PRIMS Full-text transcription (HTML)
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[I]
Briefe eines Verſtorbenen.
Dritter Theil.
[II][III]
Briefe eines Verſtorbenen.
Ein fragmentariſches Tagebuch aus Deutſchland, Holland und England, geſchrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828.
Dritter Theil.
Stuttgart,1831. Hallberger'ſche, vormals Franckh'ſche Verlagshandlung.
[IV][V]

Vorwort des Herausgebers.

Schon ſeit mehreren Monaten hatte mich mein Verleger um die Ueberſendung der zwei letzt-erſten Theile der Briefe eines Verſtor - benen gemahnt, und doch war es mir faſt unmoͤglich, ſein Verlangen zu erfuͤllen, weil mir in den verworrenen, oft auch nicht voll - ſtaͤndigen Manuſcripten zu Vieles dunkel oder ganz unverſtaͤndlich blieb.

In dieſer Noth verfolgte mich unablaͤſſig der ſonderbare Gedanke: ob es nicht moͤg - lich ſey, mit dem Verſtorbenen noch einmal muͤndlich zu verkehren, und ſo unver - ſtaͤndig, ja wahnwitzig Manchem das vor - kommen mag dieſe Unterredung hat den - noch wirklich ſtatt gefunden. Gegen Facta gehalten, muͤſſen aber alle Theorien ver - ſtummen.

VI

Wie ſich ſo Unerhoͤrtes jedoch hoͤchſt wun - derbarerweiſe geſtaltet und zugetragen, werde ich hier kuͤrzlich erzaͤhlen.

Die unerwartet guͤnſtige Beurtheilung, welche vom Gipfel des Parnaſſes, wie be - lebender Reſurrektionsthau, auf die Tod - tenblaͤtter gefallen war, hatte meine Sehn - ſucht nach dem Freunde, um ihm wo moͤg - lich ſo erfreuliche Kunde mitzutheilen, noch mehr als je geſteigert, und ich begann ei - nes Abends ſchon, mich mit heidniſch cab - baliſtiſchen Beſchwoͤrungen zu beſchaͤftigen, als ein aͤrztlicher Freund mich noch zur rechten Zeit unterrichtete, wie ich weit chriſtlicher und ſchneller zum Zwecke kommen koͤnne.

Der Leſer ahnet wohl ſchon, auf wel - chen Weg er mich fuͤhrte. Ja, er ſandte mir jenes außerordentliche Buch, jene neueſte Offenbarung: die Seherin von Prevorſt.

Man denke ſich, wie in ſo guͤnſtiger, empfaͤnglicher Stimmung jedes letzte Vor - urtheil des geſunden Menſchenverſtandes ſchwinden, wie der uͤberirdiſche Funke ge - waltſam zuͤnden, und gleich einem Blitze mein Inneres erleuchten mußte! O ihrVII edlen Wohlthaͤter der Menſchheit, rief ich, eben ſo triumphirend als glaͤubig, aus, Dank Euch, das Geiſterreich iſt von Neuem erſchloſſen, und iſt auch die erſte Seherin in ihrem Berufe geſtorben, warum ſollte ihr nicht bald eine zweite folgen? was ein - mal da war, kann auch wieder kommen, ja truͤgt mich die ſuͤße Hoffnung nicht, ſo iſt dieſe Zweite ſchon gefunden!

Dieſer Ausruf, geneigter Leſer, hatte ſeinen guten Grund, denn ſchon ſeit ge - raumer Zeit lebte in meiner Naͤhe ein Maͤdchen, deren wunderbare Reizbarkeit des Nervenſyſtems in der ganzen Gegend faſt zum Sprichwort geworden war. Sie hatte fruͤher als fromme Nonne im B Kloſter zu B geſtanden, und dort ſelt - ſame Fata erlebt, wo ſie, bei allen aͤcht weiblichen Eigenſchaften, zugleich vielfache Gelegenheit gehabt, auch eine wahrhaft maͤnnliche Entſchloſſenheit zu bekunden. Man raunte ſich ſogar ins Ohr, daß ſie im Verlauf gewiſſer Verfolgungen mehr als einmal vergiftet worden; durch ſchleu - nigen Gebrauch der Magenpumpe jedoch immer gluͤcklich wieder hergeſtellt worden ſeye. Wegen dieſer geheimnißvollen Avan - tuͤren hatte man ihr den luͤguͤbren NamenVIII des Nonnerich beigelegt, ihr eigentlicher Name war aber Thereſel, und ihr Geburts - ort Boͤhmen. Nach Aufhebung des Kloſters zog ſie ſich zu einer muͤtterlichen Freundin zuruͤck, und lebte jetzt, nach dem Hingange dieſer, ſtill fuͤr ſich, nur den Myſterien ei - nes gluͤhenden Pietismus, und den Werken der ausgedehnteſten Menſchenliebe ruͤckſichts - los hingegeben.

Dieſes hochbegabte Weſen hatte ſich ſo oft im Zuſtande freiwilliger magnetiſcher Exſtaſe befunden, daß durch eine, nach den Regeln der Kunſt fortgeſetzte, wiſſenſchaft - liche Manipulation, die hoͤchſten Reſultate unfehlbar erwartet werden durften, und an ihrer Einwilligung war, bei jener bekann - ten Richtung ihres Naturells, kaum zu zwei - feln.

Ich verlor alſo keinen Augenblick, und ſchrieb ſogleich an meinen Freund, den Dok - tor Ypſilon, einen ſehr gebildeten und ge - muͤthlichen Mann, der auch, wo es Expe - rimente betrifft, keiner unpaſſenden Gewiſ - ſenhaftigkeit Raum giebt, und bat ihn drin - gend um ſeine beſte Huͤlfe, das große Re - ſultat hervorzubringen, welches ich beabſich - tigte.

IX

Doktor Ypſilon war auch, wie ich er - wartet, fuͤr mein Projekt ſofort Feuer und Flamme. » Verlaſſen Sie ſich auf mich, er - wiederte er, und ſollte ich ſelbſt daruͤber den Kopf, und Thereſel das Leben verlieren, ſo muß ſie doch bongré malgré den hoͤch - ſten Grad des Hellſehens erreichen, und hinter der großen Seherin in keiner ihrer wunderbaren Fakultaͤten zuruͤckbleiben.

In der That ſegnete der Himmel unſern guten Vorſatz auf das ſichtlichſte. Der Er - folg uͤbertraf noch die kuͤhnſten Wuͤnſche, denn ehe ſechs Wochen vergingen, ſah The - reſel ſchon oben und unten, rechts und links, geiſtig und koͤrperlich, durch ſich und Andere hindurch, und Geiſter aller Taillen und Far - ben gingen bei ihr aus und ein, wie in einer Schenke. Man muß zwar geſtehen, es wa - ren nicht immer die geiſtreichſten. Wir hat - ten ſogar in dieſem Punkt Ungluͤck, aber ein ſonderbares Vorurtheil dieſer Erde iſt es auch, zu glauben: daß alle Geiſter Geiſt haben muͤßten gewiß eben ſo wenig, als alle Menſchen menſchlich ſind. Gibt es doch ſogar dumme Teufel, warum ſollte es nicht auch dumme Geiſter geben!

Dem ſey nun wie ihm wolle, kurz, der von mir ſo lang erſehnte Zeitpunkt war da,X der Zweck aller Muͤhe erreicht, und bei der erſten beſonders aufgeregten Stimmung der Prophetin, legte ich ihr meinen Wunſch auf den Magen, das inbruͤnſtige Wollen aller meiner verſchiedenen Seelen und Gei - ſter: den verſtorbenen Buſenfreund noch ein - mal zu ſehen.

Sie beſann ſich eine Weile, und ſagte dann: Was verlangſt du Lieber! wiſſe, L .... kann nicht anders als zu Pferde erſcheinen. » Comment, « rief ich erſtaunt, » à cheval wie Napoléon. « Nicht anders, mein Freund, ſo wollen es die unwandelbaren Geſetze des Zwiſchenreichs, denn L ...., erinnere Dich, hatte unter vielen andern Fehlern auch den, ein viel zu leidenſchaftlicher Reiter zu ſeyn, und wie bei meiner Seelen-Freundin von Prevorſt alte Ballvortaͤnzer auch jetzt noch tanzend umherhuͤpfen muͤſſen, ſo darf auch L .... bei mir nur reitend eingelaſſen wer - den. Seine Erſcheinung wird fuͤrchterlich ſeyn, ich ſage es Dir vorher, waffne Dich mit Muth, doch Du haſt es gewollt, ich rief ihn, und hoͤre da koͤmmt er ſchon! Obgleich bereits paſſabel an den Umgang mit der andern Welt gewoͤhnt, durchrieſelte doch ein kleiner Schauer mein Gebein, als ich jetzt Tap Tap Tap vor derXI Thuͤre erſchallen hoͤrte, und gleich dem Com - thur in Don Juan eine daͤmmernde, furcht - bare Geſtalt, mit dem Haupte ſchrecklich nickend, langſam ins Zimmer ritt.

Es ſchien wirklich, als habe mein Freund, zur Strafe fuͤr ſeine einſtige Eitelkeit: im - mer die ſchoͤnſten Pferde haben zu wollen, jetzt das magere Thier der Apokalypſe beſtei - gen muͤſſen, ein fahles Ungeheuer, deſſen Nuͤſtern ſtahlblaue Daͤmpfe von ſich ſtießen, und deſſen Augen wie Feuerraͤder im Kopfe rollten. Daß es uͤbrigens bei ſeinen ungeheu - ren Dimenſionen, die gewiß dem trojani - ſchen Pferde nichts nachgaben, dennoch in unſrer kleinen Stube Platz fand, war ge - wiß ein ſo offenbares Wunder, daß es auch dem Unglaͤubigſten jeden Gedanken an moͤg - liche Taͤuſchung der Sinne benehmen mußte.

O theurer Freund! rief ich zitternd, noch ganz außer mir vor Schrecken und Freude, biſt Du es wirklich? ja jetzt erkenne ich ſchon wieder die alten lieben Zuͤge, und, bei al - len Geiſtern des Zwiſchenreichs, wirklich beſ - ſer conſervirt, als ich erwartete. Wieviel, o Freund, habe ich mit Dir zu reden, wie - viel zu melden, wieviel zu erfahren, doch vor Allem hoͤre jetzt das: Was von Dir auf Erden allein zuruͤckblieb deine poſthuͤmen,XII harmloſen Briefe ſie haben mehr Gnade daſelbſt gefunden, als Du je im Traume ge - hofft, und duͤrfte ich mich etwas orientaliſch ausdruͤcken, was beſſer zu deiner exotiſchen Erſcheinung paßt, ſo wuͤrde ich ſagen: daß aus dem unanſehnlichen Feuerſtein der edelſte Stahl einen hellleuchtenden Rubin geſchla - gen, daß die Sonne das Stuͤckchen Glas durch ihre Strahlenkraft einen Augenblick zum Brennſpiegel erhoben hat mit einem Wort, um plan zu ſprechen ....... hier ergriff ich ein ſchon in der Taſche bereit gehaltenes Papier, und las, wie auf der Tribuͤne der franzoͤſiſchen Deputirtenkammer, den Reſt meiner Rede, und die Nr. 59. der Jahr - buͤcher fuͤr wiſſenſchaftliche Kritik, dem er - ſtaunten Geiſte vor*)O Eitelkeit!.

Dieſer (ein ſanft aſchgrauer, alſo nach den Regeln der Uniformirung des Zwiſchen - reichs, ſchon beinahe halbſeliger) war bei der erſten Nennung des ſalomoniſchen Na - mens etwas erblaßt, dann ſchnell erroͤthet, und hoͤrte hierauf, ohne ein Wort zu ſpre - chen, dem Anſchein nach tief in ſich ver - ſunken, andaͤchtig zu.

XIII

Als ich geendet, entſchwebte ſeinen Lip - pen ein behaglicher Seufzer, und laͤchelnd lispelte er (ganz wie im Leben): Auf Er - den wollte mir das Gluͤck nie wohl, Heil aber ſollte mir dennoch von daher, hier im Zwiſchenreich widerfahren! Wandelte ich noch irdiſch umher, mir wuͤrde ſeyn, wie einem Tuͤrken, der, in der Menge verbor - gen, ploͤtzlich einen Geſandten des Sultans auf ſich zukommen ſieht, um ihn mit dem Ehrenpelz zu bekleiden, und zum Paſcha einiger Roßſchweife zu ernennen. Laͤchle nicht uͤber die ſcheinbare Eitelkeit dieſes Vergleichs, mein guter Herrmann; denn es ſteht mir ja wohl an, ſtolz zu ſeyn auf Jupiters Lob, und es iſt ſogar Pflicht, meine eigne Beſcheidenheit hier gefangen zu nehmen denn waͤre es nicht anmaßend, mich ſelbſt richtiger ſchaͤtzen zu wollen als Er?

Iſt es mir aber vergoͤnnt, nun auch dem Gehoͤrten einige demuthsvolle Worte zu entgegnen, ſo muß ich vor Allem mein Staunen ausdruͤcken, wie der achtzigjaͤhrige Greis ſo jugendlich friſch noch in jeden muthwilligen Scherz des Weltkindes, in jede Kinderfreude an der Natur ſo theil - nehmend freundlich einzugehen vermag, und wie hoch er dabei dennoch in ſeiner Dich -XIV ter-Glorie oben uͤber uns ſchwebt, und alle Zuſtaͤnde der Menſchen, wie Einer der Herzen und Nieren pruͤft, erkennt und ſchildert, ohne noͤthig zu haben, ſie ſelbſt zu theilen, noch ſie aus eigner Erfahrung ſich zu abſtrahiren. Nicht richtiger hat Rha - damanth, als ich in der Unterwelt ankam, mir im Herzen geleſen, und ſelbſt wenn mit wohlwollender Feinheit der guͤtige Mei - ſter andeutet, wie manche heterogene Auf - ſaͤtze in jenem wunderlichen Buche wohl auch von fremder Hand ſeyn koͤnnten, ſo hat er auch darin im Weſentlichen Recht, denn zeigte es ſich auch am Ende, daß Herausgeber und Autor nur eine Perſon waͤren, und Ein und Derſelbe das Ganze geſchrieben (was jedoch nur myſtiſch moͤglich ſeyn koͤnnte, da ich todt bin, und Du noch lebſt) ſo wiſſen wir doch, daß es auch in demſelben Individuo verſchiedene Naturen geben koͤnne, und daß, wenn die Linke nicht wiſſen ſoll, was die Rechte thut, auch manchmal die Linke thut, wovon die Rechte nichts wiſſen will.

Du, mein treuer Herausgeber, gehſt ebenfalls nicht leer aus, und es wird Dir zum Verdienſt angerechnet, daß Du » offen aber nicht aufrichtig « bekannteſt, wie gewiſſe beſondere Umſtaͤnde Dich noͤthigten,XV das Ende zum Anfang zu machen, waͤh - rend Du dadurch doch nur ein heilſames clair obscur uͤber das Ganze breiten, und ihm, wie der Richter ſagt, einen epiſchen Anſtrich geben wollteſt. So erſcheinſt Du denn, neben dem gluͤcklichen Autor, auch als gewandter Editor, vor Reich und Zwi - ſchenreich, uns Beiden aber wird ſchließ - lich Abſolution ertheilt, wenn wir auch wirklich gewagt haben ſollten, hie und da Dichtung (beſcheidner, Fiktion) mit Wahr - heit zu vermiſchen.

Der Verſtorbene (wie man ſieht, mit ziemlicher Redſeligkeit begabt) machte Miene noch laͤnger fortfahren zu wollen, als eine droͤhnend ſchallende Glocke ertoͤnte, und ihm ploͤtzliches Stillſchweigen auflegte. Es war, wie wir bald merkten, ein warnendes Zei - chen fuͤr ihn: ſein ſtuͤndliches Strafpenſum abzureiten, welches dießmal in dreimal drei Volten, in neun verſchiedenen Gangarten, rund um die Stube beſtand. Es war ſchreck - lich anzuſehen, wie der ungeheure, uns mehr als ſpaniſch vorkommende Tritt des hoͤlli - ſchen Gaules ihm faſt den Athem zu beneh - men ſchien. Noch mehr ſchauderten wir aber, als jetzt der, gleich einem Kometen in ellip - tiſchen Bahnen kreiſende Schweif des Un -XVI thiers, vor unſern Augen mehrere ſchoͤne Porzellaͤntaſſen (alles aͤchte altſaͤchſiſche) von einer Conſole herabkehrte, die in Scherben auf dem Boden zertruͤmmerten, ohne dennoch das mindeſte Klirren vernehmen zu laſſen denn die Prevorſt’ſchen Geiſter haben nicht nur die Faͤhigkeit, immaterielle Klaͤnge her - vorzubringen, die materiell gehoͤrt werden, ſondern auch ſolche, die ihnen unangenehm oder nicht anſtaͤndig ſcheinen, unhoͤrbar zu machen, ein Vorrecht der Zwiſchenregionen, welches verſchiedene Bequemlichkeiten darbie - ten muß.

Als mein Freund endlich wieder ſtill hielt, und ſich keuchend den Schweiß von der Stirne trocknete, benutzte ich den guͤnſtigen Augen - blick ſchnell, um von Neuem alſo zu ſpre - chen: Die guten Nachrichten, die ich Dir zu bringen habe, ſind noch nicht zu Ende. Vernimm, daß auch eine andere gewichtige Stimme in Deutſchlands kritiſchen Gauen zu Deinem Preiſe erſchallte, und den eige - nen Glanz Dir als wohlthuende Folie un - terlegte und manche andere werthvolle Namen ſind demſelben Beiſpiel gefolgt. Ein Freimuͤthiger darunter, der Dich wahrlich nicht uͤbel kennt, obgleich er Dich ſichtlich mit einer andern Perſon verwechſelt, hat ſogarXVII ausgemittelt, daß Du, bei aller Liberalitaͤt, doch gerade noch genug Adelſtolz beſaͤßeſt (geſtehe, verehrteſter Zwiſchengeiſt, er hat nicht ganz Unrecht), und dabei uns zugleich ſeine Theorie vom Adel mitgetheilt, naͤm - lich daß dieſer ſeyn und nicht ſcheinen ſolle. Viel verlangt in der That! denn, waͤre nur geſagt, der Adel ſolle nicht blos ſcheinen, ſondern auch ſeyn, ſo waͤre dieß zwar immer noch, in Sandomir wenigſtens, unmoͤglich, jedoch denkbar aber ſeyn ohne allen Schein, ſo zu ſagen, eine unſichtbare Exiſtenz, ein Licht ohne Flamme voilà qui est difficile! O Gott! da entfuhr mir wieder eine franzoͤſiſche Floskel, die, wie ich ſelbſt fuͤhle, zarten deutſchen Ohren doch ſo empfindlich ſeyn muß! Pardon, es ſoll nicht mehr geſchehen. *)Uebrigens hätte jener, gewiß von mir herzlich verehrte, deutſche Puriſt doch gewiß am Ende ſeiner Critik ſich weit richtiger ausgedrückt, wenn er ſich herabgelaſſen hätte, ſtatt dem hier unpaſſenden, harten, auch nicht ganz deutſchen Wort: Skandal, das engliſche scandal zu ge - brauchen.

Noch ſchmeichelhafter iſt die, in ſeiner rei - chen Bildergallerie ausgeſprochene Anerkennt - niß jenes liebenswuͤrdigen deutſchen Humo -Briefe eines Verſtorbenen III. *XVIIIriſten, der, wenn er dem Auge eine Thraͤne entlockt, waͤhrend ſie herabfaͤllt, die Lippen ſchon wieder zwingt, ſie mit Laͤcheln aufzu - fangen.

Damit Dir aber nichts Wuͤnſchenswerthes fehle, ward Dir auch von den Phariſaͤern einiger obſcure Tadel. Ja eine arme Seele iſt ſogar auferſtanden, um den Ver - ſtorbenen hienieden mit einem ſchwuͤlſtigen Miſchmaſch anzugreifen, der jedoch bei Freund und Feind nichts als den lebhafte - ſten Wunſch erregt hat, jene Verſchollene moͤge doch lieber ruhig ſchlafen geblieben ſeyn, ſtatt das Publikum von neuem gaͤhnen zu machen. Noch mehr. Selbſt mit dem gro - ßen Unbekannten brachte man Dich in einige entfernte Beruͤhrung, indem Manche, die uͤberhaupt heutzutage gar nicht mehr begrei - fen koͤnnen, wie ein Miniſter wohl etwas ohne ſeine Raͤthe, ein General ohne ſeinen Generalſtab, ein Monarch ohne ſein Mini - ſterium, allein hervorbringen koͤnne auch Dein Buͤchlein, gleich jenes Erhabnen unſterblichen Romanen, einer ganzen Com - pagnie groͤßerer und kleinerer Autoren bei - derlei Geſchlechts zugeſchrieben, und ſich, hie und da gereizt, (denn Wahrheit thut weh) ſchmaͤhlig in Unſchuldige, oder gar in dieXIX bloße Luft verbiſſen. So haben ſich denn, lieber Todter, auf die gluͤcklichſte Weiſe fuͤr Dich, Licht und Schatten aus den verſchie - denſten Regionen vereinigt, um ....

Mon cher, unterbrach mich hier There - ſel, und ergriff verdrießlich meinen Arm, ver - giß nicht que tous les genres sont bons hors le genre ennuyeux, der einzige Um - ſtand, in welchem ich mit meiner Freundin von Prevorſt nicht harmonire. Es iſt ge - nug fuͤr dießmal; Ihr muͤßt uns jetzt Alle verlaſſen, denn die Zeit naht heran, wo der Geiſt vom Roſſe ſteigen wird, um die Nacht bis zum Hahnenſchrei mit mir zuzubringen. Ihr wißt, wie die unmittelbare Atmosphaͤre der Erwaͤhlten ſeine Seligkeit um Jahrhun - derte beſchleunigen kann, und es liegt mir ob, dieß Werk chriſtlicher Liebe keinen Au - genblick laͤnger zu verſchieben, ſo entſetzlich ich auch dadurch geſchwaͤcht werde aber was iſt mein elender Koͤrper gegen eine ſo hohe Beſtimmung, gegen eine ſo heilbrin - gende Einwirkung auf das Geiſterreich!

Ehrfurchtsvoll traten wir Lebende zuruͤck. Mein Freund laͤchelte, faſt ſo ſarkaſtiſch, als ſey er noch ein ſchwarzer Geiſt, ſagte, indem er ſeine Hand kuͤſſend mir zuwinkte: A re - voir mon ami und verſchwand, eben alsXX ich die Thuͤrklinke ergriff, hinter Thereſels Bettvorhaͤngen. Sein Roß aber wirbelte, als der angenehmſte Duft von Essence de bouquet im Kamine empor.

Auf die Straße gekommen, ſah ich, noch in halber Betaͤubung, nach meiner Uhr, und o horror! in der ganzen Stadt hatte es 5 Uhr geſchlagen, als ich in das Haus der Se - herin eintrat, jetzt war es drei. Die Zeit alſo war ſeitdem, man ſchaudert, ſtatt vor - waͤrts ruͤckwaͤrts gegangen! Brauche ich noch zu ſagen, daß ich nach dieſer erſten en - trevûe, nicht nur meinen Freund oͤfters ſah, und jede von ihm gewuͤnſchte Auskunft er - hielt, ſondern daß ich auch uͤberhaupt an dem Geiſterverkehr eben ſo viel Vergnuͤgen zu finden anfing, als mein Gehuͤlfe, Doctor Ypſilon? Tag fuͤr Tag mußte Freund und Feind uns erſcheinen, fuͤr ein Billiges er - loͤsten wir manchen armen Schlucker, der ſeit Jahrhunderten als Geiſt herumlief, weil es ihm an vier Groſchen fehlte, um eine gute That zu thun, und wollte ich hier erzaͤhlen, welche Auf - ſchluͤſſe uns da geworden, welche Raͤthſel uns geloͤst, welche uͤberraſchende Aufklaͤrungen wir uͤber die Geſchichte erhalten, was uns Moſes und die Propheten, die eiſerne Maske, Seba - ſtian von Portugal, der falſche Waldemar,XXI Caglioſtro und der Graf von St. Germain ver - traut wir endeten kaum. Es iſt wahr, Thereſel, die uns oft vergebens um Mitleid anflehte, hielt es nicht aus. Sie ruht nun auf dem Kirchhof, wie ihre große Vorlaͤufe - rin, und ſtarb man muß es geſtehen einen elenden Tod. Aber wohl dem, der fuͤr das allgemeine Beſte ſich opfert, oder auch geopfert wird. Fuͤr die Ueberbleiben - den iſt wenigſtens Beides Eins.

Doch auch wir brachten ein Opfer, und bezahlten unſere Schuld. Denn da wir bei jedem Experiment von Neuem in der Zeit ruͤckwaͤrts ſchritten, ſo hatten wir am Ende nicht blos, wie die Weltumſegler, einen gan - zen Tag, ſondern wohl mehr als Jahre ver - loren, ja oft wollte es uns duͤnken, es ſeyen ſo viel Jahrhunderte. *)Sollte man vielleicht dieſe Details eben ſo un - glaublich als läppiſch finden, ſo würde uns ſol - ches Urtheil ſehr ſchmeicheln, denn bekanntlich ſind dieſe Eigenſchaften eben die ſicherſten Zei - chen der Wahrheit und Authenticität. S. hier - über das Nähere in der überzeugenden Einlei - tung zur Seherin von Prevorſt.

XXII

Poſtſcriptum.

Ehe ich von dem geneigten Leſer ganz Ab - ſchied nehme, muß ich denſelben noch demuͤ - thigſt, im Namen meines Verlegers, um Verzeihung bitten, einmal wegen der uner - hoͤrten Menge Druckfehler, welche gleich Muͤ - cken nach Sonnenuntergang, in den fruͤhe - ren Theilen dieſes Werkes wimmeln, und hoffentlich in den jetzt vorliegenden nicht wie - der aufleben werden; zweitens wegen der hoͤchſt ſeltſamen Kupfer, die ihnen (auch als Specimina von Stein-Druckfehlern) bei - gefuͤgt wurden. Man kennt jene hundert Abbildungen, die in ganz unmerklichen Ab - weichungen, ſo daß zwei Blaͤtter ſich immer vollkommen zu gleichen ſcheinen, dennoch gradatim den ungeheuren Sprung, von ei - nem ausgeſpannten Froſch bis zum Apoll von Belvedere zuruͤcklegen. Man kann wohl kaum annehmen, daß die grotesken Fi - guren im Buche des Verſtorbenen, in der erwaͤhnten Gallerie weiter hinauf, als hoͤch - ſtens am Ende des erſten Dutzends der Gra - dation, einrangirt werden koͤnnten. Da aber die Kunſt, beſonders fuͤr angenehme Kleinigkeiten, jetzt auf allen Gaſſen ſich feil - bietet, und daher Beſſeres nur gewollt zuXXIII werden braucht, um es ſogleich zu finden, ſo habe ich den Herrn F. G. Franckh im Ver - dacht, irgend etwas Geheimes, vielleicht et - was Myſtiſches, oder eine mordante Satyre dabei in petto gehabt zu haben vielleicht gar einen gefaͤhrlichen Umtrieb! in dieſem Falle aber waſche ich meine Haͤnde in Un - ſchuld!

Von den zuerſt erwaͤhnten Druckfehlern ſind ſchon die groͤbſten namhaft gemacht, lei - der aber bei der erſten ſchnellen Durchſicht kaum die Haͤlfte derſelben bemerkt worden. Wir erwaͤhnen hier nur noch, als beſonders ſinnentſtellend, daß unter einer Menge No - ten des Verfaſſers: Anmerkung des Herausgebers, ſteht, und zuweilen umge - kehrt. Dieß koͤnnte den Unachtſamen faſt glauben machen, Beide ſeyen nur eine Per - ſon, wogegen ich jedoch auf’s Ernſtlichſte proteſtiren muß, da ich keineswegs geſonnen bin, mich ſo ſchnell zu den Verſtorbenen zu zaͤhlen, und auch hoffe, daß, wenigſtens die Pluralitaͤt der Leſer, mir noch das liebe Leben, die ſuͤße Gewohnheit des Daſeyns einige Zeit lang goͤnnen wird.

Die folgenden Briefe ſelbſt betreffend, will ich endlich noch bemerken, daß, obgleich ſie aus den Jahren 26, 27 und 28 ſind, undXXIV daher veraltet duͤnken moͤchten, der geneigte Leſer dennoch viel Anklaͤnge mit dem Neue - ſten darin finden wird, und man auch Ruͤck - ſicht darauf genommen hat, nur dasjenige von aͤlteren Nachrichten beſtehen zu laſſen, was noch jetzt eben ſo wahr als guͤltig bleibt, hingegen Alles zu ſtreichen, was ſein In - tereſſe fuͤr den Augenblick ſchon verlor.

S .... den 1. Maͤrz 1831.

XXV

Inhaltsverzeichniß des dritten Theils.

Erſter Brief.

Seite 1

Abſchied. Homoͤopathiſche Diſpoſition. Kunſt, bequem zu zu reiſen. Jugenderinnerungen. Weimar. Der Hof. Der Park. Anekdote. Beſuch bei Goͤthe. Ein Tag im Belve - dere. Geſellſchaftliches.

Zweiter Brief.

Seite 23

Alte Freunde. Die Hochzeit. Durchfluͤge. Die Ufer der Ruhr. Vaterlaͤndiſche Sandſtriche. Lieblicher Garten Hollands. Exotiſches Gepraͤge der Umgebung. Cultur. Utrecht. Der Dom zu Gouda. Schiefgebaute Haͤuſer. Phantaſtiſche Windmuͤhlen. Rotterdam. Der hoͤfliche Banquier. Papp - daͤcher. Die goldne Gondel. Der Aetna. Das reizende Maͤdchen. L’adieu de Voltaire.

XXVI

Dritter Brief.

Seite 38

Die Ueberfahrt. Der Pflanzer. Die engliſche Douane. Die verlorne Boͤrſe. Macadamſches Pflaſter. Verſchoͤnerungen Londons. Geſchmackloſigkeiten. National taste. Der Re - gentspark. Die Waterloo-Bruͤcke. Gaſthoͤfe in London. Die Bazars. Spaziergaͤnge in den Straßen. Johannis - berger Verdienſt. Chiswick. Sinkender Geſchmack in der Gartenkunſt. Guͤnſtiges Clima. Die Menagerie. Leben in der City. Das Univerſalgenie. Die Boͤrſe und Bank. Der Goldkeller. Gerichtshof des Lord-Maire. Garroways Kaffeehaus. Das Trauerholz. Rothſchild. Nero. Der geſattelte Elephant im dritten Stock. Altwuͤrtembergiſche Diplomatie. Geſchichte des jungen Montague. Theater im Strand. Der kuͤnſtliche Menſch. Zuviel fuͤr’s Geld. Hamptoncourt. Gefaͤhrliche Raͤucherung.

Vierter Brief.

Seite 70

Das Muſeum. Seine Waͤchter. Seltſamer Miſchmaſch. Reiſe nach Newmarket. Leben daſelbſt. Die Wettrennen. Der betting post. Beſuch auf dem Lande. Hieſige Gaſtfreiheit. Der Dandy. Englaͤnder auf dem Continent. National - Sitten. Treibhaͤuſer. Audleypark. Suffolk’s Schloß. Der Vogelgarten. Verkauf der Grundſtuͤcke in England.

Fuͤnfter Brief.

Seite 107

Rath an Reiſende. Etwas uͤber Clubbs. Tugend und Regen - ſchirme. Kartencabinets. Engliſcher Wein. Sitzkunſt derXXVII Englaͤnder. Bequeme Gebraͤuche. Verhaltungsregeln. Behandlung der dienenden Klaſſen. Die Vornehmen. Spieleinrichtung. Mißbraͤuche. Fromme Wuͤnſche fuͤr Deutſchland. Briefliches. Der Schauſpieler Liſton. Ma - dame Veſtris und ihr ſchoͤnes Bein. Der zu Haus Ge - leuchtete. Mangér et digérer. Sentimentale Ergießung. Unbequeme Zeitungen. Drurylane. Braham der ewige Jude. Miß Paton. Poͤbelhaftigkeit im Theater. Hetaͤ - ren und Hierodulen daſelbſt. Ihre Gemeinheit und Origi - nalitaͤt.

Sechster Brief.

Seite 136

Drehorgeln. Punch. Eingefallene Haͤuſer. Der Koͤnig im Parlament. Contraſte. Die Oper. Figaro ohne Saͤnger. Engliſche Melodieen. Charles Kemble. Toilette des alten Zieten. Ein diplomatiſches Bonmot. Praktiſche Philoſo - phie. Falſtaff, wie er iſt und ſeyn ſoll. Ueber den Koͤnig im Hamlet. Der geiſtreiche Kuͤnſtler aus Newfoundland. Kleine Cirkel in der großen Welt. Wie der Tag hier hin - geht. Spracherlernung. Der Verfaſſer des Anaſtaſius. Seine antiken Meubles. Oberon. Der Felſenchor. Die Vorſtellung beim Koͤnig. Fernere Begebenheiten beim Lever. Diné bei Hrn. R .... Aechte Froͤmmigkeit. Seine vornehmen Freunde. Die Staatskutſche des Koͤnigs der Birmanen. Matthews at home.

Siebenter Brief.

Seite 184

Der Auktionator. Die Napoleoniſten. Franzoͤſiſches Theater. Ein Rout. Lady Charlotte B. Sie iſt eine Brownianerin. Politik und Converſation. Die engliſche Nebel-Sonne. XXVIIIDie eingepoͤckelte Hand und der Leichnam am Fenſter. Moderne Johanniterritter. Kleine Parkſchau. Die Sen - ſenkette. Engliſche Liberalitaͤt. Richmond. Adelphi. Ein vortrefflicher Trunkenbold. Gruͤbeleien. Das Diorama.

Achter Brief.

Seite 204

Berufsreiſe. Gothiſche und italieniſche Villa. Die Priory. Cashburypark. Geſchmackvolle Pracht. Zeichnungen von Denon. Blumengaͤrten. Ashridge. Modern-Gothiſches. Woburnabbey.

Neunter Brief.

Seite 223

Warwick Caſtle. Feudalgroͤße. The Baronial hall. Ge - maͤlde. Der Badeort Leamington. Guy’s Cliff. Seine Hoͤhle. Gavestons Denkmal. Beauchamps und Leiceſters Grab. Die Ruinen von Kenilworth. Eliſabeths Soͤller. Vergangenheit. Birmingham. Fabrik des Hrn. Thomaſ - ſon. Aſtonhall. Cromwell. Cheſter. Das Stadtgefaͤng - niß. Spitzbubenfėte.

XXIX

Zehnter Brief.

Seite 256

Der Park von Hawkestone. Ungewoͤhnlich ſchoͤne Natur. Die Kupferfelſen. Die rothe Burg und die Neuſeelaͤnder-Huͤtte. Noch mehr Fabriken. Gefahrvolle Arbeiten. Shakespea - res Geburtsſtube. Sein Grab. Verſchiedene Parks. Ju - dith von Cigoli. Blenheim. Vandalismus. Bilder. Ox - ford. Sein gothiſches Anſehn. Die Souveraine als Dok - toren und Bluͤcher als Apotheker. Das Muſeum. Tre - descant und ſein Vogel Dodo. Der blaue Miſtkaͤfer als Edelmann. Eliſabeths Reitkamaſchen und die Haarlocken ihrer Liebhaber. Die Bibliothek. Manuſcripte. Stove. Ueberladung. Ludewig des Achtzehnten Linden. Vergit - terte Koſtbarkeiten. Dekoration zum Don Juan. Sha - kespeares Bild. Ninon de l’Enclos. Das zerſtoͤrte Bul - ſtrade. Weihnachtspantomime. Bunte Feuersbrunſt.

Eilfter Brief.

Seite 311

Vorzuͤge der Franzoſen. Avantuͤre bei’m Herzog von York. Engliſche Trauer. Tagebuchsexcerpte. Ein Cosmorama mit Kuͤchenfeuer. Des Stiefelwichsfabrikanten sporting match. Beſuch auf dem Lande. Leben daſelbſt. Gemaͤlde. Die ſchoͤnſte Frau. Der Park.

Zwoͤlfter Brief.

Seite 347

Brighton. Sonnenuntergang. Orientaliſche Baͤder. Ueber Gourmands und Helden. Spazierritt am Meer. AlmacksXXX Ball. Die Gouverneurin von Mauritius. Der romanti - ſche Schotte. Predigt und Prieſter. Die Windmuͤhle. Ge - ſellſchaft beim Grafen F .... Die Bruͤder in den High - lands und die blutige Hand. Privatbaͤlle. Der Garten - Odyſſeus. Unſchuldige Politik.

Dreizehnter Brief.

Seite 379

Bettlerberedſamkeit. Theekeſſelpantomime und Jongleurs. Traumgedanken. Der Fancyball. Miß F .... Geſellſchaft - liches. Ballfreuden. Wolkenbilder. Der franzoͤſiſche Arzt. Liebhabe-Conzerts. Die Schwarzen. Chineſiſche Fuͤße. Oper, und Parkſtunde.

Vierzehnter Brief.

Seite 399

Techniſches der hieſigen Geſellſchaft. Bonne chère. Captain Parry und ſein Schiff. Die Meß der Horſeguards. Spiel. Weibliches Mittelalter. Monkeys und Ponys. Der große Zahnarzt. Lady Stanhope in Syrien. Adam lebt noch. Tippo Saybs Shawl. Eine Venus Titians. Realitaͤt und Kunſt. Flug nach der Heimath. Diné des Lord - Mayor. Meer, Feuer, Leben. Das hohe Kuͤnſtlerpaar. Lord H.. s und des Banquier .... Haͤuſer. Difficultaͤt der Englaͤnder. Der perſiſche Chargé d’affaire. Hoͤflich - keit der engliſchen Prinzen. Ein Spazierritt.

Dieſe Note ſollte in den Briefen eines Verſtorbe - nen eingeſchaltet werden, vom Verfaſſer iſt aber keine Pagina angegeben. Der geneigte Leſer wolle ſie da - her pag. 88 89, wohin ſie zu gehören ſcheint, einſchalten.

*) Es moͤchte zweckmaͤßig ſeyn, hier zu bemerken, daß, ſeit - dem Obiges geſchrieben wurde, die Natur der hoͤhern eng - liſchen Geſellſchaft weſentlich modificirt worden iſt. Des jetzigen Koͤnigs edle und praktiſche Geſinnung und die ein - fach liebenswuͤrdige und vortreffliche Koͤnigin haben den Narrenſcepter der Mode jener Zeit gebrochen, und man faͤngt an, einen wuͤrdigern Maßſtab fuͤr Verdienſt und Gra - zie anzulegen, als man bisher gewohnt war; die Coriphaͤen der Vergangenheit aber muͤſſen ſich dieſen fuͤgen, oder ſich ſonſten nur mit der eigenen Bewunderung begnuͤgen, und ſtatt Ausſchließliche (Exclusives) Ausgeſchloſſene werden.

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Erſter Brief.

Meine theure Freundin!

Deine Liebe bei unſerm Abſchied in B hat mir ſo wohl und weh gethan, daß ich mich noch nicht da - von erholen kann. Immer ſteht Deine kummervolle Geſtalt vor mir, ich leſe noch den tiefen Schmerz in Deinen Blicken und Thränen, und mein eigenes Herz ſagt mir nur zu ſehr, was Du dabei empfun - den haben mußt. Gott gebe uns bald ein ſo freudi - ges Wiederſehen, als der Abſchied traurig war!

Ich kann vor der Hand nichts ſagen, als Dir in’s Gedachtniß rufen, was ich ſo oft wiederholte, daß ich ohne Dich, meine Freundin, mit mir in dieſer Welt zu wiſſen, keine ihrer Freuden mehr ungetrübt genießen könnte, daß Du alſo, wenn Du mich liebſt, vor Allem über Deine Geſundheit wachen, Dich durch Geſchäfte, ſo viel Du kannſt, zerſtreuen, und auch die ärztlichen Anordnungen nicht verabſäumen ſollſt.

Briefe eines Verſtorbenen III. 12

Als mich auf dem Wege die Schwermuth, welche allen Gegenſtänden einen ſo trüben Anſtrich gibt, ganz überwältigen wollte, ſuchte ich eine Art Hülfe bei Deiner Sévigné, deren Verhältniß mit ihrer Toch - ter in der That viel Aehnliches mit dem unſrigen hat, mit der Ausnahme jedoch: que j’ai plus de votre sang als Frau von Grignan von dem ihrer Mutter. Du aber gleichſt der liebenswürdigen Sévigné, wie dem Portrait einer Ahnfrau. Die Vorzüge, welche ſie vor Dir hat, gehören ihrer Zeit und Erziehung an, Du haſt an - dere vor ihr voraus, und was dort vollendeter und abgeſchloſſener als klaſſiſch erſcheint, wird bei Dir reicher und ſich in das Unendliche verſenkend ro - mantiſch. Ich ſchlug das Buch au hazard auf. Ar - tig genug war es, daß ich gerade auf dieſe Stelle traf: N’aimons jamais ou n’aimons guėres Il est dangéreux d’aimer tant! worauf ſie gefühlvoll hinzuſetzt: Pour moi j’aime encore mieux le mal que le remėde, et je trouve plus doux d’avoir de la peine à quitter les gens que j’ȧime, que de les aimer médiocrement.

Ein wahrer Troſt iſt es mir ſchon jetzt, Dir ein Paar Zeilen geſchrieben zu haben. Seit ich mich wie - der mit Dir unterhalte, glaube ich Dir auch wieder näher zu ſeyn.

Reiſeabentheuer kann ich Dir noch nicht mittheilen, ich war ſo ſehr mit meinen innern Empfindungen beſchäftigt, daß ich kaum weiß, durch welche Orte ich gekommen bin.

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Dresden erſchien mir weniger freundlich als ge - wöhnlich, und ich dankte Gott, als ich mich im Gaſt - hof auf meiner Stube wieder häuslich eingerichtet fand.

Der Sturm, der mir den ganzen Tag gerade in’s Geſicht blies, hat mich übrigens ſehr erhitzt und fa - tiguirt, und da ich ohnedem, wie Du weißt, nicht ganz wohl bin, ſo bedarf ich der Ruhe.

Der Himmel gebe auch Dir in N. eine ſanfte Nacht, und einen lieben Traum von Deinem Freunde!

Vous avez sans doute cuit toutes sortes de bouil - lons amêrs, ainsi que moi. Indeſſen bin ich heite - rer und wohler aufgeſtanden, als geſtern, und gleich zur Aufräumung meiner Sachen, wie zu allen den kleinen Geſchäften geſchritten, welche die Vorbereitung für eine weite Reiſe nöthig machen. Am Abend fühlte ich mich wieder recht angegriffen, und da ich einen Rückfall meines nerveuſen, hypochondriſchen Uebelbefindens befürchtete, was Du meine Maladie imaginaire taufſt, ſo ließ ich den Hofrath W .... kommen, den Lieblingsarzt der hier durchreiſenden Fremden, weil er, ſeine Geſchicklichkeit abgerechnet, ein amüſanter und luſtiger Geſellſchafter iſt. Du kennſt meine Art, Aerzte zu gebrauchen. Niemand kann mehr homöopathiſcher Natur ſeyn denn in der Regel kurirt mich ſchon das bloße Geſpräch mit1*4ihnen über meine Uebel und ihre Heilmittel zur Hälfte, und nehme ich dann ja noch etwas von dem Ver - ſchriebenen, ſo geſchieht es gewiß nur in Tauſend - theilchen. Dieß bewährte ſich auch heute, und nach einigen Stunden, die W .... an meinem Bette zu - brachte, und mit mancher pikanten Anekdote würzte, ſoupirte ich mit beſſerem Appetit, und ſchlief leidlich bis zum hohen Morgen. Als ich meine Augen auf - ſchlug, fielen ſie auf ein Briefchen von Dir, das der ehrliche B .... mir auf die Decke gelegt hatte, wohl wiſſend, daß ich den Tag nicht freudiger beginnen könnte. In der That, nach dem Vergnügen von Dir zu hören, habe ich nur noch eins Dir zu ſchrei - ben. Fahre nur fort, ſo ganz zwanglos Deinen Gefühlen Worte zu geben, und ſchone auch die mei - nigen nicht. Ich weiß es ja wohl, daß Deine Briefe noch lange einer ernſten, trüben Landſchaft gleichen müſſen! Ich werde beruhigt ſeyn, wenn ich nur manch - mal ein liebliches Sonnenlicht ſeine Strahlen hinein - werfen ſehe.

In einem recht ſchönen Zimmer mit wohlgebohn - tem Parket, eleganten Meubeln und ſeidenen Vor - hängen, alles noch in der erſten fraicheur, deckt man ſo eben den Tiſch für mein Diné, während ich die Zeit benütze, Dir ein Paar Worte zu ſchreiben.

Ich verließ heute früh um 10 Uhr Dresden in5 ziemlich guter Stimmung, das heißt, bunte Phanta - ſiebilder für die Zukunft ausmalend, nur die Sehn - ſucht nach Dir, gute Julie, und die daraus folgende Vergleichung meines faden und freudeloſen Allein - ſeyns gegen die herrliche Luſt, mit Dir in glücklicheren Verhältniſſen dieſe Reiſe machen zu können, griffen mir oft peinlich an’s Herz.

Vom Wege hierher iſt nicht viel zu ſagen, er iſt nicht romantiſch, ſelbſt nicht die, mehr Sand als Grün zur Schau tragenden, Weinberge bis Meißen. Doch erregt die zu offene, aber durch Fruchtbarkeit und Friſche anſprechende Gegend zuweilen angenehme Ein - drücke, unter andern bei Oſchatz, wo der ſchön be - buſchte Culmberg, wie ein jugendlich gelocktes Haupt in das Land hineinſchaut. Die Chauſſee iſt gut, und es ſcheint, daß auch in Sachſen das Poſtweſen ſich verbeſſert, ſeitdem in Preußen der vortreffliche Nag - ler eine neue Poſt-Aera geſchaffen hat. Nichts iſt mir dabei beluſtigender als B .... ’s friſcher Eifer, der ſelbſt die Gutwilligſten unter den Phlegmatiſchen raſtlos antreibt, und ſich gegen ſie benimmt, als habe er bereits mit mir die ganze Welt durchreist, und es, wie ſich von ſelbſt verſteht, überall beſſer gefunden, als im Vaterlande.

Bei dem gereizten Zuſtande meiner Geſundheit iſt der bequeme engliſche Wagen eine wahre Wohlthat. Ich thue mir überhaupt etwas darauf zu Gute, das Reiſen in gewiſſer Hinſicht beſſer als Andere zu ver - ſtehen, nämlich die größte Bequemlichkeit, wozu auch das Mitnehmen der möglichſten Menge von Sachen6 gehört (in der Ferne oft liebe, gewohnte Andenken) mit dem geringſten Embarras und Zeitverluſt zu ver - binden zu wiſſen. Dieſe Aufgabe habe ich beſonders dießmal vollkommen gelöst. Ehe ich in Dresden ein - packte, glaubte man ein Waarenlager in meinen Stuben zu ſehen. Jetzt iſt Alles in den vielfachen Behältniſſen des Wagens verſchwunden, ohne dieſem dennoch ein ſchweres überladenes Anſehen zu geben, das unſre Poſtillone ſo leicht erſchreckt, und den Gaſt - wirthen einen auf der großen Tour Begriffenen an - zeigt. Jede Sache iſt bei der Hand, und dennoch wohl geſondert, ſo daß, im Nachtquartier angekom - men, in wenigen Minuten das häusliche Verhält - niß in dem fremden Orte ſchon wieder hergeſtellt iſt. Unterwegs aber geben mir die hellen Kryſtallfenſter vom größten Format, die kein Gepäck und kein Bock verbaut, eben ſo freie Ausſicht als eine offene Kale - ſche, und laſſen mich zugleich Herr der Temperatur, die ich wünſche. Die Leute auf ihrem, hinter dem Wagen befindlichen hohen Sitze, überſehen von dort alles Gepäck und die Pferde, ohne in das Innere neugierige Blicke werfen, noch eine Converſation da - ſelbſt überhören zu können, wenn ja, im Lande der Brobdignacs oder Lilliputs angelangt, einmal Staats - geheimniſſe darin verhandelt werden ſollten. Ich könnte ein Collegium über dieſes Kapitel leſen, das dem Reiſenden gar nicht unwichtig iſt, bin aber hier nur deshalb ſo weitläufig geworden, um Dir ein vollſtändiges Bild zu liefern, wie Du mich, die Welt durchziehend, Dir denken ſollſt, und das nomadiſche7 Wohnhaus, mit dem die wechſelnden Poſtgäule mich täglich weiter Deinem Geſichtskreiſe entrücken.

Der Wirth im Hôtel de Saxe, gewiß einem der beſten Gaſthöfe in Deutſchland, iſt ein alter Bekann - ter von mir, der, als ich in Leipzig ſtudierte, ſich ſogar manches Recht auf meine Dankbarkeit erwarb. Viele fröhliche, zuweilen ausgelaſſene Mahle wurden damals in ſeinem Hauſe gehalten, und ich lud ihn daher ein, auch heute mein einſameres zu thei - len, um mir von der Vergangenheit und dem wilden Jünglingsleben wieder etwas vorzuerzählen. Die jetzigen Zeiten ſind leider überall ernſter gewor - den, ſonſt ward das Vergnügen faſt zum Geſchäft erhoben, man dachte und ſtudierte nur darauf, und den ſtets Tanzluſtigen war gar leicht aufgeſpielt heut zu Tage findet man das Vergnügen nur noch im Geſchäft, und großer Reizmittel bedarf es, um außerdem froh zu werden, wenn es überhaupt noch erlangt wird.

Ich will Dich mit keiner einzigen Tirade über die Schlachtfelder von Leipzig und Lützen, noch einer Be - ſchreibung des chetiven Monumentes Guſtav Adolphs, noch der magern Schönheiten der Umgegend von Schulpforte ermüden. In Weißenfels, wo ich ein Buch zu kaufen wünſchte, war ich verwundert, zu -8 ren, daß in des großen Müllners Wohnort kein Buch - händler zu finden ſey. Wahrſcheinlich haben ſie ge - fürchtet, daß er ihnen dort aus erſter Hand einen Prozeß an den Hals hängen würde.

Die Fluren von Jena und Auerſtädt betrat ich mit eben den Gefühlen, die zwiſchen den Jahren 1806 und 1812 ein Franzoſe der großen Armee gehabt ha - ben mag, wenn er über Roßbachs Felder ſchritt, denn der letzte Sieg bleibt (wie das letzte Lachen) immer der beſte und als nach ſo vielen Schlachterinne - rungen mich der Muſenſitz, das freundliche Weimar, in ſeinen Schoos aufnahm, ſegnete ich den edlen Für - ſten, der hier ein Monument des Friedens aufge - richtet, und einen Leuchtthurm im Gebiete der Lite - ratur aufbauen half, der ſo lange in vielfarbigem Feuer Deutſchland vorgeflammt hat.

Am nächſten Tage ſtellte ich mich dieſem meinem alten Chef, und den ſämmtlichen hohen Herrſchaften vor, die ich wenig verändert, den Hof aber durch zwei liebenswürdige Prinzeſſinnen vermehrt fand, die, wären ſie auch im geringſten Privatſtande geboren, durch äußern Reiz und treffliche Erziehung ausge - zeichnet erſcheinen müßten. Man iſt übrigens hier noch von einer, anderwärts ganz aus der Mode ge - kommenen, Artigkeit gegen Fremde. Kaum war ich gemeldet, als ſchon ein Hoflakai bei mir erſchien, um ſich nebſt einer Hofequipage für die Zeit meines Hier - ſeyns zu meiner Verfügung zu ſtellen, und mich zu - gleich ein für allemal zur Mittagstafel einzuladen.

Der Großherzog hatte am Morgen die Güte, mir9 ſeine Privatbibliothek zu zeigen, die elegant arrangirt, und beſonders reich an prächtigen engliſchen Kupfer - werken iſt. Er lachte herzlich, als ich ihm erzählte, kürzlich in einem Pariſer Blatte geleſen zu haben, daß auf ſeinen Befehl Schiller ausgegraben worden ſey, um ſein Skelet in des Großherzogs Bibliothek in natura aufzuſtellen. Die Wahrheit iſt, daß blos ſeine Büſte mit denen Anderer die Säle ziert, ſein Schädel aber dennoch, wenn ich recht hörte, im Po - ſtamente derſelben verwahrt wird, allerdings eine et - was ſonderbare Ehrenbezeigung.

Den Park ſah ich mit erneutem Vergnügen wieder. Die Gegend iſt zwar nicht eben reich an pittoresker Schönheit, aber die Anlagen ſind ſo verſtändig er - dacht, die einzelnen Partien ſo ſinnig und ſchön aus - geführt, daß ſie ein Gefühl der Befriedigung zurücklaſſen, welches ähnliche Beſtrebungen, auch bei günſtigerer Natur, ſelten in dem Grade hervorbrin - gen. Als neuen Zuſatz fand ich in einem weiten Run - dell, in deſſen Mittelpunkt ein herrlicher alter Baum ſteht, einen kleinen botaniſchen Garten angelegt, wo man, nach dem Linnéiſchen Syſtem geordnet, einzelne Exemplare aller im Freien aushaltenden Bäume, Sträucher und Pflanzen antrifft, die der hieſige Park und Garten enthält. Es kann keinen freundlichern Ort zum lebendigen Studium der Botanik geben, als den Sitz unter dieſem alten Baume, der wie ein ehr - würdiger Stammvater auf die ihn umgebende Ju - gend von allen Formen, Blättern, Blüthen und Far - ben herabſchaut. Im Verlauf meiner Excurſion be -10 ſah ich auch noch ein Muſtervorwerk des Großherzogs, wo coloſſales Schweizervieh wenig Milch gibt denn dieſe Verpflanzungen des Fremden taugen gewöhnlich nicht viel; ferner die anmuthige Faſanerie, die reich an Gold - und Silberſaſanen und weißen Rehen iſt. Einen ſeltſamen Anblick gewährte der große Truten - baum, auf welchen 70 bis 80 dieſer ſchwerfälligen Vögel vom Faſanenjäger gewöhnt ſind, gemeinſchaft - lich hinaufzuklettern, wo dann die alte Linde, über und über mit ſolchen Früchten behangen, ein wun - derbar exotiſches Anſehen gewinnt.

Da man ſehr zeitig bei Hofe ſpeiſt, hatte ich kaum Zeit mich en costume zu werfen, und fand, etwas ſpät kommend, ſchon eine große Geſellſchaft verſam - melt, unter der ich mehrere Engländer bemerkte, die jetzt ſehr vernünftigerweiſe hier deutſch ſtudiren, ſtatt früher mit vieler Mühe den Dresdner ungra - zieuſen Dialekt zu erlernen, und äußerſt gaſtfrei auf - genommen werden. Die Unterhaltung bei Tafel wurde bald ſehr animirt. Du kennſt die Jovialität des Großherzogs, der hierin ganz ſeinem Freunde, dem unvergeßlichen Könige von Bayern, gleicht. Man rekapitulirte mehrere ſcherzhafte Geſchichten aus der Zeit, wo ich noch ſein Adjudant zu ſeyn die Ehre hatte, und nachher mußte ich mein großes cheval de bataille reiten die Luſtballon-Fahrt. Intereſſanter waren Herzog Bernhards Erzählungen von ſeiner Reiſe in Nord - und Süd-Amerika, die wir, wie ich höre, bald mit Anmerkungen von Göthe ver - ſehen, gedruckt leſen werden. Dieſer Prinz, den11 die Geburt hoch geſtellt hat, ſteht als Menſch noch höher, und Niemand konnte, namentlich den freien Amerikanern, eine vortheilhaftere Idee von einem deutſchen Fürſten geben, als gerade er, der freie Würde im Benehmen mit ächter Liberalität der Ge - ſinnung, und anſpruchloſer Liebenswürdigkeit des Umgangs verbindet.

Abends war große Aſſemblée, eine Art Vereinigung, die ihrer Natur nach nicht zu den genußreichſten gehört. Jede Annehmlichkeit aber kehrte für mich zurück, als ich beim Spiel der Frau Großherzogin gegenüber meinen Platz eingenommen hatte. Wer hat nicht von dieſer edlen und vortrefflichen deutſchen Frau gehört, die ſelbſt Napoleon mit ihrer ſtillen Klarheit zu imponiren wußte, und von Jedem ge - liebt wird, der ihres milden und liebreichen Umgangs ſich erfreuen darf. Wir ſaßen zwar, wie geſagt, am Spieltiſch, gaben aber wenig auf die Whiſt-Regeln Achtung, und heitere Unterhaltung nahm den größ - ten Theil der Zeit hinweg.

An einem Hofe wie der hieſige, den ſo viele Fremde beſuchen, kann es nicht daran fehlen, daß oft ſelt - ſame Originale ſich einfinden, die, auch den am we - nigſten zum Mediſiren Geneigten, Stoff zu pikanten Anekdoten liefern müſſen. Einige ganz luſtige wurden mir nach beendigtem Spiele, als ich mich wieder unter die Geſellſchaft gemiſcht, erzählt, unter andern auch eine merkwürdige, Viſiten-Karte in natura gezeigt, die einer bekannten, von einem Engländer curſirenden Anekdote wahrſcheinlich ihr Daſeyn ver -12 dankte. Dies Vorbild brachte nämlich den, wegen ſeiner luſtigen Laune faſt berüchtigten, Baron J auf den Gedanken, die Sache mit einem ſeiner Tiſch - Freunde, einen ehemaligen Hauptmann, dem die Welt und ihre Sitten ziemlich fremd geblieben waren, von neuem ins Leben zu rufen. Er inſinuirte zu dieſem Endzweck dem bisher ganz einſam in D Lebenden, daß es die Höflichkeit von ihm jetzt durchaus erfor - dere, eine Viſiten-Runde in der Stadt zu machen, worauf der harmloſe Capitain geduldig erwiederte, er wiſſe zwar damit keinen Beſcheid, wolle ſich aber gern der Leitung J ..... ’s überlaſſen. Wohlan, ſagt dieſer, ich werde die Viſiten-Karten, die franzöſiſch ſeyn müſſen, und alles übrige ſelbſt beſorgen, und Dich in drei Tagen in meinem Wagen abholen. Du wirſt Uniform anziehen, und auf den Karten muß bemerkt werden, in weſſen Dienſten Du früher ge - ſtanden. Alles geſchah, wie verabredet, man kann ſich aber denken, welchen lachenden Geſichtern die Beſuchenden begegneten, da ihnen überall Viſiten - Karten folgenden Inhalts vorangeſchickt worden waren:

Le Baron de J pour présenter feu Monsieur le Capitaine de M jadis au service de plusieurs membres de la confédération du Rhin.

13

Dieſen Abend ſtattete ich Göthe meinen Beſuch ab. Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stu - be, deren clair obscur nicht ohne einige künſtleriſche Coquetterie arrangirt war. Auch nahm ſich der ſchöne Greis mit ſeinem Jupiters-Antlitz gar ſtattlich darin aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum ge - ſchwächt, er iſt vielleicht weniger lebhaft als ſonſt, aber deſto gleicher und milder, und ſeine Unterhal - tung mehr von erhabener Ruhe als jenem blitzenden Feuer durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller Grandezza, wohl zuweilen überraſchte. Ich freute mich herzlich über ſeine gute Geſundheit, und äußerte ſcherzend, wie froh es mich mache, unſern Geiſter - König immer gleich majeſtätiſch und wohlauf zu fin - den. O, Sie ſind zu gnädig, ſagte er mit ſeiner immer noch nicht verwiſchten ſüddeutſchen Weiſe, und lächelte norddeutſch, ſatyriſch dazu, mir einen ſolchen Namen zu geben. Nein, erwiederte ich, wahrlich aus vollem Herzen, nicht nur König, ſondern ſogar Deſpot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltſam mit ſich fort. Er verbeugte ſich höflich, und befrug mich nun über einige Dinge, die meinen früheren Aufenthalt in Weimar betrafen, ſagte mir dann auch viel Gütiges über M. und mein dortiges Streben, mild außernd, wie verdienſtlich er es überall finde, den Schönheitsſinn zu erwecken, es ſey auf welche Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer auch das Gute und alles Edle ſich mannichfach von14 ſelbſt entwickele, und gab mir zuletzt ſogar, auf meine Bitte, uns dort einmal zu beſuchen, einige auf - munternde Hoffnung. Du kannſt Dir vorſtellen, Liebſte, mit welchem Empreſſement ich dies aufgriff, wenn es gleich nur eine façon de parler ſeyn mochte. Im fernern Verlauf des Geſprächs, kamen wir auf Sir Walter Scott. Göthe war eben nicht ſehr enthu - ſiaſtiſch für den großen Unbekannten eingenommen. Er zweifle gar nicht, ſagte er, daß er ſeine Romane ſchreibe, wie die alten Maler mit ihren Schülern gemeinſchaftlich gemalt hätten, nämlich, er gäbe Plan und Hauptgedanken, das Skelett der Scenen an, laſſe aber die Schüler dann ausführen, und re - touchire nur zuletzt. Es ſchien faſt, als wäre er der Meinung, daß es gar nicht der Mühe werth ſey, für einen Mann von Walter Scott’s Eminenz ſeine Zeit zu ſo viel faſtidieuſen Details herzugeben. *)Sir Walter’s offizielle Erklaͤrung, daß alle jene Schriften von ihm allein ſeyen, war damals noch nicht gegeben. A. d. H. Hätte ich, ſetzte er hinzu, mich zu bloßem Gewinn - ſuchen verſtehen mögen, ich hätte früher mit Lenz und Andern, ja ich wollte noch jetzt Dinge anonym in die Welt ſchicken, über welche die Leute nicht wenig erſtaunen, und ſich den Kopf über den Autor zerbrechen ſollten, aber am Ende würden es doch nur Fabrikarbeiten bleiben. Ich äußerte ſpäter, daß es wohlthuend für die Deutſchen ſey, zu ſehen, wie jetzt unſere Literatur die fremden Nationen15 gleichſam erobere, und hierbei, fuhr ich fort, wird unſer Napoleon kein Waterloo erleben.

Gewiß, erwiederte er, mein etwas fades Com - pliment überhörend, ganz abgeſehen von unſern eignen Produktionen, ſtehen wir ſchon durch das Aufnehmen und völlige Aneignen des Fremden auf einer ſehr hohen Stufe der Bildung. Die andern Nationen werden bald ſchon deshalb deutſch lernen, weil ſie inne werden müſſen, daß ſie ſich damit das Lernen faſt aller andern Sprachen gewiſſermaſſen erſparen können. Denn von welcher beſitzen wir nicht die ge - diegenſten Werke in vortrefflichen deutſchen Ueber - ſetzungen? die alten Claſſiker, die Meiſterwerke des neueren Europas, indiſche und morgenländiſche Lite - ratur, hat ſie nicht alle der Reichthum und die Viel - ſeitigkeit der deutſchen Sprache, wie der treue deutſche Fleiß und tief in ſie eindringende Genius beſſer wie - dergegeben, als es in andern Sprachen der Fall iſt? Frankreich, fuhr er fort, hat gar viel ſeines einſtigen Uebergewichts in der Literatur dem Umſtande zu verdanken gehabt, daß es am früheſten aus dem Griechiſchen und Lateiniſchen leidliche Ueberſetzungen lieferte, aber wie vollſtändig hat Deutſchland es ſeit - dem übertroffen!

Im politiſchen Felde ſchien er nicht viel auf die ſo beliebten Conſtitutions-Theorien zu geben. Ich ver - theidigte mich und meine Meinung indeß ziemlich warm. Er kam hier auf ſeine Lieblings-Idee, die er mehrmals wiederholte, nämlich daß Jeder nur darum bekümmert ſeyn ſolle, in ſeiner ſpeciellen16 Sphäre, groß oder klein, recht treu und mit Liebe fortzuwirken, ſo werde der allgemeine Segen auch unter keiner Regierungsform ausbleiben. Er für ſeine Perſon habe es nicht anders gemacht, und ich mache es in M. ja ebenfalls ſo, ſetzte er gutmüthig hinzu, unbekümmert was andere Intereſſen geböten. Ich meinte nun freilich, mit aller Beſcheidenheit, daß, ſo wahr und herrlich dieſer Grundſatz ſey, ich doch glaube, eine conſtitutionelle Regierungsform müſſe ihn eben erſt recht ins Leben rufen, weil ſie offenbar in jedem Individuum die Ueberzeugung größerer Sicherheit für Perſon und Eigenthum, folglich die freudigſte Thatkraft und zugleich damit die zuver - läßigſte Vaterlandsliebe begründe, hierdurch aber dem ſtillen Wirken in eines Jeden Kreiſe eben eine weit ſolidere allgemeine Baſis gegeben wurde, und führte endlich, vielleicht ungeſchickt, England als Beleg für meine Behauptung an. Er erwiederte gleich, das Beiſpiel ſey nicht zum beſten gewählt, denn in keinem Lande herrſche eben Egoismus mehr vor, kein Volk ſey vielleicht weſentlich inhumaner in politiſchen und Privat-Verhältniſſen*)Hier habe ich meinen Freund faſt in Verdacht, daß er Goͤthen nur ſeine eigene Meinung in den Mund gelegt hat. A. d. H. , nicht von außen herein durch Regierungsform käme das Heil, ſondern von innen heraus durch weiſe Beſchränkung und beſcheidene Thä - tigkeit eines Jeden in ſeinem Kreiſe. Dies bleibe immer die Hauptſache zum menſchlichen Glücke, und ſey am leichteſten und einfachſten zu erlangen.

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Von Lord Byron redete er nachher mit vieler Liebe, faſt wie ein Vater von ſeinem Sohne, was meinem hohen Enthuſiasmus für dieſen großen Dichter ſehr wohl that. Er widerſprach unter andern auch der albernen Behauptung, daß Manfred eine Nachbetung ſeines Fauſt ſey, doch ſey es ihm allerdings als etwas Intereſſantes aufgefallen, ſagte er, daß Byron unbe - wußt ſich derſelben Maske des Mephiſtopheles wie er bedient habe, obgleich freilich Byron ſie ganz anders ſpielen laſſe. Er bedauerte es ſehr, den Lord nie perſönlich kennen gelernt zu haben, und tadelte ſtreng, und gewiß mit dem höchſten Rechte, die eng - liſche Nation, daß ſie ihren großen Landsmann ſo kleinlich beurtheile und im Allgemeinen ſo wenig ver - ſtanden habe. Doch hierüber hat ſich Göthe ſo ge - nügend und ſchön öffentlich ausgeſprochen, daß ich nichts weiter hinzuzufügen brauche. Ich erwähnte zuletzt der Aufführung des Fauſt auf einem Privat - theater zu Berlin, mit Muſik vom Fürſten Radziwil und lobte den ergreifenden Effect einiger Theile dieſer Darſtellung. Nun, ſagte Göthe gravitätiſch, es iſt ein eigenes Unternehmen, aber alle Anſichten und Verſuche ſind zu ehren.

Ich grolle meinem ſchlechten Gedächtniß, daß ich mich nicht mehr aus unſrer ziemlich belebten Unter - haltung eben erinnern kann. Mit hoher Ehrfurcht und Liebe verließ ich den großen Mann, den dritten im Bunde mit Homer und Shakespeare, deſſen Name unſterblich glänzen wird, ſo lange deutſche Zunge ſich erhält, und wäre irgend etwas von MephiſtophelesBriefe eines Verſtorbenen. III. 218in mir geweſen, ſo hätte ich auf der Treppe gewiß auch ausgerufen: Es iſt doch ſchön von einem großen Herrn, mit einem armen Teufel ſo human zu ſprechen*)Ich glaube nicht, daß der erhabene Greis die Bekannt - machung dieſer Mittheilung tadelnd aufnehmen wird. Jedes Wort, auch das unbedeutendere, ſeinem Munde entfallen, iſt ein theures Geſchenk fuͤr ſo Viele, und ſollte mein ſeliger Freund ihn irgendwo falſch verſtanden, und nicht vollkommen richtig wiedergegeben haben, ſo iſt wenigſtens nichts in dieſen Aeußerungen enthalten, was, meines Beduͤnkens, eine Indiscretion genannt werden konnte. A. d. H. .

Ich war heute beim Erb-Großherzog im Belvedere zur Tafel eingeladen, und fuhr um zwei Uhr auf einem angenehmen Wege dahin. Das Wetter iſt, ſeit ich hier bin, wundervoll, Tage von Criſtall, wie Deine Sevigné ſagt, wo man weder Hitze noch Kälte fühlt, und die nur Frühjahr und Herbſt ſo geben können.

Der Erb-Großherzog und ſeine Frau Gemahlin leben im Belvedere ganz wie Privatleute, und em - pfangen ihre Gäſte ohne Etikette, nur mit der zu - vorkommendſten Artigkeit. Die Großfürſtin ſchien noch ſehr gedrückt vom Tode des Kaiſers, demohn - geachtet machte ſie ſpäter, als die Unterhaltung ani - mirter ward, der Geſellſchaft eine ergreifende Be - ſchreibung von der Ueberſchwemmung in Petersburg, deren Augenzeugin ſie geweſen war. Ich habe immer die vortreffliche Erziehung und die mannichfachen19 Kenntniſſe bewundert, welche die ruſſiſchen Prinzeſ - ſinnen auszeichnen. Bei der verſtorbenen Königin von Würtemberg konnte man es Gelehrſamkeit nen - nen. Ich hatte dieſer Fürſtin einſt in Frankfurt einen Brief zu überbringen, und blieb, nachdem ich ihn übergeben, auf ihren Befehl im Cirkel ſtehen, bis die Uebrigen entlaſſen ſeyn würden. Ein Pro - feſſor der Peſtalozziſchen Schule war der erſte, welcher an die Reihe kam, und ſelbſt weniger von ſeinem Syſteme zu wiſſen ſchien als die Königin (damals noch Großfürſtin Katharine), da ſie ſeine weitſchwei - figen Antworten mehreremal mit der größten Klar - heit rektifizirte. Ein Diplomat folgte, und erhielt eben ſo in ſeiner Sphäre, ſo weit die allgemeine Unterhaltung es geſtattete, die feinſten und gewandte - ſten Antworten. Hierauf begann ſie ein gründliches Geſpräch mit einem berühmten Oekonomen aus A .... und zuletzt ſchloſſen tiefſinnige und glänzende Refle - xionen in einer lebhaften Controverſe mit einem be - kannten Philoſophen die merkwürdige Audienz.

Nach der Tafel führte uns der Erb-Großherzog in die Pflanzenhäuſer, welche, nach Schönbrunn, wohl die reichhaltigſten in Deutſchland ſind. Du weiſt, liebe Julie, daß ich auf die bloße Seltenheit wenig Werth lege, und auch in der Pflanzenwelt mich nur an dem Schönen ergötze. Daher gingen viele Schätze an mir verloren, und ich konnte das Ent - zücken nicht theilen, in welches mehrere Kenner aus - brachen, als ſie eine Staude erblickten, die zwar nur ſechs Zoll hoch war, und nicht mehr als fünf Blät -2*20ter ohne Blüthe aufwies, aber 60 Guineen gekoſtet hatte, und bis jetzt noch kein andres deutſches Pflan - zenhaus zierte. Dagegen machte mir ein rother Cactus grandiflorus, der wundervoll reich blühte, und eine Menge andere ausgezeichnete Prunkpflanzen viel Freude; mit aller Ehrfurcht beſah ich das Prachtſtück eines großen Brod-Fruchtbaumes, und fand es artig, auf dem Cactus, den die Cochenille bewohnt, mir mit einigen dieſer Thierchen ſofort die Finger car - minroth zu färben. Die ganze Maſſe der Pflanzen überſteigt 60,000 verſchiedene Arten. Auch die Oran - gerie iſt prächtig, und ein Veteran von anderthalb Ellen Umfang darunter, der bereits 550 nordiſche Sommer glücklich ausgehalten.

Den Abend brachte ich bei Herrn v. G zu, einem geiſtreichen Manne, und alten Freund der Madame Schoppenhauer, die auch für mich eine freundliche Gönnerin iſt. Frau v. G e kam ſpäter, unſere Geſellſchaft auf ſehr angenehme Weiſe zu vermehren. Sie iſt eine muntere, originelle und geiſtreiche Frau, auf welche der dem Schwiegervater mit ſo viel Recht geſtreute Weihrauch billig nicht ohne allen Einfluß geblieben iſt. Sie zeigte ſich ſehr erfreut, vom eng - liſchen Verfaſſer des Granby, welcher in Weimar deutſch ſtudirt hat, ſo eben ein erſtes Exemplar ſeines Romans überſchickt erhalten zu haben. Ich fand die Opfergabe nicht ſehr bedeutend, und wünſchte ihr, daß der Verfaſſer intereſſanter geweſen ſeyn möge, als ſein Werk. Ich ſagte dies vielleicht aus debit, denn man ſchmeichelt hier, wie überall auf dem Continent,21 den Engländern viel zu viel, und Gott weiß, wie ſehr mal à propos!

Nachdem ich mich bei allen hohen Herrſchaften dieſen Morgen beurlaubt, widmete ich den Reſt des Tages meinem Freunde Sp .., der mit ſeiner Familie zeigt, daß man das Hofleben und die große Welt mit der einfachſten Häuslichkeit und gewinnendſten Herzens - güte ſehr wohl verbinden kann. Ein junger Eng - länder, Sekretär bei Herrn Canning, der deutſch wie ſeine Mutterſprache redet, unterbielt uns mit launigen Schilderungen der engliſchen Geſellſchaft, deren Unbeholfenheit und Mangel an Gutmüthig - keit er bitter rügte, wobei er natürlich gute Gelegen - heit fand, den Deutſchen, wie beſonders den An - weſenden Verbindliches zu ſagen. So urtheilen die Engländer jedoch nur im Auslande. Zurückgekommen, nehmen ſie ſchnell wieder die ge - wohnte Kälte und ſtolze Indifferenz an, die einen Fremden wie ein geringeres Weſen betrachtet, und lachen höhniſch der deutſchen Bonhomie, die ſie frü - her gelobt, ſo lange ſie der Gegenſtand derſelben waren, während ſie doch zu jeder Zeit die wahrhaft lächerliche Ehrfurcht, die wir für den Namen Eng - länder hegen, nur als ſchuldigen Tribut ihrer hohen Vorzüge anſehen.

Dies iſt der letzte Brief, liebe Julie, den Du von hier erhältſt. Morgen früh, nicht mit dem Hahnen -22 ſchrei, ſondern nach meinem Kalender, um 12 Uhr, gedenke ich abzureiſen, und mich bis London nicht viel unterweas aufzuhalten. Schone, ich bitte Dich, Deine Geſundheit um meinetwillen, und erheitere Deinen Geiſt ſo viel Du es vermagſt, mit jener wunderbaren Kraft, die ihm der Schöpfer verlieh: ſich ſelbſt zu bezwingen. Doch liebe mich des - halb nicht weniger denn meine Kraft iſt Deine Liebe.

Dein treuer L.

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Zweiter Brief.

Geliebte Freundin!

Nachdem ich von Göthe und ſeiner Familie noch Abſchied genommen, und eine vornehme und reizende Malerin zum Letztenmal in ihrem Attelier beſucht, verließ ich voll angenehmer Erinnerungen das deutſche Athen.

In Gotha hielt ich mich nur ſo lange auf als nöthig war, um einen alten Freund und Kriegs - Kameraden, den Miniſter und Aſtronomen (Himmel und Erde in ſeltner Berührung) Baron von L ..... zu beſuchen, welchen ich noch immer an den Folgen ſeines unglücklichen Duells in Paris leiden, aber dieſes Ungemach auch mit eben der Ruhe des Weiſen tragen ſah, die er in allen Lagen des Lebens zu be - haupten wußte.

Es war ſchon dunkel, als ich in Eiſenach ankam, wo ich an einen andern meiner ehemaligen Kamera - den einen Auftrag des Großherzogs hatte. Ich ſah24 ſein Haus hell erleuchtet, hörte Tanzmuſik und trat mitten in eine große Geſellſchaft, die verwundert mein Reiſe-Coſtüm und meine Jagdmütze betrachtete. Es war die Hochzeit der Tochter vom Hauſe, welche man feierte, und herzlich bewillkommte der Vater mich dabei, als er mich erkannte. Ich entſchuldigte bei der Braut mein unhochzeitliches Kleid, trank ein Glas Eispunſch auf ihr Wohlergehen, ein anders auf das des Vaters, tanzte eine Polonaiſe und entſchwand à la française.

Gleich darauf machte ich meine Nachttoilette und legte mich im Wagen behaglich zur Ruhe.

Als ich erwachte, befand ich mich ſchon eine Sta - tion vor Caſſel, an demſelben Ort, wo wir vor 10 Jahren die ſeltſame entrée mit einer aufrecht ſtehen - den, zerbrochenen Wagendeichſel machen mußten, auf der der Poſtillon zu reiten ſchien. Ich frühſtückte hier, vielfach jener Reiſe gedenkend, fuhr durch die traurig ſchöne Hauptſtadt ohne mich aufzuhalten, ſpäter durch einen herrlichen Buchenwald, der im hellen Sonnen - ſchein wie grünes Gold erglänzte, machte bei Ve - ſtuffeln romantiſche Betrachtungen über einen komi - ſchen Berg, den der Vorzeit moſige Trümmer deckten, und traf, durch lange einförmige Gegenden forteilend, zu meiner Eßſtunde im alten Biſchofsſitze zu Osna - brück ein.

Die zweite Nacht ſchläft man immer noch beſſer als die erſte im Wagen, deſſen Bewegung, auf mich we -25 nigſtens, wie die Wiege auf Kinder wirkt. Ich fühlte mich ſehr wohl und heiter am nächſten Morgen, und bemerkte, daß das Land allgemach anfing, einen hol - ländiſchen Charakter anzunehmen. Altväteriſche Häu - ſer mit vielfachen Giebeln und Schiebfenſtern, ein unverſtändliches Plattdeutſch, welches an Wohllaut dem holländiſchen nichts nachgiebt, phlegmatiſchere Menſchen, beſſer meublirte Stuben, wiewohl noch ohne holländiſche Reinlichkeit, Thee ſtatt Kaffee, überall vortreffliche friſche Butter und Rahm, nebſt erhöhter Prellerei der Gaſtwirthe Alles zeigte eine neue Schattirung dieſer bunten Welt.

Die Gegenden, durch welche mein Weg führte, ge - hörten einer anmuthigen und ſanften Natur an, be - ſonders bei Stehlen an der Ruhr, ein Ort, für den gemacht, der ſich vom Getümmel des Lebens in heitre Einſamkeit zurückzuziehen wünſcht. Nicht ſatt ſehen konnte ich mich an der ſaftig friſchen Vegetation, den prachtvollen Eich - und Buchen-Wäldern, die rechts und links die Berge krönen, zuweilen ſich über die Straße hinzogen, dann wieder in weite Ferne zurück - wichen, aber überall den fruchtbarſten Boden begränz - ten, braun und roth ſchattirt, wo er friſch geackert war, hell oder dunkelgrün ſchimmernd, wo junge Winterſaat und friſcher Klee ihn bedeckten. Jedes Dorf umgiebt ein Hain ſchön belaubter Bäume, und nichts übertrifft die Ueppigkeit der Wieſen, durch welche ſich die Ruhr in den ſeltſamſten Krümmungen ſchlän - gelt. Ich dachte lachend, daß, wenn Einem prophe - zeihet würde, an der Ruhr zu ſterben, er ſich hier26 niederlaſſen müſſe, um auf eine angenehme Weiſe die Prophezeihung zugleich zu erfüllen und zu entkräften. Als ich gegen Abend noch dieſe freundliche Landſchaft mit unſern düſtern Föhren-Wäldern verglich, erſchien, wie durch Zauberſpruch, plötzlich eine Zunge heimi - ſches Land mit Kiefern, Sand und dürren Birken, ſo weit das Auge reichte, über den Weg gelagert. Nach zehn Minuten ſchon begrüßten uns aber wieder grüne Matten und ſtolze Buchen. Welche Revolu - tion hat dieſen Sandſtrich hier hineingeſchoben?

Einige Meilen von Weſel wird indeſſen das ganze Land tout de bon vaterländiſch, und da hier auch die Chauſſée aufhört, watet man von neuem in Ber - liner Streuſande. Ich kam unglücklicherweiſe einen Tag zu ſpät, um ſogleich mit dem Dampfboot von hier abgehen zu können, ſonſt hätte ich, von Weimar aus gerechnet, London in Tagen erreicht. Nun werde ich zu Lande bis Rotterdam reiſen, und dort die Abfahrt des nächſten Schiffes erwarten müſſen.

Meine Reiſe von Weſel bis Arnheim war ziemlich langweilig. Langſam ſchlichen die Pferde durch eine wenig anſprechende Gegend im endloſen Sande hin. Nichts Intereſſantes zeigte ſich als große Ziegeleyen an der Straße, die ich aufmerkſam beſichtigte, da ſie den unſrigen ſo ſehr vorzuziehen ſind. Deſto beloh -27 nender, und wirklich von magiſcher Wirkung iſt da - gegen der weite Garten, welcher ſich zwiſchen Arn - heim und Rotterdam ausbreitet. Auf einer Chauſſée, von Klinkern (ſehr hart gebrannte Ziegel) gebaut, und mit feinem Sande überfahren, eine Straße, die durch nichts übertroffen werden kann, und nie auch nur die ſchwächſte Spur eines Gleiſes annimmt, rollte der Wagen mit jenem leiſen, ſtets den gleichen Ton haltenden Gemurmel des Räderwerks hin, das für die Spiele der Phantaſie ſo einladend iſt. Obgleich es in dem endloſen Park, den ich durchſtrich, weder Felſen noch ſelbſt Berge giebt, ſo gewähren doch die hohen Dämme, auf welche der Weg zuweilen hinan - ſteigt, die Menge, große Maſſen bildender Landſitze, Gebäude und Thürme, wie die vielen aus Wieſen, Ebnen, oder über klare Seen auftauchenden koloſſa - len Baum-Gruppen, der Landſchaft eben ſo viel Ab - wechſelung von Höhe und Tiefe, als maleriſche An - ſichten der verſchiedenſten Art; ja ihre größte Eigen - thümlichkeit beſteht eben in dieſer unglaublichen Be - wegung und Mannichfaltigkeit der Gegenſtände, die ohne Aufhören die Aufmerkſamkeit in Anſpruch neh - men. Städte, Dörfer, Schlöſſer mit ihren reichen Umgebungen, Villen von jeder Bauart mit den nied - lichſten Blumengärten, unabſehbare Grasflächen mit Tauſenden weidender Kühe, Seen, die im Umfang von 20 Meilen blos durch Torfſtich nach und nach entſtanden ſind, unzählige Inſeln, wo das baumlange Schilf, zum Decken der Dächer ſorgfältig angebaut, Myriaden von Waſſervögeln zur Wohnung dient 28 alles bietet ſich fortwährend die Hand zu einem freudigen Reigen, in dem man wie im Traume durch flüchtige Pferde fortgeriſſen wird, während immer neue Palläſte, immer andere Städte am Horizont erſcheinen, und ihre hohen gothiſchen Thürme in dämmernder Ferne mit den Wolken ſich verſchmelzen. Eben ſo läßt in der Nähe eine oft groteske und ſtets wechſelnde Staffage keinem Gefühl der Einförmigkeit Raum. Bald ſind es ſeltſam mit Schnitzwerk und Vergoldung verzierte Wagen ohne Deichſel, und von Kutſchern regiert, die in blauen Weſten, kurzen ſchwar - zen Hoſen, ſchwarzen Strümpfen und Schuhen mit ungeheuren ſilbernen Schnallen, auf einer ſchmalen Pritſche ſitzen; oder zu Fuß wandernde Weiber mit ſechs Zoll langen goldnen und ſilbernen Ohrringen behangen, und chineſiſchen Sommerhüten, gleich Dächern auf den Köpfen; bald zu Drachen und fa - belhaften Ungethümen verſchnittene Taxus-Bäume, oder mit weiß und bunter Oelfarbe angeſtrichene Lindenſtämme, aſiatiſch mit vielfachen Thürmchen ver - zierte Feuereſſen, abſichtlich ſchief liegend gebaute Häuſer, Gärten mit lebensgroßen Marmor-Statuen in altfranzöſiſcher Hofkleidung durch das Gebüſch lau - ſchend, oder eine Menge 2 3 Fuß hoher, ſpiegel - blank polirter Meſſingflaſchen auf den grünen Wieſen am Wege ſtehend, die wie pures Gold im Graſe blin - ken, und doch nur die beſcheidne Beſtimmung haben, die Milch der Kühe aufzunehmen, welche daneben von jungen Mädchen und Knaben emſig gemolken werden kurz eine Menge ganz fremder ungewohn -29 ter und phantaſtiſcher Gegenſtände bereiten jeden Au - genblick dem Auge eine andere Scene, und drücken dem Ganzen ein vollkommen ausländiſches Gepräge auf. Denke Dir nun dieſes Bild noch überall in den Goldrahmen des ſchönſten Sonnenſcheins gefaßt, geziert mit der reichſten Pflanzenwelt, von rieſenhaf - ten Eichen, Ahorn, Eſchen, Buchen bis zu den koſt - barſten ausgeſtellten Treibhaus-Blumen herab, ſo wirſt Du Dir eine ziemlich genaue, und keineswegs übertriebene Vorſtellung von dieſem wunderbar herr - lichen Theile Hollands machen können, und dem ho - hen Vergnügen meiner geſtrigen Fahrt.

Nur ein Theil derſelben machte, hinſichtlich der Vegetation und Mannichfaltigkeit eine Ausnahme, war mir aber in anderer Hinſicht, wenn auch nicht ſo angenehm, doch nicht weniger intereſſant. Näm - lich zwiſchen Arnheim und Utrecht findet man 4 Mei - len lang den Sand der Lüneburger Haide, ſo ſchlecht als die ſchlechteſten märkiſchen Ebnen. Demohngeach - tet, und ſo viel wirkt verſtändige Cultur! wachſen neben den Kiefern-Gebüſchen, die der Boden nebſt dürrem Haidekraut allein von ſelbſt hervorbringt, die wohl beſtandendſten Anpflanzungen von Eichen, Weiß - und Rothbuchen, Birken, Pappeln u. ſ. w. freudig auf. Wo der Boden zu wenig Kraft hat, werden ſie nur als Strauchwerk benutzt, und alle 5 6 Jahre abgetrieben, wo er etwas beſſer iſt, als Stämme in die Höhe gelaſſen. Die herrliche Straße iſt hier durchgängig mit wohlerhaltenen dich - ten Alleen eingefaßt, und, was mir merkwürdig war,30 ich fand, daß trotz des dürren Sandes Eichen und Buchen noch beſſer als Birken und Pappeln zu ge - deihen ſchienen. Eine Menge der ſo überaus netten holländiſchen Häuſer und Villen waren mitten in der wüſten Haide aufgebaut; mehrere noch im Wer - den, ſo wie die Anlagen darum her. Ich konnte mir nicht erklären, daß ſo Viele ſich gerade dies unwirth - bare Terrain zu koſtſpieligen Etabliſſements ausge - ſucht, erfuhr aber, daß das Gouvernement weiſe ge - nug geweſen ſey, dieſen ganzen, bisher als unbrauch - bar liegen gelaſſenen Landſtrich den angränzenden Gutsbeſitzern und andern Vermögenden auf 50 Jahr unentgeldlich und Abgabenfrei zu überlaſſen, mit der einzigen Bedingung, es ſogleich durch Anpflanzungen oder Feldbau cultiviren zu müſſen. Später zahlen ihre Nachkommen eine ſehr billige, entſprechende Rente. Ich bin überzeugt, nach dem, was ich hier geſehen, daß der größte Theil unſrer hungrigen Kiefernwäl - der durch ähnliches Verfahren und fortgeſetzte Cul - tur in hundert Jahren in blühende Fluren verwan - delt, und die ganze todte Gegend dadurch wahrhaft umgeſchaffen werden könnte.

Utrecht iſt zierlich gebaut, und wie alle holländi - ſchen Städte muſterhaft reinlich gehalten. Das bunt - farbige Anſehn der Häuſer ſowohl, als ihre verſchie - denen Formen, die engen gekrümmten Straßen, und ihr altväteriſches Enſemble erſcheinen mir viel ge - müthlicher als die ſogenannten ſchönen Städte, die ſich wie eine mathematiſche Figur überall rechtwink - licht durchkreuzen, und wo jede Straße in troſtlos31 langer Linie mit einem Blick zu überſehen iſt. Die Umgegend iſt reizend, die Luft ſehr geſund, da Utrecht am höchſten in Holland liegt, und wie man mir ſagte, auch die Geſellſchaft im Winter und Frühling ſehr belebt, weil der reichſte Adel des Landes ſich hier aufhält. Der Handel dagegen iſt unbedeutend, und die ganze Allüre der Stadt und Menſchen mehr ari - ſtokratiſch.

Von hier fuhr ich nach Gouda, deſſen Dom durch ſeine köſtlichen Glasmalereien berühmt iſt. Für eins dieſer Fenſter wurden von einem Engländer ohnlängſt 80,000 Gulden vergebens geboten. Es gleicht an Ausführung einem Miniatur-Gemälde und glänzt in unbeſchreiblicher Farbenpracht, ja die Edelſteine und Perlen an dem Schmuck der Prieſter wetteifern mit ächten. Ein anderes ſchenkte Philipp 11. der Kirche, deſſen eine Hälfte der Blitz kurz darauf zerſchmet - terte, was gewiß in jener Zeit als omineus angeſe - hen wurde. Er ſelbſt iſt darauf abgebildet, und zwar in einem Mantel von ächter Purpurfarbe, nicht das gewöhnliche Roth, ſondern ein violett ſchim - merndes, zwiſchen Veilchenblau und Cramoiſi ſpie - lend, ſchöner als ich es je noch auf altem Glaſe ſah. Auf einem dritten befindet ſich das Portrait des Herzogs von Alba. Alle Fenſter ſind von ungewöhn - lich großen Dimenſionen, und mit wenigen Ausnah - men tadellos erhalten, ſämmtlich aus dem 15. und 16. Jahrhundert bis auf eins, welches erſt im 17. gemalt wurde, und auch den Verfall dieſer Kunſt ſehr verräth, indem es den übrigen ſowohl an Gluth32 der Farben, als an Erfindung und Zeichnung weit nachſteht.

Wer Gouda geſehen hat, kann ſich die Reiſe nach dem ſchiefen Thurme zu Piſa erſparen, denn hier ſcheint die halbe Stadt nach dieſem Prinzip aufge - führt worden zu ſeyn. Obgleich den Holländern, die man in mancher Rückſicht nicht unpaſſend die Chine - ſen Europas nennen könnte, gar wohl zuzutrauen wäre, abſichtlich für ihre Häuſer eine ſo ſeltſame Bauart gewählt zu haben, ſo rührt dieſes, faſt Schrecken erregende Schiefſteben der hieſigen Gebäude doch wahrſcheinlich größtentheils nur von dem unſi - chern moraſtigen Grunde her*)Ich erinnere mich von einem griechiſchen Kloſter in der Wallachey geleſen zu haben, deſſen vier Thuͤrme jeden Au - genblick einfallen zu wollen ſcheinen Dennoch iſt dieſe op - tiſche Taͤuſchung nur dadurch hervorgebracht, daß ſowohl die Richtung der Fenſter, als mehrere rund umherlaufende Banden ſchief geſtellt ſind.. Faſt alle Häuſer ſtehen mit den Giebeln nach der Straße zu, und jeder derſelben iſt verſchieden ausgeſchmückt. In ſehr engen Gaſſen ſieht man ſie ſich faſt erreichen und ein Dreyeck bilden, unter dem man nicht ohne Be - ſorgniß hingeht.

Da es Sonntag war, fand ich die Stadt höchſt belebt, wiewohl nur durch ſtillen und decenten Ju - bel. Die meiſten Menſchen ſtanden müßig, gafften, zogen aber ſehr höflich den Hut vor meinem Wa - gen ab.

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Bevor man Rotterdam erreicht, fährt man durch eine lange Reihe Landhäuſer mit fortlaufenden Blu - menparterres, die auf beiden Seiten durch ſchmale Kanäle von der Straße getrennt ſind. Zu jedem der - ſelben führt eine mächtige Zugbrücke, welche ſeltſam mit der Unbedeutendheit des Waſſers contraſtirt, denn ein herzhafter Sprung brächte zur Noth auch von einem Ufer auf’s andere. Eben ſo barokk ſind die thurmhohen Windmühlen vor der Stadt. Sie ſind vielfach vergoldet und mit dem abſonderlichſten Schnitzwerke verſehen, bei manchen aber auſſerdem die Mauern noch mit dichtem Rohre ſo fein bedeckt, daß es in der Entfernung Pelzwerk gleich ſieht, an - dere bieten einen beſchuppten Crokodillenleib dar, ei - nige gleichen chineſiſchen Glockenthürmen, alle zuſam - men machen aber dennoch einen imponirenden Effekt. Dazwiſchen ragen die Maſte des Hafens und die großen mit Glas gedeckten Schuppen hervor, in de - nen die Kriegsſchiffe gebaut werden, und kündigen die See - und Handelsſtadt an.

Bald nahm mich eine lange von Menſchen wim - melnde Straße auf, der ein hohes ſchwarzes Thurm - Zifferblatt mit feurig roſenrothen Zahlen und Wei - ſern zum point de vûe diente, und ich brauchte wohl eine gute Viertel-Stunde, bevor ich im Hotel des bains auf dem Quai anlangte, wo ich jetzt ſehr gut und bequem logirt bin. Vor meinen Fenſtern über - ſehe ich eine breite Waſſerfläche mit den vier Dampf - ſchiffen, von denen eines mich übermorgen nach Eng - land bringen ſoll. Böte rudern emſig auf und ab,Briefe eines Verſtorbenen. III. 334und die geſchäftige Menge eilt auf dem Quai raſtlos durcheinander, deſſen Rand mit himmelhohen Rüſtern geſchmückt iſt, die wahrſcheinlich ſchon zu Erasmus Zeiten hier gepflanzt wurden. Nach einem kleinen Spaziergang unter dieſen Bäumen nahm ich eine gute Mahlzeit ein, und ſchrieb dann an dieſem ellen - langen Brief, der leider mehr Porto koſten wird, als er werth iſt. Mit meiner Geſundheit geht es immer noch nicht ganz nach Wunſch, obgleich von Tag zu Tage beſſer. Vielleicht kurirt mich völlig das Meer, und einige Gläſer Seewaſſer, welches ich zu mir neh - men werde, ſobald ich auf ſeinen Wellen ſchaukele.

Die Lebensart nähert ſich hier den engliſchen Sit - ten. Man ſteht ſpät auf, ißt an table d’hôte um 4 Uhr, und trinkt Abends Thee. Uebrigens iſt für Fremde in der großen Stadt wenig Abwechſelung vor - handen, da ſich nicht einmal ein ſtehendes Theater hier befindet. Nur zuweilen geben die Schauſpieler vom Haag einige Vorſtellungen in einem ſchlechten Lokal. Alles ſcheint mit dem Handel beſchäftigt, und findet ſeine Erholung nachher, ſehr angemeſſen, nur in häuslichen Freuden, an denen aber ein blos Durch - reiſender freilich keinen Theil nehmen kann. Um ei - niges engliſche Geld einzuwechſeln, ging ich in das Comtoir eines jüdiſchen Banquiers, der ſich, ohnge -35 achtet der Geringfügigkeit der Summe, mit der größ - ten Unterwürfigkeit benahm, und nachdem er mir ſorgſam das Geld ſelbſt aufgezählt hatte, mich bis an die Hausthüre begleitete. Ich war daher nicht wenig verwundert, nachher von meinem Lohnbedien - ten zu erfahren, daß man das Vermögen dieſes Man - nes auf zwei Millionen Gulden ſchätze. Es ſcheint alſo, daß viel Geld hier die Banquiers noch nicht ſo hochmüthig gemacht habe, als in andern Ländern. Ich beſah hierauf das Arſenal, welches ich, im Ver - gleich mit engliſchen Etabliſſements dieſer Art, nur unbedeutend fand. Mehrere der Schuppen ſind mit Pappe gedeckt, was ſehr dauerhaft ſeyn ſoll, und gut ausſieht. Es wird dazu ganz gewöhnliche ſtarke, in viereckige Platten geſchnittene Pappe genommen, die man in einem Keſſel, worin Holztheer, ſiedet, mehrmals eintunkt, bis ſie auf beiden Seiten überall ganz damit bedeckt und durchzogen iſt, worauf man ſie zum Trocknen an die Sonne hängt. Dann wer - den die einzelnen Stücke auf dem ſehr flachen Dache gleich Kupferplatten übereinander gelegt, und mit Nägeln auf die darunter befindlichen Bretter feſtge - macht, welche ſie viele Jahre lang gänzlich gegen Näſſe ſchützen. Nach Ausſage der Marine-Beamten ſoll ein ſolches Dach ſogar weit länger als Schindeln oder das beſte getheerte Segeltuch halten. Intereſ - ſant war mir in einem der Säle das ſehr detaillirte, ganz auseinander zu nehmende Modell eines Kriegs - ſchiffes, welches für die Seeſchule zu Delfft verfertigt ward, und den Unterricht überaus anſchaulich macht. 3*36Die goldene Gondel des Königs, obgleich ſie der der Cleopatra wahrſcheinlich an Pracht nicht gleich kommen mag, wird dennoch von den guten Hollän - dern mit großer Selbſtzufriedenheit gezeigt, verfault aber hier im Trocknen, da ſie nur ſelten gebraucht wird.

Die Umgegend von Rotterdam iſt wegen ihrer hüb - ſchen Landmädchen und ſaftigen Früchte berühmt, welche (die letztern nämlich) einen nicht unbedeutenden Ausfuhrartikel nach England abgeben. Nirgends fin - det man wohl Weintrauben von ſo ungeheurer Größe. Ich ſah mehrere auf dem Markt zum Verkauf aus - geſtellt, deren Beeren das Anſehn und den Umfang von Pflaumen hatten. Indem ich noch weiter müßig umherſchlenderte, erblickte ich den Ankündigungszettel eines Panorama des Aetna, trat im Gefolge einer Damengeſellſchaft hinein, und ach! verlor hier mein Herz. Das reizendſte Mädchen, das ich je geſehen, lächelte mich am Fuße des feuerſpeyenden Berges mit Augen an, die aus ſeinen ewigen Flammen ihre Glut geſchöpft haben mußten, während ihre ſchalk - haften Lippen üppig blühten, wie die rothen Blumen des neben ihr prangenden Oleanders. Der lieblichſte Fuß, der wollüſtigſte Körper im reinſten Ebenmaß, Alles vereinigte ſich, ſie, wenn auch nicht zum himm - liſchen, doch gewiß zum verführeriſchſten irdiſchen Ideal zu erheben. War dies eine Holländerin? O nein, eine ächte Sicilianerin, aber leider, leider! nur gemalt! Drum warf ſie mir auch, als ich das Paradies wieder verließ, aus ihrer Weinlaube nur37 triumphirend ſpöttiſche Blicke zu, denn ſeit Pygma - lions Zeiten vorbei ſind, konnte dieſe nichts mehr beleben, nichts verführen. Wer mag aber wiſſen, ob nicht dennoch ein ſüßes Schickſal mich irgendwo das Original antreffen läßt? Wenigſtens iſt eine ſolche Hoffnung und ein ſolches Bild kein unangenehmer Reiſebegleiter; ſchlimm nur, daß ich mit ihm jetzt gerade dem Nebel-Lande, und nicht den ſchönen Feuer-Gegenden zuwandle, die eine wärmere Sonne von oben, und geheimnißvolle Gluthen von unten, zwiſchen zwei Feuer genommen haben. Morgen aber ſchon wird ſtatt dieſer Wärme das kalte naſſe Meer um mich wogen, ich aber gewiß nicht, indem ich das liebe Holland verlaſſe, mit dem unartigen Voltaire ausrufen: Adieu Canards, Canaux, Canailles!

Von London ſchreibe ich Dir erſt wieder, wenn ich dort einen längern Aufenthalt mache, worüber ich mich erſt an Ort und Stelle beſtimmen will. En at - tendant ſchicke ich Dir beiliegend den Steindruck des Dampfſchiffes, mir dem ich abſegle. Ein bezeichnet, in der Art, wie die alten Ritter ihre Namen unter - ſchrieben, die Stelle, wo ich ſtehe, und mit einiger Hülfe Deiner Einbildungskraft wirſt Du ſehen, wie ich mit meinem Tuch zum Abſchiede wehe, und Dir tauſend Liebes und Herzliches aus der Ferne zurufe.

Dein treuer L

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Dritter Brief.

Ich habe eine ſehr unglückliche Ueberfahrt gehabt. Eine Bouraske, die leidige Seekrankheit, 40 Stun - den Dauer ſtatt 20, und zu guter letzt noch das Feſt - ſitzen auf einer Sandbank in der Themſe, wo wir 6 Stunden verweilen mußten, ehe uns die Fluth wieder flott machte, waren die unangenehmen Evé - nements dieſer Reiſe.

Ich weiß nicht, ob ich früher (es ſind 10 Jahre, ſeit ich England zum letztenmal verließ), Alles mit verſchönernden Augen anſah, oder meine Einbildungs - kraft ſeitdem, mir unbewußt, das entfernte Bild ſich mit reizenderen Farben ausmalte ich fand dies - mal alle Anſichten, die wir von beiden Ufern erhiel - ten, weder ſo friſch noch pittoresk als ſonſt, obgleich zuweilen doch herrliche Baumgruppen und freundliche Landſitze ſichtbar wurden. Auch hier verſtellt, wie im nördlichen Deutſchland, das Lauben der Bäume gar oft die Landſchaft, nur daß ihre Menge in den vielfachen Hecken, die alle Felder umgeben, und die39 Rückſicht, daß man ihnen wenigſtens die äuſſerſten Kronen und Wipfel läßt, den Anblick weniger troſt - los machen, wie z. B. in dem ſonſt ſo ſchönen Schleſien.

Unter den Paſſagieren befand ſich ein Engländer, der erſt kürzlich aus Herrnhut zurückkehrte, und auch das Bad von M .... beſucht hatte. Es divertirte mich ſehr, ungekannt von ihm, ſeine Urtheile über die dortigen Anlagen zu hören. Wie der Geſchmack verſchieden iſt, und man daher bei nichts verzweifeln darf, kannſt Du daraus abnehmen, daß dieſer Mann jene düſtern Gegenden ungemein bewunderte, blos wegen der Immenſität ihrer evergreen woods wo - mit er die endloſen monotonen Kieferwälder meinte, die uns ſo unerträglich vorkommen, in England aber, wo die Kiefern mühſam in den Parks angepflanzt werden, obgleich ſie in der Regel ſchlecht gedeihen, eine ſehr geſchätzte Seltenheit ſind. Ein Amerikaner war ſehr entrüſtet, bei dieſer elenden Ueberfahrt ſee - krank geworden zu ſeyn, während er es von Ame - rika nach Rotterdam nie geweſen, und ein Planta - genbeſitzer aus Demerary, der beſtändig fror, jam - merte daneben noch mehr über die unpolitiſche Auf - hebung des Sclavenhandels, der, wie er meinte, bald den gänzlichen Ruin der Colonien herbeiführen müßte, denn, ſagte er: Ein Sclave oder Inländer arbeitet nie, wenn er nicht muß, und um zu leben, braucht er nicht zu arbeiten, da das herrliche Land und Klima ihm von ſelbſt Nahrung und Obdach lie - fert. Europäer aber können bei der Hitze nicht ar -40 beiten, es bleibt alſo nichts übrig, als die Alterna - tive: Kolonieen mit Sclaven, oder keine Colonieen. Dies wiſſe man auch recht gut, habe aber ganz an - dere Zwecke bei der Sache, die ſich blos hinter der Etalage von Menſchenliebe (dies waren ſeine Worte) zu verſtecken ſuchten. Die Sclaven, behauptete er übrigens, würden ſchon des eignen Vortheils der Herrn wegen weit beſſer behandelt, als z. B. die ir - ländiſchen Bauern, und er habe früher in Europa gar oft auch Dienſtboten weit ſchlimmer traktiren ge - ſehen. Eine Ausnahme hie und da möge vorkommen, ſie käme aber beim Ganzen nicht in Betracht u. ſ. w. Ich ſuchte das Geſpräch von dem, für Menſchen - freunde ſo ſchmerzlichen Gegenſtand abzuleiten, und ließ mir dagegen von ihm das Leben Guyanas und die Pracht ſeiner Urwälder beſchreiben, eine weit in - tereſſantere Unterhaltung, die mich faſt mit einer Art Heimweh nach jenen Naturwundern erfüllte, wo Al - les herrlicher, nur der Menſch niedriger iſt.

Das lächerliche Element unſerer Fahrt war eine engliſche Dame, die mit ſeltner Volubilität und bei jeder Gelegenheit franzöſiſche Converſationen anzuknüpfen ſuchte. Nicht mehr im blühendſten Alter, wußte ſie dieſem Fehler, ſelbſt auf dem Schiff, durch die ſorg - fältigſte Toilette abzuhelfen, und einer der Paſſagiere behauptete ſogar, ſie habe a crack im Nacken, eine neuerfundene Art Schraube, durch welche die Runzeln aufgewunden werden. Als wir ſpät am Morgen Alle mehr oder weniger elend auf dem Ver - deck erſchienen, war ſie ſchon im eleganten Negligée dort41 etablirt, und erwiederte auf meine Klagen luſtig in ihrem breiten Dialekt: Comment, comment, vous n’avez pas dormir? moi parfaitement, très comfortable, j’étais tres chaudement couché entre deux matelots, et je m’en porte à merveille. Madame, ſagte ich, on comprend que vous ne craignez pas la mer.

Mitten in der zweiten Nacht ankerten wir an der Londoner Brücke, der fatalſte Umſtand, der Einem hier begegnen kann, weil man dann, wegen der Strenge der Douanen, vor der Viſitation ſeiner Sa - chen nichts mit ſich vom Schiffe nehmen darf, die Büreaus aber nicht vor 10 Uhr früh geöffnet werden. Da ich meine deutſchen Diener nicht mit Wagen und Effekten allein laſſen mochte, und eben ſo vernach - läſſigt hatte, mir Quartier zu beſtellen, als mich durch den Geſandten von der Viſitation zu befreien, ſo war ich genöthigt, faſt wie ich ging und ſtand, die Nacht in einer elenden Matroſen-Taverne am Ufer zuzubringen, fand aber am Morgen, wo ich bei der Unterſuchung meiner Sachen gegenwärtig war, auch hier den ſelten trügenden goldnen Schlüſſel ſehr wirkſam, um mir langes Warten und Weitläuftig - keiten zu erſparen. Selbſt ein paar Dutzend franzö - ſiſche Handſchuhe, die in aller Unſchuld bei meiner Wäſche oben auflagen, ſchienen durch meine Guinee unſichtbar geworden zu ſeyn, denn Niemand be - merkte ſie.

So ſchnell als möglich eilte ich aus der ſchmutzigen City mit ihrem Ameiſengetümmel herauszukommen,42 mußte aber noch eine halbe Station weit mit Poſt - pferden fahren, ehe ich in das westend of the town gelangte, wo ich in meiner frühern Wohnung im Clarendon Hotel abtrat. Mein alter Wirth, ein Schweizer, hatte zwar unterdeß England mit einem andern, bis jetzt noch unbekannten Lande vertauſcht, der Sohn aber ſeine Stelle eingenommen, und die - ſer empfing mich mit aller der ehrerbietigen Sorg - falt, welche die engliſchen Gaſtwirthe, und überhaupt hier alle diejenigen, welche vom Gelde Anderer le - ben, auszeichnet. Auch erwies er mir ſogleich einen wahren Dienſt, denn, kaum eine Stunde ausgeruht, ward ich gewahr, daß ich im Trouble der Nacht ei - nen Beutel mit 80 Sovereigns im Commodenfach meiner Schlafſtube vergeſſen hatte. Monſieur Ja - quier, der das engliſche Terrain zu gut kannte, zuckte die Achſeln, ſandte jedoch ohne Verzug einen Ver - trauten zu Waſſer ab, um wo möglich das Verlorne wiederzubringen. Die Unordnung, welche in jenem elenden Gaſthofe der Vorſtädte herrſchte, kam mir zu ſtatten. Unſer Bote fand die Stube noch unauf - geräumt, und zur, vielleicht unangenehmen, Ueber - raſchung der Hausleute den Beutel unberührt an der bezeichneten Stelle.

London iſt jetzt ſo todt an Eleganz und faſhiona - blen Leuten, daß man kaum eine Equipage vorüber - fahren ſieht, und von aller beau monde nur einige Geſandten gegenwärtig ſind. Dabei iſt die ungeheure Stadt voller Schmutz und Nebel, und die macadami - ſirten Straßen einer ausgefahrenen Landſtraße ähn -43 lich, denn das alte Pflaſter iſt in dieſen herausgeriſ - ſen worden, und durch Granitſtückchen, mit Kies ausgefüllt, erſetzt, die zwar ein ſanfteres Fahren ge - währen und den Lärm dämpfen, im Winter aber auch die Stadt in einen halben Sumpf verwandeln. Ohne die vortrefflichen Trottoirs müßte man, wie in den Landes bei Bordeaux, auf Stelzen gehen. Auch tragen die gemeinen Engländerinnen etwas Aehnliches von Eiſen an ihren großen Füßen.

Durch die neue Regents-Straße, Portland-Place und den Regents-Park hat die Stadt indeß ſehr gewonnen. Sie ſieht nun erſt in dieſem Theile ei - ner Reſidenz ähnlich, nicht mehr wie ſonſt einer bloßen unermeßlichen Hauptſtadt für shopkeepers, nach weiland Napoleons Ausdruck. Obgleich der arme Herr Naſh (ein einflußreicher Architekt des - nigs, von dem dieſe Meliorationen hauptſächlich her - rühren) ſo übel von manchen Kunſtkennern mitge - nommen wird, und auch nicht zu läugnen iſt, daß in ſeinen Gebäuden alle Style unter einander gewor - fen worden, und das Gemengſel oft mehr barokk als genial erſcheint, ſo iſt ihm doch meines Erachtens die Nation vielen Dank dafür ſchuldig, ſo rieſenmäßige Pläne zur Verſchönerung ihrer Hauptſtadt gefaßt und durchgeführt zu haben. Das Meiſte iſt übrigens noch in petto, wird aber bei der allgemeinen Bau - wuth und dem vielen Gelde der Engländer gewiß ſchnell ins Leben treten. In die Details muß man freilich nicht zu ſtreng eingehen. So iſt der, Regent - ſtreet zum point de vûe dienende Thurm, der in44 einer Nadelſpitze endet, und bei welchem Körper und Dach um Anfang und Ende zu ſtreiten ſcheinen, eine ſeltſame architektoniſche Mißgeburt, und nichts er - götzlicher, als die darauf gemachte Carricatur, wo man Herrn Naſh (ein ſehr kleiner, verſchrumpelt ausſehender Mann) geſtiefelt und geſpornt, äuſſerſt ähnlich abconterfeyt, und auf obenerwähnter Spitze reitend, angeſpießt ſieht, mit der Unterſchrift: Na - tional taste (wird ausgeſprochen: Nashional.)

Man könnte viele ähnliche Abnormitäten anführen. So ſind unter andern an einem Balkon, der den größten Pallaſt am Regents-Park ziert, vier platt - gedrückte Geſtalten an die Wand gequetſcht, deren Bedeutung ein Räthſel bleibt. Ihr Coſtüme gleicht einer Art Schlafrock, woraus man wenigſtens ſchließen kann, daß Menſchen damit gemeint ſind. Vielleicht ſind es Embleme für ein Lazareth, denn dieſen ſchein - baren Paläſten iſt, wie denen in Potsdam, auch nur Einheit und Anſehn durch die Façaden gegeben, eigentlich bilden ſie eine Menge ſchmaler Häuſer, die zu allerlei Gewerbs - und andern Zwecken, wie hun - dert verſchiedenen Eigenthümern zur Wohnung dienen.

Tadellos iſt dagegen die, auch von Herrn Naſh ausgehende, ländliche Anlage in dieſem Park, vor - züglich die Waſſerparthie. Hier hat die Kunſt das ſchwere Problem völlig gelöst, in ſcheinbar frei wir - kender Natur nicht mehr bemerkt zu werden. Man glaubt einen breiten Fluß weit hin, durch üppig be - buſchte Ufer, in die Ferne ſtrömen, und dort ſich in45 mehrere Arme vertheilen zu ſehen, während man doch nur ein mühſam ausgegrabnes, ſtehendes und beſchränktes, aber klares Waſſer vor ſich hat. Eine ſo reizende Landſchaft wie dieſe, mit hervorragenden Hügeln in der Ferne, und umgeben von einem Mei - len langen Cirkus prachtvoller Gebäude, iſt gewiß eine der Hauptſtadt der Welt würdige Anlage, und wird, wenn die jungen Bäume erſt alte Rieſen ge - worden ſind, wohl kaum irgendwo ihres Gleichen finden. Viele alte Straßen wurden, um alles dies zu ſchaffen, weggeriffen, und ſeit 10 Jahren mehr als 60,000 neue Häuſer in dieſer Gegend der Stadt aufgebaut. Es iſt, wie mich dünkt, eine beſondere Schönheit der neuen Straßen, daß ſie zwar breit ſind, aber nicht durchaus in ſchnurgerader Linie ge - hen, ſondern, wie die Wege in einem Park, zuwei - len Biegungen machen, die ihre ſonſt nicht zu ver - hindernde, Einförmigkeit unterbrechen. Erhält Lon - don noch Quais und wird die Paulskirche frei ge - gemacht, wie der talentvolle Obriſt Trench projektirt hat, ſo wird ſich keine Stadt an Pracht mit ihr meſſen können, wie ſie ſchon jetzt jede andere an Größe übertrifft.

Unter den neuen Brücken ſteht die Waterloobrücke oben an, bei der die Unternehmer jedoch 300,000 £. St. verloren haben ſollen. 1,200 Fuß lang und mit einem gediegnen Geländer aus Granit verſehen, dabei faſt immer verhältnißmäßig einſam, bietet ſie einen anmuthigen Spaziergang dar, mit den ſchön -46 ſten Flußausſichten auf ein ſtolzes Gemiſch von Palläſten, Brücken, Schiffen und Thürmen, inſofern nämlich der Nebel ſolche zu ſehen geſtattet. Die Vor - richtung, welche hier ſtatt findet, die Einnehmer des Brückengeldes zu controlliren, war mir neu. Der eiſerne Dreher, durch den man gehen muß, und der die gewöhnliche Kreuzesform hat, iſt ſo eingerichtet, daß er nur ein Viertel des Cirkels jedesmal weicht, gerade ſo viel als nöthig iſt, um eine Perſon hin - durch zu laſſen, und in demſelben Augenblick, wo er in dieſe Viertel-Wendung einſchlägt, fällt durch einen Mechanismus unter der Brücke eine Marke in einen verſchloſſenen Behälter. Eine ähnliche Vorrichtung findet ſich daneben für die Wagen, und die Eigen - thümer brauchen daher nur Abends die Marken nach - zuzählen, um genau zu wiſſen, wie viel Fußgänger und Pferde täglich über die Brücke paſſirt ſind. Man zahlt ein Penny für den Fußgänger und drei Pence für ein Pferd, wobei man auf 300 £. St. tägliche Einnahme gerechnet hatte; dieſe überſteigt jedoch ſel - ten 50.

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Was Dich hier ſehr anſprechen würde, iſt die aus - nehmende Reinlichkeit in allen Häuſern, die große Bequemlichkeit der Meubeln, die Art und Artigkeit der dienenden Klaſſen. Es iſt wahr, man bezahlt alles was zum Luxus gehört, (denn das blos Noth - wendige iſt im Grunde nicht viel theurer als bei uns) ſechsfach höher, man findet aber auch ſechsfach mehr comfort dabei. So iſt auch in den Gaſthöfen alles weit reichlicher und im Ueberfluße, als auf dem Continent. Das Bett z. B., welches aus drei übereinandergelegten Matratzen beſteht, iſt groß genug, um zwei bis drei Perſonen darauf Platz zu geben, und ſind die Vorhänge des viereckigen Bett - himmels, der auf ſtarken Mahagony-Säulen ruht, zugezogen, ſo befindeſt Du Dich wie in einem kleinen Cabinet, ein Raum, wo in Frankreich Jemand ganz bequem wohnen würde. Auf Deinem Waſchtiſch fin - deſt Du nicht blos eine ärmliche Waſſer-Bouteille mit einem einzigen Fajence oder ſilbernen Krug und Becken, nebſt einem langgedehnten Handtuche, wie Dir in deutſchen und fränkiſchen Hotels, und ſelbſt vielen Privathäuſern, geboten wird, ſondern ſtatt deſſen wahre kleine Wannen von chineſiſchem Porcel - lain, in die man den halben Leib ohne Mühe tauchen könnte, darüber Robinets, die im Moment jede be - liebige Waſſerfluth liefern; ein halbes Dutzend breite Servietten, eine Menge große und kleine Kriſtall - flaſchen, einem hohen Stell-Spiegel, Fußbecken ꝛc.48 ohne die andern anonymen Bequemlichkeiten der Toilette in eleganter Geſtalt zu erwähnen. Alles präſentirt ſich ſo behaglich vor Dir, daß Dich ſofort beim Erwachen eine wahre Badeluſt anwandelt. Braucht man ſonſt etwas, ſo erſcheint auf den Ruf der Klingel entweder ein ſehr nett gekleidetes Mädchen mit einem tiefen Knix, oder ein Kellner, der in der Tracht und mit dem Anſtand eines gewandten Kam - merdieners reſpectvoll Deine Befehle entgegen nimmt, ſtatt eines ungekämmten Burſchen in abgeſchnittener Jacke und grüner Schürze, der mit dummdreiſter Zuthätigkeit Dich fragt: Was ſchaffen’s, Ihr Gnoden, oder: haben Sie hier jeklingelt? und dann ſchon wieder herausläuft, ehe er noch recht vernommen hat, was man eigentlich von ihm wollte. Gute Tep - piche decken den Boden aller Zimmer, und im hell - polirten Stahl-Kamin brennt ein freudiges Feuer, ſtatt der ſchmutzigen Bretter, und des rauchenden oder übelriechenden Ofens in ſo vielen vaterländiſchen Gaſthäuſern. Gehſt Du aus, ſo findeſt Du nie eine unſaubere Treppe, noch eine ſo ſpärlich erleuchtete, wo nur gerade die Dunkelheit ſichtbar wird. Im ganzen Hauſe herrſcht überdieß Tag und Nacht die größte Ruhe und Decenz, und in vielen Hotels hat ſogar jedes geräumige Logis ſeine eigene Treppe, ſo daß man mit niemand Andern in Berührung kömmt. Bei Tiſch gewährt man dem Gaſt eine gleiche Pro - fuſion weißer Tiſchwäſche und glänzend geputzter Be - ſtecke, nebſt einer wohl furnirten plat de menage und einer Eleganz der Anrichtung, die billigerweiſe49 nichts zu wünſchen übrig läßt; die Dienerſchaft iſt ſtets da, wenn man ſie braucht, und drängt ſich doch nicht auf, der Wirth ſelbſt aber erſcheint gewöhnlich beim Anfang des Dinés, um ſich zu erkundigen, ob man mit allem zufrieden ſey, kurz man vermißt in einem guten Gaſthofe hier nichts, was der wohl - habende gereiste Privatmann in ſeinem eignen Hauſe beſitzt, und wird vielleicht noch mit mehr Aufmerk - ſamkeit bedient. Freilich iſt die Rechnung dem an - gemeſſen, und auch die Waiters müſſen ziemlich eben ſo hoch wie eigne Diener bezahlt werden. In den erſten Hotels iſt ein Kellner, für ſeine Perſon allein, mit weniger als zwei Pfund Trinkgeld die Woche durchaus nicht zufrieden. Die Trinkgelder ſind über - haupt in England mehr als irgendwo an der Tages - ordnung, und werden mit ſeltner Unverſchämtheit, ſelbſt in der Kirche eingefordert.

Ich beſuchte heute einige Bazars, die ſeit den letzten Jahren immer mehr überhand nehmen, und den Käufern viel Bequemlichkeit darbieten. Der ſoge - nannte Pferde-Bazar iſt im größten Maßſtabe er - baut, und verſammelt täglich eine ſehr bunte Menge. Er nimmt mehrere weitläuftige Gebäude ein, wo in endloſen langen Gallerien und Sälen zuerſt viele Hunderte von Wagen und Geſchirren aller Art, neue und alte, aber auch die letztern wie neue aufgefriſcht) faſt zu allen Preiſen ausgeſtellt ſind. In andern Zimmern werden Porcellain-Waaren, Putz, Criſtall, Spiegel, Quincaillerie, Spielſachen, ſogar tropiſche Vögel und Schmetterlings-Sammlungen ꝛc. feil ge -Briefe eines Verſtorbenen III. 450boten, bis man endlich in der Mitte des Etabliſſements in die Zimmer eines Kaffeehauſes gelangt, mit einer rund um einen freien Platz laufenden Glas-Gallerie. Hier ſieht man, während man gemächlich (freilich in ſehr gemiſchter Geſellſchaft) frühſtücken kann, eine Menge Pferde vorführen und verauctioniren, die in zahlreichen Ställen daneben ſtehen, wo ſie ſehr gut gewartet werden, und wo auch für eine voraus be - ſtimmte Vergütung, Jeder der verkaufen will, die ſeinigen hinſenden kann. Wenn ein ſolches Pferd vom Auctionator garantirt wird (warranted sound) ſo kann man es ziemlich ſicher kaufen, da die Eigen - thümer der Anſtalt dafür einſtehen müſſen; das Beſte findet man allerdings hier in der Regel nicht, aber gewiß das Wohlfeilſte, und für Manchen hat dies auch ſein Gutes, noch mehr vielleicht die große Be - quemlichkeit, ſich alles Nöthige im Augenblick an dem - ſelben Ort verſchaffen zu können. Dergleichen Bazars gibt es, wie geſagt, ſchon eine Menge, und ſie ſind wohl eine kleine Promenade werth. Ueberdieß macht das bequeme Gehen auf den vortrefflichen Londoner Trottoirs, die bunten fortwährend wechſelnden Bil - der in den Straßen und die vielen reichen Läden, welche die meiſten zieren, die Spaziergänge in der Stadt, beſonders bei Abend, für den Fremden ſehr angenehm.

Außer der glänzenden Gasbeleuchtung find dann vor den vielen Apothekerläden große Glaskugeln von tief rother, blauer und grüner Farbe aufgehangen, deren prachtvolles Licht Meilenweit geſehen wird, und51 oft zum Leitſtern, aber auch zuweilen zum Irrſtern dient, wenn man unglücklicherweiſe eines mit dem andern verwechſelt.

Auch unter den Buden ziehen vor allen diejenigen die Augen auf ſich, worin das ſchöne engliſche Cryſtall verkauft wird. Aechte Diamanten können faſt nicht blendender glänzen, als die weithin ſtrahlenden Samm - lungen einiger dieſer Fabrikanten. Ich ſah dort auch einige Gegenſtände in roſenrothen und anderm far - bigen Glaſe gearbeitet, doch wundert es mich, daß man die Formen noch immer ſo wenig verändert. So ſind die Kronleuchter immer gleich monoton, und doch ſollte ich denken, daß dergleichen, z. B. in Sonnen - geſtalt mit ausgehenden Strahlen, oder als Blumen - bouquets, ſtatt der gewöhnlichen Kronenform, und eben ſo Wandleuchter in bunten Farben, wie Bijour von farbigen Edelſteinen behandelt, bei übereinſtim - mender (vielleicht orientaliſcher) Zimmer-Verzierung, noch bisher ganz ungeſehene und überraſchende Ef - fekte hervorbringen müßten.

In andern Buden ſieht man mit großem Intereſſe alle Inſtrumente neuer Agrikultur und Mechanik, von gigantiſchen Säemaſchinen, und Rodeapparaten zum Ausreißen alter Bäume, bis zur kleinen Garten - ſcheere herab, in weiten Lokalen fertig aufgeſtellt, alles mit einer gewiſſen Zierlichkeit arrangirt, die ſelbſt bei den Fleiſchern, Fiſch - und Kartoffelhändlern noch anzutreffen iſt. Auch die Läden der Eiſen-Meubel und Lampen-Verkäufer verdienen gar wohl eine Be - ſichtigung, da ſie Neues und Nützliches in Menge4*52darbieten, was man nicht leicht auf dem übrigen Continent, weder in gleicher Fülle noch Zweckmäßig - keit zu ſehen bekömmt. Der Reiſende aber, der ſich immer blos auf die Salons und ſeines Gleichen be - ſchränken, und auch nur, ſo zu ſagen, vornehme Merkwürdigkeiten beſehen will, bleibe beſſer zu Hauſe.

Ich beſchloß den heutigen Tag mit einer Spazier - fahrt nach Chelſea, dem Invalidenhaus der Land - truppen, wo man ſich innig freut, die alten Krieger wohl gepflegt einen Pallaſt und ſorgfältig gehaltenen Gärten, mit den ſchönſten kurz gemähten bowling greens und hohen Kaſtanien-Alleen, bewohnen zu ſehen, deſſen ein kleiner Souverain ſich nicht zu ſchämen hätte. Ich ſpeiste dann um 8 Uhr beim O. Geſandten zu Mittag, ein Diné, das ſich, außer der Liebenswürdigkeit des Hausherrn, noch durch ächten Metternich-Johannisberger auszeichnete, für welchen Nektar wenigſtens, auch der eingefleiſchteſte Liberale dem großen Miniſter Gerechtigkeit wiederfahren laſſen muß. Ich fand dort Deinen Freund B., den vierzig - jährigen Jüngling, der mir viele Empfehlungen an Dich auftrug. Er iſt immer noch der Alte und unter - hielt mich lange von ſeiner Toilette, wobei er ver - ſicherte, daß er hier vor Langerweile entſetzlich mager geworden ſey, nur an einer Stelle finde ihn ſein Schneider bedeutend ſtärker, nämlich da, wo er ſeit einem Monat falſche Waden trage.

Ich will bei dieſer Gelegenheit bemerken, daß ich Dir über die hieſige Geſellſchaft nicht viel ſagen kann,53 bis ein längerer Aufenthalt und die season mich befähigt hat, etwas ausführlicher davon zu ſprechen. So lange London, hinſichtlich der großen Welt, einem Palmyra an Einſamkeit gleicht, werde ich mich mit der Beſchreibung der Lokalitäten begnügen, die mir zufällig, oder denen ich abſichtlich in den Weg komme.

Vor einigen Tagen benützte ich ein etwas helleres Wetter, um Chiswick, eine Villa des Herzogs von Devonſhire zu beſuchen, die für die eleganteſte Anlage dieſer Art in England gilt, und die ich vor mehreren Jahren nur oberflächlich, bei einem Feſte das der Herzog gab, geſehen hatte. Die Gemälde konnte ich auch diesmal nicht betrachten, weil ein Gaſt das Haus bewohnte. Im Garten fand ich viel verändert, aber kaum zum Vortheil, denn es herrſcht jetzt eine Miſchung von Regelmäßigem und Unregel - mäßigem darin, die einen widrigen Effekt hervor - bringt. Ueberhaupt iſt an mehreren Orten die häß - liche Mode in England eingeriſſen, den pleasure - ground faſt überall nur mit einzelnen, faſt reihen - weis geſtellten, ſeltnen Bäumen zu bepflanzen, was den Raſenſtücken das Anſehen von Baumſchulen gibt. In den Strubs beſchneidet man die Sträucher rund54 umher, damit ſie ja den Nebenſtrauch nicht berühren können, reinigt täglich die Erde darum ſorgfältig und führt die Raſenkanten in ſteifen Linien, ſo daß man mehr ſchwarzen Boden als grünes Laub ſieht, und die freie Schönheit der Naturformen ganz verdrängt wird.

Nur Herr Naſh geht bei ſeinen Anlagen von einem ganz andern Princip aus, und die neuen Gärten des Königs bei Ruckinghamhouſe ſind wahre Mu - ſter für den Pflanzer in dieſer Hinſicht.

Was den Gärtner in England am meiſten begün - ſtigt, iſt das milde Klima. Der Kirſch - und portu - gieſiſche Lorbeer, Azalien, Rhododendron erfrieren nie, und geben Winter und Sommer den herrlichſten, üppig wachſenden Unterbuſch, reiche Blüthen und Beeren.

Magnolien werden ſelten bedeckt, und ſelbſt Ca - melien überwintern an geſchützten Stellen unter ei - ner bloßen Baſtdecke. Auch der Raſen behält den ganzen Winter hindurch ſeine ſchöne Friſche, ja er iſt in dieſer Jahreszeit in der Regel weit ſchöner und dichter als im Sommer, wo ich mich erinnere, ihn bei dürrem Wetter oft noch ſchlechter als in der Mark geſehen zu haben, jetzt im Herbſt iſt aber die ganze Vegetation grade in ihrer üppigſten Pracht.

Eine ſchöne Wirkung macht in Chiswick ein ein - zelner hoher Baum vor dem Hauſe, deſſen Stamm man bis an die Krone glatt aufgeputzt hat, und un -55 ter welchem man nun den ganzen Garten und einen Theil des Parks überſieht, ein guter Wink für Land - ſchaftsgärtner, den ich Dir in M. zu benutzen rathe. Die hieſigen Cedern-Alleen (welcher Baum bei uns lei - der auch nicht im Freien gedeiht) iſt berühmt, und er - reicht die Größe alter Tannen. Auch coloſſale Tarus - hecken bekunden, wie lange dies Beſitzthum ſchon gepflegt wurde, und die neuen Gewächs - und Treib - häuſer empfehlen den guten Geſchmack ihres jetzigen Beſitzers beſſer als der pleasure ground. Sonderbar iſt es, daß nirgends in England die Orangenbäume zu irgend einer bedeutenden Größe zu bringen ſind. Auch hier iſt dieſer Theil der Gärtnerei nur ſehr mesquin, dagegen die Blumengärten noch immer reich blühen. Die Blumenbeete waren ebenfalls ſo ſparſam bepflanzt, daß jede einzelne Staude frei ſich ausbreiten konnte, ausgenommen diejenigen Beete, wo nur eine Blumenſorte cultivirt wird. In dieſem Fall ſucht man das Ganze ſo voll als möglich zu er - halten, und dieſe letzteren ſind daher auch bei wei - tem die ſchönſten. Ich ſah in den Treibhäuſern hier zum erſtenmal die große Providence-Ananas, welche Exemplare bis zu 12 Pfund Gewicht liefert. Eine kleine Menagerie iſt mit Chiswick verbunden, wo ein zahmer Elephant allerlei Kunſtſtücke macht, und ſich auf einem weiten Raſenplatz ſehr ruhig von jedem Neugierigen reiten läßt. Sein Nachbar iſt ein Lama und weit unſanfterer Natur. Die Waffe deſſelben beſteht in einem äuſſerſt übelriechenden Speichel, mit dem es mehrere Ellen weit diejenigen, welche es56 necken, anſpuckt, und dabei ſo richtig trifft, und ſo ſchnell und plötzlich auf ſeinen Gegner losſpringt, daß man nur mit vieler Mühe der zugedachten La - dung entgeht.

Leider hat Chiswick nur ſtehendes und ſchlammi - ges Waſſer, was zuweilen ſo austrocknet, daß der Elephant, bei ſtarkem Durſt, den Reſt ausſaufen könnte.

Durch eine Reihe lieblicher Villen und Landhäuſer aller Art, unter dem Gewimmel von Reitern, Land - kutſchen, Reiſewagen und Kohlenkarren mit Rieſen - pferden beſpannt, dazwiſchen mit gelegentlichen ſchö - nen Ausſichten auf die Themſe, langte ich nach einer Stunde raſchen Fahrens wieder bei Hydeparkcorner an, und begrub mich von Neuem in das Labyrinth der unermeßlichen Stadt.

Den andern Tag beſuchte ich die City mit meinem Lohnbedienten, einem Schweizer, der Aegypten, Sy - rien, Sibirien und Amerika bereist, ein ruſſiſches Poſtbuch herausgegeben, die erſte Nachricht von der Einnahme Hamburgs durch Tettenborn, nebſt einem Koſacken in natura, nach London gebracht, und zu - letzt Napoleons Krönungs-Anzug in Paris erſtanden, und hier für 5 Schilling Eintrittsgeld gezeigt hat, dabei geläufig die meiſten europäiſchen Sprachen ſpricht, und alſo mit einer halben Guinnea täglich nicht zu theuer bezahlt wird. Auch als Arzt iſt er zu gebrauchen, denn er hat auf ſeinen Reiſen ſo viel Arcana und Recepte geſammelt, daß er wundervolle57 Hausmittel für jedes Uebel, und überdem, wie er behauptet, noch tauſend verſchiedene Punſch-Recepte beſitzt. Geführt von dieſem Univerſal-Genie betrat ich zuerſt die Börſe, the Royal Exchange.

An andern Orten hat die Börſe gewöhnlich nur ein kaufmänniſches Anſehen, hier durchaus ein hiſto - riſches. Die impoſanten Statuen engliſcher Herrſcher rund umher, unter denen ſich Heinrich VIII. und Eliſabeth beſonders auszeichnen, wie die alterthüm - liche und würdige Bauart erwecken poetiſche Gefühle, denen der Gedanke eines ſo unermeßlichen Welthan - dels, deſſen Hauptplatz London iſt, eine noch tiefere Bedeutung giebt. Die Menſchen jedoch, die das Ge - mälde beleben, ziehen Einen bald wieder in das Reich des Alltäglichen hinab, denn hier leuchtet Ei - gennutz und Intereſſe zu lebhaft aus jedem Auge, ſo daß in dieſer Hinſicht der Ort, wie die ganze City, einen faſt unheimlichen Anblick darbietet, der dem raſt - und troſtloſen Gewühle verdämmter Gei - ſter nicht ganz unähnlich erſcheint.

Der große Hof der Börſe wird von bedeckten Ar - kaden umgeben, wo Inſchriften den Kaufleuten aller Nationen ihren Verſammlungsort anweiſen. In der Mitte des Hofs ſteht eine Statüe Carl II., der den Pallaſt erbaute. Sie drückt in Haltung und Gebehrde ganz den Mann aus, wie ihn die Geſchichte beſchreibt, nicht ſchön, aber doch nicht ohne Grazie, und mit einem feſtgewurzelten Leichtſinn in den, wie zum Spott, halb gravitätiſchen Zügen, den nichts beſſern58 kann, weil er aus Mittelmäßigkeit entſpringt, und daher auch aus dieſem König einen eben ſo liebens - würdigen und ſorgloſen Roué, als ſchlechten Regen - ten machte. In Niſchen, die rund um den zweiten Stock angebracht ſind, ſtehen die Büſten anderer Herrſcher Englands. Ich habe ſchon die Heinrich VIII. und der Königin Eliſabeth genannt. Sie würden auch ohne die ſich ihnen beimiſchende Erinnerung auffallen. Heinrich fett und behaglich, und ſo zu ſa - gen gemüthlich grauſam ausſehend, Eliſabeth männlich großartig, und doch auch weiblich boshaft. Die Büſten ſind gewiß nach den beſten Holbeiniſchen Originalien gemacht. In dieſem Stocke befindet ſich das berühmte Lloyd’s Coffeehouſe, das ſchmutzigſte Lokal dieſer Art in London, dem man es nicht an - ſieht, daß hier täglich über Millionen verwandelt wer - den. Doch ſind offenbar mehr Papier und Federn als Erfriſchungen ſichtbar.

Nahe dabei iſt das ſchöne und ungeheure Gebäude der Bank von England, mit einer Menge großer und kleiner Säle, die größtentheils von oben beleuch - tet und zur Aufnahme der verſchiedenen Comptoirs beſtimmt ſind. Hunderte von Verks arbeiten hier nebeneinander, und führen mechaniſch die koloſſalen Geſchäfte, bei denen das nil admirari dem, ohne - dies gern bewundernden armen Deutſchen oft ſchwer werden mag, beſonders wenn er im Bullion office, wo die Lingots aufbewahrt werden, die Goldhaufen und Silberfäſſer anſtaunt, die ihm die Schätze der tauſend und einen Nacht zu realiſiren ſcheinen.

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Von hier begab ich mich nach dem Rathhaus, wo eben der Lord-Mayor, dermalen ein Buchhändler, der aber in ſeinem blauen Mantel mit goldner Kette gar nicht übel repräſentirte, und einen ganz monar - chiſchen Anſtand anzunehmen wußte, eben Recht ſprach. Ich glaube nicht, daß er ſich dabei ſchlechter wie ein Juſtizbeamter aus der Affaire zog; denn ſeit Sancho Panſa’s Zeiten iſt es bekannt, daß der geſunde Men - ſchenverſtand das Rechte nicht ſelten richtiger er - kennt, als die durch zu viele ſcharfgeſchliffene Bril - lengläſer überſichtig gewordene Wiſſenſchaft, ſo wie ich auch, in Parentheſe geſagt, das Kunſturtheil eines gebildeten, natürlichen Sinnes in der Regel dem eines Antiquaren vorziehe, der durch den Na - men, oder eines Selbſtkünſtlers, der durch die be - ſiegten Schwierigkeiten am meiſten beſtochen wird.

Der Schauplatz hier war nur ein mittelmäßiges Zimmer, zur Hälfte mit dem niedrigſten Pöbel ge - füllt. Es handelte ſich um das häufigſte Thema in England, einen Diebſtahl, und da der Sünder, wel - cher eben ſo gelaſſen als ennuyirt ſchien, nach gerin - gem Zögern geſtand, ſo hatte das Drama ſchnell ein Ende.

Und weiter wanderten wir fort in der tumultua - riſchen City, wo man wie ein Atom verloren gehen kann, wenn man nicht gehörig rechts und links auf - paßt, um weder von einer dem Trottoir zu nahe kommenden Cabriolet-Gabel aufgeſpießt, oder von einem einbrechenden und umſtürzenden Diligencen -60 Gebäude erdrückt zu werden, und gelangten aber - mals zu einem höchſt dunkeln und unanſehnlichen Kaffeehaus, Garroways Coffeehouſe genannt, wo in einem elenden Lokal Landgüter und Palläſte, oft Hunderttauſende an Werth, täglich verſteigert wer - den. Wir ſetzten uns ganz ernſthaft dazu hin, als wären wir ſehr begierig, ähnliche Acquiſitionen zu machen, und bewunderten die ungemeine Liebens - würdigkeit und faſt unglaubliche Geſchicklichkeit des Auktionators, die Kaufluſt bei ſeinem Auditorium zu erregen. Er zeigte ſich in zierlicher ſchwarzer Klei - dung und Perrücke, und ſtand wie ein Profeſſor auf dem erhabenen Catheder. Ueber jedes Gut hielt er eine allerliebſte Rede, die er nicht ermangelte mit vielfachen Späſſen zu würzen, und jeden Gegenſtand dabei ſo unwiderſtehlich anzupreiſen, daß der Unbe - fangene darauf hätte ſchwören mögen, Alles ginge hier für das unverantwortlichſte Spottgeld weg.

Mein Lohnlakay erzählte mir, daß dieſer berühmte Auktionator vor einiger Zeit in einen unangenehmen Prozeß verwickelt worden ſey. Er hatte nämlich ein Landgut ungemein wegen des romantiſchen hanging wood in ſeiner Nahe geprieſen, eine Holzart, die ſehr beliebt in England iſt, und worunter gewöhnlich Trauerweiden, Trauerbirken, Hängeäſchen, Fich - ten u. ſ. w. verſtanden werden. Ein Käufer ließ ſich hierdurch zur Erſtehung verlocken, denn es iſt eigen - thümlich engliſch, daß faſt alle Käufe, die hier ge - macht werden, ohne eigne Beſichtigung des ausgebo - tenen Orts ſtatt finden. Als er indeß auf ſeinem61 neu acquirirten Grundſtück ankam, fand er daſſelbe faſt ganz von Bäumen entblößt, und kein andres hanging wood daſelbſt, als einen nahen Galgen. Soviel für engliſche Humoriſtik und Rechtlichkeit.

Wie hätte ich aber die City verlaſſen können, ohne ihren wahren Lion (engliſcher Ausdruck für jedes Auſſerordentliche in ſeiner Art) ihren Beherrſcher mit einem Wort: Rothſchild, beſucht zu haben.

Auch er bewohnt hier nur ein unſcheinbares Lo - kal (denn im westend of the town befindet ſich ſein Hotel), und in dem kleinen Hof des Comptoirs wurde mir durch einen Frachtwagen, mit Silberbarren bela - den, der Eingang zu dieſem Haupt-Alliirten der hei - ligen Allianz ziemlich ſchwierig gemacht. Ich fand den ruſſiſchen Conſul daſelbſt, der eben ſeine Cour machte. Es war ein ſeiner und geſcheuter Mann, der ſeine Rolle perfekt zu ſpielen, und den ſchuldigen Reſpekt cum dignitate zu verbinden wußte. Dies wurde um deſto ſchwerer, da der geniale Selbſtherr - ſcher der City eben nicht viel Umſtände machte, denn, nachdem er gegen mich, der ihm ſeinen Creditbrief überreicht hatte, ironiſch geäuſſert: wir wären glück - liche reiche Leute, daß wir ſo umherreiſen und uns amüſiren könnten, während auf ihm armen Manne Weltlaſten lägen, fuhr er damit fort, ſich bitter zu beklagen, daß kein armer Teufel nach England käme, der nicht von ihm etwas haben wolle. So habe noch geſtern wieder ein Ruſſe bei ihm gebettelt, eine Epi - ſode, die dem Geſicht des Conſuls einen bitterſüßen Stempel aufdrückte, und, ſetzte er hinzu, die Deut -62 ſchen laſſen mir vollends gar keine Ruhe! Hier kam die Reihe an mich, gute Contenance zu halten. Als ſich nachher das Geſpräch auf politiſche Gegenſtände richtete, gaben wir Beide gern zu, daß ohne ihn Eu - ropa nicht mehr beſtehen könne; er lehnte es aber beſcheiden ab, und meinte lächelnd: Ach nein, da machen Sie nur Spaß, ich bin nichts mehr als ein Bedienter, mit dem man zufrieden iſt, weil er die Geſchäfte gut macht, und dem man dann aus Er - kenntlichkeit auch was zufließen läßt.

Dies wurde in einer ganz eigenthümlichen Sprache, halb engliſch, halb deutſch, das Engliſche aber ganz mit deutſchem Accent, vorgetragen, jedoch alles mit einer imponirenden Aſſurance, die dergleichen Klei - nigkeiten unter ihrer Aufmerkſamkeit zu finden ſcheint. Mir erſchien grade dieſe originelle Sprache ſehr cha - rakteriſtiſch an einem Manne, dem man Genialität, und ſogar einen in ſeiner Art großen Charakter gar nicht abſprechen kann.

Bei Royal Exchange, wo die Kaufleute zu ſehen ſind, hatte ich, für England ſehr conſequent, begon - nen, mit Exeter Change, wo man die fremden Thiere, gleichſam als Repräſentanten der Colonien, zeigt, ſchloß ich meine Tournee. Auch hier begegnete mir wieder ein Lion, diesmal aber ein wirklicher, mit Namen Nero, welcher auſſer ſeiner Zahmheit das in unſerm Clima ſeltenere Verdienſt hat, bereits ſechs Generationen junger engliſcher National-Löwen ge - liefert zu haben. Er iſt von ungeheurer Größe und63 ehrwürdigem Anſehn, ruht aber jetzt auf ſeinen Lor - beeren aus, und ſchläft königlich faſt den ganzen Tag. Erwacht er jedoch übler Laune, ſo macht noch ſein Brüllen das alte Bretterhaus und die ihn umgeben - den gemeinern Thiere erzittern. Dieſe beſtehen aus Geſchöpfen faſt aller Arten, Elephanten, Tiger, Leo - parden, Hyänen, Zebras, Affen, Strauße, Condors Papageyen und Vögeln aller Zonen. Eigenthümlich iſt es, daß ſie nicht ebener Erde, ſondern alle im zweiten und dritten Stocke wohnen, ſo daß man auf einem der gezähmten Elephanten, der immer geſattelt ſteht, oben umherreiten und eine recht hübſche Aus - ſicht ins Weite dabei genießen kann. Den Kaufluſti - gen lockt die große Auswahl und verhältnißmäßig ſehr wohlfeile Preiſe. Der würtembergiſche Geſandte des letzten hochſelig verſtorbenen Königs hatte, wie ich mich noch wohl erinnere, hier mehr zu thun als in St. James und Downingſtreet, ja ich weiß, daß er einmal wegen einer krepirten, ſeltenen, großen Schildkröte, lange in großen Sorgen ſtand, ſeinen Poſten zu verlieren.

Auf dem Rückwege zu meinem Hotel kamen wir bei einem Palais vorbei, von welchem mein weit ge - reister Cicerone, Herr Tournier, Gelegenheit nahm, mir folgende intereſſante Erzählung zu machen. Hat er brodirt, ſo bitte ich Dich, es ihm, und nicht mir, entgelten zu laſſen.

Es war dieſer Pallaſt nämlich das Haus der Mon - tague (die Shakespeare nach Verona verſetzt, aus wel -64 chem vor geraumer Zeit der junge Erbe dieſes Hauſes als einjähriges Kind geſtohlen, und lange nichts weiter von ihm gehört ward. Nach acht Jahren vergeblicher Nachforſchungen der troſtloſen Mutter, ſchickte einſt der Schornſteinfeger des Stadtviertels einen kleinen Knaben zum Fegen des Kamins in das Schlafzimmer der Lady Montague, in welchem man durch einen glücklichen Zufall, vermöge eines Maals am Auge und den darauf gegründeten Nachforſchungen den verlornen Sohn erkannte; eine Anekdote die ſpäter zu einem bekannten franzöſiſchen Vaudeville Anlaß gegeben hat. Aus Dankbarkeit für ein ſo unverhoff - tes Glück gab Lady Montague viele Jahre lang, und ich glaube noch jetzt geſchieht etwas Aehnliches, in dem großen Garten, der an ihr Palais ſtößt, der ganzen Schornſteinfeger-Innung von London am Tage des Wiederfindens ein Feſt, wo ſie ſelbſt, mit aller ihrer Dienerſchaft in Staatskleidung, für die Bewirthung dieſer Leute Sorge trug.

Der Knabe ward ſpäter ein ſehr ausgezeichneter, aber auch eben ſo excentriſcher und wilder Jüngling, der ſein Hauptvergnügen in ungewöhnlichen Wagſtücken ſuchte, wozu er bei fortwährenden Reiſen in fremde und unbekannte Länder die beſte Gelegenheit fand. Auf dieſen begleitete ihn ſtets ein ſehr geliebter Freund, ein gewiſſer M. Barnett.

So hatte er in mehreren Welttheilen die entfern - teſten Gegenden geſehen, als im Jahr 90 Tournier, ſeiner Ausſage nach, ihn als Kammerdiener nach der65 Schweiz begleitete. In Schaffhauſen angelangt, faßte der Lord die unglückliche Idee, mit einem Boote den Rheinfall hinunterzufahren. Der erſte Geiſtliche des Orts, ſo wie viele andere Bekannte baten den jungen Brauſekopf um des Himmelswillen, ein ſo raſendes Unternehmen zu unterlaſſen, jedoch vergebens. Man wollte ihn ſogar durch Aufbieten der Schaffhäuſer Stadtſoldaten daran verhindern, es ſcheint aber, daß ſie ihm nicht mehr Furcht als die weiland Leipziger den dortigen Studioſen einflößten, oder täuſchte er ihre Wachſamkeit, kurz, nachdem er vorher einen leeren Kahn gleichſam zur Probe als avantcoureur voraus geſchickt hatte, der auch glücklich mit ſeinem hölzernen Leben davon kam, folgte er ſelbſt in Ge - ſellſchaft ſeines Freundes. Mr. Barnett hatte zwar ebenfalls alles angewandt, dem entetirten Lord ſein Vorhaben auszureden, als ihm dieſer aber zurief: Wie Barnett, Du biſt mit mir über den ganzen Erd - ball gezogen, haſt jede Gefahr treulich mit beſtanden, und willſt mich nun bei dieſer Kinderei verlaſſen? ſo gab er gezwungen nach und ſetzte ſich, die Achſeln zuckend, in den verhängnißvollen Kahn.

Sie ſchwammen erſt ſanft und langſam, dann mit immer reißenderer Schnelle dem Sturze zu, während Hunderte von Zuſchauern zagend den Wagehälſen nachſchauten.

Was indeſſen Jeder vorhergeſagt, geſchah. Die Kante der Felſen berührend, ſchlug der Kahn um, die beiden Männer erſchienen nur noch einmal zwi -Briefe eines Verſtorbenen III. 566ſchen dem Geſtein, und der Donner der Wogen über - ubte ihr Hülfegeſchrei, das nur undeutlich in Zwi - ſchenräumen vernommen ward. Bald waren ſie gänz - lich verſchwunden, und obgleich man viele Monate lang, ohne Koſten zu ſcheuen, die Körper bis an den Ausfluß des Rheins in Holland ſuchen ließ, und große Summen auf ihr Wiederfinden ſetzte, ſo hat man doch nie wieder etwas von ihnen vernommen. Sie ſchlummern unbekannt in der kryſtallnen Tiefe.

Sonderbar iſt es, daß an demſelben Tage, der ihnen den Tod brachte, das Stammſchloß der Mon - tague in Suſſer bis auf den Grund abbrannte. Die unglückliche Mutter überlebte nur ein Jahr den Tod ihres zum zweitenmal und diesmal unwiederbringlich verlorenen Sohnes.

Wenn Grillparzer zu trauen iſt, ſo muß hier wenig - ſtens eine unverſöhnliche Ahnfrau im Spiele ge - weſen ſeyn, vielleicht noch von Romeo’s Zeiten her.

Müde von der vorgeſtrigen Tour brachte ich den andern Morgen in meinen vier Pfählen zu, beſuchte aber Abends die engliſche Oper im Strand, nicht weit von dem Thierlokal, deſſen Bewohner ſie gleich zu ihrer Dispoſition hat. Das Haus iſt weder ele -67 gant noch groß, aber die Akteurs gar nicht übel. Man gab indeß keine Oper, ſondern hideuſe Melo - dramen, zuerſt Frankenſtein, wo ein Menſch durch Zauberkünſte, ohne Frauenhülfe, gemacht wird, und daher auch ſehr ſchlecht geräth und dann den Vam - pyr, nach der bekannten, Lord Byron fälſchlich zu - geſchriebenen Erzählung. In beiden ſpielte Herr Cook die Hauptrolle, der ſich durch ein ſchönes Aeußere, ſehr gewandtes Spiel und einen höchſt vor - nehmen und noblen Anſtand auszeichnet. Auch war das Zuſammenſpiel durchgängig muſterhaft, die Stücke jedoch ſo albern und unſinnig, daß man es unmöglich bis ans Ende aushalten konnte. Hitze, Ausdünſtung und Publikum waren dabei ebenfalls nicht die er - freulichſten. Ueberdem dauert dieſes Schauſpiel von 7 bis[½] 1 Uhr, was ſelbſt bei dem vortrefflichſten zu lang wäre.

Den nächſten Tag fuhr ich nach Hamptoncourt, um das dortige Schloß, das Geſtüt, und meine alte Freundin Lady Lansdown zu beſuchen.

Von allen drei Dingen fand ich das erſte am un - verändertſten vor, und den berühmten Weinſtock im Garten wohl noch mit einem Hundert Trauben mehr beſchwert. Er hatte jetzt im Ganzen weit über Tau - ſend Stück, und bedeckte das ihm eingeräumte Treib - haus von 75 Fuß Länge und 25 Fuß Breite völlig. In einer Ecke ſtand, gleich dem dunkeln Ahnherrn eines ſtolzen Geſchlechts, ſein brauner Stamm, ſo verloren und unſcheinbar, als wenn er gar nicht mehr zu dem prachtvollen Gewölbe von Blättern und5*68Früchten gehöre, die ihm doch allein ihr Daſeyn ver - danken.

Die meiſten Zimmer im Schloſſe ſind noch ganz ſo meublirt, wie ſie Wilhelm III. vor 120 Jahren verließ. Man konſervirt abſichtlich die zerriſſenen Stühle und Tapeten. Viele intereſſante und vor - treffliche Gemälde zieren dieſe Gebäude, vor allen die berühmten Cartons von Raphael, welche aber bald von hier nach dem neuen Pallaſt des Königs wandern ſollen. Du haſt das Alles aber ſo oft be - ſchrieben geleſen, daß ich mich der Wiederholung ent - halte. Nur zwei ſchöne Portraits, Wolſey’s des ſtolzen Erbauers dieſes Pallaſtes, und Heinrich des VIII. ſeines verrätheriſchen Herrn, laß mich erwähnen. Beide ſind vortrefflich und höchſt charakteriſtiſch. Du erinnerſt Dich jenes dicken Advokaten, den wir nur mit ſo vieler Mühe los wurden, thieriſchen Aus - drucks, ſinnlich, blutgierig ſoweit die heutige Zeit es erlaubt, gewandt, ſpitzfindig, voller Geiſt und Argliſt, und bei unbegränztem Hochmuth doch mit überwiegender Tendenz zum Gemeinen, zuletzt aber noch auf eine wahrhaft naive Weiſe frei von allem Gewiſſen gib dem Bilde Heinrichs einen grünen Frack mit Perlmutterknöpfen und Du haſt ſein treue - ſtes Portrait.

Immer wiederholt ſich in andrer Nüance die Natur, aber die Stufen ſind verſchieden, und mit ihnen die Ausbildung, wie das Schickſal der Menſchen und der Welt.

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In der Nacht wäre ich bald im Erſtickungstode hinübergeſchieden, da mein heimathlicher Jocriſſe, wahr - ſcheinlich von einem engliſchen Camaraden früher zu gut bewirthet, während ich ſchon ſchlief, Kohlen aus dem Kamin wegtragen wollte, und ſie auf einem lakirten Präſentirbrett daneben ſtehen ließ. Ein furchtbarer Dampf und infernaler Geruch weckte mich noch glücklicherweiſe, als ich eben träumte, ein Hof - mann Heinrichs des Achten zu ſeyn, und Camp d’or eine franzöſiſche Schöne erobert zu haben ſonſt hätte ich gewiß die Traumbraut nur im Himmel ge - küßt.

Ohngefähr wie dieſer Himmel, eben ſo entfernt und eben ſo lieblich, erſcheint mir der Ort wo Du weilſt, meine Traute, und ſo ſende ich Dir den Frie - denskuß übers Meer und ſchließe, Heil und Segen wünſchend, hiemit die erſte engliſche Epiſtel.

Dein herzlich ergebener L.

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Vierter Brief.

Das hieſige Klima ſcheint mir gar nicht zu be - kommen, denn ich befinde mich ſeit meiner Landung fortwährend unwohl. Indeſſen, ſo lange ich nur nicht die Stube hüten muß, laſſe ich mich davon nicht unterdrücken, reite viel, um mich zu kuriren, in der reizend cultivirten Umgegend von London umher, und ſetze auch meine Courſen in der Stadt nicht aus.

Das brittiſche Muſeum kam neulich an die Reihe, wo ein eigner Miſchmaſch von Kunſtgegenſtänden und Naturalien, Curioſitäten, Büchern und Modellen in einem erbärmlichen Lokal aufbewahrt wird.

Am Eingang oberhalb der Treppe ſtehen zwei enorme Giraffen, gleichſam als ausgeſtopfte Wächter und Embleme engliſchen Kunſtſinns. Man findet dann in den verſchiedenen Zimmern ohne Zweifel ſehr viel Intereſſantes, ich muß aber zu meiner Schande71 geſtehen, daß ich von dem zu vielen Sehen dergleichen Merkwürdigkeiten, mich jetzt durchaus in ſehr favo - rabler Stimmung befinden muß, um nicht etwas Indigeſtionsartiges dabei zu empfinden. Unter den antediluvianiſchen Ueberreſten befand ſich ein ganz monſtroſes, äußerſt wohl erhaltenes Hirſchgeweih, was wenigſtens ſechsfach die größten übertrifft, die unſer Freund C .... in der Hirſchgallerie ſeines Schloſſes aufbewahrt. Im Antikenſaal, der übrigens einer Scheune gleicht, erfreut man ſich an den herr - lichen Elginmarbles, wie man ſie hier nennt. Könnte man doch nur einmal dieſe alte untergegangene Kunſt - welt in aller Pracht und Erhaltung ihrer Monumente anſchauen! Das wäre noch der Mühe werth. Die einzelnen Torſen, mit denen wir uns begnügen müſſen, gewähren doch nur (déclamation à part) ohngefähr das Vergnügen, welches Einem z. B. eine wunder - ſchöne Frau mit nur einem Beine, abgeſchnittenen Armen, und geblendeten Augen verſchaffen könnte.

Eine Büſte des Hippokrates ſprach mich an, weil ihr der Arzt vom Metier, ſo zu ſagen, aus den Augen geſchnitten war, ſo daß man hier in England, bei dem Anblick derſelben ſchon unwillkührlich in die Taſche griff. *)Die engliſchen Aerzte ſind naͤmlich ſo gewohnt, fuͤr jeden Beſuch eine Guinea zu erhalten, daß Einer von ihnen verſicherte, wenn er krank ſey und ſich ein Recept ſchreibe, ſo verfehle er nie ſich ſelbſt eine Guinea aus der linken Taſche in die rechte zu ſtecken. A. d. H. Auch die berühmte Portland-Vaſe betrachtete ich mit ſchuldigem Enthuſiasmus.

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Ich ſende Dir beifolgend zwei ſpezielle Werke über die Vaſe und die Elgin’ſchen Antiken, mit ſehr leid - lichen Umriſſen, nehme aber jetzt Abſchied, um ein - packen zu laſſen, denn morgen gedenke ich nach Newmarket zu fahren, um mich während des Pferde - rennens einige Tage daſelbſt aufzuhalten.

Die Schönheit des Landes, und die ungemeine Zierlichkeit aller Orte, durch die mein heutiger Weg mich führte, frappirte mich von neuem auf das an - genehmſte. Dieſe eben ſo fruchtbaren als geordneten Landſchaften, dieſe Tauſende von behaglichen und lieb - lichen Landhäuſern, auf allen Punkten der Gegend vertheilt, dies fortwährende Gewühl von eleganten Wagen, Reitern und wohlgekleideten Fußgängern ſind nur England eigen. Es hat aber dieſes ſchöne Ganze doch einen Fehler, es iſt alles zu kultivirt, zu vollen - det, deshalb immer und überall daſſelbe, und folglich auf die Länge ermüdend, ja ich kann mir ſogar den - ken, daß es endlich widerlich werden muß, wie den Ueberſatten eine duftende Schüſſel voller Delikateſſen aneckelt. Dies mag auch die große Reiſeluſt der Eng - länder zum Theil erklären. Es iſt gerade ſo wie im Leben, wo der Menſch ganz ungeſtörtes Glück am wenigſten vertragen kann, weßhalb der liebe Gott73 vielleicht auch unſern Stammvater Adam, hauptſäch - lich nur, um ihn nicht vor langer Weile daſelbſt um - kommen zu laſſen, aus dem Paradieſe jagte.

Heute war indeß für einige Schattenbeimiſchung geſorgt. Wegen der großen Concurrenz zum Wett - rennen traf ich auf allen Stationen nur höchſt abge - triebene Pferde, manchmal gar keine, ſo daß ich, we - nigſtens nach engliſchem Maßſtabe, erbärmlich ge - fahren wurde, und erſt ſpät in der Nacht Newmar - ket erreichte.

Nirgends war in den Gaſthöfen Platz zu finden, und ich mußte mich zuletzt noch ſehr glücklich ſchätzen, in einem Privathauſe eine kleine Stube für 5 Gui - neen die Woche zu erhalten. Glücklicherweiſe traf ich einen guten Bekannten in demſelben Hauſe an, einen kleinen ungariſchen Magnaten-Sohn, der durch Anſpruchsloſigkeit und frohe Lebensluſt dazu gemacht ſcheint, ſich und Andern in der Welt zu gefallen. Ich verehre ſolche Naturen, weil ſie ſo grade Alles beſitzen, was mir fehlt.

Den nächſten Morgen ſchon ritt ich mit ihm umher, um uns ein wenig zu orientiren. Ein Tag gleicht hier dem andern, wie ein Ey dem andern. Früh ½ 9 Uhr ſieht man zuerſt auf einem Hügel einige hundert Rennpferde, in Decken eingehüllt, ihre Morgenpromenade machen. Der weit ausgedehnte kahle Grashügel iſt überall mit ih - nen, wie mit einer Heerde bedeckt, einige gehen im Schritt umher, andere gallopiren, bald langſamer, bald ſchnel - ler, doch nie im vollen Lauf. Ein Aufſeher, auf ei -74 nem kleinen Pony reitend, begleitet in der Regel die Pferde, welche demſelben Herrn gehören, oder bei demſelben Traininggroom in Koſt und Wartung ſind. Die Rennpferde ſelbſt werden hier alle von kleinen, nur halb angezogenen Jungen auf der Decke geritten, von denen auch gelegentlich einer zum Ver - gnügen der Zuſchauer abgeworfen wird. Iſt dieſe für den Pferdeliebhaber allerdings ſehr intereſſante Beſichtigung vorbei, ſo frühſtückt man, geht wohl noch eine halbe Stunde auf die Pferdeauction, welche, von dem allbekannten Herrn Tatterſall geleitet, bei - nahe alle Tage auf offener Straße ſtatt findet, und reitet oder fährt dann zum Wettrennen.

Dieſes beginnt ziemlich pünktlich um 12 Uhr. Eine unabſehbare Grasplaine mit feinem dichten Hutungs - raſen bewachſen, iſt der Kampfplatz, wo verſchiedene Diſtanzen, von einer ganzen deutſchen Meile, als Maximum, bis zu und 1 / 10 als Minimum, ſtets in grader Linie durchlaufen werden. Dieſe Bahn iſt gegen das Ende hin auf beiden Seiten mit Stricken eingefaßt, längs welchen außerhalb drei und vierfache Reihen größtentheils ausgeſpannter Wagen ſtehen, die von oben bis unten, inwen - dig und auswendig mit Zuſchauern beſetzt ſind. Am Ziele ſelbſt befindet ſich ein Bretterhäuschen, ohngefähr wie die Schäfer in manchen Gegenden Deutſchlands zu haben pflegen, auf Räder geſtellt, ſo daß man es beliebig weiter rücken kann, wenn das Ziel verlängert oder verkürzt werden ſoll. In dieſem ſitzt der Kampfrichter, um vermöge einer ge -75 genüber eingegrabenen Stange, genau viſiren zu können, welches Pferdes Naſe die erſte in dieſer Linie erſcheint, denn oft entſcheidet nur ein Zoll, und es iſt eine ſehr geſcheute Politik und Hauptkunſt der hieſigen Jokeys, die wahre Schnelligkeit ihrer Pferde ſo wenig als möglich zu verrathen, ſondern nur grade ſo viel davon zu zeigen, als zum Gewinnen eben nöthig iſt. Sehen ſie, daß ſie keine Chance mehr haben, ſo bleiben ſie lieber gleich ganz zurück, da hingegen diejenigen, welche um den Sieg noch ſtrei - ten, am Ziele immer nur ſehr wenig auseinander ſind. Das groteske Schauſpiel eines Reiters, der, 1000 Schritt zurück, noch immer wie eine Dampfma - ſchine mit Sporen und Gerte ſich auf ſeinem Pferde abarbeitet, ſieht man nur in Deutſchland und Frank - reich. Sind zwei Pferde völlig in gleicher Linie am Ziele angekommen, ſo müſſen ſie noch einmal laufen, was öfters vorfällt. Der Kampfrichter iſt daher ver - eidet, und von ſeinem Ausſpruch kein Appell. Die engliſchen Jokeys (nicht kleine Jungens, wie man zuweilen im Auslande denkt, ſondern oft alte Dimi - nutiv-Greiſe von 60 Jahren) bilden eine eigne Zunft, und ſind die beſten praktiſchen Reiter, die ich kenne. Es ſind immer möglichſt kleine und ſchmächtige Leute, die ſich durch künſtliches Schwitzen, Purgiren u. ſ.w. fortwährend ſo viel als möglich reduziren. Du erinnerſt Dich, daß ich ſelbſt früher Rennpferde hielt, wo ich einen Newmarket Jokey eine Zeit lang im Dienſt be - hielt, der unter andern in Wien eine bedeutende Wette für mich gewann. Es beluſtigte mich ſehr,76 dieſen Menſchen zu ſehen, wenn er ſich ſelbſt in training ſetzte, und, nachdem er ſich durch mehrere Laxanzen geſtärkt hatte, in der größten Hitze, mit drei oder vier Pelzen bekleidet, im Trabe gewiſſe Diſtanzen ablief, bis der Schweiß ſtromweiſe von ihm herabrann, und er ſelbſt vor Mattigkeit faſt hin - ſank, mais tel était son plaisir, und je miſerabler er ſich fühlte, je zufriedner war er.

Auch dies kömmt jedoch auf die Beſtimmung an, denn leichter, als wie zu einer Hauptgelegenheit, wo viel zu verdienen iſt, erfordert wird, iſt es nicht rath - ſam ſich zu machen, indem Bley in den Gurt neh - men zu müſſen für Pferd und Reiter unbequem iſt, und Du weißt ſchon, daß auf dieſe Weiſe das be - ſtimmte Gewicht, welches ein Pferd tragen muß, regulirt wird*)Es ſey mir erlaubt, bei dieſer Gelegenheit diejenigen mei - ner Berliner Freunde, welche mit ihren Pferden bei den dortigen Wettrennen concurriren wollen, den Rath zu ge - ben, die dazu beſtimmten Pferde nur durch gutrekom - mandirte engliſche Groorns trainiren zu laſſen, da alle hieſigen ohne Ausnahme es durchaus nicht verſtehen, wie ich mich vielfach uͤberzeugt habe. Sie glauben ein Pferd trainirt zu haben, wenn ſie es durch Aderlaſſen, Laxiren und taͤgliches Umherjagen zum Skelett verwandelt, und ihm alle die Kraͤfte genommen, welche das aͤchte Trai - niren verzehnfacht. Das gut und ſchlecht trainirte er - ſcheinen zwar gleich mager, bei dem letztern iſt es aber die Magerkeit des Elends und der Entkraͤftung, bei dem andern nur die Entfernung alles unnuͤtzen Fleiſches und Fettes mit der hoͤchſten Ausbildung und Kraft der Mus - keln und der Lunge. A. d. H. .

77

In einer gewiſſen Diſtanz vom Ziele, nach dem Punkte des Auslaufs zu, ſteht, etwa hundert Schritt ſeitwärts, eine andere weiße Stange, the betting post genannt. Hier verſammeln ſich die Wettenden, nachdem ſie vorher die Pferde in den Ställen, am Beginn der Bahn, ſatteln geſehen, und ſich noch genau von allen etwa obwaltenden Umſtänden über - zeugt, vielleicht auch den ergebenen Jokeys Winke ertheilt haben. Für Manchen möchte das, was hier vorgeht, von allem das[befremdendſte] Schauſpiel ſeyn. Es hat, des Lärmens und verworrenen Schreiens wegen, viel Aehnlichkeit mit einer Judenſchule, nur daß mehr Leidenſchaft dabei ſichtbar wird, und das active Perſonal eben ſowohl aus den erſten Pairs von England, als Livreebedienten, den gemeinſten sharpers und black legs (Betrüger und Gauner) beſteht, kurz aus Allem, was Geld zu verwetten hat, und hier gleiche Rechte in Anſpruch nimmt, auch im Aeuſſern keinen weſentlichen Unterſchied dar - bietet, noch verſchieden mit einander umgeht. Die meiſten haben Taſchenbücher in der Hand, jeder ſchreit ſeine Anerbietungen aus, und wer ſie annimmt, no - tirt es mit Jenem zugleich in ſein Buch. Herzöge, Lords, Stallknechte, Spitzbuben, Alles brüllt durch - einander, und wettet mit einander, mit einer Volu - bilität und in Kunſtausdrücken, aus denen ein Frem - der ohne langes Studium nicht klug werden kann, bis plötzlich der Ruf ertönt: die Pferde ſind abge - laufen.

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Schnell ſtiebt nun der Haufe auseinander, die Wettluſtigen ſuchen ſich aber wieder an den Stricken, die die Bahn einfaſſen, zuſammen zu finden. Eine Menge lange Perſpektive, Operngucker, Lorgnetten ſieht man, von den Wagen und Reitern aus, nach den von fern herankommenden Jokeys gerichtet. Mit Windesſchnelle eilen dieſe immer näher, und einige Momente ſchwebt banges Schweigen über der bun - ten Menge, während ein Aufſeher zu Pferde die Bahn frei hält, und jeden Eindringling ohne Um - ſtände mit der Peitſche zurück zwingt. Doch nur Momente dauert die Ruhe, bald erhebt ſich von Neuem das wildeſte Getümmel, lautes Jauchzen und Klagen, Fluchen und Beifallsgeſchrei ſchallt von al - len Seiten, von Herrn und Damen, herüber und hinüber. Zehn gegen vier auf den Admiral, Hun - dert gegen eins auf Putana, Smallbeer against the field (Schmalbier gegen alle andren) Karo-Bube ge - winnt u. ſ. w. hört man wüthend von den Wet - tern ſchreien, und kaum hat man hie und da ein Done (es gilt) vernommen, ſo ſind die edlen Thiere auch ſchon heran, im Nu vorbei, im zweiten am Ziele, und das Schickſal, oder Geſchicklichkeit, oder Betrug haben entſchieden. Starr ſehen die großen Verlierer einen Augenblick vor ſich hin, laut trium - phiren die Gewinner, Manche machen bonne mine à mauvais jeu, Alle aber jagen jetzt ſchnell den Jo - keys nach, um dieſe wiegen und die Pferde abſat - teln zu ſehen, ob ihnen dort vielleicht eine vorgefal - lene Unregelmäßigkeit noch eine Chance gewähren79 möchte. In einer Viertelſtunde beginnt mit andern Pferden daſſelbe Spiel von Neuem, und wiederholt ſich ſo ſechs bis ſiebenmal. Voilà les ceurses de Newmarket.

Ich hatte den erſten Tag ein ſo divinatoriſches Urtheil, daß ich dreimal den Gewinner, blos nach Gutdünken und Beurtheilung, beim Satteln errieth, und dadurch ziemlich anſehnlich gewann. Doch ging es mir wie gewöhnlich beim Spiel, ich verlor die andern Tage noch einmal ſo viel dazu. Wer hier mit Dauer gewinnt, iſt vorher ſeiner Sache ſicher, und es iſt bekannt, daß ein großer Theil des engli - ſchen Adels in dieſem Punkt ſehr weite Grund - ſätze hat.

Ich fand unter den Anweſenden mehrere Bekannte aus älterer Zeit, die mir die Erlaubniß ertheilten, ihre Rennpferde im Stall zu ſehen, was ſie für eine große Vergünſtigung halten, und mir dann auch anboten, Entrée in den hieſigen Club zu verſchaffen, wovon ich jedoch nicht profitirte, da es ein bloßer Spiel-Club iſt, wovor man ſich in England mehr als irgendwo hüten muß.

Es iſt als ein Nationalzug anzuſehen, und einer, der das allgemein Kaufmänniſche hier charakteriſirt, daß vorher zwar alle Vortheile gelten, aber bei den, oft im Augenblick und in der größten Confuſion ge - machten Wetten, faſt wie ein Streit über die Rich - tigkeit derſelben ſtatt findet, dagegen oft Einer, der mehr verloren hat, als er bezahlen kann, vor dem80 Abrechnungstage ganz und gar unſichtbar wird, d. h. Bankerott macht, und ſich auf dem Continent, ent - weder für immer, oder ſo lange, bis er wieder zah - lungsfähig iſt, verbirgt. Wenn dergleichen geſchieht, wird es von den Habitués ein ſchlechtes meeting genannt.

Gleich am erſten Tage meines Aufenthalts in New - market machte mich mein ungariſcher Freund mit der Familie eines reichen Kaufmanns aus der hieſigen Gegend bekannt, die mit ihrem Landbeſuch, worun - ter einige ſehr hübſche Mädchen, täglich zum Rennen herkamen, und nach demſelben wieder auf ihr nahes Gut zurückkehrten. Sie luden uns ein, den nächſten Tag dort zu eſſen, und den folgenden bei ihnen zu - zubringen, welches wir mit Vergnügen annahmen.

Gegen 5 Uhr machten wir uns zu Pferde auf den Weg. Eine neu gepflanzte, ſehr breite, doppelte Allee von jungen Buchen bezeichnete den Anfang des Gebiets unſeres Wirths, und führte uns, ohngefähr eine halbe Stunde weit, an ſeine Parkentrance, welche aus einer Art Triumphbogen und zwei Sei - tenpavillons beſtand, an die ſich der hölzerne Park - zaum anſchloß, aber eine Strecke weit vom Thore auf beiden Seiten verpflanzt war, ſo daß die er - wähnten Eingangsgebäude frei im Wald zu ſtehen ſchienen, was ſich ſehr gut ausnahm. Eine Zeit lang führte uns jetzt der Weg durch dichten Buſch, worauf wir die mit Baumgruppen beſetzte Wieſe erreichten, die überall den Hauptbeſtandtheil eines engliſchen81 Parks ausmacht, und dann bald von fern das er - leuchtete Haus erblickten, hinter dem ſich die hohen Bäume und Shrubberies des pleasure grounds aus - dehnten. Einige Kühe lagen vor der Hausthüre, über die wir faſt hinwegſetzen mußten, eine ſonder - bare Anomalie, die ſchon Repton rügt, und die daraus entſteht, daß man, der Gewohnheit gemäß, den Park, d. h. die geſchmückte Viehweide, ſtets auf ei - ner Seite, meiſtens auf zweien, bis an das Wohn - haus ſich erſtrecken läßt, anſtatt es gewiß weit zweck - mäßiger wäre, den pleasure ground und die Gärten rund um das Haus zu ziehen, da, wie mir ſcheint, wohl der entfernte Anblick, aber nicht die un - mittelbare Nähe des Rindviehs, nebſt allen ihm an - hängenden Unannehmlichkeiten, ſo großes Vergnügen gewähren kann.

Wir fanden eine ziemlich zahlreiche Geſellſchaft, be - ſtehend aus dem Herrn und der Frau vom Hauſe, beide im mittleren Alter, ihrer älteſten verheiratheten Tochter mit ihrem Manne, zwei jüngern nicht ſehr anlockenden Töchtern, einem Baronet aus der Nach - barſchaft mit einer hübſchen Frau und ihrer auch ganz artigen, aber ſehr melancholiſchen Schweſter, weil ſie eben aus Indien unverrichteter Sache zurück - kam*)Man pflegt jaͤhrlich aus England einen Transport junger mittelloſer Damen nach Indien zu ſpediren, um ſie dort, wo die Waare nicht ſo haͤufig iſt, wo moͤglich an den Mann zu bringen, und die Spekulation gelingt auch, einer ſehr gefeierten Miß B ...., welcheBriefe eines Verſtorbenen III. 682ſich oft auch in höhern Cirkeln bewegt, drei andern unbedeutenden Herren, dem Sohn vom Hauſe, und endlich einem Londner Stutzer der zweiten Klaſſe, an dem man den ſtrebenden Dandy der City ſtudi - ren konnte.

Der Baronet hatte in Deutſchland gedient, und dort das Thereſienkreuz ſich erworben, wie er er - zählte, denn er trug es nicht, weil er meinte, dies ſey eine Jugend-Spielerei, die er nun abgelegt, da ſie zu ſeinen ökonomiſchen Beſchäftigungen nicht mehr paſſe. Es war ein ſchlichter und freundlicher Mann, dem man, als mit dem Continent am beſten bekannt, beſonders aufgetragen zu haben ſchien, uns die Hon - neurs des Hauſes zu machen. Wir zogen jedoch vor, uns lieber bei ſeiner Frau und Schwägerin in den engliſchen Sitten zu unterrichten.

Nach dieſen Sitten war der Beſuch zweier Noble - men (ſelbſt Fremder, obgleich dieſe 50 Prozent ge - ringer als die einheimiſchen ſtehen) für ein Haus von niederer volée wie das S. .ſche eine Ehre, und man fetirte uns daher ungemein, ſelbſt der Dandy war, ſo weit es die Regeln ſeines Metiers geſtatteten, artig und zuvorkommend gegen uns. Es iſt eine faſt allgemeine Schwäche der nichtadelichen Engländer, mit vornehmen Bekanntſchaften zu prahlen, die Ade - lichen*)Du weißt, daß in England nur die Pairsfamilien zum thun daſſelbe mit den Faſhionablen, oder*)gewoͤhnlich. Ein ruͤckkehrender Krebs iſt aber uͤbel daran.83 Exeluſiven, eine eigne Kaſte, ein Staat im Staate, der in gefellſchaftlicher Hinſicht eine noch deſpotiſchere Gewalt ausübt, und ſich nicht einmal an Rang, noch weniger an Reichthum kehrt, aber nur in jener er - wähnten Schwäche der Nation die Möglichkeit ſeines Beſtehens findet.

Es iſt daher eine große Wonne für dieſe Englän - der des Mittelſtandes, auf dem Continent zu reiſen, und dort mit Leichtigkeit vornehme Bekanntſchaften zu machen, von welchen ſie, zu Hauſe angekommen, wie von intimen Freunden ſprechen können. Unſere Hauswirthin gab uns davon bald eine kleine Probe. Kennen Sie die Königin von .....? frug ſie. Auf meine Antwort, daß ich die Ehre gehabt habe, ihr einſt vorgeſtellt worden zu ſeyn, fuhr ſie fort: she is a gread friend of mine, gerade wie ſie von einem Handels-Compagnon hätte ſprechen können. Zugleich producirte ſie, unter den vielen Brimborions, mit denen ſie ſich behangen hatte, ein Portrait der Königin, welches ihr dieſe, wie ſie behauptete, ge - ſchenkt habe. Es mochte wohl wahr ſeyn, denn auch die Tochter zeigte einen Brief von einer der ver - mählten Prinzeſſinnen Töchter Ihrer Majeſtät vor, der ſehr vertrauliche Mittheilungen über ihre Ehe und Häuslichkeit enthielt, und nun wahrſcheinlich ſchon ſeit geraumer Zeit als Paradepferd dienen*)Adel gerechnet werden. Vom Baronet (incl.) an, gehoͤrt alles uͤbrige nur zur gentry, ein Wort, das hier am beſten durch Honoratioren uͤberſetzt wird.6*84mußte, um der Eitelkeit der Beſitzerin zu fröhnen. Iſt es nicht in hohem Grade auffallend, daß unſere deutſchen Großen, denen es doch zum Theil an Stolz und Morgue gegen ihre Landsleute nicht eben fehlt, jedes engliſche Landeskind, ſey es auch noch ſo ſehr ohne geiſtige Auszeichnung, blos als engliſch, faſt wie ihres Gleichen behandeln, ohne im Geringſten zu fragen, ob dieſes Individuum zu Haus eine Stellung einnehme, die ſolche Begünſtigung recht - fertige!

Nichts läßt uns in den Augen der Engländer ſelbſt geringer erſcheinen, als dieſe demüthige Fremden - ſucht, die noch dadurch etwas beſonders Schmäh - liches erhält, daß ihr wahrer Grund im Allgemeinen doch nur in dem tiefen Reſpekt liegt, den Hohe und Niedere bei uns für engliſches Geld haben.

Es gehört hier ein bedeutendes Vermögen dazu, um ein Haus auf dem Lande zu machen, da der Gebrauch ſehr viel Luxus dabei erfordert, und dieſer Sitte gemäß, in der Hauptſache, beim Krämer daſ - ſelbe gefunden werden muß, wie beim Herzog, d. h. ein zierlich dekorirtes Haus mit eleganten Meubles, eine reiche Vaiſſelle, ſtets neu und fein gekleidete Diener, bei Tafel eine Profuſion von Schüſſeln und ausländiſchen Weinen, ausgewähltes und ſehr koſt - bares Deſſert, und in Allem der Anſchein von Ueber - fluß und plenty, wie die Engländer es nennen. So lange Gäſte da ſind, geht dieſer Train fort, nach - her in der Einſamkeit mag ſich manche Familie da - für mit der ſchmalſten Koſt entſchädigen, daher man85 auch hier Niemanden auf dem Lande beſuchen darf, ohne eingeladen zu ſeyn, und dieſe Einladungen ſind dabei gewöhnlich auf Tag und Stunde beſtimmt, da die Bekanntſchaften groß, und der Raum, wie die dazu beſtimmte Zeit, verhältnißmäßig gering iſt, alſo einer dem andern Platz machen muß. Wahre Gaſt - freiheit kann man dies kaum nennen, es iſt mehr eine Etalage ſeines Beſitzes für möglichſt Viele. Hat eine Familie nun einen Monat, oder länger ſo Haus gehalten, ſo geht ſie die übrige Zeit ſelbſt auf Be - ſuche aus, der einzige gaſtfreie Monat hat aber dann ſchon ſo viel gekoſtet, als bei uns die ganze Jahres - revenüe eines reichen Gutsbeſitzers beträgt.

Da Du nie in England warſt, will ich Dir mit ein paar Worten den Gang eines engliſchen Di - nés beſchreiben, welches ſich, wie geſagt, à peu de chose près überall gleich iſt.

Du liebſt die Details des täglichen Lebens, und haſt mir oft geſagt, Du vermißteſt dies bei den mei - ſten Reiſebeſchreibungen, und doch gäbe nichts ein lebhafteres Bild eines fremden Landes; verzeihe alſo, wenn Du mich jetzt in zu kleinliche Dinge eingehen findeſt.

Man führt die Damen am Arm, nicht an der Hand, wie in Frankreich, zu Tiſch, und iſt auch wie dort von den veralteten Reverenzen befreit, die ſelbſt in vielen der vornehmſten deutſchen Geſellſchaften, noch nach jedem Führen einer Dame gegenſeitig gewechſelt86 werden. Dagegen iſt man ſehr ängſtlich um die Beobachtung des Ranges beſorgt, wobei man den der Fremden freilich ſehr wenig verſteht. Ich ver - wünſchte heute den meinigen, der mich neben die Wirthin brachte, während mein Freund ſich wohl - weislich zwiſchen die ſchönen Schweſtern eingeſchoben hatte. Auf franzöſiſche Art findet man ſchon beim Eintritt den ganzen erſten Gang der Mahlzeit, die Relevés ausgenommen, zugleich auf den Tiſch ge - ſetzt, und ſobald die Glocken abgehoben ſind, legt auch, wie dort, nach der Suppe jeder von der Schüſ - ſel vor, die ſich vor ihm befindet, und bietet ſeinem Nachbar davon an*)Zur engliſchen guten Erziehung gehoͤrt daher auch die Tran - chirkunſt, welche in Deutſchland zu ſehr vernachlaͤſſigt wird., während er ſelbſt, wenn er et - was anderes zu haben wünſcht, über den Tiſch darum bitten, oder einen Bedienten darnach ſchicken muß, im Grunde eine läſtige Mode, weßhalb auch einige der eleganteſten Gereisten jetzt die bequemere deutſche Sitte des Herumgebens der Schüſſeln durch die Die - nerſchaft angenommen haben.

Es iſt nicht üblich, bei Tiſch Wein zu trinken, ohne ſein Glas mit einer andern Perſon zugleich zu leeren, wozu man das Glas aufhebt, ſich ſtarr an - ſieht, mit dem Kopfe zunickt, und es dann erſt gra - vitätiſch austrinkt. Gewiß mancher uns ſehr auf - fallende Gebrauch der Südſeeinſulaner mag weniger87 lächerlich ſeyn. Es iſt übrigens zugleich eine Artig - keit, Jemand auf dieſe Weiſe zum Trinken aufzuru - fen, und ein Bote wird oft vom andern Ende der Tafel erpedirt, um B. anzukündigen, daß A. ein Glas Wein mit ihm zu trinken wünſche, worauf denn beide ſich, zuweilen mühſam genug, ins Auge zu be - kommen ſuchen, und dann, gleich chineſiſchen Pago - den, die Ceremonie des obligaten Nickers mit großer Förmlichkeit agiren. Iſt aber die Geſellſchaft klein, und man hat mit allen Bekannten getrunken, aber noch Luſt, mehr Wein zu genießen, ſo muß man da - mit bis zum Deſſert warten, wenn man den Muth nicht in ſich verſpürt, ſich über die Gewohnheit hin - wegzuſetzen.

Nach vollendetem zweiten Gange und einem inte - rimiſtiſchen Deſſert von Käſe, Sallat, rohen Sellery und dergleichen (wozu man manchmal Ale herum giebt, das 20 und 30 Jahr alt, und ſo ſtark iſt, daß es, ins Feuer geſchüttet, wie Spiritus aufflammt), wird das Tiſchtuch abgenommen, und in den beſten Häuſern auf ein zweites darunter liegendes noch fei - neres Tiſchtuch, in andern auf den bloßen polirten Tiſch das Deſſert aufgeſetzt, welches aus allen mög - lichen Treibhausfrüchten, die hier von ausgezeichne - ter Qualität ſind, indiſchen und vaterländiſchen ein - gemachten Compottes, magenſtärkendem Ingwer, Ge - frornen u. ſ. w. beſteht. Vor jeden Gaſt werden friſche Gläſer geſtellt, und zu den Deſſerttellern und Beſtecken noch kleine mit Frangen umgebene Ser -88 vietten hingelegt, vor den Hausherrn aber drei Fla - ſchen Wein, gewöhnlich Claret (Bordeaux-Wein) Port und Madeira aufgeſetzt. Der Wirth ſchiebt nun dieſe, entweder in ihren Unterſetzern oder auf einem kleinen ſilbernen Räderwagen, links zu ſeinem Nachbar. Jeder ſchenkt ſich ſelbſt, und, ſitzt eine Dame bei ihm, auch dieſer nach Verlangen ein, und ſo fort, bis die Runde gemacht iſt, wo ſie denn wieder von vorn angeht. Einige Kryſtallkrüge mit Eiswaſſer er - lauben den Fremden glücklicherweiſe, dem Brannte - wein, der in den engliſchen Weinen ſtark vorherrſcht, einiges Gegengift beizumiſchen. Alle Dienerſchaft ver - läßt nach aufgeſetztem Deſſert das Zimmer, und braucht man friſchen Wein, ſo wird dem Haushof - meiſter geklingelt, der ihn allein hereinbringt. Eine Viertelſtunde bleiben die Damen dann noch ſitzen, denen zuweilen ſüßer Wein beſonders ſervirt wird, und verlaſſen hierauf den Tiſch. Die Herren erheben ſich mit ihnen, einer derſelben öffnet den Damen die Thüre, und ſobald ſie hinausgelaſſen ſind, rückt man traulicher zuſammen, der Wirth nimmt den Platz der Wirthin ein, und die Geſpräche des täglichen Intereſſes beginnen, wobei der Fremde in der Regel ziemlich vergeſſen wird, und ſich meiſtens mit Zuhö - ren begnügen muß. Es ſteht übrigens Jedem frei, den Damen zu folgen, wann er will, eine Freiheit, von der Graf B. und ich heute möglichſt bald Ge - brauch machten, um ſo mehr, da dies jetzt ſogar Mode, und das viele Trinken unfaſhionable wird. Deßhalb hatte auch der Dandy uns bereits devan -89 cirt, als wir bei den Damen ankamen, die uns im Salon, um einen großen Tiſch gruppirt, mit Kaffee und Thee erwarteten*)Beim Koͤnige muͤſſen die Damen, wie mir eine derſelben erzaͤhlt hat, ruͤckwaͤrts hinausgehen, um Seiner Majeſtaͤt nicht die verkehrte Seite zuzuwenden, welches gegen die, in England zum Theil ſehr ſtreng beobachtete Etikette iſt. Dies hat ſich jetzt zu einer voͤllig militaͤriſchen Evo - lution ausgebildet, welche eine junge Neulingin oft in Verlegenheit ſetzt. Die Damen ſchließen ruͤckwaͤrts, die Richtung nach der Thuͤre, nach welcher ſie ſich in der Diagonale ziehen. Sobald die Fluͤgelfrau an dieſer ange - langt, macht ſie rechtsum, traverſirt hindurch, und ſo jede folgende ihr nach. Lady C. commandirt. Im Gy - naͤceum angekommen, praͤſentirt ſich ihnen, ebenfalls in Reih und Glied, eine Anzahl eleganter Porcellainvaſen. Après cela nippt man von einem Glaſe Liqueur, ſetzt ſich zu Thee und Kaffee nieder, und nun beginnt die Da - menunterhaltung. Man weiß, woraus ſie gewoͤhnlich beſteht: Putz, Scandal und Liebe. Such is the cus - tom of Branksomchall. .

Als die ganze Geſellſchaft wieder vereinigt war, theilte ſich Alles, völlig ungenirt, in beliebige Grup - pen. Einige machten Muſik, wobei die melancholiſche Schöne auf einer Orgel ſpielte, die wahrſcheinlich zu religiöſem Gebrauch hier aufgeſtellt war, andere ſpiel - ten Whiſt, hie und da flüſterte ein Pärchen in der Fenſter-Embraſure, Mehrere politiſirten, nur der Dandy war allein geblieben; in einen großen Lehn - ſtuhl verſunken, hatte er ſeinen rechten zierlich beſchuh - ten Fuß auf ſein linkes Knie gelegt, und ſich in die - ſer Stellung in Mde. de Staël’s Buch sur l’Alle -90 magne anſcheinend ſo vertieft, daß er von der ihn umgebenden Geſellſchaft nicht die mindeſte Notiz mehr nahm.

A tout prendre mußte ich dem hübſchen jungen Mann die Gerechtigkeit widerfahren laſſen, daß er höhere Originale gar nicht übel copirte. Vielleicht wurde ich zu dieſem vortheilhaften Urtheil auch da - durch beſtochen, daß er bei Tiſch viel vom großen Göthe ſprach, und ſeinen Fost anpries, welche Beide (Göthe und Fost) Lord Byron in England Mode gemacht hat. Fost ſchien ihm beſonders wegen der, ſeiner Meinung nach, atheiſtiſchen Tendenz deſſelben zu gefallen, denn Mr. M. brachte, wie er uns er - zählte, die halbe Zeit ſeines Lebens in Paris zu und erklärte ſich für einen esprit fort.

Den andern Tag ritten wir, nach dem gemein - ſchaftlichen Frühſtück, mit den Damen im Park ſpa - zieren, der nichts Sehenswerthes darbot, ausgenom - men etwa einen flußartigen Kanal ſtehenden und ſchlammigen Waſſers, welcher 5,000 £. St. zu gra - ben gekoſtet hatte, und beſſer unterblieben wäre, wurden aber nachher deſto mehr durch die Treibhäu - ſer und Obſtgärten befriedigt. Die erſteren, eine Liebhaberei des Beſitzers, wurden auf eine höchſt in - genieuſe Weiſe nach einer von ihm ſelbſt erfundenen Vorrichtung, mit Dampf geheizt, und die Wärme durch das bloße Drehen eines Hahns augenblicklich zu dem beliebigen Grade vermehrt oder vermindert.

Drei und zwanzig verſchiedene Sorten Ananas, über die ſich, vom Glasdach herab, Hunderte von91 dunkelblauen Rieſen-Trauben ſenkten, füllten dieſe geräumigen, eleganten Häuſer, und im Obſtgarten bewunderten wir an der Mauer Birnen, die bei ſehr gutem Geſchmack eine Größe von 7 Zoll Länge und 16 Zoll Umfang erreichten.

Viele Herren gingen auf die Jagd, wir zogen die häusliche Geſellſchaft vor. Der luſtige B. war der Liebling der Damen geworden, und erregte ſichtlichen Kummer bei ihnen, als wir nach dem Diné um 1 Uhr in der Nacht, und diesmal in einer Poſt-Chaiſe un - ſern Rückweg antraten. Es konnte nicht fehlen, daß wir auf der langen Fahrt über manches Ridicule, das wir geſehen, noch eine lachende Nachleſe hielten, obgleich ich mich dabei recht ſehr ſchämte, als ächter Bewohner B .... s, ſtatt des herzlichen Dankes für die gaſtfreie Aufnahme, mich über die Wirthe und ihre Geſellſchaft luſtig zu machen, aber die Welt iſt heutzutage verdorben, und überdieß hat Gaſtfreundſchaft aus Oſtentation keine beſſern Fol - gen. Wahrſcheinlich ging es uns Gäſten im Hauſe, das wir eben verlaſſen, auch nicht beſſer.

Beim Wettrennen ſahen wir am andern Morgen die jungen Damen wieder, wetteten Handſchuhe mit ihnen, ſo lange, bis wir ſie verloren, und erfreuten ſie dann gar ſehr mit eingeſchwärzten Pariſern. Eine zweite Einladung auf’s Land ſchlugen wir jedoch aus, da wir zu einem Herren-Diné engagirt waren, und Graf B. noch Abends zur Fuchsjagd nach Melton92 abreiſen wollte. Auch ich werde Newmarket verlaſſen, und meinen Brief in London weiter fortſetzen.

Ich bin nicht ſo weit gekommen, als ich wollte, und muß hier übernachten, da die Beſichtigung zweier Parks mich den halben Tag aufgehalten hat. Die darauf verwandte Mühe hat ſich jedoch reichlich be - lohnt. Der erſte, Audley-Park, dem Lord Braybrook gehörig, kann unter den anſehnlichſten im Lande eine Stelle behaupten.

Die Straße führt mitten durch denſelben, mit tie - fen Ahas auf beiden Seiten, die den Park ſichern, und doch die volle Ausſicht hinein geſtatten. Man über - blickt zuerſt eine weite grüne Landſchaft, in deren Mitte ein breites, flußartiges und vortrefflich geform - tes Waſſer angebracht iſt, das aber leider wegen zu geringen Zufluſſes ſehr mit Waſſermoos bedeckt iſt. Nahe an ſeinen jenſeitigen Ufern ſteht das prächtige gothiſche Schloß, welches urſprünglich vom Herzog von Suffolk erbaut wurde, und damals noch drei - mal größer geweſen ſeyn ſoll. Demohngeachtet geben ihm auch noch jetzt die Menge ſeiner Thürme, Vor - ſprünge und verſchiedenartigen hohen Fenſter ein im - poſantes und maleriſches Anſehn. Obgleich Mylady zu Haus war, erhielt ich doch die ſeltne Erlaubniß, es zu beſichtigen.

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Ich trat in eine weite, ſehr einfache Vorhalle, nur mit einigen Geweihen von Rieſenhirſchen der Urwelt, die hier ausgegraben wurden, geſchmückt, und mit wenigen maſſiven Bänken und Stühlen verſehen, auf welche das Wappen der Familie in bunten Farben gemalt war. Einige ſehr alte Gemälde, eine gothi - ſche Lampe, ein großer aus zwei Stücken Muſchel - marmor beſtehender Tiſch, von dem nur die obere Seite des Tiſchblattes geſchliffen, das Uebrige ganz roh war, und ein Dutzend lederne Feuereymer, eben - falls mit bunten Wappen bemalt, machten alle übri - gen Meubles dieſer Piece aus. Die Decke war von Holz mit tiefen Caiſſons und verſchoſſener alter Ma - lerei. Man ſah auf den erſten Blick, daß man in kein Haus von geſtern getreten war.

Eine hohe Thüre, aus ſchwerem geſchnitzten Eichen - holz, führte von hier in die Herren-Halle, einem großen Saal, deſſen ungeheure Fenſter von der Decke bis zum Boden gingen, und auf dieſer Seite den freien Anblick der Landſchaft gewährten. Viele Ah - nenbilder in Lebensgröße, zum Theil von Van Dyk gemalt, hingen an der entgegengeſetzten Wand, und zwiſchen ihnen erhob ſich der coloſſale Marmor-Ca - min mit dem in Stuck ausgeführten und reichgefärb - ten Wappen der Suffolks darüber. Die dritte Wand, dieſelbe, durch welche wir hereingekommen, war von innen durchgängig mit kunſtreichem, vortretendem Schnitzwerk bedeckt, Figuren in halber Lebensgröße, wie man an den Chören gothiſcher Kirchen ſieht. Gegenüber befand ſich wieder eine hohe Flügelthüre,94 die ſich in den Speiſeſaal öffnete, und an ihren bei - den Seiten zwei freie Treppen, die zum zweiten Stock hinaufführten.

Der Speiſeſaal enthält ein Portrait Suffolks, und ein Bild der Königin Eliſabeth. Ihr rothes Haar, fades Teint und falſcher Blick, wie der übertriebene Putz, geben keine ſehr vortheilhafte Idee von der galanten und eitlen Maidenqueen.

Im obern Stocke diente eine ſchmale und lange Gallerie, voll niedlicher Kleinigkeiten und Alterthü - mer, unter andern auch einer großen Windcharte in der Mitte, die mit der Thurmfahne in Verbin - dung ſteht, und ſo den Jägern alle Morgen zeigt, wo der Wind herkömmt*)Waͤre an Hofen nicht uͤbel einzufuͤhren. A. d. H. , zum Salon, denn man hat die gute Einrichtung in den meiſten engliſchen Landhäuſern und Schlöſſern, nicht viele, ſondern nur ein Appartement oder Hauptpiece für die Ge - ſellſchaft zu beſtimmen, was dieſe weit beſſer zuſam - menhält.

Die Kapelle iſt modern, aber reich und geſchmack - voll verziert, und hier liest, wenn der Kaplan ab - weſend iſt, der Herr ſelbſt alle Morgen um halb 10 Uhr, wobei ſich die ganze Familie und Dienerſchaft ver - ſammeln muß, nach altem Gebrauch eine Predigt und hält den Gottesdienſt ab.

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Der Park iſt bedeutend groß, aber von einer ſtö - renden Menge Zäune durchſchnitten, um Schafen, Kühen, Pferden und Hirſchen, jeder Thierart ihr ei - genes Terrain anzuweiſen. Von den letztern ſind 4 500 Stück hier vorhanden, die, wie eine zahme Heerde, faſt immer in wenigen Abtheilungen vereint zuſammen weiden, und der Idee des Wildes gar nicht mehr entſprechen. Auch ſchmeckt ihr Fleiſch ganz anders, als da, wo ſie frei in den Wäldern unſerer Heimath leben, ohngefähr wie wildgewordene Ochſen ſchmecken mögen.

Die Remiſen für Rebhühner und Haſen ſind eben - falls umzäunt, da das niedrige Gebüſch ſonſt vom Vieh abgefreſſen werden würde, weßhalb auch, wie ſchon bemerkt, der größte Theil der engliſchen Parks nur aus einzelnen hohen Baumgruppen auf Wieſen - grund beſteht, deren Aeſte die Thiere nicht erreichen können. Dieſe weiten Anſichten imponiren im An - fang, werden aber, ihrer Einförmigkeit wegen, bald ermüdend. Auch kann ich nicht finden, daß die vie - len Vermachungen der Landſchaft vortheilhaft ſind, denn ſelbſt jeder einzeln gepflanzte junge Baum auf der Plaine muß mit einem hohen Zaun umſchloſſen werden, um ihn vor den Thieren zu ſchützen.

Zwei einzelne Tempel und ein Obelisk, zu denen nicht einmal ein andrer Weg, als über den Raſen führte, nahmen ſich ſehr heterogen in der Mitte die - ſer Viehweiden aus, beſſer der entfernte gothiſche Thurm der Kirche von Walden, der pittoresk über die Eichenkronen hervorragte.

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Sehr ſchön fand ich dagegen den Blumengarten und die Faſanerie. Der erſte bildet ein großes Oval, dicht von immergrünen natürlichen Wänden von Tarus, Kirſch-Lorber, Rhododendron, Cedern, Cy - preſſen, hohem Buchsbaum, Holly ꝛc., und den höch - ſten Waldbäumen dahinter, umgeben. Ein Bach mit Grotte und Waſſerfall durchſtrömt den feinen Sammt - raſen, auf dem ſich ſeltne Prachtpflanzen und Blu - menbeete aller Formen und Farben lieblich gruppiren.

Die Faſanerie, welche eine gute halbe Stunde da - von entfernt iſt, beſteht aus einem ſchattigen und dichten, mit einer Mauer umgebenen Wäldchen ver - ſchiedner Baumſorten von bedeutendem Umfang. Man konnte nur über die naſſen Wieſen dazu gelan - gen, und erſt vom Eingangspförtchen an begann ein Kiesweg Dies geſchieht aus Oekonomie, da Wege in England äuſſerſt koſtſpielig zu machen und zu un - terhalten ſind, gewöhnlich daher in einem Park nur ein Fahrweg nach dem Wohnhauſe ſtatt findet, und auch die Fußwege mit dem eiſernen Zaun des plea - sure ground aufhören. Die engliſchen Damen fürch - ten weniger ihre Füßchen der Näſſe auszuſetzen, als die unſrigen.

Der obenerwähnte Weg brachte mich alſo durch ein höchſt anmuthiges Laubgewölbe, nach verſchiede - nen Krümmungen, unerwartet vor die mit Epheu berankte Pforte eines kleinen Gebäudes, an welches ſich, noch mehr unter den Bäumen verſteckt, die Wohnung des Faſanenjägers anſchloß.

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Dieſer öffnete von Innen, und höchſt überraſchend war der Anblick, der ſich jetzt vor uns entfaltete. Wir waren in einen kleinen offnen Salon getreten, deſſen freiſtehende Säulen dichte Monatsroſen ganz bedeckten, zwiſchen denen wir rechts eine große Vo - liere mit Papageyen, links eine eben ſo ausgedehnte Hecke von Kanarienvögeln, Stieglitzen und andern kleinen Vögeln ſahen, vor uns aber einen freien Raſenplatz mit einzelnen immergrünen Sträuchern, und einen Hintergrund von hohem Walde, durch den man einige ganz ſchmale Durchſichten auf ein fernes Dorf und einen einzelnen Kirchthurm, mit vieler Kunſt menagirt hatte.

Auf dieſem freien Platz rief nun der Jäger Wol - ken-von Gold -, Silber - und farbigen Faſanen, nebſt einigen fremden Hühnerarten, zahmen Raben, ſelt - nen Tauben und anderem Geflügel zuſammen, die hier ihr Futter bekamen, und ſich dabei im bunteſten Gewimmel umhertaumelten. Ihre verſchiedenen Ma - nieren und Gebehrden, von der Leidenſchaft der Be - gierde geſteigert, gaben ein ganz eigenthümliches Schauſpiel; beſonders poſſirlich betrug ſich ein Gold - faſanenhahn, der gleich einem Stutzer aus alter Zeit allen Hühnern die Cour zu machen ſchien, und mit den allerlächerlichſten Verdrehungen und Airs, die er ſich dabei gab, meinen alten B. zu ſolchem Lachen zwang, daß die engliſchen Diener, welche im Aeuſ - ſern an ſclaviſche Ehrfurcht vor ihren Herren gewöhnt ſind, dieſe Freiheit mit Verwunderung betrachteten, während ſie mich wenigſtens eben ſo ſehr amüſirte,Briefe eines Verſtorbenen III. 798als die Pantalonnaden des Dandy’s unter den Vögeln.

Ueber 500 Gold - und Silberfaſane, denen gleich nach der Geburt nur ein Flügel verſchnitten wird, welches hinlänglich iſt, ſie am Fliegen zu hindern, bewohnen dieſen Wald Sommer und Winter, ohne nur eines Schuppens gegen die Kälte zu bedürfen, ſo mild iſt das hieſige Clima.

Um Dich nicht zu ermüden, übergehe ich die Be - ſchreibung des zweiten Parks, Short Grove, der nichts Beſondres darbot, und ſehr vernachläſſigt ſchien. Schloß und Park mit Treibhäuſern u. ſ. w., das erſte völlig meublirt, waren eben für den nicht hohen Preis von 400 £. St. jährlich vermiethet worden, eine hier ſehr übliche Sitte, wenn die Beſitzer auf Reiſen ſind.

Wir würden dies nicht gern nachahmen, da hin - gegen bei uns faſt immer ein Theil unſrer Wohn - häuſer in der Stadt vermiethet wird, während die Herrſchaft ſelbſt nur die bel étage bewohnt, was den Engländern wiederum ſehr ſonderbar vorkömmt, und auch wirklich höchſt unbequem iſt, indem die An - weſenheit mehrerer Familien in einem Hauſe ſelten weder eine gute Hausordnung, noch vollendete Rein - lichkeit und Nettigkeit in demſelben geſtattet.

Die Hauptthüre des Schloſſes in Short Grove war von Auſſen mit Spiegeln belegt; eine hübſche Idee, indem man dadurch, dem Hauſe zugehend,99 ſchon auf der Thüre ein ſchönes Gemälde der Ge - gend erblickt.

Der große Reichthum der Gutsbeſitzer in England muß immer die Continentalen frappiren, wo jetzt größtentheils gerade die Gutsbeſitzer die ärmſte und die am wenigſten von den Geſetzen und Inſtitutio - nen protegirte Klaſſe ſind. Hier concurrirt Alles zu ihrem Vortheil. Es iſt äuſſerſt ſchwer, für den Ren - tier freies Grundeigenthum in England zu acqui - riren, da faſt aller Grund und Boden der Krone, oder dem hohen Adel gehört, die es in der Regel nur auf eine Art Erbpacht ausgeben, ſo daß zum Beiſpiel, wenn ein Großer ein Städtchen ſein nennt, dies nicht, wie bei uns, blos die Oberherrſchaft darüber bedeutet, ſondern jedes Haus das wirkliche Eigenthum des Beſitzers iſt, dem Inhaber nur, wie ich gleich auseinanderſetzen werde, auf beſtimmte Zeit überlaſſen. Man kann ſich denken, welche ungeheure, immer ſteigende Revenüen dies in einem auſſerdem ſo induſtriellen Lande hervorbringen muß, und kann nicht umhin, zu bewundern, wie die dortige Ariſto - kratie ſich, in großer Uebereinſtimmung, ſeit Jahr - hunderten alle Inſtitutionen zu ihrem beſten Vor - theil einzurichten gewußt hat.

Der freie Kauf eines Grundſtücks erfordert mehrere ſchwierige Bedingungen, und jedenfalls kann er nur zu ſo hohen Preiſen ſtatt finden, daß kleinere Capi - taliſten ſie nicht daran wenden können, und wie es einmal iſt, bei der Erbpacht für ihre Perſon immer7*100noch mit beſſerem Nutzen dazu kommen, und dieſe daher auch fortwährend vorziehen. Die hieſige Erb - pacht iſt aber ſehr verſchieden von der bei uns übli - chen. Es wird nämlich dem Anbauer der nöthige Platz auf 99 Jahre dergeſtalt überlaſſen, daß er, bei Häuſern pro Fuß der Front, eine gewiſſe Rente jähr - lich, von einigen Schillingen bis zu 5 und 10 Gui - neen, bei größern Grundſtücken ſo und ſo viel per acre (engliſcher Morgen) an den Grundbeſitzer zahlt.

Er ſchaltet nun damit wie er will, baut auf wie er Luſt hat, macht Gärten, Parkanlagen u. ſ. w.; nach dem Verlauf der 99 Jahre aber fällt Alles, wie es ſteht und liegt, und was niet - und nagelfeſt iſt, der Familie des Verkäufers wieder zu, ja noch mehr, der Pächter muß ſein Haus u. ſ. w. im beſten Stand erhalten, und ſogar den Oehlanſtrich alle 7 Jahr er - neuern, wozu er durch Viſitationen polizeylich ange - halten wird. Uebrigens kann er während der ihm zugemeſſenen Friſt auch wieder an Andere verkaufen, aber immer nur bis zu jener feſtgeſetzten Epoche, wo der eigentliche Herr wieder in Beſitz tritt. Alle Land - ſtädte, Villen u. ſ. w., die man ſieht, gehören alſo, wie geſagt, auf dieſe Weiſe Haus für Haus einzel - nen großen Gutsbeſitzern, und obgleich die Erbpäch - ter nach umgelaufener Friſt gewöhnlich das prekaire Eigenthum von Neuem erſtehen, ſo müſſen ſie doch, im Verhältniß als der Werth der Grundſtücke ſeit - dem geſtiegen, oder ſie ſelbſt ſie verbeſſert haben, die Rente verdoppeln und verdreifachen. Selbſt der größte Theil der Stadt London gehört unter ſolchen Ver -101 hältniſſen einzelnen Adelichen, von denen z. B. Lord Grosvenor allein über 100,000 £. St. Kanon ziehen ſoll. Daher iſt, auſſer der Ariſtokratie, faſt kein Hausbewohner in London wahrer Grundeigenthümer des ſeinigen. Selbſt der Banquier Rothſchild beſitzt kein eignes, und wenn einer, dem Sprachgebrauch nach, eins kauft, ſo fragt man ihn: auf wie lange? Der Preis variirt dann, nachdem es aus erſter Hand, gewöhnlich auf Rente, oder aus zweiter und dritter für ein Capital erſtanden wird. Der größte Theil des Erwerbs der Induſtrie fällt durch dieſen Ge - brauch ohnfehlbar der Ariſtokratie zu, und vermehrt nothwendig den unermeßlichen Einfluß, den ſie ſchon ohnedem auf die Regierung des Landes ausübt.

Heut Nachmittag bin ich bei unaufhörlichem Platz - regen hier glücklich wieder angekommen, habe mich im Club bei einem guten Diné reſtaurirt, und Abends im Whiſt, zur guten Stunde ſey’s geſagt, meine Reiſekoſten ſechsfach bezahlt erhalten, bin wohl und lebensluſtig, und finde, daß mir nichts fehlt, als Du.

Laß mich unter ſo guten Conjunkturen meinen Brief beendigen, der ſchon wieder zum Paket angeſchwol - len iſt.

Ewig Dein treuergebener L.

[102]

Fuͤnfter Brief. *)Einige Briefe, die nur perſoͤnliche Beziehungen hatten, ſind hier ganz unterdruͤckt worden, und ich bemerke dies blos, um den ſchoͤnen Leſerinnen, die ſich gewiß mit mir uͤber die Puͤnktlichkeit gefreut haben, mit der der Verſtor - bene das Ende beinahe jeden Tages ſeiner abweſenden Freundin widmete, ein zwanzigtaͤgiges Schweigen zu er - klaͤren. Derſelbe Fall koͤmmt ſpaͤter noch mehrmals vor, ſo wie ich mir uͤberhaupt die Freiheit habe nehmen muͤſſen, in den Briefen, welche dieſe beiden Theile enthalten, Vieles bei der Herausgabe wegzulaſſen, was, um nicht zu ermuͤden, nur ſelten durch Punkte angedeutet iſt, als z. B. zu unintereſſante Alltaͤglichkeit des Le - bens, oder zu intereſſante chronique scandaleuse. Eine kleine ſatyriſche Annaͤherung meines verſtorbenen Freundes an die letzte, in den vorigen Baͤnden, iſt ihm zu

Geliebte Freundin!

Reiſenden möchte ich den Rath geben, in fremde Länder nie Diener aus dem Vaterlande mitzunehmen, am wenigſten, wenn man ſich einbildet, dadurch zu103 erſparen, heut zu Tage immer ein wichtiges Objekt. Dieſe Oekonomie gehört aber zu denjenigen, von denen eine mehr koſtet, als vier Verſchwendun - gen, und man hängt ſich überdieß ein Gewicht an, das vielfach hinderlich iſt.

Solche weiſe Betrachtungen wurden bei mir durch meinen alten Kammerdiener erweckt, der im Begriff iſt, in engliſchen Spleen zu verfallen, weil er zuviel Schwierigkeiten findet, täglich hier Suppe zu ſei - nem Mittagseſſen zu erhalten, und mit Thränen in den Augen dieſer geliebten Speiſe zu Hauſe gedenkt. Er mahnt mich an die preußiſchen Soldaten, die bei Strömen von Champagner die franzöſiſchen Bauern prügelten, weil ſie ihnen kein Stettiner Bier vor - ſetzen wollten.

Wahr iſt es, die Engländer mittlerer Klaſſe, an eine nahrhafte Fleiſchkoſt gewöhnt, kennen nordiſche Waſſer - und Brühſuppen nicht, und was bei ihnen ſo heißt, iſt ein verhältnißmäßig eben ſo theures als*)uͤbel bekommen, um eine neue zu wagen. Die lieblichſten Damen in Sandomir ſprachen ja den Bann aus uͤber den Aermſten, und, ſchreibt mir mein daſiger Correſpondent: se demandant partout: avez vous luͤ les lettres d’un mort? elles prirent toutes le mort aux dents. Man verſteht keinen Spaß mehr in jener traurig gewordenen Welt! Jeder Scherz wird in einer wunden Stimmung auf - genommen, die ihn zur abſichtlichen Beleidigung ſtempelt, und ein Ariſtophanes wuͤrde heut zu Tage daſelbſt mit zwanzig Criminalprozeſſen verfolgt und des Landes ver - wieſen werden. A. d. H. 104 herenmäßiges Gebräu von allen Sorten Pfeffern und Gewürzen beider Indien. Die Schilderung meines Getreuen, als er zum erſtenmal einen Löffel davon in den Mund bekam, wäre werth geweſen, bei Pe - regrine Pickle’s antikem Mahle zu figuriren, und verkehrte meinen Aerger in lautes Lachen. Doch ſehe ich voraus, daß an dieſer Klippe ſeine Anhänglichkeit an mich ſcheitern wird, denn unſre Deutſchen ſind und bleiben eigenthümliche Naturen, länger als An - dere am Gewohnten haltend, es ſey nun Glaube, Liebe oder Suppe.

In Ermangelung der Geſellſchaft ſind die verſchie - denen Clubs, zu welchen jetzt auch Fremde Zutritt erhalten können, was ſonſt nicht der Fall war, eine große Annehmlichkeit. Der Geſandte hat mir zu zweien derſelben Einlaß verſchafft, den United Ser - vice-Club, wo auſſer den fremden Geſandten nur Militair, und zwar nur Staabsoffiziere aufgenom - men werden können, und den Travellers-Club, in dem zwar jeder gebildete Fremde, der gut empfohlen iſt, zugelaſſen wird, wo man aber, auf eine etwas demüthigende Art, alle drei Monat um erneuete Erlaubniß nachſuchen muß, worauf faſt unartig ſtreng und mit dem Tage gehalten wird.

In Deutſchland macht man ſich wohl eben ſo we - nig von der Eleganz und dem Comfort, als auch von der ſtrengen Handhabung der Clubs-Geſetze, die hier herrſchen, einen deutlichen Begriff.

Alles, was Luxus und Bequemlichkeit ohne Pracht erfordern, findet man hier ſo gut, als in dem wohl -105 gehaltendſten Privathauſe vereinigt. Treppen und Stuben ſind mit ſtets friſchen Teppichen geziert, und rugs (bunt gefärbte und präparirte Schaaffelle mit der Wolle), vor die Thüren gelegt, um den Zug zu verhindern; marmorne Kamine, ſchöne Spiegel, (im - mer aus einem Stück, welches zu dem ſoliden engli - ſchen Luxus gehört) Profuſion von Meubles ꝛc. ma - chen jedes Zimmer höchſt comfortable. Selbſt die Wage, um mit Leichtigkeit jeden Tag ſeine eigne Schwere beſtimmen zu können, eine beſondere Lieb - haberei der Engländer, fehlt nicht. Die zahlreiche Dienerſchaft erblickt man nie anders als in Schuhen und auf das Reinlichſte in Civiltracht und Livree ge - kleidet, und ein Portier iſt immer auf ſeinem Po - ſten, um Ueberröcke und Parapluies abzunehmen. Dieſer letztere Gegenſtand verdient in England Auf - merkſamkeit, da Regenſchirme, die dort leider ſo - thig ſind, auf eine ganz unverſchämte Weiſe geſtoh - len werden, wenn man, es ſey wo es wolle, nicht ſehr genau auf ihre Verwahrung ſieht. Dies iſt ſo notoriſch, daß neulich in einer Zeitung von einem gewiſſen Tugendbunde, der Preiſe für die edelſte Handlung austheilt, erzählt wurde: die Wahl ſey das letztemal ſehr ſchwer geworden, und man wäre ſchon im Begriff geweſen, ein Individuum zu krö - nen, das ſeit mehreren Jahren ſeinen Schneider rich - tig bezahlt habe, als ein Anderer noch nachgewieſen, daß er zweimal bei ihm vergeſſene Parapluies zu - rückgegeben. Bei dieſer unerhörten That, ſetzt der Journaliſt hinzu, gerieth die Geſellſchaft zuerſt in106 ſtummes Staunen, daß ſo viel Edelmuth noch in Israel gefunden werde, dann aber ließ rauſchender und enthuſiaſtiſcher Beifall den zu krönenden Sie - ger nicht länger mehr zweifelhaft.

Bei der eleganten und wohl furnirten Library iſt ebenfalls immer Jemand bei der Hand, die verlang - ten Bücher zu ſuchen. Alle Journale trifft man wohlgeordnet im Leſezimmer an, und daneben im Carten-Kabinet*)Ich bemerke hier ein fuͤr allemal, daß, ſeit Preußen eine Charte (Conſtitution) verſprochen worden iſt, mein Freund zu beſſerer Diſtinktion die Orthographie angenommen hatte: geographiſche Carte und Spiel karte zu ſchreiben. Er hofft noch immer, daß dieſe Vorſicht nicht unnuͤtz geweſen ſey. eine Auswahl des neueſten und beſten in dieſem Fach. Dieſes iſt ſo eingerichtet, daß ſämmtliche Carten, zuſammengerollt, in abnehmen - der Länge an den Wänden übereinander hängen, und jede an einer in der Mitte befindlichen Schnur über die unteren leicht zur Beſichtigung herabgezogen werden kann. Der Zug an einer Seitenſchnur rollt hingegen, durch einen einfachen Mechanismus, die Carte mit großer Schnelligkeit wieder auf. Das betreffende Land iſt auf dem runden Mahagoniſtabe, auf dem ſich die Carte rollt, mit ſo großen Buchſta - ben verzeichnet, daß auch die vom Auge entfernteſte Inſchrift bequem geleſen wird. Auf dieſe Weiſe kann man in einem ganz kleinen Kabinet eine große Menge Carten über einander anbringen und alle ohne die mindeſten Umſtände, wie man ſie eben braucht, au -107 genblicklich finden und beſichtigen, ohne die andern zu derangiren.

Die Tafel, ich meine das Eſſen, (bei den meiſten doch die Hauptſache, und bei mir auch nicht die letzte) wird größtentheils durch franzöſiſche Köche gut, und zugleich ſo wohlfeil verſorgt, als es in London mög - lich iſt. Da der Club auch die Weine anſchafft, und zu den Selbſtkoſten wieder verkaufen läßt, ſo ſind dieſe ſehr trinkbar und billig. Daß aber überhaupt in London der Gutſchmecker, ſelbſt in den beſten Häuſern, faſt immer die feinſten Weine vermiſſen muß, kömmt aus der ſonderbaren Gewohnheit der Engländer (und dieſes Volk hängt auch an Gewohn - heiten, feſter als die Auſter an ihrer Schale) ſich ihre Weine nur von Londoner Weinhändlern liefern zu laſſen, und ſie nie ſelbſt, wie wir zu thun pfle - gen, aus den Ländern zu beziehen, wo ſie wachſen. Da nun dieſe Händler den Wein in ſolchem Grade verfälſchen, daß vor Kurzem noch einer von ihnen, der verklagt wurde: ſo und ſo viel tauſend Flaſchen Claret und Portwein in ſeinen Kellern zu haben, die nicht von ihm verſteuert worden wären, bewies, daß aller dieſer Wein von ihm ſelbſt in London fabricirt ſey, und dadurch der Strafe entging ſo kann man denken, welche Gebräue man oft unter den wohlklin - genden Namen von Champagner, Lafitte u. ſ. w. zu trinken bekömmt. Jedenfalls aber kaufen faſt nie die Händler das allerbeſte, was im Vaterlande des Weins zu haben iſt, aus dem natürlichen Grunde, weil ſie wenig oder gar keinen Profit daran machen108 könnten, oder ſie benutzen wenigſtens ſolches Gewächs nur, um andern ſchlechten Wein damit paſſiren zu machen.

Entſchuldige dieſe Weindigreſſion, welche Dich, die nur Waſſer trinkt, eben nicht ſehr intereſſiren kann, aber Du weißt einmal, ich ſchreibe für uns Beide, und mir, ich geſtehe es, iſt der Gegenſtand nicht un - wichtig. Gern führe ich Wein im Munde.

Doch zurück zu unſern Clubs. Die Verſchiedenheit der engliſchen Sitten kann man hier gleich beim er - ſten Abord weit beſſer beobachten als in der großen Welt, die ſich immer mehr oder weniger gleicht, wäh - rend hier dieſelben Individuen, die zum Theil jene bilden, ſich weit ungenirter zeigen.

Für’s Erſte muß der Fremde die raffinirte Bequem - lichkeit bewundern, mit der der Engländer zu ſitzen verſteht, ſo wie man auch geſtehen muß, daß, wer die genialen engliſchen Stühle aller Formen, und für alle Grade der Ermüdung, Kränklichkeit und Kon - ſtitutions-Eigenthümlichkeit berechnet, nicht kennt, wirklich einen guten Theil irdiſchen Lebensgenuſſes entbehrt. Es iſt ſchon eine wahre Freude, einen Engländer nur in ſolchem bettartigen Stuhl am Ka - minfeuer ſitzen, oder vielmehr liegen zu ſehen. Eine Vorrichtung an der Armlehne, einem Notenpulte ähnlich, und mit einem Leuchter verſehen, iſt vor ihm ſo aufgeſchlagen, daß er ſie mit dem leiſeſten Druck ſich beliebig näher bringen oder weiter entfer - nen, rechts oder links ſchieben kann. Auſſerdem109 nimmt eine eigne Maſchine, deren ſtets mehrere an dem großen Kamine ſtehen, einen oder beide ſeiner Füße auf, und der Hut auf dem Kopfe vollendet das reizend behagliche Bild.

Dies letztere wird dem nach alter Art Erzogenen am ſchwerſten nachzuahmen, der ſich immer eines kleinſtädtiſchen Schauers nicht erwehren kann, wenn er Abends in den hellerleuchteten Salon des Clubs tritt, wo Herzöge, Ambaſſadeurs und Lords zierlich angezogen an den Spieltiſchen ſitzen, und er nun, um es den Faſhionables nachzumachen, den Hut auf - behaltend, an eine Whiſt-Parthie treten, dieſem oder jenem zunicken, und dann gelegentlich eine Zeitung ergreifen, ſich in einen Sopha damit niederfallen laſ - ſen, und nur nach einiger Zeit den, ihn obendrein vielleicht noch abſcheulich inkommodirenden Hut, non - chalamment neben ſich werfen, oder, wenn er nur wenige Minuten bleibt, gar nicht ablegen ſoll.

Die Sitte des halben Niederlegens ſtatt Sitzens, gelegentlich auch der Länge nach auf den Teppich zu den Füßen der Damen, ein Bein über das andre ſo zu legen, daß man den einen Fuß in der Hand hält, die Hände im Ausſchnitte der Weſtenärmel tra - gen u. ſ. w., dies alles ſind Dinge, die bereits in die größten Geſellſchaften und ausgeſuchteſten Cirkel übergegangen ſind; es iſt daher wohl möglich, daß das Hutaufbehalten gleichfalls zu dieſer Ehre gelangt, um ſo mehr, da auch die Pariſer Geſellſchaft jetzt (das umgekehrte Verhältniß gegen ſonſt aufſtellt, näm -110 lich, wie ihr ehemals ganz Europa nachäffte, jetzt, (oft auf ziemlich groteske Weiſe), nicht verſchmäht, ſelbſt den Affen der Engländer zu machen, und ſo - gar wie gewöhnlich bei ſolchen Gelegenheiten oft noch über das Original zu rencheriren.

In dem Travellers-Club beluſtigte mich in dieſer Hinſicht beſonders ein vornehmer Fremder aus dem Süden, der, wahrſcheinlich als Satyre auf dieſe Sit - tenlicenz und edle Grobheit im Aeuſſern, gleich den Chineſen, ſich durchaus nicht genirte, ſehr häufig beim Spiel gewiſſe Laute mit geöffnetem Munde auf’s vernehmlichſte von ſich zu geben, die chemals wohl kaum in Schenken geſtattet worden wären.

Der Zug iſt nicht appetitlich, aber für den Lond - ner Traveller-Club doch charakteriſtiſch.

Dagegen nimmt man es Fremden ſehr übel, wenn ſie im Eßſaal, der doch im Grunde nichts als eine elegante Reſtauration iſt, und wo jeder auch, wie dort, ſeine Zeche nach vollendeter Mahlzeit bezahlt, mit einem der Diener, der ſchlecht bedient, lange warten läßt, oder eins ſtatt des andern bringt, ſchmälen, oder überhaupt etwas laut oder herriſch ihre Befehle geben, obgleich die Engländer ſelbſt ſich dies ſehr oft dort, und noch vielmehr bei uns erlauben. Ja es wird ſogar, nicht gerade als unſchicklich doch aber als fatal und unangenehm angeſehen, wenn Jemand während des Mittageſſens liest, weil dies in England nicht Mode iſt, und da unter andern ich ſelbſt dieſe Unart in hohem Grade an mir habe,111 bemerkte ich ſchon einigemal ſatyriſche Zeichen des Mißfallens darüber, von dieſem und jenem Inſula - ner von altem Schroot und Korn, der den Kopf ſchüt - telnd an mir vorüber ging. Man muß ſich überhaupt in Acht nehmen, ſo wenig wie möglich irgend etwas anders zu machen, als die Engländer, und ihnen doch auch nicht alles nachahmen, weil keine Men - ſchen-Race intoleranter ſeyn kann, die meiſten aber ohnedies die Aufnahme Fremder in ihre geſchloſſenen Geſellſchaften nur ungern ſehen, alle aber es für eine ausgezeichnete Faveur und Gnade halten, die uns dadurch erzeigt wird. Eine große Bequemlichkeit we - nigſtens, und beſonders Oekonomie iſt der geſtattete Beſuch der Clubs bei der Theuerkeit der engliſchen Wirthshäuſer und dem Mangel an Reſtaurationen und Kaffeehäuſern nach Art des Continents, gewiß.

Unter allen Verſtößen gegen engliſche Sitte je - doch, die man begehen kann, und wofür Einem wahr - ſcheinlich der fernere Eintritt ganz verſagt werden würde, ſind folgende drei die größten: das Meſſer wie eine Gabel zum Munde führen, Zucker oder Spargel mit den Händen nehmen, oder vollends gar irgendwo in einer Stube ausſpucken. Dies iſt al - lerdings zu loben, und gebildete Leute aller Länder vermeiden dergleichen ebenfalls, (wiewohl auch hierin ſich die Sitten ſehr ändern, denn der Marſchall von Richelieu erkannte einen Avanturier, welcher ſich für einen vornehmen Mann ausgab, blos daran, daß er Oliven mit der Gabel, und nicht mit den Fin - gern nahm), nur die außerordentliche Wichtigkeit112 iſt lächerlich, welche hier darauf gelegt wird, nament - lich iſt das letzt erwähnte Crimen in England ſo pe - dantiſch verpönt, daß man ganz London vergebens durchſuchen würde, um ſo ein Meubel, wie ein Spucknapf iſt, in irgend einem Laden aufzufinden. Ein Holländer, der ſich deßhalb ſehr unbehaglich hier fühlte, behauptete ganz entrüſtet, der Engländer ein - ziger Spucknapf ſey ihr Magen.

Dies ſind, ich wiederhole es, mehr als triviale Dinge, aber die beſten Lebensregeln in der Fremde betreffen faſt immer Trivialitäten. Hätte ich zum Beiſpiel einem jungen Reiſenden einige allgemeine Regeln zu geben, ſo würde ich ihm ganz ernſthaft rathen: In Neapel behandle die Leute brutal, in Rom ſey natürlich, in Oeſtreich politiſire nicht, in Frankreich gieb dir keine Airs, in Deutſchland recht viele, und in England ſpucke niemals aus. Damit käme der junge Mann ſchon ziemlich weit durch die Welt.

Was man mit Recht bewundern muß, iſt die zweck - mäßige Einrichtung alles zur Oekonomie des Lebens Gehörigen, und aller öffentlichen Etabliſſements in England, ſo wie die ſyſtematiſche Strenge, mit der das einmal Feſtgeſetzte ohne Nachlaſſung befolgt wird. In Deutſchland ſchlafen alle guten Einrichtungen bald ein, und nur neue Beſen kehren gut. Hier iſt das ganz anders, dagegen verlangt man auch nicht von Jedem Alles, ſondern ſtricte nichts mehr als was ſeines Amtes iſt. Die Behandlung der113 Dienerſchaft iſt eben ſo vorzüglich, als die Dienſt - verrichtung dieſer. Jeder hat ſeinen vorgeſchriebenen Wirkungskreis, in dem man aber auch die genaueſte Pflichterfüllung fordert, und bei Nachläſſigkeiten im - mer weiß, an wem man ſich zu halten hat. Dabei iſt den Dienſtboten auch vernünftige Freiheit, und einige Zeit für ſich ſelbſt geſtattet, die der Herr ſorg - ſam reſpectirt. Die ganze Behandlung der dienenden Klaſſe iſt weit anſtändiger, und mit weit mehr Egard gegen dieſelbe verbunden als bei uns, obwohl ſie von aller Vertraulichkeit ſo gänzlich ausgeſchloſſen bleibt, und eine ſolche Ehrfurcht von ihr gefordert wird, daß Diener in dieſer Hinſicht mehr wie Maſchinen als Menſchen betrachtet werden. Dies und ihre gute Be - zahlung bringt es ohne Zweifel hervor, daß ver - hältnißmäßig wirklich die dienende Klaſſe in ih - rer Art den meiſten äuſſern Anſtand in England beſitzt.

Es wäre ſogar in ſehr vielen Fällen ein ſehr ver - zeihlicher Verſtoß des Fremden, wenn er zuweilen den Kammerdiener für deſſen Lord begrüßte, beſon - ders wenn er Höflichkeit und gewandte Tour - nure für das Auszeichnende eines vornehmen Man - nes hielte; denn dieſer Maßſtab würde in England keineswegs paſſend ſeyn, wo, ohne alle Uebertrei - bung, die erwähnten Vorzüge, obgleich ſonſt bei vor - trefflichen und weſentlichen Eigenſchaften, und auch mit ſehr glänzenden einzelnen Ausnahmen, doch bei der Mehrheit der Vornehmen nicht angetroffen wer - den. Den Männern ſteht übrigens ihr, wenn auchBriefe eines Verſtorbenen. III. 8114oft an Grobheit ſtreifender Uebermuth und die hohe Meinung von ſich ſelbſt noch nicht ſo übel an, bei den Weibern aber wird es eben ſo widrig, als bei andern Engländerinnen das vergebliche Bemühen, continen - tale Grazie und Leichtigkeit zu affektiren.

Ich lobte vorher die Zweckmäßigkeit der hieſigen Einrichtungen, und will Dir zum Beleg die Organi - ſation des Spielſaals im Traveller-Club beſchreiben. Es iſt dieſer Verein kein eigentlicher Spiel-Club, ſondern wie ſein Name ſchon anzeigt, ein ſpeziell für Reiſende beſtimmter, daher auch nur Solche wirkliche Mit - glieder deſſelben ſeyn können, die eine gewiſſe bedeu - tende Anzahl von Meilen auf dem Continent gereist, oder vielmehr umhergefahren ſind, doch findet man eben nicht, daß ſie deßhalb weniger engliſch gewor - den wären, was ich auch nicht tadeln will. Alſo, obgleich kein Spiel-Club, wird doch bei den Travel - lers ſehr hoch Short Whist und Ecarté, aber kein Hazard geſpielt.

In unſern Caſinos, Reſourcen u. ſ. w. muß ſich der Spielluſtige immer erſt mühſam eine Parthie aus - ſuchen, und ſind die Spieltiſche beſetzt, vielleicht Stunden lang warten, ehe einer leer wird. Hier iſt es Geſetz, daß Jeder, der kömmt, ſobald an irgend einem Tiſche ein Rubber beendigt iſt, ſogleich in dieſe Parthie eintreten darf, und dann der, welcher bereits zwei Rubber nach einander geſpielt, austreten muß. Dies hat auch das Angenehme, daß, wenn man an dem einen Tiſch verloren hat, und glaubt, das Glück115 liege am Platze, aufſtehen, und bald darauf beſſeres an einem andern aufſuchen kann.

In der Mitte des Saals ſteht ein Büreau, an welchem ein Commis poſtirt iſt, der klingelt, ſobald man etwas von den Waiters verlangt, die Rechnung führt, auch bei ſtreitigen Fällen die claſſiſchen Werke über das Whist herbeibringt. Denn nie wird auch das geringſte Verſehen gegen die Regel, ohne die darauf geſetzte Strafe zur Folge zu haben, durchge - laſſen, was allerdings für den, der nur zur Unter - haltung ſpielen will, etwas peinlich wird, aber doch eigentlich zweckmäßig iſt, und gute Spieler bildet. Derſelbe Commis verabreicht auch jedem Spieler die Marken. Um nämlich der großen Unannehmlichkeit auszuweichen, mit einem böſen Zahler zuſammen zu kommen, der zwar viel verliert, aber nichts berich - tigt, und ſolche giebt es in England nicht weniger, als anderwärts, ſo iſt der Club ſelbſt der allgemeine Zahler. Baares Geld erſcheint (ſchon der Reinlich - keit wegen ſehr angenehm) gar nicht, ſondern jeder erhält, ſo wie er ſich zum Spiel hinſetzt, ein Körb - chen Marken von verſchiedener Form, deren Werth mit Zahlen darauf bemerkt iſt, und welche der Com - mis in ſein Buch einträgt. Verliert er ſie, ſo ver - langt er neue u. ſ. w. Ehe man weggeht, berechnet man ſich mit dem Rechnungsführer, conſtatirt entwe - der den Verluſt, oder liefert, wenn man gewonnen, die aquirirten Marken aus. In beiden Fällen erhält man über das Reſultat eine Karte eingehändigt, die das Duplikat der Berechnung im Contobuche enthält.

8*116

Sobald einer auf dieſe Weiſe über 100 £. St. ſchuldig iſt, muß er den andern Morgen an den Com - mis Zahlung leiſten, dagegen Jeder, der etwas zu fordern hat, es zu allen Zeiten realiſiren kann.

Ich muß indeß, der Wahrheit zu Ehren, beken - nen, daß im Traveller-Club dieſe letzte Regel ge - gen Fremde ſehr ſchlecht beobachtet, und Engländer von Seiten des Commis höchſt wahrſcheinlich mit ſtillſchweigender Duldung der Direktion, dabei ſehr protegirt wurden. Ich ſelbſt und mehrere meiner Freunde haben ſchon zu verſchiedenen Malen, ich Wo - chen und jene Monate lang keine Zahlung erhalten können, wogegen der Verluſt von uns immer ſehr pünktlich eingefordert ward, und der Commis ſelbſt ſich auf unſre Beſchwerde damit entſchuldigte, daß dieſer Engländer 600, jener 1000 und noch mehr ſchuldig geblieben, oder gar abgereist ſey, ohne zu bezahlen, man dieſe Summen daher jetzt nicht ein - treiben könne, welches die Kaſſe momentan auſſer Stand ſetze, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Dies iſt aber nur eine üble Ausnahme, und fällt in den andern Clubs, wie ich von allen hörte, nie vor, ver - diente aber eben deßhalb auch eine öffentliche Rüge.

Es wäre ſehr zu wünſchen, daß wir in unſern deutſchen Städten die Organiſation der engliſchen Clubs nachahmten, welches, wenn auch mit weniger Luxus, weil wir ärmer ſind, doch im Weſentlichen ſehr thunlich wäre dabei aber auch den Engländern in ſofern Gleiches mit Gleichem vergölten, daß wir117 nicht ewig vor ihrem Gelde und Namen in einer kindiſch-ſclaviſchen Admiration auf den Knieen - gen, ſondern ihnen mit aller Humanität, und immer noch mit mehr Artigkeit, als ſie uns in England be - zeigen, doch fühlen ließen, daß wir Deutſche in Deutſchland Herren vom Hauſe ſind, und folg - lich mehr Anſehn zu behaupten und zu fordern ha - ben als ſie, die ohnedieß nur zu uns kommen, ent - weder um zu ſparen, oder ſich ein wenig abzuhobeln und vornehme Liaiſons zu formiren, die ihnen bei mittlerm Stande zu Hauſe verſchloſſen bleiben, oder mit Behaglichkeit ſich zu überzeugen, daß, den phy - ſiſchen Lebensgenuß betreffend, wir gegen ſie noch halbe Barbaren ſind.

Es iſt in der That unbegreiflich, und ein wah - res Zeichen, daß es hinreichend iſt, uns nur ſchlecht und geringſchätzend zu behandeln, um von uns ver - ehrt zu werden, daß bei uns, wie ſchon erwähnt, der bloße Name Engländer ſtatt des höchſten Titels dient, weshalb auch jeden Augenblick ein Menſch, der in England, wo die ganze Geſellſchaft bis zur niedrig - ſten Stufe hinab ſo ſchroff ariſtokratiſch iſt, kaum in den vulgärſten Zirkeln Einlaß erhält, in deutſchen Ländern bei Hofe und vom vornehmſten Adel fetirt und auf den Händen getragen, jede ſeiner Verſtöße und Unbehülflichkeiten aber als eine liebenswürdige engliſche Originalität angeſehen wird, bis zufällig ein wirklich angeſehener Engländer in den Ort kömmt, und man nun mit Erſtaunen erfährt, daß man nur118 einem Fähndrich auf half pay, oder gar einem rei - chen Schneider oder Schuſter ſo viel Ehre erwieſen hat. Ein ſolches niedres Individuum iſt indeſſen doch wenigſtens höflich, die Impertinenz mancher Vorneh - men dagegen geht wirklich über jeden Begriff.

Ich weiß, daß in einer der größten Städte Deutſch - lands ein liebenswürdiger Prinz des K ...... Hauſes, der noch zu ſehr Angloman iſt, weil er die Engländer nicht in ihrem Lande geſehen, und ſie nur nach ſeiner eigenen jovialen Ritterlichkeit beur - theilt, übrigens auch ihre Pferde und Wagen mit Recht liebt, einen engliſchen Viscount, der kaum angekommen, und ihm noch nicht präſentirt worden war, zur Jagd einladen ließ, worauf dieſer erwie - derte: er könne davon nicht profitiren, denn der Prinz ſey ihm ganz unbekannt. Es iſt wahr, daß einem Fremden in England nie eine ſolche Artigkeit geboten werden würde, wo die Einladung eines Gro - ßen zu einem einzigen Mittagseſſen (denn mit Einladungen zu Soirees und Routs ꝛc. iſt man, um das Haus zu füllen, ſehr freigebig) ſchon als die ausgezeichnetſte Ehrenbezeigung von ihm betrachtet wird, die er, ſelbſt vornehmen Fremden erzeigen zu können glaubt, und welche immer entweder eine ſchon lange dauernde Bekanntſchaft, oder gewichtige ſchriftliche Empfehlung vorausſetzt eine ſolche Zu - vorkommenheit aber, wenn ſie einmal durch ein Wun - der in England ſtatt fände, ſo aufzunehmen, wie119 dieſer tölpiſche Lord, würde gewiß keinem gebildeten Mann auf dem ganzen Kontinent möglich ſeyn. *)Laß mich hier ein fuͤr allemal bemerken, daß wer England nur nach ſeinem Aufenthalte daſelbſt im Jahre 1813 beur - theilt, ſich ganz daruͤber irren muß, denn damals war eine Epoche des Enthuſiasmus, eine graͤnzenloſe Freude der ganzen Nation von ihrem gefaͤhrlichſten Feinde durch uns befreit worden zu ſeyn, die ſie zum erſten, und viel - leicht letztenmale allgemein liebenswuͤrdig machte.

Ich beſuchte geſtern früh L ....., um Deine Kommiſſion zu beſorgen, fand ihn jedoch nicht zu Haus, ſtatt ſeiner aber zu meiner großen Freude ei - nen Brief von Dir, den ich ſo ungeduldig zu leſen war, daß ich gleich in ſeiner Stube blieb, um ihn zwei bis dreimal emſig durchzuforſchen. Deine Liebe, die mir ſo viel wie möglich alles Unangenehme zu er - ſparen ſucht, und mich nur von dem unterhält, was ich gern höre, erkenne ich gar dankbar, dennoch mußt Du mich nicht mehr ſchonen, als Du ohne Gefahr für die Geſchäfte thunlich glaubſt. Du machſt übri - gens eine weit beſſere Schilderung vom Inhalt mei - ner Briefe, als dieſe ſelbſt darzubieten im Stande ſind, und es iſt ein ſehr liebenswürdiger Fehler von Dir, mich ſo artig zu überſchätzen. Liebe malt mit Zauberfarben das Geringſte herrlich, aber wohl mag120 ich mir auch die Gerechtigkeit wiederfahren laſſen, daß Du durch ſo genaue Verhältniſſe Gelegenheit hatteſt, Eigenſchaften an mir kennen zu lernen, die vielleicht einigen wahren Werth haben, und die ſich dem ge - wöhnlichen Blicke nicht erſchließen, ſondern, wie die Senſitive, bei der unſanften Berührung der Welt ſchnell zurückziehen. Dies tröſtet mich aber ſchmerz - lich iſt mir Deine Aeußerung: Du fändeſt alles, was Du ſelbſt ſchreibeſt, ſo gehaltlos, daß Du glaubteſt, der Schmerz der Trennung von mir habe Dich gei - ſtesſchwach gemacht. Verlange ich denn Phraſen? wie viel lieblicher iſt das natürliche trauliche Geſchwätz, das ſich unbekümmert gehen läßt, und innig herzlich, folglich vortrefflich ausdrückt. Beſonders freuen mich Deine Empfindungen bei dem, was ich Dir mittheile, denn ſie ſind immer ganz ſo, wie ich ſie erwarte und theile.

Folge Deiner Freundin in die Reſidenz. Das wird Dich zerſtreuen, und Du zugleich dort Gelegen - heit finden, manches für unſre Angelegenheiten zu thun. Les absens ont tort, vergiß das nicht. B ..... s Leichtſinn muß ich tadeln. Wer ſeinen Ruf vor der Welt, ſey er auch im Innern ein Engel an Güte und Tugend, nicht achtet, wem es einerlei iſt, was man von ihm ſagt, ja wer ſich vielleicht ſogar damit beluſtigt, der wird durch die Bosheit der Menſchen den guten Ruf gewiß bald und ſchnell verloren ha - ben, und ſich dann ohngefähr in der Lage Peter Schlehmiels befinden, der ſeinen Schatten weggege - ben hatte. Er hielt es erſt für nichts, ſo etwas Un - weſentliches zu entbehren, und konnte es nachher doch121 kaum ertragen nur in der tiefſten Einſamkeit, fern von aller Welt, mit ſeinen Siebenmeilenſtiefeln vom Nord - zum Südpol raſtlos ſchreitend, und allein der Wiſſenſchaft lebend, fand er einige Ruhe.

Am Ende Deines Briefes nimmt, wie ich wohl merke, die Schwermuth wieder die Oberhand, und ich weiß hiervon auch zu reden, mais il faut du cou - rage. In jedem Leben müſſen Prüfungszeiten durch - gelitten, und der bittere Kelch oft bis auf den letzten Tropfen geleert werden. Verklärt nur die Sonne den Abend, ſo wollen wir über die Mittagshitze nicht murren.

Doch genug von dieſen ernſten Gegenſtänden, laß mich Dich jetzt, um auf etwas anderes überzu - gehen, in das Haymarket-Theater führen, das ich neulich beſuchte, während der berühmte Liſton zum hundertzweitenmale im Charakter des Paul Prye, einer Art Plumpers, das Publikum entzückte. Dieſer Schauſpieler, der ein Vermögen von 6000 Louisd’or Revenüen erworben haben ſoll, iſt einer von denen, die ich natürliche Komiker nennen möchte, von der Art, wie der Berliner Unzelmann und Wurm waren, und einſt Böſenberg und Döring in Dresden; Leute, die auch ohne tiefes Kunſtſtudium, blos durch die ihnen eigene drollige Weiſe, ſich zu präſentiren, und eine unerſchöpfliche Laune, qui coule de source, La - chen erregen, ſo wie ſie nur auftreten, obgleich ſie ſelbſt oft im gemeinen Leben hypochondriſch ſind, wie es auch bei Liſton der Fall ſeyn ſoll.

122

Die berüchtigte Madame Veſtris war ebenfalls hier engagirt, die ehemals ſo viel furore machte, und noch jetzt, obgleich etwas paſſirt, auf dem Theater ſehr rei - zend erſcheint. Sie iſt eine vortreffliche Sängerin und noch beſſere Schauſpielerin, und noch mehr als Liſton ein Liebling des engliſchen Publikums in jeder Hinſicht, beſonders berühmt aber wegen ihres ſchö - nen Beins, das faſt ein ſtehender Artikel in den Theater-Critiken der Zeitungen geworden iſt, und in Mannskleidern von ihr ſehr oft etalirt wird. In der That iſt es von einem Ebenmaas, einem Moelleux und Muskelſpiel, deſſen Anblick für den Kunſtfreund hinreiſſend werden kann. Ihre Grazie und, ich möchte ſagen, der unerſchöpfliche Witz ihres Spiels ſind dabei wahrhaft bezaubernd, obgleich nicht ſelten lasciv und zu coquettirend mit dem Publikum. Man kann in manchem Sinne ſagen, daß Madame Ve - ſtris ganz Europa angehöre. Ihr Vater war ein Italiener, Bartolozzi, der nicht unberühmte Kupfer - ſtecher in der ſogenannten punctirten Manier, ihre Mutter eine Deutſche und große Virtuoſin auf dem Clavier, ihr Mann der famöſe franzöſiſche Tänzer Veſtris, ſie ſelbſt iſt eine Engländerin, und was ihr hiermit noch an Verwandtſchaft mit europäiſchen Na - tionen fehlen könnte, haben Hunderte der markante - ſten Liebhaber hinlänglich ausgefüllt. Auch ſpricht Mad. Veſtris mehrere fremde Sprachen mit vollkom - menſter Geläufigkeit. In der deutſchen Broomgirl ſingt ſie unter andern: Ach du lieber Auguſtin u. ſ. w., 123mit eben ſo richtiger und deutlicher Ausſprache, als der liebenswürdigſten Frechheit.

Wie vornehm ſie in ihrem Metier war, und wie ſehr die engliſchen Cröſuſſe ſie verdorben hatten, be - weiſet folgende Anekdote, die mir aus etwas früherer Zeit als authentiſch verbürgt wurde. Ein Fremder, der gehört hatte, daß Madame Veſtris nicht immer grau - ſam geweſen, ſandte ihr bei Gelegenheit ihres Bene - fizes eine Banknote von 50 Lſt., mit der ſchriftlichen Bitte: ſich das Entreebillet Abends ſelbſt abholen zu dürfen. Dies Geſuch ward gewährt, und der junge Mann erſchien mit der Zuverſicht und der Miene ei - nes Eroberers zur beſtimmten Stunde, doch war der Ausgang ganz wider ſeine Erwartung. Madame Ve - ſtris empfieng ihn mit gemeſſener und ſehr ernſter Miene, und wies ihm ſtillſchweigend einen Stuhl an, den der Ueberraſchte ſchon um ſo verlegener einnahm, da er ſeine Banknote offen in ihrer ſchönen Hand er - blickte.

Mein Herr, ſagte ſie, Sie haben mir heut früh dieſe Note für ein Entreebillet zu meiner Benefiz - Vorſtellung geſchickt, und für ein ſolches Billet iſt es zuviel. Sollten Sie jedoch andere Hoffnungen da - mit verbunden haben, ſo muß ich die Ehre haben, Ihnen zu verſichern, daß es mehr als zu wenig iſt. Erlauben Sie daher, daß ich Ihnen damit zu Hauſe leuchte. Mit dieſen Worten ſteckte ſie die Note am nahen Lichte an, öffnete die Thüre, und leuchtete dem mühſam eine Entſchuldigung ſtotternden, un - glücklichen Verſucher die Treppe hinab.

124

Heute hinderte mich ein Diné bei unſerm Geſand - ten, das, beiläufig geſagt, beſonders recherchirt war, das Theater zu beſuchen, welches ich bisher zu ſehr vernachläſſigt, und mir daher vorgenommen habe, es nun mit einiger Suite zu cultiviren, um Dir, wenn gleich in detachirten Schilderungen, doch nach und nach einen etwas ausführlichern Rapport darüber ab - zuſtatten.

Wir waren ganz en petit comité, und die Ge - ſellſchaft ungewöhnlich heiter. Unter andern befand ſich ein gewiſſer großer Gourmand unter uns, der viel geneckt wurde, sans en perdre un coup de dent. Endlich verſicherte ihm der Fürſt E ....., daß, käme er (der Gourmand) je in’s Fegfeuer, ſeine Strafe ohne Zweifel darin beſtehen würde, die Seligen fort - während in ſeiner Gegenwart eſſen zu ſehen, wäh - rend er ſelbſt ſtatt ihrer verdauen müſſe.

Kurz darauf ſprach man von dem alten Lord P ....., der ſich ſo unglücklich fühle, keine Kinder zu haben, ohngeachtet er blos deshalb eine junge Frau geheirathet hatte. Oh n’importe, ſagte der Fürſt, son frère a des enfans tous les ans, et cela revient au même pour la famille. Pour la famille oui, erwiederte ich, mais pas pour lui. Son frère mange et lui digère.

Dieſer Scherz machte Glück, und mit dem petil - lirenden Champagner folgten ihm hundert beſſere, die aber meinen Brief zu einem Vademekum machen würden, wenn ich ſie alle aufzählen wollte.

125

Auch Lord war da, der ſich zwar mir gegen - über ſehr freundlich benimmt, mir aber, wie ich von guter Hand weiß, in der Geſellſchaft ſo viel als möglich zu ſchaden ſucht .......................................................................

Ein Mann von wärmerem Herzen würde Stirn gegen Stirn mich über dieſes vermeinte Unrecht zur Rede geſtellt haben. Die Diplomaten nehmen aber gar zu gern Fiſchblut-Elemente in ihre Organiſation mit auf, und ſo zog der edle Lord heimliche Intri - gue vor. Glücklicherweiſe kann ich zu allen ſolchen Menées lachen, denn wer nichts ſucht, und wenig fürchtet, wen die große Welt ſelbſt nur in ſofern in - tereſſirt, als er von Zeit zu Zeit darin Beobachtungs - experimente an ſich und andern macht, wer, was das Neceſſaire wenigſtens betrifft, unabhängig iſt, und dabei einige wenige, aber ſichere Freunde hat, dem iſt es ſchwer, großen Schaden zu thun.

Auch hat die Erfahrung mich abgekühlt, das Blut wallt nicht mehr ſo unerträglich heiß, und der leichte Sinn hat mich dennoch nicht verlaſſen, eben ſo we - nig, wie die Fähigkeit, innig zu lieben. Damit ge - nieße ich das Leben jetzt beſſer, als in der Jugend - blütbe, und möchte nicht mit dem früheren Rauſche tauſchen, ja ich ſcheue ſelbſt das Alter durchaus bei ſolchen Dispoſitionen nicht, und bin überzeugt, daß auch dieſer Epoche, wenn ſie kömmt, manche herr - liche Seite abzugewinnen ſeyn wird, die man früher126 nicht ahnet, und welche nur diejenigen nie erkennen, welche ewig Jünglinge bleiben wollen. Ich las neu - lich ein paar hübſche engliſche Verſe, die etwas Aehn - liches berühren, und die ich, nach meiner Art, in Beziehung auf Dich, wie folgt, umwandelte, auf Dich, meine mehr als mütterliche Freundin, welche ſcheidende Jugend oft zu ſehr bedauert. Dies ſind die innig gemeinten Worte:

Iſt gleich die truͤbe Wange bleich,
Das Auge nicht mehr hell,
Und nahet ſchon das ernſte Reich,
Wo Jugend fliehet ſchnell!
Doch laͤchelt Dir die Wange noch,
Das Auge kennt die Thraͤne noch,
Das Herz ſchlaͤgt noch ſo warm und frei
Als in des Lebens gruͤnſtem Mai.
So denk denn nicht, daß nur die Jugend
Und Schoͤnheit Segen leiht
Zeit lehrt die Seele ſchoͤnre Tugend,
In Jahren treuer Zaͤrtlichkeit.
Und ſelbſt wenn einſt die Nacht von oben
Verdunkelnd Deine Bruſt umfaͤngt,
Wird noch durch Liebeshand gehoben
Dein Haupt zur ew’gen Ruh geſenkt.
O, ſo auch blinkt der Abendſtern,
Iſt gleich dahin der Sonne Licht,
Noch ſanft und warm aus hoher Fern,
Und Tages-Glanz entbehrſt Du nicht.

Ja, meine geliebte Julie, ſo hat auch uns ſchon die Zeit in Jahren treuer Zärtlichkeit gelehrt, daß nichts mehr ächten Werth als dieſe haben kann, und gegenſeitig ſind wir uns ein Abendſtern geworden,127 deſſen mildes Licht reichlich den Glanz jener Tages - ſonne erſetzt, welche gar oft mehr ſengt als wärmt.

Ich fuhr mit L .... zu Hauſe, wo wir noch am traulichen Kamin ein langes Geſpräch über unſre in mancher Hinſicht ſo ſchwer drückenden Landesangele - genheiten hielten. L. iſt ſehr gütig für mich, und ich ihm doppelt attachirt, einmal wegen ſeiner eignen Liebenswürdigkeit und Ehrlichkeit, zweitens aus Dank - barkeit für ſeinen vortrefflichen Vater, dem wir mehr reellen Dank ſchuldig ſind als dem Deinen, ohne daß er ein andres Motiv dazu hatte, als ſeine unpar - theiiſche Gerechtigkeitsliebe.

Eine ſonderbare Sitte in England iſt das ſtete Eingreifen der Zeitungen in das Privatleben. Wer von irgend einiger Bedeutung iſt, ſieht ſich nicht nur bei den abgeſchmackteſten Kleinigkeiten, z. B. wo er einem Diné oder Abendgeſellſchaft beigewohnt, ob er verreist iſt u. ſ. w., namentlich aufgeführt (was manche Fremde mit großer Selbſtgefälligkeit leſen), ſondern er wird auch, arrivirt ihm irgend etwas der Rede werthes, ohne Scheu damit ausgeſtellt, und ad libitum beurtheilt. Perſönliche Feindſchaft hat dabei eben ſo leichtes Spiel, als die Verſuche, Freunde geltend zu machen, ja gar viele benutzen die Zeitun - gen zu Artikeln für ihren Vortheil, die ſie ſelbſt128 liefern, und die fremden Geſandtſchaften cultiviren dieſe Branche angelegentlichſt.

Man ſieht, welche gefährliche Waffe ſie abgiebt, aber glücklicherweiſe fuhrt das Gift auch gleich ſein Gegengift bei ſich, und dieſes beſteht in der Gleich - gültigkeit, in der allgemeinen Blaſirung, mit der der - gleichen vom Publikum aufgenommen wird. Ein Zeitungsartikel, nach dem ſich ein Continentaler drei Monate lang nicht würde ſehen laſſen mögen, er - weckt hier höchſtens ein momentanes Lächeln der Schadenfreude, und iſt ſchon am nächſten Tage ver - geſſen.

So moquirt man ſich ſeit vier Wochen faſt täglich über das Duell eines hieſigen Lords, bei dem dieſer eben keine Heldenthaten ausgeführt haben ſoll, mit den empfindlichſten Bemerkungen und Folgerungen über das Caliber ſeiner Tapferkeit, ohne daß er da - durch gehindert wird, ſo unbefangen und geſellſchaft - lich als möglich zu bleiben. Auch mir, von dem die Engländer wie von jedem Heirathsfähigen, der hier herkömmt, ſteif und feſt glauben, es geſchähe nur, um eine reiche Engländerin zur Frau zu ſuchen, hat man einen coup fourré machen wollen, und einen ſa - tyriſchen Artikel, jene Materie berührend, aus einer heimathlichen Fabrik erborgt, und in verſchiedene hie - fige Zeitungen geſetzt. Ich bin aber ſchon längſt in der Schule eines alten Praktikers in dieſem Punkt aguerrirt worden, und lachte daher ſelbſt zuerſt am lauteſten darüber, indem ich öffentlich harmloſe Scherze129 über mich und Andere dabei nicht ſparte. Dies iſt das einzige ſichre Mittel, dem Ridicule in der Welt zu begegnen, denn zeigt man ſich empfindlich oder embaraſſirt, dann erſt wirkt das Gift, ſonſt ver - dampft es, wie kaltes Waſſer auf einem glühenden Stein. Das verſtehen auch die Engländer vortrefflich.

Den heutigen Abend brachte ich, meinem Vorſatze getreu, in Drurylane zu, wo ich mit Erſtaunen den alten Braham immer noch als erſten Sänger und Liebhaber mit gleichem Beifall in derſelben Rolle auf - treten ſah, die er, ſchon vor 12 Jahren ein alter Mann, den Tag vor meiner Abreiſe aus England als Benefiz erwählt hatte. Ich fand auch wenig Un - terſchied in ſeinem Geſang, auſſer daß er noch etwas ärger ſchrie, und noch etwas mehr Rouladen als damals machte, um den Mangel der Stimme zu ver - decken. Er iſt ein Jude, und, wie ich faſt glaube, der ewige, da er nicht zu altern ſcheint. Uebrigens iſt er der wahre Repräſentant der engliſchen Geſang - manier, und beſonders in Volksgeſängen der enthu - ſiaſtiſch verehrte Günſtling des Publikums.

Große Kraft und Geläufigkeit der Stimme und gründliche Muſikkenntniß iſt ihm nicht abzuſprechen, aber geſchmackloſer kann keine Methode ſeyn.

Als Prima Donna ſang Miß Paton, eine recht an - genehme, aber nicht ausgezeichnete Sängerin. Sie iſt ſchön gewachſen und nicht häßlich, dabei ſehr be - liebt, und was uns ſonderbar vorkommen möchte, an Lord W. L. verheirathet, deſſen Namen ſie in derBriefe eines Verſtorbenen III. 9130Familie und im gewöhnlichen Leben führt. Auf dem Theater aber wird ſie wieder Miß Paton und als ſolche bezahlt, welches bei der Armuth des Lords nicht zu umgehen ſeyn mag*)Es iſt wahr, daß in neuerer Zeit unſre liebliche Sontag, die Souverainin des Geſanges, etwas Aehnliches gethan, indem ſie ſich, wie es ſcheint, den Grafen R. an ihre linke Hand hat antrauen laſſen. A. d. H. .

Was den Fremden in den hieſigen Theatern ge - wiß am meiſten auffallen muß, iſt die unerhörte Rohheit und Ungezogenheit des Publikums, weßhalb auch, auſſer der italiäniſchen Oper, wo ſich nur die höchſte und beſſere Geſellſchaft vereinigt, dieſe Klaſſe nur höchſt ſelten und einzeln die Nationaltheater be - ſucht, ein Umſtand, von dem es noch zweifelhaft ſeyn möchte, ob er gut oder nachtheilig auf die Bühne ſelbſt wirkt.

Engliſche Freiheit alſo artet hier in die gemeinſte Licenz aus, und es iſt nichts Seltenes, mitten in der ergreifendſten Stelle einer Tragödie, oder wäh - rend der reizendſten Cadence der Sängerin, mit Stentorſtimme eine Zote ausrufen zu hören, der, nach Stimmung der Umſtehenden, in der Gallerie und obern Logen, entweder Gelächter und Beifalls - geſchrei, oder eine Prügelei und Herauswerfen des Beleidigers folgt.

In jedem der beiden Fälle hört man aber lange nichts mehr vom Theater, wo Schauſpieler und Sän -131 ger ſich jedoch aus alter Gewohnheit von dergleichen keineswegs unterbrechen laſſen, ſondern comme si de rien n’était ruhig fort deklamiren, oder mit der Stimme wirbeln. Und ſolches fällt nicht ein - mal, nein zwanzigmal während einer Vorſtellung vor, und beluſtigt Manche mehr als dieſe. Es iſt auch nichts Seitnes, daß Jemand die Reſte ſeines Goutés, welches nicht immer aus Orangenſchaalen beſteht, ohne weiteres auf die Köpfe der Zuſchauer ins Parterre wirft, oder künſtlich in eine Loge ab - ſchießt, während Andere ihre Röcke und Weſten über den dritten Rang-Logen aushängen, und in Hemd - ärmeln ſitzen bleiben, kurz Alles, was bei dem be - rühmten Wiſotzky in Berlin unter den Handwerks - burſchen, zur beſſern Aufregung einer phlegmatiſchen Harmonie-Geſellſchaft vorfallen ſoll, trifft man auch in Großbritanniens Nationaltheater an.

Ein zweiter Grund, der anſtändige Familien ab - halten muß, ſich hier ſehen zu laſſen, iſt die Con - currenz mehrerer hundert Freudenmädchen, welche, von der unterhaltenden Dame an, die 6000 £. St. jährlich verzehrt und ihre eigne Loge hat, bis zu de - nen, die auf der Straße unter freiem Himmel bivoua - kiren, in allen Gradationen erſcheinen, und in den Zwiſchenakten die großen und ziemlich reich verzierten Foyers anfüllen, wo ſie alle ihre Effronterie ſchran - kenlos zur Schau tragen.

Es iſt ſonderbar, daß dieſe Verhältniſſe in keinem Lande der Erde ſchamloſer öffentlich affichirt werden,9*132als in dem religiöſen und decenten England. Dies geht ſo weit, daß man ſich oft im Theater dieſer widrigen Venus-Prieſterinnen, beſonders wenn ſie betrunken ſind, was nicht ſelten der Fall iſt, kaum erwehren kann, wobei ſie auch auf die unverſchäm - teſte Weiſe betteln, ſo daß man oft das hübſcheſte und beſtgekleidetſte junge Mädchen ſieht, die nicht verſchmäht, einen Schilling oder Sixpence, gleich der niedrigſten Bettlerin, anzunehmen, um am Büffet ein halbes Glas Rum oder Gingerbeer dafür zu trinken und ſo etwas geht, ich wiederhole es, in dem Nationaltheater der Engländer vor, wo ihre höchſten dramatiſchen Talente ſich entwickeln ſollen, wo unſterbliche Künſtler, wie Garrik, Mrs. Sid - dons, Miß Oneil, durch ihre Vortrefflichkeit entzück - ten, und wo noch jetzt Heroen wie Kean, Kemble und Young auftreten! Iſt das nicht im höchſten Grade unwürdig, und alles zuſammen ein neuer ſchlagender Beweis, daß Napoleon nicht Unrecht hatte, wenn er die Engländer eine Nation proſaiſcher Shop - keepers nannte? Wenigſtens kann man ihr im All - gemeinen wahre Kunſtliebe keck abſprechen, weßhalb auch die Rohheiten, von denen ich früher ſprach, faſt nie aus irgend einer Theilnahme an der Dar - ſtellung ſelbſt entſtehen (denn höchſtens betreffen ſie eine perſönliche Intrigue gegen oder für einen Schau - ſpieler) ſondern faſt immer nur ein ganz fremdes Motiv haben, das mit der Bühne nicht im Min - deſten concurrirt.

133

Der .... ſche Geſandte hatte mich nach dem Thea - ter begleitet, und erzählte mir, als wir im Foyer umherſpazierten, und die Anweſenden die Muſterung paſſiren ließen, manche nicht unintereſſante Particu - laritäten über dieſe und jene der defilirenden Schön - heiten. Der unglaubliche Leichtſinn und die wun - dervollen Glückswechſel dieſer Geſchöpfe waren mir dabei am merkwürdigſten.

Dieſe mit den ſchmachtenden Augen, ſagte er, kömmt eben aus der Kingsbench, wo ſie wegen 8000 £. St. Schulden ein Jahr geſeſſen, dort aber ihr Metier immer fortgetrieben, und Gott weiß wie, endlich doch Mittel gefunden hat, ſich zu befreien. Sie hat einen ſonderbaren Fehler für ihren Stand, nämlich ſentimental zu ſeyn (ich glaube faſt, der Baron wollte mir zu verſtehen geben, dies aus Erfahrung zu wiſſen) und in ſolchen Anwandlungen giebt ſie einem Geliebten zehnmal mehr, als ſie von ihrem Entreteneur erhält. Ich weiß ſehr vornehme Leute, ſetzte er hinzu, die dies unverantwortlich gemiß - braucht haben, und ich zweifle nicht, daß bei der er - ſten Gelegenheit dieſer Art ſie bald wieder ihr altes Logis im Freiſtaat der Kingsbench beziehen wird.

Hier dieſe etwas verblühte Schönheit, fuhr er fort, habe ich noch vor zehn Jahren mit einem Luxus leben ſehen, den wenige meiner Collegen nach - ahmen können. Weit entfernt, das Geringſte von ihren damaligen Reichthümern zurückzulegen, hat ſie134 Alles mit wahrer Leidenſchaft fortwährend zum Fenſter hinausgeworfen, und wird Ihnen doch heute ſehr verbunden ſeyn, wenn Sie ihr mit einem Schilling unter die Arme greifen wollen.

Den Gegenſatz zu dieſer Armen zeigte er mir nach - her in einer der erſten Logen, ein reizendes Weib vom beſten Anſtand, die einen Mann mit 20,000 £. St. Revenüen geheirathet hat, und noch vor geringer Zeit für eine dieſer Guineen Jedem Alles war, was ſie ſeyn konnte. Dieſe Heirathen ſind über - haupt hier häufiger, als irgendwo, und ſchlagen ſonderbarerweiſe meiſtens recht gut aus. So machte mich mein Begleiter noch auf eine vierte Dame auf - merkſam, eine bekannte Ballettänzerin, die ſich eben - falls ſehr reich verheirathet hatte, und mit ihrem Manne noch immer ſehr glücklich lebt, obgleich dieſer vor Kurzem Bankerott gemacht, und ſie dadurch wie - der arm werden laſſen, ja vielleicht in eine noch drückendere Lage als früher gebracht hat.

Das war ein guter Probierſtein für Herz und Kopf, welche, bei dieſer Tänzerin wenigſtens, in der Ausbildung mit den Beinen gewetteifert haben müſſen.

Die geſchilderte Sittenlicenz erſtreckt ſich auch bis auf die Bühne ſelbſt, wo man oft ſo grobe Zwei - deutigkeiten in Worten und ſelbſt in Geſten zu -135 ren und zu ſehen bekömmt, daß man nicht mehr zu ſehr darüber erſtaunen kann, in den alten Memoi - ren zu leſen, was weiland die Jungfrau-Königin ſich von dieſer Art gefallen ließ.

Lebe wohl. Ewig der Deine. L.

[136]

Sechster Brief.

Geliebteſte!

Es iſt mir zuweilen ein wahres Bedürfniß, einen Tag ganz allein zu Haus zuzubringen, und dann großentheils in einer Art von träumeriſchem Hinbrü - ten zu durchleben, wo ich ſo lange Vergangnes und Neues und alle Affekte durchlaufe, bis durch die Mi - ſchung ſo vieles Bunten eine Nebelfarbe ſich über Alles breitet, und die Diſſonanzen des Lebens ſich am Ende in eine ſanfte, objektloſe Rührung auflöſen. Recht unterſtützt wird man hier in ſolcher Stimmung durch die, mir ſonſt ſehr unausſtehlichen Drehorgeln, die Tag und Nacht in allen Straßen ertönen. Auch ſie leyern im wilden Wirbel hundert Melodieen un - tereinander, bis alle Muſik ſich in ein träumeriſches Ohrenklingen verliert.

Amüſanter iſt dagegen ein anderes hieſiges Straßen - ſpiel, eine ächte National-Comödie, die eine etwas137 genauere Beleuchtung verdient, und mir auch heute von unten meinen Fenſtern heitere Zerſtreuung herauf - geſchickt hat.

Es iſt dies Punch, der engliſche, ganz vom italiä - niſchen verſchiedene Pulcinella, deſſen getreue Abbil - dung ich hier beifüge, wie er eben ſeine Frau todt - ſchlägt, denn er iſt der gottloſeſte Komiker, der mir noch vorgekommen iſt, und ſo complett ohne Gewiſ - ſen, wie das Holz, aus dem er gemacht iſt, und ein wenig auch die Klaſſe der Nation, welche er reprä - ſentirt.

Punch hat, wie ſein Namensvetter, auch etwas von Arrak, Zitronen und Zucker in ſich, ſtark, ſauer und ſüß, und dabei von einem Charakter, der dem Rauſche, welchen jener herbeiführt, ziemlich gleich iſt. Er iſt überdieß der vollendetſte Egoiſt, den die Erde trägt, et ne doute jamais de rien. Mit dieſer un - bezwingbaren Luſtigkeit und Laune beſiegt er auch Alles, lacht der Geſetze, der Menſchen, und ſelbſt des Teufels, und zeigt in dieſem Bilde zum Theil, was der Engländer iſt, zum Theil, was er ſeyn möchte, nämlich Eigennutz, Ausdauer, Muth, und wo es ſeyn muß, rückſichtsloſe Entſchloſſenheit auf der vaterländiſchen Seite, unerſchütterlichen leichten Sinn und ſtets fertigen Witz auf der ausländiſchen aber erlaube, daß ich, ſo zu ſagen mit Punch eignen Worten, ihn weiter ſchildere, und aus ſeiner Bio - graphie noch einige fernere Nachrichten über ihn mit - theile.

138

Als ein Nachkomme Pulcinellas aus Acerra iſt er für’s erſte unbezweifelt ein alter Edelmann, und Harlequin, Clown, der deutſche Caſperle ſelbſt u. ſ. w. gehören zu ſeiner nahen Vetterſchaft, er jedoch paßt, wegen ſeiner großen Kühnheit, am beſten zum Fa - milien-Chef. Fromm iſt er leider nicht, aber als gu - ter Engländer geht er doch ohne Zweifel Sonntag in die Kirche, wenn er auch gleich darauf einen Prie - ſter todtſchlägt, der ihn zu ſehr mit Bekehrungsver - ſuchen ennüyirt. Es iſt nicht zu läugnen, Punch iſt ein wilder Kerl, keine ſehr moraliſche Perſonnage, und nicht umſonſt von Holz. Niemand z. B. kann beſſer boren, denn fremde Schläge fühlt er nicht, und ſeine eignen ſind unwiderſtehlich. Dabei iſt er ein wahrer Türke in der geringen Achtung menſch - lichen Lebens, leidet keinen Widerſpruch, und fürch - tet ſelbſt den Teufel nicht. Dagegen muß man aber auch in vieler andern Hinſicht ſeine großen Eigen - ſchaften bewundern. Seine admirable Herzens-Un - empfindlichkeit und ſchon geprieſene, ſtete gute Laune, ſein heroiſcher Egoismus, ſeine nicht zu erſchütternde Selbſtzufriedenheit, ſein nie verſiegender Witz und die conſommirte Schlauheit, mit der er aus jedem mauvais pas ſich zu ziehen, und zuletzt als Sieger über alle Antagoniſten zu triumphiren weiß, werfen einen glänzenden Lüſtre über alle die kleinen Freihei - ten, die er ſich im Uebrigen mit dem menſchlichen Leben herauszunehmen pflegt. Man hat in ihm eine Verſchmelzung von Richard III. und Falſtaff nicht ganz mit Unrecht gefunden. In ſeiner Erſcheinung139 vereinigt er auch die krummen Beine und den dop - pelten Höcker Richards mit der angehenden Beleibt - heit Falſtaffs, zu welcher noch die italiäniſche lange Naſe und die feuerſprühenden ſchwarzen Augen ſich geſellen.

Seine Behauſung iſt ein auf vier Stangen geſtell - ter Kaſten mit gehörigen innern Dekorationen, ein Theater, das in wenigen Sekunden am beliebigen Orte aufgeſchlagen wird, und deſſen über die Stan - gen herabgelaſſene Drapperie Punchs Seele verbirgt, die ſeine Puppe handhabt, und ihr die nöthigen Worte leiht. Dieſes Schauſpiel, in dem er täglich, wie geſagt, in der Straße auftritt, variirt daher auch nach dem jedesmaligen Talente deſſen, der Punch dem Publikum verdollmetſcht, doch iſt der Verlauf deſſelben im Weſentlichen ſich gleich, und ohngefähr folgender.

So wie der Vorhang aufrollt, hört man hinter der Scene Punch das franzöſiſche Liedchen Marlbroug s’en va t en guerre trällern, worauf er ſelbſt tanzend und guter Dinge erſcheint, und in drolligen Verſen die Zuſchauer benachrichtigt, weß Geiſtes Kind er ſey. Er nennt ſich einen muntern, luſtigen Kerl, der gern Spaß mache, aber nicht viel von Andern verſtehe, und wenn er ja ſanft werde, ihm dies nur vis a vis des ſchönen Geſchlechts arrivire. Sein Geld verthue er frank und frei, und ſeine Ab - ſicht ſey überhaupt, das ganze Leben hindurch zu lachen, und dabei ſo fett als möglich zu werden. Mit140 den Mädchen ſey er allerdings ein Verſucher und Verführer, auch, ſo lange er es habe, ein Freund der bonne chère, wenn er nichts habe, aber auch bereit, von Baumrinde zu leben, und ſtürbe er ein - mal nun ſo ſey’s eben weiter nichts, als daß es aus ſey, und damit habe denn die Komödie von Punch ein Ende. (Dies letzte riecht ohne Zweifel ein wenig nach Atheismus.)

Nach dieſem Monolog ruft er in die Scene hinein nach Judy, ſeiner jungen Frau, welche aber nicht hören will, und ſtatt ihrer endlich nur ihren Hund ſchickt. Punch ſtreichelt und ſchmeichelt ihm, wird aber von dem böſen Köter in die Naſe gebiſſen, und ſo lange daran feſtgehalten, bis nach einer lächerli - chen Balgerei und verſchiedenen ſtarken Späſſen des nicht allzu discreten Punch, dieſer endlich den Hund abwehrt, und derb abſtraft.

Der Hausfreund Scaramutz tritt noch während die - ſem Lärmen mit einem großen Prügel ein, und ſetzt ſogleich Punch zur Rede, warum er Judy’s Lieb - lingshund geſchlagen, der nie Jemanden beiße. Auch ich ſchlage nie einen Hund, erwiederte Punch, aber, fährt er fort, was habt ihr ſelbſt denn da in der Hand, lieber Scaramutz? O nichts, als eine Geige, wollt ihr vielleicht ihren Ton probiren? Kommt nur einmal her, und vernehmt das herrliche Inſtrument. Danke, danke, lieber Scaramutz, erwiedert Punch beſcheiden, ich unterſcheide die Töne ſchon vortrefflich von weitem. Scaramutz läßt ſich141 jedoch nicht abweiſen, und indem er, ſich mit Ge - ſang accompagnirend, herumtanzt und ſeinen Prügel ſchwingt, giebt er, bei Punch vorbeikommend, dieſem wie von ohngefähr einen derben Schlag auf den Kopf. Punch thut als merke er gar nichts davon, fängt aber auch zu tanzen an, und, ſeinen Vortheil wahrnehmend, reißt er plötzlich Scaramutz den Stock aus der Hand, und giebt ihm, gleich zum Anfang, einen ſolchen Schlag damit, daß dem armen Scara - mutz der Kopf vor die Füße rollt denn wo Punch hinſchlägt, da wächst kein Gras. Ha ha, ruft er lachend, haſt Du die Geige vernommen, mein gu - ter Scaramutz, und was für einen ſchönen Ton ſie hat! So lange du lebſt, mein Junge, wirſt du kei - nen ſchönern mehr vernehmen. Aber wo bleibt denn meine Judy. Meine ſüße Judy, warum kömmſt denn du nicht?

Unterdeß hat Punch Scaramutz Leiche hinter einem Vorhang verborgen, und Judy, der weibliche Pen - dant ihres Mannes, mit eben ſo viel Buckeln und noch monſtröſerer Naſe tritt auf. Eine zärtlich ko - miſche Scene erfolgt, nach der Punch nun auch nach ſeinem Kinde verlangt. Judy geht es zu holen, und Punch exſtaſiirt ſich während dem in einem zweiten Monolog über ſein Glück als Ehemann und Vater. Sobald das kleine Ungeheuer ankömmt, können Beide vor Freude ſich kaum faſſen, und verſchwenden die zärtlichſten Namen und Liebkoſungen an daſſelbe. Judy geht jedoch, häuslicher Geſchäfte wegen, bald wieder ab, und läßt den Säugling in des Vaters142 Armen, der, etwas ungeſchickt, die Amme nachah - men und mit dem Kinde ſpielen will; dies fängt aber an jämmerlich zu ſchreien und ſich ſehr unartig zu gebehrden. Punch ſucht es erſt zu beſänftigen, wird aber bald ungeduldig, ſchlägt es, und da es nun nur immer ärger ſchreit, und ihm zuletzt gar etwas in den Händen zurückläßt, wird er wüthend, und wirft es unter Verwünſchungen zum Fenſter hinaus, direkt auf die Straße, wo es mitten unter den Zu - ſchauern den Hals bricht. Punch biegt ſich weit über die Bühne hinaus, ihm nachzuſehen, macht einige Grimaſſen, ſchüttelt mit dem Kopf, fängt an zu la - chen, und ſingt dann tanzend:

Eya popeya, mit dem Kindlein war’s aus,
Du ſchmutz’ges Ding, pack dich fort aus dem Haus,
Bald mach ich ein andres, das wird mir nicht ſchwer,
Von wo du herkamſt, kommen andere noch her.

Indem kehrt Judy zurück und fragt beſtürzt nach ihrem Darling: Das Kind iſt ſchlafen gegangen, erwiedert Punch gelaſſen, doch nach fortgeſetzter In - quiſition muß er endlich geſtehen, daß es ihm wäh - rend dem Spielen mit ihm von ohngefähr aus dem Fenſter gefallen ſey. Judy geräth auſſer ſich, reißt ſich die Haare aus, und überhäuft ihren grau - ſamen Tyrannen mit den ſchrecklichſten Vorwürfen. Vergebens verſpricht er ihr la pace di Marcolfa*)Jeder weiß in Italien, was la pace di Marcolfa bedeutet. Das gute Weib des ehrlichen Bertoldo (in dem alten Ro -143 ſie will von nichts hören, ſondern läuft unter hefti - gen Drohungen davon.

Punch hält ſich den Bauch vor Lachen, tanzt um - her, und ſchlägt vor Uebermuth mit dem eignen Kopfe den Takt an den Wänden dazu, indem er ſingt:

Welcher tolle Laͤrmen um nichts,
Wegen des kleinen elenden Wichts!
Warte nur, Judy, dich will ich bekehren,
Will dir bald andere Mores lehren.

Unterdeſſen iſt aber hinter ihm Judy ſchon mit ei - nem Beſenſtiel angelangt, und arbeitet ſogleich aus allen Kräften auf ihn los.

Er giebt erſt ſehr gute Worte, verſpricht nie wie - der ein Kind aus dem Fenſter zu werfen, bittet, doch den Spaß nicht ſo hoch aufzunehmen als aber nichts fruchten will, verliert er abermals die Geduld, und endet wie mit Scaramutz, indem er die arme Judy todt ſchlägt. Nun, ſagt er ganz freundlich, unſer Streit iſt aus, liebe Judy, biſt du zufrieden, ich bins auch. Na, ſo ſteh nur wieder auf, gute Judy. Ach verſtell dich nicht, das iſt nur ſo eine von deinen Finten! Wie, Du willſt nicht auf? nun*)man dieſes Namens) ſagte naͤmlich zur Koͤnigin: wenn ſie und ihr Mann ſich den Tag uͤber gezankt haͤtten, mach - ten ſie den Abend wieder Friede, und dieſer Friede waͤre ihr ſo angenehm, daß ſie oͤfters nur deßhalb Zaͤnke - reyen anfingen.144 ſo pack Dich hinunter! und damit fliegt ſie ihrem Kinde nach auf die Straße.

Er ſieht ihr nicht einmal nach, ſondern, in ſein gewöhnliches ſchallendes Gelächter ausbrechend, ruft er:

Ein Weib zu verlieren iſt eine bonne fortune! und ſingt dann:

Wer moͤchte ſich mit einem Weibe plagen,
Wenn er ſich Freiheit ſchaffen kann,
Und ſie mit Meſſer oder Stock erſchlagen,
Und uͤber Bord ſie werfen kann.

Im zweiten Akt ſehen wir Punch in einem Ren - dezvous mit ſeiner Maitreſſe Polly begriffen, der er nicht auf die anſtändigſte Weiſe die Cour macht, und dabei verſichert, daß ſie nur alle ſeine Sorgen ver - ſcheuchen könne, und wenn er auch ſämmtliche Wei - ber des weiſen Salomo hätte, er ſie ihr zu Liebe doch alle todt ſchlagen würde. Ein Hofmann und Freund ſeiner Polly macht ihm darauf noch eine Vi - ſite, den er diesmal nicht umbringt, ſondern nur zum Beſten hat, ſich dann langweilt, und erklärt, das ſchöne Wetter zu einem Spazierritt benutzen zu wollen. Ein wilder Hengſt wird vorgeführt, mit dem er eine Zeit lang lächerlich umher caracollirt, zuletzt aber durch entſetzliches Bocken des unbezähmbaren Thieres abgeworfen wird. Er ſchreit um Hülfe, und ſein glücklicherweiſe eben vorbeigehender Freund, der Doctor, läuft ſchnell herbei. Punch liegt da wie halb todt, und jammert entſetzlich. Der Doctor ſucht ihn145 zu beruhigen, fühlt an ſeinen Puls und fragt: Wo ſeyd ihr denn eigentlich beſchädigt, hier? Nein, tiefer. An der Bruſt? Nein, tiefer. Iſt Euer Bein gebrochen? Nein, höher. Wo denn? In dem Augenblick giebt aber Punch dem armen Doctor einen ſchallenden Schlag auf eine gewiſſe Par - thie, ſpringt lachend auf und ſingt tanzend:

Hier iſt der Fleck, wo ich verwundet,
Und jetzt durch Sympathie geſundet;
Ich fiel ja nur ins gruͤne Gras,
Glaubt Eſel ihr, ich ſey von Glas?

Der wüthende Doctor iſt, ohne ein Wort weiter zu erwiedern, weggelaufen, kömmt gleich darauf mit ſeinem großen Stocke mit goldnem Knopfe wieder, und indem er ausruft: Hier, lieber Punch, bringe ich Euch heilſame Medizin, wie ſie für Euch allein paßt, läßt er beſagten Stock noch nachdrücklicher als Judy, wie einen Dreſchflegel auf Punch’ns Schultern ar - beiten.

O weh! ſchreit dieſer, tauſend Dank, ich bin ja ſchon geſund, ich vertrage überhaupt gar keine Medizin, ſie giebt mir immer gleich Kopf - und Hüf - tenweh .... Ach, das iſt nur, weil ihr noch eine zu geringe Doſis davon zu Euch genommen habt, unterbricht ihn der Doctor, nehmt immer noch eine kleine Gabe, und es wird Euch gewiß beſſer werden.

Briefe eines Verſtorbenen. III. 10146

P. Ja, ſo ſprecht ihr Doctoren immer, aber ver - ſucht es doch einmal ſelbſt.

D. Wir Doetoren nehmen nie unſere eigene Me - dizin. Doch Ihr braucht jedenfalls noch einige Doſen.

Punch ſcheint beſiegt, fällt entkräftet hin, und bit - tet um Gnade; als ſich aber der leichtgläubige Doc - tor zu ihm herabbeugt, ſtürzt ihm Punch mit Blitzes - ſchnelle in die Arme, ringt mit ihm und entreißt ihm endlich den Stock, mit dem er dann wie ge - wöhnlich verfährt.

Jetzt, ruft er, werdet Ihr doch auch ein wenig von eurer ſchönen Medicin verſuchen müſſen, werthe - ſter Doctor, nur ein ganz klein wenig, geehrteſter Freund. So ..... und ſo ....

O Gott, ſie bringt mich um .... ſchreit der Doktor.

Nicht der Rede werth, es iſt einmal ſo gebräuch - lich. Doctoren ſterben immer, wenn ſie von ihrer eignen Medizin genießen. Nur luſtig, hier, noch eine, und die letzte Pille. Er ſtößt ihm den Stock mit der Spitze in den Magen. Fühlt ihr die Wir - kung dieſer wohlthätigen Pille in eurem Junern?

Der Doctor fällt todt hin.

Punch lachend: Nun, guter Freund, curirt Euch ſelbſt, wenn Ihr könnt!

(Geht ſingend und tanzend ab.)

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147

Nach mehreren Avanturen, die faſt alle einen ſol - chen tragiſchen Ausgang nehmen, wird endlich die Gerechtigkeit wach, und dem Punch ein Conſtabler zugeſendet, um ihn zu arretiren. Dieſer findet ihn, wie immer, in der beſten Laune, und eben beſchäf - tigt, ſich mit Hülfe einer großen Rindviehglocke, wie er ſagt, Muſik zu machen (eigentlich ein ſehr naives Geſtändniß der Muſikcapacität der Nation.) Der Dialog iſt kurz und bündig.

Conſtabler. M. Punch, laßt einmal Muſik und Singen ein wenig bei Seite, denn ich komme Euch aus dem letzten Loche ſingen zu laſſen.

Punch. Wer Teufel, Kerl, ſeyd Ihr?

C. Kennt Ihr mich nicht?

P. Nicht im Geringſten, und fühle auch gar kein Bedürfniß, Euch kennen zu lernen.

C. Oho, Ihr müßt aber. Ich bin der Conſtabler.

P. Und wer, mit Verlaub, hat zu Euch geſchickt, um Euch holen zu laſſen?

C. Ich bin geſchickt, um Euch holen zu laſſen?

P. Allons, ich brauche Euch ganz und gar nicht; ich kann meine Geſchäfte allein verrichten, ich danke Euch vielmals, aber ich brauche keinen Conſtabler.

C. Ja, aber zufällig braucht der Conſtabler Euch.

P. Den Teufel auch, und für was denn, wenn ich bitten darf?

10*148

C. O, bloß um Euch hängen zu laſſen. Ihr habt Scaramutz todtgeſchlagen, Euer Weib und Kind, den Doctor ....

P. Was Henker geht Euch das an? bleibt ihr noch viel länger hier, ſo werde ich’s mit Euch eben ſo machen.

C. Macht keine dummen Späſſe. Ihr habt Mord begangen, und hier iſt der Verhaftsbefehl.

P. Und ich habe auch einen Befehl für Euch, den ich Euch gleich notificiren will. (Punch ergreift die bisher hinter ſich gehaltene Glocke, und ſchlägt dem Conſtabler damit dermaßen auf das Occiput, daß er wie ſeine Vorgänger leblos umſinkt, worauf Punch mit einer Capriole davon ſpringt, indem man ihn noch hinter der Scene jodeln hört:

Der Krug geht zu Waſſer
So lang bis er bricht,
Ein luſtiger Praſſer
Bekuͤmmert ſich nicht.

Der Gerichtsbeamte, welcher nach dem Tode des Conſtabler geſendet wird, Punch zu verhaften, hat daſſelbe Schickſal, wie jener, bis endlich der Henker in eigner Perſon Punch aufpaßt, welcher in ſeiner luſtigen Unbefangenheit, ohne ihn zu ſehen, ſelbſt an ihn anrennt. Zum erſtenmal ſcheint er bei dieſer Rencontre betroffen, giebt ſehr klein zu, und ſchmei - chelt Herrn Ketſch nach Kräften, nennt ihn ſeinen alten Freund, und erkundigt ſich auch ſehr angele -

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149 gentlich nach dem Befinden ſeiner lieben Gemahlin, Miſtriß Ketſch.

Der Henker aber macht ihm ſchnell begreiflich, daß jetzt alle Freundſchaft ein Ende haben müſſe, und hält ihm vor, welch ein ſchlechter Mann er ſey, ſo viel Menſchen und ſelbſt ſein Weib und Kind ge - tödtet zu haben.

Was die Letzteren betrifft, ſo waren ſie mein Ei - genthum, vertheidigt ſich Punch, und Jedem muß es überlaſſen bleiben, wie er dies am beſten zu nutzen glaubt. Und warum tödtetet Ihr den armen Doc - tor, der Euch zu Hülfe kam? Nur in Selbſtver - theidigung, wertheſter Herr Ketſch, denn er wollte mich auch umbringen. Wie ſo? Er offerirte mir von ſeiner Medicin.

Doch alle Ausflüchte helfen nichts. Drei bis vier Knechte ſpringen hervor, und binden Punch, den Ketſch ins Gefängniß abführt.

Wir ſehen ihn im nächſten Auftritt im Hinter - grunde der Bühne aus einem eiſernen Gitter den Kopf vorſtrecken, und ſich die lange Naſe an den Eiſenſtangen reiben. Er iſt ſehr entrüſtet und ver - drießlich, ſingt ſich aber doch nach ſeiner Manier ein Liedchen, um die Zeit zu vertreiben. Mr. Ketſch tritt auf, und ſchlägt mit ſeinen Gehülfen vor dem Gefängniſſe einen Galgen auf. Punch wird kläg - lich, fühlt aber, ſtatt der Reue, doch nur eine An - wandelung großer Liebe und Sehnſucht nach ſeiner150 Polly; er ermannt ſich indeß bald wieder, und macht ſogar verſchiedene Bonmots über den hübſchen Gal - gen, den er mit einem Baume vergleicht, den man wahrſcheinlich zum beſſern Proſpekt für ihn hierher gepflanzt habe. Wie ſchön wird er erſt werden, ruft er aus, wenn er Blätter und Früchte be - kömmt! Einige Männer bringen jetzt einen Sarg, den ſie an den Fuß des Galgens hinſtellen.

Nun, was ſoll das vorſtellen? frägt Punch aha, das iſt ohne Zweifel der Korb, um die Früchte hineinzuthun.

Ketſch kehrt während dem zurück, und indem er Punch grüßt und die Thür aufſchließt, ſagt er höflich es ſey nun Alles bereit, Punch könne kommen, wenn es ihm beliebe. Man kann denken, daß dieſer nicht ſehr empreſſirt iſt, der Einladung zu folgen. Nach mehreren Hin - und Herreden ruft Ketſch endlich un - geduldig: Es hilft nun weiter nichts, Ihr müßt heraus und gehangen werden.

P. O, Ihr werdet doch nicht ſo grauſam ſeyn?

K. Warum wart Ihr ſo grauſam, Weib und Kind umzubringen?

P. Aber iſt das ein Grund, daß Ihr auch grau - ſam ſeyn, und mich auch umbringen müßt? *)Welches vortreffliche Argument gegen die Todesſtrafe!

151

Ketſch bedient ſich keiner weitern Gründe, als der des Stärkeren, und zieht Punch bei den Haaren heraus, der um Gnade fleht, und Beſſerung ver - ſpricht.

Nun, lieber Punch, ſagt Ketſch kaltblütig, habt blos die Güte, Euern Kopf in dieſe Schlinge zu ſtecken, und Alles wird ſchnell zu Ende ſeyn. Punch ſtellt ſich ungeſchickt an, und kömmt immer auf die unrechte Weiſe in die Schlinge. Mein Gott, wie ungeſchickt Ihr ſeyd, ruft Ketſch, ſo müßt Ihr den Kopf hineinſtecken, (es ihm vormachend). So, und zuziehen, ſchreit Punch, der den unvorſichtigen Henker ſchnell feſthält, mit aller Gewalt zuſchnürt, und mit großer Eile ſelbſt am Galgen aufhängt, worauf er ſich hinter die Mauer verſteckt.

Zwei Leute kommen, den Todten abzunehmen, le - gen ihn, in der Meynung, es ſey der Delinquent, in den Sarg, und tragen ihn fort, während Punch ins Fäuſtchen lacht und luſtig forttanzt.

Doch der ſchwerſte Kampf ſteht ihm noch bevor, denn der Teufel ſelbſt in propria persona kömmt nun, um ihn zu holen. Vergebens macht ihm Punch die ſcharfſinnige Bemerkung: er ſey doch ein ſehr dum - mer Teufel, ſeinen beſten Freund auf Erden von dort wegholen zu wollen; der Teufel nimmt keine Raiſon an, und ſtreckt ſeine langen Krallen gräulich nach ihm aus. Er ſcheint ſchon im Begriff, augen - blicklich mit ihm abzufahren, wie mit weiland Fauſt, aber Punch läßt ſich nicht ſo leicht verblüffen! Herz -152 haft ergreift er ſeinen mörderiſchen Prügel und wehrt ſich, ſelbſt gegen den Teufel, ſeiner Haut. Ein fürch - terlicher Kampf beginnt, und wer hätte es für möglich gehalten! Punch, mehrmal ſeinem Ende nahe, bleibt endlich glücklich Sieger, ſpießt den ſchwarzen Teufel auf ſeinen Stock, hält ihn hoch in die Höhe, und mit ihm jauchzend herumwirbelnd, ſingt er herz - licher lachend als je:

Vivat, Punch, aus iſt die Noth,
Juchhe! der Teufel iſt todt.

Ich überlaſſe Dir alle philoſophiſchen Betrachtun - gen, deren ſich nicht wenige an Punchs Lebenslauf anknüpfen laſſen; intereſſant möchte beſonders die Unterſuchung ſeyn, wie dieſes ſich täglich wiederho - lende, beliebte Volksſchauſpiel ſeit ſo vielen Jahren auf die Moralität des gemeinen Mannes hier einge - wirkt haben mag?*)Dies erinnert mich an die alte Anekdote, wo Jemand auf dem St. Markusplatz zu Venedig Pulcinella auf aͤhnliche Art agiren ſah, als ein Pfaͤfflein daherkam, um eine ex - temporirte Abendpredigt zu halten. Es wollte ſich aber nur ein ſehr geringer Cirkel um ihn verſammeln, weil Alles dem Poſſenreißer ſeine Aufmerkſamkeit ſchenkte. Ah birbanti! ſchrie endlich der entruͤſtete Prediger mit Sten - torſtimme, indem er ſein kleines Crucifix hoch emporhielt, lasciate quel c ...., venite qua, ecco il vero Pulci - nella!

Zum Schluß ſkizzire ich am Rand für die tragiſche Gerechtigkeit noch ein zweites Portrait Punch’ns, wie153 er im Gefängniß ſitzt, und der Galgen eben für ihn herbeigebracht wird.

In meinem nächſten Briefe aber erhältſt Du alle verlangte Details über B., welchen frommen Mann ich heute über den intereſſanteren Sünder Punch ver - geſſen habe. Adieu für heute.

Es wird Dir noch gegenwärtig ſeyn, was ich Dir vor einiger Zeit über die Art des Grundverkaufs oder vielmehr Verpachtung deſſelben ſchrieb. Da der Eigenthümer alſo nur auf 99 Jahre Beſitz im beſten Falle rechnen kann, baut er auch ſo leicht als mög - lich, und dies hat zur Folge, daß man öfters in den Londner Häuſern ſeines Lebens nicht ſicher iſt. So fiel denn auch dieſe Nacht, ganz nahe von mir in St. James Street ein gar nicht altes Gebäude plötz - lich wie ein Kartenhaus ein, und nahm auch die Hälfte des andern noch mit ſich, wobei mehrere Menſchen gefährlich beſchädigt worden ſeyn ſollen, aber doch größtentheils noch Zeit zur Rettung fan - den, da drohende Vorzeichen ſie avertirten. Bei der Schnelligkeit, mit der man hier aufbaut, wird ohne Zweifel das Gebäude in vier Wochen wieder ſtehen, wenn gleich eben ſo unſicher wie vorher.

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Vor einigen Tagen wohnte ich der intereſſanten Eröffnung des Parlaments durch den König in Per - ſon bei, eine Ceremonie, welche ſeit mehreren Jah - ren nicht mehr ſtatt gefunden hat.

In dem Saale des Oberhauſes waren in der Mitte die Pairs verſammelt, ihre rothen Mäntel nur nach - läſſig über die gewöhnliche Morgenkleidung geworfen. An der vorderſten Wand ſtand der Thron des - nigs, auf Gradins links ſaßen viele Damen im Schmuck, rechts das diplomatiſche Corps und die Fremden, dem Throne gegenüber ſah man eine Bar - riere und hinter dieſer die Mitglieder des Unterhau - ſes in der bürgerlichen Kleidung unſrer Tage. Das Haus auſſerhalb und die Treppen waren mit Die - nern und Herolden im Coſtüme des vierzehnten Jahr - hunderts bedeckt.

Um 2 Uhr verkündeten Kanonenſalven den Anzug des Königs im großen Staate. Viele prachtvolle Wagen und Pferde bildeten den Zug, von dem ich ſchon eine Abbildung in mein Erinnerungsbuch auf - genommen*)Mein Freund fuͤhrte eine eigenthuͤmliche Idee aus, die ſei - nen Hinterlaſſenen noch jetzt ein wehmuͤthiges Vergnuͤgen gewaͤhrt. Er hatte naͤmlich viele große Foliobaͤnde mit Zeichnungen, Kupfern, Autographieen, mitunter auch klei - nen Broſchuͤren angefuͤllt, aber nicht wie gewoͤhnlich Alles durcheinander, ſondern nur dasjenige, was er ſelbſt erlebt und geſehen, in derſelben Ordnung, wie er es geſehen, darin aufgenommen, und jede Abbildung mit einer Note und zum Contraſt einen Triumphzug155 Cäſars daneben placirt habe. Man frägt ſich un - willkührlich bei dem Anblick dieſer Bilder, ob die Menſchen wohl ſeitdem wirklich weiter gekommen ſind? Im Kunſtſinn ſcheint es kaum, beſonders wenn man nach den beiden hervorſtechendſten und den höchſten Sitz einnehmenden Perſonen der re - ſpektiven Ceremonien urtheilt. Ich meine den könig - lichen Leibkutſcher und Cäſar.

Gegen halb 3 Uhr erſchien der König, allein von Allen in völliger Toilette, und zwar von Kopf bis zu Fuß in den alten Königsornat gekleidet, mit der Krone auf dem Haupt und den Scepter in der Hand. Er ſah blaß und geſchwollen aus, und mußte lange auf ſeinem Throne ſitzen, ehe er genug zu Athem kommen konnte, um ſeine Rede abzuleſen. Während dem warf er einigen der begünſtigteſten Damen freund - liche Blicke und herablaſſende Grüße zu. Lord Liver - pool ſtand mit dem Reichsſchwerdte und der Rede in der Hand ihm zur Seite, auf der andern der Herzog von Wellington. Alle drei ſahen aber ſo elend, aſch - grau und abgelebt aus, daß mir nie menſchliche Größe geringer an Werth erſchien, ja die tragiſche Seite aller Komödien, die wir hier unten ſpielen, fiel mir faſt ſchwer aufs Herz! Doch erregte es auch ein leb - haftes Gefühl des Komiſchen in mir, zu ſehen, wie*)begleitet, deren Totalitaͤt zugleich einen kurzen, folgerech - ten Abriß ſeines Treibens auf dieſer Welt giebt, alſo ei - nen wahren Lebensatlas, wie er ihn auch manchmal ſelbſt nannte. A. d. H. 156 hier der mächtigſte Monarch der Erde als Hauptac - teur vor einem in ſeiner Meinung ſo tief unter ihm ſtehenden Publikum auftreten mußte! In der That erinnerte die ganze Scene des Ein - und Ausgangs, wie das Coſtume des Königs, frappant an die Art, wie hier die hiſtoriſchen Theaterſtücke aufgeführt zu werden pflegen, und es fehlte blos der obligate Flou - rish (Duſch der Trompeten) der das Kommen und Gehen eines Shakespear’ſchen Königs ſtets begleitet, um die Täuſchung vollkommen zu machen.

Uebrigens las Georg IV. ohngeachtet ſeiner Schwäche mit vielem Anſtande und ſchönem Organ, aber auch mit königlicher nonchalance, die nicht viel darnach frägt, ob die Majeſtät ſich verſpricht, oder ein Wort nicht gleich dechiffriren kann, die banale Rede ab. Man ſah indeß deutlich, daß der Monarch erfreut war, als die Corvée ihr Ende erreicht hatte, ſo daß der Abgang auch etwas rüſtiger von ſtatten ging als der Einzug.

Seit meinem letzten Briefe war ich zweimal im Theater, was man wegen der ſpäten Eßſtunden nie beſuchen kann, wenn man irgendwo eingeladen iſt.

Ich fand Mozarts Figaro in Drurylane angekün - digt, und freute mich, die ſüßen, vaterländiſchen Töne wieder zu hören, ward aber nicht wenig von der unerhörten Behandlung überraſcht, die des unſterb - lichen Componiſten meiſterhaftes Werk hier erfahren mußte. Du wirſt es mir gewiß kaum glauben wol -157 len, daß weder der Graf, noch die Gräfin, noch Fi - garo ſangen, ſondern dieſe Rollen von bloßen Schau - ſpielern gegeben, uno die Hauptarien derſelben, mit einiger Veränderung der Worte, von den übrigen Sängern vorgetragen wurden, wozu der Gärtner noch eingelegte engliſche Volkslieder zum Beſten gab, die ſich zu Mozarts Muſik ohngefähr wie ein Pech - pflaſter auf dem Geſichte der Venus ausnahmen. Die ganze Oper war überdieß von einem Herrn Biſchoff (was ich auch auf der Affiche bemerkt ſah, und zuerſt gar nicht verſtand) arrangirt , d. h. engliſchen Ohren durch die abgeſchmackteſten Abänderungen ge - rechter gemacht. Die engliſche National-Muſik, deren plumpe Melodien man keinen Augenblick verkennen kann, hat, für mich wenigſtens, etwas ganz aus - nehmend Widriges einen Ausdruck brutaler Ge - fühle in Schmerz und Luſt, der ſich von Roſtbeef, Plumb-Pudding und Porter reſſentirt. Du kannſt Dir alſo denken, welchen angenehmen Effekt dieſe Verſchmelzung mit den lieblichen Compoſitionen Mo - zarts hervorbringen mußte.

Je n’y pouvais tenir, der arme Mozart kam mir vor wie ein Märtyrer auf dem Kreuze, und ich ſelbſt litt nicht weniger dabei.

Dieſes Unweſen iſt um ſo bedauernswürdiger, da es im Ganzen hier keineswegs an vielen verdienſt - lichen Sängern und Sängerinnen fehlt, und mit ei - ner vernünftigeren Behandlung ſehr gute Vorſtellun - gen gegeben werden könnten. Nur bedürfte es frei -158 lich, wenn das Theater in Ordnung wäre, noch ei - nes zweiten Orpheus, um auch das engliſche Publi - kum zu zähmen.

Weit beſſer war die Vorſtellung in Coventgarden, wo Charles Kemble, einer der erſten engliſchen Schau - ſpieler, die Rolle Karls II. vortrefflich gab. Kemble iſt ein Mann von der beſten Erziehung, der immer in ſehr guter Geſellſchaft gelebt hat, und war daher auch im Stande, den Monarchen königlich darzu - ſtellen, d. h. hier nur, ganz mit aller der Aiſance, welche gewöhnlich den von jeher Hochſtehenden eigen iſt. Er weiß dem Leichtſinne Karls II. eine liebenswürdige Seite zu geben, ohne doch je, ſelbſt im größten Aban - don, den ſchwer nachzuahmenden Typus angeborner höchſter Würde zu verlieren. Dabei war das Coſtume, wie aus dem Rahmen alter Gemälde geſchnitten, bis auf die größten Kleinigkeiten, was von allen an - dern Mitſpielern eben ſo genau beobachtet wurde, weßhalb Kemble, auch als Regiſſeur, ſehr zu loben iſt.

Ich muß jedoch ſagen, daß in dem nächſten Stücke, wo Friedrich der Große die Hauptrolle ſpielte, nicht dieſelbe Genauigkeit und Kenntniß fremden Co - ſtümes herrſchte, und ſowohl der König als ſeine Suite ihre Garderobe von der Harlekinspantomime geborgt zu haben ſchienen. Zieten unter andern mel - dete ſich in einer hohen Grenadiermütze, und Seyd - litz erſchien mit langen Locken à la Murat, und eben ſo viel Orden, als jener königliche Comödiant trug,159 die damals doch keineswegs in ſolcher Profuſion Mode, und ſchon ein bloßer Gegenſtand der Toilette geworden waren, wie es jetzt der Fall iſt.

Ich eſſe oft beim Fürſten E., der den Diplomaten ein wahres Muſter aufſtellt, wie vornehme Reprä - ſentation und angenehmer, leichter Umgang zu verei - nigen ſind, und wie man Jedem gefallen kann, in - dem man ſich à sa portée zu ſtellen verſteht, ohne doch den eignen Werth verkennen zu laſſen, un vrai Seigneur, wie ſie immer ſeltner werden. Auch hat wohl nie ein Fremder ſo vollſtändig in England reüſ - ſirt, und ſich doch gewiß nie etwas gegen den engli - ſchen Dünkel dabei vergeben. Es gehörte dazu un - endlich viel Takt, der ſüddeutſche leichtere Sinn, und der ſchlaueſte Verſtand hinter anſpruchsloſer Bonho - mie verborgen, alles unterſtützt durch einen hohen Namen und großes Vermögen.

Das übrige diplomatiſche Corps tritt mit wenigen Ausnahmen gegen ihn gar ſehr in den Hintergrund, und die meiſten Pleinpotentiaires verſchwinden ohne - dem hier ſo zu ſagen gänzlich in der Foule. Unter den Ambaſſadeurs ſpielt dagegen ein weiblicher noch eine große Rolle ................................. Doch hierüber ausführlicher ein anderesmal. Ich160 kam eigentlich nur auf die Diplomaten zu ſprechen, weil ich Dir ein hübſches bon mot von einem derſel - ben, den Du kennſt, mittheilen wollte, welches ich eben in der heutigen Geſellſchaft erzählen hörte. Graf H .... war früher Geſandte an einem, ſeiner Spar - ſamkeit wegen (pour ne pas dire mesquinerie) bekann - ten deutſchen Hofe, und bekam bei einer ſolennen Ge - legenheit eine Doſe mit dem Portrait des Souverains zum Geſchenk, die jedoch nur mit ſehr kleinen und unanſehnlichen Diamanten umgeben war. Kurz darauf bat ihn einer ſeiner Collegen, ihm doch das erhal - tene Präſent zu zeigen. Vous ne trouverez pas le portrait ressemblant, ſagte der Graf, indem er die Doſe überreichte, mais les diamans.

Mit vielem Vergnügen ſehe ich auch zuweilen den alten Elliot, der, nächſt dem eben ſo trocknen als in - tereſſanten Lord St. Herbert, deſſen Ségur ſo oft in ſeinen Memoiren erwähnt, zu den Doyens der eng - liſchen Diplomatie gehört, und ſich noch immer ſei - nes Aufenthalts in Dresden mit auſſerordentlicher Vorliebe erinnert. Er hat mehrere ſehr liebenswür - dige Töchter, und dabei Mühe, ſeine Familie ſtan - desmäßig zu erhalten, denn für ſo lange Dienſte fin - det er ſich nicht mit engliſcher Liberalität belohnt*)Es iſt eine ſehr charakteriſtiſche Anekdote fuͤr den ſorglos heitern Charakter dieſes liebenswuͤrdigen Greiſes, daß er ſeit ſeinem Abgange von Dresden, vor 20 Jahren, noch immer eine große Menge Kiſten mit ſeinen Effekten dort ſtehen ließ. Endlich bewog man ihn vor Kurzem, Jeman -. 161Ein anderer intereſſanter Mann iſt der Chevalier L. M., der früher beim Könige, noch als Prinz von Wales, ſehr gut angeſchrieben ſtand, und der Er - wähnung verdient, einmal weil er ſeine Freunde vor - trefflich und als höchſt angenehmer Amphitryon be - wirthet, zweitens weil er einer der originellſten Men - ſchen, und einer von den wenigen ächt praktiſchen Philoſophen iſt, die mir vorgekommen ſind.

Alle Vorurtheile der Menge ſcheinen für ihn nicht zu exiſtiren, und Niemanden möchte ſchwerer, weder mit den großen Herren des Himmels, noch der Erde, zu imponiren ſeyn. Obgleich ſchon 60 Jahr alt, und den größten Theil der letzten Zeit über den uner - hörteſten Schmerzen ausgeſetzt, mit welchen Gicht und Stein einen armen Sterblichen plagen können, hört doch Niemand je eine Klage von ihm, noch kann ſeine ſtets heitere, ja luſtige Laune einen Augenblick davon getrübt werden. Man muß geſtehen, es giebt natürliche Gemüths-Dispoſitionen und Temperamente, die 100,000 Thaler Revenüen werth ſind.

Als ich ihn vor einiger Zeit kennen lernte, hatte man ihm erſt kürzlich die große Operation des Stein -*)den die Unterſuchung dieſer Kiſten anzuvertrauen, der bei den ihm bekannten, ſehr beſchraͤnkten Vermoͤgensumſtaͤnden des Beſitzers, nicht wenig verwundert war, in denſelben noch wohlverpackt die damals dem engliſchen Geſandten ge - machten Geſchenke, mit Juwelen von Werth beſetzt, vorzu - finden.Briefe eines Verſtorbenen III. 11162ſchnitts gemacht, die der Arzt nicht unternehmen wollte, weil er ſie bei der Schwäche des Patienten für tödtlich heilt, von dieſem aber faſt dazu gezwun - gen wurde.

Er konnte damals ſein Bett noch nicht verlaſſen, ſah wie ein Todter aus, und ich machte beim Herein - treten unwillkührlich eine mine de doléance, mit der ich ihm eben mein Bedauern bezeigen wollte, als er mir lachend ins Wort fiel und mir zurief, ich ſollte nur die Grimaſſen laſſen. Was nicht zu ändern ſey, meinte er nachher, das müſſe man ertragen, beſſer luſtig als traurig, und was ihn beträfe, ſo babe er gewiß alle Urſache, wenigſtens über ſeine Aerzte zu lachen, denn mehr als zehnmal hätten ſie ihm mit Beſtimmtheit den Laufpaß gegeben, und waren doch jetzt faſt alle ſelbſt vor ihm zum T ..... gefahren. Uebrigens, ſetzte er ganz reſignirt hinzu, habe ich mein Leben wie Wenige genoſſen, und muß auch die Schattenſeite davon kennen lernen.

Bei allen dieſen Freuden und Leiden iſt der le - bensluſtige Mann indeß doch ſo gut conſervirt ge - blieben, daß er, ſeit er wieder herumgeht, in ſeiner artiſtiſchen Perrücke kaum mehr als ein Vierziger zu ſeyn ſcheint, und dabei eine kühne und rayonnante Phyſiognomie zur Schau trägt, deren Züge einſt ſchön geweſen ſeyn müſſen.

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Kemble gab mir heute wieder, im Falſtaff, einen großen Genuß. Gewiß iſt es, daß auch der größte dramatiſche Dichter des Schauſpielers bedarf, um ſein Werk zu vervollſtändigen. Ich habe die Natur des berüchtigten Ritters nie ſo vollkommen verſtan - den, und nie iſt mir auch ſo anſchaulich geworden, wie ſein äuſſeres Benehmen ſeyn müſſe, als ſeit ich ihn durch Kemble gleichſam wieder neugeboren ſah. Sein Anzug und Maske ſind zwar auffallend, aber keineswegs eine ſolche Carrikatur, wie auf unſern deutſchen Theatern, noch weniger darin der Ausdruck eines Menſchen ohne Stand und Erziehung, eines bloßen Farceur ſichtbar, wie ihn z. B. Devrient in Berlin darſtellt. Falſtaff, obgleich von gemeiner Seele, iſt doch durch Gewohnheit wie Neigung ein ſehr geübter Hofmann, und das Rohr, was er oft in Geſellſchaft des Prinzen zur Schau trägt, iſt wenigſtens eben ſo ſehr ein abſichtliches Spiel, das er benutzt, um den Prinzen zu amüſiren (denn Prin - zen lieben, eben wegen der düſtern Höhe ihrer Stel - lung, ſehr oft das Gemeine, ſchon des Contraſtes wegen) als ſeiner eignen Laune genug zu thun. Hier nüancirt nun Kemble den Charakter beſonders fein, denn obwohl er in allen dieſen verſchiedenen Lagen die natürliche, unbeſiegbare Luſtigkeit, die witzige Geiſtesgegenwart und die ergötzliche Drolligkeit beibe - hält, die Falſtaff als Geſellſchafter ſo angenehm, ja11*164einmal gekannt, faſt unentbehrlich machen, ſo iſt er doch ein ganz andrer, wenn er bei Hofe in Gegen - wart des Königs und ernſter würdiger Männer er - ſcheint, oder mit dem Prinzen und ſeinen Genoſſen Poſſen treibt, oder endlich mit dieſen Letzteren allein bleibt. Im erſten Fall ſieht man einen komiſchen Mann, ohngefähr wie den Maréchal de Baſſompiere, lächerlich dick, aber vornehm und mit Anſtand, im - mer ein Spaßmacher, aber mit gutem Ton, nie ohne den gebührenden Reſpekt, den er dem Ort und der Umgebung ſchuldig iſt, wo er ſich befindet; in der zweiten Station läßt er ſich ſchon weit mehr gehen, nimmt ſich jede derbe Freiheit heraus, aber doch im - mer mit einer merklichen Rückſicht, die ſchmeichelnd den Prinzen hervorhebt, und ſich nur das Privile - gium des Hofnarren nimmt, der ſcheinbar alles ſa - gen darf, was ihm in den Kopf kömmt; nur auf der letzten Stufe endlich ſehen wir Falſtaff im völligen Negligé, von dem aller Schein herabgefallen iſt. Wie das Schwein in der Pfütze wälzt er ſich hier behag - lich im Kothe, und doch bleibt er auch dabei noch originell, erregt noch mehr Lachen als Abſcheu, die große Kunſt des Dichters, welcher auch bei den hor - rendeſten Mißgeburten der Sünde und Schande, doch, gleich einem göttlichen Siegel, etwas in ſie zu legen weiß, was unſer Intereſſe erregt, und uns, faſt zu unſerm eignen Erſtaunen, anzieht. Es iſt dies die dramatiſche Wahrheit, die Schöpfungskraft der Schil - derung, von der Walter Scott ſo artig ſagt: Sie läßt mich Shakspeare nur mit jenem Manne in den165 arabiſchen Mährchen vergleichen, der ſich in jeden beliebigen Körper verſetzen, und deſſen Gefühle und Handlungen nachahmen konnte.

Hierbei fällt mir ein daß ich nur einen Charak - ter in dieſes unſterblichen Dichters Werken immer etwas verzeichnet fand, und keiner erregt auch allge - mein weniger Intereſſe. Dies iſt der König im Ham - let. Um nur eines Zuges zu erwähnen, ſo ſcheint es mir pſychologiſch ganz falſch, wenn der Autor den König niederknieen und dann ausrufen läßt: Ich kann nicht beten. Der König wird uns ja nirgends als ein Irreligiöſer, ein grübelnder Skep - tiker dargeſtellt, ſondern blos als ein grober ſinnli - cher Verbrecher, und ein ſolcher kann, ſey er auch der ärgſte, wie wir täglich erleben, nicht nur ſehr gut und eifrig beten, ſondern ſelbſt beten, daß ihm ſein Verbrechen doch gelingen möge, wie jene Frau, die man nach dem Fang einer ausgezogenen Diebes - bande allein in ihrer Höhle auf den Knieen fand, wo ſie zu Gott inbrünſtig flehte, daß die Expedition, bei der ſie die Räuber eben begriffen glaubte, doch glücklich ablaufen, und ſie recht viel erbeuten möchten.

Ja, öffentlich angeordnete Gebete haben oft keinen viel beſſern Zweck, und was bietet im Felde der Re - ligion die Geſchichte für Beiſpiele dieſer Art nicht dar! Nein, der verbrecheriſche König kann beten, aber wer es in dieſer Tragödie nicht kann das iſt Hamlet. Denn nur der Ungläubige, der Alles er -166 gründen Wollende, der geiſtige Chemiker, dem ein ſcheinbar feſtes Gebäude nach dem andern einſtürzt, der kann bis es ihm nicht durch die allgöttliche Kraft gelungen, ein inneres Unzerſtörbares aufzu - richten*)Wie geſchieht dies? doch wohl nur, wenn man endlich er - kennt: daß Religion einzig und allein Sache des Herzens und Gefuͤhls iſt, wozu der Kopf nur taugt, um gleichſam als Waͤchter vor dem Heiligthume zu ſtehen, und es mit dem Schwerdte der Vernunſt vor ſeinen Erbfeinden zu be - wahren, dem Aberglauben und der Unduldſamkeit. Be - gnuͤgt er ſich damit nicht, und will er begreifen lernen, was ſeiner Natur nach fuͤr uns unbegreiflich iſt, ſo muß er jedesmal auf Abwege gerathen, er nehme nun ſeine Zu - flucht zu einer ſogenannten poſitiven Religion, oder einem Syſteme ſpeculativer Philoſophie. Beide befriedigen nicht, ſobald man mehr als ein intereſſantes Spiel der Phan - taſie, oder des Verſtandes, daraus machen will waͤhrend das innere angeborne Gefuͤhl Gottes, der Liebe und des Guten in jeder geſunden Geiſtesſtunde, dem Niedrigſten an Geiſtesfaͤhigkeit, wie dem Hoͤchſten mit glei - cher, unumſtoͤßlicher Sicherheit nicht nur als Glaube, ſon - dern als die wahre Eſſenz ſeines Weſens, ſein eigentliches Ich klar wird, ohne daß dabei weder Vernunft noch Ver - ſtand unmittelbar thaͤtig zu werden brauchen, wenn gleich beide daſſelbe, bei eintretender Reflexion, beſtaͤtigen muͤſſen. A. d. H. , und ſoweit iſt Hamlet offenbar noch nicht gekommen, der allein, ſage ich, kann nicht mehr beten, denn der Gegenſtand fehlt ihm. Er kann ſich’s nicht mehr ableugnen, er ſpielt, indem er betet, nur Comödie mit ſich ſelbſt.

Dies iſt ein ſchlimmer Durchgang, den diejenigen am armen Menſchen verſchulden, welche ſchon das167 Kind mit falſcher Lehre in das Bett des Procruſtes zwängen, und dadurch den verkürzten Gliedern das Ausſtrecken zu ihrer natürlichen Größe oft für im - mer unmöglich machen.

Doch zurück zum Schauſpiel. Es ward mit einem Melodrama geſchloſſen, wo ein großer Newfoundland - Hund wahrhaft admirabel ſpielte, lange eine Fahne vertheidigte, den Feind verfolgte, nachher verwundet, blutend und lahm wieder auf die Bühne kam, und dort meiſterhaft ſtarb, mit der letzten genialen Zuckung im Schwanze. Man hätte darauf ſchwören ſollen, das Thier wiſſe wenigſtens ſo gut als einer ſei - ner menſchlichen Kameraden, was es zu agiren habe.

Ich verließ das Theater mit ſo guter Laune, daß ich nachher im Clubb 8 Rubber im Whiſt gewann, denn auch das Spielglück bannt man mit Frohſinn und Zuverſicht. Aber gute Nacht für heute.

Mit Eröffnung des Parlaments fängt nun die - here Geſellſchaft an lebendiger zu werden, wenn gleich London en gros noch leer iſt.

Gerade die eleganteſten Damen der erſten Cirkel ge - ben jetzt beſondere kleine Geſellſchaften, zu denen der Zutritt vielen Engländern weit ſchwerer wird, wie vornehmen Ausländern, denn die Deſpotie der Mode168 herrſcht, wie bereits erwähnt, in dieſem freien Lande mit eiſernem Scepter, und verzweigt ſich durch alle Stände, weit mehr, als man auf dem Continent einen Begriff davon hat.

Doch, ohne mich jetzt noch in allgemeine Bemer - kungen zu früh einzulaſſen, will ich Dir kürzlich〈…〉〈…〉 Lebensart hier in London beſchreiben.

Ich ſtehe ſpät auf, leſe, als halb nationalen〈…〉〈…〉 Engländer, beim Frühſtück drei bis vier Zeitungen, ſehe nachher in meinem Viſitingbook nach, welche Beſuche ich zu machen habe, und fahre dieſe dann entweder in meinem Cabriolet, oder reite ſie ab, wobei, ſelbſt in der Stadt, zuweilen Pittoreskes mit unterläuft, und namentlich die mit den Winternebeln kämpfende blutrothe Sonne oft eine eigenthümlich kühne und ſeltſame Beleuchtung hervorbringt. Sind die Beſuche abgethan, ſo reite ich mehrere Stunden in der herrlichen Umgegend Londons ſpazieren, treffe mit der Dämmerung wieder ein, arbeite ein wenig, mache dann meine Toilette für das Diné, welches um 7 oder 8 Uhr ſtatt findet, und bringe den Reſt des Abends entweder im Theater oder in einer gebe - tenen kleinen Geſellſchaft zu. Die lächerlichen Routs, wo man kaum einen Platz auf der Treppe findet, den ganzen Abend ſtößt oder geſtoßen wird, und ſich ſtets in Treibhaustemperaturen befindet haben noch nicht begonnen. Man kann aber in England, auſſer in wenigen der diplomatiſchen Häuſer, Abends ſich nur da einfinden, wo man beſonders eingeladen iſt. 169In dieſen kleinen Geſellſchaften geht es ziemlich un - genirt her, aber allgemeinere Converſation findet nicht ſtatt, und gewöhnlich wählt ſich jeder Herr eine Dame, die ihn vorzüglich intereſſirt, und verläßt ſie faſt den ganzen Abend nicht. Manche Schönen blei - ben bei dieſer Gelegenheit wohl auch ganz allein〈…〉〈…〉 ohne ein Wort ſprechen zu können, verrathen〈…〉〈…〉 mit keiner Miene ihr Unbehagen darüber, denn〈…〉〈…〉 d ſehr paſſiver Natur. Alle Welt ſpricht na - türlich auch hier, tant bien que mal, franzöſiſch, aber auf die Länge ennuyirt die Damen doch die fort - geſetzte Gêne, und man hat daher keinen geringen Vortheil, wenn man auch nur einigermaßen fertig engliſch ſpricht. Ich habe nicht geſunden, daß die Damen einen fremden Accent oder falſch angewen - dete Wörter und Phraſen, ſo wie man es den Män - nern in England vorwirft, belachen. Im Gegen - theil iſt die Unterhaltung mit ihnen die ſicherſte und angenehmſte Art, engliſch zu lernen. Ich bin über - haupt der Meinung, daß man Lehrer und Gramma - tik nur dann mit Nutzen braucht, wenn Einem die neue Sprache durch die Praxis ſchon geläufig gewor - den iſt. Nützlich aber mag es ſeyn (wer die nöthige Geduld dazu beſitzt) wie der Fürſt Czartoryski em - pfiehlt, damit anzufangen, den Dictionnaire auswen - dig zu lernen.

Du ſiehſt, dieſes Leben iſt ein ziemliches far niente, wenn auch kein ſüßes für mich denn ich liebe Geſellſchaft nur im intimen Kreiſe, und atta - chire mich ſehr ſchwer, jetzt beinahe gar nicht mehr,170 an neue Bekanntſchaften. Der Ennui aber, der mich in ſolcher Stimmung überfällt, ſteht zu ſehr auf meinem undiplomatiſchen Geſichte verzeichnet, um ſich nicht auch, anſteckend wie das Gähnen, den Andern mitzutheilen. Hie und da tritt dennoch eine Aus - nahme ein. So machte ich heute die Bekanntſchaft des Herrn Morier, des geiſtreichen und höchſ[t]lie - benswürdigen Verfaſſers Hadji Baba’s, ſo wie[au]ch die des Herrn Hope, angeblichen Autors des[no]ch weit genialeren Anaſtaſius. Dieſes letztere Buch wäre Byrons würdig. Viele behaupten, Herr Hope, der im Aeuſſern mehr Zurückhaltung als Genialität zeigt, könne es ohnmöglich geſchrieben haben. Dieſer Zwei - fel gründet ſich vorzüglich darauf, daß Herr Hope unter ſeinem Namen früher ein Werk über Ameu - blement herausgab, deſſen Styl und Inhalt aller - dings ungemein mit dem glühenden, von Reichthum der Gefühle und Gedanken überſtrömenden Anaſta - ſius contraſtirt. Einer meiner Bekannten ſagte da - her: Eins oder das Andere. Entweder Anaſta - ſius iſt nicht von ihm, oder das Meubelwerk. Aber ſo verſchiedner Stoff bringt wohl auch eben ſo verſchiedne Behandlung mit ſich, und wie ich Herrn Hope, vielleicht mit unwillkührlicher Vorliebe, beobach - tet habe, ſchien er mir durchaus kein gewöhnlicher Menſch. Er iſt ſehr reich, und ſein Haus voller Kunſtſchätze und Luxus, worauf ich wohl noch ein - mal zurückkomme. Seine Meubles-Theorie, die dem Antiken nachgebildet iſt, kann ich aber in der Aus - führung nicht loben, da die Stühle nicht zu regieren171 ſind, andere trophäenartige Aufſtellungen lächerlich erſcheinen, und die Sophas kleinen Gebäuden glei - chen, mit überall hervorſpringenden, ſo ſcharfen Ecken, daß bei nachläſſigem Niederlaſſen darauf eine gefähr - liche Verwundung nicht unmöglich wäre.

Als ich ſpät zu Haus kam, fand ich Deinen Brief, der mich, wie immer Nachrichten von Dir, mehr als Alles erfreute.

Sage aber nicht, daß der Schmerz der Trennung Dich ſo tief beuge, wenigſtens laß es nicht tiefer ſeyn, als ein frohes Wiederſehen wieder aufrichten kann und das iſt ja wahrſcheinlich nicht mehr fern. Daß Du uns aber ſchon auf die Unſterblich - keit verweiſen willſt, wenn es hier nicht gleich nach Wunſche geht, zeigt wenig chriſtliches Vertrauen, meine Liebe. Nein, ich geſtehe es, bei aller women - tan eintretenden Melancholie bin ich doch im Gan - zen noch leidlich irdiſch geſinnt, und dieſe Spanne Leben, wie Du ſie nennſt, liegt mir noch recht ſehr am Herzen. Freilich, wäreſt Du, meine liebende Schutzgöttin, zugleich auch Fortuna, ſo ginge mir’s wahrſcheinlich beſſer als irgend Jemand auf Erden, et toutes les étoiles pâliraient devant la mienne aber ſchon dadurch, daß Du mich liebſt, biſt Du meine Fortuna, und ich verlange keine beſſere.

Laß Dich alſo weder durch Deine eignen Schwer - muthsſtunden, noch durch meine, irre machen. Was mich betrifft, ſo weißt Du: ein Nichts hebt den Ba -172 rometer meiner Seele, und ein Nichts oft läßt ihn wieder fallen. Es iſt allerdings eine gar zu delikate moraliſche Conſtitution, die mir zu Theil wurde, und nicht zum hausbacknen Glück beſtimmt wel - ches gröbere Nerven verlangt.

Oberon, Webers Schwanengeſang, füllte mir den heutigen Abend. Muſik und Geſang ließen bei der Ausführung viel zu wünſchen übrig, doch ward die Oper für London vorzüglich gegeben. Das beſte in ſeiner Art waren die Dekorationen, beſonders die, wo die Geiſter beſchworen werden. Sie erſcheinen nicht wie gewöhnlich in dem ſtehenden Coſtume feuer - rother Hoſen und Jacken, mit Furienhaaren und Flammen auf dem Kopf, ſondern die weite Felſen - grotte, welche das ganze Theater einnimmt, ver - wandelte ſich plötzlich, jedes Felsſtück in andere phan - taſtiſche und furchtbare Formen und Fratzen, leuch - tend in buntem Feuer und fahlem Schein, woraus auch hie und da eine ganze Figur ſich grinſend heraus - bog, während der ſchauerliche Geſang rund umher erſchallte aus dem wimmelnden Felſenchor. Das Werk ſelbſt halte ich für eine ſchwächere Arbeit Webers. Schön iſt jedoch Einzelnes, namentlich die Intro - duktion, die etwas wahrhaft Elfenartiges hat. We -173 niger gefällt mir die Ouvertüre, obgleich ſie ſo ſehr von Kennern gerühmt wird.

Ich hätte damit anfangen ſollen, Dir zu ſagen, daß ich bei einem großen Lever heut früh dem - nige vorgeſtellt wurde, wobei ich es als eine Selt - ſamkeit anführen muß, die in der ſo merkwürdigen freiwilligen Sequeſtrirung des jetzigen Monarchen ih - ren Grund hat, daß mit mir auch unſer Legations - Secretär zum erſtenmal präſentirt wurde, obgleich er ſchon ſeit zwei Jahren als ſolcher hier angeſtellt iſt. Seine Majeſtät beſitzen ein ſehr gutes Gedächt - niß und erinnerten ſich ſogleich meines früheren Auf - enthalts in England, irrten ſich aber dennoch um mehrere Jahre in der Epoche. Ich nahm die Gele - genheit wahr, mein Compliment über die ungemei - nen Verſchönerungen Londons ſeit dieſer Zeit anzu - bringen, die in der That dem Könige faſt allein zu danken ſind, und ging, nach gnädiger Erwiederung, fürbaß, wo ich mich dann an einen bequemen Platz ſtellte, um das Schauſpiel recht gemächlich im Gan - zen zu beſchauen. Es war originell genug.

Alles ging der Reihe nach bei dem Könige verbei, welcher, Kränklichkeitshalber, ſaß, machte dort ſeine Verbeugung, wurde angeredet oder nicht, und ſtellte ſich hierauf entweder auf der andern Seite in die Reihe, oder verließ auch gleich den Saal. Alle, die zu irgend etwas ernannt worden waren, knieten vor dem Könige nieder und küßten ihm die Hand, wozu der amerikaniſche Geſandte, neben dem ich zufällig174 ſtand, eine Satyrphyſiognomie machte. Die Geiſtli - chen und Rechtsgelehrten ſahen in ihren ſchwarzen Talaren und weißgepuderten, kurzen und langen Per - rücken ſehr abentheuerlich aus, und einer wurde unwillkührlich der Gegenſtand eines faſt allgemeinen, ſchwer verbiſſenen Gelächters. Dieſes Subjekt kniete nämlich ebenfalls nieder, weil es, wie die Engländer ſich ausdrücken, gerittert (Knighted) werden ſollte, und ſah in dieſer Stellung mit dem langen Vließ auf dem Kopfe einem zur Schlachtbank geführten Hammel täuſchend ähnlich. Seine Majeſtät winkte dem Reichs-Kron-Feldherrn, ihm ſein Schwerdt zu geben. Zum erſtenmal vielleicht wollte aber dem - ſtigen Krieger der Degen durchaus nicht aus der Scheide er zog, rückte alles vergebens. Der König mit ausgeſtrecktem Arme wartend, der Herzog vergebens alle Kräfte anſtrengend, der unglückliche Märtyrer in ſtiller Ergebung daliegend, als wenn ſein Ende jetzt herannahe, und rund umher der glän - zende Hof in banger Erwartung es war eine Gruppe, Gilray’s Pinſel würdig. Endlich fuhr, einem Blitze gleich, die Hofwaffe aus der Scheide. Seine Majeſtät bemächtigten ſich derſelben mit Un - geduld, da Höchſt Ihnen aber wahrſcheinlich über dem langen Warten der Arm eingeſchlafen war, ſo trafen ſie mit dem erſten Schlage ſtatt des neuen Ritters die alte Perrücke, welche einen Augenblick lang König und Unterthan hinter einer Puderſäule verbarg.

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Schon lange hatte Herr R mich eingeladen, ihn auf ſeinem Landgute zu beſuchen, und ich wählte den heutigen freien Tag, um mit meinem Freunde L .... zum Eſſen hinauszufahren. Der königliche Banquier hat noch keinen herzoglichen Sitz ge - kauft, und wohnt in einer anmuthigen Villa. Wir fanden auſſer einigen Direktoren der oſtindiſchen Com - pagnie auch mehrere Mitglieder ſeiner Familie und ſeines Glaubens daſelbſt, die mir ſehr wohl gefielen, wie ich es denn überhaupt an dieſer Familie ſehr ſchätze, daß ſie Juden geblieben ſind. Nur ein Narr kann Juden wegen ihrer Religion geringer als an - ders Gläubige achten, aber die Renegaten haben im - mer kein ganz zu verwerfendes Vorurtheil wider ſich.

In drei Fällen möchte ich jedoch den Juden unbe - dingt erlauben, die Religion zu verändern. Einmal wenn ſie ſich wirklich einbilden, nur unter dem Na - men Chriſten ſelig werden zu können; zweitens ihren Mädchen, wenn dieſe einen Chriſten heirathen wol - len und ihn nicht anders bekommen können; drit - tens wenn einmal ein Jude zu einem chriſtlichen Könige erwählt werden ſollte, was auch nicht un - möglich iſt, da ja noch weit Geringere als jüdiſche Barone, und ſolche, die notoriſch gar keine Religion176 hatten*)Es iſt freilich ſehr problematiſch, was in den Augen der Frommen ſchlimmer ſey, gar keine Religion zu ha - ben, oder von einer andern Sekte zu ſeyn. Wenigſtens entſchied ſich Ludwig XIV, doch auch ein Religionsheld, fuͤr die zweite Geſinnung. Der Herzog von Orleans ſchlug ihm einen Geſandten nach Spanien vor, den der Koͤnig annahm, aber den Tag darauf widerrief, weil er gehoͤrt habe, das betreffende Individuum ſey ein Janſeniſt. Nichts weniger, Ihro Majeſtaͤt, verſicherte der Herzog, ſo viel ich weiß, glaubt er ſelbſt nicht an Gott. Kann ich mich darauf verlaſſen? frug gravitaͤtiſch der Koͤnig. Gewiß, erwiederte laͤchelnd der Herzog. Nun dann mag er in Gottes Namen den Poften behalten. , in neuerer Zeit ſchon öfters den Thron beſtiegen haben.

Herr R. ſelbſt war ſehr guter Laune, amüſant und geſprächig. Es war drollig anzuhören, wie er uns die Gemälde ſeines Eßſaals, alles geſchenkte Por - traits der europäiſchen Souveräne und ihrer erſten Miniſter, explizirte, und dabei von den Originalen wie von ſeinen beſten Freunden, und gewiſſermaßen wie von ſeines Gleichen ſprach. Ja, rief er, hier der ......... drängte mich einmal um eine Anleihe, und in derſelben Woche, wo ich ſeinen eigenhändigen Brief erhielt, ſchrieb mir ſein Vater aus Rom auch eigenhändig, ich ſolle ums Himmelswillen mich in nichts einlaſſen, da ich es mit keinem treuloſeren Menſchen als mit ſeinem Sohne zu thun haben könnte. C’ctait sans doute très catholique, wahr - ſcheinlich hatte aber doch die alte K ...... den Brief177 geſchrieben, die ihren eignen Sohn ſo ſehr haßte, daß ſie von ihm, Jedermann weiß, mit welchem Unrecht, zu ſagen pflegte: Il a le coeur d’un t ...., avec la figure d’un â

Nun kamen die andern an die Reihe .....................................................................................

Zuletzt nannte er ſich jedoch demüthig nur den ge - horſamen und genereus bezahlten Geſchäftsmann und Diener ſämmtlicher hohen Potentaten, die er Alle gleich hoch verehre, die Politik möge ſtehen wie ſie wolle, denn, fügte er lachend hinzu: I never like to quarrel with my bread and butter.

Es iſt nicht wenig geſcheut von R .., daß er für ſeine Perſon weder Titel noch Orden angenommen hat, und ſich ſo eine weit ehrenvollere Unabhängig - keit erhält. Gewiß verdankt er aber auch Vieles dem guten Rathe ſeiner höchſt liebenswürdigen und ein - ſichtsvollen Frau deſſelben Glaubens, die ihn auch, wenn nicht an Schlauheit und Geſchäftsſinn, doch wohl an Takt und Welt noch übertreffen möchte.

Ehe wir dieſen Abend noch den Weg auf’s Land einſchlugen, hatte uns die erbeutete Staatskutſche ei - nes andern Monarchen aſiatiſchen Urſprungs, näm - lich des Königs der Birmanen, zum Ausſteigen ver - lockt. Da ſie von Gold und Edelſteinen ſtrotzt, dieBriefe eines Verſtorbenen. III. 12178man auf 6000 £. St. ſchätzt, ſo machte ſie bei Licht allerdings einen glänzenden Effekt, und ſchien mir, hinſichtlich ihrer baldachinartigen, pyramidaliſchen Form, ſogar geſchmackvoller als die unſrigen. Selt - ſam war die darauf ſitzende Dienerſchaft, beſtehend aus zwei kleinen Jungen und zwei Pfauen, aus Holz geſchnitzt, ſchön bemalt und lackirt. Zwei weiße Elephanten zogen den Wagen, als er erobert ward, und 15,000 kleine und große, aber rohe Edelſteine, ſchmücken noch das vergoldete Holz und Goldblech, aus dem er beſteht. Viele birmaniſche koſtbare Waf - fen waren in dem geräumigen Saal als Trophäen umher placirt, was der ganzen Aufſtellung ein dop - pelt reiches und intereſſantes Anſehen verlieh. Da man hier immer bei ſolchen Gelegenheiten viel für’s Geld giebt, ſo war im Nebenzimmer noch ein Poeci - liorama angebracht, mit ebenfalls birmaniſchen und andern indiſchen Anſichten, die durch künſtliche Be - leuchtung mehrere Verwandlungen untergehen, und dadurch ſehr lebendige Landſchaftseffekte hervorbringen.

Ich weiß nicht, warum man dergleichen nicht mehr zu Zimmerdekorationen benutzt. Bei einem Feſte z. B. müßte ein ſo präparirter Saal gewiß eine bedeu - tungsvollere Mannigfaltigkeit darbieten, als die ge - wöhnlichen abgedroſchenen Verzierungen von bunten Behängen, Orangerie und Blumen.

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Ziemlich ſpät vom Diné bei Herrn von Polignac zurückkehrend, einem recht liebenswürdigen, aber auch höchſt orthodoxen Repräſentanten de l’ancien regime, kam ich doch noch zeitig genug ins Theater, um, nach dem Hauptſtücke, den berühmten Matthews at home zu finden. Der Vorhang war herunter gelaſſen, und Herr Matthews ſaß vor demſelben über dem Orcheſter, an einem mit Teppichen behangenen großen Tiſche.

Er fing damit an, dem Publikum discurſive zu er - zählen, daß er ſo eben von einer Reiſe nach Paris zurück komme, wo er viele Originale kennen gelernt, und manches ſcherzhafte Abentheuer beſtanden habe. Unmerklich ging er nun aus der Erzählung in eine völlige dramatiſche Vorſtellung über, wo er mit ei - nem faſt unbegreiflichen Talente und Gedächtniß vor den Augen des Zuſchauers ſich zutragen läßt, was er erlebt, indem er ſein Geſicht, Sprache und gan - zes Aeuſſere mit Blitzesſchnelle ſo total verändert, daß man es geſehen haben muß, um es für möglich zu halten. Alle ſeine äuſſern Hülfsmittel beſtehen nur, bald in einer Haube, einem Mantel, einer falſchen Naſe, einer Perrücke ꝛc., die er unter dem Teppich hervorzieht, und mit dieſen einfachen Dingen augen - blicklich die vollſtändigſte Umwandlung hervorbringt. 12*180Der Beifall war tobend, und das Gelächter hörte nicht auf. Die Hauptperſonen, welche in mehreren Verwickelungen auftraten, waren ein alter Englän - der, der Alles im Auslande tadelt und zu Hauſe beſ - ſer findet; eine Dame aus der Provinz, die, um franzöſiſch zu lernen, nie anders als mit dem Dic - tionnaire in der Hand auf die Straße geht, die Vor - beigehenden mit ihren fortwährenden Fragen beläſtigt, und jede Gelegenheit benutzt, andern Engländern mit ihrer Kenntniß auszuhelfen, dabei aber immer, wie man ſich vorſtellen kann, das Verkehrteſte und Burleskeſte, oft Aequivokſte, zur Welt bringt; ferner einem Dandy aus der City, der le grand air affek - tiren will, und ſeinem Gegenſatze, einem dicken Far - mer aus Yorkshire, der ohngefähr die Rolle des Pachter Feldkümmel ſpielt. Das Beluſtigendſte für mich war eine engliſche Vorleſung Spurzheims über Cranologie. Die ſprechende Aehnlichkeit der in Eng - land wohlbekannten Perſon, aller ihrer Manieren und des deutſchen Accents, war ſo vollkommen, daß das Theater unaufhörlich vor Lachen erbebte. Weni - ger befriedigten mich andere Nachahmungen, unter andern Talma’s, der für einen bloßen Poſſenreißer, ohngeachtet alles Talents dieſes Letzteren, doch zu hoch ſteht. Ueberdem iſt der Tod des großen Tragi - kers noch zu neu, und der Schmerz über ſeinen un - erſetzlichen Verluſt bei jedem Freunde der Kunſt zu groß, um ſich von einer ſolchen Parodie jetzt ange - ſprochen fühlen zu können.

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Den Beſchluß machte eine kleine Farce, wozu nun auch der Vorhang aufgezogen wurde, und in welcher Matthews ebenfalls nur allein ſpielte, und 7 8 verſchiedene Rollen beſorgte, ungerechnet der eines Hundes und eines Kindes, die zwar durch Puppen repräſentirt wurden, welche er aber beide eben ſo meiſterhaft bellte und plapperte, als er die übrigen ſprach. Als franzöſiſcher Hofmeiſter, der mit einem zehnjährigen jungen Lord auf Reiſen gehen ſoll, ſperrt er dieſen gleich zu Anfang in einen Guitarrenkaſten, um das Geld für die Diligence zu erſparen, und den - noch dem Herrn Papa anrechnen zu können. Auf der Station angekommen, nimmt er ihn jedesmal heraus, einmal um ihn Luft ſchöpfen zu laſſen, und zweitens um ſeine Lektion zu gleicher Zeit mit ihm zu repeti - ren, wobei er denn als vollkommner Bauchredner das Geſpräch höchſt drollig durchführt. Beſonders iſt es komiſch, wenn ſich der Junge ſträubt, wieder in den Kaſten zu kriechen, und nun ſein Murren wie ſeine Klagen, gleich dem Walzer im Freiſchützen, immer undeutlicher verklingen, bis das Behältniß endlich ganz zuklappt, und die letzten Töne aus dem ver - ſchloſſenen Kaſten nur wie ein ſchwaches Echo her - vortönen.

Nach vielen Avantüren, die der forteilenden Dili - gence und ihren Paſſagieren zuſtoßen, tritt eine alte Jungfer auf (immer wieder Matthews) die einen Lieblingshund, der im Wagen nicht geduldet werden ſoll, dennoch einzuſchwärzen ſucht, und ſich nun eben -182 falls den Guitarrenkaſten auserſieht, um ihren Lieb - ling darin zu verſtecken. Bei der Eile, mit der ſie die Sache ins Werk ſetzt, bemerkt ſie aber nicht, daß der Platz ſchon beſetzt iſt. Doch kaum hat ſie den Kaſten aus der Hand gelegt, als der Hund zu knur - ren und zu bellen anfängt, der Junge zu heulen, und ſie um Hülfe zu ſchreien, welches Trio die Gal - lerie vor ausgelaſſener Freude faſt wahnſinnig machte.

Das Ganze iſt, wie Du ſiehſt, nicht eben äſthe - tiſch, und mehr für engliſche Magen eingerichtet, ja es thut Einem faſt weh, ſo große Fertigkeit einzig auf ſo alberne Poſſen verwendet zu ſehen, doch im - mer bleibt das dargelegte Talent ausgezeichnet, und ſelbſt die phyſiſchen Kräfte bewunderungswürdig, die ein ſo angeſtrengtes Spiel und fortwährendes Spre - chen, mit den fatiguanten Umkleidungen, ohne An - ſtoß mehrere Stunden hintereinander aushalten können.

Um Dir aber nicht eine gleich angeſtrengte Geduld zuzumuthen, will ich jetzt ſchließen, und wünſche herzlich, daß der magere Guckkaſten dieſer Stadt, wie ich ihn Dir entrolle, Dich nicht allzuſehr lang - weilen möge. Tägliche Lebensbilder haſt Du verlangt, kein ſtatiſtiſches Handbuch, keine Topographie, keine regelmäßige Aufzählung aller ſogenannten Sehens - würdigkeiten Londons, und keine ſyſtematiſche Ab - handlung über England erwarteſt Du von mir,183 noch bin ich im Stande, ſie zu liefern; alſo nimm für - der mit der anſpruchsloſen Hausmannskoſt freund - lich fürlieb, die doch wohl zuweilen wenigſtens ein Körnchen Pfeffer würzt.

Dein treuer L.

[184]

Siebenter Brief.

Liebſte Freundin!

Es iſt nicht unintereſſant, den hieſigen Auctionen beizuwohnen, zuförderſt wegen der Menge höchſt ſelt - ner und koſtbarer Dinge, die bei einem ſo regen Le - ben und ewigem Sinken und Fallen der Fortünen hier täglich vorkommen, und oft ſehr billig erſtanden werden, dann aber auch wegen der, ſchon in einem andern Briefe erwähnten Genialität der Auktionato - ren, die ihre Reden mit mehr Witz gratis verbrämen, als ſie bei uns für ſchweres Geld zu geben Luſt ha - ben würden.

Dieſen Morgen ſah ich auf dieſe Art das indiſche Kabinet eines banquerott gewordenen Nabobs ver - kaufen, welches bewunderungswürdige Kunſtwerke enthielt. Der Beſitzer dieſer Schätze, ſagte der Redner, hat ſich viel Mühe um nichts gegeben,185 nichts mehr für ihn, heißt das, aber noch viel für Sie, meine Herren. Er hatte ohne Zweifel einſt mehr Geld als Verſtand, jetzt eben ſo gewiß mehr Ver - ſtand als Geld. Modesty and merit, bemerkte er ſpäter, gehen nur in ſo fern mit einander, als ſie beide mit einem m anfangen, und in ſolchem Tone und Wortſpielen fuhr er lange fort. Was macht die Armen leben, ſchloß er zuletzt, giebt ihnen Ge - ſundheit, Nahrung und Comfort? Großmuth thut es wenig, Eitelkeit faſt allein nämlich nicht die der Armen, arme Teufel! ſondern die der Reichen. Deployiren Sie alſo dieſe lobenswerthe Eitelkeit, meine Herren, und kaufen Sie, was ihr fröhnen mag, Sie verdienen ſo, auch gegen Ihren Willen, Gottes Lohn daran.

Ja wohl, dachte ich, daran haſt Du ganz Recht, alter Spaßmacher; denn ſo ſchön hat unſer guter Gott die Welt wirklich eingerichtet, daß immer wie - der Gutes aus dem Uebeln entſtehen muß, und das Böſe am Ende nur da iſt, damit das Gute es be - ſiegen, und ſich ſelbſt daran erkennen könne.

Man muß überall ſeine moraliſchen Anwendungen machen.

Ich bei einer vornehmen Lady, die mich den ganzen Tiſch über nur von Napoleon unterhielt, und mit engliſchem Extrem ſo von ihm eingenommen war, daß ſie ſogar die Hinrichtung des Duc d’Enghien186 und die Treuloſigkeiten in Spanien ſehr lobenswerth fand.

Obgleich ich nun nicht ſo weit gehe, ſo bin ich doch auch, wie Du weißt, ein Verehrer der coloſſalen Größe dieſes Mannes, und erfreute meine Nachbarin ſehr, als ich ihr die einſtige Herrlichkeit Napoleons in Frankreich als Augenzeuge beſchrieb, jene Tage des Glanzes, wo Cäſar ſelbſt vor ſeiner Größe ſtaunte,

Quand les ambassadeurs de tant de rois divers
Vinzent le réconnaitre au nom de l’univers.

Ich möchte übrigens keinen ſeiner ſpätern Unfälle, für ſeinen eignen Ruhm, ſo wie keine ſeiner Sünden, für das tragiſche Intereſſe, welches er dadurch einflößt, entbehren. Er hat die coups d’epée und auch die coups d’épingles mit gleicher Würde zu ertragen gewußt, und ſich, wie ſein Leben erhaben war, auch eine erhabne Grabſchrift durch die Worte geſetzt:

Je lêgue l’opprobre de ma mort à l’Angleterre.

So viel iſt gewiß, er ſteht immer noch zu nah für unpartheiiſche Beurtheilung, und im Ganzen lehrt die Erfahrung, daß man weniger ſeinen deſpotiſchen Grundſätzen, als ſeiner perſönlichen Macht Krieg auf Tod und Leben erklärt hatte. Dagegen fehlt dieſen ähnlichen Grundſätzen jetzt Gottlob die Ener -187 gie gänzlich, mit der er ſie auszuführen wußte, und das iſt ein Gewinn für die Menſchheit*)Von den neueren Memoiren des Herrn von Bourienne hat man leider auch weniger wahren Aufſchluß uͤber Napoleons eigenſtes Weſen erhalten, als man erwartete. Bourienne ſchildert Napoleon als Bourienne und wenn der Zwerg auch hundert Jahre um des Rieſen Fuͤße herumlaͤuft, ſo iſt doch ſeine Taille zu kurz, um ihm je in die Augen ſehen zu koͤnnen. In einer Sache hat er jedoch recht, die auch ganz à sa portée war, naͤmlich, daß der Hauptfeind, von dem Napoleon zu Boden geworfen ward, der ſo unpolitiſch auf’s Aeuſſerſte gebrachte Handelsſtand war, heut zu Tage eine groͤßere Macht als Kirche und Herr, welche nur nach der Macht der oͤffentlichen Meinung weicht, wenn ſich dieſe je gegen ſein Intereſſe erklaͤren ſollte. A. d. H. .

Es iſt jetzt ein franzöſiſches Theater hier, das nur von der beſten Geſellſchaft beſucht wird, und das demohngeachtet nur einer dunkeln kleinen Privat - bühne gleicht. Perlet und Laporte ſind ſeine Stützen und ſpielen vortrefflich. Der letztere giebt aber auch, mit franzöſiſcher Aſſürance, Rollen auf dem engliſchen Theater, und glaubt, wenn das Publikum über ſei - nen Accent und franzöſiſche Manieren lacht, es ſey bloße Anerkennung ſeiner vis comica.

Ich war in Geſellſchaft der Miſtriß W ...., Frau des bekannten Miniſters und Parlamentredners, ins Theater gegangen, und folgte ihr nachher auf den erſten ächten Rout, den ich diesmal beſuchte, und zwar in ein Haus, das mir ganz unbekannt war,188 denn es iſt Sitte hier, Freunde in ſolche Art Ge - ſellſchaften mitzunehmen, und ſie erſt dort der Dame vom Hauſe zu präſentiren, der man nie ge - nug bringen kann, um ihr kleines Lokal bis zum Erſticken zu füllen. Je mehr, je beſſer, und ſoll ihre Eitelkeit ganz befriedigt werden, ſo muß auch vor dem Hauſe eine Bagarre unter den Wagen ent - ſtehen, einige zertrümmert werden, und einige Men - ſchen und Pferde dabei verunglücken, damit den an - dern Tag ein recht langer Artikel in der morning post über die höchſt faſhionable soirée by Lady Vain oder Foolish paradiren könne.

Ich machte indeß dieſen Abend eine intereſſantere Bekanntſchaft auf der Treppe (weiter kam ich nicht) als ich erwartete, an Lady Charlotte B , die als Schriftſtellerin einigen Ruf erlangt hat. Sie iſt die Schweſter eines Herzogs, war einſt eine berühmte Schönheit, und hat jetzt den Hofmeiſter ihrer Kin - der geheirathet. Den andern Tag beſuchte ich ſie, und fand in ihrem Hauſe alles braun, durch alle Nüancen ſchattirt, Meubel, Vorhänge, Teppiche, ihre und der Kinder Kleidung, nichts bot eine andere Farbe. Die Stube war ohne Spiegel und Bilder, nur mit Gypsabgüſſen von antiken Büſten und Bas - reliefs geſchmückt. Dies iſt eine neue Art von Brownomanie, an der alten hängt Lady B. dage - gen, als Schriftſtellerin betrachtet, deſto weniger, und wenn ich ſie mit Lady Morgan z. B. zuſammen - ſtellen ſollte (die eine ächte geiſtige Brownianerin iſt)189 ſo würde ich dieſe mit einem Glaſe alten Madeira, der mehr als einmal die Linie paſſirt hat, Lady B. dagegen mit einem Quell cryſtallreinen Waſſers, der in einer lieblichen Landſchaft entſpringt, oder jene mit einer gefüllten Glühnelke, dieſe mit dem zarten Veilchen vergleichen.

In das braune Zimmer trat bald nachher der be - rühmte Buchhändler C ....... ein, der durch Walter Scotts Werke reich geworden iſt, obgleich er ihn mit ſeinem erſten und beſten Roman, Waverley, abwies, und endlich nicht mehr als 40 £. St. dafür gab. Ich zweifle nicht, daß Lady B .... Urſache hatte, mit ihm zufriedner zu ſeyn, und ließ ſie daher discret mit dem Geſchäftsmanne allein.

Die portugieſiſchen Affairen bewegen jetzt alle Cir - kel vielfach, und Marquis P. las uns heute ſogar in einer Loge des franzöſiſchen Theaters die eben ge - druckte engliſche Erklärung vor. Die Politik iſt hier ein Hauptingredienz der Geſellſchaft, wie ſie es in Paris zu ſeyn anfängt, und in unſerm ſchläfrigen Deutſchland auch einmal werden wird, weil die ganze Welt einer ſolchen Tendenz entgegen geht. Die fri - voleren Vergnügungen leiden aber dabei, und die190 Kunſt der Converſation, wie ſie einſt in Frankreich herrſchte, möchte vielleicht bald ganz verloren gehen. Hier, glaube ich, hat ſie ohnehin in dieſer Beziehung wohl nie exiſtirt, es müßte denn zu Carls II. Zeiten geweſen ſeyn; auch iſt man allen ſtatt findenden Ge - bräuchen hier zu ſclaviſch unterworfen, zu ſyſtema - tiſch in allen Genüſſen, zu unglaublich mit Vorur - theilen durchknetet, zu wenig lebhaft, endlich, um jene ungezwungne Freiheit des Geiſtes zu erlangen, die allein die Baſis liebenswürdiger Geſellſchaftlich - keit bilden kann. Ich muß geſtehen, daß ich keine einförmigere und eingebildetere kenne, als die hieſige beſte, mit nur wenigen Ausnahmen, und dieſe größ - tentheils unter den Fremden, oder denen, die ſehr lange auf dem Continent lebten. Ein verſteinerter, marmorkalter Kaſten und Modengeiſt regiert Alles, und macht die erſten Klaſſen langweilig, die tiefern Abſtufungen lächerlich. Wahre Herzenshöflichkeit und heitere Bonhomie vermißt man ganz, und ſieht von den fremden Nationen weder die franzöſiſche Leichtig - keit, noch italieniſche Natürlichkeit angenommen, ſon - dern höchſtens deutſche Steifheit und Verlegenheit, die ſich hinter Arroganz und Hochmuth verſteckt.

Bei alle dem hat der Nimbus, den eine feſtgean - kerte Ariſtokratie und vieles Geld (nebſt allerdings auch vielem Geſchmack in ſeiner Anwendung, den man nicht beſtreiten kann) die hieſige große Welt zu der par excellence in Europa geſtempelt, der alle Nationen mehr oder weniger den Vorrang einräu -191 men. Daß Ausländern aber perſönlich nicht wohl dabei wird, beweiſet die Seltenheit der Fremden in England, und ihr noch weit ſeltnerer langer Aufent - halt daſelbſt. Jeder dankt im Grunde des Herzens Gott, wenn er aus der engliſchen Geſellſchaft wieder weg iſt, lobt aber nachher dennoch aus eigner Eitel - keit dieſe unerquickliche Nebelſonne, deren Strahlen ihm doch von allen dortigen Dingen gewiß am we - nigſten Comfort gegeben haben.

Weit liebenswürdiger, wie liebender, ſcheinen die Engländer in ihren häuslichen und intimſten Ver - hältniſſen zu ſeyn, obgleich auch hier viel Barokkes vorwaltet, wie z. B. die allgemeine Sitte in den - heren Ständen, daß die Söhne, ſobald ſie, ſo zu ſa - gen, flügge ſind, das väterliche Haus verlaſſen, und für ſich allein leben müſſen, ja ohne förmliche Einla - dung nicht einmal bei Vater und Mutter zum Eſſen erſcheinen dürfen. Als rührendes Beiſpiel ehlicher Liebe las ich neulich in den Zeitungen, daß der Mar - quis Haſtings in Malta geſtorben, und kurz vorher verordnet habe, ſogleich nach ſeinem Tode ihm die rechte Hand abzuhauen, um ſie ſeiner Frau als An - denken eingepökelt zu überſenden. Ein Herr meiner Bekanntſchaft ſchnitt ſeiner geſtorbnen Mutter aus wahrer Zärtlichkeit und mit ihrer vorher eingeholten Erlaubniß den Kopf ab, um den Schädel ſein gan - zes Leben lang küſſen zu können, wogegen andere Engländer, glaube ich, lieber in die Hölle gingen, als zuließen, daß man ihrem Leichnam mit einem192 Secirmeſſer zu nahe käme (denn die Resurrection men müſſen auch leben!) Die Geſetze ſchreiben bei allen dergleichen Beſtimmungen Verſtorbener die ſcru - pulöſeſte Genauigkeit vor, und wäre es noch ſo toll, verſtößt es nur nicht gegen dieſe Geſetze ſelbſt, ſo muß es ausgeführt werden. Es giebt ein Schloß in England, wo ſeit einem halben Jahrhundert ein Leichnam, wohl angezogen, am Fenſter ſteht, und ſich ohne Störung noch immer ſein einſtiges Eigen - thum beſieht. Wie ſehr muß dieſer Mann die Häus - lichkeit geliebt haben!

Eben als ich noch mehr engliſche Originalitäten an - führen will, tritt mein lang erſehnter Garteninſpek - tor in die Stube, und bringt mir Deine Briefe. Wie Schade, daß Du Dich nicht ſelbſt (verſteht ſich mit aller Deiner Fraicheur, und nicht wie Lord Haſtings Hand) in das große Paket mit einlegen konnteſt, oder in einem zierlichen Käſtchen wohnen, wie - the’s lieblicher Erdgeiſt, damit ich Dich rufen möchte, wenn ich Dich brauchte, und jeden Genuß auf fri - ſcher That mit Dir theilen könnte, ohne eines ſo langen Zwiſchenweges zu gebrauchen, wo Du erſt durch meine Briefe trübe geſtimmt wirſt, wenn ich es vor 14 Tagen war, oder auf Freudiges Deine luſtige Antwort ankömmt, wenn ich ſchon wieder am ſtärkſten Spleen-Anfall laborire. Wie Du ſehr rich - tig ſagſt, iſt wirklich ein ſolcher alter Brief oft einem todten Leichnam zu vergleichen, der, längſt vergeſ - ſen, wieder aus dem Meere gefiſcht wird.

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Worüber ich lachen, und mich zugleich ärgern mußte, iſt, daß Du mir, wie es Deine Art iſt, wieder faſt nichts von meinem lieben M ..... ſchen Details ſchreibſt, dagegen aber lange Excerpte aus einer afrikaniſchen Reiſebeſchreibung ſchickſt, die ich längſt hier im Original geleſen. Ich vergelte Dir gewiß nächſtens Gleiches mit Gleichem. Ohnedem ſtudiere ich eben jetzt ein ſehr intereſſantes Werk: das preußiſche Exercier-Reglement von 1805, woraus ich Dir, ſobald es mir an anderem Stoff fehlen ſollte, die geiſtreichſten Auszüge mittheilen kann. O, Du gutes Lamm, mit dieſen afrikaniſchen Neuigkeiten ſollſt Du noch oft geſchoren werden, um ſo mehr, da die letzte Schur ſchon gar lange vorbei iſt, und Du faſt ſo tief in der Wolle ſitzen mußt, als die Jo - hanniterritter in B ...., wenn ſie, ihr doppeltes Kreuz zur Schau tragend, auf ihren Wollſäcken den Meiſt - bietenden erwarten. Der Sitz des hieſigen Lord - Kanzlers iſt zwar auch ein Wollſack, aber etwas vor - nehmerer Natur, mehr dem goldnen Vließe ver - wandt, wie jener dem Kartoffelſack, auf dem man ein Gericht Armeritter verzehrt.

Ich mache jetzt faſt täglich Parkercurſionen mit R ...., um ſeine Anweſenheit in England ſo nütz - lich als möglich zu machen, denn einen guten Gärt - ner bringt ein kurzer Aufenthalt hier weiter in ſei - nem Fach, als zehnjähriges Studium zu Hauſe. Es giebt aber ſchon in der Nähe von London eine große Anzahl höchſt intereſſanter Beſitzungen, zu denenBriefe eines Verſtorbenen III. 13194allen die anmuthigſten und belebteſten Wege führen. Dahin gehört ganz beſonders eine Villa des Lord Mansfield, deren Ausſchmückung dem Geſchmack ſei - ner Gemahlin alle Ehre macht. Sionhouſe, dem Herzog von Northumberland zugehörig, und noch von Brown angelegt, iſt ebenfalls höchſt ſehenswerth wegen ſeiner ausgezeichneten Glashäuſer, und der Menge von rieſengroßen ausländiſchen Bäumen im Freien, die alle unſer Clima nicht vertragen würden. Man ſieht hier auch ganze Waldparthieen von Rho - dodendron, Camelien, Daturen, die nur theilweiſe im Winter bedeckt werden, und alle Arten von ſchö - nem Immergrün wuchern üppig in jeder Jahreszeit. Die Gewächs - und Treibhäuſer, welche eine Fronte von 300 Fuß bilden, beſtehen blos aus Stein, Eiſen und Glas, eine Bauart, die noch obendrein hier wohlfeiler als die mit Holz iſt.

Intereſſant war mir eine Art Kette, deren Glie - der aus Senſen beſtanden, um das breite ſtehende Waſſer (ein Mangel der meiſten engliſchen Parks) Anfang Juli damit völlig von Waſſerpflanzen zu rei - nigen, indem man ſie nur, wie eine Fiſchwate, am Grunde hindurchzieht. An dem ſehr großen pleasure ground mähen täglich zwölf Mann von 5 bis 9 Uhr. Dadurch wird es möglich gemacht, daß man zu kei - ner Epoche langes Gras ſieht, und doch auch die un - angenehme Generalmäherey vermeidet, die ein paar Tage lang den Garten unreinlich macht. Man kann freilich auf dieſe Weiſe nur täglich einen Theil vor -195 nehmen, man richtet es aber ſo ein, immer gewiſſe begränzte Stücke auf einmal zu vollenden, und kömmt dann zeitig genug herum, daß der Unterſchied nicht auffallend werden kann. Für die Oekonomie geht dieſes Staubgras zwar ganz verloren, aber immer läßt ſich Schönheit und Nutzen nicht vereinigen, und in einem Vergnügungsgarten muß natürlich der letzte nachſtehen, oder man muß gar keinen haben wollen.

Das gegenüberliegende Kew enthält wohl die voll - ſtändigſte Sammlung exotiſcher Gewächſe in Europa. Auch der Park iſt durch ſeine ſchöne Lage an der Themſe ſehr begünſtigt, aber im Uebrigen etwas ver - nachläſſigt. Man findet hier Taxusbäume von der Größe unſrer Tannen, und ſehr ſchöne Exemplare von Holly und immergrünen Eichen, ſonſt ſind die Anlagen der alten Königin nicht ſehr geſchmackvoll.

Wimbletonpark bietet, über mehrere Hügel ausge - breitet, und voll ſchöner Baumgruppen, großartige Anſichten dar, leidet aber an einiger Monotonie.

Ganz nahe, und faſt in den Vorſtädten Londons, liegt ..... Houſe, deſſen Architektur nicht ohne In - tereſſe iſt. Hier hatte ich vor mehreren Jahren eine unangenehme Avantüre, die England zu ſehr cha - rakteriſirt, um ſie Dir nicht zu erzählen, obgleich ſie an ſich nichts Pikantes enthält.

Die Aengſtlichkeit, ja ich möchte faſt ſagen, der Neid, mit dem oft die engliſchen Reichen ihr Ei -13*196genthum, ſelbſt vor den entweihenden Blicken des Fremden verſchließen, iſt zuweilen wahrhaft beluſti - gend, kann aber auch betrübend werden. Beides er - lebte ich damals vor 14 Jahren, und wurde heute von Neuem lebhaft daran erinnert, als ich das alte Gebäude wiederſah. Ich ritt nämlich eines Tags in der Umgegend von London ſpazieren, und angezogen durch den Anblick dieſer Beſitzung, frug ich den an der Park-Loge ſtehenden Portier, ob er mir erlauben könne, die Gärten zu beſehen? Er machte viel Um - ſtände, ſich aber endlich beſinnend, daß ſein Lord unwohl ſey und die Stube hüte, mir folglich nicht begegnen könne, mochte er dem ihm angebotenen Trinkgelde nicht länger widerſtehen, und öffnete mir die verbotne Pforte, mein Pferd einſtweilen zurück - behaltend. Ich mochte eine Viertelſtunde umherge - ſchlendert ſeyn, und beſah eben den nett gehaltenen pleasure ground, als eine etwas dicke Figur im Hemde an einem Fenſter des gegenüber liegenden Wohnhauſes ſichtbar ward, die ängſtlich umherzulau - fen ſchien, endlich aber mit Vehemenz das Fenſter aufriß, und, während ich eine große Klingel heftig lärmen hörte, mir mit halb unterdrückter Wuth zu - rief: Qui êtes vous, Monsieur? que cherchez vous ici? Ich hielt es für zu lächerlich, die Antwort auf dieſelbe Weiſe in ſo großer Diſtanz zurückzuſchreien, fand es aber auch bald unnöthig, da durch das Stür - men der Klingel allarmirt, bereits von allen Seiten Diener herbeiſprangen, von denen einer nun ex of - ficio die Frage an mich wiederholte. Ich ließ durch197 ihn dem Beſitzer kürzlich wiſſen, daß ich ein Fremder ſey, den Liebhaberei für Gartenanlagen hereingelockt, daß ich übrigens nicht, wie er zu glauben ſcheine, über die Mauer, ſondern nur durch das gewöhnliche Thor gekommen ſey, wo mein Pferd noch ſtehe, daß ich übrigens von Herzen bedaure, ihm in ſeinem kran - ken Zuſtande eine ſolche Alteration zu verurſachen, und nur wünſche, daß dieſelbe keine bedeutenderen Folgen für ihn haben möge, womit ich mich beſtens empföhle, und den verpönten Garten ſogleich verlaſ - ſen würde. Bald darauf erreichte ich mein Pferd, und ritt lachend davon, denn dies war die luſtige Seite der Sache. Nach ohngefähr 14 Tagen führte mich zufällig mein Weg bei derſelben Beſitzung vorbei. Ich näherte mich wieder der Loge und zog die Klingel. Ein fremder Mann erſchien, und aus Muthwillen erkundigte ich mich nach der Geſundheit des Lords, und ob es vergönnt ſey, den Garten zu ſehen? Gott bewahre mich in Gnaden, war die Antwort, um keinen Preis! und nun erfuhr ich von dem neuen Diener mit wahrem Schmerz, daß der arme Teufel, ſein Vorgänger, eben verabſchiedet worden ſey mit Weib und Kind, obgleich er lange Jahre im Dienſte geweſen, blos weil er einen Fremden ohne Erlaub - niß hier eingelaſſen. Dennoch iſt dieſer ſtrenge Herr einer der wahren Patent-Liberalen Englands. Was würde erſt ein Illiberaler gethan haben!

Von dem bezaubernden Thale Richmonds ſage ich Dir nichts. Jeder Reiſebeſchreiber geräth ja darüber198 in Extaſe, und mit Recht, erweckt ſie aber nicht im - mer wieder im Leſer durch ſeine Schilderung. Ich enthalte mich alſo derſelben, und bemerke bloß, daß der vortreffliche ariſtokratiſche Gaſthof (zum Stern und Hoſenband) aus dem man dieſes Paradies über - ſieht, während man den Leib auf’s beſte pflegt, das Seinige zu dem Genuſſe beiträgt. Einſamkeit und Stille, verbunden mit jeder Bequemlichkeit, in einer unbeſchreiblich ſchönen Gegend, laden hier mächtig zum Lebensgenuſſe ein, und gar mancher Londner junge Mann ſoll hier im Geheim ſeine Privathonig - monate ohne Prieſterſegen feiern wir Unſchuldige feierten nur die herrliche Natur, und einſtimmig rie - fen Deine treuen Gärtner aus: Wäre doch nur .... Das Uebrige commentirſt Du ſchon.

Abends führte ich R. in das Adelphi-Theater, klein und niedlich, das ſich durch vorzüglich gute Maſchi - nerie auszeichnet und auch gerade jetzt mehrere vor - treffliche Schauſpieler beſitzt. Der eine ſpielte in ei - nem nicht unebnen Stücke den Betrunkenen natürli - cher, als ich es noch je geſehen. Es iſt wahr, daß er hier auch mehr Gelegenheit zum Studium dieſes Seelenzuſtandes hat, aus demſelben Grunde, warum die Alten das Nackte beſſer darſtellten als unſre Künſtler, nämlich weil ſie es öfter ſahen. Ein gut aus dem Leben gegriffener Zug war es, daß der Trunkenbold, welcher eine zärtliche Leidenſchaft für ein junges und armes Mädchen in der Penſion hegte, im nüchternen Zuſtande immer anderen Projekten199 Raum gab, im Rauſche aber jedesmal mit Zärtlich - keitsthränen âses anciennes amours zurückkehrte, und in gleicher Stimmung auch glücklich zur Heirath bewogen ward.

Dank für die Nachrichten aus B ...., beſonders freut mit Alexander von Humboldts Anſtellung. Es muß für jeden Patrioten eine Freude ſeyn, einen Mann wie ihn endlich im Vaterlande fixirt zu ſe - hen, das mit ſo viel Recht auf ſeinen Ruhm in al - len Welttheilen ſtolz iſt. Nebenbei muß es auch zu einem glücklichen Ereigniß für manche dortige Cirkel gereichen, denen nun endlich das Salz beigemiſcht werden wird, deſſen Mangel ſie ſo lange ganz unge - nießbar machte.

Wie ſehr ich über des guten und edlen Königs Un - glück getrauert, das ich ſchon früher durch L er - fuhr, kannſt Du Dir denken, da Du meine Geſin - nungen in dieſer Hinſicht kennſt, doch hoffe ich zu Gott, daß ſeine kräftige Conſtitution und die Hülfe ſo geſchickter Männer jedes bleibende Uebel abwenden werden. Es iſt wohl ſchön, daß bei dieſer Gelegen - heit ein ganzes Volk von Herzen ausruft: Der Him - mel erhalte uns unſern theuern Monarchen!

Meine eigne Laune iſt übrigens wahrſcheinlich wegen der ewigen Nebel, die oft ſo arg ſind, daß200 man zur Mittagszeit alle Laternen in den Straßen anzünden muß, und dennoch nichts ſieht etwas von demſelben trüben Charakter. Le pire est, que je suis tantôt trop, et tantôt trop peu sensible â l’opinion et aux procédés des autres. In der erſten Stimmung (und Stimmungen beherrſchen mich lei - der mit deſpotiſcher Gewalt, machen mich nicht nur traurig und fröhlich, ſondern leider auch klug und dumm) komme ich mir dann manchmal vor wie Je - mand, der an einer Strickleiter hinaufkletterte, wo ihm die Hände verklommen, und nun, nachdem er lange im vergeblichen Beſtreben weiter zu dringen in der Höhe geſchwebt, im Begriff iſt, endlich loslaſſen zu müſſen, wo er leicht bis auf die unterſte Stufe wieder herabſinken mag. Dennoch würde ihm viel - leicht, auf dem ebnen Boden der Gewöhnlichkeit und Unbedeutendheit wieder angelangt, dort ruhiger als in den ſtürmiſchen Lüften zu Muthe ſeyn, und bei weniger Hoffnungen ihn vielleicht eine glückli - chere, wenn auch einfachere Wirklichkeit umfan - gen! Doch hinweg mit ſolchen Grübeleyen. Sie taugen zu nichts, und ſelbſt Befürchtungen eines dro - henden wahren Unglücks, ſollte man immer mit Gewalt verbannen, denn warum ſich mit Sorgen quälen über das, was kommen kann, und doch viel - leicht nie kömmt, dann aber nur als ein Traum-Phan - tom uns ſo viel frohe Gegenwart verkümmert hat.

In allen ſolchen Gemüthszuſtänden iſt am Ende Dein Bild mein beſter Troſt, und an Dich, meine201 einzige und ewige Freundin, wende ich mich dann immer zuletzt mit naſſem Auge und innigem Dank für all Deine vielfache Liebe, Güte und Nachſicht, und lege in Deinen treuen Buſen meinen Kummer, wie meine Freude, und alle meine Hoffnungen nie - der, deren glänzendſte Erfüllung ja doch ohne Dich jeden Werth für mich verlieren würde.

Ich muß Dich aber jetzt verlaſſen, um meiner Pflicht gemäß (denn es widerſtünde mir ſonſt) in eine große Geſellſchaft zu gehen, wo ich mich, wie im Leben, mit Andern in der Menge zu verlieren beſtimmt bin. Es iſt vor der Hand mein letzter Ausgang in die Welt, da ich mich präparire, mit R .... eine Park - und Gartenreiſe anzutreten, die uns wohl einen Mo - nat hinnehmen wird. Die jetzige Zeit iſt aber gerade die beſte für den, welcher dieſen Gegenſtand ſtudiren will, da die laubloſen Bäume überall die Durchſicht geſtatten, und man ſo bei einer Umgehung der künſtlichen Landſchaft Alles ſchon überſehen, die ge - wonnenen Effekte verſtehen, und das Ganze, wie einen Plan auf dem Papiere, beurtheilen, ſo wie die Beſtandtheile jeder Pflanzung in ihrer abſichtlichen Ordnung erkennen kann.

Geſtern beſuchten wir en attendant die Parks in der Stadt, Kenſington u. ſ. w., namentlich den Re - gentspark im Detail, bei welcher Gelegenheit wir auch dem dort aufgeſtellten Diorama nicht vorbeigin -202 gen. Dies übertraf meine Erwartung, und ähnliches früher Geſehene ſehr weit, denn gewiß iſt es nicht möglich, die Sinne noch effektvoller zu betrügen; ja ſelbſt mit der Gewißheit der Täuſchung, hat man Mühe, ſie ſich einzureden. Das Gemälde ſtellte das Innere einer großen Abteikirche, vollſtändig in ihren wahren Dimenſionen erſcheinend dar. Eine Seiten - thür ſteht offen. Epheu rankt durch die Fenſter, und zuweilen ſcheint die Sonne durch die Thür, und er - hellt mit einem freundlichen Blick die Ueberreſte bun - ter Scheiben, die unter Spinnengeweben hervorblinken. Durch das letzte gegenüber liegende Fenſter ſieht man den verwilderten Kloſtergarten, und darüber einzelne Wolken am Himmel, die, ſtürmiſch vorüberziehend, abwechſelnd das Sonnenlicht verdunkeln, und tiefe Schatten in die todtenſtille Kirche werfen, wo das zerbröckelte, aber prachtvolle Monument eines alten Ritters, an dem die Steine des Bodens aufgebrochen ſind, als habe man dort nach Schätzen gegraben, in düſtrer Majeſtät ſich noch erhalten hat.

Da auf morgen unſre Abreiſe beſtimmt iſt, ſo ſende ich dieſen Brief ab, obgleich er noch nicht zu der gewöhnlichen Corpulenz angewachſen iſt. Wie ſchmächtig ſind dagegen die Deinen! Gewiß, wenn einſt unſre Nachkommen die verwitterte Cor - reſpondenz ihrer Ahnen in einem Winkel der alten Bibliothek auffinden ſollten, ſo werden ſie über meine Verſchwendung und Deinen Geiz gleich ſehr in Er -203 ſtaunen gerathen. A propos, zerſtreue Dich nicht zu ſehr in B .., und vergiß nicht etwa darüber gar, wenn auch nur auf die kürzeſte Zeit

den treueſten Deiner Freunde.

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Achter Brief.

Liebe Getreue!

Heute früh ging es endlich fort, leider bei ſchlechtem, regnigtem Wetter. Zehn Meilen von London began - nen wir ſchon, in dem freundlichen Flecken Stran - more, unſer Geſchäft mit Beſichtigung zweier Villen und eines größern Parks. Die erſte Villa war durch - gängig im gothiſch-ländlichen Styl, mit ſpitzen verzierten Ziegeldächern, aufgebaut, ein genre, worin die engliſchen Architekten ſehr glücklich, und ich möchte ſagen, gemüthlich ſind. Auch das Innere war aller - liebſt in demſelben Styl durchgeführt, und doch höchſt wohnlich und einladend. Selbſt die Thüren in den Mauern, welche den Küchengarten umſchließen, hat - ten oben bunte alte Fenſter, die im blühenden Ge - büſch ſich überraſchend abzeichneten. Der kleine Blu -205 mengarten war gleichfalls mit gothiſchen Beetfor - men, von Kieswegen umgeben, ausſtaffirt, und die Spielerey erſchien gar nicht übel.

Sehr verſchieden präſentirte ſich die zweite Villa, im italieniſchen Geſchmack, mit großen Vaſen davor, in welche man, ſtatt Blumen, kleine Kürbiſſe und gelbe und grüne ausgehöhlte Pomeranzen aufgethürmt hatte. Etwas zuviel hölzerne, und weiß angeſtrichne Statüen zierten, oder verunzierten vielmehr, die Gär - ten, unter denen ein jähling hervorſtürzender Löwe vergeblich Schrecken einzuflößen ſuchte, eben ſo wenig wie ein Amor, der in den Zweigen hängend, ſeine Pfeile auf die Vorübergehenden abzuſchießen drohte.

Die Priory, ein ehemaliges Kloſter, jetzt Schloß und Park des Grafen Aberdeen, bietet manches Se - henswerthe dar. Die Menge herrlicher Fichten und Nadelholz im Park erinnert dabei, mehr als hier ge - wöhnlich, an das Ausland. Das einfach ſchöne Schloß iſt auf allen Seiten durch hohe und niedrige Bäume faſt gedeckt, ſo daß man es nur theilweiſe durchſchim - mernd erblickt, oder nur über die Bäume hervorragen ſieht. Dies iſt den Gebäuden, beſonders alterthüm - lichen, immer ſehr vortheilhaft, und überhaupt findet man hier ſelten jene langen und ſchmalen, durch nichts unterbrochnen Ausſichten über ebnen Raſen, der Tri - umph unſrer Gartenanleger, der aber nur dazu dient, das Weite näher erſcheinen zu machen, als es wirk - lich iſt. Wir gingen ziemlich lange in den Anlagen umher, während einige junge Damen und Söhne des206 Hauſes, hübſche Knaben, uns auf kleinen ſchottiſchen Ponys umſchwärmten, bis ſich einer der letzten als Führer zu uns geſellte, und auch das Innere des Schloſſes zeigte, deſſen dunkle Mauern von auſſen höchſt üppig bis ans Dach mit Epheu, ſpalierartig gezogenen Granatbäumen, und Monatsroſen bedeckt waren.

Erſt mit einbrechender Dunkelheit verließen wir den Park, und erreichten in einer halben Stunde das Städtchen Watford, in deſſen gutem Gaſthof ich jetzt ruhe. R. benutzt die Gelegenheit, ſich Dir unterthä - nig zu empfehlen, und ſchreibt mit einer Emſigkeit an ſeinem Tagebuche, die mich lachen macht.

Nachträglich muß ich doch noch bemerken, daß wir in der Priory (ich ſtehle es aus dem erwähnten Ta - gebuche) einen einzelnen Rhododendron-Strauch im Freien ſtehen ſahen, der 15 Fuß hoch war, und mit ſeinen dichten Zweigen über 25 Fuß im Umfang maß. Solche Vegetation iſt einladender für Parkomanie, als es uns geboten wird!

Wir haben die Berechnung gemacht, liebe Julie, daß wenn Du mit uns wäreſt, ein Wunſch, der Deinen treuen Dienern ſtets gegenwärtig iſt, Du täglich, ver - möge Deiner Abneigung gegen Fußbewegungen, höch - ſtens ¼ Park ſehen könnteſt, und wenigſtens 170207 Jahre brauchen müßteſt, um alle Parks in England zu beſichtigen, deren es ohne Zweifel Hunderttauſende giebt, denn es wimmelt davon, wo man nur hin - kömmt. Natürlich ziehen wir nur die größten, oder was uns grade von den kleinen Villen en passant aufſtößt und auffällt, in Betracht. Dennoch ſehen wir heute ſchon ſo viel Herrliches und ſtolze Schlöſſer, daß wir noch ganz entzückt davon ſind, denn auch ich habe es nie mit der Vorſchrift des nil admirari halten - gen, die jeden herzlichen Genuß benimmt.

Ehe ich mit der Beſchreibung anfange, muß ich aber den guten Gaſthöfen gleichfalls ihr Recht wiederfah - ren laſſen, die man hier, auch auf dem Lande und in den kleinſten Oertchen, überall gleich ſorgfältig ge - halten, antrifft. Reinlichkeit, große Bequemlichkeit und ſogar Eleganz ſind immer darin vereinigt, und man muthet nie dem Fremden zu, in demſelben Zim - mer zu wohnen, zu eſſen und zu ſchlafen, wie in den deutſchen Gaſthäuſern, wo es eigentlich nur Tanzſäle und Schlafſtuben giebt.

In der Regel iſt das Tiſchgeräth Silber und Por - cellain, die Meubles zweckmäßig, die Betten ſtets vortrefflich, und niemals fehlt das freundlich flackernde Kamin.

Die detaillirte Beſchreibung des Frühſtücks am heu - tigen Morgen gebe Dir die beſte Idee von dem com - fortablen Leben und den Bedürfniſſen hieſiger Rei - ſenden.

208

NB. ich hatte nichts beſtellt als Thee, und Fol - gendes fand ich, als ich aus dem Schlafzimmer hin - unter kam, in dieſem kleinen Städtchen bereitet, das kaum den Umfang eines Dorfes hat. Auf der Mitte des Tiſches dampfte eine große Theemaſchine, zierlich umſtellt mit ſilberner Theekanne, Spülnapf und Milch - topf. Drei kleine Wedgewood-Teller mit eben ſo viel Meſſern und Gabeln nebſt zwei großen Taſſen von ſchönem Porcellain erwarteten ihre Füllung. Daneben ſtand einladend ein Teller mit gekochten Eyern, einer dito mit geröſteten oreilles de cochon à la sainte - Menéhould, eine durch heißes Waſſer erwärmte Schüſ - ſel mit Muffins, eine andere mit kaltem Schinken, flockiges Weißbrod, dry - und butterdtoast, die beſte friſche Butter in elegantem Cryſtallgefäß, bequeme Streubüchſen zu Salz und Pfeffer, engliſcher Senf und moutarde de maille, endlich eine ſilberne Thee - ſchachtel mit ſehr gutem, grünen und ſchwarzen Thee.

Dieſes ganz luxurieuſe Mahl, von dem Du hoffent - lich finden wirſt, daß ich es ſo pittoresk wie eine Land - ſchaft beſchrieben habe, iſt noch obendrein verhältniß - mäßig ſehr billig, denn es ſtand auf meiner Rechnung nur mit 2 Schilling (16 Gr.) angeſetzt. Im Ganzen iſt aber das Reiſen dennoch ſehr koſtſpielig, beſonders die Poſtpferde grade viermal theurer als bei uns, und Trinkgelder den ganzen Tag über nach allen Seiten auszutheilen.

Um 10 Uhr erreichten wir Cashbury Park, den Sitz des Grafen Eſſer. Ich ließ mich bei ihm melden,209 und er ſchickte mir ſeinen Schwiegerſohn M. F ...., den ich ſchon in Dresden geſehen hatte, und hier des - ſen Bekanntſchaft mit Vergnügen erneuerte, um mich herumzuführen. Das Schloß iſt modern gothiſch, und prachtvoll meublirt. Man tritt zuerſt in eine Halle mit bunten Fenſtern, die auf einen innern Hof die Ausſicht öffnen, der als Blumengarten benutzt iſt; aus der Halle gelangt man ſeitwärts durch eine lange mit Waffen behangene Gallerie an die reich aus Holz geſchnitzte Treppe, welche in den obern Stock führt, und von da in die Bibliothek, die hier faſt immer auch als Hauptſalon für die Geſellſchaft dient. Alles dies iſt ebner Erde. Die Bibliothek hat zwei kleine Cabinets nach dem Garten zu, beide mit ſeltenen Sachen angefüllt. Unter dieſen gefielen mir beſonders zwei humoriſtiſche Handzeichnungen von Denon, dar - ſtellend das Lever des Cardinal Bernis in Rom, und ein Diné bei Voltaire, mit dem Abbé Maury, Dide - rot, Helvétius d’Alembert und einigen andern Philo - ſophen. Sämmtliche Perſonen ſind Portraits.

Intereſſant war auch ein vollſtändiges kleines Ameu - blement der Königin Antoinette, auf dem die Bild - niſſe ihres Gemahls und Heinrich des Vierten an mehreren Orten angebracht waren. Aus der Biblio - thek ging man in ein eben ſo reiches zweites Geſell - ſchaftszimmer, und aus dieſem in den Speiſeſaal. Neben beiden zog ſich ein Gewächshaus in Form ei - ner Capelle hin, und überall boten die bis auf den Boden gehenden Fenſter die Ausſicht auf den herr - lichſten, von einem Fluß durchſtrömten Park. AufBriefe eines Verſtorbenen. III. 14210einer fernen Anhöhe ſah man in eine ſehr breite Lin - denallee hinein, an deren Ende im Sommer eine Zeit lang die Sonne täglich untergeht, welches auf dieſe Art in der graden Verlängerung des Gewächshauſes die prachtvollſte natürliche Decoration abgeben muß, um ſo mehr, da die Sonne zugleich in einer großen Spiegelthüre gegenüber wieder zurückſtrahlt. Die Wände dieſer Zimmer ſind alle mit eichner Boiſerie be - kleidet, mit koſtbaren Simſen und Schnitzwerk, die Meu - bles von Roſenholz (Rosewood), Seide und Sammt, und werthvolle Gemälde in alterthümlichen goldnen Rahmen ſchmücken die Wände. Die Verhältniſſe der Zimmer kann man faſt Saalartig nennen, alle regel - mäßig zu 14 Grad Reaumur mit Dampf geheizt.

Die etwas entfernten Ställe und alle Haushalts - Gebäude ſind links durch eine crenelirte Mauer mit dem Schloſſe verbunden, ſo daß das Ganze wohl 1000 Fuß weit ſich ohne Unterbrechung hinzieht.

Die Blumengärten nehmen einen bedeutenden Raum ein. Ein Theil davon war nach der gewöhnlichen Art eingerichtet, d. h. ein langes Gewächshaus im Fond, und davor mehrere berceaus und ſchattige Gänge um einen großen Raſenplatz, der mit Beeten aller For - men, ſeltenen Bäumen und Sträuchern vollgeſetzt iſt; dann aber kam etwas Neues: nämlich ein tiefes ab - geſondertes Thal von ovaler Form, rund umher dicht mit Immergrün, Lorbeer, Rhododendron und Stein - pflanzen, auf künſtliche Felſen undurchdringlich dick gerflanzt, hohe Fichten und Eichen dahinter, mit ih -211 ren im Winde wehenden Wipfeln, und an dem einen Ende des Platzes eine freiſtehende, prachtvolle Linde, von einer Bank umgeben. Von dieſer aus bedeckte das ganze kleine Thal, auf Kiesgrund, ein geſticktes Blumenparterre von ſehr lieblichen Formen, wiewohl völlig regelmäßig. Der Ausgang aus dieſem Bezirk führte durch eine von Epheu überwachſene Grotte, mit Feuerſteinen und Muſcheln ausgelegt, in einen viereckigen von einer Lorbeerhecke umgebenen Roſen - garten, in deſſen Mitte ein Tempel, und gegenüber ein Gewächshaus für Waſſerpflanzen ſtand. Die Roſenbeete bildeten verſchiedene ſich in einander ver - ſchlingende Figuren. Ein mit der Scheere geſchnitte - ner dichter Laubgang von Buchen wand ſich von hier, ſchlängelnd in den chineſiſchen Garten, der ebenfalls von hohen Bäumen und Mauern umgeben war, und eine Menge Vaſen, Bänke, Fontainen und ein drit - tes Gewächshaus enthielt, Alles im, auf’s treueſte nachgebildeten, chineſiſchen Style. Hier waren Beete mit Ringen von weißem, blauem und rothem Sand umzogen, barokke Zwergpflanzen, und viele Dutzend große chineſiſche Vaſen auf Poſtamente geſtellt, die rankendes Immergrün und ausländiſche Gewächſe dicht bezogen. Die Fenſter des Hauſes waren wie chineſiſche Tapeten bemalt, und Verkleinerungsſpiegel im Innern angebracht, die uns wie in der Camera obscura präſentirten. Ich ſage nichts von der reichen Treiberei und Gemüſegärten mit ihren endloſen Mauern und Reihen von Glashäuſern zur Aufbewahrung der Blumen ꝛc. ꝛc., Du kannſt Dir den Maaßſtab ſelbſt14*212anlegen, wenn ich Dir Herrn F .... s Verſicherung wiederhole, daß die Unterhaltung des ganzen Parks und Schloſſes 10,000 Pfd. Strl. jährlich koſtet. Der Graf hat für Alles, was er dazu braucht, eigne Leute und Handwerker, Maurer, Zimmerleute, Tiſchler ꝛc., deren Jedem ſein beſtimmtes Fach angewieſen iſt. Einer z. B. hat blos alle Zäune zu erhalten, ein an - derer die Zimmer, ein dritter die Meubles ꝛc., eine auf dem Lande ſehr nachahmungswerthe Einrichtung.

Ich machte dem alten Grafen, den die Gicht im Zimmer hielt, meinen Beſuch, und erhielt von dem freundlichen alten Mann die beſten Informationen und (ſehr nöthige) Einlaßkarten für meine weitere Reiſe.

Unſere Tour ging zuerſt, lange noch im Park her - umführend, zu einer Hauptparthie deſſelben, das Schweizerhaus genannt, das mitten in einem Wäld - chen ſehr reizend und heimlich am Fluſſe gelegen iſt. Wir fuhren über den Raſen dahin, weil viele Parks hier, ganz wie freie Natur behandelt, und wie ich ſchon erwähnt, der Erſparung wegen, oft nur einen Weg haben, der zum Schloſſe hin, und auf der an - dern Seite wieder herausführt. Auf die Landſtraße zurückgekommen, legten wir durch ein immer gleich ſchönes, an Fruchtbarkeit und Vegetation üppiges Land, 20 Meilen bald zurück, ſo daß wir ſchon um 3 Uhr Ashridge Park erreichten, den Sitz der Grafen von Bridgewater. Hier kannſt Du mir, liebe Julie, etwas näher kommen, wenn Du Reptons Gartenbuch213 aufſchlägſt, wo Du mehrere Anſichten und den Grund - plan der reizenden hieſigen Gärten findeſt, die der alte Repton ſelbſt angelegt. Erinnere Dich nur des Roſary, ſo wirſt Du es gleich aufzuſuchen wiſſen. Dieſer Park iſt ſchon einer der größten in England, denn er mißt über drei deutſche Meilen im Umfang, und das ebenfalls moderne gothiſche Schloß iſt mit allen ſeinen Mauern, Thürmchen und Höfen faſt un - abſehbar. Ich muß jedoch aufrichtig geſtehen, daß dieſer neugothiſche genre, (castellated style) der ſich in der Zeichnung ſo ſeenhaft ausnimmt, in der Wirklichkeit oft durch ſeine Ueberladung und Unzweck - mäßigkeit nicht nur geſchmacklos, ſondern ſogar etwas läppiſch ausfällt.

Wenn man in der cultivirteſten, friedlichſten Wie - ſenfläche, unter dem Flor unzähliger Blumen, eine Art Feſtung mit hundert Thürmen, Schießſcharten und Brüſtungen gewahr wird, die alle nicht den min - deſten Zweck haben, und obendrein in ihrer Baſis faſt nichts als Glaswände (die Gewächs - und Treib - häuſer, welche mit den Zimmern in Verbindung ſte - hen) darbieten, ſo iſt dies wahrlich eben ſo lächerlich, als wenn der Beſitzer dieſer lieblichen Blumengär - ten, darin in Helm und Harniſch, wie weiland Don Quirote, ſpazieren gehen wollte. Der antike, alt italieniſche oder blos romantiſche, unſrer Zeit ange - paßte Styl harmonirt unendlich beſſer mit ſolcher Umgebung, erſcheint freundlicher und ſelbſt bei weit geringern Maſſen, dennoch grandioſer. Das Innere des Schloſſes war dagegen von der größten Wirkung,214 und durchaus fürſtlich zu nennen. Sehr vernünftig hatten ſich die Beſitzer für die Geſellſchaftszimmer nur auf wenige, aber dafür ſehr geräumige Pieçen be - ſchränkt. Auch hier tritt man zuerſt in die Halle, mit Rüſtungen und alterthümlichen Meubeln geſchmückt. Dann kömmt man in das Treppenhaus, das präch - tigſte, was man in dieſer Art ſehen kann. Durch drei hohe Etagen aufſteigend, mit eben ſo viel rund um - her laufenden Gallerieen erreicht es die Höhe und Größe einer Kirchenkuppel; die Wände ſind von po - lirtem Stein, die Treppengeländer von glänzendem Meſſing, die Decke aus ſchön in Holz geſchnitzten Caiſſons, mit Malerei verziert, und rund umher, durch alle drei Etagen hinauf, ſind Niſchen mit den Standbildern der Könige Englands aus Stein ange - bracht. Aus dieſem Treppenhaus gelangten wir in einen Saal mit rothem Sammt und vergoldeten Meu - beln geſchmückt, vorn durch ungeheure Fenſter er - leuchtet, die faſt die ganze Wand einnehmen, und die Ausſicht auf den pleasure ground und Park eröff - nen. Seitwärts zur Linken iſt ein eben ſo großes Zimmer, wo das Billard ſteht, und daneben die Bib - liothek. Auf der andern Seite in derſelben Enfilade ſchließt ſich der Speiſeſaal an, und hinter dieſem ein herrliches Gewächs - und Orangerie-Haus, durch wel - ches man in die Kapelle eingeht, die mit zehn alten ächten Glasfenſtern von großer Schönheit, und mit koſtbaren Holzreliefs prangt. Alle Bänke darin ſind von Nußbaum, mit Kramoiſi-Sammt ausgeſchlagen.

215

In den Zimmern hängen einige ſchöne und intereſ - ſante Gemälde, jedoch meiſtens von modernen Mei - ſtern. Pleasure ground und Gärten ſind noch größer als in Cashburypark. In Reptons Werk wirſt Du ſie zum Theil finden, nämlich den amerikaniſchen Gar - ten, den Mönchs-Garten und das Roſary wozu noch hinzugekommen ſind: 1) der ſehr zierliche fran - zöſiſche Garten, mit einer bedeckten Gallerie an einer Seite, einem porcellanartigen Aufſatz mit Blumen - töpfen in der Mitte, und einem großen Parterre, von dem jedes Beet eine beſondere Blumenart ent - hält; 2) der Felſengarten, wo alle Steinpflanzen vereinigt ſind, ſo wie alle rankenden Gewächſe. Es gehört wahrlich die lange Gewohnheit eines großen Luxus dazu, um ein ſo mannichfaltiges, überall gleich exemplariſch gut erhaltenes Ganze ſich nur auszuden - ken, denn man muß geſtehen, daß ſelbſt unſre Sou - veraine in der Regel nur Theile von dem beſitzen, was hier vereinigt iſt. Einige 1000 Stück Wild und unzählige Gruppen von Rieſenbäumen zieren den Park, der, nur den hindurchführenden Weg abgerechnet, ebenfalls ganz der Natur und vielen waidenden Heer - den überlaſſen iſt.

Nimm es immer als ein kleines Opfer an, liebe Julie, daß ich ſo treu dieſe Details Dir beſchreibe, die bei unſern eigenen Plänen und Bauten doch nicht ohne Nutzen ſeyn möchten, und wenigſtens gewiß noch mühſamer zu ſchreiben als zu leſen ſind*)Ich weiß nicht, ob der Leſer dieſelbe Entſchuldigung gelten laſſen wird. A. d. H. .

216

Zu beſſerer Verſinnlichung nehme ich von allem In - tereſſanten Zeichnungen in meine Schreibtafel, die uns einſt, als Anregung zu neuen Ideen, gut zu ſtatten kommen ſollen. Morgen werden wir des Herzogs von Bedford, eines der reichſten Edelleute in England, nahes Schloß ſehen, Woburn Abbey, welches Ashridge noch eben ſo ſehr an Größe übertreffen ſoll als dieſes Cashburypark, eine ſehr angenehme Steigerung.

Der Gaſthof, wo ich ſchreibe, iſt wieder ſehr gut, und ich gedenke, nach allen Fatiguen, meiner Haupt - mahlzeit ſo viel Ehre zu machen als dem Frühſtück, obgleich dieſe hier viel einfacher iſt, und Tag vor Tag in zwar ganz guten, aber auch immer denſelben Ge - richten beſteht. Die ewigen muttonchops und ein ge - bratenes Huhn mit breadsauce, ſpielen mit den blos in Waſſer gekochten Gemüſen, und der engliſchen Na - tional-Sauçe: zerlaſſener Butter mit Mehl, immer die Hauptrolle dabei.

Ich befinde mich jetzt in einem großen Badeorte, von dem ich jedoch noch nicht viel geſehen habe, da ich um 11 Uhr in der Nacht ſo eben erſt angelangt bin. Ein großer Theil des Tages ging mit der in - tereſſanten Beſichtigung von Woburn Abbey hin.

Dieſer ſchöne Pallaſt iſt im italieniſchen Geſchmack, einfach und edel aufgeführt, unendlich befriedigender217 als der koloſſale gothiſch ſeyn ſollende nonsense. Mit ſeinen Ställen, Reitbahn, Ballhaus, Statuen und Bildergallerie, Gewächshäuſern und Gärten bildet er eine kleine Stadt. Seit 300 Jahren, ein auch in England ſeltner Fall, vererbte ſich dieſe Beſitzung regelmäßig in derſelben Familie fort, ſo daß es auch nicht zu verwundern iſt, wie bei einer Million Reve - nüen nach unſerm Gelde, ein Zuſammenfluß von Pracht hier entſtehen konnte, der bei uns die Kräfte jedes Partikuliers überſteigt, um ſo mehr, da, wäre auch das Geld hie und da in derſelben Profuſion vor - handen, doch keine ſeit Jahrhunderten darauf gerich - tete Cultur uns die Mittel zu einem ſo vollendeten Ganzen des raffinirten Luxus zur Hand läßt.

Das eigentliche Schloß iſt ein regelmäßiges Viereck und die bel etage, welches auf dem Lande immer die de plein pied iſt, bildet eine ununterbrochene Reihe, das ganze Viereck umſchließender Zimmer. Dieſe Zim - mer ſind mit koſtbaren Gemälden geſchmückt, und außerdem reich in ſchweren Stoffen meublirt, Decke und Thürembraſuren von weißer Stuckatur mit Gold, oder aus ſeltnen geſchnitzten Hölzern, Alles eben ſo einfach als gediegen. In dem einen Zimmer war eine merkwürdige Sammlung von Miniatur-Portraits der Familie, vom erſten Ruſſel (der Familienname der Herzöge von Bedford) bis auf den jetzigen Herzog, in ununterbrochener Linie geſammelt. Unter ſolchen Umſtänden kann man wohl ein wenig auf ſeine Fa - milie und ſeinen Adel ſtolz ſeyn.

218

Dieſe Miniaturen waren auf eine ſehr geſchmackvolle Art in einem langen ſchmalen Goldrahmen auf Cra - moiſi-Sammt gereiht, und Medaillonviſe eingelaſſen.

Die Camine ſind größtentheils von vergoldetem Me - tall, mit hohen Marmoreinfaſſungen, die Kronleuch - ter ebenfalls von Bronce, reich vergoldet, überall die angemeſſenſte Pracht, wiewohl ohne alle Ueberladung. Den Beſchluß machte die Bibliothek, in zwei Säle vertheilt, und höchſt freundlich mit ihren breiten Fenſterthüren unmittelbar an die Blumengärten an - ſtoßend.

Dieſe erſchienen mir nun beſonders reizend, dabei ſo zweckmäßig mit den Gebäuden verwoben, und ſo mannigfaltiger Art, daß eine genügende Beſchreibung ſchwer iſt.

Um Dir jedoch wenigſtens eine allgemeine Idee da - von zu geben, laß mich nur erwähnen, daß längs der verſchiedenen Gebäude, die bald vorſpringen, bald zu - rücktreten, bald grade, bald runde Linien bilden, nach der Gartenſeite zu eine ununterbrochene Arcade, mit Roſen und Rankengewächſen bezogen, hinläuft, an welcher die verſchiedenen prachtvollen Gärten auf ein - ander folgen. Ueber dieſem Gang ſind theils Zim - mer, theils die anmuthigſten kleinen Gewächshäuſer, wovon eins unter andern nichts wie Haidekräuter (Erica) enthält, von denen Hunderte in Blüthe, den lieblichſten Anblick gewährten, und durch Spiegel - wände bis ins Unendliche vervielfältigt wurden. Un - mittelbar unter dem Erikenhauſe war auch der Eri - kengarten angebracht, ein Raſenplatz mit Beeten, die219 verſchiedene Figuren bildeten, und alle nur mit den - jenigen größeren Exemplaren der Haiden beſetzt waren, welche im Freien aushalten. Einmal wurde der er - wähnte Bogengang ſelbſt durch ein hohes Palmen - haus mit Spiegeln unterbrochen, vor dem die ſchön - ſten geſtickten Parterres auf Kiesgrund ſich ausbrei - ten. An dieſes Haus ſtieß die Statuen-Gallerie, de - ren Wände mit verſchiedenen Marmorarten bekleidet ſind, nebſt ſehr ſchönen Säulen aus Italien. Der Saal enthält eine Menge antiker Sculpturen, und wird an jedem Ende durch einen Tempel geſchloſſen, wovon der eine der Freiheit, mit Büſten von Fox, Canning und Andern, der zweite den Grazien ge - weiht iſt, mit einer herrlichen Gruppe dieſer Göttin - nen von Canova. Von hier aus führt der Bogen - gang an einer unermeßlichen Pflanzung entlang, welche an Hügel gelehnt, nur aus Azalien und Rhododen - dron beſteht, bis man den chineſiſchen Garten erreicht, in dem die dairy (der Milchkeller) ſich beſonders aus - zeichnet. Es iſt dies eine Art chineſiſcher Tempel, mit einem Ueberfluß von weißem Marmor und bun - tem Glaſe, in der Mitte ein Springbrunnen, und an den Wänden umher Hunderte von chineſiſchen und japaniſchen großen Schüſſeln aller Art aufgeſtellt, ſämmtlich mit friſcher Milch und Rahm gefüllt. Die Conſoles, auf denen dieſe Schalen ſtanden, waren ein ausgezeichnet hübſches Modell für chineſiſche Meu - blirung. Die Fenſter beſtanden aus mattem Glaſe mit chineſiſcher Malerei, welche phantaſtiſch genug aus dem trüben Lichte hervortrat.

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Von hier führte noch ein weiter pleasure ground mit den ſchönſten Bäumen, und mancherlei überra - ſchenden Abwechſelungen, unter andern niedlichen Kin - dergärten, und einem Grasgarten, in dem alle Arten von Schilf und Gräſern in kleinen Beeten, das Ganze ein Schachbret bildend, kultivirt wurden nach dem Aviary. Dieſes beſteht aus einem ſehr großen einge - zäunten Platz mit hohen Pflanzungen und einer Cot - tage, nebſt einem kleinen Teich in der Mitte, Alles nur dem Reiche der Vögel gewidmet. Der vierte oder fünfte Diener erwartete uns hier (die alle Trinkgelder verlangen, ſo daß man ein ſolches Etabliſſement nicht unter einigen £. St. zu ſehen bekömmt) und zeigte uns zuerſt mehrere reich gefiederte Papageyen und an - dere ſeltene Vögel, deren jeder ſeine beſondere kleine Abtheilung, und ſo zu ſagen ſein Gärtchen hatte. Dieſe Vögelwohnungen waren von Eichenzweigen mit Draht durchflochten, die Decke gleichfalls von Draht, die Sträucher Immergrün, ſo wie faſt alle übrigen Pflanzungen in dieſem Bezirk. Als wir auf den Platz hinaus traten, der die Mitte einnimmt, pfiff unſer Papageno, und ſogleich verfinſterte ſich wörtlich die Luft über uns, durch eine Unzahl von Tauben, Hüh - nern, und der Himmel weiß was alles für Vögel. Aus allen Büſchen ſtürzten zugleich Gold -, Silber -, bunte und ordinäre Faſanen hinzu, und aus dem See gallopirte ein ſchwarzer Schwan ſchwerfällig herbei, mit kläglich kindlichen Tönen ſeine große Begierde nach Futter ausdrückend. Dieſer ſchöne Vogel, raben - ſchwarz mit roſenrothen Schnabel und Füßen, war221 außerordentlich zahm, fraß ſein Futter chemin fai - sant aus der Taſche des Wärters, und ließ uns kei - nen Augenblick allein, ſo lange wir in dem Vögel - paradies umherwandelten, nur manchmal en passant einer zudringlichen Ente und andres gemeiners Volk mit einem Fußtritt abwehrend, oder einem nobleren Goldfaſan mit dem Schnabel in die Seite ſtoßend. Ein zweiter intereſſanter aber eingeſchloſſener Bewoh - ner dieſes Orts war Héros, ein afrikaniſcher Kranich, ein Thier das ausſieht, wie von Porcellain gemacht, und mich in ſeinen Bewegungen vielmals an unſern ſeligen, tanzenden Ballerino erinnerte. Der Umſtand ſeiner Geſchichte, welcher ihm den Heldennamen gege - ben, war dem Wärter unbekannt.

Der, vier deutſche Meilen im Umfang haltende Park beſteht hier nicht allein aus Waideland und Bäumen, ſondern hat auch ein ſchönes Waldterrain, und noch eine beſonders eingezäunte Parthie, die thornery (wörtlich Dörnerei) benannt, ein wilder mit Dornen und Geſtrüppe bewachſener Waldplatz, in deſſen Mitte eine kleine Cottage mit dem freundlichſten Blumen - gärtchen ſteht, und den mehrere Spaziergänge durch - ſchneiden. Hiermit ſchließen die Herrlichkeiten von Wo - burn Abbey. Doch nein zwei Dinge muß ich noch nachholen. In dem Schloſſe, deſſen Schmuck ich Dir en gros beſchrieben, fand ich zugleich eine ſehr zweckmä - ßige Einrichtung. Nämlich rund um alle Zimmer des großen Vierecks läuft eine innere breite Gallerie, auf welche mehrere Thüren ſich öffnen, und wo mannich - fache Sammlungen, theils frei, theils in Glasſchrän -222 ken, und hie und da durch Blumenſtellagen unterbro - chen, aufgeſtellt ſind. Dies gewährt im Winter und bei ſchlechtem Wetter einen eben ſo unterrichtenden als angenehmen Spaziergang, der um ſo behaglicher wird, da das ganze Schloß mit conduits de chaleur geheizt iſt. Das zweite Erinnernswerthe iſt ein ſchö - nes Portrait des Grafen Eſſex in Lebensgröße. Er erſcheint hier ſehr ſchön und ſchlank gewachſen, das Geſicht aber weniger ausgezeichnet, kleine Züge ohne vielen Ausdruck, kleine Augen, und einen großen ro - then Bart bei dunklem Haupthaar, der ihn vielleicht der Königin, bei ihrem eignen rothen Kopf beſonders angenehm machte.

Jetzt iſt aber ein Viertelzoll von meinen Fingern herunter geſchrieben, und ich muß ſchließen. Morgen wieder ein Mehreres, wo ich Warwick Castle ſehen werde, welches für Englands Stolz ausgegeben wird. Ich bin wirklich begierig, ob wir noch eine Stufe höher zu erſteigen haben, wie wir bisher regelmäßig von Schönem zu Schönerem fortgeſchritten ſind.

Da eben die Mail von hier abgeht, lege ich dieſen Brief in einen für L .... mit ein, durch deſſen Güte Du ihn ſchneller erhalten wirſt als den letzten.

Gedenke des Umherirrenden in Deiner ruhigen Ein - ſamkeit, und glaube, daß, verſchlüge ihn das Schick - ſal auch zu den Antipoden, ſein Herz doch immer bei Dir ſeyn würde.

Dein L ....

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Neunter Brief.

Theure Julie!

Beim Himmel! diesmal erſt bin ich von wahrem und ungemeßnem Enthuſiasmus erfüllt. Was ich früher beſchrieben, war eine lachende Natur, verbun - den mit allem, was Kunſt und Geld hervorbringen können. Ich verließ es mit Wohlgefallen, und ob - gleich ich ſchon Aehnliches geſehen, ja ſelbſt beſitze, nicht ohne Verwunderung. Was ich aber heute ſah, war mehr als dieſes, es war ein Zauberort, in das reizendſte Gewand der Poeſie gehüllt, und von aller Majeſtät der Geſchichte umgeben, deſſen Anblick mich noch immer mit freudigem Staunen erfüllt.

Du erfahrne Hiſtorienkennerin und Memoirenle - ſerin weißt beſſer als ich, daß die Grafen von War -224 wick einſt die mächtigſten Vaſallen Englands waren, und der große Beauchamp, Graf von Warwick, ſich rühmte, drei Könige entthront, und eben ſo viele auf den leeren Thron geſetzt zu haben.

Sein Schloß ſteht ſchon ſeit dem 9ten Jahrhundert und iſt ſeit Eliſabeths Regierung im Beſitz derſelben Fa - milie geblieben. Ein Thurm der Burg, angeblich von Beauchamp ſelbſt erbaut, hat ſich ohne alle Verän - derung erhalten, und das Ganze ſteht noch ſo coloſ - ſal und mächtig, wie eine verwirklichte Ahnung der Vorzeit da.

Schon von weitem erblickſt Du die dunkle Stein - maſſe, über uralte Cedern vom Libanon, Kaſtanien, Eichen und Linden, ſenkrecht aus den Felſen am Ufer des Avon, mehr als 200 Fuß hoch über die Waſſer - fläche emporſteigen. Faſt eben ſo hoch noch überra - gen wieder zwei Thürme von verſchiedener Form das Gebäude ſelbſt. Der abgeriſſene Pfeiler einer Brücke, mit Bäumen überhangen, ſteht mitten im Fluß, der, tiefer unten, grade wo die Schloßgebäude beginnen, einen ſchäumenden Waſſerfall bildet, und die Räder der Schloßmühle treibt, welche letztere, mit dem Gan - zen zuſammenhängend, nur wie ein niedriger Pfei - lervorſprung deſſelben erſcheint.

Jetzt verlierſt Du im Weiterfahren eine Weile den Anblick des Schloſſes, und befindeſt Dich bald vor einer hohen crenelirten Mauer aus breiten Quadern, durch die Zeit mit Moos und Schlingpflanzen bedeckt. Die Flügel eines hohen eiſernen Thores öffnen ſich langſam, um Dich in einen tiefen, durch den Felſen225 geſprengten Hohlweg einzulaſſen, an deſſen Stein - wänden ebenfalls von beiden Seiten die üppigſte Ve - getation herabrankt. Dumpf rollt der Wagen auf dem glatten Felſengrunde hin, den in der Höhe alte Ei - chen dunkel überwölben. Plötzlich bricht bei einer Wendung des Weges das Schloß im freien Himmels - lichte aus dem Walde hervor, auf einem ſanften Ra - ſenabhang ruhend, und zwiſchen den ungeheuren Thürmen, an deren Fuß Du Dich befindeſt, ver - ſchwindet der weite Bogen des Eingangs zu dem Schein einer unbedeutenden Pforte. Eine noch grö - ßere Ueberraſchung ſteht Dir bevor, wenn Du durch das zweite eiſerne Gitterthor den Schloßhof erreichſt. Etwas Mahleriſcheres und zugleich Impoſanteres läßt ſich beinah nicht denken! Laß Dir durch Deine Phan - taſie einen Raum hinzaubern, ungefähr noch einmal ſo groß als das Innere des römiſchen Coloſſeums, und verſetze Dich damit in einen Wald voll romanti - ſcher Ueppigkeit. Du überſiehſt nun den weiten Hof - platz, rund umher von bemoosten Bäumen und maje - ſtätiſchen Gebäuden umgeben, die, obgleich überall verſchieden an Form, dennoch ein erhabenes und zu - ſammenhängendes Ganze bilden, deſſen bald ſtei - gende, bald ſich ſenkende Linien in der blauen Luft, wie die ſtete Abwechſelung der grünen Grundfläche am Boden, nirgends Symmetrie, wohl aber eine ſonſt nur den Werken der Natur eigne, höhere Harmonie verrathen. Der erſte Blick zu Deinen Füßen fällt auf einen weiten einfachen Raſenteppich, um den ein ſanft geſchlungner Kiesweg nach allenBriefe eines Verſtorbenen. III. 15226Ein - und Ausgängen dieſes Rieſenbaues führt. Rück - wärts ſchauend, ſiehſt Du an den beiden ſchwarzen Thürmen empor, von denen der älteſte, Guy’s Thurm genannt, ganz frei von Gebüſch in drohender Maje - ſtät, feſt wie aus Erz gegoſſen daſteht, der andre von Beauchamp erbaut, halb durch eine, wohl Jahrhun - derte zählende, Kiefer und eine herrliche Kaſtanie ver - deckt wird. Breitblättriger Epheu, und wilder Wein rankt, bald den Thurm umſchlingend, bald ſeine höchſten Spitzen erſteigend, an den Mauern hinan. Links neben Dir zieht ſich weit der bewohnte Theil des Schloſſes und die Capelle hin, mit vielen hohen Fenſtern geziert, von verſchiedener Größe und Ge - ſtalt, während die ihm gegenüber liegende Seite des großen Vierecks, faſt ganz ohne Fenſter, nur mäch - tige crenelirte Steinmaſſen darbietet, die einige Ler - chenbäume von coloſſaler Höhe und baumartige Ar - butus-Sträucher, welche hier im langen Schutze wunderbar hoch gewachſen ſind, maleriſch unterbre - chen. Vor Dir jedoch erwartet Dich, wenn Du jetzt den Blick nach der Höhe erhebſt, von allem das er - habenſte Schauſpiel. Denn auf dieſer vierten Seite ſteigt aus einem niedrigen bebuſchten Keſſel, den der Hof hier bildet, und mit dem ſich auch die Gebäude eine geraume Strecke ſenken, das Terrain von neuem, in Form eines joniſchen Berges ſteil empor, an dem die gezackten Mauern des Schloſſes mit hinan klim - men. Dieſer Berg, der Keep, iſt bis oben dicht be - wachſen mit Geſträuch, das jedoch nur den Fuß der Thürme und Mauern bedeckt. Dahinter aber ragen,227 hoch über alle Steinmaſſen, noch ungeheure uralte Bäume hervor, deren glatte Stämme man wie in der Luft ſchwebend erblickt, während auf dem höch - ſten Gipfel eine kühne Brücke, auf beiden Seiten von den Bäumen eingefaßt, gleich einem hehren Himmels - portal plötzlich die breiteſte, glänzendſte Lichtmaſſe, hinter der man die Wolken fern vorüberziehen ſieht, unter dem Schwibbogen und den dunklen Baumkro - nen durchbrechen läßt.

Stelle Dir nun vor: dieſe magiſche Dekoration auf einmal zu überſehen, verbinde die Erinnerung damit, daß hier neun Jahrhunderte ſtolzer Gewalt, kühner Siege und vernichtender Niederlagen, bluti - ger Thaten und wilder Größe, vielleicht auch ſanfter Liebe und edler Großmuth, zum Theil ihre ſichtli - chen Spuren, oder wo das nicht iſt, doch ihr ro - mantiſch ungewiſſes Andenken, zurückgelaſſen haben und urtheile dann, mit welchem Gefühl ich mich in die Lage des Mannes verſetzen konnte, dem ſolche Erinnerungen des Lebens ſeiner Vorfahren durch die - ſen Anblick täglich zurück gerufen werden, und der noch immer daſſelbe Schloß des erſten Beſitzers der Veſte Warwick bewohnt, deſſelben halb-fabelhaften Guy, der vor einem Jahrtauſend lebte, und deſſen verwitterte Rüſtung mit hundert Waffen berühmter Ahnen in der alterthümlichen Halle aufbewahrt wird. Giebt es einen ſo unpoetiſchen Menſchen, in deſſen Augen nicht die Glorie dieſes Andenkens, auch den ſchwächſten Repräſentanten eines ſolchen Adels, noch heute umglänzte?

15*228

Um Dir meine Beſchreibung wenigſtens einiger - maſſen anſchaulich zu machen, füge ich einen Grund - plan bei, der Deiner Einbildungskraft zu Hülfe kom - men muß.

Den Fluß auf der andern Seite mußt Du Dir nun noch tief unter dem Schloßplatz denken, und daß er von den bisher beſchriebenen Stellen nicht geſehen wird, ſondern erſt aus den Fenſtern des bewohnten Schloßtheils, nach auſſen hin, (wie es das Kupfer zeigt) zugleich mit dem herrlichen Park ſichtbar wird, der überall durch Wald am Horizont geſchloſſen iſt, was der Phantaſie ſo viel Spielraum läßt, und wie - der für ſich eine neue höchſt romantiſche Ausſicht bildet.

Nur über wenige Stufen tritt man vom Hofe aus in die Wohnzimmer, zuerſt in einen Durchgang und von da in die Halle, auf deren beiden Seiten ſich die Geſellſchaftszimmer, 340 Fuß lang in unun - terbrochener Reihe, ausdehnen. Obgleich faſt de plein pied mit dem Hofe, ſind dieſe Zimmer doch auf der andern Seite mehr als 50 Fuß hoch über dem Avon erhaben. Acht bis vierzehn Fuß dicke Mauern bilden in jedem Fenſter, welche auch 10 12 Fuß breit ſind, ein förmliches Cabinet, mit den ſchönſten man - nigfaltigſten Ausſichten auf den unter ihnen wild - ſchäumenden, weiterhin aber in ſanften Wendungen den Park bis in düſtre Ferne durchſtrömenden Fluß. War ich nun vorher, ſchon ſeit dem erſten Anblick des Schloſſes, von Ueberraſchung zu Ueberraſchung

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229 fortgeſchritten, ſo wurde dieſe, wenn gleich auf andre Weiſe, faſt noch in den Zimmern überboten. Ich glaubte mich völlig in verſunkene Jahrhunderte ver - ſetzt, als ich in die gigantiſche baronial hall trat, ganz wie ſie Walter Scott beſchreibt, die Wände mit geſchnitzten Cederholz getäfelt, mit allen Arten rit - terlicher Waffen angefüllt, geräumig genug um alle Vaſallen auf einmal zu ſpeiſen, und ich dann vor mir einen Camin aus Marmor erblickte, in dem ich ganz bequem mit dem Hute auf dem Kopf, noch ne - ben dem Feuer ſtehen konnte, das auf einem 300 Jahre alten eiſernen, ſeltſam geſtalteten Roſte, von der Form eines Korbes, wie ein Scheiterhaufen auf - loderte. Seitwärts war, der alten Sitte getreu, auf einer Unterlage, gleichfalls von Cedernholz, mitten auf dem ſteinernen Fußboden, den nur zum Theil verſchloſſene hautelisse Teppiche deckten, eine Klafter ungeſpaltenes Eichenholz aufgeſchichtet. Durch einen in braun gekleideten Diener, deſſen Tracht, mit gold - nen Kniegürteln, Achſelſchnüren und Beſatz hinläng - lich alterthümlich ausſah, wurde von Zeit zu Zeit dem mächtigen Feuer, vermöge eines drei Fuß lan - gen Klotzes, neue Nahrung gegeben. Hier war über - all der Unterſchied zwiſchen der ächten alten Feudal - größe, und der nur in moderner Spielerei nachge - ahmten eben ſo ſchlagend, als zwiſchen den bemoos - ten Trümmern der verwitterten Burg auf ihrer Fel - ſenſpitze, und der geſtern aufgebauten Ruine im Luſt - garten eines reich gewordnen Lieferanten. Faſt alles in den Zimmer war alt, prächtig und originell, nir -230 gends geſchmacklos, und mit der größten Liebe und Sorgfalt unterhalten. Es befanden ſich die ſeltſam - ſten und reichſten Zeuge darunter, die man jetzt gar nicht mehr auszuführen im Stande ſeyn möchte, in einer Miſchung von Seide, Sammt, Gold und Sil - ber, alles durch einander gewirkt. Die Meubels be - ſtanden faſt ganz, entweder aus alter außerordentlich reicher Vergoldung, geſchnitztem braunen Ruß - und Eichenholz, oder jenen alten franzöſiſchen mit Meſ - ſing ausgelegten Schränken und Commoden, deren eigner Name mir eben nicht beifällt. Auch waren viele herrliche Exemplare von Moſaik, wie von aus - gelegten koſtbaren Hölzern vorhanden. Ein Camin - ſchirm mit ſchwerem goldnen Rahmen, beſtand aus einem einzigen ſo klaren Glaſe, daß es völlig mit der Luft zuſammenfloß. Ein ſolcher Schirm hat das An - genehme, daß man, am Kamin ſitzend, das Feuer ſieht, ohne es ſengend am Geſicht zu fühlen. In dem einen Zimmer ſteht ein Staatsbett, von der - nigin Anna einer Gräfin von Warwick geſchenkt, noch immer wohl erhalten, von rothem Sammt mit grün und blauer Seide geſtickt. Die Kunſtſchätze ſind un - zählbar, und die Gemälde, unter denen ſich auch nicht ein mittelmäßiges befand, ſondern die faſt alle von den größten Meiſtern ſind, haben überdem zum Theil ein ganz beſonderes Familien-Intereſſe, da ſehr viele Portraits der Ahnen ſich darunter befinden, von der Hand Titian’s, Vandyk’s und Ruben’s gemalt. Der größte Schatz, und zwar ein unſchätzbarer, iſt eins der bezauberndſten Bilder Raphaels, die ſchöne Jo -231 hanna von Arragonien (eine nicht genau hiſtoriſch auszumittelnde Perſon) von der es, ſeltſam genug, vier Bilder giebt, alle höchſt vortrefflich, und die alle für das ächte Original ausgegeben werden, drei davon jedoch ohne Zweifel Copien ſeyn müſſen, dem Vorbilde aber ſo gut wie gleich geworden ſind. Das eine iſt in Paris, das andere in Rom, das dritte in Wien, das vierte hier. Ich kenne ſie alle vier, und muß unbedingt dem hieſigen den Vorzug geben. Es liegt ein Zauber in dieſem herrlichen Weibe, der nicht auszuſprechen iſt! Ein Auge, das in die Tiefen der Seele führt, königliche Hoheit, verbunden mit der weiblichſten Liebesempfänglichkeit, wollüſtiges Feuer im Blick, zugleich mit ſüßer Schwermuth gepaart, dabei eine ſchwellende Fülle des ſchönſten Buſens, eine durchſichtige Zartheit der Haut, und eine Wahr - heit, Glanz und Grazie der Gewänder, wie des ganzen Schmucks der Bekleidung ſo, wie es nur ein ſo göttliches Genie in himmliſcher Schöpferkraft vollſtändig hervorrufen konnte.

Zu den intereſſanteſten Portraits, die das hiſtori - ſche Intereſſe, welches man an den Perſonen nimmt, noch erhöht, gehören Folgende:

Zuerſt Machiavell, von Titian. Ganz, wie ich mir ihn gedacht. Ein feines und kluges, und doch dabei leidendes Geſicht, wie trauernd über die ſo tief er - kannte, nichtswürdige Seite des menſchlichen Ge - ſchlechts, jene hündiſche Natur, die nur liebt, wenn232 ſie getreten wird, nur folgt, wo ſie fürchtet, nur treu iſt, wo ſie Vortheil davon hat. Ein Zug mit - leidigen Spottes umſchwebt die ſchmalen Lippen, während das dunkle Auge nachdenkend in ſich ſelbſt hineinzuſchauen ſcheint.

Es däucht Einem im erſten Augenblick ſonderbar und auffallend, daß dieſer große und klaſſiſche Schrift - ſteller ſo lange auf die abgeſchmackteſte Weiſe miß - verſtanden worden iſt, entweder als ein moraliſches Scheuſal geſchildert (und wie albern iſt in dieſer Hin - ſicht die Refutation Voltaire’s) oder gar die aben - teuerliche Hypotheſe aufgeſtellt, daß ſein Buch eine Satyre ſey! Bei näherer Betrachtung erlangt man indeß bald die Ueberzeugung: daß nur die neuere Zeit, welche endlich anfängt, die Politik aus einem höhern, wahrhaft menſchlichen Geſichtspunkte zu verſtehen und zu behandeln, Machiavells Fürſten richtig beur - theilen konnte.

Dieſer tiefe und ſcharfſinnige Geiſt giebt wirklich den Fürſten der Willkühr ſo nenne ich aber alle die, welche ſich nur par la grâce de Dieu, um ihrer ſelbſt willen, Fürſten glauben, alle Eroberer, auch alle Glückspilze der Geſchichte, denen durch ein blin - des Ohngefähr Völker geſchenkt wurden, die ſie für ihr Eigenthum anſahen dieſer Art Fürſten alſo, ſage ich, giebt er die einzige und wahre Weiſe an, wie ſie prosperiren, die einzigen erſchöpfenden Re - geln, die ſie befolgen müſſen, um ihre, von Haus aus auf dem Boden der Sünde und des Irrthums233 erwachſene Macht erhalten zu können. Sein Buch iſt und bleibt für ewige Zeiten das unübertreffliche, das wahre Evangelium für Solche, und wir Preußen insbeſondere mögen uns Glück wünſchen, daß in neueſter Zeit Napoleon ſeinen Machiavell ſo ſchlecht inne hatte, weil wir ſonſt wohl noch unter ſeinem Joche ſeufzen möchten!

Wie herrlich geht aber über dieſen Abgrund, dem ſeine relative Wahrheit nicht abzuſtreiten iſt, die Sonne des repräſentativen Volksfürſten neuerer Zeit auf! Wie nichtig wird dann, von dieſer Baſis aus - gehend, das ganze Gebäude der Finſterniß, welches Machiavell ſo meiſterhaft entwickelt, und ſinkt vor ihren Strahlen in nichts zuſammen, denn es braucht ja nun weder mehr der Liſt und Unwahrheit, noch der deſpotiſchen Gewalt und Furcht, um zu regieren. Humanität und Recht tritt, hundertmal mächtiger und wohlthätiger für Fürſt und Völker, an die Stelle jenes trüben Glanzes, und dem fortwährenden Kriege folgt einſt ein ewiger Frieden! Dies aber fühlte und ahnete, und wünſchte Machiavell, und gar viele Stellen ſeines Buchs deuten deutlich darauf hin, un - ter andern, wenn er ſagt: Wer eine freie Stadt erobert hat, dem bleibt kein ſicheres Mittel, ſie zu behalten, als ſie zu zerſtören, oder ihre Einwoh - ner zu erneuen; denn keine Wohlthat des Souverains wird ſie ihre verlorne Freiheit vergeſſen laſſen.

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Indem er endlich unumſtößlich beweiſet, daß man ſich nur durch Nichtachtung aller Moral (und was war bis jetzt, beinahe anerkannt, die Politik anders) auf einer ſolchen Stufe willkührlicher Macht erhalten könne, und den Fürſten ernſtlich dieſe Lehre gab, zeigt er auch zugleich nur zu deutlich: daß die ganze Geſellſchaft damals ein Prinzip des Verderbens in ſich trug, bis zu deſſen Erkenntniß und Beſeitigung kein wahres Glück der Völker, keine wahre Civiliſa - tion möglich war. Die Revolutionen neuerer Zeiten und ihre Folgen haben endlich der Menſchheit die Augen geöffnet, und ſie wird ſie nicht wieder ſchließen!

Der Herzog Alba, von Titian. Höchſt ausdrucks - voll, und, wie ich glaube, treu, denn dieſer Mann war keineswegs eine blos grauſame und finſtere Car - rikatur. Ernſt, fanatiſch, ſtolz, aber feſt wie Eiſen, praktiſch, die Idee eines unerſchütterlichen, treuen Dieners aufſtellend, der, einmal den Auftrag ange - nommen, nun weder rechts noch links mehr abweicht, ſeines Herrn und ſeines Gottes Willen blind zu er - füllen ſtets bereit iſt, und nicht darnach fragt, ob Tauſende dabei in Martern untergehen; mit einem Wort, ein kräftiger, nicht unedler, aber beſchränkter Geiſt, der Andere für ſich denken läßt, und für fremde Autorität handelt.

Heinrich VIII. mit Anna Bullen, von Holbein*)Heinrichs VIII. und Eliſabeths Bilder findet man ſo haͤufig in England, daß Du auch, bei ausgezeichneten Exem -. 235Der König in prachtvoller Kleidung, ein fetter, et - was Fleiſcherartig ausſehender Herr, bei dem Wol - luſt, Schlauheit, Grauſamkeit und Kraft in einer furchtbar behaglichen, und faſt jovialen Phyſiognomie hervorherrſchen! Man ſieht bei alle dem, daß ein ſolcher Mann zittern machen, und dennoch an ſich feſſeln kann. Anna Bullen iſt eine freundlich un - bedeutende, beinahe etwas dumm erſcheinende, ächt engliſche Schönheit, von einer Geſtalt, wie man ſie auch heute, nur in anderm Koſtüme, noch häufig hier antrifft!

Cromwell, von van Dyk. Ein herrlicher Kopf. Etwas von dem bronznen Gladiatoranſehen Napo - leons, aber mit viel gemeinern Zügen, hinter denen jedoch, wie hinter einer Maske, eine große Seele dämmert. Schwärmerei iſt faſt zu wenig darin aus - gedrückt, dagegen eine beinahe ehrlich ſcheinende, und deſto betrügendere Liſt im Auge, aber doch nirgends eine Spur von Grauſamkeit, die man auch dem Pro - tektor wohl nicht vorwerfen kann, da ſelbſt die Hin - richtung des Königs zwar eine grauſame Handlung war, in Cromwells Gemüth aber nur wie eine ihm unumgänglich nothwendige politiſche Operation er - ſchien, keineswegs aber in Freude am Blutvergießen ihren Grund fand. Unter Cromwells Bilde hängt ſein eigner Helm.

*)plaren, die oͤfter wiederkehrende Schilderung derſelben verzeihen mußt. Immer findet ſich doch eine oder die andere Nuͤance verſchieden.

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Prinz Rupert, von van Dyk. Ganz der kühne Sol - dat, jeder Zoll ein Cavalier! Du weißt, daß die Anhänger des Königs ſich damals ausſchließend Ca - valiere nannten. Ich meine jetzt aber damit den Vornehmen und Ritterlichen. Ein ſchönes, den Wei - bern wie dem Feinde gefährliches Geſicht, und eine maleriſche Kriegertracht und Haltung.

Eliſabeth, von Holbein. Das beſte, und vielleicht ähnlichſte Bild, was ich bis jetzt von ihr geſehen. Sie iſt in ihrer Blüthe dargeſtellt, ziemlich widerlich weiß, mit ſehr blaßröthlichen Haaren. Die Augen etwas Albinosartig, faſt ohne Augenbraunen. Das viele Weiße darin giebt ihnen, trotz ihrer künſtlichen Freundlichkeit, einen falſchen Ausdruck. Man glaubt zu entdecken, daß heftige Begierden und beharrliche Leidenſchaften unter dieſer blaſſen Hülle verborgen ſind, wie ein Vulkan unter dem Schnee, und erblickt hinlänglich jene eitle Sucht, zu gefallen, in der über - reichen, mit Zierrathen überladenen Kleidung. Ganz anders, ſtreng, hart und gefährlich zu nahen, erſcheint ſie in den Bildern ihres ſpätern Alters, aber auch da immer noch gleich übertrieben geputzt.

Maria von Schottland. Wahrſcheinlich im Gefäng - niß und kurz vor ihrem Tode gemalt; denn ſie hat hier das Anſehn einer vierzigjährigen Matrone. Noch immer eine gediegene Schönheit, aber nicht mehr die leichtſinnige, Leben und Reize üppig genießende Ma - ria, ſondern ſichtlich geläutert durch Unglück, ernſten237 Ausdrucks, Schillers Maria, eine edle Natur, die ſich endlich ſelbſt wiedergefunden hat! Es iſt eins der ſeltneren Bilder dieſer vielbeweinten Königin, die man ſonſt immer jung und glänzend geſchildert zu ſehen gewohnt iſt.

Ignaz Loyola, von Rubens. Ein ſehr ſchön ge - maltes, großes Bild, dem man es indeſſen anmerkt, daß es nur eine Fiktion, und kein Portrait iſt. Der heilige, ganz gewöhnliche geiſtliche Ausdruck iſt nichtsſagend, und das Colorit daran bei weitem das Schönſte.

Doch ich würde nicht aufhören, wenn ich die ganze Gallerie durchgehen wollte. Alſo laß Dich in das letzte Kabinet führen, wo ſich noch eine ſchöne Samm - lung von Majolica und Email, größtentheils nach Zeichnungen von Raphael, befindet, ſo wie eine Mar - morbüſte des ſchwarzen Prinzen, eines derben Sol - daten mit Kopf und Fauſt, aus einer Zeit, wo die letzte allein oft ſchon zu großem Ruhme hinlänglich war. Viele koſtbare etruskiſche Vaſen, nebſt andern Kunſtwerken, dienen den verſchiedenen Zimmern, auſſer den Gemälden und Antiken, zum Schmuck, und es iſt ſehr zu loben, daß ſie hierzu verwandt, und nicht in einer Galerie als todte Maſſe zuſam - mengehäuft ſind! Es wurde mir als eine Merkwür - digkeit der genauen und feſten Bauart des Schloſſes gezeigt, daß ohngeachtet ſeines Alters, wenn alle Thüren der Enfilade geſchloſſen ſind, man aus dem letzten Kabinet, die ganze Weite von 350 Fuß ent -238 lang, durch die Schlüſſellöcher eine am andern Ende gerade in der Mitte ſtehende Büſte erblicken kann! In der That eine merkwürdige Genauigkeit, die unſere Handwerker ſobald noch nicht begreiflich oder gar ausführbar finden werden! Obgleich, wie ich Dir erzählte, ſchon die Wände der Halle mit ei - ner Unzahl von Waffen bedeckt ſind, ſo befindet ſich doch auch noch eine eigene Rüſtkammer im Schloſſe, die auſſerordentlich reich iſt. Hier wird unter andern Lord Brooks lederner, noch mit ſchwarz gewordnem Blut befleckter Koller aufgehoben, in dem dieſer nicht unberühmte Vorfahr der jetzigen Grafen, in der Schlacht von Lichfield getödtet wurde. In der einen Ecke des Zimmers liegt ein ganz eigenthümli - ches Kunſtwerk, von ſehr heterogener Natur mit den Uebrigen, eine in Eiſen gegoſſene Meerkatze, aber von einer Vollkommenheit und Abandon in ihrer Stel - lung und ihren Gliedern, die die Natur ſelbſt erreicht. Es that mir ſehr leid, nicht von der Caſtellanin er - fahren zu können, wer das Modell zu dieſem Guſſe gemacht. Es muß ein bedeutender Künſtler geweſen ſeyn, der alle Affengrazie und Gelenkigkeit, in dieſer Stellung, welche in der behaglichſten Faulheit ſchwelgt, mit ſo viel Wahrheit auszudrücken vermochte.

Ehe ich von dem prachtvollen Warwick ſchied, be - ſtieg ich noch den höchſten der beiden Thürme, und genoß dort eine ſchöne und reiche Ausſicht nach allen Seiten hin bei ziemlich hellem Wetter. Weit ent - zückender als dieſes Panorama war aber der lange239 Spaziergang in den Gärten, die das Schloß von zwei Seiten umgeben, und in ruhiger Größe dem Charakter deſſelben ganz angemeſſen ſind. Die Höhe und Schönheit der Bäume, wie die Ueppigkeit der Vegetation und des Raſens kann nirgends übertrof - fen werden, während eine Menge rieſenmäßiger Ce - dern (vom Libanon genannt), und die ſich jeden Au - genblick neu geſtaltenden Anſichten der majeſtätiſchen Burg in deren hohen Zinnen transparente Kreu - zesformen, den Lichtſtrahlen ein immer wechſelndes Spiel gewähren einen ſolchen Zauber über das Ganze webten, daß ich mich nur mit Gewalt davon losreißen konnte. Wir gingen bis zum anbrechenden Mondſchein, der alles noch gigantiſcher erſcheinen ließ, in den dunkelnden Gängen umher, und konn - ten deßhalb nur bei Laternenlicht die berühmte coloſ - ſale Warwick-Vaſe, welche mehrere hundert Gallonen Waſſer enthalten kann, und mit der ſchönſten Arbeit geziert iſt, ſo wie die Alterthümer beſehen, welche in der Loge des Pförtners aufbewahrt werden, und hauptſächlich in den antediluvianiſchen Stierhörnern und Eberzähnen beſtehen, die man Thieren zuſchreibt, welche der fabelhafte Ahnherr der erſten Grafen von Warwick, Guy, aus der Sachſenzeit, erlegt haben ſoll. Die Dimenſionen ſeiner, ebenfalls hier aufbe - wahrten Waffen, verrathen einen Rieſen von größe - ren Kräften, als ſie jetzt die Natur hervorbringt.

Hier nahm ich endlich zögernden Abſchied von War - wick-Caſtle, und legte die Erinnerung wie einen240 Traum erhabener Vergangenheit an mein Herz, und mir war in dem dämmernden Mondenlicht wie einem Kinde, dem ein phantaſtiſches Rieſenhaupt aus ferner Zeit über den Wipfeln des Waldes freundlich zu - genickt.

Mit ſolchen Phantaſieen, gute Julie, will ich ein - ſchlummern, und dem Morgen wieder entgegentreten, der mir auch Romantiſches beut die Ruinen von Kenilworth!

Ich fahre in meiner Erzählung fort. Der Badeort Leamington (car il faut pourtant que j’en dise aussi quelque chose) beſtand vor dreißig Jahren noch aus einem kleinen Dorfe, und bildet jetzt ſchon eine reiche und elegante Stadt, die 10 12 Pallaſtartige Gaſthöfe, vier große Badehäuſer mit Colonnaden und Gärten, mehreren Leſebibliotheken, die mit Spielzim - mern, Billard -, Concert und Tanzſälen (wovon ei - ner für 600 Perſonen) verbunden ſind, und einer Unzahl von Privathäuſern, die blos zum Gebrauch der Badegäſte dienen, und fortwährend wie Pilze aus der Erde wachſen. Dergleichen iſt hier Alles im coloſſalen Maaßſtabe, obgleich die Wäſſer eigentlich ſehr unbedeutend ſind, etwas ſchwefel - und ſalzhaltig. Man benutzt daſſelbe Waſſer zum Baden und Trin -241 ken, und noch jetzt wimmelte es von Badegäſten. Die Bäder ſind ſo geräumig wie die engliſchen Bet - ten, in den Boden eingelaſſen, oben mit Eiſenplatten umlegt, und durchaus mit Porzellaintafeln ausge - füttert. An den Seiten haben ſie noch beſondere Sitze.

Eine elegante und ſehr bequem zu applizirende Douche, nebſt einer nützlichen Maſchine, um unbe - hülfliche Kranke auf ihren Stuhl mit leichter Mühe in ihren Bereich zu bringen, verdiente auch bei uns Nachahmung. R .. nahm eine Zeichnung davon. Die Trinkanſtalt befand ſich in einem Saale von der Größe eines Exercierhauſes, um ſich hinlängliche Mo - tion darin machen zu können, und die Röhren aus dem das Waſſer floß, wie die Hähne zum Drehen, waren, ſo weit ſie ſichtbar wurden, aus maſſivem Silber. Das Waſſer ſelbſt ſchmeckte, wie alle Schwe - felwäſſer, faulig und fatal.

Nicht weit von Leamington, und eine Stunde von Warwick, befindet ſich ein höchſt lieblicher und reizen - der Ort, Guy’s Cliff genannt, deſſen kleines Schloß theilweiſe eben ſo alt als Warwick Caſtle iſt. Darun - ter ſieht man in den pittoresken Felſenufern des Avon eine tiefe Höhle, in welche ſich, der Sage nach, der geſtern ſo oft erwähnte Guy von Warwick, nach vie - len großen Thaten im In - und Auslande, heimlich begab, um ſein Leben in frommer Contemplation zu beſchließen.

Briefe eines Verſtorbenen. III. 16242

Nach zwei Jahren ununterbrochener Nachforſchun - gen ſeiner troſtloſen Gemahlin fand dieſe einſt ſelbſt auf der Jagd ihn hier todt in ſeiner Höhle liegen, und ſtürzte ſich aus Verzweiflung über die Felſen hinab in den Avon, wo ſie ſchnellen Troſt im Tode fand. Auf derſelben Stelle wurde ſpäter zum An - denken dieſer tragiſchen Begebenheit eine geräumige Kapelle in den Felſen gehauen, die noch beſteht, und mit der Statue Guy’s von Heinrich III. geziert ward. Dieſe letztere aber iſt leider von Cromwells Truppen ſpäter ſo mütilirt worden, daß ſie nur noch einem unförmlichen Blocke ähnlich ſieht. Gegenüber der Kapelle ſind 12 Mönchszellen in den Felſen gehauen, die jetzt zu Ställen dienen; mit der innerlich ganz renovirten Kapelle aber iſt das Schloß des Beſitzers verbunden worden, von dem ein Theil gothiſch, und viele hundert Jahre alt, ein zweiter in ſpäterer Zeit im alt italiäniſchen Geſchmack, und ein dritter ganz neu, mit dem gothiſchen älteſten Theile gleichartig aufgebaut iſt. Das Ganze zeigt ſich äuſſerſt maleriſch, und eben ſo geſchmackvoll und anſprechend iſt das Innere eingerichtet. Beſonders fand ich das größere Geſell - ſchaftszimmer mit zwei großen herausſpringenden Fen - ſtererkern höchſt freundlich. Das eine dieſer Fenſter ſteht auf dem, 30 Fuß ſenkrecht hinabſinkenden Felſen, gerade über dem Fluſſe, der nahe dem Schloſſe eine lieblich geformte Inſel bildet, hinter welcher ſich eine weite Ausſicht auf üppige Wieſen, ſchöne Bäume, und im Hintergrunde ein im Walde halb verſtecktes Dorf ausbreitet. Seitwärts ſah man, ohngefähr in243 einer Entfernung von 1000 Schritten, eine uralte Mühle, welche ſchon zur Zeit des Einfalls der Nor - mannen exiſtirt haben ſoll. Ein wenig weiter ſchloß ſich das Bild mit einem bebuſchten Hügel, noch im Bereich des Parks, auf dem ein hohes Kreuz die Stelle anzeigt, wo Gaveſton, der berüchtigte Lieb - ling Eduard III., nachdem er von den rebelliſchen Großen, namentlich Warwick und Arundel gefangen worden war, ohne Erbarmen hingerichtet wurde. Alle dieſe Erinnerungen, mit ſo viel Naturſchönhei - ten vereinigt, machen einen großen Eindruck. Das andere Fenſter bot dagegen den vollſtändigſten Con - traſt mit dem erſten dar. Es ging zu ebner Erde auf, und zeigte nichts als einen ſehr niedlichen, von hohen Bäumen umſchloſſenen, franzöſiſchen Blumen - garten, in dem bunte Porzellainſtückchen und farbi - ger Sand mit den Blumen abwechſelten, gegenüber eine herrliche mit Epheu übervoll umrankte Allee, in ſpitzen Bogen ausgeſchnitten. Im Zimmer ſelbſt brannte ein behagliches Kaminfeuer, ausgezeichnete Gemälde ſchmückten die Wände, und viele Sophas von verſchiedenen Formen, ſo wie Tiſche mit Curio - ſitäten bedeckt, und in angenehmer Unordnung zer - ſtreute Meubles ließen Alles auf’s wohnlichſte und anmuthigſte erſcheinen.

Ich kehrte von hier noch einmal nach der Stadt Warwick zurück, um die dortige Kathedrale zu beſu - chen, und die Kapelle, mit des großen Königsentthro - ners Beauchamp’s Grab-Monument, das er ſich ſelbſt16*244noch bei Lebzeiten ſetzen ließ, und auch darunter ruht. Seine Statue von Metall liegt oben auf dem Sar - kophage, mit einem Adler und einem Bären zu ſei - nen Füßen. Der Kopf iſt ſehr ausdrucksvoll und na - türlich. Er faltet nicht die Hände, wie es ſonſt bei den alten Ritterſtatuen faſt immer der Fall iſt, ſon - dern erhebt ſich blos etwas gegen den Himmel, wie einer, der nicht eben beten will, ſondern nur den lieben Gott mit ſchuldiger Höflichkeit willkommen heißen, wozu er zwar den Kopf geneigt hat, aber keineswegs demüthig ausſieht! Rund an den Sei - ten des Steinſarges ſind die bunt bemalten Wappen aller ſeiner Herrſchaften angebracht, und ein unge - heures Schwerdt liegt ihm noch drohend zur Seite. Die herrlichen bunten Fenſter, und die vielfachen, wohl erhaltenen und reich vergoldeten Zierrathen ge - ben dem Ganzen ein ungemein feierliches Anſehn.

Unglücklicher Weiſe hat man vor 150 Jahren einer Familie aus der Stadt erlaubt, gerade unter dem größten, dem Eingang gegenüber ſtehenden Fenſter, ein Monument für, ich weiß nicht welchen Landjun - ker aus ihrem Hauſe, aufzuführen, welches die ganze Wand einnimmt, und der ſchönen Einheit des Gan - zen durch ſeine abſcheulichen modernen Schnörkel ei - nen wahren Schandfleck aufdrückt.

An der Seitenwand ſteht, oder liegt vielmehr auf ſeinem Sarge, in Stein gehauen ein anderer Ein - dringling, aber von beſſerem Schroot und Korn; denn es iſt kein Geringerer als der mächtige Graf von Lei -245 ceſter, noch in mittleren Jahren abgebildet; wie es ſcheint, ein ſchöner, vornehm und ſtolz ausſehender Mann, doch ohne die Genialität in ſeinen Zügen, die des großen Warwicks metallnes Bild ſo ſprechend ausdrückt.

Wenige Poſten von Leamington in einer immer einſamer und dürftiger werdenden Gegend liegt Ke - nilworth.

Mit W. Scotts anziehendem Buche in der Hand, betrat ich die, ſo mannigfaltige Gefühle hervorrufende Ruine. Sie nimmt einen Raum von mehr als einer Viertelſtunde Umfang ein, und zeigt, obgleich in ſchnellem Verfall, noch viele Spuren großer einſtiger Pracht. Der älteſte Theil des Schloſſes, der 1120 erbaut wurde, ſteht noch am feſteſten, während Graf Leiceſters neu hinzugefügte Gebäude ſchon faſt der Erde gleich ſind. Der weite See, der damals das Schloß umgab, und um welchen ſich ein Park von 30 engliſchen Meilen Umfang ausbreitete, iſt unter Cromwell ausgetrocknet worden, in der Hoffnung, verſenkte Schätze darin aufzufinden, und auch der Park längſt verſchwunden, und jetzt in Felder umge - wandelt, auf welchen man einzelne Hütten zerſtreut erblickt. Ein frei ſtehender und abgelegener Theil der Schloßgebäude, den Schlingpflanzen aller Art faſt verbergen, iſt zu einer Art Vorwerk umgewan - delt, und die ganze Gegend hat ein ärmeres, ver - laſſeneres und melancholiſcheres Anſehn, als irgend ein Theil des Landes, den wir bisher durchfuhren. 246Doch iſt dieſer öde Charakter dem Ganzen nicht un - angemeſſen, und erhöht vielleicht noch den wehmüthi - gen Eindruck ſo tief gefallner Größe.

Noch ſteht der Söller, Eliſabeths Bower genannt, und die Sage geht bei den Landleuten, daß oft bei mondhellen Nächten eine weiße Geſtalt dort geſehen worden ſey, ſtumm und ſtill in die Tiefe hinabſchauend. Die Rudera der Bankethalle mit dem Rieſen-Kamin, der weitläuftigen Küche und den Weinkellern darun - ter, ſind noch deutlich zu erkennen, ja manches ein - ſame Zimmerchen mag noch in den Thürmen wohl erhalten ſeyn, wohin ſchon längſt kein Zugang mehr führt. Die Phantaſie ergötzt ſich, aus dem noch Be - ſtehenden die Vergangenheit zu errathen, und oft träumte ich, bei dem Umherklettern zwiſchen den Trümmern, jetzt die Stelle aufgefunden zu haben, wo der ſchändliche Vernon die treueſte und unglück - ſeligſte der Gattinnen in ewige Nacht verrätheriſch hinabſtieß! Doch gleich vergeſſen ſind jetzt Verbrechen wie Großthaten, die innerhalb dieſer Mauern geſcha - hen; über ſie hat längſt die Zeit ihren Alles bedecken - den Schleier gelegt, und dahin ſind die ewig ſich wiederholenden Leiden und Freuden, die vermoderte Pracht und das vergängliche Streben.

Der Tag war trübe, ſchwarze Wolken rollten am Himmel, hinter denen ſelten ein gelber, fahler Schein hervorbrach, der Wind flüſterte im Epheu, und pfiff hohl durch die leeren Fenſter, hie und da zuweilen einen loſen Stein von den zerbröckelten Mauern ablö -247 ſend, und mit Gepraſſel in den Burgwall herunter ſchleudernd. Kein menſchliches Weſen ließ ſich ſehen; alles war einſam, ſchauerlich, ein düſtres, aber er - habnes Denkmal der Vernichtung.

Solche Augenblicke ſind eigentlich tröſtend! Man fühlt lebhafter als ſonſt, daß es nicht der Mühe werth iſt: ſich über irdiſche Dinge zu grämen, da die Sorge wie das Glück nur eine Spanne Zeit dauert. Auch mich ergriff noch heute der ewige Wechſel des Men - ſchenlebens, und verſetzte mich am Abend, im ſchreien - den Contraſt mit der lebloſen Ruine, in das proſai - ſche Gewühl einer nur mit Gewinn beſchäftigten Menge, in die dampfende, rauchende, wimmelnde Fabrikſtadt Birmingham. Der letzte romantiſche An - blick für mich waren die Feuer, welche bei der anbre - chenden Dunkelheit die Stadt auf allen Seiten aus den langen Eſſen der Eiſenhämmer umleuchteten, dann entſagte ich den Spielen der Phantaſie bis auf geleg - nere Zeit.

Birmingham iſt eine der anſehnlichſten und zugleich häßlichſten Städte Englands. Sie zählt 120,000 Ein - wohner, wovon gewiß zwei Drittel Fabrikarbeiter ſind, auch gewährt ſie nur den Anblick eines unermeßlichen Atteliers.

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Ich begab mich ſchon nach dem Frühſtück in die Fabrik des Herrn Thomaſſon, unſers hieſigen Con - ſuls, der zweiten an Größe und Umfang; denn die anſehnlichſte von allen, wo 1000 Arbeiter täglich be - ſchäftigt ſind, und wo von der Dampfmaſchine zu 80 Pferden Kraft bis zum Livreeknopfe und der Steck - nadel unzählige Gegenſtände verfertigt werden, iſt ſeit dem Beſuch der öſtreichiſchen Prinzen (deren Ge - folge einige wichtige Geheimniſſe erlauſcht haben ſoll) für jeden Fremden ohne Ausnahme hermetiſch ver - ſchloſſen worden.

Ich hielt mich hier, obgleich in abſcheulichen, ſchmu - zigen und ſtinkenden Löchern, die zu den verſchiedenen Atteliers dienten, doch mit vielem Intereſſe mehrere Stunden auf, und machte ſelbſt einen Knopf, den Dir R als ein Zeichen meines Fleißes mitbrin - gen ſoll.

Im untern Stock ſind in beſſerem Lokale alle die Erzeugniſſe ausgeſtellt, welche die Fabrik liefert, von Gold, Silber, Bronze, plattirten und Lackwaaren (die in ihrer Nachahmung die chineſiſchen Originale ſelbſt übertreffen) Stahlſachen in jeder Geſtalt u. ſ. w. in einer Menge und Eleganz geordnet, die wirklich Staunen erregt. Unter andern ſah man hier eine Copie der geſtern beſchriebenen ungeheuren Warwick - Vaſe, von derſelben Größe wie das Original, in Bronze gegoſſen, welche 4000 £. St. koſtete, ſo wie prachtvolle Tafelſervice in Silber und plate, welches letztere jetzt auf eine Art gearbeitet wird, daß man249 es von keiner Seite mehr vom Silber unterſcheiden kann, daher auch ſelbſt die Großen gar häufig plate mit Silber vermiſchen, wie die Pariſer Damen fal - ſche Steine und Perlen mit ächten.

Eine Menge neue und angenehme Erfindungen des Luxus lernte ich im Kleinen und Großen hier kennen, und widerſtand auch nicht ganz der Kaufluſt, die hier ſo viel Nahrung findet, doch beſchränkte ich mich blos auf Kleinigkeiten, die in einer wohlverpackten Kiſte nächſtens bei Dir ankommen werden.

Die Eiſenwerke mit ihren rieſenhaften Dampfma - ſchinen, die Nadelfabriken, die Stahlfabrikation, wo man von der kleinſten Scheere bis zum größten Ka - min, und ganzen hell wie Spiegel polirten Treppen, alle dazwiſchen liegende Nüancen aufgehäuft findet alles das zu ſehen füllt einen Tag recht angenehm aus, doch erlaß mir die nähere Beſchreibung, ce n’est pas mon metier.

Da heute am Sonntage die Fabriken Ruhe haben, machte ich eine Excurſion nach Astonhall, dem Land - ſitze des Herrn Watt, wo zwar für die Gärtnerei ſich wenig Ausbeute zeigte, in dem alten Schloſſe ſich aber viele curieuſe Portraits befinden. Leider konnte mir ein unwiſſender Portier nur über wenige Auskunft geben.

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Aeußerſt ſchön war ein Bild in Lebensgröße von Guſtav Adolph. Die Freundlichkeit, Würde und Klug - heit, die klaren, biedern, und doch mehr als das noch ſagenden Augen, und die ſanfte, aber nicht weniger feſte Sicherheit in ſeiner ganzen Erſcheinung waren höchſt anziehend. Daneben ſtand eine treffliche Büſte Cromwells, die ich noch für ähnlicher halten möchte, als das Gemälde in Warwick, weil ſie dem hiſtori - ſchen Charakter angemeſſener iſt. Grobe, und wenn man will, gemeine Züge, aber eine Felſennatur im ganzen Antlitz, hier deutlich verſchwiſtert mit jener finſtern Schwärmerei und dömoniſchen Liſt, die den Mann ſo treu charakteriſiren.

Zwei Kanonenkugeln, die Cromwell in das Schloß, welches damals feſt war, werfen ließ, und die das Treppengeländer an zwei Stellen zerſchmetterten, wer - den ſorgfältig auf dem Fleck gelaſſen, wo ſie hinfielen, und das Geländer wird nicht reparirt, obgleich es ſeitdem, alberner Weiſe, ſammt dem zerſtörten Theile mit weißer Oelfarbe neu angeſtrichen worden iſt.

Um den morgenden Tag nicht auch zu verlieren, da außer den Fabriken hier nichts zu ſehen iſt, denke ich heute Abend noch, und die Nacht durch, nach Cheſter zu fahren. Dort wollen wir morgen Eaton, den be - rühmten Park des Lord Grosvenor ſehen, von dem ich Dir ſchrieb, daß Bathiany mir eine ſo prächtige Beſchreibung gemacht hätte, und der nach Allem, was ich höre, gewiß erreicht, was Geld erlangen kann. Uebermorgen komme ich dann wieder hierher, beſehe251 die übrigen Fabriken und gehe dann über Oxford zu - rück, in deſſen Nähe zwei der größten Parks in Eng - land, Blenheim und Stowe, nebſt mehreren Andern noch mit beſucht werden ſollen.

Wieder ein Jahr dahin! keines der ſchlechteſten für mich, außer der Trennung von Dir. Ich hatte die Leſelampe im Wagen angezündet, und durchlief be - haglich den neueſten Roman der Lady Morgan, wäh - rend wir im Gallop in der Ebene dahinrollten. So wie der Zeiger ſeiner Uhr auf 12 ſtand, gratulirte mir R .... für mich und Dich zum neuen Jahr. Zwölf Stunden ſpäter erreichten wir Cheſter, eine alterthümliche barokke Stadt.

Obgleich wir die 19 deutſche Meilen von Birming - ham hierher in 13 Stunden zurücklegten, ſo finde ich doch, daß in England wie in Frankreich, je mehr man ſich von der Hauptſtadt entfernt, eine allmählige Ab - nahme in vielem Guten ſtattfindet, die Gaſthöfe we - niger vorzüglich, die Poſtpferde ſchlechter, die Poſtil - lons ſchmutziger, die Kleidung der Leute überhaupt unanſehnlicher, und das vielfach ſich drängende Leben einſamer wird. Dabei nimmt die Theurung im um - gekehrten Verhältniſſe zu, und man iſt einzelnen Prellereien unterworfen, die in größerer Nähe Lon - dons wegen der ſtarken Concurrenz faſt nie vorfallen.

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Das Wetter war uns im neuen Jahre noch un - günſtiger als im vorigen. Es regnete den ganzen Tag. Wir eilten, ſobald ich ein wenig Toilette ge - macht hatte, die Wunderdinge von Eaton hall zu ſe - hen, von denen ich jedoch keine zu große Erwartung begte. Ich fand auch, ſelbſt meine mäßigen Hoffnun - gen kaum erfüllt, denn der Park und die Gärten wa - ren, meinem Geſchmack nach, von allen bisher be - ſchriebenen dieſer Categorie am unbedeutendſten, ob - gleich von ſehr großem Umfang, und das Haus er - weckte ganz dieſelben Empfindungen wie Ashridge in mir, nur mit dem Unterſchiede, daß es noch überlad - ner, und auch innerlich weit weniger ſchön, obwohl ungleich theurer meublirt war. Man fand alle mög - liche Pracht und Oſtentation, die ein Mann nur an - wenden kann, der jährlich eine Million unſres Geldes Revenüen, aber Geſchmack vielleicht nicht in demſelben Verhältniß beſitzt. Ich bemerkte in dieſem Chaos von neugothiſchem Geſchnörkel, ſchlecht gemalten, moder - nen Glasfenſtern, und unförmlichen Tiſchen und Stüh - len, welche höchſt unpaſſend architektoniſche Verzierun - gen nachahmten, auch nicht eine Sache, die mir des Aufzeichnens werth geſchienen hatte, und es iſt mir völlig unbegreiflich, wie Herr Lainé, deſſen Verdienſte um die Verſchönerung ſeines Vaterlandes man alle Gerechtigkeit wiederfahren laſſen muß, in den Anna - len des Berliner Gartenvereins, dieſem Park vor al - len, die er geſehen, den Vorzug geben kann, worüber ſich die engliſchen Kritiker auch etwas luſtig gemacht haben. Herr Lainé ahmte vor dem neuen Palais in253 Potsdam den bieſigen Blumengarten nach. Ich hätte mir, ich geſtehe es, an ſeiner Stelle ein andres Mu - ſter gewählt, doch paßt dieſer Styl ſich allerdings vor dem dortigen Palais weit beſſer, als vor einer gothi - ſchen Burg. Kunſtſchätze ſind mir hier gar nicht vor - gekommen, bis auf einige mittelmäßige Gemälde von Weſt; alle Pracht liegt in den Stoffen und dem auf - gewandten Gelde, wie der coloſſalen Größe der Staats - zimmer und der Bibliothek, die als Reitbahn dienen könnte. Das große Portrait des Beſitzers und ſeiner Gemahlin im Speiſeſaal gewährt auch wenig Intereſſe, außer für Bekannte. Eine Menge affreuſe gothiſche Tempelchen verunſtalten den pleasure ground, der überdieß, ſo wie der Park, keine ſchönen Bäume hat, indem der Boden ungünſtig iſt, und die Anlage überall nicht alt zu ſeyn ſcheint. Die Gegend iſt indeß recht leidlich, obwohl nicht ſehr pittoresk, und zu flach.

Da uns noch Zeit übrig blieb, beſahen wir das königliche Schloß in Cheſter, welches jetzt in ein vor - treffliches Grafſchafts-Gefängniß umgewandelt iſt, deſſen Einrichtung mir eben ſo menſchlich als muſter - haft in jeder Hinſicht erſchien. Der Anblick von der Terraſſe des Corps de Logis, in dem die Gerichts - ſäle ſind, auf die Gefangenen in ihren Höfen tief darunter, iſt höchſt überraſchend.

Denke Dir eine hohe Felſenterraſſe, auf der ein Schloß mit zwei Flügeln ſteht. Das Corps de Logis iſt, wie geſagt, für die Gerichts-Lokale beſtimmt, die ſehr geräumig ſind, und die Flügel für die Gefan -254 genen, welche wegen Schulden ſitzen. Der Hof bildet ein Gärtchen, wo dieſe Schuldner ſpazieren gehen können. In der Tiefe unter dem Hofe iſt eine Art Zwinger in Sternform, durch hohe Mauern in viele Abtheilungen ſeparirt, hinter denen ein halbmondſör - miges Gebäude hinläuft, welches die Friedensſtörer, Diebe und Mörder beherbergt. Im letzten Theile deſ - ſelben rechts ſind die Weiber eingeſperrt. Jeder der einzelnen Strahlen des Zwingers iſt als ein Blumen - garten benutzt, mit Gängen durchſchnitten, und zum Gebrauch der Gefangenen beſtimmt, die, ſo lange ſie noch nicht verurtheilt ſind, in grauer Kleidung, nach der Verurtheilung aber in halb grüner, halb rother erſcheinen. In jeder Abtheilung des hintern Gebäu - des iſt unten ein Geſellſchaftszimmer, wo an Wochen - tagen gearbeitet und dazu Feuer gemacht wird. Die Zellen ſind reinlich und luftig, die Nahrung verſchie - den, nach dem Grade des Verbrechens, bei der letzten Claſſe nur Brod, Kartoffeln und Salz. Heute als am Neujahrstag hatten dagegen alle Roaſtbeef, Plum - pudding und Ale bekommen, waren größtentheils, be - ſonders die Weiber, ſehr animirt, und machten einen furchtbaren Lärm mit Hurraſchreien auf das Wohl des Stadtmagiſtrats, der ihnen dieſe Fete gegeben.

Die Ausſicht von der obern Terraſſe, über die Gar - tenzwinger, die Gefängniſſe und eine herrliche Ge - gend, wo man den Fluß in der Tiefe gleich hinter den Gefangenzellen ſtrömen, ſeitwärts die Dächer und Spitzen der Stadt in maleriſchem Wirrwarr, und in der Entfernung die Berge von Wales erblickt, iſt255 herrlich, und à tout prendre wohnen bei uns ſelten die Oberlandesgerichtsräthe ſo gut als hier die Spitz - buben.

Ich danke dem Himmel, daß wir morgen die Rück - reiſe antreten, da ich Merkwürdigkeiten und Parks gänzlich überdrüßig bin. Ich fürchte ſehr, daß es Dir mit meinen monotonen Briefen eben ſo gehen wird, indeſſen wer A geſagt hat, muß auch B. ſagen, und ſo mache Dich noch auf ein Dutzend Parks mehr gefaßt, ehe wir das neblige London wieder erreichen.

Indeſſen ſende ich noch heute die vorliegende Epiſtel nach der Hauptſtadt, um Dir wenigſtens eine wohl - thätige Intervalle zu gönnen, und bitte dann Gott, Dich in ſeinen guten und treuen Schutz zu nehmen.

Dein ewig ergebner L ....

[256]

Zehnter Brief.

Geliebte Freundin!

Obgleich ich geſtern mich ſehr Parkblaſirt fühlte, und nicht glaubte, noch irgend ein lebhaftes Intereſſe für dergleichen faſſen zu können, ſo bin ich doch heute wieder umgewandelt worden, und muß Hawkestone ſogar vor dem bisher Geſehenen den Vorzug geben, welchen ihm, nicht Kunſt, noch Pracht und ariſtokra - tiſcher Glanz, ſondern die Natur allein verleiht, die hier Außerordentliches gethan hat, ja in einem Grade, daß ich, ſelbſt mit der Macht begabt, der Schönheit dieſer Gegend noch etwas hinzuſetzen (Gebäude aus - genommen) nicht aufzufinden wüßte, was?

Es ſcheinen hier durchaus alle Elemente für die günſtigſte Lage vereinigt, wie Du aus einer einfachen Beſchreibung ſelbſt entnehmen wirſt.

257

Wirf alſo Deine Geiſtesaugen auf einen Erdfleck von ſolchem Umfang, daß Du von dem höchſten Punkt darin, rund umher den Blick über 15 verſchiedene Grafſchaften ſchweifen laſſen kannſt. Drei Seiten die - ſes weiten Panorama’s heben und ſenken ſich in ſte - ter Abwechſelung mannichfacher Hügel und niedriger Bergrücken, gleich den Wogen der bewegten See, und werden am Horizont von den höchſt ſeltſam geform - ten, zackigen Felſen und hohen Gebirgen von Wallis umgeben, die ſich auf ihren beiden Enden ſanft nach der vierten Seite der Ausſicht, einer fruchtbaren, von Tauſenden hoher Bäume beſchatteten Ebene abdachen, welche in dämmernder Ferne, da, wo ſie mit dem Himmelsgewölke zuſammen fließt, von einem weißen Nebelſtreife, dem Meere, begränzt wird.

Das Walliſer Gebürge iſt zum Theil mit Schnee bedeckt, und alles fruchtbare Land dazwiſchen ſo eng mit Hecken und Bäumen durchwürkt, daß es in der Ferne mehr den Anblick eines lichten Waldes gewährt, den nur[hie] und da Gewäſſer, mit unzähligen größe - ren und kleineren Wieſen und Feldern durchſchneiden. Grade in der Mitte dieſer Scene ſtehſt Du nun auf einer Berggruppe, über die nahen Wipfel alter Bu - chen - und Eichwälder hinſchauend, die oft mit den üppigſten Wieſenabhängen abwechſeln, und deren In - neres 5 600 Fuß hohe Felſenwände mit hellgrün - glänzenden, zu Tage gehenden Kupferadern, nach meh - reren Richtungen durchkreuzen, und vielfache tiefe Gründe und freundliche Thäler bilden. An einer der finſterſten Stellen dieſer Wildniß erheben ſich die ur -III. Briefe eines Verſtorbenen. 17258alten Ruinen der rothen Burg , ein prachtvolles An - denken aus den Zeiten Wilhelm des Eroberers. Nun denke Dir noch, daß dieſe ganze romantiſche Berg - gruppe, die ſich, ganz für ſich allein beſtehend, aus der Ebne erhebt, faſt in regelmäßigem Kreiſe von den ſilberhellen Wellen des Hawk-Fluſſes umſtrömt wird, und dieſer ſo natürlich eingeſchloſſene Raum eben der Park von Hawkstone iſt, ein auch in der Umgegend ſo anerkannt reizender Ort, daß die jungen Ehepaare aus den nahen Städten Liverpool und Shrewsbury ſeit lange die Gewohnheit haben, wenn ihre Trauung in die ſchöne Jahreszeit fällt, die erſten Wochen des neuen ſüßen Glücks in Hawkstone zuzubringen. Viel - leicht iſt dies die Urſache, daß dieſer Park, ganz wi - der die engliſche Sitte, mehr dem Publikum als ſei - nem Beſitzer gewidmet iſt, der gar nicht hier wohnt, ja deſſen Haus verfallen und unanſehnlich in einem Winkel des Parks, gleich einem hors d’oeuvre, ver - borgen liegt. Dagegen iſt ein ſchöner Gaſthof darin erbaut, der beſagte Ehepaare, ſo wie Liebende aller Art, nebſt andern Naturfreunden, mit den ausge - ſuchteſten Betten und ſolider Stärkung durch Speiſe und Trank verſorgt. Hier ſchlugen auch wir unſer Lager auf, und begannen, nach einem guten Frühſtück à la fourchette, den langen Weg zu Fuß denn wegen des ſchwierigen Terrains kann der Park nicht befahren werden. Die kletternde Promenade, die im Winter ſogar nicht ganz ohne Gefahr iſt, dauerte vier Stunden.

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Ueber einen weiten Wieſenplan, von Eichen beſchat - tet und von waidenden Heerden bedeckt, wanderten wir auf ſehr naſſem Boden (denn es hatte leider die ganze Nacht geregnet und geſchneit) den Kupferfelſen zu. Dieſe erheben ſich über einen hohen Abhang alter Buchen, wie eine darüber hängende Mauer, und ſind oben wieder mit ſchwarzem Nadelholz gekrönt, was einen herrlichen Anblick gewährt. In dieſer natürli - chen Mauer befindet ſich die erſte Hauptparthie des Parks, die Grotte genannt, zu welcher man durch einen dunkeln in den Felſen gehauenen, bedeckten Weg von mehr als hundert Fuß Länge gelangt, nachdem man vorher eine geraume Zeit im Walde mühſam im Zickzack bergan geſtiegen. Die Grotte beſteht aus meh - reren Höhlen, mit allerlei Steinen und Metallerzen inkruſtirt, in welchen einige angebrachte Oeffnungen, die mit bunten, brillantartig geſchliffenen, kleinen Glasſcheiben ausgeſetzt ſind, in der Dunkelheit täu - ſchend Aladinſchen Edelſteinen gleichen. Eine alte Frau, welche wenigſtens 50 Jahre zählte, war unſre Füh - rerin, und erregte vielfach unſre Verwunderung durch ihre Ausdauer im Marſchiren, und der Gewandtheit, mit der ſie die Felſen in Pantoffeln auf und ab klet - terte, denn die unregelmäßigen, abſchüſſigen und ſpie - gelglatten Felſenſtufen waren zuweilen recht ſchwierig zu paſſiren, ſo daß der gute R., der obenein eiſerne Abſätze an ſeinen Stiefeln hatte, oft nur mit der größten Anſtrengung und bittern Klagen über die un - gemeine Beſchwerlichkeit: Felſen auf glatten Eiſen hinabzuklettern, den ſichern Boden wieder erreichte.

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Bei einem aus Stämmen und Aeſten erbauten Pa - villon, der mit Haidekraut gedeckt, und mit Moos austapeziert war, und eine pittoreske Ausſicht auf einen barock geſtalteten Berg darbot, (der Tempel der Geduld genannt) wandte ſich nun der Weg noch mehr in das Innere des Waldes, und führte uns zu der ſogenannten Schweizerbrücke, welche zwei Felſen kühn mit einander verbindet. Da das Geländer zum Theil herunter gefallen, und die Paſſage etwas ſchwind - licher Art war, ſo würde hier für meine gute Julie (im Fall ſie wirklich bis hierher hätte gelangen können) alles weitere Vordringen ein Ende gehabt haben. Wie gut iſt es alſo in ſolchen Fällen, einen ſo unermüdlichen Führer im Reiche der Einbildungskraft zu beſitzen, wie Du an mir haſt, der Dich ſofort mit leichter Mühe über die Teufelsbrücke hinüberſchwingt, und Dir nun einen thurmartigen Felſen zeigt, der aus den glatten Buchen ſchwarz hervortritt, dicht mit Dornen und Epheu bewachſen iſt, das in hundert Guirlanden herabhängt, und lange Zeit einen Fuchs beherbergte, der hier, ſicher vor den verfolgenden Hunden, Jahre lang ſeine Burg Malapartus aufge - ſchlagen hatte Dies iſt ein beglaubigtes Faktum, und hat dem Felſen den Namen Reinardshaus ver - liehen, den er noch trägt. Die Führerin behauptete ſogar, es habe ſich jetzt wieder ein neuer Bewohner dort angeſiedelt, doch konnten wir nichts von ihm erblicken. Bergauf, bergab ging es fort, und ſchon ziemlich müde erreichten wir endlich die Terraſſe, ein261 etwas offner Platz mit ſchönen, einzeln durch den Wald gehauenen Proſpekten.

Nicht weit davon, hinter ſehr hohen Bäumen, ſteht eine Säule von 120 Fuß Höhe, dem Stifter der Fa - milie des Beſitzers gewidmet, einem Londner Kauf - mann und Lord Mayor von London zur Zeit Hein - rich des III., deſſen Statur die Säule krönt. Eine bequeme Wendeltreppe führt im Innern des thurm - artigen Gebäudes bis auf die Spitze, von wo man eben das früher beſchriebene Panorama der 15 Graf - ſchaften ſtaunend überblickt. Durch immer wildere Felſenſchluchten gelangt man von hier, in tiefſter Ein - ſamkeit, zu einer lieblichen Cottage, am Ende eines freundlichen Wieſenthals gelegen, wo früher mehrere ſeltne Thiere und Vögel gehalten wurden, die jedoch jetzt nur noch ausgeſtopft ein Zimmer der Hütte be - wohnen. Als die dort als Aufſeherin angeſtellte junge Perſon ſie uns zeigte, bediente ſie ſich der lächerlichen Phraſe: Alle dieſe Thiere, die Sie hier ſehen, pfleg - ten ſonſt zu leben (used to live before). Das Ge - wächshaus, von Felſenſtücken und Baumäſten aufgebaut, ſo wie den gothiſchen Thurm, eine Art Luſthaus, übergehe ich, und geleite Dich wieder einen langen, langen Weg erſt durch Wald, dann über Wieſenhügel und durch eine ſchmale Schlucht, hierauf wieder mühſam einen Berg hinan, zu der prachtvollen Ruine, dem ſchauerlich gelegnen rothen Schloß. Weithin erſtrecken ſich die verwitterten Mauern und in den Felſen gehauenen Wälle dieſer Burg, zu deren Innern man nur durch einen zwei262 Fuß breiten, in Stein geſprengten, gewundenen Gang gelangt, deſſen Dunkelheit ſo groß iſt, daß ich mich genöthigt ſah, den Unterrock meiner Führerin als Faden der Ariadne zu ergreifen, weil ich wörtlich die Hand nicht vor den Augen ſehen konnte. Aus dieſem Schacht kömmt man in eine maleriſche Felſengaſſe mit glatten hohen Wänden, über die ſich Ebreſchen und andere Beerentragende Bäume hinwölben. Seitwärts erblickt man eine Höhle, deren weite Oeffnung noch mit einem verroſteten eiſernen Gitter verſchloſſen iſt. Auf einer beſchwerlichen Felſentreppe erreicht man endlich den oberſten Theil der Ruine, einen hohen dachloſen Thurm, in deſſen 15 Fuß dicken Mauern mancher hundertjährige Baum Wurzel geſchlagen hat, und in deſſen Innern ſich ein unabſehbarer Brunnen befindet, der bis in die Eingeweide der Erde zu gehen ſcheint. Wenn man über die feſte und wohlverwahrte Barriere, die ihn umgibt, hinunter blickt, erregt der Contraſt der Thurmhöhe über Dir, in welche der Himmel hineinſchaut, und der bodenloſen Tiefe unter Dir, wo ewige Nacht herrſcht, einen ganz eignen Eindruck. Man wähnt hier Verzweiflung und Hoff - nung in einem Bilde allegoriſch vereinigt zu ſehen. Der Thurm und die Felſen, auf denen er ruht, ſin - ken in gleicher ſenkrechter Linie bis in eine ſchwin - delnde Tiefe hinab nach dem Thale, deſſen Rieſen - bäume von hier nur wie junges Dickicht erſcheinen. Mit einem etwas ſtarken Sprunge der Einbildungs - kraft gelangten wir nach einer Viertelſtunde von hier zu der Hütte eines Neu-Seeländers, an einem klei -263 nen See gelegen, nach einer Zeichnung Cooks vor vielen Jahren aufgebaut (denn dieſe Anlagen ſind ſehr alt,) und mit Pfeilen, Tamahacks, Schädeln ge - freſſener Feinde, und andern dieſer niedlichen Kleinig - keiten verſehen, die den unſchuldigen Luxus jener Na - turkinder ausmachen.

Hiermit beſchloßen wir unſre Promenade, und ließen noch ungeſehen (als dieſes herrlichen Ganzen unwür - dige Flecken) eine Höhle, wo ein Automat den Ein - ſiedler ſpielt und ein Gedicht herſagt, eine alberne Darſtellung des Neptun von Sandſtein, verbunden mit einem chineſiſchen Tempel von Holz, und eine moderne Citadelle, ebenfalls von Holz, wo bei Feier - lichkeiten und auf Beſtellung mehrere Kanonen gelöst werden können. Dieſe Anlagen der Afterkunſt, ſo wie leider auch die Wege, ſind alle etwas verfallen, ſeit der Beſitzer nicht mehr hier lebt. Dies ſind aber, ſo wie die obenerwähnte Ueberladung mit Spielereien, nur kleine Mängel eines erhabenen, und in aller Ab - wechſelung natürlicher Schönheit, wunderbar glänzen - den Ganzen.

Es iſt völlig und ernſthaft Winter geworden, die Erde mit Eis und 6 Zoll Schnee bedeckt, und die Kälte in den, jetzt ſelten durch ein unzureichendes Kaminfeuer erwärmten Zimmern, faſt unerträglich! Da ich den heutigen Tag meiſtens im Wagen zuge - bracht habe, iſt nichts weiter davon zu berichten.

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Wir ſahen auch heute nichts Merkwürdiges auf unſerm Wege, als einen Park, durch den wir nur hindurch fuhren, und der größtentheils neu angelegt ſchien. Ein kleiner, aber hübſcher Garten, bot ſehr niedliche Modelle für Blumengerüſte dar, wie auch zierliche Körbe, alles ſehr ſein in Eiſendraht ausge - führt, und mit rankenden Gewächſen bezogen. R. mußte ſie mit ſteifen Fingern copiren.

Der Gaſthof, wo wir unſer Luncheon einnahmen, war, wie die darauf eingehauene Jahrszahl lehrte, 1603 gebaut, alſo über 200 Jahre alt, und das hüb - ſcheſte Specimen von Cottage im alten Geſchmack, mit Fachwerk in verſchiedenen Deſſeins, das mir auf die - ſer Tour vorgekommen iſt. Gegen Abend erreichten wir bei immer empfindlicher werdender Kälte Bir - mingham, wo ich mich jetzt gemächlich ausruhen will.

Der ganze Tag wurde abermals, wie bei meinem frühern Aufenthalt hieſelbſt, den Fabriken gewidmet, und Ausſtellungen von Waaren beſehen. Die armen Arbeiter ſind doch mitunter übel daran! Sie verdie - nen zwar hinlänglich, aber mehrere ihrer Beſchäfti - gungen ſind auch, bei der geringſten Nachläßigkeit,265 bei dem kleinſten Verſehen, oft furchtbar gefährlich. So ſah ich heute Einen, deſſen Geſchäft es iſt, bei dem Stampfen der Livreeknöpfe den Würfel zu hal - ten, und dem bei dieſer Gelegenheit ſchon zweimal der Daumen zerſchmettert wurde, welcher jetzt nur noch einen kleinen unförmlichen Fleiſchklumpen bildete. Wehe denen, die den Dampf - und andern Maſchinen mit ihren Röcken zu nahe kommen. Schon mehrere faßte dieſe unerbittliche Macht, und zerquetſchte ſie, wie die grauſame Boa ihre hülfloſe Beute. Dabei ſind viele Arbeiten ſo ungeſund wie in den Blei - werken Sibiriens, und bei manchen iſt ein Geruch auszuſtehen, den der ungewohnte Beſucher kaum Minutenlang ertragen kann.

Es hat alles ſeine Schattenſeite, auch dieſe hoch - geſteigerte Induſtrie, doch iſt ſie deshalb nicht zu ver - werfen. Hat doch ſelbſt die Tugend ihre Nachtheile, wo ſie im Geringſten das Maas überſchreitet, und dagegen das Schlimmſte, ja das Laſter nicht ausge - nommen, ſeine lichteren Stellen.

Merkwürdig iſt es, daß bei dieſem raffinirten Fortſchreiten in jeder Erfindung, die Engländer, nach dem eignen Geſtändniß des Herrn Thomaſſon, noch immer nicht im Stande ſind, es den Berliner feinen Eiſengußwaaren gleich zu thun. Was ich von dieſer Art hier ſah, ſtand jenen ungemein nach. Oft ſcheint es mir überhaupt, als wäre, ohngeachtet die Eng - länder uns noch ſo weit voraus ſind, dennoch der Zeitpunkt ſchon eingetreten, wo ſie zu ſinken und266 wir zu ſteigen anfangen. Da ſie von ſo hoch ſin - ken, und wir von ſo tief ſteigen müſſen, ſo kann es demohngeachtet noch lange dauern, ehe wir uns auf demſelben Punkte begegnen, aber, wie geſagt, uns entgegen zu gehen, haben wir, glaube ich, angefan - gen. Deutſchland Glück auf!! erlangen deine Bewoh - ner nur Freiheit, ſo wird ihnen jedes Streben gelingen.

Die heutige Tagereiſe war nicht groß, aber in - haltsſchwer, denn der Ort, deſſen Namen neben dem Datum meines Briefes ſteht iſt ja der Geburts - ort Shakespeares! Es iſt ein tief ergreifendes Ge - fühl, die unbedeutenden Gegenſtände zu ſehen, die vor Jahrhunderten mit einem ſo großen und gelieb - ten Manne in unmittelbarer und häuslicher Be - rührung ſtanden, und gleich darauf den Ort, wo längſt ſeine Gebeine vermodern und ſo in wenig Augenblicken von ſeiner Wiege den langen Weg bis zu dem ſeines Grabes zurückzulegen. Das Haus in dem er geboren iſt, ſo wie die Stube ſelbſt, in der dies große Ereigniß vor ſich ging, ſtehen noch faſt unverändert da. Die Stube gleicht vollkommen einer geringen Bürgerſtube, wie ſie in unſern kleinen Städten zu ſeyn pflegen, ganz der Zeit angemeſſen,267 wo England auf derſelben Stufe der Cultur ſtand, die bei uns der gemeine Mann noch jetzt einnimmt. Millionen Namen, von Königen und Bettlern hinge - ſchrieben, bedecken die Wände des kleinen Zimmers, und obgleich ich dieſes Anhängen an fremde Größe, wie Ungeziefer an Marmorpalläſten klebt, nicht be - ſonders liebe, ſo konnte ich doch hier dem Drange nicht widerſtehen, auch meinen Namen mit einer tie - fen Empfindung von Dankbarkeit und Ehrfurcht den übrigen beizugeſellen.

Die Kirche am Avon (derſelbe Fluß, der War - wicks ehrwürdige Schloßmauern beſpült) wo Sha - kespeare begraben liegt, iſt ein ſchöner Ueberreſt des Alterthums, mit vielen merkwürdigen Monumenten geziert, unter denen natürlich das des unſterblichen Dichters oben an ſteht. Es war früher, ſo wie ſeine Büſte, in bunten Farben gemalt und vergoldet, iſt aber durch die Stupidität eines gewiſſen Malone vor nahe 100 Jahren überweißt worden, wodurch es viel von ſeiner Eigenthümlichkeit verloren haben muß. Die Büſte iſt übrigens nichts weniger als von künſt - leriſchem Werth, und auch ohne Ausdruck, wahr - ſcheinlich alſo auch ohne Aehnlichkeit. Es gelang mir nur mit vieler Mühe und Geld, ein kleines Bild des Denkmals in den alten Farben, welches das letzte noch vorräthige Exemplar war, von der Küſterin zu erlangen, was ich dieſem Briefe beilege.

Außerdem kaufte ich im Buchladen mehrere An - ſichten des Orts, und der erwähnten Gegenſtände268 Auf dem Rathhauſe iſt ein großes Bild Shakespea - res, in neuerer Zeit gemalt, und ein noch beſſeres von Garrik, das einige Aehnlichkeit, auch in der Art der tournure, mit Iffland hat.

Nachdem wir zwei Tage lang die Parkomanie ruhen gelaſſen hatten, brachten wir heute das Ver - lorne wieder ein, indem wir nicht weniger als vier große Parks beſuchten, wovon der letzte, das be - rühmte Blenheim war. Doch in der Ordnung Exécutez vous.

Zuerſt kamen wir durch Eatrop Park, deshalb merkwürdig, weil er noch aus der Zeit iſt, wo man eben anfing, die franzöſiſche Manier zu verlaſſen, dies aber, in ſolcher Uebergangs-Periode, noch ſo wenig im Stande war, daß man nur ſtatt Alleen von ein - zelnen Bäumen, nun Alleen von Clumps aus verſchiedenen, immer aber regelmäßig abwechſelnden Figuren pflanzte, oder in Schlangen-Linien Haine anlegte, und lothrechte Bergabhänge aus unregelmä - ßigen Terraſſen bildete. Das Ganze ſchien in gro - ßem Verfall.

Ein ſchönerer Beſitz iſt Ditshleypark. Leider ſpielte uns aber das engliſche Clima heute einen bos -269 haften Streich. Nachdem am Morgen (ich glaube erſt zum zweitenmal ſeit wir London verlaſſen) die Sonne geſchienen hatte, und wir ſchon über unſer Glück triumphirten, fiel plötzlich ein ſolcher Nebel, daß wir den ganzen übrigen Tag nie weiter als kaum 100 Schritte vor uns, manchmal aber kaum zehne weit ſehen konnten. Im Schloß fanden wir eine bedeutende Menge Gemälde, beſonders ſchöne Portraits, von denen uns aber kein Menſch ſagen konnte, wen ſie vorſtellten. Etwas Neues in Hinſicht auf unſere Kunſt lernten wir nicht, doch ſahen wir etwas an - deres Neues. Am Jägerhauſe nämlich waren, in Ermanglung wirklichen Raubzenges, einſtweilen ſechs Dutzend Ratzen ſehr zierlich, mit ausgebreiteten Schwänzen und Beinen, angenagelt.

Der dritte Park in der Reyhe war Blandford - park, dem Lord Churchill gehörig, und ſehr unbe - deutend, im Hauſe aber fanden wir einige herrliche Kunſtwerke. Zwei Gemälde beſonders beneidete ich dem Beſitzer. Das erſte ſtellt ein nacktes, liegendes, reizendes Weib vor, die durch die Finger ihrer Hand ſchalkhaft lächelt; gewiß fälſchlich auf Michel Angelo’s Namen getauft. Es iſt allerdings von kühner Zeich - nung, aber auſſerdem auch von einer Wahrheit und Elaſticität des Fleiſches, einer Titianiſchen Färbung und einer Lieblichkeit des Ausdrucks, die keinen Mi - chel Angelo verrathen, wenn es auch vielleicht unge - gründet iſt, daß, wie Manche wollen, gar keine Oehl - Gemälde von dieſem Meiſter exiſtiren.

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Noch mehr zog mich das zweite: Judith, angeb - lich von Cigoli, an, einem Maler, von dem ich mich früher nicht erinnere, ein Bild geſehen zu haben. Ge - wöhnlich iſt dieſer Gegenſtand: die triumphirende Jungfrau mit dem abgehauenen verzerrten Kopf in der Hand, mir eher widerlich als angenehm geweſen hier aber welcher poetiſch aufgefaßte Ausdruck in Judiths gleich erhabnem und reizenden Antlitz. Eine Welt von Empfindungen liegt in dieſen inhalts - ſchweren Zügen. Es iſt nicht das Geſicht einer Jungfrau mehr, ſondern ſchon das einer jungendli - chen Frau. In den feuchten, ſchwimmenden Au - gen ſind zu deutliche Spuren der Vergangenheit zu leſen, und um den üppig ſchwellenden, noch wie ent - zückten Mund, verräth ein leiſes Beben, daß ſie, wenn gleich wider ihren Willen, doch die Luſt kennen gelernt! Stärker aber war im Geiſte ihre Liebe zu Gott und Vaterland, und darum blieb feſt ihr früherer Entſchluß. Das Opfer mußte dennoch fallen, aber kein Triumph hebt ihre Bruſt ſinnend, über Gedanken brütend, die ihr ſelbſt nicht ganz klar ſeyn mögen, ſchreitet ſie dahin, die zarte Hand krampfhaft in die Locken des furchtbaren, aber männ - lich ſchönen Hauptes gedrückt, das ſie jetzt, wie be - wußtlos, mit ſich fortträgt.

Ich merke mir alle dieſe ſchönen Gemälde wohl, um ſie einmal copiren laſſen zu können, wenn ich Muße dazu habe, denn gute Copien ſo herrlicher Bilder ziehe ich weit den mittelmäßigen, oder mich nicht anſprechenden Originalen vor, ſelbſt wenn die271 letzteren von den berühmteſten Meiſtern herſtammen, denn nur das Dichteriſche, nicht das Techniſche eines Kunſtwerks kann mich reizen. Eine koſtbare Sammlung Handzeichnungen von Raphael, Claude - Lorrain und Rubens, und mehrere intereſſante Por - traits übergehe ich, um nicht zu weitſchweifig zu werden.

Der abſcheuliche Nebel wurde immer dicker, und ſo ſahen wir Blenheim nur wie in der Dämmerung. In Hinſicht auf Glanz und Größe iſt es ohne Zweifel auſſerordentlich zu nennen, und ſehr gefiel mir was ich davon ſehen, oder vielmehr ahnen konnte, denn es war alles wie in einen Zauberſchleier gehüllt, hin - ter welchem die Sonne ohne Strahlen, wie der Mond, erſchien. Das Schloß iſt ſehr groß, und re - gelmäßig, leider im alt franzöſiſchen Geſchmackerbaut, an Pracht einem königlichen gleich. Der Park hat 5 deutſche Meilen im Umfang, und das künſtlich ausgegrabne Waſſer, das herrlichſte Werk ſeines Gleichen, nimmt allein einen Flächenraum von 800 Morgen ein. Eben ſo groß iſt der pleasure ground, zu deſſen fortwährendem Mähen täglich 40 Leute er - forderlich ſind. Das Waſſer bildet dem Schloſſe ge - genüber eine künſtliche Cascade, die von großen, ge - ſprengten und weit hergeſchafften Felſenſtücken ſo täu - ſchend der Natur nachgeahmt iſt, daß man, ohne es zu wiſſen, ſchwerlich Kunſt dabei vorausſetzen würde.

Man muß Browns großartiges Genie bewundern, wenn man dieſe Anlagen durchwandert. Es iſt der272 Garten-Shakespeare Englands. Dabei ſind ſeine Pflanzungen ſo wunderbar groß geworden, daß wir, unter andern, einen einzigen Strauch portugieſiſchen Lorbeers auf dem Raſen fanden, der mit ſeiner dich - ten Maſſe 200 Fuß im Umfang erreichte!

Der jetzige Beſitzer iſt mit einer Revenue von 70,000 £. St., ſo verſchuldet, daß ſein Vermögen für die Gläubiger adminiſtrirt wird, und ihm nur 5,000 £. St. jährlich übrig bleiben, ſo lange er noch leben kann. Es iſt Jammerſchade, daß er dieſes Wenige noch da - zu anwendet, die impoſanten Gärten Browns ein - zureißen und nach einem elenden neueren Geſchmack zu moderniſiren, der m t unzähligen kleinen Klümp - chens, Beeten und Pflanzen, die reichen Gewänder, die Brown der Natur umgethan, in Harlekins-Ja - cken umwandelt. Ein großer Theil des alten plea - sure grounds iſt bereits auf dieſe Art zerſtört, wie uns der alte Gärtner, faſt mit Thränen in den Au - gen zeigte. Mehrere der Rieſenbäume lagen noch gefällt umher, und ein ſchwarzer Fleck auf dem Ra - ſen zeigte einen Lorbeerſtrauch an, faſt von derſelben Größe als der beſchriebene, der noch vor Kurzem hier in aller Fülle ſeiner Pracht geſtanden hatte. Ich dachte mit Kummer, wie vergeblich es iſt, etwas Dauerndes gründen zu wollen, und ſah in Gedan - ken ſchon denjenigen meiner Nachkommen, der einſt meine Anlagen ebenfalls zerſtören wird, die wir doch Beide mit ſo viel Liebe erdachten und pflegten!

Blenheim wurde bekanntlich, größtentheils auf demſelben Fleck angelegt, wo der uralte königliche273 Park von Wodſtock (den Du Dich aus Walter Scotts neueſten Roman erinnerſt) ſtand, und ein großer Theil des Eichwaldes iſt noch wohl aus der unglück - lichen Roſamunde Zeit her, immer grünend, und ſtirbt nur langſam ab, in einer Agonie von hundert - jähriger Dauer. Wahre Ungeheuer von Eichen und Cedern an Form und Größe findet man hier. Manche hat der Epheu ſo umſponnen, daß er ſie zwar ge - tödtet, ihnen aber auch wieder, durch ſich ſelbſt, ein neues und ſchöneres immergrünes Laub gegeben hat, das jetzt den verwitterten Stamm, wie ein pracht - volles Leichentuch der Natur, ſo lange umhüllt, bis er in Staub zerfällt.

Fünfzehnhundert Hirſche, eine Unzahl von Faſanen, und die zahlreichſten Heerden von Schaafen und Kühen bewohnen den Park, deſſen Wieſenflächen ſich in dem ungewiſſen Nebel, ohne Gränze, gleich dem Meere auszudehnen ſchien, an einigen Stellen faſt nackt wie eine Steppe, auf andern dicht mit Wald und Grup - pen beſetzt.

Das Schloß ſieht innerlich, wegen der üblen ökonomiſchen Lage des Beſitzers, etwas verfallen aus, enthält aber eine Menge der koſtbarſten Kunſtſchätze. Man muß geſtehen, daß nie eine Nation einem ihrer großen Männer eine würdigere Belohnung an Geld und Gut gab, als Blenheim für den Herzog von Marlborough war, welches bis in alle Kleinigkeiten hinab königlich zu nennen iſt. Wenn man das Schloß betritt, kommt man zuerſt durch ein triumphbogen -Briefe eines Verſtorbenen. III. 18274artiges Thor, das oben einen Waſſerbehälter enthält, der alle Gebäude mit Waſſer verſorgt, dann in einen geräumigen Hof, wo die Küchen und Offices ſich be - finden, und von hier erſt in den großen Schloßhof, der nach dem Park zu die offene Ausſicht gewährt, und nur mit einer eiſernen Grille geſchloſſen iſt. Ein dritter Hof bildet auf der andern Seite den pendant zum erſtern, und enthält die Ställe.

Viele Kuppeln machen das Schloß noch impoſan - ter. Die Halle bildet eine ſolche von 150 Fuß Höhe, höher als gewöhnliche Thürme zu ſeyn pflegen. Den Plafond darin nimmt ein ſchönes Fresko-Gemälde ein. Als wir hineintraten, rauchte es aus einem de - fekten Ofen ſo ſtark, daß wir einen zweiten Nebel im Hauſe anzutreffen glaubten. Einige höchſt ſchmutzige, faſt abgeriſſene Bediente, was in ſolchen Häuſern hier unerhört iſt, liefen bei uns vorbei, und holten die Caſtellanin, welche, in einen ſchottiſchen Plaid gehüllt, mit einem Stäbchen in der Hand, und dem Anſtand einer Zauberin, ſo majeſtätiſch auf uns zu - ſchritt, daß man ſie für die Herzogin ſelbſt hätte hal - ten mögen. Das Zauberſtäbchen diente dazu, um be - quemer auf die verſchiedenen Merkwürdigkeiten hin - weiſen zu können. Fürs erſte verlangte ſie, daß wir unſre Namen in ein großes Buch einſchreiben ſollten, denn Blenheim ſteht an gewiſſen Tagen dem Publi - kum, bis auf die refervirten Plätze, offen. Unglück - licherweiſe fehlte aber im Tintenfaß die Tinte, es mußte alſo unterbleiben. Darauf ging es durch viele nie geheizte und ſehr verblichene Gemächer, die aber275 mit zahlreichen und ſchönen Gemälden geſchmückt ſind, unter dieſen jedoch auch manche mittelmäßige, die man ſehr freigebig mit den Namen Raphael, Guido ꝛc. beſchenkt hatte. Sehr reich erſchien die Gallerie an ſchönen und ächten Rubens, worunter für mich das anſprechendſte ſein eigenes, von ihm oft, hier aber vorzüglich gut gemaltes Bild war. Auſſerdem intereſ - ſirte mich ſehr ein Portrait in Lebensgröße des be - rüchtigten Herzogs von Buckingham, von van Dyk, welches doch eine ganz andere Art Roué darſtellt, ſo - wohl im Gehalt der feinen Züge, wie des ritterli - chen Anſtandes und der geſchmackvollen Kleidung, als unſre Modernen aufweiſen. Ferner eine ſchöne Ma - donna, von Carlo Dolce, weniger glatt und banal als andere dieſes Malers, und ein ganz vortreffli - ches und höchſt charakteriſtiſches Bild der Catharina von Medicis. Sie iſt ſehr weiß, hat wunderſchöne Hände, und einen merkwürdigen Ausdruck von kal - ter Leidenſchaft, wenn ich es ſo nennen darf, in ih - ren Zügen, ohne jedoch dadurch, wie man vermuthen ſollte, ein widriges Gefühl zu erregen. Rubens Frau hängt als ein entgegengeſetzter Pol neben ihr, ein reizendes flamländiſches, häusliches Weib, etwas ge - mein ausſehend, aber herrlich gemalt und geiſtreich aufgefaßt. Philipp II., von Titian, ſchien mir un - bedeutend, zwei Bettelbuben, von Morillo, dagegen vortrefflich. Loth und ſeine Töchter, von Rubens. Die Mädchen ſind etwas weniger gemein und plump als der größte Theil der Schönheiten dieſes Malers, die alle zu viel Verwandtſchaft mit den Produkten18*276ſeines Vaterlandes haben, aber der alte Loth iſt das unübertrefflichſte Muſter eines greiſen, trunkenen Wollüſtlings. Das Gemälde war übrigens indecen - ter behandelt, als es ſich die Kunſt bei heiligen Ge - genſtänden geſtatten ſollte. Im Schlafzimmer hatte man, ſonderbar genug, ein widerlich ſchauerliches Bild, Seneka’s Hinrichtung im Bade, aufgehangen, Seneka ſelbſt bereits ein grünlicher Leichnam. Hier würde, dächte ich, noch eher der Loth hingepaßt ha - ben. Sehr gefällig erſchien das Bild der Mutter des Herzogs, mit ihrem Kinde ſpielend, von Joſuah Rey - nolds, gewiß dem beſten aller engliſchen Maler. Die Schönheit, liebliches Weſen und Kindlichkeit der Her - zogin war faſt einer Madonna werth, und der Kleine ein wahrer Liebesgott, voll Schalkheit und Grazie. Ein großes Gemälde Carls I. zu Pferde, von van Dyk, iſt berühmt, und hat 10,000 £. St. gekoſtet, bie - tet aber einen gar zu abgenuzten Gegenſtand. Aus Raphaels früheſter Zeit, in der Manier des Peru - gino, vielleicht auch von dieſem ſelbſt, befindet ſich eine große Tafel hier, die Jungfrau mit dem Kinde, St. Nikolas und Johannes darſtellend. Der Aus - druck der Figuren gefiel mir nicht, und erwähne des Gemäldes nur aus Reſpekt für den Namen.

Die Bibliothek iſt ein prachtvoller Saal, mit 17,000 Bänden angefüllt, auf der einen Seite die marmorne Statue der Königin Anna, auf der andern, als ſon - derbarer Pendant, eine koloſſale, antike Büſte Ale - xanders, ein Ideal jugendlicher Schönheit, das nach277 meinem Gefühl noch das Antlitz des Apollo vom Bel - vedere übertrifft. Es iſt menſchlicher, und doch zeigt es einen Göttlichen unter den Menſchen, freilich im heidniſchen, nicht im moraliſch-chriſtlichen Sinne.

Es iſt billig hier noch des, die Bibliothek zierenden Bildes des großen Herzogs von Marlborough zu er - wähnen, der durch ſeine Thaten dieſer ganzen Schö - pfung den Urſprung gab. Seine Geſchichte iſt in mehr als einer Hinſicht merkwürdig; beſonders rathe ich Jedem, der ſein Glück machen will, ſie zu ſtudiren. Er kann viel von dieſem, ſo ganz zum Fortkommen in der Welt geeigneten, Charakter ler - nen. Folgende, nicht ſehr bekannte, Anekdote iſt mir in dieſer Hinſicht, ſo unbedeutend die Begebenheit an ſich iſt, immer merkwürdig erſchienen.

Der Herzog ward eines Tags beim Spazierenrei - ten mit ſeiner Suite von einem jählingen Regen - ſchauer überraſcht. Er verlangte ſchnell vom Reit - knecht ſeinen Ueberrock, und wiederholte, als er ihn nicht gleich erhielt, den Befehl mit einiger Haſt. Dies ärgerte den Diener, der mit impertinenter Miene er - wiederte: Nun ich hoffe, Sie werden doch ſo lange warten, bis ich ihn losgeſchnallt habe. Der Herzog, ohne die geringſte Empfindlichkeit zu zeigen, wandte ſich darauf lächelnd zu ſeinem Nachbar und ſagte: Nun, für Alles in der Welt möchte ich nicht das Temperament dieſes Menſchen haben.

Die bekanntere Geſchichte der petulance der Her - zogin von Caſtlemaine, welche Churchill (der dama -278 lige Name des Herzogs) ſo gut zu benutzen wußte, und die, gewiß auf die ſeltſamſte Weiſe, die große Carrière eines Helden begründete, verräth eine ganz gleiche Dispoſition und Gewalt über ſich ſelbſt.

Bei Nacht und Nebel, wörtlich, erreichten wir Ox - ford, wo ich im Stern abtrat, und mich mit einem vortrefflichen Diné ſtärkte, da ein franzöſiſcher Koch aus London hierher verſchlagen worden iſt, und wenn ich auch nicht den Köchen, wie die Alten, eine reli - giöſe Huldigung darbringe, ſo kann ich doch nicht leugnen, daß ich für ihre Kunſt keine geringe Vereh - rung hege. Il est beau au feu kann man auch von einem ſolchen Virtuoſen ſagen, ſo gut wie vom glänzenden Krieger, und was vollends Diplomatie und Politik betrifft, ſo iſt wohl kein Miniſter ſo un - dankbar, nicht anzuerkennen, wie viel er ſeinem Koch verdankt.

Meine Excurſion naht ſich nun ihrem Ende, und in drei Tagen hoffe ich Dir R .... mit allen ge - ſammelten Materialien, wie die Biene voll Honig, wieder zuſenden zu können.

Oxford iſt eine originelle Stadt. Eine ſo große Menge alter und prächtiger gothiſcher Gebäude von 300 - bis 1000jährigem Alter wird wohl nirgends an279 demſelben Orte ſo zuſammen gehäuft, angetroffen werden. Es gibt Stellen in dieſer Stadt, wo man ſich ganz in’s fünfzehnte Jahrhundert verſetzt glaubt, weil man durchaus nichts als Denkmale dieſer Zeit, ohne irgend eine moderne Unterbrechung, um ſich her verſammelt ſieht. Viele, ja die meiſten dieſer alten Colleges und Kirchen ſind auch im Detail ſehr ſchön, alle aber wenigſtens von höchſt maleriſcher Wirkung, und oft hat es mich gewundert, warum man nicht manches Einzelne dieſer Bauart, unter andern die eben ſo ſchönen als zweckmäßigen, lichten Fenſter, in zwei und drei Abtheilungen, bisweilen mit großen Erkern abwechſelnd, und unſymmetriſch vertheilt, nicht auch bei unſern modernen Wohngebäuden anwendet, denn nur die Gewohnheit kann uns wohl die re - gelmäßigen Reihen viereckiger Löcher, die wir Fenſter nennen, erträglich machen.

Ich begab mich zuerſt nach dem dreihundert Jahre alten, ſogenannten Theater (aber nur für geiſtliche Schauſpieler beſtimmt), das von einem Biſchof er - baut iſt. Die eiſerne Grille, die es umgibt, hat ſtatt der Pfeiler eine Art Termen mit den Köpfen der - miſchen Kaiſer, ein ſeltſamer Einfall, der aber keinen üblen Effekt macht. In dieſem Theater, das, ſeinem Urſprung gemäß, mehr einer Kirche ähnlich ſieht, wurden in neueſter Zeit der ruſſiſche Kaiſer, der - nig von Preußen und der Prinz-Regent zu Docto - ren creirt, wobei ſie genöthigt waren, im rothen Doctorgewande zu erſcheinen. Die Portraits aller280 dieſer Souveraine wurden ſeitdem hier aufgeſtellt. Der König von England im Krönungsornate, ein vortreffliches Gemälde von Thomas Lawrence (der alten Zeiten würdig), hängt in der Mitte, in einem prächtigen Rahmen. Zu beiden Seiten, in weit ein - facherer Umfaſſung und einfacherer Kleidung, der Kai - ſer von Rußland und der König von Preußen, auch von Lawrence gemalt. Der König iſt nicht ähnlich, vom Kaiſer Alexander habe ich aber nie ein beſſeres Bild geſehen. Blücher wurde hier ebenfalls Doctor, und äußerte dabei: da die Herren die Souveraine zu Doctoren creirt, ſo könne er nur höchſtens darauf Anſpruch machen, Apotheker zu werden.

In der Univerſitäts-Stereotype-Druckerei, wo die Bedruckung eines Bogens auf beiden Seiten nur fünf Sekunden dauert, zeigte ich mich wieder ſelbſtthätig, und hatte die Ehre, einen Bogen aus der Vibel zu drucken, den ich Dir als Seitenſtück zum Birming - hamer Knopfe mitſchicke. Er enthält einige intereſ - ſante Begebenheiten der Makkabäer.

Es wird hier viel für die Bibelgeſellſchaften ge - druckt, und wenn dieß in derſelben Progreſſion fort - geht, ſo wird wohl bald die Epoche eintreten, von welcher die Jahresſchrift: der Katholik, vom Jahr 1824, folgendermaßen prophezeiht: Wenn es dahin kömmt, daß Alle die Bibel leſen, wird die Welt nur ein Aufenthalt für wilde Thiere ſeyn. Meint der Katholik, daß Alle ſie dann auch verſtehen und befolgen, ſo mag er recht haben, weil dann die ganze281 Menſchheit zu einer höhern Exiſtenz auf einem an - dern Planeten reif ſeyn möchte. Demungeachtet bin ich mit dem Katholiken in ſo weit einverſtanden, daß die unüberlegte Vertheilung der Bibeln an Alle (auch die ungebildetſten Wilden) das Kind mit dem Bade verſchütten heißt.

Ich wanderte von hier nach dem Muſeum, das eine Miſchung ſehr verſchiedener Gegenſtände enthält. Gleich beim Eingange ſieht man auf der Treppe ein Bild der Schlacht von Pavia, worin die wichtigſten Perſonen Pertraits ſind, in ihrer Zeit nach dem Le - ben gemalt, wie daneben bemerkt iſt. Das Bild iſt ganz in dem Styl der alten Miniaturen, und auch ſehr merkwürdig wegen der vielen genauen Trachten und Rüſtungen jener Zeit. Darunter ſteht: Comen les gens de Lempereur deffirent les francoys en lan 1525. Des Kardinal Wolſey und Kardinal Richelieu Bildniſſe, ſo wie mehrerer anderer hiſtoriſcher Perſo - nen zierten dieſe Treppe. Unter ihnen befand ſich auch das eines berühmten Gärtners Carls I., Tre - descant mit Namen, von welchem Collegen R .... nicht wegzubringen war, das Bild mit einer Art Pro - tektion betrachtend, und beſonders ſehr zufrieden mit einer Guirlande von Mohrrüben und Gurken, die den Gartenahn maleriſch umſchlang. Für mich war das Intereſſanteſte auf dieſem Gemälde das Konterfey eines ſeltſamen, ganz Tauſend und eine Nacht ähn - lichen großen Vogels, mit Namen Dodo, der dieſem Gärtner lebendig zugehört haben, ſeitdem aber nie282 wieder ſeines Gleichen geſehen worden ſeyn ſoll. Als Beweis, daß die Geſchichte keine Fabel ſey, zeigte man uns im Muſeo noch den ganz fremdartigen Kopf und Schnabel des Dodo.

In der Naturalienſammlung waren eine große Menge, zum Theil ſehr ſeltne, Papageyen aufgeſtellt, nebſt einem andern merkwürdigen Vogel, der Sta - cheln an ſeinen Flügeln hat, mit denen er kleine Fi - ſche wie mit einer Lanze anſpießt; dabei ſieht der diminutive Kämpe, der nur ſechs Zoll hoch iſt, unge - mein patzig, und wie ein Straus en miniature aus, nur viel klüger und kampfluſtiger. Sehenswerth war auch das Schnabelthier, eine Art koloſſaler Waſſer - ratze mit Schwimmhäuten und einem Entenſchnabel, aus jenem ſeltſamen Welttheil Neuholland, das durch ſeine, dem übrigen Naturreich fremden Produktionen, faſt auf die Vermuthung bringt, es gehöre einer an - dern Schöpfungsepoche an, oder ſey einſt von einem vorbeiſegelnden Stern verloren worden, und auf un - ſere Erde niedergefallen.

Ein Gemälde von Kolibrifedern bietet Farben dar, die überirdiſch erſcheinen, und eben ſo überraſchend war das Basrelief eines herrlich goldgrün geharniſch - ten Ritters, deſſen Harniſch aus den Flügelſchalen des Goldkäfers beſtand. Eine gute Satyre auf den heutigen Landadel wäre es, wenn man einen ſolchen Ritter mit der blauen Rüſtung des Miſtkäfers dar - ſtellte.

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Im Curioſitäten-Kabinet iſt zu vielerlei, um es Dir, gleich einem Antiquar, Alles herzuerzählen. Ich beſchränke mich daher, wie immer, nur auf das, was mich am meiſten anſpricht, und das iſt nicht immer das berühmteſte. Alſo zuerſt ein mit Edelſteinen be - ſetzter Handſchuh Heinrichs VIII., und ein ſehr wohl erhaltener, faſt chineſiſch geformter Sorgenſtuhl deſ - ſelben. Ferner ein eigenhändiger Brief der Königin Eliſabeth an Lord Burleigh, ſehr zierlich geſchrieben, und eine niedliche Reitkamaſche und Schuhe der Mai - denqueen, welche wenigſtens einen allerliebſten Fuß verrathen. Endlich ihre Uhr mit einer geſchmackvollen Kette, aus fünf Medaillons beſtehend, eines unter dem andern, die alle anders gefärbte Haare enthal - ten, wahrſcheinlich von ihren verſchiedenen Günſtlin - gen. Merkwürdiger noch iſt ein anderes Medaillon, mit einem groben Portrait in Moſaik, und einer In - ſchrift, die beweist, daß das erſte dem König Alfred zugehört habe. Dieß ſeltene Ueberbleibſel des Alter - thums wurde erſt vor zehn Jahren auf der Inſel Athelney, wo Alfred ſich vor den Dänen verbarg, beim Aufreißen eines Feldes gefunden.

Die Copie eines chineſiſchen Schiffes (einer Junke) in der Größe eines Kahns, ſo daß man recht gut damit ſogleich eine Spazierfahrt auf dem Waſſer ma - chen könnte, ſo wie das Modell des ſogenannten Druidentempels zu Stonehenge, ein ſehr vollſtändi - ges Kabinet foſſiler Knochen u. ſ. w. erwähne ich noch, und führe Dich nun in die Gemäldegallerie,284 von Eliſabeth erbaut, und ganz in statu quo erhal - ten. Die Decke derſelben iſt mit Holzcaiſſons verziert, und in jedem Caiſſon ein Wappen, was ſich gar alter - thümlich und prächtig ausnimmt. Sehr gut ausge - führte Gypsmodelle von den berühmteſten Tempeln des Alterthums ſtehen im Vorſaal. Unter den Ge - mälden befinden ſich einige Vortreffliche. Das liebſte war mir ein Portrait der Königin Maria von Schott - land, authentiſch von dem Italiener Zuccaro, gleich nach ihrer Ankunft aus Frankreich gemalt, wo ſie noch in allem unbeſchreiblichen Reiz ihrer Jugend und Friſche glänzte. Man begreift, wie dieſe Frau nur leidenſchaftliche Verehrer oder wüthende Feinde haben konnte. Ein im wahren Sinne des Worts reizen - deres, verführenderes Geſicht wird man ſelten ſe - hen, aber bei aller franzöſiſchen Grazie verräth es doch, daß dieſe Schönheit eigenſinnig genug, und in ihren Leidenſchaften nichts achtend ſeyn konnte, doch von Böſem oder Gemeinem, wie das erſte bei Eliſa - beth, Katherine von Medicis, das letzte bei der - nigin Anna ſichtlich iſt, keine Spur. Eigentlich ein ächt weiblicher, und daher ganz verführeriſcher Cha - rakter, mit allen Tugenden und Schwächen ih - res Geſchlechts in erhöhtem Maßſtabe ausgeſtattet. Den Beſitz eines ſolchen Bildes möchte ich ein wah - res Glück nennen! Das Original möchte einem ſchon mehr zu ſchaffen machen. Derſelbe Künſtler hat auch Eliſabeth gemalt, ein Portrait, das dem in Warwick beſchriebenen vollkommen gleich iſt. Graf Leiceſter, kurz vor ſeinem Tode dargeſtellt, erweckt auch viel285 Intereſſe. Sein Geſicht iſt eben ſo vornehm als ſchön, und obgleich es nicht ein großes Genie ver - räth, hat es doch den Ausdruck eines klugen, im äußern Anſtand würdevollen und kräftigen Mannes. Von dem Glanz der Jugend iſt nichts mehr übrig, wohl aber eine gewiſſe ſtolze Gemächlichkeit der ſichern unerſchütterlichen Gunſt. In einer Copie der Schule von Athen, von Guilio Romano, bewunderte ich von neuem das herrliche Antlitz des jungen Herzogs von Urbino, dieſes Ideals ſanfter jugendlicher Schönheit. Das ſchönſte Mädchen könnte damit überzufrieden ſeyn. Auch Raphaels eignes Bild iſt dort am be - deutendſten. Garriks Portrait von Raphael Mengs entſprach meiner Vorſtellung von dieſem Künſtler nicht ſo wohl, als das in Stratford. Deſto mehr gefiel mir ein Bild Carl XII. in Lebensgröße von Schröter, auch jeder Zoll ein großer Don Qui - xote, und ein ſehr charakteriſtiſches Carls II. von Pe - ter Leley. Ich finde daß Carls II. wie ſeine Welt - bildung, auch in den Zügen ganz franzöſiſch ausſiebt, und namentlich eine auffallende Aehnlichkeit mit Buſſy Nabutin hat. Sein Vater hängt in einer mehr als gewöhnlich anziehenden Abbildung daneben. Gewiß hat er ein ſchönes Geſicht mit vielſagenden Augen, aber der weiche, leidende, ideologiſche Ausdruck deſ - ſelben zeigt genugſam an, daß der Träger ſolcher Züge keinem Mann wie Cromwell und keiner Zeit wie der ſeinigen gewachſen war. Es iſt aber das größte Unglück für einen Hochſtehenden, in eine un - rechte Zeit zu gerathen, wenn er nicht groß genug286 iſt, ihr ſeinen eigenen Stempel aufzudrücken. Der große Philoſoph Locke, von Gibſon, erſcheint als ein magrer Stubengelehrter; daneben hängen ein ſchö - ner, fetter Luther, von Holbein, der ſtattliche Hen - del, von Hodſon, und ein Portrait von Hugo Gro - tius, mit einem feinen, ſchlauen und doch ritterlich ehrlichen Geſicht, mehr den rüſtigen Weltmann als den Gelehrten zeigend. Das ſind ungefähr die Ge - genſtände, die mich am meiſten anzogen.

Heute bin ich erſt recht in Oxford umbergeirrt, und kann nicht ausdrücken, mit welchem innigen Vergnü - gen ich in dieſer gothiſchen Stadt, von Kloſter zu Kloſter wandernd, mir die alten Zeiten aufgefriſcht habe. Unter andern gibt es eine prachtvolle Allee von Rüſtern hier, die, gleich den von dieſer Prome - nade ſichtbaren Gebäuden, dem Jahre 1520 ihren Urſprung verdankt. Von dieſer Königin aller Alleen, in der auch nicht ein Baum fehlt, und die mitten durch eine Wieſe am Waſſer hinführt, ſieht man von der einen Seite eine reizende Landſchaft, von der an - dern einen Theil der Stadt mit fünf bis ſechs der ſchönſten gothiſchen Thürme, an ſich ſchon ein herr - licher Anblick, der aber heute noch durch einen bezo - genen Himmel, an dem der Wind ſchwarze, phanta - ſtiſche Wolken, gleich dem wilden Heere hinjagte, und287 an dem ſich zuletzt der ſchönſte Regenbogen, wie aus einem der Thürme ſteigend, und in den andern herab - ſinkend, über die ganze Stadt ſpannte faſt mähr - chenhaft und bezaubernd wurde.

Von dieſem alten Muſenſitz Englands, von allen jenen Colleges, jedes verſchieden von dem andern, und in verſchiedenen Zeiten gebaut, jedes große Höfe einſchließend und mit prachtvollen Thürmen geſchmückt, jedes mit einer mehr oder minder verzierten Kirche, einer Bibliothek und Gemäldegallerie verſehen, und alle in ihrer Art immer von neuem Intereſſe nehme ich das angenehmſte Andenken mit. Wenn Du es aushalten kannſt, immer und immer mehr aus der alten Schüſſel zu genießen, ſo führe ich Dich noch weiter mit mir umher.

Mein erſter Gang am Morgen war alſo nach der Ratcliff-Bibliothek, ein rundes in neuerer Zeit auf - geführtes Gebäude, d. h. im vorigen Säculum auf Dr. Ratcliff’s Koſten erbaut, und ziemlich in der Mitte der Stadt gelegen. Es enthält im Innern nichts als eine Rotunde, durch drei Etagen ſteigend, mit einer Kuppel und zwei Reihen offener Gallerien über einander, aus denen Seitengemächer wie Strah - len aus dem mittlern Rund nach außen laufen, wo die Bücher (welche nur Medizin und Naturphiloſo - phie betreffen) aufgeſtellt ſind. An den Pfeilern un - ten ſtehen rund umher Abgüſſe der beſten Antiken. Eine kleine höchſt accurat gebaute Wendeltreppe führt in einem Seitenthürmchen zur letzten Gallerie auf288 dem Dache, von welcher man eine ſchöne Ueberſicht der mit tauſend Spitzen gen Himmel ſtrebenden go - thiſchen Paläſte hat. Auch die umliegende Gegend iſt freundlich, fruchtbar und baumreich. Man zählt in allem vier und zwanzig Colleges (Art Klöſter für Erziehung beſtimmt), und dreizehn Kirchen in dem kleinen Raum einer Stadt, die nur 16,000 Einwoh - ner hat.

Von hier beſuchten wir die von Heinrich VIII. er - baute Bibliothek, innerlich und äußerlich größtentheils in ihrem primitiven Zuſtand erhalten, und mit nicht weniger als 300,000 Büchern ausgeſtattet. Das Lo - kal ſieht keinem andern dieſer Art ähnlich, und verſetzt auch im Innern vollſtändig in dahin gegangene Jahr - hunderte. Die Kreuzesform, die ſeltſamen Schränke und Eiſengitter halb blau, halb vergoldet, von einer jetzt nicht mehr geſehenen Form, die ungeheuren Fen - ſter, von der Breite dreier Kirchenfenſter zuſammen - genommen, und mit dem ſchönſten farbigen Glaſe geziert, die bunte vergoldete Decke mit unzähligen Caiſſons, jedes das Bild einer aufgeſchlagenen Bibel mit vier Kronen enthaltend ſelbſt das noch beibe - haltene alte Coſtüme der an den Tiſchen ſitzenden Doctoren in Luthers Tracht wie ungewöhnlich wird die Phantaſie durch ſolchen Anblick angeregt! In der Mitte der hohen Schränke geht eine Gallerie rund umher, um zu den höher ſtehenden Büchern zu gelangen. An dem Geländer dieſer Gallerie, die un - ten wieder eine Decke bemalter Caiſſons bildet, ſind die Portraits der verſchiedenen Bibliothekare, vom er -289 ſten bis zum letzten, aufgehangen, einige leider in moderner Kleidung, welche daher wie Affen unter ihren ehrwürdigen Altvordern erſcheinen. In dem mittleren Theile des Saals ſind auf beiden Seiten die Schränke ſo aufgeſtellt, daß ſie zugleich eine lange Gaſſe ver - ſchloſſener Kabinets bilden, in denen Jeder, der die Bibliothek benutzen will, ganz ungeſtört arbeiten kann; eine alte, höchſt nachahmungswürdige Einrich - tung. Auſſer dieſem Hauptſaale ſind die übrigen - cher in Zimmern enthalten, die den ganzen erſten Stock des viereckigen Gebäudes einnehmen. Hier ſind höchſt merkwürdige Manuſcripte und alte Drucke aufbe - wahrt, man bedauert aber, ſo viel hier zu ſehen, was Deutſchlands Armuth dem engliſchen Reich - thum hat zollen müſſen, unter andern ein herrli - ches Exemplar der älteſten Fauſtiſchen Bibel von 1440 glaube ich, die unſerm Doctor Barth gehörte, und mit vielen Noten von ſeiner Hand verſehen iſt. Eine wahre Freude hatte ich, ein Manuſcript zu finden, das ſo ſehr dem einen Theil des Froiſſart’s in unſe - rer Bibliothek glich (dem mit den Miniaturen auf jedem Blatt), ganz mit denſelben Arabesken von Früch - ten und Blumen auf Goldgrund geziert, Styl und Farben der Bilder ſo völlig ähnlich, daß es faſt keinem Zweifel unterworfen ſeyn kann, es müſſe von dem - ſelben Maler herrühren. Leider iſt darauf weder Name noch Jahreszahl vorhanden. Der Inhalt iſt Curtius Geſchichte Alexanders, alle Perſonen aber im Coſtüme der Zeit des Schreibers, und wie im Froiſſart, die franzöſiſchen und engliſchen Ritter, ſoBriefe eines Verſtorbenen. III. 19290bricht auch hier Alexander, von Kopf bis zum Fuß in Ei - ſen gehüllt, eine Lanze mit Darius, und wirft ihn unſanft aus dem Sattel. Ein ſehr merkwürdiges franzöſiſches Manuſcript, deſſen Gegenſtand ein Heldengedicht in Ver - ſen iſt, enthält (ein äuſſerſt ſeltner Fall) den Namen des Schreibers mit dem Jahr 1340, und darunter auch Namen und Datum des Malers 1346, was vermu - then ließe, daß der Letzte ſechs Jahre zu den Minia - turen gebraucht hat, die faſt alle auf einem ganz un - gewöhnlichen Grunde, aus Gold, blau und roth, nach verſchiedenen Richtungen quadrirt, und einer Tapete ähnlich, gemalt ſind. Beſonders intereſſant wird dieſe Schrift dadurch, daß auf jedem Blatte, wo ſich ein Bild befindet, der Maler um den Text, ſtatt einer Einfaſſung oder Arabeske, die Darſtellung da - maliger Gewerbe, Spiele und Ergötzlichkeiten ange - bracht hat. Nur eine flüchtige Durchſicht zeigte mir, neben einer Menge Spielen und Aufzügen, die wir nicht mehr kennen, auch mancherlei, ſo ganz noch, wie wir es in unſern Tagen ſehen, daß ich oft dar - über erſtaunte. Z. B. ein Maskenball, Kämmerchen vermiethen, das Händeſpiel, gioco di vilano genannt, daſſelbe mit den Füßen, was wir Knaben oft in der Schule exercirten, um uns im Winter zu erwärmen, Hahnenſchlag und Hahnengefechte, Seiltänzer und Taſchenſpielerkünſte, Kunſtreiter und abgerichtete Pferde, die mitunter noch ſchwerere Kunſtſtücke ma - chen als die unſrigen, Scheibenſchießen nach einem Mann, der (mille pardons) ſeinen bloßen H .... der Geſellſchaft zukehrt, wie in Pförten in der Lauſitz291 noch ein ähnlicher exiſtirt, eine ſchmiede, wo ein Pferd im Nothſtall beſchlagen wird, ein Frachtwagen mit drei großen Karrenpferden vor einander geſpannt, mit Leitern an den Seiten, Geſchirr ꝛc. ganz in der heutigen Form, ſelbſt das Coſtume des Fuhrmanns in ſeiner blauen Blouze das nämliche, und manches andere, was ich nicht alles hererzählen will, zeigte an, daß, wenn Vieles ſich änderte, doch auch unend - lich viel ſich gleichblieb, und vielleicht, à tout prendre, das Getreibe der Menſchen in den verſchiedenen Zei - ten ſich weit ähnlicher ſieht, als man ſich vorzuſtel - len pflegt.

Ein Bocaccio mit äuſſerſt ſchönen Miniaturen und prachtvoller Schrift gehört zu den eleganteſten Parade - ſtücken der Bibliothek, und als eine der größten Sel - tenheiten wird eine lateiniſch und griechiſch abge - faßte Apoſtelgeſchichte aus dem 7. Jahrhundert ge - zeigt, in der jede Zeile nur ein Wort in beiden Sprachen enthält. Für ſein hohes Alter iſt das Ganze ſehr wohl erhalten.

In dem Aller-Seelen-College iſt eine Stelle in dem ſchönen Hofe, (den übrigens der feinſte Raſen be - deckt) wo man einen beſonders herrlichen Anblick fortwährend übereinander hinragender Spitzen und Façaden alterthümlicher Gebäude hat, ohne die ge - ringſte Miſchung mit Modernem. Hier iſt ebenfalls eine Bibliothek von 70,000 Bänden in einem 120 Fuß langen und 60 Fuß hohen Saal aufgeſtellt. In der19*292Mitte ſteht eine Himmelsuhr, die unſer ganzes Son - nenſyſtem ungemein einfach verſinnlicht, und regel - mäßig das Jahr hindurch mit Sonne und Planeten den gleichen Lauf hält.

Chriſtus-College iſt ein ſchönes Gebäude neuerer Zeit, nur eine Abtheilung davon iſt uralt, und die Kirche von altſächſiſcher Bauart, wo antike Säulen mit runden und Spitzbogen, ſonderbar, aber nichts weniger als das Auge beleidigend, durch einander abwechſeln. Hier iſt der berühmte Schrein der heili - gen Frisdewide, ein überaus prächtiges und geſchmack - volles gothiſches Grabmal aus dem Anfang des ach - ten Jahrhunderts, alſo jetzt ſchon 1200 Jahr wohl erhalten. Es war mit ſilbernen Apoſteln und andern Zierrathen verſehen, die unter Cromwell geraubt wurden, wie überhaupt dieſer unglückliche Religions - krieg den Monumenten des Alterthums in England einen unerſetzlichen Schaden zugefügt hat, da bis dahin alle dieſe Sachen auf das Vollſtändigſte con - ſervirt waren. Bei dieſem College iſt auch der rei - zende Spaziergang, von dem ich Dir ſchon ge - ſchrieben. Er führte uns zu dem Magdalenen-Klo - ſter, das zum Theil neu reſtaurirt iſt, und von al - len Colleges den höchſten Thurm hat. Die Reſtau - rationen, welche dem alten Style vollkommen gleich ausgeführt ſind, und dieſe Theile des Gebäudes nun wieder 500 Jahre länger ſichern werden, koſten, ob - gleich nur ein ſehr geringer Theil fertig iſt, bereits 40,000 £. St. Man kann ſich alſo denken, welche293 ungeheuren, gar nicht mehr zu erſchwingenden Sum - men die Aufführung ſolcher Werke von Grund aus heut zu Tage koſten würden. Die arbeitenden Klaſ - ſen, und zum Theil die Künſtler, haben offenbar in unſerer Zeit über die Verzehrenden den Vorſprung ge - wonnen, und ihre Arbeit iſt daher ſo theuer gewor - den, daß etwas wirklich Großes in der Kunſt nach dieſem Maaßſtabe kaum mehr bezahlt werden könnte, denn für die Summe, welche ehemals ein Götter - werk Raphaels erkaufte, kann man heute (ſelbſt ver - hältnißmäßig in Hinſicht auf den geringern Geld - werth) kein Portrait von Thomas Lawrence mehr erſtehen. Der botaniſche Garten ſchloß unſre Prome - nade, enthält aber nichts, das des Aufzeichnens werth wäre. Ich erlöſe Dich daher für jetzt, meine gute Julie. Mais c’est à y revenir demain.

Es iſt ſündlich, wie mein Privat-Tagebuch ſeit lange ſchon von mir vernachläſſigt wird! Je mehr die Reiſebriefe an Dich anſchwellen, je mehr ſchrumpft jenes unglückliche Journal zuſammen. Wenn Du dieſe Briefe verbrannt haſt, werde ich gar nicht mehr wiſſen, was in jener Zeit aus mir geworden iſt. Denke Dir wie unangenehm, vor ſeinem eignen Gedächtniß zu verſchwinden! Ja, meine Einbildungskraft iſt durch294 die vielen Ruinen und Anklänge vergangener Zeiten ſo montirt, daß ich ſchon in eine Zukunft hinüber träume, wo ſelbſt alle Ruinen aufhören, und wo man nicht nur ſeinen Schatten, ſondern den ganzen Menſchen verloren haben wird, um auf neuen Ster - nen ein neues Leben zu beginnen denn mit der Erinnerung, man ſage was man wolle, verliert man doch das ganz, was man jetzt iſt, wie ſchon auf dieſer Erde der Greis beinahe ſich als Kind verloren hat. Wieder finden können wir uns aber dennoch, meine Herzensfreundin, und dann wird das Band, das uns hier verbindet, ſich auch nothwendig wieder dort neu anknüpfen müſſen. Dies kann uns auch genügen

Mais revenons à nos moutons c’est à dire: parlons de nouveau de parcs.

Ein abſcheuliches Wetter, Regen und Dunkelheit hielten mich in[Oxford] bis 3 Uhr Nachmittags zurück, wo es ſich ſoweit aufklärte, daß ich abfahren konnte. Der Poſtillon wußte den Weg, welcher keine Haupt - ſtraße iſt, nicht recht genau, und fuhr uns eine große Strecke um, ſo daß wir erſt ſehr ſpät hier ankamen. Während man in meiner Stube Kaminfeuer machte, trat ich in die des Wirths, wo ich ein ſehr hübſches Mädchen, ſeine Nichte, fand, nebſt zwei Doctoren aus dem Orte, mit denen ich mich den Abend ganz gut unterhielt.

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Stove iſt gleich Blenheim ein zweites Specimen engliſcher Größe und Pracht. Der Park umſchließt ein großes Terrain in ſchöner, hüglicher Gegend, mit herrlichem Baumwuchs, und das Schloß iſt ein ſehr magnifikes Gebäude im italiäniſchen Geſchmack, nach Zeichnungen von Chambers. Der pleasure ground, welcher es umgiebt, erſtreckt ſich über 1200 Morgen, und war in beſter Ordnung erhalten. Dieſe Gärten ſind eine alte Anlage, und obgleich ſehr ſchön in vie - ler Hinſicht, und durch ihren Reichthum an hohen Bäumen ausgezeichnet, doch mit Tempeln und Ge - bäuden aller Art dermaßen überladen, daß 10 bis 12 abzureißen die größte Verbeſſerung ſeyn würde. Zu rühmen iſt ein reizender Blumengarten, dicht um - ſchloſſen von hohen Bäumen, Fichten, Cedern, im - mergrünen und blühendem Strauchholz, und im Deſſin einen regelmäßigen Teppich bildend, der ſich vor einem halbzirkelförmigen Hauſe mit Säulen, das ſeltne Vögel enthält, ausbreitet. In der Mitte des Teppichs ſpringt eine ſchöne Fontaine, und auf bei - den Seiten ſieht man zwei zierliche Volieren von Drahtnetz.

Ein anderer Blumengarten, mit Statuen geſchmückt, und einem Gewächshauſe in der Mitte, bildete irre - gulaire Blumengruppen auf dem Raſen. Die Umge - bung war ein durchſichtiger Hain der höchſten Bäume, ohne weitere Ausſicht.

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Im Park ſteht ein Thurm, den man den Bourbon Tower genannt hat, weil er mit einem Kranze von Linden umgeben iſt, die Ludwig XVIII. pflanzte, als er ſich ſo lange hier in der Nähe, in Hartwell, auf - hielt. Obgleich neu, iſt dieſer Thurm doch ſchon wie - der halb eingefallen. Ich wünſche, daß dies keine üble Vorbedeutung für die Bourbons in Frankreich abgeben möge, wo man ſelbſt den weiſen Charten - geber nur: Louis l’inévitable und deux fois neuf taufte.

Der Erwähnung werth iſt auch ein Monument, den großen Männern und Frauen Englands gewid - met, mit recht paſſenden Inſchriften, und den beſten Gemälden gut nachgeahmten Büſten.

Die Länge der Schloß-Façade beträgt 450 Fuß, und eben ſo lang iſt die ununterbrochene Enfilade der Zimmer in der bel étage, zu der man, von der Gartenſeite, auf einer ſchönen Treppe hinanſteigt. Durch eine breite Bronzethüre tritt man hierauf in einen ovalen Marmorſaal mit einer ſchönen Kuppel, von welcher aus er allein beleuchtet iſt. Ein Kreis von 20 Säulen aus röthlichem Marmorſtück umgiebt ihn, und in den Niſchen, welche dieſe bilden, ſtehen zehn antike Statuen. Der Boden iſt mit ächtem Marmor ausgelegt, und ein goldnes Gitter in der Mitte des Fußbodens befindlich, aus dem regelmäßige Wärme ausſtrömt. Es würde zu lang werden, jedes einzelne Zimmer zu beſchreiben. Ich erwähne nur297 im Allgemeinen, daß ſie ſehr reich, und in dem Ge - ſchmack, der vor 80 100 Jahren herrſchte, meu - blirt ſind. Die Tapeten, entweder ſchwarzes Seiden - zeug oder Hauteliſſe, alle Zimmer mehr oder weniger mit Gemälden, Curioſitäten und Kunſtſchätzen aller Art geſchmückt. Eine Unzahl chineſiſchen Porzellains und anderer Sachen aus dieſem Lande iſt darin zu - ſammengehäuft, beſonders in dem Staats-Schlafzim - mer, das nicht benutzt wird, ſondern nur als Zierde ein prachtvolles altes geſticktes Sammtbett mit gold - nen Frangen etablirt.

In dem Boudoir daneben befanden ſich viele an - dere Koſtbarkeiten, die wir jedoch, durch ein Gitter abgehalten, nur von weitem ſehen konnten. Die Ent - wendung eines Halsbandes von Rubinen, welches Marie Antoinette von Frankreich gehört hatte, iſt die ſehr triftige Urſache, daß, ohne des Herzogs Ge - genwart, Niemand mehr hineingelaſſen wird.

Die Bibliothek, welche eine lange Gallerie bildet, dient als Hauptgeſellſchaftszimmer und iſt modern eingerichtet, voller Sophas, Tiſche, Fortepianos ꝛc., die Wände bis an den Plafond mit Schränken bedeckt, welche in der Mitte eine leichte und elegante Gallerie haben, zu der man durch eine kleine Wendeltreppe gelangt. Ein großes, eben ſo diſponirtes Zimmer daneben, enthält nichts als Mappen mit Kupferſti - chen, vielleicht eine der reichſten Sammlungen in der Welt. Es ſcheint dies die Liebhaberei des jetzigen Herzogs. Der Concertſaal hat neben allem nöthigen298 Muſikapparat auch eine große Orgel. Ein anderer Saal, eigentlich die Halle, auf der entgegengeſetzten Seite des Schloſſes nach dem Parke zu gelegen, wo die Anfahrt für die Wagen iſt, bietet eine Ausſicht dar, deren Wirkung ich höchſt eigenthümlich fand. Man ſieht nämlich eine große freie Raſenfläche vor ſich, auf beiden Seiten mit Eichenwald eingefaßt, im Mittel - und Hintergrund einige Wieſen und Wald durcheinander abwechſelnd. Auf der Mitte der Ra - ſenfläche, ohngefähr 60 70 Schritte vom Schloß, ſteht ganz frei eine ſchneeweiße coloſſale Reiterſtatue, vortrefflich ausgeführt, auf einem hohen Piedeſtal, ſo daß der Reiter gerade auf den Waldesſpitzen hin - ter ihm zu ruhen ſcheint. Kein Gebäude oder ande - rer Gegenſtand (nichts wie Bäume, Gras und Him - mel) iſt ſichtbar, und die Gegend ſo völlig unbelebt, daß das weiße Geiſterbild die ganze Aufmerkſamkeit allein auf ſich ziehen muß. Keine ſchönere Dekoration zum Don Juan läßt ſich denken. Dazu kam noch, daß der Himmel gerade heute durch ein glückliches Ohngefähr, auf dieſer Seite des Schloſſes mit einem Schneeſturme drohend, ganz ſchwarz überzogen war, wogegen die blendend weiße Statue faſt grauſend abſtach. Sie ſchien in dem Augenblick lebend, und jede Muskel trat im grellen Lichte hervor.

Unter den Gemälden befindet ſich ein Schatz, der unſeren deutſchen Reiſenden gar nicht bekannt gewor - den zu ſeyn ſcheint, wenigſtens habe ich nirgends davon etwas geleſen ein ächtes, noch während299 Shakespeares Leben gemaltes Portrait dieſes Dich - ters, von Barnage. Die Hypercritiker in England wollen zwar durchaus kein ächtes Portrait Shakes - peares ſtatuir[e]n, aber mir ſcheint es faſt unmöglich, eine Phyſiognomie zu erfinden, die ſo ſiegend den Charakter der Wahrheit an ſich trüge, ſo ganz die Größe und Originalität des Mannes ausſpräche, den ſie darſtellt, ausgeſtattet mit aller geiſtigen Erhaben - heit, allem Scharfſinn, Witz, Feinheit, und jenem ächten Humor, deſſen unerſchöpflicher Reichthum kei - nem andern Sterblichen je wieder ſo zu Theil gewor - den iſt. Das Geſicht iſt keineswegs, was man ge - meinhin ſchön nennt, aber die erhabene Schönheit des dahinterwohnenden Geiſtes wird im erſten Au - genblicke klar. Um die hohe Stirne ſpielt dieſer kühne Geiſt in blitzenden Lichtern, durchdringend ſind die großen dunkelbraunen Augen, feurig und mild; nur um die Lippen ſchwebt leiſer Spott und gutmüthige Schlauheit, aber mit einem ſo lieblichen Lächeln ver - ſchwiſtert, daß dieſes erſt der ſonſt ernſten Würde des Ganzen, den größten, menſchlich gewinnenden, Reiz verleiht. Wunderbar vollkommen erſcheint da - bei der Bau des Schädels und der Stirne, die keine einzelne beſonders hervorſtehende Erhöhung, aber alle Organe ſo gewölbt und ausgebildet zeigt, daß man über die Harmonie eines ſo muſterhaft organiſirten Kopfes erſtaunt, und eine wahre Freude fühlt, das Bild des Mannes mit ſeinen Werken in ſo ſchö - nem Einklang zu finden.

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Zwei vortreffliche Albert Dürer, ein Schweſterpaar weiblicher Heiligen in phantaſtiſcher Landſchaft dar - ſtellend, zogen mich beſonders durch ihren originell deutſchen Charakter an. Es ſind zwei ächte Nürn - berger Hausfrauen, mit ihren vaterländiſchen Hauben angethan, und nach der Natur aufgefaßt, gutmüthig und geſchäftig ihr Heiligenamt verrichtend. Ein Bild Luthers von Holbein verräth mehr Geiſt, und iſt we - niger fett als gewöhnlich.

Bemerkenswerth iſt noch ein Bild von van Dyk, den Herzog von Vieurville vorſtellend, dem Geſandten Frankreichs bei Carl I., der mit chevalereskem Geiſte den König auch in die Schlacht begleitete, und bei Newbury getödtet wurde. Die Tracht iſt ſonderbar, aber doch maleriſch. Ein weißer juste-au-corps à la Henri quatre, mit einem ſchwarzen Mantel darüber, weite kurze ſchwarze Beinkleider über die Knie fal - lend, mit ſilbernen Metallſpitzen daran, hellviolette Strümpfe mit goldenen Zwickeln, und weiße Schuhe mit goldenen Roſen. Auf dem Mantel iſt der Stern des heiligen Geiſtes, viermal größer als jetzt üblich, geſtickt und das blaue Band wird noch en sautoir, aber länger herunterhängend und bereits ähnlich der heutigen Mode, mit dem Kreuze ſeitwärts getragen. Dieſes hängt faſt unter dem Arm, ſchmaler und klei - ner als jetzt, an dem großen Bande.

Den Duc de Guiſe hätte ich mir anders vorgeſtellt, ein blaſſes Geſicht mit röthlichem Bart und Haar, mehr intriguant als großartig ausſehend. Dem Cha -301 rakter der dargeſtellten Perſon beſſer entſprechend iſt das Bild des Grafen Gondemar, ſpaniſchen Geſand - ten bei Jakob I., (von Velasquez) der durch ſein - chenlatein dem gelehrten Könige ſchmeichelte, in wel - cher burlesken Form er ſich Alles zu ſagen erlaubte, und nachher durch ſeinen jeſuitiſchen Einfluß Sir Wal - ter Raleigh, den Günſtling Eliſabeths, auf’s Schaf - fot brachte.

Ein Bild Cromwells von ſeinem Hofmaler Richard - ſon, hat ein doppeltes Intereſſe für die Familie, da es für einen der Vorfahren des Herzogs gemalt wurde, der ſelbſt mit darauf abgebildet iſt, als Page, im Begriff, dem Protektor dienſtfertig die Feldbinde in eine Schleife zu binden. Es gleicht dieſes Portrait den andern, die ich von Cromwell geſehen, nicht ganz, ſondern ſtellt ihn jünger und in einer verfeinerten Natur dar, iſt alſo wahrſcheinlich geſchmeichelt. Der Hofmaler läßt dies doppelt vermuthen.

Nur andeuten will ich zwei ſchöne und große Te - niers, wovon der eine drei höchſt charakteriſtiſche hol - ländiſche Bauern darſtellt, die ſich im Dorfe begeg - nen, und mit der Pfeife im Maule zu ſchwatzen an - fangen, einen vorzüglichen Ruysdael, ſechs berühmte Rembrandts, und die Geliebte Titians, von ihm ſelbſt gemalt, mit Armen und Buſen, die der Um - armung entgegenſchwellen. Auch ein neueres Kunſt - werk bewunderte ich ſehr: zwei Taſſen von Sevres mit Miniaturgemälden nach Petitot, von der vor - trefflichen Porzellain-Malerin Mad. Jaquotot. Das302 eine ſtellt Ninon de Lenclos vor, deren mir bisher bekannt gewordnen Abbildungen nie meiner Vorſtel - lung von ihr recht entſprachen, dagegen dieſe ihren bekannten Charakter vollſtändig ausſpricht, und dabei von der anziehendſten Schönheit iſt, ächt franzöſiſch, lebhaft wie Queckſilber, eine Kühnheit, die allerdings an Frechheit ſtreift, aber doch zu edel und zu weſent - lich natürlich, um einen andern als gewinnenden Ein - druck zurück zu laſſen. Die andere, eine ſanfte, hei - tere und wollüſtige Schönheit, war unterſchrieben Francoiſe d’Orleans de Valois als Eingeweihte in die franzöſiſche Genealogie und Memoiren, wirſt Du wiſſen, wer dies iſt. Je l’ignore. Jede dieſer Taſſen koſtete 1000 Franken.

Bei ſchönem Mondſchein fuhren wir den Abend noch bis Aylesbury, von wo ich Dir jetzt ſchreibe.

Noch heute Abend hoffe ich wieder in London zu ſeyn. Während dem Umſpannen ſchreibe ich Dir flüch - tig nur ein paar Worte. Wir ſahen früh Lord Ca - ringtons Park, zu Deinem Troſt geſagt, vor der Hand wenigſtens, den letzten. Der Garten bietet eben nichts Beſonderes dar, das Schloß iſt abermals im belieb - ten Neu-Gothiſch, aber, da es einfacher gebaut iſt, und weniger Prätenſion macht, erſcheint es auch we - niger affektirt. Es iſt nur aus rohen Bruchſteinen303 ohne Putz aufgeführt. Innerlich waren vortreffliche alte Glasmalereien, durchgehends aber nur der obere Theil der Fenſter bunt, das übrige weiß, um die Zimmer heller zu laſſen.

Ein gutes Bild Pitts hängt in der Bibliothek. Der große Mann trägt nichts weniger als geniale Züge, und wer weiß, ob die Nachwelt nicht einſt ein ähn - liches Urtheil über ſein Wirken fällen wird. Im Garten bemerkte ich etwas Artiges, einen dicht ge - pflanzten Epheukranz auf dem Raſen, der wie nur nachläßig darauf hingeworfen, und wie von einem Vorübergehenden verloren, erſchien.

Die Reiſe ſollte mit der Beſichtigung von Buls - trode geſchloſſen werden, das Repton ſo weitläuftig, als ein Muſter für Park und Gartenanlagen, be - ſchreibt. Dieſer Kelch geht aber an Dir vorüber, liebe Julie, denn der Herzog von Portland hat es ver - kauft, und der jetzige Beſitzer die ſtolzen Baumrieſen, für die ſich Repton ſo enthuſiasmirt, gefällt, die Wie - ſen zu Feld beurbart, und ſelbſt das Schloß abgeriſ - ſen, um die Steine zu Gelde zu machen. Es war eine traurige Scene der Verwüſtung, noch bedenkli - cher gemacht durch die ſeltſame Tracht der darin ar - beitenden Weiber, welche, vom Kopf bis zu Fuß in blutrothe Mäntel gehüllt, einer unheimlichen Ver - ſammlung von Scharfrichtern glichen.

304

Bei hellem Gaslicht, das hier immer einer feſtlichen Illumination gleicht, fuhren wir in die Stadt ein, und da ich mir, nach dem langen Park - und Garten - leben, auf der Stelle einen Contraſt bereiten wollte, ſtieg ich am Coventgarden-Theater ab, um die erſte Weihnachtspantomime zu ſehen. Dies iſt eine ſehr beliebte Schauſpielart in England, wo man vorzüg - lich die Kinder hinführt, und auch ich alſo gut an meinem Platze war. Dichter und Dekorateurs wenden viel Fleiß darauf, jedes Jahr das vergangne mit größern Wundern zu überbieten. Ehe ich Dir gute Nacht ſage, will ich, in einer rhapſodiſchen Skizze, das Spiel noch einmal vor Dir ſich begeben laſſen.

Beim Aufrollen des Vorhangs füllt ein dichter Ne - bel die Scene, der ſich nur nach und nach verzieht, welches durch feine Gaze ſehr täuſchend bewerkſtelligt wird. Man unterſcheidet im Dämmerlicht eine länd - liche Hütte, den Wohnort einer Zauberin, im Hin - tergrunde einen See, von Gebirgen umgeben, und einigen Schneegipfeln überragt. Noch iſt alles däm - mernd und undeutlich, da geht die Sonne auf, beſiegt die ſchweren Morgendünſte, und die Hütte mit dem entfernter liegenden Dorfe erſcheinen nun erſt in voll - ſter Klarheit. Jetzt entdeckt man auf dem Dache einen großen Hahn, der mit den Flügeln ſchlägt, ſich brü - ſtet und die Sonne mit mehreren ſehr natürlichen305 Kikerikys begrüßt. Eine Elſter neben ihm fängt an zu ſprechen, herumzuſpazieren, und einen in der Mauer - niſche darunterliegenden, gigantiſchen Kater zu necken, der ſeine Glieder ſchläfrig reckt, ſeine Schnautze putzt, und behaglich ſchnurrt. Dieſer Kater wird von einem der Akteurs, welcher ſich nachher in Harlequin ver - wandelt, mit großer Virtuoſität agirt. Sein Spielen mit einer Melone, die Leichtigkeit ſeines Kletterns auf den Schornſtein hinauf und herunter, ſeine Sprün - ge und Manieren ſind ſo natürlich, daß ſie nur den Thieren ſelbſt durch langes Studium abgelauſcht ſeyn können, denn glücklicherweiſe iſt nun die Schauſpiel - kunſt dahin gekommen, daß ſie nicht mehr nöthig hat, Menſchen durch Pudel und Affen überbieten zu laſſen, ſondern dieſe gefeierten Thiere durch die Menſchen ſelbſt täuſchend darſtellen zu laſſen im Stande iſt.

Unterdeß öffnet ſich die Thüre, und Mutter Syip - ton, eine fürchterliche Hexe, tritt mit ihrem ähnlichen Sohne heraus. Die Hausthiere, zu denen ſich noch eine große Eule geſellt, machen ſogleich ihre Morgen - Cour nach Kräften. Die Hexe aber iſt unwirſch, ſpricht eine Verwünſchung über ſie aus, und verwandelt ſie auf der Stelle (was äußerſt geſchickt gemacht wird) in die Perſonen der italieniſchen Comödie, die, gleich - ſam ein Bild der Welt, ſich raſtlos verfolgen, bis der Klügſte endlich ſiegt. So ſpinnt ſich denn das Mähr - chen durch tauſend Verwandlungen und Tollheiten weiter fort, ohne beſondern Zuſammenhang, aber zu - weilen mit guten Anſpielungen auf die Tagesbegeben -Briefe eines Verſtorbenen. III. 20306heiten, und vorzüglich mit herrlichen Dekorationen, den Witzen des Maſchiniſten. Eine der beſten Dar - ſtellungen dieſer Art war die Zauberküche. Ein Fel - ſen ſpaltet ſich und zeigt eine große Höhle, in deren Mitte über einer brennenden Klafter Holz ein ganzer Hirſch mit Geweih, ein ganzer Ochſe, und ein Schwein ſich mit Blitzesſchnelle über einander am Spieße her - umdrehen. Auf einem Herde an der rechten Seite bäckt eine Paſtete von der Größe eines Frachtwagens, und links wird ein Plumpudding von gleichem Calibre gekocht. Der Chef de cuisine erſcheint hierauf mit ein paar Dutzend Gehülfen in weißer grotesker Uni - form, alle mit langen Schwänzen verſehen, und jeder mit einem Rieſenmeſſer und Gabel bewaffnet. Der Kommandirende läßt ſie erſt ein lächerliches Exercitium machen, das Gewehr präſentiren u. ſ. w., wobei ſie ſich eben ſo erfahren benehmen, als die ſieben Mädchen in Uniform. Dann ſtellt er ſie Pelotonweiſe an, um die Braten mit Butter zu begießen, und dies zwar mit Kochlöffeln von demſelben gigantiſchen Maßſtabe als die übrigen Utenſilien, während ſie mit ihren langen Schwänzen ſorgſam das Feuer anfachen.

Später ſtellt die Scene eine hohe Burg dar, nach welcher die beſchriebenen Rieſengerichte gleich Artillerie gefahren werden. Die Windungen des Felſenweges laſſen ſie in ſteigender Entfernung immer kleiner wie - der zum Vorſchein kommen, bis endlich die Paſtete, wie der untergehende Mond, am Horizonte ver - ſchwindet.

307

Nun werden wir in eine große Stadt verſetzt, mit allerlei komiſchen Inſchriften an den Häuſern, mei - ſtens Satyren auf die Menge der neuen Erfindungen und Compagnieen für alle mögliche Unternehmungen, als z. B. Waſch-Compagnie der vereinigten drei Reiche. Steamboat in 6 Tagen nach Amerika zu fahren. Si - cheres Mittel, in der Lotterie zu gewinnen. Berg - werksaktien zu 10 £. St., um in 10 Jahren ein Mil - lionär zu werden ꝛc. ꝛc. Eine Schneider-Werkſtatt zeichnet ſich im Vorgrund aus, wo im Rez-de-chaus - sée mehrere Geſellen emſig nähen, und über der Thüre eine Scheere von ſechs Ellen Länge, aufwärts ſtehend, als Wahrzeichen befeſtigt iſt. Harlequin kömmt an, verfolgt von Pantalon und Comp., und ſpringt, mit einem Burzelbaum in der Luft, durch ein Fen - ſter des zweiten Stocks, das klirrend zerſchmettert, in das Schneiderhaus. Die Verfolger, vor dem salto mortale zurückfahrend, ſtürzen über einander her, und prügeln ſich mit artiſtiſchem Geſchick und einer Ge - lenkigkeit, die man nur Marionetten zutrauen ſollte. Man holt nun Leitern, und die Geſellſchaft ſteigt Harlequin nach in das Haus. Dieſer iſt aber bereits aus dem Schornſtein echappirt, und läuft auf den Dächern weiter. Pantalon mit ſeinem langen Kinn und Bart, lugt indeß zum Mittelfenſter, wo die Scheere hängt, und mit ihren beiden Schneiden das Fenſter umfaßt, hinaus, um zu erſpähen, welchen Weg Harlequin wohl genommen habe. Plötzlich ſchlägt aber die Scheere zu, und ſein Kopf fällt auf die Straße. Pantalon, ohne Kopf, rennt nichts deſto20*308weniger die Treppe hinab, und ſtürzt aus der Thüre ſeinem kollernden Haupte nach, das unglücklicherweiſe in demſelben Augenblick ein Pudel aufnimmt, und damit fortrennt. Pantalon hinter drein. Hier be - gegnet er aber Harlequin ſchon wieder, der ſich als Doctor verkleidet hat, und ſchnell eine Conſultation mit drei andern Aerzten hält, wie dem jammernden Pantalon zu helfen ſey. Man vereinigt ſich endlich, die kahle Stelle, wo der Kopf fehlt, mit Macaſſar - Oehl-Eſſenz zu ſchmieren, und glücklich wächst auch, vermöge dieſer Operation, vor den Augen der Zu - ſchauer der Kopf langſam wieder heraus.

Im letzten Akt wird uns das Tivoli in Paris zum Beſten gegeben. Ein Luftballon mit einem ſchönen Kinde ſteigt auf. Während er vom Theater über die Zuſchauer hinſchwebt, verſinken nach und nach die ir - diſchen Dekorationen, und ſobald der Ballon an der Decke angekommen iſt, wo er um den Kronleuchter in beträchtlicher Höhe eine Volte macht, füllt ſich die Bühne mit wogenden Wolken, durch welche tauſend Sterne blinken, was eine artige Illuſion hervorbringt.

Beim Herabſinken des Ballons ſteigt Stadt und Garten wieder gradatim empor. Nach dieſer Scene wird ein Seil aufgeſchlagen, auf dem eine reizend gewachſene Frau mit dem Schubkarren bis zur Spitze eines gothiſchen Thurmes in Brillantfeuer fährt, wäh - rend andere Aequilibriſten auf ebenem Boden dane - ben ihre halsbrechendſten Kunſtſtücke machen.

309

Zum Schluß verwandelt ſich, mit Donner und Blitz, das Theater in einen prachtvollen chineſiſchen Saal, mit tauſend bunten Papierlampen, wo alle Zaubereien ſich löſen, die Hexe durch einen wohlthä - tigen Geiſterkönig in die Eingeweide der Erde ver - bannt wird, und Harlequin, als anerkannter legiti - mer Prinz, ſich endlich mit ſeiner Colombine ver - mählt.

Beim Zuhauſefahren hatten wir noch ein anderes ſonderbares Schauſpiel gratis. Aus einer Feuereſſe drang eine hohe Säule glühenden Rauches, die ſich bald darauf abwechſelnd grün, roth und blau färbte, und je näher wir kamen, immer dichter und bunter gleich dem eben geſehenen chineſiſchen Feuerwerk, in Farben emporwirbelte. Wahrſcheinlich, ſagte ich zu R ...., ein chemiſches Laboratorium, wenn nur kein ernſtliches Feuer daraus entſteht. Doch kaum hatte ich es geſagt, ſo war meine Befürchtung auch ſchon in Erfüllung gegangen. Geſchrei erſchallte von allen Seiten, wilde Flammen zuckten gen Himmel, die Men - ſchen liefen zuſammen, und bald raſſelten ſchon Spri - tzen durch die Straßen. Aber die große Stadt ver - ſchlingt das Einzelne. Noch 500 Schritte weiter, und das Feuer in der Nachbarſchaft erregte weder Lärm mehr noch Intereſſe. In einem erleuchteten Palaſt tanzte man luſtig, langſam zogen die aus den Theatern Heimkehrenden ihren Wohnungen zu, und freche Nymphen, wie factices Elend ſuchten, an den dunkeln Stellen, wie gewöhnlich der Vorübergeben - den Aufmerkſamkeit zu erregen.

310

Doch meine gute, liebe Julie, il faut que tont finisse, alſo auch dieſe lange Reiſerelation, die Dir gewiß einen Bogen für jedes Jahr meines Lebens liefert. Daß ſie aber mit einem Feuer ſchließt, das deute auf feurige Liebe, und hierzu iſt es nicht nöthig, wie Dein Aberglaube empfiehlt, zu rufen: Zur guten Stunde ſey’s geſagt! Jede Stunde, ſelbſt die unglücklichſte, iſt gut wo Liebe iſt.

[311]

Eilfter Brief.

Theure Julie!

R iſt heute nach Harwich abgereist, und wird in 14 Tagen bei Dir ſeyn, Du aber Dich gewiß dann freuen, einen lebendigen Zeugen des Schaltens und Waltens Deines L .... mündlich über ſo Man - ches ausfragen zu können, was doch mit dem beſten Willen in Briefen nicht mit jeder Nüance ſo auszu - drücken iſt. Ich habe mich unterdeſſen im Stadtle - ben wieder eingewohnt. Geſtern ſpeiste ich bei Fürſt E , wo uns der ..... ſche Legations-Sekretair, eine Art aimabler Bouffon, und obgleich ſelbſt von ſehr ordinairer Abkunft, doch ein Superlativ von Ul - tra (tel le maitre tel le valet) in einem Lachen er - hielt. Ich habe oft das Talent der Franzoſen be - wundert, und auch wohl beneidet, die amüſanteſten Erzählungen aus den gewöhnlichſten Begebenheiten zu componiren, die in anderm Munde ſogleich alles Salz verlieren würden. Niemand excellirt darin mehr,312 als Herr R., und liefert zugleich einen Beweis, daß dieſes Talent allein Folge der dazu ſo vortrefflich paſſenden Sprache, und einer aus dieſer wiederum entſpringenden Erziehung iſt. Denn Herr R. iſt ein Deutſcher, ich glaube ein Schwabe, aber als zwei - jähriges Kind nach Frankreich gekommen, und daher als Franzoſe erzogen worden. Die Sprache macht den Menſchen mehr, als das Blut, aber das Blut hat freilich früher die Sprache gemacht.

Uebrigens muß man auch wieder bekennen, daß, ſo brillant ein ſolches liebenswürdiges Geſchwätz auch im erſten Augenblick erſcheint, es zuletzt doch nur wie eine Fuſée zerplatzt, und der Erinnerung nichts mehr zurückläßt, ſo daß der pedantiſche Deutſche ſo - gar eine Art Unbehaglichkeit darnach fühlt, und be - dauert, ſeine Zeit unnütz verloren zu haben. Wäre dem deutſchen Element, das ſich ſeine Sprache gebil - det, es auch noch möglich geweſen, ihr jene Leichtig - keit, Rundung, angenehme Zweideutigkeit und zu - gleich Präciſion und Abgeſchloſſenheit zu geben, welche Eigenſchaften auch die franzöſiſche Dreiſtigkeit in den geſellſchaftlichen Verhältniſſen hervorrufen, ſo müßte des Deutſchen Converſation gewiß die befriedigendſte von beiden ſeyn, da er nie verſäumen würde, dem Angenehmen auch das Nützliche beizufügen. So aber bleibt uns Deutſchen gewöhnlich in der Geſellſchaft nur die Art Verſtand übrig, welche die Franzoſen ſo treffend l’esprit des escaliers nennen, nämlich der, welcher Einem erſt auf der Treppe eingiebt, was man hätte im Salon ſagen ſollen.

313

Von dem Feuerwort des Franzoſen iſt mir nichts im Gedächtniß zurückgeblieben, als folgende gute Anekdote.

Ein zur Zeit Ludwig XIV. als Autorität gelten - der diplomatiſcher Schriftſteller, ſchließt eine Abhand - lung über die großen Vorrechte, die einem fremden Bothſchafter zuſtehen, mit folgenden Worten: mais dès qu’un Ambassadeur est mort, il rentre aussitôt dans la vie privée.

Der arme Herzog von York iſt nach langem Kran - kenlager endlich geſtorben, und jetzt ſehr prächtig in Parade aufgeſtellt. Ich ſah ihn noch im Oktober, und fand in ihm ſchon damals nur noch den Schat - ten des rüſtig ſtattlichen Mannes, den ich in frühe - rer Zeit ſo häufig in Lady L .... s und in ſeinem eignen Hauſe ſah, wo ſechs Bouteillen Claret, nach Tiſche getrunken, ſeine Phyſiognomie nur unmerklich veränderten. Ich erinnere mich, daß er an einem ſolchen Abend einſt es war ſchon nach Mitter - nacht einige ſeiner Gäſte, unter denen ſich auch der öſterreichiſche Geſandte, Graf Meerveldt, der Graf Beroldingen und ich befanden, in ſein ſchönes Waffenkabinet führte. Wir verſuchten mehrere tür - kiſche Säbel zu ſchwingen, mochten aber insgeſammt314 keine recht feſte Hand mehr haben, und daher ge - ſchah es, daß ſowohl der Herzog, als Graf Meer - veldt, ſich an einer indiſchen Waffe, einer Art gera - dem Schwerdt, Beide blutig ritzten. Hierauf wünſchte der Letztere zu wiſſen, ob ſie ſo gut ſchneide als ein Damascener, und unternahm ſogleich, eins der auf dem Tiſch ſtehenden Wachslichter mitten durchzuhauen. Das[Experiment] gerieth aber ſo ſchlecht, daß beide Lichter ſammt den Leuchtern auf den Boden fielen und verlöſchten. Während wir in der Dunkelheit um - hertappten, und die Thüre ſuchten, fing der Adju - tant des Herzogs, Obriſt C , kläglich zu ſtammeln an: By God Sir, I remember, the sword is poi - soned! .... Man kann ſich das angenehme Gefühl der Verwundeten bei dieſer Nachricht denken glück - licherweiſe zeigte es ſich aber bald bei genauerer Un - terſuchung, daß der Behauptung des Obriſten nur Claret, und kein Gift zum Grunde lag.

Der Herzog wird ſeiner vielen vortrefflichen Eigen - ſchaften wegen ſehr bedauert, und das ganze Land trägt tiefe Trauer für ihn, mit Flor am Hute und ſchwarzen Handſchuhen, was die Fabrikanten zur Verzweiflung bringt. Alle Livreen ſind ſchwarz, auch ſchreibt man nur auf Papier mit breitem ſchwarzen Rande. Während dem werden aber nichts deſto we - niger die Weihnachtspantomimen auf den Theatern fortgeſetzt, und es macht eine ſonderbare Wirkung, wenn man Harlequin und Brigbella ſich in allen Fri - volitäten und Poſſen auf der Bühne herumjagen,315 und das, wie zu einem Leichenzuge beflorte, raben - ſchwarze Publikum dabei wüthend klatſchen und vor Lachen laut jubeln hört.

Eben erhalte ich Deinen Brief von B Nun wahrlich, ſo luſtig, ich möchte faſt ſagen, ſo beißend, haſt Du lange nicht geſchrieben. Die B ſchen Ori - ginale ſcheinen Dich ganz elektriſirt zu haben, und obgleich ich mich darüber freuen ſollte, fühle ich doch ein wenig Eiferſucht. Du wirſt aber ſchon zu Dei - nem Original wieder zurückkehren. Wie Cäſar, ſage ich mit Zuverſicht: Ich fürchte nicht die Fetten, ſondern nur die Magern, und ſo lange Du alſo, wie Du mich verſicherſt, Dein hübſches enbonpoint conſervirſt, bleibe ich ganz ruhig. Bei alle dem hätte ich doch Luſt, Dich ein wenig wieder zu necken, wenn ich nicht wüßte, daß Du den Scherz par distance nicht wohl verträgſt. Um meiner Laune jedoch in Etwas genug zu thun, ſende ich Dir einen Auszug aus meinem Journal, als Seitenſtück zu Deiner frü - hern afrikaniſchen Reiſe; denn das magere Tagebuch lebt noch, obwohl es manchmal Monate lang keine Nahrung bekömmt, und die wenige nicht den min - deſten haut gout enthält. Erwarte alſo auch weder etwas Luſtiges noch Satyriſches, ſondern nur Ernſt - haftes, denn es wird Dir als Strafe auferlegt.

316

Aus meinem Tagebuch.

In der Literary Gazette las ich heute einen ſehr gründlichen Aufſatz, der meines Erachtens ſchlagend beweiſet, wie vortheilhaft der große Landbeſitz Ein - zelner in England auch auf die Cultur des Bodens ſelbſt wirkt*)Mißbraͤuche abgerechnet. A. d. H. , im Vergleich mit der, unter einer ge - wiſſen Klaſſe von Staatstheoretikern ſo beliebten, möglichſten Verparzellirung des Landbeſitzes, wie ſie in Frankreich ſtatt findet. Ich gebe einen freien Auszug.

Nach der auf offizielle Aktenſtücke baſirten Berech - nung iſt in Frankreich dem Ackerbau gewidmet an Land 27,440 Lieues. In England nur 13,396, alſo noch nicht die Hälfte. Demohngeachtet iſt der Ertrag des Bodens an Produkten in England 1 / 7 mehr. Da nun die Güte des Bodens nicht in der Totalität erheblich verſchieden iſt, ſo beweiſet dies offenbar, daß man den Ackerbau in England weit beſ - ſer verſteht, und der Grund in dem Reichthum der großen Landbeſitzer lieget, die ſtets bereit ſind, Ame - liorationen, neuen Verſuchen, und dem Fortſchritt der Wiſſenſchaft momentane Opfer zu bringen, die ihnen oder andern in der Folge hundertfältig zu Gute kommen , ein Vortheil, der kleinen Beſitzern, die317 nie zu einem hinlänglichen Betriebs-Capital kommen können, ſtets abgeht. Noch merkwürdiger aber wird der fernere Vergleich.

In England und Schottland giebt es 589,384 Land - eigenthümer und Pächter. Ein Drittheil für Irland hinzugerechnet, und jede dieſer Familien zu fünf Per - ſonen angenommen, erreichen ſie in der Geſammt - heit noch nicht die Zahl von 4,000,000, alſo ohnge - fähr der ganzen Bevölkerung Großbrittaniens.

In Frankreich dagegen giebt es nicht weniger als 483,300 Landeigenthümer und Pächter. Dieſe gleich - falls zu fünf Perſonen pro Familie angenommen, machen die ungeheure Totalſumme von 24,000,000 aus, alſo beinahe der Nation, die allein mit Ackerbau beſchäftigt ſind. Was folgt daraus? daß in England der Bevölkerung daſſelbe Reſultat des Ackerbaues und darüber ergiebt, als in Frankreich ; daß alſo der Induſtrie, den Fabriken, Handel ꝛc. in Eng - land , in Frankreich nur übrig bleibt.

Kann es eine beſſere Lection für unſre Nivellirer geben, die mit ſo viel Pathos behaupten: nur die möglichſte Verkleinerung des Landbeſitzes bringe die höchſte Bevölkerung, und folglich die größte Wohl - fahrt eines Staates hervor, und dabei albern genug ſind, wie Elſtern den in England von allen Unter - richteten verlachten Oppoſitionsblättern nachzuſchreien, daß die großen Gutsbeſitzer allein die Urſache der Noth der geringeren Klaſſen wären.

318

Dieſe vorübergehende Noth trifft aber eigentlich nur die Fabrikarbeiter und liegt in der Natur der Sache, da dieſe Leute, lebenslang nur an ein und dieſelbe Arbeit gewöhnt, plötzlich keine andere über - nehmen können noch wollen, wenn eine Stockung im Handel eintritt. Dies iſt die nothwendige Folge einer ſo ins Unermeßliche getriebenen Induſtrie als in England, und das zufällige und vorübergehende Leiden einiger Tauſend kann nicht in Betracht kom - men gegen das Uebergewicht von Macht und Reich - thum, welches England zum großen Theil dieſer In - duſtrie, NB. auf einer blühenden und beſchützten Land - wirthſchaft feſtgeſtellt, mit verdankt. Uebrigens ſind die Arbeiter, von denen die Rede iſt, durch großen Verdienſt und gutes Leben ſo verwöhnt, daß ein Solcher ſchon vom Verhungern ſpricht, wenn er nicht täglich Fleiſch, Weißbrod, Bier und Thee in den größten Portionen zu ſich nehmen kann, und ich frage jeden Fremden, der in England als Beobach - ter ohne Vorurtheil reist, ob er nicht weit mehr noch durch die allgemeine Wohlhabenheit und die vielen befriedigten Bedürfniſſe der gemeinern Klaſſen, als durch den oft fürſtlichen Reichthum und[Luxus] Ein - zelner in Verwunderung geſetzt wird? Der Taglöh - ner in England lebt faſt durchgängig beſſer, als in Deutſchland der wohlhabende Bürger, und es iſt ein merkwürdiger Fall, der des Citirens werth iſt, daß während in Mancheſter und Birmingham Ende vori - gen Jahres, nach den öffentlichen Blättern, Tauſende verhungerten, Fabriken verbrannt und Militair re -319 quirirt wurde, man im Parlament bewies, daß ſechs Stunden davon keine Menſchen zur Erndte für drei - fachen Lohn zu bekommen waren. *)Man wird ſich in den bereits publicirten Theilen dieſer Schrift einer aͤhnlichen Stelle erinnern, und vielleicht noch andere finden, die einer Wiederholung gleichen, in einer wirklichen und nicht blos fingirten, après coup gemachten Correſpondenz, koͤmmt dergleichen wohl vor, und kann nicht immer, ohne dem Zuſammenhange zu ſchaden, ausge - merzt werden. Wir bitten daher den freundlichen Leſer auch hier um guͤtige Nachſicht. A. d. H.

Dies mag etwas übertrieben ſeyn, hat jedoch im Weſentlichen gewiß ſehr viel Wahres.

Ein Hauptgrund des hohen Wohlſtandes Englands iſt aber, alles Uebrige abgerechnet, wohl vor allem: die auſſerordentliche Ehrfurcht, welche ſowohl die Ge - ſetze ſelbſt, als die Verwaltung für alles Eigenthum an den Tag legen, worunter Grundeigenthum im - mer das am gefährlichſten für den Staat zu verletzende bleibt. Dies wird auch von der Nation als ein ſo heiliges Recht angeſehen, daß Operationen, wie Con - tinentalmächte ſie oft zum Beſten ihrer Unterthanen willkührlich vornehmen, Theorieen, die das Eigen - thum einer Klaſſe in Anſpruch nehmen, um eine an - dere beſſer zu ſtellen, dort ganz unausführbar ſind. Daraus aber entſteht Sicherheit für Vornehme wie Geringe, und dieſer folgt Wohlſtand.

320

Später wird man vielleicht auch bei uns einſehen, welchen zweifelhaften Nutzen man dem Staate da - durch gebracht hat, daß man von dieſem Prinzipe ab - ging, und das Eigenthum der Gutsbeſitzer und die Anſprüche der Bauern durch niedergeſetzte koſtſpielige Commiſſionen auf eine Art reguliren läßt, die den Erſteren durch Machtſpruch einen Theil des Ihrigen nimmt, um es den andern zuzuwenden, ohne daß es dieſen dennoch zu Gute kömmt, indem beide Theile oft faſt ſo viel, als der ganze Gegenſtand werth iſt, an die Schiedsrichter bezahlen müſſen!

So hat ſich aber die gezwungene*)Gezwungen iſt die Regulirung allerdings, weil, wenn nur eine der beiden Partheien darauf antraͤgt, die andere fol - gen muß. Da aber der Bauer allein etwas dabei zu erhal - ten hoffen kann, der Gutsbeſitzer in der Regel nur zu ge - ben hat, ſo verſteht es ſich von ſelbſt, daß jener immer der antragende Theil iſt. In der ſpaͤtern Zeit jedoch, wo ſo viele Gemeinden eingeſehen, daß die durch die Regulirung erlangten Vortheile mit den Koſten, welche die Herren Re - gulirer verzehren, nicht in gehoͤriger Proportion ſtuͤnd n, haben viele derſelben vorgezogen, lieber in den alten Ver - haͤltniſſen zu bleiben, und waͤren, wo die Procedur ſchon angefangen, auch gern zuruͤckgetreten, aber die Spinne laͤßt keine Fliege los, die ſie einmal in ihrem Netze ge - fangen. Haͤtte das Gouvernement blos die freiwillige Separa - tion erleichtert, dazu aufgefordert, und ſie ohne Gewalt zu befoͤrdern geſucht, wozu ihr viele wohlthaͤtige Mittel zu Gebote ſtanden, ſo waͤre kein Syſtem ſegenreicher ge - weſen, und die immer allgemeiner werdende Humanitaͤt, ſogenannte Regulirung der bäuerlichen Verhältniſſe nur an zu321 vielen Orten geſtaltet, obgleich ſie früher in gut ge - meinter Abſicht angeordnet war, und wenn ſie, als eine deſpotiſche Maaßregel, auch ſchnell und deſpotiſch*)unſeres Jahrhunderts wuͤrde der Regierung mit Freuden ſelbſt in die Haͤnde gearbeitet haben. Dann waͤren Guts - herrn und Bauern Freunde geblieben, und noch weit inni - ger durch gegenſeitigen Vortheil verbunden worden, ſtatt daß jetzt beide Staͤnde, in unendliche Streitigkeiten ver - wickelt, kuͤnſtlich zu Antagoniſten und Feinden umgeſchaf - fen werden, von nun an nur die ſchroffeſte, dem Staate hoͤchſt ſchaͤdliche gaͤnzliche Trennung alles Intereſſes wuͤn - ſchend, und jeder Theil ſich, von allem patriarchaliſchen Elemente losgeriſſen, im graſſeſten Egoismus zu verſchan - zen ſucht. Wie uͤbel aber, wenn ein gleiches Mißbehagen, und ein endlich daraus entſtehendes gleiches politiſches Intereſſe einmal ſo demoraliſirte und gemeinſchaftlich ver - armte Partheien wieder vereinigen ſollte! Es iſt ſehr zu wuͤnſchen, daß man in Sachſen, wo ein aͤhnliches Beduͤrfniß laut wird, den gutsherrlichen und baͤuerlichen Verhaͤltniſſen eine neugeregelte Geſtalt zu ge - ben, die Erfahrungen des Nachbarlandes benutzen, keinen gewaltſamen, d. h. keinen ungerechten Weg dazu einſchla - gen, und vor allem die Ausfuͤhrung ſchnell betreiben, nicht einem Heer hungriger Advokaten und verdorbner Oekono - men, in einen monſtroͤſen Koͤrper mit weitreichenden Fin - gern vereinigt, anvertrauen, ſondern durch Spezial-Com - miſſionen reguliren laſſen moͤge, die aus Abgeordneten der Partheien ſelbſt, mit Zuziehung eines ausgewaͤhlten Re - gierungsbeamten und eines erprobten Juriſten zuſammen - geſetzt ſind, und von deren Entſcheidung kein Apell ſtatt findet. Uebrigens laſſen die dermaligen politiſchen Conjunkturen uns allerdings fuͤrchten, daß die ganze jetzige Generation zum Opfer fuͤr einen beſſern Zuſtand der kuͤnftigen gebracht werden ſoll, ganz daſſelbe Prinzip, welches bei uns derBriefe eines Verſtorbenen. III. 21322ausgeführt worden wäre, vielleicht heilſam gewirkt hätte, ſtatt daß ſie jetzt, in Formen und nicht abzu - ſehende Schwierigkeiten und Inſtanzenzüge verſun - ken, gleich einem ſchädlichen Upas-Baum dem Lande ringsumher methodiſch das Mark ausſaugt, und alle Verhältniſſe um ſich her vergiftet.

War die Idee des Geſetzgebers alſo auch wohlmei - nend, ſo blieb die Maßregel doch immer eine eigen - mächtige Handlung der Gewalt, die das Privateigen - thum angriff, und ſo konnte auch die fehlerhafte Wurzel, beſonders bei ſo ſchlechter Wartung der Pflanze, nur meiſt trügende Früchte bringen.

Ich ging jetzt über zu einer Recenſion des Salva - tor Roſa, von Lady Morgan, in demſelben Blatte. Eine Stelle darin ergriff mich tief, et pour cause. Es iſt die originelle Schilderung ihres Helden, ohn - gefähr wie folgt.

Mit einem Durſt nach Lob, ſagt ſie, welchen kein Beifall befriedigen konnte, vereinigte Salvator eine Schnelle und Beweglichkeit der Wahrnehmung, die ihn ſtets ungewiß machte, ob er gefiele, ſelbſt wenn er den meiſten Succeß hatte. Ein verzogener Mund, ein niedergeſchlagenes Auge, ein ennüyirter*)Regulirung der baͤuerlichen Verhaͤltniſſe zum Grunde ge - legt wurde, und welches das Schickſal allerdings oft an - wendet fuͤr einen Staat aber immer mißlich nachzuahmen bleibt. A. d. H. 323 Blick, eine ungeduldige Miene, das leiſeſte Lächeln, der Schein einer gehäſſigen Anſpielung konnte augen - blicklich die peinlichſten Gefühle in ihm hervorrufen, alle ſeine Eigenſchaften paralyſiren, und ihm alle Macht rauben, dieſe Schwäche zu verbergen.

Verlaſſen in dieſer Epoche von den Großen und Müßigen, die ihn mehr fürchteten als liebten, und ſeine Dienſte jetzt nicht bedurften, verbarg er ſich freiwillig in tiefe Einſamkeit, auch vor denen, die ihm treu geblieben, gleichmäßig fliehend, wer ihn liebte, und wen er verachtete. Seine Schilderung dieſer Reiſe iſt erſchöpfend für die wilde Einbildungs - kraft und die eigenthümlichen Gefühle, welche das wahre Geheimniß ſeines Weſens ausmachen, wäh - rend ſeine Sehnſucht nach Einſamkeit, ſeine ſtets ver - gebne Reue, den Kampf eines Gemüths malen, das zwiſchen einer angebornen Liebe zu Natur und Ruhe, und einem künſtlichen Ehrgeiz für die Aufmerkſam - keit der Welt und dem Glanze des Rufes fortwäh - rend ſchwankte kein ungewöhnlicher Contraſt in jenen vielleicht höher begabten Gemüthern, die ihre Intelligenz zwar oft über die Andern erhebt, welche dieſelbe Natur aber durch geſellſchaftliche und ſympa - thetiſche Neigungen wieder zum Niveau dieſer An - dern herabzieht. Dieſe feine, aber unglückliche Or - ganiſation, die ihn ſo empfänglich für jeden Eindruck machte, guten oder übeln, und die ihm zu Zeiten keinen Schutz mehr weder gegen die Schrecken der Einbildungskraft ließ, noch auch gegen die Betrüb - niß über wahre Verläumdung und Verfolgung 21*324verſenkte ihn zu häufig in Anfälle unbeſiegbarer Me - lancholie, wenn jede Illuſion verſchwand, und er die Menſchen, zu denen er mit gehörte, in aller Nackt - heit ihrer angebornen Gebrechlichkeit ſah.

Ja, dieſe Schilderung iſt aus der Seele gegriffen, und eben ſo wahr iſt es, daß mit einer ſolchen Diſpo - ſition geboren, man in der umgebenden Welt ſich nur wohl fühlen kann, wenn man durch die Ver - hältniſſe ſehr ſehr hoch über ſie geſtellt iſt, oder ganz unbemerkt in ihr lebt.

So weit wurde ich durch die Gedanken Anderer geführt, jetzt will ich für heute das Tagebuch mit einer eignen Betrachtung ſchließen, deren Gegenſtand noch tiefer das Innerſte berührt, und eine Frage verhandeln, deren nähere Beleuchtung Jeden intereſ - ſiren muß, wenn er auch eben ſo wenig wie ich ein Philoſoph von Profeſſion iſt.

Was iſt Gewiſſen?

Das Gewiſſen hat ohne Zweifel eine doppelte Na - tur, wie eine doppelte Quelle. Die eine fließt aus unſerer höchſten Stärke, die andere aus unſerer größ - ten Schwäche, die eine aus dem in uns wohnenden Geiſt Gottes, die andere aus ſinnlicher Furcht. Beide wohl zu unterſcheiden, iſt für die Ruhe des Menſchen nöthig, die nur aus möglichſter Klarheit entſpringt, denn der Menſch erlangt, wenn er aus dem urſprünglichen, gebieteriſchen Gefühlsinſtinkt325 herausgetreten iſt, alles Bleibende nur durch Anſtren - gung im Schweiße ſeines Angeſichts , auch die Er - kenntniß. Er iſt aber ein Ganzes, aus unzähligen Theilen zuſammengeſetzt, und nur im vollſtändigen Gleichgewicht dieſer Theile kann er als Menſch, d. h. als hier zugleich geiſtig und ſinnlich erſcheinendes We - ſen, vollſtändig glücklich und befriedigt ſeyn. Es iſt der gewöhnliche, immer wiederkehrende Fehler, nur eine Seite vorherrſchend ausbilden zu wollen, einer das Gebiet der Religion, ein andrer die ſtrenge Ver - nunft, das Weltkind nur den Verſtand und das Sinnliche. Alles zuſammen aber in gehöriger Har - monie angewendet, genoſſen, und ſo zu ſagen künſt - leriſch vereinigt, giebt allein für dieſe Erde und die Exiſtenz auf ihr, das vollſtändigſte Leben, die ächte Wahrheit.

Unter dieſem Geſichtspunkt muß auch das, was wir Gewiſſen nennen, betrachtet, und das Wahre vom Unwahren geſchieden werden.

Unter dem Wahren verſtehe ich, die untrügliche Mahnung des göttlichen Geiſtes in uns, die uns von dem Böſen überhaupt, als dem ganz Einſeitigen, In - conſequenten und Negativen abhält, und dies bedarf keiner weitern Erklärung das Falſche aber iſt das - jenige, welches nur vom Conventionellen, der Ge - wohnheit, Autorität, auf dieſem Grunde erwachſenen Spitzfindigkeiten, und übertriebner Aengſtlichkeit, mit einem Wort, aus Furcht, entſpringt. Feine, leicht erregbare Naturen in denen das Cerebralſyſtem326 dominirt, alſo Kopf und Phantaſie wenn ich mich ſo ausdrücken darf, kräftiger als das Herz ſind, und der theilende Verſtand zu leicht die Innigkeit des vol - len Gefühls aufhebt ſind dieſem Irrwege am mei - ſten unterworfen. Es iſt aber ſo ſchwer, dieſen ſub - tilen Verzweigungen und geheimnißvollen Wechſel - wirkungen zu folgen, daß man oft nachher für pri - maires Gefühl hält, was doch nur Rückwirkung ei - nes ſophiſtiſchen Verſtandes iſt.

Da nun Recht und Unrecht, auf die einzelnen Hand - lungen im menſchlichen Leben angewandt, bei ihren vielfachen Bedingniſſen und Verwickelungen offenbar relativ werden muß, ſo bleibt nichts übrig, als daß ein Jeder ſich mit Hülfe aller ſeiner Seelenkräfte recht deutlich mache, redlich ergründe, was er für Recht und Unrecht hält, und was er vernünftigerweiſe da - für zu halten habe, dann aber ruhig dieſen Maßſtab anlege, und ſich auch um ſein ſogenanntes Gewiſſen, d. h. jene innere Unbehaglichkeit und Ungewißheit bei Colliſionsfällen nicht kümmere, welche nicht ganz aus - bleiben kann, da die in der Kindheit und früheſten Jugend erhaltenen Lehren, recht oder unrecht, ver - nünftig oder abgeſchmackt, immer einen unwiderſtehli - chen Eindruck auf unſer Gemüth ausüben werden. *)Es kann uͤberdem Faͤlle geben, wo das Gewiſſen, ſo zu ſagen, recht und unrecht zugleich hat, d. h. eine nothwen - dige Handlung vorkommen, die durchaus von einer Seite fehlerhaft ſeyn muß, wo man dann nur das kleinere Uebel zu waͤhlen hat, und es wird keinen vernuͤnftigen Moraliſten

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Ich will nur einige erläuternde Beiſpiele anführen: Wer mit einem ſanften Gemüth, in Gottesfurcht und Menſchenliebe erzogen, Soldat geworden iſt, wird ſchwerlich, wenn er zum Erſtenmal kaltblütig ſich ein Menſchenleben zum Ziel nehmen muß, dieß ohne eine merkliche Regung ſeines Gewiſſens thun können. We - nigſtens gieng es mir ſo. Dennoch iſt es ſeine Pflicht, eine Pflicht, die ſich aus höheren, wenn gleich weltli - chen, Geſichtspunkten auch ſehr gut rechtfertigen läßt, wenigſtens ſo lange die Menſchheit noch nicht weiter iſt, als jetzt.

Eben ſo wird der, welcher die Religion ſeiner - ter, die ihm täglich gepredigte Lehre ſeiner Jugend, nach langem Kampf und aus reiner Ueberzeugung, daß eine andere beſſer ſey, abſchwört und dieſe annimmt, doch gar oft eine leiſe, nur mühſam zu bezwingende Unruhe darüber empfinden, und es geht damit gerade wie mit der abgeſchmackteſten Geſpenſterfurcht bei Solchen, denen man früher den Geſpenſter glauben eingeprägt! Sie haben ein Geſpenſtergewiſſen, das ſie nicht los werden können. Ja noch mehr: bei reiz - baren Charakteren wird die bloße Ueberzeugung, daß Andere uns einer Uebelthat ſchuldig halten, hinläng -*)geben, der behaupten darf, daß ſie nicht dennoch unter moͤg - lichen Umſtaͤnden unerlaͤßlich ſey, denn wenn wir z. B. auf der einen Seite durch eine Nothluͤge immer unſrer morali - ſchen Wuͤrde etwas Bedeutendes vergeben muͤſſen, ſo koͤnn - ten wir doch bei ihrer Unterlaſſung den niedertraͤchtigſten Verrath an Aeltern und Freunden begehen. A. d. H. 328 lich ſeyn, uns ganz die Empfindung des böſen Ge - wiſſens zu geben, daß ſich ſogar oft äußerlich in den gewöhnlichen Anzeichen deſſelben, in Verlegenheit, Er - röthen und Erblaſſen anzeigt. Dies mag ſo weit ge - hen, daß es endlich zum Wahnſinn führt, und z. B. ein allgemein geglaubter, oder ein wirklicher, aber ganz unſchuldig begangener, Todtſchlag dem Thäter alles Lebensglück und Ruhe rauben kann. Ja wir leſen von einem Braminen, deſſen Kaſte den Mord der Thiere dem eines Menſchen gleichſtellt, daß er ſich aus Verzweiflung das Leben nahm, weil ein engliſcher Naturforſcher ihm bewies, er habe, als er ein Glas Waſſer trank, mehr als Tauſende von unſichtbaren Thieren um ihr Daſeyn gebracht. Il n’y a qu’un pas du sublime au ridicule.

Ugoni erzählt im Leben des äußerſt gewiſſenhaften Paſſaroni, daß, als dieſer einſt über die Brücke der porta orientale gieng, er einen Laſtträger auf dem breiten Steingeländer im tiefen Schlafe liegend fand, wo er unverſehends geweckt, leicht hätte in den Strom fallen können. Er ergriff ihn daher beim Arm, und machte den ſehr Ermüdeten nur mit Mühe munter, und ihm noch ſchwerer begreiflich, warum er ihn ge - weckt habe. Höchſt verdrießlich erwiederte der Laſt - träger ſeine Bemühung nur mit einem derben Fluche, und erſuchte ihn, ſich zum T ..... zu ſcheren.

Paſſaroni, höchſt betrübt, die allerdings ſchuldige Urſache dieſes Zorns zu ſeyn, ergriff eine Hand voll Münze, und gab ſie dem Erzürnten, um auf des329 Gebers Geſundheit zu trinken. Darauf gieng er ganz vergnügt weiter, war aber noch nicht am Ende der langen Brücke angekommen, als ihm aufs Herz fiel, daß dieſe Gabe vielleicht noch ſchlimmere Folgen ha - ben könnte, als das frühere Aufwecken, indem ſie leicht den armen Mann zu der Sünde verleiten könn - te, ſich zu betrinken. Aengſtlich eilte er daher ſogleich wieder zurück, fand den Mann glücklich noch an der - ſelben Stelle, wo er ſich wieder in die vorige Lage zurecht gelegt hatte, und bat ihn verlegen: von dem ihm geſchenkten Gelde doch ſo viel wieder herauszu - geben, als er nicht nothwendig zu ſeinen dringendſten Bedürfniſſen gebrauche. Da nun der Zorn des ſich gefoppt glaubenden Mannes ärger als je aufloderte, ſo ergriff er einen andern Ausweg. Hier mein Freund, ſagte er, da Ihr nichts herausgeben wollt, ſo nehmt noch dieſen Scudo, und verſprecht mir heilig, daß wenn Ihr das andere Geld vertrinken ſolltet, Ihr für dieſen Scudo dazu eſſen wollt.

Nach dieſem ihm von Seiten des Fachino gern er - theilten Verſprechens, war Paſſaroni endlich in ſei - nem Gewiſſen beruhigt, und gieng nun wohlgemuth zu Hauſe.

Wir müſſen alſo, ich wiederhole es, um weder un - glücklich, noch lächerlich zu werden, noch einem ſchwan - kenden Rohre zu gleichen, auch das Gewiſſen wie alle anderen Eigenſchaften der Seele, ausbilden, d. h. in ihrer Reinheit bewahren und zugleich in feſte Schranken zurückweiſen, denn Alles, ſelbſt das Edelſte330 artet ſonſt aus. Für das Allgemeine bleibt aber im - mer die beſte Richtſchnur das einfache, und eben ſo Jedem verſtändliche Chriſtuswort:

Thue Andern (und auch Dir ſelbſt) nichts, was
Du nicht willſt, daß andere Dir thun.

So lange wir Alle jedoch noch keine Chriſten ſind, und ich möchte faſt ſagen, ſeyn können, muß es den - noch Ausnahmen erdulden, wie zum Beiſpiel den Fall des angeführten Soldaten, oder die eben ſo wenig praktiſch zu verwerfenden Ehrengeſetze für gewiſſe Stände, und dann bleibt freilich kein anderer Aus - weg, als, wo man ſelbſt die Ausnahme machen muß, auch dem Andern, ſich ihm gleichfalls zum Opfer bringend, daſſelbe zu geſtatten. Damit rettet man nothdürftig die Liebe, wenigſtens diejenige Gerechtig - keit, welche das jus talionis genannt wird.

Der aber hat ein glückliches, ein genußreiches Le - ben, dem es Natur und Umgebung leicht machten, im gewohnten Gleiſe ſtets bleiben zu können, von An - fang an gut zu ſeyn, und liebend und ſittlich! Der erſte Fehler ſchon macht es ſchlimm, denn wie unſer philoſophiſcher Dichter ſo wahr ſagt:

Das eben iſt der Fluch des Böſen,
Daß es fortwuchernd immer Böſes muß gebähren!

Und immer iſt die Wiedergeburt auf dieſer Welt auch nicht zu erlangen ja es mag wohl die höchſte Wohlthat der ewigen Liebe ſeyn, daß ſie den Tod ge - ſchaffen, damit er die verworren gewordene Schrift331 wieder auslöſche, und der verirrten Seele von neuem das weiße Blatt zum glücklicheren Verſuche darbiete. Wer aber hier ſchon das Heilige darauf geſchrie - ben, dem wird wohl eine weitere ſeeligere Aufgabe werden! Die liebende Gerechtigkeit ſtraft nicht wie der ſchwache Menſch, aber ſie kann nur da belohnen, wo Lohn verdient, wo er als nöthige Folge des Ver - gangenen errungen wird. Darum vergrabt Euer Pfund nicht. Amen!

Es iſt wieder recht kalt geworden, und das Kamin wo Tag und Nacht die Kohle brennt leider unzu - länglich eine warme Stube hervorzubringen, wie ſie unſre zwar häßlichen, aber mir doch heute ſehr zweck - mäßig vorkommenden Oefen gewähren.

Um das Blut in Umlauf zu bringen, reite ich deſto fleißiger aus, und beſah heute bei der Rückkunft, ei - nes der vielen hier aufgeſtellten Cosmoramas, die allerdings eine ganz angenehme Reiſe auf dem Zim - mer, wie man es in V. nennt, gewähren. So gab mir das Innere der Cathedrale von Rheims nebſt der Krönungs-Darſtellung der Krönung Carl des X. gewiß hier einen bequemern Anblick derſelben, als er in dem Gedränge der Kirche ſelbſt ſtatt gefunden ha - ben mag. Aber welches geſchmackloſe Coſtume vom Könige bis zum letzten Hofmanne! Neues und Altes332 auf widrige Art gemiſcht. Wenn man einmal ſolche Comödien giebt, ſollte man ſie doch wenigſtens eben ſo hübſch wie bei Franconi einzurichten ſuchen.

Die Ruinen von Palmyra breiteten ſich daneben ganz ſchauerlich in der gränzenloſen Sandwüſte aus, welche in der Glühhitze, am fernen Horizont, lang - ſam eine Caravane durchzieht.

Am täuſchendſten war der Brand von Edinburg. Es brannte wirklich. Man ſah bald die Flammen ſtärker hervorlodern, bald Wolken ſchwarzen Rauchs empor - ſteigen, und immer änderte ſich der Anblick der gan - zen Landſchaft im Verhältniß dieſer verſchiednen Be - leuchtung, wie es die reelle Feuersbrunſt nicht anders mit ſich bringen würde. Wahrſcheinlich befand ſich die Küche des Beſitzers hinter dem Bilde, und daſſelbe Feuer, welches die Phantaſie des gläubigen Zuſchau - ers erhitzte, machte zugleich die Schöpſenkeule gar, die er mit dem Entreegelde bezahlt hatte.

Ich habe ſeit einigen Tagen zu ſehr blos vegetirt, um Dir viel ſchreiben zu können. Dieſen Morgen war ich indeß nicht wenig verwundert, R ...., den ich faſt ſchon bei Dir angelangt glaubte, wieder in meine Stube treten zu ſehen. Er hat auf dem hal - ben Wege bis Hamburg halben Schiffbruch gelitten, und vom Sturm zurückgetrieben im Eiſe bei Harwich333 eine ganze Nacht in Lebensgefahr geſchwebt, iſt aber auch hierdurch ſo in Schrecken geſetzt, daß er vom Meere ſein Lebtage nichts mehr wiſſen will. Ich ſende ihn alſo in dieſer gefährlichen Schifffahrtszeit über Calais, und ſchreibe es Dir nur, damit Du Dich ſei - netwegen nicht beunruhigſt. Von den mitgenomme - nen Sachen für Dich hat er leider Einiges eingebüßt.

Hydepark bot dieſen Morgen ein mir neues Schau - ſpiel dar. Der große See war zugefroren und wim - melte von einer urermeßlichen bunten Menge Schlitt - ſchuhfahrer und Anderer, die das hier ſo ſeltene Eis - vergnügen mit wahrer Kinderfreude genoſſen. Vor einigen Jahren fand bei gleicher Kälte hier eine ſon - derbare Wette ſtatt. Der berüchtigte Hunt handelt hauptſächlich mit Stiefelwichſe, und ein großer Four - gon mit dergleichen angefüllt, und mit vier eleganten Pferden beſpannt, die ſein Herr Sohn gewöhnlich four in hand leitet, durchfährt den ganzen Tag die Straßen der Stadt, um dieſen Handel zu beſorgen. Beſagter junge Hunt wettete nun um 100 £. St., daß er mit der beſchriebenen Equipage im Gallop quer über den See in Hydepark fahren wolle, und gewann die Wette glänzend. Eine Karrikatur hat ſie ver - ewigt, und der Wichſe wie billig, dreifachen Abſatz verſchafft.

In meinem Hauſe iſt es jetzt ſehr muſikaliſch ge - worden, indem Miß A , eine neu engagirte Sän - gerin der großen Oper, darin eingezogen iſt. Bei den dünnen Wänden höre ich ſie alle Morgen gratis. Da334 ſie hübſch ſeyn ſoll, werde ich auch ſuchen, ſie zu ſe - hen, was vielleicht nicht ganz ſo gratis abgehen wird, um ſo mehr, da auch Madame Veſtris ſie häufig be - ſucht. Damit meine ich jedoch nichts Arges, gute Julie, ſondern nur, daß man in England nichts ohne ein gutes Trinkgeld zu ſehen bekommt.

Uebrigens bin ich ſchon ſeit einigen Tagen nicht recht wohl, die Stadtluft bekömmt mir nicht, und zwingt mich zu einem regime wie es deine Chanſon beſchreibt, denn ich nehme wirklich nicht viel mehr täglich zu mir

qu’un bouillon
d’un rognon
de Papillon.

Lord D , deſſen Gemahlin ich in London kennen gelernt, hatte mich eingeladen, ihn einige Tage auf ſeinem Landgute zu beſuchen, was ich um ſo lieber annahm, da C hall der Ort iſt, von dem Repton in ſeinem Werke ſagt, daß er an der Verſchönerung deſſelben gemeinſchaftlich mit dem Beſitzer, gegen 40 Jahr gearbeitet habe. In der That macht es auch beiden die größte Ehre, wiewohl nach Allem, was ich ſelbſt erfuhr und ſah, es mir ſcheint, daß der vor - treffliche Geſchmack der Eigenthümer höchſt wahrſchein - lich den größten Theil des Verdienſtes dabei hat, und335 manchmal ſogar in Contradiction mit Repton, der namentlich alte Bäume nicht immer genug ſchonte. Dennoch hat eine ehrenwerthe Dankbarkeit dem, um die Kunſt der Landſchaftsgärtnerei ſo verdienten Man - ne, in dem hieſigen Park einen Ruheſitz erbaut, der nach ihm benannt iſt, und eine wundervolle Ausſicht darbietet. Da ſein Sohn, der bei uns war, Lady D , welche mir in der Parkomanie faſt gleich kömmt, viel von M erzählt hatte, ſo fanden wir dadurch einen ſehr anziehenden Berührungspunkt und ſpazierten ſchon in den erſten Stunden fleißig in den noch mehr geſchmackvollen als prächtigen, Blumen - gärten umher, die auch einige grazieuſe Marmorſta - tuen von Canova ſchmücken.

Den Herrn des Hauſes, der am Podagra leidet, bekam ich erſt zu ſehen, als ich zu Tiſch herunter kam, wo ich eine große Geſellſchaft, und auch Lord M .... antraf, der eben die Kriegsſchiffe auf der Themſe hier in der Nähe beſichtigt hatte.

Lord D. lag in der Mitte des Salons auf einem Sopha, mit einem ſchottiſchen Mantel zugedeckt, und ſetzte mich durch ſeine Anrede etwas in Verlegenheit.

Sie erkennen mich nicht , ſagte er, und doch haben wir uns ſchon vor 30 Jahren gar oft geſehen.

Da ich nun in jener Zeit noch im Flügelkleide um - herſchwebte, ſo mußte ich um nähere Erläuterung bitten, war aber gar nicht erfreut, mein Alter (denn Du weißt, daß ich noch prätendire, nicht älter als336 dreißig Jahr auszuſehen) ſo genau vor der ganzen Geſellſchaft dekliniren zu hören. Uebrigens mußte ich Lord D s Gedächtniß bewundern, denn er erin - nerte ſich aus jener Zeit, wo er mit dem Herzoge von Portland bei meinen Eltern auf dem Lande geweſen war, ſo ſehr jeder Kleinigkeit, daß er ſelbſt mir das Andenken ſchon längſt vergeßner Dinge von neuem auffriſchte. Welche Originale es damals gab, und wie luſtig man in jener Zeit alle Arten von Amuſe - ments aufgriff, beſtätigte mir ſeine Erzählung auf ganz unterhaltende Weiſe.

So erwähnte er unter andern eines Barons, der ſo feſt an Geiſtererſcheinungen als an das Evange - lium glaubte, und dabei Caglioſtro für eine Art zwei - ten Meſſias hielt. Als er eines Tages auf einem unſerm Schloſſe nahem See allein Schlittſchuh lief, verkleidete ſich die ganze Geſellſchaft mit Betttüchern und andern, aus der Theatergarderobe entnommenen Utenſilien, und producirte dem erſchrockenen Illumi - naten am hellen lichten Tage eine Geiſtererſcheinung in Maſſe auf dem Eiſe. In Todesangſt fiel er, ſo unbequem dies in Schlittſchuhen ſeyn mochte, auf die Knie, und betete mit einer Volubilität der Zunge, die den alten Lord noch heute lachen machte, Abra cadabra und Vorſchriften aus Fauſts Höllenzwang, abwechſelnd mit dem tremulirenden Geſang einiger geiſtlichen Lieder vermiſcht. Während dem glitſchte indeß einer der Geiſter, der, vermöge einer Stange unter dem Betttuche, ſich bald groß bald klein machte, unglücklicherweiſe aus, und rutſchte, entblöst von al -337 ler Verkleidung, dem betenden Baron vor die Kniee. Dieſer aber war zu ſtarkgläubig, um daß ſelbſt ein ſolches Ereigniß ihm aus dem Traume hätte helfen können. Sein Entſetzen wurde im Gegentheil da - durch dermaſſen vergrößert, daß er aufſprang, zwar wegen der im Schreck vergeßnen Fußbekleidung wieder hinfiel, ſich aber ſchnell vom Neuem aufraffte, und dann mit noch nie bei ihm geſehener Geſchicklichkeit, unter dem lauten Jubel der Geſellſchaft, wie der Wind auf ſeinen Schlittſchuhen entſchwand.

Selbſt das ſpätere Eingeſtändniß der Poſſe konnte ihn nie überzeugen, daß man ihn blos zum Beſten gehabt und keine Macht der Erde hätte ihn ver - mocht, während ſeines fernern Aufenthalts in M dem Schauerſee wieder zu nahen.

Du weißt, ich kann das Reflektiren nicht laſſen, das mich manchmal bei der luſtigſten Veranlaſſung mit Schwermuth überfällt. So gieng es mir auch jetzt, als mir Lord D. ſo das Bild vergangener Zeit her - aufbeſchwor, die Liebenswürdigkeit meines Großvaters lobte, den Muthwillen meiner Mutter ſchilderte, und welch ein wildes Kind ich geweſen ſey. Hélas ils sont passés ces jours de fête. Der Liebenswürdige modert längſt im Grabe, die Muthwillige iſt alt und nicht mehr muthwillig, und auch der wilde Knabe mehr als zahm geworden, ja ſelbſt von den Tagen nun nicht allzuentfernt mehr, von denen es heißt: Sie gefallen mir nicht der junge tolle Engländer aber, der den Geiſt auf dem Eiſe ſpielte, lag einBriefe eines Verſtorbenen. III. 22338Greis vor mir, von der Gicht geplagt, unbehülflich auf ſeinen Sopha ausgeſtreckt, und erzählte, oft von Seufzern, die der Schmerz erpreßte, unterbrochen, von den luſtigen Streichen ſeiner Jugend, während der arme Thor, den er damals als Geiſt ſo ſehr erſchreckte, längſt ſchon ſelbſt ein Geiſt geworden iſt, und ihm gewiß keinen geringen Schreck einflößen würde, wenn es ihm einfiele, die Viſite nachträglich noch zu er - wiedern.

O Welt, o Welt! wie Napoleon ſagte*)Dieſen Ausruf muß ich erklaͤren. Als Napoleon nach der Defaite bei Aspern, in dieſer ſehr bedenklichen Lage auf ge - brechlichem Kahne nach der Inſel Lobau mit wenigen Be - gleitern zuruͤckſchiffte, befand ſich der damals noch ſehr junge General Tſchernitſcheff bei ihm. Nach deſſen Erzaͤhlung ſaß der Kaiſer tief in ſich verſunken, redete mit Niemand, und brach nur zuweilen in die halb laut geſprochenen Worte aus: O monde, o monde! Er mochte wohl hinzuden - ken: tu m’echappes wie es einige Jahre ſpaͤter wirklich eintraf. A. d. H. .

Lord D. beſitzt eine ſehr reiche Gemäldegallerie, worunter eine berühmte Venus von Titian, der Tod des Regulus von Salvator Roſa, ein großes, mehr - mals in Kupfer geſtochenes Gemälde von Rubens, und ein herrlicher Guido die vorzüglichſten ſind. Auf den beiden letzten Bildern ſpielt zwar eben kein an -339 genehmer Gegenſtand, nämlich ein todter Kopf die Hauptrolle, auf dem einen der des Cyrus, auf dem andern des Johannes, aber die Herodias Guidos iſt wieder eine jener vom Genie eingehauchten poetiſchen himmliſche Schönheit mit der lieblichſten Weiblichkeit und dem tiefſten tragiſchen Ausdruck vereinenden Fi - guren, die einen ſo unauslöſchlichen Eindruck zurück - laſſen und in der Wirklichkeit nur höchſt ſelten ange - troffen werden. Es giebt eine Dame Deiner Bekannt - ſchaft, welche dieſem Ideal entſpricht, die Gräfin A. in B. Sie war, als ich ſie kannte*)und iſt es noch. A. d. H. , die ſchönſte und reichbegabteſte Frau, die ich je geſehen habe. Das größte Ebenmaaß, das vollkommenſte Gleichgewicht herrſchte in ihrem Aeußern und Innern, ſo daß die heterogenſten Dinge ihr gleich wohl anſtanden. Ma - jeſtätiſch wie eine Königin, wenn ſie repräſentirte, von der leichteſten und anmuthigſten Weltbildung, wenn ſie ihren Salon hielt, von der naivſten, rüh - rendſten Güte und Heiterkeit im vertrauten Familien - kreiſe in jeder Erſcheinung aber noch bedeutender gemacht durch einen nie ganz verwiſchten Zug gedan - kenvoller Schwermuth, verſchwiſtert mit jener ächt weiblichen Zartheit, die einem Weibe in der Männer Augen den höchſten unwiderſtehlichſten Reiz verleiht. Ihre Aehnlichkeit mit dem Guidoſchen Bilde war auf - fallend. Als herrlicher Contraſt mit der Hauptfigur dienen in dieſem Gemälde zwei, ebenfalls ſehr hüb - ſche, Hofdamen im Gefolge der Herodias. Sie ſind22*340vollendete Hofdamen, die für nichts weiter mehr Sinn zu haben ſcheinen, als ihren Hof und ihren Dienſt, und ihre Schönheit erhält eben durch den unbedeu - tenden Charakter derſelben, einen gewiſſen mehr ſinn - lichen Reiz, der uns bequemer anſpricht, und von dem tiefern erſchütternden Seeleneindruck nach und nach erholen läßt. Die eine lauſcht mit Aufmerkſamkeit und nichtsſagendem Lächeln auf die Blicke ihrer Her - rin, ob ſie vielleicht etwas befehle, die andere betrach - tet ſo gleichmüthig den blaſſen Kopf des Märtyrers auf der Schüſſel, als ſey es ein Pudding.

Ich muß Dir doch ein für allemal la vie de châ - teau in England, d. h. nur den täglichen Canne - vas, auf welchem nachher das Speciellere von Jedem nach Belieben brodirt wird, beſchreiben, da dieſe Organiſation ſich überall gleich bleibt, und ich ſie auch von dem, was ich ehemals hier ſah, in nichts verän - dert finde. Dieſes Leben bietet ohne allen Zweifel die angenehmſte Seite der engliſchen Sitten dar, denn es herrſcht dabei große Freiheit, und eine Verbannung der meiſten läſtigen Ceremonien, die bei uns noch Wirth und Gäſte ermüden. Demohngeachtet findet man nicht weniger Luxus als in der Stadt, was (wie ich Dir ſchon meldete) durch den Gebrauch erleichtert wird, nur eine kurze Zeit lang, und immer nur ein - geladene Gäſte bei ſich zu ſehen.

Die Oſtentation, welche allerdings ſolcher Gewohn - heit zum Grunde liegt, kann man aber, ſchon um der beſſern Bewirthung willen, gern verzeihen.

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Man weiſet, um Raum zu menagiren, Fremden ge - wöhnlich nichts weiter als eine geräumige Schlafſtube im zweiten Stocke, ſelten mehrere Zimmer an, und Engländer betreten dieſe Wohnung auch kaum anders als zum Schlafen und zur zweimaligen Toilette, wel - che, ſelbſt ohne Geſellſchaft und im ſtrengſten Häus - lichen, immer de rigueur iſt, denn alle Mahlzeiten werden gemeinſchaftlich eingenommen, und wer etwas zu ſchreiben hat, macht es gewöhnlich in der Biblio - thek ab. Dort giebt man ſich auch Rendezvous, um die allgemeinen, wie die einzelnen Partieen (worin jeder ganz ungenirt iſt) abzureden. Oft hat man ſo - gar hier Gelegenheit, mit den jungen Damen, die immer ſehr litterariſch geſinnt ſind, Stundenlang ganz ungeſtört zu plaudern. Manche Heirath, oder Entführung der ſchon Verheiratheten, ſpinnt ſich dort zwiſchen dem Corpus juris auf der einen, und Bouff - lers Werken auf der andern Seite an, während der Moderoman als Bindungsmittel, aufgeſchlagen in der Mitte liegt.

Um 10 oder 11 Uhr iſt die Stunde des Frühſtücks, bei dem man im größten Negligee erſcheinen darf. Es iſt immer von derſelben Art des Dir ſchon einmal im Gaſthof geſchilderten, nur natürlich in Privathäuſern noch reicher und vollſtändiger verſehen, und die Da - men machen ſehr anmuthig die Honneurs deſſelben. Kömmt man ſpäter, wo dieſe ſchon weg ſind, ſo be - ſorgt ein Kammerdiener das Nöthige, der in guten Häuſern wohl bis um 1 Uhr und noch länger Acht hat, daß auch der letzte Nachzügler nicht leer ausgehe. 342Daß dabei ein halb Duzend Zeitungen auf dem Tiſch liegen müſſen, in denen jeder liest, wie es ihm ge - fällt, verſteht ſich von ſelbſt.

Die Herren gehen nun entweder auf die Jagd oder andern Geſchäften nach, der Wirth desgleichen, ohne ſich im Geringſten weiter um die Gäſte zu beküm - mern, (eine wahre Wohlthat!) und erſt eine halbe Stunde vor Tiſch, findet man ſich Abends in elegan - ter Toilette im Salon wieder zuſammen.

Wie es bei Tafel hergeht, habe ich Dir auch ſchon einmal beſchrieben, und nur einer ſeltſamen Sitte nicht erwähnt, die ich, obgleich ſcabrös, der Vollſtän - digkeit wegen nicht übergeben darf, und welcher man nach der Entfernung der Damen, auf eine höchſt un - genirte Weiſe und immediat neben dem Tiſche ihren Lauf läßt; ein Ueberbleibſel der Barbarei, welches unſern Begriffen von Schicklichkeit höchſt widerſtre - bend iſt.

Mir fiel dies beſonders heute auf, wo ein alter Admiral, der wahrſcheinlich wegen der Anweſenheit des Lord Melvilles in ſeine Staatsuniform gekleidet war, wohl eine halbe Viertelſtunde zu dieſem Experi - ment gebrauchte, während wir ſo lange, wie aus ei - ner Dachtraufe, die letzten Spuren eines ſchon längſt vorübergegangenen Gewitterregens zu hören glaubten.

England iſt das wahre Land der Contraſte. Du haut et du bas auf jedem Schritt. So ſerviren, bei allem übrigen Luxus, doch in den beſten Häuſern343 (wenigſtens auf dem Lande) auch Kutſcher und Reit - knechte oft mit bei Tafel, wobei ſie nicht immer vom Pferdegeruch ganz frei ſind, und beim zweiten Früh - ſtück, dem Cuncheon, das ein paar Stunden nach dem erſten ſtatt findet, und in der Regel nur von den Damen benutzt wird (die bei Tiſch gern la petite bouche machen und ſich daher beim Cuncheon vorher ganz ordentlich ſatt eſſen) erhält man keine Serviet - ten, ein gebrauchtes Tiſchtuch, und oft gar nicht ſehr appetitliche Ueberreſte des vorigen Tages.

Dies als Parentheſe. Ich kehre jetzt zur Tagesord - nung zurück. Haben alſo die Herren endlich hinläng - lich getrunken, und den übrigen Bedürfniſſen in pa - triarchaliſcher Sitteneinfalt genügt, ſo ſuchen ſie Thee, Caffee, und das weibliche Geſchlecht wieder auf, und bleiben nun noch einige Stunden zuſammen, ohne ſich deshalb doch ſehr zu vereinigen. Heute z. B., als ich zur Beobachtung aufblickte, fand ich die Ge - ſellſchaft folgendermaſſen vertheilt. Der kranke Herr des Hauſes lag auf dem Sopha und war ein wenig eingeſchlummert; fünf andere Herren und Damen la - ſen eifrig in ſehr verſchiedenen Werken und Akten - ſtücken; (zu dieſer Zahl gehörte auch ich, mit einem Cahier Parkanſichten vor mir) ein Andrer ſpielte ſchon ſeit einer Viertelſtunde mit einem geduldigen Hunde; zwei alte Parlamentsglieder ſtritten ſich heftig über die Cornbill, und der Reſt der Geſellſchaft befand ſich im dunkeln Nebenzimmer, wo ein hübſches Mädchen Clavier ſpielte, und eine Andere ohrenzerreißende, ſchmachtende Balladen dazu ſang, worüber die lie -344 benswürdige Hausfrau ſelbſt mit mir herzlich lachen mußte.

Ich kann hier nicht umhin zu bemerken, daß Lord und Lady D. zu den aufgeklärteſten, anſpruchloſeſten und deshalb angenehmſten hieſigen Vornehmen ge - hören. Er iſt von der mäßigen Oppoſition, die das wahre Gute des Landes und nur dieſes will, ein wahrer, von allem Egoismus freier Patriot, der ſchönſte Titel, den ein gebildeter Menſch tragen kann. Sie iſt die Güte, Herzlichkeit und Anſpruchloſigkeit ſelbſt.

Nach Mitternacht und nachdem vorher noch ge - wöhnlich ein leichtes Soupé, aus Früchten und kal - ten Speiſen beſtehend, ſervirt worden iſt, wobei ſich Jeder ſelbſt bedient, retirirt man ſich. Zu dieſem Behufe ſtehen auf einem Seitentiſche eine Quantität kleiner Handleuchter parat, von denen ſich jeder den Seinigen anzündet, und damit ſelbſt hinaufleuchtet, denn der größte Theil der Dienerſchaft, welcher frü - her aufſtehen muß, iſt darum billigerweiſe ſchon längſt zur Ruhe. Das ewige Sitzen der Bedienten im Vor - zimmer iſt hier nicht Mode, und auſſer den beſtimm - ten Zeiten, wo man ihrer Hilfe gewärtig iſt, ſieht man ſie wenig, und bedient ſich ſelbſt.

Für die Nacht erwartete mich heute auf meiner Stube ein vortreffliches altes chineſiſches Himmelbett, groß genug, um als Sultan mit ſechs Weibern in ſeinem weiten Raume ſchlafen zu können, aber allein345 fror ich bei der großen Kälte darin wie ein Eiszapfen, ehe die eigene Wärme durchdrang, denn das entfernte Kamin gab keine.

Unter uns geſagt, ſo angenehm, ſo ungenirt es auch in einem fremden Hauſe ſeyn mag, für mich iſt es immer noch zu ſehr genirt, zu unwohnlich, vor allem zu abhängig, um mich Ueberſtolzen und Beque - men recht à mon aise darin zu befinden. Dies letz - tere fühle ich mich daher nur in den eigenen vier Pfählen vollkommen, nächſtdem im Reiſewagen oder im Gaſthofe. Dieſer Geſchmack mag nicht der beſte ſeyn, indeſſen es iſt einmal der Meine! Da nun ſo viele Menſchen eigentlich gar keinen haben, ſo bin ich immer noch auch mit einem minder guten, ganz zu - frieden.

Ich werde alſo die Tage der Einladung nicht ganz erſchöpfen, ſondern morgen mein großes Bett einem andern und vielleicht corpulentern Sterblichen offen laſſen, um dem Badeort Brighton zuzueilen, welcher dermalen ſehr fashionable iſt.

Vorher habe ich indeß noch mit Lord D .... s ge - fälligem Sohne die ganzen hieſigen Anlagen beritten, die weniger auffallend durch Züge auſſerordentlicher Schönheit ſind, als ſiegreich die ſchwere Probe beſte - hen, nirgends etwas Tadelnswerthes zu zeigen. Ei -346 nige Ausſichten aus Waldſchluchten auf die entfernte Themſe, den Hafen von Graveſend und ſeine empor - ſtrebenden Maſten, ſind dem ohngeachtet ſehr gran - dios, nichts aber geht über die unvergleichliche Kunſt, mit der, innerhalb des Parks die Linien der Wald - ränder, in meiſterhafter Nachahmung der Natur, ge - zogen ſind. Zum Studium würde ich in vieler Hin - ſicht Cobhamball mehr als irgend einen andern der beſchriebenen Parks empfehlen, obgleich er an Umfang und koſtſpieligen Anlagen und Bauten vielen nicht gleich kömmt, und ſo zu ſagen einen mehr modeſten, dem Naturfreund aber, beſonders auf die Länge, nur deſto wertheren Charakter hat, auch durch Berg und Thal und geſchloſſenen Wald mehr Mannichfaltigkeit darbietet.

Von Lady D. nahm ich ſo eben in ihrer eigenen Stube Abſchied, ein kleines Heiligthum, das ich mit allerliebſter Unordnung und Ueberfülle meublirt fand, die Wände voll kleiner Spiegelconſolen mit gewähl - ten Curioſitäten beſetzt, und prächtige Camelien, ein - zeln in Körben auf dem Boden vertheilt, ſo daß ſie wie daraus hervorgewachſen erſcheinen.

Erlaube, liebe Julie, daß ich unter dieſen Blumen von Dir hier ebenfalls Abſchied nehme, und Dich bitte, dieſem Brief eine eben ſo lange Antwort zu gönnen, damit es nicht Deinem Gewiſſen zuletzt vor - kommen möge, als liebte ich Dich (wenigſtens ſchrift - lich) weit mehr als Du mich.

Dein Herzensfreund L.

[347]

Zwoͤlfter Brief.

Geliebteſte!

Ich habe geſtern die 60 Meilen hierher ſehr ſchnell, und in der angenehmſten Trägheit, ohne nur aufzu - blicken, zurückgelegt, denn man muß auch manchmal wie ein vornehmer Engländer reiſen.

Es ſcheint hier eine beſſere Temperatur als in dem übrigen Nebellande zu herrſchen, der glänzendſte Son - nenſchein weckte mich wenigſtens heute früh ſchon um 9 Uhr.

Bald darauf gieng ich aus, zuvörderſt auf die Ma - rineparade, die ſich weit dem Meere entlang erſtreckt, machte dann eine Tour durch die große reinliche und ſehr heitere Stadt, die mit ihren breiten Straßen den neueſten Quartieren Londons ähnlich iſt, und ſchloß mit Viſiten bei verſchiedenen Londner Bekannten. Nachher ritt ich ſpazieren, denn meine Pferde wurden bei Zeiten vorausgeſchickt. Vergebens ſah ich mich dabei nach einem Baum um. Die Gegend iſt voll -348 kommen kahl, nichts als mit kurzem Gras bedeckte hügliche Dünen ſind zu erſpähen, und Meer und Himmel gewähren die einzigen pittoresken Gegenſtände. Auch bereiteten ſie mir heute gleich zum Empfang den ſchönſten Sonnenuntergang. Dieſes majeſtätiſche Geſtirn war in roſenrothe transparente Nebel ge - hüllt, ſo daß es keine Strahlen mehr warf, dagegen in der intenſivſten Gluth einem dichten Goldklumpen glich, der, als er das Waſſer berührte, nun langſam zu ſchmelzen und einen großen Theil des blauen Meeres zu überfließen ſchien. Endlich verſchlang der Ocean den feurigen Ball, die brennenden Farben ver - blichen, aus roth zu violett, dann nach und nach zu weißlichem Grau, und in der Dämmerung rauſchten die Wogen, vom Abendwind getrieben pfeifend gegen den flachen Strand, wie im Triumph über die nun begrabne Sonne.

Ein berühmter alter Miniſter ſah das ſchöne Schau - ſpiel mit mir zugleich an, und war keineswegs dafür abgeſtorben, Lord Harrowby, ein liebenswürdiger Mann, von eben ſo feinen und ſanften Sitten, als großer Welt - und Geſchäftserfahrung.

Oeffentliche Reunionsſäle, Badeliſten ꝛc. giebt es hier gar nicht. Brighton heißt nur ein Badeort in unſerm Sinne, und dient hauptſächlich den Einwoh - nern Londons, die Zerſtreuung und geſundere Luft349 ſuchen, und keinen eignen Landſitz haben, oder das Haushalten dort zu koſtſpielig finden, zum Win - teraufenthalt, denn die hieſige Seaſon fällt in die Wintermonate. Mode hat es beſonders der König gemacht, der es einſt ſehr liebte, und einen abentheu - erlichen, orientaliſchen Pallaſt hier gebaut hat, der mit allen ſeinen Kuppeln und deren Aufſätzen von den nahen Höhen geſehen, vollkommen einem aufge - ſtellten Schachſpiel gleicht, inwendig aber ſehr präch - tig, wenn gleich auch phantaſtiſch meublirt iſt. Ob - wohl er ungeheure Summen gekoſtet hat, ſoll der längſt ſeiner überdrüßige hohe Beſitzer, ſchon manch - mal Luſt gezeigt haben, ihn wieder einreißen zu laſſen, was auch eben nicht ſehr zu bedauern ſeyn würde.

In den Gärten dieſes Pallaſtes befinden ſich die einzigen erwachſenen Bäume in hieſiger Gegend, die ich bis jetzt geſehen.

Aber auch ohne dieſe ſind doch die Promenaden am Meer ſehr anmuthig, beſonders die große Ketten - brücke oder jetée, welche 1000 Fuß weit in die See hineingeht, und an deren Ende man ſich in den Dampf - ſchiffen für Boulogne und Havre embarkirt.

Nicht weit davon hat ein Indier orientaliſche Bäder angelegt, wo man, wie in der Türkey, maſſirt wird, was ſehr ſtärkend und geſund ſeyn ſoll, auch bei der vorneh - men Welt, beſonders den Damen, ſehr beliebt iſt. Man nennt ſie Mahomets Bäder. Ich fand das In -350 nere indeß ſehr europäiſch eingerichtet. Die Behand - lung gleicht der in den ruſſiſchen Dampfbädern, nur finde ich ſie weniger zweckmäßig, denn man ſitzt in einer kühlen Stube auf einem erhöhten Seſſel, den eine Art Palankin von Flanell umgiebt, und nur in dieſen kleinen Raum dringt, aus dem Boden auſſtei - gend, ein heißer Kräuterdampf hinein. Die Flanell - wand hat mehrere Aermel, die nach auſſen herabhän - gen, und in welche der Maſſeur ſeine Arme ſteckt, und mit den Händen den Körper des Badenden ſanft knetet. Er fährt dann mit feſten und ſtetem Drucke des Daumens an den Gliedern, am Rückrat, den Ribben und über dem Magen vielmal herab, was der Organiſation wohl zu thun ſcheint. Während dem transpirirt man ſo lange und ſo ſtark als man wünſcht, und wird zuletzt, bei abgenommenem Deckel des Flanellzeltes, mit lauem Waſſer übergoſſen. Die plötzliche Kühle des Zimmers aber, der man nun aus - geſetzt bleibt, halte ich für ſehr ungeſund.

Nachahmungswerther ſcheint mir die hier übliche Weiſe, die Wäſche zum Abtrocknen zu wärmen. Dieſe liegt nämlich in einer Kommode, deren Fächer mit Meſſing gefüttert ſind, und durch Dampfheizung den ganzen Tag eine ſtets gleiche Wärme behalten.

Die Sonne iſt ſchon wieder verſchwunden, und von neuem eine ſolche Kälte eingetreten, daß ich Dir in351 Handſchuhen ſchreibe, um meine weißen Hände zu conſerviren, auf die ich, wie Lord Byron, ſehr viel halte. Ich geſtehe dies auch, da ich gar nicht der Meinung bin, daß man gerade ein fat ſeyn muß, wenn man das wenige Hübſche, was einem der liebe Gott gegeben hat, möglichſt zu bewahren ſucht; vor Froſt aufgeſprungene Hände waren mir aber von jeher ein Gräuel. Dabei fällt mir ein, daß ich vor vielen Jah - ren in Straßburg mich einmal im Boudoir einer ſehr ſchönen Frau, mit dem Feldmarſchall W. (damals noch General) früh zuſammenfand, und dieſer, Napoleon rühmend, auch ſeiner Mäßigkeit erwähnte, und mit faſt verächtlichem Tone hinzuſetzte: ein Held könne kein Gourmand ſeyn.

Nun kannte mich die ſchöne Frau, die mir übrigens gar ſehr wohl wollte, als nicht ganz unempfindlich für bonne chère und fand um mich zu necken, ein boshaftes Vergnügen daran, den General dieſen Spruch wiederholen zu laſſen. Obgleich ich nie ver - ſucht worden bin, mich für einen Helden zu halten (ausgenommen etwa eines kleinen Romans hie und da), ſo fühlte ich doch, daß ich roth wurde, eine der - jenigen Dummheiten, die ich mir nie, und leider Got - tes noch nicht abgewöhnen kann, oft ſogar, wenn gar kein wirklicher Grund dazu vorhanden iſt.

Aergerlich über mich ſelbſt, ſagte ich ganz pikirt: Es iſt ein Glück für die Liebhaber eines guten Ti - ſches, Herr General, daß es einige brillante Ausnah - men von Ihrer aufgeſtellten Regel giebt. Erinnern352 Sie ſich nur der Tafelrunde, und dann[Alexanders]. Freilich iſt es wahr, daß dieſen ein zu ſchwelgeriſches Mahl zur Verbrennung von Perſepolis verleitete, aber ein Held blieb er dennoch, und auch Friedrich den Großen hat die Gourmandiſe weder am höchſten Kriegs - noch Regentenruhm gehindert. Uebrigens ſollten Sie, der mit den Franken ſo ruhmvoll ſtrei - tet, die gute Küche nicht angreifen, da jene Nation, ſo große Generale ſie hat, doch durch ihre Küche ſchon länger, und vielleicht auch bleibender berühmt iſt. Dies letzte ſprach ohne Zweifel ein prophetiſcher Geiſt aus mir, und wie würde ſich der ſo enthuſiaſtiſch Napoleon pronirende General gewundert haben, wenn ich ihm zugleich hätte ſagen können, daß über ein Kleines er ſelbſt dieſem großen Nicht-Gourmand ge - genüber ſtehen, und einen der letzten erfolgreichen coups de griffes des kranken Löwen erleiden würde.

Du meinſt vielleicht, meine gute Julie, dieſe Anek - dote paſſe hierher, wie ein apropos unſers Freun - des H aber nein ich führe im Gegentheil auch noch Alcibiades und Poniatowsky für Putz und Toilette an, um gänzlich durch die Erfahrung zu be - weiſen, daß weder Empfänglichkeit für die bonne chère, noch etwas Fatuität an Heldenthaten hindern, wenn man ſonſt die gehörige Anlage dazu hat.

Ein Beſuch des Grafen F , einem der liebens - wertheſten und achtbarſten Repräſentanten der Zeiten Napoleons, welcher in dieſe les souvenirs de l’ancien régime, und in die heutigen das Zeugniß makelloſer353 Rechtlichkeit und Treue mit hinübergenommen (ein ſeltner Fall!) unterbrach mich hier, um mich zu über - morgen zu Tiſch einzuladen. Das hat mich aufgehal - ten, zum Reiten iſt es zu ſpät, Club-Geſellſchaft zu beſuchen habe ich keine Luſt, ich werde alſo lieber noch einen zweiten Schlafrock überziehen, von Dir und M. träumen, deine Briefe wieder einmal überleſen, und geduldig dabei in meiner Stube frieren, bis ich zu Bett gehe, denn mehr wie 8 Grad Wärme kann ich in mei - nem luftigen und fenſterreichen Lokal, durch bloßes Ka - minfeuer nicht hervorbringen. Alſo au revoir.

Es war billig, daß ich mich heute für den geſtrigen Stubenarreſt entſchädigte, und viele Stunden in der Gegend umherirrte, um ſo mehr, da ich Abends mich executiren mußte, um einem großen Subſcriptionsball beizuwohnen.

Die hieſige Umgegend iſt gewiß ſehr eigenthümlich, denn während vier Stunden Umherreitens fand ich immer noch keinen ausgewachſenen Baum. Die vie - len Hügel jedoch, die große Stadt in der Ferne, meh - rere kleinere in der Nähe, das Meer und ſeine Schiffe nebſt einer häufig wechſelnden Beleuchtung, belebten die Landſchaft hinlänglich, und ſelbſt der Contraſt mit dem überall ſonſt ſo baumreichen England war nicht ohne Reize. Die Sonne gieng endlich incognito zurBriefe eines Verſtorbenen. III. 23354Ruh, das Wetter hellte ſich ganz auf, und der Mond ſtieg klar und glänzend über den Waſſern empor. Jetzt wandte ich mein Roß von den Hügeln herab dem Meere zu, und ritt die 5 bis 6 Meilen, die ich noch von Brighton entfernt ſeyn mochte, hart am Rande der Wellen auf dem ſandigen Strande nach Brighton zurück. Die Fluth war eben im Beginnen, und mein Pferd machte zuweilen einen Seitenſprung, wenn, mit weißem Schaum gekrönt, eine Woge un - ter ihm durchrollte, und ſchnell wieder, wie mit uns ſpielend, zurückfuhr.

Ich liebe nichts mehr, als bei Mondſchein einſam am öden Meeresufer zu reiten, einſam mit dem Plät - ſchern und Rauſchen und Sauſen der Wellen, ſo nahe der geheimnißvollen Tiefe, ſo ſchauerlich, daß ſelbſt die Pferde nur mit Gewalt ſich an der Fluth halten laſ - ſen, und vom Inſtinkt geleitet, ſobald man ſie ablenkt, mit verdoppelter Schnelligkeit dem ſichern feſten Lande zueilen.

Wie verſchieden von dieſer poetiſchen Scene der proſaiſche Ball! der überdieß meiner Erwartung ſo wenig entſprach, daß ich darüber erſtaunte. Eine enge Treppe führte zum Lokale hinauf, und ohne Vorzimmer, kam man unmittelbar in einen ſchlecht erleuchteten, und höchſt ärmlich meublirten Saal, um welchen rund umher eine Gallerie von wollenen Stricken gezogen war, die Tanzenden von den Zu - ſchauern zu trennen. Eine Tribune für die Muſik war ſo ungeſchickt mit ſchlecht gewaſchenem Weißzeuge355 drappirt, daß es ausſah, als wenn man Betttücher zum Trocknen aufgehangen hätte. Dazu denke Dir noch einen zweiten Saal daneben mit fortlaufenden Bänken an den Wänden und einem großen Theetiſch in der Mitte, in beiden aber die zahlreiche Geſell - ſchaft ganz rabenſchwarz von Kopf zu Fuß, incluſive Handſchuh, wegen der Trauer und dabei ein ſo me - lancholiſches Tanzen mit keiner Spur von Lebhaftig - keit oder Freude, daß man die Leute wegen der un - nützen Fatigue bedauert, ſo wirſt Du eine ſehr treue Idee von Brightons Almacks (ſo werden dieſe ſehr faſhionablen Bälle genannt) haben. Die ganze Ein - richtung iſt komiſch genug. Dieſe Almacks ſind in London das Höchſte der Mode in der Seaſon, die vom April bis Juni dauert, und 5 6 der vornehmſten Damen (Prinzeß L iſt auch eine davon), welche man Patroneſſes nennt, vertheilen die Billets dazu. Die Ertheilung derſelben iſt eine große Gunſt, und für Leute, die nicht zu der allervornehmſten oder mo - dernſten Welt gehören, ſehr ſchwierig zu erlangen, ſo daß Monat lange Intriguen angeſponnen, und den Lady Patroneſſes auf die gemeinſte Weiſe geſchmei - chelt wird, um dergleichen zu erhalten, weil der oder die, welche nie auf Almacks geſehen werden, als ganz unfaſhionable (ich möchte faſt ſagen unehrlich) zu betrachten ſind, und die faſhionable ſeyn wollende eng - liſche Welt dies natürlich für das größte mögliche Unglück hält. Dies iſt ſo wahr, daß neulich ſogar ein Roman eigends über dieſen Gegenſtand geſchrieben worden iſt, der das Treiben der Londner Welt recht23*356treu ſchildert und ſeit zwei Monaten ſchon die dritte Edition erlebt hat, dabei aber doch, bei genauerer Be - trachtung, mehr die Antichambre als den Salon ver - räth, Einen, wie der Abbé de Voiſenou ſagte: qui a ecouté aux portes.

Wie die Engländer über Fremde gut unterrichtet ſind, beweiſt unter andern eine Stelle dieſes Romans, wo ſich die Frau eines fremden Geſandten, die aber in England geboren iſt, ſehr darüber luſtig macht, daß die mit dem Auslande ſo unbekannten Londner einem deutſchen Fürſten einen höheren Rang gewähr - ten, als ihrem Manne dem Baron, deſſen Titel doch dort weit vornehmer ſey, aber das Wort Prince, ſetzt ſie hinzu, deſſen Nichtigkeit auf dem Continent jeder kennt, eblouirt meine albernen Landsleute. C’est bien vrai, fällt ein Franzoſe ein, un Duc cirait mes bottes à Naples, et à Petersbourg un Prince russe me rasait tous les matins. Da die Engländer Phra - ſen aus fremden Sprachen gewöhnlich falſch citiren, ſo vermuthe ich, daß auch hier ein kleiner Irrthum obwaltet, und es ohne Zweifel hat heißen ſollen: un Prince russe me rossait tous les matins*)Natuͤrlich iſt es, daß es den Englaͤndern ſchwer wird, da ſie ſich um Fremdes ſo wenig bekuͤmmern, den gehoͤrigen Unterſchied zwiſchen deutſchen, ruſſiſchen und franzoͤſiſchen Fuͤrſten zu machen, und ſie daher reſpective bald zu hoch, bald zu niedrig anſchlagen. In England und Frankreich giebt es eigentlich keine andern Fuͤrſten (Princes) als die des koͤniglichen Hauſes. Fuͤhren Englaͤnder oder Franzoſen ſolchen Titel, ſo ſind es fremde, und werden in den fran -.

357

Was für eine burleske Wirkung aber ein ſolcher Moderoman ſogleich auf die, über das bel air ſtets im Blinden tappende, Mittelgeſellſchaft Londons hat, welche daher auch immer in Angſt iſt, Unbekannt - ſchaft mit der großen Welt zu verrathen, und hier - durch ſich gewöhnlich erſt recht lächerlich macht, davon hatte ich wenige Wochen nach Erſcheinung dieſes Buchs ein ſehr beluſtigendes Beiſpiel.

Ich war bei einem reichen Direktor der oſtindiſchen Compagnie, der früher Gouverneur von St. Mauri - tius (Isle de France) geweſen, mit mehreren andern Fremden, zu Tiſch eingeladen. Unter dieſen befand ſich auch ein deutſcher Fürſt, der ſchon länger im Hauſe bekannt war, und glücklicherweiſe für die Farce, auch ein deutſcher Baron. Als man zu Tiſch gehen wollte, näherte ſich der Fürſt, wie früher, der Dame vom Hauſe, um ſie zu führen, war aber*)zoͤſiſchen alten Adelsfamilien den juͤngern Soͤhnen beigelegt. Z. B. der Prince de Polignac hier fuͤhrt als zweiter Sohn den roͤmiſchen Fuͤrſtentitel, der aͤlteſte iſt Duc de Polignac. Es giebt, nur einen ſehr hoch verdienten Mann ausge - nommen, keinen Fuͤrſten in Deutſchland, der nicht von al - ter Familie und hohem Stande mit angemeſſenen Rechten waͤre, daher die Fuͤrſten daſelbſt auch den erſten Rang nach den regierenden Haͤuſern einnehmen. In Rußland dagegen iſt allerdings der Titel Prince in der Regel, ſo viel wie nichts, indem dort nur der Dienſt Rang, Rechte und Anſehen giebt, und in Italien hat dieſer Titel nicht viel mehr Werth. Dies vermiſchen nun die Englaͤnder alles unter einander, und wiſſen ſelten, was ſie einem Fremden in dieſer Hinſicht wirk - lich ſchuldig ſind.358 nicht wenig verwundert, als dieſe ihm mit einer leich - ten Verbeugung den Rücken kehrte, und ſich an den Arm des höchſt angenehm überraſchten Barons hieng. Ein nicht zu unterdrückendes Lachen von meiner Seite beleidigte faſt den guten Fürſten, der ſich ein ſo auf - fallendes Benehmen der Hausfrau nicht erklären konn - te, dem ich aber, es ſehr gut errathend, ſchnell aus dem Traume half. Er nahm nun unbekümmert um Rang, die hübſcheſte Dame aus der Geſellſchaft, und ich drängte mich an die andere Seite der Lady F., um mir eine amuſante Tiſchunterhaltung zu verſchaf - fen. Die Suppe war auch kaum vorüber, als ich mit verbindlicher Miene gegen ſie äußerte, wie ſehr mich ihr Takt und ihre feine Kenntniß geſellſchaftlicher und ſelbſt fremder Verhältniſſe überraſcht hätten. Ah , erwiederte ſie, wenn man ſo lange Gouverneurin ge - weſen iſt, lernt man wohl die große Welt kennen. Gewiß, fiel ich ein, beſonders in Mauritius, wo man’s ſchwarz auf weiß hat. Sie ſehen , fuhr ſie fort, in - dem ſie ſich zu meinem Ohre beugte, wir wiſſen recht gut, daß a foreign Prince nicht viel ſagen will, aber dem Baron alle Ehre, die ihm gebührt. Vortreff - lich diſtinguirt, rief ich aus, aber mit einem italiäni - ſchen müßten Sie ſich doch wieder in Acht nehmen, denn dort heißt Barone: a rascal. Iſt es möglich , ſagte ſie erſchreckend, welcher ſonderbare Titel! Ja Madame, Titel ſind auf dem Continent ein ominöſes Ding, und wären Sie ein ägyptiſcher Sphinx (ſie war wenigſtens eben ſo unbeholfen) ſo würden Sie dieſe Räthſel doch nie ergründen! May I help You359 to some fish, ſagte ſie verlegen, und ungewiß, was ſie antworten ſollte. With great pleasure, erwie - derte ich, und fand den turbot, ſelbſt ohne Titel, vortrefflich. Doch um auf den Almacks-Ball zurück zu kommen, ſo iſt das ſeltſamſte, daß man ein ſolches Billet zu Almacks, um das mancher Engländer wie für Leben und Tod geworben, dennoch mit zehn Schilling bezahlen muß, da dieſer Almack weiter nichts als ein Ball für Geld iſt. Quelle folie que la mode! Man muß in der That zuweilen glauben, daß die Erde das Tollhaus unſers Sonnenſyſtems iſt.

Hier in Brighton findet man nur die Nachahmung Londons im Kleinen. Die Lady Patroneſſes der hie - ſigen Almacks ſind jetzt ...............................

Als ich eintrat, ſah ich Niemand von meiner Be - kanntſchaft, und erſuchte daher den erſten beſten Herrn, mir die Marquiſe von .... zu zeigen, von der ich, ohne ſie zu kennen, durch entremise der Gräfin F mein Billet bekommen hatte. Ich mußte mich ihr alſo ſelbſt präſentiren, und fand eine ſehr liebe, häus - liche Frau an ihr, die nie England verlaſſen hat. Sie ſtellte mich ihren Töchtern, drei ächten engliſchen Aal - beiten vor*)ſ. Reineke Fuchs, kann auch durch Ladyships uͤberſetzt werden. A. d. H. , und einer Lady M , die recht gut deutſch ſprach, denn das iſt jetzt ebenfalls Mode, und die jungen Damen quälen ſich gewaltig damit. Spä -360 ter fand ich endlich einen Bekannten, der mich mit mehreren ſehr hübſchen jungen Mädchen bekannt mach - te, unter denen ſich ganz beſonders Miß W , eine Niece des Lord E auszeichnete, die in Deutſch - land erzogen, und mehr Deutſche als Engländerin iſt, was ihr in meinen Augen nur vortheilhaft ſeyn konnte. Sie war bei weitem die hübſcheſte und grazieuſeſte auf dem Balle, ſo daß ich mich beinahe wieder zum Tanzen verſtanden hätte, obgleich ich aus Eitelkeit (denn ich tanzte immer ſchlecht) ſeit vielen Jahren die - ſem ſogenannten Vergnügen entfremdet war. Hier hätte ich es nun wohl wagen können, da man, Gott weiß es, nirgends ungeſchickter herumſpringt, und na - mentlich ein Walzender im Takt zu den wahren Sel - tenheiten gehört, aber es kam mir doch zu komiſch vor, mich an der Grenze des Schwabenalters von neuem den Anbetern der Tarantel zuzugeſellen. II est vrai que la fortune m’a souvent envoyé prome - ner, mais danser c’est trop fort!

Die Marquiſe erzählte mir hierauf von einem ihrer anweſenden Verwandten, dem Chef eines Highlander Clans, mit einem Namen, ſo lang als ein ſpaniſcher, Nachkommen der Könige der Inſeln, und ſtolz wie Holofernes auf tauſendjährigen Adel, der meine Be - kanntſchaft zu machen wünſche. Ich konnte mir nur zu der ſeinigen gratuliren, da ich den Mann ganz ſo fand, wie Walter Scott ſeine hochländiſchen Roma - nen-Figuren ſchildert. Ein ächter Schotte, mit Leib und Seele an Vorfahren und alten Gebräuchen hän - gend, mit großer Geringſchätzung für die Engländer,361 dabei voll Feuer, gutmüthig, bieder und brav, aber kindiſch eitel, und von dieſer Seite eben ſo verwund - bar, als leicht zu gewinnen. Es ward mir daher nicht ſchwer, ſeine Gewogenheit zu erlangen, und da ich mich ohnehin ziemlich langweilte, ſetzte ich mich mit ihm allein in dem Theeſaal auf eine der hölzer - nen, mit ſchlechtem Tuch beſchlagenen Bänke nieder, und ließ mir von ſeiner Güter Herrlichkeiten, allen Schlachten ſeiner Vorfahren, und ſeinen eignen Rei - ſen und Thaten eine Stunde lang vorerzählen. Die Hauptſache, auf die der liebe Mann, der gut ſeine 50 Jahre und darüber zählte, immerwährend zurückkam, war ſeine ſchottiſche Tracht, die er mir ſehr ausführ - lich beſchrieb, und dabei mit Wohlgefallen ſeines Auf - enthalts in Berlin erwähnte, wo er Anno 1800 ge - weſen und, wie er berichtete, ſeine Tracht bei der Re - vue Allen ſo aufgefallen ſey, daß der König ihn, ohne daß er Seiner Majeſtät noch präſentirt geweſen ſey, ſchon in Potsdam zur Tafel eingeladen, eine Ehre, die, ſeiner Verſicherung nach, nur den Pairs des Lan - des und den ausgezeichnetſten Fremden zu Theil wür - de. Ich wollte hier etwas erwiedern, er unterbrach mich aber ſchnell und verſicherte, das ſey noch nicht Alles. Er habe an jenem Tage nur die halbe ſchot - tiſche Tracht getragen, und engliſche Pantalons dazu angehabt, den andern ſey er aber mit bloßen Schen - keln und einem soot mit Silber beſchlagen, beim Ma - noeuvre erſchienen. Der König und der ganze Hof habe ihn angeſtaunt, und eine Viertelſtunde ſpäter ſey aber - mals eine Einladung zur Tafel gekommen, worüber362 alle anweſenden Engländer ſich ſehr verwundert hät - ten. Die Königin ſelbſt habe ſich viel mit ihm un - terhalten, und gleich darauf ſey ein Adjudant gekom - men, um ihn auf den nächſten Tag nach Berlin zu einer Soirée und zur italiäniſchen Oper einzuladen. Ich frug, ſetzte er hinzu, ob ich mit nackten Schenkeln kommen könne? Ohne Bedenken, erwiederte lachend der Offizier und dieſer Abend, ſagte mein ehrlicher Schotte mit ſittlichen Stolz, war mein Triumph, denn nun kam ich in der rothen Galla-Kleidung mit Gold beſchlagen. So war ich dreimal nach einander ein - geladen worden, was keinem Pair des Landes ge - ſchieht, wiederholte er, und dreimal nach einander auch immer more splendid (glänzender) erſchienen. Jetzt war ich aber, fuhr er fort, in großen Sorgen einer vierten Einladung, weil ich nun keinen noch prächti - gern Anzug mehr hatte; glücklicherweiſe blieb ſie aber aus. Das Feuer und die Kindlichkeit, mit der dieſe lächerliche Geſchichte erzählt wurde, machte ſie bei alle dem gewiſſermaſſen rührend. Ich war natürlich ganz Bewunderung und Aufmerkſamkeit geweſen, und ſagte nun: es wäre ſonderbar, gerade 1800 hätte ich mich als Kind mit meinem Vater in der Berliner Oper neben der königlichen Loge befunden, und erinnere mich noch wie heute, daß ich darin zum erſtenmal in meinem Leben einen Schotten ohne Hoſen geſehen, und wie ein Wunder von Pracht und Schönheit an - geſtaunt habe.

Than I was the Man, I was the Man! (denn ich bin der Mann geweſen, ich bin’s geweſen) ſchrie mein363 alter Schotte ganz auſſer ſich, und von dieſem Au - genblick hatte ich ſein Herz gänzlich erobert, er lud mich dringend nach Schottland ein, bat um meine Karte, und zugleich ihm die Ehre zu gönnen, mich den Herzögen von Athol und von Hamilton in Lon - don vorzuſtellen. Er werde mir die Honneurs von Schottland machen und warten Sie einen Augen - blick, den hm ja richtig, den 26ſten werde ich hier einen Ball geben, und Ihnen zu Ehren werde ich die ſchottiſche Tracht anziehen, die ich mit Gold beſchlagen, nein ich glaube doch die mit Silber, ſie iſt nicht ſo reich, aber eleganter*)Auch in neuerer Zeit hatten wir in Berlin das Gluͤck, ei - nen jungen Schotten, und ſogar den Sohn Walter Scotts, in ſeiner Nationaltracht zu bewundern. Er erſchien auf ei - nem Feſte mit noch einem andern Landsmanne, der in ge - woͤhnlich ſchwarzer Kleidung, hoͤchſt mager und blaß, dem Vampyr, Lord Ruthwen, nicht unaͤhnlich ſah. Eine mor - dante Chanſon, die am andern Morgen die Fete beſchrieb, endigte mit folgenden Worten:...... enfin parût Lord Ruthwen et jeune Scott, L’un sans , et l’autre sans culottes. A. d. H. . Ich erman - gelte nicht, die lebhafteſte Theilnahme zu zeigen, be - dauerte, daß ich zwar nicht ſo lange hier bleiben könn - te, wegen dringender Geſchäfte in London, aber mein Möglichſtes thun würde, dieſen Tag wieder herzu - kommen, um ein ſo intereſſantes Schauſpiel nicht zu verſäumen; in dem Augenblick kam Lady .... mit ihren Töchtern an, und da ich vor der Hand genug364 gehört hatte, rief ich ihr zu, daß Mr. M. D. of C. and G. keine ganz neue Bekanntſchaft für mich ſey, ſondern ich ihn ſchon vor mehreren zwanzig Jahren als Knabe geſehen habe. Auf ihr: Wie ſo? begann mein unermüdlicher Freund die Geſchichte der drei - fachen Steigerung von Neuem, und ich ſchlich mich unterdeſſen leiſe davon und zu Hauſe.

Dieſen Morgen ging ich in die Kirche, um fromm zu ſeyn, es gelang mir aber nicht. Es war alles darin gar zu nüchtern, und unäſthetiſch. Ich lobe mir denn doch einen künſtleriſchen, wenn auch etwas ſinnlichen Gottesdienſt. Folgten wir nur der Natur, die für Religion wie Regierungsverfaſſung (denn ſie regiert ganz conſtitutionell) die beſte Lehrmeiſterin bleibt! Flößt ſie uns nicht die frömmſten Gefühle gerade durch ihre prächtigſten wie erhabenſten Schau - ſpiele ein: durch die Malerei des Sonnen - Auf - und Unterganges, die Muſik des tobenden Gewitters und des brauſenden Meers, die Plaſtik der Felſen und der Gebirge? Seyd alſo nicht klüger, lieben Leute, als der liebe Gott, und macht’s ihm nach, ſo gut ihr könnt.

Ich würde aber damit wohl tauben Ohren predi - gen, auſſer den Deinen, liebe Julie, und die hören längſt ſchon mit mir den himmliſchen Sphärengeſang, der in des Ewigen herrlicher Schöpfung immerdar365 tönt, wenn man ſich nur nicht poſitive Baumwolle hereinſteckt, um ihn nicht zu vernehmen*)Mein ſeliger Freund war immer von einer Art fixen Idee eingenommen, daß eine neue Kirche im Anzuge ſey. Wie Schade, daß er nicht erlebt hat, was ſich jetzt geſtaltet, denn eben leſe ich in der allgemeinen Zeitung folgende troͤſt - liche Annonce: An die Unbekannten. In dieſen Blaͤttern, hoͤre ich, haben harte Reden wi - der mich und die Neue Kirche geſtanden. Schlaget mich, meine Lieben, aber hoͤrt; hier nur ein Wort, um vor der Suͤnde zu warnen! Noch einmal, es naht uns, mehr und mehr die Huͤlle luͤftend, eine Herrlichkeit, welche Menſchen - zunge nicht ausſpricht, und Menſchengeiſt nur allmaͤhlig ahnt. Faſſen wir doch kaum, daß Alles neu werden mag: wie faßten wir ſo jaͤhlings ein neues All? Hitzig aber auf die Vorhut fallen, und gar das Banner beſchimpfen, iſt nicht rathſam, bevor wir die Schaaren kennen, welche na - hen, und die Maͤchtigen, welchen ſie vorausziehen: lieber Bruder, wie waͤre Dir, wenn Du, Schmaͤhung noch im Munde, ihn erkennteſt? Er kommt zu einer Stunde, da ihr nicht meinet. Das iſt viel nicht nur alles Alte neu, ſondern ſelbſt ein neues Alt! Wahrlich, mehr kann kein Billiger verlan - gen. Nur ein Schelm giebt mehr, als er hat. A. d. H. .

Auch die Predigt, welche ich vernahm, war, ob - gleich vorher ausgearbeitet, und abgeleſen, doch ganz verſteinert und gehaltlos. Prediger könnten wohl im Allgemeinen viel wohlthuender wirken, wenn ſie den Schlendrian verließen, immer nur Themata aus der Bibel zu wählen, und dieſe lieber aus dem lokalen Leben und der menſchlichen Geſellſchaft entnähmen, überhaupt ſtatt Dogmatik, die jedem Menſchen in -366 wohnende poetiſche Religion mehr anſprächen, und die Moral nicht blos als Gebotnes, ſondern als Schönes und Nützliches, ja zum Glück des Einzelnen und Aller Nothwendiges lehrten und erklärten. Würde man von der Kanzel aus den gemeinen Mann nur beſſer zu unterrichten, ihn zum Denken ſtatt Glau - ben heranzubilden ſuchen, ſo würden die Laſter bei ihm bald ſeltner werden. Er würde anfangen, ein wahres Intereſſe, ein Bedürfniß nach der Kirche und Predigt zu ſeiner Bildung zu fühlen, während er jetzt ſie gewöhnlich aus nichts weniger als erbaulichen Gründen, oder ohne alles Nachdenken beſucht. Auch die Geſetze des Landes, nicht blos die zehn Gebote, ſollten der Gemeinde von der Kanzel erläutert, und ihnen mit den Gründen derſelben zugleich geläufig gemacht werden, denn wie Viele ſündigen in dieſer Hinſicht, ohne, wie Chriſtus ſagt, zu wiſſen, was ſie thun*)Freilich waͤre es dann auch wuͤnſchenswerth, daß unſere Ge - ſetze der Faßlichkeit des Volkes naͤher geruͤckt wuͤrden, daß wir, ſtatt hunderten verſchiedener Provinzial - und Lokal - rechte, ein Geſetzbuch fuͤr die ganze Monarchie haͤtten, ſo daß nicht in einem Dorfe Recht ſey, was zehn Meilen davon Unrecht werde, und die P Juriſten endlich Arbei - ter in Bronze, ſtatt Keſſelflicker werden koͤnnten. A. d. H. . Die beſte praktiſche Vorſchrift der all - gemeinen Moral iſt ohne Zweifel, ſich zu fragen, ob eine Handlung, wenn ſie jeder beginge, der menſch - lichen Geſellſchaft ſchädlich oder nützlich ſey? Im er - ſten Fall iſt ſie natürlich ſchlecht, im zweiten gut. 367Hat man die Leute nun an die Anlegung dieſes Maaßſtabes gewöhnt, und ihnen dann recht ad ocu - los die ohnfehlbar aus ihren Handlungen entſprin - gende, endliche Rückwirkung auf ſie ſelbſt demon - ſtrirt, ſo wird man in wenigen Jahrzehnenden nicht nur Moralität, ſondern auch Cultur und Induſtrie verbeſſert haben, während die gewöhnliche Prieſter - weisheit, die den Glauben, die Autorität und das Dogma über Alles ſetzt, Jahrhunderte lang es beim Alten läßt, und nicht ſelten verſchlimmert.

Dabei würde es vielleicht nichts ſchaden, wenn man, wie man in Frankreich berühmte Spitzbuben begnadigt, um ſie bei der Polizei anzuſtellen, auch hier manchmal ſolche Lehrer auswählte, die ſich aus eigner Erfahrung der üblen Folgen der Sünde be - kehrt haben, (wie z. B. der ſelige Werner), und da - her am beſten über ſie unterrichtet ſind. Es iſt mehr Freude im Himmel über einen Sünder, der zurück - kehrt, als über zehn Gerechte, und ein ſolcher iſt auch in der Ueberzeugung und Einſicht feſter, hat auch in der Regel mehr Bekehrungseifer, wie das Beiſpiel vieler Heiligen beweiſet.

Vor allen aber müßten, meines Erachtens, in ei - ner wohl organiſirten Geſellſchaft alle Prediger, ſie kämen nun her, von wo ſie wollten, auf fixirten Ge - halt geſetzt ſeyn, (dieſer werde nun vom Staate oder von den Gläubigen beſtritten), und nicht für die Segnungen ächter Religion, ſo wie für die Ceremo - nien der conventionellen, einzeln baar bezahlt wer -368 den, eine Gemeinheit, die jede Illuſion und jede wahre Achtung für den Geiſtlichen nothwendig un - tergraben, ſo wie ihn, hat er noch Delikateſſe, in ſeinen eignen Augen herabwürdigen muß. Es iſt wirklich ſchrecklich anzuſehen, wenn der Arme auf dem Lande für den eben genoſſenen Leib Chriſti zwei Groſchen hinter den Altar ſteckt, und bei der Taufe es gar dem Herrn Geiſtlichen, wie ein Biergeld, in die Hand gedrückt wird. Hört man aber gar den Prediger von der Kanzel wüthen und ſchelten, daß das Opfer immer geringer werde, drohend darum mahnen, und ſolches Entziehen ſeiner Ein - künfte als ein Zeichen verringerter Religioſität ver - dammen dann fühlt man lebhaft, wozu ſo viele Prieſter da ſind, und was ſie für ihren eigentlichen Beruf halten. Soldaten lieben ganz natürlich den Krieg, Prieſter eben ſo die Religion, beide wegen ihres Vortheils. Patrioten lieben den Krieg nur, um Freiheit dadurch zu erringen, Philoſophen die Religion nur um ihrer Schönheit und Wahrheit willen.

Das iſt der Unterſchied.

Wie aber der Autor der Zillah ſo richtig ſagt: Etabliſſements dauern länger als Meinungen. Die Kirche dauert länger als der Glaube, der ſie grün - dete, und wenn es einer Prieſterſchaft einmal gelun - gen iſt, mit den Inſtitutionen ihres Landes ſich zu verweben, ſo mag ſie noch blühen und beſtehen, wenn auch ihr Cultus ſchon längſt zum Geſpött ge - worden iſt.

369

Der Nachmittag war befriedigender. Ich ſtieg auf den Hügeln über der Stadt umher, und kroch zu - letzt auf den Boden einer Windmühle, um von dort aus das ganze Panorama Brightons zu überſehen. Der Sturm ſchleuderte die Flügel der Mühle mit ſol - cher Gewalt um ihre Axe, daß das ganze Gebäude ſchwankte, wie ein Schiff. Der Müllerburſche, wel - cher mir den Weg hinauf gezeigt, brachte nun aus einem Mehlkaſten ein Perſpektiv hervor, das aber leider, ohngeachtet ſeines weichen Lagers, zerbrochen war. Ich begnügte mich indeß ſchon gern mit der ſchönen Totalausſicht, die durch viele Hunderte von Fiſcherbarken, welche mit dem Winde kämpften, ſehr belebt wurde, und eilte dann mit der ſinkenden Sonne den geſellſchaftlichen Pflichten wieder zu.

Die Anzahl der Gäſte beim Grafen F .... war nur klein, aber intereſſant, einmal durch die Wirthe ſelbſt, dann durch eine ihrer Schönheit wegen berühmte Dame, und endlich durch einen ſehr bekannten ehe - maligen Pariſer Tonangeber, M , der in ſeiner Jugend dort lange eine Rolle geſpielt, immer zu - gleich auch in politiſche Verhältniſſe verwickelt war, und jetzt einen großen Theil des Jahres in England lebt, wahrſcheinlich auch nicht ohne politiſche Abſich - ten, einer von den heut zu Tage ziemlich ſelten wer - denden Menſchen, die ſtets auf großem Fuß leben, ohne daß man recht weiß, wovon, die ſich überall eine gewiſſe Autorität zu verſchaffen wiſſen, ohne daß man weiß, woher, und hinter denen man immer et - was Beſonderes, ja Geheimnißvolles ſucht, ohne daßBriefe eines Verſtorbenen III. 24370man weiß, warum. Dieſer iſt wenigſtens ſehr lie - benswürdig, wenn er will. Er erzählt vortrefflich, und hat aus einem vielfach bewegten Leben nichts vergeſſen, was ſeiner Unterhaltung Würze geben kann. Zu ſolchen großartigen Avantüriers, deren conſom - mirte Menſchenkenntniß ſtets ſehr zu bewundern iſt, obgleich ſie ſie in der Regel nur zum Düpiren Ande - rer anwenden, paſſen die Franzoſen am beſten. Ihre geſellſchaftliche Liebenswürdigkeit bricht die Bahn, und ihr nicht zu warmes Herz, ihr, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, ökonomiſcher Verſtand, weiß mit dem Gewonnenen vortrefflich Haus zu halten, und für immer darin feſten Fuß zu faſſen.

Der gewandte Mann, von dem ich hier ſpreche, weiß auch das Spiel auf eine anmuthige Art zu hand - haben, und behauptet im Scherz, wie For, daß er, nach dem Vergnügen, im Spiel zu gewinnen, kein größeres kenne, als darin zu verlieren.

Man ſprach viel von Napoleon, deſſen unſer Wirth, wie Alle, die lange in ſeiner Nähe lebten, nur mit Ehrfurcht gedachte. Er erwähnte eines Umſtandes, der mich frappirte. Der Kaiſer, ſagte er, ſey von der ungeheuren Anſtrengung während der hundert Tage und den folgenden Ereigniſſen ſo unglaublich abge - ſpannt geweſen, daß er bei ſeiner Retraite von Wa - terloo, welche (ganz gegen die bei uns übliche Ver - ſion) in der erſten Stunde, von einem Bataillon ſei - ner Garde geſchützt, nur langſam und ohne alle Uebereilung von ſtatten ging zwei bis dreimal auf371 dem Pferde eingeſchlafen ſey, ſo daß er ohne Zweifel heruntergefallen wäre, wenn ihn Graf F .... ſelbſt nicht mehrmals gehalten hätte. Auſſer dieſer körper - lichen Abſpannung habe er aber, wie der Graf ver - ſicherte, auch nicht das mindeſte Anzeichen von inne - rer Agitation gegeben.

Mein origineller Schotte, von dem ich ſeitdem ge - hört, daß er ein wahrer Tollkopf ſey, und bereits zwei oder drei Menſchen im Duell getödtet, beſuchte mich dieſen Morgen, und brachte mir ſeine gedruckte Genealogie, mit der ganzen Geſchichte ſeines Stam - mes oder Clans. Er klagte ſehr, daß ein anderer ſeines Namens ihm den Rang des Chieftains ſtrei - tig machen wolle, und bemühte ſich, mir aus dem mitgebrachten Werke zu beweiſen, daß er der ächte ſey, meinte auch, ein Gottesurtheil zwiſchen beiden würde es bald am beſten entſcheiden. Dann machte er mich auf ſein Wappen, eine blutige Hand im blauen Felde, aufmerkſam, und gab Folgendes als den Urſprung deſſelben an.

Zwei Brüder, die in einem Kriegszuge gegen eine der ſchottländiſchen Inſeln begriffen waren, hatten unter ſich ausgemacht, daß der, deſſen Fleiſch und Blut (ein ſchottiſcher Ausdruck) zuerſt das feſte Land berühre, Herr deſſelben bleiben ſolle. Mit aller Kraft der Ruder ſich nähernd, konnten die Schiffe wegen372 einzelner Felſen im Meere nicht weiter, und beide Brüder mit ihren Kriegern ſtürzten ſich in das Waſ - ſer, um ſchwimmend die Inſel zu erreichen. Da nun der Aelteſte ſah, daß ihm ſein jüngerer Bruder zu - vorkam, zog er ſein kurzes Schwerdt, legte die linke Hand auf eine hervorragende Klippe, hieb ſie mit einem Hieb ab, ergriff ſie bei den Fingern, und warf ſie, bei ſeinem Bruder vorbei, blutend ans Ufer, in - dem er ausrief: Gott iſt mein Zeuge, daß mein Fleiſch und Blut zuerſt das Land berührt hat. Und ſo ward er König der Inſel, die ſeine Nachkommen durch zehn Generationen unumſchränkt beherrſchten.

Die Geſchichte der blutigen Hand ſchien mir nicht unpoetiſch, und ein treffendes Bild jener rohen, aber kräftigen Zeiten. Ich ermangelte nicht, ihm einen Pendant aus dem Nibelungenliede von meinem (wahrſcheinlich eben ſo fabelhaften) Ahnherrn zu er - zählen, und wir trennten uns über den Geiſtern unſerer Manen als die beſten Freunde.

Es giebt jetzt täglich hier mehrere Privatbälle, und das in ſo kleinen Quartieren, daß ein ehrlicher deut - ſcher Bürger nicht wagen würde, zwölf Perſonen da - hin einzuladen, wo man hier einige hundert, wie Negerſclaven, zuſammendrängt. Es iſt noch ärger wie in London, und der Raum für die Contredanse gewährt nur eben die mathematiſche Möglichkeit, ranzähnliche Demonſtrationen anzudeuten. Ein Ball ohne dieſes Gedränge würde indeß ganz gering ge - ſchätzt werden, und ein Gaſt, der die Treppe leer373 fände, wahrſcheinlich wieder wegfahren. Mir fiel bei dieſem ſeltſamen Geſchmack lebhaft Potiers un ci-de - vant jeune homme ein, wenn er bei ſeinem Schnei - der einen Pantalon beſtellt, der extraordinairement collant ſeyn ſoll, und als der Kleiderkünſtler ſchon geht, ihn noch einmal mit den Worten zurückruft: Entendez vous, extraordinairement collant, si j’y entre je ne le prends pas. Daſſelbe könnte ein Dandy von einem hieſigen rout ſagen: Si j’y entre je n’y vais pas.

Iſt man aber nun einmal herein, ſo muß man geſtehen, daß man nirgends eine größere Menge hübſcher Mädchen ſieht, und malgré bongré an ſie gedrückt wird, als hier. Sie werden jetzt meiſtens einige Jahre in Frankreich erzogen, und zeichnen ſich dann durch beſſere Toilette und Tournüre aus. Sehr viele davon ſprechen deutſch. Man bekommt ſo viel Einladungen zu dergleichen Soiréen, als man will; aber man könnte auch als ganz Fremder und Unein - geladener eben ſo gut hingehen, denn wer nicht lange bleibt, bekömmt ohnedieß die Wirthe nicht zu ſehen, und gewiß kennen dieſe nicht die Hälfte der Anwe - ſenden. Um 1 Uhr wird immer ein ſehr recherchir - tes kaltes Soupé mit force Champagne ſervirt. Das Lokal dazu iſt in der Regel die Bedientenſtube un - ten, und der Tiſch faßt natürlich kaum zwanzig Per - ſonen auf einmal, die ſich dann Truppweiſe nach einander die ſchmale Treppe hinunter winden und ſtoßen. Sitzt man endlich, ſo kann man ſich aus - ruhen, und Manche benutzen dies mit ſehr wenig374 Discretion für die Nachkommenden, auch wird den Damen wenig Platz gemacht, deſto ſorgſamer iſt aber die Dienerſchaft befliſſen, von einer den Gäſten un - zugänglichen Seite den Tiſch immer wieder friſch zu beſetzen, wenn Schüſſeln und Flaſchen leer werden.

Um Alles gehörig zu betrachten, blieb ich in einem der beſſern Häuſer das erſtemal bis 4 Uhr Morgens, und fand das Ende der Fete, wo ¾ der Gäſte weg waren, am angenehmſten, um ſo mehr, da die Töch - ter vom Hauſe wirklich ausnehmend hübſch und lie - benswürdig waren. Dagegen gab es aber auch ganz famöſe Originale auf dieſem Balle, unter andern eine dicke Dame von wenigſtens 55 Jahren, welche in ei - nem ſchwarz ſammtnen Pelz mit weiß verbrämt, und einen Turban mit ſchwankenden Straußfedern auf dem Haupte, gleich einer Bachantin, wie raſend um - herwalzte, ſo oft ſie nur Platz dazu finden konnte. Ihre drei recht hübſchen Töchter verſuchten vergebens, es der Mama gleich zu thun; ich erklärte mir aber dieſe herkuliſche Ausdauer, als ich erfuhr, die jetzt ſehr reich gewordene Dame habe ihr Vermögen frü - her durch glücklichen Viehhandel erworben.

Die Muſik bei allen dieſen Bällen beſteht blos aus einem Piano und einem Blasinſtrument. Die Mu - ſiker wiſſen beiden aber einen ſolchen Lärm abzu - locken, daß man in der Nähe aller Converſation ent - ſagen muß.

375

Ich las geſtern, daß ſtarke Leidenſchaften durch die Entfernung wachſen. Die meinige für Dich muß alſo eine ſtarke ſeyn, was zärtliche Freundſchaft ohnedem immer am ſicherſten iſt denn ich habe Dich lieber als je. Uebrigens iſt die Sache ſehr er - klärlich. Liebt man Jemanden wahrhaft, ſo hat man in der Abweſenheit nur immer ſeine guten und lie - benswürdigen Eigenſchaften vor Augen, das Unan - genehme kleiner Fehler, die jeder Menſch hat, und die doch zuweilen in der Gegenwart verletzen, fällt ganz aus dem Gedächtniß, und die Liebe vermehrt ſich alſo ganz natürlich in der Entfernung. Und Du wie denkſt Du darüber? Um wie viel mehr Fehler haſt Du bei mir mit dem Mantel der chriſt - lichen Liebe zu bedecken! Ich reiſe indeß morgen er - preß nach London, um unſerm Geſandten dieſen Brief für Dich ſelbſt zu übergeben, da die letzten ſo lange unterwegs geblieben ſind. Wahrſcheinlich ſind Neu - gierige darüber gekommen, denn die Infamie des Brieföffnens werden wir wohl ſobald nicht los wer - den. In zwei Tagen bin ich wieder hier, und ſo glücklich, 3 4 Bälle in dieſer Zeit zu verſäumen. Vor der Abreiſe machte ich heut früh noch eine lange einſame Promenade, und diesmal doch nicht ganz allein, ſondern mit einer jener vielen artigen jungen Damen, die ich hier kennen gelernt. In dieſer Hin - ſicht gewährt man den Unverheiratheten in England, wenn ſie einmal in die Welt lancirt ſind, ungemein376 viel Freiheit. Das junge Mädchen quaestionis war erſt 17 Jahr alt, aber ſchon in Paris polirt.

Als ich zu Haus kam, fand ich zu meiner nicht geringen Ueberraſchung einen Brief von dem unglück - ſeligen R.., der abermals nach Harwich zurückver - ſchlagen worden, und in Verzweiflung um Geld und Hülfe fleht, denn wider meinen Willen hat er, was ich erſt jetzt erfahre, den ihm vorgeſchriebenen Weg über Calais doch nicht eingeſchlagen. Dieſe Irrfahr - ten des Garten-Odyſſeus ſind eben ſo lächerlich als unangenehm, und Du wirſt gewiß längſt glauben, daß der Abentheurer malgré lui von den Fiſchen ver - ſpeist worden iſt. Ich erinnere mich immer noch leb - haft, daß ich vor 12 Jahren, auch um dieſe Zeit, mich nach Hamburg einſchiffen wollte, mein alter franzöſiſcher Kammerdiener rieth mir aber glücklich davon ab, denn, wie er ſich ſeltſam ausdrückte: dans ces tems ci il y a toujours quelques equinoxes dangereuses, qui peuvent devenir funestes! und richtig, das Fahrzeug litt Schiffbruch, und Mehrere verloren ihr Leben dabei.

Honneur à Sir Temple! Dein von ihm beſorgter Brief iſt in 10 Tagen hergekommen, während die durch unſre Diplomatie gegangenen drei Wochen un - terwegs blieben. Sage ihm meinen beſten Dank. Herzlich habe ich über alle Nachrichten gelacht, die mir H. ſo launig meldet. Der kleine Criminalrath, den die Spötter le rat criminel nennen, der Ren -377 voyé extraordinaire und der Diplomate à la four - chette ſind vortrefflich geſchildert, eben ſo wie der glückliche Haus -, Hof -, Staats - und Leibdiener bei Tag und bei Nacht. Wundre Dich nicht über des Letzteren Succeß. Es iſt gewiß, daß es eine Art Beſchränktheit giebt, die faſt immer in der Welt reüſſirt, und eine Art Verſtand, die nie reüſſirt. Die - ſer letzte iſt unter andern auch der meinige, ein phan - taſtiſcher, Bilder machender, der ſich ſeine Traumwelt alle Tage ſelbſt neu geſtaltet, und daher in der wirk - lichen ſtets ein Fremder bleibt. Du meinſt, wenn das Glück ſich mir dargeboten, hätte ich es ſtets ge - ring geachtet, und höchſtens ſpielend bei den Fingern genommen, ſtatt es ernſtlich feſt zu halten. Nie hätte ich die Gegenwart eher geſchätzt, bis ſie in ferner Weite als Bild wieder daſtehe dann würde es oft ein Bild der Reue, die Zukunft ein Bild der Sehnſucht und die Gegenwart nie etwas anders als ein Nebelflecken! A merveille. Du führſt das al - lerliebſt aus, und Niemand, ich muß es geſtehen, verſteht beſſer, eindringlich zu moraliſiren, als Du. Wenn es mir nur etwas helfen könnte! Aber ſage, wenn Du nun auch den Lahmen felſenfeſt überzeug - teſt, daß es weit beſſer für ihn ſey, nicht lahm zu gehen, ſo wie er ein Bein vor das andere ſetzt, hinkt der Aermſte doch nach wie vor! Naturam ex - pellas furca etc. Umſonſt gebieteſt Du Deinem Magen, beſſer zu verdauen, Deinem Witze, ſchärfer zu ſeyn, Deiner Vernunft, ſich geltender zu machen. Es bleibt beim Alten mit wenigen Modifikationen bis zum Tode.

378

Die Beſcheide der Miniſterien, die Du mir über die ..... Sache mittheilſt, bleiben auch beim Alten, obgleich ſie äuſſerſt verbindlich ſind. Iſt es aber nicht ſonderbar, daß bei uns die niedern Behörden ſich eben ſo ſehr durch Tracaſſerieen und unhöflichen, ich möchte ſagen, oft höhniſchen Styl auszeichnen, als die höheren (mit einer einzigen Ausnahme) ſich nur in raffinirt artigen Formen bewegen. Erhalten dieſe letztern dadurch nicht ganz das Anſehn der bitterſten Ironie? Du kannſt das unſrer G ..... ſchen Dilet - tanten-Academie als Preisfrage für’s nächſte Jahr aufſtellen.

Apropos, wer iſt der ſehr kluge Miniſter, von dem H. ſpricht? Aha, ich errathe aber die Miniſter ſind ja ſchon ex officio ſo klug, daß man ſchwer wiſſen kann, welchen ſie meint, den überſtändigen dagegen errieth ich auf der Stelle, ſo wie den armen, dermalen horizontalen, deſſen Krankheit mich herzlich betrübt, denn geſund ſteht er, meiner Meinung nach, gar ſehr perpendiculair, hoch über Mißgunſt und Neid, durch Würde des Charakters, wie Geſchäftserfahrung und Fähigkeit. Es giebt dagegen in der That einige Staatsbeamten bei uns, denen man jeder Zeit ver - ſucht wäre, mit Bürgers Leonore zuzurufen: Biſt lebend, Liebſter, oder todt?

Der Himmel erhalte uns Beiden geiſtig und kör - perlich beſſere Geſundheit, und mir vor allem Deine zärtliche Freundſchaft, das nöthigſte Element zu mei - nem Wohlſeyn.

Dein treuer L.

[379]

Dreizehnter Brief.

Theure Julie!

To make the best of my time, wie die Engländer praktiſch ſagen, beſuchte ich geſtern, ehe ich die Stadt verließ, drei Theater nach einander. Ein irländiſcher Bediente war im erſten Stück die Hauptperſon. Als ihn ſein Herr engagirt (der eben eine Entführung ſeiner Schönen beabſichtigt, frägt er ihn vorher, ob er auch entſchloſſen ſev, Alles zu thun, was er von ihm verlange. O Alles! ruft der entzückte Ohiggy, Alles, was Ihr wollt, ich ſtehle Euch früh eine Kuh, und mache Euch Mittags ſchon Beefſteakes davon. Später meint er: Zwei Köpfe ſind immer beſſer, wie einer, wäre der zweite auch nur ein Kalbs - kopf, denn ſeyd Ihr hungrig, könnt Ihr ihn ver - ſpeiſen.

Dieſe Irländer müſſen, ſo weit ich bisher ſie aus Comödien und Romanen kennen gelernt, ein ſeltſa - mes Völkchen ſeyn, von einer ganz anders friſchen380 Originalität als die Engländer. Als Bettler begeg - net man ihnen manchmal auf den Londner Straßen, und erkennt ſie gleich an ihrem, ich möchte ſagen gascogniſchen Weſen und Dialekt. Sehr drollig und wahr ſagt darüber ein moderner Autor: Der eng - liſche Bettler ſchreit mit ſchleppendem Tone nur im - mer[dieſelben] Worte: Gebt einem armen Mann ei - nen halben Penny, einem armen Mann einen hal - ben Penny! Was für ein Redner iſt dagegen ſein irländiſcher College! O Euer Gnaden, gebt uns ei - nen Penny, nur einen kleinen, lieben Penny, Euer Ehrens Herrlichkeit und Gottes Segen für Euer Kind und Kindeskind! Gebt uns den kleinen Penny, und möge Euch der Himmel dafür langes Leben ſchenken, einen ſanften Tod und ein gnädiges Ge - richt! Wer kann ſolchen rührend komiſchen Bitten widerſtehen!

Im andern Theater erfreute uns die Pantomime mit einer Vogel -, und ſogar einer Theezeug-Qua - drille, nach welcher letztern der Theekeſſel, Milchtopf und Taſſe ein pas de trois executirte, während Löf - fel, Meſſer und Gabeln als Figuranten um ſie her tanzten. Die Vögel der erſten waren à s’y mépren - dre, und ich rathe etwas Aehnliches, etwa von Pa - pageien, die auch noch dazu ſprechen könnten, beim S .... ſchen Hoftheater von Mephiſtopheles arrangi - ren zu laſſen. Es würde der geiſtreichen Relation davon noch etwas mehr Abwechſelung geben, und ein Theekeſſel nebſt Zubehör fände ſich wohl auch in der Geſellſchaft.

381

Von den indiſchen Jongleurs, die ich auf der drit - ten Bühne ihre Künſte machen ſah, wurde diesmal etwas ganz Neues aufgeführt, nämlich das ſonſtige Kugelſpiel mit kurzen brennenden Fackeln ſtatt der Kugeln. Dies giebt ein höchſt ſeltſames Feuerwerk, ein fortwährendes Entwickeln mathematiſcher, bren - nender Figuren, bald Räder, Schlangen, Dreiecke, Sterne, Blumen ꝛc., wie im Kaleidoskop, ohne daß der unerſchütterlichen Sicherheit dieſer Leute je et - was mißlänge.

Der viele phantaſtiſche Unſinn dieſer Pantomimen wirkte wahrſcheinlich noch in der Nacht auf mich fort, die ich zwiſchen London und Brighton ver - ſchlief, denn ich hatte auch in meinem Wagen die wunderlichſten Erſcheinungen. Zuerſt ſetzte mich der Traum auf meinen ſchönen Schimmel, deſſen ich aber diesmal kaum Herr werden konnte. Er widerſtrebte fortwährend meinem Willen, und als ich ihn endlich bezwang, ſchüttelte er vor Wuth ſo gewaltig mit dem Kopfe, daß dieſer mit ſammt dem Halſe abbrach, und zwanzig Schritt davon hinflog, während ich mit dem Rumpf in einen tiefen Abgrund hinabſtürzte. Dann ſaß ich auf einer Bank in meinem Park, und ſah einem furchtbaren Orkane zu, der bald alle alten Bäume fern und nah entwurzelte, und ſie wie Reiſig - bündel übereinander thürmte. Zuletzt entzweite ich mich ſogar mit Dir, geliebte Julie, und ging aus Verzweiflung unter die Soldaten. Ich vergaß Dich (was nur im Schlafe möglich iſt) und fand mich bald in der neuen Sphäre jung und glänzend wieder,382 voll friſchen Muths, und nicht weniger Uebermuths. Es war ein Schlachttag der Kanonendonner rollte prachtvoll, eine herrliche Feldmuſik accompagnirte ihn, und begeiſterte uns, während wir, mit der Präro - gative des Traums, im Kartätſchenfeuer ganz ruhig eine Trüffelpaſtete mit Champagner frühſtückten. Da ricoſchettirte langſam eine matte Kanonenkugel uns entgegen, und ehe ich noch auf die Seite ſprin - gen konnte, riß ſie meinem auf der Erde ſitzenden Nachbar den Kopf, und mir die beiden Beine ab, daß ich ſtöhnend in Blut und Graus daniederſank Als ich aber wieder zur Beſinnung kam, da tobte wirklich der Sturm um mich her, und das Meer heulte mir in die Ohren; ſchon glaubte ich mich auf einer Seefahrt begriffen, der Wagen hielt aber nur vor dem Gaſthofe an der Marineparade in Brighton. Morgen träume ich vielleicht die Fortſetzung. Geht’s aber in den Phantaſieen des Lebens ſelbſt nicht bei - nahe eben ſo confus her? Luftſchlöſſer im Guten und Böſen, nichts als Luftſchlöſſer einige ſtehen nur Minuten, andre Jahre, andre Jahrzehende, aber am Ende fallen ſie doch alle ein, und ſchienen nur Wirklichkeit! Niemand hat mehr Anlage zum Architekten ſolcher Schlöſſer als ich. Bei der leiſeſten Anregung fabrizire ich eben ſo ſchnell einen glänzen - den Feenpallaſt, als eine elende Hütte, Grab oder Kerker. Doch immer biſt Du dabei, liebe Julie, entweder das Glück mit mir theilend, die Hütte ſchmückend, über dem Grabe weinend, oder in Ban - den tröſtend. In dieſem Augenblick ſchwebe ich eben383 in der Mitte, ohne beſtimmte Wohnung, bin dabei auch eben ſo ätheriſcher und munterer Geiſtesſtim - mung, aber, ich muß es geſtehen, mit ſchläfrigem Körper, denn es iſt 3 Uhr nach Mitternacht. Alſo küſſe ich Dir die Hände zur guten Nacht. Uebrigens bitte ich doch im Traumbuch nachzuſehen, was jene Geſichte bedeuten mögen. Du kennſt einmal mei - nen lieben Aberglauben, der mir viel zu werth iſt, um mich durch ſchale Raiſonnements davon abwen - dig machen zu laſſen z. B. wenn ein ſtarker Geiſt über Alles die Achſeln zuckt, woran er nicht unmit - telbar ſelbſt mit der Naſe ſtößt, oder ein ſalbungs - reicher Prieſter ſagt: Es iſt doch merkwürdig in - conſequent, wie mancher Menſch an die Religion (d. h. dann immer Kirche und ihre Satzung) nicht glauben will, und doch in andern Dingen der unvernünftigſten Leichtgläubigkeit Raum giebt! O lieber Herr Pa - ſtor, frage ich dann, worin beſtehen denn dieſe unvernünftigen Dinge? Nun, der Glaube an Sympathie, z. B. an Träume, an den Einfluß der Sterne. Aber verehrteſter Herr Paſtor, darin finde ich ganz und gar keine Inconſequenz! Jeder den - kende Menſch muß eingeſtehen, daß es eine Menge geheimnißvoller Kräfte in der Natur, terreſtriſche und cosmiſche Einflüſſe und Beziehungen giebt, von de - nen wir ſelbſt bereits ſchon manche entdeckt, die frü - her für Fabel paſſirten, andere aber bis jetzt viel - leicht nur ahnen, noch nicht erkennen können. Es iſt alſo keineswegs gegen die Vernunft, ſich darüber ſeine Hypotheſen zu machen, und mehr oder weniger384 an dieſe zu glauben. So beſtreite ich auch ihnen weder ihre Wunder, noch ihre Symbole, aber der Vernunft, dem Verſtande und Herzen, allen zuſam - men gleich unfaßbar, bleiben gewiſſe andere Dinge, die viele von ihnen lehren, z. B. ein Gott, der lei - denſchaftlicher und partheilicher iſt als der gebrech - lichſte Menſch; von der ewigen Liebe verhangene, unendliche Martern für zeitliche Sünden, willkühr - liche Vergebung und Verdammung nach Prädeſtina - tion u. ſ. w. Dieſe Dinge werden nur dann möglich ſeyn, wenn zwei mal zwei fünf geworden iſt, und kein Aberglaube reicht an den Wahnſinn dieſes Glaubens.

A propos, noch eins. Es fällt mir eben auf’s Herz, daß ich ganz vergeſſen, Dir für den ſchönen Neujahrs - wunſch zu danken, jenen Schwan, der zwiſchen Ro - ſenhecken dahin ſchwimmt, und Dir ſo ähnlich er - ſcheint, eben ſo vortreffliche, friſche, weiße Toilette gemacht hat, eben ſo behaglich und zierlich ausſieht. Weißt Du, wie ich den Neujahrswunſch überſetze? Er ſpricht ſo zu mir: Julie iſt Deine Fortuna, und wird Dich einſt noch unter Roſen betten, nachdem wir Beide uns jedoch vorher noch oft an den Dornen blutig geritzt haben werden. Singt ſie endlich ihren Schwanengeſang, ſo ſoll dieſer auch ihren Freund mit zur Ruhe ſingen.

385

Ich komme eben don einem großen Almacks Tan - cyball zu Hauſe, wo Alles in fremder, phantaſtiſcher Tracht, oder in Uniform erſcheinen muß, eine Me - lange, die nicht die ſchicklichſte iſt. Du kannſt den - ken, daß mein Freund aus G .... in ſeinem ſchot - tiſchen Prachtanzug nicht fehlte. In der That iſt die - ſes Coſtüme ſehr ſchön, in hohem Grade reich, pit - toresk und männlich. Nur die Schuhe mit den großen Schnallen gefallen mir nicht. Das Schwerdt hat ganz die Form unſrer Studentenrappiere, und auſſerdem gehört noch dazu ein Dolch, Piſtolen und Carton - ſchen, die Waffen mit Edelſteinen beſetzt, und eine Adlerfeder, das Zeichen der Chieftains, an der bun - ten Mütze.

Ich führte zwei Damen auf den Ball, die erſte, Mſts. C , eine heitre und kluge, noch recht hübſche Frau von ohngefähr 35 Jahren, die die Welt liebt, ſelbſt in ihr beliebt iſt, und einen invaliden Mann auf die ſorgſamſte Weiſe pflegt die beſte Art Treue. Ibre Tournure iſt angenehm, ihr Charakter gut, alſo ſehr paſſend pour en faire une Amie dans le monde. Die andere Dame, ihre Buſenfreundin, iſt eine junge, ſehr reizende Wittwe, unbedeutender zwar, aber ein liebliches, freundliches Weibchen, die vollkommen zufriedengeſtellt iſt, wenn man ihre Zähne mit Perlen, und ihre blauen Augen mit Veilchen ver - glichen hat.

Briefe eines Verſtorbenen III. 25386

Ich hatte mich im Ganzen der Toiletten wie des Ausſehens meiner Damen gar nicht zu ſchämen, aber ſie und alle wurden verdunkelt durch die junge Miß F., die beauty von Brighton, und wirklich eins der ſchönſten Mädchen, die es giebt, eine kleine Sylphide, die ihren wundervollen Fuß und ihre Grazie aus einem andern Lande eingeſchwärzt haben muß. Sie iſt dabei erſt 16 Jahr alt, und ſo wild und beweg - lich als Queckſilber, unermüdlich im Tanzen, wie in Poſſen. Ich war ſo glücklich, mich heute ſehr bei ihr durch ein unerwartetes Geſchenk zu inſinuiren. Dieſes beſtand in einem Cornet beſonders gut fabri - zirter Knallbombons, mit deren Austheilung ſie ſich ſchon auf frühern Bällen unendlich amüſirt hatte, wegen welcher von ihr verübten Exceſſe aber, ſelbige auch ſtreng von den Mamas verpönt worden, und nicht mehr, wie ſonſt gewöhnlich, beim Soupé zu haben waren. Ich hatte mich daher weislich ſchon vorher damit beim Conditor verſehen, überreichte ſie nun ſehr unerwartet, und bezweifle, daß mir Aerm - ſten eine geſchenkte Million noch ſo viel Vergnügen machen könnte, als ich hier durch das Unbedeutendſte erregte. Die Kleine jubelte, und errichtete ſogleich ihre Batterien, welche deſto beſſern Erfolg hatten, da ſich der Feind ganz ſicher glaubte. Bei jeder Ex - ploſion wollte ſie ſich faſt todt lachen, und ſo oft ich ihr beute nahe kam, lächelte ſie mich aus ihren Feueraugen immer ſo bold und freundlich, wie ein kleiner Engel, an. Das arme Kind! dieſe vollkom - mene Unſchuld, dieſer Ausdruck des höchſten Glücks287[387] rührten mich tief denn ach! ſie wird ja auch bald, gleich allen andern, enttäuſcht werden.

Viele der übrigen Mädchen waren gleichfalls ſehr ſchön, aber zu viel Dreſſur dabei; einige ſtrotzten von Juwelen und Koſtbarkeiten, aber keine kam der klei - nen F gleich, deren Anmuth in den Augen der häßlichen, egoiſtiſchen Männer vollſtändig ſeyn würde, wenn ſie nicht leider auch mit Armuth gepaart wäre.

Bei Miſtriß F ......., einer ſehr würdigen und lie - benswürdigen Frau, früher, wie man verſichert, dem Könige angetraut, jetzt ohne Einfluß in jener Re - gion, aber immer gleich allgemein geliebt und geach - tet, d’un excellent ton et sans prétention hörte ich geſtern Abend einige intereſſante Details über Lord Liverpools Cataſtrophe. Ein Mann, der eine Stunde vorher noch mit Kraft und Weisheit die halbe Welt regierte, wird ein Imbecille, weil man einen Aderlaß verſäumt! Sein Vorgänger aber (Lord Caſtlereagh) aus demſelben Grunde ein Selbſtmör - der! Es iſt doch gar etwas zu Gebrechliches um den menſchlichen Geiſt!

Ich fand hier auch die zwei Töchter des berühmten Sher. ; Beide geiſtreich und ausgezeichnet hübſch, die älteſte bold wie ihr Vater, welches allerdings für25*388eine Dame weniger paßt, die zweite von einer Sanft - muth, die zuflüſtert: Stille Waſſer ſind tief!

In dieſem Hauſe ſieht man nur beau monde. Sonſt giebt es eigentlich von der allererſten, ercluſiven Ge - ſellſchaft nicht zu viel hier, oder ſie leben ganz zu - rückgezogen, um nicht mit der alltäglichen, die ſie Nobodys nennen, und mehr als die Braminen die Parias ſcheuen, in Colliſion zu kommen. Ich, dem meine Verhältniſſe erlauben, in dieſes Heiligthum zu dringen, verſchmähe auch die Andern nicht. Als Fremder, und noch mehr als Selbſtſtändiger, erlaube ich mir ganz harmlos überall mein Vergnügen zu ſuchen, und es iſt nicht immer der erhabenſte Ort, wo ich das meiſte finde. Ja ſelbſt die Gemeinheit und lächerliche Singerie der ſchnell Reichgewordenen iſt zuweilen recht ſehr ergötzlich, und hat in England noch einen viel burleskern Charakter als irgend wo anders, weil Reichthum, Haus und Luxus, mit ei - nem Wort, alles ſie Umgebende wirklich ganz daſſelbe iſt, wie bei den Großen und Hohen, und nur die Perſonen darin gleichſam wie nackt umhergehen.

Hier trat in meiner Correſpondenz eine lange Pauſe ein. Verzeih, ich nahm mein einſames Mittags - mahl ein eine Schnepfe ſtand vor mir, und ein Mouton qui rêve neben mir. Du erräthſt wer dies letzte iſt. Aergere Dich nicht über den Platz zur Lin - ken, denn rechts flackert das Feuer, und ich weiß zu gut, wie ſehr Du es fürchteſt.

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Den Abend werde ich wieder bei Graf F. zubrin - gen, der zu den Braminen gehört. Habe ich Dir ihn ſchon beſchrieben? Er iſt keine unbedeutende Perſon. Die franzöſiſche Liebenswürdigkeit mit engliſcher So - lidität vereinigend, ſpricht er auch beide Sprachen faſt gleich geläufig. Obgleich nicht mehr jung, iſt er doch immer noch ein ſchöner Mann, und ſein Aeuſſeres wird durch einen ſehr edlen Anſtand geho - ben. Einfach und zuvorkommend, heiter ohne Bos - heit, gefällt und befriedigt ſeine Unterhaltung, auch wenn ſie in dem Augenblick nicht brillant iſt. Seine Frau, Lady K ...., iſt weder ſchön noch häßlich. Sie hat Geiſt, l’usage du grand monde, et quelquefois de la politesse. Dazu kein geringes Talent zur Mu - ſik, und 10,000 £. St. Revenüen. Mit alle dem brauche ich nicht erſt hinzuzufügen, daß dies Haus angenehm iſt.

Auf den hieſigen Bällen herrſcht eine vortheilhafte Sitte für die Herren, nämlich nach vollendetem Tanze ihre Tänzerin an den Arm zu nehmen, und mit ihr bis zum nächſten herumzuwandeln. Dabei hat Man - cher Zeit, ſeine Timidität zu beſiegen, und es fehlte nichts als unſre großen Lokale und einſam bleiben - den Stuben dazu, um es noch anmuthiger zu ma - chen! Hier geht es denn nicht weiter auszudehnen, als die Treppe hinab nach dem Eßſaal, und wieder herauf, aber auch das Gedränge gewährt große390 Heimlichkeit, denn Keiner giebt auf den Andern acht. Da man mich von allen Seiten quält zu tanzen (ein Deutſcher, der nicht walzt, ſcheint ihnen unbe - greiflich), ich aber nicht mag, ſo habe ich vorgegeben, ein Gelübde binde mich, und zugleich errathen laſ - ſen, daß es ein zärtliches ſey. Dieſes Vorgeben kön - nen nun die Damen ſchwer mit der Ueberzeugung zuſammenreimen, daß ich doch nur hier ſey, um eine Frau zu ſuchen, wie ſie ſich ſteif und feſt einbilden. Es geht bei alle dem nicht ohne einige Huldigung ab, um das tägliche Einerlei zu würzen, aber Gott - lob iſt nichts hier vorhanden, was mich im Gering - ſten aus meiner Ruhe bringen könnte, ein ſehr be - haglicher Zuſtand! Viel ſchlimmer iſt es einem ar - men Engländer gegangen, der ſich heute, aus un - glücklicher Liebe, von der jettée ins Meer geworfen hat, und geſtern noch, wie von der Tarantel geſto - chen, tanzte. Dem Aermſten mag es dabei zu Mu - the geweſen ſeyn, wie den Dindons, die man in Paris Ballet tanzen läßt, indem man ſie auf einen metallnen Boden ſtellt, unter dem Feuer angemacht wird. Die Zuſchauer, die ihre verzweifelten Sprünge ſehen, glauben ſie wären ſehr luſtig, während die armen Geſchöpfe langſam verbrennen.

Mehrmals habe ich mich beklagt, daß Brighton keine Vegetation hat, aber die Sonnenuntergänge im Meer, und die ſie begleitenden Wolkenbilder habe ich faſt nirgends ſo mannichfaltig geſehen.

So hatte es heute den ganzen Tag geregnet, und als es ſich Abends aufklärte, baute ſich am Horizont391 ein dunkles Gebirge über dem Waſſerſpiegel auf, das nach und nach immer feſtere Conſiſtenz gewann. Als nun die Sonne den höchſten Pick deſſelben er - reichte und die ſchwarzen Maſſen, wie mit Riſſen flammenden Goldes durchbrach, glaubte ich den Ve - ſuv wieder zu ſehen, von Lava überſtrömt.

Nachdem ich dieſem feſtlichen Nachtlager der Him - melskönigin bis auf ſeinen letzten Moment beige - wohnt, irrte ich noch bis zu völliger Dunkelheit in den kahlen Dünen umher, wie ein Schatten über Berg und Thal auf meinem ſchnellen Roſſe dahin - gleitend, das auch ſeine Phantaſieen haben mochte, die es zu immer größerer Eile antrieben, ohne Zwei - fel die lockende Vorſtellung von Hafer und Heu.

Dieſe ewigen Bälle, Concerts, Dinés und Prome - naden kann ich für mich, eben nicht langweilig, aber wohl Zeit tödtend nennen. Ueberdem hat ſich ein ar - mer Sterbender unter mir einquartirt, und macht mich durch ſein Stöhnen und Jammern, das durch den dünnen Boden allnächtlich zu mir heraufdringt, und deſſen Contraſt ſo grell mit dieſem Orte der Fri - volität und Zerſtreuung abſticht, zu melancholiſch. 392Helfen kann ich ihm nicht, alſo werde ich morgen nach London zurückkehren.

Deine beiden Briefe habe ich erhalten, und bedaure herzlich, zu vernehmen, daß Dir für Dein Bad bis jetzt noch Koch und Doctor fehlen. Du mußt aller - dings Alles thun, um dieſe beiden wichtigen Chemi - ker, die von der Natur beſtimmt ſind, ſich gegenſei - tig in die Hände zu arbeiten, ſobald als möglich von beſter Qualität zu erlangen.

Du weißt, daß ein berühmter franzöſiſcher Arzt, wenn er in ein Haus zum erſtenmal gerufen wurde, ſtets damit anfing, in die Küche zu gehen und den Koch zu umarmen, um ihm für die neue Kundſchaft zu danken.

Als Ludwig der Vierzehnte immer kränklicher wurde, und, ſeinen eignen Aerzten mißtrauend, unſern Aescu - lap conſultirte, machte dieſer dem erſten homme de bouche Vorſtellungen, dem Könige doch wenigere und einfachere Speiſen bereiten zu laſſen. Allons donc, Monsieur, erwiederte der heroiſche Küchling, den Arzt à son tour umarmend, mon métier est de faire manger le Roi le votre de le purger. Fai - sons chacun le nôtre!

Ehe ich Brighton verließ, mußte ich noch einer mu - ſikaliſchen Soirée beiwohnen, eine der härteſten Prü - fungen, denen Fremde in England ausgeſetzt ſind. Jede Mutter, die eine erwachſene Tochter beſitzt, für welche ſie ſchweres Geld an den Muſikmeiſter hat393 zahlen müſſen, will auch die Satisfaktion genießen, dies junge Talent bewundern zu laſſen. Das quäkt und trommelt nun rechts und links, daß Einem weh und weichlich zu Muthe wird, und, ſelbſt wenn eine Engländerin ſingen kann, ſo hat ſie doch faſt nie weder Methode noch Stimme. Die Herren ſind weit angenehmere Dilettanten, denn bei ihrem Geſang hat man wenigſtens das Vergnügen einer poſſirlichen Farce. Der Matador unter allen ſolchen hieſigen Geſellſchafts-Sängern iſt ein gewiſſer Kapitän H .... Dieſer Mann hat keine andere Stimme als die eines heiſern Bullenbeißers, keine andere Idee vom Sin - gen als ein Bauer in der Kirche, und nicht mehr Gehör als ein Maulwurf.

So ausgeſtattet, ſchien er dennoch keinen größern Genuß zu kennen, als ſich hören zu laſſen, und der berühmte David tritt timider auf als er. Das Ori - ginellſte war jedoch die Art ſeines Vortrags. So - bald er ſich ans Clavier geſetzt hatte, ſchlug er mit dem Zeigefinger nur einen Ton auf dem Inſtru - mente an, mit welchem, ſeiner Meinung nach, die Arie anfangen ſollte, und intonirte dann wie ein Ge - witter, jedesmal aber ein oder zwei Töne tiefer als der angeſchlagene Ton, worauf er ohne Raſt noch Pauſe, und ohne alles weitere Accompagnement, die ganze Arie mit den ſeltſamſten Geſichtsverdrehungen durcharbeitete. Man muß ſo etwas ſelbſt geſehen haben, um es für möglich zu halten, und das in ei - ner Geſellſchaft von wenigſtens 50 Perſonen. Dabei wählte er gewöhnlich italiäniſche Terte, obwohl ihm394 die Kenntniß dieſer Sprache gänzlich abging, und brüllte daher oft mit ſeiner Stentorſtimme Worte heraus, welche alle Damen zum Weglaufen gezwun - gen haben müßten, wenn ſie ihre Bedeutung verſtan - den hätten.

Man genirte ſich übrigens gar nicht, ihn auszula - chen, (was nicht zu thun auch beinahe unmöglich war); ich habe aber nie bemerkt, daß dies ſeiner Exſtaſe und glücklichen Selbſtzufriedenheit im Ge - ringſten Eintrag gethan hätte. Ja, einmal losge - laſſen, war es ſogar ſchwer, ihn wieder zu zähmen, und vom Piano wegzubringen, um andern, weniger beluſtigenden Talenten Platz zu machen.

In dieſem letzten Concert ſah ich auſſerdem noch zwei merkwürdige Perſonen anderer Art, ein ſchon bejahrtes Paar, das un beau matin ſchwarz ge - worden war, aber ſchwarz, ſage ich, wie Tinte. Es iſt ſonderbar, daß ein ſchwarz gewordener Weißer faſt Grauen erregt, während dies bei einem Neger gar nicht ſtatt findet. Noch ſonderbarer iſt der Grund dieſes Schwarzwerdens. Man hat nämlich eine neue, wie man behauptet, ſpezifiſche Medizin gegen die Epi - lepſie und Krämpfe erfunden, deren Hauptbeſtand - theile ein Präparat von Zink und Silber ſind. Setzt man ſich jedoch während dem Gebrauch derſelben im Geringſten dem Sonnenlichte aus, ſo wird man ſchwarz, und zwar für immer.

Dieſes Unglück war denn auch den armen Leuten begegnet, die ich erwähnt, und hier heißt es freilich mehr als je: Le remêde est pire que le mal!

395

Ich bin wieder in Albemarlestrut angelangt, und machte geſtern früh, nach der langen Abweſenheit nicht weniger als 22 Viſiten, wohnte dann einem Clubdiné bei*)Im Eßſaal der Clubs, wo nur nach der Karte gegeſſen wird, hängt immer eine Tafel, wo ſich jeder aufſchreiben kann, der wuͤnſcht an einem Extra-Diné, fuͤr welches ein fixirter Preis bezahlt wird, und was man house dinner nennt, in Geſellſchaft Theil zu nehmen, wozu er dann zu - gleich den Tag beſtimmt. Sobald 12 Perſonen aufgeſchrie - ben ſind, wird die Subſcription geſchloſſen. Dieſe Dinés finden in einem beſondern Lokal ſtatt, ſind ſehr recherchirt und geben eine angenehme Gelegenheit, naͤ - here Bekanntſchaften zu machen., ſpäter einem Ball bei der früher ſchon er - wähnten Napoleoniſtin, und ſchloß den Tag auf ei - ner Soirée bei Miſtriß Hope, einer ſehr faſhionablen und hübſchen Frau, die ſich unter ihren antiken Meub - les bei weitem weniger eckig als dieſe und ihr Ana - ſtaſius ausnimmt.

Heute aber beſuchte ich, in another quarter, zwei Chineſinnen, die auch ein Haus machen, und ein ſehr originelles noch dazu, wo man die Entrée jedoch be - zahlen muß.

Schon von der Treppe an iſt alles wie in China ſelbſt eingerichtet, und man kann ſich, wenn man end - lich eintritt und unter der Papierlampenillumination die Damen mit ihren nur 5 Zoll langen, weit vorge - ſtreckten Füßen ruhen ſieht, wirklich die Illuſion ma -396 chen, ſchon in Canton zu ſeyn. Die Damen präten - diren eine vornehme Abkunft, welches ihre kleinen Füße beweiſen ſollen, da die geringern Klaſſen der - gleichen nicht führen denn wie ſollten ſie ſonſt ar - beiten können, da die Kleinfüßigen, ſo wenig Centri - pedalkraft haben, daß ſie ohne Stock kaum von einer Ottomanne zur andern humpeln können.

Ich bin ſonſt ein leidenſchaftlicher Liebhaber von einem kleinen Weiberfuße, aber dieſe waren mir doch zu klein, und nackt abſcheulich anzuſehen, da ihre Kleinheit durch gewaltſames Unterbiegen der Zehen in der Kindheit erlangt wird, die nun in die Sohle mit einwachſen, eine Mode, die beinahe eben ſo un - vernünftig iſt, als unſre Schnürbrüſte, obgleich ſie der Geſundheit doch noch weniger ſchaden mag.

Ich kaufte den chineſiſchen Prinzeſſinnen ein Paar neue Schuhe ab, die ſie vorher vor meinen Augen anprobiren mußten, und ſende ſie Dir mit die - ſem Briefe, ſo wie mehrere andere Chineſiana, ſchöne ſeidne Tapeten, Gemälde, worunter ein Portrait des Kaiſers und Kaiſerin ꝛc. Die guten Geſchöpfe ver - kaufen alles was man verlangt, und ſcheinen, ihrer Vornehmheit unbeſchadet, ein förmliches Waarenlager mitgebracht zu haben, denn kaum iſt etwas abgegan - gen, ſo wird es ſchon wieder erſetzt. Obgleich bereits lange in London, haben ſie doch noch kein Wort eng - liſch erlernen können; ihre eigne Sprache erſchien mir als ſehr ſchleppend und ſchwerfällig, und ihre Geſichts - züge waren für europäiſchen Geſchmack, mehr als häßlich.

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Die italieniſche Oper hat nun auch begonnen, mit der franzöſiſchen Comödie das einzige Schauſpiel du bel air. Da alles nur in Toilette dort erſcheinen darf, ſelbſt im Parterre, ſo iſt der Anblick glänzend, die Oper ſelbſt war aber ſchlecht, Orcheſter wie Sän - ger, das Ballet ebenfalls. Die Beleuchtung in dieſem Theater iſt auch ſchon darauf eingerichtet, um mehr geſehen zu werden, als ſelbſt zu ſehen, denn vor je - der Loge hängt ein Kronleuchter herab, der ſehr un - angenehm blendet, und die Schauſpieler verdunkelt. Die Oper dauert bis nach 1 Uhr, ſo daß man hinläng - lich Zeit hat, ſie zu beſuchen, ohne ſich andre Geſell - ſchaften dadurch zu verſchlagen, denn nun hat der Trouble ſchon begonnen, man kömmt ſelten vor 3 oder 4 Uhr zu Hauſe, und wer ſich recht repandiren will, was jedoch die Excluſives nicht thun, einen Fremden aber amüſirt, der kann bequem ein Dutzend Einladun - gen für jeden Abend erlangen.

Vor zwei Uhr Nachmittags wird dafür auch die große Welt nicht lebendig. Zwiſchen 4 und 6 ſind die Stunden des Parks, wo ſich die Damen in ihren elegan - ten Equipagen und Morgenanzügen zu Tauſenden lang - ſam umher fahren laſſen, die Herren aber auf ihren ſchönen Pferden dazwiſchen umhervoltigiren, von Blu - me zu Blume flatternd, und ſo viel Grazie etablirend als ihnen der liebe Gott verliehen hat. Zu Pferde nehmen ſich aber faſt alle Engländer gut aus, und reiten dabei viel beſſer und naturgemäßer als alle un -398 ſere Stallmeiſter, die ſich ſehr viel darauf wiſſen, wenn ſie auf einem Pferde, das künſtlich dahin gebracht wurde, in jeder Gangart an Schnelligkeit zu verlieren, wie die Klammer auf einer Wäſchleine ſitzen.

Auf der weiten Raſenfläche des Parks wimmelt es ebenfalls von Reitern, die ſich dort in ſchnelleren Be - wegungen, als auf dem Corſo, durchkreuzen, und mit vielen Damen gemiſcht ſind, die ihre Pferde eben ſo gewandt und ſicher führen als die Männer.

Aber eben wird mir ſelbſt Miß Sally vorgeführt, und ſcharrt ſchon ungeduldig das Macadamſche Pfla - ſter. Der Brief iſt ohnehin lang genug, alſo tauſend Grüße an Alles, was ſich meiner erinnern will, und das freundlichſte Lebewohl für Dich.

Dein Freund L.

[399]

Vierzehnter Brief.

Geliebteſte Beſte!

Es würde zu langweilig für Dich ſeyn, liebe Julie, wenn ich Dir täglich eine Liſte der Geſellſchaften ſchickte, die ich beſuche, nur wenn mir eben Bemerkens - werthes auffällt, werde ich es erwähnen, und viel - leicht ſpäter, wenn ich Luſt und Geſchick dazu in mir fühle, noch mit einem etwas allgemeinern apperçu ſchließen.

Im Ganzen iſt das Techniſche der Geſellſchaft hier ſehr zweckmäßig. Ich verſtehe darunter die Einrich - tungen zu ihrem Comfort und ihrer Bewirthung. Be - ſonders zeichnet ſich hierin das Haus des Herzogs v. D. aus, eines Königs der Mode und Eleganz.

Nur wenig Vornehme haben in London was wir auf dem Continent einen Pallaſt nennen, ihre Schlöſ -400 ſer, ihr Luxus und ihre Größe entfalten ſich nur auf dem Lande. Der Herzog von D. macht eine dieſer Ausnahmen, und ſein Palais in der Stadt bietet mit vielem Geſchmack und Reichthum, zugleich eine große Anzahl bedeutender Kunſtſchätze dar. Die Geſellſchaft iſt immer die gewählteſte, aber wie überall auch hier zu zahlreich, obgleich ſie bei der Menge der Zimmer nicht ganz ſo läſtig, und der Foule eines Markttages gleich wird. Namentlich ſind die Concerte in D houſe ſehr hübſche Feſte, wo immer nur die erſten Talente, welche eben in der Hauptſtadt anweſend ſind, employ - irt werden, und auſſerdem muſterhafte Ordnung und Profuſion in Allem herrſcht. Unter andern iſt die, auch in andern Häuſern faſt durchgängig ſtatt finden - de Einrichtung der Büffets und Soupés, (vorzüglich bei ſo zahlreichem Zufluß von Menſchen) ſehr zu em - pfehlen. In einer beſondern Stube befindet ſich näm - lich eine lange Tafel mit den ausgeſuchteſten Erfri - ſchungen aller Art reichlich beſetzt, die ſo geſtellt iſt, daß ſie den Gäſten nur von einer Seite acceſſibel bleibt. Hinter derſelben ſtehen uniformirre Mädchen, (aber doch in weiblichen Uniformen, weißem Kleide und ſchwarzer Schürze) die Jedem reichen, was er verlangt, und dabei doch hinlänglichen Raum haben, um ihr Geſchäft bequem zu beſorgen, während hinter ihnen, durch eine Thür, die mit den Offices in Ver - bindung ſteht, alles Nöthige, ungeſtört durch das Ge - wirre der Geſellſchaft herein gebracht werden kann. Dadurch vermeidet man die ſo unangenehmen Pro - ceſſionen zahlreicher Bedienten, die, große Präſentir -401 bretter in der Luft balancirend, ſich mit dieſen in den Salons umherdrängen, und immer in Gefahr ſchwe - ben, den kalten und warmen Inhalt ihrer Laſt, auf drei oder vier Gäſte auszuſchütten.

Das Soupé wird ſpäter in einem andern Zimmer, welches mit der Küche communizirt, auf dieſelbe Art durch das männliche Perſonal ſervirt, und ſolcherge - ſtalt die beſte und prompteſte Bedienung, mit verhält - nißmäßig weit weniger Leuten, und ohne alle Confu - ſion bewerkſtelligt.

Beiläufig muß ich hierbei rühmen, daß, hinſichtlich der bonne chère, in den großen Privathäuſern Lon - dons wirklich das Vorzüglichſte in der Welt gefun - den wird, da die beſten franzöſiſchen Köche und die beſten italiäniſchen Officiers ſich hier zuſammen finden, aus dem ſehr einfachen Grunde, weil ſie hier am be - ſten bezahlt werden. Es giebt Köche die ein Gehalt von 1200 £. St. jährlich beziehen. Dem Verdienſte ſeine Kronen!

Zuweilen geht nach Concert und Soupé, um 2 Uhr erſt der Ball noch an, und man fährt bei Sonnen - ſchein zu Hauſe, eine Lebensart die mir ſehr wohl bebagt, denn Du weißt, ich hatte von jeher mit Mi - nervas Vogel gleichen Geſchmack. Ich benutze ſogar manchmal einen ſolchen Nachtmorgen, gleich vom Ball zu einer Spazierfahrt im Park überzugehen, denn Gottlob! es wird ſchon ſichtlich Frühling, und über die hohen Gartenmauern blinken bereits grüne Flie -Briefe eines Verſtorbenen. III. 26402derblätter, und einzelne Mandelblüthen durch das dunkle Gewebe der ſchwellenden Zweige.

Dieſen Vormittag beſtimmte ich zu einer Excurſion nach Deptford, um Captain Parry’s Schiff Hekla zu beſehen, das in wenigen Tagen nach dem Nordpol abſegeln ſoll. Ob es ihn aber erreichen wird, iſt eine andere Frage. Wenn es Parry nur nicht wie dem armen Grafen Zambeccari geht, der von ſeiner letzten Luftfahrt noch bis zu dieſer Stunde nicht zurückge - kehrt iſt.

Captain Parry machte die Honneurs ſeines eigen - thümlichen Fahrzeugs mit ſehr viel Artigkeit, und ſein Benehmen entſpricht ganz dem eines freimüthigen, beſonnenen und kühnen Seemanns, als welcher er bekannt iſt. Ein paar ſeltſam geformte Bote lagen auf dem Verdeck des Schiffes, die zugleich als Eis - ſchlitten dienen ſollen. Das Schiff ſelbſt hat doppelte Wände, die mit Kork ausgefüllt ſind, um die Wärme beſſer zuſammen zu halten, und außerdem wird es mit conduits de chaleur geheizt. Alle Proviſionen beſtehen aus den ſtärkſten Extracten, ſo daß ein gan - zer Ochſe in ſeiner Quinteſſenz in die Rocktaſche ge - ſteckt werden kann, gleich den Stereotypes der chefs d’oeuvres der ganzen engliſchen Literatur in einem Bande. Alle Offiziere ſchienen Männer von großer Auswahl, beſonders fand ich an dem Lieutenant Roß, der Parry auf allen ſeinen Fahrten begleitet hat, ei -403 nen ſehr feinen und liebenswürdigen Mann. Das Schiff wimmelte von Beſuchern, die fortwährend die Strickleitern hinanklimmten, und man konnte nicht ohne das lebhafteſte Intereſſe dieſe Schiffsmannſchaft betrachten, die ſo heiter den größten Gefahren und Mühſeligkeiten entgegen gieng, nur der Wiſſenſchaft zu Liebe, und um eine erhabene Neugierde zu be - friedigen.

Zum Mittagseſſen war ich bei einem Major der Hor - ſeguards eingeladen, welches in ihren Baraken ſtatt fand. Es herrſcht eine, viele Vortheile gewährende Sitte bei dem engliſchen Militair, ich meine die ſoge - nannte mess. Sie beſteht darin, daß jedes Regiment ſeinen gemeinſchaftlichen Tiſch hat, zu dem jeder Offi - zier verpflichtet iſt, ein Gewiſſes beizutragen, er mag nun davon profitiren oder nicht. Er hat aber das Recht dafür, täglich daſelbſt zu eſſen, und nach dem beſtimmten Satz auch einen Gaſt mitzubringen. Ein Comité beſorgt die Oekonomie, und ſchafft das Nöthige an. Am Tiſche ſelbſt präſidirt ein Offizier nach dem andern, vom Obriſten bis zum jüngſten Lieutenant herab, und bleibt, ſo lange er in Funktion iſt, mit der nöthigen Autorität dazu bekleidet. Der Ton der Offiziere iſt vortrefflich, und weit mehr gentlemanlike als in der Regel auf dem Continent, wenigſtens was ich davon hier bei den Garden geſehen habe. Ob - gleich im Dienſt die ſtrengſte Subordination herrſcht, ſo ſind ſich doch auſſer dem Dienſt die Herren ſo voll - kommen gleich, daß es dem Fremden durchaus un - möglich wäre, aus ihrem Benehmen die obern und26*404untern Offiziere heraus zu finden. Der Tiſch ſelbſt iſt vortrefflich ſervirt. Es fehlte weder an einer ele - ganten ſilbernen Vaiſſelle, noch Champagner, Claret und allen Erforderniſſen des Luxus. Auch wurde kein Gelag daraus, und die Unterhaltung blieb, bei aller Heiterkeit, in den Schranken des Anſtandes. Das Ganze dauerte auch nicht zu lange, ſo daß ich noch Zeit übrig behielt, um einige Viſiten in der Oper zu machen, wozu dieſe ſo bequem iſt.

In den meiſten Abendgeſellſchaften findet man ziem - lich hohes Spiel ſehr an der Tagesordnung, und die Damen ſind dabei die leidenſchaftlichſten. Das Ge - drange um den Ecartétiſch, der in Paris ſchon halb aus der Mode gekommen iſt, nimmt hier nie ab, und auf den mit ſchwarzem Sammt und goldner Stickerei bezognen Tiſchen präſentiren ſich die weißen Arme der engliſchen Schönen ſehr gut. Vor ihren Händen muß man ſich aber manchmal in Acht nehmen, car les vieilles surtout trichent impitoyablement. Es giebt einige alte Jungfern hier, die man in den allererſten Cirkeln antrifft, und die förmlich Metier vom Spiel machen, ſo daß ſie ihre 50 Pfund auf einem Coup hal - ten, ohne eine Miene dabei zu verziehen. Sie geben auch bei ſich ganz eigentliche Spielgeſellſchaften, die einem tripot ſo ahnlich wie möglich ſehen.

Nirgends begegnet der Liebhaber des Mittelalters mehr conſervirren Frauen fat, fair and forty als405 in der engliſchen Geſellſchaft. Auch noch reifere Jahre machen ſich geltend. Die Marquiſe S., welche bei - nahe 80 Jahre alt iſt, kann man beinahe immer noch als die repandirteſte Dame in London anſehen. Man iſt ſicher, ihr jeden Abend zu begegnen, und früh rei - tet ſie deſſen ungeachtet noch Tag für Tag in der manège. Ja auf dem Lande nimmt ſie ſogar noch zuweilen an den Fuchsjagden Theil, wo ſie ſich auf dem Pferde anbinden läßt, und da ſie faſt blind iſt, einen Operngucker an der Reitpeitſche befeſtigt hat. Ein Piqueur reitet ihr vor und ſie ihm getroſt nach, über Zäune und Gräben. Neulich fiel ſie eine hohe Treppe hinunter, erſchien aber nichts deſto weniger am dritten Tage darauf ſchon wieder auf dem Balle, wo man auſſer einigen großen Schönpfläſterchen auf der hochrothen Schminke nichts Auſſergewöhnli - ches an ihr bemerkte. Früh nimmt ſie gern Viſite an, wo man ſie von einigen Papageyen und vier Hunden umgeben, mit einem kleinen Kantſchu in der Hand, um die Thiere in Ordnung zu halten, auf ih - rem Sopha ſitzen, und ſo munter wie die Jüngſte, an der Unterhaltung Theil nehmen ſieht. Ihre eig - nen Aſſembleen ſind immer ſehr beſucht, obgleich die Geſellſchaft daſelbſt etwas bunt melirt iſt.

Die Marquiſe H…, nicht viel jünger, muß ſo - gar noch eine ſchöne Frau genannt werden, mit dem Port einer Monarchin, bei jeder paſſenden Gelegen - heit mit Diamanten bedeckt, und die Honneurs ihres Hauſes beſſer machend, als die meiſten der ercluſiven jüngern Schönheiten.

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In dieſelbe Categorie gehört auch die alte Lady L…, die noch immer den ſentimentalen Namen La - dy Emilie L… führt, und auf dem Continent, be - ſonders vom Congreß zu Aachen her, ſehr bekannt iſt, wo ſie mit dem diamantnen Hoſenbande ihres Man - nes auf der Stirne erſchien, während er einen mit Rubinen beſetzten Haarbeutel trug.

Auch noch Burleskere dieſer Klaſſe giebt es. Den erſten Rang darunter behauptet eine gewiſſe Gräfin, früher der Kaufmannswelt entſproſſen, und eine große pazza per la musica, die ſich jedesmal regelmäßig in die zuletzt angekommene große Sängerin verliebt, und ihr dann, gleich einer Buſenfreundin, alle Vergnügun - gen der Hauptſtadt verſchafft. In einem ſehr guten engliſchen Roman ward ſie neulich unter dem deut - ſchen Namen Geigenklang aufgeführt, und äußerſt treu geſchildert. Sie iſt ſehr reich, giebt gute Con - certe und hat durch unerſchütterliche Beharrlichkeit und Gefälligkeiten mancher Art, ſich leidlich faſhio - nable gemacht, es iſt aber nicht möglich, in die große Welt eine weniger dahin paſſende Tournüre zu brin - gen, qui sent la bourgoisie à trente pas, wie ein Ultra ſagen würde.

Warum ihr übrigens der engliſche Satyriker den Namen Geigenklang gegeben, begreife ich nicht recht, da ſie von allen Inſtrumenten, die ſie ſo ſehr anbe - tet, vermöge der Beſchaffenheit ihres Teints, ihrer Taille und ihres Organs unbezweifelt nur mit der Trommel einige Aehnlichkeit hat.

Ich ſchloß meinen Tag mit Lectüre und Whiſt im Club, wo ſich meine Partie ſonderbar genug geſtal -407 tete: der portugieſiſche Geſandte, der Napoleon auf - fallend gleicht, ein neapolitaniſcher Exminiſter, den das verfehlte Revolutioniren hierher gebracht, der franzöſiſche Herr, den ich Dir in Brighton ſchilderte, und meine deutſche Wenigkeit, welche jedoch diesmal den Sieg davon trug, denn ich gewann 8 Rubber und zwei Affen (Monkeys).

Was iſt ein Monkey? rufſt Du.

Den verſchiedenen Spielmarken hat die Mode ſolche eigenthümliche Namen gegeben; eine 25 £. St. Marke heißt ein Pony (kleines Pferd) und eine von 50 Pfund ein Monkey (Affe).

Du biſt ſchon gewohnt, daß ich Dich oft vom Pal - laſte in die Hütte, und aus dem geſchmückten Saal in die ſchönere Natur führe. Heute folge mir einmal zu meinem Zahnarzt, dem berühmten Herrn Cartright.

Dieſer Mann gewinnt durch ſeine Kunſt jährlich 10,000 £. St., und behandelt ſie im grandioſeſten Styl. Fürs Erſte geht er ſelbſt zu Niemand in ſei - nem Geſchäft, außer zum König. Jeder Andre, Herr oder Dame, muß zu ihm kommen. Aber auch das iſt noch nicht hinlänglich. Man muß ſich auch 8 14 Tage vorher anmelden, und um Audienz bitten. Dann erhält man eine Karte folgenden Inhalts:

Es wird H. Cartright zum Vergnügen gereichen, N. N. den und den Tag um Uhr bei ſich zu ſehen.

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Erſcheint man nun zur beſtimmten Stunde, ſo wird man in ein elegantes Zimmer geführt, wo ein Fortepiano, Kupferſtiche, verſchiedene Bücher und ande - re Unterhaltungsmittel aufgeſtellt ſind, um ſich da - mit die Zeit zu vertreiben, eine ganz nothwendige Attention, da man gewöhnlich noch ein bis zwei Stun - den hier warten muß.

Als ich kam, fand ich das Zimmer ſchon mit der Herzogin von Montroſe und der Lady Melville mit ihren Töchtern beſetzt, die gradatim abberufen wur - den, ſo daß ſchon nach einer Stunde die Reihe an mich kam.

Iſt man einmal ſo weit, ſo kann man aber gewiß auch höchſt zufrieden ſeyn, denn Herr Cartright iſt der geſchickteſte und wiſſenſchaftlichſte Mann ſeines Metiers, den ich kenne, von aller Charlatanerie gänz - lich entfernt, was die difficilen Approchen kaum ver - muthen laſſen. Auch hat er ſeine feſten Preiſe und übertheuert gar nicht, mais c’est un grand seigneur dentiste.

Nachdem ich Abends an vier bis fünf Orten ver - gebens etwas Intereſſantes aufgeſucht hatte, fixirte ich mich endlich bei Lady C ...., durch die Bekannt - ſchaft eines Capitain P .... gefeſſelt, ein halber Deut - ſcher, der eben aus dem Morgenlande zurückkam, und eine ſehr anziehende Beſchreibung ſeiner dortigen Rei - ſen machte. Er erzählte mir unter andern Folgen - des von Lady Stanhope, einer Nichte Pitt’s, die vor zehn Jahren England verlaſſen, eine Türkin gewor - den, und ſich in Syrien etablirt hat.

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Sie wird jetzt von den Arabern wie eine Prophe - tin verehrt, und lebt mit allem Anſehen und der Pracht einer eingebornen Fürſtin, erlaubt aber Euro - päern nur ſehr ſelten den Zutritt.

Mit vieler Mühe und durch beſondere Intriguen, gelang es endlich Capt. P .... vor ſie zu kommen. Das Erſte was ſie mit ihm ſprach, war die Auffor - derung: ſein Ehrenwort zu geben, daß er nie etwas über ſie ſchreiben wolle. Sobald dieſer Eid geleiſtet war (zu dem ich Gottlob nicht verpflichtet wurde), ward ſie ſehr heiter und geſprächig, und zeigte ſich eben ſo unbefangen als geiſtreich. Sie machte kein Geheimniß daraus, daß ſie dem chriſtlichen Glauben entſagt habe, vertraute ihm aber zugleich, daß ſie den wahren Sohn Gottes erſt erwarte, dem ſie ſelbſt den Weg zu bahnen beſtimmt ſey. Hierauf zeigte ſie dem Capitain eine prachtvolle arabiſche Stute vom edelſten Blut, die einen ſo ſeltſamen Knochenauswuchs auf dem Rücken hatte, daß dadurch die ganz ähnliche Figur eines Sattels gebildet wurde. Dieſes Pferd, ſagte ſie, mit einer Miene, von der Capt. P .... be - hauptete, noch jetzt nicht zu wiſſen, ob ſie Tollheit oder die Luſt ihn zum Beſten zu haben verrathen, dieſes Pferd hat Gott ſelbſt für ſeinen Sohn ge - ſattelt, und wehe dem Menſchen, deſſen Fuß es zu be - ſteigen wagte! Unter meiner Obhut aber erwartet es ſeinen ächten Herrn.

Im Verlauf des Geſprächs verſicherte ſie ihm noch en passant, daß Adam noch immer lebe, ſie wiſſe auch410 recht gut wo er ſich aufhalte, könne ſich aber darüber nicht deutlicher erklären.

P. erwiederte, er zweifle daran nicht, der alte Adam ſey auch ihm ſehr wohl bekannt. (Ich be - merke, daß Capt. P. auf einer deutſchen Univerſität ſtudirt hat, woher er wahrſcheinlich den alten Adam kennt.)

Die Frau vom Hauſe, Lady Ch , dieſelbe, deren grenzenloſe Verehrung Napoleons ich ſchon erwähnte, hörte uns zu, und verſicherte dem Capitain, er könne ſich darauf verlaſſen, daß Lady Eſther ihn wirklich blos gefoppt habe, denn ſie kenne ſie genau, da ſie mit ihr lange ſehr intim gelebt, und nie habe es ei - nen klareren, determinirteren und zugleich ſchlaueren weiblichen Geiſt gegeben.

Auf jeden Fall hat ſie für eine ſolche Perſönlich - keit zwiſchen Abend - und Morgenland einen guten Tauſch gemacht. Sie herrſcht, iſt ſelbſt unabhän - gig wie der Vogel in der Luft, und hätte inmitten der Civiliſation ſich der Sclaverey nie entreißen können, die vielleicht immer und ewig eben die Schat - tenſeite aller Civiliſation bleiben muß.

Sir Alex. Johnſton, auch ein großer Orientaliſt, doch in anderem Sinne, hatte mich zu Tiſch geladen, und würzte das Mahl durch ſeine geiſtreiche und ge - lehrte Unterhaltung. Er hat in ſeinem Fach ſchon411 viel höchſt Wichtiges zu Tage gefördert, doch ſind wir Beide, gute Julie, zu unwiſſend in demſelben, um daß ich Dich mit weitern Details darüber langweilen ſollte. Doch Eins intereſſirt Dich vielleicht. Er er - zählte von einem Caſchemir-Shawl Typo Saybs, in Gold und allen Farben gewirkt, der 1000 £. St. werth, und zehn Ellen lang geweſen ſey, ein Gegenſtand, der allerdings eine weibliche Phantaſie in Feuer ſetzen kann.

Abends ſah ich noch ein wunderſchönes Gemälde. Eine Venus von Titian, nur mit ihren Reizen beklei - det, wollüſtig auf weiche Küſſen hingegoſſen. Ein ſüßer Traum ſchien ſie krampfhaft zu durchzucken, und mit den kleinen Händen bewahrte ſie ſich gleich der im Bade überraſchten Venus.

Ich habe in meinem Leben nichts Schöneres geſe - hen, als dieſes himmliſche Weſen, höchſt vortheilhaft von einem auflodernden Kaminfeuer beleuchtet, und das grelle Licht ſanft durch den halb herabgezogenen Vorhang gedämpft. So weiß wie Schnee erſchienen dahinter die ſchönen Glieder, auch nicht der leiſeſte Fehler war an dem üppigen, elaſtiſchen Körper zu ent - decken, den eine Fülle brauner Locken umfloß, welche die Roſenknoſpen des jungfräulichen Buſens nur wie verſtohlen durchſchimmern ließen. Die zarteſte Hand, ein allerliebſter Fuß, den kein zu enger Schuh ver - unſtaltet hatte, Lippen zum Kuſſe geſchaffen, und ein ſchmachtendes blaſſes Geſicht mit griechiſchen Zügen, das, waren auch die Augen geſchloſſen, doch durch ein ſchmerzlich ſüßes Lächeln hinreißend belebt wurde 412 ſo erſchien ſie als das erregendſte Ideal weiblicher Schönheit.

Ich war im Anſchauen verloren da, o Himmel! glaubte ich die dunkeln Augen ſich öffnen, und mich freundlich anblicken zu ſehen die Sinne vergien - gen mir, und um vier Uhr Nachmittags erwachte ich erſt.

Guten Morgen oder guten Abend alſo, comme il vous plaira.

Du biſt wohl aus meinem letzten Gemälde nicht recht klug geworden. Es iſt ein Räthſel, und bis du es erräthſt, laß uns von etwas anderm ſprechen.

Sage mir, warum erweckt alles durch die Kunſt Abgeſpiegelte allein reines Wohlgefallen, während alles Wirkliche immer wenigſtens eine mangelhafte Seite hat? Wir ſehen die Qual des Laocoon in Mar - mor mit ungeſtörtem Genuß, während die Scene in der Natur uns nur Grauſen erregen würde. Ein Fiſchmarkt in Holland vom launigen Künſtler mit täuſchender Treue wiedergegeben, ergötzt uns, und un - ſer Vergnügen vermehrt ſich, je mehr wir das Detail verfolgen am wirklichen aber gehen wir ſchleu - nig mit abgewandten Augen und Naſe vorüber. Lei - den und Freuden des Helden, den der Dichter ſchil - dert, berühren uns mit gleichem innern Wohlgefallen, während an uns und andern die wahren Leiden ſchmerzen, die wahren Freuden immer noch viel zu413 wünſchen übrig laſſen, und ſelbſt das erreichte Glück, wäre es überhaupt möglich, doch immer noch den herben Gedanken mit ſich führen müßte: Wie lange wird es dauern? Drum ſagt wohl Schiller: Ernſt iſt das Leben, heiter iſt die Kunſt. Alſo die Kunſt allein, die Gebilde der Phantaſie gewähren eigentlich das wahre Glück und darum laß uns, gute Julie, immer ein wenig frohlocken, daß auch in uns eine rege, bildende Phantaſie lebt, die uns zuweilen Genüſſe ſchenkt, welche die Wirklichkeit nicht hat.

Soll ich mir gleich ein ſolches harmloſes Feſt bereiten, und über das Meer zu Dir hinüberfliegen? Denn gar zu lange ſchon waren wir getrennt!

Ach wie ſchön finde ich Alles! Es iſt Frühling, die Veilchen duften nach dem Gewitter bezaubernd ſüß, Schwalben ſchwirren durch die Lüfte und gute kleine Bachſtelzen ſchwänzeln luſtig am See. Hinter der letzten ſchwarzen Wolke tritt eben in aller ihrer Pracht die Sonne hervor, und zeichnet mit leuchtender Schrift ſeltſame Charaktere auf die entfernten Berge. Die alten Linden um uns glänzen wie Smaragd, bunte Schmetterlinge verſuchen zum erſtenmal ihre leichten Schwingen, und gaukeln wie trunken über den Na - ſenteppich hin, Bienen ſummen emſig um tauſendfache Blüthen, und grüne Käfer glittern im Sonnenlicht. Aus dem Abend aber erhebt ſich ein prachtvoller Bo - gen, ſpannt ſich am blauen Himmel über das Schloß hin, und verſinkt jenſeits im ſchwarzen Föhrenwald. Da wird das freundliche, weiß gedeckte Tiſchchen mit hellpolirtem Silber beſetzt, herbeigebracht, und mitten414 unter die Blumen hingeſtellt. Die ſaftigen Früchte des Treibhauſes, Hyacinthfarbner Xeres in cryſtallner Flaſche und vom Eiſe mit mattem Dunſt umzogner Champagner erwarten die Gäſte. Und ſiehe! wer kömmt da gravitätiſch und langſam durch die blauro - then Fliederbüſche mit vieler Dignität herangewandelt?

Ah Du biſt es, gute Julie, rufe ich entzückt, ſtürze auf Dich zu, und .................................

Hélas, mon chancelier vous dira le reste!

So malt die Phantaſie was mich aber in der Realität leider verſtimmt, iſt, daß ich wieder recht lange ohne einen Brief von Dir bin, den ich doch nothwendig brauche, um meine Nerven wieder zu ſtär - ken. Da ſitze ich nun ganz traurig, nur mir ſelbſt gegenüber! Doch glaube deßhalb nicht, daß ich ein Doppelgänger ſey es iſt diesmal blos der Spiegel, der mein Bild zurückwirft, denn ich mache eben Toi - lette für ein paar ruſſiſche Dampfbälle wie man die hieſigen nennen ſollte.

Da ich zu dem großen Diné des Major eingeladen worden bin, ritt ich heute nach der City, um ihm vor - her einen Beſuch zu machen Dies iſt mit einem un - ruhigen Pferde eine faſt bedenkliche Sache. Auch kam ich einmal ſo ins Gedränge, daß ich nothgedrungen auf die Trottoires ausweichen mußte. Hier fand nun ſogleich der engliſche Pöbel ſein Recht verletzt, ohne415 darauf Rückſicht zu nehmen, daß die Noth nur mich dazu zwang, fieng an zu ſchimpfen, und Einige mein Pferd zu ſchlagen, ja ein ungeheurer Coloß von Kar - renſchieber proponirte mir ſogar, die geballte Fauſt emporhebend, mit mir zu boxen, worauf mich einzu - laſſen ich jedoch gar keine Luſt verſpürte, obgleich ich ſchon einige Boxſtunden genommen habe, ſondern ei - ligſt eine, ſich zu meinem Heil öffnende Lücke benutz - te, um mich davon zu machen. Das tägliche Gewühl in dieſer City, und die Theilnahmloſigkeit der finſtern, raſtlos an Einem vorüberſtreifenden Geſichter hat et - was höchſt Lügubres, und jede Diſtraktion kann dem Reitenden oder Fahrenden Gefahr bringen, ſich oder ſein Vehikel beſchädigt zu ſehen.

Als ich bei dem Aſſekuranzhauſe vorbei kam, impo - nirten mir auf den drei verſchiedenen Bureaux die rieſengroßen Inſchriften: Meer, Feuer, Leben.

Einem Wilden würde man ſchwerlich begreiflich ma - chen, wie man auch das Leben verſichern könne. Ich wollte mich ſchon erkundigen, ob ich hier vielleicht auch Deine Briefe veraſſecuriren könnte, die wahrſcheinlich im Meere liegen, weil ſie ſo lange ausbleiben. Da ihr Werth jedoch unſchätzbar iſt ſo gieng es nicht.

Ich beim Grafen Münſter zu Mittag, einem herrlichen Repräſentanten Deutſchlands auf dieſer In - ſel, der auch in ſeinem Hauſe die deutſche Sittenein - falt möglichſt beibehalten hat. Jeder kennt ihn als ausgezeichneten Staatsmann, aber auch ſeine häusli - chen Talente ſind ſehr liebenswürdig. So malt und416 componirt er ſelbſt geiſtvoll hier in England die Ver - zierungen ſeiner Stammburg am Harze, und ſeine Gemahlin führt ſeine Zeichnungen auf Glas mit un - gemeiner Kunſtfertigkeit aus; ſo daß in wenig Jah - ren die Schloßkapelle ganz mit ihren eigenen Arbeiten auf den bunten Fenſtern prangen wird. Die deutſche Hausfrau iſt dabei keine moderne, bloße ſchöngeiſtige Künſtlerin, ſondern verſteht eben ſo gut, wie eine der alten Ritterdamen, die ihr Pinſel darſtellt, vortreffli - ches Bier im eignen Hauſe zu brauen, von dem ſie mir neulich eine Probe verehrte, die ich mit der Dank - barkeit eines Gaſtes aus Walhalla austrank.

Ein großes Feſt bei Lord Hertford mit Concert, Ball, franzöſiſcher Comödie ꝛc. verſammelte Abends die ſaſhionable und auch halb faſhionable Welt*)Wie es in England viertel, halbe, breiviertel und ganze Blutpferde giebt, ſo werden auch Faſhionables ebenſo und noch ſubtiler geviertheilt., in einem prächtigen und ſehr geſchmackvoll meublirten Hauſe. Das Eigenthümliche deſſelben iſt, daß alte Zimmer in fleiſchfarbnen Stuck und Gold, mit ſchwar - zen Bronzen, ſehr großen Spiegeln, und ſeidnen Vor - hängen in Cramoiſi und weiß, eins wie das andere ausgeziert ſind, und eben durch dieſe Einfachheit gran - dioſen Effekt hervorbringen. Nur der Saal (für Lon - don von ungewöhnlichem Umfang) iſt weiß und gold, der Boden mit Scharlachtuch belegt, und Meubles und Vorhänge von derſelben Farbe. Die Geſellſchaft, c’est a dire die Foule war übrigens nicht belebter als gewöhnlich, das Ganze magnifiquement ennuyeux.

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Ein andres ſehenswerthes Haus iſt das des großen Banquier ......, vorzüglich wegen ſeiner ſchönen Gemäldeſammlung. Auch bewundert man hier den Triumph neuerer Sculptur, Thorwaldſons Jaſon, und mehrere werthvolle Antiken. Auf einem Abſatz des Hauſes ſind hängende Gärten angebracht, und obgleich die Pflanzen nur 3 Fuß Erde haben, wachſen ſie doch ſehr üppig. Ihre Beſitzerin iſt aber keine Semiramis, il s’en faut, obgleich ſie nicht mindere Schätze, und vielleicht noch etwas mehr Stolz beſitzt, sc. Geldſtolz, denn für eine andere Art Stolz fehlt wohl die Gelegenheit.

Ich konnte manchmal nicht umhin, ſie deshalb in Gedanken mit ihrer noch weit reicheren Nebenbuhlerin Madame R zu vergleichen, und mich zu verwun - dern, daß die jüdiſche Geldkönigin weit über der chriſtlichen an herzlicher Liebenswürdigkeit und äußerm Anſtande ſtehe.

Was zu der Dullneß der engliſchen Geſellſchaften viel beiträgt, iſt die hochmüthige Weiſe, nach welcher Engländer (wohl zu merken in ihrem eignen Lande, denn abroad ſind ſie zuvorkommend genug) nie einen Unbekannten anreden, und wenn man ſie auf dieſe Weiſe anſpricht, es faſt wie eine Beleidigung marki - ren. Sie machen ſich zuweilen ſelbſt darüber luſtig. ohne doch jemals anders zu handeln, wenn ſich die Gelegenheit dazu darbietet. Man erzählt: eine DameBriefe eines Verſtorbenen. III. 27418habe einen Menſchen ins Waſſer fallen ſehen, und den ſie begleitenden Dandy, einen bekannten guten Schwimmer, inſtändig gebeten, dem Unglücklichen doch zu Hülfe zu kommen. Ihr Freund ergriff, mit dem Phlegma, welches ein Haupterforderniß der heutigen Mode iſt, ſeine Lorgnette, ſchaute ernſthaft auf den Ertrinkenden, deſſen Haupt gerade zum letztenmale auftauchte, und erwiederte dann, ſich ruhig zu ſeiner Gefährtin wendend: It’s impossible Mad’m, I was ne - ver introduced to this gentleman.

Einen Mann von ganz verſchiedenen Sitten lernte ich heut Abend kennen, den perſiſchen Chargé d’affai - res, ein Aſiate von ſehr gefälligen Manieren, und deſſen prächtige Kleidung und ſchwarzer Bart nur durch die perſiſche ſpitze Mütze aus Schaaffellen in meinen Augen entſtellt wurde.

Er ſpricht ſchon ganz gut engliſch, und machte recht ſeine Bemerkungen über Europa. Unter andern ſagte er, daß wir zwar in ſehr vielen Dingen weiter wären als ſie, dagegen ſtünden bei ihnen alle Anſichten fe - ſter, und jeder begnüge ſich daher mit ſeinem Schick - ſal, während er hier eine beſtändige Gährung, eine ewige Unzufriedenheit der Maſſen wie der Einzelnen bemerke, ja er müſſe geſtehen, er ſelbſt fühle ſich ſchon davon angeſteckt, und werde rechte Mühe haben, in Perſien wieder ins alte glückliche Gleis hinein zu kommen, wo einer, dem es nicht gut gehe, ſich ſchon damit tröſte, daß er ausrufe: Weſſen Hund bin ich denn, um glücklich ſeyn zu wollen!

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Das giebt in der That den Verfolgern des Ideals, zu welcher geheimen Geſellſchaft ich leider auch ge - höre, viel zu bedenken!

Ein Ball bei Mrs. Hope war außerordentlich präch - tig, mais c’est toujours la même chose. In der Geſellſchaft, welche ich vorher beſuchte, ward ich dem Herzog von Glouceſter vorgeſtellt, was ich blos der - wegen erwähne, um zu bemerken, daß die hieſigen königlichen Prinzen eine artigere Etikette beobachten, als an vielen Höfen auf dem Continent; denn der Prinz, welcher Whiſt ſpielte, ſtand von der Partie auf, und ſetzte ſich erſt nach der kurzen Unterhaltung mit mir wieder nieder.

Doch erlaube mir noch einen Augenblick, zum An - fang des Täges zurückzukehren.

Die Gärten der Umgegend ſtehen nun ſchon in vol - ler Blüthe, das Wetter iſt ſchön, und mein heutiger Morgenritt führte mich daher wohl bis 20 Meilen weit von der Stadt. Die Mannigfaltigkeit und der Reichthum dieſer Promenaden ſind, ſelbſt in den Vorſtädten ſchon, den Umgebungen andrer Haupt - ſtädte ſehr überlegen, welche wohl hie und da ſchöne Natur, aber nie dieſe reizende Miſchung von Natur und höchſter Kultur, wenigſtens nicht in dem Maaße darbieten.

Ich wäre gern immer weiter und weiter geritten, und drehte nur endlich nothgedrungen mit ſchwerem Herzen wieder um. Die Wieſen um mich her waren ſo üppig, daß ſie nur in der Ferne grün erſchienen, in der Nähe aber blau, gelb, roth und lilla ſchiller -420 ten wie ein Teppich aus Turnay. Bis an den Bauch wadeten die Kühe in den bunten Blumen, und ruh - ten im Schatten coloſſaler Laubgewölbe, die keinem Sonnenſtrahl den Durchgang verſtatteten. Es war herrlich, und unſers lieben Gottes Hausmannskoſt hier reicher ausgeſchmückt als es aller Luxus der Kunſt nicht zu erreichen vermag. Nach einer Stunde ge - langte ich auf einen Hügel, wo eine anſehnliche Kir - chenruine in der Mitte eines kleinen Gärtchens ſtand. Die Sonne warf hinter einer deckenden Wolke Strah - len über den ganzen Himmel, gleich einem ungeheu - ren Fächer, deſſen Knopf gerade auf der Weltſtadt ruhte, dem unermeßlichen Babel, das ſich mit ſeinen tauſend Thürmen und hunderttauſend Sünden, ſei - nen Nebeln und Rauch, ſeinen Schätzen und Elend, unabſehbar vor mir ausbreitete. Es half nichts! ich mußte hinein, aus dem Frühling der keimenden Knos - pen, aus den grünen Auen, wieder hinein in den Macadamiſirten Sumpf, in das ewige todte Einerlei zu Diné und Rout!

Nimm Abſchied von mir der nächſte Brief erſt ſchildert weiter, was aus Daniel in der Löwengrube geworden.

Dein treuer Freund L.

Ende des dritten Theiles.

About this transcription

TextBriefe eines Verstorbenen
Author Hermann von Pückler-Muskau
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Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationBriefe eines Verstorbenen Ein fragmentarisches Tagebuch aus Deutschland, Holland und England, geschrieben in den Jahren 1826, 1827 und 1828 Dritter Theil Hermann von Pückler-Muskau. . XXX, 420 S. HallbergerStuttgart1831.

Identification

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz SBB-PK, Pv 5935-3<a>http://stabikat.de/DB=1/SET=12/TTL=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=749384646

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Prosa; Belletristik; Briefe; core; ready; china

Editorial statement

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  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
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ShelfmarkSBB-PK, Pv 5935-3<a>
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