PRIMS Full-text transcription (HTML)
[1]
Der romantiſche Oedipus.
Ein Luſtſpiel in fuͤnf Akten
Stuttgart und Tuͤbingenin der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung. 1829.
[2]
[3]

Der romantiſche Oedipus. Luſtſpiel in fuͤnf Akten.

[4]

Perſonen des Luſtſpiels.

  • Nimmermann, Romantiker.
  • Das Publicum, als Reiſender.
  • Der Verſtand, exilirt.
  • Chor der Haidſchnucken.

Perſonen des Zwiſchenſpiels.

  • Lajus, Koͤnig von Theben.
  • Jokaſte, ſeine Gemahlin.
  • Oedipus, beider Sohn.
  • Polybus, Koͤnig von Corinth.
  • Zelinde, ſeine Gemahlin.
  • Diagoras, ihr Liebhaber.
  • Tireſias, Zeichendeuter.
    • Kind,
    • Kindeskind,
    • Hofpoeten der Jokaſte.

  • Melchior, Bedienter des Lajus.
  • Balthaſar, Bedienter des Polybus.
  • Die Pythia.
  • Die Sphinx.
  • Zwei Hebammen.

Das Stuͤck ſpielt auf der Luͤneburger Haide, Zeit der Handlung das Jahr 1827.

[5]

Erſter Akt.

Das Publicum als Reiſender, Chor der Haidſchnucken.
Publicum.

Das iſt die ſchoͤne Luͤneburger Ebene, Wohin des Rufs Trompete mich von fern gelockt: Hier, ſagt man, wandle Tag und Nacht, romantiſche Blasbaͤlge tretend, ein beruͤhmter Verſeſchmied; Doch weit und breit erblick 'ich nichts Poetiſches, Blos dort im Vorgrund eine Schaar von Beſtien.

Chor.

Wer biſt du, Fremdling? Aeußere dich beſcheidener!

Publicum.

Wie? Sprechen koͤnnt ihr? Leben wir zur Zeit Aeſops? Ich wollte mich beruhigen, wenn ihr Pferde waͤrt, Denn Pferde, duͤnkt mich, ſprechen beim Homer ſogar.

Chor.

Aeſop! Homer! Enthalte dich vom Griechiſchen! Blind war Homer, es war Aeſop ein Buckliger: Wir dienen keinem Kruͤppel!

Publicum.

Nun, wem dient denn ihr?

Chor.

Dem Nimmermann.

Publicum.

Dem Nimmermann? So iſt es wahr,6 Daß hier der ſchwulſteinpoͤckleriſche Muſenſohn, Der deutſche Shakeſpear athmet? Unter Schafen hier? Das wundert mich!

Chor.

Warum?

Publicum.

Wer haͤtte das gedacht?

Chor.

Warum? Er iſt Beſitzer einer Schaͤferei: Trieb nicht auch Paris, welchem doch Olympier Schiedsrichteramt verliehen, trieb Adonis nicht Haidſchnucken? Was auch ſollte ſonſt der Treffliche Vornehmen, hier in dieſer Abgeſchiedenheit?

Publicum.

Wenn ich's gerade ſagen ſoll, Scharfrichterei: Ich las entzuͤckt ſein Trauerſpiel Cardenio, Die groͤßte, mehr als ekelhafte, Metzelung, Die je der fette Froſch Bombaſt in dunſtigen Irrlichterſumpf poetiſchen Wahnſinns laichete. Denn ſo charakteriſiren's uns die Kritiker; Doch eben was mißfallen hat den Kritikern, Entzuͤckte mich. Ich flog hieher, dem Dichter ſelbſt Die Hand zu ſchuͤtteln. Aber ſprich, wo find 'ich ihn?

Chor.

Er uͤberlegt ein Trauerſpiel.

Publicum.

Schon wieder eins?

Chor.

O zehn fuͤr eins! Leicht fertig ſind Romantiker, Die's laufen laſſen, wie es laͤuft.

7
Publicum.

Wo ſitzt er denn?

Chor.

Dort! Siehſt du nicht die ſpaniſche Wand?

Publicum.

Dort dichtet er?

Chor.

Das eben nicht. Abthut er ein Privatgeſchaͤft: Er las gerade den Oedipus des Sophokles, Doch war derſelbe keineswegs ihm homogen, Und geht ſogleich nun wieder als Purganz von ihm.

Publicum.

Ein eigner Fall!

Chor.

Der Hochbegabte ſchleuderte Das fade Buch in's allerduͤrrſte Haidekraut: Das alſo, rief er, waͤre ſolch ein Meiſterſtuͤck, Der tragiſche Kanon eures Ariſtoteles? Pedanten ihr! Nun will ich einen Oedipus, Ich ſelbſt erfinden, zeigen euch, wie jener Menſch Es haͤtte machen ſollen, ein hiſtoriſches Vorzeitsfamilienmordgemaͤlde buͤhnenhaft Dem Publicum vorbeizufuͤhren. Jenes Stuͤck Iſt blos als Bruchſtuͤck anzuſehn! Wo waͤre denn Die Breite, die dem Trauerſpiel nothwendig iſt? Der Nebenbeiperſonen reiches Uebermaß? Aufwaͤrter, Maͤgde, Narren, kleine Kinderchen, Kanzleiverwandte, Taugenichtſe, Kraͤmervolk, Stallknechte, Haſenfuͤße, Kriminalbedienſtete, Bordellgenoſſen, und ſo weiter? Ja, wo waͤre denn Decorationsveraͤnderung und ſonſtige8 Freiſchuͤtzcaskadenfeuerwerkmaſchinerie? Wo iſt was Komiſches eingeſtreut? Die noͤthigen Anachronismen fehlen, geographiſche, Selbſt andre Schnitzer find 'ich nicht. Der ſchuͤlerhaft Holprichte Versbau mangelt, und der Floskelſchwall, Den ſtets als ſchoͤne Sprache ruͤhmt das Publicum.

Publicum.

Das Publicum? Haidſchnucken! Nannte wirklich er Das Publicum?

Chor.

So that er, ja.

Publicum.

Nun mache mich Die Freude nicht wahnwitzig!

Chor.

Ei, was haſt du denn?

Publicum.

Ich bin ja ſelbſt das ſogenannte Publicum!

Chor.

Du ſelbſt? Unmoͤglich!

Publicum.

Sieh von hinten mich und ſieh Von vorne mich! Ich bin es ſelbſt.

Chor.

So jugendlich, So voͤllig bartlos, eingezwaͤngt in den neuſten Frack, Mit ſteifem Halstuch angethan, ſo dacht 'ich mir Dich nicht.

Publicum.

Ich bin das Publicum. Die Haͤnde ſind Noch brennend roth mir, weil ich beim Houwaldiſchen9 Leuchtthurme neulich beide faſt mir wundgeklatſcht, Und forderſt du noch mehr Beweis, ſo trag 'ich hier In meinem Buſentaͤſchchen Claurens Mimili!

Chor.

Auf, auf, o Genoſſen! den Zweifel erſtickt, Und eroͤffnet den Tanz! Der erwartete Freund, Der erſehnte, betrat dieß leere Gefild: Nun feire der Dank in Ergießungen ihn Nie muͤden Geſangs! Freiwillig zerfaͤllt In gemeſſene Sylben der Willkomm.

Auf, auf, o Genoſſen! Umtanzt ihn rings, Und die Hymne beginnt, die gewaltige, die Wie ein Bote des Gluͤcks, wie ein Aar, der keck Von dem Idagebuͤrg Ganymeden geraubt, Die Geſtirne vorbei, ſich ſiegſtolz wiegt Auf ſilberner Schwinge des Wohlklangs!

Auf, auf, o Genoſſen! Und rufet empor Den Romantiker, der in melodiſchen Traum Sein Daſein lullt! Es erſchien, o Poet, Der erwartete Gaſt, nach welchem du laͤngſt Schwerathmend erhubſt, voll ſuͤßer Begier, Sehnſuͤchtig unſterbliche Seufzer!

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Die Vorigen, Nimmermann.
Chor
(vorſtellend).

Der Dichterheros Nimmermann Das Publicum

Publicum.

Geraume Zeit ſchon wuͤnſcht 'ich, Werthgeſchaͤtzteſter

Nimmermann.

Schon lange brannte mein Gemuͤth, Verehrliches

Publicum.

Von Angeſicht zu Angeſicht Sie anzuſehn

Nimmermann.

Auf Ihren Altar legend meine Dichtungen

Publicum.

Um nicht von Gall zu lernen oder Lavater

Nimmermann.

Weihrauch zu ziehn in meiner Naſe Riechorgan.

Publicum.

Was ein Genie fuͤr eine Gattung Naſe hat.

Chor.

Da trifft das Sprichwort wieder ein, daß immer ſich Begegnen ſchoͤne Geiſter, weil zu gleicher Zeit An einer Naſenſpitze Beide landeten, Ihr Schiff regierend uͤber's Meer der Redekunſt.

Nimmermann.

Entſchuldigung erbitt 'ich mir, da eben ich Auf meinem Beichtſtuhl, wie ich ihn aus Schicklichkeit Benenne, ſaß.

Publicum.

O Zartgefuͤhl!

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Nimmermann.

Den Dichtern auch Begegnet jezuweilen etwas Menſchliches.

Publicum.

Sie haben ja die ſpaniſche Wand! Ich bitte ſehr

Nimmermann.

Wir wollen gleich zur Sache kommen! Zwar ich bin Kein Muͤllner, keiner, der im erſten Augenblick, Sobald ein Fremder uͤber ſeine Schwelle tritt, Von ſeinen eignen Werken an zu ſprechen faͤngt; Doch Ihnen muß ich frank und frei herausgeſtehn, Ich dichte jetzt ein ungemeines Meiſterſtuͤck.

Publicum.

Wie immer; doch gewaͤhren Sie das Naͤhere!

Nimmermann.

Ausforſchen muß ich Ihren wahren Glauben erſt: Was ſagen Sie zum Oedipus des Sophokles?

Publicum.

Ich las in meiner Jugend auf den Schulen ihn, Er ſchien mir nicht gelungen.

Nimmermann.

Eine Pfuſcherei, Wie's keine giebt! Hoͤchſt tragiſch iſt der Gegenſtand: Blutſchande, Graͤuel jeder Art, ein Vatermord, Die Sphinx, die Peſt, ein Uebermaß von Irrungen, Verwickelungen ohne Zahl! Wie wenig hat Der Dichter dieſen fuͤrchterlichen Stoff benutzt! Geradezu hinausgeruͤckt das Graͤßliche, Verhuͤllt in ſchoͤne Reden jede Schaͤndlichkeit, Des Stuͤcks Effekt vernichtet, aus dem Perſonal12 Sogar die Sphinx geſtrichen, die auf's Publicum Den tiefſten Eindruck machen muͤßte.

Publicum.

Ja, gewiß! Denn voͤllig grundlos ſagen uns die Kritiker, Die tragiſche Kunſt vertruͤge nichts Daͤmoniſches, Und blos der Leidenſchaften reine Menſchlichkeit.

Nimmermann.

Und wiſſen Sie, was jenes nuͤchternen Trauerſpiels Hauptfehler?

Publicum.

Nein!

Nimmermann.

Sie kennen doch das Raͤthſelchen, Das jene Sphinx gab?

Publicum.

Allerdings. Sie ſprach: Was iſt Das Ding, das fruͤh des Morgens auf vier Fuͤßen geht, Auf zwei des Mittags und des Abends drei gebraucht.

Nimmermann.

Es iſt der Menſch. Nun zeigte zwar den Oedipus Als Mann der Dichter, wie er auf zwei Fuͤßen geht, Ja, da er blind ihn werden laͤßt, ſo leiht er ihm Auch wohl den Stab als dritten Fuß. Wo aber geht Im ganzen Stuͤck auf allen Vieren Oedipus?

Publicum.

O feiner Scharfſinn!

Nimmermann.

So zerſtoͤrte Sophokles Des eignen Helden ſogenannte Menſchlichkeit! Denn weil er nie auf Vieren geht, ſo iſt er mir13 Kein wahrer Menſch entweder, oder Oedipus Errieth das Raͤthſel keineswegs und haͤtte dann Von jener Sphinx den Tod verdient.

Publicum.

O Theuerſter! Sie braͤchten einen Dromedar durch's Nadeloͤhr, Geſchweige denn ein bloß Kameel. (Welch tiefer Geiſt!)

Chor.

Weltweiſe, heran! Und gelagert im Kreis Lernt nun Tiefſinn! Und ein Hinrichs hier, Und ein Hinrichs dort, ehrfuͤrchtig und ſtill, Mag ſchmiegen das Haupt An die duftigen Zeh'n des Dichters!

Nimmermann.

Ein Menſch des Platon iſt er, dieſer Oedipus Mit ſeinen beiden Fuͤßen, ein gerupfter Hahn!

Chor.

Ein Eroberer zieht der Poet einher: Ihm diene die Welt und der Menſchheit Herz Wie ein Ball in der Hand, den uͤbungsreich Bald faͤngt, bald wirft Des erhabenen Spielers Anmuth!

Publicum.

So haben Sie den Oedipus als Kind gezeigt?

Nimmermann.

Noch mehr als dieß. Das Trauerſpiel beginnt mit zwei Hebammen vor dem Wochenbett der Koͤnigin Jokaſte.

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Publicum.

Herrlich! Muſterhaft! Die Geburt ja iſt Des Lebens erſte Scene.

Nimmermann.

Wahr und fein bemerkt!

Publicum.

Ach, duͤrft 'ich doch anhoͤren jenes koͤſtliche Produkt des Geiſtes, oder wird's durch Druck bekannt?

Nimmermann.

Sie ſollen gleich es ſpielen ſehn, und werden auch Dem Verſtand begegnen, welcher als Zuſchauer mich Bewundern will; denn kuͤrzlich ward in die Haide her Verbannt der allen Deutſchen Ueberlaͤſtige: Mir gilt er keinen Pfifferling; doch duldet ihn Als Exilirten einerſeits und uͤberdieß Als jener tauſend Einen meine Muſe noch, Die ihr den Handkuß leiſten, wie zu hoffen ſteht; Drum haben Sie Geduld mit ihm! Einſtweilen, Freund, Ziehn hinter dieſe ſpaniſche Wand zuruͤck wir uns: Ich muß die Puppen ordnen, deren Augenſchein Sie nehmen koͤnnen. Beſondre Muͤhe macht dabei Mir ſtets der Anzug. Ueber das alte Hofcoſtuͤm Von Theben walten Zweifel ob. Wie breit der Latz Am kurzen Gallahoſenpaar des Oedipus Geweſen iſt, bleibt unentſchieden; dieſerhalb Wies auch Berlin das Stuͤck zuruͤck, wiewohl der Staat Von Theben nie ein freier Staat, und Oedipus Ein legitimer Volkstyrann geweſen iſt.

Publicum.

Dort haͤlt man viel auf alles Augenfaͤllige, Mit Recht. So mußte neulich aus Berlin ſogar15 Bis Aranjuez ein Maler ſich mit Extrapoſt Begeben, blos um nachzuſehn im Garten dort, Wo die von Schiller's buhleriſcher Eboli Gepfluͤckte Hyacinthe ſteht. Er fand ſie nicht, Und wiſſen Sie, weswegen?

Nimmermann.

Weil gepfluͤckt ſie war.

Publicum.

O ſuͤßer Witz! Sie bringen jede Sphinx zu Fall: Kein Raͤthſel giebt's fuͤr ſolche Geiſter!

Nimmermann.

Kommen Sie!

(Beide ab.)
Chorfuͤhrer
(an den Rand der Buͤhne vortretend).

Wem Kraft des Gemuͤths, wem Tiefſinn fehlt, und die Kunſt, die Jegliches ordnet, Der wird niemals dem verſammelten Volk vorfuͤhren die wahre Tragoͤdie: Zu erweiſen, wodurch ſie entſteht, liegt nicht in des Luſtſpiel - dichters Ermeſſen, Ihm iſt es genug, wenn er lehrt, was ihr wie Sirenen - geſaͤnge zu fliehn habt, Und wovon heut 'euch ſein ſchaffender Sinn darſtellt ein lebendiges Beiſpiel. Zwar lebt er entfernt; doch lebt er vielleicht in dem Land, das Oder und Elbe, Das Weſer und Rhein und der Donauſtrom durchziehn, nicht ganz ein Vergeſſ'ner,16 Seitdem er zuerſt, zu Gefechten bereit, wie ein Leu voll trotziger Weltſcheu Vortretend (Es liebt der energiſche Muth des bewußten Gefuͤhls die Metapher) Durch wirklichen Witz urkraͤftig erlegt den proceßanſpinnen - den Witzbold, Der kleinlichen Geiſts und der Zankſucht voll, wie ein Spitz an der Kette, gebelfert, Und zuerſt mißbraucht den erhabenen Styl, und die tragi - ſchen Formen entwuͤrdigt, Der ohne Natur und Charaktergehalt manch uͤberherodiſches Machwerk Aneinandergeflickt und zuſammengeklext rabuliſtiſche Galgen - intriguen: Nicht wichtig er ſelbſt und des Streits unwerth, da von ſelbſt ſich Nichtiges aufloͤſ't, Nur wichtig indem euch einſt er gefiel und beſtach kurzſich - tiges Urtheil; Drum ließ das Gedicht ihn ſchmelzen wie Froſt an den uͤp - pigen Strahlen des Fruͤhlings. Wohl weiß der Poet, daß Fromme zumal ihn vielfachſt haben geſcholten, Ihn eitel gehoͤhnt und verſichert ſodann, er gefalle ſich ſel - ber unendlich. So[l]ch Urtheil zeigt ſtumpfſinnige blos, blos eigene Seelen - gemeinheit: Wer ſelbſt ſich gefaͤllt, bleibt ſtehn wo er ſteht; doch wer in beſtaͤndigem Fortſchritt Zu bewaͤltigen ſucht und zu ſteigern die Kunſt, nicht ſcheint's, daß ſelbſt er gefaͤllt ſich. Die, welche verzeihn, was Jener gethan, ſie erwaͤgen der Zeiten Bedingniß,Und17Und den Zuſtand auch, wie er Deutſchland fand, und die jetzige herrſchende Dichtkunſt, Wo ein Clauren ſogar Reichthum ſich erſchreibt, als waͤr's ein gewaltiger Byron! Ihr Fromme zumal, in der Schrift ſo gelehrt, ſeht lieber ein ſichtliches Vorbild In dem Goͤttlichen ſelbſt, der nie es verſchwieg, was ihm in der Seele ſo tief lag! Als ihn des Bezirks Landpfleger gefragt: Sprich! Biſt du der Koͤnig der Juden? Nicht laͤugnete Der es beſcheiden hinweg, er erwiederte ruhig: Du ſagſt es. Euch ſagt der Poet: Das bin ich, und nie, nie hat er ver - wegen behauptet, Mehr gelte vor Gott ein gefuͤhlter Geſang, als irgend ein frommer Gemeinplatz! Goͤnnt einſt das Geſchick ihm hoͤheren Flug, ihm ernſtere Fuͤlle der Bildkraft, Dann moͤge dem Volk der Erfolg darthun, wer ſchoͤnere ſittliche Reinheit, Wer mehr Andacht den Gemuͤthern entlockt, ihr oder die weltliche Dichtkunſt, Wenn je ſie den Schritt in Kothurne verhuͤllt, und die Stirn wie ein Prieſter belorbeert. Wohl aͤußert vielleicht ein bedaͤchtiger Mann, ja ſelbſt ein geduldiger Freund wohl, Weßhalb der Poet auf Fehlende ſtets hinweiſ't in der tra - giſchen Dichtkunſt, Und doch nie ſelbſt den Kothurn feſtſchnallt an die Knoͤchel und ernſteren Tanz tritt? Zwar koͤnnt 'er darauf antworten, es ſei die Comoͤdie ſeines Bereichs nur,v. Platen, der romant. Oedipus. 218Weil Scherz ihn blos und der Huldgoͤttin leichtſinnige Laune dahinreißt, Weil ſelten ein Haupt zwei Kraͤnze vertraͤgt, (noch weniger drei, wie der Pabſt hat!) Doch ſagt er dafuͤr, aufrichtigen Sinns, weit lieber den wirklichen Grund euch: In dem Lande des Teut ſingt mancher Geſell fruͤhreife Tragoͤdien ab ſchon, Wenn muͤßig der Stahl in dem Schacht noch ruht, der einſt ſoll ſcheeren den Flaum ihm; Doch unſer Poet, ſeit Jahren erwaͤgt ſein Geiſt die gefaͤhr - liche Laufbahn: Was Andern ein Spiel blos duͤnkt, was leicht, wie den Schaum, von der Flaͤche ſie ſchoͤpfen; Er findet es ſchwer, ihm liegt es ſo tief, ja, tief, wie die Perle des Tauchers! Noch ſtets mißtraut er der eigenen Kraft. Sechs Luſtra begehrten die Griechen Von dem Juͤngling, der zu dem Wettkampf ſich, zu dem tragiſchen Kampfe ſich anbot: Kaum hat ſie erreicht der Poet, drum goͤnnt Langathmende Muße dem Wanderer, der An des ſuͤdlichen Meers Felsufer (da ſchon Das Geſpann des Apoll in die Waag 'eintrat) Sturmwinde belauſcht, Anapaͤſte betont, Und Erfindungen denkt, Zu beluſtigen Crethi und Plethi.

[19]

Zweiter Akt.

Pallaſt in Theben.
Jokaſte und die Hebammen.
Jokaſte.

Hat man Alles vorbereitet fuͤr die nahe Niederkunft?

Erſte Hebamme.

Alles, Koͤnigin, was immer Pflicht gebietet und Vernunft: Auf dem Tiſche hier die Zangen, auch das Horoſkop dabei, Um's dem Kind ſogleich zu ſtellen, und im Pfaͤnnchen hier der Brei.

Zweite Hebamme.

Siebenhundert weiße Haͤubchen dort im Korb, in gleicher Zahl Stehn in deiner Garderobe Steckenpferde nach der Wahl.

Jokaſte.

Pferdchen auch mit Pfeifen hinten, die ich mir zugleich erbat?

Zweite Hebamme.

Dieſe nicht, auf unſres Koͤnigs eignes Schlafgemachsmandat, Weil er ungeſtoͤrt zu ſein wuͤnſcht, wann er ſchnarcht und wann er ſchnauft; Abgeſehen, daß die meiſten ſchon nach Dresden ſind verkauft, Wo den Calderon man auspfiff, und den Clauren auserkor.

Erſte Hebamme.

Hinter jedem Spiegelrahmen guckt ein Birkenreis hervor.

Jokaſte.

Auch Erziehungsſchriften, hoff 'ich, hat man reichlich ange - ſchafft?

2*20
Erſte Hebamme.

In der erſten Eile wurden tauſend Stuͤck herbeigerafft, Nebſt Philoſophien fuͤr Kinder, unter andern die von Fries, Der den deutſchen Waiſenhaͤuſern dieſen großen Dienſt erwies.

Jokaſte.

Wehe mir! Hinweg aus meinen Haaren, ſchaudervolles Thier!

Zweite Hebamme.

Was befiel die Koͤnigin?

Erſte Hebamme.

Was iſt geſchehen?

Jokaſte.

Siehſt du hier Nicht die Fledermaus, die eifrig zwiſchen meinen Locken pfuſcht, Da ſie durch das offne Fenſter abendlich hereingehuſcht?

Erſte Hebamme.

Schnell heraus mit ihr!

Jokaſte.

Vergebens! Sie verwirrt ſich im Genick.

Zweite Hebamme.

Boͤſes Omen!

Jokaſte.

Und gerad 'in dieſem ſchwangern Augenblick! Sendet nach Berlin, nach Doktor Raupels aͤrztlichem Beſchluß, Wie man's etwa bei ſo trag'ſchen Fehlgeburten machen muß?

Zweite Hebamme.

Jener, heißt's, iſt im Begriffe nach Sibirien zu gehn.

Erſte Hebamme.

Will die Fledermaus am Ende blos vielleicht Gevatter ſtehn?

Jokaſte.

Wehe mir, es naht die Stunde, meiner Laſt zu werden quitt,21 Wie's der Dichter nennt, der neulich uͤber unſre Bretter ſchritt! Immer war ich hold den Dichtern und der holden Dichterei, Und ſo faͤllt ihr guter Styl noch auf dem Wochenbett mir bei; Aber ruft den Koͤnig jetzo!

Erſte Hebamme.

Wohl! Ich eile ſchnell hinaus.

Zweite Hebamme.

Wendet ab dieß Omen, Goͤtter! Wendet ab die Fledermaus!

Pallaſt in Corinth.
Zelinde, Diagoras.
Diagoras.

Dreißig Jahre ſind vergangen und ich hab 'umſonſt gefleht, Taͤglich, ob der Wind aus Weſten, ob der Wind aus Oſten weht, Lag ich hier zu deinen Fuͤßen, bat, beſchwor dich, ſeufzte tief, Ach, und geſtern ſchrieb ich meinen millionten Liebesbrief! Beide ſind wir alt geworden, fuͤnfzig ich und ſechszig du: Wann denn endlich wirfſt du mir den erſten Blick der Liebe zu?

Zelinde.

Nie, Diagoras! Doch beſſer duͤnkt mich ein platon'ſcher Sinn, Als der Sinn des Ehebrechers und der Ehebrecherin.

Diagoras.

Ich bewundre deine Tugend; doch bedenke, dein Gemahl Iſt ein Wuͤthrich, und du nahmſt ihn nicht einmal aus freier Wahl.

Zelinde.

Was er uͤber mich verhaͤnget, bin zu dulden ich bereit; Doch er tadelt nichts an mir, als meine Kinderloſigkeit.

Diagoras.

Haͤtteſt du Gehoͤr mir fruͤher eingeraͤumt, vielleicht

22
Zelinde.

O ſtill! Unterdruͤcke den Gedanken, den die Lippe bilden will!

Diagoras.

Jetzt ſogar, o laß mich ſprechen, da wir ohne Zeugen ſind!

Zelinde.

Nur auf legitime Weiſe wuͤnſch 'ich mir ein kleines Kind.

Diagoras.

Laͤnger dieſe Qual zu tragen, fehlen mir Geduld und Kraft.

Zelinde.

O bedenke, dreißig Jahre warſt du fromm und tugendhaft! Willſt du nun den Preis verlieren, den du dir mit Muͤh 'errangſt, Bitter wirſt du's dann bereuen in der letzten Todesangſt.

Diagoras.

Meinem Tode bin ich naͤher, als du glaubſt, o hartes Weib!

Zelinde.

Fuͤr gewiſſenhafte Seelen iſt der Tod ein Zeitvertreib.

Diagoras.

Doch der Selbſtmord, ſprich, Zelinde! daͤucht er dich moraliſch gut? Denn ich will in's Waſſer ſpringen, um zu loͤſchen meine Glut.

Zelinde.

Gottes Langmuth goͤnnt dem armen Suͤnder oft zur Reue Zeit: Moͤg 'er ſenden einen Haifiſch, der dich ſchnappt und wieder ſpeit!

Diagoras.

Nach der Apotheke lauf 'ich, und vergebe mich mit Gift.

23
Zelinde.

Arzene[i] 'n zu kaufen, Lieber, braucht's des Arztes Unterſchrift.

Diagoras.

Einen Holzſtoß bau 'ich, wie der Phoͤnix ſein entflammtes Neſt.

Zelinde.

Und wie Dejanira ſchick 'ich dir ein Kleid; doch von Asbeſt.

Diagoras.

Nun, ſo wird das Schwert mir halten irgend ein geduld'ger Chriſt.

Zelinde.

Leichter iſt, es vorzuhalten, als hineinzurennen iſt.

Diagoras.

Sey es, doch mich auszuhungern, fehlt Entſchluß und Muth mir nicht.

Zelinde.

Morgen lad 'ich dich zur Tafel; denn es giebt dein Leibgericht.

Diagoras.

Phlegma ſcheint mir deine Tugend!

Zelinde.

Hitze ſcheint mir dein Vergehn!

Diagoras.

Wann denn endlich darf ich hoffen?

Zelinde.

Wann die Todten auferſtehn!

Diagoras.

Nun, ſo laß mich ſterben! Lebe wohl und deinem Gatten treu! Eher als dein Herz entzuͤndet ſich ein Schober naſſes Heu! Dorten will ich ſterben, wo ich dich zum erſtenmal geſehn, Wo die gruͤnen Baͤume rauſchen, wo die leiſen Luͤfte wehn,24 Auf Cithaͤrons hohem Gipfel, wo mit jugendlichem Sinn Birſchend einſt im Wald du ſchweifteſt, aufgeſchuͤrzte Jaͤgerin! Fruͤhling war's, die Myrten bluͤhten, voll und rauſchend ging der Bach, Rings erklang der Schafe Bloͤken und der Nachtigallen Ach. Unter einer Pinie lagſt du, deinen Koͤcher unter'm Kopf, Dir zur Seite, ſammt den Hunden, ein erſchoſſ'ner Wiedehopf; Schlummernd hielt ich dich fuͤr eine Goͤttin, und ich wagte nicht Dich zu wecken; aber lange ſah ich dir in's Angeſicht: Eine Muͤcke fing ich endlich, und ich ſetzte dieſes Thier Auf die Naſenſpitze keck dir, auf die rothe Stelle hier. Du erwachteſt, zuͤrnend aber; ſtammelnd rief ich: O verzeih! Greifend an die Stirn nach einem ſchon gehofften Hirſchgeweih; Doch du laͤchelteſt und ſagteſt: Nicht Diana bin ich, nein! Aber keuſcher, und auf Latmos gab ich nie ein Stelldichein. Willſt du mich platoniſch lieben, magſt du folgen deinem Drang: Fluͤchtig iſt gemeine Liebe, fluͤchtig wie der Wolke Gang: Dieſe ſchwebt ihr ganzes Leben, roſig heute, morgen grau, Ohne Heimath auf und nieder und zerfließt in Thraͤnenthau. Alſo ſprachſt du, jede Sylbe merkt 'ich mir und jeden Blick, Und an jenes Baumes Aeſte knuͤpf' ich heute noch den Strick.

Zelinde.

Wie du willſt!

Diagoras.

Grauſame! Deine letzten Worte waͤren das?

Zelinde.

Ja.

Diagoras.

So lebe wohl, Zelinde!

25
Zelinde.

Lebe wohl, Diagoras!

(Diagoras ab.)
Zelinde.

Dieſer dauert mich, doch ihn zu retten fiele mir zu ſchwer: Eh 'ich meine Tugend laſſe, laſſ' ich ſterben ſechs wie er!

Pallaſt in Theben.
Jokaſte, Lajus, die Hebammen, Oedipus in der Wiege.
Jokaſte.

O mein Gemahl, verlange nicht das neugeborne Kind zu ſehn!

Lajus.

Warum denn nicht, o Koͤnigin? Warum denn nicht? Was iſt geſchehn?

Jokaſte.

Vernimm! Allein es ſchaudert mir! Hebammen, ſprecht und ſagt es aus!

Erſte Hebamme.

O Majeſtaͤt!

Zweite Hebamme.

Die Koͤnigin

Erſte Hebamme.

Erſchrack vor einer Fledermaus,

Zweite Hebamme.

Die frevelhaft verwirrend ſich in ihres Haupts Friſur geſetzt.

Lajus.

Sie that doch nichts Unrechtes dort?

26
Zweite Hebamme.

Das eben nicht; doch eben jetzt, Als unſer Prinz geboren ward, da zeigte ſich auf ſeiner Bruſt Die Fledermaus als Muttermal, ſonſt iſt geſund er und robuſt.

Lajus.

Das iſt noch nicht ſo ſchauderhaft! Regieren kann er immerhin, Wofern er nur zwo Faͤuſte hat, das Zepter feſtzuhalten drin; Denn jetzo will's gehalten ſein! Auf einem Spieltiſch neulich blieb Das meine liegen aus Verſehn, indem ich juſt Geſetze ſchrieb: Die bloͤde Stubenmagd erſcheint, ſie haͤlt's fuͤr einen bloßen Pflock, Setzt einen Kopf von Holz darauf, und braucht's als ihren Haubenſtock.

Die Vorigen, Tireſias.
Tireſias.

O fuͤrchterliche Neuigkeit!

Lajus.

Was giebt's?

Tireſias.

O ſchreckenvolles Wort, Wie ſprech 'ich dich?

Jokaſte.

So rede doch!

27
Tireſias.

Ich ſtellte kaum dem Prinzen dort Das Horoſkop, ſo fand ich

Jokaſte.

Was?

Tireſias.

Er wird

Lajus.

Er wird?

Tireſias.

Es iſt zu viel!

Lajus.

Doch nicht im Whiſt verlieren einſt?

Tireſias.

O waͤr 'es blos ein Kartenſpiel!

Jokaſte.

Doch keinen Kern verſchlucken, wenn er Kirſchen ißt?

Tireſias.

O Kinderei'n! Den Vater wird er toͤdten einſt, und uͤberdieß die Mutter frei'n.

Jokaſte.

Hebammen, helft der Koͤnigin!

Lajus.

Und ſolch ein Weh, wie wird's erſpart?

Tireſias.

[Ihn] aus dem Wege raͤume ſchnell!

Jokaſte.

Nur keine ſchlechte Todesart!

Tireſias.

In einem Moͤrſer allenfalls zerſtoßen ihn?

28
Jokaſte.

Im Moͤrſer? Nein! Die Koͤchin ſtieße Krebſe drin ein andermal. Das iſt gemein!

Tireſias.

In ein Kanoͤnchen laden ihn?

Jokaſte.

Das Schießen greift die Nerven an.

Tireſias.

Vorwerfen einem wilden Thier?

Lajus.

So ſei's, und werde ſchnell gethan! Denn ſicher ſind wir beide nicht, ſo lang 'er lebt. He! Melchior!

Die Vorigen, Melchior.
Melchior.

Geſtrenger Herr!

Lajus.

Den Prinzen nimm, und wirf ihn wilden Thieren vor!

Melchior.

Zu ſcherzen liebt die Majeſtaͤt!

Lajus.

O keineswegs!

Melchior.

Das wilde Thier, Wo faͤnd 'ich das? Denn heut zu Tag ſind alle zahm und voll Manier.

29
Lajus.

Zum Berg Cithaͤron trage du das Kind; in jenen Waͤldern ward Noch neulich mancher Leu geſehn und mancher bunte Leopard.

Melchior.

Doch wenn ein ſolcher fertig mit dem Prinzen iſt, ſo frißt er mich.

Lajus.

Hat nichts zu ſagen!

Jokaſte.

Melchior! Er fuͤrchtet vor dem Tode ſich?

Melchior.

Das eben nicht.

Lajus.

Schnell! Fort mit ihm!

Jokaſte.

Doch wickl 'Er ihn ſorgfaͤltig ein, Der Knabe kriegt den Schnupfen ſonſt.

Melchior.

Ganz wohl! Du armes Wuͤrmelein!

(Ab mit Oedipus.)
Jokaſte.

Mich dauert nur der Geldbetrag an Kinderzeug und an Papier: Im Volk verſteigern koͤnnte man die paͤdagog'ſchen Schriften hier.

Lajus.

Die Buͤcher nicht! Mein Unterthan ſoll pfluͤgen, zahlen, und zugleich In Devotion vor mir vergehn, dadurch allein beſteht ein Reich!

(Ab.)
30
Berg Cithaͤron.
Diagoras
(allein).

Dieß iſt die Stelle, wo mit bitterm Schafte Der Gott der Liebe mir die Bruſt zertheilet, Wo ich geſehn die ſchoͤne Tugendhafte, Die mich ſo ſchnell verletzt und nie geheilet; Denn ſolche Wunden trotzen jedem Tafte! Mit ihrer Saͤge hat die Zeit gefeilet In meine Stirn indeſſen manche Linie, Ja, faſt verknorpelt deinen Stamm, o Pinie!

Hier moͤgen gluͤckliche Verliebte ſchweifen, Den Schmerz genießen und die Freude klagen; Hier mag ein Hirt der Hirtin Lieder pfeifen, Und einen Kuß nach jedem Liede wagen; Hier mag ein Faun nach einer Nymphe greifen, Wo Buͤſche laubenhaft zuſammenſchlagen: Mich moͤgen Schaͤfer hier im Moos begraben, Und uͤber mich die ſanfte Heerde traben.

Doch eh 'den Hals ich mit dem Seil umzwirne, Will hier ich noch einmal des Schlafs genießen, Er lehre mich und meine muͤde Stirne, Wie leicht es iſt, die Augen zuzuſchließen: Die Welt vergeht im menſchlichen Gehirne, Der Elemente Bildungen zerfließen, Die Seele ſieht, wie Sonn' und Mond erbleichen, Und hoͤrt den Tod, wie auf den Zehen ſchleichen.

(Er ſchlaͤft ein.)
31
Diagoras, Melchior mit Oedipus.
Melchior.

Du armes Kind! Auf dieſem gruͤnen Platze Bluͤht weiches Moos, hier will ich hin dich legen; Nie moͤge hier die wilde Tigerkatze Auffahrend ſchnauben ihrem Fang entgegen, Nie hier der Loͤwe ſtrecken ſeine Tatze, Und nie die Natter ſich im Kreis bewegen: Nein, eine Ziege, wie den Gott der Blitze, Mag ſaͤugen dich und reichen dir die Zitze!

Feſtbinden will ich dich an dieſen Zweigen, Und wenn du ſollſt dein bittres Loos bezwingen, So werden Nymphen hier dem Bach entſteigen, Dir im Kryſtallglas einen Trunk zu bringen, Und Oreaden ihren wilden Reigen Bei Mondenſchein in deiner Naͤhe ſchlingen, Dich rufen hoͤren, finden dich und laben Mit ſuͤßen Fruͤchten oder Honigwaben!

Was aber ſuch 'ich lange nach Daͤmonen, Die ohne Mitleid in des Meeres Gruͤnden, Auf unerſteiglichen Gebuͤrgen thronen, In Stroͤmen baden, welche nie ſich muͤnden? Hier ſchlaͤft ein Menſch: Was keine Goͤtter ſchonen, Er ſchont's vielleicht zu Ehren ſeiner Suͤnden; Ihm uͤberlaſſ' ich fliehend dich, o Kleiner, Er finde, rette dich, und pflege deiner!

(Er entfernt ſich, Oedipus faͤngt an zu ſchreien.)
32
Diagoras.

Was fuͤr ein Ton? Was ſehen meine Blicke? Ein kleines Kind, das an der Pinie hanget, Beſtaͤndig ſchreit und zappelnd ſchwebt am Stricke, Ja, wie es ſcheint, nach einer Bruſt verlanget? Habt ewig Dank, ihr himmliſchen Geſchicke! Ihr Arme, ſchließt euch, daß ihr's feſt umfanget! O welch Geſchenk, o welch ein Angebinde Fuͤr deine kinderloſe Bruſt, Zelinde!

(Ab mit Oedipus.)
Pallaſt in Corinth.
Zelinde
(allein).

Heute braucht mein Gatte lange, bis er ſich zu Tiſch begiebt: Dreißig Jahre ſind es, ſeit er jeden Tag mich minder liebt; Taͤglich kommt zu Tiſch er ſpaͤter: Als wir Hochzeit kaum gemacht, Aßen wir um elf des Morgens, jetzt um elf Uhr in der Nacht!

Zelinde, Diagoras.
Zelinde.

Wie? Du kommſt zuruͤck, nachdem ich dich bejammert als erhenkt?

Diagoras.

Iſt das Leben dir zuwider, das ein Gott mir neu geſchenkt?

Zelinde.
33
Zelinde.

Deine Drohung, dieſes wußt 'ich, war geſprochen in den Wind.

Diagoras.

Und ein zweites Leben bring 'ich dir zuruͤck, ein kleines Kind.

Zelinde.

Wie? Ein Kind? Was ſeh 'ich! Sage, wie du's uͤberkommen haſt?

Diagoras.

Auf dem Berg Cithaͤron, an der Pinie hing die ſuͤße Laſt.

Zelinde.

Welches Wunder! Iſt des Kindes Name dir vielleicht bekannt?

Diagoras.

Da ich fand es in der Oede, hab 'ich's Oedipus genannt.

Zelinde.

Schenkſt du mir's, ſo leg 'ich's meinem Gatten als mein eignes vor.

Diagoras.

Gern, doch zeige mir von nun an einen leidlichern Humor!

Zelinde.

Wie? So haſt du mir den Saͤugling blos aus Eigennutz gebracht?

Diagoras.

Zuͤrnſt du, wenn ich ſtets an dich nur, immer nur an dich gedacht?

v. Platen, der romant. Oedipus. 334
Zelinde.

Dein Gemuͤth durchſchau 'ich endlich, welches, dieß erkenn' ich klar, Nie das Rauchgefaͤß der wahren, uͤberird'ſchen Liebe war, Das von reiner Hand geſchwungen nach des reinen Himmels Dom, Dampft vom Wohlgeruch der Seele, wie von Myrrhen und Amom!

Diagoras.

Gern in ſolche Hoͤhen haͤtt 'ich meine Phantaſie geſchraubt, Die ſich wider meinen Willen andre Phantaſien erlaubt: Statt des Himmels Dom erblick' ich deines Bettes Himmel blos, Und am Vorhang zieh 'ich, knuͤpfe ſeine goldnen Schnuͤre los.

Zelinde.

Hoͤr 'ich recht? O welche Sitten! Welch ein Abſcheu! Welche Peſt! Deine Kuͤhnheit toͤdtet meiner kuͤhlen Liebe ſchwachen Reſt! Dieſes Kind, das du ſo eben in die Haͤnde mir geſpielt, Haſt du ſicherlich mit einer Concubine ſelbſt erzielt: Waͤhrend ich platoniſch klagte, biſt du heimlich mir entſchluͤpft, Haſt Gardinen aufgezogen, goldne Quaſten aufgeknuͤpft; Mich begabſt du mit dem Bankert, den du in die Welt geſetzt, Machſt mich glauben, auf den Pinien wuͤchſen kleine Kinder jetzt? Doch das Kind behalten will ich, und damit es nicht verrucht Wie der Vater werde, will ich's auferziehn in ſtrenger Zucht; Aber du entweiche, fliehe dieß Gemach in raſchem Lauf, Eine lange Probe leg' ich, o[Diagoras], dir auf! Dreißig Jahre ſollſt du, meine Blicke meidend, irre gehn,35 Kehren dann nach dreißig Jahren, eine Probe dann beſtehn, Da bisher du nichts als Taͤuſchung, nichts als Hochverrath erſannſt, Ob du mich platoniſch lieben, und aus Liebe ſterben kannſt.

Diagoras.

Ueberzeugen dich, ich koͤnne ſterben, will ich alſobald, Fliehen nach der Loͤwenhoͤhle, fliehen zum Hyaͤnenwald, Oder fliehn an's Meeresufer, wo ein lecker Nachen winkt, Ihn beſteigend, will ich ſchiffen, bis er berſtend unterſinkt!

(Ab.)
Zelinde.

Drohe nur! Nach dreißig Jahren ſeh 'ich dich geſund und friſch Hier am Hofe wieder; doch da kommt ja mein Gemahl zu Tiſch.

Polybus, Zelinde.
Zelinde.

O mein Gemahl! Gedenke nicht der Nahrung, Und freue jetzt dich einer ſuͤßern Gabe, Die ich nach mancher ehlichen Erfahrung, Wie eine Sara, dir zu bieten habe: In dieſer Windeln ſtiller Aufbewahrung Schlaͤft, was du lange dir erſehnt, ein Knabe: Sieh dieſes Kind, ich hab 'es dir geboren, Und ihm den Namen Oedipus erkoren.

Polybus.

Warum verbargſt du dieſen großen Segen, Anſtatt die Schwangerſchaft mir mitzutheilen?

3*36
Zelinde.

Ich that's, o Freund, des Ueberraſchens wegen.

Polybus.

Nie pflegt 'ich ja dein Lager mehr zu theilen.

Zelinde.

Auch dieſer Vorwurf macht mich nicht verlegen.

Polybus.

Beſuchte dich Diagoras zuweilen?

Zelinde.

Zuweilen zehenmal des Tags; doch eben Hab 'ich verbannt ihn auf ein Menſchenleben.

Polybus.

Du weißt, ich mache ſelten viele Worte, Doch durch Exempel lernt man oft das Meiſte: Es war einmal an einem ſichern Orte Ein junger Kaufmann, welcher ſich verreiſ'te, Und als er wiederum an ſeine Pforte Nach Jahren klopft mit allzufrohem Geiſte, Kommt ſeine Frau entgegen ihm und bringet Ein jaͤhrig Kind ihm, welches ihn umſchlinget.

Wo kommt das Kind her, fragt der Gatte trocken, Da ich ſo lang geweſen in der Weite? Das Weib erwiedert ohne nur zu ſtocken: Ich lag am Fenſter, als es eben ſchneite, Da flogen, Schatz, mir in den Mund die Flocken, Wodurch ich augenblicks gewann an Breite, Bis dieſes Kind zuletzt zur Welt ich brachte, Und meines lieben Ehgemahls gedachte.

37

Dieß<A>lles glaubt der Mann, ſo ſcheint es, gerne; Doch als das Knaͤbchen leſen kann und ſchreiben, Da nimmt er's mit ſich in die weite Ferne, Auf daß es zeitig ſich herumzutreiben, Und auch die Kaufmannſchaft zugleich erlerne, Wiewohl die Gattin ihn erſucht zu bleiben; Doch ging und endlich kam zuruͤck der Gatte, Der keinen Sohn an ſeiner Seite hatte.

Wo iſt das Kind hin, fragt das Weib erſchrocken, Das ich ſo ſehr dich flehte, wohl zu wahren? Der Mann erwiedert ohne nur zu ſtocken: Es iſt mir ganz was Eignes widerfahren Mit dieſem wunderbaren Sohn der Flocken; Denn als wir uͤber einen Berg gefahren, Den juſt der Sonnenſtrahl beſchien, der warme, Schmolz mir das Kind in meinem Vaterarme!

Zelinde.

Du ſpotteſt mein, ſtatt eine Frau zu preiſen, Die weit erhaben uͤber jedem Lobe!

Polybus.

Kannſt du die Unſchuld nicht ſogleich beweiſen, So mord 'ich dich in deiner Garderobe!

Zelinde.

Kehrt einſt Diagoras von ſeinen Reiſen, Dann will ich geben dir die hoͤchſte Probe!

Polybus.

So lange magſt du zittern vor der Strafe!

Zelinde.

In meine Tugend huͤll 'ich mich und ſchlafe!

(Ab.)
38
Polybus.

Diagoras! Ich werd 'es nicht vergeſſen, Und wenn Zelinde ſchlafen will, ich wache, Und ſollten fliehn auch dreißig Oſtermeſſen, Bevor du wiederkehrſt zu meinem Dache! Anlegen aber will ich ſelbſt indeſſen Den Schacht, aus dem ich meine ſuͤße Rache, Den Gran Arſenik denke noch zu foͤrdern, Der einſt mich beigeſellen ſoll den Moͤrdern!

[39]

Dritter Akt.

Pallaſt in Theben.
Lajus, Jokaſte.
Lajus.

Ja, nach Delphi will ich reiſen, theures Weib, mit Melchior, Und ich lege dann der Pythia meinen Traum von heute vor: Krank in einem Schiffe ſaß ich, durch den Schwung der Welle krank, Die ſich bald erhob zu Bergen, bald in tiefe Thaͤler ſank. Endlich wollt 'ich mich erbrechen, und ich oͤffne ſchon den Mund, Sieh, da flattert eine große Fledermaus mir aus dem Schlund, Dieſe ſetzt ſich auf die Bruſt mir, frißt mir Leber weg und Milz, Nur anſtatt des Herzens fand ſie nichts als einen rothen Pilz.

Jokaſte.

Blos Erinnerungen ſind es von dem Schickſal jener Nacht, Als ich unſern Sohn vor zwanzig Jahren einſt zur Welt gebracht: Wollten wir an Traͤume glauben, welch ein Ende naͤhme das?

Lajus.

Mir den Tod von Sohnes Haͤnden kuͤndete Tireſias.

Jokaſte.

Jenen hat ein Leu Cithaͤrons zwanzig Jahre lang verdaut.

40
Lajus.

Ach, und wuͤßteſt du, was in der Unterwelt ich dann geſchaut, Als ich todt hinabgeſtiegen! Schon in Charons Nachen ſtand Faſt ein ganzes Volk, vernichtet, ohne Herd und Vaterland, Das gebracht die letzten Opfer, ſeinem Koͤnige zulieb, Der's zum Dank dann ſtrich mit Ruthen, ja mit Skorpionen hieb! Mehr gekroͤnte Gimpel ſah ich, als es Grillen giebt im Gras, Einen Vatermoͤrder endlich, welcher fromm im Kempis las; Aber nur mit Einem Auge, denn das andre ſchielte dreiſt Nach verbuhlten Frau'n, es blieb ihm keins fuͤr ſeines Vaters Geiſt, Der mit offnen Augen hinter ſeinem Seſſel ſchnarchend ſchlief; Aber ich erwachte ſchaudernd, waͤhrend ich um Huͤlfe rief.

Jokaſte.

Laß die Nachtgeſpenſter, freue dich des Tags!

Lajus.

Ich eile fort, Hole mir von Delphi's Dreifuß irgend ein Orakelwort.

(Ab.)
Jokaſte.

Kann ich doch indeß mit meinen beiden Saͤngern mich erfreu'n, Ein'ge Leſefruͤchte ſammeln, einige Gedichte ſtreu'n! Ach, da las ich juſt im Houwald eine Stelle, welche nie Wieder aus dem Kopfe geht mir, oder aus der Phantaſie; Denn in einem Trauerſpiele tritt (die Feinde heißt das Stuͤck) Eine Fuͤrſtin auf um Mitternacht und wuͤnſcht den Tag zuruͤck, Und ſie ſagt, dieß auszudruͤcken, wie's nur ein Genie vermag: Daß ich waͤre deine Mutter, um zu wecken dich, o Tag! Welch ein kuͤhnes Bild, wie wuͤrdig eines Weſens auf dem Thron! 41Welch ein zarter Wunſch von dieſer koͤniglichen Weibsperſon! Jene waͤre gern des Tages Mutter, fragte mich genau Was ich gerne waͤre, Houwald, wuͤrd 'ich ſagen: Deine Frau!

(Ab.)
> Pallaſt in Corinth.
Zelinde
(allein).

Wie oft entſtieg bereits der Badewanne Des Meers Apoll und tauchte neu ſich nieder, Und immer lebt Diagoras im Banne, Wiewohl ich wuͤnſchte faſt, er kehrte wieder, Damit ich zeigte meinem boͤſen Manne, Welch einen Buſen mir bedeckt das Mieder, Getreu und fleckenlos nach achtzig Lenzen, Und immer voll moraliſcher Sentenzen!

Ein keckes Wagſtuͤck komme mir zu Statten, Und offenbare meiner Tugend Zauber, Da jener Buhler, der ſie ſtellt in Schatten, Mich taͤglich ſproͤder fand und taͤglich tauber: Bald ſiehſt du jeglichen Verdacht ermatten, O Polybus, und ſiehſt mich rein und ſauber, Wie wenig auch fuͤr deine Frau du gluͤheſt, Und blos um's Bergbauweſen dich bemuͤheſt!

Zelinde. Oedipus.
Oedipus.

Dich um was zu fragen, Mutter, kam ich; doch es faͤllt mir ſchwer.

42
Zelinde.

Immer laufſt du doch mit deinen Freunden in der Stadt umher! Bei Bankett und Tanz und Ballſpiel, Stiergefecht, Turnier und Streit Biſt du Tag und Nacht beſchaͤftigt, und verlierſt die ſchoͤne Zeit.

Oedipus.

Um die Zeit, o liebe Mutter, iſt es ein beſondres Gut, Der verliert ſie nie, der immer, was gebeut die Stunde, thut: Blos die lange Weile nenn 'ich Zeitverluſt, und dieſe kaum, Denn ſie lehrt, wie lang das Leben, das uns duͤnkt ein kurzer Traum.

Zelinde.

Was begehrſt du?

Oedipus.

Bei dem Ringſpiel gab es Widerſpruch und Zank, Und es ſchalt mich Einer Baſtard, der vor mir zu Boden ſank: Dieſes Wort hat augenblicklich meinen ganzen Muth gebeugt, Und ich bitte, mir zu ſagen, ob ich ehlich bin erzeugt?

Zelinde.

Welche Frage! Welche Sitten! Faͤllt man mit der Thuͤr in's Haus?

Oedipus.

Bin ich, oder bin ich nicht es?

Zelinde.

Fragt man denn ſo rund heraus?

Oedipus.

Wie ein Pfeil nach ſeinem Ziele fliegt des braven Mannes Wort.

43
Zelinde.

Wenn du ſo verfaͤhrſt, ſo ſcheuchſt du naͤchſtens alle Menſchen fort.

(Ab.)
Oedipus.

Will es Dieſe nicht entdecken, frag 'ich bei'm Orakel an, Denn die Wahrheit hat von jeher blos den Schurken weh - gethan.

(Ab.)
Platz vor dem Tempel in Delphi.
Die Pythia
(allein.)

Dem Gotte klag 'ich, der mich haͤlt gebunden An dieſen Dreifuß, meine Leiden alle, Und zeig' ihm alle meine Seelenwunden:

Zwar iſt ſie herrlich, dieſe Tempelhalle, Die Saͤulen ſchlank, das Thor in Erz gegoſſen, Und auf dem Dache ſelbſt ergluͤhn Metalle;

Doch hab 'ich Gluͤck und Freude hier genoſſen? Hat je gedankt mir ein beredter Frager, Dem ich der Zukunft Himmel aufgeſchloſſen?

Da grau vor Alter ich und bleich und hager, Wie koͤnnt 'ich koſten je das Blut der Rebe? Wie koͤnnt' ich ruhn auf einem weichen Lager?

Die Roſen bilden uͤberall Gewebe, Und Liebe ſchlaͤft an jedes Baches Borden, Ich aber kenne nur den Gott und bebe!

Da ſilberweiß mir jedes Haar geworden, Was frommt's, wenn mein Orakelſpruch erklinget Unwiderſtehlich wie ein Sturm im Norden?

44

Mit keiner Blumenkette mehr umſchlinget Die Erde mich, und mancher Thor verlachte Mich als Betruͤg'rin, welche Maͤhrchen ſinget:

O ſchnoͤder Poͤbel, den ich ganz verachte, Der gern mir moͤchte jedes Wort verpoͤnen, Als ob er koͤnnte denken, was ich dachte!

Er laͤßt ein bloßes Rabenlied ertoͤnen; Doch wenn ich oͤffne meine blaſſen Lippen, So iſt's, als oͤffne ſich der Quell des Schoͤnen!

Den Schiffer warn 'ich vor des Lebens Klippen, Doch laͤßt er ſich vom Wellentanz ergoͤtzen, Bis er zu Grunde geht an Felſenrippen.

Was ſing 'ich Wahrheit dieſem Volk von Kloͤtzen, Das kaum ertragen kann ein Bischen Luͤge, Denn ſelbſt die Goͤtter ſind ihm nichts als Goͤtzen!

Ich winde Kraͤnze blos um Aſchenkruͤge.

(Ab in den Tempel.)
Oedipus, ſpaͤterhin Lajus und Melchior.
Oedipus.

Heil'ge Staͤtte, wo zu ſchwachem, ſterblich eingeſchraͤnktem Sinn Unerſchaffne Weſen reden durch den Mund der Prieſterin! Dich begruͤß 'ich, deiner Schatten, deiner Lorbeerbuͤſche Nacht, Deine Gipfel, deine Quellen, deines Tempels alte Pracht! Lehre mich mein eignes Weſen kennen, lehre mich verſtehn, Wer ich bin, woher ich komme, und wohin ich werde gehn!

(Ab in den Tempel.)
45
Lajus. Melchior.
Lajus.

Ueberall zu wenig Ehrfurcht zeigt man mir und Devotion.

Melchior.

Welchem Steiße laͤßt ſich anſehn, daß er ſaß auf einem Thron? Wenn die Leute wiſſen koͤnnten, daß du, Herr, der Koͤnig biſt, Wuͤrden mehr Reſpekt ſie zeigen, als bisher geſchehen iſt.

Oedipus
(zuruͤckkehrend).

Kurz und dunkel war das Wort der Pythia, das ich kaum verſtand: Meide ſtets, ſo ſprach ſie, meide, meide ſtets dein Vaterland! Nun, ſo will ich nach Boͤotien, wenn man mich Corinths beraubt: Nach Corinth zu gehn, nicht Jedem, ſagt das Spruͤchwort, iſt's erlaubt.

Lajus.

Aus dem Wege mir.

Oedipus.

Warum denn?

Lajus.

Aus dem Wege, Vagabund! Oder mit dem Zepter ſchlag 'ich dir die Naſenſpitze wund.

Oedipus.

Was verlangſt du?

Lajus.

Mehr Reſpekt, Menſch!

Oedipus.

Mehr Reſpekt vor deinem Bart Allenfalls, doch keineswegs Reſpekt vor deiner Lebensart!

46
Lajus.

Aus dem Wege, Wurm! Ich ſchlage dir die Kniee ſonſt entzwei!

Oedipus.

Ich zerbreche dir den Schaͤdel, wie ein hartgeſottnes Ei!

(Er erſchlaͤgt ihn und entflieht.)
Melchior.

Wehe, weh mir! Wie nach Theben bring 'ich nun ein ſolches Wort? Ahnung alſo war es, was ich geſtern Abend hoͤrte dort? Denn Jokaſtens Harfe krachte, maͤchtig erſt und dann gelind; Doch ich dachte blos, es waͤre neben ihr der Dichter Kind!

(Ab mit dem Leichnam.)
Pallaſt in Theben.
Jokaſte mit ihren Hofdichtern, Kind und Kindeskind.
Jokaſte.

Was giebt's im literaͤr'ſchen Fach fuͤr Neuigkeiten, Freunde, jetzt?

Kindeskind.

Ein Epigramm auf unſern Kind.

Jokaſte.

Auf unſern Kind? In Schrecken ſetzt Mich ſolch ein Wort! Wer wagt zu ſchmaͤhn den beſten Saͤnger dieſer Flur?

Kind.

Auch ſagt das Sinngedichtchen nichts, als daß ich klein ſei von Statur,47 Und fordert mich zum Wachſen auf! Das nenn 'ich einen leichten Witz!

Kindeskind.

Auch ſchreibt das Ganze noch ſich her von unſerm Dresdner Muſenſitz, Und einem Anekdoͤtchen, das man vorgeſucht aus altem Kram.

Kind.

Als naͤmlich einſt Napoleon auf ſeiner Flucht durch Dresden kam Von Moskwa, ließ er bitten mich, damit er foͤrdre ſeinen Zug, Die Siebenmeilenſtiefel ihm zu borgen, die das Daͤumchen trug.

Jokaſte.

Das iſt fuͤr Sie nur ehrenvoll, und jener Spoͤtter war zu dreiſt.

Kind.

Und wenn ich kurz bin von Statur, ſo bin ich doch ein langer Geiſt!

Jokaſte.

Das iſt gewiß, und Jeder fuͤhlt's, der Ihre Poeſien vernimmt.

Kindeskind.

Sie ſind ein waſſerreicher Strom, den Keiner bis an's Ende ſchwimmt!

Jokaſte.

Verachten wir die Spoͤtterei'n, und bilden, wie wir taͤglich thun, Den akadem'ſchen Minnehof, und ſtellen eine Frage nun, Von euch eroͤrtert und gloſſirt.

48
Kindeskind.

Das Thema geb 'uns deine Gunſt, Wir ſchmuͤcken dann es reichlich aus mit jedem holden Schmuck der Kunſt.

Jokaſte.

So ſtell 'ich euch die Frage denn, ob ein verliebter Dichter mehr, Ob mehr ein unverliebter gilt bei'm literaͤriſchen Verkehr?

Kind.

Mich duͤnkt, daß ein verliebter mehr vermag.

Kindeskind.

Ein unverliebter, mich.

Jokaſte.

Ein Thema, das man oft gloſſirt, ich geb 'es euch gefliſſentlich:

Suͤße Liebe denkt in Toͤnen, Denn Gedanken ſtehn zu ferne, Nur in Toͤnen mag ſie gerne Alles, was ſie will, verſchoͤnen.

Kind.

Soll das Herz ſich ganz ergießen, Stroͤmen laſſen alle Triebe, Muß es voll ſein und genießen; Aber was, ſo moͤcht 'ich ſchließen, Macht das Herz ſo voll wie Liebe? Tauſend Harmonien entkeimen Unſerm Buſen im Geheimen Durch die Gegenwart des Schoͤnen: Liebe ſpricht von ſelbſt in Reimen, Suͤße Liebe denkt in Toͤnen.

Kindes -
49
Kindeskind.

Liebe nimmt den Sinn gefangen, Schafft Verdruß und wirkt Verblendung: Wer im Buſen hegt Verlangen, Trachtet nur nach ſchoͤnen Wangen, Aber nicht nach Kunſtvollendung. Wem das Herz, von Liebeszwickeln Eingepreßt, Begierden prickeln, Dem erliſcht des Geiſts Laterne; Seufzer wird er blos entwickeln, Denn Gedanken ſtehn zu ferne!

Kind.

Nein! Die Liebe wird gerade Jeden Gegenſtand verklaͤren, Wird den Pfad der Huld und Gnade Wandeln, und auf dieſem Pfade Goͤttlichen Geſang gebaͤren! Kriechen mag ſie nicht am Boden, Nicht in ſteifen Perioden Mag ſie fliegen an die Sterne, Nur in Liedern, nur in Oden, Nur in Toͤnen mag ſie gerne!

Kindeskind.

Sei's der Liebe zugegeben, Daß ſie hoch den Liebſten feiert; Doch an ihm nur wird ſie kleben, Wird vergeſſen Welt und Leben, Waͤhrend ſie von Liebe leiert:v. Platen, der romant, Oedipus. 450Nein! Die freie Seele rette Sich von jeder Sinnenkette, Himmliſch wird ſie dann ertoͤnen, Wird mit Engeln um die Wette Alles, was ſie will, verſchoͤnen!

Die Vorigen, T<i>reſias.
Tireſias.

O Koͤnigin! Welch Misgeſchick brach uͤber unſre Stadt herein! Wie bin ich froh, zu finden dich im Kreiſe deiner Saͤngerlein! Sie moͤgen retten uns!

Jokaſte.

Was giebt's?

Kind.

Mit Waffen bin ich nicht vertraut.

Tireſias.

Nicht Waffen gilt's, nur einen Vers, der gut und richtig iſt gebaut. Es hat erzuͤrnt Apollo ſich von uns Thebanern abgekehrt, Weil wir den Goͤtzen Kotzebue ſtatt ſeiner hier im Land verehrt; Drum hat er uns die Sphinx geſchickt, ſo nennt ſie ſich, und iſt ein Weib Mit großen Fluͤgeln an der Bruſt, und einem langen Drachenleib. Sie ſagt, ſie waͤre Mauthnerin, und ſitzt auf einem Fels am Weg,51 Wo Jedermann voruͤber muß, weil nahe dran ein ſchmaler Steg; Und keck behauptet dieſe Sphinx, es haͤtte ſie geſandt Apoll, Ein fehlerloſes Diſtichon zu heiſchen hier als Straßenzoll. Wer nun ein fehlerhaftes bringt, den ſtuͤrzt ſie gleich hinab die Kluft, Und dieſe ward dem groͤßten Theil der Stadt bereits zur Todtengruft; Doch wird ein wahres Diſtichon ihr dargebracht, ſo will ſogleich Sie ſelbſt ſich ſtuͤrzen in den Schlund, und Friede kehrt in dieſes Reich.

Jokaſte.

Was giebt es Leichtres wohl als das? Ich ſchicke hier die beiden Kind.

Kind.

Jedoch bedenke, Koͤnigin, daß auch die Saͤnger Menſchen ſind, Und Irren menſchlich iſt! So hat ein Recenſent mich juͤngſt geputzt, Blos weil ich Holzklotzpflock einmal als einen Daktylus benutzt.

Jokaſte.

Dergleichen kommt ja taͤglich vor, ſeit man in Theben Verſe leimt, So las ich einen Dichter juͤngſt, der Loͤwe gar auf Schlaͤfe reimt!

Kindeskind.

Und freu'n auf Wein! Wir ſind noch nicht die Letzten, laß uns, Bruder, gehn,4*52Und ſinnend auf ein Diſtichon den Kampf mit dieſer Sphinx beſtehn!

(Beide ab.)
Die Vorigen, Melchior.
Melchior.

O Koͤnigin! Wie kuͤnd 'ich dir die Schreckenspoſt?

Jokaſte.

Welch neu Geſchick?

Melchior.

Erſchlagen ward dein Ehgemahl von einem jungen Galgenſtrick!

Jokaſte.

Wenn ſchon von hier und dort zugleich die Welle ſchlaͤgt in's lecke Both, Dann zeigt ſich Geiſtesgegenwart am hoͤchſten bei der hoͤchſten Noth! Zwar bin ich nur ein ſchwaches Weib; doch fuͤhl 'ich mich gefaßt im Schmerz, Und weiß zu ſorgen fuͤr das Volk, zu ſorgen fuͤr das eigne Herz! Durch einen Herold laſſe man trompeten durch das ganze Land: Derjen'ge, der die Sphinx erlegt, erhaͤlt Jokaſtens Kron' und Hand! So wird vom Zolle frei die Stadt, und da geſtorben ihr Tyrann,53 Verſchaff 'ich einen neuen ihr, und mir verſchaff' ich einen Mann; Und wenn mich auch, wie fruͤher ich geſchwaͤrmt, der Ehe ſuͤßes Joch Mit meinem Houwald nicht vereint, bekomm 'ich einen Dichter doch!

(Ab.)
Felſiger Weg mit einem Zollhaͤuschen.
Die Sphinx
(allein).

Ein traurig Loos beſtimmten mir die Moͤren: Ich muß verbannt, auf dieſem oͤden Berge, So lang ich lebe, ſchlechte Verſe hoͤren, Und dieß Geſchlecht beſtrafen dann als Scherge; Und zeigt ſich Einer, der mit Muſenchoͤren Vertrauter iſt, als dieſe Dichterzwerge, So muß ich ſelbſt in Charons Nachen ſteigen, Anſtatt dem ſuͤßen Klang das Ohr zu neigen.

Man nennt mich herb und allzuhart und ſproͤde, Doch geht's mit mir wie mit den andern Dingen: Wer leicht und frech mit mir verfaͤhrt und ſchnoͤde, Dem wird der Sieg zu keiner Zeit gelingen! Mich quaͤlen taͤglich Saͤnger und Tragoͤde, Doch Keiner konnte mich bis jetzt bezwingen: Unuͤberwindlich ward ich ſchon geſcholten Von Einem, welcher mir ſo viel gegolten!

54

Ihr Millionen oder Milliarden, Die ihr g<en>ippt aus Hippokrene's Lache, Verſorg<end>jaͤhrlich mit ſo viel Baſtarden Die Findelhaͤuſer aller Almanache: Ich bin die Sphinx, die Zoͤllnerin der Barden, Indem ich zinsbar eure Verſe mache; Zwar Verſe duͤnken euch bequeme Zoͤlle, Doch ſind ſie ſchlecht, ſo ſchick 'ich euch zur Hoͤlle!

(Eine Menge Dichter, worunter auch Kind und Kindeskind, gehn voruͤber. Jeder haͤlt eine Schreibtafel in der Hand, worauf ein Diſtichon geſchrieben ſteht. Die Sphinx liest die Diſticha, und wirft die Verfaſſer nach allen Seiten in den Abgrund. Zuletzt erſcheint Oedipus.)
Oedipus.

Biſt du das Ungethuͤm, von dem ſie ſagen, Du litteſt keine Verſe, welche hinken, Und ließeſt Alle, die dergleichen wagen, Den bittern Tod in dieſem Schlunde trinken, Und ſtuͤndeſt ab, das arme Land zu plagen, Wenn unter allen dieſen lauten Finken Nur Eine Nachtigall zu finden waͤre, Die ohne Fehl ein Diſtichon gebaͤre?

Die Sphinx.

Daß Jeder das, was er betreibt, verſtehe, Wag 'ich zu fodern und aus guten Gruͤnden: Zwar ſcheint ein ſchlechter Vers ein kleines Wehe, Und doch erzeugt er eine Menge Suͤnden; Denn allzuleicht nur wird in wilder Ehe Sich eine ſchlechte That mit ihm verbuͤnden: Wer durch ſich ſelbſt kann keinen Kranz erreichen, Der muß denſelben raͤnkevoll erſchleichen.

55
Oedipus.

Du ſcheinſt die Fodrung nicht zu hoch zu ſtellen; Doch wundert kaum es mich, erhabnes Weſen, Daß unter allen jenen Junggeſellen Fuͤr keinen Deut Geſchicklichkeit geweſen: Tragoͤdien hab 'ich oft von hundert Ellen, Doch nie ein richtig Diſtichon geleſen. Hier ſiehſt du eins auf dieſes Blatt geſchrieben, So nimm es hin und lies es nach Belieben!

Diſtichon
(in Transparent erſcheinend).

Moͤge die Welt durchſchweifen der herrliche Dulder Odyſſeus, Kehrt er zuruͤck, weh 'euch, wehe dem Freiergeſchlecht!

(Nachdem es die Sphinx geleſen, ſtuͤrzt ſie ſich in's Orcheſter hinunter und Oedipus verlaͤßt den Schauplatz.)
Die Sphinx
(an die Zuſchauer).

So ſprang ich denn zu euch herab, und kam ſo ziemlich gut davon; Doch wag 'ich nicht euch anzuflehn, zu zollen mir ein Diſtichon! Auch bitt' ich, habt Geduld mit mir! An Lebensart und an Coſtuͤm Gebricht es meiner Wenigkeit, ich bin ein heidniſch Ungethuͤm. Ich weiß, daß hier verboten iſt, ein bischen derb zu ſein und frei, Denn uͤberall, wo Menſchen ſind, verſteckt ihr eure Polizei! Ihr moͤchtet von der Henne Milch, ein Ei gewinnen von der Kuh, Und zwingt den Fuß des Herkules in euren ſchmalen Kinder - ſchuh: So that man nicht in Griechenland, woher ich komme! Jede Kraft56 Fand ihren Spielraum, keine gab dem Unvermoͤgen Rechen[ -] ſchaft! Gewaͤhren ließ man, was Natur aus dieſem Mann gemacht und dem, Und ehrte jeden großen Trieb in dieſem großen Weltſyſtem: Im Aeſchylus den hohen Trotz, den Dulderſinn im Sokrates, Die Weichlichkeit Anakreons, den Witz des Ariſtophanes; Da nahm der Taͤnzer ſeinen Kranz, der Fechter ſeiner Faͤuſte Preis, Dem Schoͤnen ward ein ſchoͤner Freund, dem Weiſen ward ein Schuͤlerkreis: Da wuchſen aͤchte Maͤnner auf, und Frauen groß, wie Sappho war, Holdſelig wie Aſpaſia, wie Diotima wunderbar! Drum koͤnnte lernen mancherlei, ſo ſcheint's, von ihnen mancher Chriſt, Die Tugend unter andern auch, die nicht der Guͤter letztes iſt! Doch weil ihr beſſer ſeid, ſo ruft die Beſten unter euch empor: Wohlan! Es zeige ſich Lykurg! Epaminondas trete vor! Ihr ſchweigt? Je nun, zum Lobe dient es euch, von Gott ſo reich begabt, Daß ihr in eurem frommen Klubb nicht einen einz'gen Heiden habt! Euch Schande bringen koͤnnte blos, ja ſelbſt dem Staate blos Ruin Ein einziger Timole<on>an einem Orte wie Berlin! Denn wißt, ich hege fuͤr Berlin im Herzen einen kleinen Groll: Viel edle Maͤnner walten dort; doch iſt der große Haufe toll,57 Dort, wo bewundert ward Fouqué und wer in deſſen Stapfen trat, Wo man den Raupel jetzt verehrt und ſein Tragoͤdienfabrikat (Deswegen, heißt es, ſoll er auch, wie ein Genie die Backen blaͤhn; Doch will er Philomele ſein, ſo muß er floͤten, ſtatt zu kraͤhn: Es iſt der Ruhm an manchem Ort ein gar zu leicht erworbner Schatz, Wo Alles nach den Sphaͤren lauſcht, wenn auf dem Schlote ſingt ein Spatz!) O ſtuͤnde doch im Lande Teuts ein Solon auf, und ſagte dreiſt: Nie ſchreibe mehr ein Trauerſpiel, wer ganz verſimpelt iſt an Geiſt! Und da's ſo viel Calvine giebt, durch ihre Strenge wohl - bekannt, So werde woͤchentlich ein Stoß Tragoͤdien oͤffentlich ver - brannt: Die Flamme ſchlage hoch empor, und maͤchtig lodernd ſchwaͤngre ſie Tholucks gelehrte Stubenluft mit einem Hauch von Poeſie, Verwandle vor dem truͤben Blick des ganz ascetiſchen Cumpans Die ew'gen Froͤſte von Berlin in einen Fruͤhling Kanaans! Doch merk 'ich, daß umſonſt ich nur, der Poetaſterei zu Trutz, Die Rechtsgelehrten angeregt, die Geiſtlichen gefleht um Schutz: Euch Aerzte ruf' ich endlich auf, da ſonſt mir keine Huͤlfe bleibt, Euch Aerzte, die ihr manchem Mann manch nuͤtzliches Recept verſchreibt,58 Verbietet doch Romantikern Papier und Federkiel und Stift, Und ordinirt, wenn nichts verſchlaͤgt, ein kleines Graͤnchen Rattengift! Sonſt wird noch eure Poeſie ſo frei, ſo burſchikos und flott, Bis endlich ganz Europa ruft: Ihr Deutſchen ſeid ein Kinderſpott!

[59]

Vierter Akt.

Pallaſt in Corinth.
Diagoras, Zelinde.
Diagoras.

Ja, nach dreißig langen Jahren kehr 'ich wieder, ſchoͤnes Weib! Und die ganze Welt beſah' ich, was ein huͤbſcher Zeitvertreib: Sah das Herz Europa's, wie ſie's nennen; leider iſt's von Speck; Dein maſſives Herz, Zelinde, liegt allein am rechten Fleck.

Zelinde.

O du biſt umſonſt gewandert, da du tief in deiner Bruſt Wiederbringſt dieſelben Laſter und dieſelbe boͤſe Luſt! Haͤtteſt wirklich im Sarmatenlande du ſo ſuͤß und lind Graſen ſehn die frommen Schaͤflein, die mitunter Katzen ſind, Hoͤren koͤnnen, wie die Kruͤdner als Velleda dort geſchrien, O es waͤre deine Seele voll erhabner Pſalmodien!

Diagoras.

In Campanien, wo man auf den platten Daͤchern driſcht das Korn,60 Wenn Vertumnus ausgeſchuͤttet ſeines Ueberfluſſes Horn, In Campanien vor die Augen trat mir ein Berliner Chriſt, Und ich ſah, daß dieſer Leute Gott ein bloßer Apis iſt; Auch die Kruͤdner, wo ſie jemals lehrte, wo ſie wirkte je, Nicht Velleda war ſie, ſcheint es; aber wohl Paſiphae!

Zelinde.

Haſt du denn auf deinen Reiſen nichts als Heuchlervolk erblickt, Keinen, welcher gegen Himmel wirkliche Gebete ſchickt?

Diagoras.

Einen wahren Frommen ſah ich, den das Erzgebuͤrg gebar, Der, was Jene toͤlpiſch aͤffen, wirklich in der Seele war; Doch wie Mancher, der ſo linkiſch itzt den Himmel klimmt hinan, Thut es, weil gerad 'er eines frommen Koͤnigs Unterthan: Waͤre noch, wie ſonſt, ein Freigeiſt Fluͤgelmann, wie ſchnell belehrt Wuͤrden Jene Gott verlaͤugnen durch ein ſteifes Rechtsumkehrt!

Zelinde.

Laß uns von uns ſelber ſprechen! Liebſt du wirklich mich getreu?

Diagoras.

Kannſt du fragen?

Zelinde.

Deine Worte, ſind es keine leere Spreu?

Diagoras.

Pruͤfe mich! Die groͤßte Probe ſcheint mir, dir zu Liebe, klein.

Zelinde.

Nun ſo ſchenke mir dein Herz!

Diagoras.

Seit ſechzig Jahren iſt es dein!

61
Zelinde.

Nein, ſo mein 'ich's nicht! Dergleichen Phraſen ſind fuͤr ein Sonett! Nein, ich will das koͤrperliche Herz, ein Herz mit wahrem Fett: Da du ſtets materiell warſt, werd' auch ich materiell: Ein platoniſch Herz genuͤgt mir keineswegs! Entſcheide ſchnell!

Diagoras.

Immer ſchlug mein Herz fuͤr dich nur!

Zelinde.

Aber ſinnlich und verrucht, Und dadurch mit Recht erregend meines Mannes Eiferſucht; Glaube mir, auf keine Weiſe thu 'ich ſeinem Zorn genug, Wenn ich nicht das Herz ihm ſchenke, das fuͤr mich in Liebe ſchlug.

Diagoras.

Dieſer Antrag kommt mir etwas unerwartet, ja ſogar Grob und unmanierlich wag 'ich ihn zu nennen.

Zelinde.

Sonderbar! Alſo Redensarten waren's, wenn du ſagteſt mir und ſchriebſt, Daß du mehr mich als das Leben, mehr als deine Seele liebſt? Luͤge waren deine Seufzer, deine Schwuͤre waren Scherz? Und das Herz, das jetzt du weigerſt, war es nur ein falſches Herz? O der Maͤnner! O des Meineids, den ſie jeden Tag begehn,<Si>e, die nicht die kleinſte Pruͤfung, auch die kleinſte nicht, beſtehn! 62Welche Freude dir zu machen waͤhnt 'ich! Jahre ſann ich nach, Zu befrei'n von jeder Qual dich, und mich ſelbſt von jeder Schmach: Endlich fand ich dieſes Mittel, fand es und du ſchlaͤgſt es aus!

Diagoras.

Steigſt du ſelbſt mit mir hinunter, tret 'ich gern in Pluto's Haus.

Zelinde.

Sterben ich? Noch lang zu leben denk 'ich, meinem Gatten treu.

Diagoras.

Alte Hekuba!

Zelinde.

Was hoͤr 'ich?

Diagoras.

Haͤltſt du dich vielleicht fuͤr neu?

Zelinde.

Welch ein Zorn ergriffe jetzt mich, gaͤb 'es meine Tugend zu!

Diagoras.

Schoͤne Tugend!

Zelinde.

Wie? Du zweifelſt? Alter Rabe!

Diagoras.

Kakadu!

Zelinde.

Nun, ich hoffe, nicht vergebens ſchiltſt du meine Tugend alt!

(im Abgehn)

Was er mir im Guten weigert, das ertrotz 'ich mit Gewalt!

(Ab.)
63
Diagoras.

Welch ein Vorſchlag! Auszuſchneiden mir das Herz in ſeiner Kraft! Und dergleichen Leute gelten heut zu Tag fuͤr tugendhaft! Aus dem Staube mach 'ich ſchnell mich! Nein, dem Himmel ſey's geklagt, Daß dem weiblichen Geſchlechte die Vernunft er hat verſagt!

Polybus, Diagoras.
Polybus.

Ei, Diagoras, willkommen!

Diagoras.

Sieh zu Fuͤßen deinen Knecht; Doch vergoͤnne, daß ich gehe!

Polybus.

Nein, du kommſt mir eben recht! Gern um Rath dich fragen moͤcht 'ich, werther Freund! Ich weiß, du biſt Weit gereiſ't und kannſt mir viel entdecken was mir nuͤtzlich iſt: Mit dem Bergbau mich beſchaͤftigt hab' ich in der letzten Zeit, Und du biſt gewiß hieruͤber zu belehren mich bereit.

Diagoras.

Zwar in Sachſen und in Polen unterſucht ich manchen Schacht, Und es eilte meine Schwermuth gern hinab in's Reich der Nacht,64 Wo ſich keine Moͤve ſchaukelt auf dem unterird'ſchen Teich, Wo Natur ſo nah zu uns tritt, und ſo todtenſtill zugleich; Aber jetzt vergoͤnne

Polybus.

Nicht doch! Was du ſagſt, gefaͤllt mir ſehr: Komm, Diagoras, in mein Gemach, denn gerne hoͤrt 'ich mehr! Ueber Berg - und Huͤttenkunde hab' ich oft und viel gedacht, Gold und Silber, Erz und Schwefel manichfach zu Tag gebracht, Und beſonders viel Arſenik, wie du ſehn wirſt. Komm herein! Wir beſprechen dann noch Manches uͤber einem Glaſe Wein.

Diagoras.

Deine Huld iſt allzuhuldvoll. Koͤnnt 'ich nicht ein andres Mal

Polybus.

Nein, du leerſt auf deines Koͤnigs Wohl ſogleich den Goldpokal!

(Beide ab.)
Feſtlicher Saal in Theben.
Oedipus auf dem Thron, um ihn die Großen des Reichs; unter ihnen Tireſias.
Oedipus.

Im zehnten Jahr gebiet 'ich dieſen Reichen, Seitdem befreit ich euch von jenem Gaſte, Den durch ein Diſtichon ich zwang zu weichen, Und mich vermaͤhlt der Koͤnigin Jokaſte: Nun hoͤr' ich, daß ein Jammer ohne Gleichen, Trotz meiner Hut, auf dieſem Lande laſte, Und daß gequaͤlt von Hungersnoth und Seuchen Im ſchweren Joche die Thebaner keuchen.

D'rum65

Drum hab 'ich hier zuſammen euch geladen, Um Rath zu ſchlagen, Maͤnnervolk und Greiſe! Ob Einer wiſſe, wie der große Schaden In's Land gekommen und auf welche Weiſe? Ein guter Rath iſt wie der goldne Faden Der Ariadne fuͤr die Lebensreiſe, Und wir Monarchen um ſo mehr beduͤrfen Des guten Raths bei Planen und Entwuͤrfen.

Tireſias.

So will denn ich zuerſt zu ſagen eilen, Was mir im Geiſt gelungen auszuſpuͤren: Durch welche Mittel jene Peſt zu heilen Mit allen ihren Beulen und Geſchwuͤren, Das weiß ich nicht; doch kann ich Kund 'ertheilen, Wie ſie hereinbrach und durch welche Thuͤren, Und fuͤr die Meinung muß ich mich entſcheiden, Daß jene Sphinx die Quelle dieſer Leiden.

Laͤngſt war ſie ſelbſt den Fels hinabgeſprungen, Dank deinem Diſtichon und deinem Witze! Eh 'noch die Nachricht durch die Welt gedrungen, Daß ſolch ein Weſen hier in Theben ſitze, Und jeder Saͤnger, welcher je geſungen, Gerieth in ſolche Wuth und ſolche Hitze, Hieherzukommen und den Vers zu ſchmieden, Daß aus der Welt gewichen ſchien der Frieden!

So lang 'ein Fuhrwerk war noch aufzutreiben, Ein Gaul, ein Kuͤtſchchen oder nur ein Nachen, So lang's noch einiges Papier zum Schreiben,v. Platen, der romant. Oedipus. 566Noch etwas Tinte gab zum Verſemachen, So wollte Keiner mehr zu Hauſe bleiben: Die Greiſe kamen ſelbſt, die alterſchwachen, Es riſſen ſich die Saͤuglinge vom Buſen Der Muͤtter ab und ſaugten an den Muſen.

Das Juͤdchen Raupel erſt begann zu ſingen, Das itzt als Raupach traͤgt ſo hoch die Naſe: Es ſuchte ſich zur Trunkenheit zu zwingen Durch Schillers zehnmal abgebruͤhte Phraſe, Und als der Rauſch ihm wollte nicht gelingen, Da rief es aus: Ich taumle ſchon! Ich raſe! Der Edle rief's und eilt 'in ſeine Kammer, Und ſchmiert' ein Trauerſpiel im Katzenjammer.

Sein Freund nur wollte nicht ſich herverfuͤgen, Ihm war die matte Seele wie vernichtet, Und ſeine Leier, nach ſo ſtolzen Fluͤgen, Im Hof als Brennholz zierlich aufgeſchichtet: Familienſchwaͤchen ſucht er jetzt zu ruͤgen, Und ſpielt den Teufel, den er ſonſt gedichtet, Indeß er ſelbſt zufrieden ruht und eiſern, Zwar nicht auf Lorbeern, aber Birkenreiſern.

Houwald hingegen kam herangefahren, Ein alter Menſch, doch aͤhnlich einem jungen, Ein Abcſchuͤtz von gereiften Jahren, Der oft im Schweiß des Angeſichts geſungen; Und hoͤchſt beſcheiden forſchend nach dem Wahren, Fragt er den Leſer: Iſt es mir gelungen? Die Gans, von welcher ich entlehnt die Kiele, Spaziert ſie auch durch meine Trauerſpiele?

67

Nach dieſen ſah ich ganze Zuͤge wallen, Wie koͤnnt 'ich nennen dir ſo viele Meiſter? Und aus der Taſche guckte leider Allen Ein ſchwerer Band von Poeſien, ein feiſter: Man hoͤrte nichts als lauter Verſe knallen, Und Alle rochen nach Papier und Kleiſter, Und Alle wollten uns die Zeit verkuͤrzen, Und ſuchten nebenbei die Sphinx zu ſtuͤrzen.

Allein der Hauch, den dieſe Saͤnger hauchten, Verpeſtete die Straßen und die Plaͤtze, Auch kam dazu, daß viele Muſen ſchmauchten, Und andre litten vollends an der Kraͤtze, Wofuͤr ſie leider eine Salbe brauchten, Die als mephitiſch ich vor vielen ſchaͤtze: Und ſo in Kurzem roch es allenthalben Nach ſchlechten Verſen, nach Taback und Salben.

Im Norden kann man ſolchen Duft ertragen, Und aus dem Norden kamen jene Muſen; Bei uns jedoch fing Alles an zu klagen, Und ſchalt ſie Kamtſchadalen und Tunguſen; Doch ſchon begann die ſchnoͤde Peſt zu nagen An mancher Bruſt, an manchem ſchoͤnen Buſen: Es aͤchzten Maͤnner ſich zu todt und Weiber, Doch unermuͤdlich blieben jene Schreiber!

Oedipus.

Und ſolche Muſen fahren fort zu klexen, Und wollen hier vielleicht noch Ru[hm]gewinnen? Ihr habt noch nicht ſie mir verbrannt als Hexen, Noch nicht geſtaͤupt als Beutelſchneiderinnen? 5*68Glaubt ihr, ich koͤnne, gleich den Verſifexen, Verdrehungen um alles Gute ſpinnen, Und Mittelmaͤß'ges bis zum Himmel heben? Glaubt ihr, ich ſey der Boͤttiger von Theben?

Tireſias.

Wir glauben's nicht; doch lange ſind zerſtoben Die boͤſen Reime, die die Peſt verbreitet: Uns kam Apoll, der uͤber goldne Globen Im lichten Himmel auf - und niederſchreitet, Zu Huͤlfe ſelbſt, er kam herab von oben, Und zuͤrnte ſtreng, durch unſer Flehn geleitet, Der Reimerzunft und ihren tollen Haͤndeln; Denn Viele wagten ſelbſt mit Gott zu taͤndeln!

Und ſchnell verwandelnd jene Dichterſchaaren, Was ihm gelang mit allzuleichtem Siege, Macht 'er zum Affen Den mit langen Haaren, Und Den zum Trampelthier und Den zur Ziege, Die Meiſten wurden Papagai'n und Staaren; Houwaldchen ward in eine matte Fliege, Und Raupel, der mit Trauerſtuͤcken handelt, In einen Wiedhopf alſobald verwandelt.

Doch iſt der Krankheitsſtoff im Volk geblieben, Und immer neu beginnt der Tod zu wuͤthen: Er ſichelt frech mit ihren vollſten Trieben Die Jugend ab, mit ihren ſchoͤnſten Bluͤthen! Und taͤglich hoͤren Herzen auf zu lieben, Die geſtern noch von einem Feuer gluͤhten, Das eine Welt umher entzuͤnden koͤnnte, Wofern es ihnen das Geſchick vergoͤnnte.

69
Oedipus.

Welch Mittel fruchten ſoll und welche Suͤhne, Nur einer Goͤtterlippe kann's entſchallen; Drum alſogleich verlaß die Rednerbuͤhne, Und flehend eile nach den Tempelhallen, Wo jener Gott, der maͤchtige, der kuͤhne, Der ſchoͤne, der melodiſche vor Allen, Wo jener fromme Lautenſchlaͤger weilet, Der Drachen toͤdtet und Gebrechen heilet!

Und durch ein Lied auf ſeinem weichen Pſalter, Das unſre Duͤrre, wie ein Strom, umflute, Verkuͤnde gnaͤdig uns der Welterhalter Das Opfer, das fuͤr dieſe Zeiten blute: Wir leben nicht in jenem goldnen Alter, Wo auf dem Siegerwagen ſchlaͤft das Gute, Um welchen Lorbeern oder Myrten ſproſſen; Denn dieſe Zeiten ſind aus Erz gegoſſen!

(Er ſteigt mit raſchen Schritten vom Thron herab; Tireſias verlaͤßt den Saal, indem er dem Balthaſar begegnet.)
Balthaſar.

Schlimme Botſchaft dir zu bringen, komm 'ich, Koͤnig, aus Corinth.

Oedipus.

Fuͤhren wieder mich die Goͤtter durch ein neues Labyrinth, Schwieriger vielleicht als jenes, das bei Nuͤrnberg ward gepflanzt, Wo der Pegnitz Blumenorden unter gruͤnen Buchen tanzt?

Balthaſar.

Polybus iſt todt, geſtorben iſt Zelinde, ſeine Frau.

70
Oedipus.

Dieſes Doppeljammers Anlaß, ſchnell erzaͤhl 'ihn und genau!

Balthaſar.

Es kam zuruͤck nach zehentauſend Tagen Diagoras zum Hofpallaſt des Fuͤrſten; Doch dieſer ſchien, voll eiferſuͤcht'ger Plagen, Seit Jahren ſchon nach Jenes Blut zu duͤrſten, Um ſeiner Koͤnigsehre Mantelkragen Von jenen Faſern allen reinzubuͤrſten, Die aus Zelindens Bett, ſo waͤhnt betrogen Der Fuͤrſt Corinths, ihm waren angeflogen.

In ſeine Zimmer laͤßt er Jenen winken, Zu fragen ihn nach ſeinen Abenteuern: Er ſucht mit Freundlichkeit den Haß zu ſchminken, Durch Hoͤflichkeit der innern Wuth zu ſteuern, Reicht ihm Confekt und giebt ihm Wein zu trinken, Und pflegt bei jedem Schluck ihn anzufeuern; Allein im Weine war ein Gift verborgen, Das Jenen toͤdten ſoll am andern Morgen.

Es hat verlaſſen kaum den Tiſch der Rache Diagoras, ſo ſchrecklich hintergangen, Als auf der Treppe bei dem Schlafgemache Zelindens ihn Zelindens Frauen fangen: Gebunden wird an Hand und Fuß der Schwache, Auf's Lager hingeſtreckt mit bleichen Wangen, Und aus dem Buſen ihm das Herz geſchnitten: O wie verderbt ſind heut zu Tag die Sitten!

71

Verſprochen hatte dem Gemahl Zelinde, Wie ſehr ſie ſchuldlos waͤre, zu beweiſen, Wann ihren Freund Diagoras die Winde Zuruͤckgefuͤhrt von ſeinen weiten Reiſen; Drum will ſie ſchenken ihm als Angebinde Das Herz des Liebſten, und er ſoll es ſpeiſen; Er ſoll die Probe, die ſie denkt zu liefern, Hoͤchſteigen kau'n mit ſeinen beiden Kiefern!

Sie ließ das Herz auf eine Weiſe kochen, Wodurch das Zaͤhſte ſelbſt ſich laͤßt verdauen: Der Koͤnig es ohne Herzenspochen, Und ohne Vorgefuͤhl und ohne Grauen; Da rief Zelinde: Was ſie dir verſprochen, Es hat's gethan die keuſcheſte der Frauen! Gegeben hab 'ich dir die hoͤchſte Probe, Nun liebe mich und meinen Muth belobe!

Was war Lukretia gegen mich, die raſche, Die doch dem Gatten blos zum Schmerz geſtorben? Was Artemiſia, welche mit der Aſche Des Ehgemahls ſich ihren Wein verdorben? Doch iſt's vergebens, daß ich Namen haſche, Da gleichen Ruhm ſich Keine hat erworben: Des Liebſten hat noch Keine ſich entledigt, Wie ſehr die Nachwelt ihre Namen predigt!

Auf daß du koͤnneſt mein Verdienſt ermeſſen, Und meine ganze Tugend ganz erfaſſeſt, So wiſſe denn, und woll 'es nie vergeſſen, So wahr du jetzt aus Neubegier erblaſſeſt:72 Das kleine Ding, das eben du gegeſſen, Es war das Herz des Mannes, den du haſſeſt, Das Herz des liebenden Diagoras war's! Was, fragte wuͤthend ſie der Koͤnig, was war's?

Schon ſpringt er auf mit raſender Geberde, Und reißt das Vorlegmeſſer aus der Scheide: So ſei'n verflucht der Himmel und die Erde, Denn keinen Anſpruch hab 'ich mehr an beide! Der Himmel werde ſchwarz wie Pech, es werde Die Erde weiß und farbenlos wie Kreide! Das Herz, vernimm, das ich geſpeiſ't ſo eben, Es war mit Gift, es war mit Gift vergeben!

Er ſpricht's, indem er ſeine Meſſerſpitze Der treuen Gattin durch den Buſen rennet, Die ſterbend ſinkt von ihrem goldnen Sitze; Ihm ſelbſt bereits im Eingeweide brennet, Des Giftes Wirkung, ungewohnte Hitze. Von dir jedoch, mein Oedipus, bekennet Zelinde noch in ihren letzten Stunden, Man haͤtte dich als Findelkind gefunden.

Oedipus.

Das iſt ein Vorfall, wahrlich, ohne Gleichen!

Balthaſar.

Im Erdenſchooße liegt er nun begraben.

Oedipus.

So wurden ſchon beſtattet jene Leichen?

Balthaſar.

Sie ſind ein Raub der Motten und der Schaben.

73
Oedipus.

Du geh 'und laß dir Trank und Speiſe reichen!

Balthaſar.

Ich denke nicht, mich lange hier zu laben!

Oedipus.

Du willſt zuruͤck ſchon nach Corinth dich wenden?

Balthaſar.

Wo meine Herrſchaft modert, will ich enden.

(Ab.)
Oedipus.

So iſt die Herkunft mir in tiefe Schleier Auf's neu verhuͤllt, ich bin beraubt der Lieben, Und dieſes Volk, dem einſt ich als Befreier Erſchienen bin, ich ſeh 'es aufgerieben: Warum erfreu'n wir uns am Klang der Leier, Am Spiel des Gluͤcks, an tauſend ſuͤßen Trieben, Wenn ſtets im Hintergrund die Furie lauert, Und unſer Leben zwo Sekunden dauert?

Die Vorigen. Jokaſte.
Jokaſte.

Gemahl! Von etwas Tragiſchem Bericht erſtatten muß ich dir.

Oedipus.

O wehe mir! Wie bin ich ſatt vom Hoͤren ſchon! O wehe mir!

Jokaſte.

In wenig Worten blos beſteht's: Es hat Tireſias gefragt Den Gott, woher dieß Uebel ſtammt, und dieſer dann ihm ausgeſagt,74 So lange wuͤthe hier die Peſt, bis daß du ſtrafſt die Moͤrder - hand, Die unſern Koͤnig einſt erſchlug, den Lajus, der geherrſcht im Land.

Oedipus.

Und wer erſchlug ihn?

Jokaſte.

Keiner kennt den Moͤrder; doch der Seher mag Hinunterſteigen in die Gruft, da ſchon geſunken iſt der Tag, Und meines vor'gen Mannes Geiſt citiren, und der Schatten ſoll Verkuͤnden, der's am beſten weiß, wer ihn erſchlug ſo ſchaudervoll, Daß noch nach zehen Jahren uns Verderben bringt die ſchnoͤde That; Denn Lajus war ein braver Mann, und gar ein ſtrenger Potentat!

Oedipus.

So ſei's! Ihr Alle folget mir hinab zum Kirchhof, um ſo - gleich Wahrheit zu holen uns und Licht, und waͤr 'es aus dem Todtenreich!

(Ab mit den Uebrigen.)
Jokaſte.

Mir iſt ſo bang und ſchauerlich, als kaͤm 'ich juſt aus einem Stuͤck Von Muͤllner oder ſonſt wovon, wo man betraͤchtlich weint, zuruͤck; Denn eben hatt' ich ein Geſpraͤch mit unſerm Knechte Melchior, Zu forſchen nach des Lajus Tod; doch bracht 'er nichts Ge - ſcheutes vor:75 Verlegen ſchien er und verbluͤfft, und dann geſtand er noch zuletzt, Daß unſern kleinen Sohn er einſt den Thieren gar nicht vorgeſetzt, Daß jenes Kind noch lebt vielleicht, was mich erſchreckt hat und beſtuͤrzt, Da ſtets das Schickſal tuͤckiſch iſt, ſobald es ſeine Knoten ſchuͤrzt.

(Ab.)
Kirchhof mit Cypreſſen und Denkmaͤlern.
Tireſias, den Zug fuͤhrend, Oedipus mit dem ganzen Gefolge.
Tireſias.

Kommt heran, wir ſind zur Stelle, dieſen Huͤgel ſteigt herauf; Aber tretet leiſe leiſe, wecket nicht die Todten auf!

Oedipus.

Maͤnner, kommt mit euren Fackeln, bildet einen Kreis umher!

Tireſias.

Leiſe mit den Fackeln, leiſe; denn erwachen ſoll nur Er!

Oedipus.

Welch ein Vorgefuͤhl befaͤllt mich! Mir im Herzen ſtarrt wie Eis Jeder Tropfe Blutes!

Tireſias.

Wandelt leiſe!

Oedipus.

Bildet einen Kreis!

76
Tireſias.

Wecket nicht die Todten!

Oedipus.

Wehe! Duͤſter mit Gewoͤlk 'umhing Sich der ganze Himmel.

Tireſias.

Leiſe!

Oedipus.

Bildet einen großen Ring!

Tireſias.

Steig 'empor, o Geiſt des Lajus! Wenn dem Tode was entſchluͤpft, Wenn's ein Band giebt, das die Schatten an des Tags Ge - bilde knuͤpft, Wenn die Seele nicht vergebens nach dem Wahrheitsfunken forſcht, Wenn ein Theilchen deines Weſens, nur ein Theilchen un - vermorſcht: Bei den Wolken, uͤber de[ne]n ewig jauchzt der Goͤtter Chor, Bei der Erde, voll von Moder, ſteige, ſteige, ſteig 'empor!

(Die Gewoͤlke ſenken ſich, die Fackeln verloͤſchen, der Geiſt des Lajus erſcheint.)
Oedipus.

Wehe! Welch Geſpenſt! Ich kenn 'es! Mir vor Allen winkt es zu! Mir, ich kenn' es!

Tireſias.

Leiſe, Leiſe!

Oedipus.

Wer erſchlug dich, Alter!

77
Geiſt des Lajus.

Du!

(Er verſchwindet, die Fackeln entzuͤnden ſich.)
Oedipus.

Wehe mir, wie fruͤh vollendet ſeh 'ich meiner Tage Lauf! Ich erſchlug ihn.

Tireſias.

Leiſe!

Oedipus.

Weh mir!

Tireſias.

Wecke nicht die Todten auf!

Die Vorigen. Jokaſte.
Oedipus.

O Jokaſte! Was geſchehn iſt, wurde klar, und was zu thun: Deinen Gatten, ich erſchlug ihn, uͤbe ſelbſt die Rache nun! Nimm ein Schwert, und aus der Scheide zieh's mit eigner Hand heraus! Meine nackte Bruſt, du ſiehſt ſie!

Jokaſte.

Wehe mir! Die Fledermaus!

Oedipus.

Welch ein neues Uebel?

Jokaſte.

Wahrgeſprochen hat des Sehers Mund: Daß ich dich, ich dich geboren, thut das Muttermal mir kund! 78Unſer Sohn, du biſt es, den wir, als er kaum den Tag geſehn, Ausgeſetzt als Fraß den Thieren; doch es ſollte nicht geſchehn! Man verſchonte dich, dem Schickſal ließ man, uns zu ſtrafen, Raum; Doch ich eile fort und ſchleunig haͤng 'ich mich an einen Baum.

(Sie erhenkt ſich im Hintergrunde.)
Tireſias.

Jammer uͤber Jammer!

Jokaſte.

Houwald!

Tireſias.

Horch! Sie rief mit letzter Kraft Ihrem Houwald, offenbarend jene tiefe Leidenſchaft Fuͤr den Saͤnger, die ſie lebend ſtets in ihrer Bruſt verbarg.

Oedipus.

Maͤnner Thebens, loͤſcht die Fackeln, bringt herbei mir einen Sarg!

Tireſias.

Gluͤcklich die hier unten ſchlummern, rings umher verſcharrt im Sand: Wenn die Erde droͤhnt und zittert, halten ſie dem Stoße Stand; Doch auf ihrer Oberflaͤche bebt der Menſch auf ſeinem Sitz, Ueber'm Haupt ihm bruͤllt der Donner, ihm um's Auge zuckt der Blitz! Oedipus! Dein Jammerſchickſal nicht verſchließ 'es tief in's Herz, Rede, gieb ihm Luft in Worten, und ergieße deinen Schmerz!

(Bei den letzten Worten des Tireſias wird der Sarg gebracht und in die Mitte der Scene geſtellt.)
79
Oedipus.

Ich ſchaudre wechſelnd vor mir ſelbſt und ſtaune, Als ob wir Alle bloße Traͤume waͤren: Da doch der Menſch nur ein Geſchoͤpf der Laune, So ſollten Weiber lieber nicht gebaͤren! Wo iſt des Ruhms allmaͤchtige Poſaune, Die meinen Namen mitgetheilt den Sphaͤren? Wo ſind die Harfen, welche ſiebentoͤnig Mich einſt geprieſen als den groͤßten Koͤnig?

Ich zwang die Sphinx, vor der ich Alle wanken Und ſtuͤrzen ſah; doch ich beſtand die Proben, Und das, was Vielen ward zu Dornenranken, Hab 'ich zum Roſendiadem verwoben; Und waͤhrend tauſend Nachen u<nter>ſanken, Ward ich vom leichten Element gehoben, Durchſchwamm die Fluthen mit behender Schnelle, Und mich umtanzte voll Muſik die Welle!

Ich ging ein Juͤngling, ungekannt von Allen Wohin, ſo waͤhnt 'ich, mich die Pythia ſchickte, Und ließ die Her<r>ſcherworte kaum erſchallen, Als jedes Haupt ſich beugte mir und nickte; Doch war ich ſchon dem Untergang verfallen, Eh 'ich den Glanz der Sonne noch erblickte, Und was ein Gott mir ſtatt des Seins gegeben, Ein Zweifel war es zwiſchen Tod und Leben.

Nun aber weiß ich, wem ich angehoͤre, Als Kind zum Raube ſchon beſtimmt den Thieren: Es ſagen mir's die ſtummen Trauerfloͤre, Die dieſen Sarg zu meinen Fuͤßen zieren,80 Es rufen mir's der Sterne goldne Choͤre, Und was ich muß, das will ich auch verlieren, Will ohne Schuld, doch ſolcher Thaten Thaͤter, Lebendig ſteigen in die Gruft der Vaͤter!

(Er legt ſich in[den] Sarg; waͤhrend der Deckel geſchloſſen wird, faͤllt der Vorhang.)
[81]

Fuͤnfter Akt.

Das Publicum, Chor der Haidſchnucken.
Chor.

Was haͤltſt du, Freund, von dieſem neuen Trauerſpiel?

Publicum.

O zum Entſetzen meiſterhaft! Zum Freſſen ſchoͤn!

Chor.

Wie antiſophokleiſch er's behandelt hat!

Publicum.

Anachronismen eingeſtreut zu tauſenden!

Chor.

So ganz unendlich tragiſch! Alle ſterben faſt.

Publicum.

Bis auf die zwei Hebammen.

Chor.

Dieſe hat gewiß Die boͤſe Peſt mit weggerafft.

Publicum.

Wie aber kam Die Sphinx bis in's Orcheſter? Dieſes that ſie, ſcheint's, Auf eigne Fauſt?

v. Platen, der romant. Oedipus. 682
Chor.

Ja, leider war die treffliche Schauſpielerin, der Rolle wegen, aufgebracht! Sie ſtellte ſonſt Liebhaberinnen, zaͤrtliche Koketten dar, und ſollte nun ein heidniſches Geſchwaͤnztes Ungeheuer ſpielen; dieſerhalb Sprach aus dem Stegreif jene grobe Rede ſie.

Publicum.

Doch ihr Coſtuͤm war ausgeſucht! Welch himmliſcher Theaterſchneider!

Chor.

Allerdings! Doch iſt er auch Weit beſſer, Freund, als bloße Dichter, honorirt, Und Wem da viel gegeben iſt, von Dieſem wird Auch viel gefordert.

Publicum.

Aber ſieh! Wer naht ſich uns?

Chor.

Ein Exilirter aus Berlin, er heißt Verſtand.

Publicum.

Ihn hab 'ich nennen hoͤren, aber nie[geſehn].

Die Vorigen, der Verſtand.
Chor.

Du haſt das hohe Meiſterwerk mit abgehorcht: Nun gieb ein Urtheil!

Verſtand.

Alles ſchier ſo lappenhaft Geflickt, und eins an's Andre nur ſo hingenaͤht,83 Daß ich den Buͤhnenſchneider fuͤr den wirklichen Verfaſſer halte.

Publicum.

Sagt 'ich nicht daſſelbe juſt? Wie herrlich war der Koͤnigin Jokaſte Schlepp! Kind's Frack allein war ſchmutzig.

Chor.

Weil der Frack es war, Den ein Pygmaͤencorporal getragen einſt, Von eines Kranichs Blut beſpruͤtzt! Die blutige Tragoͤdiendichtung aber iſt von Nimmermann.

Verſtand.

Ich will es glauben, ausgenommen Einzelnes, In keinem Fall die Verſe; doch der Plan gewiß. Auch hat vielleicht ein luſtiger Vogel hier und dort Was Witziges eingeflochten, unterhaltender Das lahme Spiel zu machen.

Chor.

Alſo kennſt du nicht Die Mode, daß man Tragiſches jetzt und Komiſches Naturgemaͤß zuſammenſchachtelt insgemein, Weil ja das Menſchenleben ſelbſt buntſchaͤckig iſt?

Verſtand.

D[a]s Leben freilich; aber ſicher nicht die Kunſt.

Publicum.

Oh! Kritiſiren, lieber Herr, iſt federleicht, Doch Beſſermachen ſchwierig.

Verſtand.

Ja, ich wuͤnſchte ſelbſt, Daß Einer kaͤme, welcher ganz auf praktiſchem Weg euren Stuͤmpern zeigte, daß ſie Stuͤmper ſind;6*84Denn nie geglaubt noch haben ſie's den Kritikern. Auch wird Kritik noch ſtuͤmperhafter ausgeuͤbt, Und meiſt von Dichterlingen ſelbſt. Verruͤcktes wird Gemuͤthlich tief, Gedankenloſes klar genannt, Und Plattes hoͤchſt natuͤrlich; aber dieſes Lob Iſt nicht das Schlimmſte! Denn es wird Vorzuͤgliches Zugleich herabgewuͤrdiget durch den leichten Kniff, Zu ſagen: Dieſes fehlt dem Werk, und freilich muß Gar Vieles jedem Werke fehlen, freilich ganz Unmoͤglich iſt es, Calderon und Aeſchylus, Moliere und Ariſtophanes zugleich zu ſein!

Publicum.

Es ſpricht der Mann geſcheuter, als ich's dachte mir, Und freigeſinnt faſt macht er mich: Ich glaubte ſonſt, Daß Alles, was ein Recenſent abdrucken laͤßt, Buchſtaͤblich wahr ſei.

Chor.

Schweige nun! Es naͤhert ſich Der Stolz des Weltalls.

Publicum.

Nimmermann?

Chor.

Er iſt es ſelbſt!

Die Vorigen. Nimmermann.
Chor.

Auf, auf, o Genoſſen! Den Saͤnger begruͤßt! Er bezwingt die Natur, fuͤgt Steine dem Bau, Lehrt Baͤren den Tanz! Im Erſchaffenen rings85 Kommt nichts Ihm gleich; es beſiegt ſein Lied Der Cicade Gezirp und den Unkengeſang Und des Kuckucks reiche Gedanken!

Auf, auf, o Genoſſen! Er kommt! O bedenkt, Da ein Schoͤpfer er ſelbſt, was bieten wir ihm? Ach! Wuͤrde ſofort des Gehegs Sumpfteich Ein befruchtender Strom, und ein Lorbeerwald Dieß Haidegewaͤchs, und die Wolken umher Babyloniſche hangende Gaͤrten!

Auf, auf, o Genoſſen! Er wandelt heran Lichtſchoͤn wie Apoll, der Koͤcher und Pfeil Im Gebuͤſch ablegt, und die Leier bezieht Mit Saiten! Es ſpuͤhlt der kaſtaliſche Quell An die Knoͤchel des Gotts, und es ſchleicht Sehnſucht In die liebliche Seele der Muſen!

Nimmermann.

Mit Dank empfang 'ich wohlverdienten Lobtribut.

Publicum.

Dich ſelber uͤbertrafſt du nun, das herrliche, Superlativiſche Trauerſpiel Cardenio, Und manches andere Kraftprodukt, durch neidiſche Kritiken blos verſpottet.

Verſtand.

Dieſe nannten es Hochſchule fuͤr die Wiſſenſchaft der Gaͤhnerei, Des Mittelmaͤßigen Mittelmeer, und aͤhnliche Verbrauchte Bilder.

Nimmermann.

Und du ſelbſt? Was denkſt du denn?

86
Verſtand.

Anmaßend waͤr 'ich, wollt' ich noch urtheilen, wo Deutſchland entzuͤckt gerichtet!

Nimmermann.

Zwar veracht 'ich dich; Doch zuͤrnt dem armen Knaben nicht der hoͤchſte Gott, Der ihm das Rauchfaß knieend bei der Meſſe ſchwingt; Ich laſſe mir dein Lob gefallen: Raͤuchere!

Verſtand.

Wer kann erſchoͤpfen dein Verdienſt?

Nimmermann.

Ich bin zugleich Poet und Kriminaljuriſt und Recenſent, Von drei Talenten eine Trippelallianz!

Verſtand.

Wie iſt der Staat zu beneiden, dem du dergeſtalt Nach allen Seiten dienſt!

Nimmermann.

Es iſt der preußiſche.

Verſtand.

Gluͤckſeliges Oeſtreich!

Nimmermann.

Bin ich nicht ein großer Menſch? Berlin vergoͤttert meine Kunſt, und meiner Kunſt Kritiken ſtehn im Hegeliſchen Wochenblatt, Als Pfand von ſeinem Werthe. Dort erklaͤrt 'ich auch, Weshalb der getaufte Heine, mein Mitſtrebender, Kein Byron blos mir, aber ein Petrarca ſcheint.

Verſtand.

(Du ganz completter Gimpel!) Mir ein Pindarus.

87
Nimmermann.

Ihn nennen haͤ<tt '>ich duͤrfen auch den Pindarus Vom kleinen Stamme Benjamin; er nannte mich Des jetzigen Zeitabſchnittes erſten Tragiker!

Verſtand.

O Leſſing! Leſſing! Drehe dich im Grab herum!

Nimmermann.

Nie hoͤrt 'ich dieſen Namen noch.

Verſtand.

O Winckelmann!

Nimmermann.

Was fuͤr Pedanten rufſt du an? Wer ſind ſie denn?

Verſtand.

Mein großer Klopſtock!

Nimmermann.

Welch ein Kleeblatt nennſt du da?

Verſtand.

Ein ſchoͤnes Kleeblatt; aber laͤngſt dahingewelkt!

Nimmermann.

Faſt ahn 'ich, welcher Dichterſchule, Nuͤchterner, Du Huldigung darbringeſt! Deiner Lieblinge Modernſter iſt gewißlich jener Duͤrftige, Von welchem laͤngſt behauptet meine Xenien, Daß er die Verſe, die er ſchreibt, vomire blos? Gedankenarmuth, denn ich hab' ihn arm genannt, Verbirgt er hinter Kuͤnſtlichkeit!

Verſtand.

Der Vogel, der Sein Neſt erbaut im zugeſchornen Buchenlaub, Bedient ſich deſſen als Natur.

88
Nimmermann.

Wer's nicht vermag, Der alſo, glaubſt du, koͤnne keine Neſter bau'n?

Verſtand.

Ich zweifle d'ran. Weitſchweifigen Halbtalenten ſind Praͤciſe Formen, Aberwitz, Nothwendigkeit Iſt dein geheimes Weihgeſchenk, o Genius!

Nimmermann.

Ich glaube gar, du ziehſt mir jenen graͤflichen Und herrſchbegierigen Dichter vor, Ariſtokrat?

Verſtand.

Noch hab 'ich niemals Anarchie beguͤnſtiget, Und anzugreifen einen weit Gewaltiger'n, Iſt eine That, die ſicherlich Verderben bringt.

Nimmermann.

Sich breit zu machen, wagen Exilirte noch? Die Pietiſten haben dir Berlin verpoͤnt Mit Fug und Recht! Wer kuͤmmert um Verſtand ſich noch? Hat unſer Hoffmann, jener große Callotiſt, Dich nicht magnetiſch eingelullt, mit Fug und Recht? Die Schuͤler Hegels bieten dir ſpitzfindiglich Die Spitze dar: Wer kuͤmmert um Verſtand ſich noch? Mich lies, Fouqué ſtudiere dann, und ſaͤmmtliche Franz Horn - Zigeunerzeunedeutſch - Berlinerei: Wir haben keinen Theil an dir im Preußiſchen! Aus meinen Augen weiche nur, werth biſt du nicht Mich anzuſchau'n! Wer kuͤmmert um Verſtand ſich noch!

Verſtand.

Was faͤllt dir ein? Bezaͤhme deinen Uebermuth! Nicht kennſt du mich, ſo ſcheint es. Muß ich zeigen dir, Aufknoͤpfend meinen Ueberrock, den Ordensſtern,89 Wie die Fuͤrſten thun in Kotzebue's Komoͤdien? Zwar als Verbannter ſchleich 'ich jetzt allein umher; Doch vom Exil abruft mich einſt das deutſche Volk: Schon jetzt erklingt im Ohre mir ſein Reueton, Schon zerrt es mich am Saume meines Kleids zuruͤck! Dir aber, welchen ſchonend ich behandelte, Dir ſchwillt der Kamm gewaltig, bitter h[]hnſt du mich, Und haͤltſt fuͤr deines Gleichen mich, Betrogener! Fuͤr jener Leutchen Einen, welche ſonſt vielleicht Um deinen Schreibtiſch draͤngten ſich, beklatſchten dich, Von dir mit Schwulſt ſich ſtopfen ließen, Gaͤnſen gleich. Unſeliger, der du heute nun erfahren mußt, Welch einen Schatz beherzter Ueberlegenheit, Biegſamer Kraft im Vorgefuͤhl des Bewaͤltigens, Welch eine Suada dichteriſcher Redekunſt In meines Weſens Weſenheit Natur gelegt! Denn jeden Hauch, der zwiſchen meine Zaͤhne ſich Zur Lippe draͤngt, begleiten auch Zermalmungen!

Chor.

Was thuſt du? Wehe! Hoͤhne nicht das Kraftgenie!

Verſtand.

Du blickſt herab veraͤchtlich auf Geſcheutere, Als Pfuſcher pfuſchend, ſpielſt du noch den Kritikus; Doch ſchelten darf nicht Jeder, das bedenke du! Denn ſelbſt die Schickſalsnymphen will ich lieber ſehn, Als dich, den Eimer fuͤllend am Poetenborn: Du biſt die Rachel, welche nur die Schafe traͤnkt! Und waͤre Muͤllners Muſengott ein Satyr auch, Mit dir verglichen iſt er ein Hyperion, So wahr der Sohn der Maja mir die Laute gab, Ja, ſelbſt die Pfeife, die den Argus eingewiegt! 90Du biſt allein ein ganzer Tollhaushelikon, Der neun und neunzig Muſen hat zu Naͤrrinen; Der langen Weile nie verſiechender Quell entſpringt, Wo nur den Boden ſtampfen mag dein Pegaſus; Wie Holperpfloͤcke pflanzeſt deine Verſe du, Auf daß du ſelbſt im Rauſche d'ruͤber ſtolpereſt, Wofern der Kraͤtzer, den ich biete, trunken macht: Komm, thu 'Beſcheid mir, Bruder! Ich kredenze dir's! Wie ſchaͤumt in meinem Becher dir der herbe Spott!

Chor.

Weh! Schone deine Gurgel, Unerſaͤttlicher!

Verſtand.

Und kraft der Vollmacht, welche mir die Kunſt verlieh, Und kraft des Scherzes, welchen ich bemeiſtere, Der unter meinen Haͤnden faſt erhaben klingt, Als waͤr's der Andacht hoher Ernſt, und kraft der Kraft Zerſtoͤr 'ich dich, und gebe dich dem Nichts anheim! Zwar waͤre, dich vernichten, eine kleine That; Allein geſalbt zum Stellvertreter hab' ich dich Der ganzen tollen Dichterlingsgenoſſenſchaft, Die auf dem Hackbrett Fiebertraͤume phantaſirt, Und unſere deutſche Heldenſprache ganz entweiht; Ja, gleichwie Nero wuͤnſcht 'ich euch nur Ein Gehirn, Durch einen einzigen Witzeshieb zu ſpalten es, Um aller Welt zu zeigen eine taube Nuß, Mit ungenießbar'm Floskelmoder angefuͤllt. Verſtumme, ſchneide lieber dir die Zunge weg, Die laͤngſt zum Aergerniſſe dient Vernuͤnftigen! An deiner Rechten haue dir den Daumen ab, Mitſammt dem Fingerpaare, das die Feder fuͤhrt: An Geiſt ein Kruͤppel, werde bald es koͤrperlich!

91
Chor.

Flieh, Nimmermann, die moͤrderiſchen Trimeter!

Verſtand.

Wohin du fliehn willſt, nimmermehr entrinnſt du doch, Und gleich Armeen umzingeln dich Verwuͤnſchungen! Sachwalter giebt es keine fuͤr den Verſifex, Und aus dem Schooße ſchuͤtteln dich die Wenigen, Die noch geneigt dir waren, wie gemeinen Staub! In meinen Waffen ſpiegle dich, erkenne dich, Erſchrick vor deiner Haͤßlichkeit und ſtirb ſodann! Ich bin im Jambenſchleudern ein Archilochus, Ein Zeus in meinem Sylbenfall, ein Donnerer: Indem ſie treffen, blenden meine Keile dich, Von mir getoͤdtet, gaffſt du noch Bewunderung!

(Ab.)
Nimmermann. Publicum. Chor.
Publicum.

O Grobian!

Nimmermann.

O Grobian!

Chor.

O Grobian!

Publicum.

Doch ſchien mir ziemlich wahr zu ſein, was Jener ſprach.

Chor.

Auch ich empfinde manichfach mich umgeſtimmt; Nur ſprach er, duͤnkt mich, viel zu viel, und uͤberdieß War dieſer Menſch handfeſter noch, handgreiflicher, Als ein Tyrolerjaͤger aus dem Zillerthal.

92
Nimmermann.

Tyrol? Wie wird mir! Jucken mich Tragoͤdien?

Chor.

Gieb acht, er bruͤtet wieder was Dramatiſches!

Nimmermann.

Der Himmel hangt voll Geigen, voll abſcheulicher, Fuͤnffuͤßiger Jamben uns! O ſeht!

Publicum.

Wie ruͤttelt ihn Begeiſterung! Wie ſcheint er außer ſich zu ſein! Weswegen kratzt er aber auf dem Schaͤdel ſich?

Chor.

In ſeinen Lorbeern niſtet jenes kluge Thier, Das wohl verſteht zu ſchaͤtzen einen Mann von Kopf.

Nimmermann.

O mein Andreas Hofer, der erſchoſſen wird!

Publicum.

Erſchoſſen? Nicht doch! Schone dieſen Ehrenmann!

Nimmermann.

Nicht laſſ 'ich ſelbſt erſchießen ihn, ein Engel thut's: Schon warf in eine Felſenſchlucht das Mordgewehr, Vom Kriege matt, der Bauerngeneral Tyrols; Ein Engel hohlt es aber aus der Schlucht zuruͤck, Und legt's dem Helden wiederum zur Seite hin, Um ihn zu Grund zu richten. Vom Hiſtoriſchen Abweichen darf ich nimmermehr!

Publicum.

Der Engel ſoll Zum Teufel gehn mit ſeiner Scheindienſtfertigkeit!

93
Nimmermann.

Es iſt ein Engel, den man auch weglaſſen kann, Wie mir es vorſchwebt darzuthun im Vorbericht.

Publicum.

Doch duͤnkt es mich entſetzlich, ohne Geld und Paß, Verfolgt von Gaſſenjungen, durch die Welt zu ziehn, Als weggelaſſener Engel eines Trauerſpiels!

Nimmermann.

Ich folge treu den reſpektiven Zeitungen Damaliger Zeit, mich haltend an's Hiſtoriſche, Beginnend, eurem Dichterling Horaz zu Trotz, Mit Leda's Ei die Puſterthaler Ilias.

Publicum.

Doch werden dann behaupten unſre Kritiker, Daß[dir] Erfindungsgabe ganz und gar gebricht, Wenn lediglich den unverdauten Stoff du reichſt; Denn oͤfters hoͤrt 'ich ſagen uͤber ein Trauerſpiel, Es waͤre mit Begebenheiten vollgepropft, Doch ganz erfindungslos.

Chor.

Dann aber weißt du nicht, Was als Erfindung ruͤhmen uns Romantiker: Hiſtoͤrchen, Abentheuer, plattes Volksgewaͤſch, Statt folgerechten Gegenſtands Entwickelung.

Nimmermann.

Was ſeh 'ich? Oder beſſer noch, was riech' ich da? Es wehet aus Tyrol mir ein verloderter Papiergeruch! O wehe mir! Die Depeſchen ſind Zu Staub verbrannt, an denen Hofers Leben hing!

Publicum.

Was riecht er denn? Jetzt ſcheint er ganz verzuͤckt zu ſein.

94
Nimmermann.

Treuloſes Weib! Verraͤthſt du deinen Ehemann, Dem wandelbar'n Franzoſenoffizier zulieb? Untreu verlaͤßt auch dieſer dich; doch kehrt er ein In deine Huͤtte wiederum, du aber brennſt Ihm uͤber'm Kopf das Haus zuſammen, waͤhrend er Das Schreiben traͤgt in ſeiner Ficke Heiligthum!

Publicum.

Jetzt ſcheint er mir verruͤckt zu ſein!

Nimmermann.

O ſchaͤndliche Depeſchenmordbrandehebruchstyrolerinn!

Publicum.

Wa<h>nſinn umflammt den Zirkel ſeines Dichteraugs!

Chor.

Weh! Offen geſteht's des Geſangs Wehmuth: Der beruͤhmte Poet iſt uͤbergeſchnappt! Nun klage das All, nun werfe Natur Nachtfloͤre des Tods Auf jede Geburt des Fruͤhlings!

Nimmermann.

Faßbinder, bindet wieder mir ein Tintenfaß, Meins iſt vor Schmerz zerſprungen! Meine Thraͤne fließt!

Chor.

Schon plaͤtſchert herab ſein Zaͤhrenerguß, Und dem Haidegefild droht Suͤndfluthſchmach! Wo entdeck 'ich des Heils noachidiſchen Kahn? Wo verheißt Troſt uns Ein poetiſcher Regenbogen?

Nimmermann.

Dieß ſing 'ich dir, mein Heine, Samen Abrahams!

95
Chor.

Er ſtirbt, und wimmernd fleht er ſchon Freund Hein herbei!

Publicum.

Du irrſt, er ruft Freund Hein ja nicht, den herrlichen Petrark des Lauberhuͤttenfeſts beſchwoͤrt er blos.

Nimmermann.

Du biſt der erſten Dichter einer, ſagſt du ſelbſt!

Publicum.

Wahr iſt's, in einem Liedelein behauptet er's; Doch keiner glaubt's, wie's immer bei Propheten geht.

Nimmermann.

Welch einen Anlauf nimmſt du, Synagogenſtolz!

Publicum.

Gewiß, es iſt dein Buſenfreund des ſterblichen Geſchlechts der Menſchen Allerunverſchaͤmteſter.

Nimmermann.

Sein Freund, ich bin's; doch moͤcht 'ich nicht ſein Liebchen ſeyn; Denn ſeine Kuͤſſe ſondern ab Knoblauchsgeruch.

Publicum.

Drum fuͤhrt er ſein Riechflaͤſchchen auch beſtaͤndig mit.

Nimmermann.

Mein Heine! Sind wir beide nicht ein Paar Genie's? Wer wagt zu ſtoͤren, Suͤßer, uns den ſuͤßen Tra<u>m?

Chor.

Mir iſt's, als hoͤrt 'ich ſchlagen eine Pendeluhr, Die einen ſehr gefaͤhrlichlauten Wecker hat.

Nimmermann.

Waͤr's moͤglich? Drohte meinem Stern Verfinſterung?

Publicum.

Dem deinen nebſt noch vielen, wenn ihr Sterne waͤrt; Doch Blendlaternen ſchließen blos Talgſtuͤmpfchen ein.

96
Chor.

Ihr ſeid die Jungfrau'n, deren Lampen ausgeloͤſcht: Was iſt zu thun? Schon naht ſich euch der Braͤutigam, Klangvollen Takt in ſeiner Schritte jeglichem, Und braͤutlich ruht am Buſen ihm die Poeſie!

Nimmermann.

Auch ihr verhoͤhnt mich?

Publicum.

Lieber, komm! Ich fuͤhre jetzt, Um Muße dir zu ſchaffen, dich an jenen Ort, Den Britten Bedlam heißen, Deutſche Narrenhaus.

Chor.

Er ſagt es engliſch, weil er dich Shakeſpear genannt.

Nimmermann.

Auch ihr verhoͤhnt mich? Weſſenthalb, Verblendete?

Publicum.

Wir waren's, lieber Nimmermann! Der heilende Verſtand benahm die Schuppen uns als Augenarzt.

Nimmermann.

Ihr wolltet Shakeſpear'n laͤnger nicht anbeten mehr?

Publicum.

Wir lieben Shakeſpear; aber waͤrſt Shakeſpear du ſelbſt, Der nichts du biſt, als ſeiner Affen grinzendſter, Du kaͤmſt zu ſpaͤt der Forderung des Augenblicks: Es hat die Welt verſchleudert ihren Knabenſchuh!

Nimmermann.

O wehe, weh mir! Meine letzte Stuͤtze wankt.

Publicum.

Einfache Wahrheit blos gefaͤllt, kein Stelzenſchritt, Kein Harlekinsrock uͤber einem Katafalk!

Nimmer -
97
Nimmermann.

Weh, wehe meinen ſiebenfach geſeiherten, Phantaſtiſchplatten Quinteſſenztragoͤdien!

Chor.

O Kraft der Wahrheit! Alſo ſelbſt geſtehſt du es?

Nimmermann.

Wem deklamir 'ich kuͤnftig euch? Weh, wehe mir!

Publicum.

In jener Anſtalt fehlt es nicht an Hoͤrenden: Wahnwitzige bilden ebenfalls ein Publicum, Ein ſehr gemiſchtes, uͤberaus vollzaͤhliges.

Nimmermann.

So treff 'ich auch jenſeitige Maͤcenaten an?

Publicum.

Tollhaͤusler zwar; doch immerhin Bewunderer.

Nimmermann.

Triumph! Ich gehe, fuͤhre mich! Triumph! Triumph!

(Vom Publicum abgefuͤhrt.)
Chorfuͤhrer.
(An den Rand der Buͤhne vortretend.)

Wenn ſtreng der Poet, voll feurigen Spotts, der empor ſich ſchraubenden Ohnmacht Schwerfaͤlligen Wahn, der platt, wie er iſt, den begeiſterten Schwaͤrmer ſogar noch Will ſpielen, wie einſt in die Saiten Apolls des Silens Mauleſel hineingriff: Wenn ſtreng der Poet ihn ſtrafte, verdient er den Dank und die Liebe der Mitwelt. Da die Feinde zumal und die Hefe des Volks und die Stimmangeber in Deutſchlandv. Platen, der romant. Oedipus. 798Ihn tief in den Staub ziehn moͤchten, damit er verliere ſich unter der Mehrzahl, So geziemt es gewiß der befreundeten Schaar, um ſo mehr ihn rettend zu fluͤchten, Auf prangendem Schild ihn tragend empor, den Beherrſcher des Worts in der Dichtkunſt! Seit aͤlteſter Zeit hat hier es getoͤnt, und ſo oft im erneuen - den Umſchwung, In verjuͤngter Geſtalt aufſtrebte die Welt, klang auch ein germaniſches Lied nach. Zwar lange verhallt iſt jener Geſang, den einſt des Arminius Heerſchaar Anſtimmend gejauchzt in des Siegs Feſtſchritt, auf roͤmiſchen Graͤbern getanzt ihn; Doch blieb von der Zeit des gewaltigen Karls wohl noch ein gewaltiges Lied euch, Ein gewaltiges Lied von der maͤchtigen Frau, die erſt als zarteſte Jungfrau Daſteht, und verſchaͤmt, voll ſchuͤchterner Huld, dem erhabenen Helden die Hand reicht, Bis dann ſie zuletzt, durch's Leben geſtaͤhlt, durch gluͤhende Rache gehaͤrtet, Graunvoll auftritt, in den Haͤnden ein Schwert und das Haupt des enthaupteten Bruders. Auch liſpelt um euch der melodiſche Hauch aus ſpaͤteren Tagen des Ruhms noch, Als maͤchtigen Gangs zu des Heilands Gruft die gepanzerten Friedriche wallten; An den Hoͤfen erſcholl der Geſang damals aus fuͤrſtlichem Mund, und der Kaiſer,99 Dem als Mitgift die Geſtade Homers darbrachte die Tochter des Normanns, Sang lieblichen Ton! Kaum aber erloſch ſein Stamm in dem herrlichen Knaben, Der, unter dem Beil hinſterbend, erlag capetingiſcher teuf - liſcher Unthat, Schwieg auch der Geſang, und die goͤttliche Kunſt fiel unter die Meiſter des Handwerks. Spaͤt wieder erhub ſie die heilige Kraft, als neue befruch - tende Regung Weit uͤber die Welt, aus Deutſchlands Gau'n, der begeiſterte ſaͤchſiſche Moͤnch trug; Doch ſtrebte ſie nun langſamer empor, weil blutiger Kriege Verderbniß Das entvoͤlkerte Reich, Jahrhunderte lang, preisgab der unendlichen Rohheit; Weil Wechſel des Lauts erſt hemmte das Lied, da der bibel - entfaltende Luther Durch maͤnnlichern Ton auf immer vertrieb die melodiſche rheiniſche Mundart. Doch ſollte das Wort um ſo reicher erbluͤhn, und es lehrte zugleich es Melanchthon Den gediegenen Klang, den einſt anſchlug die begluͤcktere Muſe von Hellas, Und ſo reifte heran die germaniſche Kunſt, um entgegen zu gehn der Vollendung! Lang ſchlich ſie dahin, lang ſchleppte ſie noch nachahmende Feſſel und ſeufzte, Bis Klopſtock naht und die Welt fortreißt in erhabener Odenbefluͤglung,100 Und das Maß herſtellt, und die Sprache beſeelt und befreit von der galliſchen Knechtſchaft, Zwar ſtarr noch und herb und zuweilen verſteint, auch nicht Jedwedem genießbar; Doch ihm folgt bald das Gefaͤllige nach und das Schoͤne mit Goethiſcher Sanftheit. Manch großes Talent trat ſpaͤter hervor, und entfaltete himmliſchen Reichthum; Doch Keiner erſchien, in der Kunſt Fortſchritt, dem unſterb - lichen Paare vergleichbar: Keuſch lehnt Klopſtock an dem Lilienſtab und um Goethe's erleuchtete Stirne Gluͤhn Roſen im Kranz! Kuͤhn waͤre der Wunſch, zu erſingen verwandte Belohnung! Anſpruͤchen entſagt gern unſer Poet, Anſpruͤchen an euch! An die Zukunft Nicht voͤllig, und ſtets wird loͤblicher That auch loͤblicher Lohn in der Zukunft! Er beneidete nie die gefeierte Schaar um ein rauſchendes Zeichen des Beifalls, Wenn lallenden Tons ſie zu ſtammeln begann die geſtotterte Phraſe der Unkunſt; Denn er hoͤrte ſie wohl und erkannte ſie wohl, und verbiß die gerechte Verachtung: Nie wird er ſie nun mehr hoͤren vielleicht, und er wandelt im Garten Europa's, Der ihn ſchadlos fuͤr manchen Verluſt, fuͤr manches verkannte Gedicht haͤlt: In dem Pinienhain, an den Buchten des Meers, Wo die Well 'abfließt voll triefenden Schaums,101 Geht gern er allein, und wofern kein Ohr Ihm mehr zuhorcht jenſeits des Gebuͤrgs, Dann ſpornt zum Geſang zwar kein Beifall Der Befreundeten ihn, Doch Fuͤlle des eigenen Wohllauts.

[102][103]

Nachſchrift an den Romantiker.

,

Vorwuͤrfe hab 'ich gehoͤrt, noch eh' ich zu Stand gebracht
Das Werk, mit welchem ich dich, mein ſuͤßer Geſell, bedacht;
Es ſprachen Freunde zu mir: Wir ſind an Poeten reich,
Was waͤhlſt du Helden dir aus, die ſchwach und verruͤckt zu -
gleich?
Wer Nachtigallengeſang zu toͤnen verſteht, wie du,
Zieht ſich das Rachegekreiſch des Kraͤhengeſchlechtes zu?
Nie hat Apollo gezielt auf Haſen und andern Troß,
Die ſtolze Niobe nur demuͤthigte ſein Geſchoß.
Ich muß vor ſolchem Verdacht vertheidigen jenes Lied:
Mein Held, was biſt du mir denn, mein hinkender Jamben -
ſchmied?
Ein Ueberbleibſel der Zeit, die hoffentlich nun vorbei,
Jahrzehntelangen Gequicks romantiſcher, letzter Schrei!
Zwar macht dich keiner ſo leicht, ſammt deinen Gefaͤhrten,
ſtumm;
Doch denken lerne die Welt, und ſcheide Gerad 'und Krumm!
Irrthuͤmern bin ich gefolgt und habe, da falſcher Schein
Betruͤgt, die Hefe geſchoͤpft, zu zeigen, wie ſchlecht der Wein,
Dem Volk zu zeigen, wohin, in welches Gewoͤlk von Dunſt
Unreifer Schwindel gefuͤhrt, und kindiſche, lahme Kunſt:
Erſt war man blos paradox, bald folgte der tollſte Quark,
Wahrheit ergrimmte zuletzt, und ſiehe, ſie war ſo ſtark!
104
Gewiß, mir haͤtte den Ton der Leier die Scham gedaͤmpft,
Wenn dein Geklimper ich blos, langweiliger Menſch bekaͤmpft!
Volksthuͤmlich nennen ſie dich; drum hoͤrteſt du wohl, wie's
ſcheint,
Daß auf die Saͤcke man ſchlaͤgt, indeß man den Eſel meint?
Ich muß, damit ſich dabei beruhige dein Geſchmack,
Geſtehn dir, daß du allein im obigen Fall der Sack.

About this transcription

TextDer romantische Oedipus
Author August von Platen
Extent113 images; 15006 tokens; 4939 types; 102125 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDer romantische Oedipus Ein Lustspiel in fünf Akten August von Platen. . 104 S. CottaStuttgartTübingen1829.

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Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, 327650http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=866264698

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Drama; Belletristik; Drama; core; ready; china

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:33:43Z
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