τὰ ἱρὰ ἐόντα πρήγματα ἱροῖσιν ἀνϑρώποισι δείκνυται, βεβήλοισι δ̕ οὐ ϑέμις, πρὶν ἢ τελεσϑέωσιν ὀργίοισιν ἐπιστήμης.(Demokritos. )
ALMAE-MATRI PORTAE V - S - L - M - ΟϒΠΑϒΣΟΜΑΙΤΑΣΧΑΡΙΤΑΣ ΜΟϒΣΑΙΣΣϒΓΚΑΤΑΜΕΙΓΝϒΣΑΔΙΣΤΑΝΣϒΖϒΤΙΑΝ 9 ix 1867 21 v 1889
Als ich vor 22 jahren das kleine katheder des betsaales bestieg, um abschied von der Pforte zu nehmen, überreichte ich ihr nach alter guter sitte eine valedictionsarbeit, die das motto trug, das ich heute wiederhole. es war und ist ein gelübde für’s leben: den Musen und auch der alten schule werde ich die treue halten. die abhandlung selbst gieng die griechische tragödie an und war natürlich ein geschreibsel, ganz so grün wie ihr verfasser. der würde tief unglücklich geworden sein, hätte er geahnt, wie bald er so urteilen würde; aber im stillen herzen gelobte er sich doch, wenn er ein mann würde, der Pforte ein buch zu widmen, das denselben gegenstand wissenschaftlich behandelte. dies gelöbnis würde er nie ausgesprochen haben, wenn er es nicht zugleich erfüllte. er tut es heut, indem er das drama, aus dem er damals das motto nahm, er - läutert, und ein buch veröffentlicht, das vor allem so grünen aber von den Musen begeisterten jünglingen, wie er damals einer war, das ver - ständnis der tragödie erschlieſsen soll.
Denn geplant und begonnen habe ich dieses buch zunächst nicht um neue forschungen vorzutragen, sondern um das verständnis der tra - gödie, das doch gemeinbesitz der wissenschaft ist, zu vermitteln. nun ist freilich etwas ganz anderes herausgekommen, das jenen zweck viel - leicht nicht mehr so gut erfüllt, jedenfalls ein anorganisches gebilde, dem ich zur entschuldigung seine entstehungsgeschichte mit auf den weg geben muſs.
Meine wissenschaftliche arbeit ist von der tragödie ausgegangen, und mich interessirte zu anfang das meiste nur entsprechend dem, wie ichVIIIVorwort.es für dieses gebiet nutzbar machen konnte. das war freilich nicht wenig, denn mein lehrmeister war Welcker, in dessen werke ich mich mit leidenschaft vertiefte. damit ist gesagt, daſs mich die herrschende tragiker - kritik nur mit widerwillen erfüllen konnte. und doch gehört ein jeg - licher seiner zeit an, und mein erstes buch war stark in den irrtümern der nämlichen methode befangen, gegen die es laut protestirte. ich hatte es zum äuſseren zwecke der habilitation in unverzeihlicher eilfertigkeit hingeworfen, und wollte es schleunigst durch etwas reiferes ergänzen. aber ich war noch unreif. zwar widerstand ich der versuchung, die an mich herantrat, meine collationen zu einer Euripidesausgabe zu ver - wenden, auch der, ein buch über das drama zu schreiben. aber ich wähnte doch in kurzer frist eine erklärende ausgabe des Herakles und dann anderer dramen fertig stellen zu können, weil ich den text fleiſsig durchgearbeitet hatte, und bot deshalb der Weidmann’schen buchhand - lung 1877 diese ausgabe für die Haupt-Sauppe’sche sammlung an. darin war der gedanke ganz richtig, daſs es nützlicher ist, das was man ver - steht vorzulegen als was man nicht versteht und deshalb ändert, daſs es zunächst gilt zu erklären; aber ich würde meine sache noch nicht ordent - lich gemacht haben, weil ich zu wenig wuſste. zum glücke zwang mich das lehramt zum lernen, und als ich 1879 den Herakles ernsthaft wieder angriff, wuſste ich wenigstens das drama eingerückt an seinen richtigen platz sowol in der entwickelung der sage wie in der gesammtentwickelung der hellenischen geschichte und cultur zu betrachten. und auch sprache und verskunst hatte ich begonnen geschichtlich zu erfassen. mir selbst war nicht klar, wie gewaltig die veränderung war; aber ich sehe es jetzt, wenn ich die excurse zu Euripides Medea mit den Analecta Euripidea vergleiche. wie ich damals zum Herakles stand, zeigt der text und die übersetzung, welche 1879 als manuscript gedruckt in vieler händen ist. der gröſste teil des commentars und der einleitung war auch ausgearbeitet oder skizzirt, als äuſsere verhältnisse mich 1882 zwangen abzubrechen. damals hielt ich mich noch im rahmen der schulausgabe, und vielleicht hätte ich ihn damals inne halten können. weihnachten 1886 habe ich mich denn wieder daran gesetzt, entschlossen um keinen preis abzulassen, bis ich die arbeit von der seele hätte. das habe ich denn freilich er -IXVorwort.zwungen. aber das buch ist gänzlich ungefüge geworden. zwar den vorteil wollte ich nicht aufgeben, den strom der erklärung von der wasserpest der kritischen debatten und der polemik rein zu halten: ver - geblich wird der leser moderne eigennamen suchen, die jetzt mode ist womöglich durch gesperrten druck kenntlich gemacht wie fettaugen auf der wissenschaftlichen suppe schwimmen zu lassen. aber die berechtigte forderung, gleichmäſsig zu erklären und streng bei dem gegebenen zu bleiben, ist doch verletzt, und es ist wieder ein commentar, der einen index nötig hat. vollends aber die einleitung ist zu einem bande aus - gewachsen, und ich habe mich schlieſslich dazu verstehen müssen, sie durch einen sondertitel als einleitung in das attische drama zu verselb - ständigen. unmittelbar diesem zwecke dient nur die hälfte, cap. 2 — 4; auch 5 und 6 fallen nicht ganz heraus, denn wer auf das verhältnis der tragödie zur sage so viel wert legt, daſs er es sogar in ihre definition einbezieht, wird ein beispiel unter allen umständen vorführen wollen, und das kann Heraklessage und Heraklestragödie so gut wie eine andere sein. aber ein γένος Εὐριπίδου ist ganz unberechtigt, wenn die beiden anderen tragiker fehlen, und die wieder können in die einleitung zum Herakles nimmermehr hinein. es ist nicht anders, das buch wie es ist ist keine einheit und hat objectiv keine berechtigung. dies urteil ver - diene ich, fälle ich selbst zuerst, aber ich konnte nicht anders: was ich gemalt hab’ hab’ ich gemalt, und die subjective berechtigung lasse ich mir nicht nehmen. ist denn die wissenschaftliche production eine andere als die dichterische, wo wir doch wissen, daſs der dichter unter dem zwange des geistes schafft, der über ihn kommt? auch unser tun ist πο〈…〉〈…〉 εῖν, und auch wir können die poesie nicht commandiren. nur was wir verfehlen, ist unser, und etwa die handwerksarbeit, die jeder kann, wenn er den schweiſs daran setzt: was uns gelingt, das danken wir der Muse, und soll ihr, nicht uns, danken, wer sich dadurch gefördert fühlt. mir hat sie versagt zu schaffen, was einen reinen eindruck macht; ich bin philologe genug, den mangel einzusehen, aber ich bin nicht poet gemug, ihn zu überwinden.
Ich hatte jahre lang meinen zorn damit beschwichtigt, in dieser vorrede einmal gegen die behandlung aufzustehen, die sich die wortführerXVorwort.der s. g. öffentlichen meinung in den recensiranstalten und jahresbe - richten meinen arbeiten gegenüber herausnehmen, immer dreister, weil sie ungestraft bleiben. nun bin ich auch darüber hinaus, und lasse sie ruhig gewähren, sich selbst zum gerichte. jeden ehrlichen jungen, der der wissenschaft noch so verworren zu dienen beginnt, betrachte ich mit freuden als meines gleichen: aber die sphäre, in der das licht von Nicolaus Wecklein leuchtet, liegt hinter mir, in wesenlosem scheine.
Ein buch, an dem so lange geschrieben und gedruckt ist, wird einzelne wiederholungen und selbst widersprüche enthalten müssen, weil der ver - fasser zu lernen fortfährt. so würde des berichtigens und nachtragens kein ende sein. schon die bücher, die mir nach abschluſs des manuscripts be - kannt geworden sind, z. b. Naucks neubearbeitung der tragikerbruchstücke, Ramsay on Phrygian art, Dümmlers Akademika, erfordern eigentlich eine nachträgliche berücksichtigung; noch viel mehr müſste ich neu machen, wollte ich den mahnungen und anregungen meiner freunde G. Kaibel und F. Leo gerecht werden, die mir zu liebe die druckbogen gelesen haben. das würde also endlos sein, und so habe ich mich auf einen nachtrag beschränkt, der die überraschende rechtfertigung klar stellt, welche einem verse der tragödie in seiner überlieferten gestalt durch die neusten funde auf der athenischen burg zu teil geworden ist. schlieſs - lich muſs ich mich, wie gewöhnlich, anklagen, die druckfehler schlecht verbessert zu haben. verlagsbuchhandlung und druckerei bedürfen zwar keines lobes; aber ich schulde ihnen um so mehr die öffentliche an - erkennung, daſs sie für dieses buch alles getan haben was ich wünschte, und daſs die mangelhafte correctheit des druckes in allem wesentlichen meine schuld ist.
Wenn diese ausgabe eines euripideischen dramas als erstes capitel der prolegomena eine biographische skizze bringt, so geschieht das im an - schluſs an die weise der antiken philologie. wir lesen in den erhaltenen handlschriften der dichter, wenigstens so weit sie auf gelehrte ausgaben des altertums zurückgehen, einen lebensabriſs, der meistens γένος heiſst, weil er mit der herkunft anhebt, auch wol weil den verfassern βίος zu anspruchsvoll klang. denn es lag ihnen fern, von dem wesen und wirken des dichters eine schilderung zu geben, geschweige daſs sie etwas hätten leisten wollen, was wir biographie nennen: dazu hat sich niemand im altertum erhoben. sie wollten dem leser nur kurz die nachrichten über die äuſsern lebensumstände des mannes angeben, dessen werke folgten. durch deren lecture mochte dann jeder sich den rahmen selbst füllen; zur richtigen beurteilung erhielt er in dem γένος einige orientirende beobachtungen und kunsturteile. diese weise, schon in alexandrinischer zeit geübt, ist praktisch und wird deshalb von den modernen häufig und so auch hier befolgt. eine wirkliche biographie, eine entwickelungs - geschichte des individuums innerhalb der kreise, in die es gestellt war, eine biographie wie Justi’s Winckelmann, können wir von keinem Hellenen schreiben, weil dazu das material für uns fehlt: im altertum würde es z. b. von Aristoteles und Epikuros möglich gewesen sein, weil deren correspon - denz veröffentlicht war; von einem manne des fünften jahrhunderts würde es auch damals niemand haben leisten können. M. Cicero ist überhaupt der älteste sterbliche, von dem eine solche biographie geschrieben werden kann: das beste zeugnis für die eminente persönliche bedeutung des mannes. aber eine biographie in groſsen zügen, eine mehr erörternde als er - zählende darlegung von eines einzelnen menschen wirken, zunächst in seinem kreise, dann aber weiter für sein volk, für die folgezeit, für uns und die ewigkeit, eine biographie wie Goethe’s Winckelmann, die lieſsev. Wilamowitz I. 12Das leben des Euripides.sich sehr wol auch von Euripides schreiben, und zwar ist er der zweite Hellene, von dem das möglich ist. der erste ist Pindaros. doch liegt das nur an der zufälligen erhaltung zahlreicher und datirbarer werke. von Aischylos und Sophokles ist es lediglich deshalb nicht möglich. so hohe ziele werden hier nicht verfolgt: auch dies ist nur ein γένος Εὐριπίδου.
Ein solches wird zunächst deshalb nötig, weil der moderne forscher die ehrenpflicht hat, das gedächtnis der groſsen personen des altertums von dem schmutze törichter und böswilliger erfindungen zu reinigen, welche die antike philologie zusammenlas und weitergab, weil es ihr zumeist an jeder historischen einsicht gebrach. für Euripides sind wir jedoch, obwohl des schmutzes mehr als genug ist, wesentlich günstiger gestellt. denn kein geringerer als der letzte Athener, Philochoros, hat mit hilfe des damals noch zugänglichen urkundenmaterials und der noch lebendigen mündlichen tradition ein leben des Euripides geschrieben, worin eine anzahl der schon damals verbreiteten erfindungen abgetan wurden. es genügt also oft auf Philochoros zurückzugreifen, während andererseits angaben, die einen schlicht urkundlichen charakter tragen, als philochoreisch und als wahr gelten dürfen. denn die historische kritik hat wie die diplomatische weder conservativ noch destructiv zu sein: sie hat vielmehr zu ermitteln, was wirklich überliefert ist, und dem ist sie verpflichtet zu glauben, bis es widerlegt ist, andererseits aber un - beglaubigter überlieferung den glauben zu versagen, so lange sie nicht bewiesen ist. 1)Das in den handschriften des dichters erhaltene γένος Εὐριπίδου findet man vor den ausgaben von Kirchhoff und Nauck; die überlieferung der handschriften vollständiger in der ausgabe der scholien von E. Schwartz, wo auch der auszug ab - gedruckt ist, welchen Gellius (XV 20) entweder selbst aus dem γένος, wie es damals in den handschriften stand, genommen hat, oder von Varro überkommen, der es dann ebenso gemacht haben muſs. wenigstens eine notiz ist auf diesem umwege zu Gellius gelangt (XVII 4, 3). Nauck hat in seiner praefatio die sonstigen zerstreut überlieferten notizen so gut wie vollständig gesammelt; worauf hiermit verwiesen sei. im folgenden werden nur belege angeführt, wo es aus besonderen gründen an - gezeigt erscheint.
Aristophanes hat seine Frösche unter dem archon Kallias im gamelion aufgeführt (januar 405). damals waren Euripides und Sophokles eben gestorben; Sophokles später, wie ausdrücklich gesagt wird. man braucht sich aber nur die ganze fabel des stückes, das auf ein duell zwischen Aischylos und Euripides angelegt ist, zu überlegen und vollends die dürf - tige und gezwungene weise, wie Sophokles in den Hades eingeführt, für den gang der komödie aber bei seite gestellt wird, zu erwägen, um3Todes - und geburtsjahr.zu erkennen, daſs dies ein vom dichter aus not wider seinen ersten plan eingeführtes motiv ist, mit anderen worten, daſs er den plan zu seinem drama entworfen hat, als Sophokles noch lebte. dieser ist also, wie auch die beste chronographische überlieferung angibt, in der ersten hälfte des jahres des Kallias (zweite hälfte von 406) gestorben, Euripides nicht viel früher, unter Antigenes. es scheint, daſs wir noch genaueres wissen können. eine zwar nicht ganz verbürgte, aber in sich glaub - würdige2)Glaubwürdig ist die notiz, weil die institution des proagon früh verfallen und aus dem gedächtnisse der gelehrten geraten ist, sie muſs also verhältnismäſsig alt sein und wird auf einen der alten peripatetiker zurückgehen. inhaltlich ist sie wahrscheinlich, weil die ehrenbezeugung eine so schlichte und im geiste des diony - sischen festspieles gehaltene ist (vgl. zu vers 677). die nachrichten über den tod des Sophokles sind alle geschichtlich unverwendbar. nachricht besagt, daſs Sophokles an einem proagon zu ehren des eben verstorbenen Euripides den chor ohne kränze auftreten lieſs: das war also am 8 elaphebolion des Antigenes, ende märz 406, und kurz vorher war die nachricht vom tode des Euripides nach Athen gelangt, aus Makedonien, wo er notorisch gestorben ist. an dem winter 407 / 6 dürfen wir somit festhalten. andererseits steht urkundlich fest, daſs Euripides unter Diokles (408) den Orestes in Athen aufgeführt hat: sein aufenthalt in Makedonien hat also nicht mehr als etwa 1½ jahre ge - dauert.
Unter Kallias, 455, hat Euripides den ersten chor erhalten: das konnte jeder aus der urkundlichen theaterchronik constatiren. damals konnte er nicht wol jünger als 20 jahre sein, war also bei seinem tode mindestens ein siebziger. so hat Philochoros gerechnet und müssen wir rechnen, ohne zu vergessen, daſs er sehr wol ein par jahre älter gewesen sein mag.3)Vielleicht hat sich Philochoros so ausgedrückt, daſs Euripides bei seinem ersten auftreten mindestens ephebe gewesen sein müsse. indem man das als tatsache nahm, konnte man zu der torheit gelangen, daſs Euripides mit 18 jahren die erste tragoedie gegeben hätte: so Gellius. die consequenz, entweder das überlieferte datum 455 oder das allgemein geglaubte 480 aufzugeben, hat man aber nicht gezogen. das wirkliche geburtsjahr eines Atheners des 5. jahrhunderts war für die späteren nicht zu ermitteln4)In anderen gegenden stand es anders. Soran hat in den archiven von Kos gefunden, daſs Hippokrates am 17. Agrianios unter dem monarchen (dem auch ur - kundlich bezeugten eponymen beamten von Kos) Habriades geboren war: eine solche angabe blieb jedoch ungenügend, so lange die gleichsetzung der koischen beamten und das verhältnis des koischen jahres zu einem festen chronologischen system unbestimmt war, und so ist es hier. die aufzeichnung war eine folge der; noch die des Sokrates Iso - krates Platon sind lediglich durch rechnung gefunden.
1*4Das leben des Euripides.Also nahe an das epochenjahr 480, die schlacht bei Salamis, reichte das geburtsjahr des Euripides sicher; auf Salamis lag das gut seines vaters: da lag es nahe genug, die geburt nach der schlacht zu datiren. das hat die treffliche alexandrinische chronographie getan, selbst Era - tosthenes, und wir dürfen ihr zutrauen, daſs sie sich bewuſst war, mit einem approximativen datum zu operiren. ihre absicht war, mit der richtigkeit die bequemlichkeit zu verbinden, und in der antiken jahres - rechnung, die jedem jahre einen individualnamen gab, war das auch dringend nötig. so erzielte man aber auch, daſs Euripides unter einem Kallias geboren ward, unter einem zweiten den ersten chor erhielt, unter einem dritten starb — denn um des synchronismus mit Sophokles willen rückte man auch seinen tod ein jahr hinab. auch die pointe hat ja selbst auf Lessing ihre wirkung nicht verfehlt, daſs die tragische Muse ihre drei lieblinge in einer vorbildlichen gradation auf Salamis versammelt hätte, Aischylos zu kämpfen, Sophokles den siegesreigen zu tanzen, Euri - pides geboren zu werden. wenn man sich hütet, das für wirklichkeit zu halten, hat es in der tat eine symbolische wahrheit. für Aischylos ist der freiheitskrieg die lebenserfahrung, die sein ganzes herz erfüllt. Sophokles hat zwar nicht mitgestritten, aber er hat die siegesfreude und begeisterung mit in das leben genommen, und der helle stral, welcher in die jugendliche seele fiel, hat sie für alle zukunft durchleuchtet und erwärmt. Euripides hat die güter, welche 480 / 79 errungen wurden, von kindesbeinen an als etwas selbstverständlich gegebenes hingenommen. in solcher zeit geht das leben rasch und machen ein par jahre einen gewaltigen unterschied. das alte Athen, das bei Marathon gesiegt hatte, gieng in dem attischen Reiche auf. die nächste generation schon, der Euripides angehörte, hatte kein verständnis und keine pietät dafür. und der nationale gegensatz gegen die Barbaren, der das Reich gegründet hatte, war für diese so wenig jüngeren Athener nicht mehr vorhanden. Euripides hat gewiſs, wenn wir auch nichts davon wissen, seiner wehr - pflicht genügt5)Ob zu fuſs, in seiner τάξις, der Kekropis, oder auf der galeere, welche die kleruchen von Salamis zu stellen hatten, ist nicht zu sagen. militärische neigungen hat er nicht, seine schlachtengemälde in Hiketiden und Herakliden streben, wie alle an - deren, nach anschaulichkeit, aber sie erreichen sie nicht. für den sport des reiters, den Sophokles verherrlicht, hat er vollends nichts übrig. der reiche Sophokles hat natürlich bei der cavallerie gedient.: aber dann hat er wider Aegineten, Boeoter, Peloponnesier4)geburtsaristokratie, die in jenen dorischen gegenden herrschte. wir besitzen von dem Kos benachbarten Kalymnos listen, die genau in derselben weise jahr und monat (den tag aber nicht) angeben, selbst für weiber. Bull. de Corr. Hell. VIII 30.5Todes - und geburtsjahr. herkunft.im felde gestanden, und diesen politischen gegensatz hat er denn auch sein leben lang bewahrt. Athen, die hauptstadt von Hellas, das attische Reich berufen zur vormacht aller Hellenen, das ist die voraussetzung seines politischen denkens, wie sie es sein muſste.
Es gibt noch ein anderes geburtsjahr, 484, das sogar in der zeit des Philochoros selbst aufgestellt ist.6)In der parischen chronik z. 65. 75. aber es hat auch nur symbolische bedeutung. 455, in dem jahre, wo Euripides zuerst auftrat, soll nach allgemeiner vielleicht urkundlich begründeter tradition Aischylos gestorben sein, 484 hat er den ersten sieg errungen: damit schien als viertes glied der gleichung die geburt des Euripides gegeben. symbolisch ist auch das wahr. Euripides folgt auf Aischylos wie der sohn auf den vater; es steht kein dritter zwischen ihnen, aber der eine muſste vom schau - platz abtreten, damit für den anderen raum wurde.
Euripides war der sohn des Mnesarchides oder Mnesarchos vonHerkunft. Phlya; patronyme ableitungen wechseln häufig mit dem vollnamen und seinen abkürzungen, so daſs keine differenz vorliegt. die mutter, Kleito, war eine adliche. 7)Suid. Κλειτὼ — τῶν σφόδρα εὐγενῶν ἐτύγχανεν, ὡς Φιλόχορος. da es nötig war, die persönlichkeit festzustellen, um über die herkunft etwas zu ermitteln, darf man dem namen glauben schenken.Mnesarchides war aus keinem adlichen aber doch aus einem ansehnlichen hause, welches an dem dienste des Apollon in Phlya anteil hatte. Phlya war ein dorf östlich vom Hymettos, schon in der adels - zeit namhaft. aber der Apollon war nicht der des ionischen adels, dem die Apaturien gelten, sondern der delische, dessen fest die Thargelien sind. wie an diesen eine procession vom Phaleron nach Athen zog, und knaben zweige mit allerhand guten dingen daran trugen, so ist Euripides als knabe im festzuge von cap Zoster nach Phlya gezogen. er hat auch das schenkenamt für eine cultgenossenschaft der ‘tänzer’ inne gehabt.8)Das γένος gibt an γενέσϑαι δ̕ αὐτὸν καὶ πυρφόρον τοῦ Ζωστηρίου Ἀπόλ - λωνος. Theophrastos περὶ μέϑης (Athen. X 424b) beruft sich auf ein schriftstück im δαφνηφορεῖον von Phlya, aus dem er sich über die culthandlung, die tracht, die herkunft der tänzergilde (τῶν πρώτων Ἀϑηναίων) unterrichtet hat: das waren also die statuten der ὀρχησταί. daſs Euripides das schenkenamt geübt, gibt er an; das ist aber nicht auf jene urkunde zurückzuführen. wenn Theophrast den de - lischen Apollon nennt, die vita den von Zoster, jener Euripides schenken, dieser feuerträger sein läſst, so sind das differenzen, welche verschiedene herkunft der notizen beweisen, aber die glaubwürdigkeit nicht berühren; die urquelle sind fasten der ὀρ - χησταί. für das γένος ist man berechtigt an Philochoros zu denken. wer zuerst das tempelarchiv benutzt hat, steht dahin, wie es scheint beide. in betreff der das6Das leben des Euripides.alles zeugt dafür, daſs des vaters geschlecht ein ansehnliches war, um so mehr als dieser für gewöhnlich nicht in der gemeinde wohnte, der ihn die kleisthenische gemeindeordnung zugeteilt hatte, sondern auf dem landgut, das er auf Salamis erhalten oder erworben, und das der familie erhalten blieb, während von verbindungen des erwachsenen Euripides mit Phlya nichts verlautet. man möchte annehmen, daſs der vater und der sohn doch nur der dritten steuerclasse angehörten, die für kleruchien eher in betracht kommt9)Sicher ist das nicht, da man die praxis der perikleischen zeit nicht ohne weiteres auf die peisistratische übertragen darf. der adliche Timodemos von Acharnai, den Pindar als Salaminier besingt (Nem. 2), beweist nach keiner seite; einmal braucht er kein ritter gewesen zu sein, zum andern konnte er als vermögender mann ge - meindeland gepachtet haben: daſs er auch in dem falle auf Salamis zu wohnen ver - pflichtet war, lehrt der volksbeschluſs CIA IV 1a. Mnesarchos war kein pächter, da das gut im besitze des sohnes erscheint.; wie dem auch sei, so viel ist sicher, daſs Euripides dem alteingesessenen guten bürgerstande angehörte, und zwar dem von landbau nicht von industrie lebenden. diese kreise traten an wolstand zurück, als Athen eine industriestadt ward, obwol sie immer für etwas vornehmer galten. der fabricantensohn aus der vorstadt Sopho - kles war pentakosiomedimne, aber altererbte culte hatte er nicht zu ver - sehen. auf dem salaminischen hofe ist Euripides geboren und hat dort viel gelebt. Philochoros bezeugt es, und auf seine angabe hin dürfen wir uns den dichter in einsamer grotte mit dem blicke auf das meer arbeitend den - ken.10)Gellius berichtet: Philochorus refert in insula Salamine speluncam esse taetram et horridam, quam nos vidimus, in qua Euripides tragoedias scriptitavit. ob den neugierigen zu Gellius’ zeit die echte grotte gezeigt ward, ist um so zweifel - hafter, als er sie graulich findet. das γένος aber lehrt uns φασὶ δὲ αὐτὸν ἐν Σα - λαμῖνι σπήλαιον κατασκευάσαντα ἀναπνοὴν ἔχον εἰς τὴν ϑάλασσαν ἐκεῖσε διη - μερεύειν φεύγοντα τὸν ὄχλον· ὅϑεν καὶ ἐκ ϑαλάσσης λαμβάνει τὰς πλείστας τῶν ὁμοιώσεων. hier liegt Philochoros reiner vor: der ort ist durchaus behaglich. die tatsächliche angabe über die metaphern ist wahr und fein beobachtet; aber der causalnexus ist falsch. nicht aus der natur der see, wie sie dem naturfreunde sich gibt, wählt Euripides seine bilder vorwiegend, sondern aus dem schiffer - und see - fahrerleben. das ist nur in so weit individuell bezeichnend, als Euripides der dichter der attischen seeherrschaft ist. allein nicht die erhabene natur spiegelt sich in seiner poesie wieder,8)tänzer vergesse man nicht, daſs die älteste attische inschrift, die lange vor Drakon fällt, also lautet: ὃς νῦν ὀρχηστῶν πάντων ἀταλώτατα παίζει τοῦ … (CIA IV 492a). der bericht des Theophrast lautet allerdings so, als wäre der sitz der tänzer in Athen gewesen, wo dann der tempel des delischen Apollon das Delphinion wäre. allein da das archiv im δαφνηφορεῖον, also Apollonheiligtum, zu Phlya war, werden die tänzer, wenigstens ursprünglich, auch dorthin gehört haben.7Hausstand.für die er vielmehr nicht viel mehr sympathie hat als Sokrates, dem nur im menschengewühle wol war11)Plat. Phaidr. 230c τὰ χωρία καὶ τὰ δένδρα οὐδέν μ̕ ἐϑέλει διδάσκειν, οἱ δ̕ ἐν τῷ ἄστει ἄνϑρωποι. Philine (Wilh. Meist. II 4) “wenn ich nur nichts mehr von natur und naturscenen hören sollte — — wenn schön wetter ist, geht man spazierem, wie man tanzt, wenn aufgespielt wird — der tänzer interessirt uns, nicht die violime, und in ein par schöne schwarze augen zu sehen tut einem par blauen augen gar zu wol. was sollen dagegen quellen und brunnen und alte morsche linden. ” die liebenswürdige verdient ihren griechischen namen., wol aber die einsamkeit und das suchen der antworten auf die ewigen fragen in der tiefe der eigenen brust.
In den jahren, wo der Athener sich seinen hausstand zu gründenHausstand. pflegte, hat auch Euripides ein weib genommen und drei söhne mit ihr gezeugt. sie hieſs wahrscheinlich Melito12)Zwei namen sind überliefert; der bericht von zwei ehen ist erst ein con - ciliatorisches autoschediasma, zumal die erfahrungen, die Euripides macht, in beiden ehen dieselben sind. auch sind unsere excerpte selbst im widerspruch darüber, welche frau die erste, welche die tochter des Mnesilochos ist, der als verwandter und freund des dichters durch ältere komiker bezeugt ist. (der κηδεστής der Thes - mophoriazusen kann ihn schon deshalb nicht meinen, weil er 411 kaum noch leben konnte, sicher keine kleinen kinder hatte. ) folglich ist ein name falsch, der andere aber muſs als überliefert gelten, da er ja die verdoppelung verschuldet. da die fabel das wesen einer Χοιρίλη angeht, kann kein verständiger zweifeln, daſs dieser, nicht der harmlose name Μελιτώ, erfunden ist. nun hat aber Philochoros über metaphorische bedeutung des namens Χοιρίλη in dem buche περὶ τραγῳδιῶν gehandelt (schol. Hek. 1): es liegt also sehr nahe, schon ihm die kritik zuzutrauen, welche wir auch ohne ihn sicher vollziehen können. daſs der name Χοιρίλη wirklich als eigenname vorkommt, ist eine triviale wahrheit, mit der nur ein geck etwas kann ausrichten wollen. Κινησίας hieſsen auch wirkliche menschen: ist deshalb der name in der Lysistrate minder redend? und der hofmarschall von Kalb in Kabale und Liebe heiſst doch wol so wegen seiner dummheit; kritiker, wie sie sich in sachen Choiriles hervorgewagt haben, werden ihn für einen verwandten der Charlotte von Kalb ausgeben. und war die tochter des Mne - silochos. da dessen name an Mnesarchos anklingt, ist anzunehmen, daſs Euripides der volkssitte gemäſs ein mädchen aus seinem väterlichen ge - schlecht, etwa eine nichte, geheiratet hat. wenn der thukydideische spruch wahr ist, war Melito eine brave frau: denn wir wissen nicht das mindeste von ihr; ihr vater aber stand dem dichter nahe. von den söhnen wurde der älteste, der nach dem vater des vaters hieſs, kaufmann, der zweite, nach dem mütterlichen groſsvater genannt, schauspieler; von dem jüngsten, Euripides, wissen wir nur eine einzelne tat, aber diese macht ihn uns interessanter als seine brüder. er hat bald nach des vaters tode eine himterlassene tetralogie desselben auf die bühne gebracht, zu welcher auſser den Bakchen auch die aulische Iphigenie gehört. nun enthält8Das leben des Euripides.diese, abgesehen von ganz späten interpolationen, z. b. dem schlusse, nicht weniges, was der dichter Euripides unmöglich geschrieben haben kann, z. b. die anapästische scene des prologs, was aber doch zu allen zeiten, schon im 4. jahrhundert, darin gestanden hat. der schluſs ist unabweisbar, daſs Euripides das drama unvollendet hinterlassen hatte, und für die ergänzungen muſs der sohn Euripides die verantwortung vor der nachwelt tragen, wie er sie vor dem archon getragen hat. die verse zeugen von einigem geschick; aber es war doch verständig, daſs der sohn das handwerk des vaters nicht fortgesetzt hat. unsere kunde von der familie des dichters erlischt hier; sie mag aber fortbestanden haben wenigstens bis auf Philochoros zeit und diesem das salaminische gut gezeigt und die weitere auskunft gegeben haben. wenigstens machen die angaben den eindruck der familientradition.
Dagegen halte man nun das zerrbild, das die conventionelle Euri - pideslegende gibt. der vater war ein bankerottirer aus Boeotien und in Athen höker; die mutter handelte mit grünkram und betrog ihre kunden. die frau heiſst Choirile und beträgt sich ihrem namen gemäſs, buhlt unter anderm mit Kephisophon, dem haussclaven des dichters, der diesem übrigens auch beim dichten hilft wie schwiegervater Mnesilochos auch. Choirile wird ertappt, verstoſsen, durch Melito ersetzt, die es aber nicht besser treibt u. dgl. m.
Es ist nicht nötig den ganzen schmutz zu durchwühlen. das meiste wird jeder halbwegs einsichtige einfach wegwerfen, und den litteratoren ist doch nicht zu helfen, die den historischen kern tauber nüsse suchen, zwar gewissensbedenken tragen, eine angabe zu verwerfen, weil sie bestimmt auftritt, aber den ehrlichen namen eines mannes und die ehre einer frau ohne weiterungen preisgeben; und dann ist die neugier nach dem quark nun einmal unersättlich und unbelehrbar. der herkunft nach zerfallen die schwindeleien in zwei gruppen: einmal sind es gänzlich inhaltsleere autoschediasmen, als z. b.: weshalb heiſst Euripides Euripides und nicht z. b. Kephisiades? beides sind gute attische namen, nur daſs natürlich viel mehr Athener nach dem oder den flüssen Kephisos heiſsen, die das land durchströmen, als nach dem Euripos, an den Attika kaum mit einer ecke stöſst. vater Mnesarchos wird auch einen grund gehabt haben, seinen jungen Euripides zu nennen, und am letzten ende wird das auch auf den Euripos zurückführen. nur würde man die familiengeschichte kennen müssen, um diese frage zu beantworten. und kennt man sie nicht, so erfindet man: z. b. vater Mnesarchos nannte seinen sohn Euripides, war aber aus dem innern Attika: also hatte er früher am Euripos gewohnt, also9Hausstand.in Boeotien. wie war er nach Phlya gekommen? etwa als bankerotter kaufmann. daſs so erfunden ist, ist keineswegs sicher, im gegenteil, dies ist eine construction im stile jener litteratoren. aber verwerfen müssen wir all dieses gerede, das abenteuerlich, inhaltsleer und weder durch einen verläſslichen autornamen, noch durch irgendwie urkundlichen cha - rakter beachtung fordert. in diesen regionen der litteraturgeschichte hat die regel zu gelten: was nicht in einer der angegebenen weisen ge - stützt wird, gilt bis auf weiteres für erfunden.
Von relativem werte dagegen ist die gleichzeitige erfindung, mag sie num vom haſs oder von der bewunderung eingegeben sein. durch sie wird immer das licht reflectirt, das von einer bedeutenden persönlichkeit ausgeht, wenn auch von so oder so geschliffenem spiegel. spiegel ist für die Euripideslegende einzig die komödie, die ihn, soviel wir sehen, seit dem anfange der peloponnesischen kriege, d. h. seit der zeit, aus der den Alexandrinern zahlreiche dramen vorlagen, mit einstimmigkeit verfolgt hat, während sie Sophokles ziemlich schonte. pietätvolle sage, wie sie diesen verherrlicht, gibt es für Euripides nicht. schon das ist bezeichnend: der eine liebenswürdig, volkstümlich, respectsperson und doch einer, in dem jeder Athener den landsmann grüſste, der dachte wie er. der andere ein schuhu unter den lustigen käuzlein Athenas, allen um so unsympathischer, weil sie seine macht selbst an sich em - pfinden, und immer stärker, je häufiger sie ihn verfolgen; als sie ihn glücklich verscheucht haben, hat er sie alle in die kreise seiner kunst verstrickt.
Komische erfindung ist vor allem der ganze roman von der hahnrei - schaft des Euripides, und es läſst sich die zeit dieser komödie noch ziemlich fixiren. es liegt auf der hand, daſs Aristophanes ganz anders reden würde, wenn er in den Thesmophoriazusen (411) etwas von den ehellichen erfahrungen des dichters gewuſst hätte. in den Fröschen aber spielt er darauf an (1048). der komiker, welcher jene fabel aufbrachte (sicher nicht Aristophanes selbst), hat auf reellen glauben natürlich keinen anspruch gemacht: die angegriffene frau hatte, wenn sie noch lebte, die silberne hochzeit lange hinter sich. sehr witzig war die erfindung nicht und namentlich sticht sie übel ab von den Thesmophoriazusen, die doch vorbildlich gewesen sind. denn herausgesponnen ist die fabel aus der tatsache, daſs Euripides gern probleme des weiblichen liebes - lebems behandelt und von der weiblichen treue recht häufig geringschätzig redet. immerhin ist mehr witz darin, als wenn später feine nasen zu erzählen wissen, der weiberhaſs wäre nur theoretisch gewesen, oder auch10Das leben des Euripides.das gegenteil, oder auch der weiberhaſs wäre durch knabenliebe motiviert gewesen13)Sophokles als den vertreter der knabenliebe, Euripides als den der weiber - liebe einander entgegenzustellen hat dem peripatetiker Hieronymos von Rhodos be - liebt, der mehreres über den dichter vorgebracht hat. er hat auch ein ganz albernes epigramm verfertigt, auf des Sophokles namen (Athen. XIII 604d), aber gleich im ersten verse mit einem groben metrischen schnitzer und im zweiten wieder mit einem: denn in χλιαίνω ist die erste sylbe bei allen älteren dichtern, wie ihre natur ist, lang, und das iota des dativus singularis zu elidiren ist weder dem Sophokles noch irgend einem sorgsamen dichter des vierten oder angehenden dritten jahrhun - derts zuzutrauen. daſs sich bewunderer dieser sophokleischen elegie gefunden haben, ist minder zu verwundern, als daſs die schnitzer auch sonst nicht gerügt sind. u. s. w.
Wie der mensch Euripides zu den frauen stand, wäre man freilich verlangend zu erfahren. daſs er sie gehaſst hätte, ist eine kurzsichtige abstraction daraus, daſs er geneigt ist, allgemeine urteile über das ge - schlecht abzugeben, und daſs diese allerdings von dem cultus und von der galanterie sehr weit abliegen, die wir aus perioden überkommen haben, deren gesittung uns doch viel ferner liegt als die attische cultur. Euripides mag die frauen nicht günstig beurteilt haben: aber er hat sie studiert. für Pindar Sokrates und die meisten Sokratiker existiren sie kaum. nicht bloſs daſs die euripideischen dramen eine fülle weiblicher charaktere bieten, mit so feinen unterschieden der charakteristik, daſs die männer dagegen stark abfallen: es muſs geradezu gesagt werden, daſs Euripides das weib und die durch das verhältnis der geschlechter ent - stehenden sittlichen conflicte für die poesie entdeckt hat, und daſs die hellenische poesie nicht viel mehr hat tun können, als von diesem seinem schatze zu zehren. es gibt wenig dichter, denen das weibliche geschlecht so dankbar zu sein grund hat. aber die frauen, die ihm das verständnis des weiblichen herzens eröffnet haben, sind für alle ewigkeit verschollen. wer spielen will, mag annehmen, daſs die mutter, die das nächste anrecht hat, ihm viel gewesen ist. sie hat ja auch für den sohn zu leiden gehabt, wenn auch wol erst im grabe. wir können freilich nicht einmal die frage beantworten, wie sie in ein renommee gekommen ist, das sich auf unsere verhältnisse übertragen etwa so wiedergeben läſst, Kleito hätte als beruf das pilzesammeln gehabt und ihren kunden haferpilze statt champignons aufgeschwatzt. den wilden kerbel (σκάνδιξ, ne legitima quidem holera Plin. n. h. 22, 18) der mutter gibt Aristophanes dem Euripides schon 425 zu hören (Acharn. 478), und zwar als etwas offenbar dem publicum bekanntes. Kleito war damals lange tot. es wäre leicht sich einen anlaſs auszudenken, wenn man den breiten weg der litteratur -11Lebensführung.geschichtler wandeln wollte. so muſs man sich bescheiden. schlieſslich würde unsere minder aristokratische anschauung die gemüsehändlerin weder selbst als bescholten noch als einen schimpf für den sohn ansehen. die liebevolle weise, mit der der sohn sehr häufig die gefühle der mutter zu den kindern und die pietät gerade des erwachsenen sohnes zur mutter geschildert und besprochen hat, legt es nahe, von Kleito nicht gering zu denken.
Seine vermögensverhältnisse haben dem Euripides von jugend aufLebens - führung. gesttattet ganz den Musen zu leben. im 4. jahrh. war die dramatische poesie dazu angetan, ihren dichter reich zu machen14)Platon Laches 183d Staat VIII 568c.; damals wurden die dramen aber auch aller orten gegeben. der attische staat zahlte sehr ansehnliche preise15)Wir kennen die preise der tragiker und die der komiker (Ar. Frö. 367 mit scholl. ) nicht, wol aber einige der bei den Panathenaeen gezahlten (CIA II 965). für die kitharoden war der erste ein goldener olivenkranz von 1000 dr. und 500 dr. silber, für den zweiten 1200 dr., den dritten 600, den vierten 400, den fünften 300. aber auch das verhältnis dieser preise zu den tragischen läſst sich nicht abschätzen.; aber sie waren sehr stark abgestuft, und Euripides hat im leben nur viermal den ersten erhalten. somit hat er von den gaben der Musen nicht leben können, und jedenfalls haben sich seine söhne eine lebensstellung selbst erwerben müssen. er hat als ein echter gelehrter nur einen schatz hinterlassen, den die motten fressen, seime bibliothek. freilich ist in anschlag zu bringen, daſs sein greisen - alter mit dem unheil zusammenfällt, das nicht nur den staat Athen, sondern jeden einzelnen bürger arm machte. liturgien hatte jeder bürger zu leisten, der nur einigen besitz hatte, mochte er auch so fern dem staatsleben sich halten, wie Platon Isokrates Euripides, von denen allem es feststeht. und zwar hat Euripides als bejahrter mann sogar vor gericht gestanden und seine sache geführt, als ihm ein gewisser Hygiainon eine liturgie zuschob (ἀντέδωκεν16)Aristoteles Rhet. III 15, wol aus mündlicher überlieferung. es ist die ältestte erwähnung eines falles von ἀντίδοσις, da der zweite Hippolytos vorausgesetzt wird, nach 428. der name ϓγιαίνων ist genugsam belegt.). auch muſs man sich die weltflucht bei einem sohne der sophistenzeit nicht zu arg denken: wer so das menschliche getriebe zu schildern weiſs, hat es selbst gesehen, wer das menschenherz so kennt, menschen beobachtet. offenbar durch die zufällige beachtung eines beschriebenen steines hat irgend ein gelehrter des alter - tums entdeckt, daſs Euripides von Magnesia mit atelie und proxenie bedacht worden ist. welche der beiden Magnesia, die beide nicht zum attischen, sondern zum persischen reiche gehörten, gemeint ist, läſst12Das leben des Euripides.sich nicht sagen, und der schluſs des γένος, daſs die ehre einen per - sönlichen besuch Magnesias voraussetzte, zeigt nur, daſs wir epigraphische documente richtiger zu verwerten gelernt haben17)Mit dieser proxenie den zufall zu combiniren, daſs Euripides (Oineus 571) für uns zuerst die Μαγνῆτις λίϑος erwähnt, wird man sich um so mehr hüten, als keines - wegs fest steht, daſs das bezeichnete metall in Magnesia wirklich vorkam, mag es nun das magneteisen sein, wie der durch die ganze citatengelehrsamkeit sich compromit - tirende verfasser des Ion meint, oder das katzensilber, das der gewährsmann Diogenians (schol. Pl. Ion. Phot. Hesych) und Buttmann verstehen, dessen aufsatz (Mus. f. Alt. wiss. II) die modernen teils nicht kennen, teils nicht würdigen: er hat Soph. fgm. 728 erkannt. die verdorbenen Euripidesverse lauten τὰς βροτῶν γνώμας σκοπῶν ὥστε Μαγνῆτις λίϑος τὴν δόξαν ἕλκει καὶ μεϑίστησιν πάλιν. damit kann erstens nicht der magnet gemeint sein, denn derselbe magnet stöſst dasselbe stück eisen, das er angezogen hat, nicht wieder ab. auch würde dann notwendig statt δόξαν σίδηρον stehen müssen. wie vollends ἐπισπῶν ἕλκει καὶ μεϑίστησιν πάλιν (so conjiciren sie) ge - sagt und, wenn gesagt, mit γνώμας und δόξαν verbunden werden sollte, ist gar nicht auszudenken. irgend etwas zieht wie das katzensilber die meinung an und ‘bringt sie wieder in andere lage’ (wie μεϑίστασϑαι φρενῶν), wenn der trug durch - schaut ist. wir fragen, was ist das, und worauf bezieht sich die meinung. das letztere steckt in den verdorbenen worten. sie bezieht sich auf die γνῶμαι βροτῶν, den cha - rakter des menschen, und man verbessert leicht σκοποῦντος. also die dem Euripides so geläufige klage, daſs die kriterien für den charakter so unsicher sind. nehmen wir z. b. die εὐγένεια: zunächst beurteilen wir den εὐγενής darauf hin als ἀγαϑός, aber rasch erkennen wir, daſs der adel katzensilber ist. am nächsten aber liegt wirkliches silber, der reichtum: denn dann ist die vergleichung am schlagendsten.. allein eine inhalt - lose ehre ist die proxenie damals noch nicht, sondern sie schlieſst, wenn man auch zugeben mag, daſs die Magneten nur den dichter ehren wollten, verpflichtungen ein, die praktisch wenigstens werden konnten. daſs die späteren sich Euripides durchaus nur als einen menschenscheuen und menschenfeindlichen griesgram denken konnten, liegt im wesent - lichen daran, daſs sie die charakteristik des tragikers Alexandros von Pleuron als maſsgebend ansahen ὁ δ̕ Ἀναξαγόρου τρόφιμος χαιοῦ στρυφνὸς μὲν ἔμοιγε προσειπεῖν καὶ μισόγελως καὶ τωϑάζειν οὐδὲ παρ̕ οἴνῳ μεμαϑηκώς. ἀλλ̕ ὅ τι γράψαι τοῡτ̕ ἂν μέλιτος καὶ Σειρήνων ἐτετεύχει18)Den verfassernamen hat Gellius und der Aristophanesscholiast zu Frö. 839 erhalten, wonach auch die krauthökerin Kleito bei ihm vorkam. im γένος ist durch leichtes versehen Aristophanes für den verschollenen dichternamen gesetzt, und es ist dort auch s. 5, 21 Schw. ein apophthegma aus den versen gemacht. es ist selt - sam, daſs man die verse dem komiker hat geben wollen, obwol man dann das nicht attische τέτευχα und das dorische χαιός ändern muſs. übrigens zeigt das citat aus einem bald vergessenen alexandrinischen dichter, daſs der grundstock des γένος, wie ja a priori anzunehmen war, von einem der alexandrinischen compilatoren der zeit 230 — 130 herrührt.13Lebensführung.darüber haben sie ganz vergessen, daſs der dichter sowol für sein vater - land in officiellem auftrag tätig gewesen ist, wie auch in verbindung zu dem staatsmanne gestanden hat, der für sein vaterland verhängnis - voll geworden ist. uns ist das durch die geschichtsschreiber überliefert worden.
In der perikleischen zeit, wo Sophokles in den höchsten staatsämtern tätig ist, verlautet von Euripides nichts, und seine ältesten dramen zeigen keine starken einwirkungen der zeitgeschichte; was vorkommt, sind nur äuſserungen der allgemeinen stimmung19)Ins besondere liegt keine spur davon vor, daſs Eur. zu Perikles und seinem kreise beziehungen gehabt oder die perikleische politik in entschiedener weise ver - treten hätte. Böckh hat zwar auf den unlängst vorher erfolgten tod des Perikles das wort bezogen, das Theseus an der leiche des Hippolytos spricht, 1459, ὦ κλείν̕ Ἀϑη - νῶν Παλλάδος ϑ̕ὁρίσματα οἵου στερήσεσϑ̕ ἀνδρός. aber einen auſserhalb des dramas liegenden bezug dürfte man nur hineintragen, wenn die unmittelbare deutung nicht genügte. und die würdigung des Hippolytos ist nur die gerechte (955. 1100). übrigens ist der vers verdorben, da ὁρίσματα nicht mit den namen des landes und der göttin verbunden werden kann. gefordert wird, da Theseus in Trozen spricht, eine be - zeichnung dieser stadt, wie 973, 1095, 1159. zu schreiben ist ὦ κλείν̕ Ἀϑηνῶν Πελοπίας ϑ̕ ὁρίσματα, vgl. 373. damit ist die beziehung auf Perikles unmöglich, denn dessen tod als ein unglück für die Peloponnesier hinzustellen, würde eine be - leidigung des toten gewesen sein.. aber längst hat man bemerkt, daſs er gegen ende des archidamischen krieges geradezu tendenzstücke dichtet. davon sind die Hiketiden erhalten, in welchen der rat, frieden mit Sparta, aber anschluſs an Argos zu suchen, kaum minder hervorsticht als die forderung, daſs Athen einen νεανίας στρατηγὸς ἐσϑλός erhalte, wie The - seus es ist (192). damals bewarb sich Alkibiades um diese stellung und nahm bald die führung des staates mit der entschiedenen tendenz in die hand, durch den bund mit Argos Sparta im Peloponnes selbst matt zu setzen. den höhepunkt persönlichen glanzes erreichte derselbe, als er an der feier der neunzigsten olympiade, von der Sparta ausgeschlossen war, mit einer ganzen reihe viergespanne auftrat und preise davontrug. und zu dieser siegesfeier hat Euripides ihm das siegeslied gedichtet, das letzte nach - weisbare beispiel dieser pindarischen weise. damit hatte er partei ge - nommen im angesichte aller Hellenen. der groſsartige Athenerstolz, der in den dichtungen jener jahre lebt, und der auch ein stolz auf die demokratische verfassung ist, zeigt, wie zukunftsfreudig seine stimmung war. ohne zweifel hat er in Alkibiades einen gröſseren Perikles gehofft. aber was er gleichzeitig ersehnte, war der friede, und ausdrücklich ist uns überliefert, daſs ein friedenslied aus dem Erechtheus in aller munde14Das leben des Euripides.war, wie er schon im Kresphontes eins gedichtet hatte, das selbst des Aristophanes beifall fand. der friede aber lag nicht in Alkibiades sinne: nacht muſs es sein, wo die sterne des tyrannen stralen. und so sehen wir den staatsmann die sicilische expedition vorbereiten, während der dichter seine troische tetralogie damit schlieſst, daſs die stolzeste flotte hineinfährt in das sichere verderben. diesmal war er ein prophet gewesen. geglaubt hatte man ihm so wenig wie dem groſsen mathematiker Meton; aber man erinnerte sich seiner nach der entsetzlichen erfüllung. es ist bezeichnend, daſs 412 die Athener den greisen Sophokles in das neu - gestiftete zehnmännercolleg von probulen wählten: der sollte den peri - kleischen geist zurückrufen; aber er war schwach geworden und gab den oligarchen, obwol er aufrichtiger demokrat war, das heft in die hände. Euripides aber erhielt den auftrag, das epigramm für das riesengrab zu machen, das auf dem staatsfriedhof für das gedächtnis der tausende er - richtet ward, die im fernen westen für das vaterland gestorben waren20)Plut. Nik. 17. auch Helen. 398 enthält einen zug, den nur dieser katalog der gefallenen verständlich macht, zumal im jahre 412. Menelaos sagt ‘wir können jetzt die toten zählen und die überlebenden, die die namen der toten nach hause bringen’. also die einen sind verzeichnet, die andern sind ἀριϑμητοὶ ἀπὸ πολλῶν.. zu handeln traute man ihm nicht zu, wol aber aus der seele seines volkes zu reden. aber es waren nur einzelne momente noch, wo alles, was Athen noch besaſs, im gemeinsamen vaterlandsgefühle sich zusam - menfand. das entsetzliche, das über allen häuptern schwebte, und die widerstreitenden gefühle, die es erregte, scham und stolz, heroismus und verzweiflung gewannen allzurasch wieder die oberhand in den seelen des nur allzu vollblütigen Athenervolkes. es ist als überkäme sie alle ein bakchischer taumel, daſs sie wider einander, wider alles was groſs im vaterlande ist, wider sich selbst wüten, und schlieſslich daran zu grunde gehen. auch die euripideischen dramen dieser zeit sind wie im fieber geschrieben. zwar die zeitereignisse selbst berührt er höchstens im vorübergehen, wenn ihn schmerz oder zorn einmal übermannt. und das erkennt man wol, daſs ihn ein tiefer abscheu gegen die radicale demokratie erfüllt21)Daſs die heftige schilderung eines demagogen, Or. 772, dem Kleophon gilt, hat Philochoros wol selbst angemerkt (schol. 371, 772, 903). derselbe hatte im Ixion eine beziehung auf den tod des Protagoras gefunden, was wir nicht mehr controlliren können, aber natürlich nicht bezweifeln dürfen. (Diog. Laert. IX 55.) Phoin. 783 schildert das Dionysosfest im belagerten Athen., was ihm dann den vorwurf oligarchischer gesinnung eingetragen hat, den Aristophanes, obwol er ihn mehr verdiente, weiter -15Lebensführung.zugeben nicht unterläſst22)Frö. 952. wir haben kein mittel, festzustellen, wieso man in früher zeit dazu gekommen ist, eine tetralogie des Kritias, die also wahrscheinlich in den letzten lebensjahren des Euripides gegeben ist, diesem zuzuschreiben. wenn die didaskalien ihn mannten, so hatte er dem Kritias einen freundschaftsdienst getan, und das er - weckt dann weitere perspectiven auf die Kreise zu denen er sich hielt. aber ebenso - gut können die didaskalien Kritias genannt haben, und nur stil und gedanken und der fluch, der auf dem gedächtnis des tyrannen lag, den irrtum der nächsten gene - ration bewirkt haben. Kritias ist ein so bedeutender mensch, daſs man an sich einen verkehr ganz gern glauben würde.. aber das gebiet, auf welchem der dichter die von auſsen an ihn dringenden erschütterungen mit sich und vor dem publicum durchkämpft, ist das poetische. auch er läſst, wie sein volk, nichts unversucht und rüttelt an den gesetzen seiner kunst wie an ketten. jetzt erst wird er der Euripides, den wir im bilde schauen und der als typus im gedächtnis der Hellenen fortlebte, bitter und menschenverachtend, jede leidenschaft aufwühlend, ohne je zur befriedigung zu kommen, und daneben in kalter dialektik den schönen schein zersetzend, unter dem sich die nichtigkeit alles irdischen verbirgt. die zeitgenossen empfanden es, daſs er sie verachtete und doch als geborner lehrer des volkes beherrschte und beherrschen wollte. die meute der komiker stürzte sich wider ihn, und diesen, nicht ihm fielen die siegerkränze zu. er gab auch ihnen mit bittrem worte die antwort23)In der zweiten Melanippe 495 μισῶ γελοίους οἵτινες τήτει (lies τήτῃ: das fordert τητᾶν) σοφῶν ἀχάλιν̕ ἔχουσι στόματα κἀς ἀνδρῶν μὲν οὐ τελοῦσιν ἀρι - ϑμόν, ἐν γέλωτι δ̕ εὐπρεπεῖς οἰκοῦσιν οἴκους., er trug in der Antiope mit seiner ganzen kraft, der dialektischen wie der pathetischen, das eigenlob des ϑεωρη - τικὸς βίος vor: aber dann gab er das spiel selbst verloren, gab auch das vaterland verloren und wanderte aus.
Die götter waren immer freundlich gewesen gegen Sophokles. schön - heit und heiterkeit, genuſsfähigkeit und liebenswürdigkeit hatten sie ihm verliehen. ein langes leben hindurch hatte ihn die volle βίου εὔροια getragen. auch das war eine gnade, daſs er nun steinalt war, wenn auch jugendkräftig bei der arbeit, aber lebend mehr in dem reiche seiner ideale als in der traurigen gegenwart, mit sich selbst und seinem volke in harmonie. nun schenkten die götter dem schönen leben gnädig den schönen schluſs: er durfte noch im freien Athen sterben und die feind - lichen vorposten öffneten sich ehrfurchtsvoll dem leichenzuge, der den letzten tänzer des salaminischen siegesfestes an die seite seiner väter trug. fern in Gela ruhte Aischylos, fern an der makedonischen Arethusa war Euripides jüngst gebettet. die beiden waren kurz vor ihrem tode16Das leben des Euripides.in die ferne gezogen, aber Aischylos in der höchsten schaffenskraft, nachdem er noch eben sein gröſstes werk unter dem vollen beifalle seines volkes gekrönt gesehen hatte, und dieses volk strebte dem höchsten hoffnungsvoll und kraftvoll zu24)Daſs Aischylos im grolle über die politischen veränderungen aus Athen gewichen sei, ist nicht zu beweisen. die Eumeniden schlieſsen mit der vollsten har - monie und nichts verrät, daſs der dichter die macht und den stolz der heimat, wozu auch der Areopag, ἀσυνδέκαστον τοῦτο βουλευτήριον, gehört, für beeinträchtigt oder bedroht gehalten hätte. es ist ganz unmöglich zu sagen, was er mit seiner reise bezweckte. übrigens braucht er nicht älter als 60 jahre gewesen zu sein, und er kann somit mit dem gedanken heimzukehren und von neuem zu siegen fort - gezogen sein.. Euripides hatte die schwelle der sieb - ziger überschritten, er war ein leben im engsten kreise und in der unab - hängigkeit aber auch der beschränkung des gelehrten gewohnt: jetzt siedelte er an einen halbbarbarischen hof voll soldatischen getöses, in ein fremdes land über, und er schied auf nimmerwiedersehn von der vaterstadt, deren politischer sturz sicher zu erwarten stand, deren ver - tilgung gar nicht unwahrscheinlich war. es war ein schritt der ver - zweiflung.
Am hofe des königs Archelaos fand er freilich eine stattliche reihe geistiger celebritäten; selbst dem Thukydides wird er hier begegnet sein25)Daſs Thukydides in Makedonien gestorben wäre, durfte freilich nicht für historisch ausgegeben werden, da es nur auf einem dialoge des Praxiphanes beruht. aber seine anwesenheit daselbst, wahrscheinlich an sich, ist schwerlich von Praxi - phanes erfunden, denn auch die zuerteilung des bekannten grabepigramms auf Euri - pides (Athen. V 187d, auch im γένος) setzt sie voraus, und eben deshalb wird es auch dem Timotheos zugeschrieben, der ja auch in Makedonien gewesen ist. das epigramm dem 4. jahrhundert abzusprechen, ist man nicht veranlaſst., und vor allem mochte ihm der verkehr mit Agathon wol tun, der auch tragiker war und rückhaltlos die consequenzen der euripideischen tragödie und der neuen gorgianischen stilistik zu ziehen versuchte26)Agathon zum ἐρώμενος des Euripides zu machen, lag nahe, und ist an sich nichts als eine ausgestaltung ihres zusammenlebens in Pella. aber bei Aelian steht nicht nur dies (V. H. XIII 4), sondern auch, daſs Euripides ihm zu ehren den Chry - sippos dichtete (V. H. II 21). das kann ja bloſs deshalb gesagt sein, weil der Chry - sippos das problem der knabenliebe behandelt. aber es gibt zu denken, daſs der Chrysippos mit den Phoinissen wirklich in den letzten attischen jahren des Euri - pides verfaſst ist (etwa 410), und Platons Symposion führt Agathon und Pausanias, auf den auch Xenophon verweist, als typen der knabenliebe ein. es ist sehr zu bedauern, auch für die symposien, daſs wir von der behandlung des Euripides nicht mehr wissen, als daſs er die knabenliebe verwarf, obwohl sich Laios auf die φύσις für sie berief. geurteilt hat Euripides immer so, denn nur sein Kyklop gibt sich solcher neigung hin, während Aischylos und Sophokles arglos der volkssitte folgen.. rasch entledigte17Lebensführung.er sich auch des auftrags, für den könig ein makedonisches drama zu schreiben und ihm einen ahn zu schaffen, der dem bankert des Perdikkas ein heroisches relief gäbe; er fühlte sich zu neuen geistvollen und sicht - lich mit frischer liebe durchgeführten schöpfungen angeregt, er glaubte endlich den hafen gefunden zu haben. aber er erhielt doch auch proben von der rohheit der gesellschaft, in die er versetzt war27)Ein höfling höhnt Euripides, weil er einen übelriechenden atem hatte: Archelaos liefert ihn dem dichter aus, daſs er ihn durchpeitsche. Aristoteles polit. E 10, wol aus den traditionen, die Aristoteles selbst oder sein vater am hofe ge - sammelt hatte. der üble atem ist dann weiter zu albernen apophthegmen benutzt, die nichts lehren. es liegt eine bittre kritik darin, daſs wir von ganz persönlichem, äuſserlichem über Euripides nichts wissen, als daſs er als greis schlecht aus dem munde roch. aber mancher unserer gebildeten hat von Schillers wesen auch nichts behalten, als daſs er eine neigung für faule äpfel hatte.. wir wollen nicht vergessen, daſs der vers βαρβάρων Ἕλληνας ἄρχειν εἰκός (I. A. 1400) in Makedonien gedichtet ist, und es ist pikant, daſs Thrasymachos dieselbe spitze gegen Archelaos wendet28)Clemens strom. 746, der Thrasymachos citirt, verweist auf Telephos 717, wo der nämliche gedanke steht. die rede war vermutlich älter als die aufführung der Iphigenie; an eine entlehnung ist nicht zu denken.. dieser edle attische baum war zu alt zum verpflanzen in noch so fettes barbarisches erdreich. nach 1 ½ jahren starb er, gefeiert von dem könige, und sein grab ist bis in späteste zeit eine merkwürdigkeit der gegend geblieben.
Von seiner todesart hat Aristophanes ein jahr später nichts merk - würdiges gewuſst, und dabei haben wir uns selbstverständlich zu beruhigen. aber sehr früh schon ist die fabel entstanden, daſs hunde ihn zerrissen hätten, und sie hat im altertum die oberhand behalten: denn selbst ein kategorischer widerspruch29)Adaios Anth. Pal. VII 51, es ist eine rettung im stile der von Dioskorides für Lykambes töchter (A. P. VII 351) und der von Aischrion für Philainis (A. P. VII 345). erst der aberwitz eines litterators hat dann aus den hunden weiber gemacht: das ist nicht komikererfindung, sondern auch nur eine λύσις für die aporie: was waren das für hunde, die Euripides zerrissen. ist geschichtlich um nichts begründeter als die behauptung. an sich könnte dem dichter ein unfall so gut wie jedem sterblichen sonst zugestoſsen sein, und einem nächtlichen wan - derer kann ähnliches in Makedonien auch heute noch passiren. es ist auch eine tendenz, welche zu der fabel geführt hätte, nicht ersichtlich, vielmehr zeigen die mannigfaltigen widersprechenden und sich also auf - hebenden motivirungen, wie Euripides unter die hunde oder die hunde über Euripides gekommen wären, daſs man die pointe derselben schon im altertum vermiſste, und bei solchen geschichten ist es eine empfehlung,v. Wilamowitz I. 218Das leben des Euripides.wenn sie keine pointe haben. aber das schweigen des Aristophanes gibt den ausschlag: wir müssen urteilen, der tod durch die hunde hätte zwar passiren können, aber er ist nicht passirt.
Dies der äuſsere lebensgang; aber bei dem geistig wirkenden sind die inneren erlebnisse unendlich wichtiger, und vielleicht ist überhaupt an dem einzelnen menschen das merkwürdigste nicht, wie er als vollen - deter erscheint, sondern wie er ward; wie denn selbstbiographien, selbst wenn sie schlecht sind, soweit interessiren, als sie entwickelungsgeschichte darstellen. die entwickelung ist für den animalischen menschen fertig, wenn der körper vollausgereift ist, und bei dem durchschnitt ist dann auch die geistige entwickelung auf ihrem höhepunkt. die bedeutung des menschen aber bemiſst sich danach, wie spät er klug wird, und es ist ein zeichen der geistigen kraft unseres deutschesten stammes, daſs er wie die Hellenen dazu 40 jahre brauchen soll. in wahrheit bringen wol nur die allerhöchststehenden sterblichen die entwickelungsperiode zu solcher dauer. bei Goethe und bei Platon macht allerdings das vierzigste jahr epoche: da erst sind sie fertig. aber es ist schon viel, wenn wie bei Dante nel mezzo del cammin di nostra vita der tag kommt, wo alles was uns zu schaffen auferlegt ist, δυνάμει getan ist, so daſs das weitere leben nur noch mit dem umsetzen in die energie zu tun hat. es lieſse sich darüber viel sagen30)Glücklich, wen die götter wegrufen, wenn er fertig ist, wie Eupolis, wäh - rend Aristophanes bis zu den Ekklesiazusen sinken muſste, wie Catull, wie A. de Musset und Byron; weise, wer sich selbst bescheidet, wenn er nichts mehr zu geben hat, wie Kallimachos (wahrscheinlich), Horaz, Uhland: aber sich selbst zum gericht lebt, wer den alten jugendton immer weiter pfeift, überhört oder durch die schrille ausgesungene stimme nur verletzend, wie Ovid, wie Klopstock, dessen geistige ent - wickelung über die eines grünen jünglings nicht hinauskam, und H. Heine.; das γηράσκω αἰεὶ πολλὰ διδασκόμενος hat seine wahrheit, aber der andere spruch auch, daſs der mensch nur lernt was er lernen kann: und der fertige mensch kann nun einmal nur äuſser - liches umlernen, er hat vielmehr auszugeben was er in sich trägt, viel - leicht nur als keim, sich selbst kaum bewuſst, aber wenn er es nachher von sich gibt und es anderen neu erscheint, so ist es ihm doch ein lang - bekanntes, und wenn die nachwelt ein leben so genau übersehen kann wie wir es mit dem Goethes tun, so kann sie auch beweisen, daſs dem so ist, und daſs die Wanderjahre schon concipirt waren, ehe die Lehrjahre erschienen. wie jämmerlich steht es da nun mit dem was wir von den antiken menschen wissen können! Platons entwickelung zu übersehen würde einen ähnlichen reichtum von psychologischer belehrung bieten wie die Goethes. jetzt sehen wir die widersprüche, die in einer solchen19Geistige entwickelung.natur während der gährenden jugendzeit vorhanden sein müssen, in den systemen seiner chronologen widergespiegelt. man weiſs es wol, daſs nur seine persönlichste entwickelung die reihenfolge der jugendwerke be - stimmt hat: jetzt fehlen die äuſseren daten und in das innere kann niemand dringen. die meisten groſsen denker der älteren zeit treten uns nur als die hinter ihrem einen werke verschwindenden verfasser entgegen, als ausgereift, auch wenn sie, wie Anaxagoras, die herausgabe des buches lange überleben. von Sophokles erscheint uns die Antigone fast als jugendwerk, weil er alle andern erhaltenen dramen als greis verfaſst hat, und doch war er in den funfzigern als er jene schrieb. und auch von Euripides haben wir nur werke aus reifer zeit: der Phaethon wird wol das älteste kenntliche sein, aber auch das ist nur erschlossen, weil es so stark von den erhaltenen absticht31)Sehr auffällig ist, daſs die nicht ganz wenigen trimeter der Peliaden, des ersten dramas, weder im versbau, noch in der diction, noch in den schon sehr sen - tentiös und allgemein gehaltenen gedanken eine abweichung von der späteren weise des dichters zeigen.. wir können uns ein eigenes urteil über die entwickelungsjahre dieses dichters auch nicht bilden.
Aber einige nachrichten treten ein. da ist vorab eine fabel zu ent - fernen. er soll in gymnastischen kampfspielen gesiegt haben, weil ihn sein vater zum athleten ausbilden wollte, auf grund eines orakels, das ihm siege in agonen verhieſs. die geschichte, gebaut auf den doppelsinn der ἀγῶνες, ist eine wandergeschichte, bestimmt, göttliche vorsehung und menschliche kurzsichtigkeit zu illustriren. Herodot (9, 33) hat sie sich von einem seher als selbsterlebt erzählen lassen, der auch kampf - spiele verstand, wo der gott kämpfe gemeint hatte. als sie auf den unterschied der musischen und gymnischen wettspiele übertragen ward, griff man einfach den berühmtesten scenischen dichter auf und knüpfte sie an seinen namen. denn damit würde man dem erfinder zu viel ehre antun, wenn man meinen wollte, er habe die notorische verachtung der gymnastik, welche Euripides zeigt, aber, wie auch im altertum bemerkt ist, im anschluſs an Xenophanes ausspricht, aus bösen jugenderfahrungen ab - leiten wollen. übrigens ist die geschichte nicht vor dem zweiten jahrhundert erfunden, da sie die der alten zeit fremden Theseen erwähnt32)In dem berichte des Gellius, der nur vollständiger und reiner, kein anderer ist als der im γένος und gelegentlichen anführungen.. mindestens nicht aus den fingern gesogen, sondern durch ein document belegt und also von einem achtungswerten forscher, wahrscheinlich Philochoros33)Megara ist 306 und um 264 zerstört worden; es ist unwahrscheinlich, daſs ein archaischer πίναξ sich länger erhalten hätte. Pausanias weiſs nichts davon.2*20Das leben des Euripides.aufgebracht ist dagegen die merkwürdige angabe, daſs Euripides in der jugend maler gewesen wäre und in Megara eine von ihm bemalte ton - tafel gezeigt würde. solche πίνακες haben wir jetzt selbst genug, um uns eine vorstellung machen zu können; auch künstlerinschriften tragen sie zuweilen. aber so sicher man annehmen wird, daſs in irgend einem heiligtum Megaras ein solches werk euripideischer zeit vorhanden war mit der künstlerinschrift Εἰριπίδης Ἀϑηναῖος ἔγραψε, so unwahr - scheinlich ist es, daſs der vatersname dabei stand, und dann ist die autor - schaft des späteren tragikers sehr unsicher. im allgemeinen jedoch muſs zugestanden werden, daſs der gewaltige aufschwung, den die malerei in Athen während der jugendjahre des Euripides nahm, einen künstlerisch begabten knaben sehr wol reizen konnte. wenn er ihn denn beschritten hat, so hat dieser irrweg, von dem er bald zurückkam, kenntliche spuren in der poesie des Euripides nicht hinterlassen.
Gelernt muſste auch die poesie werden. noch war sie zu ihrem glücke so schwer, daſs ein dilettant, der nichts als die allgemeine schul - bildung hatte, die finger davon lassen muſste, und ein zweites glück war es, daſs es noch keine handbücher gab34)Am ende des 5. jahrh. hat es technische schriften über landwirtschaft u. dgl., auch kochbücher gegeben. die medicinische litteratur, die am besten be - kannte, geht, so weit sie nicht ein erzeugnis der sophistik ist, auf kurze regeln zurück, προγνώσεις, προρρητικά u. dgl., die nur ein hilfsmittel mündlicher unter - weisung sind. und natürlich besaſs jeder der ein handwerk übte seine papiere, die er als einen wertvollen schatz seinem nachfolger vermachte, der koch oder arzt recepte, der seher formulare für sprüche und spruchdeutung (Isokrates 19, 5 τὰς βίβλους τὰς περὶ μαντικῆς). aber buchmäſsiger vertrieb bestand für diese dinge nicht und die schriftstellerei der sophistik behandelt eben das technische nicht. das ändert sich erst um und nach 400, wo Simon und Xenophon über pferdezucht, Chares und Apollodoros über landbau, Hippokrates und Polybos über medicin technisch schreiben. und trotzdem redet man noch immer so, als hätte Sophokles eine aesthetische ab - handlung über den chor wider Phrynichos schreiben können (Suid. s. v.), etwa wie Schiller vor der braut von Messina oder wie Seneca und Pomponius ihren tragödien praefationes gaben. es ist eine fiction wie die technischen schriften uralter bau - meister, von denen Vitruv redet.. der jugendunterricht gipfelte allerdings darin, daſs er den schatz der classischen poesie den knaben fest und unverlierbar für das leben einprägte; dabei lernten sie die ihnen ausnahmslos fremden mundarten der poesie und lernten die weisen der groſsen dichter singen und sagen. das befähigte sie dann als erwachsene die tragödien und die dithyramben zu verstehen, und das war nicht wenig. sie mochten wol auch einmal vor liebchens tür oder beim rund - gesang einen vers eigner fabrik auf die alte weise versuchen, auch für21Geistige entwickelung.ein weihgeschenk oder einen grabstein ein distichon zu stande bringen: das war noch kein dichten. wir sehen sogar einzelne Athener, die eine volle bildung haben wollen, noch weiteren musikalischen unterricht als beim kitharisten nehmen. den lehrer des Perikles hat Aristoteles verzeichnet; dieser hat sein mündel Alkibiades auch von einem virtuosen im flöten - spiel unterrichten lassen, und Sokrates hat in der muſse des gefängnisses ein προσόδιον an Apollon verfassen können, weil er bei Konnos noch als alter mann die mängel seiner jugendbildung zu ersetzen versucht hatte. daſs die sophistik auch musik und metrik in ihre kreise zog, ist selbst - verständlich und wird durch die erfahrungen des Strepsiades illustrirt35)So hat Damon Damonides’ sohn über musik und metrik geschrieben. die scene der Wolken, in der Sokrates den Damon vertritt wie sonst den Apollo - niaten Diogenes, ist der älteste reflex seines buches. die sophistische fiction war eine rede vor dem Areopag, freilich eine fiction (Philodem de mus. 104 K.), aber nicht ärger als wenn Gorgias alle Hellenen in Olympia, oder die trauerversammlung im Kerameikos anredet. und daſs der Areopag wirklich die εὐκοσμία zu überwachen hatte (Isokr. 7, 37), zu bezweifeln ist kein grund. das buch Damons ist nach der zeit der alten Peripatetiker verschollen. vgl. Bücheler Rh. M. 40, 309.. wie viel mehr bedurfte der angehende dichter eines meisters, der ihm die kunstgriffe und fertigkeiten des handwerks übermittelte. Pindars lehrer kennen wir. Sophokles soll die musik bei Lampros, die tragödie bei Aischylos gelernt haben. über Euripides hören wir nichts. daſs Aischy - los, der sogar die tänze den choreuten selbst beibrachte und das dichter - handwerk seinem sohne und mehreren anderen verwandten hinterlieſs, auch andere unterwiesen hat, ist glaublich. aber Sophokles hat jedenfalls nichts bei ihm gelernt. weit eher könnte man es von Euripides glauben, wo die zeit es verbietet. denn Sophokles vertritt im gegensatze zu seinen beiden rivalen eine andere kunstrichtung, und gerade im technischen liegt der gegensatz. offenbar ist Sophokles dem ionischen einfluſs hingegeben; seine rede strotzt von ionismen und versteigt sich nicht selten zu einer künstlichkeit der metaphern, die an Ion von Chios erinnert, und das greift selbst auf das prosodische über: nur Sophokles hat (wenigstens im dialog36)Im liede scheint es Aisch. Eum. 347 zu haben: doch ist dort ὔμμιν wahr - scheinlicher, da er auch ὔμμε hat. Ar. Ach. 556 ist nicht von Eur., darf also ὑμῖν be - halten. bei Eupolis inc. 2, 3 ist ἡμῖν ἐπίστασ̕ εὑρών statt ἐ. ἡμἰν zu setzen. das ionische ἡμίν. sein versbau folgt andern prinzipien37)Vgl. zu v. 280., sodaſs er sich nicht scheut am versende zu elidiren, was nur Achaios von Eretria sonst tut, und sehr lax in der verkürzung eines schlieſsenden langen vocals vor vocalischem anlaut ist, eine freiheit, die aus dem epos22Das leben des Euripides.stammt38)Die 7 sophokleischen tragödien zeigen diese erscheinung etwa so oft wie die 18 euripideischen, und in oft sehr harten fällen. der verfasser des Rhesos folgt hierin wie in der melopoeie ganz dem Sophokles.. gewiſs würden wir noch mehr bemerken, wenn nicht Sophokles als greis sehr stark unter dem einflusse des Euripides stünde; auf das umgekehrte verhältnis deutet nichts39)Auch im altertum hat man bemerkt, daſs Aischylos und Euripides auf der einen, Sophokles auf der andern seite steht. Porphyrio zu Horaz ep. II 1, 55 Pa - cuvius famam docti aufert et consequitur Sophoclis, Accius Aeschyli Euripidisque qui dicendi sunt alti. da die horazische doctrin, welche hier erklärt wird, varro - nisch ist, wird es auch diese erklärung im kerne sein. und wenn wir es nur sti - listisch fassen, ist es wahr. Sophokles künstelt an der sprache..
Daſs Euripides für das musikalisch metrische sehr viel gröſsere neigung und erfindsamkeit besaſs als Sophokles, zeigen die werke. aber auch die alten haben schon hervorgehoben, daſs er mannigfache neue an - regungen in sich aufnahm und nichts unversucht lieſs. insbesondere hat er sich seit 420 etwa der neuen musik rückhaltlos angeschlossen, welche die dithyrambiker unter heftiger opposition der komödie aufbrachten. uns ist eine vergleichung versagt, und die klagen über Phrynis lehren, daſs die bewegung selbst schon mehrere jahrzehnte früher begonnen hat, als wir ihre spuren sicher nachweisen können. der niederschlag dieser verhältnisse in der legende ist die persönliche verbindung des Euripides mit Timotheos. von selbst werden wir glauben, daſs der greise tragiker anregungen auch nach musikalischer seite gegeben hat, wie sein stili - stischer einfluſs nicht bloſs bei tragikern der rhetorischen richtung zu tage liegt, sondern selbst bei dem Sophokles copirenden verfasser des Rhesos.
Aber die lehre, welche er bei seinen zunftgenossen fand, war für die bildung des Euripides keineswegs die wichtigste. er hat die neue weisheitslehre, welche in Athen von den zusammenströmenden gelehrten Ioniens teils verkündet teils fortgebildet ward, mit vollen zügen in sich aufgenommen, und schon den zeitgenossen war das für ihn am meisten bezeichnend, daſs er auch auf der bühne sophist war: σοφός heiſst er in spott und in bewunderung. unsere berichterstatter wissen so ziemlich alle namhaften sophisten, die es der zeit nach gewesen sein könnten, als lehrer des Euripides zu nennen. daſs sie über eine wirkliche über - lieferung verfügten, ist kaum glaublich, denn zeitgenössische berichte, wie sie die memoiren des Chiers Ion für die beiden andern tragiker boten, hat es unseres wissens für Euripides nicht gegeben. wol aber haben sie nachweislich mit recht aus den werken des Euripides die ein - wirkung bestimmter personen erschlossen, und nur das ist zweifelhaft23φιλοσοφία.und muſs es bleiben, in wie weit diese einwirkung auch wirklich eine persönliche gewesen ist. denn der leibliche verkehr ist für die einwirkung, die ein denkender mensch durch fremde gedanken erfährt, häufig selbst da unwesentlich, wo er statt hat, und erschlieſsen läſst er sich aus den werken des beeinfluſsten nur da, wo entweder persönliches berührt wird, oder aber wo es sich um einen menschen handelt, der vornehm - lich durch die dämonische gewalt seiner person gewirkt hat. dies letztere trifft so stark wie auf kaum einen zweiten sterblichen auf Sokrates zu. aber eben darum würden wir deutliche spuren seines geistes bei Euri - pides antreffen, wenn der immer noch von der gedankenlosigkeit be - hauptete verkehr der beiden grundverschiedenen groſsen Athener statt - gefunden hätte. allerdings hat der gleiche haſs, den sie gegen die beiden verführer der jugend empfanden, einzelne komiker (doch nicht Aristo - phanes40)Immerhin hat auch bei diesem der unterricht des Sokrates den erfolg, daſs der schüler die groſsen dichter der vergangenheit für stümper erklärt und für die wagnisse der euripideischen frauenbilder schwärmt. von da aus zu der erfindung der beihilfe des Sokrates ist nur ein schritt. dazu veranlaſst, Sokrates an den unsittlichen dramen mithelfen zu lassen, und wie hätte sich die spätere klatschsucht es entgehen lassen sollen, diesen faden weiter zu spinnen41)Aelian V H. II 13, erzählt daſs Sokrates sonst selten ins theater gieng, aber wenn Euripides καινοῖς τραγῳδοῖς ἠγωνίζετο oder im Peiraieus aufführte, kam er. diese fabel ist auf die verhältnisse seit der demosthenischen zeit zugeschnitten, wo der unterschied der καινοὶ τραγῳδοί und der παλαιά gilt und die Πείραια staatsfest sind; von beidem war zu Euripides zeit keine rede.. indessen hat einer der wenigen kritischen köpfe der griechischen gelehrsamkeit, Panaitios von Rhodos, bereits dieser fabel mit der nötigen entschiedenheit widersprochen, wenn auch nicht ohne selbst bedenkliche hypothesen zuzulassen42)Panaitios half sich bei stellen wie Frö. 1491, die in wahrheit ganz irre - levant sind, mit der fiction eines doppelgängers, ἕτερος Σωκράτης τῶν περὶ σκηνὰς φλυάρων. das ist auch in das γένος gekommen. denn s. 1, 10 Schw. steht in der zuverlässigsten handschrift (Vat. 1345) Σωκράτης δὲ ἕτερος αὐτῷ δοκεῖ ὁ φιλό - σοφος καὶ Μνησίλοχος ⟨συμ⟩πεποιηκέναι τινά. da ist der zusatz ἕτερος ὁ φιλόσοφος an verschiedene stellen des textes, dem es übergeschrieben war, hineingeraten. die andern fassungen sind darauf zurückzuführen; in den meisten ist aus ἕτερος ἑταῖρος geworden und dann Σωκράτης in den genetiv gesetzt. ein zusatz ist auch 2, 5 γεν - νηϑῆναι δὲ τῇ αὐτῇ ἡμέρᾳ [καὶ Ἑλλάνικον] ἐν ᾗ ἐνίκων — οἱ Ἕλληνες..
Sokrates war etwa 10 jahre jünger als Euripides und begann eine rolle nicht vor 430 zu spielen, als Euripides längst ein innerlich fertiger mann war. und wenn sie sich dann etwa bei Alkibiades begegnet sein sollten, so haben sie sich abstoſsen müssen. der menschenjäger liegt24Das leben des Euripides.den lieben langen tag im gymnasium, Euripides grübelt in stiller grote; jenes stolz ist das nichtwissen, dieser steht wie alle sophisten auf seiten der bildung und verachtet die ἀμαϑία; der philosoph traut auf die kraft des menschlichen willens, der das rechte tun wird, wenn er es nur erkennt: der tragiker sieht das grundübel in der schwäche des fleisches, welche die verwirklichung der guten vorsätze verhindert. flach und modern zu reden, jener ist optimist, dieser pessimist. zwischen ihren ist keine vermittelung. daſs aber beide groſse Athener das menschenherz kennen und kündigen, und daſs sie ihren blick mit vorliebe auf sitt - liche probleme richten, besagt nichts anderes, als daſs sie beide auf der höhe derselben geistigen entwickelung stehn und deshalb beide die folge - zeit beherrscht haben. höchstens mag man annehmen, daſs der Milesier Archelaos auf beide ähnlich gewirkt hat, denn er wird beider lehrer ge - nannt und gilt als erster philosoph über ethik; aber wir wissen nichts von ihm, und nach Theophrast ist sein werk verschollen gewesen43)Nach Diogenes II 16 soll er das δίκαιον καὶ ἄδικον νόμῳ gelehrt haben. auf die formulirung ist nicht viel zu geben, aber daſs sich der satz mit seiner ent - wickelungslehre (Hippolyt. I 9 p. 564 Diels) gut verträgt, ist nicht geeignet, ihn zu discreditiren. die wiederkehr des satzes bei Euripides aber spricht für ihn. ebenso ist man geneigt, dem Aetius starke verwirrung zuzutrauen, wenn er sagt Ἀρχέλαος ἀέρα καὶ νοῦν τὸν ϑεόν, οὐ μέντοι κοσμοποιὸν τὸν νοῦν (I 7 p. 302 Diels): aber auch da gehen Euripides und der falsche Epicharm mit, vgl. über beide unten. viel - leicht hätte ich richtiger getan, alle diese lehren auf Archelaos bestimmt zu be - ziehen, und dann würde noch manches folgen. allein ich zog vor, das bild minder einheitlich zu geben, damit die einzelnen züge schärfer blieben.. wenn wir endlich bei den Sokratikern, oder vielmehr bei Platon, über den Eros gedanken finden, welche an Euripides seltsam anklingen, so ist es einleuchtend, daſs Platon eben von diesem anregungen erhalten hat44)Die prophezeiung (Med. 830), daſs am Kephisos die Eroten als πάρεδροι der Weisheit walten, ist dadurch in erfüllung gegangen, daſs Platon neben dem gymnasium der Akademie seine schule gegründet hat, und in jener schon zu Euri - pides zeit die jünglinge den sophisten lauschten und der Erosaltar stand. der doppelte Eros ist wol wirklich schon in jenem zeitalter von der speculation viel behandelt. übrigens ist die anregung auf Platon von Euripides stärker als man annimmt, nicht bloſs in einzelnen wendungen der conversation wie οὐκ ἐμὸς ὁ μῦϑος, oder die ἰσό - ϑεος τυραννίς (Tro. 1169 Staat 568b). wenn die seele des Odysseus φιλοτιμίας λε - λωφηκυῖα sich den βίος ἀνδρὸς ἰδιώτου ἀπράγμονος aufsucht (Staat 620c), so tut sie das im anschluſs an die worte, welche der euripideische Odysseus im prolog des Philoktet sprach (785) πῶς δ̕ ἂν φρονοίην, ᾧ παρῆν ἀπραγμόνως ἐν τοῖσι πολ - λοῖς ἠριϑμημένῳ στρατοῦ ἴσον μετασχεῖν τῷ σοφοτάτῳ τύχης, wovon ihn die φι -, die sich mit den sokratischen nur in dem gegensatz gegen die grobe sinnlichkeit decken.
25φιλοσοφία.Dagegen läſst sich die für uns zufällig zuerst durch Alexandros von Pleuron ausgesprochene tradition nicht wol abweisen, daſs Euripides zu Anaxagoras in persönlichem verkehr gestanden hat, und dieser hat in der tat sehr stark auf ihn gewirkt. der verkehr kann schon in Euri - pides jünglingszeit begonnen und fast ein menschenalter gedauert haben, denn Anaxagoras lebte in Athen friedlich und still seinen studien. daſs Euripides lehrsätze desselben berührt oder auch geradezu citirt, zeugt nur von seinem studium des in weiten kreisen gelesenen buches, auch war Anaxagoras lange tot, als Euripides die berufensten stellen in der Melanippe (488) und im Chrysippos (836) schrieb. aber 438 läſst er den chor der Alkestis (903) von einem manne seiner verwandtschaft erzählen, der als greis den tod seines einzigen sohnes gefaſst ertragen hätte. damals war Anaxagoras ein greis, von ihm erzählt die legende das ᾔδειν ὅτι ϑνητὸν ἐγέννησα, wie freilich von manchem andern: wir dürfen also, wie neuerdings vielfach geschehen ist, die legende als ge - schichte und Euripides als ihren zeugen betrachten. auch das hat man mit recht bemerkt, daſs Euripides dem wegen gotteslästerung nicht sowol als wegen μηδισμός vertriebenen lehrer ein ehrendenkmal gestiftet hat in den versen (902) ὄλβιος ὅστις τῆς ἱστορίας ἔσχε μάϑησιν, μήτε πολιτῶν ἐπὶ πημοσύνας μήτ̕ εἰς ἀδίκους πράξεις ὁρμῶν, ἀλλ̕ ἀϑανάτου καϑορῶν φύσεως κόσμον ἀγήρω πῇ τε συνέστη χὤϑεν44)λοτιμία abhält (786). ἐμὲ [νῦν] “ἤδη καλεῖ”, φαίη ἂν ἀνὴρ τραγικός, ἡ εἱμαρ - μένη sagt Sokrates Phaid. 115a. εἱμαρμένη sagt der tragiker nicht: aber Alkestis ruft 254 Χάρων μ̕ ἤδη καλεῖ· τί μέλλεις; ἐπείγου, σὺ κατείργεις. so citirt die con - versation das erste wort eines allbekannten verses. am meisten aber hat Platon den Hippolytos gelesen. das motiv des Symposions, Ἔρωτα δὲ τὸν τύραννον ἀν - δρῶν οὐ σεβίζομεν stammt aus ihm, 538. in der wunderbaren schilderung des tyrannen (Staat 573) entzückt das bild, wie die umgebung die den werdenden mit nachgiebig - keit (Hipp. 462) und müſsiggang (Danae 324) verdirbt, ihm einen Ἔρως schafft, ὑπό - πτερον καὶ μέγαν κηφῆνά τινα. sie treiben es aber schlieſslich so weit, daſs diese drohne einen stachel bekommt und nun verderblich wird: deshalb heiſst Eros τύραν - νος. das ist eine schilderung, die freilich einer entwirft, der selbst ein dichter ist, aber jenes chorlied des Hippolytos, das den Eros schildert πέρϑοντα καὶ διὰ πάσας ἰόντα συμφορᾶς ϑνατῶν, ὅταν ἔλϑῃ, schlieſst mit dem nicht ausgeführten bilde daſs Aphrodite δεινὰ μὲν τὰ πάντ̕ ἐπιπνεῖ· μέλισσα δ̕ οἵα τις πεπόταται, das man wol versteht, wenn man die definition der liebe ἥδιστον ταὐτὸν ἀλγεινὸν ϑ̕ ἅμα hinzunimmt und andere andeutungen, das aber doch unverstanden geblieben ist: Platon liefert die erklärung, weil der same in seiner seele aufgegangen ist. der Hippolytos, 374 ff., enthält auch die euripideische lehre von des fleisches schwäche, die den willen überwindet; auch diese schärfste formulirung des gegensatzes zur Sokratik hat Platon aufgenommen, natürlich mit schärfster verurteilung als ansicht der πολλοί Protag. 352b. die stellen sind zu lang zum ausschreiben.26Das leben des Euripides.χὥπως·45)Überliefert ist καὶ ὅπη καὶ ὅπως und die krasis, welche die euripideische metrik herzustellen fordert, ist nur eine orthographische änderung. allein ὅπῃ neben πῇ ist, wie wol zugestanden ist, unmöglich. die leichte und elegante änderung von πῆ in τίς kann kaum richtig sein. man verlangt ποῖος, und die frage nach der qualität wird neben dem aorist συνέστη unbequem. vor allem aber fragt die physik nach der ἀρχή, und diese frage muſs irgendwo gestanden haben. somit muſs ὅπη weichen, obwol ὅπη καὶ ὅπως passend verbunden wird, noch von den archaisten wieder aufgenommen (Philostrat der jüngere εἰκόνες 16). τοῖς δὲ τοιούτοις οὐδέποτ̕ αἰσχρῶν ἔργων μελέδημα προσίζει, verse, in denen die apologetische absicht zu tage liegt. daſs sie auf Anaxagoras gehen, bestätigt sich dadurch, daſs dieser der typus des ϑεωρητικὸς βίος in älterer zeit ist. Eudemos (ethik I 5) läſst ihn auf die frage τίνος ἕνεκ̕ ἄν τις ἕλοιτο γενέσϑαι μᾶλλον ἢ μὴ γενέσϑαι antworten τοῦ ϑεωρῆσαι τὸν οὐρανὸν καὶ τὴν περὶ τὸν ὅλον κόσμον τάξ03B9; ν, was eine seichte paraphrase für τοῦ ϑεωρῆ - σαι τὸν κόσμον τοῦ παντός ist, weil der peripatetiker in κόσμος nicht mehr die τάξις hört. derselbe erklärt kurz vorher ein auch von Aristoteles (Eth. Nik. X 9) angeführtes wort des Anaxagoras, ἴσως ᾤετο τὸν ζῶντα ἀλύπως καὶ καϑαρῶς πρὸς τὸ δίκαιον ἤ τινος ϑεωρίας κοινωνοῦντα ϑείας, τοῦτον, ὡς ἄνϑρωπον εἰπεῖν, μακάριον εἶναι. das entspricht ganz den euripideischen versen, und die persönliche sympathie wird man in ihnen um so mehr anerkennen, als der dichter selbst nicht die ruhe hatte, auf den himmel statt auf die menschen zu sehen, freilich auch die friedlosigkeit im eignen busen durch den gegensatz doppelt fühlte, und als Athener nicht vergessen konnte, daſs er auf erden eine heilige heimat hatte. als philosoph ist Euripides keineswegs ein anhänger des Anaxagoras, sondern gibt mit derselben zustimmung auch wider - sprechende lehren anderer wieder. das princip der homoeomerie kommt nicht vor, und der νοῦς steht nach ihm neben dem σῶμα in durchaus dualistischem sinne.
Ähnlich wie zu Anaxagoras steht Euripides zu Protagoras. auch ihn hat er nach seinem tode persönlich berücksichtigt, doch wissen wir nicht, ob verteidigt. auch seine tätigkeit fällt zum teil (bevor er nach Thurioi gieng) in Euripides bildsame jahre. auch hier erzählen die alten von persönlicher berührung46)In das haus des Euripides wird die erste vorlesung von Protagoras gottes - leugnerischer schrift verlegt (Diog. Laert. 9, 54): aber da ist die tendenz klar, den dichter des Bellerophontes mit Protagoras zu verbinden, wie er mit Kritias ver - bunden worden ist., und sie scheint unabweisbar, weil die beeinflussung eine sehr starke ist und nicht die lehre angeht sondern27φιλοσοφία.die methode. den subjectivismus des Protagoras hat Euripides zwar ge - legemtlich berücksichtigt (Aiolos 19), aber nicht geteilt, und πάντων χρημάτων μέτρον ἄνϑρωπος nicht in verse gebracht. wol aber hat er die kunst des ἀντιλέγειν so sehr ausgebildet wie nicht einmal ein rhetor, und seine ganze technik ist davon durchdrungen. der leser hat immer damit zu rechnen, daſs in jedem einzelnen spruche nur einer der beiden λόγοι zu worte kommt, die es von jeder sache gibt; was der dichter wirklich meint, kann aus einer äuſserung nicht abstrahirt werden.
Zu Prodikos sind berührungen nicht nachweisbar: denn die ety - mologischen spiele, an denen Euripides seine freude hat47)Vgl. zu v. 155., und die er wenigstens in seinen letzten 20 jahren mit gröſserem ernste vorträgt als die andern dichter, weisen vielmehr auf die ὀρϑοέπεια des Protagoras und auf Heraklit zurück. die synonymik des Prodikos, die Platon im Protagoras persifflirt und Thukydides ernsthaft anwendet, kommt wol nirgends vor. Gorgias trat erst 427 in Athen auf; seine schüler sind Thukydides und Antiphon geworden, Euripides war dazu zu alt. seine speciell rhetorische technik weist vielmehr auf Thrasymachos48)Vgl. zu v. 336.. indessen ist am der sophistik ja nicht der einzelne name von bedeutung. was sie im ganzen leistet, die verarbeitung und vermittelung der philoso - phischen und überhaupt wissenschaftlichen gedanken, welche die einzelnen groſsen denker in der einsamkeit gefunden hatten, und die dialektisch rhetorische schulung, welche dem redner wie dem schriftsteller erst die zunge löste, ist nicht an einen einzelnen gebunden. die hippokratische sammlung und die dorischen διαλέξεις lehren das am besten. und so ist Euripides einfach als sophist zu fassen, und nicht nach den etwaigen vermittlern sondern nach den urhebern der gedanken zu fragen, welche er vorträgt. so mag ihm die kenntnis des Herakleitos durch bekenner von dessen lehre zuerst vermittelt sein, die in Athen nicht fehlten: daſs er sein buch selbst gelesen hat, ist ganz unzweifelhaft49)Vgl. zu v. 101. die fabel hat das schlieſslich so weit ausgesponnen, daſs Euripides nach Ephesos reist, die bei der Artemis deponirte schrift des Herakleitos auswendig lernt und einem erwählten kreise mitteilt und erläutert; Tatian 3.. ebenso hat er Xenophanes gekannt50)Vgl. zu v. 1346., allein bezeichnender weise bezieht er sich nur auf dessen polemik gegen die vorstellungen und wertschätzungen der menge: die lehre vom ewigen sein und der monotheismus wird nicht berührt, und von einer benutzung des Parmenides oder der sophistischen28Das leben des Euripides.verbreiter der eleatischen lehre, Zenon und Melissos, ist keine spur. die zeitgenössischen philosophen kennt er wenig. auf Empedokles deutet nichts. Diogenes von Apollonia wird nur einmal so berücksichtigt, daſs das schlagwort seines systemes in einer aufzählung von δόξαι erscheint51)Tr. 884 γῆς ὄχημα κἀπὶ γῆς ἔχων ἕδραν Ζεύς Hippokrat. π. φυσῶν 3 (ἀἡρ) γῆς ὄχημα; dies ist eine schöne entdeckung von Diels.. Leukippos ist, wie zu erwarten, unbekannt: denn die bei Demokritos allerdings stark hervortretende ansicht von der gewalt des νόμος als des nicht im wesen ruhenden conventionellen hat nichts mit der atomen - lehre zu tun: das kann ebensogut von protagoreischem und auch von elea - tischem standpunkte vertreten werden; wahrscheinlich stammt es von Archelaos. Euripides hat es, wie natürlich, sehr fruchtbar gefunden und bis in die letzten consequenzen verfolgt (Hek. 799). die orphischen poesien waren ein attisches erzeugnis; sie hatten stark auf Pindaros ge - wirkt, einigermaſsen auf Aischylos: daſs Euripides sie kannte, ist natür - lich. und er hat zwar an sühnungen und ihren einfluſs auf das leben im jenseits nicht geglaubt52)Überhaupt an kein leben nach dem tode. τίς οἶδεν εἰ τὸ ζῆν μὲν ἔστι κατϑανεῖν gehört in die heraklitische lehre; der so ganz modern anmutende spruch Hipp. 194 constatirt nur das ewige rätsel, auf das er nicht mehr antwort gibt als Hamlet., auch dem widerwillen der menge wider ihr pharisäertum mit wohlgefallen worte geliehen (Hipp. 953), aber in den Kretern ihre doctrinen im feierlichsten ernste behandelt. schon dieses führt auf die Pythagoreer. Euripides redet zwar nicht von der zahl noch von der harmonie, auch nicht vom sündenfall der geister und der seelen - wanderung. aber er hat nicht nur auf einen ethischen ausspruch des Pythagoras so bestimmt verwiesen, daſs er die existenz einer schrift unter Pythagoras namen zu bezeugen scheint53)Fgm. 392 (Theseus spricht; drama unbekannt, d. h. Aigeus Theseus Hippo - lytos I möglich; da der spruch für einen knaben nicht paſst, wol der letzte) ἐγὼ δὲ τοῦτο παρὰ σοφοῦ τινὸς μαϑὼν ἐς φροντίδας νοῦν συμφοράς τ̕ ἐβαλλόμην φυγάς τ̕ ἐμαυτῷ προστιϑεὶς πάτρας ἐμῆς ϑανάτους τ̕ ἀώρους καὶ κακῶν ἄλλας ὁδούς, ἵν̕, εἴ τι πάσχοιμ̕ ὧν ἐδόξαζον φρενί, μή μοι νεῶρες προσπεσὸν μᾶλλον δάκνοι. Poseidonios (auf den das citat bei Cicero, Galen, Ps. -Plutarch an Apollon. zurückgeht) hat in Anaxagoras jenen weisen gesehen, doch ohne anhalt. das richtige hat Cobet entdeckt: Jamblich vit. Pyth. 196 ἦν αὐτοῖς παράγγελμα, ὡς οὐδὲν δεῖ τῶν ἀνϑρωπίνων συμπτωμάτων ἀπροσδόκητον ε[ΐ]ναι παρὰ τοῖς νοῦν ἔχουσι. das steht hier in einer partie, deren herkunft unbekannt ist; wahrscheinlich stammt es von Ari - stoxenos. die benutzung einer Pythagorasschrift durch beide ist nicht abzuweisen. aber es ist auch durchaus verkehrt, diese alle als junge fälschungen zu betrachten. die reste bei Diogenes zeigen ja ionischen dialekt, der zwar dem Samier und dem phi -, sondern er hat mehr -29φιλοσοφία.fach eines der gedichte berücksichtigt, welche auf den namen des Epi - charmos giengen54)Die wichtige sache wird verkannt; es soll kurz der beweis gegeben werden. Epicharm: νᾶφε καἰ μέμνασ̕ ἀπιστεῖν· ἄρϑρα ταῦτα τᾶν φρενῶν (zuerst von Poly - bios citirt, damals schon fliegendes wort): Eur. Hel. 1650 σώφρονος δ̕ ἀπιστίας οὐκ ἔστιν οὐδὲν χρησιμώτερον βροτοῖς. Epich. emori nolo: sed me esse mortuum nil aestimo (Cic. Tusc. I 15, griechisch nicht herzustellen): Eur. Herakl. 1016 ϑανεῖν μὲν οὐ χρῄζω· λιπὼν δ̕ ἂν οὐδὲν ἀχϑοίμην βίον, wie das vorige als schluſseffect längerer rede. Ep. συνεκρίϑη καὶ διεκρίϑη κἀπῆλϑεν ὅϑεν ἦλϑεν πάλιν, γᾶ μὲν εἰς γᾶν, πνεῦμα δ̕ ἄνω· τί τῶνδε χαλεπόν; οὐδὲ ἕν. (Consol. ad Apoll. 110a) dasselbe Eur. öfter, z. B. Hik. 533. wo haben diese epicharmischen sprüche gestanden? komödien hat Eur. nicht citirt und wahrlich auch Xenophon nicht, der Mem. II 1, 20 (vgl. Hell. VI 1 15, damit man das athetiren lasse) epicharmische sprüche anführt. es gab ja aber γνῶμαι, welche nach dem durch Apollodor (bei Athen. 648d) er - haltenen urteil des Philochoros von einem gewiſsen Axiopistos herrührten. allein ob das sittensprüche waren ist fraglich. Philochoros besprach sie in dem buche über mantik zugleich mit einem κανών, und als traumdeuter nennt Tertullian de anim. 46 Epicharm neben Philochoros, so daſs man diese schriften eher unter die technischen pseudepigrapha rechnen möchte, die es auch über tierarzneikunst u. dgl. unter Epicharms namen gegeben hat. nun hat aber schon Aristoxenos (wie Apol - lodor am gleichen orte bezeugt) eine Πολιτεία unter Epicharms namen gekannt, so daſs der sonst nahe liegende verdacht schweigen muſs, daſs die aus dieser citirten sprüche aus alexandrinischer zeit stammten und ihre verherrlichung des ϑεῖος λόγος, von dem ein teil der menschliche ist (Clem. strom. V 719), stoisch wäre; auch zeigt ein von Clemens zugleich angeführter vers, daſs dieser λόγος oder vielmehr seine betätigung, λογισμός, mit der zahl gleichgesetzt wird, wir also in pythagoreischer gegend sind, wenn auch der einfluſs des Anaxagoras kenntlich ist: denn νόος ὁρῇ καὶ νόος ἀκούει, τἄλλα κωφὰ καὶ τυφλά (zuerst citirt von Aristoteles probl. XI 33: nicht von Platon Phaid. 65b, der auf einen wol euripideischen tragikervers geht) gehört offenbar eben dahin. nun tritt wieder Euripides ein. Hel. 122 αὐτὸς γὰρ ὄσσοις εἰδόμην, καὶ νοῦς ὁρᾷ. das tilgt man, weil man die beziehung verkennt. die echte Helene fragt den Teukros, ob er ihre doppelgängerin gesehen habe. der sagt ‘so wie ich dich jetzt mit augen sehe’. sie wirft ein ‘es kann ein trugbild gewesen sein’. er weist das rund ab. sie ‘ihr traut also ganz auf die zuverlässigkeit der erscheinung?’ (spiel mit δόκησις, vgl. zu v. 287). er ‘ja ich habe sie mit eignen augen gesehen, und der νοῦς sieht’, d. h. weil der νοῦς sieht, ist keine δόκησις, ψευδὴς δόξα möglich. Helene verstummt: sie kann nichts ausrichten, wenn die sinneswahr - nehmungen gelten sollen, weil die sinne nicht sehen, sondern die infallible vernunft. aber der dichter widerlegt die misdeutung des epicharmischen wortes durch die tat: Teukros täuscht sich doppelt, sein νοῦς hat die falsche Helene anerkannt, die echte verworfen. allerdings ist die Helenestelle nur durch eine beziehung auf etwas. seine eigene ansicht von den ἀρχαί, ein dualismus53)losophen des 5. jahrhunderts zukommt, aber zu der zeit des Archytas schon un - denkbar wäre: damals war diese ionische pflanze längst für das Dorertum reclamirt. die herstellung des pythagoreischen evangeliums ist eine schöne aufgabe: denn er - sichtlich gehört die älteste schicht der wunder, z. b. die daunische wölfin, auch in so gute zeit hinauf.30Das leben des Euripides.von geist gott aether und stoff körper erde, ist ein compromiſs zwischen der philosophie des ostens und der theologie der heimat und des westens. das hauptprincip seiner ethik, die macht der φύσις, der intellectuellen und moralischen veranlagung des einzelnen, ist wol durch die verschie - denen philosopheme beeinfluſst: aber gewonnen hat gerade dieses der menschen beobachtende, leidenschaften nachempfindende dichter. er ist natürlich kein schöpferischer philosoph; aber kein anderer kann uns von dem, was der forschungsdurstige Athener kannte und las, eine vorstellung geben: und φιλ[ί]σοφος im echten sinne ist er auch, obwol er auch σοφιστής ist, im echten, wie im üblen sinne.
Es ist jedoch eine bedeutende einschränkung nötig. denn eineἱστορία. seite der zeitgenössischen geistesarbeit hat Euripides so gut wie ganz vernachlässigt, die ἱστορίη ins weite. fremder völker sitten, fremder länder wunder kennen zu lernen ist er nicht beflissen; mit geographischen namen zu prunken verschmäht er55)Bei Eur. wundert man sich schon, wenn er einmal in der weise die Pindar geläufig ist statt der grenzen der welt Atlas und Pontos (zu v. 234) oder Phasis und Nil (Andr. 650) nennt. wo es eine besondere wirkung macht, erscheint natür - lich auch solches wissen. die vorzügliche schilderung Messeniens im Kresphontes (1068) hat eine politische spitze; Sparta besitzt die schönste landschaft widerrecht - lich, und die Messenier fordern ihre zurückführung. daſs Iphigeneia am baumlosen gestade, in der südrussischen steppe, sich nach den hellenischen gärten und hainen sehnt (134, 229), ist durch die localfarbe sogar dem suchen Griechenlands im schatten des dichtbelaubten haines überlegen. die sicilische expedition macht die dortigen maulesel (Tr. 222 ὀρῆς, auch Soph. OK. 313 Αἰτναία πῶλος) und das ϑαυμάσιον des thurischen Krathis (Tr. 227) interessant. der hain von Knosos in den Kretern mit dem uralten blockhaustempel hat gewiſs auch localen bezug, aber auch besondere bedeutung. einen starken irrtum über die lage von Kelainai rügt Strabon (XIII 616. fgm. 1070), beziehung unbekannt. zwar schwerlich den magneten, aber doch einen stein von Magnesia hat Eur. in einem gleichnis erwähnt: sicher den magneten Sophokles (oben s. 12). auffällig ist in den Troerinnen 1075 der phry - gische Zeuscult auf dem Ida; doch hängt dies mit dem vorhergehenden zusammen, wo der Ida der ort heiſst, den die sonne zuerst bescheint: in der tat haben astronomen den sonnenaufgang dort beobachtet (Diodor XVII 7, Lucrez V 663), offenbar gelegent - lich des phrygischen höhendienstes. auffällig ist auch in den Bakchen die sehnsucht nach Kypros, wobei die rieselfelder von Paphos geschildert werden (406). man möchte denken, daſs der dichter sich hier als Athener aus dem versinkenden Reiche fortwünscht in irgend einen winkel, den das kriegsgetöse nicht erreicht, wo dann Kypros und Makedonien nahe lagen. er ist nach dem letzteren gegangen, Ando - kides z. b. nach beiden.; kaum eine spur deutet darauf, daſs er die geographische und die mit ihr meist zusammenfallende histo - rische litteratur der Ionier gelesen hätte56)Strabon (XI 520) sagt, er wolle noch ein par berufene νόμιμα βαρβαρικά erwähnen, z. b. daſs ein volk bei sich als sitte übe τὸ Εὐριπίδειον ῾τὸν φύντα ϑρηνεῖν u. s. w. (Kresphont. 452). moderne haben das umgedreht und lassen Euri - pides aus Herodot V 4 schöpfen. das würde berechtigt sein, wenn er sich auf irgendwo existirende sitte beriefe: so stellt er sich nur in schroffsten gegensatz zur heimischen. für den gedanken aber bedurfte er keiner anregung von auſsen: μὴ φῦναι κράτιστον, τὸ ζῆν κατϑανεῖν legte den schluſs nahe genug.. er hält es auch hierin wie Sokrates, nicht wie Sophokles, der freund des Herodotos57)Abgesehen von den bekannten beziehungen auf Herodotos, unter denen die Intaphernesgeschichte nur eine ist (geschrieben nicht um Herodot zu huldigen, an den niemand denken sollte, sondern weil Sophokles die geschichte hübsch fand), wirft Sophokles mit geographischen namen fast wie ein Römer um sich. Phasis und. Aischylos32Das leben des Euripides.hatte sein volk durch ganze geographische excurse, wie die fahrten der Io und des Herakles, unterhalten; besonders lebhaft aber gab er die eignen eindrücke wieder, die der weitgereiste empfangen hatte, so vom feuer - speienden berge und den thrakischen pfahlbauten (Pers. 870). auch das fehlt bei Euripides, der wol nicht weit herum gekommen ist58)Ein gewiſser Eparchides hatte in einer specialschrift über Ikaros (Athen. II 61) ein epigramm mitgeteilt, das Euripides bei einem gelegentlichen besuche auf der insel gemacht haben sollte. es ist ein recht schlechtes gedicht, denn es nennt die namen der toten nicht und auch nicht die todesart. Eparchides wuſste aber zu sagen, daſs es einer frau galt, die mit drei kindern an dem genusse von giftigen pilzen gestorben war. auf einem grabe kann es neben den namen allenfalls ge - standen haben. in diesem falle hätte Eparchides eine ciceronefabel aufgezeichnet, für die sowol das sujet wie der berühmte dichtername trefflich passen. wir wissen aber gar nicht, ob nicht Eparchides selbst schwindelte. Euripides steht als ver - fertiger von epigrammen so gut wie sonst Homer, Sappho, Archilochos: ernsthaft ist all das nicht zu nehmen.. die nach - bargegenden, zumal die cultstätten Delos Delphoi, Trozen Argos Theben, schildert er mit besonderen localen beziehungen und bezeichnungen, sicher verstanden zu werden. von Korinth mochte man 431 wol nichts hören: die Medeia könnte ebensogut vor jedem schlosse spielen. aber auch Pherai59)Die localfarbe der Alkestis, soweit sie da ist, gehört der quelle, Hesiods Eoee von Asklepios, an. daſs v. 835 eine straſse von Pherai nach Larisa erwähnt wird, heiſst gar nichts. eine bestimmte angabe muſste gemacht werden; ob Larisa oder Pharsalos oder Krannon genannt ward, war einerlei. und Pharsalos60)Das Θετίδειον ist zwar eine wirkliche örtlichkeit und wird genau bezeichnet, weil es dem publicum fremd war. aber das war von der sage, wenn auch nicht der Andromachesage gegeben, denn es stand bei Pherekydes, schol. 18., die Chersones, die doch kleruchenland war, und gar der Aetna61)Vgl. zu v. 639. sind eigentlich gar nicht gezeichnet. die Helene spielt in Aegypten, aber nicht das mindeste localcolorit ist aufge - tragen62)Die Περσέως σκοπιαί 769 sind zwar an der aegyptischen küste localisirt,, während Sophokles die gelegenheit bei den haren herbeizieht,57)Istros treten auf als typen für einen groſsen strom (OT 1227), indisches gold und sardisches elektron als typen orientalischen reichtums (Ant. 1037), der wein von Italien (Ant. 1119, dies vielleicht wegen Thurioi), das gold vom Paktolos (Phil. 391), das menschenopfer an Bal (Andromeda 622), der byzantische tunfisch mit seinem localen namen (fgm. 460). ein ϑαυμάσιον aus Euboia wird in vielen versen be - schrieben (Thyest. 235). die κλητικοὶ ὕμνοι putzen sich vollends mit diesem billigen zierrat, Ai. 693 soll Pan von Kyllene kommen, nysische knosische tänze zu lehren, Apollon über Ikaros von Delos. Ant. 1115 der Thebaner Dionysos nach Theben, er der herrscher in Eleusis und Italien, in der korykischen grotte über der Kastalia und in Nysa. der Triptolemos gab eine ganze periegese der οἰκουμένη im stile der aischy - leischen, aber noch viel umfassender.33ἱστορία.ein aegyptisches νόμιμον aus seinem Herodot anzubringen (OK 337). nur die neue makedonische umgebung hat dem greisen dichter nicht nur besondere localschilderungen eingegeben, sondern hat ihn auch empfänglich gemacht für den zauber der freien natur mit wald und wasser und wild, den ja am meisten der von der friedlosen civilisation und dem getriebe der groſsstadt abgehetzte empfindet63)Diese stimmung weht zwar durch die ganzen Bakchen, deren chor eben deshalb gewählt ist, besonders aber in dem ausgeführten bilde 866: das reh, das dem jäger entronnen ist, springt fröhlich in der waldeinsamkeit über die wiese. Pieriens natur schildert er 409, 565, die ströme von Pella 571, in leider heillos ver - dorbenen versen. er scheint gegen B 850 zu polemisiren. denn dort heiſst der Axios der strom mit dem schönsten wasser, hier wird der Ἀξιὸς ὠκυρόας genannt, aber unmittelbar darauf dem Ludias das schönste wasser zugeschrieben — wenn nicht noch ein dritter fluſs genannt war, denn nach der ganz ähnlichen stelle Hekab. 454 erwartet man den Apidanos.. in dieser hatte Euripides sich sein langes leben bewegt, hier hatte er beobachtet, ohne sich in ihren strudel selbst zu stürzen, dennoch ganz in ihren kreis gebannt, und gewohnt mit seinen gedanken in die tiefe zu dringen, nicht in die weite zu schweifen. am gastlichen tische des Ion in Chios, gar als feldherrn mit diplomatischem auftrage, könnte man sich ihn so wenig denken wie den Sophokles mit Protagoras im Herakleitos lesend. aber auch mit Perikles und Anaxagoras ein physisches problem erörternd ist er nicht zu denken: alle die physikalischen einzelfragen interessiren ihn nicht im mindesten, selbst die μετέωρα nicht, wenn er auch einmal die sonne eine χρυσέα βῶλος nach Anaxagoras nennt (Phaeth. 777 Or. 983). und wenn er im Phaethon einen lieblichen sternmythos dramati - sirt, so vermenschlicht er ihn ganz: selbst für die wunder des gestirnten himmels, die den Hellenen so besonders religiös stimmen, hat er nicht entfernt die innige liebe wie seine landsleute Sophokles und Platon, geschweige wie die sternliebenden Aioler64)Er bringt es selten über ein bild, das schön aber herkömmlich ist, wie Ἕω λευκὸν ὄμμα, oder Hik. 990, Andromeda 114, Ion 82. etwas selteneres ist der vergleich mit einer sternschnuppe fgm. 961. sternbilder auf schildern oder tapeten, eine geschichte, wie die umkehr des sonnenwagens bei den thyesteischen greueln (Or. 1000) beweisen nichts für das naturgefühl des dichters. und wenn er einen geblendeten sich sehnen läſst hinaufzufahren zu den hellen lichtern von Orion und Seirios (Hekab. 1100), so ist das wundervoll aus der seele dessen, der ewige nacht schaut, empfunden, aber keine περἰ τὰ μετέωρα πολυπραγμοσύνη. sehr verkehrt haben also die antiken verteidiger des Rhesos sich darauf berufen, daſs hier aller - dings 531 eine seltsame constellation geschildert wird, und Iph. Aul. 5 ist eben.
Historische studien in gewissem sinne forderte von dem tragiker sein beruf. denn er behandelte ja einen ὢν λόγος; nur schöpfte er die nötige kenntnis in erster linie bei seines gleichen. es versteht sich von selbst, daſs Euripides das epos, Homer und Hesiod, in der weise studirt, wirklich studirt hat, wie man es damals konnte, an der hand der da - maligen Homerphilologen, der rhapsoden. die spuren dieser studien sind schon bei Aischylos in seinem eignen wortgebrauche nachweisbar, und so bei allen spätern dichtern. der anschluſs an bestimmte einzelne Homer - verse ist aber bei Euripides seltener als bei den andern tragikern. auch hat er nur im satyrspiel Kyklops eine einfache dramatisirung einer homerischen geschichte geliefert, was Aischylos mit dem kernstück der Ilias Π — Ω, Sophokles wahrscheinlich mit teilen der Kyprien, der kleinen Ilias und Odyssee getan hatte. die Troerinnen vereinen zwar eine anzahl scenen der Πέρσις in der art der Vivenziovase, allein der reiz liegt hier in der vollkommen verschiedenen beleuchtung, die bei Euripides eine troische ist. übrigens ist für uns die vergleichung des dramatischen stoffes mit dem epischen nur in den seltensten fällen möglich, da wir die sage nur in der fassung zu kennen pflegen, die herrschend ward, und das ist die dramatische oder gar eine jüngere, so daſs wir das epos erst durch das drama einigermaſsen kennen lernen. nakte facta, wie sie z. b. die hypothesen bei Proklos liefern, sind für solche vergleichungen unergiebig. daſs aber bei Euripides die epischen stoffe, selbst wenn man die kühn umgestalteten mitzählt65)Vgl. was unten über Phoinix beigebracht wird. am klarsten ist die geniale freiheit des dichters im Aiolos. die Odyssee erzählt daſs der könig der winde, der auf einsamer insel lebt, seinen söhnen seine töchter zu frauen gegeben hat, ganz unschuldig, wie Adam das auch getan hat. das greift Euripides auf und hängt das ganz moderne problem daran, die geschwisterliebe, die blutschande, das problem das Byron und seine zeit so tief beschäftigt hat, ein problem von ewiger bedeutung., zurücktreten, lehrt ein blick auf Welckers tragödien.
Die nächsten vorgänger der tragiker waren eigentlich gar nicht die epiker, sondern die chorischen lyriker, und von deren compositionen waren viele, wie die nachbildungen der komödie zeigen, allbekannt,64)auch nicht von dem dichter Euripides. daſs wir an unserm himmel die personen der Euripideischen Andromeda sehen, hat er allerdings bewirkt, aber nur dadurch, daſs er eine vorhandene geschichte dramatisirte, deren herkunft unbekannt ist und die über - haupt singulär ist und wenig hellenisch aussieht. gegenüber Euripides sehe man wie Sophokles das überkühne wagnis begeht, die aufzuckenden stralen der morgenröte ‘die wimper des tages’ zu nennen (Ant. 102) und vom wechselnden monde (fgm. 786), der ewig kreisenden bärin (Tr. 130) ein gleichnis nimmt.35ἱστορία.hatten auch in der schule eingang gefunden. natürlich kannten sie die tragiker um so besser. allein weder im stofflichen noch (was aber wol an unserer kenntnis oder erkenntnis liegen wird) im formellen findet sich auſser ganz vereinzeltem und gelegentlichem eine beziehung zu Pin - dar66)Die λιπαραί Ἀϑᾶναι des pindarischen dithyrambus waren fliegendes wort. wie Aristophanes (Ritt. 1329) hat sie auch Eur. öfter, schon Alk. 452 und noch J. T. 1130. das wort λιπαρός war aus dem hohen stile geschwunden, Soph. hat es nie, Eur. nur im satyrspiel. eine mythische beziehung hat ein gescheidter gram - matiker zu Androm. 796 aufgedeckt. Eur. läſst dort seinen chor zu Peleus sagen ‘jetzt glaube ich, daſs du in Troia mit Herakles und auf der Argo gewesen bist’. das letztere ist eine gewöhnliche sage, das erstere war eigentlich notwendige folge von der durch die Aegineten aufgebrachten beteiligung Telamons an dem troischen zuge des Herakles. aber es findet sich sonst nicht ausdrücklich erwähnt. da bringt nun der scholiast eine Pindarstelle bei, welche auch beide züge vereinigt, und da Eur. den chor ausdrücklich seine zustimmung zu der ihm also vorher bedenklichen geschichte aussprechen läſst, ist die vermutung wol richtig. — die Rhesosfabel hat Pindar so behandelt, daſs eine gewisse verwandtschaft mit dem stoffe der tragödie nicht zu verkennen ist (schol. K 435), aber das sind gemeinsame sagenzüge: der ver - fasser des Rhesos hat Pindar nicht benutzt; wie viel verständiger würde sein stück geworden sein, wenn Rhesos wirklich, wie bei Pindar, einen tag lang die Achaeer besiegt hätte, statt bloſs zu renommiren. dagegen hat der schauspieler, der den zweiten falschen prolog verfertigt hat, seine personen, Hera und Athena, von Pindar entlehnt, was recht interessant zu wissen ist. Simonides Bakchylides. wir kennen ja nur Pindar, können daraus aber den grund wol abnehmen. Pindar neuerte nicht viel, wo er es tat, selten glücklich, auſserdem ist er durch seine engen zwecke bestimmt. daſs aber mit der ganzen sagenwelt, in der er lebte, die Athener sich nicht stark berühren, liegt in dem politischen, landschaftlichen, noch mehr dem gesellschaftlichen gegensatze. für Simonides trifft dies nur beschränkt zu; aber von ihm wissen wir gar zu wenig.
Ganz anders stehen die Chalkidier, Ibykos67)Die scholien irren zwar, wenn sie in dem geschicke der Helene und der Polyxene bei Euripides einfluſs des Ibykos (fgm. 35. 36) sehen, denn das ist schon epische sage; aber eine sehr merkwürdige anregung ist kenntlich. Apollonios III 158 schildert den abstieg vom Olymp auf die erde. es ist ein platz vor dem tore, neben dem garten der götter: von da schwingt sich Eros wider Medeia herab. der scho - liast bemerkt dazu, es wäre eine nachbildung eines liedes von Ibykos an Gorgias, worin zuerst der raub des Ganymedes und dann der des Tithonos vorkomme. also Ibykos verglich die schönheit des von ihm oder seinem auftraggeber geliebten Gorgias mit den beiden Troerknaben, welche himmlische liebe in den Olymp entführt hat. Eur. Tr. 820 klagen die Troerinnen ihr leid dem Ganymedes, der in heiterer schön - heit neben Zeus blüht, während sein vaterland verwüstet wird. dann wendet sich das lied an Eros, der die himmlischen zu den Dardaniden herabgeführt hat, τὸ μὲν οὖν Διὸς οὐκέτ̕ ὄνειδος ἐρῶ, aber auch Tithonos ist von Eos in einem sternenwagen und zumal Stesichoros. 3*36Das leben des Euripides.der dichter, welchem die tragiker die Atreidengreuel, Euripides eine so gewalttätig neuernde sagenform wie die seiner Helene verdankt, hat ohne zweifel noch viel häufiger bestimmend eingewirkt. aber die ver - suche genauerer nachweisungen sind nicht nur bisher wenig glücklich gewesen, sondern auch kaum von der zukunft zu erwarten, da keine vermehrung des materiales in aussicht steht.
Elegie und iambos wurden in den schulen gelesen, waren äuſserst populär, es finden sich auch einzelne bezüge auf sie bei den tragikern68)Mimnermos vgl. zu v. 637. bemerkenswert ist, daſs Or. 1546 ein spruch des Semonides wiedergegeben wird (fgm. 1, 1)., aber eine tiefere anregung war hier nicht möglich. die lieder der Lesbier und Anakreons standen ähnlich, wenn auch von jenen wie von Alkman wol nur einzelne lieder populär waren69)Auf Alkaios nimmt Aischylos Sieb. 387 nach den scholien bezug. er war sonst nicht populär in Athen. das einzige von einem Attiker berücksichtigte alk - manische lied (Ar. Vög. 250) ist in der form nicht lakonisch. als Aristophanes aber Lakoner einführte, im schlusse der Lysistrate, griff er nach dem lakonischen poeten. an seine rhythmen gemahnt nur Sophokles öfter, und das wird zufall sein.. mythisches konnten sie wenig geben, und die künstliche metrik wird nur noch hie und da eine an - regung aus ihren einfachen weisen geschöpft haben, während allerdings Aischylos bei Anakreon nachweislich gelernt hat. vielleicht wird sich aus geschichtlicher betrachtung der metrik noch mehr ergeben.
Stoffliche ausbeute würde den tragikern die mythographische litte - ratur in reicher fülle geboten haben. denn ohne zweifel hat es davon viel mehr gegeben, als auf die nachwelt kam. ist doch die schriftstellerei des Akusilaos und des in Athen lebenden Leriers Pherekydes70)Die lebenszeit des mannes und alles was seine person angeht ist freilich nur aus dem urteil über sein werk abzuleiten, da jede verläſsliche angabe fehlt. der versuch ihn zu einem Athener zu machen wird hoffentlich keine verwirrung an - richten. wenn die grammatiker einzeln die benutzung der mythographen durch Euri - pides annehmen (schol. Or. 1654 Phoen. 71), so hat das keine beweiskraft., von geringern wie Anaximandros abgesehen, nur so verständlich wie die der nordischen prosaischen sagenbücher, als auflösung des epos. deshalb67)entführt, und nun ist doch die liebe der götter zu Troia verflogen. da sind die beiden mythen auch in erotischer wendung vereinigt: das mag man zufall nennen, mag auch dem Euripides die hübschen züge selbst zuschreiben, des Ganymedes γυμνάσια καὶ λουτρά (Phoen. 371, Phaeth. 782), und den sternenwagen, obwol letzterer sehr von der attischen weise abweicht, die wir von den vasenbildern her kennen, und ersteres dem dichter der knabenliebe wol ansteht. entscheidend ist die figur der praeteritio, die auf die vorige strophe nicht gehen kann, in der der raub nicht erzählt und Zeus nicht gescholten ist. ein quaerere distuli weist immer auf eine art polemik.37ἱστορία.wird aber die vermittelung zwischen epos und tragödie durch diese bücher schwer nachweisbar, glücklicherweise aber auch wenig bedeutend. so viel sich bisher die immer noch nicht recht erfaſste schriftstellerei des Pherekydes übersehen läſst, ist mit zuversicht zu verneinen, daſs er die tragödie benutzt hat, nirgend zu erweisen, daſs die tragiker ihn gelesen haben und nicht seine quellen. Hekataios ward durch seinen rationalis - mus unverwendbar in dem was er eigenes gab, und so wird man sich auch auf etwa hervortretende übereinstimmungen nicht verlassen71)Die Augesage haben Euripides und Hekataios ähnlich erzählt, aber wir kennen die epischen bearbeitungen derselben nicht. daſs Euripides in der Helene Hekataios und Herodotos nicht berücksichtigt hat, ist eine tatsache, die schwerer wiegtt als alle solche möglichkeiten.. Euripides speciell hat die historiker sonst so sehr verschmäht, daſs man nicht geneigt sein kann ihm die lecture der bücher zuzutrauen, die erst wir als mythographische von den historischen scheiden. und doch gibt es ein gebiet, wo er irgend eine solche quelle aufgesucht haben muſs, die altpeloponnesischen traditionen von den Herakleiden, die in Kresphontes Temenos Temeniden, vielleicht nach Likymnios behandelt sind. für uns ist Euripides der älteste zeuge selbst für die namen. die nächste tradition, bei Isokrates und Ephoros, berührt sich einzeln mit ihm, ohne sich doch zu decken; manches ist auch ganz verschollen.
Es wäre eben so töricht wie geschmacklos, wenn man für jeden tragischen stoff eine schriftliche quelle suchen wollte. natürlich haben die dichter sehr viel aus der mündlichen sage, und natürlich steht die heimische in erster reihe. die dürftigen attischen vorher kaum irgend wo berück - sichtigten localüberlieferungen haben ja erst die tragiker geadelt und selbst sie doch nur zum teil allgemein beliebt gemacht. die maratho - nische Herakleidensage, die eleusinische von der bestattung der Sieben hat Euripides von Aischylos geformt überkommen, die Alopesage war es auch schon. aber die eigentliche königssage, Aigeus Theseus Hippo - lytos Ion, und vor allen Erechtheus hat er erst bearbeitet und festge - stellt. Sophokles folgte ihm hierin zum teil, wie er ihm ja selbst die anregung dazu verdankt seinen eignen demos zu verherrlichen. aber Prokris und Prokne hat Sophokles populär gemacht. auch die kleruchien haben die heimatssage etwas bereichert. die geschichte des Polymestor stammt von der Chersones, und auch der altepische Protesilaos ist unter einwirkung des cultes von Elaius umgestaltet. Lemnos hat auf Philoktet und Hypsipyle gewirkt, Skyros den ganz neuen stoff der Skyrier geliefert, Achilleus und Deidameia, Syleus ist ohne die besetzung von Amphipolis38Das leben des Euripides.nicht denkbar72)Es ist die erwerbung der landschaft Phyllis am untern Strymon durch Herakles. die sage selbst ist aber schwerlich dort gewachsen, da Συλεύς ein redender name ist, der neben dem bruder Δίκαιος in einer thessalischen sage (Konon 17) wiederkehrt; der inhalt aber ist derselbe in dem volksliede der schnitter vom Lyder Lityerses. Herakles zeigt, daſs Athener die Syleussage nicht gebildet haben; vor ihnen waren ja auch Nesioten in jener gegend, und die bewohner der Chalki - dike und der insel Thasos verehren Herakles als gründer ihrer cultur; in Amphi - polis wohnten sehr viele Akanthier. die attische sage, die nachher die Syleussage verdrängt hat, ist die von der eponymen heroine Phyllis und einem Theseus - sohn. sie ist aber erst im 4. jahrhundert nachweisbar, gehört also der zweiten besetzung von Amphipolis an. die Syleussage tritt gleichzeitig mit dem euripidei - schen drama in der vasenmalerei auf (Annali 1878 C): sollte sie im 6. jahrhundert schon dargestellt sein, so erhöhte das bedeutend die bedeutung der damaligen ver - bindung von Athen mit Thrakien (Jahrbuch des Arch. Inst. II 229). es leuchtet ein, daſs Euripides nach dem verlust von Amphipolis 424 den Syleus nicht mehr schreiben konnte, und lange vor der gründung (438) ist es mindestens recht unwahrscheinlich. so haben wir für ein satyrspiel ein annäherndes datum.. auch von Sophokles sind mindestens Phineus und Tereus durch die nordischen kleruchien in der färbung bestimmt. die sagen der übrigen Reichsstädte treten dagegen ganz auffallend zurück73)Aischylos mag die Europa aus Milet, Sophokles den Kedalion aus Chios haben. die Perseussage, die auf Seriphos spielt, ist alles andere eher als seriphisch. denn für sie ist die insel das gottverlassene elende felseneiland, das sie, wie die tributlisten lehren, zur zeit des Reiches nicht war. in dem rufe stand sie freilich auch damals (Kratinos Seriphier, Aristoph. Ach. 542. Plat. Staat 330a), aber das war aus der alten sage geerbt; schon 479 ist Seriphos trotz seines gerechten an - spruches (Herod. VIII 46) nicht in den Hellenenbund aufgenommen.: man be - denke, Chios Samos Miletos Kolophon Kos Rhodos Naxos Keos Euboia, jeder ort hatte mindestens so viel zum teil altberühmte sagen zu bieten wie Athen. aber die Athener hören lieber von Theben Argos Korinth Sparta; Ionien sollte in Athen aufgehen, das Reich nur die empfindungen seines hauptes mit und nachfühlen. von den ruhmvolleren gegnern nahm man vorab ihren alten stolzen sagenschatz: der politische anschluſs sollte folgen.
Mit dem stoffe ist dem dichter oft recht wenig gegeben, und oft be - währt er sich an ihm als dichter schon ehe die ausgestaltung beginnt. manches mal wird vorgekommen sein, was wir dank dem sonst wenig erfreulichen peripatetiker Hieronymos von dem euripideischen Phoinix wissen, daſs ein fruchtbares motiv irgendwo in unscheinbarer localsage auf - gegriffen aber auf einen altberühmten heroischen namen übertragen ward74)Die stellen bei Hiller in der satura Sauppiana 73. ganz sicher ist es nicht, daſs Hieronymos die sache richtig aufgefaſst hat, aber wahrscheinlich.. dem steht nahe, daſs der dichter um einer dürftigen fabel fülle zu geben,39ἱστορία. nachlaſs.motive aus einer anderen herübernimmt75)So war es offenbar etwas ganz dürftiges, was Euripides als Kresphontes - sage überkam. er fügte hinzu, daſs der tyrann den rechtmäſsigen erben für vogelfrei erklärt hat und dieser der bote seines eignen todes ist; dies aus der Orestessage; daſs der tyrann ein ohnmächtiges weib zur ehe zwingen will, aber durch die zwischen - kunft des sohnes daran gehindert wird; dies aus der Danaesage, wenigstens wie er sie wenige jahre zuvor im Diktys gestaltet hatte. seinen Archelaos soll er nach der Temenossage gemacht haben, Agatharchides bei Phot. bibl. 444b 29. die gefangene Melanippe hat motive aus den sagen von Ino, Antiope, Meleagros verbunden: eigen - tümlich scheinen nur die namen; doch sind wir über die heimat der sage nicht unterrichtet., und das berührt sich wieder mit dem ausmalen von situationen oder charakteren nach dem vorbilde einer älteren eigenen schöpfung, wofür die schwesternpare in Sophokles Antigone und Elektra das bekannteste beispiel sind. allein das greift schon über in die künstlerische analyse der werke, die hier nicht berührt werden soll. das stoffliche läſst sich für menschen die überhaupt geschichtliche fragen begreifen nicht selten überzeugend dartun: aber vielfach gilt schon von ihm und noch weit mehr von der beurteilung des poetischen, daſs erst eine reife kenntnis des dichters die dinge überhaupt sieht, und daſs sie auch für ähnlich gereifte allein einen beweis führen kann.
Was hier in betreff des stoffes gegeben ist, ist eine dürftige skizze. erst wenn nicht bloſs die einzelnen tragödien alle genau durchgearbeitet sind, sondern überhaupt die heldensage eine erneuerung erfahren haben wird, kann es gelingen dem einigermaſsen gerecht zu werden, was eigent - lich die vorbedingung des aesthetischen urteils sein muſs, was schon die peripatetiker angestrebt haben: das verhältnis des dichters zu seinem stoffe klar zu stellen. was die alten so viel behandelt haben, zumeist freilich von einseitig rhetorischem standpunkte aus, die charakteristik von stil und sprache, erfordert, ehe sie wirklich geliefert werden kann, auch noch eine fülle von beobachtungen untersuchungen und namentlich vergleichungen, die heut zu tage nur für die geschmacklosigkeit und den stumpfsinn der gesunkenen latinität angestellt werden, denen es aller - dings leichter ist congenial zu sein. die erklärung des einzelnen dramas gibt aber auf schritt und tritt gelegenheit zu einschlagenden bemerkungen; bei denen mag es sein bewenden haben. —
Über den poetischen nachlaſs des Euripides sind wir auffallend gutNachlaſs. unterrichtet. verfaſst soll er 92 dramen haben: das sind 23 × 4 (γένος); oder 22 mal aufgeführt (Suid.). also war eine tetralogie bestritten; und wirklich werden in der summe der erhaltenen 3 unächte tragödien, ein unächtes satyrspiel aufgeführt. da für die tragödie Peirithoos und das40Das leben des Euripides.satyrspiel Sisyphos76)Ein satyrspiel Sisyphos hat Euripides nach ausweis der didaskalie der Troerinnen 415 gegeben. das war verloren, ward mit dem Sisyphos des Kritias verwechselt und gab mit veranlassung zu der irrtümlichen zuteilung der ganzen tetra - logie, in welcher auch ein Sisyphos stand. auch Kritias als verfasser angegeben wird, ist der schluſs geboten, daſs diese ganze tetralogie zwischen den beiden dichtern schwankte, in wahrheit dem minder berühmten gehörte. die gesammt - summe 92 oder vielmehr 88 ist nun allerdings vorschnell fixirt. erstens ist fraglich, ob nicht lenäische agone darunter waren, an welchen viel - leicht weniger stücke gegeben wurden; zweitens hat der Archelaos sicher - lich nicht in den 22 didaskalien gestanden, und von der Andromache ist dasselbe ausdrücklich überliefert. somit ist der schluſs auf die gesammt - zahl der verfaſsten stücke unzulässig, und der verlust von dramen noch höher anzusetzen, als die Alexandriner getan haben.
Praktisch kommt nun auf die sofort vergessenen stücke nichts an, die zum teil wol gar nicht veröffentlicht waren77)Anaxandrides verkaufte das manuscript einer durchgefallenen komödie sofort als maculatur. Chamaileon bei Ath. IX 374.. um so erfreulicher ist, daſs wir über das was nach Alexandreia kam sicherheit erzielen können. es waren 67 tragödien, 7 satyrspiele78)Die angaben sind trotz aller verwirrung durchsichtig. wenn man die un - ächtheit des Sisyphos bestritt, wozu dieselbe veranlassung vorlag wie beim Rhesos, so war die gesammtsumme 75: diese gibt Varro (Gellius XVII 4 3) und Suidas. rech - nete man die ganze bestrittene tetralogie zu, so waren es 78: so das γένος, und das wird in den σωζόμενα οζ΄ bei Suidas auch stecken.. die letzte zahl ist auffallend gering. daſs Euripides einzeln statt eines satyrspiels eine tragödie gab, wie die Alkestis, erklärt das misverhältnis nicht genügend. wir kennen auch noch 3 satyrspiele, die verloren waren79)Θερισταί· οὐ σῴζονται in der didaskalie der Medeia, καὶ … σῴζεται in der der Phoenissen, deren ergänzung in diesem teile sicher ist. endlich der Sisyphos.. offenbar hatte Euripides für das komische weder neigung noch begabung. selbst von den 7 ist eines so wenig gelesen worden, daſs wir nicht einmal den namen ken - nen80)Unsichere vermutungen Anal. Eur. 161. die beziehung auf die Marsyas - sage läſst sich nicht mehr aufrecht erhalten.. und in den 6 kenntlichen war dasselbe motiv, die überwindung der barbarischen vis consili expers durch die hellenische rite nutrita indoles, viermal angewandt (Buseiris, Kyklops, Skiron, Syleus); zweimal war der held ein listiger betrüger, Autolykos Sisyphos, denen Odysseus nahe steht; dreimal trat Herakles auf (Eurystheus Syleus Buseiris), einmal sein pendant Theseus (Skiron). die erfindsamkeit war also sehr gering.
41Nachlaſs.Von verlornen tragödien kennen wir nur den Rhesos. denn daſs das erhaltene den Sophokles nachahmende drama unter die werke des Euripides geraten ist, liegt lediglich daran, daſs aus den didaskalien die existenz eines jugenddramas Rhesos von Euripides fest stand81)Das erhaltene stück fordert vier schauspieler wie der Oidipus auf Kolonos und hebt mit einer anapästischen scene an, wie der jüngere Euripides eine vor die aulische Iphigenie gesetzt hat. man möchte es also zeitlich diesen nahe rücken. andererseits ist überall das bestreben deutlich in verston sprache und metrik die weise zu vermeiden, welche in ihren letzten jahren von Euripides und Sophokles beliebt war, und von der rhetorischen tragödie, z. b. Agathon Karkinos fortgebildet ward. so möchte man etwas weiter herabgehen. unsere kenntnis des dramas im 4. jahrhundert ist aber zu gering, als daſs man auf diese formalen kriterien viel bauen könnte. der inhalt setzt indessen ein lebhaftes interesse für die thrakischen gegenden voraus, in denen Athen erst im zweiten seebund wieder festen fuſs faſste auf etwa zwanzig jahre. in diese wird man den Rhesos am ehesten rücken dürfen. Dikaiarchos hat ihn schon von den schauspielern erweitert gelesen. die nachahmung des Sophokles ist in den motiven und der stilisirung der personen nicht minder greifbar als in der diction und namentlich der metrik.. die den Alexandrinern bekannten 67 kennen wir aber alle, doch eines, Epeios, nur durch eine erwähnung in einem kataloge, nicht durch ein citat, und von dem unächten Tennes ist nur ein unsicheres citat erhalten. die irrtümer, welche diese zahl zu vermehren schienen, sind alle mit sicher - heit erledigt82)Ein auch der form nach unmöglich euripideisches fragment wird in den in trostloser verwahrlosung erhaltenen sog. Probusscholien zu Vergil dem Kadmos des Euripides zugeschrieben (fgm. 451). wie der irrtum entstanden ist oder ob gar fälschung vorliegt, ist fraglich. ein aegyptischer schulknabe hat in der zeit Aristarchs unter andern stücken auch 44 trimeter abschreiben müssen, die die überschrift Εὐρι - πίδου tragen und die noch ungedeutete unterschrift Εἰριπίδης σμοδρεγατης. die verse imitiren die weise des Euripides, aber ganz erbärmlich. sie begehen den me - trischen fehler ἐγδίδως νῦν πλουσίῳ (20) als versausgang, elidiren αι (44), setzen wider die weise des Euripides έαυτῆς (11), wider die des 5. jahrhunderts καίτοιγε (10). οὐσία bedeutet das vermögen (30), τυχὸν ἴσως heiſst vielleicht, wie in spätattischer prosa (9), ἴδιος ἐμαυτῆς vertritt, wie in dieser, das possessiv (28), es steht, wie im peri - patetischen traktat λοιπόν ἐστιν ἴσως ἐμἐ λέγειν (4), ἀπορεῖν bedeutet ‘arm sein’, daneben wird aber auch ἀπορεῖσϑαι gebraucht (26), ἁρμόττει (man ändert ἀρμόζει) in - transitiv (2) ist nicht euripideisch, φιλάνϑρωπος steht in dem gemeinen sinne der späten decrete: im 5. jahrhundert können nur götter oder tiere φιλάνϑρωποι sein. das perfect ist in der weise der κοινή gesetzt, wo es nicht hin gehört 6, 19; ein gebrauch des artikels wie πρὸς τῆς Ἑστίας, ἐμαυτῆς τὸν ἴδιον βίον, gehört nicht in die tragödie. es kommt aber noch hübscher μέχρι πόσου τὴν τῆς τύχης πάτηρ δὲ λήψει πεῖραν (31): darin ist falsch μέχρι, denn das sagt die tragödie nicht, μέχρι πόσου, denn das ist höchstens ganz plebejisch für ‘wie lange’, ganz unzulässig der artikel bei τίχην, ganz unmöglich in jeder rede die stellung des δέ. da hat man denn auch wenigstens. doppeltitel hat es nicht gegeben; doppelbearbeitungen42Das leben des Euripides.auch nicht83)Et. Florentinum citirt fgm. 824 aus dem zweiten Phrixos und aus demselben eine verwirrte notiz der Aristophanesscholien fgm. 816. mitgezählt ist das drama sicher nicht; aber es ist nicht undenkbar, daſs neben der echten fassung eine von schauspielern zugestutzte bestand. tatsächlich haben zwei solche fassungen der Herakleiden wirklich bestanden, aber davon erzählen uns die grammatiker nichts. daſs der erhaltene Hippolytos eine umarbeitung des ersten gewesen wäre, wie wir sie von Götz und Carlos haben, ist eine eitele erfindung der modernen um ihre fal - schen athetesen zu stützen. es ist überliefert und ganz sicher zu erkennen, daſs es vielmehr eine völlig neue bearbeitung desselben stoffes war. wie es mit den gleichnamigen dramen des Sophokles stand, welche durch ziffern unterschieden werden ist unbekannt; wahrscheinlich aber gerade so., auſser daſs die Aristophaneserklärer von solchen fabeln, wenn sie ein citat nicht verificiren können.
Ein viertel der werke des Euripides ist erhalten; die summe der einzeln sonst überlieferten verse füllt nahezu weitere anderthalb tragödien und von einem zweiten viertel sind wir so weit unterrichtet, daſs wir selbst die behandlung einigermaſsen übersehen können; den stoff im allgemeinen kennen wir nur von ganz wenigen nicht. notorisch steht die spätere litteratur sehr stark unter euripideischem einflusse: daſs die forschung also unsere kenntnis des verlornen noch sehr stark bereichern kann, ist klar. neue citate von einzelnen versen tröpfeln sacht aus der grammatischen litteratur nach, die erst allmählich erschlossen wird; die aegyptischen funde haben einen fetzen auch aus einem verlornen drama, freilich einem recht schwachen, der zweiten Melanippe, ergeben. also auch von dieser seite ist bereicherung zu hoffen. aber nicht nur expansiv, vor allem intensiv muſs unsere kenntnis wachsen. denn Euripides ist zwar keiner von den dichtern, die die menschheit nicht entbehren kann ohne in die bestialität hinabzusinken: aber er ist doch einer, der noch so frisch ist, daſs man liebe und haſs zu ihm empfindet, und die poesie jeder zeit, wenn sie eine ist, sich mindestens mit ihm auseinandersetzen muſs: er fordert und verdient ein individuelles verständnis. die über - lieferung gibt die möglichkeit dazu zu gelangen: möge man über ein menschenalter die dürftigkeit dieser skizze belächeln können.
Wenn man ein attisches drama in die hand nimmt, so pflegt manStellung der frage. daran zu gehen in der voraussetzung, es sei ein gedicht derselben gattung wie Sakuntala, Leben ein Traum, Polyeucte, Macbeth, Wallenstein. dem - gemäſs bringt man bestimmte anforderungen mit, die in dem wesen dieser gattung liegen sollen; man erwartet eine aesthetische wirkung, welche zu erzielen der zweck der tragödie sein soll, und das urteil über das gelesene gedicht wird sich danach bemessen, in wie weit es seine aufgabe erfüllt und die erwartungen befriedigt hat. nun wird zwar ein jeder in jedem drama mancherlei gewahr, was ihm störend ist, was der dichter aber mit absicht so gemacht hat, also entweder als vorzug oder doch als etwas unerläſsliches angesehen hat. im attischen drama ist ein chor gegenwärtig, der oft dem interesse der handlung widerstrebt; bei Calderon ermüdet das endlose a parte reden der personen und die eben so end - losen schilderungen; im Cinna wird die einheit des ortes abgeschmackt, bei Shakespeare die clowns, bei Schiller die liebespare. der leser ist zwar in den meisten fällen schon zuvor davon unterrichtet, was er finden wird; er ist also nicht mehr so stark befremdet, drückt ein auge zu, über - schlägt auch wohl eine überflüssige partie, und findet sich schlieſslich mit dem störenden als einer berechtigten eigentümlichkeit ab. es ist aber bekanntlich eine berechtigte eigentümlichkeit etwas, das allenfalls entschuldigt werden mag, zumal sich’s leider nicht ändern läſst, das aber eigentlich durchaus unberechtigt ist. und die ehrlichkeit fordert das eingeständnis, daſs zwar die dichter durch diese dinge ihre aufgabe haben erfüllen wollen, sie aber in wahrheit höchstens trotz denselben erfüllen. sie haben also ihre aufgabe schlechter verstanden als wir; was denn schlieſslich eine schmeichelhafte bestätigung für das hochgefühl ist, wie herrlich weit wir es gebracht haben.
44Was ist eine attische tragödie?Für das attische drama stellt sich die sache noch besonders ungünstig, weil es die geltung als classisch, d. b. unbedingt mustergiltig, viele jahrhunderte hindurch behauptet hat, und durch den jugendunterricht der glaube immer neue nahrung erhält, als würde dieser vorrang auch heute noch ernsthaft behauptet. der leser glaubt sich deshalb zur anlegung eines absoluten maſsstabes doppelt berechtigt, und jeden einwand, den er bei eigenem lesen wider die classicität mit fug und recht erhebt, richtet er gegen die alten dichter, gleich als ob sie die ungehörigen an - sprüche selbst erhöben. so haben diese für die traditionelle schätzung zu büſsen und scheinen mit dieser zugleich auch ihren eigentümlichen wert zu verlieren.
Es soll eine solche betrachtungsweise nicht ganz verdammt werden. es muſs einen maſsstab geben, der sich an jede poesie jeder zeit anlegen läſst ohne irgend jemand unrecht zu tun, wenn anders wir den glauben an die realität und ewigkeit des schönen nicht verlieren wollen. vor allem aber wird und soll sich keine zeit ihr recht verkümmern lassen, an ihrer eigenen empfindung die werke der vergangenheit zu messen. allein diese beiden maſsstäbe wird zwar ein jeder zunächst für identisch halten: in wahrheit ist jener ideale maſsstab dort wo die idee des schönen ist; was aber wir menschen uns an seiner statt machen, das ist selbst dem wechsel unterworfen, war etwas anderes als es ist und wird etwas anderes sein. wir mögen getrost mit dem messen was uns absolut erscheint, denn der lebende hat recht. aber der lebende hat auch recht gehabt zu seiner zeit, und ihm zu seinem rechte zu verhelfen ist die bescheidenere aber ungleich schwerere aufgabe der geschichtlichen wissenschaft. diese darf gar keine andern voraussetzungen machen als das individuum und die zeit, welcher das betrachtete werk angehört. aus sich und den bedingungen seines wesens und werdens hat sie es zu erklären. sie ver - zichtet mit nichten auf ein urteil, aber sie rechnet mit dem wollen und können des volkes, der zeit, des einzelnen menschen. sie sucht zu ver - stehen, nicht um zu verzeihen, sondern um gerecht zu richten.
Diese aufgabe, das verständnis als grundlage der κρίσις zu er - schlieſsen, hat die philologie gegenüber dem drama in arger weise ver - absäumt. es ist dahin gekommen, daſs auſserhalb der zünftigen kreise die abschreckendste trivialität und die nakteste ignoranz sich unbehelligt an den edelsten werken der hellenischen poesie versündigen kann, und in den zünftigen kreisen die sehenden bei seite treten, die einäugigen oder gar blinden die führung sich anmaſsen. allein auch diese versäumnis will geschichtlich begriffen werden; sie darf nicht nur gescholten, son -45Stellung der frage. moderne aesthetik.dern muſs erklärt werden. die entwickelung der philologie, wie sie im vierten capitel dargestellt ist, gibt die erklärung.
Daſs die hellenische poesie aus dem staube der folianten an dasModerne aesthetik. tageslicht trat, ist wenig über ein jahrhundert her. es geschah zu einer zeit, deren richtung durchaus philosophisch war. wenn Lessing auf das antike drama hinwies, so geschah das so, daſs er diesem die geltung als classisch lieſs, um das französische von der gleich hohen stellung zu stürzen. zu dem zwecke hat auch Diderot die antike tragödie herange - zogen1)Es ist sehr bezeichnend, daſs er schon in den bijoux indiscrets, welche zuerst Lessing diese schwerlich von ihm dort gesuchte anregung gegeben haben (Hamb. Dramat. 84 stück), den Philoktet des Sophokles als musterstück wählt: ein auf das einfachst moralische reducirter, des mythischen fast ganz entkleideter stoff, daneben die feinste charakteristik und die stärkste abweichung von der Versailler decenz. so erscheint denn der Philoktet auch im Laokoon. für die verehrer der comédie larmoyante war Philoktet das rechte: aber die Iphigenie mit ihm zu verbinden war ein herzlich abgeschmackter einfall. da wirkt das mythische, echt tragische, und hat die Elektra gevatter gestanden.. vollends die aristotelische poetik ward als kanonisch anerkannt, um so lieber, als sie einen absoluten maſsstab gab, der für alle zeiten anwendbar schien. Herder erhob sich zwar zu geschichtlicher betrach - tung, aber nicht durch ein voraussetzungsloses studium der vergangen - heit, sondern durch die philosophie der geschichte. auch lenkte er das nachdenken und die arbeit der forscher vornehmlich auf die anfänge und die ersten stadien der culturentwickelung, so daſs das drama, die letzte und vollkommenste blüte der hellenischen poesie, eine geringere beachtung fand, zumal seine kunstvoll durchgebildete form dem volks - tümlichen ferner liegt als in den meisten andern litteraturen. dieser umstand hat noch lange fortgewirkt. als aus den kreisen der Roman - tiker oder doch unter dem impulse, der von ihrer schule ausgieng, wieder - holt der versuch gemacht ward, eine geschichte der griechischen litteratur zu schreiben, gelangten die wenigsten auch nur bis an das drama heran, und dann giengen sie darauf aus, es irgendwie mit der volkspoesie zu verknüpfen.
Als dem deutschen volke eine anzahl dramen von seinen groſsen dichtern beschert wurden, die den antiken ebenbürtig waren, da waren diese unabhängig von der antiken praxis und theorie entstanden; wo der anschluſs ein bewuſster gewesen war, da ward die wirkung zum mindesten dadurch beeinträchtigt. der erfolg konnte nicht ausbleiben, daſs man die antiken werke unwillkürlich mit den modernen verglich, von ihnen forderte, was die modernen leisteten, und die form, die man46Was ist eine attische tragödie?in der braut von Messina mit recht anstöſsig fand, auch im Oedipus beanstandete. über die theorie des dramas hatten Goethe und Schiller tief nachgedacht, auch sie im unmittelbaren anschluſs an Aristoteles, weshalb sie auch das drama im gegensatz zum epos auffaſsten; hätten sie aber auch die antiken gedichte im originale wirklich verstehen können, als dichter würden sie dennoch nicht die bedingungen und ziele fremden schaffens, sondern anregung und förderung für eigenes schaffen in ihnen gesucht haben. ganz besonders aber ward für die theorie des antiken dramas gerade so wie für die bald verlachte praxis der nachahmer ver - hängnisvoll, daſs Schiller, der bekenner der Kantischen freiheitslehre, den begriff des groſsen gigantischen schicksals, welches den menschen erhebt, wenn es den menschen zermalmt, als leitstern der tragischen sittlich - keit auſstellte.
Die grundlinien der anschauung, welche bis auf den heutigen tag die verbreitete ist, gab A. W. Schlegel in den vorlesungen über drama - tische kunst und litteratur. es war in der tat ein versuch, die dichtungen der verschiedenen völker, welche Schlegel aus wirklicher eigener kenntnis beurteilte, geschichtlich zu würdigen. aber dieser versuch ward mit einer bestimmten praktischen tendenz gemacht. er predigte das evangelium einer einigen reinen hohen kunst, und er glaubte mit recht, daſs er für dieses ideal am besten dadurch propaganda machen könnte, wenn er zu gunsten des allertrefflichsten all das auf das schärſste verurteilte und herabsetzte, auf das sich der herrschende ungeschmack zu berufen pflegte, welchen er eben brechen wollte2)Schlegel gesteht (I 133) halb und halb ein, daſs er Euripides nur schlug, weil er Iffland und Kotzebue meinte. das mochte ein geschickter streich sein, wenn Schiller ganz dasselbe in Shakespeares schatten auch unvergleichlich wahrer schöner und edler erreicht hatte; es durfte dann aber nicht als eine objective beurteilung auf - genommen und weitergegeben werden.. im innersten grunde der seele endlich betrachtete sich Schlegel als propheten des groſsen romantischen tragikers, der nach der geschichtsphilosophie kommen sollte, um den bau der deutschen poesie zu krönen. ob er die täuschung der genossen mitge - macht und den heiland in L. Tieck gesehen hat, mag zweifelhaft sein; ausgeblieben ist der heiland jedenfalls. die romantiker waren eine viel zu reflectirte, geistreiche, ironische, angekränkelte gesellschaft, als daſs sie die unmittelbare kraft einer groſsen tragischen wirkung hätten erzeugen können; die meisten waren für eine solche überhaupt gar nicht empfäng - lich, und selbst wenn sie die gröſsten tragiker bewundern und erläutern wollen, so tun sie die auffälligsten irrgänge. es soll Tieck unvergessen47Moderne aesthetik.sein, daſs er die hetze gegen Euripides nicht mitgemacht hat, aber wenn er seine gedichte ‘von dem morgenrot einer ahndungsvollen romantik übergossen’ nennt, wobei er ‘vornehmlich an die wundersame Helene denkt’, wenn er die taurische Iphigenie und die Elektra ‘seltsam von wald - gefühl und einsamkeit erfrischt’ findet (bei F. v. Raumer Vorlesungen über alte Geschichte II 544), so gibt er selbst die seltsamsten proben ahndungsvoller romantik. er hat sich bekanntlich in der beurteilung Ophelias eben so vergriffen, wo es minder verzeihlich war, da Wilhelm Meister vorlag. bei andern romantikern, die wol eher die fähigkeit des geschichtlichen nachempfindens besessen hätten, fehlte es am besten. F. Schlegel würde wol die euripideischen frauen in den irrgängen ihrer seelenkrankheit haben verfolgen können, und er hatte für den groſsen zug der entwickelung, der die griechische poesie von stufe zu stufe bis auf den gipfel aischyleischer erhabenheit trägt, einen helleren blick als sein bruder. aber er war ein zu verkommener selbstling ohne religion und ohne ehrgefühl3)homo longe omnium pessimus nennt ihn G. Hermann an Volkmann 1. August 1796. da war Schlegel an den rechten gekommen.: wie sollte er nicht schaudern vor der unerbitt - lichen sittlichkeit dieser poesie, die sein ganzes treiben verurteilte; hat er doch Schiller aus demselben grunde so glühend gehaſst. auch die weltumfassende philosophie gieng aus der romantik hervor, die es sich zutraute, wissenschaft leben und kunst (ϑεωρεῖν πράττειν ποιεῖν) mit ihren gedanken zu umspannen und alle scheinbaren widersprüche zu lösen. sie fand auch für das drama eine formel, und man soll nicht bestreiten, daſs viele und tiefe wahrheit in ihr lag. aber selbst die Antigone muſs arg misdeutet werden, um als musterstück den Oedipus zu ersetzen und darzutun, wie sich aus dem conflicte zweier einseitig berechtigter bestrebungen die höhere harmonie, wenn auch um den preis des unter - ganges der individuen, ergibt.
Es könnte scheinen, als hätte es geringe bedeutung, auf diese be - strebungen hinzuweisen, da doch die herrschaft der romantik und der hegel - schen philosophie nicht mehr besteht. allein das philosophische denken der folgezeit hat an die erkenntnis des antiken dramas wenig arbeit gewandt4)Fr. Vischer hat daran ganz recht getan, daſs er Shakespeare in den mittel - punkt gestellt hat. seine individualität zog ihn von Athen fort: wer Pandora nicht zu würdigen weiſs, wird auch Prometheus nicht würdigen. es ist doch eine arge verirrung, die ὑποϑέσεις von tragödien in epische erzählungen umzusetzen, wie es Vischer gar mit dem Oidipus auf Kolonos getan hat: und doch zeigt sich hier, daſs auf den kernmenschen, den σαρκασμοπιτυοκάμπτης, der kern des dramas am mäch - tigsten gewirkt hat, die sage.,48Was ist eine attische tragödie?was durchaus berechtigt ist, und jedenfalls wenig auf das studium des - selben eingewirkt. die philologie aber wandte sich unter dem drucke der stimmung, welche der streit zwischen Hermann und Welcker Otfried Müller erzeugte, von diesem felde ab. die bedeutenden gelehrten ver - achteten was ihnen unfruchtbares spiel schien. in der breiten masse aber wirken zu allen zeiten gedanken noch lange nach, wenn sie auch in wahrheit überwunden sind. was so im allgemeinen über die attische tragödie geglaubt, den knaben gepredigt und von diesen ins leben mit - genommen wird, sind im wesentlichen reflexe dessen was Lessing und Schiller, die romantiker und ihre philosophischen nachfolger ausgesprochen haben. das letzte halbe jahrhundert hat wenig davon noch dazu getan. wir hören ja freilich alle tage, daſs die geisteswissenschaften abgewirt - schaftet haben, wenn sie nicht die exacte methode der königin natur - wissenschaft einigermaſsen nachmachen. und es ist auch von einer zukunftspoetik die rede, welche empirisch psychologisch, empirisch an - thropologisch die rechte grundlage sucht. es scheint aber für sie wich - tiger zu sein, die Botokuden und Kamtschadalen zu verhören als die Hel - lenen. wenn dem Mephistopheles schon in der classischen Walpurgisnacht ungemütlich wird, was sollen die proktophantasmisten machen, die sich längst von geistern und von geist curirt haben? wem die Orestie und die poetik des Aristoteles — griechisch sind, wie dem Casca Ciceros rede, der muſs es sich schon gefallen lassen, daſs seine rede dem Hellenisten böhmisch ist. welchen wert hätte es auch, ein system durch ein anderes zu ersetzen, das doch auch nur beurteilen, nicht verstehen lehrt?
Verstehen gelernt hat freilich erst die letzte generation vor uns ein hauptbuch, die aristotelische poetik, und der groſse meister hat über - haupt erst jetzt die dominirende stellung in der griechischen wissenschaft erhalten, die ihm gebürt, ja, seine macht wird noch steigen. allein darum ist unser verhältnis zu ihm nur ein freieres geworden. es ist nicht mehr erlaubt, mögen auch die naiven nicht aussterben, das was man für wahr hält, in den Aristoteles hineinzulesen; deshalb ist aber auch das eigene urteil des Aristoteles und seine aesthetische theorie nicht mehr für uns maſsgebend. was er uns als geschichtliche tatsache übermittelt, das sind wir verpflichtet als solche gelten zu lassen, so lange sich nicht der irrtum beweisen läſst: die beurteilung der tatsachen und die daraus abgezogenen allgemeinen gesetze haben nicht die geringste verbindlichkeit. Aristoteles ist unser vorzüglichster zeuge für die tatsachen der attischen verfassungs - geschichte; aber nicht leicht wird jemand seine beurteilung ihres ganges und des wertes der leitenden personen sich zu eigen machen: auf alle fälle49Aristoteles.ist die politische theorie des Aristoteles und seine construction des besten staates für die geschichtliche und rechtliche auffassung der concreten erscheinungen der griechischen geschichte von geringer bedeutung. es ist zeit, daſs wir in der poesie nicht mehr anders vorgehen. nicht mehr Aristoteles der aesthetiker, sondern Aristoteles der historiker ist der ausgangspunkt unserer betrachtung. wenn wir uns zu dem geschicht - lichen verständnis der attischen dramen durchgearbeitet haben, dann können wir fragen, ob die aesthetische theorie des Aristoteles für sie das richtige getroffen hat, und in wie weit seine ansicht von dem wesen der kunst absolut richtig ist. um die wirkung der tragödie auf Aristo - teles oder gar auf uns haben wir uns zunächst nicht im mindesten zu kümmern, sondern um die absicht ihrer dichter. es kann uns also auch die vergleichung mit irgend welcher anderen dramatischen poesie nichts helfen, ganz abgesehen davon, daſs doch alle und jede dramatische poesie von den Athenern abstammt5)In betreff der indischen ist die entscheidung dadurch erschwert, daſs sie erst jahrhunderte nach dem erlöschen der griechischen spiele zur blüte kommt; deshalb ist die unmittelbare vergleichung (Windisch Abhdlg. des 5. orientalistencongresses) wenig überzeugend, und ein stricter historischer beweis wird erst möglich sein, wenn auf indischem gebiete die forschung jahrhunderte vordringen kann. aber daſs in den zeiten der griechischen vormacht im osten auch die techniten ihre höchste blüte gehabt haben, steht fest, und man kann gar nicht bezweifeln, daſs an den höfen der helle - nischen fürsten Indiens im 2. jahrhundert scenische spiele gewesen sind, wenn sich gar die Parther im 1. jahrhundert die Bakchen vorspielen lassen. und daſs die hellenische civilisation auf die Arier ganz intensiv gewirkt hat, zeigt am besten die sculptur (Curtius Arch. Zeit. 1876, 90).. wir wollen ja weder eine tragödie schreiben noch schreiben lehren, sondern die welche wir besitzen ver - stehen. dazu ist denn freilich nötig zu wissen, welche aufgabe die dichter lösen wollten, was ihr volk von ihnen erwartete, und weit genug wird uns der weg führen, ehe wir dieses ziel erreichen: aber aus seiner ver - gangenheit, nicht aus seiner zukunft erklären wir das attische drama.
Wenn es uns verstattet wäre, überall bis zu den quellen vorzudringen,Fundamen - tale tat - sachen. so würden wir auch bei dieser historischen forschung von Aristoteles ab - sehen. aber uns sind nur trümmer überliefert, so daſs wir längst nicht alles mehr mit eignen augen übersehen und prüfen können, sondern auf die zeugnisse anderer angewiesen sind. und hier ist es, wo Aristo - teles mit voller autorität eintritt; nur wenige zeugnisse, die wir anders - woher auflesen, die aber auch zumeist auf seine schule zurückgehen, treten hinzu; erst nach peinlichster prüfung reihen wir sie ein, und für die hauptsache würden wir sie auch entbehren können. unser fundamentv. Wilamowitz I. 450Was ist eine attische tragödie?ist und bleibt was in der poetik steht. die tragödie stammt ab von den sängern des dithyrambos; sie ist zuerst satyrspiel gewesen in leb - haften tanzrhythmen und lustiger sprache; den zweiten schauspieler hat erst Aischylos eingeführt und den chor von der protagonistenstelle zurück - gedrängt; der dritte schauspieler stammt erst von Sophokles. mit diesen allbekannten notizen hat zu allen zeiten jeder gerechnet; der fortschritt aber liegt darin, daſs wir erstens jede spätere überlieferung zunächst fern halten, zweitens eine vorstellung davon haben, woher Aristoteles seine kenntnis hat, was er überhaupt wissen konnte. ob er ein drama aus dem sechsten jahrhundert gelesen hat, ist fraglich; die spätere zeit besaſs keins mehr6)Von Choirilos ist eine mythographische angabe und ein als tropus ange - führter vers auf uns gekommen. die grammatiker kennen ihn nicht mehr. jene er - wähnungen können sehr wol auf schriftsteller aristotelischer zeit zurückgehen. die lyrischen fragmente des Pratinas stammen alle aus einem musikgeschichtlichen werke, da sie sich auf musik beziehen; von einer tragödie ist ein wort aus zoologischem interesse gerettet, wol aus einem schriftsteller wie Speusippos oder Phainias. mehr gibt es von Phrynichos, nicht bloſs bei mythographen, sondern auch bei gramma - tikern. allein daſs die von ihm erhaltenen tragödien nicht aus der zeit des Aischylos gewesen wären, ist weder erweislich noch wahrscheinlich. im gröſseren publicum ist in den vorchristlichen jahrhunderten noch hier und da etwas von einem andern dichter als den dreien gelesen und gespielt worden: nach Christus ist nur die kenntnis des Ion bei Plutarch nachweislich und auch sonst glaublich, da noch commentare geschrieben werden. die jüngeren tragiker las man längst nicht mehr; daſs sich ein - zelne verse in die florilegien gerettet haben, beweist nur, wie alt deren grund - stock ist., und Thespis z. b. war schon für Aristoteles nur ein name. immerhin konnte er incunabeln genug lesen, um sich über den charakter des ältesten spieles zu unterrichten. das wichtigste aber war, daſs in den archiven des mit der ausrichtung der spiele betrauten beamten sich das reiche und zuverlässige material befand, um die aufführungszeit jeder einzelnen tragödie und die äuſsere einrichtung der schauspiele kennen zu lernen, und die über die heiligtümer der stadt verstreuten weihgeschenke, die freilich nur ausnahmsweise über die persische invasion hinaufreichen konnten, brachten erwünschte controlle und erweiterung; sie sind nachweislich von Aristoteles benutzt7)Er führt ein gemälde, weihgeschenk wegen komischen sieges, an, Polit. Θ 6. die früher meist vorgetragene ansicht, daſs die didaskalien auf diese weihgeschenke allein zurückgiengen, ist ganz verkehrt. sie enthalten viel mehr; denn die namen der stücke, der unterlegenen concurrenten und deren stücke waren nimmermehr auf steinen zu lesen. also sind archivalische studien unzweifelhaft. dort stand aber ver - mutlich noch sehr viel mehr, und z. b. was wir über costumveränderungen er - fahren, wird daher stammen. man könnte noch mehr vermuten, wenn nicht ganz. das so gesammelte mate -51Fundamentale tatsachen.rial hat er selbst oder seine schule dem publicum in mehreren bänden vorgelegt, und die tüchtigsten gelehrten der nächsten generationen haben es viel benutzt; dann ist es wie die meisten ähnlichen stoffsammlungen verschollen. übrigens hat der attische staat, wahrscheinlich gelegentlich der erbauung des steinernen theaters (vollendet 330), auch eine solche festchronik und ähnliche verzeichnisse in stein gehauen im heiligen be - zirke aufstellen lassen, vielleicht beeinfluſst von dem aristotelischen geiste. reste davon sind uns erhalten sowol im original wie in copien römischer zeit8)Zu den altbekannten stücken dieser classe CIG. 229, 230 ist jüngst ein neues bruchstück getreten (Notizie degli scavi 1888, 190), auf dem aber nur so viel kenntlich ist daſs es hierher gehört.; auch vereinzelte inschriften von siegesdenkmälern besitzen wir. dieser ganze strom der überlieferung ist also ein einheitlicher. was dazu gehört, ist auch leicht kenntlich, wenn es bei späten compilatoren er - halten ist, und wir dürfen uns mit besonderer zuversicht auf diese angaben verlassen. danach also reihen wir ein, daſs die erste tragödie von Thespis an den groſsen Dionysien 534 aufgeführt ist, 508 der erste dithyrambos durch Hypodikos von Chalkis, daſs eine neuorganisation der schauspiele um 465 stattgefunden hat, bei welcher sicher die erste komödie gespielt ward, wahrscheinlich auch die tragödie durch die einführung des dritten schauspielers ihre definitive gestalt erhielt9)Näheres Hermes 21 ‘die bühne des Aischylos’.. das ist unser fundament. mit eiserner strenge muſs alles verworfen werden, was sich mit diesen grundtatsachen nicht verträgt; an ihnen darf nichts verrückt noch ver - schoben werden. es liegt aber auf der hand, daſs sie nicht ausreichen, um wirklich einen aufriſs von dem alten gebäude zu errichten, wir müssen mehr material suchen.
Das wird manchen weg und umweg kosten; es scheint sogar geraten, zunächst einen holzweg einzuschlagen, weil in der litteraturgeschichte die holzwege die betretensten zu sein pflegen. die komödie ist viel verständlicher als die tragödie: fangen wir mit ihr an. das muſs dem modernen doch sehr aussichtsvoll erscheinen. denn wir sehen mit recht7)unklar bliebe, wo die grenze zwischen den pflichten der beamten und der choregen war. da einzelne angaben auch aus der zeit vor 480 erhalten sind, muſs man an - nehmen, daſs die archive vor den Persern gerettet waren, was ja auch nur natür - lich ist. aber sie werden für die alte zeit längst nicht so reich gewesen sein. dramentitel von Thespis z. b. hatten sich sicherlich nicht erhalten, da man deren früh erfunden hat. und es dürfte ähnlich mit Choirilos u. a. stehen. auch dichter - namen für die tragödie sind auffällig wenig erhalten und nur solche, von denen sich auch vereinzelte werke bis auf die Peripatetiker gerettet hatten.4*52Was ist eine attische tragödie?trauerspiel und lustspiel nur als zwei arten derselben gattung, der dra - matischen poesie, an. darin sind uns die peripatetiker vorangegangen, und logisch ist es gewiſs. nur hat es für Athen keinen sinn. dort konnte zwar der gröſste philosoph, zugleich der gröſste dichter, auf den gedanken dieser einheit kommen, aber selbst er lieſs es nur in der vorgerücktesten weinlaune aussprechen. in der praxis waren komödie und tragödie zwei so grundverschiedene dichtungsgattungen, daſs es gleich ungeheuerlich erschien, Aristophanes eine tragödie, Agathon eine komödie dichtend zu denken; woran nichts geändert wird, auch wenn in den zeiten des verfalls geringere leute diesen versuch gemacht haben, wie z. b. von Timokles feststeht. für Athen ist das dramatische etwas accessorisches sowol in der komödie wie in der tragödie. die übergeordnete gattung könnte nur dionysisches festspiel heiſsen, wo dann aber sofort der dithyrambos als dritte gleichberechtigte art hinzutreten und diesen versuch einer definition unbrauchbar machen würde. für uns ist das dramatische entscheidend, ist aber auch die sonderung in tragödie und komödie eine inhaltsleere concession an die antike, welche nur zu der annahme von bastard - gattungen wie des s. g. schauspieles oder dramas führt. wir wissen also im voraus, daſs wir zum ziele über die komödie nicht kommen können; aber bei wege dürfte doch manche wichtige belehrung abfallen.
Die komödie hat sich an zwei orten Griechenlands aus verschiedenen aber allerdings gleichermaſsen dem breiten volksleben angehörigen wurzeln zu einer litterarischen blüte entwickelt. in Sicilien zu der zeit, wo diese insel unter dem regimente hochstrebender und hochstehender gewaltherren ihre schönste aber allzu kurze blütezeit erlebte, und in Athen zwanzig jahre später, als dort die demokratie ihr reich vollendete. in Sicilien waren die vorstufen die burlesken spiele der spaſsmacher, die wie die ganze zunft der fahrenden leute in den üppigen städten Neugriechenlands fort - dauernd am besten gediehen, und auf märkten oder in den hallen der reichen teils pantomimisch, teils mit einfachem gesange, teils in meist wol improvisirter prosaischer rede ein zerrbild des lebens darstellten, das treiben des festtags und des werkeltags, der alter und geschlechter, der stände und berufe in derber charakteristik wiedergebend. in Syrakus gestaltete der Megarer Epicharmos dieses spiel zu einer dramatischen poesie aus10)Die tendenz, den Megarern von Nisaia eine komödie zu vindiciren, hat daran keinen anhalt, daſs Epicharmos aus dem hybläischen war. und was die alten von einem ‘dorf’ gesange fabeln könnte die attischen κῶμοι nicht erzeugt haben, auch wenn es mehr wäre als ein aus dem namen schlecht gefertigtes autoschediasma., für welche er jedoch die formen von der attischen tragödie53Komödie.nahm, deren begründer Phrynichos und Aischylos der könig Hieron an seinen hof gezogen hatte. doch fehlte der chor, mochte auch hie und da getanzt und gesungen werden11)Pollux IX 41 bezeugt daſs χοραγός im sinne von διδάσκαλος vorkam. Hephaestion 8, 3 nennt eine komödie Χορεύοντες, welche ganz in anapaesten ge - dichtet war. das gibt sich selbst als ausnahme. lyrische maſse fehlen in den bruchstücken ganz, wenn man von gänzlich ungewissen absieht. die Musen in dem gleichnamigen stücke sind als chor in attischem sinne undenkbar.. es hätte sich hieraus das moderne lustspiel entwickeln können; allein die künstliche blüte verfiel, die posse ward aus einem dramatischen gedichte wieder ein prosaischer mimus, und nur dem interesse, welches Platon, der über vorurteile erhaben war, an der realistischen kraft dieser volksspäſse nahm, als er um 390 in Syrakus war, danken wir es, daſs die mimen des Sophron nach Athen und damit auf die nachwelt kamen, wie ja auch das athenische litteraturgeschicht - liche mehr als litterarische interesse den Epicharmos einzig erhalten hat. die spätern Griechen fanden den Sophron nicht selbst genieſsbar, sondern nur so wie ihn das theokritische raffinement salonfähig aufgestutzt hatte. wir bewundern in den kümmerlichen resten eine unmittelbare lebens - wahrheit oder besser wirklichkeit, wie man sie bei Hellenen sonst ver - geblich sucht (denn sie stilisiren alle), aber wol bei den besten Italikern findet. an Petron erinnert Sophron. es hat das seinen geschichtlichen grund. denn späſse wie sie in Groſsgriechenland gäng und gebe waren, haben zwar auch bei einigen stämmen dorischer abkunft oder doch cultur im mutterlande analogien, aber nirgend ist auch nur ein ansatz zu künst - lerischer ausbildung gemacht. dagegen war und ist die italische nation geboren dazu das charakterische und namentlich das lächerliche scharf und wahr aufzufassen und wiederzugeben. auf italischem untergrund ist der mimus und seine künstlerische blüte, die epicharmische posse, er - wachsen; ebenso später die rhinthonische. man kann nur dazwischen schwanken, ob die mischung mit italischem blute die Groſsgriechen so veranlagt hat, oder ob nicht vielmehr, was ungleich wahrscheinlicher ist, die Italiker schon damals die commedia dell’ arte besaſsen und also auf10)aber eine tradition von alten volksspäſsen und einem possenreiſser Susarion haben die Megarer wirklich besessen, und das verdient um so mehr glauben, als ähnliche späſse sich ja auch in andern dorischen orten, z. b. Sparta, finden. nur hat das selbst nach der angabe der Megarerfreundlichen tradition nichts mit Dionysos, also nichts mit den attischen κῶμοι zu tun. die attischen komiker des 5. jahrhunderts wenden Μεγαρικὸν ᾆσμα, Μεγαρικὴ κωμῳδία, σκῶμμα Μεγαρόϑεν κεκλεμμένον durchaus nur metaphorisch an: so wie wir noch heute ‘boeotisch’ und ‘attisch’ als gegensätze brauchen (auch sie einzeln boeotisch, Kratin. inc. 152).54Was ist eine attische tragödie?diesem gebiete die lehrmeister derer geworden sind, denen sie wie wir alle andere cultur verdanken.
Wir wissen nicht, wie Epicharmos seine gedichte genannt hat; κω - μῳδίαι sicher nicht, da sie das nicht waren. erst in Athen hat man dieses wort sehr bald nach τραγῳδία gebildet, als bezeichnung für die lieder, welche bei den κῶμοι gesungen wurden, die man um 465 dem Dionysos von staatswegen darzubringen beschloſs. denn so bezeichnet die offizielle chronik die einführung der komödie. Aristoteles läſst uns noch etwas mehr erkennen, und die reste der späteren komödie (denn erhalten hatte sich wol nichts aus den ersten zwanzig jahren ihres bestehens12)Wenigstens bietet weder ein titel noch ein bruchstück einen anhalt, der über die dreiſsiger jahre hinaufzugehen veranlaſste. es kommen auſser ein par resten des Ekphantides, wenn auf sie verlaſs ist, und einer komödie des Lysippos nur die des Krates und Kratinos in betracht. und daſs bei diesem nichts verläſs - liches auf die so vielbewegten vierziger jahre deutet, während so sehr viele komö - dien erst in den archidamischen krieg passen, ist schwerlich zufall. gestatten sichere rückschlüsse. das volk ordnete und legitimirte nur einen tat - sächlich bestehenden brauch. es war nämlich aufgekommen, daſs an dem feste des Dionysos eine oder auch mehrere scharen von männern sich zusammentaten, sich vermummten, zunächst nur um unerkannt zu bleiben, und im festzuge mit flötenmusik in den heiligen bezirk zogen, dem gotte ein phalloslied sangen und das volk, das zu der religiösen feier und zur tragödie versammelt war, mit einer auf die interessen der bürger - schaft und des tages bezüglichen scheltrede haranguirten. dann zog der lustige κῶμος wieder ab. ähnliche züge, nur ohne den festlichen charakter, tobten an manchem abend durch die gassen, aber der phalloszug war ein notwendiger bestandteil der religiösen feier, weshalb denn auch das lied (ᾠδή) welches der ‘nachrede’ (ἐπίρρημα) vorausgeht, noch bei Aristo - phanes meist einen religiösen charakter trägt. es ist sehr wol möglich, daſs schon in der zeit der freiwilligen aufführungen ein oder zwei einzelredner aufgetreten sind und die gesänge durch eine lustige scene unterbrochen haben. geschah es aber, so war dafür das vorbild der tragödie maſs - gebend, nach welchem dann, als die komödie staatlich geordnet ward, die ganze anlage des spieles sich richtete. es dauerte noch eine weile, bis man statt einzelner zusammenhangsloser scenen eine einzige handlung durchzuführen versuchte. erst am anfange des archidamischen krieges gestalteten zwei blutjunge talentvolle dichter, Eupolis und Aristophanes, die komödie die wir kennen; zuerst sehen wir sie wenigstens den komos und die ansprache sammt religiösem liede festhalten. dann schwindet das;55Komödie.immer mehr wird die komödie zum lustspiel. nach dem abblühen der tragödie fällt ihr ein teil des erbes zu, ein ersatz für den verlust dessen, was eigentlich die komödie erzeugt und belebt hatte. hundert jahre später vollendet sich, nicht ohne beihilfe der peripatetischen kunstlehre, die echte erbin der euripideischen tragödie, aber nicht der aristophanischen komödie, das menandrische lustspiel. das erst ist wirklich mit dem modernen drama vergleichbar, weil es lediglich künstlerische zwecke hat, weder für einen bestimmten tag noch auf ein bestimmtes publicum berechnet ist, und weil seine stoffe rein menschlich und wirklich dem tagesleben entnommen sind: sie ist μίμησις βίου, κάτοπρον ὁμιλίας, ὁμοίωμα ἀληϑείας13)Dies die originale, die in Ciceros übersetzung (de re p. IV 11) durchschim - mern. er sagt imitationem vitae, speculum consueiudinis, imaginem veritatis. die doctrin ist, auch wenn sie Cicero durch stoische vermittelung empfangen haben sollte, peripatetisch. das τέλος aller poesie ist ψυχαγωγία, was er mit voluptas wiedergegeben zu haben scheint (τέρψις bei Aristides Quintilian ist schlechte rück - übersetzung). die Alexandriner folgen in der kunstlehre den peripatetikern. die ψυχα - γωγία bekennt Eratosthenes, und Aristophanes dichtet von Menander ὦ Μένανδρε καὶ βίε, πότερος ἄρ̕ ὑμῶν πότερον ἀπεμιμήσατο. Theophrasts kunstlehre erlaubt und erfordert eine zusammenhängende behandlung; die Römer, Sueton zumal, sind am ergiebigsten..
Für die tragödie ergeben sich aus der vergleichung des jüngeren spieles zwei schlüsse. erstens daſs es für sie, deren entstehung viel älter ist und die der komödie Siciliens und Athens gerade für die dra - matischen teile die formen geliefert hat, noch viel weniger als für die dichtung des Kratinos erlaubt sein kann, die aesthetischen abstractionen, zu welchen allenfalls ihre letzte ausgebildete gestalt veranlassung geben mag, als voraussetzungen ihres werdens oder auch nur als maſsstab ihres wertes zu verwenden. zweitens daſs sie unmöglich aus volkstümlichen tänzen, die am Dionysosfeste stattgefunden hätten, entstanden sein kann, weder sie noch ihre vorstufe, der dithyrambos, der neben ihr und neben der komödie bleibt. denn aus den volkstümlichen tänzen geht die komödie hervor, und sobald sie da ist, verschwindet diese vorstufe14)Am bezeichnendsten ist, daſs die spiele der freiwilligen sofort wieder auf - kamen, als der staat den vergeblichen versuch machte, die komödie zu unterdrücken, weil ihre zügellosen angriffe politisch bedenklich geworden waren (440 — 38 schol. Ar. Ach. 67). Kratinos erhielt keinen chor: da führte er seine Rinderhirten mit freiwilligen als einen dithyrambos auf. dasselbe scheint er mit seiner ‘Odysseus - komödie’ getan zu haben. denn dies bedeutet Ὀδυσσῆς, wie Ἀϑῆναι und Φίλιπποι die stadt der Athena und des Philipp, Αἶτναι und Καμικοί (wie die titel überliefert sind, wenn man genauer zusieht) die tragödien von Aitna und Kamikos. wahr - scheinlich ist der plural früher noch öfter verwandt worden; namentlich in komödien -. eben die -56Was ist eine attische tragödie?selbe konnte also nicht zwei menschenalter vorher die tragödie oder noch viel früher den dithyrambos erzeugt und doch neben diesen ausge - bildeten formen fortbestanden haben. wir können sogar noch weiter gehen: auch der dithyrambos, aus dem die tragödie hervorgegangen ist, kann nicht eben der dithyrambos gewesen sein, der neben ihr fortbe - stand; da muſs etwas anderes stecken. die modernen haben sich nun aber so sehr daran gewöhnt, die tragödie aus volkstümlichen improvi - satorischen spielen des faschings hervorgehen zu lassen, daſs es notwendig ist, einen zweiten umweg durch diese regionen zu machen, um nicht bloſs diese vermutung abzulehnen, sondern ihre unmöglichkeit positiv darzutun.
Der Dionysosdienst und neben ihm der Demeterdienst unterscheidet sich, wenn auch schwerlich von anfang an, so doch in der gestalt, welche allein genauer bekannt und für die tragödie bedingend ist, von den diensten der olympischen götter dadurch, daſs die gemeinde eine active bedeutung erhält. Dionysos hat selbst auf erden gewandelt, hat nicht nur seine gaben verteilt, sondern auch seine feiern, die zwei - jährigen auszüge in berg und wald, oder was an stelle derselben tritt, eingesetzt, er hat mit den ungläubigen harte kämpfe bestanden, er fordert also von jedem einzelnen die anerkennung seiner göttlichkeit und eine persönliche betätigung des glaubens. das ist mehr als was in den alten culten geschieht. da vollzieht die heiligen handlungen der durch geburt und erbrecht oder durch staatlichen auftrag dazu berufene, im eigenen hause der herr oder die frau, in den staatstempeln der könig oder sein rechtsnachfolger, in sehr vielen culten, die sich aus geschlechts - culten zu allgemeiner anerkennung erhoben haben, der durch ererbtes recht dazu berufene. die menge steht dabei, schweigend, oder an festen punkten der heiligen handlung festbestimmte rufe erhebend (εὐφημεῖν15)So stand auch der daduche bei den Lenaeen, rief καλεῖτε ϑεόν, und die ge - meinde respondirte Σεμελήιε Ἴακχε πλουτοδότα, schol. Ar. Fr. 479. die einmischung des Iakchos und des eleusinischen priesters in den altattischen cult zeigt, daſs dies nichts ursprüngliches war. verse in diesen und ähnlichen hier und zu Fried. 968 angeführten worten zu sehen, ist willkür. sie stehen bei Bergk unter den volks - liedern., ganz selten eine symbolische handlung in festen grenzen mit vollziehend, die ἱερουργίαι verstehen die οἷς πάτριόν ἐστιν: die ὄργια gehen jeder -14)titeln schwankt die überlieferung sehr oft zwischen ihm und dem singular, und nur bei Kratinos ist noch Ὀδυσσῆς Κλεοβουλῖναι Ἀρχίλοχοι ganz fest. noch Wolken - kukukshein heiſst auch Νεφελοκοκκυγίαι. Πλάταια und Μυκήνη und Θήβη sind die älteren ortsnamen; als man aber die eponymen nymphen lebhafter persönlich empfand, drangen die pluralbildungen durch.57Dionysosdienst.mann an, der an den gott glaubt16)ὀργεῶνες sind darum die genossen eines religiösen vereines, an dem sie aus freiem willen teil haben; so schon in dem solonischen genossenschaftsgesetze, auf welches sich die richtige erklärung des Seleukos bezieht (Harp. Phot. s. v.), und dieser gebrauch des wortes dauert. verwirrung ist nur dadurch gestiftet, daſs die von der kleisthenischen gesetzgebung erzwungene cultgemeinschaft der alten und neuen bürger, weil sie nicht auf blutsbruderschaft, sondern nur auf milchbruder - schaft beruhte (daher ὁμογάλακτες), wie sie zwischen hoch und niedrig gewöhnlich ist, an sich nicht den charakter eines geschlechtscultes von ἀπάτορες oder γεννῆται trug, sondern eine durch freien willen geschaffene, als ὄργια, erschien, im fortgang der demokratie ersetzten nun diese ὄργια die geschlechtsculte, und so haben Aristo - teles und Philochoros die ὁμογάλακτες im widerspruche zu dem wortsinne als bluts - verwandte angesehen, weil sie sich von dem kleisthenischen staate nicht losmachen konnten.. damit ist der entfaltung der indi - vidualität das tor geöffnet. spöttereien und unflätige reden, namentlich der weiber, sind an den Demeterfesten ein notwendiger teil der feier. ihn zu motiviren sind die heiligen geschichten von Baubo und Iambe ersonnen. diese reden haben sich in volkstümliche verse gekleidet; be - deutende dichter haben die gelegenheit ergriffen, ihren haſs gegen einzelne und auch allgemeinere gedanken vor die öffentlichkeit zu bringen. so ist der iambos des Archilochos und Semonides entstanden: bei ersterem noch deutlich in verbindung mit dem Demeterdienste17)Auch das weibergedicht des Semonides, eine predigt über ein hesiodisches thema, welche an sich ohne rechten zweck erscheint, erhält als replik auf die spöt - tereien der weiber am Demeterfeste sinn und salz. dazu braucht sie gar nicht einmal wirklich dabei vorgetragen zu sein, sondern nur als ἴαμβος zu den späſsen der Iambe in beziehung zu stehen und so empfunden zu werden., wenn auch schon weit über die anfänge und anlässe hinaus gehoben. auch die entstehung der elegie auf ähnliche weiberspäſse zu beziehen, ist verlockend, aber die combination hält nicht stich18)Usener Altgr. Versb. 113 hat dafür angeführt, daſs Ἐλέγη eine der manns - tollen töchter des Proitos heiſst (Aelian V. H. III 42; die bessere mythographische über - lieferung hat andere namen), und eine mannstolle tochter des Neleus Ἐλεγηίς. diese namen sind ohne zweifel gegeben, weil man ἐλεγαίνειν als ἀκολασταίνειν verstand, wie denn auch überliefert ist. und nun soll Theokles von Naxos im wahnsinn ἐλεγαίνων, die elegie erfunden haben, die davon benannt sei. auch mir hatte diese combination eingeleuchtet, als ich in Et. M. ἀσελγαίνω, ἐλεγαίνω (dies auch Suid), Ἐλεγηίς las. aber die combination hält die kritik nicht aus. erstens ist die grammatische verbindung von ἐλέγη und ἀσελγής, an welcher Usener festhält, unmöglich. das anlautende s, das vor ἐλέγη fortgefallen sein müſste, konnte sich nicht im anlaute von σαλαγεῖν (das Usener trotz σαλάσσω σάλος ζάλη heranzieht) und im inlaute ἀσελγής halten: also gehen diese worte sich nichts an. das e von ἐλέγη u. s. w. ist vielmehr ein bedeutungs - loser vorschlag, nicht anders als in ἐλεύϑερος ἐλαφρός. wirklich belegt Epaphroditos,. sie gehört vielmehr zum epos, aus58Was ist eine attische tragödie?welchem ihr versmaſs entwickelt ist, und ist wie dieses ein kunstmäſsiges, kein volkstümliches gedicht geblieben. im Dionysosdienste ist der aufzug des phallos ein notwendiger teil der feier. daſs die männer, welche ihn tragen, die gelegenheit nicht vorüberlassen, von diesem gewaltigen ein kräftiges wort zu sagen, versteht man leicht. man könnte aus mittel - alterlicher und auch späterer litteratur und aus recht hohen gesellschafts - schichten analogien beibringen. so tat es Dikaiopolis zu hause, so taten es die phallophoren vieler orten, und aus späterer zeit fehlt es nicht an belegen19)Die lieder, welche Semos der Delier (bei Athen. 622) erhalten hat, sind wirkliche cultlieder, die zu seiner zeit (um 180 v. Chr.) in gebrauch waren. aber. in Athen giengen sie einen schritt weiter, παρέβησαν18)auf den die ganze etymologie zurückgeht, λέγαι δἐ γυναῖκες aus Archilochos (174) im sinne von ἀκόλαστος. davon kommt ἐλεγαίνειν und kommen die weibernamen; aber davon führt keine brücke zur elegie. auf obscöne gesten und lieder führt nur die sicherlich alte (Lykophr. 1385) geschichte der Neleustochter: aber gerade hier ist der redende name Ἐλεγηίς schwerlich der ursprüngliche, denn er hat an dem echten Nelidennamen Πηρώ (im Et. M. fälschlich Πειρώ) einen concurrenten und vor allem hat der, welcher die Pero zu einer Ἐλεγηίς machte, nur an ihre unanständigkeit, nicht an die elegie gedacht, denn sie redet in hexametern. (sie spricht in Athen ἐπικροτοῦσα τὸ ἐπείσιον “δίζεο δίζεό σοι μάλα δὴ μέγαν ἄνδρ̕ ἀπ̕ Ἀϑηνῶν· ἢ ἐς Μίλητόν σε κατάξω πήματα Καρσίν. so etwa mag es gelautet haben. im Et. M. ist überliefert δ. δ. δὴ μέγαν ἄνδρα Ἀϑηναῖον, ὅς σ̕ ἐπὶ Μ. κατάξει π. Κ. in den Lyk. schol. δ. σ̕ εὖ μάλα ἐς (oder εὖ Tzetz. ) ϑαλερὸν πόσιν ἢ ἐς Ἀϑήνας ἢ ἐς Μίλητον κατάξω π. Κ. es kommt der Pero auf den ἀνήρ, nicht auf den πόσις an). daſs Theokles, der führer der chalkidischen besiedler Siciliens, die elegie er - funden haben soll, ist eine merkwürdige für mich nicht deutbare notiz: aber sein wahnsinn ist denn doch nur ein hebel für die etymologie. nun kann man allenfalls ἔλεγος, den wilden klagegesang, von λεγός ableiten: aber dann sitzen wir wieder vor dem alten rätsel: wie vermittelt sich die bedeutung der elegie mit dem klage - gesang. Didymos freilich (Et. M. ἐλεγεῖα und vollständiger schol. Dionys. Thr. 750 Bek. ) oder vielmehr seine vorgänger, wol sicherlich alte peripatetiker, griffen das auf und giengen von den elegischen ἐπικήδεια aus. deshalb war Archilochos der erfinder: denn man bedenke, daſs dessen elegie auf Perikles tod diese ganze lehre bestimmt hat, als die berühmteste elegie des berühmtesten dichters. nur ist das für uns nicht beweiskräftig mehr. besser ist freilich die ableitung ἔλεγος von λεγός als die nur kindlicher grammatik genügende von ἔλεγε, die gar zu dem urkolon geführt hat ἒ ἒ λέγ̕ ἒ ἒ λέγε. eine hypostase ἔλεγος von ἒ λέγε ist an sich möglich: ist doch οὖλος als liedname aus dem imperativ οὖλε salve geworden. aber wie hätte man in λέγε den imperativ je vergessen sollen? wer von ἔ ausgeht, der mag den zweiten teil für so irrelevant halten wie den von ἰήλεμος, αἴ-λινος vgl. zu v. 378. ἔλεγος aus dem armenischen zu holen ist so viel wert wie αἴλινος aus dem phoenikischen. das kolon ἐλεγεῖον kann im ἔλεγος vorgekommen und daher benannt sein: nur weiſs niemand, ob dem so ist. also verzichten wir auf die etymologie und die praehisto - rische elegie: sein wir froh, die historische verstehen zu können.59Dionysosdienst.πρὸς πὸν δῆμον, und das ward der kern der komödie. aber damit ist es auch zu ende. es ist sehr bemerkenswert, daſs der Dionysosdienst ein gamz vorwiegend weiblicher ist. aus frauen besteht in Elis, in Del - phoi, in Athen das collegium seiner priester. die königin von Athen ist als priesterliche würdenträgerin um dieses dienstes willen erhalten wordem. das gefolge des gottes selbst ist bei Euripides durchaus weiblich; die männer dienen ihm auch, aber sie handeln nicht und sind eigentlich nur in der theorie vorhanden. so ist es auch in der bildenden kunst. Dio - nysos unter weibern ist seit alter zeit eine gewöhnliche darstellung; wir nennem sie mänaden und bezeichnen sie damit als sterbliche, wie sie denn in der tat die scharen der weiber darstellen, die zu den trieterides hinausgezogen sind. männliche begleiter der art gibt es nicht. sie würden sogar in dem festzuge fehlen, wenn nicht die phallagogie diesen einen dienst von ihnen forderte. wenn Heraklit das ληναΐζειν schilt, gilt das eben diesem anstöſsigen acte, dem ὑμνεῖν ᾄματα αἰδοίοισιν ἀναιδέσ - τατα. es fehlt also für den tragischen chor im cultus jede anknüpfung. wenn wir in später zerfahrener zeit von einem carneval hören, wo sich die männer als satyrn, die weiber als nymphen u. dgl. costumiren, die ganze bürgerschaft einer stadt sich in den späteren thiasos des gottes umsetzt20)Dionysios arch. VII 72 p. 1491. Philostrat. vit. Apoll. IV 2, 21. die νέοι Δώνυσοοι, Antonius (Plut. Ant. 24), von den Ptolemäern nicht bloſs der, der den beinamen annahm, sondern schon Φιλοπάτωρ, am letzten ende Alexander selbst haben diese orgien erzeugt: aber dadurch, daſs ein Dionysos leibhaft wieder auf erden weilend gedacht ward., so ist es anachronismus, etwas ähnliches für das 6. jahrhundert zu glauben.
Noch viel weniger ist mit der modernen anschauung anzufangen, daſs die taten und leiden des gottes gegenstände mimischer tänze und spiele gewesen wären21)Was die modernen unbewuſst oder bewuſst beherrscht, ist schlieſslich doch nichts als die analogie der christlichen weihnachts - und passionsspiele. sie können sich nicht daran gewöhnen, daſs es eine religion ohne heilige geschichte und ein heiliges buch geben kann. die consequenz, daſs Dionysos dann wirklich auf erden gewandelt sein müſste, sehen sie nicht ein: oder wird sie vielleicht jemand ziehen?. leiden zunächst gibt es nicht; es sei denn allenfalls der von Hera gesandte wahnsinn, von dem wir sehr wenig19)sie tragen keine spur des archaischen an sich und können somit für den gebrauch der alten zeit nicht zeugen. überhaupt sind die s. g. griechischen volkslieder nicht altertümlicher als die zeit, welche sie aufzeichnet, was meist durch die peripatetiker geschehen ist. nur die attischen skolien und einzelnes was früh durch einen be - rühmtem dichternamen geschützt ward, reicht in das 5. und 6. jahrhundert. wenn rituelle lieder der kaiserzeit auftreten, sind sie in sprache und versmaſs auch jung.60Was ist eine attische tragödie?wissen. der überfall der Titanen, die zerfleischung des Zagreus ist eine orphische dichtung, die man sich hüten muſs über das pisistratische zeitalter hinauf zu datiren, und in den cultus hat sie nicht einmal zu Eleusis zu irgend wie berücksichtigenswerter zeit eingang gefunden. ver - wendbare überlieferungen von mimischer darstellung der Dionysostaten gibt es nicht. das genügt eigentlich. aber es konnte auch nicht anders sein. der gegensatz des Dionysosdienstes zu dem der olympischen götter, der die beteiligung der gemeinde herbeiführte, schlieſst solche vorstellungen aus. gewiſs haben in manchen culten bestimmte personen durch bestimmte handlungen ein abbild einer heiligen geschichte geliefert. allein diese mimischen darstellungen haben nicht an sich wert, sondern nur als sym - bole, als ein augenfälliger ausdruck desselben gedankens oder derselben empfindung, welche auch in der heiligen geschichte niedergelegt sind. das δρώμενον und der λόγος bedingen sich nicht gegenseitig, sondern sie stammen aus derselben wurzel, der religiösen empfindung. der mensch, der sich zu der hohen culturstufe des ackersmanns erhoben hat, empfindet eine innere scheu, den stier, seinen arbeitsgenossen, zu schlachten und zu essen, den er doch als jäger und hirte ohne anstand getötet hatte, und er kann und will doch den genuſs des rindfleisches nicht entbehren. wir mögen nur daran denken, daſs wir unsere näherstehenden gefährten, roſs und hund, auch nicht essen mögen, und auch ein rind, das uns als individuum wert geworden ist, schwerlich für unsern tisch schlachten lassen möchten. aus diesem widerstreit der empfindungen entsteht der ritus der Buphonien, die symbolische ceremonie, entsteht die geschichte vom ersten rinderschlächter Thaulon, auf den die befleckung des mordes abgewälzt wird. das erste ergibt allerdings ein dramatisches, wenn auch stummes spiel, das andere eine legende. die legende kann sich nun freilich von dem αἴτιον loslösen; sie kann als geschichte einen stoff - lichen wert erhalten, die phantasie des volkes und der dichter kann sich ihrer bemächtigen, sie weiterbilden, schlieſslich so umgestalten, daſs die erinnerung an ehemalige symbolische bedeutung völlig verloren geht. aber die symbolische handlung ist nicht entwickelungsfähig; wenn sie nicht heilig ist, wird sie absurd. sie kann sich wol gemäſs den wand - lungen des religiösen empfindens umformen, wie es das opferritual getan hat; allein der spielraum für diese entwickelung ist ein sehr beschränkter. sie wird sich als eine leere form durch die macht des herkommens lange zeiten behaupten. das ende aber ist in beiden fällen, daſs einmal der augenblick kommt, wo man sich eingesteht, daſs eine leere schale nur noch zum wegwerfen taugt. die geschichten von Heras eifersucht und61Dionysosdienst. Eratosthenes.versöhmung leben in mannigfachen umgestaltungen fort: die spiele mit den puppen (δαίδαλα) auf dem Kithairon haben bestanden, als sie längst läppisch geworden waren: aber zu machen war aus ihnen nichts. sollte sich etwa aus solchen fratzen die tragödie entwickeln; d. h. sollte man einmal statt Zeus und Hera Iason und Medeia spielen? nirgends ist das mimische im cultus weiter getrieben als in dem drachenkampf des pythischen Apollon. die musik hat das dankbare motiv aufgegriffen und in immer neuen variationen mit immer reicherer instrumentirung durch - geführt. aber ein ausgangspunkt für dramatisches spiel ist es nicht ge - wordem und konnte es nicht werden. da nun im attischen Dionysos - dienste auch nicht einmal eine ähnliche ceremonie existirt hat (oder wollte man mit dem beilager des gottes und der βασίλιννα rechnen?), und nicht mehr existiren konnte, seit die gemeinde der gläubigen statt der wenigen berufenen den gottesdienst betrieb, so ist diese herleitung des dramas eine unmöglichkeit; wie sie denn auch den alten ganz fern gelegem hat; wenigstens im ernste.
Allerdings hat Eratosthenes in der Erigone gedichtet, daſs DionysosEratosthe - nes. die tragödie gewissermaſsen selbst gestiftet hätte. als er nämlich den Ika - rios dem weinbau lehrte, fraſs ein bock die junge rebe an; zur strafe ward er geschlachtet, und die Ikarier zogen ihm das fell ab, bliesen es auf und machten sich den spaſs, zu versuchen wer auf dem aufgeblasenen schlauche tanzen könnte; die meisten fielen ab und der sieger erhielt den schlauch voll wein. daraus ist das attische kannenfest geworden, das der schluſs der Acharmer so deutlich darstellt. den braten aber erhielten die tänzer, welche um ihm einen reigen zu ehren des gottes aufführten: diesen reigen nannte man ‘bocksgesang’, und daraus ist die tragödie entstanden, welche ein Ika - rier Thespis viele hundert jahre später in Attika verbreitet hat, auf dem lande herumziehend, wie sein ahn Ikarios, der den weinbau verbreitete, das gesicht mit hefe beschmiert, woraus das ‘hefespiel’ geworden ist, die τρυ - γῳδία, wie man in alter zeit die komödie genannt hat22)Ob Eratosthenes diese etymologie von τρύξ befolgt hat, die in den ein - leitungem und scholien zu Aristophanes häufig ist, oder die von τρύγη, weinlese (Athen. II 40), kann zweifelhaft scheinen. allein τρύγη für τρυγητός ist kein alt - bezeugtes wort und daſs die tradition in der komikererklärung auf den meister zu - rückgeht, vorwiegend wahrscheinlich. übrigens ist das wort zwar von τρύξ wirk - lich abzuleiten, aber es ist nicht verständlich. wer es erklären will, muſs auch die ‘hefeteuffel’ τρυγοδαίμονες Ar. Wolk. 296 erklären. die reconstruction der Erigone hat Maaſs Philol. Unters. VI Herm. 18 geliefert; so weit sie hier in betracht kommt, ist sie sicher. eine bearbeitung von Eratosthenes περὶ κωμῳδίας ist dringend nötig.. da Eratosthenes nur in zweiter linie dichter war, in seinem bedeutenden werke περὶ62Was ist eine attische tragödie?κωμῳδίας aber die ursprünge des dramas behandeln muſste, so ist aller - dings zu glauben, daſs er seine dichterischen bilder nicht ohne rücksicht auf seine wissenschaftlichen vermutungen gestaltet haben wird. manches darin macht auch den eindruck, als wäre es von ihm schon übernommen, wie denn die Erigonefabel in ihren grundzügen so wenig seine erfindung sein kann wie die Hekale erfindung des Kallimachos. aber als tatsachen hat der sehr besonnene forscher die fremden oder eigenen autoschediasmen gewiſs nicht gegeben; auf alle fälle sind sie nichts weiter. denn die ein - kehr bei Ikarios ist zwar eine echte attische dorfsage; nur ist Dionysos auf seinem erdenwallen vielfach eingekehrt, bei Pegasos in Eleutherai, bei Semachos in dem dorfe, das nach ihm heiſst, bei könig Amphiktion in der stadt. und die tragödie geht die einkehr nichts an. das andere sind spielend erson̄ene αἴτια für die ἀλῆτις, für den ἀσκωλιασμός und das wetttrinken an den Choen, für die rätselhaften namen τρυγῳδία und τραγῳδία; das herumfahren könnte nur die πομπή angehen, ist für den Dionysoscult nicht charakteristisch, würde auch nur zur komödie führen: das lehren die dem Demetercult angehörigen spottreden ἀφ̕ ἁμάξης23)Ich kann berichtigend hier noch das attische vasenbild nachtragen, welches Dümmler Rh. M. 45, 355 veröffentlicht: Dionysos zwischen zwei satyrn auf einem schiffe auf rädern. es ist eine wichtige überraschung: der Thespiskarren oder eigent - lich der des Ikarios, ist eine fiction, entnommen dem currus navalis des faschings, der somit ein ableger der Dionysien ist. für die Dionysosreligion ist das überaus wichtig; ich habe keinen raum mehr, das in verbindung mit dem Διόνυσος πελάγιος (Maaſs Herm. 22) und dem homerischen hymnus zu erläutern. aber für das drama lehrt es nichts. doch verfehle ich nicht hervorzuheben, daſs Dümmler die probleme richtig erfaſst hat, welche unten gelöst sind.; der frevel des bockes endlich soll das tieropfer überhaupt motiviren und hat viele analogien in den δρώμενα, z. b. der Buphonien, und in peripate - tischen und pythagoreischen speculationen24)Vgl. Robert Eratosth. 7. Graf de aureae aetatis fabulis Leipzig 1883. Schmekel de Ovid. Pythag. Greiſswald 1883. an Papirius Fabianus als quelle Ovids kann ich freilich nicht glauben.. nicht an sich haben also diese dinge wert. aber Eratosthenes hatte sowol als forscher wie als dichter einen ganz ungemessenen einfluſs; so bestimmte er die folgezeit, und was uns von kind auf aus Horaz und Vergil geläufig ist, geht schlieſs - lich eben so gut auf ihn zurück wie die gelehrte doctrin Varros, deren niederschläge neben den dichtern Roms auch die antiquare, vor allem Sueton, uns übermitteln. von diesen vorstellungen müssen wir uns losmachen. und das gelingt am sichersten, wenn wir einsehen, wo sie eigentlich herstammen und wie sie sich gebildet haben. es sind con -63Eratosthenes. dithyrambos.structionen, keine überlieferung. sie müſsten schon deshalb fallen, weil das aristotelische zeugnis mit ihnen unvereinbar ist, nach welchem die tragödie aus dem dithyrambos stammt. um so wichtiger wird dieser, nachdem wir aus inneren gründen das ganze gebäude des Eratosthenes umgestürzt haben.
Die tragödie stammt von den sängern des dithyrambos. das scheintdithyram - bos. zunächst wenig zu helfen, da ein wenig bekanntes ding durch ein ganz unbekanntes erklärt werde. wir wissen ja wol so viel mit sicherheit, daſs der dithyrambos dem wortsinne nach nur einen göttlichen d. h. besonders schönen oder erfreulichen ϑύραμβος bedeutet; ϑύραμβος oder auch ϑρίαμβος ist der appellativname eines gesanges oder tanzes, den wir so wenig zu deuten vermögen wie ἴϑυμβος oder ἴαμβος25)δῖϑύραμβος formell wie διπόλια Δισωτήριον Δικέτας (d. h. Διιικέτας); der metaplastische accusativ διϑύραμβα Pind. fgm. 86 lehrt nichts; der bedeutung nach wie Διὸς ἐγκέφαλος, Διὸς βάλανος. iuglans. triumpe im Arvallied kann man nicht leicht als entlehnt ansehen. eher dürfte es interjection sein, wie τήνελλα, und das ursprüngliche enthalten. aus ihr mag sich der name entwickelt haben, wie eine Οὖπις aus den οὔπιγγες auf Delos, Οἰτόλινος u. a. vgl. zu der zweiten gesang - nummer die einleitung.. in ältester zeit ist der dithyrambos ein lied, das der zecher anstimmt, wenn er des gottes voll ist26)Philochoros bei Athen. XIV 628 οἱ παλαιοὶ οὐκ ἀεὶ διϑυραμβοῦσιν ἀλλ̕ ὅταν σπένδωσιν (beim symposion), τὸν Διόνυσον ἐν οἴνῳ καὶ μέϑῃ, τὸν δ̕ Ἀπόλ - λωνα μεϑ̕ ἡσυχίας καὶ τάξεως μέλποντες. Ἀρχίλοχος γοῦν φησί (77) ‘ὡς Διω - νύσου ἄνακτος καλὸν ἐξάρξαι μέλος οἶδα διϑύραμβον, οἴνῳ συγκεραυνωϑεὶς φρένας. ’ καὶ Ἐπίχαρμος δ̕ ἐν Φιλοκτήτῃ ἔφη ‘οὐκ ἔστι διϑύραμβος ὅκχ’ ὕδωρ πίῃς. also auch in Syrakus ist es noch ein einzellied. es wird dahin aus dem sicilischen Naxos importirt sein, welches den satyr auf den münzen führt. der zusammenhang, in dem Philochoros auf diese dinge zu sprechen kam, ergibt sich durch die vergleichung mit Phanodemos Ath. XI 465: es sind die alten cerimonien der attischen Lenäen.. mit ziemlicher sicherheit läſst sich als heimat des dithyrambos die insel Naxos ansehen, das centrum des Dionysos - dienstes auf den inseln27)Das sagt Pindar (fgm. 71) einmal geradezu, und die concurrenten, Theben und Korinth, fallen von selbst weg. Paros, die heimat des Archilochos, das sicilische Naxos, Methymna, weisen alle in dieselbe richtung: der gott des dithyrambos, der nesiotische Dionysos, ist der πελάγιος. dies wird durch Dümmlers vase bestätigt.. wir wissen ferner, daſs Arion von Methymna, einer stadt mit lebendigem Dionysoscult und keinesweges ausschlieſslich aeolischer bevölkerung28)Dies letztere haben die steine gelehrt. die tausendschaften, in welche die bürgerschaft Methymnas zerfiel, hieſsen, so weit wir bisher wissen, Πρωτεῖς, Φωκεῖς, Ἐρυϑραῖοι, Σκύριοι., am hofe des Periandros dieses weinlied des einzelnen weinseligen zechers zu einem chorgesange umgestaltet hat,64Was ist eine attische tragödie?und daſs die Korinther auf diese bei ihnen, wenn auch nicht durch sie, entstandene gattung besonders stolz waren29)Herodot I 23 Ἀρίονα — διϑύραμβον πρῶτον ἀνϑρώπων τῶν ἡμεῖς ἴδμεν ποιήσαντα καὶ οὐνομάσαντα καὶ διδάξαντα ἐν Κορίνϑῳ. Pindar Ol. 13, 18 ταὶ Διωνύσου πόϑεν ἐξέφανεν σὺν βοηλάτᾳ Χάριτες διϑυράμβῳ· d. h. die reize der dionysischen poesie traten zu Korinth in verbindung mit dem dithyrambos auf; der ausdruck ist aber in pindarischer weise persönlich gewandt. Dithyrambos als person ist in attischer weise leicht zu denken, vgl. die vase Welcker A. D. III 125: er ist silen, so gut wie öfter τραγῳδία eine mänade. aber was Pindar sich gedacht hat, kann niemand sagen, weil der ‘stiertreiber’ unbekannt ist. die scholien fabeln von einem stier als siegerpreis: aber der Dorer kennt keine solchen agone. Simonides scheint in demselben sinne βουφόνος gesagt zu haben (Chamaileon bei Athen. X 456c); aber auch das bleibt dunkel. der irrtum, Lasos zum erfinder des dithyrambos zu machen, ist schon im altertum zurückgewiesen, schol. Ar. Vög. 1403. vermutlich glaubte Euphronios, der ihn begieng, gedichte von Lasos zu besitzen, die dann frei - lich die ältesten erhaltenen gewesen wären., wie denn auch in der tat der dithyrambos zunächst nur in benachbarten gegenden in aufnahme kam. aber das hilft uns wenig; denn nicht nur wir besitzen keine proben mehr von jenen poesieen, sondern schon unsere antiken berichterstatter kannten die dithyramben des 6. jahrhunderts nur von hörensagen: er - halten hatte sich nichts30)Von gedichten des Arion weiſs kein grammatiker. das bei Aelian erhal - tene gedicht ist in den ausgearteten daktyloepitriten verfaſst, welche für den dithy - rambos des 4. jahrhunderts charakteristisch sind, und diesem steht die ethopoeie auch ohne fälscherabsicht wol an. von Lasos glaubten Klearch und Herakleides noch etwas zu haben (Athen. X 455 XIV 624), aber Aristophanes von Byzanz (bei Ael. H. A. VII 47) citirt ihn mit dem ausdruck des zweifels; dann ist er verschollen. Xenokritos von Lokroi blieb im gedächtnis der musikgeschichte, aber nicht einmal seine zeit stand fest, und wenn man ihm dithyramben zuschrieb, weil seine gedichte heroischen inhalt gehabt hätten (s. Plutarch de musica 10, unsicherer herkunft), so hat da der späte dithyramb verwirrung gestiftet. Kleomenes von Rhegion (Ath. IX 402b) sieht vollends nach fälschung aus, dürfte zudem derselbe sein mit einem rhap - soden Kleomenes aus dem 5. jahrhundert (Diog. Laert. VIII 63). selbst von Simonides, der doch wenigstens in Keos und Athen dithyramben aufgeführt hat, ist kein sicher auf sie bezüglicher rest erhalten. was bei Strabon 728 steht ταφῆναι δὲ λέγεται Μέμνων περὶ Πάλτον τᾶς Συρίας παρὰ Βαδᾶν ποταμόν, ώς εἴρηκε Σιμωνίδης ἐν Μέμνονι διϑυράμβῳ τῶν Δηλιακῶν ist nicht nur unverständlich, sondern un - heilbar verdorben. weder konnte Simonides das berichten, noch ist in dem schluſs - worte überhaupt ein sinn: also auch auf den heroischen titel des dithyrambos kein verlaſs.. somit sind wir und waren jene im wesent - lichen auch auf die dithyramben des Pindaros und seiner zeitgenossen angewiesen, und diese unterscheiden sich in nichts auſser einer gewissen metrischen freiheit von den übrigen chorliedern. damals bestand nun die tragödie bereits selbständig neben dem dithyrambos, und so viel liegt65dithyrambos. bildung der hellenischen nation in Asien.auf der hand, daſs sie gerade jene bezeichnende metrische freiheit nicht besitzt, vielmehr mit den andern chorliedern gegen den dithyrambos steht. das aber ist allerdings eben so offenkundig, daſs die tragödie in metrik und sprache, soweit sie chorlied ist, mit den andern chorliedern zusammengeht. hier also bietet sich ein angriffspunkt. wenn wir die art nicht mehr kennen, an die uns Aristoteles weist, so wenden wir uns an die gattung. weit muſs ausgeholt werden; es ist wol auch ein umweg: aber ein holzweg ist es nicht.
Die völkerwanderung hatte die in der cultur vorgeschrittenen stämmeBildung der helleni - schen nation in Asien. teils unterjocht, teils aus dem lande getrieben. die zurückgebliebenen waren hörige häusler untertanen geworden; eine selbständige entwickelung war für sie unmöglich. ihre noch fast ganz barbarischen herren hatten gleichwol viel bei ihnen zu lernen, so viel, daſs es zu einer reinen ent - faltung ihres eigenen wesens auch nicht kam. jahrhunderte waren nötig, damit überhaupt die widerstrebenden elemente zu einem neuen volkstum verschmolzen; und damit war doch nicht viel mehr erreicht, als daſs der boden für die aus dem osten zurückflutende cultur empfänglich gemacht war, und auch das war nur in einem kleinen teile von Hellas der fall: die ganze westküste ist der cultur so gut wie verloren geblieben. die wenigen gegenden aber in welchen sich die alte bevölkerung behauptet hatte, Euboia, Attika, die dryopische und saronische küste der Argolis, waren einstmals die etappen für die auswanderung gewesen und jetzt wieder die berufenen träger der vermittelung. hier nur konnte sich eine stätte finden, wo sich alle lebensfähigen culturelemente zusammen - finden und zu einer höheren wahrhaft nationalen cultur vereinigen und steigern mochten.
In den durch harte kämpfe erworbenen neuen sitzen an der herr - lichen asiatischen küste verwuchsen zunächst die hinübergeworfenen splitter von stämmen und völkern zu neuen gröſseren stammesgenossenschaften, hier auch empfand man durch den gegensatz der barbaren zuerst die verwandtschaft auch der ferneren glieder des gemeinsamen volkes, erhob man sich ganz allmählich zu der erfassung des begriffes eines einigen Hellenentums in race und cultur. zu der zeit, von welcher es zuerst möglich ist, sich einigermaſsen ein bild zu machen, etwa vom achten jahrhundert ab, ist der vorwaltende stamm der ionische, von seinen sitzen an der mysischen lydischen karischen küste nicht nur nach norden und süden übergreifend, sondern bereits die Propontis und fernere gestade mit pflanzstädten besetzend. die süddorischen inseln haben die inner - liche ionisirung bereits begonnen, vorbildlich für das mutterland; aberv. Wilamowitz I. 566Was ist eine attische tragödie?auch die Aeoler sind schon im niedergange, verlieren manche küsten - plätze31)Man hat auf grund der mundart vermutet, daſs auch Chios ursprünglich aeolisch gewesen wäre. aber dafür liegt weder in der geschichte noch in der sage ein anhalt vor. und der schluſs aus der sprache beruht auf einer verkennung des ge - schichtlichen vorganges. die neuen stämme waren ja niemals vorher da gewesen, sowol Aeoler wie Ionier bilden sich erst allmählich unter dem drucke besonderer geschichtlicher factoren. zunächst war das mischungsverhältnis der bevölkerung aller - orten verschieden, die geschichtlichen factoren waren verschieden und so ergaben sich zunächst ganz verschiedene volks - und sprachtypen. eine sprachgrenze von aeolisch und ionisch gab es also auch noch nicht; diese ward erst gezogen, als der zusammen - schluſs der staatenbünde bestimmte kreise zog. gewiſs haben in Lesbos und Chios mehr verwandte familien sich angesiedelt als in Lesbos und Milet, und hat auch in Lesbos nicht nur eine unter sich verwandte bevölkerung gesessen: das spürt man dann in den mundarten. die Chier würden unter der herrschaft der Mytilenaeer oder in staatlicher gemeinschaft mit ihnen Aeoler haben werden können: in der panionischen gemeinschaft sind sie Ionier geworden. aber hier liegt kein gewaltact vor, sondern ein stilles organisches wachstum. und sind in der cultur nunmehr die empfangenden. dennoch erkennen wir daſs es einst umgekehrt gewesen war. eben das epos, welches doch der lebendige ausdruck der ionischen suprematie ist, trägt die deutlichen spuren in form und inhalt davon, daſs es aus aeolischer wurzel stammt. aber freilich, die Ionier haben es aus ihrem geiste neu geboren; nur dem bewaffneten auge des forschers erscheinen die ein - zelnen fremden züge. und erst als ein ionisches, als Homers werk, hat das epos die culturmission übernommen, das mutterland wieder für das Hellenentum zu gewinnen. ist doch selbst Aeolien in den zauberbann des ionischen epos getreten. Hesiodos (wol um 700), der aus einer aeoli - schen familie stammte, und als hintersasse in dem boeotischen Askra zum dichter ward, hängt vollkommen von dem homerischen epos ab, seine stolzeste erinnerung ist, daſs er bei den leichenspielen eines fürsten in dem ionischen Chalkis den preis erhalten hat: und um 600 ist seine dichtung in Mytilene populär.
Das ionische epos befand sich in den händen von beruſsmäſsigen sängern oder besser sprechern. wie alle griechische kunst, war auch der homerische stil das ergebnis langer handwerksmäſsiger übung, und nur wer ihn gelernt hatte, vermochte ihn zu üben. dichten und vortragen waren keine geschiedenen berufe. der stoff aber war volksmäſsig. denn auch die von den Aeolern entlehnten elemente waren es längst geworden. allein nach dem mutterlande trugen die sänger den Homer als etwas inhaltlich und formell neues, höchstens durch die von mund zu mund gehende sage ein wenig vorbereitetes. das epos kam übers meer wie67Das ionische epos wandert in Hellas ein.andlere ionische ware auch; die rhapsoden, die zuwanderten, verdienten sich mit seinem vertriebe ihr brot. sehr früh muſs dieser verkehr be - gomnen haben, lange ehe ein bauernsohn in Askra aus eignem drange sich dem dichterberufe in den fremden formen hingeben konnte. und die empfänglichkeit der hörer muſs eine groſse gewesen sein, da sie sich diese fremde dichtung nicht nur angeeignet haben, sondern ihre ganze eigne dichtung auf ihr aufgebaut. die neuen völkerschaften, die sich im mutterlande aus der mischung von eingewanderten herrn und alteingesessenen untertanen und knechten gebildet hatten, besaſsen zwar einen reichen schatz von nationaler überlieferung, aber sie hatten noch keime lebenskräftige poesie. der gehalt war da: das gefäſs fehlte. nun kam ein solches völlig fertig aus Ionien, und es kostete verhältnismäſsig wenig mühe, den neuen wein der festländischen sage hineinzugieſsen. die sagen, welche den inhalt des importirten epos ausgemacht hatten, wurden freilich auch übernommen, wirkten als kräftigstes ferment auch für die ausgestaltung der neuen epik mit, muſsten sich aber dafür mannig - fache umformungen gefallen lassen. die kunstform, versmaſs, sprache, stil, blieb; was sich darin änderte, geschah unwillkürlich und den ändern - den unbewuſst. so erlebt denn das homerische epos im mutterlande während der jahrhunderte 750 — 550 eine neue blüte, mochte es in seiner heimat gleichzeitig auch immer mehr zurücktreten. auch die sage der Peloponnesier und der amphiktionischen völkergruppe schlug sich noch in epischer form nieder; nur in die westlichen colonien ist das epos nicht mehr gelangt. es sind wesentlich die culturkreise von Chalkis Del - phoi Korinth Argos, welche sich seiner pflege widmen. übrigens bleibt die dichtkunst durchaus in den händen der handwerksmäſsigen sänger. noch viel stärker als der Ionier muſste der Peloponnesier empfinden, daſs er sich eine fremde mundart und ausdrucksweise aneignen sollte, um die taten seiner vorfahren und die idealbilder seiner eignen phantasie den landsleuten vorzuführen. und für uns büſst, wer immer es versucht, so ziemlich seine heimische nationalität zu gunsten der internationalen homerischen oder hesiodischen weise ein: erscheint doch Hesiodos selbst beinahe als ein Homeride. dieser umstand hat vielleicht ein wenig dazu mitgewirkt, daſs die herrschende gesellschaft, die dorischen oder chalkidi - schem ritter, selbst an der pflege des epos nicht hand anlegen. aber das ward noch durch etwas viel eingreifenderes gehindert, durch das standes - gefühl. zwischen dem adlichen burgherrn und dem fahrenden spielmann, den er sich dang, daſs er in der halle eine schöne mär sagte, von Ilios oder Theben, lieber noch eine von Herakles und Kyknos, oder von Medeias5*68Was ist eine attische tragödie?heimholung, oder des Aigimios ritterspiegel, war die kluft allzugroſs: weder konnte der spielmann ritterbürtig werden, noch der herr mehr für die dichtung tun, als daſs er etwa dem dichter die geschichten von seinen und seines volkes ahnen erzählte und gute bezahlung gab, damit jener sie in homerische verse setzte und etwa eine Mekionike in die reihe der er - habenen götterfrauen aufnähme, die aus himmlischem samen die ahnherrn der erlauchten häuser geboren hatten. das epos hat im mutterlande un - endlich viel für die erhaltung des stoffes gewirkt. aber es hat nur den boden für eine wirklich nationale poesie vorbereitet: selbst ist es immer etwas halbfremdes und ich möchte sagen halbfreies geblieben.
In Ionien vollzog sich nun aber in eben den jahrhunderten 7 und 6 eine gewaltige verschiebung aller schichten der gesellschaft und der cultur. hier gieng das rittertum zu grunde durch das bürgertum der groſsen handelsstädte. zwar behauptete sich, auch wenn der name demokratie war, durchweg ein bevorrechteter stand, welcher den gröſsten besitz mit der höchsten bildung verband; allein es stieg fortwährend frisches blut von unten empor in die bevorrechteten kreise. jedes geistige schaffen aber nahmen diese selbst in die hand; die handwerksmäſsige pflege der homerischen poesie blieb, aber immer weniger productiv und immer weniger geachtet. es wehte ein scharfer wind. weithin übers meer zogen die schiffe, weiterhin ins ungemessene die gedanken. aus der tiefe des arbeitenden volkes stiegen rücksichtslose wagemutige männer auf, die durch die kraft der eignen faust und des eignen kopfes sich eine stellung schufen, die herrschenden gewalten bezwangen und ihr volk befreiten bevormundeten bedrückten. aus den tiefen des menschen - herzens stiegen die ewigen gefühle, des menschenherzens unendlichkeiten in wonne und weh, des menschengeistes qualen in antwortlosem fragen nach den ewigen rätseln der welt auf die lippen empor. der mann, der im rat und auf dem markte der erste war, trat vor das volk oder den vertrauten kreis in der halle des marktes, auf den stufen des gotteshauses, im saale des festgelages, und sprach sie an aus eigner seele in eignem namen. er erzählte nicht von Giganten und längst vermoderten ahn - herrn, sondern von der gegenwart, schalt der bürger lässigkeit, warnte vor der gefahr, schleuderte dem gegner den schimpf entgegen, oder auch er sagte, was ihn das eigne denken gelehrt, wie die welt geworden, was des lebens wert sei, und tausend weise sprüche. die form war bald die aus dem ältesten urbesitze des volkes emporgeholte und durchaus volks - tümliche des iambos, oder die kunstmäſsig aus dem epos abgeleitete ele - gische strophe. aber auch in dieser bemeisterte die gegenwärtige sprache69Iambos und elegie.das fremdartig altertümliche. um 550 tat man dann den letzten not - wendigen schritt, und streifte als letzte aller bande die gebundene rede ab.
Was der elegiker oder iambograph in seinem kreise vorgetragen hatte, trug der rhapsode bald ebenso wie das epos weiter, und so gelangte auch diese poesie in das mutterland. aber hier war der boden noch nicht reif für die entfaltung dieser subjectivität, und nur in dem stamm - verwandten Athen bemächtigte sich der gründer der verfassung der poesie als einer waffe um die stimmung seines volkes zu beeinflussen. was der handelsmann Solon konnte, der in vielen ländern mit vielerlei volk ver - kehrt hatte, dazu war der ritter auf seiner burg oder am gemeinsamen tische unter seinen zeltgenossen nicht fähig. wol nahm die politische hauptstadt des Peloponnes, nunmehr Sparta, die elegie auf, weil der adel mit der bunten homerischen bildlichkeit nie viel hatte anfangen mögen, dagegen gefallen daran fand, sich einen spiegel der tugenden, zu denen ihn der zwang seiner standesehre erzog, in den gefälligen formen der verständigen und verständlichen ionischen elegie vorhalten zu lassen. aber dabei gieng eben das verloren, was den fortschritt der elegie über das epos gebildet hatte, das individuelle. der herrschenden überlieferung nach war der einzige dichter ein zugewanderter Ionier. mag diese tradition wahr oder falsch sein32)Wir kommen über das dilemma nicht hinweg, das Apollodor (Strab. 362) richtig formulirt. wenn Tyrtaios ein Athener war, so kann er die Ennomia nicht ge - dichtet haben, und wenn er die gedichtet hat, so war er ein Lakone. denn der ausweg, ihm das bürgerrecht erteilen zu lassen, zu dem schon Platon greift (Ges. 629a), reicht gegenüber dem stolze auf die herkunft aus der dorischen tetrapolis nicht hin. und der dichter der Eunomia ist heerführer wider die Messenier gewesen: das stand in den elegien. nicht leicht wird man das einem fremden zutrauen. hier haben wir also sicher eine bedeutende persönlichkeit: aber dieser alle die ganz allgemein gehaltenen mahnungen zur tapferkeit zuzuschreiben, ist eine vertrauensseligkeit, vor der die namen Homer Hesiod Orpheus Theognis und selbst Sappho und Anakreon warnen sollten. auf den berühmten namen gieng die lakonische elegie wie sie war. die tradition, daſs Tyrtaios ein Athener war, ist älter als die bekannte ausgeschmückte fabel von dem lahmen schulmeister, eine parodie des kimonischen hilfszuges, wie man jetzt ja wol zugesteht. daneben erscheint Milet als heimat (Suid. s. v.), was sich gar nicht discutiren läſst, da der gewährsmann unbekannt ist. der name klingt nicht attisch, gehört doch wol zu Τύρταμος; allein in vereinzelten wörtern hat sich auch in Athen t vor u gehalten: Τυρμεῖδαι ist ein demos, war zweifellos ein geschlecht, und neben συρβηνέων χορός steht τύρβη und τυρβάζειν. so bleiben die probabilitäten in der schwebe., sie beweist, daſs man den Lakonen einen solchen dichter nicht zutraute. und wirklich spricht aus den meisten gedichten, die auf Tyrtaios namen giengen, nicht ein einzelner mensch, sondern ein70Was ist eine attische tragödie?stand. der culturkreis von Korinth und Argos, Theben und Chalkis ver - schlieſst sich dieser poesie. auch nach dem westen kommt sie so wenig wie das epos. denn als Theognis in den beiden Megara dichtet, ist bereits Athen mehr maſsgebend als Korinth. der iambos vollends, der volkstüm - lichere kräftigere bruder der elegie, ist auf Athen beschränkt geblieben: daſs Solon ihn dort eingebürgert hat, sollte allerdings die ungeahntesten früchte tragen.
Das lied, das nicht der dumpfen menge ertönt, das der dichter nicht singt die menschen zu bessern und zu bekehren, noch sie zu er - götzen und zu unterhalten, das er nur der Muse oder etwa der geliebten singt, das echte lied ertönt von Lesbos und nur von Lesbos; es ertönt als der schwanensang der sterbenden aeolischen cultur. Sappho steht einzig da in der ganzen stolzen geschichte des griechischen geistes: und wenn sie nicht so ganz natur wäre, würde man sie für unbegreiflich halten. für die eigentliche lyrik gilt in noch höherem maſse als für die poesie überhaupt, daſs nur das allerbeste lebensfähig ist. wol täuscht sich die gegenwart über den wert des sanges, der von allen lippen tönt, besonders stark; aber die nachwelt ist dafür um so grausamer. deshalb erkennt man die übergänge schwer. man wird ja nicht bezweifeln, daſs trotz dem schweigen der überlieferung neben der lesbischen nachtigall auch in Ionien mancherlei vöglein gezwitschert und gepfiffen haben, ein jegliches bewundert in seinem haine. und gesungen hat das lokrische und peloponnesische mädchen bei der spindel und beim wassertragen ohne zweifel auch: aber das alles ist spurlos in die winde verhallt. weder hier noch dort war für das lied im 7. und 6. jahrhundert eine stätte. das gebun - dene wesen der ritterschaftlichen cultur lieſs die knospen des herzens noch nicht springen. in den sich immer mehr demokratisirenden städten Asiens wehten die frühlingsstürme, die den boden befruchten, schoſs die heiſse sonne einer arbeitsfrohen geschäftigkeit ihre raschreifenden stralen: da begehrte man keine frühlingsblumen und träumte nicht am bachesrand. die tieferen geister grübelten über gott und welt, die menge jagte nach macht und gold; sie verschmähte wie alle guten dinge auch das lied nicht, aber ihre lyrik war nur die der begierde und des genusses. Anakreon mochte im kreise der zechbrüder am üppigen hofe des Polykrates von wein und liebchen singen, mit vollendeter grazie, aber ohne daſs selbst in den knabenliedern das herz stärker mitspräche. einem ernsten manne würde diese poesie zuwider werden müssen, wenn nicht der dichter sich als ein wirklicher bewiese, νήφων κἀν βακχεύμασιν, immer seinem stoffe überlegen, das ganze treiben und sich selbst leise ironisirend. aber71Das lied. Alkman.selbst für Athen war dies lied eine exotische pflanze und hat nur durch die form nachhaltig gewirkt. noch viel weniger hätten Dorer, z. b. die uns aus Pindar so wolbekannte aeginetische gesellschaft damit anfangen können. unter den festlandsgriechen üben nur einige weiblein das lied, die so oder so, als vaterlandsverteidigerin wie Telesilla, oder als hetäre33)Ein weib, das trinklieder dichtet, ist man berechtigt als eine solche zu betrachten. wie Praxilla, aus den schranken ihres geschlechtes treten. Korinna ist ein braves mühmchen, und erzählt in ihren sehr kunstlosen aeolischen rhythmen den Tanagraerinnen ihre mährlein (γέροια); sie ist allerdings eine art Sappho, nur eine boeotische. das alles stieg nicht in die leitenden kreise der gesellschaft.
Und doch war schon im 7. jahrhundert ein kräftiger bach aeolischer liederpoesie nach dem mutterlande herübergekommen, der immer stärker anschwellend schlieſslich das stolze schiff der aischyleischen tragödie flott gemacht hat.
Schon früh im siebenten jahrhundert sind fahrende sänger aus LesbosAlkman. im Peloponnes aufgetreten und der name des Terpandros zumal steht an der spitze der musikgeschichte. in wie weit die theoriker der aristo - telischen zeit, welche uns davon erzählen, eine zuverlässige kunde von seinen musikalischen leistungen besaſsen, sind wir auſser stande zu con - trolliren, worin nicht liegt, daſs wir darauf fest bauen dürften. dichtungen aus dem siebenten jahrhundert waren nicht erhalten34)Die gute grammatikertradition hat die gedichte verworfen, welche auf Ter - pandros namen giengen, Strab. XIII 618. und wenn wir τετράγηρυν mit kurzer erster sylbe und ἔργων mit vocalischem anlaute finden, so sieht das wenig nach dem siebenten jahrhundert aus, bei einem Aeoler in Sparta zumal. daſs in der musikalischen praxis sich lieder fanden, die man ihm zuschrieb, ist sehr begreiflich: sehen wir doch daſs die neuern geschäftig sind ihm adespota zuzuweisen, und nicht einmal daran an - stoſsen, wenn Zeus als die ἀρχή des alls bezeichnet wird, und der dichter ihm seiner - seits deshalb die ἀρχὴ ὕμνων sendet. als ob dies weltprincip und dieser wortwitz überhaupt in der archaischen zeit zu denken wäre.. dennoch reichen die reste Alkmans hin, um von dem litterargeschichtlichen zusammen - hange eine deutliche vorstellung zu gewinnen. er wendet die formen der lesbischen poesie an, zwar nicht die ausgebildeten des Alkaios oder gar der Sappho, aber ersichtlich ihre vorstufen, die Terpandros einge - führt hatte. er beherrscht auſserdem eine ganze reihe der ionischen versmaſse (iamben, trochaeen, paeone, ioniker), und hat begonnen nach dieser analogie einzelnes epichorische auszubilden (anapaeste). seine sprache ist das getreue abbild dieser mischung der formen, denn das lesbische,72Was ist eine attische tragödie?epische, lakonische steht auch in ihr nebeneinander. aber eins ist neu bei Alkman: er ist chordichter. zwar hat auch Sappho für ihre mädchen und in den hochzeitsliedern auch für jünglinge lieder gedichtet zu ge - meinsamem gesange. und in vielen culten wurden processionslieder, wiederum vorwiegend für mädchen, gebraucht. daſs bei den volkstüm - lichen reigen allerorten auch gesungen worden ist, ist selbstverständlich. und doch ist bei Alkman etwas völlig neues da. wenn er auch bei manchen feierlichen gelegenheiten das eigne ich zurückgehalten haben wird, so ist doch zumeist der chor für ihn nur ein instrument, dem er so gut seine eignen empfindungen leiht wie der laute. von sich, seinem namen, seiner herkunft, seinem hunger und seinen versen redet er oder läſst er vielmehr die mädchen singen. ja, sie müssen uns von seinen liebeleien unterhalten. die kärglichen und schwer zu deutenden reste gewähren kein volles bild von dem dörflichen dichter, den man vielleicht am ehesten mit Neidhard von Reuental vergleichen kann. aber gerade das formelle, auf das es für die entwickelung ankommt, ist sonnenklar: der chorgesang und daneben doch die äuſserung der individualität des dichters ist erreicht.
Alkman und sein bäschen Agido gehören nicht zur ritterbürtigen gesellschaft, die sich gleichzeitig etwa an der Eunomie des Tyrtaios erbaute. die chorpoesie ist die der perioeken. so dringt denn auch die vornehme heldensage nicht stärker ein, als der allgemeine lakonische patriotismus und die auch hier gewaltige macht Homers mit sich bringt. die helden - sage als inhalt und die höchste gesellschaft als publicum erobert für die chorische lyrik erst Stesichoros. Sparta und Himera liegen weit von einander, und niemand wird sich vermessen, etwa weil Stesichoros in der tat specifisch lakonische sagen kennt, einen directen zusammenhang anzu - nehmen. die etappen der allgemeinen entwickelung beobachten wir nur an vereinzelten punkten, und daſs sich ein scheinbarer zusammenhang ergibt, ist der erfolg der gleichartigkeit, welche über weite räume hin die kunst beherrscht. in der zweiten hälfte des 6. jahrhunderts sind dichter aus Chalkis und seiner nachbarschaft die bedeutendsten; ein chal - kidisches volkslied zeigt die charakteristischen formen der Stesichoreischen daktyloepitriten35)Aristoteles bei Plut. amator. 7— — ⏖ — ⏖ — ⏑ ⏐ — ⏖ — ⏖ — — — ⏑ — — ⏐ — ⏖ — ⏖ — — — ⏑ — — ⏐ — ⏖ — ⏖ — ⏑ ⏐ — ⏖ — ⏖ — — ⏐ — ⏖ —Bergk (carm. pop. 44) hat das richtige gesehen, wenn auch nicht festgehalten.: was wunders daſs in einer chalkidischen enkelstadt73Stesichoros. die chorische lyrik.um 580 der ordner dieser gattung auftritt? und daſs gerade in Sicilien, wo das epos fehlte, die chorische lyrik das gefäſs der sage ward, ist vollends begreiflich. wir wissen nun leider nicht, zu welchen heiligen oder profanen zwecken Stesichoros seine chorlieder verfaſst hat, wenn auch die novelle darin ein richtiges bild zweifellos von ihm bewahrt hat, daſs er in den höchsten kreisen der nation eine stellung wie Simo - nides hat. wir sehen aber, daſs er bald so objectiv erzählt wie Homer, bald so subjectiv wie Alkman (denn nur so ist die palinodie verständ - lich): und wir werden nicht fehl gehen, wenn wir die späteren verhält - nisse so ziemlich auch auf ihn übertragen. daſs er es vor allen gewesen ist, der den späteren dichtern ihr instrument, den chor, hergerichtet hat, und daſs er als die aufgabe der lyrik erkannt hat das epos zu ersetzen, ist deutlich und ist die hauptsache.
Simonides und Pindaros lassen uns die verhältnisse, wie sie seitDie chori - sche lyrik. der zweiten hälfte des 6. jahrhunderts lagen, mit vollkommener deutlich - keit übersehen. bei allen möglichen gelegenheiten, zu ehren der götter oder der menschen, an den tagen, deren feier von der allgemeinen sitte geboten ist, ebenso wie ohne solchen äuſsern anlaſs, wenn nur stimmung und möglichkeit vorhanden sind, treten chöre auf, von männern oder jünglingen, was nicht gesondert wird, im götterdienste einzeln auch von jungfrauen. sie singen zum tanze oder auch zum marsche ein lied eigens zu diesem behufe gedichtet. dies lied ist immer das wort des dichters; er redet durch den chor in eigener person. er erfindet jedesmal ein neues maſs; aber fast ausschlieſslich aus ganz wenigen bestimmten rhythmen - geschlechtern. auch den inhalt gestaltet er frei; aber trotz aller mannig - faltigkeit der anlässe und also auch der aufgaben ist die behandlungsart und der ton durch ein festes herkommen gebunden. die sprache ist ein künstliches gebilde; noch immer zeigt sie, wenn auch in anderem mischungsverhältnis36)Das aeolische grundelement ist zurückgetreten, der einfluſs der epischen sprache wiegt stark vor. das dorische element hat mit groſser feinhörigkeit alles abzustreifen gewuſst, was nicht aller orten galt; specifisch Lakonisches, Korinthisches, Boeotisches ist gänzlich ausgetilgt. es ist verkehrt dies grundelement landschaftlich benennen zu wollen. daſs sich der geborne Boeoter etwas anders benimmt als der geborne Chalkidier ist natürlich: das geschieht unwillkürlich. diese differenzen innerhalb der gleichen sprache finden sich nicht bloſs im epos ähnlich: sie gibt es auch in der prosa, gibt es zu allen zeiten. Lessing Goethe Schiller schreiben die - selbe sprache, schreiben deutsch; aber den Lausitzer Franken Schwaben verleugnen sie nicht. nicht stärker ist die differenz zwischen Hesiod und asiatischen epikern, Mimnermos Solon Tyrtaios Theognis, Stesichoros Pindaros Simonides. und genau, die drei ingredientien wie bei Alkman; aber die74Was ist eine attische tragödie?willkürlich einmal gegebenen gesetze werden jetzt streng befolgt. sie ist international wie die des epos, weil sie nirgend national ist. wie im epos ist auch der stil ein conventioneller, fest gefügter. all das ist nur erklärlich durch die arbeit von generationen und die kunstmäſsige, wenn man will handwerksmäſsige, schulung der dichter. diese stehen also nicht wesentlich anders da als die epiker. der rhapsode war freilich zugleich dichter und ausübender künstler; auch Alkman war es noch bis zu einem gewissen grade gewesen. das war jetzt anders. aber die handwerks - mäſsige ausbildung war nun für die sänger nicht minder nötig, als für die dichter. denn diese ziehen nicht nur durch alle gauen und setzen voraus, ihr instrument überall vorzufinden, sie senden auch ein werk in ferne lande hinüber, und können sicher sein, daſs es zur aufführung kommen kann. das ist ohne einen stand von berufsmäſsigen sängern und musikern nicht möglich, wenn auch vieler orten die dilettanten so weit geschult sein mochten, um selbst ausübend aufzutreten. dieses und noch viel - mehr daſs solche gedichte auf leidenschaftlichen beifall und auf verständnis rechnen konnten, zeugt auf das nachdrücklichste von einer durchgehenden gleichartigen bildung, einem keinesweges verächtlichen niveau der cultur durch die ganze gesellschaft hin, für welche diese poesie gilt. allerdings ist es nur eine oberste schicht, ein geschlossener kreis des adels, mit dem dieselbe überhaupt rechnet. so weit dieser adel reicht, reicht sie, über viele lande hin, aber nirgends tief in das volk hinunter, d. h. genau soweit wie die ideale des dorischen adels gelten, die sie ja zum ausdruck bringt. es ist das ganze Griechentum, mit ausschluſs des eigentlichen Ioniens; doch auch die Inseln und das nicht ionische Asien nimmt nur vereinzelt daran teil. allerdings lag in der gemeinsamkeit des standes - gefühles, der cultur und der ideale alles das was diese zeit an nationaler einheit besaſs. es war nicht wenig: es hat der einheit des volkes mächtig vorgearbeitet. allein wir sehen am besten daraus, daſs in den nicht do - rischen landschaften Euboia und Attika eben die bevorrechteten classen, welche als ständisch gleichberechtigt an dieser cultur teilnahmen, gestürzt werden muſsten, damit der nationale staat entstünde und die cultur das hellenische volk als ganzes durchdränge, wie unmöglich es war, auf diesem boden die einigung durchzuführen. Athen hat auf allen gebieten den kampf mit dieser gesellschaft aufgenommen; die cultur hat es über -36)wie diese haben die ältesten attischen tragiker ihre chöre gedichtet: erst die weitere rein attische entwickelung hat die sprache der chöre immer mehr attisch gemacht, aber niemals die fremde herkunft derselben ganz verwischt. genau wie in den tragi - schen ist es in den lyrischen liedern der Athener, den dithyramben, gegangen.75Die chorische lyrik.wunden, und zuerst ist diese poesie untergegangen. daſs es die mate - rielle kraft nicht gewann, auch die politische herrschaft durchzuführen, daran ist nicht bloſs Athen sondern ist Hellas zu grunde gegangen. weil für jene ganze cultur das Dorertum führend und maſsgebend ist (obwol das schon versteinernde Sparta an der poesie gar keinen anteil mehr hat), nennt man nicht ohne grund auch die poesie dorisch, und hat es schon damals getan: festzuhalten aber ist, daſs die Dorer kaum einen dichter gestellt haben, und daſs es schon eine bewunderte und bewun - dernswerte ausnahme war, als ein boeotischer adlicher, aus einem ge - schlechte das noch über die einwanderung zurückreichen wollte, das hand - werk ergriff, das sonst ein Dryoper, Lasos, ein Lesbier, Arion, ein Keer, Simonides, ein Chalkidier aus Rhegion, Ibykos, übten.37)Pratinas von Phleius im hyporchem τὰν ἐμὰν Δώριον χορείαν: er ist der einzige Dorer, aber er ist in Athen zugewandert, wo auch sein sohn bleibt. die musiker sind oft Argeier. erst Pindaros, und auch er nur mit einsetzung seiner ganzen persönlichkeit, hat die dichtung aus den händen der bezahlten fahrenden genommen. der adel hörte zu, sang wol auch mit; aber er hielt das dichten doch nicht für ganz standesgemäſs. Archilochos, “zugleich ein sänger und ein held”, war ihm widerwärtig.
Die antiken philologen haben sich abgemüht die chorischen gedichte in classen zu sondern. der zweck war zunächst ein rein äuſserlicher, nämlich für die erst von ihnen in gesammtausgaben vereinigten gedichte eine ordnung zu finden, die man nach einigem schwanken in solchen classen fand, wie hymnen paeane dithyramben u. s. w. da die über - lieferung über diese äuſserlichkeiten zufällig eine ziemlich reiche ist (weil die uns erhaltenen grammatiker ein buch des Didymos eifrig ausge - schrieben haben), so haben sich die modernen zu dem irrtum ver - leiten lassen, als käme auf die gattungen etwas besonderes an. das wichtige ist vielmehr, daſs die gedichte selbst, alle wie sie da sind, die individuellen äuſserungen des dichters sind. der anlaſs wird ihn ver - schieden stimmen; er wird einen andern ton anschlagen beim festmal als an der bahre, vor dem delischen Apollon als vor dem libyschen Am - mon, aber das verhältnis zwischen ihm und dem gegenstande seines ge - dichtes, dem chore der es singt, dem publicum das es hört, ist in allen fällen dasselbe. einmal und überall sind der dichter und das publicum höchst concrete personen, und ist der chor gar keine person. selbst was die form angeht, ist der unterschied nur für eine gattung hervor - stechend, allerdings die welche uns hier vorzüglich angeht, den dithyrambos. 76Was ist eine attische tragödie?allein auch dieser unterschied ist ganz äuſserlich: die gliederung in strophe und antistrophe fällt weg, und daraus folgt eine viel bewegtere, für uns oft nicht mehr ganz verständliche metrik, und ohne zweifel eine ganz andere art des tanzes, von dem wir wie überhaupt so auch hier weder etwas wissen noch wissen können. und nicht einmal das ist dem dithy - rambos ausschlieſslich eigen, sondern fand sich auch in andern liedern als denen, welche für den Dionysosdienst verfaſst waren; die grammatiker haben sie, weil sie keinen bezeichnenden namen hatten, als tanzlieder (ὑπορχήματα) bezeichnet und in besondere bücher geordnet.38)Von dem was die modernen hyporchema nennen und z. b. in den tragikern so bezeichnen, ist nichts weder überliefert noch an sich berechtigt. die moderne metrische kabbala ist ganz unerträglich, aber auch das altertum hat unleidlich viel mit worten gekramt, die freilich sehr bequem sind das mangelnde verständnis zu verhüllen. es ist ein schlechter name; denn tanzlieder sind sie ja alle. und vollends der dichter äuſsert sich in den nichtstrophischen gedichten just so subjectiv wie in allen andern. Pindar erzählt den Athenern in einem dithyrambos, das wäre das zweite mal, das er für sie dichte (fgm. 75, 8), und seinen Thebanern führt er gar ohne jeden äuſseren anlaſs ein tanzlied vor, um nach einem fürchterlichen vorzeichen (107) oder in einer politischen krisis seine meinung zu äuſsern (109 110). im gleichen falle dichtete Solon eine elegie, Archilochos einen iambos: Isokrates und Demosthenes schrieben eine rede.
Eine änderung hatte freilich die demokratie für den chor gebracht: Pindaros wird in Theben geschulte berufsmäſsige sänger verwandt haben; in Athen sang ein bürgerchor seinen dithyrambos. diesen wichtigen umschwung hatten die neuen ordnungen sofort herbeigeführt, als das volk sich mit hilfe der Lakedaemonier und des delphischen gottes erst von den tyrannen und dann mit der eignen kraft um den preis des eintritts in den peloponnesischen bund von den Lakedaemoniern frei gemacht hatte, seine wehrhaftigkeit aber durch die überwältigung seiner nördlichen nachbarn bewiesen hatte. wie die gesammtleitung seiner angelegenheiten, nahm es auch den gottesdienst und die öffentlichen spiele in die eigne hand. es wollte durchaus nicht auf die pflege der höhern cultur ver - zichten, welche es den ionischen verbindungen seiner fürsten verdankte, aber es wollte auch darin die eigene kraft beweisen; die kunst sollte nicht mehr das vergnügen einer bevorzugten classe sein, sondern das des volkes, das selbst turnen und tanzen wollte. während also vorher die athleten und sänger in gilden sich zusammengetan hatten, und eine inter -77Der attische bürgerchor.nationale stellung einnahmen, so daſs wir die pindarischen sänger von ort zu ort wandern sehen und sehr oft das lob des ringlehrers vernehmen, wurden diese gilden in Athen aufgehoben, die ringschulen verstaatlicht und der zutritt jedem bürger kostenlos gewährt39)Wer aus den institutionen, wie sie bestanden und uns in der praxis be - merklich sind, den schluſs auf das recht, den leitenden gedanken, machen kann, der braucht hierfür kein zeugnis. es fehlt aber nicht. der aristokrat, der die πο - λιτεία Ἀϑηναίων geschrieben hat, empfand das charakteristische der festordnung sehr wol, wenn er sie auch gehässig darstellte. er sagt 1, 13 τοὺς δὲ γυμναζομέ - νους αὐτόϑι καὶ τοὺς μουσικὴν ἐπιτηδεύοντας καταλέλυκεν ὁ δῆμος, νομίζων τοῦτο οὐ καλὸν εἶναι γνοὺς ὅτι [οὐ] δυνατὰ ταῦτ̕ ἐστὶν ἐπιτηδεύειν ἐν ταῖς χορηγίαις· αὐ⟨τοὶ γὰρ σφίσιν αὐτοῖς ἀγαϑὸν ἐνεῖναι ἐν ταῖς χορηγίαις⟩ καὶ γυμνασιαρχίαις καὶ τριηραρχίαις γιγνὠσκουσιν, ὃτι χορηγοῦσι μἐν οἱ πλούσιοι, χορηγεῖται δὲ ό δῆμος, ⟨καὶ τριηραρχοῦσι μὲν⟩ καὶ γυμνασιαρχοῦσιν οἱ πλούσιοι, ὁ δὲ δῆμος τριη - ραρχεῖται καὶ γυμνασιαρχεῖται· ἀξιοῖ γοῦν ἀργύριον λαμβάνειν ὁ δῆμος καὶ ᾄδων καὶ τρέχων καὶ ὀρχούμενος καὶ πλέων ἐν ταῖς ναυσίν, ἵνα αὐτός τε ἔχῃ καὶ οἱ πλούσιοι πενέστεροι γίγνωνται. die erste lücke habe ich angesetzt und ausgefüllt, auch οὐ gestrichen. die sehr gewaltsame gewöhnliche behandlung verfehlt den sinn: sie läſst den demos, der die dramen spielt, sich eingestehn, daſs er nichts von musik verstünde, und macht γιγνώσκουσι völlig unverständlich. der demos hält die gilde für verwerflich, weil er erkennt, daſs sich dasselbe in der form der choregie erreichen läſst, die ihm doch um des profites willen so sehr am herzen liegt. vgl. Hermes 20, 67; dem gleichzeitig geäuſserten bedenken Büchelers Rh. M. 40, 312 wird so genüge geleistet. die opposition der gilden, von welcher das erhaltene hypor - chem des Pratinas ein so beredtes zeugnis ablegt, war damals schon gänzlich ver - stummt. die choregie hatte die probe längst glänzend bestanden; in der ersten zeit wird freilich das selbstgefühl der geschulten sänger berechtigt gewesen sein.. die herkömmlichen wettkämpfe blieben zwar bestehen und der zutritt stand ausländern frei, aber die wertschätzung sank und keinerlei gunst ist diesen aristokra - tischen vergnügungen zu teil geworden. die bauern und ruderer hatten nicht die geschmeidigen glieder und weder zeit noch lust sich dem training zu unterwerfen. dafür bildete man die volksbelustigung des fackellaufes zu einer staatlichen einrichtung aus, für welche die gymnasiarchie ge - stiftet ward, und lieſs die militärische parade das wettturnen ersetzen. auch die gilden der sänger und tänzer wurden geschlossen. für die musik brauchte man freilich fremde, zumal die argivischen und boeotischen pfeifer, weil auch dafür eine ausbildung nötig war, zu der die bürger nicht zeit hatten; aber die chöre stellten sie selbst. die reichen wirkten mit als choregen, die unbemittelten als choreuten: es war beides eine frohnde, ein munus, ganz wie die verpflichtung als offizier oder gemeiner zu dienen. und auch die regellosigkeit der musikalischen aufführung ward beseitigt. wol verwehrte man dem einzelnen nicht, sich zu seinem ver -78Was ist eine attische tragödie?gnügen lustbarkeiten bei sich anzustellen wann und wie er mochte, und so gab es noch lieder für die feste der vornehmen. Pindaros hat für die Alkmeoniden, Euripides für Alkibiades gedichtet. aber das tritt gänz - lich in den hintergrund vor den vom staate übernommenen und dem festen jährlichen gottesdienste eingeordneten gelegenheiten, bei welchen musische wettkämpfe angeordnet wurden, nur zum teil im anschlusse an die bisherige übung. der staat brauchte alljährlich eine bestimmte recht hohe zahl neuer gedichte, dramen und dithyramben: das volk, das noch keinen bedeutenden eigenen dichter besaſs, traute sich zu, sie zu er - zeugen. und es hat auch darin die höchsten erwartungen von der eignen leistungsfähigkeit übertroffen.
Ein instrument des dichters war auch dieser chor, aber es ist doch etwas anderes, ob man gedungene musikanten unter sich hat, oder die vertreter des souveränen volkes. und der dichter wird ja auch selbst anders dastehen, wenn er für irgend einen anlaſs auf bestellung oder wunsch eines anderen oder auch aus eignem triebe schafft, als wenn er zu bestimmten höchsten festen seines eigenen volkes für bestimmte ver - treter desselben in einer halbamtlichen eigenschaft seine kunst übt. er wird mehr mit der seele dabei sein als Simonides es wol je war, aber minder aus eigner person zu reden wagen als es Pindar immer tat. der staat und sein souverän, oder besser sein lebendiger leib, das volk, ist in Athen die oberste macht. der dichter ist ein glied desselben, der chor auch, beide ordnen sich ihm unter, der chor auch dem dichter, aber dieser muſs sich wie Perikles stets gegenwärtig halten, Ἀϑηναίων ἄρχεις. selbst die tragödie zeigt von diesem verhältnisse die deutlichsten spuren. der chor ist auch in ihr vertreter des volkes am religiösen feste: er geht nicht ganz in seiner maske auf. der dichter ist dagegen der erbe der pin - darischen persönlichen lehrer - und predigerstellung: auch er verschwindet nicht ganz hinter seinen personen. dies verhältnis war in dem ursprunge der ganzen gattung begründet; es hat sich wol verloren, aber nicht im laufe des 5. jahrhunderts. die abstracte betrachtung mag sich dazu stellen wie sie will: die geschichtliche hat mit dieser besonderheit durchgehends zu rechnen40)Der Herakles selbst gibt für die wichtigkeit der sache hinreichende belege, die ihres ortes genauer erläutert sind..
Die chöre, die man stellte, unterschied man in chöre von τραγῳδοί und einfach von männern und knaben. diese nannte man auch wol die ‘rundtänze’ (κύκλιοι χοροί), nicht weil die tänzer hier in einem rund geordnet waren, in der tragödie aber in einem viereck, wie wol gramma -79Attische dithyramben.tiker gemeint haben, sondern weil die tänze auf dem runden tanzplatz in die runde giengen, während im drama eine bude (σκηνή) daneben stand, die dem schauplatz eine front und einen hintergrund gab. die gedichte hatten zunächst nicht mehr einen eigenen gattungsnamen, als ihn vorher die der pindarischen lyrik gehabt hatten. und man wird für die an den Thargelien wol oft παιάν, für die der Panathenaeen ὕμνος gesagt haben: für die dionysischen festlieder vielleicht von vornherein διϑύραμβος; Pin - dars zweites attisches gedicht (75) war tatsächlich auch in der form dithy - rambisch. der Dionysosfeste, die der staat begieng, waren mehr als sonst einem gotte gefeiert worden; so mochte der name dithyrambos durch verallgemeinerung die ganze gattung allmählich begreifen. immerhin ist das officiell nie durchgedrungen und in der gewöhnlichen rede erst seit - dem bedeutende männer diese lyrische poesie, die um 500 — 430 zurück - tritt, gewaltig erhoben, so daſs sie zuerst die noch berühmtere tragische schwester beeinfluſst, dann, als deren meister tot sind, die erste stelle im interesse der nation erorbert und auf lange hinaus behauptet. dieser neue dithyrambos, wesentlich durch Philoxenos und Timotheos geschaffen, zwar nicht durch Athener, aber doch ein ganz attisches gewächs, wirkt wesentlich durch die musik; und wenn wir auch selbst kein urteil, weder über die musik noch über die poesie der neuen dichter haben können, so zeugt die leidenschaftliche polemik der komödie und der reactionären musiktheoretiker von ihrer bedeutung. daſs sie metrisch die ganze frei - heit des alten dithyrambos aufgriffen und bis in das ungemessene stei - gerten, können auch wir noch sehen. und ebenso zeigen einzelne proben, daſs ein sehr starkes mimisches element aus dem drama hinübergezogen ist, während in andern, wie im Diner des Philoxenos, die person des dichters so frei sich äuſsert, wie in der alten zeit. und in der tat hat diese neue chorpoesie völlig die stelle wieder inne, welche zu Simo - nides zeiten die alte eingenommen hatte; eben deshalb gerät diese im 4. jahrhundert fast ganz in vergessenheit, wird aber gerade in dorischen gegenden der neue dithyrambos volkstümlich, wie nur je eine ältere gattung: selbst in den tälern von Kreta, wohin nicht einmal das epos gedrungen war, und in Arkadien. mit Dionysos haben die einzelnen lieder vielleicht zumeist gar nichts zu tun, aber durch das 5. jahrhundert ist dieser gott der schirmherr jeder chorischen poesie geworden, und so befremdet es nicht im mindesten, daſs der name dithyrambos für das ganze gilt41)Aristoteles braucht διϑύραμβος mit seinen ableitungen in der erweiterten bedeutung, welcher alle lyrische chorpoesie umfaſst, häufig. im eingange der poetik. dieser dithyrambos ist gemeint, wenn Aristoteles den namen80Was ist eine attische tragödie?im gegensatz zu epos und drama braucht; sein eigner hymnus auf die tugend ist solch ein dithyrambos. und wie er in seiner geltung der chor - poesie pindarischer zeit gleich geworden ist, so auch in der art der auf - führung durch geschulte musiker und tänzer, die, überall und nirgends zu hause, sich in gilden zusammenschlossen, oft vermischt mit den schau - spielern, die das gleiche nun auch anstrebten und bald erreichten42)Im dritten jahrhundert fällt in der tat, wie die inschriften namentlich der ionischen techniten lehren, dithyrambos komödie tragödie derselben gilde zu, und auch dieselben leute treten in verschiedenen gattungen auf. doch war dies schon im 4. jahrhundert wenigstens für komödie und tragödie regel, Aristot. polit. Γ 3. es ist bedauerlich, daſs wir nicht angeben können, wann statt aushebung aus der phyle anwerbung durch den choregen getreten ist, mit andern worten, wann statt der analogie des landdienstes die der flotte für die tragischen chöre begonnen hat. die grammatiker wuſsten nur das allgemeine wie wir: schol. Hom. N 637 ἕως τινὸς ὠρχοῦντο οἱ εὐγενεῖς νέοι ἐν ταῖς τραγῳδίαις..
So ist der bürgerchor ein intermezzo: er gehört nur in die erhabene zeit des groſsen Athens, mit dessen Reiche er verschwindet. tragödie aber und dithyrambos stehen, was die aufführungsart anlangt, stets parallel. vor Kleisthenes kann man sich’s nicht anders denken, als daſs dieselben leute in beiden auftraten, und am hofe Hierons werden dieselben leute die pindarischen gedichte und die tragischen lieder des Phrynichos und Aischylos aufgeführt haben. überhaupt ist die wechselwirkung der beiden dionysischen schwesterarten handgreiflich. es sind geschwister, kinder der - selben mutter, des alten chorgesanges, aber unmöglich kann die tragödie von diesem dithyrambos stammen. als attisches festlied ist er notorisch jünger; was aber der pindarische dithyrambos mit der tragödie gemein - sam hat, das liegt alles im gattungsbegriff; das was ihn zu einer beson - deren art macht, die absonderlichen rhythmen und der mangel der respon - sion, fehlt gerade der ältesten tragödie. endlich muſs, wie eben bei der komödie, der schluſs auch hier gelten, daſs die tragödie aus dem dithy - rambos Athens nicht stammen kann, weil er neben ihr kräftig weiter besteht. so kann es scheinen, daſs Aristoteles uns doch auf einen holzweg geführt habe. die herleitung aus dem dithyrambos heiſst entweder gar41)gesellt er ihm die νόμοι zu, nennt aber als dichter für beides Timotheos und Phi - loxenos. in den problemen (XIX 15) sagt er, die νόμοι allein wären nicht antistro - phisch: wodurch sie die alten dithyramben und z. b. auch das Δεῖπνον des Philoxenos umfassen. nun ist νόμος ‘weise’ ein ganz indifferentes wort, und man mag sich denken, daſs man den weisen, die unter keine bestimmte art fielen, den namen der gattung gelassen hat. indessen ist das ersichtlich nicht consequent geschehen und für uns überhaupt keine unterscheidung möglich. da der charakter der poesie auf jeden fall identisch ist, kommt auch nichts darauf an.81Attische dithyramben. die böcke.nichts, als daſs die tragödie aus dem lyrischen chorgesang des 6. jahr - hunderts stammt: dazu brauchen wir nicht erst das zeugnis des Aristo - teles; oder es muſs eine charakteristische form des dithyrambos gemeint sein, welche sowol der pindarische dithyrambos als auch der attische tragische chor gemeinsam voraussetzen. ja, wir können noch einen schritt weiter gehen. an der chorlyrik, aller und jeder im 6. jahrhundert, ist das charakteristische, daſs der chor als solcher verschwindet, der dichter hervortritt. im drama verschwindet der dichter, redet nicht nur durch fremden mund, sondern auch aus fremder person heraus. das ist ein gegensatz, und alle gleichheit der form hilft nicht darüber hinweg, daſs ein drama ohne μίμησις δρώντων, ohne die vornahme einer maske vor das antlitz des dichters eben kein δρᾱμα ist. also wenn Aristoteles eine vorstufe der tragödie suchte, muſste er sie bei irgendwie mimetischer poesie suchen. wir postuliren also, daſs der dithyrambos, von welchem er als der vorstufe der tragödie redet, ein mimischer gewesen ist. aber wo den finden?
Aristoteles selbst hilft weiter: er sagt ja daſs die tragödie aus demdie böcke. satyrspiele stammt, und wenn er es nicht sagte, so müſsten wir doch dieses sonst rätselhafte und in den zeiten der blühenden tragödie ver - kümmerte spiel herbeiziehen, zumal die τραγῳδοί in ihrem namen die - selbe auskunft geben, wie Aristoteles. sie sind bockssänger. und daſs unter den böcken satyrn verstanden sind, lehrt sicherer als die verdäch - tige nachricht, daſs die Dorer den bock σάτυρος und τίτυρος genannt haben sollen43)σάτυρος und τίτυρος sind gleiche hypokoristische bildungen, aber der stamm muſs verschieden sein, da beide wörter dorisch sind. auch werden sie in der besten behandlung der frage, durch Apollodor am schluſs von Strab. X, ge - sondert. σάτυρος kann natürlich weder mit σαίνω noch mit σαίρω noch mit satur etwas zu tun haben; es wäre zu wünschen, daſs es bock bedeutet hätte. von τίτυρος wird das behauptet, und hat es wol Theokrit geglaubt, als er einen ziegenhirten so nannte. doch wird auch das nur metaphorisch sein. denn die τίτυροι dürften sich nur in der ableitungssylbe von den τιτᾶνες unterscheiden, und auch diese gelten wie die Ἄγριοι für obscoene daemonen, sind auch vorwiegend peloponnesisch. da man nun Τιτυός, den erdensohn der der Leto gewalt antut, und den riesen Τίτακος von ihnen nicht wird sondern wollen, so dürfte die urbedeutung die sein, welche Bücheler (Wölfflins Archiv II 119. 508) in Titus aufgezeigt hat: es sind alles ὀρϑάνναι., der eine aischyleische vers (Prometh. πυρκαεύς 202), in welchem der satyr des satyrspieles wirklich bock, τράγος, angeredet wird. darin also hat der fortschritt von dem chorgesange zur tragödie bestanden, daſs an die stelle gänzlich indifferenter sänger dämonische wesen, böcke, getreten sind. aber wo und wie ist das geschehen?
v. Wilamowitz I. 682Was ist eine attische tragödie?Hier greift ein bedeutendes ergebnis der monumentalen forschung ein44)Furtwängler in den Annali dell’ Instituto 1877 und im Berliner Winkel - mannsprogramm 1880 ‘satyr aus Pergamon’., das auf den ersten anblick freilich nur einen vollkommenen wider - spruch zu constatiren scheint. der satyr, den Aischylos einen bock ge - nannt hat, ist in seiner äuſseren erscheinung keiner gewesen. die aus der spätgriechischen und römischen kunst uns so sehr geläufigen satyrn, die in der bildung der ohren, des halses, oft auch der nase, und durch das schwänzchen ihre bocksnatur offenbaren, hat das alte Athen nicht gekannt. und doch hat jeder, der die attischen gemälde des 6. und 5. jahrhunderts auch nur flüchtig kennt, die phantasie voll von dem köstlich frechen treiben der attischen satyrn, die das gefolge des Dionysos bilden. wir besitzen ja jetzt sogar die reste des giebelfeldes von einem attischen Dionysostempel, auf welchen diese gesellen dargestellt sind.45)Mitteilungen des arch. Inst. Athen. XI 78. das stammt zwar nicht von dem uralten heiligtume am kelterplatz, in welchem das beilager der Basilinna mit dem gotte vollzogen ward, sondern von dem des Dionysos Eleuthereus am südostfuſse der burg: es ist aber immerhin etwa aus solonischer zeit und älter als das satyrspiel. alle diese attischen satyrn haben mit den böcken nicht das mindeste zu schaffen; sie sind zwar auch halbtiere, aber das tierische in ihnen stammt vom pferde. es ist auch ganz klar, daſs diese conception der volksphantasie ionisch ist, und auf den inseln und in Asien (wo die vermehrung des materials zu wünschen und sicher zu erwarten ist) ebenso gegolten hat. und der name dieser wesen ist ebenfalls unzweifelhaft, es sind Σιληνοί: ein unterschied zwischen σιληνοἰ und σάτυροι ist für die alte kunst derselben gegend nicht vorhanden. also die ionischen waldteufel stammen vom gaule; es sind die ϑῆρες, vettern der φῆρες, der aeolischen, thessalischen wald - teufel, die auch in alle poesie gedrungen sind, wie die aeolische metrik und sprache. auch diese stammen vom gaule, die Κένταυροι, und sind kinder desselben geistes. so haben wir also ein spiel, das bocksspiel heiſst, aber von halbgäulen aufgeführt wird. mit andern worten, hier hat eine übertragung stattgefunden. nur der name und das bocksfell, welches der pferdedämon trägt46)Im Kyklops 80 klagt der chor, daſs er bei dem scheusal ausharren muſs σὺν τᾷδε τράγου χλαίνᾳ μελέᾳ: so wenig war dem dichter die bedeutung der con - ventionellen tracht gegenwärtig, daſs er sie als etwas besonderes motivirte. auf der bühne ist der alte satyr der vater der andern, und er kann nicht aus dem chor - führer hervorgegangen sein, denn ein chorführer ist ja neben ihm vorhanden. er heiſst Σατύρων ὁ γεραίτατος 100, wird meist nur γέρων genannt, Σιληνέ aber auch, erinnert an die alte bocksnatur; es ist83die böcke. bockschöre.begreiflich, daſs man da des ursprungs rasch vergaſs. wir aber müssen die heimat des satyrspiels da suchen, wo die böcke zu hause sind.
Auch diese antwort ist aus den monumenten bereits gegeben. im Peloponnes, dessen künstlerischer vorort Korinth ist, gibt es keine satyrn in pferdegestalt. freilich bisher auch keine böcke: aber es steht doch die tatsache fest, daſs dieser typus um 500 auf einen peloponnesischen gott übertragen worden ist, der in seiner heimat und seiner echten be - deutung nach ein weit vornehmerer herr war, aber als er aus dem un - civilisirten hirtenlande in die städte der hochentwickelten cultur hinabstieg, die gestalt und bald auch die geltung eines vertreters der ungesitteten und unverkünstelten elementargewaltigen bergeswildnis annahm: Pan, der ein bock geblieben ist.47)In der im kerne hochaltertümlichen argolischen sage, die ursprünglich dem eponymen Argos, nicht dem πανὀπτης gehörte, Apollod. 2, 1, 2, erschlägt Argos den arkadischen stier, die Echidna und den Satyros, der die herden der Arkader raubte: das ist erfunden, ehe Argos dorisch war, wenn auch in nachbildung des dorischen Herakles. stier und hydra, tochter Echidnas, sind deutlich: Σάτυρος entspricht den Kentauren. es bleibt der archaeologie die schöne aufgabe, zu zeigen, wie eine spätere zeit die künstlerische bildung der satyrn vom bocke aus doch noch versucht und wunderbar geleistet hat, so daſs die ältere pferdegestalt in den hintergrund trat: es liegt auf der hand, daſs den anstoſs Peloponnesier gegeben haben müssen. geschehen ist das erst, als das satyrdrama zu gunsten der tragödie verkümmert war, und diese eine spur ihrer herkunft von den böcken nur noch in dem namen trug, den man nicht mehr verstand.
Das führt zu dem postulate, daſs es im Peloponnes einen bockschorbocks - chöre. gegeben habe. und wirklich, einen bockschor nennt uns Herodot (V 64) in Sikyon zur zeit des Kleisthenes; wir lernen dabei daſs derselbe keines - weges bloſs zu ehren des Dionysos auftreten konnte, daſs aber dem be - richterstatter des Herodotos dies als eine anomalie erschien, die er sich nur als willkür eines tyrannen zu denken vermochte. wir werden anders urteilen, denn daſs die böcke des Peloponnes ihrer natur nach lediglich ein gefolge des Dionysos bildeten, ist weder erweislich noch glaublich. wir haben eben alles was die ionischen wesen, die pferdewesen, angeht von ihnen fern zu halten; Pan ist später auch ein genosse des thiasos geworden, aber von ihm wissen wir sehr genau, daſs er das weder seiner natur nach war, noch in den jahrhunderten 6 — 3, wo sein cultus sich46)einmal angeredet 539, gleich als ob das sein eigenname wäre. sein aussehen lehrt die Neapler vase mit dem siegesfest eines satyrchors. er hat noch nichts von der späteren schweinenatur des papposilens.6*84Was ist eine attische tragödie?ausbreitete, dafür galt. wir wissen freilich von den satyrn äuſserst wenig, aber das einzige alte zeugnis, verse eines der hesiodeischen gedichte, rechnet sie mit den bergnymphen und Kureten zu der descendenz einer Phoroneustochter48)Strab. X 471 Ἡσίοδος μὲν γὰρ Ἑκατέρῳ καὶ τῇ Φορωνέως ϑυγατρὶ πέντε γενἐσϑαι ϑυγατέρας φησὶν ἐξ ὧν ὄρειαι νὐμφαι ϑεαὶ ἐγἐνοντο καὶ γένος οὐτι - δανῶν Σατύρων καὶ ἀμηχανοεργῶν Κουρῆτές τε ϑεοὶ φιλοπαίγμονες ὀρχηστῆρες. so überliefert (über B vgl. Roellig de codd. Strab. Halle 1886 p. 333). nur ist bei dem trostlosen zustande dieser Strabonbücher weder der name des vaters noch die namenlosigkeit der mutter zu glauben oder zu beseitigen. die stelle der verse in Hesiods werken ist ganz unsicher, auch der erste vers nicht ohne weiteres als (ἐξ ὧν) οὔρειαι ν. ϑ. ἐξεγ. zu acceptiren. leider führt Strabon danach nur für die Kureten das zeugnis der Phoronis an. die hesiodeische tradition steht ganz vereinzelt, gehört aber in die sehr wichtige, leider sehr früh verblaſste argolische theo - und an - thropogonie, die mit Phoroneus und Zeus-Niobe anfängt. sie ist mit Deukalion Hellen (also den Katalogen) kaum vereinbar. jene ist asiatischer herkunft, diese echt peloponnesisch.: sie sind also jünger als der anfang des menschen - geschlechtes und haben mit Dionysos von haus aus nichts zu tun. äuſserst belehrend ist ihre zusammenstellung mit den Kureten, welche zwar in der folge zu einem thiasos des Zeuskindes und seiner mutter geworden sind, durch Rhea auch in bezug zu Dionysos treten, aber einen ganz anderen ursprung haben. die ‘geschorenen’ (κουρής ὡς γυμνής) sind ein priestercollegium in Ephesos geblieben bis in späte zeit49)Z. b. auf dem steine Dittenberger syll. 134 und auf anderen., etwa wie die luperci und salii in Rom. es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daſs dies das ursprüngliche ist, und mit dem stamme, welchen das Meleager - gedicht der Ilias neben den Aetolern nennt, entweder nur namensgleich - heit obwaltet, oder ein verhältnis wie zwischen luperci Fabiani und der gens Fabia. der mythische thiasos aber ist ein abbild des im festen cultus gegebenen, wie ja auch die Korybantentänze nicht die pyrrhiche her - vorrufen, sondern mythische pyrrhichisten sind.50)In Erythrai gab es mehrere collegien von Korybantiasten, Dittenberger syll. 120. es geht nicht an über die satyrn etwas bestimmtes zu vermuten: aber die möglichkeiten muſs man eröffnen, damit man aufhöre die erst auf grund der über - tragung der bockstänze nach Athen eingetretene dionysische natur als voraussetzung zu behandeln. vor allem aber lehren die Kureten am besten, wie man aus solchen böcken einen chor bilden konnte, und daſs es ver - wegen wäre, darin bereits ein dramatisches spiel zu sehen, wenn einmal statt des gewöhnlichen menschenchores satyrn auftreten. daraus war wol das drama leicht zu schaffen: aber zu schaffen war es immer noch, und es war mehr als ein schritt nötig.
85Arion. Satyrspiel und tragödie.In Korinth hat Arion den ersten dithyrambischen chor eingeübt.Arion. diese tatsache wird jetzt in ihrer bedeutung verständlich. Arion wählte sich statt der gewöhnlichen choreuten die peloponnesischen böcke und lieſs sie das besonders orgiastische dionysische festlied singen. eine späte notiz, die wir nun wol einreihen dürfen, drückt das ganz scharf so aus, daſs er die dithyramben im τρόπος τραγικός verfaſst hätte51)Suid. s. v. Ἀρίων. was die modernen von tragischen dithyramben, lyri - scher tragödie und komödie zusammengefabelt haben, die späten grammatiker von tragödien Pindars und anderer lyriker erzählen, ist ein gebräu von unkritik und con - fusion. die sache ist längst abgetan und jedes wort darum verloren. wer so etwas glaubt, den soll man nicht stören., nur muſs man dabei nicht an etwas tragisches denken.52)Hephaestion citirt 22 einen hexameter aus einem dithyrambos Ἀχιλλεύς von der Sikyonierin Praxilla. und die dortigen τραγικοὶ χοροί galten dem Adrastos. leider bleibt das ganz unklar, zumal der älteste attische dithyrambos auch unkennt - lich ist. aber hier ist das mittelglied zwischen dem pindarischen und philoxenischen dithyrambos verborgen. damit haben wir wirklich das grundelement, aus welchem der pindarische und in seinem gefolge der spätere attische dithyrambos stammen: Pindaros lieſs die böcke fort zu gunsten der herkömmlichen choreuten, behielt aber die metrische freiheit bei. andererseits ist aus dem bockschore die τραγῳδία geworden, die zuerst satyrspiel war. sie ward in Athen dramatisch, und das empfand man so sehr als das charakteristische, daſs der name blieb, als die böcke auch hier weichen muſsten. wie lange sich in seiner heimat der dithy - rambos des Arion gehalten hat, ist uns leider ganz unbekannt; kennt - lichen einfluſs hat er nicht weiter geübt.
Schon dem Aristoteles war offenbar durch litterarische behandlung bekannt, daſs die Peloponnesier auf die erfindung der tragödie anspruch machten. das tritt auch später noch oft auf; speciell Phleius, die dio - nysische stadt, und Sikyon, wo wir die ältesten τραγικοὶ χοροί kennen, werden genannt. es ist das in übler weise durch erfindungen und über - treibungen entstellt worden. es ist eine lächerlichkeit, ebenso wie bei der komödie, wenn es sich um das wesentliche, die welt beherrschende handelt: aber wir erkennen nunmehr, daſs es doch in gewissem sinne wahr ist. allerdings, der bocksgesang ist peloponnesische erfindung: aber die tragödie gehört Athen.
Nach Athen kamen die bockstänze wie die übrigen kunstmäſsigenSatyrspiel und tragödie. reigen und so viele erzeugnisse der korinthischen cultur, als Peisi - stratos seine herrschaft befestigt hatte und dank der solonischen ver - fassung und der tüchtigkeit des fürsten Athen aufblühte, während rings86Was ist eine attische tragödie?die adelsstaaten und demokratieen herunterkamen. durch die aufnahme in die gewerbsmäſsige tanzlyrik hatte Arion den bockstanz den kreisen des volkes entrückt; für Athen war das ganze fremd, denn die böcke kannte man nicht, und die form des dorischen liedes war sprachlich und metrisch dem ionischen überhaupt entfremdet. aber hier ward das spiel volkstümlich, indem die peloponnesischen satyrn den attischen silenen ihren namen gaben, aber ihr wesen an sie verloren. der wandel vollzog sich leicht: lustig und unanständig waren sie beide, springen mag das füllen wie der bock. und hier ward, wenn es nicht schon in Sikyon und Phleius erreicht war, das satyrspiel fest an den dionysischen cult geknüpft und erhielt so eine gesteigerte weihe. der Dionysosdienst war bei den Ioniern seit alter zeit als ein ganz besonders heiliger empfunden. er ward in feierlichen formen von der königin und ihrer adlichen um - gebung begangen. er hatte mit seiner ekstase die ganze masse des weib - lichen geschlechtes ergriffen. die zeit war jetzt einer neuen religiösen stimmung hingegeben, welche vom himmel neue wunder, vom sterb - lichen individuelle seelische regungen und stimmungen verlangte. und ganz äuſserlich verlangte man neue prächtige feste. Peisistratos wuſste seiner zeit genug zu tun und stiftete ein neues fest mitten im vollsten frühling, um den vollmond des Elaphebolion, die groſsen Dionysien: für sie wurden auch die satyrtänze eingeführt. wie sie sich auch entwickelt haben, den charakter des dionysischen frühlingsspieles haben sie nimmer eingebüſst; auch damit hat trotz allen aesthetischen theorien die erklärung immer zu rechnen.
Und nun tat Thespis im jahre 534 den nächsten schritt: denn name und jahr darf geglaubt werden. er fügte den ersten schauspieler hinzu, oder richtiger, er trat als sprecher zu seinem chore. dieser schritt konnte nur in einer ionischen stadt geschehen, da aber lag es nahe genug, denn der sprecher war als solcher vorhanden: der recitator des ionischen iambos. man darf auch hier in dem schritte auf das mimische zu nicht zu groſses sehen. denn wenn ein rhapsode eine archilochische fabel wie ἐρέω τιν̕ ὑμὶν αἶνον, ὠ Κηρυκίδη, ἀχνυμένη σκυτάλη, recitirte, so mochte er allenfalls noch ziemlich so hinter seinem stoffe verschwinden, wie wenn er ein homerisches gedicht vortrug. aber wenn er πάτερ Αυκάμβα ποῖον ἐφράσω τόδε vortrug, so sprach er als Archilochos, und vollends οὔ μοι τὰ Γὑγεω τοῦ πολυχρύσου μέλει waren worte des zimmer - manns Charon, die eine vollkommene ethopoeie forderten: der schluſs muſste ebenso drastisch wie in der horazischen nachbildung wirken, oder vielmehr um so viel drastischer, als Archilochos an frischer keckheit87Satyrspiel und tragödie.den Horaz übertrifft. es war also zunächst vielleicht ein ganz leichter übergang, daſs der sprecher das bockskleid nahm; jedenfalls verhielt er sich zu dem rhapsoden der iamben genau wie der bockschor zum ge - wöhnlichen dithyrambischen chore. daſs der sprecher auch bock war, folgt aus der tatsache, daſs das satyrspiel noch bei Euripides einen satyr neben dem chore als schauspieler hat, und dieser vater der satyrn über - haupt eine ebenso feste person desselben blieb wie der satyrchor.
So hatte sich die vereinigung der ionischen und dorischen poesie vollzogen, vollzogen an einem dritten orte, wo für beides empfänglichkeit vorhanden war, wo aber beides nicht zu hause war. und beides trat als etwas fertiges neben einander; ganz verschmolzen hat es sich nie. so lange es eine tragödie gegeben hat, hat der dichter für die gesprochenen verse im der einen, für die gesungenen in der andern mundart dichten müssen; und beide waren nicht die seiner heimat noch seiner sänger noch seiner hörer. das ihnen allen gemeinsame attisch hat wol allmählich immer stärkeren einfluſs auf alle teile der tragödie gewonnen, hat also den gegensatz verringert; wie denn die von den Athenern übernommenen mund - arten selbst schon nicht mehr rein waren; aber ganz verschwunden sind die unterschiede nie, oder vielmehr erst in der neuen komödie, welche dafür auch den chor und damit den religiös festlichen charakter eingebüſst hat.
Erst in der neuen komödie hat auch das dramatische gesiegt. im sechstem jahrhundert wird davon kaum eine spur gewesen sein, und Thespis hat sich von der tragweite seiner erfindung nichts träumen lassen. aber dem stein war im rollen; schrittweise gieng es vorwärts, bald sprung - weise; wierzig jahre etwa hat es gedauert, für das was zu leisten war, eine kurze frist. man hatte also den satyrchor, und ‘wenn noch einer dazu kam’, so hatte man ein ἐπεισόδιον. daſs dem chore eine ‘vor - rede’,[π]ρόλογος, in iamben vorhergieng, ist erst etwas späteres; in den siebziger jahren des 5. jahrhunderts kommt es neben der andern weise vor, aber es stand vollkommen fest, als die komödie ihre formen bildete. der sprecher brachte zunächst nichts dramatisches mit; er brauchte ja nur zu erzählen oder an den chor eine rede zu richten, die diesem zu neuen tänzen und gesängen anlaſs gab. aber es fand sich bald die nötigung, den chor auch in gesprochener rede erwidern zu lassen, und da er das in voller menge nicht konnte, so sonderte sich von ihm der chorführer ab. nun sprach einer für alle; zu einer persönlichkeit unter - schiedem vom chor hat es dieser sprecher aber nie gebracht. seine stellung hat nie gewechselt, besteht aber überall, so weit wir denkmäler haben. nun war es wahrlich keine sehr kühne tat, entweder den sprecher einmal88Was ist eine attische tragödie?auch als etwas anderes kommen zu lassen denn als satyr, oder auch den chor in ein anderes kleid zu stecken. es ist nicht zu entscheiden, welchen schritt man zuerst tat, ja man mag vermuten, daſs noch ein zwischen - stadium eintrat, in welchem die herkömmlichen figuren nur der abwech - selung halber in einer ihrem eigentlichen wesen widerstrebenden oder doch fremden beschäftigung auftraten, etwa wie in der Atellane Maccus als kneipwirt, jungfrau, soldat. darauf deuten titel wie κήρυκες, ἰχνευ - ταί, παλαισταί σάτυροι, wol auch ϑεωροί und manches andere. aber wenn wir uns an die peloponnesischen verhältnisse erinnern, so müſsten z. b. Kureten sich von selbst als ersatz für ihre brüder dargeboten haben, und wenn der Phleiasier Pratinas dymanische tänzerinnen am feste der Artemis in Karyai eingeführt hat, so braucht man nur dessen eingedenk zu sein, daſs die bukolische poesie, die eigentlich mehr eine aipolische ist, an die Karyatiden angeknüpft wird, um der leichtigkeit eines solchen tausches inne zu werden. und auch in späterer zeit ist es eben kein groſser abstand von der ältesten weise, wenn die geschichte vom Thraker Lykurgos so von Aischylos zur darstellung gebracht wird, daſs der chor erst als Edonen, dann als thrakische maenaden, dann bloſs als jünglinge und endlich als satyrn auftritt. daran hat man freilich noch lange und im princip immer festgehalten, daſs die satyrn als solche auch erscheinen müſsten, wol minder weil das dionysische fest die diener des gottes er - heischte, als weil das volk seinen spaſs haben wollte; wenigstens ward der lustige charakter des schluſsstückes nicht zugleich mit dem satyrchor aufgegeben; dafür ist Euripides Alkestis (438) der älteste, aber nicht der einzige beleg53)Von Euripides ist keine andere tragödie erweislich an stelle des satyrspiels gegeben; wahrscheinlich ist es von der Auge. aber von Sophokles ist ein beispiel ganz sicher, der Inachos, wol aus dem ende des archidamischen krieges, denn seitdem ist es eines seiner populärsten stücke. es gilt für ein satyrdrama, aber es ist un - erlaubt, in fast 30 anführungen, wo diese bezeichnung fehlt, zufall anzunehmen. und es ist arg, die anapäste 249. 50 einem satyrchor zu geben. andererseits ist die anmutige fabel wahrlich keine tragödie. die hypothesis war folgende. in Argos herrschte könig Inachos, der gott des flusses, dessen gewässer vom fernen Pindos stammen, und so weit reichte denn auch des königs herrschaft (auch die des Pelasgos in den Hiketiden). er hatte eine schöne tochter Io, in die sich Zeus verliebte. sein diener Hermes erschien in Argos, und unterhielt könig und volk, während der herr mit Io koste; Plutos selbst sollte eingezogen sein. das wasser des Inachos schwoll, befruchtete die ebene, sie trug hundertfältige frucht, alle scheuern füllten sich, jedes haus bot jedem gedeckten tisch. es war eitel herrlichkeit wie im schlaraffenland. aber die eigentliche landesherrin Hera ward mit zorn der bösen dinge inne, die ihr gatte trieb; sie sandte ihre dienerin Iris, die die eindringlinge vertrieb, und es kam. noch viel näher als für den satyrchor lag es, für den89Satyrspiel und tragödie.sprecher eine andere person zu wählen, da er ja seiner herkunft nach indifferent war, und so gut wie eins konnte man mehrere epeisodia zu - lassen; den sprecher hinausgehen und sich umkleiden zu lassen war ja ungleich leichter. die aischyleische poesie hält in älterer zeit noch völlig daran fest, daſs sich das einzelne stück durch die einführung einer neuen person in ἐπεισόδια gliedert, wie dieser name fordert; die zahl ist nicht festgestellt. dagegen muſs sich schon früh die vierzahl für den costum - wechsel des chores festgesetzt haben, eine weit wichtigere aber quali - tativ ganz analoge erscheinung. dadurch gliederte sich also die aufführung in vier stücke. ob diese für sich ein jedes oder alle zusammen erst eine einheit im dichterischen sinne bilden, hängt lediglich von dem können und wollen des dichters ab. nachweislich ist von Aischylos beides neben einander geübt worden, doch so, daſs schon bei ihm die tendenz mächtig war, die einzelnen chöre oder ‘stücke’ immer selbständiger zu gestalten, was später feststehende regel ist, auch wenn zwischen ihnen ein bezug waltet. auſserdem gilt es bereits, daſs der satyrchor an letzter stelle stehen muſs, und seine verbindung mit den andern dramen ist eine losere, auch wenn sie inhaltlich vorhanden ist54)Die Amymone der Danais und der Lykurgos der Lykurgie mögen die ge - schichte fortgeführt haben. die Sphinx der Thebais aber hätte zeitlich zwischen Laios und Oidipus gehört, der Proteus der Orestie zwischen Choephoren und Eume - niden. auf ihn deutet im eingangsstück nicht bloſs die lediglich dadurch motivirte frage nach Menelaos (Ag. 617), sondern auch die erwähnung des Odysseus (841): denn der inhalt des Proteus war ja dem δ entnommen. die verbindung mit der Orestie ist also eine äuſserliche. in der Persertetralogie steht Prometheus so selb - ständig wie die drei tragödien.. wie es zu diesen regeln gekommen ist und durch wen, ist gar nicht möglich zu vermuten. die jüngeren dichter überkommen die institution als eine durchaus feste,53)eine schlimme zeit. die belebenden gewässer blieben aus; die felder verdorrten, Inachos selbst ward fast zu einer trocknen mumie, spinneweben füllten die leeren scheuern. lo ward zur kuh und ein schauerlicher wächter saſs neben ihr und blies die schalmei, während die menschen mit wehmütigen gesängen die gute alte zeit feierten. — so weit die reste, die man nachlese. daſs ein glückliches ende kam, indem Argos durch Hermes erschlagen ward und Hera sich versöhnte, ist selbstverständlich. τὰ τοῦ δρά - ματος πρόσωπα: χορὸς Ἀργείων, Ἴναχος Ἰώ Ἄργος Ἑρμῆς Ἶρις. die beiden himm - lischen diener ersetzen die herren, die zu vornehm für solch ein spiel sind. die diener waren beide auf der bühne, schol. Ar. Vög. 1203 = fgm. 251 ὁ Ἑρμῆς ἄγγελος ὢν (d. h. τῆς Διὸς ὡς Πλούτου ἐπεισόδου) παρὰ Σ. ἐν Ἰ. ἐπὶ τῆς Ἴριδος (so Rav. nach Martin) “γυνὴ τίς ἥδε· κυκλὰς Ἀρκάδος κυνῆς;”. denn so hat Toup richtig verbessert ἥ δε συληνᾶς Α. κυνῆ B. V.), wie für κυνῆς andere citate, für den sinn die aristophanische copie zeigt. merkwürdig ist, wie unter den liebenswürdigen scherzen sich die symbolik der das δίψιονἌργος angehenden fabel nicht verloren hat.90Was ist eine attische tragödie?aber auch als eine jeder inneren berechtigung entbehrende. wir vermögen die versuche, diese fessel zu brechen55)Dahin gehört die notiz bei Suidas s. v. Σοφοκλῆς, καὶ αὐτὸς ἦρξε τοῦ δρᾶμα πρὸς δρᾶμα ἀγωνίζεσϑαι ἀλλὰ μὴ τετραλογίαν. ob es richtig ist, daſs Sophokles so die sitte des vierten jahrhunderts (für die παλαιὰ τραγῳδία) anticipirt hat, können wir nicht wissen. was die notiz will ist klar, so oft sie auch misdeutet ist. der jüngste versuch (Comment. Ribb. 205) würde unterblieben sein, wenn bedacht wäre, daſs Euripides, Philokles, Meletos inhaltlich zusammenhängende tetralogieen gedichtet haben. es hat viel geschadet, daſs man eine solche vereinzelte angabe und die der dichterwillkür nicht dem gesetze angehörige tetralogische einheit als grundsteine für die geschichte der ältesten tragödie benutzt hat. oder zu lockern eben so wenig zu verfolgen, wie wir das einzelne über die art kennen, wie sie sich ge - knüpft hat. ganz im allgemeinen aber ist ihre entstehung durchaus nicht befremdend, und was im νόμος Διονυσιακός stand war gesetz und her - kommen zugleich, hielt also fest und war nicht durch individuelle willkür oder bessere einsicht zu beseitigen.
Die vorführung des chores ward durch die einführung des sprechers nicht geändert. auch jetzt noch konnten diese tänze so gut wie alle übrigen auf der runden orchestra vor sich gehen, die das volk im kreise umstand. auch die zahl der tänzer wird einfach dieselbe gewesen sein, mochten sie als satyrn oder ohne verkleidung auftreten. daſs freilich zur zeit der sängergilden dafür eine feste norm bestanden hätte, kann man nicht behaupten. notwendig aber trat dieses ein, als die bürgerschaft die chöre stellte, und es ist einleuchtend, daſs damals wirklich für tragödie und dithyrambos dieselbe zahl, 50, bewilligt ward56)Man wird das auch im altertum gewuſst haben; es ist aber nur eine ganz verwirrte reminiscenz davon bei Pollux IV 110 geblieben.. diese konnte der dichter verwenden wie er mochte. als sehr bald die verteilung in vier chöre eintrat, ergaben sich 12 für jeden, wobei dann die beiden über - schüssigen untergebracht sein werden, wie es eben gieng. eine erhöhung auf 60, also 4 × 15, ist bei der definitiven ordnung des dionysischen ge - setzes um 465 eingetreten. es ist übrigens durchaus nicht ohne weiteres anzunehmen, daſs die sänger nur in einem der chöre auftraten. in den Hiketiden des Aischylos besteht der chor aus den Danaostöchtern und ihrem gefolge, also, wie wir zu rechnen durch das stück selbst veranlaſst werden, aus 50 + x. es ist eine zu starke zumutung sich diese zahl durch 12 tänzer vorstellen zu lassen, zumal es ja in des dichters freiheit lag, die dienerinnen wenigstens fort zu lassen. nichts hindert uns, den dichter verständig verfahrend zu denken, und also einen weit zahlreicheren chor anzunehmen.
91Phrynichos.Es war freilich ein weiter weg der entwickelung gewesen, von denPhrynichos. ersten satyrtänzen bis zu diesem stücke zu gelangen, ein weiterer als der zwischen diesem für uns ältesten denkmale der attischen tragödie bis zu ihrer überreifen letzten gestalt, etwa der aulischen Iphigenie, liegt. und es ist nicht möglich mehr als einen oder den andern schatten von den ältesten erzeugnissen zu haschen, die sich auf die nachwelt erhalten hatten. erst von dem älteren zeitgenossen des Aischylos, dem Athener Phrynichos gelingt das; vermutlich weil er länger der alten weise treu blieb. wenn er noch 476 die Phoenissen so anlegen konnte, daſs der prolog, eine neuerung, die er also mitmachte, schon die niederlage von Salamis in Susa verkündete, wenn dann der chor, Phoenikerinnen, also wittwen der bei Salamis gefallenen schiffstruppen, in Susa auftrat, so ist ersichtlich, daſs zwar für erzählung und für den reflex derselben, klage - lieder und tänze, der breiteste raum da war, jedoch gar keiner für irgend welche handlung. über zwanzig jahre früher, noch zur zeit des einen schauspielers, hatte Phrynichos den fall Milets aufgeführt. das stück war von dem volke durch besonderen beschluſs geächtet worden, also können nicht nur wir, sondern konnte schon Herodotos, der diese tat - sache erzählt, nichts genaueres davon wissen57)Der bericht des Herodot (VI 21) erhält erst sinn, wenn man dessen psy - chologische motivirung der strafe ἀναμνήσας οἰκῇα κακά fallen läſst und die sache rechtlich faſst. nach dem feste, am 21. elaphebolion (wenigstens später ist der tag fest), wird in dem heiligen bezirk sitzung des volkes gehalten, zunächst über die sachen des gottes, dann über die laufenden geschäfte. die verstöſse gegen die fest - ordnung kann das volk an den rat zur aburteilung weiter geben, wie es mit Aristo - phanes wegen der Babylonier geschah, es kann aber selbst darüber erkennen, ob ein verstoſs vorliegt, worauf die im gesetze vorgesehene εὔϑυνα fällig wird. so war es hier; die 1000 dr. die Phrynichos bezahlte, waren in einem paragraphen des νόμος vorgesehen, ὃς δ̕ ἂν δοκῇ ἀδικῆσαι τὸν ϑεόν oder auch τὸν δῆμον, εὐϑυ - νόσϑω χιλίασι δραχμῇσι. es ist kein richterlicher act, wie denn der beschluſs μηδένα χρῆσϑαι τῷ δράματι eine verwaltungsbestimmung ist, es ist eine art ἐπιβολή, welche nur so hoch sein kann, weil sie der souverän selbst auferlegt. es ist auch kein be - schluſs, denn es ist kein probuleuma da. es ist ein act des souveränen willens, der aber dem volke durch specialgesetz für diesen fall zugesichert und umgrenzt ist. daſs man in späterer zeit die sache an den rat überwies, ist begreiflich, da die formen dann die gewöhnlichen waren. aber formell ist an dem ältesten todes - urteil über ein litterarisches werk nichts auszusetzen, und der fall hat seine hohe staatsrechtliche bedeutung. das praecedens war schlimm; aber im grunde haben die überzeugungsstarken demokraten recht getan: die sentimentale beeinflussung der volksstimmung durch die selbstgesetzten vorsprecher der öffentlichen meinung war wirklich eine gefahr. nur läſst sie sich mit der censur nicht beschwören, wie Athen bald zu lernen gelegenheit gehabt hat.. aber das ist unzweifel -92Was ist eine attische tragödie?haft, daſs wieder nur erzählung und gesänge, durchaus keine handlung darin sein konnte. das waren also zwar tragödien, denn der chor, seiner art nach von dem dithyrambischen kaum verschieden, und der sprecher der iamben waren vorhanden, beide neben einander, durch das costum verbunden: aber ein drama würden wir unmöglich ein solches gedicht nennen, es würde höchstens ein oratorium sein, mit 50 stimmen und tanz, aber ohne soli. an dem Falle Milets ist die von dem satyrspiel grell abstechende stimmung uns auffällig, doch ist zu beherzigen, daſs die Athener an dem in unserem sinne tragischen selbst anstoſs genommen haben. und Phrynichos selbst gibt auch für die satyrhafte behandlung eines an sich ernsten stoffes einen beleg. von dem inhalt seiner Alkestis wissen wir nämlich dreierlei, erstens daſs Apollon bei der hochzeit seines schützlings Admetos, dem er zur frau verholfen hatte, die Moiren betrunken machte, damit sie ihm das leben des Admetos gegen ein anderes schenkten. zweitens kam der Tod vor, der tölpelhafte bediente des Hades, den die märchen aufgebracht hatten, und schnitt der Alkestis eine locke ab, sie dem tode zu weihen58)Schol. Verg. Aen. VI 694. offenbar stammt das citat des verschollenen dichters aus der hypothesis der euripideischen Alkestis; jetzt steht zu v. 1 nur noch die δημώδης ἱστορία, d. h. die hesiodische.. drittens erschien der freſsgierige Dorerheld Herakles, rang mit dem Tode und jagte ihm die Alkestis ab. wie stark die burlesken züge waren, ist jetzt nur aus der verfeinernden und mil - dernden euripideischen nachbildung zu entnehmen, aber für ein aufmerk - sames auge sehr deutlich. es ist gar nichts dagegen zu sagen, wenn man die satyrn selber noch als chor zulassen will. handlung ist genug, und recht lebhafte, allein sie liegt in der geschichte, die der dichter schwerlich selbst gestaltet hat, und ob der zuschauer handelnde personen sah, ist fraglich, da sich ziemlich alles gut erzählen lieſs; von der schilderung des ring - kampfes ist ein bruchstück erhalten.
Es war also nun so ziemlich alles zusammen, was zu einem attischen drama gehört; und doch könnte jemand vom modernen standpunkte sagen, daſs noch das specifisch dramatische fehle. es gab längst die τραγῳδία: und doch muſs man sagen, daſs noch das specifisch tragische fehle. und in der kunst, in welcher nur das vollendete wirklich lebensfähig ist, gilt es c’est le dernier pas qui coûte. bislang konnten wir auch noch jeden schritt als etwas nahe liegendes ansehen, das man sich allenfalls selbst zutrauen mag: hier war ein genius von nöten, der zwar nicht nach verstandesmäſsiger überlegung eines tages beschlieſst ‘nun wollen wir das drama schaffen’, aber über den der göttliche geist kommt, der ihn schaffen93Aischylos.heiſst, was er muſs, und sich dann selbst über die schönheit des geschaf - fenen verwundern. Aischylos des Euphorion sohn von Eleusis führte den dialog ein: damit war das dramatische gefunden. und er gab dem bocks - gesang die heldensage zum inhalt: damit war das tragische gefunden.
Auch das ist nicht mit einem kühnen streiche gelungen; das schöne ist schwer. Aischylos hatte schon mehr als ein jahrzehnt chöre erhalten, ehe er einen sieg errang, vier jahre vor der schlacht bei Salamis. erst seitdem kann man glauben, daſs er die volksstimmung hinter sich hatte. aber noch nicht 20 jahre später ward die tragödie in den festen formen constituirt, die wir kennen. der dichter selbst hatte unablässig an sich und seinem werke gearbeitet: seine letzte schöpfung ist nicht nur die voll - kommenste seiner, sondern überhaupt der attischen tragödie, mit seinen eignen anfängen kaum zu vergleichen. es ist ein abstand wie zwischen dem Athen, das bei Marathon schlug und dem, welches am Eurymedon sein Reich vollendete. der aber dieses im reiche der dichtung vollbrachte, war kein geringerer organisator als Themistokles und Aristeides. als er sich zuerst einmal entschloſs, statt nur allein als sprecher neben dem chore aufzutreten, noch einen gefährten mitzubringen, mochte das ein geringes scheinen: er hat es noch erreicht, nicht nur das echt attische wortgefecht, schlag auf schlag, einzuführen, sondern selbst drei redner neben einander zu verwenden. er hat nicht nur den chor von der stelle des protagonisten zurückgeschoben, sondern auch den sprecher zum sänger gemacht, so daſs das aeolische lied neben die ionische recitation und den dorischen chorgesang trat; die benutzung volkstümlicher weisen durch Aischylos ist ausdrücklich überliefert und auch unschwer zu beweisen. die vierzahl der chöre, die absonderung des satyrspiels, ein gewisses her - kommen für den umfang der einzelnen stücke und ihre gliederung hat sich festgestellt. eine hinterwand ist an den runden tanzplatz heran - getreten, und so hat sich erst das gebildet, was wir bühne nennen. eine feste sprache, ein tragischer stil ist geschaffen, unendlich reich an mitteln des ausdrucks, ermöglicht nur durch das zusammenarbeiten der mannig - fachsten zum teil widerstrebenden elemente, unter denen die noch völlig unausgebildete heimische sprache das sprödeste war. ganz wie den grün - dern des Reiches hat auch dem fürsten der attischen dichtung der dank seiner nachfolger gefehlt. Euripides setzt sich selbst herab durch die armselige sophistik, mit der er ihn schulmeistert, und Sophokles hat das häſsliche wort gesprochen, daſs Aischylos höchstens unbewuſst das rechte tue. für den schöpfer waren die regeln, welche die späteren erfindsam genug waren, mit leichtigkeit zu erfüllen, freilich minder verbindlich,94Was ist eine attische tragödie?und er fand sie erst im suchen allmählich. wem so vorgearbeitet war, der mochte leicht wenigstens im dialog die einheitlichkeit der diction und des stiles erreichen, die dem gründer allerdings fehlt. aber in der fertig - keit der formen liegt nicht bloſs ein vorzug; die manier stellt sich nur zu leicht ein, und hat es auch bei Sophokles und Euripides schon getan. und in dem was das wesentliche war und ist, durch Aischylos zum wesent - lichen in der tragödie geworden ist, konnten sie ihn nicht übertreffen, und haben sie auch nicht bewuſster das rechte getan, vielleicht das unrechte.
Was ist das wesentliche? das liegt in dem stoffe, den Aischylos der tragödie gab, und in dem sinne, in welchem er seinen beruf faſste. es geht nicht sowol den tragiker als den dichter überhaupt an. Aischylos ward der erbe Homers. er selbst oder doch jemand, der ihn völlig ver - stand, hat das ausgesprochen. seine dramen sind stücke von dem groſsen male Homers, d. h. Homer hat dem volke ein gewaltiges mal zubereitet, und Aischylos setzt ihm davon einzelne gänge vor59)Athen. VIII 347〈…〉〈…〉. das apophthegma ist von Athenaeus in seine proso - popoeie eingeflickt; diese ist albern, entscheidet aber gar nichts. die herkunft und darum auch die echtheit ist nicht zu bestimmen: nur daſs es gut ist, kann man sagen. daſs die Perser oder die Αῖτναι kein τέμαχος vom homerischen male sind, ist so trivial, daſs man sich scheut zu erinnern, daſs die ausnahme eine regel nicht entkräftet. es soll doch der versuch nicht mislungen sein, die tragödien nach dem epischen cyclus zu ordnen, eben weil die überwiegende mehrzahl aus ihm stammt. wenn jemand aber einwendet, daſs dann ja jeder tragiker wol oder übel aus Homer schöpfen muſste, so ist das verzweifelt naiv: darin liegt ja gerade das charakte - ristische, daſs durch Aischylos die tragödie homerischen inhalt empfängt. und die - selben leute erklären dann selbst, daſs Aischylos nur aussage, seine wie jede andere poesie wäre eigentlich nur ein teil der bewirtung, deren ‘urheber’ Homer ist, d. h. der verfasser von Ilias und Odyssee, weil ohne diesen die griechische poesie nicht entstanden wäre. ‘urheber einer bewirtung’, was ist das? Homer hat gekocht, was Aischylos vorsetzt: wenn das nicht auf das stoffliche geht, d. h. auf das was wirklich Homer und Aischylos gemein haben, worauf denn?. die heldensage wird der inhalt der poesie und der dichter führt ihre einzelnen stücke seinem volke in demselben sinne vor, in dem es Homer getan hatte, zur erbauung und erhebung. diese erkenntnis, ohne welche man dem attischen drama nimmer gerecht werden kann, hat Platon völlig gehabt, nicht bloſs, weil er Homer den ἄκρος τραγῳδίας nennt (Theaet. 152e), sondern weil deshalb seine polemik im Staate ganz unterschiedslos Homer und Aischylos trifft. ja auch Isokrates (2, 48) behandelt die epiker, welche die sagen von den kämpfen der helden erzählt haben, und die tragiker, welche diese sagen den zuschauern vor augen geführt haben, als leute gleichen schlages. Aristoteles hat hier nicht mehr attisch empfunden;95Aischylos. die heldensage; ihr wesen.Agathon und Theodektes waren ja auch keine solchen tragiker mehr. für die stellung des dichters zu seinem volke zeugt am besten der ernst - hafte spötter Aristophanes. belehren und bessern soll der dichter: tut er das nicht, so ist er des todes schuldig (Frö. 1012), und selbst das entschuldigt ihn nicht, wenn er für eine verderbliche geschichte sich auf die sage beruft (Frö. 1052). das ist derselbe maſsstab, den Platon an - legt, und so zur ausschlieſsung Homers und der tragödie kommt. ob wir die aufgabe der dichtkunst ebenso fassen mögen, stehe dahin. die Athener haben sie so gefaſst, und Dante ist eines solchen berufes sich bewuſst gewesen, und Goethe hat zeitlebens mit leidenschaft dagegen protestirt: wir wissen aber, daſs er selbst diese erhabenste aufgabe so vollkommen erfüllt hat wie Aischylos, Platon, Dante, und daſs er noch für jahrhunderte der lehrer und erzieher nicht nur seines eignen volkes sein wird.
Weil wir selbst noch unter dem banne solcher allmächtigen dichterdie helden - sage; ihr wesen. stehen, ist uns die ungeheure macht des attischen dramas noch ver - ständlich, und die tatsache liegt ja auch vor augen, daſs es für die er - ziehung und erbauung des volkes ein complement des epos wird, während die lyrik dazu nur geringes, die elegie nur hübsche aber triviale sprüche beigesteuert hat. Homer und die tragiker sind Moses und die propheten für Hellas. aber das wird schwerer begriffen, daſs der grund dieser er - habenen stellung darin zu finden ist, daſs Aischylos die sage zum inhalte seiner dichtungen macht, und dadurch für immer der tragödie ihren stoff zuweist. ist es uns, die wir so sehr geneigt sind die persönlichkeit zu überschätzen, schon befremdlich, daſs gerade die dichtung so mächtig wird, in welcher der dichter hinter seinem werke verschwindet, ganz wie im epos (doch da haben wir ja Shakespeare, der dasselbe lehren kann), so sträubt sich vollends der moderne gegen eine macht, die freilich einem papiernen saeculo ganz fremdartig ist, die macht der sage. der ratio - nalismus kann sich’s nun mal nicht anders vorstellen, als daſs alles, was doch gar nicht passirt ist und gar nicht passirt sein kann, sich einer bloſs mal so ausgedacht haben muſs, und dann kann doch nur auf diese person etwas ankommen und nicht auf ihre hirngespinnste. zum mindesten erscheint ihm als eine des verständigen mannes unwürdige schwachheit, wie der teufel sagt, abzuhängen von creaturen die wir machten. die romantik aber, die freilich die tiefe empfindung von dem besitzt, was der rationalismus am liebsten negirt und immer zerstört, bleibt in der trauer und der sehnsucht befangen, daſs das paradies, dessen schönheit sie fühlt, ein verlornes, und nur im traum noch für uns zu betretendes sei. das ist nicht der rechte weg. die poesie und die96Was ist eine attische tragödie?sage, die mutter der poesie, lebt ja: und statt im traume hinüberzu - schweben, haut sich die phantasie mit dem guten schwerte der geschicht - lichen erkenntnis durch die dornenhecke zu dem schlummernden Dorn - röschen durch. der weg ist frei: Welcker hat ihn gewiesen. so gewiſs die poesie die muttersprache des menschengeschlechtes ist60)Die moderne poetik bringt es freilich dazu die poesie für ‘somtagsstaat neben der alltagskleidung’ zu erklären; für die sphäre, in der sie evangelum (oder thora) ist, paſst vielleicht besser, sonntagsbeilage zum wochenblättchen. aber Homer und Platon, Herder und Goethe waren keine bildungsphilister und haben nicht für bildungsphilister gearbeitet. und der liebe gott hat auch nicht bloſs sonntags von 9 bis 11 sprechstunde., und deshalb für jeden von natur verständlich, so gewiſs ist die sage die naturform für des menschengeschlechtes ἱστορίη und φιλοσοφία, verständich dem kinde, wie wir noch täglich sehen, und für jeden, der noch nicht zu vornehm für den spruch ist, werdet wie die kinder.
Die sage — ich rede allgemein, aber ich denke natürlich an die griechische, von der ich allein etwas verstehe — umfaſst vor alem die summe der lebendigen geschichtlichen erinnerung des volkes. das was der einzelne selbst erlebt hat, was also unmittelbar im gedächtnis lebt, wird sich stets von ihr absondern, aber diese scheidelinie ist keine feste und sie verschiebt sich für das volk im ganzen von stunde zu stunde. nur das lebt wirklich fort, was noch als für die gegenwart beleutsam empfunden wird. deshalb erhält sich wol an einzelne ungeheure taten oder verbrechen, an katastrophen von völkern stämmen staaten eine erinnerung, aber wenn sie nicht eine exemplificatorische bedeutung em - pfangen und so in die nächste kategorie übertreten, so werden sie in beziehung gesetzt zu den zuständen der gegenwart; an dieser hingt das interesse, und das vergangene hat nur wert, in soweit es das gegenwärtige erklärt, das kommende ahnen läſst. aber weil man sich abmiht, das gegenwärtige zu verstehen, so setzt sich jede darstellung des zuständ - lichen in eine geschichte um. denn die homerische zeit beschreibt nicht bloſs den schild des Achilleus durch die erzählung seiner anfertigung: auch die stammesverhältnisse in einer landschaft, die standesunterschiede in einer staatlichen gemeinschaft, den einzelnen satz des geltenden rechtes, die einzelne ceremonie eines gottesdienstes wird nur im werden darge - stellt. sehr oft ist unentwirrbar, wo die geschichtliche erinnerung auf - tritt, die paradigmatische construction beginnt. denn auch an der summe der geschichtlichen erinnerungen übt der mensch sein causalitätsbedürfnis, wie sie jetzt sagen, besser und antiker gesagt, seinen philosophischen sinn; man kann auch sagen, er sucht den gott in der geschichte. so tritt in97Die heldensage; ihr wesen.die verworrene masse der ordnende gedanke von schuld und strafe, vom endlichen siege der besseren sache oder auch der gröſseren tüchtigkeit. das mag oft die apologie des erfolges oder doch der begehrlichkeit sein, und befriedigend ist diese wie jede teleologie nur für die von vorn herein zustimmenden. es muſs der ordnende proceſs deshalb immer von neuem begonnen werden, sobald die sittlichkeitsbegriffe, die erkenntnis des tat - sächlichen und das τέλος selbst sich verschoben haben. aber das geht in alle zeiten weiter. jede geschichtschreibung, die lebendig wirken will, muſs den gott in der geschichte aufzeigen, mag sie nun Ahriman oder Ormuz, πρόνοια oder τύχη in ihr finden.
Die sage wird aber mit nichten durch die geschichtlichen erinnerungen ausgefüllt. wie der rechtssatz ‘die rache ist mein, spricht der staat, ich werde richten’ in einem paradigmatischen falle ausgesprochen wird, so geschieht es mit den sittlichen erfahrungen und grundsätzen des volkes. die sprüchwörter sind nach Aristoteles reste alter weisheit: sie sind in der tat häufig nur der rest einer exemplificatorischen geschichte, eines epiloges, den sie ja auch noch oftmals an sich tragen61)Die sprüchwörter mit epilog (Haupt op. II 395 Crusius Anal. in paroemiogr. 73) sind bereits verkrüppelte erzählungen, und sie sind doch noch vollständiger als die nakte sentenz. es kann freilich das sprüchwort auch nur ein bild sein, ‘κακοῦ κόρακος κακὸν ᾠόν’. ‘der apfel fällt nicht weit vom stamm’: dann liegt darin das was das homerische gleichnis gibt (ὡς οὐκ ἔστι λέουσι καὶ ἀνδράσιν ὅρκια πιστά): und das faſst doch auch ein sinnliches einzelbild. was man töricht den gnomischen aorist nennt, ist in wahrheit das tempus der sage, welche das regelmäſsige als einzelnen fall auffaſst und ausspricht. auch die gnome ist nur das residuum der erzählung des falles, in dem sie gesprochen ist. ‘geld ist der mann’ sagte der arme Aristodemos in Sparta (Alkaios 50. Pind. Isthm. 2). ‘denk’ an Admetos’ wort und liebe die braven leute’ (Praxilla 3). καὶ τόδε Φωκυλίδεω. auch an den sprüchen der sieben weisen ist der urheber mit nichten irrelevant. was wäre τέλος ὅρα μακροῦ βίου ohne die novelle von Kroisos? wenn der kanon der pflichten des ritters in den Χείρωνος ὑποϑῆκαι so gegeben wird, daſs der gröſste held von seinem und vieler anderer meister unter - wiesen wird, so nennen wir das eine einkleidung, und eine einkleidung nennen wir es, daſs Platon Σωκρατικοὶ λόγοι dichtet. das trifft für uns zu: wir werden auf der dürren heide der abstraction von dem bösen geiste herumgeführt. in wahrheit ist das sagenhafte nicht kleid, sondern ist lebendiger leib; und die unverdorbene seele hat denn auch die grüne weide nicht aufgehört zu suchen.. es verkehrt das tatsächliche verhältnis, wenn man meint, die fabel wäre später als das fabula docet. die moral ist der gehalt der fabel, aber dieser wird ursprüng - lich nur in der form einer geschichte ausgesprochen, und die kahle sentenz ist erst aus dieser abstrahirt. und gewonnen werden die moralischen sätze zunächst auch aus der welt, den capiteln des buches, zu denen sie nur die überschriften sind. ob die bäume oder die tiere, die götter oder diev. Wilamowitz I. 798Was ist eine attische tragödie?menschen träger der handlung sind, macht keinen wesensunterschied. fabel und novelle und märchen, wie wir die verkümmerten überreste nennen, sind reiser an demselben stamme. und es ist nur ein quanti - tativer unterschied, wenn sich eine solche conception der volksmoral bis in die hohen himmel hebt, der satz ‘seid dankbar’ von Ixion auf seinem feurigen rade verkündet wird, wenn Vorbedacht und Nachbedacht zwei Titanen werden, und der hehre glaube, daſs menschenwürde nicht der götterhöhe weicht, sich in der gestalt des Herakles verkörpert. in so weit die schöpferische tätigkeit der volksphantasie sich also mit der production des einzelnen dichters deckt, darf sie wol bei denen auf ein verständnis rechnen, welche dieser nachzudenken vermögen. an der Heraklessage wollen wir unten selbst den versuch machen.
Schwierig dagegen ist es, das verhältnis der sage zu den göttern und zu der religion zu erfassen, zumal das unerträgliche wort mythologie den ganzen luxe de croyance umfaſst, den sich ein volk mit göttern helden ungeheuern und ihrem geboren werden kämpfen und sterben erlaubt, ein wort, anwendbar eigentlich nur für solche, die froh sind, sich nicht mehr in die unkosten eines solchen luxus zu stürzen. wenn die paradig - matische sage götter oder dämonen einführt, so tut sie das nicht anders, als wenn sie nach menschen oder tieren greift. sie verwendet alles was sie hat, aber es muſs eben schon vorhanden sein. dabei kann sie ja ohne be - schränkung nach der analogie selbst schöpferisch auftreten, und nament - lich personificationen hat vornehmlich sie erst zu göttern gemacht, auf diesem umwege greift sie stark in die ausbildung der götterlehre ein, denn die geschöpfe der phantasie sind sehr wol dazu fähig, religiöse potenzen zu werden. so ist Eros ganz und gar ein geschöpf der dichtung. aber es muſste eben doch schon vorher die existenz von göttern und dämonen fest - stehen, und die götter, welche wirklich im glauben und im cultus leben, werden auf diesem wege nimmermehr erklärt. ja, wenn der rationalismus recht hätte, und auch die religion nur etwas wäre, das sich zuerst einmal einer ausgedacht hat, oder wenn der euhemerismus recht hätte, und die götter einmal fleisch und bein gehabt hätten, oder wenn die natursymbolik recht hätte, und die religion nichts wäre als in metaphern umgesetzte meteoroleschie, dann möchten die götter in der sage aufgehen und dem - nach die taten derselben so alt oder älter sein als die personen. aber das ist ja alles nichts oder doch nur etwas äuſserliches. die gottheit hat keine andere wohnung als das menschliche herz, und selbst wenn sie sich im elemente offenbart, das sie noch am reinsten reflectirt, so ist das so wenig ihre wahre gestalt, wie wenn der Erdgeist im feuer erscheint99Die heldensage; ihr wesen.‘in widerlicher gestaltt’. lediglich das gefühl, das überwältigend aus dem eignen busen aufquilltt, offenbart dem menschen die gottheit — wie er dies gefühl verkörpert und benennt, ist im grunde etwas unwesentliches und immer etwas accessoriisches. die wirkung empfindet er in wonnen und in tränen: die ursache sucht er, ahnt er, glaubt er, betet er an. so die einzelne menschenseele, so die seele des volkes. die götter wirken freilich, natür - lich; denn täten sie es nicht, so wären sie so nichtig wie die götter Epikurs. sie wirken auch unmittelbar und sinnfällig; denn täten sie es nicht, so wären sie so gleichgiltig wie der aristotelische gott: aber sie sind stetige gewalten. sie haben die dauer: der menschen leben gehört dem wechsel. auch am elementaren ist mit nichten die vereinzelte kata - strophe, etwa das gewitter, was die gottheit dem natürlichen sinne offen - bart, sondern die ewigen gesetze. das wunder, die ausnahme, ist dumm; wunder tun kann der teufel auch: nur die regel gehört der ewigen weis - heit. Goethe hat erklärt, daſs er sich ohne weiteres geneigt fühle, die sonne anzubeten: warum? wenn sie auch sinkt: von osten, hoffe nur, kommt sie zurück. am abend der seine qualen endet findet Manfred frieden im anschauen der ewigen sonne. Platon und Aristoteles haben ebenso empfunden wie Goethe und Byron und aus der gesetzmäſsigkeit des kosmischen lebens den stärksten religiösen impuls hergeleitet.62)Auch Nathan sagt ‘der wunder höchstes ist, daſs uns die wahren echten wunder so alltäglich werden können, werden sollen’. Lessing erfaſst das nur durch raisonnement, aber er erfaſst es doch. die wirklichen dichter geben die offenbarung unmittelbar. das menschenherz ist ruhelos: es sucht den frieden; an ihm zerren die wider - sprüche: es sucht die harmonie. das irdische kennt nur ein ewiges werden: es sucht das ewige sein: und wo immer es dieses findet, da hat es die gottheit gefundlen.
Werden ist geschichte: vom sein kann es keine geschichte geben. darum haben die götter mit der sage ihrer natur nach nichts zu tun, und darum ist aus der göttergeschichte, die es gleichwol gibt, für die religion so viel und so wenig zu lernen wie aus irgend einer theologie. sage und religion stehen neben einander. die religion wird wie alles so auch die sage durchdringen: aber wenn die sage in die religion dringt, so ist das etwas fremdes. die vermischung ist gefährlich, wird schlieſslich verderblich, aber unvermeidlich ist sie allerdings. denn wie von seiner geschichte und seinem staate und rechte versucht das volk auch von seinen göttern sich ein bild zu machen, und auch das tut es auf dem wege, daſs es eine geschichte vom dem werden und handeln der götter ersinnt. in7*100Was ist eine attische tragödie?dem sinne ist es wahr, daſs Homer und Hesiod den Hellenen ihre ϑεογονίη schaffen. wie alle andern sagen, werden auch diese in einem beständiger flusse bleiben entsprechend der umformung des sittlichkeitsideales und der erweiterung des empirischen wissens. und wie die φιλοσοφία des volkes sich allmählich ein weltbild macht, so wird sie auch versuchen einen zusammenhang in die vereinzelten göttersagen und personen zu bringen. aber die schwierigkeit des abstracten gegenstandes bedingt schon allein, daſs dies verhältnismäſsig spät geschieht, und weit gefehlt, daſs die göttersage vor der heldensage vorhergienge, diese also ausgeartete ‘mythologie’ wäre und Ilios eigentlich eine wolkenburg bedeutete, borgt vielmehr Hesiod von Homer, trägt die göttersage oft farben der heroen - sage und hat heroisch zugestutzte göttersage wie die ϑεομαχία oder die Titanomachie für die religion nicht höheren wert als für die poesie. 63)Ein schlagendes beispiel sind die Διὸς γοναί, wie sie schon Hesiod erzählt. das zum höchsten berufene kind, von einem tyrannen verfolgt, ausgesetzt, von den tieren des waldes gepflegt, schlieſslich herrlich erwachsen und wunderbar zum siege geführt: ein allbekanntes motiv der heroensage. das ist widersinnig für den himmels - herrn, den die religion sich nur ewig denken kann, und für die religion hat es auch nirgend etwas bedeutet, als in dem Kretischen winkel etwa, wo der Zeus der ge - boren ward auch begraben lag. die besonderen verhältnisse dort fordern für sich eine aufklärung, und die funde der Idäischen grotte zeigen wol, daſs die religion, welche hinter dieser hellenischen sage sich verbirgt, keine hellenische war.
So fassen wir also die sage als die ἱστορία καὶ φιλοσοφία des volkes zu einer zeit, wo das volk nur concret, in der form einer ge - schichte, eines μῦϑος, zu denken vermag, so daſs sich auch die vor - stellungen von zuständen nur in den bildern handelnder personen fassen lassen, wo endlich die unterschiede in der empfindung und der geistes - kraft der einzelnen individuen noch nicht so stark sind, um den eindruck eines gemeinsamen empfindens und denkens zu stören, so daſs wir ledig - lich das volk als das alleinige subject erkennen und anerkennen. das weltbild, welches die sage auffaſst, ist dem, welches ein dichter gibt, völlig analog; das volk schafft es sich auch in wahrheit nicht wie ein dichter, sondern als dichter. es redet eben noch seine muttersprache, die poesie: die ungeschriebene litteratur dieser muttersprache ist die sage.
Wenn wir nun wissen, was sie ist, so verstehen wir auch leicht ihre geschichte. aufhören wird die sage niemals, so lange dichter aufstehen, die den erzeugnissen ihrer phantasie die lebenskraft zu verleihen ver - stehen, daſs sie die herzen des volkes erobern und dauernd behaupten. aber es macht doch einen entscheidenden abschnitt, wenn das volk als collective einheit nicht mehr der producent der sage ist, und der dichter101Die heldensage; ihr wesen; ihre geschichte.der sie erzeugt seine individualität wol gar im gegensatze zu dem volke empfindet und hervorkehrt. das wird eintreten, wenn eine weile in leerer trägheit nur noch das vorhandene sagenmaterial weitergegeben ist, ohne wesentlich vertieft und bereichert zu werden. und es kann dieses ge - dankenlose weitergeben des einmal formirten stoffes noch lange zeit neben neuen revolutionären bestrebungen einzelner dichter fortbestehen: aber das kommt kaum noch in betracht. auch für die sage ist die ruhe der tod.
Sie ist ein strom geschmolzenen metalls. es rinnt dahin, verzehrend und einschmelzend was in seinen weg kommt, schlacken abstoſsend, blasen werfend, bis die hitze verflogen ist: dann liegt es starr und kalt und tot: aber es bewahrt nur in dieser starrheit seine form. so können wir die sage nur in dem erstarrten zustande erfassen, der ihr ermöglichte zu dauern, während sie, so lange sie lebte, dem wechsel unterworfen war. ersichtlich handelt es sich also für ihre beurteilung und ihr ver - ständnis wesentlich um den zustand, in welchem sie erstarrte, d. h. dauernde form gewann. da wollen wir denn aber kurzer hand die all - gemeine art zu reden aufgeben und ganz einfach die tatsachen der hel - lenischen sagengeschichte überschauen.
In Ionien hat sich für die sage das rechte gefäſs gebildet, das home -Die helden - sage; ihre geschichte. rische epos, und hat sich ein stand gebildet, der sich dem singen und sagen, dem vertriebe des epos, berufsmäſsig widmete. das ward für alle folgezeit entscheidend. gewiſs wollen wir nicht unterschätzen, daſs sich in diesem stande eine anzahl bedeutender dichter befunden haben, welche den stil des epos feststellten und musterstücke schufen, die sich die jahr - hunderte hindurch in der gunst des volkes behaupteten. es war aber auch das für die ganze entwickelung des epos von segensreichstem ein - flusse, daſs die Ionier das epos selbst oder vielmehr seinen keim von den Aeolern entlehnten, und daſs sich diese entlehnung auch auf den stoff erstreckte, die kämpfe um Ilios und eine reihe heroengestalten. denn sofort erwuchs nun für die dichter des epos die aufgabe, da sie doch vornehmlich die heroen des eigenen volkes verherrlichen sollten und wollten, diese in das epos einzuführen, d. h. auf den gegebenen schau - platz und in die gegebene umgebung zu bringen. so entstand von selbst ein sagenkreis, der sich räumlich und zeitlich zwar bequem ausdehnen lieſs, aber doch die nötigung den dichtern auferlegte, mit ihren neu - schöpfungen anschluſs zu suchen. so rückten die helden vieler städte, die ahnen vieler geschlechter, die in wahrheit zeitlos sein mochten, oder auch ganz verschiedenen zeiten angehörten, in ein par generationen zu -102Was ist eine attische tragödie?sammen, und selbst zwei von hause aus ganz gesonderte sagenkreise, wie Ilias und Thebais, traten wenigstens in ein festes verhältnis. das ionische epos, gepflegt mindestens von 900 — 700 ohne erkennbar sin - kende kraft der phantasie, war etwas so überwältigendes aller anderen sage und dichtung gegenüber, daſs sie sich entweder an dasselbe an - gliedern muſste oder in kümmerlicher vereinzelung verdorrte. das galt namentlich für die reiche und schöne, aber noch ganz formlose sagen - welt des mutterlandes, das durch die herübernahme des ionischen epos, wie sie vorhin erzählt ist, zwar das bequemste gefäſs erhielt, um seine eignen gedanken und empfindungen aufzufassen, aber nicht bloſs diese ionisch-episch stilisiren muſste, sondern auch seine helden und götter in die kreise derer einführen, die im ionischen epos herrschten. die ausdehnung der epischen dichtung im mutterlande kann nicht leicht zu hoch angeschlagen werden; bis tief in das sechste jahrhundert, ja in wahrheit noch weiter herab reicht die production, und es werden sowol neue stoffe in groſser zahl dem epos zugeführt, als auch das vorhandene überarbeitet. aber so gut wie immer bestrebt man sich nicht nur den epischen stil inne zu halten, sondern man projicirt alle und jede stim - mung und strebung der gegenwart in die heroenzeit. wie dem Herakles neue abenteuer zuwachsen, welche den dorischen colonisationen ent - sprechen, wie die blüte Korinths die Argonautenfahrt umgestaltet, die aegi - netischen adlichen ihren ruhm in den zügen der Aeakiden an Herakles seite finden, die erwerbung Kyrenes sowol an die Argonautensage wie an die Odyssee angefügt wird, drittens auch ein altthessalisches märchen zu neuem selbständigen leben bringt, wie die colonien an der Acheloos - mündung und am golfe von Ambrakia der Thebais einen neuen ausgang schaffen: so stellt es sich allerorten dar. die gegenwart wird in ihren eigenen ereignissen und personen vergessen, ihr spiegelbild in die sage aufgenommen und erst dieses scheint würdig einer fortexistenz. es wäre eine torheit, wollte man meinen, daſs die gegenwärtigen kämpfe und siege den leuten wertlos gewesen wären, oder daſs ihre phantasie nicht auch daran sich betätigt hätte: die so spät erst aufgezeichneten und doch so urwüchsig palikarenhaften messenischen freiheitskämpfe, die tragödie des Kypselidenhauses, Krisas untergang, die geschichten von Rhadina, Othrya - des, Kleobis und Biton dürften sogar manch einem wertvoller erscheinen als die bearbeitung der Odyssee oder der Schild des Herakles. es soll wahr - haftig nicht als eitel segen hingestellt werden, daſs die Hellenen jahrhun - derte lang sich selbst und ihre eigenen taten und leiden der hohen poesie für unwert gehalten haben. es harmonirt das damit, daſs die Peloponnesier103Die heldensage; ihre geschichte.und Boeoter auch ihre eigene sprache nicht zu schreiben wagten. aber die tatsache ist vorhanden, und weil sie uns modernen so fremdartig ist, kann man sie nicht stark und oft genug hervorheben. vixere fortes ante Agamemnona multi, sed omnes illacrimabiles urguentur ignotique longa nocte, carent quia vate sacro, das gilt auch, wenn man post für ante setzt, und die gewalt Homers zeigt sich darin vielleicht am stärksten, wo er der rieseneiche gleich kein wachstum aufkommen läſst, so weit sein schatten reicht; aber den epheu am stamme und die mistel in den ästen nährt er mit dem eigenen safte.
Nun trat ja freilich seit 600 etwa in der chorischen lyrik eine poesie auf, welche bedeutende dichter erzog, ein allgemeines interesse bei dem herrschenden adel fand, und dem dorischen wesen weit näher stand als das ionische epos. aber wo hat sie ihre vollendung erfahren? in Sicilien, im Neuland, das kein epos besaſs. und wodurch hat sie Stesichoros aus den dörflichen kreisen, die Alkman befriedigte, in die auch noch Korinna gehört, emporgehoben? dadurch daſs er epici carminis onera lyra sustinuit, durch die reception der sage. daſs der aufschwung der chorischen lyrik den niedergang des epos im 6. jahrhundert beschleunigt hat, ist nicht zweifelhaft, allein das traf nur die form. den inhalt übernahm sie; denn wenn auch ihr kleid verschlissen war, war die sage selbst doch noch frisch, und das volk konnte sich ohne sie eine erhabene poesie nicht denken. wenn der dichter so wirken wollte, wie er es beanspruchte, das volk es verlangte, muſste er die homerische sage behandeln. da be - sitzen wir ja nun glücklicherweise die pindarischen gedichte, und können mit eignen augen sehen. es sind lauter gelegenheitsgedichte, die erhal - tenen rein menschlich persönlichen anlässen gewidmet. der dichter selbst, erfüllt von einem selbstgefühl, das zuweilen an Platen erinnert, setzt seine ganze individualität ein. aber der sage kann er kaum ein par mal entraten. wenn ein obskurer herr aus einem obskuren kleinstaat, etwa ein Opuntier, zu Olympia im ringkampfe gesiegt hat, so bemüht Pindar nicht nur die olympischen heroen, er feiert nicht bloſs den home - rischen helden, den die Opuntier sich vindicirt haben, sondern er formt selbst die dortige localsage um, damit eine heroische verbindung zwischen Opus und Elis die jüngste olympische groſstat eines Opuntiers verherr - liche. er hat es sich zum gesetze gemacht, wie er selbst sagt, keinen seiner lieben Aegineten zu besingen, ohne daſs die unvermeidlichen Aea - kiden mit ihren heroischen bei der neuesten, freilich nur turnerischen, groſstat gevatter stehn. und für den tyrannen von Kyrene liefert er geradezu eine neue darstellung der Argonautensage. der dichter ist eine104Was ist eine attische tragödie?imponirende gestalt: aber diese sorte von poesie, wo die mythische er - zählung in conventioneller stilisirung und unerträgliche aufzählungen vo[n]früher gewonnenen turnprämien, complimente an turnlehrer und reit - knechte neben einander stehen und das was wahre individuelle poesie ist auf einen kärglichen raum zurückdrängen, ist ein fragwürdiges product einer mischcultur, erwachsen in einer gesellschaft, deren sämmtliche lebensformen sich überlebt haben und den stempel des verfalles tragen. die sage ist äuſserlich zu einer decoration herabgedrückt und innerlich hat sie dennoch die übermacht und erstickt die reine flamme der subjectivität selbst ein Pindar vermag sich weder ganz in die sage zu versenken noch auch sie ganz auszuscheiden.
In der heimat des epos war man weiter; die culturentwickelung war eben dort immer um ein par jahrhunderte voraus. während im mutter - lande das epos noch neue stoffliche aufgaben in überfülle zu bewältigen hatte, war hier in Ionien der moment der erstarrung für die epische sage schon um 700 eingetreten. energische dichterpersönlichkeiten waren er - standen, hatten für ihre liebe und ihren haſs, ihre gefühle und ihre ge - danken sich die waffen der elegie und des iambos geschmiedet, und damit auch der sprache des lebens die litterarische weihe gegeben. die revo - lutionen in den städten und die seit 600 immer weiter greifende, durch Harpagos auf die ganze küste ausgedehnte fremdherrschaft hatte auch die heroischen ideale gestürzt. die menschen waren über die zeit hinaus, welche durch die sage befriedigt wird. in rücksichtslosester weise drängte sich die subjectivität hervor; der einzelne, der selbsterworbenen weisheit voll, begnügte sich nicht nur nicht mehr mit den errungenschaften des volkes, sondern er trat ihm voll verachtung entgegen, der weise den blinden toren. und die sage trifft vollends haſs und verachtung. da sagt einer ἐδιζη - σάμην ἐμωυτόν, verkündet den ewigen λόγος, den er besitzt, die anderen menschen aber weder kennen noch, wenn er ihn verkündet, verstehen, und schilt auf Homer und Hesiod. und der zweite sagt Ἑκαταῖος ὧδε μυϑεῖ - ται· τάδε γράφω ὥς μοι ἀληϑέα δοκεῖ εἶναι· οἱ γὰρ Ἑλλήνων λόγοι πολλοί τε καὶ γελοῖοι, ὡς ἐμοὶ φαίνονται, εἰσίν. und der dritte ver - wirft die alten götter und ihre propheten, die epiker, und erklärt die ge - stalten der sage für πλάσματα τῶν προτέρων. der tag ist da, wo die ἱστορίη und φιλοσοφία des einzelnen die des volkes ersetzt, wo die wissenschaft die sage ablöst. so weit war Ionien zur zeit des Aischylos.
Athen steht zwischen Ionien und den Dorern. Solon und die tyrannen haben die front des staates, die früher ganz nach westen gerichtet war, nach osten gewandt. Solon und Kleisthenes haben das joch der vermorschten105Die heldensage; ihre geschichte.gesellschaftsformen gebrochen. die lebendige kraft einer in gesetzmäſsiger freiheit zum selbstbewuſstsein und zur selbstregierung berufenen bürger - schaft ist entfesselt. die schönsten aufgaben werden dem volke zur rechten zeit gestellt, werden gelöst und neue höhere ziele eröffnen sich dem blicke. in dieser atmosphäre schuf Aischylos die tragödie, ward er ein neuer Homer. das volk in seiner breiten masse lebte und webte noch in der sage, und die demokratie verwarf die tyrannische subjectivität der Ionier und die oligarchische des Pindaros. aber das volk verlangte seine eignen wahren und innigen empfindungen aus der sage hervortönen zu hören, und wollte mittun auch an seinem gottesdienste. und das volk war fromm und ernst; die höchsten und tiefsten gefühle regten sich in seiner seele: es verlangte nach dem dichter, der den gefühlen gestalt farbe klang ver - liehe: es verlangte nach dem dichter der ihm lehrer und erzieher werde, der es zu gott führe.
Also konnte für das Athen, das bei Marathon und Salamis geschlagen hat, nur eine poesie genügen, welche objectiv und volkstümlich blieb wie die des epos, in welcher der dichter mit seiner person zurücktrat. und es muſste eine ernste und erhabene poesie sein (σπουδαία, wie Aristo - teles sagt), die ein weltbild gab und gott in der geschichte zeigte, wie die homerische. damit war zugleich als stoff der einzig vorhandene ge - geben, die heldensage. aber die poesie muſste gleichwol eine neue natio - nale von dem geiste der groſsen gegenwart durchtränkte sein: die home - rische sage muſste aus dem attischen geiste wiedergeboren werden, das waren die forderungen für den inhalt. was die form angieng, so ist oben gezeigt, daſs die chorische lyrik, aber von einem bürgerchore aus - geübt, und der ionische sprecher und für beide das costüm, also die μίμησις gegeben war. man kann sagen, Aischylos brauchte nur zuzu - greifen, der tragödie durch zufügung des zweiten schauspielers zur wirk - lichen handlung zu verhelfen und sie ἐκ μικρῶν μύϑων καὶ λέξεως γελοίας ἀποσεμνύνειν: dann war alles geschehen. gewiſs, wir vermögen die geschichtlichen kräfte zu wägen, einzusehen, daſs und warum sie auf das eine ziel hinwirken, welches dann durch den glücklichen griff des einzelnen erreicht wird. und es ist dann die probe gemacht, daſs das geschichtliche exempel aufgegangen ist. nur wird darum die gröſse des genies nicht geringer: seine tat bleibt immer das ei des Columbus, mögen wir ihm den platz noch so genau nachrechnen können, den ihm die geschichte vorsorglich bereitet hatte.
Es ist offenbar geworden, daſs der anschluſs an die heldensage das ist, wodurch Aischylos die tragödie geschaffen hat. damit ist die tatsache106Was ist eine attische tragödie?erklärt, welche sonst unbegreiflich aber nichts desto weniger tatsache bleiben würde, daſs nicht nur die tragödie des 5. jahrhunderts, sondern auch jede nachbildung derselben in der folgezeit die heldensage zum inhalte hat. auf diesem verhältnis beruht die einzige gröſse der griechi - schen tragödie; aber nicht minder liegt darin auch ihre vergänglichkeit beschlossen. ihr untergang war unvermeidlich, sobald auch das attische volk der sage entwuchs. denn dann muſste die attische nachfolgerin Homers das schicksal ereilen, welchem Homer in Ionien verfallen war. und nun eröffnete dieselbe groſsartige politische bewegung, welche dem drama des Aischylos die weihe gab, Athen völlig dem ionischen einfluſs, oder verlegte vielmehr den schwerpunkt des geistigen lebens von Ionien nach Athen. dadurch ward der an sich notwendige entwickelungsproceſs beschleunigt, der durch befreiung des subjectiven denkens und der indi - vidualität die sage und ihr gefäſs, die tragödie, überwinden muſste. wo Anaxagoras Protagoras Sokrates lehren, ist in der tat kein raum mehr für sie. wenn nicht ihre beiden dichter noch gelebt hätten, würde sich die tragödie kaum bis 406 gehalten haben. als sie aber starben, empfand das publicum selbst den tod der tragödie. Aristophanes lieſs Dionysos in den Hades hinabsteigen. Platon verbrannte seine tetralogie; nicht weil er darauf verzichtete, ein dichter zu werden im sinne des Aischylos, son - dern weil er erkannte, daſs der tragiker jetzt nicht mehr der lehrer und meister des volkes sein konnte. er versuchte freilich — so stark war die gewalt der tragödie — sich eine neue kunstform von dramatischem cha - rakter zu schaffen, und er schuf sich statt der überwundenen heroen - sage auch einen sagenkreis, den von Sokrates; aber er erlebte doch oder bewirkte vielmehr selbst daſs die wissenschaft das poetische gewand ganz abwarf; wenigstens die wahre, denn in niederen aber deshalb volkstüm - licheren kreisen trat dem sokratischen sogar noch der sagenkreis von Diogenes zur seite. die poetische form des dramas dauerte freilich, ja das dramatische ward erst jetzt recht als artbildend erfaſst; man tat auch hier den notwendigen schritt, da die heroischen abbilder nicht mehr ver - fiengen, frisch in das volle menschenleben der gegenwart hineinzugreifen und von da die stoffe zu holen. Menander steht zum βίος wie Aischylos zu Homer: er bewirtet seine zuschauer mit τεμάχη von den μεγάλα δεῖπνα τοῦ βίου. aber das drama ist, seit es die sage verloren hat, nur noch komödie; das σπουδαῑον ist dahin, unwiederbringlich. die Hellenen haben nach Platon keinen dichter und keine poesie im hohen stile mehr besessen: um so ungeheurer war und blieb die gewalt, welche die fast schon bei lebzeiten an die seite Homers erhobenen drei attischen107Beantwortung der frage. die aristotelische definition.tragiker ausübten. allein diese geschichtliche wirkung, die in gewissem sinne ewig dauern wird, ist in jeglicher hinsicht eine andere als die welche die dichter selbst beabsichtigten und ihre werke zu ihrer zeit ausübten. und die philologie hat zwar auch die aufgabe jene geschicht - liche wirkung zu verfolgen und zu erklären: aber das nächste und not - wendigste ist, den dichter und sein werk selbst zu begreifen.
Wir stehen am schlusse: es ist nur noch nötig, den ertrag unsererBeantwor - tung der frage. betrachtungen zusammenzuziehen, damit die frage beantwortet werde, was ist eine attische tragödie? eine attische tragödie ist ein in sich ab - geschlossenes stück der heldensage, poetisch bearbeitet in erhabenem stile für die darstellung durch einen attischen bürgerchor und zwei bis drei schauspieler, und bestimmt als teil des öffentlichen gottesdienstes im heiligtume des Dionysos aufgeführt zu werden.
Das ist ohne zweifel eine definition, mit welcher die aesthetische theorie so nichts anfangen kann, vielmehr wird diese sofort und mit leichtigkeit sich aus ihr nur das aussuchen, was für sie wesentlich ist. denn die aesthetische theorie will die tragödie definiren; die philologie hat es aber mit der attischen tragödie zu tun, und für diese ist alles wesentlich, was für die dichter als gesetz gegeben war, und sich demnach in ihren werken wirksam zeigt, also z. b. die qualität der tänzer, die be - schränkte zahl der schauspieler, zeit und ort der aufführung. die theorie hat die aufgabe, die notwendigkeit für jede der forderungen begrifflich zu erweisen, welche sie in der definition zusammenfaſst; die philologie hat ihre aufgabe eigentlich schon erfüllt, wenn sie die existenz jedes einzelnen kennzeichens, das sie in die definition aufnimmt, an den con - creten erscheinungen, den tragödien, dartut: im vorstehenden soll aber auch für alles einzelne die entstehung erläutert und somit zwar nicht ihre begriffliche, aber wol ihre geschichtliche notwendigkeit erwiesen sein.
Aristoteles hat nicht die attische tragödie geschichtlich, sondern dieDie aristote - lische defl - nition. tragödie begrifflich definiren wollen, und nur weil sein einziges beobach - tungsmaterial in attischen tragödien und ihren nachahmungen bestand, kann der moderne sich leicht über seine absicht täuschen. gleichwol wird jeder erwarten, daſs hier die aristotelische definition zur vergleichung herbeigezogen werde. ἔστιν οὖν τραγῳδία μίμησις πράξεως σπου - δαίας καὶ τελείας μέγεϑος ἐχούσης ἡδυσμένῳ λόγῳ χωρὶς ἑκάστου τῶν εἰδῶν ἐν τοῖς μορίοις — so weit stimmt das, wenn man den ver - schiedenen standpunkt berücksichtigt, im wesentlichen, und die einheit und abgeschlossenheit, die freilich für jedes kunstwerk gilt, ist ein sehr wichtiges moment, das gewürdigt zu haben vielleicht das wertvollste an der108Was ist eine attische tragödie?ganzen definition ist64)Wenn man die einheit der handlung so misverstanden hat, daſs nur eine verwickelung erlaubt sein sollte, und demgemäſs die Hekabe und den Herakles des Euripides, Lear und Kaufmann von Venedig getadelt hat, so ist das geschehen, weil man den Aristoteles nicht im urtext zu grunde legte. selbst der Götz genügt der wirklich aristotelischen forderung, mag auch ein gewisses ἐπεισοδιῶδες als vor - wurf mit recht haften bleiben. aber Heinrich IV. oder Faust genügen nicht.. Aristoteles fährt fort, δρώντων καὶ μὴ δι̕ ἀπαγγελίας. insofern hierdurch nur der unterschied vom epos bezeichnet werden soll, ist es ohne weiteres zutreffend; ich habe dem durch das wort ‘darstellung’ genüge zu leisten gesucht. aber Aristoteles selbst hat ohne zweifel mehr darin gesucht und von der tragödie gefordert, daſs sie ihre handlung im wesentlichen vor augen führen, darstellen und nicht erzählen soll. eben so wenig werden wir zögern, die forderung als be - rechtigt anzuerkennen; unser gefühl werden auch die attischen dramen besonders ansprechen, welche ihr genügen, also z. b. Philoktet und Oedi - pus, Medeia und Ion. aber für die attische tragödie ist, wie wir gesehen haben, das dramatische accessorisch, und vollends die μίμησις πράξεως — δρώντων καὶ μὴ δι̕ ἀπαγγελίας sehen wir zwar von Richard III Othello Götz erfüllt: allein, wer auf das dramatische das höchste gewicht legt, dem haben erfahrungsgemäſs die nachahmungen der antike und diese selbst nicht genüge geleistet. nicht bloſs die Perser, auch die Sieben geben nicht die handlung, oder doch nur im reflexe, halb episch, halb lyrisch. Aischylos Εὐρώπη ἢ Κᾶρες65)Karer bilden den chor, weil sie für die totenklagen geeignet sind. daſs Sarpedon ihr fürst und nur nebenher der der Lykier ist, zeigt, daſs die ausbildung der sage milesisch ist, wohin die verbindung des Sarpedon mit Kreta auch weist: denn das hinterland von Milet ist karisch. können wir uns nach dem pro - loge und der zu grunde liegenden homerischen episode ganz wol vor - stellen, die sorge der mutter um den fernen sohn, den barbarenchor, dem die fremdartige wilde klage geziemt, einen botenbericht, der das Π nacherzählt, Schlaf und Tod mit der leiche Sarpedons, die errichtung des schon von Homer erwähnten grabmals: ein herzzerreiſsendes bild des mutterschmerzes und der früh gebrochenen menschenblüte, versöhnt durch den ewigen ruhm der mannesehre, die im grabe des Aresgefällten das leben hat, ein abbild der empfindungen, welche die Erechtheiden haben mochten, als sie den leichenstein CIA I 433 errichteten: das gibt eine echte attische tragödie, aber ob es ein wirkliches drama gibt, ist mir selbst zweifelhaft. der unterschied zwischen dem abstract von uns geforderten und dem concret in Athen erkannten und erstrebten ist in diesem punkte besonders augenfällig. wir erleben ja aber auch, daſs das dramatische109Die aristotelische definition.übertrieben wird, das sinnfällige allein als handlung erscheint, und ein flachkopf dem Tasso mangel an handlung vorwerfen darf, während anderer - seits für die sitte der botenreden im attischen drama, die doch lediglich aus seiner herkunft erklärt werden darf, eine aesthetische rechtfertigung erkünstelt wird.
Immerhin liegt hier nicht der hauptunterschied, der das attische drama von dem aristotelischen scheidet. aber er fährt fort δι̕ ἐλέου καὶ φόβου περαίνουσα τὴν τῶν τοιούτων παϑημάτων κάϑαρσιν. und dieses kleinod der aristotelischen lehre können wir nicht brauchen, mag es auch das unschätzbarste sein. man kann doch darüber keine worte verlieren, daſs eine kathartische wirkung weder Aischylos erstrebt noch die Athener erwartet haben. mag der philosoph auch noch so scharf und fein die wirkung beobachtet haben, welche eine tragödie auf das publicum oder auch auf ihn bei einsamem lesen ausübte: diese wirkung war den dichtern und ihrem volke unbewuſst. der dichter, der für den festtag ein spiel lieferte, für das ihm bestimmte bedingungen gestellt waren, wollte gewiſs höheres als beklatscht und bekränzt werden; ge - wiſs wollte er sein volk lehren und erbauen: aber das lag in seinem berufe als dichter, nicht als tragiker. und das volk erwartete und erfuhr die wirkung der poesie als solcher: was es von der tragödie als solcher forderte, das lag in deren äuſserem anlaſs, den Aristoteles (mit recht für seinen absoluten standpunkt) nicht berücksichtigt, wol aber wir aufzu - nehmen haben. die tragödie ist ein teil des dionysischen gottesdienstes. nun liegt am tage, daſs die besten tragödien im tiefsten sinne erbaulich wirken: aber dem dionysischen dienste darf man das nicht zurechnen, denn dieser verlangt ja nicht nur auch das satyrspiel, sondern er hatte sich mit diesem lange begnügt, ohne etwas im ernsten sinne erbauliches zu fordern. um so weniger darf diese wirkung in die definition der tragödie eingang finden.
An sich betrachtet ist in der kunstlehre des Aristoteles ohne zweifel die volle gröſse des unerbittlichen menschenkenners zu bewundern, und wer mag sich nicht gern daran erquicken, wenn er die hochmodernen sich mit dem probleme des wolgefallens an tragischen gegenständen ver - gebens quälen sieht. wie sollte nicht bedeutende wahrheit in dem liegen, worin Aristoteles und Goethe sich zusammenfinden? aber das sollte man sich eingestehen, daſs die κάϑαρσις für das drama nicht artbe - stimmend sein kann, und selbst wenn man die affecte, durch welche das drama wirkt, als artbildend anerkennen wollte, so würde das unselige par furcht und mitleid recht unzureichend bleiben. für uns gewiſs; denn110Was ist eine attische tragödie?wirkt etwa z. b. Calderons Andacht zum kreuze nicht kathartisch, tragisch selbst auf den, dem eine solche religion widerwärtig und entsetzlich ist? der affect aber, durch den sie wirkt, ist doch wol weder ἔλεος noch φόβος sondern devocion. der Prinz von Homburg schlieſst mit einer scene überwältigenden jubels, und selbst der leser in stiller kammer stimmt laut in den schluſsruf ein “in staub mit allen feinden Branden - burgs”: der affect, der sich da entlädt, ist doch wol von furcht und mitleid sehr weit entfernt, ist patriotismus. nun mag Aristoteles ent - schuldigt sein, denn er hatte für religiöse hingabe nicht viel mitgefühl, und patriotismus kannte der heimatlose nicht. aber die alten Athener hatten beides, und in den Eumeniden weht der echte fromme glaube an die gerechtigkeit und das erbarmen der gottheit und der echte stolz auf das herrlichste vaterland. also ist die beschränkung auf jene zwei affecte zu eng. und doch ist noch schlimmer, was durch die einseitige hervor - hebung derselben bewirkt wird. natürlich findet Aristoteles den dichter und das gedicht am besten, welche diese affecte am stärksten spielen lassen. unvermeidlich ist, daſs ihm ein ‘tragischer’ ausgang mindestens vorzüglicher erscheint, wobei denn Eumeniden und Philoktet und Iphi - genie und Prinz von Homburg übel fahren müssen. und wenn die dichter und das publicum erst dahinter kommen, daſs die wirkung eine patho - logische sein soll, so wird eine verrohung der empfindung unvermeidlich sein, weil die reizungen immer stärker werden müssen. diese definition führt zu Seneca; und wenn nur Shakespeare nicht so oft in diesem sinne ‘tragisch’ wäre. aber auch in der nötigen verallgemeinerung von der tragödie auf die kunst überhaupt streift die aristotelische kunstlehre an das philistergefühl, daſs man in’s theater gehe, um sich aus der misere des tageslebens auf ein par stunden dadurch zu entrücken, daſs man sich recht ausweint oder auslacht; das bekommt gut; man geht am andern morgen frischer in die tretmühle. es ist auch hier etwas von der frömmig - keit am sonntagvormittag für die ganze woche. wenn Goethe vor der meduse Rondanini die menschheit höher fühlt, Schiller meint, nie ganz unglücklich werden zu können, seit er die Leichenspiele des Patroklos gelesen hat, so ist das doch wol mehr: was wir für das leben dem ver - danken, daſs wir den Faust besitzen, täglich und stündlich bewuſst und unbewuſst unter seiner wirkung stehen; die lebenserfahrung, die darin liegt, daſs einmal das groſse auge des einen stoischen gottes aus der kuppel des Pantheons oder das bunte göttergewimmel der Christen in S. Maria della Arena auf uns niedergeschaut hat, das ist etwas höheres als eine ein - malige pathologische wirkung, die etwa nur im gedächtnis lebte: was man111Die aristotelische definition.empfindet ist nicht pathologisch sondern moralisch, ist keine κάϑαρσις sondern eine reinigung. aber das gehört nicht hierher; oder doch nur so weit, als die Athener im gegensatze zu Aristoteles von ihren dichtern, weil sie dichter waren, et delectare et prodesse verlangt haben. und wenn es ein ruhm sein sollte, daſs Aristoteles die moralische wirkung nicht an - erkennt, so hat er das erreicht, weil er nicht mehr hellenisch empfand.
Wie wenig er das tat, zeigt sich am stärksten darin, was seine defi - nition vermissen läſst, obwol es das wichtigste ist: er ignorirt die sage. das beispiel, das er an der Iphigeneiafabel gibt (17), zeigt, daſs er sich die tätigkeit des dichters wirklich etwa so vorstellt, wie Raffaels handzeich - nungen es für den maler beweisen. erst wird das allgemein menschliche motiv in seiner natürlichen naktheit durchgeführt, dann erst findet die bekleidung mit den sagenhaften namen statt. die tatsache, daſs gleichwol die tragiker keine erfundenen stoffe behandeln, ist Aristoteles unbequem; mit wolgefallen notirt er eine ausnahme, obwol Agathon weder nach - haltigen beifall noch nachahmung gefunden hatte. endlich hilft er sich damit, daſs das publicum auf wahrscheinlichkeit halte und diese doch vorhanden sein müsse, wenn die geschichten wirklich passirt sind. also die sage hat nur als geschichtliche wirklichkeit bedeutung. nun lehrt aber Aristoteles selbst, daſs die wirklichkeit unpoetisch ist, muſs sich also damit helfen, daſs doch unter dem was passirt auch einzelnes ist, das der anforderung des poetischen (οἷον ἂν γένοιτο) entspricht, wofür ihm eine bestätigung ist, daſs zu seiner zeit nur noch eine beschränkte zahl von sagenstoffen wieder und wieder bearbeitet wurden. wer wollte leugnen, daſs Aristoteles auch hier nur sagt was er empfindet und zu empfinden ein recht hat. denn für ihn war die sage tot, so daſs er sie weder als lebendige macht anerkennen noch, wie Platon, bekämpfen mochte. wenn ein bedeutender tragiker noch erstanden wäre, so hätte er jedenfalls die heldensage aufgegeben und in das menschenleben der gegen - wart hineingegriffen; dabei würde dann freilich die scheidelinie zwischen tragödie und komödie durchbrochen worden sein und ein ganz neues ‘drama’ entstanden. aber das hat Aristoteles nicht geahnt: nicht er hat Shakespeare prophezeit, sondern Platon. er hat der folgezeit die richtige directive nicht gegeben, sondern ist in den formen einer innerlich über - wundenen poesie stecken geblieben. und geschichtlich verstanden hat der die alte groſse attische tragödie wahrhaftig auch nicht, der ihren inhalt ignorirt. es ist in der poetik wie in der politik, wo er weder der groſsen vergangenheit, dem attischen Reiche, noch der groſsen zukunft, dem reiche Alexanders gerecht zu werden versteht, vielmehr in der misere112Was ist eine attische tragödie?der kleinstadt und der dafür geeigneten gesellschaftsordnung verharrt, welche von der speculation und von der geschichte in wahrheit längst überwunden war.
Endlos und nutzlos würde es sein die modernen definitionen des dramas mit der des attischen zu vergleichen, welche die geschichte gibt; das οἷον ἂν γένοιτο ist philosophischer, aber es ist mit dem οἷον ἦν incommensurabel. nur einige consequenzen zu ziehen wird praktisch sein, weil gewisse vorurteile sich fest eingewurzelt haben, so daſs es nicht genügt gezeigt zu haben, daſs sie unkraut sind; sie müssen ausgerissen werden.
‘Tragisch’ braucht eine tragödie weder zu schlieſsen noch zu sein. nur die ernsthafte behandlung ist nötig. die peripatetiker, welche an dem ausgange des euripideischen Orestes und gar der sophokleischen Elektra anstoſs nehmen66)Orestes hypoth. und aus dieser schol. 1691, Alkest. hypoth. diese führt in einer handschrift (Laur. C) den autornamen Δικαιάρχου: das ist ganz unverständlich, wenn man es nicht auf diese aesthetische kritik bezieht. ebendaher der wertvolle litterar-historische traktat, der meist περὶ κωμῳδίας genannt wird, obwol er weiter greift und vermutlich auf die chrestomathie des Proklos zurückgeht; jetzt zu lesen in dem neudruck von Studemund Philol. 46, 13. die auszüge des Tzetzes hieraus haben nun kein anrecht auf beachtung mehr., sind durch Aristoteles auf einen holzweg ge - lockt. die Alkestis enthält gerade sehr rührende partien, sie soll und kann als tragödie gelten: aber sie schlägt in den zankscenen einen scherz - haften humoristischen ton an und führt Herakles als komische figur ein: dadurch wird sie dem satyrspiel angeähnelt, das ja aber die tragödie aus sich entwickelt hat, so daſs die grenze (wenn man von dem satyrchor absieht) keine feste ist.
Es ist die meinung verbreitet, daſs die attische tragödie erst allmäh - lich dazu fortgeschritten wäre, individuelle menschen zu schildern, nach - dem sie typen gebildet hätte, also z. b. Sophokles ‘den könig’ ‘die schwester’ ‘den greis’. das würde sehr seltsam sein, denn erst die abstraction findet solche typen, während die beobachtung nur individualitäten liefert. und daſs die bildende kunst lange zeit nur ‘mann’ und ‘weib’ gebildet hat, ehe sie Perikles und Lysimache bilden kann, zeigt nur den gegensatz der künste, der in ihrem wesen liegt. es würde aber auch schwer begreif - lich sein, daſs Sophokles nicht können sollte, was Homer schon zur voll - kommenheit geführt hat: Achilleus und Nausikaa sind wahrlich keine bloſsen typen. der gang der entwickelung ist umgekehrt. der jüngling schreibt Götz und Werther, die jedermann verständlich sind; Epimenides113Moderne vorurteile.und Natürliche tochter versteht nur, wer dem Goethe der aus Italien heimkehrt in das reich des typisch symbolischen zu folgen vermag. nun ist aber tatsächlich jener ansicht der boden entzogen: die tragiker em - pfamgen ihre gestalten von der sage, und die liefert ihnen nicht greis und schwester, sondern Oedipus und Antigone. und zugleich ist erklärt, wie jener irrtum entstehen konnte: figuren, welche die sage prägt, tragen allerdings nicht die zufälligkeiten eines modells an sich. vor allem aber wirkt verwirrend, daſs die tragischen gestalten für uns typisch geworden sind. wir mögen ja in Antigone die schwesterlichste der seelen be - wumdern, wobei wir das ὠμὸν γέννημα ἐξ ὠμοῦ πατρός vergessen. aber dazu hat sie die gewalt der sophokleischen poesie und der von jahr - humderten dieser zugestandene classische vorrang gemacht, und es ist nicht damit gleichzusetzen, was sie für Sophokles und seine zeit war. bei Seneca ruft die amme Medeas entsetzt ihre herrin an ‘Medea’, und diese antwortet fiam: für sich selbst ist sie das typische bild der kindesmörderin, die euripideische Medeia. wie sollte es erlaubt sein, Euripides selbst schon ähnlich empfinden zu lassen, als er diese Medeia erst schafft.
Es könnte nun freilich scheinen, als lieferte die sage zugleich mit dem stoffe die charaktere, und wenn die epischen dichter alle so viel vermocht hätten, wie die welche Nausikaa und den Achill der Litai ge - staltet haben, würde das auch zutreffen — in dem falle würde aber freilich auch die sage einer erneuerung durch die tragödie nicht bedurft haben. in der überwiegenden menge von epen war von so ausgeführter charakte - ristik nicht die rede; man denke nur an Hesiodos. schon der stoffreichtum der meisten gedichte schloſs das aus. ferner erhielt der tragiker auch durch die wielgestaltigkeit der sage die freiheit. Odysseus, der göttliche dulder des ionischen epos, war für die Dorer der verlogene Sisyphide; die Atreiden des epos waren heldenkönige, die Pleistheniden des Stesichoros waren frevler. mit ausnahme von ganz wenigen älteren schöpfungen hat tat - sächlich erst das drama die charaktertypen aus den heroen gemacht, als welche sie dann gegolten haben. wenn der peripatetiker lehrt sit Medea ferox invictaque, flebilis Ino, perfidus Ixion, Io vaga, tristis Orestes, so steht er zu den charakteren wie Aristoteles zu den mythen, aus deren reichster fülle er nur noch wenige praktisch verwertbar findet. die groſsen tragiker aber fühlten sich noch als freie herren, durften dies und jenes versuchen, gebunden weder an fremde noch an eigene charakteristik: gebunden nur an den μῦϑος, nicht an die ἤϑη. und wenn diese durch den μῦϑος bis zu einem gewissen grade vorgezeichnet erscheinen sollten, so genügt ein hinweis auf die Elektra des Sophokles und Euripides um zu lehren,v. Wilamowitz I. 8114Was ist eine attische tragödie?wie weit der freie spielraum war. die tragiker und ihre frische und kühne schaffenskraft stehen mitten inne zwischen dem conventionellen heroentum des epos und dem conventionellen heroentum, das die spätere zeit aus der tragödie selbst abstrahirt. und darum ist eine befreiung von diesen beiden fesseln für jeden nötig, der sie verstehen will. eben dieselben leute, welche über die typische stilisirung der tragödie klagen, reden dem Aristophanes die klagen über die bettelhaftigkeit euripideischer helden nach, die doch nur dadurch eingegeben sind, daſs das athenische durch - schnittspublicum, an die conventionelle epische stilisirung gewöhnt, es unschicklich fand, daſs könig Telephos sich trug und betrug wie ein armer reisender von dazumal. die wahre kunst ist immer anachronistisch und läſst ihre geschöpfe fühlen reden und sich tragen, wie sie es im leben kennt, und sie lebt darum im widerstreite sowol mit dem conventionellen stile, den sie überkommt, wie mit der trägkeit der denkfaulen zeitgenossen. wer dem dichter gerecht werden will, wird ihn auf kosten des conven - tionellen erheben. für unsere anschauung ist es ein greulicher zopf, daſs die classische tragödie Frankreichs nur könige oder doch standespersonen als helden duldet und kein schnupftuch auf der bühne nennen kann: aber ihre dichter sind dichter, weil Andromache eine vollblutfranzösin ist und Mahomet der verbrecherische betrüger, den sich die aufklärung allein als religionsstifter denken kann. eine ähnliche abstraction von dem conven - tionellen costüm fordert auch die attische tragödie. ohne zweifel sind in Euripides Orestes die personen ziemlich alle lumpen, wie die peripatetiker klagen, aber deshalb ist das drama mit nichten schlecht. hier zeichnet Euri - pides Helene als coquette weltdame und Menelaos als einen schwachmütigen aber nicht bösartigen egoisten. ein par jahre zuvor war in der Helene der - selbe als ein sentimentaler, wenig gescheiter aber im entscheidenden augen - blicke entschluſsfähiger mann, Helene als eine etwas verblühte tugendrose neben dem polternden barbarischen dummkopf Theoklymenos eingeführt. daſs dies verfahren dem wesen der sage gewalt antat, und so der greise dichter selbst den beweis lieferte, daſs die tragödie ihre existenzberechtigung verloren hatte, ist unbestreitbar: aber die bewuſst geübte fähigkeit der in - dividuellsten charakterzeichnung liegt zu tage. und ist etwa die aulische Iphigeneia und ihr Achilleus, ist die verliebte Andromeda, ist Pentheus im gröſsenwahnsinn nicht für alle zeiten damals charakterisirt, und ist die flebilis Ino, die Medea ferox und auch die schwesterlichste Antigone, der redliche Neoptolemos auf anderm wege als durch die dichterwillkür der tragiker geschaffen?
Weil die dichter noch aus eigner machtvollkommenheit die ἤϑη115Moderne vorurteile.schufen, hatten sie auch allein die möglichkeit, einen charakter sich ent - wickeln zu lassen. nicht bloſs die Klytaimnestra des Aischylos tut es, da sie in drei dramen hinter einander auftritt: Medeia sehen wir zur ver - brecherin werden, Phaidra, Hekabe, Kreusa sind vollkommene gemälde psychischer krankheiten. daſs Bellerophontes die tragödie der menschen - feindschaft war, können wir nur noch ahnen: Herakles aber zeigt uns die krankheit und die heilung zugleich. das war nicht mehr möglich, als die tragischen personen wirklich zu typen geworden waren: Seneca lehrt es genugsam, und hat doch auch eine Medea und Phaedra gedichtet. das ward aber schon viel früher weder verstanden noch geschätzt. der fluch des menandrischen lustspiels ist es, daſs es χαρακτῆρες gibt wie Theophrastos sie gezeichnet hatte — ob sie anonym blieben oder Philon und Chremes hieſsen, macht wahrlich keinen unterschied. und schon bei Aristoteles sehen wir, daſs er so gröblich sich versehen kann, die aulische Iphigeneia zu tadeln, weil sie nicht entweder lediglich als schlachtopfer weint, oder als heldenjungfrau mutvolle reden hält. es war nur eine con - sequenz davon, daſs seine schüler der Medeia die regungen der liebe zu ihren kindern verübelten67)Hypothes. und schol. 922..
In diesen dingen sehen wir die freiheit der dichter gegenüber der sage, die unvergessen bleiben muſs, zumal wenn man der sage endlich das ihre gibt. aus den charakteren wird die handlung motivirt: die hand - lung aber war gegeben, also auch der ausgang. da wird die moral for - dern, daſs der dichter so motivire, daſs die poetische gerechtigkeit be - friedigt wird. und wirklich hört man oft, daſs die antike tragödie, wenn sie auch sonst ein überwundener standpunkt wäre, in groſsartiger naivetät schuld und strafe in ihrer unerbittlichen verkettung darstellte. Schiller hielt seine Braut von Messina doch wol für eine tragödie in antikem sinne, und in ihr soll ja die schuld, der übel gröſstes, böses fortzeugend bis zum allgemeinen untergange dargestellt sein. derselbe Schiller hat auch mindestens mit verschuldet, daſs die Athener in den geruch des fatalismus geraten sind. in der ersten classe der mädchenschule, in den aesthe - tisch-kritischen ergüssen der monatsschriften, also dort wo man im vollbesitze der allgemeinen bildung ist, auch in poetiken, die sich an diese kreise wenden, ist es eine ziemlich ausgemachte sache, daſs Sophokles und Müllner schicksalstragödien verfaſst haben. und ganz besonders weiden sich die christlichen von heute, schwarze wie graue, daran, daſs die blinden heiden ein recht blindes schicksal geglaubt hätten, das den menschen sünde8*116Was ist eine attische tragödie?tun lieſs, die er nicht verschuldete, und ihn dann strafte für taten, die er nicht auf dem gewissen hatte. die sprünge mittelst deren man das blinde schicksal neben der verkettung von schuld und strafe halten zu können vermeint, brauchen nicht vorgeführt zu werden. es liegt ja auf der hand, daſs beides sich ausschlieſst und eines so falsch wie das andere ist, in wahrheit nichts als eine gedankenlose verallgemeinerung des eindrucks, den einerseits die Orestie, andererseits der Oedipus macht. auch das liegt am tage, daſs hier ein maſsstab angelegt ist, den die Hellenen gar nicht gekannt haben. die antike theorie des dramas hat niemals an solche dinge gedacht noch denken können, zumal mit Aristoteles ist es alles ganz unvereinbar, und gar den Athenern des 5. jahrhunderts den glauben an ein blindes schicksal, den kalten faulen determinismus, zuzutrauen ist schlimmer als lächerlich. die Athener erzeugten ja damals die Sokratik. und was würde Sokrates dem prediger des unfreien willens anders sagen, als ‘das ist weibergerede’. Shakespeare nicht anders. ‘ist’s mein schicksal, gut, ist’s nicht, auch gut’ so redet sein frauenschneider Schwächlich. das problem der willensfreiheit liegt dem 5. jahrhundert ganz fern, dessen philosophisches interesse vielmehr dem erkenntnis - theoretischen probleme zugewandt ist. und auch die ethik fragt zunächst nach der berechtigung der wertschätzung moralischer handlungen. es wäre schlimm, wenn man an die absurdität dieses modernen geschwätzes noch mehr worte verlieren sollte: philosophie geschichte poesie sträuben sich gleichermaſsen dagegen.
Gewiſs, die tragödie ist ein weltbild, und sie schildert die menschen in ihrem handeln und leiden. also muſs sie bewuſst oder unbewuſst die ewigen probleme der menschlichen verantwortlichkeit und der göttlichen gerechtigkeit behandeln. aber da das leben fortwährend sowol für wie gegen den determinismus, für wie gegen die theodicee zu zeugen scheint, wird auch sein abbild diese widersprüche zeigen. und da auch die einzelnen dichter bewuſst oder unbewuſst zu diesen problemen stellung nehmen müssen, werden ihre werke so oder so eine antwort geben. anders wird aus Aischylos der glaube an einen allgütigen weltenherrscher reden als die protagoreische sophistik aus Euripides. aber das ist die individuelle sache der dichter. sie lehren ihr volk was sie ihr herz heiſst. mit ihrem dichter - berufe oder gar mit der dichtgattung, deren sie sich bedienen, hat der in - halt ihrer lehre nicht das mindeste zu tun. wir mögen immerhin urteilen, daſs die höchste und herrlichste tat des dichters erst die sein wird, welche im menschengeschicke den triumph der idee des guten so zu offenbaren weiſs, wie es Aischylos vermocht hat. wir mögen recht haben, wenn117Moderne vorurteile.ums die hehre weihe, die das ende des Oedipus verklärt, teurer ist als das herzzerreiſsende bild des geblendeten, der vergeblich um den tod bittet. allein der dichter der mit gleicher glaubenswahrheit die grellsten disharmo - nieen ertönen läſst, die der menschen wollen und sollen und können, der menschen streben und gelingen durchziehen, hat das gleiche recht, und auch er erfüllt seinen erhabenen dichterberuf. vollends die s. g. poetische gerechtigkeit ist ja überhaupt nur für den pöbel da, der den schluſs des Lear nicht verträgt, Hamlet auf den thron führt, und die Wahlverwandt - schaften unmoralisch, Kain gotteslästerlich findet. dieser pöbel existirt für die attischen tragiker so wenig wie für Shakespeare und Byron. was Euripides hinter mehrere dramen als schluſswort gesetzt hat, könnte hinter jedem attischen, hinter jedem drama von Shakespeare stehen:
πολλαὶ μορφαὶ τῶν δαιμονίων, πολλὰ δ̕ ἀέλπτως κραίνουσι ϑεοί. καὶ τὰ δοκηϑέντ̕ οὐκ ἐτελέσϑη, τῶν δ̕ ἀδοκήτων πόρον ηὗρε ϑεός· τοιόνδ̕ ἀπέβη τόδε πρᾶγμα.
man hat das trivial genannt. sei dem so. sei es etwas höheres, wenn das drama lehrt, daſs das schicksal mit dem menschen spielt wie die katze mit der maus, oder daſs der gott dem menschen neidisch sein glück nicht gönnt, oder daſs er wenigstens in jedem funften acte die zeche macht und jeden so viel zahlen läſst wie er auf dem kerbholz hat — das attische drama gehen alle diese schönen sachen darum doch nichts an. der dichter beabsichtigt auch nicht zu zeigen, wie sich zwei widerstreitende gewalten zerreiben wie zwei mühlsteine, noch will er sein publicum zu einer woltätigen entladung vom furcht und mitleid sollicitiren: er beansprucht nur, eine merkwürdige geschichte dargestellt zu haben. Theophrastos war nicht geistreich, die rechte famulusnatur war er neben Aristoteles, aber wenn er es ist (wie er es wol sein wird), der die tragödie ἡρωικῆς τύχης περίστασις genannt hat, im gegensatze zu der ἰδιωτικῶν πραγμάτων ἀκίνδυνος περιοχ〈…〉〈…〉, der komödie (Diomedes p. 488 K.), so ist das trotz einiger trivialität gar nicht so übel, und namentlich würde es die modernen von den irrgängen tieff - und scharfsinniger construction auf das geschichtliche object haben zurückleiten können.
Indessen auch alle diese irrtümer wollen wir nicht bloſs abweisen, son - dern auch erklären. auch sie kommen daher, daſs man der sage vergaſs, welche in die gedichte zumal der greise Euripides und Sophokles aller - dings befremdliche disharmonien hineingetragen hat. weil die sage die tatsachen gibt (und so sieht sie ja selbst Aristoteles an), hat der dichter118Was ist eine attische tragödie?ausgangspunkt und ziel, wenigstens in den meisten fällen, und aus sich findet er nur den weg. auch dem publicum ist der ausgang bekannt: über - raschungen im fünften acte kann die attische tragödie nicht wol geben; die ‘spannung’ der zuschauer in der rohen weise, wie sie ein dutzendroman zu erregen sucht, kann sie gar nicht ermöglichen. nun treiben es die dichter aber nicht selten so, daſs sie die handlung einen weg führen, der der wahrscheinlichkeit nach nicht zu dem unvermeidlichen ziele führen kann. das muſs dann also gewaltsam erreicht werden, denn der ausgang ist ja eine notorische tatsache, und so rufen sie das schicksal an, das in wahrheit nur ein ausdruck für den zwang der sage ist, der auf dem dichter liegt. er hilft sich mit diesem deus ex machina aus der verlegen - heit, und die einführung des wirklichen maschinengottes ist im grunde nur das eingeständnis dieser verlegenheit. sein aufkommen ist freilich ein beweis dafür daſs die dichter die harmonie mit der sage verloren haben, und also ein symptom des baldigen endes für die nicht mehr inner - lich berechtigte tragödie. aber mit den metaphysischen überzeugungen oder gar der religion der dichter hat er nichts zu tun, geschweige mit der ihres volkes68)Mitgewirkt hat zu dem modernen glauben an die schicksalstragödie die vorliebe, welche Sophokles für orakel hat, eine manier, die noch viel tiefer in die ökonomie des dramas eingreift als der maschinengott. der moderne kann in den orakeln natürlich keine hinreichende motivirung der ereignisse und höchstens rohe willkür des gottes sehen. Sophokles, auch hierin mit Herodot einer meinung, hat aber ohne zweifel an orakel geglaubt und, auch wenn er sie erfand, durchaus wahr - scheinlich zu erfinden gemeint. für den gläubigen sind das tatsachen, die er so gut wie alle andern mit seiner weltanschaung in einklang bringen muſs und wird, wie auch immer diese sonst beschaffen ist..
Häufig fragen die leute auch, wie es denn zugehe, daſs die Griechen keine historische tragödie gehabt hätten; denn die tastenden versuche der ältesten zeit, zu welchen die analogie der chorischen lyrik verführte, hat man ja rasch und entschieden aufgegeben. die frage selbst zeigt, wie wenig die grundbegriffe erkannt sind. die Griechen haben ja in wahrheit nur historische tragödien gehabt: selbst Aristoteles hält ja die sage für geschichte. was man mit jenem verkehrten worte wirklich fragt, ist nur das, warum haben die Athener nicht die gegenwart oder die nur novellistisch verarbeitete jüngste periode, die freilich damals schon nach jahrhunderten zählte, für die tragödie verarbeitet, also z. b. warum hat Sophokles nicht einen Periandros oder Kroisos nach Herodot gedichtet. und auch hier ist die antwort gegeben: die tragödie bearbeitet eben die heldensage, weil sie die erbin des epos ist. weshalb die helden -119Moderne vorurteile.sage sich auf jenen engen kreis beschränkte, ist oben ausgeführt; der grund hat für die tragödie keine bedeutung mehr, aber sie stand vor der ge - gebenen tatsache. sie vermochte wol hie und da jenen kreis zu erweitern, und das hat sie redlich getan, allein sie hätte sich selbst aufgeben müssen, wenn sie mit der heldensage gebrochen hätte. noch in seinem letzten lebensjahre hat Euripides dafür den schlagendsten beleg geliefert. er wollte Archelaos von Makedonien verherrlichen: aber er tat dies, indem er ihm einen heroischen ahn gab, der sich wenigstens an die Herakliden - geschichte angliedern konnte.
So führt eine jede betrachtung zuletzt auf das verhältnis der tragödie zur sage zurück. darin liegt die wurzel ihres wesens, daher stammen ihre besondern vorzüge und schwächen, darin liegt der unterschied der attischen tragödie von jeder andern dramatischen poesie, die seitdem gekommen ist, wahrscheinlich auch, die kommen wird. es ist eine tor - heit den vorzug der classicität für die dramen Athens zu fordern, eine torheit aus ihnen den begriff des dramatischen abzuleiten, eine torheit be - streiten zu wollen, daſs die letzten drei jahrhunderte gedichte erzeugt haben, welche den attischen gedichten gleichwertig sind. allein die attische tragödie im ganzen ist allerdings mehr als die dramatische poesie irgend einer anderen zeit, denn sie ist nicht nur die letzte erhabene poesie, die die Hellenen hervorbringen, und es dauert anderthalb jahrtausende, bis in Dante etwas vergleichbares auf erden entsteht: es redet durch sie das fühlen und denken eines ganzen volkes, und die zeit, wo sie blüht, ist ihres volkes blüte. die ganze geschichtliche entwickelung der Hellenen strebt auf diese zeit zu, die ganze entwickelung der hellenischen poesie strebt auf die tragödie zu. somit ist sie nicht nur ein geschichtliches object von ganz einziger bedeutung, sondern es wird auch jede theore - tische untersuchung nicht bloſs der dramatischen sondern überhaupt aller poesie jämmerliches stückwerk sein, wenn sie nicht die attische tragödie verstanden hat. das kann sie nicht aus sich, würde sie selbst beim besten willen nicht können. die philologie aber verwirkt das recht, kenntnis - lose hoffart und flache geistreichigkeit zurückzuweisen, wenn sie nicht ihre pflicht erfüllt und das rechte, das geschichtliche verständnis der philosophischen betrachtung übermittelt, auf daſs diese dann in voller freiheit damit schalte. weil er (wie zu unterschiedlichen anderen schätzen) zur attischen tragödie allein die schlüssel führt, werden poesie und philo - sophie in alle ewigkeit des philologen nicht entraten können.
Das fünfte jahrhundert macht in allen stücken der archaischen cultur ein ende und legt den grund zu der modernen. auch das buch ist seine schöpfung: und die attische tragödie, ihrem wesen nach von einem buch - drama so entfernt wie keine andere, hat den anstoſs zu der erschaffung des buches gegeben. die ersten wirklichen bücher sind die attischen tragödien gewesen.
Die pflege des epos und im anschlusse daran die der elegie und des iambos hatte in den händen eines standes gelegen, der von ihrem vertriebe lebte. die rhapsoden besaſsen natürlich textbücher, aber sie trugen aus dem gedächtnis vor, und das publicum genoſs die poesie aus - schlieſslich mit dem ohre. als diese poesie der hauptgegenstand des schulunterrichts ward, brauchte der lehrer (γραμματιστής und κιϑα - ριστής) ein hilfsbuch für sein gedächtnis; der schüler schrieb sich seine bücher selbst. es lag die möglichkeit vor, daſs ein liebhaber sich eine büchersammlung zusammen schrieb oder schreiben lieſs; die im einzelnen unbeglaubigten bibliotheksgründungen von Peisistratos und Polykrates sind an sich ganz glaublich. ein gelehrter dichter wie Pindaros muſs eine stattliche sammlung von schriftwerken gehabt haben, da er sie für sein handwerk brauchte: es sind das aber auch für ihn nur ‘hilfsmittel für das gedächtnis’, ὑπομνήματα. bücher sind sie nicht, so wenig wie die acten in den staatlichen oder privaten archiven, die abschriften von gesetzen, orakelsprüchen, chroniken. es fehlt der act der publication, das lesepublicum, der buchhändlerische vertrieb. lesepublicum und act der publication sind vorhanden für die gesetze und die sonstigen öffent - lichen verordnungen und bekanntmachungen, die auf den märkten, an den straſsen, in den heiligtümern, wenn sie dauernde geltung haben, auf erz oder stein, wenn sie vergängliche bedeutung haben, auf holz geschrieben121Die tragödie ein buch.stehn: in gewissem sinne sind das ‘bücher’ oder können dazu werden, und wol mag man die gesetze Solons in dem sinne das älteste attische buch nennen wie die XII tafeln das älteste römische. aber diese bücher bestehen nur in einem exemplare oder doch in wenigen, wie der be - sondere zweck sie erheischt; vertragsurkunden werden z. b. bei jedem paciscirenden teile und zuweilen noch an stätten, die allen gleich heilig sind, aufgestellt; die hypothekensteine stehen auf jedem acker, den die hypothek belastet, u. dgl. aber diese ausfertigungen sind alle originale. abschriften können sich in den händen von privaten befinden, werden es häufig tun, tragen aber alle nur den charakter von ὑπομνήματα.
Die gedichte der lyriker waren noch viel mehr als das epos an das lebendige wort gebunden, und gerade die wichtigsten und umfangreichsten, die chorischen, waren zumeist gelegenheitsgedichte. ob sie sich länger erhielten, hieng von dem beifall ab, den sie fanden. nun schrieb sie freilich der dichter nieder, schon weil er sie oft in die ferne verschickte, und der chormeister, der sie einstudirte, brauchte wie der rhapsode ein ὑπόμνημα. wenn ein heiligtum sich für bestimmte feste ein solches gedicht hatte machen lassen, so gehörte eine abschrift zu den acten. es gab ferner auch gilden von sängern und tänzern, welche nicht ohne einen schatz von gesängen, die sie zur verfügung hatten, denkbar sind. auch in den schulunterricht traten die lieder sehr früh ein — es wieder - holen sich also dieselben erscheinungen wie bei dem epos. hinzu tritt nur, daſs auch die sangweise zu überliefern war. für diese muſs es somit irgend eine gedächtnishilfe auch gegeben haben. allein noch viel mehr als die worte muſste sich die musik in den fachmännischen kreisen halten, und in wie weit ihre überlieferung eine vollständige war oder nur andeutungen gab, läſst sich nicht sagen. die modernen, welche so reden als ob nicht nur sie partituren von Klonas und Sakadas gelesen hätten, sondern als ob es deren je gegeben hätte, lassen ihre durch keine geschichtliche kritik gezügelte phantasie spielen. im übrigen ist selbst - verständlich, daſs man später, als man die gedichte von Pindaros Simonides Sappho buchmäſsig vertrieb, lediglich das interesse des lesepublicums im auge hatte, das diese gedichte nicht mehr sang: also damals muſste die bezeichnung der melodie, so weit sie bestanden hatte, notwendig als ein unnützer ballast fortgeworfen werden.
Ein philosoph oder sonst ein weiser mann des 6. jahrhunderts war auf die poesie und ihren rhapsodischen vertrieb angewiesen gewesen, wenn er auf das publicum wirken wollte. so haben es nachweislich Xenophanes und noch Empedokles gehalten, in keiner weise anders als122Geschichte des tragikertextes.die theologen, nur daſs diese die mythischen namen Orpheus Epimenides Musaios vorschoben. die Ionier, welche diesen weg verschmähten, schrieben in prosa; aber bücher schrieben sie nicht. sie zeichneten ihren λόγος auf, legten ihre ἱστορίη dar: das waren ὑπομνήματα, mochten sie auch eine so feste form gewonnen haben wie die gesetze des staates. denn zunächst berechnet waren diese aufzeichnungen, abgesehen von der be - friedigung des eignen triebes zu schaffen und zu gestalten, auf den kreis der γνώριμοι und ἑταῖροι. diesen trugen die schriftsteller teile oder auch das ganze vor, gaben sie es zu lesen und abzuschreiben. aber was sie ihnen mitteilten war der λόγος und die ἱστορίη, nicht das buch als solches. die schrift blieb auch hier nur unterstützung des gedächtnisses: die verwendung welche solche bücher in Platons Theaetet finden, illus - trirt das am besten. wenn die schüler dann in die ferne zogen oder den meister beerbten, so konnten sie die originale schrift im ganzen oder in teilen erhalten wie sie war, sie konnten sie ebensogut umarbeiten, so daſs es ihr λόγος ward, und so weiter geben. so wenig wie der begriff des geistigen eigentums, den die bettelarmut der modernen schriftsteller so hoch hält, existirte der moderne begriff des buches. die schriftmasse, die nach Hippokrates, und sogar noch die welche nach Aristoteles heiſst, versteht niemand, ehe er von diesen uns selbstverständlichen begriffen ab - strahirt hat. die sophistik erzeugt sich dann ihr organ, den epideik - tischen vortrag, eine neue rhapsodik, und auch dafür gibt es ὑπομνήματα der vortragenden wie der hörer. ein Euthydemos brauchte einen schatz von sophistischen kunststückchen so gut wie der seher einen schatz von sprüchen, der parasit einen von anekdoten1)Isokrates aegin. 5. ein seher hinterläſst einem freunde auſser einem legate τὰς βίβλους τὰς περὶ μαντικῆς. das wiederholt sich dann bei den wanderpredigern des christentums, 2 Timoth. 4, 13, Usener Weihnachtsfest 94. der Gelasimus des plautinischen (menandrischen) Stichus will die bücher seiner kunst verkaufen und präparirt sich dann daraus. der Saturio des Persa (392) hat einen kasten voll bücher und will einem mädchen 600 echt attische witze daraus zur aussteuer geben., und der hörer besaſs gern schwarz auf weiſs, wofür er schweres geld erlegt hatte. auch für diese sorte von schriftwesen liefert die hippokratische sammlung die besten be - lege: consistenz und dauerhaftigkeit gewinnt aber selbst die geschriebene rede erst durch die entstehung des buches, also erst in Athen im gefolge der tragödie.
In der tragödie entstand mit wunderbarer schnelligkeit eine neue überaus reiche poesie, die das epos in jeder hinsicht ersetzen konnte. aber jedes einzelne werk war wie alle chorische poesie nur auf eine vorführung123Die tragödie ein buch.berechnet, und die gelegenheiten zu einer wiederholung waren zuerst gar nicht vorhanden, später kümmerlich. der umfang der gedichte schloſs die bewältigung durch das gedächtnis aus, zumal jedes jahr neues gleich - wertiges brachte. auch ward Athen zwar von tag zu tag mehr die geistige hauptstadt, aber längst nicht jeder, der an der tragischen poesie anteil nehmen wollte, konnte die attischen aufführungen besuchen. den Homer kannte ein um 500 geborner aus der schule, den Theognis und einiges von Stesichoros auch: von Simonides dies oder jenes kennen zu lernen, fand sich wol die gelegenheit. es war nicht so viel was die litteratur der letzten zeiten erzeugt hatte: aber nun, die fülle von tragödien — es gab kein anderes mittel sie kennen zu lernen als die lectüre: das buch war für das publicum ein bedürfnis. die dichter aber erhoben den an - spruch die lehrer des ganzen volkes zu sein, sehr viel bewuſster als Homer, sehr viel mehr ins weite als Pindar. durch die einmalige aufführung konnten sie die gewollte wirkung nicht ausüben; es lag also auch für sie das bedürfnis vor dauernd mit dem publicum zu verkehren, durch das buch zu wirken. und die centralisirung des geistigen lebens fiel mit dem wirtschaftlichen aufschwunge Athens zusammen, so daſs die mög - lichkeit für einen buchhandel gegeben war. all das führte mit notwendig - keit zur veröffentlichung des dramas durch den dichter für die lectüre.
Von einem buchhandel, dem exporte von büchern, dem vertriebe auf dem attischen bazar hören wir durch allbekannte schriftstellen seit dem ende des 5. jahrhunderts. daſs die werke der tragiker in den händen des publicums vorauszusetzen sind, sagt ausdrücklich Aristophanes auch erst in den Fröschen (1113), aber seine polemik lehrt seit den Acharnern, daſs das publicum so vollkommen mit den werken der zeitgenössischen dichter2)Aischylos war damals doch schon etwas mehr verblaſst. er wird von Aristo - phanes Vög. 807, Thesm. 134, Lys. 188 mit nennung des namens citirt. auch be - nutzen die Frösche einen verhältnismäſsig beschränkten kreis von dramen. vertraut ist, wie es nur die lectüre ermöglicht.
Es tritt aber auch das drama wirklich als buch auf. vorab hat es einen titel, den ihm sein verfasser gegeben hat. dazu ist es freilich ge - kommen, weil die anmeldung bei dem archon, der den chor zu vergeben hatte, auch wol die ankündigung des chores beim proagon oder auch agon einen namen forderte. aber erst jetzt gibt es wirklich einen titel. die epischen gedichte haben ihn erst lange nachdem sie bestanden erhalten, zum teil so zufällig wie Κύπρια, Ναυπάκτια (ἔπη), so wenig bezeichnend wie Ἰλιὰς (ποίησις), so ungeschickt wie Ἔργα καὶ Ἡμέραι. die lyrischen gedichte haben keinen individualnamen: denn wo ein solcher bei den124Geschichte des tragikertextes.grammatikern erscheint, tritt ein bescheidenes buchzählen daneben auf. so geschieht es mit den gedichten des Stesichoros, wo zudem homo - nymien stören, und Korinna; sonst ganz vereinzelt3)Σιμωνίδου Ναυμαχία; das kann ein aus dem inhalte geschöpfter name sein, kann aber auch für ein dankfest an die Artemis προσηῴα bestimmt gewesen sein, und dann ist es nicht anders als Ἴβυκος ἐν τῇ εἰς Γοργίαν ᾠδῇ u. dgl. das lob des Leonidas (4) ist ohne jeden grund und sehr verkehrt in dieses gedicht ge - setzt. über dithyrambennamen oben s. 64, anm. 30 und 85 anm. 52.. auch in der tragödie ist zuerst ein schwanken; Λυκουργεία (ποίησις) folgt der epischen weise; Προμηϑεύς muſs als name für einen complex von drei chören gelten, und daneben sicher noch für ein satyrspiel desselben verfassers. Αἶτναι oder in der komödie Ἀρχίλοχοι zeigt die bald verschwindende verwendung des plurals statt einer ableitung. aber Euripides ist mit der namengebung ersichtlich ganz überlegt verfahren. und so dann die komiker, und die prosa, als sie sich zum buche erhebt. daſs Herodot und Thukydides so wenig wie alle die alten philosophen einen andern titel für ihre bücher gehabt haben als die eingangsworte, der und der sagt das folgende, oder ähnlich, ist wol von den verständigen jetzt ein - gesehen4)Vgl. z. b. Diels Herm. 22, 436. der anfang von Hekataios Herodot Thukydides liegt ja vor. auch der des Herakleitos fordert vor τοῦ λόγου τοῦδε ein Ἡράκλειτος Ἐφέσιος ὧδε λέγει. auch ein auffälliger anfang mit einer adversativpartikel wird verständlich, z. b. Ions τριαγμοί. ⟨Ἴων Χῖος τάδε λέγει·⟩ ἀρχὴ δέ μοι τοῦ λόγου· πάντα τρία. debatten über den namen des heraklitischen werkes, verwunderung darüber, daſs die alten philosophen ihre bücher περὶ φύσεως genannt hätten, zweifel daran, daſs dasselbe buch unter verschiedenen namen bei späteren citirt wird, fallen so in nichts zusammen.: die titel, die wirklich als die ältesten gelten können, Γοργίου Ἑλένη Ἀλέξανδρος, Προδίκου Ὧραι, Πλάτωνος Φαῑδρος, Πολυ - κράτους Βούσειρις und noch Ἰσοκράτους Φίλιππος, Ἀριστοτέλους Εὔδημος zeigen die abhängigkeit von Εὐριπίδου Ἑλένη Ἀλέξανδρος.
Sodann zeigt die äuſsere ausstattung die bewuſste fürsorge für den leser. vereinzelt in der tragödie, häufig in der komödie haben die gramma - tiker bühnenanweisungen, παρεπιγραφαὶ vorgefunden, und auch auf uns sind einzelne gekommen5)Uns sind nur zwei παρεπιγραφαί erhalten (A. Eum. 117 — 29, E. Kykl. 485), und schon den grammatikern fiel dieser unterschied der tragödie von der komödie auf. die wichtige stelle steht in einem ζήτημα zu Eur. Or. 1384 Ἴλιον — ὥς σ̕ ὀλόμενον στένω ἁρμάτειον ἁρμάτειον μέλος βαρβάρῳ βοᾷ. da zerbrach man sich über ἁρμάτειον unnütz den kopf. Ἀπολλόδωρος ὁ Κυρηναῖος παρεπιγραφὴν λέγει (Kirchhoff: ἐπιγράφει λέγων codd. ) τὸ ἁρμάτειον (Schwartz: ἁρμόδιον) [ὦ Ἴλιον]. εἰ δ̕ ἦν παρεπιγραφή, ἅπαξ ἂν [ἐπ] ἐγράφετο [τὸ Ἴλιον ἀπώλετο]. Apollodor meint, die worte ἁρμάτειον ἁρμάτειον μέλος gehörten nicht dem sänger, sondern. dem regisseur, der das stück künftig125Die tragödie ein buch.einmal einzustudiren hat, kann so etwas wenig helfen wie ‘heftiges stöhnen’ ‘er lacht’ ‘gesang von innen’, ‘sie nicken’, ‘er gibt ihm eine ohrfeige’. und unmöglich würde sich eine regievorschrift in der nur ausnahmsweise wiederholten komödie häufiger finden können als in der tragödie. aber für den leser hat es allerdings seine annehmlichkeit, und wir sind deshalb in unseren dramen daran gewöhnt. wer es gesetzt hat, hat es aus dieser rücksicht gesetzt: und das ist in der komödie unmöglich ein anderer gewesen als der welcher das buch machte. nirgend aber liegt ein hinderungsgrund vor, in diesem den dichter zu sehen.
Aber auch der text selbst legt trotz aller entstellung beredtes zeugnis dafür ab, daſs er auf eine niederschrift aus der zeit des dichters, d. h. auf die handschrift oder das dictat des dichters am letzten ende zurück - geht. in gewissem sinne ist das freilich auch von Pindar, Epicharm und schon von den compilatoren der uns erhaltenen epen wahr. allein zwischen dem original, auf welches unsere überlieferung in jenen dichtern führt, und der wirklichen urschrift liegen viele oder wenige mittel - glieder, die den überkommenen text in stark umgeformter gestalt weiter gaben. es ist kein willküract aus bestimmter absicht vorgenommen, sondern es hat sich der text allmählich modernisirt, unter dem drucke bestimmter geschichtlich zu erfassender momente. und gerade wer diese zu beurteilen vermag, sich also über die glaubwürdigkeit der überlieferung keinen illusionen hingibt, wird sich am meisten vor der schlimmeren illusion hüten, selbst das original herstellen zu können, so oft er auch im einzelnen etwas groſses oder kleines berichtigen kann. aber für die tragiker, und die tragiker zuerst, ist das original, auf welches unsere über - lieferung zurückführt, auch wirklich das original. seitdem das gespenst einer umschrift aus dem attischen in das ionische alphabet völlig ver -5)wären bühnenanweisung für das orchester. er wird aber schlagend damit widerlegt, daſs dann ἁρμάτειον nicht verdoppelt sein könnte. die schreiber, die das nicht ver - standen, haben die glossen eingeschwärzt. ὦ Ἴλιον erklärt σε, τὸ Ἴλιον ἀπώλετο steht zu σ̕ ὀλόμενον. ein auszug des scholions lautet τινἐς τοῦτο παρεπιγραφὴν εἶναι ὡς εἰς τἀ κωμικὰ δράματα, in der form byzantinisch, wie εἰς für ἐν zeigt, dem inhalt nach gut, da auch so die erklärung jenes Apollodor unwahrscheinlich gemacht wird. als unmöglich erschien eine tragische παρεπιγραφή offenbar auch damals nicht. für die komischen hat Holzinger (Parep. bei Aristoph. Wien 1883) das material nützlich vermehrt und namentlich gezeigt, daſs einzelne wirklich auf die zeit des dichters zurückweisen. seine eigne erklärungsart ist freilich fast lächerlich, und abgesehen von anderen misgriffen hat er die byzantinische verkehrtheit, die er bei Tzetzes anerkennt, bei womöglich noch jüngeren scholien zu Arist. und Eurip. in alte echte gelehrsamkeit umgedeutet.126Geschichte des tragikertextes.trieben ist6)Vgl. zu allem Hom. Unt. II 3. die möglichkeit daſs Aischylos attisch ge - schrieben hätte, ist nach den durch Köhler (Mitteil. X 359) erschlossenen tatsachen nicht mehr vorhanden. ich war also nur zu zaghaft noch gewesen; um so mehr können mir die leid tun, welche sich damit brüsten, daſs sie mir die leugnung einer umschrift nicht glauben. nur das ist zuzugeben, daſs sehr alte ionische poesie (z. b. Homer) aus altionischem in neuionisches alphabet umgeschrieben sein kann, und allenfalls inselgriechische poesie aus ihrem alphabet in ionisches. aber was dabei versehen werden konnte, erklärt in wahrheit gar nichts: nur wer erklärt, wie ἀντιάουσι zu ἀντιόωσι wird, erklärt wirklich etwas., kann man daran nicht aus allgemeinen gründen mehr zwei - feln. und der commentar zu dem einzigen Herakles lehrt (zu groſser überraschung seines verfassers), daſs die scheinbare regeilosigkeit der feinen dialektischen unterschiede, welche die überlieferung bietet7)Aischylos ist allerdings so stark entstellt, daſs zeugnisse seines textes wesent - lich nur, wenn sie etwas weder attisches noch s. g. dorisches bieten, glauben ver - dienen. sehr belehrend ist für diese feinen abtönungen des vocalismus die ver - gleichung der theokritischen gedichte; was dort herrscht ist willkür, aber willkür des dichters, und die gleichzeitigen steinschriften liefern den urkundlichen beweis, daſs eine solche willkür geübt ward., bei der nötigen individualisirenden betrachtung sich sehr wol verstehen läſst: man vergleiche damit die vollkommene confusion in der überlieferung Pindars, der doch seit Aristophanes von Byzanz wenig gelitten hat, oder die plumpe gleichmacherei und die solöcismen, welche antiker aberwitz in den Herodot, W. Dindorf in die tragiker, Fick in alles dessen er habhaft wird hineinträgt, um sich zu überzeugen, daſs wirklich die handschrift der dichter selbst zu grunde liegt, und die entstellung, so groſs sie sein mag, nur dem einzelnen irrtum und der nachlässigkeit schuld gegeben werden kann. die orthographischen sünden sind zudem in überwiegender menge jünger als die Alexandriner, und daneben zeigen sich erscheinungen, die schlechterdings nur aus den originalen stammen können. in der 2. person sing. pass. gilt den atticisten - ει für attisch, und die Engländer haben es also den tragikern aufgezwungen gegen die überlieferung, die ηι er - halten hat. ηι fordert die sprache als das organische. wir wissen, daſs erst seit 360 etwa in der aussprache ηι und ει zusammenfiel, und zwar ει gesprochen ward, daſs dann dies ει monophthongisch teils e teils i ward, die grammatiker aber, wo sie das organische erkannten, die histo - rische schreibung ηι herstellten. aber in der betreffenden form erkannten sie das organische entweder nicht oder beugten sich doch der angeblich attischen sitte. wie konnten sie da in der tragödie ηι schreiben, wenn es nicht überliefert war, und wie konnte es überliefert sein, wenn es nicht auf der schreibung der bücher in ionischer schrift beruhte, die127Die tragödie ein buch. erste periode der textgeschichte.älter als 360 waren? ein anderer beleg ist, daſs sich im dialoge der altattische dativ plur. der ersten declination auf ησι, wenn auch ver - einzelt nur, erhalten hat. und doch kann wenigstens Aischylos in dem ursprünglich ionischen iambos unmöglich den dativ auf αισι gebraucht haben; die grammatiker aber kannten kein wirklich altes attisch und wir haben es auch erst von den steinen gelernt8)Bei Aischylos ist also sicherlich der dativ auf ησι ασι herzustellen, im dialog und in anapaesten. so bin ich im Agamemnon verfahren. es scheint aber nicht auszureichen, daſs man etwas tut, man soll dazu sagen, daſs man es tut. bei den beiden andern tragikern ist kein urteil möglich, weil die sprache zu ihren leb - zeiten sich änderte. alle späteren setzen längere dative nur als archaismen. für die alexandrinischen epiker ergibt die prüfung der vortrefflichen überlieferung das was ich schweigend in meiner ausgabe des Kallimachos durchgeführt habe. die untersuchung über die ionismen des dialogs verspricht unter dem richtigen gesichts - punkte noch manchen ertrag: nur muſs man dazu von den steinen attisch gelernt haben. wer πύλησι für einen ionismus hält, hat allerdings nicht das recht mitzu - sprechen..
Das also läſst sich nicht bezweifeln, daſs buchausgaben der dramenErste periode der text - geschichte. von den dichtern besorgt sind, und daſs auf sie vornehmlich die über - lieferung, die den Alexandrinern vorlag, zurückgieng. es würde überaus wichtig sein, wenn wir von dem aussehen dieser ältesten wirklichen bücher eine vorstellung gewinnen könnten. aber dazu ist kaum eine aus - sicht. die geringen orthographischen schwankungen, welche die schrift noch lieſs, kann freilich jedermann durch die steinschriften bequem über - sehen; die mangelnde oder schwankende bezeichnung der hybriden e und o, die assimilation der einander berührenden consonanten, die willkür im setzen des paragogischen n und in der bezeichnung von elision und krasis sind kleinigkeiten. wichtiger wird es, daſs die interpunction unsicher bleibt. Aristoteles kennt nicht nur den querstrich am rande, der den schluſs eines satzes oder besser einer periode bezeichnet9)Rhet. III 3. er sagt παραγραφή; später παράγραφος., sondern auch die στιγμή, welche das zusammengehörige im satze abgrenzt, aber er setzt sie nicht in dem texte voraus10)Rhet. III. 5. das στίζειν ist ersichtlich aufgabe des lesers, oder höchstens des erklärers; der text selbst ist ursprünglich nicht interpungirt gedacht.. es darf somit wol als wahrscheinlich gelten, daſs die bücher wesentlich wie die gleichzeitigen steine und die späteren bücher geschrieben waren. in ihnen ist dem leser fast nichts gegeben als die ‘elemente’, die buchstaben. wörter und sätze muſs er sich selbst bilden. die alte gute interpunction des 6. jahrhunderts ist wesentlich durch die entfaltung der litteratur und des buchhandels verdrängt worden. als das schreiben auf stein wie auf papier ein gewerbe ward, besorgten es leute,128Geschichte des tragikertextes.die ganz mechanisch buchstabe für buchstabe setzten; nach der zahl der - selben wurden sie bezahlt. fehler, die dadurch entstehen, daſs der schrei - bende wortbilder im geiste hat, gibt es auf den steinen nicht, dagegen wol auslassungen, verschreibungen und versetzungen von buchstaben. inter - pungiren kann man aber nur was man zu verstehen meint. absetzen der verse ist für den dialog nach analogie des hexameters mit sicherheit zu glauben. man mag denken, daſs die später ganz feststehende praxis schon damals galt, die endlosen reihen von trochäischen iambischen anapästischen metra nach dimetern abzuteilen, soweit nicht eine ungerade summe eine abweichung forderte. denn die praktischen rücksichten empfehlen diese schreibart allein, die in anapästen ziemlich die länge des trimeters gibt: daſs unsere metriker von dimetern reden, zeigt nur, wie sehr sie mit den augen messen. die dichter rechnen nicht mit dimetern: erst als die buchpraxis eine buchmetrik erzeugt hat, in der kaiserzeit, gibt es welche. übrigens mögen auch die trochäischen iambischen anapästischen tetrameter ge - brochen sein, da sie überlange zeilen bilden und durch die beliebte diaerese in der mitte leicht teilbar erscheinen. die chorlieder aber sind ganz als prosa geschrieben zu denken, da ihre abgliederung erst den grammatikern zugeschrieben wird, die die maſsgebenden ausgaben ge - macht haben. dazu stimmt das einzige aus vorgrammatischer zeit in - schriftlich erhaltene lyrische gedicht, der paean des Isyllos, während die praxis der kaiserzeit in sorgfältigeren aufzeichnungen11)Z. b. wird der paean des Makedonios, CIA III 171b, durch seine perioden - teilung für die metrische theorie der hadrianischen zeit recht wertvoll., zwar nicht glieder, aber perioden absetzt, nachlässigere schrift12)Z. b. die auf dem Casseler stein CIA III 171 vereinigten gedichte. aber auch dann noch jede gliederung vermissen läſst. selbst die personenverteilung kann man nicht als voralexandrinisch mit sicherheit ansprechen, angesichts dessen, daſs sie in den prosaischen dialogen so unvollkommen durchgeführt ist13)Der gegenstand erfordert eine besondere untersuchung, da die herausgeber ungenügend über die handschriften berichten. die beischrift der abgekürzten personen - namen kommt im altertum vor; am merkwürdigsten ist, daſs der Bankesianus des Ω die redenden personen und den Ποι (ητής) unterscheidet. Homer gehörte eben zu dem μικτὸν γένος wie Theokrit, halb διηγηματικόν, halb δραματικόν. in den dramen tritt diese bezeichnung subsidiär neben der παράγραφος auf, die noch häufiger ist als in dem folgenden textabdrucke des Herakles und von Hephaestion bezeugt wird. in den prosaischen dialogen stand sie am rande, z. b. im T des Platon (Schanz Platocodex 5). natürlich ward so etwas sehr leicht übersehen, und z. b. der Clar - kianus des Platon und die Leidenses der Ciceronischen dialoge bezeichnen den per -. an die einzeichnung von noten oder neumen ist von vorn herein129Erste periode der textgeschichte.nicht zu denken, sintemal die bücher zum lesen bestimmt waren. alles zu - sammen genommen ist das aussehen von steinschriften gleicher zeit, die buchstabenformen abgerechnet14)Die formen stellt man sich am besten etwa so vor wie auf dem ältesten erhaltenen papyrus, wahrscheinlich noch aus dem 4. jahrhundert. Blass Philol. 41, 746., gar nicht sehr verschieden zu denken, und es gehörte eine sehr ansehnliche vorbildung dazu diese bücher vom blatt zu lesen.
Zwei volle jahrhunderte hat der tragikertext sich in dieser weise ohne grammatische controlle durch den buchhandel fortgepflanzt. welchen fährlichkeiten er dabei ausgesetzt war, dem ist es müſsig nachzudenken, da das nicht gewuſst werden kann, was man vorab wissen müſste, die praxis in der herstellung und dem vertriebe der bücher. daſs man nicht eine fürchterliche verwüstung mit notwendigkeit aus der handschriftlichen ver - vielfältigung ableiten darf, lehrt die vorzügliche erhaltung, in welcher notorisch die hauptschriftsteller des 4. und 3. jahrhunderts vorliegen, Platon Isokrates Demosthenes, Lykophron Aratos Kallimachos. die klagen über fahrlässige schreiber, welche in der kaiserzeit und einzeln schon früher ertönen, sind eben so wenig beweiskräftig wie etwa moderne ana - logien, die ältesten drucke Shakespeares und die verwüstung des Goethe - schen textes in den späteren Cottaschen drucken. aber auch für die zu - verlässigkeit der überlieferung in dieser ersten periode der textgeschichte sind allgemeine erwägungen nur in so weit triftig, als die tragödie durch die feste buchform wenigstens gegen die zerstörung geschützt war, welche die hypomnematische litteratur nachweislich betroffen hat und betreffen muſste. der traurige zustand, in welchem schriften wie die hippokra - tischen περὶ εὐσχημοσύνης, περὶ φύσιος ἀνϑρώπου, die διαλέξεις σκεπτικαί, die schrift vom staate der Athener, die schrift des Aineas von Stymphalos über belagerungen, vorliegen, muſs im wesentlichen schon in diesen jahrhunderten eingetreten sein. die einen unter diesen sind nur durch einen glücklichen zufall überhaupt in die zeiten ge - rettet worden, welche sich die conservirung der alten litteratur bewuſst zur aufgabe machten. irgend ein litterator des vierten jahrhunderts hatte sich an die Xenophontische schrift vom staate der Lakedaimonier von dem altattischen pamphlete so viel hinzugeschrieben, wie er vorfand oder wie ihm beliebte. die ärztlichen und die kriegswissenschaftlichen schriften aber waren nach bedürfnis ohne rücksicht auf die form von13)sonenwechsel gar nicht. daneben wandte man den doppelpunkt in der zeile an, der aber auch oft fehlt (Porphyr. zu Horaz sat. I 9, 52. Rothstein qu. Lucian. 18) und z. b. im Laur. C des Euripides zur bezeichnung der rhythmischen κᾶλα verwandt wird.v. Wilamowitz I. 9130Geschichte des tragikertextes.dem oder den benutzern umgestaltet, verkürzt, erweitert worden. wenn die poesie auch nur dem bedürfnis diente und in händen war, die sie als material brauchten, gieng es ihr nicht besser. die homerischen hymnen stellen sich jedem urteilsfähigen als sammlungen von rhapsoden des 5. oder 4. jahrhunderts dar (mit welchem das rhapsodentum im wesentlichen aufhört), und das conglomerat, das sich Apollonhymnos nennt, ist eine eben so wüste masse wie die schrift περὶ φύσιος ἀν - ϑρώπου. am letzten ende sind überhaupt die erhaltenen epen nicht anders zu beurteilen; nur hatten sie viel früher eine leidlich feste form erhalten, weil sie buchhändlerisch vertrieben wurden, sobald es einmal einen buchhandel gab.
Aber waren die tragödien nicht auch fortwährend in praktischem gebrauche, und sollen die schauspieler schonender verfahren sein als die rhapsoden? gewiſs nicht. der zustand würde nur noch viel trostloser sein, wenn wir die dramen durch die vermittelung der schauspieler er - halten hätten: das gilt für die überlieferung des Plautus bis auf Varro, während Terenz seine komödien selbst herausgegeben hat. an diesem analogon kann man gut ermessen, daſs die überlieferung der attischen dramen nicht auf bühnenexemplare, sondern auf lesebücher zurückgeht.
Schauspielertruppen sind schon am ende des 5. jahrhunderts in Griechenland herumgezogen15)Ps. -Demosthenes gg. Eubulides 18. ein schauspieler kauft in Leukas einen Athener los, der im dekeleischen kriege gefangen ist. und das interesse warf sich im 4. nur um so lebhafter auf die alten dramen, je stärker in der schauspielkunst das virtuosentum ward, je geringer die lebenskraft der neuen dichtungen war. um die mitte des jahrhunderts lieſs selbst der attische staat die classische tragödie in einem besonderen agon zu, und die ausbreitung der attischen cultur durch Alexander hat die Euripideischen tragödien am Indus und am oberen Nil auf die bühne gebracht. natürlich ver - fuhren die regisseure, wie sie es immer tun und wie ihr recht ist, denn stilgetreue inscenirungen classischer dramen sind wie all solch gelehrter historischer kram erst möglich, wenn kein wirkliches sondern ein an - gelerntes kunstgefühl die leitung hat. wer auf der bühne zu hause ist, nimmt keinen anstoſs an der verstümmelung, die Schiller an Goethes Egmont, dieser selbst an seinem Götz verübt hat. schonender sind die im 4. jahrhundert ton angebenden schauspieler auch nicht verfahren. zu dem Rhesos, der erst um 370 — 60 entstanden ist, gab es um 300 schon einen unechten prolog, um 200 noch einen anderen. vollends131Schauspieler.unbequem waren die chöre. die zahl der tänzer war längst beschränkt, die komödie hatte sich der chöre fast ganz entschlagen, die rhetorische tragödie sie wenigstens mit nichtachtung behandelt und entbehrlich ge - macht. die schauspieler konnten wol mit monodieen etwas anfangen, obwol auch die zuweilen fortblieben16)So ist zu erklären, daſs einzelne gelehrte die monodie Antigones OK 236 — 43 verwarfen: denn in ihr selbst ist kein anlaſs zu dem grundlosen verdachte. aber ein regisseur, der das überlange stück zurichten sollte, würde allerdings hier den rötel brauchen., aber die eigentlichen chorge - sänge waren ihnen nur hinderlich. dazu kam, daſs die musik sich ganz anders entwickelt und mit den künstlichen versmaſsen längst zu wirt - schaften verlernt hatte, daſs die tanzkunst noch viel mehr die alte be - deutung eingebüſst hatte, so daſs sie noch im 3. jahrhundert unter - gieng17)Der Babylonier Diogenes setzt das voraus: er hatte offenbar behauptet, der reiz des dramas ruhe in der musik neben dem worte, denn er wäre seit dem schwinden des tanzes (den Aristoteles noch mitgerechnet hatte) nicht gesunken. Philodem (de mus. IV 7 s. 70 Kemke) erweitert das dahin daſs auch die musik neben dem texte bedeutungslos wäre., wie die chöre um 100 n. Chr. ganz verschwunden sind18)Dion von Prusa 19, 5; so viel scheint die verdorbene stelle zu ergeben; die ganze rede ist fragment. Dionys v. Halikarnaſs kennt die chorlieder noch von der bühne.. als in Athen um 330 die groſse theaterreform des Lykurgos durchgeführt ward, forderte der dem alten durchaus huldigende staatslenker freilich, daſs die schauspieler nach einem officiellen textbuche zu spielen hätten, was für die darstellung einer παλαιὰ τραγῳδία auch in der ordnung war. allein was verschlug diese vereinzelte maſsregel, und wie wenig kümmerte man sich in dem demosthenischen Athen um gesetze. vollends in diesem staatsexemplar ein werk diplomatischer kritik zu sehen und es gar zu einer art archetypus für unsere handschriften zu machen, ist ein recht unhistorischer einfall der modernen. Lykurgos brauchte dazu nur die dramen aus dem buchladen zu kaufen: es ist nichts andres, als wenn ein hoftheater heut zu tage die unverkürzte aufführung der opern eines bestimmten componisten oder auch die und die bearbeitung Shakespeares befiehlt. die allgemeine verwahrlosung gieng deshalb ihren gang ruhig weiter, und wenn die fortpflanzung der dramen durch die schauspieler statt - gefunden hat, unsere texte also auf bühnenexemplare zurückgehen, so ist ihre zuverlässigkeit eine ganz geringe. das freilich war ganz natürlich, daſs auch schauspielerexemplare in die bibliotheken kamen und die antiken philologen auch solche einsahen, ja es ist sehr glaublich, daſs sie sie für9*132Geschichte des tragikertextes.einzelne dramen nicht entbehren konnten, weil die buchmäſsige über - lieferung nicht genügte, oder auch ein oder das andere stück nur in bühnenexemplaren erhalten war. auch das ist sicher, daſs sie sich über die verwilderung des textes durch die schauspieler keinerlei illusionen gemacht und mit der möglichkeit gerechnet haben, daſs der text unter deren einwirkung gelitten hätte. wir aber sind auſser diesen allgemeinen erwägungen lediglich auf die schlüsse angewiesen, die wir aus dem zu - stande der erhaltenen dramen ziehen, und diese sind glücklicherweise im ganzen beruhigend.
Es ist überaus peinlich, daſs wir über diese periode so wenig con - cretes wissen oder ermitteln können, denn ohne frage ist sie für den text die wichtigste und ist auch das interesse und verständnis für das drama ein lebendiges gewesen. die tragödie war ja schon zu lebzeiten ihrer schöpfer oder doch vollender classisch geworden. die fülle von feinen gedanken und treffenden urteilen über tragische kunst und des dichters aufgabe und macht, die in den Fröschen des Aristophanes bei jedem neuen lesen neu entzückt, lehrt, daſs die groſsen dichter wirklich ein minder verächtliches publicum hatten, als das mit den Xenien oder der Verhängnisvollen gabel gezüchtigte war. in den gebildeten kreisen der athenischen gesellschaft würde sich eine der poesie ebenbürtige kritik entwickelt haben, wenn die gesellschaft nicht durch das nationale elend niedergezogen worden wäre, und mit dem notwendigen welken der groſsen kunst nicht die wucherblume der rhetorik ins kraut geschossen wäre. feder - helden wie Isokrates Polykrates Anaximenes hatten ja das erhebende bewuſst - sein, den groſsen dichtern weit überlegen zu sein, wie das so leute haben. und im schatten dieser rhetorik erwuchs was sich damals tragödie nannte, Aphareus und Karkinos, Astydamas und Theodektes. die echte erbin der poesie, die wissenschaft, vergaſs ihrer mutter nicht. Platon hat an der tragödie gelernt; jene im leben zerstörte attische gesellschaft lebt in seinen dramatischen schöpfungen fort, und die tragischen reminiscenzen sind im munde seiner personen lebendig: die Antiope war wenig über 10 jahre alt, als der Gorgias die debatte zwischen politiker und dichter aufnahm. aber da Platon die alten volkstümlichen ideale bekämpfen muſste, um den neuen und höheren raum zu schaffen, diese alten ideale in der sage und diese selbst nunmehr vornehmlich in der tragödie verkörpert war, so ergab sich für ihn die polemik auch gegen das drama, ergaben sich dieselben sittlichen probleme, wie sie schon in früher sophistenzeit Glaukon Stesimbrotos Anaximenes Metrodoros im Homer gefunden und zu lösen versucht hatten. aus diesen meist moralischen anstöſsen war ja133Aesthetische kritik.die aesthetische kritik und die exegese Homers erwachsen. auch sie über - trug sich auf die tragiker. wir können nur mutmaſsen und vereinzelt an der sagenkritik erweisen, daſs die Kyniker neben dem epos auch das drama berücksichtigt haben. um ihrer selbst willen haben erst Platons schüler Herakleides und Aristoteles die aesthetische kritik getrieben; die poetik, zu welcher letzterer emporzusteigen wagte, zeigt besser als alles andere die centrale stellung des dramas. aber Aristoteles machte wie überhaupt der rhetorik, so auch der rhetorischen tragödie starke zuge - ständnisse, trübte dadurch die theorie und hat trotzdem weder einen dichter noch einen redner erzogen. daſs er auch ἀπορήματα Εὐριπίδου geschrieben hat, wissen wir durch die schriftentafel des Hesychios (no. 144 = Hermippos 119), und mögen sie uns als historische probleme denken, wie eines in einem dialoge behandelt war (Eur. Meleag. 534). viel - leicht ist ein oder das andere ζήτημα, an dem sich in den scholien die Alexandriner versuchen, schon am zechtische des peripatos aufge - worfen worden. denn hier bewahrte man die neigung für φιλόλογα, wenn man auch nur den namen der philologie erzeugt hat. Theo - phrastos popularisirte die aristotelische rhetorik und poetik. neben ihm setzten viele die litterargeschichtlichen arbeiten fort, und Dikaiarchos, weitaus der bedeutendste dieser generation, knüpfte zugleich auch an Herakleides an. indem er den aesthetischen maſsstab der poetik an die einzelnen tragödien anlegte, untersuchte er die ὑπόϑεσις, d. h. den dem gedichte zu grunde liegenden stoff, den μῦϑος, sowol im sinne der ‘handlung’, in welcher Aristoteles mit recht den lebensnerv des dramas gesehen hatte, als im sinne der geschichte. damit war die frage aufge - worfen, woher denn der dichter seinen stoff genommen hätte, also die quellenfrage, die uns moderne so viel beschäftigen muſs19)Daſs dies die tätigkeit des Dikaiarchos war und ὑπόϑεσις also eigentlich den stoff bezeichnet, aus dem das drama gemacht ist, hat H. Schrader gezeigt (quae - stiones peripateticae Hamburg 1884). früher hatte man einen durch die gewöhn - lichen confusionen im Suidaslexicon erzeugten Lakedaemonier Dikaiarchos, den es nie gegeben hat, fälschlich eingemischt und ὑπόϑεσις als excerpt aus dem drama im stile von Lambs tales from Skakespeare gefaſst., und wie merk - würdige dinge dabei ermittelt werden, zeigt die zurückführung des euri - pideischen Phoinix auf eine attische dorfsage durch den Rhodier Hierony - mos20)Vgl. oben s. 38.. der ansatz zu einer lösung der groſsen geschichtlichen aufgabe war da. aber als erst ein naturwissenschaftler und dann ein schönredner die schulleitung des peripatos übernahm, verdorrte die blüte. den rechten134Geschichte des tragikertextes.weg auf philologisch-grammatische behandlung der litteraturwerke oder der sprache und verskunst hat niemand in dieser schule eingeschlagen. die anregung zur poetischen production, welche sie gab, kam der komödie zu gute, die zu den biologischen tendenzen der aristotelischen ethik und politik besser paſst. und auffallender weise beteiligte sich an den specula - tionen über diese zeitgenössische dichtungsart auch die sonst litterarischen fragen ganz entfremdete akademie21)Das schulhaupt Krates schrieb über die komödie nach Apollodors chronik (Diog. IV 23); nach Philodem (bei Gomperz festgabe für Zeller 149) ward die schrift einem seiner schüler Εὐμένης zugeschrieben. durch vermittelung der μουσικὴ ἱστορία des Aelius Dionysius ist ein schwacher rest dieser lehre zu den Byzantinern gelangt, in dem traktat über den oben s. 112, Philol. 46, 13. das citat ist κατὰ Διονύσιον καὶ Κράτητα καὶ Εὐκλείδην, wozu eine handschrift ἴσως Εὐβουλίδην notirt. es liegt nahe Εὐκλείδης und Εὐμένης zu identificiren. ob eine weitere ausscheidung des alten gutes in jenen confusen excerpten möglich ist, steht dahin. ein schluſs ist aber unabhängig davon möglich. Aristoteles kennt, wie er es nur konnte, zwei komödien, ἀρχαία und νέα. seine schüler hatten keine neigung zu dissentiren, und so hat sich diese lehre sehr lange gehalten und liegt noch vielfach vor. daneben gibt es die jetzt törichter weise vielfach verlassene doctrin von drei komödien, von denen die μέση ursprünglich begrifflich gemeint ist, nicht zeitlich, denn ihr haupt - vertreter ist Platon, und Alexis gehört ihr auch an: sie wird also 420 und 270, neben Aristophanes und nach Menander, geübt. diese lehre begegnet für uns zuerst bei Horaz sat. II 3, 11, dann herrscht sie vor, meist jedoch in der verkehrten chro - nologischen umdeutung. so auch in den byzantinischen excerpten περὶ κωμῳδίας. es liegt sehr nahe dem Aristoteles den Krates entgegenzustellen, und wer konnte eher als ein zeitgenosse der wirklich neuen menandrischen komödie auf diese ver - besserung der aristotelischen lehre verfallen?. nebenher war natürlich die clas - sische poesie in einer ausdehnung bekannt wie niemals später, und die gescheidten leute redeten auch über sie sehr gescheidt. die philosophen - biographieen des Antigonos verzeichnen von ihren helden auch die lieb - lingsdichter und manches litterarische urteil. aber das verdichtet sich nirgend zur wissenschaftlichen arbeit.
Den weg zur philologie und grammatik hat nicht Athen gefunden, sondern Ionien. schon einmal, zu Demokritos zeiten, war es auf dem wege gewesen, ward aber durch die athenische begriffsphilosophie ge - hemmt. jetzt ward das ziel erreicht, aber man strebte ihm nicht un - mittelbar zu. es führte nur dahin der umweg über die poesie, weil man aus opposition gegen Athen und seine cultur auf die vorattischen gat - tungen und formen zurückgriff, die sich nur noch durch studium erreichen lieſsen. diese opposition, die sehr verschiedene elemente in sich schloſs, galt der attischen weltsprache: daher das aufkommen der dialektdichtung; der attischen bis zum extrem wählerisch und feinhörig gewordenen rhetorik:135Das dritte jahrhundert.daher der asianische vulgarismus; der weltmännisch und hauptstädtisch verfeinerten form der geselligkeit: daher das bukolische element, die weiberpoesie, das aufgreifen des barbarischen; der strengen stilisirung auch des lebens durch die attische σωφροσύνη: daher die freude am ab - sonderlichen verwachsenen wildnatürlichen in den stoffen wie in der be - handlung; den kühlen abstractionen der begriffsphilosophie: daher die vorliebe für die naturwissenschaft und die weite schöne welt ebenso wie die für dionysischen taumel und aphrodisisches schmachten; der attischen bürgerlichen politie: daher das höfische eben so gut wie das ländliche; es galt endlich auch den attischen dichtungsformen, drama und dithy - rambos. jetzt gieng man auf die alten lyriker zurück, ahmte Alkaios und Anakreon nach, suchte sich in Stesichoros und Pindar stoffe, griff auf die erotische elegie des Mimnermos zurück, auf den iambos des Archi - lochos und Hipponax und endlich versuchte man wie Homer zu dichten oder Homer durch eine immer frische, niemals kyklische behandlung mit seinen eignen mitteln zu schlagen. das führte mit notwendigkeit zum studium der alten dichter, die zum teil recht eigentlich wieder entdeckt wurden, oder doch wenigstens für die attische gesellschaft des 4. jahr - hunderts nicht mehr existirt hatten und von den peripatetikern Dikai - archos und Chamaileon aus historischem interesse hervorgezogen wurden. so kam man von den versuchen im dialekte zu dichten bald zur unter - suchung des dialekts und zu der exegese der archaischen dichter. Theokrit dichtet aeolisch so gut er kann: Kallias von Mytilene schreibt über die lesbischen dichter22)Athen. III 85 f. polemisirt Aristophanes gegen eine lesart des Kallias; die stelle ist allerdings verwirrt., Dionysios Iambos, auch ein dichter, über die dialekte, und der wird der lehrer des Aristophanes von Byzanz. der dichter Zenodotos von Ephesos bringt es zu der ersten textrecension, die sich wirklich die wiederherstellung des echten zum ziele setzt, natürlich des Homer; er behandelt aber auch in einzeluntersuchungen die lyriker und macht zu Pindar und Anakreon einzelne conjecturen. Kallimachos, gleich gewandt in dorischer wie in ionischer mundart zu dichten, treibt die sammlung des sprachlichen materials ins groſse und beginnt schon selbst für die ionische prosa die philologische tätigkeit, indem er an den gröſsten ionischen schriftsteller, Demokritos, ansetzt, freilich zunächst auch hier nur als sammler; bald folgen für Hippokrates ähnliche arbeiten. mit der tragödie haben diese männer alle nichts zu schaffen23)Es gehört zu den unbegreiflichkeiten, an denen Schneiders Kallimachos reich ist, daſs er auf grund von ein par übereinstimmenden vocabeln aischyleische.
136Geschichte des tragikertextes.Aber es blühte doch gerade in Alexandreia die tragische Pleias, und die Alexandra des Lykophron gilt doch für eine nachahmung der tragödie, so gut wie Theokrits Spindel die Sappho nachahmt. diese letzte verbreitete ansicht ist falsch. die Alexandra ist keine tragödie, sondern ein iambos. Lykophron, selbst verfasser von tragödien, hat die stilgesetze denn doch zu gut gekannt, um diese poesie für tragisch auszugeben. es geschieht nur durch einen für den modernen nahe liegenden irrtum, daſs man den unterschied in sprache und versmaſs verkennt, die menge von ionismen in der form, der messung, der wortwahl ist ganz nicht zu ver - treiben, und ihre vertreibung deshalb unglaubhaft24)Der neueste herausgeber hat es versucht, und ich habe ihm zuerst zugestimmt, aber die verlängerung eines anlautenden vocals durch tenuis cum liquida (z. b. 1056. 1250), die elision von αι (850, 1220), τοκῆος 1394 (so auch 451 Κυχρῆος) κατ Τρ. (374) ἐπάλξιες (292) καρηβαρεῦντας (384) σαώσει (679) ῥάμφεσσι (598) u. dgl. viel zeigt, daſs es auch unerlaubt ist den ionischen vocalismus in stämmen wie Τιτῆνες ἠώς, und namentlich den dativen wie πολλῆσιν zu ändern. zuzugeben ist nur, daſs erstens die überlieferung in diesen dingen unzweifelhaft unzuverlässig ist, und daſs Lyko - phron keine consequenz hat: einen dorischen genetiv ἀίτα 461, παραιολίξει 1094 βλώξας 1327 und die schon von Aristophanes von Byzanz gerügten vulgarismen ἐσχάζοσαν, auch πέφρικαν, müssen wir ja doch auch ertragen.. wahrlich auch für die Byzantiner lag es näher die ihnen bekannten attischen formen einzu - führen als die dialektischen. eine consequenz ist freilich bei Lykophron so wenig wie bei Theokrit zu erzielen, und sehr viel fremdartiges hat der dich - ter nur weil es fremdartig war herbeigezogen. der tragödie konnte sich der tragische dichter natürlich am wenigsten entziehen, obwol schon der sagenstoff zeigt, daſs er es beabsichtigt hat. und dann gilt für die Alexandra was für die wirklich tragische poesie der Alexandriner gilt und die be - denken verscheucht, welche die Pleias erregen kann: sie suchen die älteste tragödie auf, die den Attikern, gegen welche die Asianer front machen, so fremd geworden war wie die andere chorische poesie auch. dieser neuen romantik war schon Euripides viel zu modern, zu glatt, zu städtisch, zu ähnlich den Isokrateern, die man überwinden wollte, die man überwunden hat, wenn auch die eignen productionen kein längeres leben gehabt haben. nichts ist bezeichnender, als daſs man sich mit vorliebe auf das satyrspiel warf, und was wir von der Pleias kennen so gut wie ausschlieſslich satyr - spielen angehört. die archaistische tendenz brauchen wir auch nicht einmal selbst zu erschlieſsen: diese zeit redet, wie unsere romantik, beständig23)studien dem Kallimachos zuschreibt. nur von einem grammatiker aus der ersten hälfte des 3. jahrhunderts ist ein euripideisches ζήτημα vorhanden, Lysanias schol. Andr. 10, und da ist der name keineswegs sicher.137Das dritte jahrhundert. Aristophanes von Byranz.von ihren tendenzen, und das kunsturteil steht auch bei ihr höher als die leistungsfähigkeit. Dioskorides legt in einem cyclus von epigrammen auf Thespis Aischylos Sophokles und Sositheos davon zeugnis ab; Euri - pides hat mit recht keinen platz in dieser reihe, und von Sophokles wird bezeichnender weise die herbste frucht am meisten geschätzt: diese zeit sah, wie unsere romantik, in Antigone und Elektra das höchste25)Dioskorides Anth. Pal. 7, 37. ähnlich urteilte der philosoph Polemon (Antig. Kar. s. 65)..
Entsprechend ist die stellung dieser kreise zur komödie. die der gegen - wart gilt ihr nichts, dagegen holt sie die von Aristoteles und seiner schule zurückgesetzte alte komödie vor, die zudem den sprachlichen glossogra - phischen studien eine überreiche ausbeute bot. für die alte komödie ist das dritte jahrhundert das fruchtbarste gewesen, während es für die tragödie fast ausfällt. schon Lykophron26)Noch ein anderer tragiker der pleias hat über die komödie geschrieben, Dionysiades, Suid. s. v., dann Euphronios, dann Era - tosthenes haben ihr grammatische arbeit zugewandt: und hier steht der allerdings vereinzelte versuch der reproduction am ende, aber auch er findet an Dioskorides den herold seines lobes. Machon von Alexandria, sonst verfasser sehr salopp und modern gehaltener anekdoten in versen, hat ‘den bitteren thymian’ vom Hymettos an den Nil zu verpflanzen ver - sucht. derselbe Machon war neben Kallimachos und Dionysios Iambos der lehrer des gröſsten antiken grammatikers, der, als die blume der alexandrinischen poesie im verdorren war, den richtigen schritt tat, die alexandrinische und die peripatetische philologie zu vereinen, die philo - logie in dem uns geläufigen sinne zu schaffen, und die texte der classiker festzustellen. seine aesthetische überzeugung gieng nicht mit seinem lehrer; er hat Menander in versen verherrlicht, und die classiker, die wir so nennen und deren besitz wir ihm, wenn einem menschen, danken, alle mit der rechten philologenliebe gehegt und gepflegt. auch für die textgeschichte der tragiker ist die ausgabe des Aristophanes epoche - machend.
Von dieser ausgabe sich ein möglichst klares bild zu machen, istAristo - phanes von Byzanz. eine hauptbedingung für einsichtige beurteilung unseres erhaltenen textes. es ist wahr, daſs die directen zeugnisse nichts als ein par einzelnheiten geben, allein die allgemeinen erwägungen helfen sehr viel weiter. und sie sind verwendbar, denn wenn wir auch davon absehen wollten, daſs Aristophanes unseren text fundirt hat, so müſste das doch irgend jemand getan haben, und dieses unbekannten mannes tun müſsten wir uns ver -138Geschichte des tragikertextes.gegenwärtigen, und würden es einigermaſsen erschlieſsen aus den voraus - setzungen und den folgen seines wirkens. so tun wir notgedrungen sehr häufig: hier sind wir aber in der glücklichen lage mit einer benannten gröſse zu operiren.
Die Homerkritik der Alexandriner kennen wir am besten; natürlich holt man sich aus ihr belehrung, aber es wird verhängnisvoll, wenn man die unterschiede vergiſst, welche zwischen ihr und der herausgebertätig - keit vorhanden sein muſsten, die den lyrikern tragikern komikern galt. das hauptinteresse an den Homerausgaben des Aristophanes oder Aristarch liegt für die späteren, welche uns über sie unterrichten, und für uns in dem, was sie neues und eigenes enthielten, dem woran der name der gelehrten haftete, besonderen lesarten, athetesen, grammatischen einzel - beobachtungen, z. b. in betreff der prosodie wortabteilung orthographie. die ausgabe erscheint als ein von dem gelehrten geschriebenes oder cor - rigirtes exemplar mit kritischen und diakritischen zeichen, welche die meinung des herausgebers andeuten, übrigens aber eine mündliche oder schriftliche erläuterung fordern. es ist ein gelehrtes werk, wendet sich an gelehrte kreise, wenn es überhaupt mehr als hypomnematisches leben beansprucht. es ist aber keinesweges ausgemacht, daſs die ausgabe wirk - lich ausgegeben ward, ja es ist nicht einmal wahrscheinlich, da selbst Aristarchs ausgaben so bald verschollen waren; ἔκδοσις bedeutet bei den grammatikern durchaus nur ein exemplar. wie sich die Homertexte, die im buchhandel waren und blieben, dazu stellten, ist eine ganz andere frage. notorisch ist der einfluſs Aristarchs sehr groſs gewesen, da wir nicht nur viele seiner lesarten in unsern handschriften lesen, sondern auch verse, die er ausgeworfen hat, verschwunden sind, verse die er erst ein - gesetzt hat, sich vorfinden. man mag auch von vorn herein als wahr - scheinlich betrachten, daſs der kritiker selbst eine ‘kleine textausgabe’ hat ausgehen lassen mögen. aber damit rechnen seine schüler nicht, und ein buchhändlerisches bedürfnis, neue Homertexte zu schaffen, lag auch nicht vor. gegen die correctheit seiner classikertexte ist das groſse publicum ganz gleichgiltig; nur billig sollen sie sein.
Ganz anders steht es mit den anderen dichtern, z. b. Pindar, mit welchem am besten exemplificirt wird, da hier die verhältnisse am durch - sichtigsten sind und auch die tätigkeit des Aristophanes ganz ausdrück - lich bezeugt ist. von Pindars werken hatte es noch gar keine ausgabe gegeben. die gedichte hatten von vorn herein vereinzelt existirt; viele oder wenige werden ja wol zusammengeschrieben sein, aber davon ver - lautet nichts: man kennt vor der aristophanischen ausgabe nur die ver -139Aristophanes von Byzanz. ausgabe des Pindar.einzelung, und deren erfolg muſste auf die dauer für sehr viele gedichte der untergang werden. da trat nun die tätigkeit der alexandrinischen biblio - thekare ein, die ihnen von den zeiten des Demetrios her vorgezeichnet war. zwei menschenalter waren damit zugebracht, daſs die hellenische litteratur gesammelt und geordnet war: die consequenz lag vor, daſs es nun zu gesammtausgaben der classiker kommen muſste, durch welche die schätze der bibliothek erst recht nutzbar wurden. auch darin wirkt das akademische beispiel nach, auf deren mitglied der spottvers λόγοισιν Ἑρμόδωρος ἐμπορεύεται gemacht ist. es war in erster linie ein buch - händlerisches unternehmen. es muſste aus den handschriften der biblio - thek eine sammlung der werke Pindars veranstaltet werden, die in feste ordnung gebracht, deren text für die vervielfältigung festgestellt werden muſste, damit dann abschriften genommen und vertrieben würden. man mag sich das immerhin nur als eine leistung vorstellen wie Lachmanns Lessing, so ist doch einleuchtend, daſs die Alexandriner sich durch diese ausgaben, welche allmählich von allen classikern erschienen, unendlich viel höhere verdienste erworben haben als durch alle ihre conjecturen und commentare.
Als Aristophanes die erhaltenen gedichte Pindars zusammen hatte,Ausgabe des Pindar. ordnete er sie nach einem einfachen schema, das jeder begreifen sollte. er vereinigte die gedichte in bücher, 8 εἰς ϑεούς, 8 εἰς ἀνϑρώπους, von denen ein jedes noch einen besonderen gattungsnamen erhalten konnte ὕμνοι παιᾶνες, ἐγκώμια ϑρῆνοι u. s. w. dabei blieb ein rest von gedichten, der sich in diesen gattungen nicht wol unterbringen lieſs. die cultlieder der art waren zahlreich genug um ein ganzes buch zu füllen, das als neuntes nach dem vorhergehenden ‘Jungfrauenlieder III’ oder ‘Von den Jungfrauenliedern gesonderte’ hieſs. die lieder an men - schen lieferten aber, nachdem anderes anderswo untergesteckt war27)So z. b. Pyth. 3, ein undatirter und an keinen sieg geknüpfter brief an Hieron, steht hinter den beiden siegesliedern für denselben. überhaupt können die gattungs - namen ὕμνοι διϑύραμβοι, ἐγκώμια ἐπίνικοι nur mit einiger gewalt auf die menge gelegenheitsgedichte angewandt sein. die ordnung innerhalb der bücher ist nicht con - sequent. in Ol. (1 — 6) Pyth. (1 — 3) Nem. 1, nachtrag N. 9 stehen die Sikelioten voran, doch muſs einer (Pyth. 6) einem könige anderer herkunft (P. 4. 5) den vortritt lassen, und O. 12, Isthm. 2 stehen abseits. in Nem. sind die Aegineten vereinigt (3 — 8), in Isthm. nicht u. dgl. m. übrigens haben die alten zu allen zeiten gefallen daran gefunden, in gedichtsammlungen ein princip nur mit willkürlichen änderungen durch - zuführen., nur noch 3 heimatlose stücke, die dem letzten, zudem sehr dünnen buche als κεχωρισμένα τῶν Νεμεονίκων angefügt wurden, wo sie140Geschichte des tragikertextes.noch stehen28)Aber in der trefflichen florentiner handschrift D steht τέλος hinter dem letzten wirklich nemeischen gedichte 8, am schlusse des buches πινδάρου ἐπίνικοι νεμεονίκοις. die debatten der grammatiker, welche besonders belehrend sind, stehn zu N. 11, weil dies gedicht nicht einmal ein siegeslied ist, wie 9 und 10. übrigens haben die grammatiker den gesichtspunkt des Aristophanes nicht gewürdigt; Bergk noch viel weniger. das richtige hat im wesentlichen Hiller Herm. 21 gesehen.. mit den gedichten an die götter begannen sicher auch die werke des Alkaios29)Die anordnung Bergks ist ganz willkürlich. als ob ein dichter, der lieder an götter und liebeslieder verfaſst, deshalb ein buch ὕμνοι und gar eins ἐρωτικά genannt haben müſste. als ob σκόλια dadurch bezeugt würden, daſs ein attischer vater seinem sohne zuruft ᾆσον σκόλιον Ἀλκαίου κἈνακρέοντος; dies derselbe fehler, der die pindarischen skolien erzeugt hat. endlich als ob Strabon ein buch der ausgabe bezeichnete, wenn er sagt, daſs sich auf die mytilenäischen parteikämpfe τὰ στασιωτικὰ καλούμενα τοῦ Ἀλκαίου ποιήματα bezögen (617). στασιωτικὰ ist gar kein grammatischer gattungsname; Strabon kennt es auch aus aesthetischen kritiken des dichters. es wird eine hauptaufgabe der dringend nötigen neuausgabe der lyriker sein, statt der Bergkischen ordnung die des Aristophanes herzustellen. und Anakreon, aber die stoffliche ordnung schien sich nicht durchgehends zu empfehlen; passender erschien die vereinigung der gleichen versmaſse, nach denen auch die werke Sapphos geordnet waren. wie viel bücher gemacht wurden, darüber wird bis zu einem gewissen grade die rücksicht auf die übersichtlichkeit und die be - quemlichkeit des lesens bestimmt haben, auch bald ein gewisses her - kommen. einiges wird man also für den umfang des nachlasses daraus entnehmen, daſs Pindars werke 17 bücher umfaſsten, die des Hipponax und Mimnermos je 2. aber das buch Olympien ist anderthalb mal so groſs als das buch Nemeen einschlieſslich des nachtrags, und jede stoff - liche ordnung bedingt eine starke verschiedenheit des buchumfanges; auch haben ja die ganz willkürlich gesetzten einschnitte im Homer und Herodot noch viel stärkere differenzen erzeugt. um so weniger wird man die bücher der Sappho eben so lang ansetzen wie die Pindars, ja wenn, wie es scheint, bei Stesichoros buch und gedicht zusammenfiel, so hat man den beleg für sehr viel kürzere bücher: denn daſs ein chorisches gedicht auch nur so lang wie eine tragödie gewesen wäre, wird so leicht niemand glauben, und dies maſs überschreiten die pindarischen bücher bei weitem. Homer und Pindar lassen sich schlecht vergleichen, weil die zeilenlänge, d. h. die columnenbreite mindestens sehr verschieden gewesen sein kann. denn die prosa lieſs sich freilich bequem auf die gröſse des ἔπος ein - richten, weil sie sich beliebig abteilen läſst: für die lyrische poesie muſste mit dieser älteren praxis gebrochen werden, wenn die ausgabe auf die versmaſse rücksicht nehmen wollte. die bekannte zählung nach στίχοι,141Aristophanes von Byzanz. ausgabe des Pindar.d. h. ἔπη, kann demnach auf diese classikerausgaben gar nicht angewandt sein. sie hatte aber auch keinen zweck, denn der umfang ward ja fest - gestellt um schreiberlohn und buchpreis zu bestimmen. für gewöhnliche schrift reichte dazu die feststellung der buchstabenzahl (wie auch für die steinschrift), später die der sylbenzahl aus30)Die subscriptionen der zeilensummen erfüllen also ihren zweck sehr wol auch in büchern welche die normalzeile selbst aufgegeben haben. da auſserdem die hunderte am rande bezeichnet wurden, so blieben selbst die citate nach zeilen brauchbar. daſs unsere handschriften von Pindar und den scenikern keine sticho - metrischen angaben führen, ist somit begreiflich: die hinter dem Sophokles im Lauren - tianus sind nicht antik, wie die form zeigt, und sind sinnlos.: in den dichterausgaben waren bestimmte zeilen inne zu halten, lesezeichen zu setzen u. dgl. m., so daſs die bloſse zählung der elemente ihre bedeutung verlor.
Es war also eine tiefgreifende neuerung, daſs die dichtertexte nach metrischen regeln abgeteilt wurden. es war das für die leser eine notwendig - keit geworden, aber ein sachverständiger gelehrter war allerdings dazu nötig. in wie weit die leser in älterer zeit die lyrischen als prosa geschriebenen verse richtig gelesen haben, stehe dahin; da sie rhythmus und versglieder auch in der prosa hörten, und zwar dieselben wie in der poesie, so werden sie jedenfalls einen rhythmischen genuſs gefunden haben. aber um 200 war die sprache des lebens schon stark verändert, die kenntnis der metrik sehr zusammengeschrumpft, da fast ausschlieſslich nur noch die stichisch gebrauchten maſse in der praxis fortbestanden. der leser bedurfte also einer hülfe. da stand nun der herausgeber vor einer entscheidung. Aristo - phanes hat die abteilung nach den gliedern gewählt, nach dem, was man für die elemente der rhythmischen kunstwerke hielt, befangen in der rhetorischen lehre, die an der prosa namentlich durch die peripatetiker ausgebildet war, die metrik war durch diese nicht zu einer eignen wissen - schaft ausgebildet, und so ist sie immer zwischen musik und rhetorik ohne halt herumgeworfen. bald nach Aristophanes zeit ist die grund - lage der uns überlieferten metrik festgestellt worden, doch kennt man die maſsgebenden personen nicht. daſs Aristophanes das κωλίζειν an den lyrikertexten durchgeführt hat, ist bezeugt31)Dionysios de comp. verb. 22. 26 (p. 156. 221 R.). natürlich ward nicht bis auf die kleinsten einheiten zurückgegangen, die man jetzt πόδες oder gar ἡμίποδες nannte; auch mehrere kleine kola, deren vereinigung fest stand, lieſs man zusammen. für die lyriker helfen uns auſser dem unschätzbaren blatte Alkman die nachbildungen der Römer und deren praxis, die häufig durch die ganz äuſserliche abteilung der texte bedingt ist, wie sie z. b. die sapphische und aeolische strophe als vier perioden behandeln, während es drei sind, weil sie so abgesetzt waren, und auf solche ver - kehrtheiten kamen wie Horaz I 8, II 18.. er hat damit die praxis142Geschichte des tragikertextes.aller folgenden generationen bestimmt, bis auf die uns erhaltenen hand - schriften, ja bis auf Boeckh: wir dürfen ihm freilich nicht mehr folgen, da wir die metrik der classischen zeit richtiger aufzufassen im stande sind. daſs übrigens die gliederung der lieder immer durch das absetzen neuer zeilen bezeichnet worden sein müſste, ist keinesweges nötig; ein kurzer zwischenraum in der zeile oder eine interpunction, wie es z. b. in der florentiner Euripideshandschrift vorkommt, tut dieselben dienste. nicht die art der bezeichnung, sondern daſs überhaupt die gliederung bezeichnet wird, ist das wesentliche. es war aber damit nicht genug. in sehr ver - ständiger fürsorge haben die grammatiker dem leser durch ein bestimmtes system der bezeichnung auch zu erkennen gegeben, wo strophe und antistrophe oder in nicht strophischen liedern die perioden zu ende waren, auch den schluſs der lieder, einzeln den umschlag der rhythmen, endlich die personenverteilung. nur wenig davon ist in unsere handschriften übergegangen, aber wir kennen das system durch Hephaestion περὶ ποιήματος, der nur zusammenstellt, was er (oder seine quelle) in den ausgaben der classiker fand.
Diese bisher geschilderte tätigkeit, die man immerhin mit unsern an - weisungen an den setzer vergleichen mag, führte nun schon mittelbar zu sehr bedeutenden kritischen schlüssen, vergleichbar denen, welche unsern gelehrten zufielen, als sie die responsion der chorlieder erkannten. es war damit in vielen fällen ein kriterion gegeben um zwischen verschiedenen lesarten zu wählen, überschüssige glieder oder lücken zu erkennen. ein äuſserst merkwürdiger beleg für die persönliche tätigkeit des Aristophanes in dieser richtung ist auch erhalten32)Schol. Pind. Ol. 2, 48 zu dem überschüssigen kolon φιλέοντι δὲ Μοῖσαι, ἀϑετεῖ Ἀριστοφάνης, περιττεύειν γὰρ αὐτό φησι πρὸς ⟨τὰς⟩ ἀντιστρόφους. in einer andern fassung fehlt der name des Aristophanes und steht dafür ὀβελὸς πα - ράκειται. daſs eine solche interpolation nicht beseitigt ward, beweist sowol die vorsicht des herausgebers wie die abhängigkeit der ganzen folgezeit..
In wie weit die für das publicum bestimmten exemplare inter - pungirt und mit den lesezeichen versehen waren, die wieder Aristophanes für die prosodie erfand, ist nicht auszumachen. ganz dürfte beides in diesen schwierigen texten nicht gefehlt haben; ganz durchgeführt war es keinesfalls, und es gehört schon mehr zu dem eigentlich gelehrten be - triebe, ebenso wie die kritischen zeichen, von welchen doch der obelos wenigstens selbst im Pindar nicht zu entbehren war33)Für die gelehrten bestand natürlich in der prosodie auch hier, wie im Homer, eine feste παράδοσις. ein gutes exempel liefert Eur. Hek. 1030, wo niemand vor Hemsterhuys auf den gedanken gekommen ist ου als οὗ statt οὐ zu nehmem..
143Aristophanes von Byzanz. ausgabe des Pindar.Unmittelbar in die textkritik spielte ein geschäft hinüber, das der herausgeber gar nicht versäumen konnte, die herstellung einer ortho - graphie. unser Pindartext zeigt zwar schwankungen, die nicht alle auf schreiberversehen späterer zeit zu schieben sind, aber sie verschwinden gegenüber der einheitlichkeit. diese aber kann nur durch eine durch - greifende recension herbeigeführt sein. denn es ist weder die schreibung des dichters noch die einer bestimmten späteren zeit; auch konnten die aus aller herren länder in Alexandreia zusammengekommenen handschriften überhaupt nicht so ähnlich aussehen. nicht anders steht es in den anderen schriftstellern. einmal muſs doch befohlen sein, bei Sappho setzt man kein stummes iota, bei Pindar schreibt man φιλέοισι, bei Aischylos αἰσϑάνῃ πράσσω ἐς, bei Aristophanes αἰσϑάνει πράττω εἰς. also zeigt sich das eingreifen eines organisators in den folgen. er hatte keine leichte aufgabe. das sehen wir selbst am Homer, dessen sprache doch längst zu festen formen erstarrt war und durch die nie unterbrochene nachbildung immer gelehr - terer dichter selbst dem publicum geläufig blieb. am Homer sehen wir auch am besten, daſs die gelehrten selbst diese aufgabe nicht leicht nahmen. es sind auch wirklich keine kleinigkeiten, fällt doch das dialektische zum gröſsten teil unter diese rubrik. wir dürfen sicher sein, daſs die absicht nicht war, den hirngespinnsten eigner theorie raum zu schaffen, sondern die echte überlieferung zu geben. aber zum mindesten muſste eine aus - wahl getroffen werden, und schon das führte zum systematisiren; auſserdem war nicht weniges an sich von der überlieferung ungenügend oder doch inconsequent bezeichnet, wo denn auch eine entscheidung nötig ward.
Die hauptaufgabe war endlich die feststellung des textes selbst. wenn nur eine quelle für ihn zu gebote stand, oder wenn die tradition eine ganz feste war, so konnte die recensio freilich nichts tun als diese weiter geben. indeſs das muſsten ausnahmen bleiben; in gedichten, die seit jahr - hunderten in den verschiedensten gegenden gelesen worden waren, muſsten sich vielmehr ähnliche und zum teil noch ärgere zustände gebildet haben, wie wir sie dank den Alexandrinern im Homer vor augen haben, obgleich wir auch da gewiſs nicht den hundertsten teil von dem kennen, was jene durcharbeiten muſsten. sehen wir nun den Pindartext an, so bietet uns die reiche überlieferung sehr wenig wirkliche varianten; denn die schreib - fehler, die wir durch die vergleichung unserer handschriften erledigen, sind spätere wertlose entstellungen. vor allem aber, die gelehrten, deren äuſserungen in den scholien zahlreich erhalten sind, rechnen, ganz anders als im Homer, gar nicht mit varianten, sondern betrachten die überlieferung als eine sicher gegebene gröſse. mit anderen worten, im Pindar hat die144Geschichte des tragikertextes.grundlegende ausgabe, die aristophanische, alles ältere definitiv beseitigt: sie ist ganz und gar identisch mit der ‘überlieferung’ geworden, und nur die erinnerung erhielt sich dunkel, daſs es ältere texte gegeben hätte. die geschichtliche bedeutung der aristophanischen tätigkeit ist also eine ganz ungeheure. man denke sich, daſs die wirkliche überlieferung des Lucrez ganz zu grunde gienge und an ihre stelle der Lachmannsche text träte, so daſs gewissermaſsen Lachmann gleich Lucrez würde. in diesem falle würden wir gar nicht weniges durch die conjectur oder auswahl des herausgebers verderbt lesen, und dennoch würde es gegenüber der verwüstung, die vor Lachmann im Lucreztexte herrschte, ein unschätz - barer segen gewesen sein, daſs ein zielbewuſster wille durchgegriffen hätte. müſsten wir freilich Tibull und Properz mit Scaligers ausgabe indentificiren, so würde die kritik nur zu dem negativen ergebnis gelangen können, daſs irgend ein willküract die gedichte aus den fugen gerissen hätte. von den alexandrinischen gelehrten sind wir sicher, daſs sie an methode und scharf - sinn mit Lachmann nicht zu vergleichen waren, aber wir dürfen uns wol auch darauf verlassen, daſs sie diesen mangel durch gröſsere zurückhaltung und selbstbescheidung zum teil ersetzt haben: Scaligersche willkür imputirt ihnen nur, wer für die eigene die bahn frei haben will. Aristophanes zumal ist schon durch die ungeheure ausdehnung seiner herausgebertätig - keit von der conjecturalkritik zurückgehalten: ihm ist es gegangen wie Immanuel Bekker, mit dem man ihn immer wieder vergleichen muſs, den er aber doch wol überragt. denn was ihm gelungen ist, ist etwas so groſsartiges, daſs man kaum nach den tausend einzelheiten fragt, die man nicht wissen kann, da die hauptsache sonnenklar ist, die für alle zukunft maſsgebende codification der nationalen poesie, zu der mit recht auch Platon gerechnet war. so etwas zu erreichen erfordert mehr als philo - logie. es fordert die einsicht, daſs auf die lösung der aufgabe mehr an - kommt als auf die tausend bedenklichkeiten, ob es so oder so besser wäre; den mut, dem besserwissen der faulen und undankbaren nachwelt zu trotzen, die das gute gedankenlos nutzt und zugleich schilt, weil es nicht das bessere ist; den sicheren nie zu lernenden blick für das wesentliche; endlich die energie des willens, die durch die riesenhaftig - keit der arbeit immer neu gestärkt wird. auch wenn Aristophanes ein gewalttätiger kritiker gewesen wäre (solch einer löst freilich erfahrungs - gemäſs keine groſsen aufgaben), so würde sein andenken gesegnet werden müssen: und wir dürfen doch glauben, daſs er ein kritiker wie Bekker war.
Daſs Aristophanes für die tragiker dieselbe bedeutung hat wie für die lyriker ist nicht überliefert. dennoch ist es ganz unzweifelhaft. vor145Aristophanes von Byzanz. ὑποϑέσεις.ihm gibt es keine philologische beschäftigung mit ihnen; er eröffnet die reihe der grammatiker, welche sich ihrer erklärung widmen, und steht unter diesen selbst für unsere kenntnis in der vordersten reihe. die tragikerkritik setzt eben so gut wie die Pindars einen festen text voraus, über welchen hinaus die forschung kaum je geht, dann aber in völliger finsternis tappt34)Nur der tüchtige forscher Asklepiades (um 150) hat in Athen nach über - schenen handschriften gesucht, schol. Ar. Frö. 1344. wenn einer von der attischen schrift redet, so zeigt er nur, daſs er von ihr überhaupt nichts weiſs (schol. Phoen. 682). nicht besser ist meistens, was von den schauspielern ausgesagt wird. wo παλαιά, ἀναγκαιότερα ἀντίγραφα u. dgl. citirt werden, sind fast immer viel spätere zeiten gemeint, nirgend ist man veranlaſst über Aristophanes zurückzugehen.. die einteilung nach κῶλα ist auch im drama durch - geführt. also irgend jemand hat für dieses dasselbe geleistet wie Aristo - phanes für die lyrik: man kann an keinen andern als ihn denken. und eine deutliche spur ist auch erhalten geblieben, welche allein schon auf eine grundlegende ausgabe des Aristophanes führen würde, die ὑπο -ὑποϑέ - σεις. ϑέσεις. daſs Aristophanes den dramen eine kurze vorbemerkung vor - gesetzt hätte, vergaſs man bis in die späteste zeit nicht. sein name blieb diesen vorsatzstücken, die zu dem drama so notwendig gehörten, daſs der verfertiger des Okypus seiner parodie auch eine hypothesis, zum teil in aristophanischen formeln, vorausgeschickt hat. selbst als man, wahrscheinlich im 2. jahrhundert n. Chr., wo die lateinische grammatik solche spielereien treibt35)Die didaskalien, welche den römischen schauspielen im 1. jahrhundert v. Chr. vorgesetzt sind, sind natürlich nach dem vorbilde der aristophanischen vor - bemerkungen verfertigt, die damals in den griechischen texten standen., den inhalt der tragödien und komödien in schlechte verse faſste, hastete an diesen der alte berühmte name36)Die letzte spur ist wol, daſs in den Statiusscholien XII 510 der inhalt des Oid. Kol. dem Aristophanes zugeschrieben wird. denn in dieser gegend der litteratur ist eine vertauschung der dichternamen nicht wahrscheinlich.. mit einem commentar hängen die ὑποϑέσεις nicht zusammen; das zeigt auſser Terenz und Plautus die reihe der scholienlos überlieferten euri - pideischen dramen, vor denen sich nicht nur ὑποϑέσεις, sondern selbst reste aristophanischer gelehrsamkeit, allerdings ohne den namen, erhalten haben37)Auſser formelhaften, also nicht für den aristophanischen ursprung beweisen - den, wendungen steht zu den Hiketiden die aesthetische kritik τὸ δρᾶμα ἐγκώμιον Ἀϑηνῶν. die Bakchen zeigen auch durch die erhaltung des aristophanischen namens, daſs sie nicht in diese classe von tragödien gehören.. hieraus und übrigens aus dem ganzen inhalte der gelehrten notizen ergibt sich, daſs Aristophanes die ausgabe, welcher er sie beigab, für das publicum bestimmt hatte, nicht für die philologen.
v. Wilamowitz I. 10146Geschichte des tragikertextes.Die anregung und sehr vielfach auch den stoff hat er von den peri - patetikern entlehnt. so wenig wie ihnen war es ihm darum zu tun, den inhalt des folgenden stückes zu erzählen; was wir der art lesen, sind erzeugnisse späterer zeit, die mit den mythographischen hand - büchern zusammengehören. es werden vielmehr nur ganz kurz und nur dem im allgemeinen unterrichteten verständlich die hauptereignisse der folgenden handlung bezeichnet38)Wenn ein stück Φοίνισσαι hieſs, so war eine solche bemerkung in der tat angezeigt, wie er sie macht: ἐπιστρατεία Πολυνείκους μετὰ τῶν Ἀργείων ἐπὶ Θήβας καὶ ἀπώλεια τῶν ἀδελφῶν Πολυνείκους καὶ Ἐτεοκλέους καὶ ϑάνατος Ἰοκά - στης, und doch ist der ausdruck hier von einer redseligkeit, die den überarbeiter zeigt. auch die vergleichenden bemerkungen forderten diese angaben, wie denn die Phoe - nissen fortfahren ἡ μυϑοποιία παρ̕ Αἰσχύλῳ ἐν Ἕπτ̕ ἐπὶ Θήβας πλὴν τῆς Ἰοκάστης.. auſserdem folgt der litterarische nach - weis, ob und wo derselbe stoff von den beiden anderen tragikern oder auch überhaupt behandelt war38a)Diese notiz, παρ̕ οὐδενὶ κεῖται ἡ μυϑοποιία, steht vor dem Orestes, dessen absonderliche erfindung diese besondere hervorhebung wol verdient.. damit verband sich nötigenfalls eine erörterung über echtheit und integrität des vorliegenden dramas. sodann ward aus den schriften des Aristoteles und seiner schule der auszug aus den amtlichen aufzeichnungen hingesetzt, welcher jahr fest erfolg con - currenten der ersten aufführung angab. zum teil nach denselben büchern ward eine aesthetische würdigung gegeben, teils ganz kurz, wie z. b. von Euripides stücke erster und zweiter classe unterschieden werden, teils in ausführlicherer begründung, auch mit hinweis auf die älteren kritiker. endlich ersetzte die angabe des ortes der handlung, der zusammensetzung des chores und der person, die den prolog sprach, vollkommen ein per - sonenverzeichnis, das nicht üblich und in der tat ganz entbehrlich war. nützliche gelehrsamkeit ward gelegentlich hier oder dort zugefügt39)So steht über den sprecher des prologs eine gelehrte notiz zum Aga - memnon; öfter sind auch reste der hypothesis in die scholien verschlagen, so am schlusse der Antigone und am anfange des Philoktet über die euripideischen con - currenzstücke, zu Hek. 1 τὰ περὶ Πολυξένην ἔστιν εὑρεῖν παρἰ Σοφοκλεῖ ἐν Πολυ - ξένῃ (so zu lesen). das aesthetische urteil über den Orestes steht zum teil auch am schlusse. auch die kritik des aischyleischen concurrenzstückes Ai. 134 dürfte aus der hypothesis stammen.. die reihenfolge der teile ist in unserer überlieferung nicht fest; auch kann man nicht alles mit gleicher sicherheit auf Aristophanes zurückführen, da die grammatiker, welche nach ihm einzelne stücke herausgaben, auch an den vorbemerkungen änderten40)So ist unsere hypothesis zum Rhesos geschrieben von dem welcher die echtheit des dramas behauptete, und der nahm dabei die auf, welche der von ihm, und auch solche zusätze ihren weg in die147Aristophanes von Byzanz. textkritik.publicirten texte fanden: schon Ovid hat unsere erhaltene hypothesis der Medeia, welche den Rhodier Timachidas41)Timachidas war noch dichter, verfasser eines vielbändigen epischen δεῖπνον, glossograph und verfasser von commentaren zur Medeia, den Fröschen und dem Κόλαξ des Menandros (Et. M. [Sorb. ] καραδοκῶ). seine zeit steht nicht fest; man möchte ihn in das 2. jahrhundert setzen. citirt, in seinem Euripides - exemplar gelesen42)Das hat Robert (Bild und Lied 231) sehr schön aus Metam. VII 159 — 296 ermittelt.. um so deutlicher wird die macht des aristophanischen vorbildes und die weite geltung dieser grammatischen sitte.
Von den hilfsmitteln und der methode, welche Aristophanes für dieTextkritik. recensio der tragiker zu gebote standen, wissen wir so gut wie nichts. texte der meisten dramen muſsten in groſser zahl in der bibliothek liegen, und die könige setzten ihr geld und ihre diplomatie dafür ein, daſs wert - volle handschriften, z. b. das lykurgische exemplar aus Athen, für Alexan - dreia gewonnen wurden43)Galen XVII 607.. wenn wir bedenken, daſs Aristophanes in seinen Homertext sehr viele verse aufgenommen hat, die Zenodotos gar nicht geschrieben hatte und er selbst für unecht hielt, so dürfen wir uns nicht wundern, daſs so viel unechte verse in den dramen stehen, dürfen aber zugleich keinesweges glauben, daſs Aristophanes sich über dieselben immer getäuscht hätte44)Z. b. Vög. 1343, ein vers, den andere mit recht gar nicht schrieben. in ganz interpolirter gestalt ist die letzte scene der Frösche überliefert, wo Aristophanes den trug, wie es scheint, gar nicht, Aristarch zum teil durchschaut hat. man wundert sich in der tat, daſs so üble dittographien und zusätze sich haben halten können; leider finden sie jetzt sogar verteidiger. zu streichen sind 1429, 1432, 1437 — 41, 1446 — 48, 1452. 53 (1455. 6 ist abzuteilen ΔΙΟ. πόϑεν; μισεῖ κάκιστα. ΑΙΣ. τοῖς πονηροῖς δ̕ ἥδεται; ΔΙΟ. οὐ δῆτ̕ ἐκείνη γ̕, ἀλλὰ χρῆται πρὸς βίαν. ΑΙΣ.) 1462 — 66, 1478.. auch doppelte recensionen, die nicht selten sind, hat er erweislich zuweilen trotz richtiger einsicht aufgenommen45)Frö. 153; anders wird er es mit den sinnlos wiederholten versen in Eur. Medeia und Phoenissen auch nicht gehalten haben. gerade die existenz von ditto - graphien beweist in der griechischen wie in der römischen dramatischen poesie, daſs unsere überlieferung auf die ausgabe von gelehrten zurückgeht, welche die ver - schiedenen fassungen, die sie in den handschriften einzeln vorfanden, neben einander gerückt haben. denn nur das zusammenarbeiten der vorher gesonderten fassungen kann sie vereinigt haben. sehr oft wird ein kritisches zeichen zuerst gesetzt ge - wesen sein. hätten diese herausgeber die anmerkung als eine berechtigte eigentüm - lichkeit wissenschaftlicher schriftstellerei gekannt, so würde der gang der textge - schichte ein ganz anderer geworden sein, würden übrigens z. b. auch Aristoteles ethik,. wir40)bekämpfte grammatiker geschrieben hatte, der den Rhesos verwarf. dieser erst hat den Aristophanes benutzt.10*148Geschichte des tragikertextes.werden ihm auch dafür dankbar sein. denn sein bestreben war offenbar, möglichst wenig von dem überlieferten umkommen zu lassen. und doch liegt es in der natur der sache, daſs sehr vieles unterdrückt werden muſste, nicht bloſs einzelne lesarten, da ja die ausgaben keinen kritischen apparat enthielten, sondern verse und versreihen. wie hätte das gegenüber schau - spielerredactionen anders sein sollen? wirklich hat Aristophanes die beiden unechten prologe des Rhesos ganz unterdrückt. so sehr wir also auch wünschen würden, mit dem apparate, der ihm zur verfügung stand, selbst zu arbeiten, so dürfen wir uns doch dazu glück wünschen, daſs der text, der für uns genau so wie im Homer auch im drama zunächst anzu - streben ist, der der Alexandriner, ein so vorsichtig festgestellter ist. auf die torheit, bei ihm stehen zu bleiben, ist glücklicherweise niemand ver - fallen, obgleich der schade geringer wäre als im Homer.
Eine gesammtausgabe würde ihren zweck verfehlen, wenn sie nicht durch eine feste ordnung die erhaltung des gesammtbestandes der werke sicherte, wenn also z. b. die tragödien, weil eine jede für ein buch besser zureicht als ein gedicht von Stesichoros, vereinzelt publicirt wurden und vereinzelt blieben. tatsächlich haben denn auch die herausgeber aus diesen lediglich praktischen rücksichten etwas unseren ‘bänden’ ent - sprechendes eingeführt, eine mittelstufe zwischen der summe der werke und dem einzelnen stücke oder buche. wir sehen in der zeit des ent - falteten litterarischen lebens einzelne vielschreibende schriftsteller schon selbst dafür sorgen und ihre bücher in gruppen von 5 oder 10 oder wie viel ihnen beliebt zusammenfassen. die historiker Dinon von Kolophon und Deinias von Argos nannten das eine σύνταξις46)Δίνων ἐν α΄ τρίτης συντάξεως schol. Nik. Th. 613. Δεινίας ἐν ϑ΄ πρώτης συντάξεως, ἐκδόσεως δὲ δευτέρας schol. Eur. Or. 872. später kommt das wort ab. Erotian in der vorrede braucht es abwechselnd und gleichbedeutend mit βιβλίον. Anaximenes schlieſst seine rhetorik mit der aufforderung, in der rede ἐκ τῆς προτέρας συντάξεως γυμνάζεσϑαι, bezeichnet also sein werk damit. da ist es noch ganz gleich einem ἐξ ὧν πρότερον συντετάχαμεν.. die werke des Chrysippos wurden ebenfalls in συντάξεις gesammelt, doch wol schon bei seinen lebzeiten oder bald danach; denn lange konnten sich diese massen schlechtester prosa nicht halten, und der buchhandel blühte damals in Athen47)Lykon, gestorben 224, übergibt seinen nachlaſs einem Kallinos zur publi - cation in seinem testamente (Diog. V 73). wir ersehen aus demselben, daſs dieser mit dem peripatetischen schulhaupte befreundet und in Hermione heimatberechtigt. die ebenso ungeheure und unlesbare masse des Epi -45)politik, psychologie ganz anders aussehen. und der Homer würde den hexaplarischen bibelhandschriften noch viel ähnlicher sein, als er es jetzt ist.149Aristophanes von Byzanz. verteilung in bände.kurischen nachlasses war auf κύλινδροι verteilt48)Diogenes X 26. die einzelnen bücher können nicht gemeint sein, denn für sie wäre die zahl 300 viel zu niedrig: von Aristoteles zählt das hesychische verzeichnis mehr als das doppelte. auch waren die bände Epikurs wie die des Livius besonders schwer (Seneca ep. 46, 1 Usener Epicurea 87). das trifft auf die livia - nischen bücher nicht zu, erklärt sich vielmehr daraus, daſs er nach dekaden oder doch pentaden publicirt hatte, eine einteilung, die unsere überlieferung noch fest hält. entsprechendes hat man für Epikur anzunehmen.. den des Antisthenes gliederte man nach τόμοι, den platonischen verteilte Aristophanes in τριλογίαι49)Hier war die rücksicht maſsgebend gewesen, daſs Platon zwei trilogien innerlich und formell verbundener dialoge verfaſst hatte. da sich darunter der Staat als ein buch neben dem Kritias befand, war an gleiches gewicht der bände nicht zu denken. und Aristophanes hat denn auch kein bedenken getragen, die Epinomis neben die Gesetze, jedes als eine nummer, zu setzen.. das bei den Byzantinern gewöhnliche wort τεῦχος findet sich wenigstens in der augusteischen zeit für die vereinigung von fünf büchern lyrischer gedichte50)Krinagoras Anth. Pal. IX 239. das gedicht ist so zerstört, daſs man nicht sicher erkennen kann, was eigentlich die fünf bücher lyrische gedichte waren. einen sammelband mehrerer gedichtbücher erwähnt Catull 14.. auch wenigstens für einen dramatiker ist die einteilung kenntlich. Apollodoros von Athen hat die gedichte des bisher vernachlässigten Epicharm auf 10 τόμοι verteilt. da nicht fest - steht, ob Apollodor die umfängliche pseudepicharmische, epische und prosaische, litteratur aufnahm, ist nicht sicher zu sagen, wie viel stücke auf einen τόμος kamen; indessen führt die beste angabe, 40 komödien, darunter 4 bestrittene51)Anon. de com. 3, der ausdrücklich die σῳζόμεναι angibt. 35 zählte vor Apollodor der Pythagoreer Lykon. das harmonirt mit Apollodor ganz gut. 52 bei Suidas ist dem gegenüber zu verwerfen., auf die tetralogie, und man darf sie als wahr - scheinlich betrachten52)Daran ist nicht zu denken, daſs etwa 4 epicharmische komödien die länge einer attischen ausgemacht hätten. denn die dicke des bandes entscheidet über - haupt nicht, und wenn auch die sicilischen possen zweifellos kürzer als die komödien waren, so ist ihre gröſse doch ganz unschätzbar, konnte sich übrigens, da das vor - waltende versmaſs trochäische tetrameter waren, ja zwei ganze komödien aus ana - paestischen tetrametern bestanden, in der schrift möglicherweise ganz anders stellen als die summen der in unserer weise gezählten verse es ergeben würden.. Porphyrios, der die angabe über Apollodor macht um seine enneaden zu begründen (vit. Plotin. 24), wuſste nichts mehr von τόμοι der tragiker. aber wir werden nicht bezweifeln, daſs47)war. Lukian (advers. indoct. 1. 24. ) erwähnt die βιβλιογράφοι Atticus und Kallinos als die verfertiger der schönsten alten bücher. der athenische verlag des Atticus ist aus Ciceros correspondenz, die Ἀττικιανά sind aus den grammatikern bekannt: Kallinos werden wir auch nicht zögern zu identificiren.150Geschichte des tragikertextes.Apollodor der weise seiner lehrer folgte. dazu tritt nun ein wichtiges zeugnis. ein bücherkatalog aus Athen (CIA II 992) zählt unter anderem euripideische tragödien auf; sie sind nach den anfangsbuchstaben der namen geordnet, doch so, daſs erst alle mit Σ, dann alle mit Θ, Δ, Π, dann vier mit Α, einige mit Ε anfangende auf einander folgen. wir sehen also die ordnung κατὰ στοιχεῖον, wie sie auch die zahlreich er - haltenen verzeichnisse von dramen zeigen, aber in der eigentümlichen weise modificirt, daſs die mit demselben buchstaben im titel beginnenden dramen eine einheit bilden, diese einheiten aber nicht mehr die buch - stabenfolge des alphabetes inne halten. den grund der anomalie vermag man nicht wol zu erraten; so viel aber ist klar, daſs die buchstaben nicht die τόμοι bilden konnten, sonst hätten mehrere τόμοι nur eine tragödie umfaſst. und da von Α, welches die meisten enthält, zwischen Π und Ε vier tragödien eingezwängt sind, so liegt auch hier die tetralogie zum mindesten sehr nahe. und das muſste sie von vorn herein für den heraus - geber tun, der unter den aischyleischen dramen eine anzahl wirklich inhaltlich zusammengehöriger und zugleich gegebener tetralogien vorfand, von welchen z. b. der Prometheus53)Der erhaltene Prometheus stand in der ausgabe, für welche schol. 511 geschrieben ist, noch im verbande der trilogie, denn der λυόμενος heiſst τὀ ἑξῆς δρᾶμα. angeführt wird auch das dritte stück, 94. auch die erhaltene Orestie dürfte der veranstalter unserer auswahl nicht erst selbst zusammengestellt, sondern im selben bande vereint gelesen haben. selbst nur den einen titel für die drei tragödien bot. man mag vermuten, daſs diese tetralogien zuerst als ein τόμος vereint blieben, wie sie wol zum teil auch überliefert waren, und dann bei Euripides und auch Sophokles54)Auch von diesem stehen einige mit gleichem buchstaben beginnende tragödien - namen auf dem steine CIA II 992., wo der inner - liche zusammenhang fortfiel oder zurücktrat, ein compromiſs zwischen dieser einteilung und der ordnung nach dem anfangsbuchstaben getroffen ward. indessen bleibt das einzelne zunächst noch ganz unsicher; wichtig aber ist die erkenntnis des einteilungsprincipes im ganzen, und sie wird sich später noch in wichtigen folgen bewähren55)Zwei notizen scheinen darauf zu führen, daſs die tragödien auch eine laufende nummer führten, in der hypothesis der Alkestis τὸ δρᾶμα ἐποιήϑη ιζ΄, und in der der Antigone λέλεκται δὲ τὸ δρᾶμα τοῦτο τριακοστὸν δεύτερον: aber sie haben sich bisher jeder deutung entzogen..
Auch die reihe der commentatoren beginnt Aristophanes. daraus folgt, daſs er im Museion tragiker erklärt hat, ebenso wie auch epiker lyriker und komiker. denn für die älteste grammatik gilt noch ebenso wie für die151Aristophanes von Byzanz. erklärung.peripatetiker die wechselwirkung von mündlicher lehre und schriftstel - lerei55a)Für den betrieb der philologischen studien in Alexandreia sind wir auf rückschlüsse angewiesen, da directe zeugnisse fehlen. nun hat man ja das richtige aus der anwendung der kritischen zeichen, welche mündliche belehrung zur ergänzung fordern, aus den ὑπομνήματα und namentlich aus der παράδοσις, wie sie z. b. in betreff der aristarchischen vocabelerklärung fest steht, geschlossen. es ist aber doch sehr belehrend, auf dem gebiete der mathematik im rhestachoterischen und exote - rischen schulbetrieb hineinzusehen. die vorreden, welche Apollonios von Perge seinen einzelnen büchern über die kegelschnitte vorausschickt, gewähren diesen ein - blick, und die tiefe und klare würdigung, welche Zeuten jüngst diesem werke hat zu teil werden lassen, wird dem philologen auch dann wichtig, wenn er dem mathe - matiker auf sein gebiet nicht zu folgen vermag. für diesen ist es kein geringes lob, daſs er, ohne kenntnis von den geschichtlichen bedingungen zu haben, die verhält - nisse genau so gezeichnet hat, wie sie umfassende geschichtsbetrachtung kennen lehrt, von der leider die meisten philologen noch weit entfernt sind.: sie schreiben ὑπομνήματα, und man schreibt sich nach ihren vorträgen ὑπομνήματα. proben von der conjecturalkritik des Byzantiers sind freilich zu den tragikern nicht mehr beizubringen, weil ihre scholien sehr viel dürftiger sind als die zu dem Athener Aristophanes. indessen ist doch an einer stelle so viel erhalten, daſs etwas wichtiges sich erschlieſsen läſst. in den scholien zum Orestes ist ein ὑπόμνημα des Aristophaneers Kallistratos benutzt, und da dieser einmal als gewährsmann für eine lesart seines lehrers angeführt wird56)1038; auſserdem von Kallistratos 314 zeugnis für eine lesart, 434 eine aporie. schlüsse auf seine eigene leistung und tendenz sind daraus nicht zu ziehen., so darf man auch die andern, eben auch in diesem drama allein häufigeren, Aristophanescitate57)713 eine lesart; 489 ist nur noch der name da. er galt einer erklärung. auf die rechnung seiner vermittelung setzen. darunter ist nun eine sehr merkwürdige notiz. Aristophanes rechtfertigt eine lesart durch berufung auf Stesichoros, der die von Euripides gewollte situation erkläre58)1287 (p. 214, 15 Schw.) Ἀρ. γράφει ῾ἐκκεκώφωνται ξίφη᾽· σημαίνει γὰρ ὅτι εἰς τὸ κάλλος Ἑλένης ἀποβλέψαντες ἀνεπαίσϑητοι ἕμειναν καὶ εἴασαν τὰ ξίφη. das erhält erst eine pointe durch die andere fassung (z. 6) ἆρα εἰς τὸ Ἑλένης κάλλος βλέψαντες οὐκ ἐχρήσαντο τοῖς ξίφεσιν; οἷον καὶ Στησίχορος ὑπογράφει κτέ.. unzweifelhaft gehört ihm dann auch eine weitere stelle, wo ebenso Stesichoros die absicht des Euri - pides erläutert59)269 Στησιχόρῳ έπόμενος τόξα φησὶν αὐτὸν εἰληφέναι παρὰ Ἀπόλλωνος. ἔδει οὖν τὸν ὑποκριτὴν λαβόντα τοξεύειν· οἱ δὲ νῦν ὑποκρινόμενοι τὸν ἥρωα αἰτοῦσι μὲν τὰ τόξα, μὴ δεχόμενοι δὲ σχηματίζονται τοξεύειν. Stesichoros wird auch 249 zur erläuterung der fabel citirt und 46 bei besprechung des ortes, wo Euripides die fabel spielen läſst. es liegt nahe auch diese stellen auf Aristophanes zu beziehen. indessen hat über die quellen des Euripides auch der kyklograph. hier aber richtet sich die spitze der bemerkung gegen152Geschichte des tragikertextes.die praxis der schauspieler, wie sie zu zeiten des verfassers auf der bühne in geltung war. und von dieser in keinen anderen scholien vorhandenen kategorie gibt es zum Orestes eine reihe bemerkungen, welche die gesti - culation60)643 τούτου ῥηϑέντος αἴρουσιν οἱ ὑποκριταὶ τὴν χεῖρα, ὡς τοῦ Μενελάου ἀγωνιῶντος κτέ. εὐήϑης δέ ἐστιν [ὁ] τοιαύτης ὑποψίας ἀντιλαμβανόμενος ⟨ὁ⟩ Με - νέλαος. das scholion ist auſser im Et. Gud. 79, 19 auch in den proleg. zu Hermogenes IV 7 Walz ausgeschrieben., die sangweise61)176 τοῦτο τὸ μέλος ἐπὶ ταῖς λεγομέναις νήταις ᾄδεται καί ἐστιν ὀξύτατον. ἀπίϑανον οὖν τὴν Ἠλέκτραν ὀξείᾳ φωνῇ κεχρῆσϑαι, καὶ ταῦτα ἐπιπλήσσουσαν τῷ χορῷ. ἀλλὰ κέχρηται μὲν τῷ ὀξεῖ ἀναγκαίως, οἰκεῖον γὰρ τῶν ϑρηνούντων, λεπτότατα δὲ ὡς ἔνι μάλιστα. davon daſs des dichters absicht die oder die ge - wesen wäre, weiſs der verfasser nichts: nur die praxis, wie sie auf der bühne ist, kennt er. ganz so Dionysios, der de comp. verb. 11 den anfang desselben liedes zum beispiele wählt. ἡ ᾠδικὴ Μοῦσα … τὰς λέξεις ταῖς μέλεσιν ὑποτάττειν ἀξιοῖ, … ὡς … δῆλον ἐκ τῶν Εὐριπίδου μελῶν ἃ πεποίηκε τὴν Ἠλέκτραν λέγουσαν. Euripides hat Elektra die μέλη ‘sagen’ lassen. den gesang schuf die ᾠδικὴ Μοῦσα, oder, wie Aristophanes sagt, sie werden so und so gesungen. — übrigens ist die stelle noch in anderer weise für die schauspieler sehr merkwürdig. unsere hand - schriften und scholien geben 140. 1 dem chore, wie wegen der responsion nötig ist. aber nicht nur Dionysios, sondern auch eine sehr gute anekdote von Kleanthes (Diog. IV 172), gibt sie Elektra; so war also die bühnenpraxis. dann können diese gewährs - männer aber v. 136 — 39 nicht gehört haben, denn das ist offenbar eine dittographie zu 140. 1; ja wir vermögen nun erst die verderbnis von 141 mit Elmsley sicher zu heilen (μὴ ῎στω κτύπος für μηδ̕ ἔστω κτύπος aus 137). die schauspieler verhelfen uns hier also zur entfernung einer in den gelehrten texten befindlichen dittographie. was sie änderten, lief darauf hinaus, daſs der sänger erhielt was eigentlich dem chore gehörte. das begreift man leicht. aber auch die verse 135 — 39 sind auf der bühne entstanden, nur einer anderen: sie fordern entweder die beseitigung des chorliedes, oder doch seines anfanges, oder aber sie sind gedichtet um den sinn der chorverse deutlich zu machen, als die musik in gewohnter weise die worte unverständlich gemacht hatte., die neigung für entfaltung von pomp62)οὐκ ὀρϑῶς νῦν ποιοῦσί τινες τῶν ὑποκριτᾶν πρῲ εἰσπορευομένην τὴν Ἑλένην καὶ τὰ λάφυρα. ῥητῶς γὰρ αὐτὴν νυκτὸς ἀπεστάλϑαι φησίν, τὰ δὲ κατὰ τὸ δρᾶμα ἡμέρᾳ συντελεῖται. man lieſs also Helene während des prologes mit einem triumphzuge, beutestücken, sclavinnen etc. auf die bühne kommen, während der dichter sie bereits bei nacht, vor beginn seines stückes, hatte kommen lassen., die selbst vor einem einschube nicht zurückschreckende sorge für die eigene bequemlichkeit63)Der eunuch sagt 1369, er wäre der ermordung entflohen κεδρωτὰ παστάδων ὑπὲρ τέραμνα Δωρικάς τε τριγλύφους, also durch einen sprung vom dache. vorher gehen drei verse des chores, worin in üblicher weise das knarren der türe und heraustreten des Phrygers notificirt wird. das vorzügliche scholion hebt den wider - an den schauspielern tadeln. das bestätigt sich weiter59)Dionysios gehandelt 995, vgl. 872. diese mythographische gelehrsamkeit wird man nicht trennen dürfen. auch das verhältnis zu Homer gehört dahin, 39, 256.153Die zweite periode der textkritik.dadurch, daſs bei einer zu zwei stellen anderer dramen angemerkten diffe - renz zwischen dem texte und der inscenirung einmal Aristophanes namhaft gemacht wird64)Hipp. 172 τοῦτο σεσημείωται τῷ Ἀριστοφάνει, ὅτι καίτοι τῷ ἐκκυκλήματι χρώμενος τὸ ἐκκομίζουσα προσέϑηκε περισσῶς. Alk. 234 οὐκ εὖ· κατὰ γὰρ τὴν ὑπόϑεσιν ὡς ἔσω πραττόμενα δεῖ ταῦτα ϑεωρεῖσϑαι. die form dieser notiz ist entstellt, ähnlich wie die geringeren fassungen des Hippolytosscholions. die sache verhält sich so. man stellte die scenen so dar, daſs das ekkyklema zur anwendung kam, also die kranke Phaidra und die sterbende Alkestis im zimmer blieben. das ist der sache eigentlich allein angemessen, und deshalb glaubte Aristophanes den dichter tadeln zu müssen, der trotzdem beide male ausdrücklich angibt, daſs die kranken ins freie gebracht würden. wir werden natürlich umgekehrt urteilen, daſs Euripides ein ekkyklema nicht beabsichtigt hat und sich wol oder übel mit den verhältnissen seiner bühne beholfen hat. aber ein heutiger regisseur würde gut tun lieber dem antiken collegen zu folgen als dem dichter. es liegt nahe die anweisungen für das spiel, die vereinzelt gegeben werden (Hipp. 215 tout d’ accord avec madame Rachel, fügt Weil hinzu) auch auf Aristophanes zurückzuführen. natürlich nicht solche, wo der grammatiker durch ein ἴσως selbst eingesteht, daſs für ihn das drama nicht mehr auf der bühne existirt, schol. Soph. OT. 41. 80. 1297. auch wenn über das umcostümiren geredet wird, ist die verkehrtheit der bemerkung beweis genug, daſs das am schreibtisch ausgedacht ist, schol. Soph. OT. 147, E. Phoen. 93.. es wird also kein vorschneller schluſs sein, wenn wir annehmen, daſs Aristophanes in das schauspielhaus gegangen ist, um die tradition der bühne für die exegese des textes nutzbar zu machen65)Über die bühnenwirksamkeit urteilt er in den hypothesen zu Orestes und Phoenissen ganz unbefangen, ohne seine gesunde kritik der dichtung dem gegenüber zu verleugnen.. es ist begreiflich, daſs der erste erklärer das tat: die folgezeit hat eine be - lebung der anschauung durch die bühne so wenig gekannt wie eine fort - gesetzte textverderbnis durch dieselbe65a)Leo verweist mit recht auf den Donatcommentar zu Terenz, wo die rück - sicht auf die bühne noch viel deutlicher hervortritt. natürlich geht das auf sehr viel ältere erklärer zurück; Leo vermutet, auf Probus.. auch hieran sieht man so recht, daſs Aristophanes eine neue periode eröffnet.
Diese zweite periode der textgeschichte umfaſst etwa drei jahrhunderte,Die zweite periode der textkritik.63)spruch hervor und stellt die sichere vermutung auf, die drei verse wären von den schauspielern eingelegt οἴτινες ἵνα μὴ κακοπαϑῶσιν ἀπὀ τῶν βασιλείων δόμων καϑαλλόμενοι, παρανοίξαντες ἐκπορεύονται τὸ τοῦ Φρυγὸς ἔχοντες σχῆμα καὶ πρό - σωπον. eine ähnliche interessante schauspielerinterpolation ist Aisch. Eum. 405. Aischylos in seiner einfachheit lieſs Athene von der Troas nach Athen durch die luft fliegen, ohne fittiche, aber so daſs sich fittichgleich die Aegis blähte, πτερῶν ἄτερ ῥοιβδοῦσα κόλπον αἰγίδος. das genügte dem bedürfnis nach sinnenreiz nicht mehr, das die spätere zeit zu befriedigen wuſste, und schien wol auch der göttin nicht würdig. so fuhr Athene auf ihrem streitwagen durch die luft auf die bühne, und dafür ward der vers eingefügt πώλοις ἀκμαίοις τόνδ̕ ἐπιζεύξασ̕ ὄχον.154Geschichte des tragikertextes.vom fünften Ptolemaeer bis auf Hadrian, und läſst sich bezeichnen als die zeit des wirklich grammatischen studiums. sie ist in ihrer studen - richtung uns modernen vergleichbar. die beschäftigung mit den tragikern ist sehr rege und productiv an büchern, von denen aber sehr wenig auf die nachwelt kommt, denn ein commentar verdrängt den andern, eine special - ausgabe die andere. das verdienst dieser zeit liegt auf dem gebiete der kritik lediglich in der conservirung des aristophanischen textes und der sicherung des verständnisses, so weit es die einzelnen worte und sätze des dichters angeht. tieferes eindringen in die kunstwerke ist fast nirgend vorhanden, und selbst der versuch wird nicht häufig gemacht. die con - jecturalkritik hat so gut wie gar nichts gutes geleistet, würde aber viel verdorben haben, wenn ihre einfälle bestand gehabt hätten.
Neben Kallistratos, den die verehrung für seinen meister in die hef - tigste fehde mit Aristarch verwickelte, wird man diesen vor allem als erklärer tätig zu sehen erwarten. sein schüler Dionysios Thrax sagt, er hätte die ganze tragödie auswendig gekonnt66)Et. M. Διονύσιος Θρᾷξ. das ὑπόμνημα Λυκούργου Αἰσχύλου citirt schol. Theokr. 10, 18., und daſs er ὑπομνήματα verfaſst hat, steht fest. aber es ist nicht nur so gut wie gar nichts er - halten, man spürt auch nichts von seinem einfluſs, oder doch nichts was den tragikern nützte. denn daſs wir seine homerischen doctrinen nicht selten in den scholien der tragiker vorgetragen finden, nützt für das verständnis der vorliegenden stellen nicht das mindeste. oder was läge daran, daſs wir lernen, Homer unterscheide im gegensatze zu den attikern οὐτάσαι und βαλεῖν67)Schol. Androm. 616, Hipp. 683, Ar. Ach. 345.; und gar die mythographische erudition würde ganz zu grunde gegangen sein, wenn die aristarchische mode durchge - drungen wäre, bloſs den unterschied der νεώτεροι vom ποιητής einzu - schärfen68)Z. b. schol. Hek. 3. 4. 1279. eine anzahl solcher stellen ist gesammelt in der sonst unbrauchbaren arbeit von Barthold de scholiorum in Eur. fontibus Bonn 1864 p. 12. ganz ähnliches findet sich auch in den Pindarscholien, Horn de Ar. stud. Pindar. Greiſswald 1883, p. 76. vereinzelt findet sich auch eine solche be - ziehung auf Aristophanische lehren; Phoen. 886 und Tr. 44 (zu lesen σεσημείωται ὡς [καὶ cod. ] μηκέτι αὐτῆς οἰκουμένης) beziehen sich auf seine homerischen arbeiten, auf seine παροιμίαι schol. Soph. Ai. 746, auf seine λέξεις Phoen. 684, häufig wird sein συγγενικόν stillschweigend berücksichtigt, z. b. Hipp. 634 Alk. 988 Pind. Ol. 9, 96: aber dies buch ist bis in byzantinische zeit in gebrauch gewesen und von den lexikographen reichlichst ausgenutzt, also konnten solche bemerkungen jederzeit aufgenommen werden und für die tragikercommentare des Aristophanes beweisen sie gar nichts.. gewiſs wird Aristarchs besonnene exegese auch hier sehr155Aristarch. ὑπόμνημα zum Rhesos.viel gutes haben stiften können, und die einzige stelle, wo sein name erscheint69)Zu Rhes. 540. denn Alk. 1154 ist der name aus Ἀριστοτέλης verdorben, wie Harpokration s. v. τετραρχία lehrt., zeigt ihn auch als den verteidiger des wahren. entsprechend steht es im Pindar; aber ebenda ermiſst man leicht die schranken seines könnens. die vollkommene anistoresie, die für seine philologie charakte - ristisch ist, rächt sich empfindlich. so hat er im Aristophanes, wo seine eigentümlichen vorzüge sich noch weniger entfalten konnten, nur wenig geleistet. und auch die tragiker haben von ihm und seinen nächsten an - hängern wenigstens keine kenntliche förderung erhalten.
Unsere überlieferung über die leistungen der einzelnen grammatiker des zweiten und ersten jahrhunderts ist aber überhaupt so dürftig, daſs wir von keinem einzigen benannten manne eine vorstellung gewinnen können. es hilft wenig, daſs Krates ein par mal genannt wird70)Zum Rhesos muſs er ein ὑπόμνημα verfaſst haben. sonst in einem ζήτημα Phoen. 208. über Parmeniskos Robert Eratosth. 229., Tima - chidas zur Medeia einige scharfe zurechtweisungen erhält71)Zu Med. 1 Τιμαχίδας ἀγνοήσας, 167 T. ἐπὶ τὰ πρόχειρα πᾶσιν ἐνεχϑείς, hier wird er mit mythographischer gelehrsamkeit bekämpft, und da Didymos den Parmeniskos in ähnlicher weise 273 zurückweist, auch den Apollodoros von Tarsos 148, 169 citirt, so werden wir ihm alle diese citate verdanken., Parmeniskos, dieser ein Aristarcheer, in irgendwelchen büchern textkritische und exe - getische fragen zu Rhesos, Troerinnern, Medeia behandelt, und ein und der andere name, vorzüglich in aporieen, genannt wird72)Darunter sind einige, über die man gar nichts vermuten darf oder mag. Aischines, E. Or. 12, 1371, welch letztere stelle wenigstens den anschein hat, als suchte er den von Aristophanes gerügten widerspruch zu beseitigen. Praxiphanes, S. OK. 900, der unmöglich der bekannte schüler des Aristoteles sein kann, Hellanikos, S. Phil. 201, der allerdings höchstens ein Herodoterklärer sein könnte und von Schrader (de not. crit. 27) für den Zenodoteer gehalten wird. aber es ist wol eher irgend ein misverständnis oder autoschediasma, und der historiker gemeint.. sehr viel deut - licher als aus diesen zerstümmelten einzelheiten lernt man, was die antike philologie leisten konnte, durch zwei ὑπομνήματα, die zwar anonym bleiben, aber dafür in ihrer ganzen art kenntlich sind. das eine ist ein commentar zum Rhesos, den citaten nach aus dem ersten jahrh. v. Chr.,ὑπόμνημα zum Rhesos. wol dem angehenden, welcher den nachweis liefern wollte, daſs dieses drama unecht wäre. das verschob sich, wie es zu gehen pflegt, zu dem versuche, das stück als an sich schlecht zu erweisen, wodurch der rich - tigen tendenz nur abbruch getan ward. jetzt erscheinen die kritischen bemerkungen verzettelt als erklärungen zu kritischen zeichen; aber es ist nicht zu sagen, ob sie als solche niedergeschrieben sind, denn das ganze156Geschichte des tragikertextes.ist nicht im originale erhalten, sondern nur durch einen commentar, welcher sich die widerlegung der behauptungen des älteren, doch wol höchstens 100 jahre älteren, gelehrten zur aufgabe gestellt hatte, die er mit minderem scharfsinn, aber auch nicht ohne wertvolle, wenn auch meist aus handbüchern geborgte, gelehrsamkeit zu lösen versucht. diesen com - mentar wieder hat der redactor unserer scholien, die noch dazu sehr stark verstümmelt in einer einzigen wenig zuverlässigen handschrift (Vat. 909) erhalten sind, ausgezogen und mit seinen ungelehrten er - klärungen vermischt. trotz alledem ist dieses bild eines antiken philo - logenkampfes sehr wol kenntlich und in seiner art ziemlich so interessant wie das object selbst73)Der nähere nachweis ist in meinem programm de Rhesi scholiis (Greiſswald 1877) geliefert..
Noch wertvoller ist durch die fülle seltener gelehrsamkeit ein ὑπό - μνημα zu dem Oidipus auf Kolonos, auf welches die hauptstücke der scho - lien dieses dramas sich zurückführen lassen, die von den übrigen scholien, nicht bloſs den sophokleischen, sondern allen tragikerscholien abstechen. es ist das allerdings schon eine compilatorische arbeit, denn sie setzt eine gröſsere zahl von ὑπομνηματισάμενοι voraus, die sie ursprünglich gewiſs genauer citirt hat, als es in dem jetzigen verstümmelten auszuge ge - schieht74)388, wo der verfasser ihnen gegenüber einen kritischen zweifel äuſsert. er hat richtig erkannt, daſs Sophokles die orakelsprüche erfunden hat, welche seine handlung ermöglichen. dazu gehören 457, 1156, 1181. ferner werden die ὑπομνημα - τισάμενοι 681 genannt, wo der verfasser im gegensatz zu ihnen eine andere, übrigens falsche, mythologische erklärung versucht, die eine textänderung im gefolge hat. 1375, wo er stolz ist etwas bisher ganz vernachlässigtes zu erklären; es ist mytho - graphisch; 900, wo es sich um eine antiquarische glosse handelt, und 390, wo ein altes wort (εὔσοια) erklärt wird. die bemerkung über die lesart der handschriften gehört nicht zu dem hypomnema, sondern hat für didymeisch zu gelten.. der verfasser lebte nicht vor dem anfange der kaiserzeit75)56 wird Lysimachides citirt, der gegen Caecilius von Kalakte schrieb (Ammon. s. v. ϑεωρός)., aber auch schwerlich später; denn die richtung seines interesses stimmt zu den damaligen auf das attische altertum gerichteten von dem atticismus angeregten studien, und die art der wesentlich material häufenden gelehr - samkeit hat an den arbeiten des Theon eine vollkommene parallele. wie dieser den Apollonios ausschlieſslich nach der mythographischen seite er - läutert hat, so daſs das object unter der fülle des herbeigeholten stoffes fast verschwindet, und nur die frage nach den quellen des Apollonios die erklärung des dichters wirklich angeht, so werden hier die attischen alter -157ὑπόμνημα zum Oidipus Kol. Didymos.tümer und localitäten und culte an dem drama erläutert, welches dazu besonders reiche gelegenheit bot, und daneben wird allerdings auch wenigstens die frage gestreift, in wie weit Sophokles frei erfunden habe. dabei fehlt dem verfasser allerdings das beste, die eigene anschauung von Attika, so daſs er stark in die irre geht76)Wer Athen kennt, kann ein Pythion, das am wege zwischen dem Kolonos und Theben liegt, nicht bei Marathon suchen, zumal wenn der Aigaleos erwähnt wird, an dem das Pythion von Daphni liegt. so tut aber unser mann 1047.. als zusammengehörig lassen sich nun freilich nur die inhaltlich verwandten stücke erkennen, und nicht mit völliger sicherheit lassen sich sacherklärungen auf denselben verfasser be - ziehen, die nur in der erudition verwandt sind. dagegen ist ganz klar, daſs textkritik und worterklärung, das eigentlichste grammatikergeschäft, für diesen gelehrten ganz so wie für Theon nebensache sind. für solche dinge erscheint in den scholien ein par mal der name des Didymos77)156, 237, 763: ihn geht ganz offenbar das textkritische an, in dem sinne, daſs der redactor dieses wesentlich bei ihm fand. und die aesthetischen und exege - tischen scholien, welche denselben charakter tragen wie die zu den andern dramen des Sophokles, wird man ihm auch ohne zögern zuweisen. mit dem ὑπόμνημα ver - mischt sich das fast nie., der denn auch seiner studienrichtung nach nicht der verfasser dieser arbeit sein kann, der zeit nach aber auch nicht ihr benutzer. vielmehr hat ein spä - terer, der welcher unsere Sophoklesscholien redigirt hat, neben Didymos für dieses drama ein anderes ὑπόμνημα in die hände bekommen und excerpirt.
Da ist denn der name des Didymos gefallen, der für die, welcheDidymos. scholien nur von ferne kennen, so ziemlich mit dem identisch zu sein pflegt, was sie in ihnen gut finden; das schlecht befundene wird dem ano - nymen scholiasten aufgebürdet, der sich alles gefallen lassen muſs. Didy - mos ist eine zeit lang stark überschätzt worden; jetzt hat sich eine laute und beachtenswerte stimme erhoben, welche ihn kurzweg für einen dumm - kopf erklärt. das lehrt in wahrheit, daſs man im banne der Aristarcho - latrie zu keinem gerechten urteil kommen kann.
Es ist ausgemacht, daſs wir von Didymos die schrift über Aristarchs Homerausgabe besitzen, aber so gut wie nichts von seinem Homercom - mentar; wenigstens ist bisher nichts mit sicherheit auf ihn zurückge - führt, und es wird auch nur in der überarbeitung durch jüngere, wie Herakleon und Epaphroditos, vorliegen. es ist weiter ausgemacht, daſs die hauptmasse des gelehrten materiales in den Pindarscholien, sowol was die excerpte aus älteren erklären wie was das historische angeht, ihm gehört. Symmachos, der verfasser unserer Aristophanesscholien, hat ihn ausgiebig158Geschichte des tragikertextes.benutzt, und z. b. an den Vögeln kann man seine komikererklärung gut studiren. von seinen arbeiten für die redner steht nicht wenig bei Harpo - kration. einzelne minder zusammengestrichene proben seiner eignen dar - stellung finden sich hie und da, z. b. bei Athenaeus. das buch περὶ λυρι - κῶν ποιητῶν wird sich vielleicht inhaltlich einigermaſsen herstellen lassen, wenn auch wol nur in überarbeitung durch Dionysios. an material ge - bricht es also nicht um die wissenschaftliche persönlichkeit zu erfassen. für die tragiker steht es minder günstig. indessen hat man doch längst bemerkt (zuerst wol Lehrs), daſs unsern Sophoklesscholien als letzte grund - lage der commentar des Didymos gedient hat, wenn man auch feste um - risse für seinen anteil an dem erhaltenen nicht ziehen kann, und so viel be - stimmte einzelheiten, wie durch Symmachos erhalten sind, hier nicht mehr zu constatiren sind. das allgemeine was man erfaſst ist erstens, daſs Didy - mos wesentlich das kritische material der früheren generationen sammelt und verwertet: das entspricht der tätigkeit die er an Homer oder vielmehr Aristarch wendet. zweitens besorgt er das eigentlich grammatische ge - schäft der exegese, und hier bedauert man am meisten, daſs sich so wenig anhaltspunkte für die ausdehnung seiner arbeit finden. daſs dabei die glossographische erklärung besorgt ward, steht anderweitig fest. ob ihm aber die mythographische gelehrsamkeit gehört, scheint sich bisher weder bejahen noch verneinen zu lassen. denn damit daſs er sie zuweilen heran - zieht, wo es eine besondere schwierigkeit zu lösen gilt78)Vgl. anm. 71. auch die homerischen scholien liefern vereinzelte belege dafür., ist für die haupt - masse dieser scholien noch nichts bewiesen. ganz besonders aber tritt in dem commentar zu allen Sophoklesstücken eine starke vorliebe für diesen dichter und seine kunst zu tage in scharfem gegensatze zu Euripides. und da nun in dessen scholien die feindliche kritik zuweilen sicher didymeisch ist, so wird mit vollem rechte in dieser tendenz etwas für Didymos be - zeichnendes gesehen. am deutlichsten ist es in den scholien zur Andro - mache, wo man auch bemerken kann, daſs Didymos an das aesthetische urteil des Aristophanes ansetzte79)Von dem urteil des Aristophanes ist nur der anfang erhalten, in welchem gelobt wird der prolog, die elegie der Andromache (zu lesen εὖ δὲ καὶ τὰ ἐλεγεῖα für ἔστι δ. κ. ), die reden der Hermione an diese, die intervention des Peleus. da das drama τῶν δευ - τέρων ist, muſste starker tadel folgen, zu welchem der zweite teil herausfordert; über ihn ist nichts mehr erhalten, auſserdem ist im ersten die haltung der Andromache und des Menelaos übergangen. in den scholien polemisirt 32 gegen die φαύλως ὑπομνημα - τισάμενοι, die dem Euripides vorwerfen, er hätte komische motive, eifersucht und weibergezänk, eingeführt, was herzlich albern abgewehrt wird. 229 wird die haltung der Andromache als παρὰ τὰ πρόσωπα καὶ τοὺς καιρούς getadelt. 329 ebenso, und. eine gleiche tendenz läſst sich auch in159Didymos.den Troerinnen80)Genannt ist Didymos nur für die richtige erklärung eines katachrestisch gebrauchten wortes (1079, auch bei Hesych erhalten). man ist gewöhnt auch noch eine zweite (1175) auf ihn zurückzuführen, weil viele lexikographen sich mit ihr berühren (Ael. Dionys bei Eust. 907, 40 Phot. Hes. κῆπος, schol. Thuk. II 62 u. a. m.): jedenfalls spricht die alte gelehrsamkeit dafür, da selbst Eratosthenes citirt wird, der den Euripidesvers in seinem buche über die komödie besprochen hatte. auch 1176 ist in wahrheit sehr gelehrt und geht auf Apollodor zurück (Athen. II 66). die tadelnde kritik ist aber genau dieselbe wie in der Andromache, und es sind noch viel mehr bemerkungen erhalten, 1, 14, 31, 36, 209, 448, 630, 906, 943, 975, 1010, 1049, 1057, 1129, und da hierin die sitte des Euripides öfter notirt wird, so darf man auch stellen wie 628, 989 dahin ziehen, wo sprachliche lieblingswendungen von ihm angemerkt werden. überhaupt sind diese scholien besonders einheitlich: was nicht paraphrase ist, scheint einem zu gehören. auch die mythographischen dinge, so weit sie nicht in den schon berührten scholien stehen, berühren sich mit Andromache und Hekabe; doch das liegt vielleicht lediglich am stoffe. erkennen, und obwol die anhaltspunkte schwach sind, darf man wol dem allgemeinen eindruck folgen und den grundstock der scholien zu diesem drama, wie auch den der noch dürftigeren zur Hekabe für Didymos in anspruch nehmen81)Genannt wird Didymos viermal für kritisch exegetisches 13, 736, 847, wo. daran ist bei der Medeia nicht zu79)dabei steht Δίδυμος μέμφεται τούτοις. 362 ebenso und wieder wird Didymos ge - nannt. 885 führt sich Orestes mit motiven ein, die Euripides allerdings erfunden hat: Δίδυμος δέ φησι ψευδῆ ταῦτα εἶναι καὶ ἄπιστα. 1077 tadelt Didymos, recht kleinlich, einen ausdruck, den er für eine schlechte nachahmung Homers hält. danach wird man ihm auch 616 den tadel zutrauen, wo in dem vorwurf οὐδὲ τρωϑεὶς ἦλϑες ἐκ Τροίας ein παρὰ τὴν ἱστορίαν gefunden wird, weil Menelaos von Pandaros ge - schossen ist; es folgen zwei λύσεις, die eine auf dem misverstandenen aristarcheischen unterschiede von τιτρώσκειν (οὐτάζειν) und βάλλειν beruhend. 1241 wird genau notirt, in wie weit die von Euripides gegebene sagenform bei Pherekydes bestätigung findet, der rest wird gescholten διέψευσται. man wird soweit mit sicherheit gehen dürfen, den tadler überall in Didymos zu finden, den also sein gegner φαύλως ὑπομνη - ματισάμενος nennt, zumal der tadel mit der hypothesis in harmonie ist. aber man möchte weiter gehen. 733 wird als κατασυκοφαντεῖν τὸν Εὐριπίδην abgewiesen, daſs einige hier (wie auch 445, wo wieder die hypothesis in ihren verlornen didas - kalischen teilen benutzt ist) an tendenziöse beziehungen auf die zeitgeschichte dachten. die ἔνιαι scheinen doch dieselben mit den φαύλως ὑπομνηματισάμενοι, d. h. Didymos. und ferner wird das παρὰ τὴν ἱστορίαν, wie 885 und 1077 von Didymos, auch 24, 224 aufgeworfen, und die befolgte sagenform öfter belegt, darunter 18 mit tadel der νεώτεροι, und die verwandtschaft mit schol. Pind. Nem. 3, 81 ist hier deutlich, und 796 wird andererseits benutzung des Pindar angenommen (vgl. oben s. 25). das alles möchte man einem zuschreiben, und das wäre dann Didymos: aber die conse - quenzen dieses schlusses scheinen zur zeit noch zu groſs, als daſs das fundament sie trüge: denn dann würde er der sein, welcher das mythographische in diese scholien gebracht hat. obwol ich das glaube, habe ich im text die frage ganz offen gelassen.160Geschichte des tragikertextes.denken, wo sich dagegen eine reihe einzelner angaben finden, die ganz be - sonders geeignet sind, die textkritik des Didymos kennen zu lehren: hier nennt ihn auch die subscriptio. die Phoenissen setzen auch einen com - mentar voraus, der die kunst des Euripides scharf angriff, und beschäftigt hat sich Didymos auch mit diesem stücke82)Phoen. 1747 eine exegetische bemerkung; 751 eine aesthetische. Euripides lehnt die nennung der einzelnen kämpferpare ab, Didymos meint mit recht, daſs das geschehe, weil er die concurrenz mit Aischylos vermeiden wolle. aber daſs in den worten διατριβὴ πολλὴ λέγειν ἐχϑρῶν ὑπ̕ αὐτοῖς τείχεσιν καϑημένων eine hämische kritik des alten meisters liegt, hat er übersehen: so ist ihm eine gute gelegenheit zum tadel entgangen., allein selbst wenn er jener tadler gewesen sein sollte, so würden wir doch nicht mehr viel von ihm haben: denn der umfängliche erhaltene commentar gehört in seinem hauptteile ersichtlich einem verteidiger. die scholien zu Orestes83)Behandelt hat er aus diesem mindestens eine frage, das άρμάτειον μέλος 1384, erhalten im Et. M. aber hier ist die fülle von erklärungen auf uns wenigstens nicht durch ihn gekommen, sondern er ist einer der vielen, die ein späterer zusammenstellt. und Rhesos, von denen schon gehandelt ist, und die zum Hippolytos tragen vorwiegend einen abweichenden charakter.
Mag tieferer forschung auch noch viel zu ermitteln übrig sein, so ist dies doch genug, um über die art des Didymos und sein verdienst um die tragikerkritik ein urteil zu gewinnen. allerdings hat er selbst keinen81)er zugleich den dichter verkehrt tadelt, 1029. ein tadel des dichters in der bekannten weise steht 241, 254, 280, 825, 898, 1068, 1219, und auch das lob 342 gibt sich selbst als ausnahme; 825 ist der tadel jetzt durch eine verteidigung ersetzt. auſserdem wird Didymos 887 für ein sprüchwort genannt. das könnte aus seiner sammlung genommen sein, was dann immerhin beweisen würde, daſs das scholion älter wäre als die auszüge, welche dieses werk seit hadrianischer zeit verdrängten. aber es ist natürlicher, daſs Didymos sich in dem commentar ebenso vernehmen lieſs wie in dem buche. zudem ist die erklärung aus Herodot gezogen und dasselbe geschieht auch 1199, wo kein sprüchwort vorliegt. auſserdem ist für diese scholien charak - teristisch eine neigung antiquarisches detail zu erläutern, die ἔργα Δαιδάλεια 838, mit reichen komikercitaten, die sehr selten in diesen scholien sind, der attische peplos 467, mit demselben materiale, die φυλλοβολία, mit benutzung von Eratos - thenes περὶ κωμῳδίας, die dorische tracht 934, wo auſser einem langen Durisfrag - mente Anakreon citirt wird, was ebenso für ein wort 361 (vgl. 943) geschieht: auch das ist sonst selten. alles fällt in die studiensphäre des Didymos. einen durch - schlagenden beweis liefert es allerdings nicht: aber im grunde sind der anhaltspunkte doch mehr, als die, auf welchen Lehrs und seine nachfolger die abhängigkeit der Sophoklesscholien von Didymos aufgebaut haben. Hek. 1267 und Alk. 966 hat der - selbe commentirt: aber das hilft nicht weiter, denn ein selbstcitat liegt nicht vor, und die Alkestisscholien sind so traurig zugerichtet, daſs sie keine schlüsse mehr gestatten.161Didymos.anspruch auf einen hohen rang als erklärer oder kritiker. wie natürlich, macht er hier denselben eindruck wie zum Pindar und Aristophanes. be - sonderer scharfsinn ist nirgend zu loben, arge verkehrtheiten sind nicht selten. verglichen mit den proben, die er von älteren erklärern gibt, mag man ihm aber einen gewissen gesunden sinn zugestehen. was methodische textkritik ist, ist ihm wol überhaupt nicht aufgegangen; seine minutiöse reconstruction der aristarchischen textausgabe könnte das vermuten lassen, aber abgesehen von der schulsuperstition, die nicht wenig mitwirkte, muſs man ohne zaudern zugestehen, daſs Aristonikos ganz anders die aristar - chische consequenz begriffen hat und ein besserer zeuge (nur nicht e silentio) ist als Didymos. nicht besser bewährt er sich, wo er selbst textkritisch vorgeht. bezeichnend ist in der tragödie vor allem das was er von den schauspielern erzählt. daſs sie die textverderber sind, weiſs er offenbar von den älteren erklärern, aber er hat von ihrer tätigkeit weder eine klare vorstellung, noch gibt er sich die mühe, die vorwürfe, die er gegen sie richtet, zu beweisen. er braucht die schauspieler vielmehr, wie man hübsch gesagt hat84)Bruhn lucubr. Eurip. 250, dessen verdienst es ist, die vorstellungen über schauspieler und schauspielertexte von antiken und modernen fabeln gereinigt zu haben., so wie moderne kritiker den sciolus magistellus, den proter - vus interpolator, als deus ex machina um kritische knoten zu durchhauen, wenn er sie nicht lösen kann.
Trotzdem hat Didymos zwar keine epochemachende, aber doch eine eminente geschichtliche bedeutung. er hat die ergebnisse der älteren kritisch exegetischen arbeit zusammengefaſst und auf die nachwelt ge - bracht. die zeit für wirklich schöpferische gelehrte war längst vorbei: die griechische nation producirte keine talente mehr, die weiter zu denken fähig waren; das höchste was geleistet ward, war die erhaltung des schatzes der älteren leistungen. aber dem was die zeit verlangte hat Didymos und hat überhaupt die grammatik der augusteischen zeit, neben ihm vornehm - lich Theon85)Die persönlichkeit des mannes ist schwer zu fassen, da der name so sehr gewöhnlich ist. aber die verbreitete ansicht scheint richtig, daſs der sohn des Ari - stophaneers Artemidoros, der zeitgenosse des Didymos, und der herausgeber der Odyssee, und der der vornehmsten alexandrinischen dichter identisch sind; von anderem minder wichtigem, z. b. der berufenen λέξις κωμική, zu schweigen. und Seleukos86)Dieser hofgelehrte des Tiberius, tätig noch unter Claudius, beginnt, seit Maaſs die persönlichkeit identificirt hat (Phil. Unt. III 33), in seiner groſsen bedeutung mehr und mehr anerkannt zu werden. aber für die tragödie kommt es gar nicht in betracht., genug getan. und die anforderungen derv. Wilamowitz I. 11162Geschichte des tragikertextes.zeit waren in der tat neue. die alexandrinische bibliothek, die grundlage der dortigen philologie, war vernichtet. Alexandreia hörte auf residenz zu sein und verlor die leitende stellung in den geisteswissenschaften. auch die grammatik muſste sich in Rom eingewöhnen. hier lagen die ver - hältnisse anders. ein wissenschaftliches institut wie das Museion fehlte; die esoterische lehre des meisters, der schülern, die wieder gelehrte werden wollten, seine weisheit vortrug, hatte keine stätte mehr; wissen - schaftlicher betrieb, wie ihn Aristarch geübt hatte, war unmöglich, denn wenn das auditorium fehlte, das sich die kritischen zeichen erläutern lieſs, so fehlte auch für die detailbehandlung der aristarchischen hypomnemata das publicum: es sei denn daſs man sich auf den engsten kreis der zunst beschränken wollte, wie es Probus seiner zeit getan hat86a)Sueton de gram. 24: hic non tam discipulos quam sectatores aliquot habuit, numquam enim ita docuit ut magistri personam sustineret u. s. w., vielleicht der einzige wirkliche philologe, den die Römer hervorgebracht haben. so mögen es auch von den Griechen die besten, wie Aristonikos, gehalten haben. die sprachwissenschaft ist ihrer natur nach auf engere fachkreise angewiesen. doch empfand jetzt jeder stärker das bedürfnis, die sprache theoretisch zu erfassen, der als grammatiker sein brot verdienen wollte; denn viel mehr als früher muſste er die sprache selbst lehren. so erhielten diese studien in Tryphon einen bedeutenden87)Tryphon wird auch in der lexikographie noch eine groſse rolle spielen, genauer geredet, er ist ein hauptautor für die späteren onomastica. da er zugleich mit vorliebe von Herodian ausgeschrieben und compilirt wird, bietet ein aufsuchen seiner reste gute chancen: denn die sorgfältige arbeit von Velsen gibt nur die nament - lichen citate., daneben in anderen leuten wie dem Aska - loniten Ptolemaios immerhin unverächtliche vertreter, im publicum aber waren die, welche für die classische poesie interesse hatten und kenntnis von ihr nehmen wollten, nicht weniger, sondern viel zahlreicher geworden, und entsprechend bedurften sie stärkerer beihilfe. die aristophanischen texte genügten dafür längst nicht mehr. auch um 200 v. Chr. werden die s. g. gebildeten vieles im Sophokles nicht verstanden haben, aber sie bildeten sich’s doch ein und würden eine erklärende ausgabe weg - geworfen haben, wie jetzt die s. g. gebildeten den anspruch erheben Schillers gedichte zu verstehen und sich entrüsten, wenn sie ihnen einer erklären will. in der augusteischen zeit, wo die rhetoren einge - standen, daſs sie zum Thukydides ein lexikon und einen commentar brauchten, hatte sich das geändert, zum teil wirklich deshalb, weil die welt aus dem zeichen des barocco in das des classicismus getreten war,163Didymos. τραγικὴ λέξις.und also nach den classikern verlangte. die bestrebungen der römischen litteratur, die am reinsten und reiſsten in Horaz sich verkörpern, wirkten auf die ganze cultur des weltreichs ein, und die umkehr auf dem rhe - torischen gebiete war schon älter, von der theorie Pergamons schon um 100 gefordert, seit 60 mit entschiedenem erfolge.
Auf diesem gebiete, der pflege der attischen kunstprosa, schien etwas neues nötig zu sein, denn exegese des Demosthenes oder Thukydides hatte man in Alexandreia nicht getrieben. was Didymos aber leistete, commen - tare und lexika, war gleichwol keine neue production, sondern nur samm - lung, wesentlich auszüge aus historikern, antiquaren, peripatetikern, und für das sprachliche aus den schätzen der älteren lexikographie, wie sie Aristophanes selbst begründet hatte88)Neben den ἀττικαὶ λέξεις (welche sich als eine art vorstufe der atticis - tischen lexica betrachten lassen, obwol sie in ganz anderem sinne angelegt waren, nämlich nur als eines der dialektischen wörterbücher, nicht als fundgrube schöner floskeln für den praktischen gebrauch) war die specialarbeit περὶ τῶν δοκούντων μὴ εἰρῆσϑαι τοῖς ἀρχαίοις sowol in der zeit des Caecilius wie in der des Phrynichus ein sehr erwünschtes buch; deshalb sind auch von ihr excerpte erhalten. natürlich hatte sie nicht antiatticistische tendenz, sondern war eingegeben von der kritik, mit welcher schon Eratosthenes (schol. Frö. 1263, vgl. Phot. εὐϑὺ Λυκείου) den ψευδότ - τικα zu leibe gieng. die trefflichen männer wuſsten, daſs die litterarische falsch - münzerei im schwunge gieng: die falschen dialoge Platons, die falschen reden des Demosthenes, Lysias u. s. w., selbst falsche komödien wurden verfertigt und ver - kauft: das dritte jahrhundert hat die fälschungen erzeugt, die jetzt wieder zu origi - nalen zu machen mode ist., und aus den so überaus reichen arbeiten, die der komödie gewidmet waren: diese einwirkung zeigen die rhetorischen lexika auf jeder seite. wie viel mehr konnte man für die erklärung der classischen dichter sich mit dem vorhandenen begnügen. die schätze waren da, nur ausgemünzt muſsten sie werden. es bedurfte keines productiven geistes, höchstens geschickter auswahl, und dann eines eisernen sitzfleisches, und das besaſs ja Didymos. wir wollen ihm aber auch gerne den ruhm zugestehen, daſs er die veränderungen in der form der litterarischen production vorgenommen hat, die wir nun bemerken, obwol wir richtiger nicht den einzelnen mann, sondern die zeit dafür verantwortlich machen.
Didymos hat ein groſses lexikon geschrieben, in welchem er denτραγικὴ λέξις. sprachschatz der tragödie zusammenfaſste, so weit dieser für die gebil - deten seiner zeit der erklärung bedurfte. es liegt in der natur dieser aufgabe, daſs das lexikon wesentlich aus den erklärungen der gedichte genommen war, und andererseits, daſs es fortan für die erklärer das11*164Geschichte des tragikertextes.nächstliegende hilfsbuch ward: das gelehrte material der scholien, soweit es lexikalisch ist, deckt sich mit dem der lexika. es liegt eben in der natur der sache, daſs ein lexikon umgeformt und ausgezogen und er - weitert wird, so lange der betrieb der studien lebendig bleibt. es mag in einem solchen noch so viel individuelle arbeit stecken (was hier schwer - lich der fall war): sie verflüchtigt sich bald, und die nachwelt nutzt nur den gebotenen stoff. es ist also nicht zu verwundern, daſs des Didymos τραγικὴ λέξις selbst sehr bald durch spätere arbeiten aus den händen der leser verdrängt ward, mochten sie auch meist nichts tun als sie epi - tomiren. mit recht nimmt man an, daſs die lexikalische gelehrsamkeit, die auf uns gekommen ist, soweit sie die tragödie angeht, wesentlich Didymos verdankt wird. das nächste jahrhundert nach ihm trieb die lexikographie noch lebhaft und häufte den stoff bis zur völligen unüber - sichtlichkeit. als die unten eingehender dargestellte wandelung in der griechischen cultur eintrat, in der zeit Hadrians, kam das epitomiren auf, und ein wahrscheinlich an sich recht geringwertiges machwerk, das lexikon des Diogenian, behauptete sich schlieſslich als hilfsbuch für die classische und auch die nachclassische poesie so gut wie allein. es kam auf die Byzantiner, ward immer weiter verdünnt, und erhielt zum entgelt gering - haltige oder ganz wertlose zusätze in masse. bis gegen 1000 hat das lexikon Diogenians noch bestanden. dann wendet sich das interesse der Byzantiner von den lexikalischen werken ab, den etymologika zu. die wertvolleren hand - schriften, die wir von lexicis haben, sind meistens älter als das 12. jahr - hundert, auch meist unica88a)Auch wo wir scheinbar eine fülle von handschriften besitzen, wie von den lexicis des Harpokration und des Erotian, liegt es in wahrheit so, daſs ein einziger text bis auf das 14. jahrhundert erhalten war, der uns nur verloren ist, und den herzustellen die nächste aufgabe der recensio ist. allerdings repräsentirt in älterer zeit beinahe jede neue abschrift eine neue redaction, und selbst in späterer zeit geht das fort. man denke sich, daſs von dem Harpokration von Cambridge eine abschrift genommen wäre: dann würden wir die jetzt am rande befindlichen glossen (den jetzt fälschlich so genannten Cl. Casilo) aufgenommen und ein ganz neues werk lesen, das gewiſs viele für einen ‘plenior Harpocratio’ erklären würden.: ein Diogenian ist zufällig nicht darunter. auch ein unicum ist die handschrift, welcher wir das lexikon des Hesychius verdanken, und in diesem steckt, allerdings vermischt mit sehr viel wert - losem oder doch fremdartigem, durchgehends in der späteren weise, die auch wir befolgen, die aber dem altertum fremd war, umgeordnet nach der buchstabenfolge durch das ganze wort, endlich entsetzlich verkürzt, verstümmelt, verschrieben, also im jämmerlichsten zustande, aber es steckt wirklich der Diogenian darin. und so ist dieses buch trotz aller165τραγικὴ λέξις. scholien.unbill, trotzdem daſs der schreiber der handschrift lüderlich, Hesychius ein gänzlich stupider geselle, und Diogenian ein bloſser compilator ge - wesen ist, unschätzbar. auch die τραγικὴ λέξις des Didymos kann man sich in ihrer ungeheuren glossenfülle nur nach den tragischen glossen des Hesych vorstellen; die einzelnen aber muſs man sich statt in hesy - chischer magerkeit so stattlich denken, wie etwa Athenaeus eine glosse abhandelt, oder wie eine probe des Didymos es tut, die sich zufällig bei Macrobius (V 18) erhalten hat. nicht bloſs den drei tragikern, und zwar allen ihren dramen, galt das lexikon, es umfaſste auch die andern namhafteren des fünften jahrhunderts; jüngere allerdings nicht mehr. es erläuterte ihren vocabelschatz so, daſs keinesweges bloſs die glossematischen worte vorkamen, sondern auch leichtverständliche compositionen und ableitungen, die nur eben der gewöhnlichen sprache fremd waren. es gab für sehr viele einzelne verse die erklärung, so daſs also der individuell gefärbten be - deutung eines sonst geläufigen wortes gedacht ward. es zog gelehrsam - keit aller art heran: natürlich aber all dies ohne consequenz, wie denn eine erschöpfung des materiales über die kräfte nicht nur eines menschen gegangen wäre. es ist nicht zu bezweifeln, daſs auch hier, wie wir es für die komödie beweisen können, im wesentlichen auszüge aus den vor - handenen commentaren die bausteine waren, mit denen Didymos ein in seiner art groſsartiges und abschlieſsendes werk errichtet hatte. wir aber besitzen nur den schatten, der uns lehrt was wir verloren haben. die wörter, die noch den namen der tragödie oder wenigstens des dichters tragen, reihen wir in die fragmentsammlung ein, ohne daſs sie selbst uns sehr viel hülfen, denn sätze sind nicht mehr viel erhalten. noch viel mehr können wir als adespota tragica führen; aber dieser gewinn ist dürftig. auf die erhaltenen dramen kann in einem werke, das mehrere hundert berücksichtigte, ohne daſs man eine bevorzugung einzelner wahr - nähme, nicht sehr viel kommen; die torheiten derer, die die Hesych - glossen mit gewalt in unsere texte interpoliren, überführt schon allein die wahrscheinlichkeitsrechnung. fast überall bestätigt sich nur die über - lieferung unserer handschriften, ein par mal wird sie berichtigt. was aber der wiederholte epitomirungsproceſs von der erklärung übrig gelassen hat, ist selten noch geeignet uns etwas zu übermitteln, das wir nicht selbst finden könnten. so sind die tragischen glossen des Hesych an praktischem werte nicht entfernt mit den dialektischen zu vergleichen; aber von dem werte der τραγικὴ λέξις dürfen wir deshalb nicht gering denken: die gröſse kann man auch am schatten messen.
Hand in hand mit der lexikographie gieng die abfassung von com -Schollen.166Geschichte des tragikertextes.mentaren oder vielmehr von commentirten ausgaben, und dies war das neue und wichtige. in der tat, wenn die schule und die mündliche unterweisung für die gelehrte schriftstellerei nicht mehr maſsgebend sein konnte, das publicum aber mit den textausgaben nicht mehr auskam, so war diese lösung von selbst geboten. daſs Didymos nicht bloſs ὑπομνή - ματα über die tragödien (und sonstigen dichtungen) schrieb, sondern auch texte gab, lehren die scholien ganz deutlich, die sich auf seine les - arten und ausgaben berufen89)O. K. 237 Ant. 45 Ai. 1225 Hek. 13 Med. 379, u. a.. das fortleben und die umgestaltung seiner commentare und texte führt ebenfalls darauf, daſs beides mit einander überliefert ward. sein buch über die aristarchische ausgabe ist ohne Homertext kaum zu denken; dies war denn freilich eine streng gelehrte arbeit. aber die ausgaben sind für das weitere publicum mit berechnet gewesen: es sind mit einem worte texte mit scholien gewesen. die aus - stattung der dichtertexte, wie wir sie in unsern handschriften finden, ist auf diese zeit zurückzuführen: in der mitte der metrisch abgeteilte text, mit zeichen, metrischen und kritischen, wol nur obelos und kreuz, χῖ oder σημεῖον genannt, und den erklärungen dazu am rande, der auſser - dem noch bemerkungen zu einzelnen stellen aufnahm.
Daſs diese ausstattung der bücher wirklich in guter zeit üblich gewesen ist, hat man lange nicht glauben wollen; allem reden ist aber ein ende ge - macht, seit wir ein stück eines solchen buches besitzen, den Alkmanpapyrus, den die palaeographen möglichst hoch hinaufrücken. da er in seinen scho - lien den grammatiker Pamphilos citirt, so kann er, wenn man sich nicht durch die annahme einer homonymie retten will, nicht älter als aus der zeit der flavischen kaiser sein. aber das beweist auch genug. und eine reihe anderer erwägungen tritt hinzu. der poet Valerius Flaccus hat, als er die Argonautica des Apollonios bearbeitete, die mythographische gelehrsamkeit benutzt, die noch heute in unserer handschrift steht, der - selben, welche Aischylos und Sophokles mit ihren scholien enthält. sie nennt als quelle unter andern selbst den Theon. also vor Valerius Flaccus war jene erlesene gelehrsamkeit für den Apollonios zusammengetragen: in der tat, man kann den schluſs nicht abweisen, daſs Theons scholien an dem rande der Apollonioshandschriften schon zur zeit der Flavier standen90)E. Schwartz de Dionysio Scytobrachione 34.. Germanicus, wahrscheinlich auch Ovid, haben die scholien des Arat, die wir besitzen, auch schon neben dem gedichte benutzt91)Robert Eratosth. catast. 29. so schlagend wie die dort von mir angegebene benutzung derselben scholien durch Avien ist es nicht. allein die ganze benennung. 167Scholien.belehrender noch als die römischen dichter sind die grammatiker. von Horaz ist sehr früh eine ausgabe gemacht worden, in welcher die ge - dichte überschriften erhielten, in denen sicherlich die namen der adres - saten aus vorzüglichster kenntnis und bezeichnungen der dichtgattung (propempticon, paraeneticon u. dgl. ) aus vorzüglichster griechischer theorie standen, wahrscheinlich aber auch bemerkungen über die quellen, wo solches angezeigt schien92)Die kurzen bemerkungen über Alkaios Pindaros Bakchylides zu Carm. I 10, 12, 15, die quelle des Ars poet. u. s. w. hat Porphyrio natürlich vorgefunden, und da sie ganz ohne citate geblieben sind, so machen sie den eindruck eines kurzen vermerks im stile der hypothesen. auch sie möchte man nur der allerbesten zeit der römischen grammatik zutrauen.. dies mag man noch für ein analogon der aristophanischen hypothesen erklären. aber wenn wir zu einer mytho - graphischen bemerkung, die in wahrheit auf Apolloniosscholien zurück - geht, lesen traditur haec historia de Aristaeo in corpore Argonautarum a Varrone Atacino (Prob. zu Verg. georg. I, 14), so ist eine ausgabe des Varro mit scholien deutlich bezeichnet, von der in jenen scholien noch mehrere spuren sind93)Georg. II, 136, III 6.. später als im ersten jahrhundert ist Varro gewiſs nicht commentirt. aber auch die praxis der vornehmsten römischen gram - matiker deutet darauf, daſs sie scholien schrieben. wenn der Berytier Probus die kritischen zeichen der Aristarcheer übernahm, und daneben erklärungen von ihm reichlich angeführt werden, so hat er die bemer - kungen zu den zeichen aufgeschrieben; ein schulbetrieb wie der zu Ari - starchs zeit bestand eben nicht mehr, am wenigsten für den einsamen Berytier. auch zeigen unsere Vergilscholien, zumal die Veroneser im vergleich zu dem commentare des Servius, dem bei Macrobius ausgezognen und den s. g. zusätzen zum Servius, genau dasselbe verhältnis wie die griechischen scholien, nur daſs das material reicher ist: es ist ein strom der erudition, der bald dünner wird, bald neue zuflüsse erhält, wie es bei der fortpflanzung von scholien geht, und nichts spricht dafür, daſs in den ersten jahrhunderten der betrieb der studien andere formen hatte, als mindestens vom dritten ab. und die Vergilscholien (von denen die zu Lucan und Statius nur späte ableger sind) führen unmittelbar auf die Griechen. denn sie hängen ja ganz ersichtlich von den scholien zu Homer Arat Theokrit94)Selbst die prolegomena, die wir in den Theokritscholien lesen, werden in Lykophron und anderen ab: niemand versteht91)der sternbilder aus der sage geht auf diese doctrin zurück, die am natürlichsten in Aratscholien niedergelegt gedacht wird. Manilius im letzten buche und das gedicht des Columella geben weitere ausbente.168Geschichte des tragikertextes.mit diesen reichen schätzen zu wirtschaften, der sie nicht fortwährend mit einander vergleicht und als einheitliche masse betrachtet. ganz deut - lich aber ist, daſs diese befruchtung der römischen studien im ersten jahrhundert schon stattgefunden hat: sie verfügt über einen reichtum, von welchem die nächste periode schon weit entfernt ist.
Nun würde es freilich verkehrt sein, wollte man bestreiten, daſs randnotizen, auch gelehrten inhaltes, den älteren handschriften fremd gewesen wären. die scholien, welche Simplicius in der Parmenideshand - schrift vorfand, die er benutzte, sind in sehr früher zeit, wol nicht nach dem 3. jahrhundert v. Chr., beigefügt. die scholien zu den briefen Epi - kurs, welche Diogenes mit dem texte aufgenommen hat, sind verfaſst, als die fülle der epikurischen werke noch gelesen ward: das ist in der kaiserzeit nicht glaublich. die parallelstellen, welche wir in den dichtern vorfinden, die zusätze, welche unzweifelhaft einzeln in Xenophons Kyro - paedie Anabasis Hellenika stecken, stammen vom rande; auch die hypo - thesen des Aristophanes sind ja etwas ähnliches. aber es ist doch noch ein unterschied. in der kaiserzeit ist der text mit scholien eine legitime form des buches, ist er die legitime form der gelehrten erklärung.
In diesen scholien, und zwar zu allen classikern, und bei Griechen und Römern gleichermaſsen, findet sich eine überaus reiche und ge - lehrte mythographische schicht. Alkman und Lucan, Homer und Statius, Aischylos und Lykophron, alle zeigen reste derselben ungeheuren sammel - gelehrsamkeit. und ebendieselbe finden wir in den compendien vor, die wir freilich erst in sehr jungen fassungen unter den gleichgiltigen, um der berühmtheit ihrer längst vergessenen träger willen gewählten namen Era - tosthenes Apollodoros Hyginus besitzen. und dieselbe gelehrsamkeit sehen wir mit verschweigung ihrer herkunft von den litteraten auf den markt gebracht, von Pausanias und Aclian und Athenaeus, wo man sich nicht wundert, aber auch schon von Diodor. ja, es ist die einleuchtende ver - mutung ausgesprochen, daſs Ovid die stoffe seiner Metamorphosen zum teil aus dieser selben quelle hat95)Bethe de Diodori lib. IV (Göttingen 1887), p. 97.. daſs Theon für die scholien zu den Alexandrinischen dichtern und dadurch für die römischen scholien der hauptvermittler gewesen ist, erkennt man wol. auch Pamphilos kommt94)naivster weise zu prolegomena der vergilischen Eklogen umgeformt, erhalten in den Probusscholien, Bernerscholien und bei Diomedes III. die wissenschaft fordert dringend, daſs die anlehen, welche die römische grammatik bei der griechischen ge - macht hat, zurückgezahlt werden: die scholien nicht nur der Alexandriner, sondern selbst die Homerischen, werden dann ein anderes ansehen gewinnen.169Mythographie.stark in betracht96)Oder de Antonino Liberali (Bonn 1886) p. 26.. man kennt auch ein par namen von sammlern, wie Lysimachos, der für die Euripidesscholien stark benutzt ist, und den bisher sehr dunklen Kyklographen Dionysios. aber die forschung, welche erst vor kurzem begonnen hat, durch die bearbeitung dieses gebietes für die mythographie ein fundament zu schaffen, kann sich bisher nicht mit namen oder festen zeitbestimmungen hervorwagen. nur das allgemeine ist auſser allem zweifel, daſs schon im zweiten jahrhundert v. Chr. die sammelarbeit begonnen, im folgenden fortgesetzt ist, und daſs die zeit der Didymos und Theon mit der überführung der gelehrsamkeit in die commentare und handbücher beginnt, auch wol noch zusätze macht, aber seit 100 n. Chr. fast nur noch epitomirt wird. entsprechend der bildung der zeit, welche den grund legte, ist die classische tragödie, die damals noch den leuten geläufig war, wenig berücksichtigt; dagegen wird die ganz entlegene litteratur, nicht oder nachclassische tragiker, sogar dithyrambiker, herangezogen (was dann zuerst beseitigt wird), aber Ale - xandriner sehr spärlich97)Diese bestandteile werden diakritische bedeutung erhalten, denn es gibt partien, welche von ihnen so gut wie ganz frei sind, während andere voll davon sind. ein haupt - und grundwerk, Apollodoros περὶ ϑεῶν, hat die jungen dichter, selbst Nikandros, nachweislich benutzt; von Lysimachos ist es unwahrscheinlich. ähnlich wird man in den glossenerklärungen operiren können., vor allem aber die masse der epen, welche nicht mehr als echt homerisch und echt hesiodisch galten, und die eigent - lichen mythographen. somit lernen wir nicht so viel für die verlornen dramen wie wir möchten, wol aber das beste was uns zugänglich ist für die archaische litteratur, mittelbar also für die quellen der tragiker. sehr viel weniger wert hat die darstellung der sagengeschichte, zu welcher als wie zu einem texte die varianten hinzugestellt wurden, wie wir sie bei Diodor, dann in den compendien und jüngeren scholien lesen: hier wird gegeben, was wirklich die vulgäre fassung war. dies sind ὑποϑέσεις vergleichbar den tales from Shakespeare oder Schwabs Sagen des classischen altertums. uns kann eine erzählung der Argonauten nach Apollonios, der Oedipussage nach Sophokles König Oedipus und Euripides Phoenissen wenig helfen: aber wo uns die originale fehlen, nehmen wir doch auch hiervon mit dank kenntnis, und als gradmesser für die popularität der gedichte wird es sogar sehr bedeutend: nur wenige dramen haben so wie die eben genannten und z. b. Antiope Bakchen Hippolytos Iphigeneia Andromeda durchgeschlagen. z. b. sind die Ante - und Posthomerica immer auf grund von auszügen der homerischen epen,170Geschichte des tragikertextes.die Heraklessage auf grund der mythographen erzählt worden, mochte auch für einzelne episoden ein drama, wie der Herakles des Euripides, die Trachinierinnen des Sophokles, sich einschieben. existirt haben auch nacherzählungen einzelner dramen, vielleicht in sammlungen, wie wir sie von dem dichter Parthenios und Antoninus Liberalis besitzen, und sie haben in der späteren zeit, als man die dramen nicht mehr las, ihre bedeutung gehabt, sind uns natürlich sehr erwünscht98)Es scheint, daſs die rhetorenschulen sich ihrer bedient haben, wenigstens haben wir durch späte rhetorische bücher die hypothesen von Auge Peirithoos Sthe - neboia erhalten. die späten scholien zu Aristides verfügten über die des Protesilaos. die des Syleus stand in dem oben s. 112 erwähnten litteraturgeschichtlichen buche. die annahme aber, daſs in späterer byzantinischer zeit eine solche sammlung noch bestanden hätte, hat keinen boden unter den füſsen.. aber in der grammatischen litteratur stehen sie auf der niedrigsten stufe.
Die lebhaftigkeit und die ausdehnung des interesses, welches die sagen um die augusteische zeit fanden, zeigt sich durch nichts greifbarer, als durch ihren einfluſs auf die bildende kunst. denn lediglich dieses interesse hat die industrie der tabulae Iliacae und was damit zusammen - hängt erzeugt. diese, die besser tabulae Homericae heiſsen, wie sie ihr verfertiger Theodoros genannt hat, und die farnesische apotheose des Herakles gehören ganz und gar mit den mythographischen arbeiten zu - sammen. daſs die tragödie auch einen solchen plastischen niederschlag gefunden hat, haben erst die letzten jahre gelehrt. in Tanagra sind mehrere tönerne becher mit relief gefunden, auf denen scenen aus Ilias und Iliupersis, der raub der Helena durch Theseus in ganz neuer form und endlich eine reihe scenen der aulischen Iphigenia des Euripides dar - gestellt sind, diese mit der inschrift Εὐριπίδου Ἰφιγενείας99)Ἐφήμ. ἀρχ. 1884, 59. 1887, 67, 197. die arbeit ist roh, die inschriften teils unleserlich, teils auch falsch. in der Iphigeneia sind die scenen unvollständig. von derselben art scheint ein bruchstück eines gefäſses in London, das sich auf die Phoenissen bezieht, Classical Review II 327. alles zeigt einen zustand vergleichbar den ilischen tafeln: das einzelne exemplar ist immer nur ein excerpt.. lehrt uns dieses auch nichts, so nährt es doch die hoffnung.
Die mythographischen arbeiten, so wertvoll sie sonst sind, haben für die textkritik keine bedeutung. die reste der τραγικὴ λέξις würden sie haben, wenn sie nicht so jämmerlich verstümmelt wären; doch be - zeugen sie immer noch die ausdehnung der grammatischen tätigkeit über das ganze gebiet der tragödie. dieses selbe lehrt ein anderes feld der überlieferung und ermöglicht zugleich eine controlle unserer handschriften in sehr ausgedehntem maſse: die anthologien. die sitte, aus den dichtern171Mythographie.auszüge zu machen, von moralischem gesichtspunkte und zunächst für den jugendunterricht, stammt aus dem vierten jahrhundert: die elegiensamm - lung, die nach Theognis heiſst, ist der älteste beleg. die tragiker und zumal den sentenzenreichen Euripides für die moralische paraenese aus - zunutzen ist auch schon im vierten jahrhundert begonnen und hat nie aufgehört. aber wir hören nichts von florilegien in der zeit des alter - tums, noch weniger von leuten, die sie verfertigen. es ist das ja auch ein sehr untergeordnetes geschäft und keine litteraturgattung, die in ehren steht; um so mehr wird sie gebraucht. wir besitzen erst die kleine sammlung des Orion und dann die groſse des Stobaeus aus der allerletzten zeit des altertums: aber es hieſse die ganze textgeschichte auf den kopf stellen, wollte man annehmen, daſs diese leute ihren poe - tischen stoff selbst gesammelt hätten. sie haben dafür lediglich vorhandene florilegien ausgeschrieben. und daſs solche, und zwar dieselben, welche Stobaeus vorlagen, schon im 2. jahrhundert n. Chr. vorhanden waren, lehrt ihre benutzung durch Clemens von Alexandreia und Theophilos von Antiocheia. Clemens ist ein schriftsteller, der die gepflogenheiten seiner zeit, das erheucheln einer profunden gelehrsamkeit und verstecken der sehr trivialen handbücher, aus denen sie stammt, aus dem grunde versteht: aber wer da weiſs, wie viele und seltene dichterstellen bei Clemens und Stobaeus übereinstimmend stehen, wird keinen augenblick über die ur - sache dieser übereinstimmung in zweifel sein. Theophilos ist ein plumper plebejer: bei ihm liegen die ganzen reihen vor100)Der wichtige nachweis ist durch Diels, Rh. M. 30, geliefert. Diels setzt das urflorilegium in das 1. jahrhundert v. Chr., zwar auf einen ungenügenden anhalt hin, aber in der sache hat er sicherlich recht. die analyse wird, sobald die über - lieferung des florilegiums festgestellt sein wird, sehr vieles mit sicherheit ermitteln können. bisher ist für die classische litteratur nichts brauchbares geschehen.. in diese gesellschaft waren also unter kaiser Marcus die florilegien geraten, wo man doch weder die verse verstand noch sich um die verfasser kümmerte. wie viele jahr - hunderte früher sie angelegt waren, stehe dahin: aber an nachchristliche zeit zu denken verbietet die geschichte der antiken bildung. wir haben also die citate bei Stobaeus und seinen ausschreibern101)Alle Byzantiner hängen von Stobaeus ab, abgerechnet solche die ledig - lich aus erhaltenem schöpfen und eine gesonderte überlieferung haben. diese sind aber wertlos. so z. b. ein euripidisches gnomologium in einer Venediger handschrift, Ritschls Acta VI 333. oder mitaus - schreibern als eine spätestens in der zeit des Didymos von den dichter - handschriften abgezweigte überlieferung anzusehen, für die so eine äuſserst wertvolle controlle erwächst. dies wird zwar beeinträchtigt durch die un -172Geschichte des tragikertextes.gemeine verderbnis, welche den text des Stobaeus heimgesucht hat, dessen überlieferung zudem bisher nur ungenügend bekannt ist. längst ist auch bemerkt, daſs die veranstalter und benutzer des urflorilegiums teils um volle verse zu erhalten, teils um die sentenzen für ihre zwecke abzurunden, mit dem texte, den sie vorfanden, willkürlich umgesprungen sind. das beein - trächtigt aber nur den wert der varianten, welche Stobaeus liefert: wo er mit unsern handschriften stimmt, liegt ein zeugnis dafür vor, daſs die verse zu Didymos zeit ebenso gelesen worden sind. und da nicht bestritten wird, daſs dies in der überwiegenden masse der fälle, auch der fehler, statt - findet, so hat man wenigstens für die überlieferung der texte von Didymos zeit bis auf uns das allergünstigste ergebnis anzuerkennen. für Euripides speciell kann man noch mehr wissen, denn trotz der verwahrlosung durch die ausschreiber und anordner läſst sich nicht verkennen, daſs zu den quellen, sei es des urflorilegiums oder der mittelsmänner oder des Stobaeus gar (dies schwerlich), ein florilegium aus Euripides gehörte, das neben dem aus allerhand dichtern, unter denen natürlich der beliebteste tragiker nicht fehlte, ausgezogen worden ist. dieses nun hat die gesammtausgabe excerpirt, die stücke sind also nach den anfangsbuchstaben ihrer titel geordnet. das florilegium war sehr umfangreich, und die excerptoren lieſsen also sehr vieles fort: so ist es zu erklären, daſs aus den dramen mit Α besonders viele bruchstücke bei Stobaeus stehen, viele auch aus denen mit Φ: aber die mitte des alphabetes ist schwächer, einzelne buchstaben kaum ver - treten102)Z. b. Θ, Θησεύς bei Stobaeus nur in einem unsicheren falle, Θυέστης dreimal, wozu gleich drei bei Orion kommen, der anders excerpirt hat. Κ, Κρε - σφόντης dreimal (und einmal ohne titel), Κρῆσσαι fünfmal, Κρῆτες gar nicht, Λικύ - μνιος gar nicht. dagegen hatte man Φοῖνιξ elf (in wahrheit noch mehr), Φρίξος zehn, und gar Αἴολος 21, Ἀλέξανδρος 18, Ἀλκμήνη 13 u. s. w. die rechnung ist nur ganz obenhin angestellt, weil sie auch so genügt.. ähnlich geordnete excerptenreihen begegnen sonst nur ver - einzelt, aber eine solche reihe aus Euripides ist doch noch erhalten103)Ps. Iustin de monarch. 107d ff. (III 146 Otto). Ὀρέστης Ἱππόλυτος Ἴων Ἀρχέλαος Βελλεροφόντης — Φρίξος Φιλοκτήτης, dann zwei verwirrte citate (Τρῳάδες). von diesen sind die stellen aus Orest, Ion und die beiden letzten von dem verfasser aus älterer apologetischer litteratur genommen, die erste vielleicht vielmehr aus dem drama selbst. aber ΑΒΦΦ ist rasch aus anfang und schluſs eines capitels aufgerafft. ebenda Menander Ἡνίοχος Ἱέρεια Μισούμενος Παρακαταϑήκη vor Euripides, nachher Ἁλιεῖς Ἀδελφοί Αἰλητρίδες: ganz evident. in der grammatischen litteratur habe ich nur einen beleg gefunden (und ich bin seit 15 jahren auf der suche), Athen. X 417c, komödien des Eubulos Ἀντιόπη Εὐρώπη Ἴων Κέρκωψ Μυσοί.. natürlich möchte man sehr gern die oben ermittelte abweichung von der alphabetischen ordnung in folge der bandeinteilung bei Stobaeus wieder -173Mythographie. dritte periode der textgeschichte.finden; aber die anhaltspunkte sind bisher zu schwache, so daſs es ge - raten scheint von ihnen abzusehen104)Ich gebe nur proben, da sich die sache ohne einsicht in die überlieferung nicht erledigen läſst und im vorbeigehen überhaupt nicht. flor. 7 ΒΑ, ΑΔ, ΗΟ. 22, 1 Εὐρ. Γλαύκῳ falsch; es ist ein komikervers, fgm. 644 zu tilgen, wol der name des Euripides mit Eubulos zu vertauschen; dann drei bruchstücke ohne tragödien - name (eins aus Ixion), dann ΑΑ, ΑΑΑΒΗ, später noch Α und Τ. 34:? Α, ΑΑ. 35: Α. 39 Τ? Φ? ΑΑΔΦΤ, Φ, Φ, Φ. 40 ΦΦ. 43 ΦΦ? Φ, ΙΑ?, Φ, ΕΑΑΑ. das lemma von 3 (adesp. 450) ist also in Εὐρ. Φ — zu ergänzen. 47 ΦΦΑΑ. 49 ΙΙΑ? ΑΑΠ. das lemma von 4 ist in Ἠλέκτρα verdorben, fgm. 846: es ist in ἀλκμέων zu ändern: für den korinthischen paſst der sinn; doch ist auch ἀλκμήνη möglich. 54: ΑΑΒ ΠΡΑΑΕΕΒΤΤΤΦΒΕ, Ι. 62: ΕΜΑ; ΑΑΑΑΑ, ΑΑΑΒΑΕΑΕΑΕΙ, ΜΜΦ, Α. 63: ΑΑΙΑΙ; Α, ΑΙ. 64: ΑΔΑΑΔ, Μ. 67: ΟΟ, ΟΟ, ΑΑ, Φ. 73:?, ΙΟ,?, ΜΕΜΔΑΑΑΑΑΑΑΑΒΔΔΙΙΙΙΜΟΜΙ ΜΜΜΟΦΦ; Α; Ι, Φ. 88:? ΤΑΑΑΕΗ? (Ἱππόλ. nach Monk fgm. 1052) ΙΙ. 91: ΦΔΗΚΠ, Φ, Α, ΑΑΑΕΠ. 92: ΑΕ ☉ ΠΚΗΔΕ. 93: ΦΙΙΜΔ? ΑΠΑΑΑΑΠΦΦΤ. 98, 31 ff. ΑΑΑΑΑΒΕΙΟΠ. 111: ΑΑ, ΠΟΑΑΑΒ. 114: Α, Α, ΑΑ. 115: ΦΒΕΜΠ. Orion I: ΑΟΑΕΙΠΡΦ, Σ..
Die lexikographie, wie sie bei Hesychius, die anthologie, wie sie beiDritte periode der text - geschichte. Stobaeus vorliegt, beweist für die zeit dieser compilatoren weder die kenntnis noch den besitz der citirten tragödien. aber für das erste jahr - hundert nach Christo sind allerdings beide beweisend. doch dafür würde schon ein hinweis auf die beiden trefflichen männer genügen, in denen die cultur dieses jahrhunderts culminirt, Plutarchos und Dion. wer bei ihnen nach den spuren einer auswahl von tragödien suchen wollte, oder ihre kenntnis auf etliche meisterwerke beschränkt glauben, würde sich lächerlich machen. die schätze des dramas, wie überhaupt der classischen litteratur, sind nicht nur vorhanden, sondern werden auch genutzt105)Seneca verachtete die grammatik und hatte als Römer minister und stoiker für die classische poesie der Griechen nicht viel übrig. seine sonstigen schriften zeigen keine spur von solchen studien. aber als er tragödien dichten wollte, griff er nach Elektra Oidipus Trachinierinnen Polyxena Thyestes von Sophokles, Medeia beiden Hippolytos Hekabe Troerinnen Phoenissen Phaethon Kresphontes Herakles von Euripides, Agamemnon von Aischylos. wahrscheinlich hat er noch viel mehr gelesen. von römischen tragödien natürlich nur die beiden der augusteischen zeit, nicht die barbarischen übersetzungen des 2. jahrhunderts. daſs damals keine auswahl von musterstücken in den händen des publicums war, liegt auf der hand. nicht einmal die berühmheit hat mehr als eine erste anregung zur lecture gegeben.. das bezweifelt auch niemand. aber den seltsamen gegensatz, den schon das zweite jahrhundert hierzu zeigt, pflegt man zu vergessen. in wahrheit beginnt mit der hadrianischen zeit die letzte und längste periode der antiken grammatik, und so auch der tragikerkritik, welche bis auf die uns erhaltenen handschriften reicht. es ist ein jahrtausend, das sich mit dem excerpiren und noch viel mehr mit dem verlieren beschäftigt; wenn174Geschichte des tragikertextes.es lob verdient, so kann das nur darin bestehn, daſs man ihm zu gute rechnet, doch nicht alles verwahrlost und verloren zu haben.
Wenn sich mit schlagenden belegstellen und directen zeugnissen die tatsache kurz feststellen lieſse, daſs etwa im anfange des 2. jahrhunderts ein mann von den drei tragikern eine anzahl stücke ausgewählt und in neuer fester reihenfolge mit erklärungen edirt hat, zum zwecke zunächst der schule, daſs aber der erfolg fast unmittelbar der gewesen ist, daſs die übrigen werke zu gunsten dieser wenigen vergessen wurden, und zumeist auch in folge dessen verloren gegangen sind, so würde es keines weiteren ausholens bedürfen. allein als eine augenfällige tatsache tritt dies erst dem entgegen, der die geschichtlichen bedingungen der cultur zu verstehen gelernt hat, der die textgeschichte der einzelnen bücher lediglich als ein einzelleben innerhalb des ganzen einheitlichen lebens der grammatik und diese wieder als eine seite des ganzen groſsen volkslebens und seiner stätigen entwickelung aufzufassen im stande ist. darum ist es notwendig, ins weite zu gehen.
In der geistigen kraft des hellenischen volkes bemerkt man seit dem epochenjahre 222, daſs des lebens flutstrom nach und nach ebbet. aber es gibt doch noch bedeutende, neues schaffende geister bis tief in die zeit der revolution hinab. der arzt Asklepiades, der philosoph Ainesidemos, vor allem die letzte wahrhaft groſse forschergestalt des Poseidonios sind zeugen dafür. aber die materielle und sittliche verwüstung, welche durch die fluchwürdige wirtschaft der römischen oligarchie erzeugt wird, und dann die schrecken des gerichtes, welches über diese hereinbricht, zerreiſsen alle fäden der natürlichen entwickelung. kaiser Augustus erscheint dann freilich als ein heiland: wie er es selbst erwartet106)Er selbst schreibt an seinen sohn benignitas enim mea me ad caelestem gloriam efferet (Sueton Aug. 71): man entfernt sich also doch wol nicht von dem sinne des kaisers, wenn man den bericht, den er gleichzeitig über sein leben auf - zeichnet, unter diesem augenpunkte betrachtet. und verdient hat, haben ihm seine woltaten die apotheose verschafft. die höchsten irdischen güter, frieden und wolstand, hat er der welt gebracht. es schien, als wollte wirklich neues leben aus den ruinen erblühen. man besann sich auch auf das herrliche vermächtnis der ahnen, in welchem man das palladium der gesittung nicht verkannte. die cultur des zwiesprachigen weltreiches, die doch die hellenische war, gewann expansiv eine starke kraft und viele treffliche männer in allen kreisen des lebens bemühten sich dem volke glauben und sitte und philosophie und die in der herrlichsten poesie be - schlossenen ideale zu erhalten. aber dem seelenleben seines volkes hatte175Verfall der cultur im 2. jahrhundert n. Chr.der kaiser frieden und gesundheit nicht wiedergeben können, und er selbst täuschte sich am wenigsten darüber, daſs die sittlichen kräfte einer regeneration bedurft hätten, damit die blüte nicht eine taube bliebe. der staatliche notbau den er errichtete, die gesellschaftsordnung die er be - gründete, haben freilich vorgehalten, doch nur in der weise, daſs sie wider seinen willen auf etwas gänzlich dem Hellenen wie Italiker fremdes hin sich entwickelten, auf den beamtenstaat eines absoluten fürsten. das war der staat der Ptolemaeer und Seleukiden nur für die barbaren gewesen: nun wird die welt durch diese staatsform allmählich barbarisirt. für barbaren - herzen sind die ideale Ioniens und Athens zu hoch. keinesweges erst Dio - cletian, sondern schon Septimius Severus vollendet die barbarisirung der welt. und besiegelt ist ihr geschick schon durch Hadrian. das zweite jahr - hundert, das sich selber und noch einem manne wie Gibbon das goldene zeitalter war, ist die zeit des todes für die antike welt. wol prangt diese zeit noch in gleiſsenden farben: aber was ist sie anders als ein getünchtes grab? wie spreizen sie sich, die stimmführer dieser selbstvergötterten civilisation, die Aristides und Lukian, Favorin und Apuleius, Herodes und Fronto — auſsen schminke, drinnen moder. was hilft’s daſs diese zeit von allgemeiner bildung trieft, vor der kein lykisches bergtal und keine africanische landstadt sicher ist, daſs die reichspost von Lissabon bis Palmyra geht, kunststraſsen und wasserleitungen gebaut werden, stil - volle kirchen und villen, statuen im geschmacke Thutmosis III oder Nebu - kadnezar oder Peisistratos, und Euriposse und Kanoposse und Mauso - leen? der geist ist es allein der lebt und leben schafft: der geist aber läſst sein nicht spotten. und viel schlimmer und barbarischer als die zeiten, in denen er noch nicht erwacht ist, sind die, wo er verflogen ist und erheuchelt werden soll.
Vielleicht das fürchterlichste in solchen zeiten ist, daſs das gute selbst nur eine kraft wird, die das böse schafft. der classicismus der augus - teischen zeit hatte in edelstem streben die echten ideale hoch aufgerichtet und den menschen geboten, im glauben an sie sich selbst zu erheben. nun war er mode geworden, die journalisten hatten sich seiner bemächtigt, die schulmeister handelten mit ihm: was die halbgebildeten anfassen, das schneiden sie sich nach der dürftigkeit ihrer eigenen leistungsfähigkeit zu. statt den idealen innerlich sich zu nahen, wollte man sie kurzerhand haschen und betasten. statt andächtig sich der pracht der sterne zu freuen, begehrte man sie zu fassen, herunter zu holen und ihr gold zu eignem gebrauche auszumünzen. der atticismus trieb die studien der alten litte - ratur lediglich um selbst so schön zu schreiben und zu reden wie die176Geschichte des tragikertextes.Attiker: Aristides sagte es, daſs ers besser könnte, und Lukian war zum sagen zu klug, aber er glaubte es auch. an den verächtlichen siegespreis, ein erlognes attisch zu reden, sich seinem eignen volkstum zu entfremden, in den wolken zu leben, setzte man sauren schweiſs, jahrelange arbeit, beständigen training. und diesem niedern zwecke zu dienen, spannte sich auch die grammatik ins joch: mag es auch mancher nicht eingestehen, die grammatische arbeit des 2. jahrhunderts ist im grunde nichts als σοφιστικὴ προπαρασκευή.
Was diesen praktischen zwecken dienen kann, das wird eifrig fort - studirt. nicht bloſs die redner in der ausdehnung, welche der per - gamenische kanon festgestellt hatte, sondern auch andere brauchbar erscheinende schriftsteller, wie Xenophon und die anderen nicht gar zu philosophischen Sokratiker: selbst Phaidon ist bis in das 4. jahrhundert erhalten geblieben107)Synesius (Dion. 17, p. 297 Krab. ) nennt unter einer langen reihe von situa - tionen die er platonischen dialogen entnimmt auch οὐδὲ Σίμων ὁ σκυτεὺς πάνυ τι συγχωρεῖν ἠξίου Σωκράτει, ἀλλ̕ ἐπράττετο λόγον έκάστου λόγου, notwendigerweise mit beziehung auf einen dialog, der dann Phaidons Simon war, den Iulian noch gelesen hat. vgl. Herm. XIV 476.. Kritias hat sich eben so lange gehalten, nachdem ihn die laune der archaisten entdeckt hatte. und da diese ihre experi - mente bis zum ionisch schreiben steigerten, so erhielt selbst Hekataios eine stilistische würdigung durch Hermogenes und sein geographisches werk ist noch in frühbyzantinischer zeit gelesen108)Stephanus von Byzanz hat ihn selbst ausgezogen, Niese de Steph. Byz. auct. 13.; auch die ionischen mythographen, Akusilaos und Pherekydes, haben keinesweges bloſs in excerpten gelebt109)Das beweisen lange wörtliche den ionismus bewahrende stücke in den scholien zur Odyssee (z. b. λ 287, 321) Pindar (P. 4, 133) Apollonios (4, 1396, 1515).. vollends die komödie war die ergiebigste fundgrube des archaisten, und keinesweges bloſs Menander, der bis über Iustinian hinaus bekannt blieb, sondern selbst andere alte komiker als Aristophanes haben noch leuten wie Libanius und Synesius vorgelegen. Galen schreibt seine tragikercitate aus glossaren und philosophischen tractaten ab: über die komödie hat er specialarbeiten verfaſst. es war so ziemlich der ganze nachlaſs der μέση und νέα, den Athenaeus selbst excerpirt hat: derselbe, der keine einzige tragödie, kein lyrisches gedicht aus eignen mitteln citirt. wozu sollte man auch diese gedichte lesen, die man nicht copiren wollte? den sagenstoff, so weit man ihn für die allgemeine bildung brauchte, lieferten die handbücher, und die vocabeln konnte man nicht brauchen.
Poesie ward freilich auch noch producirt, massenhaft sogar, während177Verfall der cultur im 2. jahrhundert n. Chr.im ersten jahrhundert wenig davon zu spüren war, und das wuchs sich um 400, als die sprache schon so gut wie tot war, zu einer wirklich eigen - artigen, wenn auch barbarischen kunst aus. dafür brauchte man aber auſser Homer, dessen naivetät die geringsten ingenia kindisch copirten, die alexandrinische dichtung ausschlieſslich, deren formen, deren wort - schatz, deren poetische technik unerschüttert regierten: freilich Antimachos Aratos Apollonios Nikandros mehr als die dichter ersten ranges. aber darum, daſs am kaiserhofe ein Mesomedes lahme rhythmen unmelodisch componirte, war ein studium der lyriker nicht von wichtigkeit. und die tragödie vollends war stumm geworden. es wird im zweiten jahrhundert gewiſs noch vielfach etwas tragisches gespielt sein, obwol die zeugnisse der atticisten nicht schwer wiegen, denn sie erheucheln auch alte sitten. dann aber ist es vorbei, und für die gebildeten war längst statt der tragödie als darstellerin der alten sage eine modernere Muse aufgetreten, das ballet: die gute gesellschaft Roms lernte den Aiolos des Euripides durch dasselbe mittel kennen, wie die heutige den Sardanapal Byrons, durch die beine eines Pylades.
Und doch stand es ja fest, daſs die classiker classisch waren, und es gehörte zu den voraussetzungen der allgemeinen bildung, daſs das classische bekannt war. das war es auch, in der weise, wie zeiten mit sinkender cultur ihre verblassenden ideale kennen lernen. die classiker waren in die schule herabgesunken. da muſsten sie gelesen werden, das verstand sich und verlangte jeder. und wenn der junge mensch aus der schule in’s leben trat, da warf er den plunder weg, der für’s leben, das heiſst für gelderwerb und ehrengier und sinnesgenuſs, doch nichts hilft. so sagte niemand (das würde ja ehrlich gewesen sein), aber so tat jeder. die schule aber ist genötigt, sich mit einer auswahl zu behelfen, ihre aufgaben fordern einen ganz besonderen maſsstab der auslese und eine besondere art der behandlung. sie tut nur ihre schuldigkeit, wenn sie mit den strengen forderungen der wissenschaftlichkeit in conflict kommt.
Schulmäſsige behandlung oder wenigstens eine beträchtliche ver - flachung ihres niveaus muſste die grammatik aber überhaupt vornehmen, wenn sie weiteren kreisen irgendwelche alte poesie erschlieſsen wollte. denn trotz allem attisch parliren, trotz den totenerweckungen des duales, der dative οἱ und σφίσι, des doppelten t statt doppeltem s, so schöner vor 300 verstorbner formen wie γεγράφαται und νᾶπυ und von tausend vocabeln konnten die herren Titianus und Lucianus, die sich Τιτάνιος,v. Wilamowitz I. 12178Geschichte des tragikertextes.oder zeitgemäſs mit einem schreibfehler Τειτάνιος110)Τειτάνιε δεῖε in einem spartanischen epigramm, Kaibel 473, zu dem Kirch - hoff auf Lukian de hist. conscr. 21 verweist μεταγράψαι εἰς τὸ Ἑλληνικόν, ὡς — Τιτάνιον τὸν Τιτιανόν. das pikante ist, daſs der tadler sich selbst als Λυκῖνος einzuführen pflegt., und Λυκῖνος nannten, herzlich wenig griechisch. die meisten stammten auch aus der barbarei und verwunderten sich baſs, wenn sie auf einer ferienreise ins griechische gebirge (denn auch die nervenschwäche natur suchender groſsstädter grassirte) köhler und sennen besser griechisch reden hörten als die gefeiertsten professoren. die voraussetzungen, welche die ältere grammatik gemacht hatte, trafen nicht mehr zu. es half nichts, man muſste dieser gesellschaft den Pindar ganz und den Euripides auch auf weite strecken hin in ihre sprache übersetzen. die zeit der paraphrase bricht herein110 a)Einen ganz anderen zweck hatte die rhetorische paraphrase gehabt, welche Quintilian mit recht als eine der vorzüglichsten stilübungen preist. I 9, 3 versus primo solvere, mox mutatis verbis interpretari: tum paraphrasi audacius vertere, qua et breviare quaedam et exornare salvo modo poetae sensu permittitur. quod opus, etiam consummatis professoribus difficile, qui commode tractaverit, cuicum - que discendo sufficiat. wenn unsere schulen dieses progymmnasma übten, würden die s. g. gebildeten vielleicht ein bischen stilgefühl besitzen, das ihnen jetzt der deutsche und vollends der lateinische auſsatz gründlich auszutreiben pflegt. natür - lich haben die antiken rhetoren auch solche musterstücke veröffentlicht, wie Dion die paraphrase des euripideischen Philoktetprologes. aber rhetoren und grammatiker berühren sich kaum, und auf unsere scholien hat die rhetorische paraphrase nur spät und wenig gewirkt.. übersetzt hatte Aristarch homerische vocabeln auch, sowol um den bedeutungswandel zu erklären wie um die irrtümer der glosso - graphen fern zu halten. rätselgedichte, wie die Alexandra des Lykophron, waren überhaupt nicht ohne paraphrase verständlich. aber diese wenigen ausnahmen beweisen nichts, und die pindarische paraphrase war von jener homerischen worterklärung Aristarchs himmelweit verschieden. nicht nur war jetzt das drama so alt geworden, wie Homer zu Aristarchs zeit ge - wesen war: die menschen waren nicht nur der sprache sondern dem ganzen wesen der tragödie so entfremdet, daſs sie eine übersetzung brauchten.
So erzeugte also wiederum das bedürfnis der zeit einen veränderten betrieb der auf die dichtererklärung gerichteten studien. schulmäſsig muſste er in seinem wesen werden, und in der schule wurden wenigstens die classiker gelesen, zu denen jedoch immer allgemeiner auch eine reihe von dichtern des dritten jahrhunderts gerechnet wurden. doch kamen an diese offenbar erst vorgerücktere: so stark trivialisirt ward ihre erklärung179Verfall der cultur im 2. jahrhundert n. Chr. Aristophanesscholien.selten. und die schule selbst führte zur auswahl und festen ordnung der lesestücke. diese einrichtung hat natürlich nicht im entferntesten bezweckt, die ausgeschlossenen werke in vergessenheit zu stürzen, was auch wenigstens für die komödie lange noch nicht eintrat, und nirgend ist das unheil so schnell gekommen wie für die tragödie und Pindar. daſs es überhaupt kommen konnte, bleibt[unbegreiflich] und findet deshalb keinen glauben, wenn man nicht die ganze geistige temperatur des zweiten jahrhunderts ermiſst. der unbekannte mann, der für Pindar, der eben so unbekannte, der für die tragödie den entscheidenden schritt tat, war auch kein an sich bedeutender mann, so daſs wir an seinem namen nicht viel verloren haben. er würde selbst staunen über den erfolg seiner schul - ausgabe. aber das ist eben das charakteristische für die zeit des verfalles, daſs die letzte leistung, wie sie auch ist, kanonisch wird, weil keine weitere kommt, und so die folgezeit beherrscht. Ptolemaios als astronom und geograph, Galen als mediciner, Apollonios und Herodian als sprach - gelehrte sind zwar in vieler hinsicht achtunggebietend, aber ihre geistige bedeutung ist wahrlich nicht danach angetan, ihre herrschaft über die jahrhunderte als berechtigt erscheinen zu lassen. nicht ihrer kraft, der schwäche der andern danken sie ihre machtstellung. die wissenschaft muſs diese machtstellung zertrümmern um über sie zu der wirklich wissen - schaftlichen ebenbürtigen arbeit des Hellenentums aufzusteigen. und sehr viel geringere leute haben in ihrem kreise eben so abschlieſsend gewirkt, Diogenian für die nichtatticistische lexicographie, Zenobius für die sprich - wörter, Herennius Philo für die synonymik, Heliodor und Hephaestion für die metrik, Dionysios und Pausanias für die atticistischen handbücher, der erstere auch für die dichter - und musikgeschichte. in denselben rang und dieselbe zeit gehören die begründer unserer schulauswahlen, mögen wir sie benennen können oder nicht.
Dies ist möglich für Aristophanes, dessen überlieferung überhauptAristopha - nesscholien. die reichste ist. da hat Symmachos111)Symmachos citirt nicht nur specialschriften des Seleukos (Th. 840, 1175), sondern auch Epaphroditos (Ritt. 1150, Wesp. 332, durch die rückbeziehung gesichert. das Herodiancitat in den Rittern ist zusatz, wie die mangelnde verbindung πλέγμα τι κτέ. zeigt). aber nicht bloſs Herodian ist ihm selbstverständlich fremd, sondern auch dessen vater Apollonios (Plut. 103, Frö. 826, Ritt. 22: alle andern Apollonios - citate gehören dem sohne des Chairis, über den Kydathen 134), und Irenaeus (Pl. 75. Wesp. 900): denn diese geben nur τονικά, und solche dinge sind dem Symmachos fremd. auch Sallustius und Telephus (2. jahrhundert) stehen in einem der antiquarischen scholien des Plutos (725), die sich von selbst absondern. Phrynichos ist durch Hero - dian, mit dem er Fried. 618 verbunden ist, ausgeschlossen, und selbst Palamedes die maſsgebende ausgabe gemacht,12*180Geschichte des tragikertextes.wol um 100 n. Chr., denn wenn ihn auch erst Herodian citirt, so ist doch der erfolg seiner auswahl schon in den rhetorischen lexicis des 2. jahrhunderts zu spüren, die demgemäſs die betreffenden stücke be - vorzugen112)Man kann das leicht sehen, wenn man die indices zu Nabers Photius mustert. auf welchen umwegen auch immer hineingelangt, die quellen dieses lexi - cons gehören dem 2. jahrhundert an. damit man nicht irre, bemerke ich, daſs die atticistischen glossen im Hesych nicht Diogenian sind. selbst bei Lukian sind die erhaltenen komödien stark bevorzugt, P. Schultze quae ratio inter Lucianum et comicos intercedat. Berlin 1883.. Symmachos bezieht sich in seinem commentar häufig auf früher von ihm behandelte stellen, so daſs die reihenfolge der erklärten dramen ganz feststeht, übrigens auch in der Byzantinerzeit nicht ver - gessen worden ist. Es folgen auf einander Plutos Wolken Frösche Ritter Acharner Wespen Frieden Vögel Thesmophoriazusen Ekklesiazusen Ly - sistrate113)Die sehr zahlreichen belege führe ich nicht an. die nummern 1 — 4, 10, 11 wird niemand bezweifeln. für die reihenfolge Ach. Wesp. vgl. Wesp. 1195, 1206. 1407. Wesp. Fried. vgl. Wesp. 1446 Fr. 1048 (zielt auf Wesp. 718). Fried. Vög. vgl. Vög. 822 (zielt auf Fried. 928). Thesm. 162 ἐν τῷ πρὸ τούτου δράματι τοῖς Ὄρνισι· Lysistr. 801 auf Ekkl. 303, jetzt fast verschwunden. damit erledigt sich die an - sicht, daſs die auswahl von 7 stücken im Venetus erhalten wäre; sie ist auch an sich verkehrt, denn diese gelehrteste handschrift repräsentirt keine verkürzung der auswahl.. die reihe war damit ohne zweifel nicht abgeschlossen114)Nach der häufigkeit der citate wären Daitales Babylonier Tagenisten etwa gefolgt.; Symmachos hat auch Kratinos erklärt und wird da wol ebenso verfahren sein115)Herodian II 945 Lentz (π. μον. λέξ. 39). es wird sich für Kratinos schwer - lich ermitteln lassen, welche dramen noch länger behandelt wurden. wol aber ist der versuch für Menander nicht aussichtslos.. die rücksichten der schule sind einleuchtend. der Plutos ist weitaus am einfachsten, Wolken Frösche Ritter zu kennen forderte die allgemeine bildung mit rücksicht auf die angegriffenen berühmtheiten Sokrates Euripides Kleon. für die folgenden stücke ist es besser nichts zu vermuten. Symmachos ist nun ein schriftsteller noch von der alten111)zeigt sich als zusatz (Fried. 916; sonst noch ein par mal zu Wesp.). dieser ist deipno - sophist bei Athenaeus, was nur zeigt, daſs er eine berühmtheit wie Galen Rufus Plutarch Ulpian war. und als vaterland hat ihm Athenaeus nach Plat. Phaidr. 261d Elea gegeben: woraus nach jenen analogien folgt, daſs er nicht daher war. inter - polirt hat Suidas oder ein vorgänger dies in den kargen biographischen artikel, aus dem abzuleiten ist, daſs er bei Dionys und Philon nicht vorkam, d. h. nach 140 blühte. auch Symmachos fehlt bei Suidas, aber ein schluſs e silentio ist mislich und die gänzliche vermeidung von schriftstellern des 2. jahrhunderts spricht für etwas höheres alter.181Aristophanesscholien.grammatikerart; er hat eigene ausgedehnte kenntnisse und wagt eigene meinungen. das ältere verdankt er sammlungen und scholien, des Didy - mos, aber auch anderer, z. b. des Artemidor (συναγωγή Wesp. 1169)116)Schol. Fried. 1242 wird in betreff des Kottabos auf ἐκλογαί verwiesen, 1244 auf Athenaeus: es waren wol die ἐκλογαί des Sopater, in dessen erstem buche Athenaeus excerpirt war (Phot. bibl. cod. 161): diese auszüge gehören also zu den ἄλλα τινά der subscriptio., und die dramen waren vor ihm ersichtlich gar nicht gleichmäſsig be - handelt, was natürlich auch auf seinen commentar einwirkt. Frösche und Vögel stehen deshalb an gelehrsamkeit weit über dem Plutos. das gelehrte material älterer zeit, das geschichtliche (auſser billigen Thukydides - excerpten), textkritische, glossographische gehört ihm wol alles. für die paraphrastische erklärung läſst die grenze sich schwer ziehen; das ist aber auch das mindest wichtige.
Das metrische lieſs Symmachos, wie die meisten erklärer bei seite. allein ein anderer einfluſsreicher mann, ziemlich sein zeitgenosse, Helio - doros, verfertigte eine aristophanische kolometrie, d. h. eine analyse sämmt - licher verse der komödie, woran sich zuweilen etwas kritisches schloſs. es war keine ausgabe, aber wol eine anweisung, wie eine ausgabe zu schreiben wäre: wobei fraglich ist, ob er nicht die schreibung (einschlieſslich des aus - und einrückens der zeilen) vorfand und lediglich die analyse sein war. wie weit er seine arbeit ausdehnte, welche reihenfolge er inne hielt, ist nicht zu sagen.
Wol erst in frühbyzantinischer zeit hat nun jemand den commentar des Symmachos, die kolometrie des Heliodor, zugleich sie befolgend und ausschreibend, und einiges andere erklärungsmaterial zusammengearbeitet: erst dies werk, oder vielmehr auszüge davon, geben unsere handschriften, text und scholien gleichermaſsen. wir hören das zwar nur durch die subscriptio zu ein par stücken, aber der commentar hängt, wenigstens so weit er die beiden wichtigen grammatiker angeht, zusammen. die subscriptio nennt nun noch als benutzt einen gewiſsen Phaeinos und ἄλλα τινά. dieser Phaeinos ist nach den proben, die nur zum schlusse der Ritter erhalten sind, ein jämmerlicher ignorant, der sich nur in der gewöhnlichsten exegese versucht. da er ein ganz byzantinisches wort braucht117)χάβος für zaum, schol. Ritt. 1150., so möchte man ihn nicht mehr in das altertum rechnen. doch wird im Et. M. (βλιμάζειν) eine zu der betreffenden stelle (Vög. 530) nicht mehr erhaltene etymologie mit den namen Φαεινὸς καὶ Σύμμαχος citirt. die anderen zusätze sind zum teil an sich wertvoll, z. b. die aus -182Geschichte des tragikertextes.züge aus Herodian, ergeben aber kein bild einer persönlichkeit. nach - weislich sind einzeleintragungen aus büchern, die in byzantinischer zeit geläufig waren, zu allen zeiten und in allen scholien zugetreten; man kann also Phaeinos nach ihnen, z. b. den anm. 116 citirten, nicht wol datiren. aber im allgemeinen darf Phaeinos wol für den redactor unserer scholien gelten.
Wir haben das glück, daſs die handschriften, mit denen wir operiren, noch dem 10. jahrhundert angehören. der Ravennas ist selbst so alt, der Venetus zwar hundert jahre jünger, aber so sorgfältig copirt118)Dies zeigt Zacher Philol. 1882. Zachers neue arbeit (Handschriften und classen der Ar. scholien Leipzig 88) habe ich noch nicht prüfen können. um so weniger konnte ich ihre zum teil sehr befremdenden ergebnisse berücksichtigen., daſs er seine vorlage ersetzt, und eine dritte handschrift hat Suidas in demselben jahrhundert fleiſsig ausgezogen. für die Acharner Ekklesia - zusen und Lysistrate müssen uns freilich jüngere handschriften (Paris. 2712 und eine halb in Florenz als Laurentianus 31, 15, halb in Leyden aufbewahrte) den Venetus, mit dessen recension sie sich ganz nahe be - rühren, ersetzen, und die Thesmophoriazusen enthält nur der Ravennas. daneben steht für die sieben stücke eine anzahl jüngerer handschriften, die zum kleinsten teile aus den genannten stammen, für die scholien auch keinesweges nur wertlose zusätze liefern, für den text aber unbe - rücksichtigt bleiben dürfen. Ravennas gibt die scholien überaus dürftig, so daſs wir mit ihm allein etwa so stehen würden, wie mit dem Lau - rentianus in den beiden ältern tragikern; doch schöpft er, wie man an ihm selbst sieht, aus reicherer fülle.
Vom 10. jahrhundert gelangen wir also durch die recensio nur bis ans ende des altertums, wo sich die ströme der überlieferung vereinen. es ist ganz sonnenklar, daſs die kritik eklektisch verfahren muſs; Venetus bietet aber mehr schreibfehler, Ravennas willkürlichkeiten. wir haben nun eine groſse masse citate bei den atticisten und sonstigen späten schrift - stellern, die uns die controlle ermöglichen: sie ergeben im wesentlichen die bestätigung unseres textes, und da sie auf die Symmachosausgabe oder gar ältere zurückgehen, so gelangen wir eben bis in die zeit, für welche die scholien ja auch zeugen. endlich ist kürzlich ein bruchstück einer handschrift aus den letzten zeiten des altertums entdeckt, welches einen text liefert, der ein klein wenig neues geben würde, wenn nicht die kritik die geringen fehler bereits beseitigt hätte, aber im ganzen mit dem unsern identisch ist119)Weil Rev. de phil. VI 179. es umfaſst Vögel 1057 — 1085, 1101 — 27, die. so dürfen wir sagen, daſs allerdings in183Aristophanesscholien.der zeit zwischen Heliodor und Symmachos einerseits und dem 10. jahr - hundert andererseits eine anzahl kleiner schreibfehler begangen sind, die sich zum teil durch die vergleichung der handschriften erledigen, zum anderen von der modernen kritik, wesentlich den groſsen Engländern, gehoben sind. damit gelangen wir zu demselben texte, welchen Sym - machos gab: alle schwereren schäden, insbesondere lücken und falsche verse müssen für älter gelten, und da nun die grammatik so früh, ein - dringend und unausgesetzt den Aristophanes studirt hat, so muſs man im allgemeinen die entstehung der schweren schädigung zwischen dem dichter und dem grammatiker ansetzen.
Aristophanes ist vorzüglich erhalten, aber man spürt doch unter - schiede. die fünf letzten stücke sind ärger zugerichtet, und jedes schlimmer als das vorhergehende. in den Thesmophoriazusen können wir zudem sicher sein, da sie nur in R stehen, eine groſse anzahl fehler teils selbst beseitigen zu müssen, teils gar nicht zu bemerken. dann sind in den drei letzten dramen die scholien so dürftig120)Die vernachlässigung der späteren hat aber nicht nur üble folgen. wenn sie selbst nichts neues mehr zusetzen, so erhält sich die alte gelehrsamkeit wenigstens in den geretteten bruchstücken rein. so ist der commentar der Vögel ganz be - sonders reich an anführungen der älteren grammatiker. und der der Thesmophoria - zusen, im ganzen dünn, hat besonders viele prachtstücke: darunter 1059 über ein drama des Philopator und den commentar seines ministers und lieblings Agathokles dazu; das kann nur ein zeitlich ganz nahe stehender berichtet haben, also wol Aristo - phanes oder Eratosthenes. der scholiast redet sehr persönlich, 31, 162, 840, 917. weil 393 in gleicher weise in atticistischem übermut gegen Symmachos geredet wird, dessen scholion dabei steht, könnte man meinen, in all diesem einen späteren zu hören. aber das geht nicht wol, da gerade die bezeichneten scholien den älteren gelehrten gelten und dieselbe weite der gelehrsamkeit zeigen wie der ganze com - mentar. auſserdem ist 162 wegen der verweisung auf die Vögel und Wespen sicher von Symmachos. die scholien der Lysistrate enthalten nur noch ein par umfäng - lichere stücke und zwar nicht in R; die der Ekklesiazusen sind ganz dünn und zeigen so recht, daſs dies das letzte stück ist., auch die citate aus ihnen viel seltener, so daſs diese controlle oft versagt, aber auch die Vögel, die auch in V stehen, haben schwer gelitten. das ist also auf die zeit seit Symmachos zum teil wenigstens zu schieben, zumal die ersten vier stücke lediglich durch sorgfältige recensio fast rein herzustellen sind, d. h. 119)chorischen verse sind mit ἔκϑεσις und εἴσϑεσις geschrieben, reste von scholien vor - handen. 1078 wird ζῶντ̕ ἀπαγάγῃ, was Bergk aufgenommen hat, bestätigt, 1080 fehlt πᾶσι, das schon Byzantiner getilgt haben. 1069 stand wenigstens etwas hinter δάκετα, wo Dissen πάνϑ̕ eingesetzt hat. sonst stimmen selbst fehler, und eine so verkehrte orthographie wie ἀετόν 1110 steht hier wie in R. auch Πεισϑέταιρος ist da.184Geschichte des tragikertextes.so wie sie die guten grammatiker lasen. darum ist Aristophanes der schriftsteller, an dem man sich am leichtesten einen gradmesser für die wahrscheinlichkeit der textverderbnis und für die berechtigung der kritik in analogen fällen holen kann.
Nicht viel geringere belehrung gewährt die überlieferung Pindars. im zweiten jahrhundert hat jemand die vier letzten bücher der aristo - phanischen ausgabe für die schule bearbeitet. offenbar schienen die epi - nikien wegen der vielen persönlichen beziehungen zumal zu den sici - lischen fürsten interessanter als die gedichte an götter. warum aber die Nemeen vor die Isthmien gerückt sind, ist nicht zu erkennen121)Der schluſs der Isthmien ist durch verstümmelung der handschriften erst spät verloren. denn die handschrift D bricht mitten im achten gedichte ab. die collation sagt nicht, ob die handschrift selbst verstümmelt ist; indeſs ist das unwahrscheinlich, da zu den erhaltenen versen keine überschrift noch scholien da sind. ein citat aus mittlerer byzantinischer zeit (fgm. 2) bezeugt für ein weiteres gedicht der Isthmien die existenz. aber ein völlig haltloser einfall ist es, die belege für Pindars sprache, welche Eustathius in der vorrede zu seiner geplanten Pindarausgabe beibringt, so weit sie in unseren handschriften fehlen, auf die Isthmien zu beziehen. erstens fehlt jeder beleg sonst bei Eustathius, daſs er mehr als wir besessen hätte, zweitens hat er überhaupt diese sprachliche sammlung nicht angelegt, so wenig wie er die apoph - thegmen Pindars gesammelt hat, und drittens steht ein wort in dieser reihe, welches nachweislich nicht aus den Isthmien ist, sondern aus dem gedicht an Theoxenos (123, 5 ἑλικοβλέφαρος Ἀφροδίτα = Eust. 56, 20 Taf. ), das in die ἐγκώμια gehört; ganz zu geschweigen, daſs es eine torheit ist, sich die zahl der Isthmien ins un - gemessene zu vermehren. die erste ὑπόϑεσις Ἰσϑμίων beginnt damit zu sagen, daſs alle spiele leichenspiele wären, Olympien Pythien Isthmien. da sie für die alte ausgabe geschrieben ist, fehlen die Nemeen. aber Kallierges hat sie eingeschoben, weil er von der echten reihenfolge keine ahnung hatte. erst der neuste herausgeber hat die interpolation beseitigt, aber seinerseits eine lücke bezeichnet. ebenso gut hätte er die interpolation behalten können.. der herausgeber war nicht im stande etwas gelehrtes zu leisten, hat auch schwerlich den anspruch erhoben. er hat sich begnügt das gelehrte material von Didymos zu übernehmen, mythographische auszüge und viel - leicht vereinzelt anderes hinzuzufügen, wahrscheinlich auch irgendwoher die metrische erklärung der kola zu nehmen122)Wenn dies nicht ein zusatz ist, wie Heliodor neben Symmachos im Aristo - phanes steht. und endlich eine vollständige paraphrase zu verfertigen. seine zeit ergibt sich daraus, daſs Plutarch und Aristides, die Pindar besonders viel citiren, von der bevorzugung der epi - nikien nichts wissen, ebenso wenig Heliodor123)Vgl. fgm. 177; auf ihn gehen wol auch die belege des Hephaestion zurück fgm. 116. 117, und die besonders bezeichnenden, weil aus dem ersten hymnus stam - menden 34. 35.. auch für Lukian ist noch185Pindarscholien.die erste ode die erste der hymnen124)Ikarom. 27: wo die scholien sich wundern, da für sie die erste ode Ol. 1 ist. die erste strophe war natürlich in alter zeit so bekannt, wie der anfang von Alk - mans, Sapphos, Alkaios werken. daher hat sie der späte verfasser des pseudo - lukianischen Δημοσϑένους ἐγκάμιον irgendwo auflesen und ein scholiast das richtige ἀρχαὶ τῶν Πινδάρου ὕμνων hinzusetzen können — wenn er überhaupt das richtige gemeint hat.. später gilt die neue ausgabe überall. benutzt sind zwei schriftsteller des zweiten jahrhunderts125)Amyntianos Ol. 3, 52. ὁ Ἁλικαρνασσεύς, d. h. Dionysios μουσικὴ ἱστορία, da es sich um die stiftung der für die musikgeschichte so wichtigen sikyonischen Pythien handelt. Hephaestion (Isthm. 3) ist nicht der metriker. auf zwei Herodian - citate ist kein verlaſs. bezeichnend ist, daſs Palamedes ein ὑπόμνημα εἰς Πὶνδαρον, das letzte von dem wir wissen, geschrieben hat, und nicht vorkommt. das war eine concurrenzarbeit — wenn er nicht selbst unser scholiast ist., die man nicht leicht für zusätze halten kann. die folgezeit, z. b. die scholien zu Homer (ΒΤ) und den tragikern, setzt diese ordnung voraus, und im fünften jahrhundert ist die alte so ganz vergessen, daſs man alberne neue namen für die 17 bücher erfindet, deren zahl man kannte126)So der metrische βίος Πινδάρου und die schriftentafel des Suidas, d. h. Hesychius: Aelius Dionysius konnte diese noch nicht geben, zumal der herausgeber die alte ordnung in der vita angegeben hatte, da er sie ja nicht beseitigen wollte.. da unsere scholien aller jungen citate entbehren, so hat die tätigkeit der Byzantinerzeit sich auf die verkürzte weitergabe der alten ausgabe beschränkt. sehr früh hat sich eine doppelte recension ganz ähnlich wie im Aristophanes gespalten. die eine, von der auch das Etymologicum Magnum spuren bewahrt, besitzen wir leider nur für die ersten 12 Olympien. sie hat im texte neben vielen eignen fehlern mehreres gute bewahrt, vergleichbar dem Ravennas des Ari - stophanes; die scholien sind entsetzlich verdorben, aber sehr wertvoll. der einzige vertreter dieser recension ist der Ambrosianus A (C 122 inf.). die andere liegt in zwei trefflichen handschriften vor (Vat. 1312, B, und Laur. 32, 52, D), und auf ihr ruht unser text und ruhen die scholien fest und sicher. es gibt freilich noch eine menge handschriften, die keinesweges aus jenen stammen, und sie selbst werden sich erst in einem manches jahrhundert zurückliegenden originale vereinigen lassen. aber der text, den wir nach beseitigung der durch die vergleichung dieser handschriften oder sonst ohne weiteres erledigten schreibfehler gewinnen, und der also an sich sehr viel älter ist als die dem 12. und 13. jahrhundert ange - hörenden erhaltenen vertreter, zeigt überhaupt ganz geringe schwan - kungen; auch die erst in der späteren byzantinerzeit häufigeren citate be - reichern weder ihn noch die scholien wesentlich127)Sehr stark ist die benutzung im Lykophroncommentar des Tzetzes, dessen. die paraphrase aber186Geschichte des tragikertextes.gibt die gewähr, daſs wir den Pindar im ganzen so lesen, wie er um 180 gelesen ward. und von da steigen wir dank den älteren gramma - tikern wieder bis zu Aristophanes empor: die schlimmen schäden sind älter, älter ist die umformung des dialektes und der orthographie. wir haben aber für so schwere und den späteren fremdartige poesie die be - ruhigung, daſs man an ihr viel weniger als an dem komiker, den die Atti - cisten so viel traktirten, und jeder zu verstehen meinte, mit dem ver - stande gelesen und abgeschrieben hat. mechanisch ist Pindar copirt worden: wir wollen das für die tragiker nicht vergessen.
Aber ehe wir zu ihnen selbst gehen, mögen noch die alexandrinischen dichter, so weit sie mit gelehrtem materiale erhalten sind, gemustert werden. für sie hat Theon eine ebenso centrale stellung wie Didymos für die classiker, aber so wenig wie dieser kann er als der betrachtet werden, welcher unseren scholien die bleibende gestalt gegeben hat; das ist viel - mehr im zweiten jahrhundert geschehen. Theon fand noch einfluſsreiche nachfolger, unter welchen Epaphroditos128)Zu den Aitia des Kallimachos war sowol der commentar des Theon wie der des Epaphroditos bis in die letzte zeit des altertums vorhanden, d. h. so lange wie die gedichte selbst: text und scholien lebten ja zusammen. Et. M. ἄρδις (Kall. fgm. 130) Steph. Byz. Δωδώνη (24a). Et. M. Βουκεραίς, ἄστυρον. Epaphrodit ist stark in den schol. zu Sophokles und Aischylos benutzt. z. b. stammt nicht bloſs die eine notiz zu Eum. 2, sondern auch 21, 27 die Kallimachoscitate von ihm. und Lucill von Tarrha129)Lucill lebte nach dem Kyrenaeer Nikanor (Steph. Byz. Μίεζα) und Apol - lonides von Nikaia (Priscian de fig. num. p. 406 H.), also frühstens um die mitte des 1. jahrhunderts n. Chr. her - vorstechen. seine starke einwirkung auf die Römer ward oben erwähnt. dann kommen die compilatoren. den Apollonios hatte nach Theon und Lucill der Römer Q. Minucius Pacatus erklärt, welcher sich, wenn er für die griechische, d. h. die gelehrte, welt schrieb, Εἰρηναῖος nannte130)So ist der name zu erklären. das eingreifen von Römern in griechische grammatik ist auf diese zeit, die Trajans, beschränkt; neben Pacatus steht Iulius Vestinus, und vor allem Sueton, Τράγκυλλος für die Griechen; auch Favorin gehört gewissermaſsen dahin. die anderen träger griechischer namen wie Diogenian, Muna - tius waren geborne Griechen. Irenaeus, der schüler Heliodors, ist schon von Soran benutzt, auf welchen die glossen πυδαρίζειν und ψύη bei Orion zurückgehen (Haupt op. II 436).. gegen ihn wandte sich scharf ein gewisser Sophokles; die polemik zeigt den zeitlich nahe stehenden, und starke benutzung des bekämpften wird durch sie für diese kreise durchaus nicht unwahrscheinlich. das concur -127)analyse vielleicht etwas ertrag geben wird. Eustathius handschrift war reicher als B an prolegomena.187Scholien zu den Alexandrinern.renzwerk des Sophokles hat das feld behauptet: er wird aber zu Theon und Lucill sich verhalten haben wie Zenobius zu Didymos und Lucill. unsere scholien, welche diese drei in der subscriptio nennen, verbinden damit also einen wesentlich anderen sinn, als die des Aristarcheischen viermännerbuches: sie geben zunächst wesentlich Sophokles. diese aus - gabe ist im vierten jahrhundert gemacht131)Citirt werden nicht nur Dionysios Βασσαρικά und Palamedes λέξεις, son - dern der epigrammendichter Erycius (II 127) und ein anderes epigramm (Anth. Pal. IX 688), frühstens aus dem 3. jahrhundert (III 1241), auſserdem häufig Herodian. auch möchte dem scholiasten die menge worterklärungen gehören, die aus einem guten Homerlexikon, vielleicht direct Apollonios Archibios sohn, sonst einem ganz ähnlichen, stammen. das verhältnis von Sophokles Orus Stephanus ist im wesentlichen richtig von Lentz erkannt (Herodian I CCXXIII), der sonst seinen autor auch hier überschätzt. die person des Sophokles richtig erfaſst zu haben, der springende punkt des ganzen, ist das verdienst von Warnkroſs (de paroemiograph. Greiſswald 1882 these). da Lucills commentar noch Et. M. ἄρειων (zu II 77) angeführt wird, und nach freund - licher mitteilung von Reitzenstein die bessere überlieferung des Et. M. noch mehr citate gibt, so wird man freilich annehmen müssen, daſs Lucill nicht bloſs durch Sophokles erhalten ist. und so dürfen eine nicht ganz kleine zahl von parallelen scholien zu demselben verse auf die beiden autoren bezogen werden, deren son - derung die nächste hauptaufgabe ist. sehr vielfach ist das verhältnis der doppel - fassungen freilich nur das unten s. 199 bezeichnete., und kann durch die excerpte in den Etymologiken, für ihre vorlage Sophokles durch Stephanus (in den er durch Orus gelangt ist) erweitert werden. obwohl wir nur eine handschrift haben132)Tzetzes zu Lykophron benutzt auch diese scholien häufig; so weit ich gesehen habe, ohne uns etwas zu helfen. die these Keils, daſs Laur. A einzige quelle sei, ist aus allgemeinen gründen nicht wahrscheinlich, aber er ist so gut wie einzige quelle, denn für scholien und text hilft alles bisher bekannte nicht weiter; die immer noch verbreitete benutzung der pariser scholien entspringt nur der unkenntnis ihrer benutzer. Merkels schätzung des Guelferbytanus ist eine unfaſsbare verirrung., denselben Laurentianus, der die beiden älteren tragiker enthält, so ist doch der text ein zuverlässiger, die scholien von seltener fülle.
Auch zum Theokrit, und zwar den für echt geltenden gedichten (d. h. den in Ahrens ausgabe stehenden mit ausschluſs der Ληναί132 a)Διόσκουροι und Ἡρακλίσκος sind jetzt allerdings nur in dem troſs der unechten überliefert und haben von scholien keine spur bewahrt. aber wie ihre echtheit von allen inneren gründen abgesehen durch antike citate gesichert ist, so zeigt ihr text eine andere herkunft darin, daſs er sich durch seine reinheit von der umgebung vorteilhaft abhebt., hatte Theon einen commentar geschrieben, welcher sich lange gehalten hat133)Orion (Et. M.) γρῖπος; durch dies citat gewinnt man bei Orion noch mehreres. Ahrens ausgabe der scholien ist eine wertvolle vorarbeit, genügt aber auch nach dieser seite nicht.. 188Geschichte des tragikertextes.allein unsere scholien sind viel später geschrieben und haben nur Theon als urquelle für ihr bestes gut; man findet ihn mit hülfe der Römer. sie selbst polemisiren mit einer, allerdings oft verdienten, grobheit, wie sie den zeitgenossen und concurrenten trifft, gegen einen gewissen Muna - tius134)Philostratus vit. Soph. p. 231. 244.. es war das ein mann aus der umgebung des Herodes Atticus, gebürtig aus Tralles, der sich nicht γραμματικός sondern κριτικός nannte, wie damals in Asien zuweilen wieder als feiner galt. da wir nun einen jüngeren zeitgenossen von ihm, Amarantus, als Theokritscho - liasten kennen und dieser nachweislich in unsern scholien steckt, so ist der schluſs gestattet, daſs er der feind des Munatius, der gesuchte redactor ist135)Et. M. ἀσπάλαϑος = schol. 4, 57. διεκρανώσατε = schol. 7, 154. hier ist im schol. die erklärung, gegen die Amarantos polemisirt, mit erhalten. Amarantos war dem Galen persönlich bekannt, aber vor ihm verstorben. XIV 208 K.. die frühbyzantinische zeit mit ihren verselnden scholastikern, wie Eratosthenes, repräsentirt selbstverständlich nur eine etappe der über - lieferung des alten, wie es der scholiast im Apollonios und Phaeinos im Aristophanes tat; auch ist sie wenig zu spüren. die überlieferung der gedichte ist den modernen dadurch verwirrt, daſs die von Nonnus bereits benutzte sammlung von bukolika, ‘alle in derselben hürde’, also ohne gewähr für die echtheit, welche keine scholien hatte, in den späten handschriften mit Theokrit vermischt ist, an den sie sich zuerst angesetzt hatte. diese von den guten grammatikern verworfenen und eigentlich gar nicht als theokri - tisch überlieferten gedichte sind schwer entstellt, ganz natürlich, weil ihnen der schutz der grammatik fehlte. die gedichte Theokrits dagegen waren ebenso gut erhalten wie die der andern Alexandriner, und es schadet nicht einmal sehr viel, daſs wir nur für die mehrzahl eine treffliche, wenn auch nicht sehr alte handschrift (Ambros. 222, Κ) haben, vor der die übrigen verschwinden. denn auch in dem reste der gedichte birgt sich das echte unter gemeinen schreibfehlern, die man heben kann. man muſs nur ein urteil über das treiben der redactoren in den jahrhunderten 14 15 16 mitbringen, damit man diese völlig abweist. sie haben sich allerdings nicht gescheut selbst ganze verse zu fälschen. übrigens versagen für die erweiterung der scholien die grammatiker nicht völlig, und zur controlle des textes der theokritischen gedichte sind auch die citate nicht spärlich: sie bestätigen unseren text.
Wenn hier die verwahrlosung scholienloser texte neben der sicherung des textes durch die grammatische behandlung zu lernen und zu beherzigen ist, so bietet Nikandros den beleg für die beiden erscheinungen am selben189Scholien zu den Alexandrinern.texte, ja auch für die fährnisse, welche die grammatik selbst brachte, als sie sich noch etwas zutraute. wir lesen die Theriaka in besserem zustande als Athenaeus, der sie ohne scholien benutzte136)Schneider Nicandrea 159. man darf also den zustand, in dem die reste der Georgika bei Athenaeus vorliegen, zum teil auf rechnung seines exemplares schieben. die interpolationen sind übrigens zum teil sachlicher art, gemacht von so zu sagen ärzten, also ähnlich wie die astronomischen im Arat zu beurteilen. auch die zusätze am schlusse der Alexipharmaka, welche Π nicht kennt (offenbar auf grund von kritischen scholien, denn die verse sind nicht byzantinisch), sind dieser art, und der verfasser hat noch dazu selbst gesagt, daſs er einen nachtrag liefert.. unsere handschriften aber zeigen starke abweichungen, controlliren sich aber selbst, einmal weil neben dem durchweg jungen und unzuverlässig geschriebenen volke eine vorzüg - liche handschrift steht, die von einem hervorragenden kenner, H. Keil, für ganz ähnlich den Laur. 32, 9 des Apollonios erklärt ist (Paris. suppl. 247, Π), dann aber weil die jüngeren die scholien erhalten haben, von denen Π nur schwache spuren hat137)Die scholien der Alexipharmaka warten noch auf einen bearbeiter, der sie wenigstens auf einen älteren zustand zurückführe als der jetzige ist, in welchem Tzetzes erscheint und die orange νεράντζιον 533. O. Schneider hat die scholien und die antike erklärung in unverantwortlicher weise vernachlässigt.. und diese wieder lehren durch reichliche proben, welche fülle schlechter einfälle von den kritikern auf den markt gebracht war, glücklicherweise ohne viel zu schaden. die grammatik hatte sich bald nach Nikanders tod der exegese angenommen, und zuerst Deme - trios Chloros, dann Antigonos138)Er gehört noch ins erste jahrhundert v. Chr. (Erotian. praef. p. 32 Kl.), und polemisirt gegen Chloros, Ther. 748. 585, wodurch man weiteres gewinnen kann. hatten dem Theon vorgearbeitet, so daſs er nicht so bedeutend wie sonst erscheint. auf diese ältesten erklärer muſs die ganz singuläre belesenheit in seltenen dichtern der Alexandrinerzeit zurückgehen, wol auch die stattliche reihe von bruchstücken technischer schriftsteller139)Archelaos Ἰδιοφυῆ, Numenios, Petrichos, Herondas und Parmenon die iambographen, Menekrates (Ther. 172, doch wol der dichter der Erga aus Ephesos) sind seltenheiten. viele von ihnen und daneben die glossographen, wie Epainetos und Hermonax, kehren allerdings bei Pamphilos wieder: aber die dichter sind keines - weges nur für glossen benutzt. die techniker sind in verbindung mit der medici - nischen litteratur und besonders mit Plinius Nat. hist. zu setzen: dann dürfte sich vieles ergeben.. dann hat auch Plutarch sich am Nikander seltsamer - weise versucht, und höchstens 100 jahre nach ihm muſs unser corpus gemacht sein. denn die zusätze sind gering und beschränken sich auf schriftsteller dieser zeit140)Oppian für zwei glossen, Th. 98, 586, von denen die erste verdorben ist. Dionysios der perieget zur stütze einer conjectur Th. 175, für eine sage Th. 607,. die atticisten, Herodian, die auswahlen der190Geschichte des tragikertextes.Sceniker sind noch nicht in geltung. auch werden unsere scholien mit der bezeichnung οἱ ὑπομνηματίσαντες Θέων Πλούταρχος Δημήτριος bei Stephanus citirt141)Steph. Κορόπη, schwer entstellt, von Lentz Herod. II 188 ganz verkehrt behandelt und ohne grund Herodian zugewiesen; die herkunft ist ganz ungewiſs. trotz aller verderbnis ist klar, sowol daſs schol. Th. 614 benutzt ist, in einem zustande, von dem jetzt die handschriften nur noch einen schatten enthalten, als auch daſs der scholiast eine eigene meinung im gegensatze zu den ὑπομνηματίσαντες Θέων Πλούταρχος Δημήτριος versucht. der schluſs des Stephanusartikels muſs etwa so lauten, nach abweisung der erklärung Ὀροπαῖος für Ὠρώπιος und Κοροπαῖος, dies weil man Κορόπη nicht kannte, βέλτιον δ̕ ὑπονοεῖν ὅτι ἡμάρτηται καὶ γραπτέον (γράφεται codd.) Ὀροπαῖος ‖ κατ̕ ἔλλειψιν τοῦ ῑ ⟨ἀντὶ τοῦ⟩ Ὀροπιαῖος (Κοροπαῖος codd.) ‖ Ὀροπία (Ὀρόπη codd. ) γὰρ πόλις Εὐβοίας, ὅπου Ἀπόλλωνος διασημότατον ἱερόν. die zwischen doppelstrichen stehenden worte sind in den codd. zwei zeilen nach oben verschlagen, wo sie sinnlos sind. schol. Ther. 614 γράφεται καὶ Ὀρο - παῖος (Ὀρόπειος codd.) Ὀροπία (Ὀρόπεια codd. ) γὰρ πόλις Εὐβοίας (Βοιωτίας codd. verbessert von Meineke), ὅπου διασημότατον ἱερὸν Ἀπόλλωνος. der ort Orobiai schreibt sich allerdings nicht mit p, soviel wir wissen; bei Steph. fehlt aber der artikel.. sie sind in ihrer art der Apolloniosscholien nicht unwürdig, für textkritik sogar noch viel belehrender.
Aratos und Lykophron142)Vgl. über diese Scheer Rh. M. 34 und Maaſs Phil. Unt. 6. beiden kann ich mich nicht in allem anschlieſsen. übrigens haben beide ihre ausgaben ja noch nicht veröffentlicht. bieten ein anderes bild. unseren text und unsere scholien verdanken wir dem sammelfleiſse des bischofs Niketes von Serrha, der den cod. Marcian. 476 geschrieben hat. daſs dieser der arche - typus für den text sei, ist für Lykophron gar nicht zu behaupten, und auch für Arat ist es nicht glaublich: aber die bedeutung der handschrift ist eine so überwiegende, daſs das ergebnis praktisch dasselbe ist. auch für die scholien kommt im Lykophron neben der handschrift des Niketes die des Tzetzes in betracht, für die paraphrase noch anderes. die hand - schrift des Tzetzes beweist aber, daſs Niketes so ziemlich alles gab, was er finden konnte, d. h. seine vorlage copirte, und daſs eine nahe ver - wandte zu Tzetzes kam. im Arat ist das verhältnis etwas complicirter, und hier wird das interesse vielmehr durch die bruchstücke älterer arbeiten gefesselt, die zahlreich vorliegen. die scholien excerpiren selbst commen -140)Diogenian für eine glosse (bei Hesych weicht die erklärung ab), im gegensatze zu Θέων ἐν ὑπομνήματι Th. 237. dies sind schwerlich spätere zusätze. eher kann das von den seltenen aber reichen mythographischen scholien gelten, von denen zwar Th. 11 zu einem ζήτημα gehört, aber Th. 15 gehört mit der Araterklärung, wie sie bei Ps. Eratosthenes steht, zusammen, Alex. 11, 13, 15 mit den Apollonios - scholien.191Scholien zu den Alexandrinern.tare des ausgehenden altertums, von Theon dem vater Hypatias und Sporus dem verfasser der von Simplicius zur Physik benutzten Κηρία, auch den Byzantiner Leontius (aus dem 7. jahrhundert). aber das alles ist nichts eigentlich grammatisch kritisches, und das mythographische ist vollends viel älter. auch hat sich eine vita Arats gerettet, welche in die beste zeit der nachtheonischen grammatik gehört: Apollonides ist der jüngste name darin143)Allerdings ist es unwahrscheinlich, daſs dies Apollonides von Nikaia, der zeitgenosse des Tiberius ist. er heiſst in der Aratvita Κηφεύς, und Bentleys änderung Νιϰαεύς ist gewaltsam. Κηφεύς ist ein eben so guter diakritischer name wie ᾽Ιξίων Θρᾷξ Πινδαρίων: deutet dann aber auf zwei grammatiker mit namen ᾽Απολλωνίδης. auſserdem erklärt dieser Apollonides die briefe des Arat und Euripides für gefälscht von Sabidius Pollio: weder ist wahrscheinlich, daſs ein Römer in so früher zeit griechische werke gefälscht hat, noch sehen die dummen Euripidesbriefe nach der zeit des Augustus aus.. man darf wol vermuten, daſs dazu ein ähnlicher commentar ge - hörte wie die zu Apollonios und Nikander144)Ähnlich wie den Aratscholien ist es denen zu Hesiodos gegangen, was sehr zu bedauern ist, da die kritik in diesem dichter mit wertvollem materiale operirt und andauernd und energisch gearbeitet zu haben scheint. leider fehlt noch jede irgendwie brauchbare ausgabe des erhaltenen, und ist dies so dürftig, daſs nicht einmal Tzetzes fortgeworfen werden kann. die epochen der Hesiodkritik sind zuerst dieselben wie die der Homerkritik. sie beginnt mit dem 3. jahrhundert; Zenodotos Apollonios Praxiphanes befassen sich mit ihr. dann folgen die maſsgebenden aus - gaben des Aristophanes (der auch in der abgrenzung des echten nachlasses sehr energisch vorgeht, obwol eine allgemeine beschränkung des alten namens auf ein par werke hier nicht möglich war, wie 200 jahre früher für Homer) und Aristarchos. dessen kritische zeichen erläutert auch hier Aristonikos. Didymos tritt minder hervor als Seleukos, und dann Epaphroditos, dessen commentar zur Aspis noch im Et. Gud. benutzt ist. er hat es wol bewirkt, daſs dieses gedicht mit unter die πραττόμενα (schol. Nikand. Th. 11)[aufgenommen] ward. dann ist eine ausgabe der drei gemacht, deren commentar man sich ähnlich den scholien BT zu Homer denken mag, in welchen ja auch auszüge aus Aristonikos wie hier enthalten sind. existirt hat die auswahl schon im 3. und 4. jahrhundert, wie das titelblatt eines solchen buches lehrt (Sitz. Ber. Berl. 1887, 808), welches natürlich die reihenfolge Θεογονία Ἔργα Ἀσπίς zeigt, die unbegreiflicherweise von den modernen öfters verlassen wird. ob schon in dieser ausgabe der commentar Plutarchs zu den Erga benutzt war, oder später[hinzutrat], ist fraglich, doch wol nach analogie der Nikanderscholien wahr - scheinlicher. später ist dann der des Proklus zur Theogonie hinzugetreten, wie die neuplatonischen auszüge zu den Platonscholien, z. b. des Gorgias, und sind die para - phrasen gemacht. wir haben nur jämmerliche reste. entsprechend ist der text traurig verwüstet, und nicht nur alte citate, wie selbst im Homer, sondern die zum glück umfänglicheren reste antiker handschriften helfen hier wirklich etwas. aber man schaudert, wenn z. b. hinter Ἔργα 174 vier verse spurlos in unseren handschriften verschwunden sind (Naville, Rev. de Phil. 1888, 113).. für Lykophron ist zwischen192Geschichte des tragikertextes.Theon und Niketes gar kein bearbeiter zu nennen, und die geschichte seiner erklärung erscheint uns als eine fortgesetzte verdünnung von der groſsen gelehrsamkeit, welche die älteren excerpte ahnen lassen145)Auſser den Römern, die aus Theon schöpfen, steht manches bei Stephanus, im Et. M. und in den scholien zu Dionysios periegetes, die eine ausgabe und analyse verdienen, zumal jetzt der schluſs (von 900 etwa) verdünnt und durch zusätze (Plu - tarch de fluviis z. b., wovor sich zu hüten) verdorben ist. Lykophronscholien stecken z. b. 259, 270, 306, 358, 483. auch Apollonios - und Kallimachosscholien sind viel benutzt. die scholien scheinen aus dem 4. oder 5. jahrhundert zu sein., bis auf die jetzige bettelhafte[dürftigkeit]. aber aus dieser allein ist es auch erklärlich, daſs wir von keinen späteren grammatikern hören, und allein die paraphrasen beweisen schon das eingreifen von mehreren: unmög - lich darf Theon mit den erhaltenen behelligt werden145 a)Wirklich erscheint in der älteren überlieferung des Et. M. ᾽Αμαντίς ein Σεξτίων ἐν ὑπομνήματι Λυϰόφρονος. gefällige mitteilung von Reitzenstein..
Was ist nun das resultat dieser ungünstigeren erhaltung für den text? kein ungünstiges. niemand kann bestreiten, daſs beide dichter im ganzen sehr gut erhalten sind, und auch hier treten die citate viel öfter be - stätigend als berichtigend ein. und so ist es ja überhaupt: der blick muſs nur nicht auf ein einzelnes object sich verbohren, sondern muſs die fülle der erscheinungen übersehen, man muſs nur die texte vieler schrift - steller wirklich geprüft haben, dann wird man fest und sicher in der kritik und läſst sich von dem unwissenschaftlichen meinen und besserwissen nicht beirren. dichter und scholien haben dieselbe überlieferung seit dem altertum, und die jahrhunderte der Byzantinerzeit, 6 — 12, haben viel verloren, aber wenig verdorben. dichter, welche aus der gelehrten tradition des altertumes den schutz der grammatik überkommen hatten, und welche zum teil weiter mit einer gewissen gelehrsamkeit behandelt wurden, sind in dieser zeit nicht wesentlich entstellt. da ist keine erscheinung, wie sie die überlieferung der epigramme in den anthologien bietet und mehrere pseudotheokritische gedichte: die lasen und variirten die versifexe, die es immer gab. da ist keine so schauerliche verderbnis, wie sie gelegentlich abgeschriebene stücke, z. b. das carmen de herbis betroffen hat, oder innerhalb technischer schriften erhaltene, wie die von Galen geretteten medicinischen poeme, oder selbst ganz technische wie die Manethoniana. der zustand der älteren, classischen litteraturwerke, den wir vorfinden, hängt wesentlich davon ab, wie sie in die Byzantiner - zeit herüber gerettet sind. ein glänzender beleg ist die erhaltene hymnen - sammlung, welche die Kallimacheischen mit einem ganz jämmerlichen193Scholien zu den Alexandrinern. Byzantinische correctoren.reste von scholien145 b)Die übereinstimmung dieser scholien mit Et. M. und Hesych kann ein urteilsfähiger natürlich nur so auffassen, daſs Et. M. aus den ehemals vollständigeren scholien schöpft, Diogenian dieselben worterklärungen noch älterer glossographie oder exegese entnimmt. benutzt sind diese scholien auch von dem Dionysiosscho - liasten. was freilich in dem archetypos der hymnen erhalten war, ist an sich für uns fast ganz wertlos., aber so gut wie ganz rein enthält, und daneben die homerischen zum teil, wie den Aphroditehymnus, fast rein, zum teil, wie den Apollonhymnus, bis zum chaos entstellt: niemand kann das anders auffassen, als daſs der unterschied der erhaltung vorhanden war, als die sammlung angelegt ward, von welcher wir uns aus renaissanceabschriften eine handschrift des 12. jahrhunderts etwa reconstruiren. wenn also der Apollonios in derselben handschrift vorzüglich erhalten ist, welche den Aischylos so arg verstümmelt enthält, so ist sicher, daſs der schreiber an dieser entstellung unschuldig ist.
Das schelten auf die byzantinischen textverderber ist also in derByzanti - nische cor - rectoren. hauptsache unberechtigt. sobald wir nur handschriften des 10. 11. auch noch 12. jahrhunderts besitzen, wie den Laurentianus der beiden älteren tragiker und des Apollonios, den Ravennas und Venetus des Aristophanes, den Venetus des Aratos und Lykophron und eine ganze anzahl maſs - gebender handschriften der classischen prosaiker, so müssen auch die widerwilligsten zugestehen, daſs die schreiber dieser handschriften ihre auf - gabe gewissenhaft erfüllt haben und gegeben was sie hatten. und wenn wir die tätigkeit des 9. und 10. jahrhunderts hinzunehmen, die wir sonst kennen, den sammelfleiſs des Photius und selbst des Suidas, die encyclo - paedie des Constantinus Porphyrogennetus, die fürsorge des Arethas für die herstellung kostbarster und sauberster abschriften, so gibt das eben - falls ein günstiges bild. ganz anders sieht es freilich aus, wenn wir die Byzantiner der jahrhunderte 13 — 16 beobachten. wer von ihnen die er - haltung der texte durch bescheidene weitergabe des überkommenen er - wartet, wer überlieferung bei ihnen sucht, der findet sich freilich schwer getäuscht. in unzähligen fällen hat die philologie den gröſsten fortschritt dadurch gemacht, daſs sie texte, welche in diesen letzten zeiten festge - stellt waren und zunächst das feld behaupteten, zu gunsten älterer hand - schriften gänzlich beseitigte, und immer mehr verschwinden die kecken änderungen jener Byzantiner letzter zeit selbst aus dem kritischen apparate. es ist begreiflich, daſs man auf die frechen interpolatoren gescholten hat, die ihre sache doch so geschickt gemacht hatten, daſs sie die sprach - kundigsten und geistreichsten modernen kritiker nasführten. indessenv. Wilamowitz I. 13194Geschichte des tragikertextes.muſs das urteil auch hier ein gerechteres werden, indem es die richtige geschichtliche betrachtung findet. diese Byzantiner sind eigentlich gar nicht als schreiber, sondern als emendatoren aufzufassen, sie sind nicht die collegen der braven stupiden mönche, die treufleiſsig nachmalten, was sie nicht nur nicht verstanden, sondern auch nicht zu verstehen meinten, sondern sie sind unsere collegen. an ihren zeit - und sinnesgenossen in Italien müssen sie gemessen werden. es war doch eine art fortschritt, ein regen modern philologischen sinnes, wenn die Planudes Moschopulos Triklinios lesbare texte herstellten, so gut sie konnten; sie stehn nur in einer übergangszeit, die Musurus Kallierges Arsenius Marullus Portus sind ihre unmittelbaren nachfolger: die Griechen hatten auch teil an dem rinascimento, der zusammenbruch ihres reiches durch die Türken hat die entsprechende entwickelung nur gestört. nun wird man ja auch geneigt sein, den benannten persönlichkeiten diese schätzung zuzugestehn; aber ein schreiber, wie der des Florentiner Lysias, des Modeneser Xeno - phon, des Münchener Polyaean, steht doch deswegen nicht anders da, weil er anonym ist. und die correctoren mancher handschriften, auch von den tragikern, verdienen eine gleiche schätzung. ihr scharfsinn ist gar nicht gering, sie haben so manchen vers für immer geheilt, und noch viel öfter das auge von jahrhunderten geblendet. namentlich Demetrios Triklinios ist in wahrheit eher als der erste moderne tragikerkritiker zu führen denn als ein unzuverlässiger vertreter der überlieferung. es war schon nichts geringes, daſs er sich die sämmtlichen gedichte Pindars, die sämmtlichen tragödien des Aischylos und Sophokles, deren er habhaft werden konnte, vornahm und durchemendirte. er besaſs aber auch gar nicht geringe metrische kenntnisse, die er nicht den lehrbüchern sondern der beobachtung entnahm und so gut er konnte an den texten durch - führte, und vor allem, er hat erfolg gehabt. auſser den drei genannten dichtern hat auch seine recension der ersten drei euripideischen tragö - dien146)Es ist die von King vorgeholte und nach ihm benannte recension. hinzu kommen die scholien zur Hekabe. Triklinios hatte keine guten handschriften; sein Aischylos war ein bruder des Venetus 616, sein Pindar ein nachkomme des Flor. D. Hillers ‘beiträge zur textgeschichte der Bukoliker’ haben auch seine Bukolikerhand - schrift kennen gelehrt. auch hier hat er sich bemüht, so viel wie möglich zu sammeln. gutes und böses hat er selbst wenig getan. sehr stark bis in die jüngste zeit gewirkt, und eine gar nicht geringe anzahl von emendationen sind ihm wirklich gelungen. vor sehr vielen modernen, die viel genannt worden sind, sich noch sehr viel anmaſs - licher geberdet haben und nicht die entschuldigungen für ihre misgriffe195Byzantinische correctoren. auswahl der tragödien.haben wie er, vor Hartung z. b., also einem hervorragend gescheidten und kenntnisreichen manne, dürfte er dreist den vorrang beanspruchen. aber allerdings, es wäre schrecklich und nicht viel anderes als ein ver - zicht auf die endliche erreichung eines zuverlässigen textes, wenn wir die dichter auf Triklinios als grundlage aufbauen müſsten, und es wäre nicht minder schrecklich, wenn man fürchten müſste, daſs der Sophoklestext, wie ihn der Laurentianus bietet, durch die hände von leuten wie Triklinios gegangen wäre. dann müſste, wer nicht spielen will, die tragikerkritik lieber ganz aufgeben. zum glück wird eine solche annahme durch die vergleichende betrachtung der textgeschichte ähnlich überlieferter werke widerlegt: um die richtige schätzung unserer überlieferung, so weit allge - meine erwägungen es vermögen, zu gewinnen, ist diese abschweifung gemacht. mit besserer einsicht dürfen wir nun zu dem punkte zurück - kehren, wo wir die tragiker verlassen haben, zum zweiten jahrhundert.
Ein mann ist es gewesen, der damals für den unterricht eine aus -Auswahl der tragödien. wahl von tragödien der drei tragiker veranstaltet hat, welche sich nicht nur allgemein eingebürgert hat, sondern den verlust erst der übrigen tragiker, dann der nicht gewählten dramen, endlich der letztgestellten unter diesen bewirkt hat. daſs ein und derselbe die auswahl für alle drei tragiker besorgt hat, zeigt sich darin, daſs Sieben, Oidipus und Phoenissen, Orestie, Elektra und Orestes offenbar bestimmt waren neben einander gelesen zu werden. die rücksicht für die schule hat bewirkt, daſs die aischyleische reihe mit dem Prometheus anhebt, einer tragödie, die so viel leichter ist als ihre schwestern, wie der Plutos im verhältnis zu den andern komödien. auch die Perser eignen sich zur einführung, und Aias und Hekabe setzen die Homerlecture stofflich fort; sie sind auch besonders leicht verständlich. die reihenfolge ist urkundlich nur für die Euripi - deischen dramen bekannt147)In den randnotizen des Laur. 32, 2 (C), über welche unten. wir würden dieselbe reihenfolge erschlieſsen, nur Andromache und Alkestis umstellen: das liegt aber nur daran, daſs Alkestis zufällig im Marcianus nicht mehr erhalten ist., Hekabe Orestes Phoenissen Hippolytos Medeia Alkestis Andromache Rhesos Troerinnen Bakchen. für Aischylos ist die folge so gut wie sicher Prometheus Sieben Perser Orestie Hiketiden148)Daſs die Hiketiden hinter die Orestie gehören folgt erstens daraus, daſs sie nur im Laur. erhalten sind, zweitens scheint Tzetzes sie allein von den 7 stücken nicht besessen zu haben, drittens sind ihre scholien am dürftigsten, viertens war der archetypus auf einzelnen blättern (825 — 900) ganz besonders zerstört. Eustathius scheint sie gehabt zu haben, wenn er v. 885 zu α 347 anführt. es ist aber unsicher, da es eine andere lesart und erklärung gibt als der Mediceus und seine scholien. ein anderes citat aus den Hiketiden ist mir bei Eust. nicht begegnet.:13*196Geschichte des tragikertextes.es ist also glaublich, daſs die andern dramen der Danais folgten, so daſs die aufnahme des ersten stückes nicht mehr befremden kann. für Sophokles kann man sicher nur die drei ersten tragödien nennen, Aias Elektra Oidipus Tyrannos; die weitere folge Antigone Oidipus auf Kolonos Trachinierinnen Philoktet kann aber für wahrscheinlich gelten149)Dies die ordnung im Paris. 2712: die reihenfolge der thebanischen fabeln scheint ursprünglich und wird durch die hypothesen des Sallustius bestätigt. auch sind die scholien zum Philoktetes in der tat die spärlichsten.. die erhaltenen hand - schriften haben aber für die ordnung keine gewähr. es gelingt auch durchaus nicht, irgend eins der folgenden dramen aufzufinden, obwol Euripides und Aristophanes beweisen, daſs die reihe einst weitergieng; auch bei jenen ist die beschränkung auf sieben dramen, entweder noch in den handschriften nachweisbar, oder zeigt sich doch stark in dem zustande von text und scholien. die beschränkung auf je drei gehört erst der letzten Byzantinerzeit an, welche für die überlieferung nicht mehr in betracht kommt.
Daſs die schulausgabe scholien hatte, liegt in ihrer natur. aber die erhaltenen sind nicht wie die aristophanischen für einen einheitlichen commentar beweisend, denn rückweisungen wie dort gibt es eigentlich gar nicht150)Es ist eigentlich nur Phoen. 1707 zu nennen, περὶ τοῦ ἐν τῷ ἱππείῳ (l. ἱππίῳ) Κολωνᾷ τεϑάφϑαι τὸν Οἰδίπουν ἐν ἄλλοις ἐξειργάσμεϑα ἀϰριβῶς; was man kaum auf etwas anderes als scholien zu dem sophokleischen drama beziehen kann. in den aus der rhetorenschule stammenden scholien zu den rednern, Thuky - dides, Aristides ist eine solche verweisung auf die im cursus vorhergehende lecture gewöhnlich. die form des ausdrucks ἐν Ἰφιγενείᾳ τῇ ἐν Ταύροις εἴρηται (Androm. 1262), ἐν ῾Ηραϰλεῖ ϰαὶ Ἰξίονι δέδειϰται (Or. 73) darf nicht irren: tatsächlich findet sich das angeführte IT. 436, Her. 1160, 1233.. auch ist der zustand der erhaltung zu verschieden, und man kann nur die euripideischen etwa für den herausgeber in anspruch nehmen, weil sie einerseits reich genug sind, um überhaupt solche schlüsse zu ge - statten, andererseits alle späteren schriftsteller so ganz vereinzelt in ihnen citirt werden, daſs sie ohne zweifel über das dritte jahrhundert zurück - reichen151)Solche citate finden sich gerade zu den späteren stücken der sieben, Med. 613 Helladios chrestomathie, Med. 1027 Phrynichos, Andr. 229 Lykophron (in dieser sphaere der gelehrsamkeit ein zeichen später herkunft der bemerkung), Andr. 687 Ps. Apollodor, Alk. 1128 Plutarch μελέται ῾Ομηριϰαί, Hipp. 409 Herodian, aber in einer specialschrift; auſserdem nur eine accentregel des Theodosios Or. 1525. für spät muſs auch das citat aus Apollonios Rhodios Or. 225 gelten, da dieser in alter glosso - graphie nicht benutzt wird: in dem mythographischen scholion Med. 334 ist das etwas anderes. die Sophoklesscholien haben auch nur ein Herodiancitat, auch das mit buchtitel, OK 195. mit einem excerpt aus Ps. Apollodor und den bekannten versen. doch gilt das ja nur für den gelehrten kern, nicht für die197Auswahl der tragödien. Sallustius.paraphrasen, und aus den obigen genaueren ausführungen über die scholien zu einzelnen dramen ist ersichtlich, daſs die gleichartig erhaltenen scholien ganz verschieden aussehen, je nach dem materiale, das dem compilator zur verfügung stand, dem wir sie verdanken. ob das aber einer für alle dramen war, oder so und so viele, läſst sich nicht aus - machen: compilatoren haben keine individualität.
Metrische scholien sind nur zum Aischylos ein par erhalten, wert - voll, obwol sicherlich nicht älter als heliodorisch152)Ein im übrigen verschollener grammatiker Eugenios (um 500) hat nach Suidas eine Kolometrie ἀπὸ δραμάτων ιέ zu den drei tragikern verfaſst. ob er von jedem 5 nahm oder wie er sonst verteilte, läſst sich nicht sagen: je 15 konnte er nicht mehr kennen und einfluſs hat er nicht gewonnen.. kolometrie ist vor - handen, aber man setzte ja die verse seit Aristophanes allgemein ab. offenbar hat der grammatiker, der die auswahl machte, die metrik ganz wie Symmachos unberücksichtigt gelassen.
Den namen dieses mannes kennen wir nicht. es kann aber scheinen, als gäbe es bewerber um die ehre. die scholien selbst nennen noch ὑπομνήματα von Irenaeus153)Med. 218. Pius154)Aias 408. die zeit des Pius, eines ziemlich törichten lytikers, scheint sich nicht sicher bestimmen zu lassen. vgl. Schrader Porphyr. 434. und einem Alexander155)Et. M. ἁρμάτειον aus dem vollständigeren scholion zu Or. 1384. citirt wird neben Palamedes auch Δίδυμος ϰαὶ Ἀλέξανδρος. auf den von Kotyaion hat Lehrs qu. ep. 13 geraten. es ist aber ganz unsicher; eben so gut kann es ein obscurer älterer sein, den Didymos citirte. den man nicht genauer bestimmen kann. später entstehen überhaupt keine ὑπο - μνήματα zu den tragikern mehr. nun besitzen wir aber zu Sophokles Oid. Kol. und Antigone hypothesen von einem gewissen Sallustius, undSallustius. die gleichartigkeit des tons weist ihm die des Aias und die διὰ τί151)πρῶτα μὲν ἐν Νεμέῃ, in Byzanz geläufigen dingen, hat wol der schreiber des Laur. erst den mangel einer hypothesis der Trachinierinnen ersetzt. von den zwei stellen aus Apollonios (El. 445, 745) ist wenigstens die erste späterer zusatz, ebenso wie die töricht citirte aus der Demonicea Tr. 118. aber wie wenig citate bleiben in diesen scholien übrig, wenn man das alte hypomnema zum OK und die mythographischen excerpte abzieht? das gilt noch dreimal so stark von den Aischylosscholien, wo zufälligerweise Herodian auch nur einmal vorkommt (Eum. 189). die für späte zeit beweisenden namen Strabon Dionysios periegetes Apollonios Rhodios sind alle von einem spätling für geographisches zum Prometheus beigeschrieben. das excerpt aus der μουσιϰὴ ἱστορία vor dem Prometheus ist ersichtlich von demselben beigefügt; wenigstens die epitome des Rufus hat sich lange erhalten. die benutzung der Sym - machosausgabe des Aristophanes liegt nirgend erweislich vor: die der Epinikien des Pindar überall.198Geschichte des tragikertextes.τύραννος ἐπιγράφεται überschriebene zum Oid. Tyr. zu156)Über die berechtigung des titels wird zu Ant. OT. Ai. gehandelt, über die mythographie zu Ant. Ai. die geschwätzigkeit ist die gleiche: der stoff natürlich älteren ὑποϑέσεις entlehnt.. wer so schreibt τὰ πραχϑέντα περὶ τὸν Οἰδίποδα ἴσμεν ἅπαντα τὰ ἐν τῷ ἑτέρῳ Οἰδίποδι hat auch das stück vorher erklärt. der mann ist redselig und umschreibt die ältere mythographische und didaskalische gelehrsamkeit, die er auch fast ganz verdrängt hat. es fragt sich, wer er war. der Laurentianus gibt scheinbar eine sichere antwort, er nennt ihn Πυϑαγόρειος157)Σαλλουστίου ὑπόϑεσις Πυϑαγόρου steht vor dem OK. ; aber abgekürzt, und ist so zu verstehen. wer weiſs, daſs es einen Pythagoreer Sallust gegeben hat, wird es nicht wegconjiciren., meint also den verfasser der schrift περὶ ϑεῶν ϰαὶ ϰόσμου, der ein anhänger des Iamblichos ist und wol sicher dem ausgehenden 4. jahrhundert angehört. ob er freilich der Sallustius ist, der dem Iulian als gouverneur von Constantius gesetzt war, aber sein freund ward und nach dem thronwechsel hohe ehrenstellen erstieg, ist mehr als fraglich158)So Zeller V 734, der andere gleichsetzungen mit recht abweist. aber Iulian weiſs selbst in der überschwänglichen achten rede, die er als junger mann dem ab - berufenen genossen widmet (p. 252b) ihn nur zu rühmen als ῥητορείαν ἄϰρον ϰαὶ φιλοσοφίας οὐϰ ἄπειρον. und als er ihm die vierte rede, wie er selbst sagt (150 d), ein excerpt aus Iamblichos περὶ ϑεῶν, zuschickt, nimmt er an, daſs Sallustius jenes werk nicht kennt (157 b) und, sollte man meinen, nicht lesen wird: wozu widmet er ihm sonst die epitome? Sallustius war wol überhaupt kein Grieche; verwaltet hat er Gallien: der praef. praetorio unter Iulian ist ein anderer.. diesem würde man anstehn eine gramma - tische arbeit zuzuschreiben: ein philosoph, zumal ein wesentlich fremde lehre popularisirender, wie der verfasser jenes traktates, kann immerhin auch so etwas gemacht haben, wie die hypothesen vermuten lassen. es hat aber allerdings auch einen sophisten Sallustius gegeben, der gram - matisches geschrieben hat159)Suid. Σ. σοφιστής, ἔγραψεν εἰς Δημοσϑένην ϰαὶ ῾Ηρόδοτον ὑπόμνημα ϰαὶ ἄλλα. auf ihn möchte man nur das gleich zu nennende Aristophanesscholion beziehen., und ein par mal wird ein Sallustius für grammatisches angeführt, das man nicht leicht einem sophisten zutraut, von den hypothesen zu Sophokles aber nicht wird trennen wollen160)Schol. Ar. Plut. 725 in jenem antiquarischen scholion, das auch Telephos enthält, oben anm. 111. Et. M. ἁρπίς mit einem Kallimachosvers aus der Hekale. ver - gessen wollen wir nicht, daſs Kallimachos in den Sophoklesscholien durchgehends und oft angeführt wird. Steph. Byz. ῎Αζιλις über die schreibung dieses namens ist zweifelhaft.. so bleiben unklarheiten. indeſs ist dem zeugnis des Laurentianus der199Sallustius. Dionysios.glaube nicht wol zu versagen: denn das buch περὶ ϑεῶν war keines - weges sehr bekannt und ergibt eine bezeichnung Πυϑαγόρειος auch nicht unmittelbar, so daſs eine falsche vermutung über die person des genannten autors wenig wahrscheinlich ist. dann ist aber die tätigkeit des Sallust nur die eines überarbeiters, der die auswahl der dramen schon vorfand und den besten teil der scholien auch.
Auch für die Euripidesscholien findet sich ein bewerber. zum OrestesDionysios. findet sich in den wesentlichen handschriften übereinstimmend die sub - scription πρὸς διάφορα ἀντίγραφα παραγέγραπται ἐϰ τοῦ Διονυσίου ὑπομνήματος ὁλοσχερῶς ϰαὶ τῶν μιϰτῶν, und die einzige derselben, welche auch die Medeia enthält, notirt zu dieser πρὸς διάφορα ἀντί - γραφα, Διονυσίου ὁλοσχερὲς ϰαί τινα τῶν Διδύμου161)Späte-handschriften haben die subscription des Orestes auch, und so eine abschrift des Laurentianus 32, 2 (Kirchhoff Eur. I p. 417. 472): aber keinesweges dieser selbst.. die belehrung ist sehr wertvoll. zunächst erklärt sie, wie es zugeht, daſs zu so vielen stellen dieselbe handschrift dasselbe scholion in verschiedenen brechungen enthält. der verfasser der subscription hat eine anzahl handschriften der - selben scholien neben einander benutzt, die von einander abweichen, wie etwa B und D im Pindar. übrigens zeigen unsere handschriften selbst, wie solche dittographeme in derselben handschrift entstehen, indem ein resumé des längeren scholions an oder über das wort gesetzt wird, zu dem es gehört. fast alle scholien, auch die sophokleischen und so ver - kümmerte wie die zu den Thesmophoriazusen, zeigen dieselbe erscheinung. randscholien und textscholien des Ven. A im Homer decken sich auch nicht selten inhaltlich. aber unsere Euripideshandschriften weichen so wenig von einander ab, daſs es nicht geraten ist, den verfasser der subscription sehr hoch über sie hinauf zu rücken. so nahe verwandte wie B, T und Laur. 32, 3 im Homer gehen viel weiter aus einander. also ist der verfasser der subscriptio ein mann vom schlage und ziemlich auch der zeit des Niketes von Serrha: aber wol kann er verschiedene handschriften benutzt haben, welche die subscription trugen παράϰειται ἐϰ τῶν Διονυσίου ὁλοσχερὲς ϰαί τινα τῶν Διδύμου. und fraglich bleibt es, ob die subscriptio auch für andere stücke gelten soll. was die mischung angeht, so ist Dionysios beidemal genannt und vollständig aufgenommen: der zusatz heiſst zum Orestes μιϰτά, zur Medeia Didymos, und wirklich findet sich dieser zur Medeia öfter genannt, und anderes haben wir ihm oben zuschreiben können (anm. 71), zum Orestes kommt jetzt sein name nicht mehr vor, tat es zwar früher (oben anm. 83), aber der charakter der scholien weicht dort ab. 200Geschichte des tragikertextes.sollen wir nun also vielleicht sagen, daſs wir z. b. zur Hekabe nur Didymos oder die μιϰτά, zum Hippolytos etwa nur Dionysios besitzen? mit andern worten, sollen wir glauben, daſs es etwa im 10. jahrhundert handschriften gab mit einem commentar eines Dionysios, andere mit scholien ver - schiedener verfasser, andere mit denen des Didymos? das ist verführerisch, und es ist allerdings peinlich, daſs man nicht ganz scharf ja oder nein sagen kann. warum hieſs der mann auch gerade Dionysios, so daſs man nicht wissen kann, ob er christ oder heide, ein würdiger forscher oder ein indifferenter abschreiber war. indessen irgend wie muſs man zu ihm stellung nehmen. und man darf wol folgender erwägung trauen. Diony - sios war ὁλοσχερῶς benutzt, also galt seine arbeit auch wol dem ganzen stücke. das tut aber nur die von vers zu vers fortschreitende trivial - erklärung, die nahe an die paraphrase heranstreift. die subscriptio unter - scheidet zwei bestandteile: zwei bestandteile zeigen die scholien, einzelne gelehrte notizen und trivialerklärung. also mag das combinirt werden, und das triviale dem Dionysios zufallen. darum kann er immer noch der urheber der auswahl sein; kann aber auch viel später sein wesen getrieben haben, denn gerade diese trivialitäten wechseln am meisten ihre form. aber bestanden hat eine solche triviale und zwar mit unseren scholien sich vielfach deckende paraphrase zu den 10 Euripidesstücken schon im 5. jahrhundert, als das Cyrillglossar entstand, aus welchem diese an sich wertlosen, nur für die existenz des gleichlautenden textes zeugnis ablegenden notizen in den Hesych gekommen sind, wo sie jetzt je nach dem belieben des herausgebers teils in teils unter dem texte stehen162)Vgl. Reitzenstein Rh. M. 1888. es kann jetzt niemand über diese dinge mit entschiedenheit reden, ehe nicht die neuen funde veröffentlicht und gründlich geprüft sind. doch glaube ich, bis ich überführt werde, nicht daran, daſs scholien zu anderen als den 10 stücken benutzt sind. in den alten lexicis, z. b. Diogenian, kamen natürlich glossen aus allen vor. da die Homerglossen aus den s. g. Didymos - scholien genommen sind, welche selbständig damals schon bestanden und einer ganzen paraphrase des textes entstammen, so kann man sich sehr wol einen analogen Euripidestext denken..
Peinlich genug ist es, daſs sich das fortleben und selbst die ursprüng - liche gestalt der ausgabe, welche die auswahl begründete, so wenig klar beschreiben läſst. noch peinlicher, daſs über die zeit, wo sie hervortrat, mit starker reserve geredet werden muſs, und am peinlichsten empfindet es der, der jahre lang in der hoffnung herumgesucht hat, durchschlagende zeugnisse zu finden. indessen das wesentliche bleibt ungeschmälert, wenn auch der zeit ein weiter spielraum bleiben muſs. im zweiten jahrhundert201Benutzung der auswahl.gibt es noch leute, wie Aristides und Lukian, denen, auch wenn sie kein herz mehr dafür haben, eine weitere eigene kenntnis von tragödien zuge - traut werden kann; unter Severus hat Philostrat der ältere163)Der jüngere dagegen behilft sich mit Pindar Nem. 1 (εἰϰ. 5), Apollonios Rhodios (7. 8. 11 ), Philoktet und Trachinierinnen des Sophokles (6. 16. 17 vgl. auch das citat 1), citirt Oid. Kol. (3). für das übrige bedarf man nirgends einer dramatischen vorlage: man darf ja nicht vergessen, daſs die mythographische litteratur sehr stark für den bedarf der sophisten zugerichtet und erweislich viel benutzt ist. die μυϑιϰαὶ διηγίσεις der sophisten verlangen dringend eine ausgabe und bearbeitung. Neoptolemos unter den schäfern verborgen, damit Phoinix ihn nicht nach Troia abhole, zufällig mit diesem zusammentreffend und an der ähnlichkeit mit seinem vater erkannt (Philostr. I b), ist ein hübsches motiv, deutlich nach Achilleus in Skyros erfunden. die abholung des Neoptolemos durch Phoinix war inhalt der sophokleischen Skyrier (Robert, Bild und Lied 34), aber dieses raffinirte motiv wird man auf Sophokles kaum zurückführen, da ja die sage von Achilleus auf Skyros selbst erst durch Polygnot und des Euripides Skyrier aufgekommen war. und für die directe benutzung der sophokleischen tragödie durch den sophisten spricht vollends gar nichts. für seine bilder wenigstens von Sophokles und Euripides eine reihe dramen benutzt, aber von keinem späteren ist es nachweisbar, daſs er eines gelesen hätte, das nicht unter den oben aufgezählten enthalten wäre. nun würde eine einzelne gegeninstanz ja noch wenig besagen, denn natürlich blieben die handschriften in den bibliotheken liegen, bis äuſsere unbill oder die bloſse vernachlässigung sie zerstörte, und wenn Simplicius tragödien ge - braucht hätte, so würde er mancherlei so gewiſs gefunden haben, wie er zu unserer überraschung alte philosophen fand. auf diesem wege haben sich ja wirklich auch noch dramen und dramenbruchstücke des Euripides auf uns gerettet. an dem allgemeinen verschollensein der alten philo - sophen ändert jedoch Simplicius nichts, und so würde ein weiſser rabe die allgemeine gleichgiltigkeit der letzten jahrhunderte, die man zur antike rechnet, gegen die tragödie nicht in frage stellen. aber mir ist keiner begegnet. ja ich vermisse vielmehr die fülle der belege, die ich wünschte, um die bekanntschaft wenigstens der auswahl zu beweisen. und erschwert wird der nachweis noch dadurch daſs unter den ersten euripideischen stücken sich Orestes und Phoenissen befinden, die seit ihrer ersten auf - führung unausgesetzt besonderen beifall gefunden haben, also auch ohne den einfluſs ihrer stellung in der auswahl immer besonders häufig citirt worden sind. so dürfen einzelne beobachtungen nicht dazu verlocken, die anlage der auswahl sehr früh anzusetzen164)Wenn z. b. der sophist Cassius Maximus von Tyros von Aristophanes nur Frösche und Wolken, von Euripides Phoenissen, von Aischylos zwar den Philoktet, aber aus einem älteren philosophen, den auch Plutarch benutzt (vgl. fgm. 250) citirt,. für unmöglich kann man202Geschichte des tragikertextes.gleichwol auch das nicht erklären, daſs sie etwa zu Plutarchs zeiten gemacht, aber erst ein jahrhundert später allgemein durchgedrungen wäre.
Sei dem wie ihm wolle, und bleibe auch das fortleben der samm - lung in seinen einzelnen phasen unklar: so viel ist dem spiele der pro - babilitäten entrückt: in den abschlieſsenden zeiten der antiken grammatik ist eine auswahl gemacht, und diese auswahl besitzen wir. es ist also kein zufall, der uns eine handschrift oder die andere erhalten hat, in der gerade die oder die dramen standen; noch ist etwa zu irgend einer zeit zufällig eine handschrift erhalten gewesen, die dann copirt wurde und die dramen auf uns brachte; sondern eine feste tradition und ein nie ganz unterbrochener gelehrter betrieb hat uns diese dramen erhalten: es ist zwar ein besonderes glück, daſs wir die sieben aischyleischen noch alle haben, denn diese waren zum teil auſser gebrauch gekommen, es164)so beweist das nichts. auch von Pindar und Stesichoros citirt er nur was im Platon steht, Sappho hat er allerdings gelesen. — darauf daſs in den resten des rhetors Alexander Numenius nur Soph. El., Eur. Hek. Or. Med. vorkommen, möchte ich nichts geben. — Tatian, sophist von fach, hat von Orestes eine unklare erinnerung, wie sie aus eigner lecture bleibt (10); wenn er aber die im Alkmeon auftretende Erinys nennt (worte von ihr sind fgm. 1011 lateinisch erhalten), so entlehnt er das mit der folgenden gelehrsamkeit seinen kynischen quellen. — die atticisten scheinen zwar die commentirten dramen zu bevorzugen, aber es ist längst nicht so sicher wie für Aristophanes: die citate sind überall zu selten. — daſs der kaiser Iulian von Aristophanes Plutos Ritter Acharner, von Euripides Orestes Phoenissen Bakchen selbst gelesen hat, weiter nichts von tragödie und alter komödie aus eigner lecture zu stammen braucht oder nachweislich stammt, ist freilich deutlich: aber ein sicherer beleg des 4. jahrhunderts hilft wenig. er kennt Anakreon Sappho Simonides, das zeigen seine werke, und daſs er Bakchylides las, bezeugt Ammian 25, 4, 3: auch Pindar kennt er, aber nur die epinikien (denn ep. 19 geht auf Isthm. 2). von den andern wird es natürlich analoge auswahlen gegeben haben, d. h. einzelne bücher der alten ausgaben. so etwas hat gleichzeitig Himerius besessen; und einzelnes hat sich noch viel länger erhalten. wie die citate von commentaren bei Orion und die erhaltenen fetzen von büchern der Sappho und einem der keischen dichter beweisen (fgm. adesp. 85: von Pindar ist es nicht, denn dessen pythische epinikien haben wir). für Choricius bestätigt J. Malchin (de Chor. Gaz. vet. scr. studiis Kiel 84) die erwartung. er hat Hek. Or. Phoen. Hipp. Med. Andr. Tro. die in der rede ὑπὲρ παντομίμων erhaltenen verse (Malchin s. 46 und 50) sind stark verdächtig, übrigens stammt das eine sicher aus einem florilegium. — für Gregor von Nazianz trägt Stoppel (qu. de Gr. Naz. poet. scaen. imit. Rostock 81) viel zusammen, was teils ganz nichtig ist, teils auf die benutzung der lexica weist, die bei Gregor sehr deutlich ist. sicher kennt er nur Eur. Hek. Or. Phoen. Med. Andr. Alk., wenn auch nur so viel. wenn der iambische brief an Seleukos vielmehr von Amphilochius ist, fällt z. b. Alk. fort. — solche untersuchungen müssen auch für die prosa noch in groſser zahl angestellt werden.203Benutzung der auswahl. der Sophoklestext.ist ein glück, daſs wir die über die siebenzahl hinaus erhaltenen von Euripides besitzen: aber wenigstens die drei ersten von Aischylos, die je sieben der beiden anderen hätten für uns gar nicht verloren gehen können, denn sie sind aus den händen des gelehrten publicums nie geschwunden. und die überlieferung hat immer in den händen der ge - lehrten gelegen, mochte die gelehrsamkeit absolut genommen groſs oder klein sein. der text, der zu grunde liegt, war auf grund der grammatischen arbeiten festgestellt und von scholien begleitet; beide sind zusammen fort - gepflanzt und trotz aller verkümmerung war die erklärung ein mächtiger schutz des textes: so finden wir sie vereinigt vor. es könnte sein, daſs wir über diese lange periode vom 2. bis 11. jahrhundert gar nichts wüſsten: immerhin würden wir über die beschaffenheit des textes ein praejudiz fällen, wie über den des Lykophron, und die schlimmsten verderbnisse jenseits der zeit, wo unser text constituirt ward, verlegen. so ärmlich steht es nun zwar nicht, aber es steht für die beiden älteren tragiker immerhin ärmlich genug.
Zwar den Sophokles besitzen wir wenigstens in einer durch eineDer Sophokles - text. reihe handschriften, darunter neben dem Laurentianus 32, 9 den sehr achtbaren Paris. 2712, gesicherten recension, und wie im Aristophanes treten auch hier die umfangreichen excerpte des Suidas ergänzend und bestätigend namentlich für die scholien hinzu: also wir nehmen wenigstens das 10. jahrhundert zum ausgangspunkt. aber der text ist von einer verblüffenden einheitlichkeit. diese ist es gewesen, welche den wahn erzeugt hat, daſs der Laurentianus die quelle aller anderen handschriften wäre, eine unglaubliche verkehrtheit, da ja niemand bestreiten konnte, daſs die scholien nicht aus ihm stammten. steht doch das γένος Σοφο - ϰλέους und die hypothesis zum Aias gar nicht in ihm, und die hypothesis der Elektra z. b. in gänzlich verwaschener form165)Jeder, der etwas von diesen dingen versteht, wird durch die vergleichung der beiden fassungen, wie sie Michaelis vor seiner Elektra gegeben hat, überzeugt werden. übrigens reicht auch als schiboleth der vers OT. 800 aus, der in L von später hand nachgetragen ist, in den anderen zum teil älteren handschriften steht: aus denen er also, nachdem er in allen gleichermaſsen interpolirt war, wieder in das original eingetragen worden sein müſste. noch unbegreiflicher ist es freilich, daſs jemand den vers für unecht erklärt, ohne an die abhängigkeit der übrigen von L zu glauben. aber eine schmach ist es, daſs, wie wir es jetzt sehen müssen, die scholien des Laur. als selbständiges buch auf den markt geworfen werden, gleich als ob die andern handschriften nur eine wertlose masse wären. der herausgeber, der seine ignoranz allerorten zeigt, hat dabei gar die ὑποϑέσεις vergessen. einigen nutzen gewährt dagegen für die Sophoklesscholien die dissertation von P. Jahr (de cod. schol. Soph. Berlin 85)., und einzelne er -204Geschichte des tragikertextes.gänzungen und verbesserungen sind aller orten aus andern handschriften zu holen. doch dieser irrtum darf wol als überwunden angesehen werden, und er hat nicht so sehr viel geschadet, da der text wirklich ein so sehr einheitlicher, und der Laurentianus die unvergleichlich beste handschrift ist. nur ist diese einheitlichkeit nicht minder unheimlich, wenn eine recension an die stelle einer handschrift tritt, und wie viel würde man darum geben, wenn die recensio so mühsam wäre, wie in den ersten dramen des Euripides oder auch nur im Aristophanes.
Aischylos ist es noch schlimmer gegangen, denn Hiketiden und Choephoren sind wirklich einzig im Mediceus (denn die philologen haben sich wirklich das vergnügen gemacht, dieselbe handschrift in den beiden tragikern verschieden zu bezeichnen) erhalten. Agamemnon ist in M, die Eumeniden sind in den anderen handschriften stark verstümmelt, so daſs für diese beiden schwer festzustellen und nicht sehr belangreich ist, ob sie nur durch M ursprünglich erhalten sind166)Erneute prüfung der Eumeniden hat mich zu der ansicht von G. Hermann und Ahrens zurückgebracht; doch gilt die selbständigkeit nur für den archetypus von Laur. 31, 8 und Ven. 616, von dem auch Triclinius abhängt, und wol auch Ven. 468, der nur den anfang des Agamemnon enthält. zuzugeben ist, daſs unbedingt durchschlagende stellen fehlen.. aber die drei ersten dramen ebenso zu beurteilen ist nur durch voreingenommenheit erklär - lich, es sind sogar die abweichungen stärker als im Sophokles, und die nächste aufgabe der kritik besteht darin, diese secundäre überlieferung zu fassen, sei es daſs man einen zuverlässigen vertreter findet, sei es daſs man ihn durch die zusammenstimmende lesart einer gruppe recon - struirt167)Daſs das ermöglicht werde, erfordert umsichtige handschriftliche studien. die behauptung zu erweisen reichen die von Weil in der vorrede seiner ausgabe vorgeführten stellen aus, die sich leicht vermehren lassen. für die scholien scheint mir die dissertation von Sorof (de rat. inter cod. rec. et Laur. Berl. 1882) das gegenteil von dem was sie will hinreichend zu lehren, aber der positive ertrag ist kaum die mühe wert. vgl. auch A. Reuter de A. Prom. Sept. Pers. cod. rec. Rostock 1883. ein schiboleth sei hier die didaskalie der Perser, wo nur die jüngeren handschriften den Glaukos als Ποτνιεύς bezeichnen. das hat man erst nicht leiden mögen, weil der wahn der trilogie diesen Glaukos ausschloſs, aber da conjicirte man wenigstens. jetzt sollen die Byzantiner die neigung gehabt haben die homonymie zu beseitigen, und den Ποτνιεύς aus den scholien der Frösche aufgestöbert haben.. damit wird aber immer noch nicht viel gewonnen, denn es bleibt ein sehr fester in schwersten fehlern einstimmiger text und neben ihm ein ganz jämmerlicher rest von fast nur paraphrastischen und zwar jungen scholien. wir sind im Euripides und Aristophanes so gut gestellt, daſs wir handschriften des 14., 15. jahrhunderts kaum brauchen, obwol205Der Aischylostext. der Euripidestext; handschriften der auswahl.sie nicht abschriften aus erhaltenen sind. im Aischylos müssen wir nehmen was wir haben, und auch in den beiden letzten aristophanischen komödien wird uns eime handschrift wertvoll (Γ + Leid. ), die wir im Euri - pides fortwerfen. hilfsmittel aus byzantinischen citaten liegen nur spär - lich vor, und selten ergeben sie wirkliche varianten168)So ein byzantimischer metrischer traktat, der sonst nur Hephaestion und scholien nebst modernem gibt, für den schluſskommos der Sieben Mangelsdorff Anec - dota Chisiana (Karlsruhe 1876) 25..
Einsicht in den wert der überlieferung auch der andern tragikerDer Euripides - text; hand - schriften der auswahl. kann man nur am Euripides gewinnen, mit welchem deshalb diese studien zu beginnen haben. wenigstens von sechs dramen (den ersten der reihe, nur Andromache statt Alkestis) sind eine ganze anzahl handschriften er - halten, die nicht nur selbst einander unabhängig gegenüber stehen, son - dern auch durch keim stemma zu vereinigen sind. aus dieser zahl hat Kirchhoff, dessen urteil maſsgebend geworden ist, eine anzahl heraus - gegriffen, welche in der tat ausreichend ist, um den text festzustellen, ohne daſs man doch alles was in den anderen steht, als junge erfindung bezeichnen dürfte: aber man darf hier ohne schaden fortlassen, was in Sophokles und Aischyllos die lesart des einzigen Laurentianus controllirt und also unentbehrlich ist169)Übrigens sind die handschriften längst nicht alle genau bekannt. z. b. Ven. Marc. 470 (Kirchhoff praef. VII), aus dem ich zu Hipp. 153 ποιμαίνει notirt habe; aber das würde wertvoll nur sein, wenn Marc. 471 nicht erhalten wäre. die selbständigkeit zeigt sich oft an einer kleinigkeit, so hat Marc. 468 den rest der aristophanischen hypothesis zu den Phoenissen gerettet, Vat. 1345 einen teil der vita (die nur in solchen handschriften steht) und eine bemerkung des Didymos (schol. Hek. 13), Laur. 31, 15 (Γ im Aristophanes) ist für den Euripidestext selbst in der Alkestis ganz zu entbehren, rettet aber zu Hipp. 138 allein ein Menanderfragment. Harleian. 5743 hat an einer stelle (Alk. 1037) eine richtige lesart erhalten, aber das kann zufall, kann willkür sein. Alk. 1079 schien eine lesart des Havniensis durch Galen (de plac. Hipp. et Plat. p. 388 Müll.) bestätigt: und doch ist es an beiden orten nur ein itacismus: der Hamiltonianus des Galen stimmt zu den anderen Euripideshandschriften.. keine einzelne Euripideshandschrift kommt ihm an alter und zuverlässigkeit gleich; aber die gröſsere zahl ersetzt das reichlich, und der kritische apparat ist noch wesentlicher verein - fachung fähig: man muſs nur immer wissen, ob eine lesart einzig in einer handschrift steht, oder ob wir nur eine als die zuverlässigste ver - treterin namhaft machen. im ersten range stehn Marcian. 471, die älteste, und doch erst 12. jahrhunderts, und Paris. 2712, gleich wertvoll wie für Sophokles und Aristophanes; wie sie dort neben Laur. und Ven. fast verschwindet, so tut sie es hier neben Marc., ihr gewicht fällt am schwersten in die wagschale, wo sie zustimmt, nicht wo sie abweicht. 206Geschichte des tragikertextes.fehlt aber der würdigere genosse, wie in den Acharnern des Aristophanes, der Medeia und dem schlusse des Hippolytos, so muſs ihn der jüngere ersetzen und übernimmt die führung. man ist zwar gewöhnt den Vatic. 909 nach Kirchhoffs vorgang höher zu schätzen, allein er dankt das vielmehr seinem reichtum als seiner güte. er enthält auſser den sechs Alkestis Rhesos und Troerinnen, und für alle drei die scholien am besten (auch für Medeia), für die beiden letzten allein, ist also in ihnen unschätzbar. aber es ist eine unsäglich flüchtig geschriebene handschrift auf baum - wollpapier, die schon in der äuſseren erscheinung plebejisch neben jenen würdigen pergamenen aussieht. und daſs neben der flüchtigkeit auch die willkür der beginnenden renaissance nicht fehlt, zeigen die scholien, namentlich zur Hekabe. es ist eben nicht ein gewöhnlicher schreiber, sondern ein gelehrter ihr urheber. doch würde die handschrift immer noch sehr stark ins gewicht fallen, sowol wegen ihrer lesungen erster hand wie wegen der zahlreichen correcturen, wenn wir die andere überlieferung, die des Laurentianus, nicht besäſsen, von der sogleich, denn von ihr ist ein strom später hineingeleitet, und auch das wert - vollste ältere material ist das, was im Vat. abweichend von Marc. und Par. mit dem Laurentianus stimmt. diese mittlerrolle ist es, welche in den fünf ersten stücken den Vat. dem kritiker wertvoll macht; eignes und zugleich gutes, das als überliefert gelten könnte, hat er kaum etwas. in der Medeia teilt er die führung mit Par.; in der Alkestis, die leider im Marcianus ausgerissen ist, der sie ehedem enthielt170)Auf dem vorsatzblatte ist ihr name noch genannt: aber als die handschrift. nach Italien kam, fehlte sie schon, und der name ward deshalb ausradirt., muſs ein anderer Parisinus zur hilfe eintreten, 2713, der keinesweges verächtlich ist und seinen alten namen Par. B neben Par. A wieder erhalten muſs, den er in den scholien noch führt171)Kirchhoffs zeichen für die handschriften waren eine so wenig glückliche neuerung wie die von ihm selbst wieder beseitigte eigene verszählung. seine classen - einteilung ist weggefallen, und die von ihm durch kleine buchstaben bezeichneten handschriften auch alle bis auf Paris. B, den man jedoch eigentlich auch nur in der Alkestis nötig hat. ausgefallen ist auch der Havniensis, den er C nannte. also empfiehlt sich in der tat mit Dindorf M (arcian), V (atic), und mit den älteren (Paris.) A, (Paris.) B, (Flor.) C und, wo er nötig ist, P (alat. 287) zu sagen: M und B gilt noch in den scholien, wo aber ein übles A für Vat. eingedrungen ist. einen ver - lorenen archetypus herzustellen ist man nirgend veranlaſst., für welche er schlechthin unent - behrlich ist. die willkür der renaissance ist kaum stärker in ihm als im Vat. für Rhesos und Troerinnen versagt freilich auch er: da muſs Vat. allein diese ganze sippe vertreten. man ermiſst leicht, daſs uns also207Der Euripidestext; handschriften der auswahl. reste der gesammtausgabe.sehr viel nutzbares entgeht, was die conjectur doch nur zum teil er - setzen kann.
Aber dieser text, obwol für die meisten dramen reicher als derReste der gesammt - ausgabe. sophokleische, und gerade weil er minder einheitlich ist, mehr chancen für die gewinnung des echten bietend, würde doch noch recht mangel - haft sein und namentlich dem Euripidestexte nicht die exemplificatorische bedeutung geben, die ihm tatsächlich zukommt. das leistet erst der hin - zutritt einer zwar jung scheinenden, in wahrheit schon im altertum ab - gezweigten anderen überlieferung, welche wahrhaft überraschende be - lehrung gewährt. der Laurentianus 32, 2 (C)172)G. Vitelli hat in den Pubblicazioni del R. istituto di studi superiori 1877 eine photographie der seiten dieser handschrift veröffentlicht, welche die Iphig. Aul. enthalten: reicht sie auch nicht für die constatirung der ersten hand aus, so ist sie doch äuſserst belehrend., geschrieben in den ersten decennien des 14. jahrhunderts, enthält auſser Sophokles, den drei ersten dramen des Aischylos und den Erga des Hesiodos (diesen mit scholien), 18 dramen des Euripides, geschrieben in anderer abfolge, aber durch vorgesetzte ziffern als ursprünglich folgende ordnung bezeichnend, Hekabe Orestes Phoenissen Hippolytos Medeia Alkestis Andromache Rhesos Bakchen Helene Elektra Herakles Herakleiden Kyklops Ion Hiketiden Iphigeneia in Taurien und in Aulis. die ziffer ϑ 'der Bakchen ist aber auf einer groſsen rasur geschrieben, und hier sitzt ein fehler: offenbar stieſs der schreiber an, als er ι' setzen sollte, weil die zahl nicht stimmte, er änderte also hier und zog nachher immer eine stelle ab. in wahrheit müssen zwischen Rhesos und Bakchen die Troerinnen eintreten. da haben wir zwei reihen von dramen; die eine, geordnet nach dem alphabet mit einer ausnahme, ent - hält die bisher nicht erwähnten stücke, die andere gibt die alte reihenfolge der commentirten. zwischen beiden reihen stehen die Bakchen; zufällig könnten sie nach vorn wie nach hinten gerechnet werden, doch gehören sie unzweifelhaft an den schluſs der commentirten, sind also in jener reihe zufällig nur sonst nicht mehr erhalten, wie sie denn hier auch nur ver - stümmelt stehen173)Die Bakchen hat Clemens von Alexandrien selbst gelesen, das zeigt eine rhetorisch prächtige partie am schlusse des protreptikos (92 P); auch Nonnos hat aus ihnen das Pentheusabenteuer genommen (45. 46). scholien zu ihnen scheinen von Cyrill benutzt zu sein. die hypothesis mit dem namen des Aristophanes ist erhalten. Apsines besaſs sie offenbar mit den Troerinnen in einem bande, wie die ordnung sie stellt, denn er schreibt jene I 394 Sp., die Bakchen p. 399, wie man glauben möchte, aus eigener lecture aus: allerdings citirt er auch Iph. Aul., p. 403. neben Troerinnen und Rhesos benutzt sie in Byzantinerzeit der verfertiger des Χριστὸς πάσχων. sie haben in C und P gesonderte überlieferung, und gehen in P auf ein. vollständig, so weit sie überhaupt sind, enthält sie208Geschichte des tragikertextes.eine andere handschrift, aus dem ende des 14. jahrhunderts, die neben C etwa so wie Par. B neben A zur verwendung kommt. sie ist jetzt zerrissen und war das schon bald nach 1400. der gröſsere teil ist jetzt Palatinus 287, der kleinere, die drei ersten Euripideischen stücke und Helene Elektra Herakles, auſserdem die drei ersten aischyleischen ent - haltend, ist aus der Badia von Florenz in die Laurentiana gebracht und heiſst 172. in dieser handschrift sind die neun scholienlosen dramen aus derselben handschrift genommen wie C, doch viel nachlässiger ge - schrieben, so daſs sie nur ganz selten etwas neues liefert und unmöglich alle ihre fehler in dem kritischen apparat verewigt bleiben dürfen174)Die zusammengehörigkeit der beiden stücke ist erkannt von Robert Herm. XIII 133. ich hatte mich verleiten lassen, das florentiner stück für eine abschrift von C zu halten, was ich freilich für die drei ersten dramen schon selbst hatte aufgeben müssen. abgerissen ist das stück früh: es hat dem Musurus nicht mehr gehört und zeigt deshalb keine oder wenigstens keine guten correcturen. natürlich wird man jetzt nicht zwei bezeichnungen für zwei hälften einer handschrift einführen. meine Analecta Euripidea zeigen, wie geringfügig die besseren lesarten von P sind, und einzelne fallen noch weg (z. b. hat R. Prinz bei Stahl ind. lect. v. Münster, sommer 1887, angegeben, daſs Kykl. 494 μαϰάριος ὅστις εὐιάζει in C von erster hand ge - standen hat). um so weniger empfiehlt sich der weg, den ich in der ausgabe der Hiketiden beschritten hatte und auf dem mir R. Prinz in Alkestis und Medeia (wo er noch dazu falsch ist) gefolgt ist. es ist ein billiges, aber nichts eintragendes vergnügen, wie es sich ein anfänger mit genugtuung macht, einen archetypus zu reconstruiren, von dem eine gute abschrift da ist, deren lesarten, wo die zweite schlechte bevorzugt wird, doch immer angegeben werden müssen, weil der leser urteilen will, ob man der schlechten folgen darf. von dieser freilich sind alle schreibfehler wegzuwerfen, und sie ist nur zu nennen, wo eine möglichkeit vorliegt, aus ihr etwas zu entnehmen. nun ist aber C zweimal durchcorrigirt, einmal von einem der schreiber (die sich in ihr abgelöst haben), einmal oder mehrmals von einem gelehrten in Italien. offenbar muſs man die änderungen der ersten art immer, die der zweiten nie anführen, es sei denn daſs es eine richtige conjectur ist. und ebenso muſs man mit den änderungen in P verfahren. es ist das gar nicht so leicht; aber die mühe lohnt sich, weil dann der apparat lichtvoll wird. vgl. bd. II vor - bemerkungen und textabdruck. die sehr guten collationen, über welche Prinz in seinen ausgaben verfügt hat, haben einen groſsen teil ihrer brauchbarkeit eingebüſst, weil sie die späteren hände nicht scheiden, und der herausgeber einen archetypus herstellen will; ganz abgesehen von der anlage des apparates, die von kaum er - reichter unübersichtlichkeit ist.; ihr wert beruht vielmehr darin, daſs sie die hände in C, der von correctoren173)exemplar mit gleich vielen zeilen zurück wie die Troerinnen (Robert Herm. XIII 136). auch schol. Dionys perieg. 391 ist direct aus den Bakchen mit commentar genommen. die citate sind auch bei späten grammatikern zahlreich, indessen weiſs man bei ihnen ja kaum je, ob sie nicht abschreiben.209Reste der gesammtausgabe.maſslos verwüstet ist, unterscheiden175)Der corrector war kein gescheidter mann, und metrisch namentlich hat er nur gesündigt. dennoch hat er im Herakles an 8 stellen kleinigkeiten wirklich berichtigt. und das ursprüngliche erkennen lehren. die andern stücke hat P nicht aus der gemeinsamen vorlage ab - geschrieben, sondern sich einen text zurecht gemacht, teils aus dieser vor - lage, teils aus einer nicht bedeutenden handschrift von der sippe VB etwa. das mischungsverhältnis ist verschieden; in den drei ersten stücken und Andromache folgt er mehr dem vulgären, in Rhesos und Alkestis stimmt er mehr zu C: es leuchtet ein, daſs P für diese dramen ganz wertlos ist; es sei denn, er hilft einmal eine überschmierte lesart von C erkennen176)E. Bruhn (lucubr. Eurip. 255) hat versucht die contamination von P, nach - dem Prinz sie für die drei ersten stücke schon zugegeben hatte, auf die Andromache zu beschränken, weil er eimen jungen Turiner codex aufgefunden hat, der ganz zu P stimmt: aber der codex ist zu jung, als daſs P aus ihm geschöpft haben könnte und in seiner vorlage können gern mehr stücke gestanden haben. ganz übrigens kann Bruhn das eindringen von fremden Ilesarten auch sonst nicht leugnen, meint aber C starker inter - polation überführen zu können. indessen spricht da die reihe der neun stücke zu ver - nehmlich, die wirklich C und P aus derselben vorlage haben. auſserdem kann ein über - einstimmen mit Par. B in der Alkestis wahrlich nichts für interpolation beweisen, wie die obige übersicht der überlieferung lehrt. das sind fälle wie sie z. b. im Hippolytos häufig sind, wo C zu M stehen würde. minutien wie accente und dgl. kommen über - haupt nicht in betracht, und correcturen in C für den schreiber auch nicht. somit fällt die zudem äuſserst verwickelte verhältnisse für P voraussetzende ansicht. den berühmten vers der Medeia 1078 ϰαὶ μανϑάνω μὲν οἷα δρᾶν μέλλω ϰαϰά acceptire ich als schiboleth. hie C und alle zeugnisse seit Chrysippos zeit, da P und alle anderen handschriften. da meint Bruhn lieber, C habe aus dem gedächtnis geändert (war im 13. jahrhundert der vers noch fliegendes wort?), nicht P, wie doch sonst auch nach seinem urteil, aus der vulgärüberlieferung. schlimmer ist freilich, daſs Euripides τολμήσω für δρᾶν μέλλω zugetraut wird. “ich erkenne wol die verbrechen, zu denen ich mich entschlieſsen werde”, statt “die ich begehen werde, aber die leiden - schaft ist stärker als meine überlegung”. die leidenschaft ist etwas, das sie als eine andere person empfindet, deren werkzeug sie nur ist. daher sagt sie nicht δράσω, was an sich gienge, sondern setzt die periphrase, die uns so recht zeigt, daſs sie über kurz oder lang beim δρᾶν ankommen wird (man muſs doch μέλλω in seiner ganzen bedeutungsfülle wie ein Grieche empfinden): τολμήσω, was den eignen entschluſs einschlieſst, kann sie nicht sagen, ohne die selbstverteidigung aufzugeben. ἐτόλμησα φονεῦσαι sagt der ἑϰὼν φονεύς, έμέλλησα φονεῦσαι der ἄϰων. daſs der Χριστὸς πάσχων die lesarten von CP rein wiedergäbe, hätte Bruhn nicht auf Kirch - hoffs autorität weiter sagen sollen: das war durch die arbeiten von A. Doering berichtigt.. nun hat er aber auch Troerinnen, die in C fehlen, und zwar stark abweichend von V., also nicht aus jener überlieferung, und die Bakchen vollständig,v. Wilamowitz I. 14210Geschichte des tragikertextes.auch nicht mit C stimmend: folglich stand ihm eine andere zur sippe C gehörige handschrift dieser dramen zur verfügung177)Da die Bakchen in C und P abweichen, ist der ausweg verschlossen, C seine vorlage unvollständig abschreiben zu lassen. daſs es auch sonst noch hand - schriften der Troerinnen dieser classe gab, zeigt Harl. 5743, der wenigstens ein stück der Troerinnen aus dieser recension enthält, übrigens neben V und P entbehrlich ist..
Sämmtliche 19 dramen dürfen also hier als gemeinsam überliefert angesehen werden; aber sie zerfallen in zwei reihen. die eine wird durch die ehedem commentirte sylloge gebildet, auf deren archetypus sie mithin zurückgeht, so daſs von zwei ganz gesonderten familien zu reden wider - sinnig ist; auch zeigt C einen text, der keinesweges überwiegend MVA gegenüber etwas besonderes hat, vielmehr stehen neben solchen, aller - dings nicht seltenen, fällen, eben so zahlreiche, wo das verhältnis MC: VA, VC: MA, auch AC: MV (dies am seltensten) ist, und auch M hat ja viel eigentümliches178)Deutlich kann das nur eine ausgabe mit übersichtlichem apparat machen: ich werde, so bald ich irgend kann, den Hippolytos vorlegen, der dazu am ge - eignetsten ist.. folglich ist die zu grunde liegende recension zwar dieselbe, was auch die scholien oft bestätigen; aber sehr früh hat sich die tradition C von den anderen abgezweigt, so daſs er allerdings als ein verwandter von anderer linie als die übrigen erscheint. wann aber die abzweigung erfolgt ist, darüber belehrt die reihe dramen von Helene bis Iphigeneia. nach den anfangsbuchstaben ist sie geordnet, die mit H beginnenden dramen stehen alle darin, vorhergeht noch eines mit E, es folgen vier mit I; eins mit K ist, wie die ordnung selbst zeigt, hinein verschlagen. es liegt auf der hand, daſs wir den rest einer gesammt - ausgabe besitzen, und daſs Θ fehlt, erklärt sich aus der oben er - läuterten einteilung in bände: wirklich stehen die dramen mit Θ auf dem oben s. 150 citirten steine zwischen Σ und Δ. verführerisch ist es, die vier dramen von I, die drei von H sammt dem Kyklops für je einen band zu halten. also die ausgabe, auf welche diese neun stücke zurückgehn, ist ohne den grammatischen schutz geblieben, dafür ist es aber auch eine über die christliche aera zurückreichende. diese stücke sind uns allerdings durch einen zufall erhalten, oder vielmehr deshalb, weil die euripideischen dramen noch häufiger im publicum ver - breitet waren, gelesen, kann man nicht mehr sagen, aber doch in den bücherschränken bewahrt und zuweilen auch noch abgeschrieben. daſs dem so war, beweisen uns ja auch die unmittelbar erhaltenen bruch - stücke antiker bücher, der Melanippe und des Phaethon. da ist denn211Recensio und emendatio in den tragödien der auswahl.einmal solch ein band in die hände eines mannes gefallen, der ihn zu schätzen wuſste und den inhalt zu der noch zehn dramen umfassenden auswahl hinzuschrieb. der band war hinten verstümmelt, der schluſs des letzten stückes, Iphigeneia in Aulis, fehlte. da hat sich aber ein ergänzer gefunden, der eine ganze scene hinzudichtete179)Der anfang der nachdichtung wird mit recht 1510 angesetzt. ob der ver - fasser an den anderen interpolationen des stückes schuldig ist, mag dahin stehen; zutrauen könnte man ihm die einführung des boten 629 — 37. wer den schluſs ver - teidigen will, hat die verpflichtung sich auch der Danae anzunehmen. deren ver - fasser hat nicht nur die dramen dieser reihe benutzt, was natürlich ist (61 nach Her. 138), sondern einen vers von Sophokles aufgenommen, den wir nur aus Stobaeus kennen (19 = Soph. 847, 4): das spricht nicht für einen Byzantiner. Nauck hat auch den schluſs der Bakchen 1371 — 92 verworfen, und es hat etwas verführerisches, weil sie auch den schluſs einer handschrift bildeten. allein ich muſs meine zustim - mung zurückziehen. denn die clausel πολλαὶ μορφαί, 1388 — 92, ist freilich nicht von Euripides, aber auch sonst falsch zugesetzt. die scenenführung aber ist ähnlich im schlusse der Elektra, dessen athetese Nauck wol selbst nicht mehr aufrecht hält, und die letzten worte Agaues tragen echt euripideisches colorit ἔλϑοιμι δ̕ ὅπου μήτε Κιϑαιρὼν μιαρός ⟨μ̕ ἐσίδοι⟩ μήτε Κιϑαιρῶν̕ ὄσσοισιν ἐγώ, μηδ̕ (μήϑ̕ Ρ) ὅϑι ϑύρσου μνῆμ̕ ἀνάκειται· βάκχαις δ̕ ἄλλαισι μέλοιεν. daſs ein thyrsos eine land - schaft, einen bergaltar heiligt, sieht man sehr oft auf pompejanischen landschaften und alexandrinischen reliefs. vor allem aber ist die nachdichtung unwahrscheinlich, da sie doch wol den unvollständigen satz 1371 ausgefüllt haben würde, und die corruptel ist sehr groſs, wie es dem letzten blatte der verstümmelten handschrift zukommt.. und der appetit kam beim essen. er versuchte sich an einer neuen tragödie, Danae, von welcher P die hypothesis, das personenverzeichnis und den prolog sammt einem chorlied erhalten hat. der versuch ist schauerlich ausgefallen. aber der verfasser hat doch die absicht gehabt, trimeter nach antiken regeln und gar lyrische verse zu bauen. daſs das machwerk sehr viel älter ist als die handschrift, in der es steht, folgt aus der starken verderbnis. da es also keine renaissancefälschung ist, so dürfte man nicht umhin können, bis an den ausgang des altertums damit hinauf zu gehen.
Dazu stimmt endlich die beobachtung, daſs die abzweigung des textes im Rhesos älter ist als die paraphrase, da diese fehler vorraussetzt, die C vermieden hat180)Nachgewiesen in meinem programm de Rhesi scholiis.. es sind das ausnahmen, denen eine viel gröſsere zahl von verderbnissen gegenübersteht, welche paraphrase und alle recensionen teilen; einzeln hat sie auch das richtige gegen alle, oder gegen den text ihrer handschrift mit C. aber die warnung empfangen wir doch, daſs wir uns hüten sollen, die bloſs paraphrastischen scholien für gleich alt mit den gelehrten zu halten; denn je verderbter der text ist, um so mehr14*212Geschichte des tragikertextes.sind die scholien lediglich paraphrastisch, und um so mehr schlieſsen sie sich ihm an. so steht es in Euripides Rhesos Troerinnen Alkestis, also wo die handschriften am unzuverlässigsten sind, die scholien am dünnsten. so steht es im Aischylos. es kann keine ärgere verkehrtheit geben, als diese paraphrasen für uralt, für didymeisch, für träger einer verschollenen überlieferung zu halten, sie, die gerade zu den tollsten corruptelen eine erklärung haben. und weil die verfasser stumpfe gesellen sind, so lesen sie einen halben sinn in die worte hinein, weil doch einer darin sein muſs, und es ist petitio principii, daſs sie einen text gehabt hätten, der zu ihrer erklärung genau stimmte. an den reichlichen scholien, zum Hippolytos und den Phoenissen etwa, daneben am Pindar (wo freilich die moderne torheit auch unfug macht), hat man zu lernen, wie die ältere grammatik paraphrasirt: dann wird man das variantensuchen in den verkümmerten resten unterlassen. eine neue lesart ist immer eine seltene ausnahme, und dann ist es noch lange nicht eine bessere.
Eine überlieferung, wie sie für die dramen vorhanden ist, die in C und den andern handschriften stehen, zumal in den fünfen, welche auch M enthält, ist wahrlich etwas besonderes. ursprünglich einheitlich, aller - dings nur durch gemeinsame fehler späteren ursprungs als solche sich ausweisend, hat sie sich doch schon im ausgange des altertums nachweis - lich gespalten, und dann der eine ast noch weiter verzweigt. es fehlt für die dunkelen jahrhunderte auch nicht an zeugnissen, aber sie spielen kaum eine rolle, weder der Χριστὸς πάσχων181)Über die zeit des centos Hilberg Wien. stud. VIII. die wenigen citate aus dem Agamemnon lehren nichts. die aus Troerinnen und Rhesos sind nicht ganz wertlos und können eine gute lesart gerettet haben, wie gleich eine probe lehren wird (vgl. anm. 186). aber der versifex ändert so gewaltsam, daſs zu wenig verlaſs auf ihn ist und praktisch nichts herauskommt. nur für die Bakchen muſs; man allerdings die zeugnisse in den kritischen apparat aufnehmen, und für die beiden groſsen lücken in P steht hier wenigstens einiger ersatz., wol ein recht spätes product, noch byzantinische florilegien182)Ein florilegium oben anm. 104. massenhafte nachahmungen z. b. in dem roman des Eustathius. der bischof Eustathius, der für Sophokles, den er sehr gut kannte, nicht ganz wertlos ist, von Aischylos auch wol alles gehabt hat, aber kaum etwas lehrt, hat von Euripides nur die fünf ersten stücke ausgezogen. Tzetzes zum Lykophron hat die Troerinnen noch gehabt; das ist etwas merkwürdiges, und mindestens für ein wichtiges scholion (Andr. 14) gibt er sehr wertvolle be - richtigungen; da kann sich also mehr finden: aber der mann selbst ist äuſserst un - zuverlässig, hat schlechtes übernommen und durch seine eigenen scholien unfug gestiftet. daſs in den Chiliaden die Bakchen benutzt wären, weil VI 580 der name steht, ist nicht sicher: daſs Harder (de Ioh. Tzetzae histor. font. 52) auf grund von, noch die zahlreichen citate der213Recensio und emendatio in den tragödien der auswahl.Byzantiner183)Besonders deutlich wird dies in M: man braucht nur die Phoenissen durchzusehen. sonst bietet B die besten belege. der art sind auch die randnotizen in L (M) der beiden älteren tragiker: keine spur von kritischem apparate ist darin.: die handschriften selbst reichen aus. was wir sonst ent - weder gar nicht erkennen oder doch nur vermuten, hier können wir es mit den händen greifen. wir sehen die randnotizen in den handschriften, die varianten zu geben scheinen, sehr oft nur schreibfehler berichtigen, einzelne varianten von gleichzeitigen handschriften häufen, auch wol con - jiciren: aber aus dem altertum überlieferte gelehrte varianten, wie die im Ven. A, sind sie nirgend. sie stehen ganz so da, wie die correcturen der handschriften, die auch diesen drei kategorien angehören. das sind also fast alles mittelalterliche entstellungen. und so sind es auch die ab - weichungen der handschriften von einander. zum überwiegenden teile sind es versehen, die durch die tätigkeit des wörter und satzglieder auffassenden und wiedergebenden schreibers entstanden sind, zum teil natürlich schon im späteren altertum, meistens aber später184)Über die entstehung und demgemäſs die schätzung dieser varianten hat E. Bruhn lucubr. Eur. cap. I gehandelt, und wirklich methodisch fördernde bemer - kungen gemacht, denen gegenüber ich meine früheren ansichten einfach aufgegeben habe. übrigens war die psychologische veranlassung der schreibfehler treffend schon erkannt und formulirt worden, zumal von G. Hermann (Belger Haupt als akademischer lehrer 127), ohne psychophysik: aber das schmälert das verdienst Bruhns nicht im mindesten.: denn in den chorliedern, die schwerer verstanden wurden und mehr mechanisch nachgemalt, finden sich viel weniger abweichungen. verderbnisse die durch das nach - malen von elementen entstehen, sind in dieser dramenreihe kaum vor - handen; es sei denn daſs sie über die zeit, wo die auswahl gemacht ward, zurückreichen. alles dieses zu erledigen ist die aufgabe der recensio, der richtigen auswahl der lesarten. sie ist kein leichtes geschäft, vielmehr wird sich in ihr die meisterschaft des herausgebers am meisten zu beweisen haben: deshalb ist die uneinigkeit auch der berufenen kritiker in den dramen am gröſsten, wo C nur wenige und stark abweichende handschriften zur seite hat. aber es läſst sich im princip die forderung stellen, daſs wir durch die recensio bis in das altertum hinaufgelangen, mit ganz ge - ringen ausnahmen in den ersten sieben stücken; im Rhesos und den Troerinnen schon sehr viel seltener; die Bakchen stehen von allen am traurigsten da.
Daſs wir aber mit dem princip nicht zu viel verlangen, dafür haben182)Chil. I 330 die lecture der Helene annimmt, ist ein irrtum: nur die erwähnung der Sirenen bezeugt die stelle für Euripides und kann also auf Andr. 936 bezogen werden.214Geschichte des tragikertextes.wir nunmehr den beweis: vom Hippolytos185)Veröffentlicht von Kirchhoff. Mon. Ber. Berl. Ak. 1881, 982. die hand - schrift enthält mit lücken 242 — 515. die einzige berichtigung steht 302 ἴσον δ̕ ἄπεσμεν τᾷ πρίν, wo alle handschriften τῶν haben, aber die paraphrase ὁμοίως ἄπεσμεν τοῖς πρὶν ῥήμασιν. den wert für die recensio kann nur die vollständige adnotatio critica zeigen. liegen mehrere hundert verse, vom Rhesos186)Veröffentlicht von Wilcken Sitz. Ber. Berl. Ak. 1887, 814. da der heraus - geber seinen fund gar nicht zu würdigen verstanden hat, soll hier das nötige bemerkt werden. erhalten sind 48 — 96, doch fehlen mehrfach zeilenschlüsse und anfänge, so daſs die lesung des schlusses von 54 und 84 nicht zu bestimmen ist. die vier chorverse haben dieselbe kolometrie wie VC, fangen also mit ναυ — σοὶ — ἤλυϑον — μέμψιν an. neu und richtig ist 60 οὔ τἂν für οὐκ ἄν VC, 63 ἦ für ἦν; neu und falsch 54 αἱρεῖσϑαι für αἴρεσϑαι, 72 ἐστι für ἔπι, 84 μύϑοις und ein par zum teil gleich berichtigte orthographika, ernsthaft nur der grobe fehler πάν [τε] ς νυκτός 95 für πᾰσαν νύκτα. die lesart von V gegen C wird befolgt 66 μεῖναι, C εἶναι, 75 γαπονεῖν, C γηπονεῖν, 90 σέϑεν, C τὸ σόν: immer mit recht, die von C gegen V 66 ἔπεισαν, V ἔφησαν, 72 νεώς, V νεῶν, mit recht; 90 πύκαζε, V πυκάζου, mit unrecht. 65 steht richtig με, V hat μοι, C beides. 74 steht λελημένοι, VC haben λελησμένοι; das richtige λελημμένοι hat der corrector der wertlosen handschrift Flor. Marc. 226 über λελειμμένοι geschrieben: in wahrheit ist es überall gemeint. 78 steht richtig πύρ̕ αἴϑειν, wie C über dem texte hat, und πῦρ αἴϑειν V, πυραίϑειν C im texte, ist ja dasselbe. endlich 52 ἥκεις mit Χρ. πάσχ. (öfter) für ἦλϑες VC. über die übrigen handschriften berichte ich aus eigener vergleichung, in den lesarten der neuen habe ich natürlich die lesezeichen zugefügt. ein kleines, aber sehr belehrendes, bruchstück in antiken handschriften vor. der text des Hippolytos wird selbst an keiner stelle wider die überlieferung berichtigt, aber an einer der der scholien gegen alle handschriften bestätigt. im Rhesos werden zwei kleinigkeiten evident verbessert. der text ist hier ein ausgezeichneter, und er widerlegt, wenn das noch nötig ist, die Kirchhoffsche längst unhaltbare ansicht von den zwei classen auf das bündigste: er hat von beiden im wesentlichen das richtige. dasselbe tut der Hippolytostext, nur daſs da, weil so viel hand - schriften vorhanden waren, die classentrennung schon vorher in wahr - heit nicht vorhanden war und nur um des princips willen behauptet ward. aber die handschrift an sich ist nicht besser als unsere guten auch: wir stehn so gut, als wenn wir statt zeugen des 13. und 14. solche des 3. und 4. jahrhunderts verhörten. ihre einstimmigkeit aber führt uns noch weiter hinauf: so hoch, daſs dann die grammatik den text in ihre schützende hand nimmt und ihn bis zu Aristophanes von Byzanz hinaufgeleitet.
Es ist das etwas groſses. gewiſs ist es nicht anders in den meisten oben besprochenen dichtern, zumal im Aristophanes, aber hier ist es greif - barer, und hier sind schlimmere zweifel abzuwehren. das licht läſst aber215Recensio und emendatio in den tragödien der auswahl.auch den schatten dunkler fallen, obwol es schon ein groſser fortschritt ist, die gröſse des verlustes schätzen zu können. im Rhesos, Troerinnen und gar Bakchen müssen eine ganze anzahl fehler stecken, da muſs con - jicirt werden, und gut genug, wenn man es noch kann, wenn der fehler noch als solcher bemerkbar ist: denn viele varianten sind der art, daſs das richtige gar nicht geahnt werden kann, und wer es erträumen sollte, nicht gehört werden darf, weil das falsche an sich nicht unmöglich ist. noch stärkere schatten fallen auf Sophokles und gar Aischylos: sie können nach diesem maſsstabe gemessen, gar nicht besser überliefert sein, als Euripides, wenn wir nur M und ein par handschriften wie B hätten. doch fehlt es nicht an einem troste, der bessere hoffnung gibt. beide tragiker sind viel schwerer verständlich, auch lange nicht so oft abgeschrieben, so daſs man nicht den euripideischen dialog, dem die varianten vorwiegend angehören, sondern die chöre vergleichen muſs. in ihnen ist die alte corruptel viel - leicht stärker, wemigstens hie und da, aber der text um so fester. Aischylos vollends ist in den vier letzten stücken wesentlich dadurch verdorben, daſs ein äuſserlich schlimm zugerichteter codex, den man sich ähnlich dem antiken des Rhesos vorstellen mag, nur mit etwas mehr lesezeichen, allein einem copisten vorlag: somit wird das verhältnis vielmehr den nur in CP erhaltenen Euripidesdramen ähnlich187)Jede kritik die etwas leisten will, muſs zwar die allgemeinen voraus - setzungen, welche der weite umblick kennen lehrt, inne haben, und in so weit mögen diese capitel auch für die anderen tragiker vorbereiten, aber dann muſs sie individualisiren; der einzelne schriftsteller, das einzelne buch, hat bis zum gewissen grade seine eigene geschichte. das kann und soll hier nicht erschöpft werden.. und wie den Euripidestext, so sichern doch auch den der beiden andern die antiken citate selbst in seinen fehlern.
Das ist der langen rede kurzer sinn: wir lesen in den commentirten stücken den text des Aristophanes. auf den strebt unsere recensio im weitesten sinne des wortes zu. wenn wir ihn aber haben, was dann? dann gehn wir weiter, lediglich mit den hilfsmitteln der emendatio be - wehrt. still zu stehn wäre entweder verzweifelnde resignation oder aber - gläubische knechtschaft gegenüber der tradition: die recensio führt eben zwar in den dichtern des dritten jahrhunderts bis auf den dichter, aber in denen des fünften nur auf den herausgeber. so schlagen wir uns denn mit den schauspiellern herum, die allerdings die verantwortung für die meisten der schlechten verse zu tragen haben, die Aristophanes zugelassen hat. dann suchen wir, meist vergeblich, solche fehler zu heben wie ἄτης ἄτερ (Soph. Ant. 4), γάμους παρεμπολοῦντος ἀλλοίους πόσει216Geschichte des tragikertextes.(E. Med. 910), wie Trach. 781. 82188)Der überlieferte gallimathias ist ebenso von dem Athener Apollodor gelesen, Athen. II 66a., Hipp. 953, Med. 748. aber vor allen dingen freuen wir uns daran, daſs die fehler so wenig sind. und das weiſs man dann auch, daſs die menschen sich lächerlich machen, die in diesen dramen mit ihren palaeographischen witzchen kommen, den ähn - lichkeiten der minuskelschrift, den compendien, wo möglich gar dem vetus codex in dem ein par buchstaben unlesbar waren, die der protervus magistellus dumm ausfüllt: der vetus codex müſste ja dem Aristophanes vorgelegen haben, und dieser der protervus magistellus gewesen sein. wir lachen auch über die häscher der glosseme, die einem ihnen nicht er - haben genug klingenden worte ansehen, daſs es ein schulmeister oder leser aus der zeit des Kallimachos oder Apollodor übergeschrieben hat (aus dem Hesych, scheint’s, denn so reden sie), dessen handexemplar darauf der archetypus aller folgenden handschriften ward. die textge - schichte lehrt freilich die vielen gefahren kennen, die unsern text bedroht haben, sie lehrt uns die unvermeidliche verderbnis schätzen und gibt uns hilfsmittel sie zu heben: aber die hauptsache, die sie lehrt, ist, daſs sie die grenzen der möglichen verderbnis und unserer meinungsfreiheit be - zeichnet.
Sie umfriedigt ein weites gebiet, auf dem es nicht verstattet ist, das conjecturale röſslein zu tummeln; was darauf steht, das muſs stehen bleiben und verlangt verständnis zwar, auch vielleicht tadel: aber es gehört dem dichter an, und jeder einbruch ist ein raub. auf diesem gebiete hat sich der philologe heimisch zu machen, und dann mag er zusehen, daſs er die grenzen immer weiter für den dichter ausdehne, teils wider moderne ansprüche verteidigend, teils wider die täuschende überlieferung, die in wahrheit keine ist, erobernd.
Und es ist dafür gesorgt, daſs auch der conjectur ein weiter spiel - raum bleibe. denn dieselbe textgeschichte, welche in Hekabe und Hippo - lytos fast jede conjectur verbietet, fordert sie in den dramen, welche auf die gesammtausgabe zurückgehn, auf schritt und tritt, und gibt schlieſs - lich doch nur eine geringe gewähr für die erreichung des echten. da ist sprachgefühl, geschmack, nachschaffende phantasie nötig, jene impon - derabilien, die den wirklichen philologen machen, die nicht gelehrt und nicht bewiesen, auch nur zum teil gelernt werden können.
Mit der recensio ist man gleich zu ende. drei vier kleinigkeiten hilft P beseitigen, dann darf C mit seiner vorlage identificirt werden; das ist ein minuskelcodex, wenn’s hoch kommt des 11. jahrhunderts. und auf217Recensio und emendatio in den tragödien der gesammtausgabe.dem wege von dem zu jener antiken handschrift, der die erhaltung dieser dramenreihe verdankt wird, fehlt jede hilfe. das war aber selbst ein buch ohne gelehrte einrichtung, ohne wortabteilung189)Vgl. Her. 583, 810, 1115, 1191., mit ganz zerstörten sonstigen lesezeichen190)Das zeigt die maſslos entstellte personenbezeichnung in fast allen diesen stücken., aber deutlich abgeteilten versgliedern. und von dem wieder aufwärts geht die überlieferung entsprechend der, welche über - haupt die lesebücher dieser zeiten durchgemacht haben, empor zu irgend einer ausgabe, die ein buchhändler gemacht hat. es könnte ja auch die aristophanische ausgabe gewesen sein: aber das ist nicht der fall: die Herakleiden hat das bessere altertum in einer ganz abweichenden recension gelesen, welche ohne zweifel die echte war, während wir die überarbeitung eines regisseurs lesen191)Das habe ich Herm. 17 gezeigt; ich könnte die indicien noch vermehren..
Dabei ist denn freilich ein zustand unvermeidlich gewesen, der im Herakles jeden siebenten vers etwa eine änderung fordert. wann aber die verderbnis eingetreten ist, hat kaum einen zweck zu überlegen, da es sich doch nicht ausmachen läſst. nur das scheint sicher, daſs der eigentliche archetypus, das antike buch, an sehr vielen stellen zerstört war, denn oft sind die lücken noch jetzt vorhanden192)95, 149, 328, 398, 422, 474, 619, 696, 1151, 1159, 1178, 1192, 1340., öfter aber sind sie verkehrt ausgefüllt, fast ausnahmslos am versende193)184, 226, 413, 482, 484, 530, 664, 845, 925, 1003, 1102, 1241, 1304., wo aber auch die folgenden schreiber durch vertauschung gesündigt haben194)164, 282, 548.. massen - haft sind auſserdem einzelne buchstaben und wörter verlesen. man hat einen anhalt daran, daſs die nicht sehr zahlreichen antiken citate siebenmal unseren text berichtigen195)62, 101, 269, 674, 1271, 1293, 1345., sehr selten schlechter sind. daſs eine anzahl verse von uns als euripideisch betrachtet werden, wo schärfere kritik einen schaden erkennen und beseitigen wird, ist demnach mit vollster wahrscheinlichkeit anzunehmen, und ebenso sicher ist, daſs manches sich überhaupt niemals herstellen oder gar auch nur erkennen läſst, es sei denn, daſs neues material hervorträte. aber zur verzweifelung ist keine veranlassung. das was von ihr verlangt wird, kann die philologie leisten, denn eines ist diesem dramen nicht zugestoſsen: die willkürliche raffinirte interpolation — oder doch erst im 15. und 19. jahrhundert. auch das liegt in der geschichte des textes. wenn er verwahrlost ist, so ist doch auch kein Triclinius oder Hartung darüber gekommen.
218Geschichte des tragikertextes.Da die dramen viele jahrhunderte lang das gleiche geschick gehabt haben, so teilen sie auch die entstellung. doch auch da sind gradunter - schiede. Helene Herakleiden Kyklops Elektra sind besser erhalten als die folgenden, deren corruptel nach dem ende zu immer noch steigt, bis in der aulischen Iphigeneia auch dafür ein exempel ist, wie ein stück aussieht, das nicht einmal sondern mehrfach von interpolatoren verwüstet und demzufolge unheilbar ist. unverkennbar ist ferner, daſs der zustand, in welchem die einzelnen tragödien in jene ausgabe kamen, ein ganz ver - schiedener war; offenbar hat kein sorgsamer gelehrter darüber gewacht. neben dem schauspielerexemplar der Herakleiden steht der Kyklop, der kaum übeler zugerichtet ist als die dramen der auswahl, namentlich auch von jeder schauspielerinterpolation frei196)Es ist überhaupt nur ein vers, 202, unecht, und der ist erst byzantinischen ursprungs. alle anderen athetesen sind verkehrt. das einzige antike drama welches gar keinen falschen vers zu enthalten scheint, ist der Rhesos, und von dem wissen wir, daſs er ehedem eine falsche scene hatte.: natürlich, denn das alte satyr - spiel war nach dem 5. jahrhundert nicht mehr mode. die Elektra war aus einem buche genommen, das mehrfach parallelstellen am rande trug197)El. 373 — 79, von welchen der letzte aus der Auge citirt wird, 386 — 90, 941 — 44 (von Bruhn erkannt) 1097 — 99. auſserdem sind mehrere dittographien darin.; die Hiketiden enthalten eine partie durch erweiternde inter - polation entstellt, welche noch um 250 v. Chr. in Athen unverdorben geläufig war198)Euripides hatte von Tydeus gesagt (902) οὐκ ἐν λόγοις ἦν λαμπρὸς ἀλλ̕ ἐν ἀσπίδι δεινὸς σοφιστὴς τῶν τ̕ ἀγυμνάστων φονεύς (Antig. Karyst. s. 73): daran ist nach abwerfung des letzten halbverses in unseren handschriften eine widersinnige tirade von 6 versen getreten, von denen übrigens die letzten zwei eine dittographie sind, die in einer anderen redaction gleich auf 901 folgte: diese ebenfalls, aber anders, interpolirte fassung stand in der ausgabe, welche das florilegium benutzt hat: Stob. ecl. II 185 Wachsm.. und so ergibt sich auch hier bei individueller behand - lung des merkwürdigen und fördernden genug.
Die philologie des altertums ist fast unmittelbar zu derselben zeit, wo sie wissenschaft ward, herabgesunken zur textkritik und zur schrift - erklärung, und diese letztere ist sehr rasch auf die abschüssige bahn gelangt, nur das nächste wortverständnis der einzelnen stelle zu suchen. die philosophische poetik, die geschichtliche erfassung des werkes und des dichters, ja auch nur die erklärung des einzelnen werkes als eines ganzen hat sie teils niemals, teils nach Aristophanes wenigstens nicht mehr angestrebt. es gibt keinen versuch eine geschichte der tragödie oder eine technik des dramas oder eine theorie des tragischen zu schreiben. 219Recensio und emendatio in den tragödien der gesammtausgabe.deshalb hat dieses capitel von der zeit nach Aristophanes nichts zu be - richten gehabt, als was für die textkritik von bedeutung ist. wir werden sogleich sehen, wie schwer es den modernen geworden ist, der höheren pflicht sich auch nur bewuſst zu werden. da wollen wir lernen, daſs die textkritik zwar die erste aber auch die unterste stelle unter den künsten einnimmt, die der philologe an den tragikern zu beweisen hat. aber auch wenn man das begriffen hat und danach zu leben sucht, so wird man gestehen dürfen, daſs die verschiedenheit der bedingungen, unter denen sie zu üben ist, die fülle des materiales, die schwierigkeit und auch die möglichkeit eines schönen erfolges der Euripideskritik einen reiz verleiht, wie er nicht so leicht sonst zu finden ist, und daſs zwar ein anfänger positives nur sehr schwer hervorbringen wird, aber kaum an einem andern classiker so viel für die methode der recensio wie der emendatio lernen kann.
Handschriften der tragiker sind schon früh in den occident gelangt. Laurent. 32, 2 war 1348 in Avignon und im 15. jahrhundert in der privatbibliothek der Medici1)Es führte die nummer 58 tragedia Euripidis et Sophoclis et Eschili in papyro, Piccolomini intorno alle condizioni e vicende della libreria Medicea privata p. 83.. Laurent. 32, 9 kam durch Aurispa 1423 nach Venedig; also die beste Quelle für Aischylos und Sophokles, die reichste und zur hälfte auch reinste für Euripides war gefunden. aber die gedichte waren zu schwer, teilweis auch zu entstellt, als daſs selbst von den des griechischen kundigen humanisten viele sie hätten lesen können, und eine übersetzung, wie sie historiker philosophen ärzte er - schloſs, half für die dichter nichts. so sind denn abschriften in Italien nur wenig gemacht2)Von dem Laurentianus C sind mehrere vorhanden und eher als er selbst für den text benutzt. da sie aber aus C genommen sind, nachdem die gelehrten ihn verwüstet hatten, haben sie nur geschadet. da der kritische apparat diese correc - turen alle fortwirft, so erscheinen die apographa nur ein par mal für kleine ver - besserungen aus conjectur. eine vergleichung der gröſseren Kirchhoff’schen ausgabe kann lehren, ein wie falsches bild aus ihnen und einer vergleichung, die wie sie nicht auf die erste hand zurückgieng, von C gewonnen ward., und die drucker haben sich erst dann auf diese wie die meisten anderen griechischen dichter geworfen, als sie tüchtige griechische gelehrte zu herausgebern gewinnen konnten. Griechen, aber eben nur Griechen, haben auch in den handschriften selbst die spuren ihrer lecture zahlreich hinterlassen. ihrer ganzen art nach waren sie den italienischen humanisten ähnlich, und das meiste was sie gemacht haben beseitigen wir als interpolation. aber ein mann befand sich unter ihnen, dessen lange verkannte bedeutung immer mehr ans licht tritt, ja den man wol als das bedeutendste emendatorische talent bezeichnen muſs, welches das griechische volk bisher hervorgebracht hat, der Kreter Marcus221Bekanntwerden der tragiker in Italien. die französische philologie.Musurus, der nicht nur Euripides und Theokrit, sondern auch Hesych Athenaeus die Aristophanesscholien mit groſser kühnheit aber auch mit groſsem geschick zu bearbeiten verstanden hat3)Über ihn vornehmlich zu vergleichen F. Didot Alde Manuce und was im anhang zu M. Schmidts gröſserem Hesych beigebracht ist. Musurus verdient eine monographie.. er besaſs selbst das jetzt als Palatin. 287 im Vatican befindliche bruchstück der oben s. 208 behandelten handschrift, hat die euripideischen dramen darin durchcor - rigirt und nicht ausschlieſslich aber wesentlich danach bei Aldus 1503 herausgegeben. diese grundlage des textes ist bis in die zweite hälfte des 18. jahrhunderts unerschüttert geblieben. ein viel mehr genannter aber weit geringerer gelehrter, Johannes Laskaris, hatte zugang zum Laur. 32, 9, als er in Rom 1518 die Sophoklesscholien herausgab, die somit von anfang an auf der besten grundlage ruhten. der text des Sophokles war schon 1502 in Venedig gedruckt, zwar nicht aus dem Laurentianus, aber doch aus einer leidlichen handschrift. dagegen standen Arsenios, dem herausgeber der Euripidesscholien (Rom 1534) nur sehr schlechte byzantinische handschriften zu gebote, und da hat erst das 19. jahrhundert besserung gebracht. den text des Aischylos, der vorher aus minder - wertigen handschriften genommen war, stellten Robortelli (1552) und P. Vettori (1557) auf grund des Laur. 32, 9 fest, nicht ohne eine anzahl bleibender eigener verbesserungen. Victorius, dem nicht nur die schätze der Florentiner bibliotheken offen standen4)Er hat auch die bisher übersehene Elektra des Euripides 1545 aus dem Laurentianus veröffentlicht, den er besser gelesen hatte als die abschreiber, nach denen man ihn seit Musgrave zu berichtigen pflegte., sondern der mit einer be - deutenden sprachkenntnis die einsicht in das geschäft der kritischen recensio verband, war leider auf lange zeit der letzte Hellenist Italiens. von nun an schlummerten die besten tragikerhandschriften in Italiens bücherschränken, bis fremde gelehrte sie im 19. jahrhundert hervorzogen. die gegenreformation hatte ihre schuldigkeit getan.
Diesseits der Alpen konnte man sich zunächst nur receptiv ver -Die franzö - sische phi - lologie. halten, denn erst mit den gedruckten büchern überschritt der Helle - nismus die grenzen Italiens. aber die empfänglichkeit war eine erstaun - liche. sehr bald begann man die griechischen bücher nachzudrucken, und immer neue auflagen wurden nötig. dabei verbesserten die gelehrten, welche in den druckereien die correctur überwachten, hie und da eine kleinigkeit; eine eingreifendere tätigkeit beabsichtigten sie nicht, und die grundlage des textes zu ändern fehlten ihnen die mittel, oder sie sahen222Wege und ziele der modernen tragikerkritik.verständigermaſsen ein, daſs die handschriften, die etwa in ihre hände kamen, einen schlechteren text enthielten als die vulgata. selbst H. Ste - phanus hat für die dichter keine hervorragende bedeutung, nur in einem falle ward ein für 200 jahre erfolgreicher aber sehr unheilvoller versuch gewagt, die grundlage umzustürzen. Adrianus Turnebus (1553) baute einen Sophoklestext auf die gründlich verwüstete recension des Triclinius und schuf so die vulgata, deren zerstörung das hauptverdienst Ph. Bruncks ist. die ansätze zu einer erklärung, welche man machte, waren und blieben dürftig. nur der Holländer Wilhelm Canter, auch sonst ein scharf - sinniger verbesserer, half in den chören wesentlich weiter, indem er in zahlreichen liedern die responsion erkannte und danach abteilte. indessen stand man den lyrischen partien fortdauernd hilflos gegenüber; die ver - suche der byzantinischen gelehrten letzter zeit waren fast das einzige, woran man sich halten konnte. nach ihrem vorgange pflegte man die strophen in sehr kleine verschen zu zerstücken, die man dann ängstlich einzeln numerirte oder doch zählte, und das höchste war, daſs man den einzelnen einen aus den metrischen traktaten geborgten namen gab. das ist erst durch Gottfried Hermann ganz beseitigt; nur unsere verszählung, an welcher zu rütteln immer wieder, glücklicher weise vergeblich, ver - sucht wird, trägt davon die dauernden spuren. auch die sitte brach sich bahn, die griechischen dramen (wie auch die lateinischen) in 5 acte zu teilen, weil Horaz das zu fordern schien, und auch das hat bis zum ende des 18. jahrhunderts gegolten. übersetzungen wurden vielfach versucht, zum teil von namhaften männern wie Florens Christianus; ja sogar Joseph Scaliger lieferte den ‘Aiax lorarius’. den groſsen sprachkünstler ver - leugnete er auch hier nicht; daſs es nicht ohne stillosigkeit abgieng, zeigt schon der titel. und mochte den zeitgenossen der dialog einigermaſsen den eindruck wiedergeben, den sie von einem sophokleischen drama erwarteten, der dann freilich von dem was das echt attische und sopho - kleische ist, ernste maſsvolle farbensatte schönheit, weit entfernt ist, so fallen die chöre gänzlich ab5)Man sehe als probe die wiedergabe der schönen strophe Ai. 624 sed cum vetustatis obsita tempore canis et annis audibit anus parens hunc rabere mente captum, lusciniae ilicet lamentabile carmen volitantis non illa occinet: ast lucti - ficum integrabit lessum. pectora palmis atris tonsa sonabunt, incanamque manus comam lacerabunt. Scaligers griechische verse stehen, auch wenn man von den zahlreichen verstöſsen gegen sprache und versmaſs absieht, höchstens auf der höhe byzantinischer poeten wie Palladas oder Paulus des silentiars. es sind wesentlich reminiscenzen, die eine gigantische gelehrsamkeit in einem selten trügenden gedächtnis bereit hält, und auch wo ein bestimmter stil wiedergegeben werden soll, fehlt es; sie hat man damals überhaupt weder ver -223Die französische philologie.standen noch geliebt. aufführungen der dramen sind auch, vornehmlich in schulkreisen, vorgekommen; es ist das aber, wie die gegenwart zeigt, ein experiment, welches weder für liebe noch für verständnis der antiken tragödie zeugnis ablegt.
Die groſsen philologen Frankreichs, Scaliger an der spitze, haben, wie es nicht anders sein konnte, bei gelegentlicher berührung mancherlei auch in den tragikern erläutert und verbessert, Casaubonus auch in seiner abhandlung de satyrica Graecorum poesi für ein capitel der litteratur - geschichte die unverrückbaren grundlinien mit weitem und scharfem blicke gezogen. es ist nicht fraglich, daſs diese generation, wenn sie auf die tragödie anhaltendere studien verwendet hätte, mit leichter mühe etwa das erledigt haben würde, was 200 jahre später der generation gelang, die vor Porson und Hermann vorhergieng. allein es ist doch kein zufall, daſs sie eben für diese wie überhaupt für die classische griechische poesie (und eigentlich auch die classische prosa) ein geringes interesse zeigte. die groſsen philo - logen waren eben Franzosen, sie hatten teil an jener groſsartigen cultur - entwickelung, welche wir die französische renaissance nennen, mit einem namen der übel gewählt ist. denn es erstand nichts was jemals so oder ähnlich gewesen war, sondern das seiner selbst bewuſst gewordene fran - zösische volkstum, culminirend in einem stolzen prächtigen aber auch für die bildung empfänglichen adel, aus dem sich immer höher der könig - liche hof erhob, nahm die gesammten culturelemente der italienischen hochrenaissance, darunter auch das wiedererweckte altertum, in sich auf, nur um im folgenden jahrhundert in staat und kirche, dichtung und denken seine echtbürtige und eigene groſsartige cultur zu entfalten. es ist natürlich, daſs in den zeiten der vorbereitung der anschluſs an fremde vorbilder stärker ist als in denen der vollendung. es ist auch unleugbar, daſs das griechische auf die französische renaissance stärker eingewirkt hat als auf die italienische, von deren classikern zwar Macchiavelli im grunde griechische gedanken nachdenkt und der modernen cultur zuführt, aber wer würde bei Ariosto an etwas griechisches erinnert? bei Ronsard und vollends bei Montaigne ist das anders6)So wenig auch Montaigne nach seinen eigenen erzählungen selbst vom griechischen verstanden hat, so stark ist doch die verwandtschaft nicht nur seiner denkart sondern auch seiner schriftstellerei mit den aufsätzen der griechischen popularphilosophie. auch wenn er Seneca wiedergibt, läſst er das pretiöse renom -. allein das altertum, an5)nicht an groben misgriffen. solche verse kann nicht machen, wer sein ohr an die wirk - lichen klänge der griechischen dichter gewöhnt hat. man vergleiche Hermanns boten - bericht aus Wallensteins tod mit Scaligers Catullübersetzungen um den abstand zu fühlen.224Wege und ziele der modernen tragikerkritik.welches man ansetzte, war doch nur das römische, das für alle Romanen gewissermaſsen die cultur der vorfahren war, und wenn griechisches hineinspielte, so war es das griechisch des zwiesprachigen weltreichs der Caesaren. die specifisch griechische cultur, die des Homer und Pindar, des Euripides Platon und Demosthenes, kam nicht stärker in betracht, als sie es für das kaiserliche Rom getan hatte. die alten muster lieſs man als solche gelten; aber wenn es zur anwendung kam, so transponirte man unwillkürlich die griechische poesie in die römische eloquentia. Julius Caesar Scaliger war nur consequenter und vor allem ehrlicher als die menge; seine poetik gibt nicht nur von der geringschätzung sondern von dem widerwillen ein treffendes bild, den die echte hellenische kunst dem Romanen des 16. jahrhunderts einflöſsen muſste. so lästerlich mochte man nicht reden, aber man handelte ganz in seinem sinne, und es wäre ein unglück gewesen, wenn man es anders getan hätte: denn nur so konnte sich die eigenart der französischen poesie entwickeln. mag man im 17. jahrhundert dann noch so viel von den Griechen reden, mag man sich am hofe Ludwigs XIV. gerade dessen berühmen, die griechische tragödie erneut zu haben, mag Racine sich stoffe und wendungen im Euripides und gar im Aristophanes suchen, mag die aesthetische theorie in der tat so viel an Aristoteles und Horaz herumklauben, daſs sie weder diese noch die eigene poesie mehr versteht: der moderne und speciell der Deutsche muſs sich nachgerade nicht mehr beirren lassen. es war recht und gut, daſs seiner zeit dargetan ward, wie unvergleichbar Racine und Euripides sind, und daſs Aristoteles mit der theorie und praxis des französischen theaters nichts zu tun hat7)Wir laufen sonst wirklich gefahr nach der anderen seite ebenso lächerlich zu werden wie diejenigen Franzosen, die ein seltsamer weise auch von verständigen gelobtes buch repräsentirt. Patin études sur les tragiques Grecs2 IV 327 läſst sich also vernehmen: ce n’était pas réellement ta tragédie Grecque que décrivait Aristote, c’était une autre tragédie, qui devait se montrer bien longtemps après lui sur la scène française.. es ist gut und recht, daſs man in Boileau den poesielosen pedanten trotz allem wolklang der verse und noch mehr der perioden nicht verkennt: aber nachgerade sollte man6)mistische, den haut gout verschwinden, und was dann von Seneca bleibt, ist eben griechische popularphilosophie. heut zu tage ist es mode Montaigne zu loben, und das ist recht, wenn nur über dem loben das lesen nicht vergessen wird, aber Plutarchs ethische schriften zu verachten: wie kann das recht sein, da doch Montaigne ihnen so viel verdankt? es wäre wol in der ordnung, daſs über keinen von beiden urteilte, wer nicht beide kennt, wol bemerkt aber den griechischen Plutarch, nicht den des Amyot.225Die französische philologie.die knabenstimmung fahren lassen und in den groſsen dramatikern der Franzosen groſse dichter anerkennen. sollen wir denn nicht so viel abstractionskraft besitzen, um an französischen heldinnen die namen Iphi - génie und Oreste und in ihren schicksalen die alten sagenmotive hinzu - nehmen, ohne von ihnen zu fordern, daſs sie Hellenen wären? 8)In wahrheit bedarf man einer nicht viel geringeren abstraction, wenn man Ovids Metamorphosen mit genuſs lesen will: an die götter und heroen darf man nicht denken. durch die unverantwortliche verwendung des frivolen komischen epos neben und vor Homer im der knabenschule ist freilich zumeist das gefühl für ernst und heiligkeit der sage ertötet und die phantasie vergiftet, so daſs das echte epos nicht mehr wirken kann.Goethe war darüber schom beim beginn dieses jahrhunderts hinweg, noch ehe August Schlegel den Franzosen auf der höhe ihrer weltbeherrschenden macht die comparaison entre la Phèdre de Racine et celle d’Euripide entgegenhielt. nun wäre es wol an der zeit, daſs die geschichtliche wür - digung beiden dichtern gleich zu teil würde. aber freilich, es ist vielleicht gerecht, daſs nun die französische tragödie durch ungerechte schätzung dafür büſst, der würdigung und dem verständnis der attischen mehrere generationen lang eintrag getan zu haben. denn an ihr liegt es, daſs Frankreich für die griechischen tragiker bis auf den heutigen tag äuſserst wenig geleistet hat, und daſs die suprematie der französischen litteratur gebrochen werden muſste, damit die attische verstanden würde. was von Franzosen im 17. und 18. jahrhundert über die griechischen tragiker geschrieben ist, kann man, was diese betrifft, ungelesen lassen. die Fran - zosen beginnen ja überhaupt erst seit einem menschenalter etwa durch die teilnahme an der deutschen culturentwickelung für den echten Helle - nismus empfänglich zu werden.
Ehe man dazu sich verstieg, erst es den Athenern gleich tun zu wollen, und dann sich in dem naiven hochgefühle zu wiegen, ihnen weit über zu sein (wie das bei Voltaire in scherz und ernst hervortritt), muſste freilich der geschichtliche sinn erst ausgetrieben, muſsten die griechischen studien von der beherrschenden höhe, die sie zu Scaligers zeit einnahmen, auf den kümmerlichen stand gesunken sein, den sie, wenn man von der patristik absieht, in dem classischen Frankreich einnahmen. das besorgte der bund des absolutismus mit der gegenreformation. man wollte nur die Huguenotten beseitigen und beseitigte den Hellenismus mit, denn seine träger waren die vorkämpfer der reformation. Scaliger und sein kreis ist freilich nicht abgetan mit der bezeichnung als träger der roma - nischen cultur. sie hatten mit der reformation die freiheit des christen -v. Wilamowitz I. 15226Wege und ziele der modernen tragikerkritik.menschen erworben, und sie entnahmen der antike die freiheit des menschen; so erhoben sie sich zu einer so groſsartigen und allumfassen - den idee von der wissenschaft, wie sie nur Aristoteles gelehrt hat, und zu einer idee von der gröſse der philologie, wie sie den Hellenen nie ganz zum bewuſstsein gekommen ist. Scaligers auge hat die geschichts - wissenschaft schon voll begriffen, weder vor der morgendämmerung des orients noch vor den nebeln der kirchengeschichte zurückschreckend. es ist nur wahr und gerecht, wie Niebuhr ihn gepriesen hat, und es ist bezeichnend, daſs Niebuhr, aber erst Niebuhr an ihn ansetzt. groſsartige unternehmungen, wie die sammlung der inschriften, nicht als curiositäten, sondern als urkunden, die sammlung der grammatiker, nicht um von ihnen latein schreiben zu lernen, sondern um aus ihnen das zertrümmerte material alter gelehrsamkeit zu gewinnen, die wiederherstellung verlorner litteraturwerke aus den bruchstücken, wie des Ennius und Lucilius, sind von jener generation in angriff genommen. es lag in der natur des materiales sowol als der zeitrichtung, daſs solche unternehmungen dem römischen altertum zunächst galten; aber wenn die entwickelung dauer gehabt hätte, so würde auch für das griechische die zeit gekommen sein. zur zeit war noch das auge für die ‘Griechenschönheit’ blind — das fehlte allen, und die ganze stolze philologie verkümmerte durch den sieg des katholicismus in Frankreich. Scaliger flüchtete sie freilich nach Holland; aber für den Hellenismus schlug in dem niederländischen volke keine verwandte ader, weder in Holland, das ruhmvoll freiheit glauben und sinnesart behauptete, noch in Brabant, das sich dem Romanismus ergab. die ‘lieblichste von allen scenen’ ist weder für van Dyk noch für Rembrandt zu malen. das protestantische südwestdeutschland würde am ehesten be - rufen gewesen sein, der wissenschaft eine stätte zu bieten. Heidelberg war für sie ein ganz anders vorbereiteter boden als Leyden. allein die Deutschen und zumal ihre höchsten stände waren noch zu arge barbaren, und allen hoffnungen machte der greuel der religionskriege ein ende. die griechischen handschriften der Pfälzer bibliothek giengen zu ehren der christenheit in den Vatican, zu schlafen neben ihren schwestern. Casau - bonus flüchtete nach England; aber es war nicht ein same, den er aus - gestreut hatte, als durch Richard Bentley um 1700 die englische philologie mit einem male zu beherrschender höhe emporwuchs. England hatte es vermocht, die bildungselemente des Romanismus ganz aufzunehmen, ohne seine eigenart zu verlieren. es hatte während des 17. jahrhunderts, wenig verflochten in die geschicke des continents, die gewaltigsten stürme sowol im staatlichen wie im religiösen leben überstanden; mit der definitiven227Die französische philologie. die Engländer.feststellung des nationalen staatswesen durch die revolution von 1688 ἔσχε τὴν ἑαυτοῦ φύσιν. nach einem menschenalter gestehn ihm freier denkende Franzosen eine der ihren ebenbürtige oder doch eine eigen - artige cultur zu. England hat durch sie wie überhaupt die moderne welt - gesittung so auch den Hellenismus vor dem barocken Romanismus gerettet, mit dem er schlechthin unvereinbar ist.
Die entwickelung der englischen philologie von Bentleys brief anDie Engländer. Mill bis zu dem unseligen jahre 1825, wo Peter Dobree in das grab sank, das sich kaum über Peter Elmsley geschlossen hatte, ist eine streng einheitliche, und die attische poesie steht dauernd im mittelpunkte des interesses. wir modernen lassen uns leicht verleiten, auch wenn wir nicht die kindereien des tages mitmachen, diese groſsen Engländer geringer zu schätzen, weil wir mit den ergebnissen ihrer forschung wie mit einem ohne dank hingenommenen gemeingut wirtschaften. in der tat, vielerlei was sie mühsam gefunden haben, hat man jetzt nicht mehr nötig bei ihnen zu lernen; wer überhaupt ein bischen attisch lernt, lernt es gleich mit den elementen von formenlehre und syntax. in den scenischen gedichten ist keine seite, die nicht die spuren ihrer arbeit trägt, auch wenn keine ihrer conjecturen darauf steht. am besten lernt man es wol am Aristo - phanes, zumal in den stücken, welche im altertum fast rein erhalten nur von dem schmutze zu befreien waren, den die byzantinischen jahrhunderte angesetzt hatten: da ist für uns moderne zu verbessern kaum noch etwas übrig, und es ist eigentlich auch nur ein zufall, ob Bentley oder Porson oder Dobree die stelle verbessert hat. sie würden das wahre alle gleichermaſsen in gleicher weise gefunden haben; wer es getan hat, hängt nur von dem zufall des ersten gewahrwerdens der verderbnis ab. es ist eben eine ganz bestimmte methode, die sie alle anwenden; die unterschiede des könnens sind graduell, die schranken desselben fallen aber fast immer mit den schranken des wollens zusammen. die recensio in ihrer wichtigkeit hat zwar Bentley erkannt und zu üben gewagt, aber doch nicht durchgehends, und für das griechische tritt es auch bei ihm, der keine ausgabe gemacht hat, zurück. dabei bleibt es. mit den schätzen der Pariser bibliothek, die zum teil erschlossen werden, wird nicht viel operirt; erst Elmsley bringt von einer italienischen reise wertvolles material für Sophokles und Euripides heim, das er gleichwol selbst bei längerem leben schwerlich voll ausgenützt haben würde. man legt zunächst überhaupt wenig wert auf das fertigstellen der texte. Porson hat seine arbeit für den Glasgower druck des Aischylos sogar anonym gehalten. mehr als ein par stücke geben die wenigsten und gerade die vornehmsten kritiker nicht heraus;15*228Wege und ziele der modernen tragikerkritik.manche kommen über einzelbemerkungen kaum hinaus, wie Tyrwhitt. nur Musgrave, der aber in naher beziehung zu Holland steht und über - haupt nicht zur zunft gehört, macht gesammtausgaben, mit allerdings geringem handschriftlichem materiale und geringem ansatze zur erklärung, ein hastiges ungleiches in vielem dürftiges werk, aber doch auch ab - gesehen von der reichen ernte von gelungenem (bis heute nicht genug anerkanntem) höchst achtungswert durch das was er in seiner zeit allein anstrebte. für die koryphaeen ist ein gereinigter text zwar das ziel, aber der einzelne verzichtet darauf es zu erreichen. was man dafür als notwendig erkannt hat, ist das eine und groſse, die gesetze der sprache und des vers - baus aus den überlieferten texten selbst durch empirische beobachtung zu gewinnen und danach die überlieferung zu reinigen. mit der dichterkritik geht die der classischen prosa hand in hand; doch hat in ihr erst Dobree umfassendes geleistet. immerhin war also attische formenlehre und attische syntax und attische metrik das was man angestrebt und wofür man den grund gelegt hat. die scharfe zeitliche umgrenzung des beobachtungs - gebietes war von vorn herein ein vorzug, nur um so gröſser, als die deutschen gegner ihn nicht zu würdigen verstanden. es gehört nicht viel logik dazu einzusehen, daſs es ein cirkelweg ist die überlieferung nach den gesetzen die man ihr entnimmt zu verbessern, und es ist eben so nahe liegend für die ‘gesetze’, welche man aufstellte und gemäſs dem englischen nationalcharakter gern als unverbrüchliche nicht ohne pedan - tismus aufrecht zu haltende canones ausgab, eine innere begründung zu fordern und die rechte der individuellen dichterfreiheit wider das starre gesetz zu verteidigen. tatsache ist, daſs zwar G. Hermann eine sehr viel tiefere auffassung von der grammatik als wissenschaft zum siege geführt hat, daſs aber seine eigene verteidigung der anomalie nicht besser stand gehalten hat, als es die anomalie immer zu tun pflegt. jetzt, wo die ge - schichtliche grammatik und die urkundlichen zeugnisse des gebrauches in den inschriften als schiedsrichter zwischen Hermanns und Elmsleys regeln stehen, ist im wesentlichen der sieg zu gunsten der Engländer ent - schieden. ohne zweifel muſs es nicht nur für den arbeiter selbst ver - dummend wirken, wenn das kritische geschäft zum zählen des statistikers wird, und dann mechanisch nach dem majoritätsprincip entschieden wird; aber so geht es doch nur, wenn unreife oder geistlose hände treiben was sie lassen sollten. wie hoch ist nicht der berg von makulatur, der durch solche dissertationen ‘über den sprachgebrauch so und so bei dem und dem’ in Deutschland gehäuft ist. nicht minder zweifellos ist, daſs die ver - teidigung der anomalien durch grammatische düfteleien, wie sie in vielen229Die Engländer.dicken ausgaben namentlich griechischer prosaiker unter dem einflusse von Hermanns lehre geübt worden ist, auch nicht viel mehr als makulatur hervorgebracht hat. es bestätigt sich auch hier, daſs die methode nicht selig macht, sondern daſs es begabung und arbeit, das selbsterworbene wissen und die geistige potenz ist, was darüber entscheidet, ob das lebens - fähig ist, was ein mann in der wissenschaft leistet. was er für die wissen - schaft ist und bleibt, das liegt freilich zuletzt im charakter: denn auch hier zahlen nur gemeine naturen mit dem was sie tun. um so erhebender ist der anblick, wie der zuerst so heftige kampf zwischen den groſsen Engländern und Hermann sammt seinen schülern sich endlich auflöst in die anerkennung gegenseitiger ebenbürtigkeit und ergänzung. aber zum schwersten schaden für die tragikerkritik riſs ein früher tod die be - deutendsten englischen meister fort, und die schule zeigte sofort den ver - fall, indem sie mit famulusgeschäftigkeit jedes gedankenspänchen Porsons conservirte und consecrirte. England tritt von dem schauplatz gänzlich zurück, und erst in der allerneuesten zeit, wo die landschaftlichen unter - schiede sich in eine internationale philologie fast ganz aufgelöst haben, regt sich neues leben, bezeichnender weise in denselben diametral ent - gegengesetzten richtungen wie auf dem continent, sowol radical alles umstürzend, wie reactionär die errungenschaften der meister preisgebend.
Daſs das gebiet welches die englische philologie allein bearbeitete ein sehr enges war, wenn auch zum groſsen teile durch selbstbeschränkung, wird niemand mehr verkennen. die chorlieder fallen so gut wie ganz fort, denn ihre sprache geht in die atthis nicht auf. für die grammatik der Porsonschen schule waren sie also incommensurabel; man hielt sich in ihr ja auch von Pindar und, hierin hinter Bentley zurückweichend, von Homer fern. die metrik der lieder entzog sich dem empirischen con - statiren des gebrauches, das im dialoge ausreichend war. freilich ist selbst im Homer mit denselben mitteln sehr viel zu erreichen; es ist dieselbe methode, mit welcher Im. Bekker und nach ihm viele bedeutende gelehrte den bann des schlendrians gebrochen haben. für die metrik der chöre findet man ansätze zu solcher observation bei Elmsley und Gaisford (zum Hephaestion); Seidlers buch de versibus dochmiacis beherrscht deshalb die texte heute noch, weil er weit mehr mit den Engländern beobachtet als mit Hermann systematisirt hat. auf diesem gebiete muſs die rechte nachfolge für Porsons vorrede zur Hekabe erst kommen. man wird aber nicht bezweifeln, daſs nach dieser seite die Porsonsche schule entwicke - lungsfähig war. aber nach einer anderen wichtigeren war sie es nicht. daſs mehr als zu sätzen geordnete attische wörter in den behandelten texten230Wege und ziele der modernen tragikerkritik.stünden, scheint den groſsen grammatikern gar nicht zum bewuſstsein zu kommen. auch nur den gedankenzusammenhang zu erläutern versäumen sie in ihren ausgaben so gut wie durchweg, und es ist bezeichnend daſs athetese und umstellung von versen sich in ihrer kritischen rüstkammer nicht vorfinden. daſs es vollends gedichte sind, die sie behandeln, und daſs die dichter menschen sind, für deren offenbarung sie die dolmetscher sein sollten, davon trifft man das bewuſstsein noch seltener. das histo - rische gefühl ist äuſserst fein, wenn es sich um ein wort oder eine con - struction handelt; weiter reicht es nicht. wer die rede liest, die Porson bei der übernahme seiner professur in Cambridge gehalten hat, wird mit grauen den scharfen kritiker jede hirnlose fabel weitergeben sehen, und wird sich angesichts des trivialsten geredes über die poesie des Euripides und den wert der Hekabe freuen, daſs der groſse sprachmeister über das sprachliche sonst nie hinausgegangen ist. wertvoll ist an der rede nur das geständnis, daſs ihm Euripides der liebste tragiker war, weil in seiner sprache (d. h. im dialog; von den chören ist auch hier keine rede) nativa venustas et inaffectata simplicitas enthalten sei. Porson war ein leidenschaft - licher verehrer Shakespeares: wer den groſsen philologen lieb hat, wird sich gern damit trösten, daſs er also doch für poesie als solche empfäng - lich war: die attischen dichter hat er nur als meister der λέξις angesehen und geschätzt.
Darin waren männer anderer nationen Porson überlegen, so wenig sie den vergleich mit seinem scharfsinn und wissen aushalten mögen. der liebenswürdige Elsässer Philipp Brunck hatte schon das voraus, daſs er nicht von der zunft war, sondern als französischer kriegscommissar in Gieſsen von der liebe zur griechischen poesie für den dienst derselben gewonnen wurde. was verschlägt es, daſs er niemals die sprachliche sicherheit gewann, und deshalb sich gern an zweifelhafte aber für den gebrauch bequem formulirte canones als autoritäten anschloſs? was ver - schlägt es auch, daſs sein name als vater von conjecturen nicht sehr häufig unter unseren texten steht? ins weite hat er durch seine zahl - reichen ausgaben, unter denen die tragiker allerdings nicht in erster reihe stehn, mehr gewirkt als die esoterische lehre der Engländer. er lieferte dem erstarkenden gefallen an der alten poesie die mittel, schon weil seine sauberen geschmackvoll ausgestatteten bücher von einem eleganten sohne des 18. jahrhunderts auch für elegante hände bestimmt waren. und ihm war es immer gegenwärtig, daſs er poesie behandelte. er lieſs sich aber auch angelegen sein, das handschriftliche material zu beschaffen, und was Paris davon bot, hat er erschlossen. so kam der codex 2712 für Sophokles,231Brunck. die Holländer.die mehrzahl der aristophanischen stücke und einige euripideische zu seinem rechte. das war überall ein groſser fortschritt: im Sophokles war es die befreiung von dem triclinischen firniſs.
Das schulhaupt der zünftigen in gelehrtenstolz und gelehrtenbe -Die Holländer. schränktheit sich wiegenden holländischen philologie, die seit Tiberius Hemsterhuys nicht ohne Bentleys einwirkung den Hellenismus wieder auf - genommen hatte, Ludwig Caspar Valckenaer, war ein ganz anderer mann. von poesie war ihm wenig mehr als ein schimmer des französischen classi - cismus aufgegangen, aber er übertraf an wucht der gelehrsamkeit alle zeitgenossen, und wenn er auch in den commentaren den gelehrten klein - kram auslegte und deshalb dem spotte Porsons verfiel, so war das übel placirte doch meist wirklich wissenswertes und stets selbsterworbenes gut. die beiden berühmten ausgaben von Euripides Phoenissen und Hippolytos haben das verständnis dieser dramen nicht eben stark gefördert, und die conjecturale begabung und auch das stilgefühl Valckenaers war für die poesie nicht stark. aber indem er die scholien der Phoenissen mit heran - zog, wies er auf ein wichtiges lange vernachlässigtes gebiet hin, und für die tragiker selbst hat er dadurch ein dauerndes, vergeblich von G. Hermann bestrittenes, verdienst, daſs er auf die interpolationen des euripideischen textes aufmerksam ward. der misbrauch, den das 19. jahrhundert mit diesem kritischen heilmittel getrieben hat und den es als besonderen schandfleck in der zukunft tragen wird, hebt das verdienst Valckenaers nicht auf, die tatsache, daſs der text der attischen dichter von stücken unberufener hand durchsetzt ist, zur anerkennung gebracht zu haben. doch die vornehmste bedeutung, weit über das greifend was er selbst ahnte, hat sein bestreben gewonnen, aus den resten der verlornen dramen und den berichten über ihren inhalt wenigstens ein bild von dem ver - lornen wieder zu gewinnen. hier gieng es der gelehrsamkeit, welche die ganze weite der späteren litteratur durchmaſs, endlich auf, daſs in dieser mehr zu finden wäre als ein sentenzchen oder die gegenseitige emendation von original und copie: sie fand den prüfstein der kritik, der das katzen - gold der tragikersprüche überführte, mit denen Juden und Christen für ihre dogmen propaganda gemacht hatten; sie überzeugte sich, daſs die splitter der zertrümmerten kunstwerke im schutte der nachwelt so zahl - reich waren, daſs sie gesammelt und gesäubert für einzelnes wenigstens die restauration ermöglichten. es hat allerdings lange gedauert, bis Valckenaer auf diesem gebiete nachfolge erhielt, und sie kam nicht von streng philologischer seite. in Holland fand seine arbeit für die dichter überhaupt wenig nachfolge. als der groſse gelehrte, der ein jahrhundert232Wege und ziele der modernen tragikerkritik.nach ihm schulhaupt ward und als ein neuer Phrynichus die bürste eines unerbittlichen atticismus ergriff und so die texte der echten und der nach - ahmenden attischen prosaiker von den flecken der überlieferung und den spinneweben der beschönigenden commentare befreite, da hatten die attischen komiker einen starken nutzen davon; für die tragiker konnte der natur der sache nach nicht eben viel erreicht werden. ihre sprache läſst sich, auch abgesehen von den chorliedern, die überhaupt unberührt blieben, nicht über einen kamm scheren, und wo das am ehesten zu gehen schien und am meisten versucht ward, im euripideischen dialog, war der erfolg ein sehr mäſsiger, weil Euripides nicht in prosa geschrieben hat, am wenigsten in trivialer. neben oder vielmehr unter dem meister haben andere Holländer die conjecturenmache en gros um so schwungvoller betrieben, als sie die palaeographische routine und das bequeme glauben an dogmen zur beflügelung hatten, und weder die last sachlichen wissens noch die bedenklichkeiten geschichtlicher oder philosophischer betrachtung ihre schritte hemmten.
Auf Deutschland sah Porson mit verachtung herab; er parodirte die alten verse des Demodokos sehr artig also The Germans in Greek are sadly to seek, all, save only Hermann, and Hermann is a German. man konnte es ihm kaum verdenken; nur einen können wir vor Hermann aufweisen, der an sprachkenntnis im ganzen keinem nachstand, an erfind - samkeit Porson und seine schüler alle (auſser Dobree vielleicht) übertraf, und auch in den tragikern, bei denen der rastlose wanderer auf seinem zuge durch die ungemessene weite mehrerer litteraturen doch nur kurz verweilt hatte, überraschend viel bleibendes geschaffen hat, obwol ihm nie aufgegangen ist, was ein trimeter ist, und er der sprache manche unmöglichkeiten, vieles unerträgliche zugemutet hat: ein mann, dem die Chariten so wenig wie die Moiren je gelächelt haben, und der doch des geschickes durch eigene sittliche kraft herr ward, und für die edelsten kunstwerke durch seines geistes kraft mehr geleistet hat als die meisten verwöhnten lieblinge der Charis. Johann Jacob Reiske, den die perrücken von Leyden und Leipzig, die geheimderäte von Halle und die hofräte von Göttingen nicht aufkommen lieſsen, der aber Lessing zum freunde hatte, steht allein als vertreter des Hellenismus in Deutschland, in das er so wenig hinein gehörte wie Winckelmann. man hat ihm erst nach dem tode sein recht gegeben. quis hodie non contemnit Dorvillium, Reiskium non admiratur, hat Cobet gesagt.
Reiske hatte selbst so gut wie keine nachfolge; es war ein menschen - alter später, daſs Porson seinen widerwillen gegen die deutschen Helle -233Reiske. die goethische zeit.nisten aussprechen konnte. und doch wurzelt die philologie, die heute und in zukunft allein eine existenzberechtigung hat, in dem was Deutsche männer zu Reiskes zeit und in der folgenden generation geschaffen oder begründet haben. Lessing verstand zwar, die wahrheit zu gestehen, recht unvollkommen griechisch (die Lessingphilologen überschätzen es), hatte auch speciell von den tragikern nachweislich nicht viel gelesen, und für ihre besondere gröſse fehlte ihm auſser dem geschichtlichen verständnis, das niemand erwarten wird, sogar die innere empfindung9)Wer das hart geurteilt findet, der sehe im philologischen nachlaſs an, was Lessing gelesen und was er dabei notirt hat; von den vergleichungen mit Seneca als einer jugendarbeit zu schweigen. Lessing hat freilich ein leben des Sophokles geschrieben, und zwar so wie es kein deutscher philologe damals konnte. aber er gesteht so ziemlich selbst ein, daſs er dazu kam, weil der artikel Sophokles bei Bayle fehlte, und er hat in Bayles art zwar sehr viel über Sophokles zusammengetragen; der dichter als dichter ist indes in keiner weise zu seiner rechnung gekommen. es war ein ganz unwesentlicher umstand, daſs das object der kritischen polymathie zufällig ein attischer tragiker war. daſs der verfasser des Laokoon genau so zu der bildenden kunst stand wie der verfasser der Dramaturgie zu Aischylos, kann wol als zugestanden gelten.; aber selbst von seinem poetischen standpunkte aus, wo die poesie weit mehr als ein werk des witzes erschien denn als werk der phantasie, erfaſste er mit wunderbar sicherem trefferblick eine reihe der grundwahrheiten, und vor allem riſs er die hindernisse hinweg, die die barocke poetik vor die tragiker und den Aristoteles gestellt hatte. er lehrte die musterbilder der poesie und die regeln der poetik bei den Griechen selbst suchen. Winckelmann ergänzte sein werk; er eröffnete endlich die schwesterkunst der attischen dichtung dem verständnis, und bis auf den heutigen tag gilt es, daſs den Aischylos keiner recht begreift, der nicht für die sculpturwerke der attischen frühzeit ein herz hat, und daſs über diese nur stilistisches ge - fasel redet, wem die verse nicht im eigenen wollaut zu herzen gegangen sind. und Winckelmann gab mehr: er wies zuerst auf die sage als den gemeinsamen born hin, aus dem dichter und künstler getrunken haben; durch sein verdienst erscheinen die kunstwerke nicht mehr als etwas für sich bestehendes und gemachtes, sondern als die gewachsenen blüten am stamme der allgemeinen cultur des volkes. an Winckelmann und Lessing setzte Herder an. er schärfte den blick sowol für das nationale wie auch, und dies mit vorliebe, für das, was allen völkern unter ähnlichen culturbedingungen gemeinsam ist; die poesie erschien nun als eine trotz aller spaltung in mundarten dem menschengeschlecht gemeinsam ver - liehene sprache. seine herzbewegende predigt machte die seelen der234Wege und ziele der modernen tragikerkritik.modernen, in der dünnen luft des vernünftigen jahrhunderts blasirt ge - wordenen, menschen wieder naiv und kräftig um die frühlingsstürme, den wüstenbrand, den urwaldhauch vertragen zu können, in denen die jugend - liche menschheit die offenbarungen der naturreligion empfangen haben, aus denen alle und jede poesie erwachsen ist. nun drängten sich scharen begeisterter jünglinge wieder zu dem borne der hellenischen poesie. und einer war unter ihnen, der als jüngling bei dem meister gelernt hatte die irdische brust im morgenrot zu baden, und es als mann vermochte die poesie aus dem geiste und der wahrheit des Hellenentumes wieder - zugebären. jetzt erst wurden die philologen inne, welche schätze sie zu hüten, welches evangelium sie zu verkünden berufen sind. und für alle zeiten steht es fest, daſs die philologie ihre pflicht gegen die hellenischen dichter nur dann erfüllen kann, wenn sie dieselbe in goethischem sinne auffaſst.
Es geschah aber die befreiung des poetischen empfindens und ver - stehens wesentlich durch die wiedererweckung der homerischen poesie, und im drama durch die Shakespeares. die attischen dichter übten daneben eine verhältnismäſsig geringe macht direct aus, die wahrheit zu sagen, weil sie zu schwer zu verstehen waren. die genialische art, mit der man sich allenfalls des Homer bemächtigen konnte, versagte gegenüber einem attischen chorliede, und die übersetzungen halfen wenig weiter. Goethe hatte doch in Wetzlar ernsthafter griechisch getrieben als die meisten seines kreises, und hatte an Theokrit und Pindar mehr als genippt (die Goethephilologen unterschätzen das), aber um Götter Helden und Wieland zu schreiben hat er die Alkestis beim pater Brumoy und nicht beim Euri - pides nachgelesen10)Es macht sich doch etwas possierlich, daſs Goethe von ‘der königin der toten, der geleiterin zum Orkus’ redet, und diese gar ‘das unerbittliche schicksal’ nennt, weil dem Deutschen das männliche geschlecht des Todes die wiedergabe von la mort, cette orgueilleuse reine des ombres erschwert: an ἄνακτα τὸν μελάμπεπλον νεκρῶν Θάνατον denkt er nicht. Brumoy hat sich selbst darüber ausgesprochen, daſs er la mort gewagt hätte, wo die lateinischen übersetzer oreus gesetzt hatten (II 84 der ausgabe von 1730).. der Iphigenie sieht man es in ihrer italienischen gestalt dann freilich an, daſs die wucht der trimeter der sophokleischen Elektra unmittelbar auf sie gewirkt hat. seine Helena hat den Troerinnen des Euripides nicht nur das eingangsmotiv und manches in den chor - liedern entlehnt, sondern die kunstform der antiken tragödie war ihm damals so sehr in der tiefsten bedeutsamkeit und in den äuſserlichsten stilkennzeichen lebendig geworden, wie es nur durch die originale möglich235Die goethische zeit. Gottfried Hermann.ist. dachte er doch sogar daran, nicht nur den Prometheus, sondern selbst das sprödeste aller antiken dramen, die Hiketiden des Aischylos, durch nachdichtung des anschlieſsenden stückes zu ergänzen. aber er vermochte all das wesentlich durch die intuitive kraft der congenialität. dies vorrecht war keinem zweiten gegeben; selbst Schiller ist es nicht gelungen mit irgend einer andern hellenischen poesie auſser Homer ein innerliches verhältnis zu gewinnen. es ist eben nicht anders: man konnte in Deutschland kein griechisch.
Griechisch zu können und lehren zu können, die schande von demGottfried Hermann. deutschen namen zu entfernen, die er noch in Porsons augen mit recht trug, das war die nächste und wichtigste aufgabe der philologie; an ein mehr als an der oberfläche tastendes oder zu allgemeinheiten in un - sicherem fluge sich erhebendes verständnis der tragiker war vorher gar nicht zu denken. dies nächste und notwendigste geleistet zu haben ist Gottfried Hermanns verdienst. er konnte griechisch wie kein deutscher vor ihm, jeder spätere aber durch ihn, er durch eigene kraft aus dem lebendigen verkehre mit den schriftwerken. er lehrte viele generationen hinter einander griechisch, indem er sie wieder in den lebendigen ver - kehr mit den schriftstellern einführte, er übertrug auf sie das charisma seines geistes. das können war’s, was ihn zum groſsen manne machte. gleich unempfänglich für den kribskrabs der imagination wie für den krimskrams der erudition gieng er geraden weges auf das zu, was er wiederholt als das ziel seiner philologie hinstellte, das verständnis des geschriebenen. rücksichtslos schüttelte er alles ab, was ihm diese einfache aufgabe zu stören schien. mit dem frischen wagemute des reiters, der dem Deutschen das ideal des mannes ist, hielt er sich an die husaren - parole ‘vorwärts’; ἁπλοῦς ὁ μῦϑος τῆς ἀληϑείας ἔφυ. darin lag das geheimnis seiner macht; darum kam er wider seine absicht von kampf zu kampf, und blieb zwar nicht immer sieger, aber immer unbesiegt. er strebte nicht nach herrschaft, bescheiden wie er war, wenn auch nicht wie die lumpe bescheiden, aber er herrschte tatsächlich mehr als ein menschenalter, lieſs die philologie welche er vertrat bei seinem tode hauptlos zurück, und bestimmte speciell in den tragikern ihre geschicke weit über seinen tod hinaus.
Hermanns leben verlief fast ganz an dem ufer der Pleiſse, und ver - leugnen kann er nicht, daſs er das wasser getrunken hat, von dem Schillers Flüsse unehrerbietiges erzählen. er steht dem sächsischen rationalismus so nahe, daſs er für alle offenbarungen Herders und dann der romantik, selbst als diese sich zur geschichtswissenschaft ausbildet, unempfänglich236Wege und ziele der modernen tragikerkritik.ist. daſs er nicht in ihm versunken ist, dankt er der Kantischen philo - sophie. aber dem geschichtlichen betriebe der wissenschaft ward er auch durch diese nur noch mehr entfremdet. daſs ihm die grammatik nicht genügte, welche er vorfand, war natürlich, da er die sprache wirklich beherrschte. nun versuchte er ein neues system zu bauen. wir wohnen noch in den trümmern desselben, aber wir wissen längst, daſs die sprache als ein geschichtlich gewordenes der logischen distinctionen spottet, wissen, daſs Madvigs verdammungsurteil über die bücher de particula ἄν ein ge - rechtes ist, und daſs die wirklich wissenschaftliche behandlung der gram - matik vielmehr mit Ph. Buttmann beginnt. der jammervolle zustand der metrik, bei dem sich noch Valckenaer beruhigte, konnte Hermann ebenso wenig genügen; sein eignes ohr lehrte ihn die rhythmen Pindars und der tragischen lieder. so danken wir ihm, daſs diese als kunstwerke wirklich erst wieder lebendig wurden. aber aus abstracten theoremen über rhythmus und maſs kann niemals die verskunst einer concreten sprache erläutert werden11)Wes man sich zu versehen hat, dafür eine probe Elem. doctr. metr. 516 quis credat non ausos esse Graecos hosce praeclaros numeros admittere⏑ ⏑ ⏑ — ́ — ⏑ ⏑ — ́ — ⏑ — ́ — ⏑ ⏑ ⏑ — ́ ⏑ ⏑ — ́ ⏑ ⏑ — ́ ⏑ ⏑ ⏑ — ́ —quos Klopstockius usurpavit in his versibusda zu dem angriff bei dem waldstrom das kriegslied zu der vertilgenden schlacht und dem siege den befehl rief. credant hoc qui ab opinionibus quas semel conceperunt avelli se non patiuntur. ego ita sentio de illius gentis ingenio, nihil ut eos in quo venustatis aliqua aut sublimitatis laus esset intactum reliquisse putem. der kritische grundsatz, der vor - wurf vorgefaſster meinung gegen die gegner solcher schlüsse, die bewunderung der papiernen versschemata: was ist das ärgste?. so weit wir nicht unsere seele an ebenso abstracte und ungeschichtliche modernere theoreme verkauft haben, leben wir auch in der metrik unter den trümmern des Hermannschen systems: genügen konnte es schon den zeitgenossen nicht. aber wol muſs wieder und wieder hervorgehoben werden, daſs Hermann einmal in seinem leben, in der untersuchung über den Orpheus, zu der geschichtlichen verfolgung einer erscheinung in ihrem werden und ihrem wandel aufgestiegen ist, und daſs er mit dieser jugendarbeit in wahrheit sein höchstes geleistet hat. es ist von Hermanns büchern das einzige das kaum gealtert ist. ganz anders ist der eindruck, den man von den ältesten und zugleich bedeutendsten abhandlungen empfängt, die in den opuscula stehen. wer etwa sich in den strudel der meinungen gewagt hat, der zur zeit über den dialekt der griechischen dichtungen auch einzelne verständige männer fortreiſst, der wird mit sehr hohem interesse die abhandlungen lesen,237Gottfried Hermann.welche in wahrheit diese probleme aufgeworfen haben, de Graecae linguae dialectis und de dialecto Pindari; er wird es vielleicht pikant finden, daſs die erstere Heynes funfzigjähriges doctorjubiläum feiert und beginnt Graecae linguae cognitio his temporibus paucorum quidem sed eximiorum hominum studiis eos progressus fecit ut doctrinae loco haberi posse incipiat, und uns doch als eine schrift aus einer epoche der wissenschaft erscheint, auf deren standpunkt wir uns nur durch die stärkste historische abstrac - tion zurückversetzen. der zu selbstständigem denken gereifte mag in diesen schriften noch heute lebenskräftige keime entdecken; im ganzen sind sie wirklich veraltet. von Hermanns mythologie redet man aus pietät nicht. aber keinesweges veraltet, wenn auch leider am wenigsten gelesen, sind Hermanns ausgaben der tragiker, zumal die ältesten, durch welche er rasch den primat auf diesem gebiete errang, so daſs es scheinen könnte, er wäre zu dieser stellung nur deshalb gekommen, weil in der tat kein concurrent da war12)Als der junge Boeckh 1808 sein buch de tragicorum Graecorum princi - pibus ausgab, widmete er es Hermann, obwol er keine persönlichen beziehungen zu ihm hatte, und einen gewissen gegensatz zu ihm um so mehr empfinden muſste, als er litterargeschichtliche fragen behandelte. Hermann aber galt schon als der oberste richter in sachen der tragiker, und hatte doch noch nicht viel über sie ge - schrieben und darunter manches sehr voreilige. Boeckhs buch ist anmutig geschrieben und stellt selbständig interessante probleme. in so fern ist es seiner ganz würdig. aber positiv hat es wenig gefördert und zeigt namentlich verglichen mit den gleich - zeitigen platonischen arbeiten, daſs die poesie kein feld für den groſsen forscher war.. entstanden sind die ausgaben Euripideischer tra - gödien und auch die des Sophokles, welche neuauflagen der Erfurdtischen sind, aus dem praktischen bedürfnis, für Hermanns vorlesungen texte zu schaffen. es sind also ausgaben wie die Aristarchs: das substrat für das lebendige wort, welches der verfasser sicher war hinzufügen zu können. das gibt für die beschränkung der aufgabe eine zureichende erklärung; aber der leser hat nun wirklich nur einen teil von dem was Hermann gab, und da der kritische apparat für uns wertlos ist, auch nie wertvoll war, einen recht kleinen. es ist in der tat nicht sehr belangreich, ob er seine epikrise einer Elmsleyschen ausgabe in einer recension nieder - legte, wie bei der Medeia, oder in einer ausgabe, wie bei den Bakchen13)Hermann spricht das in der vorrede seiner Bakchen offen aus. sie enthält im übrigen nichts als eine lange untersuchung über die weglassung des augments im trimeter. also kann sich Goethe nicht, wie Jahn meint, auf sie beziehen, wenn er am 19. oct. 1823 an Hermann schreibt (Goethes briefe an Leipziger freunde2 338) “auch haben wir (er und Riemer) schon diese würdige den poetischen sinn voll - kommen durchdringende vorrede zusammen angefangen”. vorrede wird programm bedeuten und auf das von 1823 de Aeschyli Nioba gehen.. 238Wege und ziele der modernen tragikerkritik.als er dann sich an eine ausgabe des Euripides in groſsem stile machte, erschien freilich die erklärung reicher, und die einleitungen giengen aus - führlich auf die poetische würdigung des kunstwerks ein, allein er gestand halb und halb zu, daſs er doch nur erklärte, entweder warum er nicht änderte, oder warum er änderte, mit anderen worten, der zweck der ausgabe blieb die textkritik. wenn die gedichte nicht verdorben wären oder wenigstens dafür gehalten würden, so würde Hermann sie nicht herausgeben. und wie er es mit der κρίσις im antiken sinne hielt, haben die einleitungen besonders deutlich offenbart. was der tragiker tut, ist, daſs er sich einen stoff sucht, geeignet furcht und mitleid zu erregen, und den nach den gesetzen oder dem herkommen seiner kunst behandelt14)Eur. tragoediae ed. G. H. I p. XII der vorrede zur Hekabe. dort auch die ganze vorrede zur taurischen Iphigeneia nachzulesen. wie triviales dabei heraus - kommen konnte, sehe man in der vorrede zur Helene, haud optima haec tragoedia est .... quod nec gravis metus in ea nec magna miseratio est, und in den cor - recturen für die führung der dramatischen handlung in der vorrede der Phoenissen. hier wird das gedicht im ganzen an das kreuz der plumpen regel geschlagen, wie das versmaſs durch die forderung der auf sylbe und sylbenlänge congruenten responsion in den chören.. das wird verschieden sein, wenn es Euripides und wenn es Goethe ist, aber sie sind doch ohne weiteres concurrenten. es sind zuweilen sehr lesens - und beherzigenswerte auslassungen, nicht bloſs um des mannes willen, der Goethe zu erbauen verstand; aber wer wollte leugnen, daſs schon die damalige geschichtswissenschaft mehr fragen muſste und mehr beantworten konnte?
Die hermannische philologie ist noch durchaus die antike, oder viel - mehr wieder die antike, denn er schlieſst sich weder bewuſst noch durch tradition an die definition des Dionysios Thrax an. aber er hätte sein eigenes ziel nicht besser bezeichnen können. und wenn diese philologie schon zu den zeiten des Dionysios Thrax oder besser des Aristarch eine beschränkte war, und in ihrem abfalle von der aristotelischen wissenschaft sich der beginnende verfall offenbart, wie viel minder muſs dieselbe jetzt genügen, wo sich die philologie vielmehr aus aristarchischer beschränkung zu aristotelischer universalität gehoben hat. aber wie trotz alledem Aristarch in seiner bedeutung unverkleinert dasteht, so wird es mit Hermann bleiben. sie sind keine maestri di color che sanno, aber sie sind meister: man kann sehr leicht sagen was sie nicht sind, aber man genügt sich nicht, will man so oder so versuchen zu sagen, was sie sind, und könnte man’s, dem leser würde es nicht viel helfen. das will selbst erlebt239Gottfried Hermann. Welcker.sein. wenn man sich den kopf wirr gemacht hat, indem man alles ge - lehrte und verkehrte zeug über eine controverse stelle gelesen hat, und dann den echten sprachkenner ohne viel federlesens den nagel auf den kopf treffen sieht; wenn man sich durch irgend einen geistreichen blender hat fangen lassen, und dann mit einem worte, etwa lediglich durch eine übersetzung der textworte oder der conjectur, die hohlheit als solche bloſsgestellt wird; wenn man etwa im Pindar von der schaumschlägerei und geheimniskrämerei der exegeten übelkeit empfindet, und sich durch einen gesunden nüchternen trunk wiederherstellt: dann spürt man den hauch des hermannischen geistes. und so soll denn jeder an ihm lernen wie an Aristarch, lernen trotzdem er weiſs, daſs er nicht auf ihrem stand - punkt beharren darf, und daſs wer das tut, ganz gewiſs keinen hauch von ihrem geiste verspürt, geschweige denn empfangen hat.
Wenn man sich vorstellt, daſs jemand in einer kommenden zeitWelcker. ohne jede kenntnis von den tatsächlichen beziehungen bloſs nach dem eindruck, der von der gesammtleistung der groſsen männer bleiben wird, eine vermutung wagen sollte, ob Hermann oder Welcker eine nahe be - ziehung zu Goethe gehabt hätte, der würde wol ohne zaudern Welcker nennen. denn wenn wir Goethe an der hellenischen sage fortdichten sehen, mit der freiheit aber auch mit dem innerlichen verständnis und der congenialität der attischen tragiker, so ist es Welcker gewesen, der das verhältnis bewuſster freiheit und unbewuſster gebundenheit, in welchem der künstler zu dem volkstümlichen lebendigen stoffe steht (der also mehr als stoff ist), erkennen gelehrt hat. wir sehen denn auch, daſs wol Welcker, aber nicht daſs Hermann für Goethes Pandora das rechte verständnis hat. Goethes Winckelmann stellte den ἥρως κτίστης der geschichtlichen alter - tumswissenschaft in seiner überwältigenden gröſse einem geschlechte vor, das seiner zumeist vergaſs. Welcker ist es, der mehr als irgend ein anderer die gesammtleistung Winckelmanns fortgesetzt und weitergebildet hat. Goethes Winckelmann ist die erste biographie in hohem stile, welche das wirken des individuums sowol als individuelles wie auch als eines gliedes in der allgemeinen culturentwickelung zur anschauung bringt. Welcker hat es geleistet, manche persönlichkeit, die als individuum schatten - haft bleibt, wiederherzustellen, indem er ihren platz in der gesammt - entwickelung aufzeigte und danach ihre bedeutung schätzen lehrte. die weltanschauung, welche Goethe um die wende des jahrhunderts in sich vollkommen ausgebildet hatte, hat schwerlich jemand so rein aufgefaſst wie Wilhelm von Humboldt, und dieser wieder hat durch sie Welckers wissenschaftlichem streben die weihe gegeben. man sollte meinen, daſs240Wege und ziele der modernen tragikerkritik.schon allein durch die persönlichen beziehungen das in der natur ihres wesens begründete verhältnis zwischen Goethe und Welcker hätte herbei - geführt werden müssen. und doch ist dem nicht so. nur als einen ver - mittler dunkeler speculationen Zoegas hat Goethe Welckern aufgefaſst; er ist ihm als ein genosse Creuzers erschienen, und gegen dieses licht, das heute längst erloschen unbegreiflicher weise damals seinen qualm für stralen ausgeben durfte, würde Goethe unwillig die augen geschlossen haben, auch wenn er nicht mit Hermann in erfrischende persönliche berührung getreten wäre.
Das verhältnis Welckers zu Goethe ist aber nicht ein zufälliges, sondern es bat typische bedeutung. Welcker ist bis in die vierziger jahre hinein eine stimme in der wüste geblieben; selbst die ihm näher zu stehen schienen, Boeckh Dissen O. Müller, zeigen in wahrheit durchaus nicht eine gerechte würdigung. I. G. Droysen ist vielleicht der einzige bedeu - tende mann, der die rechte jünglingsbegeisterung für die aischyleischen offenbarungen gehabt hat. und es ist erst sehr allmählich anders geworden; denn äuſserliche huldigungen haben geringen wert. als Nauck seine samm - lung der tragikerbruchstücke machte, konnte er die Welckerschen tragö - dien und ebenso die arbeiten seiner nachfolger, z. b. O. Jahns, so gut wie unbeachtet lassen: für die exacte wissenschaft durften träume nicht in betracht kommen. wenn dies buch also, das unerreichte muster von gelehrsamkeit und sorgfalt, verfaſst von einem manne, der über die schul - gegensätze und die schulbeschränktheit erhaben ist, über das wirken Welckers zur tagesordnung übergeht, so liegt es am tage, daſs die philo - logen im engeren sinne Welcker bei seinen lebzeiten überhaupt nicht gewürdigt haben. eine macht ward er vielmehr erst durch die steigende bedeutung der archaeologie, obwol er in der erklärung des einzelnen und auch in der errichtung groſsartiger gebäude von vermutungen schwerlich mehr finderglück hier wie dort gehabt hat. namentlich die neidlose bewunderung, mit welcher Otto Jahn seinen spuren folgte, hat vielen jüngeren die augen geöffnet, und es kam bald dahin, daſs die phantasie - bauten des epischen cyclus und der griechischen tragödien von sorg - loseren erklärern unbesehen an stelle der verlorenen gedichte verwandt wurden. aber es war etwas besseres als diese trägheit und auch als das mahnwort eines verständnisvollen lehrers, was die archaeologie empfäng - licher machte: der gute geist Winckelmanns lebte in ihr, der ihr den blick für die wechselbeziehung von poesie und bildender kunst mitgegeben und sie von vorn herein zu einer geschichtlichen wissenschaft gebildet hatte, was die betrachtung der poesie erst werden sollte, oder vielmehr241Welcker. der streit um die Eumeniden und seine folgen.noch immer erst werden soll: denn es fehlt noch immer viel, daſs die litteraturgeschichte von Welckers geiste durchleuchtet sei, mag es auch niemand mehr zu bestreiten wagen, daſs er einer der heroen der deutschen philologie ist.
Aber Welcker war ein schlechter grammatiker, und begab sich doch gern auf das gefährliche gebiet. seine sprachkenntnis hat der sicherheit stets entbehrt, und das kann auch die groſsartige belesenheit nicht ändern, in welcher er Hermann unendlich überlegen war und wol nur Lobeck nachstand. und Welcker war und blieb auch in der historischen methode unsicher und gab auch nach dieser seite blöſsen, welche selbst das blöde auge leicht entdeckte, das dem adlerblick nicht zu folgen vermochte, der nun einmal nur aus wolkiger höhe herab richtig sah. so konnte er nirgend mit Hermann zusammengeraten, ohne daſs dieser triumphierte, weil er sich nur an die greifbaren gegenstände hielt. die Prometheus - trilogie hat er dem gegner freilich noch in letzter stunde zugegeben: bezeichnend für die sinnesart der edlen gegner, von denen mit recht gesagt ist, daſs sie nur durch äuſsere zufälligkeiten in so erbitterte fehde geführt sind, bezeichnend auch deshalb, weil heute als ausgemacht gelten darf, daſs der erhaltene Prometheus doch ein erstes stück gewesen ist, aber allerdings der fackelträger (denn das ist πυρφόρος), wenn auch als letztes, zu derselben trilogie gehört hat. Welcker hatte zuerst zu wenig, zuletzt zu viel glauben gefunden. was aber mehr wert hat als die äuſsere tatsache, das verhältnis der aischyleischen dichtung zur religion und zu der überlieferung welche sie voraussetzt, darin harrt Welcker noch des rechten nachfolgers; Hermann konnte seinen gedanken überhaupt nicht folgen.
Die bedauerliche schärfe erhielt der gegensatz zwischen HermannDer streit um die Eumeniden und seine folgen. und Welcker durch den gleichzeitigen streit Hermanns mit Boeckh und O. Müller, welcher zwar unvermeidlich und für das wol der wissenschaft notwendig war, aber von allen seiten mit unberechtigter φιλονικία, von Hermann und Müller nicht ohne φιλονείκεια, von den trabanten mit stumpfen und gar mit vergifteten waffen geführt ward. notwendig war die auseinandersetzung zwischen Hermanns aristarchischer grammatik und der philologie, welche Boeckh im sinne von Aristoteles und Scaliger als der rechte mann betrieb, den rahmen zu füllen, den F. A. Wolf auf - gespannt, aber selbst leer gelassen hatte. und notwendigerweise muſste die wissenschaft über die τέχνη siegen. die inschriften sind hier das wichtigste streitobject. daſs Hermann in vielen einzelnheiten begründete ausstellungen machte, wissen wir und soll unvergessen sein; den wesent - lichen fehler, die vernachlässigung der recensio, hat er nicht gerügt. jetztv. Wilamowitz I. 16242Wege und ziele der modernen tragikerkritik.ist das alles erledigt und längst gras darüber gewachsen. notwendig war es aber auch, daſs auf Hermanns eigenstem gebiete, der dichtererklärung, mehr erstrebt und geleistet würde, als er es tat. es war bezeichnend, daſs selbst von seinen namhaften schülern nur Seidler in seinen trefflichen Euripidesausgaben genau in die spuren Hermanns trat. Lobeck machte den commentar zum Aias zu einem stapelplatz für die reichste und erlesenste grammatische gelehrsamkeit, doch wieder etwas in die holländische weise einlenkend, so daſs der gegenstand der erklärung ihm und dem leser gänzlich aus den augen kommt, das gedicht als solches überhaupt ver - gessen ist. ein anderer schüler, der sich freilich früh emancipirte, Reisig, empfand das bedürfnis einer wirklich in den gegenstand eindringenden erklärung, kündigte nicht ohne ruhmredigkeit eine neue art commentar zum Oedipus auf Kolonos an, und gab eine enarratio, die sich zuweilen in lateinische und deutsche nachdichtung verlor. aber diese verse waren schlecht, und die leistung im ganzen gering; wie denn auch die metrischen und sprachlichen finessen, welche Reisig in den attischen dichtern aufzu - zeigen versucht hat, ziemlich unfruchtbar geblieben sind. in helle flammen schlug der kampf um die rechte tragikererklärung erst auf, als O. Müller die Eumeniden griechisch und deutsch erscheinen lieſs (Göttingen 1833) und in der vorrede unverblümt zu verstehen gab, daſs dies etwas höheres sein sollte, und daſs ihm Hermann das verständnis von gedankenzusammen - hang und plan irgend eines werkes der alten poesie nicht zu besitzen scheine. das hieſs den handschuh hinwerfen, und daſs Hermann keinen liegen lieſs, wuſste Müller sehr gut. Hermanns verurteilung des Dissenschen Pindar hatte ihn besonders gereizt, weil Dissen sein wolwollender kränk - licher furchtsamer lobesbedürftiger und verwöhnter college war, aber den drang zu einer solchen auseinandersetzung trug er längst im herzen. er wollte den krieg, er erhielt ihn, aber er ist nicht sieger geblieben. ein halbes jahrhundert ist seitdem vergangen; es ist an der zeit, nicht zu gericht zu sitzen, aber wol das verdict zu formuliren, welches ἄκων ὁ παγκρατὴς χρόνος gefällt hat. O. Müller verfocht eine gute sache, denn die wissenschaft kann sich nicht genügen lassen an dem was Hermanns dichtererklärung leistete. er hat auch in den Eumeniden viel schönes vorgetragen, was Hermann offenbar nicht zu verstehen wuſste; was hier über blutrache blutsühne blutrecht vorgetragen ist, ist ein grund - pfeiler geworden für das gebäude hellenischen rechtes und hellenischer religion, an dem nur wenige fortgebaut haben, niemand glücklicher, aber dazu brauchte er die Eumeniden nicht herauszugeben, und das hätte er lassen sollen, einfach weil er es nicht konnte. sein text, seine über -243Der streit um die Eumeniden und seine folgen.setzung, seine kritischen bemerkungen lieferten Hermann den deutlichen beweis, daſs die gegnerische schule das nicht besaſs, was er mit recht als die vorbedingung jedes verständnisses ansah, die herrschaft über die sprache und das versmaſs. und der stimmstein der Athena lieferte den beweis, daſs denn doch wichtige fälle eintraten, wo das verständnis des gedankenzusammenhanges und planes bei dem war, der angeblich über notengelehrsamkeit nicht hinauskam. das schlimmste aber war, daſs O. Müller das buch nicht bloſs deshalb geschrieben hatte, weil es die Muse ihm eingab, sondern mit einer persönlichen polemischen tendenz; es konnte nicht ausbleiben, daſs so die böse Eris auch über den gegner macht erhielt: wer die reihe der streitschriften mustert, wird mit be - dauern erkennen, wie viel ungerechtes und unverantwortliches von beiden teilen vorgebracht ist.
Der fluch dieses streites lastet bis auf den heutigen tag auf der tragikererklärung; nicht wegen jener persönlichen bitterkeiten, denn die haften kaum noch an den personen, sondern weil der ausgang die not - wendige entwickelung der wissenschaft störte. der versuch, die tragiker - erklärung über einen wissenschaftlich nicht mehr berechtigten standpunkt zu erheben, war gescheitert. sie blieb also zunächst in dem alten geleise. das bedürfnis der erklärung machte sich zwar für die schule und die anfänger immer wieder fühlbar, aber die versuche die gemacht wurden galten doch nur als etwas untergeordnetes, und zumeist waren sie es auch. so insbesondere die erklärende ausgabe des Sophokles, welche Schneidewin in den funfziger jahren versuchte, ein überaus viel gelesenes buch, das in den händen von A. Nauck freilich einen hervorragenden kritischen wert erhielt, ohne daſs doch die grundlage verrückt wäre, und Schneidewin verdient zwar hohes lob für das was er gewollt hat, aber auch nur für den willen. für die erklärung des Aischylos ward nur untergeordnetes geleistet; von Euripides gab H. Weil zwar zu 7 tragödien einen geschmackvollen commentar, aber er beschränkte sich selbst durch die rücksichten der schule, so anmutig sein buch auch ist. und ungestraft dürfen sich leute auf den plan wagen, deren erklärung zeigt, daſs sie auch nicht 30 verse hinter einander zu verstehen im stande sind: so die meisten ausgaben, die jetzt auf den markt kommen15)Für den Herakles speciell ist nach der Hermannschen ausgabe, die eine gehaltvolle recension von Elmsley erfuhr, ein versuch einer freilich ausschlieſslich grammatischen erklärung von Pflugk gemacht (1841), in welcher jedoch auch das sprachliche viel zu wünschen übrig läſst, die neubearbeitung dieser ausgabe ist flüchtige fabrikarbeit, billig und schlecht, hier und da ein zusatz textkritischer art,.
16*244Wege und ziele der modernen tragikerkritik.Hermann selbst hat wider seinen willen stark zu dem einreiſsen völliger zuchtlossigkeit beigetragen. wie so viele groſse kritiker, Bentley an der spitze, ward er im alter immer gewaltsamer. auch ihm erschienen immer mehr metrische gesetze, die er in wahrheit selbst gab, für die dichter verbindlich; immer stärkere anomalieen mutete er der sprache zu. es ist nur menschlich, daſs die form, welche sich der einzelne nach jahre - langem sinnen subjectiv als befriedigend festgestellt hat, ihm allmählich als objectiv wahr erscheint. die wissenschaft hat zeit, aber der mensch nicht, und wem die probleme ein langes leben am herzen liegen, der mag nicht von den ungelösten scheiden. im gefühle seiner eigenen bedeutung wirft er dann das persönliche meinen in die wagschale, und die liebenswürdige pietät für das lebenswerk eines groſsen mannes läſst die rein sachliche schätzung zurücktreten. als nach Hermanns tode sein Aischylos ans licht trat, hatte er freilich für jeden rechten philologen einen unschätzbaren wert; hat ihn doch Welcker nicht ohne tränen in die hand genommen; aber das ist ein pretium affectionis. in wahrheit besteht Hermanns gröſse trotz diesem, nicht durch dieses buch. es ist nicht wahr, daſs er etwa eine kühne restitution οἷον ἂν γένοιτο gegeben hätte, denn sehr vieles was da steht, hat weder Aischylos noch überhaupt ein Athener sagen können. kommt es doch in folge der ungenügenden diplomatischen kritik sogar vor, daſs Triclinius statt der überlieferung als ausgangspunkt genommen wird. die metrische gestaltung wird fast nie begründet, oder es stehen doch machtsprüche statt der gründe; häufig ist die responsion sylbe für sylbe willkürlich erzwungen; nichts als spielerische willkür ist die verteilung der chorpartieen unter die personen, und der procentsatz der gelungenen conjecturen ist keinesweges ein günstiger. kaum minder verderblich ist die groſse zahl ganz unglaublicher härten, welche die erklärung dem dichter und leser zumutet. so steht es. und der erfolg ist nicht aus - geblieben, daſs die masse sich auf die unglücklichen texte stürzte und sie zerriſs und zerfleischte, weil man allerdings nicht Hermann zu sein braucht um so mit einem gedichte umzugehen.
Von dem menschenalter, welches auf G. Hermanns tod folgte, ist es schwer anders als mit dem zorne zu reden, der M. Haupt sein köst - liches Elektraprogramm (op. II 286) eingab. in der sintflut von conjec - turen drohten in der tat die tragikertexte völlig zu ertrinken. wenn man sich das treiben ansieht, seine vielgeschäftigkeit, seine selbstgefällig -15)darunter vereinzeltes richtige, was offen am wege lag. zu einer wirklichen erklärung dieses wie einer ganzen reihe von dramen ist bisher auch noch nicht einmal der grund gelegt.245Irrwege und irrwische.keit und seine erfolglosigkeit, so kann man ein grauen nicht verwinden, und man begreift, daſs diese manier die philologie in allgemeinen miscredit gebracht hat. wenn diese conjecturerei ihr ziel wäre, so müſste man keinen tag säumen, zu einem ehrlichen handwerke über - zugehen. die tragikertexte sind maſslos verdorben, das war die praemisse, die man als axiom hinnahm; beweisen konnte man sie freilich damit, daſs man die tragiker tatsächlich nicht zu verstehen vermochte. vor diesem greuel der verderbnis schwand der wert der recensio: das war ja die tücke der überlieferung, daſs sie so einheitlich war, das hieſs, in dem notorisch falschen übereinstimmte. also giengs frisch mit kühnem sprunge zur emendatio: zu der aber war jeder knabe berufen, und bald war es guter ton, mindestens in den thesen der doctordissertation eine oder die andere tragikerstelle zu heilen. und war es mit dem heilen auch meist nichts, so blieb doch das bewuſstsein, eine verderbnis entdeckt zu haben. denn wo nur erst einer anstoſs genommen hatte, da kam der zweite, sah daſs des vordermannes einfall windig war, muſste also einen eignen an seine stelle setzen, und dann kam der dritte, und so fort ohne grazie in infinitum. und da errichteten die zeitschriften für die kurzdärmige vielgeschäftigkeit ihre bedürfnisanstalten, und da kamen die recensionen, die den wert der ausgaben nach der zahl der conjecturen bemaſsen, und das verkehrte wenigstens anregend, das meinen ins blaue geistreich fanden, und die jahresberichte, welche die conjecturen auszogen, so daſs man die bücher nicht mehr zu lesen brauchte. denn die conjectur war selbst - zweck geworden. und wie fein war es bestellt, daſs nun jeder sich selbst wahren konnte, oder doch durch die cumpane gewahrt wuſste, was an der conjectur das köstlichste ist, die priorität. denn es bildete sich zwar in Holland der comment, du brauchst überhaupt nichts zu kennen noch zu wissen, was deiner conjectur oder ihrer veröffentlichung hinderlich ist, in Deutschland aber der, du brauchst zwar den schriftsteller, in dem du conjicirst, nicht gelesen zu haben, geschweige denn andere, kannst dir auch die belegstellen, die grammatischen und metrischen regeln und beobachtungen, überhaupt jedes wissen, dessen du bedarfst (viel wird es ja nicht sein) ohne wort und ohne dank hernehmen, wo du es findest: aber darum hast du dich zu kümmern, ob nicht compare so und so dir in der conjectur zuvorgekommen ist, sonst befährst du den vorwurf des diebstahls. in seiner ganzen strenge wandten das freilich nur einzelne aus - erlesene an, die in bibliotheken die staubigsten scharteken durchsuchten, von stolz geschwellt, wenn sie einem Porson eine priorität rauben konnten. im ganzen galt der comment wesentlich für die lebenden. denn die246Wege und ziele der modernen tragikerkritik.befriedigung der eignen eitelkeit, die betätigung des eignen scharfsinns, wenns hoch kommt, der triumph der methode, das ist doch der zweck des kritischen bestrebens. der dichter ist längst ein stiller mann und hat seinen ruhm: aber das moderne menschlein will den seinen erst haben, und wahrhaftig, gönnen kann man ihm das licht, das räumlich und zeit - lich eine conjectur ausstrahlt. freilich sollte sie dazu eigentlich richtig sein. aber ob sie das ist, wer weiſs es? die wahrheit überhaupt — was ist wahrheit? wenn die echte doch nicht erreichbar ist, nimmt man die provisorische. ja wol, zu der entsetzlichsten unsittlichkeit führt dieses getriebe in seiner letzten consequenz. unzweifelhaft waren davon die meisten weit entfernt, die sich am Sophokles vergiengen, harmlose knaben, μειρακύλλια ἃ φροῦδα ϑᾶττον ἢν μόνον χορὸν λάβη, ἅπαξ προ - σουρήσαντα τῇ τραγῳδίᾳ. und im grunde war es auch noch harmlos, wenn ab und an ein grauer knabe die regenwürmer, die er in einem langen leben gefunden, in tönnlein sammelte und als schätze auf den markt brachte. den meisten kam im ernste des lebens die ernüchterung; freilich übertrugen sie dann den ekel an dem eitelen spiele zumeist auf die wissenschaft, der so ihre arbeit verloren gieng. aber es fehlt nicht an beispielen dafür, daſs solche, die wol die fähigkeit gehabt hätten, nütz - liches zu wirken, erst den charakter und dann das talent eingebüſst haben. und ein solcher kann unendlichen unsegen stiften.
Daſs die gegenwart fruchtbarer wäre, ist kaum zu behaupten; aber wol darf man das hitzige fieber der änderungswut als überwunden an - sehen. die mode hat gewechselt; die überfülle selbst hat ekel erzeugt. als die ausgabe von Sophokles Elektra, welche Haupt zu seinem zorn - ausbruche veranlassung gegeben hatte, in dritter auflage erschien, war es praktisch undurchführbar, alle conjecturen unter dem texte unter - zubringen; sie wurden in einen anhang gesperrt, und man vermiſst nur die motivirung des herausgebers ab ipso libelli possessore, si offendant, ut rescindantur, wie Schmeller sagte, als er die anstöſsigen stellen der Car - mina Burana auf dem letzten blatte abgesondert druckte. so harmlos sind die Sophoklesconjecturen nicht, aber sie sind nun im Orcus, und in den steigt nicht so leicht einer hinab. wer einen text fertig stellt, der wird noch eine weile sich umtun, ob er für die abweichungen von der überlieferung, die er nötig findet, einen fremden namen nennen soll, und er wird das gern tun, auch wenn er die verderbnis aus eigener kraft erkannt und gehoben hat16)Ich habe, als ich meine ausgabe des Agamemnon für den druck fertig stellte, an 30 — 40 stellen eine eigene conjectur an einen andern namen abgetreten;; er wird aber auch nicht vergessen,247Irrwege und irrwische.daſs er die verantwortung für den ganzen text trägt, mag er von der überlieferung abweichen oder nicht, und daſs es nur eine mode ist, daſs wir in einer textausgabe die urheber der einzelnen gedanken nennen, wenn sie eine abweichung vom überlieferten einschlieſsen, während wir die verteidiger und retter der überlieferung verschweigen und z. b. eine dar - stellung staatsrechtlicher oder geschichtlicher oder grammatischer art rein sachlich halten. über kurz oder lang wird sich auch manches ändern; mancher name wird bald ein leerer schall sein, und vielleicht ist der tag nicht so fern, wo wir alle, groſse und geringe kritiker, unter einem collectivnamen zusammengefaſst werden, wie die Itali in der kritik latei - nischer dichter. denn wir sind dazu da, das gedächtnis der groſsen dichter lebendig zu erhalten, nicht das unserer collegen noch das eigene.
Das conjecturenmachen ist also aus der mode gekommen, und so viel feines und wahres die führenden männer auch gesagt haben, die diesen umschwung inaugurirt haben, so darf man doch mehr als ihrer lehre dem zuge der zeit diesen erfolg zuschreiben, um so mehr als sich sofort die entgegengesetzte gefahr gezeigt hat, das kalte fieber der reac - tionären verteidigung des überlieferten, weil es nun einmal überliefert ist oder scheint. diese gefahr ist jetzt die dringendere und wird es noch mehr werden; schon kann ein aufmerksamer beobachter merken wie die führer, d. h. in wahrheit die sclaven der “öffentlichen meinung” sich anschicken, farbe und gesinnung zu wechseln, und die moderne rhythmik verwendet ihre kautschukparagraphen schon zur rettung metri - scher ungeheuer. auf dem spiele steht nicht weniger als der ganze gewinn der Porson-Hermannschen periode, sowol auf metrischem wie auf sprachlichem gebiete: wenn καίτοιγε dem fünften jahrhundert zu - getraut wird, wenn dem Euripides unterstellt wird optativ und con - junctiv in demselben finalsatz gebraucht zu haben, und dem Sophokles vollends δρόμων διαύλων πεντάεϑλ̕ ἃ νομίζεται als iambischen tri - meter ausgegeben zu haben, so muſs man darauf gefaſst sein, für die berechtigung der analogie und der conjectur fechten zu müssen. das liegt vollends im wesen jeder reaction, daſs sie als solche nur in der negative heilsam wirken kann: neues leben schafft sie nicht, neue ge - danken liefert sie nicht, und deren bedarf die tragikerkritik. schon vor16)darunter manche, die mir gehört haben würden, wenn ich es mit der veröffentlichung eiliger gehabt hätte. das gehörte sich so. an 2 oder 3 stellen habe ich einen vor - gänger nicht gekannt, und das ist mir zum verbrechen gerechnet. das gehörte sich auch so.248Wege und ziele der modernen tragikerkritik.25 jahren vermochte Haupt wol den bannstrahl wider die verkehrtheiten zu schleudern, aber neue ziele wuſste er nicht zu zeigen. und worin zeigte sich die unfruchtbarkeit einer periode deutlicher, als wenn die, welche die fahne vorantragen sollten, nur abkehr und umkehr predigen. dann sind die andern persönlich entschuldigt, welche einem rufe auch auf abwege folgen, der sie zu neuen herrlichen zielen zu weisen verspricht. und solche rufe wurden und werden freilich zahlreich erhoben, mag auch der glaube den sie finden minder vertrauensselig geworden sein.
Jene zeit des schrankenlosen subjectivismus und der zertrümmerung, ja zerfaserung der überlieferten kunstwerke zeigt gleichzeitig einen fast mystischen zug zum abstracten construiren und eine überraschende leicht - gläubigkeit gegen die hirngespinnste der mitlebenden. nichts altes respec - tirte diese im vollgefühle moderner überlegenheit stolzirende kühnheit: und doch war sie geschäftig, gesetze zu entdecken und der überlieferung aufzuzwingen. eine tausendjährige tradition wog ihr federleicht vor dem gesetze von ehegestern. es galt das weit über die kreise der tragikerkritik, ja der kritik überhaupt hinaus. man erinnere sich, daſs ein tektonisches system fast in allen für griechische baukunst empfänglichen kreisen die herrschaft errang, welches jedes geschichtliche begreifen vor der construction a priori zurücktreten lieſs und die kühnheit so wenig wie unsere interpolationssucher entbehrte, die tatsachen der überlieferung, z. b. die entasis des Parthenonstylobates, lediglich durch den modernen willen zu beseitigen. wir haben die auguraldisciplin wieder aufleben sehen und den himmel in quartiere teilen, auch den griechischen, und die tempel nach den geburtstagen der götter orientiren sehen — die ohne oder auch wider die überlieferung gefunden wurden. auf dem gebiete der grammatik steht der kampf zwischen geschichtlicher betrach - tung, dumpfem traditionsglauben und neuen täglich wechselnden aus - nahmslosen gesetzen noch in voller hitze. eine neue metrik oder, was vornehmer klingt, rhythmik ist ersonnen, aufgebaut auf angeblich ewige d. h. moderne musicalische principien, angehängt an einen geduldigen namen von altberühmtem klange, ausgestattet mit einer volltönenden fremd - artigen terminologie und dem anspruche auf ein tieferes kunstverständnis; die concrete aufgabe der textgestaltung war so hohen strebungen zu untergeordnet, und die neue weisheit allerdings vage genug, sich mit den auf ganz andern principien aufgebauten texten Hermannischer zeit leidlich zu vertragen. wieder ein anderer berühmter name, aus altersgrauer ver - gangenheit, ist aufgegriffen, zum träger eines systems gemacht, welches in überraschender weise den schlüssel zu der composition elegischer249Irrwege und irrwische.lyrischer tragischer gedichte geben soll. es ist in wahrheit ein ärmliches schema (a b c b a mit geringen variationen), und dichter, die sich diesem joche gefügt hätten, würden kaum den namen verdienen, aber es liefert ein so treffliches surrogat des individuellen verständnisses, daſs immer neue bekenner der poetischen chrie aufstehen. die symmetrie, welche in den erzeugnissen namentlich der archaischen kunst vor aller augen lag, ist nicht nur mit feinem sinne verfolgt, sondern hat anstoſs gegeben zu einer reihe von entdeckungen auf verschiedenen gebieten, welche sie auf eine concrete formel bringen wollen; dazu schickt sich am bequemsten die rohe sinnfällige arithmetische, und so entsteht die lehre von der herrschaft der zahl. da geht es an ein dividiren von epen und dramen, an ein auflösen der einzelnen scene oder auch der einzelnen elegie in ein rechenexempel, es entpuppen die 5 und die 7, die 13 und die 28 sich als die verborgenen tyrannen, deren ketten Hesiod und Aischylos, Xenophanes und Theokritos getragen haben, und die prosaiker erweisen wenigstens in den buchzahlen der tetraktys oder pentas ihre hochachtung. auch aesthetische maſsstäbe sind ausgeklügelt und a priori ist festgestellt, was von einem dichter zu fordern wäre. da fand der eine gesetze für die prologe, der andere für die stichomythie, der dritte für die schlüsse der dramen, und alle schnitten unbarmherzig das widerstrebende fort. einer sprach es ganz unbefangen aus, daſs einem groſsen dichter nur das beste zugetraut werden dürfe, wenn man also etwas besseres fände als das überlieferte, dieses bessere für echt zu gelten hätte — so lange, natürlich, bis ein noch besseres sich findet. und da zankten sich denn die verbesserungen um den unschuldigen vers, wie die alten vetteln in den Ekklesiazusen um den jüngling. vor allem aber führte die logik ihre mörderische schere. alles entbehrliche ist überflüssig, alles über - flüssige störend, alles störende unecht. und so viel man im einzelnen abwich: die harmonie war ungestört, daſs eine greuliche bande von interpolatoren gewütet hätte, und die aussonderung der unechten verse, mochten nun schauspieler oder grammatiker oder leser für sie verantwort - lich gemacht werden, war nicht nur des conjectors bequemstes mittelchen, sondern ward ordentlich in ein system gebracht.
Es würde nun eine groſse unbilligkeit sein, wollte man bestreiten, daſs auf diese weitumfassenden theoreme eine bedeutende kraft von scharf - sinn und arbeitsenergie verwandt ist, und die summe von begeisterung in liebe und glauben, die an sie vergeudet ist, nötigt auch dem wider - strebenden nicht bloſs achtung sondern wirkliche teilnahme ab. gewiſs, auch das verkehrteste streben nach einem tieferen verständnisse des kunst -250Wege und ziele der modernen tragikerkritik.werks ist mehr wert als das ideenlose herumklauben an tausend einzel - heiten und die kleinmeisterei kaltsinniger logik an den erzeugnissen der phantasie.
Aber es sind und bleiben doch verirrungen, und weil sie es sind, können sie nicht dauern. der principielle widerspruch, der nicht aus - geblieben ist, konnte ihnen wenig anhaben, denn alle diese erhabenen dinge existiren ja durch petitio principii. aber deshalb leiden sie schiff - bruch, sobald sie praktisch angewandt werden. die gedanken die im kopfe leicht bei einander wohnen, stoſsen hart an, so bald sie einen körper gewinnen wollen. der gläubige wird freilich nicht irre, wenn die tatsachen mit den postulaten seiner lehre sich nicht vertragen, seiner erfindsamkeit wird eine ausrede nimmer fehlen17)Ein beispiel: die zahlenspielerei glaubte Heimsöth ad absurdum zu führen, indem er zeigte, daſs man am Wallenstein ebenso gut spielen könnte. der glaube bringt es fertig, dies als beweis zu verwenden, indem die zahl auch Schiller beherrscht habe, wenn auch ohne daſs er sich dessen bewuſst gewesen wäre.; aber der glaube ver - breitet sich doch nicht weiter und erlischt allmählich. die vereinigung von schrankenlosem zweifel an dem überlieferten und schrankenlosem glauben an die moderne theorie, wurzelnd in einer abkehr von dem con - creten und einem sehnen nach dem absoluten, ist eben ein charakteris - tischer zug für die geistige stimmung der generation die hinter uns liegt. die nächstlebende ist anders disponirt, sie ist für diese krankheiten nicht empfänglich, darum aber auch am wenigsten im stande, gerecht und abschlieſsend über jene zu urteilen. wes geistige entwickelungsperiode 1866 einschlieſst, der kann sich ja auch nicht vorstellen, daſs die männer, zu denen er dankbar auſschaut, Gutzkow überhaupt haben lesen können, Freiligrath ohne lachen, Börne ohne ekel auf die dauer lesen, Buckle für einen groſsen geschichtsphilosophen, Kaulbach für einen groſsen maler haben halten können. wir täuschen uns hoffentlich nicht darüber, daſs wir der kommenden generation ähnliche rätsel aufgeben werden. aber überwunden ist jene fülle von theoremen so gut wie die conjecturale änderungswut. mag noch das eine oder andere nachgeboren werden, mögen gewisse kreise sich darin gefallen, die gedichte des Pindaros Aristophanes Kallimachos zu schematisiren statt zu verstehen: es sind anachronismen.
Ziehen wir nun das facit, so fällt das freilich traurig aus. der positive ertrag der tragikerstudien ist ein geringer nicht bloſs im verhältnis zu der aufgewandten arbeit. ganz fehlt es nicht daran. was vereinzelt dem oder jenem gelungen ist, fällt freilich nicht ins gewicht: aber allerdings251A. Nauck. recensio.hat diese decennien hindurch der kritiker wie die meisten griechischen texte so ganz besonders die der tragiker behandelt, welchem heute kein billig denkender den ersten platz als kenner des griechischen ver - sagen sollte: August Nauck. im gegensatze zu Hermann durchaus ana - logetiker hat er die lehren der Engländer in Deutschland erst recht zur anerkennung gebracht und selbst in ihrem sinne weitergearbeitet. seine sammlung der tragischen bruchstücke ist das unerreichte muster einer fragmentsammlung: der keim, den Valckenaer gelegt, ist zu einem stattlichen baume ausgewachsen. durch seine emendatorische tätig - keit endlich hat Nauck unter den Euripideskritikern einen platz in der ersten reihe, unter denen des Sophokles überhaupt den ersten errungen, wenn man nur das gelungene zählt. daſs er daneben seiner zeit den tribut gezahlt hat, eine unübersehbare masse nicht bloſs des überflüssigen, sondern des wildwillkürlichen, leider auch recht oft des trivialen und selbst des inepten hervorzubringen oder doch zu billigen, das darf die schätzung des wertvollen nicht herabstimmen, wenn es auch nur gerecht war, daſs der kampf wider die ausschreitungen der kritik sich ihn zum ziele nahm, und wenn es auch mindestens verzeihlich ist, daſs mancher der besten gerade gegen Nauck selbst ungerecht geworden ist, zumal sein vorbild nach der schlimmen seite auch deshalb besonders ver - wirrend wirken muſste, weil auf ihn die ganze richtung der philologie, die von Welcker und O. Müller ausgeht, wenig gewirkt hat.
Naucks den zeitgenossen überlegene stellung kann man schon daranRecensio. ermessen, daſs er fast allein sich von den modeirrtümern so gut wie frei gehalten hat, welche in betreff der textquellen der tragiker um sich griffen. Hermann gegenüber war es ein fortschritt, daſs man überhaupt die recensio ernst nahm, allein eigentlich ohne beweis, lediglich durch macht - sprüche bedeutender oder doch tonangebender männer, brach sich nun der glaube bahn, daſs Aischylos und Sophokles einzig im Laurentianus 32,9 überliefert wären. im Aristophanes hielt sich selbst Meineke nicht von einseitiger bevorzugung des Ravennas frei. für Euripides war seit Elmsley nichts geschehen. da war es denn eine rechte leistung in Lachmanns sinne und seiner auch in jeder beziehung würdig, als Adolf Kirchhoff zuerst 1852 in den specialausgaben der Medea und der Troades aus dem chaos ungeordneter varianten die wirklichen träger der überlieferung herausfand; seine groſse ausgabe führte dann mit reicherem aber leider doch noch sehr unvollständigem materiale dieselben grundsätze durch und verwarf mit entschiedenster consequenz die seit der Aldina vor - herrschende s. g. zweite classe. das war wirkliche methode, die schon252Wege und ziele der modernen tragikerkritik.durch ihre unerbittliche energie imponirte; ganz abgesehen davon, daſs auch der emendatorische gewinn wol gröſser ist, als Kirchhoff ihn in seiner kleinen ausgabe (1868) selbst geschätzt hat. unzweifelhaft war es aber sehr wenig in Kirchhoffs sinne, wenn man sich nicht nur bei seinem urteil über den wert der handschriften beruhigte (nur daſs eben Nauck sich einen freieren blick bewahrte), sondern auch fast 20 jahre vergiengen, bis dazu hand angelegt ward, die von ihm selbst bezeichneten lücken der handschriftenvergleichung auszufüllen, wobei dann freilich seine sonderung der classen und die schätzung ihres wertes stark berichtigt werden muſste. nun ist es zwar begreiflich, daſs die zeit, welche vor des eigenen geistes kraft der überlieferung überhaupt so wenig wert beimaſs, mit solchen untergeordneten dingen wie sie zur recensio gehören sich nicht viel be - mengen mochte. aber das erklärt nicht ganz die hingabe an jede doctrin, welche die überlieferungsgeschichte vereinfachte. auch das wird nur im zusammenhange mit dem ganzen streben der zeit verständlich.
Wir sehen in der beurteilung der recensio griechischer texte erst jahrhunderte lang die herausgeber lediglich dem zufalle gehorchen, der ihnen diese oder jene quellen der überlieferung zuführt. es folgt durch 1. Bekker und seine mitstrebenden die fundamentirung auf grund der möglichst erschöpften summe aller erhaltenen handschriften; die auswahl bestimmte der kritische takt des bearbeiters. notwendig muſste man dafür nach strengen beweisbaren normen suchen. dabei zeigte sich das über - gewicht einzelner besonders ausgezeichneter handschriften, und zuweilen gelang der nachweis, daſs die scheinbare fülle trug war, in wahrheit nur eine handschrift existirte. Sauppes epistula critica, in welcher das für Lysias erwiesen ward, muſste den wetteifer reizen, ob nicht ein ähnlicher fund hie oder da gelingen könnte. später stellte Cobet in seinen frischesten und beutereichsten feldzügen die ganze nichtsnutzigkeit des schreibfehler und sprachfehler häufenden byzantinischen schreibertums der letzten jahr - hunderte an den pranger, so daſs die gefährliche, weil so gar bequeme, neigung nur um so stärker wurde, z. b. im Platon lediglich Regius und Clarkianus, im Isokrates lediglich Γ, im Demosthenes Σ zu berücksichtigen. fast überall kam es dazu, daſs man nur eine quelle der überlieferung gelten lieſs, wenn auch mehrfach erbitterter streit um die auswahl ge - führt ward. es würde sehr erfreulich sein, wenn das geschäft der recensio wirklich so einfach wäre. aber von tag zu tag zeigt sich mehr, daſs es in den meisten fällen unerlaubt ist, sich in solcher sicherheit zu wiegen. die resignation ist geboten, daſs wir auf eine eklektische kritik angewiesen sind, wie in den scenikern, so im Herodot und Thukydides, Demosthenes253Recensio. die wahren aufgaben.und Aischines, Xenophon und Aristoteles (physik, leider selbst rhetorik), eigentlich auch im Homer, und daſs es nicht höhere sicherheit sondern nur gröſsere armut ist, wenn ein text einheitlicher aussieht, weil uns zufällig nur eine handschrift selbst oder in abschriften erhalten ist.
Um so höhere wichtigkeit gewinnt die textgeschichte, welche den grad der zuverlässigkeit unserer überlieferung, so gut es geht, geschicht - lich erkennen lehrt. auch dafür ist zwar gearbeitet, aber überwiegend mit der tendenz, anhaltspunkte für änderungen zu gewinnen. die scholien las man nicht um der 999 fälle willen, wo sie den überlieferten text bestätigen, sondern um des tausendsten, wo sie eine abweichung geben. oder aber man las, unbefriedigt mit diesem ergebnis, die varianten in sie hinein, wozu sich die schlechtesten paraphrasen dann allerdings am besten eigneten. die lexica las man nicht, um die richtigen oder falschen erklärungen der alten für die überlieferten wörter zu finden, sondern um die vermeintlichen glossen aus den texten zu vertreiben. die citate sammelte man halb unwillig, weil sie zustimmend oder abweichend für die güte unserer handschriften zu zeugen pflegen. und selbst die not - wendigste vorarbeit, eine brauchbare ausgabe der scholien wie des Hesych und der Etymologika zu machen, ist unserer generation geblieben.
Was ist demnach die aufgabe, welche uns von der wissenschaft ge -Die wahren aufgaben. stellt ist? ihre entwickelung gibt uns eine einfache formulirung. wir haben da anzusetzen, wo der streit zwischen Hermann und O. Müller den natürlichen fortgang gehemmt hat, beider werk fortzusetzen, doch so, daſs wir nicht nur die fehler vermeiden, welche damals verhängnisvoll wurden, sondern das beherzigen, was die philologie im ganzen in dem halben jahrhundert zugelernt hat. das erste und vornehmste ist also, daſs wir wieder so viel griechisch lernen, wie Hermann und Elmsley konnten. aber wenn wir uns das können anzueignen versuchen, dürfen wir uns nicht damit begnügen, es als kunst zu üben, sondern müssen uns dessen was wir wissen und können selbst bewuſst werden und es für andere zur darstellung bringen. wir müssen selber verstehen und anderen erklären. das erste erfordert, daſs wir vorab das besser wissen wollen ablegen, unser urteil der überlieferung willig ergeben, und, wenn wir anstoſsen, zunächst nicht ihr sondern uns mistrauen. wir sollen das verständnis herausheben, nicht hineintragen. das gilt von dem einzelnen worte, das gilt in tausendfältiger variation von dem individuellen dichterischen gedanken und seinem ausdrucke im einzelnen verse, im einzelnen chorlied, im ganzen drama. ganz allmählich werden wir uns dann zu der freiheit erheben, über dem objecte zu stehen und die kritik254Wege und ziele der modernen tragikerkritik.im modernen wie die χρίσις im antiken sinne gerecht zu üben. und auch wer die freude als eine köstliche schätzt, eine stelle verbessert zu haben, wird sich wol nicht scheuen zu sagen, daſs er ein freudiges gefühl empfindet, wenn er eine conjectur ausstreicht, weil er die stelle verstanden hat. nur bleibe man nicht bei dem genusse des eigenen gewinnes stehen, sondern über die nächstenpflicht, andern den gleichen irrgang zu ersparen. die nakten texte sind auch in den zeiten des conjecturalen diluviums ziem - lich heil abgedruckt worden: aber damit ist höchstens für den heraus - geber das verständnis garantirt. welche prophylaktische wirkung würde Haupt ausgeübt haben, wenn er den Catull erklärt hätte, so wie er ihn verstand?
Die wesentliche wandlung, welche die philologie erfahren hat, ist daſs sie eine geschichtliche wissenschaft geworden ist. davon hat die tragikerkritik noch herzlich wenig befruchtung erhalten, und das ist ein hauptgrund ihrer krankheit, denn deshalb kann der widergeschichtliche subjectivismus und die aprioristische construction sich behaupten. das gilt gleich von der sprache. zwar das formelle ist auch hier durch die geschichtliche grammatik, die rechte erbin der Elmsleyschen analogie, im wesentlichen erledigt. aber die form ist nur der körper: das seelische element, die synonymik, die wortwahl überhaupt gemäſs den nuancen von bedeutung und ton, sowol des innerlichen klanges wie des äuſseren, der für das griechische ohr so bedeutsam ist — wie wenig ist dafür getan? die syntax vollends liegt noch in den banden der alten abstracten theorie, welche die einzelne stelle als einen beleg einer regel ansieht, die regel aus der logik begründet, statt von der empfindung und dem sprachgefühl des redenden auszugehen. schon das durchgehends giltige zu finden ist schwer. denn wenn das drama die letzte blüte am baume einer uralten poesie ist, wenn Aeoler Ionier Dorer dafür vorgearbeitet haben, so ist diese sprache und des weiteren dieser poetische stil das ergebnis eines langen geschicht - lichen processes, und kann recht nur aus ihm verstanden werden, wie andererseits ein einzelnes wort oftmals ein überraschendes licht über jahr - hunderte rückwärts wirft. schwieriger aber ist es noch abzuschätzen, was die sprachgewalt und auch die willkür des einzelnen dichters geschaffen und gewagt hat: und doch heiſst das sprachliche und stilistische können des dichters abschätzen doch nichts anderes, als eben das facit aus der abrechnung zwischen seinem gute und dem ererbten und angeborenen besitze ziehen. wie armselig stehen da in ihrem nichts die jämmerlichen versuche unhistorischer unwissenheit da, welche die geschichtlich ge - wordene litteratursprache in eine anzahl roher mundarten auflösen, und255Die wahren aufgaben.wie fadenscheidig wird das bettelgewand, das die flickschneider der con - jecturalen mache den gedichten anziehen, hier eine glosse, dort ein germanismus, mit all ihrem flitterkram nur für den fasching gut.
Ein gleiches gilt von der verskunst. was haben wir denn da anders als lehrgebäude? auch hier heiſst es in wahrheit zunächst die erschei - nungen sammeln und von dem concreten ausgehen, das es zu verstehen gilt. auch hier das ohr an die allgemein griechische weise gewöhnen, damit man die besondere des dichters würdigen lerne. auch die metrik des dramas ist die vollendung einer uralten technik, auch in ihr ist ererbtes gut, das aus dem besitze der verschiedenen stämme nach Athen gelangt ist, und dem geschichtlichen entwickelungsgang allein ist das ver - ständnis seines ergebnisses zu entnehmen. auch hier bedingen einsicht in das allgemeingiltige und in das individuelle einander gegenseitig.
Und nun weiter zum stoffe und gehalte des gedichtes. der stoff ist die sage: wiederum dieselbe wechselwirkung wie in sprache und vers - kunst, nur daſs hier das individuelle, dort das allgemeine leichter erfaſst und deshalb meist überwiegend betont wird. hier heiſst es Welckers spuren suchen; sie sind fast unkenntlich geworden: aber sie führen in ein reich voll unergründlicher herrlichkeit.
Und das einzelne chorlied oder die einzelne scene ist ein glied des dramas, ein teil des ganzen: das soll verstanden werden, die weise der composition will am vorliegenden objecte erfaſst sein, und dann ab - geschätzt im vergleiche zu den anderen werken desselben dichters und seiner zeit - und volksgenossen. hier offenbart sich in der mannigfaltigkeit die stilfreudige selbstzucht der hellenischen poesie, eröffnen sich fragen, deren beantwortung rückwärts zu der technik epischer erzählung, vor - wärts zur stilisirten prosarede weisen.
Und das einzelne drama ist nur ein act eines reichen dichterlebens, der einzelne dichter nur eine person in dem groſsen drama der geschichte seines volkes. da will jedes an seine stelle gerückt werden, um das rechte licht zu empfangen und auszustralen. Götz 1772, Natürliche Tochter 1803: wir wissen, was wir mit den jahreszahlen sagen, welche fülle von kenntnissen sowol aus der geschichte des dichters wie aus der seiner zeit notwendig sind, um ein wirkliches verständnis der beiden gleich groſs - artigen dramen zu gewinnen. nun, soll das anders sein, wenn wir Medeia 431, Orestes 408 sagen? und, wenn es gleich ist, müssen wir nicht versuchen, so unvollkommen es auch bleiben wird, das notwendige zu leisten?
Weil die philologie so lange jahre hindurch dem drama gegenüber256Wege und ziele der modernen tragikerkritik.ihre pflicht ungenügend erfüllt hat, ist dieses in seiner bedeutung für die gesammtentwickelung des volkes allgemein verkannt. es ist nur recht, daſs die verschiedenen zeiten sich in dem unermeſslichen gebiete der altertums - wissenschaft verschiedene felder zu bebauen wählen. und so würde es kein schade gewesen sein, daſs die anregungen, welche Lachmann Ritschl Mommsen gaben, dem vorher vernachlässigten Römertum gebührende be - arbeitung zuführten, daſs die monumentale philologie die talente mehr anzuziehen begann als die schriftstellerkritik — wenn nicht das studium der attischen tragödie so gut wie das Homers und der beiden fürsten der philo - sophie für alle seiten hellenischer studien unentbehrlich wäre. aber man bedenke: das ganze griechische leben wird in den generationen umgestaltet, mit welchen Sophokles und Euripides leben, während das Athen, das den Meder schlug, nur durch Aischylos für uns vertreten ist. das Athen, welches die alte physik und ἱστορία loniens aufnahm und durch die sophistik sowol die beredsamkeit wie die philosophie vorbereitete, spricht nur im drama selbst zu uns. jede ernste mythographische forschung lehrt, daſs der ausgangspunkt im drama liegt, mag man aufwärts zu Homer oder abwärts zu Nonnus gehen. jede sprachliche forschung bedarf dieses mittelgliedes zwischen der archaischen rede und der gemeinen Atthis. wie jede archaeologische forschung auf die architektur, skulptur und malerei des 5. jahrhunderts als auf das centrum zurückführt, so steht es fast mit jeder forschung auf jedem gebiete des geistigen lebens. die ganze griechische poesie culminirt im drama, dessen vorstufen epos und lyrik sind, das selbst den sokratischen dialog und das menandrische lustspiel gezeugt hat. die ganze griechische geschichte culminirt im fünften jahr - hundert. die tragödie ist die poesie des attischen Reiches: das sagt genugsam, daſs kein geschichtliches erfassen des Hellenentums an dem drama vorbeigehen darf, und daſs der zustand die schwersten folgen haben muſste, in dem wir leben, wo Euripides keinen andersartigen wert für den historiker zu haben scheint als etwa Anakreon oder Aratos.
So hohe forderungen erhebt die philologie als geschichtliche wissen - schaft. und sie ist doch selbst auch noch etwas anderes. sonst würde es genügen ein buch über das drama zu schreiben, nicht einen commentar zu einem einzelnen stücke, zumal dies viel mühsamer ist. es kommt vielmehr darauf an, daſs der alte dichter zu worte komme, nicht ein moderner pro - fessor. wie wir unser geschäft nur dann recht besorgen, wenn wir in jedes alte buch, das wir unter den händen haben, nicht unsern geist hineintragen, sondern das herauslesen, was darin steht, so liegt überhaupt die specifisch philologische aufgabe in dem erfassen einer fremden individualität. es257Die wahren aufgaben.gilt sich in eine fremde seele zu versenken, sei es die eines einzelnen, sei es die eines volkes. in der[aufopferung] unserer eigenen individualität liegt unsere stärke. wir philologen als solche haben nichts vom dichter noch vom propheten, was beides bis zu einem gewissen grade der histo - riker sein muſs. dagegen müssen wir etwas vom schauspieler in uns tragen, nicht vom virtuosen, der seiner rolle eigene lichter aufsetzt, sondern vom echten künstler, der dem toten worte durch das eigene herzblut leben gibt. auch bei uns geht das am besten durch das lebendige wort: wenn G. Hermann ein chorlied vorlas, dann rauschten die alten rhythmen in voller stärke — denen die ihn gehört haben, klingen sie noch in den ohren. aber das wort verhallt, und so muſs man sein unvoll - kommenes surrogat, die schrift, zu hilfe nehmen. und doch hat auch der dickste commentar nur darin berechtigung, daſs er das verständnis des dramas erschlieſst, daſs er dem nacharbeitenden leser zum vollen genusse der dichtung verhilft, einem genusse, der freilich nur um den preis ernster arbeit feil ist. wir haben erst in zweiter linie die schätze ge - schichtlicher belehrung zu heben, die für uns in dem werke liegen, in erster linie kommt es darauf an, das frei und wirksam zu machen, was der dichter hineingelegt hat. es ist freilich gar vieles vielen verschiedenen disciplinen angehörige zusammen zu suchen und zu erläutern, damit der leser die kenntnisse voraussetzungen stimmungen erhalte, die der Athener in das Dionysostheater mitbrachte, als er das drama zu schauen gieng: das ideal bleibt es doch, dem die philologische erklärung zustrebt, dem modernen leser den genuſs des antiken hörers zu ermöglichen. also müssen zwar commentare geschrieben werden, wozu die vorige generation sich zu vornehm dünkte, aber nicht, wie es Valckenaer und Lobeck getan haben, um den qualm der eigenen erudition loszulassen, sondern um das licht der alten verse mit alter wärme und in altem glanze in empfängliche seelen fallen zu lassen: non fumum e fulgore, sed e fumo dare lucem.
Die geschichte unseres weltteils beginnt in Hellas. sie beginnt viele jahrhunderte früher, als den Hellenen auch nur eine ahnung davon auf - steigt, daſs sie als volk in herkunft sprache glaube recht eine einheit bildeten oder je gebildet hätten; ist doch vielmehr die entwickelung aus der zersplitterung zur einheit der inhalt ihrer geschichte. aber sie beginnt doch erst in einer zeit, wo das land das jetzt wieder Hellas heiſst von menschen arischen stammes besetzt war, die gespalten in eine unzahl von stämmen und ihrer verwandtschaft unbewuſst gleichwol alle unter dem namen der Hellenen, welcher eigentlich nur einem jener kleinen stämme zukam1)Σελλοί sind die verehrer des Zeus und der Dione im eichenhain von Dodona: das sind die ältesten Europaeer die wir kennen; sie waschen den staub nicht von ihren füſsen und schlafen auf dem nakten waldboden, und der älteste gott Europas redet zu ihnen im rauschen der eiche, deren früchte sie nährt, und durch die stimme der wilden taube. Ἕλληνες (eigentlich Ἑλλῆνες) sitzen am unteren Spercheios, Achilleus ist ihr held: aber daſs sie dorthin gedrängt sind, ist schon eine folge der völkerwanderung. Ἕλλοπες, eine regelmäſsig gebildete nebenform, haben auch in Thessalien, auf Euboia, in Aetolien spuren hinterlassen. ψελλίζω σελλίζω ἐλλός ἔλλοψ bieten eine lautlich unanfechtbare etymologie: und es liegt nichts vor, was den namen unglaublich erscheinen lieſse, den andere stämme, z. b. die einwanderer, auf - gebracht haben können. aber merkwürdig ist es freilich, daſs die Hellenen selbst sich mit einem worte bezeichnet haben, das dem sinne nach sich mit βάρβαρος deckt, und mit niemiec, wie die Slaven ihre germanischen nachbarn nennen., von uns begriffen werden können und müssen2)Seit dem 8. jahrhundert gilt der Hellenenname als allumfassender sowol bei den asiatischen epikern wie im Peloponnes, und von göttern führt ihn nur Zeus und vereinzelt Athena. es mag aber erlaubt sein, ihn als collectivnamen der autochthonen Hellenen im gegensatze zu den einwanderern zu verwenden. damit treten wir freilich in gegensatz zu Herodot. er hat sich (I 56 — 58) die sache so zurecht gelegt. Deukalion, sein sohn Hellen, sein sohn Doros lebten in Phthiotis, in Hellas (dies nimmt er aus Hesiods Katalogen): also die Dorer sind ‘Hellenen’. jetzt. was259Hellas vor der völkerwanderung.immer auf grund von erwägungen anderer art über vorgeschichtliche urzeit vermutet werden mag: für die geschichte sind die Hellenen autochthonen, wie sie es selbst auch nicht anders gewuſst haben.
An der asiatischen küste, vielleicht tief in das land hinein, saſs ein anderer complex ebemfalls arischer stämme, die es nicht dazu gebracht haben sich zu einem volke zu concentriren, sondern sich teils selbst ver - zehrt haben, teils vom den übergreifenden Asiaten, zuletzt mit vollster macht von den Hellemen erdrückt sind. sie mögen nach dem vorgange der Hellenen auch vom uns Karer genannt werden, weil so der bis tief in die geschichtliche zeit bedeutendste ihrer stämme hieſs3)Dies volk zu erkenmen ist eine hauptaufgabe der urgeschichtlichen forschung, und die monumentalen fundle werden es vielleicht ermöglichen. zur zeit brodelt es noch, und die tastenden versuche werden nicht nur mit unvermeidlichen misgriffen gemacht. z. b. daſs die Lelleger keine realität sind, mit der man rechnen könnte, und wenn sie es denn sein sollten, nur ein hellenischer stamm sein könnten, sollte doch wissen, wer mit der hesiodischen völkertafel und den ältesten sonstigen zeug - nissen umgeht.. die Karer hatten auch die inselm des aegeischen meeres besetzt; möglich daſs sie auch hie und da auf das hellenische land übergriffen: man darf nicht2)sitzen sie im Peloponnes, dahin sind sie vom Parnass gekommen (dessen vordorische bevölkerung er mit dem mythischen namen Δρύοπες ‘Eichenmänner’ benennt, aus den dorischen sagen), dorthin vom Pindos, wo sie mit den Makedonen noch vereint saſsen: so weit reicht die geschichtliche tradition. das mittelglied, vertreibung vom Spercheios in die berge, erschlieſst er, und als die vertreibenden setzt er Kadmeier an, wie er glauben muſste, probabel, da er diese für Phoenikier hält. für die ur - bewohner, die also nie ausgewanderten, greift er den namen Pelasger auf, der an einer thessalischen gegend, in dem auf autochthonie pochenden Athen und im Pelo - ponnes, auch für die autochthonen, haftete. auſserdem nannten zu seiner zeit die Hellenen barbarische bevölkerungen so, die in etlichen winkeln des thrakischen küstenlandes und auf Lemnos saſsen. da diese unverständlich redeten, nimmt er eine barbarische pelasgische sprache an, die notwendig auch vor der dorisch - hellenischen einwanderung in Griechenland geherrscht haben muſs; z. b. die Athener kann erst Ion, der enkel des Hellen, neffe des Doros, hellenisch gelehrt haben. das ganze ist eine durchsichtige combination, die aber den pelasgischen unsinn der modernen gezeugt hat, zumal der kategorische widerspruch der Athener die Pelasger statt der Dorer-Hellenen πλάνητας αἰεἱ nannte (Strab. 221 aus Apollodor). es liegt auf der hand, daſs zwar jedes einzelne volk, das den namen führt, eine concrete realität ist, aber Pelasger nur im gegensatze zu den Hellenen heiſst, wobei allerdings ursprünglich ein volk diesen namen nicht bloſs in relativer bedeutung getragen haben wird, das moch zu suchen ist. das volk der Πέλοπες, die Pelopon - nesier, hat Buttmann entdeckt; es dürfte, wie Δρύοπες Ἔλλοπες, eine bezeichnung sein, die die einwanderer aufbrachten. Πέλοπες sind πελιοί: die πελασγοί sind ihre verwandte, denn seit ἄωγλα αἴγλα feststeht, ist πελαπγοί gedeutet, ἀσγός ἀργός d. i. ‘weiſs’. sie sind nicht störche, aber wie die störche sind sie ‘die schwarzweiſsen’.17*260Der Herakles der sage.vergessen, daſs so alte zeit keine scharfen völkerscheidungen kennt. sie vermittelten den Hellenen die cultur Asiens und Aegyptens, die selbst schon nach jahrtausenden zählte. es mag auch einige directe berührung der Hellenen mit dem semitischen oder dem aegyptischen volke statt - gefunden haben, wenn deren handelsschiffe sich bis an die griechischen küsten wagten: der gedanke an irgend welche seſshafte semitische bevöl - kerung ist mit vollster entschiedenheit abzulehnen. die zeugnisse Homers von sidonischen händlern gelten doch nur für seine zeit und gehören gerade sehr jungen partieen des epos an. semitische lehnwörter fehlen in der alten sprache so gut wie ganz4)βωμός έορτή ὀϑόνη χιτών (Studnizcka beitr. zur altgr. tracht 18) φοῖνιξ und vieles andere, was der wissenschaftliche philosemitismus beansprucht hatte, ist ihm entrissen, ϝοῖνος ϝρόδον χρυσός σῦκον (τῦκον) ἐλαία fordert oder erträgt andere vermittelung.; die fremdwörter, die es gibt, führen auf eine andere vermittelung und die übereinstimmungen in den erzeug - nissen des handwerks geben über die träger der vermittelung so wenig ein zeugnis ab wie die importware, ganz abgesehen davon daſs die zeit - bestimmung der ‘mykenaeischen’ funde zur zeit noch ungewiſs ist; prae - historisches pflegt zunächst zu alt angesetzt zu werden.
Also der zustand, in welchem sich Hellas befand, als die geschichte beginnt, liegt noch in einem dunkel, das sich aber dereinst lichten wird. die geschichte selbst beginnt mit einer völkerwanderung, deren erfolg ist, daſs das Hellenenland mit ausnahme weniger striche die bewohner oder wenigstens die herren wechselt, und dafür die inseln, die asiatische küste, Kreta und Kypros von hellenischen auswanderern besetzt werden. nicht überall können sie sich halten; in der vereinzelung verlieren sie auch wol so viel von ihrer natur, daſs sie später nicht mehr als Hellenen erscheinen, im ganzen aber gelingt es ihnen nicht nur die Karer (im collectiven sinne) zu bemeistern, sondern sie sich zu assimiliren. auch verlieren sich durch diese auswanderung die alten kleinen stämme und an ihrer statt ersteht die aeolische und namentlich die ionische nation: die Ἰάϝονες5)Der volksname ist gebildet wie Ἄονες Χάονες, also kein lehnwort aus dem orient, wie Müllenhoff (D. A. I 59) wollte. obgleich im mutterlande kein volk nach - weisbar ist, das den namen getragen hat, kann man nicht umhin, auch in ihm einen solchen stammnamen zu sehen, der, weil die eigentlichen träger untergegangen waren; zur bezeichnung des neuen volkes gut schien. der in Athen aus Euboia zuwandernde lon, Xuthos sohn, zeigt schon darin, daſs er niemals in der älteren namensform begegnet und den accent so trägt, daſs die contraction nicht empfunden ist, daſs er erst durch die hesiodische völkertafel entstanden ist, oder vielmehr durch die sind für den orient identisch mit den Griechen geblieben.
261Die völkerwanderung. die einwanderer, in Makedonien.Die einwanderer, welche die späteren Aeoler und Ionier, die altenDie ein - wanderer. Hellenen, vertrieben, können wir nicht mit einem namen nennen, weil sie weder selbst vorher oder nachher sich als eine einheit empfunden haben, noch von späterer geschichtsbetrachtung zu einer solchen zu - sammengefaſst worden sind. nicht alle, aber doch in der mehrzahl waren sie den Hellenen naheverwandte stämme; sie sind ja auch später fast alle in das Hellenentum aufgegangen. allein als sie einwanderten, erschienen sie sich und ihren feinden als stammfremd, und mag ihre körperbildung und selbst ihre sprache sie auch als brüder der Hellenen ausweisen: fremden geistes sind sie nicht nur gewesen, sondern geblieben. deshalb ist die völkerwanderung für die geschichte Griechenlands verhängnisvoll geworden. der peloponnesische krieg ist der letzte act des jahrhunderte langen kampfes, der, fast immer den kämpfenden unbewuſst aber deshalb nur um so erbitterter, darum gefochten ward, die Hellenen und die einwanderer zu einer einheit zu verschmelzen. als auch dieser versuch scheitert, ist der politische untergang der nation unvermeidlich.
Die völkerwanderung auf der Balkanhalbinsel stellt sich naturgemäſsin Make - donlen. als eine schiebung von nord nach süd dar, wobei hie und da wider - strebende teile nach ost oder west über das meer hin abgesprengt werden. oft erkennen wir den vorgang im innern nur aus seiner wirkung über5)dieser zu grunde liegende in Asien entstandene völkerscheidung. das geschlecht Ἰωνίδαι (später auch gemeindename) kann schon eher auf zugewanderte Ἰάονες zurückgehn. jedenfalls ist es älter als die identification der Ἰάονες mit den Athenern, welche in einem sich durch vieles fremdartige selbst ausscheidenden stücke der Ilias N 685 — 700 auftritt: und selbst dieses hat Androtion dazu benutzt die Ἰάονες Ἀϑηναῖοι von den Ἴωνες zu unterscheiden (schol. BT zu N 685). sucht man die Ἰάονες, so weist Herodot, der sie aus Achaia ableitet und die Kynurier für Ionier erklärt, auf den Peloponnes. da treffen wir in der Pisatis auf Ἰωνίδες νύμφαι (Strab. 336, Pausan. VI 22, wol aus im grunde identischer tradition, Nikander georg. bei Athen. 683a). diese sind mit ἰᾶσϑαι zusammengebracht, denn eine heiſst Ἴασις, und sie sind die mädchen einer heilquelle; ebenso mit ἴον (Nikander), und man denkt an Iamos; endlich auch mit Ion, der sohn des Gargettos heiſst: auch der fluſs, in den das quellwassser rinnt, Κύϑηρος oder Κυϑήριος, stimmt zu einem attischen dorfnamen, Κύϑηρρος. an die Ionier denkt niemand, obwol Nikander die namensform Ἰαονίδες sich erlaubt. der namensanklang ist in der tat zu vielen zufälligkeiten ausgesetzt, als daſs man auf ihn bauen könnte: die contraction sollte doch im Pelo - ponnes Ἰανίδες ergeben. Ἰάων selbst findet sich nur einmal, als name eines arka - dischen flusses (Kallim. an Zeus 22; Dionysios perieg. 416 schreibt ab), der sich nicht localisiren läſst: aber diese anknüpfung darf man wol festhalten. der Ἰόνιος πόντος kann mit Ἰάονες so wenig wie mit Ἰώ etwas zu tun haben: er führt auf Ἴονες. diese sind vielleicht nach dem vorgange Theopomps (schol. Pind. Pyth. 3, 120) in Illyrien zu suchen.262Der Herakles der sage.das meer hin. so scheint der erste stoſs der einwandernden die arischen, aber von den Hellenen fernab stehenden stämme im norden der halb - insel getroffen zu haben, die wir unter dem collectivnamen Thraker be - greifen. starke züge von ihnen wichen über den Hellespont nach Asien aus, und so finden wir in geschichtlicher zeit teile desselben volkes im innern Makedoniens und in asiatischen gegenden; so die Βρύγες im süd - lichen Thrakien, die Βέβρυκες bei Kyzikos, die Φρύγες am Sangarios und Kaikos. die einwanderer, welche sich durch die Thraker durch - schoben, besetzten die fluſstäler des Axios Ludias Haliakmon, aber auch das innere bergland. es ist unmöglich über jeden einzelnen der stämme, die hier nicht minder zersplittert waren, als wir es in der umgegend von Pindos Parnass und Oeta sehen, auch nur so viel auszusagen, ob sie von ursprung griechisch, thrakisch oder, die westlichen, selbst illyrisch gewesen sind. aufgegangen sind sie alle in das volk der Makedonen6)Für die einwanderung der Makedonen sind die splitter versprengter stämme besonders bezeichnend, welche hie und da an dem rande haften blieben, ihrem volkstum nach schon den gelehrten des 5. und 4. jahrhunderts, bis in welche zeit sich reste von ihnen erhielten, unrubricirbar. es sind die ‘gottlosen’ Thoer vom Athos, die Doloper von Eion und Skyros, die Pelasger von Krestone, die Sintier von Lemnos, welche erst von den Athenern Pelasger genannt wurden. diese letzten schreiben das phrygische alphabet und können nur für Thraker gehalten werden, was wol auch die andern waren. Imbros ist noch karisch. so berühren sich hier die unhellenischen völker, und da sie zunächst nur für uns collective sind, wesentlich durch den gegen - satz zu den ebenso collectivischen Hellenen bestimmt, ist die sonderung schwierig., welche am tiefsten im tale ansässig die cultur zuerst annahmen, und zwar fällt die einigung der nation mit ihrer hellenisirung zusammen.
Ihnen verwandt waren, wie es scheint, die einwanderer, welche sich auf der westseite nach süden schoben und Epirus, Akarnanien (die Ἀκαρ - νᾶνες sind ein stamm von ihnen), Aetolien besetzten, überall eine helle - nische bevölkerung verjagend. der strom muſs sehr stark gewesen sein, denn er flutete selbst nach Italien hinüber, wo er sehr breite striche in besitz nahm: Χάονες wohnen in Epirus, Χῶνες bei Kroton; die Mes - sapier Oinotrer Iapygier haben so die heimat gefunden, welche sich nach ihnen nennt. wie die makedonischen stämme schwer von den Thrakern, so sind diese von den Illyriern schwer zu sondern. denn die Illyrier blieben in Epirus ihre nördlichen nachbarn, und daſs sich illyrische stämme bei der schiebung nach süden und übers meer stark beteiligt haben, ist nicht zu verwundern. als dann später colonisten aus Hellas an die epi - rotische und italiotische küste kamen, giengen diesen selbst die züge der urverwandtschaft und der barbarei durcheinander, und in Italien muſsten263Die einwanderer in Epirus Aetolien Messapien Elis.letztere vorwiegen, obwol griechische cultur mit viel gröſserer leichtigkeit eingang fand als bei barbarischen stämmen festen volkstums, z. b. den Italikern. die hellenische urbevölkerung ist in Epirus fast spurlos ver - nichtet; nur das heiligtum von Dodona wuſste sich zu behaupten. südlich davon, am flusse Oropos, hatte der stamm der Graer gesessen, der seinen und seines flusses namen mit an den Euripos nahm, wo er zwischen Boeotern Euboeern und Athenern sich verlor. aber die einwanderer nannten in Epirus nach dem kleinen stamme das ganze Hellenenvolk, und da sie nach Italien übersiedelten, trugen sie diese bezeichnung mit hinüber, über - mittelten sie den Italikern und durch sie auch uns. weit mächtiger als bei Graern und Sellern war in Aetolien die hellenische cultur erblüht. die trümmerstätten von Kalydon und Pleuron, umrankt von den ge - feiertsten sagen, legten zeugnis davon ab, daſs dort, wo bis zum vierten jahrhundert ein ungeschlacht wildes, in einzelne stämme gespaltenes, feste wohnstätten und selbst das braten des fleisches verschmähendes volk hauste, einst stolze burgen und blühende weingärten gestanden hatten. nach harten kämpfen, deren gedächtnis in dem heldenbilde des Meleagros dauerte, wichen die Hellenen, teils nach dem Peloponnes, teils weiter übers meer bis nach Chios. der flüchtige Diomedes, der flüchtige Oineus bewahren davon das gedächtnis: ihr feind, Agrios, ist der eponym des stammes der Agrianer. dem lande war der alte name Aetolien geblieben, und als im vierten jahrhundert die einwanderer sich zu einem volke und staate zusammenschlossen, nahmen sie selbst den Aetolernamen auf und erbten auch den alten sagenruhm: sie prägten mit dem bilde Atalantes7)In der sage von der heimkehr des Neoptolemos und des Odysseus ist viel - leicht noch ein nachhall an das alte Hellenentum von Epirus erhalten, aber da die epen verloren sind, ist die entscheidung schwer. der ruhm der Aeakiden kann von Thessalien hinübergebracht sein: um 470 heiſst ein Molotterfürst Admetos nach einem altthessalischen heros. die aufnahme heroischer namen in dem makedonischen adel zu Philipps zeit ist keinesweges bloſs durch genealogische verbindungen, wie bei Neoptolemos und Pyrrhos von Epeiros, eingegeben. man wählt die litterarisch berühmten Hellenennamen seit alter zeit und jetzt nur mehr, entsprechend der steigenden bekanntschaft mit der litteratur. Ἀλέξανδρος Κάσσανδρος Μενέλαος Μελέαγρος Πολυδάμας Ἀρσινόη Τήλεφος Τληπόλεμος Εὐρυδίκη sind solche namen, welche lediglich für die sucht der eltern zeugen, mit griechischer bildung zu prunken: selbst Πτολεμαῖος kommt in der Ilias vor..
Auch nach dem Peloponnes hat eine welle dieser flut hinübergeschlagen.in Elis. ein nicht eben zahlreicher stamm, der das gedächtnis seiner herkunft nie verloren hat, besetzte zunächst das obere Peneiostal und nannte sich nach dieser ϝᾶλις (vallis) ϝαλεῖοι. auch er erbte alten sagenruhm, und zwar schon früh, den der selbst verschwindenden Epeer. es ist den eindring -264Der Herakles der sage.lingen allmählich gelungen, bis an den Alpheios, ja bis an die Neda überzugreifen, aber stammfremd im Peloponnes sind sie immer geblieben und erst im 5. jahrhundert zu städtischer siedelung übergegangen, auch da noch unvollkommen.
Denn alle bisher aufgezählten völker haben niemals vermocht, die hellenische cultur voll in sich aufzunehmen, wie ihnen denn die helle - nische politie innerlich fremd geblieben ist. sie haben die hellenische entwickelung lediglich gehemmt, und sind doch selbst eben durch diese an der entfaltung ihrer eigenen art verhindert worden. nur die Makedonen, die eben nicht auf hellenischem untergrunde saſsen, sind im 4. jahrhundert zu positivem schaffen auch für das Hellenentum berufen worden, doch selbst sie um den preis, auf ihr volkstum zu verzichten.
Diesen stämmen, die man zu einer einheit zusammenfassen darf, doch nicht ohne sich einzugestehen, daſs vielleicht nur im gegensatze zu den andern diese einheit liegt, stehen die gegenüber, welche sich aus der mitte der halbinsel nach süden und osten wandten, und sie gehören, trotz allen unterschieden, auch positiv zusammen. der vortrab waren die Boeoter, die wir zuerst im südlichen Thessalien antreffen, offenbar schon gedrängt von ihren brüdern, den Thessalern, welche dann dieser alt - hellenischen, hochgesegneten und hochcivilisirten landschaft den namen gaben, die civilisation aber so gut wie ganz vernichteten. sie behaupteten selbst nur die herrschaft sowol in den ebenen wie über das perrhaebische und magnetische bergland, als ein üppiger herrenstand, während die alten bewohner in den bergen unvermischt und über das ganze land hin als knechte und hörige weiter arbeiteten, die reste ihrer verkümmerten cultur und zuletzt sogar ihre aeolische sprache den bedrückern mitteilend. reiner in der sprache hielten sich die Boeoter in dem lande, welches sie benennen, nachdem sie es in harten kämpfen von Koroneia und Theben um sich greifend sehr allmählich erworben haben, eine bewegung, welche bis in das 6. jahrhundert herabreicht und eigentlich erst in den kämpfen um Oropos und Plataiai ein ende findet. aber die Boeoter sind inner - lich viel tiefer hellenisirt als die Thessaler, und auch viel rascher zu der hellenischen städtischen politie übergegangen. diese war auch diesen einwanderern von haus aus fremd, aber über die zersplitterung, in welcher die westlichen völker so lange beharrten, waren sie doch schon bei der einwanderung hinaus. die Thessaler waren sicher, die Boeoter wahr - scheinlich8)Noch im peloponnesischen kriege ist die entscheidende behörde eine ver - einigung von τέσσαρες βουλαί (Thuk. V 38); das nähere ist unbekannt. später hat, wie die Kelten in tetrarchien gegliedert, die sich im notfalle265Boeoter und Thessaler. Dorer.unter einem herzog zusammenfanden. aber die hellenische civilisation saſs auf der ostküste, trotzdem die kräftigsten elemente auswanderten, zu tief, als daſs sie die herren nicht sehr bald zu sich hinübergezogen hätte. die verhältnisse gemahnen oft an die besetzungen altromanischer landstriche durch die Germanen, die auch ihr volkstum unweigerlich ein - büſsen müssen. in geistiger beziehung sind Thessaler und Boeoter niemals als volle Hellenen angesehen worden, und haben es eigentlich selbst kaum je ernstlich angestrebt. Pindaros ist dem herzen und dem glauben nach ein Boeoter gewesen; aber der abkunft nach hat er es wenigstens nicht sein wollen, und da sein name auſser auf Thera auch in Ephesos wider - kehrt, so war sein blut wol wirklich kadmeisches.
Geschichtlich bedeutend und schaffend sind vielmehr nur die einwan -Dorer. derer geworden, nach denen wir gewohnt sind die ganze völkerwanderung zu nennen, die Dorer. wir treffen sie erst spät, auf schon vorgeschobenen sitzen, im berglande nördlich vom Parnassos. an diesem sind ein par dorische dörfer erhalten geblieben, weil sie als urheimat von den mächtigen brüdern im Peloponnes geschützt wurden. und auch das heiligtum von Delphi ist der dorischen usurpation nur vorübergehend wieder entrissen worden, während die landschaft, in welcher es liegt, den älteren anwohnern, Phokern und Lokrern, wieder zufiel. dadurch ist das orakel zu seiner macht gekommen, und ist andererseits Apollon, dem es schon früher gehört hatte, zu einem Dorergotte gemacht, obwol die Dorer vorher schwerlich auch nur den namen des althellenischen gottes gekannt hatten9)Auch in Thessalien und Boeotien sind die cultstätten des Apollon vordorisch, aber sie gehen hier immer mehr an bedeutung zurück. die amphiktionie ist eine institution, gestiftet zunächst zur sicherung des landfriedens auf den groſsen heer - straſsen, welche zwar die anwesenheit, aber nicht die übermacht der einwanderer zur voraussetzung hat: erst diese übermacht bedient sich dieses mittels und als wichtigsten hebels des delphischen gottes. die dorischen, nicht eingeborenen, delphischen priester feiert der homerische hymnus an Apollon, der in diesen teilen dem ende des 7. jahr - hunderts angehört: wenn er sie aus Kreta holt, so zeigt sich darin die später so häufige vorstellung zum ersten male, daſs Kreta der sitz der reinen Dorer ist, in naiver umkehrung des verhältnisses; in wahrheit waren die Dorer vom Parnaſs nach Kreta gezogen. bald danach ward der krisäische krieg geführt, welcher die macht derselben priesterschaft befestigte, die den meisten gliedern der amphiktionie ungefährlicher schien, als wenn das orakel in den händen der Phoker oder Lokrer war. die occupation des orakels durch die Dorer liegt in der sage sehr deutlich vor: Herakles raubt den dreifuſs, und der conflict der götter schlieſst mit einem. sie8)der bund lediglich die form einer hellenischen symmachie. es mag wol sein, daſs namen wie Ἄονες Τέμμικες Ἐκτῆνες boeotische gaunamen sind, aber sie sind von nachweislich vorboeotischen wie ῞ϒαντες Ἄβαντες nicht sicher zu sondern.266Der Herakles der sage.haben von hier aus den Apollon Karneios, das fest der Κάρνεια und den monat Καρνειών mitgenommen, allein das gedächtnis hat sich nicht ver - loren, daſs sie sich so eine ursprünglich feindliche gottheit gewinnen wollten10)In den sagen von Karnos und den orakeln, welche sich auf die einwanderung beziehen (z. b. bei Oinomaos von Gadara bei Euseb. praep. ev. V 20), ist die gegner - schaft zwischen den Dorern, die den vertreter Apollons erschlagen, und dem gotte, der sie durch dunkele sprüche in das verderben lockt, ganz durchsichtig. wir kennen leider den dorischen cult viel zu wenig, um sicher zu stellen, was man aus manchen andeutungen schlieſsen möchte, daſs die Karneen wirklich ein sühnfest waren., und in das wesen des Apollon hat das Dorertum keine neuen züge hineingetragen. die geschichtliche bedeutung Delphis ist allerdings ohne sie nicht denkbar, aber auch nicht ohne die Athener und Chalkidier. es erlangt sie gerade dadurch, daſs Apollon ein gott ist, den Hellenen und Dorer gleich hoch schätzen, und wirkt demgemäſs sehr stark für die erweckung des neuen panhellenischen nationalitätsgefühles.
Es war nicht ihr freier wille, wenn die Dorer sich am Parnassos längere zeit aufhielten; es war die folge davon, daſs die Peloponnesier ihnen den einmarsch über den isthmus mit erfolg wehrten. es hatte nämlich ganz naturgemäſs eine starke zuwanderung der aus dem norden, namentlich aus Thessalien und dem nördlichen Boeotien, vertriebenen Hellenen nach dem Peloponnes stattgefunden. auch hier war die cultur ganz vorwiegend auf der ostseite entwickelt; jetzt dehnte sie sich nach dem westen, namentlich südwesten, mit gröſserer stärke aus: dort treffen wir selbst eine groſse zahl thessalischer ortsnamen wieder, und religion und sage sind voll von den spuren dieser, um einen späteren volksnamen vorwegzunehmen, aeolischen zuwanderung: Pylier, Minyer, Lapithen9)compromiſs. aber nie und nimmer ist das verhältnis dieser brüder ein freund - liches geworden wie das zwischen Hermes und Apollon, die einst auch mit einander gestritten haben. es heiſst die dinge erst entstellen, damit man sie deute, wenn man Her. ‘den dreifuſs’, den ‘feuertopf’ besitzen läſst: einen ganz bestimmten, den delphischen dreifuſs hat er sich genommen, also nicht aus seinem wesen allgemein oder aus dem des Apollon, sondern aus den besonderen delphischen verhältnissen ist die sage zu deuten, und ist sie auch leicht verständlich. man kann es aber z. b. einem künstler nicht verargen, wenn er Her. allein den dreifuſs tragend darstellt: tatsächlich hat er sich des apollinischen heiligtums bemächtigt, und so trägt er etwas fremdes, wenn er den dreifuſs trägt. hätte der dreifuſs für das wesen des Her. eine bedeutung, so müſste er irgendwo in seinem culte vorkommen, oder müſste doch Her. mit ihm etwas machen wollen. übrigens führt Apollon ihn als wahrsager, und zwar als wahrsager aus ἔμπυρα: deshalb werden im Ismenion von Theben, wo die weissagung aus ἔμπυρα galt (Philoch. im schol. Soph. OT. 21), dreifüſse geweiht, für jeden jüngling, der in das mannesalter tritt, einer, und das ist bekanntlich auch für Herakles geschehen.267Dorer. Einwanderung in den Peloponnes.nennt man sie im süden und westen; im norden und osten vertreten sie einzelne heroen, wie die oben genannten Aetoler, oder geschlechter, wie vor allem die Amythaoniden. die geschichtliche bedeutung dieser vordorischen zuwanderung tritt aller orten stark zu tage, und man kann sie nicht leicht zu hoch schätzen. dadurch war nun aber die widerstandskraft der an sich schwer zugänglichen insel der Peloper be - deutend gekräftigt, und die Dorer saſsen am meere, sahen drüben die ersehnte küste, aber konnten nicht hinüber. sie waren kein seevolk, die Hellenen selbst waren erst durch die not auf die see gedrängt. aber die not zwang nun auch die Dorer. es hat sich damals ein ereignis abgespielt, das sein analogon in den zügen hat, welche die Skythen des Dexippos, d. h. die Germanen. im 3. jahrhundert n. Chr. unternommen haben. das gedächtnis daran ist in späterer zeit verkümmert, weil man die tatsachen zu Ephoros zeit wirklich nicht mehr begreifen konnte, aber die spuren sind unverloren, daſs man bis dahin die geschichtliche überlieferung noch bewahrte. in Naupaktos haben die Dorer schiffe, kielschiffe, νᾶες, gebaut: zum überschreiten der meerenge zwischen den Rhia brauchten sie keine. die ältesten dorischen ansiedelungen liegen nicht auf dem Peloponnes, sondern um ihn, auf den inseln Thera Melos und namentlich Kreta. es konnte nicht fehlen, daſs zu der zeit, wo der Peloponnes eine dorische insel geworden war, diese besiedelung angesehen ward als von ihm aus vollzogen, und ein anschluſs der meisten dorischen inseln an Sparta war damals eine politische notwendigkeit. aber es ist ganz un - denkbar, daſs z. b. Kreta nicht früher von Dorern besetzt wäre, als Spartas dorische macht sich bis an die südküste des Peloponnes erstreckte: und wie wären die Pamphylier, die den namen einer dorischen tribus führen, von Sparta aus an die südküste Kleinasiens gesandt, sie, die wirklich jeden zusammenhang mit Griechenland verloren haben? aber nicht für solche fahrten in nebelhafte ferne bauten die Dorer ihre schiffe, sondern um die einnahme des Peloponnes durch irgend welche hinter - pforte zu erzwingen, weil der frontangriff aussichtslos war. von der see kam ein könig, dessen wirklicher name sich durch einen ortsnamen und durch den cult erhalten hat, Temenos11)Der name verwuchs so sehr mit dem volksbegriffe von Argos, daſs neben den Herakliden ein sohn des Pelasgos Temenos trat, der den cult der Hera in Stym - phalos gründete (Pausan. 8, 22): was nichts bedeutet, als die erinnerung daran, daſs dieser dienst aus Argos übernommen war., an die argolische küste. es gelang ihm sich zunächst am strande festzusetzen, unter harten kämpfen wurden erst einzelne burgen erobert, die in der Argolis so dicht lagen268Der Herakles der sage.und liegen wie nirgend; am längsten hielt sich Larisa-Argos, welches schlieſslich der hauptsitz des peloponnesischen Dorertums geworden ist. ein anderer seekönig, dessen name verschollen ist, den aber die sage um so bezeichnender den ‘ellenden ritter’ nennt (Ἀλήτης Ἱππότου), landete im innersten winkel des saronischen busens und bezwang von der küste aus den schlüssel zum Peloponnes, wo er eine neue stadt, Korinthos, gründete, die berufen ward, der zweite hauptort des Dorertums zu werden. doch ist diese eroberung erst gemacht, als das Dorertum in der Argolis schon festen fuſs gefaſst hatte, also wol viel später als wenigstens einem starken schwarme der direkte übergang an der schmalsten stelle des Korinthischen busens geglückt war, wie die überlieferung berichtet, weil von den west - lichen auswanderern zuzug gekommen war, die späteren Eleer unter ihrem könig ‘Führer’ (Ὄξυλος12)Das nur in der vocalisation unwesentlich abweichende Ἄξυλος erscheint nicht nur bei Homer Z 12, sondern wird mit dem bewuſstsein seiner bedeutung vom dichter gebraucht. ξύλον hat in Ὄξυλος der herakleotische epiker Pherenikos gesehen, Athen. 78b: das ist spielerei.. aber so glücklich wie diese hatten die Dorer es nicht. sie muſsten lange irren, ehe sie im oberen Eurotastale eine dauernde stätte fanden, und immer hat ihr gemeinwesen die spuren davon bewahrt, daſs ein kriegerischer, unstäter haufe sich für sein lagerleben diese formen geschaffen hatte. in den kämpfen, welche viele ihrer ge - schlechter mit den hellenischen einwohnern zu bestehen hatten, sind die Spartiaten erstarkt; zu einer wirklich groſsen macht wurden sie jedoch erst, als der letzte act dieses kampfes ihnen die ungleich gesegnetere landschaft Messenien überantwortete. denn es läſst sich bis zur vollen evidenz bringen, daſs der s. g. erste messenische krieg nicht, wie die sowol von Sparta wie von Argos aus getrübte überlieferung will, ein dorischer bruderkrieg war, sondern den Spartiaten die arkadische und pylische Hellenenbevölkerung erlag, welche gleichzeitig von den südwärts vorstoſsenden Eleern bedrängt ward13)Der nachweis muſs einer besonderen untersuchung vorbehalten bleiben: täusche ich mich nicht, so ist hier der punkt gefunden, wo man den hebel ansetzen kann, um die chronologie des epos einzurenken.. gegen ende des achten jahr - hunderts ist das Hellenentum des Peloponneses, an welches die Ἑλλα - νοδίκαι in Olympia die zulassung zu den Zeusspielen binden, ein anderes, dorisches; die alten angestammten träger des namens sind teils geknechtet, teils in die berge gejagt, wo sie fast allerorten in bedeutungslosigkeit sinken, teils ausgewandert, wie die Pylier nach Athen und von dort nach Ionien14)Diese ereignisse sind das geschichtliche, was der s. g. ionischen wanderung. jetzt beginnt der antagonismus zwischen Argos, dem schon269Einwanderung in den Peloponnes. Herakles ein Dorer.früher weithin mächtigen, und Sparta. die Πελόπων νᾶσος aber ist eine Δωρὶς νᾶσος, wie Sophokles sie nennt.
Der hellenische untergrund hat die Dorer nicht weniger beeinfluſst als Thessaler und Boeoter, und es war das ihrer cultur selbst zum segen. weil die Spartiaten sich gegen das Hellenentum immer mehr ablehnend verhielten, sind sie zu einer kriegerkaste, schlieſslich zur szlachta hinab - gesunken, während das lebenspendende meer die korinthischen nach - kommen des ‘Ritters’ zu rhedern und ruderern machte, und in der Argolis das hellenische und dorische sich fast bis zur unscheidbarkeit amalgamirte. aber die Dorer hatten eine wirkliche eigenart, die sich mit nichten ganz verlor, vielmehr dadurch, daſs sie die bedeutendste politische und militä - rische macht in Griechenland wurden, selbst für die allgemein hellenischen sitten und anschauungen maſsgebenden einfluſs gewann. die weise, wie man in ernst und spiel das waffenhandwerk übt, die begriffe von mannes - ehre und eingebornem adel, die zurückdrängung des weibes und ihr notwendiges correlat, die knabenliebe, die verachtung des handwerks und die adlichen passionen für jagd und pferde: das alles ist dorisches ge - wächs. die lebensformen, die in Griechenland allgemein herrschen, als vornehm gelten und demgemäſs verherrlicht werden, bis Athens demo - kratie sie bricht, sind das erzeugnis dieser dorischen cultur. der gegen - satz, welchen Vergil in den schönen versen schildert, die auf tu regere imperio populos Romane memento ausgehn, gilt vielleicht in höherem grade zwischen Dorern und Hellenen als zwischen Römern und Griechen. es gemahnt freilich sehr vieles im dorischen wesen an Latium, ganz besonders die gliederung der bürgerschaft in drei tribus und das vorwalten der magistratur und des rates der alten gegenüber der gemeinde, und wenn es jemals irgend etwas gegeben hat, was den namen graecoitalische periode verdient, so kann dieses schlechterdings nur eine dorisch-italische ge - wesen sein.
Die wurzel des ganzen dorischen wesens ist der glaube an die gött -Herakles ein Dorer. lichkeit des rechten dorischen mannes. ϑεῖος ἀνήρ nennen die Spartiaten einen der ihren, wenn er das leistet, was sie von dem manne fordern. dieser glaube durchdringt das ganze leben. frauen und kinder, hörige und knechte haben gar keine andere existenzberechtigung als in be - ziehung zu dem manne, für den sie da sind. die ganze sittlichkeit ist darauf begründet, daſs er seine existenz erfüllt und genieſst. der ganze zuschnitt des lebens ist darauf berechnet. als dies ideal einmal auf -14)von Athen her zu grunde liegt. auch für die altattische geschichte findet sich so vor Solon ein ποῦ στῶ.270Der Herakles der sage.gestellt ist, opfert man ihm ohne bedenken alles andere, mag es auch so teuer sein wie die familie, und man opfert ihm selbst das eigene streben über die gegenwart hinaus. selbstgenügsamkeit und selbstgerechtigkeit wohnen nah bei einander. über dem einzelnen manne steht nur die summe der männer, der stand. der stand muſs den staat ersetzen, und der indi - vidualismus, welcher nichts über sich erkennt, führt schlieſslich zur ver - leugnung der individualität. es ist eine äuſserst beschränkte, aber wahrhaft groſse erscheinung, einzig in ihrer art, dieses dorische wesen. um so viel mehr muſs dasselbe von dem religiösen ausdrucke dieser alles durch - dringenden empfindung gelten. daſs die Dorer eine göttliche person ge - glaubt hätten, in welcher sich ihr mannesideal verkörperte, müſste man a priori fordern, wenn anders sie nur ein wenig hellenisch zu empfinden wuſsten. nun steht diese überwältigend groſse religiöse schöpfung vor unser aller augen: Herakles, der ἀνὴρ ϑεός, wie ihn Pindar und Sophokles nennen. er ist die einzige groſse gestalt, welche die einwanderer der hellenischen religion zugeführt haben, wie das ihrem wesen entspricht. aber sie ist dafür auch eine der groſsartigsten schöpfungen, zu der je die phantasie eines volkes emporgestiegen ist.
Dafür legt schon das zeugnis ab, daſs es unmöglich erschien, das wesen des Herakles zu erfassen und darzustellen, ohne die geschichte der völkerwanderung in ihren hauptzügen darzustellen und die völker - gruppen zu sondern. nur so ist aussicht vorhanden, ordnung in das chaos der sagenmasse zu bringen und das gemeinsam dorische zu erfassen. andererseits würde die Heraklesreligion selbst unweigerlich haben dar - gelegt werden müssen, wenn die aufgabe gewesen wäre, die geschichte der dorischen wanderung zu erzählen. die griechische geschichte und die griechische religion und sage gehören zusammen, weil der inhalt teils identisch ist, teils eines das andere bedingt. die heillose begriffsverwirrung, die in diesen dingen meist herrscht, ist dadurch hervorgebracht, daſs die historiker vom handwerk mit der sage nicht arbeiten mögen oder können, die dann den mythologen vom handwerk anheimfällt, welche an die ge - schichte gar nicht denken.
Die Hellenen, d. h. also die autochthone bevölkerung, hat Herakles nicht gekannt. Aeolern und Ioniern ist er fremd gewesen und immer ein fremder geblieben. die auswanderer haben ihn nicht an die asiatische küste mitgenommen, und die ältere asiatische schicht des epos kennt ihn nicht. erst als die von der westseite des Peloponnes colonisirte dorische hexapolis auf das epos einwirkt, und dann vollends, als das epos nach dem mutterland übergreift, dringt Herakles, immer jedoch als fremder,271Herakles ein Dorer. H. fehlt den Hellenen; Eleern.ein. diese tatsache ist notorisch. sie wird nicht im mindesten dadurch beeinträchtigt, daſs der cult des Herakles sich auch bei Ioniern verbreitet hat, als die politische vormacht und die gesellschaftliche führung bei den Dorern stand. so haben naturgemäſs die Hellenen, die sich auf dem festlande hielten, von ihren nachbarn gelernt den Herakles zu verehren, also die bewohner von Attika und Euboia in erster linie. es ist aber auch nicht zu verwundern, daſs unsere trümmerhafte kenntnis an einzelnen orten zwar einen alten Heraklescult nachweisen kann, aber keine alt - dorische bevölkerung. besondere aufmerksamkeit verdienen diese aus - nahmen, allein mit ihnen wird so leicht niemand wagen die regel zu bestreiten15)Es handelt sich einmal um die Heraklessagen an der thrakischen küste, in Habdera (colonie von Opuntiern und leuten dieser von einwanderern durchsetzten gegend) Sithonia, Torone, Thasos u. s. w. diese weisen auf die inseln zurück, wo Her. jedoch kaum vorkommt; denn daſs er auf Tenos die Boreaden züchtigt, braucht keine tenische sage zu sein. eine gute erklärung steht noch aus: die verbreitete annahme, den Heraklescult von Thasos, der doch von der nachbarschaft nicht getrennt werden darf, auf Phoenikier zu beziehen, ist von Furtwängler (Roschers mythol. lex. 2142) gut zurückgewiesen, doch bleibt noch unerklärt, wieso Thasos bruder des Phoinix sein kann. — der einzige auf altertum anspruch erhebende asiatische Heraklescult ist in Erythrai, und auch über ihn handelt Furtwängler (s. 2137) sehr gut. Erythrais name kehrt im südlichen Thessalien wieder und in Boeotien, von Thessalien sind notwendig auch Boeoter mit den Aeolern ausgewandert, sonst ist die anwesenheit von Peneleos und Leitos vor Ilios ganz unerklärlich: ein vereinzeltes Heraklesheiligtum in der gegend, wo Aeoler und Ionier sich kreuzen, ist also nicht mehr befremdlich als jene epische singularität: wir bilden des Thukydides schluſs, daſs Boeoter vor der Boeotischen einwanderung in Boeotien gesessen haben müſsten (I 12) nur ein wenig um. eine groſse bedeutung wird diesem vorgeschobenen posten des Heraklescultes notwendigerweise beigelegt werden müssen..
Auch der westlichen gruppe der einwanderer ist der ursprünglicheH. fehlt den Eleern. besitz des Herakles abzusprechen, und leicht lösen sich die scheinbar widerstrebenden instanzen auf. die sage von Herakles bei Augeias mit allem was daran hängt, geht höchstens die hellenischen vorgänger der Eleer, die Epeer, an, und sieht die heimat des Herakles in Argos16)Der Heliossohn Augeias mit den sonnenrindern, die Molioniden, eine der merkwürdigsten formen des vordorischen Dioskurenpares (vgl. zu vers 29), der ent - wässerungscanal, dessen reste noch heute sichtbar sind (Curtius Peloponnes II 34) gehen alle die Eleer nichts an. der zug des Herakles gegen Elis gehört vielmehr in eine reihe mit denen gegen Neleus und die Pylier, Eurytos, den herrn des mes - senischen Oichalia, Hippokoon von Sparta: es ist ersichtlich argolische sage und spiegelt die versuche wieder, welche die argolischen Dorer machten, sich die supre - matie im Peloponnes zu erringen. eine andere frage ist, ob sie in Elis noch die. die272Der Herakles der sage.olympischen spiele sind den Pisaten erst von den Eleern abgejagt und für eine stiftung des Herakles erklärt, als der dorische adel bei diesen spielen die erste rolle hatte, und Sparta mit Argos zu rivalisiren begann. eine bevölkerung, welche selbst den Herakles als fremden ansah, gegen die er nicht nur von Argos, sondern auch von Dyme her17)Vgl. das merkwürdige epigramm von Dyme, Kaibel 790, mit dessen com - mentar. die sage war wahrscheinlich von Antimachos behandelt. Steph. Byz. Δύμη. zu felde ge - zogen ist, kann noch weniger auf diesen heros anspruch machen als die autochthonen Arkader, bei denen er in Tegea, Pheneos, Stymphalos einzeln auftritt, nämlich wenn er von Argos aus auf abenteuer zieht.
Noch deutlicher ist, daſs die Aetoler, d. h. die fälschlich den alten namen usurpirenden einwanderer, mit Herakles nichts zu tun haben. Deianeira, könig Oineus tochter, welche Herakles vom werben des Acheloos befreit, ehelicht, am Euenos vor der zudringlichkeit des Kentauren Nessos schützt, die mutter des Hyllos, nach dem die vornehmste tribus der Pelo - ponnesier heiſst, schlieſslich die schuldlose mörderin ihres gatten, ist gewiſs die bedeutendste weibliche gestalt, welche in seiner umgebung auftritt. schon deshalb ist sie nicht national aetolisch. ist doch auch in dieser sage der vertreter Aetoliens der hellenische Oineus. es wird später noch nötig werden, auf den sagenkreis einzugehen, und dabei wird die benutzung der altaetolischen personen noch verständlicher werden. aber auch hier muſs schon betont werden, daſs der Acheloos, welchen Herakles bezwingt, durch fehlgreifende willkür mit dem aetolischen flusse gleich gesetzt ist. seine bezwingung ist in wahrheit eine dublette zu dem Tritonkampfe: nicht ein fluſsgott, sondern der herr des meeres kann das füllhorn, das symbol der ewigen seligkeit, bieten18)Niemals ist vergessen worden, daſs Ἀχελώιος das wasser überhaupt be - deutet. und der gegner des Herakles benimmt sich in dem kampfe ganz wie der ἅλιος γέρων Πρωτεύς in der Odyssee oder die meerjungfrau Thetis bei Hesiodos: er hat die gabe der verwandlung. es ist wertvoll festzustellen, daſs dasselbe der meergreis tat, den Herakles im westen bezwang. so hat Stesichoros, natürlich in der Geryoneis, erzählt. das bruchstück fehlt in Bergks letzter ausgabe, der weder er noch der ergänzer seines werkes die unerläſsliche sicherheit des fundamentes gegeben hat. es steht in dem von Rohde entdeckten paradoxographen 33 (Rer. nat. scr. ed. Keller s. 110) παρ̕ Ὁμήρῳ Πρωτεὺς εἰς πάντα μετεμορφοῦτο, καὶ Θέτις (καϑάτις cod. καϑὰ Θ. Rohde) παρὰ Πινδάρῳ, καὶ Νηρεὺς παρὰ Στησιχόρῳ, καὶ Μήστρα — leider fehlt für diese der autor. die bedeutung des füllhorns hat Furtwängler (Roschers lexicon s. 2157) richtig geschätzt..
Bei den Epiroten19)Für die Epiroten und Illyrier sind schlieſslich die korinthischen colonisten die wichtigsten culturträger geworden. sie erzählten natürlich von ihrem heros. wenn also die illyrischen Hylleer auf Hyllos, sohn des Herakles und der Melite, zurückgeführt werden, so ist das nichts als eine korinthische lediglich auf den namensanklang gebaute combination. Herakles ist der ahnherr dieser barbaren wie der Skythen. und Makedonen ist von Herakles keine spur.H. fehlt den Makedonen. seit Alexandros I wollte das makedonische königshaus freilich von Herakles stammen, und noch der groſse Alexander hat einen sohn Ἡρακλῆς ge - nannt (wovor sich sonst die menschen doch scheuen), aber das ist erst eine folge davon, daſs sie gern Hellenen sein wollten, und der name ihres geschlechtes Ἀργεάδαι an Argos anklang.
Stutzig machen kann nur die fülle von Heraklesculten und Herakles -H. in Groſs - griechen - land. sagen bei den unteritalischen auswanderern. es gibt dort eine einzige Dorerstadt Tarent (das Herakleia erst spät gründet), auf welche dieser reichtum um so weniger zurückgeführt werden kann, als die Parthenier des Phalanthos aus ihrer heimat Sparta weder reiche sagen noch die neigung weiter zu dichten mitbringen konnten. die versuchung liegt also nahe, Messapiern und Chonern (Chon gilt selbst als sohn des Herakles) den cult zuzutrauen, und leicht möchte man dann selbst die Italiker heranziehen. allein die Achaeer Groſsgriechenlands, welche zunächst in betracht kommen müssen, können nicht für so rein hellenisch gelten wie die Ionier. beide stammen der tradition nach von der nordküste des Peloponnes, und die Achaeer notorisch. aber sie sind ganz und gar ver - schieden. Kroton Sybaris Metapont sind allerdings eines stammes mit den bewohnern der küste von Pallene bis Dyme. darf man aber diese für eine reine vordorische bevölkerung halten? ihre sprache, so wenig sie auch bekannt ist, zeigt am ehesten mit den nordgriechischen mund - arten, keinesweges mit dem arkadischen oder ionischen verwandtschaft. die geistige bedeutung der Achaeer ist um kein gran höher als die der anderen einwanderer. sie stehen charakterlos zwischen Peloponnesiern und Ioniern. also werden wir zu schlieſsen haben, daſs der alte Achaeer - name der landschaft nur blieb, weil kein neuer stammname wert und klang hatte; zu politischer bedeutung kamen sie so wie so nicht. ein - wanderer der westlichen und der östlichen gruppe und alle möglichen hellenischen völkersplitter sind hier an der wenig begehrenswerten nord - küste teils sitzen geblieben, teils von hier nach Groſsgriechenland aus - gezogen, und wie in Dyme und in Bura20)Hier heiſst er sogar Βουραικός Pausan. VII, 25, und sein cultbild ist ein echt archaisches, Imhoof Gardener numism. comment. on Paus. taf. S II, III. notorisch bedeutender Herakles -v. Wilamowitz I. 18274Der Herakles der sage.cult war, so hat man in dem kampfe mit den barbaren den heros angerufen und von seinen vorbildlichen fahrten auch am Siris und neuen Krathis erzählt, da er der vertreter der vornehmsten auswanderer war21)Allerdings pflegte man dort auch die troischen helden: doch das konnte man erst, als die Ilias im ionischen epos ausgebildet war. diese sagen verdienen eine mono - graphie, die zuerst Timaios herstellen muſs, was mit Lykophron, den versprengten zahlreichen resten, und den ϑαυμάσια ἀκούσματα im anschlusse an Müllenhoff gut geht; und dann muſs man Timaios selbst analysiren, was nicht leicht sein wird, aber sehr wichtigen ertrag verspricht. insbesondere ist merkwürdig, daſs Philoktetes nach unteritalien gezogen wird: offenbar waren also auch leute aus oetäischem gebiete dorthin gekommen, wie das die beteiligung der Loker an sich glaublich macht. also auch von dieser seite aus konnte der Heraklescult dorthin gelangen.. der Achaeername täuscht ganz besonders leicht22)Weil er so schillernd ist, ist er heut zu tage beliebt, und habe ich ihn vermieden. die bedeutung (χαιοί die erlauchten) empfahl ihn dem epos als collectiv - namen, und so mag, wer will, ihn da verwenden, wo ich Hellenen gesagt habe; es ist nur etwas hart, die Athener zu den Achaeern zu rechnen. als stammname sitzt er ebenda fest, wo auch die Ἕλληνες Homers wohnen, in Phthia: leider ist gerade diese achäische mundart auch noch dunkel. ferner gibt es die Δημήτηρ Ἀχαία in Boeotien, die landschaft Ἀχαία, deren ansprüche zweifelhaft sind, und die Achaeer als gegner der Spartiaten. ihnen traten die nachkommen des Agamemnon gegenüber, der in der Ilias Achaeer ist, übrigens in wahrheit ein Aeoler so gut wie Achilleus. auch hier also kann der name aus dem epos übertragen sein. wie viel durch einander geht, sehe man daran, daſs Antimachos bei Athen. XI 468 die Peloponnesischen feinde der Boeoter Ἀχαιοί nennen kann. die vielberufene stelle Herodots (V. 72), wo könig Kleomenes sich keinen Dorer sondern Achaeer nennt, ist ganz einfach: er stammt ja von Herakles dem Perseiden. die genealogie der königshäuser Spartas mit Aristo - demos und den söhnen Eurysthenes Prokles ist übrigens erst ersonnen, als die wirk - lichen königsgeschlechter längst feststanden: Ἀγιάδαι und Εὐρυπωντίδαι sind die wirklichen geschlechtsnamen, geltend lange ehe ihre träger die verpflichtung em - pfanden, die Heraklidenabstammung besonders für sich in anspruch zu nehmen. die geringe bedeutung und üble rolle, welche Aristodemos spielt, zeigt auch, daſs diese genealogie, Hyllos, Kleodaios u. s. f. nicht in Sparta entstanden ist: alles weist auf Argos. was Herodot VI 52 als spartiatische tradition von Aristodemos erzählt, ist nur umbildung der vulgärsage. nicht nur praktisch, sondern auch mit ganz bestimmten traditionen zu belegen, ist der vorschlag, den ich früher gemacht habe, den Achaeer - namen für die vordorische einwanderung nordhellenischer stämme im Peloponnes zu verwenden, also die leute von Bias und Melampus, Neleus, Eurytos u. s. w. allein das fordert eine darlegung anderer verhältnisse, und ist mit der anm. 13 bezeich - neten untersuchung verquickt.. aber auch die Lokrer vom Zephyrion und selbst die Chalkidier von Rhegion und Kyme haben dem Herakles gehuldigt. ganz natürlich, da auch auf ihren schiffen genug auswanderer thessalischer und boeotischer abkunft waren, und der cult des gottes Herakles sich längst den nachbarn mitgeteilt hatte. hier zuerst275H. in Groſsgriechenland; in Rom. H. bei den barbaren.ist deshalb Herakles zum allgemein griechischen vorkämpfer geworden, und es ist bezeichnend, daſs in Himera, einer ionischen stadt mit stark dorischer mischung, um 600 der dichter aufstand, der seinen abenteuern zuerst die ungemessene weite der welt zum schauplatz gegeben hat.
Von diesen auswanderern in Groſsgriechenland ist Herakles zu denH. in Rom. Italikern gelangt, bei denen er, wenn auch in starker umbildung und so, daſs der ursprüngliche inhalt der religion ganz vergessen ward, einen überaus starken cultus fand, verflochten in die ältesten sagen Roms, verehrt bis in die innersten Abruzzentäler. es haben sich natürlich ver - einzelt italische sagen an den fremden heros geheftet, und die Italiker haben dem körper, den sie übernahmen, den odem ihrer eigenen seele eingeblasen: aber wie der name ist die gestalt des Hercules hellenischer import. die versuche, eine urverwandte oder auch durch zufällige namens - ähnlichkeit identificirte italische gottheit in ihm zu sehen, sind zum glücke fast allgemein aufgegeben23)Die lage der ara maxima in Rom würde allein den fremden gott erweisen; doch führt die untersuchung von jedem ausgangspunkt zu demselben ergebnis. die geschichte von Cacus ist, wie wir sie haben, so gut eine griechische dichtung wie die Romulussage, und deshalb läſst sich das epichorische element, für das der name und die scalae Caci zeugen, nicht aussondern. der interessante versuch von Reiffer - scheid (Annali dell’ instituto 39) operirt mit einem materiale, das immer vieldeutig, nicht selten sicherlich fremdartig ist. doch ist selbstverständlich, daſs die herkunft des cultes und des namens nicht im mindesten darüber entscheidet, was die Italiker in Herclus empfanden und glaubten. nur hat das was davon italisch ist mit Herakles eben nichts zu tun. übrigens folgt aus der entlehnung, daſs es unerlaubt ist, die vorstellungen, welche der Latiner mit Herclus verbindet, ohne weiteres auf den Cam - paner Samniten Brettier zu übertragen, vielmehr wird nur die differenziirung ein wissenschaftlich haltbares ergebnis liefern..
Verhältnismäſsig unbedeutend, meist jung und ganz durchsichtigH. bei den barbaren. sind die trotz aller vielgestaltigkeit eintönigen erscheinungen, in welchen fremde gottheiten von den Griechen mit ihrem Herakles identificirt worden sind. es ist das ja mit allen möglichen gottheiten geschehen. was Caesar und Tacitus mit den germanischen göttern tun, hat schon Homer mit den teukrischen getan. die Artemis von Perge, von Ephesos, von der taurischen Chersones, die Athena vom libyschen Triton, vom mons Garganus, von Sais, Dionysos Civa, Dionysos Jahwe, Dionysos Osiris weiſs man auch ohne weiteres richtig zu beurteilen; auch wenn die gewährsmänner Herodots die abstammung der Skythen auf Herakles und Echidna zurück - führen, macht man aus Herakles keinen Skythen. aber weil die Hellenen den stadtgott von Tyros oder besser den in den verschiedensten formen18*276Der Herakles der sage.auftretenden semitischen himmelsherrn und sonnengott (wenn er das wirklich war) in einzelnen bestimmten formen mit ihrem Herakles iden - tificirt haben, weil ferner im altertume schon die neigung bestanden hat, das entlehnte und zumal das orientalische für ehrwürdiger und vornehmer zu halten, und deshalb vereinzelt auch Heraklesheiligtümer für orienta - lische stiftungen erklärt sind — aus diesen nichtigen und in unzähligen anderen fällen als nichtig anerkannten gründen hat sich die meinung bilden können, daſs Herakles ein von den Phoenikiern importirter sonnen - gott wäre. nun bricht sich freilich die erkenntnis bahn, daſs die phoe - nikische cultur selbst etwas ganz unselbständiges und als zwitterwesen zeugungsunfähiges gewesen ist. aber dafür geht man nur noch bis in das bodenlose weiter und findet in altbabylonischen sagen Herakles und seine taten wieder. die kluft der zeit, die nach vielen jahrhunderten zählt, die kluft des raumes, welche jeder vermittelung spottet, achtet man für nichts; die leute die so reden kennen freilich Herakles und die griechische geschichte meistens nur als reminiscenz von der schulbank. sie wissen nicht, was sie tun. es sind leute darunter, die schaudern würden, wenn ihnen solche blöde unwissenheit und unwissenschaftlichkeit auf ihrem eigenen arbeitsfelde begegnete. so weit sie nicht wissen, was sie tun, wollen wir ihnen gern verzeihen: aber weil sie alle unwissenschaftliches tun, sind sie keiner sachlichen berücksichtigung wert. von interesse würde es dagegen sein, zu wissen, ob Dorer die identification des Herakles mit dem Melkart (den namen einmal zu brauchen) vollzogen und auch die skythische archaeologie ersonnen haben. möglich ist es in beiden fällen, da sich hier die megarischen colonisten in Herakleia und seinen pflanzstädten, dort die Rhodier24)Von diesen ist Herakles zu den Lykiern gelangt, die ihn früh als münz - bild haben. bequem darbieten. allein nötig ist es durchaus nicht. als diese gleichungen aufkamen, war Herakles längst eine zwar nicht allerorten verehrte, aber allerorten wolbekannte heroenge - stalt, die in folge der wanderungen des heros, wie sie die poesie aus - gebildet hatte, für solche identificirung besonders passend erscheinen muſste25)Besonders merkwürdig ist, daſs die Phokaeer in Massalia den heros ihre ligurischen feinde bezwingen lieſsen. dieses sehr eigentümliche abenteuer, das schon Aischylos seinen Prometheus prophezeien läſst, kann nur in Massalia gedichtet sein, da es das bestimmte local, die steinwüste an der Rhonemündung, voraussetzt. aber der ganze zug des Herakles von Erytheia-Tartessos nach Italien auf dem landwege setzt die massaliotische küstenbesiedelung voraus. unmöglich ist freilich nicht, daſs vor den Phokaeern dorische seefahrer (von Knidos und Rhodos her) auch hier sich.
277H. bei den barbaren. Herakles der Dorer.Von besonderem interesse ist nur eine solche verknüpfung des bar - barischen mit Herakles: das lydische herrschergeschlecht, welches Gyges stürzte, hat für heraklidischen blutes gegolten, und die Omphalefabel ist in Lydien localisirt worden und hat anderes nach sich gezogen. es wird sich unten zeigen, daſs hier nur eine oetäische sage in äuſserlicher weise nach Asien übertragen ist. aber gesetzt auch, es hätte sich wirk - lich an diesem einen punkte asiatisches und hellenisches verquickt, so dürfte man eben nicht hier das verständnis der Heraklessage suchen: ihr wesen wird sie allein in ihrer heimat offenbaren können.
So bleibt also Herakles ein angestammter besitz lediglich der völker -Herakles der Dorer. gruppe, welche sich vom Pindos östlich wandte. Thessaler26)Entsprechend ihrer geringeren geistigen kraft und selbständigkeit kommen die Thessaler am wenigsten in betracht, obwol gerade Thessalos selbst ein Herakles - sohn ist, Boiotos nicht. im Peloponnes ist das verhältnis ähnlich zwischen Argos Korinth einerseits, Sparta Kreta andererseits. für die Heraklessage haben die süd - lichen Dorer fast nichts geleistet. Boeoter Dorer sind wesentlich durch diese gemeinsame religion als zusammen - gehörig zu erkennen. sie alle haben Herakles als den vertreter ihres wesens verehrt, haben von seinen taten erzählt, seine ehre als die ihre betrachtet, und sie sind irgend wie im spiele, wo immer uns Herakles begegnet.
Ist Herakles vielleicht nichts anderes als der vertreter dieses volks - tumes, das a potiore dorisch heiſsen mag? und ist die entwickelung seiner sage so zu betrachten, daſs er allmählich vertreter des Hellenen - tumes geworden wäre, zuerst in Groſsgriechenland, schlieſslich aber ver - treter der menschheit? eponyme heroen der art gibt es in Hellas und bei anderen Ariern genug; semitische völker zeigen deutlicher als die Arier auch götter in solcher function. selbst Jahwe, der zuerst ein gott gewesen sein mag, der an einen bestimmten ort, den Sinai, gebunden war, hat seine bedeutung dadurch erhalten, daſs er der träger des israelitischen volkstums ward, und hat nur um den preis der zertrüm - merung dieses volkstumes ein gott der welt werden können. es kann aussichtsvoll erscheinen, Herakles in dieser nationalen weise erklären zu wollen. denn gewesen ist er allerdings vertreter der Dorer, und die jahrhunderte 8 bis 6 haben seine sage ganz vorwiegend nach dieser seite ausgestaltet. unübersehbar ist die masse dieser sagen, reichste fülle geschichtlicher überlieferung birgt sich in ihnen. der zusammenhang, in25)festzusetzen versucht haben. gerade auf der île de la Camargue soll ein Herakleia gelegen haben. CIL XII p. 500.278Der Herakles der sage.welchen die abenteuer schon durch die sagenschreiber des 5. jahrhunderts gebracht sind, ist vorwiegend durch solche nationalen momente bedingt: aber selbst sie haben nie vergessen, daſs dies alles für die eigentliche Heraklessage nebensächlich ist, und haben alle diese taten als πάρεργα bezeichnet. das ist eine strenge aber allerdings treffende beurteilung ihres wertes. um das wesen des Herakles im kerne zu erfassen, könnte man von dem vertreter der Dorer ganz absehen. allein dieses spätere gezweige, die wirren schöſslinge und wasserreiser decken jetzt den stamm: auch wenn man sie nur beseitigen wollte, müſste man sie näher be - trachten; nun haben sie aber nicht nur eine hervorragende geschicht - liche bedeutsamkeit, sie sind auch äuſserst belehrend für die methode, welche in der analyse der heroenmythen erfordert wird, weil sie vielfach sehr jung und relativ, zum teil sogar absolut datirbar sind.
Die besitzergreifung des Peloponneses selbst ist nicht zu einer tat des Herakles geworden, sondern hat sich in wie auch immer getrübter geschichtlicher erinnerung selbst erhalten. die Dorer haben vielmehr die legitimation ihrer einwanderung darin gesehen, daſs ihr ahn, Herakles, selbst ein sproſs der argolischen herrscherfamilie gewesen wäre und widerrechtlich seines erbes beraubt. somit ist in der ganzen sage, soweit sie die geburt in Tiryns, die dienstbarkeit bei Eurystheus, die vertreibung aus dem Peloponnes voraussetzt, ein zug als voraussetzung in das bild gebracht, der lediglich dorische geschichte zum ausdruck bringt. es gibt ferner eine anzahl sagen, welche Herakles Elis Lepreon Messenien (Pylos, Oichalia) Lakedaimon erobern lassen; allein sie sind weder sehr volks - tümlich, noch reich ausgebildet, der poesie fast, der bildenden kunst ganz fremd, führen auch nicht zur besitzergreifung, lassen zudem den heros als heerkönig wenigstens meistens auftreten, was immer etwas secundäres ist, so daſs sie durchaus nicht als ein niederschlag der erinnerung an die einwanderung gelten können27)Natürlich müssen auch diese sagen in irgend welcher poetischen form in alter zeit umgegangen sein, wie hätten sie sich sonst erhalten? aber von dieser form wissen wir nichts, weil nichts die archaische zeit überdauert hat. es erheben sich hier die unten am dodekathlos genauer behandelten schwierigkeiten. z. b. ist Herakles die Hippokoontiden überwindend von Alkman so breit dargestellt, daſs schon um der fülle von namen willen eine feste, wol sicher poetische tradition zu grunde liegen muſs, aber nichts hindert diese für argolisch anzusehen. localspar - tanisches ist gerade in dieser geschichte, wenigstens so weit sie bekannt ist, so gut wie gar nichts.. daſs Herakles hier stets als Argeier auftritt, zeigt deutlich, daſs wir es mit dem niederschlage der kämpfe zu tun haben, in denen Argos die suprematie über den Peloponnes an -279Herakles der Dorer. sagen geschichtlichen inhalts.strebte. und es ist ein beredtes zeugnis für die phantasielosigkeit der Spartiaten, daſs wir Herakles nicht aus dem Eurotastal vorbrechend Bel - mina und Stenyklaros, Tegea und Thyrea bezwingen sehen.
In Boeotien hat die überwindung von Orchomenos, die spät und nach hartem kampfe gelang28)Vgl. zu vers 50. 280., und die friedliche besitzergreifung von Thespiai29)Hier führten sich die δαμοῦχοι (Diodor IV 29) auf Herakles zurück, d. h. die adelsfamilien, welche von der alt eingesessenen bevölkerung zugelassen waren: die verschmelzung dieser beiden nationalitäten gibt die naive sage so wieder, daſs Herakles in einer nacht den 50 töchtern des Thespios zu söhnen verhilft., neue, wenn auch farblose Heraklessagen erzeugt. die be - kämpfung und verpflanzung der Dryoper um Delphoi ist vielleicht ein nachhall sehr alter zustände; vielleicht ist sie aber auch nur ein versuch, zu erklären, weshalb die Dorer von Argolis und Sparta ihre gegner in Hermion beiden Asine und Korone eben so benannten, wie ehedem ihre phokischen gegner; vielleicht ist auch Herakles als Dryoperfeind an stelle des Phlegyerfeindes Apollon getreten30)Ohne eine mühsame sammlung des materiales der sagen und eine gleich - zeitig alle s. g. dryopischen gegenden ins auge fassende behandlung ist nur das allgemeine und auch das mit so starken restrictionen zu sagen.. denn wo die einwanderer sich des übergewichtes der älteren sagen nicht erwehren konnten, die im kreise ihrer untertanen fortlebten, da begnügten sie sich damit, ihren heros nur an die stelle eines älteren zu setzen, wie er im kampfe mit Kyknos Achilleus verdrängt31)Vgl. zu v. 110., oder ihn wenigstens mit helfen zu lassen, wie er neben Peirithoos und den Lapithen gegen die Kentauren zieht32)Vgl. zu v. 181. 364.. das sind thessalische umbildungen. vollends durchsichtig sind die Herakles - sagen, welche die dorische besetzung von Kos Rhodos Kyrene erzeugt hat, und die thrakischen und groſsgriechischen, deren oben gedacht ward, führen den heros eben auch nur als vertreter seiner auswandernden verehrer ein.
Es ist nicht dieses ortes, das material zu erschöpfen; aber noch ein par charakteristische und datirbare sagen derselben art mögen kurz be - sprochen werden, weil der commentar des euripideischen dramas keine veranlassung geboten hat, sie zu erläutern.
Die Argonautensage ist im kerne uralt und schon in Thessalien ausgebildet, wo sie immer haften geblieben ist. aber diese älteste form wird sich niemals mit einiger sicherheit wieder gewinnen lassen. zur zeit kennen wir noch nicht einmal die jüngeren formen genügend, welche280Der Herakles der sage.sie in Miletos und Korinthos erhalten hat: das kann und muſs die forschung leisten. Milesische seefahrer haben schon im achten jahr - hundert den Pontos befahren und seine südseite besetzt. damals ist Kolchis als das ziel der fahrt festgestellt, die eigentlich die geraubte frau aus dem lande der aufgehenden sonne heimholen wollte. gleichzeitig sind viele ionische heroen auf die Argo gekommen: Herakles natürlich nicht. die form der sage, welche uns geläufig ist, ward von den Korinthern festgestellt, als diese ihre seemacht im westmeere begründeten. damals ist Hera, die ἀκραία von Korinth, die beschützerin des Iason geworden, ist die rückfahrt durch das adriatische meer gelenkt, und ist wieder eine anzahl heroen zugetreten. aber den Herakles mochten seine korinthischen nachkommen nicht zuziehen, weil er keine seiner würdige stelle erhalten konnte. sie begnügten sich also, sein fernbleiben angemessen zu moti - viren, daſs das schiff ihn nicht getragen, kein ruder stark genug für ihn gewesen wäre oder ähnlich. aber um 550 gründeten Megarer und Boeoter eine zukunft verheiſsende pflanzstadt an der pontischen küste, die sie nach Herakles nannten. nun war er natürlich mit auf der Argo gewesen, aber nur bis Herakleia mitgefahren. man verband eine artige heimische fabel, vom Dryoperknaben Hylas, des Theiodamas sohn, dem ἐρώμενος des helden, und einen cultgebrauch der mariandynischen perioeken Hera - kleias, welche um einen heros Priolas oder Bormos33)Schol. Apollon. Rhod. II 780. Schol. Aisch. Pers. 938. Athen. XIV 619. zu klagen in den wald zogen: und eine neue sehr hübsche Heraklesfabel war fertig. den Herakleoten ward es auch bald glaubenssache, daſs Herakles bei ihnen den höllenhund ans licht gebracht hätte, weil sie in ihrer neuen heimat einen erdspalt hatten, der natürlich bis in die hölle reichen sollte. aber mit diesem anspruche sind sie gegenüber den älteren localisirungen nicht mehr durchgedrungen34)Herakleia, so fern es liegt, hat eine solche bedeutung für die sage erlangt, weil es zu allen zeiten tüchtige schriftsteller gebar: schon um 400 hat Herodoros eine pragmatische bearbeitung der Heraklessage geliefert. später haben Nymphis Herakleides Chamaileon locale überlieferung auch unabsichtlich aufgenommen. so entspricht dieser östlichste posten dem westlichsten, dem Himera des Stesichoros..
Der kampf um Ilios war durch das aeolische epos geschaffen. schon als die Ionier dieses übernahmen, lieſs der vorrang der aeolischen helden es unstatthaft erscheinen, ihnen die vornehmsten Ioniens an die seite zu stellen. man führte also ihre ‘epigonen’ ein: nicht Tydeus sondern Diomedes. dadurch ward für die relative chronologie der heroensage der grund gelegt. das epos wanderte an der asiatischen küste südwärts und281Sagen geschichtlichen inhalts.kam zu den Dorern von Kos und Rhodos. für sie war die ausschlieſsung des Herakles auch selbstverständlich. aber es genügte ihnen nicht, seine nachkommen einzuführen, zumal diese ihre gegner auf die troische seite nachzogen: dafür ist der kampf zwischen Tlepolemos und Sarpedon das leuchtende beispiel. und doch durfte Asien nicht ohne Herakles erobert sein. so entstand der zug des Herakles gegen den vater des Priamos. asiatische Dorer haben ihn erdacht, denn sie, die aus der Argolis stammten, haben die argolische geschichte von Perseus und Andro - meda auf Herakles und Hesione übertragen und den zug wider Troia mit den älteren fahrten verbunden, in denen sie Herakles ihren eigenen kämpfen um Kos und Lindos hatten vorarbeiten lassen. später, als das epos nach dem mutterlande kam, steigerte man den zug zu einer groſsen heerfahrt, und eine regelrechte belagerung trat zu dem einfachen kampfe mit einem ungeheuer. die beteiligung der Aeakiden, für deren ruhm besondere sorge getragen ward, lehrt, daſs diese letzte bearbeitung unter dem drucke der aeginetischen macht, im 6. jahrhundert, vorgenommen ist35)Auch ein attisches skolion spricht die tendenz unumwunden aus, 18, τὸν Τελάμωνα πρῶτον, Αἴαντα δὲ δεύτερον ἐς Τροΐαν λέγουσιν ἐλϑεῖν Δαναῶν καὶ Ἀχιλλέα. des Herakles hat man hier ganz vergessen; selbst Achilleus ist nur annex. so mögen die nachkommen des Eurysakes oder Philaios gesungen haben. Bergk, der μετ̕ Ἀχιλλέα geschrieben hat, hat sich wol gar nichts gedacht, jedenfalls das gedicht nicht verstanden..
Ebenfalls im 6. jahrhundert drang die hellenische besiedelung in Sicilien mächtig nach westen vor. im süden hatten Dorer megarischer herkunft in Selinus einen sicheren stützpunkt gefunden; an den nord - küsten Chalkidier Himera weit vorgeschoben. die eingebornen gegner waren Elymer, wahrscheinlich iberischer abkunft36)Der iberische graffito auf einer sicilischen vase, den Löschcke erkannt hat (Benndorf Gr. Vasenbild. taf. XXXXIII) ist ein unverdächtiger und gewichtiger zeuge für diese ansicht., in Entella, Halikyai, nament - lich aber in Egesta und auf dem Eryx. die ionischen Himeraeer, deren phantasie von homerischen bildern erfüllt war, sahen in ihnen nach - kommen der Troer, mit denen ihre ahnen gefochten hatten, um so mehr als sie die göttin des Eryx Aphrodite nannten, die ja dem volke des Paris beigestanden hatte. so ward der eponym dieser feinde, Eryx, ein sohn Aphrodites und eines ‘hirten’, des Βούτης37)Bei Apollonios Rhodios ist Butes sohn des Teleon (wie er statt Γελέων gesagt haben soll, auf grund eines schreibfehlers jedenfalls) von Athen, er stürzt ins meer, als die Argo an den Sireneninseln bei Neapel vorbeifährt, und Aphrodite rettet ihn nach Lilybaion. daſs der Elymer Athener wird, ist wol eine nachwirkung, ein anderer Aineias;282Der Herakles der sage.Aineias war ja längst der vertreter erst der geretteten Troer, dann der feindlichen völkerschaften geworden, in denen die Hellenen ihre troischen gegner wiederfanden38)So ist das auftreten des Aineias in Ainos, Aineia, auf Kreta und in Epirus leicht erklärlich.. die Dorer rechneten zuversichtlicher darauf, die Elymer zu bezwingen. sie beanspruchten den berg Eryx, weil ihr Herakles seinen eponymos (einen Poseidonsohn, wie so viele frevler) im ringkampfe überwunden hätte, als ihr erbe. das motiv des ringkampfes ist ein geborgtes, von den dorischen Kyrenaeern ebenso in der Antaiossage verwandtes. mit den in dieser sage ausgesprochenen rechtsansprüchen verlockten um 505 die seher einen spartiatischen königssohn Dorieus zu einem zuge wider die Elymer. der zug mislang, Dorieus fiel, und niemals hat die geschichte diese erfindung der begehrlichkeit zur wahrheit gemacht. nichts desto weniger dauerte die sage, die nun einmal verbreitung gefunden hatte, und Timaios, der die schlieſslich maſsgebende darstellung der west - griechischen Heraklesabenteuer gegeben hat, reihte sie mit besonderen hilfsmotiven in den rückzug von Erytheia ein.
Die weit überwiegende mehrzahl der Heraklessagen hat einen solchen geschichtlichen sinn. sie sind leicht verständlich, sobald man die con - creten verhältnisse erfassen kann, welche sie wiederspiegeln; aber auch wo das nicht mehr möglich ist, sieht man es einer Heraklestat bald an, ob sie einen geschichtlichen inhalt hat oder nicht. nicht zu allen öffnet dieser schlüssel das verständnis. im gegenteil, die sagen, in denen Herakles nur der vertreter des Dorertums ist, fordern selbst als eine vorbedingung ihrer entstehung eine Heraklesgeschichte, in welcher er mehr war. zunächst ist er in jeder einzelnen mit nichten ein vertreter des ganzen Dorertums, sondern nur eines ganz bestimmten stammes, der Selinuntier, Rhodier, Korinther. erst wir wenden uns an die übergeordnete gemeinschaft, von welcher diese stämme alle nur teile sind, weil sie sich alle denselben helden als mythischen vertreter gewählt haben. das könnten sie nicht, wenn sie nicht an ihn geglaubt hätten, als sie noch eine einheit waren: wir haben also den ursprünglichen Herakles in der zeit zu suchen, wo das volk, von dem Thessaler Boeoter Dorer teile sind, noch vereinigt war und tief in den bergen Makedoniens saſs, und wir dürfen sein ursprüngliches wesen nur aus dem erklären, was sich auf diese urzeit zurückführen läſst und in allen diesen später erwachsenen sagen vorausgesetzt wird. sie setzen eine er -37)des verhängnisvollen bündnisses der beiden völker, von den gemeinsamen gegnern ersonnen. und die Argo haben doch wol auch die korinthischen Syrakusaner in ihre gewässer geführt.283Sagen geschichtlichen inhalts. Herakles der gott.zählung von einem heldenleben voraus, die bereits eine gewisse feste form hat: denn sie alle sind innerhalb dieses lebens zeitlos und suchen erst später einen platz irgendwo innerhalb einer älteren reihe von erlebnissen des helden. diese sagen haben endlich alle das gemeinsam, daſs sie nur einen heros kennen, zwar einen übergewaltigen und des höchsten gottes sohn, aber doch nur einen menschen, der menschlich leidet und genieſst. das ist aber nur eine seite seines wesens, denn Herakles ist ja auch ein gott.
Als gott sehen wir ihn nun in der unserer geschichtlichen kenntnisHerakles der gott. zunächst zugänglichen zeit nicht nur nicht auf die dorischen volksstämme beschränkt, sondern wir sehen, daſs gerade nichtdorer ihn vorwiegend als solchen empfinden, und die ionischen orte Marathon und Leontinoi39)Diodor IV 24. er nennt seine vaterstadt Ἀγύριον besonders und fügt ohne zweifel eigenes ein. aber sie liegt im Λεοντῖνον πεδίον, wie er selbst hervorhebt, und hat ihren cult doch nur von den griechischen herren desselben. auch ist eine wendung wie νομίσας ἤδη τι λαμβάνειν τῆς ἀϑανασίας τοῦ ἄϑλου δεκάτου τελου - μένου nur unter voraussetzungen denkbar, welche nicht Diodors erzählung gibt, sondern z. b. die apollodorische bibliothek. also er contaminirt, wie so oft. der text, dem er seine localpatriotischen zusätze beifügt, ist Timaios, der den Herakles - cult von Leontinoi angegeben haben wird. erheben sogar besonderen anspruch darauf, ihn zuerst göttlich verehrt zu haben. es hat das seinen guten grund. der dorische heros gieng die nichts an, die nicht seines blutes waren. die woltaten, welche er seinen Dorern oder Boeotern erwiesen hatte, waren ihnen gleichgiltig, wenn sie nicht gar selbst darunter gelitten hatten. aber der gott, der den Boeotern eine so kräftige hilfe gewährte, muſste dem Attiker jenseits des Kithairon und dem Chalkidier jenseits des Euripos als ein mächtiger daemon er - scheinen, dessen gunst und beistand er selbst sich gern verschaffte: an diesen gott lernte er glauben und zu ihm beten. dies ist doch der weg, auf dem überhaupt der cult einer gottheit sich unwillkürlich verbreitet, und der Heraklescult ist von Boeotien und Megara aus z. b. ziemlich in jedes attische dorf gekommen. das setzt voraus, daſs im wesen des gottes Herakles etwas allgemein göttliches war, das sich jedem menschen mitteilen konnte, auch wenn er kein blutsverwandter oder knecht des dorischen heros war. wenn es gelingt dieses zu erfassen, so haben wir das complement zu dem streitenden Dorerhelden, den uns die vorhin besprochenen sagen zeigen. und wir erfassen den gott, wenn wir sein wirken, oder vielmehr die stimmungen derer erkennen, welche sich ihm gläubig nahten. Ἡράκλεις ruft der Athener, wenn ihm bei irgend etwas nicht geheuer ist; der ausruf ist sehr abgeschwächt, es ist ein milder ‘fluch’, wie unsere blasphemische weise zu reden ist. aber zu grunde liegt doch eine angstempfindung. das284Der Herakles der sage.schutzbedürfnis dessen der sich fürchtet und hilfe braucht ruft den furcht - losen rettenden geist. ἀλεξίκακος ist das beiwort, welches das wirken bezeichnet, das der Athener von Herakles erwartet, καλλίνικος ist das beiwort, in welchem er seine göttliche verklärung ausspricht. ὁ τοῦ Διὸς παῖς καλλίνικος Ἡρακλῆς ἐνϑάδε κατοικεῖ· μηδὲν εἰσίτω κακόν schreibt der Athener auf seine schwelle: damit ist eigentlich alles gesagt. wenigstens alles wesentliche. denn daſs dieser wie jeder gott auch eine universale potenz einschlieſst, die im gottesbegriff an sich liegt, also sub - jectiver glaube seine gegenwart bei einer beliebigen gelegenheit empfinden kann, die nicht in den gewöhnlichen machtbereich des ἀλεξίκακος fällt, ist eigentlich selbstverständlich. dem Sophokles erscheint er im traume und sagt ihm, wo eine verlorene silberne schale Athenas verborgen ist: zum danke wird eine capelle des Ἡρακλῆς μηνυτής errichtet. das ist nicht für Herakles bezeichnend, sondern höchstens für den der also träumte. daſs die institutionen dorischer herkunft, die badestuben und turnplätze, sich in den schutz des gottes stellten, dessen dorische herkunft jedermann kannte, ist ebenso natürlich, und dann breitet er seinen schutz auch auf die anderen dinge aus, welche den besuchern der turnplätze am herzen liegen; er ergreift wie sie die laute und gesellt sich den Musen, er ergreift wie sie den becher und gesellt sich dem Dionysos. die weitere entwickelung des göttlichen wesens mag hierhin oder dahin gehen, das accessorische mag schlieſslich überwiegende wichtigkeit erlangen: für die erfassung der alten echten religion kommt es alles nicht in betracht.
Καλλίνικος, ἀλεξίκακος39 a)Scharf und treffend drückt die hesiodische Eoee (Aspis 27) das wesen aus. Zeus beschlieſst den Herakles zu zeugen ἅς ῥα ϑεοῖσιν ἀνδράσι τ̕ ἀλφη - στῇσιν ἀρῆς ἀλκτῆρα φυτεύσαι. auch wenn Herakles der gatte der Hebe in Kos als gott verehrt wird unter dem namen Ἄλεξις (Aristides 5 p. 60. Cornut. 31), so war die religion jedermann klar: denn Ἄλεξις ist ja nur ein hypokoristikon zu Ἀλεξίκακος.: das ist etwas groſses, aber es ist doch nicht viel. kein Olympier läſst sich auf eine so kurze formel bringen. und es ist auch dies nicht ohne den heros möglich. der allsieger muſs gestritten haben: gestritten freilich in anderer art als der vorkämpfer der dorischen stämme, aber ein irdisches leben muſs seiner jetzigen ver - klärung vorausliegen. er würde jetzt vom hohen himmel herab nicht in jeder gefährde unerschrocken und unüberwindlich eingreifen, wenn er nicht einst selbst in jeder gefährde unerschrockenheit und unüber - windlichkeit bewährt hätte. jetzt ist er gott, denn also wirkt er: aber er muſs mensch gewesen sein.
Mensch gewesen, gott geworden; mühen erduldet, himmel erworben:285Herakles der gott. grundbedeutung der gestalt.das ist der kern: weder die eine noch die andere seite des wesens kann auch für den ersten keim der Heraklessage entbehrt werden. wer das begriffen hat, der ist jede physikalische deutung los. denn das element mag sich in einer göttlichen person verkörpern; schwerer schon wird es durch einen menschen vertreten werden können: die erhöhung des wahrhaften menschen zu einem wahrhaften gotte schlieſst es völlig aus. man braucht also kein wort mehr an die stoischen deutungen auf die sonne oder das feuer zu verschwenden, die auch jetzt viele bekenner haben, entsprechend der heutigen mode unter den ‘mythologen von fach’ wol die meisten, die nur ihrer antiken vorgänger zu vergessen pflegen, weil die stoische mythendeutung seltsamer weise zu gleicher zeit herrscht und in miscredit ist. aber schwerer ist es, den antipoden der physika - lischen mythologie, den rationalismus, los zu werden. zwar die grobe manier, die sich um 500 v. Chr. das Kerberosabenteuer so zurecht legte, daſs die hölle eine tiefe höhle und das ungetüm eine schlange gewesen wäre, gilt nicht mehr. das umbiegen einer guten geschichte, bis sie dumm und rationell wird, kommt wol nur noch bei theologen vor. und der argivische prinz und heerführer, den der rationellere rationalismus um 400 v. Chr. aufbrachte, tritt einem heut zu tage auch erst dann wieder entgegen, wenn man schulpflichtige kinder hat, denen mit all dem andern abgestandenen lügenkram der allgemeinen bildung auch die jahreszahlen von Nimrod und Abraham, Herakles und Iason eingepaukt werden. aber ernsthaft geredet: ich wüſste den nicht zu widerlegen, der also argumentirte. es habe zu der zeit, wo die späteren Heraklesverehrer noch ein volk bildeten, ein mensch unter ihnen gelebt, der sich durch die abwehr von wilden tieren und menschen vor seinen stammesgenossen so sehr hervortat, daſs sie ihn für überirdischer herkunft hielten, nach seinem tode als gott ver - ehrten und demgemäſs durch gebet und opfer sich geneigt zu machen suchten. zu dem zugeständnis könnte man den vertreter dieser ansicht schon bringen, daſs weder der name Herakles noch irgend eine der über - lieferten Heraklestaten geschichtlich wäre (obwol das mit der bezwingung des löwen schwierig sein würde): aber das würde ihn aus seiner entschei - denden position nicht herausschlagen. immer könnte er sagen, ja, warum sollte es solchen menschen nicht gegeben haben, an den sich die sagen und die verehrung geknüpft hätten? da gibt es nur die gegenfrage, warum soll es solchen menschen gegeben haben? wenn ihm weder der name noch die taten gehören, ist er nicht ein messer ohne schaft und klinge? aber mit solcher frage überwindet man den rationalismus nicht. das tut man erst, wenn man ihm seine letzte position läſst. gut; gesetzt, solch ein286Der Herakles der sage.mensch hat gelebt, was erklärt man damit? doch höchstens das, was dem dorischen volke in den klüften des Pindos den anstoſs gegeben hat, die Heraklessage zu dichten. diese selbst bleibt ein gebilde der volksphantasie so oder so. jenes individuum ist wie sein name dahin, verweht, vergessen: der Herakles der sage hat sein eignes ewiges leben, und nur ihn gilt es zu erfassen. eine moderne analogie wird das verhältnis aufklären. es hat ein Dr. Johannes Faust wirklich gelebt, er ist eine geschichtlich sehr wol controllirbare person: aber für die Faustsage, welche die welt be - herrscht, ist er ganz gleichgiltig, und er hat ihrem träger weder den namen noch den inhalt gegeben, beide sind vielmehr über 1000 jahre älter. der Faust, der den conflict zwischen den zielen, den τέλη, des menschlichen strebens verkörpert, glücklich sein, weise sein, gut sein, hat mit dem dunklen ehrenmann, oder vielmehr dem obscuren lumpen Dr. Faust nichts zu tun, dessen geburt und tod in den acten aufgestöbert wird. der Faust von fleisch und bein ist gar nicht der wirkliche Faust: der ist vielmehr eine conception der volksphantasie, ein sohn derselben mutter, die in den schluchten des Pindos vom göttlichen geiste den Herakles em - pfangen hat. wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen. diese antwort hat in harmonie mit der empfindung seines volkes unser dichter auf die frage gegeben, welche die Faustsage stellt. das glück das im genusse liegt, ist des teufels; das glück das in irdischer weisheit liegt, führt zum teufel: nur die ergebung in die gesetze gottes, der glaube, kann den menschen in die ewige seligkeit führen: so hatte die alte antwort gelautet, nicht nur zu Luthers zeiten, sondern schon zu denen des Clemens Romanus. dieser glaube hat sich in der geschichte vom Faustus verkörpert, der glaube an die eingeborene schlechtigkeit der menschennatur, welcher als rückschlag gegen das Hellenentum eben aus diesem hervorgehen muſste, als es dem tode verfallen war. wir haben jetzt diesen pessimismus überwunden: unsere heiligste überzeugung duldet nicht mehr, daſs Faust der hölle verfällt. doch was wir selbst empfinden, gehört nicht her: die übermenschliche gröſse der Faustsage, ihre sittliche bedeutung als verkörperung einer ganzen erhabenen weltanschauung leuchtet ein, ganz abgesehen davon, ob wir diese weltanschauung teilen. so gewaltig ist diese sage, daſs der gröſste dichter vergeblich ein langes leben danach gerungen hat, ihr aus eigner kraft einen neuen abschluſs zu geben, der der veränderten sittlichen überzeugung genug täte: jeder ehrliche mensch muſs zugestehn, daſs Goethes Faust inhaltlich in ebenso kümmerlicher weise durch einen deus ex machina abgeschlossen wird wie nur irgend ein euripideisches drama. aber die Faustsage ist der287Grundbedeutung der gestalt. inhalt der ältesten sage.beste commentar zur Heraklessage. sie lehrt nicht nur, daſs es solche conceptionen der volksphantasie wirklich gibt, in denen sich die tiefste sittliche überzeugung eines volkes niederlegt: Faust ist das widerspiel des Herakles, denn dieser verkörpert die weltanschauung, welche das christentum ablöst mehr als überwindet, denn auch in seinem gegensatze zeigt es seine zugehörigkeit zu der hellenischen cultur; Faustus oder sein lehrer Simon ist in der altchristlichen sage der vertreter der hellenischen cultur, die nur irdisches ‘glück’, aber ewigen tod bringt. darum hat er Helene zur gattin, die Helene des Stesichoros.
Versuchen wir uns nun jener dorischen weltanschauung zu be -Inhalt der ältesten sage. meistern, welche sich in der Heraklessage verkörpert hat, und zwar zunächst in der abstracten form, die dem modernen verständlicher ist als die bildlichkeit, obwol man trotz allem umformen und bessern an den eigenen worten sicher sein kann, hier zu viel, dort zu wenig zu sagen. denn es gibt dinge, für welche die abstracte sprache zu arm ist, wo nur das bild genügt, wo nicht die wissenschaft reden kann, sondern nur die poesie.
Die Heraklessage spricht zu dem dorischen manne: nur für ihn ist sie das evangelium; sie kennt keinen menschen auſser ihm, sondern nur knechte und bösewichter. also spricht sie. du bist gut geboren und kannst das gute, so du nur willst. auf deiner eignen kraft stehst du, kein gott und kein mensch nimmt dir ab, was du zu tun hast. aber deine kraft genügt zum siege, wenn du sie gebrauchst. du willst leben: so wirke. leben ist arbeit, unausgesetzte arbeit, nicht arbeit für dich, wie der egoismus sie tut, noch arbeit für andere, wie der negative egoismus, die asketische selbstaufopferung, sie tut, sondern schlechtweg zu leisten jeden tag, was immer man kann, weil man es kann und weil es zu leisten ist. du sollst eben tun wozu du da bist. und du bist aus göttlichem samen entsprossen und sollst mitarbeiten das reich deines gottes auf - zurichten und zu verteidigen. wo immer ein böser feind dieses reiches sich zeigt, straks geh auf ihn los und schlag ihn nieder ohne zagen; mit welchen schreckbildern er dich grauen machen, mit welchem zauber er dich verführen will, packe kräftig zu und halte fest: wenn du dich nicht fürchtest, wird der sieg dein sein. eitel mühe und arbeit wird dein leben sein: aber der köstlichste lohn ist dir gewiſs. du muſst nur nicht die breite heerstraſse wandeln, wie die feige masse die von der erde stammt, an der erde klebt: den schmalen pfad muſst du gehen, so wahr du göttlichen samens bist, und dann vorwärts, aufwärts. droben winkt dir die himmelspforte, und wenn du anpochest, dann bereiten dir288Der Herakles der sage.die seligen himmelsherrn einen platz auf ihren bänken und bieten dir zum willkomm die schale, in der der himmelstrank des ewigen lebens schäumt. für die ἀρετή, manneskraft und ehre, bist du geboren: sie sollst du erwerben. feil ist sie nur um das leben: aber wer diesen preis einsetzt, hat sich das ewige leben gewonnen.
Ein volk das diesen glauben im herzen hat, ist jugendfrisch und jugendstark. wenn Michel Angelos Adam aufgesprungen sein wird und eignes blut in seinen adern spüren wird, dann wird er also empfinden. der mann, der dieses selbstvertrauen im busen hat, wird unwiderstehlich sein — vor seinem anblick würde Faust auch in den staub sinken, und doch würde er in ihm seinen bruder erkennen, dem das evangelium der tat noch nicht verkümmert ist. nicht mit dem kümmerlichen stecken der pflicht, der in jede hand gleich gut paſst, wird er die flache heerstraſse des lebens hinab ziehen, einer unter vielen, null unter nullen, niemand zu schaden, niemand zu frommen, sondern die keule wird er sich brechen, die kein anderer heben kann, und in den wilden wald sich stürzen, zu bezwingen die drachen und löwen, zu überwinden tod und teufel: der ehre gehorchend, die ihm im busen wohnt, und deren gebote ihm allein gelten, weil er allein sie erfüllen kann. ein freier mann wird er sein, das haupt vor niemandem beugend und die sclavenseelen verachtend: aber seine kraft wird er ein - stellen in den dienst des allgemeinen, in den dienst der gesittung und des rechtes, in den dienst gottes, auch dies nicht als knecht, sondern als der sohn, an dem der vater ein wolgefallen hat. und so sind sie hervorgetreten aus ihren wäldern, die jugendfrohen Heraklesverehrer, und haben sich mit kräftigen schlägen die besten plätze am tische des hel - lenischen lebens gesucht. als wir sie kennen lernen, ist die schöne jugendfrische zeit vorüber; die ehre, der sie als höchster sittlichkeits - norm nachleben, beginnt schon die conventionelle standesehre zu werden, der eingeborne adel zu dem gemeinen adel, in welchem ἀρετὴ πατέρων die eigene ἀρετή ersetzt, und der selbstherrliche mann geht selten mehr den schmalen pfad, fordert vielmehr den vortritt auf dem breiten wege zu gütern und genüssen. die schatten sind tief geworden; es verletzt den beschauenden, daſs dieser glaube für das weib keine stätte hat, daſs die seelenkräfte nur nach der seite des willens, nicht nach der des ver - standes ausgebildet werden: aber die alten züge trägt auch jetzt noch das volk, und der alte adel verleugnet sich nicht in ihnen. das reine Hellenentum, das Homer und Sappho, Archilochos und Solon, Herakleitos und Xenophanes hervorgebracht hat, ist ein anderes, reicheres, weiterhin wirkendes, menschlicheres: aber die kraft und erhabenheit des Herakles -289Inhalt der ältesten sage.glaubens wird von keiner einzelnen manifestation seines geistes erreicht. man ermiſst den unversöhnlichen gegensatz der stämme am besten, wenn man den Dorer Herakles zwischen den helden der Ilias oder den göttern des Olympos erblickt. das Ionertum, elastisch aber nervös, feurig aber scheu, klug und seelenvoll, aber eitel und trotzig: ein edles roſs neben dem dorischen stier, dessen wuchtiger nacken jedes joch zerbrach, dessen auge nur dem verzärtelten stadtmenschen blöde oder rasend blickt, weil er treuherzigkeit und stolz nicht versteht. auch der stier ist ein edles tier, dauerbar und unwiderstehlich und besonders gern zeigen sich groſse götter, Iahwe und Dionysos z. b., in seiner gestalt. aber stier und roſs soll man nicht zusammenspannen. das war das verhängnis des Griechen - volks. Ioner und Dorer konnten keinen staat bilden. und doch, zu einem haben sie mitgewirkt, zu der höchsten, der attischen cultur. und deren edelste blüte, die sokratische philosophie hat eine ihrer wurzeln auch in dem Heraklesglauben: auch sie bekennt in stolzer zuversicht, daſs der mensch gut ist, daſs er kann was er will, und daſs er wirken soll im dienste des allgemeinen sein leben lang, ein leben, das in seinen mühen und seiner arbeit zugleich seinen lohn hat. und an dem dufte dieser blüte stärkt auch heute noch der culturmüde mensch seinen mut, in der entgotteten welt zu leben und zu wirken.
Diese sätze mögen den vorwurf verdienen, das versprechen abstracter behandlung schlecht gehalten zu haben, und sie werden dem schicksale nicht entgehen, verspottet und verlacht zu werden. diesem schicksal muſs der den mut haben die stirn zu bieten, der den inhalt einer reli - giösen idee darlegen will. denn das ist schlechterdings nicht möglich, wenn man nicht empfindung hat und empfindung wecken will. vom heiligen soll man nur aus dem herzen zum herzen reden. wer nicht empfindet, dem muſs solches reden torheit scheinen, und dem gemäſs wird er urteilen und verurteilen. weit schmerzlicher als fremder hohn ist das eigene gefühl der unzulänglichkeit gegenüber dem schlichten aber lebendigen bilde, das der alte glaube sich geschaffen hat, ohne irgend etwas von den moralischen und metaphysischen abstractionen zu ver - stehen. und gienge es nur an, dieses älteste bild in einigermaſsen festen strichen zu umreiſsen und wenigstens die grundfarben herzustellen, gern würde man sich darauf beschränken, es allein wirken zu lassen; es be - dürfte dann keiner langen reden für die, welche poesie zu empfinden im stande sind, andere aber überzeugt man doch niemals. allein nur einzelne züge gelingt es der ursage zuzuweisen, weil sie zugleich mit der religiösen conception gegeben sind, oder aber als stamm aus den vielenv. Wilamowitz I. 19290Der Herakles der sage.ähnlichen sprossen zu erkennen sind, die sich in späterer zeit bei den verschiedenen Heraklesverehrern finden; und selbst von diesen geschichten läſst sich nur das farblose motiv in die urzeit zurückführen, keine der einzelnen lebensvollen darstellungen. endlich fehlt überhaupt eine an - schauung jener primitiven dorischen cultur, so daſs selbst der versuch einer nachdichtung ausgeschlossen ist.
Für uralt muſs gelten die abstammung von dem höchsten gotte. das ist nicht viel; διογενεῖς sind die adlichen alle im gegensatz zu den γηγενεῖς, die nur knecht sein oder als feind erschlagen werden können. der unterschied ist nur, daſs die nachkommen des Herakles, d. h. seine ursprünglichen verehrer, an dem göttlichen blute durch ihn teil haben, er aber unmittelbar. eine adliche mutter muſs er auch gehabt haben und in einem geschlechtsverbande natürlich durch sie gestanden haben. das gibt einen anhalt für verschiedene bedeutende geschichten, ist aber nichts wesentliches, denn nur im geschlechtsverband kann sich die älteste zeit den vollwichtigen mann denken40)Vgl. über diese rechtsverhältnisse Herm. XXII 236 ff. die einsicht in die - selben ist eine unerläſsliche vorbedingung für das verständnis der sage, da sie in ihr vorausgesetzt werden.. im wesen des helden liegt, daſs er alles was er tut, durch eigene kraft leistet. von seinen taten hat sich natürlich sein volk in den schluchten des Pindos auch schon vielerlei erzählt, was den späteren geschichtlichen sagen analog gewesen ist; das konnte sich unter veränderten geschichtlichen umgebungen nicht erhalten, war aber auch für die Heraklesreligion nicht von wesenhafter bedeutung. in diesen sagen ist der held bogenschütze gewesen, weil sein volk damals noch diese waffe bevorzugte. die alte sitte hat sich in geschichtlicher zeit nur bei den kretischen Dorern gehalten; aber Herakles blieb ein schütze, trotzdem der dorische adel die hellenische verachtung der waffe nicht nur annahm, sondern besonders stark ausbildete. von den kämpfen gehört zum allerältesten bestande der löwenkampf, der mit einem un - geheuren riesen und mit dem herrn des meeres; weiteres läſst sich nicht mit zuversicht so hoch hinauf rücken. der löwenkampf ist immer der erste geblieben, erscheint an verschiedenen orten, und muſs anerkannt gewesen sein, ehe die einwanderer die althellenischen landstriche betraten, in welchen es keine löwen mehr gab, wenn sie je da gewesen waren41)Furtwängler (Arch. Zeit. 1883, 159) hat die löwen, deren existenz in Griechen - land Herodot leugnet, als bewohner des Peloponnes in alter zeit angenommen, wenn ich ihn richtig verstehe, mindestens bis in das 8. jahrhundert. sein grund ist die darstellung von löwenjagden auf mykenäischen schwertern, auf dem protokorin -. 291Inhalt der ältesten sage.die überwindung der γηγενεῖς durch den διογενής gehört zum wesen der sage; aber sie ist in so zahllosen formen historisirt, und hat selbst in universaler bedeutung sich so früh in zwei wieder vielfach verästelte zweige gespalten, daſs der alte stamm nicht sicher kenntlich ist. einmal ist der gegner ein einzelner riese, Geryones, Halkyoneus, Kakos, oder wie der gegner hieſs, den die besiedler Kymes aus Boeotien Thessalien mitnahmen: gemeinsam ist dieser form, daſs der riese unzählige herden besitzt, d. h. ihm werden die schätze der welt abgejagt. in der andern form ist es eine mehrzahl, Giganten, Kentauren, Dryoper; hier ist eine umbildung teils unter dem einflusse hellenischer vorstellungen, teils durch concrete geschichtliche verhältnisse unverkennbar. aber zu grunde liegt die allgemeine idee, welche vom wesen des Herakles nicht getrennt werden kann. endlich muſs als hauptstück schon der ältesten erzählung berichtet sein, wie Herakles in die hölle steigt und den tod überwindet; mag nun der höllenhund selbst der tod gewesen sein oder nur sein diener. und ebenso gehört die fahrt nach dem göttergarten und die erwerbung der goldenen äpfel, d. h. der unsterblichkeit zum urbestande; mit ihr ist auch meist der kampf mit dem meergotte verbunden42)Da auch die sage, in welcher der meergott Acheloos heiſst, dem Herakles das füllhorn gibt, so ist auch ihr inhalt der erwerb der ewigen seligkeit., seit alters ebenso berühmt wie der löwenkampf. damit ist die göttlichkeit erworben; wahrscheinlich hat also die sagenform das echte bewahrt, welche den helden unmittelbar in den himmelssaal führt, und ist jede vorstellung von seinem tode eine, wenn auch alte, so doch secundäre bildung; ein41)thischen gefäſs, das er publicirt, und bei Homer. aber Homer beweist für Hellas gar nichts, sondern für Asien, und es ist vielmehr für die herrschaft des epos ein neuer beleg, daſs die tierkämpfe, welche in ihm verherrlicht sind, auch in gegenden dargestellt werden, wo sie dem leben fremd sind. wäre dem nicht so, so müſsten die künstler doch die ungleich häufigeren tierkämpfe schildern, welche notorisch in Hellas den hirten drohten. wo sind die bären? die gab es doch im ‘Bärenland’ Arkadien? und gar die wölfe: noch Solon hat um sie auszurotten jagdprämien aus - gesetzt. und ferner müſste die sage doch wol löwen in Hellas kennen. aber es gibt nur einen, den des Herakles. auſser ihm kenne ich nur noch den löwen von Keos: der liegt noch da, in lebenden fels gemeiſselt, es war vermutlich eine fels - kuppe gewesen, in der die volksphantasie einen löwen sah, und der die kunst nach - geholfen hat. vgl. de Eurip. Heraclid. 8. dieser löwe ist ein wunderwesen, er scheucht die nymphen selbst: also zu den gewöhnlichen waldbewohnern gehört er nicht. der nemeische ist aus dem monde gekommen: also gab es auf erden keine andern im gesichtskreis der Argeier. der lesbische löwe (schol. Theokrit. 13, 6) ist vielleicht dem keischen verwandt. denn dieser scheucht die Βρῖσαι (Βρεῖσαι), die nymphen, und dieser name kehrt nur auf Lesbos wieder, wo Βρῆσα liegt und Διό - νυσος Βρησεύς Βρεισεύς zu hause ist.19*292Der Herakles der sage.grab des Herakles hat es nie und nirgend gegeben43)Wer von den wechselwirkungen zwischen cultus und sage, d. h. von der wirklichen religion etwas versteht, kann aus dieser einen tatsache allein schon ab - leiten, daſs Herakles weder je ein mensch noch je ein bloſser heros war.. so wenig das ist, für die religion ist es ganz genug. auch daſs es so farblos ist, verschmerzt man vielleicht. aber selbst so viel begreift ja erst der, welcher sich in dem labyrinthe der späteren sagen zurecht gefunden hat. denn die ge - schichtliche entwickelung und die ihr folgende darstellung geht einen andern, und zwar den entgegengesetzten, weg als die forschung und das lernen. dieses sieht sich zunächst der ausgebildeten sage gegenüber und arbeitet sich von ihr schritt für schritt zu den einfacheren urformen empor, welche für uns der ausgangspunkt waren.
Auch die nächsten schritte gehen noch auf unsicherem boden durch dunkele jahrhunderte. aber die geschichtliche darstellung hat gezeigt, wo die echte Heraklessage zu suchen ist, und mit der beseitigung der lediglich geschichte reflectirenden sagenmasse ist das dickicht gelichtet. in Argos, in Boeotien, in den landschaften um den Oeta hat sich nach - weislich die Heraklessage zu einer bedeutenderen besonderen gestalt ver - dichtet, hat sie so zu sagen eine greifbare körperlichkeit erhalten. für gewisse strecken des irdischen lebens, wie es die spätere zeit seit dem 5. jahrhundert erzählt hat, sind diese verschiedenen sagenkreise oder kreisabschnitte maſsgebend geblieben. der oetäische für den letzten teil des lebens, der boeotische für die kindheit und jugendgeschichte, der argolische für die haupttaten, den dodekathlos. die oetäischen sagen mögen zunächst bei seite gestellt werden; sie sind zum teil in der bearbeitung von nicht dorischen Homeriden, die also die erhabenheit des gegenstandes nicht voll empfanden, aufgezeichnet worden. auch die boeotischen sagen sind in der importirten epischen weise zur darstellung gebracht worden, zum teil mit groſsem erfolge, in den hesiodischen gedichten, allein niemals in einem gröſseren zusammenhange, und niemals ohne die argolische sage bereits vorauszusetzen. die nahe beziehung Boeotiens zu Chalkis und seinem culturkreis, der den westen beherrscht, und die fruchtbarkeit dieses kreises an dichtern der chorischen lyrik im sechsten jahrhundert hat sehr vielen der altargolischen erzählungen eine neue farbe gegeben, welche dann die herrschende geblieben ist: aber auch so weist alles auf den argolischen ursprung zurück. die argolische sage allein ist in sich ein organisches ganzes, sie bildet das fundament der späteren Herakles - sage, aus ihr wesentlich ist das genommen, was sich als ursage dar - stellen lieſs. hier gelingt es ein groſsartiges altdorisches Heraklesgedicht293Die sage auf hellenischem boden. der name.zu erfassen, wenn auch die trennung dieses gedichtes von dem stoffe, der sich in ihm niederschlug, also von der argolischen Heraklessage, undurchführbar ist. auf Argos muſs das auge des forschers und betrachters vornehmlich gerichtet sein: der Herakles, der nicht bloſs die welt sondern auch die herzen erobert hat, ist ein Argeier.
Eine argolische neubildung ist vor allem der name Ἡρακλῆς, ‘derDer name. Heraberühmte’, Frobert, wie Benseler gut übersetzt hat. der name, der in Athen allerdings Ἡροκλῆς vocalisiert sein würde, ist ganz durchsichtig und es gibt keine nebenformen44)Ἥρυλλος (Hesych u. a.) ist das correcte hypokoristikon wie Δίυλλος von Διοκλῆς, Ἀρίστυλλος von Ἀριστοκλῆς, Ἴσυλλος von Ἰσοκλῆς. Ἡρύκαλος bei Sophron ist spielerei, bei der italische umformungen mitgewirkt haben werden. Ἡραῖος (Hesych., so zu betonen) ist auch ein correctes hypokoristikon, wie Διαῖος Θεαῖος Ἀρισταῖος Ἰσαῖος.. Ἡράκλειτος Βουλακράτης Τιμα - γένης zeigen denselben vocal, und selbst in Athen wechselt Θουγένης und Θεαγένης. Hera ist die himmlische herrin der Argolis schon in hellenischer zeit, und sie ist es auch nach der einwanderung der Dorer geblieben. ruhm der Hera ist also ruhm von Argos, und der name Ἡρακλῆς ist vollkommen verständlich und berechtigt: aber nur für den argolischen heros. wenn ihn seit dem 8. jahrhundert der erst allen einwanderern, dann allen Hellenen gemeinsame held und gott allerorten führt, so ist damit die übermacht der argolischen sage unmittelbar be - wiesen. nicht minder zwingend ist der schluſs, daſs allerorten und zuerst in Argos ein namenswechsel statt gefunden hat.
Das gedächtnis an einen solchen ist unverloren geblieben. die mytho - graphen verfehlen nicht zu berichten und durch einen delphischen spruch zu belegen45)So in dem alten epigramm auf der farnesischen tafel, das eben diesen namenswechsel bezeugen soll; in anderer form, aber auch auf Theben und ein altes weihgeschenk zurückgeführt, bei Sextus adv. phys. I 36, in einer bestreitung der stoischen theologie. Diodor IV 10 = I 24, aus Matris dem Thebaner. somit darf die tradition für specifisch thebanisch gelten., daſs Herakles eigentlich Ἀλκαῖος geheiſsen habe. dieser name stimmt nicht nur zu der mutter Ἀλκμήνη, sondern auch zu dem geschlechtsnamen Ἀλκεΐδης, welcher dem Herakles geblieben ist; und zwar ist die gentilicische bedeutung besonders durchsichtig, weil kein vater oder ahn existirt, auf den das wort in patronymischer bedeutung sich zurückführen lieſse46)Ἀλκαῖος, der vater Amphitryons, ist nicht einmal erfunden um Ἀλκείδης zu erklären, sonst würde man doch den namen Ἀλκεύς gebildet haben, der zu der ableitung stimmte. es ist aber überhaupt ein irrtum, den die autorität Homers ver - schuldet, die s. g. patronymica für den vatersnamen zu verwenden: schon das. in einer landschaft hat statt der identification294Der Herakles der sage.der nun unter verschiedenen namen neben einander tretenden ursprüng - lich identischen gestalten eine differenziirung statt gefunden. Alkathoos ist den taten nach der ‘Herakles’ von Megara47)Dieuchidas (schol. Apoll. I 517), auf den, d. h. die megarische chronik, am letzten ende Pausan. I 41 zurückgeht, erzählt die überwindung des löwen, und zwar mit dem märchenmotiv, daſs Alkathoos sich als wahren besieger des untiers durch die ausgeschnittene zunge ausweist, während andere ihm den ruhm schon fast vorweg genommen haben. der löwe ist ὁ Κιϑαιρώνιος. vertreter Megaras ist Alkathoos, seit der ort besteht. er wird mit dem Peloponnes (Pelops) verbunden: der megarische adel war eben von Korinth zugewandert. aber ganz deutlich ist auch hier, daſs Megara vorher zu Boeotien gehörte; der löwe ist vom Kithairon, er hat den sohn des Megareus zerrissen, der zu Megara und Megareus von Theben oder Onchestos gehört, und als Alkathoos den mauerring um seine stadt zieht, hilft die leier des Apollon, wie die des Hermes dem Amphion in Theben. Pausan. I 42, Anth. Planud. 4, 279. also werden auch den namen Alkathoos schon leute mitgebracht haben, die von norden zuzogen. die zugehörigkeit des megarischen landes zu Boeotien, für welche religion und sage viele belege liefern, ist noch im homerischen schiffskataloge anerkannt. schwerlich wird übrigens das grab der Alkmene in Megara (Paus. I 41) ursprünglich die mutter des Herakles angegangen haben: die motivirung ist kläglich, aber seit der differenziirung des Alkathoos konnte sie nicht anders ausfallen.. sein name aber ist einer der vollnamen, zu denen Ἀλκαῖος abkürzung sein kann. man wird also nicht anstehen, dem boeotischen zweige der einwanderer diesen oder einen ähnlichen namen als ursprünglichen zuzutrauen. in derselben boeotischen sage steht nun neben Herakles ein zwillingsbruder Ϝιφικλῆς, der mit seltsamer ungunst als ein unwürdiges gegenbild zu ihm ge - zeichnet wird48)Iphikles wird in der vulgären sage sehr schlecht behandelt. als sohn des sterblichen vaters ist er in der geburtsgeschichte die folie für den gottessohn. weiter hat er wesentlich nur den Ϝιόλαος zu zeugen, der dann seines oheims knappe wird. er selbst verschwindet völlig: nur dieses verschwinden zu motiviren werden ärmliche sagen ersonnen. aber eine merkwürdige überlieferung ist in dem epos vom schilde des Herakles (88) erhalten, einer nicht lange vor 600 verfertigten einlage in die hesiodischen Eoeen, denen sie den stoff ihrer rahmenerzählung wol verdanken wird. hier ist Iphikles der unwürdige bruder des Herakles, der zum Eurystheus geht, sein diener wird und diesen schritt vergeblich bitter bereut, während Herakles nicht von Eurystheus, sondern vom δαίμων seine arbeiten auferlegt erhält. so versucht der dichter, die dienstbarkeit, die aus der argolischen sage stammt, von dem boeotischen helden abzuwälzen, den sie freilich ursprünglich nichts angeht; daſs v. 94 direct auf λ 622 hinweist, hat Leo gesehen. übrigens ist die umdichtung nicht geschickt gemacht, denn wie Iolaos trotzdem als Ἰφικλεΐδης und παῖς ἀμύμονος Ἀλκεΐδαο (des Amphitryon) neben Herakles auftreten kann, hat der dichter nicht erklärt. Iolaos hatte in Theben grab und cult und fest. seine verbindung mit Herakles ist das. es ist, zumal um des sinnes willen, verführerisch zu46)homerische Αἰακίδης erträgt das nicht. auſserdem bilden bekanntlich die Boeoter das patronymicum auf - ιος. die bildungen auf - δης sind durchaus gentilicisch.295Der name.vermuten, daſs Ϝιφικλῆς der argolische name ist, welcher durch Ἡρακλῆς ersetzt ist, so daſs die Boeoter, so lange sie sich gegen die argolische sage sträubten, den vertreter derselben ihrem Ἀλκαῖος unterordneten. wie dem auch sei: selbst für die urzeit des ungeteilten volkes dürfen wir glauben, daſs der träger der sage statt Frobert ein Ellenbert oder Starko aus dem geschlechte der Starkunger gewesen ist.
Von natur gehen sich Hera und Herakles nichts an, ja sie muſsten sich zunächst feindlich sein, da die Heraklesverehrer sich mit gewalt zwischen die Heraverehrer eindrängten. deshalb gibt die argolische sage den Herakles dem hasse Heras während seines erdenlebens preis und stellt seine aufnahme in den himmel als eine aussöhnung mit der argo - lischen göttin dar, die ihm ihre tochter zum weibe gibt. aber nur so lange als hellenisch und dorisch als scharfe gegensätze von den dorischen herren der Argolis empfunden wurden, konnten sie sich darin gefallen, den haſs ihrer vornehmsten göttin gegen ihren vornehmsten helden aus - zumalen. so kommt es, daſs wir zwar in der Ilias manches der art lesen, in welche es ersichtlich durch die südasiatischen Dorer gelangt ist, die ja aus der Argolis stammten. aber die sagen, in welchen sonst Heras einwirkung besonders hervortritt, der kindermord, die schlangen - würgung, die sendung des krebses im hydraabenteuer49)Dem krebse entspricht das eingreifen des Iolaos; diese fassung ist also thebanisch. sie beherrscht die bildende kunst seit dem ende des siebenten jahr - hunderts, wie namentlich das attische giebelrelief beweist. und die in nebendingen selbst ganz feste bildliche tradition bezeugt ein einfluſsreiches gedicht: schon Hesiodos selbst (theogon. 314) hat es gekannt, da er den zorn der Hera und die beteiligung des Iolaos erwähnt. Herakles führt übrigens das schwert selbst bei diesem kampfe. die vergiftung der pfeile ist also vielleicht etwas secundäres; dann also auch die gewöhnliche form der peloponnesischen Kentauromachie, welche die vergifteten pfeile voraussetzt. in diesem falle würde es nahe liegen, Stesichoros diese wendung zu - zuschreiben., sind erweislich nicht argolisch, und gerade die haupttaten, löwe, Triton, Giganto - und Kentauromachie, Geryones und Hesperidenfahrt wissen nichts von Heras groll. es ist das begreiflich. die neidische stiefmutter war ein sehr frucht - bares motiv für dichterisches spiel und ist in dieser weise fortdauernd ausgenutzt worden. aber in Argos war der feind Heras längst ‘Heras ruhm’ geworden. es ist durchaus wahrscheinlich, daſs die ausgebildete48)abbild der kampfgenossenschaft, die im ἱερὸς λόχος fortlebte. wo er in der sage auftritt, ist thebanischer einfluſs sicher. man wird in ihm entweder wirklich einen führer der einwandernden Boeoter oder den vertreter eines ihrer stämme anzuerkennen haben. bedeutsam ist der namensanklang von Ϝιόλαος an Ϝιόλεια, die tochter des Eurytos von Oichalia: aber eine verbindung läſst sich nicht erkennen.296Der Herakles der sage.argolische Heraklee (der dodekathlos) ihren zorn nur zur motivirung der dienstbarkeit des Herakles benutzt hat.
Diese konnte nicht aufgegeben werden, obwol sie eine neubildung von lediglich geschichtlicher bedeutung war. denn sie legitimirte die dorische herrschaft. es war unvermeidlich, daſs Herakles auf alle länder alte rechtsansprüche haben muſste, die seine nachkommen besetzten. so ward er denn hier an die alten eingebornen heroengeschlechter ange - gliedert, wie nicht anders möglich, durch seine mutter, so daſs er ein nachkomme des Perseus, und Tiryns seine heimat ward. da er gleichwol nicht zu einem alten landesherrn werden konnte, seine nachkommen auch Argos den Persiden erst mühsam abgenommen hatten, so ergab sich, daſs ihm sein erbe wider das recht vorweggenommen war, und das eben hatte Hera verschuldet, so daſs er während des lebens dem schlechteren manne dienen muſste. die rhodische überlieferung, die wir in der Ilias lesen, hat das schon mit lebhaften farben durchgeführt50)T 99 nennt als geburtsort Theben. aber das kann man nicht umhin für eingeschwärzt aus der späteren sage zu halten. es ist gar nicht zu verstehen, wie Eurystheus über das kind eine macht haben soll, welches in der fernen stadt geboren wird, und ausdrücklich handelt es sich um die herrschaft über die Ἀργέιοι (123), zu denen Theben nicht gehört. sonst illustrirt die sage auf das trefflichste die ver - fassung zur zeit der geschlechterherrschaft: der ἄρχων τοῦ γένους, hier τῶν Διογενῶν, übt eine sehr reale macht. der rhodische einfluſs hat in einem punkte sich immer behauptet: Alkmene ist Elektryons tochter geblieben, und so ist sie doch nur genannt worden, weil sie in Rhodos mit Ἀλεκτρώνα, der auf dieser wie auf vielen inseln verehrten vorhellenischen göttin, ausgeglichen war. vgl. Hermes XIV.. und der jämmerliche feigling Eurystheus, Sthenelos sohn51)Sthenelos ist in dieser reihe ein füllname. und doch ist er der eines der vornehmsten helden für die aus der Argolis nach Asien ausgewanderten Hellenen: dort ist er sohn des Kapaneus und epigone., sammt seinem herolde ‘Dreckle’ (Κοπρεύς), sind zu ausdrucksvollen burlesken figuren geworden, an denen sich der Dorerhochmut gütlich tat, der auf seine periöken schnöde herabsah. trotzdem blieb Admata, Eurystheus tochter, als Hera - priesterin immer eine würdige figur52)Nicht nur in Argos, wofür namentlich die farnesische tafel zeugt, sondern auch in Samos hat man sie als trägerin des Heradienstes verehrt (Menodotos v. Samos bei Athen. XV 672). es ist für die religionsgeschichte sehr wichtig, die an sich ein - leuchtende tatsache also bezeugt zu erhalten, daſs Samos den Heradienst aus Argos erhalten hat. in der tat ist Hera Ἀργεΐη und ursprünglich nur Ἀργεΐη: nur bedeutet Ἄργος natürlich auch in der ableitung den Peloponnes. den lason beschützt sie als Korintherin. ob auf Euboia der name alt ist, ist fraglich. übrigens sollte doch feststehen, daſs die grundform[ἡ]ήρϜα (nicht〈…〉〈…〉 έρϜα) ist; und da liegt der stamm vor,.
297Die dienstbarkeit. Her. in Theben.Auſserhalb von Argos hat weder die abstammung aus dem blute desHer. in Theben. Perseus noch die dienstbarkeit irgend welche bedeutung. aber obwol gerade in Boeotien der cultus der Alkmene so lebhaft war wie nirgend sonst53)Pausan. V 17, 8 bezeugt, daſs der samische genealoge Asios unter den kindern des Amphiaraos eine Alkmene nannte. aber daſs diese die mutter des Herakles gewesen wäre, sagt er nicht, und kann man leider nicht annehmen: genealogen pflegen ihre listen mit beliebigen heroennamen zu füllen. an sich würde man sehr gern sehen, daſs die Boeoter ihre ansprüche auf das land des gottes, der mit wechselnden namen Ἀμφιάραος Τρεφώνιος Μελάμπους Ἀσκληπιός heiſst, dadurch begründet hätten, daſs die mutter ihres heros seine tochter gewesen wäre., Theben die geburtsstätte des Herakles ohne widerspruch geworden ist, seine erzeugung und seine jugend durch boeotische dichtung ver - herrlicht ward, hat doch schon ehe unsere tradition beginnt der über - mächtige einfluſs der argolischen sage gesiegt, oder vielmehr einen com - promiſs erzwungen. Alkmene war und blieb eine Tirynthierin, und eben daher sollte auch der irdische vater des Herakles stammen, den er in Amphitryon erhielt. dieser hatte in wahrheit gar nichts in Argos zu suchen, sondern war ein thebanischer held. der zug Amphitryons gegen die Teleboer oder Taphier, der ganz ungewöhnliche und unverständliche völker - und machtverhältnisse voraussetzt, die verbindung mit Kephalos von Thorikos, die jagd des teumesischen fuchses, das sind sagen die schon im 5. jahrhundert halb verklungen sind, um so mehr aber beweisen, daſs Amphitryon eine selbständige bedeutung neben Herakles gehabt hat, und für ihn die stellung als nährvater des Zeuskindes ein degradation be - deutete. aus dieser empfindung heraus ist der conflict zwischen Alkmene und Amphitryon entstanden, ein conflict, der für antikes und modernes empfinden ein guter prüſstein ist. wer einfach antik empfindet, wird den gatten, dem ein gott aus seinem weibe einen übermenschlich herrlichen sohn schenkt, demütig und stolz zugleich die gnade hinnehmen lassen, wie Tyndareos, Ariston der vater Platons, Joseph der zimmermann tun. wer modern empfindet, wird einen hahnrei sehen: den komisch oder tragisch zu nehmen gleichermaſsen eine errungenschaft der christlich germanischen weltanschauung ist. man muſs diesen gegensatz zu verstehen und auch zu empfinden gelernt haben, um das ganz singuläre zu schätzen, das in der Amphitryonfabel liegt. und man muſs die glänzende und völlig ge - lungene leistung Molières bewundern, aber auch den mislungenen ver - such Heinrichs von Kleist, die ehrwürdige und heilige sage nach ihrem werte verständlich zu machen, bewundern können, damit man die freiheit52)der in ἥρως steckt: also zwar nicht lautlich, aber dem sinne nach steht sie als Nerio neben Nar Nero, oder noch besser, sie ist frouwa.298Der Herakles der sage.des sinnes habe, weder blasphemische frivolität in der Amphitryonsage zu finden, noch die romantisch krankhafte gefühlsverwirrung hineinzu - tragen. dann erkennt man zweierlei. erstens, daſs es zu unerträglichen consequenzen führt, wenn ein solcher irdischer vater mehr ist als eine füllfigur. Amphitryon ist mehr, und deshalb kann er nicht ursprünglich vater des Herakles sein, hat vielmehr die verquickung zweier ursprünglich selbständiger sagen den keim zu diesen unzuträglichkeiten gelegt. zweitens aber muſs ein groſser, aber die consequenzen auch um den preis der zerstörung des mythos ziehender dichter das Amphitryonmotiv ernst be - handelt haben, ehe die travestie, wie sie bei Plautus vorliegt, sich daran machen konnte. dieser dichter ist nachweislich Euripides gewesen, dessen Alkmene den gatten so weit gehen lieſs, die ehebrecherin auf den scheiter - haufen zu werfen, dessen feuer die erscheinung des gottes in sturm und hagel löschte. von der sittlichen behandlung des problems können wir aber nichts mehr erkennen54)Der inhalt der euripideischen Alkmene ist von R. Engelmann (zuletzt Beitr. zu Eur. Berlin 1882) erkannt. wenn jüngst jemand behauptet hat, der vers des Plautus (Rud. 86) non ventus fuit, verum Alcumena Euripidis bedeute, personam aut fabulam turbulentam dissolutamque esse, so ist Plautus an dieser windbeutelei unschuldig: der fährt fort ita omnis de tecto deturbavit tegulas. das unwetter ist selbst im plautinischen Amphitruo noch beibehalten.. aber Euripides zog auch hier nur hervor, was in der sage lag, und zwar muſs schon vor der knappen darstellung in den hesiodischen Eoeen eine lebhafte dichterische behandlung sowol des Taphierzuges wie der erzeugung des Herakles und auch der ersten tat, in welcher sich das göttliche blut bewährte, der schlangenwürgung, bestanden haben: eine boeotische dichtung55)Über den Taphierzug zu v. 60, 1078, wo gezeigt ist, daſs die Eoee (Aspis anfang) nur einen auszug der reichen sage liefert. Pherekydes (schol. λ 265) ist ihr freilich allein gefolgt. aber von der schlangenwürgung wuſste er zu sagen, daſs Amphitryon das ungeheuer geschickt hätte, zu erkennen, welcher der zwillinge aus götterblut wäre (schol. Pind. N. 1, 65). die gewöhnliche fassung dieser sage reprae - sentirt für uns am reinsten Pindar N. 1, allein von ihm weichen die andern zeugen nicht ab, so daſs man in ihm den urheber hat sehen wollen. und thebanisch ist die sage freilich, wie die einführung des Teiresias zeigt; prägen doch auch die Thebaner den schlangenwürgenden Herakles im 5. jahrhundert auf ihre münzen. aber das pindarische gedicht hat zwar dem Theokrit und Philostratos vorgelegen: daſs es die vulgatsage beherrscht hätte, ist minder glaublich, als daſs im 5. jahrhundert noch andere auſser ihm ein boeotisches epos benutzt hätten, dem eben auch der Taphierzug angehört haben wird.. und da diese in ihrem inhalte zwiespältige motive enthält, so ist eine benutzung argolischer noch älterer dichtung unabweisbar. daſs Zeus zu Alkmene in ihres gatten299H. in Argos. der dodekathlos.gestalt herabgestiegen ist und ihr als gewähr für seine gnade einen goldnen becher geschenkt hat, ist allerdings auch noch als peloponnesische tradition nachweisbar56)Das erstere folgt daraus, daſs Zeus in des gatten gestalt mit Kassiopeia den Atymnios zeugt, also eine rhodische sage, Clem. Rom. hom. 5, 13, Robert Bild und Lied 116. das zweite daraus, daſs der besuch des Zeus bei Alkmene nicht nur auf der altspartanischen basis dargestellt ist (Löschcke de basi Spartana Dorpat 1879, diese darstellung war von den Spartanern aus dem allgemeinen peloponnesischen typenschatze entlehnt, da dieselbe darstellung auch auf der korinthischen Kypsele stand), sondern daſs der becher des Zeus in Sparta gezeigt wurde: man wird sich nun wol hüten, die überlieferung bei Athenaeus 475c anzutasten, der dies aus Charon von Lampsakos erhalten hat. seltsamer weise hat der Thebaner Pindar (Isthm. 7, 5) einen zug erhalten, der geradezu für rhodisch ausgegeben werden muſs: Zeus läſst, als er zu Alkmene in Amphitryons haus kommt, um mitternacht gold regnen. so geschah es auf Rhodos bei Athenas geburt, und so ist Perseus, der Argeier, erzeugt. das war also in jenes thebanische gedicht aufgenommen: der hagelschlag der euri - pideischen Alkmene ist das widerspiel dieses goldenen regens..
Auf Argos weist also selbst diese alte verschollene HeraklesdichtungH. in Argos. Boeotiens zurück. die argolischen Ἡρακλέους γοναί können wir nicht mehr erkennen, dürfen aber vielleicht annehmen, daſs sie in dem gedichte nicht behandelt waren, das es zu erwecken gilt. denn es ist unmög - lich, hier die sage von dem werke eines dichters zu sondern, welcher sie planvoll und tiefsinnig in festen rahmen gespannt hat. in 10 kämpfen hat er die dienstbarkeit des Herakles zur anschauung gebracht, deren inhalt ist ἐξημερῶσαι γαῖαν. und mit den beiden aus der ursage stam - menden, höllenfahrt und himmelfahrt, hat er den kreis vollgemacht, der dann für alle jahrhunderte gegolten hat, nach dem wir sein werk die altargolische dichtung des dodekathlos nennen wollen. ihr inhalt läſst sich ganz wol angeben, wenn der erzähler die entsagung übt das detail abzustreifen, und der hörer den guten willen mitbringt sich nicht an das detail zu klammern.
Nakt und bloſs57)Dies ist vielleicht ein zug, den erst spätere, immerhin aber sehr alte, con - sequenz eingeführt hat. denn die kunst bewehrt Her. in beiden ersten kämpfen auch mit dem schwerte. doch kann sie ebenso gut dem heros die gewöhnliche wehr der helden gegeben haben, obwol die alte sage bedeutsam von den künstlichen waffen absah., wie der mensch aus dem mutterleibe in dieseDer dode - kathlos. welt tritt, zieht der Zeussohn Herakles, geknechtet von dem schlechteren manne, von Mykene zu dem ersten strauſs, den er bestehen soll. einen ast bricht er sich im walde, das ist seine wehr. und auch sie versagt gegenüber dem ungeheuer, das es zu bezwingen gilt, dem löwen von300Der Herakles der sage.Nemea58)Dieses hauptabenteuer haben sich die Boeoter nicht rauben lassen: darum hat der nemeische löwe seinen kithaironischen doppelgänger, den auch des Herakles doppelgänger Alkathoos bezwingt (oben anm. 47)., dem bewohner des Apesas, des bergzuges, der des Zeus wiese (νέμεα) von dem mykenischen hochlande trennt. aber die faust versagt nicht: sie erwürgt die bestie, deren vlieſs das kleid des helden wird. der nächste zug geht in die Inachosniederung: die wasserschlange von Lerna erliegt der keule. in die benachbarten berge, welche Arkadiens hoch - ebene von Argos scheiden, führt die bezwingung der hirschkuh. sie wird erschlagen, weil sie die argolischen fluren zerwühlte59)Vgl. zu v. 375.. wie die hindin dem löwen, entsprechen die gewaltigen vögel, die auf dem see von Stymphalos schwimmen60)Schwimmvögel sind es in der älteren tradition. und das ist in der ord - nung, denn sie sind ja vertreter eines sees. wie sollten andere vögel ein gewässer vertreten? dem entspricht, daſs Her. sie mit einer schleuder tötet. Gaz. archéol. II 8. spätere kunst führt auch hier die pfeile ein. die litterarische überlieferung, Peisandros Hellanikos Pherekydes übereinstimmend (schol. Apoll. Rh. II 1052. 1055. 1088. Pausan. 8, 22), lieſs ihn die vögel nur mit einer klapper verscheuchen: sie steht also schon im banne der Argonautensage, welche dieselben vögel auf einer Aresinsel wieder einführte. die Athener verachten dieses abenteuer., dem lernäischen wassertier. und weiter geht es in der befriedung des Argos, des Peloponneses. der eber, der Arkadiens felder zerstörte, wird bis in den schnee des Erymanthosgebirges verfolgt, wo Herakles den verklamten auf die schulter nimmt; als er ihn heim bringt, kriecht der feige Eurystheus in ein faſs61)Der feste typus der bildenden kunst und die hier am urwüchsigsten hervor - tretende Eurystheusverachtung beweist, daſs die alte sage hier die kraft gehabt hat, jeder umarbeitung zu spotten. das hat aber bewirkt, daſs das abenteuer minder für das wesen des Herakles selbst bezeichnend schien und daher allmählich zurücktrat.. vom Erymanthos geht es nach dem westlichen Arkadien, wo die Kentauren der Pholoe zu bezwingen sind62)Vgl. zu v. 182.. in diesen sechs kämpfen ist die befriedung des Ἄργος vollendet. die folgenden vier führen sie weiter, so weit der horizont der Argolis reicht. aus süden holt Herakles den kretischen stier, aus dem thrakischen norden die rosse des Diomedes, aus dem osten den gürtel der Hippolyte, aus dem westen die rinder des Geryones. das ἐξημερῶσαι γαῖαν ist vollbracht. der knechtschaft ist Herakles nun quitt, aber die knechtschaft ist gleich seinem erdenleben. auch das muſs nun zu ende gehen. er hat keinen platz mehr auf der erde, wenn er nichts mehr auf ihr zu wirken hat. und doch hat das gemeine menschenschicksal keine macht über ihn. das Alter63)Vgl. zu v. 637. gerade dieser nur in der bildenden kunst rein erhaltene zug ist als argolisch gesichert.301Der dodekathlos.schlägt er nieder, als es ihn heimtückisch in die grube locken will: er ist kein blinder Faust, den die Lemuren äffen. und den tod sucht er sich selber auf in seiner höhle: die götter, auf die der Peloponnesier bei schwerem werke vertraut, Hermes der geleiter auf gefahrvoller bahn und vermittler des himmlischen willens, Athana64)Zu den vasenbildern stimmen die Homerstellen H 367, λ 623; allerdings ungenügende zeugnisse für die altargolische sage, da sie der allerjüngsten schicht angehören. indessen liegt in dem wesen und der landschaftlichen geltung der götter nichts, was verböte, die verbindung dem altpeloponnesischen glauben zuzusprechen., die gewappnete jung - frau des himmels, zu der der Dorer vom Hellenen beten gelernt hat, stehn dem Herakles bei. er steigt bei Tainaron hinab in die hölle, bei Hermion empor mit dem höllenhunde, der vom lichte geblendet heulend entflieht durch die Kynadra von Argos: er wird dem sieger über den tod nimmer nahen. und nun geht der weg westwärts nach dem götter - garten, Triton und Helios werden bezwungen, der Ladondrache erschlagen, die schicksalsjungfrau bricht selbst den apfel der unsterblichkeit, Athana führt den verklärten in den göttersaal, und Hera verlobt ihm ihre tochter, die ewige jugend65)Vgl. zu v. 637. Ἥβα die person ist erwachsen aus dem wesen Heras, die jedes frühjahr wieder jungfräulich wird, und die bildende kunst lehrt am besten, daſs sie zu Hera gehört wie Peitho zu Aphrodite und Nike zu Zeus und Athena. wenn Hebe den göttern bei Homer die himmelsspeise kredenzt, so ist das zwar nur ein ausdruck dafür, daſs die götter durch diese speise ewige jugend haben, aber die jungfräuliche dienerin, die in ihrer mutter hause dienstbereit ist, ist doch die argolische gestalt. ihre vermählung mit Herakles ist deutlich der argolische aus - druck für die erhebung in den himmel; die äpfel haben damals also schon von ihrer vollen bedeutung etwas verloren. kinder aus der ehe hervorgehen zu lassen, ist widersinnige mythographenfaselei. die ehe mit Hebe aber ist im attischen und koischen culte gesichert..
Die bedeutung der einzelnen sagen ist eine verschiedene. hydra und vögel haben niemals eine andere gehabt als die urbarmachung der ver - sumpften niederung, in welcher die bestien hausen. dem lernäischen sumpfe gilt daneben auch eine fassung der Danaidensage, und noch wer die nachwachsenden köpfe und das ausbrennen zugefügt hat, hat die Heraklessage verstanden. neben der vertreibung der stymphalischen vögel steht die einfache angabe, daſs Herakles das βάραϑρον des stymphalischen sees angelegt habe, schon bei Hellanikos: also auch dies abenteuer ist ver - standen worden. dagegen ist die hirschkuh frühzeitig in ungemessene ferne gejagt, weil der held sie im laufe einzuholen hatte, und wenn Artemis als beschützerin des wildes genommen ward, verschob sich ihr verhältnis zu dem jäger. der eber ist schwerlich ursprünglich von Herakles gejagt302Der Herakles der sage.worden. denn wenn in Tegea ein eberzahn als reliquie gezeigt ward, und Atalantes heldentat die bezwingung eines ebers ist, gerade eines solchen, den Artemis zur strafe gesandt hat, um die fluren zu verwüsten, so ist kaum glaublich, daſs dieser eber ursprünglich im fernen Kalydon erjagt war. wir kennen ja doch nicht die originale arkadische geschichte, und als Skopas den tempel der Athena Alea baute, muſste man dort sich den feststehenden epischen vorstellungen beugen. Herakles hat sich also hier in eine hellenische geschichte eingedrängt; aber es ist allerdings so viel von neuem und echtem zugefügt, daſs die entlehnung kaum noch be - deutung hat. ebenso steht es mit der eleischen Kentauromachie. dagegen sind stier und amazonen zwar keineswegs jüngere erfindungen, da sie in der bildenden kunst der archaischen zeit genugsam vertreten sind, aber die attische zeit hat sie mit recht entweder fallen gelassen oder umgebildet, weil sie einem helden huldigte, der bessere ansprüche als der Dorer hatte, Theseus von Trozen. das weiſs jetzt jeder, daſs Theseus fast alle die taten, durch welche er zum ἄλλος Ἡρακλῆς wird, von diesem geborgt hat. aber der zug nach Kreta und die Amazonomachie gehören ihm an, der erste, weil er allein mit Minos und Ariadne und Phaidra und Amphitrite verknüpft ist, und weil in seiner sage der stier noch die altertümlichere mischgestalt bewahrt hat, die aber auch in einer gegend, allerdings einer altionischen und für die Theseussage neben Trozen allein stark einfluſsreichen, der bloſsen tiergestalt gewichen ist. denn der marathonische stier ist nicht eine nachahmung des von Herakles gejagten Kretischen, sondern beide sind auf den Minotauros zurückzuführen. die Amazonen dagegen sind in der Theseussage zunächst gegner, die nicht aufgesucht werden, sondern selbst kommen, weshalb der ort des kampfes auch Trozen selbst und Athen ist. auch die asiatischen Amazonen über - fallen die Griechenstädte oder ziehen wider sie vor Ilios. man ist also verpflichtet, wirklich in diesen traditionen den reflex von angriffen fremder völker, über deren nation nichts feststeht, auf die küsten des saronischen meeres zu sehen, weshalb denn auch Amazonengräber bei Megara liegen, demselben Megara, das Minos so gut wie Athen bezwungen hat. also hat Theseus in diesen beiden sagen das bessere recht, und es ist wahrlich nicht wunderbar, daſs die Dorer von den ihnen so nahe wohnenden trozenischen Ioniern solche sagen auf ihren helden übertragen haben. wohin die altargolische sage die Amazonen verlegte, von denen Herakles den gürtel für Eurystheus tochter oder für Hera holte66)Vgl. zu v. 417., ist bisher nicht ermittelt.
303Der dodekathlos.Auch wo die Thraker wohnen, von denen Herakles die rosse holt, ist zunächst nicht zu sagen. denn der ansatz bei den Bistonern ist eine umbildung unter ganz bestimmtem geschichtlichem einflusse67)Vgl. zu v. 380., und die ältere erzählung fehlt. nur so viel ist klar, daſs der besitzer ein Thraker gewesen sein muſs, denn dieser anhalt ermöglichte die verschiebung des abenteuers in den hohen norden. und da liegt es sehr nahe, die Thraker, welche die argolische sage meinte, in der nähe zu suchen: am Kithairon und Helikon. dort ist für die Athener wenigstens auch Thrakien ge - wesen68)Auch wer die realität dieser helikonischen Thraker durch Orpheus, Eumolpos, Tereus, Musen und Dionysoscult nicht erwiesen glaubt, muſs aus den attischen sagen die annahme mythischer Thraker in dieser gegend für das angehende 6. jahr - hundert doch zugeben, und kann diese mythischen Thraker gut und gern auch in älterer sage leben lassen. es ist die autochthone bevölkerung, gegen die ebensowol die Boeoter wie die Korinther wie die Eleusinier sich wenden muſsten, verwandt den Graern.. die rosse sind nicht ungeheuer, welche vertilgt werden sollen, sondern sie werden geholt als ein köstlicher besitz, und man leitet die pferderace des ἵππιον Ἄργος von ihnen ab69)So erzählt nicht nur Matris (Diodor IV 15), sondern auch die hübsche geschichte vom equus Seianus, die Gellius III 9 nach Gavius Bassus erzählt, setzt den lebendigen glauben für die ciceronische zeit voraus.. daſs sie menschenfleisch fressen erhöht nur die vorstellung von ihrer ungezähmten wildheit und von der kraft dessen, der sie vor den wagen gespannt hat. ihr besitzer ist ein böser könig aus nordischem geblüte, führt aber einen hellenischen namen, und zwar den des altargolischen helden aus nordischem geblüte, von welchem Homer den erwerb und besitz der edelsten rosse ausführ - lich berichtet. es hat gar nichts auffallendes, wenn die Dorer, welche Sthenelos zum vater des Eurystheus machten, Diomedes als feind des Herakles einführen und seine rosse ihrem heros zum preise geben. daſs die personen unterschieden wurden, sobald Homer sich auch die dorische phantasie unterwarf, ist ebenso natürlich. nun kommt aber hinzu, daſs menschenfressende rosse wirklich auf dem boeotisch-thrakischen gebiete erscheinen, in Potniai, wo sie Glaukos von Korinth zerrissen haben, also einen gefreundeten des Diomedes, und daſs der zusammenhang der rosse des Glaukos mit denen des Diomedes auch in der mythographischen tradition spuren hinterlassen hat70)Auch Glaukos nährte seine rosse mit menschenfleisch: so Asklepiades von Tragilos bei Prob. zu Verg. Gerg. III 267, wo die verschiedenen scholienredactionen reichliches beibringen, darunter auch die identificirung der pferde des Glaukos mit denen des Diomedes. und Glaukos heiſst selbst ein Thraker, schol. Eur. Phoen. 1124.. können wir also auch die argolische304Der Herakles der sage.sage selbst unmöglich herstellen, so ist doch die gegend, sowol räum - lich, wie metaphorisch im reiche der sage, nachgewiesen, wo die sage hingehört.
Daſs Herakles einem im fernen westen hausenden riesen unzählige rinderherden fortgetrieben hat, konnte oben schon in den urbestand der Heraklessage eingereiht werden, weil es in verschiedenen varianten vor - liegt. in der argolischen sage war das land, Erytheia, und die furchtbare gefolgschaft des riesen, auch sein name ΓαρυϜόνας bereits gestaltet: das kennt wenigstens schon Hesiodos (theog. 287). aber wo dieses mythische westland gedacht war, bleibt für jetzt besser dahingestellt. noch Hekataios legte es nach Epirus; es gibt spuren, welche sogar auf den westrand des Peloponnes zu deuten scheinen. gerade dieses abenteuer ist den späteren durch das gedicht des Stesichoros, welcher manche züge der Hesperidenfahrt hinein zog, in einer ganz neuen anziehenden form geläufig geworden.
Das bewuſstsein, daſs nur die 10 abenteuer das leben und die dienst - barkeit des Herakles angehen, ist noch der späten mythographischen über - lieferung nicht verloren. sie schwankt aber in der anordnung der äpfel und des Kerberos. selbstverständlich muſste die höllenfahrt an die letzte stelle rücken, sobald die äpfel nicht mehr die himmelfahrt bedeuteten. daſs sich die ältere ordnung trotzdem vielfach behauptet hat, zeugt für die zähigkeit der tradition in diesem hauptstücke71)Die farnesische tafel, Diodor und auch die apollodorische bibliothek in älterer fassung (Bethe quaest. Diod. 43), sind in der anordnung der äpfel an letzter stelle einig. es muſs das also als die vulgata der mythographie gelten, und da die poeten meist abweichen (weshalb denn auch nicht nur Hygin, sondern auch die vor - liegende bearbeitung des Apollodor die beiden letzten taten vertauscht hat), so muſs für sie ein autoritativer vorgänger, der die bedeutung der sage noch begriff, angenommen werden. man denkt natürlich an Pherekydes; aber aus dessen bruch - stücken läſst es sich nicht beweisen..
Die öffentliche meinung verwirft jetzt die annahme eines alten cyclus, wie er hier mit zuversicht auf Argos und auf das 8. jahrhundert zurück - geführt wird72)Kein geringerer als Zoega hat den cyclus der 12 kämpfe für ganz spät erklärt (bassoril. II 43), kein geringerer als Welcker hat ihn auf die Heraklee des Peisandros zurückgeführt, welche er geneigt war sehr hoch zu schätzen (kl. schr. I 83). letzterer aufsatz ist das wertvollste, was Welcker zur Heraklessage geschrieben hat; in der Götterlehre hat er diese gestalt ganz verkannt. Zoega hat den grund. man hält sich zunächst daran, daſs ein für die Herakles -70)geradezu versetzt Eustathius zu B 503 die rosse des Diomedes nach Potniai, aber das ist verwirrung: in seinen quellen, Strab. 409 und den Euripidesscholien, steht es nicht. der inhalt der aischyleischen tragödie Γλαῖκος Ποτνιεύς ist ganz unbekannt.305Der dodekathlos.sage kanonisches epos nicht existirt hat, am wenigsten im Peloponnes. auch die bildende kunst, die von einzelnen scenen ausgeht, kann keinen cyclus beweisen, denn für sie überwiegen künstlerische rücksichten, selbst wenn sie mehrere taten zusammenstellt. sie kann ihn aber eben deshalb auch nicht widerlegen; das alter der einzelnen taten bezeugt sie dagegen vollauf. aber diese taten sind teils wirklich als einzelne ursprünglich ge - dacht, teils ist man jetzt geneigt sie zu vereinzeln. wenn die stymphalischen vögel sturmdaemonen, der erymanthische eber ein bergstrom, die hindin eine jagdbeute des sonnengottes, Geryones der winter ist, so hat in der tat die verbindung solcher abenteuer keinen inneren wert, und wenn Herakles ein gott ist wie Apollon oder ein heros wie Theseus, so löst sich die Heraklee in ἐπιφάνειαι Ἡρακλέους entsprechend den ἐπιφάνειαι Ἀπόλλωνος73)Beide titel sind für werke oder teile eines werkes von dem Kallimacheer Istros bezeugt; die ἐπιφ. Ἡρακλέους kürzlich durch ein bruchstück des Zenobios bei Cohn (Zu den paroemiogr. 70) bekannt geworden. die Heraklesgeschichte (δειλότερος τοῦ παρακύπτοντος) ist in wahrheit die erklärung eines naturspiels an irgend einer tropfsteinhöhle, aber der ort fehlt, und damit die hauptsache. daſs Istros eine zusammenhängende darstellung der Heraklestaten gegeben hätte, ist nicht glaublich. auf, oder sie erscheint so compilatorisch wie die Theseus - taten. dagegen fordert die hier vorgetragene ansicht von der Herakles - religion eine zusammenhängende lebensgeschichte, führt also von selbst zu der neigung, dem in der späteren zeit geltenden cyclus ein möglichst hohes alter zuzuschreiben. aber die neigung ist kein ersatz für den beweis. er läſst sich mit aller wünschenswerten sicherheit führen.
Die zwölfzahl der kämpfe kennt Euripides im Herakles. die zwölf kämpfe selbst bezeugen 50 jahre früher die metopen des olympischen Zeustempels. sie haben eine durchschlagende bedeutung erlangt, denn um ihretwillen hat der mythograph, der für die nachwelt bestimmend blieb, die aller älteren poesie und bildenden kunst fremde speciell eleische sage von den ställen des Augeias an stelle der Kentauromachie aufge - nommen, welche die Eleer in den metopen fallen lassen muſsten, weil sie für den westgiebel eine Kentauromachie gewählt hatten74)Was dieser giebel darstellt, ist gänzlich ungewiſs. Herakles ist nicht zu erkennen, die überlieferte deutung auf Theseus und Peirithoos verkennt notorisch eine hauptfigur und kommt offenbar nur daher, daſs eine Kentauromachie, auf welcher Herakles fehlt, die thessalische sein müſste. an diese in Olympia, unterhalb der Pholoe, zu denken, ist eine tollheit, zu der nur ein archaeologe kommen kann, der nichts von geschichte weiſs. dargestellt ist die eleische Kentauromachie in der form welche Herakles erst verdrängt hat. unmittelbar überliefert ist diese nicht,. aber daſs72)für die mythographische wie die monumentale forschung auch auf diesem sagen - gebiete gelegt. seine arbeit ist auch jetzt noch reiner genuſs für den leser.v. Wilamowitz I. 20306Der Herakles der sage.lediglich die metopen, also die willkür jener peloponnesischen künstler oder ihrer auftraggeber der gesammten mythographie den ganzen cyclus aufgezwungen hätte, ist an sich eine ungeheuerliche annahme, und selbst an dem einen stücke läſst sie sich widerlegen: denn die mythographie hat zwar die ställe aufgenommen, aber die Kentauromachie nicht auf - gegeben, sondern nur in anorganischer weise als beiwerk bei dem eber untergebracht. somit hat der cyclus der 12 taten um 480 im Peloponnes kanonische geltung gehabt. auch Euripides stimmt zu Olympia nicht bloſs in der zahl, sondern in neun kämpfen. neun hat auch das Theseion, an welchem die Kentauren aus demselben grunde wie in Olympia fehlen muſsten. an ihrer stelle erscheint der von Euripides fortgelassene eber, der also schon damals mit diesem abenteuer wechseln konnte, wie in der mythographie. in wahrheit bezeugt also Athen 10 von 12, und die fehlenden, vögel und stier, fehlen aus bestimmtem besonderem grunde. nun tritt aber die mythographie, und zwar auschlaggebend hinzu. wer mit diesem factor wirklich zu rechnen gelernt hat, kann darüber in zweifel sein, ob nicht alle erzähler der Heraklestaten den cyclus fest - gehalten haben: daſs er bei Pherekydes gestanden hat, kann er nicht bezweifeln, und er weiſs dann, daſs wol das beste zeugnis, das aus dem 5. jahrhundert für die geltende sage beizubringen ist, diesen cyclus voraus - setzt. aber noch mehr: er hat für die ganze folgezeit gegolten. so steht es: selbst gigantomachie, eroberung Oichalias, bezwingung des Acheloos sind πάρεργα geblieben. man hat sich mit dem widersinn abfinden müssen, daſs ein wildschwein und ein bulle mehr bedeuten als die be - friedung des westens und die eroberung von Troia.
Zunächst ist damit nur bewiesen, daſs der cyclus aus der archaischen zeit stammt. nun ist er aber auch eine wirkliche einheit und ein wirk - liches ganze, kein ungefüges conglomerat einzelner taten. ein gedanke beherrscht ihn, Herakles ist der wehrhafte mann, der den frieden und wolstand seines landes sichert: μοχϑήσας ἀκύμον̕ ἔϑηκεν βίοτον βρο - τοῖς, πέρσας δείματα ϑηρῶν. er selbst baut den acker nicht, aber er gibt den ackerbauern die sicherheit, ihrem geschäfte nachzugehen: das liegt den ersten sechs kämpfen allen zu grunde. so ist Herakles das rechte idealbild eines streitbaren adels, der über perioeken herrscht, des wehr - standes, der die schlachten schlägt, während die bauern ihn nähren. seiner hand stehen die schätze aller himmelsrichtungen zu gebote; ihm gehört74)sie ist aber vielleicht zu finden. übrigens haben die leute von Phigaleia auf dem friese ihres Apollontempels dieselbe Kentauromachie verstanden, mochten auch die athenischen künstler eine andere gemeint haben.307Der dodekathlos.die welt, wenn er nur will: das liegt in den vier letzten aufträgen allen. und auch die auffassung von der person des helden geht durch alle gemeinsam durch. er ist nicht mehr bogenschütze, er ist auch nicht hoplit: er greift jede aufgabe an, wie es am besten geht, er würgt den löwen, läuft hinter der hindin, jagt den eber in den schnee, wirft mit der schleuder hinter den vögeln, schieſst den flüchtigen Kentauren, schlägt Geryones mit der keule nieder. die mannigfaltigkeit der kämpfe trotz ihrer inneren gleichheit bezeugt nachdrücklich eine einheitliche über - legende dichtung. wichtiger noch ist, daſs der cyclus das ganze leben füllt. er reicht ja von der ersten tat bis zum eingang in den himmel. wie kann man darin planvolle dichtung verkennen? es ist wahr, die mytho - graphische überlieferung setzt vor den dodekathlos die boeotische kind - heitsgeschichte und hinter ihn den tod auf dem Oeta und was dazu gehört. aber das sondert sich nicht schwerer ab als jedes einzelne πάρεργον. es ist doch wol ein widersinn, daſs der Herakles, der wider den nemeischen löwen auszieht, schon Orchomenos bezwungen, den dreifuſs geraubt, kinder ge - zeugt und erschlagen hat, ja sogar schon das fell des kithaironischen löwen trägt. noch viel übler ist der anschluſs der oetaischen sagen am schlusse. durch sie ist ja der sinn der beiden letzten taten, höllen - und himmel - fahrt, überhaupt zerstört worden, so daſs sie auf den rang der tierkämpfe hinabgedrückt werden. hat man deren echte bedeutung ernsthaft erfaſst, so ist damit entschieden, daſs der dodekathlos als ein selbständiges ganzes neben den andern Heraklessagen steht, folglich längst bestand, ehe die mythographen ihre compilatorische tätigkeit begannen, und da ihnen schon die wirkliche bedeutung dunkel war, so muſs die dichtung selbst weit älter sein. sie haben ja aber auch eine anzahl der taten, hydra Amazonen rosse Geryones, in einer schon stark umgearbeiteten form nach - erzählt, so daſs uns zum teil das original ganz unkenntlich ist; die hydra z. b. war vor 600 schon in einer solchen umarbeitung ganz geläufig, und die höllenfahrt schon damals als auftrag des Eurystheus bekannt: das schiebt das originalgedicht ganz beträchtlich in der zeit hinauf.
Doch für die zeit der entstehung zeugt am sichersten der geogra - phische horizont, der für den dodekathlos gilt. Mykene und seine nachbar - schaft bis an die Pholoe hin, das ist dem dichter wirklich bekannt: jenseits dieser engsten grenze beginnt mythisches oder halbmythisches land. Kreta und der problematische begriff Thrakien sind die einzigen namen, die sonst vorkommen: und Kreta wenigstens ist aus fremder sage herübergenommen. daſs die originale fassung der letzten vier aufträge nicht recht deutlich ist, verschlägt für dieses allgemeine verhältnis gar nichts. spielen doch20*308Der Herakles der sage.selbst Sparta Messenien Olympia Theben Delphi Athen nicht hinein. und doch haben sich die argolischen ansprüche auf die hegemonie der halb - insel in Heraklessagen niedergeschlagen, hat der argolische Herakles Hip - pokoon Eurytos Neleus die Molioniden bezwungen: davon ist in diesem cyclus keine spur. da mag man manches auf den willen des dichters setzen, der in der tat die religiöse figur des so zu sagen universalen heros darstellen wollte, nicht den vertreter des Dorertums (um so sichrer muſs, wer so schlieſst, an einem bewuſst gestaltenden dichterwillen fest halten): auf die zeit und den ort, wo man so dichten konnte, bleibt der schluſs unbeeinträchtigt. ja man muſs sagen, daſs die stadt Argos, die doch, so weit wir die geschichte kennen, das centrum des Dorertums ist, neben Mykene so gut wie gar nicht in betracht kommt, so daſs man in versuchung ist, geradezu einen Dorer aus Mykene als dichter anzu - nehmen. wer diese verhältnisse abzuwägen urteilskraft kenntnis und guten willen hat, kann gar nicht anders urteilen, als das 8. jahrhundert als untere grenze für die entstehungszeit dieser groſsartig einfachen dichtung anzusehen.
Das versteht sich von selbst, daſs diesem dichter auch schon geformtes material vorlag. die alte sage seiner ahnen und eltern lieferte ihm das beste. einzelne taten sind ohne frage schon vorher erzählt, denn sie erwuchsen aus den concreten örtlichen verhältnissen. andere übernahm er aus anderen sagen. es kann ja jemand sagen, daſs ihm zehn kämpfe (ohne stier und Amazonen) oder neun (auch ohne die rosse) einen älteren stamm zu bilden schienen. das mag er zu beweisen versuchen, der beweis mag auch gelingen: daran ändert er nichts, daſs eine dichtung von Herakles leben in so alter zeit, in der Argolis, mit der bestimmten tendenz und mit dem durchschlagenden erfolge anzunehmen ist. und diesen erfolg hat erst der dodekathlos gehabt.
Unabweisbar tritt da die frage hervor: welcher art war die form der dichtung, und wie ist der dichter zu denken? die antwort wird unbefriedigend lauten, aber der versuch muſs gemacht werden. zunächst fragt man nach den Heraklesepen, von denen uns eine kunde geblieben ist. wir wissen sehr wenig, aber genug, um sie alle auszuschlieſsen. in den romantischen bestrebungen des 3. jahrhunderts, die bei den kleinasiatischen Dorern besonders lebhaft waren, hat man auf Rhodos ein nicht eben umfang - reiches altes gedicht hervorgezogen, von dem in älterer zeit nicht die leiseste spur ist. die Rhodier schrieben es jetzt einem gewissen Peisandros von Kamiros zu und setzten dem plötzlich auftauchenden dorischen Homer eine statue. die grammatiker wuſsten wol, daſs dieser verfassername nicht309Der dodekathlos. die Herakleen.mehr beglaubigung hatte als die allmählich für viele stücke des home - rischen nachlasses hervorgesuchten; indessen haben sie das gedicht ge - schätzt und für mythographische dinge, vereinzelt auch für anderes ein - gesehen. über die zünftigen kreise ist es jedoch nicht hinausgelangt. den poetischen wert können wir nicht schätzen. immerhin gestatten die reste den schluſs, daſs es nicht älter als das 6. jahrhundert gewesen sein kann75)Das gedicht, welches unter der statue stand, Anth. Pal. IX 598, und wol wirklich von Theokrit ist, ist das beste geschichtliche zeugnis. die wertlosigkeit des autornamens gesteht Eratosthenes, vgl. Homer. Unt. 347. für die zeit ist wesent - lich 1) das abenteuer des Antaios in Libyen, also nach der colonisation von Kyrene (schol. Pind. Pyth. IX 183), 2) die beteiligung von Telamon an dem zuge gegen Troia (Athen. XI cap. 25), wo er bereits das ἀριστεῖον erhält, also aeginetische tendenz, 3) die feste einführung der tracht des Her. mit löwenhaut und keule, vgl. Furtwängler bei Roscher Mythol. Lex. 2143. Megakleides (Athen. XII 513) hat den Peisandros entweder für jünger als Stesichoros gehalten oder, was ungleich wahrscheinlicher ist, gar nicht gekannt.. also zeit und ort der entstehung würde die von Welcker ver - mutete herleitung des dodekathlos aus diesem epos ausschlieſsen, gesetzt auch, es hätte für die verbreitung und gestaltung der sage überhaupt nachweisbaren einfluſs gehabt — wovon doch nicht das mindeste bekannt oder wahrscheinlich ist. aber enthalten hat es allerdings den dodekathlos76)Wenn Theokrit als inhalt angibt ὅσσους ἐξεπόνησεν εἶπ̕ ἀέϑλους, und Suidas ἔστι δὲ τὰ Ἡρακλέους ἔργα, so kann man das nur leugnen, wenn man den berichterstattern den glauben versagt oder die worte umdeutet., wie von dem hier vertretenen standpunkte aus auch ohne zeugnis an - genommen werden würde. das ist die einzige Heraklee der archaischen zeit, von der wir wissen. ein par gar nicht näher zu bestimmende notizen von anderen Herakleen helfen nicht weiter77)Der scholiast zu Apollonios (l 1165 und 1357) citirt für pontische dinge eine Heraklee, deren verfasser einmal Κόνων, einmal Κιναίϑων heiſst. das bleibt ganz unklar; der inhalt setzt die gründung von Herakleia voraus. Aristoteles (poet. 8) kennt vielleicht mehrere Herakleen, aber nicht einmal die mehrzahl ist unzweifelhaft.. die nach den spärlichen proben äuſserst anmutige umfangreiche dichtung des Halikarnassiers Panyassis gehört in das 5. jahrhundert und hat weder auf den attischen culturkreis noch gar auf die durch ihre nationalität mit Herakles ver - bundenen völker gewirkt. der verfasser trägt einen karischen namen und ist aus einer ganz ionisirten stadt; was er von stoff neu zugeführt hat, sind karische und lykische sagen: für das echtdorische ist also von ihm nicht viel zu erwarten. im übrigen liegt der beste beweis für das fehlen eines maſsgebenden Heraklesgedichtes darin, daſs sich ein ionisirter Karer im fünften jahrhundert diesen stoff wählt, der also keine Ilias post Home -310Der Herakles der sage.rum war. litterargeschichtlich ist nicht so wol das gedicht bedeutsam als die tatsache, daſs sich schon zu Sophokles zeit jemand an dieselbe aufgabe macht, an der sich, als das epos neubelebt wird, Diotimos von Adramyttion78)Der von Arat (z. b. bei Stephanus s. v. Γάργαρα. alle citate gehen auf Epaphroditos zurück) verhöhnte dichter, dessen zeit und vaterland so bestimmt wird, hatte ἆϑλα Ἡρακλέους verfaſst. erhalten ist nur ein citat über die Kerkopen durch einen paroemiographen (ob Zenobios, ist fraglich) bei Suid. Εὐρύβατος und in den Wiener Lukianscholien zum Alexander. dann hatte ein alter mythograph die leitende erfindung des Diotimos ausnotirt, daſs Her. aus liebe zu Eurystheus die arbeiten vollbracht hätte. auf ihn gehen durch verschiedene canäle zurück Athen. XIII 603d, schol. Townl. zu O 639, Clemens Rom. hom. V 15. epigramme des Diotimos hatte Meleager aufgenommen (γλυκὺ μῆλον ἀπ̕ ἀκρεμόνων Διοτίμου in seiner vorrede 27). davon sind erhalten A. P. VI 267, 358, VII 227, 475, 733. denn IX 391 Plan. 158 gehören dem spätling aus Milet, von dem Philippos V 106 erhalten hat. VII 261 möchte man dem Δώτιμος Διοπείϑους Ἀϑηναῖος geben, den Meleager VII 420 nennt., Phaidimos von Bisanthe79)Die herkunft war unsicher; Herennius Philo bei Steph. Βισάνϑη. Meleager hat ihn ausgezogen und vergleicht ihn mit φλόξ (51). erhalten sind durch ihn vier gedichte, von denen XIII 2 in Athen verfaſst ist. die polymetrie veranlaſst, den dichter noch in das 3. jahrhundert zu setzen. aus der Heraklee ein vers bei Athen. XI 498 f. und Rhianos von Bena ver - suchen, auch sie ohne erfolg; obwol Rhianos, der in anziehender weise die vorliebe für das rauhste altertum mit der pflege des raffinirtesten modelebens zu verbinden wuſste, die bedeutung der zwölfkämpfe ver - standen hat80)Der name des Rhianos ist nur unter einer ἱστορία zu T 119 erhalten, die jetzt niemand mehr für ihn in anspruch nehmen darf, wie Meineke An. Al. 117. sie ist aus dem inhalt der Homerstellen und ein par mythographischen scholien zusammen - gebraut, von denen eines, über die mutter des Eurystheus, daneben rein erhalten ist (in A und T). auf Rhianos ist nur der letzte satz bezüglich, und auch in diesem ist ein irrtum: τοὺς ἄϑλους τελέσας κατὰ τὰς Ἀϑηνᾶς καὶ Ἀπόλλωνος ύποσχέσεις τῆς ἀϑανασίας μετέλαβεν. denn dieses scholion kehrt im Townl. wieder zu O 639 φασὶν Ἥρας αὐτῷ παραστάσης ἐπιτάσσειν (nämlich Eurystheus), τὸν δὲ Ἑρμοῦ καὶ Ἀϑηνᾶς εἰπόντων ὡς διὰ τοῦτο ἔσοιτο ἀϑάνατος καταδέχεσϑαι (es folgt das motiv aus Diotimos Heraklee, das scholion ist also vorzüglich gelehrt). Hermes und Athena sind die geleiter des Her.: Apollon hat da nichts zu suchen. dem com - pilator im schol. zum T schien der orakelgott passender. also Rhianos hat genau die stimmung des dodekathlos eingehalten. daſs er gleichwol die selbstverbrennung hatte, darf man aus der erwähnung der Ἀσέληνα ὄρη bei Trachis im vierten und letzten buche schlieſsen, E M s. v. denn daſs hier ἐν τῷ δ΄ aus τῷ ιδ΄ zu machen ist, nicht bei Suidas βιβλία δ΄ in ιδ΄ zu ändern, liegt auf der hand. die knaben - liebe, welcher Rhianos in seinen zierlichen epigrammen huldigt, hat er auch in der Heraklee geschmackvoller als Diotimos einzuführen gewuſst; auf ihn geht ja die später so geläufige erotische motivirung von Apollons dienstbarkeit bei Admetos, so daſs man bei ihm vielleicht alte traditionen finden311Die Herakleen.könnte; aber er ist so gut wie ganz verschollen. für die archaische zeit wendet man seine augen natürlich auch auf die hesiodischen gedichte, und gewiſs hat in ihnen vielerlei gestanden, was Herakles angieng, nur gewiſs nicht der dodekathlos, ja überhaupt nirgend eine volle lebens - geschichte des helden. das stück der Eoee, das seine erzeugung schildert, und schon die stellen der Theogonie des echten Hesiodos zeigen auf das deutlichste, daſs bevor sie so gedichtet werden konnten, eine überaus reiche und allgemein bekannte Heraklessage in fest durchgebildeter er - zählung bestand. aber selber liefern sie diese erzählung nicht: die hesio - dische dichtung gehört ja auch nicht nach dem Peloponnes. ihrem einfluſs werden in der Heraklessage vielmehr die erweiterungen des dode - kathlos, meistens sagen von geschichtlichem inhalte, und dann eine anzahl boeotischer und nordgriechischer zusätze verdankt: und die dichter waren sich wol bewuſst, parerga zu liefern.
Hesiodos kennt die Heraklessagen als allbeliebte und allbekannte. das ionische epos, von welchem er doch wesentlich abhängt, konnte sie ihm nicht liefern: wo hat er sie denn her? er weist auf eine dorische dichtung zurück, der er zwar nichts von seiner form, aber viel von seinem inhalte schuldet. wie war diese dorische dichtung beschaffen? niemand kann das sagen, jede spur ist verweht, ist schon zu Aristoteles zeit verweht gewesen; Pindaros Pherekydes Euripides hätten wol noch antwort geben können. mag es eine dorische volkspoesie gegeben haben in unvorstellbarer form, mag es prosaische erzählung, dann aber gewiſs auch sie in gewisser fester stilisirung, gewesen sein, mögen die edel - knaben beim male die taten der ahnen erzählt haben, wie die greise sie ihnen eingeprägt hatten, mag ein stand von fahrenden verachteten und doch gern gehörten spielleuten neben possenhaften tänzen auch ernste volkslieder vorgetragen haben: das ist verschollen wie das germanische epos der völkerwanderung. aber wie dieses wird das dorische erschlossen, weil seine stoffe auch in veränderter form sich erhalten haben. nicht bloſs die taten des Herakles, auch die stamm - und familiensagen, ja selbst geschichtliche überlieferungen, wie die messenischen, zwingen zu der annahme einer solchen poesie. was sie zerstört hat, ist leicht zu sehen. seit 700 und schon früher ist das homerische epos herüber gekommen,80)zurück. sie findet sich auch bei Kallim. hymn. 2, 49. aber dieser setzt den zug als bekannt voraus. das deutet darauf, daſs Rhianos ein zeitgenosse des Aratos und Zenodotos ist, nicht des Euphorion, wie bei Suidas steht. in der tat spricht alles gegen diesen späten ansatz, zumal die Homerkritik des Rhianos, und die Suidasdaten sind nirgend so unzuverlässig wie in den dichtern des 3. jahrhunderts.312Der Herakles der sage.reich an anziehendsten neuen geschichten, die sich um so eher die herzen eroberten, weil sie vielfach in denselben gegenden spielten, zu denen sie zurückkehrten, vor allem aber in der ausgebildeten bequemen bild - samen form. Chalkis Theben Korinth Delphi hat Homer sehr bald ganz erobert; auch Argos hat homerische dichter gestellt81)Hagias ist als verfasser für mehrere epen genannt, aber auch von Ἀργολικά. vgl. Homer. Unters. 180., auch Sparta viel - leicht82)Kinaithon wird schon von Hellanikos als verfasser der μικρὰ Ἰλιάς an - gegeben, später für mehr homerisches, aber auch für genealogien; über das citat einer Heraklee von ihm anm. 77.. allein recht heimisch ist das fremde im Peloponnes nicht ge - worden, und namentlich den schritt hat man hier nicht in voller freiheit getan, der in Korinth und nördlich vom Isthmos gelang, die bearbeitung der nationalen stoffe in homerischer form. wie die hellenische cultur Ioniens sich allmählich das mutterland zurückerobert hat, wie die peloponnesische sprache sitte und religion, so weit sie sich nicht dem ionischen, später dem attischen anbequemen mochte, verkümmert und vergessen ist, so ist es zuerst von allen lebensäuſserungen dem peloponnesischen heldenge - sange ergangen. vergessen sind die dichter, nicht nur ihre namen, nein, daſs es sie je gab; vergessen ihre werke, ja, daſs es deren je gab: aber der geist ist nicht sterblich. die seele der dichtung überdauert nicht nur das sterbliche gemächte, den dichter, auch ihr kleid überdauert sie, wenn es nicht durch den göttlichen geist der Muse gefeit ist: all das mag vernichtet werden, wie das irdische des Herakles in dem oetäischen feuer. die Heraklee hat dennoch, wie der ἀνὴρ ϑεός, das ewige leben und die ewige jugend. und wer seinen gedanken nachdenken mag, der wird heroische ehren auch ihm gerne weihen, dem altdorischen dichter des dodekathlos, von dem er nichts weiſs, dessen stimme vor dritthalbtausend jahren schon verklungen war, weil ihn der hauch seines stolzen und frommen geistes umwittert. und doch ist es nicht eigentlich der dichter, dem wir huldigen, sondern die sage, die durch ihn gesprochen, deren geist auf ihm geruht hat. aber es ist etwas groſses, der prophet der sage zu sein. das volk selbst würde sein köstlichstes kleinod zerstoſsen und zerstümmelt haben, wenn es nicht die sorgliche künstlerhand rechtzeitig gefaſst hätte: nun dauert es, mag auch die fassung geborsten sein. ohne den dichter des dodekathlos würden wir schwerlich die Heraklesreligion in ihrem wesen erfassen können.
Das empfindet man am deutlichsten, wenn man einen anderen be - deutenden sagenkreis vergleicht, dessen örtlicher mittelpunkt Trachis ist,313Die Herakleen. Kreophylos.und dessen wichtigstes stück, die selbstverbrennung des siechen Herakles, die oberhand gewonnen hat, so daſs der ausgang des dodekathlos, so viel höher er an innerem gehalte auch steht, ganz und gar in vergessenheit geraten ist.
Es kann und soll hier der untersuchung nicht vorgegriffen werden, ob es schon der Homeride gewesen ist, den man meist Kreophylos von Samos nennt, der dichter der Ἡρακλεία oder Οἰχαλίας ἅλωσις, oder ob erst Sophokles in den Trachinierinnen die geschichten von Deianeira Omphale Iole in einen engen und sinnreichen zusammenhang gebracht hat. wol aber muſs hervorgehoben werden, daſs allen diesen sagen eine behandlung gemeinsam ist, welche sie von der herben folgerichtigkeit des dodekathlos eben so weit entfernt, wie sie der menschlich heldenhaften aber liebenswürdig läſslichen weise Homers angenähert werden. erst nach beseitigung dieser anmutigen und poetisch höchst wirksamen neu - bildungen tritt das alte Heraklesbild hervor, das dann freilich die züge gemeinsamer abstammung mit dem des Dodekathlos nicht verleugnet. und in einem ist der oetäische Herakles sogar altertümlicher: seine waffe ist durchgehends der bogen. es hat eben die cultur der peloponnesischen adelsstaaten auf das bergland des Oeta nicht gewirkt, und die homerische poesie hat dem helden, den sie übernahm, seine charakteristische aus - stattung gelassen.
Um diesen sagenkreis überhaupt verstehen zu können, muſs vorab eines beseitigt werden, was von auſsen zugetan ist und alles verwirrt, das lydische local der Omphalesage. daſs das sich noch allgemein be - hauptet, liegt nicht etwa an irgendwie guter begründung, sondern lediglich daran, daſs seltsamer weise O. Müller in diesem punkte den orientali - sirenden tendenzen entgegengekommen ist. gewiſs ist die üppige frau in der löwenhaut mit der keule neben dem helden im weiberrock mit der kunkel in der hand ein hübsches bild, und Priap als dritter im bunde gibt ihm einen besonders pikanten zug. Simson und Delila, Antonius und Kleopatra, Rinaldo und Armida, August der starke und die Königs - marck zeigen, wie fabel und geschichte an diesem motive gefallen haben. aber so hübsch es sein mag: daſs es ernsthaft genommen werden könnte als ein zug der Heraklessage irgendwie ernster zeit, davon ist keine rede. es existirt einfach nicht vor der hellenistischen zeit, derselben die auch Priapos unter ihre götter einreiht, und wer es ernsthaft nimmt, kann mit demselben rechte den Eurystheus zum ἐρώμενος des Herakles machen. zwei ionische dichter des 5. jahrhunderts, Ion und Achaios, haben sich allerdings schon des dankbaren motives bedient, den plumpen Dorer314Der Herakles der sage.Herakles als diener der üppigen Asiatin in einem satyrspiele Omphale einzuführen, und sie bezeugen, daſs damals diese bereits eine Lyderin war, was wegen ihrer descendenz, der lydischen könige aus Herakles stamme, schon für viel frühere zeit unbestritten bleibt; aber der Herakles des Ion war weit entfernt sich im schoſse der wollust zu vergessen. während das übrige gesinde noch in feierlicher stille den sinn auf das opfer ge - richtet hatte, verspeiste er nicht bloſs den braten, sondern auch das holz und die asche, auf denen er gebraten war, mit: seine zähne erlaubten ihm diese leistung, denn er hatte drei reihen hinter einander83)Ion fgm. 29. 30. wenn er von Herakles gesagt haben sollte (59), daſs er ein lydisches leinenhemd angezogen hätte, das ihm nur bis auf die mitte der schenkel reichte, so war damit nur seine gröſse geschildert, und wie schlecht ihm die sclaven - tracht paſste. die κύπασσις der Omphale, welche Diotimos der dichter der Heraklee (Anth. Pal. VI 358) als weihgeschenk eines Artemistempels besingt, hat mit dieser vertauschung der kleidung nichts zu tun; denn Omphale hat sie zwar ausgezogen, aber Herakles nicht angezogen. Diotimos sagt, das kleid war selig, bis sie es auszog, und ist es jetzt wieder, wo es im ϑησαυρός der Artemis als schaustück liegt, χαῖρέ μοι ἁβρὲ κύπασσι, τὸν Ὀμφαλίη ποτὲ Λυδὴ λυσαμένη φιλότητ̕ ἦλϑεν ἐς Ἡρακλέους. ὀλβιος ἦσϑα, κύπασσι, καὶ ἐς (ὡς cod. ) τότε καὶ πάλιν ὡς (ὅς cod. ) νῖν χρύσεον Ἀρτέμιδος τοῦτ̕ ἐπέβης μέλαϑρον.. also gerade darin lag der reiz dieser spielenden erfindung, daſs Herakles auch als knecht Herakles blieb und seine natur nicht verleugnete. hätte sich seine begierde zu der schönen königin erhoben (was unbeweisbar, aber mög - lich ist), so würde er höchstens wie Sir John von frau Page behandelt sein84)Die worte der pseudojustinischen oratio ad gentiles 3 ὡς νήπιος ὑπὸ σατύρων κατακυμβαλισϑείς, καὶ ὑπὸ γυναικείου ἔρωτος ὑπὸ Λυδῆς γελώσης κατὰ γλουτῶν τυπτόμενος ἥδετο würden den sinn gestatten, daſs Herakles wie Falstaff geprellt wäre, und wenn man die satyrn in die Omphalefabel einbezieht, könnte man hier sogar an Ion denken. aber die satyrn sollen für sich stehen: sie bezeichnen nur das ἥττων μέϑης, wie Omphale das ἥττων ἔρωτος. und die prügel sind die gewöhn - lichen des pantoffelhelden. das wird gesichert durch Lukian dial. deor. 13. Kyniker und christen bestreiten ihre polemik mit demselben aus grammatischen sammlungen entlehnten materiale. dieses war trefflich, und so wird Herakles der pantoffelheld allerdings eine erfindung der besten hellenistischen zeit sein.. das war schon eine umbildung, allein es war noch weit entfernt von der hellenistischen Omphaiesage, welche die erfahrung voraussetzt, daſs die gewaltigen männer der tat ebenso gewaltig in dem sinnengenusse sind: Demetrios Poliorketes konnte ein solches bild eingeben85)Man täuscht sich, wenn man in der verbindung von Ares und Aphrodite eine gleiche symbolik sieht: die ist eben auch erst in derselben hellenistischen zeit hineingetragen. der schwank, welcher Aphrodite sich zu dem strammen krieger lieber als zu dem biedern ehegespons Hephaistos halten läſst, heiſst nichts anderes, als daſs der weibliche geschmack zu Demodokos und Alkaios zeiten kein anderer. dagegen315Die Herakleen. Kreophylos.hatte die einfachere tradition Herakles eben nur als sclaven der Omphale gedacht, der auch in dieser stellung, wie in Argos für Eurystheus, herumzog und heldentaten verrichtete. wo diese uns erzählt werden, da offenbaren sie das local der sage. Diodor (IV 31) läſst Omphale freilich über die Maioner-Lyder herrschen, aber Herakles züchtigt in ihrem dienste die Kerkopen, den Syleus und die Itoner; und als Omphale diese taten ihres sclaven sieht, den sie gar nicht gekannt hat, läſst sie ihn frei und gewährt ihm ihre liebe, aus welcher Lamos hervorgeht. nun, die Itoner Lydiens kennt keine karte86)Nonnus Dion. 13, 465, Steph. Byz. s. v. können ihr lydisches Ἰτών oder Ἰτώνη eben aus dieser sage haben. dagegen verlegt die apollodorische bibliothek (II 7, 7) Kyknos nach Iton., aber am malischen golfe liegt Ἴτων oder Ἴτωνος, und da hat Herakles allerdings mit Kyknos einen schweren strauſs gehabt. die Κερκώπων ἕδραι neben der πέτρη Μελαμπύγου kennt Herodot an den Thermopylen (VII 216)87)Noch Diotimos (anm. 78) versetzt die Kerkopen nach Oichalia. nach Ephesos kommen sie, weil Εὐρύβατος, ein ephesischer nichtsnutz, unter sie aufgenommen wird. vgl. im allgemeinen Lobeck Agl. 1296. die alte monumentale überlieferung zeigt, daſs die sage im korinthischen culturkreis beliebt war; bei den Westhellenen hat sie sich länger gehalten; die Athener lassen sie fallen. ob das homerische Kerkopengedicht sie behandelt hat, ist sehr fraglich, da die Kobolde keinesweges eine so enge wirksamkeit gehabt haben.. Syleus gehört an das Pelion88)Vgl. oben s. 38. dort ist übersehen, daſs die vasenbilder ja gar nicht die amphipolitanische sage darzustellen brauchen, da sich die thessalische bequem dar - bietet. der bruder ‘Biedermann’ (Δίκαιος) neben dem ‘Frevler’ ist auch in Amphipolis anerkannt worden (brief des Speusippos an Philipp, Epistologr. 630 Herch.). ihn hat also Euripides eliminirt, und den verkauf des Herakles durch Hermes aus der Omphale - sage eingeführt. das wird erst jetzt ganz deutlich, wo man sieht, daſs Syleus eine episode der Omphaledichtung ist. dafür zeugt Euripides wieder für das alter dieses sagenkreises., Lamos ist als eponymos von Lamia sogar ausdrücklich bezeugt89)Steph. Byz. ἀπὸ Λάμου τοῦ Ἡρακλέους. nach Lydien gezogen hat ihn der Karer Apollonios, der diese fabeln breiter behandelt hat, Geffcken de Steph. Byz. 40., und was ist85)als heute war. ernsthaft ist die verbindung nur in der genealogie, welche Ἁρμονία als tochter des ungleichen pares dem Κάδμος-Κόσμος gesellt, der die drachensaat des Ares gesäet und gefällt hat. das hat die symbolische bedeutung, daſs die ver - söhnung und der friede durch Aphrodite bewirkt wird. jede politische hochzeit will Ares durch Aphrodite bändigen und dadurch harmonie erzielen. die peloponnesische Αφροδίτη ἀρεία ist lediglich die ‘streitbare’, so genannt, weil sie gewappnet war. das ist eine göttin, welcher der name Aphrodite vielleicht, sicherlich nicht das wesen derselben, wie es in Ionien galt, zukommt: dem wesen nach ist Ἀφροδίτα ἀρεία vielmehr Ἀϑάνα. aber sie widerlegt allerdings den glauben, daſs Aphrodite nichts als eine semitin sei.316Der Herakles der sage.endlich Ὀμφάλη anders als die eponymos von Ὀμφάλιον90)Es ist natürlich derselbe ort, den Steph. Byz. s. v. nach Thessalien, Pto - lemaeus III 14 nach Epirus verlegt und dessen bewohner Rhianos in den Θεσσαλικά neben den makedonischen Parauaiern (Steph. Byz. s. v.) angeführt hat. Ὀμφάλη geht kaum in den hexameter, was hinderlich scheinen kann, wenn man die sage dem Kreophylos zutraut. aber von Ὀμφάλιον lieſs sich ebenso gut auch Ὀμφαλίη bilden, und wirklich gebraucht eben Diotimos von Adramyttion diese form, anm. 83. Omphales vater Ἰάρδανος wird natürlich von den modernen mit dem Iordan iden - tificirt, und dasselbe muſs sich der gleichnamige fluſs in Triphylien gefallen lassen (Η 133). daſs in Lydien einer gleichen namens bestanden hat, ist lediglich durch eine verdorbene oder verwirrte stelle bei Steph. Byz. bezeugt (s. v.). da aber die geo - graphischen namen der peloponnesischen westküste so oft in Thessalien wiederkehren, wird man Ἰάρδανος nicht anders beurteilen als Πηνειός und Ἐνιπεύς, und wem es gelingt, Omphalion zu finden, der mag den fluſs des ortes getrost Iardanos nennen.? so un - verschleiert ist die heimat Omphales in dem parallelbericht der apollo - dorischen bibliothek (II 6, 2) nicht. die Itoner fehlen, die Kerkopen werden nach Ephesos versetzt, aber lydisches ist auch nur in dem gatten der Omphale Tmolos vorhanden, denn Syleus wohnt am Strymon: daſs das dem erzähler bewuſst war, folgt daraus, daſs Herakles auf der heimfahrt über das meer kommt und Ikaros berührt. offenbar liegt diesen berichten eine erzählung zu grunde, welche nur ganz äuſserlich die Lyderin ein - gesetzt hat. allmählich hat man dann in diesem sinne weiter gedichtet. aber auch wo mehr asiatische localfarbe ist, fehlen hindeutungen auf das echte local nicht91)Hellanikos führte die lydische stadt Ἀκέλης (Steph. Byz.) auf einen sohn des Herakles zurück, aber die nymphe, die ihn gebiert, heiſst Μαλίς, weist also nach Trachis. zu ihr gehört Μήλας, sohn des Her. und der Omphale, schol. Townl. zu Σ 219, der bei der heimkehr der Herakleiden hilft, die von Trachis ausgieng. er ist einfach der eponym der Melier. aber als Μήλης steht er in der lydischen königs - liste, nicht bloſs bei Nikolaos-Skytobrachion-Xanthos, sondern schon bei Herodot I 84. der Ἀκέλης des Hellanikos ist sohn der Omphale im schol. Townl. zu Ω 616 und heiſst Ἀχέλης, dort werden auch νύμφαι Ἀχελητίδες aus Panyassis angeführt, der also, wie von vornherein bei dem Asiaten glaublich war, diese sagen behandelt hat. hier sind also ein epichorischer name und der hellenische Ἀχελῷος einander an - geähnelt. dasselbe ist mit dem lydischen flusse ῞ϒλλος geschehen, der in wahrheit zu ῞ςλη, dem alten namen von Sardes, gehört, aber dem Heraklessohne angepaſst ward. die penesten der Trachinier hieſsen Κυλικρᾶνες. daſs Herakles sie bezwungen und dort angesiedelt hätte, darüber sind sich die vorzüglichen gewährsmänner des Athenaeus XI 461 einig: aber die einen lassen sie aus Lydien, die andern aus Atha - manien stammen. ein wertvoller zug ist bei Hygin (poet. astr. II 14, daraus mythogr. Vat. II 155) aus Aratscholien erhalten. Omphale läſst Her. frei, weil er am Sangarios einen mörderischen drachen bezwungen hat. zur erinnerung daran ist das sternbild des Ὀφιοῦχος am himmel. das darf man in dieser region der gelehrsamkeit dreist für Panyassis in anspruch nehmen..
317Die Herakleen. Kreophylos.Das ist also unzweifelhaft, daſs die Omphalesage in einem kreise oetäischer sagen bereits fest war, als die willkür eines sehr erfolgreichen dichters sie nach Lydien übertrug. dieser und sein publicum war dem eigentlichen locale so fern, daſs er die anderen sagen ruhig herüber nehmen konnte, aber herausheben konnte er die einzelne sage nicht. was sie so fest hielt, war die motivirung der dienstbarkeit durch den frevel wider Iphitos Eurytos sohn, und damit hängt wieder die zerstörung Oichalias zusammen. das ist nicht immer so gewesen. denn der kampf des dorischen und des hellenischen bogenschützen ist keinesweges bloſs in diesem zusammenhang erzählt; die messenisch-arkadische localisirung Oichalias schloſs diese ganze verbindung aus, hat sogar die ermordung des Iphitos schwerlich anerkannt, der in Elis ein mächtiger könig blieb92)Als solcher ist er freund des Odysseus und des Lykurgos und könig von Elis; Eurytos aber ist als name für einen der Molionen verwandt worden.. es gibt ja auch mehrere begründungen für den zorn des Herakles gegen Eurytos93)Soph. Trach. 260. 353, der mit groſser feinheit die beiden widersprechenden traditionen von Lichas erzählen läſst., auch für die dienstbarkeit bei Omphale94)Dazu wird der kindermord gebraucht von Hygin fab. 32, und dasselbe ist aus der ordnung der ereignisse auf der farnesischen tafel zu schlieſsen. es lag nahe dies motiv, welches die dienstbarkeit bei Eurystheus zu motiviren pflegt, auf die bei Omphale zu übertragen., und gerade die ab - weisung des Herakles als freier kehrt in einer anderen thessalischen sage wieder95)Apollodor II 7, 7 erzählt uns, daſs Herakles den Amyntor von Ormenion erschlägt, weil er ihm den durchzug weigert. in der parallelstelle, IV 37, hat Diodor aus flüchtigkeit den namen des königs mit dem der stadt zusammengeworfen und einen Ὀρμένιος erzeugt, den man beseitigen muſs. aber die werbung um Astydameia, Amyntors tochter, hat er erhalten. Her. erzeugt mit ihr Ktesippos, nach Apollodor einen sohn der Deianeira. das bestreben alle andern söhne auſser Hyllos zu bastarden zu machen, ist auch sonst öfter kenntlich: das sind adelsrancünen, wie bei den söhnen Jakobs, die meist im einzelnen unkenntlich sind. sohn der Astydameia ist eigentlich und war bei Hesiodos der Rhodier Tlepolemos, und zwar gab es auf Rhodos wirklich ein geschlecht von Amyntoriden: so weist auch auf dieser insel einzelnes nach Thes - salien neben Argos, ganz wie auf Kos und am Triopion. vgl. schol. Pindar. Ol. 7, 42.. aber um so deutlicher wird nur, daſs es ein ganz bestimmter und planvoller zusammenhang ist, in welchem der frevel an Iphitos, die knechtschaft bei dem weibe, und die liebe zu Iole, die ihrem ganzen hause verhängnisvoll wird, vereinigt sind. auch daſs Oichalia nach Euboia gerückt ist, obwol es dort nie wirklich gelegen hat, in Thessalien nie ganz ver - schwunden ist96)Das hat endgiltig der wichtige stein von Hypata gelehrt, Athen. Mitteil. IV 216., erklärt sich am besten, wenn der dichter dem locale318Der Herakles der sage.seines stoffes ganz fern lebte. Ioles liebe und das euböische Oichalia sind nun wenigstens nachweislich in dem epos des Kreophylos-Homeros vorgekommen. damit sind wir in einer region, in welche die umgestaltung der thessalischen sagen und die einführung Lydiens ganz vortrefflich paſst. wahrlich, kaum könnte man sich etwas anderes als ein homerisches ge - dicht denken, um zugleich den durchschlagenden erfolg der lydischen localisation und die anknüpfung der lydischen dynastie an Herakles begreif - lich zu machen97)Man darf hier wieder daran denken, daſs das asiatische Erythrai einen wirklich alten Heraklescult hat (oben s. 271), und daſs er den namen einer stadt führt, die dicht neben dem thessalischen Oichalia liegt: auf demselben steine bezeugt wie jenes. daſs das königsgeschlecht der Lyder, welches durch Gyges gestürzt ward, selbst so hellenisch dachte, um Herakles als ahn zu beanspruchen, ist nicht glaub - lich, auch würden sie nicht eine sclavin des Iardanos, sondern Omphale als ahnfrau angesehen haben (so erst später: die naivetät bei Herodot I 7 unter δούλη Ἰαρδάνου Omphale zu verstehen, verdient keine widerlegung). wol aber muſs diese verbindung zu einer zeit aufgebracht sein, als die Hellenen für dieses alte haus sympathie em - pfanden, und die Lyder sich schon stark hellenisirt hatten. das trifft auf die zeit des Alyattes, vielleicht auch schon auf etwas frühere zu: in diese wird dann auch das homerische gedicht zu setzen sein. von den fabeleien des Skytobrachion bei dem Damascener Nikolaos ist einschlägliches von belang nicht erhalten: das ist zu verschmerzen, denn es war ein roman, und man sollte einen alten epiker Magnes, der die taten der Lyder gegen die Amazonen besungen haben soll (fgm. 62), nicht ernsthaft nehmen, und so zu einer lydischen epik gelangen, die womöglich auch in die Heraklessage übergreifen könnte..
Die sagen selbst können nunmehr erst verstanden werden, wo sie auf ihren heimischen boden zurückgeführt sind. die einzelheiten der kriegszüge sind freilich kaum aufzuhellen, da die politische geschichte und selbst die gruppirung der stämme um den Oeta zu wenig bekannt sind. aber daſs der gegensatz der einwanderer zu den eingebornen zu grunde liegt, ist im allgemeinen deutlich genug. Herakles bezwingt zum teil die althellenischen heroen, oder aber er erbt ihre taten; dafür ist nament - lich der berühmte kampf mit Kyknos ein beleg98)Vgl. zu v. 110.. in diesem handelt er im dienste des Apollon, und Apollon ist vertreter der delphisch-pyläischen Amphiktionie, welche in der tat in diesen gegenden, wo sich nie ein mächtiger einzelstaat erhoben hat, die einzige macht war, die die sonder - interessen einigermaſsen zu bändigen und landfrieden einigermaſsen ein - zuführen vermochte. da lag es nahe, daſs Herakles der vollstrecker des apollinischen willens ward, und so wird es zu fassen sein, wenn wir ihn die feinde des gottes, Lapithen und Dryoper bezwingen sehn. aber er319Die Herakleen. Kreophylos.erbte auch mehr von ihm. in der Alkestissage hat die faust des Herakles die gnade der todesgöttin ersetzt, welche Apollon beschwor99)Die hesiodische form der sage ist hergestellt Isyllos s. 70. durch sie wird das gemälde einer attischen pyxis erklärt (Wien. Vorleg. Bl. N. S. I 8, 5). Admetos führt lebhaft die Alkestis, welche ein mädchen geleitet, auf das haus zu, vor dem der alte Pheres steht, den ein anderes mädchen anspricht. die mädchen vertreten das hochzeitsgeleit. aber zwischen beiden gruppen stehen Apollon und Artemis, den blick voll ernster teilnahme auf das junge par gerichtet. man lese Eur. Alk. 915 — 25 nach, die stimmung zu finden; aber das gemälde wirkt durch die gegenwart der götter weit ergreifender: Apollon hat die ehe gestiftet; Artemis wird sie lösen.. und so ist die dienstbarkeit des Herakles auch eine parallelsage zu der dienst - barkeit des Apollon100)Aischylos sagt καὶ παῖδα γάρ τοι φασὶν Ἀλκμήνης ποτὲ πραϑέντα τλῆναι δουλίας μάζης βίον, Ag. 1040. bei Euripides sagt Apollon ἔτλην ἐγὼ ϑῆσσαν τρά - πεζαν αἰνέσαι ϑεός περ ὤν (Alk. 1). man sieht, daſs beides ganz gleich empfunden wird. O. Müller ist durch diese sagen zu seinem folgenreichen irrtume verführt, Herakles und Apollon überhaupt als ganz nahe verwandt zu betrachten. er hat verkannt, daſs die sagen deshalb nicht älter sind, weil sie auf einem boden spielen, welchen die Dorer früher einnahmen, als sie in den Peloponnes zogen. die Dorer, welche fort - zogen, haben sie ja eben nicht erzeugt noch erhalten, sondern die am Oeta bleibende bevölkerung. und der Apollon, welcher hier verehrt ward, ist kein dorischer, sondern der althellenische, vgl. anm. 9., die ursprünglich auf denselben fluren gespielt hat, und die bei beiden durch eine blutige tat begründet ist. es ist das wichtig. denn erst diese einsicht sichert davor, in der dienstbarkeit bei Omphale und etwa auch bei Syleus eine parallelsage zu dem dienste bei Eurystheus zu finden und somit dieses motiv als einen bestandteil der ursage an - zusehen. freilich wird sich jeder vor diesem misgriff schon dann hüten, wenn er den rechtlichen unterschied zwischen der dienstbarkeit des vasallen von der des sclaven zu würdigen weiſs.
In unserer überlieferung verknüpft, aber dennoch vielleicht von haus aus gesondert ist die sage von der werbung um Deianeira, die tötung des Nessos, das vergiftete gewand und der tod des Herakles. diese vier stücke bedingen einander. es fehlt in der erzählung, wie wir sie kennen, ein unerläſsliches motiv, wenn die liebe zu Iole ausgesondert wird. aber es ist zuzugeben, daſs die nötige eifersucht sehr gut auch durch irgend ein anderes erbeutetes mädchen, z. b. Astydameia von Ormenion, erweckt werden konnte. nicht Herakles sondern Deianeira hält diese sagen zu - sammen; ihre bedrängung durch den ungeheuren freier, ihre eifersucht und verzweiflung ist die seele der dichtung. sie ist Aetolerin, und die frauen dieses stammes sind von der sage mit lebhaftesten zügen aus - gestattet, da ist Althaia, Deianeiras mutter, die Meleagros durch eine320Der Herakles der sage.ähnliche tücke tötet, wie die tochter den Herakles, und sich wie sie in der reue den tod gibt; da ist Marpessa, die aus liebe den Idas dem Apollon vorzieht, Kleopatra, die leidenschaftliche gattin des Meleagros, Periboia die vielumfreite; auch die unselige gattin des Protesilaos ist in dieses geschlecht eingereiht worden101)So die Kyprien, welche Laodameia Polydora nannten, Pausan. IV 2. in dieser geschichte sind sie also nicht die quelle des B.: unverkennbar haben wir hier alt - hellenische gestalten vor uns, reste einer herrlichen poesie, von welcher nur das Meleagerlied der Litai eine unmittelbar wirkende probe gibt. vereinigt also sind diese Heraklessagen durch hellenischen dichtergeist102)Gewiſs liegt es nahe, auch dies auf Kreophylos zurückzuführen. aber dazu fehlt ein positiver anhalt bisher. die aetolischen sagen haben viele beziehungen nicht zu Samos (wo aber der Homeride ja gar nicht zu hause gewesen zu sein braucht), sondern zu Chios. dort kehrt Oineus-Oinopion und der tod des Ankaios durch das wildschwein wieder, kommt Tydeus als eigenname in vornehmem hause vor u. dgl. auch Νεσσᾶς und ähnliche namen finden sich da und stimmen zu Νέσσος.. damit ist zugleich gesagt, daſs wir diese vereinigung lösen müssen. und in der tat, zwei der drei Heraklestaten sondern sich selbst ab. der kampf mit Acheloos ist in wahrheit der mit dem herrn des meeres, der mit Nessos die Kentauromachie. beide abenteuer sind ihrer typischen be - deutung zu gunsten einer individuellen entkleidet, und in beiden ficht Herakles ritterlich für ein weib: ihr besitz ist sein lohn. das ist mensch - lich und schön; nur erwirbt man mit solchen taten nicht den himmel. was poetisch vielleicht eine steigerung scheinen kann ist für das religiöse eine degradation. für den tod liegt keine parallele fassung vor, denn der Herakles des dodekathlos ist nicht gestorben. um so deutlicher ist die entstellung. dieses ende, der selbstmord als rettung vor unheilbarem siechtum, der allsieger das opfer eines eifersüchtigen weibes und der tücke eines geilen ungeheuers, muſs dem wie eine blasphemie erscheinen, der die erhabenheit des argolischen gottmenschen dagegen hält. so war es wahrlich nicht gemeint; wenn Herakles ein held wie alle andern ist, mag er ja auch elend zu grunde gehen wie Meleagros oder Odysseus. nur für die echte Heraklessage muſs auch aus dieser geschichte die hellenisch-epische motivirung, muſs das weib heraus. dann bleibt die selbstverbrennung. in ihr ist aber auch eine groſsartige conception der echten Heraklesreligion anzuerkennen. auch dies ist ein würdiger ab - schluſs des irdischen lebens und ein übergang zu dem himmlischen, eine parallele zu dem eintritt in den himmelssaal, obwol dieser nicht nur erhabener, sondern auch ursprünglicher ist. wie soll Herakles sterben? kein feind kann ihn fällen; soll er den strohtod sterben, wie ein weib321Die Herakleen. Kreophylos.oder ein sclave? nein, als er fertig ist mit seinem lebenswerke, als er das füllhorn von dem meergreise erhalten hat, da steigt er empor auf den berg seines vaters, der ehedem auch der götterberg gewesen ist103)Dies zeigt sich namentlich darin, daſs morgenstern und abendstern auf ihm wohnen, nicht bloſs für die beiden lokrischen stämme, sondern noch für die lesbischen Aeoler. natürlich ist diese anschauung hellenisch, nicht dorisch, vgl. zu v. 394., und auf dem wie im garten der Hera in ewigem blumenflor eine wiese prangt104)ἔστιν ἐν Τρηχῖνος αἴῃ κῆπος Ἡρακλήιος, πάντ̕ ἔχων ϑάλλοντα, πᾶσι δρεπόμενος πανημαδόν, οὐδ̕ ὀλιζοῦται, βέβριϑε δ̕ ὑδάτεσιν διηνεκές. das gibt der klarische Apollon als ein allgemeines orakel, wie aus der polemik des Oinomaos (Euseb. praep. ev. V 214) hervorgeht: es bedeutet, wandele wie Herakles den rauhen pfad der tugend, so gehst du zum ewigen leben ein. der gott verstand also die religion sehr wol. als ἄτομος λειμών des Zeus, als Οἰταῖον νάπος erwähnt dieselbe wiese Sophokles Trach. 200, 436.. hier schichtet er sich einen scheiterhaufen. seine kinder, seine getreuen umgeben ihn; dem liebsten waffengefährten105)Dem Malier Philoktet. die sagen, welche diese waffenbrüderschaft ver - herrlichten, sind ganz verschollen: aber sie müssen bedeutend gewesen sein, denn Philoktet ist ja als träger des herakleischen bogens allein in die troische sage ge - kommen. das ist einwirkung der oetäischen Dorer parallel den oben s. 280 erläuterten rhodischen und aeginetischen erfindungen. schenkt er seinen treuen bogen zum danke dafür, daſs er den feuerbrand anlegt und die lichte flamme entzündet, welche die sterblichkeit von der göttlichen seele wegläutert106)Das feuer tut hier dasselbe wie in der phthiotisch-magnetischen sage, wo Thetis ihre kinder ins feuer hält, und ihren parallelen. ὑπὸ δρυὶ γυῖα ϑεωϑείς sagt sehr fein Kallimachos, an Artem. 159., die sich in den hohen himmel an des vaters seite empor - schwingt, während drunten die älteste, die einzige tochter die letzte schwere ehrenpflicht vollzieht und die irdischen reste des vaters sammelt107)Duris in den scholien zu Plat. Hipp. I 293a. wenn dieser hinzufügt, daſs die makedonische sitte von der ältesten tochter diesen liebesdienst forderte, so war eben nur dort im norden diese wie manche andere einfache sitte, die ehemals die Dorer geteilt hatten, bis 300 v. Chr. erhalten geblieben. daſs Herakles nur eine tochter gehabt hat, ward als charakteristisch empfunden, und selbst Aristoteles notirte es in der Tiergeschichte (VII 6, 45). hieran anknüpfend hat Euripides den heldentod einer jungfrau, den viele sagen seiner heimat boten, auf diese jungfrau übertragen und so seinen Herakleiden die wirksamste scene eingefügt. vgl. mein programm de Eur. Heraclidis.. das ist wol auch etwas erhabenes, und wem die götter das herz jung erhalten haben, daſs er die alten einfachen klänge aus dem gewirr der lärmenden und rauschenden compositionen gesteigerter kunst und cultur heraus - zuhören und ihrer melodie zu folgen vermag, der wird nicht zweifeln, daſs dieses wirklich die altoetäische sage war. das feierliche siegesopferv. Wilamowitz I. 21322Der Herakles der sage.auf dem Kenaion, mit welchem Herakles dem Zeus für die vollendung seiner irdischen mühen dankt, ist in wahrheit kein anderes, als das, wozu er auf dem Oeta den scheiterhaufen erbaut. und auch Sophokles, der doch kurz vorher die Deianeirasage mit allen ihren consequenzen dar - gestellt hatte, empfand das groſse würdig, als er den chor des Philoktetes die heimkehr wünschen lieſs nach dem vaterlande, ἵν̕ ὁ χάλκασπις ἀνὴρ ϑεοῖς πλάϑη ϑεὸς ϑείῳ πυρὶ παμφαὴς Οἴτας ὑπὲρ ὄχϑας (736).
Wie aus den flammen des oetäischen feuers der ἀνὴρ ϑεός sich emporhob, so tritt er in ursprünglicher erhabenheit aus den oetäischen sagen hervor, wenn das feuer der kritischen analyse sie läutert und das irdisch-epische wegschmelzt. erst die epik, welche ihn zu einem ganzen menschen, aber auch zu einem bloſsen menschen machte, hat ihm irdische schwäche, den mord des Iphitos, irdische strafe, die knechtschaft, irdische liebe und irdisches siechtum verliehen. ursprünglich ist dem oetäischen Herakles all das nicht minder fremd gewesen als dem argolischen.
Aber eine sage scheint ihn doch in tiefster schuld verstrickt zu zeigen: der kindermord. prüfen wir, was wir von ihm als ursprünglich ansehen dürfen, und halten wir dabei vor allen dingen das euripideische drama ganz fern. vor dem elektrischen tore in Theben lag das Herakles - heiligtum. da zeigte man sein geburtshaus, manches andere denkzeichen und auch ein grabmal, welches die kinder bergen sollte, die Megara, Kreons tochter, ihm geboren, und er im wahnsinne, den Hera gesandt hatte, in das feuer geworfen und verbrannt hatte. so viel dürfen wir mit einiger wahrscheinlichkeit als alte sage betrachten. das grab der acht erzbewehrten Megarasöhne, an welchem bei sonnenuntergang totenopfer gebracht wurden, erwähnt der zuverlässigste zeuge, Pindaros108)Isthm. 3, 105, welchen Pausan. IX 11, was das örtliche angeht, gut er - läutert. den mord erwähnt Pindar nicht, verherrlicht er doch den Her. und sein thebanisches fest. er nennt die totenopfer χαλκοαρᾶν ὀκτὼ ϑανόντων τοὺς τέκε οἱ Μεγάρα Κρεοντὶς υἱούς. darin kann also χαλκοάρας nicht mit den scholien als βιοϑάνατος gefaſst werden, und Μέμνονα χαλκοάραν I. 5, 51 muſs etwas wie ‘mit erz bewehrt, mit erz kämpfend’ bedeuten, τεκτόνων χεριαρᾶν P. 5, 35 irgendwie die handfertigkeit hervorheben. die scholien raten nur, die modernen haben auch nichts gefunden; an die wurzel αρ darf heute niemand mehr denken; man sucht ein Ϝαρ, das doch nicht da ist. aber auch wenn man eingesteht, daſs man das wort eigentlich nicht versteht, bleibt es seltsam, daſs die kinder dasselbe beiwort wie Memnon führen. doch das ist verständlich. an die knäblein des Euripides sollen wir nicht denken: die Thebaner opfern heroen, und diese denkt man sich, zumal wenn es Herakleskinder sind, gewappnet. daſs Pindar die altäre νεόδματα nennt, ist nicht weg zu deuten, aber es kann auch verstanden werden. bei der belagerung 479 waren die. er gibt323Der kindermord.als zahl der opfer acht an; die mythographen mühen sich mit der zahl ab, ohne erfolg; es kommt auf sie so wenig an wie auf die verschieden ersonnenen namen der kinder109)Die wichtigsten angaben stehen in dem Pindarscholion, bei Apollodor II 4, 12; mit euripideischem contaminirt, aber doch nicht ganz ohne älteres Asklepiades im schol. λ 369, schol. Lykophr. 38 (daraus schol Lucian. dial. deor. 13) Diodor IV 11, wo Skytobrachion hineinspielt; Nikolaos v. Damaskus III 369 Müll.. den mord der Megara schlieſsen Pindars worte aus, und die besseren berichte, z. b. die welche die kinder im feuer sterben lassen, tun desgleichen: er ist überhaupt in keiner von Euripides unbeeinfluſsten überlieferung vorhanden110)Als vulgata darf gelten, daſs Megara frau des Iolaos wird, so auch Plutarch Erot. 9. das war offenbar die im boeotischen culte geltende ansicht. das epyllion, welches Megaras namen trägt, liefert gar keine für die sage brauchbaren züge, wie zumal die behandlung des Iphikles neben Herakles lehrt. aber die absicht seines dichters dürfte ein wort der erklärung verdienen. was er erzählt, ist wenig und scheinbar ganz abgerissen. Megara und Alkmene sitzen in Tiryns, während Herakles im dienste des Eurystheus irgendwohin fortgezogen ist. sie verzehren sich in angst und sehnsucht. Megaras rede gibt wesentlich nur die exposition, aber die sonst gefaſste mutter ist durch ein traumgesicht tief erschüttert, das sie erzählt und am ende ihrer rede, zugleich dem ende des gedichtes, fortwünscht, ἀποπέμπεται. der leser wird in dem traume die hauptsache sehn und natürlich den traum als einen wirklich vorbedeutenden betrachten. sein inhalt ist, daſs Herakles ὡς ἐπὶ μισϑῷ beschäftigt ist einen graben zu ziehn. als er fertig ist, will er sein gewand anlegen, das er zu seinem geschäfte abgelegt hat. da schlägt ihm aus diesem eine lohe flamme entgegen, der er vergeblich zu entrinnen sucht, während Iphikles, als er ihm helfen will, wie tot hinfällt. das ende hat Alkmene nicht mehr geschaut, sie ist offenbar vor angst aufgewacht. der hellenistische dichter hat auf leser gerechnet, die sich dieses bild aus der altbekannten sage deuten würden, aber auf leser, die das bild mit dem gedanken verwechseln würden, und nach dem graben fragen, den Herakles gezogen hätte, hat er nicht gerechnet. das bild enthüllt so viel, daſs Herakles, wenn er mit dem werke, das er auf sich genommen hat, fertig sein wird, statt ruhe zu finden, einem plötzlichen unentrinnbaren unheil verfallen wird, vor dem ihn nichts retten kann, auch nicht seine irdische verwandtschaft: die kann den weg nicht gehen, den er gehen muſs. so ist es ihm ja gegangen; die Trachinie - rinnen geben dieser selben stimmung lebhaften ausdruck. die flamme des traumes bedeutet nicht die flamme des Oeta direct, sondern nur den gewaltsamen untergang. auf Iphikles ist eine empfindung übertragen, welche träumende sehr oft haben, beim besten willen und in höchster not nicht von der stelle zu können, schon von Homer (Χ 199) angewandt. der dichter, in allem vermenschlichend, hat den traum so ge - halten, daſs er keiner himmlischen offenbarung bedarf. so viel kann einer mutter das herz, unter dem sie ihn getragen hat, von dem sohne sagen, den sie von gefahr zu gefahr schreiten sieht: es ist keine ruhe für ihn, auch die vollendung, auf die er jetzt hofft, wird sie ihm nicht geben. so kennt sie den πονηρότατος καὶ ἄριστος,. den feuertod bezeugt Phere -108)vorstädte Thebens verwüstet, die altäre bedurften also eines neubaus; der cult selbst ist damit nicht als jung bezeichnet.21*324Der Herakles der sage.kydes, durch welchen er sich in der besseren mythographischen über - lieferung gehalten hat, und man darf ihn als ursprünglich ansehen, weil es so nahe lag, ihn durch anderes zu ersetzen, mag auch die kunde, die wir von den älteren dichterischen bearbeitungen besitzen, für diesen punkt versagen. besonders bedeutsam ist, daſs die verbrennung noch zu Alexanders zeit in Groſsgriechenland galt, wie ein gemälde des tarentinischen oder paestaner malers Assteas lehrt, der sehr anschaulich darstellt, wie Herakles allerhand hausrat zusammengeworfen und angezündet hat, und eben einen knaben in dieses feuer zu werfen im begriff ist111)Monum. dell’ Instit. VIII 10. Alkmene und Iolaos schauen zu, Megara entflieht in ein zimmer aus dem peristyl, wo das feuer brennt. man darf schlieſsen, daſs der maler die mutter, weil der ort Theben ist, Iolaos, weil er später Megaras gatte ward, dargestellt hat. auſserdem ist Μανία anwesend: sie allein kann ja dem beschauer sagen, daſs Her. wahnsinnig ist.. die poesie hat sich früh dieser geschichte bemächtigt. Nestor erzählte sie mit anderen sagen, die gleichfalls nur dem griechischen festlande angehören, dem Menelaos in den Kyprien. hier wird der wahnsinn des Herakles zuerst ausdrücklich erwähnt, den aber jedermann mit zum notwendigen rechnen wird. da er an die Kyprien anknüpfte, hat der dichter der homerischen Nekyia Megara dem Odysseus vorgeführt. deshalb wieder hat sie Polygnotos auf seinem bilde der Nekyia in Delphi gemalt und erscheint Megara mit den kindern auf den apulischen unterweltsvasen112)Z. b. auf der von Altamura, Neapel 3222.. es ist das eine stark wirkende gruppe, da ja der gegenstand dieser gemälde die heraufholung des Kerberos aus der unterwelt ist, und der maler hat ohne zweifel beabsichtigt, dem helden die opfer seines eignen wahnsinns vorzuführen. neben ihren kindern kann Megara auch nur als mit ihnen getötet erscheinen: darin offenbar sich aber nur der einfluſs des Euripides. denn Polygnot hat Megara allein gemalt, und der bericht der Nekyia verbietet an ihren tod durch den gatten zu denken113)Wie könnte es sonst von ihr bloſs heiſsen τὴν ἔχεν Ἀμφιτρύωνος ὑὸς μένος αἰὲν ἀτειρής, λ 270, zumal sie als schatten erscheint.. auch Stesichoros und Panyassis hatten110)wie sie bei einem Eoeendichter ihn nannte, der den Alexandriner angeregt haben mag. was dieser aber bezweckte, war nur in zweiter linie, den leidenden Herakles als solchen darzustellen, obwol dazu die breite ausführung des kindermordes dient. es ist sein, wie überhaupt der besseren hellenistischen poeten, zweck, die allbekannten alten stoffe dadurch zu erneuern, daſs er das licht auf andere personen fallen läſst. für die sage sind mutter und gattin des helden nur relativ bedeutsam, so weit sie für ihn in betracht kommen: hier wird mutter und gattin hell beleuchtet, und die sage hat nur noch den relativen wert, diesen typen individuelle persönlichkeit zu verleihen. das gedicht ist nicht hervorragend, aber mit den balladen unserer roman - tiker darf es ohne zu verlieren verglichen werden.325Der kindermord.die geschichte erzählt; doch läſst sich über sie nichts genaueres ermitteln, als daſs sie den mord der kinder, nicht der mutter, durch den wahn - sinn motivirten114)Wenigstens so viel gestattet der in seiner vertrackten weise auf zwei stellen verzettelte und unklar gehaltene bericht des Pausanias zu erkennen (IX 11 und X 29). er sagt bei erwähnung des kindergrabes nichts, als daſs die Θηβαῖοι die sache οὐδέν τι ἀλλοίως ἢ Στησίχορος καὶ Πανύασσις erzählen, und nur einen be - sonderen zug zufügen. da kein grab der mutter da ist, kann sie in Theben nicht für mitgetötet gegolten haben. in der beschreibung des polygnotischen bildes (welcher er die dichtercitate verdankt), sagt er denn auch, daſs Herakles sich von ihr getrennt habe. was er nun mit jenem οὐδὲν ἀλλοίως sagen will, ist daſs sein bericht über die dichter von der vulgata (d. h. Euripides) nicht wesentlich abweicht, auſser in dem einen hier nicht hergehörigen stücke. dann muſs aber das eine, allgemein ge - glaubte, auch für jene dichter angenommen werden: der wahnsinn. auf die todesart ist leider kein schluſs möglich..
In der mythographischen überlieferung hat der kindermord seine feste stelle und seinen ganz bestimmten zweck: er löst Herakles von Theben und fällt vor die dienstbarkeit bei Eurystheus. so ist es schon bei Phere - kydes gewesen115)Der kindermord stand im zweiten buche, für welches von Heraklessagen sonst nur die erzeugung, aber sehr viel andere sagen auch bezeugt sind, so daſs man den dodekathlos mit recht in das dritte setzt, aus welchem freilich nur das Geryones - abenteuer sicher bezeugt ist.. da die verbindung der thebanischen und der argolischen sagen eine künstliche ist, so wird man zunächst geneigt sein, auf diesen zeitlichen ansatz nichts zu geben. allein das bedürfnis, welches die mytho - graphen befriedigen, muſs schon viel früher empfunden sein. was ant - wortete ein Thebaner des 6. jahrhunderts auf. die frage ‘was hat denn euren Herakles gezwungen, seine heimat zu verlassen; warum hat er bei euch und für euch so wenig geleistet?’ wozu die andere kam ‘ihr sagt, Herakles habe Megara, eures königs tochter, zum weibe gehabt; wo sind denn ihre kinder, wo leben ihre nachkommen?’ wir beantworten heute die frage so, daſs die peloponnesische dichtung die parallelen boeotischen traditionen verdrängt hat, daſs der name Herakles selbst eine fremde be - zeichnung war, die lange nicht alle taten des eingebornen parallelen heros erbte, und daſs aus diesem grunde in der tat in Theben der adel nicht auf herakleisches blut anspruch gemacht hat. Amphitryon und Iolaos haben auch von dem echten Ἀλκαῖος vieles geerbt; Iolaos sogar die Megara. aber der Thebaner des sechsten jahrhunderts konnte nur durch eine sage antworten: ‘Herakles hat wegen einer unfreiwilligen bluttat fliehen müssen’, das war die bis zum überdruſs in solchen fällen angewandte motivirung. ‘söhne hat er wol gehabt, aber er hat sie selbst getötet’ so326Der Herakles der sage.ward die zweite dazumal vielleicht noch peinlichere frage beantwortet. die tat zu begründen lag dem Thebaner nahe genug. der haſs der Hera war gerade ihm in Heraklessagen geläufig, und daſs sie wahnsinn sendet, gerade solchen der zum kindermorde führte, wuſste er auch. so war es ja dem Athamas und der Ino, so war es Agaue ergangen. die tat ent - ehrte den Herakles nicht, weil ihm das bewuſstsein fehlte, und der wahn - sinn tat es auch nicht; dem war ja selbst Dionysos durch Heras groll ver - fallen. es ist also ganz verständlich, daſs die Thebaner so sich das problem gelöst haben, welches durch die allmählich eintretende verbindung der örtlich gesonderten sagenkreise mit notwendigkeit entstand. wenn in Theben neben dem tempel des gottes Herakles sein geburtshaus und daneben das mal gezeigt ward, welches seine kinder, gleichviel wie viele, gleichviel wie, aber von ihm selbst getötete, deckte, so ward dem beschauer recht sinnfällig, daſs Herakles als mensch seiner heimat nur für eine kurze zeit hatte angehören können, daſs ihm Heras eifersucht die heimat und ihn der heimat entzogen hatte: dem himmel aber hatte sie ihn nicht entziehen können.
So betrachtet hört der kindermord auf, an Herakles unbegreiflich zu sein, weil er in wirklichkeit ihn gar nichts angeht. es ist eine ge - schichte, welche ihrem wesen nach nichts ist als ein erzeugnis der com - binirenden reflexion115 b)Daſs Alkathoos einen sohn Καλλίπολις erschlägt, weil er ihm beim opfer den tod seines älteren bruders Ἰσχέπολις meldet (Pausan. I 42, 6), hat mit der tat des Herakles keine ähnlichkeit, geschweige daſs es eine dublette des kindermordes wäre. Alkathoos handelt so in ausübung seiner väterlichen gewalt, weil er die hand - lung des sohnes für οὐχ ὅσιον hält, er handelt formell gerecht, macht sich freilich selbst durch seine strenge kinderlos. das ist eine novelle angesetzt an ein monument, dessen wirkliche bedeutung man nicht mehr verstand. offenbar ist in der periegese des Pausanias neben dem, was auf die chronik des Dieuchidas zurückgeht, ein element, das die reste der stadt, die nach den katastrophen von 306 und 264 übrig waren, ohne wirkliche kenntnis zu deuten sucht. so ist das αἰσίμνιον offenbar das alte sitzungshaus der αἰσιμνᾶται, aber jetzt fabelt man, es wäre ein grab eines Αἴσιμνος, und Ἰφινόη, der die mädchen ihr har vor der hochzeit weihen, ist offenbar ehedem eine nebenform der Ἰφιγόνη gewesen, keine königstochter, u. s. w., ein bindeglied für zwei sagenkreise. in jedem von diesen steckt der echte Herakles: dessen heldenbild wird von keinem schatten einer schaudervollen freveltat getrübt, wie denn das wesen des himmlischen helfers eigentlich den gedanken an solche untat nicht erträgt. so ist denn auch der kindermord keinesweges in echt dorischen landen volkstümlich. auch die bildende kunst stellt ihn nicht dar: Assteas ist eine singularität. der thebanische cultus symbolisirt nichts weiter als die327Der kindermord. die Heraklesreligion seit der archaischen zeit.trauer darum, daſs Herakles kein boeotischer localheld ist, sondern eher ein argivischer. bedenken könnte nur erregen, daſs eine solche secundäre bildung so früh und nachhaltig in der poesie gewirkt hat. allein das homerische epos ist es, was sich ihrer bemächtigt hat, und dann der chalkidische chordichter: dem verfasser der Kyprien ist es so wenig wie oben dem Kreophylos zu verdenken, daſs er Herakles menschlich fassen mochte. der mensch konnte sündigen und büſsen: je rührender die geschichte ward, und je weiter sie sich von dem wesen der Herakles - religion entfernte, um so brauchbarer ward sie dem dichter, dem diese religion fremd war. eben weil es ein dem gotte fremder zug war, hat die vermenschlichende poesie, erst die epische, dann die dramatische an ihn lieber angeknüpft als an Geryones oder Kerberos.
Die gewalt der echten Heraklesreligion hat in ihrem nationalen kreiseDie Herakles - religion seit der archai - schen zeit. ungebrochen bestanden, so lange die archaische cultur nicht gebrochen war; nicht bloſs aus den sagen, an denen sich das volk in lied und bild erbaute, sehen wir das, sondern es finden sich auch dichter, welche den groſsen einfachen gedanken klar aussprechen. mit knappen worten tut das Hesiodos: denn er selbst, der dichter der Theogonie, ist es, und zwar sind es die letzten worte, die sich mit sicherheit auf ihn zurück - führen lassen, welche Herakles unter den göttern einführen116)Die vorzügliche arbeit von A. Meyer (de comp. Theogon. Berlin 87) hat in erfreulichster weise in diesem chaos ein licht werden lassen. aber freilich ist im einzelnen noch viel zu tun. so ist die schilderung der unterwelt, oder besser der welt auſser himmel und erde, deshalb nicht unhesiodisch, weil sie entbehrlich ist, und wenn auch an 735 881 gut anknüpfen könnte, so ist doch nichts triftiges dagegen einzuwenden, daſs der dichter neben den Hundertarmen, welche die übrigen Titanen im gefängnisse bewachen, den Atlas erwähnt, dessen strafe eine besondere ist, und die Nacht, für ihn eine so wichtige urgewalt, nun in der sphäre zeigt, wo sie in der jetzigen weltordnung wohnt. daſs hier aber ein altes echtes stück vorhanden ist, folgt daraus, daſs zwei parallele erweiterungen daneben stehen, 736 — 45 und 807 — 19, nach deren beseitigung die einzelanstöſse zu schwinden scheinen. von dem Typhoeus - kampfe 820 — 80 sollte niemand mehr reden. es spricht sich und seiner kritik jeder selbst das urteil, der bezweifelt, daſs er formell ein junges machwerk ist, und inhalt - lich erst nach der gründung von Katane verfaſst sein kann (vgl. den interessanten aufsatz von Partsch in den Philol. Abhdl. für M. Hertz), und sogar viel später, als der Aetna im mutterlande bekannt geworden war, denn es gibt ja kein sicilisches epos. daſs die descendenz des Zeus hesiodisch ist, hat A. Meyer selbst erkannt, und auch mit recht die Metis als einen jetzt nicht mehr rein zu beseitigenden zusatz bezeichnet. nur den grund hat er nicht angeführt, der doch hier, wie für die obigen zusätze gilt: auch die Metis ist in doppelter gestalt erhalten, einmal in unsern handschriften, zum andern bei Chrysippos (Galen de Hipp. et Plat. III 351). es ist nicht hübsch, daſs unsere Hesiodausgaben ein solches stück ganz ignoriren. hat man. er hat328Der Herakles der sage.nach vollendung der arbeiten auf dem wolkigen Olympos die Hebe gefreit
ihm ist das groſse werk gelungen: so lebt er nun in ewiger seligkeit. und mit reichstem schmucke seines anspruchsvollen stiles, aber in demselben tone wiederholt dasselbe Pindar. “in den Olymp ist er eingetreten, nachdem er das ende von erde und meer gefunden und der schiffahrt die bahn befriedet. so wohnet er jetzt in der höchsten seligkeit bei Zeus, aufgenommen in die göttliche familie, vermählt der Heba, ein herr des güldenen hauses und eidam Heras”118)Hier ist ganz deutlich noch der unmittelbare übergang von der fahrt in den äuſsersten westen, wo die sonne zu rüste geht und Atlas den himmel hält, in den himmelsgarten, vgl. zu v. 394.. und das erste nemeische gedicht hat Pindar eigentlich dem Herakles mehr als dem Chromios gewidmet, für den es bestimmt war. denn die aufgabe, das lob des siegers und seiner heimat, macht er würdig aber kurz ab und bahnt sich gewaltsam, wie er pflegt, den übergang “wir menschen leben allzumal in mühsal und furcht und hoffnung: ich aber halte mich gern an Herakles und will von ihm bei gelegenheit dieser trefflichen tat eines trefflichen mannes eine alte geschichte erzählen”. und nun folgt, offenbar im anschluſs an ein altes gedicht, die schlangenwürgung des kindes, und wie Teiresias den eltern alles vorherverkündet hat,
eine rhythmische paraphrase schien nicht unpassend; bedürfen doch die meisten einer vermittelung, um im Pindar nicht nur die poesie, sondern auch nur die gedanken zu finden. und es hilft hier eben so wenig auf die alten wie auf die neuen erklärer zu verweisen. sie stehn ratlos vor der willkür des dichters, der ganz ohne ‘inneren bezug’119)Dies gedicht und N. 10 dürfte man zunächst von den herrn erklärt wünschen, welche Pindar auf das kreuz des terpandrischen nomos schlagen. von Herakles redet. nun, vielleicht leuchtet unbefangenen gemütern ein, daſs es groſs - artig ist, wie der stolze Aegide sein lied emporhebt von der kleinlichen aufgabe, das rennpferd eines sicilischen marschalls zu besingen, zu dem preise des heros, in dem sich das mannesideal seines standes verkörpert, an dem sich die κοιναὶ ἐλπίδες πολυπόνων ἀνδρῶν aufrichten. daſs er aus dem himmel herabstiege und sein fabula docet zufüge, kann nur ein pedant von ihm verlangen.
Pindar ist der letzte prophet des Dorertums und seiner ideale. er ist auch der letzte, der den glauben an Herakles ungebrochen bewahrt hat. er selbst sah um sich eine neue welt, in welcher weder er noch seine ideale mehr raum hatten: die attische cultur. sie überflügelte nicht nur das dorische wesen, sie überwand es. und wenn sie auch aus sich ein absolut höheres neues hinzubrachte, so war doch darin ihr vor - gearbeitet, daſs die archaische cultur erstarrt war, und als unzulänglich selbst in den kreisen empfunden ward, in denen ihre wurzeln ruhten. auch die Heraklessage genügte um 500 nicht mehr dem herzen, weil das herz nicht mehr empfand wie um 800.
330Der Herakles der sage.In unübersehbarer fülle war die masse der Heraklestaten gewachsen; immer neue gefahren und immer neue wanderungen hatte das volk ihm auferlegt. die schale der irdischen mühen ward also immer voller, mochte er auch in jedem neuen kampfe siegreich gewesen sein. die ewige selig - keit aber ist ein ewiges einerlei; von ihr läſst sich unter keinen voraus - setzungen viel erzählen. so hielt sie also in vieler augen den leiden und arbeiten nicht die wage. Herakles erhielt den charakter des dulders; sein geschick ward mehr beklagt als beneidet. so hat schon ein dichter in den Eoeen seine mutter ihn wiederholt πονηρότατον καὶ ἄριστον (fgm. 159. 160) nennen lassen. und der dichter des Schildes legt ihm schon die unwillige klage in den mund, daſs sein vater Amphitryon sich schwer an den göttern vergangen haben müsse, da sich der eine sohn Iphikles in schande gestürzt hätte, αὐτὰρ ἐμοὶ δαίμων χαλεπούς ἐπέτελλεν ἀέϑλους (94). das ist die stimmung, aus welcher er auch bei Euripides und Sophokles klagt. wahrhaft erschütternd wirkt vollends seine anrede an Odysseus in der unterwelt “du ärmster, hast du denn auch ein elendes geschick zu schleppen, wie ich es auf erden ertrug? der sohn des Zeus war ich, aber unermeſsliches unheil war mein teil (λ 613)”. so spricht freilich nur sein schatten, und der dichter verfehlt nicht hervorzuheben, daſs der heros selbst im himmel als Hebes gatte weilt119 a)Vgl. Homer. Unters. 203.. aber es ist um die frohe zuversicht des glaubens geschehen, wenn auch nur der schatten des Herakles dem tode verfallen ist. aus dieser trüben auf - fassung ist der gedrückte und ermüdete held hervorgegangen, den uns spätere kunstwerke, und doch nicht nur späte, darstellen: ein schönes bild, gewiſs; aber daſs das menschenleben eitel mühe und arbeit ist, ist darin auf die bedeutung herabgesunken, welche der verfasser des 90. psalmes mit diesem spruche verband, während der echte Herakles so dachte, wie wir den spruch umdeuten. so ist Herakles dazu gekommen, den jammer des menschenlooses darzustellen, und für diese betrachtungsweise waren die geschichten besonders erwünscht, welche ihn schwach und sündig zeigten, der kindermord, der frevel an Iphitos, die vergiftung und selbst - verbrennung. und indem man sich von diesem standpunkte aus ein voll - bild des charakters von dem heros zu entwerfen versuchte, ist die merk - würdige ansicht von dem Ἡρακλῆς μελαγχολικός entstanden, die kein geringerer als Aristoteles in geistvoller weise durchführt, indem er Herakles mit in die reihe der gröſsten staatsmänner, denker und künstler stellt, die alle μελαγχολικοί gewesen waren120)Problem. 30, 1. daſs die lehre aristotelisch ist, kann nicht bezweifelt. das ist in dem verbreiteten331Die Heraklesreligion seit der archaischen zeit.worte von der melancholie der genialen naturen zur sinnlosigkeit ver - dreht, weil μελαγχολᾶν und melancholie kaum etwas mit einander zu tun haben; selbst Dürers Melancholie kann man zur erklärung der aristo - telischen gedanken nicht herbeiziehn. besser geschieht das durch die vergleichung, welche Aristoteles selbst gibt, daſs die schwarze galle auf die gemütsart etwa so wirkt wie ein köstlicher starker wein. wir dürfen etwa sagen, daſs in der seele dieser höchstbegnadigten unter den sterb - lichen ein vulkanisches feuer brennt; so lange es nur in der tiefe treibt und wärmt, bringen sie hervor, was reicher und köstlicher ist, als sonst ein mensch vermag, aber wehe, wenn es durchbricht: dann verzehrt es alles und vernichtet sie selbst zuerst. schweres blut, schwerer mut: “der blick der schwermut ist ein fürchterlicher vorzug”. sie sind mehr als die ἄνδρες καλοὶ κἀγαϑοί, die eingepfercht zwischen die schranken der σωφροσύνη den sichern weg ziehen, den die meilenzeiger des νόμος weisen. aber sie sind was sie sind und leisten was sie leisten nur im gewaltsamen bruche dieser schranken; und das büſsen sie, am schwersten im eignen innern. sie sind eben doch auch keine götter, denen allein das leben leicht ist. Aristoteles hatte ja einen solchen heros gesehen, und er nennt Platon auch in dieser reihe: seit wir die enttäuschung erlebt haben, die uns sein bild bereitet hat, verstehn wir, daſs er μελαγχολᾷ. wenn Herakles in die reihe der heroen des geistes und der sittlichen kraft eingeführt ist, so ist das in unserm sinne keine degradation, die gewalt der alten sagengestalt macht sich auch darin noch fühlbar. aber das ideal des höchsten menschentumes war doch ein anderes geworden; die Hellenen hatten gelernt, wo die grenzen der menschheit stehen, und daſs der ruhm, ein woltäter der menschheit121)Als εύεργὲτης βροτῶν hat Aristoteles wie Euripides den Herakles gefaſst, in dem er natürlich eine geschichtliche person sah. als solchem sollen ihm die säulen des westens geweiht sein, Aelian. V. H. V 2 (Rose fgm. 678 zieht zu wenig aus und verdirbt den sinn). die heroen als verehrer der ἀρετή feiert Aristoteles in seinem threnos auf Hermeias, und zwar stellt er Herakles und die Dioskuren zuerst, zu werden, nur mit dem eignen herzblut erkauft werden kann.
Aus derselben wurzel, welche den μελαγχολικὸς Ἡρακλῆς getrieben hat, ist schlieſslich das gerade gegenteil auch erwachsen, der Herakles, der als vertreter der φιληδονία eingeführt werden konnte121a)Z. b. Megakleides bei Athen. XII 513.. die breite masse mochte es nicht wort haben, daſs Herakles es auf erden so schlecht gehabt hatte; aber die himmlische belohnung am tische der götter war ihnen auch zu unsicher. für sie ist die εὐδαιμονία ein irdisches gut, ist sie irdischer genuſs. den konnten sie ihm auch bereiten. Athena und Hermes hatten ihn ja geliebt; Aphrodite und Dionysos waren ihm auch nicht feindlich. schenkten ihm jene die köstlichsten waffen und hielten sie ihm treue kameradschaft in allen fährlichkeiten, so vergaſsen sie sein auch nicht, wenn er müde war und ruhe und trost bedurfte. so kühlte ihm Athena die heiſse stirn, und lieſs ihm die warmen quellen allerorten entspringen, den schweiſs abzuspülen: das schwesterlichste verhältnis mit der erhabensten himmlischen jungfrau ward schon in archaischer zeit auf das anmutigste ausgestaltet. aber neben diesem reinen bilde sehen wir auch Dionysos den vollen becher reichen und all seine muntern gefährten stellen sich ein. und gefällige nymphen und schöne königstöchter fehlten nirgend; selbst die frevler, die Herakles erschlagen muſste, pflegten hübsche töchter zu haben. er aber kommt ungeladen zu feste, weilt nicht lange und zahlt nicht gold: im sturm erringt er den minnesold. so ward er zuerst ein idealbild des dorischen ritters, ‘sein halbes leben stürmt’ er fort, ver - dehnt’ die hälft’ in ruh’. und im verlaufe der zeiten ward er ein geselle des dionysischen thiasos, ein schutzherr der epheben und der athleten, der fahrenden leute und der landsknechte: und das ideal, das diese leute haben, die ungemessene körperliche leistungsfähigkeit des ‘starken mannes’, der doch geistig zugleich in ihre sphäre gehört, ist im wesentlichen, wenn auch einige züge aus dem andern bilde sich einmischen und die ein - geborne erhabenheit nie ganz verloren geht, der Herakles, den die helle - nistische und zumal die römische zeit als lebendige potenz des volks - glaubens besessen hat. es genügt dafür die tatsache, daſs kaiser Commodus der νέος Ἡρακλῆς sein wollte. diese gestalt ist, wie natürlich, der modernen welt zunächst überliefert worden: so pflegt sich der gebildete von heute den Hercules vorzustellen; er ahnt ja nicht, daſs die sage mehr ist als ein gefälliges und lascives spiel. oder aber er entsetzt sich über die heiden und die verworfenheit ihrer heiligen. das schwatzt er dann unbewuſst den christlichen apologeten nach, die mit recht den121)den ἀλεξίκακος und die σωτῆρες, natürlich, weil sie den himmel sich erworben haben, schon ganz wie Horaz.333Die Heraklesreligion seit der archaischen zeit.Herakles bekämpften, der zu ihrer zeit in der phantasie der völker lebte. aber so jemand in diesem verzerrten bilde die hellenische religion selbst zu treffen meint, so versündigt er sich an dem heiligen.
Ein gott oder ein halbgott war Herakles immer noch geblieben, auch in solcher verkümmerung; aber heilig zu sein hatte er eigentlich aufgehört, als die träger seiner religion ihren geschichtlich schaffenden beruf erfüllt hatten und einer neueren und höheren, der attischen cultur, erlagen. denn das Athen der groſsen zeit empfand sehr deutlich, daſs ihm Herakles ein fremder, daſs er ein Dorer war, und nicht nur die sagen geschichtlichen inhalts, in denen er wirklich nichts mehr war, sondern auch die von universaler bedeutung wurden in den hintergrund geschoben: trugen sie doch auch längst einen entschieden dorischen charakter. gewiſs ward die prächtige sagenfülle auch jetzt noch gern gehört; es werden wol noch mehr versuche gemacht sein als von dem einzig bekannten Panyassis, die fehlende Heraklee zu dichten, und die prosaische darstellung der heldensage, die jetzt das epos ablöste, hat gerade in diesem sagenkreise besondern erfolg gehabt. so wucherte die bildende kunst auch mit dem reichen schatz von Heraklesgeschichten, den ihr die archaische zeit bereits geformt überliefert hatte: allein das geschah nur durch das beharrungsvermögen und durch die lebenskraft der alten motive. die groſse kunst des 5. jahrhunderts hat für Herakles kaum etwas groſses getan. entscheidend aber ist, daſs die tragödie ihn verschmäht hat. das ist eine eben so merkwürdige wie augenfällige tat - sache. es kommt ja vor, daſs Herakles einmal in einer episode auftritt, wie im Prometheus des Aischylos. es kann auch nicht ausbleiben, daſs auf seine taten hier oder da hingewiesen wird. aber um seiner selbst willen war der heros, dem Pindaros wieder und wieder huldigt, gleichzeitig in Athen offenbar nicht darzustellen, wenigstens nicht ernsthaft. Aischylos hat, so viel bekannt122)Wir kennen von so wenigen satyrdramen des Aischylos den inhalt, und die namen sind zum teil so wenig bezeichnend, daſs sich darunter sehr wol eine Heraklesgeschichte verbergen kann., auch nicht einmal ein satyrspiel aus seinem kreise verfaſst. um so eifriger und erfolgreicher haben Ion und Achaios, Sophokles und Euripides den dorischen helden als burleske figur verwertet, und die Alkestis zeigt, daſs selbst in ernstester handlung diese charakteristik bei - behalten ward123)Da Euripides dem Phrynichos in vielem folgt, darf man die burleske auf - fassung des Herakles ohne schwanken schon jenem zutrauen, vgl. oben s. 92.. auch die komödie hielt sich an den unerschöpflichen stoff; ihr war schon die epicharmische posse vorhergegangen, die selbst334Der Herakles der sage.die hochzeit mit Hehe travestirt hatte124)Da Epicharm die Musen zu fischweibern gemacht hat, so kann man des ärgsten gewärtig sein. die bruchstücke geben nur die witzlosesten kataloge von den schätzen der Siculae dapes. sonst gehören sicher noch Ἡρακλῆς ἐπὶ τὸν ζωστῆρα und Ἡ. πὰρ Φόλῳ, Βούσεις und wahrscheinlich Ἁλκυονεύς (so O. Jahn für Ἁλκυόνι, das zweimal überliefert ist) in die Heraklessage.. man muſs diese tatsachen in ihrem gewichte schätzen, damit man die kühnheit würdige, welche darin lag, daſs Euripides als greis Herakles selbst zum gegenstande einer tragödie machte, welche die tiefe seines wesens mit unter die voraussetzungen aufnahm, aber jeden schatten des burlesken dorischen wesens ausschloſs. ihm ist schleunigst Sophokles mit den Trachinierinnen gefolgt und hat ein anderes hauptstück der sage dramatisirt: beide freilich schon episch umgebildete geschichten übernehmend. andere versuche sind gemacht worden; aber ohne dauernden erfolg.
Sophokles lieſs den Herakles selbst in seiner conventionellen archaischen stilisirung und rückte deshalb eine andere person in den mittelpunkt seines dramas. Euripides versuchte an der sage selbst fortzudichten, aber in einem sinne, welcher sie eigentlich aufhob. das folgende capitel wird zeigen, in welchem sinne er die gebrechlichkeit und die kraft der menschen - natur in Herakles zugleich verkörpert hat, wie er zugleich die sage ver - klärt und zerstört hat. es war das nur dadurch möglich, daſs er zu der Heraklesreligion kein verhältnis hatte, nicht bloſs als Athener, sondern auch als sophist, daſs er aber als dichter die poesie zu würdigen wuſste, wie es nur je ein Dorer getan hatte. so machte er ein experiment damit, ein schöneres als andere zeitgenossen, aber doch gleicher art. nicht viel später hat Herodoros, ein Herakleote, also aus einer stadt, die wie wenige den heros hoch hielt, den ersten pragmatischen roman von Herakles geschrieben: hier erhielt er eine bildungsgeschichte, ward ein portrait von ihm ge - zeichnet, ward er ein heerkönig und politiker. wenn so die Dorer sich ihre heldengeschichte retten wollten, so zeigt das nur, daſs der geist ver - flogen war. da verfuhren die sophisten würdiger und weit mehr im sinne der alten dichtung, welche Herakles als einen typus für ihre moralischen sätze ausnutzten. dazu gibt es selbst bei Pindar schon ansätze125)Ihm ist offenbar der zweifel aufgestiegen, wo denn Her. ein recht auf die rinder des Geryones hergehabt haben könnte. so hat er denn einmal ausgesprochen, daſs er Geryones für eben so löblich als Herakles hielte; er wolle nur von dem nicht reden, was Zeus nicht wolgefällig wäre (es ist das berufene fgm. 81 welches noch immer mit einem von Boeckh in daktyloepitriten umgeschriebenen satze be - haftet ist, den Aristides selbst als erläuterung bezeichnet, und den für poesie zu halten G. Hermann mit recht als einen mangel an poetischem gefühl gebrandmarkt. wenn335Die Heraklesreligion seit der archaischen zeit.Prodikos von Keos den Herakles am scheidewege zwischen Ἀρετή und Ἡδονή selbst erfunden hat, d. h. selbst das alte motiv, das in Sophokles Κρίσις reiner als in den Kyprien dargestellt war, von Paris auf Herakles übertragen, so hat er sich als einen würdigen sohn der insel des Simo - nides erwiesen: er oder genauer der verkünder seiner lehre, Xenophon, hat es jedenfalls bewirkt, daſs dieses eine stück den hellenischen wie unsern knaben den echten sinn des Herakles, wenn auch etwas farblos und derb moralisirend, vor augen führte126)Auf einer herme im Vatican steht Ἡλικίην παῖς εἰμίη βρέτας δ᾽ ἐστή - αττο Φῆλιξ Ἡρακλέους εἰκῶη οἶσϑά με κἀκ Προδίκου (Kaibel 831 a). die abhängig - keit des Prodikos von dem Parisurteil ist schon von dem philosophen erkannt, den Athenaeus im anfange von buch XII ausschreibt. es ist ein späterer peripatetiker, der wol besonders von Theophrast περἰ ἡδονῆς abhängt.. viel wirksamer und in ihrer art ein prachtstück ward die umprägung des Herakles zum heros des kynismus durch Antisthenes. es kommt dafür weniger auf den inhalt seines Herakles an als auf das bild, welches seitdem die Kyniker immer weiter ausbilden und auf allen gassen zur schau stellen. zwei der kyni - schen cardinaltugenden, αὐτάρκεια und φιλανϑρωπία, besaſs Herakles von der ältesten zeit her; streifte man ihm den epischen und dorischen schmuck ab, so kam er nur um so reiner selbst zum vorschein. aber daſs er πονηρότατος war, daſs es ihm menschlich zu reden schlecht gieng, er von πόνος zu πόνος schritt, Eurystheus und Hera ihn verfolgten, das nahm der Kyniker gern mit auf, und wenn die Athener über dorische ἀμουσία gescholten und gelacht hatten, so war dem Kyniker der nur lieber, den so viel τῡφος nicht berührte. gelernt muſste er freilich haben,125)hat). Pindar ist dann aber weiter gegangen und hat aus dem Geryonesexempel den berühmten satz gezogen νόμος ὁ πάντων βασιλεύς, ϑνητῶν τε καὶ ἀϑανάτων, ἄγει δικαιῶν τὸ βιαιότατον ὑπερτάτᾳ χειρί (169). er hat nur sagen wollen, daſs ὅτι νομί - ζεται δίκαιόν ἐστιν, daſs Herakles und die götter die ihm halfen den raub der rinder für νόμιμον hielten, und er nicht anders urteilen dürfte: aber damit sagte er im grunde dasselbe, was Eur. Hek. 799 zu der lästerlichen consequenz treibt, daſs die götter auch nur νόμῳ verehrt werden, und was der brave Xenophon, Mem. IV 4, 20, aus frömmigkeit verdirbt. offenbar hatte Pindar, was ihm manchmal (auch mit den pytha - goreischen lehren Ol. 2) begegnet, eine neue lehre übernommen, ohne sich ihre für seine weltanschauung vernichtenden consequenzen klar zu machen. leider kann man weder sagen, wann er die Geryonesgedichte gemacht hat, noch für wen. das erste, bescheidnere, war ein dithyrambus. Peisandros von Rhodos soll Herakles δικαιό - τατος φονεύς genannt haben: das klingt stark an Pindar an, beruht aber auf dem bedenklichen zeugen Olympiodor zu Alkibiades I: also ist vorsicht geboten. es klingt auch an das noch ungelöste rätsel der Kleobulina an, das in den dorischen διαλέξεις erhalten ist ἄνδρ᾽ εἶδον κλέπτοντα καὶ ἐξαπατῶντα βιαίως, καὶ τὸ βίᾳ δρᾱσαι τοῦτο δικαιότατον.336Der Herakles der sage.denn so weit war Antisthenes Sokratiker, daſs er die ἀρετή in der φρόνησις sah und für lehrbar erklärte: aber sie war nicht schwer, und wol dem, der nicht erst die ganze last der torheit und der vorurteile zu verlernen hatte. so war Herakles auch hier wieder der rechte mann, der vollkommene mensch. aber er hatte seinen lohn in diesem leben; ge - nauer genommen, eine belohnung gab es nicht und brauchte er auch nicht. er war mensch, πονηρός und εὐδαίμων zugleich, er mochte menschlich fehlen, auch schlieſslich krank werden und aussätzig: dann baute er sich einen scheiterhaufen und warf das wertlose leben weg127)Kurz und scharf findet man diesen kynischen Herakles bei Dion in der achten rede: man muſs sich nur hüten, bei diesem schriftsteller zu groſse stücke auf eins der alten bücher des 4. jahrhunderts zurückführen zu wollen. wie sollte er den Antisthenes anders behandelt haben als Platon und Xenophon, wo die ver - gleichung gestattet ist? der sophist Prometheus (33) dürfte freilich von ihm stammen. und auch der besondere hohn, der die goldenen äpfel trifft, die auch hier am ende des lebens stehen, paſst für einen, dem ihre besondere bedeutung noch geläufig sein konnte: Her. nimmt sie nicht selbst, er kann ja gold so wenig wie die Hesperiden essen. als er dann alt und schwach wird, baut er sich auf dem hofe den scheiterhaufen. hier ist die kritik der byzantinischen und modernen herausgeber possirlich. weil sie wissen, wo die sage den selbstmord ansetzt, machen sie aus dem hofe den Oeta (Οἴτῃ für αὐλῇ 34), wo man kynisch weiter fragen muſs, wozu die bergbesteigung, das konnte er doch wahrhaftig zu hause haben. von den Heraklestragödien der Kyniker ist adespot. 305 merkwürdig, von Cassius Dio (47, 49) als τὸ Ἡράκλειον angeführt, der vers, den Brutus wiederholte, als er sich bei Philippi den tod gab ὦ τλῆμον ἀρετή, λόγος ἄρ᾽ ἧσϑ᾽, ἐγὼ δέ σε ὡς ἔργον ἤσκουν, σὺ δ᾽ ἄρ᾽ ἐδούλευσας τύχῃ. so redet also eben der Herakles, der sich am scheidewege für die ἀρετή entschieden hatte: der dichter setzt Prodikos, oder vielmehr Xenophon voraus, und das δουλεύειν τύχῃ nimmt er aus der letzten rede des euripideischen Herakles (1357). dieser Herakles war also nicht mehr der rechte Kyniker, sonst würde er die τύχη verachten — auch das antisthenische ideal war gewogen und zu leicht befunden. alles führt darauf, Diogenes oder Pseudodiogenes als verfasser anzuerkennen.. so vermochte der Kyniker die ganze Heraklesgeschichte seiner lehre dienstbar zu machen. diese lehre stand mit ihrer schätzung von diesseits und jenseits, menschenwürde und menschenpflicht zu der Heraklesreligion in fast polarem gegensatze: aber die typische bedeutung für das sittliche verhalten des mannes hat die gestalt des Herakles in ihr bewahrt, und so ist sie, wenn man alles recht erwägt, am letzten ende auch eine manifestation der volks - tümlichen religion: deren stärke und schwäche darin liegt, daſs sie in die alten schläuche immer neuen wein aufnehmen kann.
Als heros der Kyniker, als streiter für die civilisation, als allsieger in den kämpfen der faust und der keule, aber nur zu leicht dem weine und der liebe erliegend hat Herakles durch die jahrhunderte fortgelebt,337Deutungen der sage seit dem altertum.während zu dem gotte die menschen in leid und freud sich hielten, denen er als solcher von den vätern her vertraut war, unbekümmert um das was die philosophen in ihm suchten oder die dichter von ihm fabelten: da war er eben gott; das genügte der frömmigkeit, die glücklicherweise trotz jeder theologie bestehen bleibt.
Die theologen oder, wenn man das lieber hört, die mythologenDeutungen der sage seit dem altertum. versuchten sich auch seit den Stoikern, den erben der Kyniker, an dieser wie an jeder gestalt des volksglaubens und bemühten sich die fülle der erscheinungen mit einer formel zu erklären. da ward Herakles der ϑεῖος λόγος oder das feuer oder die sonne. man sieht, das ganz moderne ist in wahrheit alles schon da gewesen. interessanter ist vielleicht der versuch des gnostikers Iustin den kynischen Herakles als einen gewaltigen diener des Ἐλωείμ (des gnostischen ‘vaters’), den gröſsten vor Jesus, in die neue religion aufzunehmen128)Hippol. Refut. V 26. Elohim hat mit Eden (der Erde) in seltsamer weise den menschen gezeugt, sich aber dann in den himmel an die seite des ‘Guten gottes’ erhoben; ihm folgen seine 12 söhne; ihr gehören auch 12, mit und durch welche sie auf erden regiert. vergebens schickt Elohim den engel Baruch, u. a. zu Moses und den Propheten. da erweckt sich Elohim aus der Vorhaut einen groſsen propheten, Herakles, der besiegt die 12 Erdensöhne (die μητρικοὶ ἄγγελοι): das sind die 12 kämpfe. und er würde die welt erlöst haben, wenn nicht Ὀμφάλη = Βαβέλ = Ἀφροδίτη, die sinneslust, ihn bezwungen hätte. so bedurfte das erlösungswerk der vollendung, die es fand, als der engel Baruch den 12 jährigen zimmermannssohn Jesus von Nazaret aufgesucht und ihm die wahrheit verkündet hatte. der lieſs sich nicht verlocken, deshalb schlug ihn der höchste der μητρικοὶ ἄγγελοι Naas ans kreuz. da starb er, d. h. er lieſs den irdischen toten leib mit den worten ‘weib, da hast du deinen sohn (Joh. 19, 26)’ zurück und schwang sich empor zum ‘guten gotte’. Justin hat in seinem buche die meisten hellenischen sagen in ähnlicher weise umgedeutet.. darin liegt viel mehr wahrheit als in den physischen oder metaphysischen formeln: da ist doch wenigstens das göttliche als sittliche potenz gedacht. Kleanthes Chrysippos und ihre modernen adepten gehen von der voraussetzung aus, daſs die sagen eine hülle sind, unter welcher alte weisheit sehr einfache dinge verborgen hat. und der ungläubige gelehrte findet einen schlüssel, ein zauberkräftiges wort, da öffnet sich das verschlossene dem verständnis, der schleier vom bilde von Sais fällt ab, und man sieht zu seiner befriedigung, daſs eigent - lich nichts rechtes dahinter war. aber sehr scharfsinnig ist, wer dahinter kommt. mit dieser betrachtungsweise und ihrer selbstgefälligen erhaben - heit kann nicht concurriren, wer sich dabei bescheidet, daſs er die em - pfindung, welche vergangene geschlechter in dichterischem bilde nieder - gelegt haben, in sich selbst zu erzeugen versucht, indem er sich möglichst aller concreten factoren des lebens und glaubens bemächtigt, welche einstv. Wilamowitz I. 22338Der Herakles der sage.jene empfindung erzeugten, auf daſs er sie nachempfinden könne, wer also nicht klüger als die sage und der glaube sein will. das gilt ihrem gehalte. ihrer form aber sucht er sich zu bemächtigen, indem er sie als gedicht auffaſst, was sie ja ist. deshalb eröffnen nicht die antiken oder modernen theo - oder mythologen das verständnis der naturreligion, sondern die groſsen dichter alter und auch neuer zeit. ihre gedanken und die gestalten und geschichten die sie schaffen sind den gedanken der natur - religion und den gestalten und geschichten der sage brüderlich verwandt. der Faust hilft zum verständnis des Herakles mehr als Kleanthes und Iamblichos, Creuzer und Max Müller.
Erst spät ist das verständnis des Herakles wiedergefunden. die moderne entwickelung muſste den weg von der antike, welche man zuerst wiederfand, der kaiserzeit, erst allmählich zu dem echten altertum empor - steigen. noch die groſsen männer, die das wirkliche Hellenentum er - weckten, haben Herakles nicht begriffen.
Winckelmann in dem hymnus auf den Torso feiert Herakles etwa so wie es ein hymnologe, also z. b. Matris von Theben, zu der zeit getan haben mag, in welcher Apollonios jenes von Winckelmann in einer jetzt unbegreiflichen weise überschätzte und misverstandene werk für das Pom - peiustheater verfertigte129)Es befremdet zunächst, wird dem nachdenkenden aber ganz begreiflich, daſs die gebrüder Goncourt im torso das höchste der antiken sculptur sehen und zu - gleich auf cet imbécile Winckelmann schelten. ihnen ist das echthellenische verhaſst, und so sein prophet; sie haben aber ganz recht, Winckelmann zu bekämpfen, wenn er seine vorstellungen vom echthellenischen in ein werk hineinträgt, das vielmehr einer cultur angehört, die den Goncourt sympathisch sein muſs, weil sie längst vom hellenischen entartet ist.. Zoega arbeitete wie ein trefflicher mythograph, besser noch als der echte Apollodor, aber man mag ihn doch vergleichen. Wieland schlug die bahnen des Prodikos wieder ein und wirkte mit seinem flach moralischen, aber dennoch auch jetzt noch genieſsbaren werke stärker auf den jungen Faustdichter, als dieser eingestand. Goethen war Herakles der genialische kraftmensch und natursohn130)Belustigend ist, daſs Goethe sich Herakles als koloſs denkt und Wieland verhöhnt, der in ihm ‘einen stattlichen mann mittlerer gröſse’ erwartet hat. beide anschauungen sind im altertum auch mit einander in streit gewesen. aber Pindaros, der ihn doch zu schätzen wuſste, hat Her. ὀνοτὸς μὲν ἰδέσϑαι und μορφὰν βραχύς im gegensatze zu den riesen Orion und Antaios genannt (Isthm. 3, 68). vier ellen (sechs fuſs) oder vier und eine halbe (Herodor im schol. Pind., welches wirklich der ausschreiber Tzetzes zu Lyk. 662 verbessert), etwas gröſser als ein gewöhnlicher mensch (Plutarch bei Gell. I 1), pflegt er geschätzt zu werden. anders muſs natür - lich die bildende kunst vorgehen. die tradition Pindars will offenbar den dorischen: da waren339Deutungen der sage seit dem altertum.züge vereinigt, die dem Kynismus angehörten, mit solchen, die etwa die bukolische poesie an dem naiven helden hervorgehoben hatte. Schillers Ideal und Leben gipfelt in dem gegensatze des auf erden gedrückten und im himmel verklärten Herakles. er beabsichtigte auch als gegenstück zu seiner ‘elegie’ eine ‘idylle’ zu dichten, deren inhalt die hochzeit des Herakles mit der Hebe bilden sollte. die forderungen, welche er in der abhandlung über naive und sentimentalische dichtung für die idylle auf - stellt, sind in wahrheit gar nicht allgemein gemeint, sondern geben den gedanken, welchen er in seinem gedichte in die mythologische form kleiden wollte. “der begriff dieser idylle ist der begriff eines völlig aufgelösten kampfes sowol in dem einzelnen menschen als in der gesellschaft .... einer zur höchsten sittlichen würde hinaufgeläuterten natur, kurz er ist kein anderer als das ideal der schönheit auf das wirkliche leben an - gewendet”. diesen gehalt also legte der philosophische dichter in das was ihm nur eine bequeme form war. sein gutes recht übte er damit; aber mit grund ist das gedicht unausgeführt geblieben: der gegensatz zwischen form und gehalt war zu groſs. und dem ernsten echten Hellenen - tum kann dies ideal der schönheit nur ein sentimentalisches phantasma sein. das hieſs mit dem mythos spielen wie Diotimos oder, wenn man lieber will, ihn philosophisch verflüchtigen wie Kleanthes.
In feierlichen, von tief religiösem und tief wissenschaftlichem sinne getragenen worten hat erst Philipp Buttmann 1810 zur feier des ge - burtstages Friedrichs des groſsen ausgeführt, daſs “das leben des Herakles ein schöner und uralter mythos ist, darstellend das ideal menschlicher vollkommenheit geweihet dem heile der menschheit”. damit war das wesentliche gegeben: der keim war bloſsgelegt, aus welchem der alte stamm der sage erwachsen ist, der in dem dodekathlos wenigstens, auf den auch Buttmann mit entschiedenheit hinwies, die eingeborne art rein erhalten hat. was nicht zu seinem rechte kam, war das nationale, das dorische, obwol Buttmann selbst sehr gut wuſste, daſs jeder alte mythos, auch wenn er universell gedacht ist, zunächst eine nationale bedeutung130)mann und menschen im gegensatz zu den wüsten leibern der γηγενεῖς wie zu den eleganten Ioniern erfassen. weiter wird auch Herodoros nichts gewollt haben. aber die peripatetiker Hieronymos und Dikaiarchos (Clemens protr. 2 p. 26 extr. ) treiben phy - siognomonische speculationen, wenn sie auch an die tradition ansetzen. aus Clemens schöpft Arnobius IV 25, wo nur der name Hieronymus noch erhalten ist: es heiſst das abhängigkeitsverhältnis verkennen, wenn man bei Arnobius ein besonderes Hiero - nymosbruchstück findet. ob aber Arnobius unmittelbar darauf Plutarch (für die kynische motivirung des todes, anm. 126) aus eigner kenntnis in die Clemensexcerpte einfügt, oder ob Clemens unvollständig erhalten ist, verdient ernste erwägung.22*340Der Herakles der sage.empfängt. diese notwendige ergänzung hat 1824 O. Müller in den Doriern geliefert. sein verdienst ist es, für die geschichtlichen sagen das auge geöffnet zu haben. es entgieng ihm auch nicht, daſs der grundgedanke der Heraklessage “ein stolzes bewuſstsein der dem menschen inne - wohnenden eigenen kraft ist, durch die er sich, nicht durch vergunst eines milden huldreichen geschickes, sondern gerade durch mühen drang - sale und kämpfe selbst den göttern gleich zu stellen mag”. aber er hat das nicht als etwas für die Heraklessage specifisches betrachtet; wie er denn überhaupt bei Buttmann nicht genug gelernt hat.
Die moderne mythologie wähnt über diese halbvergessenen vorgänger weit hinaus zu sein, und zumal Buttmann hat keine starke wirkung aus - geübt. in wahrheit kann neben ihm und Müller kein dritter genannt werden, wenn man fragt, wer das wesen des Herakles erschlossen hat. was hier dargelegt ist, ist im grunde nicht mehr als der versuch, den beiden bedeutenden männern gleichmäſsig gerecht zu werden. diese er - kenntnis ist aber erst gewonnen als ergebnis der selbstkritik: denn erfassen muſs jeder das, was er wirklich versteht, aus dem objecte selbst, und das verständnis eines religiösen gedankens wird ihm keiner wirklich vermitteln, für den diese religion im grunde doch nur ein object der forschung ist. das kann nur einer, der selbst den lebendigen glauben hat und ausspricht: und so mag hier der subjective dank dem groſsen Pindaros gezollt werden. am ersten nemeischen gedichte habe ich den Herakles verstanden. und wer meine worte liest, der möge selbst von dem propheten sich sein herz erschlieſsen lassen; der moderne gelehrte kann ihm nur den weg weisen. so hoher und tiefer dinge verständnis will nicht erlernt sondern erlebt werden.
Wann Euripides seinen Herakles auf die bühne gebracht hat, in ver -Auffüh - rungszeit. bindung mit welchen anderen stücken, gegen welche concurrenten, mit welchem erfolge, das alles und noch einige tatsächliche angaben über die erste aufführung, die geringere bedeutung für die würdigung des vorliegenden dramas haben, war seiner zeit urkundlich aufgezeichnet worden, und der antike leser fand es seit Aristophanes von Byzanz in seiner Euripidesausgabe vor dem texte des dramas angegeben. auch wir würden diese unschätzbaren notizen überliefert erhalten haben, wenn nicht die stumpfheit von zeiten, die mit solchen tatsachen nichts anzu - fangen wuſsten, und in diesem falle noch besondere schreiberfaulheit die vorbemerkungen dieser art ihrer wertvollsten bestandteile beraubt hätten1)Vgl. oben 145 und bd. II 4.. der verlust ist unersetzlich; immerhin läſst sich die entstehungszeit der tragödie zwar nicht auf’s jahr feststellen, aber doch innerhalb ziemlich enger schranken der möglichkeit.
Zeit der entstehung und zeit der aufführung, das ist zweierlei; aber praktisch wird es nicht nur von den modernen philologen gleichgesetzt, sondern hat niemals unterschieden werden können. auch für Aristo - phanes von Byzanz und schon für Dikaiarchos gab es kein mittel, sich über das werden und wachsen des kunstwerks in der werkstatt des dichters zu unterrichten. sie datirten deshalb nach dem tage der geburt: wir würden am liebsten nach dem tage der conception datiren, aber wir müssen nun einmal darauf verzichten, von den werken der groſsen griechischen dichter eine entstehungsgeschichte zu schreiben. ohne zweifel entgeht uns so überaus viel des feinsten und persönlichsten; allein die bedeutung, welche die entstehungsgeschichte für eine anzahl unserer clas - sischen dramen hat, darf auf die attischen tragödien nicht übertragen342Der Herakles des Euripides.werden. denn wenn diese so mühsam in wiederholten ansätzen zu stande gekommen wären wie Carlos und Egmont, so würden sie auch ähnliche incongruenzen der handlung oder der stiles zeigen. es fehlt auch im altertum nicht an solchen problemen; sie sind sogar recht zahlreich: nur finden sie sich nicht in der poesie. die werke des Herodotos und Thu - kydides, die beiden umfänglichsten des Platon, die meisten des Xenophon, mehrere des Demosthenes liegen uns und lagen dem altertum immer in einem zustande vor, welcher trotz dem mangel jeder verläſslichen sonstigen überlieferung probleme der entstehungsgeschichte aufzuwerfen zwingt, die nicht minder wichtig und nicht minder endlos sind als im Homer und im Faust. und in den Wolken des Aristophanes würden wir auch den versuch eines dramatikers, ein mislungenes werk umzuarbeiten, selbst dann erkennen, wenn wir keine überlieferung hätten; den alten kritikern war die aufgabe leicht gemacht, da sie beide fassungen besaſsen. im übrigen pflegen wir widersprüche und stilistische fehler, wo wir sie zu bemerken glauben, nicht den dichtern zuzuschreiben, sondern späterer entstellung; im allgemeinen gewiſs mit recht. daſs Sophokles und Euri - pides hie und da eine flüchtigkeit begehen muſsten, aber kaum je durch absetzen und wiederaufnehmen einer dichtung disharmonieen hinein - tragen konnten, ist durch ihre ungemeine fruchtbarkeit bedingt. dürfen wir doch rechnen, daſs sie auf der höhe ihrer kraft vier stücke im jahre fertig stellten. das schlieſst nicht aus, daſs der zeugungskräftige gedanke, der aus einem sagenstoffe eine tragödie macht, längst im bewuſstsein des dichters vorhanden war, ehe dieser an die ausarbeitung schritt. aber dies verschlägt wenig, wenn nur das werk selbst aus einem gusse ist2)Es steht fest, daſs Lessing den stoff der Emilia schon als jüngling in angriff genommen hat; Goethe hat die Wahlverwandtschaften mehr als ein menschenalter früher concipirt, als sie geschrieben sind: das sind für die beurteilung der dichter sehr wertvolle tatsachen, aber für die gedichte haben sie geringe bedeutung, denn diese sind in sich vollkommen einheitlich.. und wenn das werk fertig war, so fand sich, wenigstens als die dichter zu ansehn gelangt waren, sofort die vorher dem dichter wolbekannte gelegen - heit zur aufführung, auf die er demnach in ruhe jede rücksicht nehmen konnte, die ihm beliebte. wie die veröffentlichung des buches von statten gieng, wissen wir nicht; aber lange kann sie nicht hinausgeschoben sein, eben auch wegen der schnelligkeit und des reichtums der production. daſs der dichter für das buch änderungen gegenüber dem aufgeführten texte vorgenommen hätte, ist eine möglichkeit, die man zugeben mag, aber auſser rechnung lassen muſs3)Die antiken erklärer haben öfter, z. b. zu den Fröschen des Aristophanes,. handeln wir somit nicht unbedacht,343Aufführungszeit.wenn wir abfassung und aufführung praktisch gleichsetzen, so wächst dadurch nur der wert der didaskalischen angaben, und wo sie fehlen, kann der versuch gemacht werden, sie einigermaſsen zu ersetzen: was wir von indicien den verschiedenen partieen des dramas entnehmen, darf auf eine und dieselbe zeit bezogen werden.
Für den Herakles ist weitaus das wichtigste eine subjective äuſserung des dichters, eine der wenigen ganz persönlichen stimmungsäuſserungen, und schon als solche unschätzbar. der dichter läſst seinen chor, un - mittelbar nachdem er das alter verflucht und den wunsch nach einem doppelten leben als lohn für die tugend ausgesprochen hat, geloben, den Musen treu zu bleiben, welche auch dem alter treu bleiben4)Vgl. den commentar zu der dritten gesangnummer.. kein fühlender leser kann verkennen, daſs das aus eigenster seele gesprochen ist. also alt war oder besser alt fühlte sich Euripides, aber in seiner poesie nicht gealtert. nun kann man das freilich nicht auf’s jahr aus - rechnen, wann ein mann sich alt fühlt, noch wann er es äuſsern mag, aber nach antiker anschauung kann man das γῆρας vor dem sechzigsten jahre unmöglich beginnen lassen. wir mögen also zunächst uns bescheiden, zumal die geburt des Euripides kaum auf ein jahrzehnt sicher festgestellt werden kann, daſs er den Herakles nicht vor 424 gedichtet haben kann. das nächste würde dann wol sein, zu fragen, ob die resignirte und doch schaffenskräftige stimmung, durch die vergleichung mit anderen werken genauere datirung ermöglicht. allein das wird erst kenntlich, wenn der gehalt des dramas erfaſst ist. und die moderne meinung hat vor solchen schlüssen aus dem geiste des werkes auf seine entstchungszeit eine starke scheu: versuchen wir also zunächst die anderen betreteneren pfade.
Die nächste hoffnung, durch zeitgenössische anspielungen einen ter - minus ante quem zu gewinnen, versagt: denn der spott der komödie hat diese tragödie verschont. Euripides selbst hat in der parodos seines Orestes eine scene des Herakles nachgebildet5)Vgl. II 237 ff.; aber damit, daſs dieser vor 408 gedichtet ist, lernen wir nichts von belang. wichtig an sich ist, daſs die Trachinierinnen des Sophokles nicht nur deutliche anklänge an den Herakles enthalten6)Vgl. zu v. 181, 1309, 1353, 1373 und F. Schroeder de iteratis apud tragicos Graecos 112. besonders bezeichnend S. Tr. 416 aus E. Hik. 569: Sophokles hat arglos ein wort beibehalten, als er eine nebenfigur nach dem muster einer euripi - deischen stilisirte, welche mit den neuen künsten der rhetorischen charakteristik, sondern geradezu durch ihn angeregt sind. 3)mit der hypothese einer solchen umarbeitung gerechnet. allein es sind das ersicht - lich nur hypothesen, und sie schweben ganz und gar in der luft. vgl. oben s. 42.344Der Herakles des Euripides.aber urkundlich ist auch dieses drama nicht datirt, und wenn auch for - male kriterien und ein par andere anklänge an sich wahrscheinlich machen, daſs es etwa im vorletzten jahrzehnt des 5. jahrhunderts verfaſst ist, so ist das doch nicht mehr als eine bestätigung dessen, was sich auch sonst für das euripideische drama ausmachen läſst, während für das sophokleische gerade das verhältnis zu Euripides die wichtigste zeitliche relation ergibt.
Nicht viel festeren boden gewinnen wir durch die anspielungen auf geschichtliche ereignisse, welche man im Herakles gefunden hat. in der annahme solcher beziehungen ist häufig jedes maſs überschritten worden; jetzt ist man ihnen gegenüber nicht selten zu zaghaft. es sollte doch über den methodischen grundsatz kein zweifel sein, daſs es zwar unerlaubt ist, irgendwelche anspielung auf auſsen liegendes anzunehmen, wo der poetische zweck allein ausreicht, daſs dagegen das verständnis auſserhalb des dramas gesucht werden muſs, wenn es in ihm nicht gefunden werden kann. sodann aber ist eine notwendige distinction zu machen. es ist zweierlei, ob der dichter mit bewuſster absicht und um vom publicum verstanden zu werden, auf etwas hindeutet, das mit seinem stoffe nichts zu tun hat, wie Shakespeare im Sommernachtstraum auf die jungfräuliche Königin, oder Euripides am schlusse seiner Elektra auf die flotte in den sicilischen gewässern, oder aber, ob der dichter unbewuſst unter dem druck der ihn umgebenden gegenwärtigen verhältnisse dinge erwähnt oder gedanken ausspricht, zu denen der gegenstand selbst ihn nicht hin - leitete. dies sind eigentlich nur besonders starke beispiele des die ganze lebendige poesie beherrschenden anachronismus; z. b. die litterarischen beziehungen gehören dahin, die zwischen Sophokles Antigone und Herodot, Fausts erstem monologe und Herder bestehen. es leuchtet ein, daſs die beiden kategorien für die würdigung des dichters stark verschieden sind; für die chronologische ausbeutung aber kann man sie zusammen behandeln.
Ein beleg für die erste classe, also eine bewuſste und für das ver - ständnis des publicums berechnete abschweifung vom stoffe ist im Herakles der streit zwischen Lykos und Amphitryon über den wert des bogen - schützen, ψόγος und ἔπαινος τοξότου, wie die handschrift am rande bemerkt. der stoff führte allerdings auf diese streitfrage hin. denn die überlieferte figur des bogenschützen Herakles stritt nicht nur mit den ehrbegriffen der dorischen adlichen und der gesellschaft, für welche sie den ton angaben7)Vgl. oben 290, II s. 86, 92. die ehrbegriffe der archaischen zeit sprechen: die freiheitskriege waren dem volke als der sieg des6)sorgfältig und bedeutsam ausgearbeitet war. nur in dem sinne darf man von nach - ahmung reden.345Aufführungszeit.hellenischen speeres über die asiatischen pfeile erschienen8)Diese anschauungen stehen in unmittelbarem zusammenhange mit den eben bezeichneten epischen. zeugnisse der groſsen zeit z. b. Aisch. Pers. 85, Herodot V 97, pseudosimonideische epigramme 105, 106 Bgk. später besonders schön Aristoteles im epigramm auf Hermeias., und in Athen war durch den zufälligen umstand, daſs die mit der fernwaffe ausge - rüsteten polizeimannschaften meistens staatssclaven nordischer herkunft waren, die verächtliche gleichsetzung des τοξότης mit dem Σκύϑης ent - standen9)Die schrift vom staate der Athener (nicht lange vor 424 verfaſst) gibt die unzulänglichkeit der attischen hoplitenmacht zu, aber die schützen berücksichtigt sie nicht. übrigens gab es auch ein bürgerliches schützencorps; es spielt nur gar keine irgend erhebliche rolle.. somit konnte Euripides allerdings durch seinen stoff darauf geführt werden, Herakles wider die herabsetzung des schützen verteidigen zu lassen, und leicht mochte ihn seine neigung für sophistischen rede - kampf dazu verlocken, dieses thema breiter zu behandeln als für die poesie zuträglich war. aber er hat viel mehr getan. er läſst den ver - treter der guten sache geradezu aussprechen daſs der schütze den zweck des krieges, vernichtung des gegners mit möglichst geringem eigenem ver - luste, besser erreicht als der hoplit, zumal dieser lediglich durch die schuld seines nebenmannes im gliede zu grunde geht, wenn sich nämlich die schlachtreihe löst. das fällt gänzlich aus dem rahmen der tragödie heraus; es findet aber in der geschichte des archidamischen krieges sein lebens - vollstes gegenbild. Athen hat seine schwerste niederlage, bei Delion, eben dadurch erlitten, daſs die hoplitenphalanx geworfen ward, und ihr rückzug durch keine leichte infanterie gedeckt war. den schönsten er - folg aber hatte leichte infanterie bei Sphakteria über die stolzen spar - tiatischen hopliten erfochten. man hat auch mit recht aus der kriegs - geschichte geschlossen, daſs der tüchtigste feldherr der zeit, Demosthenes von Aphidna, sich die ausbildung und verwendung leichter infanterie be - sonders hat angelegen sein lassen, ein vorläufer des Iphikrates, dessen peltasten später die lakedaimonische mora überwunden haben. diese ver - änderte wertschätzung der schützen spricht auch aus der euripideischen debatte, welche nur durch sie verständlich wird. dies wesentlichste ist damit erreicht: für die verletzung unseres künstlerischen empfindens werden wir dadurch entschädigt, daſs wir sehen, wie der dichter aus dem7)am eindringlichsten die gedichte des Tyrtaios aus, die sich aber von denen des ionischen epos nicht weit entfernen. τοξότα λωβητήρ wird Alexandros gescholten (Λ 386). für die attische vorstellung ist besonders Soph. Aias 1120 bezeichnend, nicht lange vor Eurip. Her. gedichtet.346Der Herakles des Euripides.vollen leben schöpft, und die stimmungen und strebungen seines volkes aufnimmt und dem volke gestaltet zurückgibt. was vor zeitlos absoluter kritik nicht besteht, gewinnt für die geschichtliche betrachtung einen be - sonderen wert, und wir hören auf, den dichter zu schelten, wenn wir uns vorstellen, wie laut der beifall der anhänger des Demosthenes ge - klungen haben wird; hätten sie nur auch die majorität in der volksver - sammlung gehabt. aber ein festes chronologisches indicium gewinnen wir damit noch nicht; nur so viel mögen wir sagen, daſs seit der alles interesse auf sich ziehenden sicilischen expedition, und gar während des folgenden seekrieges kein raum mehr für diese debatten war, während die nächsten jahre nach Sphakteria und Delion die angemessensten scheinen. aber selbst so bleibt der spielraum 423 — 416. und selbst dieses nur, weil das lied vom alter verbietet, höher hinaufzugehen. an sich dürfte man wol für minder wahrscheinlich, aber nicht für unmöglich erklären, daſs Euripides die theoretischen gegensätze auf der bühne früher behandelt hätte, als die kriegerischen ereignisse sie praktisch hervortreten lieſsen.
Eine andere zeitbestimmung hat man darin finden wollen, daſs der chor v. 687 den paean erwähnt, welchen die Δηλιάδες dem Apollon singen. derselben tut auch der chor der Hekabe erwähnung, 453; die troischen gefangenen erwarten σὶν Δηλιάσιν κούραις die heiligen er - innerungen der insel verherrlichen zu sollen: es waren also zu diesem dienste auſser den delischen mädchen auch hierodulen herbeigezogen, welche im Herakles in der bezeichnung Δηλιάδες ἀμφίπολοι mit ein - begriffen sind10)Das wort ἀμφίπολοι entstammt im texte des Herakles einer conjectur, welche dem überlieferten Δηλιάδες das unentbehrliche substantiv liefert, aber ohne kenntnis der tatsächlichen delischen verhältnisse gemacht ist. und für die spätere zeit der delischen freiheit wird auch niemand glauben, daſs die delischen mädchen sclavinnen mit in ihren chor aufgenommen hätten, obwol die ganze bürgerschaft dort in wahrheit nur eine sippe schmarotzender küster war. aber für seine zeit bezeugt Euripides in der Hekabe die beteiligung von hierodulen, und das ist auch begreiflich; man denke an die von Pindar und Simonides verherrlichten korinthischen dienerinnen Aphrodites. zur zeit der vertreibung der Delier vollends müssen ja die Athener für die Δηλιάδες einen ersatz geschaffen haben. die Hekabe bezeugt auch, daſs sclavinnen an der herstellung des peplos für die Athena Polias mitwirkten: im 2. jahrhundert v. Chr. ist das ein vorrecht nicht nur freier sondern vornehmer, viel - leicht gar eupatridischer Athenerinnen. Köhler, Mitteil. Ath. VIII 57.. nun hat man hierin einen hinweis auf die stiftung des prächtigen vierjährigen festes der Delien gesehen, welche die Athener im frühjahr 425 vornahmen (Thuk. III 104). aber eine directe beziehung würde nur vorliegen, wenn Euripides attische chöre in Delos oder auch347Aufführungszeit.nur das fest überhaupt nennte. er redet aber nur von den liedern und tänzen der Deliaden. diese sind natürlich zu allen zeiten vorhanden ge - dacht, eben deshalb auch zu Herakles zeit. die beziehungen Athens zur delischen religion11)Vgl. Töpffer Herm. 23, 321. sind uralt und waren dem Euripides sogar durch den cult seiner familie vertraut12)Vgl. oben s. 5. ein städtisches Delion mit Töpffer anzunehmen hindert mich die dort vorgetragene auffassung unserer berichte.. das heilige schiff segelte nach Delos zur zeit, als die Françoisvase entstand, zur zeit, wo Sokrates starb und Delos den Athenern gerade entfremdet war, zur zeit des Philochoros, wo es gleichfalls frei war: die Deliaden haben gerade im zweiten jahrhundert v. Chr., zur blütezeit des freien Delos, ehrengeschenke von vornehmen besuchern für ihren tanz erhalten; sie hatten offenbar diesen mehr als Apollon zu ehren getanzt13)So erhalten sie z. b. einen goldenen kranz als belohnung für ihren tanz von L. Scipio (Dittenberger syll. 367, 90) und von Ptolemaios Epiphanes (ebenda 139) u. s. w. V. v. Schöffer (De Deli rebus 139) hat mit sachlich verkehrter deutung die κοῡραι Δηλιάδες mit den chören der knaben (παῖδες) identificirt, welche an den Apollonien in einem öffentlichen agon auftraten, für welchen Delier die choregie leisteten. das sind chöre wie die attischen knabenchöre an Panathenaeen Thargelien Dionysien u. s. w. jungfrauenchöre in agonen kennt ionische sitte nicht; das be - deutet ja auch παῖς nicht. die Δηλιάδες der zeit des Semos von Delos tanzen nicht anders als die zur zeit des Euripides und des Homer. ihnen entsprechen die von auswärts nach Delos gesandten mädchenchöre, für welche der sage nach Eumelos (denn wer wird so etwas ernst nehmen), in geschichtlicher zeit Pindaros und Bakchy - lides lieder gedichtet haben: in einem solchen chore kam auch Kydippe. Schöffers im übrigen ganz vorzügliche arbeit verliert durch solchen vereinzelten misgriff natür - lich nichts von ihrem werte.. man muſs die frage also so fassen: Euri - pides erwähnt die Deliaden, die es immer gegeben hatte und gab, in zwei dramen, die wir aus anderen gründen ziemlich in dieselbe zeit rücken, in welcher Athen die Delien stiftete: somit mag als wahrschein - lich gelten, daſs er den delischen cult deshalb herbeizog, weil Athen gerade auf ihn besonderen wert legte; aber eine zeitbestimmung für die dramen ergibt das nicht14)Wir würden vielleicht mehr sagen können, wenn wir die Δηλιάδες des Kratinos kennten. denn diese enthielten die schilderung einer πομπή, in welcher γέροντες ϑαλλοφόροι vorkamen und der Eteobutade Lykurgos: das führt darauf, sie nach stiftung der Delien gedichtet zu denken, wo dann für Kratinos nur das jahr 424, und zwar die Dionysien, frei bleiben. aber nach Schöffers ausführungen (40) wird man nicht leugnen können, daſs attische theorieen schon vor 425 nach Delos giengen, und so ist das drama des Kratinos nicht sicherer aus diesem punkte zu bestimmen als der Herakles.. die Delien sind mit pracht gefeiert, so lange Euri -348Der Herakles des Euripides.pides lebte, und sollte nicht die bedeutung der delischen religion, welche von 476 — 54 in der form des delischen bundes zum ausdruck kommt, lebhaft empfunden sein, noch ehe sie die stiftung der Delien hervorrief? die politische bedeutung dieser stiftung war freilich gröſser, als die meisten jetzt erkennen15)Auch Schöffer, der den Athenern sonst gerechtigkeit widerfahren läſst, hat das nicht betont, daſs die stiftung eines panionischen festes, für den gott, welchem Athena die schirmherrschaft des Reiches abgenommen hatte, eben zu der zeit, wo das psephisma des Thudippos die Panathenaeen tendenziös als reichsfest ausgestaltete, und gleichzeitig die tribute im gegensatze zur schatzung des Aristeides durch einseitigen legislativen act des attischen volkes angesetzt wurden, ein zuge - ständnis an die stimmung der gesandten ionischer bündner ist, und es ist auch für die parteiverhältnisse Athens bezeichnend, daſs Nikias der erste theore der Delien ist, während Kleon die herrschaft Athens als τυραννίς predigt, gegen Aristophanes Babylonier vorgeht und die erhöhung der tribute durchsetzt. derselbe krieg, welcher die erhöhung der finanziellen und militärischen leistungen erzwang, und demgemäſs die reichseinheit stärkte, schärfte den stammesgegensatz gegen die Peloponnesier: und auf daſs der Milesier und Hellespontier und Nesiote sich als Ionier mit dem Athener verbunden fühle, wie einst zu Aristeides zeit, sind die Delien gestiftet. diese mehr föderative, bündnerfreundliche politik ist nur schwächer hervorgetreten als die ziel - bewuſste der unitarier. und ihren vertreter Nikias hat sein ungeschick oder unglück auch hier nicht verlassen. die Delier selbst waren misvergnügt, und so kam es zu einer der zwangsmaſsregeln, die dem Reiche mehr geschadet haben als die gerichts - hoheit, die kleruchien und die tribute., aber nur wenn auf sie eine hindeutung vorhanden wäre, würden wir danach den Herakles datiren dürfen.
Kann so aus den zeitgeschichtlichen anspielungen nicht eben viel entnommen werden, so lehren vielleicht die formalen kriterien mehr, verskunst und sprache. es ist für die vernachlässigung der tragiker be - zeichnend, daſs eben die zeit, welche sich sonst damit brüstet, litterar - geschichtliche fragen durch die mechanischen operationen der statistik zu lösen, für das drama keine gesichtspunkte aufgefunden hat, die ihr nicht G. Hermann gezeigt hätte. das wichtigste ist in der tat das alt - bekannte. eine anzahl von dramen des Euripides weisen sich durch einen gemeinsamen altertümlicheren und strengeren stil als verwandt aus; es sind Alkestis Medeia Hippolytos Andromache Herakleiden. sie fallen alle teils nach urkundlichen angaben, teils nach sicheren geschicht - lichen anspielungen vor 42516)Von der Andromache hat das richtig schon Aristophanes von Byzanz er - schlossen, schol. 445. die entgegengesetzten ausführungen von Bergk sind nur dafür lehrreich, wie dieser ebenso wunderbar gelehrte wie scharfsinnige mann scharfsinn und gelehrsamkeit dazu zu gebrauchen pflegt, die zeugnisse erst zu zerstören, damit er sie für seine eignen einfälle benutzen könne.. von ihnen sondert sich eine zweite349Aufführungszeit. äuſsere form.gruppe, welche das entgegengesetzte extrem vertreten, Helene, beide Iphigeneien, Phoenissen, Orestes, Bakchen, zu welchen von verlornen, aber genügend kenntlichen Andromeda Antiope Hypsipyle Bakchen treten: für sie alle mit ausnahme der taurischen Iphigeneia ist die entstehung im letzten jahrzehnt des dichters urkundlich bezeugt. dazwischen liegen zeitlich und stilistisch Hiketiden und Erechtheus 42117)Die wolüberlegten ausführungen von G. Lugge (Programm von Münster 1887) kommen zu einem ergebnis, welches zu complicirt ist, um richtig sein zu können. in dem momente, wo es sich um den abschluſs des friedens, den ersatz des Kleon als führer des demos und um die gegenüber Argos inne zu haltende politik handelte, sind alle äuſserungen des Euripides verständlich. daſs die Athener sogleich in allen stücken getan haben sollten, wozu der dichter riet, ist nicht zu verlangen. für Argos interessirte man sich schon 424, Ar. Ritt. 464., Alexandros und Troerinnen 415, Elektra 413, urkundlich oder durch geschichtliche an - spielungen datirt. in diese mittelgruppe gehört der Herakles und gehören auſserdem Hekabe und lon, doch so daſs Hekabe ihrer form nach in den meisten dingen sich den älteren dramen anschlieſst, wie sie denn auch Aristophanes vielleicht schon 423 parodirt18)Wolk. 718 nach Hek. 162; der vers scheint den 423 aufgeführten Wolken anzugehören., während Ion, für den nur die untere zeitgrenze 412 gesetzt werden kann19)Vgl. Herm. 18, 242., formal zu den späten dramen steht. zwischen beide gehört der Herakles.
Nur in einer so starken spielraum lassenden gruppirung wird ein vorsichtiger stilistische kriterien verwenden mögen; wer freilich den blick nur auf eine einzige erscheinung heftet, wird es leicht haben, bestimmter zu schlieſsen. gemeiniglich legt man ausschlieſslich wert auf den unter - schied, der jedem zuerst in die augen fällt, die häufigkeit der auflösungen im iambischen trimeter. das ist in der tat ein sehr wichtiges moment, wenn man nur die nötige umsicht übt20)Mechanisches zählen beweist gar nichts. wenn z. b. eine hauptperson Hippolytos heiſst, so ist der dichter gezwungen dreisylbige füſse zu brauchen; manch - mal will er auch malen wie Her. 935., und es weist den Herakles etwa zwischen Hekabe und Hiketiden. nicht minder wichtig wird eine bisher kaum beachtete erscheinung21)Es kann hier nur angeführt werden, was für den speciellen fall von wert ist; die wichtigkeit der sache wird erst klar werden, wenn die summe der er - scheinungen vorgelegt und in ihrem zusammenhange erläutert ist., die nur in chorliedern hervortreten kann, die verkürzung des langvocalischen oder diphthongischen auslautes vor folgendem vocale, welche eigentlich nur in daktylischen oder doch daktylisch scheinenden füſsen zulässig ist. während Sophokles sich darin350Der Herakles des Euripides.sehr starke freiheiten erlaubt, arbeitet Euripides mit zunehmendem alter immer strenger, so daſs die dramen seines letzten jahrzehntes fast gar keine solche hiate mehr zeigen. der Herakles steht zu diesen; er ver - kürzt nur ein schlieſsendes αι, den diphthong, welcher sich dazu am leichtesten herbeiläſst, in κλίνεται 1030, und auſserdem καί 1017, zwar in einem anapäst, der für dochmius eintritt; aber καί hat in allen jahr - hunderten freiere behandlung gestattet. wollte man hiernach allein gehen, so würde der Herakles unter Troerinnen und Elektra herabgerückt werden müssen. aber es sind der verse, welche für solche hiate überhaupt die möglichkeit gewährten, sehr viel weniger als in jenen dramen, so daſs sich von dieser seite nichts gegen einen etwas höheren ansatz sagen läſst, zumal dieselben ursachen auch bei den Hiketiden den entsprechenden erfolg gehabt haben.
Sehr stark ins gewicht fällt die anwendung des trochäischen tetra - meters in einer ganzen scene, allerdings einer solchen von höchster leidenschaft mit entsprechender steigerung auch des sprachlichen aus - drucks. die trochäen waren ein lebhaftes tanzmaſs und beherrschten des - halb, wie Aristoteles bezeugt, die älteste tragödie, wie wir sie auch in der epicharmischen posse und der aristophanischen komödie viel verwandt finden. wir lesen noch in den Persern des Aischylos eine trochäische scene; aber der ruhige dialog drängte das tanzmaſs zurück, und so ver - wendet es Aischylos später nur am schlusse des Agamemnon in einer weise, wie sonst die anapäste, und ebenso verfährt Sophokles im schlusse des königs Oedipus. sonst fehlen die trochäen bis auf die scene des Herakles und eine ganz entsprechend lebhafte in den Troerinnen (444 — 61). dann aber greift die tragödie nach immer stärkeren mitteln. Euripides, der den ton angibt, nimmt neben den künsten des neuen dithyrambus auch die der ältesten mehr musikalischen tragödie wieder auf. so lesen wir trochäische scenen oder scenenteile in Ion Helene beiden Iphigenien Phoe - nissen Orestes Bakchen Andromeda Archelaos, wozu noch Meleagros und Oidipus kommen, welche aus anderen gründen für etwa gleichzeitig mit dem Herakles gelten dürfen22)Nur scheinbar streiten mit der regel die bruchstücke 30 und 808, die den älteren dramen Aiolos und Phoinix angehören: ἀλλ᾽ ὁμῶς | οἰκτρός τις αἰὼν πατρίδος ἐκλιπεῑν ὅρους und τἀφανῆ | τεκμηρίοισιν εἰκότως ἁλίσκεται. das satyrspiel Auto - lykos zeigt auch tetrameter: das beweist nichts, da wir den stil und die zeit der satyrspiele nicht kennen. — die deutschen können und wollen sich nur sehr schwer daran gewöhnen, daſs ihre s. g. nachbildungen antiker maſse einen ganz verschie - denen charakter von den griechischen tragen; sie recitiren griechische trochaeen nach dem muster ‘nächtlich am Busento lispeln’ oder ‘preisend mit viel schönen. Sophokles hat sich etwas mehr zurück -351Äuſsere form.gehalten; aber seine beiden letzten dramen, Philoktet und Oidipus Kol. haben doch auch ein par trochäen. an Euripides setzt dann wie in allem so auch in der rein dialogischen verwendung der trochäen die spätere komödie an.
Von den lyrischen maſsen ist das dochmische in der tragödie zwar nicht entstanden, aber so viel und gern angewandt, daſs seine entwickelung wertvolle chronologische anhaltspunkte bietet. während nämlich die ältere tragödie auſser den legitimen ersatzformen des dochmius neben diesem bakcheen und iamben verwendet, gehen Euripides und Sophokles schon in den zwanziger jahren dazu fort, eine reihe anderer glieder hineinzumischen, welche sich zum teil auf daktyloepitriten zurückführen lassen, aber daneben äuſserst charakteristische dem volksliede entstammende formen zeigen, unter denen neben dem Reizianum23)Vgl. II s. 235. der enoplios24)Vgl. II s. 70. hervorragt. es läſst sich sehr wahrscheinlich machen, daſs wirklich alle diese zusätze volkstüm - lichen ursprung haben, und die dichter auf die quelle zurückgegangen sind, aus welcher sowol die vervollkommner der daktyloepitriten (die Chal - kidier) wie die erfinder der keinesweges volkstümlichen dochmien ge - schöpft hatten. da diese spielart der dochmien einen besonderen namen erhalten muſs, so mögen sie hiermit enoplische dochmien getauft sein. die beimischung enoplischer glieder fällt gemeiniglich zusammen mit dem aufgeben der responsion, doch nicht immer; sie war schon vorher in dochmischen liedern keineswegs notwendig. ferner aber tritt eine sehr starke, oft vorwiegende beteiligung der schauspieler an dem musikalischen vortrage ein, und zwar geht die lebhaftigkeit der action so weit, daſs nicht nur die rhythmischen perioden, sondern sogar die einzelne rhyth - mische reihe sehr oft durch personenwechsel zerrissen wird, was Euri - pides wenigstens im trimeter noch lange (und so im Herakles) vermeidet. das sind zwei an sich verschiedene dinge, die aber deshalb beide in denselben liedern zuerst auftreten, weil die dochmien zu der lebhaften action, welcher sowol die polymetrie wie die zerreiſsung der verse dient, am geeignetsten schienen. beides geht dann weiter; auch andere maſse werden so zerrissen, wovon namentlich die späten sophokleischen stücke Elektra Philoktet Oidipus auf Kolonos belege bieten, und es bildet sich eine wahrhaft potpourriartige vermischung aller möglicher versarten,22)reden’. solcher torheiten muſs man sich entschlagen: die namen τροχαῖος und χορεῖος reden vernehmlich, und Aristoteles (rhet. III 8) geht so weit zu sagen ὁ τροχαῖος κορδακικώτερος· δηλοῖ δὲ τὰ τετράμετρα.352Der Herakles des Euripides.der gegenüber die enoplischen dochmien noch streng scheinen können. so überschaut man eine entwickelung, welche man natürlich mit der - selben weiteren spielraum lassenden vorsicht beurteilen muſs, welche aber wenigstens über die zugehörigkeit eines dramas zu der oder jener gruppe keinen zweifel läſst. daſs die neue musik, der dithyrambus, den tragikern vorbild gewesen sei, ist eine unabweisbare schluſsfolgerung. der Herakles hat nun die enoplischen dochmien in sehr breiter ausdehnung angewandt: die drei letzten gesangnummern gehören ihnen ganz an. auſserdem finden sie sich in Andromache (825 — 65), Troerinnen (241 — 91) Ion (762 — 99. 1445 — 1509) Helene (625 — 97), Iphig. Taur. (827 — 99) Phoenissen (103 — 92) Orestes (173 — 203. 1246 — 1309. 1353 — 65) Bakchen (1017 — 23. 1153 — 99)25)Die Hekabe hat eine ganz ähnliche scene (683 — 720), aber kein enoplisches glied, so viel die verderbnis erkennen läſst. in den Herakleiden hat der bearbeiter die vermutlich vergleichbare stelle getilgt. die Hiketiden enthalten wirklich keine solchen dochmien: da hat der dichter in den wechselgesängen das iambische maſs fast ausschlieſslich durchgeführt. die Elektra hat er bewuſst im anschluſs an die ältere tragödie streng stilisirt: auch das zeigt den concurrenten. so ist der groſse dochmische wechselgesang nach dem muttermorde so einfach wie die dochmien des Aischylos und in Soph. Antigone; das kleine lied 585 — 95 hat jedoch ein dakty - lisches glied ἁμετέραν τις ἄγει 590, wenn man der überlieferung glauben schenkt. vertreter der alten weise sind somit auſser Aischylos Soph. Antig. Oid. Tyr., Eur. Alk. Med. Hipp. ; denn das klagelied des totwunden Hippolytos hat nichts von enoplischen zusätzen und geht wenig über die lieder der Io im Prometheus hinaus.. in den beiden letzten und jüngsten stücken respondieren die dochmien meistens; dasselbe geschieht bei Sophokles in Aias (373 — 76 = 387 — 91, 879 — 914 = 925 — 60) und Elektra (848 — 70. 1411 — 13 = 1433 bis 35); Trach. 879 — 95 folgt der weise des euripideischen Herakles. seine beiden letzten dramen, wie zum teil schon die Elektra und von Euripides die jüngsten, Phoenissen Orestes Iphig. Aul. Bakchen, zeigen dann die aus allen möglichen gemischten lieder. man würde hiernach geneigt sein, den Herakles zu den Troades etwa herabzuziehen, und vor 424 könnte man ihn gar nicht anzusetzen wagen.
Die entwickelung der sprache des Euripides ist noch viel zu wenig genau untersucht, um aus ihr für die vorliegende frage ein moment zu gewinnen. ganz bestimmt sondern sich auch sprachlich nur die dramen des letzten jahrzehntes ab, in welchen Euripides einerseits einer menge wörter der umgangssprache zutritt gewährt, so zu der komödie über - leitend, andererseits altertümliche wörter und formen von den alten dichtern aufnimmt, und wie die dithyrambiker in den chorliedern durch seltsame kühnheiten, wortschwall und selbst bloſse wiederholungen musi -353Äuſsere form.kalische stimmung erzeugen will, während wirklich originelle wendungen spärlich werden. davon sondert sich der Herakles scharf ab. der sprache nach möchte man ihn, trotz einer anzahl barocker wendungen, den älteren dramen anreihen.
Das scheint sich zu widersprechen; aber alle einzelnen erscheinungen erklären sich, sobald man nur anerkennt, daſs der dichter sich mit diesem drama besonders viel mühe gegeben hat, und sobald man sich über die gründe der sprachlichen und metrischen veränderungen klar wird. es ist doch nicht lüderlichkeit oder greisenhaftigkeit, was die kunst der beiden groſsen tragiker so stark verändert hat. im gegenteil, ihr rast - loser fleiſs und ihre bewundernswerte empfänglichkeit hat sie nicht bei der alten manier beharren lassen. die belebung des trimeters durch die zulassung dreisylbiger füſse, die entfesselung der rhythmischen kunst, die ausgedehnte verwendung der schauspieler als sänger waren oder schienen doch verbesserungen. deshalb treten sie im Herakles auf, viel - leicht etwas früher als sonst. dagegen die mangelhafte originalität und die buntscheckigkeit der sprache und auch der versmaſse stellt sich nicht mit absicht des dichters ein, sondern ist lediglich eine folge der über - hasteten production und des strebens nach effecten auf anderen gebieten, welche der dichter, dem sie schwerlich entgehen konnte, nicht gesucht, aber sich erlauben zu dürfen geglaubt hat. deshalb wird ein mit beson - derer liebe gepflegtes werk in diesen dingen einen altertümlicheren ein - druck machen, während es vielleicht durch die starke verwendung der neuen kunstmittel moderner scheint als es ist. wir müssen doch so wie so uns immer vorhalten, daſs die tragiker sich notgedrungen verschiedene farben auf der palette halten muſsten, da sie mit vier dramen zugleich hervortraten, die unmöglich alle übereins aussehen durften. so hat denn Euripides z. b. den Ion und die Elektra ziemlich in denselben jahren gedichtet, und spuren davon enthalten sie beide, aber der gesammteindruck ist doch ein sehr verschiedener; Ion zeigt die modernsten, Elektra archaische, besser archaistische züge. wer sich aber die stoffe und die tendenzen des dichters überlegt, wird in der verschiedenen stilisierung berechtigte ab - sicht nicht verkennen.
Die besondere liebe des dichters und zugleich die besonderheit des stoffes hat auch das bewirkt, daſs die prüfung und vergleichung der drama - tischen technik zwar die vortrefflichkeit des Herakles vor anderen dramen ins licht stellt, aber nichts neues über ihre zeitfolge lehrt. daſs Iris und Lyssa auf einem ‘die luft’ bedeutenden balkon in der höhe erscheinen, setzt freilich eine einrichtung der bühne voraus, die den älteren dramenv. Wilamowitz I. 23354Der Herakles des Euripides.unbekannt ist, gibt also denselben terminus post quem wie alle andern indicien26)Vgl. II s. 53. 201. auf demselben niveau wie die menschen bewegen sich die götter bei Aischylos und in allen prologen, wo sie ja noch allein sind; der Tod der Alkestis geht in das haus, welches Apollon verlassen hat. von der flugmaschine auf die bühne getragen werden sicher Athena in den Eumeniden, Thetis in der Andromache (λευκὴν αἰϑέρα πορϑμευόμενος Φϑίας πεδίων έπιβαίνει 1229). auf der flugmaschine zieht Medeia ab; hat es auch Bellerophontes getan. das s. g. ϑεολογεῖον, d. h. erscheinen in der luft, ist bezeichnet auſser dem Her. in Elektra Ion Orestes, vorauszusetzen ist es ohne bezeichnung in Hiketiden Helene Iphig. Taur. Bakchen. schwierigkeiten kann die Athena des Aias und die Artemis des Hippo - lytos machen, nicht weil die modernen sie auf das ϑεολογεῖον setzen, denn dazu ist gar kein anhalt (im Aias würde es sogar lächerlich sein, da Aias dann aus seinem zelte herauskommen und doch mit dem gesicht auf dieses hingewandt reden müſste), die schwierigkeit liegt darin, daſs Odysseus (15) und Hippolytos (1393) die himm - lischen zunächst nicht sehen, ja es steht nirgend, daſs sie ihrer ansichtig werden, ausdrücklich. aber Aias steht Athena ganz nahe und sieht sie (χαῖρ̕ Ἀϑάνα, ὡς εὖ παρέστης 91), und niemand kann glauben, daſs Theseus nur eine stimme hört. es ist also anzunehmen, daſs die göttinnen zwar unter den schauspielern sich be - wegen, die dichter aber den eindruck des übersinnlichen dadurch wenigstens zur einführung erstreben, daſs die sterblichen nicht gleich die körperliche gegenwart der. sonst mag noch angeführt werden, daſs der bote zum chore oder besser zum publicum kommt und nach seiner rede geht, ohne daſs etwas getan ist, diese einführung der conventionellen bühnenfigur zu motiviren. darin liegt eine gewisse erstarrung der kunst, das ist manier, wie Euripides sie im alter in sehr vielen stücken zeigt. aber genaueres ergibt sich weder hieraus noch aus dem allerdings bemerkenswerten um - stande, daſs vor und nach dem botenberichte gesangstücke stehen, was sonst nur in Phoenissen und Bakchen der fall ist. es ist hier durch die ganz besondere erregung des chores motivirt, der zur rede keine fassung hat; wie ja auch die einführung der göttererscheinung mitten im stücke singulär ist. ist so das musikalische element um der besonderen wirkung willen hier in einer ausdehnung angewandt, die sonst erst später vor - kommt, so ist andererseits in den chorliedern der inhaltliche zusammen - hang mit dem drama der allernächste, und stehen sie überhaupt an gehalt in der euripideischen chorlyrik so hoch, daſs sie mit den erzeugnissen des letzten jahrzehnts stark contrastiren, wo z. b. Helene Elektra Phoe - nissen die Iphigeneien lieder enthalten, die ebenso gut in einem andern drama stehen könnten. aber die Andromache steht darin wenig besser. oberflächlichem blicke scheint der Herakles in der mitte zu zerreiſsen und eine doppelte handlung zu enthalten: das scheint ihn dann mit Hip - polytos Hekabe Herakleiden Andromache zusammenzurücken. aber Ale -355Äuſsere form. gestaltung des stoffes.xandros und Antiope waren ähnlich gebaut27)In beiden trat zwar ein nebenchor auf: aber ein solcher kann die einführung eines neuen motives nicht markiren, da er ja den anderen chor nicht ablöst.. die gestaltung der cha - raktere läſst sich mit anderen dramen nicht vergleichen28)Das ist sonst sehr wol möglich. z. b. sind die Troerinnen erst recht ver - ständlich, wenn man weiſs, daſs Andromache und Hekabe voraus liegen, letztere wieder setzt Sophokles Polyxene voraus; die Iokaste in Euripides Oidipus und dann in den Phoenissen ist mit hinblick auf die des Sophokles gestaltet, von den Atreiden - fabeln zu schweigen.; Herakles war überhaupt in der tragödie noch nicht ernsthaft genommen worden, und die anderen figuren sind nur in relation zu ihm gestaltet. und auch die darstellung einer wol öfter ähnlich eingeführten situation, wie die bedrohung der auf einen altar geflüchteten familie des Herakles, oder die behandlung des sittlichen problems der freundestreue läſst sich wenigstens fruchtbar nicht mit anderen dramen vergleichen29)Man überlege z. b. wie das motiv des jungfrauenopfers in Herakleiden Hekabe Erechtheus Iphigeneia Aul. immer mehr ausgearbeitet ist; daneben episodisch auf den Menoikeus der Phoenissen übertragen.. was Euripides im Herakles gibt, ist aus sich verständlich, ist eben so eigenartig wie treff - lich: es ist der ganze Euripides darin, aber nicht der jüngling oder der greis.
Aber diese eigene art des dramas müssen wir zu erfassen suchen, ganz abgesehen von den chronologischen schlüssen, die sich etwa daraus ergeben könnten. denn wir möchten ja die zeit wissen lediglich um das drama und den dichter besser zu verstehen: das datum eines werkes zu ermitteln ist für die forschung wahrlich nicht selbstzweck. vielleicht aber wird sich am schlusse dieser betrachtung doch noch eine folgerung auch für die abfassungszeit ziehen lassen.
Das vorige capitel hat gezeigt, wie gering die bedeutung des kinder -Gestaltung des stoffes. mordes in der Heraklessage ist, und daſs er sogar in offenen widerspruch zu dem sinne dieser sage tritt, sobald er in den vordergrund gerückt wird. gerade dieser widerspruch hat Euripides gereizt; ihn wollte er offenkundig machen und in seiner weise lösen. dafür war vorbedingung, daſs die tatsache dem volke ganz allgemein als eine unbestrittene fest - stand: Herakles hat im wahnsinne seine kinder getötet. und da das volk eine solche geschichte sich nicht als naktes factum erzählt, sondern26)götter bemerken, wozu für Hippolytos besonderer anlaſs war (86). die dichter haben eben schon die empfindung, es müsse für göttererscheinungen ein conventionelles scenisches mittel der darstellung erfunden werden: dem bedürfnis hilft das ϑεολογεῖον ab. die abfassungszeit von Hippolytos Aias Andromache bestätigt sich so in sehr erfreulicher weise.23*356Der Herakles des Euripides.mit mehr oder weniger lebensvollem detail, so müssen wir als allgemein bekannt mindestens auch noch mitrechnen, daſs die kinder von Megara, der tochter des Kreon, stammten, daſs die tat in Theben geschah, und daſs Herakles um ihretwillen seine vaterstadt verlassen hat. es hat sich oben aber auch schon gezeigt, daſs die geschichte sowol in den Kyprien stand wie in einem gedichte des Stesichoros, und das homerische gedicht war allgemein, Stesichoros auch sehr weiten kreisen bekannt, insbesondere aber hat Euripides nachweislich aus beiden vielfach anregungen empfangen. wenn er also diesen gegenstand behandeln wollte, so fand er hier den λόγος in der geltenden form, an die er ansetzen muſste. in den Kyprien konnte nun schwerlich dieses beispiel der geschichte viel ausführlicher erzählt sein als etwa in der Ilias die geschichte vom Thrakter Lykurgos oder der gefangenschaft des Ares bei Otos. ob es bei Stesichoros breiter behandelt war, entzieht sich jeder vermutung, kann aber deshalb auch nicht vorausgesetzt werden. daſs die thebanische localsage von Euripides nicht berücksichtigt ist, zeigt die vergleichung mit Pindar. es ist natür - lich nicht nur von vornherein ein methodischer fehler, vor dem es übrigens schwer ist sich zu hüten, wollte man dem Euripides nur die kenntnis von den behandlungen der sage zutrauen, deren existenz uns bekannt ist: es ist nicht nur möglich, daſs ihm sehr viel ausgiebigere andere zu gebote gestanden haben können, ja es läſst sich noch zeigen, daſs er einzelne züge übernommen hat, deren herkunft wir nicht kennen, und die doch, wenn unsere gewährsmänner zuverlässig sind, in den nam - haft gemachten dichtungen gefehlt haben. bei Euripides bewirkt Athena durch einen steinwurf, daſs Herakles, schon im begriffe Amphitryon zu töten, inne hält und in schlaf sinkt. es ist das zwar sehr wirkungsvoll, zumal für das seinen wahnsinn begleitende chorlied; allein die einwirkung Athenas hat nicht nur für die ganze sonstige ökonomie des dramas keine bedeutung, wird dem Herakles sogar nicht einmal bekannt, sondern sie wird durch einen das wunder bezweifelnden ausdruck des boten herab - gesetzt (v. 1002): das alles ist unbegreiflich, wenn der dichter diesen zug erfunden haben sollte. der erfinder wird die rettende einwirkung der göttin in einen wirksamen gegensatz zu der verderblichen der Hera ge - stellt haben. ja noch mehr: die rettende reinigende tat ist bei Euripides das werk des Atheners Theseus, nicht mehr der Athena. in seiner art liegt es die menschliche motivirung an die stelle des göttlichen wunders zu setzen: dann hat er aber wahrlich dieses wunder nicht selbst erfunden, sondern nur als ein überliefertes nebenstück äuſserlich festgehalten. nun würde ein solcher abschluſs für das epos zumal ganz vortrefflich passen,357Gestaltung des stoffes.man meint zunächst, daſs in seinem stile eine ähnliche erfindung sich eigentlich von selbst aufdrängen müſste30)Z. b. καὶ νύ κε καὶ πατέρ̕ αὐτὸν ἀπέκτανεν Ἀμφιτρύωνα, εἰ μὴ ἄρ̕ ὀξὺ νόησεν Ἀϑηναίη πολυβούλη, οὐρανόϑεν δὲ κατῆλϑε καὶ ἔλλαβε χειρὶ παχείῃ ὀκριόεντα λίϑον· τῷ δεξιτερὸν βάλε μαζὸν Ἀμφιτρυωνιάδαο· ὃ δ̕ ὕπτιος ἐξετανύσϑη αὐλῆς ἐν κόπρῳ, στρεφεδίνηϑεν δέ οἱ ὄσσε, καὶ μανίης δεινός μιν άτασϑάλου ὕπνος ἔπαυσε. . aber Pausanias behauptet, der von Athena geschleuderte stein wäre bei den litterarischen zeugen, die er anführt, nicht vorgekommen, hätte aber zu seiner zeit in Theben neben den gräbern der Herakleskinder gelegen. diese angabe mögen wir subjectiv bezweifeln, so viel wir wollen (und Pausanias31)Da die prüfung von Pausanias arbeitsweise darauf führt, daſs er die dichter - citate aus der von ihm ausgeschriebenen beschreibung der lesche des Polygnot ent - nahm, welche lediglich die möglichen quellen Polygnots verfolgte, also auf die be - drohung des Amphitryon nicht einzugehen veranlaſst war, so kann man mindestens als subjective vermutung hinstellen, daſs Pausanias den dichtern diesen zug absprechen zu dürfen glaubte, weil er ihn in seiner quelle nicht fand. der stein von Theben, σωφρονιστήρ genannt (sonst name des weisheitszahns), kann sehr wol erst auf grund der erfindung des Euripides hingelegt sein. die thebanischen altertümer sind in folge der zerstörung der stadt durch Alexandros Demetrios und die Römer besonders fragwürdig. da aber Euripides selbst darauf führt, daſs das motiv älter ist, mag auch der stein früher hingelegt sein: jedenfalls ist der stein in folge der poetischen erfindung aufgekommen, nicht umgekehrt. kann sich nicht beschweren, denn er trägt als thebanische localsage vor, was seit Euripides die vulgata war, und hat selbst Kypria oder Stesichoros mit keinem auge gesehen): wir haben nun einmal keine mittel sie zu wider - legen, und sind somit gezwungen zu sagen: wir wissen nicht, wer dem Euripides den stoff überliefert hat, überliefert war ihm aber mehr, als wir bei einem vorgänger noch nachweisen können. auch die dreizahl der knaben32)Vgl. bd. II s. 4., die wiederum der epischen weise so sehr nahe liegt, viel - leicht auch daſs er sie mit seinen lieben eigenen waffen erschlägt, darf unter das für ihn gegebene gesetzt werden.
Um so deutlicher ist das was Euripides aus eigener machtvollkommen - heit verändert hat. das sind im wesentlichen drei hauptstücke. er hat erstens den kindermord an das lebensende des Herakles gerückt. der Herakles, von dem wir hier scheiden, wird keinen kampf mit riesen und drachen mehr bestehen, er fühlt sich dem überwundenen Kerberos nicht mehr gewachsen. so ist denn auch alles was von heldentaten irgendwie bedeutsam erschien, gelegentlich erwähnt, selbst die eroberung Oichalias:358Der Herakles des Euripides.nur die oetäisch aetolischen sagen muſsten fortbleiben, denn die gattin Megara schlieſst Deianeira aus. nichts desto weniger ist im einklange mit dem dodekathlos, den Euripides in seiner bedeutung wol verstand, das leben mit der dienstbarkeit bei Eurystheus gleich gesetzt. die reinigung der erde war die lebensaufgabe des Herakles (21), so lange er dabei beschäftigt war, durfte ihm Hera nichts zu leide tun (828). aber mit der vollendung seiner aufgabe erhielt Herakles im dodekathlos die ewige selig - keit: hier verfällt er dem elend. das zu ermöglichen ist künstlich das hilfsmotiv eingeführt, daſs die vollendung zwar sachlich aber noch nicht formell erfolgt ist, weil der Kerberos noch nicht abgeliefert ist. zum andern aber war eine selbstverständliche folge, daſs nicht die Hesperiden - fahrt, sondern die heraufholung des Kerberos das zwölfte abenteuer ist. der Herakles des Euripides kommt nicht mehr als gott in den himmel; daſs er aus dem schlund der hölle emporsteigt um die seinen zu retten und zu vernichten ist zu dem wirkungsvollsten gegensatze ausgenutzt. Euripides copirte aber gerade hierin eine eigene ältere erfindung; in seinem ersten Hippolytos war, wie Senecas nachbildung lehrt, Theseus in der mitte des stückes unerwartet aus dem Hades heimgekehrt. und so lag es ihm denn auch hier besonders nahe, Theseus so einzuführen, daſs er eben von Herakles aus der unterirdischen haft erlöst war.
In dieser einführung des Theseus, welcher Herakles nach Athen zieht und ihm so eine neue heimat schafft, besteht die zweite hauptneuerung. das fällt als motiv der handlung nicht stark auf die sinne, und es hat auch die spätere sage unmöglich beherrschen können: es hätte ja die annexion des Herakles durch Athen bedeutet33)Solche verbindung des boeotischen helden mit Athen würde als sage mög - lich gewesen sein, ja es würde ein ähnliches sich festgesetzt haben, wenn Boeotien dauernd mit Attika vereinigt worden wäre, wie es in den funfziger jahren, als Euri - pides jung war, vorübergehend erreicht war. die entfremdung erzeugt dagegen sagen wie die in Euripides Hiketiden behandelte, deren fassung aber auch je nach dem politischen winde wechselte, vgl. Isokrates Panath. 168.. aber die kühnheit des dichters ist deshalb nicht niedriger zu schätzen. übrigens fehlte es ihm nicht an anknüpfungen, und er hat sie ausdrücklich hervorgehoben, wie gerade diejenigen pflegen, welche eine unwahrscheinliche neuerung ein - führen wollen. daſs die attischen Herakleen eigentlich Theseen wären, nur von ihrem eigentümer an seinen freund verschenkt, hat genau so, wie Euripides es hier erzählt, die attische chronik berichtet34)Philochoros bei Plut. Thes. 35. der vorsichtige atthidograph nimmt 4 Theseen aus, die er also für alt hielt; und im osten des landes mag es deren wirklich gegeben haben. die uns bekannten Theseen, in der stadt und im Peiraieus,: es ist die359Gestaltung des stoffes.officielle erklärung dafür, daſs der dorische heros allerorten, der stifter der attischen demokratie nirgend einen alten cult besaſs. wenn aber Herakles bei lebzeiten einen so groſsen besitz in Attika gehabt hatte, so war der schluſs einfach genug, ihn dort auch eine weile wohnhaft zu denken. daſs Herakles sich in Eleusis hat weihen lassen, ehe er in die unterwelt hinabstieg, und zu dem behufe nicht nur von seinen blut - taten in Athen entsühnt, sondern durch adoption zu einem Athener ge - macht ist, hat ebenfalls in Attika officielle geltung gehabt35)Ἀφ̕ οὑ καϑαρμὸς πρῶτον ἐγένετο φόνου, πρώτων Ἀϑηναίων καϑηράν - των Ἡρακλἑα ist die 17. epoche der parischen chronik. das gibt anlaſs zu den kleinen mysterien, Diodor IV 14 in Agrai, oder in Melite (Thesmophorien, schol. Ar. Frö. 501), oder Eumolpos reinigt ihn, also in Eleusis, Apollodor II 5, 12. zugleich ist er der erste geweihte ausländer, und es vollzieht deshalb Pylios die adoption, so auch Plut. Thes. 33 und schon Speusippos an Philipp (630 Herch. ); andere parallelstellen z. b. bei Dettmer de Hercule Att. 66. der name mahnt daran, daſs der zug gegen Pylos mit der weigerung der blutsühne durch Neleus motivirt zu werden pflegt. in der apollodorischen chronik ist die verbindung mit der Hades - fahrt hergestellt, und daſs er nur als myste zu ihr kraft fand, steht auſser bei Eurip. 617 in dem dialog Axiochos 371d: die vorstellung wird jedem leser der aristopha - nischen Frösche klar sein. der gläubige myste konnte sich den, welcher das jenseits ungestraft betreten hatte, nur auch als mysten denken: und da er das bedürfnis nach reinigung auch für gerecht vergossenes blut empfand und seine religion sie von ihm forderte, wie viel mehr für den heros. drittens wollte man in dem so viel in Athen verehrten heros keinen fremden sehen. der nämliche grund hat die adoption der Dioskuren hervorgebracht.. Euripides erwähnt die weihung, und er durfte wahrscheinlich zu erfinden glauben, da auch sein Herakles in Athen entsühnt wird und in Athen sich nieder - läſst. übrigens fällt das etwa anstöſsige jenseits des rahmens der tragödie. wirksam für sie ist nicht das eingreifen des Atheners, sondern das des freundes. in dieser eigenschaft ist Theseus an die stelle des Iolaos ge - treten, der in der thebanischen vorstellung nicht nur überhaupt diese rolle spielt, sondern gerade die Megara übernimmt, als Herakles aus dem vaterlande scheiden muſs, nach antiker vorstellung ein freundschaftsdienst, der beide teile ehrt36)Daſs jemand auf dem totenbette seine frau oder tochter einem der erben vermacht, ist ebenso häufig vorgekommen wie es in den anschauungen von familie und ehe begründet ist. so hat es z. b. der vater des Demosthenes gemacht. es ist also für die Athener ganz in der ordnung, daſs Herakles in den Trachinierinnen des Sophokles den Hyllos zwingt seine kebse zu heiraten. der moderne sollte sich daran nicht mehr stoſsen, als daſs z. b. Antigone zum zweiten male die leiche ihres. den konnte Euripides seinen Theseus nicht auch34)konnte er unmöglich ausnehmen, er muſste ja ihre stiftung im verlauf der chronik selbst erzählen.360Der Herakles des Euripides.leisten lassen, als er ihn an Iolaos stelle setzte, und schon dieses legte ihm nahe, Megara mit ihren kindern fallen zu lassen. die gattin würde aber auch die einwirkung von vater und freund gestört, die mutter das mitleid von dem vater, der zugleich mörder ist, abgezogen haben: so hat Euripides sie das schicksal ihrer kinder teilen lassen, zum gröſsten vorteil für seine dichtung, übrigens auch für die späteren fassungen der geschichte vielfach maſsgebend.
Die dritte neuerung ist die einführung des Lykos, welcher die familie des Herakles mit dem tode bedroht und von diesem dafür erschlagen wird. Euripides hat diese tat, in welcher sich die familienliebe und die rettende gröſse des Herakles kurz vor dem gräſslichen, das die familie zugleich mit der gröſse des helden zerstört, für dessen charakteristik nötig gehabt und erfunden; Lykos ist selbst nur ein mittel zum zweck. daſs er ihn auch erfunden hat, sagt er so gut wie selbst (26. 31), indem er ihn als einen enkel des tyrannen Lykos einführt, der nach alter sage von den söhnen Antiopes, den boeotischen Dioskuren, vertrieben worden ist. jener Lykos war in der tat eine alte sagenfigur37)Es verdient bedacht zu werden, daſs die Antiopesage in den Kyprien dicht neben dem wahnsinn des Herakles behandelt war. ob Lykos aber in ihnen vorkam, ist mit unserer kenntnis schwerlich je zu entscheiden., wahrscheinlich auch in der Antiopesage vertreter Euboias, wie er, zu einem sohne des Pandion umgeformt, es auch in der attischen ist, oder besser gewesen ist, denn für uns ist der attische Lykos ganz verblaſst. dieselben züge trägt bei Euripides sein enkel, gegen den als eindringling sich Thebens greise leidenschaftlich wehren. daſs er Megaras vater, könig Kreon, sammt seinen söhnen erschlagen hat, ist in diesem zusammenhange unerläſslich: nur so ist die bedrohung und hilflosigkeit der enkel des Kreon und söhne des Herakles hinreichend begründet. daran daſs derselbe Kreon Haimon und Megareus zu söhnen gehabt hat und den zug der Sieben überlebt, dürfen wir, trotzdem beide Kreon Menoikeus zum vater haben, nicht denken: die Herakles - und Oidipussage sind schlechthin incommensurabel, und Kreon erscheint in beiden nicht als dieselbe individuelle person, sondern als dieselbe füllfigur, die auch in anderen sagen, z. b. der korin - thischen, auftritt, wo bloſs ein ‘könig’ nötig ist38)Auch Κρέουσα ist, wo immer er auftritt, ein füllname. so ganz besonders in der attischen sage. als Ion, der eigentlich ein euböischer zuwanderer ist, zu einem Athener umgeformt werden sollte, muſste er eine tochter eines attischen urkönigs zur mutter erhalten. die in der sage berühmten waren vergeben: so ward eine. da der dichter seinen36)bruders mit staub zu bewerfen für eine religiöse pflicht hält. unserer sittlichkeit läuft beides zuwider.361Gestaltung des stoffes. aufbau des dramas.Lykos sofort wieder beseitigt, so hatte die erfindung gar keine bedenk - lichen folgen; nur in der euripideischen fabel, die ihn erzeugt hatte, hat dieser Lykos sein bischen leben gehabt39)Die einzige umbildung seiner rolle ist durch die unwissenheit und willkür spätester lateinischer grammatiker vorgenommen. zu Statius Theb. IV 570 tristem nosco Lycum, welches auf den gatten Dirkes geht, lautet das scholion hic est ergo Lycus, qui Megaram filiam suam Herculi dedit uxorem et ob hoc a Iunone in furorem versus est et filios Herculis ex Megara susceptos Oxea et Leontiadem (d. i. Κρεοντιάδην: der andere name bleibt unsicher) occidit. tristis ergo propter mortem nepotum..
Diese drei neuerungen, welche Euripides mit dem überlieferten stoffe vornahm, sind in wahrheit nur consequenzen der inneren umgestaltung, welcher er die sage selbst unterzog. sie sind aber als gegebene gröſsen zu betrachten, wenn wir den aufbau des dramas prüfen wollen, dessen grundlage eine bestimmte form einer bestimmten geschichte ist. ob die überlieferung oder der dichter, ob dieser in einer bestimmt zu erfassenden absicht oder aus willkür und laune den grund gelegt hat, ist für die eigentlich dramatische ausgestaltung unwesentlich.
Euripides beabsichtigte Herakles die seinen erst retten, dann tötenAufbau des dramas. zu lassen. die ganze geschichte ihrer gefahr und rettung war freie neue erfindung; über sie muſste er den zuschauer genau unterrichten; das erforderte also verhältnismäſsig viel raum. da die beiden parteien, welche sich in diesem teile des dramas gegenüberstehen, durch Herakles gleicher - maſsen vernichtet werden, bedurfte der dichter einer vermittelnden person, welche mit ihrer teilnahme sowol jenen wie dem Herakles zur seite stünde und die continuität des dramas wahrte. es muſste das eine verhältnis - mäſsig wenig selbst betroffene, dem helden innerlich ergebene sein, die also die teilnahme des zuschauers nicht auf sich ablenkte, sondern nur auf die eigentlichen träger der handlung stätig und gesammelt hinführte. man könnte meinen, dazu wäre ja der chor da. aber das würde wol den vorschriften des Aristoteles, aber keinesweges der weise der groſsen dichter entsprechen. einer ästhetischen betrachtung, welche, wie die des Aristoteles, zwar absolute regeln geben will, aber mit der lediglich ge - schichtlich nicht begrifflich mit dem drama verbundenen institution des chores als einer notwendigen rechnet, kann eine solche rolle mit recht als die angemessenste für den chor gelten. tatsächlich haben die dichter dem chor eine so conventionelle stellung niemals gegeben, sondern die38)῾Κρέουσα᾿ erfunden. der geschlechtsname des thessalischen fürstenhauses ist Σκο - πάδαι: aber es ist das fürstenhaus, deshalb heiſsen sie Κρεῶνδαι, und natürlich findet sich später ein ahn Κρέων.362Der Herakles des Euripides.verschiedensten versuche mit ihm gemacht. die stärke der individuellen persönlichkeit, welche in diesem falle nötig gewesen wäre, hatte er aber für Sophokles und Euripides, so weit wir sie kennen, überhaupt nicht mehr. Euripides bedurfte also einer besondern person, die an wichtig - keit darum nichts einbüſst, daſs ihre bedeutung nur relativ ist. er hat dazu Amphitryon gewählt, und alles getan, ihn zwar in seiner sphäre zu halten, aber so voll und rund herauszuarbeiten, daſs sich der zuschauer diesen träger der umfänglichsten rolle wol gefallen lassen kann. Amphi - tryon ist zwar ehedem etwas gewesen; der ruhm seines Taphierzuges, der mit der geschichte von der erzeugung des Herakles zusammenhängt und deshalb allbekannt ist, wird mehrfach hervorgehoben; aber das dient nur dazu, daſs uns der hilflose nicht verächtlich wird. jetzt ist er greis; er kennt das leben und macht sich keine illusionen mehr. er hat nichts mehr zu fordern noch zu erwarten, darum aber auch nichts für sich zu fürchten. er übersieht nicht bloſs die schwiegertochter und den tyrannen, sondern auch die stürmische unbedachtsamkeit des sohnes. dieser sohn ist sein alles; schwiegertochter und enkel schätzt er nur um des sohnes willen, dem bleibt er auch auf die gefahr nahe, ein opfer seiner raserei zu werden. und seine schwerste prüfung ist der endliche abschied von ihm. daſs er doch hoffen darf, daſs die einzig geliebte hand ihm die müden augen zudrücken wird, wenn sie endlich brechen werden, ist der letzte trost, den der zuschauer aus dem drama mitnimmt. Amphitryon ist der vater des Herakles. das empfinden wir und sollen wir empfinden, trotzdem das drama auf die vaterschaft des Zeus häufig und schon in dem ersten verse hinweist. dieser mythos wird conventionell beibehalten, wird inner - lich zugleich gedeutet und beseitigt: und schlieſslich spricht Herakles geradezu aus, daſs Amphitryon sein vater ist, zu dem ja viel mehr die liebe macht als das blut. aber freilich, die gröſse des sohnes ist gerade für den vater zu überwältigend, als daſs er ihm innerlich einen halt geben oder gar ihn aufrichten könnte. gewohnt, dem willen des über - mächtigen sich zu fügen, hat er bei dem furchtbaren seelenkampfe des sohnes, den es zum selbstmorde zieht, nur ohnmächtige tränen. da ist eines ebenbürtigen eingreifen von nöten, eines solchen, den der mythos sich auch als göttersohn denkt.
Den chor hat die spätere tragödie sich immer mehr erlaubt dem alten pindarischen anzuähneln. er pflegt im laufe des dramas seine maske fast ganz zu vergessen und lediglich das instrument zu sein, mit welchem der dichter stimmungen betrachtungen erzählungen vorträgt, welche er an den ruhepunkten seiner handlung für angemessen oder doch für zu -363Aufbau des dramas.lässig erachtet. dazu hat die entfaltung der wirklich dramatischen etho - poeie eben so mitgewirkt, wie die neigung der dichter, so frei wie Pin - daros mit ihrem instrumente zu schalten. es gilt das keinesweges bloſs für die tragödie. Aristophanes läſst die mit so viel witz und effect ein - geführte, meist in einem epirrhema eigens noch erläuterte maske des chors nach der parabase häufig fast ganz fallen. Wolken Wespen Vögel Mysten reden in dem zweiten teile ihrer stücke minder als solche, denn als choreuten des Aristophanes. schlieſslich sehen wir in Ekklesiazusen und Plutos überhaupt nur noch die parodos erhalten, welche allerdings immer das mimische element stark ausgenutzt hatte. so denn auch die tragiker. wie die bewohner von Kolonos zusammenlaufen, weil ihr Eumenidenhain entweiht ist, das ist von Sophokles mit vollem drama - tischem leben veranschaulicht, und auch das lob Athens, sein schwanen - gesang, geht vom lobe seines Kolonos aus. aber das lied, welches die zeit ausfüllt, während dem die geraubten mädchen befreit werden, ist schon ohne jede persönliche charakteristik, und das lied ὅστις τοῦ πλέονος μέρους ist vollends die individuelle klage des lebensmüden dichters. ob man die dichter schelten will, stehe dahin: jedenfalls sind nur so ihre dichtungen verständlich, und vielleicht freut sich mancher der nur so ermöglichten einblicke in ihre eigene seele. Euripides hat sich mit der maske seiner chöre selten groſse mühe gemacht, und wo er es getan hat, wie mit den Phoenissen, ist der erfolg selten erfreulich40)Etwas besonderes war der chor des Palamedes. da das drama im Hellenen - lager spielen muſste, Palamedes des verrats bezichtigt war, der chor aber seine partei zu halten hatte, weil er ja die sympathie von dichter und publicum hatte, so paſsten die bequemen chöre, Achaeer oder kriegsgefangene mädchen, nicht. das sollte man sich selbst sagen. nun haben wir das bekannte bruchstück ἐκἁνετ̕ ἐκάνετε τὰν πάνσοφον, ὦ Δαναοί, τὰν οὐδὲν ἀλγύνουσαν ἀηδὀνα Μουσᾶν (590). das sind daktyloepitriten —] ⏑ ⏖ ⏑ ⏐ ⏑ ⏑ ⏑ — ⏐ — ⏖ — ⏑ ⏑ — — ⏐ — ⏑ — — ⏐ — ⏑ ⏑ — ⏖ — —, und diese beweisen ein stasimon (sie kehren in dem anschlieſsenden drama, den Troerinnen, häufig wieder). also war der chor kein hellenischer. es scheint, wir haben noch aus seiner parodos die selbstvorstellung, ϑυιὰς Διονύσου ἱκόμαν, ὃς ἂν Ἴδαν τέρπεται σὺν ματρὶ φίλᾳ τυμπάνων ἰακχοῖς (589, glykoneen, — — ⏖ — — ‖ — ⏑ — ⏑ ⏑ — — ⏐ — ⏑ — — — ⏑ ⏑ — ⏐ — ⏑ — ⏑ — —): ich habe ϑυιὰς aus οὐσὰν gemacht (Nauck ϑύσαν), und ἱκόμαν aus κόμαν. die ähnlichkeit mit andern eingangsliedern schützt diese gestaltung. und ein schwarm von Dionysosdienerinnen, die sich in den schutz des Achaeerlagers begeben, um auf dem Ida ihren pflichten genügen zu können, ist sehr gut erfunden; die hierodulen der Phoenissen, die in Theben fest - gehalten sind, aber für Delphi bestimmt, und die Chalkidierinnen der Iphigeneia Aul. sind gute parallelen. übrigens ward durch diesen chor auch das erreicht, daſs ein gott am schlusse die unschuld des getöteten gar nicht zu proclamiren brauchte: die. 364Der Herakles des Euripides.von den bekannten chören seiner tragödien sind mehr als zwei drittel weiblich, und zwar macht es wenig aus, ob es jungfrauen oder frauen sind, freie oder sclavinnen (ausnahmen wie die Hiketiden nicht gerechnet): greisinnen sind es nie. die minderzahl der chöre sind männlich, so gut wie immer ohne besondere charakteristik auſser dem lebensalter, diesem nach sind es fast immer greise, oder es macht doch wenig aus, wenn sie nicht als besonders hochbetagt geschildert werden; jünglinge sind sie nie41)Daſs die 17 erhaltenen dramen nur drei männliche chöre enthalten, ist ein zufall, den man corrigirt, sobald man die zahlreichen sonst bekannten chöre zurechnet. es sind 33 chöre zuverlässig bekannt, d. h. die hälfte aller den Alexandrinern bekannten; die nebenchöre (Hipp. Hiket. Phaeth. Erechth. Alexandr. Antiop. ) sind dabei natürlich nicht gerechnet. wie verkehrt der einfall ist, den chor nach der hauptperson bestimmt sein zu lassen, könnten zwar Phoenissen und Alkestis schon lehren: aber wie sollten gar zu irgend einer person der Antiope Thebanische greise oder zum Aiolos mädchen passen?. mit anderen worten, Euripides hat im wesentlichen zwei typen, von denen er in der weise gebrauch zu machen pflegt, daſs er in einer trilogie zwei chöre weiblich, einen männlich hält; da der satyrchor dazu - kommt, ist das ganz begreiflich42)Wir kennen die disposition der trilogieen 1) Alexandros (Troische greise, vertreter des volkes, an welche die mahnung Kassandras fgm. 929 allein gerichtet sein kann, nebenchor hirten), Palamedes (Bakchen, vgl. anm. 40), Troades. 2) Kre - terinnen, Alkmeon (mädchen 67) Telephos (Argeier, wie die Acharnerparodie lehrt) und statt der satyrn der männliche chor der Alkestis. 3) Bakchen, Alkmeon (mädchen 75) Iphigeneia Aul. (mädchen): also alle drei weiblich, aber da hatte der jüngere Euripides nicht mehr die wahl. 4) Medeia (frauen) Diktys (?) Philoktet (Lemnier): man wird die klagende Danae des Diktys lieber neben frauen als neben Seriphier stellen. 5) Erechtheus (frauen, nebenchor soldaten), Hiketiden (greisinnen, nebenchor knaben). 6) Helene und Andromeda, beide mit ähnlich gehaltenem weiblichem chor; hier fehlen die dritten stücke: in dem letzten falle wird man an eine abwechselung glauben, also keinen weiblichen chor, wie in der Iphigeneia etwa, wahrscheinlich finden. weitere gesicherte beispiele von bekannten und zusammengehörigen chören sind bisher nicht ermittelt.. wenn wir ihn also im Herakles den chor aus greisen bilden sehen, so kann dazu in den andern stücken der tetralogie der anlaſs gelegen haben; doch ist es nicht nötig, solche ver - legenheitsausrede zu brauchen. der chor des Herakles führt sich als γέρων ἀοιδός wiederholt ein; Euripides hat ihm das geständnis in den40)bakchen und die zuschauer wuſsten, woran sie waren. aber Oiax schrieb den un - heilsbrief, den die wogen dem Nauplios bringen sollten (schol. Ar. Thesm. 771), und so bereitete sich durch den schluſs des Palamedes genau wie durch den prolog der Troerinnen das vor, was wir nicht schauen, was wir aber in der zukunft sicher voraussehen, der untergang der Hellenenflotte, der einen die von Troia heimzog, und nicht minder der anderen, die nach Sicilien fahren sollte.365Aufbau des dramas.mund gelegt, das er selbst als γέρων ἀοιδός abgibt. für sich und seine der tragödie fern liegenden persönlichen äuſserungen war ihm diese maske genehmer als die weibliche, die sonst allerdings näher gelegen hätte; denn die teilnahme des chores contrastirt mit der verlassenheit der Herakles - kinder und contrastirt auch mit der festen herrschaft des Lykos über Theben. deshalb hat der dichter besonderer hilfsmotive bedurft. er unterscheidet die parteien in Theben, die braven alten und die bösen jungen, welche nur leider die macht haben, da die alten ganz kampf - untüchtig geworden sind. man könnte versucht sein, hierin eine poli - tische spitze zu sehen, da Aristophanes so gern die verschiedenen stim - mungen der attischen bürgerschaft als die ewig gleichen gegensätze von alt und jung faſst, und Euripides auch in den Hiketiden auf die ehr - geizige jugend schilt (232). aber darauf ist hier kein wert gelegt, denn die zwistigkeiten innerhalb der bürgerschaft sind nur so lange vorhanden, als es gilt, sowol die sympathie wie die machtlosigkeit des chores fest zu stellen. hätte Euripides den jugendtollen staatsverderbern eine lection erteilen wollen, so würde sein Lykos ihre politik entwickeln. vielmehr hat er den chor nur durch ein charakteristicum ausgezeichnet, den adels - stolz. daſs sie Sparten sind, Lykos ein hergelaufner Euboeer, schärfen sie wieder und wieder ein, und auch an Herakles rühmen sie, wenn auch unter verschiedener schätzung, vor allem den adel. es weist das in dieselbe richtung wie die debatten über die vaterschaft des Zeus. und wie jener mythos im letzten teile zerstört oder vielmehr im höheren sinne wahr gemacht wird, so hören wir auch über den adel, daſs freilich das blut ihn nicht macht, aber adel ist auch in der sittlichen welt: er zeigt sich im leiden viel mehr als im handeln, denn das ist schwerer. diesen adel fordert Theseus (1228), beweist Herakles durch die tat.
Amphitryon und der chor sind die personen, über die der dichter mit sich vorab im reinen sein muſste, ehe er an die ausarbeitung des dramas gieng. sind sie einmal erfaſst, so ergibt sich der aufbau des ersten teiles fast von selbst, sobald man nur die manier, die Euripides nun einmal sich gebildet hatte, walten läſst. er verwendet regelmäſsig den prolog und das erste chorlied ausschlieſslich zur exposition: die situation, welche er voraussetzt, wird noch im zustande der ruhe gezeigt; die handlung beginnt erst nach dem ersten liede. in diesem falle war sehr viel zu erzählen, die neugeschaffenen voraussetzungen des dichters. beginnen muſste er so, daſs die gefahr der familie des Herakles zwar dringend und unabwendbar, aber noch nicht unmittelbar todbringend war. dann muſste dieser zustand eintreten, die spannung der zuschauer auſs366Der Herakles des Euripides.äuſserste getrieben werden, Herakles erscheinen und retten. es war er - forderlich, daſs Lykos oder doch seine partei zum worte und zur erschei - nung kam; in dem momente, wo Herakles wiederkehrte, konnte er jedoch nicht gegenwärtig sein, sonst hätte er sofort den tod finden müssen, was die schicklichkeitsbegriffe verboten; zudem würden zu viel personen zu - gleich auf der bühne gewesen sein. so ergaben sich die vier scenen, die wir vorfinden 1) prolog und parodos, welche die exposition geben, 2) con - flict zwischen Lykos und der Heraklespartei, der sich in diesem falle nur in worten abspielen kann, und dessen ausgang von vorn herein sicher ist. 3) die höchste not und das erscheinen des retters. 4) der tod des Lykos. hinter 2 3 4 sind pausen in der handlung, also standlieder des chores angezeigt. die motive, welche diesen aufbau der scenen ermög - lichen, sind angemessen aber billig. die von Lykos bedrohten personen sind an einen altar geflüchtet, er bestimmt sie dieses asyl zu verlassen durch die drohung, sie auf dem altar verbrennen zu lassen, bewilligt ihnen aber einen kurzen aufschub, damit die kinder sich mit leichen - gewändern schmücken, und läſst sie während dieser zeit unbewacht (eine unwahrscheinlichkeit, die der zuschauer kaum bemerken wird). in dieser frist kommt Herakles und braucht nun bloſs im hause die ankunft des Lykos abzuwarten, um ihn ohne mühe zu überwinden. der ganze vor - gang entspricht den sitten der zeit, welche viele beispiele für die flucht von hilflosen an altäre darbietet, aber auch von umgehungen und ver - letzungen des asylrechtes. die handlung kann in diesem teile keinen groſsen eindruck machen. die charaktere liefern nur teilweis ersatz. Lykos ist nicht mehr als ein gewöhnlicher bühnenbösewicht; religion und sitte sind ihm vorurteile, gott und tugend ein wahn, und er renom - mirt mit seiner schlechtigkeit; die verbrechen, zu denen ihn seine ἀναί - δεια, der mangel an jedem sittlichen gefühle, treibt, proclamirt er als gerechtfertigt durch die politische klugheit (ἀσφάλεια), ist aber schlieſs - lich, wie jeder verbrecher, dumm und geht mit frechem schritte in das garn. solch einen bösewicht denkt sich der Athener am liebsten als tyrannen, und dazu gehört auch, daſs er ein parvenu ist, ohne erziehung und manieren (σκαιός 299). ein naives publicum wird an dieser figur und ihrer bestrafung seine freude haben; damit hat Euripides aber nur für das parterre, zum teil nur für die gallerie gearbeitet. wenn die gegenpartei bloſs mit den entsprechenden farben gezeichnet wäre, edelmut und hilflosigkeit, todesfurcht und ergebenheit, unschuld und seelenadel, so würde das auch nur für ein ganz gewöhnliches theaterstück gut sein. und die sophistische rhetorik, die in Amphitryons reden wider Lykos sich367Aufbau des dramas.breit macht, ist für den modernen leser wahrlich kein ersatz, war es in Athen nur für die anhänger des specifisch modernen stils, der in die poesie eigentlich nicht gehört. wol aber hat Euripides sich hier als echten dichter wenigstens an einer figur bewährt, die dem fühlenden leser noch heute das herz bewegt, wenn ihn auch die rhetorik kalt läſst, und die allerdings den erfahrenen kenner der bühnenwirkung überall, auch so weit sie in stummem spiele besteht43)Dem nachzugehen ist aufgabe der einzelerklärung. der leser des dramas muſs sich jede scene gespielt denken; das ist für den anfänger schwer. aber wer sich in die antiken sceniker (Plautus und Terenz eingeschlossen) eingelebt hat, wird sie in dieser kunst nicht nur meisterhaft, sondern selbst Shakespeare weit überlegen finden. ihre poesie gibt noch jetzt, ohne bühnenanweisungen, fast immer ein ganz geschlossenes bild, und jede person hat ihren festen platz. sie haben offenbar die scenen in ihrer phantasie als gespielte erfunden, und dafür gesorgt, daſs sie so ge - spielt würden, wie sie sie empfunden hatten. die modernen erklärer sind freilich meist jedes theatralischen sinnes bar, und gar wenn ein moderner regisseur ein antikes drama einstudirt — daſs gott erbarm’., verratende führung der handlung, nur zu einem kühlen beifall veranlaſst. die gattin des Herakles ist kein typus wie Lykos und hat nicht bloſs eine relative bedeutung wie Amphitryon, sie ist ein individuum. der kündiger des weiblichen herzens hat sich in den wenigen reden, die er Megara geliehen hat, nicht verleugnet. da ist zwar die äuſserung der empfindung durch die engen bande der sitte zurückgehalten, welche nun einmal für die attische frau galt: aber es bedarf für den leser nur der achtsamkeit (für den schau - spieler also nur des verständigen benutzens der handweisungen des dichters), um zu bemerken, welches feuer der leidenschaft in ihr kocht. sie kommt mit ihren reden immer an einem anderen ende an, als sie beabsichtigt hat, oder muſs gewaltsam zu ihrem thema zurückspringen. die empfindung und der affect ist stärker als sie. und empfindung und affect der frau hat recht gegenüber der besonnenen kälte des greises und dem cynischen verstandesmenschen Lykos, ja selbst gegenüber dem was Megara ihrem verstande gemäſs wider ihre empfindung sagen will. in all ihrer schwäche ist die vornehme frau dem gekrönten plebejer über - legen, und vor ihr, die in ihrem gatten ihren einzigen adel sieht, ver - bleicht die an sich gerechtfertigte ruhmredigkeit der spartischen echt - bürtigkeit des chores. in ihrer muttersorge und mutterhoffnung liegt endlich auch das beschlossen, was der zuschauer und noch mehr der leser von interesse für die Herakleskinder hat, die der dichter nur als stumme personen eingeführt hat44)Euripides hat ja kinder in Alkestis Andromache Hiketiden eingeführt; hier. die mutter durfte der tragiker sich ganz368Der Herakles des Euripides.geben lassen: der gattin verwehrte die attische schicklichkeit die empfin - dungen frei zu äuſsern, die Megara wie gewiſs unzählige frauen Athens wol im herzen hegten, aber von eigensinniger sitte darin zu verschlieſsen gezwungen waren. Euripides ist für attische verhältnisse an die äuſserste grenze des erlaubten in der scene des wiedersehens gegangen: unsere freiere und gesundere auffassung des ehelichen verhältnisses wird dadurch nur stärker daran erinnert, daſs hier ein gebiet ist, auf welchem das fünfte jahrhundert die freiheit der menschlichen empfindung noch nicht erreicht hat.
Das unheil soll ganz unerwartet über Herakles hereinbrechen; so ist denn nicht die leiseste hindeutung darauf in dem ganzen ersten teile. die zuschauer, die noch ganz unvorbereitet waren, müssen eine erschüt - terung erfahren haben, die durch mark und bein gieng45)Ich habe die erfahrung gemacht an personen, welchen der stoff ganz fremd war. das grauenvolle, plötzliche, dämonische war so überwältigend, daſs vor ihm alles andere verschwand. die torheit, den wahnsinn in den titel zu setzen, hat Euripides nicht begehen können, der überhaupt keine zusätze zu dramentiteln kennt, aber auch die grammatiker haben den zusatz nicht gemacht, der in den handschriften und allen citaten fehlt. erst in der Aldina erscheint er nach dem vorbilde der tragödie des Seneca, welche die modernen gelehrten Hercules furens zur unterscheidung des H. Oetaeus so zubenannt hatten., und dem theaterdichter sollte man den erreichten effect zu gute halten, auch wenn er wirklich sein drama nicht zur wahren einheit herausgearbeitet hätte. man vergleiche doch bei Seneca die wirkung des prologes, welcher die zukunft enthüllt46)Daſs Lessing in seiner jugendarbeit, der vergleichung des Seneca und Euripides, anders urteilt, ist nicht befremdlich; er steht dort noch im banne der regeln, die er selbst später gesprengt hat.: da ist das interesse des lesers an der rettung der kinder in wahrheit vorab vernichtet, denn, wenn sie doch fallen müssen, möchte er ihnen höchstens den tod von vatershand ersparen. für Euri - pides erwuchs aber allerdings die notwendigkeit, gewissermaſsen von neuem anzuheben, einen zweiten prolog zu schreiben. er exponirt das folgende durch die einführung von Iris und Lyssa. scharf gliedert er durch den wechsel des versmaſses diese scene. denn Lyssa, der wahn - sinn, ist, so lange ruhig geredet wird, eine göttin wie andere: ihre trochäen aber zeigen sie am werke, sie dienen bereits der aufgabe, den44)hat er es wol unterlassen um nicht den ersten teil noch mehr zu belasten und das interesse zu zerstreuen. es ist kein schade, denn seine kinder singen nicht was kindern in den betreffenden situationen zukommt, sondern was der dichter für die kinder und die situationen empfand. namentlich das lied des knaben an der leiche der mutter in der Alkestis gehört zu seinen gröbsten zeichenfehlern. vgl. zu v. 469.369Aufbau des dramas.wahnsinn des Herakles zur anschauung zu bringen. die sendung des wahn - sinns konnte Euripides nur als ein verbrechen Heras ansehen, einen hohn auf die göttlichkeit der göttin. ihm war sie nicht heilig, er scheute sich nicht sein urteil auszusprechen, aber sie war doch im cultus die himmelskönigin, und so mied er sie selbst einzuführen, zumal sie das interesse zu stark abgezogen haben würde. Iris, die dienerin, hat er dagegen mit wenigen strichen meisterlich aber rücksichtslos mit der ge - hässigkeit gezeichnet, welche er gegen jeden λάτρις hat, der sich zum werkzeuge der tyrannenlaune erniedrigt und im gefühle seiner verkauften freiheit gern wichtig macht. als κῆρυξ47)Der haſs des Euripides gegen die herolde ist schon im altertum bemerkt (Or. 895 mit schol.). schon die Herakleiden enthalten die bissige stelle, ‘alle herolde lügen das doppelte und berichten, sie wären nur mit genauer not mit dem leben davongekommen’ (292). Erechtheus und Hiketiden zeichnen zwei solche ge - sellen, just während die fremden gesandtschaften in Athen zum Nikiasfrieden ver - sammelt sind. Talthybios in Hekabe und Troerinnen ist ein braver mann, aber er schämt sich seines amtes (Tr. 786), und erhält doch von Kassandra, die er ohne arg λάτρις genannt hat, dieses schimpfwort ins gesicht zurückgeschleudert, er sei selbst λάτρις, als κῆρυξ ἓν ἀπέχϑημα πάγκοινον βροτῶν (424. 26. 25 so zu ordnen). nun war der herold nicht ehrlos wie der praeco, es war sogar der ἡταιρηκώς dazu nicht qualifizirt (Aischin. 1, 20), aber es war doch ein gewerbe, dessen man sich etwas schämte (rede wider Leochares 4), noch Theophrast (char. 6) erklärt es für das handwerk eines ἀπονενοημένος. die officielle schätzung war anders, wie natür - lich. abgesehen von den alten zeiten, welche in Athen und Paros (Κηρυκίδη Archi - lochos) geschlechter von herolden entstehen lieſsen, kam sich in den zeiten der restaurirten demokratie Eukles sehr stolz vor und vererbte amt und ruhm den seinen (Andok. I 112, CIA II 73), ja er hat sich einen ahn gezeugt; denn weil der herold des rates im 4. jahrhundert Eukles hieſs, hat ein historiker jener zeit einen solchen für die schlacht von Marathon erfunden (Plut. de glor. Ath. 3). die subalternbeamten sind in der selbstverwaltung ebenso wichtige wie bedenkliche elemente. der oligarch rechnet es zur demokratischen tendenz, die processe der bündner nach Athen gezogen zu haben, weil es dann die herolde besser haben (Πολ. Ἀϑ. 1, 16). weshalb sie das taten, ist nicht klar, die auctionssporteln können es nicht machen (Bekk. An. 255. Harp. κηρυκεῖα); es sind zum teil aber sporteln gewesen (CIA I 37. 38, leider unver - ständlich), aber wol mehr trinkgelder. das publicum hat immer mehr geurteilt wie Euripides. der Hermes in Aischylos Prometheus hat nur einen leisen zug, der im Frieden und vollends im Plutos des Aristophanes ist ganz ein gemeiner κῆρυξ. und die aristophanische Iris, wol auch schon die des Achaios, hat auch etwas von den euripideischen zügen. die kammerzofen trifft das übertreibende wort des Hippolytos 646; sie sind in der griechischen litteratur sonst wenig ausgebildet. die τροφός ist meist nur confidente., oder noch besser als kammer - zofe Heras erscheint Iris, die nicht nur zu dem verbrechen ihrer frau willig hand anlegt und die hohe göttin Lyssa hofmeistert, sondern beiv. Wilamowitz I. 24370Der Herakles des Euripides.jeder gelegenheit einschärft, daſs ‘wir’, die herrschaft und sie selbst, also belieben.
Lyssa unterscheidet sich nur im namen von den andern verderben und tod bringenden dämonen, welche in der archaischen kunst besonders zahl - reich sind, auch auf der bühne der groſsen zeit eingebürgert, wenn auch vielleicht nicht so häufig, wie in der späteren effecthaschenden zeit48)Die Armut des aristophanischen Plutos wird für eine Ἐρινὺς ἐκ τραγῳδίας gehalten, 422. Ποιναὶ ἐν ταῖς τραγῳδίαις Aischin. 1, 190. im costüm einer Erinys läuft der s. g. kynische philosoph Menedemos herum, Diogen. Laert. 6, 102. eine ganze reihe solcher personificationen führt das verzeichnis der masken für das repertoir der hellenistischen zeit an, das bei Pollux IV 141 steht; auch Lyssa ist darunter u. dgl. m. eine anzahl von darstellungen auf vasen verzeichnet Körte, über die dar - stellung psychologischer affecte in der vasenmalerei.. wie die mythischen genealogien dieser wesen wechseln, so auch ihr name, zumal da den späteren die alte erhabene bedeutung der Erinys schwand, so daſs diese sich auch mit anderen höllenwesen vermischte und als der bekannteste der allgemeine name ward. so heiſst denn der dämon des euripideischen Herakles selbst bei einem berichterstatter Erinys; Euri - pides redet neben ihr von Ποιναί, ein name der auch sonst vorkommt, Assteas (oben s. 324) läſst dem kindermorde Μανία zuschauen, u. s. w. es kommt auf den namen also wenig an. aber Lyssa selbst war unter diesem namen von Aischylos in der dramatisirung der Pentheussage ein - geführt49)In den Xantrien 163. es sind worte, die Λύσσα ἐπιϑειάζουσα ταῖς Βάκχαις sprach. doch bleibt die möglichkeit, daſs sie nur in einer botenrede standen. eine sichere herstellung des inhaltes der aischyleischen Pentheusdramen ist noch nicht gelungen., und da sie auf einem vasenbilde der edelsten malerei in ionischer, nicht attischer form Λύσ (σ) α heiſst50)Ann. dell’ instit. 1885., so war sie dem maler aus der litteratur bekannt. auch Euripides selbst hatte zwar nicht Lyssa, aber eine wahnsinn sendende Erinys in dem drama eingeführt, welches man am liebsten mit diesen scenen des Herakles vergleichen möchte, das aber bisher ganz unklar ist, dem Alkmeon51)Tatian 24 ὁ κατὰ τὸν Εὐριπίδην μαινόμενος καὶ τὴν Ἀλκμαίονος μητρο - κτονίαν ἀπαγγέλλων, ᾧ μηδὲ τὸ οἰκεῖον πρόσεστι σχῆμα, κέχηνεν δὲ μέγα καὶ ξίφος περιφέρει καὶ κεκραγὼς πίμπραται καὶ φορεῖ στολὴν ἀπάνϑρωπον. der bericht des seine vorlage plump wiedergebenden rhetors läſst unklar, welche rolle der schauspieler gab, der den muttermord erzählt; man denkt zunächst an Alkmeon selbst, aber daſs er im wahnsinn eine besondere maske getragen hätte, ist unglaub - lich, und eher dürfte das costüm der Erinys zu grunde liegen, und der verkehrte und unverständliche ausdruck ‘er brennt schreiend’ auf die fackeln der göttin in der quelle bezogen sein. daſs sie vorkam, hatte ich längst geschlossen, ehe ich auf, den er 438 mit Telephos371Aufbau des dramas.und Alkestis aufgeführt hatte. aber man würde keiner zeugnisse bedürfen um zu erkennen, daſs Lyssa bereits eine wolbekannte bühnenfigur war, ehe sie Euripides hier einführte. denn er hat sie ihrem eigenen wesen entfremdet. sie warnt vor dem frevel, beurteilt also ihre natur selbst als etwas gleichsam auſser ihr. damit ist die personification des wahnsinns innerlich aufgehoben. und das war nur möglich, wenn die phantasie sich so stark daran gewöhnt hatte den wahnsinn, weil er dämonisch wirkt, in der gestalt eines dämons zu sehen, daſs dieser dämon eine persönlichkeit auch abgesehen von der sphäre seines wirkens scheinen konnte. auf diesem wege sind freilich sehr viele göttliche gestalten zu umfassender, wol gar zu universaler potenz gekommen; ist doch der gottes - begriff selbst zunächst nur ein prädicatsbegriff und hat sich allmählich nicht nur zu einem subject erhoben, sondern das, wovon er die göttlich - keit prädicirte, zu seinen prädicaten gemacht. aber so lange eine personi - fication ganz durchsichtig ist, verstöſst eine solche erhebung in das uni - verselle wider den natürlichen sinn, wider die logik und die religion. ein Λύσσα σωφρονοῦσα ist eine contradictio in adjecto und eine blas - phemie so gut wie die frivolität Heras und die verworfenheit der Iris. für Euripides ist beides gleich bezeichnend: ihm sind alle göttlichen figuren ja doch nur conventionelle fictionen einer religion, die seinen vorstellungen vom wesen der gottheit widerspricht. wenn er den volks - glauben, indem er ihm folgt, ad absurdum führt, so ist es ihm ganz genehm.
Erst mit dem momente, wo Lyssa sie selbst wird, der dichter also in die bahnen der echt mythischen vorstellungen zurücklenkt, hebt sich auch sein gedicht wieder zu der höhe einer reinen wirkung. er hat hier eine seiner höchsten leistungen erreicht; aber es liegt nur zum teil an äuſserlichkeiten, wenn diese partie so wenig anerkennung bei den modernen gefunden hat. allerdings war die überlieferung bis vor kurzem unvollkommen bekannt, so daſs die scenische anlage des groſsen chor - liedes ganz verkannt war; auch muſste eine sprache, welche sowol den wahnsinn als dämon wie die dämonische erschütterung der betroffenen, eine sprache, welche also das wunder sinnfällig zum ausdruck bringen51)diese stelle aufmerksam ward, weil Servius, oder vielmehr Asper zu Aen. 7, 337 bemerkt, bei Euripides sage die Furie se non unius esse potestatis, sed se fortunam, se nemesin, se fatum, se esse necessitatem (fgm. 1011). das war etwa οὐ γὰρ πέφυκα δυνάμεως κρατεῖν μιᾶς· ἀλλ̕ εἰμὶ νέμεσις καὶ τύχη καὶ μοῖρ̕ ἐγὼ, ἐγὼ δ̕ ἀνάγκη. eine solche Erinys hat in keiner von Euripides behandelten sage platz auſser der von Alkmeon.24*372Der Herakles des Euripides.wollte, an die grenze des erlaubten gehen und alle mittel ihrer macht aufbieten. es kommt aber mehr hinzu. der dichter operirt hier mit all dem reichtum mythischer bilder, welche seiner zeit zur verfügung standen: das ist dem modernen fremdartig, doch ist das mit fleiſs und folgsamkeit der phantasie wol zu ergänzen. etwas ganz eigenartiges dagegen ist die darstellung des wahnsinns nicht nur, sondern auch des grausenhaften verbrechens, ohne daſs doch das geschehende geschaut wird: die wirkung auf die seele ohne wirkung auf das auge. den wahn - sinnigen selbst einzuführen würde Euripides nicht gescheut haben: daſs er es konnte, zeigt sein Pentheus. aber die blutigen verbrechen vertrug das feingefühl des volkes nicht, das nun einmal rohheiten, wie sie Shake - speares tragödien entstellen und ohne das attische vorbild auch die heutige bühne beherrschen würden, schlechthin ablehnte; vielleicht nur weil es das spiel zu ernsthaft nahm. vielleicht aber waren vielmehr seine dichter so weise, einzusehen, daſs sie so die seele viel tiefer erschüttern könnten. daſs dem so ist, beweist wieder am besten Seneca, der wieder den fehler des vorbildes hat verbessern wollen, übrigens einige entschuldigung hat, da er ja nur für die recitation dichtet. das stand also für Euripides von vorn herein fest, daſs er die kinder nicht auf der bühne umbringen lassen konnte. die herkömmliche poetische technik bot ihm als ersatz sowol den botenbericht wie das ekkyklema, welches die unmittelbar auf die katastrophe folgende situation zu zeigen ermöglichte. er konnte also in einem doppelten reflexe die tat veranschaulichen, durch die epische er - zählung, welche wesentlich ohne trübung durch das medium eines be - richterstatters wirkt, und durch die lyrische beleuchtung seitens der beteiligten nach der tat, also die mitteilung der frischen teilnehmenden empfindung an den zuschauer. von beidem hat Euripides gebrauch ge - macht, beide teile mit groſser liebe ausgearbeitet, im botenbericht mit dem epos ausdrücklich fast rivalisirend, die folgende gesangnummer mit allen mitteln der neuen ausdrucksfähigen musik ausstattend. aber das hat ihm nicht genügt. er hat in der person Lyssas die mythische ver - sinnlichung des psychischen affectes zur einleitung verwandt, und er hat die sonst häufig und auch von ihm für den tod des Lykos schon ver - wandte sitte, einzelne rufe hinter der bühne ertönen und von dem chore gedeutet werden zu lassen, in einziger art erweitert und gesteigert, einmal dadurch, daſs sie die einzelnen acte der drinnen vorgehenden handlung hervorheben, zum anderen dadurch, daſs die rufe selbst nichts tatsäch - liches melden, sondern der chor in visionärer erleuchtung die erläuterung gibt, so daſs der zuschauer, ohne sich davon rechenschaft geben zu können,373Aufbau des dramas.in das reich des wunders mit entrückt wird. es gibt nur eine vergleich - bare scene, die visionen Kassandras vor der ermordung des Agamemnon und diese selbst. die vergleichung mag der leser anstellen und sich im einzelnen überzeugen, daſs die beiden dichter jeder in seiner art ein höchstes erreicht haben.
Die wahnsinnsscenen haben im altertum wenigstens den verdienten erfolg gehabt; die in ihrer art ebenso vollkommene schluſsscene dagegen viel weniger. es ist das begreiflich, denn sie gehört in form und gehalt weit eher auf eine moderne bühne, selbst hier aber würde sie von den breiten philistermassen nicht gewürdigt werden, denen die Natürliche tochter und der schluſs des Tasso zu wenig handlung haben. in der tat, wie Goethe auf der höhe seiner kraft und künstlerischen reife in den tiefen des einfachsten strengst stilisirten dialoges die leidenschaften, begierden und schmerzen der menschenseele begräbt, weil er gelernt hat, daſs nicht was wir äuſserlich erdulden, sondern was im herzen be - schlossen bleibt, das wahrhaft tragische ist, so daſs das äuſsere auge meint, es geschähe gar nichts: ebenso hier. sobald Herakles erwacht, ist handlung scheinbar nicht mehr vorhanden. er erfährt was er getan hat, will sterben, Theseus kommt, sie reden hin und her, aber nicht der zuspruch des Theseus, sondern ein freiwilliger, scheinbar ganz unver - mittelter entschluſs bestimmt den Herakles nach Athen zu ziehen. ist das nicht etwa bloſs eine zu weit ausgesponnene schluſsscene ohne inneren wert? dann hätte Euripides schwer gefehlt, denn er führt eine neue person ein, auf deren erscheinen er kurz aber verständlich schon früh vorbereitet hat (619), und die er bei ihrem auftreten nicht nur selbst sich sehr passend einführen läſst, sondern durch ein kleines lyrisches stück hervorhebt: nach der bühnenpraxis ist also Theseus als eine wesentlich in die handlung eingreifende figur gekennzeichnet. aber allerdings, Theseus tut nicht viel, und er ist nicht einmal mit bestimmten farben als ein individueller charakter gekennzeichnet, und die immerhin nicht verächt - liche erwägung schlägt nicht durch, daſs in Athen für Athener Theseus einer besonderen charakteristik nicht bedarf, da er ja immer vertreter Athens und seiner φιλοξενία und εὐσέβεια ist. denn Euripides hat gerade hier am wenigsten mit den populären instincten der zeitgenossen gerechnet: wenn er Theseus nur als menschen und freund einführt, so muſs er eben diese beschränkung gewollt haben.
Auch das kann nicht unabsichtlich sein, daſs die äuſsere form der letzten scene so grell von der vorigen absticht. der chor wird geradezu als nicht vorhanden behandelt; selbst bei dem auftreten des Theseus, wo374Der Herakles des Euripides.doch eine gesangpartie eingelegt ist, schweigt er. und statt der bewegten bilder und des lebhaften spiels, nicht bloſs in der wahnsinnsscene, sondern auch im ersten teile, verharrt nun Herakles, an dem unser interesse hängt, unbeweglich vor der säule sitzend, und treten erst Amphitryon, dann The - seus nur ein par mal an ihn heran: im wesentlichen bewegt sich nur das gespräch hin und her, nicht die redner, und wenn der schluſs ein pla - stisches bild voll rührendsten affectes bietet, Herakles seinen arm um des freundes schulter schlingend und schwankenden schrittes von der bühne fortziehend52)Es sei daran erinnert, daſs die groſse malerei der polygnotischen zeit eine solche gruppe dargestellt hatte, welche vielfache nachbildung und umbildung erfuhr. Benndorf Heroon von Gjöl Baschi 114., so hebt der dichter hervor, daſs dieses bild als widerspiel des ungleich reicheren gedacht ist, welches die scene des rettenden Herakles abschloſs. in allem dem ist der wille unverkennbar, etwas anderes, neues, schlicht menschliches im gegensatze zu dem herkömm - lichen, bunt mythischen zu liefern. es darf nicht verschwiegen noch verschleiert werden, daſs der contrast dieser scene zu der vorigen, ja zu dem ganzen drama, beiden teilen eintrag tut, daſs das ganze werk wesent - lich hierdurch einen disharmonischen eindruck macht: werfe den stein auf den dichter, wer von dem sohne einer anderen zeit und einer neuen bildung fordert zu dichten wie Aischylos, oder von dem, der an Aischylos unmittelbar angesetzt hat, zu dichten, wie dann erst wieder Goethe ge - dichtet hat, ohne nachfolge zu finden. wer nur verstehen will, der soll lernen, daſs diese disharmonie im vollkommenen einklange steht zu der disharmonie in der seele des dichters, und daſs er aus der vollsten em - pfindung einer groſsen dichterseele bewuſst disharmonisch geschaffen hat.
Euripides hat den Herakles der sage verstanden in seiner gröſse und hat ihn ganz als voraussetzung seines dramas übernommen. des ist zeuge der erste teil, der den ἀλεξίκακος und καλλίνικος in dieser eigenschaft handelnd einführt, der in den drei groſsen chorliedern die Heraklessage in ihrer erhabenheit verherrlicht, einschlieſslich der überwindung des Alters, der erwerbung der ewigen jugend, ja der gotteskindschaft selbst, und zwar hat Euripides die sage keinesweges nur im mythischen gewande erfaſst, er streift es vielmehr gerade von besonders bedeutsamen zügen ab und enthüllt die reine religiöse empfindung. von diesem augenpunkte betrachtet erheben sich jene herrlichen lieder erst zu organischen bestandteilen des dramas, und erscheint die blödsichtigkeit moderner beurteiler in ihrer ganzen erbärmlichkeit, welche sie für locker mit dem drama verbunden halten können. aber Euripides hat das ideal der dorischen ἀρετά nicht mehr375Aufbau des dramas. gehalt des dramas.als genügend, ja nicht mehr als sittlich gelten lassen können. der glaube an den eingebornen menschenadel, der aus eigener kraft das gute kann, sich mit eigener faust den himmel erstreitet, der glaube an die menschliche αὐτάρκεια ist überwunden. der mensch ist schwach, glaubt Euripides, er weiſs nicht das gute, und wenn er’s weiſs, wird des fleisches schwäche ihn das gute nicht vollbringen lassen. und die Heraklessage zeigt den menschen vollends nur als den mann der tat, der gewaltsamen blutigen: Euripides kennt eine höhere sittlichkeit, und er weiſs, daſs die dorische mannestugend, die ἀρετά und εὐγένεια des ϑρασυμήχανος an sie nicht heranreicht. Euripides weiſs, μισεῖ ὁ ϑεὸς τὴν βίαν: gewalt wird frieden nicht schaffen, am wenigsten im eigenen herzen. er nimmt deshalb die ganze gröſse des Herakles der sage nur auf, um ihre unzulänglichkeit zu zeigen, den allsieger selbst zu einem bilde der menschlichen sünd - haftigkeit und schwäche zu machen. dazu schien ihm die an sich so unwesentliche geschichte vom kindermorde eine handhabe zu bieten. aber er hat sie nicht nur äuſserlich zu einem exempel benutzt, er hat vielmehr selbst die schickung Heras, die eine begründung des wahn - sinns gewesen war, um Herakles die verantwortung für die bluttat zu nehmen, zu einem äuſserlichen mittel der veranschaulichung gemacht: die tat aber ist eine folge der herakleischen eignen natur geworden. das dorische mannesideal beruht auf einer ungeheuren überschätzung der menschengröſse: die führt nicht in den himmel, die führt zum gröſsen - wahnsinn.
Von diesem augenpunkte aus versteht man erst die neuerung des Euripides, daſs Herakles seine kinder erschlägt, gerade als seine lebens - aufgabe erfüllt ist, oder wie Herakles selbst es bitter bezeichnet, daſs diese tat sein dreizehnter ἆϑλος ist. die tiefste erniedrigung ist an die stelle der verklärung getreten, mit welcher der dodekathlos schloſs. trotz der verzerrenden ausführung muſs man Seneca zugestehen, daſs er für die tendenz der euripideischen dichtung die richtige empfindung gehabt hat, wenn er seine Iuno fürchten läſst, daſs Herakles seiner dienstbarkeit ledig gott wird werden wollen. auch Euripides stellt uns sinnfällig die frage, was wird der καλλίνικος tun, wenn er nichts mehr zu bezwingen hat. so lange ihn die aufgabe seines lebens von arbeit zu arbeit rief, blieb er sittlich, hielten ihn die schranken der menschheit. jetzt gibt es nichts mehr zu bezwingen, jetzt ist er frei. wie wird er die freiheit benutzen? wir sehen es. die welt hat er überwunden: nur einer ist noch übrig, er selbst: dem erliegt er. da er sich von dem letzten gerecht vergossenen blute reinigen will, schrickt er zurück. der blutdunst, in dem er sein376Der Herakles des Euripides.leben lang gewandelt ist, hat seinen sinn umnachtet, er kann auſser ihm nicht leben. hervorbricht ein wilder haſs, zunächst gegen den auftrag - geber, dessen joch er nun doch los ist, hervorbricht eine grenzenlose eitelkeit, die sich selbst zum sieger ausruft, eine sinnlose zerstörungslust, die Mykenes mauern aus den fugen reiſsen will: er ruht nicht, bis er wieder blut vergieſst, sein eigenes blut. so rast er bis zur physischen erschöpfung. und keinesweges ist der ausbruch der raserei in seinem charakter unvorbereitet. als er die gefahr der seinen erfahren hat, flammt er ebenso in jähem sinnlosem zorne auf, will ganz Theben zusammen - schlagen und würde ohne die besonnenheit seines vaters durch diese hitze seinen ganzen anschlag gefährdet haben. nicht minder verstockt er sich in eitlem trotze, als er seiner untat inne geworden ist; nicht mitleid, trauer, tränen hat er, er lästert die götter, er weidet sich an seinen heldentaten, er will sterben trotz den göttern, αὐϑαδίᾳ. sein verbrechen kommt aus derselben wurzel seines wesens wie seine heldengröſse: die welt zu bezwingen, die welt in trümmer zu schlagen reicht die dorische ἀρετά vielleicht aus. aber sie ist nicht göttlich, weil sie nicht mensch - lich ist. erst der mensch, der sich seiner schwäche bewuſst ist, wird den wahren menschenadel zu üben stark genug sein, sich zu bezwingen und sich zu bescheiden.
Das ist es, wozu Theseus, nicht der held, sondern der mensch und seine liebe eingeführt wird. des freundes bedarf Herakles, auf den er sich stütze, der ihm die last des lebens tragen helfe. die liebe scheut sich nicht vor der befleckung menschlicher sünde, sie weiſs daſs der fluch nicht ansteckt, und vor der reinen menschenliebe weichen die Erinyen, die das verstockte herz bewohnen: diese entsühnung ist es, welche Theseus dem Herakles bietet, darum preist dieser in seinem letzten worte den wert dieser freundesliebe, an der Amphitryon (55) und Megara (559) ver - zweifelt hatten. und diese liebe hat sich Herakles verschafft durch eine tat, die ihm kein schicksal und kein Eurystheus auftrug, durch eine tat freiwilliger hingabe, darum die einzige, an die er auch in tiefster ver - bitterung gerne gedenkt (1235)53)So fällt auch starkes licht auf das wort des Herakles und des chores, daſs die rettung der kinder eine freiwillige tat ist (583): nur das ἑκούσιον kann etwas sittliches sein.. die menschheit hat ihre eigene un - zulänglichkeit einsehen gelernt in bittersten erfahrungen, darum genügt ihr die Heraklesreligion nicht mehr: aber sie hat auch die himmlische kraft erkennen gelernt, mit welcher sie die wunden lindern kann, die sie sich selbst in ihrer überhebung schlägt: die kraft der liebe.
377Gehalt des dramas.Aber diese hoffnungsfreudigen töne sind nicht die einzigen, in welche das drama ausklingt, ja es sind nicht die welche am meisten ins ohr fallen; der dichter schlägt sie an, ahnungsvoll mehr und in ein anderes reich des empfindungslebens weisend, als dem sein held und die helden seines volkes angehören. es ist ja nicht der appell der freundschaft, welchem Herakles sich ergibt: er nimmt die kraft des letzten entschlusses wenigstens scheinbar aus eigner seele. Euripides wollte Herakles als ideal der selbstgenügenden menschenkraft trotz alledem darstellen, nur nicht das der archaischen, sondern das der sophistenzeit. darin liegt eine ge - wisse incongruenz, eine schädigung des wunderbaren freundschaftsmotivs, gewiſs: aber darin liegt zugleich die tiefste offenbarung seines eigenen glaubens. Herakles der sohn des Zeus, den Hera verfolgt, Hera und ihre eifersucht, die ganze bunte götterwelt und die heldensage, das ist ja alles nicht wahr, das ist ja nichts als eine gotteslästerliche erfindung der dichter. wenn es eine gottheit gibt, so darf ihr nichts von menschen - ähnlichkeit und beschränktheit anhaften. so schlägt Herakles mit den waffen des Xenophanes die ganze schöne welt in trümmer. seine eigenen gotteslästerungen fallen damit freilich hin: aber um so entsetzlicher lastet auf ihm der fluch seiner eigenen menschlichen sünde. und ob es einen solchen sittlichen gott gibt, darauf erfolgt keine antwort. das ist ant - wort genug: der helle jubelruf über die göttliche gerechtigkeit, den der chor vorher erhoben hat (772), gehört nicht nur dem teile des dramas an, der die voraussetzungen der mythen fest hielt, er ist sofort durch Iris und Lyssa lügen gestraft. nein, Herakles lehrt uns etwas anderes: ‘elend’ ist das stichwort seiner letzten rede. das leben ist auf seinen wert hin geprüft und hat die probe schlecht bestanden: so urteilte im angesicht des todes auch Amphitryon (502). aber der schloſs daraus was die menge schlieſst, genieſse das heut: Herakles sieht tiefer. aber er lebt weiter, er trägt dies sclaventum selbst und bittet die seinen, ihm tragen zu helfen. ach, zu leben ist unendlich schwerer als das leben fortzuwerfen: aber das ist menschenadel und menschenmut, den schritt der feigheit nicht zu tun. so überwindet der weltenüberwinder sich selbst; aber ach, wozu? dem elend und der schwachheit des daseins fest und ohne illusion ins auge zu schauen, und zu sprechen: ich trag’ es dennoch53 a)In Georg Forsters briefen aus Paris findet sich dieselbe gesinnung wieder, die Herakles und Euripides hier äuſsern: und vielleicht hilft diese äuſserung der verzweiflung dem leser am besten dazu, den tiefen schauder nachzuempfinden, den Euripides erwecken will, aber erst erweckt, wenn man durch die hülle der stilisirung hindurch dringt “für mich kann weiter nichts mehr sein als arbeit und mühe —.
378Der Herakles des Euripides.Schopenhauer hat ja wol in der tragödie die predigt des pessimismus gehört, unfähig, wie die philosophen meistens sind, zu würdigen, daſs die poesie und zumal ihre älteste und machtvollste erscheinungsform, die sage, ein vollbild der in einer bestimmten zeit und cultur vorhandenen stimmungen und weltanschauungen gibt, also jederzeit optimistisch und pessimistisch zugleich ist. aber der Herakles des Euripides in dieser seiner letzten und bedeutsamsten rede ist allerdings eine erschütternde predigt von menschenschwäche und weltelend. sehr verbreitet und eben wieder aus der wurzel philosophischer abstraction erwachsen ist das bestreben, eine jede tragödie auf die formel einer ‘grundidee’ zurückzuführen. das ist nun wol nichts als eine der formen des verderblichen irrtums das fabula docet für älter als die fabel zu halten, des irrtums, die sage zu vergessen, im drama speciell irgend einer toten formel nachzujagen, statt in der handlung, dem μῦϑος, die hauptsache zu sehen, und in der drama - tisirung eines μῦϑος die tätigkeit des dichters zu begreifen. und vor diesem irrtum sollte doch wahrlich Aristoteles jeden bewahren. aber es könnte allerdings verführerisch sein, in dieser pessimistischen rede die tendenz des Euripides offenbart zu sehen; ein anderer möchte geneigt sein, die sprüche von der freundschaft gewissermaſsen als leitmotiv zu verfolgen. vor allen solchen misgriffen bewahrt, abgesehen davon, daſs keine einzelne solche formel die tiefe des ganzen dramas erschöpft, die erkenntnis, daſs die sage und der dichter als individuum in seinem ver - hältnis zu ihr, wie er ihr folgt und von ihr abweicht, das verständnis erst aller einzelnheiten, dann des ganzen liefert. das ist freilich schwerer zu erlangen, als wenn man sich eine formel aus dem vorliegenden drama destillirt. und es wird sich in einem kurzen schlagwort nicht zusammen - fassen lassen. die Heraklessage hat Euripides in sich aufgenommen, sie hat er aus seinem geiste neugeboren, nicht die vereinzelte geschichte vom kindermorde, sondern den innersten gehalt der ganzen sage. mit gewalt - tätiger, man mag sagen, pietätloser hand hat er zerschlagen, was seiner weltanschauung nicht genügte, in anderem wieder ist die sage stärker53 a)um was? um elende selbsterhaltung in einem genuſs - und freudeleeren dasein. hundertmal habe ich nun schon erfahren, daſs es gröſser ist zu leben als zu sterben. jeder elende hund kann sterben. aber wenn hernach der teufel — oder wer ist der schadenfrohe zähnefletschende geist in uns, der so einzusprechen pflegt? — wenn der fragt, was ist dir nun die gröſse? bist du nicht ein eitler narr, dich für besser als andere zu halten? o mein gott, da versink’ ich in meinem staub, nehme meine bürde auf mich und denke nichts mehr als: du muſst, bis du nicht mehr kannst. dann hat’s von selbst ein ende. ” sechs wochen darauf ist Forster gestorben. (Iulian Schmidt gesch. d. deutschen litt. III 217.)379Gehalt des dramas.gewesen als er. ganz individuelles hat er eingemischt, ganz conventio - nelles hat er beibehalten. ohne zweifel ist der eindruck nicht rein und nicht einheitlich, den das kunstwerk macht. das merkt man nur um so besser, wenn man das einzelne versteht; aber hat er einen reinen ein - druck erzielen wollen? in der seelenstimmung, welche aus der letzten rede spricht, wird ein dichter eher die disharmonie suchen. vielleicht hat Euripides das getan.
Da stehen wir schlieſslich doch an einem punkte, wo nur eine kenntnis der intimsten lebensschicksale aufklärung geben könnte, wo also vielleicht selbst dann kein wissenschaftliches ergebnis möglich wäre, wenn uns das datum der aufführung des Herakles bekannt, und die schätze der alexan - drinischen bibliothek erhalten wären. um so mehr wird man sich vor einem raschen und nur zu billigen gesammturteil hüten. wol aber läſst sich eines erkennen. die letzte rede des Theseus verträgt sich eigentlich nicht mit dem motive der freundschaft, und nicht gern wird man sich damit helfen, daſs Euripides die polemik des Xenophanes aufgenommen hätte, ohne ihr eine andere als dialektische bedeutsamkeit geben zu wollen. so hat sich in den versöhnenden schluſs ein bitteres neues moment eingedrängt, unwillkürlich, aus der scelenstimmung des dichters heraus. das gelöbnis ἐγκαρτερήσω βίοτον stimmt wunderbar zu dem gelöbnis οὐ παύσομαι τὰς Χάριτας. man glaubt zu empfinden, wie dem dichter eine bittere erfahrung leben und poesie verleiden will, er aber sich gewaltsam aufrafft, auch in sich den menschenadel findet, duldend auszuharren, obwol ihn das leben eine sclaverei der τύχη dünkt, nur daſs ihm der dichterberuf kraft verleiht, weil ihm der gott gab zu sagen was er leidet. und in der tat, wer seine tätigkeit in seinem greisenalter über - blickt, ihre fieberhafte hast, ihre friedlosigkeit, die verbitterte, welt und menschen verachtende stimmung, und daneben die einzige freude eben an der poetischen und, was für ihn dasselbe ist, der philosophischen tätig - keit, der kann sichs gar wol so vorstellen, daſs er das gelöbnis erfüllt, das er im Herakles gegeben hat, erfüllt bis zum letzten atemzuge, in den Bakchen alle die wilden geister vorführend, die ihn in dem rasenden taumel hielten, und von denen er sich in der neuen umgebung dadurch los zu machen suchte, daſs er sie verkörperte54)Dies der sinn der Bakchen. es kann niemand den Euripides ärger ver - kennen, als wenn er in ihnen eine bekehrung zum glauben der alten weiber sieht. Teiresias ist mit nichten der träger seiner ideen, und Dionysos, der so grausam an Pentheus sich rächt, ist mit nichten sein gott. er dramatisirt diesen mythos, führt die in ihm liegenden conflicte durch: ihm gehört nur die stimmung an, das gefühl des friedens nach den orgien und durch die orgien., und doch von den Musen380Der Herakles des Euripides.selbst immer an neue aufgaben gewiesen, deren keine ihn oder uns voll befriedigen kann. diese düstere weltanschauung, diese verbitterung ist noch nicht vorhanden in Hiketiden und Erechtheus 421, sie beherrscht in wahrhaft furchtbarer weise die troische tetralogie 415: wir werden geneigt sein den Herakles zwischen diese jahre zu rücken. 421 ist Euri - pides ein glühender verehrer seines heimischen staates und dient der politik desselben: 415 spricht er ihr hohn und prophezeit dem vater - lande den untergang. in die zwischenzeit fällt seine verbindung mit Alkibiades. wir werden es niemals beweisen können, aber wir haben das recht darüber zu sinnen, und wer den dichter lieb gewonnen und an seiner sphäre lang gesogen hat, der hat auch das recht als seinen glauben auszusprechen, daſs das schicksal, welches Euripides leben verdüstert hat, in desselben unheilvollen mannes dämonischer gröſse liegt, welche auch seinem vaterlande verhängnisvoll geworden ist, daſs er es nicht verwunden hat, sich in Alkibiades getäuscht zu haben. στείχομεν οἰκτροὶ καὶ πολύ - κλαυτοι τὰ μέγιστα φίλων ὀλέσαντες. so schlieſst der Herakles: das hat einen tiefen sinn, auch wenn wir es wider Euripides absicht in das persönliche umdeuten.
Es mag dem eigenen nachdenken überlassen bleiben, all das licht sich selbst zu suchen, das nun auf das einzelne zurückfällt, nachdem das ganze verstanden ist. denn es ist ein eitles bemühen, die schönheiten eines wahren kunstwerkes erschöpfen zu wollen. so wird man auch die absicht des dichters jetzt leicht darin würdigen, daſs er den ganz neuen gedanken seines letzten teiles eine so stark von den scenen des wahn - sinns abweichende gestalt gegeben hat: die exodos ist nicht ohne grund im stile des modernen dramas gehalten. aber eines muſs an der drama - turgie noch hervorgehoben werden, das zunächst überraschend wirkt: der titelheld wird von dem tritagonisten gegeben. stellen wir zunächst die tatsache fest. zuverlässige überlieferung über die rollenverteilung gibt es nicht und kann es nicht geben. wir sind also auf rückschlüsse aus den dramen selbst angewiesen, und diese werden dadurch erschwert, daſs der dichter ja nicht ein sondern vier dramen zugleich auf die bühne brachte und somit mehr momente in rechnung ziehen muſste, als uns kenntlich sind. daſs der dichter aber seine schauspieler vorher kannte, ist für die zeit der groſsen dichter unzweifelhaft. eine trilogie ist uns nun wenigstens erhalten, und ein einigermaſsen denkender leser der Orestie kann nicht darüber schwanken, daſs in ihr der erste schauspieler Kassandra und Orestes gibt, der zweite Klytaimnestra Elektra Kilissa Pythias Athena, der dritte den rest der rollen. der zweite schauspieler hat an381Gehalt des dramas. Schauspielerverteilung.versen ziemlich so viel zu sprechen wie die beiden andern zusammen, er hat mehrere melodramatische partieen (anapäste) zu recitiren und ein par kleine strophen zu singen: aber er hat nur frauenrollen. der dritte schauspieler hat nur zu recitiren, schöne lange reden hat er zu halten, aber nur als Apollon etwas lebhafter zu spielen. dagegen die groſse musikalische und schauspielerische leistung fällt den zwei rollen des pro - tagonisten allein zu, von denen eine sich durch zwei dramen zieht. sein erstes auftreten hat der erfahrene bühnenmeister bis hinter die mitte des ersten dramas aufgespart. wir bemerken an diesem deutlichen beispiel, was auch allgemeine erwägung lehrt, daſs namentlich die forderungen an gesang und spiel den ersten schauspieler zeigen, während die bloſse reci - tation auf den dritten weist55)Den Kreon in Sophokles Antigone pflegt man dem tritagonisten zu geben, obwol er bedeutende gesangpartieen hat und bei moderner aufführung sogar in störender weise das interesse auf sich zieht. man schenkt dabei dem Demosthenes glauben, der behauptet, Aischines wäre tritagonist gewesen und hätte den Kreon gespielt (19, 247, aufgenommen ohne neue pointe 18, 180), der wie alle tyrannen dem untergeordnetsten zufiele. aber was ein redner demosthenischer zeit sagt, ist überhaupt unglaubwürdig, und wenn es vollends der gemeine neid und haſs spricht, wie hier, ist die lüge an sich wahrscheinlicher. Demosthenes will verse des Kreon wider Aischines wenden, deshalb greift er diese rolle auf; vielleicht hat jener sie gespielt, vielleicht auch nicht. aber zur tritagonistenrolle muſste sie Demosthenes machen, um seine beleidigungen los zu werden. was kümmert ihn die wirkliche rollenverteilung? die ökonomie des dramas lehrt, daſs Kreon deuteragonist ist. übrigens ist Aischines schwerlich ein schlechter schauspieler gewesen: so mag er denn den Kreon gespielt haben.. ein streben nach gleichmäſsiger belastung ist oft selbst im einzelnen drama kenntlich, und man wird darauf acht geben, es wird jedoch auch stark verletzt56)So hat in der Medeia der protagonist, der die titelrolle spielte, ziemlich so viel zu sprechen wie die beiden anderen zusammen genommen. er hat aber nur ein par anapäste, kein einziges gesangstück. wie trefflich das zu Medeias cha - rakter paſst, ist klar: man würde sehr gern die anderen dramen der trilogie ver - gleichen, aber es ist nichts zu erkennen; Philoktet ohne lyrische klagen wird uns schwer zu denken. daſs irgend ein drama ganz ohne einzelgesang gewesen wäre, ist für die blütezeit unglaublich. die erhaltenen Herakleiden beweisen eben darin ihre überarbeitung. und, wie die Orestie zeigt, nicht einmal in der trilogie immer ausgeglichen. im Herakles nun singt nur einer, Amphitryon, und er ist fast das ganze stück hindurch auf der bühne, seinem vertreter kann keine zweite rolle gegeben werden, und er ist unbedingt protagonist. rechnet man weiter, welche personen mit ihm auftreten, so ist sofort kenntlich, daſs ein schauspieler Herakles Lykos, der andere Megara Theseus gibt, und auf diese in zunächst ungewisser weise382Der Herakles des Euripides.sich die beiden göttinnen verteilen. da nun Megara und Lyssa weitaus die stärksten anforderungen an das spiel machen, so wird man sie einem darsteller und zwar dem deuteragonisten geben. so erzielt man eine gleich - mäſsige belastung der schauspieler57)Amphitryon hat etwa 300 verse, die beiden anderen 20 und 40 mehr., aber Herakles ist allerdings trita - gonist. das stimmt vorzüglich zu dem, was oben über die geringen an - forderungen gesagt ist, welche diese rolle an das spiel stellt, und daſs es den modernen zunächst befremdet, macht für die sache nichts aus. wol aber wird man beherzigen, daſs der dichter für die haltung seiner personen keinesweges bloſs sachliche rücksichten nehmen muſste, sondern mit dem materiale an darstellern rechnete, das ihm zur verfügung stand. indessen für den wahren künstler liegt ja in der gesetzten schranke kein hemmnis; er wird den ihm zugemessenen raum so ausfüllen, daſs die schranke nur als ein rahmen um das fertige bild erscheint, wie Pheidias seine giebel - gruppen componirt hat. aber für die beurteilung der einzelnen dramen und noch mehr der trilogie ist diese beobachtung in ähnlicher weise fruchtbar wie die oben besprochene bildung der einzelnen chöre58)Helene und Andromeda zeigen einen für ein sentimentales weib geschickten sänger und neben ihm einen ähnlich für rührende männerrollen geeigneten zweiten sänger. die arie des castraten im Orestes ist offenbar für diese ganz bestimmte person (παραχορήγημα?) verfaſst. auch in den komödien ist ähnliches zu bemerken; Aristophanes muſste eines geschickten knirpses sicher sein, wenn er in den Acharnern die tochter des Dikaiopolis und den Nikarchos als redner, daneben die kleinen Odo - manten und die megarischen ferkelchen einführte; diese reden nicht und sind in der mehrzahl, aber ein par jungen fand er leicht als statisten zur begleitung..
Welchen erfolg der Herakles bei der ersten aufführung gehabt hat, wissen wir nicht. aber die wirkung, die er auf den würdigsten richter ausgeübt hat, zu erkennen ist uns vergönnt: er hat Sophokles zur dich - tung der Trachinierinnen angeregt. die einzelnen verse, in welchen sich ein unbewuſster aber deutlicher anschluſs an Euripideische verse zeigt59)Vgl. oben s. 373. hinzuzufügen noch Tr. 1112 nach Eur. Her. 135. 877., beweisen freilich nur, daſs Sophokles das euripideische stück gekannt und sorgfältig gelesen hat, und das ist nicht wunderbar, da sein stil im alter in jeder beziehung so sehr stark von Euripides beeinfluſst ist. aber auch sein Herakles wird bei einem opfer rasend, begeht eine wilde tat (um die sich freilich keiner viel kümmert) und wird uns, während dies nur erzählt ist, danach zunächst schlafend gezeigt, indem die umstehenden die laute äuſserung ihrer teilnahme vergeblich zu bemeistern suchen. auch sein Herakles hadert mit seinem unseligen geschicke und weidet sich an der aufzählung seiner taten. schlieſslich geht er zur selbstverbrennung,383Schauspielerverteilung. nachwirkung des dramas.der euripideische geht in den tod zwar nicht, aber für die welt ist er dennoch auch tot. beide dramatisiren das ende des heros, beide eine geschichte, welche ihn in sünde verstrickt zeigt: das vorige capitel hat in ganz anderem zusammenhange beide sagen neben einander stellen müssen. es ist also wirklich die beziehung beider dramen zu einander viel näher, als es zunächst scheinen mag: aber das ist natürlich, sind es doch die beiden einzigen der eigentlichen Heraklessage entnommenen tragödien60)Mitrechnen mag man noch Eur. Alkmene, vgl. oben s. 298, zu der viel - leicht Sophokles Amphitryon eine parallele bildete.. daſs er das schicksal des Herakles überhaupt zu dramati - siren wagte, darin liegt die entscheidende anregung, die Sophokles von seinem rivalen empfangen hat. gearbeitet hat er, wie sich von selbst versteht, in seinem eignen sinne, und dem lag die pietätlosigkeit des Euripides wider die sage ebenso fern wie die tiefe ethisch religiöser specu - lation. deshalb machen auch die Trachinierinnen auf den ersten blick leicht einen altertümlicheren eindruck als der Herakles. Sophokles hat sich be - rechtigt gehalten, schlecht und recht der sage zu folgen, wie sie eben war, ganz wie in der Elektra. aber keinesweges weil er die in ihr liegenden anstöſse nicht empfand, sondern weil sie für ihn etwas tatsächlich gegebenes war. er hilft sich denn auch mit der verlegenheitsausrede, die jeden stein gleich gut oder schlecht aus dem wege räumt, ‘es ist nun einmal gottes wille, da wird’s schon recht sein’. τοῦ λόγου οὐ χρὴ φϑόνον προσεῖναι, Ζεὺς ὅτου πράκτωρ φανῇ (251), das gilt dem verkauf in die sclaverei, und das schluſswort ist οὐδὲν τούτων ὅτι μὴ Ζεύς61)Nur vereinzelt wird ein zu starker zug gemildert, so der mord des Iphitos, 277, der nur δόλῳ begangen sein soll: der bruch des gastrechts, das eigentlich ent - scheidende, ist damit eliminirt. aber, muſs der genauer überlegende fragen, ist denn der totschlag durch list als solcher verwerflich, muſs er mit ϑητεία bestraft werden? ἀπόλλυμαι δόλῳ ruft doch auch Lykos bei Euripides, und δόλῳ wird Aigisthos in den Choephoren bewältigt. so mislingt diese sorte apologetik immer.. hätte er, der doch selbst eine Heraklescapelle gestiftet hatte, den leben - digen Dorerglauben gehabt, so würde mindestens eine glänzende hin - deutung auf die apotheose nicht gefehlt haben, aber das ‘ende der mühen’ bedeutet innerhalb des dramas lediglich den tod, und nur in der letzten rede des Hyllos steht eine schüchterne hindeutung, daſs man noch nicht wisse, was da kommen werde, neben einer scharfen anklage des Zeus, die stark nach Euripides klingt62)Die vielbeanstandeten verse haben den sinn ‘verzeiht mir, daſs ich meinem vater zur selbstverbrennung behilflich bin, und bedenkt, wie sehr Zeus pflichtver - gessen handelt, indem er seinen sohn so zu grunde gehen läſst. das kann ja noch. so ist denn der Herakles des Sophokles384Der Herakles des Euripides.an tiefe und innerer bedeutsamkeit weder dem des Euripides noch dem der sage auch nur von ferne vergleichbar. das soll er aber auch gar nicht. Sophokles handelt wie der ionische epiker, dessen werk ihm mindestens sehr viel von seinem stoffe gab. er gibt weder den universellen noch den natio - nalen heros, sondern einen heros, wie es viele gibt. mit bedacht ist des - halb, wo nicht der anschluſs an die sage oder auch an Euripides irre führte, die beziehung des Herakles zu Hellas und zur ganzen welt zurückgedrängt, und die tragödie in das einzelne haus und die familie verlegt. dabei hat Herakles verloren. der sophokleische wird nur dem imponiren, der a priori vor allem sophokleischen in bewunderung erstirbt. dagegen ist es auch hier dem Sophokles gelungen, unser lebhaftestes interesse zu fesseln, indem er eine figur aus dem zweiten in den ersten rang zog, der er dann in der individuellen beschränkung ein wahrhaft menschliches leben verlieh. Deianeira macht die Trachinierinnen zu einem des Sophokles würdigen gedichte, da schafft er mit liebe aus dem vollen, und dieser partieen soll man sich freuen, ohne zu schelten, daſs das drama nur kümmerlich durch orakelsprüche zu einer äuſserlichen einheit zusammen - gehalten wird, daſs der zweite teil an sich keinen hohen wert hat, und daſs von Herakles und seinen taten wirklich nur noch die namen übrig geblieben sind. nur würde man Sophokles schweres unrecht tun, wenn man seine dichterkraft nach solchen werken schätzen wollte, wo er nicht am mythos selber neuschaffende hand anlegt, sondern in dem vorsuchen und in der ausarbeitung zurückgestellter nebenmotive ein vorläufer der alexandrinischen epik ist.
Für die gestaltung der geschichte von Herakles, die als die allgemein giltige die ganze folgezeit beherrscht, haben die Trachinierinnen erfolg gehabt, nicht bloſs in ihren trefflichen teilen, sondern auch für Herakles. das war nicht zu verwundern. die folgezeit empfieng die meisten sagen in der tragisch umgeformten gestalt, weil die tragiker die letzten groſsen sagendichter gewesen waren. in der Heraklessage hatten sie nicht viel geleistet, um so fester hielt man das wenige. das gleiche gilt von dem Herakles des Euripides, doch mit wesentlicher einschränkung. seine groſsen neuerungen, die ansetzung des kindermordes am ende des lebens und die einführung des Theseus, sind mit der fülle der Heraklessagen, mit dem dodekathlos und dem oetäischen kreise unvereinbar. sie muſsten also beide aufgegeben werden, wenigstens wenn man das ganze leben erzählte; in62)anders werden (d. h. Zeus wird Herakles in den himmel nehmen), wie es hier aber sich darstellt, haben wir die trauer, Zeus die schande davon, und Herakles muſs elend sterben’. was dann der chor mit dem schluſswort berichtigt.385Nachwirkung des dramas.einzelgeschichten hat sich aber selbst die erste gehalten. den Lykos hat man dagegen allgemein festhalten können und hat es getan. die bildende kunst hat weder das sophokleische noch das euripideische drama berück - sichtigt: sie hat die entscheidenden anregungen für die bearbeitung der Heraklessage schon von der archaischen zeit erhalten, und die Heraklesver - ehrer hatten auch in späterer keine veranlassung gerade diese gegenstände dargestellt zu wünschen. dagegen hat die poesie in dem euripideischen werke stark gewirkt; es gehörte zu den zwar nicht in der schule behan - delten, aber doch zu den viel gelesenen, und wenn es uns also auch nur ein glücklicher zufall erhalten hat, so würden wir es doch in seinen wesent - lichen zügen wieder herstellen können.
Dies zu zeigen hat mehr wert als die stellen zu häufen, welche eine beeinflussung durch Euripides verraten63)Nur auf eins sei hingewiesen, Antikleides, ein merkwürdiger, weil nicht leicht in die fächer unserer litteraturgeschichte einzuordnender mann, der sowol die sagengeschichte wie die Alexanders behandelt hat, erzählt, daſs Herakles nach voll - endung seiner arbeiten von Eurystheus zu einem opferschmaus geladen wird, und, weil er eine zu kleine portion bekommt, drei söhne des Eurystheus erschlägt, deren namen Antikleides natürlich anzugeben weiſs (Athen. 157f): das ist eine deutliche entlehnung aus Euripides. ein buch, in dem das stehen konnte, war ein roman.. für ihn selbst lernt man frei - lich auch dadurch nichts, aber es dürfte etwas für uns beherzigenswertes herauskommen.
Denken wir also einmal, der Herakles wäre selbst verloren, und wir wollten ihn aus den bruchstücken herstellen. was würden wir erreichen? der titel Ἡρακλῆς zunächst sagt gar nichts. daſs Herakles in der raserei sich einbildet zu wagen zu fahren, berichtet Dion (32, 94) und führt v. 947 — 49, allerdings entstellt, an, aus denen sicher zu entnehmen ist, daſs die raserei erzählt ward. eben diesen zug hebt Philostratos (Imag. 2, 23) hervor, und da dieser rhetor auch noch für andere einzelheiten, die ein - führung einer Erinys (wie er für Lyssa sagt) und die fesselung des Herakles, sich auf die bühne und die dichter beruft, so haben wir das recht sein ganzes angebliches gemälde in die poesie zurückzuübersetzen, aus der er es zusammengestümpert hat. so gewinnen wir den inhalt des botenberichtes: Herakles gerät beim opfern in wahnsinn, glaubt nach Mykene zu fahren und die Eurystheuskinder zu töten, tötet aber Megara und seine söhne. erst erschieſst er zwei (dabei würden wir also die feinere abwechselung des Euripides verlieren, der einen sohn erschlagen läſst), dann die mutter mit dem jüngsten, die sich in ein gemach geflüchtet hat. sein gesinde versucht ihn vergeblich zurück zu halten; schlieſslich haben sie ihn aber doch gebunden. auſserdem ist die personification desv. Wilamowitz I. 25386Der Herakles des Euripides.wahnsinns von Euripides selbst auf die bühne gebracht, also in einer scene vor dem botenbericht. leicht würden wir dann noch eine stelle, die sich auf das reinigungsopfer bezieht, dem botenberichte einreihen (Didymos in schol. Fried. 959 und bei Athen. IX 409. Eur. v. 928. 29). daſs Herakles, also gebunden, selbst vorgeführt ward, ergibt weiter der öfter citirte vers 1245, und die angabe, daſs in diesem drama der glaube an die ansteckende kraft des blutbefleckten berührt worden sei (schol. Eur. Or. 73): denn diese combination zu machen dürfen wir uns schon zutrauen. wenn Herakles im botenberichte gebunden ward, nachher auf der bühne blutbesudelt anwesend war, so ist die einführung des ekky - klemas mit sicherheit zu erschlieſsen. wie wir uns freilich weiter helfen sollten, würden die fragmente nicht lehren, denn daſs 1349, 50 in schwer interpolirter gestalt bei Stobaeus (108, 12) stehen, wir also den spruch ver - nehmen, ‘wer nicht das geschick zu tragen weiſs, wird auch nicht im stande sein, dem geschosse des feindes entgegen zu treten’, würde die lösung schwerlich ergeben. und daſs die rettung der 14 kinder aus Kreta, also eine Theseustat, erwähnt ward (Servius zu Aen. 6, 21), müſste zunächst nur verwirren. allein mit diesen kenntnissen bewaffnet könnten wir zuver - sichtlich an die tragödie des Seneca gehen, und ohne schwanken aus ihrem zweiten teile den zusammenhang nehmen, in den die namentlich erhaltenen citate sich einordnen. Herakles kommt mit Theseus aus dem Hades, also nach der bezwingung des Kerberos, also am ende seines lebens, unerwartet nach Theben. in raserei erschlägt er frau und kinder; als es ihm zum bewuſstsein kommt, will er sich töten, entschlieſst sich aber auf die bitten seines vaters und des Theseus mit diesem nach Athen zu ziehen um sich dort entsühnen zu lassen: ja selbst einen schimmer von der stimmung des euripideischen Herakles hat Seneca bewahrt. wenn er die mahnung hört nunc Hercule opus est, perfer hanc molem mali (1239), sie abweist veniam dabit sibi ipse qui nulli dedit? laudanda feci iussus: hoc unum meumst (1261), und schlieſslich entscheidet succumbe virtus, perfer imperium patris, eat ad labores hic quoque Herculeos labor, vivamus, so ist das zwar für uns jetzt, die wir den echten hören, ein unge - nügender nachklang, aber er gibt doch von der stimmung des echten eine gar nicht verächtliche vorstellung. und ganz abgesehen davon, wie gut es einem kenner des Euripides gelingen möchte, die zusätze der copie zu entfernen: das ist augenfällig, daſs wir den schluſs des dramas inhalt - lich, so weit es die handlung angeht, in der hauptsache richtig recon - struiren müſsten. aber Seneca würde uns noch weiter helfen. daſs Euripides den Herakles aus der hölle nur emporgeholt hätte, um ihn387Nachwirkung des dramas.seine kinder erst retten zu lassen, daſs das opfer, bei dem er rasend wird, das siegesopfer für den tod des Lykos auch bei ihm gewesen wäre, und der erste teil des dramas also die bedrohung Megaras und der kinder durch Lykos enthalten hätte, das würde Seneca sicher lehren, und dann würde die mythographische vulgata bestätigend eintreten, neben einer anzahl anderer stellen, die zu häufen keinen zweck hat, das die τραγῳ - δούμενα des Asklepiades citirende scholion λ 269 Μεγάρα Κρέοντος τοῦ Θηβῶν βασιλέως γημαμένη Ἡρακλεῖ παῖδας ἴσχει Θηρίμαχον καὶ Κρεοντιάδην καὶ Δηικόωντα64)Therimachos und Deikoon, daneben aber Aristodemos nennt ausdrücklich als von Euripides erwähnt schol. Pind. Isthm. 4, 104, dem wir, wie die mythogra - phischen studien jetzt stehen, doch nur die zahl glauben würden., βαδίζοντος δὲ αὐτοῦ εἰς ᾅδου ἐπὶ τὸν τοῦ κυνὸς ἆϑλον Λύκος ὁ τῶν Θηβῶν βασιλεὺς πεισϑεὶς Ἥρᾳ καταστέφει τοὺς Ἡρακλέους παῖδας ἵνα ϑύσῃ. οὐ γὰρ αὐτὸν ἐπανήξειν ᾤετο. παραγενόμενος δὲ Ἡρακλῆς ἀναιρεῖ αὐτὸν καὶ τοὺς ἐκείνου παῖδας· μανεὶς δὲ διὰ τὴν Ἥραν κτείνει τοὺς ἰδίους. ἔμελλε δὲ καὶ τὸν ἀδελφὸν Ἰφικλέα, εἰ μὴ ἔφϑασεν ἡ Ἀϑηνᾶ κωλύσασα. wir wollen das spiel nicht zu weit treiben und dahingestellt sein lassen, in wie weit sorgfältige erwägung aller varianten die möglichkeit einer wiederherstellung der einzelnen züge bieten könnte; über sie würden auch die sachverständigen sich schwer geeinigt, und irrtümer würden sehr leicht geltung gewonnen haben65)Einen irrtum, fürchte ich, würden wir begehen. wir würden nach Seneca annehmen, daſs Lykos die Megara mit heiratsanträgen behelligt hätte, zumal wir in schol. Lykophr. 38 Λύκον βιαζόμενον τὴν γυναῖκα Μεγάραν eine bestätigung finden würden. und doch ist das falsch. wir können uns aber trösten: wir würden dann nur ein wirklich euripideisches motiv in einen zusammenhang bringen, der es an sich wol erträgt. es ist das motiv, welches Euripides zuerst im Diktys, dann im Kresphontes angewandt hat. Polyphontes Merope bestürmend gibt in der tat eine ganz analoge situation: sie hat Seneca in das andere stück übertragen. der scholiast ist zufällig mit ihm zusammengetroffen. er wie andere brechungen des inhalts unseres Herakles kann lehren, wie wenig auf diese kleinen züge verlaſs ist, mit denen mythographen und historiker heut zu tage so besonders gern operiren.. daſs der inhalt des euripideischen Herakles sehr wol bekannt sein würde, daſs er gar nicht hätte verloren werden können, weil das drama die mythographische vulgata beherrschte, ist die hauptsache. sie ist unzweifelhaft, sie zeugt für den erfolg des dramas am besten, und sie gibt uns die lehre für die methode. aus den bruch - stücken selbst destillirt freilich nur selten jemand eine tragödie; deshalb können wir von den komödien ja wirklich so wenig wissen. aber aus der sagenüberlieferung muſs sich ein drama mehr oder minder herstellen lassen, welches in ihr epoche gemacht hat. Nauck hat in der vorrede388Der Herakles des Euripides.seiner kleinen ausgabe der Euripidesfragmente die namentlichen bruch - stücke von Herakleiden Herakles Elektra zusammengestellt, zum beweise, daſs es ein eitles bemühen wäre, aus ihnen den inhalt zu gewinnen. das ist wahr und falsch. denn aus den par zeilen geht es freilich nicht, aber das ist auch der falsche weg. vom stoffe hat man auszugehen, die litteratur muſs man beherrschen und soll wissen, daſs nur wer die ganze entwickelung einer sage verfolgt, wer auch zugleich auf ihre bedeutung und herkunft eingeht, damit er die trümmer der sagenüberlieferung richtig einordnen könne, eine einzelne fassung, epos oder drama, herstellen kann — wenn dies epos oder drama durchgedrungen ist. das aber ist die wesentliche vorfrage, die man praktisch natürlich nicht früher oder später beantwortet, als man dies gedicht herstellt oder ein anderes. so würden wir von Euripides Elektra gar nichts wissen, weil sie erfolglos geblieben ist; daſs sie das ist, könnten wir ermitteln. so sehen wir, daſs wir den inhalt des Herakles an vielen orten überliefert haben, so weit er die sage beherrscht; wo er ihr widerspricht, im schlusse, verdanken wir die kenntnis lediglich Seneca, also einem besonderen glücksfall. diese metho - dische lehre, was man finden kann, und wie man suchen soll, sei hier zum schlusse an einem praktisch überflüssigen aber keinen widerspruch zulassenden exempel eingeschärft. schlieſslich beweist sie doch auch nur, was dies ganze buch beweist, daſs die tragödie nur in der verbindung mit der sage verstanden und gewürdigt werden kann, ganz wie das epos.
Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.
Verlag der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin.
Kritische Studien zu den griechischen Dramatikern. Nebst einem Anhang: Zur Kritik der Anthologie von Dr. F. W. Schmidt, Oberschulrat und Direktor des Gymn. Carol. zu Nenstrolitz. Erster Band: Zu Aeschylos und Sophokles. (XIV u. 282 S.) gr. 8. geh. 8 M. Zweiter Band: Zu Euripides. (IV u. 511 S.) gr. 8. geb. 14 M. Dritter Band: Zu den kleinen Trag., den Adespota, den Kom. und der Anthologie. (IV u. 236 S.) gr. 8. geh. 7 M. Ueber die Aussprache des Griechischen von Friedrich Blass. Dritte umgearbeitete Auflage. (VIII u. 140 S.) gr. 8. geh. 3,50 M. Attische Genealogie von Johannes Toepffer. (VI u. 338 S.) gr. 8. geh. 10 M. Grammatik der Attischen Inschriften von Dr. K. Meisterhans, Professor am Gymnasium in Solothurn. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. (XII u. 237 S.) gr. 8. geh. 6,50 M.
Druck von J. B. Hirschfeld, Leipzig.
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