nichts beweiſen. Das Subject iſt in jedem Prädikate, das ich einem Objecte gebe, mitgeſetzt, allein es kommt darauf an, welche ſeiner Seiten das Object dem Subjecte entgegenhält. Freilich kann das Subject mit Willkühr den Gegenſtand wenden und drehen und dann tritt ein Verhältniß ein, wo dieſer durch jenes beſtimmt erſcheint; dieß gehört dann ſchon in die Lehre von der Phantaſie, wo unſere ganze Betrachtung ſubjectiv werden wird; allein auch ohne dieſen willkührlich beſtimmenden Act des Subjects und außer ihm wechſelt das Object ſo ſeine Seiten, daß der beſtimmende Eindruck von ihm ausgeht, und davon iſt jetzt die Rede. Die Häßlichkeit des Crokodils geht auch ohne beſonderen Act der Phantaſie auf Seiten des Zuſchauers in den äſthetiſchen Eindruck des Furchtbaren17 über, wenn wir es kämpfen ſehen, und ein Froſch erſcheint nach Umſtänden auch ohne jenen Act komiſch, wenn er hüpft und ſpringt, wenn ſein Quacken an Menſchenſtimmen erinnert. Als Ausdruck der idealiſtiſchen Anſicht, welcher wir hiemit entgegentreten, ſtehe eine Aeußerung Hettners. Für ſeinen Satz, daß es im Schönen überall nicht auf den Gegenſtand, ſon - dern nur auf die Darſtellung ankomme, führt er u. A. (Wigands Vier - teljahrsſchr. 1845. B. 4. S. 16.) an, ein Crokodil, eine Kröte könne in der Natur häßlich erſcheinen, in der Kunſt aber vortheilhaft. Hettner hätte ſeine eigene Anſicht richtiger ausgedrückt, wenn er geſagt hätte, in der Natur ſei nichts weder ſchön noch häßlich, ſondern nur in der Darſtellung der Kunſt, und dieſe könne das, was ſie ſonſt häßlich darſtelle, ebenſogut auch vortheilhaft anbringen. Von dieſem conſequenten Idealismus iſt er aber ſchon dadurch weit ab, daß er wenigſtens von einem häßlich Erſcheinen des Naturgegenſtandes ſpricht und er hütet ſich wohl, zu ſagen, ſchön könne die Kunſt ein ſolches Thier darſtellen, denn nicht unmittelbar kann ſie dieß ja, ſondern nur durch die Wendung zum Erhabenen oder Komiſchen, worin dem Häßlichen zwar ſein Stachel genommen wird, doch nicht ſo, daß es ſchlechtweg aufhörte, häßlich zu ſein, ſondern nur ſo, daß wir aus anderweitigen Gründen das Häßliche nicht mehr als Häßliches wahr - nehmen. Wir können dieß dann vermittelte (kämpfende) Schönheit nennen, aber ebendaraus, daß ein ſolches Thier niemals in der Weiſe der unmittel - baren, d. h. hier der einfachen und kampfloſen Schönheit als ſchön dar - geſtellt werden kann, folgt die Unrichtigkeit des ganzen Hettnerſchen Satzes. Die Wendung zum Erhabenen und Komiſchen kann das häßliche Thier, wie ſchon geſagt, auch ohne einen beſtimmenden Act der Phantaſie von Seiten des Zuſchauers nehmen; und wenn die Kunſt, weil ſie aus einem Willen hervorgeht, aus freier Beſtimmung dem Gegenſtande dieſe Wendung gibt, auch wo er ſie in der Natur nicht nimmt, ſo fingirt ſie doch eben einen Fall, der ſonſt allerdings in der Natur vorkommt und hundertmal geſehen worden iſt, wie ſie ja überhaupt fingirt, als ſei das ganze Thier ſelbſt gegenwärtig, wo es nicht iſt. Sie fingirt es aber mit der Bildung, die es in der Natur hat; ſie fingirt es nicht nur, ſondern erhöht, (um vorläufig bei dieſem unbeſtimmten Ausdruck zu bleiben) dieſe Bildung, und dieß iſt ein Unterſchied des Naturſchönen und des Kunſtſchönen, der ſeines Orts gehörig in Geltung treten wird, aber ſie kann das in der Natur Häßliche nicht ſo erhöhen, daß die Häßlichkeit, außer durch dieſelbe Wendung, durch welche ſie auch in der bloßen Natur eine andere Wir - kung erhält, verſchwände. Verfährt ſie anders, ſo lügt ſie, und dieß kann ſie freilich eben ſo gut, wie ich im ſittlichen Gebiete das Schlechte als gut und umgekehrt darſtellen kann, aber ſie vernichtet ſich dadurch ebenſo wie die ſittliche Lüge. Hat der Maler z. B. einen Kopf abzubilden, derViſcher’s Aeſthetik. 2. Band. 218durch ſehr markirte Züge von der reinen Linie der Gattung bis zum Häß - lichen abweicht, ſo lügt er, wenn er dieſe Züge durch Abrundung verflacht; er bleibt aber der Aufgabe der Kunſt treu, wenn er gerade das Mar - kirte in ſolcher Kraft darſtellt, daß es den erhabenen Charakter, der im Original ſelbſt mit der Häßlichkeit verſöhnt, in erhöhter Reinheit kund gibt. Es kommt alſo allerdings auf den Gegenſtand an und wer dieß leugnet, ſpricht (was Hettner gewiß nicht wollte) einer bodenloſen Scheinkunſt das Wort; es kommt auf den Gegenſtand an, denn das Schöne und das Häßliche, ſowie das Erhabene und Komiſche iſt in der Natur ſchon vor der beſtimmten Thätigkeit der Phantaſie, woraus die Kunſt ent - ſteht. Wir haben auf zwei verſchiedenen Linien daſſelbe Verhältniß: in der Natur iſt ein Gegenſtand ſchön oder häßlich oder er geht vom Häß - lichen in das Erhabene, Komiſche über, und ebenſo in der ſchöpferiſchen Phantaſie und Kunſt. Auf der erſten Linie iſt ein Zuſchauer freilich vorausgeſetzt, aber noch keineswegs ein ſolcher, der von der unbeſtimmt allgemeinen Phantaſie zum ſchöpferiſchen Acte derſelben fortgegangen iſt, ſondern nur ſo iſt er vorausgeſetzt, wie ein Schmeckender vorausgeſetzt iſt, wenn wir etwas ſauer oder ſüß nennen. Auf der zweiten Linie aber ſind dieſelben Unterſchiede und Verhältniſſe da, aber alle in einer neuen Potenz, in der des geiſtig Gewollten und Geſetzten, wovon an ſeinem Orte zu reden iſt, wo denn auch der hier berührte Unterſchied der unbe - ſtimmt allgemeinen und der ſchöpferiſchen Phantaſie dargeſtellt werden wird.

4. Wenn ich die Oberfläche betrachte, ſo iſt es mir freilich gleich - giltig, welcher Stoff es ſei, der das Gebilde von innen heraus ſo ausfüllt, daß er nach ſeinen Bildungsgeſetzen gerade dieſes und kein anderes Profil bildet; allein es iſt doch immer gerade dieſer und kein anderer Stoff, aus deſſen Natur dieſes und kein anderes Profil hervorgeht, und das Profil gibt mir allerdings weſentlich die innere Qualität, nur nicht als zerlegte, ſondern in Einer augenblicklichen Geſammtwirkung kund. Jene Gebirgsformation wirkt ſo auf mich, dieſe anders; jene iſt wild zerklüftet, dieſe weich geſchwungen und rund in ihren Umriſſen. Nun brauche ich nicht zu wiſſen, wie die Gebirgs - arten heißen, welche dieſe Geſtalten bilden; aber die Bildung gibt mir, ohne daß ich Geognoſt wäre und die Namen wüßte, einen dunkeln Eindruck der Erd - Revolution, der ſie angehört und durch welche ihr Charakter bedingt iſt. Ich bekomme das im Eindrucke weſentlich mit. Weiß ich nun überdieß, welche Formation hier zu Grunde liegt, ſo hat dieß als ein ausdrückliches Wiſſen äſthetiſch zunächſt keinen Werth und iſt zufällig, allein dieſe Kenntniß kann der äſthetiſchen Stimmung eine Frucht von der größten Bedeutung abgeben, wenn ſie mir hilft, den beſondern Charakter der ungeheuren Naturkämpfe mir vergegenwärtigen, wodurch auf vulkaniſchem oder neptuniſchem Wege durch Urbildung oder Zertrümmerung früherer Gebirgsarten u. ſ. w. einſt19 dieſe Formen entſtanden. Dieſe Umſetzung des geognoſtiſchen Wiſſens in die äſthetiſche Stimmung iſt nicht leicht, aber wie wichtig ſie iſt, kann z. B. die einfache Vorſtellung zeigen, wenn man ſich einen Maler denkt, der auf einer Studienreiſe begriffen von einem nahen Gebirge hört und von der Gebirgsart Kunde erhält. Weiß er nun, welche Formen bei dieſer oder jener Gebirgsart vorkommen, ſo kann ihn dieß entweder beſtimmen, dieſelben aufzuſuchen und ihm reichen Gewinn an Studien zuführen, oder es kann ihm, wenn er weiß, daß ſie unintereſſant ſind, vergebliches Suchen erſparen. Ebenſo verhält es ſich mit Pflanzen, Thieren u. ſ. w., und nicht umſonſt liest man Künſtlern Anatomie, denn an ſich zwar brauchen ſie das Einzelne, was hinter der Oberfläche des menſchlichen Organismus liegt, nicht zu kennen, aber ſie kennen die Oberfläche erſt, wenn ſie wiſſen, nach welchen Geſetzen welche Theile in Ruhe oder Bewegung auf der Oberfläche hervortreten oder zurücktreten müßen. Mit aller gelehrten Naturkenntniß verhält es ſich demnach in der Aeſthetik ſo: man muß jene in ſich aufnehmen, um ſie aufgenommen zu haben, um ſie als eine gleichſam verdaute in die äſthetiſche Anſchauung aufgehen zu laſſen; man muß wiſſen, um wieder zu vergeſſen, aber im Vergeſſen bleibt eine Frucht von dem Gewußten.

§. 237.

Das Reich des Naturſchönen iſt aber ungleich weiter als das Gebiet der Naturwiſſenſchaft. Dieſe ſchließt das menſchliche Leben von dem Punkte an, wo es durch Freiheit die Natur überwindet, von ſich aus; nicht ſo die Lehre vom Naturſchönen. Hier liegt nicht der Gegenſatz von Natur und Geiſt über - haupt, ſondern der Gegenſatz zwiſchen vorgefundener oder zufälliger und zwiſchen einer ſolchen Schönheit vor, welche durch einen Willen, das Thun eines Subjects entſteht. Zum Naturſchönen gehört alſo auch das perſönliche menſchliche Leben, ſofern es, obwohl im Uebrigen ſelbſtbewußt und frei, diejenige Seite, nach welcher es ſich als ſchön darſtellt, nicht als ſolche weiß und will, ſofern alſo zwar der Inhalt deſſen, was es thut, nicht zufällig iſt, wohl aber die Form, in welcher dieß Thun erſcheint.

Nichts iſt klarer, als daß die ganze Welt der Freiheit zum Natur - ſchönen gehört, ſofern die handelnden Perſonen nicht darnach fragen und nicht darauf arbeiten, wie ſie in ihrem Thun ausſehen, ſofern alſo das, was Zuſtände und Thaten ſchön macht, nicht als ſolches gewollt, ebendaher zufällig und ein Werk unbewußter Kräfte iſt, wie die Schönheit der auch außer der Aeſthetik ſo genannten, der ungeiſtigen Natur. Eine Schlacht, eine Heldenthat in dieſer Schlacht mag den edelſten Gütern der Menſchheit gelten2*20ſie mag die herrlichſten Momente für den Maler, für den Dichter darbieten; allein den Kämpfenden iſt es gewiß nicht darum zu thun, ein maleriſches Schauſpiel darzuſtellen, nur der Zufall führt ſie in manchen Momenten des Kampfes zu maleriſchen Gruppen zuſammen. So verhält es ſich mit allen Erſcheinungen der moraliſchen Welt. Es mag theilweiſe wohl auch eine Abſicht auf die Erſcheinung als ſolche gerichtet ſein, Kleidungen, Waffen, Schmuck aller Art, Ceremonien, Bräuche, Haltung, Gebärde, Bewe - gung mögen auf einen würdigen oder gefälligen Anblick berechnet ſein; aber theils fällt die Berechnung nicht in den Moment, wo es ein ernſtliches Han - deln gilt, ſondern hat ihre beſondere Zeit als Ankleiden, körperliche Uebung u. ſ. w., theils iſt der anhängende Schmuck, obwohl durch eine Abſicht, doch nur durch eine ſolche beſtimmt, welche unvermerkt ſelbſt von einem Inſtinkte geleitet wird, wie dieß z. B. aus der Entſtehung der Trachten deutlich zu erſehen iſt.

Eine eigenthümliche Verworrenheit herrſcht in der Lehre vom Natur - ſchönen bei Hegel. Er verwechſelt nämlich die Idee überhaupt mit der Idee des Schönen. Die Idee überhaupt gibt ſich Wirklichkeit in der natürlichen und in der geiſtigen Welt, und die zweite dieſer Formen iſt die allein wahre und adäquate; da nun Schönheit die Idee in adäquater Erſchei - nung iſt, ſo meint er dieſelbe erſt in der geiſtigen Welt beginnen laſſen zu dürfen. Dieß iſt jedoch nicht die eigentliche Confuſion, es iſt nur erſt eine Unterſchätzung des äſthetiſchen Werths der nicht begeiſteten Natur; jene liegt erſt darin, daß Hegel nun ſagt, die Mängel der unbegeiſteten Natur leiten zur Nothwendigkeit des Ideals als des Kunſtſchönen hin. Dahin leiten ja aber die Mängel alles Schönen, ſofern es in der vorge - fundenen Wirklichkeit, von der Phantaſie noch nicht umgebildet, uns begegnet, und von ſolchen iſt ja auch die geiſtige Welt, die Menſchenwelt getrübt, wie Hegel ſelbſt, um die Verwirrung durch Widerſpruch mit ſich ſelbſt zu vollenden, (Aeſth. Th. 1. S. 189 ff. ) ausführt. Die Verwirrung löst ſich einfach, wenn wir die Idee überhaupt und die Idee des Schönen richtig unterſcheiden: reden wir von der Idee überhaupt, ſo iſt freilich die menſch - liche Welt als adäquate Erſcheinung des Geiſtes erſt ihre wahre Wirk - lichkeit. Sie iſt ebendaher das Gebiet, wo erſt volle Schönheit auftritt. Allein das hat mit dem Gegenſatz, der die Idee der Schönheit als ſolche in zwei Hauptgebiete, Naturſchönheit und Ideal theilt, noch gar nichts zu ſchaffen. Vielmehr die geiſtig menſchliche Welt wie die unbegeiſtete hat ihre äſthetiſchen Mängel, ſofern ſie uns ohne Zuthun der Kunſt vor - liegt, wie ſie iſt, und an beiden Welten tilgt die Kunſt dieſe Mängel. Beide Welten treten zweimal auf, als Naturſchönheit, dann als ideal umgebildete Schönheit. Iſt auch die ſittliche Welt, wie ſie zufällig vorge - funden wird, mangelhaft, ſo iſt umgekehrt die unbegeiſtete der idealen21 Behandlung darum nicht unwerth, weil ſie noch nicht adäquate Erſchei - nung iſt. Die Naturſchönheit erſtreckt ſich über die ganze Welt und das Ideal ebenfalls.

§. 238.

Die Gebilde der verſchiedenen Gattungen im Reiche des Naturſchönen ziehen ſich in unbeſtimmter Menge durch Raum und Zeit und finden ſich auf einzelnen Räumen häufig in verworrenem Gedränge des Verſchiedenartigen gleich - zeitig zuſammen. Durch jenes iſt die Begrenzung, durch dieſes die Einheit der Idee aufgehoben, welche zum Schönen erfordert wird (§. 36.). Allein für die Begren - zung ſorgen die Sinne des Betrachtenden, welche je nur einen Ausſchnitt des unendlich Ausgedehnten faſſen können, und daſſelbe Glück des Zufalls, wodurch einzelne Individuen aus allen dieſen Sphären als reine Bilder ihrer Gattung erſcheinen, kann ebenſogut auch auf einem einzelnen Raum in einer über - ſehbaren Zeitdauer ſolche Erſcheinungen zuſammenführen, welche durch den Mittel - punkt einer beſtimmten Idee ſich zur Einheit verbinden.

Es geht aus dieſem §. hervor, daß auch die Nothwendigkeit der Begren - zung und der Gruppirung um einen geiſtigen Mittelpunkt keineswegs unmittel - bar zum Ideale führt. Das Planetenſyſtem iſt kein Gegenſtand der Schön - heit, weil es unüberſehlich iſt, die unendliche Zeit auch nicht. Ueberſehlichkeit nämlich forderte nach §. 87. auch das Erhabene. Aber dafür ſorgt, den glücklichen Zufall der Stellung, des Standpunkts natürlich vorausgeſetzt, ſchon der Namen, den unſere Sinne ziehen, daß wir eben nur ein Begrenztes, einen Ausſchnitt des unendlich Ergoſſenen ſehen, der uns dasſelbe vergegenwärtigt: Sternenhimmel u. dgl. Für die Einheit aber ſcheint, und auch dieſer Schein iſt vorerſt noch ſtreng feſtzuhalten, mehr der Zufall ſorgen zu müſſen. Jetzt zwar ſehe ich auf Einem Raume ganz Ungleichartiges beieinander, was in keine Einheit zuſammengeht, aber ein andermal treffe ich es beſſer: die unpaſſende Staffage hat ſich aus der Landſchaft entfernt, die Berge, Bäume, Luft, Waſſer, Licht ſind günſtig, paſſend und vereinigen ſich zu einem Ganzen, durch welches Eine Stimmung hindurchgeht. Intereſſante Schickſale eines Volks, eines Individuums ziehen ſich, unterbrochen von langen, bedeutungs - loſen Zwiſchenräumen, in läſtige Länge hinaus; aber ein andermal bricht ein Silberblick der Geſchichte hervor und drängt das Schickſal eines Volks, eines Einzelnen zu einem Drama von wenigen Tagen, ja Stunden zuſammen, in denen ich mit der Gegenwart die ganze Vergangenheit durchſchaue. Der Zufall ſcheint der erſte componirende Künſtler; er ſcheint es zu ſein, der mir ein Ganzes ſo hinſtellt, daß ein Hauptſubject darin wirkt, das mir in ſeiner Vollkommenheit die ganze Gattung vertritt, wie dieß zum Schönen erfordert wird. Uebrigens wirkt natürlich auch hier22 die Begrenzung meiner Sinne, dem Schauſpiel einen Namen zu geben, der es von Anderem, nicht zur Sache Gehörigem abſchneidet.

§. 239.

1

Was im allgemeinen Begriffe in flüßiger Einheit ineinander iſt, geht in der Verwirklichung auseinander und zerfällt an einzelne Exiſtenzen, ſo daß Einiges einfach ſchön, Anderes erhaben, Anderes komiſch erſcheint, und ebenſo verhält es ſich mit den untergeordneten Momenten dieſer Hauptgegenſätze. Es findet aber, zum deutlichen Beweiſe, daß dieſelben ihren urſprünglichen Ort in2 der Einheit des Begriffs haben, zugleich ein Stellenwechſel ſtatt. Einige Gattungen ſind einfach ſchön, treten aber nach Umſtänden in das Erhabene und Komiſche über; doch iſt dieſer Uebertritt ſelten, weil das Schöne, wenn das Erhabene als ſein Gegenſatz aus ihm hervorgetaucht iſt, in harmloſe Anmuth3 zurücktritt (vergl. §. 73, 1.). Andere Gattungen ſind erhaben, treten aber in’s Komiſche über; andere komiſch, nach Umſtänden auch erhaben. Je bedeutender die Gattung, deſto voller ihre Bewegung durch die Gegenſätze. Abgeſehen von4 dem urſprünglichen Gepräge der Gattung wirſt ſich über alle der ſtörende Zufall und zieht ſie, wenn die in §. 234 genannte Gunſt des Zufalls hinzutritt, durch5 das Häßliche in das Erhabene oder Komiſche. Dieſe Vertheilung und dieſer Stellenwechſel der Grundformen des Schönen wird in der folgenden Ausführung nur an den Hauptpunkten berührt werden.

1. Es iſt ſchon in §. 82 S. 215 für die Nothwendigkeit, das Er - habene und Komiſche in der allgemeinen Begriffslehre zu entwickeln, auf die Krit. Gänge Th. 2, S. 348. 349 verwieſen worden. Der weſentliche Grund iſt, daß, wo irgend Schönes auftritt, auch Erhabenes und Komiſches ſich geltend macht, daß alſo, da alle wirklichen Exiſtenzformen des Schönen an dieſen allgemeinen Grundformen theilnehmen, dieſe letzteren nicht erſt aufge - führt werden dürfen, wo von jenen beſonderen Exiſtenzen die Rede iſt. Nun ſcheint dagegen die Natur der ſinnlichen Wirklichkeit zu ſein, gemäß welcher im Naturſchönen die Grundformen auseinanderfallen und ſich die eine an dieſe, die andere an jene Exiſtenz feſſelt, wie denn z. B. der Elephant weſentlich als ein erhabenes Thier erſcheint. Allein dieſe Verfeſtigung iſt keine abſolute, ein Umſpringen zeigt ſich auf allen Punkten, und dieß beweist nun thatſächlich die Richtigkeit jenes Satzes und hiemit die Richtigkeit der Anordnung, welche dem Syſtem eine Metaphyſik des Schönen zum erſten Theile gibt; denn wenn das einfach Schöne, Erhabene u. ſ. w. ſeine Stelle in der Welt der Gegenſtände wechſelt, ſo folgt, daß dieſe Momente des Schönen allgemeiner Natur und in ihrer inneren Ordnung vor allem wirklichen Daſein des Schönen zu entwickeln ſind. Dieſer23 Stellenwechſel leuchtet namentlich dann in ſeiner Beſtimmtheit ein, wenn wir die Lebensalter und die Verhältniſſe zu andern Individuen hinzuziehen. Die zarte Gerte wird ein erhabener Baum, das männliche Kind Jüngling, Mann, Greis u. ſ. w. Faſt alle höheren Thiere, ſelbſt die häßlichen, ſind im Spiele ihrer erſten Jugend anmuthig. Die Verhältnißſtellung durch - ſchneidet die Linie, welche durch das Grundgepräge der Gattungen gegeben iſt, mit unzählichen Zwiſchenlinien. Für eine Fliege iſt ein Kolibri, die lieb - liche Mutter iſt für ihr Kind erhaben, ein hoher Verſtand einem höheren komiſch u. ſ. w. Wir haben aber vor Allem die Gattungen im Ganzen zu betrachten.

2. Eine Blume, ein lieblich geſtaltetes Thier, ein Weib wird ſchwer erhaben; das Weib wohl als Mutter, als Herrin, als Matrone, und wenn es ausartet, durch Verwilderung im Sinne des Böſen (Häßlichen), alſo Furchtbaren. Allein die Erhabenheit der erſteren Art iſt doch ſchwach gegen die energiſcheren Formen des männlich Erhabenen, die Verwilderung eine dem Geſchlechtscharakter grell widerſprechende, ſeltene Erſcheinung und dann freilich durch dieſen Widerſpruch geſpenſtiſch ſchauderhaft. Komiſch wird das Thier im Spiel u. dergl., das Kind, das Weib durch die Naivetät, die ihm immer bleibt. Allein auch dieß ſind ſchwache Uebergriffe, da das Kind, das Weib zu den tieferen Kämpfen nicht fortgeht, wodurch die Komik in ihrer Tiefe erſt möglich wird. Es wird nun zur Thatſache, was in §. 73 geſagt iſt: das einfach Schöne tritt in die Grenze der harmloſen Anmuth zurück, da ſein eines Moment, die Idee, in beſonderen Exiſtenzen ſich in negativer Uebermacht hervorthut. Dieß zeigt ſich eben nirgends deutlicher als in der Trennung der Geſchlechter: das Weib ſteht auf der Seite des einfach Schönen, der Mann des Erhabenen, und ebendaher iſt dieſer auch allein der Komik in ihrer Tiefe, ihrem Umfang fähig. Im Ganzen kann man ſagen: Gattungen, deren Grundzug das einfach Schöne iſt, werden weniger durch ihre Entwicklungsformen, Lebensalter u. ſ. w. als durch Verhältniß - ſtellungen in die gegenſätzlichen Grundformen des Schönen übertreten.

3. Der Bär iſt furchtbar durch Kraft und Wildheit, drollig durch Schwerfälligkeit bei einigem Nachahmungs - und Spieltrieb, der Elephant erhaben durch Maſſe und Kraft, drollig aus demſelben Grunde, ähnlich der Bullenbeißer und andere Thiere. Thiere, die nur komiſch aufgefaßt werden zu können ſcheinen, wenn ſie nicht häßlich ſein ſollen, werden doch auch furchtbar, wenn ſie in Wuth kommen oder ſchauderhaft durch verzerrte Nachahmung des Menſchlichen wie der Affe. Wie die bedeutendere Gattung ſich auch durch die verſchiedenen Grundformen des Schönen vollkommener bewegt, zeigt freilich am reinſten der Menſch. Ein Berg, ein Baum kann nur räumlich erhaben ſein, ein Thier zugleich im Sinne der Kraft, und24 ebenſo geht es in die einfachſten Formen der Komik über; der Menſch durchläuft alle Formen des Erhabenen und Komiſchen.

4. Dieſe Bemerkungen galten dem Gattungstypus; derſelbe wird aber vom Zufall, und zwar jetzt abgeſehen von Lebensaltern und Verhältniß - Stellungen, welche keine Störung enthalten, ſo durchkreuzt, daß z. B. durch frühen Untergang das harmlos Schöne tragiſch, das Erhabene ohne Ver - ſchulden durch äußeren Anſtoß komiſch, das Komiſche durch ernſtes Uebel, das ſich einſtellt, tragiſch wird. Daß dabei die Gunſt des guten Zufalls zur Ungunſt des ſtörenden hinzutreten müſſe, folgt aus §. 234. Es iſt unter den hier gegebenen Beiſpielen nicht beſonders auf die höheren Er - ſcheinungen der ſittlichen Mächte hingewieſen worden; wie dieſe ſämmtlich theils durch Schuld in’s Tragiſche, theils durch Mängel, Verſehen und ſtörenden Zufall in’s Komiſche übergehen können, iſt durch die vielen Beiſpiele, die der erſte Theil des Syſtems beibrachte, ſattſam in’s Licht geſtellt.

5. Die Voranſtellung der Grundformen des Schönen in einem erſten, metaphyſiſchen Theile wird uns nun namentlich die Frucht tragen, daß ſie uns im Ueberblick der Naturreiche unterſtützt, Eintheilungen an die Hand gibt und den Erſcheinungen, die auf den erſten Anblick häßlich ſind, ihren Ort ſichert. Doch kann ſich die Aeſthetik natürlich nicht auf einen Verſuch einlaſſen, überall das Naturſchöne in die Gegenſätze des Erhabenen und Komiſchen und wieder in deren einzelne Momente zu verfolgen. Es genügt, jene da hervortreten zu laſſen, wo eine bedeutendere Gattung, Lebensform ihrem weſentlichen Gepräge nach dem einen oder andern Gegenſatze zufällt, im Uebrigen wird das Schöne immer als Ganzes ohne weitere Unterſcheidung ſeiner ſtreitenden Formen gefaßt werden.

[25]

A. Die Schönheit der unorganiſchen Natur.

§. 240.

Nach §. 19, 2. haben die der Perſönlichkeit vorangehenden Stufen der wirklichen Idee die Bedeutung, jene als werdende anzukündigen. Dieſe Bedeutung ſcheint aber erſt mit denjenigen Stufen eintreten zu können, auf welchen die Natur Individuen hervorbringt, in welchen ſie ſich zu der geſchloſſenen Einheit des aus eigenem Mittelpunkte thätigen Lebens zuſammenfaßt, denn erſt dieſe ſcheinen den nöthigen Anhalt darzubieten, um ihnen die höchſte Form des Lebens, in welcher die Idee ſich ihre wahre Wirklichkeit als Geiſt gibt, unter - zulegen. Die unorganiſche Natur iſt nun zwar der urſprüngliche Schooß alles individuellen Lebens, tritt aber gegen die Wirklichkeit deſſelben als allgemeine Bedingung, umgebendes Element und Unterlage zurück; ſo daß ſie niemals für ſich allein, ſondern nur zuſammengefaßt mit lebendigen Individuen ein ſchönes Ganzes darſtellen zu können ſcheint. Dennoch genügt dem ahnenden Rückblicke des perſönlichen Weſens jene Bedeutung derſelben als eines urſprünglichen Schooßes, um auch in dem Wechſelſpiel blos elementariſcher Kräfte ein Vorbild höherer Lebensformen, eigener Zuſtände und Bewegungen anzuſchauen.

Nach der Scheidung der Reiche, welche mit der jetzt beſtehenden Naturordnung eingetreten iſt, trat dasjenige, was wir jetzt unorganiſche Natur nennen, als nährende Umgebung und Unterlage gegen die lebendigen Individuen zurück. Wir werden zwar ſofort im Minerale bereits eine individualiſirte Materie erkennen, allein das kryſtalliſche Individuum iſt todt; es hat zwar die Begrenzung, welche in §. 30 zum Schönen gefordert wurde, während Licht, Luft, Waſſer, Erde in unbegrenzter, gleichgültiger Fortſetzung ſich ergießen und erſtrecken; allein wir werden ſehen, daß ſeine individuelle Begrenzung, weil ſie doch nur einen todten Körper einſchließt,26 ihm ſeinen äſthetiſchen Werth gerade noch niedriger anweist, als der iſt, der jenen frei ergoſſenen Materien zukommt. Zunächſt jedoch ſcheint die ganze unorganiſche Welt von dem Leben der Perſönlichkeit zu weit abzu - liegen, als daß dieſe ſich in ihr ahnen könnte; der Kreislauf ſelbſtändiger innerer Bewegung wenigſtens, wie er in der Pflanze auftritt, ſcheint ſich mit dem Anblick der übrigen Landſchaft verbinden zu müſſen, um die Per - ſönlichkeit in ihr wie vorbereitet anſchauen zu können, und ſo ſcheint die unor - ganiſche Natur überhaupt bloße Vorbedingungen zu enthalten, aus denen ſich ein ſchönes Ganzes erſt zuſammenbauen kann, wenn wir ſie mit dem organiſchen Leben zuſammenfaſſen, ſo daß wir dem Lichte, der Luft, dem Waſſer, der Erde erſt Baum, Thier, Menſch hinzugeben müſſen, die darin erſcheinen, athmen, ſich davon nähren, darin wurzeln, darauf wandeln. Können aber nicht dennoch dieſe Erſcheinungen auch ohne lebendige Staffage ſchön ſein? In ihrer Ver - einzelung jedenfalls nicht; Licht allein, Luft allein u. ſ. f. iſt als genügend zu einer ſchönen Erſcheinung gar nicht denkbar und ſoweit allerdings iſt der Satz begründet, daß das Schöne noch nicht eintreten kann, wo lebendige Individualität fehlt. Selbſt die bereits lebendig individualiſirte Pflanze fordert, wie wir ſehen werden, noch eine Zugabe, wenn ſie äſthetiſch ſein ſoll; ein Thier dagegen, ein Menſch kann für ſich allein als ſchönes Ganzes auftreten. Dagegen wenn mehrere der unorganiſchen Potenzen zu einem Wechſelſpiele zuſammentreten, ſtellt ſich die Sache anders. Ein Stück See mit oder ohne begrenzende Ufer kann durch reine Licht-Reflexe und Farben - töne bei ruhiger Luft, durch Aufwühlung ſeiner Waſſer und bewegte Luft allerdings zu einem äſthetiſchen Eindrucke genügen; Gebirgsformen ſelbſt ohne Vegetation können in guter Beleuchtung, etwa mit Waſſer zuſammen - geſtellt, das Auge befriedigen: mit einem Wort, es können ſchöne Land - ſchaften vorkommen auch bei völligem Mangel vegetabiliſcher, thieriſcher, menſchlicher Staffage. Allerdings wird dieß nur in ſeltenen Momenten möglich ſein, und welcher Art ſind dieſe Momente? Es ſind ſolche, worin ein Wechſelſpiel der elementariſchen Potenzen uns das erſetzt, was in ſtrenger Wahrheit nur das organiſche Individuum darbietet; d. h. Momente, worin die unorganiſche Natur einen Effect hervorbringt, der unwillkührlich an das organiſche Leben als ein aus einem ſelbſtändigen Mittelpunkt in ſich thätiges, in ſich prozeſſirendes, von ſich aus - und in ſich zurückgehendes Weſen erinnert. Die unorganiſche Natur ſieht in ſolchen Momenten, wo etwa Sonne und Berg im blauen Waſſer ſich ſpiegelt, aus, als beſchaute ſie ſich ſelbſt, als weidete ſie ſich an ihrem eigenen Bilde, als dämmerte ein Selbſtbewußtſein in ihr auf, oder ein andermal ſcheint es, als ränge ſie wie in jenen uralten großen Kämpfen, in denen ſie einſt die höheren Geſtalten der Lebendigen aus ihrem noch lebensſchwangeren Schooß hervor - brachte: Stürme, Fluthen, wilde Bergformen, Vulkane führen dieſes Urleben,27 dieſe furchtbaren Gährungen uns vor Augen. Nun erinnert ſich das an - ſchauende perſönliche Weſen, daß das, was wir jetzt unorganiſche Natur nennen, einſt mehr war, es ſchaut ſie als den Schooß, die Wiege alles Lebens an, verlegt ſich ſelbſt in dieſe Wiege zurück, wirft das Explicirte hinter ſich ſelbſt, die Zwiſchenglieder überſpringend, in das Implicirte zurück, ſieht in den Bewegungen der Natur Stimmungen, Leidenſchaften des menſchlichen Gemüths, läßt den künftigen Menſchen aus dem Urgrunde, worin er mit allen Lebendigen ſchlummerte, hervor und ſich entgegenblicken. Die Empfindung kann allerdings auch eine andere Wendung nehmen; die Elemente werden vorgeſtellt als wüßten ſie um das außer ihnen bereits vorhandene organiſche und menſchliche Leben und erfreuten ſich daran, es zu nähren, ſich ihm zum Genuſſe zu geben oder es neidiſch zu zerſtören. Allein die Zurückverlegung des empfindenden und ſelbſtbewußten Lebens hinter ſich in die blinde Natur iſt hier dieſelbe, nur daß der Act unver - merkt den beſtimmten Widerſpruch in ſich aufnimmt, das höhere Leben da zu ſuchen, wo es noch nicht iſt, und doch zugleich es da zu wiſſen, wo es iſt. Die vorchriſtlichen Religionen vollzogen dieſe ganze Unterſchiebung förmlich und machten die Erſcheinungen der unorganiſchen Natur zu Göttern, die neuere Bildung vollzieht dieſelbe unbeſtimmt in ahnender, blos äſthetiſcher Weiſe; denn wo ſie beſtimmt denkt, hat natürlich für ſie die Unterſchiebung ein Ende. Dieß leihende Anſchauen kann nun gerade bei dem höchſten Producte der unorganiſchen Natur, dem Minerale, am wenigſten eintreten; denn für die Täuſchung iſt dieſes zu beſtimmt, um aber ohne Täuſchung ihm ein Bild der Perſönlichkeit unterzulegen, zu arm und todt.

Hinzuzuſetzen iſt nur noch, daß man uns nicht einwenden darf, wir ſetzen hier unberufener Weiſe die ſchöpferiſche Phantaſie ſchon voraus, die ſich uns doch erſt erzeugen ſoll. Das empfindungsvolle, ahnende Schauen iſt, wie ſchon zu §. 236 Anm. 3. berührt wurde, noch lange nicht das der Phantaſie im engeren Sinne. Einen Zuſchauer haben wir in den Begriff des Schönen ſelbſt mit eingeſchloſſen (§. 70 ff.); Auge und empfindenden Sinn braucht es auch zum äſthetiſchen Anſchauen der organiſchen Schönheit. Es wird ſich ſeines Orts allerdings zeigen, daß wir überall in das Natur - ſchöne die reine Schönheit erſt hineinſchauen; ein ausdrücklicher und ſelb - ſtändiger Gegenſtand der Unterſuchung wird dieß aber erſt da, wo die Mängel aller Naturſchönheit zur Sprache kommen. Hier handelt es ſich noch vom Unterſchied ihrer Stufen, wie derſelbe freilich bei der einen ein beſtimmteres Leihen nöthig macht, bei der andern es erſpart. Jetzt zeigt ſich, daß der Zuſchauer der unorganiſchen Natur etwas leihen muß, was ſie nicht hat; dann wird ſich zeigen, daß außer dieſem Leihen noch etwas ganz Anderes geſchehen muß, um ihre Mängel ſo wie die Mängel aller Naturſchönheit zu tilgen und ſie wahrhaft in das Schöne zu erheben.

28

a. Das Licht.

§. 241.
1

Das Licht kommt zuerſt nicht als ſchöner Gegenſtand, ſondern als Bedingung der Möglichkeit des ſichtbaren Schönen in Betracht. Es zeigt durch Beleuchtung und Schatten die Geſtalt der Körper in ihrem allgemeinen Umriß, in ihrer vom allgemeinen Raum abgelösten Selbſtändigkeit, ebenſo in der2 Beſchaffenheit ihrer beſtimmteren Formen auf, es faßt eine Anzahl von Körpern3 wie in Eine durch die Abſtufungen des Schattens auseinandertretende, durch die höchſten Lichter vereinigte Geſtalt zuſammen.

1. Das Licht in der hier zunächſt ausgeſprochenen Bedeutung iſt alſo nicht Subject der Schönheit, es iſt rein das Aufzeigende, das Modellirende. Die Körper ſind dabei vorausgeſetzt und man kann natürlich ohne dieß ſtetige Vorausſetzen nicht vorwärts gehen. Finge man mit den Körpern an, ſo müßte umgekehrt das Licht als Bedingung ihres Erſcheinens vor - ausgeſetzt werden, und wenn man nach einem Entſcheidungsgrunde fragt, welche von beiden Vorausſetzungen vorgezogen werden ſoll, ſo liegt ein ſolcher in dem, was der folg. §. enthalten wird.

Es ſind nun hier allerdings Körper vorausgeſetzt und zwar ſchöne, wer aber zu ſehen verſteht, der weiß, wie man die Erſcheinung erſt genießt, wenn man mit dem Auge prüfend verfolgt, wie das Licht ſie von einander abhebt und die Geſtalt in ihrer Beſtimmtheit zeichnet und modellirt. Ein Gegenſtand tritt in ſeiner Selbſtändigkeit zunächſt dadurch hervor, daß ſein Umriß ſich ſcharf vom Hintergrunde abzeichnet. Das Licht ſtrömt entweder von der Seite her, wo der Zuſchauer ſteht, und je der ihm nähere Körper hebt ſich durch hellere Beleuchtung von dem dunkleren Grunde des entfernteren in ſeiner Beſtimmtheit ab; oder das Licht ſtrömt dem Zuſchauer entgegen, die ihm zugekehrte Seite der Körper liegt, je näher, deſto mehr im Schatten und ſchneidet ſich dadurch von dem beleuchteten Grunde ab. Verſchiedene Modificationen nehmen dieſe Verhältniſſe bei ſeitwärts einfallendem Licht an, je nachdem es näher vornen oder entfernter, höher oder niedriger ſteht ꝛc. Es iſt zunächſt der Reiz der Silhouette, dieß reine Abgrenzen und Ausſchneiden, was hier vorliegt. Dieſe Abhebung des Körpers vom Allgemeinen in ſeiner begrenzten Selbſtändigkeit vollendet ſich durch den Schlagſchatten, den er auf einen helleren Grund wirſt, und der in verſchiedenen Verſchiebungen ſein Bild wiederholt.

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2. Nach dem Ausſchnitte des Ganzen iſt die Bildung des Körpers ſelbſt zu betrachten, wie das Licht ſie zeichnet: was dieſem zugewandt iſt, ſteht in Beleuchtung, das Abgewandte iſt dunkel und zwar in ſcharfem Abſchnitt, wenn es eckigt, in anſteigender Tiefe des Dunkels, wenn es rund iſt. So erkennt das Auge die beſondere Bildung der Oberfläche des Gegen - ſtands als eines runden, eckigten u. ſ. w. Iſt er nun aber von reicherer Beſtimmtheit der Form, ſo treten auf der beleuchteten Seite wieder einzelne Bildungen hervor in ein höheres Licht und ſtellen dadurch die umgebenden Theile in Schatten und umgekehrt in den beſchatteten Punkten heben ſich Theile dem Licht entgegen und ſind daher im Dunkel heller als ihre Um - gebung; es bilden ſich die Halb - und Mittelſchatten mit ihren Abſtufungen. Z. B. die Krone gewiſſer Bäume iſt ein ziemlich compactes Rund von wenig Unterbrechung, bei andern dagegen ſtellen ſich Gruppen von Aeſten mit ihrem Laube zuſammen, heben ſich in ein helleres Licht und trennen ſich ſo durch einen umgebenden Schatten von den andern: da hat das Auge die Befriedigung, den Körper in beſtimmte Formen auseinandertreten zu ſehen, es theilt ſich der Baum in beſondere Maſſen und bildet ſo ein gegliedertes Ganzes. Dieß läßt ſich nun natürlich fortſetzen, denn inner - halb der größeren Maſſen treten nun wieder kleinere hervor und das Auge geht vom Allgemeinen (dem Umriß) zum Beſonderen (dieſen theilenden Maſſen) und im Beſonderen ſo lange fort, bis es zu dem Einzelnen (in dem gegebenen Beiſpiele dem Baumſchlage) heraustritt. Ebenſo wie auf der beleuchteten Seite verhält es ſich nun auf der dunkeln; das Hervortretende und von der Maſſe des Ganzen ſich Abhebende iſt weniger dunkel als das Zurück - tretende und ſo ſetzt ſich die Modellirung auch im Beſchatteten fort.

Es erhellt, daß dieſe zeichnende und modellirende Wirkung des Lichtes nicht blos den Geſichtsſinn, ſondern den in dieſem mitgeſetzten Taſtſinn (vergl. §. 71 Anm.) befriedigt. Das Auge umſpannt wie mit taſtenden Fingerſpitzen den Gegenſtand in der Beſtimmtheit ſeiner Raumerfüllung.

3. Licht und Schatten treibt alſo überhaupt auseinander, aber faßt auch zuſammen. Wie nun dadurch zunächſt der einzelne Körper in den mannigfachen Formen ſeiner Bildung ebenſoſehr wie in ſeiner Einheit erſcheint, ebenſoſehr auch eine Zuſammenſtellung von Gegenſtänden, die das Auge zugleich überſchaut: die Vielheit faßt ſich in eine Einheit zuſammen, während ſie zugleich auseinandertritt. Dabei iſt freilich Einheit der Beleuch - tung oder, wenn doppeltes Licht, doch Unterordnung des einen Lichts unter das andere, es ſind ferner günſtige Verhältniſſe der Beleuchtung, ſo daß kein Körper den andern auf ſtörende Weiſe das Licht wegnimmt, endlich ſind natürlich abermals ſchöne Körper oder wenigſtens Schönheit des Luft - lebens u. ſ. w. vorausgeſetzt, wenn eine Einheit äſthetiſcher Art ſoll entſtehen können, es iſt vom Lichte noch als einer bloßen Bedingung die Rede;30 aber doch nähern wir uns bereits der ſelbſtändigen Reizwelt des Lichtes. Die höchſten Lichter, welche überall ſpielen, zeigen alle auf den Einen Punkt hin, von welchem das Licht ausgeht, und dieſer Eine Beleuchtungspunkt wird nun die Einheit, die Individualität, zu welcher die Vielheit der beleuchteten Körper ſich zuſammenfaßt; oder es tritt die Gunſt des Zufalls ein, daß der bedeutendſte unter dieſen Körpern, der die andern alle beherrſcht, im vollſten Lichte ſteht, dann übernimmt dieſer als Sammelpunkt des Lichtes die Bedeutung des letzteren. Die Mannigfaltigkeit der Gegenſtände gruppirt ſich nun um die Licht-Einheit wie die Formen Eines Körpers: das Licht modellirt das Viele in Eines. Eine Landſchaft z. B. enthält noch Anderes als dieſe Lichtverhältniſſe und eine Gruppe zuſammenwirkender Menſchen hat noch gewiſſer einen Einheitspunkt anderer und höherer Art, allein beide wollen weſentlich auch aus dieſem Standpunkte geſehen ſein.

§. 242.

Das Licht erſcheint aber auch ſelbſt als ſchöner Gegenſtand, zwar niemals für ſich allein, doch ſo daß es in Verbindung mit Anderem zum Mittelpunkte1 der Schönheit wird. Das Geſtirn, von welchem es unſerem Planeten zuſtrömt, iſt als Lichtkörper ein erhabenes Schauſpiel und der Sternenhimmel führt ins - beſondere durch den Glanz ſeiner unzähligen Körper die Idee der Unendlichkeit2 des Weltgebäudes als einer Lichtwelt in den Geiſt des Anſchauenden. Das Licht zeigt nicht nur auf, ſondern es belebt auch wirklich, ſein Aufzeigen wird daher als ein Hervorrufen des Seins aus dem Nichts, das Licht als poſitiv, das Dunkel als negativ erhaben empfunden. Belebend wirkt es insbeſondere durch die Wärmeſtrahlen, welche mit den Lichtſtrahlen der Erde zuſtrömen; im3 äſthetiſchen Charakter der Tags - und Jahreszeiten iſt das Gefühl des Schick - ſals des Planeten in ſeinem Verhältniß zur Licht und Wärme bringenden Sonne das Beſtimmende.

1. Die Sonne erſcheint allerdings nicht als abſtracter Lichtträger erhaben, ſie wird als Individuum angeſchaut, ja ein Geiſt wird ihr bei - gelegt, ſie iſt wie ein Held anbetungswürdig; es iſt aber doch ihre unendliche Lichtwirkung, was der Bewunderung zu Grunde liegt. Anders wirkt der blaſſere Schein des Mondes, ſein Leuchten iſt es vorzüglich, was Helldunkel hervorbringt, und von dieſem wird mit Nächſtem die Rede ſein. Das Planetenſyſtem als ſolches iſt kein äſthetiſcher Gegenſtand, ſondern nur ein der Anſchauung dargebotener Ausſchnitt des Sternenhimmels; dieſer erweckt die Ahnung des Weltſyſtems in ſeiner Unendlichkeit, aber weſentlich iſt es der Eindruck einer Lichtwelt, der zu Grunde liegt. Man ſieht an dieſem Beiſpiele deutlich, wie ſich die Aeſthetik zur Naturwiſſenſchaft verhält;31 der ſchlichte Menſch ahnt ohne Aſtronomie die ewige Ordnung in dieſer Welt, ſonſt würde die unbegriffene Erſcheinung des Kometen nicht im vollen Sinne des Schauerlichen auf ihn wirken; der Aſtronom aber muß die Rechnungen und Meſſungen bei Seite legen, wenn die Bewunderung, die wohl auch eine Frucht des wiſſenſchaftlichen Verſtändniſſes, aber ſo noch keine äſthetiſche iſt, mit dem unmittelbaren Anblicke ſo zuſammenfallen ſoll, wie dieß das äſthetiſche Geſetz fordert.

2. Oerſted (Naturlehre des Schönen, aus dem Dän. von Zeiſer §. 34 ff. ) zeigt, wie von der Sonne nicht blos die ſichtbar machenden Lichtſtrahlen, die an ſich ſchon erfreuend beleben, ſondern auch die Wärme - ſtrahlen und die Aetherſchwingungen ausgehen, welche chemiſch, elektriſch, magnetiſch auf die Körper wirken, wie daher das Licht, wenn man es in dieſer Verbindung auffaßt, den Keim zu einer unausſprechlich mannigfaltigen Wirkſamkeit enthält, durch welche die ganze Körperwelt verhindert wird, zuſammenzuſinken, wie dagegen der Zuſtand der Finſterniß nicht ſtattfinden kann, ohne daß darin eine innere Bewegung gegen Licht und Tod vorgeht. In dieſem ganzen Verhalten des Lichtes und der Finſterniß liegt der tiefſte Grund zu unſerer Lichtfreude und zu unſerem Schreck vor der Finſterniß. Deutinger (Grundlinien einer poſitiven Philoſophie u. ſ. w. Theil 4. Die Kunſtlehre oder das Gebiet der Kunſt im Allgemeinen §. 244 ff. ) begründet auf dieſe Bedeutung des Lichtes mit philoſophiſcher Tiefe das Weſen der Malerei; er begreift die Nacht, aus welcher ſich im Gemälde die Geſtalt als ein für ſich beſtehender, lebensvoller Lichtſtrahl hervorhebt, als das negativ Unendliche, die Geſtalt ſelbſt, wie ſie vom Lichte in ihrer Beſtimmtheit umſchrieben ſich vom Dunkel des unendlichen Raumes abhebt, als das beſtimmte Endliche, Seiende, das ſich vom dunkeln Grunde löst, als Sammelpunkt des Lichtes zugleich die unendlichen Weltkräfte zu relativer Beſtimmtheit in ſich geſammelt darſtellt, aber durch den Grund, von dem ſie ſich losreißt und der ſie umgibt, ebenſoſehr auf die geſtaltloſe Unend - lichkeit hinausweist. Man kann und muß aber dieß ſagen noch ohne von der Malerei zu reden. Es iſt an ſich ſo, daß das Licht die Geſtalt als begrenztes Individuum von dem unbegrenzten Grunde nicht nur beleuchtend abhebt, ſondern als bildende und nährende Kraft weſentlich auch möglich macht. Sein und im Lichte ſein iſt untrennbar. Die Geſtalt wird vom Lichte nicht nur beſchienen, ſondern nimmt es in ſich auf, ſtrahlt es von ſich, was im Weiteren beſtimmter hervorzuheben iſt. Sie ſtrahlt ihr Licht in das Dunkel hinein und hebt ſich ſo aus dem allgemeinen Weſen als beſtimmtes Weſen, als Individuum aus dem Unbegrenzten, deſſen zerſtreute geſtaltloſe Kräfte ſie in ſich vereinigt, an das ſie aber gebunden bleibt, hervor; ſie trägt das Unbegrenzte als Begrenztes in ſich, ſie iſt concentrirte Unendlichkeit, unendlich mit endlicher Grenze, daher vortretend aus dem32 Hintergrunde des Unendlichen, aber dieſem Hintergrunde verſchrieben, und wie ſie in ihn wieder vergehen muß, ſo fließen die in ihr geſammelten Lichtſtrahlen weiter auf andere Geſtalten und verlieren ſich im Dunkel. Dieſe Wahrheit tritt bei dem Anblicke des Beleuchteten in ſeinem Verhält - niſſe zum Dunkeln unmittelbar in’s Gefühl. Lichtfreude iſt Freude am Sein und Freude des Seins; die ganze Stimmung lebt auf im Lichte und ſinkt nieder im Dunkel. Im Aeſthetiſchen nun wäre zunächſt dieſes Lebens - gefühl allerdings noch ſtoffartig zu nennen. Wir anticipiren hier die Geſtalt und unſer Gegenſtand iſt noch Licht und Dunkel, in Wahrheit kommt es erſt darauf an, was beleuchtet und ob dieſes Was ein Schönes ſei, allein, wie geſagt, in der Verbindung des Lichts mit der Geſtalt kann der Hauptnachdruck auf das erſtere fallen; es wäre ohne Geſtalt, die es beſcheint, nicht ſchön, aber hat es nur ſeinen Gegenſtand in der Geſtalt, ſo kann der höhere Reiz in den reinen Verhältniſſen ſeines Wirkens liegen. Noch ehe dieß im nächſten §. weiter aufgefaßt wird, liefert das Folgende einen Beweis.

3. Das Bild einer beſtimmten Jahres - und Tageszeit kann ſich uns unter Umſtänden darſtellen, wo das Hauptgewicht auf die Zuſtände der vegetabiliſchen, thieriſchen, menſchlichen Welt unſeres Planeten fällt, wie ſie in der Kälte ſtarrt, im Frühling erwacht, im Sommer glüht und lechzt, im Herbſt von ihrer Kraft und Luſt Abſchied nimmt, am Morgen kräftig erwacht, im Mittag erſchlafft, am Abend noch einmal auflebt, aber dann der Ruhe entgegengeht. Aber dieß Schauſpiel kann ſich auch anders wenden, durch die geringe Menge und Bedeutung der organiſchen Geſtalten kann das Auge beſtimmt werden, ſich weſentlich nach den Erſcheinungen des Lichtes, nach den Graden ſeiner Intenſität zu wenden, ſich an den Beleuch - tungsverhältniſſen zu weiden. Der Maler, von dem wir noch nicht reden, kann das Eine oder Andere zum Stoffe nehmen, die Natur zeigt ſich ohne ihn bald ſo, daß die Geſtalten, bald ſo, daß die Lichtverhältniſſe, Licht - ſpiele das Auge vorzüglich auf ſich ziehen.

§. 243.
1

Die Körper verhalten ſich aber nicht blos als Gegenſtände zum Licht, ſie ſtrahlen es nach der Art ihrer Oberfläche mehr oder minder zurück und ſetzen es in die Schatten fort, glänzen, ſind Spiegel. Hier beginnt bereits ein in beſtimmterem Sinne ſelbſtändiger Zauber der Lichtſpiele, denn das Hinüber - und Herüberwirken der Reflexe, die Wiederholung des eigenen Bildes im Andern gleicht der inneren Kreisbewegung und der Anderes in ſich aufnehmenden und ſich in Anderes fortſetzenden Thätigkeit des individuellen Lebens und erſetzt gewiſſermaßen die Erſcheinung des letzteren, die eigentlich zum Schönen erfordert33 wird. Die Durchſichtigkeit gewiſſer Körper in Verbindung mit Glanz und2 Spiegelung erinnert ſelbſt unmittelbar an das ſelbſtbewußte Leben, an die Durchdringung des Stoffs durch den Geiſt.

1. Nichtglänzende Körper werfen das Licht nur in dem Grade zurück, in welchem ſie von heller Farbe ſind; obwohl wir nun noch nicht von der Farbe reden, ſo läßt ſich doch das Zurückſtrahlen des Lichts auch für ſich betrachten als eine Wirkung, welche zwar von der Art der Farbe abhängt, aber in dieſer Verbindung ſich als Hauptgegenſtand der Schönheit darbieten kann. Was ferner den beſondern Reiz glänzender Körper in den ver - ſchiedenen Arten des Glanzes als metalliſcher Glanz, Glasglanz, Seiden - glanz u. ſ. w. und das Wiedergeben der Bilder durch Spiegelung betrifft, ſo darf nur an die niederländiſchen Maler erinnert werden, welche gerade an Gegenſtänden, welche als ſolche unbedeutend ſind und daher nicht als die Subjecte der Schönheit in ſolchen Gemälden erſcheinen können, die Reize dieſer Erſcheinungen darzuſtellen ſuchten. Sie hätten als Künſtler dieſen Reizen nicht nachgehen können, wenn ſie nicht in der Natur ſelbſt als Schönheitsſtoff ſich darböten. Hier gilt nun, was ſchon in der Anm. zu §. 240 erwähnt iſt: die unorganiſche Natur erinnere in gewiſſen Momenten an das lebendige Prozeſſiren des organiſchen Lebens, ſehe aus, als beſchaute ſie ſich ſelbſt, weidete ſich an ihrem eigenen Bilde u. ſ. w.

2. Der durchſichtige Körper läßt die Lichtſtrahlen durch und macht dabei kaum durch eine merkliche Trübung ſeine materielle Textur geltend. Tritt dabei Glanz und Spiegelung in ſo vollkommenem Grade hinzu, wie im Waſſer und im menſchlichen Auge, ſo wird man ſich nicht wundern, wenn ein ſinnvoller Zuſchauer durchdrungen von der Schönheit der Licht - wirkungen im Waſſer ausruft, es ſehe aus wie Geiſt, und wenn das Auge, dieſer durchſichtige, glänzende, ſpiegelnde Lichtkörper als der reinſte Aus - druck der geiſtigen Tiefe im Menſchen erſcheint.

§. 244.

Eine beſondere Art der Beleuchtung erzeugt das Fcuer und der1 elektriſche Strahl. Das Feuer kann auch, abgeſehen von der Beleuchtung, die von ihm ausgeht, ſchon durch die bewegten Formen ſeiner Flamme ein ſchönes Schauſpiel darbieten; die Beleuchtung dieſes verzehrenden Elements wirkt unruhiger als das allgemeine Licht und verbreitet über ein gegebenes äſthetiſches Ganzes eine affectvolle Stimmung. Der Blitz wirkt noch ſtärker in dieſem Sinne durch die dem feierlich ruhigen Kommen und Gehen des all - gemeinen Lichtes entgegengeſetzte Grellheit ſeines augenblicklichen Leuchtens. Die Körper können nun gleichzeitig in doppeltes Licht geſtellt ſein; Sonnen2Viſcher’s Aeſthetik. 2. Band. 334licht, Mondlicht, Blitz kann ſie von der einen, Feuer von der andern Seite beleuchten und dieß iſt eine beſondere Form der Magie des Lichtes, welche ſo eigenthümlichen Zauber ausübt, daß die Formen der beleuchteten Geſtalt dagegen an Bedeutung verlieren.

1. Bei dem Feuer begegnet uns zum erſtenmale, ſchwach angedeutet, der Reiz der Linie. Das Sonnenlicht bewegt ſich in Wellen, die ſich in Strahlenkegel theilen, allein dieß ſtellt ſich dem unmittelbaren Anblick nur ſelten bei gewiſſen Brechungen des Lichts der untergehenden Sonne dar. Dagegen das Feuer ſpielt in wahrnehmbaren und zwar ſehr ſchönen Wellen - linien, die nur zu verſchwindend ſind, um uns hier ſchon ausdrücklich bei der Schönheit der Linien aufzuhalten. So iſt z. B. das Linienſpiel der flackernden Flammenzungen einer Pechfackel vom größten Zauber, keine Linie hält dem Auge feſt, es iſt ein beſtändiges Uebergehen, eine Unruhe des Verzehrens, die immer affectvoll wirkt und ſelbſt bei feſtlich ſchöner Stimmung die lebhafte Bewegung des erregten Gemüthes wiedergibt; ähnlich die Flamme des Holzes. Oel und Wachs brennen ruhiger; bekannt iſt der Zauber des Schauſpiels, wenn man die Statuen des Vaticans bei Wachsfackeln ſieht. Aber auch die ruhigere Flamme iſt immer noch unruhig in Vergleichung mit dem ſtetigen Sonnen - und Mondlicht, hat durchaus mehr den Ton einer ſpezifiſch bewegten Stimmung. Nun wirkt hier aller - dings weſentlich überall die Farbe der Flamme mit, aber darf die Kunſt ohne Farbe mit bloßem Licht und Schatten die Wirkungen des Feuers ſo gut wie die des ruhigen Lichtes darſtellen, ſo muß auch die Betrachtung die Seite der Beleuchtungs-Verhältniſſe und Linienſpiele für ſich allein feſſeln dürfen. Der Blitz gehört allerdings zum Schauſpiele des Gewitters, das wir erſt weiter unten, wo von der Luft die Rede ſein wird, zu betrachten haben, allein die Art ſeines Lichtes iſt als ſolche zu wichtig, um ſie nicht hier, wo von der Beleuchtung für ſich die Rede iſt, aufzunehmen. Beſonders im Gegenſatze gegen die wilde Schnelligkeit dieſes Leuchtens zeigt ſich das feierlich ruhige Kommen und Gehen des Sonnenlichts in ſeiner ganzen Schönheit. Dieß Anwachſen, wodurch zuerſt die Spitzen der Körper, dann Schritt um Schritt nach und nach ihre ganze Geſtalt ins Licht tritt, iſt ein Schauſpiel von der wohlthätig befriedigendſten Wirkung; ſehnſuchtsvoller bewegend wirkt das Gehen des Lichtes, wenn Geſtalt um Geſtalt in’s Dunkel ſinkt und zuletzt nur noch die höchſten Gipfel im Lichte ſtrahlen: ein Abſchiednehmen und darin ein Sehnen des Menſchen, mit dem ent - ſchwindenden Lichte fortzuwandern, aber mild und ſanft. Wie anders dagegen der blendende und augenblicklich im Dunkel zurücklaſſende Blitz, auch abgeſehen von dem Anblicke ſeiner verheerenden Wirkungen, ſtimmt, braucht keiner weiteren Darſtellung.

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2. Das doppelte Licht, das jetzt in der Malerei ebenſo beliebt iſt, als das Bombardieren des Ohrs mit Toneffecten in der Muſik, iſt aller - dings eine magiſche Schönheit, welche die Natur ſelbſt aufzuweiſen hat; aber ſie nimmt auch ſo ſehr das Auge für ſich in Anſpruch, daß die ſo beleuchteten Geſtalten dagegen an Formenwerth verlieren, und weil wir durch dieſe Bemerkung gelegentlich in die Kunſt vorgreifen, ſo ſei bemerkt, daß die Natur freilich dieſen Effect über eine Scene verbreiten kann, wo wir ſagen müßen, es ſei ſchade, daß die Bedeutung derſelben in dieſem brillanten Schimmer verſchwinde, daß aber die Kunſt billig wiſſen ſollte, wo ſie der Natur folgen ſoll, wo nicht. Die Holländer wußten das beſſer und brachten ſolche Effecte nur da an, wo kein Werth des beleuchteten Gegenſtands darunter leidet.

§. 245.

Alles Licht verliert ſich durch Hinderniſſe in’s Ungewiſſe; ſo entſteht ein Scheinen in das Dunkel, deſſen Grenzen nicht zu beſtimmen ſind, und ebendaher ein Dunkel im Lichte; je mehr dieß der Fall iſt, deſto mehr verſchwindet die Beſtimmtheit der beleuchteten individuellen Geſtalten und wird das ungewiſſe Verzittern und Verſchweben des Lichts entſchieden zum Mittelpunkte des äſt - hetiſchen Schauſpiels: das Geheimniß des Helldunkels. Es gemahnt an die unerforſchten Tiefen der in Gefühl verhüllten Erkenntniß, der Ahnung; es iſt weſentlich ahnungsvoll.

Man pflegt in den Begriff des Helldunkels gewöhnlich die Wirkung der Farbe mitaufzunehmen. Allerdings vollendet ſich das Helldunkel durch Farbe, allein man ſpricht mit Recht von einem Helldunkel auch im bloßen Kupferſtich, der Lithographie u. ſ. w., und ſo darf auch in der wiſſenſchaft - lichen Behandlung allerdings die Beſtimmung des Helldunkels zunächſt von der Farbe abſtrahiren. Wenn nun in der Art, wie hier das Helldunkel beſtimmt wird, weſentlich geſetzt iſt, daß in dem wechſelſeitigen Verſchweben von Licht und Dunkel die Beſtimmtheit der in Helldunkel geſtellten Geſtalten gegen den Zauber ſeiner Wirkung in den Hintergrund tritt, indem ihre Umriſſe verſchweben, ſo könnte dagegen geſagt werden, daß das Helldunkel auch bei beſtimmter Beleuchtung beſtimmter Geſtalten in den Zwiſchen - partien ſeine Rolle ſpiele; dagegen iſt zu erinnern, daß wir hier das Helldunkel in ſeiner vollen und über ein Ganzes ausgebreiteten Wirkung als Subject eines äſthetiſchen Ganzen vor uns haben. Im weiteren Sinne aber verbindet es ſich allerdings auch mit der Beſtimmtheit der Beleuchtung; die Grenzen, in welchen es ſich dann zwiſchen den Wirkungen des deutlichen Lichtes ausbreitet, ſind in abſtracto nicht zu beſtimmen. Eine Landſchaft z. B. iſt ſonnig beleuchtet, aber in einer Waldpartie, welche darin vorkommt,3*36verliert ſich das Licht in Dämmerung; oder es fällt durch enge Oeffnung ein Lichtſtrahl in ein Zimmer, eine menſchliche Figur, die im Zimmer iſt, ſteht im vollen Lichte, Geräthe, Wände aber u. ſ. w. ſchwimmen im Helldunkel, denn der Strahl hat nicht genug Umfang, um Alles zu beleuchten. Ein ſolches Nebeneinander von ſcharfer Beleuchtung und Helldunkel kann ſich mit der Bedeutung der Gegenſtände höchſt ſtimmungs - voll vereinigen: Auge und Sinn ſucht in der Dämmerung des Waldes ſich von der Helle und Gluth der übrigen Landſchaft zu erholen; zu den ſcharf beleuchteten Zügen des ſtudirenden Aſtrologen gibt das Hell - dunkel ſeines mit räthſelhaftem Geräthe gefüllten Zimmers die geheimniß - volle Stimmung.

Wir müſſen hier noch einmal auf die in §. 242 erwähnte Lichtfreude zurückkommen, um ſie mit der Wirkung des Helldunkels in Contraſt zu - ſammenzuſtellen. Die Kräfte des Seins, welche in Bildung individueller Geſtalten zuſammenwirken, ſind weſentlich ein Denken, nur noch nicht in wirklicher Geſtalt des zu ſich gekommenen, geiſtigen Denkens. Indem die Natur dieſes ihr Denken, welches ein Bilden iſt, durch die Wirkung des Lichtes nicht nur theilweiſe vollzieht, ſondern auch aufzeigt, ſo iſt es als gebe ſie ein Vorſpiel des eigentlichen, wirklichen Denkens; ſie denkt in Formen und ſie ſcheint dieſes verhüllte Denken in der Manifeſtation des Lichtes ſelbſt zu denken; es iſt wie ein Bewußtſein der Natur von ſich und der Zuſchauer genießt in dieſem Vorbilde ſinnlich, was er in dem Vollziehen deutlicher Gedanken auf andere Weiſe geiſtig und innerlich genießt. Es ruht aber im perſönlichen Geiſte eine unentwickelte Welt unendlicher Gedanken, deren unausgeſprochene Tiefe im ahnenden Gefühle bang und freudig zugleich ſich als Ahnung ankündigt: dem entſpricht das Helldunkel. So ſpricht der Dichter die Wirkung des Helldunkels durch Mondſchein auf das Gemüth mit den Worten aus, daß es die Bruſt löſend aufſchließe, mit dem Freunde zu genießen,

Was vom Menſchen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Bruſt
Wandelt in der Nacht.

Das Helldunkel kann auch anders wirken, als in dieſer Weiſe des Rührenden: drohend, ſchauerlich, aber auch hier eben durch das Ungewiſſe der noch nicht deutlichen Gefahr. Immer iſt etwas vom negativ Erhabenen in der Wirkung des Helldunkels, weil die Nacht an das Vergehen erinnert. Volles Licht wirkt dagegen im Sinne des Schönen, durch blendende Fülle wird es aber erhaben. Wie ſich das Schöne und Erhabene an die bisher aufgeführten Erſcheinungen vertheile, kann jedoch hier nicht weiter verfolgt werden; es mag Jeder leicht die Anwendung ziehen.

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Göthe (Farbenlehre §. 849) nimmt den Begriff des Helldunkels ganz allgemein von der Wirkung des Lichts und Schattens; dieß geſchieht auch ſonſt. Es iſt aber gewiß zweckmäßiger, mit dem Worte ſogleich die Bedeutung jenes Verſchwebens zu verbinden, da es mit abſichtlichem Scheine des Widerſpruchs ein Ineinander von Licht und Schatten bezeichnet. Göthe hebt dann allerdings dieſen Sinn als den engeren hervor: eine Schatten - partie, welche durch Reflexe beleuchtet wird.

b. Die Farbe.

§. 246.

Das einfache Licht wird durch das ſpezifiſche Dunkel der Körper zur Farbe gebrochen. Dieſe entſteht zunächſt durch die Verhältniſſe ſolcher all - gemeiner Medien zum Lichte, welche ſelbſt keine Farbe haben. Die Farben - erſcheinungen, welche durch ſie hervorgerufen werden, können zwar im ſtrengen Sinn äſthetiſch nur dann heißen, wenn ſie im Zuſammentreffen mit den gebundenen Farben beſtimmter Körper ſich über ein Ganzes ſo herziehen oder doch ſo in es eingreifen, daß ſie eine eigenthümliche Stimmung über alles Einzelne verbreiten, als wäre es Ein Gegenſtand und die augenblicklich geliehene Farbe ſeine eigene. Allein eben, weil demnach ein Ganzes durch Farben, welche nicht an Individuen gebunden ſind, einen eigenthümlichen und entſcheidenden äſthetiſchen Ton bekommen kann, ſo folgt, daß die Farben an ſich ſchon eine gewiſſe Stimmung ausdrücken und daher für ſich zu erörtern ſind.

Es iſt hier zuerſt von den phyſiſchen Farben (colores apparentes, fluxi, fugitivi, phantastici, falsi, variantes Göthe a. a. O. §. 137.) die Rede. Sie gehören natürlich nur ſo weit in die Aeſthetik, als ſie durch die Natur ſelbſt und zwar in der Landſchaft hervorgerufen werden, denn das Schöne ſetzt überall Individuen voraus und hier iſt denn eine Gegend, welche durch den Farbenton der Beleuchtung einen beſtimmten Charakter erhält, das geforderte Individuum. Das Schwierige iſt aber dieß: die Farbe zeigt ihrem ganzen Begriffe nach, wie dieß der folg. §. weiter berückſichtigen wird, ungleich inniger das Eigenthümliche des Weſens der Individuen, als das einfache Licht, und dennoch gibt es Farben, welche nicht an Individuen gebunden ſind, ſondern durch Medien, welche an ſich keine beſtimmte Farbe haben, je nach ihrer Stellung zum Lichte frei erzeugt werden. Dieſe, die nicht gebundenen Farben, ſollte38 man meinen, ſeien äſthetiſch gleichgiltig, in Wahrheit aber ſind ſie höchſt ſprechend, verbreiten über ganze Gegenden und Scenen eine durchaus ſpezifiſche Stimmung. Obwohl ſie nun die Aeſthetik nur in der ſteten Vorausſetzung einer ſolchen Wirkung im Zuſammentreffen mit gewiſſen Objecten in Betracht ziehen kann, ſo geben ſie doch eben darum, weil ſie dieſe ſo entſcheidende Wirkung haben können, den Beweis, daß wir von der Farbe an ſich als einem äſthetiſchen Objecte zu reden haben. Es widerſpricht dieß keineswegs dem in §. 35 und 36 aufgeſtellten Satze, daß jede Difinition des Schönen durch eine abſtracte Eigenſchaft verwerflich ſei, denn etwas Anderes iſt eine ſolche Definition, etwas Anderes die geſonderte Betrachtung eines der Momente des wirklichen Schönen. Um nun die Thatſache der ſpezifiſchen äſthetiſchen Wirkung der Farben zu erklären, dazu ſollte die Farbenlehre der Aeſthetik die Mittel an die Hand geben; allein hier befindet ſich die letztere in der Schwierigkeit, daß die Theorie Göthes und Hegels als widerlegt durch die neuere Lehre von den Aether - ſchwingungen behauptet wird, während ſie doch die Erklärung der geheimen und unbewußten Symbolik, welche bei der Farbenwahrnehmung das Gemüth beſchäftigt, ungleich mehr zu erleichtern ſcheint, als dieſe, ſoweit ſie bis jetzt ausgebildet iſt. Wenn das Gelbe dadurch entſteht, daß ich durch ein erhelltes Trübes auf das Licht hindurchblicke, das Blaue dadurch, daß ich durch ein ebenſolches Medium in das Dunkel ſehe, ſo wird begreiflich, warum dort mein Gemüth durch die freudige Gewißheit des Hereinwirkens des Lichts in das ſpezifiſch Trübe erwärmt, hier durch die Vorſtellung, als verliere ich mich, indem mich ein reizender Schein hinauszieht, in ein fernes Nichts, zugleich angelockt und erkältet wird. Wenn das Rothe als die geſteigerte Einheit dieſer Gegenſätze betrachtet wird, ſo wird erklärlich, warum es als voll eindringende Lichtwirkung höchſt ermunternd, als Er - haltung des Dunkels aber zugleich niederhaltend, daher in ſeiner Pracht würdig erſcheint; wenn dagegen im Grünen die Gegenſätze zur Indifferenz erlöſchen, ſo leuchtet der beruhigende Charakter deſſelben ein. So kann die innige Beziehung des ganzen Spiels menſchlicher Gemüthsſtimmungen zur Farbe dem Verſtändniß nahe gelegt werden, wenn der Satz richtig iſt, daß die Farbe auf einer Einheit des Hellen und des Finſteren beruht, welche aber in der Einheit noch auseinandergehalten ſind, ſo daß in der Trennung zugleich Eins ins Andere ſcheint und die verſchiedenen Stellungen des Hellen vor das Finſtere und umgekehrt die verſchiedenen Farben geben. Dagegen legt die Undulationstheorie die verſchiedenen Farben als Wellen verſchiedener Breite und Schnelligkeit in das Licht hinüber und es ſoll nun in den verſchiedenen Oberflächen der Körper der Grund liegen, warum die - jenige Aetherſchwingung, welche die Empfindung von Roth oder Gelb u. ſ. w. hervorbringt, durch zerlegendes Zurückwerfen von einem Körper aus dem39 Lichte herausgeſtellt, die anderen Schwingungen aber, wie man bildlich ſagt, eingeſogen werden. Dabei kommt Alles auf Grade hinaus und bleibt der qualitative Unterſchied und Gegenſatz, der in den Farbenſtimmungen liegt, unerklärt. Es kommt darauf an, ob dieſe Theorie die Mittel noch finden wird, das Räthſel glücklicher zu löſen, als die erſtere. Die Aeſthetik kann ſich nicht in den Streit der Phyſiker einlaſſen, und der §., welcher beſtimmter von dem Ausdruck der einzelnen Farben reden wird, kann ſich daher nur empiriſch auf anerkannte Thatſachen des Gefühls berufen.

§. 247.