PRIMS Full-text transcription (HTML)
Liebe und Irrthum
Nordhauſen,Roſinus Landgraf.1827.

1. Das Zuſammentreffen.

Blauenſtein war im Begriff von einer langen Reiſe in die ſeit vielen Monden ſchmerzlich ent¬ behrte Heimath zuruͤckzukehren. Er hatte faſt ſaͤmmtliche Hauptſtaͤdte des gebildeten Europa beſucht, nach allen Richtungen durchſtreift, ihre Annehmlichkeiten, ihre ungeheure Verdorbenheit kennen gelernt. Die ſogenannte vornehme Welt ekelte ihn an; er wuͤnſchte ſich aus dieſem unſtaͤ¬ ten Treiben heraus in die freundliche Stille ſeines heimathlichen Lebens! War es unbefriedigte Sehnſucht, war es eine gewiſſe, ihm ſonſt ſo unbe¬ kannte, Leere ſeines Herzens: je naͤher er ſeiner Vaterſtadt kam, je wehmuͤthiger ward er geſtimmt, je mehr wurde es ihm einleuchtend, daß ihm etwas mangle, was eigentlich dem Leben wahren Reiz giebt.

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In dieſer Stimmung beſtieg er den Wagen, welcher ihn um eine halbe Tagereiſe dem Ziele naͤher bringen ſollte. Er uͤberdachte die letzte Vergangenheit noch einmal; er wollte den heim¬ lichen Grund ſeines Truͤbſinnes aufſuchen. War es etwa der letzte Brief ſeines Vaters, der darin beilaͤufig von einer Verbindung mit einem jungen Maͤdchen geſprochen, die er nicht einmal dem Namen nach kannte? Ich wuͤnſche, mein Sohn, hatte der Vater geſagt, ich wuͤnſche, daß Dein Herz ſich nicht fruͤher durch die Bande der Liebe feſſeln laſſen moͤge, als Du das Maͤdchen geſehn, welches ich Dir im Stillen als Dein treuſter Freund erwaͤhlt! Wer mogte, wer konnte dies ſein? Wie kam der Herr Papa auch gerade jetzt auf dieſen Einfall? Blauenſtein ſchloß die Augen, er traͤumte ſich wachend in alle dieſe kuͤnf¬ tigen Verhaͤltniſſe hinein, und wuͤnſchte nichts ſehnlicher, als die voͤllige Freiheit in Beziehung auf die dereinſtige Wahl ſeines Her

Ich hab 'einmal ein Schaͤtzel gehabt,
Ich wollt' ich haͤtt 'es noch! ꝛc.

ſchmetterte der Poſtillon in ſein Horn; die Peitſche flog den abgemagerten Commiſſionsgaulen um die Rippen, und der polternde Wagen durch das duͤſtere Thor des Staͤdtchens Friedlingen. 5Der junge Reiſende fuhr aus ſeinem Taumel auf, und ſtarrte nach wenigen Augenblicken dem flinken Marquer des Gaſthauſes, vor dem der Schwager ſeine keuchenden Thiere anhielt, in's Geſicht, und fragte, wie das Hotel heiße.

Ew. Excellenz belieben zu ſpaßen, erwiederte der Gefragte ſchmunzelnd. Das ehrenwerthe, einzige Gaſthaus zu Friedlingen nennt ſich zum blauen Fuchs, Ew. Gnaden zu dienen!

Blauenſtein ſah ſich ein wenig in dem ihm eingeraͤumten Zimmer um; er ſtreckte die muͤden Glieder aus, und goß, mit ſeinen Gedanken wieder einmal im elterlichen Hauſe, ein Stutzglas Bur¬ gunder in die durſtige Kehle. Indem trat der Poſtillon herein, kam treuherzig naͤher mit gekruͤmmter Hand, und nickte laͤchelnd. Hab 'ich Ew. Gnaden nicht gut gefahren? Das macht der Bergunter und der Haberſack, den mir Ew. Gna¬ den in Beutelwitz einſchenkten; ha ha. Hab' aber mein Handpferd beſſer in der Fauſt, wie der Blumenauer Graf. Daß dich! flog doch mein Seel 'der alte Grauſchimmel in den Graben, daß ich denke, der Herr zerſchmettert ſich juſtemente die Beine am Markſteine!

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Von wem redeſt Du Schwager? fragte Blauenſtein aufmerkſamer gemacht.

Wir nennen ihn nur den Blumenauer Grafen, erwiederte der Gefragte, Ew. Gnaden zu dienen. Er weiß ſich was auf ſein Reiten; und er ſetzt ſich juſtemente immer auf ſolche dickdroͤbiſche Beſtien, wie der Schimmel. Ich wollte mich wahren; wer ſpatzieren reiten will, muß ſo wahr ich lebe, unterbrach ſich der redſelige Pfer¬ debaͤndiger, und trat ohne weitere Umſtaͤnde an das offene Fenſter, dort geht er hin! Daß Dich, wie der leibhaftige Satan!

Blauenſtein war ebenfalls zum Fenſter gegan¬ gen, er ſah die offenbare Gefahr des Reiters. Mit Blitzesſchnelle war er auf der Straße. Das wuͤthende Thier war von ſeinem Herrn nicht mehr zu baͤndigen, die eine Gurt ſprang, und in dem¬ ſelben Augenblicke wurde der Mann uͤber die Straße geſchleift. Der Fuß war aus dem Buͤgel nicht herauszuziehn, und mit verzweifelnder An¬ ſtrengung ſuchte ſich der Ungluͤckliche empor zu raffen. Mit drei bis vier Saͤtzen war Blauenſtein dem wuͤthenden Thiere nahe; den Zuͤgel haſtig ergreifend, und es bei demſelben mit kraͤftiger Fauſt zuruͤckreißend, war Eins. Nach wenigen7 Minuten lag der Graf gerettet auf dem Kanapee der Gaſtſtube. Der ſo unerwartet ſchreckliche Vorfall hatte den ſonſt kraͤftigen Mann fuͤr einige Minuten der Sinne beraubt; Blauenſtein ſtand neben der geſchaͤftigen Wirthin, und rieb die Schlaͤfe des Ohnmaͤchtigen mit Coͤlniſchem Waſſer. Der Graf oͤffnete nach einigen Minuten die Augen; er reichte Blauenſtein die Hand, ein Druck derſelben dankte fuͤr die edle That, und als er der Sprache in etwas wieder maͤchtig war, bat er um einen Boten nach Blumenau, daß ihm ein Wagen ſo ſchnell als moͤglich zum Abholen geſendet werde.

Der alte Herr richtete ſich auf; eine Thraͤne ſchwamm in ſeinem feurigen Auge, und ſich zu ſeinem Retter wendend, ſagte er mit ſchwankender Stimme: Sie erhielten mir daß Leben, einer geliebten Familie den Vater; vergelten kann ich Ihnen nicht, was Sie an mir gethan. Ihr Äußeres ſagt mir, daß Sie ein Biedermann ſind. Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab, wenig¬ ſtens fuͤr einige Zeit mein Gaſt in Blumenau zu ſein. Darf ich auf Ihre Gegenwart rechnen, wie ich als ein dem Ungluͤck Preisgegebener auf Ihre Huͤlfe rechnen durfte?

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Schonen Sie Ihre Kraͤfte, erwiederte Blauenſtein, und ergriff die ihm dargereichte Hand des Fremden, reden Sie nicht auf Koſten einer Geſundheit, welche den Ihrigen ſo theuer ſein muß! Aber Ihre Bitte will und kann ich nicht ablehnen!

Der Graf laͤchelte freundlich, aber mit einer Mattigkeit, die einen neuen bewußtloſen Zuſtand befuͤrchten ließ. Blauenſtein uͤberließ ihn der jetzt ſo beduͤrftigen Ruhe, und trat zum Fenſter. Die Neugierde hatte eine Menge Menſchen verſammelt; man unterhielt ſich von dem Unfalle des Grafen in den laͤcherlichſten Übertreibungen, der erwaͤhnte Poſtillon war mitten darunter, und belobte die tugendſame That Blauenſteins mit redneriſcher Gelaͤufigkeit, und einer Stimme, welche dem Schalle der Erfurter Suſanna nichts nachgab. Seine Abſicht war erreicht, und er nahm das ihm von Blauenſtein dargereichte Trinkgeld mit freundlichem Schmunzeln.

Ein ſchoͤner Wagen, ein graͤfliches, einfach verziertes Wappen ließ leicht vermuthen, wem die Equipage zugehoͤre, rollte vor das Gaſthaus, von vier ſchloßweißen Schimmeln gezogen. Halt, ſaß nicht im Fond des Wagens eine weibliche9 Figur? Richtig, ein Schleier und eine zierliche Hand kamen zum Vorſchein. In demſelben Augenblicke hielt der reichbetreßte Kutſcher; zwei Jokeien ſprangen hinten herunter, der eine riß den Wagen auf, den Tritt herab, der andere hob die Dame heraus. Der lange Schleier ließ vom Geſicht nichts ſehn. Die Geſtalt mußte Blauen¬ ſtein ſchon irgendwo einmal geſehn haben, ſo ungewoͤhnlich dies herrliche Ebenmaß, dieſe ſo verfuͤhreriſche Fuͤlle der lieblichſten Formen auch waren. Nein, doch ja, in ſeinem elterlichen Hauſe hing ein Bild nach Angelika Kaufmann, die Hore des Fruͤhlings vorſtellend; war es doch, als ob die junge Fremde zu dem Bilde geſeſſen habe. Die junge? war ſie denn auch noch jung, konnte nicht eine aͤltere Perſon ihre ſchoͤne Geſtalt conſervirt haben?

Der Graf war neu geſtaͤrkt erwacht; die Thuͤre oͤffnete ſich, die Dame trat herein, und warf ſich mit zuruͤckgeſchlagenem Schleier dem Grafen in die weit geoͤffneten Arme. Es war ſeine Tochter. Beide waren anfangs keines Wortes maͤchtig, bis ſich endlich der Graf erhob, und den entfernt ſtehenden Blauenſtein herbei¬ winkte. Hier, ſagte er, und fuͤhrte ſein lieb¬ liches Kind dem jungen Manne um einen Schritt10 naͤher, hier ſteht mein Lebensretter! Ihm danke naͤchſt der Vorſehung fuͤr ſeine That, fuͤr ſeine edle Aufopferung!

Blauenſtein, war es Überraſchung, war er verwirrt von dem Glanze dieſer nie gekannten Schoͤnheit, welche leuchtend wie ein Meteor vor ſeinen Blicken aufging, war es die ploͤtzliche Loͤſung des Zweifels, ob die Dame noch jung ſei, oder bereits dem alten Regiſter angehoͤre, war es das verlegene Weſen einer zu weit gehenden Bloͤ¬ digkeit? Blauenſtein ſtand ſtumm wie ein Fiſch, verlegen wie ein Schulknabe dem engel¬ ſchoͤnen Maͤdchen gegenuͤber, und wußte am Ende nichts zu erwiedern, als ein mageres bitte recht ſehr! Hundertmal, ja ſein halbes Leben lang warf er ſich dieſe abgeſchmackte Redensart vor. Hatte er auch etwas Geiſtloſeres ſagen koͤnnen, als dies infame bitte recht ſehr! Und was mußte dies Maͤdchen von ihm denken, in welchem Lichte erſchien er ihr, die ihm in ſo ſchoͤnen, ſo unendlich weichen Worten fuͤr die Erhaltung ihres theuerſten Gutes mit einer Glut auf den Wangen gedankt, die er in dieſem Augenblicke nicht werth war. Wie dumm, wie entſetzlich dumm, ſagte er bei ſich; jedenfalls muß deine Albernheit dem Maͤdchen anſtoͤßig ſein.

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Das Kind war auch offenbar zu wunderhuͤbſch, und Blauenſtein verdiente einigermaßen Entſchul¬ digung. Wo blieb Angelika Kaufmanns Fruͤh¬ lingshore! Man hat die Lieblichkeit der Formen in den Werken dieſer Kuͤnſtlerin oft geruͤhmt; hier wurde ihr Ruhm zu Schanden; ihre Hore war gegen dieſe Wundergeſtalt hoͤchſtens ein nied¬ liches Kammerkaͤtzchen! Dieſe brandſchwarzen Ringellocken, dieſer blendende Teint, der das zarte Weiß des Pariſer Überroͤckchens beſchaͤmte, der ſich verraͤtheriſch verhuͤllend um dieſes herrlichen Koͤr¬ pers wellige Formen ſchmiegte, des jungfraͤulichen Buſens ſchneeige Fuͤlle, das uͤber allen Ausdruck liebliche, kußliche Roſenmuͤndchen, dieſe mit dem zarteſten Carmin uͤberdufteten Wangen, welche die ſcharfe Zugluft des Septembers noch dunkler geroͤthet, das wunderbare Feuer der blauen Liebes¬ ſterne, der himmelreine Spiegel ihrer Seele, und gar noch das zum Lachen kleine Fuͤßchen, nein, beſchreibe ein anderer dieſe Schoͤnheiten, kein Pinſel hat hier Muth, die ſchwache Feder ſinkt nieder! Blauenſtein war es, als er in die Wunderblaue dieſes Blickes ſah, als fielen die Schlacken des Irdiſchen ihm von Herz und Seele, als veredle ſich ſein geiſtiges Innere!

Du boͤſes Vaͤterchen, hob das Maͤdchen mit12 ſeiner Floͤtenſtimme an, und ſtreichelte dem alten Herrn mit den weichen Flaumenpatſchchen die rauhen Wangen, daß es unſerm Blauenſtein ganz bruͤh¬ heiß um's Herz ward, Du boͤſes Vaͤterchen! wie oft haben wir Dich nicht flehendlich gebeten, den haͤßlichen Grauſchimmel nicht mehr zu reiten! Jetzt, in dieſem mir unvergeßlichen Augenblicke gelobe mir, das Pferd abzuſchaffen, wenigſtens es nicht mehr zu beſteigen!

Nun, nun, mein Kind, ſagte der Vater mit einem milden Laͤchlen, und kuͤßte das liebholde Maͤdchen auf die blendendweiße Stirn, beruhige Dich! Gott hat mich durch dieſen jungen Mann errettet; ich erkenne der Vorſehung Fingerzeig, und muthwillig mag ich mich in Gefahr nicht begeben. Aber nun, fuhr der Graf fort, und wandte ſich halb gegen ſeinen jungen Freund, ihn freundlich, wenn gleich ein wenig vornehm, anblickend, nun koͤnnen wir zuruͤckfahren. Der Herr iſt mein Gaſt, Tina!

Alſo Tina hieß ſie. Ein Gluͤck, dachte Blauen¬ ſtein bei ſich, daß das Himmelskind den Aufent¬ halt in des Grafen Hauſe verſchoͤnert. Denn er ſelbſt hat eben nicht ein allzueinladendes Äußere; ſein Benehmen iſt hoͤflich, aber ſtolz und verdammt13 kalt. Aber dieſe Tina, dies friſche, duftende Roͤs¬ chen mit dem Veilchen im Auge und dem Bluͤ¬ thenſchnee auf Hals und Bruſt, dem der Himmel ſo unendlichen Reiz verliehn, dem jeder von ganzer Seele gut ſein muß, der ſie nur mit einem halben

Wenn Ihnen gefaͤllig waͤre, mein Herr, ſagte der Graf, der ſich beinahe voͤllig erholt hatte, Blauenſtein in ſeinem Selbſtgeſpraͤch unterbre¬ chend, die Pferde ſind angeſpannt.

Ich ſtehe zu Ihrem Befehl, erwiederte der letztere, nur erlauben Sie mir, die noͤthigen Arrangements wegen meiner Angelegenheiten zu treffen. Vor wenigen Stunden kam ich hier an, ich weiß kaum, wo meine Koffer geblieben ſind.

Seien Sie ohne Sorgen, fuhr der Graf fort, Ihre Koffer ſind bereits auf dem Wagen befeſtigt; es bedarf nur des Einſteigens.

Ihre Guͤte beſchaͤmt mich, ſagte Blauenſtein, und bot der holden Tina, welche ihn von fern, aber nur ganz geheim, im Auge gehabt, ſeinen Arm. Sieht es nicht beinahe aus, als gedaͤchte ich jetzt erſt meine kaum vollendete Reiſe anzutreten?

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Man ſtieg ein; Blauenſtein, wurde er nicht vom Grafen fuͤr einen Menſchen aus einem gewoͤhnlichen, wenn auch nicht niedern, Stande gehalten, ließ dies vielleicht ſeine beſtaͤubte Rei¬ ſekleidung vermuthen? Blauenſtein nahm gern mit dem Ruͤckſitze vorlieb; hier ſaß er der lieb¬ lichen Jungfrau gegenuͤber, hier konnte er ihr in die reine Tiefe ihres Seelenauges blicken! Der alte Herr bat wegen ſeines Stillſchweigens, was ihm die gehabte heftige Erſchuͤtterung auf¬ erlege, um Entſchuldigung, und beauftragte ſeine Tochter, den Gaſt vor Langerweile zu ſchuͤtzen. Aber die edlen Roſſe griffen weit aus, als wollten ſie die Sonne einholen, die ſich in purpurnes Gewoͤlk huͤllte, und der ſchaukelnde Wagen flog durch das geoͤffnete Gatter eines dichtlaubigen Thiergartens. Solche Beſtaͤnde gab es nicht weiter im Lande; die Blumenauer Jagd war weit und breit beruͤhmt, und das ſcheu vorbeiei¬ lende, feiſte Wildprett beſtaͤrkte dieſe gute Meinung.

Ich bewundere dieſe romantiſche Gegend, dieſe trefflichen Waldungen, hob Blauenſtein an, ſich an ſeine Nachbarin wendend, mit welcher er bei¬ nahe noch kein Wort geredet hatte; eine paſſende Einleitung zu dem Allen, was meiner noch 'wartet.

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Spricht Sie dieſe Gegend als heimiſch an? fragte Tina, und draͤngte die hervorquellenden Ringellocken mit der kleinen Schwanenhand in ihr Spitzenhaͤubchen zuruͤck. Es giebt Gegenden, die man mit einem kaum erklaͤrbaren Wohlgefallen betritt, bei denen es uns ſcheint, als ob ſie uns laͤngſt innig befreundet, dem ſehnſuͤchtigen Herzen ſo recht vertraut waͤren. In ſolchen Orten, ſagt man, ſoll es uns wohlergehn, da ſoll das Gluͤck beginnen, wenn es uns lange ungetreu war! Wie wuͤrde es uns erfreuen, wenn Ihnen dieſe Berge, dieſe Thaͤler nicht ganz gleichguͤltig blieben!

Meine Erwartungen waren geſpannt, erwie¬ derte Blauenſtein mit einem Blicke, welcher ſeiner wie in braͤutlicher Liebe erwachenden Nachbarin recht unzweideutig ſagte, wie ſein Inneres fuͤr ſie gluͤhe, aber wie hatte ich glauben koͤnnen, daß ſie nicht weit uͤbertroffen werden wuͤrden! Nur eine Bewohnerin dieſes Paradieſes, wie Sie, mein Fraͤulein, macht den Gedanken an daſſelbe verſchwinden; ſie muß dem Fremdlinge unendlich mehr gelten, der Vertrauen, Theilnahme ſucht, und dieſer ſchoͤnen Gaben auf eine ſo beneidens¬ werthe Art theilhaft wird! Was das Herz ver¬ heißt, das iſt auch die Stimme unſeres beſſern Schickſals!

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Tina ſchlug erroͤthend das ſchoͤne Auge nieder, und Blauenſtein wollte ſich ein wenig uͤber ſich ſelbſt aͤrgern, daß er, genau genommen, nichts beſſeres, als eine fade Schmeichelei geſagt. Er legte ſich in einem kurzen Schweigen eine Art von Buße auf, und ſchaute in die ihn umgebende reiche Landſchaft. Welche Üppigkeit der Natur in jedem einzelnen Landſtriche, welche Verſchoͤne¬ rungen und Anlagen! Das muß ein tuͤchtiger Mann ſein, der Graf, dachte der junge Buͤßende bei ſich, und ergoͤtzte ſich an dem Anblicke einer Quaderbruͤcke mit eiſernem Gelaͤnder, an deren Ende ſich ein ganz im antiken Styl gearbeiteter Obelisk erhob. Er dachte an den coloſſalen*)Dieſer 113 Palmen hohe Colloß wurde bekannt¬ lich unter Syrtus V. im Jahre 1586 von dem beruͤhmten Baukuͤnſtler Fontana mit ungeheuren Schwierigkeiten auf den ſchoͤnen Platz vor der Peterskirche gebracht, wo er noch jetzt die Be¬ wunderung aller Reiſenden erregt. Bruder in Rom, den er noch vor wenigen Mo¬ naten geſehen, und ſah von hier uͤber eine reiche Lindenallee hinaus nach dem reizenden Blumenau, das mit ſeinen ſchoͤnen Gebaͤuden, wunderbar in dem benachbarten Landſee ſchimmernd und glaͤn¬ zend, ſich im Strahl der Abendſonne aus gruͤnem Gebuͤſch wie aus einem Feenlande erhob.

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Da liegt mein Haus, ſagte der aus ſeinem Schlummer erwachende Graf, und zeigte mit einer gewiſſen Freude daruͤber, eine ſolche Beſitzung ſein nennen zu koͤnnen, nach der nahen Heimath hin, und nach wenigen Minuten rollte der Wagen in einer Bogenwendung, welche die andere Seite der Gegend freundlich ſehn ließ, durch die lange, breitaͤſtige Allee in den geraͤumigen Gutshof. Blauenſtein folgte, die holde Tina am Arme, dem vorangehenden Grafen nach dem Wohn¬ zimmer.

Das war kein Haus, das war ein Palaſt; die Treppen mit feinen Lioner Teppigen belegt, auf beiden Seiten friſch bluͤhende Blumen, Alles geſchmackvoll und elegant decorirt, und im ganzen Hauſe eine Heiterkeit, welche das Herz erquickte. Ein alter Silberkopf von Kammerdiener riß die Fluͤgelthuͤren des reich mit Landſchaften und Still¬ leben von Wocher, Friedrich, Weenix u. a. aus¬ gezierten Vorzimmers auf. Gott, dachte Blau¬ enſtein, wenn ich im blauen Fuchſe geblieben waͤre! Ein ſolches Schloß, mit dieſer koͤſtlichen Einrichtung, ſolche Felder und Waͤlder, und eine Tina im Arme, was giebt es noch Reizenderes und Schoͤneres?

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Der Graf oͤffnete das Wohnzimmer; er fuͤhrte ſeinen Gaſt einem aͤltern Herrn und einer Dame entgegen, welche ebenfalls der Jugend nicht mehr angehoͤrte, und ſtellte ihm in erſterm ſeinen Schwager, in letzterer ſeine Schweſter vor. Die¬ ſer Herr, fuhr er fort, ja wahrhaftig, ich muß ſo indiscret ſein, um Ihren Namen zu bitten, damit ich den neuen Freund meinen Verwandten vorſtellen kann.

Blauenſtein konnte es nicht unterlaſſen, ſeiner Haltung einen gewiſſen Stolz zu geben, und ſagte mit einer Verbeugung: Mein Name iſt Auguſt, Baron von Blauenſtein; mein Vater iſt der Ge¬ neral-Major gleiches Namens, und Ihnen viel¬ leicht nicht unbekannt!

Was doch ein Name thut! Auf des Grafen vornehmer Phyſiognomie malte ſich ein leb¬ haftes Erſtaunen; aber Schlaukoͤpfchen Tina that, als ob ſie das Alles ſchon ſicher vermuthet habe. Die Tante Letty machte mehrere tiefe Verbeu¬ gungen, murmelte einiges von der ihrem Hauſe wiederfahrenden Ehre mit laͤſtiger Breite, und Oncle Heinrich, als er die Errettungsgeſchichte von ſeinem Schwager erfahren, fiel dem verwun¬ derten Blauenſtein um den Hals, und ſchuͤttelte19 ihm ſtatt allen Dankes auf biedermaͤnniſche Art die Hand.

Daß Blauenſtein von dem Augenblicke an, als er dem Grafen ſeinen Namen genannt, un¬ gleich hoͤflicher und zuvorkommender behandelt wurde, bis allenfalls auf den Oncle Heinrich und die reizende Tina, machte ihm einigen Verdruß. Aber der erwaͤhnte Oncle, dem Anſcheine nach ein drolliger, biederer Kautz, ließ ihm zum Nachden¬ ken keine Zeit. Kommen Sie, ſagte er, und zog den jungen Mann in eine Fenſtervertiefung des Zimmers, ohne ſich an die mißbilligende Miene ſeines Schwagers zu kehren, haben Sie die Guͤte, mir zu ſagen, wie ſich eigentlich das Un¬ gluͤck mit dem Pferde zutrug. Sie nehmen mir das nicht uͤbel, nicht wahr?

Blauenſtein gehorchte gern. Tina aber, das Zimmer war dem Maͤdchen zu enge fuͤr das unge¬ ſtuͤm klopfende Herz, Tina ſchluͤpfte hinaus in den Garten. Der Abendwind ſauſ'te durch die hohen, ſchlanken Pappeln am See, und das leichte Ge¬ buͤſch des Bosquets fluͤſterte treulich der Lieblichen den Willkommen entgegen. Der Gaͤrtner hatte eben ein Beet mit den ſchoͤnſten Aſtern gereinigt und ausgeputzt; Tina pfluͤckte ſich eine davon,2 *20und beſah ſinnend das freundliche Farbenſpiel der zarten Blaͤtter. Iſt es doch, ſagte ſie zu ſich ſelbſt, und ſenkte den Stengel der Blume in die blendende Tiefe des jungfraͤulichen Buſens, iſt es doch, als ob mit dieſen Blumen die Freuden des Jahres uns Lebewohl ſagen wollten. Aber ſie laſſen dem hoffenden Herzen einen ſuͤßen Troſt, und die ſinnige Sprache der freundlichen Blumen¬ welt bezeichnet mit der Aſter die Beſtaͤndigkeit, die Treue!

Sie ging durch die lauſchigen Gaͤnge des Luſtwaͤldchens, ſie hoͤrte das Rauſchen des Roͤhr¬ waſſers am Fiſchhaͤlter, das Bruſſeln der Gie߬ kanne des fleißigen Gaͤrtners, welcher die trockne Erde netzte, ſie hoͤrte das luſtige Springen der Karpfen im See, und doch war ſie mit ihrem Koͤpfchen wo ganz anders, als im Garten. Sie rufte ſich die Scene noch einmal zuruͤck, wo ſie zuerſt dem jungen Fremden im Gaſthauſe begeg¬ nete; ſie malte ſich jede ſeiner anziehenden Stel¬ lungen vor, ſie wiederholte ſich noch einmal ſeine gemuͤthlichen Äußerungen, und das edle Beneh¬ men gegen ihren Vater. Er war auch gar zu huͤbſch; es hatte ihr zwar ſchon mancher junge elegante Herr den Hof gemacht; aber eine ſolche Bildung, ein ſo angenehmes Äußere hatte auch21 keiner gehabt. Dieſe dunklen Locken, die zarten Braunen, unter denen die dunklen Augen ſo freundlich, ſo vielbedeutend gluͤhten, der lieblich geformte Mund, die maͤnnliche Kraͤftigkeit in dem geſunden Roth der Wangen und der zarten Blaͤue des Bartes, das geiſtvolle Laͤcheln, und der Tan¬ nenwuchs! Tina druͤckte die Augen zu, und fuhr in dem allerliebſten Gedankenſpiele fort, und ſenkte das zarte Naͤschen ihres Schelmengeſicht¬ chens in den friſchen Kelch der duftigen Aſter. Wie er ſie zum Wagen gefuͤhrt, hatte er ſie mit ſo feinem Anſtande hineingehoben, und ihr die Hand gekuͤ ja gekuͤßt hatte er ſie, ſie wußte es noch ganz genau, und ſie hatte ihm die Hand ganz leiſe, aber nur ganz ganz leiſe, wieder gedruͤckt. Was war auch dabei weiter? Druͤckt man doch jedem guten Menſchen die Hand, und nun gar dem Retter ihres ſo ſehr geliebten Vaters, der ihr Alles war, ſeit ihr Muͤtterchen im Schooß der kuͤhlen Erde ſchlummerte! Aber ſie mußte wohl wieder herauf, die Daͤmmerung ward immer duͤſterer, und das Bereiten des Thees durfte ſie der Tante Letty unmoͤglich uͤberlaſſen. Sie hatte gar nicht die freundliche, manierliche Art, wie es eigentlich geſchehen mußte; und dann lag auch in dem Theeſtuͤndchen ſelbſt ein gar zu beſonderer Reiz, etwas ſo Trauliches und zur Unterhaltung22 Einladendes. Im letzten Kriege war einmal ein junger Pole bei ihnen geweſen, richtig, Potocky hieß er; der liebte auch das Theeſtuͤndchen uͤber Alles. Da war ſie nur noch ſo ein Backfiſchchen; aber ſie gefiel dem jungen freundlichen Kriegs¬ manne recht wohl, er nannte ſie immer ſeine kleine Hebe, weil ſie ihm den dampfenden Thee¬ becher jedesmal ſelbſt credenzte. Zuletzt ſang er dann eins und das andere ſeiner reizenden Na¬ tionallieder, und erzaͤhlte vom Kriege. Aber nun herauf, im Wohnzimmer ſchimmerte bereits Licht!

Blauenſtein erzaͤhlte von ſeinen Reiſen; mit dem Thee war es heute nichts, weil der Graf fruͤher als gewoͤhnlich zu eſſen wuͤnſchte; aber auch bei Tiſche, war es Zufall, oder hatte es Tante Letty einmal wieder nach ihrer alten Ma¬ nier ſo gekartet, mußte er gerade neben dieſer ſitzen, und die arme Tina, welche ſich auf die ſinnige Unterhaltung mit dem Gaſte ſo gefreut, ſie kannte ihn ja auch ſchon laͤnger, und hatte gewiſſermaßen ein Vorrecht, erhielt ihren Platz neben Oncle Heinrich und dem alten Verwalter Herrn Sander. Was war hier fuͤr eine Ent¬ ſchaͤdigung fuͤr das arme Kind zu erwarten? Sander ſprach von nichts, als ſeiner faden,23 langweiligen Öconomie. Er hatte einige Tage vorher ein Gut beſehn, welches in der Nachbar¬ ſchaft zu verkaufen war, und ſtattete nun, als eine ſeiner Lieblingsmaterien, dem Oncle genauen Bericht ab. Eine exemplariſche Ordnung, hob er an, und ſtach mit kraͤftiger Fauſt in die wol¬ lige Maſſe eines duftenden Puddings, als ſei es ein Stuͤck Rindfleiſch, eine exemplariſche Ordnung, herrſcht in der Wirthſchaft! Das Molkenweſen hat nicht ſeines Gleichen, und ein Duͤnger! nein, das Waſſer laͤuft einem im Munde zuſammen! Das mußte man dem alten Berninger laſſen, den Rummel verſtand er, wie einer; aber was ihn in's Ungluͤck brachte, war der ewige vornehme Beſuch, der den Mann belaͤſtigte, und dann das dumme Wirthshaus, der gruͤne Eſel, das er zu einem Hotel machen wollte, ohne einen Gaſt zu haben. Ich dachte gleich, der Berninger wird noch ſeinen Eſel zwiſchen die Beine nehmen, und in den Schuldthurm reiten muͤſſen!

Nein, es war zu arg! Der Oncle Heinrich lachte laut auf; aber Tina wandte, heimlich im Innern ergrimmt, ihre Äugelein nach der Seite, wo Blauenſtein ſaß. Der Oncle zupfte ſie zwar am Kleide, und fluͤſterte in einer Art Weinlaune: Tinchen, gefaͤllt Dir der? Das iſt ein Kerlchen,24 das ſich gewaſchen, tuͤchtig und brav, und reich wie ein Croͤſus! Er hat gerade ein halbes Dutzend der ſchoͤnſten Guͤter im Lande, dann die weltbe¬ ruͤhmte Bleiweißfabrik in Oſterberg, und Conne¬ xionen! Armes Tinchen, ſchade, daß er Dir verloren iſt!

Aber Tina uͤberhoͤrte den Scherz aͤrgerlich; ſie ſah nach dem ſchoͤnen Croͤſus, der ſeiner Ge¬ ſellſchaft da oben an der Tafel herzlich muͤde zu ſein ſchien. In dem puren Ärger uͤber die lang¬ weiligen Redensarten der vergelbten Letty ver¬ ſchlang er eben ein halbes geſpicktes Haͤhnchen, murmelte hoͤchſtens ein kurzes Ja oder Nein, und ſtuͤrzte den Wein hinunter, als ſolle er acht Tage duͤrſten. Es war ihr nicht entgangen, als man des Vaters Geſundheit ausgebracht, und der Oncle Heinrich hinterher ſeinen alten Witz mit dem General von Knuſemon angebracht, hatte Blauen¬ ſtein ſie ſo bedeutungsvoll angeſehn, und ſein Glas auf einen Zug geleert. Aber was half zuletzt die ſo unzulaͤngliche Sprache der Augen bei ſo vielen Beobachtern? Tina wuͤrfelte mit fuͤnf weiſſagenden Brodkuͤgelchen, um ein Kreuz zu werfen, das ihr Gluͤck verheißen ſollte. Aber war es ihre Haſtigkeit, war es eine unfreundliche Vor¬ bedeutung, es wollte auch abſolut kein Kreuz zum25 Vorſchein kommen. Das loſe Kind fabricirte aͤr¬ gerlich aus den Kuͤgelchen eine große Kartaͤtſche, und warf ſie dem Oncle Heinrich in den unfoͤrm¬ lich großen Jabot.

Endlich war die langweilige Tafel aufgehoben; der Graf, welcher durch den Sturz vom Pferde noch immer ſehr angegriffen war, zog ſich nach wenigen Minuten in ſein Schlafzimmer zuruͤck, und wuͤnſchte ſeinem Gaſte, der um 100 pro Cent in ſeiner Achtung geſtiegen war, eine ange¬ nehme Ruhe. Oncle Heinrich bot Blauenſtein noch eine Parthie Schach an, welches der letztere nicht ausſchlagen durfte. Tina, mußte es ihr nicht unangenehm ſein, abermahls um die Unter¬ haltung mit dem intereſſanten, jungen Manne geprellt zu werden? Tina machte dem Oncle uͤber dies Anerbieten Vorwuͤrfe.

Schmaͤle mir mein Schach nicht! erwiederte dieſer freundlich; es bleibt doch das Spiel aller Spiele. Aber halt, mein Maͤuschen, Du ſpielteſt ja ſelbſt eben nicht ſo uͤbel, und am Ende macht der Baron doch mit Dir lieber eine Parthie, als mit einem alten Kerl, nicht?

Das war einmal wieder vom Oncle ein26 dummes Streichelchen, dachte Tina erroͤthend, nahm den ihr von Blauenſtein dargebotenen Stuhl freundlich an, und ſtellte die fein und zierlich ge¬ arbeiteten Steine auf das glaͤnzende Brett. Das Schach hatte eine edle Beſtimmung, begann Blauenſtein, und lud ſeine ſchoͤne Gegnerin zum Beginnen des Kampfes ein, es ſollte einen Koͤnig beſſern!

Der Erfolg war gut, ſagte Tina, und ging mit dem rechten Springer auf die beiden, vorge¬ ruͤckten Bauren Blauenſteins mit keckem Muthe los. Aber bietet es uns nicht mehr, giebt es uns nicht ein treffendes Bild des Lebens?

Ihr Gegner ſah ſie mit fragenden Blicken an; und erwiederte: Sie haben recht, mein Fraͤulein; die Koͤnigin, man braucht wohl eben nicht immer an die Inhaberin eines Thrones zu denken, iſt die Hauptperſon. Ihr ſchwacher Ge¬ mahl wird ohne ſie ein trauriges Bild der Hin¬ faͤlligkeit; nur ſie giebt dem Leben Reiz, nur ſie giebt ihm Bedeutung!

Aber ihre Wege ſind immer die geraden, fiel Tina ein, und bot zuerſt ihrem Nachbar ein wohltoͤnendes Schach! Mit weiblicher Wuͤrde27 vertraͤgt ſich Falſchheit nicht, und wenn die arme Koͤnigin ihren Untergang findet, wem dankt ſie ihn anders, als der Treuloſigkeit ihrer Um¬ gebungen?

Tinchen, fiel der Oncle Heinrich ein, ſchwatze nicht zu viel, der Baron verliert ſeine Plaͤne, und ohne Plan kann kein vernuͤnftiges Spiel zu Stande kommen! Blauenſtein ſann uͤber die troſtloſe Lage ſeiner Steine nach, und ſagte kleinlaut: Dies danke ich der edlen Frau; ich habe ihre geraden Wege nicht geſehn, denn ſie liegen hinter großen Bollwerken. Aber das Lebensbild erkenn 'ich an, gewiß, und zwar mit meiner betruͤbten Niederlage!

Matt! rief Tina lachend aus, aber in einen freundlichen Ernſt zuruͤckkehrend fuhr ſie fort: Kein Krieg ohne Verluſt auf der andern Seite; wer im Leben ſiegt, d. h. im wahren, geiſtigen Leben, ſieht der nicht im Herzen der Gegner, die keine Feinde ſind, ſo wie in der eignen Bruſt die unheilbarſten Wunden?

Die Erfahrung lehrt es, ſagte Blauenſtein, der holdergluͤhten Tina Hand an ſeine brennenden Lippen fuͤhrend, und nie wurde mir dieſe28 Wahrheit beſſer vertraut, als in dieſer ſchoͤnen Stunde!

2. Die Verlobung.

Die Schloßuhr brummte die zwoͤlfte Stunde in die ſchweigende Nacht, als Blauenſtein mit der Niederlage des Oncle Heinrich, der ſeine Kraͤfte auch an ihm meſſen wollte, das Schachbrett und das Zimmer verließ. Tina war ſchon vorher mit Tante Letty verſchwunden, welche ſeit einer Stunde immerwaͤhrend mit dem Kopfe genickt; ſie hatte beſtimmt ſchon ihr bluͤthenweißes Bettchen aufge¬ ſucht, und ſchlummerte in das Reich der gluͤck¬ lichſten Traͤume hinuͤber, als Blauenſtein in der Begleitung des alten Graukopfs Martin in ſein ihm angewieſenes Zimmer trat.

Waren der gnaͤdige Herr ſchon einmal in dieſer Gegend? hob der letztere ſchmunzelnd an.

Nein, erwiederte Blauenſtein kurz, und ließ ſich die ſchneeweiße Halsbinde loͤſen.

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Hoffentlich erzeigen Ew. Gnaden dem Hauſe die Ehre, fuhr der andre fort, und erwarten die Ankunft des Herrn von Staunitz.

Staunitz? fragte Blauenſtein, wer iſt dieſer erwartete Gaſt?

Nun? wiſſen Ew. Gnaden noch nicht? Er iſt ja der Verlobte der Comteſſe Albertine!

Verl ? fragte Blauenſtein, und das ſchreckliche Wort blieb ihm halb im Munde ſtecken. Alſo bereits verlobt, im wahren Ernſt? Du machſt Scherz, Alter?

Erlauben mir Ew. Gnaden, zu widerſprechen, ſagte der letztere laͤchlend, und ſchien ſich an der Betroffenheit Blauenſteins zu weiden. Der Herr von Staunitz iſt ein entfernter Vetter meiner Herrſchaft, ein gar liebenswuͤrdiger Herr! Die beiden Leutchen wurden von ihren Eltern gewiſ¬ ſermaßen als Kinder ſchon fuͤr einander beſtimmt; ſeit zwei Jahren iſt der Herr von Staunitz auf Reiſen, und wird nach ſeinem letzten Briefe in dieſen Tagen zuruͤckerwartet. Das iſt ein Maͤnn¬ chen, auf den warteten unſere jungen Fraͤulchens30 in der Nachbarſchaft wie auf den Meſſias, aber ſie mußten ſich das Maͤulchen wiſchen!

Und Comteſſe Albertine? fragte Blauenſtein ganz blaß und bebend wie Espenlaub.

Nun, ſagte der Verlobungsreferendar heim¬ lich laͤchelnd, die hoffte juſt nicht, denn die konnte nur pfeifen, und ſie hatte zehn an jedem ihrer Finger. Jung, huͤbſch, reich, und dabei gut, wie die lieben Engel im Himmel; ich will den jungen Mann ſehn, dem ſie mißfiele. Was in der Welt koͤnnte der noch mangeln?

Weibliche Wuͤrde! dachte Blauenſtein tief im Innerſten verwundert bei ſich, und entließ den alten Schwaͤtzer. Wie ungeheuer hatte ihn das Maͤdchen getaͤuſcht! Verlobt, verlobt! toͤnte es in ihm wieder, und das ganze Rieſengebirge waͤlzte ſich mit ſeiner Laſt auf das gequaͤlte Herz. Wie war es moͤglich, ſich ſo zu ver¬ ſtellen, ſein redliches Streben ſo zu belohnen! Und ihre Anſpielungen beim Schach, waren ſie nicht eine Buͤrgſchaft fuͤr ſeine beſten Hoff¬ nungen? Die alte Tante Letty hatte ihm bei Tiſche erzaͤhlt, Tina habe ſeit dem Tode ihrer Mutter im Hauſe der Madam Lafleure in der Reſidenz eine31 Zeit lang zugebracht, und ſei von dieſer in jeder Art unterrichtet worden. Das war ja ausgemacht, im Hauſe einer ſolchen Dame konnte man in der Reſidenz nur zur Koquette gebildet werden. Nichts als die raffinirteſte Buhlerei leitete ihr Betragen! Weshalb denn auch die irrenden, wie in ſuͤßer Liebe ſchwimmenden Augen, wes¬ halb das ſo fein Zuvorkommende ihres ganzen Weſens, die unzaͤhligen. Anſpielungen auf Liebe, und Gott weiß, was alle noch!? Nein, es war keinem Maͤdchen mehr zu trauen! Dieſe kannte er erſt ſeit einer Reihe von Stunden, und doch hatte ſie ihn ſo furchtbar getaͤuſcht!

Der Gequaͤlte warf ſich auf die andere Seite; die Kiſſen des weichen Bettes waren mit tauſend Nadelſpitzen geſpickt, die Decke kam ihm vor, wie ein Gewebe von Neſſeln; das war nicht zu ertragen! Er ſprang auf, und legte ſich zum Fenſter hinaus, als wolle er einen salto mortale machen; die kuͤhle Luft ſaͤuſelte erquickend um die fieberheiße Bruſt, ſie ſpielte leicht mit ſeinen ſchwarzen Locken, und kuͤhlte die ungeſtuͤme Glut der Wange! Aber hatte er denn auch recht, kam es ihn denn zu, auf Tina ſo zu zuͤrnen? Was ging ihm eigentlich, genau genommen, das ganze Maͤdchen und ſein buhleriſches Betragen32 an! Das Beſte war, noch allenfalls einen Tag zu warten, denn das war er wohl dem Grafen ſchuldig, und dann im Fluge nach der Heim halt, war da nicht im andern Fluͤgel des Schloſſes im Eckzimmer Licht? Eine Geſtalt wurde ſichtbar, dicht am Fenſter. Vielleicht die gelbe Letty. Aber behuͤte, die konnte es nicht ſein, die war zu plump gegen dieſe friſche, leichte Geſtalt.

Blauenſtein tappte nach ſeinem Koffer; er wuͤhlte darin nach dem Perſpective, mit dem er meilenweit einen Menſchen erkannte, und legte den gefundenen Schatz am Fenſter an. Es war Tina. Was in aller Welt machte das Maͤdchen noch in dieſer Stunde? Vor ihr auf dem Tiſche lagen eine Menge zuſammengelegter Papiere, ver¬ muthlich Briefe; ihr Auge ſchien truͤbe, als haͤtte ſie geweint, der wogende Buſen hob das weiße Nachtkorſettchen ſchnell und ſchneller empor, daß alle rothen Schleifen daran wie Espenlaub zit¬ terten. Hier mußte etwas vorgefallen ſein, das war klar. Jetzt verſchwand das Licht, Alles war dunkel, die Nacht breitete ihre Rabenfittige uͤber den Park und den See. Was mag ihr fehlen? dachte Blauenſtein, und ſchloß das Fenſter mit einem Froͤſteln, hat ſie einen Kummer, hat ſie etwas zu bereuen? Man urtheilt oft ſo unuͤber¬33 legt, ſo ruͤckſichtslos. Vielleicht, ja gewiß hing es ſo zuſammen, war ſie zu der Verbindung mit dem Staunitz, Taugenichts, oder wie der Ungluͤck¬ liche hieß, von ihrem Vater oder den naͤchſten Verwandten uͤberredet, ſie wuͤnſchte wieder frei zu ſein, oder Gott, wer mogte aus dieſem Chaos herauskommen!

Ein mitleidiger Schlummer ſenkte ſich auf Blauenſteins Augen; eine Menge verworrener Traͤume gaukelten ihm ihre Bilder vor, und er erwachte erſt, als bereits der alte Martin an ſeinem Lager ſtand, und fragte, ob der gnaͤdige Herr Kaffee oder Chocolate befoͤhlen? In wenig Augenblicken war er in den Kleidern, dies¬ mal aber nicht in dem Reiſegewande, ſondern in dem ſchoͤnen knappen ſchwarzen Anzuge, der ihm ſo gut ſtand, mit dem Kreuze geſchmuͤckt, das er ſich bei der unvergeßlichen Voͤlkerſchlacht bei Leip¬ zig verdient. Jetzt erſchien auch der Oncle Hein¬ rich unten im Garten, ſah beſtaͤndig nach Blauen¬ ſteins Fenſtern, und als er ihn endlich erblickt, lud er ihn laut ein, mit ihm ein Pfeifchen in der koͤſtlichen Friſche des Morgens zu rauchen. Blauenſtein war es gern zufrieden. Auf der Treppe, warum auch gerade jetzt dieſe Begegnung? trat ihm Tina entgegen, bot ihm mit ihrer hold¬334ſeligen Freundlichkeit einen guten Morgen, und ſchluͤpfte, ein haͤusliches Geſchaͤft vorgebend, in eine Seitenthuͤr.

Hoͤren Sie, Blauenſteinchen, hob Oncle Heinrich an, und faßte ihn zutraulich am Arme, erzeigen Sie mir und uns Allen eine Freund¬ ſchaft. Wir kennen uns zwar erſt ſeit geſtern, aber alle gute Menſchen ſind leicht erkennbar; unſer Herrgott hat ſeine Lieblinge mit etwas ge¬ zeichnet, das wie glaͤnzende Schrift auf den Ge¬ ſichtern ſteht. Und ſehn Sie, juſt ſo einer ſind Sie auch!

Sehr verbunden, erwiederte Blauenſtein laͤchlend. Aber Sie ſprachen von einem Wunſche, wenn ich Sie recht verſtand; darf ich ihn wiſſen? Gleich, gleich, Freundchen, ſagte Heinrich, nahm aus einer unfoͤrmlichen Doſe eine verhaͤltnißmaͤ¬ ßige Prieſe, und bot ſeinem Begleiter ein Gleiches an. Ach Sie ſind wohl nicht ſchnippiſch? fuhr er fort, als Blauenſtein dankte. Nun, das iſt in der Ordnung; ein junger Herr will ſtets nett und zierlich ausſehn; und der Taback beſu¬ delt doch immer Jabot und Weſte. Aber, was ich ſagen wollte; in kurzer Zeit erwarten wir den Staunitz, unſern Tinchens Braͤutigam. 35 So, ſo, fiel Blauenſtein mit ſcheinbarer Gleich¬ guͤltigkeit ein, obgleich es ihm die Kehle beinahe zuſchnuͤrte. Alſo die Comteſſe iſt verlobt. Nun, das ſtand zu erwarten!

Zu erwarten, murmelte Heinrich nach. Aber Sie werden ſo blaß, die Morgenluft ſchadet doch nicht? Nun ſehn Sie, Freund, da giebts denn ſo dieſe und jene Geſellſchaft im Hauſe, und wir Alle wuͤnſchen Ihre Gegenwart. Sie verſtehn ſich nebenbei ſo gut auf die Unterhaltung, kurz Sie wiſſen, wie ich meine. Ich hoffe, es mi߬ faͤllt Ihnen nicht bei uns; freilich wuͤnſchte ich wohl, unſer Tinchen waͤre noch frei, und der Vet¬ ter Staunitz waͤre ſonſt wo, Sie verſtehn mich, nicht?

Durchaus nicht! erwiederte Blauenſtein kalt, und wandte ſein erroͤthendes Geſicht ab.

A ha! begann Heinrich lachend, etwa ſchon verplempert, Blauenſteinchen? Nun, nur ruhig, thut nichts, deshalb ſind Sie uns noch kein Stein des Anſtoßes, ha, ha, ha! Aber im Ernſt, es giebt noch eine Menge huͤbſcher, char¬ manter Dinger hier in der Nachbarſchaft, reich, nun, das iſt bei Ihnen nicht noͤthig, aber herzig3*36und gut, wie die Engel. Da iſt z. B. Land¬ raths Molly in Herzhauſen, und dann ihre Schwe¬ ſter Ida; freilich, das iſt eigentlich nur ſo ein Diſtanceblender; aber die junge Baroneſſe Gruͤn¬ heim, daß dich der Donner und das Wetter! hat die einmal Augen! Wer in deren Brennpunct ſo recht ordentlich hineinkommt, deſſen Herzen geht es, wie dem naſſen Holze unter Tſchirn¬ hauſens Brennglaſe, es wird in wenigen Augen¬ blicken zu Aſche verbrannt!

Wenn Sie ſolche gefaͤhrlichen Syrenen hier haben, ſagte Blauenſtein, und fuͤhlte immer mehr die Nothwendigkeit, Blumenau verlaſſen zu muͤſſen, ſo iſt es Zeit, daß ich mich fort begebe in meine friedliche Heimath, wo die Frauen mildere Geſin¬ nungen hegen, als in dieſer Gegend, wenn ſie auch paradieſiſch iſt!

Steht es ſo um Euch? fragte Heinrich, und ſchlug mit Blauenſtein einen Seitenweg ein, auf welchem ihnen Tina heiter und lieblich wie das Roͤſchen, das an ihrem Buſen zitterte, entgegen kam. Aber die da wird beſſer verſtehn, Sie zu feſſeln, als ich alter Kerl! Hoͤre Tinchen, unſer junge Freund bekommt eine Art Heimweh, er will fort; aber leid 'es nicht, verſtehſt Du?

37

Tinchen nickte freundlich, und ſagte dem Oncle, daß ihn jemand zu ſprechen wuͤnſche. Er entfernte ſich brummend, wie er immer zu thun pflegte, wenn ihn jemand zur Unzeit ſtoͤhrte oder entgegen trat, und praͤgte der ſuͤßen Albertine nochmals ein, den Blauenſtein auf alle Weiſe zu feſſeln.

Wo waren des letztern Vorſaͤtze, wo ſein ſcheinbarer Gleichmut! Dieſem Maͤdchen gegen¬ uͤber, wer vermogte da an eine ſchleunige Abreiſe zu denken? So ſpielt das ſchwache Herz, wenn es die allmaͤchtige Liebe mit ihren Roſenſchlingen umfangen haͤlt auch der Vernunft des Kaltſin¬ nigſten einen Streich!

Darf ich dem Oncle glauben, hob Tina an, und ſchlug ihre Vergißmeinnichtaugen mild laͤchlend zu dem verwirrten Blauenſtein auf, iſt es Ihr wirklicher Ernſt, Herr Baron, daß Sie ſich ſo ſchnell der Dankbarkeit einer Familie entziehen wollen, die Ihnen ſo Viel verdankt?

Wenn ich dieſen reizenden Landſitz verlaſſen muß, ſo kann mich nur der Gedanke dazu bewe¬ gen. erwiederte Blauenſtein etwas verwirrt, daß meine Gegenwart laͤſtig wird, zumal da mehr, und ich darf hinzufuͤgen, willkommnere, Gaͤſte er¬38 wartet werden. Ohnehin ſieht mein Vater laͤngſt meiner Ankunft entgegen.

Ich zweifle nicht, fiel Tina ein, und heftete ihren dunklen Feuerblick auf Blauenſteins aͤngſt¬ liche Zuͤge, daß Sie ein guter Sohn ſind. Aber nur Ihre Beſcheidenheit giebt Ihnen das ſonder¬ bare Recht, zu vermuthen, es ſollten beſſere Gaͤſte an Ihre Stelle treten. Verlaſſen duͤrfen Sie uns nicht! Wie koͤnnten wir auch Freunden ent¬ gegen ſehn, die unſerm Her zen, das Wort war einmal heraus, naͤher ſtaͤnden, als der

O Gott! rief Blauenſtein aus, und zog wie in ſtuͤrmiſcher Leidenſchaft Tinas Hand an ſeine brennenden Lippen, quaͤlen Sie mich Ärm¬ ſten nicht! Vorhin vertraute mir Ihr Oheim, fuhr er leiſer fort und mit einer gewiſſen Blaͤſſe auf den Wangen, daß Ihr Herz bereits gewaͤhlt, daß Ihr Verlobter taͤglich erwartet werde. Darf ich Ihnen Gluͤck wuͤnſchen, darf ich

Ei, ei! Sieh da! rief ploͤtzlich eine Stimme und in demſelben Augenblick ſprang ein junger, bildſchoͤner Mann in reicher Uniform aus dem Gebuͤſch hervor, und ſchloß mir nichts, Dir nichts, die erſchrockene Tina in ſeine Arme. Staunitz! 39rief Tina, und druͤckte einen Kuß auf des Fremden Lippen, woher zu dieſer Stunde?

Aber Blauenſtein war ſeiner Sinne kaum maͤchtig; hier ſtand der Haſſenswerthe an der Seite des angebeteten Engels, er lag in ihren Armen, und ſog den Honig der ſuͤßeſten Liebe aus den Lippen des Maͤdchens, das er mit der ganzen Leidenſchaft ſeines Herzens umfaßte! Es war ihm, als laſteten zehntauſend Muͤhlenſteine auf ſeiner Bruſt, als zoͤge es ihn mit Rieſenge¬ walt hinab in die unendliche Tiefe des zerrei¬ ßendſten Liebesſchmerzes!

Staunitz war mit ſeiner Tina verſchwunden, das gluͤckliche Paar hatte den Ungluͤcklichen ver¬ laſſen, und er verwirrte ſich, halb von Wehmuth niedergebeugt, halb innerlich empoͤrt, in dem Chaos ſeiner Stimmung. Die Welt war ihm nun mit allen ihren Freuden verhaßt; das Maͤdchen, nein, eine ſolche Liebe, wie ſein Herz beſeelte, hatte dieſe Erde nicht wieder aufzuweiſen, und das Maͤdchen konnte ihm ſo ungeheuer wehe thun! Gott wollte einen Engel zeigen, dachte Blauen¬ ſtein bei ſich, und in einer Furie hatte ſich dieſer unſaͤgliche Reiz vereinigt? Aber nein, es war ja nicht moͤglich, es konnte ja nicht ſein, ſolcher40 Falſchheit war ja eines zarten Maͤdchens Herz nicht faͤhig! Tauſend heiße Thraͤnen fielen aus ſeinem Auge, ſeine Hand hatte ſich krampfhaft geballt, und die wild tobende Phantaſie gauckelte furchtbare Schreckbilder ihm vor! Aber wozu dieſes Bruͤten, wozu dieſer toͤdtende Schmerz uͤber die falſche Treuloſigkeit eines Maͤdchens? Blauen¬ ſtein raffte ſich auf; mit haſtigen Schritten durch¬ wanderte er die hohe Lindenallee, als wolle er noch heute zu Fuß die Heimath erreichen. Jetzt rauſchte es in dem nahen Gebuͤſch; es mußte wer in der Naͤhe ſein, ein bunter Schawl wurde ſichtbar, und Albertine ſtand mit all' ihrer Lieb¬ lichkeit und Anmuth vor ihm. Weshalb entzogen Sie ſich unſerer Geſellſchaft, Herr Baron? fragte Tina und machte ein Geſicht, als waͤre das In¬ quiriren ihr eine hoͤchſt gelaͤufige Sache. Sie ſind ſo duͤſter, ſo ſtill, ich fuͤrchte, es mißfaͤllt Ihnen in unſerm Kreiſe!

Duͤſter, ſtill? fragte Blauenſtein, und ging an der Seite des freundlichen Engels wie ein Verdammter, duͤſter bei Ihnen, Fraͤulein?

Nun, entgegnete Tina mit einem Seufzer, der ihre Schwanenbruſt erfuͤllte, zeigt dies nicht Ihr ganzes Äußere? Es iſt Ihnen unangenehm,41 den Bitten meines Oncles vielleicht nachgegeben zu haben, der Sie bat, laͤngere Zeit auf unſerm einſamen Lande zuzubringen, nicht wahr?

Wie koͤnnte mir das jetzt in den Sinn kommen, ſagte Blauenſtein betheurend, wie koͤnnen Sie den Gedanken in ſich aufkommen laſſen, ich ſei ungern hier! Aber ein Verſprechen gab ich Ihrem Herrn Oncle nicht; kindliche Pflichten rufen mich zu meinem Vater zuruͤck!

Sie wollen mir ausbiegen, hob Tina mit einem leiſen Erroͤthen an, aber ich verliere mein Thema nicht. Koͤnnen Sie ſich entſchließen, mir zu verſprechen, wenigſtens noch acht Tage hier zu verweilen, da Sie es meinem Oncle nicht zuſagen mogten?

Blauenſtein ſah ſeine Begleiterin mit einer gewiſſen Verwunderung an, und erwiederte: Wer vermoͤgte Ihnen etwas abzuſchlagen? Aber ich begreife Sie nicht! Und wenn ich bleibe, ſollte mich dieſer Gedanke ſchon nicht erſchrecken, ſagen Sie Graͤfin, ſollte er mich nicht erſchrecken?

O nein, nein! rief Tina lebhaft aus. Und wenn ich dies denken koͤnnte, gewiß wuͤrde ich42 mich uͤber eine ſo traurige Wahrheit zu taͤu¬ ſchen ſuchen!

In der That? fragte Blauenſtein, und man ſah an ſeinem geheimen Beben, wie er mit ſich ſelbſt kaͤmpfte. O Gott, ich vermag keinen Widerſtand zu leiſten! Albertine, koͤnnten Sie einen Blick in mein Herz werfen!

Mit raſchem Ungeſtuͤm druͤckte er bei dieſen Worten die brennenden Lippen auf Tinas Hand, und floh, ſich loßreißend, nach dem Schloſſe zu. Es war klar, ſie liebte ihn, ihr ganzes Weſen verrieth es, ſie ſelbſt legte es ja offenbar darauf an, ſo recht genau verſtanden zu werden!

Konnte man das ein Verbrechen nennen? Sie war verlobt; aber liebte ſie denn jenen Staunitz auch, war es ihr zur Laſt zu legen, wenn das Herz ſich nach wahrer Liebe ſehnte? Hundert ſolcher Fragen durchkreuzten ſich in Blauenſteins Kopfe, er lief, als ob es hinter ihm brenne, bog raſch um die Ecke des Treibhauſes, und rannte gegen Oncle Heinrich, welcher mit Staunitz ploͤtzlich vor ihm ſtand!

Schweden und die Propheten! rief der erſtere43 aus, und faßte Blauenſtein am Arme, wo ſoll denn die Reiſe hingehn? Hier ſollen Sie erſt noch einen gewiſſen Jemand kennen lernen, der noch nicht einmal ein Wort mit Ihnen ſprechen konnte. Kinderchen, ihr paßt ſo recht fuͤr einander; Schade, ewig Schade, daß Tinchen nicht noch eine Schweſter hat, die Blauenſtein zu ſeinem Weib¬ chen machte, he?!

Blauenſtein erwiederte auf die letzte ſonderbare Äußerung Heinrichs nicht ein Wort, und ſprach mit Staunitz uͤber allerlei gleichguͤltige Dinge. Er hatte auch Reiſen gemacht, und daß er ſie gehoͤrig benutzt, das zeigte der Umfang ſeines gediegenen Wiſſens, ſein gruͤndliches Urtheil, die Waͤrme, mit welcher er uͤber Italien beſonders und ſeine Kunſtſchaͤtze ſich verbreitete. Was ſo wenigen vergoͤnnt iſt, er hatte das Grabmahl des Cajus Cestius beſucht, und die uralten Gemaͤlde der durch den Fackeldampf neugieriger Kunſtver¬ ehrer geſchwaͤrzten Waͤnde der Pyramide mit Kennerblicken beſchaut, mit einem Worte, es war ihm nichts entgangen, er hatte mit wahrem Reiſe¬ genie ſeine Zeit hingebracht Und das mußte man ihm laſſen, er war ſchoͤn wie der Sonnengott! Und den ſollte ein junges, ſo empfaͤngliches Maͤd¬ chen wie Tina, dem die ganze, weite Welt fuͤr44 ſeine Liebe zu enge ſchien, nicht lieben? Nein, dachte Blauenſtein bei ſich weiter, da muͤßte ich die Weiber ſchlecht kennen, die ſo veraͤnderlich ſind wie die Schmetterlinge auf der ſchoͤnen Inſel St. Catharina. Millionen Blumen hauchen hier ſuͤße, wuͤrzige Duͤfte, eine immer reizender, als die andere, aber dennoch verweilen ſich die windi¬ gen, hirnloſen Flatterteufel nur Secundenlang in den Honigkelchen der zarten Bluͤthenkinder. Machen es die Maͤdchen bei uns jetzt nicht eben ſo? Und was kuͤmmert ſich ein ſo leichtes Herz darum, wenn ein anderes bricht, das voll ge¬ heimer, unendlicher Liebe war!

Aber ſagen Sie, Blauenſteinchen hob Oncle Heinrich an, und ruͤttelte am Arme des letztern, als wollte er ihn aus dem Schlafe wecken, ſagen Sie in's drei Teufels Namen, Gott verzeih mir die Suͤnde, woran denken Sie ſo herzinniglich, ſo unablaͤſſig? Und dabei gehn ihre Augen ſo ganz naͤrriſch hinter dem armſeligen weißen But¬ tervogel*)Vermuthlich: Phal. libatrix, oder Ph. Cassinia, eine Schmetterlingsart, die ſich erſt im Spaͤt¬ herbſt zu paaren pflegt. her, der in den langen Malven**)Die hohe Staudenaſter, Aster amellus. eben keine Nahrung finden mag.

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Halten Sie mich etwa nicht fuͤr einen Schmetterlingskundigen? fragte Blauenſtein, und ſuchte eine kleine Verlegenheit zu verbergen. Noch kuͤrzlich ergoͤtzte ich mich an den Berichten der Braſilianiſchen Flatterwelt, die uns Cruſen¬ ſtern und Langsdorf in ihren Reiſen geben.

3. Der Ball.

Der Graf, er mogte wohl nicht mehr an ſeinen Unfall von neulich denken, war uͤber die Gegenwart ſeines kuͤnftigen Schwiegerſohns hoͤchſt erfreut; aber von der Abreiſe Blauenſteins, den er recht lieb gewonnen hatte, wollte er keines¬ wegs etwas hoͤren. Sich zu fuͤgen, diesmal die Freuden und Leiden einer Liebe mitzunehmen, welche ploͤtzlich am Lebenswege des jungen Man¬ nes wie ein zartes Bluͤmchen emporſproßte, war ihm das Raͤthlichſte. Oncle Heinrich hatte ſich zwar lange widerſetzt, allein die milzſuͤchtige Letty und ihr Bruder, der Graf, blieben dabei ſtehn, daß man einen laͤngſt verabredeten Ball geben wolle, und zwar ſobald wie moͤglich. Der Ober¬46 Verwalter Sander, welcher ſich im Secretariat zu arbeiten einmal nicht nehmen ließ, erhielt den Auftrag, die Familien aufzuzeichnen, welche zum Balle geladen werden ſollten. Nach einer Stunde kam der Eilfertige bereits mit einem Regiſter von Damen zuruͤck, ſo daß man ſchier vermeinte, der verſchrumpfte Leporello ſtehe mit dem Verzeich¬ niſſe der ſchrecklichen Anzahl von Liebſchaften des edlen Don Juan vor einem! Staunitz lachte dem ehrlichen Sander gerade in's Geſicht; aber Oncle Heinrich nahm die Papiere, und ſagte mit einer graͤmlichen Miene; nachdem er die einzelnen auf¬ gezeichneten Familien durchlaufen:

Wenn wir funfzig Perſonen ſtreichen, lieber Schwager, ſo bleiben noch genug uͤbrig fuͤr unſern Zweck; aber, fuhr er leiſer fort, ich habe hier einige Leutchen, die in unſern Kreis nicht paffen! Da iſt z. B. die alte Droſtin Steinburg mit ihrem Sohne, dem Musje Unausſtehlich, und der alte Kammerherr Wehrmann; das Volk taugt nichts! Und nun gar hier der verwelkte Tulpen¬ ſtengel, Fraͤulein Babet mit ihrer Mama Klatſche!

Schwager! ſagte der Graf, und ſchuͤttelte mißbilligend den Kopf, halt doch Deine Zunge endlich einmal beſſer im Zaum. Deine Anſichten47 von der vornehmen Welt, wie Du ſie immer ſpoͤttiſch nennſt, ſind die meinigen nicht; ich gebe den Ball, und nicht Du! Laß doch, fuhr er fort, und blickte leichter um's Herz werdend, hinter Staunitz her, welcher Blauenſtein einige Bilder im Schloſſe zeigen wollte, die er fuͤr gute Origi¬ nale von Berghem und Ruysdael hielt, laß doch wenigſtens dergleichen in Gegenwart der jungen Maͤnner, wenigſtens des Barons! Der Kammerherr von Wehrmann iſt ſo unrecht nicht; Du mußt nur richtig zu calculiren verſtehn! Wie lange wird es dauren, ſo kehrt mein Sohn Emil zu uns zu¬ ruͤck, und verſucht ſein Gluͤck in der Hofwelt. Und da gilt der alte graue Kammerherr mehr, als die alte Excellenz, der Canzler. Und was noch mehr ſagen will, er hat von ſeinem Bruder, dem Oberlandjaͤgermeiſter ein ſehr bedeutendes Vermoͤgen zu erwarten; das erbt Alles einmal die kleine Guſtel, des Kammerherrn einziges Kind. Gegen den uralten Adel des Mannes iſt doch wahrhaftig auch nichts einzuwenden!

Was?! rief Heinrich verwundert aus, die Guſtel, meinſt Du, waͤre ſo eine Parthie fuͤr unſern Emil? Nun, der Herr erleuchte Dich! Dick und rund iſt ſie, und dabei verliebt, wie eine todte Ratte! Und nun gar das Vermoͤgen;48 brauchſt Du denn immer nur Geld, nichts als Geld zu Deinem Gluͤcke, und fuͤr Deine Kinder? Tina und Emil, beide ſind reich genug; mein Bischen kriegen ſie auch noch hinzu, und werden nicht Hungers ſterben. Aber, lieber Freund, fuͤr den alten Adel des Kammerherrn gebe ich keinen Heller! Es iſt wahr, der mag ſo alt ſein, wie ſeine enormen Schulden! Alter Adel, alter Adel! Mein Himmel, welcher vernuͤnftige Menſch giebt was auf den Adel! Jeder Menſch hat ſeine Ahnen; er giebt ſich aber nicht die Muͤhe, ſie zu zaͤhlen, und nimmt ſich nicht die impertinente Freiheit, ſich die Tugenden ſeiner Altvordern mir nichts, dir nichts, beizumeſſen, wie die ſoge¬ nannten Adligen. Nimm mir's nicht uͤbel, Du thateſt auch einſt ſehr Unrecht, dich in den Grafen¬ ſtand mit ſchwerem Gelde zu, kaufen, was Dir noch obenhin die ganze Welt verdacht hat. Hier, im Herzen, in der Bruſt, fuhr Heinrich in ſeinem Eifer fort, und klopfte ſtark auf ſeine Bruſt, daß es droͤhnte, da iſt der Adelsbrief, den haben die Engel geſchrieben, und wer den nicht mehr vor¬ zeigen kann, iſt ein Taugenichts, ein heilloſer Windbeutel!

Nun, nur gemach! erwiederte der Graf laͤchlend; Du biſt eine brave Seele, aber in49 den beſprochenen Puncten ein wahrer Heide! Laß mir doch meinen Willen; zwingen will ich den Jungen, den Emil, zu nichts in der Welt, was wider ſeine Herzensneigung waͤre. Ich bin auch einmal jung geweſen, und habe erfahren, wie hoch man ſeine Freiheit zu ſchaͤtzen hat! Nun erzeige mir noch den Gefallen, und ſei gegen unſere Gaͤſte, wenn ſie Dir auch zuwider ſind, recht artig und zuvorkommend; mir ſind ſie auch nicht immer an's Herz gewachſen, aber der Mann von Welt druͤckt ein Auge zu, wo es nicht anders geht! Und nun kein Wort weiter von ſolchen Dingen. Aber hoͤre, Schwager, der Blauen¬ ſtein, ſcheint der nicht auf unſer Tinchen ordent¬ lich ein Auge geworfen zu haben? Mir fiel es in der That auf; er verwandte kaum den Blick von ihr!

I nun, antwortete Heinrich mit dem Tone einer halb erzwungenen Gleichguͤltigkeit, er mag Gefallen an dem Dinge finden, denn huͤbſch iſt ſie, das muß ihr der giftigſte Neid laſſen, aber weiter iſt es auch wohl nichts; wenigſtens muß er ſich wohl nun den Muth vergehn laſſen, um ihre Gunſt zu werben, da er weiß, daß ſie mit Vetter Staunitz verlobt iſt!

450

Glaubſt Du denn, hob der Graf wieder an, und machte eine recht bedenkliche Miene, als er aus des Schwagers dargebotener Doſe eine kleine Prieſe nahm, glaubſt Du denn, daß ſich ſo ein junger Herr, der die Welt kennt, an das Verlobt¬ ſein kehrt? Doch er kann eine Ausnahme machen, und ich muß geſtehn, das ganze Weſen des jungen Mannes gefaͤllt mir, er hat ſo etwas Feſtes, und dabei ſo viel Witz und den aͤchten bon ton!

Bon ton hin, bon ton her, brummte Heinrich halb bei ſich, er hat Lebensart, bei meiner Seele!

Die guten Maͤnner! Keiner hatte Arges! ſie konnten mit Recht uͤberzeugt ſein, Tinas, ſo wie Blauenſteins Inneres ſei ohne Falſch; aber in beider Herzen, dieſe unergruͤndliche Tiefe, in der niemand das Rechte gewahrt, was er eigentlich ſucht, einen durchdringenden Blick zu thun, das vermogten ſie nicht! Der Graf galt fuͤr einen feinen Menſchenkenner, und bei Hofe fuͤr aͤußerſt turnirt; aber die eigene, geliebte Tochter hatte er noch nicht ergruͤndet!

Man hatte ſich lange geſtritten, ob man den51 Ball in Blumenau ſelbſt, oder in dem benachbarten Staͤdtchen Friedlingen geben ſollte; die Stimmen¬ mehrzahl entſchied indeß fuͤr Blumenau, und man hatte nun nichts Eifrigeres zu thun, als die Gaͤſte in beſter Form einzuladen. Der vom juͤngern Hausperſonale heiß erſehnte Tag erſchien. Tina ſtand, geputzt mit allen Kuͤnſten der zarteſten Toilette, in dem hohen Bogenfenſter des zum Empfange der Gaͤſte beſtimmten Zimmers neben Oncle Heinrich, und malte mit dem niedlichſten aller kleinen Finger Buchſtaben in den Fenſter¬ ſchweiß. Was machſt Du denn Kind? fragte der Oncle. Du malſt ja einen zierlichen B neben den andern?

Nun, ſagte Tina, und ihr Schelmengeſicht¬ chen vermogte kaum das Lachen zu bekaͤmpfen, ich darf doch wohl an Staunitz denken? Heißt er denn nicht etwa Bernhardt? Aber liebes Onkelchen, ich habe eine Bitte, welche Du mir durchaus nicht abſchlagen darfſt.

Was iſt denn ſchon wieder? fragte Heinrich. Aus euch Weibern werde der Henker klug! Erſt tiefſinnig, ganz ſehnſuͤchtig und mit den Gedanken wo anders, als am paſſenden Orte, und auf4*52einmal wieder ſo ein raſches Anliegen, ein Draͤn¬ gen! Aber nur heraus damit!

Wo denkſt Du hin! Mir fehlt in der Welt nichts, erwiederte Tina, und daß wir nicht immer von Euch verſtanden werden, iſt im Grunde recht gut! Doch das gehoͤrt nicht hieher! Du weißt, daß der Vater heute Abend waͤhrend der Tafel meine mit Staunitz laͤngſt bekannte Ver¬ lobung mit Pauken und Trompeten auf ſolenne Weiſe den Gaͤſten zu eroͤffnen beſchloſſen, und das iſt mir ſo recht widrig und obenein aͤngſtlich!

Mein Himmel, rief Heinrich verwundert, das iſt ja die eigentliche Tendenz unſeres ſchoͤnen Balles, und die willſt Du nun ſo friſch weg ver¬ nichten? Was wollte der Vater ſagen, wenn ich davon anfinge?

Bitte, bitte, Onkelchen! ſagte Tina, und kuͤßte den Aufgebrachten auf die rauhe Wange, rede mit dem Vater! Nicht wahr, Du thuſt es?

Wer kann der Hexe etwas abſchlagen! erwiederte Heinrich freundlich, umſchlang das ſuͤße Maͤdchen, und druͤckte ihm drei, vier feurige On¬ kelkuͤſſe auf die purpurnen Lippen. Aber, mein liebes Kind, die Gaͤſte koͤnnen nun nicht lange53 mehr weilen, daher mit Tante Letty auf Euren Poſten!

Tina huͤpfte froͤhlich fort; ſie wies den eben eintreffenden Hautboiſten, welche die kleine Haus¬ capelle noch unterſtuͤtzen ſollten, ihr Zimmer an, und eilte zur Tante Letty. Raſch hintereinander rollten mehrere Wagen uͤber die donnernde Bruͤcke des Schloßhofes; das reich gallonirte Bedienten¬ heer des Grafen ſtuͤrzte wie auf ein Signal her¬ aus, zeigte die gluͤcklichſten Dienertalente, und foͤrderte nach wenigen Augenblicken dem die Ho¬ neurs machenden Herrn des Hauſes die geputzten, duftenden Gaͤſte in die Haͤnde. Zu des Oncles Ärger waren die Droſtin von Steinburg, nebſt ihrem Goldſoͤhnchen, dem franzoͤſirten Antoͤnchen, deren Couſine, Babet von Kufen und der alte Schmecker, der Kammerherr von Wehrmann, welcher in dem jungen Hofrath von Wernburg noch einen Taͤnzer mitgebracht hatte, die erſten der Gaͤſte. Blauenſtein verlor ſich in einen Winkel des koͤſtlich erleuchteten und dekorirten Saales; er fuͤhlte das geheime Weh der immer mehr und mehr wachſenden Liebe in ſeiner Bruſt, und mit irrendem Auge ſuchte der die Koͤnigin des Feſtes, die liebreizende Albertine.

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So reizend, ſo uͤberaus ſchoͤn und hinreißend hatte er das Himmelskind noch nicht geſehn! Durch die ſchwarze Pracht der uͤppigen Ringel¬ locken zogen ſich ſchimmernde Perlen, wie Sterne am duͤſtern Nachthimmel; aber vorn uͤber der hohen, blendend weißen Stirn glaͤnzte ein herr¬ licher Brillant aus Viſiapur in einem zarten Dia¬ deme von Amethiſten. Das leichte, zephirartige Ballkleid von indiſchem Mull ſchmiegte ſich um die wellenfoͤrmigen Glieder dieſer vollendeten Hebe verraͤtheriſch und ſuͤß, und an dem Wogen des keuſchen Schneebuſens erſah man die geheime Luſt, die Sehnſucht nach etwas, dem man nicht zu jeder Stunde eine Sprache zu leihen vermag; aber wer dem ſchoͤnen Maͤdchen in's Auge ſah, das in ſeiner Azurtiefe feuriger, bedeutungsvoller glaͤnzte, als jener Brillant aus Viſiapur, haͤtte es ſich nicht wegleugnen laſſen, daß nichts, als ein heiliges Liebesſehnen ſeine Bruſt erfuͤlle!

Die Gaͤſte waren endlich alle verſammelt; eine koͤſtliche Auffoderung zum Tanz, bei der das zarte Clarinettenſolo einen tuͤchtigen Virtuoſen zeigte, deſſen rauſchender Allegroſatz aber in jeden Tanzluſtigen wahres Ballentzuͤcken goß, machte den ſinnenden Blauenſtein darauf aufmerkſam, daß er die liebholde Tina wohl zum erſten Walzer55 engagiren muͤſſe. Sie war nicht verſagt; aber ſtatt des einleitenden Walzers brauſ'te vom Or¬ cheſter eine volltoͤnige Polonaiſe herab, und der gluͤckliche Blauenſtein ſchlang ſeinen kraͤftigen Arm um die liebliche Tina. Das laue Wehn ihres ſuͤßen Athems, die Grazie jeder ihrer Bewe¬ gungen, dazu der freundliche, ſcherzende Ton ihrer Unterhaltung entzuͤckten ihren Taͤnzer dermaßen, daß er ſchier vermeinte im Paradieſe zu ſein. Jedes Auge hing an dem ſchoͤnen Paare, auch die giftigſten Neider und Neiderinnen, und wo ſollten dieſe fehlen? geſtanden ſich ganz geheim, Tina, ſo wie der gluͤckliche Blauenſtein, beide waͤren unuͤbertrefflich!

Wer der Blauenſtein eigentlich ſei, was er hier in Blumenau vorſtelle, war ſchnell in der Nachbarſchaft und unter den Gaͤſten bekannt ge¬ worden. Tina wußte in der That von dem lie¬ benswuͤrdigen jungen Manne am wenigſten. Aber war es auch noͤthig, mehr zu wiſſen, als daß er ſehr brav, vom beſten Herzen und Muth, und dabei engelhuͤbſch ſei? Was ging das liebende Maͤdchen der Zuſammenhang ſeiner Verhaͤltniſſe, was ſein Reichthum, oder ſeine Armuth an! So denkt die jugendliche Unerfahrenheit, das von der erſten, wahren Liebe befangene Maͤdchen! 56 Die Droſtin Steinburg ſtand mit ihrer alten Buſenfreundin, der Geheimderaͤthin Wandler im mittelſten Fenſterbogen des glaͤnzenden, von hun¬ dert und aber hundert Kerzen hell ſchimmernden Saales, und vergnuͤgte ſich nach ihrer alten, be¬ liebten Manier an dem Bekritteln der Anweſen¬ den. Sehn Sie um's Himmels Willen, nahm die letztere das Wort, ſehn Sie den allerliebſten Blauenſtein! Unter uns, meine Beſte, das iſt ein Goldfiſchchen; ich kenne ſeine Verhaͤltniſſe ge¬ nauer, wenn der Springin'sfeld ſich meiner auch nicht mehr erinnern mag, denn er thut wie fremd. Ich hatte einmal ſo eine Idee mit meinem Huld¬ chen; nun, Sie verſtehn mich; und ich mogte ſie nicht aufgeben. Aber nun, dies Thun mit der Tina, der koquetten Naͤrrin, iſt ja ganz abſcheu¬ lich; und was die Sache beſonders himmel¬ ſchreiend macht, ſie ſoll mit dem Baron Stau¬ nitz ſo gut wie verlobt ſein?!

Ja, erwiederte die Steinburg, und ſah ſich heimlich um, ob ſich auch kein unberufener Horcher nahe, ſo ſpricht man; aber ich habe ſo unter der Hand erfahren, daß es mit der Par¬ thie nichts wuͤrde. Sie halten reinen Mund, liebe Freundin; aber ich glaube ſelbſt daran, und freue mich, denn mein Anton waͤre des Todes. 57Haben Sie vorhin nicht bemerkt, wie fein, wie aufmerkſam ſich das Paͤrchen behandelte und un¬ terhielt? Der Junge hat ordentlich ſo was Apartes mit aus Paris gebracht, und mich reut nun mein ſchoͤnes Geld nicht, was er mich koſtete. Wahrhaftig, es waͤre reizend, wenn unſere Plaͤne, meine liebe Wandler, ausgefuͤhrt wuͤrden. Und eigentlich iſt kein Grund da, daran zu zweifeln. Was meinen Sie?

Aber die letztere erwiederte in ihrem Grimme auf die arme Tina kein Wort, und goß in die ihr dargereichte Taſſe Thee ſo eine Menge eng¬ liſchen Rum, daß der hieruͤber ganz erſchrockene Diener meinte, Ihre Gnaden haͤtten ſich ver¬ griffen. Der Kammerherr von Wehrmann ſtand in dieſem Augenblicke vor der Erboßten, und freute ſich, eine Gleichgeſinnte gefunden zu haben. Der alte Herr ſchwaͤnzelte mit ſeinem goldbro¬ kadenem Kleide, deſſen alterthuͤmliche Garnitur am Kragen reich mit Spaniol beſtreut war, der theeſchluͤrfenden Dame naͤher, und kuͤßte ihr mit einem grinſenden Laͤchlen die Hand. Eh bien, ma chere! hob er an, und warf ſeine ſtechen¬ den, grauen Augen nach der Seite des Saales, wohin ſich Blauenſtein mit der ſuͤßen Albertine hingefluͤchtet, um vorlaͤufig die Touren zu einer58 neuen Quadrille zu beſprechen, wie ſieht es mit unſerm aimabeln Huldchen? Bemerken Sie, meine Gnaͤdige, bemerken Sie die holde Albertine, oder vielmehr den blauen Stein, der ſich Ihnen ſo recht con amore in den Weg wirft, ohne auf Dero geheimſte Wuͤnſche Ruͤckſicht nehmen zu wollen?

Nicht anzuͤglich, mein Freund! ſagte die Wandler in einem Tone, der wie eine bittere Verſtimmung herauskam. Aber, iſt das Recht, iſt das Sitte, nennt man das Erziehung und Ton?! Nein, eine ſolche ausgeſuchte Gefallſucht iſt mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen! Der Menſch muͤßte ganz dumm ſein, wenn er nicht zur angenehmen Kurzweil Gebrauch von der Zuvorkommenheit der graͤflichen Koquette machen wollte!

Hatten die in dieſen angenehmen Zwieſprach verwickelten Perſonen zu giftige Blicke auf Blauen¬ ſtein, auf die in ſuͤßer Liebesverirrung vorge¬ hende Tina geworfen? Blauenſtein hielt es fuͤr paſſend, die Augen der Neugierigen von ſich abzuwenden, trat mit recht ausgeſuchter Freund¬ lichkeit zu dem geprieſenen Huldchen, und for¬ derte ſie zu dem eben angeſtimmten Laͤnderer auf. 59Er kannte die Geheimderaͤthin; vor mehreren Jahren lernte er ſie in der Reſidenz kennen; aber die niedrige Denkungsart der Frau, ihre Raͤnkeſucht, die nichts, auch das Heiligſte nicht, ſchonte, war ihm fruͤhzeitig verhaßt geweſen, und als er zufaͤllig bemerkte, eine Parthie zwiſchen ihm und der Hulda ſei der Mutter einziges Stre¬ ben, zog er ſich kalt zuruͤck, und that jetzt, nach¬ dem mehrere Jahre vergangen waren, in denen er ſich merklich veraͤndert haben ſollte, als kenne er die Frau gar nicht. Huldchen war an und fuͤr ſich ſo uͤbel nicht; ihr Geſicht, das freilich den uͤbergroßen Mund ihres verſtorbenen Vaters ererbt hatte, war von einem gutmuͤthigen Aus¬ druck; ſie dachte nicht an die geheimen Plaͤne der verdrießlichen Mamma, und gefiel ſich in den kraͤftigen Armen des ſie umſchlingenden jungen Mannes recht ſehr wohl. Die Droſtin Stein¬ burg war innerlich froh, daß ſich ihre Ausſichten aufklaͤrten. Behalt 'Du Deinen Blauenſtein, liebes Puttchen, dachte ſie bei ſich; mein Antoͤnchen wird hoffentlich auch noch zum Ziele kommen. Gott, an dem Kinde ſelbſt, an der hochfahrenden Familie des Grafen uͤberhaupt liegt mir herzlich wenig; aber Tinchen, Dein unmenſchliches Geld, deine Guͤter will ich mir, oder vielmehr dem An¬ ton ſichern! Koͤmmt nicht bald ein rettender60 Goldengel, ſo gehts ſchief; meine Leute kuͤndigen mir auf, die Glaͤubiger machen drohende Geſich¬ ter, Himmel, ich mag nicht daran denken, mir wird gruͤn und gelb vor den Augen!

Sie rannte ſchnell zum Sohne, der mit einem Schaafsgeſicht den Tanzenden zuſah. Sie gab ihm ganz geheim einen muͤtterlichen Seiten¬ ſtoß, und raunte ihm ziemlich vernehmlich in die uͤbergroßen Ohren, hinter denen ein Paar widri¬ ge Pflaſter dufteten: Menſch, Du ſtehſt hier, und kuckſt wie ein Narr zu?! Habe ich Dir nicht gleich geſagt, Du ſollſt etwas um die Tina herum ſein, mit ihr ſprechen, tanzen, ſie von Deinen Reiſen unterhalten?! Steht der Menſch hier in der Ecke! Wie oft habe ich Dich gebeten, Du ſollſt Dein verfluchtes Schielen laſſen; denn wenn Dich die Comteſſe ſieht, wie Du mit einem Auge ihr auf die Fußſpitze, mit dem andern nach dem Kronleuchter kuckſt, ſo nimmt ſie Dich im Leben nicht!

Mais mon dieu, gnaͤdige Mamma! er¬ wiederte Antoͤnchen betreten, man darf doch nicht uͤbermaͤßig zudringlich ſein; et quand à moi, ich habe ihr meine Huldigungen devoteſt bereits zu Fuͤßen gelegt!

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Haſt Du das? fragte die aufgebrachte Mamma etwas beruhigter. Nun, ſo fahre fort, und der Himmel wird das Ende ſegnen!

Der Laͤnderer hatte das ſeinige erreicht; die jungen Herrn fuͤhrten ihre Schoͤnen zu den Sitzen, fuhren mit den wehenden Tuͤchern uͤber die gluͤhende Stirn, waͤhrend ein anderer Theil zu der Tanzordnung huͤpfte, um bei Zeiten fuͤr reizende Engagements zu ſorgen. Eine liebliche Oboe¬ ſtimme intonirte einen allerliebſten Wienerwalzer; Antoͤnchen meinte, dieſen muͤſſe er nothwendig mit der reizenden Albertine tanzen; er nahm daher den Muth zuſammen, und fand ſie gluͤck¬ licher Weiſe noch nicht verſagt. Mit aͤngſtlichem Bedauren ſah ſie Blauenſtein nach, welcher ſie eben von ſeiner Heimath unterhalten, und legte mit einem wahren Widerwillen ihr Marmor¬ patſchchen in die duͤrre Hand des franzoͤſirten Narren, der in ſeinem albernen Duͤnkel meinte, er ſei der Liebling aller und jeder, denen er ſich nahe. Schon vorhin hatte der Pariſer Unausſteh¬ lich ſie mit ſeinen faden, nichts ſagenden Witze¬ leien verfolgt, und ſie oft durch ſeine beliebten Zweideutigkeiten erroͤthen gemacht, und jetzt fing er gar an, ſuͤß zu thun, und eine Menge Ge¬ waͤſch von der Kunſt, hauptſaͤchlich von der62 Muſik, herzuſchwatzen, daß Tina nicht mehr wußte, was ſie dem Aufgeblaſenen antworten ſollte. Jetzt kam das Walzen an Antoͤnchen; ſeine Lunge war nicht im beſten Zuſtande, daher ſeine Reſpi¬ ration in einer hoͤchſt traurigen Verfaſſung, und der raſche Wiener nahm ihm dermaßen die Luſt, daß er ſeufzte und pruͤgte wie der ſchadhafte Ka¬ ſtenblasbalg einer Eiſengießerei. An Unterhaltung mit ſeiner Taͤnzerin, die in ihrer friſchen Kraͤf¬ tigkeit das bischen Herumdrehen nicht achtete, war gar nicht zu denken, und Tina war herzlich froh, als Oncle Heinrich ſie mit dem Finger auf die blendendweiße Achſel tippte, und ihr in's Ohr raunte, man koͤnne wohl nun an die Tafel denken. Der unausſtehliche Walzer war aus, Antoͤnchen buͤckte ſich keuchend, und bot der er¬ zuͤrnten Comteſſe ſeinen Arm; allein ſie erwie¬ derte kurz, daß ſie ein kleines Geſchaͤft ſchnell hin¬ wegrufe, und ließ den Narren ſtehn. Tina flog in den Speiſeſaal; ſchon waren die Tafeln mit allen Gaumenherrlichkeiten beſetzt, daß ſie unter der Laſt ſeufzten, und an jedem Couvert ſchim¬ merte ein Zettel mit dem Namen der Perſon, welche hier ſitzen ſollte. Mit irrendem Auge ſuchte Tina Blauenſteins Namen; richtig, er lag neben Huldchen, und jetzt fiel es erſt der un¬ angenehm Überraſchten auf, daß ihr in der Naͤhe63 des Saales die Geheimderaͤthin in einer gewiſſen Verlegenheit begegnet war. Irrte ſie nicht, ſo hatte dieſe Blauenſteins Namen neben den ihrer Tochter gelegt. Oncle Heinrich glaubte, die Zet¬ tel waren noch nicht recht geordnet, aber auf der andern Seite neben Blauenſtein las er zu ſeiner Verwundrung den Namen der Tante Letty, und dachte bei ſich, daß die alberne Perſon eigentlich ganz unten hin gehoͤre, wo ſie auf die Unterhal¬ tung eines jungen Mannes nicht rechnen konnte. Tina ordnete nun die Namen nach ihrem Koͤpf¬ chen, huͤpfte hoͤchſt vergnuͤgt uͤber ihr Arrange¬ ment zu den Gaͤſten zuruͤck, und reichte dem ihr freundlich entgegen tretenden Staunitz die Schwa¬ nenhand, welche dieſer an ſeine Lippen zog. Haſt Du, hob Tina an, und blickte dem ſchoͤ¬ nen Manne in das klare Seelenauge, haſt Du auch nicht vergeſſen, was Du mir verſpracheſt, mein theurer, lieber Freund? Siehſt Du, fuhr ſie fort, als Staunitz genickt hatte, und langte aus der Schneetiefe ihres von geheimer Luſt be¬ benden Buſens ein goldenes Medaillon hervor, hierin ſoll das Heiligthum ruhn! Sie blickte ſich um, ob niemand gelauſcht habe, und bemerkte Blauenſtein nicht, welcher ſie laͤngſt aus der Ferne beobachtet, und jetzt ganz genau ſah, wie Tina aus ſeiner Hand eine Locke fuͤr das Medaillon64 empfing, welche von niemand anders, als von Staunitz ſein konnte, denn hatte ihn ſein Auge nicht getaͤuſcht, ſo war ſie braun geweſen, wie Staunitz Lockenkopf. So viel war gewiß, Tina blieb mit ihrem Betragen ein hoͤchſt raͤthſelhaftes Geſchoͤpf; und er konnte das eben nicht fuͤr Nai¬ vetaͤt nehmen, wenn ſie auch mit keinen buhleri¬ ſchen Kuͤnſten um ſich warf. Blauenſtein nahm ſich vor, es koſte auch, was es wolle, mit ſich in Beziehung auf Tina in's Klare kommen zu wol¬ len. Eine zarte, ſilberhelle Trompete rief jetzt zur Tafel; Blauenſtein ſuchte das augenblicklich Truͤbe ſeiner Stimmung zu vergeſſen, Staunitz fuͤhrte ihn mit freundlicher Zuvorkommenheit, welche ganz den feinen Weltmann verrieth, ſeiner reizenden Braut entgegen, und unter einer rau¬ ſchenden Simphonie ſuchten die durch die Trom¬ pete aufgeregten Gaͤſte ihre Plaͤtze. Ungluͤcklicher Weiſe fand die Droſtin Steinburg ihren Platz in der Naͤhe des Hofrath Wernburg, deſſen bei¬ ßender Satyre ſie gar nicht auszuweichen wußte; aber die Geheimderaͤthin Wandler hatte ihren Sitz dicht neben dem alten Kammerherrn, dem hecktiſchen Canonicus Osdorf gegenuͤber, aufge¬ ſchlagen, und freute ſich im Voraus einer Unter¬ haltung, die nur dann von ihr geruͤhmt wurde, wenn ſie ihrem giftigen Herzen Luft machen65 konnte. Mit geheimer Schadenfreude ſah ſie, daß das eitle, duftende Antoͤnchen ſich neben Fraͤulein Babet umſonſt bemuͤhte, durch ſchale Witze zu vergeſſen, daß ihm fuͤr den Abend die holde Gegenwart der Comteſſe Albertine geraubt ſei, und nahm ſich nebenbei vor, von den vor¬ trefflichen Speiſen auch nicht eine einzige unan¬ geruͤhrt voruͤbergehn zu laſſen. Vorhin begann ſie grinſend, und wandte ſich an den Kammer¬ herrn, welcher ungern von ſeiner fetten Truͤffel¬ paſtete abließe, vorhin waren wir zu oft in un¬ ſerm Discours geſtoͤhrt; jetzt iſt die Gelegenheit guͤnſtiger. Was halten Sie ſo eigentlich von dem Maͤdchen, der Tina? Engliſche Frau, erwie¬ derte der Kammerherr in einiger Verlegenheit und wiſchte mit der Serviette uͤber den Mund, ich glaube, das Kind mag ſo uͤbel nicht ſein! Daß ſie an huͤbſchen jungen Maͤnnern Gefallen findet, die ſich ihr ſo zu ſagen zur Auswahl praͤ¬ ſentiren, wer kann darin etwas Schlimmes fin¬ den? Denken Sie an unſere Jugend, wir mach¬ ten es im Grunde nicht beſſer. Das arme Kind hat keine Mutter; ſchon dieſer Grund enthaͤlt reichliche Entſchuldigungen!

Mein Himmel! ſagte die Geheimderaͤthin, und ſchien betroffen, welche ploͤtzliche Veraͤnde¬566rung der Sinnesart! Sie ſcherzen, Freund! Bedenken Sie, das Maͤdchen iſt Braut, und thut mit dem Baron, als ſei ſie ſo frei, wie vor ihrer Verlobung mit Staunitz! Wenn dies keine Suͤnde iſt, ſo weiß ich nicht, wie man bei jungen Maͤdchen eine aͤrgere finden kann! Ich war auch einmal jung, und Sie wiſſen, was mir meine Nichte Louiſe fuͤr Kummer gemacht mit ihrem Weſen; aber ſo etwas iſt denn doch zu arg! Wenn ich dagegen an ihr Guſtelchen denke, wie ſittſam, wie haͤuslich, wie viel Zucht und Sitte; Nein, an der Tina iſt nichts; und unter uns geſagt, ſie ſoll es in der Reſidenz auch ebenſo gemacht haben!

In der That? keuchte der lauſchende Canonicus, und bekaͤmpfte ſeinen verjaͤhrten Magenhuſten. Man ſpricht ſo dies und jenes! Wahrhaftig, der Oncle Heinrich iſt um ſolch eine Nichte zu beneiden, die ihm mit ſo viel Huld entgegenkoͤmmt!

Wie verſtehn Sie das? fragte die Geheim¬ deraͤthin raſch und dringend.

Nun, ſagte der Canonicus kleinlaut, und blinzte mit ſeinen kleinen grauen Augen, der67 Mann iſt noch recht huͤbſch und kraͤftig; Sie kennen doch die Liſette, meiner Schwaͤgerin Kammermaͤdchen, welche fruͤher hier in Blumenau diente, die erzaͤhlte, sacre dieu, es wird einem warm bei den Gedanken! daß der chere Oncle ſein holdes Nichtchen oft im Bette uͤberraſcht, und gekuͤßt habe. Das ſagte das Maͤdchen; das Übrige folgt leicht von ſelbſt. Und dann, wie oft war ſie nicht bei Praͤſidents, und wie es da herging, iſt ja weltbekannt!

Haben Sie gehoͤrt, Herr Kammerherr? fragte die Geheimderaͤthin triumphirend. Ich irre mich ſo leicht nicht, und wenn man ſo zwanzig Jahre in der großen Welt lebt, da kennt man zuletzt ſeine Leute!

Allerdings! murmelte der Kammerherr, und beſah ſich im goldigen Spiegel des gefuͤllten Kelch¬ glaſes. Aber wo bleibt der Mantel chriſtlicher Liebe, meine Gnaͤdige, den Sie mir neulich ſo angeprieſen? Ha, ha ha! Ich erinnere mich einſt geleſen zu haben, die Welt ſei eigentlich ein großes Mißverſtaͤndniß; und ich bin uͤberzeugt, der Autor meinte hauptſaͤchlich hiermit die Welt, aus welcher Sie, meine Theure, Ihren Kummer ſchoͤpfen; meinen Sie nicht auch?

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Aber die Raͤthin erwiederte nichts; mit einem geheimen Ärger auf ſich ſelbſt dachte ſie eben daran, daß der Kammerherr zwiſchen des Grafen Sohn und ſeiner kugelrunden Tochter eine Ver¬ bindung beabſichtigte; der Graf, wie die verehr¬ ten Leſer wiſſen, war keineswegs abgeneigt, und der Hofmann wollte ſich ſeine Ausſichten nicht verderben. Sein wohleingerichteter Appetit hielt ihn auch fuͤr jede Unterhaltung ſchadlos, und mit einem ungewoͤhnlichen Wohlbehagen uͤberrechnete er bereits ſeiner Tochter kuͤnftiges Gluͤck, ſah im Voraus die hoͤchſt zufriedenen Mienen ſeiner Glaͤu¬ biger, und ſich in einer glaͤnzenden Wohlhabenheit ſchon als Oberkammerherr. Anders ſah es bei Blauenſtein aus; es war ein ploͤtzlicher Ernſt uͤber ihn gekommen, und alle froͤhlichen Scherze ſeines Nachbars Staunitz vermogten ihn nicht zu bannen. Er hatte an ſeinen Vater geſchrieben, wo er ſich aufhalte, und was eigentlich der Grund ſeines Verweilens in Blumenau ſei. Mit einer gewiſſen Ängſtlichkeit gedachte er ſeines Vaters, und gab ſich ſelbſt das Verſprechen, ſeinen Aufent¬ halt, moͤge er auch noch mehr Reize darbieten, wo moͤglich abzukuͤrzen. Tina war die Ausge¬ laſſenheit, die frohe, heitere Laune ſelbſt; Blauen¬ ſteins Ernſt ſchien ihr wahrhaft Spaß zu machen, und ſie unterließ nicht, ihn auf alle und jede69 ſchlaue Art damit aufzuziehn. Es war ihm jetzt unmoͤglich, dem Maͤdchen gram zu ſein; wo er noch vor Kurzem Verſtellung, Koquetterie, Gefall¬ ſucht, und wer weiß, was noch alle! geſehn, erblickte er jetzt nur gefaͤllige Natuͤrlichkeit, unbe¬ fangene Liebenswuͤrdigkeit; und dann durfte er ja auch wahrhaftig ihr dankbares Herz nicht ver¬ geſſen. Wer des Vaters Leben, wenigſtens ſeine geſunden Glieder rettete, hatte gewiß Anſpruch auf der Tochter Freundſchaft. Und ihre Verlo¬ bung? nun ja, das war freilich dumm, recht ungelegen, und vielleicht die Quelle alles Kummers, der den jungen Mann quaͤlte und noch quaͤlen ſollte; aber ſie liebte ihren Braͤutigam herzlich, mit ſo viel kindlicher Anhaͤnglichkeit; nein, mit einem Worte, Tina war und blieb ein hoͤchſt liebenswuͤrdiges Geſchoͤpf, nur Schade, ewig Schade, daß ihm das Himmelskind auf immer verloren war!

Aber mein Himmel, unterbrach Staunitz ſeines Nachbars Betrachtungen, warum ſind Sie immer ſo ernſt, ſo in ſich zuruͤckgezogen, lieber Baron? Laſſen Sie uns, fuhr er fort, und ſah Blauenſtein tief in's Auge, als gelinge es ihm jetzt, ſein Herz zu ergruͤnden, laſſen Sie uns zu den Glaͤſern faſſen! Der Wein macht froͤhlich,70 er iſt freundlichen Hoffnungen guͤnſtig und der Liebe!

Freundlichen Hoffnungen? fragte Blauen¬ ſtein, und ſah Staunitz laͤchlend, aber wehmuͤthig an. Nun ja, der Hoffnungen ſind verſchiedene, wer ſie beloben darf, dem fehlt keine Sicherheit; aber auf mich kann es keine Anwendung leiden; meine Erwartungen vom Leben, vom Gluͤck ſind nicht hoch geſpannt. Und lieben kann man nur einmal wahrhaft; nur einmal erſchließt ſich dem Geweihten des Himmels Klarheit, und er empfaͤngt den Kranz, der ſeine Stirne zieren ſoll! Oft tritt ein neidiſcher Zufall kalt und tuͤckiſch zwiſchen das Gluͤck und das liebende Herz!

Sie ſprachen tief aus meinem Herzen, mein Freund, erwiederte Staunitz, und druͤckte Blauen¬ ſteins Hand mit Feuer, und ihre Geſinnungen machen Ihnen Ehre. Aber die Zukunft iſt fuͤr unſer kurzſichtiges Auge nicht geſchaffen!

Blauenſtein nickte Beifall, ſah dem Zerſprin¬ gen der feinen Blaͤschen in ſeinem Glaſe zu und ſog das duftige Aroma des koͤſtlichen Weines ein; aber Tina ſchien unzufrieden uͤber der jungen Maͤnner ernſtes Geſpraͤch, und fragte, ob es denn71 auch erlaubt ſei, ſolchen Betrachtungen zu dieſer Zeit Raum zu geben? Ich glaube, fuhr ſie heiter fort, und nahm eine Meſſerſpitze Himmbeer¬ gelee in den kleinen Roſenmund, ich glaube, es iſt an der ganzen Tafel niemand, der ſich mit wahrhaftem Ernſte befaſſen moͤgte. Hoͤren Sie um des Himmels Willen dieſen Laͤrm, kaum daß die Muſik unſer Ohr erreicht. Aber ſehn Sie, dort koͤmmt der wahre Genius der Freude! Blauenſtein ſah vom Teller auf, und erblickte die hin und her ſpringenden Bedienten mit den Champagnerflaſchen, deren tobender Geiſt empor ſpritzte, und die Glaͤſer ſchaͤumend uͤberlief. Den Damen entfuhr ein kleiner Schreckensſchrei, ſie fuͤrchteten fuͤr ihre Toilette, und ſtreckten doch die zarten Haͤnde nach dem ungeſtuͤmen Kreidewein aus, um mit den luſtigen Nachbarn mit den klappernden Lilienglaͤſern anzuſtoßen. Tina cre¬ denzte Blauenſtein ein volles Glas, und nippte vorher ein wenig mit dem wuͤrzigen Roſenmunde; er aber faßte ihre bebende Hand, und ſtuͤrzte den Wein auf ihr Wohl eilig hinunter. Weshalb ſo ungeſtuͤm, ſo raſch? fragte ſie den geiſtig Berauſchten. Sie ſind wie der Wein, den Sie trinken!

Die Freude, die der Himmel uns zumißt,72 iſt kurz fuͤr die verlangende Bruſt. Aber dem Weine gilt dieſer Eifer nicht! ſagte Blauenſtein mit Bedeutung, und zog faſt ſeiner unbewußt Tinas Hand an ſeine brennenden Lippen. Das Deſert war herumgereicht, und wurde zum Theil von den Überſatten verſchmaͤht; da toͤnte vom Orcheſter ein herrlicher Cotillon, und die Tanz¬ luſtigen ſtuͤrzten hinter den Stuͤhlen hervor, ſuchten nach ihren Schoͤnen, und eilten, vom Weine mit Muth beſeelt, in den Tanzſaal. Wie der Wind ſtand Antoͤnchen an Tinas Seite, und buͤckte ſich tief, und bat um den Goͤttertanz. Aber ſie war an Blauenſtein verſagt. Das iſt mir doch zu arg! dachte der Beleidigte bei ſich, und zog nun mit freundlich fletſchender Miene ab. Sie muͤſſen ſich ſchon entſchließen, ſagte das kleine Luͤgen¬ kind erroͤthend zu Blauenſtein, und dieſen Tanz mit mir tanzen; es war mir unmoͤglich, dem unausſtehlichen Narren meine Hand zu reichen, der mir mit ſeiner Gemuͤthsleere, wie mit ſeinem faden Pariſer Witze, der nicht einmal aͤcht iſt, immer verhaßter wird!

Blauenſtein war von dieſer Offenheit, dieſem Vertrauen entzuͤckt, und huͤpfte an der Hand des angebeteten Maͤdchens zu dem ſich bildenden Kreiſe des beliebten Tanzes. Aber die Freude73 ſollte nicht lange dauren; kaum war die erſte Haupttour beendigt, als ein donnernder Kanonen¬ ſchlag ein brillantes Feuerwerk verkuͤndigte, das jetzt mit einigen, bis in das tiefſte naͤchtliche Blau des Himmels aufrauſchenden, Racketen begann. Der Tanz war wie auf ein Kommando¬ wort zerſtreut, die aͤltern Perſonen ſuchten ſich an den hohen Fenſtern des geraͤumigen Saales einen guͤnſtigen Platz, aber die juͤngern eilten am Arme ihrer Taͤnzer oder Anbeter hinab in den Park, und ergoͤtzten ſich an dem ziſchenden Spruͤh¬ regen der bunten Feuerraͤder, welche das glaͤn¬ zende Schauſpiel der kommenden Feuerherrlich¬ keiten luſtig begannen. Blauenſtein war mit Tina an das Ufer des Sees getreten, wohin ihm Staunitz mit Oncle Heinrich folgte. Der letztere war entzuͤckt uͤber ſein gelungenes Werk, und machte die jungen Leute auf ein kleines Fahr¬ zeug aufmerkſam, das mit einem Male im bun¬ teſten Brillantfeuer ſtand. Lauter Oh's und Ah's ſchallten von allen Seiten; blaͤulich ſchimmernde Leuchtkugeln fuhren lautlos durch die heitre Nacht¬ luft, und erhellten die Ufer, an die ſich ein Theil der Gaͤſte herangewagt hatte, bis ein praſſelnder Schwaͤrmertopf die Neugierigen mit Blitzesſchnelle zerſtreute. Da krachte ploͤtzlich das Schiff, daß die Wellen an ſeinen Blanken hinaufſchlugen,74 und in der Mitte des Maſtes ſchimmerten wie Sterne die Worte: Treue Liebe, auf einem Tranſparente, das nach wenigen Minuten ſammt dem Schiffe in lodernde Flammen aufging, die wunderbar im Waſſer wiederglaͤnzten, als habe ſich die Fluth in ein Feuermeer verwandelt. Jeder deutete ſich die erwaͤhnten Worte nach ſeiner Weiſe; aber Staunitz zog die geliebte Tina an ſeine Bruſt, und eine Thraͤne inniger Ruͤh¬ rung glaͤnzte in den Augen beider Liebenden. Blauenſtein hatte keinen Sinn mehr fuͤr die Herrlichkeiten der Feuerwerkerkunſt; es war ihm, als ſei mit dem Verloͤſchen des blauen Sterns an den Wimpeln des durch die Flammen abſicht¬ lich verzehrten Schiffs auch der Stern ſeines Lebensgluͤckes untergegangen in die finſtere Tiefe unſeliger Verhaͤltniſſe. Umſonſt bemuͤhte ſich Oncle Heinrich ſeine Feuerwerkstheorie dem weh¬ muͤthigen jungen Freunde zu entwicklen; er warf noch einen Blick auf den Laͤrm und die bunte Funkenpracht der Drehſonnen, Knallcapricen. Gi¬ randolen, Bomben mit blauen Sternen, Feuer¬ kaſtanien und alle die gedraͤngt voruͤberſchwebenden Herrlichkeiten, und war im Begriff, ſich nach dem dunklen, lautloſen Luſtwaͤldchen zu wenden, als Staunitz mit Oncle Heinrich zu ihm trat, und letzterer ihm ſagte, es ſei ein Fremder vor75 einer Stunde angekommen, welcher ihn, als Blauenſtein, dringend zu ſprechen verlange. Der arme Teufel, ſagte Heinrich und faßte Blauen¬ ſteins Hand, der arme Teufel war ſehr ermuͤdet, und haͤtte ich ein Wort von einem fremden Boten fallen gelaſſen, ſo waͤre mein Schiffchen ſammt dem ganzen Feuerwerke verloren geweſen. Der Henker weiß, ob Sie etwas gemerkt haben, Sie thaten kaum auf meine Kunſtſachen einen Blick, und nun ziehen Sie hin in Frieden zu dem eili¬ gen Manne, der beſtimmt gute Bothſchaft bringt!

Blauenſtein war erſchrocken; er dachte an ſeinen Vater, an ſeine Heimath. Gott, wenn der erſtere ploͤtzlich geſtorben, wenn irgend ein anderes Ungluͤck vorgefallen waͤre! Er lief in aller Eile nach dem Schloſſe zuruͤck, und ſuchte nach einem Domeſtiken, der ihn zu dem Fremden fuͤhre. Aber das Feuerwerk hatte die geſammte Dienerſchaft hinaus in's Freie gelockt, nur des Fraͤuleins Kammermaͤdchen war zuruͤckgeblieben, und verſicherte ganz unaufgefordert, ſie koͤnne das infame Schießen nicht vertragen und das ewige Knallen der Feuerraͤder, da waͤre ſie noch im Hauſe, und wolle eben dem fremden Herrn eine Erfriſchung holen.

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4. Die Bothſchaft.

Voll banger Erwartung trat Blauenſtein, von dem Kammermaͤdchen geleitet, in des Frem¬ den Zimmer. Seine Ahnung hatte ihn nicht ge¬ taͤuſcht, es war ſeines Vaters getreuer Secretair. Erſchrecken Sie nicht, Herr Baron, hob dieſer an und trat Blauenſtein mit milder Freundlichkeit entgegen. Vor allen Dingen muß ich Ihnen ſagen, wie ich mich Ihrer Zuruͤckkunft von der langen Reiſe freue, der Ihre koͤrperliche Ausbildung viel ver¬ dankt, denn ich finde manche vortheilhafte Ver¬ aͤnderung!

O, laſſen wir jetzt dergleichen, lieber, guter Blum, entgegnete Blauenſtein dringend, ſagen Sie mir vielmehr ſchnell heraus, was Sie ſo ploͤtzlich zu mir fuͤhrt. Mein Vater hat doch meinen Brief empfangen?

Allerdings, nahm Blum mit einem Seufzer77 das Wort, das hat er. Der gute Herr iſt krank, was ſoll ich es laͤnger verhelen, aber ich hoffe, nicht gefaͤhrlich. Unterbrechen Sie mich nicht, junger Herr, ich werde gleich am Ende meines Berichtes ſein, und wir haben beide große Eile. Schon kurz vor Empfang Ihres Briefes klagte der gute Herr uͤber eine Laͤhmung in ſeinem Koͤrper, und er ſagte, es ſei geweſen, als wenn mit einem Male alle Nerven zuſammengezuckt ſeien, und als haͤtte es wie in einem langgehalte¬ nen, ſonderbaren Tone vor dem Ohre geklungen. Sie kennen ſeine Vorliebe fuͤr die Muſik, und ich ſchob auch hierauf die ſonderbare Erſcheinung; aber die Ärzte meinten doch, es waͤre eine Art Schlagfluß geweſen. Nun kam Ihr Brief, mein lieber junger Herr; er mogte einen freudigen Eindruck aͤußern, denn Ihr Herr Vater verlangte ſehnlichſt nach Ihnen, faſt in demſelben Grade, als ſein Übelbefinden ſtieg. Blum, ſagte er zu mir am Morgen, Sie muͤſſen mir den Auguſt ſchaffen, ich werde immer ſchwaͤcher und ſchwaͤcher, und fuͤhle, daß meine Stunde bald ſchlagen wird. Auf alle Weiſe redete ich dem guten Herrn ſolche finſtern Gedanken aus, ließ den Reiſewagen an¬ ſpannen, und fuhr Tag und Nacht. Mit Nerven¬ zufaͤllen iſt kein Spaßen; daher halte ich es fuͤr nothwendig, daß wir Blumenau ſo ſchnell wie78 moͤglich verlaſſen, und wenn es irgend angeht, noch in dieſer Nacht!

Blauenſtein war keines Wortes maͤchtig, er druͤckte die Hand des ehrlichen Blum, winkte ihm, im Zimmer zu bleiben, und eilte hinaus in's Freie. Das Feuerwerk war zu Ende; die be¬ friedigten Zuſchauer ſuchten den verlaſſenen Tanz¬ ſaal wieder auf; auch Tina trat, in ihren Shawl gehuͤllt, Blauenſtein laͤchlend entgegen, und fragte, ob der Cottillon noch ausgefuͤhrt werden koͤnne. Er hatte ſich ein wenig erholt, und erwiederte auf Tinas Frage, was ihm ſei, denn eine Todten¬ blaͤſſe habe ſein Geſicht uͤberwogen, und ſein Auge ſchwimme in Thraͤnen, daß er eine ploͤtzliche Trauerbothſchaft erhalten. Mein Vater, fuhr er mit wankender Stimme fort, liegt vielleicht ſchon jetzt in ſeinen letzten Zuͤgen; er verlangt nach ſeinem Kinde, und ich habe auf keiner Stelle Ruhe mehr. Ich muß fort, verſtatten Sie mir, daß ich Ihnen, den theuren Ihrigen danke fuͤr die mir erwieſene herzliche Aufnahme! Wei¬ ter vermogte Blauenſtein nicht zu reden, ein Strom von Thraͤnen erſtickte ſeine Stimme, und er oͤffnete, um ſich der Aufmerkſamkeit der Vor¬ uͤbergehenden zu entziehn, das erſte, beſte Zimmer, und dachte nicht daran, daß er ſich in Tinas79 kleinem Heiligthum befinde. Das erſchrockene Maͤdchen war ihm gefolgt, und ſeinen Mißgriff gewahrend, erhob er ſich eben ſo ſchnell von dem Seſſel, auf den er ſich niedergelaſſen, und zog Tinas Hand an ſeine fieberiſch brennenden Lippen. Entſchuldigen Sie mich, Comteſſe, hob er an, haben Sie Nachſicht mit mir. Ich liebe meinen Vater uͤber Alles, aber ich ſehe auch noch andern Verluſten entgegen, die mich tief ſchmerzen! Um Ihre Liebe zu werben, iſt mir nicht vergoͤnnt; aber ich habe vielleicht einen kleinen Anſpruch auf Ihre Freundſchaft. Jetzt leben Sie wohl, entſchuldigen Sie mich bei Ihrem Herrn Vater und den uͤbrigen Verwandten, und wenn ich noch um etwas bitten darf, ſo iſt es das, mir zuwei¬ len einen Augenblick freundlicher Erinnerung zu ſchenken!

Tina war zu ſehr uͤberraſcht von dem ploͤtz¬ lichen Ereigniſſe, als daß ſie einer ruhigen Er¬ wiederung faͤhig geweſen waͤre. Sie ließ ihre Hand in der ihres Freundes ruhn, ſie war es ſich kaum ſelbſt bewußt, daß er ſie an ſeine Bruſt zog und ihre Stirn mit einem leiſen Kuſſe be¬ ruͤhrte. Iſt es denn ein boͤſer Traum, daß er wirklich fort will, iſt es Wirklichkeit? dieſe Fragen durchkreuzten ſich in ihrem Koͤpfchen, und erſt als80 Blauenſtein zum letzten Lebewohl ihre Hand ergriff, und eine Thraͤne ſich in ſein Auge ſtahl, vermogte ſie wieder zu reden, und ſich gefaßt und ruhig uͤber die Sache zu aͤußern. Warum dieſe Eile, mein Freund? fragte ſie mit dem zarten Wohl¬ laut ihrer Stimme, und ſah dem jungen, ſchoͤnen Manne mit milder Freundlichkeit in die in Thraͤnen halb ſchwimmenden Augen. Ich weiß, was es heißt, einen Vater krank zu wiſſen, und ein guter Sohn wird nicht vom Himmel geſtraft werden durch einen herben Verluſt; aber warten Sie den morgenden Tag ab, und gelangen Sie zu gehoͤriger innerer Ruhe. Ihr Auge brennt fieberiſch, Sie ſind ſelbſt krank, und duͤrfen nicht ſo ohne Schonung mit ſich umgehn!

Ihre Worte buͤrgen mir fuͤr Ihr Wohlwollen, mein Fraͤulein, entgegnete der aͤngſtlich Bedraͤngte, aber mich rufen heilige Pflichten! Um eins wage ich noch zu bitten, gewaͤhren Sie mir ein kleines Angedenken!

Tina erroͤthete; aber ſchnell entſchloſſen eilte ſie an ihren Arbeitstiſch, nahm aus einem Schub¬ fache eine reichgeſtickte Brieftaſche, und legte ſie in Blauenſteins Hand. Im naͤchſten Augenblick war er verſchwunden, und ſie ſank wie erſchoͤpft auf die weichen Polſter ihres Sophas.

81

Der alte Martin flog mit einem andern Die¬ ner in Blauenſteins Zimmer; er ſelbſt half ſeine zerſtreuten Habſeligkeiten zuſammenlegen und ein¬ packen, und verwahrte das eben erhaltene theure Geſchenk auf ſeiner Bruſt. Der Wagen ſtand vor der Thuͤre, Oncle Heinrich dicht dabei. Er hatte vom Secretair Blum das Naͤhere erfahren, und bedauerte herzlich, daß er den jungen Freund ſo ſchnell verlieren ſollte. Verſprechen Sie mir, fuhr er fort, uns in dem ſtillen, abgelegenen Blumenau recht bald wieder beſuchen zu wollen, Blauenſteinchen, und zwar auf einige Wochen, nicht auf Tage, wie diesmal. Übrigens wird ſich mein Schwager verdammt wundern, wenn er morgen hoͤrt, daß Sie ausgeflogen ſind. Aber es iſt gut ſo; Sie haben Eile, und er machte nur noch laͤngern Aufenthalt! Nun, Gott be¬ fohlen; der Himmel gebe, daß Sie Ihren Papa friſch und geſund antreffen!

Heinrichs Worte verhallten im Wehen der ſcharfen Nachtluft; im Saale ertoͤnte hell und luſtig ein froͤhlicher Walzer, halb vom Winde verſchlungen, durch die angelaufenen Fenſter ſah man die raſch vorbeiſchwebenden, froͤhlichen Tanz¬ paare, aber Blauenſteins Wagen rollte in der raſcheſten Eile durch die rauſchende Lindenallee682in die duͤſtere Nacht hinein. Der Secretair Blum war im hoͤchſten Grade ermuͤdet; ein mitleidiger Schlaf wiegte ihn in eine ununterbrochene Ruhe, die nur Blauenſtein ſelbſt nicht hold war. Die Ereigniſſe der letzten Tage, die vor wenigen Stunden erhaltene Trauerpoſt durchkreuzten ſich in ſeinem Kopfe; er ſchloß in finſterer Wehmuth die Augen, und warf ſich in die weichen Leder¬ kiſſen ſeines Wagens.

5. Liebespein.

Tina wuͤnſchte nichts ſehnlicher, als der Ball moͤge zu Ende ſein. Sie uͤberlegte hin und her, ob ſie ſich der Geſellſchaft entziehen koͤnnte; ſich krank melden, das war zu gewagt, denn noch kaum war ſie geſund wie ein Fiſchchen im Saale herumgehuͤpft; irgend etwas anderes vorwenden, war auch nicht raͤthlich, denn die giftige Verlaͤum¬ dung brachte ſie dann in's Gerede mit dem Baron, der bereits viel zu viel Liebhaberinnen gewonnen hatte. Alſo das Beſte blieb auf jeden Fall, in den Saal zuruͤckzugehn, zu tanzen, und zu thun,83 als ſei in der Welt nichts vorgefallen. Schlau¬ koͤpfchen glaubte auf dieſe einfache Weiſe Alles recht wohl uͤberlegt und bedacht zu haben, wie ein Feldherr; und erhob ſich daher vom weichen Sitze, um die Operationen ſchleunigſt zu beginnen, weil keine Zeit zu verlieren war: da trat Tante Letty mit einem Geſicht in das Zimmer, auf welchem Ärger, innerer Unwille und heftige Bit¬ terkeit kaͤmpften.

Sage um des Himmels Willen hob ſie an, und trat dem erſchrockenen Maͤdchen ganz nahe, als wolle ſie recht Gefaͤhrliches unternehmen, ſage um des Himmels Willen, wo Du bleibſt? Der Hofrath, die Steinburg fragten drei, viermal nach Comteſſe Albertine; der gutmuͤthige Anton, der Deinen wahrhaften Grobheiten eine engliſche Geduld entgegenſetzte, desgleichen, weil er mit Dir engagirt zu ſein vorgiebt, aber wer ſich nicht ſehn laͤßt, iſt die hochweiſe, die ſuperkluge Tina! O mein Schaͤfchen, wir kennen Deine Wege und Deine Schliche! Denn kaum war der Baron Blauenſtein in unſer Haus getreten, als Du auch wie verſeſſen nicht von des Menſchen Seite wichſt. Und nun gar heute! Es war ja wahr¬ haftig kein Auseinanderkommen, als waͤret Ihr beide die Hauptperſonen, alle die uͤbrigen nur zu6 *84Eurem Amuſement! Was mag der feine junge Mann von Dir denken, wie mag Staunitz Glaube an Dich geſunken ſein!

Tante! unterbrach Tina die Zuͤrnende, und ſie bebte am ganzen Koͤrper, maͤßigen Sie ſich in Ihren Ausdruͤcken; an dem Allen, was Sie in Harniſch bringt, iſt kein wahres Wort. Blauenſtein iſt ein zu edler Menſch, als daß er von meiner Aufrichtigkeit Übles denken ſollte!

O, erſchrecklich edel! fiel Letty ihr ſpoͤttiſch in die Rede. Unſere jungen Herren, und edel, das iſt ein laͤcherlicher Widerſpruch; denn das Volk nimmt mit, wo etwas zu finden iſt. Ohne¬ hin iſt dies Nebenſache, und ich habe des Men¬ ſchen Parthie ſchon anderwaͤrts genommen; aber von Dir ſpreche ich; Du biſt um Deinen Ruf, wenn Dein Betragen in der Umgegend, und in der Reſidenz bekannt wird! Denn auffallender iſt mir auch noch keins vorgekommen! Heute Abend bei der Tafel machſt Du eine Menge eigenmaͤch¬ tiger Änderungen, verlegſt die Namen, und pflanzeſt Dich mir nichts, Dir nichts neben den Blauen¬ ſtein, ſprichſt, tanzeſt mit beinahe niemand, als nur mit ihm! Eine Braut, und ſolch ein Be¬ tragen, Pfui, ſchaͤme Dich!

85

Sie verſtehn es, entgegnete Tina in einem ruhigen Tone, als die Tante in ihrer Eiferrede ſtill ſtand, Sie verſtehn es, ſich in meiner Ach¬ tung zu befeſtigen, indem Sie auf eine mir jetzt ſehr auffallende Weiſe ihre Eiferſucht zeigen! Glauben Sie etwa, daß der Baron an Ihrer Seite lieber geſeſſen, als an der meinigen? Ich zweifle beinahe. Und was Staunitz betrifft, ſo hat er in meinem Betragen nichts Anſtoͤßiges gefunden, das zeigt mir ſeine Freundlichkeit, ſeine Liebe. Was aber die elenden Menſchen aus der Reſidenz belangt, den Narren, den Anton, ſammt ſeiner hochfahrenden Mamma, ſo gilt mir deren Meinung ganz gleich, das moͤgen Sie ihr ſelbſt ſagen, wenn es beliebt! Ich ſollte uͤberdieß auch meinen, ich ſei zu ſehr Herrin meiner Handlun¬ gen, als daß Sie ſich berufen fuͤhlen koͤnnten, meine Hofmeiſterin zu ſpielen; aus den Kinder¬ jahren bin ich heraus, und ich verbitte mir ſolche beleidigenden Äußerungen, wie Sie ſich dieſelben auf meinem Zimmer erlauben, das ich doch zu jeder Zeit gern fuͤr mich zu behalten wuͤnſche!

Das hatte Tante Letty nicht erwartet. Sie trat einige Schritte zuruͤck, und fragte kleinlaut: Alſo zieht es die gnaͤdige Comteſſe wohl vor,86 auf ihrem Zimmer zu bleiben? Dies entſpricht meinen Wuͤnſchen, und ich befehle Dir hiermit, es vor Morgen nicht wieder zu verlaſſen!

Diesmal kann ich leider nicht Folge leiſten, ſagte Tina kurz und mit Ruhe; ich finde es dem Anſtande gemaͤß, ſogleich in den Tanzſaal zuruͤckzugehn!

Unterſteh es Dir! rief Letty ganz in Wuth, und die kleinen Augen ſpruͤhten Flammen. Noch bin ich die Schweſter des Grafen, Deines Vaters, und habe ein Wort zu reden!

Aber Tina warf ihren Shawl um, meinte, ſie moͤge ſich nicht zur Unzeit erhitzen, und ſtand nach wenigen Secunden mit dem unausſtehlichen Antoͤnchen in den Reihen der Tanzenden. Er ſuchte, wie immer, nach Witzen, aber Tina ant¬ wortete ſo kurz und ſo beſtimmt, daß er Gott dankte, als die Muſici Halt machten, und klagte der Mamma Droſtin ſein ausgemachtes Malheur fuͤr heute, denn die ſchoͤne Comteſſe Albertine ſei auch gar zu kurz und empfindlich. Dem Hof¬ rathe erging es nicht viel beſſer; er wollte uͤber den armen Blauenſtein ſeine Sarcasmen aus¬ ſtreuen, und ſpielte entfernt, aber bitter, auf87 Blauenſteins Artigkeiten gegen ſie, ſo wie auf die freundliche Gunſt an, welche ſie ihm geſchenkt! aber hier hatte er ſeine Meiſterin gefunden; Oncle Heinrich, welcher nicht weit davon ſtand, und vom Geſpraͤch nichts verloren hatte, freute ſich innerlich uͤber ſeines Lieblings feſten, beſtimm¬ ten Charakter, und trat nach beendigtem Tanz ihr mit der Frage naͤher, was ſie eigentlich ſo verſtimmt habe. Ich habe eben, fluͤſterte Tina ihm leiſe in's Ohr, ich habe eben mit Letty einen unangenehmen Auftritt gehabt, der mich aͤrgert; aber unter uns, Onkelchen!

A ha! ſagte Heinrich, und faßte zutraulich die Hand des reizenden, Kindes, das heißt ſo viel, als ein eigentlicher Zank, nicht wahr? Laß nichts auf Dir ſitzen, ich kenne die alberne Naͤrrin; und wenn ſie Dir zu nahe treten will, ſo hat ſie es mit mir zu thun! Hoͤrſt Du, Tinchen?

Tina nickte freundlich, und ſah ſich gezwungen, mit der alten Droſtin Steinburg in einer ihr hoͤchſt laͤſtigen Converſation, denn ſie betraf nie¬ mand anders, als den Pariſer Goldſohn, den Saal einigemal auf und abzuwandeln. Es war88 ihr unbegreiflich, wie die Frau ihren alten Plan, ſie, als Tina, mit dem einfaͤltigen Anton zu ver¬ binden, nicht aufgeben wollte, da Tinas Verlo¬ bung mit Staunitz weltbekannt war. Glaubte ſie vielleicht fuͤr ihren Sohn mehr erwarten zu duͤrfen, oder hatte ſie gar, nein, das war unmoͤglich, rein unmoͤglich; und wie ſollte die Alte auch dazu kommen! Am Beſten war es, gegen die Droſtin und Conſorten freundlich und zuvorkommend zu bleiben, weil mit boͤſen Maͤu¬ lern nicht zu ſpaßen iſt; gegen des Vaters etwai¬ gen Unwillen, wenn Tante Letty plauderte, ſetzte ſie kindliche Ergebenheit und zaͤrtliche Liebe, welcher der Vater nie widerſtand, gegen die Tante aber Kaͤlte und abgemeſſenes Betragen, und gegen alle uͤbrigen, mogten ſie reden, was ſie wollten, eine große Gleichguͤltigkeit. Daß dieſe in vielen Verhaͤltniſſen oft unertraͤglich ſei, und mehr ſchmerze, als laute Verantwortung, wußte Tina Schlaukoͤpfchen recht wohl, und nahm ſich feſt vor, von ihrem ſtrategiſchen Plane nicht ab¬ zuweichen. Nur vor Allem ein Angriff mit der leichten Reiterei zaͤrtlichen Zuvorkommens auf des Herrn Papas Herz, dann ging es mit ſchwerem Geſchuͤtz auf Tante Letty los. Der Feinde wurden vielleicht viel, das ſah ſie kommen; aber nur ſich nicht mit allen auf einmal geſchlagen, das89 verdarb die Schlachtordnung, einzeln lieber, und zwar mit Nachdruck.

Der Mond war endlich aufgegangen; die Gaͤſte hatten bis auf einige, welche in Blumenau bleiben wollten, auf dieſen freundlichen Gefaͤhrten der Nacht ſehnſuͤchtig gewartet, und beſtellten ihre Wagen. Tina ſagte gern den Scheidenden ein Lebewohl, denn ſie hatte fuͤr heute das ewige Treiben herzlich ſatt; er war ja nicht mehr da, und Staunitz hatte ſein Zimmer aufgeſucht. Sie huſchte ehe man es ſich verſah in ihr bluͤthen¬ weißes Bettchen, tanzte die herrliche Polonaiſe mit Blauenſtein in Gedanken noch einmal durch, huͤllte ſich recht dicht in die waͤrmende Decke, und ſchlummerte nach gewohnter Weiſe in die gluͤck¬ lichſten Traume hinuͤber!

Die freundliche Herbſtſonne ſchien bereits recht hoch in Tinas lauſchiges Cabinet, als die kleine Langſchlaͤferin erwachte. Sie hatte ſich die Baͤck¬ chen ganz roth geſchlafen, und mußte uͤber ſich ſelbſt lachen, als der erſte Blick ihrer hellen Lie¬ besſterne in den deckenhohen Spiegel fiel, und ihr Kammermaͤdchen mit der Meldung hereintrat, daß ſo eben der Reſt ihrer Gaͤſte abgereiſ't ſei. Sie war herzlich froh, der Laſt dieſer platten90 Menſchen uͤberhoben zu ſein, und ließ durch die kunſtgeuͤbte Liſette langſam ihre Toilette vollenden. Jetzt hinauf zum Vater zu gehn, und den Ope¬ rationen der gereizten Tante Letty zuvorzukommen, hielt ſie nicht fuͤr raͤthlich, und nahm ſich feſt vor, ſo unruhig auch das kleine Herz unter dem Schneebuſen klopfte, ſich den Vormittag uͤber allein auf dem Zimmer zu beſchaͤftigen. Sie oͤffnete mit einem etwas verdrießlichen Geſichtchen den eleganten Buͤcherſchrank, waͤhlte und waͤhlte, und ſetzte ſich endlich am Fenſter zum Leſen nieder. Aber das war Alles zu lau, langweilig und breit, alſo mit dem Buche nur ſogleich wieder in den Schrank hinein bis auf andere Zeiten. Im verwichenen Sommer hatte ſie ein Blumenbouquet zu malen angefangen; ſie ließ ſich von Liſetten reines Tuſchwaſſer herbeiholen, und rieb die Farben auf. Aber das war nicht zum Aushalten, die Pinſel wollten nicht ſchließen, und die Farbe war kruͤmlich und unrein. Blauen¬ ſtein war auch ein geuͤbter Maler; er hatte oͤfter mit ihr uͤber die Kunſt geredet, er ſchwebte vor ihrem Auge, aus jeder Roſenknoſpe ihres Bou¬ quets ſchien er herauszuſchauen, und nun war an ein ruhiges Ausfuͤhren der freundlichen Bluͤthen¬ kinder nicht mehr zu denken. Alſo ebenfalls weg damit; ohnehin ſchmerzten die Augen ein91 wenig vom geſtrigen Ballſtaube und vom langen Schlaf, und da durfte man ihnen eine ſolche Anſtrengung nicht zumuthen. Liſette trat wieder ein, und brachte ein Packet, welches der Poſtbote geſtern aus der Stadt geholt hatte; es enthielt die neuſten Muſikalien, und zugleich die Auffor¬ derung, am Pianoforte zu verſuchen, was eigentlich an den Saͤchelchen ſei. Mein Gott, wie hatte ſich das Inſtrument ploͤtzlich verſtimmt! Wahr¬ ſcheinlich war die ungewohnte Ofenwaͤrme daran ſchuld, denn ſeit einigen Tagen hatte man wieder eingehitzt; und das vertrug die gute Stimmung nicht. Die Guittarre; nein, es war ordentlich darauf abgeſehn, ſie zum Beſten zu haben, denn es waren doch nicht weniger, als drei Saiten geſprungen, und jetzt neue aufzuziehn, war eine gar zu langweilige Sache.

Der kleine allerliebſte Amor auf der Spieluhr unterm Spiegel legte ſeinen Pfeil auf den Schleif¬ ſtein, und nachdem er elfmal darauf gedruͤckt, und die ſilberhelle Glocke dieſelbe Stunde angegeben, meinte Tina, es ſei unverzeihlich an einem hellen Tage im Zimmer zu ſitzen und Gedankenſpaͤne zu ſchnitzen, wenn gleich es ihr beduͤnken wollte, als habe der kleine Cupido auf der Uhr wirklich den nadelſpitz geſchliffenen Pfeil an ſeine eigentliche92 Adreſſe gefoͤrdert. Sie druͤckte die kleine Hand auf die Schwanenbruſt, ſann ein wenig nach, ließ ſich von der ſchlaͤfrigen Liſette einen Überrock bringen, und eilte in den Park hinab. In der Allee begegnete ihr Oncle Heinrich, fragte nach dem Befinden mit gewohnter Freundlichkeit, und ſchlug ihr vor, ob ſie mit nach dem Vorwerke fahren wolle; er muͤſſe ſogleich hinuͤber und da ſei ihm ſeines Tinchens Geſellſchaft recht erwuͤnſcht. Das war ihr ſehr willkommen; in Blumenau kam es ihr heute auch gar zu langweilig und eintoͤnig vor, und dann war ſie auch ſo lange nicht in dem reizenden Wieſenbrunn, ſo hieß das Vorwerk, geweſen. Sie ſagte recht freundlich zu, und der Oncle verſprach in wenigen Minuten mit dem Wagen bereit zu ſein. Im Freien, beſon¬ ders in dem Waͤldchen am See, der ſich nach Wieſenbrunn herunter zog, war es ſo lauſchig, ſo zu freundlichen Erinnerungen einladend; da konnte ſie recht ungeſtoͤrt an Blauenſtein denken, und ſich die Zukunft ausmalen. Und wie er¬ quickend war nicht ein Luftbad nach einem durch¬ ſchwaͤrmten Abend, beſonders wenn das Blut ſo unruhig durch die Adern wogte, wie gerade jetzt. Alſo ſchnell mit Heinrich fort!

93

6. Das Geheimniß.

Sag einmal, Tinchen, hob der Oncle an, und ermahnte die Gaule zur Eile, wie hat Dir ſo eigentlich unſer glaͤnzende Ball gefallen?

Sehr gut, erwiederte Tina unbefangen, bis allenfalls auf einige Scenen, welche durch ver¬ ſchiedene gewiſſe Gaͤſte zu wahrhaft peinlichen wurden. Mir iſt z. B. die alte Droſtin mit Antoͤnchen von je unausſtehlich geweſen, und was die giftige Schwaͤtzerin, die alte Geheimderaͤthin betrifft, ſo kann ich nicht ſagen, daß ich mich gern an ſie erinnere. Brav! Tinchen, ſo mag ich Dich gern hoͤren; nahm Heinrich das Wort, mir waren dieſe Menſchen mein Lebenlang zu¬ wider. Aber, was ich ſagen wollte, Du haſt ja mit Vetter Staunitz im Ganzen ſo wenig ge¬ tanzt und geredet? Iſt denn zwiſchen Euch etwas vorgefallen?

94

Nicht das Mindeſte! entgegnete Tina. Was koͤnnte das auch ſein? Überdies mag ich es nicht leiden, wenn Verlobte in Geſellſchaften und an dritten Orten immer und ewig bei einan¬ der ſitzen und ſtehn, mit niemand beinahe reden, als nur unter ſich, und dergleichen Poſſen mehr. Iſt es ein Wunder, wenn man jetzt von ſo vielen ungluͤcklichen Ehen hoͤrt? Die Leute werden ſich vor der Zeit zu laͤſtig, ſie vermoͤgen das gegen¬ ſeitige Intereſſe nicht mehr zu erhalten, und nach und nach erſchlafft das Band, das ſie zuſammen¬ halten ſollte. Du ſprichſt ja wie ein Buch! ſagte Heinrich, und ſchien mit Tinas Grundſaͤtzen nicht ganz zufrieden. Aber Du ſcheinſt auch ein wenig zu uͤbertreiben. Ich muß Dir geſtehn, mir kam es beinahe vor, als habeſt Du Vetter Staunitz einen Theil Deiner Liebe entzogen. Sitzt Dir etwa der ſchoͤne Blauenſtein im Kopfe? He?

Wie kommſt Du auf dieſen, lieber Oncle? ſagte Tina mit einem leiſen Erroͤthen, und ſah nach einer Schaar wilder Enten, welche ſich uͤber dem See ausbreitete. Es bleibt uns Allen ein intereſſanter Menſch, dem wir ſehr verpflichtet ſind; was koͤnnte mich auch ſonſt zu ſeiner Freun¬ din machen, als der Dienſt, den er meines Va¬95 ters Geſundheit erwies? Aber Ihr hier im Hauſe, naͤmlich Du und Letty, Ihr wißt gar nicht, wie Ihr Euch quaͤlen wollt mit dem Baron Blauen¬ ſtein! Was iſt denn weiter, wenn mich ſeine geiſtreiche Unterhaltung anzog? Staunitz war hieruͤber keineswegs aufgebracht, und ohnehin bin ich ja noch gar nicht ſeine Braut, und wo in der Welt ſteht denn auch geſchrieben, daß ich lediglich von ſeinen geſtrengen Befehlen abhaͤnge!

Kind, brummte Heinrich halb vor ſich hin, Du biſt verdruͤßlich, der Ball liegt Dir noch in den Gliedern, und der Ärger uͤber die ſcheelſuͤch¬ tige Letty. Aber was Du uͤber Staunitz da ſagteſt, hat mir nicht gefallen wollen. Es klingt juſt eben ſo, als: Staunitz iſt mir zuwider, ich kann ihm meine Hand nicht reichen! Tinchen, ich liebe Dich, wie mein eignes Kind, aber wenn Du je

Mein Himmel! unterbrach ihn Tina raſch, wie kamſt Du auf die hoͤchſt ſonderbare Ver¬ muthung, Staunitz koͤnnte mir je zuwider ſein?! Ich liebe ihn, wie meinen Bruder. Aber Ihr Kurzſichtigen ſtoßt allenthalben an, Ihr berechnet nicht, ihr wollt gar an keine Faͤlle glauben, die einmal eintreten koͤnnten!

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Mit Deinen verdammten Faͤllen! rief Hein¬ rich aͤrgerlich. Meinſt Du mit Deinen unvor¬ hergeſehenen Faͤllen etwa einen Karren Schaafs¬ felle, welche um eine Ecke biegen, wie Staberle? *)Staberles Reiſeabentheuer ꝛc., eine bekannte Poſſe.

Gott, lieber Oncle, ſagte Tina und kehrte das verdrießliche Geſichtchen nach der andern Seite, nur jetzt nicht dieſe faden Witze!

Oncle Heinrich holte aus der Wagentaſche eine dickleibige Meerſchaumpfeife, und lud ſie mit feinem hollaͤndiſchen Kanaſter, der ihm von Blauen¬ ſtein zum Geſchenk gemacht war; aber Tinchen wickelte ſich in ihren warmen Shawl, und kuͤm¬ merte ſich nicht viel um des Oncles voruͤberſchwe¬ bende Dampfwolken.

Wieſenbrunn war erreicht. Tina ſchickte ſich an, ihr Lieblingswaͤldchen am See aufzuſuchen, und Heinrich ging an ſein Geſchaͤft. Die ganze Geſchichte mit Blauenſtein und Staunitz ging ihm im Kopfe herum. Daß Tina etwas auf dem Herzen hatte, was ſie nicht ſagen mogte, bezweifelte er nicht. Aber was das eigentlich97 fuͤr ein Geheimniß ſei, daruͤber konnte er nicht in's Reine kommen. Vielleicht, ja, das war das Beſte, konnte er von Staunitz ſelbſt Auskunft erhalten. War der in Beziehung auf Tina ver¬ drießlich und mißmuthig, ſo mußte zwiſchen beiden nothwendig etwas nicht Unwichtiges vorgefallen ſein. Auf jeden Fall wollte er noch heute mit Staunitz reden, denn im Truͤben zu fiſchen, war ihm unertraͤglich.

Die Geſchaͤfte waren bald abgemacht, und mit ſchmollender Miene ſtieg Heinrich in den Wagen, den Tina bereits aufgeſucht hatte, um nur recht ſchnell in ihr ſtilles Zimmer zuruͤckzuge¬ langen, wo man ſie weder durch laͤſtige Fragen, noch durch unbegruͤndete Vermuthungen peinigte. Heinrich ſaß ganz ſtumm auf ſeinem Platze, er ſchien ſich nur mit den dicken Dampfwolken ſeiner Pfeife zu unterhalten, waͤhrend er doch nicht von ſeinem Thema abkommen konnte. Es aͤrgerte ihn heimlich, daß ihm Tina ſo wenig Vertrauen bewies, und gerade aus dieſem Grunde nahm er ſich vor, die Sache aufzuklaͤren, wenn ſie auch noch mehr Schwierigkeiten darbiete.

Heinrichs erſte Frage bei ſeiner Zuruͤckkunft nach Blumenau war nach Staunitz. Der alte798Martin berichtete, der junge Herr ſei auf der Jagd. Der Oncle murmelte Einiges, was wie ein Fluch klang, und machte ſich ebenfalls zur Jagd zurecht. Aber er hatte den Forſt beinahe nach allen Richtungen durchſtreift, und Staunitz war nicht zu finden; mit Anſtrengung ſtieg er in das Wolfsthal hinab, wo manche unheimlichen Erinnerungen der Vorzeit ſchauerlich geweckt wurden, aber er mußte unverrichteter Sache auf der andern Seite des Klippenthales wieder hinauf klimmen. Eine halbe Stunde von da wohnte der Forſtinſpector Kluge in einem einſamen Hauſe, aber freundlich und anlockend; Staunitz pflegte den biedern Mann ſonſt wohl zu beſuchen; viel¬ leicht war er auch heute dort, und es blieb das Raͤth¬ lichſte, nun auf das Forſthaus loszuſteuern. Das letztere lag etwas verſteckt von der einen Seite, ſo daß man aus der Ferne nicht leicht bemerkt weiden konnte Heinrich kam immer naͤher, und blieb zuletzt voll unangenehmer Überraſchung ſtehn. Hatte er ſich nicht ganz und gar geirrt, ſo ſtand Vetter Staunitz oben im Eckzimmer des Hauſes, und hatte ſeinen Arm um eine junge, ſchoͤne Dame geſchlungen. Er ſah noch einmal hin, und zwar mit einem guten Dollond bewaffnet, den er aus Vorliebe fuͤr Ausſichten in die Ferne gern bei ſich fuͤhrte. Richtig, es war Staunitz; aber er99 zog ſich in den Hintergrund des Zimmers, und die fremde Dame, welche Heinrich nie geſehn zu haben ſich erinnerte, blieb ſtehn. Schoͤn war ſie; aber mit Tinchen, meinte er, hielte ſie wohl eigentlich einen Vergleich nicht aus. Sie hatte eine ſehr liebliche Fuͤlle, ganz deutlich konnte er es ſehn, wie der volle Schwanenbuſen ſich leiſe hob und neigte, als ob irgend eine innere Bewe¬ gung das Blut des Maͤdchens aufgeregt, allein eine zarte Blaͤſſe, welche ſich uͤber ihr Geſicht zog, gab ihr ein krankes Anſehn, wenn ſie auch dadurch intereſſanter wurde. Aber wer in aller Welt mogte das ſein? Wie kam Staunitz, der ſein Herz bereits an Tina, verſchenkt, und an ſie mit feſten Banden geknuͤpft war, wie kam der dazu, ſeinen Arm um den ſchlanken Leib einer Dritten zu ſchlingen? Vielleicht war es eine Verwandte des Forſtinſpectors, und Staunitz, als ein junger, lebhafter Mann, machte ſich einen Scherz. Aber dem widerſprachen die ernſthaften Geſichter des Paares. Sollte Staunitz auch etwa ſo ein Bruder Luͤderlich, ſo ein geckenhafter Thunichtgut ſein, und hier etwas Liebes ſitzen haben? Nein, dazu war er zu ehrlich, von zu feſten Grundſaͤtzen!

Jetzt noch in das Haus zu gehn, war nicht7*100zu rathen; Heinrich machte Kehrt, und ſetzte ſich unter einer alten Eiche nieder, von wo aus der Holzweg leicht zu uͤberſehn war. Es war kaum eine Viertelſtunde vergangen, als jemand durch das Gebuͤſch ſchluͤpfte. Das Geraͤuſch kam naͤher, und nach einigen Augenblicken ſtand Staunitz mit Flinte und Jagdtaſche vor ihm.

Was Henker, begann Heinrich, und ſah dem jungen Manne ſcharf in's Auge, ſo daß er ein wenig erroͤthete, was ſchleichen Sie gleich auf die Jagd, wenn man ſich wahrhaft nach ihrer Unterhaltung ſehnt? Aber Scherz bei Seite, ich habe den ganzen Tag nach Ihnen gefragt, Vetterchen; ich mußte nach Wieſenbrunn, und haͤtte gern geſehn, wenn Sie mich begleitet haͤtten, aber Sie waren nicht da, und Tina fuhr mit. Das arme Kind war verdrießlich, aber der Him¬ mel weiß, woruͤber!

Heinrich glaubte ſo ſeine Sache am Beſten eingerichtet zu haben; er ſah Staunitz fragend an, aber dieſer ſchien es nicht zu, bemerken, und ſagte raſch und mit unverkennbarer Beſorgniß: Iſt Albertine unwohl? Sie ſcherzen, Vetter, nicht wahr, Sie ſcherzen?

101

Nun, nun! erwiederte der Oncle, was iſt denn da weiter; ein junges Maͤdchen kann ja wohl nach einem Balle ein wenig unpaß ſein! Aber der Ball, fuhr er fort, und wußte ſich in Staunitz gar nicht zu finden, der Ball war wohl eigentlich die wahre Urſache nicht. Mir ſcheint der Grund tiefer zu liegen. Sagen Sie mir einmal, lieber Vetter, aber aufrichtig, haben Sie etwas gegen unſer Tinchen, iſt Ihre Liebe nicht mehr die alte, iſt die treue Anhaͤnglichkeit ver¬ ſchwunden? Es giebt der Faͤlle mehr in der Welt, denn fuͤr ſein Herz kann ja niemand ſtehn, das iſt bekannt. Aber aus Tinas Benehmen ging hervor, daß etwas der Art zwiſchen Euch Leutchen vorgefallen ſein mußte.

Lieber Vetter! rief Staunitz und druͤckte des ganz weich gewordenen Heinrichs Hand, wie koͤnnen Sie ſo etwas ahnen, oder glauben! Ich liebe Albertine wie meine Schweſter, und ich habe keine Urſache, an ihrer Gegenneigung zu zweifeln. Hat ſie Ihnen etwas geſagt, oder woraus ſchließen Sie, daß irgend eine Mißhellig¬ keit entſtanden ſein koͤnne?

Aufrichtig geſagt, erwiederte Heinrich, und war beinahe verlegener, als der junge Mann,102 mir fiel Euer Benehmen geſtern auf. Der junge intereſſante Baron Blauenſtein zeigte eine ungewoͤhnliche Aufmerkſamkeit fuͤr Tina, und ſie ſelbſt war ganz Ohr bei ſeiner Unterhaltung, ſagen Sie, Vetter, ſind Sie eiferſuͤchtig?

Sie moͤgen in der That ein guter Beobachter ſein, ſagte Staunitz ruhig, und ſchien ſich inner¬ lich zu erholen, aber ſollte ich dem Engel nicht trauen, dem mein Herz angehoͤrt? Gerade in dem groͤßten Vertrauen liegt auch nach meiner Anſicht die groͤßte Liebe! Nein, mein beſter Vetter, ſo ſehr ich Ihnen dankbar ſein muß, aber hier ſind Sie im Irrthum! Freilich koͤnnen Verhaͤltniſſe eintreten, welche dieſe und jene Art irgend eines auffallenden Benehmens motiviren, und zugleich rechtfertigen; aber es bleibt eine andere Frage, ob man in ſolchen Umſtaͤnden ſtrafbar handelt, wenn die innere und aͤußere Nothwendigkeit gebot!

Was fuͤr eine Nothwendigkeit, was fuͤr Ver¬ haͤltniſſe? fragte Heinrich raſch und neugierig.

Laſſen Sie uns hiervon ſchweigen! ent¬ gegnete Staunitz, und erhob ſich von dem weichen Moosſitze, auf welchen er ſich neben Oncle103 Heinrich vorhin niedergelaſſen hatte. Der letztere ging aͤrgerlich neben ihm her, und meinte bei ſich, er ſei jetzt ſo klug, wie vor einer Stunde. Der Henker konnte aus der Geſchichte klug werden! Er glaubte den Staunitz nun entweder gegen Tina kalt geſinnt, oder hoͤchſt eiferſuͤchtig zu finden, aber wahrhaftig, keins von beiden! Es blieb jetzt nichts mehr uͤbrig zu vermuthen, als daß Staunitz ein Heuchler, oder ſelbſt der Betro¬ gene ſei. Das erſtere war leider das Glaubhaf¬ teſte, denn was machte der Menſch bei dem Forſtinſpector Kluge, was ging ihn das Frauen¬ zimmer an, mit dem er Arm in Arm im Fenſter ſtand? Die Sache mußte klar werden, es mogte auch koſten, was es wolle!

Staunitz ließ ſich nach ſeiner Zuruͤckkunft in Blumenau ſogleich bei Tina melden, was den Oncle Heinrich vollends aus dem Concepte brachte. Er ging daher auf ſein Zimmer, klingelte den alten Martin herbei, und fragte, ob er wohl heute noch zum Forſtinſpector Kluge gehn koͤnne. Es wohnt da, fuhr er fort, und faßte den Alten zutraulich beim Arme, es wohnt da ſeit einiger Zeit eine fremde Dame. Es liegt mir Alles daran, zu wiſſen, wer die iſt, und zwar bald, bald zu wiſſen. Such Dir irgend einen104 Vorwand, und forſche nach der Fremden, einen Ducaten, wenn Du es heraus bekoͤmmſt!

Martin bemuͤhte ſich, recht ſchlau zu nicken, und begab ſich gegen alle Politik ſogleich auf den Weg. Heinrich war voller Erwartung, er konnte ſich vor Unruhe nicht laſſen, und lief endlich den Weg nach dem Forſte mit anſtren¬ gender Schnelligkeit. Endlich ſah er ſeinen Merkur aus dem Gehoͤlze kommen, und er athmete wieder freier.

Ew. Gnaden haben die Zeit wohl nicht er¬ warten koͤnnen, hob Martin an, als er naͤher gekommen war, und ſeine Phiſiognomie verrieth, wie wenig er ausgerichtet haben mogte, aber Ew. Gnaden haͤtten es meinetwegen nicht noͤthig gehabt!

Wie ſo? fragte Heinrich raſch. Mach 'mir keine Flauſen, Kerl, oder Du kennſt dieſen Solotaͤnzer hier! Dabei hob er ſeinen Spanier hoch empor, daß Martin von der Seite prallte wie ein ſcheuer Gaul.

Ich will Alles getreulich Ew. Gnaden be¬ richten, begann der Erſchrockene mit einem Sei¬105 tenblicke auf den zudringlichen ſpaniſchen Taͤnzer, wenn ich auch eben nicht viel Gutes zu ſagen weiß. Ich ging zu dem alten Joſt, dem Haus¬ meiſter, den ich von Alters her kenne, und wollte ſo krumm herum kommen. Daß Dich, fuhr mir doch meinetwegen der Kerl auf's Leder, daß ich denke, er will mich freſſen. Er nannte mich einen Schleicher, der ſich um anderer Leute Verhaͤlt¬ niſſe nicht zu kuͤmmern habe. Ich ſage nun zu ihm, er habe mich unrecht verſtanden, ich wollte eigentlich fragen, ob er gutes Hirſchhorn vorraͤthig habe, und da haͤtte ich auf meinem Hinwege eine junge Frauensperſon am Fenſter bemerkt, ob das e[t][w]a die Braut des jungen Herrn waͤre. Aber der Luͤmmel war ſtumm wie ein Fiſch; er meinte, Geweihe koͤnnte ich genug bekommen, wenn er gleich nicht begriffe, was ich damit wolle, da mich meine Frau ſchon ſeit Jahren mit Hoͤrnern ver¬ ſorgt habe. Denken Ew. Gnaden, wie grob! Nun kam der Herr Forſtinſpector ſelbſt, er fragte, was ich wollte; ich wußte meinetwegen nicht gleich wohin, da meinte er, ich ſolle mich zum Teufel ſcheeren, als ihm der alte Joſt zu verſtehn gegeben, wonach ich mich erkundigt.

Du biſt ein alter Narr, den man zu nichts brauchen kann, ſagte Heinrich und wandte ſich106 nach Blumenau um. Alſo haſt Du eine Dame geſehn?

Nein, außer der alten Juſtine habe ich keine Frauensperſon bemerkt, ſagte Martin, und war nur froh, daß ſeine Gnaden ein nicht allzu ver¬ drießliches Geſicht machte.

Alſo wieder angefuͤhrt, dachte Heinrich, nahm eine Priſe, und beſchloß, ſich um die alberne Geſchichte gar nicht weiter zu kuͤmmern. Wer konnte auch je aus Verliebten klug werden, und nun gar aus einem liebenden Maͤdchen! Guter Heinrich, auf Deine Feldwirthſchaft verſtandeſt Du Dich, auf die hohe und niedere Jagd vor¬ trefflich, aber wenn ein jugendliches Herz ange¬ ſchoſſen iſt von dem Pfeile des gefaͤhrlichen Waid¬ mannes Cupido, und zu verbluten droht, wenn nicht raſch Huͤlfe erſcheint, das ging uͤber den Horizont Deiner einfachen Weiſe!

Aber dennoch war und blieb es hoͤchſt auffallend, daß ſich der Forſtinſpector Kluge nebſt dem alten Joſt ſo, ſonderbar gegen Martin benommen, wenn dieſer die Sache auch ein wenig albern angefangen. Mogte dem ſein, wie ihm wolle, es blieb eine verdrießliche Angelegenheit, und Heinrich meinte107 allenfalls, wenn Noth an Mann ginge, waͤre er ja immer mit ſeiner Huͤlfe noch da, die man beſtimmt nicht verſchmaͤhen werde.

So hatte jeder und jede in Blumenau etwas zu ertheilt erhalten, was einen voruͤbergehenden Kummer verurſachte. Tina erbebte in der innern Liebespein, Tante Letty bemuͤhte ſich vergebens, ihren Bruder, den Grafen, fuͤr ihre Racheplaͤne zu bearbeiten, und Heinrich war aͤrgerlich uͤber das Mißlingen ſeiner Operationen.

Anders ſah es mit unſerm Blauenſtein aus.

7. Das Teſtament.

Der Secretair Blum hatte mit gewiſſenhafter Treue dafuͤr geſorgt, daß man ſich in keinem Orte lange aufzuhalten brauchte, und ſo ging die Reiſe in die Heimath mit moͤglichſter Raſchheit. Am Abend des dritten Tages erhoben ſich die hohen Thuͤrme von Blauenſteins Vaterſtadt in die duͤſtere Luft. Das Wetter war ſtuͤrmiſch;108 der Wind brauſ'te im nahen Walde, und jagte die geraubten Blaͤtter heulend uͤber die gelben Stoppeln.

Die Stadt, das elterliche Haus waren erreicht; mit bangen Ahnungen verließ Blauenſtein den Reiſewagen. Mit welchen Empfindungen hatte er das Haus verlaſſen, und wie mußte er es jetzt wieder betreten!

Die Dienerſchaft bewillkommte ihn freundlich, aber ſo ſtill, daß ſeine erſte Frage nach ſeines Vaters Befinden unbeantwortet blieb. Im Kran¬ kenzimmer ſtand der Arzt am Schmerzenslager, er verbeugte ſich gegen den Sohn deſſen, den ſeine Kunſt nicht zu retten vermogte, und fuͤhrte ihn an das Bett. Der Kranke athmete ſchwer, er war unruhig, und als haͤtte er die Naͤhe des geliebten Sohnes geahnet, ſchlug er das matte Auge zu ihm auf, und ein leiſes Laͤchlen flog uͤber die verſunkenen Zuͤge. Vater! rief Blauen¬ ſtein in ſeinem tiefſten Schmerze, und warf ſich vor dem Bette nieder, erwache zum Leben, erwache fuͤr Deinen Sohn! Aber der ſterbende Vater hob mit ſeiner letzten Kraft ſeine Hand empor, und beruͤhrte des Sohnes Haupt, als ob109 er ihn ſegnen wollte. Noch ein langer Athemzug, und er hatte vollendet!

Blauenſteins Schmerz war ſeinem unerſetz¬ lichen Verluſte gleich. In der ganzen Reſidenz galt der Generalmajor v. Blauenſtein fuͤr den vortrefflichſten Mann, und ſein fruͤher Hintritt verbreitete eine allgemeine Trauer. Sein nieder¬ gebeugter Sohn ſchlich umher wie ein Schatten, er war ein ganz anderer geworden, und ſeine Bruſt ergriff die Gewalt eines unendlichen Wehes!

Als die Tage der erſten betaͤubenden Trauer voruͤber waren, erinnerte der Secretair Blum den jungen Erben, daß ſein Vater kurz vor ſeinem Tode einen letzten Willen errichtet habe, deſſen genauere Kenntniß vielleicht jetzt von Wichtigkeit ſei. Blauenſtein uͤberließ das Weitere jedoch der Juſtiz, und war zunaͤchſt beſchaͤftigt, die hinter¬ laſſenen Papiere ſeines geliebten Vaters zu ordnen, und Troſt aus ihnen zu ſchoͤpfen. In dem Schreibepulte des Seligen fanden ſich eine Menge Briefſchaften, die eine Periode aus ſeinem Leben betrafen, welche dem Sohne gaͤnzlich unbekannt geblieben war. Indeß fehlte es ihm doch noch ſehr an den naͤhern Aufſchluͤſſen; ein kleines Miniaturbild, reich mit Brillanten eingefaßt, und110 einen uͤberaus ſchoͤnen Maͤdchenkopf darſtellend, deſſen Zuͤge unſern jungen Freund auf eine wun¬ derbare Weiſe uͤberraſchten, indem das Bild mit ſeiner angebeteten Albertine eine unverkennbare Ähnlichkeit hatte, machte den Drang nach genauerer Kenntniß der ihm noch verborgenen Verhaͤltniſſe ſehr lebhaft, und mit klopfendem Herzen ſah er dem Publicationstage des vaͤterlichen Teſtaments entgegen.

Dem Geheimderath Werden, einem bewaͤhrten Freunde des Verſtorbenen, war von dem Juſtiz¬ collegio dies Geſchaͤft uͤbertragen worden, und Blauenſtein begab ſich zu dem Ende in das alte Regierungsgebaͤude, wo die Themis ihren Sitz aufgeſchlagen hatte. Mit milder Freundlichkeit wurde er von dem Geheimderath empfangen; nach einigen Geſpraͤchen uͤber den Seligen, brachte ein Secretair ein verſiegeltes Packet Schriften nebſt dem verſchloſſenen Teſtamente. Das letztere war ſehr einfach, enthielt einige Beſtimmungen uͤber die Verwaltung des hinterlaſſenen Vermoͤgens nebſt mehreren zu wohlthaͤtigen Zwecken verwen¬ deten Legaten, und am Schluſſe eine Bemer¬ kung, welche wir kuͤrzlich hier mittheilen.

Es war ſeit einigen Jahren mein inniger111 Wunſch, daß mein geliebter Sohn und einziger Erbe dem Maͤdchen ſeine Hand reichen moͤge, die ich ihm im Stillen zur treuen Gattin erwaͤhlt, vorausgeſetzt, daß ihm von Seiten der letztem keine Hinderniſſe in den Weg gelegt werden. Iſt dies letztere der Fall, oder vermag mein Sohn und Erbe dieſen meinen liebſten Wunſch nicht zu erfuͤllen, ſo ſoll das ſub. Art. V erwaͤhnte Capi¬ tal von 80,000 Rthlr. Gold der Armenanſtalt hieſiger Reſidenz nach Ablauf von einem Jahre anheim fallen. Der Name ſo wie die ander¬ weitigen Verhaͤltniſſe des Maͤdchens ſind in der Beilage enthalten, welche nach Publication des Teſtaments meinem geliebten Sohne behaͤndigt werden ſollen.

Blauenſtein ſuchte ſeine Ruͤhrung zu bekaͤm¬ pfen; aber er konnte die Frage an den Geheimde¬ rath nicht unterlaſſen, ob dieſer als Freund des Seligen von der erwaͤhnten jungen Dame keine Kenntniß habe. Der letztere verneinte dies, und uͤbergab dem Erben die erwaͤhnten Papiere.

Mit aͤngſtlicher Unruhe beſtieg er ſeinen Wagen, und fuhr nach ſeiner Wohnung zuruͤck. Der Secretair Blum fragte eilig und voll Theil¬ nahme nach dem Erfahrenen; ſein junger Goͤnner112 verſicherte ihn indeß, daß es auch ohne einen letzten Willen ſeines unvergeßlichen Vaters bei der jetzigen Anordnung der Dinge verbleiben werde, und ſuchte mit dem Heiligthume unterm Arme ſein einſames Zimmer auf.

Gleich bei Eroͤffnung des Packets fielen ihm einige Briefe von einer weiblichen Hand entgegen, darauf folgten aber einige Bogen von der des Generalmajors, welche wir dem freundlichen Leſer hier mittheilen.

Mein theurer, geliebter Sohn!

Du biſt noch immer nicht von Deiner Reiſe zuruͤckgekehrt, und doch hoffe ich ſo ſehnſuͤchtig auf Deine Ankunft. Ein Brief wuͤrde Dich nicht treffen, und ich muß mich in Geduld faſſen. Iſt mirs doch ſeit einiger Zeit, als ob ich bald am Ziele meiner Tage ſei; ich fuͤhl 'es, es wird mit mir nicht lange dauren, der Todesengel naht, ich reiche ihm meine Hand willig, und ver¬ zage nicht!

Du haſt mir ſeit einigen Wochen keine Nach¬113 richt gegeben, und ein finſterer Traum ſagt mir, ich ſolle Dich nicht mehr in meine vaͤterlichen Arme ſchließen. Wie der Himmel auch uͤber mich gebieten moͤge, ich folge willig! Du biſt nun ſeit beinahe drei Jahren abweſend; ſchon als Du mich verließeſt, draͤngte es mich, Dir eine Kata¬ ſtrophe aus meinem Leben mitzutheilen, welche von ſo vielem Einfluſſe auf mich war. Jetzt iſt Dein Sinn mehr gelaͤutert, erfahrungsreicher, denn die Welt, wie ſie dem mit Verſtande Reiſenden entgegen tritt, erweitert die Lebenskenntniß, ſie erweckt beſſere, gediegenere Anſichten. Wie lieb, wie unendlich lieb waͤre es mir, wenn Du, mein Auguſt, hier am heutigen truͤben Tage neben mir ſitzen koͤnnteſt, Du haͤtteſt Alles erfahren aus dem Munde deſſen, dem ſo harte Pruͤfungen auf¬ erlegt wurden; aber mir iſt, als waͤre die Zeit fern, ach, als ſollten wir uns in dieſer Welt nicht wiederſehn! Du findeſt in dieſen Blaͤttern, die ich mit bebender Hand beſchreibe, manche Auf¬ ſchluͤſſe uͤber mein fruͤheres Leben, und der geheime Wunſch, den mein letzter Brſef an Dich beruͤhrte, wird Dir hieraus klarer werden.

Du weißt, daß ich ſehr fruͤhzeitig als Cadett meinen erſten Militairunterricht in S. empfing. Es ging mir wohl, denn dem Mangel an eignen8114Mitteln half ein alter Freund meines Vaters ab. Kurz vor ſeinem Tode und meinen Eintritt in mein Regiment hatte mich der edle Mann an dem P. ſchen Geſandten auf das Beſte empfohlen, der mir durch ſein Wohlwollen manche ſchoͤne Stunde bereitete. In den hinterlaſſenen Papieren meines Vaters fand ich eine Menge Schriften und Acten, welche auf einen langwierigen Prozeß hindeuteten, der wegen des dazwiſchentretenden Kriegs aber in langes Stocken gerieth. Er betraf zum Theil eine verwickelte Erbſtreitigkeit, und nach meiner Überzeugung hatte ich ein naͤheres Recht, als ein entfernter Vetter, der die weit¬ laͤufigen, ſchoͤnen Guͤter, das Object unſeres Pro¬ zeſſes, bereits im Beſitz hatte.

Mein geringes Vermoͤgen war beinnhe ganz geſchmolzen, der kleine Gehalt reichte kaum zu den dringendſten Beduͤrfniſſen hin, und zuletzt traf mich gar das Ungluͤck, daß unſer Regiment aufgeloͤſ't, und ich demnach ganz außer Brod geſetzt wurde. Wie ein Donnerſchlag ruͤhrte mich dieſe Nachricht, ich hatte durchaus keine Ausſicht auf Anſtellung, auf irgend einen Erſatz fuͤr meinen Verluſt, aber es war einmal ſo, und ich mußte mich fuͤgen. Wie bitter klagte ich das harte Schickſal an, wie innerlich empoͤrt mußte115 ich auf reiche Praſſer ſehen, die in der Fuͤlle ihrer Schaͤtze keine Ahnung von der geheimen Qual des ſchuldlos Verarmten hatten, wenigſtens nicht geneigt ſchienen, ihm auf irgend eine menſchen¬ freundliche Art behuͤlflich zu ſein. Wie leicht wird der Arme nicht verletzt, wie ſchwer iſt es, ihn mit zarter Schonung ſein Ungluͤck weniger fuͤhlen zu laſſen!

Von meiner eigentlichen Lage hatten nur die eine hinreichende Kenntniß, welche nicht zu helfen im Stande waren, denn ſie bedurften ſelbſt der Unterſtuͤtzung. In dieſer druͤckenden Verlegenheit machte mir der P. ſche Geſandte, welcher von meinen Umſtaͤnden wenig wiſſen mogte, den Vor¬ ſchlag, ob ich nicht Luſt haͤtte, die diplomatiſche Laufbahn einzuſchlagen, und einige Jahre zu meiner Vervollkommnung in einem Buͤreau des Auslandes, verſteht ſich, gratis, zu arbeiten. Ich mußte dies Anerbieten, ſo erwuͤnſcht es mir unter andern Verhaͤltniſſen geweſen ſein moͤgte, ablehnen; der Geſandte zuckte die Achſeln, und machte ein Geſicht, als wolle er ſagen, Du biſt ein Narr! Indeß war er freundlich und entließ mich mit ſeiner gewohnten Artigkeit. Mit einer halben Verzweiflung eilte ich in mein einſames Stuͤbchen; mir war Alles verhaßt, Alles zuwider, an keine8*116Freundſchaft, keine Huͤlfe mogte ich mehr glauben, und gab mich der finſterſten Wehmuth hin. Da fielen mir wieder die alten Prozeßacten ein, der Gedanke, daß der Streit fuͤr mich noch zu gewinnen ſei, gab mir neue Spannkraft, und ich ſammelte Alles, was auf die Sache Bezug hatte. Eine Meile von der Reſidenz lebte ein ausgezeichneter Rechtsgelehrter aus ſeinen weitlaͤufigen Beſitzungen; er hatte ſeine Geſchaͤfte aber laͤngſt niedergelegt, und gab nur zuweilen einem Freunde guten Rath. An ihn beſchloß ich mich zu wenden; ich verfertigte mit unſaͤglicher Muͤhe einen gedraͤngten Auszug aus den Acten, und machte mich damit eines Tags nach dem ehemaligen Notar auf den Weg. Ich hatte eine Menge Sonderbarkeiten von dem Manne erfahren, aber keine derſelben konnte meinen Entſchluß wankend machen, weil man durchgaͤngig darin uͤbereinſtimmte, daß Herr Maiberg, dies war der Name des Mannes, un¬ ſtreitig der erſte Juriſt des Landes ſei, und daß man ſeinen Verluſt als wirkender Staatsbuͤrger nie zu hoch anſchlagen koͤnne. Aber er hatte ein großes Vermoͤgen, und der Juriſtenkram ſchien ihm zuwider zu ſein. Verdenken konnte ich es dem Manne nicht, daß er jetzt nur ſich ſelbſt lebte, wenn gleich hiermit meine Hoffnung, er werde mir helfen koͤnnen, merklich ſinken mußte.

117

Mit pochendem Herzen kam ich auf dem Landgute an. Alles verrieth Geſchmack in der Anlage, Reichthum und Überfluß, und ich dachte an meine druͤckende Armuth. Ein kleines Bauer¬ maͤdchen zeigte mir den Weg nach der Wohnung der Herrſchaft; ich waͤhlte den Weg durch den weitlaͤufigen Garten, und oͤffnete die hohe eiſerne Gitterthuͤre, welche dahin fuͤhrte. In einer ſchat¬ tigen Lindenallee promenirte ein langer, hagerer Mann, deſſen Kleidung den Eigenthuͤmer der herrlichen Beſitzungen nicht verrieth. Auch hatte man mir Herrn Maiberg als einen corpulenten Mann geſchildert; dieſer konnte es nicht ſein. Ich trat dem Manne naͤher, fragte, ob er mich nicht an Herrn Maiberg weiſen koͤnne, den ich zu ſprechen wuͤnſche, und ob er ſelbſt etwa zu dem Hauſe deſſelben gehoͤre.

Der Mann ſah mich mit einem ſonderbaren Laͤchlen an, und erwiederte, er gehoͤre allerdings zum Hauſe, allein Herr Maiberg waͤre in Ge¬ ſchaͤften jetzt nicht zu ſprechen. Er mogte bemer¬ ken, wie unangenehm mir dies ſei, und fragte daher, was mein Anliegen waͤre. Ich trug meine Sache kurz vor, und als der hagere Spatzier¬ gaͤnger freundlicher wurde, holte ich aus meiner Taſche den quaͤſtionirten Actenauszug. Aber da118 verfinſterten ſich ſeine Zuͤge, er warf nur einen fluͤchtigen Blick in die Papiere, und mir die letztern ziemlich heftig zu, indem er ſagte, er habe zu dergleichen keine Zeit. Ich entgegnete, daß ich von ihm noch keine Belehrung und keine Huͤlfe verlangt, daß ich lediglich und allein Herrn Maiberg fragen wolle. Da lachte er laut auf, faßte mich bei der Hand und ſagte: Nun, ſo muß ich Sie ſchon zu ihm hinfuͤhren!

Wir gingen der Allee entlang nach dem ſchoͤnen Wohngebaͤude zu. Ein Diener oͤffnete die hohe Fluͤgelthuͤre des naͤchſten Zimmers, und wir traten ein. Das umſtehende Geraͤthe, eine Menge Buͤcher und Schriften verriethen, daß dies eine Studierſtube ſei, und ich nahm ganz ermuͤdet auf einem weichen Seſſel Platz. Mein brummiger Geſellſchafter las eifrig in meinem Auszuge, ſchnippte waͤhrenddem oͤfter mit dem Finger und ſchnitt Geſichter, daß mir angſt und bange wurde. Als er zu Ende war mit Leſen, fragte er: War der hier, erwaͤhnte v. Blauenſtein ein Verwandter des Grafen Selwitz?

Ich bejahte kurz, und der Mann fragte weiter, wer den ſo eben durchlaufenen Auszug geſchrieben,119 der ganz in Form einer Relation, bis allenfalls auf's votum, abgefaßt ſei.

Ich nannte mich als Verfertiger, da erhob ſich mein neuer Goͤnner und ſprach: Nun, es wird ſich hierin wohl etwas thun laſſen. Ich ſelbſt bin Maiberg, nach dem Sie fragten; mir thut Ihr Schickſal leid, denn es ſcheint, als ob Sie in keinem Überfluſſe lebten!

Ich erroͤthete, und war zugleich uͤberraſcht, aber Maiberg fuhr fort:

Sie entſchuldigen mein ſonderbares Beneh¬ men vorhin im Garten; aber Sie glauben nicht, wie oft ich uͤberlaufen werde, und von den ab¬ geſchmackteſten Menſchen, die oft nichts, als Neu¬ gierde hertreibt. Wo es Pflicht iſt, zu handeln, da bin ich immer bereit, und meine Dienſte ſollen Ihnen nicht fehlen, denn mich intereſſirt Ihre Angelegenheit. Senden Sie mir, denn es iſt keine Zeit zu verlieren, alle vorraͤthigen Acten heraus, und ſein Sie heute mein Gaſt!

Ich mußte bleiben. Die biedere Herzlichkeit des Mannes that mir unendlich wohl. Er nahm mich bei der Hand, und indem er mich zu ſeiner120 Familie fuͤhrte, ſagte er halb leiſe: Nun von keinem Geſchaͤft mehr! Ein Paar muntere Knaben ſprangen uns heiter entgegen, ein junges, liebliches Maͤdchen von ungefaͤhr vierzehn Jahren ſaß an einem ſchoͤnen Wiener Fluͤgel, und der aͤltere der kleinen Rangen zog mich ohne weitere Umſtaͤnde nach dem Inſtrumente hin, und fragte den laͤchlenden Vater, ob ich der neue Oncle ſei. Aber Maiberg machte mich von den Kindern los, und ſtellte mich als einen neuen Hausfreund ſeiner in's Zimmer tretenden Gemahlin vor, deren einfache Weiſe mich bezauberte, ſo daß ich die Schnelligkeit nicht begriff, mit der mir die Zeit entſchwand.

Nach Tiſche that Maiberg noch einige Fragen an mich im Betreff meiner Rechtsangelegenheit, ſchrieb Einiges auf, und fragte dann ſchnell, ob ich muſikaliſch ſei. Ich konnte es nicht laͤugnen, und mußte mich an den Fluͤgel ſetzen. Als ich das Spiel geendigt hatte, dem eine tiefe innere Wehmuth eine beſondere Richtung gegeben haben mogte, ſchuͤttelte mir der ſonderbare Mann die Hand, und meinte, ich muͤſſe ihm ſchon wegen meines muſikaliſchen Talents noch einige Tage ſchenken.

121

Zwei Tage verſchwanden mir auf das Ange¬ nehmſte; Die beiden Knaben waren meine un¬ zertrennlichen Gefaͤhrten, und ſo bald der Abend nahte, durfte ich von dem Fluͤgel nicht wieder fort. Eine Auswahl der trefflichſten Compoſi¬ tionen machte mir mein eignes Spiel zum Genuß, und ich durfte den reizenden Landſitz meines neuen Freundes nur mit dem feſten Verſprechen verlaſſen, recht bald dahin zuruͤckkehren zu wollen.

Meine erſte Sorge nach meiner Ankunft in der Reſidenz war, alle vorraͤthigen Acten des quaͤſtionirten Prozeſſes aufzuſuchen, und ſie an Maiberg zu ſchicken. Mein Großoncle hatte ſeine ſehr betraͤchtlichen Erbguͤter an die Familie P. verkauft; allein es war keine Zahlung erfolgt, und jene Familie, bisher in einem Pachtverhaͤlt¬ niſſe, gerirte ſich als Eigenthuͤmer. Mein Vater hatte auf Zahlung als naͤchſter Erbe geklagt, nebenbei ein bedeutendes Capital gekuͤndigt, welches der Rath P. von ihm geliehn, und ſo ſtanden die Sachen, als der Krieg ausbrach. P. behauptete ſeine Zahlung, die er als ſelbſtſtaͤndige Behauptung zu beweiſen hatte, und fuͤhrte den Beweis auf eine raͤnkevolle Art, indem er ſich eines ſpitzfindigen Anwaldes bediente. Eine Menge erſchwerender Umſtaͤnde machten die Angelegenheit hoͤchſt ver¬122 wickelt, und ich hatte in der That ſchlimme Aus¬ ſichten, da meine Gegner verjaͤhrt zu haben behaupteten.

Den Tag nach meiner Zuruͤckkunft von Mai¬ berg erhielt ich eine Einladung zum Probſt von Kirchheim, der oͤfter muſicaliſche Abendunterhal¬ tungen veranſtaltete, und wo ich zuweilen ein Quar¬ tet mitgeſpielt. Mir war von dem ewigen Acten¬ leſen der Kopf zu wuͤſt geworden, ſo daß ich mich auf den Abend herzlich freute, und wohlgemuth mit meiner Geige unterm Arme die weitlaͤufigen Gebaͤude des ehemaligen Benedictinerkloſters auf¬ ſuchte, welche ſich der Probſt recht elegant hatte einrichten laſſen. Ich fand eine ſehr große, aus¬ geſuchte Geſellſchaft; der Neffe des Wirthes, ein junger Wildfang, machte mich mit den meiſten der Anweſenden bekannt, und ziſchelte mir in das Ohr, daß die Krone der Geſellſchaft in wenigen Minuten noch erſcheinen werde. Ich wollte fragen, wer dies ſei, als die Thuͤren des Geſellſchaft¬ ſaales aufrauſchten, und an der Hand eines mit Orden behangenen Mannes traten zwei Damen herein. Die eine wurde von mir fuͤr die Mutter gehalten, und ich hatte mich nicht geirrt, aber die juͤngere war leicht als die ſchoͤne Tochter der Matrone zu erkennen. Es entſtand eine allgemeine123 Bewegung; die jungen und aͤltern Herrn beugten ſich tief vor der Wundergeſtalt der vollendeten Hebe, und machten ehrfurchtsvoll den vornehmen Gaͤſten Platz.

Der Probſt zeigte ſich mir als ſehr zuvor¬ kommend und artig; er zog uͤber meine Geige freundliche Erkundigungen ein, und meinte, daß ich heute Abend mein Meiſterſtuͤck machen koͤnne. Wir haben, fuhr er fort und zeigte nach einem im Nebenzimmer befindlichen Notenſtoße, bei welchem mir angſt und bange wurde, wir haben heute vortreffliche Muſikalien; die vor wenigen Minuten eintretende junge Dame, Fraͤulein von Struen, ſingt koͤſtlich, und nimmt es bei Gott mit unſern beſten Theaterſaͤngerinnen auf. Sie kennen ja das herrliche Duett aus A Moll unſeres Capellmeiſters, das ſoll uns heute Abend ergoͤtzen, und Sie ſind ſo gut, und uͤbernehmen die ob¬ ligate Geige!

Ich erſchrak, aber ehe ich einer Antwort faͤhig war, hatte ſich der Probſt entfernt, und ſprach mit dem Freiherrn von Struen. Jetzt erſt hatte ich Zeit und Gelegenheit, das ſchoͤne Maͤdchen von Weitem heimlich zu betrachten. Mir war ſo etwas noch nicht erſchienen, dieſe himmliſche Milde,124 dieſes ſehnſuͤchtige Verlangen im tiefen Blau des offnen Seelenauges, der zarte, roſige Teint, und die uͤppige Fuͤlle des goldigen Haars, das in langen, glaͤnzenden Ringellocken den blendenden Nacken hinabrollte, wer haͤtte ſolchen Reizen widerſtehen koͤnnen?!

Mit einer gewiſſen Betroffenheit ſahn die Frauen und Maͤdchen dieſe hohe Schoͤnheit an, die in ihrer Demuth noch viel reizender wurde, und manche mogte vom gehaͤſſigen Neide nicht frei bleiben. Wie der Freiherr eigentlich hieher kam, in welchen Verhaͤltniſſen er zu dem Probſte ſtand, wußte niemand, und der Neffe des letztern, der einzige, welcher haͤtte Aufſchluß geben koͤnnen, wurde von der ſeinen Blicken aufgegangenen Schoͤnheit ſo angezogen, daß er fuͤr immer an ihren Siegswagen gefeſſelt ſchien, denn er erfreute ſich einer ſehr lebhaften Unterhaltung mit dem ſchoͤnen Maͤdchen. Ich mußte ihn beneiden, wenn gleich an ihrem Weſen nicht zu bemerken war, daß ſie ihm ein beſonderes Wohlwollen ſchenke. Aber ſein glaͤnzender Witz, ſein umfaſſendes Wiſſen, ja ſein ſehr vortheilhaftes Äußere, nebenbei auch wohl ſein Stand, denn er arbeitete als Legations¬ rath im diplomatiſchen Buͤreau des ruſſiſchen Geſandten, raͤumten ihm wohl manches Vorrecht125 ein. Endlich erhob er ſich, machte eine tiefe, verbindliche Verbeuung, und trat wieder in den hohen Fenſterbogen, in den ich mich zuruͤckgezogen hatte. Blauenſtein, begann er, und ſeine Augen glaͤnzten, das iſt ein leibhaftiger Engel! Ich habe das Himmelskind ſchon einmal geſehn, aber geſprochen vor wenigen Augenblicken zum erſten Male. Bei aller feinen, hohen Bildung, dieſe einfache Weiſe, dieſe laͤndliche Unſchuld bei ſo viel richtigem Blick; Freund, ſuchen Sie mit dem herrlichen Maͤdchen nur ein Wort zu reden, und Sie werden entzuͤckt ſein! Ein reichgallonirter dienſtbarer Geiſt des Probſtes praͤſentirte duftenden Punſch in glaͤnzenden Cryſtallglaͤſern, und ſtoͤhrte unſere Unterredung, und nach einem halben Stuͤnd¬ chen, das ich dem Hoforganiſten, der ein Langes und Breites uͤber eine neue Clavierſchule von ihm ſprach, nicht entziehn konnte, lud der freundliche Wirth den muſicaliſchen Theil ſeiner Gaͤſte in das benachbarte geraͤumige Concertzimmer, wo ich meine getreue Geige mit pochendem Herzen aus dem gruͤnausgeſchlagenen Kaſten nahm. Der Probſt, ein recht wackerer Geiger, ließ ſich die Leitung des Ganzen nicht nehmen, und der Legationsrath poſtirte ſich mit ſeinem ſilbernen Horne dicht hinter mich. Auf dem Pulte lag eine Ouvertuͤre, die mir in einem delicaten Geigenſatze eine wahre126 Angſt aufbuͤrdete, die mir ſonſt unbekannt war. Aber ich ſollte ja vor ihr ſpielen, ſie hatte ſchon einigemal, wie wohl gleichguͤltig, wie es ſchien, nach mir hin geblickt, als wollte ſie ſagen: Wenn Du nur nicht umwirfſt!

Aber es ging Alles gluͤcklich von Statten, ein lautes Beifallklatſchen ermuthigte den Hof¬ organiſten und meine arme Perſon zu einer Ca¬ price fuͤr die Geige, welche des Organiſten wohl¬ toͤnendes Cello recht capricioͤs begleitete. Ich hatte es deutlich bemerkt, waͤhrend mein Mitſpie¬ ler das nach der Einleitung von mir piano into¬ nirte Thema kraͤftig wiederholte, wie das ſchoͤne, intereſſante Maͤdchen einigemal mit ihrer Nachbarin leiſe fluͤſterte, und dann jedesmal nach mir hinſah, als ſei ich der Gegenſtand ihres Geſpraͤchs. Im Adagio ſuchte ich all mein ſehnſuͤchtiges Verlangen auszudruͤcken, das mit ſo ſchneller Gewalt mein Herz erfuͤllte; noch nie hatte mein Inſtrument ſo rein, ſo volltoͤnig angeſprochen, und nach Been¬ digung des Stuͤcks war ich noch ſo in die treff¬ liche Compoſition verſunken, daß ich nur halb die Lobpreiſungen vernahm, die ſich ergoſſen. Auch ſie hatte in ihre zarten, weißen Haͤnde ge¬ klatſcht, und wie haͤtte ich, wenn ſie belohnte, auf den Beifall anderer hoͤren koͤnnen, welche in's127 Geſicht lobten, und hinterher ihrer Galle Luft machten! Die innere Ruͤhrung hatte mir Thraͤnen in's Auge gelockt; ich war herzlich froh, daß eine Pauſe uns Ruhe goͤnnte, und ſchluͤpfte in das kuͤhle Vorzimmer, mich zu erholen.

Ich weiß nicht, wie es kam, es wogten Em¬ pfindungen in mir, die mir bis dahin noch fremd geblieben waren; das Herz pochte ungeſtuͤm, eine heimliche Angſt durchbebte mich, und dennoch miſchte ſich in dies Alles eine namenloſe Seligkeit, ein ſuͤßes Weh! Was war das? Nein, das mußte anders werden, ich mußte Ruhe, Ruhe erkaͤmpfen, denn ich ſollte ja ſpielen, ich ſollte ja ihre ſuͤße Stimme begleiten!

In etwas ruhiger trat ich in den Geſellſchafts¬ ſaal; der Probſt hatte bereits nach mir gefragt, und winkte zum Pulte, der mir ganz ſchrecklich vorkam. Fraͤulein von Struen hatte ihren Platz bereits eingenommen, ich durchblaͤtterte fluͤchtig meine Parthie, und ſie begann mit ihrer glocken¬ reinen; unendlich biegſamen Bruſtſtimme das Re¬ citativ. Mir war fuͤr meine Geige ganz bange, aber der Hoforganiſt nickte mir freundlich Muth zu, und es ging. Ihre wundervolle Metallſtimme verklang zauberiſch in dem geraͤumigen Gemache128 und drang mir bis in das Tiefſte meiner Seele; und als ſie den zarteſten Mollton minutenlang aushielt, anfangs ſanft und lieblich intonirt, dann ſtaͤrker und immer ſtaͤrker, dann die Octave hinauf ging, noch drei vier Toͤne hoͤher ſtieg, und wie aus weiter Ferne den ſchoͤnen Satz mit einem leiſe anſchwellenden und ſich dann in ein liebliches Piano aufloͤſenden Triller ſchloß, da verging mir der Athem, ich konnte nicht laͤnger, die Finger verſagten ihren Dienſt, ich mußte aufhoͤren. Der Organiſt erſchrak uͤber mein ploͤtzliches Ver¬ ſtummen, und ſpielte auf dem Cello meine Parthie aus dem Kopfe. Zum Gluͤck mogte es eben niemand gemerkt haben, bis auf die holdſelige Marie, dies war ihr Name, denn ſie ſah mich mit einem wunderbaren Blicke an, als wolle ſie mir damit Muth einfloͤßen, und ich nickte dem Celloſpieler zu, zum Zeichen, daß ich fortfahren werde. Ich hatte wirklich nun wahren Muth bekommen, ich fuͤhrte meinen Bogen keck, alle ſchwierigen Paſſagen gelangen auf das Beſte, und als ich am Schluſſe des herrlichen, ſeelenvollen Geſanges wie ein verklingendes Echo den letzten Stimmenſatz wiederholen mußte, und dann mit einigen energiſchen Strichen ſchloß, ſagte mir der rauſchende Beifall, daß ich meine Sache ſo gar uͤbel nicht gemacht habe.

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Ich legte ſchnell die Geige bei Seite, und trat ſchuͤchtern dem engelſchoͤnen Maͤdchen naͤher. Sie muͤſſen mir zuͤrnen, mein Fraͤulein, begann ich mit bebender Stimme, die Begleitung Ihres meiſterhaften Geſanges wurde einem unerfahrnen Stuͤmper zu Theil, wenn ich gleich geſtehn muß, daß mich nichts, als Ihr hinreißender Vortrag aus den Noten herausbrachte. Darf ich auf Ihre Vergebung rechnen?

Mariens Geſicht uͤberflog ein leiſes Erroͤthen, ſie hob ihr klares Seelenauge zu mir empor, und ſagte laͤchlend: Es bedarf der Vergebung nicht; und wenn ich dem, was Sie zuletzt ſagten, trauen darf, ſo waͤre jeder Tadel von meiner Seite ein Vergehen, denn Ihre Verirrung bliebe dann immer eine Lobrede meines unvollkommnen Ge¬ ſanges!

Eine ſo freundliche und fein verbindliche Wendung hatte ich nicht erwartet; ich ergriff die runde, weiche Flaumenhand der lieblichen Saͤngerin, die ſie mir willig uͤberließ, und zog ſie an meine brennenden Lippen. Da kam ihr Vater herbei, er ſah mich mit einem ſtolzen Blicke an, und ich trat zu dem nicht fern ſtehenden Le¬ gationsrath. Er fragte mich hundertmal in einem9130Athem, und ich wußte kaum, was ich geantwortet. Ich ſah nach meiner Uhr; es war in der That ſpaͤt geworden, und beſchloß, am Arme des ent¬ zuͤckten Legationsrathes meine einſame Wohnung aufzuſuchen. In der letzten Aufregung hatte ich mich ſehr an den koͤſtlichen Punſch gehalten, es mogte wohl zu viel geweſen ſein, denn es ſchien ſich mir Alles zu verwirren, und ich waͤhnte zu traͤumen. Vor dem Hauſe hielt ein ſchoͤner Wagen; nach wenigen Augenblicken erſchien der Freiherr mit Marien und ſeiner Frau. Die Be¬ dienten hielten hellleuchtende Laternen in den Haͤnden, und ein magiſcher Schein fiel auf die reizende Geſtalt des Maͤdchens, das in meinem Herzen eine ſo ploͤtzliche Verheerung angerichtet, und ehe ich noch recht zu mir ſelbſt kam, rollte der Wagen bereits um die Ecke der duͤſtern Straße.

Der Legationsrath faßte krampfhaft meinen Arm in den ſeinen, und nach einem kurzen Schweigen begann er: Mir iſt ſolch ein Engel noch nicht vorgekommen, aber was mich im Vor¬ aus betruͤbt macht, ja mich empoͤren kann, iſt der alberne, ſinnloſe Stolz des Alten. Wir ſind doch meiner Seele nicht vom gemeinſten Gewaͤchs, und haben Sie wohl die Blicke geſehn, die mir der Menſch zuwarf, als ich mit ſeinem Kinde ſprach?

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Wenn Sie daruͤber klagen wollen, entgeg¬ nete ich mit einem Seufzer, was ſoll ich da ſagen? Ihre Ausſichten in die Zukunft ſind die angenehmſten; Sie werden ein Sie ehrendes Amt erhalten, eine reiche Erbſchaft fehlt eben ſo wenig; was wollen Sie noch? Mein Begleiter lachte, daß es in der oͤden Straße wiederhallte, und fuhr fort: Da ſind Sie im Irrthum; wenn ich ein Graf waͤre, ein Geſandter ſelbſt, oder ſo ein aͤhnliches Wunderthier, da waͤre das ein anderes. Aber Sie kennen dieſe eigentlich erbaͤrmlichen Menſchen noch nicht! Ich weiß durch meinen Oheim, den Probſt, der den Freiherrn genau kennt, was er fuͤr Plaͤne macht. Und ſtaͤnde mein Oheim nicht ſo gut bei Hofe angeſchrieben, haͤtte er nicht alle Dienſtverbeſſerungen bloß darum abgelehnt, weil er reich, und durch ſeinen alten Adel vornehm genug iſt, wer weiß, ob der alte Struen in ihm ſeinen Verwandten ehrte!

Sind ſie denn verwandt? fragte ich. Nun auf dieſe Weiſe muͤſſen Sie, mein Freund, leichtes Spiel haben. Ich wuͤnſche Gluͤck!

Nein, erwiederte der Legationsrath, und ſchlug mit mir raſch einen Seitenweg ein, der mich von meiner Wohnung immer mehr entfernte,9 *132 ich nehme hier ein anderes Intereſſe, denn mein Herz iſt bereits unter billigen und angenehmen Bedingungen untergebracht. Sehn Sie, die alte Struen iſt catholiſch; ihr Mann iſt zwar Pro¬ teſtant, aber ein bigotter Narr, der ſeiner Gemahlin das Wort gegeben hat, nur ein Catholik ſolle dereinſt die Hand ihres Kindes empfangen. Freilich weiß ich, daß der Mann auch einen enor¬ men Geiz beſitzt, und wenn ſo ein aͤchter Gold¬ fiſch kommt, ſo widerſteht er keinen Augenblick. Beim Himmel, das Maͤdchen iſt zum Anbeten ſchoͤn und liebenswerth! Und dabei dieſe Beſchei¬ denheit, dieſe Demuth in Blick und Haltung! Blauenſtein, hier zu ſiegen, muß goͤttlich ſein!

Ich konnte auf ſeine ſtuͤrmiſchen Äußerungen nur mit einem Seufzer antworten, und ließ mich von ihm durch eine Reihe von Straßen mit fort¬ ziehn. Endlich ſtand mein Begleiter vor einem Palais der Vorſtadt ſtill, das mir ſchon laͤngſt wegen ſeiner ſoliden, geſchmackvollen Bauart auf¬ gefallen war, und zeigte nach einem hell erleuch¬ teten Zimmer, indem er ſagte: Da wohnt ſie, von der wir ſprachen; verſuchen Sie Ihr Gluͤck, ihr Auge hat einigemal wohlgefaͤllig auf Ihnen geruht. Aber nun auch gute Nacht, bald mehr!

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Der ſonderbare Menſch rannte fort, und ließ mich tief in Gedanken allein. Oben an den be¬ zeichneten Fenſtern bewegte ſich eine Geſtalt; ſie oͤffnete einen Fenſterfluͤgel, und ich druͤckte mich an eine Seitenmauer. Es war niemand anders, als Marie; ihre Geſtalt konnte ich mit Beſtimmt¬ heit unterſcheiden, nur ihr liebliches Geſicht war mit Nacht bedeckt. Hatte ich nicht ſehr geirrt, ſo entquoll ihrer keuſchen Bruſt ein Seufzer, es war Alles um mich her in eine Grabesſtille ver¬ ſunken, es konnte meinem Ohre nichts entgehn. Gott, wenn ſie nicht gluͤcklich waͤre, dachte ich bei mir, und machte eine leiſe Bewegung. Viel¬ leicht hatte ſie mich bemerkt, denn das Fenſter ſchloß ſich, und die liebholde Geſtalt kam nicht wieder zum Vorſchein.

Ich ſuchte in Gedanken verſunken meine ſtille Wohnung auf.

Der alte Diener meiner Wirthin oͤffnete mir mit einem ſchlaftrunkenen Geſicht, und haͤndigte mir einen Brief ein, der am Abend noch ange¬ kommen war. Er kam von meinem Schutzpatron Maiberg, und enthielt die angenehme Neuigkeit, daß er von meiner Angelegenheit das Beſte hoffe. Jedes ſich noch vorfindende Actenſtuͤck ſollte ich ihm nur ſogleich zuſenden, und Muth haben.

134

Fuͤr die Erhaltung meines mir von Gott und Rechts wegen zukommenden Vermoͤgens hatte ich wirklich Muth, denn meine Sache lag in der Hand eines redlichen, geiſtvollen Mannes, ſo wie des oft ſtets gerechten Schickſals. Aber eine neue Sorge ging in meinem Innern auf; ich dachte kaum an die Erlangung von Reichthuͤmern, und hing meiner ſtillen Wehmuth nach. Ich fuͤhlte es, ohne Marien konnte ich nicht gluͤcklich ſein, nur ihre Liebe vermogte meinem Leben die wahre Bedeutung zu verleihn! War ich denn aber auch berechtigt, ſo zu denken, mußte ich nicht erſt pruͤ¬ fen, ehe ich mich einer Liebe hingab, die in Lei¬ denſchaft auszuarten drohte? Das liebende Herz waͤhlt ſtets ſeinen eigenen Weg, es fraͤgt die Vernunft nicht lange um Rath, will zum Ziele gelangen, oder in ſeinem Grame vergehn! Ich hatte ſeit jenem Abende Marien nicht wiedergeſehn, und ich ſehnte mich ſo innig nach ihrem Anblick. Aber wie es anfangen?

Eines Tags kam der Legationsrath zu mir, und fragte, ob ich die neue Gemaͤldeſammlung ſchon geſehn, welche ſeit einiger Zeit im Gebaͤude der Kunſtacademie aufgeſtellt ſei. Ich mußte verneinen, aber beſchloß, die neuen Schaͤtze ſogleich in Augenſchein zu nehmen. Der Legationsrath135 ruͤhmte beſonders eine heilige Caͤcilie eines unbe¬ kannten Meiſters, welche unverkennbar mit Marien Ähnlichkeit habe, und verſprach, mich nach einer Stunde, waͤhrend welcher er beſchaͤftigt war, in der Gallerie aufzuſuchen. Ich trat nach wenigen Minuten in das Heiligthum der Kunſt; eine Menge Kenner und Neugierige aller Staͤnde wogten in den Saͤlen umher; nur in einem Sei¬ tengemache, wo die auserleſenſten Stuͤcke hingen, war es nicht ſo voll von Beſchauern, indem hier nicht ein jeder hineingelaſſen wurde. Der Auf¬ ſeher, ein freundlicher Greis, der mir laͤngſt be¬ kannt war, fuͤhrte mich hinein, und deutete mit der Hand nach den beſten Bildern hin. Vor dem Bilde der heiligen Caͤcilie ſtand eine junge Dame, die mir den Ruͤcken zuwandte; ich ging nach der andern Seite, und ſah ihr Geſicht. Gott, es war Marie! Sie erwiederte meinen Gruß freundlich laͤchlend, und fragte mit der ganzen Anmuth ihres bezaubernden Weſens, ob ich ein Gemaͤldefreund ſei. Wir kamen bald auf den Concertabend beim Probſt; ſie entwickelte mir ein ſo tiefes Gefuͤhl im Bezug auf Muſik und ihr ganzes kindliches Gemuͤth, daß mir die Zeit mit unbegreiflicher Schnelligkeit entfloh. Eine junge Dame, ſie mogte mit Marien gekommen ſein, hing ſich jetzt mit freundlichem Koſen an ihren Arm, und136 erinnerte ſie an das ihr gegebene Verſprechen, mit ihr ein Stuͤndchen im botaniſchen Garten zuzu¬ bringen. Marie ſchien unwillkuͤhrlich zu erſchrecken, daß ſie die Gallerie ſo ploͤtzlich verlaſſen ſolle; Antonie, dies war der Name ihrer Freundin, deren Eltern, wie ich mich jetzt genau erinnerte, ich kannte, ſchmeichelte aber ſo ſuͤß, und bat ſo drin¬ gend, daß ſich Marie zum Aufbruch entſchloß. Sie fluͤſterte ihr ein Paar Worte in das Ohr, erroͤthete, und ſah mich ein wenig von der Seite an. Noch ehe ich uͤberlegen konnte, was dies zu bedeuten habe, verkuͤndete der alte Gallerieinſpector, daß die Saͤle geſchloſſen wuͤrden.

Siehſt Du, meine holde Marie, ſagte Antonie und ſah ihrer Freundin in das klare Seelenauge, die Stunde hatte geſchlagen, und wir duͤrfen hier nicht laͤnger weilen!

Ich bot den Damen meinen Arm, denn das Gedraͤnge der Menſchen ließ nicht ab; vor dem hohen Portale des Hauſes wollte dann Marie den Wagen erwarten, und mit ihrer Freundin nach dem botaniſchen Garten fahren. Aber es kam kein Wagen; die Damen waren ungeduldig, und ſchon entſchloſſen, zu Fuß die Wanderung zu unternehmen, als ich einen eleganten Mieths¬137 kutſcher herbeirief, und die Damen bat, den Wagen als ein Surrogat ihrer Equipage anzuſehn. Antonie wurde etwas verlegen, aber Marie dankte mir in ihrer liebenswuͤrdigen Unbefangenheit, und ſtieg mit ihrer Freundin, von mir unterſtuͤtzt, ein. Unmoͤglich konnte ich mich fuͤr immer, oder doch auf eine lange Zeit von den Damen trennen, ich fragte daher nicht ohne eine gewiſſe Ängſtlichkeit, ob es mir erlaubt ſei, nach dem Garten zu folgen. Marie ſah ihre Freundin fragend an, und erwie¬ derte, ſie habe gemeint, ich werde beide in dieſem Wagen hinaus begleiten; ich ſei ihr auf jeden Fall ſehr willkommen. Allein ich verbeugte mich tief, gab dem Kutſcher einen Wink und war in wenig Minuten an dem bezeichneten Orte. Ich lief durch die Straße, daß mir der Athem ganz fehlte; meine erſte Frage an einen der Diener im Garten war, ob die Damen bereits angekommen, und wo ſie ſich befaͤnden. Der Toͤlpel lachte mir in's Geſicht, vielleicht mag ich eigen ausgeſehn haben, und zeigte nach einem Pavillon, auf den ich nun mit ſtarken Schritten losging. Ich be¬ merkte allerdings zu meiner Freude ein Paar Damen, vermogte jedoch noch keine zu erkennen. Hatte der verſchmitzte Narr vom Gaͤrtnerburſchen ſeinen Scherz mit mir getrieben? das waren die erſehnten Himmelskinder nicht! Zwei unfoͤrmliche,138 alte Weiber aus der gewoͤhnlichen Claſſe ſaßen hier, ſchluͤrften mit widrigem Appetit Kaffee, und verſchlangen einen Berg von kleinen Milchbroden. Sie ſollten alſo noch kommen. Wie konnte ich auch erwarten, die beiden Maͤdchen ſchon zu finden, da ich ſo uͤber die Maßen gelaufen war! Kam nicht durch die hohe eiſerne Gartenthuͤr etwas? Richtig; aber nicht zwei, ſondern drei Damen, und die ſehnlich Erwarteten waren nicht dabei! Es verging eine ſchmerzliche Viertelſtunde nach der andern, ich rannte wie ein halb Ver¬ ruͤckter von einem Gange des herrlichen Gartens zum andern, und niemand erſchien. Wie oft war ich ſchon hier geweſen, wie hatte ich mich ergoͤtzt an den tauſend herrlichen Blumen des Auslandes, die hier in den großen Gewaͤchshaͤuſern ſo uͤppig gediehn; aber heute hatte die Blumenwelt keinen Reiz fuͤr das ungeſtuͤme Herz. Nur um nicht mehr von dem Burſchen verlacht zu werden, denn der Menſch verlor mich nicht aus dem Auge, trat ich vor einen Glasverſchlag, und blickte gleich¬ guͤltig nach dem großen Cactus*)Cactus grandiflorus. , deſſen gelbliche Duͤte ſo wuͤrzigen Duft ſpendet und in einem gelben Blaͤtterſtrahle wie eine Sonne glaͤnzt,139 und verweilte hoͤchſt zerſtreut bei ſeinem juͤngern Bruder,*)Cactus speciosus. der zwar geruchlos, aber wunderherrlich in ſeinem Purpur ſchimmerte. Doch da bluͤhte ein wunderbares Pflaͤnzchen; es verdiente Auf¬ merkſamkeit, weil ich es mit meinem Herzen ver¬ gleichen konnte, das von der Beruͤhrung der jetzt oft rauhen Außenwelt in einander zuckte; es war die bekannte, empfindliche Sinnpflanze**)Mimosa sensitiva, eine beſonders an den Ufern des Amazonenfluſſes heimiſche Pflanze. aus Braſilien. Die Geigenblaͤttrige Trompeten¬ blume***)Bignonia pandorana. a) Corchorus japonicus. b) Reginae Amaryllis, auf den caraibiſchen Inſeln zu Hauſe. c) Vermuthlich eine Anſpielung auf eine ſehr hochſtaͤmmige Palme aus der Barbarei, chamaeraps barbarea. erhielt nur wegen ihrer muſicaliſchen Verwandtſchaft einen fluͤchtigen Blick; das japa¬ niſche Stattkraut a) und die koͤnigliche Amaryllis b) wurden ganz uͤbergangen, ſammt einer unfoͤrmlichen Palme, c) die ich ſchon deshalb haßte, weil ſie barbariſch war. Ohne mich um die Kaffeeſchluͤr¬ ferinnen, die ſehr neugierig mein Benehmen zu beobachten ſchienen, eines Blicks zu wuͤrdigen, rannte ich fort nach dem Platze, um wenigſtens140 meines treuloſen Miethskutſchers noch einmal an¬ ſichtig zu werden, der noch ſeinen Lohn nicht er¬ halten hatte. Wahrhaftig, der Menſch hielt mit ſeinem Wagen bereits in der Naͤhe der Academie, und lachte, als er mich erblickte. Meine erſte Frage war, weshalb er die Damen nicht nach dem Garten gefahren; aber er meinte, er habe den Befehl erhalten, zu ſchweigen, und auch als ich meine Boͤrſe zog, um ihn durch Geld mehr beredt zu machen, ſchuͤttelte er mit dem Kopfe, und ſagte, er habe ſeinen Lohn bereits erhalten, und zwar ſehr reichlich.

An jedem der dazu beſtimmten Tage war ich in der Gemaͤldegallerie; ich ſtand ganze Stunden vor der heiligen Caͤcilie, aus der mir Mariens En¬ gelszuͤge entgegenlaͤchleten, aber ſie ſelbſt erſchien nicht wieder. Endlich, es mogten einige Wochen vergangen ſein, traf ich Antonie auf der Prome¬ nade. Im freudigen Erſchrecken blieb ich vor ihr ſtehn, ſie war ganz allein, und harrte nur ihres juͤngſten Bruͤderchens, das ſich am Wege niedergebuͤckt hatte, und bunte Steinchen auflas. Ich konnte alſo reden. Sie ſelbſt ſchien uͤberraſcht, und beantwortete meine Frage, weshalb ſie neulich mit ihrer Freundin ſo grauſam und ſpurlos ver¬ ſchwunden ſei, zweideutig und ausbeugend. Sie141 ſind, hob ich an, und ſah in ihr ehrliches Auge, Sie ſind Mariens Freundin, Sie beſitzen ihr Vertrauen; darf ich Ihnen ein Geſtaͤndniß thun?

Reden Sie nicht vor der Zeit, Herr von Blauenſtein, erwiederte ſie mit einer gewiſſen Beklommenheit, es hat ſich Manches ereignet, das bedeutende Folgen nach ſich ziehen koͤnnte. Sie ſelbſt, warum ſoll ich es nicht ſagen, ſind mit im Spiele, und wenn ich Ihnen ſchon die Verſicherung geben kann, daß Marie Ihnen wohl will, ſo weiß ich doch beſtimmt, daß es ihr lieber ſein muß, wenn Sie meine Freundin vermeiden!

Sie ſprechen in Raͤthſeln, mein Fraͤulein, erwiederte ich, es muß etwas vorgefallen ſein, von dem ich nichts weiß, wenigſtens kann ich den Zuſammenhang nicht faſſen. Ich beſchwoͤre Sie, reißen Sie mich aus dieſer toͤdtenden Ungewißheit!

Daß Sie meine Freundin lieben, iſt mir nicht unbekannt, erwiederte ſie; aber es iſt noͤthig, Ihnen kuͤrzlich eine Aufklaͤrung zu geben, da Sie noch jetzt kraͤftig fuͤr ſich ſelbſt wirken koͤnnen. Sie lernten meine theure Marie im Hauſe des Probſtes Kirchheim kennen; was Sie empfanden, moͤgen Sie ſelbſt ermeſſen. Der142 Freiherr, Mariens Vater, erkundigte ſich lebhaft nach Ihnen, als er Sie im Geſpraͤch mit ſeiner Tochter erblickte. Er iſt ein feiner Menſchenkenner, und mogte Sie vielleicht ergruͤndet haben, ehe Sie es vermutheten. Sie trafen uns neulich in der Gemaͤldegallerie; vor dem Hauſe mußten wir, wie Sie ſich erinnern, auf den ausbleibenden Wagen warten, und wurden vom Freiherrn geſehn, der ſich zufaͤllig gegenuͤber im Hotel de Saxe bei einem eben angekommenen Fremden befand. Er ſchoͤpft nach ſeiner kalten, ach wohl herzloſen Weiſe Verdacht, und ſchickt unſerm Wagen ſeinen Diener nach. Ich mußte mir die bitterſten Dinge ſagen laſſen, denn er bildete ſich ein, ich ſei Ihre Vertraute, und wuͤnſche eine Zuſammenkunft zwiſchen Marien und Ihnen zu bewerkſtelligen. Marie wurde einem ſtrengen Verhoͤr unterworfen; nach Ihnen wurde geforſcht, man zog Erkundi¬ gungen aller Art uͤber Sie ein. Den Grund moͤgen Sie ſelbſt errathen. Marie hat mir ſeit der Zeit nur ſchreiben koͤnnen, weil ſie mich auf Befehl ihres Vaters vermeiden mußte.

Antonie ſchwieg, und meine Verwunderung war meinem Schmerze gleich. Es traten Thraͤnen in meine Augen, ich ergriff Antoniens Hand, ich beſchwor ſie, mir Gelegenheit zu verſchaffen,143 Marien zu ſprechen. Vielleicht, ſagte ich, hegt der Freiherr mildere Geſinnungen, als wir glauben, denn weshalb haͤtte er ſich ſonſt nach mir er¬ kundigt? Mein Vermoͤgen wird mir bald gerettet ſein, ich darf ihr meine Hand reichen, denn meine Geburt iſt der ihrigen gleich!

Was Ihr Vermoͤgen betrifft, erwiederte Antonie, ſo hat der Freiherr geaͤußert, es waͤre ſo gut als verloren; auch in dieſem Punkte hat er ſich zu unterrichten gewußt. Aber ſeine Ge¬ mahlin iſt catholiſchen Glaubens, und Marie ſoll nur einem Glaubensverwandten ihre Hand reichen!

Sie verwunden mein Herz durch dieſe Nach¬ richt tief! erwiederte ich. Aber dennoch bitte ich Sie, mir meine Bitte nicht abzuſchlagen. Ich werde mit Ihrer Mutter reden, ſie wird Mitleid mit mir haben, und mir gewaͤhren, ohne das ich nicht gluͤcklich ſein kann!

Sind Sie, fragte Antonie laͤchlend, Sind Sie denn Ihrer Sache ſo gewiß, Herr v. Blauen¬ ſtein? Halten Sie ein bloßes Wohlwollen von Seiten meiner Freundin nicht gleich fuͤr Gegen¬ liebe. Aber ich ſelbſt wuͤnſche eine Zuſammenkunft, vielleicht laͤßt ſich Manches ausgleichen, Sie144 koͤnnen ſich mit Marien berathen, um vielleicht alle Mißverſtaͤndniſſe aus dem Wege zu raͤumen, aus denen der Freiherr Gift ſaugt!

Alſo bloß darum? fragte ich ſchmerzlich. Aber Antonie laͤchelte freundlich, und erwiederte, ich moͤge in ihren Mittheilungen ihr Vertrauen ehren, und das Lebensgluͤck ihrer Freundin nicht ſtoͤh¬ ren, welches allein ſie zu den heutigen unangenehmen Eroͤrterungen gefuͤhrt. Heute Nachmittag, fuhr ſie fort, und ſah ſich um, ob etwa ein unberufener Lauſcher zu befuͤrchten ſei, heute Nachmittag beſucht mich Marie. Sie kennen unſere Wohnung; mit meiner Mutter rede ich ſogleich, und Sie moͤgen dann um fuͤnf Uhr erſcheinen. Aber ja nicht fruͤher! Wir wollen noch eine Vorſicht an¬ wenden; Sie wiſſen vielleicht, daß wir hinter unſerm Wohnhauſe einen Garten beſitzen; er liegt ſo, daß der Eintretende nicht bemerkt werden kann; und es moͤgte wohl rathſam ſein, wenn Sie auf dieſe Weiſe durch den Garten in unſer Haus gelangten. Alſo um fuͤnf Uhr finden Sie ſich an der gruͤnen Gartenpforte ein. Aber auch nun kein Wort mehr, ich eile zu meiner Mutter!

Antonie reichte mir ihre Hand, die ich an meine Lippen druͤckte, und ließ mich mit meinen145 Gedanken allein. Ich war ganz im Innern ver¬ wirrt; mein Herz pochte ungeſtuͤm, und mir kam der ganze heutige Tag vor, wie ein Traum. Meine alte Wirthin ſchuͤttelte uͤber mein auffallendes Benehmen den Kopf; ich ruͤhrte keine Speiſe an, und rannte unruhig in meinem Zimmer umher. Es ſchlug endlich vier Uhr; nach fuͤnf Minuten war ich vor den Thoren der Reſidenz, ich durchſchweifte die Gegend, und entdeckte endlich Antoniens Garten. Mit welchen Empfin¬ dungen oͤffnete ich die Thuͤre, als die fuͤnfte Stunde herbeigekommen war!

Antonie ſaß mit ihrer Mutter in einem freund¬ lichen Gartenhaͤuschen, und ich wurde mit einer Artigkeit empfangen, die mich meine druͤckende Angſt vergeſſen ließ. Antoniens Mutter verließ uns kurz darauf, und ehe ich noch fragen konnte, wo denn Marie weile, trat ſie ſelbſt in ihrer Anmuth zu uns heran, und ſchloß ihre Freundin in die Arme.

Vergeben Sie dieſe Raſchheit, hob ich an, und nahte mich Marien, aber mein Herz ſah keinen andern Ausweg. Ich weiß, was man mit Ihnen vorhat, mein Fraͤulein, aber fuͤrchten Sie die Plaͤne der Politik nicht, wo treue Liebe10146Ihnen die Hand bietet! Darf ich Ihnen geſtehn, wie unendlich theuer Sie meinem Herzen ſind?

Marie erroͤthete, ſie entzog mir leiſe ihre Hand und ſagte: Wir ſollten uns wohl erſt mehr kennen lernen; kaum, daß ich Sie zweimal ſah! Aber Sie verkennen meine Eltern, wenig¬ ſtens meinen Vater. Sollte Antonie in ihrem Eifer zu weit gegangen ſein, ſollte ſie die ſo ganz mißverſtehen, welche mir ihre Liebe ſo unver¬ kennbar zeigen?

Antonie wandte ſich von uns ab; es ſchien, als unterdruͤcke ſie eine Thraͤne, und ich ſprach im Rauſch meiner Seligkeit von nichts, als der Zukunft, die ſich mir zum Himmel geſtalten wuͤrde, wenn ich ihr an Mariens Hand entgegen¬ gehn koͤnnte. Marie ſah mich mit einem Blick des ſuͤßeſten Wohlwollens an; in ihrem Auge lag das Geſtaͤndniß ihrer Gegenliebe; ich ſchloß ſie in tiefer Bewegung in meine Arme, und ein minutenlanger Kuß beſiegelte den ſchoͤnen Bund der treuſten Herzen!

Ich war ein anderer Menſch geworden, Ma¬ riens Liebe hatte mich umgewandelt!

147

Aber Kinder, hob Antonie darauf mit em¬ porgehobenem Finger an, und machte ein zum Todtlachen ernſthaftes Geſichtchen, Ihr ſteht hier und raſpelt Suͤßholz, ohne Eurer Lage und des eigentlichen Zwecks Eures heutigen Zuſammen¬ ſeins zu gedenken. Auch zugegeben, Mariens Eltern ſind dieſer Verbindung nicht entgegen, ſo waͤre es doch wohl rathſam und erſprießlich, wenn man ſich gegenſeitig etwas mehr zu ergruͤnden ſuchte; denn dieſe Raſchheit will mir nicht ganz gefallen!

Aber ich lachte ihr in die ernſthafte Miene, erzaͤhlte ihr in einem Athem zehn Beiſpiele, wie ſich treue Herzen in wenig Augenblicken erkannt, und in ſuͤßer ſchneller Vereinigung ihr ganzes Gluͤck gefunden. Meinen Sie denn, fuhr ich fort, und ſchlang meinen Arm um Mariens ſchlanken Sylphenleib, meinen Sie denn, daß eine langgedehnte Bekanntſchaft zu etwas Großem hilft? Im Gegentheil; die Beobachtete giebt ſich immer anders, als ſie iſt; und nur das uͤberraſchte Herz wird in ſeinem Werth oder Unwerth erkannt!

Antonie murmelte ſo etwas von einer ſonder¬ baren Theorie, der ſie keinen Geſchmack abge¬10 *148winnen koͤnne, und erinnerte mich zuletzt an die Scheideſtunde. Sein Sie nicht grauſam, theure Antonie, flehte ich mit emporgehobenen Haͤnden, dieſe Stunden kehren nie, nie wieder, und Sie wollen ſie mir freventlich abkuͤrzen? Doch, doch, es muß ſein! ſagte meine Marie dringend, und legte ihr Koͤpfchen an meine Schulter. Aber wir ſehn uns bald wieder! Der Mittwoch ſei unſerer Zuſammenkunft bei Antonie geweiht. Nicht wahr, mein Maͤdchen, Du wirſt nicht boͤſe?

Dieſe ſuͤße, holde Natuͤrlichkeit brachte mich ganz aus aller Faſſung; ich konnte von dem Engel nicht loskommen, immer zog es mich wieder in ihre keuſchen Arme, jeder Kuß, den mir ihre wuͤrzigen Lippen mit braͤutlicher Hingebung boten, ſollte der Abſchiedskuß ſein, und doch ſtand ich noch immer, meinen Arm um ſie geſchlungen, das Land der paradieſiſchen Liebe hatte ſich mir geoͤffnet, und ihr Zauber umſing meine Sinne! Ich konnte nicht fort. Da wurde es Antonie zu arg, ſie ergriff eine Weinranke, und verfolgte mich, wie der erzuͤrnte Engel mit dem Flammen¬ ſchwert im Paradieſe, bis zur Gartenthuͤr; noch einen Kuß auf Mariens Lippen wollte ich mit¬ nehmen, aber es wurde nicht verſtattet, und ich149 ſtand vor dem verſchloſſenen Himmel meiner ſe¬ ligſten Freuden!

Beinahe taͤglich war ich in der Geſellſchaft Antoniens und ihrer trefflichen Mutter; im Daͤmmerſtuͤndchen ſprachen wir, nachdem ich einen kurzen Bericht uͤber die Lage meines Prozeſſes erſtattet, von der Zukunft, von meinem Gluͤck an der Seite des holden Engels, der mich durch ſeine Liebe zum reichſten Sterblichen erhob. Das herrliche Stammſchloß meiner Ahnen, das mein gewiſſenloſer Gegner mit aller gemaͤchlichen Ruhe bewohnte, ſollte unſer Sommeraufenthalt werden; Antonie durfte dabei niemals fehlen, und in dieſer gemuͤthlichen Unterhaltung entſchwand der Abend wie auf Fluͤgeln. Jeden Mittwoch regelmaͤßig erſchien Marie, und brachte mir der Kuͤſſe ſuͤßeſte mit keuſcher Liebe entgegen!

Einſt ſagte mir Antonie im Vertraun, es ſchiene ihr, als ſei mir der Freiherr abermals auf der Spur, ich moͤge alle moͤgliche Vorſicht anwenden. Allein mir kam dies ſehr, unwahr¬ ſcheinlich vor, und ſorglos uͤberließ ich mich den ſtillen, ſeligen Freuden meiner Liebe. Hatte ich erſt mein Vermoͤgen wieder erworben, dann war mir nicht mehr fuͤr meine Liebe bange, und der150 Freiherr ſagte ja. An einem Herbſttage, es war am 23ſten October, erſchien die erſehnte Stunde, wo ich zu Antonie ging, um mich an Mariens Troſt und Liebe zu erholen, denn Maibergs Nachrichten hatten mich traurig gemacht, aber mein Gluͤck ſollte gebrochen werden. Ich fand meine Marie bereits im Garten; wir gingen Arm in Arm durch die lauſchigen Gaͤnge, und ich theilte ihr meine Ausſicht mit, vielleicht in ein Regiment eintreten zu koͤnnen, das in dieſer Zeit organiſirt wurde. Sie ſprach ihre Zufriedenheit daruͤber aus, und war eben im Begriff nach meiner Rechtsangelegenheit zu fragen, als Antonie ganz erſchrocken und bleich heraneilte, und uns zuwinkte; ich wollte fragen, was ihr zugeſtoßen ſei, da vertrat mir ploͤtzlich der alte Freiherr v. Struen, Mariens Vater, mit hoͤhniſcher und halb zorniger Miene den Weg. Ich faßte mich ſchnell, und wollte reden, allein er wendete mir den Ruͤcken, und ſagte zu der beinahe ohnmaͤchtigen Marie, indem er ſie ungeſtuͤm bei der Hand ergriff: Ungera¬ thenes, entartetes Kind, muß ich Dich hier in ſolch ſauberer Geſellſchaft, in den Armen eines ehrvergeſſenen Verfuͤhrers aufſuchen?! Herr! begann ich im hoͤchſten Grade beleidigt, nur der Zorn giebt Ihnen dies uͤbereilte Wort ein! Wuͤßten Sie, wie treu ich Marien liebe, wie

151

Mit Ihnen, unterbrach er mich ſchnell, rede ich kein Wort, und Sie werden ſo gut ſein, uns zu verlaſſen. Ich verbitte daher alles Romanen¬ geſchwaͤtz!

Marie war ihrer nicht maͤchtig, ſie ſank er¬ ſchoͤpft dem gereizten Vater in die Arme. Ich ſtand ſtumm und wie vernichtet, ich hoͤrte nur noch die Schmaͤhungen, die er gegen die arme Antonie ausgoß, und entfernte mich auf einen Wink der letztern.

Es vergingen drei, vier Tage, ich vermogte keinen Entſchluß zu faſſen. Endlich ſchien es mir rathſam, an den Freiherrn zu ſchreiben, ihm meine Lage auseinander zu ſetzen, und um die Hand ſeiner Tochter zu werben. Antonie war nie im Hauſe anzutreffen, oder ſie verlaͤugnete ſich; von ihr hatte ich keinen Rath zu erwarten, und geſchehen mußte doch etwas. Ich ſetzte mich nieder, und ſchrieb in demſelben Augenblicke, als mir Maiberg meldete, das quaͤſtionirte Capital von 80,000 Thalern in Golde ſei gewonnen, und der Zahlungstermin feſtgeſetzt. Herzlicher, uͤber¬ redender konnte niemand ſchreiben, als ich es von meiner Liebe begeiſtert gethan; wurde der Frei¬ herr hierdurch nicht bewegt, ſo war mir Marie152 fuͤr immer verloren, Am Morgen ſandte ich den Brief in des Freiherrn Hotel, und gegen Abend empfing ich folgende Zeilen:

Mon chere Lieutenant!

Es ſtand zu vermuthen, was Ihr Brief ent¬ halten wuͤrde, und ich wollte anfangs Bedenken tragen, ihn zu erbrechen. Damit ich nicht fuͤr unbillig gelte, gab ich nach, und habe ihre An¬ traͤge geleſen. Sie haben einen nicht unbedeutenden Rechtshandel, je le sais; mais mon chere, ob er zu Ihren Gunſten ausfaͤllt, bezweifelt jeder Sachverſtaͤndige, denn Ihre Sache iſt critiſch, und ungerecht; çela en passant. Aber Sie ſind ohne Dienſt, und einem Bettler reicht mein Kind ihre Hand nie. Dies auf den erſten Theil Ihres Schreibens. Allein Sie ſind auch ferner refor¬ mirten Glaubens, meine Tochter dem catholiſchen ergeben, und nur Glaubensverwandte duͤrfen es wagen, ſich um meine Tochter zu bewerben, wonach ſich zu richten. Behelligen Sie weder mich, noch meine Tochter mit fernern unerwuͤnſchten Antraͤgen, und ſuchen Sie vor allen Dingen wieder einen Dienſt zu bekommen!

Ihr wohlaffectionirter Boromaͤus, Freiherr von und zu Struen.

153

Das ungluͤckliche Blatt flog in meiner Hand; ich ſank erſtarrt nieder, und waͤhnte mich im Arme irgend eines ſchrecklichen Traums. Aber das Erwachen zum wirklichen Leben erinnerte mich an die furchtbare Wahrheit deſſen, was ſich begeben: ich hatte ſie verloren! Antonie mogte von meinem letzten Schritte gehoͤrt haben, ſie verweigerte mir nicht mehr, mich zu ſehn, und geſtand mir unter heißen Thraͤnen, daß Marie fort ſei, niemand wiſſe wohin. Ich war wie vernichtet, keines Entſchluſſes faͤhig, und ſchwankte umher, wie ein Schatten. Ein dringender Brief von Maiberg lud mich zu ihm ein; er machte mir nebſt ſeiner Familie lebhafte Vorwuͤrfe, wes¬ halb ich gar nichts vor mir hoͤren und ſehn laſſe, und beſtellte mir herzliche Gruͤße von ſeiner Tochter Hannchen, welche auf vielleicht einige Jahre zu einer Tante gereiſ't war. Das gute Kind hing an mir mit ſchweſterlicher Innigkeit. Aber mein Himmel, was fehlt Ihnen? fragte mich Maiberg, und zog mich beim Arme in ſein Arbeitszimmer, ſagen Sie, junger Freund, was iſt Ihnen widerfahren? Ihr Prozeß ſteht trefflich, Sorgen von dieſer Seite koͤnnen nicht vorhanden ſein, und doch ſagt Ihre Miene, Ihre Leichenblaͤſſe, daß hier etwas vorgefallen ſein muß?

154

Maiberg war ja jetzt faſt mein einziger Freund; ich erzaͤhlte ihm die ganze Geſchichte, und fragte ihn um Rath.

Hm, hm! brummte er vor ſich hin, das iſt eine kitzliche Sache. Aber Sie thun mir herzlich leid. Ich weiß einen Weg, ich will ihn verſuchen; wenn der nicht gluͤckt, ſo giebt es keinen in der Welt weiter!

Und der waͤre? fragte ich neugierig und raſch.

Ich wende mich an den Probſt Kirchheim, vielleicht der einzige Freund des alten Struen, der einigen Einfluß hat, ſagte Maiberg ſchnell.

Kirchheim will mir wohl, erwiederte ich, aber ich zweifle nicht am Mißlingen dieſes Planes!

Nun, nur Muth! ſprach Maiberg troͤſtend. Und wenn es fehl ſchlaͤgt, waͤhlen Sie eine andere; bald gehoͤren Sie zu den reichſten Maͤnnern des Landes, und ich wollte das Maͤdchen ſehn, das bei Ihren uͤbrigen Eigenſchaften nicht gleich zufaſſen wollte! Ich fuhr nach der Reſidenz zuruͤck. Nach vierzehn Tagen meldete155 mir Maiberg, meine Vermuthung ſei eingetroffen, und auch dieſer Plan fehlgeſchlagen. Der Lega¬ tionsrath war durch den Probſt, ſeinen Oheim, von meiner Angelegenheit unterrichtet worden; er eilte zu mir mit der Nachricht, daß Marie wahrſcheinlich einem Grafen die Hand reichen werde, der ſchon fruͤher um ſie geworben, der aber die Reſidenz noch nicht wieder betreten. Seinen Namen wiſſe er nicht, doch muͤſſe er wahrſcheinlich Marien bereits im Hauſe ihres muͤtterlichen Großvaters in N. kennen gelernt haben.

Die Reſidenz ekelte mich an; Maibergs freundſchaftliches Anerbieten, zu ihm zu ziehn auf ſein freundliches Landgut, ſchlug ich nicht aus, und nahm mit warmen Thraͤnen von An¬ tonien und ihrer Mutter auf eine lange Zeit Ab¬ ſchied. Nach einem halben Jahre hoͤrte ich, daß der ſtolze Freiherr, der allenthalben durch ſein anmaßendes Weſen angeſtoßen, die Reſidenz ver¬ laſſen habe, weil er bei Hofe in Ungnade gefallen ſei. Sechs Monat ſpaͤter erſchallte die Nachricht, Marie ſei vermaͤhlt, doch herrſchten verſchiedene Anſichten daruͤber, wer ihr Gemahl ſei. Daß die Arme gezwungen war, bezweifelte ich nicht, und ſuchte ein thaͤtiges Leben auf. Mein Prozeß war nach Jahresfriſt gewonnen; aber ich konnte156 mich in meinem Schmerze des Gutes nicht freun. Ich nahm Kriegsdienſte; das Gluͤck begleitete mich, und als die Friedenspalme wehte, kehrte ich als Oberſt in meines Freundes Maiberg Arme zuruͤck. Ich hatte ihm kurz vor meiner Ankunft Nachricht gegeben, wann ich eintreffen wuͤrde, und nun empfing mich die befreundete, liebenswuͤrdige Familie mit der alten, bewaͤhrten Herzlichkeit. An Hannchens Hand traten mir die juͤngſten Kinder jubelnd entgegen, und brachten mir den freundlichſten Willkommen. Hannchen, hatten ſie die wenigen Jahre, welche ich ſie nicht geſehn, ſo veraͤndert, war Mariens Bild in den Hintergrund meines Herzens getreten, Hannchen uͤberraſchte mich durch ihre herangebluͤhte Schoͤn¬ heit eben ſo ſehr, als durch die treu erhaltene Anhaͤnglichkeit an mich, und mit einem Freuden¬ ſchrei flog ſie an mein Herz!

Maiberg freute ſich meiner Zuneigung zu ſeinem Kinde, das er ſo ſehr liebte. Ich mußte dem gefuͤhlvollen Maͤdchen von Marie erzaͤhlen, von meinem Schmerze, meinen zertruͤmmerten Hoff¬ nungen. Nur an der Seite eines ſo reinen Engels, als Johanne, hatte die Ruͤckerinnerung weniger Herbes; ſie ſtand meinem Herzen nah, und ehe es ſich Maiberg verſah, warb ich um157 ihre Hand. Maiberg war verwundert, uͤberraſcht, aber mit Freuden ſegnete er einen Bund, den unſere Herzen geſchloſſen. Meine Johanne be¬ reitete mir den Himmel auf Erden, ihre Engels¬ guͤte, ihre Reinheit waren nicht fuͤr dieſe Welt, wo ſo viel Falſch iſt; darum riefen ſie auch die Geiſter des Himmels in ihre beſſere Heimath. Nur zwei Jahre lebte ich an der Seite meines Hannchens, und Du kannteſt Deine Mutter kaum mein Sohn.

Mehrere Jahre nach dem Tode der Unver¬ geßlichen beſuchte ich Carlsbad zur Herſtellung meiner Geſundheit. Eines Abends durchſtreifte ich die Promenade, die gerade ganz menſchenleer zu ſein ſchien. Vor mir aber ging eine Dame mit einem kleinen Maͤdchen, das einen Kranz ge¬ wunden hatte, der mit einem Male dem ſpielenden Haͤndchen entfiel, und von den Wellen des nahen Waſſers fortgeſchwemmt wurde. Ich fiſchte den Blumenſchatz aus der feuchten Tiefe mit meinem Stocke auf, und reichte ihn dem laͤchlenden Kinde hin. Jetzt blickte ſich die Mutter deſſelben nach mir um; Gott, es war Marie! Sprachlos ſtand ich ihr gegenuͤber; ſie hatte auch mich wieder erkannt, und mir ihre ſchoͤne Hand reichend, ſagte ſie: So finden wir uns wieder?

158

Ich mußte ihr von meinem Leben Bericht erſtatten; ſie freute ſich, daß ich an Hannchens Seite gluͤcklich geweſen war, und theilte mir kurz mit, daß ſie nach langen Überredungen endlich dem Grafen von Blumenau ihre Hand gereicht, beſonders da man ihr von mir erzaͤhlt, ich habe ſie laͤngſt vergeſſen und ergoͤtze mich an meinen errungenen Reichthuͤmern. Ihr Gemahl war nicht mit im Bade, und taͤglich war ich in Ma¬ riens Geſellſchaft; die Zeit meiner Liebe lebte vor mir auf, ein ſuͤßes Weh durchbebte mein Herz, und ich ſah ein, daß es beſſer waͤre, der Gefahr zu entfliehn, und alte Wunden nicht wie¬ der aufbrechen zu laſſen. Am Abende vor meiner Trennung von Marien, ich wußte, daß ihr Gemahl ſie ſchonend, liebevoll und edel behandelte, bekannte ich ihr den herzlichen Wunſch, daß ihre Tochter Albertine einſt die Gattin meines Sohnes werden moͤge. Sie verſprach mir, wenn in einem reifen Alter eine Neigung ihres Kindes die Aus¬ fuͤhrung dieſes Planes unterſtuͤtze, nur Dir, mein Sohn, ihren muͤtterlichen Segen zu ertheilen.

Ich reiſ'te ab, und habe ſeit der Zeit Marien nicht wieder geſehn. Ich vermied ein Zuſammen¬ treffen, weil ich des Grafen heftige Gemuͤthsart und ſeine Eiferſucht durch einen Freund kannte,159 der ſein Vertraun beſaß. Aber an Nachricht fehlte es mir nie, eben ſo wenig an herzlichen Gruͤßen von Marien.

Du weißt nun meinen letzten Wunſch; ich fuͤhle, ich werde bald bei meinem Hannchen ſein; aber Dich moͤgt 'ich noch einmal an meine vaͤ¬ terliche Bruſt druͤcken. Drum eile, mein geliebter Sohn, eile in meine Arme, daß Du den Seegen Deines Vaters empfangeſt.

8. Der Brief.

Blauenſtein war mit den Blaͤttern von der Hand ſeines Vaters zu Ende. Die letzten Seiten waren unleſerlich und mit weniger Zuſammen¬ hang geſchrieben, ſo daß man vermuthen konnte, Koͤrperſchwaͤche haͤtte ihn abgehalten, mehr auszu¬ fuͤhren, als es gegen das Ende ſeiner Mitthei¬ lungen der Fall war. Wie ſonderbar, wie hoͤchſt ſonderbar! rief Blauenſtein, den letzten Bogen der Lebensgeſchichte ſeines Vaters in der zitternden Hand haltend. Mußte ſich dies Alles zu einer Zeit ſo geſtalten, wo ich ohne Hoffnung, nichts160 als ein wundes Herz mit mir trage? Es ſcheint, als ruhe auf unſerm Hauſe ein Fluch; denn des hoͤchſten Gluͤckes, ein theures, innigge¬ liebtes Weib zu beſitzen, ſoll ſich niemand von uns erfreun! Aber ohne ſie leben, ohne Tina durchs Leben gehn, wie ſchaal, wie erbaͤrmlich waͤre das! Nein, das Schickſal kann ſo hart nicht ſein, es hat ſeine Opfer empfangen, wenn es ſie zu fordern berechtigt war. Aber Staunitz? Er vermogte kein Licht zu gewinnen, und ver¬ langte doch ſo ſehnlich danach. Am rathſamſten ſchien es ihm, nach langer Überlegung und Pruͤ¬ fung, Tina zu meiden, und wo moͤglich eine Wunde zu heilen, die immer tiefer und gefaͤhrlicher zu werden drohte. So vergingen einige Tage im freudeleeren Hinbruͤten, als ploͤtzlich der Poſt¬ bote einen Brief von einer unbekannten Hand brachte. Blauenſtein oͤffnete, und erſtaunte nicht wenig, als er am Ende deſſelben den Namen Staunitz las. Der Brief lautete folgendergeſtalt:

Blumenau im Febr. 18..

Muß ich Sie, mein verehrter Baron, an eine Nachricht von ſich mahnen, die Sie uns Allen ſeit Monden ſchuldig geworden ſind? Faſt vermuthen wir, es moͤge ſich etwas ereignet haben,161 was Ihnen ſchmerzlich ſein, was Sie fuͤr einige Zeit der heitern Sphaͤre Ihres Lebens entziehn muß. Meine Albertine fragt mich taͤglich mit einer gewiſſen Beſorgniß, wie es komme, daß Sie nichts von ſich hoͤren ließen. Sie kennen die Ängſtlichkeit des ſchoͤnen Geſchlechts, beſonders in einem ſolchen Falle, wie der gegenwaͤrtige; der liebenswerthe Lebensretter meines kuͤnftigen Schwiegervaters hat ſich zu ſehr unſere Anhaͤng¬ lichkeit erworben, als daß wir fuͤr ihn nicht beſorgt ſein ſollten. Wie dem auch ſei; Sie kennen die Veraͤnderlichkeit des Geſchicks; daher moͤgten Sie auch in unſerm Kreiſe Manches veraͤndert finden, und eine Nachricht uͤber Ihr Wohlbefinden, am meiſten uͤber Ihren hoͤchſt angenehmen Be¬ ſuch waͤre fuͤr mich, uns Alle, hauptſaͤchlich fuͤr jemand erwuͤnſcht, den Sie ſelbſt mit Ihrem ge¬ woͤhnlichen Scharfſinn errathen moͤgen. Meine Braut weiß zwar nicht, daß ich ſchreibe, und ich kann demnach keine Gruͤße von ihr bringen; aber ſein Sie ihres herzlichen Wohlwollens gewiß. Wie waͤre auch der freundliche, holdſelige Engel einer Verſtellung faͤhig? Alſo nochmals, kommen Sie bald hieher; begruͤßen Sie den Lenz mit uns, oder ſchreiben Sie bald

Ihrem treuergebenen Staunitz.

11162

Was war das nun wieder fuͤr eine ſonderbare Nachricht, wie vieldeutig dieſer im ganzen ſo ſchmeichelhafte Brief? Was ſollte, was konnte ſich in Blumenau veraͤndert haben? Wußte etwa Staunitz oder Tina um das Teſtament, um den innigen Wunſch des Verſtorbenen, und wollten beide zu Gunſten Blauenſteins ſich entſagen? Aber nein, das war ja nicht moͤglich, weshalb ſollte auch Staunitz der Comteſſe nur als ſeiner Braut Erwaͤhnung thun, da er doch hatte frei reden koͤnnen! So viel hatten nun die geheim¬ nißvollen Zeilen bewirkt, daß Blauenſteins Plaͤne im Betreff der Entſagung zerſchellten, das war nicht zu laͤugnen. Den Brief mit Stillſchweigen uͤbergehn, das waͤre unartig geweſen, jetzt gleich nach Blumenau zu reiſen ging auch nicht, denn noch war die ſchmerzliche Wunde, die ihm des Vaters Tod geſchlagen, zu neu, ohnehin die Zeit zum Reiſen hoͤchſt unguͤnſtig, und es blieb nichts uͤbrig, als Staunitz ſogleich zu antworten.

Blauenſtein flog zum Pulte; er wollte die Zeit nuͤtzen, und ſchrieb in ſeiner augenblicklichen Aufregung, daß er durch den Verluſt ſeines Vaters eine neue Wunde zu einer bereits geſchlagenen erhalten, daß er unmoͤglich ſo bald wieder an einen Ort zuruͤckkehren koͤnne, wo er des Lebens163 hoͤchſte Seeligkeit, aber auch das ſchmerzlichſte Wehe ſeiner Bruſt empfunden. Er faͤnde ſeinen Troſt in ſtiller Entſagung, und ſo unausſprechlich theuer ihm die Erinnerung an ſeinen Aufenthalt im Hauſe des Grafen an der Seite der unver¬ geßlichen Albertine, ſo wie Staunitz freundſchaft¬ liches Wohlwollen ſein muͤſſe, ſo koͤnne er doch nicht vergeſſen, daß das Gluͤck der Liebe fuͤr ihn ſtets verloren ſei, u. ſ. w. Der Brief wurde ge¬ ſiegelt und nach der Poſt geſandt.

Aber es war doch wohl zu viel geweſen, was er geſagt; was mußte Staunitz von dieſer offen¬ baren Liebeserklaͤrung denken, denn weiter war es eigentlich nichts, was die feine Albertine, wenn ihr Staunitz, und das ſtand zu erwarten, den ſaubern Brief zeigte! Es wurde Blauenſtein ganz angſt um's Herz, es lief ihm bald ſiedend¬ heiß, bald eiſig kalt uͤber den Ruͤcken. Koſte es auch, was es wolle, der Brief durfte nicht fort, er mußte zuruͤckgebracht werden!

In der Verzweiflung lief er ſelbſt nach dem Poſtamte; vor einer Stunde war eine Eſtaffette abgegangen, und man hatte ſeinen Brief mit beigelegt.

11*164

Es blieb nichts uͤbrig, als ſich in die Sache zu finden, und Blauenſtein hoffte auf einer Reiſe nach ſeinen Guͤtern den Kummer und die ganze aͤrgerliche Geſchichte zu vergeſſen. Der Maͤrz war ungewoͤhnlich heiter und anmuthig; der Secretair Blum redete zu, und Blauenſtein reiſ'te ab. Aber konnte er ſich aus dem Sinne ſchlagen, was ihm das Liebſte jetzt war auf dieſer Welt, konnte er hineingreifen in das Herz, und Albertinens laͤchlendes Liebesbild herausreißen? Sie war, ſie blieb ſein einziger Gedanke; ihre Liebenswuͤrdig¬ keit war eben ſo wenig zu vergeſſen, wie Staunitz raͤthſelhaftes Schreiben, und wollte er das ſeinige verbeſſern, ſich uͤberhaupt in einem guͤnſtigern Lichte zeigen, ſo blieb am Ende nichts uͤbrig, als nach Blumenau zu reiſen. Er uͤberlegte hin und her; die Adminiſtratoren ſeiner Guͤter, welche dem jungen Herrn ihre Huldigung dargebracht, wußten ſich in ſein Benehmen nicht zu finden, und meinten, in ſeinem Kopfe muͤſſe es nicht richtig ſein, aber zu einem Entſchluß zu kommen, war ihm rein unmoͤglich. Allen veranſtalteten Feſten wohnte er mit der groͤßten Zerſtreuung bei, er wußte auf die wohlſtudirten Reden ſeiner ihn empfangenden Prediger keine Sylbe zu ſagen, weil er ihre kunſtreichen Worte gar nicht gehoͤrt; vollends waren alle Eſſereien und Gaſtmaͤhler165 ihm herzlich zuwider, und doch mußte das Alles ertragen werden. In Bohlingen, dem Stamm¬ ſchloſſe ſeiner Familie, hatten ſich alle Beamte und Diener verſammelt, um dem neuen Guts¬ herrn ihre Huldigungen darzubringen; der letztere veranſtaltete demnach ein großes Diner, und ſpaarte keine Koſten, um ſich bei ſeinen Leuten in Liebe und Ehre zu erhalten. Aber ließ ihm denn die ganze Zeit waͤhrend des Tiſches der Gedanke an Tina Ruhe? Er rang nach Licht, nach Aufklaͤrung, er zerbrach ſich den Kopf, was eigentlich Staunitz in ſeinem Briefe mit ſo Manchem habe ſagen wollen, und dennoch war kein Herauskommen! Endlich war das Eſſen zu Ende; man heftete theils beſorgte, theils mitleidige Blicke auf den Spender ſo vieler Herr¬ lichkeiten, denn man hielt ihn fuͤr krank oder halb verruͤckt; ein junger Pachter, der in den Contract ſeines Vorgaͤngers eingetreten war, wagte kaum das Inſtrument Blauenſtein zum Unterzeichnen vorzulegen, bis ſich ſein Vater ein Herz nahm, und dem Gutsherrn das Papier uͤberreichte. Blauenſtein hatte kurz vorher ſchon uͤber die Sache geredet; er nahm die Feder und tauchte ein. Aber die Buchſtaben tanzten vor ſeinen Augen wie ſchwaͤrmende Muͤcken, und mit Schrecken gewahrte er, daß er ſtatt ſeines Namens166 ſehr deutlich Albertine unter den Contract geſchrieben. Nein, das ſollte, das mußte anders werden; er durchſtrich den Namen mit einem breiten Zuge, ſetzte den ſeinigen darunter, und rief mir ſolcher Haſtigkeit nach ſeinen Pferden, baß jedermaͤnniglich meinte, der Herr Baron muͤſſe vom leibhaftigen Satan beſeſſen ſein.

Der Kammerdiener packte in aller Eile die noͤthigſten Sachen zuſammen, und nach einer halben Stunde ſaß der Ungeduldige in ſeinem Reiſewagen. Der Mai hatte bereits ſein Reich begonnen; die Waͤlder belaubten ſich mit neuem Gruͤn, und zwitſchernde Voͤgel wiegten ſich auf den duftigen Laubaͤſten. Wie anders war es jetzt, gegen die Reiſe im verwichenen Spaͤtherbſt! Der Unmuth wich aus Blauenſteins Herzen, ſein Blick heiterte ſich auf und neue, erhebende Hoff¬ nungen ſchwellten ſeine Bruſt!

Die anhaltenden Regenguͤſſe hatten die Wege ſchlecht und uneben gemacht; die Eile, mit welcher Blauenſtein ſeinem Ziele entgegen flog, war dem Wagen hoͤchſt nachtheilig, und in dem letzten Staͤdtchen vor Blumenau brach die rechte Vor¬ deraxe. Es blieb daher nichts uͤbrig, als die Herſtellung des Fuhrwerks im Wirthshauſe abzu¬167 warten. Das einzige Gaſtzimmer der Kneipe, denn ein Hotel war hier nicht einmal dem Namen nach bekannt, hatte bereits ein Fremder occupirt, den ein aͤhnliches Abentheuer hier feſt¬ gebannt. Er trat in demſelben Augenblicke aus der Thuͤr der Stube, und Blauenſtein er¬ kannte den liebenswuͤrdigen franzoͤſirten Anton, deſſen Bekanntſchaft er waͤhrend des Balles in Blumenau gemacht.

Eh bien bon jour wertheſter Baron! rief er grinſend Blauenſtein entgegen, und beehrte ihn mit einer Umarmung. Sans doute auf einer Reiſe zu der aimablen Comteſſe Albertine?

Nein, erwiederte der Befragte, und bemuͤhte ſich, gleichguͤltig auszuſehn, ich reiſe in Ge¬ ſchaͤften!

So ſo! nahm der andere das Wort. Ich glaubte in der That, Sie reiſ'ten nach dem ro¬ mantiſchen Blumenau. Mais mon dieu! wie ſchnell wird man in ſeinen Erwartungen getaͤuſcht; ich habe vor wenigen Stunden erfahren, daß die Comteſſe in der That nicht die treueſte Braut ſein ſoll. Oft gehn laͤcherliche Geruͤchte herum, aber hier iſt es Ernſt.

Wie ſo? fragte Blauenſtein beſtuͤrzt.

168

Nun, fuhr der andere hoͤhniſch fort, und lachte recht teufliſch in ſich hinein, die Parthie mit dem Staunitz hat ſich zerſchlagen, weil er die Comteſſe auf Dingen ertappt hat, die ein Braͤutigam ſich nicht gern gefallen laͤßt. Sie haͤlt ſich in den Armen eines Andern ſchadlos, und wenn ſie nicht bereits entfuͤhrt iſt, ſo wird es naͤchſtens geſchehn! Aujourd'hui ce n'est plus çela, et l'amour va cahin, caha!

Albertine entfuͤhrt? rief Blauenſtein er¬ ſchrocken aus. Aber das iſt ja nicht moͤglich, ein ſolcher Engel kann ſo nicht ſinken; das iſt ſchaͤndliches Gewaͤſch irgend eines Neidiſchen. Ich kenne die Comteſſe zwar nur ſeit kurzer Zeit, aber ein edles Herz verbirgt ſich den Blicken nicht!

Sie ſind alterirt, lieber Baron, ſagte An¬ toͤnchen ruhig; aber es iſt ſo, und was den Edelmuth ihres Herzens belangt, ſo muͤſſen Sie bedenken, daß die aͤußere Schoͤnheit unſer Urtheil leicht beſticht. Die Comteſſe hat feuriges Blut; ich zweifle keineswegs an dem, was ich Ihnen eben ſagte, und bedaure nur den Braͤutigam. Denn das Gerede der Menſchen muß ihm hoͤchlich zuwider ſein. Mais, pardonnez, ich brachte169 vielleicht unwillkommene Bothſchaft, denn Sie ſind ganz blaß. Reden wir von andern Dingen.

Woher haben Sie Ihre Nachrichten? fragte Blauenſtein raſch.

Wie geſagt, entgegnete Antoͤnchen freundlich, aus reiner Quelle.

Herr! rief Blauenſtein gereizt, und ahnete, daß der ſchaͤndliche Verlaͤumder ſich vielleicht nur einen niedrigen Scherz erlaube, mich geht die Comteſſe nichts an, aber ſind Ihre Geſchichten eine Erfindung von Ihnen, ſo ſind Sie ein Kind des Todes!

Er wollte den erſchrockenen Narren beim Kragen faſſen, aber Antoͤnchen ſprang mit fran¬ zoͤſiſchen Katzenſpruͤngen uͤber die Hausflur in ſein Zimmer, und ſchloß hinter ſich in aller Eile ab.

Blauenſtein ging ſelbſt nach der Schmiede, um nach dem Wagen zu ſehn, denn es litt ihn nicht mehr in der unausſtehlichen Naͤhe des ſchaͤnd¬ lichen Verlaͤumders. Konnte Tina wirklich, aber nein, das war ja niedertraͤchtige Erfindung170 der laurenden Bosheit; ſie war beſtimmt rein, ſchuldlos wie ein Engel der beſſern Welt. Aber Gewißheit mußte er haben, und zwar ſo bald wie moͤglich. Der nothduͤrftig reparirte Wagen fuhr vor, und in kurzer Zeit war Blumenau er¬ reicht. Blauenſtein ſtieg in der Naͤhe des Parks aus, befahl ſeinen Leuten, langſam vorauf zu fahren und ging in den Garten, der von tauſend friſchen Bluͤthenkindern prangte und duftete. War nicht im Garten, rechts vom Schloſſe jemand? Beinahe eine Figur wie Tina; neben ihr ſaß ein junger Mann, vielleicht Staunitz; nein, der war es nicht. Himmel, wenn Antoͤnchen doch recht gehabt haͤtte, denn Tina erhob ſich lachend und ſchaͤkernd, Blauenſtein war unvermerkt naͤher gekommen, und konnte es ganz deutlich ſehn, klopfte dem Menſchen die Wangen und, ja wahrhaftig, und ſetzte ſich ihm auf den Schooß! Nicht genug, ſie ſchlang den vollen Arm um ſeinen Nacken, und druͤckte ihm einen Kuß auf die ſchwellenden Lippen. Blauenſtein war es, als fiele er herab vom Himmel in den Tartarus, ſein Auge fuͤllte ſich unwillkuͤhrlich mit Thraͤnen. Er ſuchte ſich zu faſſen und that einen Schritt vorwaͤrts. Was ging es ihn auch an, daß die Comteſſe ſich ſo ungemein vergaß, und mit einem jungen Schaͤfer in der Laube liebelte und koſ'te,171 ſie war ohnehin fuͤr ihn verloren, mogte ſie daher ihre Ehre brandmarken, oder nicht, es mußte ihm gleichguͤltig bleiben. Gleichguͤltig? wie Schuppen fiel es ihm jetzt von den Augen, die veraͤnderten Verhaͤltniſſe, von denen Staunitz in ſeinem Briefe ſprach, hier hatte er ſie ja lebendig vor ſich! Sie war mit Staunitz wegen einer neuen Lieb¬ ſchaft zerfallen, und dieſer hatte die loͤbliche Ab¬ ſicht, ihn, als Blauenſtein, von ſeiner Neigung zu Tina zu heilen. Ja, ſo war es beſtimmt, und Antoͤnchen hatte er zu viel gethan.

9. Liebe und Irrthum.

Blauenſtein war im Begriff einen andern Weg zum Schloſſe zu waͤhlen, um der verliebten Comteſſe Albertine durch ſein ploͤtzliches Erſcheinen eine Verlegenheit zu erſparen. Aber Tina machte indem eine Bewegung des Kopfes nach der Seite, wo Blauenſtein herkam, ſie erkannte ihn im Augenblick, ſtieß einen kleinen Schrei des Schreckens aus, ſie mogte ſich ihrer ſchweren Schuld bewußt172 ſein, und kam ihm erroͤthend und mit zarter Zuvorkommenheit, in der doch ſo viel Sitte lag, entgegen. War denn ſeinem armen Herzen zum Trotz das Maͤdchen in den wenigen Monaten noch ſchoͤner geworden, hatte ihm die friſche, belebende Mailuft den zarten Sammt der Wange noch lieb¬ licher uͤberpurpurt, dem ſchmachtenden Blicke des Seelenauges noch innigern Reiz verliehn, Blauen¬ ſtein blieb vor ihr ſtehn, und ſtammelte irgend eine Entſchuldigung muͤhſam hervor.

Sie haben mich recht erſchreckt, erwiederte Tina freundlich, wenn uns ſchon Staunitz Ihren Beſuch ankuͤndigte. Ich ſaß mit Bruder Emil in der Laube, aber beſtimmt haben Sie uns von Weitem

Ihr Bruder, Fraͤulein?! rief Blauenſtein in der hoͤchſten Überraſchung, und Tina fuͤhrte den jungen, liebenswuͤrdigen Mann ihm entgegen. Wie ungeheuer hatte er das Maͤdchen verkannt, wie hatte er ſich verblenden laſſen von ſeiner Hitze, wo er doch ſeiner Sache haͤtte gewiß ſein ſollen. Kindiſch freute er ſich ſeines Irrthums, und erwiederte des jungen Grafen Worte mit ver¬ bindender Freundlichkeit und Laune. Der letztere war ſeit wenigen Tagen in das elterliche Haus zuruͤckgekehrt; er liebte ſeine Schweſter mit inni¬173 ger Zaͤrtlichkeit, und Tina erwiederte dieſe Liebe in demſelben Grade. Die jungen Leute waren noch nicht recht im Gange der Unterhaltung, als Staunitz mit Vetter Heinrich aus dem Hauſe trat, und den Gaſt mit lebhafter Freude umarmte. Er mußte erzaͤhlen von ſeiner Reiſe, von dem ploͤtzlichen Hintritt ſeines Vaters, bei deſſen Er¬ waͤhnung Blauenſtein unwillkuͤhrlich in ſeine alte Melancholie verfiel. Staunitz druͤckte ſeine Hand lebhaft, und fuͤhrte ihn dem alten Grafen ent¬ gegen, der ſo eben die Ankunft ſeines jungen Freundes erfahren hatte. Jetzt erſt fiel es dem letztern ſchwer auf's Herz, daß der Graf wohl uͤber ſeinen ploͤtzlichen Beſuch, den eigentlich nur eine Einladung von Seiten Blauenſteins ver¬ urſacht hatte, befremdet ſein muͤſſe. Aber der alte Herr bewillkommnete ihn mit freundlicher Herzlichkeit, und indem er ſein Beileid uͤber den Tod des Generalmajors ſehr theilnehmend aus¬ ſprach, meinte er, die Zerſtreuung des Landlebens werde ſeinen Schmerz mindern. Tante Letty war gluͤcklicher Weiſe nicht in Blumenau gegen¬ waͤrtig, ein ziemlich heftiger Streit mit dem Grafen, Tina betreffend, hatte ſie ſo erbittert, daß ſie auf einige Zeit zu einer Verwandten gereiſ't war, wo ſie ihrem gepreßten Herzen Luft machen zu koͤnnen glaubte.

174

So ſehr ſich Blauenſtein ſeiner Anweſenheit in Blumenau freute, denn er war ja in ihrer Naͤhe, er athmete ja mit ihr eine Luft und durfte in die blauen Seelenaugen des Himmelskindes ſehn, die in zarter Liebesſehnſucht ſchwammen, er fuͤhlte eine Bangigkeit, eine Angſt, die er ſich nicht gern erklaͤren mogte. Seines Vaters lieb¬ ſter Wunſch war es geweſen, daß er ſie zu ſeiner Gattin erwaͤhle, und nun war ſie einem andern geworden, was ſie ihm haͤtte ſein ſollen, nein, es war nicht zu ertragen! Staunitz ſah den ſonderbaren Zuſtand Blauenſteins, er hatte es ſo zu veranſtalten gewußt, daß beide auf einem Zimmer wohnten, und als ſie nach dem Nacht¬ eſſen daſſelbe aufſuchten, um der Ruhe zu genie¬ ßen, fragte Staunitz: Was fehlt Ihnen, mein Freund? Soll, darf ich errathen, was in Ihnen vorgeht?

Sie ſprachen. erwiederte Blauenſtein, und wandte ſein erroͤthendes Geſicht ab, Sie ſprachen in Ihrem Briefe von Veraͤnderungen im Hauſe, ich habe bis jetzt nicht bemerkt, worin dieſe be¬ ſtehn koͤnnten. Aber worin wollen Sie den Grund meines Truͤbſinnes finden?

Nun, wir wollen uns nicht vor uns ſelbſt175 verbergen, ſagte Staunitz, und ergriff Blauen¬ ſteins Hand; ich ehre Ihr Zartgefuͤhl und wuͤnſche Ihnen Gluͤck. Nicht wahr, ich hoffe, Sie werden mir Ihr Herz nicht verſchließen, Sie lieben Albertine?

Blauenſtein gerieth uͤber dieſe kitzliche Frage in Verlegenheit und wollte ausbiegen; aber Stau¬ nitz fuhr nur deſto dringender fort: Sie thun mir namenlos wehe, wenn Sie nicht aufrichtig ſind; ich weiß, Sie fuͤrchten, mich mit einem Geſtaͤndniß zu beleidigen, das ich wohl erwarten darf; aber ſo wiſſen Sie denn, daß

Ich begreife Sie nicht! rief Blauenſtein verwundert aus. Was kann Ihnen daran liegen, die Geſtaͤndniſſe eines mit ſich ſelbſt halb Zer¬ fallenen zu vernehmen! Aber ich will offenherzig gegen Sie ſein, mag daraus entſpringen, was da will, ja, ich liebe Albertine mit aller Kraft meiner Seele, aber ich habe Muth, dieſe Liebe zu be¬ kaͤmpfen, denn ich muß ihr ja entſagen! Als ich ſie ſah, da geſtaltete ſich mein Leben neu und freudig, ich hatte ſie gefunden, ich ſchwelgte in dem kurzen Gluͤcke der jungen Liebe. Da trat mir das Schickſal hoͤhniſch entgegen, und foderte das Opfer der Entſagung. Ich weiß, was ich176 verliere, aber ich weiß auch, daß ich dieſes edlen Herzens nicht werth bin! Und nun, wenn Sie mich lieben, wenn Sie mein Freund bleiben wollen, nie, niemals hiervon ein Wort mehr, oder es druͤckt mir das Herz ab!

Sonderbarer Menſch, ſagte Staunitz und ſah ihm in's feuchte Auge, ſonderbarer Menſch, Sie wollen, daß ich hieruͤber ſchweige? Nein, das kann ich wegen Ihres eigenen Wohles nicht; ich freue mich Ihrer Liebe zu Tina, denn ſie kann nie die Meine werden!

Wie! rief Blauenſtein ganz uͤberraſcht, und auf ſein gepreßtes Herz ſchien ſich das ganze Rieſengebirge zuwaͤlzen. Sie kann nie die Ihre werden? Alſo haͤtte mich meine Ahnung nicht getaͤuſcht, und jener verlaͤumderiſche Narr haͤtte am Ende doch recht gehabt?

Welcher Narr kann Ihnen etwas von Tina und mir geſagt haben? erwiederte Staunitz ruhig. Aber kehren Sie ſich an kein Geſchwaͤtz, Tina iſt frei, wenden Sie ſich an ihr Herz, und Ihre Wuͤnſche ſind der Erfuͤllung nahe. Weiter mag und kann ich Ihnen fuͤr heute nichts mit¬ theilen; morgen mehr, ich fuͤhle mich ergriffen177 und unwohl. Gute Nacht denn, und ſchoͤne Traͤume!

Noch ehe Blauenſtein eine neue Frage thun konnte, oͤffnete jener die Thuͤre des Schlafcabi¬ netts und verſchwand. Alſo, ja ſo war es ohne allen Zweifel, Antoͤnchen hatte die Wahrheit geſagt, wenn ſeine Bosheit auch vielleicht Manches in einem grellen Lichte zeigte. Staunitz war der Koquette muͤde, er zog ſeinen Kopf aus der Schlinge und wollte ihm die verlaſſene Braut aufſchwatzen. Sollte wohl Staunitz das ver¬ moͤgen? Aber warum hatte er ihn ſo langſam auf das Alles vorbereitet, warum war er ſo dringend? Und dann lag ja in ſeinem ploͤtzlichen Übelbefinden, daß er ſich nicht ſchuldlos fuͤhlte, daß er in Blauenſteins Gegenwart die innern Vorwuͤrfe nicht mehr ertragen konnte. Nein, dachte der letztere bei ſich, da irrt ſich der gute Freund, ſeine geheimen Wege ſind noch zu er¬ kennen, ſeine Cabalen zu ergruͤnden. Blauen¬ ſtein fuͤhlte ſich erſchoͤpft, er mogte nicht weiter nachdenken, eine innere Stimme ſprach fuͤr Tinas lautern Werth, und doch zeugten faſt alle Um¬ ſtaͤnde gegen ſie! Der Schlaf, er erquickt ja mitleidig jeden Muͤden und jedes Gequaͤlten Herz, der Schlaf ſenkte ſich auf ſeine Augen,12178und verworrene Traͤume gaukelten vor ſeiner Seele.

Am andern Morgen, er war hell und ungetruͤbt, durchzog Oncle Heinrich nach ſeiner gewohnten Weiſe den Park, ſchaute immerwaͤhrend nach dem Zimmer der jungen Maͤnner, und rief, als dies nichts fruchtete, Blauenſteins Namen. Der letztere war fruͤh erwacht; er fuͤhlte ſich wohl und heiter, die Sorgen hatte der ſuͤße Schlaf verſcheucht, und er folgte auf Heinrichs Ruf in den duftenden Garten. Tauſend junge Bluͤthen neigten ihr Haupt dem erquickenden Strahle der Fruͤhſonne entgegen, und glaͤnzten in den Perlen des Thaus, der ſich wie Diamanten im Lichte ſpiegelte, und er haͤtte einer Grille, denn war es die nicht eigentlich, da er uͤber Tinas Verhaͤltniſſe ſo viel als nichts mit Beſtimmtheit wußte, er haͤtte dieſer Grille zum Opfer werden ſollen?

Sagen Sie, Freund, hob Oncle Heinrich an, als beide mit einander die Lindenallee erreicht hatten, in der ſich eine Schaar zwitſchernder, lebensheiterer Voͤgel herumjagten, ſagen Sie, iſt Ihnen nichts Neues bei uns aufgefallen? Oder hat Vetter Staunitz ſeinem Herzen ſchon Luft gemacht, und Ihnen erzaͤhlt?

179

Allerdings hat er mir geſagt, entgegnete Blauenſtein, daß er Albertinens Hand ent¬ ſagt habe.

Entſagt? rief Heinrich lachend, Nun ja, eine charmante Art der Entſagung, der ich mir jeden Falls auch nicht zum Kummer werden ließe! Aber den Grund hat er noch verſchwiegen, nicht wahr?

Ich geſtehe, erwiederte Blauenſtein in eini¬ ger Verlegenheit, ich geſtehe, daß ich den Grund noch nicht erfuhr, daß daß mir vor ihm bangte. Denn was kann Staunitz abhalten, dieſem edlen Maͤdchen ſeine Hand zu reichen?

Pots Schweden und die Propheten, platzte Heinrich hervor, was bilden Sie ſich ein? Nein, mein liebes Blauenſteinchen, ſein Sie außer Sorgen, dieſer Grund iſt ſehr triftig und wirft auf unſer Tinchen kein ſchlechtes Licht. Denn, hoͤren Sie und ſtaunen Sie, Vetter Staunitz, noch kaum nach unſerm Defuͤrhalten Tinchens Verlobter, iſt ſeit einem Jahre hoͤchſt gluͤcklich verheirathet!

Verhei rathet? fragte Blauenſtein, und12 *180das Wort blieb ihm vor Erſtaunen beinahe im Munde ſtecken. Nein, das habe ich mir auch im Traume noch nicht beikommen laſſen. Aber Comteſſe Albertine?

Nun, ſagte Heinrich ſchmunzelnd, Die iſt wohl und munter wie ein Fiſchchen; ſie hat laͤngſt darum gewußt, und mir iſt die Sache auch ſo recht. Denn mir wollen die Heirathen unter nahen Verwandten einmal nicht gefallen, und dann liebten ſich auch die jungen Leute nicht wie Braͤutigam und Braut, ſondern wie alte gute Freunde. Aber wie eigentlich ſeine verdammte Heirathsgeſchichte zuſammenhaͤngt, will er mir nicht eher mittheilen, als bis ich meinen Schwa¬ ger in Kenntniß geſetzt habe, denn der weiß noch kein Wort, und wird ſich verflucht wundern. Wir ſollen dann auch ſeine Frau kennen lernen, er ſpricht von ihr, wie von einer Heiligen, und Tina meinte, ſie haͤtte ein kleines Bildchen von ihr geſehn, das gliche der alten mediciniſchen Venus, wie wir das Ding oben im Vorſaale immer nennen, gerade auf's Daus. Aber ich haͤtte es dem Blitzdinge gar nicht angeſehn, ſo geſchickt nahm es ſich, wenn mir ſchon die Sache, ehe ich den wahren Zuſammenhang erfuhr, manchen Kummer gemacht hat!

181

Blauenſtein ging jetzt die Sonne der Liebe von Neuem auf, er fuͤhlte ſich frei von der Laſt des ſchwarzen Verdachtes, und verwuͤnſchte Antoͤnchen in die Hoͤlle der Unterwelt; denn ſolche Stunden wie geſtern hatte er noch nicht erlebt. Jetzt zog es ihn maͤchtig zu Tina, er zweifelte nicht, aber halt, wenn ſie nun ſtatt ja, nein ſagte, wenn ſie bereits aber behuͤte, ſie hatte es ihm ja ganz unzweideutig bewieſen, wie ſie ihn ehrte, wie zart die Lie Liebe? nun, von der war freilich noch nicht die Rede geweſen, aber das mußte, das ſollte ſich finden.

Was Teufel, unterbrach endlich Oncle Heinrich den Seeligen in ſeinen Liebestraͤumen, was haben Sie eigentlich vor, Freundchen? Ich frage hundertmal, ob ſie unſer Tinchen heute Morgen ſchon geſehn haben, ob ſie ihr etwa ein Viſittchen machen wollten

Wo iſt die Comteſſe? fragte Blauenſtein haſtig und gluͤhend auf den Wangen.

Nun, nun, entgegnete Heinrich heimlich lachend, ſie laͤuft uns nicht fort. Gelt, Blauen¬ ſteinchen, Ihr habt ihr auch zu tief in die Ver¬ gißmeinnichtaugen geſehn? Aber fuͤr Ihre Gluth182 wuͤßte ich Rath; es iſt zwar erſt etwas uͤber acht Uhr, aber unſer Tinchen weiſ't uns von ihrer Thuͤre nicht ab; kommen Sie!

Alſo wollen ſie mich zu ihr fuͤhren, ſo darf ich ihr ſagen, wie unendlich ich ſie liebe?

Immer hin! ſagte Heinrich, und klopfte von Außen an Tinas Zimmer. Sie ſteckte ſelbſt das Engelkoͤpfchen heraus, ward gluͤhend roth, als ſie Blauenſtein gewahrte, und ſah es vielleicht herzlich gern, daß Oncle Heinrich dies¬ mal ſo gut war, und ſich zuruͤckzog. Blauenſtein trat in das kleine Heiligthum des ſuͤßen Maͤd¬ chens, das in braͤutlicher Verwirrung ihr Auge nicht zu ihm zu erheben vermogte; er ergriff ihre weiche Flaumenhand, und ſah in das blaue, ſchmachtende Auge. Die Harpune ſaß, Freund Amor war ſein Verbuͤndeter geweſen, und dies vielbedeutende Schweigen unterbrechend hob er an: Albertine, theures, heiliggeliebtes Maͤdchen, der Gott der Liebe ſelbſt fuͤhrt Sie in meine Arme! Darf ich hoffen, da Ihr Herz frei iſt, darf ich dem Gedanken Raum geben, Sie mein zu nennen? O ſprich, ſuͤßes Maͤdchen, laß mich nicht vergehn in dieſer Angſt!

183

Tina ſah mit einem halben Viertelsblick zu ihm auf, ſie druͤckte ihn mit ſanfter Gewalt ein wenig von ſich ab, zog ihn wieder naͤher, und ihr Koͤpfchen ihm in ſuͤßer Hingebung entgegen¬ neigend, vereinigten ſich die Lippen beider Lie¬ benden zu einem langen, ſeelenvollen Kuſſe, der den Bund der treueſten Herzen beſiegelte!

Nun war auch aller Zwang entfernt, Tina war nicht die Comteſſe von Blumenau, ſie war das unbefangene, taͤndelnde Kind der Natur, und im ſuͤßen Koſen flog ihr die Zeit an der Seite des heiß Geliebten pfeilſchnell hinweg. Sie erwie¬ derte das trauliche Du, ſie ließ es geſchehn, daß ſie Blauenſtein auf ſeinem Knie wiegte, und ver¬ galt ſeine ſtuͤrmiſche Zaͤrtlichkeit mit hundert Kuͤſſen der keuſcheſten Liebe. Von ſolcher zarten Hin¬ gebung, ſolch kindlicher, ſuͤßen Vertraulichkeit haben die erbaͤrmlichen Menſchen unſerer vornehmen Welt keine Ahnung, keinen Begriff. Aber wer ſie kennen lernen will die Seligkeit der erſten, warmen Liebe reiner, unbefangener Herzen, der ſuche ſich eine Tina!

Nun ging es an ein Fragen und Erzaͤhlen, daß Tina ſelbſt laut auflachen mußte, wie ſich das Alles ſo ſchnell gemacht habe. Sie zupfte184 den Geliebten ſchelmiſch und ſchaͤckernd am krau¬ ſen Backenbaͤrtchen, ſprang lachend fort, wenn er ſich durch einen Kuß auf das noch gar zu kitz¬ liche Ohrlaͤppchen revangiren wollte, und kehrte nur unter vortheilhaften Capitulationen zuͤruͤck. Aber, begann ſie auf einmal und ihr laͤchlendes Schelmengeſichtchen wurde ganz ernſt, aber der Vater darf noch nichts von unſerer Liebe wiſſen, mein theurer Freund. Oncle Heinrich bereitet ihn ein wenig vor, und dann fuͤhrt ihm Staunitz ſeine Frau ſelbſt entgegen. Hat er Dir ſchon von ihr erzaͤhlt?

Noch kein Wort weiß ich von ihm, erwie¬ derte Blauenſtein, und er wurde unwillkuͤhrlich ernſt. Aber Oncle Heinrich hat mir von ſeiner Verheirathung geſagt; das Naͤhere wird er uns noch erzaͤhlen, nicht wahr?

Ja, erwiederte Tina, und ich hoffe, das wird bald geſchehn. Aber Du biſt mit einem¬ male ſo ernſt, mein Auguſt, Deine Augen ſchwim¬ men in Thraͤnen ; was fehlt Dir?

Ich gedachte Deiner Mutter! ſagte Blauen¬ ſtein, und preßte Tinas Hand an ſein hochſchla¬ gendes Herz. Noch weißt Du es nicht, daß ſie185 die Jugendgeliebte meines unvergeßlichen Vaters war, daß, als das harte Geſchick der Liebenden Bund entzweit, Du mir zum Weibe beſtimmt wurdeſt. Haſt Du nie hiervon etwas erfahren?

Mein Muͤtterchen Deines Vaters Geliebte? fragte Tina voller Verwunderung. Ja, jetzt geht mir ein Licht auf! Ich war noch ein Kind, da begleitete ich meine Mutter in's Bad, und es begegnete uns ein ſchoͤner Mann, der mir Blumen ſchenkte, und meine Mutter war betroffen bei ſeinem Anblick. Sie redeten viel mit einander, und der freundliche Mann nahm mich auf ſeinen Schooß, und hatte mich ſehr lieb. Sollte das Dein Vater geweſen ſein?

Er war es! erwiederte Blauenſtein voll Ruͤhrung.

Aber, fuhr Tina fort, er reiſ'te ploͤtzlich ab, meine Mutter weinte viel, und ſchrieb immer in ein Buch ihre Gedanken nieder, das ich noch jetzt habe.

Mein Vater hat mir die Geſchichte ſeiner Jugendliebe ſchriftlich hinterlaſſen, nahm Blauen¬ ſtein das Wort; ich habe ſie mit mir genom¬186 men, und Du magſt ſie ſelbſt leſen, meine Tina. Jetzt ſage mir, mein heilig geliebtes Maͤdchen, wo liegt die Huͤlle Deiner Mutter begraben? Ich moͤgte an ihrem Grabe ſie um ihren Segen bitten, ſie ſoll unſerm Bunde die Weihe geben!

Haſt Du am See die Roſenlaube noch nicht bemerkt? fragte Tina, und eine Thraͤne draͤngte ſich unter den ſeidenen Wimpern hervor. Da iſt ihre Ruheſtaͤtte. Sie mogte nicht in unſer Erbbegraͤbniß, und noch geſtern habe ich einen Roſenſtock ſelbſt dorthin gepflanzt, wo mein Muͤtterchen ſchlummert.

Oncle Heinrich klopfte jetzt an die Thuͤre, ſteckte den Kopf neugierig herein, und fragte mit ſo drolliger Betonung, ob Alles richtig und abge¬ macht ſei, daß das ernſte Paar in lautes Lachen ausbrach, und Blauenſtein auf Tinas Bitten unter feurigen Kuͤſſen Abſchied auf einige Stun¬ den von ihr nahm.

Heinrich zog ihn hinaus in's Freie, jauchzte vor innerer Freude laut auf und ſagte: Lieber, engliſcher Freund, Dir vor allen goͤnne ich unſer Tinchen von ganzer Seele, und eine Hochzeit wollen wir feiern, die ſich gewaſchen187 haben ſoll. Mein Schwager iſt vor einer halben Stunde nach Friedlingen gefahren, er bittet des¬ halb um Entſchuldigung, aber ich hoffe, das wird nichts weiter ſchaden; wenn er zuruͤck kommt, und leicht kann der Abend herankommen, alſo, was ich ſagen wollte, die Freude hat mich ganz verwirrt gemacht, wenn er zuruͤckkommt, ruͤhre ich ihm die Heirathsgeſchichte mit dem Staunitz wie ein Puͤlverchen ein, er darf nicht mucken, und wenn ich mir mit ihm nach Tiſche einen Haarbeutel getrunken habe, dann kommt unſer Blauenſteinchen, und bittet um ſein Jawort! Daß er es nicht verweigert, darauf wette ich meinen alten Kopf, und dann ſoll es ein Leben werden wie im Himmel!

Nach dieſen Worten umarmte er den rein verklaͤrten Blauenſtein mit ſolch einem Feuer, daß dieſer ſchier vermeinte, er ſolle aus ſeiner Haut fahren, was doch unter den jetzigen Umſtaͤnden ein wenig zu fruͤh geweſen waͤre. Sie gingen auf die duftige Weinlaube zu, aus der jetzt Emil mit Staunitz heraustrat, und beide junge Maͤnner umarmten ebenfalls gluͤckwuͤnſchend und froͤhlich weinend den ergluͤhten Blauenſtein, der ſich in ſein errungenes Gluͤck gar nicht zu finden wußte. Aber zum Teufel, begann Heinrich, und ſah188 Staunitz ſcharf an, ich ſehe Thraͤnen in Euren Augen, lieber Vetter; was ſoll das heißen?

Sie gelten der herzlichen Freude uͤber Tinas Gluͤck, ſagte Staunitz geruͤhrt. Es iſt mir dies ein wichtiger Tag, er hat mir eine Nachricht gebracht, die ich nicht genug ſchaͤtzen kann. Die Stunde iſt gekommen, wo Ihr alle, meine Lieben, die noͤthige Aufklaͤrung erhalten ſollt; ich hoffe, ich werde bald vor Euch gerechtfertigt daſtehn, da ich es weiß, daß mir meine geliebte Albertine verziehen. Meine Erzaͤhlung iſt nicht allzu kurz; ſchlagen ſie uns einen Ort vor, Vetter Heinrich, wo ich ungeſtoͤhrt erzaͤhlen kann!

I, da waͤre ja wohl kein Plaͤtzchen im gan¬ zen Hauſe ſchicklicher, als der Gartenſallon, ſagte dieſer. Allein ich ſchlage vor, daß wir ſaͤmmtlich erſt ein Fruͤhſtuͤck, oder das Mittagsmahl einneh¬ men, denn mit hungriger Seele hoͤrt man nicht gern dergleichen vortragen, ohnehin iſt es ſchon ziemlich ſpaͤt, und in einigen Stunden laͤßt ſich gar Manches erzaͤhlen!

Die jungen Maͤnner waren dieſen Vorſchlag zufrieden. Tina machte an Blauenſteins Seite die Wirthin mit ſo unnachahmlicher Grazie und189 Zierlichkeit, daß er ihr ſeine hoͤchſte Zufriedenheit durch einige, faſt zu oft wiederholte Umarmungen und mit feurigen Kuͤſſen inniger Liebe an den Tag legte; denn Oncle Heinrich und Bruder Emil meinten, wenn das ſo fortgehe, ſo muͤßten ſie gegenſeitig, ſammt und ſonders den Tiſch ohne gehoͤrige Speiſe und Trank verlaſſen. Emil ſchlug daher vor, man ſolle Herrn Sander, den Ober¬ verwalter rufen, der vermoͤge ſeiner geiſtreichen, oͤconomiſchen Unterhaltung die alte Ordnung leicht herſtellen koͤnne; aber Staunitz wußte ein weit einfacheres Mittelchen, und ſetzte ſich ohne weitere Umſtaͤnde zwiſchen das darob faſt zuͤrnende Paar, das jetzt auf nichts, als vielſagende Blicke beſchraͤnkt blieb. Tina ſchmollte ein wenig, denn ſie hatte wohlweislich den Tiſch nur fuͤr die Familie und Gaͤſte eingerichtet, damit die Verwalter, welche ihr Vater auf Heinrichs Empfehlung immer um ſich hatte, nicht Zeuge ihrer Unterhaltung ſein ſollten, und nun war ihr Plan geſcheitert!

Blauenſtein vermogte kaum einen Biſſen der delicaten Speiſen zu genießen, ſo voll des ſuͤßen Liebesgluͤcks war er, und ſah mit Verwunderung dem Schnelleſſer Emil zu, der ſich um das ganze Treiben weiter nicht kuͤmmerte.

190

Sagen Sie, brach endlich Staunitz das eingetretene Schweigen, und wendete ſich an Blauenſtein, ſagen Sie, lieber Baron, Sie konn¬ ten wohl aus meinem Briefe gar nicht klug wer¬ den, da er Ihnen in der That ſehr zweideutig klingen mußte. Aber ich hatte eine ſehr weiſe Abſicht, einmal, um Sie ein ganz klein wenig zu quaͤlen, aber dann beſonders, um Sie recht zu uͤberraſchen, wenn ſich Ihr Irrthum auf eine freundliche Weiſe aufgeloͤſ't!

Dieſen Zweck haben Sie vollkommen erreicht, ſagte Blauenſtein, und reichte der braͤutlichen Tina an Staunitz weg ſeine Hand, ſo daß der letztere meinte, dergleichen Contrebande koͤnnen nicht mehr ſtatuirt werden, und wenn ich der¬ maleinſt meine Jugendgeſchichte niederſchreiben ſollte, ſo nenne ich dieſen Abſchnitt meines Lebens auf jeden Fall Liebe und Irrthum, oder Irr¬ thum und Liebe, was wohl auf Eins heraus¬ kommen wird!

Bravo! rief Emil, und hob ſein Kelchglas hoch empor. Dieſer Einfall iſt vortrefflich, und verdient einen tumultuariſchen Kelchklang. Daher191 angeſtoßen, Herr Schwager in spe, und Du, Meine ſuͤße Schweſter!

Ei, ei, wie zaͤrtlich, lieber Bruder, ſagte Tina. Aber fuͤr dieſen feierlichen Tag iſt denn doch dieſer Glaͤſerlaͤrm zu arg. Wir wollen die Tafel aufheben, und ich hoffe, Vetter Staunitz, mein nunmehr mir aus ſchnoͤde Weiſe ungetreu gewordener Braͤutigam, wird ſeine intereſſanten Mittheilungen bald beginnen, da es nun Zeit iſt.

Die froͤhliche Geſellſchaft brach auf das Sig¬ nal der liebenswuͤrdigen Wirthin nach dem Gar¬ tenſallon auf, wo bereits eine dampfende Kaffee¬ maſchine aromatiſche Duͤfte verbreitete, und deſſen ganze innere Anordnung zu einem traulichen Ge¬ ſpraͤch einlud, Oncle Heinrich ließ ſich von Mar¬ tin ſeine groͤßeſte Meerſchaumpfeife laden, denn er waͤhlte ſich noch einen Zeitvertreib, weil er dergleichen Geſchichten immer zu lang fand, um ohne Beſchaͤftigung dabei ſitzen zu koͤnnen, ſchluͤrfte behaglich einen Becher Kaffee, den ihm ſein Tin¬ chen credenzt, und ſagte zu Staunitz, er koͤnne ſeine heilloſe Geſchichte immerhin anfangen, denn es moͤgten wohl zweidrittel Luͤgen darin ſein, da man ihm nicht mehr recht trauen duͤrfe.

192

10. Der Kloſterbeſuch.

Es bedarf kaum der Erwaͤhnung, hob Staunitz an, und warf einen freundlichen Blick auf Tina, welche ihm zufrieden und heiter zu¬ laͤchelte, es bedarf kaum der Erwaͤhnung, daß ich vor meiner Reiſe mit unſerer liebenswuͤrdigen Wirthin gewiſſermaßen verlobt, und daß dies der gegenſeitige Wunſch der Verwandten war, welche ſich fuͤr uns intereſſirten. Wir dachten kaum daran, uns unſer Treuwort zu geben, denn bruͤ¬ derliche Neigung feſſelte mich, den Elternloſen, an Tinas weiches Herz. Der Tag der Abreiſe kam; ich hatte ihr gelobt, oft und viel zu ſchreiben, und ſie wird verſichern koͤnnen, daß ich nicht ſchreibefaul war.

Aha! fiel Blauenſtein Staunitz in die Rede. Als ich im vergangenen Herbſt ſo gluͤcklich war, in Blumenau zu ſein, und mich die innere Liebes¬ unruhe nicht ſchlafen ließ, bemerkte ich, daß unſere liebe Tina in einer Menge Papieren herum ſuchte; mir fiel dies auf, daß man ſogar in der Nacht193 ſich mit ſolcher Lectuͤre beſchaͤftigen koͤnne. Waren dies etwa ein Dutzend der erwaͤhnten Briefe, und warum hatte meine ſuͤße Albertine Thraͤnen im Auge?

Alſo haſt Du mich damals bereits belauſcht? fragte Tina verwundert, und bediente ſich ſchuͤchtern in der Geſellſchaft der Maͤnner des traulichen Du. Das iſt doch zu arg. Und ich muß glauben, Deine Augen ſind mit irgend einem Tubus be¬ waffnet geweſen, denn auf eine ſolche Weite Thraͤnen ſehn zu wollen, iſt mir ſonſt unbegreiflich. Doch weshalb ſie vergoſſen wurden, magſt Du ſelbſt errathen, mein Freund! Aber nun unter¬ breche auch niemand unſern guten Vetter mehr!

Blauenſtein beruͤhrte mit ſeinem kuͤſſeluſtigen Munde Tinas empfindliches Ohrlaͤppchen, daß ſie leicht aufſchrie und mit dem niedlichen Zeigefinger drohte. Emil ſtellte die Ruhe wieder her, und Staunitz fuhr fort:

Zu meinem Reiſegefaͤhrten hatte ich mir meinen academiſchen Genoſſen, den Sohn unſeres Nachbars, des Forſtinſpector Kluge erwaͤhlt, der

Donnerwetter, da geht mir ein Licht auf,13194eine wahre Fackel eigentlich! rief Oncle Heinrich, und wollte weiter reden; aber Tina hielt mit ihrem Flaumenpatſchchen dem Oncle den Mund ſo feſt zu, daß er gezwungen war, eine Menge Tabacksdampf den Weg durch die Naſe gehn zu laſſen, ſo daß ihm reichliche Thraͤnen aus den Augen quollen. Die Geſellſchaft ſchlug ein lautes Gelaͤchter an, und Staunitz nahm hierauf den Faden ſeiner Geſchichte wieder auf:

Alſo der gemuͤthliche, talentvolle Kluge war mein Reiſegefaͤhrte. Wir durchzogen die Nieder¬ lande, den ſchoͤnſten Theil Frankreichs, uͤberſtiegen das colloſſale Juragebirge, ſuchten die erhabene Schweiz heim, und wanderten ſodann nach dem herrlichen Auſonien.*)Bekanntlich ein alter Name Italiens. Vir¬ gils Aeneide.

Meine Abſicht, fuhr Staunitz nach einem kleinen Ruhepuncte fort, meine Abſicht iſt nicht, eine Reiſebeſchreibung zu geben, daher uͤbergehe ich meinen Aufenthalt in Italien, wie einſt, wo ich als Soldat die ſchoͤnſten Provinzen mancher Laͤnder mit unangenehmer Geſchwindigkeit durch¬ eilen mußte, und will nur noch bemerken, daß195 ich, durch die herrlichſten Kunſtwerke begeiſtert, meine Lieblingsbeſchaͤftigung, die Malerkunſt, tapfer uͤbte, und daß mich mein wackerer Reiſe¬ gefaͤhrte, der ſich auf dieſe Kunſt verſteht, wie ein Meiſter, in meinem loͤblichen Vorhaben ſehr unter¬ ſtuͤtzte. Wie ſehr dies angenehme Studium uns, und hauptſaͤchlich mir, nutzte, wird ſich bald er¬ geben. In dem prachtvollen Rom waren wir bereits einige Monden geweſen, und im Begriff, durch die edle porta del popolo wieder abzu¬ reiſen, als ich einen Beſuch einer jungen, liebens¬ wuͤrdigen Deutſchen erhielt, welche durch unſern Wirth erfahren, wer wir waͤren, und daß wir nach Deutſchland zuruͤckreiſen wollten. Sie er¬ zaͤhlte mir, daß ſie Deutſchland ploͤtzlich an der Hand ihres Gemahls verlaſſen, der in Handels¬ angelegenheiten nach Italien gemußt, daß ſie von ihrer lieben Freundin Adeline von Roſen in B. wegen der Eile ihres jungen Gemahls nicht ein¬ mal habe Abſchied nehmen koͤnnen, und ihr ſei doch ſo viel daran gelegen, von ihr Nachricht zu erhalten, beſonders, da ſie waͤhrend der Reiſe gehoͤrt, es ſei im Betreff ihrer Freundin etwas Unangenehmes vorgefallen. Auf meiner Ruͤckreiſe nach Deutſchland werde ich wohl B. beruͤhren, und von einem Landsmanne ließe ſich eine puͤnctliche Beſtellung ſchon erwarten, denn mit13 *196der Poſt wolle kein Brief an ſeine Adreſſe ge¬ langen. Und waͤre unſer Plan in der That auch nicht auf B. gerichtet geweſen, ich haͤtte ſchon wegen der liebreizenden jungen Frau dahin reiſen muͤſſen; aber es traf ſich ganz vortrefflich, denn mein Freund Kluge hat dort einen Ver¬ wandten, den er zu beſuchen ſich laͤngſt vorge¬ nommen hatte; ſo nahm ich denn den Brief auch ohne Weiteres an, und meine holde Lands¬ maͤnnin verabſchiedete ſich mit ihrem jungen Gatten, der uns eine Zeit lang mit ſchelen Blicken angeſehn hatte.

Nach einigen Anſtrengungen war B. endlich erreicht, und ich zog uͤber den Aufenthalt, der mir natuͤrlich gaͤnzlich unbekannten Adeline v. Roſen Erkundigungen ein. Zufaͤllig kannte unſere Wirthin, die erſte, an welche ich mich in dieſer Beziehung wandte, die Dame recht gut, meinte aber, daß ich den Brief nicht leicht werde abge¬ ben koͤnnen, indem die arme Adeline jetzt im Urſulinerkloſter ihr Probejahr beſtehe. Weshalb das ſchoͤne, liebe Kind, fuhr meine weichherzige Berichterſtatterin fort, ihr junges Leben in den dumpfen Mauren des Kloſters vertrauren will, begreift niemand, und ich vermuthe beinahe, ihr Stiefvater, der alte Commercienrath von Berger,197 hat hier ſeine Hand im Spiele. Wenn Sie das Maͤdchen ſprechen koͤnnen, ſo erzeigen Sie mir einen wahren Liebesdienſt, denn ſeiner Mutter verdanke ich mein ganzes Gluͤck!

Ich theilte die Erzaͤhlung der Wirthin meinem Freunde mit; er meinte, dies koͤnne am Ende ein intereſſantes Abentheuer geben, und wir wollten auf jeden Fall dem alten Kloſter einen Beſuch abſtatten. So fanden wir uns denn regelmaͤßig zu der dazu beſtimmten Stunde am Sprachgitter ein; aber es ließ ſich keine Ade¬ line ſehn, vielmehr wurde uns geſagt, daß die Einkleidung des armen Kindes bereits in vier Wochen vor ſich gehn werde. Zeit war daher nicht zu verlieren, und wir hatten einmal den Kopf darauf geſetzt, doch das Maͤdchen wenigſtens zu ſehn. Weshalb die Briefe ihrer Freundin in Rom nicht angekommen waren, ließ ſich leicht vermuthen. Einige Tage ſpaͤter erfuhr Kluge, in ſolchen Dingen uͤberhaupt ein wahrer Gluͤcks¬ pilz, daß die ehrwuͤrdige Äbtiſſin ein Bild der Kloſtercapelle wolle reſtauriren laſſen, und daß ſie ſich lange vergebens nach einem gewandten Kuͤnſtler umgeſehn, welcher der Reſtaurationskunſt gewachſen ſei.

198

Weißt Du was, ſagte Kluge mit einer Miene, welche die heiterſten, Ausſichten verkuͤndigte, weißt Du was, wir melden uns im Kloſter als Maler aus Italien. Der Sprache dieſes Landes ſind wir gewachſen, und es muͤßte ſchlecht gehn, wenn wir die arme Adeline nicht zu Geſicht bekommen ſollten. Der Plan ſchien mir allerliebſt, aber verteufelt kitzlich, denn wenn die alte Kloſter¬ mamma der Sache ſo recht auf den Grund kam, und ſchlau ſind dergleichen Damen, es war keine Frage, ſo waren wir proſtituirt, und wurden am Ende als Betruͤger ohne weitere Ceremonien bei¬ geſteckt. Allein Kluge lachte mich mit meinen Bedenklichkeiten aus, nannte mich einen ſchlaͤfrigen Deutſchen, der von der italiſchen Gluth herzlich wenig zugetheilt bekommen haben muͤſſe, und gab meinem Ehrgeize einen ſo harten Stoß, daß ich unabaͤnderlich beſchloß, mich in ſeinen Willen zu fuͤgen, und ebenfalls fuͤr einen Reſtaurator aus Rom auszugeben.

Indeß fehlten wir nur ſehr ſelten oder nie am Sprachgitter. Manches huͤbſche, allerliebſte Kind erſchien dahinter, manches trauliche Wort wurde mit den ſprachluſtigen Nonnen heimlich und ver¬ ſtohlen gewechſelt, aber immer wollte Schweſter Adeline, die am Ende ſchon einen andern Namen199 angenommen, nicht erſcheinen. Einſt bemerkte ich ganz im Hintergrunde des Sprachzimmers am Eingange eines duͤſtern Corridors, welcher hieher fuͤhrte, eine junge, wunderhuͤbſche Nonne mit brennenden Kohlenaugen und einem Geſichtchen, auf dem mehr Schalkheit, als kloͤſterliche Demuth zu wohnen ſchien; aber das liebe Kind kam durchaus nicht naͤher. Sollte das wohl Adeline ſein? dachte ich bei mir, und ſtellte mehrere ver¬ gebliche Verſuche an, das Maͤdchen zu ſprechen. Endlich fand ſie ſich einmal am Gitter ſelbſt ein; ich ſuchte ein Geſpraͤch mit ihr zu beginnen, und fragte, nachdem es mir gelungen war, ihre Aufmerkſamkeit ein wenig feſt zu halten, ob ſie nicht Adeline v. Roſen heiße. Da wandte ſich das loſe Kind ab, fing an zu kichern und zu lachen, daß es endlich weggehn mußte, um kein Aufſehn zu erregen. Nein, das kann Adeline nicht ſein, meinte Kluge und aͤrgerte, ſich, daß wir ſo lange vergeblich auf die Erſehnte hofften; aber ich ließ mich nicht abſchrecken, und am fol¬ genden Tage war ich ſchon wieder mit der Lacherin im lebhaften Geſpraͤch. Auf meine Frage, und ich mußte ſie gewiß recht fein eingerichtet haben, wie denn ihr Name ſei, lispelte ſie halb verſchaͤmt, halb freundlich, Beata. Nun examinirte ich ein Langes und Breites uͤber Adeline, ſuchte zu200 erforſchen, ob ſie ſich freiwillig dem Kloſterleben weihe, oder was ſie außerdem zwinge, ihr junges Leben im Kloſter zu vertrauren. Da ſchuͤttelte Schweſter Beata das Koͤpfchen, und ein Seufzer ſchwellte ihre Bruſt, indem ſie ſagte: Glauben Sie denn, Sie eifriger Fremdling, daß uns blos ein hartes Schickſal, ein zerknirſchtes Herz oder dergleichen hieher treibt in die geweihten Mauren? Es giebt Augenblicke im Leben, die keine Sprache zu bezeichnen vermag; in ihnen erſchließt ſich eine andere, ſchoͤnere Welt, wir ſehnen uns nach geiſtiger Ruhe, nach geiſtiger Reinheit. Koͤnnen Sie ſich, fuhr ſie fort, und ihre Purpurlippen ſchienen mir beſſer zum Kuſſe, als zum Beten geformt, koͤnnen Sie ſich einen Begriff davon machen, was man Kloſterberuf nennt? Ich nannte aber das Kloſterleben ein verkehrtes, das aller menſchlichen und geſellſchaftlichen Bildung zuwider ſei, und behauptete keck, die holde Schweſter Beata moͤgte wohl freiwillig auch nicht hinter dem ſchweren Eiſengitter ſtehn. Zuletzt ſchlug ich mich ihr als ehrſamen Beichtvater vor; allein ſie meinte, dergleichen ehrwuͤrdige Leute, wie ich, taugten fuͤr kein Kloſter; ich moͤge mir immerhin eine Gemahlin erwaͤhlen, und dieſe er¬ kenne mich vielleicht als Beichtvater an, allein ſie ſelbſt ſei bereits gut verſorgt. Ich war durch201 dieſe Scherze ganz von meinem Thema abgekommen und fragte nochmals recht dringend nach Adeline, die ich nothwendig ſprechen muͤſſe. Allein die liebliche Beata legte den niedlichſten aller Zeige¬ finger auf den kleinen Roſenmund, zum Zeichen, daß ſie uͤber dieſen Punct ein tiefes Schweigen beobachten muͤſſe. Das fiel mir auf. Ich wurde mit meinen Bitten dringender, und bekam dann endlich ſo viel aus der kleinen Hexe heraus, daß Schweſter Adeline, die bald ihren ſchoͤnen Namen fuͤr immer aͤndern werde, viel weine und ſich ſehr ungluͤcklich fuͤhle. Ich dankte dem wunderhuͤbſchen Kloſterkinde fuͤr dieſe Mittheilung, warf ihr eine Kußhand zu, woruͤber ſie beinahe boͤſe wurde, und beſchloß mit meinem Freunde, unſern Plan aus¬ zufuͤhren, es koſte auch, was es wolle.

Zufaͤllig lernte ich den Beichtvater des Klo¬ ſters kennen; ich trug mein Anliegen im Betreff des zu reſtaurirenden Bildes vor, und er gewann ein ſchnelles Zutraun zu mir, indem er verſprach, mich mit meinem Reiſegefaͤhrten der Äbtiſſen bei naͤchſter Gelegenheit empfehlen zu wollen. Aber es verging ein Tag nach dem andern, es kam keine Bothſchaft, und leider ruͤckte die Zeit von Adelinens Einkleidung immer naͤher.

202

Meine Wirthin unterließ nicht, der armen Adeline das Wort zu reden, und ſo laͤcherlich auch ihre Eroͤrterungen waren, ſo dienten ſie wirklich dazu, meinen und meines Freundes Eifer zu vermehren. Eines Morgens, es war am 9ten July, kam die gute Frau ploͤtzlich zu mir und ſagte: Ich habe ſo unter der Hand erfahren, weshalb das arme Linchen in den vertracten Mauren ſchmachten ſoll; ihr Vater iſt ein alter Filz, und hat ſie an einen luͤderlichen Grafen haͤngen wollen, der noch obendrein eine Maſſe Schulden hat. Unſer Linchen widerſetzt ſich tuͤchtig, und der ſchaͤndliche Stiefvater kartet es ſo mit ſeiner alten Freundin, der Äbtiſſin, die auf des Maͤdchens Mutter einen unverſoͤhnlichen Haß geworfen, daß die Arme in das vermaledeite Urſulinerkloſter gefuͤhrt wird. Es iſt eine him¬ melſchreiende Barbarei! Und was thut uͤberhaupt der Menſch im Kloſter? Wir ſind alle fuͤr ganz etwas anderes da, nicht wahr Herr Baron? nicht fuͤr etwas ſo Apartes. Ein junges, froͤh¬ liches Ding von einem Maͤdchen gehoͤrt nicht in die Betklauſe; es geht einmal nicht, daß wir ein ſolches albernes Leben fuͤhren, es geht nimmermehr nicht; und warum geht's nicht? weil es gegen unſer Gefuͤhl iſt, weil wir fuͤr ewiges Faſten und Beten nicht ſind geſchaffen worden!

203

Ich lachte bei dieſen ſehr eifrigen Worten meiner lieben Berichterſtatterin laut in's Geſicht, was ſie beinahe uͤbel genommen, denn ſie fuhr ſogleich fort: Lachen Sie nur! Sie ſollten ein¬ mal das herzige Maͤdchen ſehn; meiner Seele, wie Milch und Blut; und gewachſen wie eine Tanne und engelgut. Unſere jungen Herren, und es giebt hier recht nette Buͤrſchchen, waren in das Ding wie vernarrt; ſie liefen ſich die Beine ab, um es nur zu ſehn; aber jetzt fluchen ſie auf's Kloſter und helfen doch nicht. Das iſt nur ſo lauter unnuͤtze Waare; aber der Herr Baron koͤnnten ſchon etwas thun!

Die Frau hatte ihren Sermon kaum geendet, als Kluge zu uns trat, mir in's Nebenzimmer winkte und ſagte, er habe die Äbtiſſen geſprochen, ſie ſei, als Verehrerin der Kunſt, ſogleich bereit geweſen, durch ihn und mich, denn er habe ihr erklaͤrt, ohne ſeinen Genoſſen dergleichen ſchwie¬ rige Arbeiten nicht unternehmen zu koͤnnen, die quaͤſtionirte Reſtauration vornehmen laſſen zu wollen.

Ich war einmal in einer hoͤchſt vergnuͤgten Laune und lachte uͤber dieſen tollen Schwank. Wenn ich mir die alte Nonne dachte, wie ſie eifrig204 unſern Arbeiten zuſah, und eine Menge neugie¬ riger junger Noͤnnchen im Hintergrunde lauſchend und fluͤſternd, vielleicht die liebliche Adeline mitten unter ihnen, da wurde mir doch ganz eigen um's Herz, und ich wuͤnſchte, wir haͤtten uns auf die Sache nicht weiter eingelaſſen. Denn wir verſtanden beide vom Reſtauriren ſo viel wie nichts, und konnten hoͤchſtens ein ertraͤgliches Bildchen zu Stande bringen. Aber nun wieder die arme, in Thraͤnen ſich aufloͤſende Adeline, mit der gluͤhenden Sehnſucht nach Freiheit in der Bruſt, nein, der Gedanke gab neuen Muth, neue Spannkraft; es mußte, es ſollte ihr geholfen werden!

An dem beſtimmten Tage fanden wir uns im Kloſter ein. Eine alte zahnloſe Laienſchweſter grinſ'te uns grisgramig an, und geleitete uns durch eine Menge finſtere Corridors und Vor¬ hallen zu der ehrwuͤrdigen Frau, die mir ſehr verhaßt war, wenn ſie mir auch die Hand zur Rettung der armen Gefangenen unbewußt darge¬ boten. Die Dame empfing uns mit wahrhaft ſeltener Wuͤrde; in ihrem Auge lag Geiſt und Scharfblick, und ich fuͤrchtete beinahe, wir wuͤrden vor ihr nicht beſtehen koͤnnen. Allein im Puncte der Kunſt, und auf dieſen kam es hier haupt¬205 ſaͤchlich an, ſchien ſie nicht am feſteſten, denn ihr Urtheil war unbedeutend, und es war ihr nur darum zu thun, ein Paar Bilder wieder her¬ ſtellen zu laſſen, die ſie fuͤr Meiſterwerke der roͤmiſchen Schule hielt. Sie ſprach auch daruͤber ein Langes und Breites, und lud uns zuletzt ein, ihr nach den Bildern zu folgen. Allein es ergab ſich nun leicht, daß wir zwei hoͤchſt mittelmaͤßige Copien vor uns hatten, die eigentlich der Reſtau¬ ration durchaus nicht werth waren. Ich vergaß auch wirklich meinen eigentlichen Zweck nicht, ich beſah mir das Local mit Genauigkeit, ſuchte die Wohnungen der Schweſtern zu erforſchen, und beſchloß mit meinem Freunde, unſere Arbeit ſo ſchnell als moͤglich zu beginnen, da wir eilen mußten, um Adeline zu ſehn und zu ſprechen. Unſere Vorrichtungen waren fertig, und ich ver¬ ſprach mir von einem großen Schwamme, der den Bildern ihren recht antiken Schmutz abneh¬ men ſollte, am meiſten. Die Äbtiſſin ſah unſern Arbeiten am erſten Tage zu, am folgenden ſtellte ſich die Schweſter Beata mit noch einigen andern Nonnen zu meiner Freude ein, und ihre Blicke ſagten mir, daß ſie mich zu ſprechen wuͤnſche. Leider waren eine zu große Menge von Zeugen gegenwaͤrtig; aber auch dafuͤr hatte die kleine Kloſterhexe geſorgt, denn als ſie mir naͤher kam,206 um ihrem Vorgeben nach das Bild, woran ich beſſerte, recht nahe zu beaugenſcheinigen, ließ ſie ein zierliches Zettelchen auf meine Palette fallen, gab mir einen vielſagenden Blick, der ungefaͤhr ſagte: Es iſt Zeit zu helfen; ſchweig wie ein Grab, aber ſpare keine Muͤhe, und rette! und entfernte ſich hierauf. Es war mir beinahe nicht moͤglich, meine Arbeit fortzuſetzen; das Zettelchen brannte in meiner Taſche wie Zunder, der einen Funken gefaßt, und ich beurlaubte mich eine Stunde fruͤher, als es ſonſt geſchehen war. Die Zeilen liegen noch unverſehrt in meiner Brieftaſche, und lauten folgendergeſtalt:

Meine Freundin Adeline, eigentlich durch Sie, mein verehrter Herr, iſt ſie es geworden, hat mir ihr Herz aufgeſchloſſen, und ich habe dem Hoͤchſten gelobt ihr zu helfen. Der gluͤckliche Zufall unterſtuͤtzt unſern Plan, und Sie reichen meiner Freundin wohl gern die Hand zur Ret¬ tung aus dieſen Mauren, die ſolch ein edles, un¬ befangenes Herz nicht umſchließen duͤrfen. Laſſen Sie uns wiſſen, wie Sie Adeline die verlorne Freiheit wieder geben koͤnnen; vergeſſen Sie nie, daß ſchaͤndliche Cabale ſie zu uns brachte, daß niedrige Bosheit oder Rache das ungluͤckliche Kind hier fuͤr ewig feſſeln will! B.

207

Die niedliche Beata hatte nach dieſen Zeilen bei mir ſehr gewonnen; ſchon ihre Anſicht, das Kloſter ſei fuͤr unbefangene Herzen nicht gebaut, alſo doch wahrſcheinlich fuͤr buͤßende, ſchuldbewußte Gemuͤther, gefiel mir, und ich ſchrieb ihr auf die¬ ſelbe Art, wie das loſe Kind es auch gethan, daß es mir ſchiene, als koͤnne man wohl die Schweſter Pfoͤrtnerin mit einigen Ducaten breit ſchlagen, und daß ich, wenn Adeline nur erſt aus den Mauren unbemerkt heraus ſei, ſchon fuͤr das Übrige auf's Beſte ſorgen wolle. Beata empfing auf die erwaͤhnte Weiſe meine geheime Nachricht, und am vierten Tage ſchrieb ſie, mit der Pfoͤrt¬ nerin ſei es nichts; allein im Kloſtergarten, zu welchem ihre Freundin zu jeder Stunde ohne Beſchwerde gelangen koͤnne, befinde ſich eine alte Pforte, die ſeit langen Jahren nicht benutzt ſei, und wohl geoͤffnet werden koͤnne. Vermoͤge ich, das Schloß aufzumachen, ſo ſolle ich es ſchnell auf dem alten Wege, naͤmlich uͤber meine Palette, melden, und dann ſei Alles zur Flucht reif. Auch von Adeline lagen wenige Zeilen bei, worin ſie mich um Befreiung in den ruͤhrendſten Ausdruͤcken bat, und ich ſchlich in der folgenden Nacht mit meinem Freunde Kluge nach dem Kloſtergarten. Eine Blendlaterne ließ uns die zerbrechliche Pforte bald finden; mein Freund verſtand ſich auf208 Mechanik, und nach einigen kraͤftigen Verſuchen knarrte die alte Thuͤr auf. Sie kam uns vor wie der Eingang in die andere Welt, wie ſie ſich die Alten dachten; die Pfade zum Tartarus und zum Elyſium grenzten dicht an einander. Wir verſchloſſen den holden Eingang hierauf wieder mit aller Vorſicht, und begaben uns voll Freude uͤber unſere gelungene Arbeit zu unſerm Gaſt¬ hauſe zuruͤck.

Wir brannten vor Begierde, Schweſter Beata von den Reſultaten unſerer naͤchtlichen Wande¬ rungen in Kenntniß zu ſetzen, allein wer nicht erſchien, war die liebe Beata. Vielleicht, dies war am glaubhafteſten, war es ihr von der uͤber¬ ſtrengen Äbtiſſin verboten, die Capelle zu be¬ treten, waͤhrend wir darin arbeiteten, ſie war vielleicht auch gar erkrankt, Gott, man hat in ſolchen Momenten eine Menge trauriger Ent¬ ſchuldigungen! und unſer ganzes Bemuͤhn erſchien als hoͤchſt vergeblich. So vergingen drei Tage. Ich war ſo mißmuthig, daß ich die ganze fatale Geſchichte beinahe aufgegeben haͤtte, allein Kluge gab meiner Thaͤtigkeit neue Spannkraft, und es ging beſſer. War ich denn ganz mit Blindheit geſchlagen geweſen, hatte mich meine innere Un¬ geduld verwirrt gemacht? ich fand ploͤtzlich209 im Ramen des Bildes, woran ich gearbeitet, d. h. mit dem Schwamme tuͤchtig gewaſchen, und wo es noͤthig war, friſche Farben aufgeſetzt hatte, ein Streifchen Papier mit wenigen Zeilen von Beatas Hand. Sie hatte vor der Äbtiſſin ſich mir nicht nahen koͤnnen, aber meinen letzten Brief erhalten, worin ich ihr unſere gluͤckliche Pforten¬ operation gemeldet, und ſie beſtimmte bereits die folgende Nacht zur Flucht der armen Adeline. Sonderbar war es, daß gerade an demſelben Tage die Reſtaurationen zu der Äbtiſſin voͤlliger Zufriedenheit beendigt waren. Die alte Dame fragte hierauf mit hoͤchſt eigenem Munde, wie hoch ſich ihre Schuld belaufe, und ich lachte ihr in einer Haare gerade in's Geſicht, als ſie jedem von uns, da wir nicht fordern mogten und konnten, einen Beutel mit Geld einhaͤndigte. Sie erkun¬ digte ſich nochmals nach unſern Namen und Ge¬ burtsort; das arme, eben verlaſſene Italien, mußte herhalten, wuͤnſchte dann eine gluͤckliche Reiſe, und entließ uns mit einem huldreichen Laͤcheln. Wir lachten auch, aber wahrhaftig nur aus Schaden¬ freude, daß wir die Alte hinter's Licht gefuͤhrt.

Um elf Uhr, als die uns von Schweſter Beata bezeichnete Stunde, wartete ich mit Kluge an der verwitterten Kloſtermauer; im naͤchſten14210Dorfe hielt unſer bequeme Reiſewagen mit allen Vorrichtungen zu einer Flucht dieſer Art verſehn, und nichts in der Welt konnte ſich uns mehr als Hinderniß in den Weg legen. Allein es floh eine Viertelſtunde nach der andern, es wurde uns zuletzt ganz bange zu Muth, und niemand erſchien. Endlich, Mitternacht war eben voruͤber, und die dumpfe Glocke des Kloſterthurmes brummte den letzten Schlag der zwoͤlften Stunde in die duͤſtere Nacht hinein, pochte es an die Pforte. Wir oͤffneten, und Schweſter Beata ſtand mit ihrer Freundin vor uns. Adeline zerfloß in Thraͤnen, als ſie ſich vielleicht zum Letztenmale an Beata wenden ſollte, um ihr Lebewohl zu ſagen; da meinte Freund Kluge, dem die liebenswuͤrdige Schweſter Beata recht ſehr zu gefallen ſchien, er wolle ihr hiemit den freundſchaftlichen Rath geben, dem traurigen Kloſterleben ebenfalls Ade zu ſagen, und mit ihrer lieben Freundin in die freie Welt zu ziehn. Allein die junge Nonne wandte ſich erroͤthend ab, druͤckte einen Scheide¬ kuß auf Adelinens Lippen, und verſchwand in den duͤſtern Gaͤngen des Kloſtergartens.

Adeline reichte mir ihre Hand und ſagte, indem ſie den langen Schleier uͤber ihr ſchoͤnes Geſicht gleiten ließ: Verzeihen Sie, mein Freund,211 meine vielleicht unbeſonnene Raſchheit, verkennen Sie mich, verkennen Sie die Beweggruͤnde nicht, die mich aus meinen bisherigen Verhaͤltniſſen treiben. Daß Sie menſchenfreundlich denken, daß Sie mir wie ein rettender Bruder Ihre Hand reichen wuͤrden, das vertraute mir mein guter Genius, und ich werde mein ganzes Leben hindurch Ihre Schuldnerin ſein.

Wie koͤnnen Sie, erwiederte ich geruͤhrt, wie koͤnnen Sie daran denken, Ihre Handlungsweiſe vor mir rechtfertigen zu muͤſſen, da ich auf das Innigſte uͤberzeugt bin, daß nur ganz unge¬ woͤhnlich widrige Verhaͤltniſſe Sie aus den hei¬ ligen Mauren vertreiben, die vielleicht laͤngſt zu unheiligen haben werden muͤſſen. Übrigens ver¬ dient mein Freund Ihren Dank vielleicht in einem noch hoͤhern Grade, als ich, denn ohne ſeinen Scharfſinn, ohne ſeine Thaͤtigkeit haͤtte ich kaum zu einem guten Ziele gelangen koͤnnen.

Aber Adeline ſchien, was ich zuletzt ſagte, halb zu uͤberhoͤren, Kluge wurde ohnehin etwas verlegen, das bewies der Seitenſtoß, den er mir verſetzte, und nach einer halben Stunde hatten wir das Grenzdoͤrfchen erreicht, wo der Reiſe¬ wagen unſerer harrte. Adeline war maͤchtig14 *212ergriffen, ſie ſchien einen ſonderbaren Kampf mit ſich zu kaͤmpfen, und wir ſtoͤhrten ſie in dieſer ſchmerzlichen Ruhe nicht. Endlich, ſie hatte ſich vielleicht uͤberzeugt, daß ſie ſich gerade keinen Windbeuteln anvertraut, und einen Plan fuͤr ihre Zukunft erſonnen, wurde ſie heiter und wieder froh. Der Morgen brach an, und zeigte mir in ſeiner lieblichen Klarheit, was mir das naͤchtliche Dunkel noch neidiſch entzogen hatte. Ich bekam Zeit, das engelgleiche Weſen zu beſchaun, und war in einem Grade uͤberraſcht, den ich nicht in Worte faſſen kann. Dieſes herrliche Ebenmaß in Wuchs und Geſichtsbildung, bei aller Schoͤn¬ heit dieſer unvergleichlichen Zuͤge dieſer Liebreiz, dieſe kindliche Ergebenheit und Demuth, dieſe Weichheit des Gefuͤhls! nein, ich vermag das Alles nicht zu beſchreiben, was in dem Augen¬ blicke mit himmliſcher Gewalt auf mein armes Herz eindrang!

Adeline ergoß ſich noch einmal in heißem Dankgefuͤhl gegen mich und meinen Freund, ver¬ traute mir, daß in Hamburg eine Tante von ihr wohne, in deren Arme ſie ſich werfen, daß ſie mir daher nicht weiter beſchwerlich fallen wolle, indem es ihr nicht ganz an Mitteln fehle, dieſe Reiſe anzutreten. Bis zur naͤchſten Stadt muͤſſe213 ſie meine Guͤte noch in Anſpruch nehmen, um hier ihre fernern Einrichtungen treffen zu koͤnnen. Ich weiß nicht, wie es kam, denn mich ging die Sache eigentlich weiter nichts an, aber mich ergriff nach ihren Worten eine ſonderbare Angſt, alle Pulſe ſchlugen in verwirrter Aufregung, und mir war, als koͤnne ich mich nimmermehr von dieſem Weſen trennen! Ich ehre, ſagte ich endlich in einiger Verwirrung, ich ehre ihre Ge¬ ſinnung, denn ſie zeigt mir Ihr edles Herz. Sie wollen aus einer vielleicht zu weit gehenden Schonung oder Scheu nicht weiter unter unſerm Schutze reiſen. Allein glauben Sie, daß mir dies gleichguͤltig ſein kann? Die Welt, und ſie iſt oft verkehrt genug, die Welt billigt vielleicht nicht, was jetzt Verhaͤltniſſe gutheißen; aber trennen Sie das zarte Band nicht ſo ſchnell, ſo ſcho¬ nungslos, das uns jetzt gegenſeitig umſchlingt. Was ich mit meinem Freunde that, wird jeder gute Deutſche thun, daher waͤre es ſuͤndlich, irgend eine Belohnung zu erwarten. Aber ſein Sie einmal großmuͤthig, laſſen Sie das meine Beloh¬ nung werden, daß ich Sie bis Hamburg geleite. In der naͤchſten Stadt laͤßt ſich dies Alles auch bequemer und ruhiger abmachen, daher denken Sie jetzt an nichts, als an die nicht unfreundliche Gegenwart.

214

Adeline reichte mir laͤchlend die kleine Schwa¬ nenhand, und meinte, ſie wolle die Sache ein wenig uͤberlegen. Übrigens muͤſſe ſie mir und meinem Freunde zu ihrer Rechtfertigung mit¬ theilen, weshalb ſie ganz wider ihre Neigung zum Kloſterleben verdammt worden ſei. Ich war natuͤrlich nebſt meinem Reiſegefaͤhrten hoͤchſt be¬ gierig, welche Verhaͤltniſſe dieſem Engel ſolchen Kummer bereitet, und ſie fuͤhrte uns denn fol¬ gendermaßen in ihr fruͤheres Leben ein.

Adelinens Mutter, nach ihrer Beſchreibung war ſie der Tochter Ebenbild, wurde von dem Freiherrn von Roſen geliebt, und ſie reichte ihm nach kurzen Bewerbungen ihre Hand. Die er¬ waͤhnte Äbtiſſin, welche damals noch an kein Kloſter, geſchweige an ihre Nonnenſchaft dachte, lernt den Freiherrn vor ſeiner Verbindung kennen, und in ihrem vielleicht zu warmen Herzen ent¬ zuͤndet ſich eine heftige Leidenſchaft, die der junge liebenswuͤrdige Mann nicht erwiedern konnte, weil er theils die nachmalige Äbtiſſin als eine hoͤchſt unleidliche, zudringliche Perſon nicht leiden mogte, theils ſein Herz bereits weit beſſer untergebracht hatte.

Die Äbtiſſin, ich weiß mich fuͤr jetzt ihres215 Namens nicht zu erinnern, wirft nun auf die junge, engelſchoͤne Frau ihres angebeteten Lieblings einen toͤdtlichen, unmenſchlichen Haß, ſie wird gegen ſich ſelbſt zur Furie und gelobt ſich, an der Unſchuldigen Rache zu nehmen, indem ſie ſich einbildet, des Freiherrn junge Gemahlin habe ſie durch alle ſchaͤndlichen Kuͤnſte der Koquetterie in ſeinen Augen herabgeſetzt und verkleinert. Das liebenswuͤrdige Weib wußte hiervon kaum ein Wort, wenn gleich ihrer Nebenbuhlerin un¬ kluges Benehmen allgemein bekannt war, und lebte in der Liebe zu ihrem Gatten die ſchoͤnſten Stunden, da rief der unerbittliche, ernſte Todes¬ engel den Heißgeliebten von ihrer Seite ab. Ihre Ehe hatte kaum ſechs Jahre gedauert.

Wie oft irrt das menſchliche Herz, dem die Zukunft dicht verſchleiert iſt! Sie wandte allen Fleiß auf die Erziehung ihres einzigen Kindes, Adeline, und nahm die ihr bezeigte Aufmerkſam¬ keit des erwaͤhnten Commercienraths, eines hab¬ ſuͤchtigen Heuchlers, fuͤr reine Freundſchaft, und reicht ihm, in der Hoffnung, als Witwe in ihm einen kraͤftigen Schutz zu haben, nach einigen Jahren die Hand. Der Schaͤndliche wollte nichts, als ihr Vermoͤgen erringen, er zeigte ſich bald in ſeiner wahren Geſtalt, und machte die Arme216 namenlos ungluͤcklich. Sie ſchaute aus dieſem Tartarus zuruͤck in ihr Blumenleben mit dem edlen Hingeſchiedenen, und ehe zwei Jahre dahin¬ geeilt waren, folgte ſie ihm dahin nach, wo kein Kummer mehr iſt. Die Äbtiſſin hatte kurze Zeit vorher den Schleier genommen, und auf dieſe Weiſe ihr Herz wie in einer Feueraſſecuranz geſichert; ſie wurde, durch ihren alten Adel unter¬ ſtuͤtzt, Vorſteherin des Urſulinerkloſters in B., wo der Commercienrath, ihr alter Jugendfreund, der armen Adeline Thraͤnen des bitterſten Kummers auspreßte. Das Maͤdchen iſt ihm im Wege, ein geckenhafter Graf, der durch ihr Vermoͤgen ange¬ zogen wird, wie ein Magnet das Eiſen zieht, macht vergeblicher Weiſe Bewerbungen, und der ſchaͤndliche Stiefvater, da ſich Adeline zu des erſtern Gunſten nicht aͤußern kann, die niedrigſten Anſtalten, das liebenswuͤrdige Geſchoͤpf an den Narren zu verkuppeln, indem er gleichfalls ihr Vermoͤgen zu erangeln Luſt hat. Daß beide ſich betruͤgen wollten, war nur der im innern Schmerz vergehenden Adeline klar. Es koͤmmt zu heftigen, unangenehmen Auftritten, ſie endigen mit einer tiefen, betaͤubenden Ohnmacht Adelinens, und als ſie endlich zum unfreundlichen, truͤben Leben er¬ wacht, ſieht ſie ſich, ſtatt im traulichen, einſamen Stuͤbchen, im benachbarten Urſulinerkloſter. Der217 ſchaͤndliche Vater hatte durch die Äbtiſſin von deren fruͤhern Verhaͤltniſſen zu dem Freiherrn v. Roſen gehoͤrt; ſie freut ſich, Rache an dem un¬ ſchuldigen Maͤdchen nehmen zu koͤnnen, und ver¬ abredet, nachdem ſie den elenden Commercienrath auf alle Weiſe zugeſetzt, mit dieſem Adelinens Einſperrung in's Kloſter, da ſie ſich in ſeine Wuͤnſche nicht fuͤgen will. Die rohe Bosheit verraͤth ſich leicht, und ſo durchſchaute die arme Adeline ſehr bald den Zuſammenhang. Nicht die traurige Ausſicht, auf ewig der Welt zu entſagen, die ihr ſchon ſeit Jahren truͤbe und freudenleer vorkam, ſondern nur die ſchaͤndliche, niedertraͤchtige Behandlung der Äbtiſſin trieb ſie aus den Mauren fort, die durch die Elende laͤngſt entwuͤrdigt waren.

Wer konnte die wunderhuͤbſche Erzaͤhlerin anſchaun, ohne im Innerſten ergriffen zu werden! Wir hingen mit wahrer Gier an jedem Worte was der kleine Roſenmund unter hundert herab¬ fallenden Thraͤnen ſprach, und wenn ich ſo recht ordentlich daran dachte, daß ich mich vielleicht ſchon am andern Morgen von Adelinen trennen, ſie auf dieſer Welt wohl nie, nie wiederſehn ſollte, da war mir's, als wuͤrde mir das arme, bedraͤngte Herz mit gluͤhenden Zangen mitten aus der Bruſt herausgeriſſen. Der Gedanke218 verfolgte mich wie ein Krampf, ich hatte Noth, meine Faſſung zu behaupten, und war zuletzt herzlich froh, als wir die naͤchſte Stadt erreicht hatten. Hier rieth ich Adelinen, auf keinen Fall ſo auf's Geradewohl nach Hamburg zu reiſen, um hier eine alte Tante aufzuſuchen, von der ſie ſeit mehreren Jahren gar keine Nachricht erhalten hatte, ſondern wo moͤglich erſt von hier aus Er¬ kundigungen uͤber ſie einzuziehn. Da ward Ade¬ line ploͤtzlich ernſter, und ſchien zu erſchrecken. Gott, ſagte ſie, ich habe eine liebe Freundin, die vor nicht zu langer Zeit ihrem Gatten nach Ita¬ lien gefolgt ſein muß; dieſe kennt meine Tante, und wird Bericht von ihr geben koͤnnen. Aber ſie iſt weit fort, und keine Hoffnung da, ſie zu ſehn.

Jetzt erſt fiel mir der Brief der niedlichen Deutſchen ein, den ſie mir in Rom zur Beſor¬ gung anvertraut. Unter tauſend Entſchuldigungen, wie haͤtte ich auch in dieſer verhaͤngnißvollen Zeit an den Brief denken koͤnnen! uͤberreichte ich ihn Adelinen, die ihn raſch durchlas, und zuletzt laut weinend in das Kanapee zuruͤckſank, auf dem wir Platz genommen hatten. Ich begriff dieſen ſonderbaren Zuſtand nicht; der Brief war zur Erde gefallen, und als ich einen Blick hinein219 gethan, uͤberzeugte ich mich, daß die Hamburger Tante bereits ſeit einem Jahre mit Tode abge¬ gangen ſei, und wenig oder kein Vermoͤgen hin¬ terlaſſen habe.

Geholfen mußte werden, aber wie, das war mir unter dieſen Umſtaͤnden noch unbekannt. Zum Stiefvater zuruͤckzukehren, nein, das ging nicht; denn nach dem, was mir Adeline uͤber dieſen Punct geſagt, ſo waͤre ſie lieber in den Tod geſunken, als in das nun verwaiſ'te vaͤterliche Haus zuruͤckgekehrt. Ich faßte Adelinens Hand, als ſie zu ſich ſelbſt gekommen war, ich ſuchte ihr Troſt zuzuſprechen, und ſchlug ihr zuletzt Blumenau als einſtweiligen Aufenthalt vor. Aber ſie winkte mildlaͤchlend mit der kleinen Hand, ſchimmernde Thraͤnen im Auge, und bat, ſie ein wenig, allein zu laſſen.

Freund Kluge war ausgegangen, und ich zog mich, im Innern auf das Sonderbarſte aufgeregt, in das benachbarte Cabinet zuruͤck.

Ich konnte es mir nicht laͤnger verbergen, was auch meine Verhaͤltniſſe zu Tina dagegen ſtreiten mogten, was ich auch ſelbſt mit Vernunft¬ gruͤnden dagegen kaͤmpfte, mit einem Worte, ich220 liebte Adeline mit der ganzen Leidenſchaft meines Herzens! Nun ging ich mit mir zu Rathe, was zu thun ſei, ob ich ihr entſagen, und Tina meine gelobte Treue halten muͤſſe, aber ich ver¬ mogte kein vernuͤnftiges Ende zu finden, und ſchrieb Albertinen einen vorbereitenden Brief. Eine unſaͤgliche Angſt druͤckte nach dem Abgange des Schreibens meine Bruſt, ich hatte, wie ein zum Tode Verdammter, auf keiner Stelle Ruhe, und mußte ſehen, wie Adeline immer ſchwaͤcher und ſchwaͤcher werdend, zuletzt auf das Kranken¬ lager ſank. Die ploͤtzliche, heimliche Flucht hatte ihre Nerven erſchuͤttert, und eine Erkaͤltung feſſelte ſie jetzt an's Zimmer. Da kam eine Antwort von Blumenau; mit bebender Haſt erbrach ich Tinas Zeilen, und las. Unſer Wort, ſchrieb ſie mir unter andern huldvoll zuruͤck, unſer Wort verpfaͤndeten wir uns nicht, mein Freund, und wer dem Herzen Feſſeln anlegt, der nimmt dem Leben Licht und Waͤrme! Warum ſollen auch gerade Verwandte Gatten ſein? Deshalb ſei un¬ beſorgt wegen des Streichs, den Dir Amor ſpielt, und nimmer ſollſt Du einer Grille meines Vaters Deines Lebens Gluͤck zum Opfer werden laſſen.

So ſchrieb mir Tina, und heiße Thraͤnen der Ruͤhrung rannen mir vom Auge. Ich durfte zu221 manchen Stunden Adelinens Pfleger ſein, und wenn dann ein himmliſches Laͤcheln ihres Engel¬ antlitzes mir Dank ſagte fuͤr das Wenige, was ich that, dann fuͤhlte ich mich unwerth, auf das Gluͤck meiner Liebe hoffen zu duͤrfen, die ich gewiſſermaßen mit einer Untreue erkaufte. Ich wuͤnſchte hundertmal, ich haͤtte Adeline nie geſehn, oder dieſe Reiſe gemacht, ich flehte den Himmel an, mein Herz umzuſchaffen, aber es blieb Alles, wie es war, und ich machte mir die bitterſten Vorwuͤrfe. Denn wenn ich nun auch frei war, und daran dachte, wie Tina vielleicht unter Schmerzen und Kaͤmpfen dahin gelangt ſei, mir mein Wort zuruͤckzugeben, wie ſie mit der men¬ ſchenfreundlichſten Großmuth mir begegnete, dann verdunkelte ſich Alles vor meinem Blicke, und ich ſah in der oͤden Zukunft nichts, als ſtarre Bilder!

Jetzt ſei es erlaubt, fiel Tina lachend dem Erzaͤhler in die Rede, jetzt ſei es erlaubt, ein Wort einzuſprechen. Vetter Staunitz zeigt uns eben, wie ungeheuer eitel die Maͤnner ſind; denn aus purer Eitelkeit bildet er ſich ein, ich ſei zum Sterben in ihn verliebt, und koͤnne nicht ohne ihn leben. Und welche Veraͤnderlichkeit! Am Ende wechſelt er noch einmal!

222

Tinchen! rief Oncle Heinrich, Vetter Staunitz dachte dennoch ſehr edel; und was faͤngt jetzt die Hexe zu raiſonniren an, da ſie ihren Theil hat?!

Die Geſellſchaft lachte laut auf; Tina reichte Staunitz zur Verſoͤhnung die kleine Hand, und bat ihn, die Geſchichte fortzuſetzen. Er begann daher von Neuem:

Adeline war geneſen; aber ſie mogte ſich der wieder erlangten Geſundheit nicht freun, denn ihr Geſchick war truͤbe, zu unruhvoll, um mit Zuver¬ ſicht in die naͤchſte Zukunft ſehn zu koͤnnen. Wir uͤberlegten zuſammen auf alle Weiſe, wie ſie auf eine ſelbſtſtaͤndige Art leben koͤnne, denn ein Geſtaͤndniß meiner gluͤhenden Liebe vermogte ich jetzt nicht zu thun; da ſagte ſie mit einem unendlich truͤben Blicke: Mein Freund, ich kann Ihnen nicht laͤnger laͤſtig ſein, wenn mir gleich nichts uͤbrig bleibt, als mein Leben durch meiner Haͤnde Arbeit zu friſten. Vielleicht, es giebt ja in unſerer Zeit ſo manche Erziehungsanſtalt, ſo manche Schule, wo eine Stelle unbeſetzt iſt, viel¬ leicht oͤffnet ſich mir auf dieſe Weiſe eine Ausſicht. Zu dem Manne zuruͤckzukehren, der meiner Mutter letzte Tage verbittert, der mich mit rauher Hand223 von ſich ſtieß, um mich im Kloſter ſchmachten zu laſſen, das geht nicht, das muthen Sie mir auch nicht zu. Mehren ſie meine Schuld nicht durch fernere Beweiſe Ihrer Menſchenfreundlichkeit, laſſen Sie die Verſtoßene ihren Weg gehn, haben Sie Mitleid mit mir!

Adeline! rief ich, Sie wollten es darauf an¬ kommen laſſen, ob der Zufall Ihnen guͤnſtig iſt, ſo wollen Sie gegen den Tyrann, Ihren Vater, die Gerechtigkeit nicht aufrufen, die ſeine Schaͤnd¬ lichkeit beſtrafen muß? Aber laſſen wir doch dieſe Angelegenheit in ihrem Schleier ruhn; Ade¬ line, Sie muͤſſen es laͤngſt errathen haben, ſtoßen Sie mich nicht von ſich; ich liebe Sie, ohne Sie hat das Leben keinen Werth fuͤr mich, ohne Sie bin ich arm und verlaſſen! Ich habe Ihr Herz erkannt, es ſchlaͤgt kindlich rein und edel; Adeline ſei mein, ſei der Engel, der meine Zukunft ſegnet!

Lieben? ſagte Adeline, und ich erſchrack, als ob das ganze Eis des Jungfraugebirges durch meine Nerven ſtuͤrzte, lieben? nein, das duͤrfen Sie nicht! Sie kennen mich kaum ſeit wenigen Tagen, ich bin eine Waiſe, vielleicht iſt Ihr Schick¬ ſal ſelbſt ungewiß, es kann nicht ſein, es

224

Weshalb dieſe ſonderbaren Zweifel? unterbrach ich ſie raſch und etwas ruhiger. Meine Zukunft iſt ſicher, wenigſtens kenne ich fuͤr jetzt keine Sorge, als die, dieſes ungeſtuͤme Herz zu befrie¬ digen. Ich gehe zuruͤck auf meine Guͤter, ich will meine Untergebenen zu gluͤcklichen Menſchen machen. Und wie wuͤrden ſie geſegnet werden, wenn ich an der Hand eines Engels heimkehrte, der mich zum ſeligſten der Sterblichen macht! Alſo ſchlage ein, mein heilig geliebtes Maͤdchen, ſei mein, ſprich, ob Du mich lieben kannſt!

Sie reichte mir ihre Hand; ein zartes Erroͤ¬ then uͤbergoß ihr liebliches Geſicht mit jungfraͤu¬ licher Scham, und ſie vermogte keinen Laut uͤber die ſuͤßen Lippen zu bringen. Da zog ich ſie mit ſtuͤrmiſcher Freude an mein Herz, ſie war mein, und eine lange, ſelige Umarmung, ſchloß den Bund der keuſcheſten Liebe! Wir ver¬ mogten nun auf einmal aus der ſuͤßen Taͤndelei nicht herauszukommen, und begriffen in der That nicht, wie wir noch vor wenigen Stunden ſo mißmuthig, ſo verſtimmt hatten ſein koͤnnen. Die Liebe kennt nur ſuͤße Sorgen, wir enteilten daher der Gegenwart mit dem Gedanken an die naͤchſte Zukunft, wie wir die Verwandten in Blumenau uͤberraſchen, auf welcher meiner225 Beſitzungen wir leben wollten, und feierten am Abend deſſelben gluͤcklichen Tags mit dem hoͤchlich verwunderten Kluge unſere Verlobung.

Tina wußte durch meine Briefe, welchen Schritt ich in dem Bewußtſein gethan, nur mit meiner angebeteten Adeline gluͤcklich werden zu koͤnnen, und wir beredeten uns lange vergeblich, wie wir die Sache dem Grafen beibringen wollten, der auf keinen Fall einen ſolchen Ausgang erwar¬ tete. Das Zartgefuͤhl ſtritt heftig dagegen, mit Adeline, die ja allein ein Opfer der Angſt und der Huͤlfloſigkeit geworden ſein wuͤrde, laͤnger unter ſolchen Verhaͤltniſſen zuſammen zu ſein, oder gar in meine Heimath zu reiſen, da unſere bisherige Vereinigung ein Gebot der Nothwendig¬ keit war. Hierzu kam, daß unſere liebe Tina mir ſchrieb, ſie wuͤnſche nichts ſehnlicher, als daß ſie meine Adeline, die ſie durch meine Briefe hinreichend kannte, ſo bald als moͤglich als Ba¬ roneſſe Staunitz umarmen koͤnne; und ſo ſchlug ich denn meiner in braͤutlicher Verwirrung erroͤ¬ thenden Geliebten vor, je eher je lieber am Tiſche des Herrn die Weihe des ehelichen Bundes zu empfangen. Du biſt ſehr raſch, mein Freund, ſagte Adeline freundlich ernſt; aber als ich ihr meine Gruͤnde mit diplomatiſcher Genauigkeit15226auseinander geſetzt, und die Aufrichtigkeit meines heißeſten Wunſches mit einem Seelenkuſſe bekraͤf¬ tigt, den ſie, ganz Hingebung und Liebe, mit demſelben Feuer erwiederte: da war weiter nichts noͤthig, als einen willigen Prieſter zu ſuchen, der uns den Segen ſprach.

In dieſer Zeit erhielt Freund Kluge einen Brief, der ihn an das Krankenlager ſeines Vaters beſchied. Ich hatte genau genommen keine feſte Heimath; meine Guͤter, ſaͤmmtlich in Admi¬ niſtration und bereits bewohnt, konnten und ſollten uns als junges, lebensluſtiges Ehepaar nicht auf¬ nehmen. Nach Blumenau ſelbſt zu gehn, war noch weniger anzurathen, da der Graf noch gar nicht von meinem Schritte unterrichtet war, und ſo ſchlug mir denn Kluge als ſcharfſinniger Rath¬ geber vor, meine Adeline einſtweilen dem Hauſe ſeiner Eltern anzuvertrauen, indem ich auf dieſe Weiſe ganz in Blumenau wohnen, und die Sache leicht ausgleichen koͤnne. Dieſer Rath war mir recht, und Kluge reiſ'te ab, mit den noͤthigſten Auftraͤgen verſehn.

Zufaͤllig fuͤhrte Adeline ihr Taufzeugniß bei ſich; wir begaben uns zu einem Prediger der Vorſtadt, deſſen einfache Kirche ſo romantiſch und227 bedeutſam gelegen war, daß ich ſehr wuͤnſchte, hier getraut zu werden. Wir fanden in dem Prediger einen biedern Greis, der, als Adeline ihre Lebensgeſchichte kurz und wahr erzaͤhlt, mit Freuden in unſern Wunſch willigte und uns bat, einen Tag zu beſtimmen, an dem wir fuͤr immer vereinigt ſein wollten. Der Himmel war uns guͤnſtig; er woͤlbte ſich blau uͤber ſeiner ſchoͤnen Welt, Millionen jauchzten freudig ihr Danklied dem Hoͤchſten zu, und in unſer Herz ſenkte ſich eine ſuͤßbeklemmende Wehmuth. Eine Menge auf dem Kirchplatze ſpielender Kinder zogen uns nach, und waren Zeugen der heiligen Handlung, die mir mein edelſtes Gut ſicherte, und als ich mit meiner jungen Frau unſere Wohnung erreicht, fiel ſie mir ſelig weinend um den Hals, und be¬ ſchwor mich, fuͤr das ganze Leben treu zu halten, was ich ihr in der heiligſten Stunde ihrer Tage gelobt.

Wir waren kaum zu uns ſelbſt gekommen, als mir ein Brief von meiner ehemaligen Wirthin in B. uͤberbracht wurde, die ich ſchriftlich gebeten, mir Nachricht zu ertheilen, falls Adelinens Ent¬ fernung aus dem Kloſter irgend ein Aufſehn mache. Sie berichtete nun unter tauſend Seegens¬ wuͤnſchen, wie die Äbtiſſin uͤber Adelinens15 *228Verſchwinden ganz außer ſich geweſen, und wie ferner der alte Commercienrath ganz ploͤtzlich, von keiner Seele beklagt, an einem Schlagfluſſe geſtorben ſei. Ich dankte der guten Frau fuͤr ihre Nachricht, machte ſchnell wegen der Erbſchaft und des muͤtterlichen Vermoͤgens meiner Frau die desfalſigen Antraͤge bei der Juſtizbehoͤrde in B., und reiſ'te hierauf mit Adeline meinem lieben Freunde nach.

Anfangs September des vergangenen Jahrs langten wir am Ziele gluͤcklich an. Adeline war entzuͤckt von der ſchoͤnen Lage meiner Heimath, wenn ſie gleich ein wenig zuͤrnte, als ich ihr mein bisheriges Verhaͤltniß zu Tina und den Grund nannte, weshalb wir nicht in Blumenau unſern Wohnſitz aufſchluͤgen. An meiner Liebe ſo wie an Tinas aufrichtiger Einwilligung konnte ſie indeß nicht zweifeln, denn ich brachte tuͤchtige Beweiſe, und hatte ihre Verzeihung. Aber man denke ſich meine Verwunderung, als ich meinen Reiſegefaͤhrten in deſſen elterlichem Hauſe nicht antreffe, und erfahre, daß er bereits wieder das Weite geſucht! Übrigens war der alte, vortreff¬ liche Forſtinſpector, der beilaͤufig geſagt, ein ſtein¬ reicher Mann iſt, von ſeiner hypochondriſchen Krankheit voͤllig geneſen, und von meinen Ver¬229 haͤltniſſen genau unterrichtet, ſo daß er uns bat, ſein Haus als das unſere anzuſehn.

Ihr verſchmitztes Volk, rief Oncle Heinrich aus. Aber ich merkte gleich ſo etwas, und ver¬ folgte ſchon im vergangenen Herbſt die Spur.

Es ſei mir erlaubt, fiel Staunitz dem Oncle freundlich in die Rede, und forſchte auf den Ge¬ ſichtern der Anweſenden, ob man ſich gelangweilt oder nicht, es ſei mir erlaubt, meinen Bericht zu beendigen. Ich eilte nicht ohne große Beſorg¬ niß meines Herzens hieher nach Blumenau, ich lernte unſern Blauenſtein kennen, und zwar in einer Gemuͤthsverfaſſung, die ihn mir ſehr inte¬ reſſant machte. Ich ſah wie ihn Tina verehrte, wie er fuͤr ſie brannte und ſich ſelbſt den Mund verſchloß, mit aller Muͤhe an ſich hielt, nicht in gluͤhende Liebesworte auszubrechen, denn ich galt ja noch immer fuͤr Tinas Verlobter. Aber trotz dieſen guͤnſtigen Verhaͤltniſſen durfte ich mein Geheimniß noch nicht aufklaͤren, und es ſetzte mich in eine ſehr große Verlegenheit, als mich der Graf ganz als ſeinen Schwiegerſohn empfing. Nur Tina ſah meine Adeline, und mit heimlichen Lachen bemerkte ich, wie Blauenſtein auf dem letzten Balle ganz eiferſuͤchtig nach mir hinblickte,230 als ich unſerer lieben Wirthin 'eine Haarlocke meines lieben Frauchens brachte, die ich erſt am Nachmittage empfangen. Ihm die Sache anzu¬ vertraun, waͤre gegen alle Politik geweſen, denn wer konnte bei ſeiner feurigen Gemuͤthsart fuͤr ihn ſtehen?

Eines Tags flog ich hinuͤber zu Freund Kluge, um zu hoͤren, ob denn mein alter Reiſecumpan noch immer nicht zuruͤckkehren wollte, und man denke ſich meine Ueberraſchung, als er mir an der Hand eines jungen, reizenden Maͤdchens ent¬ gegentritt, die er mir unter Scherz und Lachen als ſeine kuͤnftige Gemahlin vorſtellt. Ich machte ihm Vorwuͤrfe, weshalb er gar zu verſchloſſen und verſchwiegen gegen mich, ſeinen vertrauten Freund, geweſen, allein er erklaͤrte denn bald die Sache auf ſeine eigne Weiſe. Der alte Kluge iſt mit der halben Welt verwandt, und ich muß te oft von Herzen lachen, wenn mein Begleiter beinahe in jedem Orte von einiger Bedeutung mir einen Vetter nannte, den er doch nothwendig beſuchen muͤſſe. Eines Tags kam er auch von einer alten Baſe zuruͤck, und zwar ganz im enthu¬ ſiaſtiſchen Feuer, welches niemand anders, als ein allerliebſtes junges Baͤſchen angefacht hatte. Ich lachte ihn aus, er machte noch einige Beſuche,231 und wir reiſ'ten ab. Daß Amor ihn aber uner¬ bittlich zu ſeinem Sclaven gemacht, hatte ich nicht vermuthet, und dachte an die Geſchichte nicht mehr.

Als Kluge die Nachricht von ſeinem Vater erhielt, ſchnell ſeine Ruͤckreiſe anzutreten, deſſen hypochondriſches Weſen ihm ſeit Jahren bekannt war, kam er, wie er meint, mehr zufaͤllig in den Geburtsort des ſchoͤnen Couſinchens, allein ich glaube, es iſt dies ſo ein ganz eigener Zufall geweſen. Er merkt, daß er dem Maͤdchen nicht gleichguͤltig iſt, daß ſie ſeiner lebhaft und innig gedacht hat, und er verlobt ſich mit ihr. Mein Freund liebt das Sonderbare, Auffallende, daher feine Eile, mit welcher er die liebe Braut ſammt der alten Baſe holt, und ſeinen Eltern entgegen¬ fuͤhrt. Meine Adeline[freute] ſich der Geſellſchaft um ſo mehr, da Klugens Braut die liebe Schweſter Beata, welche mit ihr einen Geburtsort hat, recht gut kennt. Die Äbtiſſin ſoll, wie man mir ferner mittheilte, halb unklug geworden ſein, und das Urſulinerſtift aufgehoben werden, da es ſchlecht dotirt und mithin in der Lage iſt, daß man es von Seiten der hohen Geiſtlichkeit eben nicht beguͤnſtigt. Wir koͤnnen daher bei Gelegen¬ heit dem Beſuche der lieben Beata entgegen232 ſehn, ohne welche ich vielleicht nie ſo gluͤcklich geworden waͤre, als ich es bin. Daß ſie unſeres Blauenſteins Dank ebenſo verdient, verſteht ſich. Aber auf jeden Fall moͤgte das allerliebſte Kind eine gute Parthie fuͤr Vetter Heinrich ſein, nicht wahr?

Was!? rief der letztere, eine ehemalige Nonne? Gott ſoll mich behuͤten und bewahren! In dieſem Punkte lobe ich mir die dienſtbereite Wirthin, deren Kloſterraiſonnement recht eindring¬ lich von Staunitz vorgetragen wurde. Ein Weib, das aus reiner ſentimentaler Laune in ein Kloſter zieht, iſt mir zuwider; uͤberhaupt taugen ſolche Schmachtlampen nicht viel, und koͤnnen meinet¬ wegen bleiben wo ſie ſind. Daher begreife ich noch nicht, wie ein vernuͤnftiger Menſch vom ſogenannten Kloſterberufe ſprechen kann!

Wie Du doch wunderlich biſt, lieber Oncle! ſagte Tina, und in ihrem Auge lag ein Ausdruck tiefbewegter Empfindung. Hat man nicht im Kloſter Zeit, wieder gut zu machen, was man durch Leichtſinn und Unerfahrenheit verdarb, kann man hier nicht rein werden von allen Schlacken des Irdiſchen, und ſein Gemuͤth empor heben zu dem, der unſer Schickſal waͤgt?

233

Kind, erwiederte Heinrich lachend, das klingt Alles recht fein, aber es iſt dummes Zeug! Und am Ende iſt Dir das Kloſter, was Blauen¬ ſtein Dir zeigen oder erweiſen wird, zehnmal lieber, als ſo ein alter verwetterter Steinhaufen mit Eulen und alten Weibern angefuͤllt!

Tina verſetzte dem Oncle einen leichten Schlag, verbarg ihr Erroͤthen an Blauenſteins ſeliger Bruſt, und fragte Staunitz, ob er zu Ende ſei.

Allerdings, erwiederte dieſer, meine Leidens - und Liebesgeſchichte waͤre aus, und jetzt, meine Theuren, lade ich Sie gegenſeitig ein, mir nach dem gaſtlichen Hauſe des Forſtinſpectors zu fol¬ gen, und erwarte durchaus keine abſchlaͤgliche Antwort. Das Wetter iſt heiter und zu einem Gange in's Freie einladend, wenn es daher beliebt, ſo gehn wir zu Fuß durch den ſchoͤnen Forſt!

Man dankte dem Erzaͤhler fuͤr ſeine Mitthei¬ lungen; Heinrich meinte, ſeine Rechtfertigung waͤre im Ganzen ſo uͤbel eben nicht, und verdiene beachtet zu werden. Die Geſellſchaft war auch ſogleich, von innerer Neugierde getrieben, bereit, dem ungeduldigen Staunitz zu folgen, der ſo234 ſehnlich wuͤnſchte, ſein Frauchen in des Grafen Haus nun endlich einzufuͤhren.

Blauenſtein durchzog einſtweilen mit ſeiner angebeteten Albertine den lauſchigen Park. Beide hatten ſich noch ſo unendlich viel zu ſagen, die Liebe machte ſie gegenſeitig ſo beredt, und zog ſie zur Einſamkeit hin, daß ſie die Zeit nutzten und am Ufer des plaͤtſchernden Sees in ſuͤßer Hin¬ gebung ſich ihrer Liebe freuten. Aber Tina, war es Adelinens ſonderbares Zuſammentreffen mit Staunitz, ohne welches ſie ihres Herzens Auser¬ waͤhlten doch nimmer das haͤtte ſein koͤnnen, was ſie jetzt ihm war, oder war es die Erinnerung an ihre ungluͤckliche Mutter, die im nahm Raſen¬ huͤgel des freundlichen Gartens den ewigen Schlaf des Todes ſchlief, Tina brach in ein ſanftes Weinen aus, und zog den tief geruͤhrten Freund an ihres Muͤtterchens friſch erbluͤhtes Grab. Eine zarte blaue Winde hatte ihre rankigen Faͤden um eine aufgebluͤhte Fruͤhroſe geſchlungen, und lachte dem Paare anmuthig entgegen.

Mein Freund, mein einzig geliebter Freund! hob Tina an, und ließ ſich an dem einfachen Denkſteine nieder, hier ſchwoͤre mir, nur mir anzugehoͤren, hier, an meines unvergeßlichen Muͤt¬235 terchens Grabe! Sieh, hier ſei Dein Ebenbild, die blaue Winde, die ſich treuliebend um die Roſe ſchlingt, bis der ſpaͤte Herbſt dem ſuͤßen Leben ein Ziel ſetzt! Sie vermogte in ihrer Ruͤh¬ rung nicht weiter zu reden, und das liebende Paar gelobte ſich tief im Innern der keuſchen Herzen Treue bis zum Tode!

11. Aufklaͤrungen.

Nach einer halben Stunde war die Geſellſchaft im anmuthig gelegenen Forſthauſe angelangt, da oͤffnete ſich die Thuͤr des naͤchſten Zimmers, und ein anmuthiges junges Weib flog mit Thraͤnen der Freude an Staunitz Bruſt, um nach wenig Augenblicken an Tinas hochſchlagendem Herzen auszuruhn. Wahrhaftig, ſagte Oncle Heinrich zu ſich ſelbſt, Vetter Staunitz hat keinen ſchlechten Geſchmack, und mein Dollond mag doch ein wenig getaͤuſcht haben, denn damals ſah das wunderhuͤbſche, liebliche Kind viel blaͤſſer und unfreundlicher aus.

Hier meine Theuren, ſagte Staunitz, und236 ergriff die zarte Lilienhand ſeines Frauchens, hier iſt meine Adeline!

Indem trat der alte Forſtinſpector mit ſeiner Gemahlin aus dem Zimmer, und lud die verehrten Gaͤſte ein, naͤher zu treten und ein Stuͤndchen froͤhlich zu verplaudern, was auch nicht ausge¬ ſchlagen wurde. Nach kurzer Zeit geſellte ſich auch der junge Kluge, Staunitz einſtiger Reiſe¬ gefaͤhrte mit ſeiner Braut zu ihnen, und der froͤhlichen Scherze und des Austauſches witziger Neckereien war gar kein Ende. Auf jeden Fall ſollte der Graf den folgenden Tag von Allem unterrichtet werden, ſo daß die reizende Adeline ihrem geliebten Gatten nach Blumenau folgen koͤnne; man gab ſich das gegenſeitige Verſprechen, ſein Moͤglichſtes in der zarten An¬ gelegenheit zu thun, damit keine Art irgend einer Mißhelligkeit entſtehe, und mit einem feurigen Kuße keuſcher Gattenliebe eilte Staunitz aus der Umarmung ſeines Weibes mit der uͤbrigen Ge¬ ſellſchaft in der kuͤhlen Abenddaͤmmerung nach Blumenau zuruͤck.

Es wurde eine Zeitlang hin und her uͤber¬ legt, wer eigentlich dem Grafen von Staunitz Verheirathung, von Blauenſteins Liebe zu Tina237 ſagen ſollte, ob Staunitz, ob Tina oder Oncle Heinrich. Der letztere meinte zwar, das werde ſich ſchon finden, erfahren muͤſſe er es doch, und dann ſei es im Grunde einerlei, durch wen. Aber er beſchloß heimlich bei ſich, die Sache ſelbſt, und zwar noch heute Abend abmachen zu wollen.

Der Graf war von ſeiner Geſchaͤftsreiſe zu¬ ruͤckgekehrt; Oncle Heinrich ging ſchnurſtracks zu ihm in's Cabinet, und beide Herren kamen auch daraus nicht wieder fuͤr den Abend zum Vorſchein. Der alte Martin wurde von Tina einmal gar beauftragt, vor dem erwaͤhnten Zimmer vorbei¬ zugehn, ob etwa drinnen heftig geredet wuͤrde, denn es war ihr ſo bang um's Herz, als ſolle die kaum emporſteigende Sonne ihres jungen Liebesgluͤckes wieder hinabſteigen in ein finſteres Wolkenmeer; und wirklich berichtete der alte Graukopf, es werde ziemlich laut geſprochen, aber man koͤnne durchaus kein Wort verſtehn. Die heimliche Angſt ließ ſie nicht zu ſich ſelbſt kommen; ſie vermogte bei Tiſch keinen Biſſen zu eſſen, und die Nacht entſchwand unter tauſend Qualen.

Blauenſtein erging es nicht viel beſſer; er ſtarrte eine Zeitlang auf Tinas kunſtreiches Ge¬238 ſchenk, die zierlich geſtickte Brieftaſche, um die ſich ein Gewinde von Vergißmeinnicht und Roſen auf gruͤnem Grunde ſchlang. Gruͤn, dachte Blauenſtein, iſt die Farbe der Hoffnung, Liebe und Treue deuten mir die andern ſinnigen Blumen, und ſo will ich getroſt in die Zukunft ſehn.

Am andern Morgen beſchied der alte ergraute Kammerdiener Blauenſtein zum Grafen. Er ſchrak unwillkuͤhrlich in einander, und begab ſich voll banger Erwartung in des letztern Gemach. Der Graf trat ihm freundlich entgegen, aber doch lag in ſeinen Zuͤgen ein Ernſt, eine halb unter¬ druͤckte Wehmuth, die er ſich nicht zu erklaͤ¬ ren wußte.

Entſchuldigen Sie, hob der Graf an, und winkte dem erſchrockenen jungen Manne zum Niederſitzen, entſchuldigen Sie, mein junger Freund, daß ich Sie zu dieſer ungewohnten Stunde zu mir rufen laſſe. Ich moͤgte gern wieder gut machen, was ich einſt, wenn auch unbewußt, verſchuldet, und Sie ſollen mir Auf¬ klaͤrung geben.

Nach dieſen Worten, deren Sinn Blauenſtein239 nicht begriff, nahm der Graf aus einem Secretair ein reicheingefaßtes Miniaturbild, zeigte es dem jungen Manne, und dieſer erkannte die Zuͤge ſeines verklaͤrten Vaters, der hier in ſeiner Jugend gemalt ſein mußte.

Iſt dies das Bild Ihres ſeligen Herrn Vaters? fragte der Graf mit feuchtem Blicke.

Ohne allen Zweifel! entgegnete Blauenſtein

Ich dachte es wohl, fuhr der erſtere fort, aber ich wollte Gewißheit haben. Ich darf vorausſetzen, daß Ihnen die Jugendgeſchichte Ihres Vaters nicht verborgen geblieben iſt. Er liebte Fraͤulein Marie von Struen, meine nachmalige Gattin, aber ich wußte davon nichts und warb, halb ein Spiel meiner Verwandten, halb von Mariens zauberiſcher Liebenswuͤrdigkeit hingeriſſen, um ihre Hand in einer Zeit, wo das Band, welches ſie an Ihren vortrefflichen Vater knuͤpfte, gewaltſam getrennt war, und ich glaubte ſie gluͤcklich. Erſt ein Jahr nach unſerer Verhei¬ rathung erhielt ich Licht, und kaum begreife ich, wie ich hatte ſo verblendet ſein koͤnnen, und ich habe mir lange, lange die heftigſten Vorwuͤrfe gemacht, weshalb ich an der Seite dieſes holdſeligen240 Engels einen Gedanken an Eiferſucht in mir aufkommen laſſen konnte. Aber erſt wenige Jahre vor ihrem Tod: ließ mich meine theure Marie einen Blick in ihr fruͤheres Leben thun; ſie dankte mir fuͤr die Geduld, die ich mit ihr gehabt, der Himmel weiß, wie ſchwach ich war und es wohl noch bin, und beruͤhrte dann die Sache nicht wieder. In ihrem Nachlaſſe fand ich das Miniaturbild, was Sie ſo eben ſehen, und aus eini¬ gen Papieren Mariens erhellt, das Ihr ſeliger Herr Vater auch ihr Bild empfangen haben muß.

Blauenſtein erinnerte ſich augenblicklich des lieblichen Bildes, das er im Hauſe ſeines Vaters gefunden, das mit ſeiner geliebten Albertine eine ſo taͤuſchende Ähnlichkeit zeigte, und bat den Gra¬ fen, fortzufahren.

Wie mußte es mich nun uͤberraſchen, als ich Sie in Friedlingen kennen lernte, ſagte der letztere, denn jenes Bild und Ihr Geſicht iſt ganz eins, als ich wenige Stunden nach Ihrer edlen Retterthat aus Ihrem eignen Munde hoͤrte, Ihr Name ſei Baron von Blauenſtein. Ich dachte an die Mittheilungen meiner unvergeßlichen Marie, aber ich konnte dieſe Saite, nennen Sie es Schwaͤche, nennen Sie es mit einem ſchlimmern241 Namen, in Ihrer Gegenwart damals nicht beruͤh¬ ren, und behielt meine Entdeckung bei mir.

Geſtern Abend kommt mein Schwager Hein¬ rich, erzaͤhlt mir Staunitz wunderbare Ver¬ heirathung, und entdeckt mir in's Geheim, daß ſeine Gemahlin hier in der Naͤhe wohne, und nur des Augenblicks harre, wo ſie mit ihrem Gatten hieher eilen koͤnne. Mein armes Kind, meine Tina, that mir unausſprechlich leid, denn ich glaubte, ſie wuͤrde ein Opfer ihres Grames werden, und ſagte dies meinem Schwager, da lacht mir der Menſch, meine Stimmung contraſtirte widrig hiemit, laut in's Geſicht, und meint, Sie, mein junger Freund, wuͤrden Staunitz Stelle ſchon auszufuͤllen wiſſen. Allerdings iſt es mir nicht entgangen, daß Sie mein Kind auszeichneten, aber ich ahnete nicht, daß ein ſonderbares Ungefaͤhr Tinas Verbindung mit Staunitz aufhob.

Der Graf ergriff nach dieſen Worten das kleine Bild ſeiner verſtorbenen Gemahlin, trocknete die darauffallenden Thraͤnen von dem ſpiegelreinen Glaſe, aus welchem die zauberiſchen Zuͤge der Verklaͤrten hervorlaͤchelten, und fuhr, nachdem er ſich wieder erholt, denn es ſchien ein Kampf ſonderbar geweckter Empfindungen in ihm zu16242beginnen, zu Blauenſtein gewendet, folgender¬ maßen fort:

Was ich vorhin nur andeutete, muß ich Ihnen zu meiner eigenen Rechtfertigung naͤher auseinander ſetzen, denn Sie ſtehn mir jetzt nahe wie ein geliebter Sohn. Ich habe mannigfache Erfahrungen in meinem Leben eingeſammelt, ich habe die Menſchen, ihr oft ſo verwirrtes, zweck¬ loſes Treiben kennen gelernt, und war ſelbſt zu einer Zeit ein Spiel ungluͤckſeliger Verhaͤltniſſe, die ich fuͤr die ſeligſte meines Lebens hielt.

Der Freiherr von Struen, meiner ſeligen Marie Vater, war ſtolz und, moͤge es ihm der Himmel verzeihn, von einer nie zu billigenden Habſucht erfuͤllt; Geld, Adel und vornehme Ver¬ bindungen waren ſeiner Goͤtzen angebetetſte, ihnen opferte er Alles, Alles, nur ſich ſelbſt nicht, denn er war Egoiſt. Die Liebe hatte meine Augen verblendet, ich

Entſchuldigen Sie meine Unterbrechung; fiel Blauenſtein dem Grafen in die Rede, ich kenne zwar meines Vaters Verhaͤltniſſe zu dem von Struenſchen Hauſe, aber ich fand keinen Auf¬ ſchluß daruͤber, wo der Freiherr fruͤher gelebt, wo243 er nach ſeinem Zwieſpalt mit unſerm Hofe ſich hingewendet, und wie Sie, mein vaͤterlich geſinnter Freund, die holde Marie, Ihre nachmalige Gattin, kennen gelernt haben. Zuͤrnen Sie mir dieſer Fragen halber nicht; denn meine Verehrung, die ich der Verklaͤrten zolle, muß meine Neugierde rechtfertigen, und zu ſehr regten ſie die letz¬ ten Mittheilungen meines unvergeßlichen Vaters auf!

Ich weiß es zu wuͤrdigen, fuhr der Graf mit mildem Ernſte fort, und ſchaute unverwandten Blickes auf das Miniaturbild, ich weiß es zu wuͤrdigen, mein junger Freund, und Sie ſollen Alles wiſſen. Wie leicht koͤnnten Sie mich fuͤr herzlos halten, wie leicht koͤnnten Sie vermuthen, ich habe mit kalter Überlegung das Band zerriſſen, was die Liebe um meiner Marie, und um Ihres verklaͤrten Vaters Herz geſchlungen, denn ich ahnete nicht, daß Marie Ihren Vater je geliebt, ich kannte ihn nicht einmal dem Namen nach, da ich mich in der Reſidenz nie lange Zeit aufhielt. Aber hoͤren Sie mich an, vernehmen Sie meine Rechtfertigung. Und waͤre jener verklaͤrte Engel, deſſen Leben ſo oft getruͤbt wurde, ſelbſt gegen¬ waͤrtig, er koͤnnte es nicht anders vorſtellen, als es geſchehn wird!

16 *244

Herr Graf, ſagte Blauenſtein, als jener ein wenig in ſeiner Rede ſtill ſtand, Sie ſind in einer zu aufgeregten Stimmung, ſchonen Sie Ihre Kraͤfte! Schon der innige Antheil an dem Mißgeſchick meines Vaters zeigt mir, das Ihnen ſeine Verhaͤltniſſe zu Fraͤulein Marie von Struen unbekannt ſein mußten!

Entſchuldigen Sie dieſe innere Aufregung, entgegnete der Graf mit Ruhe, aber ich weiß nicht, was mich heute ſo innig bewegt und wei¬ biſche Thraͤnen in mein Auge lockt. Hoͤren Sie mich denn an, ich werde bald zu Ende ſein. Ich lernte Marien auf dem Landſitze einer Tante kennen, in deren Naͤhe Struens Erbguͤter liegen, welche ſchon damals ſehr uͤberſchuldet waren. Wer haͤtte dieſen holden Engel ſehn und nicht augenblicklich lieben koͤnnen! Ich ſah ſie oft, beinahe taͤglich; wir unterhielten uns, ich las ihr vor, meine Hand leitete mit ſicherer Keckheit den Kahn uͤber den großen, mit Wald begrenzten Weiher meiner Tante, und Marie folgte mir gern. Der Freiherr und ſeine Gemahlin mogten bemer¬ ken, was ich fuͤr ihr Kind empfinde, und zeigten ſich mir jeder Zeit freundlich und zuvorkommend; aber mein Mund war verſchloſſen, eine namenloſe Angſt ergriff mein Herz, wenn mir in Mariens245 Gegenwart der Gedanke beikam, es ſei eine guͤn¬ ſtige Zeit, ihr meine gluͤhende Liebe zu geſtehn. Ich gehoͤrte nie zu den eitlen Gecken, welche ſich bei jeder natuͤrlichen Offenheit und Freundlichkeit eines jungen, unbefangenen Maͤdchens einbilden, ſie ſeien geliebt, es beduͤrfe nur der Anfrage, um ſich am Ziel ihrer Wuͤnſche zu ſehn; aber ich war vielleicht zu ſehr zuruͤckhaltend, hatte zu wenig Kenntniß des menſchlichen Herzens, das ja immer unergruͤndlich bleibt. Oft nahm ich mir vor, etwas weiter auszuholen, Mariens eigentliche Empfindungen zu erforſchen, aber ich fand immer nur die heitere, unbefangene Natuͤr¬ lichkeit ihres ſo unendlich einnehmenden Weſens, und wußte mir ſelbſt nicht zu rathen. Meine Tante, welche mit der alten Frau von Struen ziemlich vertraut war, wuͤnſchte eine Verbindung zwiſchen Marien und mir von ganzer Seele; ſie ſah meine Zaghaftigkeit und wollte doch auch nicht gegen meinen Willen mit Mariens Eltern von der Sache reden. So verging eine lange Zeit.

Endlich, ich hatte gar keine Ahnung davon, erhielt ich die Nachricht, daß der Freiherr ſeine Guͤter verlaſſe und nach der Reſidenz gehe, wo246 er auch in Verhaͤltniſſen geſtanden und operirt hat, die mir niemals bekannt geworden ſind.

Die Leidenſchaft fuͤr Marie hatte den hoͤchſten Grad erreicht, ich verzehrte mich ſelbſt, ſchwand, wie mich meine Verwandten verſicherten, ſichtlich hin wie ein Schatten, und ſah doch keine freund¬ liche Ausſicht vor mir. Meine Tante ſchlug mir vor, ſchnell nach der Reſidenz zu reiſen, und beim Freiherrn von Struen um die Hand ſeiner Tochter anzuhalten. Es blieb mir im Grunde kein an¬ derer Weg uͤbrig, und voll, theils ſuͤßer, theils banger Erwartungen, reiſ'te ich mit nichts, als meiner Liebe beſchaͤftigt, nach der Reſidenz ab. Der Freiherr empfing mich nebſt ſeiner Gemahlin unendlich freundlich; ſie mogten beide die Abſicht meines Beſuches kennen, und erleichterten mir meinen Antrag, den ich machte. Der Freiherr ſagte mir, ich ſei ihm als Schwiegerſohn herzlich willkommen, ich habe mit ſeiner Tochter einen Glauben, und ſei von ihr geachtet und geliebt.

Meine Freude kannte keine Grenzen, ich ver¬ langte nach Marien, aber ſie war nicht in der Reſidenz gegenwaͤrtig, ſondern in N. bei ihrem Großvater muͤtterlicher Seite, wo ich nach einigen Monaten hinreiſ'te, indem der Freiherr die Reſi¬217 denz wegen einer Unannehmlichkeit am Hofe meiden mußte. Man ſagte ſpaͤter, er ſei in Un¬ gnade gefallen, doch habe ich das Naͤhere hieruͤber ebenfalls nie erfahren, da er einige Zeit nach meiner Verbindung mit Marien ſtarb, und ihm ſeine Gemahlin kurz darauf folgte.

Marie empfing mich freundlich, aber mit einer Niedergeſchlagenheit, die ich nur in meiner Ver¬ blendung nicht bemerkte. Sie hielt mich zu ent¬ fernt, als daß ich ihr haͤtte ein Geſtaͤndniß meiner Liebe thun koͤnnen, und ſo vergingen viele Mo¬ nate. Ich war bald im Hauſe meiner Tante, bald in N., indem der Freiherr ſeine Guͤter aus einer Urſache nicht bezog, die ich erſt ſpaͤterhin erfuhr. Was ich nicht uͤber meine Lippen bringen konnte, vertraute ich einem Briefe an Marien, ſie lud mich gleichfalls ſchriftlich zu ſich ein, und ich verlobte mich mit ihr in Gegenwart ihrer nun ganz zufriedengeſtellten Eltern.

Ich war von meinem Gluͤcke berauſcht, mit Freuden bezahlte ich eine ziemlich bedeutende Summe Schulden, welche den Freiherrn druͤckte, und war gern bereit, ihm aͤhnliche Dienſte zu erweiſen. Erlaſſen Sie mir die Eroͤrterung dieſer248 Puncte, mein lieber junger Freund, Sie werden den Zuſammenhang leicht errathen.

Auf einer kleinen Reiſe hatte ich hier Blu¬ menau kennen gelernt; ſeine ſchoͤne Lage beſtach mich und ich freute mich herzlich, als ich erfuhr, der Landſitz ſolle verkauft werden. Ich erzaͤhlte Marien davon; ſie wuͤnſchte ſich immer ein gewiſſes einſames Leben, und freute ſich meines neuen Ankaufes, da ſie Blumenau ebenfalls bereits kannte. Hier feierte ich auch meine Ver¬ maͤhlung, wenn es mir gleich nicht entgehen konnte, daß Marie nicht ſo heiter war, als ich erwartet hatte. Im Rauſche meines Gluͤcks war ich kurzſichtig geworden; die heimlichen Thraͤnen, welche Marie vergoß, fielen, es konnte mir zuletzt ihr geheimer Kummer nicht mehr entgehn, wie gluͤhendes Blei in mein Herz, meine Augen oͤffneten ſich, und ich war nun vielleicht noch un¬ gluͤcklicher als ſie ſelbſt. Ich beſchwor Marien bei Allem, was ihr theuer ſei, bei der Ruhe meines Lebens, ſie moͤge mir geſtehn, was ihr ſei, was in ihr vorgehe, Beide Eltern waren kurz vorher geſtorben, ich darf es nicht unberuͤhrt laſſen, und dieſer Umſtand mogte ihr zartes Herz tief erſchuͤttern. Anfangs laͤchelte ſie uͤber meine Beſorgniß, aber dann ſank ſie mir weinend an249 die Bruſt, und geſtand mir Alles, wie ſie Ihren Vater kennen gelernt, wie innig ſie ihn geliebt habe, daß der alte Freiherr dies Band gewaltſam getrennt, vielleicht wie ſie meinte, wie ich aber mit Zuverlaͤſſigkeit annehmen konnte, aus elender Geld¬ ſucht, aus Furcht, ſein Haus moͤge ohne meine Un¬ terſtuͤtzungen in Elend verſinken. Die Religions¬ verſchiedenheit Mariens und ihres Geliebten war nur Nebenſache geweſen!

Mariens Herz war in der That merklich er¬ leichtert durch ihre Mittheilung; ſie ſchwebte wie ein holder Engel des Himmels um mich her, und machte mich durch meine beiden Kinder zum gluͤcklichſten Vater. Aber ein heimliches Gift nagte an der zarten Bluͤthe ihres edlen Lebens, und ehe noch die kleine Tina ihr achtes Jahr erreichte, war meine Marie todt! Sie war nicht fuͤr dieſe Welt, das elende Treiben dieſer jaͤmmerlichen Menſchen ſtimmte nicht zu der klaren Reinheit ihres himmliſchen Herzens.

Erlaſſen Sie mir fuͤr heute die Auseinander¬ ſetzung mancher kleinen Nebenumſtaͤnde, die Sie vielleicht ſchon von ſelbſt errathen. Ich hoffe, ich ſtehe in Ihren Augen als kein Schuldiger da; ich war ſchwach, und des Engels nicht werth,250 aber kein Falſch kam in mein Gemuͤth. Sie wurde mir zu fruͤh genommen, und meine einzige Freude ſind meine Kinder, die meine letzten Tage mit Blumen reichlich ſchmuͤcken! Ich weiß es, Convenienzverbindungen ſind keine Grundpfeiler eines daurenden Lebensgluͤckes; dem Herzen laſſe man ſeine Gewaͤhrung, man greife nicht ſtoͤhrend in die Seligkeit der Liebenden, die ſich gefunden. Geheime Thraͤnen habe ich geweint, als ich durch meinen Schwager der Liebe Tinas zu Ihnen gewiß ſein konnte. Wenn Ihr trefflicher Vater nicht gluͤcklich ſein konnte, ſo ſollen Sie es werden durch die Hand meines Kindes, das Ihrer werth iſt. Mir gilt es gleich, wem Tina einmal die ſchoͤnſten Tage ihres Lebens dankt; alſo ſein Sie mir als Sohn herzlich willkommen; nennen Sie es nicht zudringliche Voreiligkeit, daß ich eher von Ihrer Liebe ſprach, als Sie es ſelbſt gethan. Aber ein liebender Vater durchbricht gern die Schranken einer angenommenen Regel!

Das hatte Blauenſtein nicht erwartet, er eilte in die ihm entgegen gebreiteten Arme des edlen Grafen, und erzaͤhlte, wie es der innigſte Wunſch ſeines verklaͤrten Vaters geweſen ſei, die holde Tina als ſeine Tochter einſt an ſein Herz zu ſchließen, und wie dies ſein hinterlaſſenes Teſtament251 erweiſe. Da oͤffnete der Graf eine Seitenthuͤre, Tina, von braͤutlicher Scham uͤbergoſſen, eilte in liebreizender Verwirrung an des uͤberſeligen Blauenſteins Bruſt, um mit ihm vereint den vaͤterlichen Seegen zu empfangen.

12. Das Verlobungsfeſt.

Oncle Heinrich war ein großer Freund der Familienfeſte, und meinte bei ſich, wenn ſich auch Tinchen mit ihrem Blauenſtein ſchon verlobt habe, ſo koͤnne dies doch um ſo mehr noch ein¬ mal in optima forma geſchehen, da man der¬ gleichen Feierlichkeiten auf eine unverzeihliche Weiſe zu vernachlaͤſſigen anfange. Ich bin zwar niemals verlobt geweſen, ſagte er zu Staunitz mit dem er uͤber die Arrangements das Naͤhere beſprechen wollte, allein es ging zu der Zeit, wie ich noch jung war, ganz anders her. Da verſammelte man ſich feierlich im Hauſe der Braut, der Ringwechſel fand ſtatt, und hinterher paſſirte auch wohl ein Aufzug, oder ein Taͤnzchen. Heutzutage ſchaͤmt man ſich beinahe, die edle252 Sitte hervorzurufen. Die letzte Verlobung, der ich beiwohnte, war bei dem Oberlandforſtmeiſter; da gings bunt her; meiner Seele, iſt da doch getollt worden! Der Geheimrath Sacken hatte ſchwer geladen, und wie er dem Paare Gluͤck wuͤnſchen wollte, rannte er mit dem hintern Theile ſeines Koͤrpers dem Vater der Braut vor ſeinen dicken Bauch, wurde von dieſem elaſtiſchen Berge zuruͤckgeſchleudert, und ſchoß eine Lerche, daß er an der Erde lag, wie ein Sack! Das gab nun freilich einen tollen Laͤrm, aber wir ließen uns nicht ſtoͤhren. Diesmal, hoffe ich uͤbrigens, ſoll es nicht auf einen ſolchen Sturz ausgehen, und ich bin im Grunde froh, daß die Sache ſo endigte.

Wie ſo? fragte Staunitz.

Nun, erwiederte Heinrich lachend, daß Tinchen bei der Parthie nicht leer ausgeht. Anfangs dachte ich immer, ſie wuͤrde ohne den Vetter Staunitz nicht leben koͤnnen, und wie ich ſo dem Dinge auf die Spur kam, dachte ich immer bei mir, es waͤre gut, wenn der Menſch ſein Herz verzehren und ein neues in ſich werden laſſen koͤnnte, wie der Magen beim253 Krebſe. *)Es ſei mir erlaubt, dies merkwuͤrdige Ereigniß in der Natur des Krebſes hier naͤher ausein¬ anderzuſetzen. Zur Zeit der Haͤutung oder Mau¬ ſerung die es Inſects, eine angreifende Periode fuͤr daſſelbe, fuͤhrt es die bekannten halbkug¬ lichen, kalkartigen, ſogenannten Krebsſteine im Magen, welche ſich von den Nahrungsmitteln abgeſetzt haben. Der Magen ſelbſt liegt im Kopfe, nahe bei den Augen, und iſt mit drei ſcharfen, breiten, dicht aneinanderſtehenden Zaͤh¬ nen verſehn. Nach Abloͤſung der Schale iſt der Krebs weich und butterartig, jedoch verhaͤrtet ſich die aͤußere Decke, vermuthlich durch Auf¬ loͤſung der erwaͤhnten Krebsſteine, welche ſich in eine fluͤſſige Maſſe aufloͤſen. Bei dieſer Haͤu¬ tung erneuern ſich Magen und Gedaͤrme, indem ſich beide Eingeweide abloͤſen, und ſich neue an deren Stelle bilden. Der neue jetzt entſtandene Magen verſchlingt nun zugleich die erwaͤhnten alten Abgaͤnge als erſte Nahrung. Man kennt uͤbrigens jetzt mehr als 200 Gattungen der Krebſe! Aber nun geht ja die Sache friſch und nicht den Krebsgang, daher iſt Alles gut, wie es der Himmel gefuͤgt hat!

Staunitz war froh, daß Oncle Heinrich ſeinen Sermon geendigt hatte, und traf Anſtalten zum Abholen ſeiner Adeline vom einſamen Forſthauſe;254 da meinte aber Emil, die Sache habe noch ein wenig Zeit, weil ein gehoͤrig geordneter und geſchmuͤckter Reiter und Wagenzug vor der jungen Frau erſcheinen muͤſſe, damit ihr Einziehn in die Burg ſeiner Vaͤter auch freundlich und uͤberraſchend ſei. Fuͤr den weiblichen Theil hielt ein glaͤnzender Wagen in Bereitſchaft, die jungen Maͤnner aber ſollten unter Heinrichs Anfuͤhrung die Wagen zu Pferde in moͤglichſtem Putz begleiten, und dann die liebreizende Adeline dem im Schloſſe zuruͤck¬ bleibenden Grafen entgegenbringen. Heinrich beſtieg auch mit froͤhlichem Eifer ſeine alte Iſa¬ belle, kehrte ſich nicht an ihr unziemliches Quiecken und Bocken, und ſprengte vor dem Maͤnnerklee¬ blatte her, das ſeinen Platz vor dem glaͤnzenden graͤflichen Wagen einnahm.

Unter Thraͤnen der edelſten Ruͤhrung und Freude ſtieg Adeline, von Roſalie, der Braut des jungen Kluge, und Tina begleitet, waͤhrend ſich der letztere als vierter Reiter mit zu den Maͤnnern geſellte, in den feſtlich geſchmuͤckten Wagen. In der großen Lindenallee vor Blumenau hielt der Zug an; die auserleſenſte Jugend von den Guͤtern des Grafen harrten hier mit einem kleinen Triumphwagen, der mit den lieblichſten Roſen¬ gewinden anmuthig und kunſtreich durchſchlungen255 war; auf dem Sitze lag ein weiches Polſter von rothem Sammt mit reichen Kanten. Tina ſo¬ wohl, als ihre neue Freundin Adeline war hoͤchſt von der glaͤnzenden, phantaſtiſchen Erſcheinung uͤberraſcht, denn Bruder Emil und Oncle Heinrich hatten Alles ganz heimlich in großer Geſchwin¬ digkeit angeordnet, und dieſe Verwunderung ſtieg noch hoͤher, als die drei Damen genoͤthigt wurden, in dem Roſenwagen Platz zu nehmen, und ſich von der geputzten Landjugend nach dem Park von Blumenau ziehn zu laſſen. Im Bosquet war in aller Schnelligkeit ein gruͤner Laubtempel errichtet, ebenfalls mit Roſen und andern Fruͤh¬ lingsbluͤthen durchflochten, und unter einer in der Mitte der durchſichtigen Decke ſchwebenden Blu¬ menkrone erhob ſich ein einfacher Altar mit der flackernden Flamme. In der Naͤhe des einen Blumenpfeilers ſtand der Graf in glaͤnzendem Hofſtaat mit Kreuz und Orden, und empfing die Gemahlin ſeines Vetters Staunitz mit der ihm eigenen zuvorkommenden Freundlichkeit und Guͤte.

Adeline war faſt keines Wortes maͤchtig; ſie war ihrer Freundin Albertine in die Arme ge¬ ſunken, als koͤnne ſie dieſe Fuͤlle freudiger Ereig¬ niſſe nicht ertragen. Da faßte der Graf, der256 ſeine Faſſung zuerſt wieder gewonnen, ihre zarte Hand, fuͤhrte ſie Staunitz laͤchelnd entgegen, und ſagte: Sein Sie gluͤcklich mit ihm! Ich hatte gehofft, er werde in wenigen Wochen meines Kindes Gatte ſein, aber die Maͤchte dort oben, wo unſer Schickſal beſtimmt wird, wollten es anders. Jetzt iſt ſie Braut eines jungen Mannes geworden, deſſen Schuldner ich mich nennen muß, und ich habe den ſchoͤnen Glauben, daß er meine Tina gluͤcklich machen wird. Die Wege der Vorſehung ſind nicht die unſern; das heitere Liebesgluͤck, auf das meine Marie an der Seite eines wider ihren Willen gewaͤhlten Mannes ver¬ zichten mußte, mag der Himmel den Verlobten geben. Sie haben, ein Spiel des freundlichen Zufalls, in die Naͤhe dieſes Engels gerathen muͤſſen, lieber Vetter, fuhr der Graf fort, ſich an Staunitz wendend, um in ſeinen Armen fuͤr ein Gut entſchaͤdigt zu werden, daß Blauenſtein Ihnen nahm, ehe er es ſelbſt ſich bewußt war. Der Geiſt meiner verklaͤrten Marie ſpende Euch, meine Theuren, ſeinen Seegen!

Der Graf vermogte nicht weiter zu reden, die Erinnerung an die zu fruͤh Verlorne war zu ſtark, als daß er ſich in ſeiner lebhaften Ruͤhrung haͤtte ermannen koͤnnen, und er beurlaubte ſich257 bei den jungen Paaren, indem er ſein einſames Zimmer aufſuchte.

Die Liebe erheitert das jugendliche Gemuͤth, wenn ſie auch in jedes fuͤhlende Herz eine ſuͤße, zarte Wehmuth gießt. Die jungen Paare ge¬ lobten ſich Treue bis zum Tode, und reichten ſich im Vollgefuͤhl ihres verdienten Gluͤcks die Haͤnde uͤber der emporlodernden Flamme des Altars, und aus dem nahen Waldgebuͤſch ſchwebte auf den Fittigen des friſchen Windes der Fruͤhlingshymnus der froͤhlichen Äſtebewohner heruͤber.

Wenn Ihr nicht gluͤcklich werdet, ſagte endlich Oncle Heinrich, indem er heiter und ſorglos die feierliche Stille unterbrach, wenn Ihr nicht gluͤcklich werdet, ſo muß es nicht mit rechten Dingen zugehn! Solche Ceremonien ſind mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen, und meine Praxis iſt im Ganzen ſo uͤbel nicht; allein ich finde dies Alles brav und lobenswerth! Doch, ehe ich die Sache wieder vergeſſe, muß ich ſchnell eine Querfrage thun. Vetter Staunitz meinte geſtern, wenn ich nicht irre, er habe eine frohe Nachricht bekommen, die moͤgten wir doch gern wiſſen, wenn die Sache nicht eine bloße Windbeutelei iſt. Man darf dem Herrn Vetter17258nicht recht trauen, und daher rathe ich Ihnen, meine ſchoͤne Couſine, wandte er ſich an die holdſelige Adeline, auf den Patron ein wachſames Auge zu haben!

Gut, daß Sie mich jetzt daran erinnern! erwiederte Staunitz, und ſchlang ſeinen Arm um den ſchlanken, bluͤhenden Sylphenleib ſeines lie¬ benswuͤrdigen jungen Weibes. Die angenehme Nachricht beſteht aber darin. Ich erhielt von B. einen vielſagenden Brief; die vaͤterliche Erbſchaft, welche wir fuͤr verloren hielten, iſt glaͤnzend aus¬ gefallen, und hier, fuhr er fort, und zog aus der Taſche mehrere ſauber zuſammengelegte Papiere, hier in dieſen Documenten ſteht es ſchwarz auf Weiß, daß meine theure Adeline außer ihrem Muttergute noch uͤber eine Tonne Goldes zu befehlen hat!

Bringſt Du mir weiter nichts, wie immer nur Geld und Reichthum, mein Geliebter? fragte Adeline mit komiſcher Traurigkeit im Blicke. Haſt Du keine andern Nachrichten? Vor Allem bewahre mir Deine Liebe, ohne dieſe ſind Tonnen Goldes eitler Tand, nichts ſagender Prunk, der nur kalte Herzen zu erfreuen vermag, die eben ſo hart ſind, als ihr angebetetes Metall!

259

Wohl Dir, ſagte Staunitz mit einem zaͤrt¬ lichen Haͤndedrucke, wenn Du edlere Guͤter kennſt und beſitzeſt, als den Reichthum! Aber findet ſich Zufriedenheit, wahres inneres Gluͤck mit Reichthum vereint, warum ſoll man ſich deſſelben nicht freun? Doch ich habe noch etwas zu berichten; der Curator Deines Vermoͤgens ſendet mir aus dem Nachlaſſe Deiner ſeligen Mutter eine Menge Schriften nebſt ihrem Bilde, das Du Dir immer ſo ſehnlich gewuͤnſcht haſt!

Adeline dankte mit einem Seelenkuſſe fuͤr dieſe Nachrichten, und ſchmiegte ſich an des Ge¬ liebten Seite. Die Flamme des Altars flackerte noch matt auf, als wolle ſie erloͤſchen; Kinder, ſagte daher der ungeduldige Emil, und ſtieß mit dem Arme einen Blumentopf um, in dem eine ſchoͤne Wachsblume*)Asclepias carnosa. prangte, ſo daß Oncle Heinrich meinte, er taumle ſchon, ehe man noch ein Glas des edlen Champagners genoſſen, den man unmoͤglich laͤnger im Gartenſallon harren laſſen duͤrfe, Kinder, die Flamme des Altars mahnt uns an den Einzug in das Feſtzimmer!

Auf dieſe Aufforderung fuͤhrte Oncle Heinrich260 die geſchmuͤckte Adeline, Blauenſtein ſeine Tina nach dem erwaͤhnten Gartenſallon, wo ein koͤſt¬ liches Gabelfruͤhſtuͤck, in welchem ein neuer Koch aus der Reſidenz ſeine Meiſterſchaft erſchoͤpft, den Eintretenden entgegenduftete, und die drollige Braut des froͤhlichen Kluge, das reizende Baͤs¬ chen, fuͤhrte den uͤber den Raub, welchen Oncle Heinrich begangen, ganz uͤberraſchten Staunitz dem lachenden Emil entgegen. Unter lautem Jubel waͤhlten die frohen, gluͤcklichen Menſchen ihre Plaͤtze an der reich geſchmuͤckten Tafel, an der man keinen uͤbelredenden, ironiſchen Gaſt ge¬ wahrte, wie an der Abendtafel des den freund¬ lichen Leſern oben beſchriebenen Balles.

Als der Graf mit entwoͤlkter Stirn eintrat und die Anweſenden begruͤßte, da hob Heinrich ſein Kelchglas hoch empor, und indem er in den Paukenwirbel und die ſchmetternden Trompeten¬ toͤne der im Nebenzimmer verborgenen Muſik ein lautes: Die Verlobten und das edle junge Paar ſollen leben, hoch! hineinrief, da ſchallte aus jedem Munde ihm ein froͤhliches Hoch! aus voller, freudiger Bruſt nach, und in dem feſt¬ lichen Brautjubel entfloh den gluͤcklichen Menſchen der ſeligſte Tag ihres freudenreichen Lebens! Punctum.

261

Denn daß Blauenſtein wenige Wochen nachher ſeiner holden Tina am Altare die Hand zum ehelichen Bunde reichte, daß er ſie der getroffenen Verabredung gemaͤß nach ſeinem ſchoͤnen Stamm¬ ſchloſſe Bohlingen fuͤhrte, wo es ſich leben laſſen ſoll wie im Paradieſe, daß ferner Emil, Tinas geliebter Bruder, ernſtlich beſchloſſen hat, irgend einer der reizenden Leſerinnen ſeine Hand zu reichen, keineswegs aber der kugelrunden Tochter des alten Kammerherrn, ſo wie, daß Tante Letty nach endlicher Verzeihung und erfreulichen Auf¬ klaͤrung wieder in Gnaden in die ſich alljaͤhrlich auf einige Monate vereinigende Familie aufge¬ nommen iſt, das ſind alles Dinge, die ſich von ſelbſt verſtehn.

Einige Jahre nach dem, was die freundlichen Leſer ſo eben erfuhren, gelangte ich auf einer Geſchaͤftsreiſe in die Naͤhe des reizend gelegenen Blumenau. Der uͤberaus fette Boden war an den ſchlechten Wegen ſchuld, welche meinem Rei¬ ſewagen auf aͤhnliche Weiſe ein Rad raubten, wie dem Brautfahrer Blauenſtein, und ich ſah mich genoͤthigt, die gaſtfreundliche Guͤte des nahen Gutsbeſitzers in Anſpruch zu nehmen, den ich nicht einmal dem Namen nach kannte. Im262 Garten, die freundliche Welt Florens zog mich zunaͤchſt an, kam mir ein kleiner bausbackiger Junge entgegengehuͤpft, und fragte dann mit ſeinem Silberſtimmchen: Willſt Du zum Vater? Ich nahm den kleinen Amor an die Hand, und er zog mich nun auf Kinderart nach der zunaͤchſt liegenden Laube. Ein junger, bluͤhender Mann, an der Seite eines engelſchoͤnen Weibes trat mir, auf die Signale, die mein kleiner Fuͤhrer gab, bewill¬ kommend entgegen, und ich erkannte in dem erſtern augenblicklich den Baron v. Blauenſtein, der ein ganzes Jahr mein Studiergenoſſe geweſen.

Der junge, liebenswuͤrdige Mann hatte neben ſeiner Feinheit, neben ſeinem glaͤnzenden Wiſſen ſeine Beſcheidenheit, den geraden Charakter bewahrt. Nach Verlauf einer halben Stunde waren wir wieder ſo bekannt, ſo innig vertraut und heiter, wie einſt als academiſche Buͤrger, ſo daß mich der Baron nebſt ſeiner reizenden jungen Frau bat, einige Tage in Blumenau zu verweilen, wo ſie ſelbſt als Gaͤſte eingezogen waren. Wer haͤtte den trefflichen Menſchen eine ſolche Bitte abſchla¬ gen koͤnnen!

Ich blieb alſo, und zwar drei volle Tage.

263

Neben ſeiner Tina fuͤhrte mich mein Freund in ſein fruͤheres Leben zuruͤck; die intereſſante Art, wie er ſeine jetzige Frau kennen gelernt, wie er ſo lange Zeit den irregefuͤhrten Anbeter geſpielt, und endlich an's Ziel ſeiner Wuͤnſche ge¬ kommen war, ferner die Geſchichte ſeines treff¬ lichen Vaters, ſo wie Staunitz Reiſeabentheuer: Alles dies erregte meine Theilnahme lebhaft, ſo daß ich nicht umhin konnte, zu aͤußern, die mir geſchehenen Mittheilungen gaͤben den beſten Stoff zu einer Erzaͤhlung aus der wirklichen Welt. Die muntere, lebensfroͤhliche Baronin lachte laut auf, wenn ſie ſich als Geſchichtsheldin dieſer Art dachte; allein ſie verweigerte mir nebſt ihrem Gemahl keineswegs die Erlaubniß, meine belobte Idee wirklich in Ausfuͤhrung zu bringen.

Am dritten, ſchmerzlichen Tage meiner Ab¬ reiſe kam Staunitz mit ſeiner engelhuͤbſchen Ade¬ line, die holde Exnonne, um das junge Ehepaar zu entfuͤhren, was dem Grafen, meinem edlen Wirthe, nicht ſehr gefallen wollte. Der kleine Albert, Tinas wackeres Soͤhnchen, in dem aͤcht Blauenſteiniſches Blut rollt, wollte ſich von mir, ſeinem Freunde, den er ja zuerſt zu dem Eltern¬ paare gefuͤhrt, gar nicht trennen, ſelbſt Staunitz Dogge, deren ſtarker Ruͤcken den jungen Reiter264 oftmals durch den lauſchigen Park tragen mußte, vermogte ihn nicht zu troͤſten oder zu entſchaͤdigen, und er ſtreckte mir ſehnſuͤchtig die Haͤnde nach, als mein Wagen uͤber den Schloßhof davon eilte. Noch in den Wagen rief mein Freund, ich ſolle des Romans nicht vergeſſen.

Die Reſultate deſſen, was meine geringe Kunſt vermogt, ſieht hier der freundliche Leſer vor ſich.

Daß gute, edle Menſchen ein ſchoͤnes Ziel auf dieſer Welt erreicht, daß ſie neben wahrer Tugend auch im Überfluſſe reicher Gluͤcksguͤter theil¬ haftig werden, gehoͤrt freilich heutzutage, wo weder wahre Tugend, noch Kraft und innerer Werth an's Licht der Welt treten, zu den ſeltenſten Seltenheiten. An der Seite eines geliebten Weibes, Vater eines geſunden Kindes, ein reines Herz in der Bruſt, eine der Vernunft gemaͤße Beſchaͤftigung und dann nebenbei Herr bluͤhender Guͤter und liebender, treuer Unterthanen, freilich, auf dieſe Weiſe lebt es ſich paradieſiſch. Aber wir koͤnnen nicht alle gleich gebettet ſein, und wer reines Herzens iſt, die druͤckende Sorge nicht kennt, der lebt in ſeiner frommen Genuͤgſamkeit uͤberall im Paradieſe, denn es bedarf zu ſeinem Gluͤcke der goldenen Schaͤtze nicht!

About this transcription

TextLiebe und Irrthum
Author Heinrich Clauren
Extent273 images; 45936 tokens; 8405 types; 317360 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationLiebe und Irrthum Heinrich Clauren. . 264 S. LandgrafNordhausen1827.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Yx 41http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=554556472

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Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Roman; Belletristik; Roman; core; ready; ocr

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