PRIMS Full-text transcription (HTML)
Die Pflanze und ihr Leben.
Populäre Vorträge
Mit 5 farbigen Tafeln und 13 Holzſchnitten.
Leipzig,Verlag von Wilhelm Engelmann.1848.

M. I. Schleiden ſec. Luh. Anst. v. J.G. Bach in Leibzig

Die Pflanze und ihr Leben.
Populäre Vorträge
Mit 5 farbigen Tafeln und 13 Holzſchnitten.
Leipzig,Verlag von Wilhelm Engelmann.1848.

Der Frau Erbgroßherzogin zu Sachſen-Weimar-Eiſenach, Wilhelmine Marie Sophie Louise gebornen Prinzeſſin der Niederlande, Königliche Hoheit, in dankbarer Ergebenheit und ehrfurchtsvoller Unterthänigkeit zugeeignet vom Verfaſſer.

Inhalt.

  • Seite
  • Vorwort und Einleitung1
  • Erſte Vorleſung. Das Auge und das Microſcop11
  • Zweite Vorleſung. Ueber den innern Bau der Pflanzen35
  • Dritte Vorleſung. Ueber die Fortpflanzung der Gewächſe55
  • Vierte Vorleſung. Die Morphologie der Pflanzen75
  • Fünfte Vorleſung. Vom Wetter101
  • Sechſte Vorleſung. Wovon lebt der Menſch? (Erſte Beantwortung) 123
  • Siebente Vorleſung. Wovon lebt der Menſch? (Zweite Beantwortung) 145
  • Achte Vorleſung. Ueber den Milchſaft der Pflanzen171
  • Neunte Vorleſung. Beiträge zur Kenntniß der Cactuspflanzen193
  • Zehnte Vorleſung. Die Pflanzengeographie209
  • Elfte Vorleſung. Geſchichte der Pflanzenwelt249
  • Zwölfte Vorleſung. Die Aeſthetik der Pflanzenwelt285
[1]

Vorwort und Einleitung.

Die folgenden Vorleſungen ſind im Verlauf der letzten 8 Jahre nach und nach entſtanden, wie die Veranlaſſung dazu von einem Kreiſe geiſtreicher und gebildeter aber vom Schulſtaube freier Menſchen gegeben wurde, und ſie waren durchaus nicht zur Veröffentlichung beſtimmt. In dieſem letzten Puncte habe ich freundſchaftlichem An - ſinnen nachgegeben und ſehe mich nun genöthigt noch einige Worte hinzuzufügen, um unrichtigem Urtheil und Mißverſtändniß vor - zubeugen.

Die Vorleſungen ſind der Veranlaſſung zu ihrer Abfaſſung ge - mäß durchaus nicht beſtimmt, den poſitiven Inhalt der Wiſſenſchaft zu lehren, neues Eigenthümliches zu bringen, oder Probleme der Forſchung zu löſen. Es kann ſogar ſeyn, daß hie und da eine einzelne Nebenſache factiſch nicht ganz richtig iſt, obwohl ich mir Mühe gab dergleichen zu vermeiden, und dabei kann dieſer Mangel den Zwecken, die ich bei der Ausarbeitung dieſer kleinen Abhandlungen mir vorſetzte, durchaus nicht in den Weg treten. Mein Hauptwunſch war eigentlich die Befriedigung einer Standeseitelkeit. Ein großer Theil der Laien ſelbſt unter den Gebildeten, iſt noch von früher daran gewöhnt, den Botaniker für einen Krämer in barbariſch-lateiniſchen Namen an - zuſehen, für einen Mann, der Blumen pflückt, ſie benennt, trocknet und in Papier wickelt, und deſſen ganze Weisheit in Beſtimmung und Claſſification dieſes künſtlich geſammelten Heus aufgeht. Leider iſt dieſes Bild des Botanikers einmal wahr geweſen, aber es ſchmerzte mich zu ſehen, daß es jetzt, wo es auf den größten Theil der Pflan - zenforſcher nicht mehr paßt, noch von gar vielen feſtgehalten wird undSchleiden, Pflanze. 12ich verſuchte in den vorliegenden Vorträgen die wichtigeren Probleme der eigentlichen Wiſſenſchaft der Botanik dem allgemeinen Verſtänd - niß nahe zu legen, zu zeigen wie die Botanik faſt mit allen tiefſten Disciplinen der Philoſophie und Naturlehre aufs Engſte zuſammen - hängt und wie faſt jede Thatſache oder größere Gruppe von That - ſachen geeignet iſt, ſo gut in der Botanik wie in jedem andern Zweige der menſchlichen Thätigkeit die ernſteſten und wichtigſten Fragen anzu - regen und den Menſchen vom Sinnlichgegebenen auf das geahnte Ueberſinnliche hinzuführen.

Wenn es mir gelungen iſt, das zu erreichen, daß fernerhin der Leſer dieſer Skitzen von der Botanik und dem Botaniker eine würdigere Anſicht faſſe, daß er einen richtigern Begriff von dem Umfang und den Aufgaben unſerer Wiſſenſchaft ſich bilde, ſo bin ich zufrieden. Sollte in weiterem Kreiſe durch dieſe Studien ein Intereſſe für die Botanik ſelbſt angeregt werden, ſollte der eine oder andere Leſer durch meine Worte zu dem Wunſche verleitet werden, weiter in dieſe ſo freundlichen und ſo tiefen Lehren eindringen zu wollen, ſo ſind meine Wünſche übertroffen.

Noch ein paar Worte über die Art der Behandlung mögen hier Platz finden. Ich habe mich meiner Ueberzeugung getreu von allem Schellingiſch-naturphiloſophiſchem Geſchwätz, von allen Phantaſtereien frei gehalten und ich bin der feſten Ueberzeugung, daß die Wiſſen - ſchaft dieſes Narrenputzes nicht bedarf um intereſſant, geiſtreich auch dem Laien zu erſcheinen. Humboldt in ſeinen Anſichten der Natur, Dove in ſeiner meiſterhaften Vorleſung über das Klima von Berlin haben uns den Beweiß gegeben, daß die Wiſſenſchaft auch ohne die Schminke jener bewußten oder unbewußten Lüge, welche Dichtung dem Gedanken, Phantaſie dem Wiſſen, Traum der Wahrheit unter - ſchieben möchte, anziehend, ja ſelbſt liebenswürdig und hinreißend erſcheinen kann. Ich habe mich wenigſtens bemüht den vorliegenden Abhandlungen ſoweit Schmuck zu verleihen, als meine mangelhafte äſthetiſche Ausbildung mir auszutheilen verſtattet. Daß es mir dabei nicht einfällt mit jenen Meiſtern der Sprache in die Schranken treten3 zu wollen, bedarf keiner Erinnerung. Ich glaube aber, wenn die Män - ner der Wiſſenſchaft mehr den Verſuch machten, die Wahrheit in ſchönem Gewande in die Geſellſchaft einzuführen, dieſes jenem unerträglichen, geheimnißvoll und tiefthuenden Geſchwätz ohne Kern ſicherer den Weg abſchneiden würde, als alle gründliche Polemik dagegen. Der Deutſche hat ein zu geſundes Urtheil, einen zu gediegenen Geſchmack, um nicht ohne viel Bedenken das Aechte und Gehaltvolle dem leeren Stroh vorzuziehen, wenn nur beides in gleich genießbarer Form ſich darſtellt.

Den Inhalt der einzelnen Vorleſungen anlangend, ſo iſt zwar, wie es die Veranlaſſung mit ſich brachte, jede für ſich abgeſchloſſen und von den Andern unabhängig, gleichwohl läuft durch alle eine Art von Faden durch, der ſie innerlich zuſammenhält. Es ſey mir ver - gönnt, dieſen hier noch etwas auffälliger zu machen, indem ich ihn im Einzelnen aufweiſe.

Die ganze Pflanzenwelt, wenn man nur in ihr etwas Anderes ſehen will als Material fürs Herbarium, bietet ſo mannigfaltige Be - rührungspuncte dem Menſchen dar, daß derjenige, welcher ſich dem Studium derſelben hingiebt, bei weitem eher von den ſich andrängen - den intereſſanten Fragen und Aufgaben erdrückt wird, als über Mangel an Stoff zu klagen hätte. Man kann füglich die ſämmtlichen Betrach - tungen unter vier Geſichtspuncte ordnen: erſtens, wie verhält ſich die Pflanze für ſich als Aufgabe wiſſenſchaftlicher Forſchung, zweitens, in welchen Beziehungen ſtehen die einzelnen Pflanzen zu einander, drittens, in welchem Verhältniß ſtehen die Pflanzen als Organismen zum Organismus der ganzen Erde und viertens, wie verhält ſich der Menſch zur Pflanzenwelt. Da aber in jedem Zeitmoment die Pflanze jede dieſer vier Beziehungen erfüllt, ſo iſt es unendlich ſchwer, wo nicht unmöglich, jene Geſichtspuncte rein und unvermiſcht feſtzuhalten und wenn wir an eins jener Verhältniſſe herantreten und es einer ge - nauern Erforſchung unterwerfen wollen, ſo werden wir immer unwill - kührlich gezwungen ſeyn, bald mehr bald weniger auch die andern zu berückſichtigen und in den Kreis unſerer Unterſuchung zu ziehen. Leitet man nun aus jenen Aufgaben etwa nach ihrer Reihefolge folgende1*4Disciplinen ab: theoretiſche oder reine Botanik, Syſtematik der Pflan - zen, Pflanzengeographie und angewandte Botanik, ſo läßt ſich doch keine derſelben nach ihrem Hauptgeſichtspunct allein behandeln, wenn ſie überhaupt auf Wiſſenſchaftlichkeit und Gründlichkeit Anſpruch machen ſoll; noch weniger aber iſt es möglich die ſtrenge Durchfüh - rung jener vier Theile da feſtzuhalten, wo es nicht auf trockene Wiſſen - ſchaftlichkeit, ſondern auf lebendigere Anſchaulichmachung der wich - tigern Puncte ankommt. Die folgenden Abhandlungen können ſich daher nur ſehr ungefähr der Eintheilung in jene vier Hauptverhält - niſſe anbequemen und eine freiere Behandlung wird durch den Reich - thum des Stoffes geboten, der uns ſtets verführt, vom Wege abzu - weichen, um hier und da eine farbig leuchtende oder ſüß duftende Blume zu pflücken oder die Geſellſchaft, die uns auf unſerer Wan - derung durch das Gebiet der Wiſſenſchaft begleitet, beſtimmt uns häufig, die gerade aber ſtaubige und ermüdende Landſtraße zu ver - laſſen, um hier einen ſich durch Wieſen ſchlängelnden Pfad, dort einen ſchattigen Waldſteig zu verfolgen. Wir wollen ſehen, wie wir geführt werden.

Die Pflanze iſt nicht wie ein Kryſtall oder wie eine reine Flüſ - ſigkeit ein durch und durch gleichartiger Körper, bei dem die Kenntniß Eines Stoffes, aus dem er beſteht, und der ihn begrenzenden Form zu ſeiner Ergründung genügte, ſie iſt vielmehr aus vielen kleinen, ſelbſt ſehr künſtlich gebauten und mannigfache Stoffe enthaltenden Zellen zuſammengeſetzt, und eine möglichſt ergründende Unterſuchung dieſes inneren Baues muß allen übrigen Betrachtungen vorangehen. (II. ) Aber die kleinen Körperchen, die ich ſo eben als Zellen bezeich - nete, ſind größtentheils ſo klein, daß das unbewaffnete Auge zu ihrer Erforſchung bei weitem nicht hinreicht. Das Microſcop iſt das noth - wendige Inſtrument, ohne welches der Botaniker keinen geſicherten Schritt in der Wiſſenſchaft vorwärts thun kann. Es giebt nun freilich Viele, welche in dem Irrthum befangen ſind, es bedürfe zu microſcopi - ſchen Unterſuchungen nur eines Auges und eines Inſtrumentes und alles ſey abgethan. Aber nicht allein, daß der Gebrauch des Microſcopes5 eine ſchwere erſt zu erlernende Kunſt iſt, ſelbſt das wiſſenſchaftliche Sehen mit unbewaffnetem Auge hat ſeine Schwierigkeiten, die von Manchem verkannt werden und es iſt daher vor allem nöthig, wenig - ſtens die Geſichtspuncte aufzuweiſen, aus denen der Gebrauch des Auges und des Microſcops zu beurtheilen iſt. (I.)

Gehen wir nun einen Schritt weiter, ſo wirft ſich uns als nächſte Frage auf, was hält denn jene vielen kleinen Organismen, die Zellen in der Pflanze, zu einem Individuum zuſammen und wir werden an die Betrachtung der Geſtalten gewieſen, zu denen ſich die Zellen aufbauen. Die Morphologie oder Geſtaltlehre (IV. ) macht ihre eignen Anſprüche an unſere Erkenntnißthätigkeit. Aber hier finden wir, daß wir es ſelten mit einfachen Pflanzen zu thun haben, daß vielmehr die meiſten Gewächſe, ähnlich einem Polypenſtock, einer Corallencolo - nie, aus zahlreich mit einander verwachſenen und lebendig verbun - denen Individuen beſtehen, welche Producte der Fortpflanzungsthä - tigkeit der Pflanze ſind und ehe wir an die Morphologie hinantreten, erſcheint es uns zweckmäßig erſt die Fortpflanzung der Gewächſe et - was weiter zu verfolgen. (III.)

So haben wir die Pflanze in ihrem innern, ihrem äußern Bau erkannt, wir haben geſehen, wie ſich eine nie ermüdende Kraft der Bildung gefällt, immer aufs neue in unerſchöpflichem Reichthum Pflanzen hervorzurufen und zu ſorgen, daß der reiche bunte Teppich, in welchen die Natur die arme nackte Erde gehüllt, keine kahlen Stel - len bekomme. Die Pflanze bedarf aber zur Bildung ihrer Geſtalt und Organe, zur Hervorrufung und Zeugung zahlreicher Abkömmlinge des Stoffes. Sie ſoll entſtehen, ſich erhalten, ſich vermehren und dadurch werden wir auf die Ernährung der Pflanzen hingewieſen. Hier iſt es beſonders, wo wir ſchon nicht mehr umhin können, die Pflanze im Verhältniß zu ihrer Trägerin der Erde und zu ihrem Vernichter dem Menſchen zu betrachten. Die ganze Thierwelt und vor allen der Menſch macht ſeine Anſprüche an die Pflanzenwelt geltend, ſie ſoll Nahrungsſtoffe liefern für zahlloſe Bedürftige; indem ſie ſich ernährt und wächſt verlangt ihre Beſtimmung im Erdenleben, daß der Stoff,6 den ſie zu ihrer Bildung verwendet, zugleich ein Nähr - oder Nutzſtoff für andere Organismen an der Erde ſey. Von zwei Seiten aber können wir dieſe Ernährung der Pflanzen betrachten, denn, um es kurz anzudeuten, wenn wir eine Pflanze verbrennen, ſo wird nur ein Theil derſelben durchs Feuer vernichtet und wir nennen dieſen ver - brennlichen Theil den organiſchen Stoff der Pflanze, er vor Allem nimmt unſer Intereſſe in Anſpruch (VI. ), weil er die Hauptnahrungs - ſtoffe für die Thierwelt umfaßt. Jedoch bleibt ſtets ein größerer oder geringerer Theil der Pflanze unverbrannt als Aſche zurück und auch dieſer, den wir als unorganiſchen Stoff bezeichnen, fordert uns zum Nachdenken auf, (VII. ) um ſo mehr, da wir bald finden, daß dieſe Aſche, ſo unwahrſcheinlich es auch anfänglich uns vorkommen mag, doch ſelbſt bei der Ernährung der Thiere und des Menſchen eine nicht unweſentliche Rolle ſpielt. Wir werden in beiden Betrachtungen daran erinnert, daß der Menſch, wo ihn die fortgeſchrittene Civiliſa - tion enger auf kleine Areale zuſammengedrängt hat, ſich nicht mehr damit begnügt und begnügen kann, was die Mutter Erde freiwillig hervorbringt und ihm als Nahrung anbietet, daß vielmehr der Acker - bau ihm die Mittel verſchaffen ſoll, die geſteigerten Bedürfniſſe zu befriedigen. Doch der Menſch pflügt nur das Feld und ſtreut den Saamen aus, Gedeihen und Segen aber erwartet er gläubig von Oben. Bei weitem mehr, als man gewöhnlich glaubt, hängt die ganze Vegetation aufs Engſte mit den Erſcheinungen zuſammen, welche in Sonnenſchein und Kälte, in Dürre oder Regen, in Sturm oder dem linden Hauche des Südweſtes, das zuſammenſetzen, was wir Wetter und Klima nennen. Wir ſtellen daher den Unterſuchungen über die Ernährung der Pflanzen billig eine Betrachtung des Wetters voran. (V.)

Wenn auch die wichtigſte Grundlage für das Beſtehen der Thier - welt von der Erde darin gegeben iſt, daß die Pflanze den Nah - rungsſtoff bereitet, ſo iſt doch zumal der Menſch durch ſeinen Kunſt - fleiß berechtigt und befähigt eine ungleich umfaſſendere Anwendung von der Pflanze und den in ihr enthaltenen Stoffen zu machen. So7 eröffnet ſich uns ein neues Gebiet aber faſt ein unbegrenztes. Soll ich die Gewerbe ſämmtlich aufzählen, die ihr zu verarbeitendes Material dem Pflanzenreich entnehmen? Jeder mag nur in ſeinem Zimmer, in ſeinem Haushalt um ſich blicken, um alsbald zu gewahren, wie zahlreicher Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des Lebens er entbehren müßte, wenn die Pflanzenwelt aufhörte ihm ihren Tribut zu entrichten. Sollen wir noch dazu die vielen Fächer und Büchſen der Officinen öffnen und ſehen, welch 'einen großen Schatz von Mitteln auch hier die irdiſche Vegetation beiſteuert? Ein vollſtändiger Ueberblick gäbe nur ein trocknes Namenregiſter, eine ausführliche Betrachtung aller ein bändereiches Werk für ſich. Wir laſſen uns daher hier an einem Beiſpiele genügen, indem wir den Milchſaft der Pflanzen einmal näher in's Auge faſſen. (VIII.)

Nicht an eine, nicht an wenige unter ſich verwandte Pflanzen iſt die Bildung des Milchſaftes geknüpft, ſondern wir finden wenigſtens drei größere Gruppen, welche vorzugsweiſe uns mit dieſem intereſ - ſanten Stoffe verſorgen. Die Zahl der einzelnen Arten von Pflanzen iſt nämlich ſo groß, (vielleicht nach Schätzung einiger Gelehrten 200,000) daß man zur Ueberblickung dieſer Maſſe wiſſenſchaftliche Hülfsmittel, nämlich ſyſtematiſche Anordnung der einzelnen Gattun - gen nöthig hat. Zum Glück kommt uns die Natur auf halbem Wege entgegen. In der ganzen äußeren Erſcheinungsweiſe, in der Zahl, der Anordnung und dem Bau der einzelnen Theile, in den Ge - ſetzen, nach denen die Entwicklung vor ſich geht, zeigen nämlich größere Gruppen von Pflanzenarten eine große Uebereinſtimmung in ſich und unterſcheiden ſich eben dadurch von anderen Gruppen. Wer kann aufmerkſam zur Zeit der Blüthe eine Mohrrübenpflanze, den Schier - ling, die Peterſilie, den Kerbel, Anis, Till und andere anſchauen, ohne von der merkwürdigen Uebereinſtimmung im ganzen Bau dieſer Pflanzen überraſcht zu werden; wem würde nicht auf ähnliche Weiſe die innere Beziehung klar, welche zwiſchen den Kohlarten, dem Senf, dem Meerrettig, dem Radies, der Rübe und dergleichen Pflanzen mehr ſtattfindet? Wem ſollte bei genauerer Unterſuchung entgehen, daß8 eine große Menge von Pflanzen, die ſich durch ein kräftiges Aroma auszeichnen, die Meliſſe, Münze, der Salbei, Thymian, Majoran, Lavendel u. ſ. w., auch eine wunderbare Uebereinſtimmung in ihrem ganzen Bau erkennen laſſen. So deutet uns die Natur ſelbſt den Weg an, den wir zu gehen haben; dieſe Spur verfolgend haben die Botaniker nach und nach eine große Anzahl ſolcher Pflanzengruppen erkannt und characteriſirt, die von ihnen Familien genannt werden. Daß auch hier wie im vorigen Fall eine Vollſtändigkeit nicht dieſes Orts iſt, bedarf wohl keiner Erwähnung, aber beiſpielsweiſe eine Familie vorzuführen und genauer zu characteriſiren, haben wir uns nicht verſagen mögen. (IX. ) Bei der gewählten Gruppe, der der Cactuspflanzen, muß unter manchem Andern die merkwürdige Ver - theilung derſelben auf einem verhältnißmäßig kleinen Stück der Erd - oberfläche unſere Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen und dies führt uns ſehr natürlich zu der Frage, wie denn überhaupt ſich die einzelnen Pflan - zenarten, in größeren und kleineren Gruppen auf der Erde ausbreiten, ob dieſe Vertheilung vom Zufall abhängig oder an Geſetze gebunden ſey und an welche? Wohlan! folgen wir Humboldts Tritten und einem ſolchen Führer uns überlaſſend, treten wir in ein neues, weit ausge - dehntes, uns von ihm zuerſt entdecktes Gebiet, in die Pflanzengeo - graphie ein. (X.) Eine Wiſſenſchaft eigner Art, noch jung und mit allen Fehlern der Jugend behaftet, überſprudelnd in Lebensfülle, eines ſchönen und kräftigen Mannesalters gewiß, aber noch ungeordnet und unklar, viel noch Unverſtandenes ſammelnd für reifere Jahre und jetzt noch mehr träumend als denkend. Ein kurzer Schattenriß dieſer anziehenden Erſcheinung kann nicht ohne Intereſſe bleiben. Noch eine jüngere Schweſter aber führt jener Jüngling an der Hand, zwar noch im zarten Kindesalter aber doch eine hoffnungsvolle Knoſpe. Laßt uns freundlich ihren kindlichen Plaudereien, den ahnungsvollen Anklängen zukünftiger harmoniſcher Schönheit lauſchen, wenn ſie uns auch nicht ſehr belehrt, ſo wird ſie uns doch ein Stündchen angenehm vertän - deln helfen. Warum ſollten wir denn ihr, der Pflanzengeſchichte nicht ein kleines Plätzchen gönnen. (XI. )

9

Und dürfen wir uns hier überhaupt den Kindern entziehen? Sind denn die Kinder nicht Blumen, die Blumen nicht Kinder, eine bewußtloſe Entwicklung, ein friedliches, freundliches, aber noch träu - meriſches Daſeyn wie nah muß dieſer Vergleich liegen, der ſo oft ſchon von Dichtern ausgeſprochen iſt:

Holde Blumen ſchauen uns
Mit ihren Kinderaugen freundlich an.

Es beruht auf der ähnlichen Stimmung, welche durch das An - ſchauen von Kindern und Blumen in unſerer Seele hervorgerufen wird. Nun aber wird jeder gewiß ſogleich zugeben, daß dieſe Aehnlichkeit ſich nur auf gewiſſe Blumen einſchränkt. Niemand wird daſſelbe von der weißen Lilie, von der krötenfarbenen Stapelie, von der zauber - haften Königin der Nacht behaupten. Noch weniger gilt Aehn - liches vom ganzen Pflanzenreich. Auf den ſinnigen Menſchen macht vielmehr dieſes einen äußerſt verſchiedenen Eindruck nach ſeinen man - nigfachen Erſcheinungsweiſen, aber immer einen ſo unabweislichen, daß kaum der roheſte Menſch ſich überall demſelben entziehen kann. Wie die ganze Natur, ſo iſt auch die Pflanzenwelt uns eine Hiero - glyphe des Ewigen; in den irdiſchen Geſtaltungen ſuchen und finden wir Deutungen auf ein überirdiſches Daſeyn. Wohl ließe ſich dafür eine eigne Disciplin denken, die Aeſthetik der Pflanzen (XII. ), in welcher dieſe nach ihrem Verhältniß zum menſchlichen Geiſte betrachtet werden. Aber leider beſitzen wir dieſe Lehre noch gar nicht, einige Andeutungen und Bruchſtücke müſſen ihre Stelle vertreten.

Dies mag genügen, um das Band aufzuweiſen, welches den In - halt der einzelnen Vorleſungen zu einem gewiſſen Ganzen verknüpft; es wird aber noch einiges über das Gewand nachzutragen nöthig ſeyn, in welchem dieſe Vorleſungen vor dem Publicum erſcheinen. Kleider machen Leute , ſagt man, weshalb ſollten Kleider denn nicht auch Vorleſungen machen können. Dies iſt in der That nur zum Theil Scherz, in gewiſſer Weiſe aber bitterer Ernſt. Die Auf - ſätze, welche hier vorliegend, wurden nicht für das leſende, abweſende Publicum, ſondern für das hörende und ſehende, gegenwärtige auf -10 geſchrieben. Dem Gegenwärtigen konnte alles durch augenblickliche Vorführung in der Natur, durch Demonſtration unterm Microſcop und durch Vorlegung zahlreicherer Abbildungen lebendig und anzie - hend gemacht werden. Dieſe Einkleidung gerade mag den Vorträgen in den Augen wohlwollender Freunde ein Intereſſe gegeben haben, welches ſie hinriß, mich zur Herausgabe dieſer Aufſätze anzuregen. Dieſer Reiz, den eine ſolche Unterhaltung hat, in welcher man alle Thatſachen ſelbſt ſieht, und indem man gleichzeitig dem Vortrag folgt, die Sätze der Wiſſenſchaft ſelbſt aus den Beobachtungen abgeleitet zu haben meint, dieſer Reiz fällt bei der Leſung eines ſolchen Vortrags nothwendig weg, mit der Einkleidung geht auch der Werth der Sache ſelbſt ganz oder theilweiſe verloren, und der Verfaſſer muß fürchten, beſonders da, wo es auf Formenverhältniſſe ankommt, bei denen die beſte Beſchreibung die Anſchauung nie erſetzen kann, den Leſer zu langweilen, wo er das Intereſſe des Hörenden und Schauenden leicht lebendig zu halten wußte.

Dieſem Mangel abzuhelfen, war es nöthig durch bildliche Darſtel - lungen dem Leſer wenigſtens einigermaaßen zu Hülfe zu kommen. Da aber kein koſtbares Kupferwerk, welches den vorgeſetzten Zweck nothwen - dig verfehlt hätte, beabſichtigt war, ſo mußte ich mich mehr darauf beſchränken, durch Skitzen der Phantaſie des Leſers zu Hülfe zu kommen und ſeine geiſtige Anſchauungskraft anzuregen. So entſtanden die zur Erläuterung dieſer Vorleſungen beſtimmten Bilder, über welche ich nur wenige Worte zu ſagen habe. Sie beziehen ſich jedesmal auf den Inhalt derjenigen Vorleſung, welcher ſie beigegeben ſind und[finden] zum größten Theil in derſelben ihre ausführliche Erläuterung. Die Titelvignetten ſind auf der Rückſeite des Titels ſelbſt durch einige Anmerkungen er - klärt, bei einigen iſt Erläuterung überflüſſig. So möge denn das Ge - wand bunt genug ſeyn, um manche Fehler und Schwächen der Sache ſelbſt zu verdecken oder doch minder fühlbar zu machen, kurz möchten dieſe in der That anſpruchsloſen Betrachtungen, nachſichtige und freundliche Leſer finden.

[11]

Erste Vorlesung. Das Auge und das Microſcop.

[figure]
Oculus ad vitam nihil facit, ad vitam beatam nihil magis. (Seneca. )
Kein Organ iſt ſo unwichtig für das Leben als das Auge, Keins ſo wichtig für die Schönheit des Lebens.
[12]

Die Vignette giebt einen idealen Durchſchnitt durch die kleine Camera ob - ſcura, welche wir Augapfel nennen. Der Pfeil und die punctirten Linien dienen dazu um zu verſinnlichen auf welche Weiſe das Bild auf der Netzhaut (der auffangenden Fläche des Apparats) hervorgebracht wird.

[13]

Der als Motto dieſem Vortrag vorangeſchickte Ausſpruch eines älteren Weiſen mag vielleicht nicht ganz unbeſtritten daſtehen; wenig - ſtens zeigt uns eine ziemlich allgemeine Erfahrung, daß alle voll - kommen Tauben mißmuthig, trübe, hypochondriſch, alle Blinde dagegen heiter und fröhlich ſind; das Auge führt uns nur in die Körperwelt ein, das Ohr aber in unſere eigentliche Heimath, in die Gemeinſchaft geiſtiger Weſen. Nichts deſto weniger läßt ſich nicht leugnen, daß unter allen Sinnen keiner iſt, dem wir theils wirklich ſo viel Elemente unſerer Kenntniß der uns umgebenden Welt verdanken, theils ſo viel von dem, was wir wiſſen, wenn auch mit Unrecht, zuſchreiben, als der Sinn des Geſichts. Insbeſondere aber iſt er es, der unſer ganzes Wiſſen um die Körperwelt zuerſt einleitet und fortwährend erweitert und ſo mag man ihn wohl recht eigentlich den Sinn des Naturforſchers nennen. Ohne ihn wäre die Naturwiſſenſchaft kaum denkbar und ſo verdient er ſicher vor allen andern eine genauere Erwägung, die um ſo fruchtbarer iſt, da das meiſte, was wir bei Betrachtung deſſelben als allgemein Geſetzliches finden nicht nur auf ihn, ſondern mit Berückſichtigung der eigen - thümlichen Unterſchiede unter den einzelnen Sinnen auf die Sinne überhaupt ſeine Anwendung findet.

Durchlaufen wir die Geſchichte der allmäligen Entwicklung unſe - rer Naturwiſſenſchaften, ſo tritt uns eine Erſcheinung entgegen, welche von dem größten Einfluß geweſen iſt, faſt immer hemmend, verwirrend und den Blick auf die einfache und reine Geſetzlichkeit trübend, ſich in die Forſchungen eingemiſcht hat. Der Menſch, wenn er über ſich ſelbſt nachdenkt, fühlt ſich alsbald als Bürger14 zweier Welten. Sein ganzes Weſen wird nicht von der Körperwelt allein umfaßt, ſondern eine Welt freier, geiſtiger Weſen, in der er Unſterblichkeit fordert, über welcher er einen Gott als gütigen Lenker ſich denkt, fordert ihren Antheil an ſeinem Daſeyn. Auf ge - heimnißvolle, uns als Menſchen ewig unenträthſelbare Weiſe iſt in unſerer Natur Seele und Leib, Geiſtiges und Körperliches ver - ſchmolzen. Wo iſt die Grenze des Einen, wo der Anfang des Andern? Die meiſten Menſchen und ſelbſt oft die größten Forſcher antworten uns, wir wiſſen es nicht; es giebt keine Grenze, Beides geht in einander über und durchdringt ſich in jeder Weiſe. Hier liegt der Irrweg, dem forſchenden Menſchen ſo nahe gerückt, daß er ihn nur unendlich ſchwer vermeiden kann, daß derſelbe oft die Scharfſinnigſten verführt und dennoch ein Irrweg, denn Geiſt und Körper ſind für uns ſo ſtrenge, ſo unvermeidlich getrennt, daß keine Brücke von einem zum Andern überführt. Es iſt hier nicht am Ort, dieſes Verhältniß in allen ſeinen Beziehungen zu entwickeln und in ſeinem ganzen Umfange gründlich zu erörtern, aber die genauere Unterſuchung deſſen, was wir Sehen nennen, wird uns Gelegen - heit geben, wenigſtens an einem Beiſpiel den großen Sprung vom Körperlichen zum Geiſtigen aufzuweiſen und anzudeuten, wie die Nichtanerkennung dieſer Trennung auch bei'm Auge, oft die größten Forſcher verwirrt hat.

Was iſt die Welt, in welcher das Auge heimiſch iſt, was iſt das Gebiet des Sehens? Die Welt des Lichtes und der Farben. Das Licht

Von Körpern ſtrömt's, die Körper macht es ſchön,
Ein Körper hemmt's auf ſeinem Gange,
Und ſomit hoff 'ich dauert es nicht lange,
Und mit den Körpern wird's zu Grunde gehn.

In wenig kräftigen Zügen giebt hier Mephiſtopheles die ganze Lehre vom Licht. Das Licht, wenn wir es ganz für ſich betrachten, iſt nicht hell, nicht gelb und blau und roth, das Licht iſt eine Be - wegung einer ſehr feinen überall verbreiteten Materie, des Aethers, Schwingungen, welche ſich in dieſem geradlinig fortpflanzen,15 wie die Schallwellen in der Luft. In ihrem geraden Gange ſtoßen ſie auf Körper, die in ihrem Wege liegen, werden wie die an's Ufer ſchlagende Woge zurückgeworfen, wenn der Körper das iſt, was wir undurchſichtig nennen, gehen durch den Körper durch, wie die Welle durch einen in das Meer mündenden Kanal, wenn der Körper zu den ſogenannten durchſichtigen gehört. Das Oelgas verbrennt und während ſeiner Verbindung mit Sauerſtoff ſetzt es den Aether in Schwingungen, es leuchtet; das Oelgas iſt verbrannt und mit dem Körper der zu Grunde ging , erliſcht auch das Licht. Ein unendliches Aethermeer, das ganze Univerſum erfüllend und in ihm die tauſend und aber tauſend Wellen nach den verſchiedenſten Rich - tungen fortſchreitend, ſich durchkreuzend, ſich aufhebend oder verſtär - kend, das iſt die körperliche Natur des Lichtes und der Farbe. Wer vermöchte zu ſagen, daß er je dieſes Licht, dieſe Farben geſehen? So wenig ſind wir dazu im Stande, daß es vielmehr des Scharf - ſinns der größten Geiſter bedurfte, um uns dieſe eigentliche Natur des Lichtes zu enthüllen.

Durch das dichte Dach der Weinlaube zittert ein Sonnenſtrahl in den heimlich wohlthuenden Schatten, du glaubſt den Lichtſtrahl ſelbſt zu ſehen, aber weit entfernt davon, iſt, was du wahrnimmſt, Nichts als eine Reihe von Stäubchen, die vom leiſeſten Hauch be - wegt in der Luft ſchweben aber keineswegs ſind es die Wellen, die ſich in raſtloſer Folge mit einer Schnelligkeit von 40,000 Meilen in der Secunde durch den Aether jagen. Könnte der Phyſiker ſei - nes Menſchengeiſtes ſich entäußern und nur mit dem Auge der Wiſ - ſenſchaft die Welt um ſich her betrachten, er würde Nichts gewahren als eine öde, farb - und lichtloſe Maſſe, ein unheimlich, unge - heures Uhrwerk, in welchem tauſende von Stoffen und bewegenden Kräften zu einem ewig wechſelnden Spiel verbunden ſind.

Aber faſſen wir jetzt auch die ſchönere Kehrſeite ins Auge. Die Nacht iſt vorüber, der belebende Strahl der Morgenſonne zuckt uͤber die fernen Höhen. Die grünenden Matten erglühen wärmer, getrof - fen vom himmliſchen Lichte. Hier öffnet die Blume ihre farbeſtrah -16 lende Krone dem erſehnten Element, dort ſchwingt der erwachte Vo - gel ſein buntes Gefieder durch die blauen Lüſte; Koſend um - ſchwärmt der ſchillernde Schmetterling die liebliche Roſe und auf bräunlichem Mooſe kriecht emſig der ſmaragd-glänzende Käfer her - bei, um ſeinen Durſt am funkelnden Thautropfen zu ſtillen. Eine ganze, volle, ſchöne Welt des Lichtes und Glanzes, der Farben und Geſtalten liegt vor uns ausgebreitet, jede Bewegung iſt Leben, iſt Schönheit und ſchön in ihrer Freiheit. Ich ſehe das Alles , ſagt der Menſch und dankt entzückt dem Geber alles Guten. Aber was heißt dieſes Sehen? Es iſt nicht ein Wahrnehmen deſſen, was außer ihm wirklich vorhanden iſt. Es iſt eine zauberhafte Phantasmagorie, die ſich der Geiſt ſelbſt vorführt, in freiem Schaf - fen und dabei nur auf wunderbare Weiſe geleitet und gebunden durch das, was außer ihm wirklich iſt, ohne daß er dieſer Wirklich - keit ſelbſt ſich bewußt würde.

Wenn der Reiſende auf dem Meere die niederen Breiten er - reicht, ſo taucht vor ihm am fernen Horizonte in einer von uns kaum geahnten Pracht am tief dunkeln Himmel die majeſtätiſche Ge - ſtalt des ſüdlichen Kreuzes auf. Preis und Dank dem allmächtigen Schöpfer ruft er aus und Anbetung zieht ihn faſt unwiderſtehlich auf ſeine Kniee nieder. Wohl gebürt dem heiligen Urquell al - ler Weſen dieſer Dank, aber nicht dafür, daß er die Welt ſo ſchön gemacht, denn dieſe iſt an ſich weder ſchön noch häßlich, ſondern da - für, daß er, wie die alte Sage erzählt, dem Menſchen ſeinen Geiſt einhauchte und ihm ſo die Gabe verlieh, alles was ihn berührt als Leben, Freiheit, Schönheit zu empfinden.

So himmelweit wie dieſe beiden Skitzen liegen Körperwelt und Geiſteswelt auseinander. Wenn uns das friſche Grün des Früh - lings mit freudiger Hoffnung erfüllt, wenn das gelbe fallende Blatt des Herbſtes uns mit Wehmuth wie ein Abſchiedsgruß durchzuckt, ſo iſt das Blatt für uns grün und gelb und in dieſen Farben Sinn - bild moraliſcher Beziehungen, für ſich, für den Baum, der es trägt, für die Erde, auf die es herabſinkt, mit einem Wort in der körper -17 lichen Natur hat das Blatt keine Farbe ſondern es enthielt einen Stoff der gewiſſe Lichtwellen zurückwarf die dann in unſer Auge ge - langten, es giebt im Herbſte einige Atome Sauerſtoff ab und die - ſelben Lichtwellen gehen jetzt ungehindert durch ihn durch, während er Wellen anderer Beſchaffenheit reflectirt.

Verweilen wir noch einen Augenblick bei dieſem Beiſpiel. Bringen wir das friſch grünende Blatt auf unſere Zunge und koſten wir ſpäter das entfärbte des Herbſtes ſo zeigt uns der Sinn ſogleich den Unterſchied in der chemiſchen Natur beider Zuſtände an, aber es entſteht dadurch keine Vorſtellung der Farbe in uns. Zerknicken wir vor unſerm Ohr ein friſches, ein getrocknetes Blatt, ſo wird durch den verſchiedenen Ton uns angedeutet, daß das Blatt ſeines Waſ - ſers beraubt iſt, aber Nichts ſagt uns dabei, daß auch das Licht in anderer Weiſe vom friſchen wie vom trocknen Blatte zurückgeworfen werde. Mit einem Worte, wir finden, daß jeder unſerer Sinne nur für ganz beſtimmte äußere Einflüſſe empfänglich iſt und daß die Er - regung jedes Sinnes in unſerer Seele ganz andere Vorſtellungen hervorruft. So ſtehen zwiſchen jener äußern ſeelenloſen Welt, welche uns nur durch die Wiſſenſchaft erſchloſſen und zugänglich wird, und der ſchönen Welt in der wir geiſtig uns finden, die Sin - nesorgane als Vermittler. Sie ſind es, welche zuerſt die Eindrücke empfangen, ſie ſind es, welche dieſe Anregungen dem Geiſte über - liefern, Anregungen, nach deren Anleitung ſich der Geiſt ſein Welt - gemälde in Farben und Geſtalten ausführt. Und ſuchen wir nun nach dem Weſentlichen dieſer Sinnesorgane der verſtändig aus - geführte Knochenbau ſo feſt und ſo beweglich zugleich, der kräftige Muskel, der durch ſeine Zuſammenziehung jenes Hebelwerk der Knochen in Bewegung ſetzt, das Herz mit ſeinen zahlreichen Röhren, den Adern, ein meiſterhaft ausgeführtes Pumpenwerk, welches die ernährende Flüſſigkeit, das Blut, durch alle Theile treibt, der ganze verwickelte Bau von Behältern und Canälen in denen Nahrungsſtoffe aufgenommen, in mannigfacher Weiſe chemiſch zerſetzt und wieder anders verbunden, hier dem Blute beigemiſcht, dort als unbrauch -Schleiden, Pflanze. 218bar ausgeſondert werden, die vielfachen Faſern und Häute, welche alle Theile mit einander verbinden und das Ganze umkleiden und zur ſchönen menſchlichen Geſtalt abrunden, ſie alle ſind es nicht. Von ihnen allen reicht kein Theil an das geiſtige Gebiet hinan. Aber durch alle dieſe Bildungen durch, in alle eindringend, ziehen ſich Millionen der zarteſten Fäden, die Nervenfaſern, die einerſeits in jene Theile einſtrahlen, andererſeits in eine einzige Halbkugel, in das Gehirn zuſammenlaufen. Dieſe Fäden ſind es, welche, von den Bewegungen und Veränderungen der äußern Welt berührt, angeregt werden, welche dieſe Anregung auf das Gehirn übertragen. Das Gehirn aber iſt die geheimnißvolle Stätte wo Geiſtiges und Körper - liches ſich berühren. Jede Veränderung im Gehirn iſt von einem Wechſel im Spiele unſerer Vorſtellungen begleitet; zu jedem auf die Außenwelt gerichteten Gedanken findet ſich eine gleichlaufende Ver - änderung im Gehirn, die von den Nervenfaſern wie von Boten an die Organe übertragen wird, die vom Willen bewegt werden ſol - len. Es ſind alſo die Nerven eigentlich das Weſentliche jedes Sinnesorganes, in ihnen haben wir das Mittelglied zwiſchen Kör - perwelt und Geiſt zu ſuchen; die Geſetzmäßigkeit ihres Wirkens ha - ben wir zu erforſchen wenn wir uns über unſere Verbindung mit der Körperwelt unterrichten wollen.

Nur zwei Puncte müſſen wir hier beſonders hervorheben, die eigenthümlich genug ſind. Wunderlich iſt der Herr im Verhältniß zu ſeinen Dienern, jener, der Geiſt, überſetzt ſich alles was ihm dieſe, die Nerven, überbringen in ſeine Sprache und zwar hat er für jeden Diener eine andere. Mögen die Faſern des Sehnerven getroffen werden, wovon ſie wollen, mag die Lichtwelle ſie erſchüttern, der Finger ſie drücken, die überfüllte Ader an ſie pulſiren, oder der elec - triſche Funke ſie durchzucken, der Geiſt überſetzt alle dieſe verſchieden - artigen Eindrücke in die Sprache des Lichts und der Farben. Wenn das erregte Blut, die Adern aufſchwellend, die Nerven drückt, ſo fühlen wir es in den Fingern als Schmerz, wir hören es im Ohr als Summen, wir ſehen es im Auge als zuckenden Blitz. Und hierin19 haben wir den entſchiedenen Beweis daß unſere Vorſtellungen freie Schöpfungen unſeres Geiſtes ſind, daß wir nicht die Außenwelt ſo auffaſſen wie ſie iſt, ſondern daß ihre Einwirkung auf uns nur die Veranlaſſung wird zu einer eigenthümlichen geiſtigen Thätigkeit, de - ren Producte häufig in einem gewiſſen geſetzmäßigen Zuſammen - hang mit der Außenwelt ſtehen, häufig aber auch gar nicht damit zuſammenhängen. Wir drücken unſer Auge und ſehen einen leuch - tenden Kreis vor uns, aber es iſt kein leuchtender Körper vorhan - den. Welch 'eine reiche und gefährliche Quelle von Irrthümern aller Art hier fließt, iſt leicht zu ſehen. Von den neckenden Geſtalten der monddurchglänzten Nebellandſchaft bis zu den wahnſinndrohenden Viſionen des Geiſterſehers haben wir eine Reihe von Täuſchungen, die alle nicht der Natur, nicht ihrer ſtrengen Geſetzlichkeit zur Laſt fallen, ſondern in das Gebiet der freien und deshalb dem Irrthum unterworfenen Thätigkeit des Geiſtes gehören. Großer Umſicht, viel - ſeitiger Bildung bedarf es, ehe der Geiſt ſich hier von allen ſeinen eignen Irrthümern losmacht und ſie ganz beherrſchen lernt. Das Sehen im weitern Sinne des Wortes erſcheint uns ſo leicht und doch iſt es eine ſchwere Kunſt. Nur nach und nach lernt man, wel - chen Botſchaften der Nerven man vertrauen und danach ſeine Vor - ſtellungen formen dürfe. Selbſt Männer von Wiſſenſchaft können hier irren, irren oft und um ſo öfter, je weniger ſie darüber verſtän - digt ſind, wo ſie die Quellen ihres Irrthums zu ſuchen haben.

Aber noch auffallender als das eben entwickelte Verhältniß iſt es, daß der Herr, nämlich die Seele, Botſchaften von ſeinen Dienern, den Nerven, empfängt, Befehle an ſie austheilt ohne ſich ihrer Ge - genwart überhaupt zunächſt bewußt zu werden. Erſt ſpät, erſt durch die weit fortgebildete Wiſſenſchaft erfährt der Menſch, daß Nerven exiſtiren und daß beſtimmte Functionen ihnen zugewieſen ſind. Er ſieht und weiß nichts von ſeinem Sehnerven, ihn ſchmerzt die ge - brannte Hand, aber er wird ſich der leitenden Faſer nicht bewußt, er bewegt ſpielend mit geläufiger Geſchwindigkeit die Zunge, aber er - fährt nichts von dem Wege, den die beſtimmenden Nerven nehmen. 2*20Wir empfinden mit einem Worte niemals den Zuſtand eines Nerven, ſondern bilden uns vielmehr unmittelbar ſo wie der Nerv gereizt wird die Vorſtellung eines äußeren Gegenſtandes, und es erfordert erſt wiſſenſchaftliche Verſtändigung, daß wir dieſen Gegenſtand als Urſache eines Nervenreizes erkennen.

Iſt nun aber, um in dem gewählten Gleichniß zu bleiben, das Verhältniß des Herren zu ſeinen Dienern ein ganz eigenthümliches, ſo ſind nicht minder die Diener ganz beſonderer Art. Keiner derſel - ben weiß etwas vom Andern, erfährt etwas von deſſen Daſeyn und Thätigkeit, oder theilt ſich ihm mit. Ja was noch wichtiger iſt, kei - ner derſelben d. h. keine Nervenfaſer kann gleichzeitig mehr als eine einzelne einfache Botſchaft ausrichten und darin gleichen ſie vollkom - men einfältigen Bedienten. Zwei ihnen gleichzeitig übergebene Auf - träge vermengen ſie mit einander zu einem einzigen einfachen. Am leichteſten iſt dies deutlich zu machen, wenn man ſolche Theile des Körpers, wo die Nervenfaſern ſehr vereinzelt und weit auseinander liegen z. B. den Oberarm oder die Mittellinie des Rückens mit den Spitzen eines geöffneten Zirkels berührt. Wenn auch die Spitzen ei - nen Zoll weit aus einander ſtehen, ſo fühlt man an den genannten Theilen doch nur einen einfachen Stich, da die Nerven hier ſo weit von einander entfernt ſind, daß beide Stiche in den Bereich einer Faſer fallen und dieſe iſt unfähig mehr als einen Eindruck zur Zeit aufzunehmen.

Nach dieſen allgemeinen Erörterungen über die eigenthümliche Natur der Nervenwirkungen können wir uns wieder unſerer Aufgabe ſelbſt nähern indem wir insbeſondere den Sehnerven betrachten. Derſelbe iſt wie er in den Augapfel eintritt, ein ziemlich dickes Bün - del zahlreicher einzelner Nervenfaſern und dieſe breiten ſich im Aug - apfel in eine Halbkugelfläche aus, ſo daß jede Faſer einen kleinen Theil dieſer Fläche bildet. Der Augapfel ſelbſt aber gleicht vollkom - men einem optiſchen Apparat, einer Kamera obſcura, und die Halb - kugelfläche des Sehnerven, die ſogenannte Netzhaut des Auges, ent - ſpricht dem weißen Blatt Papier, welches das Bild der Kamera21 obſcura auffängt. Jedes von dem Bilde getroffene Fäſerchen fängt gleichſam einen Punct deſſelben auf und bringt die Nachricht davon zum Gehirn, wo die vorſtellende Seele ihren Sitz hat und dieſe muß ſich dann aus allen dieſen einzelnen Puncten erſt das Bild conſtrui - ren. Ob aber richtig oder falſch conſtruirt wird, hängt von der Ue - bung und Ausbildung der Seele ab. Man könnte mir hier ein - wenden, daß wir ja von dieſer Conſtruction gar kein Bewußtſein haben und daß das Sehen daher doch wohl viel einfacher ſeyn müſſe. Indeß läßt ſich leicht an einigen Beiſpielen zeigen, daß hier nur die Uebung uns die Sache ſo leicht macht, daß wir uns der einzel - nen Geiſtesthätigkeiten dabei gar nicht mehr bewußt werden. Das Kind, bei dem dieſe Uebung noch nicht Statt gefunden hat, conſtruirt daher auch häufig falſch, es greift nach den Sternen, wie nach den glänzenden Knöpfen an dem Rocke des Vaters, es verſucht den fernen Mond auszublaſen, wie es ihm mit dem Licht auf dem Tiſche gelungen. Und dieſelben Erſcheinungen finden wir bei Blindgebornen die operirt wurden; namentlich iſt uns ein merkwür - diger Fall der Art in den Annalen der Augenärzte aufbewahrt, wo ein Blindgeborner erſt in ſeinen ſpätern Lebensjahren, als er ſchon genügende Bildung ſich erworben um von den Vorgängen in ſeinem Innern Rechenſchaft zu geben, ſein Augenlicht wieder erhielt und nun ausführlich berichten konnte, wie er erſt allmälig die verſchiede - nen Licht - und Farbenempfindungen zu einer geordneten Weltan - ſchauung zuſammenſetzen lernte. Der entſchiedenſte Beweis für die Richtigkeit der aufgeſtellten Behauptung liegt aber darin, daß wir, wenn die Umſtände verführeriſch ſind, falſch conſtruiren, ohne daß das Bild auf der Netzhaut dazu Veranlaſſung gegeben hätte. Der Mond nämlich erſcheint uns größer, wenn er aufgeht, als wenn er über uns im dunkeln Luftmeere ſchwimmt. Meſſungen zeigen aber, daß er beidemale in der That gleich groß iſt, und daß ſein Bild auf der Netzhaut in beiden Fällen ebenfalls gleichen Durchmeſſer hat. Der Grund der falſchen Conſtruction liegt aber darin, daß wenn der Mond am Horizont zwiſchen uns bekannten Hügeln, Bäumen oder22 Häuſern aufgeht, wir ſeine Entfernung nach den ihm zunächſt er - ſcheinenden Gegenſtänden beurtheilen deren bedeutende Entfernung uns bekannt iſt. Den Mond oben am Himmelsgewölbe dagegen denken wir uns näher, da zwiſchen ihm und uns keine Gegenſtände ſind, nach denen wir ſeine Entfernung ſchätzen könnten. So in der Beurtheilung der Entfernung uns täuſchend conſtruiren wir nach ei - nem und demſelben Netzhautbilde verſchieden, alſo auf jeden Fall das eine Mal falſch.

Das Reſultat dieſer ganzen hier mehr angedeuteten und ſkizzir - ten als ausgeführten Unterſuchung iſt alſo folgendes: In der wirk - lichen Welt befinden ſich zahlreiche Stoffe und Kräfte in Wechſelwir - kung, dieſe verändern, wo ſie mit den Nervenfaſern unſeres Körpers zuſammentreffen, den Zuſtand derſelben, und dieſe veränderten Zu - ſtände werden die Veranlaſſung, daß unſer Geiſt ſich eine ganze Weltanſicht ausmalt. Am lebendigſten tritt uns dieſe ſelbſtgeſchaffne Welt entgegen wenn die Erregungszuſtände dem Augennerven ange - hören, aber auch gerade hier können wir am deutlichſten nachweiſen, daß die Welt in unſerer Vorſtellung ſich zwar immer auf die Welt außer uns bezieht, aber durchaus nicht mit ihr gleichartig, identiſch iſt. Noch ein Beiſpiel mag dienen dies deutlich zu machen und zugleich uns den Uebergang zum Folgenden zu bahnen. Das ein - fachſte Verhältniß, welches ſich gewiß in der Außenwelt denken läßt, iſt das von Stoff, Materie oder wie wir es nennen wollen, die ei - nen gewiſſen Raum einnimmt. Wenn nun unſere Vorſtellung der Welt irgend mit der wirklichen Welt übereinkommen ſollte, ſo müß - ten wir doch vor Allem wiſſen, wie groß der Raum ſei und wie groß das Stück des Raumes den das Materielle z. B. ein Fels einnimmt. Wir haben aber gar keinen Maaßſtab für die Größe des Raums und daher gar keinen Begriff von der Größe der Welt. Wenn wir ſa - gen: dieſer Menſch iſt 6 Fuß groß, ſo heißt das nur: in der Welt unſerer Vorſtellungen iſt der vorgeſtellte Menſch 6 mal ſo groß wie der vorgeſtellte Fuß; es iſt nur eine Vergleichung zweier Vor - ſtellungen unter einander. Dann natürlich entſteht die Frage:23 wie groß iſt denn ein Fuß, wie groß ein Zoll, eine Linie und ſo wei - ter? und immer antworten wir nur durch Vergleichungen mit andern ebenſo wenig für ſich beſtimmbaren Größen. Hier zeigt ſich ſo - gleich wie wir nicht einmal im einfachſten Falle aus dem Spiel un - ſerer Vorſtellungen heraus zur Erkenntniß der wirklichen Welt kom - men können, der ganze Begriff der Größe hat für die Welt ſelbſt keine weſentliche Bedeutung, ſondern nur für unſere Vorſtellungen. Und gleichwohl ſpricht der Microſcopiker von Vergrößerungen und meint damit die Gegenſtände beſſer zu erkennen als vorher? Um das zu begreifen, müſſen wir wohl noch etwas über Größe philoſophi - ren, um dieſem ſo ſchwankenden Begriff größere Beſtimmtheit und Feſtigkeit zu verleihen. Wir nennen z. B. den Fuß der Bavaria von Schwanthaler coloſſal, den Fuß eines erwachſenen Mannes groß, und den einer Dame klein und weshalb? Dies iſt leicht zu ſagen, theilen wir jeden dieſer Füße in 12 Zolle, jeden Zoll in 12 Linien und jede Linie wieder in 12 Theile, ſo ſind dieſe Zwölftellinien beim Damenfuß nicht mehr zu unterſcheiden, beim Männerfuß ſind ſie noch recht deutlich, aber an der Bavaria könnten wir jede Zwölftel - linie abermals in 12 Theile theilen, und jeder derſelben würde noch deutlich zu erkennen ſeyn. So haben wir aber zugleich eine einfache Beſtimmung der Größe gefunden. Ein Ding iſt für uns um ſo grö - ßer, je mehr Theile wir in ihm unterſcheiden können.

Allein es kann uns bei dieſer Beſtimmung des Begriffs noch eine andere Betrachtung führen. Wir haben einen ſcheidenden Freund bis auf den Hügel vor die Stadt geleitet, noch einmal drücken wir ihn an die Bruſt, noch einmal ſchauen wir ihm lange und tief in's Antlitz, um uns alle die lieben, uns ſo vertrauten, ein - zelnen Züge recht feſt einzuprägen. Endlich reißt er ſich los und eilt von dannen, wir ſchauen ihm noch lange nach. Er blickt ſich um und noch erkennen wir das bekannte Geſicht. Immer größer wird die Entfernung und mehr und mehr verſchwimmen die Einzelnheiten der Geſtalt. Eine Biegung der Straße verbirgt ihn uns eine zeit - lang, da taucht er noch einmal auf am fernſten Hügelabhang, ein24 kleiner ſchwarzer ſich bewegender Punct; er ſteht ſtill, winkt noch mit dem Tuche, aber ſelbſt dieſe Bewegung ſind wir ſchon nicht mehr im Stande zu unterſcheiden, und endlich verſchwindet er gänzlich in der Ferne. Je ferner der Freund von uns gerückt wurde, je we - niger konnten wir an ihm unterſcheiden, je kleiner erſchien er uns, bis zuletzt ein Nadelsknöpfchen, vor unſer Auge gehalten, größer war, als er. Indem wir hier bemerken, wie ſelbſt ein uns ganz bekannter Gegenſtand allmälig kleiner wird und zuletzt ganz ver - ſchwindet, ſo zeigt ſich uns auch ſogleich das Mittel, einen Gegen - ſtand zu vergrößern, um ihn deutlicher zu erkennen, mehr einzelne Theile an ihm zu unterſcheiden einfach darin, daß wir ihn unſerm Auge näher bringen. Der Verſuch zeigt uns nun auch allerdings die Anwendbarkeit dieſes Mittels, aber bald erfahren wir, daß hier eine gewiſſe Grenze eintritt, über welche hinaus wir einen Gegenſtand dem Auge nicht mehr nähern dürfen, ohne daß uns das deutliche Sehen überhaupt unmöglich wird. Der Grund dafür liegt in dem Bau der kleinen Kamera obſcura, welche wir Augapfel nennen. Derſelbe kann, ſo wie jedes ähnliche Inſtrument des Optikers, nur für gewiſſe Entfernungen eingerichtet ſeyn, und wollen wir in grö - ßerer Nähe ſehen, ſo müſſen wir an dem optiſchen Apparat eine ent - ſprechende Veränderung vornehmen, was einfach dadurch geſchieht, daß wir einen nach beſtimmten Geſetzen geformten, durchſichtigen Körper, wir benutzen dazu gewöhnlich geſchliffnes Glas, vor das Auge bringen. Ein ſolches Glas aber iſt eine ſogenannte Loupe oder ein einfaches Microſcop, deſſen Wirkung nur darin beſteht, daß es uns möglich macht, einen Gegenſtand in einer Nähe noch deutlich zu ſehen, in welcher es ſonſt unmöglich wäre. Es iſt unnöthig hier auf die Entwicklung der optiſchen Geſetze einzugehen, denen ge - mäß dieſe Wirkung erfolgt, nur darauf aufmerkſam machen will ich, daß man ſehr leicht hierbei beſtimmen kann, wie ſtark der Gegen - ſtand bei einem ſolchen einfachen Microſcop vergrößert erſcheinen müſſe. Man nimmt an, daß durchſchnittlich das menſchliche Auge bei 8 Zoll Entfernung noch deutlich ſehen könne, aber nicht mehr in25 größerer Nähe. Benutze ich nun ein Glas, welches mir erlaubt, ei - nen Gegenſtand noch bei 4 Zoll Entfernung deutlich zu ſehen, ſo er - ſcheint er noch einmal ſo groß, bei 2 Zoll Entfernung 4 mal ſo groß, bei $$\nicefrac1{10}$$ Zoll Entfernung 80 mal ſo groß und ſo weiter, mit einem Worte die Vergrößerung iſt allein davon abhängig wie nah der Ge - genſtand an's Auge gebracht wird. Früher machte man von dieſen einfachen Microſcopen einen ſehr ausgedehnten und faſt ausſchließ - lichen Gebrauch in der Wiſſenſchaft, weil die zuſammengeſetzteren Microſcope damals noch ſo ſchlecht waren, daß ſie gegen die ein - fachen Inſtrumente weit zurück ſtanden. Der berühmte Leuwenhoek hat alle ſeine wunderbaren microſcopiſchen Beobachtungen mit ganz kleinen Glaskügelchen gemacht, die er ſich ſelbſt an der Lampe aus einem feinen Glasfädchen zuſammenſchmolz. In neuerer Zeit ge - braucht man aber die einfachen Microſcope nur noch zu ſehr ſchwachen Vergrößerungen und bedient ſich für ſtärkere allgemein der zuſam - mengeſetzten Microſcope. Während dieſe nämlich verhältnißmäßig wenig das Auge angreifen, iſt das Beobachten mit dem einfachen Microſcop zumal bei ſtarken Vergrößerungen eine ſo ermüdende An - ſtrengung, daß Augenleiden nur zu häufig die Folge davon ſind.

Das Princip, worauf das zuſammengeſetzte Microſcop beruht, iſt ebenfalls ſehr leicht deutlich zu machen. Es beruht daſſelbe auf einer Verbindung der Kamera obſcura mit dem einfachen Micro - ſcope. Die gewöhnliche Kamera obſcura beſteht im Weſentlichen aus einigen linſenförmig geſchliffenen Gläſern; die von einem Ge - genſtand ausgehenden Lichtſtrahlen gehen durch dieſe Gläſer durch und erzeugen hinter denſelben ein Bild des Gegenſtandes, welches man bei dem gewöhnlichen optiſchen Spielwerk auf einer matt ge - ſchliffenen Glastafel, oder auf einer weißen Papierfläche aufzufan - gen pflegt. Je weiter der Gegenſtand von den Gläſern entfernt iſt, deſto kleiner erſcheint das Bild. Nähert man den Gegenſtand, ſo wächſt das Bild bis Bild und Gegenſtand gleich groß ſind. Rückt man nun aber den Gegenſtand den Gläſern noch näher, ſo wird das Bild größer als der Gegenſtand. Dieſes letzte Verhältniß wenden26 wir zwar niemals bei der ſogenannten Kamera obſcura an, wohl aber bei der Zauberlaterne, die in ihrer weſentlichen Grundlage von erſterer in Nichts verſchieden iſt. Beim zuſammengeſetzten Micro - ſcop iſt nun ein ſolcher Apparat ſo angebracht, daß man das vergrö - ßerte Bild des Gegenſtandes nicht unmittelbar mit dem Auge, ſondern abermals mit einem einfachen Microſcop betrachtet und ſo noch um ein beträchtliches vergrößert. Iſt zum Beiſpiel das Bild 100 mal ſo groß wie der Gegenſtand und vergrößern wir das Bild noch zehn - mal, ſo muß uns der Gegenſtand tauſendmal vergrößert erſcheinen. Es beſteht alſo das zuſammengeſetzte Microſcop aus einem doppelten optiſchen Apparat, erſtens den Gläſern, welche dem Gegenſtand oder Object zugewendet ſind und von dieſem ein vergrößertes Bild ent - werfen, man nennt ſie eben deshalb die Objectivgläſer, und zweitens aus einem einfachen Microſcop, durch welches wir das vergrößerte Bild des Gegenſtandes abermals vergrößern und welches dem Auge zugewendet iſt und deshalb Ocular genannt wird. Man ſollte nun dem Geſagten zufolge glauben, daß es auf dieſe Weiſe möglich ſey, die Vergrößerung bis auf jeden beliebigen Grad zu ſteigern, da einmal die Größe des Bildes nur davon abhängt wie nah man den Gegenſtand ans Objectiv bringt, und dann die Vergrößerung des Bildes nur dadurch bedingt iſt, daß wir das Auge dem Bilde immer mehr nähern. Aber dieſer theoretiſchen Möglichkeit treten practiſch ſo viele Schwierigkeiten entgegen, daß die wirklich ausgeführten In - ſtrumente alle unendlich weit von der Grenze der theoretiſchen Mög - lichkeit zurückbleiben.

Ich will hier nur das wichtigſte Verhältniß berühren und um daſſelbe deutlich zu machen, an eine ſehr bekannte Thatſache anknü - pfen. Bücher, die beſtimmt ſind, in die Hände aller Leute zu kommen, wie Bibeln und Geſangbücher, verbreitet man in verſchiedenen Drucken, bald mit ganz kleinen, bald mit mittleren, bald für ältere ſchwachſich - tige Leute mit ganz großen Buchſtaben. Hier iſt nun ein einzelnes Wort in dem letzten Druck vielleicht 6 mal ſo groß als in dem erſten, und es läßt ſich deshalb bequem erkennen, aber gleichwohl erkennt27 man natürlich nicht mehr Buchſtaben in dem einen wie in dem an - dern. Daſſelbe Wort könnte aber auch von einem Schreibkünſtler ſo klein geſchrieben ſeyn, daß es dem unbewaffneten Auge nur wie ein einziges ſchwarzes Pünctchen erſchiene. Hier würde die Vergrößerung das Pünctchen in ſeine einzelnen Theile auflöſen und die Buchſtaben und Züge derſelben deutlich erkennen laſſen, aber eine fernere Ver - größerung würde dann wohl den Maaßſtab, nach welchem die ein - zelnen Theile erſcheinen, vergrößern, aber ohne feinere Theile, die früher nicht erkennbar waren, zur Anſchauung bringen. Ein ähnliches Verhältniß findet nun beim Microſcop ſtatt. Bis zu einem gewiſſen Grade iſt das Bild, welches das Objectiv von dem Gegenſtande ent - wirft ein ſolches, daß die in demſelben enthaltenen Einzelnheiten noch durch das Ocular aufgelöſt oder deutlich gemacht werden. Aber bald tritt die Grenze ein, bei welcher wegen der Unvollkommenheit der Objective das von ihnen entworfene Bild zwar noch vergrößert wer - den kann, aber ohne daß dabei mehr einzelne Theile erkennbar werden. Es beſteht gleichſam aus einer beſtimmten Anzahl von Buchſtaben, die ſtärker vergrößert, ſich zwar bequemer erkennen laſſen, aber ohne daß dieſe ſtärkere Vergrößerung einen ſcheinbar einfachen Buchſtaben als noch aus zweien zuſammengeſetzt zeigte. Auf dieſe Weiſe tritt das merkwürdige Verhältniß ein, daß man häufig mit einem beſſer gearbeiten Microſcop bei ſchwächerer Vergrößerung bei weitem mehr ſieht, d. h. mehr Einzelnheiten des Gegenſtandes erkennt, als bei viel ſtärkeren Vergrößerungen eines minder gut gearbeiteten Inſtru - mentes. Da es aber bei allen wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen gerade auf die Erkennung der einzelnen Theile und Structurverhält - niſſe ankommt, ſo haben die Vergrößerungen überhaupt nur bis ſo weit Bedeutung, als dieſer Anforderung noch entſprochen wird. Dieſe Grenze fällt aber bei allen bis jetzt gebauten Inſtrumenten auf eine Vergrößerung von etwa 3 400 mal im Durchmeſſer und alle ſtär - keren Vergrößerungen ſind theils unbrauchbare Spielereien, theils und zwar am häufigſten nur angeblich, wie die millionenfachen Ver - größerungen der Hydrooxygengasmicroſcope, mit denen herumziehende28 Charlatans ſich brüſten und die meiſt nicht einmal ſo viel leiſten wie die 50 fachen eines guten gewöhnlichen Microſcops.

Aus dieſen Bemerkungen geht hervor, daß dem wiſſenſchaftlichen Forſcher unendlich viel daran liegen muß, genau die Güte eines In - ſtrumentes in dieſer Beziehung beurtheilen zu können und man hat allen Fleiß angewendet, um die dazu führenden Mittel ausfindig zu machen. Man hat zu dem Ende ſogenannte Probeobjecte aufge - ſucht, die im Allgemeinen in Gegenſtänden beſtehen, welche feine ſchwer zu erkennende Structurverhältniſſe zeigen. Zu ſolchen Probe - objecten kann man künſtliche oder natürliche Gegenſtände wählen. Die erſten ſind bis jetzt nur von dem Königsberger Mechaniker No - bert angefertigt und beſtehen in Syſtemen von hundert mit dem Dia - mant auf Glas gezogenen Linien, von denen je zehn und zehn nach einem beſtimmten Maaße enger beiſammen ſtehen und feiner ſind. Mit den meiſten Inſtrumenten kann man nur das ſechſte und ſiebente Syſtem noch deutlich als aus einzelnen Linien beſtehend erkennen, beſſere Inſtrumente reichen bis zum achten und neunten. Das zehnte löſt aber kein bis jetzt gebautes Microſcop in ſeine einzelnen Be - ſtandtheile auf. Dieſe Linienſyſteme machten, wie ſie bekannt wurden, großes Aufſehen, ſie haben indeſſen den weſentlichen Fehler, daß ein Exemplar dem andern nicht ganz genau gleich iſt, daß alſo jeder For - ſcher einen andern Maaßſtab in die Hände bekommt. Ungleich genauer als der Menſch arbeitet die Natur und man ſieht daher noch immer die Schmetterlingsſchuppen als die beſten Probeobjecte an. Die meiſten derſelben ſind kleine, mit einem Stielchen verſehene längliche Platten, auf ihrer Oberfläche mit feinen Längsrippen beſetzt, die durch äußerſt zarte Querrippen verbunden werden. Beide Arten von Rippen ſind aber bei den verſchiedenen Schmetterlingen von ſehr verſchiedener Feinheit und insbeſondere ſind die Querrippen von Hipparchia Janira, einem ſehr gemeinen braunen Schmetterling, ſo zart, daß ſie bis jetzt nur durch die ausgezeichnetſten Inſtrumente eines Amici, Plösl, Oberhäuſer und Schieck deutlich zu erkennen ſind.

Außer dieſen gewöhnlichen Schuppen kommen aber auch noch29 mannigfaltige, theils anders geformte, theils auf ihrer Oberfläche anders gezeichnete vor und wenn man ſich eine Zeitlang mit dieſen Unterſuchungen beſchäftigt hat, ſo erſtaunt man über den unendlichen Reichthum von Geſtalten, den die Natur hier noch in den unſchein - barſten und winzigſten Theilen entwickelt hat. Gar manche haben ſich, beſonders in frühern Zeiten, wohl mit dieſer Freude an zierlichen Bildern genügen laſſen und kaum die Bedeutſamkeit microſcopiſcher Unterſuchungen für die Wiſſenſchaft geahnt, wie ſchon die Titel ſo vieler im vorigen Jahrhundert erſchienener Werke andeuten, z. B. Ledermüller microſcopiſche Gemüths - und Augenergötzung (Nürnberg 1761), Röſel von Roſenhoffs Inſectenbeluſtigungen (Nürnberg 1746 61) u. ſ. w. Doch fehlte es auch ſchon früh nicht an Beobach - tern, welche den ganzen Ernſt dieſer Richtung in den naturwiſſen - ſchaftlichen Studien einſahen und wir haben ſogar ein merkwürdiges Beiſpiel der Uebertreibung an Swammerdam, der in ſeinen letzten Lebensjahren einen großen Theil der durch die mühſamſten Unter - ſuchungen gewonnenen Reſultate dem Feuer übergab, weil er meinte, der Schöpfer habe dieſe feinern Verhältniſſe nicht ohne weiſe Abſicht dem Menſchen verborgen und es ſey Frevel, die Geheimniſſe Gottes zu profaniren. In der That würde man aber mit einer ſolchen Anſicht, wenn ſie conſequent durchgeführt würde, jeder Erhebung des Menſchen über den roheſten faſt thieriſchen Naturzuſtand in den Weg treten.

Es war unſerm Jahrhundert vorbehalten das Microſcop bei dem Studium der Natur in ſeine Rechte einzuſetzen und es iſt eine erfreu - liche Erſcheinung zu betrachten, wie ſich die Anwendung dieſes In - ſtruments immer mehr und mehr Eingang verſchafft und wie in im - mer größern Kreiſen die intereſſanteſten Reſultate durch daſſelbe ge - wonnen werden.

Leicht begreiflich iſt es, wie das Studium der Verhältniſſe des feineren Baues der Thiere und ſelbſt des Menſchen ein ganz neues Licht auf die phyſiologiſchen Vorgänge im Körper werfen mußte und in der That kann man für alle Zweige der mediciniſchen Wiſſenſchaf -30 ten, von der Anwendung des Microſcops an, eine durchaus neue Periode datiren. Daß für die Kenntniß der kleineren Organismen im Thier - und Pflanzenreiche das Microſcop ein entſcheidender Wen - depunct werden mußte, iſt eben ſo leicht einzuſehen. Dagegen liegt es weniger auf der Hand, wie auf den Gebieten der Chemie, Minera - logie, und Geognoſie die microſcopiſche Beobachtung ihr eigenthüm - liches Feld hat finden können. Und gleichwohl iſt die Bedeutſam - keit deſſelben auch hier theils ſchon von den ausgezeichnetſten Forſchern anerkannt, theils kann dieſe Anerkennung nicht lange mehr ausbleiben. Insbeſondere iſt auf dem Gebiete der organiſchen Chemie ein In - ſtrument nicht zu entbehren, welches oft allein im Stande iſt uns darüber Aufſchluß zu geben, ob wir es mit einem einfachen Stoff oder mit einem mechaniſchen Gemenge verſchiedener Beſtandtheile zu thun haben. Eine Menge angebliche Stoffe wären nie in der Wiſſenſchaft aufgeführt worden, es wären nie die Kräfte ausgezeichneter Forſcher daran vergeudet worden, wenn man mit dem Microſcop vorher die Natur derſelben genauer unterſucht hätte. So finden wir doch, daß ſelbſt die ausgezeichnetſten Chemiker, wie Berzelius, Liebig u. a. von Stoffen reden, die gar nicht exiſtiren. So iſt die ſtärkemehlartige Faſer, worunter man den Rückſtand der Kartoffeln nach Gewinnung des Kartoffelmehls verſteht, ein Gemenge ganz gewöhnlicher Stärke und ganz gewöhnlicher Holzfaſer, oder Zellſtoffs, ſo iſt das Pollenin, womit man den Grundbeſtandtheil des Blüthenſtaubs bezeichnen will, ein mannigfaltiges Gemiſch von ſehr vielen einzelnen ganz bekannten Subſtanzen. Dergleichen Beiſpiele ließen ſich aber noch unzählige aufführen.

Noch auffallender zeigt ſich die Bedeutſamkeit des Microſcops in der Mineralogie und Geognoſie. Hier handelt es ſich nämlich um eine ganz andere und genauere Kenntniß der eigenthümlichen Natur ganzer Gebirgsſyſteme, größerer Formationen oder einzelner Mineral - ſubſtanzen, als uns dieſe Wiſſenſchaften bisher geben konnten. Wenn wir früher in den Gebirgszügen, welche im weſtlichen Aſien ſich herabziehen, einen Gürtel um das nördliche Deutſchland und Frank -31 reich bilden und dann im griechiſchen Archipelagus wieder auftreten, nur muſchelführende Maſſen kohlenſauren Kalkes erkannten, den wir wegen ſeines eigenthümlichen Aggregatzuſtandes Kreide nannten, wenn wir die Polirſchiefer, Kieſelguhre und Bergmehlarten als Kie - ſelerde in fein vertheiltem Zuſtande betrachteten, wenn wir im Dyſo - dil nur ein Gemenge von Kieſelerde und Erdpech fanden und in den meiſten Opalen und Feuerſteinen eben nur dichtere glasartige Kieſel - erde wahrnahmen, ſo eröffnen uns Ehrenbergs microſcopiſche For - ſchungen hier einen Blick in eine ganz neue lebensvolle Welt. Wir finden auf höchſt merkwürdige Weiſe das Entſtehen nicht unbeträcht - licher Theile der feſten Rinde unſeres Planeten in ihrer eigenthüm - lichen Form an das Leben ganz kleiner dem bloßen Auge unſichtbarer Thiere geknüpft, die bei ihrer ans Wunderbare gränzenden ſchnellen Vermehrung durch Individuenzahl und Unzerſtörbarkeit ihrer Ueber - reſte das erſetzen, was ihnen an Maſſe abgeht.

Außer den Infuſorien, deren ganze Organiſation nur aus faſt gallertartiger thieriſcher Subſtanz beſteht, giebt es nämlich andere Arten, deren Eigenthümlichkeit darin ſich zeigt, daß ſie ſich ähnlich den Muſcheln und Schnecken mit feſten Panzern in den allerzierlich - ſten Formen umgeben, die entweder aus kohlenſaurem Kalk oder aus Kieſelerde gebildet ſind. Das geſtorbene Thier ſelbſt fällt zwar der Verweſung anheim, aber die ſelbſt gebauten Wohnungen, die Scha - len bleiben und häufen ſich unter günſtigen Bedingungen für das Leben der Thiere ſo ſehr an, daß ganze Gebirgsſyſteme faſt allein aus ihnen aufgebaut ſind. Die aus Kieſelerde gebildeten Schalen ſin - tern zuweilen durch einen eigenthümlichen uns noch fremden Proceß zuſammen und bilden ſo Feuerſteine und Opale. Grade dieſe kieſelſchaligen Thierchen ſind es auch, mit denen der Botaniker eine genauere Bekanntſchaft nicht verſchmähen darf, da der Streit noch immer nicht geſchlichtet iſt, der lange Zeit ſelbſt mit einer gewiſſen Erbitterung geführt wurde, ob dieſe kleinen Organismen Thiere oder Pflanzen ſeyen. Bedeutender der Maſſe nach ſind freilich die durch kalkſchalige Infuſorien entſtandenen Bildungen. Ein anſehnlicher32 Theil Rußlands an der Wolga, Polens, Pommerns (z. B. Rügen), Mecklenburgs, Dänemarks, Schwedens, des ſüdlichen Englands und nördlichen Irlands, des nördlichen Frankreichs, Griechenlands, Sici - liens, des nördlichen Afrikas und vielleicht auch der Sahara, des nordweſtlichen und arabiſchen Aſiens beſteht aus ſolchen Kreideboden und Kreidegebirgsmaſſen, deren verticalen Durchmeſſer man oft z. B. in England auf 1000 Fuß berechnen kann. Die Phantaſie erlahmt, wenn ſie dieſe Maſſen organiſchen Lebens erfaſſen ſoll, wenn man ſich erinnert, daß eine einzige mit Kreideüberzug verſehene Viſiten - karte ſchon ein zoologiſches Cabinet von vielleicht 100,000 Thier - ſchalen bildet.

Wie Galilei, Kepler, Newton, Herſchel uns in eine unendliche Welt der großen Maſſen einführten, wie Columbus, Magelhaens und ſeine Nachfolger uns die ganze eine Hälfte der Erde erſt ent - deckten, ſo hat in neueſter Zeit Ehrenberg durch ſeinen raſtloſen Fleiß uns eine wunderbare Welt des organiſchen Lebens erſchloſſen, welches in ſeinen Individuen unſcheinbar klein, auch dem ſchärfſten unbe - waffneten Auge unſichtbar, doch durch die unerſchöpfliche Thätigkeit des Bildens, durch die unausſprechlich großen Zahlen der Einzel - weſen Maſſen anhäuft, vor denen ſelbſt der Menſch als ohnmächtiges Weſen erſcheint.

Am 26. Januar 1843 war auf der Round-Down-Klippe un - fern von Dover eine zahlreiche Menſchenmenge in ängſtlicher Erwar - tung verſammelt, um den Ausgang einer der großartigſten und kühn - ſten Sprengungen beizuwohnen, welche je die genialen Combina - tionen menſchlichen Scharfſinns auszuführen unternommen. Die Vorarbeiten hierzu, die Anlegung der Schachte und Stollen, hatten Jahre erfordert. Durch eine rieſenhafte galvaniſche Batterie wurde die bis dahin noch niemals angewendete Menge von 185 Centnern Pulver auf einmal entzündet. Faſt lautlos wurde die ungeheure Klippe ins Meer geſchleudert, in einer Minute waren 20 Millionen Centner Kalkfelſen zerriſſen und eine Fläche von faſt 15 Acres 20 Fuß hoch mit ihren Trümmern bedeckt. Man mag daraus die ungeheure33 Kraft ermeſſen, welche angewendet werden mußte. Und mit wem ließ ſich hier die menſchliche Geiſteskraft in dieſen Rieſenkampf ein? Mit den Ueberreſten von Geſchöpfen, von denen tauſende durch den Druck des Fingers vernichtet werden können. Wir ſtaunen und fragen uns: was heißt klein in der Natur?

Es kann aber wohl überhaupt keinem Zweifel unterliegen, daß es einem noch höchſt rohen Zeitalter oder einer ſehr niedrigen Bil - dungsſtufe angehört, wenn man den Werth, die Wichtigkeit eines Dinges nach groß oder klein abmeſſen will, ein Maßſtab, der ja bei dem allerweſentlichſten und werthvollſten was wir kennen keine An - wendung findet, denn der Menſchengeiſt läßt ſich nicht nach Fuß, Zoll und Linie beſtimmen. Nur der ſinnlichen Natur imponirt das phyſiſch Große, der gebildetere Menſch wird die Gegenſtände ſeiner Betrach - tung vollſtändig nach allen ihren Verhältniſſen kennen zu lernen ſuchen und dann erſt aus der vollſtändigen Kenntniß derſelben ſich ein Urtheil über weſentlich und unweſentlich erlauben und gar oft wird er dann dahin geführt werden, dasjenige, was die kleinſten Dimenſionen hat, für das allerbedeutendſte zu erklären.

Es findet aber dieſe Bemerkung vor allem ihre volle Anwendung auf die Botanik. Es gab für dieſelbe eine Zeit, in welcher ſie an - fing ſich aus der mittelalterlichen Nacht des Nichts empor zu arbeiten, wo ſie alſo nur noch in ihren roheſten Anfängen exiſtirte, es iſt die Zeit der Linné'ſchen Schule. Wir wollen Linné's Verdienſt nicht ſchmälern, denn größer iſt der Ruhm eine Wiſſenſchaft zu erfinden, neu zu geſtalten, als ſie, wenn ihre Grundſteine einmal gelegt ſind, weiter auszubauen; wir wollen Linné, wie geſagt, nicht damit zu nahe treten, wenn wir ihn als den Urheber eines der traurigſten Vor - urtheile bezeichnen, welches lange die Botanik auf einer äußerſt nie - drigen Stufe erhalten hat und auch jetzt nicht ſo ganz überwunden iſt, daß ſeine ſchlimmen Nachwirkungen nicht noch mannigfach dem Fortſchritt der Wiſſenſchaft hemmend in den Weg träten. Wir meinen Linné's Widerwillen gegen das Microſcop und ſeine Verachtung aller Kenntniſſe, die ſich nur mit Hülfe deſſelben gewinnen laſſen. DerSchleiden, Pflanze. 334Einfluß der Linné'ſchen Schule iſt in dieſer Beziehung ſo verderblich geweſen, daß faſt alles, was ſchon am Ende des 17ten Jahrhunderts durch einzelne ausgezeichnete Männer wie z. B. beſonders durch Mal - pighi gewonnen war, im 18ten Jahrhundert für die Wiſſenſchaft ſo vollſtändig wieder verloren ging, daß ſelbſt die Ausgezeichneteren im Anfang dieſes Jahrhunderts die Höhe von Malpighi noch lange nicht in allen Stücken erreichten. Die folgenden Vorträge werden aber unter anderen auch davon Zeugniß geben, wie eine wiſſenſchaftliche Bearbeitung der Botanik, eine Bearbeitung, die mehr als ein öder unfruchtbarer, dem Gedächtniß anvertrauter Namenwuſt ſeyn ſoll, ohne faſt beſtändige Anwendung des Microſcops gar nicht gedacht werden kann. Hierhin wendet ſich auch die ganze neuere Richtung in der Wiſſenſchaft, und Namen wie Robert Brown, Briſſean, Mirbel, Amici und Mohl bezeichnen den Anfang einer neuen ſegensreichen Epoche.

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Zweite Vorlesung. Ueber den innern Bau der Pflanzen.

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Du kannſt im Großen nichts verrichten Und fängſt es nun im Kleinen an. (Fauſt. )3*[36]

Die Vignette zeigt den ſämmtlichen Hausrath des wiſſenſchaftlichen Kleinig - keitkrämers oder Microſcopikers; rechts ein einfaches Microſcop zum Präpariren kleiner Gegenſtände, links ein zuſammengeſetztes Inſtrument von Amici, daneben Pincetten, Loupen, Meſſerchen, Nadeln und dergl. mehr.

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Wenn wir einem gewandten Taſchenſpieler zuſchauen, wenn er die zauberähnlichen Wirkungen ſeiner täuſchenden Kunſt vor uns ent - faltet, werden wir nach und nach zur ſtaunenden Bewunderung hin - geriſſen, die uns endlich unwillkürlich die Aeußerungen des Beifalls entlockt, welche gewöhnlich ſeine gelungenen Productionen zu beglei - ten und zu belohnen pflegen. Wird es uns nun aber geſtattet, ſein Theater zu betreten, ihm im eigentlichſten Sinne in die Karten zu ſehen, wie ſehr kommen wir da von unſerm Erſtaunen zurück, wenn wir wahrnehmen, wie complicirter Vorrichtungen er bedarf, wie viele Gehülfen ihm zur Hand gehen müſſen, mit einem Worte, wie man - nigfaltige und große Mittel er anwenden muß, um Erfolge hervor - zubringen, die doch am Ende mit den angewendeten Mitteln in kei - nem Verhältniſſe ſtehen. Und ſehen wir uns weiter um in allen Verhältniſſen des Lebens, finden wir da nicht bald, daß es ein charak - teriſtiſcher Zug für die beſchränkte Stellung des Menſchen iſt, daß das Reſultat ſeiner kühnſten Anſtrengungen zuletzt auf Wenig oder Nichts hinausläuft, daß, wenn er Alles aufgeboten, was Talent und begünſtigende Umſtände ihm an Macht darreichten, er ſich am Ende doch geſtehen muß, daß das, was er errungen, nur ein geringer Preis iſt für die verwendeten Koſten?

Der gerade Gegenſatz von dem iſt die Natur. Von Jugend auf gewohnt, ihre Werke in ewig ſich erneuerndem Reichthum um uns ausgebreitet zu ſehen, gehen wir meiſt kalt an ihnen vorüber. Das ſinnigere Gemüth fühlt ſich von ihnen angezogen und fängt an, mit einer Art ſüßen Schauers die geheimnißvollen Kräfte, die um38 uns walten, zu ahnen. Welche Mittel, denken wir, müſſen nicht dieſer großen Künſtlerin zu Gebote ſtehen? Welche wunderbare Verkettungen noch unbekannter Kräfte müſſen nicht da noch verborgen liegen? Die Wiſſenſchaft verſucht dieſes Räthſel zu löſen und macht ſich nur zagend an ihre Aufgabe, fürchtend, daß es dem menſchlichen Verſtande viel - leicht unmöglich ſeyn werde, eine ſo wunderbare Verſchlingung und Verwicklung zu überſehen und zu erfaſſen, aber je weiter wir vor - dringen, deſto mehr wächſt unſer Erſtaunen. Jeder Schritt bringt uns eine einfachere Löſung eines verwickelten Räthſels, jede zuſammen - geſetzte Erſcheinung weiſt uns auf einfachere Urſachen und Kräfte zurück und unſere Bewunderung wird zuletzt zur frommen Anbetung, wenn wir ſehen, mit wie geringen Mitteln die Natur ihre ungeheuer - ſten Erfolge erreicht. Aus dem einfachen Verhältniß, daß Körper, die in Bewegung begriffen, ſich gegenſeitig anziehen, wölbt die Natur den ganzen Sternenhimmel über uns, und ſchreibt der Sonne und ihren Planeten die unwandelbaren Bahnen vor. Aber wir brauchen nicht nach den Sternen zu greifen, um zu erkennen, wie wenig die Natur bedarf, um ihre Wunder zu entwickeln.

Verweilen wir einen Augenblick bei der Pflanzenwelt. Von der ſchlanken Palme, die ihre zierlichen Wipfel hoch über dem heißen Brodem der braſilianiſchen Wälder in den kühlenden Lüften ſchaukelt, bis zu dem feinen kaum zolllangen Mooſe, welches unſere feuchten Grotten mit ſeinem phosphorescirenden Grün auskleidet, von der prachtvollen Blume der Victoria Regina, die ihre roſafarbenen Blätter auf den ſchweigenden Fluthen der guianiſchen Landſeen wiegt, bis zu den unſcheinbaren gelben Blüthenknöpfchen der ſogenannten Waſſerlinſe auf unſeren Teichen; welches wunderbare Spiel der Geſtalten, welch ein Reichthum der Formen! Von den 6000jährigen Affenbrod - bäumen an den Ufern des Senegal, deren Saamen vielleicht ſchon auf der noch von Menſchen unbewohnten Erde keimten, bis zu dem Pilz, dem eine fruchtwarme Sommernacht ein Daſeyn gab, das ſchon der nächſte Morgen zerſtörte, welche Verſchiedenheit der Lebens - dauer! Von dem feſten Holz der Neuholländiſchen Eiche, aus39 welchem der wilde Urbewohner ſeine Streitkolben ſchnitzt, bis zu dem grünen zerfließenden Schlamm unſerer Gräben, welche Mannigfal - tigkeit, welche Abſtufungen im Gewebe, Zuſammenſetzung und Feſtig - keit! Sollte man es für möglich halten, in dieſem verwirrenden Reich - thum die Ordnung, in dieſem ſcheinbar regelloſen Spiel der Formen die Geſetzmäßigkeit, in dieſen tauſendfach verſchiedenen Lebensweiſen den einen Typus, die gleiche Idee finden zu können? Bis vor weni - gen Jahren war allerdings die Möglichkeit noch nicht einzuſehen, denn wir dürfen, wie ſchon bemerkt, nicht eher erwarten, die Natur in ihren Geheimniſſen belauſchen zu können, bis wir auf ſehr einfache Verhältniſſe durch unſere Forſchungen geführt ſind. So konnte man auch über die Pflanze nicht zu wiſſenſchaftlichen Reſultaten gelangen, bis man nicht das einfache, allen den verſchiedenen Formen gleich - mäßig zu Grunde liegende Element gefunden und ſeine lebendige Eigenthümlichkeit unterſucht und beſtimmt hatte. Mit Hülfe der neueren Microſcope ſind wir endlich ſo weit gekommen, den Aus - gangspunct für die ganze Theorie der Pflanze zu finden.

Die Grundlage für den Bau aller auch noch ſo ſehr von einander abweichenden Gewächſe iſt ein kleines, aus einer meiſt durchſichtigen, waſſerhellen Haut gebildetes, rings herum geſchloſſenes Bläschen, welches die Botaniker Zelle oder Pflanzenzelle nennen. Eine Ueberſicht von dem Leben der Pflanzenzelle muß nothwendig dem Verſtändniß der ganzen Pflanze vorhergehen, ja iſt eigentlich bis jetzt faſt das einzige ächt Wiſſenſchaftliche in der Botanik.

Aber bei dieſen Betrachtungen verlaſſen uns unſere Sinnesor - gane. Das menſchliche Auge kann unbewaffnet, ohne Hülfe des Microſcops nichts von allen dieſen wunderbaren Geheimniſſen wahr - nehmen und es iſt daher nöthig zu bemerken, daß alle folgenden That - ſachen nur durch Hülfe des Microſcops zur Anſchauung gebracht werden können. Um dem augenblicklichen Bedürfniß nachzuhelfen lege ich meinen Leſern die wichtigſten Gegenſtände in Abbildungen vor, welche mit Hülfe eines guten Microſcops gemacht ſind.

Wenn man die äußere derbe Haut von der in unſern Gartenan -40 lagen jetzt ſo häufigen Schneebeere (Symphoricarpos racemosa) ent - fernt, ſo ſtößt man auf eine Maſſe, welche aus kleinen, etwas ſchlüpf - rigen, glänzend weißen Körnchen beſteht. Jedes davon iſt eine ein - zelne vollſtändige Zelle. (Taf. I. Fig. 1.) Wenn man die derbere Oberhaut von dem Blatte einer Gartennelke abzieht, ſo findet man darunter ein ſammtartiges grünes Gewebe, von welchem ſich leicht et - was abſchaben läßt. Dieſes vertheilt ſich im Waſſer zu kleinen grünen Pünctchen; auch dieſe ſind vollſtändige Zellen, welche ſich von den vorigen nur dadurch unterſcheiden, daß ſie außer einem zähen gelb - lichen und einem flüſſigen waſſerhellen Safte noch grün gefärbte Kör - ner enthalten. (Taf. I. Fig. 2.) Beide Arten von Zellen und ähnlich alle lebendig vegetirenden Zellen haben das gemein, daß ihre Wand aus einer doppelten Schicht beſteht, einer feſteren farbloſen, der eigent - lichen Zellenhaut und einer halbflüſſigen zähen etwas gelblichen Sub - ſtanz, welche die innere Fläche jener Zellenhaut vollkommen überzieht und ſo die Zelle auskleidet. Dieſe letztere Schicht iſt aufs Engſte mit dem Leben der Zelle verknüpft. Nicht ſelten findet man ſie ohne daß ſie ſich gerade nothwendig von der Zellenwand entfernt, ganz oder in einzelnen etwas dickeren ſtreifenartigen Partien in einer fortſtrömenden Bewegung, die man die Circulation des Zellenſaftes nennt. Die eigentliche Zellenwand iſt eine aus Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff gebildete Subſtanz, der Zellſtoff; die halbflüſſige Ausklei - dung dagegen, von Hugo von Mohl Primordialſchlauch genannt, ent - hält außerdem noch Stickſtoff. Man kann ſie leicht dadurch deutlicher machen, daß man eine Zelle mit etwas Salpeterſäure betupft, denn da ſie ein dem Eiweiß ſehr ähnlicher Stoff iſt, ſo gerinnt ſie durch die Einwirkung der Säure und zieht ſich zuſammen, ſo daß ſie dann wie ein loſes Säckchen in der Zelle liegt. (Taf. I. Fig. 3.)

Ueber die Entſtehung der Zelle iſt man noch keineswegs völlig im Reinen, ſo viel iſt gewiß, daß dabei ein eigenthümliches dem Pri - mordialſchlauch angehöriges Körperchen, der Zellenkern genannt (Taf. I. Fig. 1, a.), eine ſehr weſentliche Rolle ſpielt.

Dieſe Zellen ſchließen ſich nun bei weiterer Entwicklung dicht41 aneinander und bilden ſo die ganze Maſſe der Pflanze, das Zellge - webe, welches man aber nach den verſchiedenen Formen der Zellen, beſonders aber nach der verſchiedenen Bedeutung derſelben für das Leben der Pflanzen in drei Hauptgewebe abtheilen kann.

Ehe wir aber zur Betrachtung dieſer drei Gewebe uns anſchicken, müſſen wir noch etwas genauer mit den Veränderungen uns bekannt machen, welche die Zelle in ihrem Leben durchlaufen kann. Die Zelle dürfen wir nämlich als einen kleinen ſelbſtſtändigen, für ſich lebenden Organismus anſehen. Aus ſeiner Umgebung nimmt derſelbe flüſſigen Nahrungsſtoff auf, aus demſelben bildet er durch chemiſche Proceſſe, die im Innern der Zelle beſtändig rege ſind, neue Stoffe, die er theils zur Ernährung und zum Wachsthum ſeiner Wandung verwendet, theils für zukünftige Bedürfniſſe in ſich aufbewahrt, theils als un - braubar gewordene Stoffe wieder ausſcheidet, um Statt deſſen aber - mals neue Stoffe aufzunehmen. In dieſem regen Spiel der Aufnahme und Ausſcheidung von Stoffen, der chemiſchen Bildung, Umbildung und Zerſetzung von Stoffen beſteht eigentlich das ganze Leben der Zelle und da die Pflanze eigentlich Nichts iſt, als die Summe vieler Zellen, die zu einer beſtimmten Geſtalt verbunden ſind , auch das Leben der ganzen Pflanze.

Bei der Ernährung und dem Wachsthum der Zellenwand laſſen ſich aber noch zwei verſchiedene Verhältniſſe unterſcheiden. Das Wachsthum nämlich iſt einmal dahin gerichtet den Umfang der Zelle zu verändern und zu vergrößern. Daher entſtehen nach und nach aus den Anfangs rundlichen Zellen gar verſchiedene Formen. Zunächſt, wenn ſie ſich dicht aneinander drängen, verlieren ſie ihre runden ge - bogenen Wände, drücken ſich gegenſeitig flach und erſcheinen dann wie ſehr unregelmäßige Bienenzellen oder auf einem zarten Durch - ſchnitt, wie vielſeitige Maſchen. (Taf. I. Fig. B, a.) Andere Zellen dehnen ſich mehr ſtellenweiſe aus und bilden Fortſätze oft ſehr zierlich als ſechsſtrahlige Sterne, oft ſehr unregelmäßig zu wunder - lichen Figuren. Noch andere Zellen werden flach indem ſie ſich von zwei Seiten abplatten, andere endlich werden mehr in die Länge aus -42 gedehnt und erſcheinen dann als Cylinder, oder Prismen, noch mehr geſtreckt, ſpindelförmig, oder gar als lange dünne Fäden. (Taf. I. Fig. 6, 7, 8, 9, 13, b.)

Bei allen dieſen Veränderungen der Form kann die Wand der Zelle die Dicke behalten, welche ſie urſprünglich hatte, immer bleibt ſie geſchloſſen und ringsum vollkommen zuſammenhängend. Es kommt aber meiſtens noch eine zweite Veränderung hinzu, die Ver - dickung der Wand. Dieſe kommt ſo zu Stande, daß ſich eine ganz neue Schicht zwiſchen dem Primordialſchlauch und der urſprünglichen Zellenwand auf die innere Fläche derſelben abſetzt. Das Eigenthüm - liche dabei iſt, daß dieſe neue Lage niemals eine gleichförmige überall zuſammenhängende Haut bildet, ſondern auf die mannigfaltigſte Weiſe unterbrochen erſcheint. Bald iſt ſie überall mit kleinen Löchern durchbohrt (Taf. I. Fig. 6; Taf. II. Fig. 8, b.), bald mit längern Spalten (Taf. I. Fig. 4.), bald erſcheint ſie als ein Netzwerk, bald iſt ſie ganz in ein ſpiralig aufgewundenes Band zerſchnitten (Taf. I. Fig. 5.), bald ſtellt ſie ſich nur unter der Form einzelner Ringe dar (Taf. I. Fig. 7). Man bezeichnet nach dieſer Erſcheinung der Ver - dickungsſchicht die Zellen als poröſe und Spaltzellen, als Netz -, Spiral - und Ring-Faſerzellen. Hat ſich auf dieſe Weiſe eine Verdickungs - ſchicht gebildet, ſo folgt häufig eine zweite und dritte, oft ſo weit, daß die ganze Zelle faſt ganz ausgefüllt wird. Es iſt leicht zu begreifen wie aus dieſen Veränderungen, in Verbindung mit den eben vorher erwähnten Formenſpielen aus einer ſo einfachen Grundlage wie die Zelle iſt, eine faſt zahlloſe Menge von Verſchiedenheiten des Gewebes hervorgehen kann, die wir denn auch in den Pflanzen verwirklicht finden. Dazu kommt noch, daß ſich häufig in der Zellenwand und ihren Verdickungsſchichten fremdartige Stoffe, z. B. Kalk, Kieſelerde u. ſ. w. ablagern, wodurch zahlreiche Abſtufungen in der Weichheit und Härte, in Zähigkeit und Sprödigkeit entſtehen.

Aber es bleibt hier erſt noch eine wichtige Eigenſchaft der Pflan - zenzelle zu erörtern, ehe wir zum Folgenden fortſchreiten dürfen. Wenn ſich in der Zelle der Nahrungsſtoff über ein gewiſſes Maaß hinaus43 vermehrt, ſo bilden ſich aus demſelben in ihr mehrere neue Zellen, Tochterzellen; ſie pflanzt ſich fort und in der Regel wird dann die Mutterzelle allmälig aufgelöſt und verſchwindet und 2, 4, 8 und mehr junge von ihr gezeugte Zellen treten an ihre Stelle. Der ganze Vorgang, den wir bei den Pflanzen Wachſen nennen, beſteht eben in ſeiner weſentlichen Grundlage aus einer ſolchen fortwährenden Fortpflanzung der Zellen, wodurch die Zahl der Zellen bis ins Un - glaubliche und Unzählbare vermehrt wird. Nach einer annäherungs - weiſe angeſtellten Berechnung bilden ſich zum Beiſpiel an einem ſehr ſchnell wachſenden Pilze, dem Rieſenboviſt (bovista gigantea), in jeder Minute 20,000 neuer Zellen.

Aber ſo zierlich auch die oben erwähnten Formen der Zellen ſich unterm Microſcop ausnehmen mögen, ſo intereſſant auch die Aufgabe für den Botaniker iſt, die Geſetze zu erforſchen, von denen die Bildung dieſer zahlloſen Verſchiedenheiten abhängt, ſo haben ſie doch zur Zeit für uns noch gar keine Bedeutung, wenn wir von dem Leben der ganzen Pflanze reden wollen und wir müſſen hier, alle jene Unter - ſchiede völlig überſehend, ganz andere Abtheilungen des Gewebes der Pflanzen aufzuſtellen ſuchen, die zum Theil gar nicht, zum Theil nur ſehr durchſchnittlich mit beſtimmten Zellenformen zuſammenfallen.

Jede noch in der Bildung begriffene Pflanze und jeder noch un - entwickelte Pflanzentheil beſteht ausſchließlich aus kleinen, zarten, rund - lichen Zellen. So verſchieden ſich auch dies Zellgewebe im Einzelnen ſpäter modificiren mag ſo ſind es doch nur zwei Portionen, welche ſich durch ihre ſpätere Entwicklung und ihre Bedeutung für das ganze Pflanzenleben, weſentlich von jener Grundmaſſe, die auch ſpäterhin in ausgebildetem Zuſtande das Hauptgewebe der Pflanzen bildet, unterſcheiden. Die Eine iſt die ganze äußere Zellenſchicht der Pflanze, welche ſich in Berührung mit Waſſer oder Erde, beſonders aber der Luft ausgeſetzt entwickelt. Dieſe Zellen ſchließen ſich ſo feſt aneinander, daß man ſie meiſtens als eine zuſammenhängende Haut von der Pflanze abziehen kann. Sie bedeckt ſich früher oder ſpäter mit einer dicken oder dünnen Schicht einer gleichartigen Subſtanz, welche44 noch einen feinen Ueberzug von Wachs oder Harz erhält und dadurch wird die Oberhaut völlig undurchdringlich für Flüſſigkeiten und ſelbſt unnetzbar, indem Waſſer davon wie von einer fettigen Subſtanz ab - läuft. Nur an gewiſſen Puncten bleiben zwiſchen den Zellen kleine Lücken, welche ins Innere der Pflanze führen. In dieſe Lücke lagern ſich gewöhnlich zwei halbmondförmige Zellen, die mit der ausgerun - deten Seite einander zugewendet ſind und ſo zwiſchen ſich eine Spalte laſſen, übrigens aber die Lücken vollig verſchließen. Dieſe Spalte, wodurch die Pflanze mit der Atmoſphäre communicirt und Gasarten und Waſſerdünſte aushaucht, verengert und erweitert ſich nach dem Bedürfniß. Man nennt dieſe Lücken mit den halbmondförmigen Zellen Spaltöffnungen und die ganze Zellenſchicht, in welcher ſie vorkommen, die Oberhaut der Pflanzen. (Taf. I. Fig. 12.)

In jedem lebhaft-vegetirenden Pflanzentheil findet aber auch ein beſtändiges Zuſtrömen von neuem Nahrungsſtoffe Statt, welcher von der Wurzel aufgenommen wird und deſſen überſchüſſiges Waſſer eben durch die Spaltöffnung verdunſtet. Dieſe Saftbewegung ver - wandelt die Streifen von Zellen, durch welche es mit beſonderer Lebhaftigkeit durchgeht in langgeſtreckte Zellen. Die meiſten derſelben werden ſtark verdickt, einige verlieren auch wohl plötzlich ihren flüſſi - gen Inhalt und nehmen ſtatt deſſen Luft auf, man nennt dieſe dann Gefäße (Luftgefäße) und ſo bilden ſich in der Maſſe des Zellgewebes Bündel langgeſtreckter Zellen und Gefäße, Gefäßbündel genannt (Taf. I. Fig. 13, b.), die dem unbewaffneten Auge wie derbe Faſern erſcheinen, welche das Pflanzengewebe durchziehen. Bei einer großen Pflanzenabtheilung, bei den Monocotyledonen, wozu Gräſer, Lilien, Palmen u. ſ. w. gehören, bleiben dieſe Gefäßbündel auf einer ge - wiſſen Stufe der Ausbildung ſtehen und verändern ſich ferner nicht. Bei einer andern Claſſe von Pflanzen dagegen, bei den Dicotyledo - nen, wozu unſere Waldbäume, Küchenkräuter und Gemüſe, ſo wie viele andere gehören, entſtehen fortwährend an der Außenſeite jedes Gefäßbündels neue Zellen, die ebenfalls zu Gefäßbündelzellen werden und ſo die Gefäßbündel fortwährend verdicken. In Folge deſſen45 ſchließen ſich dieſe nach und nach zu einem feſten Gewebe an einan - der, zu dem, was wir im gemeinen Leben Holz nennen (Taf. II. Fig. 8, 9, 10).

Fragen wir nach dem Verhältniß in welchem dieſe drei Theile der Pflanze zu den Bedürfniſſen des Menſchen ſtehen, ſo finden wir auch eine dreifache Verſchiedenheit. Die Oberhaut iſt in ihrem ge - wöhnlichen Zuſtande für den Menſchen ganz nutzlos, nur an peren - nirenden Pflanzen zumal an Bäumen entwickelt ſich aus derſelben die Borke, welche bei einigen Bäumen (z. B. bei der Korkeiche, quer - cus suber) ſehr weich und elaſtiſch, als Kork, einer ſehr ausgedehn - ten Anwendung fähig iſt. Die Gefäßbündelzellen werden durch die Subſtanz ihrer Zellenwände wichtig, theils als Baſt theils als Holz. Endlich das übrige Zellgewebe hat ſeine Bedeutung für uns faſt nur durch den Inhalt ſeiner Zellen.

Von allen Zellenformen ſind, wie bemerkt, die wichtigſten für den menſchlichen Haushalt ohne Zweifel die Holzzellen und die Baſtzellen. Die verſchiedenen Holzarten laſſen ſich bei großer Auf - merkſamkeit unter dem Microſcop ſelbſt an den kleinſten Abſchnitten noch unterſcheiden; der wichtigſte Unterſchied iſt freilich der zwiſchen Laub - und Nadelholz, welcher ſelbſt an verſteinertem Holze noch be - ſtimmt zu erkennen iſt. (Taf. II. Fig. 8, 9, 10.)

Die Baſtzellen ſind unter allen die längſten; ſie haben meiſt ſehr dicke, aber ſehr biegſame Wände (Taf. I. Fig. 8), ſelten mit poröſer oder ſpiraliger Zeichnung; nur an der Seidenpflanze, dem Oleander und verwandten Pflanzen findet man eine zarte ſpira - lige Streifung in der Wand. Alle übrigen Baſtzellen ſind unterm Microſcop nicht wohl zu unterſcheiden, ſo verſchiedenartig auch die Pflanzen ſind, von denen ſie genommen werden. Die Baſtzellen aber ſind es, welche wegen ihrer Länge und Biegſamkeit uns faſt allein das Material zu unſern Geweben und zu Seilerarbeiten liefern. Wie ſchon bemerkt, werden die verſchiedenartigſten Pflanzen zu die - ſem Zwecke benutzt. Bei uns iſt es hauptſächlich der Flachs und der Hanf, auf den Philippinen bedient man ſich des Baſtes aus den46 Blättern der Piſangarten, in Mexico liefern die Blätter einiger wil - den Ananas einen ähnlichen Stoff. In neuerer Zeit iſt für die eng - liſche Marine beſonders der ſogenannte neuſeeländiſche Flachs wich - tig geworden, welcher aus den Blättern eines lilienartigen Gewäch - ſes gewonnen wird. Eigenthümliche Zeuge werden ohne Spinnen und Weben auf den weſtindiſchen Inſeln aus dem Baſt des ſoge - nannten Spitzenbaums (Palo di laghetto der Spanier) und auf Otaheite aus dem des Papiermaulbeerbaums bereitet. Zu Stricken werden noch eine unendliche Menge von Pflanzen benutzt, indem faſt jedes Land ſeine eignen Pflanzen dazu anwendet. Durch die Güte eines Freundes in Berlin erhielt ich einſt ein Endchen Bind - faden, mit dem ein Weinkrug in Pompeji zugebunden geweſen war und fand zu meinem Erſtaunen, daß er aus den leicht erkennbaren Baſtzellen der Seidenpflanze (Asclepias syriaca) oder einer ver - wandten bereitet ſei, die, ſoviel bekannt, jetzt nirgends mehr zu die - ſem Zwecke angewendet werden.

Sehr verſchieden von dieſen Baſtfaſern iſt die Baumwolle, welche als Haarſchopf die Saamen der Baumwollenſtaude umgiebt. Dies ſind zwar auch ſehr lange, aber ganz dünnwandige Zellen, wes - halb ſie im trocknen Zuſtande zuſammengefallen ein plattes Band mit etwas rundlichen Rändern und nicht wie die Baſtfaſern einen über - all gleich dicken cylindriſchen Faden bilden (Taf. I. Fig. 9). Durch dieſen ſcharfen Unterſchied iſt man in den Stand geſetzt, jede Ver - miſchung des Leinens mit Baumwolle augenblicklich unter dem Mi - croſcop zu erkennen und ſelbſt an den Zeugen, mit denen die ägypti - ſchen Mumien umwickelt ſind, noch ihren Urſprung auszumachen. Beiläufig mag hier bemerkt werden, daß die Wollenfaſer (Taf. I. Fig. 11) und der feine Faden des Seidenwurmes (Taf. I. Fig. 10) ebenſo auffallende Merkmale darbieten, wie ein Blick auf die beige - gebene Tafel ſogleich zeigt, und in der That iſt das Microſcop vielleicht das einzige vollkommen ſichere Mittel, um jede Ver - miſchung dieſer verſchiedenen Fäden in einem Gewebe augenblicklich zu erkennen.

47

Wir haben nun zwar geſehen, daß die einfache Zelle in ihren verſchiedenen Formen die Grundlage aller Pflanzen in aller Mannig - faltigkeit ihrer Erſcheinungen ſey; was die Sache aber noch unend - lich viel merkwürdiger macht, iſt, daß dieſe Zellen, die überall auf dieſelbe Weiſe ſich gebildet haben und ſelbſt dann, wenn auch ihre ſpätere Form ganz dieſelbe bleibt, die Kraft haben, in ihrem Innern ſo ganz verſchiedene Stoffe zu erzeugen und dadurch der Natur ein Mittel an die Hand zu geben, um den Reichthum und die Schön - heit der Pflanzenwelt bis ins Unendliche zu vervielfältigen.

Es führt uns dies auf den eigenthümlichen Lebensproceß der Pflanzenzelle. Jede einzelne Zelle führt gleichſam ein geſondertes Leben für ſich. Ihre Wände ſind freilich nicht durchlöchert, aber den - noch dringt die Flüſſigkeit, die ſie zur Ernährung brauchen, ein. Dieſe beſteht aus Waſſer, Kohlenſäure, Ammoniakſalz und einigen andern aufgelöſten Salzen des Erdbodens. Dieſe von der Zelle auf - genommenen wenigen Stoffe werden nun durch ihre eigenthümliche Kraft mannigfach verändert und aus ihnen alle die verſchiedenen Materialien gebildet, wodurch die Pflanzen eben ſo ſehr für den äſthetiſchen Beſchauer wie für den Haushalt des Oekonomen ihren Werth erhalten.

Gar viele Zellen führen freilich einen farbloſen Saft, nament - lich alle Holz - und Baſtzellen, viele ſogar Luft, wie z. B. die ſo - genannten Gefäße. Andere aber zeigen in ihrem Innern die pracht - voll gefärbten Säfte, die den Blumen und Früchten den Reiz eines ſo lieblichen Farbenſchmelzes verleihen, oder anderen, ſonſt grünen, Pflanzentheilen das geſcheckte, fleckige Anſehen geben (Taf. II. Fig. 7). Dahin gehören alle Töne der rothen, blauen und gelben Farbe. Die grüne Färbung der Pflanzen beruht dagegen auf einem ganz anderen Verhältniſſe, denn niemals iſt der Saft der Pflanzen grün. Betrachtet man nämlich die Zellen, die dem unbewaffneten Auge grün erſcheinen, unter dem Microſcop, ſo ſieht man, daß ein - zelne Körnchen einer grünen Subſtanz (Chlorophyll oder Blattgrün) an der innern Wand der Zelle ankleben und ſo den grünen Schein48 hervorrufen. (Taf. I. Fig. 2, 13 c.). Die prachtvolle Farbe des Indigo iſt nichts weiter als eine eigenthümliche Modification dieſes grünen Farbeſtoffs, welche ſich beſonders in den Indigoarten (Indigofera tinctoria und anil), in dem Waid (Isatis tinctoria) und im Färbeknötreich (Polygonum tinctorium) bildet.

In einigen Zellen finden wir höchſt zierliche Kryſtalle ent - weder einzeln oder als nadelförmige Kryſtalle in Bündeln verei - nigt, oder zu mehreren in eine kleine Kryſtalldruſe zuſammengrup - pirt (Taf. II. Fig. 1).

Intereſſanter aber für den Menſchen iſt derjenige Inhalt der Pflanzenzellen, welcher ihm als nothwendige Nahrung, als wohl - thuende Erquickung oder als anregendes Gewürz dient, und nicht minder wichtig ſind auch diejenigen Stoffe, welche dem kranken Or - ganismus dargeboten, wieder die Fähigkeit herbeiführen der reichen Gaben einer ſchöpferiſchen Natur auf's Neue ungeſtört ſich freuen zu können. Dieſes Feld der Betrachtung iſt außerordentlich ausge - dehnt, aber noch lange nicht genügend angebaut; indeß zu einem inter - eſſanten Geſetz haben die bisherigen Forſchungen ſchon geführt, daß nämlich Pflanzen, welche in ihren äußeren Formen nahe verwandt ſind, auch in ihren gleichnamigen Organen gleiche oder doch nahe verwandte Stoffe erhalten. So giebt es ganze Pflanzenfamilien in denen alle Pflanzen bald mehr bald weniger giftig ſind wie die Nachtſchattenpflanzen, die Verwandten unſerer Kartoffel und unſeres Tabaks, und wieder andere die durchweg fade, geſchmacklos und ohne irgend eigenthümliche Stoffe ſind wie z. B. die Verwandten unſerer Gartennelken. Es würde hier zu weit führen alle einzelnen Stoffe und ihr Vorkommen in der Pflanzenwelt durchzugehen und es mag daher an einigen allgemeinen Bemerkungen und der genauen Betrachtung einiger beſonders intereſſanter Stoffe genügen.

Alle in den Pflanzenzellen vorkommenden Subſtanzen ſind ent - weder im Waſſer auflöslich oder nicht. Im erſten Falle giebt uns das Microſcop keinen Aufſchluß über dieſelben, da ſie im wäſſrigen Zell - ſaft verſchwinden, nur die Chemie kann dann ihre Gegenwart nach -49 weiſen. Hierzu gehören unter andern Eiweiß, Gummi, Zucker und die angenehmen Säuren unſerer Früchte, z. B. Aepfel - und Citronen - ſäure. Der Saft z. B. in den Zellen des Zuckerrohrs iſt vollkom - men klar und durchſichtig, erſt wenn er ausgepreßt iſt und abgedampft wird ſcheidet ſich der aufgelöſte Zucker aus.

Dagegen zeigen ſich die flüſſigen Oele recht deutlich unterm Microſcop, ſowohl die fetten, die in Geſtalt kleiner glänzender gelber Kügelchen im Zellſafte herumſchwimmen wie in dem Kern der Man - del, als auch die wohlriechenden (ätheriſchen) Oele, welche gewöhn - lich ganz allein in Einem großen Tropfen eine Zelle ausfüllen.

Zwei der wichtigſten Beſtandtheile in den Pflanzenzellen ſind aber der halbflüſſige, halbkörnige Schleim, welcher, aus einer ſtick - ſtoffhaltigen Subſtanz gebildet, die Zellen entweder ganz ausfüllt, oder neben Oel oder Stärkemehl vorkommt und dann dieſes Letztere ſelbſt. Gewiſſe ſtickſtoffhaltige Beſtandtheile bilden den eigentli - chen Nahrungsſtoff in den Pflanzen. Ein Theil derſelben kommt auf - gelöſt im Zellſafte vor, wie namentlich das Eiweiß, ein anderer und zwar der wichtigere Theil in kleinen ſchleimigen Körnchen. Wenn wir einen Durchſchnitt durch ein Weizen - oder Roggenkorn machen, ſo erkennen wir von Außen nach Innen unterm Microſcop ſehr ver - ſchiedene Lagen. Die äußern derſelben gehören der Frucht und Saa - menſchaale an (Taf. II. Fig. 2, a.) und werden beim Mahlen des Ge - treides als Kleie abgeſchieden. Aber der Mühlſtein trennt nicht ſo genau wie der Blick durch's Microſcop zu unterſcheiden vermag, nicht einmal ſo genau als das Meſſer des Pflanzenanatomen und ſo wird zugleich mit der Kleie auch noch die ganze äußere Zellenlage des Kerns und ſelbſt einige der darauf folgenden Schichten entfernt. Ein Blick auf die Abbildung der Taf. II. Fig. 2. zeigt aber ſogleich, daß die äußeren Zellen des Kerns einen ganz andern Inhalt haben als die innern Zellen, während dieſe ſehr viel Stärkemehl und nur ſehr wenig ſtick - ſtoffreiche Subſtanz enthalten, findet ſich in der äußern Zellenlage nur die letztere, die man bei den Getreidearten Kleber zu nennen pflegt und ſo erklärt ſich aus der anatomiſchen Unterſuchung eines ſolchenSchleiden, Pflanze. 450Getreidekorns ſehr leicht weshalb das Brod um ſo weniger nahrhaft iſt, je ſorgfältiger vorher die Kleie vom Mehl abgeſchieden war.

Der merkwürdigſte Stoff, den wir als Zelleninhalt antreffen, bleibt aber ohne Zweifel das Stärkemehl, nicht allein weil es bei der Er - nährung des Menſchen eine ſo weſentliche Rolle ſpielt, ſondern auch, abgeſehen davon, wegen der eigenthümlichen und meiſt zierlichen Ge - ſtalten, welche es unterm Microſcop zeigt, und welche auf einen hohen Grad innerer Organiſation deuten.

Es kommt in jeder Pflanze, in jedem Pflanzentheil vor, aber nur die Wurzeln, Knollen, Saamen und Früchte, und ſeltner (wie bei der Sagopalme) das Mark enthalten es in ſo großer Menge, daß man ſie als Nahrungsmittel benutzen kann, oder daß es der Mühe lohnt, das Stärkemehl daraus zu gewinnen.

Einer höchſt wunderbaren Eigenſchaft des Stärkemehls verdan - ken wir es, daß wir überall daſſelbe auch in der kleinſten Menge im Innern der Pflanze erkennen können. Es wird nämlich, wenn man es mit einer Auflöſung von Jodine befeuchtet, plötzlich prachtvoll violett-blau gefärbt.

Das Stärkemehl ſelbſt beſteht aus kleinen, glänzenden, durch - ſichtigen Körnern, die oft zu 20-30 in einer Zelle liegen. (Taf. II. Fig. 2, c.) Die einzelnen Körnchen zeigen nicht ſelten einen ſehr zu - ſammengeſetzten Bau. Sie beſtehen aus einem kleinen Kern, um den ſich eine größere oder geringere Zahl Schichten abgeſetzt hat. Da dieſe Schichten gewöhnlich an einer Seite dicker ſind als an der andern, ſo erſcheint deshalb der Kern auch nicht immer in der Mitte (Taf. II. Fig. 3). Aber nicht in allen Fällen iſt dieſer Bau ſo leicht zu erkennen wie bei den eiförmigen Körnchen unſerer Kartoffel oder des ächten weſtindiſchen Arrowroots (Taf. II. Fig. 5.), (auch dieſes iſt nichts als ein ſehr reines Stärkemehl) oder wie bei den flachen ſcheiben - förmigen Körnchen des oſtindiſchen Arrowroot (Taf. II. Fig. 6). Dafür zeigt ſich bei andern Pflanzen eine andere Eigenthümlichkeit, daß nämlich die Stärkekörnchen zu 2, 3, 4 oder mehreren mit einander vereinigt gleichſam zuſammengewachſen ſind. Am ſchönſten ſieht man51 dies in den Zwiebeln der Herbſtzeitloſe (Colchicum autumnale), und ähnlich tritt dieſelbe Form bei dem viel häufiger als das Aechte im Handel vorkommenden unächten weſtindiſchen Arrowroot auf (Taf. II. Fig. 6).

Ich habe ſo in kurzem, flüchtigem Umriß das ganze Innere der Pflanze gezeichnet. Wie einfach iſt der Bau, wie wenig verwickelte Verhältniſſe und wie unendlich ſind die Reſultate, welche die Natur durch dieſe einfachen Mittel erreicht! Die wenigen Andeutungen, die ich mir erlaubte über den Einfluß der Pflanzen auf das Wohlſeyn der Menſchen, ja ſelbſt auf die Möglichkeit ihrer Exiſtenz mögen ge - nügen; die vollſtändige Ausführung dieſes Themas würde hier zu weit führen; vollends aber der Reichthum und die Schönheit der Pflanzenwelt iſt der noch immer unerſchöpfte Vorwurf für alle Dichter aller Zeiten und aller Völker aber hier trete ich zurück, denn der trockne Ernſt der Wiſſenſchaft reicht nicht in jene heiteren Regionen.

4*[52]

Erklärung der Tafeln.

  • Taf. I. Alle Figuren ſind ſtark vergrößert.
  • Fig. 1. Zwei Zellen aus der Schneebeere. Man erkennt in jeder einen Zellenkern a. und zahlreiche Strömchen einer gelblichen ſchleimigen Subſtanz, welche von demſelben ausgehen oder zurückkehren. Bei einigen derſelben iſt die Richtung des Stromes durch einen Pfeil angedeutet.
  • Fig. 2. Zwei Zellen aus dem Blatte der Gartennelke. Man unterſcheidet die farbloſe Zellenwand, eine zarte, gelbliche, ſchleimige Auskleidung und einige größere durch Blattgrün gefärbte Körner.
  • Fig. 3. Eine Zelle aus derſelben Pflanze, welche mit einem Tröpfchen Salpeterſäure und etwas Jodtinktur befeuchtet war. Die grünen Körner ſind bräunlich geworden, die ſchleimige Auskleidung der Zelle iſt geronnen und hat ſich in Folge deſſen von der Wand der Zelle zurückgezogen und bildet ein loſes in derſelben liegendes Säckchen.
  • Fig. 4. Eine Netzfaſerzelle aus dem Blatte der breitblättrigen Gesnerie. (Gesneria latifolia).
  • Fig. 5. Eine[Spiralfaſerzelle] aus dem Blatte einer tropiſchen Orchidee (Pleurothallis ruscifolia).
  • Fig. 6. Eine poröſe Zelle aus der Knolle einer tropiſchen Orchidee (Ma - xillaria atropurpurea).
  • Fig. 7. Eine Ringfaſerzelle aus dem Stengel des italieniſchen Schilf - rohrs (Arundo Donax).
  • Fig. 8. Eine ſehr kurze Baſtfaſer (langgeſtreckte Zelle) aus dem Stengel des Flachſes.
  • Fig. 9. Ein Stückchen einer Baumwollenfaſer.
53
  • Fig. 10. Ein Stück eines Fadens roher Seide von einem Cocon.
  • Fig. 11. Ein Stückchen einer Faſer der Schaafwolle.
  • Fig. 12. Ein Stückchen der von einem Blatte der Gartentulpe abgezogenen Oberhaut. Sie beſteht aus länglichen, faſt ſechseckigen Zellen und zeigt auf dieſem Stückchen vier Spaltöffnungen (Athmungswerkzeuge der Pflanze a.).
  • Fig. 13. Ein zartes Schnittchen aus dem Stengel des italieniſchen Schilf - rohrs, ſo geſchnitten, daß eines der Gefäßbündel (der derben den Stengel durch - ziehenden Faſern) durch den Schnitt blos gelegt worden iſt. a. Zellen des Mar - kes. b. Gefäßbündel, beſtehend aus langgeſtreckten Zellen und zwar von Innen nach Außen auf einander folgend aus Ringfaſer -, einfachen Spiralfaſer -, poröſen - und Baſt-Zellen. c. Zellen der Rinde, die äußerſten enthalten einige durch Blatt - grün gefärbte Körnchen.
  • Taf. II. Alle Gegenſtände ſind ſtark vergrößert dargeſtellt.
  • Fig. 1. Einige Zellen aus einem Cactus, welche verſchiedene Formen von Kryſtallen enthalten, daneben einige freie Kryſtalle von noch andern Formen. Hier iſt zu bemerken, daß in der Natur dieſe ſämmtlichen Formen wohl niemals ſo nahe beiſammen vorkommen, als hier der Raumerſparniß wegen dargeſtellt iſt.
  • Fig. 2. Der äußere Theil eines feinen Querſchnittes durch ein Roggen - korn. a. Einige Lagen gelblicher zuſammengedrückter Zellen, welche die Schaale des Kerns bilden. b. Die äußere Schicht der Zellen des Kerns; dieſelben ſind ganz mit einer gelblichen, ſchleimig-körnigen Subſtanz angefüllt. c. Die innern Zellen des Kerns, welche faſt nur Stärkemehlkörnchen enthalten, und nur hin und wieder etwas von jener ſchleimig-körnigen Subſtanz, welche den ſog. Kleber des Mehls bildet und eigentlich der nahrhafteſte Beſtandtheil des Getreides iſt. Die beim Schroten abgeſtreifte Kleie umfaßt mindeſtens alle Schichten bis c., alle übrigen in das weiße oder feine Mehl übergehenden Zellen gleichen in Form und Inhalt den unter c. beſchriebenen.
  • Fig. 3. Stärkemehlkörner aus der Kartoffel.
  • Fig. 4. Desgleichen, das oſtindiſche Arrowroot bildend.
  • Fig. 5. Desgleichen, das ächte weſtindiſche Arrowroot bildend.
  • Fig. 6. Desgleichen, das gewöhnlich im Handel vorkommende unächte weſt - indiſche Arrowroot bildend. Seinen mediciniſchen Eigenſchaften nach ſteht dies letztere übrigens dem ächten ganz gleich.
  • Fig. 7. Ein Stückchen der äußern Zellenſchichten von dem rothgefleckten Blüthenſtiel der gründlich blühenden Veltheimie. Man erkennt ſogleich, daß die rothen Flecken aus kleinen Zellengruppen beſtehen, welche einen rothgefärbten Saft enthalten, während die benachbarten mit grün gefärbten Stoffen erfüllt ſind. Zugleich iſt dies ein ſchlagender Beweis dafür, daß die einzelnen Zellen ganz von einander unabhängig und ringsum geſchloſſen ſind, weil ſich ſonſt die verſchieden gefärbten Säfte mit einander vermiſchen müßten.
  • Fig. 8. Ein feines Längsſchnittchen vom Eichenholz, aus Holzzellen a. und poröſen Zellen b., ſogenannten Gefäßen des Holzes, beſtehend.
54
  • Fig. 9. Ein feines Querſchnittchen deſſelben Holzes. Man unterſcheidet leicht die kleineren aber ſehr dickwandigen Holzzellen a. von den ſehr großen aber verhältnißmäßig dünnwandigen Gefäßzellen b. auch auf dem Querſchnitt. Bei c. nimmt man noch einige Reihen eigenthümlicher Zellen wahr, vom Pflan - zenanatomen Markſtrahlen, vom Holzarbeiter Spiegelfaſern genannt, welche das Holz ſtrahlenförmig vom Marke bis zur Rinde durchziehen.
  • Fig. 10. Ein zartes Längsſchnittchen aus dem Holze der gemeinen Kiefer, beſtehend aus ſehr langgeſtreckten poröſen Holzzellen, aber dadurch ausgezeichnet, daß die Poren mit zwei Kreiſen einem größeren äußeren a. und einem kleineren inneren b. bezeichnet ſind, eine Eigenheit, die in ähnlicher Weiſe nur beim Nadel - holz vorkommt und es uns möglich macht dieſes auch noch aus der Braunkohle und im verſteinerten Zuſtande zu erkennen.
[55]

Dritte Vorlesung. Ueber die Fortpflanzung der Gewächſe.

[figure]
Der Luft, dem Waſſer, wie der Erden Entwinden tauſend Keime ſich, Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten. (Fauſt. )[56][57]

Tief im Innern ſeines Gemüthes fühlt der Menſch, daß er ſeiner beſſern Natur nach nicht dieſer Körperwelt, die ihn umgiebt, ange - höre, daß eine Welt ſelbſtſtändiger lebendiger Geiſter ſeine eigentliche Heimath ſey, und gern ſchwingt er ſich in begeiſterter Ahnung auf in jene Regionen, die ihm als ſein wahres Heimathland erſcheinen. Kehrt er nun zurück von ſolchen Ausflügen, zu denen ihn das Gefühl ſeines Urſprungs die Flügel geliehen, wird er nach ſolchen Erhebungen wieder zurückverſetzt in die todte Welt ſchwerer Maſſen, ſo trennt er ſich unwillig nur von ſeinen ſchönen Bildern und gern trägt er zumal in der Jugend, wie des Individuums ſo des ganzen menſchlichen Ge - ſchlechts, das freie geiſtige Leben, das ihm verwandt, über auf die ihn umgebende Natur. Die jugendliche Phantaſie leiht dem Fels, dem Baume, der Blume einen ſie belebenden Genius und in dem Rollen des Donners hört ſie Gottes Stimme. Dem tritt dann die ernſte Wiſſenſchaft entgegen, ſie entkleidet die Natur von jenem be - geiſtigenden Zauber und unterwirft ſie dem blinden Fatum ausnahms - loſer Naturgeſetze. Zwar iſt ihr Ziel eben den Geiſt in ſeiner Selbſt - ſtändigkeit unabhängig von der Natur in ſeine Rechte einzuſetzen und über ſie in religiöſer Ahnung mit Bewußtſeyn das höchſte Weſen zu erheben, aber doch wird der Durchgang zu dieſem erhabenen Ziel von dem warmfühlenden Menſchen feindſelig empfunden und nur mit bit - term Schmerz trennt er ſich von den lebendigen Geſtalten, mit denen er ſeine Welt bevölkert hatte. Selten hat wohl Jemand dieſen Zwie - ſpalt, der noch nicht zur höhern Verſöhnung gediehen, ſchöner aus - geſprochen als Schiller in ſeinen Göttern Griechenlands.

58

Auch meine Lebensaufgabe iſt es, nach meinen Kräften an dieſer Entgeiſtigung der Natur zu arbeiten und es war mir in meiner frü - hern Vorleſung vergönnt, nachzuweiſen, wie die das ſinnige Gemüth ſo lebendig anſprechende Formenwelt der Pflanzen, ihr ſo geheimniß - voll ſcheinendes ſtilles Weben und Wirken ſich vor dem Auge des beſonnenen Naturforſchers auflöſt in chemiſch-phyſicaliſche Proceſſe, die an und in einem unſcheinbaren Bläschen, der Pflanzenzelle, vor ſich gehen. Aber die ganze Pflanze iſt nicht eine einzelne Zelle, ſon - dern nur aus ſolchen zuſammengeſetzt, und zwar nach einer ſo be - ſtimmten Regel zuſammengeſetzt, daß ſeit Jahrtauſenden auf allen Puncten der