τὰ ἱρὰ ἐόντα πρήγματα ἱροῖσιν ἀνϑρώποισι δείκνυται, βεβήλοισι δ̕ οὐ ϑέμις, πρὶν ἢ τελεσϑέωσιν ὀργίοισιν ἐπιστήμης.(Demokritos. )
ALMAE-MATRI PORTAE V - S - L - M - ΟϒΠΑϒΣΟΜΑΙΤΑΣΧΑΡΙΤΑΣ ΜΟϒΣΑΙΣΣϒΓΚΑΤΑΜΕΙΓΝϒΣΑΔΙΣΤΑΝΣϒΖϒΤΙΑΝ 9 ix 1867 21 v 1889
Als ich vor 22 jahren das kleine katheder des betsaales bestieg, um abschied von der Pforte zu nehmen, überreichte ich ihr nach alter guter sitte eine valedictionsarbeit, die das motto trug, das ich heute wiederhole. es war und ist ein gelübde für’s leben: den Musen und auch der alten schule werde ich die treue halten. die abhandlung selbst gieng die griechische tragödie an und war natürlich ein geschreibsel, ganz so grün wie ihr verfasser. der würde tief unglücklich geworden sein, hätte er geahnt, wie bald er so urteilen würde; aber im stillen herzen gelobte er sich doch, wenn er ein mann würde, der Pforte ein buch zu widmen, das denselben gegenstand wissenschaftlich behandelte. dies gelöbnis würde er nie ausgesprochen haben, wenn er es nicht zugleich erfüllte. er tut es heut, indem er das drama, aus dem er damals das motto nahm, er - läutert, und ein buch veröffentlicht, das vor allem so grünen aber von den Musen begeisterten jünglingen, wie er damals einer war, das ver - ständnis der tragödie erschlieſsen soll.
Denn geplant und begonnen habe ich dieses buch zunächst nicht um neue forschungen vorzutragen, sondern um das verständnis der tra - gödie, das doch gemeinbesitz der wissenschaft ist, zu vermitteln. nun ist freilich etwas ganz anderes herausgekommen, das jenen zweck viel - leicht nicht mehr so gut erfüllt, jedenfalls ein anorganisches gebilde, dem ich zur entschuldigung seine entstehungsgeschichte mit auf den weg geben muſs.
Meine wissenschaftliche arbeit ist von der tragödie ausgegangen, und mich interessirte zu anfang das meiste nur entsprechend dem, wie ichVIIIVorwort.es für dieses gebiet nutzbar machen konnte. das war freilich nicht wenig, denn mein lehrmeister war Welcker, in dessen werke ich mich mit leidenschaft vertiefte. damit ist gesagt, daſs mich die herrschende tragiker - kritik nur mit widerwillen erfüllen konnte. und doch gehört ein jeg - licher seiner zeit an, und mein erstes buch war stark in den irrtümern der nämlichen methode befangen, gegen die es laut protestirte. ich hatte es zum äuſseren zwecke der habilitation in unverzeihlicher eilfertigkeit hingeworfen, und wollte es schleunigst durch etwas reiferes ergänzen. aber ich war noch unreif. zwar widerstand ich der versuchung, die an mich herantrat, meine collationen zu einer Euripidesausgabe zu ver - wenden, auch der, ein buch über das drama zu schreiben. aber ich wähnte doch in kurzer frist eine erklärende ausgabe des Herakles und dann anderer dramen fertig stellen zu können, weil ich den text fleiſsig durchgearbeitet hatte, und bot deshalb der Weidmann’schen buchhand - lung 1877 diese ausgabe für die Haupt-Sauppe’sche sammlung an. darin war der gedanke ganz richtig, daſs es nützlicher ist, das was man ver - steht vorzulegen als was man nicht versteht und deshalb ändert, daſs es zunächst gilt zu erklären; aber ich würde meine sache noch nicht ordent - lich gemacht haben, weil ich zu wenig wuſste. zum glücke zwang mich das lehramt zum lernen, und als ich 1879 den Herakles ernsthaft wieder angriff, wuſste ich wenigstens das drama eingerückt an seinen richtigen platz sowol in der entwickelung der sage wie in der gesammtentwickelung der hellenischen geschichte und cultur zu betrachten. und auch sprache und verskunst hatte ich begonnen geschichtlich zu erfassen. mir selbst war nicht klar, wie gewaltig die veränderung war; aber ich sehe es jetzt, wenn ich die excurse zu Euripides Medea mit den Analecta Euripidea vergleiche. wie ich damals zum Herakles stand, zeigt der text und die übersetzung, welche 1879 als manuscript gedruckt in vieler händen ist. der gröſste teil des commentars und der einleitung war auch ausgearbeitet oder skizzirt, als äuſsere verhältnisse mich 1882 zwangen abzubrechen. damals hielt ich mich noch im rahmen der schulausgabe, und vielleicht hätte ich ihn damals inne halten können. weihnachten 1886 habe ich mich denn wieder daran gesetzt, entschlossen um keinen preis abzulassen, bis ich die arbeit von der seele hätte. das habe ich denn freilich er -IXVorwort.zwungen. aber das buch ist gänzlich ungefüge geworden. zwar den vorteil wollte ich nicht aufgeben, den strom der erklärung von der wasserpest der kritischen debatten und der polemik rein zu halten: ver - geblich wird der leser moderne eigennamen suchen, die jetzt mode ist womöglich durch gesperrten druck kenntlich gemacht wie fettaugen auf der wissenschaftlichen suppe schwimmen zu lassen. aber die berechtigte forderung, gleichmäſsig zu erklären und streng bei dem gegebenen zu bleiben, ist doch verletzt, und es ist wieder ein commentar, der einen index nötig hat. vollends aber die einleitung ist zu einem bande aus - gewachsen, und ich habe mich schlieſslich dazu verstehen müssen, sie durch einen sondertitel als einleitung in das attische drama zu verselb - ständigen. unmittelbar diesem zwecke dient nur die hälfte, cap. 2 — 4; auch 5 und 6 fallen nicht ganz heraus, denn wer auf das verhältnis der tragödie zur sage so viel wert legt, daſs er es sogar in ihre definition einbezieht, wird ein beispiel unter allen umständen vorführen wollen, und das kann Heraklessage und Heraklestragödie so gut wie eine andere sein. aber ein γένος Εὐριπίδου ist ganz unberechtigt, wenn die beiden anderen tragiker fehlen, und die wieder können in die einleitung zum Herakles nimmermehr hinein. es ist nicht anders, das buch wie es ist ist keine einheit und hat objectiv keine berechtigung. dies urteil ver - diene ich, fälle ich selbst zuerst, aber ich konnte nicht anders: was ich gemalt hab’ hab’ ich gemalt, und die subjective berechtigung lasse ich mir nicht nehmen. ist denn die wissenschaftliche production eine andere als die dichterische, wo wir doch wissen, daſs der dichter unter dem zwange des geistes schafft, der über ihn kommt? auch unser tun ist πο〈…〉〈…〉 εῖν, und auch wir können die poesie nicht commandiren. nur was wir verfehlen, ist unser, und etwa die handwerksarbeit, die jeder kann, wenn er den schweiſs daran setzt: was uns gelingt, das danken wir der Muse, und soll ihr, nicht uns, danken, wer sich dadurch gefördert fühlt. mir hat sie versagt zu schaffen, was einen reinen eindruck macht; ich bin philologe genug, den mangel einzusehen, aber ich bin nicht poet gemug, ihn zu überwinden.
Ich hatte jahre lang meinen zorn damit beschwichtigt, in dieser vorrede einmal gegen die behandlung aufzustehen, die sich die wortführerXVorwort.der s. g. öffentlichen meinung in den recensiranstalten und jahresbe - richten meinen arbeiten gegenüber herausnehmen, immer dreister, weil sie ungestraft bleiben. nun bin ich auch darüber hinaus, und lasse sie ruhig gewähren, sich selbst zum gerichte. jeden ehrlichen jungen, der der wissenschaft noch so verworren zu dienen beginnt, betrachte ich mit freuden als meines gleichen: aber die sphäre, in der das licht von Nicolaus Wecklein leuchtet, liegt hinter mir, in wesenlosem scheine.
Ein buch, an dem so lange geschrieben und gedruckt ist, wird einzelne wiederholungen und selbst widersprüche enthalten müssen, weil der ver - fasser zu lernen fortfährt. so würde des berichtigens und nachtragens kein ende sein. schon die bücher, die mir nach abschluſs des manuscripts be - kannt geworden sind, z. b. Naucks neubearbeitung der tragikerbruchstücke, Ramsay on Phrygian art, Dümmlers Akademika, erfordern eigentlich eine nachträgliche berücksichtigung; noch viel mehr müſste ich neu machen, wollte ich den mahnungen und anregungen meiner freunde G. Kaibel und F. Leo gerecht werden, die mir zu liebe die druckbogen gelesen haben. das würde also endlos sein, und so habe ich mich auf einen nachtrag beschränkt, der die überraschende rechtfertigung klar stellt, welche einem verse der tragödie in seiner überlieferten gestalt durch die neusten funde auf der athenischen burg zu teil geworden ist. schlieſs - lich muſs ich mich, wie gewöhnlich, anklagen, die druckfehler schlecht verbessert zu haben. verlagsbuchhandlung und druckerei bedürfen zwar keines lobes; aber ich schulde ihnen um so mehr die öffentliche an - erkennung, daſs sie für dieses buch alles getan haben was ich wünschte, und daſs die mangelhafte correctheit des druckes in allem wesentlichen meine schuld ist.
Wenn diese ausgabe eines euripideischen dramas als erstes capitel der prolegomena eine biographische skizze bringt, so geschieht das im an - schluſs an die weise der antiken philologie. wir lesen in den erhaltenen handlschriften der dichter, wenigstens so weit sie auf gelehrte ausgaben des altertums zurückgehen, einen lebensabriſs, der meistens γένος heiſst, weil er mit der herkunft anhebt, auch wol weil den verfassern βίος zu anspruchsvoll klang. denn es lag ihnen fern, von dem wesen und wirken des dichters eine schilderung zu geben, geschweige daſs sie etwas hätten leisten wollen, was wir biographie nennen: dazu hat sich niemand im altertum erhoben. sie wollten dem leser nur kurz die nachrichten über die äuſsern lebensumstände des mannes angeben, dessen werke folgten. durch deren lecture mochte dann jeder sich den rahmen selbst füllen; zur richtigen beurteilung erhielt er in dem γένος einige orientirende beobachtungen und kunsturteile. diese weise, schon in alexandrinischer zeit geübt, ist praktisch und wird deshalb von den modernen häufig und so auch hier befolgt. eine wirkliche biographie, eine entwickelungs - geschichte des individuums innerhalb der kreise, in die es gestellt war, eine biographie wie Justi’s Winckelmann, können wir von keinem Hellenen schreiben, weil dazu das material für uns fehlt: im altertum würde es z. b. von Aristoteles und Epikuros möglich gewesen sein, weil deren correspon - denz veröffentlicht war; von einem manne des fünften jahrhunderts würde es auch damals niemand haben leisten können. M. Cicero ist überhaupt der älteste sterbliche, von dem eine solche biographie geschrieben werden kann: das beste zeugnis für die eminente persönliche bedeutung des mannes. aber eine biographie in groſsen zügen, eine mehr erörternde als er - zählende darlegung von eines einzelnen menschen wirken, zunächst in seinem kreise, dann aber weiter für sein volk, für die folgezeit, für uns und die ewigkeit, eine biographie wie Goethe’s Winckelmann, die lieſsev. Wilamowitz I. 12Das leben des Euripides.sich sehr wol auch von Euripides schreiben, und zwar ist er der zweite Hellene, von dem das möglich ist. der erste ist Pindaros. doch liegt das nur an der zufälligen erhaltung zahlreicher und datirbarer werke. von Aischylos und Sophokles ist es lediglich deshalb nicht möglich. so hohe ziele werden hier nicht verfolgt: auch dies ist nur ein γένος Εὐριπίδου.
Ein solches wird zunächst deshalb nötig, weil der moderne forscher die ehrenpflicht hat, das gedächtnis der groſsen personen des altertums von dem schmutze törichter und böswilliger erfindungen zu reinigen, welche die antike philologie zusammenlas und weitergab, weil es ihr zumeist an jeder historischen einsicht gebrach. für Euripides sind wir jedoch, obwohl des schmutzes mehr als genug ist, wesentlich günstiger gestellt. denn kein geringerer als der letzte Athener, Philochoros, hat mit hilfe des damals noch zugänglichen urkundenmaterials und der noch lebendigen mündlichen tradition ein leben des Euripides geschrieben, worin eine anzahl der schon damals verbreiteten erfindungen abgetan wurden. es genügt also oft auf Philochoros zurückzugreifen, während andererseits angaben, die einen schlicht urkundlichen charakter tragen, als philochoreisch und als wahr gelten dürfen. denn die historische kritik hat wie die diplomatische weder conservativ noch destructiv zu sein: sie hat vielmehr zu ermitteln, was wirklich überliefert ist, und dem ist sie verpflichtet zu glauben, bis es widerlegt ist, andererseits aber un - beglaubigter überlieferung den glauben zu versagen, so lange sie nicht bewiesen ist. 1)Das in den handschriften des dichters erhaltene γένος Εὐριπίδου findet man vor den ausgaben von Kirchhoff und Nauck; die überlieferung der handschriften vollständiger in der ausgabe der scholien von E. Schwartz, wo auch der auszug ab - gedruckt ist, welchen Gellius (XV 20) entweder selbst aus dem γένος, wie es damals in den handschriften stand, genommen hat, oder von Varro überkommen, der es dann ebenso gemacht haben muſs. wenigstens eine notiz ist auf diesem umwege zu Gellius gelangt (XVII 4, 3). Nauck hat in seiner praefatio die sonstigen zerstreut überlieferten notizen so gut wie vollständig gesammelt; worauf hiermit verwiesen sei. im folgenden werden nur belege angeführt, wo es aus besonderen gründen an - gezeigt erscheint.
Aristophanes hat seine Frösche unter dem archon Kallias im gamelion aufgeführt (januar 405). damals waren Euripides und Sophokles eben gestorben; Sophokles später, wie ausdrücklich gesagt wird. man braucht sich aber nur die ganze fabel des stückes, das auf ein duell zwischen Aischylos und Euripides angelegt ist, zu überlegen und vollends die dürf - tige und gezwungene weise, wie Sophokles in den Hades eingeführt, für den gang der komödie aber bei seite gestellt wird, zu erwägen, um3Todes - und geburtsjahr.zu erkennen, daſs dies ein vom dichter aus not wider seinen ersten plan eingeführtes motiv ist, mit anderen worten, daſs er den plan zu seinem drama entworfen hat, als Sophokles noch lebte. dieser ist also, wie auch die beste chronographische überlieferung angibt, in der ersten hälfte des jahres des Kallias (zweite hälfte von 406) gestorben, Euripides nicht viel früher, unter Antigenes. es scheint, daſs wir noch genaueres wissen können. eine zwar nicht ganz verbürgte, aber in sich glaub - würdige2)Glaubwürdig ist die notiz, weil die institution des proagon früh verfallen und aus dem gedächtnisse der gelehrten geraten ist, sie muſs also verhältnismäſsig alt sein und wird auf einen der alten peripatetiker zurückgehen. inhaltlich ist sie wahrscheinlich, weil die ehrenbezeugung eine so schlichte und im geiste des diony - sischen festspieles gehaltene ist (vgl. zu vers 677). die nachrichten über den tod des Sophokles sind alle geschichtlich unverwendbar. nachricht besagt, daſs Sophokles an einem proagon zu ehren des eben verstorbenen Euripides den chor ohne kränze auftreten lieſs: das war also am 8 elaphebolion des Antigenes, ende märz 406, und kurz vorher war die nachricht vom tode des Euripides nach Athen gelangt, aus Makedonien, wo er notorisch gestorben ist. an dem winter 407 / 6 dürfen wir somit festhalten. andererseits steht urkundlich fest, daſs Euripides unter Diokles (408) den Orestes in Athen aufgeführt hat: sein aufenthalt in Makedonien hat also nicht mehr als etwa 1½ jahre ge - dauert.
Unter Kallias, 455, hat Euripides den ersten chor erhalten: das konnte jeder aus der urkundlichen theaterchronik constatiren. damals konnte er nicht wol jünger als 20 jahre sein, war also bei seinem tode mindestens ein siebziger. so hat Philochoros gerechnet und müssen wir rechnen, ohne zu vergessen, daſs er sehr wol ein par jahre älter gewesen sein mag.3)Vielleicht hat sich Philochoros so ausgedrückt, daſs Euripides bei seinem ersten auftreten mindestens ephebe gewesen sein müsse. indem man das als tatsache nahm, konnte man zu der torheit gelangen, daſs Euripides mit 18 jahren die erste tragoedie gegeben hätte: so Gellius. die consequenz, entweder das überlieferte datum 455 oder das allgemein geglaubte 480 aufzugeben, hat man aber nicht gezogen. das wirkliche geburtsjahr eines Atheners des 5. jahrhunderts war für die späteren nicht zu ermitteln4)In anderen gegenden stand es anders. Soran hat in den archiven von Kos gefunden, daſs Hippokrates am 17. Agrianios unter dem monarchen (dem auch ur - kundlich bezeugten eponymen beamten von Kos) Habriades geboren war: eine solche angabe blieb jedoch ungenügend, so lange die gleichsetzung der koischen beamten und das verhältnis des koischen jahres zu einem festen chronologischen system unbestimmt war, und so ist es hier. die aufzeichnung war eine folge der; noch die des Sokrates Iso - krates Platon sind lediglich durch rechnung gefunden.
1*4Das leben des Euripides.Also nahe an das epochenjahr 480, die schlacht bei Salamis, reichte das geburtsjahr des Euripides sicher; auf Salamis lag das gut seines vaters: da lag es nahe genug, die geburt nach der schlacht zu datiren. das hat die treffliche alexandrinische chronographie getan, selbst Era - tosthenes, und wir dürfen ihr zutrauen, daſs sie sich bewuſst war, mit einem approximativen datum zu operiren. ihre absicht war, mit der richtigkeit die bequemlichkeit zu verbinden, und in der antiken jahres - rechnung, die jedem jahre einen individualnamen gab, war das auch dringend nötig. so erzielte man aber auch, daſs Euripides unter einem Kallias geboren ward, unter einem zweiten den ersten chor erhielt, unter einem dritten starb — denn um des synchronismus mit Sophokles willen rückte man auch seinen tod ein jahr hinab. auch die pointe hat ja selbst auf Lessing ihre wirkung nicht verfehlt, daſs die tragische Muse ihre drei lieblinge in einer vorbildlichen gradation auf Salamis versammelt hätte, Aischylos zu kämpfen, Sophokles den siegesreigen zu tanzen, Euri - pides geboren zu werden. wenn man sich hütet, das für wirklichkeit zu halten, hat es in der tat eine symbolische wahrheit. für Aischylos ist der freiheitskrieg die lebenserfahrung, die sein ganzes herz erfüllt. Sophokles hat zwar nicht mitgestritten, aber er hat die siegesfreude und begeisterung mit in das leben genommen, und der helle stral, welcher in die jugendliche seele fiel, hat sie für alle zukunft durchleuchtet und erwärmt. Euripides hat die güter, welche 480 / 79 errungen wurden, von kindesbeinen an als etwas selbstverständlich gegebenes hingenommen. in solcher zeit geht das leben rasch und machen ein par jahre einen gewaltigen unterschied. das alte Athen, das bei Marathon gesiegt hatte, gieng in dem attischen Reiche auf. die nächste generation schon, der Euripides angehörte, hatte kein verständnis und keine pietät dafür. und der nationale gegensatz gegen die Barbaren, der das Reich gegründet hatte, war für diese so wenig jüngeren Athener nicht mehr vorhanden. Euripides hat gewiſs, wenn wir auch nichts davon wissen, seiner wehr - pflicht genügt5)Ob zu fuſs, in seiner τάξις, der Kekropis, oder auf der galeere, welche die kleruchen von Salamis zu stellen hatten, ist nicht zu sagen. militärische neigungen hat er nicht, seine schlachtengemälde in Hiketiden und Herakliden streben, wie alle an - deren, nach anschaulichkeit, aber sie erreichen sie nicht. für den sport des reiters, den Sophokles verherrlicht, hat er vollends nichts übrig. der reiche Sophokles hat natürlich bei der cavallerie gedient.: aber dann hat er wider Aegineten, Boeoter, Peloponnesier4)geburtsaristokratie, die in jenen dorischen gegenden herrschte. wir besitzen von dem Kos benachbarten Kalymnos listen, die genau in derselben weise jahr und monat (den tag aber nicht) angeben, selbst für weiber. Bull. de Corr. Hell. VIII 30.5Todes - und geburtsjahr. herkunft.im felde gestanden, und diesen politischen gegensatz hat er denn auch sein leben lang bewahrt. Athen, die hauptstadt von Hellas, das attische Reich berufen zur vormacht aller Hellenen, das ist die voraussetzung seines politischen denkens, wie sie es sein muſste.
Es gibt noch ein anderes geburtsjahr, 484, das sogar in der zeit des Philochoros selbst aufgestellt ist.6)In der parischen chronik z. 65. 75. aber es hat auch nur symbolische bedeutung. 455, in dem jahre, wo Euripides zuerst auftrat, soll nach allgemeiner vielleicht urkundlich begründeter tradition Aischylos gestorben sein, 484 hat er den ersten sieg errungen: damit schien als viertes glied der gleichung die geburt des Euripides gegeben. symbolisch ist auch das wahr. Euripides folgt auf Aischylos wie der sohn auf den vater; es steht kein dritter zwischen ihnen, aber der eine muſste vom schau - platz abtreten, damit für den anderen raum wurde.
Euripides war der sohn des Mnesarchides oder Mnesarchos vonHerkunft. Phlya; patronyme ableitungen wechseln häufig mit dem vollnamen und seinen abkürzungen, so daſs keine differenz vorliegt. die mutter, Kleito, war eine adliche. 7)Suid. Κλειτὼ — τῶν σφόδρα εὐγενῶν ἐτύγχανεν, ὡς Φιλόχορος. da es nötig war, die persönlichkeit festzustellen, um über die herkunft etwas zu ermitteln, darf man dem namen glauben schenken.Mnesarchides war aus keinem adlichen aber doch aus einem ansehnlichen hause, welches an dem dienste des Apollon in Phlya anteil hatte. Phlya war ein dorf östlich vom Hymettos, schon in der adels - zeit namhaft. aber der Apollon war nicht der des ionischen adels, dem die Apaturien gelten, sondern der delische, dessen fest die Thargelien sind. wie an diesen eine procession vom Phaleron nach Athen zog, und knaben zweige mit allerhand guten dingen daran trugen, so ist Euripides als knabe im festzuge von cap Zoster nach Phlya gezogen. er hat auch das schenkenamt für eine cultgenossenschaft der ‘tänzer’ inne gehabt.8)Das γένος gibt an γενέσϑαι δ̕ αὐτὸν καὶ πυρφόρον τοῦ Ζωστηρίου Ἀπόλ - λωνος. Theophrastos περὶ μέϑης (Athen. X 424b) beruft sich auf ein schriftstück im δαφνηφορεῖον von Phlya, aus dem er sich über die culthandlung, die tracht, die herkunft der tänzergilde (τῶν πρώτων Ἀϑηναίων) unterrichtet hat: das waren also die statuten der ὀρχησταί. daſs Euripides das schenkenamt geübt, gibt er an; das ist aber nicht auf jene urkunde zurückzuführen. wenn Theophrast den de - lischen Apollon nennt, die vita den von Zoster, jener Euripides schenken, dieser feuerträger sein läſst, so sind das differenzen, welche verschiedene herkunft der notizen beweisen, aber die glaubwürdigkeit nicht berühren; die urquelle sind fasten der ὀρ - χησταί. für das γένος ist man berechtigt an Philochoros zu denken. wer zuerst das tempelarchiv benutzt hat, steht dahin, wie es scheint beide. in betreff der das6Das leben des Euripides.alles zeugt dafür, daſs des vaters geschlecht ein ansehnliches war, um so mehr als dieser für gewöhnlich nicht in der gemeinde wohnte, der ihn die kleisthenische gemeindeordnung zugeteilt hatte, sondern auf dem landgut, das er auf Salamis erhalten oder erworben, und das der familie erhalten blieb, während von verbindungen des erwachsenen Euripides mit Phlya nichts verlautet. man möchte annehmen, daſs der vater und der sohn doch nur der dritten steuerclasse angehörten, die für kleruchien eher in betracht kommt9)Sicher ist das nicht, da man die praxis der perikleischen zeit nicht ohne weiteres auf die peisistratische übertragen darf. der adliche Timodemos von Acharnai, den Pindar als Salaminier besingt (Nem. 2), beweist nach keiner seite; einmal braucht er kein ritter gewesen zu sein, zum andern konnte er als vermögender mann ge - meindeland gepachtet haben: daſs er auch in dem falle auf Salamis zu wohnen ver - pflichtet war, lehrt der volksbeschluſs CIA IV 1a. Mnesarchos war kein pächter, da das gut im besitze des sohnes erscheint.; wie dem auch sei, so viel ist sicher, daſs Euripides dem alteingesessenen guten bürgerstande angehörte, und zwar dem von landbau nicht von industrie lebenden. diese kreise traten an wolstand zurück, als Athen eine industriestadt ward, obwol sie immer für etwas vornehmer galten. der fabricantensohn aus der vorstadt Sopho - kles war pentakosiomedimne, aber altererbte culte hatte er nicht zu ver - sehen. auf dem salaminischen hofe ist Euripides geboren und hat dort viel gelebt. Philochoros bezeugt es, und auf seine angabe hin dürfen wir uns den dichter in einsamer grotte mit dem blicke auf das meer arbeitend den - ken.10)Gellius berichtet: Philochorus refert in insula Salamine speluncam esse taetram et horridam, quam nos vidimus, in qua Euripides tragoedias scriptitavit. ob den neugierigen zu Gellius’ zeit die echte grotte gezeigt ward, ist um so zweifel - hafter, als er sie graulich findet. das γένος aber lehrt uns φασὶ δὲ αὐτὸν ἐν Σα - λαμῖνι σπήλαιον κατασκευάσαντα ἀναπνοὴν ἔχον εἰς τὴν ϑάλασσαν ἐκεῖσε διη - μερεύειν φεύγοντα τὸν ὄχλον· ὅϑεν καὶ ἐκ ϑαλάσσης λαμβάνει τὰς πλείστας τῶν ὁμοιώσεων. hier liegt Philochoros reiner vor: der ort ist durchaus behaglich. die tatsächliche angabe über die metaphern ist wahr und fein beobachtet; aber der causalnexus ist falsch. nicht aus der natur der see, wie sie dem naturfreunde sich gibt, wählt Euripides seine bilder vorwiegend, sondern aus dem schiffer - und see - fahrerleben. das ist nur in so weit individuell bezeichnend, als Euripides der dichter der attischen seeherrschaft ist. allein nicht die erhabene natur spiegelt sich in seiner poesie wieder,8)tänzer vergesse man nicht, daſs die älteste attische inschrift, die lange vor Drakon fällt, also lautet: ὃς νῦν ὀρχηστῶν πάντων ἀταλώτατα παίζει τοῦ … (CIA IV 492a). der bericht des Theophrast lautet allerdings so, als wäre der sitz der tänzer in Athen gewesen, wo dann der tempel des delischen Apollon das Delphinion wäre. allein da das archiv im δαφνηφορεῖον, also Apollonheiligtum, zu Phlya war, werden die tänzer, wenigstens ursprünglich, auch dorthin gehört haben.7Hausstand.für die er vielmehr nicht viel mehr sympathie hat als Sokrates, dem nur im menschengewühle wol war11)Plat. Phaidr. 230c τὰ χωρία καὶ τὰ δένδρα οὐδέν μ̕ ἐϑέλει διδάσκειν, οἱ δ̕ ἐν τῷ ἄστει ἄνϑρωποι. Philine (Wilh. Meist. II 4) “wenn ich nur nichts mehr von natur und naturscenen hören sollte — — wenn schön wetter ist, geht man spazierem, wie man tanzt, wenn aufgespielt wird — der tänzer interessirt uns, nicht die violime, und in ein par schöne schwarze augen zu sehen tut einem par blauen augen gar zu wol. was sollen dagegen quellen und brunnen und alte morsche linden. ” die liebenswürdige verdient ihren griechischen namen., wol aber die einsamkeit und das suchen der antworten auf die ewigen fragen in der tiefe der eigenen brust.
In den jahren, wo der Athener sich seinen hausstand zu gründenHausstand. pflegte, hat auch Euripides ein weib genommen und drei söhne mit ihr gezeugt. sie hieſs wahrscheinlich Melito12)Zwei namen sind überliefert; der bericht von zwei ehen ist erst ein con - ciliatorisches autoschediasma, zumal die erfahrungen, die Euripides macht, in beiden ehen dieselben sind. auch sind unsere excerpte selbst im widerspruch darüber, welche frau die erste, welche die tochter des Mnesilochos ist, der als verwandter und freund des dichters durch ältere komiker bezeugt ist. (der κηδεστής der Thes - mophoriazusen kann ihn schon deshalb nicht meinen, weil er 411 kaum noch leben konnte, sicher keine kleinen kinder hatte. ) folglich ist ein name falsch, der andere aber muſs als überliefert gelten, da er ja die verdoppelung verschuldet. da die fabel das wesen einer Χοιρίλη angeht, kann kein verständiger zweifeln, daſs dieser, nicht der harmlose name Μελιτώ, erfunden ist. nun hat aber Philochoros über metaphorische bedeutung des namens Χοιρίλη in dem buche περὶ τραγῳδιῶν gehandelt (schol. Hek. 1): es liegt also sehr nahe, schon ihm die kritik zuzutrauen, welche wir auch ohne ihn sicher vollziehen können. daſs der name Χοιρίλη wirklich als eigenname vorkommt, ist eine triviale wahrheit, mit der nur ein geck etwas kann ausrichten wollen. Κινησίας hieſsen auch wirkliche menschen: ist deshalb der name in der Lysistrate minder redend? und der hofmarschall von Kalb in Kabale und Liebe heiſst doch wol so wegen seiner dummheit; kritiker, wie sie sich in sachen Choiriles hervorgewagt haben, werden ihn für einen verwandten der Charlotte von Kalb ausgeben. und war die tochter des Mne - silochos. da dessen name an Mnesarchos anklingt, ist anzunehmen, daſs Euripides der volkssitte gemäſs ein mädchen aus seinem väterlichen ge - schlecht, etwa eine nichte, geheiratet hat. wenn der thukydideische spruch wahr ist, war Melito eine brave frau: denn wir wissen nicht das mindeste von ihr; ihr vater aber stand dem dichter nahe. von den söhnen wurde der älteste, der nach dem vater des vaters hieſs, kaufmann, der zweite, nach dem mütterlichen groſsvater genannt, schauspieler; von dem jüngsten, Euripides, wissen wir nur eine einzelne tat, aber diese macht ihn uns interessanter als seine brüder. er hat bald nach des vaters tode eine himterlassene tetralogie desselben auf die bühne gebracht, zu welcher auſser den Bakchen auch die aulische Iphigenie gehört. nun enthält8Das leben des Euripides.diese, abgesehen von ganz späten interpolationen, z. b. dem schlusse, nicht weniges, was der dichter Euripides unmöglich geschrieben haben kann, z. b. die anapästische scene des prologs, was aber doch zu allen zeiten, schon im 4. jahrhundert, darin gestanden hat. der schluſs ist unabweisbar, daſs Euripides das drama unvollendet hinterlassen hatte, und für die ergänzungen muſs der sohn Euripides die verantwortung vor der nachwelt tragen, wie er sie vor dem archon getragen hat. die verse zeugen von einigem geschick; aber es war doch verständig, daſs der sohn das handwerk des vaters nicht fortgesetzt hat. unsere kunde von der familie des dichters erlischt hier; sie mag aber fortbestanden haben wenigstens bis auf Philochoros zeit und diesem das salaminische gut gezeigt und die weitere auskunft gegeben haben. wenigstens machen die angaben den eindruck der familientradition.
Dagegen halte man nun das zerrbild, das die conventionelle Euri - pideslegende gibt. der vater war ein bankerottirer aus Boeotien und in Athen höker; die mutter handelte mit grünkram und betrog ihre kunden. die frau heiſst Choirile und beträgt sich ihrem namen gemäſs, buhlt unter anderm mit Kephisophon, dem haussclaven des dichters, der diesem übrigens auch beim dichten hilft wie schwiegervater Mnesilochos auch. Choirile wird ertappt, verstoſsen, durch Melito ersetzt, die es aber nicht besser treibt u. dgl. m.
Es ist nicht nötig den ganzen schmutz zu durchwühlen. das meiste wird jeder halbwegs einsichtige einfach wegwerfen, und den litteratoren ist doch nicht zu helfen, die den historischen kern tauber nüsse suchen, zwar gewissensbedenken tragen, eine angabe zu verwerfen, weil sie bestimmt auftritt, aber den ehrlichen namen eines mannes und die ehre einer frau ohne weiterungen preisgeben; und dann ist die neugier nach dem quark nun einmal unersättlich und unbelehrbar. der herkunft nach zerfallen die schwindeleien in zwei gruppen: einmal sind es gänzlich inhaltsleere autoschediasmen, als z. b.: weshalb heiſst Euripides Euripides und nicht z. b. Kephisiades? beides sind gute attische namen, nur daſs natürlich viel mehr Athener nach dem oder den flüssen Kephisos heiſsen, die das land durchströmen, als nach dem Euripos, an den Attika kaum mit einer ecke stöſst. vater Mnesarchos wird auch einen grund gehabt haben, seinen jungen Euripides zu nennen, und am letzten ende wird das auch auf den Euripos zurückführen. nur würde man die familiengeschichte kennen müssen, um diese frage zu beantworten. und kennt man sie nicht, so erfindet man: z. b. vater Mnesarchos nannte seinen sohn Euripides, war aber aus dem innern Attika: also hatte er früher am Euripos gewohnt, also9Hausstand.in Boeotien. wie war er nach Phlya gekommen? etwa als bankerotter kaufmann. daſs so erfunden ist, ist keineswegs sicher, im gegenteil, dies ist eine construction im stile jener litteratoren. aber verwerfen müssen wir all dieses gerede, das abenteuerlich, inhaltsleer und weder durch einen verläſslichen autornamen, noch durch irgendwie urkundlichen cha - rakter beachtung fordert. in diesen regionen der litteraturgeschichte hat die regel zu gelten: was nicht in einer der angegebenen weisen ge - stützt wird, gilt bis auf weiteres für erfunden.
Von relativem werte dagegen ist die gleichzeitige erfindung, mag sie num vom haſs oder von der bewunderung eingegeben sein. durch sie wird immer das licht reflectirt, das von einer bedeutenden persönlichkeit ausgeht, wenn auch von so oder so geschliffenem spiegel. spiegel ist für die Euripideslegende einzig die komödie, die ihn, soviel wir sehen, seit dem anfange der peloponnesischen kriege, d. h. seit der zeit, aus der den Alexandrinern zahlreiche dramen vorlagen, mit einstimmigkeit verfolgt hat, während sie Sophokles ziemlich schonte. pietätvolle sage, wie sie diesen verherrlicht, gibt es für Euripides nicht. schon das ist bezeichnend: der eine liebenswürdig, volkstümlich, respectsperson und doch einer, in dem jeder Athener den landsmann grüſste, der dachte wie er. der andere ein schuhu unter den lustigen käuzlein Athenas, allen um so unsympathischer, weil sie seine macht selbst an sich em - pfinden, und immer stärker, je häufiger sie ihn verfolgen; als sie ihn glücklich verscheucht haben, hat er sie alle in die kreise seiner kunst verstrickt.
Komische erfindung ist vor allem der ganze roman von der hahnrei - schaft des Euripides, und es läſst sich die zeit dieser komödie noch ziemlich fixiren. es liegt auf der hand, daſs Aristophanes ganz anders reden würde, wenn er in den Thesmophoriazusen (411) etwas von den ehellichen erfahrungen des dichters gewuſst hätte. in den Fröschen aber spielt er darauf an (1048). der komiker, welcher jene fabel aufbrachte (sicher nicht Aristophanes selbst), hat auf reellen glauben natürlich keinen anspruch gemacht: die angegriffene frau hatte, wenn sie noch lebte, die silberne hochzeit lange hinter sich. sehr witzig war die erfindung nicht und namentlich sticht sie übel ab von den Thesmophoriazusen, die doch vorbildlich gewesen sind. denn herausgesponnen ist die fabel aus der tatsache, daſs Euripides gern probleme des weiblichen liebes - lebems behandelt und von der weiblichen treue recht häufig geringschätzig redet. immerhin ist mehr witz darin, als wenn später feine nasen zu erzählen wissen, der weiberhaſs wäre nur theoretisch gewesen, oder auch10Das leben des Euripides.das gegenteil, oder auch der weiberhaſs wäre durch knabenliebe motiviert gewesen13)Sophokles als den vertreter der knabenliebe, Euripides als den der weiber - liebe einander entgegenzustellen hat dem peripatetiker Hieronymos von Rhodos be - liebt, der mehreres über den dichter vorgebracht hat. er hat auch ein ganz albernes epigramm verfertigt, auf des Sophokles namen (Athen. XIII 604d), aber gleich im ersten verse mit einem groben metrischen schnitzer und im zweiten wieder mit einem: denn in χλιαίνω ist die erste sylbe bei allen älteren dichtern, wie ihre natur ist, lang, und das iota des dativus singularis zu elidiren ist weder dem Sophokles noch irgend einem sorgsamen dichter des vierten oder angehenden dritten jahrhun - derts zuzutrauen. daſs sich bewunderer dieser sophokleischen elegie gefunden haben, ist minder zu verwundern, als daſs die schnitzer auch sonst nicht gerügt sind. u. s. w.
Wie der mensch Euripides zu den frauen stand, wäre man freilich verlangend zu erfahren. daſs er sie gehaſst hätte, ist eine kurzsichtige abstraction daraus, daſs er geneigt ist, allgemeine urteile über das ge - schlecht abzugeben, und daſs diese allerdings von dem cultus und von der galanterie sehr weit abliegen, die wir aus perioden überkommen haben, deren gesittung uns doch viel ferner liegt als die attische cultur. Euripides mag die frauen nicht günstig beurteilt haben: aber er hat sie studiert. für Pindar Sokrates und die meisten Sokratiker existiren sie kaum. nicht bloſs daſs die euripideischen dramen eine fülle weiblicher charaktere bieten, mit so feinen unterschieden der charakteristik, daſs die männer dagegen stark abfallen: es muſs geradezu gesagt werden, daſs Euripides das weib und die durch das verhältnis der geschlechter ent - stehenden sittlichen conflicte für die poesie entdeckt hat, und daſs die hellenische poesie nicht viel mehr hat tun können, als von diesem seinem schatze zu zehren. es gibt wenig dichter, denen das weibliche geschlecht so dankbar zu sein grund hat. aber die frauen, die ihm das verständnis des weiblichen herzens eröffnet haben, sind für alle ewigkeit verschollen. wer spielen will, mag annehmen, daſs die mutter, die das nächste anrecht hat, ihm viel gewesen ist. sie hat ja auch für den sohn zu leiden gehabt, wenn auch wol erst im grabe. wir können freilich nicht einmal die frage beantworten, wie sie in ein renommee gekommen ist, das sich auf unsere verhältnisse übertragen etwa so wiedergeben läſst, Kleito hätte als beruf das pilzesammeln gehabt und ihren kunden haferpilze statt champignons aufgeschwatzt. den wilden kerbel (σκάνδιξ, ne legitima quidem holera Plin. n. h. 22, 18) der mutter gibt Aristophanes dem Euripides schon 425 zu hören (Acharn. 478), und zwar als etwas offenbar dem publicum bekanntes. Kleito war damals lange tot. es wäre leicht sich einen anlaſs auszudenken, wenn man den breiten weg der litteratur -11Lebensführung.geschichtler wandeln wollte. so muſs man sich bescheiden. schlieſslich würde unsere minder aristokratische anschauung die gemüsehändlerin weder selbst als bescholten noch als einen schimpf für den sohn ansehen. die liebevolle weise, mit der der sohn sehr häufig die gefühle der mutter zu den kindern und die pietät gerade des erwachsenen sohnes zur mutter geschildert und besprochen hat, legt es nahe, von Kleito nicht gering zu denken.
Seine vermögensverhältnisse haben dem Euripides von jugend aufLebens - führung. gesttattet ganz den Musen zu leben. im 4. jahrh. war die dramatische poesie dazu angetan, ihren dichter reich zu machen14)Platon Laches 183d Staat VIII 568c.; damals wurden die dramen aber auch aller orten gegeben. der attische staat zahlte sehr ansehnliche preise15)Wir kennen die preise der tragiker und die der komiker (Ar. Frö. 367 mit scholl. ) nicht, wol aber einige der bei den Panathenaeen gezahlten (CIA II 965). für die kitharoden war der erste ein goldener olivenkranz von 1000 dr. und 500 dr. silber, für den zweiten 1200 dr., den dritten 600, den vierten 400, den fünften 300. aber auch das verhältnis dieser preise zu den tragischen läſst sich nicht abschätzen.; aber sie waren sehr stark abgestuft, und Euripides hat im leben nur viermal den ersten erhalten. somit hat er von den gaben der Musen nicht leben können, und jedenfalls haben sich seine söhne eine lebensstellung selbst erwerben müssen. er hat als ein echter gelehrter nur einen schatz hinterlassen, den die motten fressen, seime bibliothek. freilich ist in anschlag zu bringen, daſs sein greisen - alter mit dem unheil zusammenfällt, das nicht nur den staat Athen, sondern jeden einzelnen bürger arm machte. liturgien hatte jeder bürger zu leisten, der nur einigen besitz hatte, mochte er auch so fern dem staatsleben sich halten, wie Platon Isokrates Euripides, von denen allem es feststeht. und zwar hat Euripides als bejahrter mann sogar vor gericht gestanden und seine sache geführt, als ihm ein gewisser Hygiainon eine liturgie zuschob (ἀντέδωκεν16)Aristoteles Rhet. III 15, wol aus mündlicher überlieferung. es ist die ältestte erwähnung eines falles von ἀντίδοσις, da der zweite Hippolytos vorausgesetzt wird, nach 428. der name ϓγιαίνων ist genugsam belegt.). auch muſs man sich die weltflucht bei einem sohne der sophistenzeit nicht zu arg denken: wer so das menschliche getriebe zu schildern weiſs, hat es selbst gesehen, wer das menschenherz so kennt, menschen beobachtet. offenbar durch die zufällige beachtung eines beschriebenen steines hat irgend ein gelehrter des alter - tums entdeckt, daſs Euripides von Magnesia mit atelie und proxenie bedacht worden ist. welche der beiden Magnesia, die beide nicht zum attischen, sondern zum persischen reiche gehörten, gemeint ist, läſst12Das leben des Euripides.sich nicht sagen, und der schluſs des γένος, daſs die ehre einen per - sönlichen besuch Magnesias voraussetzte, zeigt nur, daſs wir epigraphische documente richtiger zu verwerten gelernt haben17)Mit dieser proxenie den zufall zu combiniren, daſs Euripides (Oineus 571) für uns zuerst die Μαγνῆτις λίϑος erwähnt, wird man sich um so mehr hüten, als keines - wegs fest steht, daſs das bezeichnete metall in Magnesia wirklich vorkam, mag es nun das magneteisen sein, wie der durch die ganze citatengelehrsamkeit sich compromit - tirende verfasser des Ion meint, oder das katzensilber, das der gewährsmann Diogenians (schol. Pl. Ion. Phot. Hesych) und Buttmann verstehen, dessen aufsatz (Mus. f. Alt. wiss. II) die modernen teils nicht kennen, teils nicht würdigen: er hat Soph. fgm. 728 erkannt. die verdorbenen Euripidesverse lauten τὰς βροτῶν γνώμας σκοπῶν ὥστε Μαγνῆτις λίϑος τὴν δόξαν ἕλκει καὶ μεϑίστησιν πάλιν. damit kann erstens nicht der magnet gemeint sein, denn derselbe magnet stöſst dasselbe stück eisen, das er angezogen hat, nicht wieder ab. auch würde dann notwendig statt δόξαν σίδηρον stehen müssen. wie vollends ἐπισπῶν ἕλκει καὶ μεϑίστησιν πάλιν (so conjiciren sie) ge - sagt und, wenn gesagt, mit γνώμας und δόξαν verbunden werden sollte, ist gar nicht auszudenken. irgend etwas zieht wie das katzensilber die meinung an und ‘bringt sie wieder in andere lage’ (wie μεϑίστασϑαι φρενῶν), wenn der trug durch - schaut ist. wir fragen, was ist das, und worauf bezieht sich die meinung. das letztere steckt in den verdorbenen worten. sie bezieht sich auf die γνῶμαι βροτῶν, den cha - rakter des menschen, und man verbessert leicht σκοποῦντος. also die dem Euripides so geläufige klage, daſs die kriterien für den charakter so unsicher sind. nehmen wir z. b. die εὐγένεια: zunächst beurteilen wir den εὐγενής darauf hin als ἀγαϑός, aber rasch erkennen wir, daſs der adel katzensilber ist. am nächsten aber liegt wirkliches silber, der reichtum: denn dann ist die vergleichung am schlagendsten.. allein eine inhalt - lose ehre ist die proxenie damals noch nicht, sondern sie schlieſst, wenn man auch zugeben mag, daſs die Magneten nur den dichter ehren wollten, verpflichtungen ein, die praktisch wenigstens werden konnten. daſs die späteren sich Euripides durchaus nur als einen menschenscheuen und menschenfeindlichen griesgram denken konnten, liegt im wesent - lichen daran, daſs sie die charakteristik des tragikers Alexandros von Pleuron als maſsgebend ansahen ὁ δ̕ Ἀναξαγόρου τρόφιμος χαιοῦ στρυφνὸς μὲν ἔμοιγε προσειπεῖν καὶ μισόγελως καὶ τωϑάζειν οὐδὲ παρ̕ οἴνῳ μεμαϑηκώς. ἀλλ̕ ὅ τι γράψαι τοῡτ̕ ἂν μέλιτος καὶ Σειρήνων ἐτετεύχει18)Den verfassernamen hat Gellius und der Aristophanesscholiast zu Frö. 839 erhalten, wonach auch die krauthökerin Kleito bei ihm vorkam. im γένος ist durch leichtes versehen Aristophanes für den verschollenen dichternamen gesetzt, und es ist dort auch s. 5, 21 Schw. ein apophthegma aus den versen gemacht. es ist selt - sam, daſs man die verse dem komiker hat geben wollen, obwol man dann das nicht attische τέτευχα und das dorische χαιός ändern muſs. übrigens zeigt das citat aus einem bald vergessenen alexandrinischen dichter, daſs der grundstock des γένος, wie ja a priori anzunehmen war, von einem der alexandrinischen compilatoren der zeit 230 — 130 herrührt.13Lebensführung.darüber haben sie ganz vergessen, daſs der dichter sowol für sein vater - land in officiellem auftrag tätig gewesen ist, wie auch in verbindung zu dem staatsmanne gestanden hat, der für sein vaterland verhängnis - voll geworden ist. uns ist das durch die geschichtsschreiber überliefert worden.
In der perikleischen zeit, wo Sophokles in den höchsten staatsämtern tätig ist, verlautet von Euripides nichts, und seine ältesten dramen zeigen keine starken einwirkungen der zeitgeschichte; was vorkommt, sind nur äuſserungen der allgemeinen stimmung19)Ins besondere liegt keine spur davon vor, daſs Eur. zu Perikles und seinem kreise beziehungen gehabt oder die perikleische politik in entschiedener weise ver - treten hätte. Böckh hat zwar auf den unlängst vorher erfolgten tod des Perikles das wort bezogen, das Theseus an der leiche des Hippolytos spricht, 1459, ὦ κλείν̕ Ἀϑη - νῶν Παλλάδος ϑ̕ὁρίσματα οἵου στερήσεσϑ̕ ἀνδρός. aber einen auſserhalb des dramas liegenden bezug dürfte man nur hineintragen, wenn die unmittelbare deutung nicht genügte. und die würdigung des Hippolytos ist nur die gerechte (955. 1100). übrigens ist der vers verdorben, da ὁρίσματα nicht mit den namen des landes und der göttin verbunden werden kann. gefordert wird, da Theseus in Trozen spricht, eine be - zeichnung dieser stadt, wie 973, 1095, 1159. zu schreiben ist ὦ κλείν̕ Ἀϑηνῶν Πελοπίας ϑ̕ ὁρίσματα, vgl. 373. damit ist die beziehung auf Perikles unmöglich, denn dessen tod als ein unglück für die Peloponnesier hinzustellen, würde eine be - leidigung des toten gewesen sein.. aber längst hat man bemerkt, daſs er gegen ende des archidamischen krieges geradezu tendenzstücke dichtet. davon sind die Hiketiden erhalten, in welchen der rat, frieden mit Sparta, aber anschluſs an Argos zu suchen, kaum minder hervorsticht als die forderung, daſs Athen einen νεανίας στρατηγὸς ἐσϑλός erhalte, wie The - seus es ist (192). damals bewarb sich Alkibiades um diese stellung und nahm bald die führung des staates mit der entschiedenen tendenz in die hand, durch den bund mit Argos Sparta im Peloponnes selbst matt zu setzen. den höhepunkt persönlichen glanzes erreichte derselbe, als er an der feier der neunzigsten olympiade, von der Sparta ausgeschlossen war, mit einer ganzen reihe viergespanne auftrat und preise davontrug. und zu dieser siegesfeier hat Euripides ihm das siegeslied gedichtet, das letzte nach - weisbare beispiel dieser pindarischen weise. damit hatte er partei ge - nommen im angesichte aller Hellenen. der groſsartige Athenerstolz, der in den dichtungen jener jahre lebt, und der auch ein stolz auf die demokratische verfassung ist, zeigt, wie zukunftsfreudig seine stimmung war. ohne zweifel hat er in Alkibiades einen gröſseren Perikles gehofft. aber was er gleichzeitig ersehnte, war der friede, und ausdrücklich ist uns überliefert, daſs ein friedenslied aus dem Erechtheus in aller munde14Das leben des Euripides.war, wie er schon im Kresphontes eins gedichtet hatte, das selbst des Aristophanes beifall fand. der friede aber lag nicht in Alkibiades sinne: nacht muſs es sein, wo die sterne des tyrannen stralen. und so sehen wir den staatsmann die sicilische expedition vorbereiten, während der dichter seine troische tetralogie damit schlieſst, daſs die stolzeste flotte hineinfährt in das sichere verderben. diesmal war er ein prophet gewesen. geglaubt hatte man ihm so wenig wie dem groſsen mathematiker Meton; aber man erinnerte sich seiner nach der entsetzlichen erfüllung. es ist bezeichnend, daſs 412 die Athener den greisen Sophokles in das neu - gestiftete zehnmännercolleg von probulen wählten: der sollte den peri - kleischen geist zurückrufen; aber er war schwach geworden und gab den oligarchen, obwol er aufrichtiger demokrat war, das heft in die hände. Euripides aber erhielt den auftrag, das epigramm für das riesengrab zu machen, das auf dem staatsfriedhof für das gedächtnis der tausende er - richtet ward, die im fernen westen für das vaterland gestorben waren20)Plut. Nik. 17. auch Helen. 398 enthält einen zug, den nur dieser katalog der gefallenen verständlich macht, zumal im jahre 412. Menelaos sagt ‘wir können jetzt die toten zählen und die überlebenden, die die namen der toten nach hause bringen’. also die einen sind verzeichnet, die andern sind ἀριϑμητοὶ ἀπὸ πολλῶν.. zu handeln traute man ihm nicht zu, wol aber aus der seele seines volkes zu reden. aber es waren nur einzelne momente noch, wo alles, was Athen noch besaſs, im gemeinsamen vaterlandsgefühle sich zusam - menfand. das entsetzliche, das über allen häuptern schwebte, und die widerstreitenden gefühle, die es erregte, scham und stolz, heroismus und verzweiflung gewannen allzurasch wieder die oberhand in den seelen des nur allzu vollblütigen Athenervolkes. es ist als überkäme sie alle ein bakchischer taumel, daſs sie wider einander, wider alles was groſs im vaterlande ist, wider sich selbst wüten, und schlieſslich daran zu grunde gehen. auch die euripideischen dramen dieser zeit sind wie im fieber geschrieben. zwar die zeitereignisse selbst berührt er höchstens im vorübergehen, wenn ihn schmerz oder zorn einmal übermannt. und das erkennt man wol, daſs ihn ein tiefer abscheu gegen die radicale demokratie erfüllt21)Daſs die heftige schilderung eines demagogen, Or. 772, dem Kleophon gilt, hat Philochoros wol selbst angemerkt (schol. 371, 772, 903). derselbe hatte im Ixion eine beziehung auf den tod des Protagoras gefunden, was wir nicht mehr controlliren können, aber natürlich nicht bezweifeln dürfen. (Diog. Laert. IX 55.) Phoin. 783 schildert das Dionysosfest im belagerten Athen., was ihm dann den vorwurf oligarchischer gesinnung eingetragen hat, den Aristophanes, obwol er ihn mehr verdiente, weiter -15Lebensführung.zugeben nicht unterläſst22)Frö. 952. wir haben kein mittel, festzustellen, wieso man in früher zeit dazu gekommen ist, eine tetralogie des Kritias, die also wahrscheinlich in den letzten lebensjahren des Euripides gegeben ist, diesem zuzuschreiben. wenn die didaskalien ihn mannten, so hatte er dem Kritias einen freundschaftsdienst getan, und das er - weckt dann weitere perspectiven auf die Kreise zu denen er sich hielt. aber ebenso - gut können die didaskalien Kritias genannt haben, und nur stil und gedanken und der fluch, der auf dem gedächtnis des tyrannen lag, den irrtum der nächsten gene - ration bewirkt haben. Kritias ist ein so bedeutender mensch, daſs man an sich einen verkehr ganz gern glauben würde.. aber das gebiet, auf welchem der dichter die von auſsen an ihn dringenden erschütterungen mit sich und vor dem publicum durchkämpft, ist das poetische. auch er läſst, wie sein volk, nichts unversucht und rüttelt an den gesetzen seiner kunst wie an ketten. jetzt erst wird er der Euripides, den wir im bilde schauen und der als typus im gedächtnis der Hellenen fortlebte, bitter und menschenverachtend, jede leidenschaft aufwühlend, ohne je zur befriedigung zu kommen, und daneben in kalter dialektik den schönen schein zersetzend, unter dem sich die nichtigkeit alles irdischen verbirgt. die zeitgenossen empfanden es, daſs er sie verachtete und doch als geborner lehrer des volkes beherrschte und beherrschen wollte. die meute der komiker stürzte sich wider ihn, und diesen, nicht ihm fielen die siegerkränze zu. er gab auch ihnen mit bittrem worte die antwort23)In der zweiten Melanippe 495 μισῶ γελοίους οἵτινες τήτει (lies τήτῃ: das fordert τητᾶν) σοφῶν ἀχάλιν̕ ἔχουσι στόματα κἀς ἀνδρῶν μὲν οὐ τελοῦσιν ἀρι - ϑμόν, ἐν γέλωτι δ̕ εὐπρεπεῖς οἰκοῦσιν οἴκους., er trug in der Antiope mit seiner ganzen kraft, der dialektischen wie der pathetischen, das eigenlob des ϑεωρη - τικὸς βίος vor: aber dann gab er das spiel selbst verloren, gab auch das vaterland verloren und wanderte aus.
Die götter waren immer freundlich gewesen gegen Sophokles. schön - heit und heiterkeit, genuſsfähigkeit und liebenswürdigkeit hatten sie ihm verliehen. ein langes leben hindurch hatte ihn die volle βίου εὔροια getragen. auch das war eine gnade, daſs er nun steinalt war, wenn auch jugendkräftig bei der arbeit, aber lebend mehr in dem reiche seiner ideale als in der traurigen gegenwart, mit sich selbst und seinem volke in harmonie. nun schenkten die götter dem schönen leben gnädig den schönen schluſs: er durfte noch im freien Athen sterben und die feind - lichen vorposten öffneten sich ehrfurchtsvoll dem leichenzuge, der den letzten tänzer des salaminischen siegesfestes an die seite seiner väter trug. fern in Gela ruhte Aischylos, fern an der makedonischen Arethusa war Euripides jüngst gebettet. die beiden waren kurz vor ihrem tode16Das leben des Euripides.in die ferne gezogen, aber Aischylos in der höchsten schaffenskraft, nachdem er noch eben sein gröſstes werk unter dem vollen beifalle seines volkes gekrönt gesehen hatte, und dieses volk strebte dem höchsten hoffnungsvoll und kraftvoll zu24)Daſs Aischylos im grolle über die politischen veränderungen aus Athen gewichen sei, ist nicht zu beweisen. die Eumeniden schlieſsen mit der vollsten har - monie und nichts verrät, daſs der dichter die macht und den stolz der heimat, wozu auch der Areopag, ἀσυνδέκαστον τοῦτο βουλευτήριον, gehört, für beeinträchtigt oder bedroht gehalten hätte. es ist ganz unmöglich zu sagen, was er mit seiner reise bezweckte. übrigens braucht er nicht älter als 60 jahre gewesen zu sein, und er kann somit mit dem gedanken heimzukehren und von neuem zu siegen fort - gezogen sein.. Euripides hatte die schwelle der sieb - ziger überschritten, er war ein leben im engsten kreise und in der unab - hängigkeit aber auch der beschränkung des gelehrten gewohnt: jetzt siedelte er an einen halbbarbarischen hof voll soldatischen getöses, in ein fremdes land über, und er schied auf nimmerwiedersehn von der vaterstadt, deren politischer sturz sicher zu erwarten stand, deren ver - tilgung gar nicht unwahrscheinlich war. es war ein schritt der ver - zweiflung.
Am hofe des königs Archelaos fand er freilich eine stattliche reihe geistiger celebritäten; selbst dem Thukydides wird er hier begegnet sein25)Daſs Thukydides in Makedonien gestorben wäre, durfte freilich nicht für historisch ausgegeben werden, da es nur auf einem dialoge des Praxiphanes beruht. aber seine anwesenheit daselbst, wahrscheinlich an sich, ist schwerlich von Praxi - phanes erfunden, denn auch die zuerteilung des bekannten grabepigramms auf Euri - pides (Athen. V 187d, auch im γένος) setzt sie voraus, und eben deshalb wird es auch dem Timotheos zugeschrieben, der ja auch in Makedonien gewesen ist. das epigramm dem 4. jahrhundert abzusprechen, ist man nicht veranlaſst., und vor allem mochte ihm der verkehr mit Agathon wol tun, der auch tragiker war und rückhaltlos die consequenzen der euripideischen tragödie und der neuen gorgianischen stilistik zu ziehen versuchte26)Agathon zum ἐρώμενος des Euripides zu machen, lag nahe, und ist an sich nichts als eine ausgestaltung ihres zusammenlebens in Pella. aber bei Aelian steht nicht nur dies (V. H. XIII 4), sondern auch, daſs Euripides ihm zu ehren den Chry - sippos dichtete (V. H. II 21). das kann ja bloſs deshalb gesagt sein, weil der Chry - sippos das problem der knabenliebe behandelt. aber es gibt zu denken, daſs der Chrysippos mit den Phoinissen wirklich in den letzten attischen jahren des Euri - pides verfaſst ist (etwa 410), und Platons Symposion führt Agathon und Pausanias, auf den auch Xenophon verweist, als typen der knabenliebe ein. es ist sehr zu bedauern, auch für die symposien, daſs wir von der behandlung des Euripides nicht mehr wissen, als daſs er die knabenliebe verwarf, obwohl sich Laios auf die φύσις für sie berief. geurteilt hat Euripides immer so, denn nur sein Kyklop gibt sich solcher neigung hin, während Aischylos und Sophokles arglos der volkssitte folgen.. rasch entledigte17Lebensführung.er sich auch des auftrags, für den könig ein makedonisches drama zu schreiben und ihm einen ahn zu schaffen, der dem bankert des Perdikkas ein heroisches relief gäbe; er fühlte sich zu neuen geistvollen und sicht - lich mit frischer liebe durchgeführten schöpfungen angeregt, er glaubte endlich den hafen gefunden zu haben. aber er erhielt doch auch proben von der rohheit der gesellschaft, in die er versetzt war27)Ein höfling höhnt Euripides, weil er einen übelriechenden atem hatte: Archelaos liefert ihn dem dichter aus, daſs er ihn durchpeitsche. Aristoteles polit. E 10, wol aus den traditionen, die Aristoteles selbst oder sein vater am hofe ge - sammelt hatte. der üble atem ist dann weiter zu albernen apophthegmen benutzt, die nichts lehren. es liegt eine bittre kritik darin, daſs wir von ganz persönlichem, äuſserlichem über Euripides nichts wissen, als daſs er als greis schlecht aus dem munde roch. aber mancher unserer gebildeten hat von Schillers wesen auch nichts behalten, als daſs er eine neigung für faule äpfel hatte.. wir wollen nicht vergessen, daſs der vers βαρβάρων Ἕλληνας ἄρχειν εἰκός (I. A. 1400) in Makedonien gedichtet ist, und es ist pikant, daſs Thrasymachos dieselbe spitze gegen Archelaos wendet28)Clemens strom. 746, der Thrasymachos citirt, verweist auf Telephos 717, wo der nämliche gedanke steht. die rede war vermutlich älter als die aufführung der Iphigenie; an eine entlehnung ist nicht zu denken.. dieser edle attische baum war zu alt zum verpflanzen in noch so fettes barbarisches erdreich. nach 1 ½ jahren starb er, gefeiert von dem könige, und sein grab ist bis in späteste zeit eine merkwürdigkeit der gegend geblieben.
Von seiner todesart hat Aristophanes ein jahr später nichts merk - würdiges gewuſst, und dabei haben wir uns selbstverständlich zu beruhigen. aber sehr früh schon ist die fabel entstanden, daſs hunde ihn zerrissen hätten, und sie hat im altertum die oberhand behalten: denn selbst ein kategorischer widerspruch29)Adaios Anth. Pal. VII 51, es ist eine rettung im stile der von Dioskorides für Lykambes töchter (A. P. VII 351) und der von Aischrion für Philainis (A. P. VII 345). erst der aberwitz eines litterators hat dann aus den hunden weiber gemacht: das ist nicht komikererfindung, sondern auch nur eine λύσις für die aporie: was waren das für hunde, die Euripides zerrissen. ist geschichtlich um nichts begründeter als die behauptung. an sich könnte dem dichter ein unfall so gut wie jedem sterblichen sonst zugestoſsen sein, und einem nächtlichen wan - derer kann ähnliches in Makedonien auch heute noch passiren. es ist auch eine tendenz, welche zu der fabel geführt hätte, nicht ersichtlich, vielmehr zeigen die mannigfaltigen widersprechenden und sich also auf - hebenden motivirungen, wie Euripides unter die hunde oder die hunde über Euripides gekommen wären, daſs man die pointe derselben schon im altertum vermiſste, und bei solchen geschichten ist es eine empfehlung,v. Wilamowitz I. 218Das leben des Euripides.wenn sie keine pointe haben. aber das schweigen des Aristophanes gibt den ausschlag: wir müssen urteilen, der tod durch die hunde hätte zwar passiren können, aber er ist nicht passirt.
Dies der äuſsere lebensgang; aber bei dem geistig wirkenden sind die inneren erlebnisse unendlich wichtiger, und vielleicht ist überhaupt an dem einzelnen menschen das merkwürdigste nicht, wie er als vollen - deter erscheint, sondern wie er ward; wie denn selbstbiographien, selbst wenn sie schlecht sind, soweit interessiren, als sie entwickelungsgeschichte darstellen. die entwickelung ist für den animalischen menschen fertig, wenn der körper vollausgereift ist, und bei dem durchschnitt ist dann auch die geistige entwickelung auf ihrem höhepunkt. die bedeutung des menschen aber bemiſst sich danach, wie spät er klug wird, und es ist ein zeichen der geistigen kraft unseres deutschesten stammes, daſs er wie die Hellenen dazu 40 jahre brauchen soll. in wahrheit bringen wol nur die allerhöchststehenden sterblichen die entwickelungsperiode zu solcher dauer. bei Goethe und bei Platon macht allerdings das vierzigste jahr epoche: da erst sind sie fertig. aber es ist schon viel, wenn wie bei Dante nel mezzo del cammin di nostra vita der tag kommt, wo alles was uns zu schaffen auferlegt ist, δυνάμει getan ist, so daſs das weitere leben nur noch mit dem umsetzen in die energie zu tun hat. es lieſse sich darüber viel sagen30)Glücklich, wen die götter wegrufen, wenn er fertig ist, wie Eupolis, wäh - rend Aristophanes bis zu den Ekklesiazusen sinken muſste, wie Catull, wie A. de Musset und Byron; weise, wer sich selbst bescheidet, wenn er nichts mehr zu geben hat, wie Kallimachos (wahrscheinlich), Horaz, Uhland: aber sich selbst zum gericht lebt, wer den alten jugendton immer weiter pfeift, überhört oder durch die schrille ausgesungene stimme nur verletzend, wie Ovid, wie Klopstock, dessen geistige ent - wickelung über die eines grünen jünglings nicht hinauskam, und H. Heine.; das γηράσκω αἰεὶ πολλὰ διδασκόμενος hat seine wahrheit, aber der andere spruch auch, daſs der mensch nur lernt was er lernen kann: und der fertige mensch kann nun einmal nur äuſser - liches umlernen, er hat vielmehr auszugeben was er in sich trägt, viel - leicht nur als keim, sich selbst kaum bewuſst, aber wenn er es nachher von sich gibt und es anderen neu erscheint, so ist es ihm doch ein lang - bekanntes, und wenn die nachwelt ein leben so genau übersehen kann wie wir es mit dem Goethes tun, so kann sie auch beweisen, daſs dem so ist, und daſs die Wanderjahre schon concipirt waren, ehe die Lehrjahre erschienen. wie jämmerlich steht es da nun mit dem was wir von den antiken menschen wissen können! Platons entwickelung zu übersehen würde einen ähnlichen reichtum von psychologischer belehrung bieten wie die Goethes. jetzt sehen wir die widersprüche, die in einer solchen19Geistige entwickelung.natur während der gährenden jugendzeit vorhanden sein müssen, in den systemen seiner chronologen widergespiegelt. man weiſs es wol, daſs nur seine persönlichste entwickelung die reihenfolge der jugendwerke be - stimmt hat: jetzt fehlen die äuſseren daten und in das innere kann niemand dringen. die meisten groſsen denker der älteren zeit treten uns nur als die hinter ihrem einen werke verschwindenden verfasser entgegen, als ausgereift, auch wenn sie, wie Anaxagoras, die herausgabe des buches lange überleben. von Sophokles erscheint uns die Antigone fast als jugendwerk, weil er alle andern erhaltenen dramen als greis verfaſst hat, und doch war er in den funfzigern als er jene schrieb. und auch von Euripides haben wir nur werke aus reifer zeit: der Phaethon wird wol das älteste kenntliche sein, aber auch das ist nur erschlossen, weil es so stark von den erhaltenen absticht31)Sehr auffällig ist, daſs die nicht ganz wenigen trimeter der Peliaden, des ersten dramas, weder im versbau, noch in der diction, noch in den schon sehr sen - tentiös und allgemein gehaltenen gedanken eine abweichung von der späteren weise des dichters zeigen.. wir können uns ein eigenes urteil über die entwickelungsjahre dieses dichters auch nicht bilden.
Aber einige nachrichten treten ein. da ist vorab eine fabel zu ent - fernen. er soll in gymnastischen kampfspielen gesiegt haben, weil ihn sein vater zum athleten ausbilden wollte, auf grund eines orakels, das ihm siege in agonen verhieſs. die geschichte, gebaut auf den doppelsinn der ἀγῶνες, ist eine wandergeschichte, bestimmt, göttliche vorsehung und menschliche kurzsichtigkeit zu illustriren. Herodot (9, 33) hat sie sich von einem seher als selbsterlebt erzählen lassen, der auch kampf - spiele verstand, wo der gott kämpfe gemeint hatte. als sie auf den unterschied der musischen und gymnischen wettspiele übertragen ward, griff man einfach den berühmtesten scenischen dichter auf und knüpfte sie an seinen namen. denn damit würde man dem erfinder zu viel ehre antun, wenn man meinen wollte, er habe die notorische verachtung der gymnastik, welche Euripides zeigt, aber, wie auch im altertum bemerkt ist, im anschluſs an Xenophanes ausspricht, aus bösen jugenderfahrungen ab - leiten wollen. übrigens ist die geschichte nicht vor dem zweiten jahrhundert erfunden, da sie die der alten zeit fremden Theseen erwähnt32)In dem berichte des Gellius, der nur vollständiger und reiner, kein anderer ist als der im γένος und gelegentlichen anführungen.. mindestens nicht aus den fingern gesogen, sondern durch ein document belegt und also von einem achtungswerten forscher, wahrscheinlich Philochoros33)Megara ist 306 und um 264 zerstört worden; es ist unwahrscheinlich, daſs ein archaischer πίναξ sich länger erhalten hätte. Pausanias weiſs nichts davon.2*20Das leben des Euripides.aufgebracht ist dagegen die merkwürdige angabe, daſs Euripides in der jugend maler gewesen wäre und in Megara eine von ihm bemalte ton - tafel gezeigt würde. solche πίνακες haben wir jetzt selbst genug, um uns eine vorstellung machen zu können; auch künstlerinschriften tragen sie zuweilen. aber so sicher man annehmen wird, daſs in irgend einem heiligtum Megaras ein solches werk euripideischer zeit vorhanden war mit der künstlerinschrift Εἰριπίδης Ἀϑηναῖος ἔγραψε, so unwahr - scheinlich ist es, daſs der vatersname dabei stand, und dann ist die autor - schaft des späteren tragikers sehr unsicher. im allgemeinen jedoch muſs zugestanden werden, daſs der gewaltige aufschwung, den die malerei in Athen während der jugendjahre des Euripides nahm, einen künstlerisch begabten knaben sehr wol reizen konnte. wenn er ihn denn beschritten hat, so hat dieser irrweg, von dem er bald zurückkam, kenntliche spuren in der poesie des Euripides nicht hinterlassen.
Gelernt muſste auch die poesie werden. noch war sie zu ihrem glücke so schwer, daſs ein dilettant, der nichts als die allgemeine schul - bildung hatte, die finger davon lassen muſste, und ein zweites glück war es, daſs es noch keine handbücher gab34)Am ende des 5. jahrh. hat es technische schriften über landwirtschaft u. dgl., auch kochbücher gegeben. die medicinische litteratur, die am besten be - kannte, geht, so weit sie nicht ein erzeugnis der sophistik ist, auf kurze regeln zurück, προγνώσεις, προρρητικά u. dgl., die nur ein hilfsmittel mündlicher unter - weisung sind. und natürlich besaſs jeder der ein handwerk übte seine papiere, die er als einen wertvollen schatz seinem nachfolger vermachte, der koch oder arzt recepte, der seher formulare für sprüche und spruchdeutung (Isokrates 19, 5 τὰς βίβλους τὰς περὶ μαντικῆς). aber buchmäſsiger vertrieb bestand für diese dinge nicht und die schriftstellerei der sophistik behandelt eben das technische nicht. das ändert sich erst um und nach 400, wo Simon und Xenophon über pferdezucht, Chares und Apollodoros über landbau, Hippokrates und Polybos über medicin technisch schreiben. und trotzdem redet man noch immer so, als hätte Sophokles eine aesthetische ab - handlung über den chor wider Phrynichos schreiben können (Suid. s. v.), etwa wie Schiller vor der braut von Messina oder wie Seneca und Pomponius ihren tragödien praefationes gaben. es ist eine fiction wie die technischen schriften uralter bau - meister, von denen Vitruv redet.. der jugendunterricht gipfelte allerdings darin, daſs er den schatz der classischen poesie den knaben fest und unverlierbar für das leben einprägte; dabei lernten sie die ihnen ausnahmslos fremden mundarten der poesie und lernten die weisen der groſsen dichter singen und sagen. das befähigte sie dann als erwachsene die tragödien und die dithyramben zu verstehen, und das war nicht wenig. sie mochten wol auch einmal vor liebchens tür oder beim rund - gesang einen vers eigner fabrik auf die alte weise versuchen, auch für21Geistige entwickelung.ein weihgeschenk oder einen grabstein ein distichon zu stande bringen: das war noch kein dichten. wir sehen sogar einzelne Athener, die eine volle bildung haben wollen, noch weiteren musikalischen unterricht als beim kitharisten nehmen. den lehrer des Perikles hat Aristoteles verzeichnet; dieser hat sein mündel Alkibiades auch von einem virtuosen im flöten - spiel unterrichten lassen, und Sokrates hat in der muſse des gefängnisses ein προσόδιον an Apollon verfassen können, weil er bei Konnos noch als alter mann die mängel seiner jugendbildung zu ersetzen versucht hatte. daſs die sophistik auch musik und metrik in ihre kreise zog, ist selbst - verständlich und wird durch die erfahrungen des Strepsiades illustrirt35)So hat Damon Damonides’ sohn über musik und metrik geschrieben. die scene der Wolken, in der Sokrates den Damon vertritt wie sonst den Apollo - niaten Diogenes, ist der älteste reflex seines buches. die sophistische fiction war eine rede vor dem Areopag, freilich eine fiction (Philodem de mus. 104 K.), aber nicht ärger als wenn Gorgias alle Hellenen in Olympia, oder die trauerversammlung im Kerameikos anredet. und daſs der Areopag wirklich die εὐκοσμία zu überwachen hatte (Isokr. 7, 37), zu bezweifeln ist kein grund. das buch Damons ist nach der zeit der alten Peripatetiker verschollen. vgl. Bücheler Rh. M. 40, 309.. wie viel mehr bedurfte der angehende dichter eines meisters, der ihm die kunstgriffe und fertigkeiten des handwerks übermittelte. Pindars lehrer kennen wir. Sophokles soll die musik bei Lampros, die tragödie bei Aischylos gelernt haben. über Euripides hören wir nichts. daſs Aischy - los, der sogar die tänze den choreuten selbst beibrachte und das dichter - handwerk seinem sohne und mehreren anderen verwandten hinterlieſs, auch andere unterwiesen hat, ist glaublich. aber Sophokles hat jedenfalls nichts bei ihm gelernt. weit eher könnte man es von Euripides glauben, wo die zeit es verbietet. denn Sophokles vertritt im gegensatze zu seinen beiden rivalen eine andere kunstrichtung, und gerade im technischen liegt der gegensatz. offenbar ist Sophokles dem ionischen einfluſs hingegeben; seine rede strotzt von ionismen und versteigt sich nicht selten zu einer künstlichkeit der metaphern, die an Ion von Chios erinnert, und das greift selbst auf das prosodische über: nur Sophokles hat (wenigstens im dialog36)Im liede scheint es Aisch. Eum. 347 zu haben: doch ist dort ὔμμιν wahr - scheinlicher, da er auch ὔμμε hat. Ar. Ach. 556 ist nicht von Eur., darf also ὑμῖν be - halten. bei Eupolis inc. 2, 3 ist ἡμῖν ἐπίστασ̕ εὑρών statt ἐ. ἡμἰν zu setzen. das ionische ἡμίν. sein versbau folgt andern prinzipien37)Vgl. zu v. 280., sodaſs er sich nicht scheut am versende zu elidiren, was nur Achaios von Eretria sonst tut, und sehr lax in der verkürzung eines schlieſsenden langen vocals vor vocalischem anlaut ist, eine freiheit, die aus dem epos22Das leben des Euripides.stammt38)Die 7 sophokleischen tragödien zeigen diese erscheinung etwa so oft wie die 18 euripideischen, und in oft sehr harten fällen. der verfasser des Rhesos folgt hierin wie in der melopoeie ganz dem Sophokles.. gewiſs würden wir noch mehr bemerken, wenn nicht Sophokles als greis sehr stark unter dem einflusse des Euripides stünde; auf das umgekehrte verhältnis deutet nichts39)Auch im altertum hat man bemerkt, daſs Aischylos und Euripides auf der einen, Sophokles auf der andern seite steht. Porphyrio zu Horaz ep. II 1, 55 Pa - cuvius famam docti aufert et consequitur Sophoclis, Accius Aeschyli Euripidisque qui dicendi sunt alti. da die horazische doctrin, welche hier erklärt wird, varro - nisch ist, wird es auch diese erklärung im kerne sein. und wenn wir es nur sti - listisch fassen, ist es wahr. Sophokles künstelt an der sprache..
Daſs Euripides für das musikalisch metrische sehr viel gröſsere neigung und erfindsamkeit besaſs als Sophokles, zeigen die werke. aber auch die alten haben schon hervorgehoben, daſs er mannigfache neue an - regungen in sich aufnahm und nichts unversucht lieſs. insbesondere hat er sich seit 420 etwa der neuen musik rückhaltlos angeschlossen, welche die dithyrambiker unter heftiger opposition der komödie aufbrachten. uns ist eine vergleichung versagt, und die klagen über Phrynis lehren, daſs die bewegung selbst schon mehrere jahrzehnte früher begonnen hat, als wir ihre spuren sicher nachweisen können. der niederschlag dieser verhältnisse in der legende ist die persönliche verbindung des Euripides mit Timotheos. von selbst werden wir glauben, daſs der greise tragiker anregungen auch nach musikalischer seite gegeben hat, wie sein stili - stischer einfluſs nicht bloſs bei tragikern der rhetorischen richtung zu tage liegt, sondern selbst bei dem Sophokles copirenden verfasser des Rhesos.
Aber die lehre, welche er bei seinen zunftgenossen fand, war für die bildung des Euripides keineswegs die wichtigste. er hat die neue weisheitslehre, welche in Athen von den zusammenströmenden gelehrten Ioniens teils verkündet teils fortgebildet ward, mit vollen zügen in sich aufgenommen, und schon den zeitgenossen war das für ihn am meisten bezeichnend, daſs er auch auf der bühne sophist war: σοφός heiſst er in spott und in bewunderung. unsere berichterstatter wissen so ziemlich alle namhaften sophisten, die es der zeit nach gewesen sein könnten, als lehrer des Euripides zu nennen. daſs sie über eine wirkliche über - lieferung verfügten, ist kaum glaublich, denn zeitgenössische berichte, wie sie die memoiren des Chiers Ion für die beiden andern tragiker boten, hat es unseres wissens für Euripides nicht gegeben. wol aber haben sie nachweislich mit recht aus den werken des Euripides die ein - wirkung bestimmter personen erschlossen, und nur das ist zweifelhaft23φιλοσοφία.und muſs es bleiben, in wie weit diese einwirkung auch wirklich eine persönliche gewesen ist. denn der leibliche verkehr ist für die einwirkung, die ein denkender mensch durch fremde gedanken erfährt, häufig selbst da unwesentlich, wo er statt hat, und erschlieſsen läſst er sich aus den werken des beeinfluſsten nur da, wo entweder persönliches berührt wird, oder aber wo es sich um einen menschen handelt, der vornehm - lich durch die dämonische gewalt seiner person gewirkt hat. dies letztere trifft so stark wie auf kaum einen zweiten sterblichen auf Sokrates zu. aber eben darum würden wir deutliche spuren seines geistes bei Euri - pides antreffen, wenn der immer noch von der gedankenlosigkeit be - hauptete verkehr der beiden grundverschiedenen groſsen Athener statt - gefunden hätte. allerdings hat der gleiche haſs, den sie gegen die beiden verführer der jugend empfanden, einzelne komiker (doch nicht Aristo - phanes40)Immerhin hat auch bei diesem der unterricht des Sokrates den erfolg, daſs der schüler die groſsen dichter der vergangenheit für stümper erklärt und für die wagnisse der euripideischen frauenbilder schwärmt. von da aus zu der erfindung der beihilfe des Sokrates ist nur ein schritt. dazu veranlaſst, Sokrates an den unsittlichen dramen mithelfen zu lassen, und wie hätte sich die spätere klatschsucht es entgehen lassen sollen, diesen faden weiter zu spinnen41)Aelian V H. II 13, erzählt daſs Sokrates sonst selten ins theater gieng, aber wenn Euripides καινοῖς τραγῳδοῖς ἠγωνίζετο oder im Peiraieus aufführte, kam er. diese fabel ist auf die verhältnisse seit der demosthenischen zeit zugeschnitten, wo der unterschied der καινοὶ τραγῳδοί und der παλαιά gilt und die Πείραια staatsfest sind; von beidem war zu Euripides zeit keine rede.. indessen hat einer der wenigen kritischen köpfe der griechischen gelehrsamkeit, Panaitios von Rhodos, bereits dieser fabel mit der nötigen entschiedenheit widersprochen, wenn auch nicht ohne selbst bedenkliche hypothesen zuzulassen42)Panaitios half sich bei stellen wie Frö. 1491, die in wahrheit ganz irre - levant sind, mit der fiction eines doppelgängers, ἕτερος Σωκράτης τῶν περὶ σκηνὰς φλυάρων. das ist auch in das γένος gekommen. denn s. 1, 10 Schw. steht in der zuverlässigsten handschrift (Vat. 1345) Σωκράτης δὲ ἕτερος αὐτῷ δοκεῖ ὁ φιλό - σοφος καὶ Μνησίλοχος ⟨συμ⟩πεποιηκέναι τινά. da ist der zusatz ἕτερος ὁ φιλόσοφος an verschiedene stellen des textes, dem es übergeschrieben war, hineingeraten. die andern fassungen sind darauf zurückzuführen; in den meisten ist aus ἕτερος ἑταῖρος geworden und dann Σωκράτης in den genetiv gesetzt. ein zusatz ist auch 2, 5 γεν - νηϑῆναι δὲ τῇ αὐτῇ ἡμέρᾳ [καὶ Ἑλλάνικον] ἐν ᾗ ἐνίκων — οἱ Ἕλληνες..
Sokrates war etwa 10 jahre jünger als Euripides und begann eine rolle nicht vor 430 zu spielen, als Euripides längst ein innerlich fertiger mann war. und wenn sie sich dann etwa bei Alkibiades begegnet sein sollten, so haben sie sich abstoſsen müssen. der menschenjäger liegt24Das leben des Euripides.den lieben langen tag im gymnasium, Euripides grübelt in stiller grote; jenes stolz ist das nichtwissen, dieser steht wie alle sophisten auf seiten der bildung und verachtet die ἀμαϑία; der philosoph traut auf die kraft des menschlichen willens, der das rechte tun wird, wenn er es nur erkennt: der tragiker sieht das grundübel in der schwäche des fleisches, welche die verwirklichung der guten vorsätze verhindert. flach und modern zu reden, jener ist optimist, dieser pessimist. zwischen ihren ist keine vermittelung. daſs aber beide groſse Athener das menschenherz kennen und kündigen, und daſs sie ihren blick mit vorliebe auf sitt - liche probleme richten, besagt nichts anderes, als daſs sie beide auf der höhe derselben geistigen entwickelung stehn und deshalb beide die folge - zeit beherrscht haben. höchstens mag man annehmen, daſs der Milesier Archelaos auf beide ähnlich gewirkt hat, denn er wird beider lehrer ge - nannt und gilt als erster philosoph über ethik; aber wir wissen nichts von ihm, und nach Theophrast ist sein werk verschollen gewesen43)Nach Diogenes II 16 soll er das δίκαιον καὶ ἄδικον νόμῳ gelehrt haben. auf die formulirung ist nicht viel zu geben, aber daſs sich der satz mit seiner ent - wickelungslehre (Hippolyt. I 9 p. 564 Diels) gut verträgt, ist nicht geeignet, ihn zu discreditiren. die wiederkehr des satzes bei Euripides aber spricht für ihn. ebenso ist man geneigt, dem Aetius starke verwirrung zuzutrauen, wenn er sagt Ἀρχέλαος ἀέρα καὶ νοῦν τὸν ϑεόν, οὐ μέντοι κοσμοποιὸν τὸν νοῦν (I 7 p. 302 Diels): aber auch da gehen Euripides und der falsche Epicharm mit, vgl. über beide unten. viel - leicht hätte ich richtiger getan, alle diese lehren auf Archelaos bestimmt zu be - ziehen, und dann würde noch manches folgen. allein ich zog vor, das bild minder einheitlich zu geben, damit die einzelnen züge schärfer blieben.. wenn wir endlich bei den Sokratikern, oder vielmehr bei Platon, über den Eros gedanken finden, welche an Euripides seltsam anklingen, so ist es einleuchtend, daſs Platon eben von diesem anregungen erhalten hat44)Die prophezeiung (Med. 830), daſs am Kephisos die Eroten als πάρεδροι der Weisheit walten, ist dadurch in erfüllung gegangen, daſs Platon neben dem gymnasium der Akademie seine schule gegründet hat, und in jener schon zu Euri - pides zeit die jünglinge den sophisten lauschten und der Erosaltar stand. der doppelte Eros ist wol wirklich schon in jenem zeitalter von der speculation viel behandelt. übrigens ist die anregung auf Platon von Euripides stärker als man annimmt, nicht bloſs in einzelnen wendungen der conversation wie οὐκ ἐμὸς ὁ μῦϑος, oder die ἰσό - ϑεος τυραννίς (Tro. 1169 Staat 568b). wenn die seele des Odysseus φιλοτιμίας λε - λωφηκυῖα sich den βίος ἀνδρὸς ἰδιώτου ἀπράγμονος aufsucht (Staat 620c), so tut sie das im anschluſs an die worte, welche der euripideische Odysseus im prolog des Philoktet sprach (785) πῶς δ̕ ἂν φρονοίην, ᾧ παρῆν ἀπραγμόνως ἐν τοῖσι πολ - λοῖς ἠριϑμημένῳ στρατοῦ ἴσον μετασχεῖν τῷ σοφοτάτῳ τύχης, wovon ihn die φι -, die sich mit den sokratischen nur in dem gegensatz gegen die grobe sinnlichkeit decken.
25φιλοσοφία.Dagegen läſst sich die für uns zufällig zuerst durch Alexandros von Pleuron ausgesprochene tradition nicht wol abweisen, daſs Euripides zu Anaxagoras in persönlichem verkehr gestanden hat, und dieser hat in der tat sehr stark auf ihn gewirkt. der verkehr kann schon in Euri - pides jünglingszeit begonnen und fast ein menschenalter gedauert haben, denn Anaxagoras lebte in Athen friedlich und still seinen studien. daſs Euripides lehrsätze desselben berührt oder auch geradezu citirt, zeugt nur von seinem studium des in weiten kreisen gelesenen buches, auch war Anaxagoras lange tot, als Euripides die berufensten stellen in der Melanippe (488) und im Chrysippos (836) schrieb. aber 438 läſst er den chor der Alkestis (903) von einem manne seiner verwandtschaft erzählen, der als greis den tod seines einzigen sohnes gefaſst ertragen hätte. damals war Anaxagoras ein greis, von ihm erzählt die legende das ᾔδειν ὅτι ϑνητὸν ἐγέννησα, wie freilich von manchem andern: wir dürfen also, wie neuerdings vielfach geschehen ist, die legende als ge - schichte und Euripides als ihren zeugen betrachten. auch das hat man mit recht bemerkt, daſs Euripides dem wegen gotteslästerung nicht sowol als wegen μηδισμός vertriebenen lehrer ein ehrendenkmal gestiftet hat in den versen (902) ὄλβιος ὅστις τῆς ἱστορίας ἔσχε μάϑησιν, μήτε πολιτῶν ἐπὶ πημοσύνας μήτ̕ εἰς ἀδίκους πράξεις ὁρμῶν, ἀλλ̕ ἀϑανάτου καϑορῶν φύσεως κόσμον ἀγήρω πῇ τε συνέστη χὤϑεν44)λοτιμία abhält (786). ἐμὲ [νῦν] “ἤδη καλεῖ”, φαίη ἂν ἀνὴρ τραγικός, ἡ εἱμαρ - μένη sagt Sokrates Phaid. 115a. εἱμαρμένη sagt der tragiker nicht: aber Alkestis ruft 254 Χάρων μ̕ ἤδη καλεῖ· τί μέλλεις; ἐπείγου, σὺ κατείργεις. so citirt die con - versation das erste wort eines allbekannten verses. am meisten aber hat Platon den Hippolytos gelesen. das motiv des Symposions, Ἔρωτα δὲ τὸν τύραννον ἀν - δρῶν οὐ σεβίζομεν stammt aus ihm, 538. in der wunderbaren schilderung des tyrannen (Staat 573) entzückt das bild, wie die umgebung die den werdenden mit nachgiebig - keit (Hipp. 462) und müſsiggang (Danae 324) verdirbt, ihm einen Ἔρως schafft, ὑπό - πτερον καὶ μέγαν κηφῆνά τινα. sie treiben es aber schlieſslich so weit, daſs diese drohne einen stachel bekommt und nun verderblich wird: deshalb heiſst Eros τύραν - νος. das ist eine schilderung, die freilich einer entwirft, der selbst ein dichter ist, aber jenes chorlied des Hippolytos, das den Eros schildert πέρϑοντα καὶ διὰ πάσας ἰόντα συμφορᾶς ϑνατῶν, ὅταν ἔλϑῃ, schlieſst mit dem nicht ausgeführten bilde daſs Aphrodite δεινὰ μὲν τὰ πάντ̕ ἐπιπνεῖ· μέλισσα δ̕ οἵα τις πεπόταται, das man wol versteht, wenn man die definition der liebe ἥδιστον ταὐτὸν ἀλγεινὸν ϑ̕ ἅμα hinzunimmt und andere andeutungen, das aber doch unverstanden geblieben ist: Platon liefert die erklärung, weil der same in seiner seele aufgegangen ist. der Hippolytos, 374 ff., enthält auch die euripideische lehre von des fleisches schwäche, die den willen überwindet; auch diese schärfste formulirung des gegensatzes zur Sokratik hat Platon aufgenommen, natürlich mit schärfster verurteilung als ansicht der πολλοί Protag. 352b. die stellen sind zu lang zum ausschreiben.26Das leben des Euripides.χὥπως·45)Überliefert ist καὶ ὅπη καὶ ὅπως und die krasis, welche die euripideische metrik herzustellen fordert, ist nur eine orthographische änderung. allein ὅπῃ neben πῇ ist, wie wol zugestanden ist, unmöglich. die leichte und elegante änderung von πῆ in τίς kann kaum richtig sein. man verlangt ποῖος, und die frage nach der qualität wird neben dem aorist συνέστη unbequem. vor allem aber fragt die physik nach der ἀρχή, und diese frage muſs irgendwo gestanden haben. somit muſs ὅπη weichen, obwol ὅπη καὶ ὅπως passend verbunden wird, noch von den archaisten wieder aufgenommen (Philostrat der jüngere εἰκόνες 16). τοῖς δὲ τοιούτοις οὐδέποτ̕ αἰσχρῶν ἔργων μελέδημα προσίζει, verse, in denen die apologetische absicht zu tage liegt. daſs sie auf Anaxagoras gehen, bestätigt sich dadurch, daſs dieser der typus des ϑεωρητικὸς βίος in älterer zeit ist. Eudemos (ethik I 5) läſst ihn auf die frage τίνος ἕνεκ̕ ἄν τις ἕλοιτο γενέσϑαι μᾶλλον ἢ μὴ γενέσϑαι antworten τοῦ ϑεωρῆσαι τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν περὶ τὸν ὅλον κόσμον τάξ03B9; ν, was eine seichte paraphrase für τοῦ ϑεωρῆ - σαι τὸν κόσμον τοῦ παντός ist, weil der peripatetiker in κόσμος nicht mehr die τάξις hört. derselbe erklärt kurz vorher ein auch von Aristoteles (Eth. Nik. X 9) angeführtes wort des Anaxagoras, ἴσως ᾤετο τὸν ζῶντα ἀλύπως καὶ καϑαρῶς πρὸς τὸ δίκαιον ἤ τινος ϑεωρίας κοινωνοῦντα ϑείας, τοῦτον, ὡς ἄνϑρωπον εἰπεῖν, μακάριον εἶναι. das entspricht ganz den euripideischen versen, und die persönliche sympathie wird man in ihnen um so mehr anerkennen, als der dichter selbst nicht die ruhe hatte, auf den himmel statt auf die menschen zu sehen, freilich auch die friedlosigkeit im eignen busen durch den gegensatz doppelt fühlte, und als Athener nicht vergessen konnte, daſs er auf erden eine heilige heimat hatte. als philosoph ist Euripides keineswegs ein anhänger des Anaxagoras, sondern gibt mit derselben zustimmung auch wider - sprechende lehren anderer wieder. das princip der homoeomerie kommt nicht vor, und der νοῦς steht nach ihm neben dem σῶμα in durchaus dualistischem sinne.
Ähnlich wie zu Anaxagoras steht Euripides zu Protagoras. auch ihn hat er nach seinem tode persönlich berücksichtigt, doch wissen wir nicht, ob verteidigt. auch seine tätigkeit fällt zum teil (bevor er nach Thurioi gieng) in Euripides bildsame jahre. auch hier erzählen die alten von persönlicher berührung46)In das haus des Euripides wird die erste vorlesung von Protagoras gottes - leugnerischer schrift verlegt (Diog. Laert. 9, 54): aber da ist die tendenz klar, den dichter des Bellerophontes mit Protagoras zu verbinden, wie er mit Kritias ver - bunden worden ist., und sie scheint unabweisbar, weil die beeinflussung eine sehr starke ist und nicht die lehre angeht sondern27φιλοσοφία.die methode. den subjectivismus des Protagoras hat Euripides zwar ge - legemtlich berücksichtigt (Aiolos 19), aber nicht geteilt, und πάντων χρημάτων μέτρον ἄνϑρωπος nicht in verse gebracht. wol aber hat er die kunst des ἀντιλέγειν so sehr ausgebildet wie nicht einmal ein rhetor, und seine ganze technik ist davon durchdrungen. der leser hat immer damit zu rechnen, daſs in jedem einzelnen spruche nur einer der beiden λόγοι zu worte kommt, die es von jeder sache gibt; was der dichter wirklich meint, kann aus einer äuſserung nicht abstrahirt werden.
Zu Prodikos sind berührungen nicht nachweisbar: denn die ety - mologischen spiele, an denen Euripides seine freude hat47)Vgl. zu v. 155., und die er wenigstens in seinen letzten 20 jahren mit gröſserem ernste vorträgt als die andern dichter, weisen vielmehr auf die ὀρϑοέπεια des Protagoras und auf Heraklit zurück. die synonymik des Prodikos, die Platon im Protagoras persifflirt und Thukydides ernsthaft anwendet, kommt wol nirgends vor. Gorgias trat erst 427 in Athen auf; seine schüler sind Thukydides und Antiphon geworden, Euripides war dazu zu alt. seine speciell rhetorische technik weist vielmehr auf Thrasymachos48)Vgl. zu v. 336.. indessen ist am der sophistik ja nicht der einzelne name von bedeutung. was sie im ganzen leistet, die verarbeitung und vermittelung der philoso - phischen und überhaupt wissenschaftlichen gedanken, welche die einzelnen groſsen denker in der einsamkeit gefunden hatten, und die dialektisch rhetorische schulung, welche dem redner wie dem schriftsteller erst die zunge löste, ist nicht an einen einzelnen gebunden. die hippokratische sammlung und die dorischen διαλέξεις lehren das am besten. und so ist Euripides einfach als sophist zu fassen, und nicht nach den etwaigen vermittlern sondern nach den urhebern der gedanken zu fragen, welche er vorträgt. so mag ihm die kenntnis des Herakleitos durch bekenner von dessen lehre zuerst vermittelt sein, die in Athen nicht fehlten: daſs er sein buch selbst gelesen hat, ist ganz unzweifelhaft49)Vgl. zu v. 101. die fabel hat das schlieſslich so weit ausgesponnen, daſs Euripides nach Ephesos reist, die bei der Artemis deponirte schrift des Herakleitos auswendig lernt und einem erwählten kreise mitteilt und erläutert; Tatian 3.. ebenso hat er Xenophanes gekannt50)Vgl. zu v. 1346., allein bezeichnender weise bezieht er sich nur auf dessen polemik gegen die vorstellungen und wertschätzungen der menge: die lehre vom ewigen sein und der monotheismus wird nicht berührt, und von einer benutzung des Parmenides oder der sophistischen28Das leben des Euripides.verbreiter der eleatischen lehre, Zenon und Melissos, ist keine spur. die zeitgenössischen philosophen kennt er wenig. auf Empedokles deutet nichts. Diogenes von Apollonia wird nur einmal so berücksichtigt, daſs das schlagwort seines systemes in einer aufzählung von δόξαι erscheint51)Tr. 884 γῆς ὄχημα κἀπὶ γῆς ἔχων ἕδραν Ζεύς Hippokrat. π. φυσῶν 3 (ἀἡρ) γῆς ὄχημα; dies ist eine schöne entdeckung von Diels.. Leukippos ist, wie zu erwarten, unbekannt: denn die bei Demokritos allerdings stark hervortretende ansicht von der gewalt des νόμος als des nicht im wesen ruhenden conventionellen hat nichts mit der atomen - lehre zu tun: das kann ebensogut von protagoreischem und auch von elea - tischem standpunkte vertreten werden; wahrscheinlich stammt es von Archelaos. Euripides hat es, wie natürlich, sehr fruchtbar gefunden und bis in die letzten consequenzen verfolgt (Hek. 799). die orphischen poesien waren ein attisches erzeugnis; sie hatten stark auf Pindaros ge - wirkt, einigermaſsen auf Aischylos: daſs Euripides sie kannte, ist natür - lich. und er hat zwar an sühnungen und ihren einfluſs auf das leben im jenseits nicht geglaubt52)Überhaupt an kein leben nach dem tode. τίς οἶδεν εἰ τὸ ζῆν μὲν ἔστι κατϑανεῖν gehört in die heraklitische lehre; der so ganz modern anmutende spruch Hipp. 194 constatirt nur das ewige rätsel, auf das er nicht mehr antwort gibt als Hamlet., auch dem widerwillen der menge wider ihr pharisäertum mit wohlgefallen worte geliehen (Hipp. 953), aber in den Kretern ihre doctrinen im feierlichsten ernste behandelt. schon dieses führt auf die Pythagoreer. Euripides redet zwar nicht von der zahl noch von der harmonie, auch nicht vom sündenfall der geister und der seelen - wanderung. aber er hat nicht nur auf einen ethischen ausspruch des Pythagoras so bestimmt verwiesen, daſs er die existenz einer schrift unter Pythagoras namen zu bezeugen scheint53)Fgm. 392 (Theseus spricht; drama unbekannt, d. h. Aigeus Theseus Hippo - lytos I möglich; da der spruch für einen knaben nicht paſst, wol der letzte) ἐγὼ δὲ τοῦτο παρὰ σοφοῦ τινὸς μαϑὼν ἐς φροντίδας νοῦν συμφοράς τ̕ ἐβαλλόμην φυγάς τ̕ ἐμαυτῷ προστιϑεὶς πάτρας ἐμῆς ϑανάτους τ̕ ἀώρους καὶ κακῶν ἄλλας ὁδούς, ἵν̕, εἴ τι πάσχοιμ̕ ὧν ἐδόξαζον φρενί, μή μοι νεῶρες προσπεσὸν μᾶλλον δάκνοι. Poseidonios (auf den das citat bei Cicero, Galen, Ps. -Plutarch an Apollon. zurückgeht) hat in Anaxagoras jenen weisen gesehen, doch ohne anhalt. das richtige hat Cobet entdeckt: Jamblich vit. Pyth. 196 ἦν αὐτοῖς παράγγελμα, ὡς οὐδὲν δεῖ τῶν ἀνϑρωπίνων συμπτωμάτων ἀπροσδόκητον ε[ΐ]ναι παρὰ τοῖς νοῦν ἔχουσι. das steht hier in einer partie, deren herkunft unbekannt ist; wahrscheinlich stammt es von Ari - stoxenos. die benutzung einer Pythagorasschrift durch beide ist nicht abzuweisen. aber es ist auch durchaus verkehrt, diese alle als junge fälschungen zu betrachten. die reste bei Diogenes zeigen ja ionischen dialekt, der zwar dem Samier und dem phi -, sondern er hat mehr -29φιλοσοφία.fach eines der gedichte berücksichtigt, welche auf den namen des Epi - charmos giengen54)Die wichtige sache wird verkannt; es soll kurz der beweis gegeben werden. Epicharm: νᾶφε καἰ μέμνασ̕ ἀπιστεῖν· ἄρϑρα ταῦτα τᾶν φρενῶν (zuerst von Poly - bios citirt, damals schon fliegendes wort): Eur. Hel. 1650 σώφρονος δ̕ ἀπιστίας οὐκ ἔστιν οὐδὲν χρησιμώτερον βροτοῖς. Epich. emori nolo: sed me esse mortuum nil aestimo (Cic. Tusc. I 15, griechisch nicht herzustellen): Eur. Herakl. 1016 ϑανεῖν μὲν οὐ χρῄζω· λιπὼν δ̕ ἂν οὐδὲν ἀχϑοίμην βίον, wie das vorige als schluſseffect längerer rede. Ep. συνεκρίϑη καὶ διεκρίϑη κἀπῆλϑεν ὅϑεν ἦλϑεν πάλιν, γᾶ μὲν εἰς γᾶν, πνεῦμα δ̕ ἄνω· τί τῶνδε χαλεπόν; οὐδὲ ἕν. (Consol. ad Apoll. 110a) dasselbe Eur. öfter, z. B. Hik. 533. wo haben diese epicharmischen sprüche gestanden? komödien hat Eur. nicht citirt und wahrlich auch Xenophon nicht, der Mem. II 1, 20 (vgl. Hell. VI 1 15, damit man das athetiren lasse) epicharmische sprüche anführt. es gab ja aber γνῶμαι, welche nach dem durch Apollodor (bei Athen. 648d) er - haltenen urteil des Philochoros von einem gewiſsen Axiopistos herrührten. allein ob das sittensprüche waren ist fraglich. Philochoros besprach sie in dem buche über mantik zugleich mit einem κανών, und als traumdeuter nennt Tertullian de anim. 46 Epicharm neben Philochoros, so daſs man diese schriften eher unter die technischen pseudepigrapha rechnen möchte, die es auch über tierarzneikunst u. dgl. unter Epicharms namen gegeben hat. nun hat aber schon Aristoxenos (wie Apol - lodor am gleichen orte bezeugt) eine Πολιτεία unter Epicharms namen gekannt, so daſs der sonst nahe liegende verdacht schweigen muſs, daſs die aus dieser citirten sprüche aus alexandrinischer zeit stammten und ihre verherrlichung des ϑεῖος λόγος, von dem ein teil der menschliche ist (Clem. strom. V 719), stoisch wäre; auch zeigt ein von Clemens zugleich angeführter vers, daſs dieser λόγος oder vielmehr seine betätigung, λογισμός, mit der zahl gleichgesetzt wird, wir also in pythagoreischer gegend sind, wenn auch der einfluſs des Anaxagoras kenntlich ist: denn νόος ὁρῇ καὶ νόος ἀκούει, τἄλλα κωφὰ καὶ τυφλά (zuerst citirt von Aristoteles probl. XI 33: nicht von Platon Phaid. 65b, der auf einen wol euripideischen tragikervers geht) gehört offenbar eben dahin. nun tritt wieder Euripides ein. Hel. 122 αὐτὸς γὰρ ὄσσοις εἰδόμην, καὶ νοῦς ὁρᾷ. das tilgt man, weil man die beziehung verkennt. die echte Helene fragt den Teukros, ob er ihre doppelgängerin gesehen habe. der sagt ‘so wie ich dich jetzt mit augen sehe’. sie wirft ein ‘es kann ein trugbild gewesen sein’. er weist das rund ab. sie ‘ihr traut also ganz auf die zuverlässigkeit der erscheinung?’ (spiel mit δόκησις, vgl. zu v. 287). er ‘ja ich habe sie mit eignen augen gesehen, und der νοῦς sieht’, d. h. weil der νοῦς sieht, ist keine δόκησις, ψευδὴς δόξα möglich. Helene verstummt: sie kann nichts ausrichten, wenn die sinneswahr - nehmungen gelten sollen, weil die sinne nicht sehen, sondern die infallible vernunft. aber der dichter widerlegt die misdeutung des epicharmischen wortes durch die tat: Teukros täuscht sich doppelt, sein νοῦς hat die falsche Helene anerkannt, die echte verworfen. allerdings ist die Helenestelle nur durch eine beziehung auf etwas. seine eigene ansicht von den ἀρχαί, ein dualismus53)losophen des 5. jahrhunderts zukommt, aber zu der zeit des Archytas schon un - denkbar wäre: damals war diese ionische pflanze längst für das Dorertum reclamirt. die herstellung des pythagoreischen evangeliums ist eine schöne aufgabe: denn er - sichtlich gehört die älteste schicht der wunder, z. b. die daunische wölfin, auch in so gute zeit hinauf.30Das leben des Euripides.von geist gott aether und stoff körper erde, ist ein compromiſs zwischen der philosophie des ostens und der theologie der heimat und des westens. das hauptprincip seiner ethik, die macht der φύσις, der intellectuellen und moralischen veranlagung des einzelnen, ist wol durch die verschie - denen philosopheme beeinfluſst: aber gewonnen hat gerade dieses der menschen beobachtende, leidenschaften nachempfindende dichter. er ist natürlich kein schöpferischer philosoph; aber kein anderer kann uns von dem, was der forschungsdurstige Athener kannte und las, eine vorstellung geben: und φιλ[ί]σοφος im echten sinne ist er auch, obwol er auch σοφιστής ist, im echten, wie im üblen sinne.
Es ist jedoch eine bedeutende einschränkung nötig. denn eineἱστορία. seite der zeitgenössischen geistesarbeit hat Euripides so gut wie ganz vernachlässigt, die ἱστορίη ins weite. fremder völker sitten, fremder länder wunder kennen zu lernen ist er nicht beflissen; mit geographischen namen zu prunken verschmäht er55)Bei Eur. wundert man sich schon, wenn er einmal in der weise die Pindar geläufig ist statt der grenzen der welt Atlas und Pontos (zu v. 234) oder Phasis und Nil (Andr. 650) nennt. wo es eine besondere wirkung macht, erscheint natür - lich auch solches wissen. die vorzügliche schilderung Messeniens im Kresphontes (1068) hat eine politische spitze; Sparta besitzt die schönste landschaft widerrecht - lich, und die Messenier fordern ihre zurückführung. daſs Iphigeneia am baumlosen gestade, in der südrussischen steppe, sich nach den hellenischen gärten und hainen sehnt (134, 229), ist durch die localfarbe sogar dem suchen Griechenlands im schatten des dichtbelaubten haines überlegen. die sicilische expedition macht die dortigen maulesel (Tr. 222 ὀρῆς, auch Soph. OK. 313 Αἰτναία πῶλος) und das ϑαυμάσιον des thurischen Krathis (Tr. 227) interessant. der hain von Knosos in den Kretern mit dem uralten blockhaustempel hat gewiſs auch localen bezug, aber auch besondere bedeutung. einen starken irrtum über die lage von Kelainai rügt Strabon (XIII 616. fgm. 1070), beziehung unbekannt. zwar schwerlich den magneten, aber doch einen stein von Magnesia hat Eur. in einem gleichnis erwähnt: sicher den magneten Sophokles (oben s. 12). auffällig ist in den Troerinnen 1075 der phry - gische Zeuscult auf dem Ida; doch hängt dies mit dem vorhergehenden zusammen, wo der Ida der ort heiſst, den die sonne zuerst bescheint: in der tat haben astronomen den sonnenaufgang dort beobachtet (Diodor XVII 7, Lucrez V 663), offenbar gelegent - lich des phrygischen höhendienstes. auffällig ist auch in den Bakchen die sehnsucht nach Kypros, wobei die rieselfelder von Paphos geschildert werden (406). man möchte denken, daſs der dichter sich hier als Athener aus dem versinkenden Reiche fortwünscht in irgend einen winkel, den das kriegsgetöse nicht erreicht, wo dann Kypros und Makedonien nahe lagen. er ist nach dem letzteren gegangen, Ando - kides z. b. nach beiden.; kaum eine spur deutet darauf, daſs er die geographische und die mit ihr meist zusammenfallende histo - rische litteratur der Ionier gelesen hätte56)Strabon (XI 520) sagt, er wolle noch ein par