Druck von C. Krebs-Schmitt. in Frankfurt a. M.
Ein ungemeiner Reichthum lebender Weſen drängt ſich dem Blicke eines Jeden entgegen, der die Augen auf die ihn umgebende Natur lenkt. In allen Elementen, in der Luft, auf und in der Erde, in allen Tiefen des Waſſers lebt und webt es in den mannigfachſten Geſtalten. Schwärme von Inſekten und Vögeln erheben ſich auf leichten Flügeln, während andere Thiere, durch ihre Organiſation an den Boden ge - feſſelt, auf dieſem nach Nahrung umherſchweifen, oder ſelbſt unter der Oberfläche Wohnung und Unterhalt ſuchen. Jeder Baum, jeder Strauch beherbergt ſeine eigenthümlichen Gäſte, jede Erdſcholle dient belebten Thierweſen als Aufenthaltsort. Die ſüßen und ſalzigen Gewäſſer ſind erfüllt mit ſchwimmenden Thieren, mit Fiſchen, Kruſtern, Weichthieren, Infuſorien, ihr Boden überzogen von Polypen, Strahlthieren und anderen Organismen, die ein ſelbſtſtändiges Leben führen. Wie hoch der Menſch ſich auch erheben mag an den Gehängen der Gebirge, wie tief er auch ſein forſchendes Senkblei in den Ocean verſenken mag, überall findet er Spuren ſchaffenden Thierlebens, überall ſieht er ſich von be - lebten Formen umgeben, deren Mannigfaltigkeit ſeine Bewunderung erregt. Nicht minder groß iſt der Wechſel, welchen der Beobachter beim Durchmeſſen größerer Entfernungen auf der Erdoberfläche wahr - nimmt. Der Bewohner der Polargegenden findet bei uns eine durch - aus veränderte Thierwelt, er ſieht keine Robben, die zu Hunderten in dem Strahle einer kärglichen Sonne ſchlafen, keine Alke und Fett - gänſe, die in unzähligen Schwärmen an den Felſenufern ſeiner Eis - meere niſten. Der weiße Bär, der blaue Fuchs, die ungeſchlachten Walthiere haben ihn verlaſſen, ſtatt des Elenns’ und des Renns, ſieht er Hirſche und Rehe in unſern Wäldern, Schwärme von Sing - vögeln und Tauben auf unſern Feldern, andere Fiſche, andere Muſcheln in unſern Flüſſen und Meeren. Nicht minder erſtaunt der Bewohner unſerer Zone bei dem Anblicke jener tropiſchen Gegenden, die wieder1*4ganz andere Thiere in noch weit größerer Mannigfaltigkeit ihm ent - gegen tragen und durch die ſeltſamen Geſtalten, deren oft rieſenmäßige Größe und ſchimmernde Farbenpracht die Eindrücke wiederholen, welche die Ueppigkeit der tropiſchen Pflanzenwelt dem Nordländer übermächtig aufdrängt.
Es iſt natürlich, daß dieſe außerordentliche Mannigfaltigkeit der thieriſchen Weſen, welche den Erdball überall ſchmückt und belebt, von Anbeginn an die Aufmerkſamkeit der Menſchen erregen, ihre Wißbe - gierde ſtacheln mußte. Zuerſt feſſelte das Ungeheuerliche, das Bizarre, das Gewaltige ihren Geiſt und entzündete die Phantaſie zu oft ſon - derbaren Uebertreibungen. Die Leichtgläubigkeit der Menſchen war zu allen Zeiten dieſelbe, und nicht ſelten wurde das Wahre als un - wahrſcheinlich verworfen, und das offenbar Falſche als wahrſcheinlich angenommen. Je mehr ſich aber die Beziehungen zwiſchen den einzel - nen Völkerfamilien mehrten; je weiter der Unternehmungsgeiſt Ein - zelner oder ganzer Nationen nach entfernten Gegenden hin ſich aus - breitete, deſto mehr wurde auch die Wißbegierde angeſpornt, die Thier - welt jener Gegenden kennen zu lernen und mit derjenigen des Vater - landes zu vergleichen. Da es eine tiefbegründete Eigenſchaft der menſchlichen Forſchung iſt, bei unbekannten Dingen zuerſt die Aehn - lichkeit mit bekannten Dingen aufzuſuchen und ſpäter erſt auf die Unter - ſchiede aufmerkſam zu werden, ſo ſehen wir auch bei den älteren Völ - kern, daß ſie gänzlich verſchiedenen Thieren die Namen von ſolchen Geſchöpfen geben, die ihnen näher bekannt waren, und daß ſie die Unterſchiede derſelben oft nur in unbedeutenden Merkmalen ſuchen. Mit der Zeit erweitern ſich die Kenntniſſe; die Aufmerkſamkeit, die früher nur von dem Wunderbaren gefeſſelt wurde, ſteigt zu ſcheinbar unbedeutenderen Gegenſtänden herab, die Wißbegierde begnügt ſich nicht mehr mit dem, was ſie zufällig findet, ſie ſucht mit Bewußtſein auf und gibt ſich ganz ihrem Zwecke hin. Mühſelige Reiſen werden unternommen, Beſchwerden aller Art ertragen, um nicht nur die Sit - ten und Gebräuche fremder Menſchen, ſondern auch die fremder Thiere kennen zu lernen. In dem ungemein reichen Material, welches man aus allen Ecken der Erde zuſammenſchleppt, verliert ſich der Ueberblick. Man beginnt deßhalb zu ſichten und zu ordnen; man ſtellt Aehnliches zuſammen, trennt das Unähnliche von einander, oft nur nach äußern Merkmalen, die Jeder ſo wählt, wie ſie ihm am beſten zuſagen. Bald genügt die äußere Geſtaltung nicht mehr; man will tiefer in das Innere dringen; man will wiſſen auf welche Art ein abweichend geſtaltetes Thier ſeine Nahrung ſich verſchaffen, ſein5 Leben friſten könne. Man unterſucht die Structur der Organe, welche dieſen wunderbaren Thierleib zuſammenſetzen; man vergleicht die gefundene Organiſation mit derjenigen der bekannteren Thiere, man entdeckt innere Merkmale, welche geeignet erſcheinen, die mannichfaltigen Formen unter gemeinſchaftliche Geſichtspunkte unterzuordnen. Die natürlichen Hilfs - mittel des menſchlichen Körpers genügen zur Forſchung nicht mehr; man ſchärft die Sehkraft der Augen durch Lupen und Mikroskope und ſteht erſtaunt vor einer neuen Welt, deren Kleinheit ſie bisher dem Auge entzog. Unermüdlich und raſtlos dringt man weiter auf den ge - öffneten Wegen, hier ſuchend und forſchend, dort ordnend und ein - reihend. Von dem kleinſten Thiere will man wiſſen, wie es entſtehe, lebe, ſich fortpflanze und zu Grunde gehe; jedes bekannte Geſchöpf will man neben ſeinen Nachbarn und natürlichen Verwandten einreihen in das Regiſter, welches nach ſtreng geſetzmäßigen Normen die Namen und deren Bedeutung aufnimmt. Ein neues Feld eröffnet ſich. In den Tiefen der Erde, in den Schichten der Felſen hat man eine Menge von verſteinerten Körpern gefunden, deren Aehnlichkeit mit Schnecken und Muſcheln, mit Knochen und Gehäuſen ſie anfänglich für Naturſpiele halten läßt, bis man entdeckt, daß die Reſte untergegangener Schöpfungen hier der zerſtörenden Kraft von Jahrtauſenden entgangen ſind und daß es nur der genauen Unterſuchung der jetzt lebenden Thiere bedarf, um dieſe längſt vernichteten Geſchöpfe vor unſerm geiſtigen Auge wieder erſtehen zu laſſen und ſie ihren Verwandten näher zu bringen.
Wir ſind an der Aufgabe der heutigen zoologiſchen Wiſſenſchaft angelangt. Sie ſoll uns die unendliche Mannichfaltigkeit der thieri - ſchen Formen, welche den Erdball jetzt bevölkern und früher bewohn - ten, vor die Augen führen; nicht in einem ungeordneten Haufen, aus dem nur hie und da eine auffallende Geſtalt hervorſieht, ſondern wie ein wohlgeordnetes Heer, deſſen einzelne Waffengattungen in be - ſtimmter und geſchloſſener Reihe vorüberziehen, ſo daß die Eigenthüm - lichkeiten eines jeden Gliedes bemerkt, kritiſch unterſucht und gewürdigt werden können; ſie ſoll uns zeigen, wie dieſe verſchiedenen Gruppen in ihrem Junern geſtaltet, wie dieſe Organismen beſchaffen ſind und in wel - chem Verhältniß dieſe Beſchaffenheit zu derjenigen anderer Gruppen ſteht; ſie ſoll uns die Geſchichte eines jeden klar machen, von ſeiner erſten Entſtehung an bis zu ſeiner Auflöſung in die Elemente; ſie ſoll end - lich die Gräber aufdecken und zeigen, welche Verwandte, welche Ah - nen in unendlichen Generationsfolgen in den Schichten der Erde begra - ben liegen. Es iſt wahrlich nicht die trockene Aufzählung der Thiere und ihrer äußern Merkmale, welche das letzte Ziel der zoologiſchen Wiſſen -6 ſchaft bildet! Dieſe ſoll vielmehr ein Bild geben vonder Art und Weiſe, wie das Leben in den verſchiedenen Organismen ſich geſtaltet und wie es von den unſcheinbarſten Anfängen in mannichfaltige Blüthen - zweige ausſtrahlt, um in der Krone aller Geſchöpfe, dem Menſchen, ſeinen jetzigen Endpunkt zu finden. Die Zoologie begnügt ſich nicht mehr mit jenen Kenntniſſen, welche die ſyſtematiſche Zoologie bilden, ſie bleibt nicht mehr bei Haaren und Zähnen, Klauen und Federn, Beinen und Kiemen ſtehen, zufrieden Kennzeichen entdeckt zu haben, welche die Einreihung in das Syſtem möglich machen; ſie verlangt von der vergleichenden Anatomie die Zerlegung des Thierleibes, die Kenntniß der einzelnen Organe und ihrer feinern Structur; von der vergleichenden Phyſiologie die Ergründung der Func - tionen, welche dieſe Organe ausüben und der Art und Weiſe, wie dieſe verſchiedenen Functionen zu einem Ganzen zu der Erhaltung des Lebens zuſammenwirken; ſie will durch die vergleichende Ent - wickelungsgeſchichte erfahren, welche Reihen von Umwandlungen jedes Thier durchlaufen muß, welche verſchiedene Formen es nachein - ander annimmt, bis es das Ziel ſeines Lebens erreicht hat; die Palä - ontologie oder Verſteinerungskunde endlich ſoll ebenfalls ihren Tribut bringen, indem ſie aus den verſteinerten Reſten ausgeſtorbener Thiergeſchlechter die Geſtalten zuſammenſetzt, welche früher die Ober - fläche der Erde bevölkerten. Wenn ſo die Zoologie nach allen Rich - tungen hin die einzelnen Theile ihres Gebietes kennen gelernt hat, ſo fragt ſie nach den Geſetzen, welche die Vertheilung der thieriſchen Organismen über die ganze Erde regeln; ſie ſucht die Wohnbezirke zu umgränzen, welche jeder einzelnen Art eigenthümlich ſind und er - fährt durch die zoologiſche Geographie, welche Bedingungen des Klimas, des Bodens u. ſ. w. erfüllt werden müſſen, um dieſer oder jener Art das Leben möglich zu machen.
Ich mache in den nachfolgenden Blättern den Verſuch, dieſes außerordentlich weitſchichtige Gebiet mit meinen Leſern zu durchſtreifen. Schon aus dem Umfange der Arbeit ergibt ſich, daß es unmöglich wäre, auf das Einzelne einzugehen. Nur die größern und größten Gruppen können genauer in das Auge gefaßt und ihrem Weſen nach verſtändlich gemacht werden. Der Leſer wird mit dieſem Buche in der Hand nicht dieſen oder jenen Käfer beſtimmen und den ihm von den Zoologen gegebenen Namen auffinden können; — kaum wird es ihm möglich ſein, ſeine Schmetterlings - oder Muſchelſammlung einiger - maßen darnach zu ordnen und in die ſyſtematiſchen Gruppen zu ver - theilen. Das Ziel, das ich mir geſteckt habe, iſt ein anderes; ich7 hoffe der Leſer ſoll, nachdem er dieſes Buch aufmerkſam geleſen und ſich mitſeinem Inhalte vertraut gemacht hat, wiſſen, was ein Inſekt, eine Qualle, ein Fiſch, ein Säugethier iſt, wie die Lebensverrichtungen der Thiere zu Stande kommen, auf welche Weiſe ſie ſich von andern Thieren unterſcheiden und welche Stelle ſie in dem Bilde einnehmen, welches die Thierwelt vor uns aufrollt. Die Wiedergabe eines ſolchen unermeßlichen Bildes in ſo kleinem Rahmen, wie der unſrige, kann nur in ähnlicher Weiſe erreicht werden, wie bei einem Landſchafts - bilde, wo die einzelnen Blätter und Grashalme, Steinchen und Waſ - ſertropfen verſchwinden, aber Wald und Wieſe, Fluß und Hügel, Berg und Thal dem Beſchauer dennoch aus gewiſſer Ferne entgegen treten.
Wenn jemals, ſo darf ich ſagen, daß ich mit Luſt und Liebe an dieſem Bilde gemalt habe, das mir in ſeinen erſten Umriſſen ſchon vorſchwebte, als ich das Gebiet der Wiſſenſchaft betrat und deſſen einzelne Parthieen ich ſtets durch eigene Beobachtung und das Stu - dium Anderer zu vervollkommnen geſucht habe. Nach dem traurigen Mißlingen der deutſchen Revolution, die ſich hoffentlich bald wieder glänzender aus ihrer Aſche erheben wird, kann ich einem Miniſterium des liberalſten Sinnes nur dankbar ſein, wenn es mich für unwürdig erklärt, der zum Dienſte eines chriſtlich-germaniſchen Duodez-Staates be - ſtimmten ſtudirenden Jugend Naturgeſchichte vorzutragen, und der fort - ſchreitenden Reaction darf ich zutrauen, daß ſie durch ſtete Verſchlimme - rung der unleidlichen Zuſtände Deutſchlands nicht den Wunſch in mir aufkommen läßt, während der Ausarbeitung meines Werkes die freie Luft der Schweiz mit der Schwüle meines Geburtslandes zu vertauſchen. Ich bin dadurch in den Stand geſetzt, einen Lieblingsgedanken auszu - führen, den ich ſeit langer Zeit hegte.
Zweck und Plan des Buches habe ich ſchon angedeutet. Ich wollte, ſo viel an mir, den Grundplan verſtändlich machen, nach welchem das Thierreich in ſeinen verſchiedenen Richtungen ſich darſtellt und in früheren Perioden der Geſchichte unſeres Erdballs ausgebildet hat. Die einſeitige Kenntniß der lebenden Thiere würde hierzu nicht ge - nügt haben — der innere Zuſammenhang der einzelnen Gruppen, die Verbindung ſo mancher, ſcheinbar iſolirt ſtehender Typen wird erſt erſichtlich, wenn auch die früheren Bewohner unſeres Planeten in Be - rückſichtigung gezogen werden. Jede Naturgeſchichte des Thierreiches, welche nur die lebende Schöpfung zuſammenfaßt, bleibt Flickwerk. — Ich habe demnach die foſſilen Thierreſte, die Verſteinerungen in dem - ſelben Umfange und mit derſelben Gleichberechtigung behandelt, wie die lebenden Thiere.
8Die Entwicklung der einzelnen Typen des Thierreiches kann nicht aus den äußeren Formen, nicht aus den dürftigen Notizen über den inneren Bau, die man in den meiſten Schulbüchern oder populären Naturgeſchichten findet, noch weniger aus den ſtets wiedergekäuten amüſanten Hiſtörchen alter und neuer Scharteken erkannt werden. Das Leben der Thiere kennt für alle Erſcheinungen die es bietet, nur zwei große Triebfedern, welche alle Kräfte und Fähigkeiten in Bewe - gung ſetzen, die Erhaltung des Individuums und die Erhaltung der Art — Ernährung und Fortpflanzung. Beide Seiten des Thierlebens forderten gleiche Sorgfalt der Behandlung. Es war unvermeidlich, bei Beſprechung der letzteren Seite auf manche Organe und Functionen einzugehen, welche eine, meines Erachtens höchſt übel angebrachte Prü - derie aus den meiſten Lehrbüchern der Naturgeſchichte verbannt hat. Die unbefangene, einfache Behandlung dieſer Verhältniſſe ſcheint mir zweckmäßiger, als die reizende, gefliſſentliche Verhüllung. Bei dem heutigen Stande der Wiſſenſchaft, welche den Bau ihres Syſtemes, die Erkenntniß der Verwandtſchaft zwiſchen den einzelnen Gruppen und Typen weſentlich auf die Entſtehungsgeſchichte der Thiere im Ei, von dem erſten Augenblicke ihres Keimens an, und auf die Verwand - lungen, welche ſie im Leben erleiden, ſtützt, iſt es unmöglich, eine klare Einſicht in die Thierwelt zu verſchaffen, wenn man dieſe Entſtehungs - geſchichte zur Seite läßt. — Ich habe alſo die Zeugungs - und Ent - wicklungsgeſchichte der Thiere, die vergleichende Embryologie, über die man ſonſt nur ſpärliche Notizen findet, mit beſonderer Aufmerk - ſamkeit behandelt.
Zur Verſinnlichung des Abgehandelten waren Figuren nothwen - dig. Der Leſer wird der Verlagshandlung dankbar ſein können für die reiche Ausſtattung, welche ſie gewährte. Dieſelbe würde noch voll - ſtändiger in Beziehung auf die Verſteinerungen geworden ſein, wenn ein anderer Buchhändler, in deſſen freundſchaftliche Beziehungen zu mir die politiſchen Ueberzeugungen ſtörend eingegriffen zu haben ſchei - nen, nicht ſtillſchweigend die Mittheilung der Holzſchnitte eines meiner eigenen Werke verſagt hätte, zu welchen ich ſelbſt vor mehren Jah - ren die Zeichnungen gefertigt hatte.
Bern am 1. September 1850.
Die naturwiſſenſchaftlichen Kenntniſſe des ganzen Alterthums, ſo wie eines großen Theiles des Mittelalters finden in dem einzigen großen Naturforſcher Griechenlands, in Ariſtoteles, ihren gemeinſamen Sammelpunkt. Der Vater der Naturgeſchichte faßte Alles zuſammen, was von früher erbeuteten Kenntniſſen ihm vorlag, fügte einen unge - meinen Reichthum höchſt genauer und oft erſt in der ſpätern Zeit be - ſtätigter Beobachtungen hinzu und wurde für die Scholaſtiker des Mittelalters ſowohl, wie für die geiſtloſen, alles wiſſenſchaftlichen Sin - nes entbehrenden Römer, gleichſam der Codex, zu welchem die Gloſſen - fabrikanten jener troſtloſen Perioden Erläuterungen und Anmerkungen fertigten. Ariſtoteles trug zuerſt das Scalpell in den Körper der Thiere; er unterſuchte ihren Bau und faßte ſie zuweilen nach gewiſſen Aehnlichkeiten zuſammen, die meiſtens von der innern Organiſation hergenommen ſind. Einen großen Werth legte Ariſtoteles auf die Er - zeugungs - und Fortpflanzungsweiſe der Thiere und gar manche cha - rakteriſtiſche Eigenthümlichkeiten, die er in dieſer Hinſicht beſonders von Seethieren anführt, erhielten erſt in der neueſten Zeit ihre voll - kommene Beſtätigung. Die Beſchreibung der äußeren Charaktere bleibt ihm nur Nebenſache; er bedient ſich der allgemein angenommenen Na - men in der Vorausſetzung, daß dieſelben allgemein verſtändlich ſeien und fügt nur dann einige hervorſtechende Merkmale kurz an, wenn er Mißverſtändniſſe vermeiden oder größere Gruppen bezeichnen will. Die große und einfache Naturanſchauung der Griechen weht durch dieſes Werk, ein Erzeugniß außerordentlichen Fleißes und jahrelanger Anſtrengungen. Keine läppiſchen Unterſuchungen über den Zweck, welchen ein fingirter Schöpfer mit dieſem oder jenem Thiere oder gar Thier - theile habe erreichen wollen, ſondern eine einfache, nüchterne Darſtellung der Thatſachen und der aus ihnen hervorgehenden Schlüſſe. Aber auch kein ſyſtematiſch trockenes Gebäude, in welches die Beobachtungen oft mit Zwang und indem man ihnen Gewalt anthut, eingereiht werden; ſon -10 dern nur hie und da Andeutungen von Abgränzungen, welche für die Betrachtung dieſes oder jenes Organes bei beſtimmten Gruppen von Wichtigkeit erſcheinen. Die Hülfsquellen, welche dieſem außerordent - lichen Manne durch ſeinen Schüler, Alexander den Großen von Ma - cedonien, zu Gebote geſtellt wurden, ſollen ungemein geweſen ſein; indeß beruhen doch die weſentlichſten Thatſachen, die Ariſtoteles anführt, auf dem kleinen Kreiſe des griechiſchen Archipelagus und der Küſten, welche den öſtlichen Theil des Mittelmeeres begränzen.
Wir können füglich eine lange Periode überſchreiten, in welcher abſtrakte philoſophiſche Theorieen, kritikloſe Compilationen oder trockene ſcholaſtiſche Uebungen das Weſen der Naturwiſſenſchaften bildeten. Die ganze lange Zeit, welche ſich von dem Verfall des griechiſchen Alterthums durch das Mittelalter hinzieht, zeigt keinen Mann und kein Werk auf, das nur des Erwähnens werth wäre. Die fortſchreitende Ausbreitung des Chriſten - thums tödtete, wie jede andere Wiſſenſchaft, ſo auch vor Allem die Na - turlehre, welche ihm nothwendig feindlich gegenübertreten mußte. Erſt in der zweiten Hälfte des 16ten Jahrhunderts, wo der freie Gedanke ſich wieder Bahn zu brechen begann, erſcheinen Männer, welche ſelbſt - ſtändig zu beobachten und die Beobachtungen ihrer Zeitgenoſſen über - ſichtlich zu ordnen verſtehen. Die Periode der Wiedergeburt beginnt zum Theil mit naiven Menſchen, welche eine reine Liebe zur Natur und deren Wundern beſitzen und zwar nicht ganz frei von Vorurtheilen, mit einer gewiſſen religiöſen kindlichen Andacht, den Zeitgenoſſen die Reſultate ihrer Studien mittheilten. Die menſchliche Anatomie bahnte die Wege, während zugleich Männer wie Geßner, Aldrovandi das ganze Gebiet der Thierwelt zu umfaſſen ſtrebten. Die wiſſenſchaft - lich ſtrenge Methode, welche zuerſt in der Aſtronomie angewandt wurde, wird allmählig in die Naturgeſchichte übertragen. Mit unglaublicher Geduld und ſcharfſinniger Geſchicklichkeit zerlegt Swammerdamm die kleinſten Inſekten und weiſt ihre Verwandlungen und Metamorphoſen nach, während kurz darauf ein ordnender, intelligenter Geiſt, Ray, dem Vater der heutigen Zoologie, Linné, die Wege bahnt. So man - nichfachen Reiz auch dieſe Periode der Vorbereitung haben mag, indem hier namentlich beobachtet werden kann, wie nur langſam die voran - ſtrebenden Geiſter die Feſſeln brechen können, welche religiöſer Aber - witz und ſcholaſtiſche Spitzfindigkeit Jahrhunderte hindurch geſchmiedet haben, ſo finden wir doch hier nur geringe Ausbeute, da die ſpätere Zeit die Früchte der Kämpfe aufnahm und nützte, während ſie das ver - altete Kriegsmaterial als unbrauchbar verwarf.
Der außerordentliche Einfluß, welchen Linné, der im Beginne11 des achtzehnten Jahrhunderts geboren wurde, als Geſetzgeber der zoo - logiſchen Wiſſenſchaft ausübte, beruht weniger auf der von ihm ein - geführten Claſſification und dem Werthe der einzelnen Abtheilungen, die er darin feſtſetzte und die durch die ſpäteren Forſchungen mannig - fach abgeändert wurden, als vielmehr auf dem ſtreng logiſch durchge - führten Syſteme der Benennung und Eintheilung, welches er zuerſt aufſtellte und das ſeither unverändert geblieben iſt. Die einfachen Namen, welche der gewöhnliche Sprachgebrauch für die ihm bekannten Thiere wählt und die bisher von den Naturforſchern ebenfalls benutzt worden waren, genügten für eine ſyſtematiſche Zuſammenſtellung nicht, welche das Aehnliche nähern, das Unähnliche entfernen wollte. Jeder - mann weiß, daß der Hund und der Wolf, die Katze und der Tiger, der Eſel und das Pferd eine bedeutende Summe von Merkmalen mit - einander gemein haben und Aehnlichkeiten beſitzen, welche ſich durch die gebräuchlichen Namen nicht errathen laſſen. Linné führte alſo die doppelte Namengebung, das Syſtem der binären Nomenclatur, ein; ganz in ähnlicher Weiſe wie mit zunehmender Civiliſation auch unter den menſchlichen Völkern der doppelte Name Regel ward. So wie wir das Individuum durch ſeinen Taufnamen unterſcheiden, wäh - rend wir durch den Familiennamen die Herkunft deſſelben bezeichnen, ſo bezeichnet Linné gewiſſermaßen durch einen Taufnamen, der meiſtens von einem hervorſtechenden äußern Merkmal hergenommen iſt, die Art, und durch einen vorgeſetzten Namen die Beziehungen dieſer Art zu ver - wandten Thieren, welche mit ihm eine Gattung (Genus) bilden. So heißen ihm alle hundeartigen Thiere Canis, alle katzenartigen Felis, alle pferdeartigen Equus; der Haushund erhält einen Beinamen: fa - miliaris, der Wolf einen andern: lupus; die Katze heißt: Felis catus, der Tiger: Felis tigris; das Pferd: Equus caballus, der Eſel: Equus asinus.
Die Individuen verſchwinden für den Zoologen und wenn es auch eine Wahrheit iſt, daß das ganze Thierreich nur aus einzelnen Individuen zuſammengeſetzt iſt, ſo lehrt doch ſchon der natürliche Ver - ſtand, daß wir alle diejenigen Individuen, welche einander bis auf einen gewiſſen Grad ähnlich ſind, in unſern Bezeichnungen zuſammen faſſen. Der Name Wolf z. B. iſt ſchon gewiſſermaßen eine Abſtrak - tion, unter welcher wir alle diejenigen Thiere vereinigen, welche die eigenthümliche Farbe, Behaarung, Gebiß, Fußbildung, kurz alle jene charakteriſtiſchen Kennzeichen des Wolfes gemeinſam haben — Kennzeichen, die ſo ſehr in die Augen fallen, daß ſelbſt ein Kind, welches einmal einen Wolf geſehen hat, ein anderes Individuum unmittelbar wieder als Wolf wiedererkennen wird. Eine weitere Abſtraktion iſt diejenige,12 welche auf den Linné’ſchen Genus - oder Gattungsnamen führt. Die Vergleichung des Eſels und Pferdes z. B. bietet bei großen Ver - ſchiedenheiten in der Behaarung, in der Geſtalt des Körpers, der Ohren, des Schwanzes, eine außerordentliche Summe verſchiedener Merkmale dar, welche auf das Engſte mit einander übereinſtimmen, wie z. B. die Geſtalt und Bildung der Hufe, der Zähne u. ſ. w., ſo daß ſich eine Verwandtſchaft herausſtellt, die ebenfalls Jeder auf den erſten Blick fühlt, eine Verwandtſchaft, welche von Linné in dem erſtgenannten Gattungsnamen ihren Ausdruck erhielt.
Mit dieſer ſo einfachen und ſo bequemen Benennungsweiſe ver - einigten die Linné’ſchen Arbeiten einen Grad von Genauigkeit, Klar - heit und Kürze in der Aufzählung der charakteriſtiſchen Kennzeichen der Thiere, der von keinem ſeiner Nachfolger erreicht wurde. Er verglich die Beobachtungen ſeiner Vorgänger, ſtellte größere Gruppen auf, die er ſcharf nach äußern und innern Merkmalen ſchied und ent - wickelte eine ungemeine Thätigkeit, ſowohl ſelbſt als auch namentlich durch ſeine Schüler, welche ſich über die ganze damals bekannte Erde zerſtreuten und ihrem Meiſter Materialien zur Vervollſtändigung ſeines Syſtems ſammelten. Trotz des Einſpruches, den namentlich Buffon von Anfang an gegen die claſſificirende Methode Linné’s erhob, wur - den dennoch die einfachen Grundſätze des ſchwediſchen Naturforſchers bald ſo allgemeine Regel, daß Jeder, der geleſen und verſtanden ſein wollte, ſich der Linné’ſchen Sprache bedienen mußte. Die Bezeichnungs - art, welche er einführte, iſt in der That bis auf heute geblieben und kann um ſo weniger geändert werden, als ſie das alleinige Mittel bleibt, die Forſcher verſchiedener Länder in Uebereinſtimmung zu bringen.
Während mit Linné und von ihm aus ſich eine Schule der Syſtema - tiker entwickelte, welche oft in dürren Formelkram verſank und ihre Wißbegierde vollkommen befriedigt fühlte, wenn ſie ein neu bekannt gewordenes Thier in den Katalog regiſtrirt hatte, bildeten ſich auf der andern Seite einige Männer hervor, welche beſonders auf das Leben und Verhalten der kleinern Thiere ihre Aufmerkſamkeit richteten und mit unendlicher Geduld die Sitten und den Haushalt derſelben ſtudirten. Réaumur, Röſel, de Geer etc. beſchäftigten ſich beſonders mit dieſen zeitraubenden Beobachtungen und lieferten dadurch den Sy - ſtematikern vortreffliche Grundlagen zu ſpäterer Verbeſſerung ihrer Gebäude und Fachwerke.
Auch eine ariſtokratiſche Richtung der Wiſſenſchaft ſollte in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nicht fehlen. Buffon war13 ein abgeſagter Feind jeder Claſſiſication; er ſah geringſchätzig herab auf die plebejiſchen Mühen von Réaumur und Andern, welche mit ſo gemeinem Zeuge wie Mücken und Schmetterlingen ihre Zeit füllten. Durch fein geglättete und pomphafte Beſchreibungen ſuchte der Herr Graf unter der Ariſtokratie einen gewiſſen nobeln Dilettantismus zu wecken, der in der That die beſten Früchte für die Vermehrung der Pariſer Sammlungen brachte. In magnifiquen, hochtönenden Phra - ſen beſchrieb Buffon die höhern Thiere, Säugethiere und Vögel, ihre Sitten und Haushalt, ohne Ordnung, ohne inneren Zuſammenhang, je nachdem ihm dieſer oder jener Stoff geeigneter ſchien, ſeinen Styl daran glänzen zu laſſen. Er gehört jetzt nur noch der Literatur-Ge - ſchichte als franzöſiſcher Schriftſteller an und ihm iſt es hauptſächlich zuzuſchreiben, wenn die hauptſächlichſten Beſtrebungen jener Zeit ſich mehr auf die höhern und brillanten Claſſen, auf die Säugethiere und Vögel einerſeits und die Inſekten andererſeits lenkte. So darf es denn auch nicht wundern, wenn dieſe Claſſen vorzüglich in ihrer Bearbei - tung vorſchritten und die damals angenommenen Syſteme ſich den jetzigen ſehr näherten, während die übrigen Claſſen, beſonders die Weichthiere und die Meeresbewohner faſt nur als Ballaſt nachgeführt wurden.
Während für Linné das Syſtem und deſſen methodiſche Anord - nung nur ein Mittel geweſen war, ſo wurde es ſeinen oft geiſtloſen Nachfolgern meiſt Zweck, und ihre Claſſificationen, ſtatt die Geſammt - organiſation der Thiere im Auge zu behalten, klammerten ſich oft ängſtlich an untergeordnete äußere Merkmale an. Ein trockenes For - melweſen breitete ſich immer mehr und mehr in der Wiſſenſchaft aus und drängte das friſche Leben zurück, welches unter Linné’s Anregung das Syſtem durchſtrömt hatte. Der Zopf welcher vor der franzöſi - ſchen Revolution im politiſchen Leben herrſchte, wuchs auch in der Wiſſenſchaft rieſengroß, und es drohte eine Zeit der Verödung, die glücklicher Weiſe durch den erfriſchenden Hauch der franzöſiſchen Re - volution überwunden wurde.
Die franzöſiſche Revolution, die alle Geiſter ſo mächtig erſchütterte und überall neue Bahnen eröffnete, brachte auch neue Richtungen in der zoologiſchen Wiſſenſchaft hervor. Cuvier hatte die Lücken ent - deckt, welche die Naturgeſchichte der Thiere bot, und indem er während einer langen Reihe von Jahren beſonders die Anatomie der vernach - läſſigten Claſſen förderte, ſtellte er neue Grundlagen für die Claſſifi - cation der geſammten Thierſchöpfung her. Die vergleichende Anatomie als Grundlage der Zoologie wurde jetzt in allen Ländern mit außer -14 ordentlichem Eifer betrieben. Man beſuchte die Seeküſten, um den Bau der Organismen des Meeres in friſchem Zuſtande zu unterſuchen, und je tiefer man in die Organiſation dieſer niederen Thiere eindrang, deſto überraſchendere Ergebniſſe hatte man zu berichten. Während ſo die Kenntniß der niedern Thiere raſch gefördert wurde, bahnte Cuvier zugleich einen neuen Weg durch Unterſuchung der Knochenreſte, welche die Schichten der Erde einſchließen. Durch die genaueſten Vergleichun - gen der einzelnen Fragmente mit den Skeletten jetzt lebender Thiere, gelang es ihm die vorweltlichen Säugethiere und Reptilien meiſt in ihren wahren Formen wieder herzuſtellen, ihre Beziehungen zu der jetzigen Schöpfung aufzuklären und hierdurch den wichtigſten Einfluß auf ein ſtrenges und nachhaltiges Studium der Thatſachen zu üben. Umfaſſende und genaue Beobachtung des Baues der Thiere bis in ſeine größten Einzelnheiten und ſeine letzten Geſtaltungseigenthümlich - keiten, kritiſche Lichtung und Vergleichung der Arbeiten der Vorgänger und unmittelbares Feſthalten an den beobachteten Thatſachen, waren weſentliche Eigenthümlichkeiten der Cuvier’ſchen Richtung. Cuvier ſelbſt war ein ſtreng methodiſcher, aber knapper Geiſt, der niemals den Boden der Thatſachen verließ, durch keine Spekulation die Lücken der Beobachtung zu erſetzen ſuchte, wohl aber ein reiches Material mit vieler Klarheit zu ordnen und zu beherrſchen wußte.
Es war natürlich, daß neben der Richtung Cuvier’s, die ſich durch das ſtrenge Feſthalten an den Thatſachen auszeichnete, eine mehr idealiſtiſche Schule ſich entwickelte, welche die Thiere nicht nach Merk - malen, ſondern nach den Prinzipien ordnen wollte, in deren Befol - gung die Natur die thieriſchen Organismen überhaupt hervorgebracht hätte. Begreiflicherweiſe trugen die Natur-Philoſophen dieſe Prin - zipien von ſich aus in die Natur hinein, anſtatt ſie aus den Thatſachen hervorgehen zu laſſen, welche nur Nebenſache, gleichſam nur Verbrämung des philoſophiſchen Fachwerkes waren, nach welchen ſie ſich die Natur zuſchnitten. Die beiden ſo gänzlich in ſich verſchie - denen Tendenzen ſtießen bald mit äußerſter Heftigkeit aufeinander, und während die Schlachtfelder Europa’s vom Donner der Geſchütze wider - hallten, war ein nicht minder heftiger Streit zwiſchen den beiden wiſſenſchaftlichen Heeren entbrannt, an deren Spitze einerſeits Cuvier, Meckel, Rudolphi und Tiedemann, andererſeits Geoffroy St. Hilaire, Schelling und Oken fochten. Wie jeder Kampf, ſo förderte auch dieſer ungemein dadurch, daß die Gegner von beiden Seiten ſoviel Material als möglich herbeiſchafften, um ihre Widerſacher zu vernichten, und15 daß die gegenſeitige Kritik die Beobachtungen ſichtete und ihren that - ſächlichen Werth feſtſtellte.
Wir ſind mit dieſem Kampfe in die neuere Zeit hinübergetreten. Die letzten Nachklänge deſſelben hallen noch hie und da wieder; ver - einzelt trifft man noch zuweilen Ruinen aus der naturphiloſophiſchen Schule, welche die Natur in die engen Schranken ihres Kopfes zwän - gen möchten. Die thatſächliche Richtung hat offenbar den Sieg davon - getragen und es iſt nicht zu läugnen, daß die weſentlichſten Fortſchritte der Wiſſenſchaft hauptſächlich auf ihr beruhen. Die Claſſification, das Syſtemmachen, obgleich noch hie und da eifrig gepflegt, ſteht im Hin - tergrunde; — man hat eingeſehen, daß jede Claſſification theils nur ein Mittel iſt, unſere Kenntniſſe überſichtlich zu ordnen und ſich in dem Labyrinthe zurecht zu finden, theils auch wieder ein Ausdruck dieſer Kenntniſſe, in welchem die vergleichende Beobachtung ihre Re - ſultate kund gibt. Der Forſcher, der neue Seiten einem beobachteten Körper abgewinnt, drückt dieſelben gleichſam im Lapidarſtyl durch Veränderung des Syſtems an der betreffenden Stelle aus, und wäh - rend ſo das Gebäude im Ganzen ſeit Cuvier’s Zeiten dasſelbe geblieben iſt, ſo dürfte kaum eine Stelle zu finden ſein, die nicht mehr oder minder durchgreifend verändert worden wäre.
Als Ausläufer des Kampfes zwiſchen der naturphiloſophiſchen und realiſtiſchen Richtung ſtellt ſich in der ſyſtematiſchen Zoologie weſentlich die verſchiedenartige Tendenz der Gruppirung dar. Die Einen behaup - ten, das Thierreich bilde eine lange und ununterbrochene Reihe, nach ein - heitlichem Plane gebaut, wo immer ein Weſen vollkommener ſei als das andere, ſo daß von den niedrigſten Infuſionsthierchen bis zu dem Menſchen eine Kette aus zuſammenhängenden Gliedern ſich fortziehe. Derſelbe gemeinſame Plan der Organiſation liege dem Baue aller thieriſchen Organismen zu Grunde, und je nach der Entwickelung der einzelnen Organe, aus welchen der Thierleib zuſammengeſetzt ſei, könne man die Rangſtufe beſtimmen, auf welche jeder Organismus geſtellt werden müſſe.
Andere behaupten, dem Baue der Thiere liegen im Gegentheil mehre verſchiedene Urplane zum Grunde. Es ſei zwar vollkommen richtig, daß in kleinen Gruppen, welche nach demſelben Typus gebaut ſeien, ſich auch eine Ueberordnung, eine allmählige Vervollkommnung erkennen laſſe, für das Ganze ſei dies aber nicht richtig, indem jeder Typus ſich zu einer eigenthümlichen Stufe der Vollkommenheit erhebe und von ſeinem Gipfelpunkte aus kein Uebergangspunkt zu der Grund -16 lage des nächſten Typus ſtattfinde. Wir werden Gelegenheit haben die letztere Meinung noch weitläufiger auseinanderzuſetzen.
Wenn man früher ſich weſentlich an die äußern Charaktere der Thiere gehalten hatte, ſelbſt ſo ſehr, daß Linné vielen Spott erdulden mußte, als er die Ordnungen der Säugethiere auf den Bau der Zähne gründete (einer ſeiner Gegner warf ihm vor, Adam habe bei der Namengebung im Paradieſe den Thieren das Maul nicht aufgeriſſen, um nach den Zähnen zu ſchauen); wenn dann durch Cuvier’s und ſeiner Nachfolger Beſtrebungen die Claſſification hauptſächlich auf die innere Organiſation, auf den Bau der Organe im erwachſenen Thiere und auf die Beziehungen der Letzteren zu einander gegründet wur - den, ſo bricht ſich jetzt eine neue Richtung Bahn, auf deren Ent - wickelung die Revolution von 1848 vielleicht beſtimmt iſt einen ähn - lichen befruchtenden Einfluß zu üben, wie diejenige von 1798 auf die Cuvier’ſche. Hat man doch überall bemerkt, daß durch politiſche Stürme die mächtigſte geiſtige Anregung erzielt wird, die ſich auf andere Gebiete, der Kunſt und der Wiſſenſchaft, des Handels und der Induſtrie wirft, ſobald ihr dasjenige des politiſchen Handelns ver - ſchloſſen wird.
Die Entwickelungsgeſchichte der thieriſchen Weſen beginnt allmäh - lig den Platz einzunehmen, welchen erſt die äußern Charaktere, ſpäter die innere Organiſation der erwachſenen Thiere behauptete. Wenn man ſchon früher gewußt hatte, daß die äußeren Umwandlungen, welche viele Thiere während ihres Wachsthums erleiden, oft in dem Maße durchgreifend ſeien, daß man das Thier in ſeinem Jugendzu - ſtande durchaus nicht zu erkennen vermöge (ich erinnere hier nur an die Raupe und den Schmetterling, an die Kaulquappe und den Froſch) ſo lehrten die umfaſſenden Beobachtungen der Neuzeit, daß gemeinſame Typen vorhanden ſeien, nach welchen ſich die Embryonen aus dem Ei entwickeln und daß den Metamorphoſen, welche die Thiere wäh - rend ihres Lebens erleiden, Geſetze zum Grunde liegen, welche zu - gleich für die Ausbildung der geſammten Schöpfung, wie auch für die Aufeinanderfolge der früheren Erdſchöpfungen maßgebend ſeien. Die Entwickelungsgeſchichte beſtätigte es, daß verſchiedene Typen der allgemeinen Organiſation vorhanden ſeien, welche in aufſteigender Richtung ſich entwickelten, und daß dieſe Typen unter ſich keinen nähern Zuſammenhang zeigten, indem die urſprünglichen Anlagen des wer - denden Thieres ſchon bei ihrem erſten Auftreten nichts Gemeinſames zeigten. Es gelang bei einzelnen Claſſen nachzuweiſen, daß das voll - kommnere Thier während ſeiner Jugendzuſtände, von der Entwicklung17 aus dem Eie an, gewiſſe Stufen der Organiſation durchlaufe, welche den Bildungsſtänden, in denen die niedern Thiere desſelben Typus verhar - ren, parallel gehen, ohne jemals eine völlige Gleichſtellung zu erreichen. Man kann in der That nachweiſen, daß der Embryo eines Säugethieres z. B. in früheſter Zeit gewiſſe Organiſationseigenthümlichkeiten beſitzt, welche nur den Fiſchen und auch dieſen nur auf der niedrigſten Stufe zukommen; man kann nachweiſen, daß die allmählige Ausbildung des jungen Säugethieres Stadien durchläuft, welche der Ausbildung der erwachſenen Amphibien entſprechen. Die Vertheidiger der ununter - brochenen Reihe in der Thierwelt haben ſogar behauptet, dieſe Aehn - lichkeit gehe bis zur vollſtändigen Identität und das werdende Säuge - thier ſei in ſeinem erſten Entwickelungszuſtande Infuſionsthierchen, Wurm, Weichthier, Fiſch u. ſ. w. Dieſe Behauptungen überſchreiten die Grenzen der Wahrheit. In der Entwickelung eines jeden Thieres läßt ſich von Anfang an mit Sicherheit neben dem allgemeinen Grund - plane, wonach das Thier dieſem oder jenem größeren Organiſationstypus angehört, die ſpecielle Richtung ſehr wohl erkennen, nach welcher hin ſeine Ausbildung fortſchreiten wird und wenn auch der Säugethierembryo in ſeinen Anfängen fiſchähnliche Ausbildung mancher Organe zeigt, ſo iſt doch niemals ſeine Geſammtorganiſation derjenigen eines Fiſches gleich oder ein ſelbſtſtändiges Leben für ihn in dieſem Zuſtande der Ausbildung möglich. Der Embryo des vollkommneren Thieres durch - läuft daher in ſeiner Entwickelung zwar Bildungsmomente, welche denjenigen der niedern Thiere desſelben Typus analog ſind, niemals aber iſt ſeine vorübergehende Organiſation vollkommen gleich derjenigen der niederen Thiere in ihrem erwachſenen Zuſtande.
Noch mehr der Wahrheit entgegen iſt es, wenn man, auf un - genaue Beobachtungen geſtützt, behauptet, die vollkommenen Thiere durchliefen in ihrer Entwickelung Zuſtände, welche den erwachſenen Thieren anderer Grundtypen analog ſeien; — wenn man, wie die An - hänger der ununterbrochenen Stufenleiter in der Schöpfung es oft thaten, z. B. behauptet, der Vogel ſei während ſeiner Entwickelung aus dem Eie zuerſt Infuſionsthierchen, dann Weichthier, dann Fiſch u. ſ. w. Zu keiner Zeit ſeiner Exiſtenz gleicht der Vogelembryo einem Inſekt oder einem Weichthier, zu keiner Zeit gleicht das werdende Inſekt einem Weichthiere oder einem Strahlthiere; gemeinſam iſt allen nur der Typus, nach welchem das urſprüngliche Ei gebildet iſt. Mit dem erſten Augenblicke der Formbildung des neuen Individuums in dem Eie tritt aber auch der Grundtypus hervor, welcher in den einzelnen Ab - theilungen des Thierreiches ausgebildet iſt.
Vogt, Zoologiſche Briefe. I. 218Es geht ſchon aus dem Geſagten hervor, daß in den einzelnen Familien und Gattungen, welche die Grundtypen oder größeren Abtheilungen des Thierreiches zuſammenſetzen, eine allmählige Evo - lution zur höheren Vollkommenheit erkannt werden kann, deren ein - zelne Stadien auch in den verſchiedenen vorübergehenden Bildungs - momenten der höher ſtehenden Embryonen erkannt werden können. Das Thierreich in ſeiner Geſammtheit betrachtet wiederholt demnach in ſeinen einzelnen Formen und Geſtaltungen bleibend gewiſſe Bil - dungsmomente, welche in den Embryonen im zuſammenhängenden Wechſel vor unſern Augen vorübergeführt werden, und an denjenigen Organen, an welchen die Entwickelungsgeſchichte dieſe vorübergehenden Phaſen der Bildung nachweiſt, läßt ſich die größere oder geringere Vollkommenheit des Thieres und ſein Rang in der Bildungsrichtung, der es angehört, erkennen. Wenn wir z. B. ſehen, daß die Wirbel - ſäule des Säugethieres bei ihrem erſten Auftreten aus einem einfachen Knorpelſtabe beſteht, der noch keine Abtheilungen zeigt, ſo werden wir denjenigen Fiſchen, welche im erwachſenen Zuſtande nur einen ſolchen Knorpelſtab beſitzen, einen ſehr niedrigen Platz in der Bildungsreihe der Wirbelthiere überhaupt anweiſen müſſen.
Dasſelbe Geſetz, welches wir hier für die Ausbildung der jetzt lebenden Schöpfung aufgeſtellt haben, findet auch auf diejenigen Thiere ſeine Anwendung, deren Reſte in dem Schooſe der Erde begraben liegen. Die Unterſuchung der Geſteinsſchichten, aus welchen die Rinde unſerer Erde zuſammengeſetzt iſt, weiſ’t nach, daß die Oberfläche unſeres Erdkörpers viele Geſchichtsperioden durchlaufen hat, in wel - chen unter ſich verſchiedene Schöpfungen die Erde bevölkerten; — eine allmählige Vervollkommnung der Geſchöpfe, welche nacheinander auf der Erde erſchienen und wieder untergingen, läßt ſich im Großen nicht läugnen, wenn gleich über die einzelnen Grade dieſer Vervoll - kommnung verſchiedene Anſichten herrſchen können. Aus den vorhan - denen Thatſachen aber läßt ſich ſchon nachweiſen, daß dieſelben Typen, welche in unſerer jetzigen Schöpfung vorhanden ſind, in ihren An - fängen ſchon in der erſten Zeit der organiſchen Entwickelung auf der Erde vertreten waren und daß ſie durch analoge Stufen der Ausbil - dung hindurch gingen, wie diejenigen ſind, welche wir in der jetzigen Schöpfung und in den Metamorphoſen der werdenden Thiere erkennen. Dasſelbe Beiſpiel, welches wir ſoeben benutzten, können wir auch hier anwenden. Die älteſten Fiſche, welche in den unterſten Schichten ge - funden werden, beſitzen noch keine ausgebildete Wirbelſäule, ſondern an ihrer Statt einen Knorpelſtab, der in ähnlicher Weiſe gebildet iſt19 wie der Knorpelſtab der niedern Fiſche unſerer jetzigen Schöpfung und der Knorpelſtab der Wirbelthierembryonen überhaupt in der erſten Zeit ihrer Bildung.
Die Erkenntniß dieſer dreifachen Richtung in der Ausbildung der Thierorganismen, nämlich der hiſtoriſchen Entfaltung durch die ver - ſchiedenen Geſchichtsperioden der Erde hindurch, der Flächenausbildung durch die mannigfaltigen Formen ausgebildeter Thiere, welche jetzt den Erd - ball bevölkern, und der genetiſchen Entwickelung in der Ausbildung der Embryonen, die Verfolgung dieſer dreifachen Richtung bis in ihre letzte Einzelheit iſt es, welche der heutigen Wiſſenſchaft die zu löſenden Aufgaben ſtellt. Nach allen Seiten hin beſtrebt man ſich die Lücken der Beobachtungen zu füllen und mit den vortrefflichſten Hülfsmitteln ausgerüſtet in die Einzelnheiten der Organiſation einzudringen. Die Einen verfolgen die einzelnen Thiere von dem erſten Augenblicke ihrer Entſtehung an, während Andere die verſteinerten Reſte mit den Pro - dukten der jetzigen Schöpfung vergleichen und aus dieſer Vergleichung ihre Beziehungen ergründen. Noch iſt zwar das Widerſtreben nicht ganz überwunden, welches gegen die Verſchmelzung der Thiere der jetzt lebenden Schöpfung mit der früheren Erdperiode herrſchte, in - deſſen lichten ſich doch die Reihen der Gegner von Tage zu Tage und jede neue Arbeit bringt den Beweis, daß nur durch Beobachtung der angeführten Richtungen die Wiſſenſchaft überhaupt gefördert wer - den kann.
Sobald man einmal begonnen hatte, die bekannten Thierweſen zu ordnen und größere oder kleinere Abtheilungen feſtzuſtellen, welche eine Ueberſicht gewährten, ſo wurde nothwendiger Weiſe das Syſtem der Ausdruck der jedesmaligen Kenntniſſe über das geſammte Thierreich. Wir haben ſchon oben geſehen, wie Linné zuerſt durch ſeine doppel - namigen Bezeichnungen zwei feſte Begriffe in die Wiſſenſchaft einzu - führen ſuchte, denjenigen der Art (Species) und den weiteren der Gattung (Genus). Hierbei beſchränkten ſich indeß weder Linné noch2*20die ſpäteren Claſſifikatoren. Man ſtellte unter ſtets größer werdenden Gruppen und Abtheilungen die durch gewiſſe Charaktere mit einander übereinſtimmenden Arten und Gattungen zuſammen, um endlich bis zu wenigen großen Kreiſen zu gelangen, welche die einzelnen Genustypen umfaßten, ſo daß das ganze Syſtem füglich mit einem Gebäude ver - glichen werden kann, in dem man einzelne Stockwerke, Wohnungen, Säle, Zimmer bis zu den Fachwerken an den Wänden unterſcheidet. Wie viele öde Regiſtratoren der Wiſſenſchaft gab es, die ihr Leben damit zubrachten, den einzelnen Aktenbündeln ihre Ueberſchrift zu geben und ſie aus dieſem oder jenem Gefache in ein anderes hinüber zu tragen!
Die Grundlage auf welcher das ganze Gebäude der Syſtematik beruht, iſt die feſte Beſtimmung des Begriffes der Art (Species). Giebt es wirklich ein ideales Weſen, Art genannt, dem wir feſte und unab - änderliche Charaktere zuſchreiben können, oder haben wir es nur mit einzelnen Individuen zu thun, deren Charaktere durch die äußeren Um - ſtände bedingt und ſo weit modificirt werden können, daß es zweifel - haft wird, ob ſie noch derſelben Art angehören?
So weit wir jetzt blicken können, ſo müſſen wir den Begriff der Art dahin beſtimmen, daß zu derſelben Art alle Individuen gehören, welche von gleichen Eltern abſtammen und im Verlaufe ihrer Ent - wickelung, entweder ſelbſt oder durch ihre Descendenten den Stamm - ältern ähnlich werden. Zur Feſtſtellung der Charaktere, welche einer Art eigenthümlich ſind, würde alſo ſtets die Beobachtung ihrer Ab - ſtammung gehören und man würde bei einem einzelnen Thier, deſſen Leiche oder verſteinerte Reſte man nur in die Hand bekäme, niemals entſcheiden können, ob es einer andern Art angehört. In der That hat auch die Wiſſenſchaft ſchon eine unzählige Menge von Irrthümern ausgemerzt, welche aus vereinzelten Beobachtungen entſtanden ſind, und täglich dienen weiter greifende Beobachtungen dazu, Thiere, die man weit verſchieden glaubte, als zu derſelben Art gehörig anzuer - kennen, oder andere zu trennen, die man früher vereinigt hatte. Nie - mand wohl würde die Raupe oder den Schmetterling, die beide ſo unendlich in ihrer äußeren Geſtalt wie in ihrer inneren Organiſation verſchieden ſind, für daſſelbe Weſen halten, wenn es nicht jedem Kinde bekannt wäre, daß die Raupe ſich in eine Puppe und dieſe wieder in einen Schmetterling verwandelt. Die Beobachtung iſt aber nicht überall ſo leicht, wie in dem angeführten Falle. Wir könnten hunderte von Beiſpielen anführen, wo es jahrelanger, mit der größten Ausdauer fortgeführter Beobachtungen bedurfte, um darzuthun, daß dieſes oder21 jenes Thier, deſſen iſolirte Kenntniß man längſt hatte, nur die Ent - wickelungsſtufe eines andern ſei, welches man gänzlich davon verſchie - den glaubte. Beſonders bei den niedern Thieren, denen man erſt in der neueſten Zeit die vollſte Aufmerkſamkeit zuwandte, deren Organi - ſation ihres abweichenden Typus wegen ſo räthſelhaft war und deren Lebensweiſe oft nur durch glückliche Zufälle ſtückweiſe aufgehellt wurde, beſonders bei dieſen waren und ſind Verſehen dieſer Art noch jetzt außerordentlich häufig. Hat man aber ein Recht, aus ſolchen Irr - thümern die Nichtigkeit des Artbegriffes herzuleiten, oder müſſen ſie nicht vielmehr dazu dienen, die Lücken unſerer Beobachtungen anerken - nen zu laſſen und zu ihrer Ausfüllung aufzufordern?
Man hat auf der anderen Seite eingeworfen, daß die tägliche Beobachtung uns zeige, wie allerdings durch dauernde Einwirkung be - ſtimmter Einflüſſe, beſonders des Klima’s und der Nahrung, in auf - einander folgenden Generationen Veränderungen erzeugt werden kön - nen, die bedeutender ſeien, als diejenigen Merkmale zulaſſen, welche man für die Art angiebt; — allein auch hier hat die Beobachtung, ſo weit ſie möglich war, nachgewieſen, daß die Art in ihren Haupt - zügen unveränderlich ſei und daß es nur ein Mißgriff der Zoologen war, wenn man die Charaktere der Art wirklich von ſolchen Merk - malen hergenommen hatte, welche durch die äußeren Umſtände geändert werden konnten. Die Beobachtungszeit eines einzelnen Forſchers über die andauernden Wirkungen veränderter äußerer Einflüſſe iſt freilich nur kurz und im Verhältniß zur Dauer der Geſchichtsperioden des Erdkörpers verſchwindend klein; wir haben aber nichts deſto weniger Mittel zur Hand, wodurch wir nachweiſen können, daß wenigſtens ſeit der Zeit, aus welcher wir geſchichtliche Denkmale beſitzen, die Charaktere der Arten unverändert geblieben ſind. Die alten indiſchen Denkmäler laſſen den aſiatiſchen Elephanten und den heiligen Buckel - ochſen mit vollkommener Sicherheit unterſcheiden, und die Mumien der Krokodille, des Ibis, des Ichneumon und des heiligen Käfers der Aegypter, von denen einige nach den neueren Forſchungen zum we - nigſten Zeitgenoſſen von Adam nach der jüdiſch-chriſtlichen Chronologie waren, ſind bis auf die kleinſten Einzelnheiten in ihrer Struktur iden - tiſch mit den Thieren, welche heute noch an den Ufern des Nils leben; wir können alſo mit vollkommener Sicherheit behaupten, daß bei den in wildem Zuſtand lebenden Thieren die Charaktere der Art unver - änderlich ſind und daß die Vergleichung dieſer Charaktere die mangelnde Beobachtung der direkten Abſtammung erſetzen kann.
Man hat die Erkenntniß dieſer Wahrheit zum Theil auch in der22 Abſicht, gewiſſen religiöſen Sagen gefällig zu ſein, ſogar ſo weit aus - gedehnt, daß man die Art dahin definirte, ſie ſei der Inbegriff aller Individuen, welche von einem Eltern-Paare abſtammen. Man that hier wahrlich den Mährchen von der Arche Noah zu viel Ehre an. Hätte man geſagt, die Art ſei der Inbegriff aller derjenigen Indivi - duen, deren Charaktere ſo übereinſtimmend ſeien, daß ſie möglicher Weiſe von denſelben Eltern abſtammen können, ſo wäre man voll - kommen in den Grenzen der Wahrheit und der Wahrſcheinlichkeit ge - blieben, wenn gleich ſelbſt dieſe Annahme eines einzigen Elternpaares bei genauerer Betrachtung eine vollkommene Abſurdität in ſich ſchließt. Die größere Zahl der Thiere, wenigſtens weit über die Hälfte, lebt von anderen Arten und iſt in ihrer Exiſtenz auf die Verzehrung der - ſelben angewieſen. Die Entſtehung der jetzigen Schöpfung in je nur einem Paare in jeder Art würde zur nothwendigen Folge gehabt ha - ben, daß die von Pflanzen lebenden Thiere unmittelbar vertilgt und die Ueberbleibenden dem Hungertode in wenig Tagen Preis gegeben geweſen wären. Wir gehen hier nicht weiter auf das theoretiſche Gebiet der Entſtehung der Arten ſelbſt ein; wir ſtellen nur ſo viel als Reſultat der Beobachtungen hin, daß dieſelbe ſich mit den gleichen Charakteren fortpflanzt und daß dieſe Charaktere im Laufe der Zeiten unverändert geblieben ſind.
Man hat noch aus den ziemlich bedeutenden Veränderungen, welche die Hausthiere in Folge ihrer Abhängigkeit vom Menſchen er - leiden, Schlüſſe auf die Veränderlichkeit der Art ziehen wollen. In der That hat es die Kunſt ſoweit gebracht, durch Kreuzung beſonders gebildeter Eltern, durch beſondere Nahrung und Wartung, Abarten und Raçen zu erzeugen, die ſich conſtant fortpflanzen und durch Farbe, Beſchaffenheit der Haare und Knochen, Größe und Körperverhältniſſe oft die bedeutenſten Differenzen darbieten. Nichts deſto weniger gehen dieſe Verſchiedenheiten nie ſo weit, daß ſie die weſentlichſten Organe betreffen. Die Theile des Skelettes bleiben dieſelben und es iſt noch Niemanden eingefallen behaupten zu wollen, daß man durch Kreuzung der Naçen den Zahnbau oder die Gehirnſtruktur der Hunde ge - ändert habe.
Wenn es ſo feſtſteht, daß die Art beſtimmte Charaktere habe, welche ſich bei der Fortpflanzung ſtets wieder fortzeugen, ſo iſt freilich die praktiſche Anwendung dieſes Grundſatzes in einzelnen Fällen oft ſchwierig. Beſonders in den Fällen ſind Irrthümer nicht zu vermei - den, wo durch direkte Beobachtung der Fortpflanzung diejenigen Cha - raktere nicht ermittelt wurden, welche durch die äußern Einflüſſe modi -23 ficirt werden können; ſelbſt in nahverwandten Thiergattungen iſt die Möglichkeit der Veränderungen oft ſehr verſchieden. Die Unterſchiede zwiſchen unſerm gewöhnlichen Fuchs und dem braſilianiſchen ſind bei weitem nicht ſo groß, als diejenigen zwiſchen einem Dachshunde und einem Windhunde und dennoch ſind die beiden Füchſe gewiß verſchie - dene Arten, während die beiden Hunde derſelben Art angehören und nur Varietäten darſtellen. Es begreift ſich darnach, wie ſo viele Streitigkeiten ſich entſpinnen konnten über die Grenzen der Art-Cha - raktere und wie es möglich war, daß der eine Naturforſcher zwei Thiere als verſchiedene Arten auffaſſen konnte, während der andere in ihnen nur Varietäten derſelben Art erblickte.
Von ungemeiner Wichtigkeit iſt die Schlichtung dieſer Streitig - keiten, beſonders für die Beſtimmung derjenigen Reſte, welche wir nur im verſteinerten Zuſtande kennen. Während hier eine große Partei be - hauptet, die Perioden der Erdgeſchichte ſeien durch gewaltige Revolu - tionen von einander getrennt, durch welche alles Lebende vernichtet wurde und nach denen neue Arten entſta[n]den ſeien, welche von den Arten der vorhergehenden Periode vollkommen verſchieden waren, ſo läugnet die andere Partei zwar dieſe Revolutionen nicht, ſchreibt ihnen aber nur partielle Wirkungen zu und ſucht die Veränderung der ein - zelnen Arten aus der Veränderung der Erdverhältniſſe zu erklären. Die Einen behaupten, es finde kein Uebergang ſtatt, die Andern wol - len, daß die jetzigen Thiere ihre Stammeltern und zwar ihre direkten Stammeltern in den untergegangenen Schöpfungen beſitzen. Dieſelben Charaktere foſſiler Muſcheln, welche der Eine zum Beweis anführt, daß eine Species untergegangen und eine neue entſtanden ſei, dieſelben Charaktere dienen dem Andern als Stützpunkte für ſeine Behauptung, daß die Art ſich im Laufe der Jahrhunderte umgewandelt habe. Wem nun hier Recht geben, wo die Entſcheidung durch direkte Beobachtung nicht möglich und die aus der Analogie hergenommene Wahrſcheinlich - keit ſtets dem Angriffe ausgeſetzt iſt? Indeß läßt ſich auch die Löſung in der Folge hoffen. Da wo die übergebliebenen Reſte wichtigen und charakteriſtiſchen Theilen angehören, ſind dieſe Diskuſſionen über die Abgrenzung der Arten allmählig von ſelbſt erloſchen. Ueber foſſile Säugethiere z. B., deren vollſtändige Zahnreihen und charakteriſtiſche Gliederknochen man kennt, taucht nur ſelten ein Streit auf; aber bei Muſcheln und Schneckenſchalen, die doch nur unweſentliche Theile des Körpers bilden und über deren Veränderlichkeit wir noch bei kei - ner einzigen Art eine genügende Beobachtungsreihe beſitzen, bei dieſen brennt der Streit jetzt noch häufig fort; er wird auch hier ſeine Er -24 ledigung finden, ſobald die betreffenden Vorunterſuchungen in derſelben Art erledigt ſind, wie dies bei andern Thieren der Fall iſt.
Die Art iſt demnach, dem jetzigen Stande unſerer Forſchung zu Folge, ein unveränderlicher Organiſations-Typus, der entſtehen und vernichtet werden kann, aber keiner weſentlichen Aenderung ſeiner Charaktere fähig iſt. Die Art entſpricht beſtimmten Lebensbedingungen, äußern Einflüſſen, mit deren Aufhebung ſie zu Grunde geht; ſie iſt gleichſam die lebende Realiſation dieſer äußern Bedingungen und kann mit und durch dieſe nur in ſo weit verändert werden, als unweſent - liche Charaktere betroffen werden. Die Individuen derſelben Art pflanzen ſich nach beſtimmten Geſetzen fort und erzeugen Weſen, welche entweder ſelbſt, oder in ihren Nachkommen den Erzeugern ähnlich werden. Früher konnte man nach dem damaligen Stande der Wiſſen - ſchaft behaupten, daß die Jungen ſtets wieder ſelbſt den Alten ähnlich werden müßten. Die Unterſuchungen der neuern Zeit haben gelehrt, daß dies nicht überall der Fall iſt und daß es ganze Gruppen nie - derer Thiere gibt, bei welchen der Cyclus der Fortpflanzung erſt durch das dritte oder vierte Individuum geſchloſſen wird. Wir werden Meeresbewohner, ſogenannte Quallenpolypen kennen lernen, bei wel - chen der Polyp eine Knospe treibt, die ſich allmählig ablöſt und end - lich als vollſtändig ausgebildete Qualle, mit allen zur Ernährung, Bewegung, Empfindung und Fortpflanzung nöthigen Organen aus - gerüſtet, frei im Meere umherſchwimmt. Dieſe Qualle wird niemals zum Polypen; ſie legt Eier und ſtirbt dann; das Junge iſt alſo niemals dem Mutterthiere, dem Polypen, ähnlich geworden. Aber die Eier, welche die Qualle legte, dieſe ſetzen ſich allmählig feſt und wach - ſen zu Polypen aus, die dem Mutterthiere in allen Stücken ähnlich ſehen und zuletzt wieder Quallenknospen treiben. In dieſem Falle ſind alſo nur Großeltern und Enkel mit einander identiſch, während Eltern und Kinder einander ſo vollkommen unähnlich ſind, daß man ſie bisher ſogar verſchiedenen Claſſen zutheilte.
Der erſte Name der binären Bezeichnung nach Linné iſt der Name der Gattung (Genus). Man umſchreibt dadurch eine Summe von weſentlichen Charakteren, welche mehreren Arten gemeinſam ſind. Na - türliche Gattungen haben meiſt ein ſo eigenthümliches Gepräge, daß man unwillkürlich auf dieſelben hingeleitet wird. Bei den höheren Thieren hat man auch vielfältig die Beobachtung gemacht, daß ſich die einzelnen Arten mit einander begatten und Baſtarte erzeugen kön - nen, welche indeß meiſt unfruchtbar bleiben. Pferd und Eſel ſind ver - ſchiedene Arten derſelben Gattung, ſie erzeugen bekanntlich den Maul -25 eſel und das Maulthier; ſo hat man auch Baſtarte geſehen von Hund und Wolf, Löwe und Tiger u. ſ. w. Trotz dieſer Charakteriſtik der Gattung, muß indeſſen zugeſtanden werden, daß die Anwendung dieſes Begriffes eine mehr oder minder willkürliche iſt, indem die Werth - ſchätzung der weſentlichen Merkmale hauptſächlich dem Takte der ein - zelnen Forſcher überlaſſen bleibt. Auch das iſt noch zu berückſichtigen, daß oft mit dem größern Reichthum an Material gewiſſe Charaktere, die den früheren Forſchern, welche nur wenig Arten kannten, ziemlich unweſentlich erſchienen, eine größere Wichtigkeit erhalten, indem Grup - pen von Arten derſelben Gattung dieſe Charaktere beſitzen, während ſie andern abgehen. Aus dieſem Grunde iſt es erklärlich, warum faſt aus jeder neuen Bearbeitung eine größere Zerſpaltung der früheren Geſchlechter hervorgeht. Ein Beiſpiel möge dies erläutern: Linné hatte unter der Gattung Hund (Canis) nicht allein den Hund, den Wolf und den Fuchs, ſondern auch die Hyäne begriffen, obgleich letztere einen, von den übrigen Arten ſehr abweichenden Zahnbau beſitzt und ihr namentlich die Höckerzähne, welche jene haben, gänzlich mangeln. Ein Zeitgenoſſe Linné’s ſchon, Storr, trennte die beiden Hyänen mit Hervorhebung ihrer Unterſchiede von den Hunden ab und bildete für ſie die beſondere Gattung Hyaena, welche jetzt ſogar, beſonders durch foſſile Gattungen, der Typus einer Familie geworden iſt. Linné kannte nur eine Art Fuchs; er hielt die nordiſchen Eisfüchſe nur für Va - rietäten des gewöhnlichen Fuchſes. Man entdeckte nach und nach faſt ein Dutzend verſchiedener Arten, welche alle mit unſerm gewöhnlichen Fuchſe ſich dadurch von den übrigen Hundearten unterſcheiden, daß ſie einen dichtbehaarten, langen Schwanz, eine ſpitze Schnauze und Pupillen haben, welche eine ſenkrechte Spalte bilden, während die Pu - pille der übrigen Hunde rund iſt; auch die obern Schneidezähne zeigen eine geringe Verſchiedenheit. Auf dieſe Gründe geſtützt, trennten einige Naturforſcher die Füchſe gänzlich von den Hunden ab, indem ſie die Gattung Vulpes errichteten; — andere, indem ſie die alte Gat - tung Canis beibehielten, bildeten darin mehrere Gruppen oder Unter - gattungen (Subgenus), die eigentlichen Hunde, die Füchſe, die groß - ohrigen Hunde von Afrika u. ſ. w. begreifend. Man ſieht aus dieſem Beiſpiele, daß es gewiſſermaßen von dem freien Willen des Natur - forſchers abhängt, ob er die unterſcheidenden Merkmale der Füchſe für genügend hält, um ſie durch einen eignen Gattungsnamen auszuzeich - nen, oder ob er dieſe Merkmale nur zur engeren Gruppirung der Arten innerhalb einer größeren Gattung benutzt.
Durch die verſchiedenen Begrenzungen, welche die Gattungen ſeit26 Linné’s Zeiten wohl ohne Ausnahme in mannichfacher Weiſe erhielten, wurde ein großer Uebelſtand herbeigeführt, der in der Unbeſtimmtheit der Gattungsnamen beruht. Spricht Jemand heut zu Tage von der Gattung Canis, ſo iſt es erſt nöthig zu fragen: „ Meinſt Du die Gattung in der Ausdehnung wie Linné, wie Storr, wie Illiger, wie Fred. Cuvier, oder wie Iſidor Geoffroy-St. -Hilaire, indem jeder dieſer Forſcher die Gattung in anderer Weiſe umſchreibt? “ Man hat dieſem Uebelſtande dadurch abzuhelfen geſucht, daß man den Namen der Au - torität, welche die Gattung in der Weiſe umgrenzt hatte, wie man ſie ſelbſt annahm, hinter den Artnamen ſetzte. Allein auch diejenigen, welche neue Arten beſchrieben hatten, wollten durch Beifügung ihres Namens die Verantwortlichkeit für die Berechtigung der neuen Art über - nehmen. So entſtand aufs Neue Verwirrung; — man wußte nicht, ſollte man die Autorität auf die Umgrenzung des Gattungsnamens oder auf die Beſtimmung der Art beziehen, und da die liebe Eitelkeit gar Manchen verleitete, nur um deßwillen eine neue Gattung oder eine neue Art aufzuſtellen, um ſeinen Namen in den Regiſtern der Wiſſenſchaft fortgeführt zu ſehen, ſo wurde die Verwirrung nur noch heilloſer. Endlich hat man ſich ſo ziemlich dahin verſtändigt, daß man den Namen desjenigen ſowohl, welcher die Gattung umgrenzte, wie auch desjenigen, der die Art zuerſt aufſtellte, hinter den eigentlichen Artnamen ſetzt und daß man als Synonyme diejenigen Namen an - führt, welche von früheren Autoren gegeben wurden. Sehr oft kommt es vor, daß dieſelbe Art von verſchiedenen Forſchern verſchieden benannt wurde, meiſt wohl weil die Spätern in der Beſchreibung ihrer Vor - gänger das ihnen vorliegende Object nicht wieder erkannten. Man zieht in dieſem Falle den älteſten Artnamen vor, indem man die üb - rigen als Synonyme citirt.
Die Nomenclatur und Synonymik bilden das unentbehrliche ABC der Wiſſenſchaft und ſind ebenfalls ſo trocken und langweilig als die - ſes. Weit übler aber als dieſe Trockenheit iſt der Umſtand, daß in ihnen ein grauenerregender hiſtoriſcher Ballaſt mitgeführt wird, der ſich mit jedem Jahre mehrt, ohne daß man wüßte, wie man der alten Steine los werden könnte. Wenn es nur irgend einmal einem Quer - kopfe eingefallen iſt, in einem verbreiteten Journale einer längſt be - kannten Art einen neuen Namen zu leihen, oder einen gewöhnlichen Spatzen von den andern deßhalb zu unterſcheiden, weil er ein röth - liches Federchen auf dem Kopfe hat, ſo wird der neugebildete Namen fort und fort durch Regiſter,[] Abhandlungen und Handbücher unter27 den Synonymen mitgeführt, ohne daß man ſich ſeiner wieder entledigen könnte.
Kehren wir zu unſerm Aufbau des Syſtems zurück. Wir wiſſen, wie die Arten beſtimmt, wie die Gattungen umgrenzt werden, wir kennen die Bedeutung der Doppelnamen, welche die Arten tragen und wiſſen, weßhalb in ſyſtematiſchen Handbüchern die Autoritäten und die Synonyme beigefügt werden. Indeß genügen die erhaltenen Abthei - lungen noch nicht um eine überſichtliche Anſchauung des Thierreichs zu gewähren. Wir bedürfen größerer Kreiſe, die uns durch beſtimmte Charaktere bezeichnet werden. Hier tritt uns zuerſt die Familie (Familia) entgegen, als Inbegriff derjenigen Thiere, welche einen ge - meinſamen Habitus zeigen und in ähnlicher Weiſe durch weiter gehende Merkmale um einen Mittelpunkt ſich gruppiren, wie die Gattungen um beſtimmte charakteriſtiſche Kennzeichen. Wir können auch hier das vorige Beiſpiel anwenden; die Hunde, die Füchſe, die Großohren zeichnen ſich dadurch aus, daß ſie in ihrem Gebiſſe oben und unten wenigſtens zwei Höckerzähne haben und daß ihre Füße gleich hoch ſind; alle dieſe Gattungen unterſcheiden ſich dadurch von den Hyänen und den Wolfs - hyänen (Proteles), welche keine Höckerzähne beſitzen und deren Rücken nach hinten abfällt. Die hundeartigen Thiere begreift man unter der gemeinſchaftlichen Familie der Caniden, die Hyänen unter der Familie der Hyaeniden, indem man den Namen derjenigen Gattung, welche gewiſſermaßen als Typus gilt, mit einer paſſenden Endigung verſieht. Auch bei dieſen natürlichen Familien hat man beſonders dann, wenn die Gattungen ſehr zahlreich waren, oft Unterfamilien (Subfamilia), Zünfte (Tribus) oder Sippen unterſchieden, die man meiſtens wieder durch beſondere Kennzeichen charakteriſirte.
So gelangt man bei ſtets weiterem Aufwärtsſteigen und freierem Ueberblicken der gemeinſamen Kennzeichen zu ſtets größeren Abtheilun - gen. Die Katzen, Hyänen und Hunde, die Marder und Stinkthiere, ſowie die Bären ſind alle reißende Thiere, die ſich von Fleiſch und Blut nähren und ein eigenthümliches zu dieſer Nahrung in Beziehung ſtehendes Gebiß beſitzen, das ſo charakteriſtiſch iſt, daß ſelbſt der we - niger Geübte auf den erſten Blick die Kinnlade eines ſolchen Fleiſch - freſſers erkennen mag. Man begreift deshalb alle dieſe Thiere zuſam - men in der Ordnung (Ordo) der Fleiſchfreſſer (Carnivora). Aber dieſe unterſcheiden ſich auch wieder durch charakteriſtiſche Merkmale. Die Familie der Bären ſetzt die Füße mit der ganzen Sohle auf den Boden auf, die Marder und Stinkthiere berühren nur mit der halben28 Sohle den Boden, die Hunde, Hyänen und Katzen gehen auf der Spitze der Zehen. So ergeben ſich denn drei natürliche Unterord - nungen (Subordo) in der Ordnung der Fleiſchfreſſer, die Sohlen - gänger, die Halbſohlengänger und die Zehengänger, deren jede eine beſtimmte Anzahl von Familien und Gattungen einſchließt. Die Ord - nungen, wie die Unterordnungen können meiſt weit ſicherer durch be - ſtimmte Merkmale charakteriſirt werden als die Familien; und wenn man die Geſchichte derjenigen größern Abtheilungen des Thierreiches betrachtet, mit denen man ſeit längerer Zeit vertraut war, wie z. B. der Säugethiere, ſo überzeugt man ſich leicht, daß die verſchiedenen Syſteme nur in ſofern ſich unterſcheiden, als man den einzelnen Ab - theilungen verſchiedenen relativen Werth beimaß, daß aber die Cha - raktere dieſer Abtheilungen ſelbſt ſeit Linné’s Zeiten faſt dieſelben ge - blieben ſind.
Schon das Zuſammenfügen der Ordnungen würde einen ſichern Ueberblick gewähren; allein man findet noch allgemeinere Merkmale, nach welchen man die Ordnungen zuſammenſtellt. Trotz der großen Verſchiedenheit zwiſchen einem Affen, einem Hunde, einem Pferde und einer Robbe, wird man dieſelben doch einem Vogel oder einem Fiſche gegenüber als Glieder eines gemeinſchaftlichen Typus erkennen und bei genauerer Unterſuchung wird man in der Behaarung ihrer Haut und in der Art und Weiſe, wie ſie ihre Jungen ſäugen, genügende Kenn - zeichen finden, um dieſe Säugethiere als Klaſſe (Classis) und als ein Ganzes mit beſtimmten Merkmalen den Vögeln oder Fiſchen gegen - über zu ſtellen.
So gelangt man endlich zu den letzten großen Gruppen des Thierreiches, zu den Kreiſen und Provinzen. Verſchiedene Klaſſen haben wieder gemeinſame Merkmale in der Geſammtbildung ihres Körpers, in der Lagerung ihrer Organe, in ihrer Entwickelung wäh - rend der Embryonalzeit; ſo ſtimmen Fiſch und Vogel, Froſch und Säugethier in der Exiſtenz eines inneren Skelettes, eines wahren Hir - nes und Rückenmarkes und in deren Lagerung auf der Rückenfläche mit einander überein, unterſcheiden ſich als Bildungstypus, als Kreis der Wirbelthiere und ſtehen als ſolche den Gliederthieren, den Weich - thieren, den Strahlthieren, die eine andere Lagerung der Leibesorgane, eine andere Entwicklungsart haben, ſcharf gegenüber.
Es ergiebt ſich aus dem Vorhergehenden, daß nicht alle Merk - male welche ein Thier zeigt, von gleicher Bedeutung für die Klaſſi - ficationen ſind, daß man, wie ſchon oft geſagt wurde, die Charaktere wägen und nicht zählen muß. Die Geſammtbildung des Körpers, die29 Art und Weiſe wie die Organe deſſelben hervorgebildet, das Ver - hältniß wie ſie zu einander gelagert ſind, iſt weit wichtiger als die relative Ausbildung dieſes oder jenes Organſyſtemes, dieſes oder jenes einzelnen Gliedes. Und durch dieſe Berückſichtigung der geſammten Organiſation unterſcheidet ſich denn auch das Streben der neuen Claſſificatoren weſentlich von den früheren Zeiten. Man ſucht jetzt natürliche Syſteme aufzuſtellen, d. h. man ſucht durch einzelne her - vorſtehende Merkmale aus der geſammten Organiſation eines Thieres ſeine Beziehungen zu den übrigen zu ermitteln und diejenigen Lebens - bedingungen hervorzuheben, welche einen weſentlichen Einfluß auf die Bildung des Thierkörpers ausüben. Hierdurch geben ſich dann die Verwandtſchaften, die nähern und entfernteren Beziehungen zwiſchen den größeren oder kleineren Gruppen von ſelbſt und es zeigt ſich dann bei der Ueberſicht eine überraſchende Harmonie, die freilich an häufigen Stellen durch die Lücken unſerer Kenntniſſe geſtört wird. Es würde überflüſſig ſein hier weiter auf dieſe Verhältniſſe einzugehen, da uns die poſitive Grundlage noch mangelt, aus welcher die über - ſichtlichen Betrachtungen hervorgehen müſſen; jedenfalls werden wir auch in der Folge damit nur ſehr ſparſam ſein, und indem wir uns fernhalten von jenen ſonderbaren Auswüchſen, mit welchen beſonders die Naturphiloſophen ihre Syſteme auszuſchmücken pflegten, werden wir es mehr dem denkenden Leſer überlaſſen, auf den von uns mit - getheilten Thatſachen ſein eigenes Gebäude zu errichten.
Was iſt ein Thier? Wodurch unterſcheidet es ſich von der Pflanze?
Eine unnöthige Frage! wird Mancher antworten und die Meiſten werden ihm Recht geben. Wie iſt es möglich einen Baum und einen Hund, ein Gras und eine Raupe mit einander zu verwechſeln? Das Eine bewegt ſich willkührlich und frei aus innerem Antriebe, nimmt Nahrung zu ſich, die es aufſucht und durch eine offene Mündung ein - führt, das Andere iſt an den Boden gefeſſelt, zeigt weder Empfindung noch willkührliche Bewegung und läßt die Aufnahme der Nahrungs - ſtoffe, aus welchen es ſich aufbaut, nicht unmittelbar erkennen. In dem Thierorganismus eine große Anzahl mannigfach gebildeter Organe, die den einzelnen Funktionen vorſtehen; in der Pflanze die complicir - teſten äußern Bildungen und im Innern ein mehr homogenes Gewebe, deſſen charakteriſtiſche Eigenthümlichkeiten erſt das Mikroskop darlegen kann. Es ſcheint eben ſo unnöthig den Begriff des Wortes Thier oder Pflanze feſtzuſtellen, als zu beweiſen, daß zwei mal zwei vier macht.
Stellt man aber dieſelbe Frage an den Forſcher, welcher tiefer eingedrungen iſt und ſich namentlich mit den niedern Pflanzen und Thierclaſſen beſchäftigt hat, ſo wird er bedenklich das Haupt ſchütteln und geſtehen müſſen, daß es kaum möglich ſei eine befriedigende Ant - wort zu geben und die Grenze zwiſchen Thier und Pflanze mit Sicher - heit zu legen. Ein Merkmal nach dem andern verſchwindet, je tiefer man in die einfachſten Formen des Thier - und Pflanzenreiches hinab - ſteigt; — was uns kaum noch einen ſichern Halt gewährte, muß im nächſten Augenblicke als unzureichend erkannt werden und ohne voll - kommene Sicherheit befinden wir uns endlich einer Gruppe von Or - ganismen gegenüber, welche hier von dem Botaniker, dort von dem Zoologen als ſein ihm rechtmäßig zuſtehendes Eigenthum beanſprucht wird. Der Streit iſt nicht neu und beginnt ſtets von Neuem wieder, denn ſobald ein zweifelhafter Gegenſtand erledigt und mit anſcheinender Gewißheit an ſeinen Platz in dem einen oder andern Reiche geſtellt iſt, tauchen wieder über ein neues Object erneute Zweifel auf. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhundert’s hielt man die Korallen ihrer äußern Geſtalt wegen für Pflanzen. Ein Italieniſcher Forſcher hatte31 die vermeintlichen Blüthen des Korall’s entdeckt und dieſelben weit -
läufig beſchrieben. Ein Arzt in Mar - ſeille unterſuchte die Sache genauer und fand zu ſeinem Erſtaunen, daß dieſe vermeintlichen Blüthen wirk - liche Thiere ſeien, die ſich nach Willkühr bewegten. Der Arzt theilte ſeine Entdeckung der Pariſer Aka - demie mit; dieſe fand aber die Sache ſo gänzlich unwahrſcheinlich, daß Réaumur Anfangs den Namen des Entdeckers nicht zu nennen wagte, um den Mann nicht dem öffentlichen Spotte auszuſetzen. Heut zu Tage ſetzt ſich derjenige dem Spotte aus, welcher aus Unkenntniß Polypen als Pflanzen beſchreibt oder Koral - len für pflanzliche Erzeugniſſe hält.
Die Zweifel haben ſich in unſern Tagen auf andere Körper über - tragen. Noch vor wenigen Jahren behauptete man, jedes Thier habe einen Mund zur Aufnahme der Nahrung oder in Ermangelung des - ſelben mehrere freie Oeffnungen; aber es giebt eine Menge von Thier - weſen, die ganz gewiß und unzweifelhaft Thiere ſind und dennoch kei - nen Mund beſitzen, keine äußere Oeffnung irgend einer Art haben, ſondern ihre Nahrungsſtoffe durch Einſaugung auf der Körperfläche
zu ſich nehmen. So lebt in dem Darmkanale der Fröſche ein ziemlich großes Infuſions - thierchen, vollkommen durchſichtig, das mit - telſt Wimpern, die auf ſeiner Oberfläche an - gebracht ſind, ſich freiwillig in den Flüſſigkeiten des Darmes umherbewegt und das ganz be - ſtimmt weder einen Mund, noch zerſtreute Saugöffnungen beſitzt. Viele Infuſionsthier - chen, ja ſelbſt hoch organiſirte Eingeweide - würmer ſind durchaus in demſelben Falle, ſie friſten ihr Leben nur dadurch, daß ſie durch Ein - ſaugung ihrer Körperfläche Stoffe aus den Flüſſigkeiten aufnehmen, in welchen ſie leben. Die Aufnahme der Ernährungsſtoffe geht hier32 ganz auf dieſelbe Weiſe vor ſich wie bei vielen niedern Pflanzen, welche ſich im Waſſer bilden.
Man glaubte die freie Beweglichkeit der Thiere ſei ein cha - rakteriſtiſches Kennzeichen. Viele von ihnen ſind zwar gänzlich oder während der größten Zeit ihres Lebens in ähnlicher Weiſe wie viele Pflanzen an den Boden feſtgeheftet, aber ſelbſt dieſe feſtſitzenden Thiere, die beſonders im Meere häufig vorkommen, öffnen und ſchließen ſich, breiten ihre Fangorgane aus und erhaſchen die Beute, welche in ihre Nähe kommt. Man glaubte alſo in der freiwilligen Bewegung ein ſicheres Merkmal gefunden zu haben und bis vor wenigen Jahren hatte man nach dem damaligen Stande der Kenntniſſe vollkommen Recht, wenn man ſagte, ein Thier ſei ein abgeſchloſſener Organismus, welcher ſich willkührlich bewege. Bald aber mußte man erkennen, daß es eine Anzahl niederer Pflanzen gebe, beſonders Waſſerfäden (Con - ferven) deren Keimkörner oder Sporen ſich vollkommen ebenſo be - wegten, wie kleine Infuſionsthierchen. Man ſah, wie im Innern die -
ſer Waſſerfäden (Fig. 3.) ſich grüne Keimkörner bildeten, die nach einer gewiſſen Zeit hervorbrachen und ſich in ſolcher Weiſe in dem Waſſer umhertummelten, daß jeder unbe - fangene Beobachter ihre Bewegun - gen unbedingt für willkührliche hal - ten mußte. Nur ausdauernde, ſtun - denlange Beobachtung konnte über - zeugen, daß dieſe Keimkörner nach einiger Zeit ſich feſtſetzten und nach und nach zu wirklichen Waſſerfäden auswuchſen. Während der Zeit ih - rer Beweglichkeit verhalten ſich dieſe Keimkörner vollkommen wie lebende Infuſionsthierchen; — ſie wälzen ſich nach allen Richtungen raſch im Waſſer herum, bewegen ſich vor - wärts, halten zuweilen einen Augenblick ſtill, ſchnellen plötzlich wie krampfhaft zurück um dann auf’s Neue wieder vorwärts zu ſchie - ßen, kurz benehmen ſich in Allem, wie Weſen, denen Empfindung und willkührliche Bewegung zukömmt; auch ſtanden manche Be - obachter durchaus nicht an in Folge dieſer Thatſachen zu behaupten, es gebe keine Grenzlinie zwiſchen Thier und Pflanze und die niedern33 Pflanzen verwandelten ſich bei ihrer Fortpflanzung für eine Zeit lang in Thiere, um ſpäter wieder Pflanzen zu werden. Beſonnenere For - ſcher gaben zu, daß man in der That die Bewegung dieſer Pflanzen - ſporen kaum von derjenigen wirklicher, mit einem Munde verſehener Infuſionsthierchen unterſcheiden könne und daß demnach die freie Be - wegung nicht als charakteriſtiſches Kennzeichen zwiſchen Pflanzen und Thiere angeſehen werden dürfe.
Dieſer freien Beweglichkeit der Keimkörner wegen werden noch bis heute von vielen Naturforſchern die Schwämme (Spongia) als eine
Art Mittelding zwiſchen Pflanzen und Thie - ren betrachtet. Es ſind meiſt knollige oder un - regelmäßige, an den Boden der Gewäſſer gehef - tete poröſe Maſſen, die ein horniges, kalkiges oder ſelbſt kieſeliges Skelett im Innern be - ſitzen, das aus netzartig verbundenen Fäden oder einzelnen Stacheln und ſpießartigen Nadeln be - ſteht und mit einer gallertartigen Maſſe überzogen iſt. Auf der Außenfläche ſieht man kleinere Poren, durch die das Waſſer eindringt und größere Oeffnungen, durch welche es im Strahle ausfließt. Unſer gewöhnlicher Badeſchwamm, der zu dieſen Organismen gehört, liefert das beſte Beiſpiel der Structur der Schwämme. Man bemerkt keine Spur von Empfindung und Bewegung an dieſen Weſen; nur zu gewiſſen Zeiten werden mit dem ausfließenden Waſſer kleine runde oder eiförmige Keimkörner ausgeſtoßen, die ſich mittelſt eines Ueberzuges von Wim - perhaaren ſehr lebhaft im Waſſer bewegen, umherſchwimmen, ſich dann fixiren und wieder zu Schwämmen auswachſen. Es iſt, wie man ſieht, dasſelbe Verhältniß hier, wie mit den Keimkörnern der Waſſer - fäden und gewiß kein Grund vorhanden, die Schwämme eher zu den Thieren als zu den Pflanzen zu ſtellen.
Kurze Zeit hindurch glaubte man auch in der Natur der bewegen - den Organe ſelbſt ein charakteriſtiſches Merkmal entdeckt zu haben. Bei den meiſten höhern Thieren kommen auf den innern Häuten, bei dem Menſchen z. B. in der Naſe und an einigen andern Stellen, Ueberzüge von mikroskopiſchen Zellen vor, auf denen höchſt feine Flimmerhaare oder Wimpern ſtehen, die ſich in beſtändiger ſchwingen - der Bewegung befinden. Dieſe Flimmer - oder Wimperbewegung hängt bei den meiſten Thieren nicht von dem freien Willen ab; ſie dauert oft noch lange nach dem Tode fort; einzelne losgeriſſene Zellen dieſer Art ſchwimmen ſelbſt mittelſt ihrer Flimmerhaare in der Flüſſigkeit umher. Viele Infuſionsthierchen haben entweder auf der ganzenVogt, Zoologiſche Briefe I. 334Oberfläche ihres Körpers oder an beſtimmten Stellen ſolche Wimpern, durch deren Hilfe ſie nach Willkühr in dem Waſſer umherſchwimmen; — andere beſitzen einen oder mehrere peitſchenförmige Anhänge, mittelſt deren ſie im Waſſer umherrudern. Man glaubte, daß dieſe Bewe - gungsorgane den Keimkörnern der Waſſerfäden abgingen und hielt ihre Anweſenheit deshalb für ein charakteriſtiſches Kennzeichen des thie - riſchen Organismus. Man hatte ſich auch in dieſem Punkte getäuſcht. Man entdeckte Keimkörner, welche auf ihrer ganzen Oberfläche einen flimmernden Ueberzug oder einen Kranz von Wimperhaaren beſaßen; man fand andere, die mittelſt peitſchenförmiger Anhänge luſtig im Waſſer umherſchwammen. Auch dieſes Unterſcheidungszeichen war vernichtet.
Die Empfindung äußerer Eindrücke, ſagte man, ſteht nur dem Thiere zu; die Pflanze beſitzt keine Senſibilität. Wir wollen zugeben, daß die ſeltſamen Bewegungen der Sinnpflanzen keinen Beweis dafür abgeben, daß ſie Reſultate von Empfindungen ſeien, wir wollen ſelbſt zugeben, daß wirklich der pflanzliche Organismus nicht empfindet, wohl aber der thieriſche; wir wollen anerkennen, daß dieſer Unterſchied theoretiſch feſtgehalten werden dürfe, aber man wird uns dafür zugeben müſſen, daß er durch die Beobachtung nicht nachgewieſen werden könne. Es gibt kein anderes Maß für die Größe der Empfindung eines außer uns ſtehenden Weſens, als die Reaktion des empfindenden Organismus durch Bewegung. Einen Körper, der ſich auf Reize nicht bewegt, ſeinen Schmerz nicht zu erkennen gibt, halten wir für empfindungslos. Wo wir freilich Sinnesorgane zur Aufnahme äußerer Eindrücke wahrneh - men, da ſchließen wir nothwendig auch auf empfindende Fähigkeit. Aber die rothen Fleckchen, welche man bei vielen Infuſionsthierchen vollkommen unbegründeterweiſe für Augen hielt, hat man auch an vielen Keimkörnern mit Sicherheit nachgewieſen. Viele Infuſionsthier - chen aber, ſogar ſolche, welche durch die Exiſtenz eines Mundes ihre Thiernatur unzweifelhaft bekunden, zeigen auf äußere Reize nicht die mindeſte Spur von Reaction, ſo daß uns vollkommen der thatſächliche Nachweis ihrer Empfindlichkeit abgeht. Erſchütterungen, plötzliche Lichteindrücke, heftiger Schall, Zuſammenpreſſen und Quetſchen und ähnliche ſolcher Eindrücke gehen an dieſen Thieren ſpurlos vorüber; — wie ſoll man nun bei dieſer Stumpfheit der Empfindung und Bewe - gung die Gränze ziehen, wo beide aufhören?
So wäre es denn völlig unmöglich in den niedrigſten Stufen der Organiſation eine Scheidelinie zwiſchen thieriſchen und pflanzlichen Weſen zu finden? Faſt will es ſo ſcheinen! Doch iſt uns noch ein Merkmal geblieben, wenn auch ein gar ſchwaches und vielleicht in35 einzelnen Fällen unzureichendes Merkmal. Die pflanzlichen Gebilde, welche ſich während einiger Zeit der Bewegung erfreuen, ſind von einer ſtarren Hülle umkleidet, welche ihrer Geſtalt eine feſte, faſt un - veränderliche Abgrenzung verleiht. Zwar hat dieſe Hülle eine gewiſſe Elaſtizität, ſo daß ſie z. B. beim Herausſchlüpfen aus der Röhre des Waſſerfadens ſich einbiegen, winden, verlängern und zuſammenpreſſen können, um durch den oft engen Riß hindurch zu kommen. Kaum aber hört die äußere Gewalt auf, ſo nimmt auch der Pflanzenkörper ſeine normale Geſtalt an und ſtellt ſeine urſprüngliche Form durch die Elaſtizität ſeiner Hülle wieder her. Anders verhält ſich der thie - riſche Körper auf jenen niederen Stufen der Organiſation. Sein Ge - webe iſt jeder Zuſammenziehung fähig, mit jedem Augenblicke wird die Geſtalt durch Contractionen der weichen äußern Hülle verändert. Dasſelbe Weſen, welches eben noch kugelig erſchien, nimmt im näch - ſten Augenblicke eine Flaſchen - oder Eiform an und biegt ſich ohne Einwirkung äußerer Gewalt nur unter dem Einfluſſe ſeines freien Willens nach allen Seiten hin zuſammen. Die Contractilität der äußern Hülle läßt alſo nach den bis jetzt vorliegenden That - ſachen die Entſcheidung zu, daß der contractile Organismus ein thie - riſcher Körper ſei, während auf der andern Seite der Mangel dieſer Contractilität, die Starrheit der äußeren Hülle durchaus nicht mit Sicherheit beweiſ’t, daß wir es mit einem pflanzlichen Organismus zu thun haben. Es gibt viele niedrig ſtehende Organismen, die einen
harten, unbiegſamen, aus Kieſel, Eiſen oder Kalk gebauten Panzer beſitzen, in welchem der Körper ſo eingeſchloſſen iſt, daß nur die feinen zur Be - wegung dienenden Peitſchenanhänge hervorragen. Manche Infuſionsthierchen kapſeln ſich während einer gewiſſen Zeit ihres Lebens in harte, kugel - förmige Schalen ein, in welchen ſie vollkommen unbeweglich ruhen, wie Puppen in ihrer Schale. In ſolchen Fällen fehlt auch das letzte Criterium zur Unterſcheidung zwiſchen Pflanze und Thier, und da, wo die fernere Beobachtung noch nicht dargethan hat, daß in der ſtarren Hülſe den - noch ein aus contractilem Gewebe gebildeter Or - ganismus vorhanden ſei, iſt die Entſcheidung vor der Hand unmöglich:
Wenn wir ſo auf den niedrigſten Stufen der Organiſation oft lange ſchwankend ſtehen3*36müſſen, bevor wir entſcheiden können, ob wir es mit einem Thier oder mit einer Pflanze zu thun haben, ſo wird uns dies, ſobald wir einige Schritte weiter gehen, außerordentlich leicht gemacht durch die all - mählige Entwickelung der Organe in dem thieriſchen Körper. Je weiter wir den Thierorganismus in ſeiner Ausbildung nach oben verfolgen, deſto größer wird die Complikation ſeiner Bildung, deſto mannigfaltiger die Zahl und das Spiel ſeiner Organe, deſto genauer und ſchärfer umſchrieben die Function jedes einzelnen dieſer Organe. Der Thierorganismus hebt ſich in der That aus dem Unbeſtimmten und Allgemeinen zu ſtets größerer Beſtimmtheit und Präciſion ſeiner einzelnen Theile empor und es wird nöthig ſein wenigſtens in kurzen Umriſſen zu ſchildern, in welcher Weiſe dies geſchieht.
Die niederſten Thiere welche wir kennen, beſtehen aus einer
eigenthümlichen, weichen, gallertartigen, mit fei - nen Körnchen durchſtreuten Grundſubſtanz, wel - che in ihrer ganzen Maſſe der Zuſammenziehung und Ausdehnung fähig iſt, und die man Sarkode genannt hat. Bei vielen dieſer niedern Thiere wird die Bewegung nur dadurch hervorgebracht, daß dieſe Subſtanz, fließendem Wachſe ähnlich, ſich da und dorthin ausdehnt, bei anderen gibt es eigenthümliche Bewegungsorgane in Form von Wimpern oder Fäden. Im Innern dieſer Subſtanz laſſen ſich meiſt nur feine Körnchen oder blaſige Räume unterſcheiden, die von keinem Beſtand ſind. Dieſe thieriſche Grundſubſtanz entſpricht allen Funktionen des Thierkörpers ohne Ausnahme. Ihre äußere Schicht erſcheint etwas feſter, als die Maſſe im Innern und bildet ſo eine Art von äußerer Haut, die ſich wie ein Schwamm mit Flüſſigkeiten vollſaugt und ſo den Körper ernährt; ihre Zuſammenziehungen ver - mitteln die Bewegung, ihre äußere Oberfläche die Empfindung; — ein Theil dieſer Subſtanz iſt eben ſo lebensfähig als das Ganze. Los - geriſſene Stücke dieſer Subſtanz ziehen ſich zuſammen, dehnen ſich aus, höhlen Blaſenräume in ſich aus, treiben Fortſätze vor ſich her — kurz — erleiden durch die Trennung keine Aenderung ihrer Lebenserſcheinungen. Der Körper des Thieres theilt ſich freiwillig oder ſelbſt durch äußere Gewalt und jede Hälfte ſchließt ſich wieder zum vollkommenen Thiere ab. So iſt Alles vereinigt in einer Grundlage, aus welcher die einzelnen Organe ſich nach und nach zu differenziren beginnen, ähnlich wie bei dem Embryo, wo ebenfalls aus der Grundſubſtanz des Ei’s die ein - zelnen Organe und Formelemente durch fortdauernde Differenzirung ſich37 aufbauen. Die weitere Ausbildung dieſer formloſen, körnigen Grundſub - ſtanz geht ſowohl bei den Embryonen, wie bei den Thieren im erwach - ſenen Zuſtande in gleicher Weiſe vor ſich. Es entſtehen beſtimmte Elementarformen, Bläschen von mehr oder minder kuglicher Geſtalt, Zellen von mancherlei Beſchaffenheit, in welchen eine deutlichere Son - derung zwiſchen äußerer Hülle und eingeſchloſſenem Inhalt Statt ge - funden hat, und deren Zuſammenhäufung den Thierkörper bildet. Erſt ſpäter entwickeln ſich aus dieſen Zellen, aus ihrem Inhalte und der form - loſen Subſtanz, die ſie umgibt, die einzelnen Gewebtheile hervor, deren Mannigfaltigkeit den Thierleib und ſeine vielfachen Organe auf ihrer höheren Stufe zuſammenſetzt. Wir kommen in den folgenden Blättern auf dieſe Ausbildung der Gewebe zurück. Hier ſei nur ſo viel bemerkt, daß die Abhängigkeit eines Theiles vom ganzen Thierleibe um ſo größer, die Verbindung deſſelben mit dem übrigen Organismus um ſo nöthiger iſt, je weiter dieſe Ausbildung der Gewebe fortgeſchritten und damit auch die Sonderung der einzelnen Organe und ihrer Func - tionen gediehen iſt. Bedenkt man, daß die Sarkode alle Functionen des Thieres, Empfindung und Bewegung, Einnahme und Austauſch von Stoffen im Keime in ſich vereinigt, ſo wird es begreiflich, daß auch jeder Theil derſelben mit dieſen Functionen ausgerüſtet als ſelbſt - ſtändiger Organismus auftreten kann. Je mehr aber die Trennung der Functionen eintritt, deſto weniger iſt dies ferner möglich.
Daher denn auch die erſtaunliche Wiedererzeugungskraft der niederen Thiere, die ſo weit geht, daß bei vielen jedes Stück des Organismus ſich zu einem ſelbſtſtändigen Thiere ausbilden kann. Im normalen Leben des Thieres tritt dieſe Eigenſchaft als geſchlechtsloſe Zeugung durch Theilung, Knospung, Sproſſung auf; der Thierleib, welcher entweder nur aus Sarkode oder aus Zellen mit ſehr wenig differenzirten Organen beſteht, theilt ſich freiwillig in mehre ſelbſt - ſtändige Weſen oder treibt an irgend einer Stelle Sarkode gleichſam als Ueberwucherung hervor, welche ſich nach und nach zu einem ſelbſt - ſtändigen Thiere ausbildet. Als letzter Reſt dieſer Fähigkeit bleibt auch bei den höchſten Thieren die Thätigkeit des Eierſtockes, als eines Organes, welches die Eier, d. h. die aus formloſer Körnchenſubſtanz, aus Sarkode, beſtehenden Keime der neuen Weſen allein hervorzubrin - gen im Stande iſt.
Bei abnormen Zuſtänden tritt uns dieſelbe Erſcheinung entgegen und in um ſo ausgebildeterem Maße, je tiefer das Thier in Hinſicht ſeiner Gewebs - und Organ-Entfaltung ſteht. Der zerſchnittene Arm - polyp wächſt zu zwei ſelbſtſtändigen Thieren aus; jede ſeiner Hälften38 ergänzt das ihr Fehlende bis zur Vollſtändigkeit. Der Naturforſcher mit ſeinem Scalpell befindet ſich dieſen Thieren gegenüber vollkommen in der Lage des Göthe’ſchen Zauberlehrlings — die getrennten Hälften werden ganze Individuen. Bald aber, mit der Differenzirung be - ſtimmter Organe und weſentlicher Organſyſteme, beſchränkt ſich dieſe Fähigkeit. Der verſtümmelte Körper reproducirt ganz oder unvoll - ſtändig die Theile, die ihm verloren gingen — der Krebs bildet ſich neue Scheeren, neue Füße, die Eidechſe einen neuen Schwanz, der Salamander ein friſches Auge (wenn anders die Beobachtung richtig) — ja die Synapte und die Seewalze ſollen ſich einen neuen Darm, neue Athemwerkzeuge bilden können. Aber dieſe Neubildung geht nur von demjenigen Theile des verſtümmelten Thierleibes aus, der die weſentlichſten Organſyſteme noch enthält. — Das abgeſchnittene Bein des Salamanders kann ſich nicht einen neuen Körper bilden, wohl aber der Körper ein neues Bein hervorſproſſen laſſen. Und dieſe Re - production geſchieht auf dieſelbe Weiſe, wie die Bildung der Organe im Ei beim Werden des Embryo’s, durch Erguß formloſer Bil - dungsmaſſe, die ſich zu Zellen und Geweben umwandelt. Als letzter Reſt dieſer Thätigkeit bleibt bei den höchſten Thieren der Heilungs - proceß der Wunden, die Bildung der Narbenſubſtanz.
Doch kehren wir zur Entfaltung des Thierleibes und zur Diffe - renzirung ſeiner Organe zurück.
Beſondere Höhlen zur Aufnahme der zur Ernährung des Kör - pers eingeführten Stoffe bilden ſich zuerſt, weßhalb man auch oft behauptet hat, der Grundtypus des thieriſchen Körpers ſei ein vorn eingeſtülptes Bläschen, deſſen innere durch die Einſtülpung hervorge - brachte Höhle die Aneignung der von Außen eingebrachten Nahrungs - ſtoffe vermittele. Die Verdauungsorgane zeigen in ihrem Stre - ben nach höherer Ausbildung eine unendliche Mannigfaltigkeit der Form; zuerſt nur ein vorderer Eingang, ein Mund, mit einem kurzen röhrenförmigen Schlunde, aus deſſen hinterem unbeſtimmten Ende die aufgenommenen Nahrungsmittel in das weiche Gewebe des Körpers hineingedrückt werden; dann ein geſchloſſener Schlauch, der die un - verdauten Reſte der Nahrung, den Koth, durch dieſelbe Oeffnung auswirft, durch welche die Nahrungsſtoffe aufgenommen werden; end - lich ein mehr oder minder gewundenes Rohr, welches durch zwei Oeffnungen, Mund und After, nach Außen mündet und weſentliche Complikationen in ſeinen einzelnen Theilen darbietet. Wenn die Wan - dungen dieſes Rohres, welche mit den aufgenommenen Nahrungsſtoffen in Berührung kommen, anfangs der äußern Körperwand analog ge -39 baut und nur als eine Einſtülpung derſelben nach Innen zu betrachten ſind, ſo entwickeln ſich ſpäter zur Bewältigung und Auflöſung der eingeführten Nahrungsmittel eine Menge von verſchiedenen Apparaten, welche die mannigfaltigſte Struktur beſitzen. Abſonderungsorgane, Drü - ſen aller Art, welche bald ſauere, bald alkaliſche Stoffe in die Darmhöhle ergießen, treten an verſchiedenen Stellen auf. Es entwickelt ſich auf dieſe Weiſe die Leber, die verſchiedenen Speicheldrüſen, die man - nigfachen eigenthümlichen Abſonderungsorgane, welche theils in den Darmwandungen ſelbſt, theils in ihrer Nähe ſich ausbilden. Die Um - ſetzung der ſo verſchiedenartig geſtalteten und chemiſch ſo mannigfaltig zuſammengeſetzten Organe erzeugt Auswurfsſtoffe, welche durch be - ſondere Drüſen abgeſondert werden, die zum Theile, wie die Haru - organe, anfänglich in Beziehung zu dem Darmkanale ſtehen, dann aber ſich von ihm trennen und ſelbſtſtändig werden.
Die Function der Verdauungsorgane bietet demnach vorzugsweiſe zwei Seiten dar — eines Theils die Zerlegung der Nahrungsſtoffe in ſolche Subſtanzen, welche von dem Organismus aufgenommen werden können — andern Theils die Aufnahme dieſer zubereiteten Stoffe in den Or - ganismus ſelbſt und in deſſen Theile. Der Darmkanal iſt ſo einerſeits der Behälter, in welchem die aufgenommenen Gegenſtände durch Zuſatz von verſchiedenen chemiſchen Agentien behandelt und löslich gemacht werden, anderſeits der Filter, durch den die aufgelöſten Stoffe abgeſeiht, in den Organismus aufgenommen und von den unverdaulichen Reſten getrennt werden. So mannigfaltig bekannt indeß die Formen des Darmrohres und der Drüſen, welche die auflöſenden Agentien liefern, ſowie die Zuſammenſetzung ihrer einzelnen Gewebe iſt, ſo wenig wiſſen wir von der eigentlichen Natur dieſer Vorgänge, beſonders bei den niederen Thieren. Die raſtloſe Bemühung der Phyſiologen und Che - miker hat uns nachgewieſen, daß bei den höheren Thieren die einzelnen Abtheilungen des Darmkanals verſchiedene Funktionen haben, ſo wie auch die Nahrungsſtoffe, wenn ſie ihren Zweck vollkommen erreichen ſollen, mehrere Stoffe enthalten müſſen; daß beim Menſchen z. B. der Magen hauptſächlich zur Aufnahme derjenigen Stoffe beſtimmt iſt, welche dem Eiweiße oder dem Fleiſche in ihrer chemiſchen Zuſammen - ſetzung entſprechen, während der Darm weſentlich die Aneignung der Subſtanzen, die dem Fett ähnlich oder in Fett überführbar ſind, ver - mittelt und daß demnach die in den Darm - und den Magenhäuten liegenden Drüſen, ſo wie die großen Hülfsdrüſen, Leber und Speichel - drüſen, welche ihre Abſonderung in die Darmhöhle ergießen, ſehr verſchiedenartige Flüſſigkeiten bereiten. Bei der zunehmenden Zerſplit -40 terung der Functionen an beſondere Organe, die man bei der Ent - faltung des Thierleibes beobachtet, läßt ſich erwarten, daß in den niederen Thieren, wo nur geringe Diverſität der Verdauungsorgane herrſcht, auch die Function derſelben mehr vereinigt ſei. Hier fehlen uns aber die näheren Grundlagen eindringenderen Wiſſens. Unzäh - lige Thiere leben einzig und allein von Stoffen, die den höheren Thieren, deren verdauende Thätigkeit vorzugsweiſe unterſucht iſt, keine Sub - ſtanz zur Erhaltung ihres Lebens bieten könnten; ich nenne nur als Beiſpiel ſo manche Inſekten, deren einzige Nahrung aus Holzfaſer, Hornſubſtanz (Haaren und Federn), fauligen Materien und anderen, für uns und die höheren Thiere ganz unverdaulichen Stoffen beſteht. Die aufrichtige Naturforſchung kann hier nur ſagen, von welchen Stoffen dieſe Thiere leben, und wie die Form der Organe beſchaffen iſt, womit ſie die Nahrungsſtoffe erfaſſen, mechaniſch zerkleinern, auf - löſen und verdauen — aber das Wie? der letzteren Vorgänge bleibt noch ein reiches Feld für künftige Forſchung.
In gleicher Ungewißheit ſchweben wir über die zweite Seite der Verdauungsfunction, über die Aufnahme der Stoffe in den Organis - mus ſelbſt. Wir kennen eine einzige durchgreifende Bedingung für die Aneignung fremder Stoffe, welche für die ganze Thierwelt gilt — die aufzunehmenden Stoffe müſſen flüſſig ſein, oder durch die Verdauungsorgane verflüſſigt werden können, um durch Einſaugung der Darmwandungen aufgenommen und mittelſt Austauſch gegen die allgemeine Ernährungsflüſſigkeit dem Körper angeeignet zu werden. Die Bedingungen dieſes Austauſches, des Uebertrittes gewiſſer Stoffe, während andere zurückbleiben, kennen wir kaum bei den Säugethieren, geſchweige denn in der übrigen Thierwelt.
Jedes Thier iſt auf Ernährung angewieſen. Zwar können viele längere Zeit hindurch ohne Aufnahme von Nahrung fortexiſtiren und dies um ſo eher, je niedern Stufen ſie angehören; aber dennoch bleibt es ein allgemeines Geſetz, daß der thieriſche Organismus zu Grunde geht, wenn ihm nicht von Zeit zu Zeit Stoff von Außen zur Erhal - tung zugeführt wird; das materielle Thierleben beſteht weſentlich in Verbrauch von Stoff, der durch die verſchiedenen Abſonderungsorgane aus dem Körper ausgeſchieden wird. — Die Zufuhr, welche dieſen verbrauchten Stoff erſetzen ſoll, muß demnach alle Subſtanzen enthal - ten, welche den Körper ſelbſt zuſammenſetzen. Die Ernährung des thieriſchen Körpers, der Erſatz der unbrauchbar gewordenen Theile durch den verarbeiteten Nährſtoff iſt mithin nur dann möglich, wenn derſelbe in dem ganzen Körper überall hin dringen, nach allen Orga -41 nen hin vertheilt werden kann. Zu dieſem Zwecke entwickelt ſich all - mählig im thieriſchen Organismus der Kreislauf der allgemeinen Ernährungsflüſſigkeit, des Blutes. Bei den niedrigſten Stufen der Thierwelt durchdringen die von der Außenfläche oder von der Darm - haut aufgeſogenen Stoffe leicht die ſchwammige Grundſubſtanz, aus welcher der Körper beſteht. Bald genügt die einfache Imbibition der Sarkode nicht mehr; — ein contractiler blaſenförmiger Raum wird hergeſtellt, durch deſſen Zuſammenziehung die allgemeine Ernährungs - flüſſigkeit in eine gewiſſe Bewegung verſetzt wird. Der contraktile Raum bildet ſich zu einem eigenen Schlauche, deſſen muskulöſe Wan - dungen rhythmiſche Zuſammenziehungen ausführen, durch welche die allgemeine Ernährungsflüſſigkeit in ſtetem Umſchwunge durch den Kör - per erhalten wird. In den niedern Stufen ergießt ſich das Blut, ohne in beſondere Wandungen eingeſchloſſen zu ſein, ohne eine feſt beſtimmte Richtung zu haben, ſchrankenlos durch die Zwiſchenräume der Gewebe und Organe, umſpült dieſelben überall und durchdringt die Körperſubſtanz. Bei der höheren Thieren kreist das Blut in einem anfangs unvollſtändig, ſpäter vollkommen geſchloſſenen Syſteme von Röhren, die man Gefäße nennt. Die Wechſelwirkung mit dem Gewebe der einzelnen Organe wird durch die äußerſt zarten Wandungen der feinſten Endigungen dieſer Gefäße, durch die Netze der Haargefäße bewerkſtelligt, während die Richtung des Blutſtromes, die bei den niedern Thieren oft unbeſtimmt iſt, oft ſelbſt periodiſch wechſelt, bei den höheren durch äußerſt ſinnreiche mechaniſche Klappen - vorrichtungen in der Bewegungsmaſchine des Herzens genau fixirt wird. Auf dieſe Weiſe wird im Körper ſelbſt eine Flüſſigkeit gebildet, das Blut, in welches alle Stoffe eingeführt werden, die von Außen her genommen oder durch den Umſatz der Körperorgane abgeſchieden werden. Der ſtete Umſchwung dieſes Blutes durch die aufnehmenden Organe einerſeits, durch die abſondernden andrerſeits, die Durchdrin - gung aller Theile mittelſt dieſer Flüſſigkeit vermittelt Ausſcheidung und Aufnahme und es iſt ſomit das Blut gewiſſermaßen der aufgelöſte Organismus, der ſeine eigene Zukunft (die aufgenommenen Nahrungs - ſtoffe) und ſeine Vergangenheit (die verbrauchten Stoffe der Organe) in ſich enthält.
Mit der Function des Kreislaufes ſteht in genaueſter Verbindung diejenige der Athmung. Ein tiefer Unterſchied beſteht in dem Ver - halten der beiden organiſchen Reiche, des Pflanzenreiches und des Thierreiches zu der atmosphäriſchen Luft. Das Thier verbraucht den Sauerſtoff derſelben und haucht an ſeiner Statt Kohlenſäure aus; die42 Pflanze im Gegentheile, ſaugt Kohlenſäure ein und gibt dafür Sauer - ſtoff an die Atmosphäre zurück. So ſtehen beide Reiche in inniger Wechſelwirkung durch das Mittel der Atmosphäre. Die Exiſtenz des Einen bedingt die des Andern; ohne Pflanzenwelt keine Thierwelt und umgekehrt. Die in dem Waſſer lebenden Pflanzen und Thiere ſind hinſichtlich ihrer Athmung auf diejenigen Gasarten angewieſen, welche in dem Waſſer ſelbſt enthalten ſind. Der im Waſſer aufgelöſte Sauer - ſtoff dient den Thieren, die darin aufgelöſte Kohlenſäure den Pflanzen zur Unterhaltung dieſer Wechſelwirkung mit der Atmosphäre. Durch Abhaltung der Luft, durch Entziehung derſelben aus dem Waſſer kann man die Bewohner dieſes Elementes ebenſo erſticken, wie die Land - thiere durch Entziehung der Atmosphäre. Aber auch bei den Orga - nen, welche die Athmung vermitteln, zeigt ſich eine ſtufenweiſe Aus - bildung und genauere Specialiſirung ihrer Function. Anfänglich iſt die Athmung der allgemeinen Körperoberfläche anheim gegeben, dann entſtehen beſondere Organe, welche oft mit den Bewegungsorganen verſchmolzen oder nur theilweiſe von ihnen getrennt ſind; dann erſchei - nen ſie als Anhängſel auf der äußern Fläche, bis ſie endlich beſondere Höhlen im Innern bilden, die einen complicirten röhrenförmigen Bau annehmen. Man unterſcheidet hier in der Thierwelt weſentlich zwei Arten von Athemorganen: Kiemen, die unterſte Stufe, beſtimmt im Waſſer zu athmen und deßhalb weſentlich in Form von Vorſprüngen, Blättern, Bäumchen etc. entwickelt und Lungen, beſtimmt mit der atmosphäriſchen Luft unmittelbar in Wechſelwirkung zu treten und deßhalb in Form von Blaſen, Säcken oder Luftröhren ausgebildet. Wie der Darmkanal das Organ für die Aufnahme von Stoffen in flüſſiger Form iſt, ſo haben die Athemorgane die ſpecielle Function des Austauſches von Gasarten, welche ſich im Blute finden, mit denen des Mediums, in welchem das Thier lebt. Aber dieſer Austauſch be - ſchränkt ſich nie, ſelbſt bei der höchſten Entwickelung der Athemorgane nicht, auf dieſe allein, indem ſtets auch die äußere Haut an dieſer Function, die ſie Anfangs allein hatte, Antheil nimmt. Eine weſent - liche Bedingung zur Erhaltung der Athemfunction iſt der ſtete Wechſel des zur Athmung dienenden Mediums, zu welchem Zwecke theils eigen - thümliche, der Einrichtung eines Blaſebalgs ähnliche Vorrichtungen dienen, theils auch beſondere Wirbel - und Strudelorgane, welche eine Strömung des Waſſers oder der Luft erzeugen, vorhanden ſind.
Die ſogenannten vegetativen Functionen, welche die Erhal - tung des Individuums bezwecken, zerſplittern ſich in der angedeuteten Weiſe immer mehr und mehr bei fortſchreitender Ausbildung des thie -43 riſchen Organismus. Nicht minder findet dieſelbe Erſcheinung ſtatt in dem Bereiche derjenigen Organe, welche die Empfindung und Bewegung vermitteln, alſo den eigentlichen thieriſchen, oder ani - malen Functionen vorſtehen. Die Hautoberfläche iſt Anfangs das gemeinſchaftliche Organ für Empfindung und Bewegung zugleich. Die niedern Thiere taſten mit jedem Punkte ihrer Oberfläche und jede Stelle derſelben dient zugleich als Bewegungsorgan. Nach und nach aber treten beſondere Taſtorgane hervor, die an einzelnen Stellen nur beſonders ausgebildet ſind, während die übrige Hautoberfläche, mehr und mehr differenzirt, ſich zum Schutzorgan des ganzen Körpers und zum Stützpunkt der Bewegung ausbildet. Dort entſtehen Anhäufungen anorganiſcher Maſſen, die in mehr oder minder engem Zuſammen - hange mit dem Hautgewebe ſtehen und ſchützende Röhren, Schalen, Schilder, Schuppen und Panzer bilden. In den niederen Stufen, wie bei den Korallen, den Polypen und den Schalen der Weichthiere zeigen dieſe anorganiſchen Schutzbildungen im Innern ihrer Maſſen mehr oder minder kryſtalliniſche Struktur, während da, wo ſie als Knochen - Zahn - oder Emailſubſtanz auftreten, eine organiſche Maſſe ihre Haupt - grundlage bildet. Anderwärts ſind es feſte organiſche Bildungen, aus Holzfaſer, Chitin*)Ein eigenthümlicher unlöslicher Stoff, der bei den Gliederthieren vorkömmt., oder Hornſubſtanz gewebt, welche der äußern Haut ihre Feſtigkeit verleihen und ſie faſt unzerſtörbar für ſchwächere chemiſche Agentien machen. Eigenthümliche Angriffsorgane, theilweiſe auch zur activen Vertheidigung beſtimmt, entwickeln ſich in Geſtalt von Stacheln, Haken, Giftbläschen u. ſ. w. — kurz eine Mannigfaltigkeit der äußeren Bildungen tritt auf, welche beſonders von der beſchrei - benden Zoologie mit großer Ausführlichkeit in das Bereich ihrer Be - trachtungen gezogen werden muß. Die größere oder geringere Härte, welche die Haut an vielen Stellen beſitzt, befähigt ſie, paſſives Bewe - gungsorgan zu werden, indem die activ bewegenden Theile, die Mus - keln, ſich an ihrer inneren Fläche feſtſetzen und ſo feſte Stützpunkte für ihre Wirkſamkeit finden. Wenn die Hautoberfläche noch wie bei vielen höhern Thieren mehreren Functionen zugleich vorſteht, wie der Ab - ſonderung, dem Taſtgefühl, dem Schutze gegen äußere Einflüſſe, ſo ſind dieſe ſtets an verſchiedene ſtreng individualiſirte Theile des Hautgewebes gebunden.
Die Bewegung, welche bei allen Thieren willkührlich iſt (es iſt damit nicht ausgeſchloſſen, daß auch unwillkürliche Bewegungen vor - kommen,) und bei den niederen Stufen als Function der geſammten44 Thierſubſtanz gleichmäßig zukömmt, wird nach und nach ebenfalls auf beſondere Gewebe und Organe beſchränkt. Man findet Fäden, die zu Bündeln zuſammentreten, den Thierleib in beſtimmten Richtungen durchziehen und durch ihre Zuſammenziehungen beſtimmte Bewegungen veranlaſſen. Anfänglich ſetzen ſich dieſe Fäden nur hier und da an der Körperwandung oder an Organen feſt, welche durch ihre Elaſti - zität und relative Feſtigkeit einerſeits Stützpunkte abgeben, anderſeits aber auch Beugungen geſtatten. Bald aber entwickeln ſich feſtere Stücke, Hebel, welchen zugleich beſondere wohl characteriſirte, ein eigenes Ge - webe bildende Fadenbündel, Muskeln, entſprechen, die an den hebelartig beweglichen feſten Theilen gleich Zugſeilen angebracht ſind und dieſe mittelſt oft ſehr künſtlicher Gelenke auf einander bewegen. In den niedern Formen der Geſtaltungen bilden dieſe Hebel hohle Röhren, aus Horn, Chitin, oder theilweiſe unorganiſcher Subſtanz geformt, auf deren innerer Fläche die jetzt höchſt charakteriſtiſch gebauten und mit keinem andern Gewebe verwechſelbaren Muskelfäden angeheftet ſind. In den höheren Bildungsſtufen befinden ſich die Hebel, die Knochen und Knorpel, welche ebenfalls ſehr eigenthümliche Gewebe bilden, im Innern des Organismus als mehr oder minder ſolide Körper und die Muskeln ſind auf ihrer Außenfläche angebracht; bei den höheren Thieren ſind es die Bewegungsorgane, das innere Skelett und die Muskeln, von welchen die äußere Formgeſtaltung des Körpers abhängt, bei den niedern Thieren ſind es oft ganz andere Organe, beſonders aber die Verdauungs - und Geſchlechtsorgane, welche auf die äußere Geſtaltung des Körpers bedingend einwirken.
Auch die Sinnesorgane differenziren ſich erſt allmählig in dem Körper hervor und zwar urſprünglich in einer Form, welche es faſt zweifelhaft läßt, ob das Sinnesorgan wirklich eines ſei und welcher ſpecielleren Function, dem Hören oder Sehen, es eigentlich vorſtehe. Daß alle Thiere Sinnesempfindungen beſitzen, wenn auch oft nur in ſehr ſtumpfer Weiſe, iſt unzweifelhaft — ob aber die Zahl der Sinne dieſelbe ſei, wie bei dem Menſchen und den höheren Thieren, iſt eine andere Frage. Es kann vermuthet werden, daß bei den niederen Thie - ren die verſchiedenen Sinnesempfindungen die wir, mit ſpeciellen Or - ganen dafür begabt, als Sehen, Hören, Riechen, Schmecken unter - ſcheiden, ebenſo untereinander und mit dem Taſtſinn zuſammenſchmelzen, wie dies auch bei anderen Functionen der Fall iſt — uns eine Vor - ſtellung von dieſem Zuſammendrängen ſpecifiſch verſchiedener Sinnes - empfindungen in eine zu machen, erſcheint mir aber unmöglich. Eben ſo können wir die Gränzen der einzelnen Sinnesempfindungen nicht nach45 den unſern abmeſſen — es iſt ſehr wahrſcheinlich, daß dieſelben für jedes Thier verſchieden ſind und daß das Eine noch Wellenerſchütterungen als Schall und Ton empfindet, die für das Andere unhörbar ſind etc. Wie dem auch ſei, die Sinnesorgane differenziren ſich erſt allmählig aus der Körpermaſſe hervor und laſſen auch deutliche Spuren allmähliger Ausbildung erkennen. Zuerſt tritt in einfacher Blaſenform mit einem in dieſem Säckchen eingeſchloſſenen kryſtalliniſchen Kerne, das Gehörorgan in die Erſcheinung. Tief im Innern des Körpers verborgen und oft unmittelbar dem Centralnervenſyſteme aufgeſetzt, wurde dieſe primitive Form des Ohrs erſt neuerdings durch das Mikroſkop entdeckt. Nach und nach hebt es ſich an die Oberfläche empor, um die Schallwellen direkt zu empfangen, die es vorher nur durch Vermittelung der Körpergewebe erhielt. Die hinzutretenden Theile erhalten das Uebergewicht über das urſprüngliche Ohrbläschen und auf der höchſten Stufe der Ausbildung zeigt ſich ein eigentliches äußeres Ohr, welches mit einem wunderbar complicirten inneren Organe in Zuſammenhang ſteht. In ähnlicher Weiſe verhält ſich das Auge, bei welchem zugleich jenes Geſetz in den Vor - dergrund tritt, nach welchem die vielfachen Wiederholungen eines und deſſelben Organes mit denſelben Functionen eine Stufe niederer Aus - bildung verrathen, während die complicirte Bildung eines zur ſpe - ciellen Function beſtimmten Organes, das in einfacher Zahl vorhanden iſt, die höhere Bildungsſtufe andeutet. So ſind im Anfange die äußeren Hüllen für das Auge in ihrer Beſchaffenheit nicht verſchieden von der allgemeinen Körperhülle, die eine gewiſſe Durchſichtigkeit be - ſitzt; — ſpäter differenziren ſie ſich mehr als durchſichtige Augenhäute; aber nur auf höheren Stufen werden eigenthümliche Schutzorgane, Lider, für das Sehorgan nach und nach ausgebildet. In den erſten Rudimenten der Augen exiſtirt nur ein lichtbrechender Körper, die Linſe, während nach und nach noch mehre Organe gleicher Art, Glaskör - per, Augenflüſſigkeit, hinzutreten. Ebenſo differenziren ſich nur nach und nach als ſelbſtſtändige Organe diejenigen Bildungen, welche das Seitenlicht abzuhalten, die Schärfe und Genauigkeit des Bildes zu er - höhen haben, und wozu namentlich die farbigen Augenhäute und die in Art von Schirmen beweglichen Regenbogenhäute gehören. Anfangs iſt das Sehorgan unbeweglich in die Körperſubſtanz eingefügt; ſpäter wird es, ſelbſt unbeweglich, von beweglichen Körpertheilen getragen; auf der höchſten Stufe endlich wird das Organ willkührlich beweglich und kann nach Belieben ſelbſtſtändig auf den zu betrachtenden Gegen - ſtand gelenkt werden. — Nur ſehr ſpät treten beſondere Organe für diejenigen Empfindungen, welche wir als Geruch und Ge -46 ſchmack bezeichnen, hervor und die Zunge iſt Anfangs namentlich oft Taſtorgan, Ergreifungsorgan und Geſchmacksorgan zugleich, während ſpäter erſt ſich dieſe Functionen mehr nnd mehr differenziren.
Die Empfindungen und willkührlichen Bewegungen hängen bei den höheren Thieren von der Exiſtenz eines eigenen Organſyſtems ab, welches wir mit dem Namen des Nervenſyſtems bezeichnen. So wie das Blut der Mittelpunkt aller vegetativen Functionen iſt, durch welchen aller Austauſch der Körpertheile bedingt wird, ſo ſtellt das Nervenſyſtem das Centrum der animalen Functionen dar, welches die Empfindungen zum Bewußtſein bringt und die Bewegungen regelt. Auch dieſes ſo äußerſt wichtige Syſtem dringt erſt durch vielfache Pha - ſen bis zu dem letzten Punkte ſeiner Ausbildung, die es in dem Men - ſchen erreicht, vor. Bei den niedern Thieren hat auch die genaueſte Unterſuchung keine Sonderung, weder ein Centralorgan, noch peri - pheriſche Nerven entdecken laſſen; — weiter hinauf begegnet man ein - zelnen Nervenknoten, von welchen feine Fäden an die wichtigſten Organe ausſtrahlen. Durch dieſe Fäden verbinden ſich die verſchie - denen Knoten zu einem gemeinſchaftlichen Syſteme, das meiſt bei den niedern Thieren noch aus unregelmäßig durch den Körper zerſtreuten Knoten zuſammengeſetzt iſt. Später bildet ſich eine Reihe von Knoten, welche durch dicke Verbindungsſtränge mit einander zuſammenhängen und von einem in dem Kopfe gelegenen aus mehrfachen Anſchwellungen zuſammengeſetzten Knoten ausgehen ein Bauchmark, welches auf der Bauchſeite des Körpers unter den Eingeweiden liegt; — endlich in den höheren Thieren ſondert ſich die Centralmaſſe als Hirn und Rücken - mark ſcharf von den ausſtrahlenden Nervenfäden ab und wird in dem Verhältniſſe zu dem Körper ſtets bedeutender an Maſſe, indem ſie zugleich die Rückenlage einnimmt.
Mit der Entwickelung des Nervenſyſtems hält die Ausbildung der geiſtigen Fähigkeiten vollkommen gleichen Schritt und erhebt ſich in jedem einzelnen Typus der Organiſation bis auf eine gewiſſe Höhe, welche ſtets bedeutender iſt als diejenige, womit der nächſte Typus anfängt. Die geiſtigen Fähigkeiten der Thiere ſind auf das Engſte an das materielle Subſtrat gebunden; — es giebt kein ſelbſt - ſtändiges, unabhängiges, geiſtiges Prinzip, welches den thieriſchen Körper nur als Maſchine zu ſeiner Manifeſtation benutzt. Die geiſtigen Fähigkeiten überhaupt ſind nur das Produkt der Function der Nervenmaſſe und hängen von der Integrität dieſes Organſyſtems ab, wie alle übrigen Functionen von ihren ſpecifiſchen Organen.
Die Organe, deren Entfaltung wir bisher mit kurzen Zügen an -47 zudeuten verſuchten, beziehen ſich auf das Leben des Individuums und auf die Erhaltung deſſelben als abgeſchloſſener organiſcher Körper. Zu dem thieriſchen Leben gehört indeß nothwendigerweiſe noch eine zweite Bedingung, die Erhaltung der Art durch Fortpflanzung des Einzelweſens und ſomit die Erhaltung der ganzen thieriſchen Schöpfung in ihrer Geſammtheit während des Laufes der Zeiten. Jedem thieriſchen Organismus iſt nur eine gewiſſe Zeit der Exiſtenz angewieſen; der Tod iſt ein allgemeines Geſetz für alle, während die<