Mein zu früh verſtorbener Freund Joſeph Weydemeyer*)Während des amerikaniſchen Bürgerkriegs Militärkommandant des Diſtrikts von St. Louis. beabſichtigte vom 1. Januar 1852 an eine[politiſche] Wochen¬ ſchrift in New – York herauszugeben. Er forderte mich auf, für dieſelbe die Geſchichte des coup d'état zu liefern. Ich[ſchrieb] ihm daher wöchentlich bis Mitte Februar Artikel unter dem Titel: „ Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte “. Unterdeß war Weydemeyer's urſprünglicher Plan geſcheitert. Dagegen veröffent¬ lichte er im Frühling 1852 eine Monatsſchrift: „ Die Revo¬ lution “, deren zweites Heft aus meinem „ Achtzehnten Brumaire “beſteht. Einige hundert Exemplare davon fanden damals den Weg nach Deutſchland, ohne jedoch in den eigentlichen Buch¬ handel zu kommen. Ein äußerſt radikal thuender deutſcher Buchhändler, dem ich den Vertrieb anbot, antwortete mit wahr¬ haft ſittlichem Entſetzen über ſolch „ zeitwidrige Zumuthung “.
IVMan erſieht aus dieſen Angabe, daß die vorliegende Schrift unter dem unmittelbaren Druck der Ereigniſſe entſtand und ihr hiſtoriſches Material nicht über den Monat Februar (1852) hinaus¬ reicht. Ihre jetzige Wiederveröffentlichung iſt theils buchhändle¬ rifcher Nachfrage, theils dem Andringen meiner Freunde in Deutſchland geſchuldet.
Von den Schriften, welche ungefähr gleichzeitig mit der meinigen denſelben Gegenſtand behandelten, ſind nur zwei bemerkenswerth: Victor Hugo's: „ Napoléon le Petit “und Proudhon's: „ Coup d'État “.
Victor Hugo beſchränkt ſich auf bittere und geiſtreiche Invek¬ tive gegen den verantwortlichen Herausgeber des Staatsſtreichs. Das Ereigniß ſelbſt erſcheint bei ihm wie ein Blitz aus heitrer Luft. Er ſieht darin nur die Gewaltthat eines einzelnen Indivi¬ duums. Er merkt nicht, daß er dies Individuum groß ſtatt klein macht, indem er ihm eine perſönliche Gewalt der Initiative zu¬ schreibt, wie ſie beiſpiellos in der Weltgeſchichte daſtehen würde. Proudhon ſeinerſeits ſucht den Staatsſtreich als Reſultat einer vorhergegangenen geſchichtlichen Entwicklung darzustellen. Unter der Hand verwandelt ſich ihm jedoch die geſchichtliche Konſtruktion des Staatsſtreichs in eine geſchichtliche Apologie des Staatsſtreichs¬ helden. Er verfällt ſo in den Fehler unſerer ſogenannten objek¬ tiven Geſchichtsſchreiber. Ich weiſe dagegen nach, wie der Klaſſenkampf in Frankreich Umſtände und Verhältniſſe ſchuf, welche einer mittelmäßigen und grotesken Perſonage das Spiel der Heldenrolle ermöglichten.
VEine Umarbeitung der vorliegenden Schrift hätte ſie ihrer eigenthümlichen Färbung beraubt. Ich habe mich daher auf bloße Korrektur von Druckfehlern beſchränkt und auf Wegſtreichung jetzt nicht mehr verſtändlicher Anſpielungen.
Der Schlußſatz meiner Schrift: „ Aber wenn der Kaiſer¬ mantel endlich auf die Schultern Louis Bonaparte's fällt, wird das eherne Standbild Napoleon's von der Höhe der Bendômeſäule herabſtürzen “, hat ſich bereits erfüllt.
Oberſt Charras eröffnete den Angriff auf den Napoleon - Kultus in ſeinem Werke über den Feldzug von 1815. Seitdem, und namentlich in den letzten Jahren, hat die franzöſiſche Literatur mit den Waffen der Geſchichtsforſchung, der Kritik, der Satyre und des Witzes der Napoleon-Legende den Garaus gemacht. Außerhalb Frankreichs ward dieſer gewaltſame Bruch mit dem traditionellen Volksglauben, dieſe ungeheure geiſtige Revolution, wenig beachtet und noch weniger begriffen.
Schließlich hoffe ich, daß meine Schrift zur Beſeitigung der jetzt namentlich in Deutſchland landläufigen Schulphraſe vom ſogenannten Cäſarismus beitragen wird. Bei dieſer oberfläch¬ lichen geſchichtlichen Analogie vergißt man die Hauptſache, daß nämlich im alten Rom der Klaſſenkampf nur innerhalb einer privilegirten Minorität ſpielte, zwiſchen den freien Reichen und den freien Armen, während die große produktive Maſſe der Bevölkerung, die Sklaven, das blos paſſive Piedeſtal für jene Kämpfer bildete. Man vergißt Sismondi's bedeutenden Ausſpruch: Das römiſche Proletariat lebte auf Koſten der Geſellſchaft, während die moderneVI Geſellſchaft auf Koſten des Proletariats lebt. Bei ſo gänzlicher Verſchiedenheit zwiſchen den materiellen, ökonomiſchen Bedingungen des antiken und des modernen Klaſſenkampfs können auch ſeine politiſchen Ausgeburten nicht mehr mit einander gemein haben als der Erzbiſchof von Canterbury mit dem Hohenprieſter Samuel.
London, 23. Juni 1869.
Karl Marx.
Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeſchichtlichen Thatſachen und Perſonen ſich ſo zu ſagen zweimal ereignen. Er hat vergeſſen hinzuzu¬ fügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Cauſſidiere für Danton, Louis Blanc für Robespierre, die Montagne von 1848 – 51 für die Montagne von 1793 – 95, der Neffe für den Onkel. Und dieſelbe Karrikatur in den Umſtänden, unter denen die zweite Auflage des achtzehnten Brumaire herausgegeben wird!
Die Menſchen machen ihre eigene Geſchichte, aber ſie machen ſie nicht aus freien Stücken, nicht unter ſelbſtgewählten, ſondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umſtänden. Die Tradition aller todten Geſchlechter laſtet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden. Und wenn ſie eben damit beſchäftigt ſcheinen, ſich und die Dinge umzuwälzen, noch nicht Dageweſenes zu ſchaffen, gerade in ſolchen Epochen revolutionärer Kriſe beſchwören ſie ängſtlich die Geiſter der Vergangenheit zu ihrem Dienſte herauf, entlehnen ihnen Namen, Schlachtparole, Koſtüm, um in dieſer altehr¬ würdigen Verkleidung und mit dieſer erborgten Sprache die neue Weltge¬ ſchichtsſcene aufzuführen. So maskirte ſich Luther als Apoſtel Paulus, die Revolution von 1789 – 1814 drapirte ſich abwechſelnd als römiſche Re¬ publik und als römiſches Kaiſerthum, und die Revolution von 1848 wußte nichts Beſſeres zu thun, als hier 1789, dort die revolutionäre Ueberlieferung von 1793 – 95 zu parodiren. So überſetzt der Anfänger, der eine neue Sprache erlernt hat, ſie immer zurück in ſeine Mutterſprache, aber den Geiſt12der neuen Sprache hat er ſich nur angeeignet und frei in ihr zu produziren vermag er nur, ſobald er ſich ohne Rückerinnerung in ihr bewegt und die ihm angeſtammte Sprache in ihr vergißt.
Bei Betrachtung jener weltgeſchichtlichen Todtenbeſchwörungen zeigt ſich ſofort ein ſpringender Unterſchied. Camille Desmoulins, Danton, Robespierre, St. Juſt, Napoleon, die Heroen, wie die Parteien und die Maſſe der alten franzöſiſchen Revolution, vollbrachten in dem römiſchen Koſtüme und mit römiſchen Phraſen die Aufgabe ihrer Zeit, die Entfeſſelung und Herſtellung der modernen bürgerlichen Geſellſchaft. Die Einen ſchlugen den feudalen Boden in Stücke und mähten die feudalen Köpfe ab, die darauf gewachſen waren. Der Andere ſchuf im Innern von Frankreich die Bedingungen, worunter erſt die freie Konkurrenz entwickelt, das parzellirte Grundeigenthum ausgebeutet, die entfeſſelte induſtrielle Produktivkraft der Nation verwandt werden konnte, und jenſeits der franzöſiſchen Grenzen fegte er überall die feudalen Geſtaltungen weg, ſo weit es nöthig war, um der bürgerlichen Geſell¬ ſchaft in Frankreich eine entſprechende, zeitgemäße Umgebung auf dem euro¬ päiſchen Kontinent zu verſchaffen. Die neue Geſellſchaftsformation einmal hergeſtellt, verſchwanden die vorſündfluthlichen Koloſſe und mit ihnen das wieder auferſtandene Römerthum — die Brutuſſe, Gracchuſſe, Publicolas, die Tribunen, die Senatoren und Cäſar ſelbſt. Die bürgerliche Geſellſchaft in ihrer nüchternen Wirklichkeit hatte ſich ihre wahren Dolmetſcher und Sprachführer erzeugt in den Says, Couſins, Royer-Collards, Benjamin Conſtants und Guizots, ihre wirklichen Heerführer ſaßen hinter dem Comp¬ toirtiſch und der Speckkopf Ludwig's XVIII. war ihr politiſches Haupt. Ganz abſorbirt in die Produktion des Reichthums und in den friedlichen Kampf der Konkurrenz begriff ſie nicht mehr, daß die Geſpenſter der Römerzeit ihre Wiege gehütet hatten. Aber unheroiſch, wie die bürgerliche Geſellſchaft iſt, hatte es jedoch des Heroismus bedurft, der Aufopferung, des Schreckens, des Bürgerkriegs und der Völkerſchlachten, um ſie auf die Welt zu ſetzen. Und ihre Gladiatoren fanden in den klaſſiſch ſtrengen Ueberlieferungen der römiſchen Republik die Ideale und die Kunſtformen, die Selbſttäuſchungen, deren ſie bedurften, um den bürgerlich beſchränkten Inhalt ihrer Kämpfe ſich ſelbſt zu verbergen und ihre Leidenſchaft auf der Höhe der großen geſchichtlichen Tragö¬ die zu halten. So hatten auf einer andern Entwicklungsſtufe, ein Jahr¬ hundert früher, Cromwell und das engliſche Volk dem alten Teſtament Sprache, Leidenſchaften und Illuſionen für ihre bürgerliche Revolution ent¬3 lehnt. Als das wirkliche Ziel erreicht, als die bürgerliche Umgeſtaltung der engliſchen Geſellſchaft vollbracht war, verdrängte Locke den Habakuk.
Die Todtenerweckung in jenen Revolutionen diente alſo dazu, die neuen Kämpfe zu verherrlichen, nicht die alten zu parodiren, die gegebene Aufgabe in der Phantaſie zu übertreiben, nicht vor ihrer Löſung in der Wirklichkeit zurückzuflüchten, den Geiſt der Revolution wieder zu finden, nicht ihr Ge¬ ſpenſt wieder umgehen zu machen.
1848 – 1851 ging nur das Geſpenſt der alten Revolution um, von Marraſt, dem Républicain en gants jaunes, der ſich in den alten Bailly ver¬ kleidete, bis auf den Abenteurer, der ſeine trivial-widrigen Züge unter der eiſernen Todtenlarve Napoleons verſteckt. Ein ganzes Volk, das ſich durch eine Revolution eine beſchleunigte Bewegungskraft gegeben zu haben glaubt, findet ſich plötzlich in eine verſtorbene Epoche zurückverſetzt, und damit keine Täuſchung über den Rückfall möglich iſt, ſtehn die alten Data wieder auf, die alte Zeitrechnung, die alten Namen, die alten Edikte, die längſt der an¬ tiquariſchen Gelehrſamkeit verfallen, und die alten Schergen, die längſt verfault ſchienen. Die Nation kömmt ſich vor, wie jener närriſche Engländer in Bed¬ lam, der zur Zeit der alten Pharaonen zu leben meint und täglich über die harten Dienſte jammert, die er in den äthiopiſchen Bergwerken als Gold¬ gräber verrichten muß, eingemauert in dies unterirdiſche Gefängniß, eine ſpär¬ lich leuchtende Lampe auf dem eigenen Kopfe befeſtigt, hinter ihm der Sclaven¬ aufſeher mit langer Peitſche und an den Ausgängen ein Gewirr von bar¬ bariſchen Kriegsknechten, die weder die Zwangsarbeiter in den Bergwerken, noch ſich unter einander verſtehn, weil ſie keine gemeinſame Sprache reden. „ Und dies Alles wird mir, “— ſeufzt der närriſche Engländer — „ mir dem freigebornen Briten zugemuthet, um Gold für die alten Pharaonen zu machen. “ „ Um die Schulden der Familie Bonaparte zu zahlen, “— ſeufzt die franzöſiſche Nation. Der Engländer, ſo lange er bei Verſtand war, konnte die fixe Idee des Goldmachens nicht los werden. Die Franzoſen, ſo lange ſie revolutionirten, nicht die napoleoniſche Erinnerung, wie die Wahl vom 10. Dezember bewies. Sie ſehnten ſich aus den Gefahren der Revo¬ lution zurück nach den Fleiſchtöpfen Aegyptens, und der 2. Dezember 1851 war die Antwort. Sie haben nicht nur die Karrikatur des alten Napoleon, ſie haben den alten Napoleon ſelbſt, karrikirt wie er ſich ausnehmen muß in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts.
Die ſoziale Revolution des neunzehnten Jahrhunderts kann ihre Poeſie1*4nicht aus der Vergangenheit ſchöpfen, ſondern nur aus der Zukunft. Sie kann nicht mit ſich ſelbſt beginnen, bevor ſie allen Aberglauben an die Ver¬ gangenheit abgeſtreift hat. Die früheren Revolutionen bedurften der weltge¬ ſchichtlichen Rückerinnerungen, um ſich über ihren eigenen Inhalt zu betäuben. Die Revolution des neunzehnten Jahrhunderts muß die Todten ihre Todten begraben laſſen, um bei ihrem eignen Inhalt anzukommen. Dort ging die Phraſe über den Inhalt, hier geht der Inhalt über die Phraſe hinaus.
Die Februarrevolution war eine Ueberrumpelung, eine Ueber¬ raſchung der alten Geſellſchaft, und das Volk proklamirte dieſen unver¬ hofften Handſtreich als eine weltgeſchichtliche That, womit die neue Epoche eröffnet ſei. Am 2. Dezember wird die Februarrevolution eskamotirt durch die Volte eines falſchen Spielers, und was umgeworfen ſcheint, iſt nicht mehr die Monarchie, es ſind die liberalen Konzeſſionen, die ihr durch Jahr¬ hundert lange Kämpfe abgetrotzt waren. Statt daß die Geſellſchaft ſelbſt ſich einen neuen Inhalt erobert hätte, ſcheint nur der Staat zu ſeiner älteſten Form zurückgekehrt, zur unverſchämt einfachen Herrſchaft von Säbel und von Kutte. So antwortet auf den coup de main vom Februar 1848 der coup de tête vom Dezember 1851. Wie gewonnen, ſo zerronnen. Un¬ terdeſſen iſt die Zwiſchenzeit nicht unbenutzt vorübergegangen. Die fran¬ zöſiſche Geſellſchaft hat während der Jahre 1848 — 1851 die Studien und Erfahrungen nachgeholt, und zwar in einer abkürzenden, weil revolutionären Methode, die bei regelmäßiger, ſo zu ſagen ſchulgerechter Entwickelung der Februarrevolution hätten vorhergehn müſſen, ſollte ſie mehr als eine Er¬ ſchütterung der Oberfläche ſein. Die Geſellſchaft ſcheint jetzt hinter ihren Ausgangspunkt zurückgetreten; in Wahrheit hat ſie ſich erſt den revolutio¬ nären Ausgangspunkt zu ſchaffen, die Situation, die Verhältniſſe, die Be¬ dingungen, unter denen allein die moderne Revolution ernſthaft wird.
Bürgerliche Revolutionen, wie die des achtzehnten Jahrhunderts, ſtür¬ men raſcher von Erfolg zu Erfolg, ihre dramatiſchen Effekte überbieten ſich, Menſchen und Dinge ſcheinen in Feuerbrillanten gefaßt, die Extaſe iſt der Geiſt jedes Tages; aber ſie ſind kurzlebig, bald haben ſie ihren Höhepunkt erreicht und ein langer Katzenjammer erfaßt die Geſellſchaft, ehe ſie die Reſul¬ tate ihrer Drang - und Sturmperiode nüchtern ſich aneignen lernt. Proleta¬ riſche Revolutionen dagegen, wie die des neunzehnten Jahrhunderts, kritiſiren beſtändig ſich ſelbſt, unterbrechen ſich fortwährend in ihrem eignen Lauf, kommen auf das ſcheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von Neuem anzu¬5 fangen, verhöhnen grauſam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärm¬ lichkeiten ihrer erſten Verſuche, ſcheinen ihren Gegner nur niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde ſauge und ſich rieſenhafter ihnen gegen¬ über wieder aufrichte, ſchrecken ſtets von Neuem zurück vor der unbeſtimmten Ungeheuerlichkeit ihrer eignen Zwecke, bis die Situation geſchaffen iſt, die jede Umkehr unmöglich macht, und die Verhältniſſe ſelbſt rufen:
Jeder erträgliche Beobachter übrigens, ſelbſt wenn er nicht Schritt vor Schritt dem Gang der franzöſiſchen Entwicklung gefolgt war, mußte ahnen, daß der Revolution eine unerhörte Blamage bevorſtehe. Es genügte das ſelbſtgefällige Siegsgekläffe zu hören, womit die Herren Demokraten ſich wech¬ ſelweis zu den Gnadenwirkungen des 2. Mai 1852 beglückwünſchten. Der 2. Mai 1852 war in ihren Köpfen zur fixen Idee geworden, zum Dogma, wie der Tag, an dem Chriſtus wiedererſcheinen und das tauſendjährige Reich beginnen ſollte, in den Köpfen der Chiliaſten. Die Schwäche hatte ſich wie immer in den Wunderglauben gerettet, glaubte den Feind überwunden, wenn ſie ihn in der Phantaſie weghexte, und verlor alles Verſtändniß der Gegen¬ wart über der thatloſen Verhimmelung der Zukunft, die ihr bevorſtehe, und der Thaten, die ſie in petto habe, aber nur noch nicht an den Mann bringen wolle. Jene Helden, die ihre bewieſene Unfähigkeit dadurch zu widerlegen ſuchen, daß ſie ſich wechſelſeitig ihr Mitleiden ſchenken und ſich zu einem Haufen zuſammenthun, hatten ihre Bündel geſchnürt, ſtrichen ihre Lorbeer¬ kronen auf Vorſchuß ein und waren eben damit beſchäftigt, auf dem Wechſel¬ markt die Republiken in partibus diskontiren zu laſſen, für die ſie bereits in aller Stille ihres anſpruchsloſen Gemüths das Regierungsperſonal vorſorg¬ lich organiſirt hatten. Der 2. Dezember traf ſie wie ein Blitzſtrahl aus heiterm Himmel, und die Völker, die in Epochen kleinmüthiger Verſtimmung ſich gern ihre innere Angſt von den lauteſten Schreiern übertäuben laſſen, werden ſich vielleicht überzeugt haben, daß die Zeiten vorüber ſind, wo das Geſchnatter von Gänſen das Kapitol retten konnte.
Die Konſtitution, die Nationalverſammlung, die dynaſtiſchen Partheien, die blauen und die rothen Republikaner, die Helden von Afrika, der Donner der Tribüne, das Wetterleuchten der Tagespreſſe, die geſammte Literatur, die politiſchen Namen und die geiſtigen Renomméen, das bürgerliche Geſetz und das peinliche Recht, die liberté, égalité, fraternité und der 2. Mai 1852 —6 Alles iſt verſchwunden wie eine Phantasmagorie vor der Bannformel eines Mannes, den ſeine Feinde ſelbſt für keinen Hexenmeiſter ausgeben. Das allgemeine Wahlrecht ſcheint nur einen Augenblick überlebt zu haben, damit es eigenhändig vor den Augen aller Welt ſein Teſtament mache und im Namen des Volkes ſelbſt erkläre: Alles was beſteht, iſt werth, daß es zu Grunde geht.
Es genügt nicht zu ſagen, wie die Franzoſen thun, daß ihre Nation überraſcht worden ſei. Einer Nation und einer Frau wird die unbewachte Stunde nicht verziehen, worin der erſte beſte Abenteurer ihnen Gewalt anthun konnte. Das Räthſel wird durch dergleichen Wendungen nicht gelöſt, ſondern nur anders formulirt. Es bliebe zu erklären, wie eine Nation von 36 Millio¬ nen durch drei Induſtrieritter überraſcht und widerſtandslos in die Gefan¬ genſchaft abgeführt werden kann.
Rekapituliren wir in allgemeinen Zügen die Phaſen, die die franzö¬ ſiſche Revolution vom 24. Februar 1848 bis zum Dezember 1851 durch¬ laufen hat.
Drei Hauptperioden ſind unverkennbar: die Februarperiode; 4. Mai 1848 bis zum 29. Mai 1849: Periode der Konſtituirung der Republik oder der konſtituirenden Nationalverſamm¬ lung; 29. Mai 1849 bis zum 2. Dezember 1851. Periode kon¬ ſtitutionellen Republik oder der legislativen Nationalver¬ ſammlung.
Die erſte Periode vom 24. Februar oder dem Sturze Louis Philipps bis zum 4. Mai 1848, dem Zuſammentritt der konſtituirenden Ver¬ ſammlung, die eigentliche Februarperiode, kann als der Prolog der Revolution bezeichnet werden. Ihr Charakter ſprach ſich offiziell darin aus, daß die von ihr improviſirte Regierung ſich ſelbſt für proviſoriſch erklärte, und wie die Regierung gab Alles, was in dieſer Periode angeregt, verſucht, ausgeſprochen wurde, ſich für nur proviſoriſch aus. Niemand und Nichts wagte das Recht des Beſtehens und der wirklichen That für ſich in Anſpruch zu nehmen. Alle Elemente, die die Revolution vorbereitet oder beſtimmt hatten, dynaſtiſche Oppoſition, republikaniſche Bourgeoiſie, demokratiſch¬ republikaniſches Kleinbürgerthum, ſozial-demokratiſches Arbeiterthum fanden proviſoriſch ihren Platz in der Februar-Regierung.
Es konnte nicht anders ſein. Die Februartage bezweckten urſprünglich eine Wahlreform, wodurch der Kreis der politiſch Privilegirten unter der beſitzenden Klaſſe ſelbſt erweitert, und die ausſchließliche Herrſchaft der7 Finanzariſtokratie geſtürzt werden ſollte. Als es aber zum wirklichen Konflikt kam, das Volk auf die Barrikaden ſtieg, die Nationalgarde ſich paſſiv verhielt, die Armee keinen ernſtlichen Widerſtand leiſtete und das Königthum davonlief, ſchien ſich die Republik von ſelbſt zu verſtehn. Jede Partei deutete ſie in ihrem Sinn. Von dem Proletariat die Waffen in der Hand ertrotzt, prägte es ihr ſeinen Stempel auf und proklamirte ſie als ſoziale Republik. So wurde der allgemeine Inhalt der modernen Revolution angedeutet, der in ſonderbarſtem Widerſpruch ſtand zu Allem, was mit dem vorliegenden Material, mit der erreichten Bildungsſtufe der Maſſe, unter den gegebenen Umſtänden und Verhältniſſen zunächſt unmittelbar in's Werk geſetzt werden konnte. Andrerſeits wurde der Anſpruch aller übrigen Elemente, die zur Februarrevolution mitgewirkt hatten, anerkannt in dem Löwenantheil, den ſie an der Regierung erhielten. In keiner Periode finden wir daher ein bunte¬ res Gemiſch von überfliegenden Phraſen und thatſächlicher Unſicherheit und Unbeholfenheit, von enthuſiaſtiſcherem Neuerungsſtreben und von gründliche¬ rer Herrſchaft der alten Routine, von mehr ſcheinbarer Harmonie der ganzen Geſellſchaft und von tieferer Entfremdung ihrer Elemente. Während das Pariſer Proletariat noch in dem Anblick der großen Perſpektive, die ſich ihm eröffnet hatte, ſchwelgte und ſich in ernſtgemeinte Diskuſſionen über die ſozialen Probleme erging, hatten ſich die alten Mächte der Geſellſchaft grup¬ pirt, geſammelt, beſonnen und fänden eine unerwartete Stütze an der Maſſe der Nation, den Bauern und Kleinbürgern, die alle auf einmal auf die politiſche Bühne ſtürzten, nachdem die Barrieren der Julimonarchie ge¬ fallen waren.
Die zweite Periode vom 4. Mai 1848 bis Ende Mai 1849 iſt die Periode der Konſtituirung, der Begründung der bürger¬ lichen Republik. Unmittelbar nach den Februartagen war nicht nur die dynaſtiſche Oppoſition überraſcht worden durch die Republikaner, die Re¬ publikaner durch die Sozialiſten, ſondern ganz Frankreich durch Paris. Die Nationalverſammlung, die am 4. Mai 1848 zuſammentrat, aus den Wahlen der Nation hervorgegangen, repräſentirte die Nation. Sie war ein leben¬ diger Proteſt gegen die Zumuthungen der Februartage und ſollte die Reſul¬ tate der Revolution auf den bürgerlichen Maßſtab zurückführen. Vergebens verſuchte das Pariſer Proletariat, das den Charakter dieſer Nationalver¬ ſammlung ſofort begriff, wenige Tage nach ihrem Zuſammentritt, am 15. Mai, ihre Exiſtenz, gewaltſam wegzuleugnen, ſie aufzulöſen, die organiſche Geſtalt,8 worin der reagirende Geiſt der Nation es bedrohte, wieder in ihre einzelnen Beſtandtheile zu zerſtreuen. Der 15. Mai hatte bekanntlich kein anderes Re¬ ſultat, als Blanqui und Genoſſen, d. h. die wirklichen Führer der proleta¬ riſchen Partei, für die ganze Dauer des Cyklus, den wir betrachten, vom öffentlichen Schauplatz zu entfernen.
Auf die bürgerliche Monarchie Louis Philipps kann nur die bürgerliche Republik folgen, d.h. wenn unter dem Namen des Königs ein beſchränkter Theil der Bourgeoiſie geherrſcht hat, ſo wird jetzt im Namen des Volks die Geſammtheit der Bourgeoiſie herrſchen. Die Forderungen des Pariſer Proletariats ſind utopiſtiſche Flauſen, womit geendet werden muß. Auf dieſe Erklärung der konſtituirenden Nationalverſammlung antwortete das Pariſer Proletariat mit der Juni-Inſurrektion, dem koloſſalſten Ereigniß in der Geſchichte der europäiſchen Bürgerkriege. Die bürgerliche Republik ſiegte. Auf ihrer Seite ſtand die Finanzariſtokratie, die induſtrielle Bourgeoiſie, der Mittelſtand, die Kleinbürger, die Armee, das als Mobil¬ garde organiſirte Lumpenproletariat, die geiſtigen Kapacitäten, die Pfaffen und die Landbevölkerung. Auf der Seite des Pariſer Proletariats ſtand Niemand als es ſelbſt. Ueber 3000 Inſurgenten wurden niedergemetzelt nach dem Siege, 15000 ohne Urtheil transportirt. Mit dieſer Niederlage tritt das Proletariat in den Hintergrund der revolutionären Bühne. Es verſucht ſich jedesmal wieder vorzudrängen, ſobald die Bewegung einen neuen Anlauf zu nehmen ſcheint, aber mit immer ſchwächerem Kraftaufwand und ſtets geringerem Reſultat. Sobald eine der höher über ihm liegenden Geſellſchaftsſchichten in revolutionäre Gährung geräth, geht es eine Verbin¬ dung mit ihr ein und theilt ſo alle Niederlagen, die die verſchiedenen Par¬ teien nach einander erleiden. Aber dieſe nachträglichen Schläge ſchwächen ſich immer mehr ab, je mehr ſie ſich auf die ganze Oberfläche der Geſellſchaft vertheilen. Seine bedeutenderen Führer in der Verſammlung und in der Preſſe fallen der Reihe nach den Gerichten als Opfer und immer zweideutigere Figuren treten an ſeine Spitze. Zum Theil wirft es ſich auf doktrinäre Experimente, Tauſchbanken und Arbeiter-Aſſoziationen, alſo in eine Bewegung, worin es darauf verzichtet, die alte Welt mit ihren eigenen großen Geſammtmitteln um¬ zuwälzen, vielmehr hinter dem Rücken der Geſellſchaft, auf Privatweiſe, innerhalb ſeiner beſchränkten Exiſtenz¬ bedingungen, ſeine Erlöſung zu vollbringen ſucht, alſo9 nothwendig ſcheitert. Es ſcheint weder in ſich ſelbſt die revolutionäre Größe wiederfinden, noch aus den neu eingegangenen Verbindungen neue Energie gewinnen zu können, bis alle Klaſſen, womit es im Juni ge¬ kämpft, neben ihm ſelbſt platt darniederliegen. Aber wenigſtens erliegt es mit den Ehren des großen weltgeſchichtlichen Kampfes; nicht nur Frankreich, ganz Europa zittert vor dem Junierdbeben, während die nachfolgenden Nieder¬ lagen der höhern Klaſſen ſo wohlfeil erkauft werden, daß ſie der frechen Uebertreibung von Seiten der ſiegenden Partei bedürfen, um überhaupt als Ereigniſſe paſſiren zu können, und um ſo ſchmachvoller werden, je weiter die unterliegende Partei von der proletariſchen entfernt iſt.
Die Niederlage der Juniinſurgenten hatte nun allerdings das Terrain vorbereitet, geebnet, worauf die bürgerliche Republik begründet, aufgeführt werden konnte; aber ſie hatte zugleich gezeigt, daß es ſich in Europa um andre Fragen handelt, als „ um Republik oder Monarchie. “ Sie hatte offen¬ bart, daß bürgerliche Republik hier die uneingeſchränkte Despotie einer Klaſſe über andre Klaſſen bedeute. Sie hatte bewieſen, daß in alt¬ ziviliſirten Ländern mit entwickelter Klaſſenbildung, mit modernen Produktions¬ bedingungen und mit einem geiſtigen Bewußtſein, worin alle überlieferten Ideen durch Jahrhundert lange Arbeit aufgelöſ't ſind, die Republik über¬ haupt nur die politiſche Umwälzungsform der bürger¬ lichen Geſellſchaft bedeutet und nicht ihre konſervative Lebens¬ form, wie z. B. in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo zwar ſchon Klaſſen beſtehn, aber ſich noch nicht fixrirt haben, ſondern in beſtändigem Fluſſe fortwährend ihre Beſtandtheile wechſeln und an einander abtreten, wo die modernen Produktionsmittel, ſtatt mit einer ſtagnanten Uebervölkerung zuſammenzufallen, vielmehr den relativen Mangel an Köpfen und Händen erſetzen, und wo endlich die fieberhaft jugendliche Bewegung der materiellen Produktion, die eine neue Welt ſich anzueignen hat, weder Zeit noch Gelegen¬ heit ließ, die alte Geiſterwelt abzuſchaffen.
Alle Klaſſen und Parteien hatten ſich während der Junitage zur Par¬ tei der Ordnung vereint gegenüber der proletariſchen Klaſſe, als der Partei der Anarchie, des Sozialismus, des Kommunismus. Sie hatten die Geſellſchaft „ gerettet “gegen „ die Feinde der Geſell¬ ſchaft. “ Sie hatten die Stichworte der alten Geſellſchaft, „ Eigenthum, Familie, Religion, Ordnung, “als Parole unter ihr Heer ausge¬ theilt und der kontrerevolutionären Kreuzfahrt zugerufen: „ Unter dieſem10 Zeichen wirſt du ſiegen! “ Von dieſem Augenblick, ſobald eine der zahlreichen Parteien, die ſich unter dieſem Zeichen gegen die Juniinſurgenten geſchaart hatten, in ihrem eigenen Klaſſenintereſſe den revolutionären Kampfplatz zu behaupten ſucht, unterliegt ſie vor dem Rufe: „ Eigenthum, Familie, Religion, Ordnung. “ Die Geſellſchaft wird eben ſo oft gerettet, als ſich der Kreis ihrer Herrſcher verengt, als ein exkluſiveres Intereſſe dem weiteren gegenüber behauptet wird. Jede Forderung der einfachſten bürgerlichen Finanzreform, des ordinärſten Liberalismus, des formalſten Republikanerthums, der platte¬ ſten Demokratie, wird gleichzeitig als „ Attentat auf die Geſellſchaft “beſtraft und als „ Sozialismus “gebrandmarkt. Und ſchließlich werden die Hohen¬ prieſter der „ Religion und Ordnung “ſelbſt mit Fußtritten von ihren Pythia¬ ſtühlen verjagt, bei Nacht und Nebel aus ihren Betten geholt, in Zellenwagen geſteckt, in Kerker geworfen oder in's Exil geſchickt, ihr Tempel wird der Erde gleich gemacht, ihr Mund wird verſiegelt, ihre Feder zerbrochen, ihr Geſetz zerriſſen, im Namen der Religion, des Eigenthums, der Familie, der Ordnung. Ordnungsfanatiſche Bourgeois auf ihren Balkonen werden von beſoffenen Sol¬ datenhaufen zuſammengeſchoſſen, ihr Familienheiligthum wird entweiht, ihre Häuſer werden zum Zeitvertreib bombardirt — im Namen des Eigenthums, der Familie, der Religion und der Ordnung. Der Auswurf der bürgerlichen Geſellſchaft bildet ſchließlich die heilige Phalanx der Ordnung und Held Crapülinsky zieht in die Tuilerien ein als „ Retter der Geſell¬ ſchaft. “
Nehmen wir den Faden der Entwicklung wieder auf.
Die Geſchichte der konſtituirenden Nationalverſammlung ſeit den Junitagen iſt die Geſchichte der Herrſchaft und der Auf¬ löſung der republikaniſchen Bourgeois-Fraktion, jener Fraktion, die man unter dem Namen trikolore Republikaner, reine Republi¬ kaner, politiſche Republikaner, formaliſtiſche Republikaner u. ſ. w. kennt.
Sie hatte unter der bürgerlichen Monarchie Louis Philipps die offi¬ zielle republikaniſche Oppoſition und daher einen anerkannten Be¬ ſtandtheil der damaligen politiſchen Welt gebildet. Sie beſaß ihre Vertreter in den Kammern und in der Preſſe einen bedeutenden Wirkungskreis. Ihr Pariſer Organ, der “National”, galt in ſeiner Weiſe für ebenſo reſpektabel11 als das „ Journal des Débats “. Dieſer Stellung unter der konſtitutionellen Monarchie entſprach ihr Charakter. Es war dies keine durch große gemein¬ ſame Intereſſen zuſammengehaltene und durch eigenthümliche Produktionsbe¬ dingungen abgegrenzte Fraktion der Bourgeoiſie. Es war eine Koterie von republikaniſch geſinnten Bourgeois, Schriftſtellern, Advokaten, Offi¬ zieren und Beamten, deren Einfluß auf den perſönlichen Antipathien des Landes gegen Louis Philipp, auf Erinnerungen an die alte Republik, auf dem republikaniſchen Glauben einer Anzahl von Schwärmern, vor Allem aber auf dem franzöſiſchen Nationalismus beruhte, deſſen Haß gegen die Wiener Verträge und gegen die Allianz mit England ſie fortwährend wach hielt. Einen großen Theil des Anhangs, den der „ National “unter Louis Philipp beſaß, ſchuldete er dieſem verſteckten Imperialismus, der ihm daher ſpäter unter der Republik als ein vernichtender Konkurrent in der Perſon Louis Bonaparte's gegenüber treten konnte. Die Finanzariſtokratie bekämpfte er, wie die ganze übrige bürgerliche Oppoſition es that. Die Polemik gegen das Budget, die in Frankreich genau mit der Bekämpfung der Finanzariſto¬ kratie zuſammenhing, verſchaffte eine zu wohlfeile Popularität und zu reich¬ haltigen Stoff zu puritaniſchen leading articles, um nicht ausgebeutet zu werden. Die induſtrielle Bourgeoiſie war ihm dankbar für ſeine ſklaviſche Vertheidigung des franzöſiſchen Schutzzollſyſtems, das er indeß auf mehr nationale als nationalökonomiſche Gründe hin aufnahm, die Geſammt¬ bourgeoiſie für ſeine gehäſſigen Denunciationen des Kommunismus und Sozialismus. Im Uebrigen war die Partei des „ National “rein republi¬ kaniſch, d. h. ſie verlangte eine republikaniſche ſtatt einer monarchiſchen Form der Bourgeois – Herrſchaft und vor Allem ihren Löwenantheil an dieſer Herrſchaft. Ueber die Bedingungen dieſer Umwandlung war ſie ſich durch¬ aus nicht klar. Was ihr dagegen ſonnenklar war und auf den Reform-Ban¬ ketten in der letzten Zeit Louis Philipps öffentlich erklärt wurde, war ihre Unpopularität bei den demokratiſchen Kleinbürgern und insbeſondere bei dem revolutionären Proletariat. Dieſe reinen Republikaner, wie reine Republi¬ kaner denn ſind, ſtanden auch ſchon auf dem Sprunge, ſich zunächſt mit einer Regentſchaft der Herzogin von Orleans zu begnügen, als die Februarrevo¬ lution ausbrach und ihren bekannteſten Vertretern einen Platz in der provi¬ ſoriſchen Regierung anwies. Sie beſaßen natürlich von vornherein das Ver¬ trauen der Bourgeoiſie und die Majorität der konſtituirenden Nationalver¬ ſammlung. Aus der Exekutiv – Commiſſion, welche die Nationalverſammlung12 bei ihrem Zuſammentritt bildete, wurden ſofort die ſozialiſtiſchen Elemente der proviſoriſchen Regierung ausgeſchloſſen und die Partei des “National” benutzte den Ausbruch der Juniinſurrektion, um auch die Exekutiv-Com¬ miſſion abzudanken und damit ihre nächſten Rivalen, die kleinbürger¬ lichen oder demokratiſchen Republikaner (Ledru-Rollin u. ſ. w.) los zu werden. Cavaignac, der General der bourgeois-republikaniſchen Par¬ tei, der die Juniſchlacht kommandirte, trat an die Stelle der Exekutiv-Com¬ miſſion mit einer Art diktatoriſcher Gewalt. Marraſt, ehemaliger Redakteur en chef des “National “, wurde der perpetuirliche Präſident der konſtituirenden Nationalverſammlung und die Miniſterien, wie ſämmtliche übrigen bedeuten¬ den Poſten, fielen den reinen Republikanern anheim.
Die republikaniſche Bourgeois-Fraktion, die ſich ſeit lange als legitime Erbin der Julimonarchie betrachtet hatte, fand ſich ſo in ihrem Ideal über¬ troffen, aber ſie gelangte zur Herrſchaft, nicht wie ſie unter Louis Philipp geträumt hatte, durch eine liberale Revolte der Bourgeoiſie gegen den Thron, ſondern durch eine niederkartätſchte Emeute des Proletariats gegen das Kapi¬ tal. Was ſie als das revolutionärſte Ereigniß ſich vorgeſtellt hatte, trug ſich in der Wirklichkeit zu als das kontrerevolutionärſte. Die Frucht fiel ihr in den Schooß, aber ſie fiel vom Baum der Erkenntniß, nicht vom Baum des Lebens.
Die ausſchließliche Herrſchaft der Bourgeois-Republika¬ ner währte nur vom 24. Juni bis zum 10. Dezember 1848. Sie reſü¬ mirt ſich in der Abfaſſung einer republikaniſchen Konſtitution und im Belagerungszuſtand von Paris.
Die neue Konſtitution war im Grunde nur die republikaniſirte Ausgabe der konſtitutionellen Charte von 1830. Der enge Wahlcenſus der Julimonarchie, der ſelbſt einen großen Theil der Bourgeoiſie von der poli¬ tiſchen Herrſchaft ausſchloß, war unvereinbar mit der Exiſtenz der bürger¬ lichen Republik. Die Februarrevolution hatte ſofort an der Stelle dieſes Cenſus das direkte allgemeine Wahlrecht proklamirt. Die Bourgeois-Re¬ publikaner konnten dieſes Ereigniß nicht ungeſchehn machen. Sie mußten ſich damit begnügen, die beſchränkende Beſtimmung eines ſechsmonatlichen Domi¬ zils am Wahlorte hinzuzufügen. Die alte Organiſation der Verwaltung, des Gemeindeweſens, der Rechtspflege, der Armee u. ſ. w. blieb unverſehrt beſtehen, oder wo die Konſtitution ſie änderte, betraf die Aenderung das In¬ haltsregiſter, nicht den Inhalt, den Namen, nicht die Sache.
13Der unvermeidliche Generalſtab der Freiheiten von 1848, perſönliche Freiheit, Preß -, Rede -, Aſſoziations -, Verſammlungs -, Lehr - und Religions - Freiheit u. ſ. w., erhielt eine konſtitutionelle Uniform, die ſie unverwundbar machte. Jede dieſer Freiheiten wird nämlich als das unbedingte Recht des franzöſiſchen Citoyen proklamirt, aber mit der beſtändigen Randgloſſe, daß ſie ſchrankenlos ſei, ſo weit ſie nicht durch die „ gleichen Rechte An¬ derer und die öffentliche Sicherheit “beſchränkt werde, oder durch „ Geſetze “, die eben dieſe Harmonie der individuellen Freiheiten unter einan¬ der und mit der öffentlichen Sicherheit vermitteln ſollen. Z. B.: „ die Bür¬ ger haben das Recht ſich zu aſſoziren, ſich friedlich und unbewaffnet zu ver¬ ſammeln, zu petitioniren und ihre Meinungen durch die Preſſe oder wie ſonſt immer auszudrücken. Der Genuß dieſer Rechte hat keine an¬ dere Schranke, als die gleichen Rechte Andrer und die öffentliche Sicherheit. “ (Kap. II. der franzöſiſchen Konſtitution, §. 8.) — „ Der Unterricht iſt frei. Die Freiheit des Unterrichts ſoll genoſſen werden unter den vom Geſetze fixirten Bedingungen und unter der Oberauf¬ ſicht des Staats. “ (A. a. O. §. 9.) — „ Die Wohnung jedes Bürgers iſt unverletzlich außer in den vom Geſetz vorgeſchriebenen Formen. “ (Kap. I. §. 3.) U. ſ. w., u. ſ. w. — Die Konſtitution weiſt daher beſtändig auf zukünftige organiſche Geſetze hin, die jene Randgloſſen ausführen und den Genuß dieſer unbeſchränkten Freiheiten ſo reguliren ſollen, daß ſie weder unter einander, noch mit der öffentlichen Sicherheit anſtoßen. Und ſpäter ſind dieſe organiſchen Geſetze von den Ordnungsfreunden in's Leben gerufen und alle jene Freiheiten ſo regulirt worden, daß die Bourgeoiſie in deren Genuß an den gleichen Rechten der andern Klaſſen keinen Anſtoß findet. Wo ſie „ den Andern “dieſe Freiheiten ganz unterſagt oder ihren Genuß un¬ ter Bedingungen erlaubt, die eben ſo viele Polizei-Fallſtricke ſind, geſchah dies immer nur im Intereſſe der „ öffentlichen Sicherheit, “d. h. der Sicherheit der Bourgeoiſie, wie die Konſtitution vorſchreibt. Beide Seiten berufen ſich daher in der Folge mit vollem Recht auf die Konſtitution, ſowohl die Ordnungsfreunde, die alle jene Freiheiten aufhoben, wie die Demokraten, die ſie alle heraus verlangten. Jeder Paragraph der Konſtitution enthält nämlich ſeine eigene Antitheſe, ſein eignes Ober - und Unterhaus in ſich, näm¬ lich in der allgemeinen Phraſe die Freiheit, in der Randgloſſe die Aufhebung der Freiheit. So lange alſo der Name der Freiheit reſpektirt und nur die wirkliche Ausführung derſelben verhindert wurde, auf geſetzlichem Wege14 verſteht ſich, blieb das konſtitutionelle Daſein der Freiheit unverſehrt, unangetaſtet, mochte ihr gemeines Daſein noch ſo ſehr todtgeſchlagen ſein.
Dieſe auf ſo ſinnige Weiſe unverletzlich gemachte Konſtitution war indeß wie Achilles an einem Punkte verwundbar, nicht an der Ferſe, aber am Kopfe oder vielmehr an den zwei Köpfen, worin ſie ſich verlief, — geſetz¬ gebende Verſammlung einerſeits, Präſident andrerſeits. Man durchfliege die Konſtitution, und man wird finden, daß nur die Paragraphen, worin das Verhältniß des Präſidenten zur geſetzgebenden Verſammlung be¬ ſtimmt wird, abſolut, poſitiv, widerſpruchslos, unverdrehbar ſind. Hier galt es nämlich für die Bourgeois-Republikaner, ſich ſelbſt ſicher zu ſtellen. §§. 45 – 70 der Konſtitution ſind ſo abgefaßt, daß die Nationalverſammlung den Präſidenten konſtitutionell, der Präſident die Nationalverſammlung nur inkonſtitutionell beſeitigen kann, nur indem er die Konſtitution ſelbſt beſeitigt. Hier fordert ſie alſo ihre gewaltſame Vernichtung heraus. Sie heiligt nicht nur wie die Charte von 1830 die Theilung der Gewalten, ſie erweitert ſie bis zum unerträglichen Widerſpruch. Das Spiel der konſtitutionel¬ len Gewalten, wie Guizot den parlamentariſchen Krakehl zwiſchen geſetz¬ gebender und vollziehender Gewalt nannte, ſpielt in der Konſtitution von 1848 beſtändig va banque. Auf der einen Seite 750 durch allgemeines Stimmrecht gewählte und wieder wählbare Volksrepräſentanten, die eine un¬ kontrollirbare, unauflösbare, untheilbare Nationalverſammlung bilden, eine Nationalverſammlung, welche geſetzgeberiſche Allmacht genießt, über Krieg, Frieden und Handelsverträge in letzter Inſtanz entſcheidet, allein das Recht der Amneſtie beſitzt, und durch ihre Permanenz unaufhörlich den Vordergrund der Bühne behauptet. Andrerſeits der Präſident, mit allen Attributen der könig¬ lichen Macht, mit der Befugniß, ſeine Miniſter unabhängig von der Nationalverſammlung ein - und abzuſetzen, mit allen Mitteln der exekutiven Gewalt in ſeinen Händen, alle Stellen vergebend und d. h. in Frankreich wenigſtens über 1½ Millionen Exiſtenzen entſcheidend, denn ſo viel hängen an den 500,000 Beamten und an den Offizieren aller Grade. Er hat die ganze bewaffnete Macht hinter ſich. Er genießt das Privilegium, einzelne Verbrecher zu begnadigen, Nationalgarden zu ſuspendiren, die von den Bür¬ gern ſelbſt erwählten General –, Kantonal – und Gemeinderäthe im Ein¬ verſtändniß mit dem Staatsrath abzuſetzen. Initiative und Leitung aller Ver¬ träge mit dem Ausland ſind ihm vorbehalten. Während die Verſammlung beſtändig auf den Brettern ſpielt und dem kritiſch gemeinen Tageslicht15 ausgeſetzt iſt, führt er ein verborgenes Leben in den elyſeiſchen Gefilden und zwar mit Artikel 45 der Konſtitution vor Augen und im Herzen, der ihm täglich zuruft: “frère, il faut mourir!” Deine Macht hört auf am zweiten Sonntag des ſchönen Monats Mai im vierten Jahr deiner Wahl! Dann iſt die Herrlichkeit am Ende, das Stück ſpielt nicht zweimal, und wenn du Schulden haſt, ſiehe bei Zeiten zu, daß du ſie mit den dir von der Kon¬ ſtitution ausgeworfenen 600,000 Franken abzahlſt, ziehſt du nicht etwa vor, am zweiten Montag des ſchönen Monats Mai nach Clichy zu wandern! — Wenn die Konſtitution ſo dem Präſidenten die faktiſche Gewalt beilegt, ſucht ſie der Nationalverſammlung die moraliſche Macht zu ſichern. Abgeſehn davon, daß es unmöglich iſt, durch Geſetzesparagraphen eine moraliſche Macht zu ſchaffen, hebt die Konſtitution ſich hierin wieder ſelbſt auf, indem ſie den Präſidenten von allen Franzoſen durch direktes Stimmrecht wählen läßt. Während die Stimmen Frankreichs ſich auf die 750 Mitglieder der National¬ verſammlung zerſplittern, konzentriren ſie ſich dagegen hier auf Ein Indivi¬ duum. Während jeder einzelne Volksrepräſentant nur dieſe oder jene Partei, dieſe oder jene Stadt, dieſen oder jenen Brückenkopf oder auch nur die Noth¬ wendigkeit vertritt, einen beliebigen Siebenhundertundfünfzigſten zu wählen, bei dem man ſich weder die Sache noch den Mann ſo genau anſieht, iſt Er der Erwählte der Nation und der Akt ſeiner Wahl iſt der große Trumpf, den das ſouveräne Volk alle 4 Jahre einmal ausſpielt. Die erwählte National¬ verſammlung ſteht in einem metaphyſiſchen, aber der erwählte Präſident in einem perſönlichen Verhältniß zur Nation. Die Nationalverſammlung ſtellt wohl in ihren einzelnen Repräſentanten die mannigfaltigen Seiten des Nationalgeiſtes dar, aber in dem Präſidenten inkarnirt er ſich. Er beſitzt ihr gegenüber eine Art von göttlichem Recht, er iſt von Volkesgnaden.
Thetis, die Meergöttin, hatte dem Achilles prophezeit, daß er in der Blüthe der Jugend ſterben werde. Die Konſtitution, die ihren faulen Fleck hat, wie Achilles, hatte auch ihre Ahnung, wie Achilles, daß ſie frühen Todes abgehn müſſe. Es genügte den konſtituirenden reinen Republikanern, einen Blick aus dem Wolkenhimmel ihrer idealen Republik auf die profane Welt zu werfen, um zu erkennen, wie der Uebermuth der Royaliſten, der Bonapar¬ tiſten, der Demokraten, der Kommuniſten, und ihr eigner Mißkredit täglich ſtiegen, in demſelben Maße, als ſie ſich der Vollendung ihres großen geſetz¬ geberiſchen Kunſtwerks näherten, ohne daß Thetis deshalb das Meer zu ver¬ laſſen und ihnen das Geheimniß mitzutheilen brauchte. Sie ſuchten das Ver¬16 hängniß konſtitutionell-pfiffig zu überliſten durch §. 111 der Konſtitution, wonach jeder Vorſchlag zur Reviſion der Verfaſſung in drei ſucces¬ ſiven Debatten, zwiſchen denen immer ein ganzer Monat zu liegen hat, von wenigſtens ¾ der Stimmen votirt werden muß, vorausgeſetzt noch, daß nicht weniger als 500 Mitglieder der Nationalverſammlung ſtimmen. Sie machten damit nur den ohnmächtigen Verſuch, noch als parlamentariſche Minorität, als welche ſie ſich ſchon prophetiſch im Geiſte erblickten, eine Macht auszu¬ üben, die in dieſem Augenblicke, wo ſie über die parlamentariſche Majorität verfügten und über alle Mittel der Regierungsgewalt, täglich mehr ihren ſchwachen Händen entſchlüpfte.
Endlich vertraut die Konſtitution, in einem melodramatiſchen Para¬ graphen, ſich ſelbſt „ der Wachſamkeit und dem Patriotismus des ganzen franzöſiſchen Volkes wie jedes einzelnen Franzoſen “an, nachdem ſie vorher ſchon in einem andern Paragraphen die „ Wachſamen “und „ Patriotiſchen “der zarten, hochnothpeinlichen Aufmerkſamkeit des eigens von ihr erfundenen Hochgerichts, „ haute cour “, anvertraut hatte.
Das war die Konſtitution von 1848, die am 2. Dezember 1851 nicht von einem Kopfe umgeworfen wurde, ſondern vor der Berührung mit einem bloßen Hute umfiel; allerdings war dieſer Hut ein dreieckiger Napo¬ leonshut.
Während die Bourgeois-Republikaner in der Verſammlung damit be¬ ſchäftigt waren, dieſe Konſtitution auszuſpintiſiren, zu diskutiren und zu votiren, hielt Cavaignac außerhalb der Verſammlung den Belagerungs¬ zuſtand von Paris aufrecht. Der Belagerungszuſtand von Paris war der Geburtshelfer der Konſtituante bei ihren republikaniſchen Schöpfungs¬ wehen. Wenn die Konſtitution ſpäter durch Bajonette aus der Welt geſchafft wird, ſo darf man nicht vergeſſen, daß ſie ebenfalls durch Bajonette, und zwar gegen das Volk gekehrte, ſchon im Mutterleibe beſchützt und durch Bajo¬ nette auf die Welt geſetzt werden mußte. Die Vorfahren der „ honetten Re¬ publikaner “hatten ihr Symbol, die Trikolore, die Tour durch Europa machen laſſen. Sie ihrerſeits machten auch eine Erfindung, die von ſelbſt den Weg über den ganzen Kontinent fand, aber mit immer erneuter Liebe nach Frank¬ reich zurückkehrte, bis ſie jetzt in der Hälfte ſeiner Departements Bürgerrecht erworben hat — den Belagerungszuſtand. Treffliche Erfindung, periodiſch angewandt in jeder nachfolgenden Kriſe, im Laufe der franzöſiſchen Revolution. Aber Kaſerne und Bivouak, die man ſo der franzöſiſchen17 Geſellſchaft periodiſch auf den Kopf legte, um ihr das Hirn zuſammenzupreſſen und ſie zum ſtillen Mann zu machen; Säbel und Muskete, die man periodiſch richten und verwalten, bevormunden und cenſiren, Polizei üben und Nacht¬ wächterdienſt verrichten ließ; Schnurrbart und Kommißrock, die man periodiſch als höchſte Weisheit der Geſellſchaft und als Rektor der Geſellſchaft aus¬ poſaunte; — mußten Kaſerne und Bivouak, Säbel und Muskete, Schnurr¬ bart und Kommißrock nicht ſchließlich auf den Einfall kommen, lieber ein für allemal die Geſellſchaft zu retten, indem ſie ihr eignes régime als das oberſte ausriefen und die bürgerliche Geſellſchaft ganz von der Sorge befreiten, ſich ſelbſt zu regieren? Kaſerne und Bivouak, Säbel und Muskete, Schurrbart und Kommißrock mußten um ſo mehr auf dieſen Einfall kommen, als ſie dann auch beſſere baare Zahlung für ihr erhöhtes Verdienſt erwarten konnten, wäh¬ rend bei dem blos periodiſchen Belagerungszuſtand und den vorübergehenden Geſellſchaftsrettungen im Geheiß dieſer oder jener Bourgeois-Fraktion wenig Solides abfiel außer einigen Todten und Verwundeten und einigen freund¬ lichen Bürgergrimaſſen. Sollte das Militär nicht endlich auch einmal in ſeinem eignen Intereſſe und für ſein eignes Intereſſe Belagerungszuſtand ſpielen und zugleich die bürgerlichen Börſen belagern? Man vergeſſe übrigens nicht, im Vorbeigehn ſei es bemerkt, daß Oberſt Bernard, derſelbe Militärkommiſſions-Präſident, der unter Cavaignac 15,000 Inſurgenten zur Deportation ohne Urtheil verhalf, ſich in dieſem Augenblick wieder an der Spitze der in Paris thätigen Militärkommiſſionen bewegt.
Wenn die honetten, die reinen Republikaner mit dem Belagerungszu¬ ſtand in Paris die Pflanzſchule angelegt, worin die Prätorianer des 2. De¬ zember 1851 groß wachſen ſollten, verdienen ſie dagegen das Lob, daß ſie, ſtatt wie unter Louis Philipp das Nationalgefühl zu übertreiben, jetzt, wo ſie über die nationale Macht geboten, vor dem Auslande kriechen und ſtatt Italien frei zu machen, es von Oeſterreichern und Neapolitanern wieder¬ erobern laſſen. Louis Bonaparte's Wahl zum Präſidenten am 10. Dezem¬ ber 1848 machte der Diktatur Cavaignac's und der Konſtituante ein Ende.
In §. 44 der Konſtitution heißt es: „ der Präſident der franzöſiſchen Republik darf nie ſeine Eigenſchaft als franzöſiſcher Bürger verloren haben. “ Der erſte Präſident der franzöſiſchen Republik, L. N. Bonaparte, hatte nicht allein ſeine Eigenſchaft als franzöſiſcher Bürger verloren, war nicht nur engliſcher Spezial-Konſtabler geweſen, er war ſogar ein naturaliſirter Schweizer.
218Ich habe an einem andern Orte die Bedeutung der Wahl vom 10. De¬ zember entwickelt. Ich komme hier nicht darauf zurück. Es genügt hier zu bemerken, daß ſie eine Reaktion der Bauern, die die Koſten der Februarrevolution hatten zahlen müſſen, gegen die übrigen Klaſſen der Nation, eine Reaktion des Landes gegen die Stadt war. Sie fand großen Anklang in der Armee, der die Republikaner des „ National “keinen Ruhm verſchafft hatten, noch Zulage, unter der großen Bourgeoiſie, die den Bonaparte als Brücke zur Monarchie, unter den Proletariern und Kleinbürgern, die ihn als Geißel für Cavaignac begrüßten. Ich werde ſpäter Gelegenheit finden, auf das Verhältniß der Bauern zur franzöſiſchen Revolution näher einzugehn.
Die Epoche vom 20. Dezember 1848 bis zur Auflöſung der Konſtitu¬ ante im Mai 1849 umfaßt die Geſchichte des Untergangs der Bourgeois - Republikaner. Nachdem ſie eine Republik für die Bourgeoiſie gegründet, das revolutionäre Proletariat von dem Terrain vertrieben und das demo¬ kratiſche Kleinbürgerthum einſtweilen zum Schweigen gebracht haben, werden ſie ſelbſt von der Maſſe der Bourgeoiſie bei Seite geſchoben, die dieſe Re¬ publik mit Recht als ihr Eigenthum mit Beſchlag belegt. Dieſe Bourgeois – Maſſe war aber royaliſtiſch. Ein Theil derſelben, die großen Grundeigenthümer, hatte unter der Reſtauration geherrſcht und war daher legitimiſtiſch. Der andre, die Finanzariſtokraten und großen Induſtriellen, hatte unter der Julimonarchie geherrſcht und war daher orlea¬ niſtiſch. Die Großwürdenträger der Armee, der Univerſität, der Kirche, des Barreau's, der Akademie und der Preſſe vertheilten ſich auf beide Seiten, wenn auch in verſchiedener Proportion. Hier in der bürgerlichen Republik, die weder den Namen Bourbon noch den Namen Orleans trug, ſondern den Namen Kapital, hatten ſie die Staatsform gefunden, worunter ſie gemein¬ ſam herrſchen konnten. Schon die Juniinſurrektion hatte ſie zur „ Partei der Ordnung “vereinigt. Jetzt galt es zunächſt, die Koterie der Bourgeois-Re¬ publikaner zu beſeitigen, die noch die Sitze der Nationalverſammlung inne hielt. Eben ſo brutal, wie dieſe reinen Republikaner dem Volke gegenüber die phyſiſche Gewalt mißbraucht hatten, ebenſo feig, kleinlaut, muthlos, gebrochen, kampfunfähig wichen ſie jetzt zurück, wo es galt, der exekutiven Gewalt und den Royaliſten gegenüber ihr Republikanerthum und ihr geſetz¬ geberiſches Recht zu behaupten. Ich habe hier nicht die ſchmähliche Geſchichte ihrer Auflöſung zu erzählen. Es war ein Vergehen, kein Untergehen. Ihre19 Geſchichte hat für immer ausgeſpielt und in der folgenden Periode figuriren ſie, ſei es innerhalb; ſei es außerhalb der Verſammlung, nur noch als Erin¬ nerungen, Erinnerungen, die wieder lebendig zu werden ſcheinen, ſobald es ſich wieder um den bloßen Namen Republik handelt und ſo oft der revolutio¬ näre Konflikt auf das niedrigſte Niveau herabzuſinken droht. Ich bemerke im Vorbeigehn, daß das Journal, welches dieſer Partei ihren Namen gab, der “National”, ſich in der folgenden Periode zum Sozialismus bekehrt.
Ehe wir mit dieſer Periode abſchließen, müſſen wir noch einen Rückblick auf die beiden Mächte werfen, von denen die eine die andre am 2. Dezember 1851 vernichtet, während ſie vom 20. Dezember 1848 bis zum Abtritt der Konſtituante in ehelichem Verhältniſſe lebten. Wir meinen Louis Bonaparte einerſeits und die Partei der koaliſirten Royaliſten, der Ordnung, der großen Bourgeoiſie andrerſeits. Beim Antritt ſeiner Präſidentſchaft bildete Bonaparte ſofort ein Miniſterium der Partei der Ordnung, an deſſen Spitze er Odilon Bar¬ rot ſtellte, nota bene den alten Führer der liberalſten Fraktion der parlamen¬ tariſchen Bourgeoiſie. Herr Barrot hatte endlich das Miniſterium erjagt, deſſen Geſpenſt ihn ſeit 1830 verfolgte, und noch mehr, die Präſidentſchaft in dieſem Miniſterium; aber nicht, wie er ſich unter Louis Philipp einge¬ bildet, als der avancirteſte Chef der parlamentariſchen Oppoſition, ſon¬ dern mit der Aufgabe ein Parlament todt zu machen, und als Verbündeter mit allen ſeinen Erzfeinden, Jeſuiten und Legitimiſten. Er führt endlich die Braut heim, aber erſt nachdem ſie proſtituirt war. Bonaparte ſelbſt eklipſirte ſich ſcheinbar vollſtändig. Jene Partei handelte für ihn.
Gleich im erſten Miniſterkonſeil wurde die Expedition nach Rom be¬ ſchloſſen, die man hinter dem Rücken der Nationalverſammlung auszuführen und wofür man ihr die Mittel unter falſchem Vorwande zu entreißen über¬ einkam. So wurde begonnen mit einer Prellerei der Nationalverſammlung und einer heimlichen Konſpiration mit den abſoluten Mächten des Auslandes gegen die revolutionäre römiſche Republik. Bonaparte bereitete auf dieſelbe Weiſe und durch dieſelben Manöver ſeinen Coup vom 2. Dezember gegen die roya¬ liſtiſche Legislative und ihre konſtitutionelle Republik vor. Vergeſſen wir nicht, daß dieſelbe Partei, die am 20. Dezember 1848 Bonaparte's Miniſterium, am 2. Dezember 1851 die Majorität der legislativen Nationalverſammlung bildete.
Die Konſtituante hatte im Auguſt beſchloſſen, ſich erſt aufzulöſen, nachdem ſie eine ganze Reihe organiſcher Geſetze, die die Konſtitution ergänzen ſollten, ausgearbeitet und promulgirt habe. Die Ordnungspartei2*20ließ ihr durch den Repräſentanten Rateau am 6. Januar 1849 vorſchlagen, die organiſchen Geſetze laufen zu laſſen und vielmehr ihre eigene Auf¬ löſung zu beſchließen. Nicht nur das Miniſterium, Herr Odilon Barrot an der Spitze, ſämmtliche royaliſtiſche Mitglieder der Nationalverſammlung herrſchten ihr in dieſem Augenblicke zu, ihre Auflöſung ſei nothwendig zur Herſtellung des Kredits, zur Konſolidirung der Ordnung, um dem unbe¬ ſtimmten Proviſorium ein Ende zu machen und einen definitiven Zuſtand zu gründen, ſie hindre die Produktivität der neuen Regierung und ſuche ihr Daſein blos aus Rancune zu friſten, das Land ſei ihrer müde. Bonaparte merkte ſich alle dieſe Invektiven gegen die geſetzgebende Gewalt, lernte ſie auswendig und bewies den parlamentariſchen Royaliſten am 2. Dezember 1851, daß er von ihnen gelernt habe. Er wiederholte ihre eignen Stich¬ worte gegen ſie.
Das Miniſterium Barrot und die Ordnungspartei gingen weiter. Sie riefen Petitionen an die Nationalverſammlung in ganz Frankreich hervor, worin dieſe freundlichſt gebeten wurde zu verſchwinden. So führten ſie gegen die Nationalverſammlung, den konſtitutionell organiſir¬ ten Ausdruck des Volkes, ſeine unorganiſchen Maſſen ins Feuer. Sie lehr¬ ten Bonaparte von den parlamentariſchen Verſammlungen an das Volk appelliren. Endlich am 29. Januar 1849 war der Tag gekommen, an dem die Konſtituante über ihre eigne Auflöſung beſchließen ſollte. Die Nationalver¬ ſammlung fand ihr Sitzungsgebäude militäriſch beſetzt; Changarnier, der General der Ordnungspartei, in deſſen Händen der Oberbefehl über National¬ garde und Linientruppen vereinigt war, hielt große Truppenſchau in Paris, als wenn eine Schlacht bevorſtehe, und die koaliſirten Royaliſten erklärten der Konſtituante drohend, daß man Gewalt anwenden werde, wenn ſie nicht willig ſei. Sie war willig und marktete ſich nur noch eine ganz kurze Lebens¬ friſt aus. Was war der 29. Januar anders, als der Coup d'état vom 2. Dezember 1851, nur mit Bonaparte von den Royaliſten gegen die republikaniſche Nationalverſammlung ausgeführt? Die Herren bemerkten nicht oder wollten nicht merken, daß Bonaparte den 29. Januar 1849 be¬ nutzte, um einen Theil der Truppen vor den Tuilerien an ſich vorbeideſiliren zu laſſen und gerade dies erſte öffentliche Aufgebot der Militärmacht gegen die parlamentariſche Macht begierig aufgriff, um den Caligula anzudeuten. Sie ſahen allerdings nur ihren Changainier.
Ein Motiv, das die Partei der Ordnung noch insbeſondere bewog, die21 Lebensdauer der Konſtituante gewaltſam abzukürzen, waren die organiſchen, die Konſtitution ergänzenden Geſetze, wie das Unterrichtsgeſetz, Kultusge¬ ſetz u. f. w. Den koaliſirten Royaliſten lag alles daran, dieſe Geſetze ſelbſt zu machen und nicht von den mißtrauiſch gewordenen Republikanern machen zu laſſen. Unter dieſen organiſchen Geſetzen befand ſich indeß auch ein Ge¬ ſetz über die Verantwortlichkeit des Präſidenten der Republik. 1851 war die legislative Verſammlung eben mit Abfaſſung eines ſolchen Geſetzes beſchäf¬ tigt, als Bonaparte dieſem Coup durch den Coup vom 2. Dezember zuvorkam. Was hätten die koaliſirten Royaliſten in ihrem parlamentariſchen Winter¬ feldzug von 1851 darum gegeben, wenn ſie das Verantwortlichkeitsgeſetz fertig vorgefunden und zwar verfaßt von einer mißtrauiſchen, gehäſſigen, republikaniſchen Verſammlung!
Nachdem am 29. Januar 1849 die Konſtituante ihre letzte Waffe ſelbſt zerbrochen hatte, hetzten das Miniſterium Barrot und die Ordnungsfreunde ſie zu Tode, ließen Nichts ungeſchehn, was ſie demüthigen konnte, und trotz¬ ten ihrer an ſich ſelbſt verzweifelnden Schwäche Geſetze ab, die ſie den letzten Reſt von Achtung bei dem Publikum koſteten. Bonaparte, mit ſeiner fixen napoleoniſchen Idee beſchäftigt, war keck genug, dieſe Herabwürdigung der parlamentariſchen Macht öffentlich zu exploitiren. Als nämlich die National¬ verſammlung am 8. Mai 1849 dem Miniſterium ein Tadelsvotum wegen der Beſetzung Civita-Vecchia's durch Oudinot ertheilte und die römiſche Expedition zu ihrem angeblichen Zweck zurückzuführen befahl, publizirte Bonaparte denſelben Abend im Moniteur einen Brief an Oudinot, worin er ihm zu ſeinen Heldenthaten Glück wünſcht und ſich ſchon im Gegenſatz zu den federfuchſenden Parlamentären als den großmüthigen Protecteur der Armee geberdet. Die Royaliſten lächelten dazu. Sie hielten ihn einfach für ihren Dupe. Endlich als Marraſt, der Präſident der Konſtituante, einen Augenblick die Sicherheit der Nationalverſammlung gefährdet glaubte und auf die Konſtitution geſtützt einen Oberſt mit ſeinem Regimente requirirte, weigerte ſich der Oberſt, bezog ſich auf die Disziplin und verwies Marraſt an Changarnier, der ihn höhniſch abwies mit der Bemerkung, er liebe nicht die bayonettes intelligentes. November 1851, als die koaliſirten Royaliſten den entſcheidenden Kampf mit Bonaparte beginnen wollten, ſuchten ſie in ihrer berüchtigten Quäſtorenbill das Prinzip der direkten Requiſition der Truppen durch den Präſidenten der Nationalverſammlung durchzuſetzen. Einer ihrer Generale, Leflô, hatte den Geſetzvorſchlag unterzeichnet. Ver¬22 gebens ſtimmte Changarnier für den Vorſchlag und huldigte Thiers der um¬ ſichtigen Weisheit der ehemaligen Konſtituante. Der Kriegsminiſter St. Arnaud antwortete ihm, wie dem Marraſt Changarnier geantwortet hatte, und — unter dem Beifallsruf der Montagne!
So hatte die Partei der Ordnung ſelbſt, als ſie noch nicht Nationalverſammlung, als ſie nur noch Miniſterium war, das parlamen¬ tariſche Regime gebrandmarkt. Und ſie ſchreit auf, als der 2. Dezem¬ ber 1851 es aus Frankreich verbannt!
Wir wünſchen ihm glückliche Reiſe.
Am 29. Mai 1849 trat die geſetzgebende Nationalverſammlung zuſammen. Am 2. Dezember 1851 ward ſie geſprengt. Dieſe Periode umfaßt die Lebens¬ dauer der konſtitutionellen oder parlamentariſchen Republik.
In der erſten franzöſiſchen Revolution folgt auf die Herrſchaft der Konſtitutionellen die Herrſchaft der Girondins und auf die Herr¬ ſchaft der Girondins die Herrſchaft der Jakobiner. Jede dieſer Par¬ teien ſtützt ſich auf die fortgeſchrittenere. Sobald ſie die Revolution weit genug geführt hat, um ihr nicht mehr folgen, noch weniger ihr vorangehn zu können, wird ſie von dem kühnern Verbündeten, der hinter ihr ſteht, bei Seite geſchoben, und auf die Guillotine geſchickt. Die Revolution bewegt ſich ſo in aufſteigender Linie.
Umgekehrt die Revolution von 1848. Die proletariſche Partei erſcheint als Anhang der kleinbürgerlich-demokratiſchen. Sie wird von ihr verrathen und fallen gelaſſen am 16. April, am 15. Mai und in den Junitagen. Die demokratiſche Partei ihrerſeits lehnt ſich auf die Schultern der bourgeois¬ republikaniſchen. Die Bourgeois-Republikaner glauben kaum feſtzuſtehn, als ſie den läſtigen Kameraden abſchütteln und ſich ſelbſt auf die Schultern der Ordnungspartei ſtützen. Die Ordnungspartei zieht ihre Schultern ein, läßt die Bourgeois-Republikaner purzeln und wirft ſich auf die Schultern der bewaffneten Gewalt. Sie glaubt noch auf ihren Schultern zu ſitzen, als ſie an einem ſchönen Morgen bemerkt, daß ſich die Schultern in Bajonette ver¬ wandelt haben. Jede Partei ſchlägt von hinten aus nach der weiterdrängen¬ den, und lehnt ſich von vorn über auf die zurückdrängende. Kein Wunder, daß ſie in dieſer lächerlichen Poſitur das Gleichgewicht verliert, und, nachdem23 ſie die unvermeidlichen Grimaſſen geſchnitten, unter ſeltſamen Kapriolen zuſammenſtürzt. Die Revolution bewegt ſich ſo in abſteigender Linie. Sie befindet ſich in dieſer rückgängigen Bewegung, ehe die letzte Februar-Bar¬ rikade weggeräumt und die erſte Revolutionsbehörde conſtituirt iſt.
Die Periode die wir vor uns haben, umfaßt das bunteſte Gemiſch ſchreiender Widerſprüche: Konſtitutionelle, die offen gegen die Konſtitution konſpiriren, Revolutionäre, die eingeſtandener Maßen konſtitutionell ſind, eine Nationalverſammlung, die allmächtig ſein will und ſtets parlamen¬ tariſch bleibt; eine Montagne, die im Dulden ihren Beruf findet und durch die Prophezeihung künftiger Siege ihre gegenwärtigen Niederlagen parirt; Royaliſten, die die patres conscripti der Republik bilden, und durch die Situation gezwungen werden, die feindlichen Königshäuſer, denen ſie an¬ hängen, im Auslande, und die Republik, die ſie haſſen, in Frankreich zu halten; eine Exekutivgewalt, die in ihrer Schwäche ſelbſt ihre Kraft und in der Verachtung, die ſie einflößt, ihre Reſpektabilität findet; eine Republik, die nichts anders iſt, als die zuſammengeſetzte Infamie zweier Monarchien, der Reſtauration und der Julimonarchie, mit einer imperialiſtiſchen Etiquette, — Verbindungen, deren erſte Klauſel die Trennung, Kämpfe, deren erſtes Geſetz die Entſcheidungsloſigkeit iſt, im Namen der Ruhe müſte, inhaltsloſe Agitation, im Namen der Revolution feierlichſtes Predigen der Ruhe, Leidenſchaften ohne Wahrheit, Wahrheiten ohne Leiden¬ ſchaft, Helden ohne Heldenthaten, Geſchichte ohne Ereigniſſe; Entwickelung, deren einzige Triebkraft der Kalender ſcheint, durch beſtändige Wiederholung derſelben Spannungen und Abſpannungen ermüdend; Gegenſätze, die ſich ſelbſt periodiſch nur auf die Höhe zu treiben ſcheinen, um ſich abzuſtumpfen und zuſammenzufallen, ohne ſich auflöſen zu können; prätentiös zur Schau getragene Anſtrengungen und bürgerliche Schrecken vor der Gefahr des Welt¬ unterganges, und von den Weltrettern gleichzeitig die kleinlichſten Intriguen und Hofkomödien geſpielt, die in ihrem laisser aller weniger an den jüngſten Tag als an die Zeiten der Fronde erinnern, — das offizielle Geſammtgenie Frankreichs von der pfiffigen Dummheit eines einzelnen Individuums zu Schanden gemacht; der Geſammtwille der Nation, ſo oft er im allgemeinen Wahlrecht ſpricht, in den verjährten Feinden der Maſſenintereſſen ſeinen ent¬ ſprechenden Ausdruck ſuchend, bis er ihn endlich in dem Eigenwillen eines Flibuſtiers findet. Wenn irgend ein Geſchichtsausſchnitt grau in grau gemalt iſt, ſo iſt es dieſer. Menſchen und Ereigniſſe erſcheinen als umge¬24 kehrte Schlemihle, als Schatten, denen der Körper abhanden gekommen iſt. Die Revolution ſelbſt paralyſirt ihre eigenen Träger und ſtattet nur ihre Gegner mit leidenſchaftlicher Gewaltſamkeit aus. Wenn das „ rothe Ge¬ ſpenſt “, von den Kontrerevolutionären beſtändig heraufbeſchworen und gebannt, endlich erſcheint, ſo erſcheint es nicht mit anarchiſcher Phrygier¬ mütze auf dem Kopfe, ſondern in der Uniform der Ordnung, in rothen Plumphoſen.
Wir haben geſehn: das Miniſterium, das Bonaparte am 20. Dezem¬ ber 1848, am Tage ſeiner Himmelfahrt inſtallirte, war ein Miniſterium der Ordnungspartei, der legitimiſtiſchen und orleaniſtiſchen Koalition. Dies Miniſterium Barrot-Falloux hatte die republikaniſche Konſtituante, deren Lebensdauer es mehr oder minder gewaltſam abkürzte, überwintert und befand ſich noch am Ruder. Changarnier, der General der verbündeten Royaliſten, vereinigte fortwährend in ſeiner Perſon das Generalkommando der erſten Militärdiviſion und der Pariſer Nationalgarde. Die allgemeinen Wahlen endlich hatten der Ordnungspartei die große Majorität in der Nationalver¬ ſammlung geſichert. Hier begegneten die Deputirten und Pairs Louis Philipp's einer heiligen Schaar von Legitimiſten, für welche zahlreiche Wahlzettel der Nation ſich in Eintrittskarten auf die politiſche Bühne verwandelt hatten. Die bonapartiſtiſchen Volksrepräſentanten waren zu dünn geſät, um eine ſelbſtſtändige parlamentariſche Partei bilden zu können. Sie erſchienen nur als mauvaise queue der Ordnungspartei. So war die Ordnungspartei im Beſitz der Regierungsgewalt, der Armee und des geſetzgebenden Körpers, kurz der Geſammtmacht des Staats, moraliſch gekräftigt durch die allgemeinen Wahlen, die ihre Herrſchaft als den Willen des Volkes erſcheinen ließen, und durch den gleichzeitigen Sieg der Kontrerevolution auf dem geſammten euro¬ päiſchen Kontinent.
Nie eröffnete eine Partei mit größern Mitteln und unter günſtigern Auspicien ihren Feldzug.
Die ſchiffbrüchigen reinen Republikaner fanden ſich in der geſetzgebenden Nationalverſammlung auf eine Klique von ungefähr 50 Mann zuſammengeſchmolzen, an ihrer Spitze die afrikaniſchen Generale Cavaignac, Lamoricière, Bedeau. Die große Oppoſitionspartei aber wurde gebildet durch die Montagne. Dieſen parlamentariſchen Taufnamen hatte ſich die ſozial-demokratiſche Partei gegeben. Sie verfügte über mehr als 200 von den 750 Stimmen der Nationalverſammlung und war25 daher wenigſtens eben ſo mächtig als irgend eine der drei Fraktionen der Ordnungspartei für ſich genommen. Ihre relative Minorität gegen die ge¬ ſammte royaliſtiſche Koalition ſchien durch beſondere Umſtände aufgewogen. Nicht nur zeigten die Departementswahlen, daß ſie einen bedeutenden Anhang unter der Landbevölkerung gewonnen hatte. Sie zählte beinahe alle Depu¬ tirten von Paris unter ſich, die Armee hatte durch die Wahl von drei Unter¬ offizieren ein demokratiſches Glaubensbekenntniß abgelegt und der Chef der Montagne, Ledru-Rollin, war im Unterſchiede von allen Repräſentanten der Ordnungspartei in den parlamentariſchen Adelſtand erhoben worden durch fünf Departements, die ihre Stimmen auf ihn vereinigt. Die Montagne ſchien alſo am 29. Mai 1849, bei den unvermeidlichen Kolliſionen der Roya¬ liſten unter ſich und der geſammten Ordnungspartei mit Bonaparte, alle Elemente des Erfolgs vor ſich zu haben. Vierzehn Tage ſpäter hatte ſie Alles verloren, die Ehre eingerechnet.
Ehe wir der parlamentariſchen Geſchichte weiter folgen, ſind einige Be¬ merkungen nöthig, um gewöhnliche Täuſchungen über den ganzen Charakter der Epoche, die uns vorliegt, zu vermeiden. In der demokratiſchen Manier zu ſehn, handelt es ſich während der Periode der geſetzgebenden National¬ verſammlung, um was es ſich in der Periode der konſtituirenden handelte, um den einfachen Kampf zwiſchen Republikanern und Royaliſten. Die Be¬ wegung ſelbſt aber faſſen ſie in Ein Stichwort zuſammen: „ Reaktion “, Nacht, worin alle Katzen grau ſind, und die ihnen erlaubt, ihre nachtwächter¬ lichen Gemeinplätze abzuleiern. Und allerdings, auf den erſten Blick zeigt die Ordnungspartei einen Knäuel von verſchiedenen royaliſtiſchen Fraktionen, die nicht nur gegen einander intriguiren, um jede ihren eignen Prätendenten auf den Thron zu erheben und den Prätendenten der Gegenpartei auszu¬ ſchließen, ſondern auch ſich alle vereinigen in gemeinſchaftlichem Haß und ge¬ meinſchaftlichen Angriffen gegen die „ Republik “. Die Montagne ihrerſeits erſcheint im Gegenſatze zu dieſer royaliſtiſchen Konſpiration als Vertreterin der „ Republik “. Die Ordnungspartei erſcheint beſtändig beſchäftigt mit einer „ Reaktion “, die ſich nicht mehr nicht minder als in Preußen gegen Preſſe, Aſſoziation u. dgl. richtet, und in brutalen Polizeieinmiſchungen der Bureaukratie, der Gensdarmerie und der Parkette ſich vollſtreckt wie in Preußen. Die „ Montagne “ihrerſeits wieder iſt ebenſo fortwährend be¬ ſchäftigt, dieſe Angriffe abzuwehren und ſo die „ ewigen Menſchenrechte “zu vertheidigen, wie jede ſogenannte Volkspartei mehr oder minder ſeit anderthalb26 Jahrhunderten gethan hat. Vor einer nähern Betrachtung der Situation und der Parteien verſchwindet indeß dieſer oberflächliche Schein, der den Klaſſen¬ kampf und die eigenthümliche Phyſiognomie dieſer Periode verſchleiert.
Legitimiſten und Orleaniſten bildeten, wie geſagt, die zwei großen Fraktionen der Ordnungspartei. Was dieſe Fraktionen an ihren Präten¬ denten feſthielt, und ſie wechſelſeitig auseinander hielt, war es nichts Andres, als Lilie und Trikolore, Haus Bourbon und Haus Orleans, verſchiedene Schattirungen des Royalismus, war es überhaupt das Glaubensbekenntniß des Royalismus? Unter den Bourbonen hatte das große Grundeigen¬ thum regiert mit ſeinen Pfaffen und Lakaien, unter den Orleans die hohe Finanz, die große Induſtrie, der große Handel, d. h. das Kapital mit ſeinem Gefolge von Advokaten, Profeſſoren und Schönrednern. Das legitime Königthum war blos der politiſche Ausdruck für die angeſtammte Herrſchaft der Herren von Grund und Boden, wie die Julimonarchie nur der politiſche Ausdruck für die uſurpirte Herrſchaft der bürgerlichen Parvenüs. Was alſo dieſe Fraktionen auseinander hielt, es waren keine ſogenannten Prinzipien, es waren ihre materiellen Exiſtenzbedingungen, zwei verſchiedene Arten des Eigen¬ thums, es war der alte Gegenſatz von Stadt und Land, die Rivalität zwiſchen Kapital und Grundeigenthum. Daß gleichzeitig alte Erinnerungen, perſön¬ liche Feindſchaften, Befürchtungen und Hoffnungen, Vorurtheile und Illuſionen, Sympathien und Antipathien, Ueberzeugungen, Glaubensartikel und Prin¬ zipien ſie an das eine oder das andere Königshaus banden, wer leugnet es? Auf den verſchiedenen Formen des Eigenthums, auf den ſozialen Exiſtenzbe¬ dingungen, erhebt ſich ein ganzer Ueberbau verſchiedener und eigenthümlich geſtalteter Empfindungen, Illuſionen, Denkweiſen und Lebensanſchauungen. Die ganze Klaſſe ſchafft und geſtaltet ſie aus ihren materiellen Grundlagen heraus und aus den entſprechenden geſellſchaftlichen Verhältniſſen. Das einzelne Individuum, dem ſie durch Tradition und Erziehung zufließen, kann ſich einbilden, daß ſie die eigentlichen Beſtimmungsgründe und den Ausgangspunkt ſeines Handelns bilden. Wenn Orleaniſten, Legitimiſten, jede Fraktion ſich ſelbſt und der andern vorzureden ſuchte, daß die Anhäng¬ lichkeit an ihre zwei Königshäuſer ſie trenne, bewies ſpäter die Thatſache, daß vielmehr ihr geſpaltenes Intereſſe die Vereinigung der zwei Königshäuſer verbot. Und wie man im Privatleben unterſcheidet zwiſchen dem, was ein Menſch von ſich meint und ſagt, und dem, was er wirklich iſt und thut, ſo muß man noch mehr in geſchichtlichen Kämpfen die Phraſen und Einbildungen27 der Parteien von ihrem wirklichen Organismus und ihren wirklichen In¬ tereſſen, ihre Vorſtellung von ihrer Realität unterſcheiden. Orleaniſten und Legitimiſten fanden ſich in der Republik neben einander mit gleichen An¬ ſprüchen. Wenn jede Seite gegen die andre die Reſtauration ihres eignen Königshauſes durchſetzen wollte, ſo hieß das nichts Andres, als daß die zwei großen Intereſſen, worin die Bourgeoiſie ſich ſpaltet — Grundeigenthum und Kapital — jedes ſeine eigne Suprematie und die Unterordnung des andern zu reſtauriren ſuchte. Wir ſprechen von zwei Intereſſen der Bourgeoiſie, denn das große Grundeigenthum, trotz ſeiner feudalen Koketterie und ſeines Racenſtolzes, war durch die Entwicklung der modernen Geſellſchaft vollſtändig verbürgerlicht. So haben die Tories in England ſich lange eingebildet, daß ſie für das Königthum, die Kirche und die Schönheiten der altengliſchen Verfaſſung ſchwärmten, bis der Tag der Gefahr ihnen das Geſtändniß entriß, daß ſie nur für die Grundrente ſchwärmen.
Die koaliſirten Royaliſten ſpielten ihre Intrigue gegen einander in der Preſſe, in Ems, in Claremont, außerhalb des Parlaments. Hinter den Couliſſen zogen ſie ihre alten orleaniſtiſchen und legitimiſtiſchen Livreen wieder an und führten ihre alten Turniere wieder auf. Aber auf der öffent¬ lichen Bühne, in ihren Haupt - und Staatsaktionen, als große parlamenta¬ riſche Partei, fertigen ſie ihre reſpektiven Königshäuſer mit bloßen Reveren¬ zen ab und vertagen die Reſtauration der Monarchie in infinitum. Sie ver¬ richten ihr wirkliches Geſchäft als Partei der Ordnung, d. h. unter einem geſellſchaftlichen, nicht unter einem politiſchen Titel, als Vertreter der bürgerlichen Weltordnung, nicht als Ritter fahrender Prin¬ zeſſinnen, als Bourgeoisklaſſe gegenüber andern Klaſſen, nicht als Royaliſten gegenüber den Republikanern. Und als Partei der Ordnung haben ſie eine unumſchränktere und härtere Herrſchaft über die andern Klaſſen der Geſell¬ ſchaft ausgeübt, als je zuvor unter der Reſtauration oder unter der Juli¬ monarchie, wie ſie überhaupt nur unter der Form der parlamentariſchen Republik möglich war, denn nur unter dieſer Form konnten die zwei großen Abtheilungen der franzöſiſchen Bourgeoiſie ſich vereinigen, alſo die Herrſchaft ihrer Klaſſe ſtatt des Regimes einer privilegirten Fraktion derſel¬ ben auf die Tagesordnung ſetzen. Wenn ſie trotzdem auch als Partei der Ordnung die Republik inſultiren und ihren Widerwillen gegen ſie ausſprechen, ſo geſchah das nicht nur aus royaliſtiſcher Erinnerung. Es lehrte ſie28 der Inſtinkt, daß die Republik zwar ihre politiſche Herrſchaft vollen¬ det, aber zugleich deren geſellſchaftliche Grundlage unterwühlt, indem ſie nun ohne Vermittlung, ohne den Verſteck der Krone, ohne das nationale In¬ tereſſe durch ihre untergeordneten Kämpfe unter einander und mit dem König¬ thum ableiten zu können, den unterjochten Klaſſen gegenüberſtehn und mit ihnen ringen müſſen. Es war Gefühl der Schwäche, das ſie vor den reinen Bedingungen ihrer eignen Klaſſenherrſchaft zurückbeben und ſich nach den unvollſtändigern, unentwickelteren und eben darum gefahrloſeren Formen derſelben zurückſehnen ließ. So oft die koaliſirten Royaliſten dagegen in Konflikt mit dem Prätendenten gerathen, der ihnen gegenüberſteht, mit Bonaparte, ſo oft ſie ihre parlamentariſche Allmacht von der Exekutivgewalt gefährdet glauben, ſo oft ſie alſo den politiſchen Titel ihrer Herrſchaft heraus¬ kehren müſſen, treten ſie als Republikaner auf und nicht als Roya¬ liſten, von dem Orleaniſten Thiers, der die Nationalverſammlung warnt, daß die Republik ſie am wenigſten trenne, bis auf den Legitimiſten Berryer, der am 2. Dezember 1851 die dreifarbige Schärpe umgewunden, das vor dem Mairiegebäude des zehnten Arrondiſſements verſammelte Volk als Tribun im Namen der Republik haranguirt. Allerdings ruft ihm das Echo ſpottend zurück: Henri V.! Henri V.!
Der koaliſirten Bourgeoiſie gegenüber hatte ſich eine Koalition zwiſchen Kleinbürgern und Arbeitern gebildet, die ſogenannte ſozial-demokra¬ tiſche Partei. Die Kleinbürger ſahen ſich nach den Junitagen 1848 ſchlecht belohnt, ihre materiellen Intereſſen gefährdet und die demokratiſchen Garan¬ tien, die ihnen die Geltendmachung dieſer Intereſſen ſichern ſollten, von der Kontrerevolution in Frage geſtellt. Sie näherten ſich daher den Arbeitern. Ihre parlamentariſche Repräſentation andrerſeits die Montagne, wäh¬ rend der Diktatur der Bourgeois – Republikaner bei Seite geſchoben, hatte in der letzten Lebenshälfte der Konſtituante durch den Kampf mit Bonaparte und den royaliſtiſchen Miniſtern ihre verlorene Popularität wiedererobert. Sie hatte mit den ſozialiſtiſchen Führern eine Allianz geſchloſſen. Februar 1849 wurden Verſöhnungs – Bankette gefeiert. Ein gemeinſchaftliches Programm wurde entworfen, gemeinſchaftliche Wahlkomités wurden geſtiftet und gemeinſchaftliche Kandidaten aufgeſtellt. Den ſozialen Forderungen des Proletariats ward die revolutionäre Pointe abgebrochen und eine demokra¬ tiſche Wendung gegeben, den demokratiſchen Anſprüchen des Kleinbürger¬ thums die blos politiſche Form abgeſtreift und ihre ſozialiſtiſche Pointe29 herausgekehrt. So entſtand die Sozial-Demokratie. Die neue Mon¬ tagne, das Ergebniß dieſer Kombination, enthielt, einige Figuranten aus der Arbeiterklaſſe und einige ſozialiſtiſche Sektirer abgerechnet, dieſelben Ele¬ mente wie die alte Montagne, nur numeriſch ſtärker. Aber im Laufe der Ent¬ wicklung hatte ſie ſich verändert mit der Klaſſe, die ſie vertrat. Der eigen¬ thümliche Charakter der Sozial-Demokratie faßt ſich dahin zuſammen, daß demokratiſch-republikaniſche Inſtitutionen als Mittel verlangt werden, nicht um zwei Extreme, Kapital und Lohnarbeit, beide aufzuheben, ſondern um ihren Gegenſatz abzuſchwächen und in Harmonie zu verwandeln. Wie ver¬ ſchiedene Maßregeln zur Erreichung dieſes Zweckes vorgeſchlagen werden mögen, wie ſehr er mit mehr oder minder revolutionären Vorſtellungen ſich verbrämen mag, der Inhalt bleibt derſelbe. Dieſer Inhalt iſt die Umände¬ rung der Geſellſchaft auf demokratiſchem Wege, aber eine Umänderung inner¬ halb der Grenzen des Kleinbürgerthums. Man muß ſich nur nicht die bornirte Vorſtellung machen, als wenn das Kleinbürgerthum prinzipiell ein egoiſtiſches Klaſſenintereſſe durchſetzen wolle. Es glaubt vielmehr, daß die beſondern Bedingungen ſeiner Befreiung die allgemeinen Beding¬ ungen ſind, innerhalb deren allein die moderne Geſellſchaft gerettet und der Klaſſenkampf vermieden werden kann. Man muß ſich ebenſowenig vorſtellen, daß die demokratiſchen Repräſentanten nun alle shopkeepers ſind oder für dieſelben ſchwärmen. Sie können ihrer Bildung und ihrer individuellen Lage nach himmelweit von ihnen getrennt ſein. Was ſie zu Vertretern des Klein¬ bürgers macht, iſt, daß ſie im Kopfe nicht über die Schranken hinauskommen, worüber jener nicht im Leben hinauskommt, daß ſie daher zu denſelben Auf¬ gaben und Löſungen theoretiſch getrieben werden, wohin jenen das materielle Intereſſe und die geſellſchaftliche Lage praktiſch treiben. Dies iſt überhaupt das Verhältniß der politiſchen und literariſchen Vertreter einer Klaſſe zu der Klaſſe, die ſie vertreten.
Nach der gegebenen Auseinanderſetzung verſteht ſich von ſelbſt, daß, wenn die Montagne mit der Ordnungspartei fortwährend um die Republik und die ſogenannten Menſchenrechte ringt, weder die Republik noch die Menſchenrechte ihr letzter Zweck ſind, ſo wenig wie eine Armee, die man ihrer Waffen berauben will und die ſich zur Wehr ſetzt, auf den Kampfplatz getreten iſt, um im Beſitz ihrer eignen Waffen zu bleiben.
Die Partei der Ordnung provozirte gleich beim Zuſammentritt der Na¬ tionalverſammlung die Montagne. Die Bourgeoiſie fühlte jetzt die Nothwen¬30 digkeit, mit den demokratiſchen Kleinbürgern fertig zu werden, wie ſie ein Jahr vorher die Nothwendigkeit begriffen hatte, mit dem revolutionären Proletariat zu enden. Nur war die Situation des Gegners eine verſchiedene. Die Stärke der proletariſchen Partei war auf der Straße, die der Kleinbürger in der Na¬ tionalverſammlung ſelbſt. Es galt alſo, ſie aus der Nationalverſammlung auf die Straße zu locken und ſie ſelbſt ihre parlamentariſche Macht zerbrechen zu laſſen, ehe Zeit und Gelegenheit ſie konſolidiren konnten. Die Montagne ſprengte mit verhängtem Zügel in die Falle.
Das Bombardement Rom's durch die franzöſiſchen Truppen war der Köder, der ihr hingeworfen wurde. Es verletzte Artikel V. der Konſtitution, der der franzöſiſchen Republik unterſagt, ihre Streitkräfte gegen die Freiheiten eines andern Volks zu verwenden. Zudem verbot auch Art. IV jede Kriegs¬ erklärung von Seiten der Exekutivgewalt ohne Zuſtimmung der Nationalver¬ ſammlung, und die Konſtituante hatte durch ihren Beſchluß vom 8. Mai die römiſche Expedition mißbilligt. Auf dieſe Gründe hin deponirte Ledru-Rollin am 11. Juni 1849 einen Anklageakt gegen Bonaparte und ſeine Miniſter. Durch die Wespenſtiche von Thiers aufgereizt, ließ er ſich ſogar zu der Dro¬ hung fortreißen, die Konſtitution mit allen Mitteln vertheidigen zu wollen, ſelbſt mit den Waffen in der Hand. Die Montagne erhob ſich wie Ein Mann und wiederholte dieſen Waffenruf. Am 12. Juni verwarf die Nationalverſamm¬ lung den Anklageakt und die Montagne verließ das Parlament. Die Ereig¬ niſſe des 13. Juni ſind bekannt: die Proklamation eines Theils der Montagne, wodurch Bonaparte und ſeine Miniſter „ außerhalb der Konſtitution “erklärt wurden; die Straßenprozeſſion der demokratiſchen Nationalgarden, die waffen¬ los, wie ſie waren, bei dem Zuſammentreffen mit den Truppen Changarnier's auseinanderſtoben u. ſ. w. u. ſ. w. Ein Theil der Montagne flüchtete in's Ausland, ein anderer wurde dem Hochgericht in Bourges überwieſen, und ein parlamentariſches Reglement unterwarf den Reſt der ſchulmeiſterlichen Aufſicht des Präſidenten der Nationalverſammlung. Paris wurde wieder in Belage¬ rungszuſtand verſetzt und der demokratiſche Theil ſeiner Nationalgarde aufge¬ löſt. So war der Einfluß der Montagne im Parlament und die Macht der Kleinbürger in Paris gebrochen.
Lyon, wo der 13. Juni das Signal zu einem blutigen Arbeiteraufſtand gegeben hatte, wurde mit den fünf umliegenden Departements ebenfalls in Belagerungszuſtand erklärt, ein Zuſtand, der bis auf dieſen Augenblick fort¬ dauert.
31Das Gros der Montagne hatte ſeine Avantgarde im Stiche gelaſſen, in¬ dem es ihrer Proklamation die Unterſchriften verweigerte. Die Preſſe war deſertirt, indem nur zwei Journale das Pronunziamento zu veröffentlichen wagten. Die Kleinbürger verriethen ihre Repräſentanten, indem die Natio¬ nalgarden ausblieben oder wo ſie erſchienen, den Barrikadenbau verhinderten. Die Repräſentanten hatten die Kleinbürger dupirt, indem die angeblichen Affiliirten von der Armee nirgends zu erblicken waren. Endlich, ſtatt von ihm Kraftzuſchuß zu gewinnen, hatte die demokratiſche Partei das Proleta¬ riat mit ihrer eignen Schwäche angeſteckt, und, wie gewöhnlich bei demokra¬ tiſchen Hochthaten, hatten die Führer die Genugthuung, ihr „ Volk “der De¬ ſertion und das Volk die Genugthuung, ſeine Führer der Prellerei beſchuldigen zu können.
Selten war eine Aktion mit größerem Geräuſch verkündet worden, als der bevorſtehende Feldzug der Montagne, ſelten ein Ereigniß mit mehr Sicher¬ heit und länger vorher austrompetet, als der unvermeidliche Sieg der Demo¬ kratie. Ganz gewiß: die Demokraten glauben an die Poſaunen, vor deren Stößen die Mauern Jericho's einſtürzten. Und ſo oft ſie den Wällen des Despotismus gegenüberſtehn, ſuchen ſie das Wunder nachzumachen. Wenn die Montagne im Parlamente ſiegen wollte, durfte ſie nicht zu den Waffen rufen. Wenn ſie im Parlamente zu den Waffen rief, durfte ſie ſich auf der Straße nicht parlamentariſch verhalten. Wenn die friedliche Demonſtration ernſt gemeint war, ſo war es albern, nicht vorherzuſehn, daß ſie kriegeriſch empfangen werden würde. Wenn es auf den wirklichen Kampf abgeſehn war, ſo war es originell, die Waffen abzulegen, mit denen er geführt werden mußte. Aber die revolutionären Drohungen der Kleinbürger und ihrer demokratiſchen Vertreter ſind bloße Einſchüchterungsverſuche des Gegners. Und wenn ſie ſich in eine Sackgaſſe verrannt, wenn ſie ſich hinlänglich kompromittirt haben, um zur Ausführung ihrer Drohungen gezwungen zu ſein, ſo geſchieht es in einer zweideutigen Weiſe, die nichts mehr vermeidet als die Mittel zum Zwecke und nach Vorwänden zum Unterliegen haſcht. Die ſchmetternde Ouverture, die den Kampf verkündete, verliert ſich in ein kleinlautes Knurren, ſobald er beginnen ſoll, die Schauſpieler hören auf ſich au sérieux zu nehmen und die Handlung fällt platt zuſammen, wie ein luftgefüllter Ballon, den man mit einer Nadel pickt.
Keine Partei übertreibt ſich mehr ihre Mittel, als die demokratiſche, keine täuſcht ſich leichtſinniger über die Situation. Wenn ein Theil der Armee für32 ſie geſtimmt hatte, war die Montagne nun auch überzeugt, daß die Armee für ſie revoltiren werde. Und bei welchem Anlaſſe? Bei einem Anlaſſe, der vom Standpunkt der Truppen keinen andern Sinn hatte, als daß die Revolutio¬ näre für die römiſchen Soldaten gegen die franzöſiſchen Soldaten Partei er¬ griffen. Andrerſeits waren die Erinnerungen an den Juni 1848 noch zu friſch, als daß nicht eine tiefe Abneigung des Proletariats gegen die National¬ garde und ein durchgreifendes Mißtrauen der Chefs der geheimen Geſell¬ ſchaften gegen die demokratiſchen Chefs exiſtiren mußten. Um dieſe Differenzen auszugleichen, dazu bedurfte es großer gemeinſchaftlicher Intereſſen, die auf dem Spiele ſtanden. Die Verletzung eines abſtrakten Verfaſſungsparagraphen konnte das Intereſſe nicht bieten. War die Verfaſſung nicht ſchon wiederholt verletzt worden nach der Verſicherung der Demokraten ſelbſt? Hatten die populärſten Journale ſie nicht als ein kontrerevolutionäres Machwerk gebrand¬ markt? Aber der Demokrat, weil er das Kleinbürgerthum vertritt, alſo eine Uebergangsklaſſe, worin die Intereſſen zweier Klaſſen ſich zugleich ab¬ ſtumpfen, dünkt ſich über den Klaſſengegenſatz überhaupt erhaben. Die De¬ mokraten geben zu, daß eine privilegirte Klaſſe ihnen gegenüberſteht, aber ſie mit der ganzen übrigen Umgebung der Nation bilden das Volk. Was ſie vertreten, iſt das Volksrecht; was ſie intereſſirt, iſt das Volksinter¬ eſſe. Sie brauchen daher bei einem bevorſtehenden Kampfe die Intereſſen und Stellungen der verſchiedenen Klaſſen nicht zu prüfen. Sie brauchen ihre eigenen Mittel nicht allzu bedenklich abzuwägen. Sie haben eben nur das Signal zu geben, damit das Volk mit allen ſeinen unerſchöpflichen Reſſourcen über die Dränger herfalle. Stellen ſich nun in der Ausführung ihre In¬ tereſſen als unintereſſant und ihre Macht als Ohnmacht heraus, ſo liegt das entweder an verderblichen Sophiſten, die das untheilbare Volk in ver¬ ſchiedene feindliche Lager ſpalten, oder die Armee war zu verthiert und zu ver¬ blendet, um die reinen Zwecke der Demokratie als ihr eignes Beſte zu be¬ greifen, oder an einem Detail der Ausführung iſt das Ganze geſcheitert, oder aber ein unvorhergeſehener Zufall hat für diesmal die Partie vereitelt. Jeden¬ falls geht der Demokrat eben ſo makellos aus der ſchmählichſten Niederlage heraus, wie er unſchuldig in ſie hineingegangen iſt, mit der neugewonnenen Ueberzeugung, daß er ſiegen muß, nicht daß er ſelbſt und ſeine Partei den alten Standpunkt aufzugeben, ſondern umgekehrt, daß die Verhältniſſe ihm entgegenzureifen haben.
Man muß ſich daher die dezimirte, gebrochene und durch das neue par¬33 lamentariſche Reglement gedemüthigte Montagne nicht gar zu unglücklich vor¬ ſtellen. Wenn der 13. Juni ihre Chefs beſeitigt hatte, ſo macht er andrer¬ ſeits untergeordneteren Kapazitäten Platz, denen dieſe neue Stellung ſchmeichelt. Wenn ihre Machtloſigkeit im Parlamente nicht mehr bezweifelt werden konnte, ſo waren ſie nun auch berechtigt, ihre That auf Ausbrüche ſitt¬ licher Entrüſtung und polternde Deklamation zu beſchränken. Wenn die Ord¬ nungspartei in ihnen als den letzten offiziellen Repräſentanten der Revolution alle Schrecken der Anarchie verkörpert zu ſehn vorgab, ſo konnten ſie in der Wirklichkeit deſto platter und beſcheidener ſein. Ueber den 13. Juni aber ver¬ tröſteten ſie ſich mit der tiefen Wendung: Aber wenn man das allgemeine Wahlrecht anzugreifen wagt, aber dann! Dann werden wir zeigen, wer wir ſind. Nous verrons.
Was die in's Ausland geflüchteten Montagnards betrifft, ſo genügt es hier zu bemerken, daß Ledru-Rollin, weil es ihm gelungen war, in kaum zwei Wochen die mächtige Partei, an deren Spitze er ſtand, rettungslos zu ruiniren, ſich nun berufen fand, eine franzöſiſche Regierung in partibus zu bilden; daß ſeine Figur, in der Ferne, vom Boden der Aktion weggehoben, im Maßſtab als das Niveau der Revolution ſank und die offiziellen Größen des offiziellen Frankreichs zwerghafter wurden, an Größe zu wachſen ſchien; daß er als repu¬ blikaniſcher Prätendent für 1852 figuriren konnte, daß er periodiſche Rund¬ ſchreiben an die Walachen und andere Völker erließ, worin den Despoten des Kontinents mit ſeinen und ſeiner Verbündeten Thaten gedroht wird. Hatte Proudhon ganz Unrecht, wenn er dieſen Herren zurief: „ Vous n'êtes que des blagueurs? “
Die Ordnungspartei hatte am 13. Juni nicht nur die Montagne ge¬ brochen, ſie hatte die Unterordnung der Konſtitution unter die Majoritätsbeſchlüſſe der Nationalverſammlung durchgeſetzt. Und ſo verſtand ſie die Republik. Daß die Bourgeoiſie hier in parlamenta¬ riſchen Formen herrſche, ohne wie in der Monarchie an dem Veto der Exeku¬ tivgewalt oder an der Auflösbarkeit des Parlaments eine Schranke zu finden. Das war die parlamentariſche Republik, wie Thiers ſie nannte. Aber wenn die Bourgeoiſie am 13. Juni ihre Allmacht innerhalb des Parla¬ mentsgebäudes ſicherte, ſchlug ſie nicht das Parlament ſelbſt, der Exekutivgewalt und dem Volke gegenüber, mit unheilbarer Schwäche, indem ſie den populärſten Theil deſſelben ausſtieß? Indem ſie zahlreiche Deputirte ohne weitere Cere¬ monien der Requiſition der Parkette preisgab, hob ſie ihre eigne parlamen¬334tariſche Unverletzlichkeit auf. Das demüthigende Reglement, dem ſie die Montagne unterwarf, erhöht in demſelben Maße den Präſidenten der Repu¬ blik, als es den einzelnen Repräſentanten des Volks herabdrückt. Indem ſie die Inſurrektion zum Schutz der konſtitutionellen Verfaſſung als anarchiſche, auf den Umſturz der Geſellſchaft abzweckende That brandmarkt, verbot ſie ſich ſelbſt den Appell an die Inſurrektion, ſobald die Exekutivgewalt ihr gegenüber die Verfaſſung verletzen würde. Und die Ironie der Geſchichte will, daß der General, der im Auftrage Bonaparte's Rom bombardirt und ſo den unmittel¬ baren Anlaß zu der konſtitutionellen Emeute vom 13. Juni gegeben hat, daß Oudinot am 2. Dezember 1851 dem Volke von der Ordnungspartei flehentlich und vergeblich als General der Konſtitution gegen Bonaparte an¬ geboten werden muß. Ein anderer Held des 13. Juni, Bieyra, der von der Tribüne der Nationalverſammlung Lob einerntet für die Brutalitäten, die er in demokratiſchen Zeitungslokalen an der Spitze einer der hohen Finanz angehörigen Rotte von Nationalgarden verübt hatte, dieſer ſelbe Bieyra war in die Verſchwörung Bonaparte's eingeweiht und trug weſentlich dazu bei, in ihrer Todesſtunde der Nationalverſammlung jeden Schutz von Seiten der Nationalgarde abzuſchneiden.
Der 13. Juni hatte noch einen andern Sinn. Die Montagne hatte Bonaparte's Verſetzung in Anklagezuſtand ertrotzen wollen. Ihre Niederlage war alſo ein direkter Sieg Bonaparte's, ſein perſönlicher Triumph über ſeine demokratiſchen Feinde. Die Partei der Ordnung erfocht den Sieg, Bona¬ parte hatte ihn nur einzukaſſiren. Er that es. Am 14. Juni war eine Proklamation an den Mauern von Paris zu leſen, worin der Präſident, gleich¬ ſam ohne ſein Zuthun, widerſtrebend, durch die bloße Macht der Ereigniſſe gezwungen, aus ſeiner klöſterlichen Abgeſchiedenheit hervortritt, als verkannte Tugend über die Verläumdungen ſeiner Widerſacher klagt und während er ſeine Perſon mit der Sache der Ordnung zu identifiziren ſcheint, vielmehr die Sache der Ordnung mit ſeiner Perſon identifizirt. Zudem hatte die Nationalver¬ ſammlung die Expedition gegen Rom zwar nachträglich gebilligt, aber Bona¬ parte hatte die Initiative dazu ergriffen. Nachdem er den Hoheprieſter Samuel in den Vatikan wieder eingeführt, konnte er hoffen, als König David die Tui¬ lerien zu beziehen. Er hatte die Pfaffen gewonnen.
Die Emeute vom 13. Juni beſchränkte ſich, wie wir geſehn, auf eine friedliche Straßenprozeſſion. Es waren alſo keine kriegeriſchen Lorbeeren gegen ſie zu gewinnen. Nichts deſto weniger, in dieſer helden - und ereigni߬35 armen Zeit verwandelte die Ordnungspartei dieſe Schlacht ohne Blutvergießen in ein zweites Auſterlitz. Tribüne und Preſſe prieſen die Armee als die Macht der Ordnung gegenüber den Volksmaſſen als der Ohnmacht der Anarchie, und den Changarnier als das „ Bollwerk der Geſellſchaft “. Myſtifikation, an die er ſchließlich ſelbſt glaubte. Unter der Hand aber wurden die Korps, die zwei¬ deutig ſchienen, aus Paris verlegt, die Regimenter, deren Wahlen am demo¬ kratiſchſten ausgefallen waren, aus Frankreich nach Algier verbannt, die un¬ ruhigen Köpfe unter den Truppen in Strafabtheilungen verwieſen, endlich die Abſperrung der Preſſe von der Kaſerne und der Kaſerne von der bürgerlichen Geſellſchaft ſyſtematiſch durchgeführt.
Wir ſind hier bei dem entſcheidenden Wendepunkt in der Geſchichte der franzöſiſchen Nationalgarde angelangt. 1830 hatte ſie den Sturz der Re¬ ſtauration entſchieden. Unter Louis Philipp mißglückte jede Emeute, worin die Nationalgarde auf Seite der Truppen ſtand. Als ſie in den Februar¬ tagen 1848 ſich paſſiv gegen den Aufſtand und zweideutig gegen Louis Phi¬ lipp zeigte, gab er ſich verloren und war er verloren. So ſchlug die Ueber¬ zeugung Wurzel, daß die Revolution nicht ohne, und die Armee nicht gegen die Nationalgarde ſiegen könne. Es war dies der Aberglaube der Armee an die bürgerliche Allmacht. Die Junitage 1848, wo die geſammte National¬ garde mit den Linientruppen die Inſurrektion niederwarf, hatten den Aber¬ glauben befeſtigt. Nach Bonaparte's Regierungsantritt ſank die Stellung der Nationalgarde einigermaßen durch die konſtitutionswidrige Vereinigung ihres Kommandos mit dem Kommando der erſten Militärdiviſion in der Perſon Changarnier's.
Wie das Commando über die Nationalgarde hier als ein Attribut des militäriſchen Oberbefehlshabers erſchien, ſo ſie ſelbſt nur noch als Anhang der Linientruppen. Am 13. Juni endlich wurde ſie gebrochen: nicht nur durch ihre theilweiſe Auflöſung, die ſich ſeit dieſer Zeit periodiſch an allen Punkten Frank¬ reichs wiederholte und nur Trümmer von ihr zurückließ. Die Demonſtration des 13. Juni war vor Allem eine Demonſtration der demokratiſchen National¬ garden. Sie hatten zwar nicht ihre Waffen, wohl aber ihre Uniformen der Armee gegenübergeführt, aber gerade in dieſer Uniform ſaß der Talisman. Die Armee überzeugte ſich, daß dieſe Uniform ein wollener Lappen wie ein andrer war. Der Zauber ging verloren. In den Junitagen 1848 waren Bourgeoiſie und Kleinbürgerthum als Nationalgarde mit der Armee gegen das Proletariat vereinigt, am 13. Juni 1849 ließ die Bourgeoiſie die klein¬3*36bürgerliche Nationalgarde durch die Armee auseinander ſprengen, am 2. De¬ zember 1851 war die Nationalgarde der Bourgeoiſie ſelbſt verſchwunden und Bonaparte konſtatirte nur dies Faktum, als er nachträglich ihr Auf¬ löſungsdekret unterſchrieb. So hatte die Bourgeoiſie ſelbſt ihre letzte Waffe gegen die Armee zerbrochen, aber ſie mußte ſie zerbrechen von dem Augen¬ blicke, wo das Kleinbürgertum nicht mehr als Vaſall hinter, ſondern als Rebell vor ihr ſtand, wie ſie überhaupt alle ihre Vertheidigungsmittel gegen den Abſolu¬ tismus mit eigner Hand zerſtören mußte, ſobald ſie ſelbſt abſolut geworden war.
Die Ordnungspartei feierte unterdeß die Wiedereroberung einer Macht, die 1848 nur verloren ſchien, um 1849 von ihren Schranken be¬ freit wiedergefunden zu werden, durch Invektiven gegen die Republik und die Konſtitution, durch Verfluchung aller zukünftigen, gegenwärtigen und vergangenen Revolutionen, die eingerechnet, welche ihre eignen Füh¬ rer gemacht hatten, und in Geſetzen, wodurch die Preſſe geknebelt, die Aſſoziation vernichtet und der Belagerungszuſtand als organiſches Inſtitut regulirt wurde. Die Nationalverſammlung vertagte ſich dann von Mitte Auguſt bis Mitte October, nachdem ſie eine Permanenzkommiſſion für die Zeit ihrer Abweſenheit ernannt hatte. Während dieſer Ferien intriguirten die Legitimiſten mit Ems, die Orleaniſten mit Claremont, Bonaparte durch prinzliche Rundreiſen, und die Departementalräthe in Berathungen über die Reviſion der Verfaſſung, — Vorfälle, die in den periodiſchen Ferien der Nationalverſammlung regelmäßig wiederkehren und auf die ich erſt eingehn will, ſobald ſie zu Ereigniſſen werden. Hier ſei nur noch bemerkt, daß die Nationalverſammlung unpolitiſch handelte, als ſie für längere Intervalle von der Bühne verſchwand und auf der Spitze der Republik nur noch Eine, wenn auch klägliche Geſtalt erblicken ließ, die Louis Bonaparte's, während die Partei der Ordnung zum Skandale des Publikums in ihre royaliſtiſchen Beſtand¬ theile auseinander und ihren ſich widerſtreitenden Reſtaurationsgelüſten nach¬ ging. So oft während dieſer Ferien der verwirrende Lärm des Parlaments verſtummte und ſein Körper ſich in die Nation auflöſte, zeigte ſich unver¬ kennbar, daß nur noch Eins fehle, um die wahre Geſtalt dieſer Republik zu vollenden: ſeine Ferien permanent machen und ihre Aufſchrift: Liberté, égalité, fraternité, erſetzen durch die unzweideutigen Worte: Infanterie, Cavalerie, Artillerie!
37Mitte Oktober 1849 trat die Nationalverſammlung wieder zuſammen. Am 1. November überraſchte Bonaparte ſie mit einer Botſchaft, worin er die Entlaſſung des Miniſteriums Barrot – Falloux und die Bildung eines neuen Miniſteriums anzeigte. Man hat Lakaien nie mit weniger Ceremonien aus dem Dienſte gejagt, als Bonaparte ſeine Miniſter. Die Fußtritte, die der Nationalverſammlung beſtimmt waren, erhielt vorläufig Barrot u. Comp.
Das Miniſterium Barrot war, wie wir geſehen haben, aus Legitimiſten und Orleaniſten zuſammengeſetzt, ein Miniſterium der Ordnungspartei. Bo¬ naparte hatte deſſelben bedurft, um die republikaniſche Konſtituante aufzulöſen, die Expedition gegen Rom zu bewerkſtelligen und die demokratiſche Partei zu brechen. Hinter dieſem Miniſterium hatte er ſich ſcheinbar eklipſirt, die Re¬ gierungsgewalt in die Hände der Ordnungspartei abgetreten und die beſcheidene Charaktermaske angelegt, die unter Louis Philipp der verantwortliche Ge¬ rant der Zeitungspreſſe trug, die Maske des homme de paille. Jetzt warf er eine Larve weg, die nicht mehr der leichte Vorhang war, worunter er ſeine Phyſiognomie verſtecken konnte, ſondern die eiſerne Maske, die ihn verhinderte, eine eigne Phyſiognomie zu zeigen. Er hatte das Miniſterium Barrot eingeſetzt, um im Namen der Ordnungspartei die republikaniſche Nationalverſammlung zu ſprengen; er entließ es, um ſeinen eignen Namen von der Nationalverſammlung der Ordnungspartei unabhängig zu erklären.
An plauſiblen Vorwänden zu dieſer Entlaſſung fehlte es nicht. Das Miniſterium Barrot vernachläſſigte ſelbſt die Anſtandsformen, die den Präſi¬ denten der Republik als eine Macht neben der Nationalverſammlung hätten erſcheinen laſſen. Während der Ferien der Nationalverſammlung veröffent¬ lichte Bonaparte einen Brief an Edgar Ney, worin er das illiberale Auftreten des Pabſtes zu mißbilligen ſchien, wie er im Gegenſatz zur Konſtituante einen Brief veröffentlicht hatte, worin er Oudinot für den Angriff auf die römiſche Republik belobte. Als nun die Nationalverſammlung das Budget für die römiſche Expedition votirte, brachte Victor Hugo aus angeblichem Liberalis¬ mus jenen Brief zur Sprache. Die Ordnungspartei erſtickte den Einfall, als ob Bonaparte's Einfälle irgend ein politiſches Gewicht haben könnten, unter verächtlich ungläubigen Ausrufungen. Keiner der Miniſter nahm den Handſchuh für ihn auf. Bei einer andern Gelegenheit ließ Barrot mit ſeinem bekannten hohlen Pathos Worte der Entrüſtung von der Rednerbühne auf die „ abominablen Umtriebe “fallen, die nach ſeiner Ausſage in der38 nächſten Umgebung des Präſidenten vorgingen. Endlich verweigerte das Miniſterium, während es der Herzogin von Orleans einen Witwengehalt von der Nationalverſammlung erwirkte, jeden Antrag auf Erhöhung der präſidentiellen Civilliſte. Und in Bonaparte verſchmolz der kaiſerliche Prä¬ tendent ſo innig mit dem heruntergekommenen Glücksritter, daß die Eine große Idee, er ſei berufen, das Kaiſerthum zu reſtauriren, ſtets von der andern ergänzt ward, das franzöſiſche Volk ſei berufen, ſeine Schulden zu zahlen.
Das Miniſterium Barrot-Falloux war das erſte und letzte parlamen¬ tariſche Miniſterium, das Bonaparte in's Leben rief. Die Entlaſſung deſſelben bildet daher einen entſcheidenden Wendepunkt. Mit ihm verlor die Ordnungspartei, um ihn nie wieder zu erobern, einen unentbehrlichen Poſten für die Behauptung des parlamentariſchen Regimes, die Handhabe der Exe¬ kutivgewalt. Man begreift ſogleich, daß in einem Lande wie Frankreich, wo die Exekutivgewalt über ein Beamtenheer von mehr als einer halben Million von Individuen verfügt, alſo eine ungeheure Maſſe von Intereſſen und Exi¬ ſtenzen beſtändig in der unbedingteſten Abhängigkeit erhält, wo der Staat die bürgerliche Geſellſchaft von ihren umfaſſendſten Lebensäußerungen bis zu ihren unbedeutendſten Regungen hinab, von ihren allgemeinſten Daſeins¬ weiſen bis zur Privatexiſtenz der Individuen umſtrickt, kontrollirt, maßregelt, überwacht und bevormundet, wo dieſer Paraſitenkörper durch die außerordent¬ lichſte Centraliſation eine Allgegenwart, Allwiſſenheit, eine beſchleunigte Be¬ wegungsfähigkeit und Schnellkraft gewinnt, die nur in der hülfloſen Unſelbſt¬ ſtändigkeit, in der zerfahrenen Unförmlichkeit des wirklichen Geſellſchaftskör¬ pers ein Analogon finden, daß in einem ſolchen Lande die Nationalverſamm¬ lung mit der Verfügung über die Miniſterſtellen jeden wirklichen Einfluß ver¬ loren gab, wenn ſie nicht gleichzeitig die Staatsverwaltung vereinfachte, das Beamtenheer möglichſt verringerte, endlich die bürgerliche Geſellſchaft und die öffentliche Meinung ihre eignen von der Regierungsgewalt unabhängigen Organe erſchaffen ließ. Aber das materielle Intereſſe der franzö¬ ſiſchen Bourgeoiſie iſt gerade auf das Innigſte mit der Erhaltung jener breiten und vielverzweigten Staatsmaſchine verwebt. Hier bringt ſie ihre überſchüſſige Bevölkerung unter und ergänzt in der Form von Staatsgehalten, was ſie nicht in der Form von Profiten, Zinſen, Renten und Honoraren einſtecken kann. Andrerſeits zwang ihr politiſches Intereſſe ſie, die Repreſſion, alſo die Mittel und das Perſonal der Staatsgewalt täglich zu vermehren, während ſie gleichzeitig einen ununterbrochenen Krieg gegen die öffentliche39 Meinung führen und die ſelbſtſtändigen Bewegungsorgane der Geſellſchaft mißtrauiſch verſtümmeln, lähmen mußte, wo es ihr nicht gelang, ſie gänzlich zu amputiren. So war die franzöſiſche Bourgeoiſie durch ihre Klaſſenſtellung gezwungen, einerſeits die Lebensbedingungen einer jeden, alſo auch ihrer eig¬ nen parlamentariſchen Gewalt zu vernichten, andrerſeits die ihr feindliche Exekutivgewalt unwiderſtehlich zu machen.
Das neue Miniſterium hieß das Miniſterium d'Hautpoul. Nicht als hätte General d'Hautpoul den Rang eines Miniſterpräſidenten erhalten. Mit Barrot ſchaffte Bonaparte vielmehr zugleich dieſe Würde ab, die den Präſidenten der Republik allerdings zur legalen Nichtigkeit eines konſtitu¬ tionellen Königs verdammte, aber eines konſtitutionellen Königs ohne Thron und ohne Krone, ohne Scepter und ohne Schwert, ohne Unverantwortlich¬ keit, ohne den unverjährbaren Beſitz der höchſten Staatswürde, und was das Fatalſte war, ohne Civilliſte. Das Miniſterium d'Hautpoul beſaß nur einen Mann von parlamentariſchem Rufe, den Juden Fould, eins der berüchtigtſten Glieder der hohen Finanz. Ihm fiel das Finanzminiſterium anheim. Man ſchlage die Pariſer Börſennotationen nach und man wird finden, daß vom 1. November 1849 an die franzöſiſchen Fonds ſteigen und fallen mit dem Fallen und Steigen der bonapartiſtiſchen Aktien. Wäh¬ rend Bonaparte ſo ſeinen Affiliirten in der Börſe gefunden hatte, bemäch¬ tigte er ſich zugleich der Polizei durch Carlier's Ernennung zum Polizei¬ präfekten von Paris.
Indeß konnten ſich die Folgen des Miniſterwechſels erſt im Laufe der Entwicklung herausſtellen. Zunächſt hatte Bonaparte nur einen Schritt vor¬ wärts gethan, um deſto augenfälliger rückwärts getrieben zu werden. Seiner barſchen Botſchaft folgte die ſervilſte Unterthänigkeitserklärung an die Natio¬ nalverſammlung. So oft die Miniſter den ſchüchternen Verſuch wagten, ſeine perſönlichen Marotten als Geſetzesvorſchläge einzubringen, ſchienen ſie ſelbſt nur widerwillig und durch ihre Stellung gezwungen die komiſchen Auf¬ träge zu erfüllen, von deren Erfolgloſigkeit ſie im voraus überzeugt waren. So oft Bonaparte im Rücken der Miniſter ſeine Abſichten ausplauderte und mit ſeinen „ idées napoléoniennes “ſpielte, desavouirten ihn die eignen Miniſter von der Tribüne der Nationalverſammlung herab. Seine Uſurpationsgelüſte, ſchienen nur laut zu werden, damit das ſchadenfrohe Gelächter ſeiner Gegner nicht verſtumme. Er gebärdete ſich als ein verkanntes Genie, das alle Welt für einen Simpel ausgibt. Nie genoß er in vollerem Maße die40 Verachtung aller Klaſſen, als während dieſer Periode. Nie herrſchte die Bourgeoiſie unbedingter, nie trug ſie prahleriſcher die Inſignien der Herr¬ ſchaft zur Schau.
Ich habe hier nicht die Geſchichte ihrer geſetzgeberiſchen Thätigkeit zu ſchreiben, die ſich während dieſer Periode in zwei Geſetzen reſümirt: in dem Geſetze, das die Weinſteuer wiederherſtellt, in dem Unterrichtsge¬ ſetze, das den Unglauben abſchafft. Wenn den Franzoſen das Weintrinken erſchwert, ward ihnen deſto reichlicher vom Waſſer des wahren Lebens ge¬ ſchenkt. Wenn die Bourgeoiſie in dem Geſetze über die Weinſteuer das alte gehäſſige franzöſiſche Steuerſyſtem für unantaſtbar erklärt, ſuchte ſie durch das Unterrichtsgeſetz den alten Gemüthszuſtand der Maſſen zu ſichern, der es ertragen ließ. Man iſt erſtaunt, die Orleaniſten, die liberalen Bourgeois, dieſe alten Apoſtel des Voltairianismus und der eklektiſchen Philoſophie, ihren Stammfeinden, den Jeſuiten, die Verwaltung des franzöſiſchen Geiſtes an¬ vertrauen zu ſehn. Aber Orleaniſten und Legitimiſten konnten in Be¬ ziehung auf den Kronprätendenten auseinandergehn, ſie begriffen, daß ihre vereinte Herrſchaft die Unterdrückungsmittel zweier Epochen zu vereinigen gebot, daß die Unterjochungsmittel der Julimonarchie durch die Unterjochungs¬ mittel der Reſtauration ergänzt und verſtärkt werden mußten.
Die Bauern, in allen ihren Hoffnungen getäuſcht, durch den niedrigen Stand der Getreidepreiſe einerſeits, durch die wachſende Steuerlaſt und Hypothekenſchuld andrerſeits mehr als je erdrückt, begannen ſich in den Depar¬ tements zu regen. Man antwortete ihnen durch eine Hetzjagd auf die Schul¬ meiſter, die den Geiſtlichen, durch eine Hetzjagd auf die Maires, die den Präfekten, und durch ein Syſtem der Spionage, dem Alle unterworfen wur¬ den. In Paris und den großen Städten trägt die Reaktion ſelbſt die Phyſiognomie ihrer Epoche und fordert mehr heraus, als ſie niederſchlägt. Auf dem Lande wird ſie platt, gemein, kleinlich, ermüdend, plackend, mit einem Worte Gensdarm. Man begreift, wie drei Jahre vom Regime des Gensdarmen, eingeſegnet durch das Regime des Pfaffen, unreife Maſſen demoraliſiren mußten.
Welche Summe von Leidenſchaft und Deklamation die Ordnungspartei von der Tribüne der Nationalverſammlung herab gegen die Minorität auf¬ wenden mochte, ihre Rede blieb einſylbig, wie die des Chriſten, deſſen Worte ſein ſollen: Ja, ja, nein, nein! Einſylbig von der Tribüne herab, wie in der Preſſe. Fad wie ein Räthſel, deſſen Löſung im voraus bekannt iſt. 41Handelte es ſich um Petitionsrecht oder um Weinſteuer, um Preßfreiheit oder um Freihandel, um Klubs oder um Munizipalverfaſſung, um Schutz der per¬ ſönlichen Freiheit oder um Regelung des Staatshaushaltes, das Loſungswort kehrt immer wieder, das Thema bleibt immer daſſelbe, der Urtheilsſpruch iſt immer fertig und lautet unveränderlich: „ Sozialismus! “ Für ſozia¬ liſtiſch wird ſelbſt der bürgerliche Liberalismus erklärt, für ſozialiſtiſch die bürgerliche Aufklärung, für ſozialiſtiſch die bürgerliche Finanzreform. Es war ſozialiſtiſch, eine Eiſenbahn zu bauen, wo ſchon ein Kanal vorhanden war, und es war ſozialiſtiſch, ſich mit dem Stocke zu vertheidigen, wenn man mit dem Degen angegriffen wurde.
Es war dies nicht bloße Redeform, Mode, Parteitaktik. Die Bourgeoiſie hatte die richtige Einſicht, daß alle Waffen, die ſie gegen den Feudalismus geſchmiedet, ihre Spitze gegen ſie ſelbſt kehrten, daß alle Bildungsmittel, die ſie erzeugt, gegen ihre eigne Civiliſation rebellirten, daß alle Götter, die ſie geſchaffen, von ihr abgefallen waren. Sie begriff, daß alle ſogenannten bürger¬ lichen Freiheiten und Fortſchrittsorgane ihre Klaſſenherrſchaft zugleich an der geſellſchaftlichen Grundlage und an der politiſchen Spitze angriffen und bedrohten, alſo „ ſozialiſtiſch “geworden waren. In dieſer Drohung und in dieſem Angriffe fand ſie mit Recht das Geheimniß des Sozialismus, deſſen Sinn und Tendenz ſie richtiger beurtheilt, als der ſogenannte Sozialis¬ mus ſich ſelbſt zu beurtheilen weiß, der daher nicht begreifen kann, wie die Bourgeoiſie ſich verſtockt gegen ihn verſchließt, mag er nun ſentimental über die Leiden der Menſchheit winſeln, oder chriſtlich das tauſendjährige Reich und die allgemeine Bruderliebe verkünden, oder humaniſtiſch von Geiſt, Bil¬ dung, Freiheit faſeln, oder doktrinär ein Syſtem der Vermittlung und der Wohlfahrt aller Klaſſen aushecken. Was ſie aber nicht begriff, war die Konſequenz, daß ihr eignes parlamentariſches Regime, daß ihre politiſche Herrſchaft überhaupt nun auch als ſozialiſtiſch dem allgemeinen Verdammungsurtheil verfallen mußte. So lange die Herr¬ ſchaft der Bourgeoisklaſſe ſich nicht vollſtändig organiſirt, nicht ihren reinen politiſchen Ausdruck gewonnen hatte, konnte auch der Gegenſatz der andern Klaſſen nicht rein hervortreten, und wo er hervortrat, nicht die gefährliche Wendung nehmen, die jeden Kampf gegen die Staatsgewalt in einen Kampf gegen das Kapital verwandelt. Wenn ſie in jeder Lebensregung der Geſell¬ ſchaft die „ Ruhe “gefährdet ſah, wie konnte ſie an der Spitze der Geſell¬ ſchaft das Regime der Unruhe, ihr eignes Regime, das parlamen¬42 tariſche Regime behaupten wollen, dieſes Regime, das nach dem Aus¬ drucke eines ihrer Redner im Kampfe und durch den Kampf lebt? Das par¬ lamentariſche Regime lebt von der Diskuſſion, wie ſoll es die Diskuſſion verbieten? Jedes Intereſſe, jede geſellſchaftliche Einrichtung wird hier in allge¬ meine Gedanken verwandelt, als Gedanken verhandelt, wie ſoll irgend ein Inter¬ eſſe, eine Einrichtung ſich über dem Denken behaupten und als Glaubensartikel imponiren? Der Rednerkampf auf der Tribüne ruft den Kampf der Pre߬ bengel hervor, der debattirende Klub im Parlament ergänzt ſich nothwendig durch debattirende Klubs in den Salons und in den Kneipen, die Repräſen¬ tanten, die beſtändig an die Volksmeinung appelliren, berechtigen die Volks¬ meinung, in Petitionen ihre wirkliche Meinung zu ſagen. Das parlamen¬ tariſche Regime überläßt Alles der Entſcheidung der Majoritäten, wie ſollen die großen Majoritäten jenſeits des Parlaments nicht entſcheiden wollen? Wenn ihr auf dem Gipfel des Staates die Geige ſtreicht, was Andres erwar¬ ten, als daß die drunten tanzen?
Indem alſo die Bourgeoiſie, was ſie früher als „ liberal “gefeiert, jetzt als „ ſozialiſtiſch “verketzert, geſteht ſie ein, daß ihr eignes Intereſſe gebietet, ſie der Gefahr des Selbſtregierens zu überheben, daß um die Ruhe im Lande herzuſtellen, vor Allem ihr Bourgeois-Parlament zur Ruhe gebracht, um ihre geſellſchaftliche Macht unverſehrt zu erhalten, ihre politiſche Macht gebrochen werden müſſe, daß die Privatbourgeois nur fortfahren können, die andern Klaſſen zu exploitiren und ſich ungetrübt des Eigenthums, der Familie, der Religion und der Ordnung zu erfreuen, unter der Bedingung, daß ihre Klaſſe neben den andern Klaſſen zu gleicher politiſcher Nichtigkeit verdammt werde, daß um ihren Beutel zu retten, die Krone ihr abgeſchlagen und das Schwert, das ſie beſchützen ſolle, zugleich als Damoklesſchwert über ihr eignes Haupt gehängt werden müſſe.
In dem Bereiche der allgemeinen bürgerlichen Intereſſen zeigte ſich die Nationalverſammlung ſo unproduktiv, daß z. B. die Verhandlungen über die Paris-Avignoner Eiſenbahn, die im Winter 1850 begannen, am 2. Dezem¬ ber 1851 noch nicht zum Schluß reif waren. Wo ſie nicht unterdrückte, reagirte, war ſie mit unheilbarer Unfruchtbarkeit geſchlagen.
Während Bonaparte's Miniſterium theils die Initiative zu Geſetzen im Geiſte der Ordnungspartei ergriff; theils ihre Härte in der Ausführung und Handhabung noch übertrieb, ſuchte er andrerſeits durch kindiſch alberne Vor¬ ſchläge Popularität zu erobern, ſeinen Gegenſatz zur Nationalverſammlung43 zu konſtatiren und auf einen geheimen Hinterhalt hinzudeuten, der nur durch die Verhältniſſe einſtweilen verhindert werde, dem franzöſiſchen Volke ſeine verborgenen Schätze zu erſchließen. So der Vorſchlag, den Unteroffizieren eine tägliche Zulage von vier Sous zu dekretiren. So der Vorſchlag einer Ehrenleihbank für die Arbeiter. Geld geſchenkt und Geld gepumpt zu erhalten, das war die Perſpektive, womit er die Maſſen zu ködern hoffte. Schenken und Pumpen, darauf beſchränkt ſich die Finanzwiſſenſchaft des Lumpenprole¬ tariats, des vornehmen und des gemeinen. Darauf beſchränkten ſich die Springfedern, die Bonaparte in Bewegung zu ſetzen wußte. Nie hat ein Prätendent platter auf die Plattheit der Maſſen ſpekulirt.
Die Nationalverſammlung brauſte wiederholt auf bei dieſen unverkenn¬ baren Verſuchen auf ihre Koſten Popularität zu erwerben, bei der wachſenden Gefahr, daß dieſer Abenteurer, den die Schulden voranpeitſchten und kein erworbener Ruf zurückhielt, einen verzweifelten Streich wagen werde. Die Verſtimmung zwiſchen der Ordnungspartei und dem Präſidenten hatte einen drohenden Charakter angenommen, als ein unerwartetes Ereigniß ihn reuig in ihre Arme zurückwarf. Wir meinen die Nachwahlen vom 10. März 1850. Dieſe Wahlen fanden ſtatt, um die Repräſentantenſtellen, die nach dem 13. Juni durch das Gefängniß oder das Exil erledigt worden waren, wieder zu beſetzen. Paris wählte nur ſozial-demokratiſche Kandidaten. Es vereinte ſogar die meiſten Stimmen auf einen Inſurgenten des Juni 1848, auf Deflotte. So rächte ſich das mit dem Proletariat alliirte Pariſer Klein¬ bürgerthum für ſeine Niederlage am 13. Juni 1849. Es ſchien im Augen¬ blick der Gefahr nur vom Kampfplatz verſchwunden zu ſein, um ihn bei günſtiger Gelegenheit mit maſſenhafteren Streitkräften und mit einer kühnern Kampfparole wieder zu betreten. Ein Umſtand ſchien die Gefahr dieſes Wahlſieges zu erhöhen. Die Armee ſtimmte in Paris für den Juniinſurgen¬ ten gegen Lahitte, einen Miniſter Bonaparte's, und in den Departements zum großen Theil für die Montagnards, die auch hier, zwar nicht ſo ent¬ ſchieden wie in Paris, das Uebergewicht über ihre Gegner behaupteten.
Bonaparte ſah ſich plötzlich wieder die Revolution gegenüber ſtehen. Wie am 29. Januar 1849, wie am 13. Juni 1849, verſchwand er, am 10. März 1850 hinter der Partei der Ordnung. Er beugte ſich, er that kleinmüthig Abbitte, er erbot ſich auf Befehl der parlamentariſchen Majori¬ tät jedes beliebige Miniſterium zu ernennen, er flehte ſogar die orleaniſtiſchen und legitimiſtiſchen Parteiführer, die Thiers, die Berryer, die Broglio, die44 Mole, kurz die ſogenannten Burggrafen, das Staatsruder in eigner Perſon zu ergreifen. Die Partei der Ordnung wußte dieſen unwiederbringlichen Augenblick nicht zu benutzen. Statt ſich kühn der angebotenen Gewalt zu be¬ mächtigen, zwang ſie Bonaparte nicht einmal, das am 1. November entlaſſene Miniſterium wieder einzuſetzen; ſie begnügte ſich, ihn durch die Verzeihung zu demüthigen und dem Miniſterium d'Hautpoul Herrn Baroche beizuge¬ ſellen. Dieſer Baroche hatte als öffentlicher Ankläger, das eine Mal gegen die Revolutionäre vom 15. Mai, das andere Mal gegen die Demokraten des 13. Juni vor dem Hochgerichte zu Bourges gewüthet, beide Male wegen Attentat auf die Nationalverſammlung. Keiner der Miniſter Bonaparte's trug ſpäter mehr dazu bei, die Nationalverſammlung herabzuwürdigen, und nach dem 2. Dezember 1851 finden wir ihn wieder als wohlbeſtallten und theuer bezahlten Vizepräſidenten des Senats. Er hatte den Revolutionären in die Suppe geſpuckt, damit Bonaparte ſie aufeſſe.
Die ſozial-demokratiſche Partei ihrerſeits ſchien nur nach Vorwänden zu haſchen, um ihren eignen Sieg wieder in Frage zu ſtellen und ihm die Pointe abzubrechen. Vidal, einer der neu erwählten Pariſer Repräſentanten war gleichzeitig in Straßburg gewählt worden. Man bewog ihn, die Wahl für Paris abzulehnen und die für Straßburg anzunehmen. Statt alſo ihrem Siege auf dem Wahlplatze einen definitiven Charakter zu geben und dadurch die Ordnungspartei zu zwingen, ihn ſofort im Parlamente ſtreitig zu machen, ſtatt ſo den Gegner im Augenblick des Volksenthuſiasmus und der günſtigen Stimmung der Armee zum Kampfe zu treiben, ermüdete die demokratiſche Partei Paris während der Monate März und April mit einer neuen Wahlagitation, ließ die aufgeregten Volksleidenſchaften in dieſem aber¬ maligen proviſoriſchen Stimmenſpiel ſich aufreiben, die revolutionäre That¬ kraft in konſtitutionellen Erfolgen ſich ſättigen, in kleinen Intriguen, hohlen Deklamationen und Scheinbewegungen verpuffen, die Bourgeoiſie ſich ſam¬ meln und ihre Vorkehrungen treffen, endlich die Bedeutung der Märzwahlen in der nachträglichen Aprilwahl, in der Wahl Eugen Sue's, einen ſentimental abſchwächenden Kommentar finden. Mit einem Worte, ſie ſchickte den 10. März in den April.
Die parlamentariſche Majorität begriff die Schwäche ihres Gegners. Ihre ſiebzehn Burggrafen, denn Bonaparte hatte ihr die Leitung und die Verantwortlichkeit des Angriffs überlaſſen, arbeiteten ein neues Wahlgeſetz aus, deſſen Vorlage dem Herrn Faucher, der ſich dieſe Ehre ausbat, anver¬45 traut wurde. Am 8. Mai brachte er das Geſetz ein, wodurch das allgemeine Wahlrecht abgeſchafft, ein dreijähriges Domizil an dem Orte der Wahl den Wählern als Bedingung auferlegt, endlich der Nachweis dieſes Domizils für die Arbeiter von dem Zeugniſſe