Alle Rechte vorbehalten.
Druck der Hoffmannſchen Buchdruckerei in Stuttgart.
Wir kehrten von dem Beſuche des Häuptlings der Badinankurden zurück. Als wir auf der letzten Höhe ankamen und das Thal der Teufelsanbeter überblicken konnten, bemerkten wir ganz in der Nähe des Hauſes, welches dem Bey gehörte, einen ungeheuern Haufen von Reisholz, der von einer Anzahl von Dſcheſidi immer noch vergrößert wurde. Pir Kamek ſtand dabei und warf von Zeit zu Zeit ein Stück Erdharz hinein.
„ Das iſt ſein Opferhaufen, “meinte Ali Bey.
„ Was wird er opfern? “
„ Ich weiß es nicht. “
„ Vielleicht ein Tier? “
„ Nur bei den Heiden werden Tiere verbrannt. “
„ Dann vielleicht Früchte? “
„ Die Dſcheſidi verbrennen weder Tiere noch Früchte. Der Pir hat mir nicht geſagt, was er verbrennen wird, aber er iſt ein großer Heiliger, und was er thut, wird keine Sünde ſein. “
Noch immer ertönten von der gegenüberliegenden Höhe die Salven der ankommenden Pilger, und noch immer wurde denſelben im Thale geantwortet: und doch bemerkte ich, als wir unten ankamen, daß dieſes Thal kaum noch mehr Menſchen zu faſſen vermöge. Wir über -II. 12gaben unſere Tiere und gingen nach dem Grabmale. An dem Wege, welcher zu demſelben führte, lag ein Spring - brunnen, der von Platten eingefaßt war. Auf einer der - ſelben ſaß Mir Scheik Khan und ſprach mit einer An - zahl von Pilgern, die in ehrerbietiger Haltung und Ent - fernung vor ihm ſtanden.
„ Dieſer Brunnen iſt heilig, und nur der Mir, ich und die Prieſter dürfen auf dieſen Steinen ſitzen. Zürne alſo nicht, wenn du ſtehen mußt! “ſagte Ali zu mir.
„ Eure Gebräuche werde ich achten. “
Als wir uns nahten, gab der Khan den Umſtehenden ein Zeichen, worauf ſie Platz machten, ſo daß wir zu ihm kommen konnten. Er erhob ſich, kam uns einige Schritte entgegen und reichte uns die Hände.
„ Willkommen bei eurer Rückkehr! Nehmt Platz zu meiner Rechten und Linken! “
Er deutete dem Bey zur Linken, ſodaß mir die rechte Seite übrig blieb. Ich ſetzte mich auf die geheiligten Steine, ohne daß ich bei einem der Anweſenden den ge - ringſten Verdruß darüber bemerkt hätte. Wie ſehr ſtach ein ſolches Verhalten gegen dasjenige ab, welches man bei den Mohammedanern zu beobachten hat!
„ Haſt du mit dem Häuptling geſprochen? “fragte der Khan.
„ Ja. Es iſt alles in der beſten Ordnung. Haſt du den Pilgern bereits eine Mitteilung gemacht? “
„ Nein. “
„ So wird es Zeit ſein, daß die Leute ſich verſam - meln. Gieb den Befehl dazu! “
„ Ich bin der Regent des Glaubens, und alles andere iſt deine Sache. Ich werde dir den Ruhm, die Gläu - bigen beſchützt und die Feinde beſiegt zu haben, niemals verkürzen. “
3Auch dies war eine Beſcheidenheit, welche bei den mohammedaniſchen Imams niemals zu finden iſt. Ali Bey erhob ſich und ſchritt von dannen. Während ich mich mit dem Khan unterhielt, bemerkte ich eine Bewegung unter den Pilgern, welche mit jeder Minute größer wurde. Die Frauen blieben an ihren Plätzen ſtehen, die Kinder ebenſo; die Männer aber ſtellten ſich am Bache entlang auf, und die Anführer der einzelnen Stämme, Zweige und Ortſchaften bildeten einen Kreis um Ali Bey, der ihnen die Abſichten des Muteſſarif von Moſſul bekannt machte. Dabei herrſchte eine Ruhe, eine Ordnung, wie bei der Parade einer europäiſchen Truppe, ganz verſchieden von dem lärmenden Durcheinander, welches man ſonſt bei orientaliſchen Kriegern zu ſehen und zu hören gewohnt iſt. Nach einiger Zeit, in welcher die Anführer den Ihrigen die Mitteilung und die Befehle des Bey überbracht hatten, ging die Verſammlung ohne Unordnung wieder auseinan - der, und ein jeder begab ſich an den Platz, den er vorher inne gehabt hatte.
Ali Bey kam zu uns zurück.
„ Was haſt du befohlen? “fragte der Khan.
Der Gefragte ſtreckte den Arm aus und deutete auf einen Trupp von vielleicht zwanzig Männern, die den Pfad emporſtiegen, auf dem wir vorhin herabgekommen waren.
„ Siehe, das ſind Krieger aus Aïran, Hadſchi Dsho und Schura Khan, welche dieſe Gegend ſehr gut kennen. Sie gehen den Türken entgegen und werden uns von deren Kommen rechtzeitig benachrichtigen. Auch gegen Baadri hin habe ich Wachen ſtehen, ſo daß es ganz unmöglich iſt, uns zu überraſchen. Bis es Nacht wird, iſt noch drei Stunden Zeit, und das genügt, um alles Ueberflüſſige nach dem Thalde Idiz zu bringen. Die Männer werden aufbrechen, und Selek wird ihnen den Weg zeigen. “
4„ Werden ſie bei dem Beginne der heiligen Hand - lungen zurückgekehrt ſein? “
„ Ja; das iſt ſicher. “
„ So mögen ſie gehen! “
Nach einiger Zeit ſchritt ein ſehr, ſehr langer Zug von Männern, welche Tiere mit ſich führten oder ver - ſchiedene Habſeligkeiten trugen, an uns vorüber, wo ſie, immer einer nach dem andern, hinter dem Grabmale ver - ſchwanden. Dann kamen ſie über demſelben auf einem Felſenpfade wieder zum Vorſcheine, und man konnte von unſerm Sitz aus ihren Weg verfolgen, bis derſelbe oben in den hohen, dichten Wald verlief.
Jetzt mußte ich mit Ali Bey gehen, um das Mahl einzunehmen. Nach demſelben trat der Baſchi-Bozuk zu mir.
„ Herr, ich muß dir etwas ſagen! “
„ Was? “
„ Uns droht eine große Gefahr! “
„ Ah! Welche? “
„ Ich weiß es nicht; aber dieſe Teufelsmänner haben mich ſeit einer halben Stunde mit Augen angeſehen, welche ganz fürchterlich ſind. Es ſieht grad ſo aus, als ob ſie mich töten wollten! “
Da der Buluk Emini ſeine Uniform trug, ſo konnte ich mir das Verhalten der von den Türken bedrohten Dſcheſidi ſehr leicht erklären; doch war ich vollſtändig überzeugt, daß ihm nichts geſchehen werde.
„ Das iſt ſchlimm! “meinte ich. „ Wenn ſie dich töten, wer wird dann den Schwanz deines Eſels bedienen? “
„ Herr, ſie werden den Eſel auch mit erſtechen! Haſt du nicht geſehen, daß ſie die meiſten Büffel und Schafe, die vorhanden ſind, bereits getötet haben? “
„ Dein Eſel iſt ſicher, und du biſt es auch. Ihr gehört zuſammen, und man wird euch nicht auseinanderreißen. “
5„ Verſprichſt du mir dies? “
„ Ich verſpreche es dir! “
„ Aber ich hatte Angſt, als du vorhin abweſend warſt. Gehſt du wieder fort von hier? “
„ Ich werde bleiben; aber ich befehle dir, ſtets hier im Hauſe zu ſein und dich nicht unter die Dſcheſidi zu miſchen, ſonſt iſt es mir unmöglich, dich zu beſchützen! “
Er ging, halb und halb getröſtet, von dannen, der Held, den der Muteſſarif mir zu meinem Schutze mit - gegeben hatte. Aber es kam auch noch von einer andern Seite eine Warnung: Halef ſuchte mich auf.
„ Sihdi, weißt du, daß es Krieg geben wird? “
„ Krieg? Zwiſchen wem? “
„ Zwiſchen den Osmanly und den Teufelsleuten. “
„ Wer ſagte es? “
„ Niemand. “
„ Niemand? Du haſt doch wohl gehört, was wir heute früh in Baadri bereits davon geſprochen haben? “
„ Nichts habe ich gehört, denn ihr ſpracht türkiſch, und dieſe Leute ſprechen die Sprache ſo aus, daß ich ſie nicht verſtehen kann. Aber ich ſah, daß es eine große Verſammlung gab und daß nach derſelben alle Männer die Waffen unterſuchten. Nachher haben ſie ihre Tiere und Güter fortgeſchafft, und als ich zu Scheik Moham - med hinauf auf die Plattform kam, war er beſchäftigt, die alte Ladung aus ſeinen Piſtolen zu nehmen, um ſie gegen eine neue zu vertauſchen. Sind dies nicht genug Zeichen, daß man eine Gefahr erwartet? “
„ Du haſt recht, Halef. Morgen früh beim Anbruch des Tages werden die Türken von Baadri und auch von Kaloni her über die Dſcheſidi herfallen. “
„ Und das wiſſen die Dſcheſidi? “
„ Ja. “
6„ Wie hoch zählen die Türken? “
„ Fünfzehnhundert Mann. “
„ Es werden viele von ihnen fallen, da ihr Plan ver - raten iſt. Wem wirſt du helfen, Sihdi, den Türken oder den Dſcheſidi? “
„ Ich werde gar nicht kämpfen. “
„ Nicht? “erwiderte er getäuſcht. „ Darf ich nicht? “
„ Wem willſt du helfen? “
„ Den Dſcheſidi. “
„ Ihnen, Halef? Ihnen, von denen du glaubteſt, daß ſie dich um das Paradies bringen würden? “
„ O Sihdi, ich kannte ſie nicht; jetzt aber liebe ich ſie. “
„ Aber es ſind Ungläubige! “
„ Haſt du ſelbſt nicht ſtets jenen geholfen, die gut waren, ohne ſie zu fragen, ob ſie an Allah oder an einen andern Gott glauben? “
Mein wackerer Halef hatte mich zum Moslem machen wollen, und jetzt ſah ich zu meiner großen Freude, daß er ſein Herz für ein ganz und gar chriſtliches Gefühl ge - öffnet hatte. Ich antwortete ihm:
„ Du wirſt bei mir bleiben! “
„ Während die andern kämpfen und tapfer ſind? “
„ Es wird ſich für uns vielleicht Gelegenheit finden, noch tapferer und mutiger zu ſein, als ſie. “
„ So bleibe ich bei dir. Der Buluk Emini auch? “
„ Auch er. “
Ich ſtieg hinauf auf die Plattform zu Scheik Moham - med Emin.
„ Hamdullillah, Preis ſei Gott, daß du kommſt! “ſagte er. „ Ich habe mich nach dir geſehnt wie das Gras nach dem Tau der Nacht. “
„ Du biſt ſtets hier oben geblieben? “
7„ Stets. Es ſoll mich niemand erkennen, weil ich ſonſt vielleicht verraten werden möchte. Was haſt du neues er - fahren? “
Ich teilte ihm alles mit. Als ich geendet hatte, deutete er auf ſeine Waffen, welche vor ihm lagen.
„ Wir werden ſie empfangen! “
„ Du wirſt dieſer Waffen nicht bedürfen. “
„ Nicht? Soll ich mich und unſere Freunde nicht ver - teidigen? “
„ Sie ſind ſtark genug. Willſt du vielleicht in die Hände der Türken, denen du kaum entgangen biſt, fallen, oder ſoll dich eine Kugel, ein Meſſerſtich treffen, damit dein Sohn noch länger in der Gefangenſchaft von Amadijah ſchmachtet? “
„ Emir, du ſprichſt wie ein kluger, aber nicht wie ein tapferer Mann! “
„ Scheik, du weißt, daß ich mich vor keinem Feinde fürchte; es iſt nicht die Angſt, welche aus mir ſpricht. Ali Bey hat von uns verlangt, daß wir uns vor dem Kampfe hüten ſollen. Er hegt übrigens die Ueberzeugung, daß es gar nicht zum Kampfe kommen werde, und ich bin ganz derſelben Meinung wie er. “
„ Du denkſt, die Türken ergeben ſich ohne Widerſtand? “
„ Wenn ſie es nicht thun, ſo werden ſie zuſammen - geſchoſſen. “
„ Die Offiziere der Türken taugen nichts, aber die Soldaten ſind tapfer. Sie werden die Höhen ſtürmen und ſich befreien. “
„ Fünfzehnhundert gegen vielleicht ſechstauſend Mann? “
„ Wenn es gelingt, ſie zu umzingeln! “
„ Es wird gelingen. “
„ So müſſen wir alſo mit den Frauen nach dem Thale Idiz gehen? “
8„ Du, ja. “
„ Und du? “
„ Ich werde hier zurückbleiben. “
„ Allah kerihm! Wozu? Das würde dein Tod ſein! “
„ Das glaube ich nicht. Ich bin im Giölgeda padi - ſchahnün, beſitze die Empfehlungen des Muteſſarif und habe einen Buluk Emini bei mir, deſſen Anweſenheit ſchon genügend wäre, mich zu ſchützen. “
„ Aber was willſt du hier thun? “
„ Unheil vermeiden, wenn es möglich iſt. “
„ Weiß Ali Bey davon? “
„ Nein. “
„ Oder der Mir Scheik Kahn? “
„ Auch nicht. Sie erfahren es noch immer zur rechten Zeit. “
Ich hatte wirklich große Mühe, den Scheik zur Billigung meines Vorhabens zu überreden. Endlich aber gelang es mir.
„ Allah il Allah! Die Wege des Menſchen ſind im Buche vorgeſchrieben, “meinte er; „ ich will dich nicht be - wegen, von dieſem Vorhaben abzulaſſen, aber ich werde hier bei dir bleiben! “
„ Du? Das geht nicht! “
„ Warum? “
„ Sie dürfen dich nicht finden. “
„ Dich auch nicht. “
„ Ich habe dir bereits auseinandergeſetzt, daß ich keine Gefahr laufe; dich aber, wenn du erkannt wirſt, erwartet ein anderes Loos. “
„ Das Ende des Menſchen ſteht im Buche verzeichnet. Soll ich ſterben, ſo muß ich ſterben, und dann iſt es gleich, ob es hier geſchieht oder dort in Amadijah. “
„ Du willſt in dein Unglück rennen, aber du vergiſſeſt, daß du auch mich darein verwickelſt. “
9Dies ſchien mir der einzige Weg, ſeiner Hartnäckigkeit beizukommen.
„ Dich? Wieſo? “fragte er.
„ Bin ich allein hier, ſo ſchützen mich meine Firmans; finden ſie aber dich bei mir, den Feind des Muteſſarif, den entflohenen Gefangenen, ſo habe ich dieſen Schutz ver - loren und verwirkt. Dann ſind auch wir verloren, du und ich, alle beide! “
Er blickte nachdenklich vor ſich nieder. Ich ſah, was ſich in ihm gegen den Rückzug nach dem Thale Idiz ſträubte, aber ich ließ ihm Zeit, einen Entſchluß zu faſſen. Endlich ſagte er mit halber, unſicherer Stimme:
„ Emir, hältſt du mich für einen Feigling? “
„ Nein. Ich weiß ja, daß du tapfer und furchtlos biſt. “
„ Was wird Ali Bey denken? “
„ Er denkt ganz ſo wie ich, ebenſo Mir Scheik Khan. “
„ Und die andern Dſcheſidi? “
„ Sie kennen deinen Ruhm und wiſſen, daß du vor keinem Feinde flieheſt. Darauf kannſt du dich verlaſſen! “
„ Und wenn man an meinem Mute zweifeln ſollte, wirſt du mich verteidigen? Wirſt du öffentlich ſagen, daß ich mit den Frauen nach Idiz gegangen bin, nur um dir zu gehorchen? “
„ Ich werde es überall und öffentlich ſagen. “
„ Nun wohl, ſo werde ich thun, was du mir vorge - ſchlagen haſt! “
Er ſchob reſigniert die Flinte von ſich fort und wendete ſein Angeſicht wieder dem Thale zu, das ſich bereits in den Schatten des Abends zu hüllen begann.
Grade jetzt kamen die Männer zurück, welche vorher nach Idiz gegangen waren. Sie bildeten einen Zug ein - zelner Perſonen, der ſich im Thale vor uns auflöſte.
Da erſcholl vom Grabe des Heiligen her eine Salve,10 und zu gleicher Zeit kam Ali Bey herauf zu uns mit den Worten:
„ Es beginnt die große Feier am Grabe. Es iſt noch nie ein Fremder dabei zugegen geweſen, aber der Mir Scheik Khan hat mir im Namen aller Prieſter die Ge - nehmigung erteilt, euch einzuladen. “
Das war nun allerdings eine ſehr hohe Ehre für uns; aber Scheik Mohammed Emin lehnte ſie ab:
„ Ich danke, dir, Herr; aber es iſt dem Moslem verboten, bei der Anbetung eines andern als Allah zu - gegen zu ſein. “
Er war ein Moslem; aber er hätte dieſe Abweiſung doch in andere Worte kleiden können. Er blieb zurück, und ich folgte dem Bey.
Als wir aus dem Hauſe traten, bot ſich uns ein ſelt - ſamer, unbeſchreiblich ſchöner Anblick dar. So weit das Thal reichte, flackerten Lichter unter und auf den Bäumen, am Waſſer unten und auf jedem Felſen in der Höhe, um die Häuſer herum und auf den Plattformen derſelben. Das regſte Leben aber herrſchte am Grabmale des Heili - gen. Der Mir hatte an der ewigen Lampe des Grabes ein Licht angebrannt und trat damit heraus in den innern Hof. An dieſem Lichte zündeten die Scheiks und Kawals ihre Lampen an; von dieſen liehen wieder die Fakirs ihre Flammen, und nun traten ſie alle heraus in das Freie, und Tauſende ſtrömten herbei, um ſich an den heiligen Feuern zu reinigen.
Wer den Lichtern der Prieſter nahe zu kommen ver - mochte, fuhr mit der Hand durch die Flamme derſelben und beſtrich dann mit dieſer Hand die Stirn und die Gegend des Herzens. Männer ſtrichen dann zum zweiten - mal durch die Flamme, um den Segen derſelben ihren Frauen zu bringen. Mütter thaten ganz dasſelbe für ihre11 Kinder, welche nicht die Kraft beſaßen, durch die dichte Menge zu dringen. Und dabei herrſchte ein Jubel, eine Freude, die gar nichts Anſtößiges hatte.
Auch das Heiligtum wurde illuminiert. In jede der zahlreichen Mauerniſchen kam eine Lampe zu ſtehen, und über die Höfe hinweg zogen ſich lange Guirlanden von Lampen und Flammen. Jeder Zweig der dort befindlichen Bäume ſchien der Arm eines rieſigen Leuchters zu ſein, und Hunderte von Lichtern liefen an den beiden Türmen bis zu den Spitzen derſelben empor, zwei rieſige Giran - dolen bildend, deren Anblick ein zauberiſcher war.
Die Prieſter hatten jetzt, zwei Reihen bildend, im inneren Hofe Platz genommen. Auf der einen Seite ſaßen die Scheiks in ihren weißen Anzügen und ihnen gegenüber die Kawals. Dieſe letzteren hatten Inſtrumente in der Hand, abwechſelnd je einer eine Flöte und der andere ein Tamburin. Ich ſaß mit Ali Bey unter der Rebenlaube. Wo Mir Scheik Khan war, konnte ich nicht bemerken.
Da ertönte aus dem Innern des Grabes ein Ruf, und die Kawals erhoben ihre Inſtrumente. Die Flöten begannen eine langſame, klagende Melodie zu ſpielen, wozu ein leiſer Schlag auf das Tamburin den Takt angab. Dann folgte plötzlich ein lang ausgehaltener viertöniger Akkord; ich glaube, es war ein Terzquartſextakkord, zu welchem auf den Tamburins mit den Fingerſpitzen ge - trillert wurde, erſt pianiſſimo, dann piano, ſtärker, immer ſtärker bis zum Fortiſſimo, und dann fielen die Flöten in ein zweiſtimmiges Tonſtück ein, für welches keiner unſerer muſikaliſchen Namen paßt, deſſen Wirkung aber doch eine ſehr angenehme und befriedigende war.
Am Schluſſe dieſes Stückes trat Mir Scheik Khan aus dem Innern des Gebäudes heraus. Zwei Scheiks be - gleiteten ihn. Der eine trug ein hölzernes Geſtell vor ihm12 her, das einem Notenpulte glich; dieſes wurde in die Mitte des Hofes geſetzt. Der andere trug ein kleines Gefäß mit Waſſer und ein anderes, offenes, rundes, worin ſich eine brennende Flüſſigkeit befand. Dieſe beiden Ge - fäße wurden auf das Pult geſtellt, zu dem Mir Scheik Khan trat.
Er gab mit der Hand ein Zeichen, worauf die Muſik von neuem begann. Sie ſpielte eine Einleitung, nach welcher die Prieſter mit einer einſtimmigen Hymne einfielen. Leider konnte ich mir ihren Inhalt nicht notieren, da dies aufgefallen wäre, und der eigentliche Wortlaut iſt meinem Gedächtniſſe entſchwunden. Sie war in arabiſcher Sprache verfaßt und forderte zur Reinheit, zum Glauben und zur Wachſamkeit auf.
Nach derſelben hielt Mir Scheik Khan eine kurze Anſprache an die Prieſter. Er ſchilderte in kurzen Worten die Notwendigkeit, ſeinen Wandel von jeder Sünde rein zu halten, Gutes zu thun an allen Menſchen, ſeinem Glauben ſtets treu zu bleiben und ihn gegen alle Feinde zu verteidigen.
Dann trat er zurück und ſetzte ſich zu uns unter den Weinſtock. Jetzt brachte einer der Prieſter einen lebenden Hahn herbei, der mittels einer Schnur an das Pult befeſtigt wurde; zur Linken von ihm wurde das Waſſer und zur Rechten das Feuer geſtellt.
Die Muſik begann wieder. Der Hahn hockte in ſich gekehrt am Boden; die leiſen Klänge der Flöten ſchien er gar nicht zu beachten. Da wurden die Töne ſtärker, und er lauſchte. Den Kopf aus dem Gefieder ziehend, blickte er ſich mit hellen, klugen Augen im Kreiſe um und be - merkte dabei das Waſſer. Schnell fuhr er mit dem Schnabel in das Gefäß, um zu trinken. Dieſes freudige Ereignis wurde durch ein helles, jubelndes Zuſammenſchlagen der13 Tamburins verkündet. Dies ſchien das muſikaliſche Inter - eſſe des Tieres zu erregen. Der Hahn krümmte den Hals und horchte aufmerkſam. Dabei bemerkte er, daß er ſich in einer gefahrvollen Nähe von der Flamme befand. Er wollte ſich zurückziehen, konnte aber nicht, da er feſtgehalten wurde. Darüber ergrimmt, richtete er ſich auf und ſtieß ein lautes „ Kik-ri-kih! “hervor, in welches die Flöten und Tamburins einfielen. Dies ſchien in ihm die Anſicht zu erwecken, daß man es auf einen muſikaliſchen Wettſtreit abgeſehen habe. Er wandte ſich mutig gegen die Muſikan - ten, ſchlug die Flügel und ſchrie abermals. Er erhielt dieſelbe Antwort, und ſo entwickelte ſich ein Tongefecht, welches den Vogel ſchließlich ſo erzürnte, daß er unter einem wütenden Gallicinium ſich losriß und in das Innere des Grabens floh.
Die Muſik begleitete dieſe Heldenthat mit dem aller - ſtärkſten Fortiſſimo; die Stimmen der Prieſter fielen jubelnd ein, und nun folgte ein Finale, welches allerdings ganz geeignet war, ſowohl die Muſikanten als auch die Sänger zu ermüden. Am Schluß des Stückes küßten die Kawals ihre Inſtrumente.
Sollte dieſes laute, ſtürmiſche Finale auf irgend eine Weiſe einmal Gelegenheit gegeben haben, die Dſcheſiden mit den unlautern Cheragh Sonderan, oder wie es in kurdiſcher Sprache lautet, Tſcherah ſonderahn*)Lichtauslöſcher. zu ver - wechſeln? Das religiöſe Gefühl eines Chriſten ſträubt ſich allerdings gegen die Vorführung dieſes Vogels, aber etwas Immoraliſches habe ich dabei nicht beobachten können.
Jetzt ſollte der Verkauf der Kugeln erfolgen, von denen ich bereits geſprochen habe. Vorher aber traten die Prieſter herbei und machten Ali Bey und mir ein Ge - ſchenk davon. Er erhielt ſieben und ich ſieben. Sie waren14 vollſtändig rund und mit einem arabiſchen Worte verſehen, das man mit einem ſpitzigen Inſtrumente eingegraben hatte. Von meinen ſieben Kugeln zeigten vier das Wort „ El Schems “, die Sonne.
Der Verkauf fand im äußeren Hofe ſtatt, während im Innern des ummauerten Raumes die Inſtrumente und der Geſang noch ertönten. Ich verließ das Heilig - tum. Ich dachte, daß das Thal von der Höhe aus einen wundervollen Anblick bieten müſſe, und ging, um mir Halef zur Begleitung zu holen. Ich fand ihn auf der Plattform des Hauſes bei dem Buluk Emini ſitzen. Sie ſchienen ſich in einem ſehr animierten Geſpräch zu be - finden, denn ich hörte ihn ſagen:
„ Was? Ein Ruſſe wäre es geweſen? “
„ Ja, ein Ruſſikow, dem Allah den Kopf abſchneiden möge; denn wenn er nicht geweſen wäre, ſo hätte ich meine Naſe noch! Ich haute wie wütend um mich; dieſer Kerl aber holte nach meinem Kopfe aus; ich wollte ausweichen und trat zurück. Der Hieb, welcher den Kopf treffen ſollte, traf bloß die — — — “
„ Hadſchi Halef! “rief ich.
Es machte mir wirklich Spaß, die berühmte Geſchichte von der Naſe auch einmal unterbrechen zu können. Die beiden ſprangen auf und traten auf mich zu.
„ Du ſollſt mich begleiten, Halef; komm! “
„ Wohin, Sihdi? “
„ Dort hinauf zur Höhe, um zu ſehen, wie ſich die Illumination des Thales ausnimmt. “
„ O Emir, laß mich mit dir gehen! “bat Ifra.
„ Ich habe nichts dagegen. Vorwärts! “
Wir ſtiegen die nach Baadri zu gelegene Höhe hinan. Ueberall trafen wir Männer, Frauen und Kinder mit Fackeln und Lichtern, und von allen wurden wir mit einer15 wirklich kindlichen Freude begrüßt und angeredet. Als wir die Höhe erreichten, bot ſich uns ein geradezu unbe - ſchreiblicher Anblick dar. Mehrere der Dſcheſidi waren uns gefolgt, um uns zu leuchten: ich aber bat ſie, zurück - zugehen oder ihre Fackeln zu verlöſchen. Wer den Genuß vollſtändig haben wollte, mußte ſich ſelbſt im Dunkeln befinden.
Da unten im Thale flutete Flamme an Flamme. Tauſend leuchtende Punkte kreuzten, hüpften und ſchlüpften, tanzten, ſchoſſen und flogen durcheinander, klein, ganz klein tief unten, je näher aber zu uns, deſto größer werdend. Das Heiligtum wallte förmlich von Glanz und Licht, und die beiden Türme leckten empor in das Dunkel der Nacht wie flammende Hymnen. Dazu ertönte von unten herauf zu uns das dumpfe Wogen und Brauſen der Stimmen, oft unterbrochen von einem lauten, nahen Jubelrufe. Ich hätte ſtundenlang hier ſtehen und mich an dieſem An - blicke weiden und ergötzen können.
„ Was iſt das für ein Stern? “ertönte da neben mir eine Frage in kurdiſcher Sprache.
Einer der Dſcheſidi hatte ſie ausgeſprochen.
„ Wo? “fragte ein anderer.
„ Siehe die Rea kadiſahn*)Milchſtraße da rechts! “
„ Ich ſehe ſie. “
„ Unter ihr flammte ein heller Stern auf. Jetzt wie - der! Siehſt du ihn? “
„ Ich ſah ihn. Es iſt der Kjale be ſcheri**)Wörtlich: der Alte ohne Kopf (große Bär.). “
Die vier Sterne, welche in unſerm Sternbilde den Rücken des Bären bilden, heißen nämlich bei den Kurden „ der Alte “. Sie meinen, daß ſein Kopf hinter einer be - nachbarten Sternengruppe verſteckt ſei. Die drei Sterne, welche bei uns den Schwanz des großen Bären bilden16 (oder die Deichſel des „ Wagens “, wie dieſes Sternbild auch genannt wird), heißen bei ihnen die „ zwei Brüder und die blinde Mutter des Alten “.
„ Der Kjale be ſcheri? Der hat doch vier Sterne! “meinte der erſte Frager. „ Es wird Kumikji ſchiwan*)Venus. ſein. “
„ Der ſteht höher. Jetzt leuchtet es wieder. Ah, wir ſind irr; es iſt ja im Süden! Es wird Meſchin**)Waage. ſein. “
„ Meſchin hat auch mehrere Sterne. Was meinſt du, Herr, daß es iſt? “
Dieſe Frage war an mich gerichtet. Mir ſchien das Phänomen auffällig.
Die Fackeln und Lichter unter uns warfen einen Schein in die Höhe, der es uns unmöglich machte, die Sterne genau zu erkennen. Der Glanz aber, welcher von Zeit zu Zeit da drüben aufblitzte, um ſofort wieder zu verſchwin - den, war intenſiv. Er glich einem Irrlichte, das plötz - lich aufleuchtete und augenblicklich wieder verlöſchte. Ich beobachtete noch eine Weile und wandte mich dann zu Halef:
„ Hadſchi Halef, eile ſofort hinab zu Ali Bey und ſage ihm, daß er ſehr ſchnell zu mir heraufkommen möge! Es handle ſich um etwas Wichtiges. “
Der Diener verſchwand mit ſchnellen Schritten, und ich trat noch eine Strecke weiter vor, teils, um den ver - meintlichen Stern beſſer beobachten zu können, teils auch, um allen weiteren Fragen zu entgehen.
Glücklicherweiſe hatte Ali Bey gehört, daß ich herauf - gegangen ſei, und den Entſchluß gefaßt, mir zu folgen. Halef traf ihn eine nur kleine Strecke unter uns und brachte ihn zu mir.
„ Was willſt du mir zeigen, Emir? “
Ich ſtreckte den Arm aus.
17„ Blicke feſt dorthin! Du wirſt einen Stern aufblitzen ſehen. Jetzt! “
„ Ich ſehe ihn. “
„ Er iſt wieder fort. Kennſt du ihn? “
„ Nein. Er liegt ſehr tief und gehört zu keinem Bilde. “
Ich trat an einen Buſch und ſchnitt einige Ruten ab. Die eine davon ſteckte ich in die Erde und ſtellte mich dann einige Schritte vorwärts von ihm auf.
„ Kniee genau hinter dieſer Rute nieder. Ich werde in der Richtung in welcher der Stern wieder blitzt, eine zweite aufſtecken. — Sahſt du ihn jetzt? “
„ Ja. Ganz deutlich. “
„ Wohin ſoll die Rute? Hierher? “
„ Einen Fußbreit weiter nach rechts. “
„ Hierher? “
„ Ja; das iſt genau. “
„ So! Nun beobachte weiter! “
„ Jetzt ſah ich ihn wieder! “meinte er nach einer kleinen Weile.
„ Wo? Ich werde eine dritte Rute ſtecken. “
„ Der Stern war nicht am alten Platze. Er war viel weiter links. “
„ Wie weit? Sage es! “
„ Zwei Fuß von der vorigen Rute. “
„ Hier? “
„ Ja. “
Ich ſteckte die dritte Rute ein, und Ali Bey beob - achtete weiter.
„ Jetzt ſah ich ihn wieder, “meinte er bald.
„ Wo? “
„ Nicht mehr links, ſondern rechts. “
„ Gut! Das war es, was ich dir zeigen wollte. Jetzt magſt du dich wieder erheben. “
II. 218Die andern hatten meinem ſonderbaren Gebaren mit Verwunderung zugeſehen, und auch Ali konnte den Grund desſelben nicht einſehen.
„ Warum läſſeſt du mich dieſes Sternes wegen rufen? “
„ Weil es kein Stern iſt! “
„ Was ſonſt? Ein Licht? “
„ Nun, wenn es nur ein Licht wäre, würde es ſchon merkwürdig ſein; aber es iſt eine ganze Reihe von Lichtern. “
„ Woraus vermuteſt du dies? “
„ Ein Stern kann es nicht ſein, weil es tiefer ſteht, als die Spitze des Berges, der dahinter liegt. Und daß es mehrere Lichter ſind, haſt du ja aus dem Experimente geſehen, das wir vorgenommen haben. Da drüben gehen oder reiten viele Leute mit Fackeln oder Laternen, von denen zuweilen die eine oder die andere herüberblitzt. “
Der Bey ſtieß einen Ausruf der Verwunderung aus.
„ Du haſt recht, Emir! “
„ Wer mag es ſein? “
„ Pilger ſind es nicht, denn dieſe würden auf dem Wege von Baadri nach Scheik Adi kommen. “
„ So denke an die Türken! “
„ Herr! Wäre es möglich? “
„ Das weiß ich nicht, denn dieſe Gegend iſt mir un - bekannt. Beſchreibe ſie mir, Bey! “
„ Hier grad aus geht der Weg nach Baadri, und hier weiter links der nach Aïn Sifni. Teile dieſen Weg in drei Teile; gehe das erſte Drittel, ſo haſt du dieſe Lichter dann dir zur Linken nach dem Waſſer zu, welches von Scheik Adi kommt. “
„ Kann man am Waſſer entlang reiten? “
„ Ja. “
„ Und auf dieſe Weiſe nach Scheik Adi kommen? “
„ Ja. “
19„ So iſt ein großer, ein ſehr großer Fehler vorge - kommen! “
„ Welcher? “
„ Du haſt Vorpoſten geſtellt nach Baadri und Kaloni hin, aber nicht nach Aïn Sifni zu. “
„ Dorther werden die Türken nicht kommen. Die Leute von Aïn Sifni würden es uns verraten. “
„ Aber wenn die Türken nicht nach Aïn Sifni gehen, ſondern bei Dſcheraijah den Khauſſer überſchreiten und dann zwiſchen Aïn Sifni und hier das Thal zu erreichen ſuchen? Mir ſcheint, ſie würden dann dieſelbe Richtung nehmen, in der ſich dort jene Lichter bewegen. Siehe, ſie ſind bereits wieder nach links vorgerückt! “
„ Emir, deine Vermutung iſt vielleicht die richtige. Ich werde ſofort mehrere Wachen vorſchicken! “
„ Und ich werde mir einmal dieſe Sterne näher be - trachten. Haſt du einen Mann, der dieſe Gegend genau kennt? “
„ Niemand kennt ſie beſſer als Selek. “
„ Er iſt ein guter Reiter; er ſoll mich führen! “
Wir ſtiegen ſo ſchnell wie möglich hinab. Der letztere Teil der Unterredung war von uns leiſe geführt worden, ſo daß niemand, und beſonders auch der Baſchi-Bozuk nicht, etwas davon vernommen hatte. Selek war bald ge - funden; er erhielt ein Pferd und nahm ſeine Waffen zu ſich. Auch Halef mußte mit. Ich konnte mich auf ihn mehr als auf jeden andern verlaſſen. Zwanzig Minuten ſpäter, nachdem ich den Stern zuerſt geſehen hatte, jagten wir auf dem Wege nach Aïn Sifni dahin. Auf der nächſten Höhe blieben wir halten. Ich muſterte das Halbdunkel vor uns und ſah endlich das Aufleuchten wieder. Ich machte Selek auf dasſelbe aufmerkſam.
„ Emir, das iſt kein Stern, das ſind auch keine20 Fackeln, denn dieſe würden einen umfangreicheren Schein verbreiten. Das ſind Laternen. “
„ Ich muß hart an ſie heran. Kennſt du die Gegend genau? “
„ Ich werde dich führen; ich kenne jeden Stein und jeden Strauch. Halte dich nur hart hinter mir und nimm dein Pferd ſtets hoch! “
Er wandte ſich von dem Waſſer nach rechts, und nun ging es über Stock und Stein im Trabe vorwärts. Es war ein ſehr böſer Ritt, aber bereits nach einer reich - lichen Viertelſtunde konnten wir genau mehrere Lichter unterſcheiden. Und nach einer zweiten Viertelſtunde, während welcher uns dieſelben hinter einem vor uns liegenden Bergrücken verſchwunden waren, langten wir auf dem letzteren an und ſahen nun ſehr deutlich, daß wir einen ziemlich langen Zug vor uns hatten. Von wem derſelbe gebildet wurde, war von hier aus nicht zu unterſcheiden; das aber bemerkten wir, daß er plötzlich verſchwand und nicht wieder erſchien.
„ Giebt es dort wieder einen Hügel? “
„ Nein. Hier iſt Ebene, “antwortete Selek.
„ Oder eine Vertiefung, ein Thal, in welchem dieſe Lichter verſchwinden können? “
„ Nein. “
„ Oder ein Wald — — — “
„ Ja, Emir, “fiel er ſchnell ein. „ Dort, wo ſie ver - ſchwunden ſind, liegt ein kleines Olivenwäldchen. “
„ Ah! Du wirſt mit den Pferden hier bleiben und auf uns warten. Halef aber begleitet mich. “
„ Herr nimm mich auch mit, “bat Selek.
„ Die Tiere würden uns verraten. “
„ Wir binden ſie an! “
„ Mein Rappe iſt zu koſtbar, als daß ich ihn ohne21 Aufſicht laſſen dürfte. Und übrigens verſtehſt du auch das richtige Anſchleichen nicht. Man würde dich hören oder gar ſehen. “
„ Emir, ich verſtehe es! “
„ Sei ſtill! “meinte da Halef. „ Auch ich dachte, ich verſtände es, mich mitten in ein Duar zu ſchleichen und das beſte Pferd wegzunehmen; aber als ich es vor dem Effendi machen mußte, habe ich mich ſchämen müſſen, wie ein Knabe! Aber tröſte dich, denn Allah hat nicht ge - wollt, daß aus dir eine Eidechſe werde! “
Wir ließen die Gewehre zurück und ſchritten voran. Es war grad ſo licht, daß man auf fünfzig Schritte einen Menſchen ſo leidlich erkennen konnte. Vor uns tauchte nach vielleicht zehn Minuten ein dunkler Punkt auf, deſſen Dimenſionen von Schritt zu Schritt zunahmen — das Olivenwäldchen. Als wir ſo weit heran waren, daß wir es in fünf oder ſechs Minuten zu erreichen vermocht hätten, hielt ich an und lauſchte angeſtrengt. Nicht der mindeſte Laut war zu vernehmen.
„ Gehe genau hinter mir, daß unſere Perſonen eine einzige Linie bilden! “
Ich hatte nur Jacke und Hoſe an, beide dunkel; auf dem Kopfe trug ich den Tarbuſch, von dem ich das Turbantuch abgewunden hatte. So war ich nicht ſo leicht vom dunklen Boden zu unterſcheiden. Mit Halef war ganz dasſelbe der Fall.
Lautlos glitten wir weiter. Da vernahmen wir das Geräuſch knackender Aeſte. Wir legten uns nun auf die Erde nieder und krochen langſam vorwärts. Das Knacken und Brechen wurde lauter.
„ Man ſammelt Aeſte, vielleicht gar um ein Feuer zu machen. “
„ Gut für uns, Sihdi! “flüſterte Halef.
22Bald erreichten wir den hinteren Rand des Gehölzes. Das Schnauben von Tieren und Männerſtimmen wurden hörbar. Wir lagen ſoeben hart neben einem dichten Buſch - werke. Ich deutete auf dasſelbe und ſagte leiſe: „ Verbirg dich hier und erwarte mich, Halef. “
„ Herr, ich verlaſſe dich nicht; ich folge dir! “
„ Du würdeſt mich verraten. Das unhörbare Schleichen iſt in einem Walde ſchwieriger als auf offenem Felde. Ich habe dich nur mitgenommen, um mir den Rückzug zu decken. Du bleibſt liegen, ſelbſt wenn du ſchießen hörſt. Wenn ich dich rufe, ſo kommſt du ſo ſchnell wie möglich. “
„ Und wenn du weder kommſt noch rufeſt? “
„ So ſchleichſt du dich nach einer halben Stunde vor - wärts, um zu ſehen, was mit mir geſchehen iſt. “
„ Sihdi, wenn ſie dich töten, ſo ſchlage ich alle tot! “
Dieſe Verſicherung hörte ich noch, dann war ich fort; aber noch hatte ich mich nicht ſehr weit von ihm entfernt, ſo hörte ich eine laute, befehlende Stimme rufen:
„ Et ateſch — brenne an, mache Feuer! “
Dieſe Stimme kam aus einer Entfernung von vielleicht hundert Fuß. Ich konnte alſo unbeſorgt weiter kriechen. Da vernahm ich das Praſſeln einer Flamme und bemerkte zugleich einen lichten Schein, der ſich zwiſchen den Bäumen faſt bis zu mir verbreitete. Das erſchwerte mir natürlich mein Vorhaben bedeutend.
„ Taſchlar ateſch tſchewreſinde — lege Steine um das Feuer! “befahl dieſelbe Stimme.
Dieſem Befehle wurde jedenfalls ſofort Folge geleiſtet, denn der lichte Schein verſchwand, ſo daß ich nun beſſer vorwärts konnte. Ich ſchlich mich von einem Stamme zum andern und wartete hinter einem jeden, bis ich mich überzeugt hatte, daß ich nicht bemerkt worden ſei. Glück - licherweiſe war dieſe Vorſicht überflüſſig; ich befand mich23 nicht in den Urwäldern Amerikas, und die guten Leute, welche ich vor mir hatte, ſchienen nicht die mindeſte Ahnung zu haben, daß es irgend einem Menſchenkinde einfallen könne, ſie zu belauſchen. “
So avancierte ich immer weiter, bis ich einen Baum erreichte, deſſen Wurzeln ſo zahlreiche Schößlinge getrieben hatte, daß ich hinter denſelben ein recht leidliches Verſteck zu finden hoffte. Wünſchenswert war dies beſonders des - halb, weil ganz in der Nähe des Baumes zwei Männer ſaßen, auf die ich es abgeſehen hatte, zwei türkiſche Offiziere.
Mit einiger Vorſicht gelang es mir, mich hinter den Schößlingen häuslich niederzulaſſen, und nun konnte ich die Scene vollſtändig überblicken.
Draußen vor dem kleinen Gehölze ſtanden — vier Gebirgskanonen oder vielmehr zwei Kanonen und zwei Haubitzen, und am Saume des Gehölzes waren ungefähr zwanzig Maultiere angebunden, die zum Transporte dieſer Geſchütze erforderlich geweſen waren. Man braucht zu einem Geſchütze gewöhnlich vier bis fünf Maultiere; eins muß das Rohr, eins die Lafette und zwei bis vier müſſen die Munitionskäſten tragen.
Die Kanoniere hatten es ſich bequem gemacht; ſie lagen auf dem Boden ausgeſtreckt und plauderten leiſe miteinander. Die beiden Offiziere aber wünſchten Kaffee zu trinken und ihren Tſchibuk zu rauchen; darum war ein Feuer gemacht worden, über welchem ein kleiner Keſſel auf zwei Steinen ſtand. Der eine der beiden Helden war ein Hauptmann und der andere ein Lieutenant. Der Hauptmann hatte ein recht biederes Ausſehen; er kam mir grade ſo vor, als ſei er eigentlich ein urgemütlicher, dicker deutſcher Bäckermeiſter, der auf einem Liebhaber - theater den wilden Türken ſpielen ſoll und ſich dazu für anderthalbe Mark vom Maskenverleiher das Koſtüm ge -24 liehen hat. Mit dem Lieutenant war es ganz ähnlich. Juſt ſo wie er mußte eine ſechzigjährige Kaffeeſchweſter ausſehen, die auf den unbegreiflichen Backfiſchgedanken geraten iſt, in Pumphoſen und Osmanly-Jacke auf die Redoute zu gehen. Es war mir ganz ſo, als müſſe ich jetzt hinter meinem Baume hervortreten und ſie über - raſchen mit den geflügelten Worten:
„ Schön guten Abend, Meiſter Mehlhuber; 'pfehle mich, Fräulein Lattenſtengel;' was Neues? Danke, danke, werde ſo frei ſein! “
Freilich waren die Worte, welche ich zu hören be - kam, etwas weniger gemütlich. Ich lag ihnen ſo nahe, daß ich alles hören konnte.
„ Unſere Kanonen ſind gut! “brummte der Hauptmann.
„ Sehr gut! “flötete der Lieutenant.
„ Wir werden ſchießen, alles niederſchießen! “
„ Alles! “ertönte das Echo.
„ Wir werden Beute machen! “
„ Viel Beute! “
„ Wir werden tapfer ſein! “
„ Sehr tapfer! “
„ Wir werden befördert werden! “
„ Hoch, äußerſt hoch! “
„ Dann rauchen wir Tabak aus Perſien! “
„ Tabak aus Schiras! “
„ Und trinken Kaffee aus Arabien! “
„ Kaffee aus Mokka! “
„ Die Dſcheſidi müſſen alle ſterben! “
„ Alle! “
„ Die Böſewichter! “
„ Die Buben! “
„ Die Unreinen, die Unverſchämten! “
„ Die Hunde! “
25„ Wir werden ſie töten! “
„ Morgen früh gleich! “
„ Natürlich, das verſteht ſich! “
Ich hatte nun genug geſehen und gehört; darum zog ich mich zurück, erſt langſam und vorſichtig, dann aber raſcher. Ich erhob mich dabei ſogar von der Erde, wor - über Halef ſich nicht wenig wunderte, als ich bei ihm ankam.
„ Wer iſt es, Sihdi? “
„ Artilleriſten. Komm; wir haben keine Zeit! “
„ Gehen wir aufrecht? “
„ Ja. “
Wir erreichten bald unſere Pferde, ſtiegen auf und kehrten zurück. Die Strecke nach Scheik Adi wurde jetzt natürlich viel ſchneller zurückgelegt, als vorhin. Wir fanden dort noch dasſelbe rege Leben.
Ich hörte, daß Ali Bey ſich beim Heiligtum befinde, und traf ihn mit dem Mir Scheik Khan in dem inneren Hofe desſelben. Er kam mir erwartungsvoll entgegen und führte mich zum Khan.
„ Was haſt du geſehen? “fragte er.
„ Kanonen! “
„ Oh! “machte er erſchrocken. „ Wie viele? “
„ Vier kleine Gebirgskanonen. “
„ Welchen Zweck haben ſie? “
„ Scheik Adi ſoll damit zuſammengeſchoſſen werden. Während die Infanteriſten von Baadri und Kaloni an - greifen, ſoll die Artillerie jedenfalls da unten am Waſſer ſpielen. Der Plan iſt nicht ſchlecht, denn von dort aus läßt ſich das ganze Thal beſtreichen. Es handelte ſich nur darum, die Geſchütze unbemerkt über die Höhen zu bringen; dies iſt gelungen; man hat ſich der Maultiere bedient, mit deren Hilfe die Kanonen in einer Stunde26 von dem Lagerplatze aus bis nach Scheik Adi gebracht werden können. “
„ Was thun wir, Emir? “
„ Gieb mir ſofort ſechzig Reiter mit und einige La - ternen, ſo ſiehſt du binnen zwei Stunden die Geſchütze mit ihrer Bedienung hier in Scheik Adi! “
„ Gefangen? “
„ Gefangen! “
„ Herr, ich gebe dir hundert Reiter! “
„ Nun wohl, gieb mir ſofort achtzig und ſage ihnen, daß ich ſie unten am Waſſer erwarte. “
Ich ging und traf Halef und Selek noch bei den Pferden.
„ Was wird Ali Bey thun? “fragte Halef.
„ Nichts. Wir ſelbſt werden thun, was gethan werden ſoll. “
„ Was iſt das, Sihdi? Du lachſt! Herr, ich kenne dein Geſicht; wir holen die Kanonen? “
„ Allerdings! Ich möchte aber die Kanonen haben, ohne daß Blut vergoſſen wird, und darum nehmen wir achtzig Reiter mit. “
Wir ritten dem Ausgange des Thales zu, wo wir nicht lange warten durften, bis die achtzig kamen.
Ich ſandte Selek mit zehn Mann voran und folgte mit den andern eine Strecke hinter ihnen. Wir erreichten, ohne einen Feind zu ſehen, die Anhöhe, auf der Selek vorhin auf uns gewartet hatte, und ſtiegen ab. Zunächſt ſandte ich einige Leute aus, welche für unſere eigene Sicher - heit zu wachen hatten; dann ließ ich zehn Mann bei den Pferden zurück und gebot ihnen, den Platz ohne meinen Befehl nicht zu verlaſſen, und nun ſchlichen wir andern auf das Wäldchen zu. In paſſender Entfernung vor demſelben angekommen, wurde Halt gemacht, und ich ging27 allein vorwärts. Wie vorher gelangte ich auch diesmal ohne Hindernis zu dem Baume, unter dem ich bereits gelegen hatte. Die Türken lagen in einzelnen Gruppen beiſammen und plauderten. Ich hatte gehofft, daß ſie ſchliefen. Die militäriſche Wachſamkeit und die Erwartung des bevorſtehenden Kampfes ließen ſie jedoch nicht ſchlafen. Ich zählte mit den Unteroffizieren und den beiden Offi - zieren vierunddreißig Mann und kehrte zu den Meinen zurück.
„ Hadſchi Halef und Selek, geht und holt eure Pferde! Ihr reitet einen Bogen und kommt an der andern Seite des Wäldchens vorüber. Man wird euch anhalten. Ihr ſagt, daß ihr euch verirrt habt und zu dem Feſte nach Scheik Adi kommen wollt. Ihr werdet ſo die Aufmerk - ſamkeit der Osmanly von uns ab - und auf euch lenken. Das übrige iſt unſere Sache. Geht! “
Die übrigen ließ ich zwei lange, hintereinander - ſtehende Reihen bilden, die den Zweck hatten, das Ge - hölz von drei Seiten zu umfaſſen. Ich gab ihnen die nötige Anweiſung, worauf wir uns zu Boden legten und vorwärts krochen.
Natürlich kam ich am ſchnellſten voran. Ich hatte meinen Baum wohl bereits ſeit zwei Minuten erreicht, als laute Hufſchläge erſchallten. Das Feuer brannte noch immer; darum war es mir möglich, die ganze Scene leidlich zu überblicken. Die beiden Offiziere hatten wahr - ſcheinlich während der ganzen Zeit meiner Abweſenheit geraucht und Kaffee getrunken.
„ Scheik Adi iſt ein böſes Neſt! “hörte ich den Haupt - mann ſagen.
„ Ganz bös! “antwortete der Lieutenant.
„ Die Leute beten dort den Teufel an! “
„ Den Teufel; Allah zerhacke und zerquetſche ſie! “
28„ Das werden wir thun! “
„ Ja, wir werden ſie zerreißen! “
„ Ganz und gar! “
Bis hierher konnte ich die Unterhaltung vernehmen, dann aber hörte man das erwähnte Pferdegetrappel. Der Lieutenant hob den Kopf empor.
„ Man kommt! “ſagte er.
Auch der Hauptmann lauſchte.
„ Wer mag das ſein? “fragte er.
„ Es ſind zwei Reiter; ich höre es! “
Sie erhoben ſich, und die Soldaten thaten dasſelbe. In dem Scheine, den das Feuer hinauswarf, wurden Halef und Selek ſichtbar. Der Hauptmann trat ihnen entgegen und zog ſeinen Säbel.
„ Halt! Wer ſeid ihr? “rief er ſie an.
Sie waren ſofort von den Türken umringt. Mein kleiner Halef betrachtete ſich die Offiziere vom Pferde herunter mit einer Miene, welche mich erraten ließ, daß ſie auf ihn den gleichen Eindruck machten, den ſie auch auf mich hervorgebracht hatten.
„ Wer ihr ſeid, habe ich gefragt! “wiederholte der Hauptmann.
„ Leute! “
„ Was für Leute? “
„ Männer! “
„ Was für Männer? “
„ Reitende Männer! “
„ Der Teufel verſchlinge euch! Antwortet beſſer, ſonſt erhaltet ihr die Baſtonnade! Alſo wer ſeid ihr? “
„ Wir ſind Dſcheſidi, “antwortete jetzt Selek mit klein - lauter Stimme.
„ Dſcheſidi? Ah! Woher? “
„ Aus Mekka. “
29„ Aus Mekka? Allahil Allah! Giebt es dort auch Teufels-Anbeter? “
„ Grad fünfmalhunderttauſend. “
„ So viele! Allah kerihm; er läßt viel Unkraut unter dem Weizen wachſen! — Wohin wollt ihr? “
„ Nach Scheik Adi. “
„ Ah, habe ich euch? Was wollt ihr dort? “
„ Es wird dort ein großes Feſt gefeiert. “
„ Ich weiß es. Ihr tanzt und ſingt mit dem Teufel und betet dabei einen Hahn an, der durch das Feuer der Dſchehennah ausgebrütet worden iſt. Steigt ab! Ihr ſeid meine Gefangenen! “
„ Gefangen? Was haben wir gethan? “
„ Ihr ſeid Söhne des Teufels. Ihr müßt geprügelt werden, bis euer Vater von euch gewichen iſt. Herunter von den Pferden! “
Er griff ſelbſt zu, und die beiden Männer wurden förmlich von den Pferden heruntergezogen.
„ Gebt eure Waffen her! “
Ich wußte, Halef würde das nie thun, ſelbſt unter den gegenwärtigen Verhältniſſen nicht. Er ſah ſuchend nach dem Feuer hin, und ſo hob ich den Kopf ſo weit empor, daß er mich erblickte. Nun wußte er, daß er ſicher ſein könne. Aus dem vielen leiſen Raſcheln hinter mir hatte ich bereits erkannt, daß die Meinen das Lager voll - ſtändig umſchloſſen hatten.
„ Unſere Waffen? “fragte Halef. „ Höre, Jüs Baſchi, erlaube, daß wir dir etwas ſagen! “
„ Was? “
„ Das können wir nur dir und dem Mülaſim mit - teilen. “
„ Ich mag nichts von euch erfahren! “
„ Es iſt aber wichtig, ſehr wichtig! “
30„ Was betrifft es? “
„ Höre! “
Er flüſterte ihm einige Worte in das Ohr, welche den augenblicklichen Erfolg hatten, daß der Hauptmann einen Schritt zurücktrat und den Sprecher mit einer ge - wiſſen achtungsvollen Miene muſterte. Später erfuhr ich, daß der ſchlaue Halef geflüſtert hatte: „ Euern Geldbeutel betrifft es! “
„ Iſt das wahr? “fragte der Offizier.
„ Es iſt wahr! “
„ Wirſt du darüber ſchweigen? “
„ Wie das Grab! “
„ Schwöre es mir! “
„ Wie ſoll ich ſchwören? “
„ Bei Allah und dem Barte des — — doch nein, ihr ſeid ja Dſcheſidi. So ſchwöre es mir beim Teufel, den ihr anbetet! “
„ Nun wohl! Der Teufel weiß es, daß ich nachher nichts ſagen werde! “
„ Aber er wird dich zerreißen, wenn du die Unwahr - heit ſagſt! Komm, Mülaſim; kommt, ihr beiden! “
Die vier Männer traten zum Feuer herbei; ich konnte jedes ihrer Worte vernehmen.
„ Nun, ſo rede! “gebot der Hauptmann.
„ Laß uns frei! Wir werden dich bezahlen. “
„ Habt ihr Geld? “
„ Wir haben Geld. “
„ Wißt ihr es nicht, daß dieſes Geld bereits mir ge - hört? Alles, was ihr bei euch führt, iſt unſer. “
„ Du wirſt es nie finden. Wir kommen von Mekka her, und wer eine ſolche Reiſe macht, der weiß ſein Geld zu verbergen. “
„ Ich werde es finden! “
31„ Du wirſt es nicht finden, ſelbſt wenn du uns töteſt und alles ganz genau durchſuchen läſſeſt. Die Teufels - anbeter haben ſehr gute Mittel, ihr Geld unſichtbar zu machen. “
„ Allah iſt allwiſſend! “
„ Aber du biſt nicht Allah! “
„ Ich darf euch nicht freilaſſen. “
„ Warum? “
„ Ihr würdet uns verraten. “
„ Verraten? Wie ſo? “
„ Seht ihr nicht, daß wir hier ſind, um einen Kriegs - zug zu unternehmen? “
„ Wir werden dich nicht verraten. “
„ Aber ihr wollt nach Scheik Adi gehen! “
„ Sollen wir nicht? “
„ Nein. “
„ So ſende uns, wohin es dir beliebt! “
„ Wolltet ihr nach Baaweiza gehen und dort zwei Tage warten? “
„ Wir wollen es. “
„ Wie viel wollt ihr uns für eure Freiheit zahlen? “
„ Wie viel verlangſt du? “
„ Fünfzehntauſend Piaſter*)Dreitauſend Mark ungefähr. für jeden. “
„ Herr, wir ſind ſehr arme Pilger. So viel haben wir nicht bei uns! “
„ Wie viel habt ihr? “
„ Fünfhundert Piaſter können wir dir vielleicht geben. “
„ Fünfhundert? Kerl, ihr wollt uns betrügen! “
„ Vielleicht bringen wir auch ſechshundert zuſammen. “
„ Ihr gebt zwölftauſend Piaſter und keinen Para weni - ger. Das ſchwöre ich euch bei Mohammed. Und wollt ihr32 nicht, ſo laſſe ich euch ſo lange prügeln, bis ihr ſie gebt. Ihr habt geſagt, daß ihr Mittel beſitzt, euer Geld un - ſichtbar zu machen; ihr habt alſo viel bei euch, und ich habe das Mittel, eure Piaſter wieder ſichtbar zu machen! “
Halef that, als erſchrecke er.
„ Herr, thuſt du es wirklich nicht billiger? “
„ Nein. “
„ So müſſen wir es dir geben! “
„ Ihr Schurken, jetzt ſehe ich, daß ihr viel Geld bei euch habt! Nun werdet ihr nicht für zwölftauſend Piaſter frei, ſondern ihr müßt das geben, was ich zuerſt verlangte, nämlich fünfzehntauſend. “
„ Verzeihe, Herr, das iſt zu wenig! “
Der Hauptmann ſah den kleinen Hadſchi Halef ganz erſtaunt an.
„ Wie meinſt du das, Kerl? “
„ Ich meine, daß ein jeder von uns mehr wert iſt, als fünfzehntauſend Piaſter. Erlaube, daß wir die fünf - zigtauſend geben! “
„ Menſch, biſt du verrückt? “
„ Oder hunderttauſend! “
Der Bäckermeiſter-Jüs Baſchi blies ganz ratlos die Backen auf, blickte dem Lieutenant in das hagere Geſicht und fragte ihn:
„ Lieutenant, was ſagſt du? “
Dieſer hatte den Mund offen und geſtand freimütig:
„ Nichts, ganz und gar nichts! “
„ Ich auch nichts! Dieſe Menſchen müſſen ungeheuer reich ſein! “
Dann wandte er ſich wieder zu Halef:
„ Wo habt ihr das Geld? “
„ Mußt du es wiſſen? “
„ Ja. “
33„ Wir haben einen bei uns, der für uns bezahlt. Du kannſt ihn aber nicht ſehen. “
„ Allah beſchütze uns! Du meinſt den Teufel! “
„ Soll er kommen? “
„ Nein, nein, niemals! Ich bin kein Dſcheſidi, ich verſtehe nicht, mit ihm zu reden! Ich würde tot ſein vor Schreck! “
„ Du wirſt nicht erſchrecken, denn dieſer Scheitan kommt in der Geſtalt eines Menſchen. Da iſt er ſchon! “
Ich hatte mich hinter dem Baume erhoben, und mit zwei ſchnellen Schritten ſtand ich vor den beiden Offi - zieren. Sie fuhren entſetzt auseinander, der eine nach rechts und der andere nach links. Da ihnen aber meine Geſtalt doch nicht ganz und gar ſchrecklich vorkommen mochte, ſo blieben ſie ſtehen und ſtarrten mich wortlos an.
„ Jüs Baſchi, “redete ich ſie an, „ ich habe alles gehört, was ihr heute abend und heute morgen geſprochen habt. Ihr ſagtet, Scheik Adi ſei ein böſes Neſt! “
Ein ſchwerer Atemzug erſcholl als einige Antwort.
„ Ihr ſagtet, Allah möge dort die Leute zerhacken und zerquetſchen. “
„ Oh, oh! “ertönte es.
„ Ihr ſagtet ferner, ihr wolltet die Böſewichter, die Buben, die Unreinen, die Unverſchämten, die Hunde nieder - ſchießen und große Beute machen! “
Der Mülaſim war halb tot vor Angſt, und der Jüs Baſchi konnte nichts als ſtöhnen.
„ Ihr wolltet dann befördert werden und Tabak aus Schiras rauchen! “
„ Er weiß alles! “brachte der dicke[Hauptmann] angſt - voll hervor.
„ Ja, ich weiß alles. Ich werde euch befördern. Weißt du, wohin? “
II. 334Er ſchüttelte den Kopf.
„ Nach Scheik Adi, zu den Unreinen und Unverſchäm - ten, die ihr töten wolltet. Jetzt ſage ich zu euch das, was ihr vorhin zu dieſen beiden Männern ſagtet: Ihr ſeid meine Gefangenen! “
Die Soldaten konnten ſich den Vorgang nicht er - klären; ſie ſtanden in einem dichten Knäuel beiſammen. Der Wink, den ich bei meinen letzten Worten gab, genügte. Die Dſcheſidi brachen hervor und umringten ſie. Nicht ein einziger dachte daran, Widerſtand zu leiſten. Alle waren ganz verblüfft. Die Offiziere aber ahnten nun doch den wahren Sachverhalt und griffen in den Gürtel.
„ Halt, keine Gegenwehr! “ermahnte ich ſie, indem ich den Revolver zog. „ Wer zur Waffe greift, wird augen - blicklich niedergeſchoſſen! “
„ Wer biſt du? “fragte der Hauptmann.
Er ſchwitzte förmlich. Der brave Fallſtaff dauerte mich einigermaßen, und die Don Quixote-Geſtalt neben ihm gleichfalls. Um ihre Beförderung war es nun geſchehen.
„ Ich bin euer Freund und wünſche deshalb, daß ihr nicht von den Dſcheſidi niedergeſchoſſen werdet. Gebt eure Waffen ab! “
„ Aber wir brauchen ſie doch! “
„ Wozu? “
„ Wir müſſen damit die Geſchütze verteidigen! “
Dieſer beiſpielloſen Naivität war nicht zu widerſtehen, ich mußte laut auflachen. Dann beruhigte ich ſie:
„ Seid ohne Sorgen; wir werden die Kanonen behüten! “
Es ward zwar noch einiges hin und her geſprochen, dann aber ſtreckten ſie doch die Waffen.
„ Was werdet ihr mit uns thun? “fragte jetzt der be - ſorgte Jüs Baſchi.
„ Das kommt ganz auf euer Verhalten an. Vielleicht35 werdet ihr getötet, vielleicht aber auch erlangt ihr Gnade, wenn ihr gehorſam ſeid. “
„ Was ſollen wir thun? “
„ Zunächſt meine Fragen der Wahrheit gemäß beant - worten. “
„ Frage! “
„ Kommen noch mehr Truppen hinter euch? “
„ Nein. “
„ Ihr ſeid wirklich die einzigen hier? “
„ Ja. “
„ So iſt der Miralai Omar Amed ein ſehr unfähiger Menſch. In Scheik Adi halten mehrere tauſend Bewaff - nete, und hier ſchickt er dreißig Männer mit vier Kanonen gegen ſie. Er mußte euch wenigſtens einen Alai Emini mit zweihundert Mann Infanterie als Bedeckung mit - geben. Dieſer Mann hat gemeint, die Dſcheſidi ſeien ſo leicht zu fangen und zu töten, wie die Fliegen. Welche Befehle hat er euch gegeben? “
„ Wir ſollen die Geſchütze unbemerkt bis an das Waſſer ſchaffen. “
„ Und dann? “
„ Und dann an demſelben aufwärts gehen, bis eine halbe Stunde vor Scheik Adi. “
„ Weiter! “
„ Dort ſollen wir warten, bis er uns einen Boten ſendet. Darauf müſſen wir bis zum Thale vorrücken und die Dſcheſidi mit Kugeln, Kartätſchen und Granaten be - ſchießen. “
„ Das Vorrücken iſt euch geſtattet; ihr werdet ſogar noch weiter kommen als nur bis zum Eingange des Thales. Das Schießen aber werden andere übernehmen. “
Nun es einmal geſchehen war, ergaben ſich die Türken als echte Fataliſten ganz ruhig in ihr Schickſal. Sie36 mußten zuſammentreten und wurden von den Dſcheſidi eskortiert. Die Geſchützſtücke waren auf die Maultiere geladen worden und folgten unter Bedeckung. Natürlich machten wir uns wieder beritten, als wir bei den Pferden ankamen.
Eine halbe Stunde vor dem Thale von Scheik Adi ließ ich die Kanonen unter dem Schutze von zwanzig Mann zurück. Es geſchah dies um des Boten willen, welcher von dem Miralai erwartet wurde.
Gleich an dem Eingange zum Thale trafen wir auf eine bedeutende Menſchenmenge. Das Gerücht von unſerer kleinen Expedition hatte ſich ſehr bald unter den Pilgern verbreitet, und man hatte ſich hier verſammelt, um das Ergebnis ſo bald wie möglich zu vernehmen. Infolge - deſſen war auch jedwedes Schießen im Thale eingeſtellt worden, ſodaß nun eine tiefe Stille herrſchte. Man wollte die Schüſſe hören, falls es zwiſchen uns und den Türken zu einem ernſtlichen Kampfe kommen ſollte.
Der erſte, welcher mir entgegenkam, war Ali Bey.
„ Endlich kommſt du, “rief er ſichtlich erleichtert; dann ſetzte er beſorgt hinzu: „ aber ohne Kanonen! Und auch Leute fehlen! “
„ Es fehlt kein Mann, und auch kein einziger iſt ver - wundet. “
„ Wo ſind ſie? “
„ Bei Halef und Selek draußen bei den Geſchützen, die ich zurückgelaſſen habe. “
„ Warum? “
„ Dieſer Jüs Baſchi hat mir erzählt, daß der Miralai an die Stelle, wo die Kanonen ſtehen, einen Boten ſenden werde. Sie ſollen dann vorrücken und Scheik Adi mit Vollkugeln, Kartätſchen und Granaten beſchießen. Haſt du Leute, welche ein Geſchütz zu bedienen verſtehen? “
37„ Genug! “
„ So ſende ſie hinaus. Sie mögen mit den Türken die Kleidung wechſeln, den Boten gefangen nehmen und dann ſofort einen Schuß löſen. Dies wird für uns das ſicherſte Zeichen ſein, daß der Feind nahe iſt, und dieſen ſelbſt wird es zu einem übereilten Angriff verleiten. Was thuſt du mit den Gefangenen? “
„ Ich ſchicke ſie fort und laſſe ſie bewachen. “
„ Im Thale Idiz? “
„ Nein. Dieſen Ort darf keiner ſehen, der nicht ein Dſcheſidi iſt. Aber es giebt eine kleine Schlucht, in der es möglich iſt, die Gefangenen nur durch wenige Leute feſtzuhalten. Komm! “
In ſeinem Hauſe erwartete mich ein ſehr reichliches Nachteſſen, wobei mich ſeine Frau bediente. Er ſelbſt war nicht zugegen, denn er mußte die Umkleidung der Ge - fangenen beaufſichtigen, welche dann abgeführt wurden. Diejenigen, welche die Uniformen der Türken erhielten, waren geſchulte Kanoniere und rückten bald ab, um ſich zu den Geſchützen zu begeben.
Die Sterne begannen bereits zu erbleichen, als Ali Bey zu mir kam.
„ Biſt du bereit, aufzubrechen, Emir? “
„ Wohin? “
„ Nach dem Thale Idiz. “
„ Erlaube, daß ich hier bleibe! “
„ Du willſt mitkämpfen? “
„ Nein. “
„ Dich uns nur anſchließen, um zu ſehen, ob wir tapfer ſind? “
„ Ich werde mich euch auch nicht anſchließen, ſondern hier in Scheik Adi bleiben. “
„ Herr, was denkſt du! “
38„ Ich denke, daß dies das Richtige ſein wird. “
„ Man wird dich töten! “
„ Nein. Ich ſtehe unter dem Schutze des Großherrn und des Muteſſarif. “
„ Aber du biſt unſer Freund; du haſt die Artilleriſten gefangen genommen; das wird dir das Leben koſten! “
„ Wer wird das den Türken erzählen? Ich bleibe hier mit Halef und dem Baſchi-Bozuk. So kann ich für euch vielleicht mehr thun, als wenn ich in euren Reihen kämpfe “
„ Du magſt recht haben, Emir; aber wenn wir ſchießen, kannſt auch du verwundet oder vielleicht gar ge - tötet werden! “
„ Das glaube ich nicht, denn ich werde mich hüten, mich euern Kugeln auszuſetzen. “
Da öffnete ſich die Thüre, und ein Mann trat herein. Er gehörte zu den Poſten, welche Ali Bey ausgeſtellt hatte.
„ Herr, “meldete er ihm, „ wir haben uns zurückge - zogen, denn die Türken ſind bereits in Baadri. In einer Stunde ſind ſie hier. “
„ Kehre zurück und ſage den Deinen, daß ſie immer in der Nähe der Türken bleiben, ſich aber von ihnen nicht ſehen laſſen ſollen! “
Wir gingen vor das Haus. Die Frauen und Kinder zogen an uns vorüber und verſchwanden hinter dem Heilig - tume. Da kam ein zweiter Bote atemlos gelaufen und meldete:
„ Herr, die Türken haben Kaloni längſt verlaſſen und marſchieren durch die Wälder. In einer Stunde können ſie hier ſein. “
„ Poſtiert euch jenſeits des erſten Thales und zieht euch, wenn ſie kommen, zurück. Die Unſerigen werden euch oben erwarten! “
39Der Mann kehrte zurück, und der Bey entfernte ſich auf einige Zeit. Ich ſtand am Hauſe und ſah auf die Geſtalten, die an mir vorüberzogen. Als die Frauen und Kinder vorbei waren, ſchloſſen ſich ihnen lange Reihen von Männern an, zu Fuße und zu Pferde; aber ſie ver - ſchwanden nicht hinter dem Heiligtume, ſondern erſtiegen die nach Baadri und Kaloni gelegenen Höhen, um den Türken das Thal freizugeben. Es war ein eigentümliches Gefühl, das ich beim Anblick dieſer dunklen Geſtalten empfand. Ein Licht nach dem andern wurde ausgeblaſen; eine Fackel nach der andern erloſch, und nur das Grabmal mit ſeinen beiden Türmen ſtreckte ſeine flammende Doppel - zunge noch immer zum Himmel empor. Ich war allein hier. Die Angehörigen des Bey waren fort; der Buluk Emini ſchlief droben auf der Plattform, und Halef war noch nicht zurück. Da aber hörte ich den Galopp eines Pferdes. Halef ſprengte heran. Als er abſaß, erdröhnten von unten herauf zwei ſtarke, krachende Schläge.
„ Was war das, Halef? “
„ Die Bäume ſtürzen. Ali Bey hat befohlen, ſie zu fällen, um unten das Thal zu ſchließen und die Kanonen gegen einen Angriff der Türken zu ſchützen. “
„ Das iſt klug gehandelt! Wo ſind die andern von den zwanzig? “
„ Sie mußten auf Befehl des Bey bei den Geſchützen zurückbleiben, und er hat außerdem noch dreißig andere Männer zu ihrer Bedeckung beordert. “
„ Alſo zuſammen fünfzig Mann. Dieſe könnten ſchon einen Angriff aushalten. “
„ Wo ſind die Gefangenen? “fragte Halef.
„ Bereits fort unter Aufſicht. “
„ Und dieſe Männer hier ziehen ſchon zum Kampfe? “
„ Ja. “
40„ Und wir? “
„ Bleiben hier zurück. Ich bin begierig, die Geſichter der Türken zu ſehen, wenn ſie bemerken, daß ſie in die Falle geraten ſind. “
Dieſer Gedanke ſchien Halef zu befriedigen, ſodaß er nicht über unſer Hierbleiben murrte. Er mochte ſich auch ſagen, daß dieſes Bleiben wohl gefährlicher ſei, als der Anſchluß an die Streiter.
„ Wo iſt Ifra? “fragte Halef noch.
„ Er ſchläft auf der Plattform. “
„ Er iſt eine Schlafmütze, Sihdi, und darum wird ihm ſein Hauptmann den Eſel gegeben haben, welcher die ganze Nacht hindurch ſchreit. Weiß er bereits etwas von dem, was geſchehen wird? “
„ Ich glaube nicht. Er ſoll auch nicht wiſſen, wie weit wir dabei beteiligt waren; verſtehſt du? “
Da kam Ali Bey noch einmal zurück, um ſein Pferd zu holen. Er machte mir noch allerlei Vorſtellungen, die aber nichts fruchteten, und ſo war er gezwungen, mich zu verlaſſen. Er that dies mit dem herzlichſten Wunſche, daß mir nichts Böſes geſchehen möge, und ver - ſicherte wiederholt, er würde alle fünfzehnhundert Türken niederſchießen laſſen, wenn ich von ihnen ein Leid erdulden müſſe. Zuletzt bat er mich, das große weiße Tuch, das in der Stube hing, auf die Plattform des Hauſes, die er von der Höhe ganz gut überblicken konnte, zu legen, zum Zeichen, daß ich mich wohl befinde. Sollte das Tuch fortgenommen werden, ſo werde er ſchließen, daß ich mich in Gefahr befinde, und werde ſofort dem ge - mäß handeln.
Nun ſtieg er auf und ritt davon, der letzte von all den Seinen.
Der Tag begann zu grauen; der Himmel lichtete ſich,41 und wenn man zu ihm emporblickte, vermochte man bereits die einzelnen Aeſte der Bäume zu unterſcheiden. Droben an der gegenüberliegenden Thalwand verhallten die Huf - ſchläge von Ali Beys Pferd. Ich war nun, da auch mein Dolmetſcher mich verlaſſen mußte, mit den beiden Dienern ganz allein in jenem viel beſprochenen Thale eines geheim - nisvollen und auch jetzt mir immer noch rätſelhaften Kul - tus. Allein? Ganz allein? War es wirklich ſo, oder hörte ich nicht Schritte dort in dem kleinen, El Schems geweihten Hauſe?
Eine lange, weiße Geſtalt trat hervor und blickte ſich um. Da ſah ſie mich und kam auf mich zu. Ein langer, ſchwarzer Bart hing ihr über die Bruſt herab, während das Haupthaar ſchneeweiß über den Rücken wallte. Es war Pir Kamek; ich erkannte ihn jetzt.
„ Du noch hier? “fragte er, als er vor mir ſtand, mit beinahe harter Stimme. „ Wann folgeſt du den andern nach? “
„ Ich bleibe hier. “
„ Du bleibſt? Warum? “
„ Weil ich euch hier mehr nützen kann, als auf andere Weiſe. “
„ Das iſt möglich, Emir; aber dennoch ſollteſt du gehen! “
„ Ich richte dieſelbe Frage an dich: Wann geheſt du den andern nach? “
„ Ich bleibe! “
„ Warum? “
„ Haſt du dort den Scheiterhaufen nicht geſehen? “antwortete er finſter. „ Er hält mich zurück. “
„ Warum er? “
„ Weil es nun an der Zeit iſt, das Opfer zu bringen, wegen deſſen ich ihn errichten ließ. “
„ Die Türken werden dich ja ſtören! “
42„ Sie werden mir ſogar das Opfer bringen, und ich werde heute den wichtigſten Tag meines Lebens feiern. “
Faſt wollte es mir unheimlich werden bei dem Klange dieſer hohlen, tiefen Stimme. Ich überwand jedoch dieſes Gefühl und fragte:
„ Wollteſt du nicht heute noch mit mir über dein Buch ſprechen, welches mir Ali Bey geliehen hatte? “
„ Kann es dir Freude machen und Nutzen bringen? “
„ Gewiß! “
„ Emir, ich bin ein armer Prieſter; nur dreierlei ge - hört mir: mein Leben, mein Kleid und das Buch, von dem du redeſt. Mein Leben bringe ich dem Reinen, dem Mächtigen, dem Erbarmenden zurück, der mir es geliehen hat; mein Kleid überlaſſe ich dem Elemente, in welchem auch mein Leib begraben wird, und das Buch ſchenke ich dir, damit dein Geiſt mit dem meinigen ſprechen könne, wenn Zeiten, Länder, Meere und Welten uns voneinander trennen. “
War dies nur eine blumige, orientaliſche Ausdrucks - weiſe, oder ſprach aus ihm wirklich die Ahnung eines nahen Todes? Es überlief mich ein Schauder, den ich nicht abſchütteln konnte.
„ Pir Kamek, deine Gabe iſt groß; faſt kann ich ſie nicht annehmen! “
„ Emir, ich liebe dich. Du wirſt das Buch erhalten, und wenn dein Blick auf die Worte fällt, die meine Hand geſchrieben hat, ſo denke an das letzte Wort, wel - ches dieſe Hand ſchreiben wird in das Buch, darinnen verzeichnet ſteht die blutige Geſchichte der Dſcheſidi, der Verachteten und Verfolgten. “
Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn umarmen.
„ Ich danke dir, Pir Kamek! Auch ich liebe dich, und wenn ich dein Buch öffne, ſo wird vor mich treten deine43 Geſtalt, und ich werde hören alle Worte deines Mundes, die du zu mir geſprochen haſt. Jetzt aber ſollteſt du Scheik Adi verlaſſen, denn noch iſt es nicht zu ſpät! “
„ Sieh dort das Heiligtum, in welchem Der begraben liegt, welcher verfolgt und getötet wurde. Er iſt nie ge - flohen. Steht nicht auch in deinem Kitab, daß man ſich nicht fürchten ſoll vor jenen, die nur den Leib töten kön - nen? Ich bleibe hier, da ich weiß, daß die Osmanly mir nicht zu ſchaden vermögen. Und wenn ſie mich töteten, was wäre es? Muß nicht der Tropfen emporſteigen zur Sonne? Stirbt nicht El Schems, die Glänzende, täglich, um auch täglich wieder aufzuerſtehen? Iſt nicht der Tod der Eingang in eine lichtere, in eine reinere Welt? Haſt du jemals gehört, daß ein Dſcheſidi von einem andern ſagt, daß er geſtorben ſei? Er ſagt nur, daß er verwan - delt ſei; denn es giebt weder Tod noch Grab, ſondern Leben, nichts als Leben. Darum weiß ich auch, daß ich dich einſt wiederſehen werde! “
Nach dieſen Worten ſchritt er ſchnell davon und kam hinter der Außenmauer des Grabmales außer Sicht.
Ich trat in das Gebäude und ging nach der Platt - form. Droben vernahm ich Stimmen. Halef und Ifra redeten miteinander.
„ Ganz allein? “hörte ich den letzteren fragen.
„ Ja. “
„ Wohin ſind die andern, die vielen, die Tauſende? “
„ Wer weiß es! “
„ Aber warum ſind ſie fort? “
„ Sie ſind geflohen. “
„ Vor wem? “
„ Vor euch. “
„ Vor uns? Hadſchi Halef Omar, ich verſtehe nicht, was du ſageſt! “
44„ So will ich dir es deutlicher ſagen: Sie ſind ge - flohen vor deinem Muteſſarif und vor deinem Miralai Omar Amed. “
„ Aber warum denn? “
„ Weil der Miralai kommt, um Scheik Adi zu über - fallen. “
„ Allah akbar, Gott iſt groß, und die Hand des Muteſſarif iſt mächtig! Sage mir, ob ich bei unſerem Emir bleiben darf, oder ob ich unter dem Miralai kämpfen muß! “
„ Du mußt bei uns bleiben. “
„ Hamdullilah, Preis und Dank ſei Allah, denn es iſt gut ſein bei unſerm Emir, den ich zu beſchützen habe! “
„ Du? Wann haſt du ihn denn beſchützt? “
„ Stets, ſo lange er unter meinem Schirme wandelt! “
Halef lachte und erwiderte:
„ Ja, du biſt der Mann dazu! Weißt du, wer der Beſchützer des Emir iſt? “
„ Ich! “
„ Nein, ich! “
„ Hat ihn nicht der Muteſſarif ſelbſt in meine Obhut gegeben? “
„ Hat er ſich nicht ſelbſt unter meinen Schutz be - geben? Und wer gilt da mehr, der Sihdi oder dein Nichts - nutz von Muteſſarif? “
„ Halef Omar, hüte deine Zunge! Wenn ich dieſes Wort dem Muteſſarif ſage! “
„ Glaubſt du, ich werde mich dann vor ihm fürchten? Ich bin Hadſchi Halef Omar Ben Hadſchi Abul Abbas Ibn Hadſchi Dawuhd al Goſſarah! “
„ Und ich heiße Ifra, gehöre zu den tapfern Baſchi - Bozuk des Großherrn und wurde für meine Heldenthaten zum Buluk Emini ernannt! Für dich ſorgt nur eine45 Perſon, für mich aber ſorgt der Padiſchah und der ganze Staat, den man den osmaniſchen nennt! “
„ Ich möchte wirklich wiſſen, welchen Vorteil du von dieſer Fürſorge haſt! “
„ Welchen Vorteil? — Ich will es dir auseinander - ſetzen! Ich erhalte einen Monatsſold von fünfunddreißig Piaſtern und täglich zwei Pfund Brot, ſiebzehn Lot Fleiſch, drei Lot Butter, fünf Lot Reis, ein Lot Salz, anderthalb Lot Zuthaten nebſt Seife, Oel und Stiefelſchmiere! “
„ Und dafür verrichteſt du Heldenthaten? “
„ Ja, ſehr viele und ſehr große! “
„ Die möchte ich ſehen! “
„ Was? Du glaubſt das nicht! Wie bin ich da zum Beiſpiel um meine Naſe gekommen, welche ich nicht mehr habe! Das war nämlich bei einem Streite zwiſchen den Druſen und Maroniten des Dſchebel Libanon. Wir wur - den hingeſchickt, um Ruhe und Achtung der Geſetze zu erkämpfen. In einer dieſer Schlachten ſchlug ich wie wütend um mich herum. Da holte ein Feind nach meinem Kopfe aus. Ich wollte ausweichen und trat zurück und nun traf der Hieb ſtatt meinen Kopf meine Na — — — oooh — aaah — — was war das? “
„ Ja, was war das? Ein Kanonenſchuß! “
Halef hatte recht; es war ein Kanonenſchuß, der den kleinen Buluk Emini um den Schluß ſeiner intereſſanten Erzählung gebracht hatte. Das war jedenfalls der Signal - ſchuß, den unſere Artilleriſten abgegeben hatten, um uns anzuzeigen, daß der Adjutant des Miralai von ihnen ge - fangen genommen worden ſei. Die beiden Diener kamen ſofort von oben herunter geeilt.
„ Sihdi, man ſchießt! “rief Halef, nach den Hähnen ſeiner Piſtolen ſehend.
„ Mit Kanonen! “fügte Ifra hinzu.
46„ Schön! Holt die Tiere herein und ſchafft ſie nach dem innern Hof! “
„ Auch meinen Eſel? “
„ Ja. Dann ſchließt ihr die Thür! “
Ich ſelbſt holte den weißen Shawl und breitete ihn oben auf der Plattform aus. Dann ließ ich mir einige Decken kommen und legte mich in der Weiſe darauf, daß ich von unten nicht bemerkt werden konnte. Die beiden Diener nahmen ſpäter unweit von mir Platz.
Es war mittlerweile ſo licht geworden, daß man ziemlich deutlich ſehen konnte. Der Nebel wallte bereits im Thale auf; aber noch immer brannten die Lichter und Flammen des Heiligtums, ein Anblick, der dem Auge wehe zu thun begann.
So vergingen fünf, ja zehn erwartungsvolle Minuten. Da hörte ich drüben am Abhange ein Pferd wiehern, noch eins, und dann antwortete ein drittes hüben von der andern Seite. Es war klar: die Truppen rückten zu gleicher Zeit an beiden Seiten in das Thal hernieder. Die Befehle des Miralai wurden mit großer Pünktlichkeit befolgt.
„ Sie kommen! “meinte Halef.
„ Ja, ſie kommen! “beſtätigte Ifra. „ Herr, wenn ſie uns nun für Dſcheſidi halten und auf uns ſchießen? “
„ Dann läſſeſt du deinen Eſel hinaus, an welchem ſie dich ſofort erkennen werden! “
Kavallerie war jedenfalls nicht dabei; die Pferde, welche gewiehert hatten, waren Offizierspferde. Man hätte das Pferdegetrappel hören müſſen. Nach und nach aber ließ ſich ein Geräuſch bemerken, das immer hörbarer wurde. Es war der Tritt vieler Menſchen, die näher kamen.
Endlich ertönten Stimmen von dem Grabmale her,47 und zwei Minuten ſpäter vernahmen wir den Marſch - ſchritt einer geſchloſſenen Kolonne. Ich erhob den Kopf und ſchaute hinab. Es waren vielleicht zweihundert Arnauten, prächtige Geſtalten mit wilden Angeſichtern, angeführt von einem Alai Emini und zwei Hauptleuten. Sie zogen in geſchloſſenen Gliedern das Thal hinab. Hinter ihnen aber kam eine Bande Baſchi-Bozuk, die ſich nach rechts und links zerſtreute, um die unſichtbaren Bewohner des Thales aufzuſuchen. Dann folgte eine kleine Kavalkade von lauter Offizieren: zwei Jüs Baſchi, zwei Alai Emini*)Regimentsquartiermeiſter oder Rang-Major., zwei Bimbaſchi**)Major oder Bataillons - chef., ein Kaimakam***)Oberſtlieutenant., mehrere Kol Agaſſi†Stabsoffizier, Adjutant. und an der Spitze der Truppe ein langer, hagerer Menſch, mit einem außerordentlich grob zugehackten Geſichte, in der reichen, von Gold ſtrotzenden Uniform eines Regimentskommandeurs.
„ Das iſt der Miralai Omar Amed! “meinte Ifra in achtungsvollem Tone.
„ Wer iſt der Civiliſt an ſeiner Seite? “fragte ich.
An der Seite des Oberſten nämlich ritt ein Mann, deſſen Züge höchſt auffällig waren. Ich weiß, daß man einen Menſchen nicht mit einem Weſen aus dem Tier - reiche vergleichen ſoll; aber es giebt wirklich menſchliche Phyſiognomien, welche ganz unwillkürlich an beſtimmte Tiere erinnern. Ich habe Geſichter geſehen, die etwas Affen -, Bullenbeißer - und Katzenartiges hatten; ich habe bei gewiſſen Geſichtsſchnitten ſofort an einen Ochſen, einen Eſel, eine Eule, ein Wieſel, ein Rüſſeltier oder einen Fuchs oder Bären denken müſſen. Mag man nun Phre - nolog und Phyſiognomiker ſein oder nicht, man wird doch bald bemerken, daß auch die Haltung, der Gang, die Aus - drucksweiſe, das ganze Thun und Treiben eines ſolchen48 Menſchen eine gewiſſe Aehnlichkeit mit der Art und Weiſe des Tieres beſitzt, an das man durch die Phyſiognomie erinnert wurde. Das Geſicht des Mannes nun, den ich jetzt ſah, hatte etwas Raubvogelähnliches; es war ganz das eines Stößers.
„ Es iſt der Makredſch*)Vorſteher des Gerichtshofes. von Moſſul, der Vertraute des Muteſſarif, “antwortete der Buluk Emini.
Was wollte, oder was ſollte dieſer Makredſch mit den Truppen hier? Ich konnte meinen Vermutungen darüber nicht nachhängen, denn jetzt ertönte plötzlich ein Kanonenſchuß und noch einer. Ein wirres Heulen, Schreien und Rufen erſcholl, und dann hörte ich ein Stampfen, als ob viele Menſchen im Galoppe herbeige - ſprungen kämen. Die Kavalkade hatte grad unter meinem Beobachtungspoſten angehalten.
„ Was war das? “rief der Miralai.
„ Zwei Kanonenſchüſſe! “antwortete der Makredſch.
„ Sehr richtig! “bemerkte der Oberſt ſpöttiſch. „ Ein Offizier wäre wohl ſchwerlich auf dieſe Antwort gekom - men. Aber, Allah, was iſt das! “
Die Arnauten, welche ſoeben erſt vorüber marſchiert waren, kamen in größter Unordnung und ſchreiend zurück - geflohen; viele unter ihnen blutig und zerfetzt, alle aber von höchſtem Schreck ergriffen.
„ Halt! “donnerte der Oberſt. „ Was iſt geſchehen? “
„ Man hat mit Kartätſchen auf uns geſchoſſen. Der Alai Emini iſt tot und ebenſo einer der Hauptleute; der andere liegt verwundet dort. “
„ Allah onlari boza-uz — Allah vernichte ſie! Auf ihre eigenen Leute zu feuern! Ich laſſe ſie alle totpeitſchen. Naſir Agaſſi, reite vor und kläre dieſe Hunde auf! “
Dieſer Befehl war an einen der Kol Agaſſi gerichtet,49 die ſich in ſeinem Gefolge befanden. Es war derſelbe, den ich am Bache von Baadri überraſcht und dem ich dann wieder zu ſeiner Freiheit verholfen hatte. Er gab ſeinem Pferde die Sporen, kehrte aber in kürzeſter Zeit wieder zurück.
„ Herr, es ſind nicht die Unſerigen, ſondern es ſind Dſcheſidi, welche geſchoſſen haben. Sie ließen mich heran - kommen und riefen es mir zu. “
„ Wo ſind unſere Geſchütze? “
„ Die befinden ſich in ihren Händen; mit ihnen haben ſie geſchoſſen; ſie haben die Geſchütze heute nacht dem Jüs Baſchi abgenommen. “
Der Oberſt ſtieß einen fürchterlichen Fluch hervor.
„ Dieſer Halunke ſoll es mir büßen! Wo iſt er? “
„ Gefangen mit allen ſeinen Leuten. “
„ Gefangen? Mit allen? Alſo ohne ſich gewehrt zu haben! “
Er ſtieß ſeinem Pferde vor Wut die Sporen ſo in die Weichen, daß es kerzengerade emporſtieg, dann fragte er weiter:
„ Wo ſind die Dſcheſidi, die Teufelsmänner, dieſe Giaurs unter den Giaurs? Ich wollte ſie fangen, peitſchen, töten, aber keiner läßt ſich ſehen! Sind ſie verſchwunden? Man wird ſie finden. Vorher aber holt mir die Geſchütze zurück! Die von Diarbekir haben ſich geſchloſſen. Vor - wärts mit ihnen, und dann die Hunde von Kjerkjuk hinterher! “
Der Kol Agaſſi ſprengte zurück, und ſofort ſetzten ſich die Infanteriſten von Diarbekir in Bewegung. Der Oberſt ging mit ſeinem Stab zur Seite. Sie marſchierten an ihm vorüber. Weiter konnte ich nichts ſehen, da das Thal eine Wendung machte; aber kaum war eine Minute vorüber, ſo dröhnte ein Kanonenſchuß, ein zweiter, dritterII. 450und vierter, und dann erfolgte ganz dieſelbe Scene wie vorher: die Verſchonten und Leichtverwundeten kamen zurückgeflohen, indem ſie die Toten und Schwerverwundeten hinter ſich ließen. Der Oberſt ritt mitten unter ſie hinein und züchtigte ſie mit der flachen Klinge ſeines Säbels.
„ Steht, ihr Feiglinge; ſteht, ſonſt ſchicke ich euch mit eigener Hand in die Dſchehennah! Agaſſi, die Dragoner herunter! “
Der Adjutant eilte davon. Die Flüchtigen ſammelten ſich, und viele der Baſchi-Bozuk kamen herbei, um zu melden, daß ſie alle Gebäude leer gefunden hätten.
„ Zerſtört die Neſter, brennt alles nieder und ſucht mir Spuren. Ich muß wiſſen, wo dieſe Ungläubigen hin - gekommen ſind! “
Jetzt war es Zeit für mich, wenn ich überhaupt hier etwas nützen ſollte.
„ Halef, wenn mir etwas Uebles geſchieht, ſo nimmſt du dieſes weiße Tuch hinweg. Es iſt ein Zeichen für Ali Bey! “
Nach dieſen Worten richtete ich mich empor und wurde ſofort bemerkt.
„ Ah, “rief der Miralai, „ da iſt ja einer! Komm herunter, du Sohn eines Hundes; ich will Auskunft haben! “
Ich nickte und trat zurück.
„ Halef, du verſchließeſt die Thüre hinter mir und läſſeſt ohne meine Erlaubnis niemand ein. Wenn ich deinen Namen rufe, öffneſt du ſofort! “
Ich nahm ihn mit hinab und trat vor das Haus; die Thüre ſchloß ſich hinter mir. Sofort hatten die Offi - ziere einen Kreis um mich gebildet.
„ Wurm, der du biſt, antworte auf meine Fragen, ſonſt laſſe ich dich ſchlachten! “befahl mir der Oberſt.
51„ Wurm? “fragte ich ruhig. „ Nimm und lies! “
Er blitzte mich wütend an, ergriff aber doch den groß - herrlichen Ferman. Als er das Siegel erblickte, drückte er das Pergament an ſeine Stirn, aber nur leicht und beinahe verächtlich, und überflog den Inhalt.
„ Du biſt ein Franke? “
„ Ein Nemtſche. “
„ Das iſt gleich! Was thuſt du hier? “
„ Ich kam, um die Gebräuche der Dſcheſidi zu ſtu - dieren, “antwortete ich, indem ich den Paß wieder in Empfang nahm.
„ Wozu das! Was geht mich dieſes Bu-djeruldi an! Warſt du in Moſſul beim Muteſſarif? “
„ Ja. “
„ Haſt du von ihm die Erlaubnis, hier zu ſein? “
„ Ja. Hier iſt ſie. “
Ich reichte ihm das zweite Blatt entgegen; er las es und gab es mir wieder.
„ Das iſt richtig: aber — — — “
Er hielt inne, denn es praſſelte jetzt drüben am Ab - hange ein ſehr kräftiges Gewehrfeuer los, und zu gleicher Zeit vernahmen wir den Hufſchlag ſchnell gehender Pferde.
„ Scheïtan! Was iſt das da oben? “
Dieſe Frage war halb an mich gerichtet; daher ant - wortete ich:
„ Es ſind die Dſcheſidi. Du biſt umzingelt, und jeder Widerſtand iſt vergebens. “
Er richtete ſich im Sattel auf.
„ Hund! “brüllte er mich an.
„ Laß dieſes Wort, Miralai! Sagſt du es noch ein - mal, ſo gehe ich! “
„ Du bleibſt! “
„ Wer will mich halten? Ich werde dir jede Auskunft52 erteilen, aber wiſſe, daß ich nicht gewohnt bin, mich unter einen Miralai zu ſtellen. Ich habe dir gezeigt, unter welchem Schutze ich ſtehe, und ſollte dies nicht helfen, ſo weiß ich mich ſelbſt zu ſchützen! “
„ Ah! “
Er erhob die Hand, um nach mir zu ſchlagen.
„ Halef! “
Mit dieſem lauten Rufe drängte ich mich zwiſchen die Pferde hindurch; die Thüre öffnete ſich, und kaum hatte ich ſie hinter mir zugeſchoben, ſo knirſchte die Kugel einer Piſtole im Holze. Der Miralai hatte auf mich geſchoſſen.
„ Das galt dir, Sihdi! “meinte Halef beſorgt.
„ Komm herauf! “
Noch während wir die Treppe erſtiegen, vernahmen wir draußen ein wirres Rufen, untermiſcht mit Roſſe - geſtampf, und als ich oben anlangte, ſah ich die Nachhut der Dragoner hinter der Krümmung des Thales verſchwin - den. Es war der reine Wahnſinn, ſie gegen die Geſchütze zu jagen, die nur durch einen Schützenangriff von den Seiten des Berges aus hätten zum Schweigen gebracht werden können. Der Miralai war ſich über ſeine Situa - tion ja gar nicht klar, und ein Glück war es für ihn, daß Ali Bey das Leben der Menſchen ſchonen wollte; denn droben am Heiligtume und auf den Pfaden bis zur halben Höhe des Berges ſtanden die Türken ſo dicht, daß jede Kugel der Dſcheſidi ein oder gar mehrere Opfer finden mußte.
Da erdröhnte der Donner der Kanonen von neuem. Die Kartätſchen und Granaten mußten, wenn gut gerichtet war, eine fürchterliche Verwüſtung unter den Reitern hervorbringen, und dies beſtätigte ſich nur gar zu bald; denn der ganze untere Teil des Thales bedeckte ſich mit53 fliehenden Reitern, laufenden Dragonern und reiterloſen Pferden.
Jetzt war der Miralai ganz ſteif vor Wut und Ent - ſetzen; aber es mochte ihm dabei die Erkenntnis kommen, daß er anders zu handeln habe. Er bemerkte meinen Kopf, der nach unten ſchaute, und winkte mir. Ich er - hob mich wieder.
„ Komm herab! “
„ Wozu? “
„ Ich habe dich zu fragen. “
„ Und auf mich zu ſchießen? “
„ Es galt nicht dir! “
„ Nun wohl, ſo frage! Ich werde dir von oben ant - worten; du hörſt dann meine Worte ebenſo deutlich, als wenn ich bei dir ſtünde. Aber “— und dabei gab ich Halef, der mich ſofort verſtand, einen Wink — „ aber ſiehſt du dieſen Mann? Er iſt mein Diener; er hat die Büchſe in der Hand und zielt auf dich. Sobald ſich eine einzige Waffe gegen mich erhebt, erſchießt er dich, Mira - lai, und dann werde ich grad ſo ſagen wie du, nämlich: Es galt nicht dir! “
Halef kniete hart am Rande der Plattform und hielt ſeine Büchſe auf den Kopf des Oberſten gerichtet. Dieſer wechſelte die Farbe, ob vor Angſt oder vor Wut, das weiß ich nicht.
„ Thut das Gewehr fort! “rief er.
„ Es bleibt! “
„ Menſch, ich habe faſt zweitauſend Soldaten hier; ich kann dich zermalmen! “
„ Und ich habe dieſen einen bei mir; ich kann dich mit einem Winke zu deinen Vätern ſenden! “
„ Die Meinen würden mich fürchterlich rächen! “
„ Es würden viele von ihnen zu Grunde gehen, ehe54 es ihnen gelänge, in dieſes Haus zu dringen. Uebrigens iſt das Thal von viertauſend Kriegern umſchloſſen, denen es ein Leichtes iſt, euch innerhalb einer halben Stunde aufzureiben. “
„ Wie viele, ſagſt du? “
„ Viertauſend. Schau hinauf auf die Höhen! Siehſt du nicht Kopf an Kopf? Dort ſteigt ein Mann hernieder, der mit ſeinem weißen Turbantuche weht. Es iſt gewiß ein Bote des Bey von Baadri, der mit dir verhandeln ſoll. Gewähre ihm ein ſicheres Geleite und empfange ihn der Sitte gemäß; das wird zu deinem Beſten dienen! “
„ Ich brauche deine Lehren nicht. Die Rebellen ſollen nur kommen! Wo ſind die Dſcheſidi alle? “
„ Laß dir erzählen! Ali Bey hörte, daß du die Pilger überfallen ſollteſt. Er ſandte Boten aus und ließ die Truppen aus Moſſul, Diarbekir und Kjerkjuk beobachten. Die Frauen und Kinder wurden in Sicherheit gebracht. Er ſtellte deinem Anzuge nichts in den Weg, aber er ver - ließ das Thal und ſchloß dasſelbe ein. Er iſt dir weit überlegen an Anzahl der Krieger und auch in Beziehung auf das Terrain. Er befindet ſich in Beſitz deiner Artillerie mit ihrer ganzen Munition. Du biſt verloren, wenn du nicht freundlich mit ſeinem Abgeſandten verhandelſt! “
„ Ich danke dir, Franke! Ich werde erſt mit ihm verhandeln und dann auch mit dir. Du haſt das Bu - djeruldi des Großhern und den Ferman des Muteſſarif und machſt doch gemeinſchaftliche Sache mit ihren Fein - den. Du biſt ein Verräter und wirſt deine Strafe finden! “
Da drängte Naſir Agaſſi, der Adjutant, ſein Pferd zu ihm heran und ſagte ihm einige Worte. Der Oberſt deutete auf mich und fragte:
„ Dieſer wäre es geweſen? “
„ Er war es. Er gehört nicht zu den Feinden; er iſt zufällig ihr Gaſt und hat mir das Leben gerettet. “
55„ So werden wir weiter darüber reden. Jetzt aber kommt in jenes Gebäude! “
Sie ritten nach dem Tempel der Sonne, ſtiegen vor demſelben ab und traten ein.
Mittlerweile war der Parlamentär, von Fels zu Fels ſpringend, in grader Linie herab in das Thal und über den Bach herübergekommen. Er trat auch in den Tempel ein. Kein Schuß fiel; es herrſchte Ruhe, und nur der Schritt der Soldaten ertönte, welche ſich von dem oberen Teile des Thales, wo ſie ſich zu ſehr bloßgeſtellt ſahen, mehr nach unten ausbreiteten.
Wohl über eine halbe Stunde verging. Da trat der Parlamentär wieder in das Freie, aber nicht allein, ſon - dern er wurde — geführt. Man hatte ihn gebunden. Der Miralai, welcher auch am Eingange des Gebäudes er - ſchien, blickte ſich um, ſah den Scheiterhaufen und deutete auf denſelben. Es wurden zehn Arnauten herbeigerufen; dieſe nahmen den Mann in ihre Mitte und ſchleppten ihn zum Holzſtoß. Während mehrere ihn hielten, griffen die andern nach ihren Gewehren — er ſollte erſchoſſen werden.
„ Halt! “rief ich zum Oberſten hinüber. „ Was willſt du thun? Er iſt ein Abgeſandter, alſo eine unverletzliche Perſon! “
„ Er iſt ein Rebell, wie du. Erſt er, dann du; denn nun wiſſen wir, wer die Artilleriſten überfallen hat! “
Er winkte; die Schüſſe krachten; der Mann war tot. Da aber geſchah etwas, was ich nicht erwartet hatte: durch die Soldaten drängte ſich ein Mann. Es war der Pir Kamek. Er erreichte den Scheiterhaufen und kniete bei dem Toten nieder.
„ Ah, ein zweiter! “rief der Oberſt und ſchritt hinzu. „ Erhebe dich und antworte mir! “
Weiter konnte ich nichts hören, denn die Entfernung56 wurde zu groß. Ich ſah nur die feierlichen Geſten des Pir und die zornigen des Miralai. Dann bemerkte ich, daß der erſtere die Hände in den Haufen ſteckte, und einige Sekunden ſpäter züngelte eine Flamme blitzſchnell an demſelben empor. Eine Ahnung durchzuckte mich. Großer Gott, ſollte er ein ſolches Opfer, eine ſolche Strafe, eine ſolche Rache an dem Mörder ſeiner Söhne und ſeines Weibes gemeint haben!
Er wurde ergriffen und von dem Haufen weggeriſſen, aber bereits war es zu ſpät, die Flamme zu löſchen, die in dem Erdpeche eine furchtbare Nahrung gefunden hatte. In der Zeit von kaum einer Minute war ſie bereits zur hellen Lohe geworden, welche hoch zum Himmel ſchlug.
Der Pir ſtand umringt und feſtgehalten; der Miralai ſchien den Platz verlaſſen zu wollen. Da aber kehrte er um und ging zu dem Prieſter zurück. Sie ſprachen zu - ſammen, der Oberſt erregt, der Pir aber ruhig und mit geſchloſſenen Augen. Doch plötzlich öffnete er ſie, warf die zwei, welche ihn hielten, von ſich und packte den Oberſt. Mit der Körperkraft eines Rieſen hob er ihn empor — zwei Sprünge, und er ſtand vor dem Scheiterhaufen; noch einer — ſie verſchwanden in der lohenden Glut, die über ihnen zuſammenſchlug. Eine Bewegung im Innern derſelben ließ vermuten, daß die beiden dem Flammen - tode Geweihten miteinander kämpften; der eine, um ſein Leben zu retten, der andere, um ihn ſterbend feſtzuhalten.
Es war mir, als ſei ich bei der grimmigſten Winter - kälte in das Waſſer geſtürzt. Alſo darum war dieſer Tag „ der wichtigſte ſeines Lebens “, wie er, der Prieſter, zu mir geſagt hatte! Ja, der wichtigſte Tag des Lebens iſt derjenige, an welchem man dieſes Leben verläßt, um ſich den brandenden Fluten der Ewigkeit anzuvertrauen. Alſo dieſe fürchterliche Rache an dem Miralai war das57 „ letzte Wort “, welches ſeine Hand verzeichnen ſollte in jenes Buch, darinnen verzeichnet ſteht die blutige Ge - ſchichte der Dſcheſidi, der Verachteten und Verfolgten? Alſo dieſes Feuer war das „ Element “, in dem ſein Leib begraben werden ſollte, und dem er darum auch ſein Kleid überlaſſen wollte?
Schrecklich! Ich ſchloß die Augen. Ich mochte nichts mehr ſehen, nichts mehr wiſſen; ich ging hinunter in die Stube und legte mich auf das Polſter, mit dem Geſicht an die Wand. Noch einige Zeit lang war es draußen verhältnismäßig ruhig, dann aber begann das Schießen von neuem. Mich ging das nichts an. Wenn mir Gefahr drohte, würde mich Halef ganz ſicher benachrichtigen. Ich ſah nur die langen weißen Haare, den wallenden ſchwarzen Bart und die goldblitzende Uniform in dem Brodem des Scheiterhaufens verſchwinden. Mein Gott, wie wertvoll, wie unendlich koſtbar iſt ein Menſchenleben, und dennoch — dennoch — dennoch — — —!
So verging eine geraume Zeit; da hörte das Schießen auf, und ich vernahm Schritte auf der Treppe. Halef trat ein.
„ Sihdi, du ſollſt auf das Dach kommen! “
„ Weshalb? “
„ Ein Offizier verlangt nach dir. “
Ich ſtand auf und begab mich wieder hinauf. Ein einziger Blick belehrte mich über den Stand der Dinge. Die Dſcheſidi hielten nicht mehr die Höhen beſetzt, ſie waren vielmehr nach und nach hernieder geſtiegen. Hinter jedem Stein, hinter jedem Baum oder Strauch hielt ſich einer verborgen, um aus dieſer ſichern Stellung ſeine Kugel zu verſenden. Im untern Teile des Thales hatten ſie ſogar, durch die Geſchütze gedeckt, bereits die Sohle erreicht und ſich in dem Gebüſch am Bache eingeniſtet. 58Es fehlte nur noch eins: wenn die Geſchütze nur eine kurze Strecke noch herauf avancieren, ſo konnten mit einigen Salven ſämtliche Türken vernichtet werden.
Vor dem Hauſe ſtand Naſir Agaſſi.
„ Herr, wirſt du noch einmal mit uns ſprechen? “fragte er.
„ Was habt ihr mir zu ſagen? “
„ Wir wollen einen Boten zu Ali Bey ſenden, und weil der Miralai, dem Allah das Paradies ſchenken möge “— er deutete dabei nach dem noch immer qualmenden Scheiterhaufen — „ den Boten der Dſcheſidi getötet hat, ſo kann keiner von uns gehen. Willſt du es thun? “
„ Ich will. Was ſoll ich ſagen? “
„ Der Kaimakam wird es dir befehlen. Er führt jetzt das Kommando und iſt in jenem Hauſe. Komm herüber! “
„ Befehlen? Euer Kaimakam hat mir nicht das min - deſte zu befehlen. Was ich thue, das thue ich freiwillig. Der Kaimakam mag kommen und mir ſagen, was er mir zu ſagen hat. Dieſes Haus ſteht ihm offen, aber nur ihm und höchſtens noch einer zweiten Perſon. Wer ſich ſonſt naht, den laſſe ich niederſchießen. “
„ Wer iſt außer dir im Hauſe? “
„ Mein Diener und ein Kawaß des Muteſſarif, ein Baſchi-Bozuk. “
„ Wie heißt er? “
„ Er iſt der Buluk Emini Ifra. “
„ Ifra? Mit ſeinem Eſel? “
„ Ja, “lachte ich.
„ So biſt du der Fremdling, welcher den arnautiſchen Offizieren die Baſtonnade erlaſſen hat und die Freund - ſchaft des Muteſſarif erlangte? “
„ Ich bin es. “
59„ So warte ein wenig, Herr! Der Kaimakam wird gleich kommen. “
Es währte wirklich nur kurze Zeit, ſo trat der Kai - makam drüben aus dem Tempel und kam auf das Haus zu. Nur der Makredſch begleitete ihn.
„ Halef, öffne ihnen und führe ſie in die Stube. Die Thür ſchließeſt du wieder, und dann kehrſt du hierher zu - rück. Sollte ſich ein Unberufener dem Hauſe nähern, ſo ſchießeſt du auf ihn! “
Ich ging hinab. Die beiden Männer traten ein. Sie waren hohe Beamte; das durfte mich jedoch nicht kümmern; ich empfing ſie daher in ſehr gemeſſener Haltung und winkte ihnen nur, ſich niederzulaſſen. Als ſie dies gethan hatten, fragte ich, ohne ſie beſonders willkommen zu heißen:
„ Mein Diener hat euch eingelaſſen. Hat er euch ge - ſagt, wie man mich zu nennen hat? “
„ Nein. “
„ Man nennt mich hier Hadſchi Emir Kara Ben Nemſi. Wer ihr ſeid, weiß ich. Was habt ihr mir zu ſagen? “
„ Du biſt ein Hadſchi? “fragte der Makredſch.
„ Ja. “
„ Du warſt alſo in Mekka? “
„ Ja. Siehſt du nicht den Kuran an meinem Halſe hangen und das kleine Fläſchchen mit dem Waſſer des Zem-Zem? “
„ Wir glaubten, du ſeiſt ein Giaur! “
„ Seid ihr gekommen, mir dies zu ſagen? “
„ Nein. Wir bitten dich, in unſerem Auftrage zu Ali Bey zu gehen. “
„ Werdet ihr mir ſicheres Geleite geben? “
„ Ja. “
60„ Mir und meinen Dienern? “
„ Ja. “
„ Was ſoll ich ihm ſagen? “
„ Daß er die Waffen ſtrecken und zum Gehorſam gegen den Muteſſarif zurückkehren möge. “
„ Und dann? “fragte ich, neugierig, was noch kommen werde.
„ Dann ſoll die Buße, welche der Gouverneur über ihn verhängt, ſo gnädig wie möglich ſein. “
„ Du biſt der Makredſch von Moſſul, und dieſer Mann iſt Kaimakam und Befehlshaber der Truppen, welche hier ſtehen. Er iſt es, welcher mir ſeine Aufträge zu erteilen hat, nicht aber du. “
„ Ich bin bei ihm als Beauftragter des Muteſſarif. “
Der Mann mit der Stößerphyſiognomie warf ſich bei dieſen Worten ſo viel wie möglich in die Bruſt.
„ Haſt du ſchriftliche Vollmacht? “
„ Nein. “
„ So giltſt du hier ſo wenig wie jeder andere! “
„ Der Kaimakam wird es mir bezeugen! “
„ Nur eine ſchriftliche Vollmacht kann dich legitimieren, ſonſt nichts. Gehe und hole dir dieſelbe. Der Muteſſarif von Moſſul wird nur einem Manne von Kenntniſſen er - lauben, ihn zu vertreten. “
„ Willſt du mich beleidigen? “
„ Nein. Ich will nur beſtätigen, daß du kein Offizier biſt, von militäriſchen Dingen nichts verſtehſt und hier alſo ſchweigſt. “
„ Emir! “rief er, indem er mir einen wütenden Blick zuwarf.
„ Soll ich dir die Wahrheit meiner Worte beweiſen? Ihr ſeid ſo eingeſchloſſen, daß kein einziger von euch entkommen kann; es bedarf nur einer kleinen halben Stunde,61 ſo ſeid ihr hilflos in die Erde hineingeſchoſſen. Und bei einem ſolchen Stande der Dinge ſoll ich dem Bey ſagen, daß er die Waffen ſtrecken ſoll? Er würde mich für wahnſinnig halten. Der Miralei, dem Allah gnädig und barmherzig ſein möge, hat fünfzehnhundert wackere Krieger durch ſeine Unvorſichtigkeit in das Verderben geführt. Dem Kaimakam fällt die ehrenvolle Aufgabe zu, ſie dieſem Verderben zu entreißen; wenn ihm dies gelingt, ſo hat er, wie ein guter Offizier und wie ein Held gehandelt. Mit hochtrabenden Worten aber, hinter denen Furcht und die Heimtücke lauern, wird es ihm nicht gelingen. Ich habe nur mit ihm zu reden. In militäriſchen Angelegenheiten ſoll nur ein Krieger zu beſtimmen haben. “
„ Und doch ſollſt du auch mich anhören! “
„ Ich wüßte nicht, worin! “
„ Es ſind auch Dinge zu verhandeln, welche das Geſetz betreffen, und ich bin ein Makredſch! “
„ Sei, was du willſt! Du kannſt mir keine Voll - macht zeigen, und darum ſind wir miteinander fertig! “
Ich hatte einen entſchiedenen Widerwillen gegen dieſen Menſchen, aber es wäre mir nicht eingefallen, demſelben einen ſo kräftigen Ausdruck zu geben, wenn er anders aufgetreten wäre und ich nicht eine ſehr deutliche Ahnung gehabt hätte, daß er die meiſte Schuld an den gegenwärtigen Verhältniſſen trage. Warum hatte ſich dieſer Gerichts - menſch überhaupt der Expedition angeſchloſſen? Doch wohl nur, um den Dſcheſidi nach ihrer etwaigen Ueberwindung auf dem Wege des moslemitiſchen Geſetzes die Uebermacht der Osmanly fühlbarer zu machen.
Ich wandte mich nun an den Kaimakam:
„ Was ſoll ich dem Bey ſagen, wenn er mich fragt, warum ihr Scheik Adi überfallen habt? “
„ Weil wir uns zwei Mörder holen wollen, und62 weil die Dſcheſidi den Haradſch*)Eine auf Nicht-Mohammedaner gelegte Taxe. nicht regelmäßig be - zahlen. “
„ Er wird ſich über die Gründe ſehr wundern. Die Mörder müßt ihr bei euch ſelbſt ſuchen; das wird er euch beweiſen, und den Haradſch konntet ihr auf einem andern Wege erlangen. Was ſoll ich ihm von deinen jetzigen Entſchlüſſen ſagen? “
„ Sage ihm, daß er mir einen Mann ſenden möge, mit dem ich über die Bedingungen verhandeln kann, unter denen ich abziehe! “
„ Und wenn er mich nach der Grundlage dieſer Be - dingungen fragt? “
„ Ich verlange im Namen des Muteſſarif unſere Ge - ſchütze zurück; ich verlange für jeden unſerer Toten oder Verwundeten ein Sühnegeld; ich verlange den verweigerten Haradſch, und ich verlange die Auszahlung einer Summe, die ich noch beſtimmen werde, als Brandſchatzung. “
„ Allah kehrim, Gott iſt gütig! Er hat dir einen Mund gegeben, welcher ſehr gut zu fordern weiß. Du brauchſt mir weiter nichts zu ſagen; es iſt genug, und das übrige magſt du Ali Bey ſelbſt mitteilen. Ich werde ſofort zu ihm gehen und euch die Antwort entweder ſelbſt bringen oder ſie euch durch einen Boten wiſſen laſſen. “
„ Sage ihm nur noch, daß er unſere Artilleriſten frei laſſen und ihnen ihren Schreck vergüten muß! “
„ Ich werde ihm auch dies noch mitteilen; aber ich befürchte, daß er von euch auch eine Vergütung der Ueber - raſchung verlangt, welche ihr ihm bereitet habt. Jetzt ſind wir fertig; ich werde mich aufmachen, warne euch aber vorher noch in einer Beziehung. Wenn ihr in Scheik Adi Schaden anrichtet, dann wird der Bey gegen euch keine Schonung kennen. “
63Ich ſtand auf. Sie thaten dasſelbe und gingen.
Jetzt rief ich Halef und Ifra herab, welche die Tiere ſatteln mußten. Dies nahm nur kurze Zeit in Anſpruch. Dann verließen wir das Haus und ſtiegen auf.
„ Haltet hier; ich komme gleich zurück! “
Nach dieſen Worten ritt ich zunächſt ein Stück das Thal hinab, um die Wirkung der Geſchütze in Augenſchein zu nehmen. Sie war eine grauenhafte, doch wurde ſie dadurch gemildert, daß die Dſcheſidi die verwundeten Türken aufgehoben hatten, um ihnen möglichſt Hilfe an - gedeihen zu laſſen. Wie anders wäre es wohl geweſen, wenn den Osmanly ihr Ueberfall geglückt wäre! Ich wandte mich ab, trotzdem mir die Sieger von ihrer Ver - ſchanzung her erfreut zuriefen, nahm Halef und Ifra auf und ritt nun am Bache hinan, um auf dem Weg nach Baadri zu gelangen; denn da oben auf dieſer Seite mußte ich den Bey vermuten.
Als ich an dem Tempel vorüberkam, ſtand der Kai - makam mit ſeinem Stabe vor demſelben. Er winkte mir, und ich ritt zu ihm hin.
„ Sage dem Scheik noch, daß er eine Summe bezahlen muß als Sühne für den Tod des Miralai! “
„ Ich glaube ſehr, daß der Makredſch von Moſſul ſich große Mühe giebt, immer neue Forderungen zu ent - decken, und ich vermute, daß der Bey eine ſehr bedeutende Sühne verlangen wird für ſeinen ermordeten Parlamentär. Doch werde ich ihm deine Worte ſagen. “
„ Du haſt einen Baſchi-Bozuk bei dir? “
„ Wie du ſiehſt! “
„ Wer hat ihn dir gegeben? “
„ Der Muteſſarif. “
„ Brauchſt du ihn noch? “
„ Ja. “
64„ Wir brauchen ihn auch. “
„ So hole dir einen Befehl vom Gouverneur. Wenn du mir dieſen vorzeigſt, werde ich dir den Buluk Emini zurückgeben! “
Ich ritt weiter und kam an lauter finſteren Geſichtern vorüber. Gar manche Hand zuckte nach dem Dolche, aber Naſir Agaſſi begleitete mich, bis ich in Sicherheit war, dann aber nahm er Abſchied.
Der Abſchied war kurz, denn die Zeit drängte.
„ Effendi, werden wir uns wiederſehen? “fragte Naſir Agaſſi.
„ Allah weiß alles, auch dieſes, wir aber nicht. “
„ Du biſt mein Retter; ich werde dich nie vergeſſen und danke dir. Sollten wir uns einmal wiederſehen, ſo ſage mir dann, ob ich dir dienen kann. “
„ Gott ſchütze dich! Vielleicht ſehe ich dich einmal als Miralai; dann möge deiner ein beſſeres Kismet warten, als das des Omar Amed! “
Wir reichten einander die Hände und ſchieden. Auch ihn habe ich zu einer Zeit wieder geſehen, wo ich am wenigſten an ihn dachte.
Nur wenige Schritte weiter empor trafen wir hinter einem Buſche den erſten Dſcheſidi, welcher ſich ſo weit herangewagt hatte, um beim Wiederbeginn des Kampfes ein ſicheres Ziel zu haben. Es war der Sohn Seleks, mein Dolmetſcher.
„ Emir, biſt du wohl erhalten? “rief er mir entgegen.
„ Ganz wohl. Haſt du das Buch des Pir Kamek bei dir? “
„ Nein. Ich habe es an einem Ort verſteckt, an dem es keinen Schaden leiden kann. “
„ Aber wenn du gefallen wäreſt, ſo wäre es verloren geweſen! “
65„ Nein, Effendi. Ich habe mehreren offenbart, wo es liegt, und dieſe hätten dir es mitgeteilt. “
„ Wo iſt der Bey? “
„ Oben auf der Klippe, von welcher aus man das Thal am beſten überblicken kann. Erlaube, daß ich dich führe! “
Er nahm das Gewehr über die Schulter und ſchritt voran. Wir erreichten die Höhe, und es war von Inter - eſſe, hier hinabzublicken auf die Verſtecke, hinter denen die Dſcheſidi ſtanden, ſaßen, hockten und lagen, ganz be - reit, bei dem Zeichen ihres Anführers den Kampf nun im vollen Ernſte zu beginnen. Hier kam man noch beſſer als unten zu der Ueberzeugung, daß die Türken verloren wären, wenn es ihnen nicht gelänge, mit ihren Gegnern einig zu werden. Hier an derſelben Stelle hatte ich mit Ali Bey geſtanden, als wir die vermeintlichen Sterne beobachteten, und jetzt, nur wenige Stunden ſpäter, ſtand die kleine Sekte, welche es gewagt hatte, den Kampf mit den Truppen des Großherrn aufzunehmen, bereits als Sieger da.
Wir ritten nun links weiter, bis wir zu einem Felſen gelangten, der ſich ein weniges über den Rand des Thales hervorſtreckte. Hier ſaß der Bey mit ſeinem Stabe, wel - cher nur aus drei barfüßigen Dſcheſidi beſtand. Er kam mir erfreut entgegen.
„ Ich danke dem Allgütigen, der dich geſund und un - verſehrt erhalten hat! “ſagte er herzlich. „ Iſt dir Uebles begegnet? “
„ Nein, ſonſt hätte ich dir das Zeichen gegeben. “
„ Komm her! “
Ich ſtieg ab und folgte ihm auf den Felſen. Man konnte von hier aus alles deutlich ſehen, das Heiligtum, das Haus des Bey, da unten die Batterie hinter der Ver - ſchanzung und die beiden Seitenwände des Thales.
II. 566„ Siehſt du die weiße Stelle auf meinem Hauſe? “fragte er.
„ Ja. Es iſt der Shawl. “
„ Wäre er verſchwunden, ſo hätte ich ein Zeichen ge - geben, und fünfhundert meiner Leute wären Sturm hinab - gelaufen, unter dem Schutze der Kanonen, welche den Feind zurückgehalten hätten. “
„ Ich danke dir, Bey. Es iſt mir nichts geſchehen, als daß der Miralai einmal nach mir ſchoß; aber ohne mich zu treffen. “
„ Das ſoll er büßen! “
„ Er hat es bereits gebüßt. “
Ich erzählte ihm alles, was ich geſehen hatte, und berichtete ihm auch die Worte, in denen der Abſchied des Pir von mir enthalten war. Er hörte aufmerkſam und in tiefſter Bewegung zu; aber als ich geendet hatte, ſagte er nichts als:
„ Er war ein Held! “
Dann verſank er in ein tiefes Sinnen, aus welchem er erſt nach einer Weile wieder erwachte.
„ Und was ſagſt du? Sie haben meinen Boten getötet? “
„ Sie haben ihn hingerichtet, erſchoſſen. “
„ Wer hat den Befehl dazu erteilt? “
„ Jedenfalls der Miralai. “
„ O lebte er noch! “knirſchte er. „ Ich ahnte, daß dem Boten etwas widerfahre. Ich hatte ihm geſagt, daß ich den Kampf wieder beginnen werde, wenn er binnen einer halben Stunde nicht zurückgekehrt ſei. Aber ich werde ihn rächen; ich werde jetzt das Zeichen geben, daß nun endlich Ernſt gemacht werden ſoll! “
„ Warte noch, denn ich habe vorher mit dir zu reden. Der Kaimakam, welcher jetzt das Kommando führt, hat mich zu dir geſandt. “
67Ich erzählte ihm nun wortgetreu meine ganze Unter - redung mit dem Oberſtlieutenant und dem Makredſch. Als ich den letzteren in Erwähnung brachte, zog er die Brauen finſter zuſammen, doch hörte er mich ruhig bis zu Ende an.
„ Alſo der Makredſch iſt dabei! O, nun weiß ich, wem wir das alles zu verdanken haben! Er iſt der ſchlimmſte Feind der Dſcheſidi; er haßt ſie; er iſt ihr Vampyr, ihr Blutſauger, und er hat auch jenem Morde die Wendung gegeben, welche zur Handhabe geworden iſt, durch dieſen Ueberfall eine Kontribution von uns zu erzwingen. Aber meine Geſandtſchaft, welche nach Stambul gegangen iſt, wird auch zum Anadoli Kaſi Askeri*)Oberrichter der aſiatiſchen Türkei. gehen, um ihm einen Brief von mir zu überbringen, den mir der Pir Kamek noch geſchrieben hat. Beide kannten ſich und hatten ſich lieb, und der Pir iſt lange Zeit ſein Gaſt geweſen. Er weiß die Lüge von der Wahrheit zu unterſcheiden und wird uns Hilfe bringen. “
„ Das wünſche ich dir von Herzen. Aber wen wirſt du zu dem Kaimakam ſenden? Ein gewöhnlicher Mann darf es nicht ſein, ſonſt wird er überliſtet. “
„ Wen ich ſenden werde, frageſt du? Niemand werde ich ſenden, keinen Menſchen. Nur ich ſelbſt werde mit ihm ſprechen. Ich bin das Haupt der Meinen; er iſt der Anführer der Seinen, und wir beide haben zu ent - ſcheiden. Aber ich bin der Sieger, und er iſt der Beſiegte; er mag zu mir kommen! “
„ So iſt es recht! “
„ Ich werde ihn hier erwarten. Ich werde ihm freies Geleit geben; aber wenn er in dreißig Minuten noch nicht zur Stelle iſt, ſo laſſe ich die Beſchießung beginnen68 und halte nicht eher ein, als bis keiner der Osmanly mehr lebt! “
Er trat zu ſeinen Adjutanten und ſprach kurze Zeit mit ihnen. Darauf entfernten ſich zwei von ihnen. Der eine ergriff einen weißen Shawl, legte ſeine Waffen ab und ſtieg links da hinab, wo ich jetzt heraufgekommen war; der andere aber ſchritt längs des Randes der Höhe hin und klimmte dann rechts hinab nach dem Punkte hin, an welchem die Geſchütze ſtanden.
Nun gab Ali Bey einigen Dſcheſidi, welche in der Nähe hielten, den Befehl, ein Zelt für uns zu errichten. Die zu demſelben gehörigen Requiſiten lagen bereit. Wäh - rend ſie ſeinem Gebote Folge leiſteten, bemerkte ich, daß ſich unten die Verſchanzung öffnete. Die Kanonen wurden durch die entſtandene Lücke vorgezogen und avancierten längs des Baches bis an die Linie derjenigen Dſcheſidi, welche auf der Sohle des Thales feſten Fuß gefaßt hatten. Dort gab es mehrere Felsblöcke, welche mit einigen ſchnell umgehauenen Bäumen eine neue Verſchanzung bildeten.
Es waren ſeit der Abſendung des Dſcheſidi noch nicht zwanzig Minuten vergangen, ſo nahte ſich der Kaimakam. Er war von drei türkiſchen Soldaten begleitet, und an ſeiner Seite ritt — der Makredſch. Das war eine große Unklugheit von dem letzteren; ich ſah es dem finſteren Blicke an, mit welchem Ali Bey ihn betrachtete.
Der Bey trat in das Zelt, welches mittlerweile auf - gerichtet worden war, und ließ ſich auf den Teppich nie - der, welcher den Fußboden desſelben bildete. Ich empfing die Kommenden. Die drei Soldaten blieben vor dem Zelte halten; die beiden andern aber traten ein.
„ Sallam! “grüßte der Kaimakam.
Der Makredſch grüßte nicht. Er als der Vorſteher eines großherrlichen Gerichtshofes erwartete, daß der Bey69 der Teufelsanbeter ihn bewillkommnen werde. Dieſer aber nahm weder von ihm Notiz, noch beantwortete er den Gruß des Oberſtlieutenants. Er deutete nur auf den Teppich und meinte:
„ Kaimakam, komar-ſen — du darfſt dich ſetzen! “
Der Angeredete nahm in würdevoller Weiſe Platz, und der Makredſch ließ ſich an ſeiner Seite nieder.
„ Du haſt uns gebeten, zu dir zu kommen, “begann der Offizier. „ Warum biſt du nicht zu uns gekommen? “
„ Du irrſt! “antwortete Ali Bey ſehr ernſt. „ Ich habe dich nicht gebeten, ſondern ich habe dir nur kund gethan, daß ich die Osmanly niederkartätſchen laſſen werde, wenn du nicht kommſt. Iſt das eine Bitte? Du fragſt ferner, warum ich nicht zu dir gekommen bin. Wenn ich von Scheik Adi nach Moſſul komme, werde ich dich aufſuchen und nicht verlangen, daß du dich zu mir be - müheſt; du biſt von Moſſul nach Scheik Adi gekommen und wirſt die Geſetze der Höflichkeit kennen, welche dir gebieten, dich zu mir zu bemühen. Deine Frage ver - anlaßt mich übrigens, dir gleich die Stellung klar zu machen, von welcher aus wir gegenſeitig zu einander ſprechen werden. Du biſt ein Diener, ein Beamter des Großherrn und des Muteſſarif, ein Offizier, der im günſtigen Falle ein Regiment kommandiert; ich aber bin ein freier Fürſt der Kurden und Oberfeldherr aller meiner Krieger. Glaube darum nicht, daß dein Rang höher ſei, als der meinige — “
„ Ich bin nicht ein Diener des — — — “
„ Schweige! Ich bin gewohnt, daß man mich hört und mich ausreden läßt; merke dir das, Kaimakam! Du biſt ohne alles Recht und ohne vorherige Ankündigung in mein Gebiet eingebrochen, wie ein Dieb, wie ein Räuber mit bewaffneter Hand. Einen Räuber fange und töte ich, ganz wie es mir gefällt; da du aber ein Diener des Groß -70 herrn und des Muteſſarif biſt, ſo will ich vorher, ehe ich meine ganze Macht entwickle, in Güte mit dir reden. Daß du noch lebſt, du und die Deinen, das habt ihr nur meiner Milde und Nachſicht zu verdanken. Nun ſage, wer das Recht hat, zu erwarten, daß der andere zu ihm komme, du oder ich! “
Der Kaimakam machte ein ganz erſtauntes Geſicht, denn eine ſolche Ausführung hatte er jedenfalls nicht er - wartet. Er beſann ſich noch, was er ſagen ſolle; doch der Makredſch, über deſſen Stößerphyſiognomie es wie ein flammender Grimm zuckte, ergriff das Wort:
„ Ali Bey, was wageſt du! Du nennſt uns Diebe und Mörder, uns, die wir als Vertreter des Padiſchah und des Generalgouverneur hier ſitzen! Nimm dich in acht, ſonſt wirſt du es bereuen! “
Der Bey wandte ſich in vollkommenſter Ruhe an den Offizier:
„ Oberſtlieutenant, wer iſt dieſer Verrückte? “
Der Gefragte machte eine erſchrockene Gebärde.
„ Wahre deine Zunge, Ali Bey! Dieſer Effendi iſt der Makredſch von Moſſul! “
„ Du ſcherzeſt! Ein Makredſch muß im Beſitze ſeiner Beſinnung ſein. Der Makredſch von Moſſul hat den Muteſſarif zu dem Kriegszuge gegen mich beredet; er würde, wenn er nicht verrückt iſt, es nie wagen, zu mir zu kommen; denn er muß wiſſen, was in dieſem Falle ſeiner wartet! “
„ Ich ſcherze nicht. Er iſt es wirklich. “
„ Ich ſehe, daß du weder träumſt, noch betrunken biſt; darum muß ich dir glauben. Aber bedenke, daß ich nur dich allein zu mir gefordert habe! “
„ Er iſt mit mir gegangen als Vertreter und Abge - ſandter des Muteſſarif. “
71„ Das iſt möglich, denn du ſageſt es; aber kannſt du mir es beweiſen? “
„ Ich ſage und bezeuge es! “
„ Das darf hier nichts gelten. Ich vertraue dir; aber ein jeder andere, der in einer ſolchen oder in einer ähn - lichen Angelegenheit zu mir kommt, muß beweiſen können, daß er das Recht und den Auftrag hat, mit mir zu ver - handeln; ſonſt läuft er Gefahr, daß ich ihn ſo behandle, wie ihr meinen erſten Boten behandelt habt. “
„ Ein Makredſch kann niemals in eine ſolche Gefahr kommen! “
„ Ich werde dir das Gegenteil beweiſen! “
Er klatſchte in die Hände, und ſogleich trat der Dſcheſidi ein, welcher den Kaimakam geholt hatte.
„ Haſt du dem Kaimakam ein ſicheres Geleite ver - ſprochen? “
„ Ja, Herr. “
„ Wem noch? “
„ Keinem. “
„ Den drei Soldaten nicht, welche draußen ſtehen? “
„ Nein, und dem Makredſch auch nicht. “
„ Die drei werden abgeführt; ſie ſind gefangen; und dieſen Mann, welcher ſich für den Makredſch von Moſſul ausgiebt, nimmſt du auch mit. Er iſt ſchuld an allem, auch an der Ermordung meines Parlamentärs. “
„ Ich proteſtiere! “rief der Kaimakam.
„ Ich werde mich zu verteidigen und auch zu rächen wiſſen, “drohte der Makredſch, indem er einen Dolch zog, den er im Gürtel ſtecken hatte.
In demſelben Augenblick aber hatte ſich Ali Bey emporgeſchnellt und ſchlug ihm die Fauſt mit ſolcher Ge - walt in das Geſicht, daß der Getroffene rückwärts nieder - ſtürzte.
72„ Hund, wagſt du es, in meinem Zelte die Waffe gegen mich zu ziehen! Fort, hinaus mit ihm! “
„ Halt! “gebot der Kaimakam. „ Wir ſind gekommen, zu unterhandeln; es darf uns nichts geſchehen! “
„ Auch mein Bote kam zu euch, um zu unterhandeln, und dennoch habt ihr ihn ermordet, habt ihn als einen Verräter hingerichtet. Hinaus mit dieſem Menſchen! “
Der anweſende Dſcheſidi faßte den Makredſch und ſchaffte ihn fort.
„ So werde auch ich gehen! “drohte der Kaimakam.
„ So gehe. Du wirſt die Deinen unverletzt erreichen; aber ehe du zu ihnen kommſt, werden ihrer viele getötet ſein. Emir Kara Ben Nemſi, tritt hinaus auf den Felſen und erhebe die Rechte. Es iſt das Zeichen, daß die Kanonade beginnen ſoll! “
„ Bleibe! “wandte ſich der Kaimakam ſchnell zu mir.
„ Ihr dürft nicht ſchießen. “
„ Warum nicht? “fragte Ali Bey.
„ Das wäre Mord, denn wir können uns nicht wehren. “
„ Das wäre kein Mord, ſondern Strafe und Ver - geltung. Ihr wolltet uns überfallen, ohne daß wir eine Ahnung davon hatten; ihr kamt mit Säbeln, Flinten und Kanonen, um uns niederzuhauen, niederzukartätſchen. Nun aber eure Kanonen ſich in unſeren Händen befinden, nun ihr von uns gebührenderweiſe empfangen worden ſeid, ſagt ihr, derjenige, welcher ſchießt, ſei ein Mörder! Kai - makam, laſſe dir zürnen, aber laſſe dich nicht verlachen! “
„ Du wirſt den Makredſch freigeben! “
„ Er iſt Repreſſalie für den gemordeten Parlamentär! “
„ Du wirſt ihn töten? “
„ Vielleicht. Es kommt ganz darauf an, ob wir beide uns verſtändigen. “
„ Was verlangſt du von mir? “
73„ Ich bin bereit, deine Zugeſtändniſſe zu vernehmen. „
„ Zugeſtändniſſe? Wir ſind gekommen, um Forde - rungen zu machen! “
„ Ich habe dich bereits gebeten, dich nicht auslachen zu laſſen! Sage mir zunächſt, aus welchem Grunde ihr uns überfallen habt! “
„ Es ſind Mörder unter euch. “
„ Ich weiß, welchen Fall du meinſt, aber ich ſage dir, daß du falſch unterrichtet biſt: nicht zwei von den Unſerigen haben einen der Eurigen, ſondern drei der Eurigen haben zwei der Unſerigen ermordet. Ich habe bereits dafür geſorgt, euch dies beweiſen zu können: denn der Kiajah*)Vorſteher. des Ortes, wo die That geſchehen iſt, wird in kurzer Zeit mit den Angehörigen der Ermordeten hier ſein. “
„ Vielleicht iſt dies ein anderer Fall! “
„ Es iſt nur der nämliche, aber der Makredſch hat ihn verdreht. Er wird es nicht wieder thun. Und wenn es ſo wäre, wie du ſagſt, ſo iſt dies ganz und gar kein Grund, mit bewaffneter Macht unſer Gebiet zu überfallen. “
„ Wir haben noch einen zweiten Grund. “
„ Welchen? “
„ Ihr habt den Haradſch nicht bezahlt. “
„ Wir haben ihn bezahlt. Was nennſt du überhaupt Haradſch? Wir ſind freie Kurden; was wir zahlen, das zahlen wir freiwillig. Wir haben die Kopfſteuer bezahlt, welche jeder, der nicht ein Moslem iſt, für ſeine Befreiung vom Militärdienſte zu entrichten hat. Nun wollt ihr auch den Haradſch, und doch iſt dieſer nichts anderes als dieſe bereits entrichtete Kopfſteuer! Und wenn ihr in eurem Rechte wäret, und wenn wir dem Muteſſarif eine Steuer ſchuldig geblieben wären, iſt dies eine genügende Veran -74 laſſung, uns zu überfallen? Muß er da juſt Scheik Adi überfallen, wo jetzt Tauſende von Menſchen ſind, die nicht nach Moſſul gehören, und die ihm auf keinen Fall etwas ſchuldig ſind? Kaimakam, du und ich, wir beide wiſſen ſehr genau, was es eigentlich iſt, was der Gouverneur von uns will: Geld und Beute. Es iſt ihm nicht ge - lungen, uns zu berauben, und ſo wollen wir alſo nicht weiter über ſeine Gründe ſprechen. Du biſt weder ein Juriſt noch ein Steuereinnehmer; du biſt Offizier, und darum habe ich mit dir nur das zu beſprechen, was deine militäriſche Aufgabe betrifft. Du ſollſt reden, und ich werde hören! “
„ Ich habe von dir den Haradſch und die Mörder zu verlangen, ſonſt muß ich auf Befehl des Muteſſarif Scheik Adi und alle Ortſchaften der Dſcheſidi zerſtören und einen jeden töten, der mir Widerſtand leiſtet. “
„ Und alles mit dir nehmen, was die Dſcheſidi be - ſitzen? “
„ Alles! “
„ So lautet der Befehl des Gouverneur? “
„ So lautet er. “
„ Und du wirſt ihn erfüllen? “
„ Mit allen Kräften. “
„ Thue es! “
Er erhob ſich, zum Zeichen, daß die Unterredung be - endet ſei. Der Kaimakam machte eine Bewegung, ihn zurückzuhalten.
„ Was wirſt du beginnen, Bey? “
„ Du wirſt die Dörfer der Dſcheſidi zerſtören und die Einwohner derſelben berauben, und ich, das Oberhaupt der Dſcheſidi, werde meine Unterthanen zu beſchützen wiſſen. Ihr ſeid ohne vorherige Anmeldung bei mir eingebrochen; ihr verteidigt das mit Gründen, welche Lügen ſind; ihr75 wollt ſengen und brennen, rauben und morden: ihr habt ſogar meinen Boten getötet, eine That, welche ganz und gar gegen das Recht der Völker iſt. Daraus folgt, daß ich euch nicht als Krieger betrachten kann, ſondern als Räuber behandeln muß; Räuber aber ſchießt man einfach über den Haufen. Wir ſind fertig! Kehre zu den Deinen zurück. Jetzt ſtehſt du noch unter meinem Schutze; dann aber biſt du vogelfrei! “
Er verließ das Zelt und erhob den Arm. Die Ar - tilleriſten mochten längſt auf dieſes Zeichen gewartet haben — ein Kanonenſchuß krachte, und noch einer.
„ Herr, was thuſt du! “rief der Kaimakam. „ Du brichſt den Waffenſtillſtand, noch während ich bei dir bin! “
„ Haben wir einen Waffenſtillſtand abgeſchloſſen? Habe ich dir nicht geſagt, daß wir fertig ſind? Hörſt du? Das waren Kartätſchen — und das Granaten; dieſelben Geſchoſſe, welche für uns beſtimmt waren; nun aber treffen ſie euch. Allah hat gerichtet; er trifft den Sünder mit demſelben Streiche, mit dem dieſer geſündigt hat. Du hörſt das Schreien deiner Leute. Gehe zu ihnen und befiehl ihnen, unſere Dörfer zu zerſtören! “
Wirklich ſchien der dritte und vierte Schuß außer - ordentlich gewirkt zu haben; das konnte man aus dem wilden Heulen ſchließen, welches aus der Tiefe ſcholl.
„ Halt ein, Ali Bey! Gieb das Zeichen, mit dem Feuer wieder einzuhalten, damit wir weiter verhandeln können! “
„ Du kennſt den Befehl des Muteſſarif, und ich kenne meine Pflicht; wir ſind fertig. “
„ Der Muteſſarif hatte ſeine Befehle nicht mir, ſon - dern dem Miralai gegeben, und nun iſt es meine Pflicht, meine Leute nicht wehrlos niederſchießen zu laſſen. Ich muß ſie zu retten ſuchen. “
76„ Willſt du dieſen Gedanken feſthalten, ſo bin ich bereit, die Verhandlung wieder aufzunehmen. “
„ So komm herein! “
Ali Bey wand ſein Turbantuch los und wehete da - mit nach unten, dann ging er wieder in das Zelt.
„ Was verlangſt du von mir? “fragte der Kaimakam.
Der Bey blickte nachdenklich zur Erde, dann ant - wortete er:
„ Nicht du biſt es, dem ich zürne, und darum möchte ich dich ſchonen; jedes endgültige Uebereinkommen aber, welches wir treffen könnten, würde dein Verderben ſein, weil meine Bedingungen für euch mehr als ungünſtig ſind. Darum werde ich nur mit dem Muteſſarif ſelbſt verhandeln, und du biſt aller Verantwortung ledig. “
„ Ich danke dir, Bey! “
Der Kaimakam ſchien kein ſchlimmer Mann zu ſein; er war froh, daß der Angelegenheit eine ſolche Wendung gegeben wurde, und darum kam ſein Dank ganz ſichtlich aus einem aufrichtigen Herzen.
„ Aber eine Bedingung habe ich natürlich auch an dich, “fuhr Ali fort.
„ Welche? “
„ Du betrachteſt dich und deine Truppen als kriegs - gefangen und bleibſt mit ihnen in Scheik Adi, bis ich mich mit dem Muteſſarif geeinigt habe. “
„ Darauf gehe ich ein, denn ich kann es verantworten. Der Miralai iſt an allem ſchuld; er iſt zu unvorſichtig vorgegangen. “
„ Du giebſt alſo die Waffen ab? “
„ Das iſt ſchimpflich! “
„ Könnt ihr als Kriegsgefangene die Waffen behalten? “
„ Ich erkläre mich nur inſoweit für kriegsgefangen, als ich in Scheik Adi bleibe und keinen Durchbruch ver -77 ſuche, bis ich weiß, wie der Muteſſarif über uns ver - fügen wird. “
„ Der Durchbruch würde dein Verderben ſein; er würde euch aufreiben. “
„ Bey, ich will ehrlich ſein und zugeben, daß unſere Lage eine ſehr ſchlimme iſt; aber weißt du, was tauſend Mann vermögen, wenn ſie zur Verzweiflung getrieben werden? “
„ Ich weiß es, aber es kommt dennoch keiner von euch davon. “
„ Aber es wird auch mancher von euch fallen! Und bedenke, daß dem Muteſſarif noch das Linien - und Dra - gonerregiment zur Verfügung ſteht, deſſen größter Teil in Moſſul zurückgeblieben iſt. Rechne dazu die Hilfe, welche er aus Kjerkjuk und Diarbekir, aus Sulimanijah und andern Garniſonen erhalten kann; rechne dazu die Artillerie, welche ihm noch zur Verfügung ſteht, und du wirſt einſehen, daß du zwar Herr der jetzigen Situation biſt, es aber wohl nicht bleiben wirſt. “
„ Soll ich auf einen Sieg und ſeine Ausnutzung ver - zichten, weil ich ſpäter vielleicht geſchlagen werden kann? Der Muteſſarif mag mit ſeinen Regimentern kommen; ich werde ihm ſagen laſſen, daß es euch das Leben koſtet, wenn er mich nochmals angreift. Und wenn ihm weitere Hilfe zur Verfügung ſteht, ſo iſt dies bei mir ebenſo der Fall. Du weißt, daß es nur meines Aufrufes bedarf, um ſo manchen tapfern Stamm der Kurden zur Erhebung gegen ihn zu bringen. Doch ich liebe den Frieden und nicht den Krieg. Ich habe zwar heute Dſcheſidi aus ganz Kurdiſtan und den angrenzenden Provinzen um mich ver - ſammelt und könnte die Fackel des Aufſtandes unter ſie ſchleudern; aber ich thue es nicht, ſobald der Muteſſarif mir erlaubt, die Rechte der Meinigen zu wahren. Ich78 will dir und deinen Truppen jetzt noch die Waffen laſſen; aber ich habe einem Verbündeten Gewehre verſprochen, und die wird der Gouverneur auf alle Fälle liefern müſſen. “
„ Wer iſt dieſer Verbündete? “
„ Kein Dſcheſidi verrät ſeinen Freund. Alſo du be - hältſt deine Waffen, aber alle Munition lieferſt du mir ab, und dafür verſpreche ich dir, für den Proviant zu ſorgen, deſſen du bedarfſt. “
„ Gebe ich dir die Munition, ſo iſt es genau ſo, als ob du auch die Waffen hätteſt! “
Ali Bey lächelte.
„ Wohl, ſo ſollſt du auch die Munition behalten; doch ſage ich dir: wenn deine Leute Hunger bekommen und du mich um Proviant bitteſt, ſo werde ich dir den - ſelben nur gegen Flinten, Piſtolen, Degen und Meſſer verkaufen. Alſo auf dieſe Weiſe ſeid ihr nicht kriegsgefan - gen, ſondern wir ſchließen nur einen Waffenſtillſtand ab. “
„ So iſt es, und darauf kann ich eingehen. “
„ Du ſiehſt, daß ich ſehr nachſichtig bin. Nun aber höre meine Bedingungen: Ihr bleibt im Thale Scheik Adi; ihr bleibt ohne alle Verbindung mit außen; ihr enthaltet euch aller Feindſeligkeit gegen die Meinigen; ihr ehrt unſere Heiligtümer und unſere Wohnungen; erſtere dürft ihr gar nicht betreten und die letzteren nur mit meiner Erlaubnis; der Waffenſtillſtand dauert ſo lange, bis euch ein Befehl des Muteſſarif zugeht, und zwar wird dieſer Befehl euch in meiner Gegenwart gegeben; jeder Fluchtverſuch, auch eines einzelnen, und jede Zuwider - handlung gegen unſere Vereinbarung hebt den Waffen - ſtillſtand ſofort auf; ihr behaltet eure gegenwärtige Stel - lung und ich die meinige. Dagegen mache ich mich ver - bindlich, daß ich bis zu der angegebenen Zeit mich aller Feindſeligkeiten enthalten werde. Biſt du einverſtanden? “
79Nach einem kurzen Bedenken und einigen unweſent - lichen Hinzufügungen und Ausführungen nahm der Kaima - kam die Bedingungen an. Er verwandte ſich ſehr für den Makredſch und verlangte die Auslieferung desſelben, doch ging Ali nicht darauf ein. Es wurde Papier herbei - geſchafft; ich entwarf den Vertrag, und beide unterzeich - neten: der eine durch die Unterſchrift ſeines Namens und der andere mit ſeinem Bu-kendim*)Wörtlich: „ Dieſes ich ſelbſt “oder „ Dieſes bin ich ſelbſt “— ein ſtatt der Namensunterſchrift geltendes Zeichen.. Dann kehrte der Offi - zier in das Thal zurück, wobei es ihm erlaubt wurde, ſeine drei Soldaten wieder mitzunehmen.
Nun wartete Pali auf die Befehle ſeines Vorgeſetzten.
„ Willſt du mir einen Brief an den Muteſſarif ſchrei - ben? “fragte mich dieſer.
„ Gern! Was willſt du ihm mitteilen? “
„ Die jetzige Lage ſeiner Truppen. Dann ſollſt du ihm ſagen, daß ich mit ihm zu verhandeln wünſche, daß ich ihn entweder hier erwarte oder in Dſcherraijah mit ihm zuſammentreffen will. Er darf aber eine Begleitung von höchſtens fünfzig Mann mitbringen und hat ſich aller Feindſeligkeiten zu enthalten. Die Zuſammenkunft findet übermorgen bis zum Mittag ſtatt. Verſäumt er, zu kom - men, ſo töte ich den Makredſch und laſſe ſeine Truppen ihre eigenen Kartätſchen fühlen. Dies geſchieht auch dann, ſobald ich bemerke, daß er geſonnen iſt, die Feindſelig - keiten fortzuſetzen. Kannſt du dies ſchreiben? “
„ Ja. “
„ Ich werde Pali noch ganz beſondere Aufträge er - teilen. Schreibe ſo ſchnell wie möglich, damit er bald auf - brechen kann! “
Einige Minuten ſpäter ſaß ich im Zelte und ſchrieb mit meinem Bleiſtifte, nach orientaliſcher Manier das80 Papier auf dem Knie, von der Rechten zur Linken hin - über den Brief an den Gouverneur, der ſicher beim Leſen desſelben keine Ahnung hatte, daß er von ſeinem Schütz - linge verfaßt worden war. Und kaum eine halbe Stunde ſpäter jagte das Pferd, welches Pali trug, im Galopp auf dem Wege nach Baadri hin. —
Das Feſt der Dſcheſidi hatte eine außerordentliche Stö - rung erfahren, aber das Bedauern darüber war nicht ſo groß, wie die Freude, daß es gelungen war, das große Unglück abzuwenden, welches der Verſammlung in Scheik Adi gedroht hatte.
„ Was wird nun aus dem Feſte? “fragte ich Ali Bey.
„ Die Osmanly können noch mehrere Tage lang da unten verweilen müſſen, und eine ſo lange Zeit dürften die Dſcheſidi doch nicht warten wollen. “
„ Ich werde ihnen ein Feſt geben, welches größer iſt, als ſie erwartet haben, “antwortete er. „ Weißt du den Weg nach dem Thale Idiz noch genau? “
„ Ja. “
„ Du haſt Zeit. Reite hin und hole Mir Scheik Khan mit den Scheiks und Kawals herbei. Wir wollen ſehen, ob ſich die Ueberreſte des Pir Kamek finden laſſen, und ſie im Thale Idiz begraben. “
Das war allerdings ein Gedanke, welcher bei den Dſcheſidi zünden mußte, und mir war es außerordentlich lieb, bei dem Begräbniſſe eines Dſcheſidi gegenwärtig ſein zu können. Ich nahm nur Halef mit, den Buluk Emini aber ließ ich zurück.
Zwar hatte ich geſagt, daß der Weg nach dem Thale Idiz mir bekannt ſei, aber ich war ja nicht von Scheik Adi, ſondern von Baadri aus dorthin gekommen. Jeden - falls glaubte der Bey, daß ich mit dem Sohne Seleks über Scheik Adi geritten ſei, und ich klärte ihn nicht auf,81 weil es mir Vergnügen machte, zu ſehen, ob ich das Thal finden werde, ohne den Weg zu kennen. In der Rich - tung konnte ich mich nicht irren, und die Spuren der Dſcheſidi vom Tage vorher mußten mich ja ganz genau führen. Ich ritt alſo an der Kante des Thales hin, bis ich oberhalb des Heiligtumes anlangte. Bis hierher kam ich an zahlreichen Dſcheſidi vorüber, welche den Abhang eng beſetzt hielten; dann aber wandte ich mich links in den Wald hinein. Einem geübten Auge war es ſelbſt vom Pferde herab nicht ſchwer, die Spur zu erkennen. Wir folgten ihr und langten bald an der Stelle an, an welcher ich mit meinem Dolmetſcher hinabgeſtiegen war. Hier ſtand eine Wache, welche den Auftrag hatte, jeden Unberufenen abzuweiſen. Wir ſtiegen von den Pferden und ließen dieſelben oben.
Als wir die Steilung hinunterkletterten, bot ſich uns ein ſeltſamer, lebensvoller Anblick dar. Tauſende von Frauen und Kindern hatten ſich in den maleriſchſten Stellungen dort unten gelagert. Pferde graſten; Rinder weideten; Schafe und Ziegen kletterten an den Felſen her - um; aber kein Laut war zu hören, denn ein jeder redete leiſe, damit das Verſteck ja nicht durch einen unvorſich - tigen Laut verraten werde. Am Waſſer ſaß Mir Scheik Khan mit ſeinen Prieſtern. Sie empfingen mich mit großer Freude; denn ſie hatten bisher nur erfahren, daß der Angriff des Feindes allerdings mißlungen ſei, aber einen ausführlichen Bericht hatten ſie noch nicht erhalten.
„ Iſt das Heiligtum erhalten? “
Das war die erſte Frage, welche der Khan an mich richtete.
„ Das Heiligtum iſt unverſehrt, und ebenſo alle an - deren Gebäude. “
„ Wir hörten das Schießen. Iſt viel Blut gefloſſen? “
II. 682„ Nur das der Osmanly. “
„ Und die Unſrigen? “
„ Ich habe nicht gehört, daß einer während des Kampfes verletzt worden ſei. Zwei allerdings ſind tot, doch ſtarben ſie nicht im Streite. “
„ Wer iſt es? “
„ Der Sarradſch*)Sattelmacher. Heſi aus Baazoni und — — “
„ Heſi aus Baazoni? Ein frommer, fleißiger und tapferer Mann. Nicht im Kampfe? Wie ſtarb er denn? “
„ Der Bey ſandte ihn als Parlamentär zu den Os - manly, und ſie erſchoſſen ihn. Ich mußte zuſehen, ohne ihn retten zu können. “
Die Prieſter neigten die Häupter, falteten die Hände und ſchwiegen. Nur Mir Scheik Khan ſagte mit ernſter, tiefer Stimme:
„ Er iſt verwandelt. El Schems wird ihm hier nicht mehr leuchten, aber er wandelt unter den Strahlen einer höheren Sonne in einem Lande, wo wir ihn wiederſehen werden. Dort giebt es weder Tod noch Grab, weder Schmerz noch Kummer; dort iſt ewig Licht und Wonne; denn er iſt bei Gott! “
Dieſe Art und Weiſe, die Nachricht von dem Tode eines Freundes hinzunehmen, war ergreifend. Nicht ein böſes Wort traf die Mörder. Dieſe Prieſter trauerten, aber ſie gönnten dem Toten ſeine Verwandlung. Einer ſolchen Ergebenheit iſt der Islam niemals fähig; ſie konnte nur eine Folge der chriſtlichen Ideen und Anſchau - ungen ſein, welche die Dſcheſidi aufgenommen und feſt - gehalten haben.
„ Und wer iſt der andere? “fragte nun der Khan.
„ Du wirſt erſchrecken! “
83„ Ein Mann erſchrickt nie vor dem Tode, denn der Tod iſt der Freund des Menſchen, das Ende der Sünde und der Anfang der Seligkeit. Wer iſt es? “
„ Pir Kamek. “
Sie zuckten dennoch alle wie unter einem plötzlichen Schmerze, aber keiner ſagte ein Wort. Auch jetzt ſprach Mir Scheik Khan zuerſt wieder.
„ Ewlija dejiſchtirmis — der Heilige iſt verwandelt. Chüda bujurdi — Gott hat es gewollt! Erzähle uns ſeinen Tod! “
Ich berichtete ſo ausführlich, als ich nur konnte. Sie hörten alle tief ergriffen zu, und dann bat der Khan:
„ Brüder, laßt uns ſeiner gedenken! “
Sie ſenkten die Köpfe tief herab. Beteten ſie? Ich weiß es nicht; aber ich ſah, daß die Augen mehrerer ſich befeuchteten und daß ihre Rührung wohl eine wahre und herzliche war. Man hat behauptet, daß nur der Deutſche das beſitze, was man „ Gemüt “nennt. Wenn dies wahr ſein ſollte, ſo waren dieſe Dſcheſidi den Deutſchen ſehr ähnlich. Wie wollte ich es ihnen gönnen, wenn die gött - liche Milde und Klarheit des Chriſtentums die Schatten ihrer Thäler erleuchten und die Spitzen ihrer Berge ver - golden dürfte!
Erſt nach einer längeren Weile wich ihre Andacht der gewöhnlichen Stimmung, ſo daß ich wieder zu ihnen reden konnte.
„ Nun ſendet mich Ali Bey, um euch zu ihm zu holen. Er will es verſuchen, ob die Ueberreſte des Heiligen noch zu finden ſeien, damit ſie in dieſem Falle heute noch be - graben werden. “
„ Ja, das iſt eine wichtige Aufgabe, welche wir zu löſen haben. Die Gebeine des Pir dürfen nicht da ruhen, wo diejenigen des Miralai liegen! “
84„ Ich befürchte ſehr, daß wir nicht Gebeine, ſondern nur Aſche finden werden! “
„ So laßt uns eilen! “
Wir brachen auf, das heißt, ſämtliche Prieſter und Kawals; die Fakirs aber blieben zur Beaufſichtigung von Idiz zurück. Als wir oberhalb Scheik Adi bei dem Zelte des Bey anlangten, ſprach dieſer mit einem Mann, den er an den Kaimakam mit der Frage geſendet hatte, ob die Türken den Prieſtern der Dſcheſidi erlauben würden, den Scheiterhaufen zu unterſuchen. Der Offizier hatte be - jahend geantwortet und nur die Bedingung ausgeſprochen, daß die betreffenden Perſonen keine Waffen bei ſich führen ſollten.
Ali Bey konnte die Scheiks nicht begleiten, da er ſtets anderweit zur Dispoſition ſein mußte. Ich bat, mich anſchließen zu dürfen, und das wurde mir gern geſtattet. Faſt hätte man die Hauptſache vergeſſen: ein Gefäß, wel - ches die Aſche des Heiligen aufnehmen ſollte. Auf eine darauf bezügliche Frage zeigte der Bey, daß er auch be - reits an dieſen Umſtand gedacht habe.
„ Mir Scheik Khan, du weißt, daß der berühmte Töpfer Raſſat in Baazoni meinem Vater Huſſein Bey eine Urne machte, welche einſt ſeinen Staub aufnehmen ſoll, wenn es Zeit iſt, ihn aus dem Grabe zu entfernen, damit er nicht mit dem Mehle des Sarges vermengt und verunreinigt werde. Dieſe Urne iſt ein Meiſterſtück des berühmten Töpfers und wohl wert, die Ueberreſte des Heiligen aufzunehmen. Sie ſteht in meinem Hauſe zu Baadri, und ich habe bereits Boten ausgeſandt, ſie herbei - zuholen. Sie wird ankommen, noch ehe ihr am Scheiter - haufen eure Arbeit beendet habt. “
Dies war genügend, und ſo ſetzte ſich die Prozeſſion nach niederwärts in Bewegung. Wir kamen bei der Batterie85 vorüber und langten an dem Orte an, wo der „ Heilige “ſich und ſeinen Feind der Rache geopfert hatte. Wir ſahen einen Aſchenhügel, aus dem die halb verbrannten Stum - mel ſtarker Hölzer hervorragten. Vor demſelben lag die Leiche des erſchoſſenen Parlamentärs. Die Hitze des Feuers hatte wohl ſeine Kleider, nicht aber ſeinen Körper zerſtört. Er wurde entfernt, eine Arbeit, bei welcher unſere Ge - ruchsnerven nicht wenig zu leiden hatten.
Die Aſche war erkaltet. Die nahe liegenden Häuſer lieferten die nötigen Werkzeuge, und nun begann man eine vorſichtige, nur Zoll für Zoll fortſchreitende Wegräumung der Aſchendecke. Dieſe Abräumung mußte ſo ſorglich vor - genommen werden, daß ſie eine ſehr lange Zeit in An - ſpruch nahm, während welcher ein Dſcheſidi mit einem Maultiere anlangte, auf deſſen Rücken die Urne befeſtigt war. Ihre Form glich über dem Fuße derjenigen eines umgeſtürzten Glasſchirmes, wie wir ſie auf unſeren Lam - pen zu ſehen pflegen, und darauf ruhte ein Deckel, wel - chen eine Sonne krönte. Auf dieſem Gefäße waren eine Abbildung und einige Worte im Kurmangdſchi eingebrannt.
Es ſchien mir ganz unmöglich, die Ueberreſte des „ Heiligen “von denen des Scheiterhaufens zu unterſcheiden; allein ich ſollte mich bei dieſer Annahme geirrt haben. Als die Aſche beinahe bis zum Boden herab fortgeräumt worden war, wurden zwei formloſe Klumpen bloßgelegt, denen die Prieſter ihre ganze Aufmerkſamkeit zuwandten. Sie ſchienen nicht ins Reine kommen zu können, und Mir Scheik Khan winkte mich hinzu.
Es war keine leichte Aufgabe, dieſe Gegenſtände genau zu unterſuchen; man mußte ſich Mund und Naſe dabei verſchließen. Wir hatten wirklich die Körper der beiden Toten vor uns. Sie waren halb verbraten und halb ver - kohlt, auf ein Dritteil ihrer früheren Größe zuſammen -86 geſchrumpft und von einer ziemlich ſtarken Kruſte umgeben, welche, wie ſich bei der näheren Unterſuchung ergab, aus den unverbrennlichen Beſtandteilen des Erdpeches und der daran angeklebten Aſche beſtand.
„ Es ſind die Toten, “meinte ich. „ Ihr habt es dieſem Erdpeche zu verdanken, daß ihr euren ‚ Heiligen‘ begraben könnt. “
„ Aber welcher iſt es? “
„ Sucht ihn heraus! “
Ich wollte ſehen, wie weit der Scharfſinn dieſer Männer gehe. Sie gaben ſich die größte Mühe, ver - mochten es aber nicht, die ſcheinbar ſchwierige und doch ſo leichte Frage zu entſcheiden.
„ Es iſt unmöglich, den Pir zu erkennen, “meinte endlich der Khan in ziemlicher Ratloſigkeit. „ Wir müſſen entweder darauf verzichten, ſeiner Aſche die gebührende Ehre zu erweiſen, oder wir ſind gezwungen, beide Körper in die Urne zu legen, Freund und Feind, den Frommen und den Gottloſen. Oder weißt du einen beſſern Rat, Emir Kara Ben Nemſi? “
„ Ich weiß einen. “
„ Wie lautet er? “
„ Nur allein die Gebeine des Pir in die Urne zu thun. “
„ Aber du haſt ja gehört, daß wir dieſelben nicht von denen des Miralai unterſcheiden können! “
„ Das iſt ja nicht ſchwer! Dieſer hier iſt der ‚ Heilige‘, und dieſer hier iſt der Türke. “
„ Woraus erkennſt du das? Kannſt du es beweiſen? “
„ So ſicher, wie ihr es nur wünſchen möget. Der Pir hatte keine Waffen bei ſich; der Miralai aber trug ſeinen Säbel, einen Dolch und zwei Piſtolen. Seht ihr die krumm gezogenen Piſtolenläufe und die Meſſerklinge87 an dieſem Körper kleben? Die Schäfte und der Griff ſind verbrannt. Und hier grad unter ihm ſieht die Säbelſpitze aus der Aſche heraus. Dieſer iſt alſo unbedingt der Miralai geweſen. “
Jetzt nun wunderten ſich die Dſcheſidi, daß ſie nicht ſelbſt auch auf dieſen ſo einfachen Gedanken gekommen waren. Sie alle ohne Ausnahme ſtimmten meiner Anſicht bei und machten ſich daran, die Reſte des Pir in die Urne zu bringen.
Während des ganzen Vorganges hatte der Kaimakam mit mehreren ſeiner Offiziere in der Nähe gehalten. Ihm wurde die Leiche ſeines früheren Vorgeſetzten überlaſſen, und dann kehrten wir wieder zur Höhe zurück. Dort bat Ali Bey den Khan um ſeine Befehle in Beziehung auf die Beſtattungsfeierlichkeit.
„ Wir müſſen ſie auf morgen verſchieben, “antwortete dieſer.
„ Warum? “
„ Pir Kamek war der Frömmſte und der Weiſeſte unter den Dſcheſidi; er ſoll würdig beſtattet werden, und dazu iſt es heute zu ſpät. Ich werde anordnen, daß man ihm im Thale Idiz ein Grabmal errichte, und dieſes kann erſt morgen fertig ſein. “
„ So wirſt du Maurer und Zimmerleute brauchen? “
„ Nein. Wir werden einen einfachen Bau aus Fels - blöcken errichten, der keines Kittes bedarf, und jeder Mann, jedes Weib und auch ein jedes Kind ſoll einen Stein dazu herbeibringen, je nach ſeinen Kräften, damit keiner der verſammelten Pilger ausgeſchloſſen werde, dem Verwan - delten das ihm gebührende Denkmal zu ſtiften. “
„ Aber ich brauche die Krieger zur Bewachung der Türken! “wendete Ali Bey ein.
„ Sie werden ſich ablöſen; dann ſtehen dir immer88 genug von ihnen zu Gebote. Laß uns beraten, welche Geſtalt wir dem Baue geben! “
Da ich hierbei unbeteiligt war, ſuchte ich meinen Dol - metſcher auf, um mir das Manuſkript des Verſtorbenen geben zu laſſen. Er hatte es in das Innere eines hohlen Thinarbaumes verſteckt, und wir ließen uns in der Nähe desſelben nieder, wo ich meinen Sprachübungen ungeſtört obliegen konnte.
Darüber verging der Tag, und der Abend kam heran. Auf den Höhen, welche das Thal von Scheik Adi um - gaben, leuchtete ein Wachtfeuer neben dem andern auf. Es war den Türken unmöglich, zu entkommen, ſelbſt wenn der Kaimakam gegen ſein Verſprechen die Nacht zu einem Durchbruche hätte benutzen wollen. Die Zeit der Dunkel - heit verging ohne alle Störung, und am Morgen kehrte Pali zurück. Die Schnelligkeit und Ausdauer ſeines guten Pferdes hatte die Entfernung zwiſchen Scheik Adi und Moſſul bedeutend abgekürzt. Ich hatte in dem Zelte des Bey geſchlafen und befand mich noch dort, als der Bote eintrat.
„ Haſt du den Muteſſarif getroffen? “fragte ihn Ali.
„ Ja, Herr; noch ſpät am Abend. “
„ Was ſagte er? “
„ Erſt wütete er und wollte mich tot peitſchen laſſen. Dann ließ er viele Offiziere und ſeinen Diwan effendiſi*)Verſammlung der Räte. kommen, mit denen er ſich lange Zeit beraten hat. Dann durfte ich zurückkehren. “
„ Bei dieſer Beratung wareſt du nicht zugegen? “
„ Nein. “
„ Welche Antwort haſt du erhalten? “
„ Einen Brief an dich. “
„ Zeige ihn! “
89Pali zog ein Schreiben hervor, welches mit dem großen Möhür muteſſarifün*)Siegel der Statthalterſchaft. verſchloſſen war. Ali Bey öffnete und betrachtete die Zeilen. In dem großen Schreiben lag ein kleiner, offener Brief. Er reichte mir beide Schriftſtücke.
„ Lies du, Emir! Ich bin begierig, zu erfahren, was der Muteſſarif beſchloſſen hat. “
Die Zuſchrift war von dem Schreiber des Statt - halters verfaßt und von dem letzteren unterzeichnet wor - den. Er verſprach, am andern Morgen mit zehn Mann Begleitung, in Dſcherraijah zu ſein, und ſtellte die Be - dingung, daß Ali Bey auch nur von einer ſo geringen Anzahl begleitet werde. Er erwartete, daß der Ausgleich ein friedlicher ſein werde, und bat, dem Kaimakam den inneliegenden ſchriftlichen Befehl zu übergeben. Dieſer enthielt die allerdings ſehr friedliche Weiſung, bis auf weiteres jede Feindſeligkeit einzuſtellen, den Ort Scheik Adi zu ſchonen und die Dſcheſidi als Freunde zu behan - deln. Angeſchloſſen war dann die Bemerkung, dieſen Befehl recht genau zu leſen.
Ali Bey nickte befriedigt mit dem Kopfe.
Nach einer kleinen Pauſe machte der Dſcheſidi-Häupt - ling ſeinem vollen Herzen mit den Worten Luft:
„ Wir haben gewonnen und dem Muteſſarif eine nach - haltige Lehre erteilt; merkſt du dies, Emir? Der Kai - makam ſoll dieſen Brief erhalten, und morgen werde ich in Dſcherraijah ſein. “
„ Wozu dem Kaimakam dieſe Zuſchrift geben? “
„ Sie gehört ihm. “
„ Iſt aber überflüſſig, da er ſich ja bereits verbind - lich gemacht hat, das zu thun, was ihm hier geboten wird. “
90„ Er wird es um ſo ſicherer und treuer thun, wenn er ſieht, daß es auch der Wille des Muteſſarif iſt. “
„ Ich muß dir geſtehen, daß dieſer ſchriftliche Befehl meinen Verdacht erweckt. “
„ Warum? “
„ Weil er überflüſſig iſt. Und wie eigentümlich klingen die letzten Worte, daß der Kaimakam den Befehl ja ganz genau leſen möge! “
„ Dies ſoll uns von dem guten Willen des Muteſſarif überzeugen und den Kaimakam zum pünktlichſten Gehorſam ermuntern. “
„ Dieſe Pünktlichkeit iſt ſelbſtverſtändlich, und darum ſcheint mir der Befehl mehr als überflüſſig. “
„ Dieſer Brief gehört nicht mir; der Gouverneur hat ihn meiner Ehrlichkeit anvertraut, und der Kaimakam ſoll ihn erhalten. “
Es war, als wolle der Zufall dieſem Vorſatze des Bey ſeine ganz beſondere Genehmigung erteilen, denn gerade jetzt meldete ein eintretender Dſcheſidi:
„ Herr, es kommt ein Reiter aus dem Thal herauf. “
Wir gingen hinaus und erkannten nach einiger Zeit in dem Nahenden den Kaimakam, der allerdings ohne alle Be - gleitung heraufgeritten kam. Wir erwarteten ihn im Freien.
„ Seni ſelamlar-im — ich begrüße dich! “ſagte er beim Abſteigen erſt zum Bey und dann auch zu mir.
„ Choſch geldin-ſen, effendi — ſei willkommen, Herr! “antwortete Ali. „ Welcher Wunſch führt dich zu mir? “
„ Der Wunſch meiner Krieger, welche kein Brot zu eſſen haben. “
Das war ohne alle Einleitung geſprochen. Ali lächelte leiſe.
„ Ich mußte das erwarten. Aber haſt du dir gemerkt, daß ich Brot nur gegen Waffen verkaufe? “
91„ So ſagteſt du; aber du wirſt dennoch Geld nehmen! “
„ Was der Bey der Dſcheſidi ſagt, das weiß er auch zu halten. Du brauchſt Speiſe, und ich brauche Waffen und Munition. Wir tauſchen, und ſo iſt uns beiden dann geholfen. “
„ Du vergiſſeſt, daß ich die Waffen und die Munition ſelbſt brauche! “
„ Und du vergiſſeſt, daß ich des Brotes ſelbſt bedarf! Es ſind viele tauſend Dſcheſidi bei mir verſammelt; ſie alle wollen eſſen und trinken. Und wozu brauchſt du die Waffen? Sind wir nicht Freunde? “
„ Doch nur bis zum Schluſſe des Waffenſtillſtandes! “
„ Wohl auch noch länger. Emir, ich bitte dich, ihm den Brief des Gouverneur einmal vorzuleſen! “
„ Iſt ein Brief von ihm angekommen? “fragte der Oberſtlieutenant ſchnell.
„ Ja. Ich ſandte einen Boten, welcher jetzt zurück - gekommen iſt. Lies, Emir! “
Ich las das Schreiben, welches ich noch bei mir hatte, vor. Ich glaubte, in der Miene des Kaimakam eine Enttäuſchung zu bemerken.
„ So wird alſo Friede zwiſchen uns werden! “meinte er.
„ Ja, “antwortete der Bey. „ Und bis dahin wirſt du dich freundlich zu uns verhalten, wie dir der Mu - teſſarif noch beſonders gebietet. “
„ Beſonders? “
„ Er hat einen Brief beigelegt, den ich dir geben ſoll. “
„ Einen Brief? Mir? “rief der Offizier. „ Wo iſt er? “
„ Der Emir hat ihn. Laß ihn dir geben! “
Schon ſtand ich im Begriff, ihm das Schreiben hin - zureichen; aber die Haſt, mit welcher er danach langte, machte mich denn doch ſtutzig.
92„ Erlaube, daß ich ihn dir vorleſe! “
Ich las, aber nur bis zu der letzten Bemerkung, welche meinen Verdacht ſo ſehr erregt hatte. Doch da fragte er:
„ Iſt dies alles? Steht weiter nichts da? “
„ Noch zwei Zeilen. Höre ſie! “
Ich las nun bis zu Ende und hielt dabei den Blick halb auf ihn gerichtet. Nur einen kurzen Moment lang öffneten ſich ſeine Augen weiter als gewöhnlich, aber ich wußte nun ſicher, daß dieſer Satz irgend eine uns unbe - kannte Bedeutung habe.
„ Dieſer Brief gehört mir. Zeige ihn her! “
Bei dieſen Worten griff er ſo ſchnell zu, daß ich kaum Zeit behielt, meine Hand mit dem Papiere zurück - zuziehen.
„ Warum ſo eilig, Kaimakam? “fragte ich, ihn voll anſehend. „ Haben dieſe Zeilen etwas ſo ſehr Wichtiges zu bedeuten, daß du deine ganze[Selbſtbeherrſchung] ver - lierſt? “
„ Nichts, gar nichts haben ſie zu bedeuten; aber dieſes Schreiben iſt doch mein! “
„ Der Muteſſarif hat es dem Bey geſandt, und auf dieſen allein kommt es an, ob er es dir geben oder dich nur mit dem Inhalte bekannt machen will. “
„ Er hat es dir ja bereits geſagt, daß ich den Brief erhalten ſoll! “
„ Da dieſes Papier dir ſo wichtig zu ſein ſcheint, trotzdem du ſeinen Inhalt bereits kennſt, ſo wird er mir erlauben, es zuvor einmal genau zu betrachten. “
Mein Verdacht hatte ſich noch mehr befeſtigt. An - ſtatt gehoben zu werden, war er bereits zu einer be - ſtimmten Vermutung geworden. Ich hielt das Papier mit ſeiner Fläche ſenkrecht zwiſchen das Auge und die93 Sonne; ich konnte nichts Auffälliges bemerken. Ich be - fühlte und beroch es, aber ohne Erfolg. Nun hielt ich es wagrecht ſo, daß ich die darauf fallenden Sonnen - ſtrahlen mit dem Auge auffing, und da endlich zeigten ſich mir mehrere, allerdings nur einem ſehr ſcharfen Blicke bemerkbare Stellen, welche zwar mit der Farbe des Papiers beinahe verſchwammen, aber dennoch die Geſtalt von Schriftzeichen zu haben ſchienen.
„ Du wirſt das Papier nicht bekommen! “ſagte ich zum Kaimakam.
„ Warum nicht? “
„ Weil es eine geheime Schrift enthält, welche ich unterſuchen werde. “
Er verfärbte ſich.
„ Du irrſt, Effendi! “
„ Ich ſehe es genau! “ Und um ihn zu verſuchen, fügte ich hinzu: „ Dieſe geheime Schrift wird zu leſen ſein, wenn ich das Papier in das Waſſer halte. “
„ Thue es! “antwortete er mit einer ſichtbaren Genug - thuung.
„ Du haſt dich durch die Ruhe deiner Worte verraten, Kaimakam. Ich werde das Papier nun nicht in das Waſſer, ſondern über das Feuer halten. “
Ich hatte es getroffen; das erkannte ich an dem nicht ganz unterdrückten Erſchrecken, welches ſein zu offenes Geſicht überflog.
„ Du wirſt den Brief ja dabei verbrennen und zer - ſtören! “mahnte er.
„ Trage keine Sorge! Ein Effendi aus dem Abend - lande weiß mit ſolchen Dingen recht wohl umzugehen. “
Der Bey war ganz erſtaunt.
„ Glaubſt du wirklich, daß dieſer Brief eine verbor - gene Schrift enthält? “
94„ Laß ein Feuer anmachen, ſo werde ich es dir be - weiſen! “
Noch war Pali zugegen. Auf einen Wink Alis ſuchte er dürre Aeſte zuſammen und ſteckte ſie in Brand. Ich kauerte mich nieder und hielt das Papier vorſichtig über die Flammen. Da that der Kaimakam einen ſchnellen Sprung auf mich zu und ſuchte es mir zu entreißen. Ich hatte das erwartet, wich ebenſo ſchnell zur Seite, und er fiel ſtrauchelnd zu Boden. Sofort kniete Ali Bey auf ihm.
„ Halt, Kaimakam! “rief er; „ du biſt falſch und treu - los; du biſt jetzt zu mir gekommen, ohne dich vorher meines Schutzes zu verſichern, und ich mache dich zu mei - nem Gefangenen! “
Der Offizier wehrte ſich, ſo gut er es vermochte, aber wir waren ja drei gegen einen, und zudem kamen auch andere Dſcheſidi, welche in der Nähe gehalten hatten, herbei. Er wurde entwaffnet, gebunden und in das Zelt geſchafft.
Nun konnte ich mein Experiment vollenden. Die Flamme erhitzte das Papier beinahe bis zum Verſengen, und nun kamen ſehr deutliche Worte zum Vorſcheine, welche an dem Rande der Zeilen ſtanden.
„ Ali Bey, ſiehſt du, daß ich recht hatte? “
„ Emir, du biſt ein Zauberer! “
„ Nein; aber ich weiß, wie man ſolche Schriften ſichtbar machen kann. “
„ O, Effendi, die Weisheit der Nemtſche iſt ſehr groß! “
„ Hat der Muteſſarif dieſes Zauberſtück nicht ebenſo verſtanden? Es giebt Stoffe, aus denen man eine Tinte machen kann, welche nach dem Schreiben verſchwindet und mit einem andern Mittel gezwungen wird, wieder ſichtbar zu werden. Die Wiſſenſchaft, welche dieſe Mittel kennt, heißt Chemie oder Scheidekunſt. Sie wird bei uns mehr95 gepflegt als bei euch, und darum haben wir auch beſſere Mittel als ihr. Wir kennen viele Arten von geheimen Schriften, welche ſehr ſchwer zu entdecken ſind; die euren aber ſind ſo einfach, daß keine große Klugheit dazu gehört, eure unſichtbaren Worte ſichtbar zu machen. Rate einmal, womit dieſe Worte geſchrieben worden ſind. “
„ Sage es! “
„ Mit Harn. “
„ Unmöglich! “
„ Wenn du mit dem Harne eines Tieres oder eines Menſchen ſchreibſt, ſo verſchwindet die Schrift, ſobald ſie eingetrocknet iſt. Hältſt du das Papier dann über das Feuer, ſo werden die Züge ſchwarz, und du kannſt ſie leſen. “
„ Wie lauten dieſe Worte? “
Ich komme übermorgen, um zu ſiegen. “
„ Iſt dies wahr? Irreſt du dich nicht? “
„ Hier ſteht es deutlich! “
„ Wohlan, ſo gieb mir dieſen Brief! “
Er ging in großer Erregung einige Male auf und ab; dann blieb er wieder vor mir ſtehen.
„ Iſt dies Verrat oder nicht, Emir? “
„ Es iſt Heimtücke. “
„ Soll ich dieſen Muteſſarif vernichten? Es liegt in meiner Hand! “
„ Du wirſt es dann mit dem Padiſchah zu thun be - kommen! “
„ Effendi, die Ruſſen haben ein Wort, welches lautet: ‚ der Himmel iſt hoch, und der Zar iſt weit. ‘ So iſt es auch mit dem Padiſchah. Ich werde ſiegen! “
„ Aber du wirſt viel Blut vergießen. Sagteſt du mir nicht kürzlich, daß du den Frieden liebſt? “
„ Ich liebe ihn, aber man ſoll ihn mir auch laſſen!
96Dieſe Türken kamen, um uns die Freiheit, das Eigentum und das Leben zu rauben; ich habe ſie dennoch geſchont. Jetzt ſpinnt man neuen Verrat. Soll ich mich nicht wehren? “
„ Du ſollſt dich wehren, aber nicht mit dem Säbel! “
„ Womit ſonſt? “
„ Mit dieſem Briefe. Tritt mit demſelben vor den Muteſſarif, und er wird beſiegt und geſchlagen ſein. “
„ Er wird mir einen Hinterhalt legen und mich ge - fangen nehmen, wenn ich morgen nach Dſcherraijah gehe! “
„ Wer hindert dich, dasſelbe auch mit ihm zu thun? Er iſt dir ſicherer als du ihm, denn er hat keine Ahnung, daß du ſeine Abſichten kennſt. “
Ali Bey ſah eine ganze Weile nachdenklich vor ſich nieder; dann antwortete er:
„ Ich werde mich mit Mir Scheik Khan beſprechen. Willſt du mit mir nach dem Thale Idiz reiten? “
„ Ich reite mit. “
„ Vorher aber will ich dieſe Menſchen da unten un - ſchädlich machen. Tritt nicht mit ein, ſondern erwarte mich hier! “
Warum ſollte ich ihn nicht in das Zelt begleiten? Seine Hand lag am Dolche, und ſein Auge blickte ent - ſchloſſen. Wollte er mich verhindern, eine raſche That zu verhüten? Ich ſtand wohl eine halbe Stunde allein, und während dieſer Zeit hörte ich die zornigen Töne einer ſehr erregten Unterhaltung. Endlich kam er wieder. Er hatte ein Papier in der Hand und gab es mir.
„ Lies! Ich will hören, ob es ohne Falſchheit iſt. “
Es enthielt die kurze, gemeſſene Weiſung an die be - fehligenden Offiziere, alle Waffen und auch die Munition ſofort an diejenigen Dſcheſidi zu übergeben, deren An - führer dieſen Befehl vorzeige.
97„ Es iſt richtig. Aber wie haſt du das erlangt? “
„ Ich hätte ihn und den Makredſch ſofort erſchießen laſſen und die Kanonade begonnen. In einer Stunde wären wir mit ihnen fertig geweſen. “
„ Nun bleibt er gefangen? “
„ Ja. Er wird mit dem Makredſch bewacht. “
„ Und wenn ſich die Seinen nicht fügen? “
„ So werde ich meine Drohung wahr machen. Bleibe hier, bis ich zurückkehre, und du wirſt ſehen, ob mich die Türken reſpektieren. “
Er erteilte noch einige Befehle und ſtieg dann nach der Batterie hinab. In der Zeit von zehn Minuten waren alle Dſcheſidi kampfbereit. Die Schützen lagen mit aufgenommenen Schießgewehren in ihren Verſtecken, und die Artilleriſten ſtanden zum Schuſſe fertig bei den Ge - ſchützen. Ihre Verſchanzung öffnete ſich, um gegen zwei - hundert Dſcheſidi und wohl an die dreißig Mauleſel durchzulaſſen. Dieſe Tiere beſtanden meiſt aus denen, die wir mit den Kanonieren gefangen genommen hatten. Der Zug blieb in einiger Entfernung halten, während der Anführer desſelben vorſchritt und den Platz aufſuchte, wo ſich die Offiziere der Oſmanen befanden.
Ich konnte von meinem Standpunkte aus dies alles ſehr genau beobachten. Es gab eine ziemlich lange Zeit der Verhandlung. Dann jedoch traten die Soldaten in Trupps zuſammen, welche einer nach dem andern bis in die Nähe der Maultiere vormarſchierten, um dort die Waffen abzulegen. Dies lief nun allerdings nicht ganz glatt und ruhig ab, beſonders da auch ſämtliche Chargen gezwungen waren, ſich von Säbel und Piſtole zu trennen; aber es blieb nur bei leeren Kraftworten, da die Türken wußten, daß jeder thatſächliche Widerſtand mit Kartätſchen gebrochen werden ſolle.
II. 798Ali Bey war kaum eine Stunde lang entfernt ge - weſen, ſo kehrte er zurück. Ihm folgten die mit den Waffen beladenen Maultiere, deren Treiber beordert waren, die koſtbare Beute nach dem Thale Idiz zu bringen. Auch der Kaimakam wurde von einigen Kriegern in Sicher - heit gebracht. Man führte ihn dorthin, wo der Makredſch das Glück hatte, die Geſellſchaft des dicken Artilleriehaupt - mannes und ſeines tapfern Lieutenants zu genießen. Er konnte mit dieſen beiden auf Beförderung warten und unterdeſſen „ Tabak aus Schiras “rauchen.
Nun machten auch wir uns auf den Weg. Halef ritt mit. Mein Baſchi-Bozuk war nicht zu ſehen; jeden - falls hatte er aus Langeweile ſeinen Eſel ſpazieren ge - ritten. Auf dem Wege nach dem Thale Idiz begegneten wir einer langen Reihe zurückkehrender Dſcheſidi. Sie hatten ihren Beitrag zum Baue des Grabmales geleiſtet und ſollten nun zu demſelben Zwecke eine gleiche Anzahl ihrer Gefährten ablöſen. Sie teilten uns mit, daß der Bau raſch vor ſich ſchreite.
Als wir den Eingang erreichten, bot ſich uns das Bild eines ſehr bewegten Lebens dar. In der Mitte des - ſelben war eine große Anzahl von Frauen verſammelt, die auf großen, flachen Steinen Mehl aus Körnern be - reiteten; andere ſaßen an Gruben, die ſie durch Feuer erhitzten, um Brot zu backen; noch andere machten Fackeln oder richteten die Lampen und Laternen, die man vor - geſtern aus Scheik Adi mitgenommen hatte, zu der bevor - ſtehenden Feier her. Am regſamſten aber ging es im oberen Teile des Thales zu, wo das Grabmal errichtet wurde. Es ſtellte eine ungeheure Felspyramide dar, deren hintere Seite ſich an die ſteile Wand des Felſens lehnte. Das Fundament beſtand aus großen Blöcken, deren Trans - port und Aufbau jedenfalls bedeutenden Kraftaufwand99 gekoſtet hatte. In der Mitte der vorausſichtlichen Höhe war ein hohler Raum gelaſſen, der die Geſtalt einer zwölfſtrahligen Sonne hatte und von deren Mittelpunkt die Urne aufgenommen werden ſollte. Mehrere hundert Männer arbeiteten daran, und noch mehr Frauen und Kinder waren beſchäftigt, Steine herbeizuwälzen, oder hingen wie Eichhörnchen an den Vorſprüngen der Felſen - wand, um von oben herab dem Baue förderlich zu ſein.
Die Prieſter waren teils mit der Beaufſichtigung des Werkes beſchäftigt, teils legten ſie ſelbſt mit Hand an. Mir Scheik Khan ſaß in der Nähe der Pyramide. Wir gingen zu ihm. Ali Bey erzählte ihm die heutigen Vor - kommniſſe und zeigte ihm auch die beiden Schreiben des Muteſſarif. Der Khan verſank in tiefes Nachdenken; dann aber fragte er:
„ Was wirſt du thun, Ali Bey? “
„ Du biſt der ältere und der weiſere; ich komme, mir deinen Rat zu erbitten. “
„ Du ſagſt, ich ſei der ältere. Das Alter liebt die Ruhe und den Frieden. Du ſagſt, ich ſei der weiſere. Die größte Weisheit iſt der Gedanke an den Allmächtigen und Allgütigen. Er macht den Schwachen ſtark; er be - ſchützt den Unterdrückten; er will nicht, daß der Menſch das Blut ſeines Bruders vergieße. “
„ Sind dieſe Türken unſere Brüder? Sie, die wie wilde Tiere über uns und die Unſerigen herfallen? “
„ Sie ſind unſere Brüder, obgleich ſie nicht als Brüder an uns handeln. Töteſt du einen Bruder, der dir übel will? “
„ Nein. “
„ Du ſprichſt mit ihm freundlich oder ſtreng, aber du forderſt nicht ſein Leben. So ſollſt du auch mit dem Muteſſarif reden. “
100„ Und wenn er nicht auf mich hört? “
„ Der Allerbarmer gab dem Menſchen den Verſtand, um zu denken, und ein Herz, um zu fühlen. Wer nicht die Rede eines andern überdenkt, und wer nicht die Ge - fühle ſeines Bruders empfindet, der hat den Erbarmenden verlaſſen und verleugnet, und dann, erſt dann darf der Zorn und die Strafe über ihn kommen. “
„ Mir Scheik Khan, ich werde nach deinen Worten handeln! “
„ So wiederhole ich meine Frage: Was wirſt du thun? “
„ Ich werde mit zehn Männern nach Dſcherraijah gehen, mir aber genug Krieger folgen laſſen, um den Muteſſarif gefangen zu nehmen. Vorher aber, bereits noch heute werde ich Kundſchafter nach Moſſul, Kufjund - ſchik, Telkeif, Baaweiza, Ras ul Aïn und Khorsabad ſenden, die mich rechtzeitig von ſeinen Plänen benach - richtigen werden. Ich werde in Liebe mit ihm reden, dann mit Strenge, wenn er nicht hört. Achtet er auch dann nicht auf mich, ſo laſſe ich ihn ſeinen geheimen Brief ſehen und gebe das Zeichen, ihn zu ergreifen. Während ich bei ihm bin, werden meine Männer Dſcherraijah um - ringen. Er kann mir nicht entgehen. “
„ Vielleicht wird er auch Kundſchafter ſenden, um zu erfahren, wie du dich auf die Zuſammenkunft mit ihm vorbereiteſt. “
„ Er wird nichts erfahren, denn meine Leute werden bereits während der Nacht von hier abgehen, und zwar nicht auf der Straße über Baadri, ſondern rechts bis faſt nach Bozan hinüber. Sie werden am Morgen am Bache im Weſten von Dſcherraijah ſein. “
„ Und wer wird während deiner Abweſenheit in Scheik Adi befehligen? “
101„ Willſt du es thun? “
„ Ich will. “
Das klang ſo einfach. Hier übergab der weltliche Beherrſcher der Dſcheſidi ihrem geiſtlichen Regenten ſeine Gewalt ohne die leiſeſte Regung einer kleinlichen Eifer - ſucht, ohne alles Mißtrauen und Bedenken. „ Willſt du? “fragte der eine. „ Ich will, “antwortete der andere. Welchen Klang mag wohl das Wort „ Kulturkampf “in einem der Dialekte dieſer Teufelsanbeter haben!
Es wurde nun die Verproviantierung der in Scheik Adi eingeſchloſſenen Türken beſprochen und dann das heu - tige Feſt. Unterdeſſen wanderte ich von Gruppe zu Gruppe, um einen oder den andern ſprachlichen Fund zu thun. Da kam es hinter mir heran gekeucht, und eine nach Atem ſchnappende Stimme rief:
„ Weiche aus, Sihdi! “
Ich wandte mich um. Es war mein Halef, der ſeine ganze Körperkraft anſtrengte, ein mächtiges Felsſtück vor ſich herzurollen.
„ Was thuſt du hier? “fragte ich erſtaunt.
„ Mein Beitrag zum Monument. “
„ Wird er angenommen? Du biſt ja kein Dſcheſidi! “
„ Sehr gern! Ich habe gefragt. “
„ So hole ich auch einen Stein! “
Nicht weit von unſerm Standorte lag ein ziemlicher Felsbrocken. Ich legte die Waffen und das Oberkleid ab und machte mich daran, ihn fortzuſchaffen. Er wurde von den Scheiks mit Dank angenommen und, nachdem ich mit dem Dolche meinen Namen eingegraben hatte, mit Anwendung von Seilen emporgezogen, wo er ſeine Sellung grad über der Sonne bekam.
Mittlerweile hatte Ali Bey den Zweck ſeines Be - ſuches erreicht. Er wollte wieder aufbrechen und fragte102 mich, ob ich ihn gerner begleiten oder lieber hier bleiben wolle.
„ Wie werde ich die Feierlichkeit am beſten beobachten können? “
„ Wenn du mit mir geheſt, “antwortete er. „ Die Urne wird heute abend beim Glanze der Fackeln und Later - nen von Scheik Adi nach dem Thale Idiz übergeführt. “
„ Ich denke, ſie iſt bereits hier! “
„ Nein. Sie ſteht am kühlen Waſſer im Walde und wird erſt in das Heiligtum gebracht. “
„ Trotz der Türken? “
„ Sie können uns nicht hindern. “
„ So reite ich mit. “
„ Du haſt bis zum Abend Zeit. Willſt du mir eine Liebe erweiſen? “
„ Gern, im Falle es mir möglich iſt! “
„ Du weißt, daß ich dem Häuptling der Badinan - Kurden Gewehre verſprochen habe. Wirſt du den Ort fin - den, wo er ſeine Hütten hat? “
„ Sehr leicht. Jedenfalls braucht man gar nicht bis dorthin zu reiten, da er den Paß und die Seitenthäler beſetzen wollte. Es wird übrigens an der Zeit ſein, ihm einmal Nachricht zu geben. “
„ Willſt du dies übernehmen? “
„ Ja. “
„ Und ihm ſeine Gewehre bringen? “
„ Wenn du ſie mir anvertrauſt! “
„ Er ſoll hundert haben und auch Munition dazu. Drei Maultiere können dies tragen. Wie viele Männer wünſcheſt du als Begleitung? “
„ Iſt ein Angriff oder ſonſt eine Feindſeligkeit zu er - warten? “
„ Nein. “
103„ Gieb mir zehn Krieger mit. Ich werde auch Moham - med Emin mitnehmen, der dort von der Höhe kommt. “
Ich hatte vorhin erfahren, daß der Scheik der Hadde - dihn auf die Jagd gegangen ſei. Ich war überhaupt in den letzten Tagen gar nicht mit ihm zuſammengetroffen. Er wollte ſich ſo wenig wie möglich zeigen, damit ſeine Anweſenheit nicht öffentlich zur Sprache komme, und er hatte wohl auch ſein Vorurteil gegen die Teufelsanbeter nicht ganz überwunden. Darum war es ihm lieb, daß er mit mir gleich wieder aufbrechen konnte.
Es währte nur kurze Zeit, ſo waren die Maultiere beladen, und unſer kleiner Zug ſetzte ſich in Bewegung. Zunächſt hielten wir auf Scheik Adi zu, und dann wichen wir links ab, um den Weg nach Kaloni zu gewinnen. Meine Vermutung beſtätigte ſich; ich traf eine Anzahl der Badinankurden bereits auf der erſten Höhe hinter Scheik Adi und wurde von ihnen zu ihrem Häuptlinge geführt, der mich dieſes Mal mit ſehr großer Ehrerbietung empfing. Ich mußte bei ihm bleiben, um ein Mahl ein - zunehmen, das uns ſein Weib bereitete. Er war mit den Gewehren ſehr zufrieden und zeigte ſich ganz beſon - ders erfreut über den Säbel des Kaimakam, den Ali Bey mir als Extrageſchenk für ihn mitgegeben hatte. Moham - med Emin fand an den Badinankurden ein ſolches Wohl - gefallen, daß er ſich entſchloß, hier zurückzubleiben und mich zu erwarten, obgleich er nicht Kurdiſch verſtand. Ich verſuchte nicht, ihm abzuraten, da ſeine Anweſenheit in Scheik Adi doch noch von den Türken bemerkt und dann der eigentliche Zweck unſers Rittes in die Berge gefährdet werden konnte. Ich kehrte alſo ohne ihn zurück.
Der Tag war doch ſo ziemlich vergangen, als ich wieder bei Ali Bey anlangte und ihm von den Badinan berichtete. Ich bemerkte, daß die Türken ſich mehr nach104 der Mitte des Thales zurückgezogen und das Heiligtum alſo freigegeben hatten.
„ Wann beginnt die Feier? “fragte ich den Bey.
„ Sobald es dunkel geworden iſt. Nimm deine Ge - wehre mit; es wird viel geſchoſſen. “
„ Gieb mir eins von den deinigen. Ich muß meine Patronen ſchonen, die ich hier nicht durch neue erſetzen kann. “
Ich war wirklich ſehr neugierig auf dieſe Begräbnis - feierlichkeit, deren Zeuge ich werden ſollte. Es war ja ſehr leicht möglich, daß vor mir noch niemals ein Europäer dem Begräbniſſe eines der angeſehenſten Teufelsanbeter beigewohnt hatte. Ich ſaß an der Kante des Thales und blickte hinab, bis ſich die Schatten der Nacht niederſenkten. Da leuchteten rundum die Wachtfeuer wieder auf, und zugleich wuchs über dem Heiligtume langſam eine Doppel - pyramide von Lichtern empor, grad ſo wie am erſten Abend, den ich in Scheik Adi zugebracht hatte. Die beiden Thüren des Grabmales wurden mit Lampen behangen.
„ Komm! “ermunterte mich Ali Bey, der mit einigen Bevorzugten zu Pferde ſtieg.
Der Baſchi-Bozuk blieb zurück. Halef begleitete uns. Wir ritten in das Thal hinab und langten vor dem Heiligtume an, welches vollſtändig erleuchtet worden war. Der Platz vor demſelben wurde von einer doppelten Reihe bewaffneter Dſcheſidi eingeſchloſſen, um jedem Türken den Zutritt zu verſagen. Im Heiligtume ſelbſt befand ſich nur Mir Scheik Khan mit den Prieſtern; andern außer Ali Bey und mir war der Eintritt nicht geſtattet. Im innern Hofe ſtanden zwei eng neben einander gekoppelte Maultiere, die ein quer über ihre Rücken liegendes Geſtell trugen, auf welchem die Urne befeſtigt war. Um dieſe beiden Tiere hatten die Prieſter einen Kreis gebildet. Sie105 begannen bei unſerm Erſcheinen in ſehr langſamem Tempo einen monotonen Geſang, in welchem die Worte „ dſchan dedim — ich gebe meine Seele hin “ſehr oft wiederkehrten. Nach demſelben wurden die Maultiere mit Waſſer aus dem heiligen Brunnen getränkt und erhielten einige Hand - voll Körner, um anzudeuten, daß der, den ſie trugen, eine weite Reiſe vor ſich habe. Nun machte der Mir Scheik Khan einige Zeichen mit der Hand, deren Bedeutung ich nicht verſtand, und jetzt begann ein zweiter Geſang, leiſe und harmoniſch. Er hatte vier Abſätze, deren jeder mit den Worten: „ Tu Chode dehabini, keif inim — du liebſt Gott, genieße Ruhe “begann. Leider verſtand ich zu wenig Kurdiſch, um das Ganze begreifen und merken zu können.
Als dieſer Geſang beendet war, gab der Khan ein Zeichen. Er ſtellte ſich an die Spitze; zwei Scheiks nahmen die Maultiere am Zügel; ihnen folgten paarweiſe die an - dern Scheiks und Kawals, denen ſich Ali Bey mit mir anſchloß. Der Zug ſetzte ſich in Bewegung und wurde, als er aus dem Heiligtume trat, von einer Salve der Wachehaltenden empfangen.
Sofort krachten auf den Höhen Hunderte von Schüſſen, und aber Hunderte trugen die Botſchaft, daß wir aufge - brochen ſeien, dem Thale Idiz entgegen.
Wir zogen langſam zur Höhe empor. Als wir den Weg nach dem Thale erreichten, bot ſich uns ein zaube - riſcher Anblick dar. Die Dſcheſidi hatten von Scheik Adi bis Idiz ein Spalier gebildet, deſſen Doppelglieder un - gefähr dreißig Schritte auseinander ſtanden. Jeder dieſer Männer trug eine Fackel und eine Flinte, und jedes dieſer Glieder ſchloß ſich unter Abfeuern der Gewehre hinter uns an. So bildete ſich ein Zug, der mit jedem Augen - blicke und mit jedem Schuſſe immer länger wurde. Das Licht der Fackeln ſchmückte den dunkeln Wald, welcher106 hier meiſt aus hohen Eichen beſtand, mit unbeſchreiblichen Tinten, und der Donner der Salven wurde von den dunkeln Gründen des tiefen Forſtes ununterbrochen zurück - geworfen.
Wahrhaft überwältigend aber wurde das Schauſpiel, als wir endlich das Thal erreichten. Dasſelbe ſchien der mächtige Krater eines Vulkanes zu ſein, in deſſen Grunde rieſige Flammen loderten, zwiſchen denen Tauſende von Geiſtern mit Leuchten und Lichtern irrten. Ein mehr - tauſendſtimmiger Ruf hieß uns willkommen und in der Zeit einiger Sekunden hatten ſich ſämtliche Lichter zu bei - den Seiten der Thalſohle geordnet. Der große, weite Keſſel war förmlich tageshell erleuchtet. Das größte Licht aber verbreiteten zwei gigantiſche Feuer, deren Flammen, von rieſigen Scheiterhaufen genährt, zu beiden Seiten der Felſenpyramide an der nackten Wand des Thales empor - kletterten. Es überkam mich jenes „ ſüße Grauen, “wel - ches, wohlthuend und niederbeugend zu gleicher Zeit, das Menſchenherz ergreift, ſobald etwas Erhabenes hereingreift in die Grenzen unſerer kleinen inneren Welt.
Wir zogen den Abhang hinunter, zwiſchen dem wallen - den Meere der Fackeln hindurch, und hielten vor dem Denkmale. In der ſonnenförmigen Aushöhlung desſelben ſtanden zwei Prieſter, deren weiße Gewänder von dem dunkeln Geſtein lebhaft abſtachen. Hoch oben hatten ſich mehrere Männer poſtiert, welche die Seile hielten, an denen die Urne emporgezogen werden ſollte.
Sobald die Maultiere vor der Pyramide anlangten, verſtummten die Schüſſe; es trat eine tiefe Stille ein. Die Urne wurde abgeladen und an die Seile befeſtigt. Ein anderes Seil, unten an die Urne gebunden, diente dazu, das zerbrechliche Gefäß von den Steinen abzuhalten. Der Mir Scheik Khan winkte, und die Seile wurden ange -107 zogen. Die Urne ſchwebte höher und höher und erreichte die Sonne. Die Prieſter griffen zu und zogen ſie hinein. Sie wurde von ihnen aufgeſtellt, und dann hingen ſie ſich ſelbſt an die Seile, um herabgelaſſen zu werden.
Nun gab der Khan das Zeichen, daß er ſprechen wolle. Er hielt eine kurze Rede. Seine langſam, deutlich und ſehr laut geſprochenen Worte klangen über das ganze Thal dahin, und obgleich ich die wenigſten derſelben ver - ſtand, fühlte ich mich doch unter dem Eindrucke des außer - gewöhnlichen Vorganges tief ergriffen. Als er geendet hatte, begann der Chor der Prieſter einen freudigen Ge - ſang, von welchem ich nur den Refrain der einzelnen Teile verſtehen konnte: „ Ro dehele — die Sonne geht auf. “ Bei dem letzten Tone erhoben alle die Hände, und da krachte aus allen Gewehren eine Salve, wie ich eine ſolche noch nie gehört hatte.
Damit war die eigentliche Feierlichkeit beendet. Nun aber begann ſich das Leben erſt zu regen. Es giebt nichts, womit ich dieſe Nacht im Thale Idiz vergleichen könnte, dieſe Nacht der Flammen und Fackeln zwiſchen himmelan ſtrebenden Felſen, dieſe Nacht der Fragen und Klagen unter den Verachteten und Geſchmähten, dieſe Nacht unter den Bekennern einer Anbetungsform, deren Grundzug in der irre geleiteten und daher unbefriedigten Sehnſucht nach jenem Lichte beſteht, das einſt den drei Scheiks leuch - tete, die, vielleicht aus dem nämlichen Lande, in dem ich mich jetzt befand, nach Bethlehem pilgerten, um vor der Krippe das Bekenntnis abzulegen: „ Wir haben im Mor - genlande ſeinen Stern geſehen und ſind gekommen, ihn anzubeten. “
Ich ſaß bei den Prieſtern bis lange nach Mitter - nacht; dann erloſchen die Fackeln, und die Feuer fielen zuſammen. Nur die beiden Flammen am Denkmale brann -108 ten noch, als ich mich unter einem Baume in meinen Burnus wickelte, um den Schlaf zu ſuchen. Da oben ſtand die Urne mit den Gebeinen des „ Heiligen “. Dieſer „ Merd - es-Scheïtan “war der Unterrichtetſte unter allen ſeinen Glaubensgenoſſen, und dennoch hatte er den rechten Weg zur Wahrheit nicht finden können.
Wie glücklich ſind jene zu preiſen, deren Wiege be - reits an dieſem Wege ſteht, und doch wie ſchwer wird es ihnen oft, dieſes Glück zu erkennen und zu ſchätzen! Ich ſchloß die Augen, und es gelang mir endlich, einzuſchla - fen; aber ich träumte von Fackelzügen und Salven, von Scheiterhaufen und Urnen, aus denen Gerippe ſtiegen, die mich, den Chriſten, mit Grinſen umtanzten. Sie wollten mich ergreifen; da aber erſchien der Pir Kamek, wehrte ſie von mir ab und ſagte:
„ Er hat ein heiliges Kitab, darinnen geſchrieben ſteht: ‚ Oghuldſchikler, ſizi oranizde ſewyn-iz — Kindlein, liebet euch untereinander!‘ “— — —
„ Preſter Johann, von Gottes und unſers Herrn Jeſu Chriſti Gnaden König der Könige, an Alexios Komnenos, Statthalter zu Konſtantinopel. Geſundheit und glückliches Ende.
Unſere Majeſtät hat in Erfahrung gebracht, daß du von unſerer Herrlichkeit gehört haſt und daß dir über unſere Größe Mitteilungen gemacht worden ſind. Was wir zu wünſchen wiſſen, iſt, ob du mit uns am wahren Glauben hängſt und in allen Dingen an unſern Herrn Jeſum Chriſtum glaubſt.
Wenn du zu wiſſen wünſcheſt die Größe und Herr - lichkeit unſerer Macht und welchen Umfang unſere Länder haben, ſo wiſſe und glaube, ohne zu zweifeln, daß wir ſind Preſter Johann, der Diener Gottes: daß wir an Reichtum alles unter dem Himmel und an Tugend und Macht alle Könige der Erde übertreffen. Siebenzig Könige ſind uns zinspflichtig. Wir ſind ein frommer Chriſt und beſchützen und unterſtützen mit Almoſen jeden armen Chri - ſten, der ſich in dem Bereiche unſerer Gnade befindet. Wir haben ein Gelübde gethan, das Grab unſers Herrn, wie es ſich für den Ruhm unſerer Majeſtät gebührt, mit einer großen Armee zu beſuchen und gegen die Feinde des Kreuzes Chriſti Krieg zu führen, ſie zu demütigen und ſeinen heiligen Namen zu erhöhen.
110Unſere Herrlichkeit regiert über die drei Indien, und unſere Beſitzungen gehen über das äußerſte Indien hinaus, in welchem der Körper des heiligen Apoſtels Thomas ruht; von dort aus über die Wildnis, welche ſich nach dem Aufgange der Sonne zu erſtreckt, und geht rückwärts, nach Sonnenuntergang zu, bis Babylon, das verlaſſene, ja ſogar bis zum Turme zu Babel.
Zweiundſiebenzig Provinzen gehorchen uns, von denen einige chriſtliche Provinzen ſind, und jede hat ihren eigenen König. Und alle ihre Könige ſind uns zinspflichtig. In unſern Ländern werden Elefanten, Dromedare und Ka - mele gefunden, und faſt alle Arten von Tieren, die es unter dem Himmel giebt. In unſern Ländern fließt Milch und Honig. In einem Teile unſeres Staates kann kein Gift ſchaden; in einem andern wachſen alle Arten von Pfeffer; ein anderer iſt ſo dicht mit Hainen verſehen, daß er einem Walde gleicht, und er iſt in allen Teilen voller Schlangen. Dort iſt auch eine ſandige See ohne Waſſer. Drei Tagereiſen von dieſer See entfernt ſind Gebirge, von denen Ströme von Steinen herabkommen. In der Nähe dieſer Gebirge befindet ſich eine Wüſte zwiſchen unwirtbaren Hügeln. Unter dieſen fließt ein unterirdiſcher Bach, zu dem kein Zugang iſt, und dieſer Bach fällt in einen größeren Fluß, in den Leute aus unſern Beſitzungen hineingehen und Edelſteine in großem Ueberfluſſe darin finden. Ueber dieſen Fluß hinaus wohnen zehn Stämme Juden, welche, obgleich ſie behaupten, ihre eigenen Könige zu haben, deſſenungeachtet unſere Diener und uns zins - pflichtig ſind.
In einer andern unſerer Provinzen, in der Nähe der heißen Zone, ſind Würmer, welche in unſerer Sprache Salamander genannt werden. Dieſe Würmer können nur im Feuer leben und machen ein Gehäuſe um ſich herum,111 wie die Seidenwürmer. Dieſes Gehäuſe wird von unſern Palaſtdamen fleißig geſponnen, und es giebt die Zeuge zu unſern Kleidern. Es kann aber nur im hellen Feuer ge - waſchen werden.
Vor unſerer Armee werden dreizehn große Kreuze von Gold und Edelſteinen hergetragen; wenn wir aber ohne Staatsgefolge ausreiten, wird nur ein Kreuz, welches nicht mit Figuren, Gold und Juwelen geziert iſt, damit wir immer unſeres Herrn Jeſu Chriſti eingedenk ſeien, und eine mit Gold gefüllte Silbervaſe, damit alle Leute wiſſen, daß wir der König der Könige ſind, vor uns hergetragen.
Alljährlich beſuchen wir den Leib des heiligen Daniel, welcher in Babylon in der Wüſte iſt. Unſer Palaſt iſt von Ebenholz und von Schittimholz und kann vom Feuer nicht beſchädigt werden. An jedem Ende ſeines Daches ſind zwei goldene Aepfel, und in jedem Apfel zwei Kar - funkel, damit das Gold bei Tage ſcheinen und die Kar - funkel bei Nacht leuchten mögen. Die größeren Thore ſind von mit Horn gemiſchtem Sardonyx, damit niemand mit Gift eintreten könne; die kleineren ſind von Ebenholz. Die Fenſter aber ſind von Kryſtall. Die Tiſche ſind von Gold und Amethyſt, und die Säulen, welche ſie tragen, von Elfenbein. Das Zimmer, in welchem wir ſchlafen, iſt ein wundervolles Meiſterſtück aus Gold, Silber und jeder Art von Edelſteinen. In ihm brennt beſtändig Weihrauch. Unſer Bett iſt von Saphir. Wir haben die ſchönſten Frauen. Täglich unterhalten wir dreißigtauſend Menſchen, außer den gelegentlichen Gäſten. Und alle dieſe beziehen täglich Summen aus unſerer Kämmerei zur Unter - haltung ihrer Pferde und zu anderweitiger Verwendung. Während jedes Monats werden wir von ſieben Königen (von jedem der Reihe nach), von fünfundſechzig Herzogen und von dreihundertfünfundſechzig Grafen bedient. In112 unſerem Saale ſpeiſen täglich zu unſerer Rechten zwölf Erzbiſchöfe und zu unſerer Linken zwanzig Biſchöfe, außer - dem noch der Patriarch von Sankt Thomas, der Proto - papas von Salmas und der Archiprotopapas von Suſa, in welcher Stadt der Thron unſeres Ruhmes und unſer kaiſerlicher Palaſt ſich befindet. Aebte, der Zahl nach mit den Tagen des Jahres im Einklange, verwalten das geiſtliche Amt vor uns in unſerer Kapelle. Unſer Mund - ſchenk iſt ein Primas und König; unſer Haushofmeiſter iſt ein Erzbiſchof und ein König; unſer Kammerherr iſt ein Biſchof und ein König; unſer Marſchall iſt ein Archi - mandrit und ein König, und unſer Küchenmeiſter iſt ein Abt und ein König; wir aber nehmen einen niedrigeren Rang und einen demütigeren Namen an, auf daß wir unſere große Demut zeigen. “— —
So lautet im Auszuge ein Brief, den der berühmte, aber geſchichtlich vielleicht doch fragliche Tartarenkönig Presbyter Johann an den griechiſchen Kaiſer geſchrie - ben hat oder doch geſchrieben haben ſoll. Mag der Brief untergeſchoben ſein oder nicht, er enthält neben verſchie - denen beluſtigenden Merkwürdigkeiten, die ihren Grund in den falſchen Anſchauungen früherer Jahrhunderte haben, doch auch Thatſachen und Einzelheiten, welche von Marco Polo, Sir John Mandeville und andern Reiſenden oder Forſchern beſtätigt worden ſind, und ich wurde lebhaft an ihn erinnert, als ich jetzt auf der öſtlichen Höhe von Scheik Adi hielt und einen Blick nach Morgen richtete, wo ſich die Berge von Surgh, Zibar, Haïr, Tura Ghara, Baz, Dſchelu, Tkhoma, Karitha und Tijari erhoben.
In den Thälern, welche zwiſchen ihnen liegen, wohnen die letzten jener chriſtlichen Sektierer, denen dieſer Tar - tarenkönig angehörte. Zu ſeiner Zeit waren ſie mächtig und einflußreich; die Sitze ihrer Metropolitanen lagen113 über den ganzen aſiatiſchen Kontinent zerſtreut, von den Küſten des kaſpiſchen Meeres bis zu den chineſiſchen Seen und von den allernördlichſten Grenzen Skythiens bis zum äußerſten ſüdlichen Ende der indiſchen Halbinſel. Sie waren die Ratgeber Mohammeds und ſeiner Nachfolger. Die chriſtlichen Anklänge des Kuran ſind meiſt ihren Büchern und Lehren entnommen. Aber mit dem Falle der Khalifen brach auch ihre Macht zuſammen und zwar mit reißender Schnelligkeit; denn ihre innere, geiſtliche Konſtitution entbehrte der göttlichen Reinheit, welche die Kraft eines unbeſiegbaren Widerſtandes verleiht. Bereits unter der Regierung des Kaſſan, der ein Sohn des Arghun und ein Enkel des berühmten Eroberers von Baghdad, Hulaku Khan, war, begannen die Verfolgungen gegen ſie. Dann aber brach der große Tamerlan unbarmherzig über ſie herein. Mit unerſättlicher Wut verfolgte er ſie, zer - ſtörte ihre Kirchen und brachte alle, denen es nicht gelang, in die unzugänglichen Berge Kurdiſtans zu entkommen, mit dem Schwerte um. Die Urenkel dieſer Entkommenen leben noch heute an Plätzen, die Feſtungen verglichen werden können. Sie, die Ueberreſte des einſt ſo mächtigen aſſyriſchen Volkes, ſehen allzeit das Schwert der Türken und den Dolch der Kurden über ſich ſchweben und haben in neuerer Zeit Grauſamkeiten zu ertragen gehabt, bei deren Erzählung ſich die Haare ſträuben. Einen großen Teil der Schuld daran haben jedenfalls jene überſeeiſchen Miſſionäre zu tragen, die ihren Schul - und Bethäuſern das Anſehen von Fortifikationen gaben und dadurch das Mißtrauen der dortigen Machthaber erweckten. Damit und durch ähnliche Unvorſichtigkeiten haben ſie ſowohl ihrem Werke als auch den Anhängern desſelben gleich großen Schaden bereitet.
Auf meinem Ritt nach Amadijah kam ich voraus -II. 8114ſichtlich auch in Ortſchaften, die von dieſen chaldäiſchen Chriſten bewohnt wurden; Grund genug, an jenen Brief zu denken, der ihre Vergangenheit am lebhafteſten illu - ſtriert. Einſt Miniſter und Berater von Fürſten und Khalifen, ſind ſie jetzt, ſoweit ſie nicht zur heiligen chriſt - katholiſchen Kirche zurückgekehrt ſind, ſo ohne alle innere und äußere Kraft, daß Männer wie der berüchtigte Beder Khan Bey und ſein Verbündeter Abd el Summit Bey die fürchterlichſten Metzeleien unter ihnen anrichten konnten, ohne den geringſten Widerſtand zu finden. Und doch hätte das ſchwer zugängliche Terrain, das ſie bewohnen, ihnen die erfolgreichſte Verteidigung an die Hand gegeben.
Wie ungleich männlicher hatten ſich dagegen die Dſcheſidi verhalten!
Nach jener Flammennacht im Thale Idiz war Ali Bey nach Dſcherraijah geritten, ſcheinbar nur von zehn Männern begleitet. Aber noch vor ſeinem Aufbruche hatte er eine hinreichende Anzahl von Kriegern in die Nähe von Bozan vorausgeſandt.
Der Muteſſarif war wirklich mit einer gleich großen Begleitung eingetroffen, aber Ali Bey hatte durch ſeine Kundſchafter erfahren, daß zwiſchen Scio Khan und Ras ul Aïn eine beträchtliche Truppenmacht zuſammengezogen worden ſei, um noch desſelben Tages nach Scheik Adi vorzugehen. Auf dieſe Kunde hin hatte er den Muteſſarif einfach einſchließen laſſen und zum Gefangenen gemacht. Um ſeine Freiheit wieder zu erhalten, hatte dieſer ſich nun gezwungen geſehen, alle hinterliſtigen Pläne aufzugeben und die friedlichen Vorſchläge des Bey einzugehen.
Die Folge davon war, daß das unterbrochene Feſt der Dſcheſidi wieder aufgenommen und mit einem Jubel begangen wurde, deſſen Zeuge Scheik Adi wohl noch nie geweſen war.
115Nach Ablauf dieſer Feſte wollte ich nach Amadijah aufbrechen, erfuhr aber, daß Mohammed Emin ſich in den Bergen von Kaloni den Fuß vertreten hatte, und ſo war ich gezwungen, drei Wochen lang ſeine Wiederherſtellung abzuwarten. Indes ging mir dieſe Zeit nicht ungenützt vorüber, da ſie mir die höchſt willkommene Gelegenheit bot, mich mit dem Kurdiſchen vertrauter als bisher zu machen.
Endlich benachrichtigte mich der Haddedihn durch einen Boten, daß er zum Aufbruche bereit ſei, und ſo hatte ich mich in aller Frühe aufgemacht, um ihn bei dem Häuptlinge der Badinankurden abzuholen. Mein Abſchied von den Dſcheſidi war ein herzlicher, und ich mußte verſprechen, auf der Rückkehr noch einige Tage bei ihnen zu verweilen. Zwar hatte ich mir jede Beglei - tung verbeten, aber Ali Bey ließ es ſich nicht nehmen, mich wenigſtens zu den Badinan zu bringen, um auch Mohammed Emin lebewohl ſagen zu können.
Jetzt alſo hielten wir auf der öſtlichen Höhe von Scheik Adi und ließen die Ereigniſſe der letzten Wochen an uns vorüberfliegen. Was werden die nächſten Tage bringen? Je weiter nach Nordoſt hinauf, deſto wilder werden die Bergvölker, die keinen Ackerbau kennen und nur von Raub und Viehzucht leben. Ali Bey mochte mir dieſen Gedanken von der Stirn ableſen.
„ Emir, du gehſt beſchwerliche und gefährliche Wege, “meinte er. „ Wie weit hinauf willſt du in die Berge? “
„ Zunächſt nur bis nach Amadijah. “
„ Du wirſt noch weiter müſſen. “
„ Warum? “
„ Dein Werk in Amadijah mag gelingen oder nicht, ſo bleibt die Flucht dein Los. Man kennt den Weg, wel - chen der Sohn Mohammed Emins einzuſchlagen hat, um116 zu ſeinen Haddedihn zu gelangen, und man wird ihm denſelben verlegen. Wie willſt du dann reiten? “
„ Ich werde mich nach den Umſtänden zu richten haben. Wir könnten nach Süden gehen und auf dem Zab Ala oder zu Pferde längs des Akra-Fluſſes entkommen. Wir könnten auch nach Norden gehen, über die Berge von Tijari und den Maranan-Dagh, und dann den Khabur und den Tigris überſchreiten, um durch die Salzwüſte nach dem Sindſchar zu kommen. “
„ In dieſen Fällen aber werden wir dich niemals wiederſehen! “
„ Gott lenkt die Gedanken und Schritte des Men - ſchen; ihm ſei alles anheimgeſtellt! “
Wir ritten weiter. Halef und der Baſchi-Bozuk folg - ten uns. Mein Rappe hatte ſich weidlich ausruhen kön - nen. Er hatte früher nur Balahat-Datteln gefreſſen und ſich jetzt an anderes Futter gewöhnen müſſen, war mir aber doch faſt ein wenig zu fleiſchig geworden und zeigte einen Ueberfluß an Kräften, ſo daß ich ihn derb zwiſchen die Schenkel nehmen mußte. Ich war übrigens halb neu - gierig und halb beſorgt, wie er ſich bewähren werde, wenn es gälte, die Schneeberge Kurdiſtans zu überwinden.
Wir langten bald bei den Badinan an und wurden von ihnen mit gaſtlicher Fröhlichkeit empfangen. Moham - med Emin war reiſefertig, und nachdem wir noch ein Stündchen geplaudert, geſchmauſt und geraucht hatten, brachen wir auf. Ali Bey gab uns allen, und mir zu - letzt, die Hand. Im Auge ſtand ihm eine Thräne.
„ Emir, glaubſt du, daß ich dich lieb habe? “fragte er bewegt.
„ Ich weiß es; aber auch ich ſcheide in Wehmut von dir, den meine Seele lieb gewonnen hat. “
„ Du gehſt von hinnen, und ich bleibe; aber meine117 Gedanken werden dich begleiten, meine Wünſche werden weilen in den Spuren deiner Füße. Du haſt Abſchied genommen von dem Mir Scheik Khan, aber er hat mir ſeinen Segen mitgegeben, daß ich ihn im Augenblicke des Scheidens auf dein Haupt legen ſoll. Gott ſei mit dir und bleibe bei dir zu aller Zeit und auf allen Wegen; ſein Zorn treffe deine Feinde, und ſeine Gnade erleuchte deine Freunde! Du gehſt großen Gefahren entgegen, und der Mir Scheik Khan hat dir ſeinen Schutz verſprochen. Er ſendet dir dieſen Melek Ta-us, damit er dir als Talis - man diene. Ich weiß, du hältſt dieſen Vogel nicht für ein Götzenbild, ſondern für ein Zeichen, an welchem du als unſer Freund erkannt wirſt. Jeder Dſcheſidi, welchem du dieſen Ta-us zeigeſt, wird für dich ſein Gut und ſein Leben opfern. Nimm dieſe Gabe, aber vertraue ſie keinem andern an, denn ſie iſt für dich allein beſtimmt! Und nun lebe wohl, und vergiß nie diejenigen, welche dich lieben! “
Er umarmte mich, ſtieg dann ſchnell auf ſein Pferd und ritt, ohne ſich umzuſehen, von dannen. Es war mir, als ſei ein Stück meines Herzens mit ihm davongegangen. Es war ein großes, ein ſehr großes Geſchenk, das mir der Mir Scheik Khan durch ihn gemacht hatte. Wie viel iſt über das Vorhandenſein eines Melek Ta-us geſtritten worden! Und hier hatte ich dieſes rätſelhafte Zeichen in meiner eignen Hand. Es war ein ganz ungewöhnliches Vertrauen, deſſen mich der Khan würdigte, und es ver - ſtand ſich ganz von ſelbſt, daß ich mich der Figur nur im äußerſten Notfalle bedienen würde.
Sie war aus Kupfer und ſtellte einen Vogel dar, der ſeine Schwingen zum Fluge entfaltete, und auf dem unteren Teile zeigte ſich das Kurmangdſchi-Wort „ Hemd - ſcher “, d. i. Freund oder Genoſſe, eingegraben. Eine ſeidene Schnur diente dazu, ſie um den Hals zu befeſtigen.
118Die Badinan wollten uns eine Strecke weit das Ge - leit geben; ich mußte es geſtatten, machte aber die Be - dingung, daß ſie bei ihrem Dorfe Kalahoni umkehren ſollten. Dieſes liegt vier Stunden von Scheik Adi ent - fernt. Seine Häuſer waren faſt ausnahmslos aus Stein gebaut und hingen wie rieſige Vogelneſter zwiſchen den Weingärten hoch über dem Flußbette des Gomel. Sie erhielten ein ſehr durables Ausſehen durch die rieſigen Steinblöcke, welche als Oberſchwellen der Thüren und als Ecken des Gebäudes dienten.
Hier wurde Ade geſagt, dann ritten wir zu vieren weiter.
Auf einem ſehr ſteilen Wege, der unſern Tieren große Beſchwerden bereitete, erreichten wir das kleine Dörfchen Bebozi, das auf dem Gipfel einer bedeutenden Höhe liegt. Es giebt hier eine katholiſche Kirche, denn die Einwohner gehören zu den Chaldäern, die bekehrt worden ſind. Wir wurden von ihnen ſehr freundlich auf - genommen und erhielten unentgeltlich Trank und Speiſe. Sie wollten mir einen Führer mitgeben; da ich dies aber ablehnte, ſo wurde mir der Weg zum nächſten Orte ſo genau beſchrieben, daß wir ihn gar nicht verfehlen konnten.
Er führte uns zunächſt längs der Höhe hin durch einen Wald von Zwergeichen und ſtieg dann in das Thal hinab, in welchem Cheloki liegt. In dieſem Orte machten wir einen kurzen Halt, und ich nahm den Baſchi-Bozuk vor:
„ Buluk Emini, höre, was ich dir ſage! “
„ Ich höre es, Emir! “
„ Der Muteſſarif von Moſſul hat dir den Befehl gegeben, für alles zu ſorgen, was ich brauchen werde. Du haſt mir bisher noch keinen Nutzen gebracht; von heute an aber wirſt du deines Amtes warten. “
„ Was ſoll ich thun, Effendi? “
119„ Wir werden dieſe Nacht in Spandareh bleiben. Du reiteſt voraus und trägſt Sorge, daß bei meiner Ankunft alles für mich bereitet iſt. Haſt du mich verſtanden? “
„ Sehr gut, Emir! “antwortete er mit amtlicher Würde. „ Ich werde eilen, und wenn du kommſt, wird dich das ganze Dorf mit Jubel empfangen. “
Er ſtieß ſeinem Eſel die Ferſen in die Seiten und trollte von dannen.
Von Cheloki bis hinüber nach Spandareh iſt nicht weit, aber doch brach die Nacht bereits herein, als wir dieſes große Kurdendorf erreichten. Es hat ſeinen Namen von der großen Anzahl von Pappeln, die dort vor - kommen; denn Spidar, Spindar und auch Spandar heißt im Kurmangdſchi die Weißpappel. Wir fragten nach der Wohnung des Kiajah, erhielten aber ſtatt einer Antwort nur grimmige Blicke.
Ich hatte meine Frage türkiſch ausgeſprochen; jetzt wiederholte ich ſie kurdiſch, indem ich nach dem Malkoe - gund, welches Dorfälteſter bedeutet, fragte. Dies machte die Leute augenblicklich willfähriger. Wir wurden vor ein größeres Haus geführt, wo wir abſtiegen und ein - traten. In einem der Räume wurde ein ſehr lautes Ge - ſpräch geführt, das wir ſehr deutlich hören konnten. Ich blieb ſtehen und horchte.
„ Wer biſt du, du Hund, du Feigling? “rief eine zornige Stimme. „ Ein Baſchi-Bozuk biſt du, der auf einem Eſel reitet. Das iſt für dich eine Ehre, für den Eſel aber eine Schande; denn er trägt einen Kerl, der dümmer iſt, als er. Und du kommſt herbei, mich hier zu vertreiben! “
„ Wer biſt denn du, he? “antwortete die Stimme meines tapfern Ifra. „ Du biſt ein Arnaute, ein Gurgel - abſchneider, ein Spitzbube! Dein Maul ſieht aus wie das120 Maul eines Froſches, deine Augen ſind Krötenaugen; deine Naſe gleicht einer Gurke, und deine Stimme klingt wie das Schreien einer Wachtel! Ich bin ein Buluk Emini des Großherrn; was aber biſt denn du? Ein Khawaß, ein einfacher Khawaß, weiter nichts. “
„ Menſch, ich drehe dir das Geſicht auf den Rücken, wenn du nicht ſchweigeſt! Was geht dich meine Naſe an? Du haſt gar keine! Du ſagſt, dein Gebieter ſei ein ſehr großer Effendi, ein Emir, ein Scheik des Abendlandes? Man darf nur dich betrachten, dann weiß man, wer er iſt! Und du kommſt, mich hier fortzujagen? “
„ Und wer iſt denn dein Gebieter? Auch ein großer Effendi aus dem Abendlande, ſagſt du? Ich aber ſage dir, daß es im ganzen Abendlande nur einen einzigen großen Effendi giebt, und das iſt mein Herr. Merke dir das! “
„ Hört, “begann eine dritte Stimme ſehr ernſt und ruhig; „ ihr habt mir zwei Effendi angemeldet. Der eine hat eine Schrift vom Onſul*)Konſul. der Franken, die vom Muteſſarif unterzeichnet worden iſt; das gilt. Der andere aber iſt im Giölgeda padiſchahnün; er hat Schriften vom Onſul, vom Großherrn, vom Muteſſarif und hat auch das Recht auf den Diſch-paraſſi; das gilt noch mehr. Dieſer letztere wird hier bei mir wohnen; für den an - dern aber werde ich eine Schlafſtätte in einem andern Hauſe bereiten laſſen. Der eine wird alles umſonſt er - halten; der andere aber wird alles bezahlen. “
„ Das leide ich nicht! “klang die Stimme des Ar - nauten. „ Was dem einen geſchieht, das wird dem andern auch geſchehen! “
„ Höre, ich bin hier Nezanum**)Vorſteher. und Gebieter; was121 ich ſage, das gilt, und kein Fremder hat mir Vorſchriften zu machen. Söjle-dim — ich habe geſprochen! “
Jetzt öffnete ich die Thür und trat mit Mohammed Emin ein.
„ Ivari 'l kher — guten Abend! “grüßte ich. „ Du biſt der Herr von Spandareh? “
„ Ich bin es, “antwortete der Dorfälteſte.
Ich deutete auf den Buluk Emini.
„ Dieſer Mann iſt mein Diener. Ich habe ihn zu dir geſandt, um mir deine Gaſtfreundſchaft zu erbitten. Was haſt du beſchloſſen? “
„ Du biſt der, welcher unter dem Schutze des Groß - herrn ſteht und das Anrecht auf den Diſch-paraſſi hat? “
„ Ich bin es. “
„ Und dieſer Mann iſt dein Begleiter? “
„ Mein Freund und Gefährte. “
„ Habt ihr viele Leute bei euch? “
„ Dieſen Buluk Emini und noch einen Diener. “
„ Ser ſere men at — Ihr ſeid mir willkommen! “
Er erhob ſich von ſeinem Sitze und reichte uns die Hand entgegen. „ Setzt euch nieder an mein Feuer, und laßt es euch in meinem Hauſe gefallen! Ihr ſollt ein Zimmer bekommen, wie es euer würdig iſt. Wie hoch ſchätzeſt du deinen Diſch-paraſſi? “
„ Für uns beide und den Diener ſei er dir geſchenkt, aber dieſem Baſchi-Bozuk wirſt du fünf Piaſter*)Eine Mark. geben. Er iſt der Beauftragte des Muteſſarif, und ich habe nicht das Recht, ihm das Seinige zu entziehen. “
„ Herr, du biſt nachſichtig und gütig; ich danke dir! Es ſoll dir nichts mangeln an dem, was zu deinem Wohle gehört. Doch erlaube, daß ich mich eine kleine Weile mit dieſem Khawaſſen entferne! “
122Er meinte den Arnauten. Dieſer hatte uns ſehr finſter zugehört; jetzt nun zürnte er:
„ Ich gehe nicht fort; ich verlange das gleiche Recht für meinen Herrn! “
„ So bleibe! “meinte der Nezanum einfach. „ Wenn aber dein Gebieter keine Wohnung findet, ſo iſt es deine Schuld. “
„ Was ſind dieſe beiden Männer, welche ſagen, daß ſie unter dem Schutze des Großherrn ſtehen? Araber ſind es, welche in der Wüſte rauben und ſtehlen und hier in den Bergen die Herren ſpielen — — — “
„ Hadſchi Halef! “rief ich laut.
Der kleine Diener trat ein.
„ Halef, dieſer Khawaß wagt es, uns zu ſchmähen; wenn er noch ein einziges Wort ſagt, welches mir nicht gefällt, ſo gebe ich ihn in deine Hand! “
Der Arnaut, der bis unter die Zähne bewaffnet war, blickte mit offenbarer Verachtung auf Halef herab.
„ Vor dieſem Zwerge ſoll ich mich fürchten, ich, der ich — — “
Er konnte nicht weiter ſprechen, denn er lag bereits am Boden, und mein kleiner Hadſchi kniete über ihm, in der Rechten den Dolch zückend und die Linke um ſeinen Hals klammernd.
„ Soll ich, Sihdi? “
„ Es iſt einſtweilen genug; aber ſage ihm, daß er verloren iſt, wenn er noch eine feindſelige Miene macht! “
Halef ließ ihn los, und er erhob ſich. Seine Augen blitzten in zorniger Tücke, aber er wagte doch nichts zu unternehmen.
„ Komm! “gebot er dem Dorfälteſten.
„ Du willſt dir die Wohnung anweiſen laſſen? “fragte dieſer.
123„ Ja, einſtweilen. Wenn aber mein Herr angekom - men iſt, dann werde ich ihn herbeiſenden, und es wird ſich entſcheiden, wer in deinem Hauſe ſchläft. Er wird auch richten zwiſchen mir und dieſem Diener der beiden Araber! “
Sie gingen miteinander fort. Während der Abweſen - heit des Nezanum leiſtete uns einer ſeiner Söhne Geſell - ſchaft, und bald wurde uns geſagt, daß der Ort, an dem wir ſchlafen ſollten, für uns bereitet ſei.
Wir wurden in ein Gemach geführt, in welchem mittels Teppichen zwei weiche Lager bereitet waren; in der Mitte desſelben aber hatte man das Abendeſſen ſer - viert. Dieſe Schnelligkeit und das ganze Arrangement ließen vermuten, daß der Dorfälteſte nicht zu den armen Bewohnern des Ortes zählte. Sein Sohn ſaß bei uns, nahm aber nicht teil am Mahle; es war dies eine Re - ſpektserweiſung, auf welche wir uns etwas einbilden konnten. Die Frau und eine Tochter des Vorſtehers be - dienten uns.
Zunächſt wurde uns Scherbet gereicht. Wir tranken ihn aus ſehr hübſchen Findſchani ferfuri*)Porzellanſchalen., hier in Kur - diſtan eine ſehr große Seltenheit. Dann erhielten wir Valquapamaſi, Weizenbrot in Honig gebraten, wozu der dazu gebotene Findika**)Salat aus zarten Piſtazienblättern. allerdings nicht recht paſſen wollte. Nun folgte ein junger Vizihn***)Ziegen - braten † Wörtlich: Mühlſteine. Ein hohes, feſtes Gebäck in der runden Form der Mühlſteine. mit Reisklößen, die in feiner Brühe ſchwammen, dazu Bera aſch †) die ihrem Namen vollſtändig entſprachen. Zwei kleine Braten, welche die Fortſetzung bildeten, kamen mir recht appetitlich vor. Sie waren recht ſchön „ knuſperig “gebräunt; ich hielt ſie unbedingt für Tauben. Sie waren wirklich delikat,124 hatten aber doch einen Geſchmack, der mir etwas fremd erſchien.
„ Iſt dies Kewuk? “*)Taube. fragte ich den jungen Mann.
„ Nein. Es iſt Bartſchemik, “**)Fledermaus. antwortete er.
Hm! Eine recht hübſche gaſtronomiſche Ueberraſchung! Jetzt trat der Vorſteher herein. Auf meine Einladung ſetzte er ſich zu uns nieder und nahm teil an dem Mahle, in deſſen ganzem Verlaufe auf einer blechernen Platte duftendes Maſtir brannte. Jetzt, da der Hausherr zu - gegen war, wurde die Hauptſchüſſel aufgetragen. Sie enthielt Quapameh, Hammelbraten in ſaurer Sahne ge - backen, und dazu wurde Reis gegeben, der mit Zwiebeln abgeſotten war. Als wir zur Genüge davon gekoſtet hat - ten, winkte der Vorſteher. Man brachte eine zugedeckte Schüſſel, die er mit ſehr wichtiger Miene in Empfang nahm.
„ Rate, was das iſt! “bat er mich.
„ Zeige es! “
„ Das iſt ein Gericht, welches du nicht kennſt. Es iſt nur in Kurdiſtan zu haben, wo es ſtarke und mutige Männer giebt. “
„ Du machſt mich neugierig! “
„ Wer es genießt, deſſen Kräfte verdoppeln ſich, und er fürchtet ſich vor keinem Feinde mehr. Rieche einmal! “
Er öffnete den Deckel ein wenig und ließ mich den Duft koſten.
„ Dieſen Braten giebt es nur in Kurdiſtan? “fragte ich.
„ Ja. “
„ Du irrſt; denn ich habe dasſelbe Fleiſch bereits ſehr viele Male gegeſſen. “
„ Wo? “
„ Bei den Urus und den andern Völkern, beſonders125 aber in einem Lande, das Amerika genannt wird. Dort wächſt das Tier viel größer und iſt auch viel wilder und gefährlicher, als bei euch. “
„ Du biſt es, der ſich irrt; denn nur hier in Kurdiſtan lebt dieſes Tier. “
„ Ich bin noch nie in Kurdiſtan geweſen und erkenne dieſes Fleiſch doch bereits am Geruche; alſo muß ich es auch ſchon in andern Ländern gegeſſen haben. “
„ Was iſt es für ein Tier? “
„ Es iſt Bär. Habe ich recht? “
„ Ja wirklich, du kennſt es! “rief er erſtaunt.
„ Ich kenne es noch beſſer, als du meinſt. Ich habe noch nicht in dieſe Schüſſel geblickt und wette dennoch mit dir, daß das Fleiſch die Tatze vom Bären iſt! “
„ Du haſt es erraten! Nimm und iß! “
Nun ging es an das Erzählen von Jagdgeſchichten. Der Bär iſt in Kurdiſtan allerdings ſehr häufig anzu - treffen, aber bei weitem nicht ſo gefährlich, wie der große graue Petz von Nordamerika. Zu den gedämpften Bären - tatzen gab es ein dickes Mus von gedörrten Birnen und Pflaumen, dem ein gepanzertes Gericht folgte, nämlich geſottene Krebſe, zu denen eine Zuſpeiſe gereicht wurde, die mir ſehr fremd und kompliziert erſchien. Ich erlaubte mir, mich zu erkundigen, und die Frau des Vorſtehers gab mir bereitwillig Auskunft:
„ Nimm Kürbiſſe und koche ſie zu Brei, “meinte ſie. „ Thue Zucker und Butter dazu, rühre klaren Käſe und geſchnittenen Knoblauch hinein und füge zerdrückte Maul - beeren und weichgequollene Kerne von Sonnenblumen hinzu. Dann haſt du dieſe Speiſe, welcher keine andere gleichkommt! “
Ich koſtete dieſe unvergleichliche Miſchung von Kürbis und Sonnenblume, Käſe und Zucker, Butter, Maulbeeren126 und Knoblauch und fand, daß der Geſchmack derſelben nicht ſo ſchlimm war, wie der Klang der Ingredienzien. Den Schluß des Mahles bildeten getrocknete Aepfel und Weintrauben, zu denen ein Schluck Racki getrunken wurde. Dann kamen die Tabakspfeifen zu ihrem Rechte.
Während wir den ſtarken, rauhen und nur wenig fermentierten Tabak von Kelekowa in Brand ſteckten, ließ ſich unten ein lautes Geſpräch vernehmen. Der Vorſteher ging hinaus, um nach der Veranlaſſung desſelben zu ſehen, und da er den Eingang offen ließ, konnten wir jedes Wort vernehmen.
„ Wer iſt da? “fragte er.
„ Was will er? “hörte ich eine andere Stimme in engliſcher Sprache fragen.
„ Er fragt, wer da iſt, “antwortete ein dritter, gleich - falls engliſch.
„ Was heißt türkiſch: ich? “
„ Ben. “
„ Well! Ben!!! “rief es dann zum Wirte herauf.
„ Ben? “fragte dieſer. „ Wie iſt dein Name? “
„ Was will er? “fragte dieſelbe klappernde Stimme, die mir ſo außerordentlich bekannt war, daß ich vor Ver - wunderung über die Anweſenheit dieſes Mannes aufge - ſprungen war.
„ Er fragt, wie ſie heißen. “
„ Sir David Lindſay! “rief er herauf.
Im nächſten Augenblicke ſtand ich unten neben ihm im Flur. Ja, da lehnte er vor mir, beleuchtet vom Feuer des Herdes. Das war der hohe, graue Cylinderhut, der lange, dünne Kopf, der breite Mund, die Sierra-Morena - Naſe, der bloße, dürre Hals, der breite Hemdkragen, der graukarrierte Schlips, die graukarrierte Weſte, der grau - karrierte Rock, die graukarrierte Hoſe, die graukarrierten127 Gamaſchen und die ſtaubgrauen Stiefel. Und wahrhaftig, da in der Rechten trug er die berühmte Hacke, welche die edle Beſtimmung hatte, Fowling-bulls und andere Alter - tümer zu inſultieren!
„ Maſter Lindſay! “rief ich aus.
„ Well! Ah, wer ſein? Oh — ah — Ihr ſeid es?! “
Er riß die Augen auf und den Mund noch viel mehr und ſtaunte mich mit den genannten Organen wie einen Menſchen an, der vom Tode erſtanden iſt.
„ Wie kommt Ihr nach Spandareh, Sir? “fragte ich, beinahe ebenſo erſtaunt, wie er.
„ Ich? Well! Geritten! “
„ Natürlich! Aber was ſucht Ihr hier? “
„ Ich? Oh! Hm! Euch und Fowling-bulls! “
„ Mich? “
„ Yes! Werde erzählen. Vorher aber zanken! “
„ Mit wem? “
„ Mit Mayor, mit Bürgermeiſter von Dorf. Schau - derhafter Kerl! “
„ Warum? “
„ Will nicht haben Engliſhman, will haben Araber! Miſerabel! Wo iſt Kerl, he?! “
„ Hier ſteht er, “antwortete ich, auf den Aelteſten zeigend, der unterdeſſen herbeigetreten war.
„ Ihm zanken, räſonnieren! “gebot Lindſay dem Dol - metſcher, welcher neben ihm ſtand. „ Mach Quarrel, mach Scold, ſehr, laut, viel! “
„ Erlaubt, Sir, daß ich dies übernehme, “meinte ich.
„ Die beiden Araber, über welche Ihr Euch ärgert, werden Euch nicht im Wege ſein. Sie ſind Eure beſten Freunde. “
„ Ah! Wo ſind? “
„ Der eine bin ich, und der andere iſt Mohammed Emin. “
128„ Moh — — — ah! Emin — — ah! Wo iſt? “
„ Droben. Kommt mit herauf! “
„ Well! Ah, ganz außerordentlich, immenſe, unbe - greiflich! “
Ich ſchob ihn ohne Umſtände die ſchmale Stiege empor und wies ſowohl den Dolmetſcher als auch den Arnauten, die uns folgen wollten, zurück. Bei den kur - diſchen Damen erregte das Erſcheinen der langen, grau - karrierten Geſtalt ein gelindes Entſetzen; ſie zogen ſich in die entfernteſte Ecke zurück. Mohammed Emin aber, der ſonſt ſo ernſthafte Mann, lachte laut, als er den dunklen Krater erblickte, den der offene Mund des erſtaunten Eng - länders bildete.
„ Ah! Good day, Sir, Maſter Mohammed! How do you do — wie befinden Sie ſich? “
„ Maſchallah! Wie kommt der Inglis hierher? “fragte dieſer.
„ Wir werden es erfahren. “
„ Kennſt du dieſen Mann? “fragte mich der Herr des Hauſes.
„ Ich kenne ihn. Er iſt derſelbe Fremdling, welcher ſeinen Khawaß vorhin ſandte, um bei dir zu bleiben. Er iſt mein Freund. Haſt du eine Wohnung für ihn beſorgt? “
„ Wenn er dein Freund iſt, ſo ſoll er in meinem Hauſe bleiben, “lautete die Antwort.
„ Haſt du Raum für ſo viele Leute? “
„ Für Gäſte, welche willkommen ſind, iſt immer Raum vorhanden. Er mag Platz nehmen und ein Mahl ge - nießen! “
„ Setzt Euch, Sir, “ſagte ich alſo zu Lindſay, „ und laßt uns wiſſen, was Euch auf den Gedanken gebracht hat, die Weidegründe der Haddedihn zu verlaſſen und nach Spandareh zu kommen! “
129„ Well! Aber erſt verſorgen. “
„ Was? “
„ Diener. “
„ Die mögen für ſich ſelbſt ſorgen, denn dazu ſind ſie da. “
„ Pferde. “
„ Die werden von den Dienern verſorgt. Alſo, Maſter? “
„ Hm! War tedious, fürchterlich langweilig! “
„ Habt Ihr nicht gegraben? “
„ Viel, ſehr viel. “
„ Und etwas gefunden? “
„ Nothing, nichts, gar nichts! Fürchterlich! “
„ Weiter! “
„ Sehnſucht, ſchreckliche Sehnſucht! “
„ Wonach? “
„ Hm! Euch, Sir! “
Ich lachte.
„ Alſo aus Sehnſucht nach mir! “
„ Well, very well, yes! Fowling-bulls nicht finden. Ihr nicht da — ich fort. “
„ Aber, Sir, wir hatten doch beſtimmt, daß Ihr bis nach unſerer Rückkehr bleiben ſolltet! “
„ Keine Geduld, nicht aushalten! “
„ Es gab doch Unterhaltung genug! “
„ Mit Arabern? Pſhaw! Mich nicht verſtehen! “
„ Ihr hattet einen Dolmetſcher! “
„ Fort, weg, ausgeriſſen. “
„ Ah! Der Grieche, dieſer Kolettis iſt entflohen? Er war doch verwundet! “
„ Loch im Bein, wieder gewachſen. Halunke früh - morgens weg! “
„ Dann allerdings konntet Ihr Euch nicht gut ver - ſtändlich machen. Wie aber habt Ihr mich gefunden? “
II. 9130„ Wußte, daß Ihr nach Amadijah wolltet. Ging nach Moſſul. Konſul gab Paß; Gouverneur unterſchrieb Paß, gab Dolmetſcher mit und Khawaß. Ging nach Dohuk. “
„ Nach Dohuk? Warum dieſen Umweg? “
„ War Krieg mit Teufelsmännern; konnte nicht durch. Von Dohuk nach Duliah und von Duliah nach Mun - gayſchi. Dann hierher. Well! Euch finden. Sehr gut, prachtvoll! “
„ Aber nun? “
„ Zuſammenbleiben, Abenteuer machen, ausgraben! Fowling-bulls ſchicken, Traveller-Klub, London, yes! “
„ Schön, Maſter Lindſay! Aber wir haben jetzt andere Dinge zu thun. “
„ Was? “
„ Ihr kennt doch den Grund, welcher uns nach Ama - dijah führt! “
„ Kenne ihn. Schöner Grund, tapferer Grund, Aben - teuer! Maſter Amad el Ghandur holen. Werde ihn mit - holen! “
„ Ich glaube, daß Ihr uns nicht viel Nutzen bringen würdet. “
„ Nicht! Warum? “
„ Ihr verſteht ja nur engliſch. “
„ Habe Dolmetſcher! “
„ Wollt Ihr ihn mit in das Geheimnis ziehen? Oder habt Ihr vielleicht gar bereits davon geſprochen? “
„ Kein Wort! “
„ Das iſt gut, Sir, ſonſt wären wir ungemein ge - fährdet. Ich muß Euch offen geſtehen, daß ich gewünſcht habe, Euch erſt ſpäter wiederzuſehen. “
„ Ihr? Mich? Well, ab! Habe geglaubt, daß Ihr Freund von mir! Das aber nicht, folglich ab! Reiſe nach — nach — nach — — — “
131„ Ins Pfefferland, ſonſt nirgends wo anders hin! Es verſteht ſich ganz von ſelbſt, daß Ihr mein Freund ſeid, und ebenſo bin ich der Eurige; aber Ihr müßt doch einſehen, daß Ihr uns Schaden bringt! “
„ Schaden? Warum? “
„ Ihr fallt zu ſehr auf! “
„ Well, nicht mehr auffallen! Was muß ich thun? “
„ Hm, das iſt eine höchſt unangenehme Affaire! Zurückſchicken kann ich euch nicht; hier laſſen kann ich Euch nicht; ich muß Euch mitnehmen; wahrhaftig, es geht nicht anders! “
„ Schön, ſehr ſchön! “
„ Aber Ihr müßt Euch nach uns richten. “
„ Richten? Well, werde es! “
„ Ihr jagt Euern Dolmetſcher und auch den Khawaß fort. “
„ Müſſen fort, zum Teufel, yes! “
„ Auch dieſe Kleidung muß fort! “
„ Fort? Ah! Wohin? “
„ Weg, ganz weg. Ihr müßt wie ein Türke oder wie ein Kurde gehen. “
Er ſah mich mit einem unbeſchreiblichen Blicke an, grad ſo, als ob ich ihm zugemutet hätte, ſich ſelbſt auf - zuſpeiſen. Seine Mundſtellung wäre dazu wohl nicht ungeeignet geweſen.
„ Wie ein Türke? Wie ein Kurde? Horribel, ſchau - derhaft! “
„ Es geht nicht anders! “
„ Was anziehen? “
„ Türkiſche Pumphoſen oder ſchwarzrote kurdiſche Bein - kleider. “
„ Schwarzrot! Ah, ſchön, ſehr gut! Schwarz und rot karriert! “
132„ Meinetwegen. Wie wollt Ihr Euch tragen? Als Türke, oder als Kurde? “
„ Kurde. “
„ So müßt Ihr allerdings ſchwarzrot gehen; das iſt die kurdiſche Leibfarbe. Alſo kurdiſche Hoſen. Eine Weſte, ein Hemd, welches über die Hoſe getragen wird. “
„ Schwarzrot? “
„ Ja. “
„ Karriert? “
„ Meinetwegen! Es muß vom Hals bis auf die Knöchel reichen. Dann einen Rock oder Mantel darüber. “
„ Schwarzrot? “
„ Natürlich! “
„ Karriert? “
„ Meinetwegen! Sodann einen Turban von der rie - ſigen Größe, wie ihn vornehme Kurden zu tragen pflegen. “
„ Schwarzrot? “
„ Auch! “
„ Karriert? “
„ Meinetwegen! “
„ Dann einen Gürtel, Strümpfe, Schuhe, Waffen — — “
„ Schwarzrot? “
„ Habe nichts dagegen! “
„ Und karriert? “
„ Laßt Euch meinetwegen auch noch das Geſicht ſchwarz - rot karrieren! “
„ Wo kaufen dieſe Sachen? “
„ Da weiß ich ſelbſt keinen Rat. Einen Bazar finden wir ja erſt in Amadijah. Vielleicht aber giebt es auch hier einen Händler, denn Spandareh iſt ein großes Dorf. Und — — — Ihr habt ja Geld, viel Geld, nicht? “
„ Viel, ſehr viel, well! Werde alles bezahlen! “
„ Werde einmal fragen. “
133Ich wandte mich an den Vorſteher:
„ Giebt es hier einen Urubadſchi*)Kleidermacher oder Kleiderhändler.? “
„ Nein. “
„ Giebt es einen Mann, der jetzt nach Amadijah reiten und für dieſen Fremdling Kleider holen könnte? “
„ Ja, aber der Bazar wird erſt morgen offen ſein, und die Kleider können alſo erſt ſpät eintreffen. “
„ Oder iſt ein Mann hier, der uns ein Kleid bis Amadijah leihen würde? “
„ Du biſt mein Gaſt; ich habe ein neues Panbukah**)Anzug aus Wollenſtoff.; ich werde es ihm ſehr gern leihen. “
„ Auch einen Turban? “
„ Es giebt hier keinen, der zwei Turbane hätte; aber eine Mütze kannſt du ſehr leicht erhalten. “
„ Was für eine Art? “
„ Ich gebe dir eine Kulik***)Eine Mütze aus Filz von Ziegenhaar., die ihm paſſen wird. “
„ Welche Farbe hat ſie? “
„ Sie ſieht rot und hat ſchwarze Bänder. “
„ So bitte ich dich, dies alles für morgen früh zu beſorgen. Du giebſt uns einen Mann mit, den wir be - zahlen. Wir werden ihm in Amadijah den Anzug für dich zurückgeben. Aber ich wünſche, daß von dieſer Sache nicht geſprochen werde! “
„ Wir beide werden ſchweigen, ich und mein Bote! “
Jetzt kam das Nachtmahl für den Engländer. Er bekam einige Reſte, welche wir übrig gelaſſen hatten und denen ein neues Anſehen gegeben worden war. Er ſchien nicht bloß Appetit, ſondern ſogar Hunger zu haben; denn zwiſchen ſeinen langen, breiten, gelb glänzenden Zähnen verſchwand der größte Teil deſſen, was ihm vorgelegt134 wurde. Mit innerlicher Genugthuung bemerkte ich, daß man ihm auch einen jener kleinen Braten ſervierte, welche ich für Tauben gehalten hatte. Er ließ nicht das kleinſte Knöchelchen davon übrig. Später ſetzte man ihm unter anderem einen zierlich gearbeiteten Holzteller vor, der ein niedliches Gerichtchen enthielt, welches die Form eines Beefſteak hatte und einen ſolchen Wohlgeruch verbreitete, daß ich ſelbſt noch Appetit bekam, obgleich ich ganz gegen meine ſonſtige Gewohnheit bereits ſehr reichlich gegeſſen hatte. Ich mußte wiſſen, was dies war.
„ Sidna, was iſt dies für ein ſchönes Gericht? “fragte ich die Frau, welche den Engländer bediente.
„ Es iſt Tſchekurdſchek*)Heuſchrecken., “antwortete ſie.
„ Wie wird es bereitet? “
„ Die Heuſchrecken werden geröſtet, klein geſtoßen und in die Erde gelegt, bis ſie anfangen, zu riechen. Dann habe ich den Teig in Olivenöl gebraten. “
Auch nicht übel! Ich nahm mir vor, dieſes höchſt wichtige Recept meinem guten Maſter Fowling-bull nicht lange vorzuenthalten. Während er noch aß, ging ich hinab, um nach den Pferden zu ſehen. Sie waren wohl verſorgt. Bei ihnen ſtanden Halef, der Dolmetſcher, der Boluk Emini und der Arnaute, im heftigen Streite, der aber bei meinem Erſcheinen ſofort abgebrochen wurde.
„ Was zanket ihr, Halef? “fragte ich dieſen.
Er deutete auf den Arnauten.
„ Dieſer Menſch ſchändet dich, Sihdi. Er hat ge - droht, dich und mich zu ermorden, weil ich ihn auf deinen Befehl niedergeworfen habe. “
„ Laß ihn reden! Thun wird er wohl nichts. “
Da legte der Arnaute die Hand an die Piſtole und rief:
135„ Schweig, Menſch! Oder willſt du dich mit dieſen deinen Knechten heute noch in der Dſchehenna treffen? “
„ Tſchit-i, ker, werujem, ti ſzi ſzlep — ſei ſtill, Hund! Ich glaube, du biſt vollſtändig blind! “antwortete ich ihm arnautiſch. „ Siehſt du nicht die Gefahr, in welche du dich begiebſt? “
„ In welche? “fragte er ganz verdutzt.
„ Male ti pucſhke ne gadſchaju dobo — dieſe Piſtolen treffen nicht gut! “antwortete ich, auf ſeine Waffen deutend.
„ Warum? “
„ Budutſchi um-e-m öno bölje — weil ich es beſſer kann! “
Zu gleicher Zeit hielt ich ihm meinen Revolver ent - gegen. Ich hatte die Gewaltthätigkeit dieſer arnautiſchen Soldaten genugſam kennen gelernt, um ſelbſt einen ſo ein - fachen Fall nicht zu leicht zu nehmen. Der Arnaute achtet das Leben eines Menſchen gleich nichts. Er ſchießt wegen eines Schluck Waſſers einen andern ruhig nieder und beugt dann dafür mit derſelben Ruhe ſein Haupt unter das Schwert des Henkers. Wir hatten dieſen Khawaß beleidigt; ein Schuß war ihm zuzutrauen. Den - noch nahm er die Hand von den Piſtolen und fragte im Tone der Verwunderung:
„ Du ſprichſt die Sprache von Schkiperia*)So nennen die Albaneſen ihr Land.? “
„ Wie du hörſt! “
„ Biſt du ein Schkipetar? “
„ Nein. “
„ Was ſonſt? “
„ Ich bin ein Nematz**)Deutſcher., und ich ſage dir, daß die Leute aus Nemacſchka***)Deutſchland. es verſtehen, mit deinesgleichen umzuſpringen. “
„ Ein Nematz biſt du nur? Kein Madſchar, kein Rusz,136 kein Szrbin*)Serbe. und kein Turcſchin? Obictz-i dſchawo-wraga — fahre zum Teufel! “
Er erhob blitzſchnell die Piſtole und drückte los. Hätte ich nicht das Auge feſt auf die Mündung der Waffe gehalten, ſo wäre mir die Kugel in den Kopf ge - gangen; ſo aber fuhr ich mit dem Kopf raſch zur Seite nieder, und die Kugel ging über mich hinweg. Ehe er den zweiten Lauf abfeuern konnte, hatte ich ihn unter - laufen und preßte ihm die Arme an den Leib.
„ Soll ich ihn erſchießen, Sihdi? “fragte Halef.
„ Nein. Bindet ihn! “
Um ſeine Arme nach hinten zu bekommen, mußte ich ſie einen Augenblick freigeben. Das benutzte er, riß ſich los und ſprang davon. Im nächſten Augenblicke war er zwiſchen den Bäumen, welche die Häuſer trennten, ver - ſchwunden. Alle Anweſenden eilten ihm nach, aber ſie kehrten bald wieder zurück, ohne ihn geſehen zu haben.
Der Schuß hatte auch die andern herbeigelockt.
„ Wer hat geſchoſſen, Sir? “fragte Lindſay.
„ Euer Khawaß. “
„ Auf wen? “
„ Auf mich. “
„ Ah! Fürchterlich! Weshalb? “
„ Aus Rache. “
„ Iſt richtiger Arnaut! Hat getroffen? “
„ Nein. “
„ Ihn erſchießen, Sir; ſofort! “
„ Er iſt entflohen. “
„ Well; laufen laſſen! Kein Schade! “
Damit hatte er allerdings ſehr recht. Der Arnaute hatte mich nicht getroffen, warum alſo blutdürſtig ſein? Zurück137 kam er ſicherlich nicht wieder, und ein hinterliſtiger An - fall ſtand wohl auch nicht zu befürchten. Der Engländer brauchte nun, da er mich gefunden hatte, weder ihn noch den Dolmetſcher, und ſo wurde auch dieſer letztere ab - gelohnt, und zwar mit der Weiſung, daß er morgen früh Spandareh verlaſſen und nach Moſſul zurückkehren könne.
Die übrige Zeit des Abends verbrachten wir mit den Kurden in lebhafter Unterhaltung, die mit einem Tanze ſchloß, der uns zu Ehren veranſtaltet wurde. Man lud uns ein, in den Hof zu kommen. Dieſer bildete ein Viereck, das von einem niederen Dache eingeſchloſſen wurde, auf dem ſämtliche anweſende Männer Platz nah - men. Hier lagen, hockten und knieten ſie in den maleriſch - ſten Stellungen, während ſich gegen dreißig Frauen in dem Hofraume zum Tanze verſammelt hatten.
Sie bildeten einen doppelten Kreis, in deſſen Mitte ein Vortänzer ſtand, der einen Wurfſpieß ſchwang. Das Orcheſter beſtand aus einer Flöte, einer Art von Geige und zwei Tamburins. Der Vortänzer gab das Zeichen zum Beginne durch einen lauten Ruf. Seine Tanzkunſt beſtand aus den mannigfaltigſten Arm - und Beinbewe - gungen, die er immer auf ein und derſelben Stelle aus - führte. Der Kreis der Frauen ahmte dieſelben nach. Ich fand nicht, daß dieſem einfachen Tanze irgend ein Ge - danke, irgend eine Idee zu Grunde liege; aber dennoch gewährten dieſe Frauen mit ihren eckigen Turbanmützen, von denen lange, über den Rücken geſchlungene Schleier herabwallten, bei der ungewiſſen Fackelbeleuchtung einen ganz hübſchen Anblick.
Als dieſer einfache Tanz beendet war, gaben die Männer ihre Zufriedenheit durch ein lautes Murmeln zu erkennen, ich aber zog ein Armband hervor und rief die Tochter des Vorſtehers, die mich beim Eſſen bedient138 hatte und ſich jetzt mit unter den Tänzerinnen befand, zu mir herauf. Es beſtand aus gelben Glasſtücken und hatte das täuſchende Anſehen jenes rauchigen, halbdurch - ſichtigen Bernſteines, der im Oriente ſo beliebt, geſucht und teuer iſt. Bei einem deutſchen Tabulettkrämer hätte ich dieſes Armband mit fünfzig bis ſechzig Pfennigen be - zahlt; hier aber richtete ich vorausſichtlich eine Freude damit an, die mir bedeutend höher angerechnet wurde.
Das Mädchen kam herbei. Alle Männer hatten ge - hört, daß ich ſie zu mir verlangte, und wußten, daß es ſich um eine Belobigung handeln werde. Ich mußte der Höflichkeit meiner Erzieher Ehre zu machen ſuchen.
„ Komme herbei, du lieblichſte Tochter der Kurden von Miſſuri! Auf deinen Wangen glänzt das Licht Schefag*)Der Morgenröte., und dein Antlitz iſt lieblich wie der Kelch Sumbul**)Der Hyacinthe.. Deine langen Locken duften wie der Hauch Gulilik***)Der Blume., und deine Stimme klingt wie der Geſang Bulbuli†)Der Nach - tigall.. Du biſt das Kind der Gaſtfreundſchaft, die Tochter eines Helden, und wirſt die Braut eines weiſen Kurden und eines tapferen Kriegers werden. Deine Hände und Füße haben mich erfreut wie der Tropfen, der den Durſtigen labt. Nimm dieſes Bazihn††)Armband., und denke meiner, wenn du dich damit ſchmückeſt! “
Sie errötete vor Freude und Verlegenheit und wußte nicht was ſie antworten ſollte.
„ Az khorbane ta, Hodia — ich bin dein eigen†††)Eigentlich wörtlich: „ Dein Opfer “., o Gebieter! “liſpelte ſie endlich.
Dies iſt ein gebräuchlicher Gruß der kurdiſchen Frauen und Mädchen, einem vornehmen Manne gegen - über. Auch der Dorfälteſte war ſo erfreut über die ſeiner Tochter gewordene Auszeichnung, daß er ſogar die orien -139 taliſche Zurückhaltung ganz vergaß und ſich das Geſchenk reichen ließ, um es zu betrachten.
„ O wie herrlich, wie koſtbar! “rief er aus und ließ das Armband ringsum von Hand zu Hand gehen. „ Das iſt Bernſtein, ſo guter, prächtiger Bernſtein, wie ihn der Sultan nicht köſtlicher an ſeiner Pfeife trägt! Meine Tochter, dein Vater kann dir keine ſolche Hochzeitsgabe ſchenken, wie ſie dieſer Emir dir gegeben hat. Aus ſeinem Munde ertönt die Stimme der Weisheit, und von den Haaren ſeines Schnurrbartes träufelt die Güte. Frage ihn, ob er es dir erlaubt, ihm ſo zu danken, wie eine Tochter ihrem Vater dankt! “
Sie errötete noch mehr als vorhin; aber ſie fragte dennoch:
„ Erlaubſt du es, Herr? “
„ Ich erlaube es. “
Da bog ſie ſich zu mir, der ich auf dem Boden ſaß, hernieder und küßte mich auf den Mund und auf die beiden Wangen; dann aber eilte ſie ſchnell davon.
Ich war über dieſe Art, ſeine Dankbarkeit zu be - weiſen, nicht erſtaunt; denn ich wußte, daß es den Mädchen der Kurden erlaubt iſt, Bekannte auch mit einem Kuſſe zu begrüßen. Einem höher Stehenden gegen - über würde eine ſolche Vertraulichkeit eine Beleidigung ſein, und daher hatte ich eigentlich meine Güte verdoppelt, indem ich den Kuß geſtattete. Dies ſprach der Vorſteher auch ſofort aus.
„ Emir, deine Gnade erleuchtet mein Haus, wie das Licht der Sonne die Erde erwärmt. Du haſt meine Tochter begnadigt, damit ſie ſich deiner erinnern möge; erlaube, daß auch ich dir ein Andenken verehre, damit du Spandareh nicht vergeſſen mögeſt! “
Er bog ſich über die Kante des Daches vor und rief140 das Wort „ Dojan “*)Falke. in den Hof hinab. Sogleich ertönte ein freudiges Gebell; eine Thüre wurde geöffnet, und ich bemerkte, daß die unten Stehenden einem Hunde Platz machten, damit er über die Treppe herauf zu uns kommen könne. Nur einen Augenblick ſpäter ſtand derſelbe vor dem Aelteſten und liebkoſete ihn. Es war einer jener koſtbaren gelbgrauen und außergewöhnlich großen und ſtarken Windhunde, die in Indien, Perſien und Tur - keſtan bis nach Sibirien hinein Slogi genannt werden. Bei den Kurden wird dieſe ſeltene Raſſe Tazi genannt. Sie ereilen die flüchtigſte Gazelle; ſie holen oft ſelbſt den wilden Eſel und das windſchnelle Tſchiggetai ein und fürchten ſich vor keinem Panther und vor keinem Bären. Ich muß geſtehen, daß mich der Anblick dieſes Tieres mit lebhafter Bewunderung erfüllte. Er war als Hund ebenſo koſtbar, wie mein Rappe dieſes Prädikat als Pferd verdiente.
„ Emir, “meinte der Vorſteher, „ die Hunde der Miſ - ſurikurden ſind berühmt weit über unſere Berge hinaus. Ich habe manchen Tazi erzogen, auf den ich ſtolz ſein konnte; keiner aber hat dieſem hier geglichen. Er ſei dein! “
„ Nezanum, dieſe Gabe iſt ſo wertvoll, daß ich ſie nicht annehmen kann, “antwortete ich ihm.
„ Willſt Du mich beleidigen? “fragte er ſehr ernſt.
„ Nein, das will ich nicht, “lenkte ich ein. Ich wollte nur ſagen, daß deine Güte größer iſt als die meinige. Erlaube, daß ich den Tazi annehme, aber geſtatte mir auch, dir dieſes Fläſchlein zu geben! “
„ Was iſt es? Ein Wohlgeruch aus Perſien? “
„ Nein. Es iſt von mir gekauft worden beim Beith Allah in der heiligen Stadt Mekka und enthält das Waſſer vom Brunnen Zem-Zem. “
141Ich machte es vom Halſe los und reichte es ihm. Er war ſo gewaltig erſtaunt, daß er vergaß, zuzugreifen. Ich legte es in ſeinen Schoß.
„ O Emir, was thuſt du! “rief er endlich entzückt. „ Du bringſt in mein Haus die herrlichſte Gabe, welche Allah der Erde verliehen hat. Iſt es dein Ernſt, daß du ſie mir ſchenkeſt? “
„ Nimm ſie hin, ich gebe ſie dir ſehr gern! “
„ Geſegnet ſei deine Hand, und ſtets weile das Glück auf deinem Pfade! Kommt her, ihr Männer, und be - fühlt dieſe Flaſche, damit die Güte des großen Emir auch euch beglücken möge! “
Die Flaſche ging von Hand zu Hand. Ich hatte mit ihr die größte Freude geſtiftet, die es nur geben kann. Als ſich das Entzücken des Vorſtehers einigermaßen ge - legt hatte, wandte er ſich wieder zu mir:
„ Herr, dieſer Hund iſt nun dein. Spucke ihm drei - mal in das Maul, und nimm ihn heut unter deinen Mantel, wenn du ſchlafen geheſt, ſo wird er dich nie wieder verlaſſen! “
Der Engländer hatte das alles mit angeſehen, ohne den Vorgang recht zu verſtehen. Er fragte mich:
„ Zem-Zem verſchenkt, Maſter? “
„ Ja. “
„ Well! Immer fort damit! Waſſer iſt Waſſer! “
„ Wißt Ihr, was ich dafür bekommen habe? “
„ Was? “
„ Dieſen Hund. “
„ Wie? Was? Nicht möglich! “
„ Warum nicht? “
„ Zu koſtbar. Kenne die Hunde! Dieſer iſt fünfzig Pfund wert! “
„ Noch mehr. Aber dennoch gehört er mir. “
142„ Warum? “
„ Weil ich der Tochter des Ortsvorſtehers das Arm - band geſchenkt habe. “
„ Schrecklicher Kerl! Koloſſales Glück! Erſt Pferd von Mohammed Emin, gar nichts zu bezahlen, und nun auch Windhund! Ich Pech dagegen. Nicht einen einzigen Fowling-bull gefunden. Schauderhaft! “
Auch Mohammed bewunderte den Hund, und ich glaube gern, daß er ein klein wenig eiferſüchtig auf mich war. Ich muß geſtehen, ich hatte Glück. Kurz bevor ich mich zur Ruhe begab, ging ich noch einmal zu den Pferden. Der Vorſteher traf mich dort.
„ Emir, “fragte er halblaut, „ darf ich eine Frage aus - ſprechen? “
„ Sprich! “
„ Du willſt nach Amadijah? “
„ Ja. “
„ Und noch weiter? “
„ Das weiß ich noch nicht. “
„ Es iſt ein Geheimnis dabei? “
„ Das vermuteſt du? “
„ Ich vermute es. “
„ Warum? “
„ Du haſt einen Araber bei dir, der nicht vorſichtig iſt. Er ſchlug den Aermel ſeines Gewandes zurück, und dabei habe ich die Tättowirung ſeines Armes geſehen. Er iſt ein Feind der Kurden und auch ein Feind des Mu - teſſarif; er iſt ein Haddedihn. Habe ich richtig geſehen? “
„ Er iſt ein Feind des Muteſſarif, aber nicht ein Feind der Kurden, “antwortete ich.
Dieſer Mann war ehrlich; ich konnte ihn nicht be - lügen. Es war jedenfalls beſſer, ihm zu vertrauen, als ihm eine Unwahrheit zu ſagen, die er doch nicht geglaubt hätte.
143„ Die Araber ſind ſtets Feinde der Kurden; aber er iſt dein Freund und mein Gaſt; ich werde ihn nicht ver - raten. Ich weiß, was er in Amadijah will. “
„ Sage es! “
„ Es iſt viele Tage her, daß die Krieger des Muteſſa - rif einen gefangenen Araber hier durchführten. Sie ſtiegen bei mir ab. Er war der Sohn des Scheik der Haddedihn und ſollte in Amadijah gefangen gehalten werden. Er ſah deinem Freunde ſo ähnlich wie der Sohn dem Vater. “
„ Solche Aehnlichkeiten kommen ſehr oft vor. “
„ Ich weiß es, und ich will dir dein Geheimnis gar nicht rauben; aber eins will ich dir ſagen: Kehreſt du von Amadijah zurück, ſo kehre bei mir ein, es mag am Tage ſein oder mitten in der Nacht, im geheimen oder öffentlich. Du biſt mir willkommen, auch wenn der junge Araber bei dir iſt, von dem ich geſprochen habe. “
„ Ich danke dir! “
„ Du ſollſt mir nicht danken! Du haſt mir das Waſſer des heiligen Zem-Zem gegeben; ich werde dich beſchützen in jeder Not und Gefahr. Wenn dich aber dein Weg nach einer andern Richtung führt, ſo mußt du mir eine Bitte erfüllen. “
„ Welche? “
„ Im Thale von Berwari liegt das Schloß Gumri. Dort wohnt der Sohn des berühmten Abd el Summit Bey; eine meiner Töchter iſt ſein Weib. Grüße ſie und ihn von mir. Ich werde dir ein Zeichen mitgeben, an dem ſie erkennen, daß du mein Freund biſt. “
„ Ich werde es thun. “
„ Sage ihnen jede Bitte, die du auf dem Herzen haſt; ſie werden ſie dir gern erfüllen, denn kein wackerer Kurde liebt die Türken und den Muteſſarif von Moſſul. “
Er trat in das Haus. Ich wußte, was der brave144 Mann bezweckte. Er erriet, was wir vorhatten, und wollte mir auf alle Fälle nützlich ſein. Ich ging nun ſchlafen und nahm den Windhund mit. Als wir am andern Morgen erwachten, erfuhren wir, daß der Dol - metſcher des Engländers Spandareh bereits verlaſſen habe. Er hatte den Weg nach Bebozi eingeſchlagen.
Ich hatte mit Mohammed Emin in demſelben Ge - mache geſchlafen; dem Engländer aber war ein anderer Raum angewieſen worden. Er trat jetzt zu uns herein und — wurde mit einem hellen Gelächter empfangen. Niemand kann ſich den Anblick denken, welchen uns der brave Maſter Lindſay bot. Vom Halſe bis herab zu den Füßen war er vollſtändig rot und ſchwarz, allerdings noch nicht karriert, und auf dem hohen, ſpitzigen Kopfe ſaß wie ein umgekehrter Kaffeeſack die kurdiſche Mütze, von welcher lange Bänder wie die Fangarme eines Po - lypen herabhingen.
„ Good morning! Warum lachen? “grüßte er ſehr ernſt.
„ Vor Freude über Euer außerordentlich amüſantes Exterieur, Sir. “
„ Well! Freut mich! “
„ Was tragt Ihr hier unter dem Arme? “
„ Hier? Hm! Ein Paket, denke ich! “
„ Das ſehe ich allerdings auch. Was enthält es? “
„ Iſt mein Hat-box, meine Hutſchachtel. “
„ Ah! “
„ Habe den Hut eingewickelt, auch Gamaſchen und Stiefel. Well! “
„ Das konntet Ihr alles hier laſſen! “
„ Hier? Warum? “
„ Wollt Ihr Euch mit dieſen unnützen Kleinigkeiten ſchleppen? “
145„ Unnütz? Kleinigkeiten? Schauderhaft! Brauche ſie doch wieder! “
„ Aber wohl nicht gleich. “
„ Kehren wir zurück nach hier? “
„ Das iſt zweifelhaft. “
„ Alſo! Hat-box wird alſo mitgenommen! Verſteht ſich! “
Das weite Gewand ſchlotterte ihm um den hagern Leib wie ein altes Tuch, das man einer Vogelſcheuche umgehangen hat. Das ſtörte ihn aber nicht. Er nahm würdevoll an meiner Seite Platz und meinte ſiegesbewußt:
„ Nun bin ich Kurde! Well! “
„ Ein echter und richtiger! “
„ Famos, ausgezeichnet! Prachtvolles Abenteuer! “
„ Eins aber fehlt Euch noch! “
„ Was? “
„ Die Sprache. “
„ Werde lernen. “
„ Das geht nicht ſo ſchnell, und wenn Ihr uns nicht ſchaden wollt, ſo ſeid Ihr gezwungen, unter zwei Ent - ſchlüſſen einen zu faſſen. “
„ Welche Entſchlüſſe? “
„ Entweder Ihr geltet für ſtumm — — — “
„ Stumm? Dumb? Abſcheulich! Geht nicht! “
„ Ja, für ſtumm oder gar taubſtumm. “
„ Sir, Ihr ſeid verrückt! “
„ Danke! Es bleibt aber doch dabei. Alſo, entweder Ihr geltet für ſtumm, oder Ihr habt ein Gelübde ge - than — — — “
„ Gelübde? Well! Schöner Gedanke! Intereſſant! Welches Gelübde? “
„ Nicht zu ſprechen. “
„ Nicht zu reden? Kein Wort? Ah! “
II. 10146„ Kein einziges! “
„ Keine Silbe? “
„ Keine! Nämlich nur dann, wenn wir beobachtet ſind. Befinden wir uns aber allein, ſo könnt Ihr reden nach Herzensluſt. “
„ Iſt gut! Nicht ganz übel! Werde Gelübde thun! Wann geht es an? “
„ Sofort, nachdem wir Spandareh verlaſſen haben. “
„ Well! Einverſtanden! “
Nach dem Morgenkaffee erhielten wir noch allerhand Proviant eingepackt; dann ſtiegen wir zu Pferde. Wir hatten Abſchied von allen Mitgliedern des Hauſes, außer dem Hausherrn ſelbſt, genommen und ſagten auch den andern, die ſich verſammelt hatten, lebewohl. Der Vor - ſteher hatte ſatteln laſſen, um uns eine Strecke Weges zu begleiten.
Hinter Spandareh gab es einen ſehr beſchwerlichen, kaum reitbaren Weg, der uns zu den Tura-Ghara - Bergen emporführte. Es gehörten faſt die Füße von Gemſen dazu, dieſen Felſenpfad zu überwinden, aber wir langten glücklich auf der Höhe an. Hier hielt der Vor - ſteher ſein Pferd an, nahm aus der Satteltaſche ein Paket und ſagte:
„ Nimm dies und gieb es dem Manne meiner Tochter, wenn du nach Gumri kommen ſollteſt. Ich habe ihr ein perſiſches Tuch und ihrem Manne für ſeine Mehin*)Stute. einen Dizgin**)Zügel, Zaum. verſprochen, wie ihn die Kurden von Pir Mani führen. Wenn du ihnen dieſe Sachen bringſt, ſo wiſſen ſie, daß du mein Freund und Bruder biſt, und werden dich ſo aufnehmen, als ob ich es ſelber wäre. Aber ich wünſche um deinetwillen dennoch, daß du wieder zu mir zurückkehren mögeſt. “
147Er deutete auf einen Reiter, der uns gefolgt war und bei Halef und dem Baſchi-Bozuk hielt.
„ Das iſt der Mann, der mir den Anzug dieſes Fremdlings wieder bringen wird. Ihm könnteſt du auch das Paket geben, wenn du merkſt, daß dich dein Weg nicht nach Gumri führt. Und nun ſcheiden wir! Aaleïk ſallam, u rahhmet Allah — der Friede und die Barm - herzigkeit ſei mit dir! “
Wir umarmten und küßten uns, dann gab er auch den andern die Hand und kehrte um. Ich hatte in ihm einen Mann kennen gelernt, an den ich noch heute mit Achtung und Wohlwollen zurückdenke.
Wir ritten weiter. Der Weg ging bergab in das Thal von Amadijah hinunter. Dieſes Thal wird von einer Sandſteinablagerung gebildet und von ſehr vielen Schluchten durchſchnitten, in denen rauſchende Waldbäche ſtrömen. Sie führen alle ihr Waſſer dem Zab entgegen. Die Schluchten und Gelände ſind mit kräftigen Eichen - waldungen beſtanden, die bedeutende Galläpfelernten lie - fern, mit denen die Bewohner einen einträglichen Handel treiben. In der Ebene liegen zahlreiche chaldäiſche Dörfer, die aber entweder öde und verlaſſen ſind, oder nur wenige Bewohner zählen, da die Chaldäer ſich vor den Be - drückungen der Türken und den Einfällen räuberiſcher Kurdenſtämme gern in die Berge zurückziehen.
Durch dieſe Landſchaft, deren Eichen mich heimatlich anmuteten, ritten wir unſerm Ziele entgegen.
„ Darf ich reden? “fragte Lindſay leiſe.
„ Ja. Wir ſind ja unbelauſcht. “
„ Aber der Kurde hinter uns? “
„ Kommt nicht in Betracht. “
„ Well! “
„ Dorf hieß Spandareh? “
„ Ja. “
„ Wie Euch gefallen? “
149„ Sehr. Und Euch, Sir? “
„ Prächtig! Guter Wirt, gute Wirtin, feines Eſſen, ſchöner Tanz, prachtvoller Hund! “
Bei dem letzten Worte blickte er auf das Windſpiel, welches neben meinem Pferde hertrabte; ich war ſo vor - ſichtig geweſen, es mittels einer Leine an meinen Steig - bügel zu binden. Uebrigens hatte der Hund bereits Freundſchaft mit meinem Pferde geſchloſſen und ſchien es genau zu wiſſen, daß ich ſein Herr geworden ſei. Er blickte mit ſeinen großen, klugen Augen ſehr aufmerkſam zu mir empor.
„ Ja, “antwortete ich. „ Alles war ſchön, beſonders das Eſſen. “
„ Excellent! Sogar Taube und Beefſteaks! “
„ Hm! Glaubt Ihr wirklich an die Taube? “
„ Well! Warum nicht? “
„ Weil es keine war. “
„ Nicht? Keine Taube. War welche! “
„ War keine! “
„ Was ſonſt? “
„ Es war das Tier, das von den Zoologen den la - teiniſchen Namen Vespertilio murinus oder myotis er - halten hat. “
„ Bin kein Zoolog. Auch nicht Latein! “
„ Dieſe Taube heißt gewöhnlich Fledermaus. “
„ Fleder — — — “
Er hielt inne. Seine Geſchmacks - und Verdauungs - nerven wurden beim Klange dieſes Wortes in eine An - ſtrengung verſetzt, durch welche ſein Mund in eine tra - pezoïde und perennierende Höhlenöffnung verwandelt wurde, in welcher man die ſchönſte Entdeckungsreiſe vornehmen konnte. Sogar die lange Naſe ſchien in Mitleidenſchaft gezogen zu ſein, denn ihre Spitze bekam jene weiße Fär -150 bung, von welcher der Dichter geſungen haben ſoll: „ Ich weiß nicht, was ſoll es bedeuten, daß mir ſo traurig iſt! “
„ Ja, Fledermaus war es, Sir. Fledermaus habt Ihr gegeſſen. “
Er hielt ſein Pferd an und ſtarrte in das Blaue.
Endlich hörte ich einen lauten Klapp; der Mund war wieder zugefallen, und ich ahnte, daß ihm nun auch das Vermögen, ſeine Gefühle in Worte zu faſſen, zurück - gekommen ſei.
„ — — — maus!!! “
Mit dieſer kleinen Silbe ſetzte er das vorhin begon - nene „ Fleder — — — “fort; dann langte er von ſeinem Pferde herüber und faßte mich am Arme.
„ Sir! “
„ Was? “
„ Vergeßt die Achtung nicht, die man einem jeden Gentleman ſchuldig iſt! “
„ Habe ich ſie Euch gegenüber vergeſſen? “
„ Sehr, ſage ich! “
„ Inwiefern? “
„ Wie könnt Ihr behaupten, daß Sir David Lindſay Fledermäuſe ißt! “
„ Fledermäuſe? Ich habe nur von einer einzigen ge - ſprochen. “
„ Gleich! Eine oder mehrere, die Injurie bleibt ſich gleich Ihr werdet mir Genugthuung geben! Satisfaktion! Well! “
„ Die habt Ihr ja bereits! “
„ Ich habe? Ich hätte? Ah! Wie? “
„ Ihr habt eine Satisfaktion erhalten, die Euch voll - ſtändig genügen wird. “
„ Welche? Weiß von keiner! “
„ Ich habe ſelbſt auch Fledermaus gegeſſen; auch Mohammed Emin. “
151„ Auch? Ihr und er? Ah! “
„ Ja. Auch ich hielt es für Taube. Als ich mich aber erkundigte, hörte ich, daß es Fledermaus ſei. “
„ Fledermaus hat Häute! “
„ Waren weggeſchnitten. “
„ Alſo wirklich wahr? “
„ Wirklich. “
„ Kein Scherz, kein Spaß? “
„ Ernſt! “
„ Fürchterlich! Oh! Bekomme Kolik, Cholera, Ty - phus, oh! “
Er machte ein wirkliches Cholerageſicht; ich mußte Erbarmen zeigen:
„ Fühlt Ihr Euch unwohl, Sir? “
„ Sehr! Yes! “
„ Soll ich helfen? “
„ Schnell! Womit? “
„ Mit einem homöopathiſchen Mittel. “
„ Habt Ihr eins? Mir iſt wirklich übel! Armſelig! Welches Mittel? “
„ Similia similibus. “
„ Wieder Zoologie? Latein? “
„ Ja. Latein iſt es: gleiches mit gleichem. Und zoo - logiſch iſt es auch, nämlich Heuſchrecken. “
„ Was! Heuſchrecken? “
„ Ja, Heuſchrecken. “
„ Gegen das Uebelſein? Soll ich eſſen? “
„ Ihr ſollt ſie nicht eſſen, ſondern Ihr habt ſie be - reits gegeſſen. “
„ Habe bereits? Ich? “
„ Ja. “
„ Dulness, Dummheit! Unmöglich! Wann? “
„ Geſtern abend. “
152„ Ah! Erklärung! “
„ Ihr ſagtet vorhin, die Beefſteaks ſeien ſehr gut geweſen. “
„ Sehr! Ungeheuer gut! Well! “
„ Es waren keine Beefſteaks. “
„ Keine? Keine Beefſteaks! Bin Engliſhman! Waren welche! “
„ Waren keine! Ich habe ja gefragt. “
„ Was ſonſt? “
„ Es waren in Olivenöl gebratene Heuſchrecken. Wir Deutſche nennen dieſe delikaten Springer ſogar zuweilen Heupferde. “
„ Heu — — — “
Wieder blieb ihm wie vorhin das Wort auf halbem Wege ſtecken, aber diesmal geſtattete er ſeinem Munde nicht, allzu offenherzig zu werden, ſondern er preßte die Lippen mit ſolcher Charakterſtärke zuſammen, daß ſie ihre Ausdehnung, anſtatt in die Weite, ſo ſehr in die Breite nahmen, daß es ihm bei nur einigem guten Willen mög - lich geweſen wäre, mit jedem Mundwinkel ein Ohrläppchen abzukneipen. Und die Naſe war über das Verſchwinden der ihr ſo ſympathiſchen Oeffnung ſo beſtürzt, daß ſie ihre Spitze weit herunterbog, um nachzuſehen, wie dem Ver - luſte abzuhelfen ſei.
Da endlich näherten ſich die Dimenſionen wieder ihrem früheren Zuſtande; die Restitutio in integrum ſtellte ſich ein, und die Lippen ließen voneinander ab.
„ — — — pferde! “
So ließ er die Fortſetzung ſeines unterbrochenen „ Heu — — — “vernehmen, und die Naſenſpitze ſchnellte ſich befriedigt in die Höhe.
„ Ja, Heupferde habt Ihr gegeſſen. “
„ Ah! Schauderhaft! Habe ſie ja aber gar nicht ge - ſchmeckt! “
153„ Wißt Ihr ſo genau, wie ſie ſchmecken? “
Er machte mit Armen und Beinen eine Bewegung, als wolle er ſich auf dem Pferde um ſeine eigene Achſe drehen.
„ No, at no time, niemals! “
„ Ich verſichere Euch, daß es Heuſchrecken waren. Sie werden geröſtet und zerrieben; dann legt man ſie in die Erde, bis ſie haut gout erhalten, und ſchmort ſie in dem Oele der friedlichen Olive. Ich habe mir dieſes Rezept von der Frau des Dorfälteſten geben laſſen und weiß alſo ſehr genau, was ich ſage. “
„ Entſetzlich! Bekomme Magenkrampf! “
„ Seid Ihr mit meiner Satisfaktion zufrieden? “
„ Habt auch Heupferd gegeſſen? “
„ Nein. “
„ Nicht? Warum nicht? “
„ Weil ich keines vorgeſetzt bekam. “
„ Nur ich? “
„ Nur Ihr allein; jedenfalls als ehrenvolle Auszeich - nung für Euch, Sir! “
„ Habt Ihr gewußt? “
„ Erſt nicht. Aber während Ihr aßt, fragte ich. “
„ Warum mir nicht gleich geſagt? “
„ Weil Ihr jedenfalls etwas gethan hättet, wodurch unſer Wirt beleidigt worden wäre. “
„ Maſter, will mir das verbitten! Yes! Hinterliſt! Heimtücke! Schadenfreude! Werde mich mit Euch ſchlagen, boxen oder — — — “
Er hielt inne, denn es fiel ein Schuß, und die Kugel riß mir einen Fetzen aus dem Turban.
„ Herab, und hinter die Pferde geſtellt! “rief ich.
Zugleich warf ich mich vom Pferde, keinen Augen - blick zu früh, denn ein zweiter Knall ertönte, und die
154Kugel pfiff über mich hinweg. Mit einem ſchnellen Griffe zog ich die Schnur, an welche der Hund gebunden war, aus dem Halsbande desſelben.
„ Sert — halte feſt! “
Nur einen kurzen Laut ſtieß der Hund aus, der faſt ſo klang, als ob er mir ſagen wollte, daß er mich ver - ſtanden habe; dann ſchoß er in das Gebüſch.
Wir befanden uns in einer Schlucht, deren Seiten von dicht ſtehenden jungen Eichen bewachſen waren. Selbſt einzudringen, war zu gefährlich, da wir uns der Waffe des unſichtbaren Schützen ausgeſetzt hätten. Wir ſchützten uns durch die Körper unſerer Pferde und horchten.
„ Maſchallah! Wer mag es ſein? “fragte Mohammed Emin.
„ Der Arnaute, “antwortete ich.
Da hörten wir einen Schrei und gleich darauf ein lautes, rufendes Anſchlagen des Hundes.
„ Dojan hat den Thäter, “meinte ich ſo ruhig wie möglich. „ Buluk Emini, gehe hin und hole ihn! “
„ Allah illa Allah! Emir, ich bleibe; es könnten zehn oder gar hundert ſein, und dann wäre ich verloren! “
„ Und dein Eſel wäre ein Waiſenkind geworden, du Haſenfuß! Paß auf die Pferde auf! Kommt! “
Wir drangen in das harte Geſtrüpp ein und brauchten nicht weit zu gehen. Ich hatte mich nicht geirrt; es war der Arnaute. Der Hund ſtand nicht, ſondern er lag auf ihm, und zwar in einer Stellung, welche mich über die außergewöhnliche Klugheit des Tieres erſtaunen ließ. Der Arnaute hatte nämlich ſeinen Dolch gezogen, um ſich gegen den Angreifer zu verteidigen; der Hund hatte alſo eine mehrfache Aufgabe. Darum hatte er ihn niedergeriſſen und ſich ſo auf den rechten Arm des Arnauten gelegt, daß dieſer denſelben nicht bewegen konnte. Dabei hielt er ihn155 mit den Zähnen am Halſe, zwar leicht, aber doch ſo, daß der Ueberwundene bei der geringſten Bewegung verloren war.
Ich nahm dem Meuchler erſt den Dolch aus der Hand und dann die eine Piſtole aus dem Gürtel; die andere, abgeſchoſſene lag am Boden; er hatte ſie beim Angriffe des Hundes fallen laſſen.
„ Geri — zurück! “
Auf dieſen Befehl ließ Dojan den Arnauten los. Dieſer erhob ſich und griff ſich unwillkürlich an den Hals. Ich ſagte zu ihm:
„ Menſch, du mordeſt ja! Soll ich dich niederſchlagen? “
„ Sihdi befiehl es, und ich hänge ihn auf! “bat Halef.
„ Pah! Er hat keinen von uns getroffen. Laßt ihn laufen! “
„ Emir, “meinte Mohammed, „ er iſt ein wildes Tier, welches unſchädlich gemacht werden muß! “
„ Er hat auf mich geſchoſſen und wird keine Gelegen - heit haben, es wieder zu thun. Packe dich, Schurke! “
Im Nu war er zwiſchen den Büſchen verſchwunden. Der Hund wollte ihm augenblicklich folgen, aber ich hielt ihn zurück.
„ Sihdi, wir müſſen ihm nach; er iſt ein Arnaute und bleibt uns gefährlich! “rief Halef.
„ Wo will er uns gefährlich ſein? Etwa in Amadi - jah? Dort darf er ſich nicht ſehen laſſen, ſonſt laſſe ich ihm den Prozeß machen. “
Auch Mohammed und der Engländer erhoben hef - tigen Widerſpruch, aber ich kehrte zu den Pferden zurück und ſtieg auf. Der Hund folgte mir ungeheißen; ich merkte, daß ich ihn nicht anzubinden brauchte, und fand dies in der Folge auch beſtätigt.
Gegen Mittag erreichten wir ein kleines Dorf,156 Namens Bebadi; es ſah ſehr ärmlich aus und hatte ne - ſtorianiſche Bewohner, wie ich zu bemerken glaubte. Wir machten da eine kurze Raſt und hatten Mühe zu unſerm Proviant einen Schluck Scherbet zu erhalten.
Nun hatten wir den kegelförmigen Berg vor uns, auf welchem Amadijah liegt. Wir erreichten es ſehr bald. Zur Rechten und zur Linken des Weges, der uns empor - führte, bemerkten wir Fruchtgärten, die eine leidliche Pflege zu genießen ſchienen; der Ort ſelbſt aber machte ſchon von außen keinen ſehr imponierenden Eindruck auf uns. Wir ritten durch ein Thor, das jedenfalls ein - mal ganz verfallen und dann nur notdürftig ausgebeſſert worden war. Einige zerlumpte Arnauten ſtanden da, um Sorge zu tragen, daß kein Feind die Stadt überfalle. Einer von ihnen ergriff mein Pferd, und ein anderer das des Haddedihn beim Zügel.
„ Halt! Wer ſeid ihr? “fragte er mich.
Ich deutete auf den Buluk Emini.
„ Siehſt du nicht, daß wir einen Soldaten des Groß - herrn bei uns haben? Er wird dir Antwort geben. “
„ Ich habe dich gefragt, aber nicht ihn! “
„ Fort, auf die Seite! “
Bei dieſen Worten nahm ich mein Pferd in die Höhe; es that einen Sprung, und der Mann fiel auf die Erde. Mohammed folgte meinem Beiſpiele, und wir ritten da - von. Hinter uns aber hörten wir die Arnauten fluchen und den Baſchi-Bozuk ſich mit ihnen zanken. Ein Mann begegnete uns, der einen langen Kaftan trug und ein altes Tuch um den Kopf geſchlungen hatte.
„ Wer biſt du, Mann? “fragte ich ihn.
„ Herr, ich bin ein Jehudi*)Jude.. Was befiehlſt du mir? “
„ Weißt du, wo der Muteſſelim**)Kommandant. wohnt? “
157„ Ja, Herr. “
„ Führe uns nach ſeinem Serai! “
Je ſicherer man im Oriente auftritt, deſto freund - licher wird man behandelt. Zudem war dieſer Mann ein Jude, alſo nur ein in Amadijah Geduldeter; er wagte es nicht, ſich zu widerſetzen. Wir wurden von ihm durch eine Reihe von Gaſſen und Bazars geführt, die alle den Eindruck des Verfallens auf mich machten.
Dieſe wichtige Grenzfeſtung ſchien ſehr vernachläſſigt zu werden. Es gab kein Leben in den Straßen und Lä - den; nur wenige Menſchen begegneten uns, und die, welche wir ſahen, hatten ein krankhaftes, gedrücktes Aus - ſehen und waren lebende Zeugniſſe für die bekannte Un - geſundheit dieſer Stadt.
Der Serai verdiente ſeinem Aeußern nach den Namen eines Palaſtes nicht im geringſten. Er glich einer aus - gebeſſerten Ruine, vor deren Eingang nicht einmal eine Wache zu ſehen war. Wir ſtiegen ab und übergaben Halef, dem Kurden und dem Buluk Emini, der uns wieder eingeholt hatte, unſere Pferde. Nachdem der Jude ein Geſchenk erhalten hatte, wofür er ſich enthuſiaſtiſch bedankte, traten wir ein.
Erſt nachdem wir einige Gänge durchwandert hatten, kam uns ein Mann entgegen, der bei unſerem Anblick ſeinen langſamen Gang in einen ſchnellen Lauf verwandelte.
„ Wer ſeid ihr? Was wollt ihr hier? “fragte er mit zorniger Stimme.
„ Mann, rede anders, ſonſt werde ich dir zeigen, was Höflichkeit iſt! Wer biſt du? “
„ Ich bin der Aufſeher dieſes Palaſtes. “
„ Iſt der Muteſſelim zu ſprechen? “
„ Nein. “
„ Wo iſt er? “
158„ Ausgeritten. “
„ Das heißt, er iſt daheim und hält ſeinen Kef! “
„ Willſt du ihm gebieten, was er thun und laſſen ſoll? “
„ Nein; aber ich will dir gebieten, mir die Wahrheit zu ſagen! “
„ Wer biſt du, daß du ſo mit mir redeſt? Biſt du ein Ungläubiger, daß du es wagſt, mit einem Hunde in den Palaſt des Kommandanten einzutreten? “
Er hatte recht, denn neben mir ſtand der Windhund und beobachtete uns mit Augen, die mir deutlich ſagten, daß er nur auf meinen Wink warte, um ſich auf den Tür - ken zu ſtürzen.
„ Stelle Wachen vor das Thor, “antwortete ich ihm; „ dann wird niemand Zutritt erhalten, dem derſelbe nicht erlaubt worden iſt. In welcher Zeit kann ich mit dem Muteſſelin ſprechen? “
„ Zur Zeit der Abenddämmerung. “
„ Gut. So ſage ihm, daß ich kommen werde! “
„ Und wenn er mich fragt, wer du biſt? “
„ So ſageſt du, ich ſei ein Freund des Muteſſarif von Moſſul. “
Er wurde verlegen; wir aber kehrten um und ſtiegen wieder zu Pferde, um uns eine Wohnung zu ſuchen. Eine ſolche war eigentlich ſehr leicht zu finden, denn wir be - merkten, daß viele Häuſer leer ſtanden; doch konnte es nicht meine Abſicht ſein, heimlich von einem derſelben Beſitz zu ergreifen.
Indem wir ſo, die Gebäude muſternd, dahinritten, kam uns eine rieſige, martialiſche Geſtalt entgegen. Der Mann ging breitſpurig wie ein oſterländiſcher Zwölf - ſpänner. Seine Samtjacke war ebenſo wie ſeine Hoſe von Goldſtickereien bedeckt; ſeine Waffen hatten keinen geringen Wert, und von dem Tſchibuk, welchen er mit159 großem Selbſtbewußtſein im Gehen rauchte, hingen, wie ich ſpäter zählte, vierzehn ſeidene Quaſten herab. Er blieb ſeitwärts von uns ſtehen, um meinen Rappen mit wichtiger Kennermiene zu betrachten. Ich hielt an und grüßte ihn.
„ Sallam! “
„ Aaleïkum! “antwortete er mit einem ſtolzen Neigen ſeines Hauptes.
„ Ich bin hier fremd und mag mit keinem Birkadſchi*)Ein gewöhnlicher Mann. reden. Erlaube, daß ich mich bei dir erkundige! “ſagte ich wenigſtens ebenſo ſtolz.
„ Deine Rede ſagt mir, daß du ein Effendi biſt. Ich werde deine Fragen beantworten. “
„ Wer biſt du? “
„ Ich bin Selim Agha, der Befehlshaber der Alba - neſen, welche dieſe berühmte Feſtung verteidigen. “
„ Und ich bin Kara Ben Nemſi, ein Schützling des Padiſchah und Abgeſandter des Muteſſarif von Moſſul. Ich ſuche mir ein Haus in Amadijah, in dem ich einige Tage wohnen kann. Kannſt du mir eins nennen? “
Er ließ ſich zu einer Bewegung militäriſcher Ehr - erbietung herab und meinte:
„ Allah ſegne deine Hoheit, Effendi! Du biſt ein großer Herr, der in dem Palaſte des Muteſſelim Auf - nahme finden muß. “
„ Der Aufſeher des Palaſtes hat mich fortgewieſen, und ich — — — “
„ Alla verderbe dieſe Kreatur, “unterbrach er mich. „ Ich werde gehen, um ihn in Stücke zu zerreißen! “
Er rollte die Augen und fuchtelte mit beiden Armen. Dieſer Mann war wohl nur ein Bramarbas gewöhnlicher Sorte.
160„ Laß dieſen Menſchen! Er ſoll nicht die Ehre haben, Gäſte bei ſich zu ſehen, die ihm viel Backſchiſch bringen. “
„ Backſchiſch? “fragte der Tapfere. „ Du giebſt viel Backſchiſch? “
„ Ich pflege damit nicht zu geizen. “
„ Oh, ſo weiß ich ein Haus, in welchem du wohnen und rauchen kannſt, wie der Schah-in-Schah von Perſien. Soll ich dich führen? “
„ Zeige es mir! “
Er wandte ſich wieder um und ſchritt voran. Wir folgten. Er führte uns durch einige leere Bazargaſſen, bis wir vor einem kleinen offenen Platze hielten.
„ Das iſt der Meidan jüdſchelikün, der ‚ Platz der Größe ‛ “, erklärte er.
Dieſer Platz hatte alle möglichen Eigenſchaften, nur groß war er nicht, und grad darum jedenfalls hatte man ihm dieſen hochtrabenden Namen gegeben. Daß ich mich in einer türkiſchen Stadt befand, ſah ich hier ſehr genau; denn es lungerten wohl an die zwanzig herrenloſe Hunde auf dieſem Meidan jüdſchelikün herum, unter denen mehrere räudig waren. Bei dem Anblick meines Hundes erhoben ſie ein wütendes Geheul, dem aber Dojan, wie ein Paſcha einem Haufen von Bettlern gegenüber, keine Aufmerk - ſamkeit ſchenkte.
„ Und hier iſt das Haus, welches ich meine, “fügte der Agha hinzu.
Er zeigte dabei auf ein Gebäude, das die ganze eine Fronte des Platzes einnahm und gar kein übles Aus - ſehen hatte. Es zeigte nach vorn heraus mehrere Peng - dſcheri*)Fenſter., die mit hölzernen Gitterſtäben verſehen waren, und um das platte Dach lief ein Schutzgeländer, gewiß ein großer Luxus hier zu Lande.
161„ Wer wohnt in dieſem Hauſe? “fragte ich.
„ Ich ſelbſt, Effendi, “antwortete er.
„ Und wem gehört es? “
„ Mir. “
„ Du haſt es gekauft oder gemietet? “
„ Keines von beidem. Es war Eigentum des be - rühmten Ismaïl Paſcha und blieb ſeitdem herrenlos, bis ich es in Beſitz nahm. Komm, ich werde dir alles zeigen! “
Dieſer wackere Befehlshaber der Arnauten hatte jedenfalls großes Wohlgefallen an meinem Backſchiſch ge - funden. Doch war mir ſein Anerbieten ſehr willkommen, da ihn ſeine Stellung befähigte, mir über alles Nötige die gewünſchte Auskunft zu geben. Wir ſtiegen vor dem Hauſe ab und traten ein. Im Flure hockte ein altes Weib, welches Zwiebeln ſchälte und dabei mit thränenden Augen die abgefallenen Schalen kaute. Ihrem Ausſehen nach war ſie entweder die Urgroßmutter des ewigen Juden, oder die von dem Tode ganz vergeſſene Tante von Me - thuſalem.
„ Höre, meine ſüße Merſinah, hier bringe ich dir Männer! “redete er ſie in ſehr liebenswürdigem Tone an.
Sie konnte uns vor Thränen nicht ſehen und wiſchte ſich daher mit der Zwiebel, die ſie grad in der Hand hielt, die Augen aus, ſo daß das Waſſer ſich verdoppelte.
„ Männer? “fragte ſie mit einer Stimme, welche dumpf wie die Antwort eines Klopfgeiſtes aus dem zahnloſen Munde hervorklang.
„ Ja, Männer, die in dieſem Hauſe wohnen werden. “
Sie warf die Zwiebeln von ſich und ſprang mit jugendlicher Schnelligkeit vom Boden auf.
„ Wohnen? Hier in dieſem Hauſe? Biſt du toll, Selim Agha? “
II. 11162„ Ja, meine liebliche Merſina, du wirſt die Meicha - nedſcha*)Wirtin. dieſer Männer ſein und ſie bedienen. “
„ Wirtin? Bedienen? Allah kerihm! Du biſt wirk - lich verrückt geworden! Habe ich nicht bereits Tag und Nacht zu arbeiten, um nur mit dir allein fertig zu werden! Jage ſie fort, fort auf der Stelle; das befehle ich dir! “
Er wurde ein wenig verlegen; das war ihm anzu - merken. Die „ ſüße, liebliche “Merſinah ſchien hier ein ſehr kräftiges Scepter zu führen.
„ Deine Arbeit ſoll nicht größer werden, meine Taube. Ich werde ihnen eine Kyzla**)Mädchen, Dienerin. halten, die ſie bedienen wird. “
„ Eine Kyzla? “fragte ſie, und dabei klang ihre Stimme nicht mehr dumpf und hohl, ſondern kreiſchend und über - ſchnappend, als ob der roſige Mund der lieblichen Taube ſich in einen Klarinettenſchnabel verwandelt hätte. „ Eine Kyzla! Und wohl eine junge, hübſche Kyzla, he? “
„ Das kommt auf dieſe Männer an, Merſina. “
Sie ſtemmte die Arme in die Hüften, eine Bewegung, welche dem Oriente ebenſo eigentümlich iſt, wie dem Abend - lande, und holte tief Atem. Dies war ein Zeichen, daß ſie einen bedeutenden Luftvorrat brauchen werde, um ihre angeſtammte Herrſchaft mit dem notwendigen Nachdrucke verteidigen zu können.
„ Auf dieſe Männer? Auf mich kommt das an! Hier bin ich Herrin! Hier habe ich allein zu befehlen! Hier habe ich zu beſtimmen, was geſchehen ſoll, und ich gebiete dir, dieſe Männer fortzujagen! Hörſt du, Selim Agha? Fort, augenblicklich! “
„ Aber es ſind ja gar keine Männer, meine einzige Merſina! “
Merſinah, was im Deutſchen Myrte bedeutet, wiſchte163 ſich die Aeuglein abermals aus und betrachtete uns ſehr genau. Ich ſelbſt war etwas erſtaunt über dieſe Be - hauptung des Agha. Was denn eigentlich ſollten wir ſein, wenn wir keine Männer waren?
„ Nein, “antwortete er. „ Es ſind keine Männer, ſondern Effendis, große Effendis, die unter dem Schutze des Großherrn ſtehen. “
„ Was geht mich der Großherr an! Hier bin ich die Großherrin, die Sultanin Valide, und was ich ſage, das — — — “
„ Aber ſo höre doch! Sie werden ein ſehr gutes Backſchiſch geben! “
Backſchiſch hat im Oriente eine zauberhafte Wirkung; es ſchien auch hier das richtig erlöſende Wort zu ſein. Die „ Myrte “ließ die Arme ſinken, verſuchte ein einlen - kendes Lächeln, welches aber in ein höhniſches Grinſen ausartete, und wandte ſich an Maſter David Lindſay:
„ Ein großes Backſchiſch? Iſt das wahr? “
Der Gefragte ſchüttelte den Kopf und deutete auf mich.
„ Was iſt mit dieſem? “fragte ſie mich. „ Iſt er über - geſchnappt? “
„ Nein, “antwortete ich. „ Laß dir ſagen, wer wir ſind, du Seele dieſes Hauſes! Dieſer Mann, den du jetzt fragteſt, iſt ein ſehr frommer Pilger aus Londoniſtan; er gräbt mit ſeiner Hacke, die du hier ſiehſt, in die Erde, um die Sprache der Verſtorbenen zu belauſchen, und hat ein Gelübde gethan, kein Wort zu reden, bis er die Er - laubnis dazu hat. “
„ Ein Frommer, ein Heiliger, ein Zauberer? “fragte ſie erſchrocken.
„ Ja. Ich warne dich, ihn zu beleidigen! Dieſer andere Mann iſt der Anführer eines großen Volkes weit im Weſten von hier, und ich bin ein Emir derjenigen164 Krieger, welche die Frauen verehren und Backſchiſch geben. Du biſt die Sultana dieſes Hauſes. Erlaube uns, es zu beſehen, ob wir für einige Tage darinnen wohnen können! “
„ Effendi, deine Rede duftet nach Roſen und Nelken; dein Mund iſt weiſer und klüger als das Maul dieſes Selim Agha, der ſtets vergißt, das Richtige zu ſagen, und deine Hand iſt wie die Hand Allahs, die Segen ſpendet. Haſt du viele Diener bei dir? “
„ Nein, denn unſer Arm iſt ſtark genug, uns ſelbſt zu beſchützen. Wir haben nur drei Begleiter: einen Diener, einen Khawaſſen des Muteſſarif von Moſſul und einen Kurden, welcher noch heute Amadijah wieder ver - laſſen wird. “
„ So ſeid ihr mir willkommen! Seht euch mein Haus und meinen Garten an, und wenn es euch bei mir ge - fällt, ſo wird mein Auge über euch wachen und leuchten! “
Sie wiſchte ſich die „ Wachenden “und „ Leuchtenden “abermals aus und ſammelte dann die Zwiebeln vom Boden auf, um uns den Weg zu ebnen. Der tapfere Agha der Arnauten ſchien mit dieſem Ausgange ſehr zu - frieden zu ſein. Er brachte uns zunächſt nach einer Stube, welche ihm als Wohnung diente. Sie war ſehr geräumig und hatte als einziges Möbel einen alten Teppich, der als Sofa, Bett, Stuhl und Tiſch gebraucht wurde. An den Wänden hingen einige Waffen und Tabakspfeifen, und auf dem Boden ſtand eine Flaſche, in deren Nähe einige hohle Eierſchalen zu ſehen waren.
„ Ich heiße euch willkommen, ihr Herren, “meinte er. „ Laßt uns den Trunk der Freundſchaft thun! “
Er bückte ſich, um die Flaſche nebſt den Schalen auf - zuheben, und gab von den letzteren einem jeden von uns eine in die Hand. Dann ſchenkte er ein. Es war165 Raki. Wir tranken aus den hühnerognoſtiſchen Pokalen, er aber ſetzte die Flaſche ſelbſt an den Mund und nahm ſie nicht eher wieder fort, bis er die beruhigende Ueber - zeugung hatte, daß das ſcharfe, ſchwefelſaure Getränk der Bouteille keinen chemiſchen Schaden mehr thun könne. Dann nahm er uns die Schalen aus der Hand, ſog das heraus, was wir noch drin gelaſſen hatten, und legte ſie ſehr behutſam auf den Boden nieder.
„ Kendim idſchad eter — meine eigne Erfindung! “meinte er ſtolz. „ Wundert ihr euch, daß ich keine Gläſer habe? “
„ Du wirſt dieſe ſchöne Erfindung den Gläſern vor - ziehen, “antwortete ich.
„ Ich ziehe ſie vor, weil ich keine Gläſer habe. Ich bin Agha der Albaneſen und habe als Sold und Taim monatlich dreihundertdreißig Piaſter*)66 Mark. zu bekommen; aber ich warte bereits ſeit elf Monaten auf dieſes Geld. Allah kerihm; Padiſchah kendiſi onu kullar — Gott iſt gnädig, und der Sultan braucht es ſelber! “
Da durfte ich mich allerdings nicht darüber wun - dern, daß das Wort Bakſchiſch für ihn eine nachhaltige Bedeutung hatte.
Er führte uns nun in dem Hauſe herum. Es war geräumig gebaut, aber doch auch bereits in Verfall ge - raten. Wir nahmen uns vier Zimmer, eins für jeden von uns und eins für Halef und den Baſchi-Bozuk. Der Preis war gering, fünf Piaſter, alſo eine Mark pro Woche für die Stube.
„ Wollt ihr auch den Garten ſehen? “fragte er dann.
„ Natürlich! Iſt er ſchön? “
„ Sehr ſchön; ſo ſchön, wie die Gärten des Para - dieſes! Du ſiehſt da allerlei Bäume, Kräuter und Gräſer,166 die ich gar nicht kenne. Bei Tage leuchtet über ihm die Sonne, und des Nachts glänzen die Augen der Sterne auf ihn herab. Er iſt ſehr ſchön! “
„ Regnet es auch auf ihn nieder? “fragte ich beluſtigt.
„ Wenn es regnet, erhält er auch ſein Teil; ja, es iſt zuweilen ſogar Schnee auf ihn gefallen. Komm und ſiehe! “
Im Hofe gab es einen Schuppen, den wir für die Pferde mieteten. Auch er koſtete eine Mark. Der Garten maß ungefähr vierzig Schritte im Gevierte, war alſo ſehr unbedeutend. Ich ſah eine verkrüppelte Cypreſſe und einen wilden Apfelbaum. Die „ allerlei Kräuter und Gräſer “beſtanden einfach aus wildem Kendir*)Hanf., ausgewucherter Madanos**)Peterſilie. und einigen notoriſch armen Gänſeblümchen. Das größte Wunder dieſes Gartens aber war ein Beet, auf welchem Soghani***)Zwiebeln., Sarmyſak†)Knoblauch., Kedilan††)Katzenkraut., eine Stachelbeere, mehrere Pilſenkräuter und einige verblühte Veilchen in lieblicher Eintracht nebeneinander verhungerten.
„ Bir güzel bagtſche — ein ſchöner Garten! Nicht wahr? “fragte der Agha, indem er eine gewaltige Tabaks - wolke auspuffte.
„ Güzel-zorli — gewaltig ſchön! “entgegnete ich.
„ Pek bereketli — ſehr fruchtbar! “
„ Ghajet bereketli — äußerſt fruchtbar! “
„ Ile tſchok güzel dikekler — und viele ſchöne Pflan - zen! Nicht? “
„ Syz ſajyjü — ohne Zahl! “
„ Weißt du, wer hier gewandelt hat? “
„ Wer? “
„ Die ſchönſte Roſe von Kurdiſtan. Haſt du niemals von Esma Khan gehört, der keine andere an Schönheit gleich gekommen iſt? “
167„ Sie war das Weib von Ismaïl Paſcha, dem letzten erblichen Sohne der abbaſſidiſchen Khalifen? “
„ Ja; du weißt es. Sie führte den Ehrentitel ‚ Khan‘, wie alle Frauen dieſer erlauchten Familie. Er wurde, nämlich Ismaïl Paſcha, von dem Indſcheh Bairakdar Mohammed Paſcha belagert; dieſer ſprengte die Mauern des Schloſſes, welches dann im Sturm genommen wurde. Darauf ging Ismaïl mit Esma Khan als Gefangener nach Bagdad. Hier hat ſie gelebt und geduftet. Emir, ich wollte, ſie wäre noch hier! “
„ Hat ſie auch dieſe Peterſilie und dieſen Knoblauch gepflanzt? “
„ Nein, “antwortete er ſehr ernſthaft; „ das hat Mer - ſinah, meine Wirtſchafterin, gethan. “
„ So danke Allah, daß du an Stelle von Esma Khan dieſe ſüße Merſinah bei dir haſt! “
„ Effendi, ſie iſt zuweilen ſehr bitter! “
„ Darüber darfſt du nicht murren, denn Allah teilt die Gaben ſehr verſchieden aus. Und daß du den Duft dieſer ‚ Myrte‘ atmen ſollſt, das ſtand ja wohl im Buche verzeichnet. “
„ So iſt es! Aber ſage mir, Emir, ob du dieſen Garten pachten willſt! “
„ Wie viel verlangſt du dafür? “
„ Du bezahlſt mir zehn Piaſter*)Zwei Mark. für die Woche. Dann dürft ihr alle in den Garten gehen und an die Esma Khan denken, ſo oft ihr wollt! “
Ich zögerte mit der Antwort. Der Garten ſtieß an die Rückwand eines Gebäudes, in welcher ich zwei Reihen kleiner Löcher bemerkte. Das ſah mir recht gefängnis - mäßig aus. Ich mußte mich erkundigen:
„ Ich glaube nicht, daß ich dieſen Garten mieten werde. “
168„ Warum nicht? “
„ Weil mich dieſe Mauer ſtört. “
„ Dieſe Mauer? Warum, Effendi? “
„ Ich liebe es nicht, in der Nähe eines Gefängniſſes zu ſein. “
„ Oh, die Leute, welche da drinnen ſtecken, können dich nicht ſtören. Ihre Löcher ſind ſo tief, daß ſie dieſe kleinen Fenſter gar nicht erreichen können. “
„ Iſt dies das einzige Gefängnis in Amadijah? “
„ Ja. Das andere iſt eingefallen. Mein Tſchauſch*)Sergeant. hat die Aufſicht über die Gefangenen. “
„ Und du glaubſt, daß mich dieſe nicht ſtören werden? “
„ Du wirſt nichts von ihnen ſehen und keinen Laut von ihnen hören. “
„ So werde ich dir die zehn Piaſter geben. Du haſt alſo in Summa für die Woche fünfunddreißig Piaſter von uns zu bekommen. Erlaube, daß ich dich für die erſte Woche jetzt gleich bezahle! “
Er ſchmunzelte bei dieſem Anerbieten vor Vergnügen im ganzen Geſichte. Der Engländer bemerkte, daß ich in die Taſch griff, um zu bezahlen. Er ſchüttelte den Kopf, zog ſeine eigne Börſe hervor und reichte ſie mir. Er konnte eine kleine Erleichterung derſelben recht wohl ver - ſchmerzen; darum nahm ich drei Mahbub-Zechinen hervor und gab ſie dem Agha.
„ Hier nimm! Das übrige iſt Bakſchiſch für dich. “
Das war mehr als das Doppelte von dem, was er zu erhalten hatte; darum machte er ein ſehr vergnügtes Geſicht und meinte ſehr reſpektvoll:
„ Emir, der Kuran ſagt: ‚ Wer doppelt giebt, dem wird es Allah hundertfach ſegnen. ‘ Allah iſt dein Schuld - ner; er wird es dir reichlich vergelten! “
169„ Wir brauchen nun Teppiche und Pfeifen für unſere Zimmer. Wo kann man dieſe geliehen bekommen, Agha? “fragte ich ihn.
„ Herr, wenn du noch zwei ſolche Goldſtücke giebſt, wirſt du alles erhalten, was dein Herz begehrt. “
„ Hier haſt du ſie! “
„ Ich eile, um euch zu bringen, was du brauchſt. “
Wir verließen den Garten. Im Hofe ſtand Mer - ſinah, die Seele des Palaſtes. Ihre Hände waren jetzt von Ruß geſchwärzt. Sie rührte mit dem Zeigefinger in einem Gefäße voll zerlaſſener Butter.
„ Emir, wirſt du die Zimmer nehmen? “erkundigte ſie ſich.
Bei dieſer Frage mochte ihr einfallen, daß der Finger kein integrierender Teil des Napfes ſei; ſie zog ihn alſo heraus und ſtrich ihn ſehr behutſam an der herausgeſtreckten Zunge ab.
„ Ich werde ſie behalten; auch den Schuppen und den Garten. “
„ Er hat bereits alles bezahlt, “bemerkte der Agha nachdrücklich.
„ Wie viel? “fragte ſie.
„ Fünfunddreißig Piaſter für die erſte Woche. “
Von dem Bakſchiſch ſagte der Schalk nichts. Ob er wohl auch in dieſer Beziehung unter dem Paputſch*)Pantoffel. ſeiner „ Myrte “ſtand? Ich nahm noch eine Mahbub - Zechine**)Ungefähr fünf Mark. aus der Börſe und gab ſie ihr.
„ Hier nimm, du Perle der Gaſtfreundſchaft! Das iſt das erſte Bakſchiſch für dich. Wenn wir mit dir zu - frieden ſind, wirſt du mehr erhalten. “
Sie griff höchſt eilfertig zu und ſteckte das Geld in ihren Gürtel.
170„ Ich danke dir, o Herr! Ich werde darüber wachen, daß du dich in meinem Hauſe ſo wohl befindeſt, wie im Schoße des Erzvaters Ibrahim. Ich ſehe, daß du der Emir der tapfern Krieger biſt, welche die Frauen ver - ehren und Bakſchiſch geben. Geht hinauf in eure Zim - mer! Ich werde euch einen ſteifen Pirindſch machen, mit ſehr viel zerlaſſener Butter darüber! “
Dabei fuhr ſie ſelbſtvergeſſen und „ in der Gewohn - heit holder Sitte “mit dem Finger wieder in den Napf und begann von neuem zu rühren. Ihr Anerbieten war ein ſehr leutſeliges, aber — brrrr!
„ Deine Güte iſt groß, “antwortete ich, „ aber wir haben leider keine Zeit, ſie anzunehmen, da wir jetzt aus - gehen müſſen. “
„ Aber du wünſcheſt doch, daß ich die Speiſen für euch bereite, Emir? “
„ Du ſagteſt doch, daß du Tag und Nacht zu ar - beiten hätteſt, um nur den Agha zu bedienen; wir dürfen dich alſo nicht noch mehr beläſtigen. Uebrigens ſteht zu erwarten, daß wir oft zu Tiſche geladen werden, und wenn dies nicht der Fall iſt, ſo werden wir unſer Eſſen beim Jemegidſchi*)Speiſewirt. holen laſſen. “
„ Aber das Ehrenmahl darfſt du mir doch nicht ver - ſagen! “
„ Nun wohl, ſo ſiede uns einige Eier; etwas anderes dürfen wir heute nicht eſſen. “
Das war das einzige, was man füglicherweiſe aus den Händen der zarten „ Myrte “genießen konnte.
„ Eier? Ja, die ſollſt du haben, Effendi, “antwortete ſie geſchäftig; „ aber wenn ihr ſie eſſet, ſo ſchonet der Scha - len, denn Agha Selim gebraucht ſie als Becher, und dieſer Unvorſichtige iſt ſo unbedachtſam, ſie alle zu zerbrechen. “
171Wir zogen uns für kurze Zeit in unſere Räume zurück, in denen der Agha bald mit den Decken, Teppichen und Pfeifen erſchien, die er ſich bei den betreffenden Händ - lern ausgeliehen hatte. Sie waren neu und darum rein - lich, ſo daß wir zufrieden ſein konnten. Dann erſchien Merſinah mit dem Deckel einer alten Holzſchachtel, wel - cher als Präſentierteller diente. Auf demſelben befanden ſich die Eier, welche uns zum Ehrenmahle dienen ſollten. Daneben lagen einige halb verbrannte Teigfladen und — auch der berühmte Butternapf ſtand dabei, umgeben von einigen Eierſchalen, in denen ſich ſchmutziges Salz, grob geſtoßener Pfeffer und ein ſehr zweifelhafter Kümmel be - fand. Meſſer oder Eierlöffel gab es natürlich nicht.
Dieſe lukulliſche Empfangsgaſterei, zu welcher wir die Höflichkeit hatten, auch Merſinah einzuladen, wurde bald und glücklich überwunden. Sie bedankte ſich höflichſt für die ihr erwieſene, nie geahnte Ehre und ging mit ihrem „ Alfenidegeſchirr “in die Küche. Auch der Agha erhob ſich.
„ Weißt du, Herr, wohin ich jetzt gehen werde? “fragte er.
„ Ich werde es wohl hören. “
„ Zum Muteſſelim. Er ſoll erfahren, was du für ein vornehmer Emir biſt, und wie dich der Aufſeher ſeines Palaſtes behandelt hat. “
Er vollendete ſein dienſtliches Aeußere dadurch, daß er ſich die Reſte der zerlaſſenen Butter, welche er mit Merſinah allein genoſſen hatte, aus dem Schnurrbart ſtrich, und brach auf. Jetzt waren wir allein.
„ Darf ich reden, Sir? “fragte jetzt Lindſay.
„ Ja, Maſter. “
„ Kleider kaufen! “
„ Jetzt? “
„ Ja. “
172„ Rotkarrierte? “
„ Natürlich! “
„ So wollen wir zum Bazar gehen! “
„ Aber ich nicht reden! Ihr müßt kaufen, Sir. Hier Geld? “
„ Kaufen wir uns nur Kleider? “
„ Was noch? “
„ Einiges Geſchirr, welches wir brauchen und kluger - weiſe dem Agha oder der Haushälterin zum Geſchenk machen können. Sodann Tabak, Kaffee und ähnliche Dinge, die ſich nicht gut entbehren laſſen. “
„ Well; bezahle alles! “
„ Wir werden uns zunächſt Eurer Börſe bedienen und ſodann miteinander abrechnen. “
„ Pſhaw! Bezahle alles! Abgemacht! “
„ Gehe ich mit? “fragte Mohammed.
„ Wie du willſt. Nur denke ich, daß du beſſer thuſt, dich ſo wenig wie möglich ſehen zu laſſen. In Spandareh hat man dich auch als einen Haddedihn erkannt, gar nicht gerechnet, daß du deinem Sohne ſehr ähnlich ſiehſt, was mir auch der dortige Dorfälteſte verſicherte. “
„ So bleibe ich zurück! “
Wir brannten unſere Dſchibuks an und gingen. Der Hausflur war mit Rauch erfüllt, und in der Küche huſtete die „ Myrte “. Als ſie uns bemerkte, kam ſie für einen Augenblick hervor.
„ Wo ſind unſere Leute? “fragte ich ſie.
„ Bei den Pferden. Du willſt gehen? “
„ Wir begeben uns nach dem Bazar, um einiges ein - zukaufen. Laß dich nicht ſtören, du Hüterin der Küche. Dort läuft dir das Waſſer über. “
„ Laß es laufen, Herr. Das Eſſen wird dennoch fertig! “
173„ Das Eſſen? Kochſt du es in dieſem großen Keſſel? “
„ Ja. “
„ So iſt es jedenfalls nicht für dich und Selim Agha? “
„ Nein. Ich habe für die Gefangenen zu kochen. “
„ Ah! Die ſich hier nebenan befinden? “
„ Ja. “
„ Giebt es viele ſolche Unglückliche in dem Hauſe? “
„ Noch nicht zwanzig. “
„ Die ſind alle aus Amadijah? “
„ O nein. Es ſind mehrere arnautiſche Soldaten, die ſich vergangen haben, einige Chaldäer, ein Kurde, ein paar Einwohner von Amadijah und auch ein Araber. “
„ Ein Araber? Araber giebt es hier ja gar nicht! “
„ Er wurde von Moſſul gebracht. “
„ Was bekommen ſie zu eſſen? “
„ Brotfladen, die ich backe, und dann des Mittags oder des Nachmittags, ganz wie es mir paßt und gefällt, dieſes warme Eſſen. “
„ Worin beſteht es? “
„ Mehl in Waſſer gequirlt. “
„ Wer bringt es ihnen? “
„ Ich ſelbſt. Der Sergeant öffnet mir die Löcher. Haſt du ſchon einmal ein Gefängnis geſehen, Emir? “
„ Nein. “
„ Wenn du es ſehen willſt, ſo darfſt du es mir nur ſagen; ich nehme dich mit. “
„ Der Sergeant würde es mir nicht erlauben! “
„ Er erlaubt es dir, denn ich bin ſeine Herrin. “
„ Du? “
„ Ja. Bin ich nicht die Herrin ſeines Agha? “
„ Das iſt wahr! Ich werde mir einmal überlegen, ob es ſich für die Würde eines Emir ſchickt, ein Gefäng -174 nis zu beſuchen und denen, welche dies erlauben, ein gutes Bakſchiſch zu geben. “
„ Es ſchickt ſich, Herr; es ſchickt ſich ſehr. Du wirſt vielleicht deine Gnade leuchten laſſen auch über die Ge - fangenen, daß ſie mir einige Speiſen und auch Tabak ab - kaufen können, was ſie ſonſt nicht haben! “
Nichts konnte mir lieber ſein als die Erfahrung, welche ich hier machte; aber ich war ſo vorſichtig, ein - gehendere Fragen jetzt noch zu vermeiden, da ich durch dieſelben leicht hätte Verdacht erregen können. Halef, der Buluk Emini und der Kurde aus Spandareh wurden ge - rufen, uns zu begleiten; dann gingen wir.
Die Bazars waren wie ausgeſtorben. Kaum daß wir eine Kaffeeſchänke fanden, wo uns ein Trank gereicht wurde, der mir ſehr nach gebrannten Gerſtenkörnern ſchmeckte. Dort erfuhren wir auch, was die Urſache der jetzigen Lebloſigkeit in Amadijah war. Trotz der hohen und freien Berge dieſer Stadt iſt ſie nämlich außerordent - lich ungeſund, ſo daß ſich bei Anbruch der wärmeren Jahreszeit ſchleichende Fieber erzeugen. Dann verlaſſen die Einwohner den Ort und begeben ſich in die benach - barten Wälder, um dort in Sommerwohnungen zu leben, welche Jilaks genannt werden.
Nachdem wir den myſteriöſen Trank überwunden und uns die Pfeifen neu geſtopft hatten, begaben wir uns auf den Kleiderhandel. Der Kaffeewirt hatte uns einen Ort beſchrieben, an dem wir das Geſuchte finden konnten. Der Handel wurde unter der ſchweigſamen Aſſiſtenz des Eng - länders und zu ſeiner ſichtbaren Befriedigung abgeſchloſſen. Er erhielt ein vollſtändiges, rot und ſchwarz karriertes Gewand für einen verhältnismäßig billigen Preis. Dann wurden auch die übrigen Einkäufe beſorgt und die Diener mit denſelben nach Hauſe geſchickt. Der Kurde erhielt175 als Geſchenk einen perlengeſtickten und gefüllten Tabaks - beutel, den er mit ſtolzer Genugthuung ſofort an ſeinem Gürtel befeſtigte, damit dieſer Beweis ſeiner männlichen Würde jedermann in die Augen falle.
Nun begann ich mit dem Engländer allein einen Gang durch die Stadt, um dieſelbe einigermaßen kennen zu lernen, und erhielt die Ueberzeugung, daß dieſe einſt ſo wichtige Grenzfeſtung, auf welche die Türken auch heute noch einen nicht geringen Wert legen, von einigen hundert unternehmenden Kurden leicht überrumpelt werden könne. Die wenigen Soldaten, welche wir trafen, ſahen hungrig und fieberkrank aus, und die Verteidigungswerke befanden ſich in einem Zuſtande, der ihnen alles Recht auf dieſen Namen raubte.
Als wir heimkehrten, wartete der Agha bereits meiner.
„ Emir, ich harre ſchon lange auf dich. “
„ Warum? “
„ Ich ſoll dich zum Muteſſelim bringen. “
„ Bringen? “fragte ich mit lächelnder Betonung dieſes Wortes.
„ Nein, ſondern begleiten. Ich habe ihm alles er - zählt und dieſem Aufſeher des Palaſtes die Fäuſte unter die Naſe gehalten. Allah beſchützte ihn, ſonſt hätte ich ihn vielleicht gar getötet oder erwürgt! “
Dabei rollte er die Augen und bog die zehn Finger wie Zangen zuſammen.
„ Was ſagte der Kommandant? “
„ Emir, ſoll ich dir die Wahrheit ſagen? “
„ Ich erwarte das! “
„ Er iſt nicht erfreut über deinen Beſuch. “
„ Ah! Warum nicht? “
„ Er liebt die Fremden nicht und empfängt überhaupt ſehr ſelten Beſuche. “
176„ Iſt er ein Einſiedler? “
„ Nein. Aber er bekommt als Kommandant neben freier Wohnung monatlich ſechstauſendſiebenhundertachtzig Piaſter, und es geht ihm, wie uns allen: er hat ſeit elf Monaten nichts erhalten und weiß nicht, was er eſſen und trinken ſoll. Kann er ſich da freuen, wenn er wich - tige Beſuche erhält? “
„ Ich will ihn ſehen und ſprechen, aber nicht bei ihm eſſen! “
„ Das geht nicht. Er muß dich ſtandesgemäß und würdig empfangen, und darum hat er die — die — — — “
Er wurde verlegen.
„ Was? Die — die — — —? “
„ Die hieſigen Juden zu ſich kommen laſſen, um fünf - hundert Piaſter von ihnen zu leihen. Das braucht er, um zu kaufen, was er zu deinem Empfange nötig hat. “
„ Sie haben es ihm gegeben? “
„ Alla illa Allah; ſie hatten ſelbſt nichts mehr, denn ſie haben ihm bereits alles geben müſſen. Nun hat er ſich einen Hammel geborgt und noch vieles dazu. Das iſt ſehr ſchlimm, beſonders für mich, Emir! “
„ Warum für dich? “
„ Weil ich ihm dieſe fünfhundert Piaſter leihen oder — oder — — — “
„ Nun, oder — — — “
„ Oder dich fragen muß, ob du — du — — — “
„ Sprich doch weiter, Agha! “
„ Ob du reich biſt. Oh, Emir, ich hätte ja ſelbſt auch keinen einzigen Para, wenn du mir heute nichts gegeben hätteſt! Und davon habe ich an Merſinah fünfunddreißig Piaſter geben müſſen! “
Zu meinem Empfange dem Muteſſelim fünfhundert Piaſter borgen, das heißt ſo viel wie ſchenken! Das waren177 ungefähr hundert Mark. Hm, ich war ja durch das Geld, welches ich bei dem Tiere von Abu-Seïf gefunden hatte, nicht ganz mittellos, und für unſern Zweck konnte das Wohlwollen des Muteſſelim von großem Vorteile ſein. Fünfhundert Piaſter konnte ich allenfalls geben, und eben - ſoviel rechnete ich auf Maſter Lindſay, der für ein Aben - teuer ſehr gern dieſe für ihn ſo geringfügige Summe ver - ausgabte. Daher begab ich mich in die Stube des Eng - länders, während der Agha auf mich warten mußte.
Sir David war grad mit dem Umkleiden beſchäftigt. Sein langes Angeſicht ſtrahlte vor Vergnügen.
„ Maſter, wie ſehe ich aus? “fragte er.
„ Ganz Kurde! “
„ Well; gut, ſehr gut! Ausgezeichnet! “
„ Aber wie wickeln Turban? “
„ Gebt her das Zeug! “
Er hatte in ſeinem Leben noch kein Turbantuch in der Hand gehabt. Ich ſetzte ihm die Mütze auf das ſtrah - lende Haupt und ſchlang ihm das rotſchwarze Zeug kunſt - voll um dieſelbe herum. So brachte ich einen jener rie - ſigen Turbane fertig, wie ſie hierzulande von Würden - trägern und vornehmen Männern getragen werden. Eine ſolche Kopfbedeckung hat oft vier Fuß im Durchmeſſer.
„ So, nun iſt ein kurdiſcher Großkhan fertig! “
„ Vortrefflich! Herrlich! Schönes Abenteuer! Amad el Ghandur befreien! Alles bezahlen; ſehr gut bezahlen! “
„ Iſt dies Euer Ernſt, Sir? “
„ Warum nicht Ernſt? “
„ Ich weiß allerdings, daß Ihr ſehr wohlhabend ſeid und das zur richtigen Zeit auch anzuwenden wißt — — — “
Er blickte mich ſchnell und forſchend an und fragte dann:
„ Wollt Geld haben? “
II. 12178„ Ja, “antwortete ich einfach.
„ Well; ſollt es bekommen! Für Euch? “
„ Nein. Ich hoffe, daß Ihr mich nicht von einer ſolchen Seite kennen gelernt habt! “
„ Iſt richtig, Sir! Alſo für wen? “
„ Für den Muteſſelim. “
„ Ah! Warum? Wozu? “
„ Dieſer Mann iſt ſehr arm. Der Sultan ſchuldet ihm ſeit elf Monaten ſein Gehalt. Aus dieſem Grunde hat er jedenfalls das bekannte Syſtem aller türkiſchen Beamten angewandt und die hieſige Bewohnerſchaft ſo ziemlich ausgeſaugt. Nun hat niemand mehr etwas, und kein Menſch kann ihm borgen. Deshalb bringt ihn mein Beſuch in große Verlegenheit. Er muß mich gaſtlich empfangen und beſitzt die dazu nötigen Mittel nicht. Darum hat er ſich einen Hammel und verſchiedenes andere geborgt und läßt mich unter der Hand fragen, ob ich reich genug bin, ihm fünfhundert Piaſter zu leihen. Das iſt nun allerdings ganz türkiſch gehandelt, und auf das Zurückerſtatten darf man nicht rechnen. Da es aber für uns ſehr nötig iſt, eine freundliche Geſinnung in ihm zu erwecken, ſo habe ich beſchloſſen — — — “
Er unterbrach mich mit einer ſchnellen Handbewegung.
„ Gut! Sollt eine Hundertpfundnote haben! “
„ Das iſt zu viel, Sir! Das wären ja nach dem Kurſe von Konſtantinopel elftauſend Piaſter! Ich will ihm fünfhundert Piaſter geben und erſuche Euch, dieſelbe Summe hinzuzufügen. Er kann damit zufrieden ſein. “
„ Tauſend Piaſter! Zu wenig! Habe ja Araber - Scheiks ſeidenes Gewand geſchenkt! Möchte ihn auch ſehen. Wenn mit darf, dann alles bezahlen; Ihr nichts geben! “
„ Mir ſoll es recht ſein. “
„ So ſagt Agha, er ſoll uns machen laſſen! “
179„ Und was werden wir machen? “
„ Unterwegs Geſchenk kaufen; Geld hinein ſtecken. “
„ Aber nicht zu viel, Sir! “
„ Wie viel? Fünftauſend Piaſter? “
„ Zweitauſend iſt mehr als genug! “
„ Well; alſo zweitauſend! Fertig! “
Ich kehrte zu Selim Agha zurück.
„ Sage dem Kommandanten, daß ich mit einem von meinen Begleitern kommen werde! “
„ Wann? “
„ In kurzem. “
„ Deinen Namen kennt er bereits; welchen Namen ſoll ich ihm noch ſagen? “
„ Hadſchi Lindſay-Bey. “
„ Hadſchi Lindſay-Bey. Gut! Und die Piaſter, Emir? “
„ Wir bitten um die Erlaubnis, ihm ein Geſchenk mitbringen zu dürfen. “
„ Dann muß er Euch auch eins geben! “
„ Wir ſind nicht arm; wir haben alles, was wir brauchen, und werden uns am meiſten freuen, wenn er uns nichts als ſeine Freundſchaft ſchenkt. Sage ihm das! “
Er ging getröſtet und zufriedengeſtellt davon.
Bereits nach fünf Minuten ſaß ich mit dem Eng - länder zu Pferde; ich hatte ihm eingeſchärft, ja kein Wort zu ſprechen. Halef und der Buluk folgten uns. Den Kurden hatten wir mit dem geliehenen Gewande und vielen Grüßen nach Spandareh zurückgeſchickt. Wir ritten durch die Bazars, wo wir geſticktes Zeug zu einem Feier - kleide und eine hübſche Börſe kauften, in welche der Eng - länder zwanzig goldene Medſchidje zu je hundert Piaſter legte. In ſolchen Dingen war mein guter Maſter Lind - ſay nie ein Knauſer; das hatte ich zu meinem Vorteile ſehr oft erfahren.
180Nun ritten wir nach dem Palaſt des Kommandanten. Vor demſelben ſtanden etwa zweihundert Albaneſen in Parade, angeführt von zwei Mulaſim unter dem Kom - mando unſers tapfern Selim Agha. Er zog den Sarras und kommandierte:
„ Ajakda duryn dykkatli — ſteht genau! “
Sie gaben ſich herzliche Mühe, dieſem Verlangen nachzukommen, bildeten aber doch eine Art Schlangenlinie, die am Ende der Aufſtellung in einen ſehr gebogenen Schwanz auslief.
„ Tſchalghy! Islik tſcharyn: — Muſik! Pfeift! “
Drei Flöten begannen zu wimmern, und eine tür - kiſche Trommel forcierte einen Wirbel, der wie das Leiern einer Kaffeemühle klang.
„ Daha giöre! Kuwetlirek! — lauter, ſtärker! “
Der gute Agha rollte dabei die Augen nach der ge - ſchwindeſten Ziffer von Melzels Metronom; die Muſi - kanten thaten es ihm nach, und während dieſes künſt - leriſchen und für uns ſehr ſchmeichelhaften Empfanges ritten wir vor den Eingang, um abzuſteigen. Die beiden Lieutenants ritten herbei und hielten uns die Steigbügel. Ich griff in die Taſche und gab jedem von ihnen ein ſilbernes Zehnpiaſterſtück. Sie ſteckten es befriedigt zu ſich, ohne im geringſten in ihrer Offiziersehre verletzt zu ſein. Der türkiſche ſubalterne Offizier iſt, beſonders in entlegenen Garniſonen, ſelbſt heute noch der Diener ſeines nächſt höheren Vorgeſetzten und ſtets gewohnt, ſich als ſolchen betrachten zu laſſen.
Dem Agha gab ich das Zeug und die Börſe.
„ Melde uns an, und gieb dem Kommandanten dieſes Geſchenk! “
Er ging würdevoll voran, und wir folgten. Unter dem Thore ſtand der Nazardſchi des Palaſtes. Er em -181 pfing uns jetzt ganz anders als beim erſten Male. Er kreuzte die Arme über der Bruſt, verbeugte ſich tief und murmelte demütig:
„ Bendeniz el öpir; aghamin ſize ſelami wer — Euer Diener küßt die Hand; mein Herr läßt ſich Euch em - pfehlen! “
Ich ſchritt an ihm vorüber, ohne ihm zu antworten, und auch Lindſay that, als habe er ihn gar nicht bemerkt. Ich muß geſtehen, daß mein Maſter Fowling-bull trotz der ſchreienden Farbe ſeines Anzuges einen ganz reſpek - tablen Eindruck machte. Der Anzug paßte, wie für ihn gemacht, und das Bewußtſein, ein Engländer und dazu auch reich zu ſein, gab ſeiner Haltung eine Sicherheit, die hier ganz am Platze war.
Der Aufſeher nahm trotz ſeiner offenen Mißachtung doch den Vortritt und führte uns eine Treppe empor in einen Raum, der das Vorzimmer zu bilden ſchien. Dort ſaßen die Beamten des Kommandanten auf armſeligen Teppichen. Sie erhoben ſich bei unſerm Eintritte und begrüßten uns ehrfurchtsvoll. Es waren meiſt Türken und einige Kurden dabei. Die letztern machten, wenigſtens in Beziehung auf ihr Aeußeres, einen viel beſſern Ein - druck als die erſteren, die ſich in keiner ſo guten wirt - ſchaftlichen Lage zu befinden ſchienen. An einer der Fenſteröffnungen ſtand ein Kurde, den man ſofort für einen freien Mann der Berge halten mußte. Er ſchaute mit finſterer, ungeduldiger Miene hinaus ins Freie. Einer der Türken trat auf mich zu:
„ Du biſt der Emir Hadſchi Kara Ben Nemſi, den der Muteſſelim erwartet? “
„ Ich bin es. “
„ Und dieſer Effendi iſt Hadſchi Lindſay-Bey, welcher das Gelübde gethan hat, nicht zu ſprechen? “
182„ Ja. “
„ Ich bin der Baſch Kiatib*)Gerichtsſchreiber. des Kommandanten. Er läßt dich bitten, einige Augenblicke zu warten. “
„ Warum? Ich bin nicht gewohnt, zu warten, und er hat gewußt, daß ich komme! “
„ Er hat eine wichtige Abhaltung, die nicht lange währen wird. “
Was dies für eine wichtige Abhaltung war, konnte ich bald bemerken. Nämlich ein Diener kam äußerſt eil - fertig aus dem Zimmer des Muteſſelim geſtürzt und kehrte nach einiger Zeit mit zwei Büchſen zurück, auf denen die Deckel fehlten. Die größere enthielt Tabak und die kleinere gebrannte Kaffeebohnen. Der Kommandant hatte dieſe notwendigen Sachen erſt nach Empfang unſeres Geldes holen laſſen können. Vor der Rückkehr ſeines Dieners trat der Agha aus dem Zimmer des Muteſſelim.
„ Effendi, verziehe noch einen Augenblick! Du wirſt ſofort eintreten können! “
Da wandte ſich der am Fenſter ſtehende Kurde zu ihm:
„ Und wann endlich werde ich eintreten dürfen? “
„ Du wirſt noch heute vorgelaſſen. “
„ Noch heute? Ich bin eher dageweſen als dieſer Effendi, und auch eher als alle dieſe andern. Meine Sache iſt notwendig, und ich muß noch heute wieder auf - brechen! “
Selim Agha rollte die Augen.
„ Dieſe Effendis ſind ein Emir und ein Bey, du aber biſt nur ein Kurde. Du kommſt erſt nach ihnen! “
„ Ich habe ein gleiches Recht wie ſie, denn ich bin der Abgeſandte eines tapfern Mannes, der auch ein Bey iſt! “
Das freimütige, furchtloſe Weſen dieſes Kurden gefiel183 mir ungemein, obgleich ſeine Beſchwerde indirekt gegen mich gerichtet war. Den Agha aber ſchien ſie außer - ordentlich zu erzürnen; denn er begann ſeinen Augen - wirbel von neuem und antwortete:
„ Du kommſt erſt ſpäter daran, und vielleicht auch gar nicht. Wenn dir das nicht gefällt, ſo kannſt du gehen! Dir iſt ja nicht einmal das Notwendigſte bekannt, um vor einem großen, einflußreichen Manne erſcheinen zu dürfen! “
Ah, der Kurde hatte alſo das „ Notwendigſte “, näm - lich das Bakſchiſch, vergeſſen. Er ließ ſich aber nicht ein - ſchüchtern, ſondern antwortete:
„ Weißt du, was das Notwendigſte für einen Ber - wari-Kurden iſt? Dieſer Säbel iſt es! “ Dabei ſchlug er an den Griff der genannten Waffe. „ Willſt du eine Probe davon verſuchen? Mich ſendet der Bey von Gumri; es iſt eine Beleidigung für ihn, wenn ich immer von neuem wieder zurückgeſetzt werde und warten muß, und er wird wiſſen, was er darauf zu erwidern hat. Ich gehe! “
„ Halt! “rief ich.
Er befand ſich bereits an der Thüre. Der Bey von Gumri, an den mich der Aelteſte von Spandareh adreſſiert hatte? Das war eine vortreffliche Gelegenheit, mich vor - teilhaft bei ihm anzumelden.
„ Was willſt du? “fragte er barſch.
Ich ſchritt auf ihn zu und hielt ihm die Hand entgegen.
„ Ich will dich begrüßen, denn das iſt ebenſo, als ob dein Bey meinen Gruß hörte. “
„ Kennſt du ihn? “
„ Ich habe ihn noch nicht geſehen, aber man hat mir von ihm erzählt. Er iſt ein ſehr tapferer Krieger, dem meine Achtung gehört. Willſt du mir eine Botſchaft an ihn ausrichten? “
„ Ja, wenn ich es kann. “
184„ Du kannſt es. Aber vorher werde ich dir beweiſen, daß ich den Bey zu ehren weiß: Du ſollſt vor mir zum Muteſſelim eintreten dürfen. “
„ Iſt dies dein Ernſt? “
„ Mit einem tapfern Kurden ſcherzt man nie. “
„ Hört ihr es? “wandte er ſich zu den andern. „ Dieſer fremde Emir hat gelernt, was Höflichkeit und Achtung bedeutet. Aber ein Berwari kennt die Sitte ebenſo. “ Und zu mir gerichtet, fügte er hinzu: „ Herr, ich danke dir: du haſt mir mein Herz erfreut! Aber ich werde nun gern warten, bis du mit dem Muteſſelim geſprochen haſt. “
Jetzt war er es, der mir die Hand entgegenſtreckte. Ich ſchlug ein.
„ Ich nehme es an, denn ich weiß, daß du nicht lange zu warten haben wirſt. Aber ſage mir, ob du nach deiner Unterredung mit dem Kommandanten ſo viel Zeit haſt, zu mir zu kommen! “
„ Ich werde kommen und dann etwas ſchneller reiten. Wo wohneſt du? “
„ Ich wohne hier bei Selim-Agha, dem Oberſten der Arnauten. “
Er trat mit einer zuſtimmenden Kopfbewegung zu - rück, denn der Diener öffnete die Thüre, um mich und Lindſay eintreten zu laſſen.
Das Zimmer, in welches wir gelangten, war mit einer alten, verſchoſſenen Papiertapete bekleidet und hatte an ſeiner hintern Wand eine kaum fußhohe Erhöhung, die mit einem Teppiche belegt war. Dort ſaß der Kom - mandant. Er war ein langer, hagerer Mann mit einem ſcharfen, wohl frühzeitig gealterten Angeſichte. Sein Blick war verſchleiert und nicht Vertrauen erweckend. Er erhob ſich bei unſerem Eintritte und bedeutete uns durch eine Bewegung ſeiner Hände, zu beiden Seiten von ihm Platz185 zu nehmen. Mir fiel dies nicht ſchwer; Maſter Lindſay aber hatte einige Mühe, ſich mit gebogenen Beinen in jene Stellung zu bringen, welche die Türken „ Ruhen der Glieder “nennen. Wer ſie nicht gewöhnt iſt, dem ſchlafen die untern Extremitäten ſehr bald ein, ſo daß man dann gezwungen iſt, ſich wieder zu erheben. Ich mußte alſo aus Rückſicht auf den Engländer dafür ſorgen, daß die Unterhaltung nicht gar zu lange dauere.
„ Choſch geldin demek; ömriniz tſchok ola — ſeid mir willkommen; euer Leben möge lang ſein! “empfing uns der Kommandant.
„ Grad ſo, wie das deinige, “antwortete ich ihm. „ Wir ſind von fern her gekommen, um dir zu ſagen, daß wir uns freuen, dein Angeſicht zu ſehen. Möge Segen in deinem Hauſe wohnen und jedes Werk gelingen, das du unternimmſt! “
„ Auch euch wünſche ich Heil und Erfolg in allem, was ihr thut! Wie heißt das Land, das deinen Tag ge - ſehen hat, Emir? “
„ Germaniſtan. “
„ Hat es einen großen Sultan? “
„ Es hat ſehr viele Padiſchahs. “
„ Und viele Krieger? “
„ Wenn die Padiſchahs von Germaniſtan ihre Krieger verſammeln, ſo ſehen ſie mehrere Millionen Augen auf ſich gerichtet. “
„ Ich habe dieſes Land noch nicht geſehen, aber es muß ein großes und ein berühmtes ſein, da du unter dem Schutze des Großherrn ſteheſt. “
Dies war natürlich ein Wink, mich zu legitimiren. Ich that es ſogleich:
„ Dein Wort iſt richtig. Hier haſt du das Bu-dje - ruldi des Padiſchah! “
186Er nahm es, drückte es an Stirn, Mund und Bruſt und las es.
„ Hier lautet doch dein Name anders als Kara Ben Nemſi! “
Ah, das war fatal! Der Umſtand, daß ich den mir von Halef gegebenen Namen hier beibehalten hatte, konnte uns ſchädlich werden; doch faßte ich mich ſchnell und meinte:
„ Willſt du mir einmal den Namen vorleſen, der hier auf dem Pergamente ſteht? “
Er verſuchte es, aber es wollte ihm nicht recht ge - lingen. Und über den Namen des Heimatortes ſtolperte er vollends gar hinweg.
„ Sieheſt du! “erklärte ich. „ Kein Türke kann einen Namen aus Germaniſtan richtig leſen und ausſprechen; kein Mufti und kein Mollah bringt dies fertig, denn unſere Sprache iſt ſehr ſchwer und wird in einer andern Schrift geſchrieben, als die eurige iſt. Ich bin Hadſchi Kara Ben Nemſi; das wird dir auch dieſer Brief be - weiſen, welchen der Muteſſarif von Moſſul mir für dich mitgegeben hat. “
Ich reichte ihm das Schreiben hin. Als er es ge - leſen hatte, war er befriedigt und gab mir das Bu-dje - ruldi nach der gebräuchlichen Ceremonie zurück.
„ Und dieſer Effendi iſt Hadſchi Lindſay-Bey? “fragte er dann.
„ So iſt ſein Name. “
„ Aus welchem Lande iſt er? “
„ Aus Londoniſtan, “antwortete ich, um den bekannte - ren Namen von England zu vermeiden.
„ Er hat gelobt, nicht zu ſprechen? “
„ Er ſpricht nicht. “
„ Und er kann zaubern? “
187„ Höre, Muteſſelin, von der Magie ſoll man nicht ſprechen, wenigſtens nicht zu jemand, den man noch nicht kennt. “
„ Wir werden uns kennen lernen, denn ich bin ein großer Freund der Magie. Glaubſt du, daß man Geld machen kann? “
„ Ja, Geld kann man machen. “
„ Und daß es einen Stein der Weiſen giebt? “
„ Es giebt einen, aber er liegt nicht in der Erde, ſondern im menſchlichen Herzen vergraben und kann alſo auch nicht durch die Scheidekunſt bereitet werden. “
„ Du ſprichſt ſehr dunkel; aber ich ſehe, daß du ein Kenner der Magie biſt. Es giebt eine weiße und eine ſchwarze. Kennſt du alle beide? “
Ich konnte nicht anders, ich mußte luſtig antworten:
„ O, ich kenne auch alle andern Arten. “
„ Es giebt noch andere? Welche? “
„ Eine blaue, eine grüne und gelbe, auch eine rote und graue. Dieſer Hadſchi Lindſay-Bey war erſt ein Anhänger der graukarrierten, jetzt aber hat er die ſchwarz - rote angenommen. “
„ Das ſieht man an ſeinem Gewande. Selim Agha hat mir erzählt, daß er eine Hacke bei ſich führt, mit welcher er in die Erde ſchlägt, um die Sprachen der Ver - ſtorbenen zu erforſchen. “
„ So iſt es. Aber laß uns heute darüber ſchweigen. Ich bin ein Krieger und Effendi, aber kein Schulmeiſter, der andere unterrichtet. “
Der brave Kommandant hatte alle Hilfsquellen der ausgeſaugten Provinz erſchöpft und ſuchte nun ſein Heil in der Magie. Es konnte mir nicht einfallen, ihn in ſeinem Aberglauben zu beſtärken, aber ich hatte in den gegenwärtigen Verhältniſſen auch keine Veranlaſſung, ſie188 ihm wegzudisputieren. Oder hatte ihn nur die berühmte Hacke meines Maſter Fowling-bull auf den Gedanken ge - bracht, mit mir über die Magie zu verhandeln? Das war auch möglich. Uebrigens machten meine letzten Worte wenigſtens den Eindruck auf ihn, daß er in die Hände klatſchte und Kaffee und Pfeifen bringen ließ.
„ Ich hörte, daß der Muteſſarif einen Kampf mit den Dſcheſidi gehabt habe? “begann er ein anderes Thema.
Dasſelbe war für mich nicht ungefährlich, aber ich wußte nicht, wie ich es hätte abweiſen können. Es be - gann grad wie ein Verhör: „ Ich hörte! “ Und doch mußte er als der nächſte Untergebene des Gouverneur und als Kommandant von Amadijah die Sache nicht bloß vom Hören-Sagen kennen. Ich trat dazu in ſeine eigenen Fußſtapfen:
„ Auch ich hörte davon. “ Und um einer Frage ſeiner - ſeits zuvorzukommen, fügte ich hinzu: „ Er wird ſie ge - züchtigt haben, und nun kommen wohl die widerſpenſtigen Araber an die Reihe. “
Er horchte auf und blickte mich forſchend an.
„ Woraus vermuteſt du das, Emir? “
„ Weil er ſelbſt mit mir davon ſprach. “
„ Er ſelbſt? Der Muteſſarif? “
„ Ja. “
„ Wann? “
„ Als ich bei ihm war, natürlich. “
„ Wie kam er dazu? “erkundigte er ſich, ohne eine Miene des Unglaubens ganz verbergen zu können.
„ Jedenfalls weil er Vertrauen zu mir hatte und ge - willt iſt, mir in Beziehung auf dieſen Kriegszug eine Aufgabe zu erteilen. “
„ Welche? “
189„ Haſt du einmal etwas von Politik und Diplomatik gehört, Muteſſelim? “
Er lächelte überlegen.
„ Wäre ich Kommandant von Amadijah, wenn ich nicht ein Diplomat wäre? “
„ Du haſt ſehr recht! Aber warum zeigſt du mir es nicht, daß du ein ſolcher biſt? “
„ Bin ich undiplomatiſch geweſen? “
„ Sehr! “
„ Inwiefern? “
„ Weil du mich nach meiner Aufgabe in ſo direkter Weiſe fragſt, daß ich erſtaunen muß. Ich darf von ihr nicht ſprechen, und du hätteſt es nur durch eine feine und kluge Ausforſchung erfahren können. “
„ Warum dürfteſt du es mir nicht ſagen? Der Mu - teſſarif hat kein Geheimnis vor mir! “
„ Du mußteſt mich fragen, um etwas über dieſe An - gelegenheit zu erfahren; dies iſt doch der ſicherſte Beweis, daß der Muteſſarif gegen mich offenherziger geweſen iſt, als gegen dich. Wie nun, wenn ich grad in einer Sache, die auf ſeinen Einfall in das Gebiet der Araber Bezug hat, nach Amadijah gekommen wäre? “
„ Das iſt nicht möglich! “
„ Das iſt ſehr möglich! Ich will dir nur ſoviel ver - trauen, daß der Gouverneur mich nach meiner Rückkehr von Amadijah zu den Weideplätzen der Araber ſenden wird. Ich ſoll dort heimlich das Terrain ſtudieren, da - mit ich ihm meine Vorſchläge machen kann. “
„ Iſt dies wahr? “
„ Ich ſage es dir im Vertrauen, folglich iſt es wahr. “
„ Dann biſt du ein großer Vertrauter von ihm! “
„ Vermutlich! “
„ Und haſt Einfluß auf ihn! “
190„ Wenn dies der Fall wäre, ſo dürfte ich es doch nicht behaupten. Sonſt könnte ich dieſen Einfluß doch ſehr leicht verlieren. “
„ Emir, du machſt mich beſorgt! “
„ Warum? “
„ Ich weiß, daß die Gnade des Muteſſarif nicht über mir leuchtet. Sage mir, ob du wirklich ſein Freund und Vertrauter biſt! “
„ Er hat mir mitgeteilt, was er andern vielleicht nicht ſagen würde, ſogar von ſeinem Zuge gegen die Dſcheſidi hat er mir vorher geſagt; ob ich aber ſein Freund bin, das iſt eine Frage, deren Beantwortung du mir erlaſſen mußt. “
„ Ich werde dich auf die Probe ſtellen, ob du wirk - lich mehr weißt, als andere! “
„ Thue es! “ſagte ich zuverſichtlich, obgleich ich inner - lich einige Beſorgnis fühlte.
„ Auf welchen Stamm der Araber hat er es beſonders abgeſehen? “
„ Auf die Schammar. “
„ Und auf welche Abteilung derſelben? “
„ Auf die Haddedihn. “
Jetzt nahm ſein ſcharfes Geſicht einen lauernden Ausdruck an.
„ Wie heißt der Scheik derſelben? “
„ Mohammed Emin. Kennſt du ihn? “
„ Nein. Aber ich hörte, der Muteſſarif ſoll ihn ge - fangen genommen haben. Er hat doch ſicher davon zu dir geſprochen, da er dir ſein Vertrauen ſchenkte und dich zu den Arabern ſenden will! “
Dieſer gute Mann machte wirklich eine Anſtrengung, diplomatiſch zu ſein! Ich aber lachte ihm in das Geſicht.
„ O Muteſſelim, du ſtellſt mich da ſehr hart auf die191 Probe! Iſt Amad el Ghandur ſo alt, daß du ihn mit Mohammed Emin, ſeinem Vater, verwechſelſt! “
„ Wie kann ich ſie verwechſeln, da ich beide noch nie geſehen habe! “
Ich erhob mich.
„ Laß uns unſer Geſpräch beenden! Ich bin kein Knabe, den man narren darf. Aber wenn du den Ge - fangenen ſehen willſt, ſo gehe hinab in das Gefängnis; der Sergeant wird dir ihn zeigen. Ich ſage dir nur: Halte es geheim: wer er iſt, und laß ihn ja nicht ent - kommen! Solange der zukünftige Scheik der Haddedihn ſich in der Gewalt des Muteſſarif befindet, kann dieſer letztere den Arabern Bedingungen ſtellen. Jetzt erlaube, daß ich gehe! “
„ Emir, ich wollte dich nicht beleidigen. Bleibe! “
„ Ich habe heute noch anderes zu thun. “
„ Du mußt bleiben, denn ich habe dir ein Mahl be - reiten laſſen! “
„ Ich kann in meiner Wohnung ſpeiſen und danke dir. Uebrigens ſteht draußen ein Kurde, der notwendig mit dir zu ſprechen hat. Er war eher da als ich, und darum wollte ich ihm den Vortritt laſſen; er war aber ſo höflich, dies abzulehnen. “
„ Er iſt ein Bote des Bey von Gumri. Er mag warten! “
„ Muteſſelim, erlaube, daß ich dich vor einem Fehler warne! “
„ Vor welchem? “
„ Du behandelſt dieſen Bey wie einen Feind oder doch wie einen Mann, den man nicht zu achten oder zu fürchten braucht! “
Ich ſah es ihm an, daß er ſich Mühe gab, eine zornige Aufwallung zu beherrſchen.
192„ Willſt du mir Lehren geben, Emir, du, den ich gar nicht kenne? “
„ Nein. Wie kann ich es wagen, dich belehren zu wollen, da du mehr als mein Alter haſt! Bereits als wir von der Magie ſprachen, habe ich dir bewieſen, daß ich dich für weiſer halte, als daß ich dich belehren könnte. Aber einen Rat darf auch der Jüngere dem Aelteren erteilen! “
„ Ich weiß ſelbſt, wie man dieſe Kurden zu behandeln hat. Sein Vater war Abd el Summit Bey, der meinen Vorgängern und beſonders dem armen Selim Zillahi ſo große Mühe machte! “
„ Soll ſein Sohn euch dieſelbe Mühe machen? Der Muteſſarif braucht ſeine Truppen gegen die Araber, und einen Teil derſelben muß er ſtets gegen die Dſcheſidi bereit halten, denen er nicht trauen darf. Was wird er ſagen, wenn ich ihm mitteile, daß du die Kurden von Berwari ſo behandelſt, daß auch hier ein Aufſtand zu befürchten ſteht, wenn ſie merken, daß der Gouverneur augenblicklich nicht die Macht beſitzt, ihn niederzudrücken? Thue was du willſt, Muteſſelim. Ich werde dir weder eine Lehre noch einen Rat erteilen. “
Dieſes Argument frappierte ihn; das ſah ich ihm an.
„ Du meinſt, daß ich den Kurden empfangen ſoll? “
„ Thue, was du willſt. Ich wiederhole es! “
„ Wenn du mir verſprichſt, bei mir zu eſſen, ſo werde ich ihn in deiner Gegenwart hereinkommen laſſen. “
„ Unter dieſer Bedingung kann ich hier bleiben; denn ich gehe meiſt ja deshalb, damit er nicht meinetwegen noch länger warten müſſe. “
Der Muteſſelim klatſchte in die Hände, und aus einer Nebenthüre trat der Diener ein, welcher den Befehl erhielt, den Kurden hereinzurufen. Dieſer ſchritt in ſtolzer Hal -193 tung in das Zimmer und grüßte mit einem kurzen „ Sellam “, ohne ſich zu bücken.
„ Du biſt ein Bote des Bey von Gumri? “fragte der Kommandant.
„ Ja. “
„ Was hat mir dein Herr zu ſagen? “
„ Mein Herr? Ein freier Kurde hat nie einen Herrn. Er iſt mein Bey, mein Anführer im Kampfe, nicht aber mein Gebieter. Dieſes Wort kennen nur die Türken und Perſer. “
„ Ich habe dich nicht rufen laſſen, um mich mit dir zu ſtreiten. Was haſt du an mich auszurichten? “
Der Kurde mochte ahnen, daß ich die Urſache ſei, daß er nicht länger zu warten brauchte. Er warf mir einen verſtändnisvollen Blick zu und antwortete ſehr ernſt und langſam:
„ Muteſſelim, ich hatte etwas auszurichten; da ich aber ſo lange warten mußte, habe ich es vergeſſen. Der Bey muß dir alſo einen andern Boten ſenden, der es wohl nicht vergeſſen wird, wenn er nicht zu warten braucht! “
Das letzte Wort ſprach er bereits unter der Thüre; dann war er verſchwunden. Der Kommandant machte ein ganz verblüfftes Geſicht. So etwas hatte er nicht erwar - tet, während ich mir im ſtillen ſagte, daß kein europäiſcher Ambaſſadeur korrekter hätte handeln können, als dieſer junge, einfache Kurde. Es zuckte mir förmlich in den Bei - nen, ihm nachzueilen, um ihm meine Achtung und Aner - kennung auszuſprechen. Auch der Muteſſelim wollte ihm nachſpringen, aber in etwas anderer Abſicht.
„ Schurke! “rief er aufſpringend. „ Ich werde — — “
Er beſann ſich aber doch und blieb ſtehen. Ich ſtopfte mir ſehr gleichmütig meinen Tſchibuk und brannte an.
„ Was ſagſt du dazu, Emir? “fragte er.
II. 13194„ Daß ich es ſo kommen ſah. Ein Kurde iſt kein heuchelnder Grieche und auch kein ſchmutziger Jude, der ſich nicht einmal krümmt, wenn man ihn tritt. Was wird der Bey von Gumri thun, und was wird der Muteſſarif ſagen! “
„ Du wirſt es ihm erzählen? “
„ Ich werde ſchweigen, aber er wird die Folgen ſehen. “
„ Ich laſſe dieſen Kurden zurückrufen! “
„ Er wird nicht kommen. “
„ Ich will ihm ja nicht zürnen! “
„ Er wird das nicht glauben. Es giebt nur einen einzigen, der ihn bewegen kann, zurückzukehren. “
„ Wer iſt das? “
„ Ich bin es. “
„ Du? “
„ Ja. Ich bin ſein Freund; er wird vielleicht auf meine Stimme hören. “
„ Du biſt ſein Freund? Du kennſt ihn? “
„ Ich habe ihn in deinem Vorzimmer zum erſtenmal geſehen. Aber ich ſprach zu ihm wie zu einem Manne, welcher der Bote eines Bey iſt, und das hat ihn ſicher zu meinem Freund gemacht. “
„ Du weißt jedoch nicht, wo er ſich befindet! “
„ Ich weiß es. “
„ Wo iſt er? Fort von Amadijah. Sein Pferd ſtand unten. “
„ Er iſt in meiner Wohnung, wohin ich ihn einge - laden habe. “
„ Du haſt ihn eingeladen? Soll er bei dir eſſen? “
„ Ich werde ihn als Gaſt empfangen; die Hauptſache aber iſt, daß ich ihm eine Botſchaft an den Bey anzuver - trauen habe. “
Der Muteſſelim ſtaunte immer mehr.
195„ Was für eine Botſchaft? “
„ Ich denke, du biſt ein Diplomat? Frage den Mu - teſſarif! “
„ Emir, du ſprichſt in lauter Rätſeln! “
„ Deine Weisheit wird ſie ſehr bald zu löſen wiſſen. Ich will dir aufrichtig ſagen, daß du einen Fehler be - gangen haſt, und da du weder eine Lehre noch einen Rat von mir annehmen willſt, ſo erlaube mir wenigſtens, dieſen Fehler wieder gut zu machen, indem ich dem Bey von Gumri eine ſehr friedliche Botſchaft ſende! “
„ Ich darf ſie nicht wiſſen? “
„ Ich will es dir im Vertrauen mitteilen, trotzdem es ein diplomatiſches Geheimnis iſt: Ich habe ihm ein Geſchenk zu übermitteln. “
„ Ein Geſchenk? Von wem? “
„ Das darf ich allerdings nicht ſagen, aber du kannſt es vielleicht erraten, wenn ich dir geſtehe, daß der be - treffende Beamte und Gebieter, von dem es kommt, im Weſten von Amadijah wohnt und ſehr wünſcht, daß der Bey von Gumri ihm nicht feindlich geſinnt werde. “
„ Herr, jetzt ſehe ich, daß du wirklich der Vertraute des Muteſſarif von Moſſul biſt; denn von ihm kommt das Geſchenk, du magſt es nun ſagen oder nicht! “
Der Mann war ein Schwachkopf und ganz unfähig für ſein Amt. Ich erfuhr ſpäter, daß er die Kreatur ſeines Vorgängers geweſen war, der ſelbſt auch den Sprung vom Nefus Emini in Zilla in Kleinaſien zum Muteſſelim von Amadijah gethan hatte. Mein Beſuch bei dieſem Kom - mandanten hatte eine ganz unerwartete, frappante Wen - dung erhalten. Für was er mich nahm, das konnte ich zwar hören und vermuten, nicht aber ſicher behaupten; und doch führte mich der eigentümliche Gang unſers Ge - ſpräches dazu, ihm Dinge zu ſagen, Dinge wiſſen oder196 ahnen zu laſſen, von denen er recht wohl auf die Abſicht unſerer Anweſenheit hätte ſchließen können. Er hatte wohl kaum das rechte Zeug, ein guter Dorfälteſter, viel weniger aber Muteſſelim zu ſein; aber doch dauerte er mich im geheimen, wenn ich an die Verlegenheit dachte, in welche ihn das Gelingen unſers Vorhabens bringen mußte. Die Möglichkeit, ihn dabei zu ſchonen, wäre mir willkommen geweſen; aber es gab ſie ja nicht.
Die Fortſetzung unſeres Geſpräches wurde aufge - ſchoben, da man das Eſſen brachte. Es beſtand aus eini - gen Stücken des geliehenen Hammels und einem mageren Pillau. Der Kommandant langte fleißig zu und vergaß dabei das Sprechen; als er ſich aber geſättigt hatte, fragte er:
„ Du wirſt den Kurden wirklich bei dir treffen? “
„ Ja; denn ich glaube, daß er ſein Wort hält. “
„ Und ihn wieder zu mir ſchicken? “
„ Wenn du es haben willſt, ja. “
„ Wird er auf dich warten? “
Dies war ein leiſer Fingerzeig, der ſeinen Grund nicht in einem Mangel an Gaſtfreundlichkeit, ſondern in der Beſorgnis hatte, daß der Bote die Geduld auch bei mir verlieren werde. Darum antwortete ich:
„ Er will bald aufbrechen, und darum wird es ge - raten ſein, daß ich ihn nicht ermüde. Erlaubſt du, daß wir gehen? “
„ Unter der Bedingung, daß du mir verſprichſt, heute abend abermals mein Gaſt zu ſein. “
„ Ich verſpreche es. Wann wünſcheſt du, daß ich komme? “
„ Ich werde es dir durch Selim Agha wiſſen laſſen. Ueberhaupt biſt du mir willkommen, wann und ſo oft du kommſt. “
197Unſer Gaſtmahl hatte alſo nicht lange Zeit in An - ſpruch genommen. Wir brachen auf und wurden in ſehr höflicher Weiſe von ihm bis hinunter vor das Thor be - gleitet. Dort warteten unſere beiden Begleiter mit den Pferden auf uns.
„ Du haſt einen Baſchi-Bozuk bei dir? “fragte der Kommandant.
„ Ja, als Khawaß. Der Muteſſarif bot mir ein großes Gefolge an, doch ich bin gewohnt, mich ſelbſt zu beſchützen. “
Jetzt erblickte er den Rappen.
„ Welch ein Pferd! Haſt du es gekauft oder groß gezogen?
„ Es iſt ein Geſchenk. “
„ Ein Geſchenk! Herr, der es dir ſchenkte, iſt ein Fürſt geweſen! Wer war es? “
„ Auch das iſt ein Geheimnis; aber du wirſt ihn vielleicht bald ſehen. “
Wir ſtiegen auf, und ſofort brüllte Selim Agha ſeiner Wachtparade, die auf uns gewartet hatte, den Be - fehl entgegen:
„ Silahlarile niſchanlaryn — zielt mit den Gewehren! “
Sie legten an, aber nicht zwei von den Flinten bil - deten eine Linie miteinander.
„ Tſchalghy, ſchamataji kylyn — Muſik, macht Lärm! “
Das vorige Wimmern und Kaffeemahlen begann.
„ Hepſi herbiri halan atyn — ſchießt alle zugleich los! “
O weh! Kaum die Hälfte dieſer Mordgewehre hatte den Mut, einen Laut von ſich zu geben. Der Agha rollte die Augen; die Träger der konfuſen Schießinſtrumente rollten auch die Augen und bearbeiteten die Schlöſſer ihrer Vorderlader, aber erſt nachdem wir bereits um die nächſte Ecke gebogen waren, erklang hier und da ein leiſes198 Gekläff, welches uns vermuten ließ, daß wieder einmal ein Pfropfen aus dem Laufe geſchlingert worden ſei.
Als wir zu Hauſe anlangten, ſaß der Kurde in meinem Zimmer auf meinem Teppich und rauchte aus meiner Pfeife meinen Tabak. Das freute mich, denn es bewies mir, daß unſere Anſichten über Gaſtlichkeit ganz dieſelben ſeien.
„ Kheïr ati, hemſcher — willkommen, Freund! “be - grüßte ich ihn.
„ Wie, du redeſt kurdiſch? “fragte er erfreut.
„ Ein wenig nur, aber wir wollen es verſuchen! “
Ich hatte Halef den Befehl gegeben, für mich und den Gaſt bei irgend einem Speiſewirte etwas Eßbares aufzutreiben, und konnte mich alſo dem Boten des Bey von Gumri ruhig widmen. Ich ſteckte mir nun auch eine Pfeife an und ließ mich an ſeiner Seite nieder.
„ Ich habe dich länger warten laſſen, als ich wollte, “begann ich; „ ich mußte mit dem Muteſſelim eſſen. “
„ Herr, ich habe gern gewartet. Die ſchöne Jungfrau, welche deine Wirtin iſt, mußte mir eine Pfeife reichen, und dann habe ich mir von deinem Tabak genommen. Ich hatte dein Angeſicht geſehen und wußte, daß du mir nicht darüber zürnen würdeſt. “
„ Du biſt ein Krieger des Bey von Gumri; was mein iſt, das iſt auch dein. Auch muß ich dir danken für das Vergnügen, welches du mir bereitet haſt, als ich mich bei dem Kommandanten befand. “
„ Welches? “
„ Du biſt ein Jüngling, aber du haſt als Mann ge - handelt, als du ihm deine Antwort gabſt. “
Er lächelte und ſagte:
„ Ich hätte anders mit ihm geſprochen, wenn ich allein geweſen wäre. “
199„ Strenger? “
„ Nein, ſondern milder. Da aber ein Zeuge zugegen war, ſo mußte ich die Ehre deſſen wahren, der mich ge - ſendet hat. “
„ Du haſt deinen Zweck erreicht. Der Muteſſelim wünſcht, daß du zu ihm zurückkehrſt, um deine Botſchaft auszurichten. “
„ Ich werde ihm dieſen Gefallen nicht erweiſen. “
„ Auch mir nicht? “
Er blickte auf.
„ Wünſcheſt du es? “
„ Ich bitte dich darum. Ich habe ihm verſprochen, dieſe Bitte an dich zu richten. “
„ Kennſt du ihn? Biſt du ſein Freund? “
„ Ich habe ihn noch niemals geſehen und war heute zum erſtenmal bei ihm. “
„ So will ich dir ſagen, was für ein Mann er iſt. Eigentlich ſchildere ich dir dieſen Mann am beſten, wenn ich dir weiter nichts ſage, als daß der Saliahn*)Die Vermögensſteuer. jetzt nur kaum zwanzigtauſend Piaſter für Amadijah einbringt, und daß er nicht, wie es doch an der Regel wäre, die Pacht der Steuern hat. Die hat man ihm genommen. Der Sultan hört ſelten eine Beſchwerde an; hier aber hat er hören müſſen, denn es war zu himmelſchreiend. Er plünderte die Einwohner dermaßen, daß ſie auch im Winter im Gebirge blieben und ſich nicht in die Stadt zurückwagten. Nun iſt der ganze Diſtrikt verarmt, und der Hunger iſt ein ſteter Gaſt der Leute geworden. Der Muteſſelim braucht immer Geld und borgt, und wer ihm da nicht zu Willen iſt, der hat ſeine Rache zu befürchten. Uebrigens iſt er ein feiger Menſch, der nur gegen den Schwachen mutig iſt. Seine Soldaten hungern und frieren,200 weil ſie weder Speiſe noch Kleidung erhalten, und ihre guten Gewehre hat er gegen ſchlechte umgetauſcht, um den Profit für ſich zu nehmen, und wenn für die paar Kano - nen, welche die Feſtung verteidigen ſollen, das Pulver kommt, ſo verkauft er es an uns, um Geld zu erhalten. “
Das war alſo eine echt türkiſche Wirtſchaft! Nun brauchte ich mich nicht über die effektvolle Schießübung zu wundern, deren Augen - und Ohrenzeuge ich geweſen war.
„ Und wie ſteht er mit deinem Bey? “erkundigte ich mich.
„ Nicht gut. Es kommen viele Kurden nach der Stadt, entweder um hier einzukaufen oder Lebensmittel zu ver - kaufen. Für dieſe hat er eine hohe Steuer eingeführt, die der Bey nicht leiden will. Auch maßt er ſich in vielen Fällen eine Gewalt über uns an, die ihm gar nicht ge - hört. Zwei Kurden haben ſich kürzlich in Amadijah Blei und Pulver gekauft, und man verlangte ihnen am Thore eine Steuer dafür ab. Das war noch nie vorgekommen; ſie hatten nicht genug Geld zur Bezahlung der Steuer, welche noch höher war, als der Preis der ſo ſchon teuren Ware, und ſo wurden ſie in das Gefängnis geſteckt. Der Bey verlangte ihre Freiheit und gab zu, daß man das Pulver und Blei konfiszieren möge; aber der Muteſſelim ging nicht darauf ein. Er verlangte die konfiszierte Ware, den Zoll, eine Strafſumme und dann auch noch Bezah - lung der Unterſuchungs - und Gefängniskoſten, ſo daß aus zwanzig Piaſtern hundertundvierzig geworden ſind. Ehe dieſe nicht bezahlt werden, gibt er die Leute nicht los und rechnet ihnen zehn Piaſter für den Tag als Ver - pflegungsgelder an. “
„ In dieſer Angelegenheit wollteſt du mit ihm reden? “
„ Ja. “
„ Sollteſt du die Summe bezahlen? “
201„ Nein. “
„ Nur unterhandeln? Das würde zu nichts führen. “
„ Ich ſoll ihm ſagen, daß wir jeden Mann aus Ama - dijah, der unſer Gebiet betritt, gefangen nehmen und zu - rückhalten werden, bis die beiden Männer wieder bei uns ſind. “
„ Alſo Repreſſalien! Das würde keine großen Folgen haben, denn ihm iſt es wohl ſehr gleich, ob ein Bewohner Amadijahs euer Gefangener iſt oder nicht. Und ſodann müßt ihr bedenken, daß aus einem ſolchen Verfahren ſehr leicht bedeutende Konflikte entſtehen können. Das beſte würde ſein, wenn es dieſen Männern gelänge, zu ent - fliehen. “
„ Das ſagt auch der Bey; aber eine Flucht iſt nicht möglich. “
„ Warum nicht? Iſt die Bewachung ſtreng? “
„ O, die Wächter machen uns keine Sorge. Es iſt ein Sergeant mit drei Männern, die wir bald überwäl - tigt hätten; aber das könnte einen Lärm ergeben, der uns gefährlich werden möchte. “
„ Gefährlich? Hm! “
„ Die Hauptſache aber: es iſt ganz unmöglich, in das Gefängnis zu kommen. “
„ Warum? “
„ Die Mauern ſind zu ſtark, und der Eingang mit zwei Thüren verſchloſſen, die mit ſtarkem Eiſen beſchlagen ſind. Das Gefängnis ſtößt an den Garten dieſes Hauſes, wo der Agha der Arnauten wohnt; jedes ungewöhnliche Geräuſch kann ihn aufmerkſam machen und uns verderb - lich werden. Wir müſſen auf den Gedanken einer Flucht verzichten. “
„ Auch wenn ihr einen Mann findet, der bereit iſt, euch behilflich zu ſein? “
202„ Wer wäre dies? “
„ Ich! “
„ Du, Emir? O, das wäre gut! Und wie wollte ich dir danken! Die beiden Männer ſind mein Vater und mein Bruder. “
„ Wie iſt dein Name? “
„ Dohub. Meine Mutter iſt eine Kurdin von dem Stamme der Dohubi. “
„ Ich muß dir ſagen, daß ich ſelbſt hier fremd bin und alſo nicht weiß, wie eine Flucht zu bewerkſtelligen iſt; aber dein Bey wurde mir empfohlen, und auch dir bin ich gewogen. Ich werde bereits morgen forſchen, was man in dieſer Angelegenheit unternehmen kann. “
Hinter dieſer Zuſicherung verſteckte ſich allerdings auch ein kleiner Eigennutz. Es war ja ſehr leicht möglich, daß wir der Unterſtützung des Bey von Gumri bedurften, und dieſer konnten wir uns am beſten verſichern, wenn wir ſeine eigenen Leute in Schutz nahmen.
„ Du meinſt alſo, daß ich zum Muteſſelim gehen ſoll? “
„ Ja, gehe zu ihm und verſuche dein Heil noch ein - mal durch Verhandlung; ich habe mir Mühe gegeben, ihn zu bearbeiten, daß er deine Verwandten vielleicht frei - willig entläßt. “
„ Herr, hätteſt du dies wirklich gethan? “
„ Ja. “
„ Wie haſt du es angefangen? “
„ Dir dies zu ſagen, würde zu weit führen; aber ich werde dir einige Worte aufſchreiben, die dir vielleicht von Nutzen ſein werden, wenn du meinem Rate Folge leiſteſt. “
„ Welchen Rat giebſt du mir? “
„ Sprich nicht zu ihm von Repreſſalien. Sage zu ihm, wenn er die Gefangenen nicht heute noch freigäbe, ſo würdeſt du ſofort zum Muteſſarif nach Moſſul reiten203 und ihm ſagen, daß die Berwari-Kurden ſich erheben werden. Dabei mußt du vorübergehend erwähnen, daß du durch das Gebiet der Dſcheſidi reiten und mit Ali Bey, ihrem Feldherrn, reden wirſt. “
„ Herr, das iſt zuviel geſagt und auch zuviel gewagt! “
„ Thue es dennoch; ich rate es dir und habe meinen Grund dazu. Er hält die Gefangenen wohl meiſt des - halb ſo feſt, weil er euch Geld abpreſſen will, welches er ſehr nötig brauchte; jetzt aber fällt dieſer Grund fort, weil wir ihm ein bedeutendes Geſchenk an Piaſtern ge - macht haben. “
„ So werde ich zu ihm gehen! “
„ Und zwar jetzt gleich. Dann aber kommſt du wieder zu mir, damit ich dir meine Botſchaft an den Bey ſagen kann! “
„ Ich ſchrieb auf ein Blatt meines Notizbuches fol - gende Worte in türkiſcher Sprache: „ Erlaube mir, dir das Anliegen dieſes Kurden an das Herz zu legen, und vermeide es, den Muteſſarif zu erzürnen! “ Nachdem ich meinen Namen hinzugefügt hatte, übergab ich Dohub dieſe Zeilen, mit denen er ſich eilig entfernte.
Ich hatte die Kühnheit, mich als einflußreiche Per - ſönlichkeit zu fühlen; ich handelte abenteuerlich, das iſt wahr; aber der Zufall hatte mich nun einmal, ſozuſagen, an eine Kletterſtange geſtellt und mich bis über die Hälfte derſelben emporgeſchoben; ſollte ich wieder herabrutſchen und den Preis aufgeben, da es doch nur einer Motion bedurfte, um vollends empor zu kommen?
Da kam Halef zurück und brachte eine ſolche Ladung kalter Speiſen und Früchte, als habe er uns für eine Woche zu verproviantieren.
„ Sehr reichlich, Hadſchi Halef Omar! “ſagte ich.
„ Allah akbar; Allah iſt groß, Sihdi, aber mein204 Hunger iſt noch größer. Weißt du, daß ich und der kleine Ifra ſeit heute morgen in Spandareh gar nichts gegeſſen haben? “
„ So eßt! Aber trage vor allen Dingen hier auf, damit mein Gaſt nicht hungrig von mir geht. Haſt du Wein? “
„ Nein. Du biſt ein echter Gläubiger geworden und willſt noch immer den Trank der Ungläubigen genießen! Allah kerihm; ich bin ein Moslem und ſoll in Amadijah Wein verlangen? “
„ So werde ich mir ſelbſt welchen holen. Verſteheſt du! “
„ Nein, Sihdi, das ſollſt du nicht; aber hier reden viele Leute kurdiſch, was ich gar nicht verſtehe, und das Türkiſche kenne ich nur wenig. Ich kann alſo nur Dinge kaufen, deren Namen ich weiß. “
„ Wein heißt türkiſch Scharab und kurdiſch Scherab; das iſt ſehr leicht zu merken. Maſter Lindſay will welchen haben; alſo geh und hole! “
Er ging. Als ſich dabei die Thür öffnete, hörte ich unten die ſcheltende Stimme Merſinahs, in welche ſich die bittende Stimme eines Mannes miſchte, und gleich darauf kehrte Halef zurück.
„ Sihdi, es iſt ein Mann unten, den die Wirtin nicht herauf laſſen wollte. “
„ Wer iſt es? “
„ Ein Bewohner von Amadijah, deſſen Tochter krank iſt. “
„ Was hat dies mit uns zu thun? “
„ Verzeihe, Sihdi! Als ich vorhin Brot kaufte, kam ein Mann gerannt, der mich beinahe über den Haufen riß. Ich fragte ihn, was er ſo eilig zu laufen habe, und er ſagte mir, daß er nach einem Hekim*)Arzt. ſuche, weil ſeine Tochter ganz plötzlich krank geworden ſei und vielleicht205 ſterben müſſe. Da riet ich ihm, zu dir zu kommen, wenn er keinen Arzt finden könne, und nun iſt er da. “
„ Das haſt du dumm gemacht, Halef. Du weißt ja, daß ich die kleine Apotheke, aus welcher ich am Nil kurierte, gar nicht mehr beſitze! “
„ O, Sihdi, du biſt ein großer Gelehrter und kannſt einen Kranken auch ohne die Körner geſund machen, die du damals gabſt. “
„ Aber ich bin doch eigentlich kein Arzt! “
„ Du kannſt alles! “
Was war zu thun? Halef hatte in Erinnerung an die damaligen Bakſchiſch jedenfalls wieder einmal ſehr Großes von mir berichtet, und ich war nun derjenige, der den angeſchnittenen Apfel zu verſpeiſen hatte.
„ Die Wirtin iſt klüger wie du, Halef! Aber gehe und hole den Mann herauf! “
Er ging und ſchob bald nachher einen Mann herein, dem der Schweiß von der Stirn in den Bart herabtropfte. Es war ein Kurde; das ſah man an dem Tolik*)Haarlocke über der Stirn., der ihm unter dem etwas gelüpften Turban hervor über die Stirne herabfiel; doch trug er türkiſche Kleidung.
„ Sallam! “grüßte er eilig. „ O Herr, komm ſchnell, ſonſt ſtirbt meine Tochter, die bereits von dem Himmel redet! “
„ Was fehlt ihr? “
„ Sie iſt von einem böſen Geiſt beſeſſen, der ſie um - bringen wird. “
„ Wer ſagte das? “
„ Der alte türkiſche Hekim, den ich holte. Er hat ihr ein Amulet umgehangen, aber er meinte, daß es nicht helfen werde. “
„ Wie alt iſt deine Tochter? “
206„ Sechzehn Jahre. “
„ Leidet ſie an Krämpfen oder Fallſucht? “
„ Nein, ſie iſt niemals krank geweſen bis auf den heutigen Tag. “
„ Was thut der böſe Geiſt mit ihr? “
„ Er iſt ihr in den Mund gefahren, denn ſie klagte, daß er ihr den Hals zerkratze; dann machte er ihr die Augen größer, damit er herausgucken könne. Ihr Mund iſt rot und auch ihr Geſicht, und nun liegt ſie da und redet von den Schönheiten des Himmels, in den ſie blicken kann. “
Hier war ſchleunige Hilfe nötig, denn es lag jeden - falls eine Vergiftung vor.
„ Ich will ſehen, ob ich dir helfen kann. Wohneſt du weit von hier? “
„ Nein. “
„ Giebt es außer dem alten Hekim noch einen Arzt? “
„ Nein. “
„ So komm ſchnell! “
Wir eilten fort. Er führte mich durch drei Gaſſen und dann in ein Haus, deſſen Aeußeres eine gewiſſe Stattlichkeit zeigte. Der Beſitzer desſelben konnte nicht zu den ärmeren Leuten gehören. Wir paſſierten zwei Zimmer und traten dann in ein drittes. Auf einem niedrigen Polſter lag ein Mädchen lang ausgeſtreckt auf dem Rücken. An ihrer Seite knieten einige weinende Frauen, und in der Nähe hockte ein alter Mann, der ſeinen Turban abgenommen hatte und, gegen die Kranke gerichtet, laute Gebete murmelte.
„ Biſt du der Hekim? “fragte ich ihn.
„ Ja. “
„ Was fehlt dieſer Kranken? “
„ Der Teufel iſt in ſie gefahren, Herr! “
207„ Albernheit! Wenn der Teufel in ihr ſteckte, würde ſie nicht von dem Himmel ſprechen. “
„ Herr, das verſtehſt du nicht! Er hat ihr das Eſſen und Trinken verboten und ſie ſchwindelig gemacht. “
„ Laßt mich ſie ſehen! “
Ich ſchob die Weiber beiſeite und kniete neben ihr nieder. Es war ein ſehr ſchönes Mädchen.
„ Herr, rette meine Tochter vom Tode, “jammerte eine der Frauen, „ und wir werden dir alles geben, was wir beſitzen. “
„ Ja, “beſtätigte der Mann, welcher mich geholt hatte. „ Alles, alles ſollſt du haben, denn ſie iſt unſer einziges Kind, unſer Leben. “
„ Rette ſie, “ertönte eine Stimme aus dem Hinter - grunde des Raumes; „ ſo ſollſt du Reichtum beſitzen und Gottes Liebling ſein! “
Ich ſchaute nach dieſer Gegend hin und erblickte eine alte Frau, deren Aeußeres mich ſchaudern machte. Sie ſchien ihre hundert Jahre zu zählen; ihre Geſtalt war tief gebeugt und beſtand wohl nur aus Haut und Knochen; ihr fürchterlich hageres Geſicht machte geradezu den Ein - druck eines Totenkopfes, aber von ihrem Haupte hingen ſchwere weiße Haarzöpfe faſt bis auf den Boden herab.
„ Ja, rette ſie, rette mein Urenkelkind! “wiederholte ſie, indem ſie bittend die gefalteten, ausgedorrten Hände erhob, von denen ein Roſenkranz hernieder hing. „ Ich werde niederknieen und zur ſchmerzensreichen Mutter Gottes bitten, daß es dir gelingen möge. “
Eine Katholikin! Hier unter den Kurden und Türken!
„ Bete, “antwortete ich ergriffen; „ ich werde verſuchen, ob hier ein Menſch noch helfen kann! “
Die Kranke lag da mit offenen, heiteren Augen; aber ihre Pupillen waren ſehr erweitert. Ihr Angeſicht war208 ſtark gerötet, Atem und Puls gingen ſchnell, und ihr Hals bewegte ſich unter einem krampfhaften Würgen. Ich frug gar nicht, wann die Krankheit ausgebrochen ſei; ich war Laie, aber ich hatte die Ueberzeugung, daß die Kranke Belladonna oder Stramonium genoſſen habe. “
„ Hat deine Tochter gebrochen? “fragte ich den Mann.
„ Nein. “
„ Haſt du einen Spiegel? “
„ Einen kleinen hier. “
„ Gieb ihn her! “
Der alte Hekim lachte heiſer:
„ Der böſe Geiſt ſoll ſich im Glaſe beſehen! “
Ich antwortete ihm gar nicht und ließ das durch die Fenſteröffnung eindringende Licht der bereits nieder - ſteigenden Sonne ſo auf den Spiegel fallen, daß es auf das Geſicht der Kranken gebrochen wurde. Der blendende Strahl übte keine Wirkung auf die Iris der Kranken aus.
„ Wann hat deine Tochter zum letztenmal gegeſſen? “fragte ich.
„ Das weiß ich nicht, “antwortete der Vater. „ Sie war allein. “
„ Wo? “
„ Hier. “
„ Es iſt kein böſer Geiſt in ſie gefahren, ſondern ſie hat ein Gift gegeſſen oder getrunken! “
„ Allah il Allah! Iſt das wahr, Herr? “
„ Ja. “
„ Glaubt es nicht! “mahnte der Hekim. „ Der Teufel iſt in ihr. “
„ Schweig, alter Narr! Habt ihr Citronen hier? “
„ Nein. “
„ Kaffee? “
„ Ja. “
209„ Könnt ihr Galläpfel bekommen? “
„ Deren wachſen viel in unſern Wäldern. Wir haben welche im Hauſe. “
„ Macht ſchnell einen ſehr ſtarken, heißen Kaffee fertig und kocht Galläpfel in Waſſer. Schickt auch nach Citronen! “
„ Ha, er will den Teufel mit Galläpfeln, Citronen und Kaffee füttern! “verwunderte ſich der Hekim, indem er vor Entſetzen die Hände zuſammenſchlug.
Ich ſteckte in Ermangelung von etwas anderem den Finger in den Mund der Kranken, um ſie zum Erbrechen zu reizen, wobei ich den Finger durch den Griff meines Meſſers vor ihren Zähnen ſchützte. Nach einiger Mühe gelang das Experiment, wenn auch unter der ſchmerzlichſten Anſtrengung des Mädchens. Ich wiederholte es, doch war die Entleerung nicht hinlänglich.
„ Giebt es eine Etſchzaga*)Apotheke. in der Nähe? “fragte ich, da ein Vomitiv notwendig war.
„ In derſelben Gaſſe. “
„ Komm ſchnell; führe mich! “
Wir gingen. Mein Führer blieb vor einem kleinen Laden ſtehen.
„ Hier wohnt der Attar! “**)Kräuterhändler. ſagte er.
Ich trat in die kleine Budika und ſah mich von einem Chaos von allerlei nötigen und unnötigen Dingen um - geben. Ranzige Pomaden, Pfeifenrohre, alte vertrocknete Pflaſter und Talglichter, Rhabarber und brauner Zucker in einem Kaſten, Kaffeebohnen neben Lindenblüten, Pfeffer - körner und geſchabte Kreide, Sennesblätter in einer Büchſe, auf welcher „ Honig “ſtand; Drahtnägel, Ingwer und Kupfervitriol, Seife, Tabak und Salz, Brillen, Eſſig, Charpie, Spießglanz, Tinte, Hanfſamen, Gallizenſtein, Zwirn, Gummi, Baldrian, Knöpfe und Schnallen, Teer,II. 14210eingemachte Walnüſſe, Teufelsdreck und Feigen. — Alles lag hier friedlich bei -, neben -, unter -, über - und durch - einander, und dabei ſaß ein ſchmutziges Männlein, welches grad ſo ausſah, als habe es alle dieſe Mittel und In - gredienzien ſoeben innerlich und äußerlich an ſich ſelbſt probiert. Welches Unheil hatte dieſer Attar wohl bereits angerichtet!
Ich konnte für meine Zwecke nur Kupfervitriol be - kommen und nahm noch ein Fläſchchen Salmiakgeiſt mit. Das erſtere wirkte nach unſerer Rückkehr zur Kranken recht befriedigend. Dann gab ich ihr ſtarken Kaffee mit Citronenſaft und dann den Galläpfelaufguß. Hierauf ſchärfte ich zur Verhütung eines etwaigen Steck - und Schlagfluſſes ihren Verwandten ein, ſie durch Schütteln, Beſpritzen mit kaltem Waſſer und Riechenlaſſen an dem Salmiakgeiſt möglichſt am Einſchlafen zu verhindern, und verſprach baldigſt wiederzukommen.
Dieſe Behandlung war wohl keine ganz richtige, aber ich verſtand es nicht beſſer, und — ſie hatte Erfolg. Nun konnte ich, da die augenblickliche Gefahr entfernt zu ſein ſchien, auch an anderes denken. Ich blickte mich im Zimmer genau um, und ſah ein kleines Körbchen in der Ecke ſtehen, welches noch ziemlich mit Maulbeeren gefüllt war. Zwiſchen dieſen ſah ich mehrere — Tollkirſchen liegen.
„ Willſt du den böſen Geiſt ſehen, der in die Kranke gefahren iſt? “fragte ich den Hekim.
„ Einen Geiſt kann man nicht ſehen. Und ſelbſt wenn dies möglich wäre, könnteſt du ihn mir nicht zeigen, da du nicht an ihn glaubſt. Wenn das Mädchen nicht ſtirbt, ſo hat mein Amulett geholfen. “
„ Haſt du nicht geſehen, daß ich es ihr ſofort vom Halſe nahm? Hier liegt es, ich werde es öffnen. “
„ Das darfſt du nicht! “rief er, ſchnell zugreifend.
211„ Laß ab, Alter! Meine Hand iſt kräftiger als die deinige. Warum darf ich es nicht öffnen? “
„ Weil ein Zauber darinnen iſt. Du würdeſt ſofort von demſelben Geiſte beſeſſen werden, der in dem Mäd - chen ſteckt! “
„ Wollen ſehen! “
Er wollte es verhindern, aber ich öffnete das vier - eckig zuſammengenähte Stück Kalbleder und — fand da - rinnen eine tote Fliege.
„ Laß dich nicht auslachen mit dieſem unſchuldigen Tierchen! “lachte ich, indem ich die Fliege zu Boden fallen ließ und zertrat. „ Nun, wo iſt dein Geiſt, der mich befallen ſoll? “
„ Warte nur; er wird kommen! “
„ Ich werde dir den Teufel zeigen, der dieſe Krank - heit verſchuldet hat. Schau her! Was iſt das? Du biſt ein Hekim und mußt dieſe Beeren kennen! “
Ich hielt ihm die Tollkirſche entgegen, und er erſchrak.
„ Allah ſei uns gnädig! Das iſt ja die Oelüm kires! *)Todeskirſche.Wer dieſe ißt, der muß ſterben, der iſt verloren, der kann nicht gerettet werden! “
„ Nun, von dieſen Früchten hat die Kranke gegeſſen; das habe ich an ihren Augen geſehen. Wer von ihnen genießt, deſſen Augen werden größer; das merke dir! Und nun ſetze deinen Turban auf und mache dich von hinnen, ſonſt zwinge ich dich, von dieſen Todeskirſchen zu genießen, damit du ſieheſt, ob dir eine Sin-ek**)Fliege. das Leben retten wird! “
Ich nahm die Kirſchen in die Hand und ſchritt auf ihn zu. Da ſtülpte er in wahrer Todesangſt den Turban auf ſein kahl geſchorenes Haupt und nahm ſehr eilig und ohne allen Abſchied Reißaus.
212Die Anweſenden ſahen ein, daß ich recht hatte. Auch ohne meine Worte ſagte es ihnen die günſtige Veränderung, welche mit der Kranken vorgegangen war. Sie ergingen ſich in den ehrfurchtsvollſten Dankesbezeigungen, denen ich nur dadurch ein Ende machen konnte, daß ich mich ſchnell entfernte. Ich hinterließ die Weiſung, mich bei einer etwaigen Verſchlimmerung gleich holen zu laſſen.
Als ich in meiner Wohnung anlangte, traf ich Mer - ſinah, welche ſoeben mit wütender Gebärde und mit einem großen Löffel in der Hand aus der Küche geſchoſſen kam. Hinter ihr flog ein großer, naſſer Hader, der ſo vortreff - lich gezielt war, daß er ihre kleinen, wirren Knackwurſt - zöpfe erreichte und ſich ſehr liebevoll um ihr ehrwürdiges Haupt herumſchlang. Zugleich ertönte aus dem Innern des auf ſolche Weiſe entweihten Heiligtums die Stimme von Hadſchi Halef Omar hervor:
„ Warte, alter Drache! “rief er; „ du ſollſt mir noch einmal über meinen guten Kaffee kommen! “
Sie wickelte ſich aus der feuchten Umarmung des Hadern heraus und ballte denſelben zuſammen, jedenfalls um ihn in eine rückgängige Bewegung zu verſetzen; da erblickte ſie mich.
„ O, Emir, wie gut iſt es, daß du kommſt! Errette mich von dieſem wütenden Menſchen! “
„ Was giebt es denn, o Roſe von Amadijah! “
„ Er ſagte, er hätte in deiner Büchſe meinen Kaffee gefunden und in meiner Tüte den deinigen. “
„ Das iſt wohl auch wahr? “
„ Wahr? Ich ſchwöre es dir bei Ayeſcha, der Mutter aller Heiligen, daß ich deine Büchſe nicht angerührt habe! “
„ So, du Großmutter aller Lügnerinnen und Spitz - buben! “ertönte es aus der Küche. „ Du biſt nicht über213 unſern Kaffee geraten, von dem mich zweihundert Drehm*)1½ Pfund. fünfundzwanzig gute Piaſter koſten? Ich werde es dem Sihdi doch beweiſen! “
Er kam aus der Küche, in der Rechten die neuge - kaufte Kaffeebüchſe und in der Linken eine große, geöffnete Papiertüte.
„ Sihdi, du kennſt den Kaffee von Harimah? “
„ Du weißt es, daß ich ihn kenne. “
„ Suche einmal, wo er iſt! “
Ich unterwarf die Büchſe und auch die Tüte einer ſehr eingehenden und ernſthaften Okularinſpektion.
„ Er iſt in allen beiden, aber mit ſchlechteren Bohnen und gedörrten Schalen vermiſcht. “
„ Siehſt du wohl, Effendi! Ich habe guten Harimah gekauft, und hier dieſe Mutter und Urgroßmutter eines Räubers und Spitzbuben kocht nur ſchlechten Kaffee, mit Schalen vermengt. Siehſt du nun, daß ſie über meine Büchſe geraten iſt! “
„ Sihdi, du biſt ein gewaltiger Krieger, ein großer Gelehrter und der weiſeſte aller Richter, “entgegnete die ‚ Myrte‘, indem ſie dem Hadſchi ihren Hader ſehr unter - nehmend vor der Naſe herumſchwenkte. „ Du wirſt dieſen Vater eines Uebelthäters und Sohn eines Verleumders ſtreng beſtrafen! “
„ Beſtrafen? “rief Halef ganz erſtaunt. „ Auch noch! “
„ Ja, “entſchied ſie ſehr beſtimmt; „ denn er iſt es, der über meine Tüte geraten iſt und mich betrogen hat. Nur er allein hat den Kaffee vermiſcht, um mir und meinem Hauſe vor deinen Augen Schande zu bereiten! “
„ O, du Ausbund aller neununddreißig Laſter! “zürnte Halef ganz ergrimmt; „ du willſt es wagen, mich, mich214 zum Diebe zu machen? Wäreſt du nicht ein Weib, ſo würde ich dich — — — “
„ Halt, Halef, zanke nicht, denn ich bin da und werde ein gerechtes Urteil ſprechen! Merſinah, du behaupteſt, daß dieſer Halef Omar die beiden Arten des Kaffees untereinander gemengt hat? “
„ Ja, Emir! “
„ So hat er das Seinige zu dieſem ſchwierigen Rechts - falle beigetragen. Nun thue du auch das Deinige und lies die Sorten wieder auseinander! Ich werde bald nach - ſehen, ob es geſchehen iſt, und dann mein Urteil ſprechen. “
Sie öffnete den Mund, um mir mitzuteilen, daß ſie geſonnen ſei, Einſpruch oder Nichtigkeitsbeſchwerde zu er - heben, doch Halef kam ihr zuvor:
„ Das muß aber ſchnell geſchehen, denn wir brauchen den Kaffee ſehr notwendig! “
„ Warum? “fragte ich.
„ Du haſt ja Gäſte oben! “
„ Wen? “
„ Drei Kurden, welche auf dich warten. Derjenige, welcher dich bereits beſuchte, iſt dabei. “
„ So hole einſtweilen raſch andern Kaffee! “
Ich ſtieg haſtig die Treppe empor, denn die zwei andern Kurden konnten doch wohl nur die beiden Ge - fangenen ſein. Dieſe Vermutung beſtätigte ſich. Als ich eintrat, erhoben ſie ſich, und Dohub ſprach:
„ Hier iſt der Emir, der euch gerettet hat! O Effendi, der Muteſſelim hat deine Worte geleſen und mir den Vater und den Bruder zurückgegeben! “
„ Sagteſt du ihm, daß du bald nach Moſſul gehen würdeſt? “
„ Ja. Dein Rat war gut, denn der Kommandant wurde ſofort freundlicher, und als ich ihm deinen Brief215 gab, ließ er Selim Agha rufen, der die Gefangenen bringen mußte. “
„ Wie iſt es mit dem Zoll und der Strafe? “
„ Er hat uns alles erlaſſen, aber das Pulver und Blei erhielten wir nicht zurück. Emir, ſage uns, wie wir dir danken ſollen! “
„ Kennſt du den Nezanum von Spandareh? “
„ O, ſehr gut! Seine Tochter iſt das Weib unſeres Bey, und er kommt ſehr oft nach Gumri, um beide zu beſuchen. “
„ Er iſt auch mein Freund. Ich war bis heute früh bei ihm, und er bat mich, den Bey zu beſuchen, wenn ich nach Gumri komme. “
„ Komm, Herr, komm zu uns. Dein Empfang ſoll beſſer ſein, als wenn der Muteſſelim oder der Muteſſarif käme! “
„ Ich werde vielleicht kommen; aber bis dahin dürften wohl noch einige Tage vergehen. Der Nezanum hat mir ein Paket übergeben, welches ich dem Bey überreichen ſollte. Es darf nicht lange hier liegen bleiben, und darum bitte ich euch, es mit nach Gumri zu nehmen. Grüßt mir den Bey und ſagt ihm, daß ich ſein Freund ſei und ihm alles Glück und Gute wünſche! “
„ Das iſt die Botſchaft, die du uns aufzutragen haſt? “
„ Ja. “
„ Es iſt zu wenig, Herr! “
„ Vielleicht könnt ihr mir ſpäter eine Liebe erweiſen. “
„ Wir thun es. Komm nur und befiehl, was du von uns wünſcheſt! “
„ Würdet ihr einem Freunde von mir Schutz ge - währen, wenn er von dem Muteſſelim verfolgt wird und ſich zu euch flüchtet? “
„ Der Kommandant würde ihn nie zu ſehen be - kommen! “
216Ich wandte mich zu dem älteren der beiden andern, denen man die Entbehrungen anmerkte, denen ſie während ihrer Gefangenſchaft unterworfen geweſen waren.
„ Wißt ihr, wer mit euch gefangen war? “
„ Nein, “antwortete er. „ Ich ſtak in einem finſteren Loche, welches nur ganz wenig Licht erhielt, und ich konnte weder etwas hören, noch etwas ſehen. “
Seinem Sohne war es ebenſo ergangen.
„ Iſt der Sergeant, der euch bewachte, ein böſer Mann? “
„ Er hat nie mit uns geſprochen. Die einzige menſch - liche Stimme, welche wir zu hören bekamen, war diejenige des alten ſchmutzigen Weibes, welches uns das Eſſen brachte. “
„ Wie ſind die Wege von hier nach Gumri? “
„ Du mußt zunächſt in das Thal von Berwari hinab, und zwar auf einem Pfade, der ſo ſteil und gefährlich iſt, daß man nicht reiten kann, ſondern die Pferde am Zügel führen muß. Das Thal iſt reich von Eichen bewaldet und enthält Dörfer, welche teils von Kurden und teils von neſtorianiſchen Chaldäern bewohnt werden. Auch durch die dürre Ebene wirſt du kommen, welche wir New - daſcht nennen und in der das kurdiſche Dorf Maglano liegt; dann erreicheſt du den kurdiſchen Weiler Hajis, in welchem nur einige arme Familien wohnen. Du mußt über viele Gewäſſer hinweg, die alle dem Zab zufließen, und erblickſt Gumri ſchon von weitem, da es auf einem hohen Felſen erbaut iſt, welcher ganz allein in der Ebene ſteht. “
Nach dieſen und andern notwendigen Erkundigungen lud ich ſie zum Eſſen ein. Die beiden frei gewordenen Gefangenen langten mit einem Heißhunger zu, der mich wohl erkennen ließ, wie beſorgt die alte Merſinah um217 das leibliche Wohl ihrer Pfleglinge ſei. Halef brachte auch Kaffee, ein Getränk, welches die Kurden am ſchmerz - lichſten vermißt hatten, ganz ebenſo wie den Tabak, den ſie nachher rauchten.
Endlich brachen ſie auf, eben als Selim Agha ein - trat, um mir zu ſagen, daß der Muteſſelim bereit ſei, mich zu empfangen. Sie nahmen einen herzlichen Abſchied von mir und ſchärften mir nochmals ein, daß ich ja nach Gumri kommen möge. Dohub nahm das Paket des Dorf - älteſten mit, und ich war überzeugt, daß ich mir Freunde erworben hatte, auf die ich im Falle der Not wohl ſicher rechnen könne.
Ich beſuchte nun zunächſt meine Patientin und wurde in dem vorderen Zimmer von ihren Eltern mit Freude empfangen.
„ Wie geht es eurer Tochter? “fragte ich.
„ O, viel, viel beſſer bereits, Herr, “antwortete der Mann. „ Deine Weisheit iſt faſt noch größer als unſer Dank, denn ſie kann bereits wieder vernünftig reden und hat uns auch geſagt, daß ſie wirklich von den Kirſchen des Todes gegeſſen habe. Und deine Güte iſt noch größer, als wir verdienen und ahnten; denn ich habe erfahren, daß du kein Arzt biſt, der für Lohn zu den Kranken kommt, ſondern ein großer Emir, der ein Liebling des Großherrn und ein Freund des Muteſſarif iſt. “
„ Wer ſagte dies? “
„ Die ganze Stadt weiß es bereits. Selim Agha iſt deines Lobes voll; der Muteſſelim hat dich mit Parade empfangen und auf deinen Befehl ſogar Gefangene frei - laſſen müſſen. Einer ſagt es dem andern, und ſo haben auch wir es erfahren. “
„ Biſt du ein Kind dieſer Stadt? Ich ſehe doch, daß du doch wohl eigentlich ein Kurde biſt! “
218„ Du haſt richtig geraten, Effendi. Ich bin ein Kurde von Lizan und für kurze Zeit nach Amadijah gezogen, weil ich mich daheim nicht ſicher fühlte. “
„ Nicht ſicher? Warum? “
„ Lizan gehört zu dem Gebiete von Tijari und wird meiſt von neſtorianiſchen Chriſten bewohnt. Dieſe haben große Bedrückungen zu erleiden gehabt, ſo daß es ſeit kurzem unter ihnen gärt, als ob ſie ſich einmal aufraffen und Rache nehmen wollten. Weil ich nun kein Chriſt, ſondern ein Mohammedaner bin, ſo habe ich mich in Sicherheit gebracht und kann hier mein Geſchäft in Frie - den treiben, bis die Gefahr vorüber iſt. “
„ Welches Geſchäft haſt du? “
„ Ich kaufe die Galläpfelernten ein und verſende ſie nach dem Tigris, von wo aus ſie dann weiter gehen. “
„ Du biſt ein Moslem, und doch iſt die alte Mutter, welche ich bei dir ſah, eine Chriſtin. Wie kommt das? “
„ Emir, das iſt eine Geſchichte, die mich und mein Weib ſehr betrübt. Der Ahne war ein berühmter Melek*)König, Fürſt. der Tijaris und nahm die Lehre an von Chriſtus, dem Gekreuzigten. Sein Weib, die Ahne, die du geſehen haſt, that dasſelbe. Aber ſein Sohn war ein treuer Anhänger des Propheten und trennte ſich vom Vater. Dieſer ſtarb und der Sohn ſpäter auch, der die Würde eines Melek verloren hatte. Er war arm geworden um des Propheten willen, trotzdem ſein Vater einer der reichſten Fürſten des Landes war. Seine Kinder blieben auch arm, und als ich mein Weib heiratete, die ſeine Enkelin iſt, hatte ſie kaum ein Kleid, um ihre Blöße zu bedecken. Aber wir liebten einander, und Allah ſegnete uns; wir wurden reich. “
„ Und die Ahne? “
219„ Wir hatten ſie nie geſehen, bis ſie uns einſt in Lizan aufſuchte. Sie zählte über hundert Jahre, glaubte, nun bald ſterben zu müſſen, und wollte ihre Kindeskinder einmal ſehen. Seit jener Zeit hat ſie uns jährlich zwei - mal beſucht; aber wir wiſſen nicht, woher ſie kommt und wohin ſie geht. “
„ Habt ihr ſie nicht gefragt? “
„ Einmal nur, aber da antwortete ſie nicht und ver - ſchwand auf lange Zeit. Seitdem haben wir dieſe Frage nie wieder ausgeſprochen. Sie iſt jetzt bei der Kranken. Willſt du dieſe ſehen? “
„ Ja; kommt! “
Ich fand die Patientin bedeutend beſſer. Die Röte war verſchwunden; der Puls ging matt, aber ruhiger, und ſie vermochte, wenn auch mit einiger Anſtrengung, doch geläufiger zu ſprechen, als da ich ſie zuerſt geſehen hatte, wo ſie in der Betäubung fabulierte. Die Pupille hatte ſich verengert, aber die Schlingbeſchwerden waren noch vorhanden. Sie blickte mir neugierig entgegen und erhob die Hand, um mir zu danken.
Ich riet, mit dem Kaffee und Citronenſaft fortzu - fahren, und empfahl dabei ein heißes Fußbad; dann wollte ich wieder gehen. Da erhob ſich die Geſtalt der Alten, die bisher am unteren Ende des Lagers gekauert hatte.
„ Herr, “ſagte ſie, „ ich habe dich für einen Hekim gehalten. Verzeihe, daß ich dir Lohn verſprach! “
„ Mein Lohn iſt die Freude, dir dein Enkelkind er - halten zu dürfen. “
„ Gott hat deine Hand geſegnet, Emir. Er iſt mächtig in dem Schwachen und barmherzig in dem Starken. Wie lange wird die Kranke noch leidend ſein? “
„ Einige Tage ſind genug, um ihre gegenwärtige Schwäche zu überwinden. “
220„ Emir, ich lebe, aber nicht in mir, ſondern in dieſem Kinde. Ich bin geſtorben ſeit langen, langen Jahren; aber ich ſtand wieder auf in Der, welche ich bewahrt ſehen möchte vor jedem Flecken des Leibes und der Seele. Du haſt nicht ihr allein, ſondern auch mir das Leben erhalten, und du weißt nicht, wie gut dies iſt für viele, die du weder kennſt noch jemals geſehen haſt. Du wirſt wieder - kommen? “
„ Ja, morgen. “
„ So brauche ich dir heute weiter nichts zu ſagen. “
Sie wandte ſich ab und ſetzte ſich wieder an ihren früheren Platz. Sie ſprach ſo dunkel und war ſelbſt für ihre Verwandten ein Rätſel. Ich hätte mir Zeit genug wünſchen mögen, dieſes Rätſel zu löſen. Ich ſollte eſſen und trinken, ehe ich das Haus verließ, aber ich kam eben von dem Mahle her und hatte auch bei dem Muteſſelim vielleicht ein ſolches zu erwarten; daher mußte ich ab - ſchlagen.
Als ich zu dem Kommandanten kam, waren alle ſeine Beamten und auch die Offiziere der Beſatzung bereits um ihn verſammelt. Es gab alſo große Soiree. Ich erhielt den Ehrenplatz an ſeiner Seite. Wir befanden uns in einem größeren Zimmer, welches einem kleinen Saale glich; es wäre Raum genug zur freien Bewegung geweſen, aber ein jeder ſaß ſtill an ſeinem Platze, rauchte ſeine Pfeife, trank den herumgereichten Kaffee und flüſterte leiſe mit ſeinem Nachbar. Wenn aber der Muteſſelim ein lautes Wort ſagte, ſo neigten ſie lauſchend die Häupter, wie vor einem mächtigen Herrſcher.
Auch meine Unterredung mit ihm wurde leiſe ge - führt. Nach einigen Weitſchweifigkeiten ſagte er:
„ Ich habe ſchon gehört, daß du heute ein Mädchen heilteſt, welches vom Teufel beſeſſen war. Mein Hekim hat ihn hineinfahren ſehen; er verlangte, daß ich dich fortſchicken ſoll, weil du ein Zauberer biſt. “
„ Dein Hekim iſt ein Thor, Muteſſelim! Das Mädchen hatte eine giftige Frucht gegeſſen, und ich gab ihr ein Mittel, durch welches das Gift unwirkſam gemacht wurde. Von dem Teufel oder von einem Geiſte war keine Rede. “
„ So biſt du ein Hekim? “
„ Nein. Du weißt ja, wer und was ich bin! Aber222 im Weſten von hier, weit über Stambul hinaus, da, wo ich geboren bin, hat jedermann mehr Kenntniſſe über die Krankheiten als dein Hekim, der den Teufel durch eine tote Fliege vertreiben wollte. “
Das war rückſichtslos und wohl auch ein wenig mutig geſprochen; aber es konnte dieſen Leuten gar nicht ſchaden, wenn einmal einer kam, der es wagte, an ihrer Selbſtherrlichkeit zu rütteln.
Der Muteſſelim that, als hätte er meine ſcharfe Ant - wort nicht gehört, und erkundigte ſich weiter:
„ So kennſt du alle Krankheiten? “
„ Alle! “antwortete ich ſehr entſchieden.
„ Und kannſt auch alle Tränke machen? “
„ Alle. “
„ Giebt es auch Tränke, die ein guter Moslem nicht trinken darf? “
„ Ja. “
„ Welche ſind es? “
„ Die Pakſitz*)Unreinen., welche aus ſolchen Dingen bereitet werden, deren Genuß der Prophet verboten hat, zum Beiſpiel Schweinefett und Wein. “
„ Wein iſt aber auch eine Medizin? “
„ Ja, eine ſehr wichtige. “
„ Wann wird ſie getrunken? “
„ Bei gewiſſen Krankheiten des Blut - und Nerven - ſyſtems, ſowie auch der Verdauung als Stärkungs - oder Erregungsmittel. “
Wieder ſtockte die Unterhaltung. Die Anweſenden begannen wieder leiſe untereinander zu flüſtern, und nach einer Weile wandte ſich der Muteſſelim auch ebenſo leiſe an mich:
„ Effendi, ich bin krank, ſehr krank! “
223„ Ah, iſt es möglich! Allah gebe dir deine Geſund - heit zurück! “
„ Er wird es vielleicht thun, denn ich bin ein guter Moslem und ein treuer, frommer Anhänger des Pro - pheten. “
„ An welcher Krankheit leideſt du? “
„ Ich habe bereits ſehr viele Aerzte gefragt; ſie ſagen alle, daß ich leide an gewiſſen Krankheiten des Blut - und Nervenſyſtemes, ſowie auch der Verdauung. “
Ich konnte mich kaum beherrſchen, ihm nicht geradezu in das Geſicht zu lachen. Darum alſo dieſe eigentümliche Einleitung, die ſich um den Rand herum bewegt hatte, wie „ die Katze um den heißen Brei “. Jedenfalls lief die Sache auf eine kleine Bettelei hinaus.
„ Haben dir deine Aerzte Mittel gegeben? “
„ Ja, aber dieſe Mittel haben nicht geholfen. Dieſe Männer waren nicht ſo klug und unterrichtet wie du. Meinſt du nicht, daß ich der Anregung und der Stärkung bedarf? “
„ Ich bin davon überzeugt. “
„ Würdeſt du mir ein ſolches Mittel geben? “
„ Ich darf nicht. “
„ Warum nicht? “
„ Der Prophet verbietet es mir. “
„ Der Prophet hat nicht gewollt, daß die wahren Gläubigen an dem Syſteme des Blutes und der Nerven untergehen und ſterben ſollen. Haſt du den Kuran auf - merkſam geleſen? “
„ Sehr aufmerkſam. “
„ So ſage mir, ob du eine einzige Arznei gefunden haſt, die darin verboten wird! “
„ Keine! “
„ Siehſt du! Alſo willſt du mir eine Anregung geben? “
224„ Ich habe die Sachen nicht, welche ich zur Bereitung derſelben brauche. “
„ Du ſcherzeſt wieder, denn du haſt ſie! “
„ Woher wollteſt du dies wiſſen? “
„ Dein Diener hat heute ſolche Dinge bei einem Juden gekauft. “
Ah, der Muteſſelim ließ uns alſo beobachten! Er wußte bereits, daß der kleine Hadſchi für den Engländer Wein geholt hatte. Wir mußten alſo vorſichtig ſein, wenn unſer Vorhaben nicht verraten werden ſollte.
„ Es gehört mehr dazu, als das iſt, was mein Diener kaufte, “antwortete ich.
„ Das Wenige iſt beſſer als gar nichts. Eben weil ich ſehr ſchwach bin, darfſt du nicht viele Dinge zuſammen - miſchen. Willſt du mir eine einfache Stärkung ſenden? “
„ Gut; du ſollſt ſie haben! “
„ Wie viel? “
„ Eine Arzneiflaſche voll. “
„ Emir, das iſt viel zu wenig! Ich bin Komman - dant und ein ſehr langer Mann; der Trank wird alle ſein, ehe er durch den ganzen Körper gekommen iſt. Siehſt du dies ein? “
„ Ich ſehe es ein, darum werde ich dir eine große Flaſche ſenden. “
„ Eine? Nimmt ein Kranker nur einmal Arznei? “
„ Nun wohl, du ſollſt zwei haben! “
„ Laß mich täglich einmal nehmen, und zwar eine Woche lang! “
„ Muteſſelim, ich denke, du wirſt dann zu ſtark werden! “
„ O, Emir, das haſt du nicht zu befürchten. “
„ So wollen wir es denn mit einer Woche verſuchen? “
„ Aber eine Bitte erfüllſt du mir dabei. “
„ Welche? “
225„ Ein Muteſſelim darf ſeinen Untergebenen nie wiſſen laſſen, daß er ein krankes Syſtem der Nerven und der Verdauung hat. “
„ Das iſt richtig! “
„ Alſo wirſt du dieſe Arznei ſo gut einpacken, daß niemand ſieht, daß ſie in Flaſchen enthalten iſt. “
„ Ich werde dir dieſen Wunſch erfüllen. “
„ Haſt du auch kranke Nerven, Emir? “
„ Nein. Warum ſollte ich welche haben? “
„ Weil du dir dieſes Mittel kaufen ließeſt. “
„ Es war nicht für mich. “
„ Für wen ſonſt? Für den ſtummen Hadſchi Linſay - Bey? “
„ Du ſagteſt vorhin, daß ein Muteſſelim nicht wiſſen laſſen dürfe, daß er ein krankes Syſtem habe. Es giebt auch andere Männer, welche dies nicht wiſſen laſſen dürfen. “
„ Oder war es für den dritten Mann, der ſich gar nicht ſehen läßt? Er muß ſehr krank ſein, weil er nicht aus ſeiner Stube kommt! “
Das klang wie ein Verhör. Er wollte ſich nach Mo - hammed Emin erkundigen.
„ Ja, er iſt krank, “antwortete ich.
„ Welche Krankheit hat er? “
„ Eine Krankheit des Herzens. “
„ Kannſt du ihn heilen? “
„ Ich hoffe es. “
„ Ich bedaure, daß du ihn wegen ſeiner Krankheit nicht mitbringen konnteſt. Es iſt ein Freund von dir? “
„ Ein ſehr guter Freund. “
„ Wie lautet ſein Name? “
„ Er hat mich gebeten, ihn dir heute noch nicht zu nennen. Du kennſt ihn ſehr gut, und er will dir eine Ueberraſchung bereiten. “
II. 15226„ Ah! “meinte er neugierig. „ Eine Ueberraſchung? Wann? “
„ Sobald ſeine Krankheit geheilt iſt. “
„ Wie lange dauert dies noch? “
„ Nur einige Tage. “
„ Soll ich ihn nicht lieber beſuchen, da er nicht zu mir kommen kann? “
„ Dieſer Beſuch würde ihn zu ſehr aufregen. Herz - krankheiten ſind lebensgefährlich; das wirſt du wohl auch wiſſen? “
„ So muß ich warten. “
Wieder verſank er in Schweigen; dann begann er von neuem:
„ Weißt du, daß du mir ein Rätſel biſt? “
„ Du mir auch. “
„ Warum? “
„ Weil du mich rätſelhaft findeſt. Sage mir, ob es bereits jemand gewagt hat, ſo klar und offen, ſo aufrichtig und ohne Furcht wie ich, mit dir zu reden! “
„ Das iſt wahr, Effendi! Ich wollte es auch keinem andern raten! Du aber biſt ein Emir, ſtehſt unter dem Schatten des Großherrn und biſt mir ſehr gut von dem Muteſſariff empfohlen; da dulde ich es. “
„ Und bei all dieſer Furchtloſigkeit bin ich dir ein Rätſel? “
„ Ja. “
„ Ich will dir helfen, es zu löſen. Frage mich! “
„ Ich möchte vor allen Dingen wiſſen, wie du in den Schutz des Großherrn gekommen biſt, wie der Großherr über mich denkt und was er für Pläne hat mit dir und mir. Aber dazu iſt heute keine Zeit. Wir werden davon morgen reden, wenn wir allein ſind. “
Das war mir lieb. Auch hörte jetzt die Unterhaltung227 auf, da ein Medah*)Märchenerzähler. eingelaſſen wurde, welchen der Kom - mandant zur Unterhaltung ſeiner Gäſte engagiert hatte. Die Pfeifen wurden von neuem geſtopft und angebrannt, die Taſſen wieder gefüllt, und dann lauſchte man andächtig den Worten des Erzählers.
Er ſtellte ſich in die Mitte des Raumes und erzählte mit ſingender, lamentierender Stimme die tauſendmal ge - hörten Geſchichten von Abu-Szaber, dem ſchiefmäuligen Schulmeiſter, dem Liebesſklaven Ganem, von Nureddin Ali und Bedreddin Haſſan. Dafür erhielt er zwei Piaſter und konnte gehen.
Dann erhob ſich der Muteſſelim, zum Zeichen, daß dieſe amüſante Soiree beendet ſei. Man ſagte ſich einige ſulminante Höflichkeiten, verbeugte ſich gegenſeitig und war dann froh, dem Kommandanten, dem Emir Hadſchi Kara Ben Remſi, dem Tabak und Kaffee und dem Medah glücklich entronnen zu ſein. Ich hatte das nachträgliche Vergnügen, von Selim Agha unter dem Arm genommen und nach Hauſe begleitet zu werden.
„ Emir, erlaube, daß ich deinen Arm nehme! “bat er.
„ Da haſt du ihn! “
„ Ich weiß, daß ich dies eigentlich nicht ſollte, denn du biſt ein großer Emir, ein weiſer Effendi und ein Lieb - ling des Propheten; aber ich habe dich lieb, und du mußt bedenken, daß ich kein gemeiner Arnaute, ſondern ein ſehr tapferer Agha bin, der dieſe Feſtung gegen fünfzigtauſend Feinde verteidigen würde. “
„ Das weiß ich. Auch ich habe dich lieb. Komm, laß uns gehen! “
„ Wer iſt das? “
Er deutete dabei auf eine Geſtalt, welche hinter der Ecke gelehnt hatte und nun an uns vorüberſtrich und228 ſchnell im Dunkel der Häuſer verſchwand. Ich erkannte den Mann. Es war der Arnaute, der uns angefallen hatte, doch zog ich es jetzt vor, ihn nicht zu erwähnen.
„ Es war wohl einer deiner Arnauten. “
„ Ja, aber ich habe doch wohl dieſes Geſicht noch nicht geſehen. “
„ Das Licht des Mondes täuſcht. “
„ Weißt du, Emir, was ich dir da jetzt ſagen wollte? “
„ Was? “
„ Hm! Ich bin krank. “
„ Was fehlt dir? “
„ Ich leide an dem Syſtem der Nerven und des Blutes. “
„ Selim Agha, ich glaube, du haſt gehorcht! “
„ O nein, Effendi! Aber ich mußte ja euer Geſpräch hören, da ich als der Nächſte neben dem Muteſſelim ſaß. “
„ Jedoch ſo weit entfernt, daß du lauſchen mußteſt! “
„ Soll man nicht lauſchen, wenn man einer Stärkung bedarf? “
„ Du willſt ſie doch nicht etwa von mir verlangen! “
„ Wohl von dem alten Hekim? Der würde mir Fliegen geben! “
„ Willſt du ſie in einer Arzneiflaſche oder in einer großen Flaſche? “
„ Du willſt ſagen, in einigen großen Flaſchen! “
„ Wann? “
„ Jetzt, wenn es dir gefällig iſt! “
„ So laß uns eilen, daß wir nach Hauſe kommen! “
„ O nein, Emir, denn da iſt mir Merſinah im Wege. Sie darf niemals wiſſen, daß ich ein krankes Syſtem der Verdauung habe! “
„ Aber ſie ſollte es doch wiſſen, da ſie dir die Speiſen bereitet. “
„ Sie würde die Medizin an meiner Stelle trinken. 229Ich weiß einen Ort, wo man dieſen Trank in Ruhe und Sicherheit genießen kann. “
„ Wo? “
„ Effendi, ein ſolcher Ort iſt allemal bei einem Juden oder bei einem Griechen. Haſt du dies noch nicht be - merkt? “
„ Sehr oft. Aber man wird dich ſehen, und dann er - fährt die ganze Stadt, daß du dich nicht ganz auf dein Syſtem verlaſſen kannſt! “
„ Nur wir beide werden einander ſehen. Dieſer Jude hat eine kleine Stube, in welche nicht einmal der Mond blicken kann. “
„ So komm! Aber laß uns vorſichtig ſein, daß wir nicht beobachtet werden. “
Alſo wieder einen Angriff auf meinen Geldbeutel! Uebrigens war ich ganz vergnügt, den Agha als einen Moslem kennen zu lernen, dem zwar der Wein, nicht aber die Arznei verboten iſt, welche aus dem Blute der Trau - ben gekeltert wird. Ein kleines Räuſchchen konnte mir Vorteile bringen.
Nachdem wir einige enge und winkelige Gäßchen paſ - ſiert hatten, hielten wir vor einem kleinen, armſeligen Häuschen, deſſen Thüre nur angelehnt war. Wir traten in den dunklen Flur, wo Selim in die Hände klatſchte. Sogleich erſchien eine krumme, mit einem echt israelitiſchen Geſichte ausgeſtattete Geſtalt aus der Stube und leuchtete dem Agha in das Geſicht.
„ Ihr ſeid es, Hoheit? Gott Abrahams, bin ich er - ſchrocken, als ich ſah im Hauſe ſtehen zwei Geſtalten ſtatt der Eurigen, die ich gewohnt bin, alle Tage die Ehre zu haben, zu empfangen in meinem Hauſe mit Vergnügen und ſehr tiefer Unterthänigkeit! “
„ Mach auf, Alter! “
230„ Mach auf? Was? Die Stube, welche iſt die kleine oder die große? “
„ Die kleine! “
„ Bin ich auch ſicher, daß dieſer Mann, welcher hat die Ehre, mit Euch zu kommen in mein Haus, nicht wird ſein ein Herr, deſſen Mund redet von Dingen, die von mir geſchehen aus Barmherzigkeit und doch nicht ſollen werden beſprochen, weil mich dann beſtrafen würde der mächtige Muteſſelim? “
„ Du biſt ganz ſicher. Oeffne, oder ich mache mir ſelbſt auf! “
Der Alte ſchob einige Bretter zur Seite, hinter denen eine Thüre zum Vorſchein kam. Sie führte in ein ſehr kleines Gemach, deſſen Boden mit einer zerriſſenen Baſt - matte belegt war. Einige Mooskiſſen bildeten die Sofas.
„ Soll ich brennen an die Lampe? “
„ Natürlich! “
„ Was werden begehren die Herren zu trinken? “
„ Wie immer! “
Jetzt brannten zwei Flammen, und der Jude konnte mich, der ich bisher ſtets hinter Selim geſtanden, nun beſſer betrachten.
„ Katera Muſa*)Um Moſis Willen., das iſt ein hoher Effendi und ein großer Held des Krieges! Iſt er doch behangen mit glän - zenden Silahs**)Waffen., trägt einen goldenen Kuran am Halſe und hat einen Simbehl***)Schnurrbart. wie Jehoſchuah, der Eroberer des Landes Kanaan. Da darf ich nicht bringen den Ge - wöhnlichen, ſondern ich muß gehen in eine Ecke des Kellers, wo da liegt vergraben ein Trank, den nicht ein jeder be - kommt. “
„ Was für welcher iſt es? “fragte ich.
„ Es iſt Wein von Türbedi Haidari, aus einem Lande,231 welches niemand kennt und wo Trauben wachſen, deren Beeren ſind wie die Aepfel und deren Saft kann um - reißen die Mauern einer ganzen Stadt. “
„ Bringe eine Flaſche! “befahl der Agha.
„ Nein, bringe zwei Krüge! Du mußt nämlich wiſſen, daß der Wein von Türbedi Haidari nur in großen Thon - krügen aufbewahrt und nur aus kleinen Krügen getrunken wird, “ſagte ich.
„ Du kennſt ihn? “fragte der Jude.
„ Ich habe ihn oft getrunken. “
„ Wo? Wo liegt dieſes Land? “
„ Der Name, den du nannteſt, iſt der Name einer Stadt, welche in Terbidſchan in Perſien liegt. Der Wein iſt gut, und ich hoffe, daß du verſtanden haſt, ihn zu be - handeln. Was koſtet er? “
„ Du biſt ein vornehmer Herr; darum ſollſt du ihn haben halb umſonſt. Du wirſt bezahlen dreißig Piaſter für den Krug. “
„ Das iſt halb umſonſt? Bringe die zwei Krüge, da - mit ich ihn koſte. Dann werde ich dir ſagen, wie viel ich gebe! “
Er ging. In einer Ecke lehnten einige Pfeifen neben einem Käſtchen mit Tabak. Wir ſetzten uns und griffen nach den Pfeifen, die ohne Spitze waren. Ich zog mein Mundſtück aus der Taſche und ſchraubte es an; dann ver - ſuchte ich den Tabak; es war ein guter Perſer.
„ Was iſt drüben auf der andern Seite des Hauſes, Selim Agha? “fragte ich.
„ Ein Spezereiladen und eine Kaffeeſtube. Hinten iſt eine Opiumbude und eine Weinſchänke für das Volk; hier aber dürfen nur vornehme Herren eintreten, “erklärte er mir mit ſelbſtgefälligem Geſichte.
Ich kann ſagen, daß ich mich auf dieſen Wein freute. 232Es iſt ein roter, dicker und ungemein ſtarker Naturtrank, von dem drei Schluck genügen, um einen Menſchen, der noch nie Wein getrunken hat, in einen gelinden Rauſch zu verſetzen. Selim liebte das Getränk Noahs, aber ich war überzeugt, daß ihn der Krug mehr als überwältigen werde.
Da kam der Wirt mit zwei Krügen, von denen jeder vielleicht einen Liter faßte. Hm, armer Selim Agha! Ich verſuchte einen Schluck. Der Wein hatte auf der Reiſe gelitten, ließ ſich aber trinken.
„ Nun, Hoheit, wie iſt er? “fragte der Jude.
„ Er iſt ſo, daß ich dir für den Krug zwanzig Piaſter geben werde. “
„ Herr, das iſt geboten zu wenig, viel zu wenig! Für zwanzig Piaſter werde ich wieder mitnehmen meinen Wein und dir bringen einen andern. “
„ Im Lande, wo er bereitet wird, gebe ich nach hie - ſigem Gelde für dieſen Krug vier Piaſter. Du ſiehſt, ich will gut bezahlen, aber wenn dir das nicht genügt, ſo nimm ihn wieder mit! “
Ich ſtand auf.
„ Was ſoll ich bringen für welchen? “
„ Keinen! Ich trinke nur dieſen für zwanzig Piaſter, den du mir auch für fünfzehn ließeſt. Bekomme ich ihn nicht, ſo gehe ich, und du magſt ihn ſelbſt trinken. “
„ So wird ihn trinken die Hoheit des Selim Agha. “
„ Er wird mit mir gehen. “
„ Gieb neunundzwanzig! “
„ Nein. “
„ Achtundzwanzig! “
„ Gute Nacht, Alter! “
Ich öffnete die Thüre.
„ Komm her, Effendi! Du ſollſt ihn doch haben für233 zwanzig Piaſter, weil es mir iſt eine Ehre, dich zu ſehen in meinem Hauſe. “
Der Handel war alſo abgeſchloſſen, und jedenfalls ſehr zur Zufriedenheit des Juden, der ſich, nachdem ich ihm das Geld gegeben hatte, mit verſtecktem Schmunzeln entfernte. Der Agha koſtete ein wenig und that dann einen tiefen Zug.
„ Allah illa Allah! Wallah, Billah, Tallah! Solchen habe ich noch nicht bekommen. Glaubſt du, daß er gut iſt für ein krankes Syſtem, Emir? “
„ Sehr gut! “
„ Oh, wenn das die ‚ Myrte‘ wüßte! “
„ Hat ſie auch ein Syſtem? “
„ Ein ſehr durſtiges, Effendi! “
Er that einen zweiten und nachher einen dritten Zug.
„ Das iſt kein Wunder, “meinte ich. „ Sie hat ſehr viel zu ſorgen, zu ſchaffen und zu arbeiten. “
„ Für mich nicht; das weiß Allah! “
„ Aber für deine Gefangenen. “
„ Sie bringt ihnen täglich einmal Eſſen, Brot und Mehlwaſſer. “
„ Wie viel giebt dir der Muteſſelim für jeden Ge - fangenen? “
„ Dreißig Para täglich. “
Alſo fünfzehn Pfennige ungefähr! Davon blieb ſicher - lich die Hälfte in den Händen Selims kleben.
„ Und was erhältſt du für die Beaufſichtigung? “
„ Zwei Piaſter täglich, die ich aber noch niemals be - kommen habe. Iſt es da ein Wunder, daß ich dieſe ſchöne Arznei noch gar nicht kenne? “
Er that abermals einen Zug.
„ Zwei Piaſter? Das iſt ſehr wenig, zumal dir die Gefangenen ſehr viele Mühe machen werden. “
234„ Mühe? Gar keine! Was ſoll ich mir mit dieſen Halunken für Mühe geben? Ich gehe täglich einmal in das Gefängnis, um nachzuſehen, ob vielleicht einer geſtorben iſt. “
„ Zu welcher Zeit thuſt du das? “
„ Wenn es mir paßt. “
„ Auch des Nachts? “
„ Ja, wenn ich am Tage es vergeſſen hatte und grad ausgegangen war. Wallahi, da fällt mir ein, daß ich heute noch nicht dort geweſen bin! “
„ Meine Ankunft hat dich geſtört. “
„ Das iſt wahr, Effendi. “
„ So mußt du nachſehen? “
„ Das werde ich nicht thun. “
„ Warum nicht? “
„ Die Kerle ſind es nicht wert, daß ich mich bemühe! “
„ Richtig! Aber wirſt du dir nicht den Reſpekt ver - ſcherzen? “
„ Welchen Reſpekt? “
„ Du biſt doch Agha, ein hoher Offizier. Deine Arnauten und Unteroffiziere müſſen Angſt vor dir haben! Nicht? “
„ Ja, das müſſen ſie. Bei Allah, das müſſen ſie! “beteuerte er.
„ Auch der Sergeant, der im Gefängnis iſt? “
„ Auch dieſer. Natürlich! Dieſer Mazir iſt überhaupt ein widerſpenſtiger Hund. Er muß Angſt haben! “
„ So mußt du ihn gut beaufſichtigen, mußt ihn zu - weilen überraſchen, um zu ſehen, ob er im Dienſte pünkt - lich iſt, ſonſt wird er dich niemals fürchten! “
„ Das werde ich; ja, bei Allah, ich werde es! “
„ Wenn er ſicher iſt, daß du nicht kommſt, ſo ſitzt er vielleicht beim Kawedſchi*)Kaffeewirt. oder bei den Tänzerinnen und lacht dich aus. “
235„ Das ſoll er wagen! Ich werde ihn überraſchen, morgen oder auch heute noch. Emir, willſt du ihn mit überraſchen? “
Ich hütete mich wohl, einen Zweifel darüber blicken zu laſſen, ob ich überhaupt das Recht habe, in dem Ge - fängniſſe Zutritt zu nehmen; ich that im Gegenteile ſo, als ob ich ihm mit meiner Begleitung eine Ehre erwieſe:
„ Iſt ſo ein Kerl es wert, daß er das Angeſicht eines Emir ſieht? “
„ Du begleiteſt mich doch nicht um ſeinet -, ſondern um meinetwillen. “
„ Dann muß mir aber auch die Ehre erwieſen wer - den, die einem Emir und Effendi, der das Geſetz ſtudiert hat, gebührt! “
„ Das verſteht ſich! Es wird ſo ſein, als ob mich der Muteſſelim ſelbſt begleitete. Du ſollſt das Gefängnis in - ſpizieren. “
„ So gehe ich mit, denn ich bin überzeugt, daß mich dieſe Arnauten nicht für einen Khawaſſen halten. “
Er hatte nur noch eine kleine Neige im Kruge, und ich hatte mit ihm gleichen Schritt gehalten. Seine Augen wurden kleiner, und die Spitzen ſeines Schnurrbartes ſtan - den auf Krakehl.
„ Wollen wir uns noch einen Krug kommen laſſen, Selim Agha? “fragte ich ihn.
„ Nein, Effendi, wenn es dir beliebt. Ich dürfte da - nach, dieſen Mazir zu überraſchen. Wir werden morgen wieder hierhergehen! “
Der Sergeant wurde nur vorgeſchoben, in Wirklich - keit aber mochte der gute Agha die Gefährlichkeit des Weines aus Türbedi Haidari bereits verſpüren. Er legte die Pfeife fort und erhob ſich ein wenig unſicher.
„ Wie war der Tabak, Effendi? “erkundigte er ſich.
236Ich ahnte den Grund und antwortete deshalb:
„ Schlecht. Er macht Kopfſchmerzen und Schwindel. “
„ Bei Allah, du haſt recht. Dieſer Tabak ſchwächt das Syſtem des Blutes und der Nerven, während man doch gekommen iſt, es zu ſtärken. Komm, laß uns gehen! “
„ Müſſen wir denn dem Juden unſere Entfernung melden? “
„ Ja. “
Er klatſchte in die Hände. Das war wieder das Zei - chen; dann traten wir in das Freie. Das kurze Wein - ſtudium war für mich vorteilhaft geweſen.
„ Komm, Emir, gieb mir deinen Arm! Du weißt, ich liebe dich! “
Es war weniger die Liebe als vielmehr die Schwächung ſeines „ Syſtems “, welche ihn bewog, dieſe Bitte auszu - ſprechen; denn als ihm die friſche Abendluft entgegenwehte, verriet er den ſichtbarſten Eifer, in jene akrobatiſche Fata - lität zu verfallen, in welcher man den Nadir mit dem Zenith zu verwechſeln pflegt.
„ Nicht wahr, Mohammed war ein geſcheiter Kerl, Emir? “fragte er ſo laut, daß ein eben Vorübergehender ſtehen blieb, um uns etwas in Augenſchein zu nehmen.
„ Warum? “
„ Weil er die Arzneien nicht verboten hat. Hätte er auch dies noch gethan, ſo müßte man aus den Trauben Tinte machen. Weißt du, wo das Gefängnis liegt? “
„ Hinter deinem Hauſe. “
„ Ja; du haſt immer recht, Emir. Aber wo liegt unſer Haus? “
Das war nun eine jener leichten Fragen, die ſich doch ſehr ſchwer beantworten laſſen, wenn nicht die Antwort ebenſo albern ſein ſoll, wie die Frage.
„ Grad vor dem Gefängniſſe, Agha. “
237Er blieb ſtehen oder verſuchte vielmehr, ſtill zu ſtehen, und ſah mich überraſcht an.
„ Emir, du biſt juſt ein ebenſo geſcheiter Kerl wie der alte Mohammed; nicht? Aber ich ſage dir, dieſer Tabak iſt mir ſo in das Gehirn gefahren, daß ich hier rechts das Gefängnis ſehe und dort links ebenſo. Welches iſt das richtige? “
„ Keines von beidem. Da rechts ſteht eine Eiche, und das da oben links, das iſt eine Wolke. “
„ Eine Wolke? Allah illa Allah! Erlaube, daß ich dich ein wenig feſter halte! “
Der wackere Agha führte mich und zeigte dabei jene merkwürdige Manie des unwillkürlichen Fortſchrittes, wel - chen man in einigen Gegenden Deutſchlands „ eine Lerche ſchießen “nennt. So kamen wir allerdings ziemlich ſchnell weiter, und es gelang mir endlich, ihn vor das Gebäude zu bringen, welches ich für das Gefängnis hielt, obgleich ich es von ſeiner vorderen Seite noch nicht geſehen hatte.
„ Iſt dies das Zindan? “*)Gefangenhaus. fragte ich ihn.
Er ſchob den Turban in das Genick und blickte ſich nach allen Seiten um.
„ Hm! Es ſieht ihm ähnlich. Emir, bemerkſt du nie - mand in der Nähe, den man fragen kann? Ich habe dich ſo feſt halten müſſen, daß mir die Augen wirbeln, und das iſt ſchlimm; denn dieſe Häuſer ſprangen an mir vor - bei wie eine galoppierende Karawane. “
„ Ich ſehe keinen Menſchen. Aber es muß es ſein! “
„ Wir wollen einmal probieren! “
Er fuhr mit der Hand in ſeinen Gürtel und vigi - lierte nach etwas, was er nicht finden konnte.
„ Was ſucheſt du? “
„ Den Schlüſſel zur Gefängnisthüre. “
238„ Haſt du ihn? “
„ Stets! Lange du doch einmal her und ſieh, ob du ihn findeſt! “
Ich ſuchte und fand den Schlüſſel ſofort. Man mußte ihn bei dem erſten Griffe fühlen, denn er war ſo groß, daß man ihn mit einer Bärenkugel Nummer Null hätte laden können.
„ Hier iſt er. Soll ich ſchließen? “
„ Ja, komm! Aber ich denke mir, daß du das Loch nicht finden wirſt, denn dein Syſtem hat ſehr gelitten. “
Der Schlüſſel paßte, und bald knarrte die Thüre in ihren Angeln.
„ Gefunden! “meinte er. „ Dieſe Töne kenne ich ſehr genau. Laß uns eintreten! “
„ Soll ich die Thüre wieder zuſchließen? “
„ Verſteht ſich! In einem Gefängniſſe muß man vor - ſichtig ſein. “
„ Rufe den Schließer! “
„ Den Sergeant? Wozu? “
„ Er ſoll uns leuchten. “
„ Fällt mir gar nicht ein! Wir wollen doch den Schurken überraſchen! “
„ Dann mußt du leiſer ſprechen! “
Er wollte vorwärts, ſtolperte aber ſo, daß er ge - fallen wäre, wenn ich ihn nicht mit beiden Händen ge - halten hätte.
„ Was war das? Emir, wir ſind dennoch in ein fremdes Haus geraten! “
„ Wo iſt der Raum, in dem ſich der Sergeant be - findet? Liegt er zu ebener Erde? “
„ Nein, ſondern eine Treppe hoch. “
„ Und wo führt die Treppe hinauf, hinten oder vorn? “
„ Hm! Wo war es nur! Ich glaube, vorn. Man239 hat von der Thüre aus noch ſechs bis acht Schritte zu gehen. “
„ Rechts oder links? “
„ Ja, wie ſtehe ich denn? Hüben oder drüben? O Emir, deine Seele kann die Arznei nicht gut vertragen; denn du haſt mich ſo ſchief geſtellt, daß dieſer Hausflur nicht gradaus läuft, ſondern von unten hinauf in die Höhe! “
„ So komm her! Hinter dir iſt die Thüre; hier iſt rechts, und da iſt links. An welcher Seite nun geht die Treppe empor? “
„ Hier links. “
Wir ſchritten vorſichtig weiter, und mein taſtender Fuß ſtieß wirklich bald an die unterſte Stufe einer Treppe.
„ Da ſind die Stufen, Agha! “
„ Ja, das ſind ſie. Falle nicht, Emir! Du warſt noch nie in dieſem Hauſe; ich werde dich ſehr ſorgfältig leiten. “
Er hing ſich ſchwer an mich, ſo daß ich ihn die mir unbekannte Treppe förmlich emportragen mußte.
„ Jetzt ſind wir oben. Wo iſt die Stube des Ser - geanten? “
„ Rede leiſer; ich höre alles! Rechts die erſte Thür iſt es. “
Er zog mich fort, aber grad aus ſtatt nach rechts; ich ſchwenkte ihn alſo herum und fühlte nach einigen Schritten die Thüre, welche ich taſtend unterſuchte.
„ Ich fühle zwei Riegel, aber kein Schloß. “
„ Es giebt keins. “
„ Die Riegel ſind vorgeſchoben. “
„ Dann ſind wir am Ende doch in ein fremdes Haus geraten! “
„ Ich werde öffnen. “
240„ Ja thue es, damit ich erfahre, woran ich mit dir bin! “
Ich ſchob die ſchweren Riegel zurück. Die Thüre ging nach außen auf. Wir traten ein.
„ Giebt es ein Licht in der Stube des Sergeanten? “
„ Ja. Die Lampe ſteht mit dem Feuerzeuge links in einem Mauerloche. “
Ich lehnte ihn an die Wand und ſuchte. Das Loch nebſt dem Nötigen wurde entdeckt, und bald hatte ich die Lampe angebrannt.
Der Raum war eng und klein. Eine Binſenmatte lag auf der Diele; ſie hatte als „ Möbel für alles “zu dienen. Ein zerbrochener Napf, ein Paar zerriſſene Schuhe, ein Pantoffel, ein leerer Waſſerkrug und eine Peitſche ſtanden und lagen auf dem Boden herum.
„ Nicht da! Wo ſteckt dieſer Menſch? “fragte der Agha.
„ Er wird bei den Arnauten ſein, die auch hier zu wachen haben. “
Er nahm die Lampe und wankte voran, ſtieß aber an den Thürpfoſten.
„ Schiebe mich nicht, Emir. Komm, halte die Lampe; ich will dich lieber führen, ſonſt könnteſt du mich die Treppe hinabwerfen. Ich liebe dich und bin dein Freund, dein beſter Freund; darum rate ich dir, nie wieder dieſe per - ſiſche Arznei zu trinken. Sie macht dich ja ganz gewalt - thätig! “
Ich mußte allerdings einige Gewalt anwenden, um ihn unbeſchädigt hinabzubringen. Als wir vor der be - zeichneten Thüre anlangten, war auch ſie verſchloſſen, und als wir ſie öffneten, fanden wir auch dieſen Raum leer. Er glich mehr einem Stalle als der Wohnung eines Menſchen und ließ ſehr Trauriges über die Aſyle der Gefangenen erraten.
„ Auch fort! Emir, du hatteſt recht. Dieſe Schurken241 ſind fortgelaufen, ſtatt zu wachen. Aber ſie ſollen lernen, mich zu fürchten. Ich laſſe ihnen die Baſtonnade geben; ja, ich laſſe ſie ſogar aufhängen! “
Er verſuchte, die Augen zu rollen, aber er brachte es nicht fertig; der Wein wirkte je länger deſto kräftiger; ſie fielen ihm zu.
„ Was thun wir nun? “
„ Was meinſt du, Emir? “
„ Ich an deiner Stelle würde warten, um die Ar - nauten ſo zu empfangen, wie ſie es verdient haben. “
„ Freilich werde ich dies thun. Aber wo warten wir? “
„ Hier oder oben. “
„ Hier. Ich ſteige nicht erſt wieder hinauf; du wirſt mir zu ſchwer, Effendi. Sieh, wie du wankſt! Setze dich nieder! “
„ Ich denke, wir wollen die Gefängniſſe inſpizieren? “
„ Ja, das wollten wir, “ſagte er ermüdet. Aber, dieſe Menſchen ſind es nicht wert. Es ſind lauter Spitz - buben, Diebe und Räuber, Kurden und auch ein Araber, welcher der ſchlimmſte von allen iſt. “
„ Wo ſteckt dieſer Kerl? “
„ Hier nebenan, weil er am ſchärfſten bewacht werden ſoll. So ſetze dich doch! “
Ich ließ mich neben ihm nieder, obgleich der Boden nur aus hartgeſtampften Lehm beſtand und den höchſten Grad von Unreinlichkeit zeigte. Der Agha gähnte.
„ Biſt du müde? “fragte er mich.
„ Ein wenig. “
„ Darum gähnſt du ſo. Schlafe, bis ſie kommen. Ich werde dich wecken. Allah illa Allah, du biſt ganz ſchwach und unzuverläſſig geworden! Aber ich werde es mir ſo bequem wie möglich machen. “
Er ſtreckte ſich aus, ſtemmte den Ellenbogen auf undII. 16242legte den Kopf in die Hand. Eine lautloſe Stille trat ein, und nach einer kleinen Weile ſank der Kopf vollends nieder — der Herr des Gefängniſſes ſchlief.
Wie oft hatte ich geleſen, daß ein Gefangener durch die Berauſchung ſeiner Wächter befreit worden ſei, und mich über dieſen verbrauchten Schriftſtellercoup geärgert! Und jetzt befand ich mich in voller Wirklichkeit infolge eines Rauſches in dem Beſitze aller Gefangenen. Sollte ich dem Haddedihn Thor und Thüre öffnen? Das wäre wohl unklug geweſen. Wir waren nicht vorbereitet, augenblicklich die Stadt zu verlaſſen. Am Thore ſtanden Wachen, welche ſicher Verdacht geſchöpft hätten. Auf den armen Agha wäre die ganze Schuld gefallen und — ich mußte ganz offen als der Thäter bezeichnet werden, was mir große Gefahr bringen oder wenigſtens ſpäter viele Ungelegenheiten bereiten konnte. Es war jedenfalls beſſer, den Gefangenen ſo verſchwinden zu laſſen, daß ſein Ent - kommen ganz unbegreiflich blieb. Das war jetzt in meine Hand gegeben und machte es mir möglich, jeden Verdacht von mir fern zu halten. Ich beſchloß alſo, heute mit dem Haddedihn nur zu ſprechen, und die Flucht erſt dann zu bewerkſtelligen, wenn ſie gehörig vorbereitet ſein würde.
Der Agha lag am Boden und ſchnarchte laut bei offen ſtehendem Munde. Ich rüttelte ihn erſt leiſe und dann ſtärker am Arme. Er erwachte nicht. Nun ergriff ich die Lampe und verließ die Stube, deren Thüre ich leiſe zumachte. Auch einen der Riegel ſchob ich lautlos vor, um auf keinen Fall überraſcht zu werden. Ich hatte bereits vorhin achtgegeben und bemerkt, daß alle Thüren ohne Schlöſſer und nur mit zwei Riegeln verſehen waren. Einen Schlüſſel brauchte ich alſo nicht zu ſuchen.
Es war mir doch ein wenig verändert zu Mute, als ich ſo allein draußen auf dem Gange ſtand, deſſen243 Finſternis von dem kleinen Lichte der Lampe nicht durch - drungen werde konnte. Aber ich hielt mich auf alles ge - faßt. Wäre ein zwingender Umſtand eingetreten, ſo hätte ich alles gewagt, um nicht ohne den Gefangenen fortzu - kommen. Ich ſchob die Riegel zurück, öffnete und ließ die Thüre weit offen ſtehen, um jeden Laut vernehmen zu können, nachdem ich eingetreten war.
Ja, es war ein Loch, welches ich erblickte! Ganz ohne die Vermittelung von einigen Stufen fiel der vor mir liegende Raum hart hinter der Thüre über zwei Ellen tief hinab. Er hatte eine Länge von vier und eine Breite von zwei Schritten ungefähr und zeigte weder Tünche, noch Holz - oder Lehmboden. Oben, dicht unter der Decke war eines jener Löcher angebracht, die ich am Tage von außen bemerkt hatte, und außer einem „ Napfe “mit Waſſer, wie man ihn einem Hunde vorgeſetzt haben würde, ſah ich nichts als den Gefangenen in dieſer Höhle.
Er hatte auf der feuchten dumpfen Erde gelegen, war aber bei meinem Erſcheinen aufgeſtanden. Hohläugig und abgemagert, glich er einem Halbtoten, aber dennoch war ſeine Haltung eine ſtolze, und ſein Auge blitzte zornig, als er mich fragte:
„ Was willſt du? Darf man nicht einmal ſchlafen? “
„ Sprich leiſe! Ich gehöre nicht zu deinen Wächtern. Wie iſt dein Name? “
„ Warum frageſt du? “
„ Sprich noch leiſer, denn man ſoll uns nicht hören. Wie heißeſt du? “
„ Das wirſt du wiſſen! “antwortete er, aber doch mit gedämpfter Stimme.
„ Ich vermute es, aber ich will aus deinem Munde wiſſen, wer du biſt. “
„ Man nennt mich Amad el Ghandur. “
244„ So biſt du jener, den ich ſuche. Verſprich mir, ganz ruhig zu ſein, was ich dir auch ſagen werde! “
„ Ich verſpreche es! “
„ Mohammed Emin, dein Vater, iſt in der Nähe. “
„ Allah il Al — — —! “
„ Schweig! Dein Ruf kann uns verraten! “
„ Wer biſt du? “
„ Ein Freund deines Vaters. Ich kam als Gaſt zu den Haddedihn und habe an der Seite deines Vaters gegen eure Feinde gekämpft. Da hörte ich, daß du ge - fangen ſeieſt, und wir haben uns aufgemacht, dich zu be - freien. “
„ Allah ſei gelobt! Aber ich kann es nicht glauben! “
„ Glaube es! Siehe, dieſes Fenſter geht in einen Hof, welcher an einen Garten ſtößt, der zu dem Hauſe gehört, in dem wir wohnen. “
„ Wie viele Männer ſeid ihr? “
„ Nur vier. Dein Vater, ich, noch ein Freund und mein Diener. “
„ Wer biſt du, und wer iſt dieſer Freund? “
„ Laß das für ſpäter, denn jetzt müſſen wir eilen! “
„ Fort? “
„ Nein. Wir ſind noch nicht vorbereitet, und ich kam zufällig hierher, ohne es vorher geahnt zu haben. Kannſt du leſen? “
„ Ja. “
„ Aber es fehlt dir das Licht dazu. “
„ Zur Mittagszeit iſt es hell genug. “
„ So höre. Ich könnte dich gleich jetzt mitnehmen, aber das wäre zu gefährlich; doch ich verſichere dir, daß es nur ganz kurze Zeit noch dauern wird, bis du frei ſein wirſt. Noch weiß ich nicht, was wir beſchließen werden; aber wenn du einen Stein durch das Fenſter245 fallen hörſt, ſo hebe ihn auf; es wird ein Papier daran gebunden ſein, welches dir ſagt, was du thun ſollſt. “
„ Herr, du giebſt mir das Leben zurück; denn beinahe wäre ich verzweifelt! Wie habt ihr erfahren, daß man mich nach Amadijah geſchleppt hat? “
„ Ein Dſcheſidi ſagte es mir, den du am Waſſer ge - troffen haſt. “
„ Das ſtimmt, “antwortete er ſchnell. „ O, nun ſehe ich, daß du die Wahrheit redeſt! Ich werde warten, aber grüße den Vater von mir! “
„ Ich werde es noch heute thun. Haſt du Hunger? “
„ Sehr! “
„ Könnteſt du Brot, Licht und Feuerzeug verſtecken? “
„ Ja. Ich grabe mit den Händen ein Loch in die Erde. “
„ Hier haſt du meinen Dolch dazu. Es iſt für alle Fälle gut, wenn du eine Waffe haſt. Aber ſie iſt mir koſtbar; laß ſie nicht entdeckt werden! “
Er griff haſtig zu und drückte ſie an die Lippen.
„ Herr, Allah mag dir das in deiner Todesſtunde gedenken! Nun habe ich eine Waffe; nun werde ich frei ſein, auch wenn ihr nicht kommen könnt! “
„ Wir werden kommen. Unternimm ja nichts Vor - ſchnelles; das könnte dich und deinen Vater in große Gefahr verſetzen. “
„ Ich werde eine ganze Woche warten. Seid ihr dann noch nicht gekommen, ſo handle ich ſelbſt. “
„ Gut! Wenn es geht, werde ich dir noch dieſe Nacht Speiſe, Licht und Feuerzeug durch das Fenſter bringen. Vielleicht können wir auch miteinander ſprechen. Wenn es ohne Gefahr geſchehen kann, ſollſt du die Stimme deines Vaters hören. Jetzt, lebe wohl; ich muß gehen! “
„ Herr, reiche mir deine Hand! “
246Ich hielt ſie ihm entgegen. Er drückte ſie mit beiden Händen, daß es mich ſchmerzte.
„ Allah ſegne dieſe Hand, ſolange ſie ſich bewegt, und wenn ſie ſich zum Todesſchlaf gefaltet hat, ſo möge dein Geiſt ſich im Paradieſe freuen der Stunde, in welcher du mein Engel wurdeſt! Jetzt gehe, damit dir nichts widerfahre! “
Ich verſchloß das Gefängnis und begab mich leiſe zum Agha zurück. Er ſchlief und ſchnarchte noch immer, und ich ſetzte mich nieder. So ſaß ich wohl eine ganze Stunde lang, bis ich Schritte vernahm, welche vor der Hausthür halten blieben. Schnell zog ich die bisher offene Thüre zu und rüttelte den Agha munter. Es war dies keine leichte Arbeit, beſonders da ſie ſchnell geſchehen mußte. Ich ſtellte ihn aufrecht empor. Er ſtarrte mich verwundert an.
„ Du, Emir? Wo ſind wir? “
„ Im Gefängniſſe. Raffe dich zuſammen! “
Er ſchaute ſich verdutzt um.
„ Im Gefängniſſe? Ah! Wie kommen wir hierher? “
„ Denke an den Juden und an die Arznei; denke auch an den Sergeant, den wir überraſchen wollen! “
„ Den Serg — — — Maſchallah, jetzt weiß ich es! Ich habe geſchlafen. Wo iſt er? Iſt er noch nicht da? “
„ Sprich leiſer! Hörſt du? Sie ſtehen noch unter der Thüre und reden miteinander. Reibe dir den Schlaf aus dem Geſichte! “
Der gute Selim ſah ſehr jämmerlich aus; aber er hatte wenigſtens die Beſinnung wieder gefunden und ver - mochte ohne Schwanken aufrecht zu ſtehen. Und jetzt, als die Hausthür verſchloſſen wurde, nahm er die Lampe in die Hand, ſtieß unſere Thüre auf und trat in den Gang hinaus. Ich folgte ihm. Die Uebelthäter blieben er - ſchrocken ſtehen, während er auf ſie zuſchritt.
247„ Wo kommt ihr her, ihr Hunde? “fuhr er ſie an.
Seine Stimme klang wie Donner in dem langen, ſchmalen Raum.
„ Vom Kawedſchi, “antwortete der Sergeant nach einigem Zögern.
„ Vom Kawedſchi! Während ihr hier wachen ſollt! Wer hat euch die Erlaubnis erteilt, fortzugehen? “
„ Niemand! “
Die Leute zitterten vor Angſt; ſie dauerten mich. Ihre Nachläſſigkeit war mir ja von ſo großem Vorteile geweſen. Trotz des kleinen Flämmchens ſah ich, wie ſchrecklich der Agha ſeine Augen rollen ließ. Die Spitzen ſeines Bartes bebten, und ſeine Hand ballte ſich vor Wut. Aber er mochte bemerken, daß er denn doch noch nicht ganz feſt auf den Füßen ſtehe, und daher beſann er ſich eines Beſſeren.
„ Morgen erhaltet ihr eure Strafe! “
Er ſetzte die Lampe auf eine der Treppenſtufen und wandte ſich zu mir:
„ Oder meinſt du vielleicht, Emir, daß ich gleich jetzt das Urteil fälle? Willſt du haben, daß ich den einen durch die andern auspeitſchen laſſe? “
„ Verſchiebe ihre Züchtigung bis morgen, Selim Agha! Sie kann ihnen ja nicht entgehen. “
„ Ich thue deinen Willen. Komm! “
Er öffnete die Thüre und verſchloß ſie von draußen wieder.
Wir gingen nach Hauſe, wo uns die ‚ Myrte‘ er - wartete.
„ Wareſt du ſo lange beim Muteſſelim? “fragte ſie ihn argwöhniſch.
„ Merſinah, “antwortete er, „ ich ſage dir, daß wir eingeladen wurden, bis zum frühen Morgen zu bleiben;248 aber ich wußte dich allein zu Hauſe und habe darum die Gaſtfreundlichkeit des Kommandanten abgeſchlagen. Ich will nicht haben, daß dir die Ruſſen den Kopf abſchneiden. Es giebt Krieg! “
Sie ſchlug erſchrocken die Hände zuſammen.
„ Krieg? Zwiſchen wem denn? “
„ Zwiſchen den Türken, Ruſſen, Perſern, Arabern und Kurden. Die Ruſſen ſtehen bereits mit hundert - tauſend Mann und dreitauſend Kanonen vier Stunden von hier in Serahru.
„ O Allah! Ich ſterbe; ich bin bereits tot! Mußt du auch mitkämpfen? “
„ Ja. Fette mir noch heute nacht die Stiefel ein! Aber laß keinen Menſchen etwas wiſſen. Der Krieg iſt jetzt noch Staatsgeheimnis, und die Leute von Amadijah ſollen es erſt erfahren, wenn die Ruſſen morgen die Stadt umzingelt haben. “
Sie taumelte und ſetzte ſich ganz entkräftet auf den erſten beſten Topf, der in ihrer Nähe ſtand.
„ Schon morgen! Morgen ſind ſie wirklich da? “
„ Ja. “
„ Und ſie werden ſchießen? “
„ Sehr! “
„ Selim Agha, ich werde dir deine Stiefel nicht ein - ſchmieren! “
„ Warum nicht? “
„ Du darfſt nicht Krieg führen helfen; du ſollſt nicht erſchoſſen werden! “
„ Gut! Das iſt mir ſehr lieb, denn dann kann ich ſchlafen gehen. Gute Nacht, Effendi! Gute Nacht, meine ſüße Merſinah! “
Er trat ab. Die Blume des Hauſes blickte ihm etwas verwundert nach; dann erkundigte ſie ſich:
249„ Emir, iſt es wahr, daß die Ruſſen kommen? “
„ Das iſt noch ein wenig ungewiß. Ich glaube, daß der Agha die Sache etwas zu ernſt genommen hat. “
„ O, du träufelſt Balſam in mein verwundetes Herz. Iſt es nicht möglich, ſie von Amadijah abzuhalten? “
„ Wir wollen uns das überlegen. Haſt du die Kaffee - ſorten auseinander geleſen? “
„ Ja, Herr. Es iſt das eine ſehr ſchlimme Arbeit geweſen; aber dieſer böſe Hadſchi Halef Omar ließ mir keine Ruhe, bis ich fertig war. Willſt du es ſehen? “
„ Zeige her! “
Sie brachte die Büchſe und die Tüte herbei, und ich überzeugte mich, daß ſie ſich allerdings große Mühe ge - geben hatte.
„ Und wie wird dein Urteil lauten, Emir? “
„ Es lautet gut für dich. Da deine zarten Hände dieſe Bohnen ſo oft berühren mußten, ſo ſoll der Kaffee dein Eigentum ſein. Auch das Geſchirr, welches ich heute einkaufte, gehört dir; die Gläſer aber ſchenke ich dem wackeren Selim Bey. “
„ O Effendi, du biſt ein gerechter und weiſer Richter. Du haſt mehr Güte, als ich Töpfe hatte, und dieſer duftende Kaffee iſt ein Beweis deiner Herrlichkeit. Allah mag das Herz der Ruſſen lenken, daß ſie nicht kommen und dich nicht erſchießen. Denkſt du, daß ich heute noch ruhig ſchlafen kann? “
„ Das kannſt du; ich verſichere es dir! “
„ Ich danke dir, denn die Ruhe iſt noch das einzige, an dem ein geplagtes Weib ſich freuen kann! “
„ Schläfſt du hier unten, Merſinah? “
„ Ja. “
„ Aber nicht in der Küche, ſondern nach vorn hinaus? “
250„ Herr, eine Frau gehört in die Küche und ſchläft auch in der Küche. “
Hm! Das war unangenehm. Uebrigens kam mir der dumme Witz des Agha ſehr ungelegen. Die ‚ Myrte‘ ſchlief heute gewiß nicht gleich ein. Ich ſtieg nach oben, ging aber, anſtatt in mein Zimmer, in dasjenige des Haddedihn. Er hatte ſich bereits ſchlafen gelegt, erwachte aber ſofort. Ich erzählte ihm mein Abenteuer im Ge - fängnis, und er ward des Staunens voll.
Wir packten dann Eßwaren nebſt Licht und Feuer - zeug ein und ſchlichen uns nach einer leeren Stube, welche an der Hochſeite des Hauſes lag. Sie hatte nur ein Fenſter, das heißt, eine viereckige Oeffnung, welche durch einen Laden verſchloſſen war. Dieſer war nur angelehnt, und als ich hinausblickte, ſah ich das glatte Dach, welches dieſe Seite des kleinen Hofes umſchirmte, nur fünf Fuß unter mir. Wir ſtiegen hinaus und von dem Dache in den Hof hinab. Die Thüre des letzteren war verſchloſſen; wir befanden uns alſo allein und gingen in den Garten, in welchem einſt die ſchöne Esma Khan geduftet hatte. Nun trennte uns von dem Gefängniſſe nur eine Mauer, deren Höhe wir mit der Hand erreichen konnten.
„ Warte, “bat ich den Scheik. „ Ich will der Sicher - heit wegen erſt ſehen, ob wir auch wirklich unbeobachtet ſein werden. “
Ich ſchwang mich leiſe hinauf und drüben wieder hinab. Aus dem erſten kleinen Fenſterloche rechts im Parterre ſah ich einen fahlen Lichtſchein. Dort war die Stube, in welcher der Agha geſchlafen hatte. Und dort ſaßen jetzt wohl die Arnauten, die vor Angſt nicht ſchlafen konnten. Das nächſte, alſo das zweite Fenſter gehörte zu dem Raume, in welchem Amad el Ghandur auf uns wartete.
251Ich durchſuchte den ſchmalen Hofraum, ohne auf etwas Verdachterregendes zu ſtoßen, und fand auch die Thüre verſchloſſen, welche aus dem Gefängniſſe in den Hof führte. Nun kehrte ich zu der Stelle der Mauer zurück, hinter welcher der Haddedihn ſtand.
„ Mohammed! “
„ Wie iſt es? “
„ Alles ſicher. Kannſt du herüber? “
„ Ja. “
„ Aber leiſe! “
Er kam.
Wir huſchten über den Hof hinüber und ſtanden nun unter dem Fenſterchen, welches ich beinahe mit der Hand erreichen konnte.
„ Bücke dich, Scheik, ſtütze dich gegen die Wand und ſtemme die Hände auf die Kniee! “
Er that es, und ich ſtieg auf ſeinen Rücken, welcher jetzt eine beinahe wagrechte Lage angenommen hatte. Ich ſtand mit dem Geſicht grad vor dem Loche des Kerkers.
„ Amad el Ghandur! “ſprach ich in dasſelbe hinein und hielt dann ſchnell das Ohr hin.
„ Herr, biſt du es? “klang es hohl von unten herauf.
„ Ja. “
„ Iſt mein Vater auch da? “
„ Er iſt hier. Er wird dir Speiſe und Licht an einer Schnur herablaſſen und dann mit dir ſprechen. Warte; er wird gleich oben ſein. “
Ich ſtieg von dem Rücken des Arabers herab.
„ War ich ſchwer? “
„ Lange iſt es nicht auszuhalten, denn die Stellung iſt zu unbequem. “
„ So werden wir es jetzt anders machen, da du jeden - falls nicht nur einen kurzen Augenblick mit deinem Sohne252 reden willſt: du knieſt auf meine Achſeln; dann kann ich aufrecht ſtehen und es ſo lange aushalten, wie es dir beliebt. “
„ Hat er dich gehört? “
„ Ja. Er fragte nach dir. Ich habe in der Taſche eine Schnur, an welcher du das Paket hinablaſſen kannſt. “
Die Schnur wurde befeſtigt; ich bildete mit auf dem Rücken gefalteten Händen einen Tritt, auf welchen er den Fuß ſetzen konnte, und er ſtieg auf. Nachdem ich meine Hände an ſeine Kniee gelegt hatte, ſo daß er nicht ab - rutſchen konnte, kniete er auf meinen Achſeln ſo ſicher wie zur ebenen Erde. Er ließ das Päckchen hinab, und nun begann ein leiſes, aber deſto eifrigeres Zwiegeſpräch, von dem ich nur den von Mohammed Emin geſprochenen Teil vernehmen konnte. Dazwiſchen hinein fragte mich der Scheik zuweilen, ob er mir nicht zu ſchwer werde. Er war ein langer, ſtarker Mann, und deshalb war es mir ſchon recht, als er nach ungefähr fünf Minuten zu Boden ſprang.
„ Emir, er muß heraus; ich kann es nicht erwarten, “ſagte er.
„ Vor allen Dingen wollen wir gehen. Steig einſt - weilen voran; ich will dafür ſorgen, daß man am Tage keine Fußſpur findet. “
„ Der Boden iſt ja hart wie Stein! “
„ Vorſicht iſt beſſer als Nachläſſigkeit. “
Er ging voran, und ich folgte bald nach. In kurzer Zeit waren wir auf demſelben Wege, den wir gekommen waren, zurückgekehrt und befanden uns in dem Zimmer des Scheik.
Er wollte nun ſogleich einen Plan zur Befreiung ſeines Sohnes mit mir beraten; ich aber empfahl ihm, darüber zu ſchlafen, und ſchlich mich auf mein Zimmer.
253Am andern Morgen beſuchte ich zunächſt meine Patientin; ſie hatte nichts mehr zu befürchten. Die Mutter war ganz allein bei ihr, wenigſtens bekam ich weiter nie - mand zu ſehen. Sodann machte ich einen Gang durch und um die Stadt, um eine Stelle in der Mauer aus - findig zu machen, an der es möglich war, hinaus in das Freie zu gelangen, ohne das Thor paſſieren zu müſſen. Es gab eine, aber ſie war nicht für Pferde, ſondern nur für Fußgänger zu paſſieren.
Als ich wieder nach Hauſe kam, hatte ſich Selim Agha erſt vom Lager erhoben.
„ Emir, jetzt iſt es Tag, “meinte er.
„ Bereits ſchon lange, “antwortete ich.
„ O, ich meine, daß man nun beſſer als geſtern über unſere Sache reden kann. “
„ Unſere Sache? “
„ Ja, unſere. Du biſt ja auch dabei geweſen. Soll ich Anzeige machen oder nicht? Was meinſt du, Effendi? “
„ Ich an deiner Stelle würde es unterlaſſen. “
„ Warum? “
„ Weil es beſſer iſt, es wird gar nicht davon ge - ſprochen, daß du während der Nacht im Gefängniſſe ge - weſen biſt. Deine Leute haben jedenfalls bemerkt, daß dein Gang nicht ganz ſicher war, und ſie könnten dies bei ihrer Vernehmung mit in Erwähnung bringen. “
„ Das iſt wahr! Als ich vorhin erwachte, ſah mein Anzug ſehr ſchlimm aus, und ich habe lange reiben müſſen, um den Schmutz wegzubringen. Ein Wunder, daß dies Merſinah nicht geſehen hat! Alſo du meinſt, ich ſoll die Anzeige unterlaſſen? “
„ Ja. Du kannſt ja den Leuten einen Verweis geben, und deine Gnade wird ſie blenden wie ein Sonnen - ſtrahl. “
254„ Ja, Effendi, ich werde ihnen zunächſt eine fürchter - liche Rede halten! “
Seine Augen rollten wie das Luftrad einer Stuben - ventilation. Dann ſtanden ſie plötzlich ſtill, und ſein Geſicht nahm einen ſehr ſanftmütigen Ausdruck an.
„ Und dann werde ich ſie begnadigen, wie ein Padi - ſchah, der das Leben und das Eigentum von Millionen Menſchen zu verſchenken hat. “
Er wollte gehen, blieb aber unter der Thüre halten; denn draußen war ein Reiter abgeſtiegen, und ich hörte eine bekannte Stimme fragen:
„ Sallam, Herr! Biſt du vielleicht Selim Agha, der Befehlshaber der Albaneſen? “
„ Ja, der bin ich. Was willſt du? “
„ Wohnt bei dir ein Effendi, welcher Hadſchi Emir Kara Ben Nemſi heißt, und zwei Effendi, einen Diener und einen Baſchi-Bozuk bei ſich hat? “
„ Ja. Was ſoll er? “
„ Erlaube, daß ich mit ihm ſpreche! “
„ Hier ſteht er. “
Selim trat zur Seite, ſo daß der Mann mich ſehen konnte. Es war kein anderer als Selek, der Dſcheſidi aus Baadri.
„ Effendi, “rief er mit großer Freude, „ erlaube, daß ich dich begrüße! “
Wir reichten einander die Hände; dabei ſah ich, daß er ein Pferd Ali Beys ritt, welches dampfte. Er war jedenfalls ſehr raſch geritten. Es war zu vermuten, daß er mir eine Botſchaft, und zwar eine ſehr wichtige, zu überbringen hatte.
„ Führe dein Pferd in den Hof und komme dann herauf zu mir! “wies ich ihn an.
Als wir uns in meiner Stube und alſo allein255 befanden, griff er in den Gürtel und zog einen Brief hervor.
„ Von wem? “
„ Von Ali Bey. “
„ Wer hat ihn geſchrieben? “
„ Mir Scheik Khan, der Oberſte der Prieſter. “
„ Wie haſt du meine Wohnung gefunden? “
„ Ich frug gleich am Thore nach dir. “
„ Und woher weißt du, daß zwei Effendi bei mir ſind? Als ich bei euch war, hatte ich nur einen bei mir. “
„ Ich erfuhr es in Spandareh. “
Ich öffnete den Brief. Er enthielt ſehr Intereſſantes, einige gute Nachrichten, welche die Dſcheſidi betrafen, und eine ſchlimme, welche ſich auf mich bezog.
„ Was? Einen ſolchen Erfolg hat die Geſandtſchaft Ali Beys gehabt? “fragte ich. „ Der Anadoli Kaſi As - kerie*)Oberrichter der aſiatiſchen Türkei. iſt mit ihr nach Moſſul gekommen? “
„ Ja, Herr. Er liebt unſern Mir Scheik Khan und hat eine ſtrenge Unterſuchung gehalten. Der Muteſſarif wird weggenommen; an ſeine Stelle kommt ein anderer. “
„ Und der Makredſch von Moſſul iſt entflohen? “
„ So iſt es. Er war an allen Fehlern ſchuld, die der Muteſſarif gemacht hat. Es haben ſich ſehr ſchlimme Dinge herausgeſtellt. Seit elf Monaten hat kein Unter - Gouverneur die nötigen Gelder und kein Befehlshaber und kein Soldat ſeinen Sold erhalten. Die Demütigung der Araber, welche die hohe Pforte anbefohlen hatte, blieb unterlaſſen, weil er alle Summen einſteckte, welche dazu erforderlich waren. Und ſo noch vieles andere. Die Kha - waſſen, welche den Makredſch gefangen nehmen ſollten, ſind zu ſpät gekommen; er war fort. Darum haben alle Beys und Kajahs der Umgegend den Befehl erhalten, ihn256 feſtzunehmen, ſobald er ſich ſehen läßt. Der Anadoli Kaſi Askerie vermutet, daß er nach Bagdad geflohen ſei, weil er ein Freund des dortigen Weli*)Vicekönig. geweſen iſt.
„ Das iſt wohl eine falſche Vermutung! Der Flücht - ling iſt ſicher in die Berge geflohen, wo er ſchwerer zu ergreifen iſt, und wird lieber nach Perſien als nach Bagdad gehen. Das Reiſegeld kann er unterwegs ſehr leicht er - halten. Er iſt der Oberrichter ſämtlicher Untergerichts - höfe, deren Gelder ihm zu Gebote ſtehen. “
„ Du haſt recht, Effendi! Noch geſtern abend haben wir erfahren, daß er am Morgen des vorigen Tages in Alkoſch und am Abend bereits in Mungayſchi geweſen iſt. Es ſcheint, daß er nach Amadijah gehen wolle, aber auf einem Umwege, weil er die Ortſchaften der Dſcheſidi fürchtet, die er überfallen hat. “
„ Ali Bey vermutet mit Recht, daß mir ſein Ein - treffen hier große Schwierigkeiten bereiten kann. Er wird mir ſehr hinderlich ſein, und ich kann leider nicht beweiſen, daß er ſelbſt ein Flüchtling iſt. “
„ O, Emir, Ali Bey iſt klug. Als er von dem Makredſch hörte, befahl er mir, ſein beſtes Pferd zu ſatteln und die ganze Nacht zu reiten, um noch vor dem Oberrichter hier einzutreffen, falls dieſer wirklich die Ab - ſicht haben ſollte, nach Amadijah zu kommen. Und als ich Baadri verließ, gab er mir zwei Schreiben mit, die er aus Moſſul erhalten hat. Hier ſind ſie; du ſollſt ſehen, ob du ſie gebrauchen kannſt. “
Ich öffnete ſie und las. Das eine war der Brief des Anadoli Kaſi Askerie an Mir Scheik Khan, in welchem dieſem die Abſetzung des Muteſſarif und des Makredſch mitgeteilt wurde. Das andere enthielt die amtliche Weiſung an Ali Bey, den Makredſch feſtzunehmen und257 nach Moſſul zu transportieren, ſobald er ſich auf deſſen Gebiete ſehen laſſe. Beide waren mit der Unterſchrift und dem großen Siegel des Kaſi Askerie verſehen.
„ Dieſe Papiere ſind mir allerdings ſehr wichtig. Wie lange kann ich ſie behalten? “
„ Sie ſind ganz dein. “
„ Alſo vorgeſtern abend iſt der Makredſch in Mun - gayſchi geweſen? “
„ Ja. “
„ So könnte er heute hier ankommen, und ich brauche dieſe Schreiben bloß für dieſen Tag. Kannſt du ſo lange warten? “
„ Ich warte ſo lange, wie du befiehlſt, Emir! “
„ So gehe jetzt zwei Thüren weiter! Dort wirſt du Bekannte treffen, nämlich Hadſchi Halef und den Buluk Emini. “
Die Nachricht, daß der Makredſch nach Amadijah kommen könne, hatte mich zunächſt mit Beſorgnis erfüllt; ſobald ich mich aber in dem Beſitze der beiden Schrift - ſtücke ſah, mußte dieſe Beſorgnis ſchwinden, und ich konnte ſeinem Kommen mit Ruhe entgegenſehen. Ja, ich glaubte bereits, daß die Kunde von der Abſetzung des Muteſſarif eine Freilaſſung des gefangenen Haddedihn zur Folge haben könne, kam aber von dem Gedanken zurück, als ich las, daß die Feindſeligkeiten gegen die Araber nicht als eine Privatſache des Muteſſarif, ſondern auf Befehl der Pforte unternommen ſeien.
Am Nachmittage trat die ‚ Myrte‘ in meine Stube.
„ Effendi, willſt du mit in das Gefängnis? “
Das kam mir erwünſcht, aber ich mußte doch erſt mit Mohammed Emin reden. Darum ſagte ich:
„ Ich habe jetzt keine Zeit. “
„ Du haſt es mir aber doch verſprochen und auch ge -II. 17258ſagt, daß du den Gefangenen erlauben willſt, einiges von mir zu kaufen! “
Der Roſe von Amadijah ſchien ſehr viel an dem Ge - winne zu liegen, den dieſer kleine Handel ihr jedenfalls einbrachte.
„ Ich würde mein Wort halten; aber ich habe leider erſt in einer Viertelſtunde Zeit. “
„ So warte ich, Emir! Aber wir können doch nicht mitſammen gehen! “
„ Iſt Selim Agha dabei? “
„ Nein. Er hat jetzt Dienſt bei dem Muteſſelim. “
„ So befiehl dem Sergeanten, daß er mir öffnen möge. In dieſem Falle kannſt du bereits jetzt gehen, und ich werde nachkommen. “
Sie verſchwand mit heiterem Angeſichte. Sie ſchien es gar nicht der Mühe wert zu halten, daran zu denken, ob der Sergeant mir den Zutritt erlauben werde, da ich doch weder ein Recht dazu hatte, noch die Erlaubnis ſeines Vorgeſetzten nachweiſen konnte. Natürlich ging ich ſofort zu Mohammed Emin und ſetzte ihn von meinem bevorſtehenden Beſuche im Gefängnis in Kenntnis. Ich empfahl ihm, zur Flucht bereit zu ſein und zunächſt für ſeinen Sohn durch Halef heimlich einen türkiſchen Anzug kaufen zu laſſen. Dann brannte ich mir einen Tſchibuk an und ſtieg mit gravitätiſchen Schritten durch die Gaſſen. Als ich das Gefängnis erblickte, ſah ich die Thüre des - ſelben offen. Der Sergeant ſtand unter derſelben.
„ Sallam! “grüßte ich kurz und würdevoll.
„ Sallam aaleïkum! “antwortete er. „ Allah ſegne dei - nen Eintritt in dieſes Haus, Emir! Ich habe dir viel Dank zu ſagen. “
Ich trat ein, und er verſchloß die Thüre wieder.
„ Dank? “fragte ich nachläſſig. „ Wofür? “
259„ Selim Agha war hier. Er war ſehr zornig. Er wollte uns peitſchen laſſen, aber endlich ſagte er, daß wir Gnade finden ſollen, weil du für uns gebeten haſt. Sei ſo gütig, mir zu folgen. “
Wir ſtiegen die Treppe empor, welche zu finden und zu paſſieren mir der Agha geſtern ſo viele Mühe gemacht hatte. Auf dem Gange ſtand Merſinah mit einem blecher - nen Keſſel, welcher eine Mehlbrühe enthielt, die ganz das Anſehen hatte, als ob ſie aus dem Spülwaſſer ihrer Küche und Schlafſtätte beſtehe, und auf dem Boden lag das Brot, welches ihre zarten Hände gebacken hatten. Es war einſt auch Mehlwaſſer geweſen, hatte aber durch Feuer und anhaftende Kohlenreſte eine feſte Geſtalt bekommen. Neben ihr ſtanden die Arnauten, mit leeren Gefäßen in den Händen, die von einem Scherbenhaufen aufgeleſen zu ſein ſchienen. Sie verbeugten ſich bis zur Erde herab, blieben aber aus Ehrfurcht ſtumm.
„ Emir, befiehlſt du, daß wir beginnen ſollen? “fragte die ‚ Myrte ‛.
„ Ja. “
Sofort wurde die erſte Thüre geöffnet. Der Raum, in welchen ich blickte, war auch ein Loch, doch lag der Boden desſelben mit dem Gange in gleicher Höhe. Ein Türke lag darin. Er erhob ſich nicht und würdigte uns keines Blickes.
„ Gieb ihm zwei Portionen, denn es iſt ein Osmanly! “befahl der Sergeant.
Der Mann erhielt zwei Schöpflöffel voll Brühe in einem größeren Napfe und ein Stück Brot dazu. In der nächſten Zelle lag wieder ein Türke, welcher die gleiche Portion erhielt. Der Inſaſſe des dritten Loches war ein Kurde.
„ Dieſer Hund erhält nur eine Portion, denn er iſt ein Mann aus Balahn! “*)Ein Dorf der Kazikahnkurden.
260Das war ja eine ganz allerliebſte Einrichtung! Ich hätte den Kerl beohrfeigen mögen. Er führte dieſes Prinzip während der ganzen Speiſeverteilung durch. Als die oberen Gefangenen verſorgt waren, ſtiegen wir hinab in den un - tern Gang.
„ Wer befindet ſich hier? “fragte ich.
„ Die Schlimmſten. Ein Araber, ein Jude und zwei Kurden von dem Stamme Bulamuh. Sprichſt du kurdiſch, Emir? “
„ Ja. “
„ Du magſt wohl nicht mit den Gefangenen ſprechen? “
„ Nein; denn ſie ſind es nicht wert! “
„ Das iſt wahr. Aber wir können nicht Kurdiſch und auch nicht Arabiſch, und dieſe Hunde haben doch ſtets etwas zu ſagen. “
„ So werde ich einmal mit ihnen reden. “
Das war es ja, was ich ſo gern wollte; nur hatte ich nicht geglaubt, daß ich den Wächtern auch einen Ge - fallen erweiſen werde.
Die Zelle des einen Kurden wurde geöffnet. Er hatte ſich ganz vor geſtellt. Der arme Teufel hatte jedenfalls Hunger; denn als er ſeinen Löffel Brühe erhielt, bat er, man möge ihm doch ein größeres Stück Brot geben, als gewöhnlich.
„ Was will er? “fragte der Sergeant.
„ Etwas mehr Brot. Gieb es ihm! “
„ Er ſoll es haben, weil du für ihn bitteſt. “
Nun kamen wir zum Juden. Ich ſchwieg, weil dieſer türkiſch reden konnte. Er hatte eine Menge Klagen vor - zubringen, die von meinem Standpunkte aus alle ſehr wohl begründet waren; aber er wurde nicht angehört.
Der zweite Kurde war ein alter Mann. Er bat nur, vor den Richter geführt zu werden. Der Sergeant ver - ſprach es ihm und lachte dabei.
261Jetzt endlich wurde die letzte Zelle geöffnet. Amad el Ghandur hockte tief unten in der Ecke und ſchien ſich nicht rühren zu wollen, aber als er mich erblickte, erhob er ſich.
„ Iſt das der Araber? “fragte ich.
„ Ja. “
„ Spricht er nicht türkiſch? “
„ Er redet gar nicht. “
„ Nie? “
„ Kein Wort. Deshalb erhält er auch kein warmes Eſſen. “
„ Soll ich einmal mit ihm reden? “
„ Verſuche es! “
Ich trat näher zu ihm heran und ſagte:
„ Sprich nicht mit mir! “
Er blieb infolgedeſſen ſtill.
„ Siehſt du, daß er nicht antwortet! “meinte der Ser - geant zornig. „ Sage ihm, daß du ein großer Emir biſt, und dann wird er wohl reden! “
Nun wußte ich ja ganz genau, daß die Wächter wirk - lich nicht Arabiſch verſtanden; und wenn auch, der Dialekt der Haddedihn war ihnen fremdklingend.
„ Halte dich heute abend bereit, “ſagte ich zu Amad. „ Vielleicht iſt es mir heute möglich, wiederzukommen. “
Er ſtand ſtolz und aufrecht da, ohne eine Miene zu verziehen.
„ Er redet auch jetzt noch nicht! “rief der Unteroffi - zier. „ Nun ſoll er heute auch kein Brot bekommen, da er nicht einmal dem Effendi antwortet. “
Die Reviſion der Löcher war beendet. Nun führte man mich auch weiter in dem Gebäude herum. Ich ließ dies geſchehen, obgleich es keinen Zweck hatte. Endlich waren wir fertig, und Merſinah ſah mir mit fragender Miene in das Geſicht.
262„ Kannſt du den Gefangenen Kaffee kochen? “erkun - digte ich mich bei ihr.
„ Ja. “
„ Und ihnen Brot dazu geben, eine ſehr reichliche Portion? “
„ Ja. “
„ Wie viel koſtet das? “
„ Dreißig Piaſter, Effendi. “
Alſo zwei Thaler ungefähr. Die Gefangenen erhielten wohl kaum für eine Mark davon. Ich zog das Geld her - aus und gab es ihr.
„ Hier. Aber ich wünſche, daß alle davon erhalten. “
„ Sie ſollen alle haben, Effendi. “
Ich gab der Alten und dem Sergeanten je fünfzehn und den Arnauten je zehn Piaſter, ein Trinkgeld, wie ſie es wohl nicht erwartet hatten. Daher erſchöpften ſie ſich in außerordentlichen Dankſagungen, und als ich das Haus verließ, exekutierten ſie ihre Verbeugungen ſelbſt dann noch, als ich bereits die Gaſſe erreicht hatte und ſie nur noch meinen Rücken ſehen konnten.
Heimgekommen, ſuchte ich Mohammed Emin auf. Ich traf Halef bei ihm, welcher den Anzug gebracht hatte. Dies war unbemerkt geſchehen, weil ja weder der Agha noch Merſinah zu Hauſe war.
Ich beſchrieb dem Haddedihn meinen Beſuch.
„ Alſo heute abend! “meinte er erfreut.
„ Wenn es möglich iſt, “fügte ich hinzu.
„ Aber wie willſt du es machen? “
„ Ich werde, wenn nicht ein Zufall etwas Beſſeres bringt, von dem Agha den Schlüſſel zu erhalten ſuchen und — — — “
„ Er wird dir ihn nicht geben! “
„ Ich nehme ihn! Dann warte ich, bis die Wächter ſchlafen und öffne Amad die Zelle. “
263„ Das iſt zu gefährlich, Emir! Sie werden dich hören. “
„ Ich glaube dies nicht. Sie haben während der letzten Nacht nicht geſchlafen und werden infolgedeſſen müde ſein. Sodann gab ich ihnen ein Bakſchiſch, das ſie ſicher nach und nach in Raki anlegen, und dieſer wird ihre Schläfrig - keit befördern. Uebrigens habe ich genau aufgepaßt und da bemerkt, daß das Schloß der Hausthüre ſich lautlos öffnen läßt. Wenn ich einigermaßen vorſichtig bin, wird es gelingen. “
„ Aber, wenn man dich erwiſcht? “
„ So habe ich doch keine Sorge. Den Wächtern gegen - über giebt es eine Ausrede, und träfen ſie mich mit dem Gefangenen, nun, dann müßte eben gehandelt werden, und zwar ſchnell. “
„ Wohin wirſt du Amad bringen? “
„ Er wird ſofort die Stadt verlaſſen. “
„ Mit wem? “
„ Mit Halef. Ich reite jetzt mit dieſem aus, um in der Umgebung der Stadt einen Ort zu ſuchen, welcher ein Verſteck bietet. Halef wird ſich den Weg merken und deinen Sohn hinführen. “
„ Aber die Wachen am Thore? “
„ Sie werden die beiden nicht zu ſehen bekommen. Ich kenne eine Stelle, an welcher man über die Mauer kommen kann. “
„ Wir ſollten gleich ſelbſt mitgehen! “
„ Wir bleiben noch wenigſtens einen Tag, damit kein Verdacht auf uns fällt. “
„ Aber Amad wird ſich unterdeſſen in großer Gefahr befinden, denn man wird ihn in der ganzen Umgegend ſuchen. “
„ Auch dafür iſt geſorgt. Unſern des einen Thores bildet der Felſen von Amadijah einen Abgrund, in den264 wohl wenige Männer hinabzuſteigen ſich getrauen. Dort - hin ſchaffen wir einige Fetzen ſeines alten Gewandes, wel - ches wir zerreißen. Man wird das finden und dann an - nehmen, daß er bei ſeiner nächtlichen Flucht in die Schlucht geſtürzt ſei. “
„ Wo kleidet er ſich um? “
„ Hier. Und der Bart muß ihm ſofort abraſiert werden. “
„ So ſoll ich ihn ſehen! O, Emir, welche Freude! “
„ Ich ſtelle aber die Bedingung, daß ihr euch ſtill verhaltet. “
„ Das werden wir ganz ſicher. Aber unſere Wirtin wird ihn kommen ſehen; denn ſie iſt ſtets in der offenen Küche. “
„ Das wirſt du verhindern. Halef wird dich benach - richtigen, wenn Amad kommt. Dann gehſt du hinunter und verhinderſt die Wirtin, ihn zu bemerken. Das iſt nicht ſchwer, und unterdeſſen bringt ihn der Diener in deine Stube, welche du verſchließeſt, bis ich heim komme. “
Ich hörte jetzt, daß Halef die Pferde herausſchaffte, und ging. Draußen fand ich die Thüre des Engländers offen. Er winkte mich hinein und fragte:
„ Darf ich reden, Sir? “
„ Ja. “
„ Höre Pferde. Ausreiten? Wohin? “
„ Vor die Stadt. “
„ Well; werde mitreiten! “
„ Ich beabſichtige einen Ritt in den Wald. Ihr würdet gezwungen ſein, ein wenig mit durch die Büſche zu kriechen. “
„ Werde kriechen! “
Er war ſchnell fertig. Sein Pferd wurde auch ge - ſattelt, und bald ritten wir zum Thore hinaus, welches nach Aſi und Mia führt. Es war ſo, wie mir der Kurde Dohub erzählt hatte. Der Pfad war ſo ſteil, daß wir265 die Pferde führen mußten. Am Thore hatte man uns übrigens nicht angehalten, da dort Arnauten die Wache hatten, die mich von der geſtrigen Parade her kannten.
Unten im Thale angelangt, wären wir rechts an die Jilaks der Einwohner von Amadijah gekommen, welche ſich in die Berge zurückgezogen hatten. Darum wandten wir uns nach links grad in den Wald hinein. Er war hier ſo licht, daß er uns am Reiten nicht verhinderte, und nach einer Viertelſtunde erreichten wir eine Blöße, wo wir abſtiegen, um uns auf dem Boden auszuſtrecken.
„ Warum hierher führen? “fragte Lindſay.
„ Ich ſuche ein Verſteck für Amad el Ghandur. “
„ Ah! Bald frei? “
Ich teilte ihm meinen Plan mit.
„ Prächtig! “meinte er. „ Schöne Gefahr dabei! Er - wiſchen! Boxen! Schießen! Well; werde mitbefreien! “
„ O, Maſter, Ihr könnt mir nichts nützen! “
„ Nicht? Warum? Schlage jeden nieder, der uns wehren will! Freier Engliſhman! Yes! “
„ Na, wollen erſt ſehen! Hier links oben liegt die Stelle, an welcher man über die Mauer kommt. In der hieſigen Gegend alſo müſſen wir uns ein Verſteck ſuchen. Wollt Ihr mitſuchen? “
„ Sehr! “
„ So teilen wir uns. Ihr geht grad, und ich gehe mehr zur Seite. Wer einen guten Ort gefunden hat, der ſchießt ſein Piſtol los und wartet dort, bis der andere kommt. “
Halef blieb bei den Pferden zurück, und wir gingen vorwärts. Der Wald wurde dichter, aber ich ſuchte wohl lange Zeit, ohne eine geeignete Stelle zu finden, welche wirkliche Sicherheit bot. Da hörte ich einen Schuß mir zur Linken. Ich ſchritt der Richtung entgegen, aus welcher266 der Knall gekommen war, und hörte bald einen zweiten Schuß ganz in meiner Nähe. Der Engländer ſtand bei einem Geſtrüpp, aus welchem vier rieſige Eichen empor - ragten. Er war barfuß und hatte ſein Obergewand ab - gelegt. Auch der rotkarrierte Rieſenturban lag am Boden.
„ Habe zweimal geſchoſſen. Konntet mich fehlen, weil der Schall im Wald täuſcht. Verſteck gefunden? “
„ Nein. “
„ Habe eins. “
„ Wo? “
„ Ratet! Werdet nicht erraten! “
„ Wollen ſehen! “
Er war barfuß und halb entkleidet; er hatte alſo eine Kletterpartie gemacht, und das Verſteck mußte alſo auf einer der Eichen zu ſuchen ſein. Aber dieſe waren ſo ſtark, daß man ſie unmöglich erklettern konnte. Doch neben der einen ragte der ſchlanke Stamm einer Pinie in die Höhe und verſchlang ihre doldenartige Krone mit den breitgreifenden Zweigen der Eiche. Ziemlich hoch oben lehnte ſich der Stamm an einen ſtarken Eichenaſt, ſo daß von der Pinie aus dieſer leicht zu erreichen war, und oberhalb der Stelle, an welcher er am Stamme ſaß, ſah ich ein Loch in der Eiche.
„ Ich habe es, Sir! “meinte ich.
„ Wo? “
„ Dort oben. Der Stamm iſt hohl. “
„ Well; gefunden! War bereits oben. “
„ Ihr klettert wohl gut? “
„ Wie Eichhörnchen! Yes! “
„ Aber jedenfalls iſt der ganze Baum hohl! “
„ Sehr! “
„ Und wer da oben hineinkriecht, der fällt herab und kann nicht heraus. “
267„ Sehr! Kann gar nicht heraus. “
„ Dann iſt es ja mit dem Verſtecke nichts! “
„ Verſteck iſt gut, ſehr gut. Nur dafür ſorgen, daß nicht herunterfällt. “
„ Auf welche Weiſe? “
„ Ah, ihr wißt nicht? Hm, Maſter Lindſay geſcheiter Kerl! Schönes Abenteuer! Prächtig! Möchte bezahlen, gut bezahlen! Knüppel abſchneiden und in die Höhlung klemmen, quer herüber. Viel Moos hier. Dieſes darauf legen. Dann kann nicht herunterfallen. Verſteck fertig! Schönes Landhaus! Prachtvolle Villa! “
„ Da hättet Ihr recht! Wie groß iſt dort der Durch - meſſer der Höhlung? “
„ Vier Fuß ungefähr. Weiter nach unten noch mehr. Könnt Ihr klettern? “
„ Ja. Ich werde mir dieſe Gelegenheit einmal anſehen. “
„ Nicht ledig hinauf. Gleich Knüppel mitnehmen! “
„ Das iſt allerdings praktiſcher. Hier ſtehen genug eichene Stangen. “
„ Aber wie hinaufbringen? Klettern und auch tragen? Geht nicht! “
„ Ich habe meinen Laſſo mit. Der hat mich auf allen meinen Reiſen begleitet, denn ſo ein Riemen iſt eine der nützlichſten Sachen. “
„ Well; ſo ſchneiden wir! “
„ Aber immer vorſichtig ſein, Maſter! Zunächſt wollen wir uns überzeugen, ob wir allein ſind. Unſere engliſche Unterhaltung kann hier kein Menſch verſtehen; ſie hätte alſo unſer Vorhaben nicht verraten. Aber ehe wir handeln, müſſen wir uns ſicher ſtellen. “
„ So ſucht! Werde einſtweilen Stangen machen. “
Ich ging den Umkreis ab und überzeugte mich, daß wir unbeachtet waren; dann half ich dem Engländer, der268 ganz erpicht war, da oben eine Villa zu bauen. Wir ſchnitten ein Dutzend etwas mehr als vier Fuß langer Stämmchen aus den Büſchen, aber ſo, daß wir dabei jede Spur vermieden, und dann wand ich den Gürtelſhwal von der Hüfte, unter welchem ich den Laſſo um den Leib geſchlungen trug. Bis zum erſten Aſt der Pinie reichte er. Während der Engländer die Stämmchen zuſammen - legte und mit dem einen Ende des achtfach zuſammen - geflochtenen, unzerreißbaren Riemens umwand, nahm ich das andere zwiſchen die Zähne und kletterte empor. Die hindernden Kleidungsſtücke hatte ich natürlich abgelegt. Auf dem erſten Aſte angekommen, zog ich das Bündel in die Höhe. Lindſay kam nachgeklettert, und ſo brachten wir die ‚ Knüppel‘ bis vor die Oeffnung, wo ſie ange - bunden wurden. Ich unterſuchte die Höhlung. Sie hatte die angegebene Weite, wurde nach unten immer größer und reichte bis zur Erde hinab.
Nun begannen wir die Stämmchen einzuklemmen, um aus ihnen einen Fußboden zu bilden. Das mußte ſehr ſorgfältig geſchehen, damit er ja nicht hinunterbrechen konnte. Mit Hilfe der Meſſer brachten wir es nach einiger Anſtrengung fertig. Der Boden war feſt und ſicher.
„ Nun Moos, Streu und Laub mit dem Laſſo herauf! “
Wir kletterten nun wieder hinab und hatten bald ſo viel geſammelt, wie wir brauchten. Es wurde in meinen Haïk und das Ueberkleid Lindſays geſchlungen, und nach zweimaligem Auf - und Niederklettern war die Höhlung in ein Verſteck umgewandelt, in welchem es ſich ganz weich und ſicher liegen ließ.
„ Wacker gearbeitet, “meinte der Engländer, indem er ſich den Schweiß von der Stirn wiſchte. „ Amad wird gut wohnen. Nun noch Eſſen und Trinken, Pfeife und Tabak, ſo iſt der Diwan fertig! “
269Wir kehrten jetzt zu Halef zurück, der bereits Sorge um uns hegte, weil wir ſo lange Zeit fortgeblieben waren.
„ Maſter Lindſay, jetzt bleibt Ihr bei den Pferden zurück, denn ich muß nun zuvor auch unſerem Hadſchi Halef Omar das Verſteck zeigen! “ſagte ich.
„ Well! Doch bald wiederkommen! Yes! “
„ Kannſt du klettern? “fragte ich Halef, als wir bei den Eichen angekommen waren.
„ Ja, Sihdi. Ich habe ja von mancher Palme die Datteln herabgeholt. Warum? “
„ Das iſt ein ganz anderes Klettern. Hier giebt es einen glatten Stamm, der keine Stütze bietet, und auch kein Klettertuch, wie man es beim Ernten der Datteln in Anwendung bringt. Siehſt du das Loch an dem Stamme der Eiche, dort grad über dem Aſte? “
„ Ja, Sihdi. “
„ Klettere einmal hinauf und ſiehe dir es an! Du mußt hier an der Pinie empor und dann den Eichenaſt entlang. “
Er verſuchte es, und ſiehe da, es ging recht leidlich.
„ Effendi, das iſt ja ein Kiosk, “meinte er, als er unten wieder anlangte. „ Den habt ihr wohl jetzt gebaut? “
„ Ja. Weißt du, wo das Fort von Amadijah liegt? “
„ Hier links hinauf. “
„ So höre, was ich dir ſage! Ich glaube heute abend Amad el Ghandur aus dem Gefängniſſe holen zu können. Er muß noch während der Nacht aus der Stadt gebracht werden, und das ſollſt du thun. “
„ Herr, die Wachen werden uns ſehen! “
„ Nein. Es giebt eine Stelle, an welcher die Mauer ſo beſchädigt iſt, daß ihr ſehr leicht unbemerkt in das Freie gelangen könnt. Ich werde dir dieſe Stelle bei unſerer Rückkehr zeigen. Nun aber handelt es ſich darum,270 daß ihr trotz der Nacht hier dieſen Platz nicht verfehlt, denn das Loch da oben ſoll dem Haddedihn zum Verſtecke dienen, bis wir ihn von hier abholen. Darum geheſt du von hier aus links hinauf, um den Weg, den ihr heute abend zu nehmen habt, richtig kennen zu lernen, und kehrſt dann zu uns zurück. Präge dir das Terrain gut ein. Wenn er ſich in Sicherheit befindet, haſt du dafür zu ſorgen, ungeſehen wieder in unſere Wohnung zu gelangen; denn niemand darf wiſſen, daß einer von uns die Stadt verlaſſen hat. “
„ Sihdi, ich danke dir! “
„ Wofür? “
„ Dafür, daß du mir erlaubſt, wieder einmal auch ſelbſt etwas zu thun; denn ſeit langer Zeit habe ich zu - ſehen müſſen. “
Er ging, und ich kehrte zu Lindſay zurück, der lang ausgeſtreckt im Mooſe lag und gen Himmel blickte.
„ Prachtvoll in Kurdiſtan! Fehlt nur an Ruinen! “ſagte er.
„ Ruinen giebt es hier genug, wenn auch keine tauſend - jährigen wie am Tigris. Vielleicht ſind wir gezwungen, Gegenden aufzuſuchen, in denen Ihr Euch von dem Vor - handenſein von Ruinen überzeugen könnt. Aus den Thälern Kurdiſtans iſt der Qualm brennender Dörfer und der Geruch von Strömen vergoſſenen Blutes zum Himmel geſtiegen. Wir befinden uns in einem Lande, in welchem Leben, Freiheit und Eigentum mehr gefährdet ſind, als in jedem anderen. Wünſchen wir, daß wir uns nicht aus eigener Erfahrung davon überzeugen müſſen! “
„ Will mich aber davon überzeugen, Sir! Will Aben - teuer haben! Möchte kämpfen, boxen, ſchießen! Werde bezahlen. “
„ Dazu giebt es vielleicht auch ohne Bezahlung Ge -271 legenheit, Sir; denn gleich hinter Amadijah hört das Gebiet der Türken auf, und es beginnen diejenigen Länder, welche von Kurden bewohnt werden, die der Pforte nur dem Namen nach unterworfen oder tributpflichtig ſind. Dort gewähren uns unſere Päſſe nicht die mindeſte Sicher - heit; ja, es kann ſehr leicht der Fall ſein, daß wir feind - ſelig behandelt werden, grad deshalb, weil wir die Em - pfehlung der Türken und der Konſuln beſitzen. “
„ Dann nicht vorzeigen! “
„ Allerdings. Dieſe halbwilden gewaltthätigen Horden macht man ſich am beſten geneigt, wenn man ſich ihrer Gaſtfreundſchaft mit Vertrauen überläßt. Ein Araber kann noch Hintergedanken haben, wenn er einen Fremden in ſein Zelt aufnimmt; ein Kurde aber nie. Und ſollte dies ja einmal der Fall ſein, und ſollte es keine andere Möglichkeit der Rettung geben, ſo begiebt man ſich in den Schutz der Frauen; dann iſt man ſicher geborgen. “
„ Well, werde mich beſchützen laſſen von den Frauen! Prachtvoll! Sehr guter Gedanke, Maſter! “
Nach vielleicht einer Stunde kehrte Halef zurück. Er verſicherte, das Verſteck nun ſelbſt bei Nacht ohne Irrung auffinden zu können, ſobald es ihm nur erſt gelungen ſei, aus der Stadt zu kommen. Der Zweck unſers Spazier - rittes war ſomit erreicht, und wir kehrten nach Amadijah zurück. Dort richtete ich es ſo ein, daß wir an der be - ſchädigten Mauerſtelle vorüberkamen.
„ Das iſt der Ort, den ich meine, Halef. Wenn du nachher ausgeheſt, ſo magſt du dieſe Breſche einmal genau unterſuchen, aber ſo, daß es nicht auffällt. “
„ Das werde ich baldigſt thun müſſen, Sihdi, “ant - wortete er; „ denn es wird ſehr bald Abend werden. “
Der Tag war, als wir unſere Wohnung erreichten, allerdings ſchon weit vorgeſchritten. Ich bekam keine Zeit,272 mich von dem Ritte auszuruhen, denn Selim Agha empfing mich an der Thüre:
„ Hamdulillah, Allah ſei Dank, daß du endlich kommſt! “meinte er. „ Ich habe auf dich mit Schmerzen gewartet. “
„ Warum? “
„ Der Muteſſelim ſendet mich, um dich zu ihm zu bringen. “
„ Was ſoll ich dort? “
„ Ich weiß es nicht. “
„ Du vermuteſt es auch nicht? “
„ Du ſollſt mit einem Effendi reden, der vorhin ankam. “
„ Wer iſt es? “
„ Der Muteſſelim hat mir verboten, es dir zu ſagen. “
„ Pah! Der Muteſſelim kann mir nichts verheim - lichen! Ich wußte längſt, daß dieſer Effendi kommen werde! “
„ Du wußteſt es? Aber es iſt ja ein Geheimnis! “
„ Ich werde dir beweiſen, daß ich dieſes große Ge - heimnis kenne. Es iſt der Makredſch von Moſſul, der gekommen iſt. “
„ Wahrhaftig, du weißt es! “rief er erſtaunt. „ Aber er iſt nicht allein bei dem Muteſſelim. “
„ Wer iſt noch da? “
„ Ein Arnaute. “
Ah, ich ahnte, welcher es war, und ſagte daher:
„ Auch das weiß ich. Kennſt du den Mann? “
„ Nein. “
„ Er hat keine Waffen bei ſich. “
„ Allah akbar; das iſt richtig! Effendi, du weißt alles. “
„ Wenigſtens ſiehſt du, daß der Muteſſelim nicht der Mann iſt, mir etwas zu verbergen. “
„ Aber, Herr, ſie müſſen bös von dir geſprochen haben! “
273„ Warum? “
„ Ich muß darüber ſchweigen. “
„ Gut, Selim Agha, ich ſehe nun, daß du mein Freund biſt und mich liebſt! “
„ Ja, ich liebe dich, Emir; aber der Dienſt erfordert, daß ich gehorche. “
„ So ſage ich dir, daß ich dir noch heute Befehle geben werde, denen du grad ſo gehorchen wirſt, als ob du ſie von dem Kommandanten erhielteſt! Seit wann iſt der Makredſch hier? “
„ Seit faſt zwei Stunden. “
„ Und ſo lange Zeit warteſt du bereits auf mich? “
„ Nein. Der Makredſch kam allein, ganz heimlich und ohne alles Gefolge. Ich war grad beim Komman - danten, als er eintrat. Er ſagte, daß er heimlich komme, weil er in einer ſehr wichtigen Sache reiſe, von welcher niemand eine Ahnung haben dürfe. Sie unterhielten ſich weiter, und da erwähnte der Kommandant auch dich und deine Gefährten. Der Makredſch muß dich kennen, denn er wurde ſehr aufmerkſam, und der Muteſſelim mußte dich ihm beſchreiben. „ Er iſt's! “rief er dann und bat den Kommandanten, mich hinauszuſchicken. Nachher wurde ich gerufen und erhielt den Befehl, dich zu holen und — — — “
„ Nun, und — — — “
„ Und — — Emir, es iſt gewiß wahr, daß ich dich lieb habe, und darum will ich es dir ſagen. Aber, wirſt du mich verraten? “
„ Nein. Ich verſpreche es dir! “
„ Ich mußte mehrere Arnauten mitnehmen, um den Platz zu beſetzen, daß deine Gefährten ſich nicht entfernen können. Und auch für dich ſtehen im Palaſte einige meiner Arnauten bereit. Ich ſoll dich feſtnehmen und in das Gefängnis ſchaffen. “
II. 18274„ Ah, das iſt ja ſehr intereſſant, Selim Agha! So iſt wohl bereits eines deiner Löcher für mich in Bereitſchaft geſetzt worden? “
„ Ja du kommſt neben dem Araber zu liegen, und ich mußte einige Strohdecken hineinthun laſſen; denn der Muteſſelim ſagte, du ſeiſt ein Emir und ſollteſt feiner behandelt werden, als die andern Spitzbuben! “
„ Für dieſe Rückſicht bin ich ihm wirklich ſehr großen Dank ſchuldig. Sollen meine Gefährten auch eingeſteckt werden? “
„ Ja, aber ich habe über ſie noch keine weiteren Befehle. “
„ Was ſagt die ‚ Myrte‘ dazu? “
„ Ich habe es ihr geſagt. Sie ſitzt in der Küche und weint ſich die Augen aus. “
„ Die Gute! Aber du ſprachſt von einem Arnauten? “
„ Ja. Er war da, noch ehe der Makredſch kam, und hat mit dem Muteſſelim lange Zeit geſprochen. Dann wurde ich gerufen und gefragt. “
„ Wonach? “
„ Danach, ob der ſchwarzrote Effendi auch in der Wohnung kein Wort rede. “
„ Was haſt du geantwortet? “
„ Ich ſagte die Wahrheit. Ich habe den Effendi noch keine Silbe reden hören. “
„ So komm. Wir wollen gehen! “
„ Herr, ich ſoll dich bringen, das iſt wahr; aber ich habe dich lieb. Willſt du nicht lieber entfliehen? “
Dieſer brave Arnaute war wirklich mein Freund.
„ Nein, ich fliehe nicht, Agha; denn ich habe keine Veranlaſſung, mich vor dem Muteſſelim oder dem Ma - kredſch zu fürchten. Aber ich werde dich bitten, außer mir noch einen mitzunehmen. “
„ Wen? “
275„ Den Boten, welcher zu mir gekommen iſt. “
„ Ich will ihn rufen; er iſt im Hofe. “
Ich trat unterdeſſen in die Küche. Dort kauerte Merſinah am Boden und machte ein ſo trübſeliges Ge - ſicht, daß ich mich wirklich gerührt fühlte.
„ Oh, da biſt du, Effendi! “rief ſie aufſpringend. „ Eile, eile! Ich habe dem Agha befohlen, dich entfliehen zu laſſen. “
„ Nimm meinen Dank dafür, Merſinah! Aber ich werde doch bleiben. “
„ Sie werden dich aber einſperren, Herr. “
„ Das wollen wir abwarten! “
„ Wenn ſie es thun, Effendi, ſo weine ich mich zu Tode und werde dir die beſten Suppen kochen, die es giebt. Du ſollſt nicht hungern! “
„ Du wirſt für mich nichts zu kochen haben, denn man wird mich nicht einſtecken; das verſichere ich dir. “
„ Emir, du giebſt mir das Leben wieder! Aber ſie könnten es doch thun, und dann nehmen ſie dir alles ab. Magſt du mir nicht dein Geld zurücklaſſen und auch die andern Sachen, welche dir teuer ſind? Ich werde dir alles aufbewahren und kein Wort davon ſagen. “
„ Das glaube ich dir, du Schutz und Engel dieſes Hauſes; aber eine ſolche Vorſicht iſt nicht nötig. “
„ So thue, was dir gefällt! Gehe nun, und Allah ſei bei dir mit ſeinem Propheten, der dich beſchützen möge! “
Wir gingen. Als ich über den Platz ſchritt, bemerkte ich hinter den Thüren einiger Häuſer die Arnauten ſtehen, von denen Selim geſprochen hatte. Es war alſo jeden - falls ſehr ernſtlich gemeint. Auch vor dem Palaſte, im Flur und auf der Treppe desſelben, ſogar im Vorzimmer ſtanden Soldaten. Ich wäre doch beinahe beſorgt ge - worden.
276Der Kommandant befand ſich nicht allein in ſeinem Raume; die zwei Lieutenants ſaßen am Eingange, und auch Selim Agha zog ſich nicht wieder zurück, ſondern ließ ſich nieder.
„ Sallam aaleïkum! “grüßte ich ſo unbefangen wie möglich, trotzdem ich mich in der Falle befand.
„ Aaleïkum! “antwortete der Kommandant zurückhal - tend und zeigte dabei auf einen Teppich, welcher ſeitwärts in ſeiner Nähe lag.
Ich that, als ob ich dieſen Wink nicht geſehen oder nicht verſtanden habe, und ließ mich an ſeiner Seite nieder, wo ich ja früher ſchon geſeſſen hatte.
„ Ich ſandte nach dir, “begann er, „ aber du kamſt nicht. Wo biſt du geweſen, Effendi? “
„ Ich ritt ſpazieren. “
„ Wohin? “
„ Vor die Stadt. “
„ Was wollteſt du da? “
„ Mein Pferd ausreiten. Du weißt, ein edles Roß muß gepflegt werden. “
„ Wer war dabei? “
„ Hadſchi Lindſay-Bey. “
„ Der das Gelübde gethan hat, nicht zu ſprechen? “
„ Derſelbe. “
„ Ich habe vernommen, daß er dieſes Gelübde nicht ſehr ſtreng hält. “
„ So! “
„ Er redet. “
„ So! “
„ Auch mit dir. “
„ So! “
„ Ich weiß das gewiß. “
„ So! “
277Dieſes „ So! “brachte den guten Mann einigermaßen in Verlegenheit.
„ Du mußt dies doch auch wiſſen! “meinte er.
„ Wer hat dir geſagt, daß er ſpricht? “
„ Einer, der ihn gehört hat. “
„ Wer iſt es? “
„ Ein Arnaute, der heute kam, um euch anzuklagen. “
„ Was thateſt du? “
„ Ich ſandte nach dir. “
„ Warum? “
„ Um dich zu vernehmen. “
„ Alla illa Allah! Alſo auf die Anklage eines ſchur - kiſchen Arnauten hin ſendeſt du zu mir, um mich, den Emir und Effendi, wie einen eben ſolchen Schurken zu behandeln! Muteſſelim, Allah ſegne deine Weisheit, damit ſie dir nicht abhanden komme! “
„ Effendi, bitte Gott um deiner eigenen Weisheit willen, denn du wirſt ſie brauchen können! “
„ Das klingt faſt wie eine Drohung! “
„ Und dein Wort klang wie eine Beleidigung! “
„ Nachdem du mich beleidigt haſt. Laß dir etwas ſagen, Muteſſelim. Hier in dieſer Drehpiſtole ſind ſechs Schüſſe und in dieſer anderen ebenſo viele. Rede, was du mit mir zu reden haſt; aber bedenke, daß ein Emir aus Germaniſtan kein Arnaute iſt und ſich auch nicht mit einem ſolchen vergleichen läßt! Wenn mein Gefährte ſein Gelübde nicht hält, was geht es einen Arnauten an? Wo iſt dieſer Mann? “
„ Er ſteht in meinem Dienſt. “
„ Seit wann? “
„ Seit lange. “
„ Muteſſelim, du ſprichſt die Unwahrheit! Dieſer Ar - naute ſtand geſtern noch nicht in deinem Dienſte. Er iſt278 ein Mann, von dem ich dir noch mehr erzählen werde. Wenn Hadſchi Lindſay-Bey ſpricht, ſo hat er dies mit ſeinem Gewiſſen abzumachen, aber einen andern geht dies gar nichts an! “
„ Du hätteſt recht, wenn ich von ihm allein nur dieſes wüßte. “
„ Was giebt es noch? “
„ Er iſt der Freund eines Mannes, der mir ſehr ver - dächtig iſt. “
„ Wer iſt dieſer Mann? “
„ Du ſelbſt biſt es! “
Ich that ſehr erſtaunt.
„ Ich! Allah kehrim, Gott iſt gnädig; er wird auch dir barmherzig ſein! “
„ Du haſt zu mir von dem Muteſſarif geſprochen und geſagt, daß er dein Freund ſei. “
„ Ich ſagte die Wahrheit. “
„ Es iſt nicht wahr! “
„ Was! Du zeihſt mich der Lüge! So kann meines Bleibens hier nicht länger ſein. Ich werde dir Gelegen - heit geben, dieſe Beleidigung zu vertreten. “
Ich erhob mich und that, als ob ich das Selamlük verlaſſen wollte.
„ Halt, “rief der Kommandant. „ Du bleibſt! “
Ich drehte mich zu ihm um.
„ Du befiehlſt es mir? “
„ Ja. “
„ Haſt du mir zu befehlen? “
„ Hier ſteheſt du unter mir, und wenn ich dir gebiete, zu bleiben, ſo wirſt du gehorchen! “
„ Und wenn ich nicht bleibe? “
„ So zwinge ich dich! Du biſt mein Gefangener! “
Die beiden Lieutenants erhoben ſich; auch Selim Agha279 that dies, aber ſehr langſam und ungern, wie ich be - merken mußte.
„ Dein Gefangener? Was fällt dir ein? Sallam! “
Ich wandte mich wieder nach der Thüre.
„ Haltet ihn! “gebot er.
Die beiden Lieutenants ergriffen mich, einer hüben und der andere drüben. Ich blieb ſtehen und lachte erſt dem rechten und dann dem linken in das Angeſicht; dann flogen ſie, einer hinter dem andern, über den Raum hin - weg und ſtürzten vor dem Muteſſelim zur Erde.
„ Da haſt du ſie, Muteſſelim. Hebe ſie auf! Ich ſage dir, daß ich gehen werde, wenn es mir beliebt, und keiner deiner Arnauten ſoll mich halten! Aber ich werde bleiben, denn ich habe noch mit dir zu ſprechen. Dies thue ich aber nur, um dir zu beweiſen, daß kein Nemtſche einen Türken fürchtet. Frage alſo weiter, was du zu fragen haſt! “
Dem guten Manne war ein ſolcher Widerſtand gar niemals vorgekommen; er war gewohnt, daß ein jeder ſich tief vor ihm beugen müſſe, und ſchien jetzt gar nicht ſo recht zu wiſſen, was er thun ſolle.
„ Ich ſagte, “begann er endlich wieder, „ daß du kein Freund des Muteſſarif ſeiſt. “
„ Du haſt doch ſeinen Brief geleſen. “
„ Und du haſt gegen ihn gekämpft! “
„ Wo? “
„ In Scheik Adi! “
„ Beweiſe es! “
„ Ich haben einen Zeugen. “
„ Laß ihn kommen! “
„ Ich werde dir dieſen Wunſch erfüllen. “
Auf einen Wink des Muteſſelim verließ der Agha das Zimmer.
280In einigen Augenblicken kehrte er mit — dem Ma - kredſch von Moſſul zurück. Dieſer würdigte mich keines Blickes, ſchritt an mir vorüber zu dem Kommandanten, ließ ſich an derſelben Stelle nieder, an welcher ich vorher geſeſſen hatte, und griff zu dem Schlauche der Waſſer - pfeife, welche dort ſtand.
„ Iſt dies der Mann, von dem du erzählteſt, Effendi? “fragte ihn der Kommandant.
Er warf einen halben, verächtlichen Blick auf mich und antwortete:
„ Er iſt es. “
„ Siehſt du? “wandte ſich der Kommandant zu mir. „ Der Makredſch von Moſſul, den du ja kennen wirſt, iſt Zeuge, daß du gegen den Muteſſarif kämpfteſt. “
„ Er iſt ein Lügner! “
Da erhob der Richter die Augen voll zu mir.
„ Wurm! “ziſchte er.
„ Du wirſt dieſen Wurm bald kennen lernen! “ant - wortete ich ruhig. „ Ich wiederhole es: Du biſt ein Lüg - ner, denn du haſt nicht geſehen, daß ich gegen die Trup - pen des Muteſſarif die Waffen gezogen habe! “
„ So ſahen es andere! “
„ Aber du nicht! Und der Kommandant ſagte noch, daß du ſelbſt es geſehen haben willſt. Nenne deine Zeugen! “
„ Die Topdſchis*)Kanoniere. haben es erzählt. “
„ So haben auch ſie gelogen. Ich habe nicht mit ihnen gekämpft; es iſt kein Tropfen Blutes gefloſſen. Sie haben ſich und ihre Geſchütze ohne alle Gegenwehr er - geben. Und dann, als ihr in Scheik Adi eingeſchloſſen wurdet, habe ich den Bey zur Güte und Nachſicht gemahnt, ſo daß ihr es nur mir zu verdanken habt, daß ihr nicht ſamt und ſonders niedergeſchoſſen wurdet. Willſt du daraus281 den Beweis ziehen, daß ich ein Feind des Muteſſarif ſei? “
„ Du haſt die Geſchütze überfallen und weggenommen! “
„ Das geſtehe ich ſehr gern ein. “
„ Aber du wirſt dich dafür in Moſſul verantworten. “
„ Oh! “
„ Ja. Der Muteſſelim wird dich gefangen nehmen und nach Moſſul ſchicken, dich und alle, welche bei dir ſind. Es giebt nur ein einziges Mittel, dich und ſie zu retten. “
„ Welches? “
Er gab einen Wink, und die drei Offiziere traten ab.
„ Du biſt ein Emir aus Frankiſtan, denn die Nemſi ſind Franken, “begann nun der Makredſch. „ Ich weiß, daß du unter dem Schutze ihrer Konſuln ſtehſt, und daß wir dich alſo nicht töten dürfen. Aber du haſt ein Ver - brechen begangen, auf welchem die Strafe des Todes ſteht. Wir müſſen dich über Moſſul nach Stambul ſenden, wo du dann allerdings ganz gewiß die Strafe erleiden wirſt. “
Er machte eine Pauſe. Es ſchien ihm nicht leicht zu werden, jetzt die richtige Wendung zu finden.
„ Weiter! “meinte ich.
„ Nun biſt du aber ein Schützling des Muteſſarif ge - weſen; auch der Muteſſelim hat dich freundlich aufgenom - men, und ſo wollen dieſe beiden nicht, daß dir ein ſo trauriges Los bereitet werde. “
„ Allah denke ihrer dafür in ihrer letzten Stunde! “
„ Ja! Darum iſt es möglich, daß wir von einer Ver - folgung dieſer Sache abſehen, wenn — — — “
„ Nun, wenn? “
„ Wenn du uns ſagſt, wie viel das Leben eines Emirs aus Germaniſtan wert iſt. “
„ Es iſt gar nichts wert. “
„ Nichts? Du ſcherzeſt! “
282„ Ich rede im Ernſte. Gar nichts iſt es wert. “
„ Inwiefern? “
„ Weil Allah auch einen Emir zu jeder Minute zu ſich fordern kann. “
„ Du haſt recht; das Leben ſteht in Allahs Hand; aber es iſt ein Gut, welches man beſchützen und erhalten ſoll! “
„ Du ſcheinſt kein guter Moslem zu ſein, denn ſonſt würdeſt du wiſſen, daß die Wege des Menſchen im Buche verzeichnet ſtehen. “
„ Und dennoch kann der Menſch ſein Leben wegwerfen, wenn er dieſem Buche nicht gehorcht. Willſt du dieſes thun? “
„ Nun gut, Makredſch. Wie hoch würdeſt du dein eignes Leben ſchätzen? “
„ Wenigſtens zehntauſend Piaſter. “
„ So iſt das Leben eines Nemtſche grad zehntauſend - mal mehr wert, nämlich hundert Millionen Piaſter. Wie kommt es, daß ein Türke ſo ſehr tief im Preiſe ſteht? “
Er blickte mich verwundert an.
„ Biſt du ein ſo reicher Emir? “
„ Ja, da ich ein ſo teures Leben beſitze. “
„ So meine ich, daß du hier in Amadijah dein Leben auf zwanzigtauſend Piaſter ſchätzen wirſt. “
„ Natürlich! “
„ Und das deines Hadſchi Lindſay-Bey ebenſo hoch. “
„ Ich ſtimme bei. “
„ Und zehntauſend für den dritten. “
„ Iſt nicht zu viel. “
„ Und dein Diener? “
„ Er iſt zwar ein Araber, aber ein tapferer und treuer Mann, der ebenſoviel wert iſt, wie jeder andere. “
„ So meinſt du, daß auch er zehntauſend koſtet? “
„ Ja. “
„ Haſt du die Summe berechnet? “
283„ Sechzigtauſend Piaſter. Nicht? “
„ Ja. Habt ihr ſo viel Geld bei euch? “
„ Wir ſind ſehr reich, Effendi. “
„ Wann wollt ihr bezahlen? “
„ Gar nicht! “
Es war wirklich ſpaßig zu ſehen, mit welchen Ge - ſichtern die beiden Männer erſt mich und dann ſich an - ſahen. Dann fragte der Makredſch:
„ Wie meinſt du das, Effendi? “
„ Ich meine, daß ich aus einem Lande ſtamme, in welchem Gerechtigkeit herrſcht. Bei den Nemſi iſt der Bettler ebenſoviel wert vor dem Richter wie der König. Und wenn der Padiſchah der Nemſi ſündigt, ſo wird er von dem Geſetze beſtraft. Keiner kann ſein Leben erkaufen, denn es giebt keinen Richter, der ein Schurke iſt. Die Osmanly aber haben kein anderes Geſetz als ihren Geld - beutel, und darum ſchachern ſie mit der Gerechtigkeit. Ich kann mein Leben nicht bezahlen, wenn ich verdient habe, daß es mir genommen wird. “
„ So wirſt du es verlieren! “
„ Das glaube ich nicht. Ein Nemtſche treibt keinen Handel mit ſeinem Leben, aber er weiß es zu verteidigen. “
„ Effendi, die Verteidigung iſt dir unmöglich! “
„ Warum? “
„ Deine Schuld iſt erwieſen, und du haſt ſie auch bereits eingeſtanden. “
„ Das iſt nicht wahr. Ich habe keine Schuld einge - ſtanden, ſondern ich habe nur zugegeben, daß ich euch die Kanonen fortgenommen habe. Und das iſt eine That, die keine Strafe erhalten wird. “
„ Das meinſt du nur. Du weigerſt dich alſo, auf un - ſern Vorſchlag der Güte und des Erbarmens einzugehen? “
„ Ich brauche kein Erbarmen. “
284„ So müſſen wir dich feſtnehmen. “
„ Verſucht es! “
Auch der Kommandant richtete eine wohlgemeinte Vorſtellung an mich; da ich aber nicht auf dieſelbe hörte, ſo klatſchte er in die Hände, und die drei Offiziere er - ſchienen wieder.
„ Führt ihn ab! “gebot er ihnen. „ Ich hoffe, Effendi, daß du dich nicht weigern wirſt, mit ihnen zu gehen. Draußen ſtehen genug Leute, um jeden Widerſtand zu überwinden. Du ſollſt es während deiner Haft hier gut haben und — — — “
„ Schweige, Muteſſelim! “unterbrach ich ihn. „ Ich möchte den Mann hier ſehen, der das Zeug hätte, mich zu überwältigen. Euch fünf thut ein Nemtſche in drei Sekunden ab, und deine fieberkranken Arnauten reißen vor meinem Blick aus; darauf kannſt du dich verlaſſen! Daß ich es gut haben würde als Gefangener, verſteht ſich ganz von ſelbſt; das gebietet euch ja euer eignes Intereſſe. Nach Moſſul werde ich nicht geſchickt, denn das kann dem Makredſch nichts nützen; er will bloß, daß ich mich los - kaufe, denn er braucht Geld, um über die Grenze zu kommen. “
„ Ueber die Grenze? “fragte der Muteſſelim. „ Wie ſoll ich deine Worte verſtehen? “
„ Frage ihn ſelbſt! “
Er blickte den Makredſch an, der ſich plötzlich verfärbte.
„ Was meint er? “fragte er ihn.
„ Ich verſtehe ihn nicht! “antwortete der Beamte.
„ Er verſteht mich nur zu gut, “entgegnete ich. „ Mu - teſſelim, du haſt mich beleidigt; du willſt mich gefangen nehmen; du haſt mir einen Antrag gemacht, der ſehr ſchwere Folgen für dich hätte, wenn ich davon ſprechen wollte. Ihr beide habt mich bedroht; aber jetzt werde ich die Waffe ſelbſt auch in die Hand nehmen, nachdem ich285 geſehen habe, wie weit ihr zu gehen wagt. Weißt du, wer dieſer Mann iſt? “
„ Der Makredſch von Moſſul. “
„ Du irrſt. Er iſt es nicht mehr; er iſt abgeſetzt. “
„ Abgeſetzt! “rief er.
„ Menſch! “rief dagegen der Makredſch. „ Ich er - würge dich. “
„ Abgeſetzt! “rief der Kommandant noch einmal, halb erſchrocken und halb fragend.
„ Ja. Selim Agha, ich ſagte dir vorhin, daß ich dir heute einen Befehl geben werde, dem du Gehorſam leiſten wirſt. Jetzt ſollſt du ihn hören: Nimm den Mann dort gefangen und ſtecke ihn in das Loch, in welches ich kom - men ſollte! Er wird dann nach Moſſul geſchafft. “
Der gute Agha ſtaunte erſt mich an und dann die beiden andern; aber er rührte natürlich keinen Fuß, um meinen Worten nachzukommen.
„ Er iſt wahnſinnig, “meinte der Makredſch, indem er ſich erhob.
„ Du ſelbſt mußt es ſein, da du es wagſt, nach Ama - dijah zu kommen. Warum biſt du nicht den geraden Weg, ſondern über Mungayſchi geritten? Du ſiehſt, daß ich alles weiß. Hier, Muteſſelim, haſt du den Beweis, daß ich das Recht habe, ſeine Gefangennehmung zu verlangen! “
Ich übergab ihm dasjenige Schreiben, welches an Ali Bey gerichtet war. Er blickte zunächſt nach der Unterſchrift.
„ Vom Anatoli Kaſi Askeri? “
„ Ja. Er iſt in Moſſul und verlangt die Ausliefe - rung dieſes Mannes. Lies! “
„ Es iſt wahr! “ſtaunte er. „ Aber was thut der Mu - teſſarif? “
„ Er iſt auch abgeſetzt. Lies auch dieſes andere Schreiben! “
Ich übergab es ihm, und er las es.
286„ Allah kerihm, Gott ſei uns gnädig! Es gehen große Dinge vor! “
„ Sie gehen allerdings vor. Der Muteſſarif iſt abgeſetzt, der Makredſch ebenſo. Willſt auch du abgeſetzt ſein? “
„ Herr, du biſt ein geheimer Abgeſandter des Anatoli Kaſi Askeri oder gar des Padiſchah! “
„ Wer ich bin, das kommt hier nicht in Betracht; aber du ſiehſt, daß ich alles weiß, und ich erwarte, daß du deine Pflicht erfüllſt. “
„ Effendi, ich werde ſie thun. Makredſch, ich kann nicht anders; hier ſteht es geſchrieben; ich muß dich gefangen nehmen! “
„ Thue es! “antwortete dieſer.
Ein Dolch blitzte in ſeiner Hand, und im Nu war er durch das Zimmer hinweg, auch an mir vorüber und zur Thüre hinaus. Wir eilten nach und kamen grad recht, zu ſehen, daß er draußen zu Boden geriſſen wurde. Selek, der mich begleitet hatte, war es, der auf ihm kniete und ihm den Dolch zu entringen verſuchte. Ein Entkommen war nun allerdings unmöglich. Er wurde entwaffnet und wieder in das Selamlük zurückgebracht.
„ Wer iſt dieſer Mann? “fragte der Kommandant, auf Selek deutend.
„ Es iſt der Bote, den mir Ali Bey von Baadri ge - ſandt hat. Er kehrt wieder dorthin zurück, und du magſt ihm erlauben, den Transport zu begleiten. Dann ſind wir ſicher, daß der Makredſch nicht entkommen wird. Aber ich werde dir noch einen Gefangenen übergeben. “
„ Wen, Herr? “
„ Laß nur den Arnauten kommen, der mich angeklagt hat! “
„ Holt ihn! “gebot er.
Einer der Lieutenants ging und brachte den Mann,287 der eine Wendung der Dinge zu ſeinen Ungunſten nicht vermutete.
„ Frage ihn einmal, “ſagte ich, „ wo er ſeine Waffen hat! “
„ Wo haſt du ſie? “
„ Sie wurden mir genommen. “
„ Wo? “
„ Im Schlafe. “
„ Er lügt, Muteſſelim! Dieſer Mann war dem Had - ſchi Lindſay-Bey von dem Muteſſarif mitgegeben worden; er hat auf mich geſchoſſen und entfloh; dann unterwegs lauerte er uns auf und gab aus dem Dickicht des Waldes noch zwei Kugeln auf mich ab, die aber nicht trafen. Mein Hund hielt ihn feſt, aber ich ließ Gnade walten, vergab ihm und ließ ihn entkommen. Wir nahmen ihm dabei die Waffen ab, welche mein Khawaß noch beſitzt. Soll ich die Zeugen, daß ich die Wahrheit rede, kommen laſſen? “
„ Herr, ich glaube dir! Nehmt dieſen Hund gefangen und ſchafft ihn in das ſicherſte Loch, welches ſich in dem Gefängniſſe befindet! “
„ Herr, befiehlſt du mir, den Makredſch gleich mit - zunehmen? “fragte Selim Agha den Kommandanten.
„ Ja. “
„ Muteſſelim, laß ihn zuvor binden, “erinnerte ich. „ Er hat einen Fluchtverſuch gemacht und wird ihn wie - derholen. “
„ Bindet ihn! “
Sie wurden alle beide abgeführt, und ich blieb mit dem Kommandanten allein zurück. Dieſer war von dem Ereigniſſe ſo angegriffen, daß er ſich müde auf den Teppich fallen ließ.
„ Wer hätte das gedacht! “ſeufzte er.
288„ Du allerdings nicht, Muteſſelim! “
„ Herr, verzeihe mir! Ich wußte ja von dieſen Dingen nichts. “
„ Gewiß hat der Arnaute den Makredſch vorher ge - troffen und ſich mit ihm verſtändigt, ſonſt hätte er es nicht gewagt, gegen uns aufzutreten, da wir doch Grund hatten, ihn beſtrafen zu laſſen. “
„ Er ſoll auf keinen Menſchen wieder ſchießen! Er - laube, daß ich dir eine Pfeife reiche! “
Er ließ noch ein Nargileh kommen und ſetzte es mit eigener Hand in Brand; dann meinte er in beinahe unter - würfigem Tone:
„ Emir, glaubſt du, daß es mein Ernſt war? “
„ Was? “
„ Daß ich Geld von dir nehmen wollte? “
„ Ja. “
„ Herr, du irrſt! Ich fügte mich in den Willen des Makredſch und hätte dir meinen Teil zurückgegeben. “
„ Aber entfliehen hätte ich dürfen? “
„ Ja. Du ſiehſt, daß ich dein Beſtes wollte! “
„ Das durfteſt du nicht, wenn die Anklage gegen mich begründet war. “
„ Wirſt du weiter daran denken? “
„ Nein, wenn du macheſt, daß ich es vergeſſen kann. “
„ Du ſollſt nicht wieder daran denken, Emir. Du ſollſt es vergeſſen, wie du bereits ein anderes vergeſſen haſt. “
„ Was? “
„ Die Arznei. “
„ Ja, Muteſſelim, die habe ich allerdings vergeſſen; aber du ſollſt ſie noch heute erhalten; das verſpreche ich dir! “
Da kam einer der Diener herein.
289„ Herr, es iſt ein Baſch Tſchauſch*)Sergeant-Major. draußen, “mel - dete er.
„ Was will er? “
„ Er kommt aus Moſſul und ſagt, daß ſeine Bot - ſchaft wichtig ſei. “
„ Schicke ihn herein! “
Der Unteroffizier trat ein und übergab dem Kom - mandanten ein mit einem großen Siegel verſehenes Schrei - ben; es war das Siegel des Anatoli Kafi Askeri; ich er - kannte es ſogleich. Er erbrach es und las. Dann gab er dem Manne den Beſcheid, morgen früh die Antwort abzuholen.
„ Herr, weißt du, was es iſt? “fragte er mich dann, als der Soldat fort war.
„ Ein Schreiben des Oberrichters von Anatolien? “
„ Ja. Er ſchreibt mir von der Abſetzung des Muteſ - ſarif und des Makredſch. Dieſen letzteren ſoll ich, ſobald er ſich hier je erblicken laſſe, ſofort noch Moſſul ſenden. Ich werde ihn morgen dieſem Baſch Tſchauſch mitgeben. Soll ich in meinem Schreiben etwas von dir erwähnen? “
„ Nein. Ich werde ſelbſt ſchreiben. Aber ſende nur eine genügende Bedeckung mit! “
„ Daran ſoll es nicht fehlen, beſonders da noch ein anderer wichtiger Gefangener mitgehen ſoll. “
Ich erſchrak.
„ Welcher? “
„ Der Araber. Der Anatoli Kaſi Askeri befiehlt es mir und ſagt, daß der Sohn des Scheik als Geiſel nach Stambul geſandt werden ſolle. “
„ Wann geht der Transport ab? “
„ Am Vormittage. Ich werde jetzt gleich das Schreiben beginnen. “
II. 19290„ So darf ich dich nicht länger ſtören. “
„ O Effendi, deine Gegenwart iſt mir lieber als alles! “
„ Und dein Auge iſt mir wie das Auge des beſten Freundes, aber deine Zeit iſt koſtbar; ich darf ſie dir nicht rauben. “
„ Aber morgen früh kommſt du? “
„ Vielleicht. “
„ Du ſollſt bei dem Abgange des Transportes zu - gegen ſein, um zu ſehen, daß meine Sorge an alles denkt! “
„ So werde ich kommen. Sallam! “
„ Sallam! Allah ſei dein Führer! “
Als ich nach Hauſe kam, tönte mir ein heller Ruf entgegen:
„ Hamdulillah, Effendi, du lebſt und biſt frei! “
Es war die ‚ Myrte‘. Sie nahm mich bei den Händen und atmete tief auf:
„ Du biſt ein großer Held. Deine Diener und der fremde Bote haben es geſagt. Wenn ſie dich gefangen genommen hätten, ſo hätteſt du den ganzen Palaſt er - ſchlagen, und vielleicht gar Selim Agha auch. “
„ Ihn nicht, aber die andern alle; darauf kannſt du dich verlaſſen! “antwortete ich beluſtigt.
„ Ja. Du biſt wie Kelad der Starke. Dein Bart ſteht rechts und links wie der Bart eines Panthers, und deine Arme ſind wie die Beine eines Elefanten! “
Das war natürlich bildlich gemeint. Oh Myrte, welch ein Attentat auf den dunkelblonden Schmuck meines Geſichtes und auf die liebliche Symmetrie meiner unent - behrlichſten Gliedmaßen! Ich mußte ebenſo höflich ſein:
„ Dein Mund ſpricht wie der Vers eines Dichters, Merſinah, und deine Lippen ſtrömen über wie ein Topf voll ſüßen Honigs; deine Rede thut wohl, wie das Pflaſter auf eine Beule, und deiner Stimme Klang kann291 keiner vergeſſen, der ihn einmal hörte. Hier, nimm fünf Piaſter, um dir Khol und Henneh zu kaufen für die Ränder deines Augenlides und die roſigen Nägel deiner Hand. Mein Herz will ſich freuen über dich, damit meine Seele jung werde und mein Auge ſich ergötze an der An - mut deines Ganges! “
„ Herr, “rief ſie, „ du biſt tapferer als Ali, weiſer als Abu Bekr, ſtärker als Simſah*)Simſon. und ſchöner als Hoſſeïn, der Armadener! Befiehl was ich dir braten ſoll; oder willſt du gekocht und gebacken haben? Ich thue für dich alles, was du verlangſt, denn mit dir iſt Freude über mein Haus gekommen und Segen über die Schwelle meiner Thüre. “
„ Deine Güte rührt mich, oh Merſinah; ich kann ſie nicht vergelten! Aber ich habe weder Hunger noch Durſt, wenn ich den Glanz deiner Augen, die Farbe deiner Wangen und das liebliche Bild deiner Hände erblicke. War Selim Agha da? “
„ Ja. Er hat mir alles erzählt. Deine Feinde ſind vernichtet. Gehe hinauf und tröſte die Deinen, die in großer Sorge um dich ſind! “
Ich ging hinauf.
„ Endlich zurück! “meinte der Engländer. „ Große Sorge! “ Wollten kommen und Euch holen! Glück, daß Ihr da ſeid! “
„ Du warſt in Gefahr? “fragte auch Mohammed.
„ Nicht ſehr. Sie iſt vorüber. Weißt du, daß der Muteſſarif abgeſetzt iſt? “
„ Von Moſſul? “
„ Ja, und der Makredſch auch. “
„ Alſo darum iſt Selek da? “
292„ Ja. Hat er dir nichts erzählt, als wir am Nach - mittage ausgeritten waren? “
„ Nein. Er iſt ſchweigſam. Aber da kann doch Amad frei werden, denn nur der Muteſſarif hat ihn ge - fangen gehalten! “
„ Ich hoffte dies auch, aber es ſteht ſchlimmer. Der Großherr billigt das Vorgehen der Türken gegen euch, und der Oberrichter von Anatolien hat befohlen, daß dein Sohn als Geiſel nach Stambul gebracht werde. “
„ Allah kerihm! Wann ſoll er fort? “
„ Morgen vormittags. “
„ Wir überfallen unterwegs ſeine Begleitung! “
„ So lange wir noch Hoffnung haben, ihn durch Liſt frei zu bekommen, ſo lange ſoll kein Menſchenleben be - ſchädigt werden. “
„ Aber wir haben nur noch die Zeit von einer Nacht! “
„ Dieſe Zeit iſt lang genug. “
Dann wandte ich mich an den Engländer:
„ Sir, ich brauche Wein für den Muteſſelim. “
„ Wäre Wein wert, dieſer Kerl! Mag Waſſer trinken! Kaffee, Lindenblüten, Baldrian und Buttermilch! “
„ Er hat mich um Wein gebeten! “
„ Schlingel! Darf doch keinen trinken! Iſt Mo - hammedaner! “
„ Die Moslemin trinken ihn ebenſo gern wie wir. Ich möchte uns ſein Wohlwollen erhalten, ſolange wir es brauchen. “
„ Schön! Soll Wein haben! Wie viel? “
„ Ein Dutzend. Ich gebe die Hälfte und Ihr die andere. “
„ Pſhaw! Kaufe nicht halben Wein. Hier Geld! “
Er reichte mir die Börſe hin, ohne daß es ihm einfiel, zu bemerken, wie viel ich ihr entnahm. Er war ein Gent - leman und ich ein armer Teufel.
293„ Wie iſt's? “fragte er. „ Retten wir Amad? “
„ Ja. “
„ Heute? “
„ Ja. “
„ Wie? “
„ Ich gehe mit Selim Agha Wein trinken und ſuche — — — “
„ Trinkt auch Wein? “unterbrach er mich.
„ Leidenſchaftlich. “
„ Schöner Muſelmann! Verdient Prügel! “
„ Grad dieſe Geſchmacksrichtung aber giebt uns Vor - teile. Er wird einen Rauſch bekommen und dann nehme ich ihm unbemerkt den Gefängnißſchlüſſel fort. Ich laſſe den Araber heraus zu ſeinem Vater, wo er ſich umkleidet. Dann führt ihn Halef nach der Villa, die Ihr für ihn gebaut habt. “
„ Well! Sehr ſchön! Was thue ich dabei? “
„ Zunächſt aufpaſſen. Wenn ich ihn bringe, ſo gebe ich da drüben an der Ecke ein Zeichen. Ich werde wie ein Rabe krächzen, der aus dem Schlafe geſtört worden iſt. Dann eilt Halef hinunter, um die Thüre zu öffnen und die Wirtin in der Küche feſtzuhalten. Ihr geht mit Mohammed an die Treppe und empfangt Amad, um ihn empor zu führen. Er zieht ſich an, und ihr wartet, bis ich nach Hauſe komme. “
„ Ihr geht wieder fort? “
„ Ja. Ich muß zu Selim Agha, um keinen Verdacht zu erregen und ihm den Schlüſſel wieder zuzuſtecken. “
„ Schwere Sache für Euch! Wenn Ihr nun ertappt werdet? “
„ Ich habe eine Fauſt und, wenn das zu wenig ſein ſollte, auch Waffen. Jetzt aber laßt uns in Gemeinſchaft zu Abend eſſen. “
294Während des Mahles wurde auch Mohammed genau inſtruiert. Halef brachte den Wein und mußte ihn gut verpacken.
„ Den trägſt du jetzt zum Muteſſelim, “ſagte ich ihm.
„ Will er ihn trinken, Sihdi? “fragte er erſtaunt.
„ Er ſoll ihn verwenden, wozu er ihn braucht. Du giebſt das Paket an keinen andern Menſchen als nur an ihn und ſagſt, daß ich hier die Medizin ſende. Und höre! Wenn ich dann mit Selim Agha fortgehe, ſo geheſt du uns heimlich nach und merkſt dir das Haus, in welches wir treten, aber genau! Und ſollte ich irgendwie gebraucht werden, ſo kommſt du, mich zu holen. “
„ Wo werde ich dich in dem Hauſe finden? “
„ Du gehſt im Flur von der Thüre aus ungefähr acht Schritte gradaus und pocheſt dann rechts an eine Thüre, hinter welcher ich mich befinde. Sollte der Wirt dich ſehen, der ein Jude iſt, ſo ſageſt du, daß du den fremden Emir ſucheſt, der aus dem Kruge trinkt. Ver - ſteheſt du? “
Er ging mit ſeinem Pakete fort.
Mohammed Emin befand ſich in einer unbeſchreib - lichen Aufregung. Ich hatte ihn ſelbſt damals, als es im Thale der Stufen galt, ſeine Feinde gefangen zu nehmen, nicht ſo geſehen. Er hatte alle ſeine Waffen angethan und auch die Flinte neu geladen. Ich konnte nicht dar - über lächeln. Ein Vaterherz iſt eine heilige Sache; ich hatte ja auch einen Vater daheim, der oft für mich der Sorgen und Entbehrungen genug getragen hatte, und konnte alſo das begreifen.
Endlich kam Selim Agha von dem Muteſſelim zurück. Er verzehrte in der Küche ſein Abendbrot, und dann gingen wir heimlich zum Juden. Selim Agha hatte die Wirkung des ſtarken Weines zur Genüge kennen gelernt295 und nahm ſich daher ſehr in acht. Er trank nur in kleinen Schlückchen und auch ſehr langſam.
Wir mochten bereits dreiviertel Stunden beim Weine ſitzen, und noch immer zeigte derſelbe keine andere Wirkung auf den Agha, als dieſer ſtiller und träumeriſcher wurde und ſich ſinnend in ſeine Ecke lehnte. Schon ſtand ich im Begriff, ihn zum Austrinken zu nötigen und zwei neue Krüge bringen zu laſſen, als es draußen an die Thüre pochte.
„ Wer iſt das? “frug der Agha.
„ Das muß Halef ſein. “
„ Weiß er, wo wir ſind? “
„ Ja. “
„ Effendi, was haſt du gethan! “
„ Aber er weiß nicht, was wir thun. “
„ Laß ihn nicht herein! “
Wie gut, daß ich Halef aufmerkſam gemacht hatte! Daß er kam, um mich zu holen, war mir Beweis, daß etwas Beſonderes paſſiert ſei. Ich öffnete von innen und trat hinaus auf den Flur.
„ Halef! “
„ Sihdi, biſt du es? “
„ Ja. Was iſt's? “
„ Der Muteſſelim iſt gekommen. “
„ Das iſt ſchlimm; das kann uns das ganze Werk verderben. Gehe. Wir kommen gleich nach. Aber bleibe ſtets an der Thüre meines Zimmers, damit ich dich ſofort habe, wenn ich dich brauche! “
Ich trat wieder in den kleinen Raum zurück.
„ Selim Agha, es war dein Glück, daß ich dem Had - ſchi ſagte, wo wir ſind. Der Muteſſelim iſt bei dir und wartet auf dich. “
„ Allah illa Allah! Komm ſchnell, Effendi! “ Was will er? “
296„ Halef wußte es nicht. “
„ Es muß wichtig ſein. Eile! “
Wir ließen den Wein ſtehen und ſchritten mit ſchnellen Schritten unſerer Wohnung zu.
Als wir heim kamen, ſaß der Kommandant auf meinem Ehrenplatze in meiner Stube, ließ ſich von der roten Papierlaterne magiſch beleuchten und ſog an meinem Nar - gileh. Er war, als er mich erblickte, ſo höflich, ſich zu erheben.
„ Ah, Muteſſelim, du hier in meiner Wohnung! Allah ſegne deinen Eintritt und laſſe es dir wohlgefallen an meiner Seite! “
Im ſtillen aber hatte ich allerdings einen nicht ganz mit dieſer höflichen Phraſe übereinſtimmenden Wunſch.
„ Emir, verzeihe, daß ich zu dir heraufſtieg. Die Wirtin dieſes Hauſes, der Allah ein Geſicht gegeben hat wie keiner zweiten, wies mich herauf. Ich wollte mit Selim Agha reden. “
„ So erlaube, daß ich mich wieder entferne! “
„ Jetzt war er gezwungen, mich zum Hierbleiben auf - zufordern, wenn er nicht ganz und gar gegen alle türkiſche Bildung verſtoßen wollte.
„ Bleib, Emir, und ſetze dich. Auch Selim Agha mag ſich ſetzen; denn was ich von ihm verlange, das darfſt du wiſſen. “
Jetzt mußten die Reſervepfeifen her. Während des Anzündens beobachtete ich den Kommandanten ſcharf. Das rote Licht der Laterne ließ mich ſein Geſicht nicht genau erkennen, aber ſeine Stimme ſchien mir jenen Klang zu beſitzen, welcher dann zu hören iſt, wenn die Zunge ihre gewöhnliche Leichtigkeit zu verlieren beginnt.
„ Was meineſt du, Effendi? Iſt der Makredſch ein wichtiger Gefangener? “
297„ Ich meine es. “
„ Ich auch. Darum macht mir der Gedanke, daß es ihm vielleicht gelingen könnte, zu entkommen, ſchwere Sorge. “
„ Er iſt doch ſicher eingeſchloſſen! “
„ Ja. Aber das iſt nicht genug für mich. Selim Agha, ich werde dieſe Nacht nicht ſchlafen und zwei - oder dreimal nach dem Gefängniſſe gehen, um mich zu über - zeugen, daß er wirklich in ſeinem Loche iſt. “
„ Herr, ich werde das an deiner Stelle thun! “
„ Dann ſiehſt du ihn wohl, aber ich nicht, und ich kann dennoch nicht ſchlafen. Ich werde ſelbſt gehen. Gieb mir den Schlüſſel! “
„ Weißt du, Herr, daß du mich kränkſt? “
„ Ich will dich nicht kränken, ſondern ich will mich beruhigen. Der Anatoli Kaſi Askeri iſt ein ſehr ſtrenger Mann. Ich würde die ſeidene Schnur bekommen, wenn ich den Gefangenen entkommen ließe. “
Da war ja die Ausführung unſeres Planes ganz und gar unmöglich gemacht! Gab es keine Hilfe? Ich war ſchnell entſchloſſen. Entweder Wein oder Gewalt! Wäh - rend der Agha ſeinem Vorgeſetzten noch Vorſtellungen machte, erhob ich mich und trat hinaus auf den Korridor, wo Halef ſtand.
„ Bringe vom allerbeſten Tabak, und hier haſt du Geld; gehe in das Haus, wo du mich geholt haſt, und verlange von dem Juden ſolchen Wein von Türbedi Hai - dari, wie ich vorhin getrunken habe. “
„ Wie viel ſoll ich bringen? “
„ Ein Gefäß, in welches zehn Krüge gehen von der Sorte, die der Jude hat. Er wird dir ein ſolches Gefäß borgen. “
„ Bringe ich das Getränk des Teufels in das Zimmer hinein? “
298„ Nein. Ich hole es aus deiner Stube. Aber der Baſchi-Bozuk darf nichts wiſſen. Gieb ihm dieſes Bak - ſchiſch. Er mag ausgehen und ſo lange bleiben, als es ihm beliebt. Er kann ja zur Wache gehen, um ſich dem Baſch Tſchauſch zu zeigen, mit dem er morgen reiſen wird. So werden wir ihn los! “
Als ich wieder eintrat, reichte der Agha dem Kom - mandanten grad den Schlüſſel hin. Dieſer ſteckte ihn in ſeinen Gürtel und ſagte zu mir:
„ Weißt du, daß der Makredſch widerſetzlich ge - weſen iſt? “
„ Ja. Er hat erſt den Agha beſtechen wollen und ihm dann gar nach dem Leben getrachtet. “
„ Er wird es büßen! “
„ Und, “fügte Selim bei, „ als ich ihn aufforderte, ſeine Taſchen zu leeren, that er es nicht. “
„ Was hatte er darin? “
„ Viel Geld! “
„ Emir, wem gehört dieſes Geld? “fragte mich der Kommandant lauernd.
„ Du haſt es in Empfang zu nehmen. “
„ Das iſt richtig. Laß uns gehen! “
„ Muteſſelim, du willſt mich verlaſſen? “fragte ich. „ Willſt du mich beleidigen? “
„ Ich bin dein Beſuch, aber nicht dein Gaſt! “
„ Ich habe nicht gewußt, daß du kommſt. Erlaube mir, dir eine Pfeife zu ſtopfen, wie man ſie hier ſelten raucht. “
Eben trat Halef ein und brachte den Tabak; es war Maſter Lindſays Sorte; der Kommandant fand ſie ſicher gut. Uebrigens war ich ſehr feſt entſchloſſen, daß er ohne meinen Willen meine Stube nicht verlaſſen ſolle. Doch, es kam glücklicherweiſe nicht zum Aeußerſten, denn er299 nahm die Pfeife an. Aber im Laufe der ferneren Unter - haltung merkte ich, daß ſeine Augen ſehr erwartungsvoll an der Thüre hingen. Er wollte Kaffee haben. Deshalb erkundigte ich mich:
„ Haſt du die Medizin erhalten, Herr? “
„ Ja. Ich danke dir, Effendi! “
„ War es genug? “
„ Ich habe noch nicht gezählt. “
„ Und ſie auch noch nicht gekoſtet? “
„ Ein wenig. “
„ Wie war ſie? “
„ Sehr gut. Aber ich habe gehört, daß es auch ganz ſüße giebt! “
Der gute Agha wußte ſehr genau, wovon die Rede war. Er ſchmunzelte lüſtern und blickte mich mit ver - führeriſch blinzelnden Augen an.
„ Es giebt ganz ſüße, “antwortete ich.
„ Aber ſie iſt ſelten? “
„ Nein. “
„ Und heilſam? “
„ Sehr. Sie gleicht der Milch, die aus den Bäumen des Paradieſes fließt. “
„ Aber in Amadija giebt es keine? “
„ Ich kann welche bereiten, überall, auch in Amadijah. “
„ Und wie lange dauert es, bis ſie fertig iſt? “
„ Zehn Minuten. Willſt du ſo lange warten, ſo ſollſt du den Trank des Paradieſes ſchmecken, der Mohammed von den Houris gereicht wird. “
„ Ich warte! “
Seine Augen leuchteten ſehr vergnügt, noch vergnügter aber die Augen des würdigen Selim Agha. Ich verließ das Zimmer und benutzte die angegebene Pauſe, um zu Mohammed Emin zu gehen.
300„ Emir, nun iſt es aus! “empfing mich dieſer.
„ Nein, ſondern nun geht es an! “
„ Aber du erhältſt nun den Schlüſſel nicht! “
„ Vielleicht brauche ich ihn gar nicht. Harre nur ge - duldig aus. “
Auch Lindſay kam geſchlichen.
„ Von meinem Tabak geholt! Wer raucht ihn? “
„ Der Kommandant. “
„ Sehr gut! Trinkt meinen Wein, raucht meinen Tabak! Ausgezeichnet! “
„ Warum ſollte er nicht? “
„ Mag zu Hauſe bleiben! Flucht nicht ſtören! “
„ Vielleicht befördert er ſie. Ich habe nach Wein geſchickt. “
„ Wieder? “
„ Ja. Nach perſiſchem. Reißt einen Elefanten nieder. Süß wie Honig und ſtark wie ein Löwe! “
„ Well! Trinke auch perſiſchen! “
„ Habe dafür geſorgt, daß für euch auch da iſt. Ich werde die beiden Leute luſtig machen, und dann werden wir ſehen, was zu thun iſt. “
Nun ging ich in die Küche und ließ Feuer machen. Ehe es ordentlich brannte, kam Halef zurück. Er brachte ein großes Gefäß des gefährlichen Trankes. Ich ſetzte einen Topf voll davon über das Feuer und empfahl ihn der Fürſorge Merſinahs. Dann kehrte ich zum Engländer zurück.
„ Hier iſt Perſer! Aber gebt Gläſer her; ſie ſind bei Euch. “
Als ich in meine Stube trat, blickten mir die beiden Türken erwartungsvoll entgegen.
„ Hier bringe ich die Medizin, Muteſſelim. Koſte ſie zunächſt, da ſie kalt iſt. Dann ſollſt du auch ſehen, wie ſie das Herz begeiſtert, wenn man ſie heiß genießt. “
301„ Sage mir ganz genau, Effendi, ob es Wein iſt oder Medizin! “
„ Dieſer Trank iſt die beſte Medizin, die ich heute kenne. Trinke ſie und ſage mir, ob ſie nicht deine Seele erfreut! “
Er koſtete und koſtete abermals. Ueber ſeine ſcharfen, aber matten Züge legte ſich ein Schein der Verklärung.
„ Haſt du ſelbſt dieſen Trank erfunden? “
„ Nein, ſondern Allah giebt ihn denen, die er am liebſten hat. “
„ So meinſt du, daß er uns lieb hat? “
„ Gewiß. “
„ Von dir weiß ich es, daß du ein Liebling des Pro - pheten biſt. Haſt du noch mehr von dieſem Tranke? “
„ Hier. Trinke aus! “
Ich ſchenkte wieder ein.
Seine Augen funkelten noch vergnügter als vorher.
„ Effendi, was iſt Ladakia, Djebeli und Tabak von Schiras gegen dieſe Arznei! Sie iſt beſſer als der feinſte Duft des Kaffees. Willſt du mir das Rezept geben, wie ſie bereitet wird? “
„ Erinnere mich daran, ſo werde ich es aufſchreiben, noch ehe ich Amadijah verlaſſe. Aber hier ſteht der Krug. Trinkt! Ich muß hinab zur Küche, um die andere Arznei zu bereiten. “
Ich ging mit Vorbedacht ſehr leiſe zur Treppe hinab und öffnete unhörbar die Küchenthüre ein wenig. Richtig! Da ſtand die ‚ Myrte‘ vor meinem Topfe und ſchöpfte mit einer kleinen türkiſchen Kaffeetaſſe den jetzt bereits ziemlich heißen Wein unaufhaltſam zwiſchen ihre weit geöffneten Lippen, welche nach jeder Taſſe mit einem herzlich ſchmatzen - den Laute zuſammenklappten.
„ Merſinah, verbrenne deine Zähne nicht! “
302Sie fuhr erſchrocken herum und ließ die Taſſe fallen.
„ O, Sihdi, es war ein Oerümdſchek*)Spinne, Kreuzſpinne. in den Topf gelaufen, und den wollte ich wieder herausfiſchen! “
„ Und dieſe Spinne haſt du dir in den Mund ge - goſſen? “
„ Nein, Effendi, ſondern nur das Wenige, was an der Spinne hängen geblieben iſt. “
„ Gieb mir den kleinen Topf von da unten herauf! “
„ Hier, Emir! “
„ Fülle ihn dir mit dieſem Tranke! “
„ Für wen? “
„ Für dich. “
„ Was iſt es, Emir? “
„ Es iſt die Arznei, welche ein perſiſcher Hekim erfun - den hat, um das Alter wieder jung zu machen. Wer genug davon trinkt, dem iſt die Seligkeit gegeben, und wer davon trinkt, ohne jemals aufzuhören, der hat das ewige Leben! “
Sie dankte mir in blühenden Ausdrücken, und ich trug das übrige nach oben. Die beiden Trinker waren trotz ihres Rangunterſchiedes ſehr nahe zuſammengerückt und ſchienen ſich ganz angenehm unterhalten zu haben.
„ Weißt du, Effendi, worüber wir ſtreiten? “fragte mich der Kommandant.
„ Ich hörte es ja nicht! “
„ Wir ſtritten, weſſen Syſtem am meiſten leiden muß, das ſeinige oder das meinige. Wer hat recht? “
„ Das will ich euch ſagen: Wem die Arznei die größte Hilfe bringt, deſſen Syſtem hat am meiſten gelitten. “
„ Deine Weisheit iſt zu groß, als daß wir ſie be - greifen könnten. Was haſt du in dieſem Topfe? “
„ Das iſt Itſchki itſchkilerin**)Der Trank aller Tränke., denn ihm kommt kein anderer gleich. “
303„ Und du willſt, daß wir ihn probieren ſollen? “
„ Wenn du es wünſcheſt, ſo ſchenke ich dir davon ein. “
„ Gieb mir! “
„ Mir auch, Effendi, “bat der Agha.
Sie hatten beide bereits das, was der Spiro-Zoologe einen „ Käfer “zu nennen pflegt, ja, es ſchien bereits ein bedeutender Hirſchkäfer zu ſein, der alle Anlagen zeigte, ſich nach und nach in einen bekannten Vierhänder zu ver - wandeln. Es war nur heißer Wein, ohne alles Gewürz, den ſie jetzt koſteten, aber er brachte ſie dem „ Seid um - ſchlungen, Millionen! “ſehr nahe; ſie tranken bereits nur noch aus einem Glaſe, und der Muteſſelim wiſchte ſo - gar ſeinem Agha einmal den Bart ab, als einige Tropfen der herrlichen Arznei ſich in den Wald desſelben verlaufen hatten. Die dabei geführte Unterhaltung war diejenige zweier Perſonen, die im „ edlen Kampfe voller Humpen “noch vollſtändige Laien ſind: närriſch und kauderwelſch. Selbſt ich, der ich nur that, als ob ich trinke, wurde in Mitleidenſchaft gezogen; denn der Muteſſelim umarmte mich ein über das andere Mal, und der Agha hielt trau - lich ſeinen Arm um meinen Nacken geſchlungen.
Da erhob ſich einmal der letztere, um eine neue Lampe für die rote Laterne zu holen. Er kam ganz glücklich in die Höhe, dann aber ſtreckte er die Arme zuckend aus und trillerte unſicher mit den Knieen wie einer, der zum erſten - mal Schlittſchuhe läuft.
„ Was iſt dir, Agha? “fragte der Kommandant.
„ O, Herr, ich bekomme das Baldyr tſchekmiſch*)Wadenkrampf.. Ich glaube, ich muß mich wieder ſetzen! “
„ Setze dich! Ich werde dir helfen! “
„ Kennſt du ein Mittel? “
„ Ein ſehr gutes. Setze dich! “
304Der Agha nahm wieder Platz. Der Kommandant richtete ſich ein wenig empor und erkundigte ſich mit liebe - voller Herablaſſung:
„ In welcher Wade haſt du den Krampf? “
„ In der rechten. “
„ Gieb mir einmal das Bein! “
„ Der Agha ſtreckte es ihm hin, und ſein Vorgeſetzter begann, an demſelben mit allen Kräften zu zerren und zu ziehen.
„ O jazik — o wehe, Herr; ich glaube, daß es doch in der linken iſt! “
„ So gieb dieſe her! “
Selim reichte ihm ſein anderes Vehikel hin, und der Helfer in der Not zog aus Leibeskräften. Es war komiſch - rührend, zu ſehen, daß dieſer hochgeſtellte Beamte, der gewohnt war, ſich auch im Allerkleinſten bedienen zu laſſen, ſeinem Untergebenen mit ſo brüderlicher Bereitwilligkeit die Wade zog und klopfte.
„ Gut! Ich glaube, es iſt nun weg! “ſagte der Agha.
„ So ſtehe einmal auf und probiere es! “
Selim erhob ſich und gab ſich dieſes Mal Mühe. Er ſtand kerzengrad. Aber mit dem Gehen! Ich ſah es ihm an, daß es ihm war wie einem flüggen Vogel, der ſich zum erſtenmal der unſicheren Luft anvertrauen will.
„ Laufe einmal! “gebot der Muteſſelim. „ Komm; ich werde dich unterſtützen! “
Er wollte ſich mit der gewohnten Schnelligkeit auf - richten, verlor aber die Balance und kam ſehr ſchnell in ſeine vorige Stellung zurück. Aber er wußte ſich zu hel - fen. Er legte ſeine Hand auf meine Achſel und ſtand auf. Dann machte er die Beine breit, um eine feſtere Stellung zu bekommen, und ſtarrte ganz verwundert auf die rote Lampe.
305„ Emir, deine Lampe fällt herab! “
„ Ich glaube, ſie hängt feſt! “
„ Sie fällt, und das Papier brennt an. Ich ſehe ſchon die Flammen zucken! “
„ Ich ſehe nichts! “
„ Maſchallah! Ich ſehe ſie fallen, und dennoch bleibt ſie oben! Wackele nicht ſo, Selim Agha, ſonſt wirſt du umſtürzen! “
„ Ich wackele nicht, Effendi! “
„ Ich ſehe es ſehr genau! “
„ Du ſelbſt wackelſt, Herr! “
„ Ich? Agha, mir wird es ſehr bange um dein Syſtem. Deine Nerven ſchieben dich hin und her, und die Ver - dauung iſt dir in die Beine geſunken. Du ſchüttelſt die Arme und ſchlingerſt mit dem Kopfe, als ob du ſchwim - men wollteſt. O,