PRIMS Full-text transcription (HTML)
[I]
Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts mit Vergleichung der Literatur und Geſetzgebung von Frankreich, England und Deutſchland.
Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung.1870.
[II]

Buchdruckerei der J. G. Cotta'ſchen Buchhandlung in Stuttgart.

[III]

Vorwort.

Ich übergebe mit dem vorliegenden Werke dem Publikum einen wenigſtens formalen Abſchluß des Verſuches, die Verwaltungslehre zu einer ſyſtematiſchen Wiſſenſchaft zu erheben. Der nächſte Grund, der mich dazu bewog, war das Bedürfniß, den Vorleſungen über Verwaltungslehre eine ausreichende Baſis zu geben. Das größere Werk, welches ich vor zehn Jahren begonnen habe, iſt ſo um - fangreich, daß es für das allgemeine Studium der Verwaltungs - lehre ſich kaum eignet. Ich habe außerdem ſchon früher erklären müſſen, daß es kaum in Eines Menſchen Kraft liegt, es in dem - ſelben Umfange zu vollenden, in welchem es begonnen wurde. Ich habe dennoch nie geglaubt, daß es, auch in dieſem Umfange, wirklich ausreiche. Ich habe nur den Beweis zu liefern geſucht, daß die poſitiven und praktiſchen Fragen der Verwaltung einer höheren wiſſenſchaftlichen Behandlung fähig und werth ſind, und ich würde mich glücklich ſchätzen, wenn ich dieſe Ueberzeugung auch für andere gewonnen hätte. Jetzt kam es darauf an, in dem - ſelben Geiſte die Umriſſe des Ganzen feſtzuſtellen. Es war die Aufgabe des vorliegenden Werkes, dieſen Verſuch zu machen. Ich übergebe ihn, obwohl ich ſeine Mängel und Unfertigkeiten ſehr wohl erkenne, der Oeffentlichkeit. Ich wage das aber, weil ich einen andern, weiter gehenden Gedanken ſchon hier vertreten zu müſſen glaube. Und ſo vieler und tiefer Widerſpruch mir dabei auch entgegen treten wird, ich ſtehe keinen Augenblick an, ihn auszuſprechen.

Unſere ganze juriſtiſche Bildung an den deutſchen Hochſchulen iſt ohne allen Zweifel durchaus hinter unſrer großen Gegenwart zurück. Es gibt, ſo weit das geiſtige Auge reicht, keinen einzigenIV Theil der Wiſſenſchaft, der ſeit fünfzig, ja eigentlich ſeit dreihundert Jahren ſo ſtabil geweſen wäre, ja ſo wenig Fortſchritte gemacht hätte, als die Rechtswiſſenſchaft. Im Großen und Ganzen gibt es nur Einen Punkt, auf dem wir weiter gekommen ſind, und das iſt die Rechtsgeſchichte der alten Zeit. Im Uebrigen ſtehen wir da, wo im vorigen Jahrhundert Selchow und Runde, in unſerem Makeldey und Wennig-Ingenheim ſtanden. Der große Impuls, den der geniale Thibaut gegeben, iſt erfolglos geblieben. Doch das iſt nicht die Hauptſache, weil es nur die Conſequenz der Hauptſache iſt. Die aber beſteht in der ſehr ernſten Thatſache, daß wir, mitten in einem Leben, das nach allen Seiten hin ſeine Blüthen einer neuen Zukunft entgegen treibt, mit unſerem ganzen juriſtiſchen Bewußtſein weſentlich noch im Corpus Juris und den Pandekten ſtecken. Es iſt faſt unglaublich, daß faſt an allen deutſchen Univerſitäten das Maß der Kenntniß des römiſchen Rechts als das Maß der juriſtiſchen Bildung gilt; daß die Pan - dekten die Hauptſache des Studiums ſind, daß das römiſche Recht die Literatur beherrſcht, und daß man alles, was ihm nicht ange - hört, als Sache zweiter Ordnung betrachtet. Und wenn man für das römiſche Recht noch irgend eine Vorſtellung von der Grenz - beſtimmung deſſen hätte, was aus ihm gilt und nicht gilt, oder eine Vorſtellung von ſeinem Verhältniß zum deutſchen Privatrecht, oder eine Vorſtellung von der Geſchichte eben dieſes römiſchen Rechts ſeit den letzten zwei Jahrhunderten! Iſt es nicht wunder - bar, daß unſre jungen Männer mehr wiſſen von Atilius und Plautius, von Ulpian und Hermogenian, als von Leyſer, Stryk, Pothier, Merlin, Blackſtone und andern Männern, auf deren Schultern unſere Rechtsbildung ſteht? Iſt es nicht wunderbar, daß es die erſte Aufgabe jedes deutſchen Juriſten iſt, ſich mit Servius Tullius und den zwölf Tafeln auf möglichſt guten Fuß zu ſetzen, daß man die Weisthümer, Bannrechte und Regalien, die eben ſo wenig jetzt noch exiſtiren wie das Edictum perpetuum, genau kennen muß, daß aber in ganz Deutſchland keine einzige Univerſität und keine einzige Vorleſung exiſtiren, wo der junge Mann auch nur die gegen - wärtige Civilgeſetzgebung eben dieſes ganzen Deutſch - lands kennen lernen könnte. Deutſchlands gegenwärtigesV Recht exiſtirt auf den deutſchen Rechtsfakultäten nicht; an der Stelle des deutſchen Rechts ſteht das Pandektenweſen, an der Stelle der organiſchen Auffaſſung deſſelben die Caſuiſtik, und das was die deutſchen Juriſten zu einem Ganzen macht die Quelle des deutſchen Rechtsbewußtſeins, der deutſchen einheitlichen Rechts - bildung iſt das Recht der Römer, von dem drei Viertel abſolut unbrauchbar für uns ſind, und wo man bei dem letzten Viertel nicht mehr weiß, was noch für uns einen Werth haben kann, was nicht. Daß dabei von einem Verſtändniß der franzöſiſchen und engliſchen Rechtsbildung keine Rede iſt, iſt in einem Volke natür - lich leicht klar, wo der Preuße nicht lernt, was in Sachſen, der Sachſe nicht was in Bayern, der Bayer nicht was in Württem - berg und keiner von ihnen was in Oeſterreich gilt. Und während dieſe Leute ſitzen und ihre Antiquitäten tradiren, geht das gewal - tige Leben unſrer Zeit über ſie hinweg, verbindet die Völker und Länder, läßt nirgends eine Abſonderung und Abgeſchloſſenheit zu; jeder junge Geſchäftsmann ſucht Frankreich und England, jeder Techniker weiß Beſcheid von der Oſtſee bis zum Mittelmeer, aber der Juriſt, an ſeine Pandekten gekettet, ward erzogen und gegängelt von der Vorſtellung, daß er neben dieſen Pandekten nicht einmal die Kenntniß der in ſeinem Vaterlande geltenden Geſetzbücher, geſchweige denn der Rechtsbildung und der Literatur unſeres Jahr - hunderts bedürfe, um ein tüchtiger Juriſt zu ſein. Während in dieſem ſich ſelbſt in hundert Commiſſionen prüfenden und teſti - renden Volke hundertmal an Einem Tage die Frage nach der lex Aquilia oder Rhodia vorkommt wir fragen, ob auch nur ein einzigesmal ſeit hundert Jahren in Preußen bei einem Examen eine Frage nach dem bayriſchen oder öſterreichiſchen Landrecht vorge - kommen, oder nach irgend einem nichtpreußiſchen Recht dieſſeits oder jenſeits der Mainlinie oder umgekehrt? Und dann fragt man noch, weßhalb die Franzoſen uns in der Weiſe achten und behandeln, wie man etwas Unverſtändliches behandelt?

Und dennoch iſt das nur Eine Seite der Sache. Die zweite nicht weniger ernſte iſt die, welche ſich dem öffentlichen Leben und ſeinem Recht zuwendet. Und hier wieder wollen wir nicht vom eigentlichen Staatsrecht reden. Es iſt ein eigenes Ding mit dem Staatsrecht unſerer Zeit, vor allem mit dem deutſchen Staatsrecht,VI und viele Gründe erklären, weßhalb man daſſelbe in ſeinen einzelnen poſitiven Beſtimmungen für unwichtig erklären muß; denn das poſitive Recht wechſelt und die Principien ſtehen nicht feſt. Allein ein anderes iſt gewiß. Das, was ſich namentlich in Deutſchland am ſtärkſten entwickelt, iſt das Syſtem und der Organismus der Selbſtverwaltung, mit ihr der beſtändige Drang, die Aufgaben der Verwaltung der alten Bureaukratie zu entziehen. Um das zu können, muß man Eins, man muß nicht bloß das Recht, man muß auch die Fähigkeit haben zu verwalten. Dieſe Fähigkeit hat aber ihre Vorausſetzungen, wie jede andere. Sie fordert Arbeit und Kenntniſſe. Und eben deßhalb, wo immer die Selbſtverwaltung auftritt, wendet ſie ſich zunächſt an die, denen man in öffentlichen Dingen die meiſten Kenntniſſe zutraut. Das aber ſind die Rechts - kundigen aller Art. Und was haben die Rechtskundigen gelernt? Von welchen Geſichtspunkten gehen ſie aus? Was iſt die Baſis ihrer Kenntniſſe? Wir bedauern, ſagen zu müſſen, daß die Bil - dung für das öffentliche Leben in Deutſchland für die meiſten Fach - juriſten mitten in der gewaltigen Zeit, in der wir ſtehen, ſich nach wie vor weſentlich auf jenes römiſche Recht, auf Inſtitutionen und Pandekten beſchränkt, von denen nicht einmal das Verhältniß zum übrigen poſitiven bürgerlichen Recht klar iſt. Mit dem römiſchen Recht ausgerüſtet, tritt der Fachjuriſt in die Gemeindevertretung, in den Kreis und Landtag, in den Reichs - und Bundestag. Hier aber handelt es ſich um etwas anderes als um Titus und Sem - pronius; hier treten die praktiſchen Fragen des öffentlichen Lebens auf; hier iſt es das Gemeindeweſen, das Gewerbe, das Vereins - weſen, die Wege, Brücken, die Grundbücher, das Geſundheits - weſen und hundert andere Dinge, welche eine verſtändige Erledigung fordern, eine Erledigung, von der nicht etwa ein Beweisinterlocut oder ein Endurtheil im Proceß zwiſchen jenem Titus und Sem - pronius, ſondern das Wohl und Wehe vieler Menſchen, ja ganzer Körper und Staaten abhängen. Und was hilft ihm hier der Geiſt des römiſchen Rechts, den er anruft, wo das Wort ihn im Stiche läßt, und den er nicht zu beherrſchen weiß, wenn er erſcheint? Was nützen ihm Inſtitutionen und Pandekten, die ja nicht einmal ein lateiniſches Wort für die Hauptbegriffe haben, um die es ſich handelt? Kann jemand die Gemeinde, das Gewerbe, die Geſundheits -VII pflege, das Heimathsweſen, das Grundbuchsweſen, das Wegeweſen, die Poſt und hundert andere Dinge auch nur ins Lateiniſche über - ſetzen? Kann ihm daher eine Disciplin, welche für die Haupt - verhältniſſe unſrer Zeit gar keinen Namen hat, helfen, wenn ihn das Volk wählt, weil es meint, er müſſe verſtändliche Sachen verſtehen, da er ja unverſtändliche verſtehe. Kann er ſelbſt das Gefühl haben, im öffentlichen Leben etwas zu leiſten, wenn er nie gelernt hat, ſich mit demſelben geiſtig zu beſchäftigen? Kann er zufrieden ſein mit einer Fachbildung, deren Schwerpunkt in hiſto - riſcher und caſuiſtiſcher Doktrin beſteht, und die in Geſchichte und Syſtem da aufhört, wo unſere Zeit anfängt, mit dem weſtphäli - ſchen Frieden? Und was iſt die Folge davon, daß er das nicht kann, und daß er an ſeinen Univerſitäten alles lernt, nur nicht das, was er am nöthigſten braucht, das wirkliche Leben der menſch - lichen Gemeinſchaft und ſeine Anſtalten und Bedürfniſſe? Die erſte Folge davon iſt die, unter der wir alle leiden, die Phraſe. Deutſchland, das Land der tiefen Denker und der exakten Gram - matiker, iſt das Land der politiſchen Phraſe wie kein anderes der Welt; das Land, in welchem die Phraſe um der Phraſe willen geſagt wird; das Land, in welchem die eine Hälfte der öffentlichen Stimmen die andere ermüdet durch ewig neues Suchen nach Worten, die zu vieles bedeuten, um etwas zu gelten; das Land, in dem man redet, weil man wenig zu ſagen hat. Die zweite Folge aber iſt die, daß in allen Volks - und Reichsvertretungen die gebildeten Fachjuriſten allmählig ganz verſchwinden, daß die glatte Journa - liſtik ſtatt ihrer in der Tagespreſſe, der Geſchäftsmann und der Bürger ſtatt ihrer in den Vertretungen das Wort nimmt. Die wichtigſte Thatſache unſerer Gegenwart und auch unſerer nächſten Zukunft iſt die, daß unſere heutige Jurisprudenz vollkommen un - fähig iſt, Männer des öffentlichen Lebens, deutſche Staatsmänner zu erzeugen; der Grund davon iſt, daß auf den Hochſchulen die Pandekten Hauptſache und die Staatswiſſenſchaften Nebenſache ſind; und nicht weil wir gelehrt ſind, ſondern weil wir auf einem verkehrten Punkte gelehrt ſind, ſtehen wir zurück hinter den Engländern und Franzoſen, denen wir überlegen ſind in allem, was alle anderen angeht, die uns aber überragen in allem, was das Verſtändniß der eigenen praktiſchen Intereſſen betrifft. SoVIII lange unſere juriſtiſchen Fakultäten ihre gegenwärtige Geſtalt und Ordnung behalten, werden wir mit allen Reichs -, Landes - und Gemeindeverfaſſungen ewig regiert werden, ſtatt zu regieren; ſo lange die Pandekten zu viel bedeuten an den deutſchen Univerſitäten, werden die Deutſchen zu wenig bedeuten in Europa.

Darum nun, um der kommenden Zeit mit ihrem ſtaats - männiſchen Inhalt vorzuarbeiten, ſo weit die geringen Kräfte eines Einzelnen gehen, habe ich verſucht, das Handbuch der Inſtitutionen des Verwaltungsrechts auszuarbeiten, der Zeit in Treue harrend, wo das öffentliche Recht dieſelbe Stelle an den Univerſitäten ein - nehmen wird, welche das öffentliche Leben allmählig im deutſchen Volke einnimmt, und wo man ſeine Studien nicht eher für abſol - virt halten wird, bis man neben den Pandekten Tribonians auch die der Verwaltung, ihres Organismus, ihrer Geſchichte und ihrer großen Aufgaben ſich eigen gemacht hat. Es iſt eine andere Frage, wie ſich das in der Oekonomie der Studienzeit dann geſtalten wird; wir behandeln ſie ſeiner Zeit an einem andern Ort. Wir wären aber ſtolz darauf, wenn dieſe Erſtlingsarbeit auf dieſem Gebiete den Anſtoß zur ernſteren Erwägung über die Einrichtung der Fachbildung für das öffentliche Rechtsleben geben würde.

Wien, Juni 1870.

Dr. Lorenz von Stein.

[IX]

Inhalt. Die Innere Verwaltung. Einleitung. Der organiſche Staatsbegriff.

  • Seite
  • I. Der Staat und ſeine organiſchen Grundbegriffe4
  • II. Der organiſche Begriff und Inhalt der Verwaltung7
  • III. Begriff, Geſchichte und Vergleichung des Verwaltungsrechts10
  • Die vollziehende Gewalt. Begriff und Weſen. Allgemeiner Theil. I. Die Vollzugsgewalten und die Staatsgewalt14
  • II. Die organiſchen Grundformen der vollziehenden Gewalt15
  • III. Das Recht der Vollzugsgewalt und ſeine Entwicklung zum verfaſſungs - mäßigen Verwaltungsrecht16
  • Beſonderer Theil. A. Die Regierung und das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht19
  • I. Begriff und Organismus der Regierung. Das Staatsoberhaupt und die Regierung im eigentlichen Sinne19
  • II. Die Funktion der Regierung21
  • III. Das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht22
  • B. Die Selbſtverwaltung25
  • I. Begriff und Organismus25
  • II. Die Funktion der Selbſtverwaltung28
  • III. Das Rechtsſyſtem der Verwaltung29
  • C. Das Vereinsweſen32
  • I. Begriff und Syſtem32
  • II. Die Vereinsarten als Funktionen des Vereins34
  • III. Das Syſtem des Vereinsrechts37
X

Die Innere Verwaltung. Allgemeiner Theil.

  • Seite
  • Begriff und Idee derſelben43
  • Das Princip der inneren Verwaltung44
  • Das innere Verwaltungsrecht45
  • Elemente der Geſchichte der Verwaltung und ihres Rechts46
  • Die nationale Geſtalt des inneren Verwaltungsrechts und die vergleichende Rechtswiſſenſchaft51
  • Das Syſtem der inneren Verwaltung. Erſter Theil. Die innere Verwaltung und das perſönliche Leben. A. Die Verwaltung und das phyſiſche Leben56
  • I. Das Bevölkerungsweſen57
  • Begriff und Syſtem57
  • A. Die Statiſtik und das Zählungsweſen58
  • I. Der Begriff der adminiſtrativen Statiſtik. (Die Lehre von der Wiſſenſchaft der Thatſachen) 58
  • II. Das Zählungsweſen60
  • B. Die adminiſtrative Ordnung der Bevölkerung63
  • Begriff und Weſen63
  • I. Die öffentlich-rechtliche Bevölkerungsordnung64
  • Begriff64
  • a) Die adminiſtrative Competenz und Zuſtändigkeit65
  • b) Competenz und Zuſtändigkeit in der Selbſtverwaltung. Ge - meindeangehörigkeit und Heimathsrecht66
  • II. Die Standesregiſter68
  • III. Das Paß - und Fremdenweſen70
  • C. Die Bevölkerungspolitik73
  • I. Das öffentliche Eherecht73
  • II. Das Einwanderungsweſen76
  • III. Das Auswanderungsweſen78
  • II. Das öffentliche Geſundheitsweſen81
  • Begriff81
  • Entwicklung der Geſetzgebung und der Organiſation des Geſundheits - weſens bis zur Gegenwart83
  • A. Das Sanitätsweſen85
  • Begriff85
  • I. Die Sanitätspolizei85
  • a) Die Seuchenpolizei86
  • b) Die Geſundheitspolizei87
  • XI
  • Seite
  • II. Die Geſundheitspflege88
  • B. Das Heilweſen (Medicinalweſen) 90
  • I. Der Heilungsberuf90
  • a) Die Aerzte und ihr Berufsrecht90
  • b) Das Apothekerweſen92
  • c) Hebammenweſen92
  • d) Heildiener93
  • II. Die Heilanſtalten93
  • a) Hoſpitäler und Armenärzte93
  • b) Das Irrenweſen94
  • c) Gebär - und Ammenanſtalten94
  • d) Geſundbäder95
  • III. Das Polizeiweſen95
  • Hiſtoriſche Grundlage95
  • Begriff und Elemente des Syſtems97
  • A. Die Sicherheitspolizei99
  • Begriff und Rechtsprincip99
  • I. Die höhere Sicherheitspolizei100
  • II. Die Einzelpolizei102
  • B. Die Verwaltungspolizei103
  • I. Begriff und Syſtem103
  • II. Rechtsprincip. Die Polizeiſtrafgeſetze104
  • IV. Das Pflegſchaftsweſen106
  • B. Die Verwaltung und das geiſtige Leben. (Das Bildungsweſen) 107
  • Begriff und Bildung des Bildungsweſens107
  • Geſchichtliche Epochen des Bildungsweſens109
  • Das neunzehnte Jahrhundert und ſein Bildungsweſen112
  • 1) Das Syſtem des Bildungsweſens112
  • 2) Das Recht und die Geſetzgebung des Bildungsweſens113
  • 3) Principien des Organismus des Bildungsweſens114
  • Charakter des Bildungsweſens in England, Frankreich und Deutſchland116
  • A. Das Elementar - oder Volksſchulweſen117
  • Begriff und Elemente der Geſchichte117
  • Syſtem des Volksſchulweſens119
  • I. Die Schulordnung119
  • II. Das Lehrerweſen121
  • III. Die Schulverwaltung121
  • a) Organismus der Volksſchulverwaltung122
  • b) Die Gemeinde und die Schullaſt123
  • c) Das Privatſchulweſen124
  • B. Das Berufsbildungsweſen125
  • Begriff und Princip125
  • Elemente der Geſchichte126
  • XII
  • Seite
  • Das Syſtem des Berufsbildungsweſens129
  • a) Die gelehrte Berufsbildung129
  • b) Die wirthſchaftliche Berufsbildung130
  • c) Das künſtleriſche Berufsbildungsweſen130
  • Das Berufsbildungsrecht131
  • a) Die Lehrordnung132
  • b) Das Prüfungsſyſtem133
  • C. Die allgemeine Bildung134
  • Weſen und Syſtem derſelben134
  • I. Die Sittenpolizei135
  • II. Die Bildungsanſtalten136
  • III. Die Preſſe136
  • Zweiter Theil. Die Verwaltung und das wirthſchaftliche Leben. Begriff und Weſen140
  • Die geſchichtliche Entwicklung derſelben141
  • Die Elemente des Syſtems und des Organismus derſelben142
  • Allgemeiner Theil. Elemente des Syſtems144
  • Erſtes Gebiet. Die Entwährung144
  • Weſen und Syſtem144
  • I. Die Entlaſtungen145
  • II. Die Enteignung148
  • III. Das Staatsnothrecht150
  • Zweites Gebiet. Die Verwaltung und die Elemente150
  • Begriff und Weſen150
  • I. Die Feuerpolizei151
  • Weſen. Elemente der hiſtoriſchen Entwicklung151
  • Syſtem der Feuerpolizei152
  • II. Das Waſſerrecht153
  • Begriff und Syſtem153
  • Elemente der Geſchichte des Waſſerrechts154
  • A. Das Privatwaſſerrecht157
  • B. Das öffentliche Waſſerrecht159
  • Begriff und Weſen159
  • a) Der Waſſerſchutz und Waſſerbau160
  • b) Die Waſſerverſorgung161
  • c) Die Waſſertriebkraft161
  • d) Die Waſſerverkehrswege162
  • e) Das Waſſerrecht der Landwirthſchaft163
  • III. Das Schadenverſicherungsweſen165
  • Begriff und hiſtoriſche Entwicklung165
  • A. Die Rechtsbildung des Verſicherungsweſens und ſein Fortſchritt169
  • XIII
  • Seite
  • B. Grundlagen des öffentlichen Rechts des Verſicherungsweſens170
  • I. Der Verſicherungsvertrag171
  • II. Die Verſicherungsverwaltung171
  • Drittes Gebiet. Das Verkehrsweſen173
  • Begriff173
  • I. Die Elemente des Syſtems174
  • II. Das Princip des Verkehrsweſens und ſeine hiſtoriſche Entwick - lung aus der Regalität175
  • III. Das öffentliche und das bürgerliche Verwaltungsrecht des Ver - kehrsweſens177
  • Erſter Theil. Die Verkehrsmittel und die Verwaltung178
  • I. Das Wege - und Bauweſen178
  • Begriff und Syſtem178
  • A. Das Landwegeweſen179
  • Elemente ſeiner Rechtsgeſchichte179
  • Das Syſtem des Wege - und Bauweſens und ſeines Rechts182
  • a) Das öffentliche Bauweſen182
  • b) Das eigentliche Wegeweſen184
  • 1) Die Organiſation184
  • 2) Die Wegeordnung184
  • 3) Die Wegelaſt185
  • B. Waſſerwege186
  • II. Das Schifffahrtsweſen188
  • Begriff und Elemente der Geſchichte188
  • A. Seerecht. Weſen und Gebiete191
  • B. Die Schifffahrtsverwaltung in Schutz und Förderung192
  • Zweiter Theil. Die Verkehrsanſtalten. Begriff und Weſen der drei Grundformen194
  • I. Das Poſtweſen197
  • Natur ſeiner Funktion und Elemente ſeiner Geſchichte197
  • A. Die Poſtverwaltung200
  • 1) Organismus der Poſtverwaltung200
  • 2) Organiſation des Betriebes202
  • 3) Das Portoſyſtem203
  • B. Das Poſtrecht205
  • Begriff205
  • Syſtem des Poſtrechts. Zwangsrecht, Poſtpflicht, Poſtſtrafrecht, Poſtnothrecht206
  • II. Das Eiſenbahnweſen208
  • Natur ſeiner Funktion208
  • Die rechtsbildenden Elemente des Eiſenbahnweſens209
  • Die Elemente der Geſchichte des Bahnweſens210
  • Syſtem211
  • XIV
  • Seite
  • 1) Organiſation des Bahnweſens214
  • 2) Conceſſionsrecht der Eiſenbahnen215
  • 3) Betriebsrecht217
  • 4) Verkehrsrecht219
  • III. Oeffentliche Dampfſchifffahrt221
  • IV. Das Telegraphenweſen222
  • Dritter Theil. Das Umlaufsweſen. Begriff und Inhalt224
  • A. Der Güterumlauf. Maß - und Gewichtsweſen225
  • B. Der Werthumlauf. Das Geldweſen229
  • Begriff und Inhalt229
  • I. Das Münzweſen231
  • II. Das Währungsweſen236
  • III. Das Papiergeldweſen239
  • IV. Das Inhaberpapier242
  • Vierter Theil. Das Creditweſen. Begriff und Weſen des Credits244
  • Das wirthſchaftliche und das öffentliche Creditweſen246
  • a) Der Organismus des wirthſchaftlichen Creditweſens246
  • b) Princip und Organe des öffentlichen Creditweſens247
  • c) Elemente der Geſchichte der Organiſation des Credits250
  • A. Perſonal-Creditweſen252
  • a) Der Darlehenscredit und die Zins - und Wuchergeſetze253
  • b) Der Pfandcredit, die Pfand - und Leihhäuſer257
  • B. Das Real-Creditweſen259
  • Begriff259
  • I. Das Grundbuchsweſen260
  • Unterſchied vom Pfandrecht260
  • Princip und Begriff des Grundbuchsweſens261
  • Elemente der Geſchichte des Grundbuchsweſens262
  • Syſtem266
  • 1) Organismus der Grundbuchsverwaltung266
  • 2) Grundbuchs-Ordnung267
  • 3) Die Grundbuchsführung269
  • 4) Das Grundbuchsrecht272
  • a) Die Priorität273
  • b) Die Specialität274
  • c) Die Legalität274
  • d) Publicität276
  • II. Die Realcredit-Anſtalten277
  • Begriff und Weſen277
  • Der Realcredit-Verein279
  • a) Princip und Syſtem deſſelben279
  • b) Die Arten der Realcredit-Vereine281
  • c) Oeffentliches Recht der Realcredit-Vereine283
  • XV
  • Seite
  • C. Der Geſchäftscredit284
  • Wirthſchaftlicher Begriff284
  • Das Princip des Verwaltungsrechts des Geſchäftscredits285
  • Die drei Grundformen des Geſchäftscredits: der Zahlungs -, Unter - nehmungs und Vorſchußcredit286
  • I. Der Zahlungscredit und ſeine öffentlich-rechtliche Ordnung288
  • 1) Der kaufmänniſche Credit und die Handelsbücher288
  • 2) Das Zahlungsweſen der Bankhäuſer und das Wechſelrecht288
  • 3) Das Vereinsweſen des Zahlungscredits. Das Bankweſen290
  • Begriff und Rechtsprincip290
  • a) Das Bankweſen als Organismus des reinen Zahlungs - credits. Volkswirthſchaftliche Funktion der Notenbank291
  • b) Das öffentliche Recht des Bankweſens294
  • II. Der Unternehmungscredit und ſein öffentliches Recht300
  • Wirthſchaftliche Funktion300
  • 1) Das Geſellſchaftsweſen des Unternehmungscredits und die Handelsgeſetzbücher301
  • 2) Der organiſche Unternehmungscredit und die Creditanſtalten303
  • III. Der Vorſchußcredit und die geſellſchaftlichen Creditvereine309
  • Wirthſchaftliche und geſellſchaftliche Funktion309
  • Beſonderer Theil der Volkswirthſchaftspflege311
  • Begriff deſſelben und Princip ſeiner Verwaltung311
  • Elemente der Rechtsgeſchichte des beſondern Theils der volkswirthſchaft - lichen Verwaltung312
  • I. Das Bergweſen und ſein öffentliches Recht314
  • Begriff und Princip314
  • Elemente der Geſchichte des Bergweſens315
  • Syſtem des Bergrechts317
  • II. Das Forſtweſen319
  • Begriff und Princip319
  • Elemente der Geſchichte des Forſtweſens321
  • Syſtem des Forſtrechts322
  • Jagdrecht325
  • Fiſchereiordnung327
  • III. Die Landwirthſchaftspflege327
  • Princip derſelben327
  • Elemente der Geſchichte330
  • Syſtem der Landwirthſchaftspflege332
  • 1) Die Organiſation332
  • 2) Eigentliche Landwirthſchaftspflege333
  • a) Allgemeiner Theil333
  • b) Beſonderer Theil338
  • IV. Das Gewerbeweſen339
  • Begriff und Princip339
  • XVI
  • Seite
  • Elemente der Geſchichte des Gewerberechts341
  • Syſtem des Gewerberechts344
  • a) Organiſation des Gewerbeweſens344
  • b) Allgemeine Gewerbspflege346
  • c) Gewerberecht347
  • I. Die Gewerbeordnung347
  • II. Die Gewerbegerichte348
  • III. Die Gewerbepolizei349
  • IV. Einzelne Gewerbeordnungen und ihre Polizei350
  • V. Die Induſtrie und die Verwaltung351
  • Begriff und Princip351
  • Elemente der Geſchichte352
  • Syſtem des Induſtrieweſens354
  • 1) Organiſation355
  • 2) Allgemeine Verwaltung356
  • 3) Beſonderer Theil357
  • I. Erwerbsgeſellſchaften357
  • II. Die Arbeiterordnung358
  • VI. Der Handel und die Verwaltung363
  • Begriff363
  • Elemente der Geſchichte364
  • Syſtem der Handelsverwaltung368
  • 1) Eigentliche Handelspflege369
  • A. Organismus des Handels369
  • B. Handelsverträge370
  • C. Das Zollweſen371
  • 2) Das Handelsrecht376
  • Begriff, Princip und Inhalt376
  • Handelsrecht und Gericht377
  • 3) Einzelne Handelszweige379
  • VII. Der geiſtige Erwerb382
  • Begriff und Princip. Das Werthrecht der geiſtigen Produkte382
  • 1) Das literariſche Eigenthum und das Nachdrucksrecht384
  • 2) Das Recht der Erfindungen. Begriff und Princip388
  • a) Das Patentrecht389
  • b) Muſter - und Markenſchutz391
  • Dritter Theil. Die Verwaltung und das geſellſchaftliche Leben. Das geſellſchaftliche Leben393
  • Elemente der Geſellſchaftslehre393
  • Begriff der Geſellſchaft393
  • Das Geſellſchaftsrecht396
  • XVII
  • Seite
  • Die beiden Principien in der Geſchichte der Geſellſchaft398
  • Die geſellſchaftliche Verwaltung400
  • Die Principien derſelben400
  • Das Syſtem der geſellſchaftlichen Verwaltung401
  • Erſter Theil. Die Verwaltung und die geſellſchaftliche Freiheit402
  • Begriff und Princip402
  • A. Die Familie und das Geſindeweſen403
  • B. Das Geſchlechterrecht405
  • Begriff und Inhalt405
  • Das Geſchlechtererbrecht und die Majorate408
  • C. Das Berufsrecht410
  • Zweiter Theil. Die Verwaltung und die geſellſchaftliche Noth411
  • Begriff und Princip411
  • Syſtem und Elemente der Geſchäfte413
  • I. Geſellſchaftliche Polizei der Noth414
  • a) Die Theurungspolizei414
  • b) Bettelpolizei und Arbeitshäuſer417
  • II. Das Armenweſen419
  • Armuth und Armenweſen419
  • Elemente der Geſchichte des Armenweſens421
  • A. Armenverwaltung425
  • Organiſation derſelben425
  • B. Das Armenrecht430
  • C. Das Syſtem der Armenpflege432
  • 1) Die Armenkinderpflege432
  • a) Waiſenpflege432
  • b) Findelkinder433
  • c) Krippen und Warteſchulen434
  • d) Armenſchul - und Armenerziehungsweſen435
  • 2) Das Armenkrankenweſen436
  • a) Hoſpitäler, Taubſtummen -, Blinden - und Irrenan - ſtalten436
  • b) Armenkrankenpflege437
  • 3) Die eigentliche Armenunterſtützung437
  • a) Die Armenbetheilung438
  • b) Verſorgungshäuſer439
  • Dritter Theil. Die Verwaltung und die geſellſchaftliche Entwicklung439
  • Begriff der ſocialen Frage439
  • Elemente der Geſchichte der ſocialen Verwaltung442
  • Syſtem der geſellſchaftlichen Verwaltung444
  • I. Das Hülfskaſſenweſen. Funktion derſelben446
  • a) Pfand - und Leihanſtalten446
  • b) Die Sparkaſſen447
  • XVIII
  • Seite
  • II. Das geſellſchaftliche Verſicherungsweſen (Prévoyance mutuelle, Friendly societies) 449
  • III. Die Selbſthülfe und ihr Vereinsweſen453
  • Princip453
  • Syſtem454
  • a) Arbeitervereine454
  • b) Arbeiterverbindungen456
[1]

Einleitung. Begriff der Inneren Verwaltung und der Vollziehenden Gewalt.

Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 1[2][3]

Die Innere Verwaltung.

Einleitung.

Je weiter die Geſittung unſerer Zeit fortſchreitet, um ſo klarer wird die Bedeutung des Satzes, daß wir im Weſentlichen die Epoche der Verfaſſungsbildung überwunden haben, und daß der Schwerpunkt der weiteren Entwicklung in der Verwaltung liegt. Nicht als ob die Verfaſſung dadurch ihre Bedeutung verlöre, ſondern weil wir durch die Verfaſſung zur Verwaltung gelangen.

Es ſcheint daher eine der großen Aufgaben der nächſten Zukunft zu ſein, dieſe Verwaltung nicht bloß auszubilden, ſondern ſie mit ihren Principien und ihren Gebieten zu einem inwohnenden, ſtets lebendigen Theile des öffentlichen Lebens zu machen. Während man bisher ge - fordert hat, daß jeder Staatsbürger ein Bewußtſein von der Verfaſſung ſeines Staats haben müſſe, werden wir in Zukunft ſagen, daß die wahre Berechtigung zur Theilnahme am öffentlichen Leben mindeſtens eben ſo ſehr in einem klaren Bewußtſein von der Verwaltung, ihren Grundſätzen, ihren Aufgaben und ihrem Recht liegt. Das wird zwar nur langſam ein Theil der öffentlichen Meinung werden, aber unſere Zeit lebt raſch und arbeitet unaufhaltſam vorwärts.

So behaupten wir denn, daß es keine fertige ſtaatliche Bildung gibt, wenn ſie nicht die Lehre von der Verwaltung mit gleichem Recht neben die der Verfaſſung ſtellt. Ja wir behaupten, daß die Verwal - tungslehre die Pandekten der Staatswiſſenſchaft ſind, und für dieſe Pandekten ſoll das vorliegende Syſtem die Stelle der Inſtitutionen vertreten.

Allein ſoll das erreicht werden, ſo muß man für die Verwaltung anerkennen, was für alle Theile der menſchlichen Erkenntniß gilt. Der Theil empfängt ſein Weſen und ſein Verſtändniß durch das Ganze. Dieß Ganze iſt der lebendige Staat, wie er ſich mit ſeinen abſolut organiſchen Elementen durch die großen Faktoren von Land und Volk,4 Wirthſchaft und Geſellſchaft zu ſeinen hundertfach verſchiedenen indivi - duellen Geſtaltungen hiſtoriſch ausgebildet hat. Die künftige Verwal - tungslehre wird dieſe Grundlage vorausſetzen können, wenn man ſich darüber einig geworden ſein wird; wir können es bis jetzt noch nicht. Die Inſtitutionen des Verwaltungsrechts werden daher nothwendig die erſten Elemente der Lehre vom Staat mit in ſich aufnehmen müſſen, um die erſte Bedingung richtigen Verſtändniſſes, den organiſchen Zu - ſammenhang mit dem Ganzen des Staatslebens auf jedem Punkte in lebendigem Bewußtſein auf ſich zu nehmen. So wird ſie die Wahrheit auch des Satzes beweiſen, daß zuletzt ſtets der Beweis für die Richtig - keit des Einzelnen nicht in ihm, ſondern in ſeinem Zuſammenhange mit dem Ganzen beſteht.

Das große Verbindungsglied zwiſchen der Idee des Staats und der Verwaltung überhaupt, im beſondern der innern Verwaltung, iſt nun der Begriff und der Inhalt der vollziehenden Gewalt. Sie iſt der große ſelbſtändige Organismus, durch welchen die Grundſätze der Verfaſſung in die Verwaltung übergehen. Denn in jedem Punkte der Verwaltung erzeugt die Verfaſſung das Geſetz derſelben, die vollziehende Gewalt aber ihre Ausführung. So tritt uns in Verfaſſung, Vollziehung und Verwaltung der lebendige Staat entgegen. Und dieß darzulegen, iſt die Aufgabe dieſer Inſtitutionen des Verwaltungsrechts.

Wir dürfen eine Bemerkung vorauf ſenden. Nachdem in der zweiten Auflage der vollziehenden Gewalt (3. Bd.) der Stoff mit ziemlicher Reichhaltig - keit gegeben iſt und die erſten Gebiete der inneren Verwaltung (Bd. 2 bis 7) ausführlich behandelt ſind, ſo haben wir die vollziehende Gewalt nur in ganz kurzer Ueberſicht hier mit aufgenommen, und die erſten Gebiete der Verwaltung gleichfalls in möglichſter Gedrängtheit dargeſtellt. Das Mißverhältniß zwiſchen den ſpätern noch nicht ausführlich behandelten und jenen erſten Theilen dürfte dadurch erklärt und motivirt erſcheinen.

Der organiſche Staatsbegriff.

I. Der Staat und ſeine organiſchen Grundbegriffe.

Die Gemeinſchaft der Einzelnen iſt ein durch das Weſen der ein - zelnen Perſönlichkeit ſelbſt gegebenes Moment derſelben. Als ſolches, nicht durch den Willen und die Willkür, ſondern durch den Begriff der Einzelnen ſelbſt geſetztes Leben wird ſie ſelbſt zur Perſönlichkeit. Und dieſe zur ſelbſtändigen, ſelbſtbewußten und ſelbſtthätigen Perſön - lichkeit erhobene Gemeinſchaft iſt der Staat.

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Als Perſönlichkeit beſitzt er die Elemente alles perſönlichen Daſeins. Er iſt zuerſt ein thatſächliches Daſein; als ſolches beſteht er aus Körper und Seele. Er iſt aber zweitens ein ſelbſtbeſtimmtes Weſen. Seine Selbſtbeſtimmung beruht daher auf den drei Elementen, welche den Inhalt derſelben überhaupt bilden. Er hat ſein Ich, ſeinen bewußten Willen und ſeine That. Er iſt aber darum die höhere Form der Per - ſönlichkeit, weil in ihm dieſe drei Elemente zu ſelbſtändigen, von ein - ander geſchieden erkennbaren und wirkenden Organismen werden.

Auf der Scheidung dieſer Organismen beruht ihre ſelbſtändige Funktion. Jeder derſelben hat ſeine Aufgabe. Das Zuſammenwirken derſelben bildet das, was wir das Staatsleben nennen. Ein geord - netes Staatsleben iſt dasjenige, in welchem jedes Organ nur ſeine Funktionen vollzieht. Unorganiſch wird daſſelbe, wenn ein Organ die Funktion des andern übernimmt. Der Staat hat daher ſeine Geſund - heit und ſeine Krankheit. Verſtändlich werden beide erſt durch den organiſchen Staatsbegriff. Dieſer aber iſt nichts anderes, als die Auf - löſung des Begriffs der Perſönlichkeit und ſeines Inhalts. Klar wird dieſe Auflöſung, ſo wie wir jene Elemente mit dem Namen bezeichnen, den ſie im Staate haben.

Der Körper des Staats iſt das Land. Die Verſchiedenheit des Landes iſt eben ſo wichtig für den Staat, wie die Verſchiedenheit des Körpers für den Menſchen. Die Beſchreibung des Landes iſt die Geo - graphie; die höhere Auffaſſung des Landes würde die Phyſiologie des Staatslebens ergeben.

Die Seele des Staates iſt ſein Volk. Die Beſchreibung des Volkes iſt die Ethnographie. Die Völkerlehre faßt die Beſonderheit des Volkes vom höheren Standpunkt als ſtaatbildenden Faktor auf. Sie kann nur mit dem geiſtigen Auge erſchaut werden.

In Land und Volk hat der Staat ſeine Individualität. Beide wirken beſtändig, aber gegenſeitig auf einander ein. Das Verſtändniß dieſer gegenſeitigen Einwirkung bildet den Beginn und die Grundlage alles Verſtändniſſes der Entwicklung und Geſtalt des Staats. Aus ihrer nie ruhenden Wechſelwirkung entſteht das, was wir das natür - liche Leben des Staats nennen. Eine ſolche individuelle Geſtalt ſeines natürlichen Lebens hat jeder Staat. Man kann durch daſſelbe nicht alles, aber ohne daſſelbe im wirklichen Staat nichts vollſtändig erklären und verſtehen.

Dieſem natürlichen ſteht das perſönliche Leben des Staats gegenüber.

Sein erſtes Organ iſt das Staatsoberhaupt. Seine Funktion iſt es, die perſönliche Einheit aller Momente des Staats darzuſtellen6 und in einem perſönlichen Daſein und Willen zu vertreten. Es iſt das Ich des Staats. Es kann kein Staat ohne ein ſolches ſelbſtändiges Oberhaupt ſein; denn in ihm iſt der Punkt gegeben, in welchem das Leben des Staats, ſich über alle Beſonderheit und alle Intereſſen er - hebend, ſeine höchſte perſönliche Einheit fühlt und zur Geltung bringt.

Das zweite Organ iſt das des Staatswillens.

Wie der Staat an ſich zuerſt die Einheit einzelner Perſönlichkeiten iſt, ſo kann der Staatswille auch zuerſt der rein perſönliche Wille des Staatsoberhaupts ſein. Allein da jede einzelne Perſönlichkeit zugleich ihrem Weſen nach ſelbſtbeſtimmt iſt, ſo iſt der Wille des Staats ſo lange ein unorganiſcher, als dieß Moment der individuellen Selbſt - beſtimmung nicht in den Staatswillen aufgenommen iſt. Die Aner - kennung dieſer Selbſtbeſtimmung des Einzelnen innerhalb der Einheit des Staats nennen wir die Freiheit. Der Staatswille iſt daher erſt dann ein organiſcher, wenn er ein freier iſt. Die Aufnahme der indi - viduellen Selbſtbeſtimmung in den perſönlichen Willen des Staats fordert einen Organismus, und die Bildung des einheitlichen Willens aus der Selbſtbeſtimmung aller Einzelnen iſt nothwendig ein Proceß. Jenen Organismus demnach, der vermöge dieſes Proceſſes den freien Staatswillen bildet, nennen wir die Verfaſſung. Einen Staats - willen hat jeder Staat; aber zum freien Staatswillen gelangt er erſt nach einer langen, unter den härteſten Entwicklungskämpfen vor ſich gehenden Arbeit der Geſchichte. Dieſer Entwicklungskampf iſt die Ge - ſchichte der Freiheit; die Erkenntniß, daß auch hier große Geſetze walten, und das Verſtändniß dieſer Geſetze bildet die Wiſſenſchaft dieſer Geſchichte.

Das dritte Organ iſt das der That des Staats.

Die That des Staats entſteht, indem der in der Verfaſſung organiſch gebildete Wille deſſelben ſich in den thatſächlichen Lebensver - hältniſſen verwirklicht. Dieſe nun ſind in Land und Volk, Wirthſchaft und Geſellſchaft verſchieden und ewig wechſelnd. Der Wille des Staats dagegen iſt wie jeder Wille, eine Einheit. Zwiſchen dieſen beiden großen Faktoren, der Beſonderheit des thatſächlichen Daſeins, das den Staat erfüllt, und der Einheit ſeines Willens, welche jene beherrſcht, beſteht daher ein beſtändiger, nie ruhender Kampf, in welchem ſich gegenſeitig beide Elemente im Dienſte der höchſten Idee der perſönlichen Entwicklung mit oder ohne Bewußtſein gegenſeitig erfüllen, erſetzen und der Zukunft entgegendrängen. Und dieſer wunderbare Proceß des Werdens, dieſe [ch]ſte Form des Kampfes zwiſchen Natur und Perſön - lichkeit, iſt das Leben des Staats. Sein Verſtändniß aber, auf das organiſche Verſtändniß der einzelnen ihn beſtimmenden Faktoren zurück -7 geführt, iſt die Geſchichte. Nur die Menſchheit hat in ihrem Staate eine Geſchichte, denn nur für das perſönliche, nicht für das natürliche Daſein gibt es eine Zeit, wie es nur für ſie ein Maß gibt. Das alles nun aber gilt nicht bloß für den Staat im Ganzen, ſondern zugleich und das iſt der Reichthum des menſchlichen Lebens für jeden einzelnen Theil deſſelben. Der Theil, von dem hier die Rede iſt, iſt die Verwaltung.

II. Der organiſche Begriff und Inhalt der Verwaltung.

Die Verwaltung iſt daher, ihrem allgemeinen Begriffe nach, das - jenige Gebiet des organiſchen Staatslebens, in welchem der Wille des perſönlichen Staats durch die That der dazu beſtimmten Organe in den natürlichen und perſönlichen Lebenselementen des Staats verwirk - licht wird. Wie die Geſetzgebung der wollende, ſo iſt die Verwal - tung der thätige Staat.

In dieſem Sinne entwickelt der Begriff der Verwaltung ſeine beiden Seiten. Er iſt, wie jede That, zuerſt ein formaler, ſyſte - matiſch darzulegender Organismus, und dann das, was wir einen organiſchen Faktor des Lebens der Staaten nennen.

A. Das formale Syſtem der Verwaltung. Es iſt das höhere Weſen des Staats, daß in ihm die, ungeſchieden in der Einzel - perſönlichkeit liegenden Elemente als ſelbſtändige Organe zur Erſcheinung gelangen. So ſcheidet ſich denn in der Verwaltung die That an ſich von der wirklichen Thätigkeit, das iſt die Vollziehung und die eigentliche Verwaltung.

1) Die vollziehende Gewalt. Alle Verwaltung iſt nämlich zuerſt die ſelbſtändig gedachte Funktion der Verwirklichung oder Aus - führung an ſich, noch ohne Rückſicht auf alle die Modifikationen, welche durch die ſpezielle Aufgabe der Ausführung in der wirklichen praktiſchen Thätigkeit entſtehen. Dieſe Funktion erſcheint äußerlich als ein zur Ausführung beſtimmter Organismus; innerlich enthält ſie die Bedin - gungen der Ausführung, d. h. das Recht auf alles, ohne welches die Ausführung nicht möglich iſt. Dieſe ſelbſtändig geſetzte, mit eigenem Organ und eigenem Recht verſehene Funktion der Ausführung des Staatswillens iſt die Vollziehende Gewalt.

2) Die wirkliche Verwaltung im weiteſten Sinne. Der Inhalt der wirklichen Verwaltung entſteht, indem wir zweitens die großen, gleichfalls ſelbſtändig gedachten Lebensgebiete des Staats, welche wir als ſelbſtändige Aufgaben ſowohl für die Geſetzgebung als für die Vollziehung, die Verwaltungsgebiete (und nach ihren8 Verwaltungsorganen des verfaſſungsmäßigen Staates die Miniſterien) nennen, für ſich betrachten.

Aus dem Weſen des Staats ergibt es ſich, daß ſich dieſe Ver - waltungsgebiete in zwei Gruppen theilen. Die erſte bezieht ſich auf die Verhältniſſe des einzelnen Staats zu andern Staaten; die zweite auf ſeine innern Lebensverhältniſſe.

Aus dem Verhältniß zu andern Staaten geht zunächſt die Auf - gabe hervor, den friedlichen Verkehr mit denſelben zu regeln. Dieſer Verkehr iſt entweder ein Verkehr der Staaten als einheitlicher Perſön - lichkeiten, oder ein Verkehr der einzelnen Staatsangehörigen unter - einander. Die Verwaltung der erſteren nennen wir die Verwaltung (Miniſterium) der auswärtigen Angelegenheiten, die der zweiten iſt das Conſulatweſen.

Die Selbſtändigkeit, Ehre und Macht des einzelnen Staates gegen - über dem andern iſt der Gegenſtand der Verwaltung der bewaffneten Macht (des Kriegsminiſteriums).

Das Recht beider Verwaltungsgebiete iſt das Völkerrecht; die Wiſſenſchaft des erſteren iſt die Staatskunſt (Politik), die des zweiten die Kriegswiſſenſchaft.

In den innern Lebensverhältniſſen iſt der erſte Gegenſtand der Verwaltung das wirthſchaftliche Leben des Staats, das wir nach ſeinem Haupttheile die Finanzen, und ihre Verwaltung die Finanzverwal - tung (Finanzminiſterium) nennen. Die Geſammtheit der dafür geltenden Beſtimmungen bildet das Finanzrecht; die Grundſätze, nach welchen dieſe Verwaltung vorzugehen hat, lehrt die Finanzwiſſenſchaft.

Der zweite Gegenſtand iſt die Erhaltung der Unverletzlichkeit der einzelnen Perſönlichkeit im Verkehr mit der andern, oder die Verwirk - lichung des Privatrechts. Die Geſammtheit der dafür geltenden Be - ſtimmungen enthalten das bürgerliche und das Strafrecht. Die Geſammtheit der Regeln, nach welchen die Verwaltung beider Rechts - gebiete vollzogen wird, bildet das Recht des (bürgerlichen und Straf -) Proceſſes; die Wiſſenſchaft deſſelben iſt die Rechtswiſſenſchaft; die wirkliche Verwaltung iſt die Rechtspflege (Juſtizminiſterium).

Das dritte Gebiet des inneren Lebens beruht nun darauf, daß der wirkliche Staat eben in der Geſammtheit ſeiner Angehörigen beſteht, und daß daher der Grad der ganzen perſönlichen Entwicklung jedes Einzelnen zugleich zum Grad und Inhalt der Entwicklung des Staates ſelber wird. Damit wird dann dieſer Fortſchritt jedes Einzelnen zu einer weſentlichen Aufgabe des Ganzen; die darauf bezügliche Thätig - keit des Staats nennen wir die innere Verwaltung, das für dieſelbe geltende Recht das innere Verwaltungsrecht, die Grundſätze,9 nach denen ſie vorzugehen hat, ſind die Verwaltungslehre, und der Organismus heißt im Allgemeinen die Verwaltung des Innern.

3) Auf dieſe Weiſe ergibt ſich nun, daß wie die That an ſich allen einzelnen Thätigkeiten mit ihren organiſchen Grundverhältniſſen zum Grunde liegt, ſo auch die vollziehende Gewalt allen Gebieten der Verwaltung in ihren Principien gleichmäßig angehört, weßhalb wir auch ſagen, daß die vollziehende Gewalt durch alle Miniſterien ge - bildet wird. Die Lehre von der vollziehenden Gewalt iſt daher nicht etwa der allgemeine Theil der inneren Verwaltung, ſondern der allge - meine Theil der Verwaltung überhaupt. Wir ſenden ſie aber ſpeziell der inneren Verwaltung voraus, theils weil überhaupt noch eine Darſtellung derſelben mangelt, theils aber weil ſie allerdings erſt in der inneren Verwaltung ihre volle Entwicklung enthält, und auf dieſen Elementen beruht der formale Inhalt des Folgenden.

B. Das organiſche Weſen der Verwaltung. Das nun, was wir das organiſche Weſen der Verwaltung nennen, iſt das Ver - hältniß der letzteren zu dem perſönlichen Willen des Staats, dem Geſetze, den ſie zu verwirklichen beſtimmt iſt. Kein perſönliches Leben vermag mit ſeinem einzelnen beſtimmten Willen ſein ganzes Weſen zum Ausdruck zu bringen. In der wirklichen That erſt geſtaltet ſich der ganze Inhalt ſeines Lebens. Wo ſich daher dieſe That von dem Willen ſelbſtändig ſcheidet, wie in der Verwaltung die That des Staats, da ſcheidet ſich auch das Leben ſelbſt in zwei große Funk - tionen, die ſelbſtthätig neben einander ſtehen. Es kann nicht ge - nügen, daß die Verwaltung bloß den beſtimmten einzelnen Willen des Staats einſeitig ausführe; ſie muß vielmehr, indem ſie das wirkliche Daſein auf allen Punkten in ſich aufnimmt, die Geſetzgebung erfüllen und zum Theil erſetzen. Sie iſt daher nicht ein bloß der Geſetzgebung untergeordnetes Gebiet, ſondern ſie hat vielmehr mit der Geſetzgebung zugleich das allgemeine Weſen des Staats zum Ausdruck und zur Geltung zu bringen. Das iſt ihre höhere in keinem einzelnen Punkte erſchöpfte Bedeutung und dieſe kehrt uns in jedem Gebiete ſowohl der vollziehenden Gewalt und ihres Organismus, als der Verwaltung und ihrer einzelnen Aufgaben, am meiſten gerade in der inneren Verwaltung, wieder. In dieſem Geiſte muß die Verwal - tungslehre arbeiten; dadurch iſt ſie jeder höheren Entwicklung unfähig, ſo lange ſie ſich nicht eben dieſes Weſen des Staats zur klaren An - ſchauung bringt, und jeden ihrer Theile damit durchdringt; und erſt in dieſem Sinne iſt ſie das wichtigſte und mächtigſte Gebiet nicht etwa der poſitiven Kenntniß der beſtehenden Ordnungen, ſondern ſie iſt die praktiſche Vollendung der Staatswiſſenſchaft.

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III. Begriff, Geſchichte und Vergleichung des Verwaltungsrechts.

Während nun ſomit der organiſche Begriff des Staats ſich aus dem Weſen deſſelben entwickelt, enthält das Recht die zweite Grund - form des Daſeins der letzteren. Es iſt deßhalb nothwendig, zu wiſſen, was eigentlich das Recht des Staats überhaupt, und das Recht der Verwaltung im Beſondern bedeuten.

A. Begriff und Elemente des öffentlichen Rechts, wie des Verwaltungsrechts im Beſondern. Das Recht iſt formell die unverletzliche Gränze eines perſönlichen Daſeins gegenüber dem an - dern. Es beruht darauf, daß die Perſönlichkeit ihr eigenes Weſen zur äußeren Erſcheinung bringt; die Selbſtbeſtimmung der Perſönlich - keit an ſich wird damit zur Unverletzlichkeit ihrer Erſcheinung für an - dere. Will ich daher erkennen, was durch das Recht geſchützt iſt, ſo muß ich fragen, was durch die Perſönlichkeit geworden iſt. Das Recht alſo, indem es für jeden Theil und jede Bethätigung dieſes werdenden Lebens der Perſönlichkeit gilt, enthält die concrete Geſtalt dieſes Le - bens der letzteren, und zwar nicht mehr als einen philoſophiſchen Ge - danken, ſondern als eine objektive Thatſache für den Andern. Erſt in dem Rechte iſt die eine Perſönlichkeit für die andere als Ganzes und in ihren einzelnen Lebensverhältniſſen als ſolche vorhanden.

Daraus folgt, daß jedes Recht nur für die wirkliche Perſönlichkeit, nicht für die Natur und auch nicht für den Geiſt da iſt. Es folgt ferner, daß der Inhalt je des beſtimmten Rechts ſtets ein dem Weſen der Perſönlichkeit entſpringendes Verhältniß ſein muß; denn nur das Perſönliche kann die einzelne Perſönlichkeit begränzen. Es folgt mit - hin endlich, daß, wenn ich das Recht begreifen will, ich daſſelbe in ſeiner Quelle, dem perſönlichen Leben begreifen muß. Bleibt das Recht bei der Kenntniß ſeiner einzelnen Sätze ſtehen, ſo entſteht die Rechts - kunde. Erhebt es ſich dazu, dieſe einzelnen Rechtsſätze als organiſche Folgen des Weſens der Perſönlichkeit zu erkennen, ſo entſteht die Rechtswiſſenſchaft.

Der Staat nun iſt die perſönliche Einheit aller einzelnen Perſön - lichkeiten. Als ſolche muß er die Selbſtändigkeit der letzteren beſtim - men. Dadurch entſteht eine Gränze für beide, aus dem Weſen beider entſpringend, welche das ganze Staatsleben durchdringt, weil es eben aus der Einheit und Selbſtändigkeit aller in ihm entſpringt. Und die Geſammtheit aller daraus folgenden Rechtsſätze nennen wir das öffent - liche Recht, im Gegenſatze zum Privatrecht, das aus den Berüh - rungen des Einzelnen mit dem Einzelnen entſpringt. Das öffentliche11 Recht enthält daher die Geſammtheit der Begränzungen der Einzelnen durch ihre Einheit mit der Perſönlichkeit des Staats.

Da nun der Staat ein organiſches Weſen iſt, ſo folgt, daß jedes ſeiner organiſchen Elemente wieder ſein eigenes Recht hat.

So entſteht der Begriff des Syſtems des öffentlichen Rechts, das wir das Staatsrecht nennen, indem es das Recht der Perſön - lichkeit des Staats iſt. Das Staatsrecht enthält daher das Recht des Staatsoberhaupts, das Recht der Verfaſſung und das Recht der Ver - waltung, und innerhalb des letzteren das Recht der vollziehenden Ge - walt und der eigentlichen Verwaltung. Und auch hier wieder iſt es klar, daß die Rechtskunde die Kenntniß der poſitiv beſtehenden Rechts - normen iſt, während die Rechtswiſſenſchaft dieſelben aus dem Weſen des Staats entwickelt. Die Wiſſenſchaft des Verwaltungs - rechts zeigt daher das Recht der Verwaltung im weiteſten Sinne als Conſequenz und Bedingung der Funktionen, welche wir die Verwaltung nennen; die Wiſſenſchaft des Verwaltungsrechts iſt daher keine ſelb - ſtändige Wiſſenſchaft, ſondern das Correlat der Verwaltungslehre die Verwaltung als rechtlich anerkannte Thatſache neben der Verwaltung als organiſche Funktion. Dieß ſind die formalen Grundbegriffe des Rechtsſyſtems; und es ergibt ſich ſomit, daß es kein eigenes Rechts - ſyſtem der Verwaltung geben kann, ſondern daß das Rechtsſyſtem der - ſelben mit ihrem organiſchen Syſtem identiſch iſt und ſein muß.

B. Die Elemente der Rechtsgeſchichte. Das Eine, was bei dieſer Auffaſſung ungelöst bleibt, iſt nun die Frage nach dem Wechſel des Rechts. Der allgemeine Begriff des Werdens aller Perſönlichkeit, alſo auch des Staats, erklärt zwar die Verſchiedenheit, nicht aber den Inhalt deſſelben. Von allen Gebieten des Rechts wechſelt aber das Verwaltungsrecht am meiſten. Hier am wenigſten reichen daher Rechts - kunde und Rechtswiſſenſchaft aus. Erſt die zur Wiſſenſchaft erhobene Geſchichte des Rechts gibt das Verſtändniß dieſes zum Theil höchſt intereſſanten Wechſels von Erſcheinungen, welche das ganze Leben der Rechtsbildung in der Verwaltung durchdringen.

Die Grundlage dieſer Wiſſenſchaft, die hier vorausgeſetzt werden muß, iſt nun die Wiſſenſchaft der Geſellſchaft.

Die Geſellſchaft hat drei große Grundformen, die ſich in der ganzen Welt wiederholen, oft in der wechſelndſten Weiſe verbunden und ver - mengt ſind, oft in den ſtärkſten Kämpfen einander entgegentreten. Die erſte dieſer Formen iſt die Geſchlechterordnung, deren Lebens - princip die Einheit der Menſchen unter einander auf Grundlage der gemeinſamen Abſtammung iſt; die zweite iſt die ſtändiſche Ordnung, in welcher die Gemeinſchaft des Berufes die Grundlage und der Zweck12 der Einheit iſt. Die dritte iſt die ſtaatsbürgerliche Ordnung, deren Princip die Gleichheit und Freiheit des Einzelnen innerhalb der Einheit iſt.

Jede dieſer Geſellſchaftsordnungen erzeugt nun eine ihr angehörige Geſtalt des Lebens aller Menſchen; mit dieſer Geſtalt auch das ihr entſprechende Recht; jede Geſellſchaftsordnung hat daher das ihrem Weſen entſprechende Staatsrecht, das iſt ihr Recht des Oberhaupts, ihre Verfaſſung und ihre Verwaltung, wie es andererſeits nicht minder feſtſteht, daß jede Geſellſchaftsordnung auch ihr Privatrecht erzeugt. Die Geſchichte der Geſellſchaft wird damit zur Grundlage auch der Ge - ſchichte der Verwaltung und ihres Rechts, und der leitende Grundſatz für die Entwicklung der Rechtsgeſchichte der Verwaltung iſt daher der, daß alles poſitive Recht der letzteren auf die herrſchende Geſellſchafts - ordnung, aller Wechſel und alles Werden des Rechts auf den Kampf und die Entwicklung derſelben zurückgeführt werden muß. Dieſer Kampf oder dieſer Lebensproceß der Geſellſchaft aber, oder das Werden der einen Ordnung aus der andern, beruht wieder auf dem Zuſammen - wirken dreier großer Faktoren.

Der erſte dieſer drei Faktoren iſt der arbeitende Geiſt ſelbſt, deſſen Ergebniſſe uns als die Rechtsphiloſophie erſcheinen. Der zweite iſt die Natur des gewerblichen Beſitzes. Der dritte iſt die zum Bewußtſein ihres Weſens gelangende Idee des Staats; die Perſön - lichkeit des Staats, die erkennt, daß das Maß und die Kraft ihrer Entwicklung in dem Maß und der Kraft der Entwicklung aller der Einzelnen gegeben iſt, welche eben die Gemeinſchaft bilden. So ent - ſteht in jedem Rechtsgebiet im Staate im Allgemeinen, aber zugleich in jedem Verwaltungsgebiet im Beſondern ein Leben, in welchem die Idee des Rechts das Gerechte, το δικαιον mit dem poſitiven, durch die beſtehende Geſellſchaftsordnung geſetzen Rechte kämpft, und ſich gegenüber den geſellſchaftlichen Ordnungen ihre Anerkennung und Geltung zu erzwingen ſucht. Dieſe Bewegung iſt der größte organiſche Proceß, den die Welt kennt. Es iſt der Entwick - lungsproceß, in welchem der Geiſt ſich durch ſeine eigene Arbeit zur Herrſchaft über das thatſächliche Daſein erhebt. Das iſt das wahre und ewige Leben der Erde, und die Geſchichte dieſes gewaltigen, alle vergangenen Jahrtauſende umfaſſenden und alle kommenden erfüllenden Proceſſes iſt die Weltgeſchichte. Und indem die Verwaltungslehre dieſe höchſten Geſichtspunkte in ſich verarbeitet, wird ſie das, was ſie ſein ſoll, nicht ein beſchränktes Gebiet der praktiſchen Bildung, ſondern eine beſtimmte Geſtalt der höchſten Wiſſenſchaft des menſchlichen Lebens überhaupt. Und erſt darin wird ſie ihre Vollendung finden.

13

C. Dem vergleichenden Verwaltungsrecht liegt nun die Thatſache zu Grunde, daß jedes Volk und Land jene großen Elemente der poſitiven Rechtsbildung in ſeiner Weiſe beſitzt und entwickelt, und dadurch der Verwaltung im Ganzen und den einzelnen Gebieten der - ſelben ihre nationale und ſtaatliche Individualität gibt. Erſt in dieſer individuellen Verſchiedenheit des an ſich Gleichen erſcheint der wahre, unerſchöpfliche Reichthum des Lebens der Welt, und wir können unbe - dingt ſagen, daß derſelbe nirgends größer iſt, als gerade auf dem Ge - biete der Verwaltung und ihres Rechts. Das vergleichende Verwal - tungsrecht enthält nun zuerſt die formale Vergleichung, als ver - gleichende Rechtskunde, in dem bloßen Nebeneinanderſtellen der geltenden Verſchiedenheiten, das ſeinerſeits nur den Werth hat, das Material für die wahre Vergleichung zu bieten. Dieſe oder die organiſche Vergleichung iſt die Darſtellung der poſitiven Verſchiedenheiten des gel - tenden Rechts der Verwaltung als Ausdruck und Conſequenz des Charakters und Lebens des Volkes, für welche es gilt und durch welche es gebildet iſt. Ihre Grundlage iſt das Studium der wirth - ſchaftlichen, geſellſchaftlichen und politiſchen Zuſtände des Landes einer - ſeits und des Volkscharakters andererſeits; ihre Vollendung iſt das organiſche und lebendige Bild des innern Staatslebens Europas. Die Hauptformen deſſelben ſind und bleiben die drei großen Culturvölker unſeres Welttheils, England, Frankreich und Deutſchland mit ihrer tiefen Gleichartigkeit in den Elementen und ihrer oft ſchlagen - den Verſchiedenheit in der wirklichen Geſtalt ihres Rechts Englands, wo das rechtlich freie und gleiche Individuum die Gewalt der Regie - rung zu wenig; Frankreichs, wo der Glanz der centralen Staatsent - wicklung der Regierung zu viel Gewalt gegeben hat, und Deutſchlands, das, mit ſeinen ſelbſtändigen Staaten und Stämmen eine Welt für ſich, in der Wiſſenſchaft die Harmonie zwiſchen beiden Grundformen geſucht und in der Geſetzgebung ſie zum Theil auch gefunden hat. Die übrigen Völker reihen ſich mehr oder weniger klar an dieſe Grund - formen an; es mag daher im Beginne der Wiſſenſchaft genügen, die Vergleichung bei jenen drei Hauptvölkern ſtehen zu laſſen. Und damit ſind dann die Elemente des Folgenden angedeutet, welches auf Grund - lage des wiſſenſchaftlichen Syſtems die Geſchichte und das poſitive Recht der Verwaltung darlegen und vergleichen wird, zuerſt für die voll - ziehende Gewalt und dann für das Syſtem der inneren Ver - waltung.

[14]

Die vollziehende Gewalt.

Begriff und Weſen.

Die vollziehende Gewalt iſt demnach die, vermöge der höher ent wickelten Perſönlichkeit des Staats ſelbſtändig erſcheinende, mit eigenem Organismus und eigenem Recht verſehene That des Staats, deren Inhalt eben die Verwaltung iſt. Sie iſt als ſolche die große, den ganzen Staat durchziehende, auf jedem Punkte thätige Vermittlung zwiſchen dem Willen des Staats und ſeinen wirklichen, natürlichen und perſönlichen Zuſtänden. Sie kommt in allen Gebieten des Staatslebens beſtändig zur Erſcheinung; allerdings aber tritt ſie in der inneren Ver - waltung bei weitem am deutlichſten hervor, ſo daß die letztere ohne ſie nie ganz erkannt werden kann. Von ihr als von einem ſelbſtän - digen Theile der Staatswiſſenſchaft iſt daher auszugehen.

Die Lehre von der vollziehenden Gewalt zerfällt in den allgemeinen Theil mit der Darſtellung der Vollzugsgewalten, der Organiſa - tion und dem Recht derſelben, und den beſondern mit der Anwen - dung dieſer Grundbegriffe auf die drei Grundformen der Regierung, der Selbſtverwaltung und des Vereinsweſens.

Allgemeiner Theil.

I. Die Vollzugsgewalten und die Staatsgewalt.

Die Grundlage der Lehre von der vollziehenden Gewalt ſind einzelne Momente derſelben, welche wir die Vollzugsgewalten nennen. Dieſe Momente ſind nichts, als die Auflöſung des abſtrakten Begriffes der That in die einzelnen Momente, deren Vorhandenſein die Bedingung jeder Thätigkeit iſt, und die nur im Staate ſelbſtändig zur Erſcheinung gelangen. Das erſte iſt der auf die Thätigkeit ſelbſt ge - richtete ſelbſtändige Wille, den wir als Willen der vollziehenden Gewalt die Verordnung nennen, von der ſich wieder die Verfügung ſcheidet als der Vollzugswille der niederen Organe. Das zweite iſt die15 Herſtellung der für dieſe Thätigkeit nothwendigen Organe der voll - ziehenden Gewalt. Das dritte iſt die Anwendung der äußeren wirk - lichen Macht, um die Ausführung ſowohl gegen die Natur als gegen den Willen der Einzelnen zu verwirklichen, der Zwang. Alle Voll - ziehung enthält daher die drei Momente der Verordnung und Ver - fügung mit ihren Unterarten, der Organiſation und des Zwanges. Als Inhalt der vollziehenden Gewalt nennen wir ſie die Verordnungs -, Organiſations - und Zwangsgewalt; als dem Staate immanente Ge - walten bilden ſie wieder ein Ganzes, und heißen in dieſem Sinne die Staatsgewalt. Sie ſtehen alle jedem Vollziehungsorgane des Staates bis zu einem gewiſſen Grade zu; ihre Vertheilung und Geſtaltung aber beruht zunächſt auf dem Organismus der vollziehenden Gewalt.

II. Die organiſchen Grundformen der vollziehenden Gewalt.

Wie der Begriff der vollziehenden Gewalt, ſo gehen auch die Grundformen derſelben aus dem Weſen des Staats hervor; denn ſie haben eben dieſes Weſen ſelbſt im thätigen Leben deſſelben zur Ver - wirklichung zu bringen.

Die vollziehende Gewalt iſt demgemäß wie der Staat ſelbſt, eine perſönliche und einheitliche; und dieſe perſönliche und einheitliche Geſtalt der Vollziehung iſt die Regierung. Sie iſt aber zugleich eine Ein - heit von ſelbſtändigen Perſönlichkeiten; und indem die Thätigkeit der letzteren mitwirkend in die Vollziehung aufgenommen wird, entſteht die freie Verwaltung. Die freie Verwaltung hat wieder zwei Grund - formen, die Selbſtverwaltung und das Vereinsweſen, beide mit eigener Grundlage und eigenem Wirkungskreis. Aus Regierung, Selbſtverwaltung und Vereinsweſen beſteht daher der Organismus der vollziehenden Gewalt in allen Staaten und zu allen Zeiten.

Allerdings aber iſt ſowohl jedes dieſer Organe für ſich, als ihr Verhältniß zu einander in den verſchiedenen Zeiten ſehr verſchieden, und damit auch das verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht, das ſie alle zugleich umfaßt. Die nähere Betrachtung dieſer Verhältniſſe ergibt, daß gerade in dieſer Verſchiedenheit ein weſentliches Element der In - dividualität der Staaten und Völker liegt; der große Zug der Geſammtentwicklung bildet dann das, was wir die Geſchichte des innern Staatrechts nennen. Je weiter aber die organiſche Entwicklung geht, um ſo klarer tritt jedes Gebiet für ſich hervor; und durch die ſelbſtän - dige Behandlung aller dieſer Theile für ſich, in dem gemeinſamen Grundbegriffe des Staats zuſammengefaßt, entſteht das, was wir das Syſtem des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts nennen.

16

III. Das Recht der Vollzugsgewalt und ſeine Entwicklung zum verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrecht.

Für dieſen Begriff und Organismus der vollziehenden Gewalt erſcheint nun das Recht überhaupt dadurch, daß die Vollziehung faktiſch das ganze Leben des Staats mit ihren Organen durchdringt, ihrem Weſen nach aber dennoch nur ein Theil des Staatslebens iſt. Das Recht der Vollzugsgewalt iſt daher die durch die organiſche Natur des Staats geſetzte Gränze für die erſtere: das allgemeinſte Princip dieſes Rechts beruht darauf, daß die That dem Willen untergeordnet ſein ſoll. Der Wille des Staats aber iſt das Geſetz. Wir ſagen daher, daß das Princip des Rechts der vollziehenden Gewalt die Unterordnung deſſelben in Verordnung, Organiſation und Zwang unter das Geſetz iſt, ſo weit eben ein Geſetz vorhanden iſt; daß aber die vollziehende Gewalt das Geſetz da zu erſetzen hat, wo es nothwendig iſt und dennoch fehlt. Dieß ſind die Grundlagen des Rechts der vollziehenden Gewalt.

Die hohe Bedeutung dieſes Rechtsprincips beruht nun darauf, daß ohne daſſelbe der Wille von der That, und das Ganze des Staats von ſeinen einzelnen Organen beherrſcht und damit unfrei wird. Die Grundlage der wahren Freiheit eines Staates iſt daher das richtige, auf ſtrenger rechtlicher Baſis hergeſtellte Verhältniß zwi - ſchen Geſetzgebung und Vollziehung. Nun iſt die Vollziehung zu allen Zeiten beſtimmt und lebendig vorhanden geweſen. Allein es hat Jahr - tauſende gedauert, bis man Begriff und Recht des Geſetzes von der - ſelben zu ſcheiden und dieſen Unterſchied als den Unterſchied der beiden großen rechtlichen Kategorien des Geſetzes und der Verordnung beſtimmt hat. Dieſer Unterſchied liegt im ganzen Staatsleben der Verfaſſungs - mäßigkeit zum Grunde; durch ihn erſt iſt auch der Begriff des ver - faſſungsmäßigen Verwaltungsrechts möglich. Die Geſchichte des letzteren iſt daher die Geſchichte des ſich zur klaren und bewußten Geltung er - hebenden Begriffes und Rechts des Geſetzes. Dieſe nun, und mit ihr das Rechtsprincip der Verwaltung, hat drei große Stadien oder Grundformen.

Urſprünglich fallen Geſetz und Verordnung in dem perſönlichen Willen des Staatsoberhaupts zuſammen; das iſt, jede Verordnung iſt Geſetz. Die Folge iſt, da der Geſetzgeber unverantwortlich und das Geſetz abſolut iſt, daß die vollziehende Gewalt als geſetzgebende auf jedem Punkte das ganze Staatsleben beherrſcht. Und da nun die - ſelbe nothwendig eine perſönliche iſt, ſo iſt damit der ganze Staat dem perſönlichen Willen des Staatsoberhaupts unterworfen, das iſt, unfrei. Dieſen Zuſtand nennen wir die abſolute Monarchie; iſt der Wille17 des Staatsoberhaupts ein willkürlicher, ſo reden wir vom Deſpotis - mus; iſt ſeine Abſicht eine auf die Entwicklung des Volks gerichtete, ſo entſteht der aufgeklärte Deſpotismus will er nur die Herrſchaft als ſolche, ſo entſteht die Tyrannis; nie aber iſt dieſer Zuſtand ein freier. Seine Heimath iſt der Orient. Durch ihn gehen mit der Frei - heit der Einzelnen die Völker und Staaten als Ganzes zu Grunde.

Den Gegenſatz dazu bildet dasjenige ſtaatliche Princip, nach wel - chem wieder die vollziehende Gewalt unſelbſtändig iſt, und die Geſetz - gebung, durch die Geſammtheit des Volkes gebildet, ſelbſt die Voll - ziehung übernimmt. Hier wird jedes Geſetz zugleich Verordnung. Die Folge iſt, daß die Vollziehung zu nichts berechtigt iſt, als was das Geſetz ausdrücklich vorgeſchrieben hat, und daß daher zwar die Freiheit gewahrt iſt, aber die Entwicklung des wirklichen Lebens ſtill ſteht. Die weitere Folge aber beſteht dann in der Herrſchaft der In - tereſſen über die Geſetzgebung; es entſteht die Verwaltung der Majorität der Intereſſen und damit die Hemmung der freien geſellſchaftlichen Bewegung. Dieſen Zuſtand nennen wir die Republik; die Herrſchaft der Mächtigen über die Unmächtigen im Namen ihrer Intereſſen die Claſſenherrſchaft; der Kampf der unterworfenen Claſſe gegen die herrſchende iſt der Bürgerkrieg; die Folge iſt die Auf - löſung der Freiheit durch denſelben. Ihr Typus iſt die alte Welt der Griechen und Römer; durch ſie iſt der Begriff und das Recht des Ge - ſetzes entſtanden, aber das der freien Vollziehung untergegangen; auch ſie vermag nicht, ein Verwaltungsrecht zu bilden.

Erſt die germaniſche Welt ſcheidet nun feſt und beſtimmt im Princip, wenn auch langſam und unter den härteſten Kämpfen, die Geſetzgebung von der Vollziehung. Sie trägt das Princip der Bildung des Staatslebens durch die organiſirte Geſammtheit der Staatsbürger von Anfang an in ſich; aber ſie ſtellt das der ſelbſtändigen Staats - gewalt im Königthum daneben hin. So liegt in ihr von Anfang an der Keim des Begriffes vom Geſetz als Wille des Volkes im Unterſchiede vom Begriff der Verordnung als Wille des Königs. Jahrhunderte hindurch vermag nun auch dieſe Welt wieder in ihrem Königthum den Begriff und das Recht des Staatsoberhaupts von dem der auch ihm gegenüber ſelbſtändigen Gewalt nicht zu ſcheiden; der öffentlich rechtliche Charakter der Geſchlechter - und der Ständeordnung iſt eben dieſe Vermiſchung des Staatsoberhaupts und ſeiner Vollziehung; und dieſe Vermengung hat zur Folge, daß das Princip der Unverant - wortlichkeit, das im unabweisbaren Weſen des Staatsoberhaupts liegt, die Bildung eines eigentlichen, freien Verwaltungsrechts und die Klärung über das Verhältniß zwiſchen Geſetz und Verordnung nicht zuläßt. ErſtStein, Handbuch der Verwaltungslehre. 218in der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft tritt dieſe Scheidung ein. Erſt hier entſteht die Selbſtändigkeit der geſetzgebenden Gewalt in den Kammern, und die der vollziehenden Gewalt in den Miniſterien, wäh - rend das Staatsoberhaupt über beiden ſteht, und jetzt iſt daher auch ein Verwaltungsrecht als das Recht dieſer drei Faktoren in Beziehung auf Wille und That des Staats möglich und nothwendig. Allerdings muß ſich zu dem Ende zuerſt die Selbſtändigkeit und das Recht des Geſetzes ausbilden; der rechtliche Begriff des Geſetzes iſt das große Kriterium des Beginnens dieſer Epoche, oder des durch die Volksver - tretung unter Zuſtimmung des Staatsoberhaupts zu Stande gekommenen Staatswillens. So wie aber dieſer feſtſteht, ſchließt ſich daran die Bildung des Verwaltungsrechts als des Rechts der ſelbſtändigen Verordnung gegenüber dem Geſetze; und dieſes Recht iſt es, welches wir das verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht nennen. Natürlich beſteht auch dieſes zuerſt nur im Princip. Seine Entwicklung empfängt es, indem es klar wird, daß für die vollziehende Gewalt die bloße Ausführung der beſtehenden Geſetze nicht genügen kann, ſondern daß ſie eine, faſt auf allen Punkten über daſſelbe hinausgehende, das Geſetz erfüllende und zum Theil erſetzende Funktion hat. Mit dieſer Erkenntniß iſt dann die zweite gegeben, daß die Vollzugsgewalt auch in dieſer ihrer ſelbſtändigen Funktion in Harmonie mit dem Geſetze ſtehen muß. Daraus entſteht ein Proceß, der dieſe Harmonie auf jedem Punkte des Staatslebens erhält und wieder herſtellt, wenn ſie geſtört iſt. So wie dieſer Proceß nun ſeinerſeits wieder in feſte rechtliche Form gebracht wird, entſteht daraus das Syſtem des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts. Dieſes Syſtem aber ſchließt ſich naturgemäß an die einzelnen Vollzugsgewalten der Vollziehung an, und ſo entſtehen die elementaren Principien deſſelben, nach dem Weſen und dem Begriff der Verordnung, der Organiſation und des Zwanges geordnet.

Das oberſte Princip dieſes verfaſſungsmäßigen Verwaltungs - rechts iſt demnach, daß die Verordnung nie mit dem Geſetze im Widerſpruche ſtehen darf, ſo weit ein ſolches da iſt. Wo ſie es dennoch thut, wird dieſe Unterordnung hergeſtellt durch die Klage gegen die ungeſetzliche Verordnung; ſteht aber die Verfügung mit der Verordnung im Widerſpruch, ſo entſteht die Beſchwerde. Beide ſind abſolute verfaſſungsmäßige Rechte der Staatsbürger. Wo aber die Verordnung über das Geſetz hinausgeht, weil es mangelt, da tritt die Verantwortlichkeit der Vollzugsgewalt ein, durch welche die Har - monie des Willens und der That deſſelben nicht mehr mit dem Wort - laut, ſondern mit dem Geiſte der Geſetzgebung hergeſtellt wird. Das iſt das verfaſſungsmäßige Verordnungsrecht.

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Das zweite Princip iſt das Recht der Organiſation, nach welchem jede Funktion nur zu demjenigen berechtigt iſt, wozu es durch die Organiſation beſtimmt war. Das Recht nennen wir die Competenz. Die Aufrechthaltung der Competenz wird gleichfalls durch Klage und Beſchwerde geſichert; ſie ſelbſt bildet das zweite Element der verfaſſungs - mäßigen Ordnung.

Das dritte Princip iſt dasjenige, nach welchem der Zwang ſeine rechtliche Grenze findet. Die Herſtellung dieſer rechtlichen Grenze ge - ſchieht durch das Princip der individuellen Haftung der vollziehenden Organe, die durch Klage zur Geltung gelangt. Die Entwicklung des - ſelben bildet das verfaſſungsmäßige Zwangsrecht.

Die Geſammtheit dieſer Grundſätze des öffentlichen Rechts bildet nun das verfaſſungsmäßige Verwaltungsrecht. Die Entwick - lung deſſelben zu einem ausgebildeten Syſteme iſt aber nur dann möglich, wenn man daſſelbe wieder auf die drei Grundformen der voll - ziehenden Gewalt, die Regierung, die Selbſtverwaltung und das Ver - einsweſen anwendet, indem die beſondere Natur jeder derſelben dieſem verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrecht wieder ſeine Geſtalt gibt. Damit entſteht der Inhalt der letzteren, von welchem allerdings jeder Theil wieder ſein Recht, ſeine Ordnung und ſeine Geſchichte hat. Das nun bildet ſomit den beſondern Theil des verfaſſungsmäßigen Ver - waltungsrechts.

Beſonderer Theil.

A. Die Regierung und das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht.

I. Begriff und Organismus der Regierung. Das Staatsoberhaupt und die Regierung im eigentlichen Sinne.

Die Regierung iſt die perſönliche Geſtalt der vollziehenden Gewalt, und damit die Vertreterin der Perſönlichkeit des Staats in ſeiner That.

Die Regierung beſteht daher aus zwei Elementen, dem Staats - oberhaupt, das zugleich das Haupt der geſetzgebenden Gewalt iſt, und der eigentlichen Regierung, die den perſönlichen Organis - mus der vollziehenden Gewalt enthält. Auf dem Unterſchied ihrer Funktionen beruht zunächſt der Unterſchied ihrer Organiſation, dann der Unterſchied ihres Rechts; auf der Verbindung und Einheit beider die formale Natur und das Weſen der Vollziehung.

I. Das Staatsoberhaupt, an ſich das perſönliche Haupt der20 Vollziehung, urſprünglich nur in der allein herrſchenden Perſon des Königs beſtehend, entwickelt in den höher gebildeten Staaten einen ſelbſtändigen, ihm angehörigen Organismus, deſſen einzelne Theile ſpecifiſche Funktionen und Rechte auch für die Vollziehung haben.

Das Cabinet und der Hof ſind für den perſönlichen Dienſt des Staatsoberhaupts beſtimmt, jenes für die perſönlichen Thätigkeiten, dieſer für die perſönlichen Bedürfniſſe deſſelben.

Die Staatswürden ſind die organiſirte Vertretung der Würde und Ehre des Staats; das Königthum als Haupt der Staatswürden iſt die Krone.

Das Heer iſt die organiſirte phyſiſche Macht des Staats. Es iſt daher unfähig, einem andern als dem einheitlichen perſönlichen Willen des Staatsoberhaupts zu dienen.

Der Staatsrath iſt ſeinem Weſen nach, in ſeiner Scheidung vom Miniſterrath, das berathende Organ für die Funktion des Königs in Geſetzgebung und Vollziehung; in der Wirklichkeit iſt er in den ver - ſchiedenen Ländern ſehr verſchieden organiſirt und berechtigt, ſo daß ſehr verſchiedene Dinge unter dieſem Namen zuſammengefaßt werden.

II. Während das Staatsoberhaupt die Vollziehung als individuellen Willen enthält, enthält die Regierung im eigentlichen Sinne dieſelbe als ein Syſtem von Thätigkeiten, in welchem jede große Aufgabe des Staats ſich durch die Mannichfaltigkeit ihrer Objekte zu einem ſyſtema - tiſchen Organismus entfaltet.

Der Grundbegriff iſt der des Amts; das Amt iſt das einzelne, mit ſelbſtändiger Competenz zur Vollziehung einer beſtimmten Aufgabe vom Staatsoberhaupt oder in ſeinem Namen eingeſetzte, und im Namen des Staats thätige Organ.

Das Syſtem der Aemter zerfällt in die beiden Grundformen des Miniſterial - und des Behördenſyſtems.

Das Miniſterialſyſtem iſt die perſönliche Organiſirung der (fünf) großen Verwaltungsgebiete. Der Miniſter iſt die perſönliche Spitze; die Geſammtheit der Miniſter bildet das Geſammtminiſterium, das im Miniſterrath als Ganzes thätig iſt. Erſt im Syſtem der Mi - niſterien ſcheidet ſich formell die vollziehende Gewalt von der geſetz - gebenden; und erſt dadurch wird das Syſtem des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts zur Wirklichkeit.

Das Behördenſyſtem entſteht theils durch die beſondere Natur der Verwaltungsaufgaben an ſich, theils durch die Anforderungen der örtlichen Verhältniſſe. In erſterer Beziehung ſchließt es ſich an die allgemeine Entwicklung des ſtaatlichen Lebens an, und ſchreitet mit ihr vor und zurück; in zweiter Beziehung ſchließt es ſich an die Beſonder -21 heiten von Land und Volk, und iſt ein anderes in Gebirgsländern, in Ebenen, in Küſtenländern, in den Städten und auf dem Lande. Hier erſcheint die Individualität der Staaten wieder in ihrer vollen Bedeutung, die im Miniſterialſyſtem mehr und mehr durch die Gleich - artigkeit der ſtaatlichen Entwicklung verwiſcht wird.

Mit allen dieſen Organen wirkt nun die Regierung gleichzeitig, das Gleiche in den verſchiedenſten Formen und Verhältniſſen wollend und vollziehend, Wir müſſen daher die Funktion dieſes Organismus ſelbſtändig betrachten, da ſie dem Rechte deſſelben zum Grunde liegt.

II. Die Funktion der Regierung.

Die Funktion der Regierung iſt ihrem Begriff nach einfach die Vollziehung des Staatswillens. Allein dieſe Funktion ſelbſt iſt an das Syſtem der Organe derſelben nach der Natur derſelben vertheilt.

Das Staatsoberhaupt macht durch ſeine perſönliche Zuſtim - mung den Willen der Regierung zum Staatswillen. Die Voll - ziehungsrechte, welche es unabhängig von der Regierung ausübt, bilden die Prärogative der Krone. Das Rechtsprincip in ſeinem Ver - hältniß zur Regierung iſt, daß ohne ſeine Zuſtimmung kein Wille der letzteren gültig iſt, und daß deßhalb vermöge dieſer Zuſtimmung jeder Vollzugsakt in jedem Gebiete der Verwaltung in ſeinem Namen aus - geübt wird.

Für die Regierung ſelbſt theilt ſich dann die vollziehende Funktion nach dem Miniſterial - und dem Behördenſyſtem.

Die Miniſterien haben die eigentliche Verordnungs - und Or - ganiſationsgewalt. Aus ihrem Verhältniß zum Staatswillen gehen die drei Arten der Verordnungen hervor, welche der Anwendung des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts zum Grunde liegen.

Die Beſtimmung für die Vollziehung der beſtimmt vorliegenden Geſetze bildet die Vollzugsverordnung.

Wo ein Geſetz mangelt, aber das Bedürfniß nach einer höchſten Beſtimmung vorliegt, entſteht die Verwaltungsverordnung.

Wo eine wahre Gefahr die Ausübung eines Geſetzes unausführbar oder gefährlich macht, kann die Nothverordnung das Geſetz ſus - pendiren, und den Willen der vollziehenden Gewalt zeitweilig an ſeine Stelle ſetzen.

Die Behörden dagegen haben nur die Verfügungs - und Zwangsgewalt.

Die Verfügung kann nur den ausführenden Willen einer Ver - ordnung enthalten. Es gibt daher Vollzugsverfügungen, Verwaltungs -22 Verfügungen, welche den Mangel einer beſtimmten Verordnung er - ſetzen und Nothverfügungen, welche im Falle der Gefahr die Verord - nung ſuſpendiren. Ein Geſetz kann durch keine Verfügung ſuſpendirt, wohl aber kann in der Noth eine mangelnde geſetzliche Beſtimmung durch eine Verfügung erſetzt werden.

Der Zwang iſt die Anwendung phyſiſcher Mittel gegen den Widerſtand des Einzelnen. Dieſe Mittel ſind dreifacher Natur.

Sie ſind zuerſt Ordnungsſtrafen, welche von der Behörde gegen den Ungehorſam auferlegt und nach den Regeln der gerichtlichen Exekution eingetrieben werden.

Zweitens beſtehen ſie in der Drohung, daß die Verfügung im Falle des Ungehorſams auf Gefahr und Koſten des Betreffenden aus - geführt werde.

Drittens ſind ſie wirklicher Zwang. Für den Vollzug des Zwangs beſtehen eigene Organe, theils in den eigenen Dienern der Behörde, theils in dem ſelbſtändigen Organismus der Gendarmerie. Die letztere beſitzt ihre eigene Organiſation und eigene Vollzugsvorſchriften (In - ſtruktionen ꝛc.). Das Verhältniß derſelben zu den Behörden iſt weſentlich verſchieden, je nachdem ſie eine ſelbſtändige Thätigkeit als Organe der Sicherheitspolizei entfalten, oder nur die Vollziehungsorgane der Be - hörden ſind.

Die Geſammtheit aller, die Ordnung des Zwanges betreffenden Beſtimmungen und Organe nennt man auch wohl die Polizei. Name und Stellung der Polizei ſind weſentlich hiſtoriſch. Es wäre beſſer, dieſelbe ſtrenge auf die Sicherheitspolizei zu beſchränken.

Dieß ſind die elementaren Funktionen der Regierung; an ſie ſchließt ſich das Recht derſelben.

III. Das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht.

Das Regierungsrecht überhaupt iſt ſeinem Begriffe nach das Recht, welches aus der obigen Funktion der Regierung in ihrem Verhältniß theils zu den übrigen Elementen des Staats, theils zum Rechte des Staats - bürgerthums entſteht. Das verfaſſungsmäßige Regierungsrecht iſt dieß Recht, in ſofern es aus der in der Volksvertretung gegebenen Scheidung der geſetzgebenden Gewalt von der vollziehenden hervorgeht. Es iſt klar, daß das erſtere allerdings ſeinem Weſen und Begriff nach immer beſteht, daß aber erſt die Selbſtändigkeit der Geſetzgebung das - ſelbe im letzteren zu einem klaren und praktiſchen Rechtsſyſtem ent - wickeln kann.

Alles Regierungsrecht beruht darauf, daß der Wille und die23 That deſſelben, da ſie ſelbſtändig neben der Geſetzgebung daſtehen, auch mit dem Inhalt der letzteren in Widerſpruch gerathen können. Da nun das Geſetz der höchſte Wille des Staats iſt, ſo folgt, daß das Princip jenes Rechts die Herſtellung der Harmonie zwiſchen Geſetz - gebung und Vollziehung ſein muß. Die Verwirklichung dieſes Princips hat nun nach der Organiſation der Funktionen der Regierung drei Grundformen.

Das Staatsoberhaupt iſt unverantwortlich. Denn die Be - dingung der Geltung ſeines Willens iſt die Zuſtimmung der Miniſter; dieſe Zuſtimmung macht dann die letzteren für den Willen des Ober - haupts verantwortlich. Wo ſie in beſtimmten Fällen nicht nöthig iſt, da hat jener Wille dadurch an und für ſich d[as]Recht des höchſten Staats - willens. Das iſt das Rechtsprincip des verfaſſungsmäßigen König - thums.

Für die Regierung dagegen gelten die beiden Grundrechte der Verantwortlichkeit und der Haftung, ſowohl für das Mini - ſterial - als für das Behördenſyſtem. Nur erſcheinen beide für jedes derſelben in verſchiedener Form.

Das Weſen der Verantwortlichkeit beruht darauf, daß die Geſetze neben ihrem Wortlaut auch einen Geiſt haben, und daß die höhere Natur des Staats eine geiſtige iſt. Die Regierung iſt ver - pflichtet, ſich dieſen Geiſt des Staats, ſowie den der beſondern Geſetze anzueignen, und in ihrer Thätigkeit denſelben in der geſammten Ver - waltung zur Geltung zu bringen. Die Grundlage der Haftung beſteht darin, daß die einzelnen Handlungen der einzelnen Organe der voll - ziehenden Gewalt nicht dem Wortlaut der Geſetze widerſprechen dürfen.

Die Verantwortlichkeit des Miniſterium erſcheint in dem, durch die Abſtimmungen der Volksvertretung gegebenen Urtheil derſelben über die Harmonie zwiſchen dem Geiſt der Verwaltung und dem der Geſetze. Die Verantwortlichkeit der Behörde dagegen erſcheint als die Verpflichtung derſelben, in ihren Verfügungen den Geiſt der Verord - nungen zum Ausdruck zu bringen, und wird verwirklicht durch die Be - ſchwerde gegen jedes Organ in ſeiner Thätigkeit, gerichtet an die höhere Behörde. Das Recht der Beſchwerde iſt daher ein eben ſo ab - ſolutes ſtaatsbürgerliches Recht, als das der Abſtimmung in der Volks - vertretung. Es iſt eine der weſentlichen Bedingungen eines verfaſſungs - mäßigen Regierungsrechts, daß das Beſchwerdeverfahren geſetzlich und gerecht geordnet, und mit dem Disciplinarverfahren im Amts - ſtrafrecht in engſte Verbindung gebracht ſei. Beides fehlt in allen Staaten Europas.

Bei der Haftung des Miniſteriums muß man unterſcheiden. 24Die miniſterielle Haftung tritt da ein, wo eine in der Competenz liegende Vollziehung durch die Verordnung der Miniſter entweder das beſtimmte Geſetz verletzt oder daſſelbe nicht vollzogen hat. Die perſönliche Haftung derſelben tritt bei allen denjenigen einzelnen Thätigkeiten derſelben ein, welche nicht zur Competenz der Miniſter ge - hören. Daſſelbe gilt von der Haftung der Behörden. Nur haben die - ſelben zugleich der höheren Behörde und dem Einzelnen dafür zu haften, daß ihre Verfügungen und Zwangshandlungen einerſeits mit dem Wortlaute der Geſetze, andererſeits mit dem der Verordnungen übereinſtimmen, während perſönliche Haftung nur mit ſolchen Hand - lungen der Behörde zu thun hat, welche ſich nicht auf die amt - liche Competenz beziehen. Die Verwirklichung der Haftung geſchieht durch die Klage. Es ſteht daher der Volksvertretung gegen die Mini - ſterien, und jedem Einzelnen gegen jede Behörde das Klagerecht in jedem Falle zu, wo dieſelben ein geſetzliches Recht durch Verordnung, Verfügung und Zwang verletzen. Das Organ, welches über die Klage entſcheidet, iſt dem Principe nach das Gericht; bei der Klage gegen die Miniſter das Staatsgericht, bei der Klage gegen die Behörde das ordentliche Gericht. Das Verfahren iſt im erſten Falle beſon - ders normirt, im zweiten Falle gilt das gewöhnliche Gerichtsverfahren wie in jedem andern Proceß.

So einfach nun dieſe Grundſätze an ſich ſind, ſo langdauernd und ernſt iſt der Kampf, der ſie zur Geltung bringt. Die hiſtoriſche Ent - wicklung des Staatenlebens hat es mit ſich gebracht, daß von einer Miniſterverantwortlichkeit und Haftung bis zu unſerem Jahrhundert nur in England die Rede ſein konnte, während der Gedanke einer ge - richtlichen Haftung der Behörde auch bis zur Gegenwart nirgends mit Ausnahme Englands zur Geltung gelangt iſt. Der Charakter des jetzt beſtehenden rechtlichen Zuſtandes iſt daher die Verſchmelzung der Verantwortlichkeit und des Klagerechts, welche bei den Miniſtern in Unklarheit über den Begriff der Miniſterverantwortlichkeit, die zugleich die unklar gedachte Haftung derſelben enthält, bei den Behörden in dem Princip der Ausſchließung des Klagerechts durch das Beſchwerde - recht beſteht, ſo weit es ſich um amtliche Funktionen handelt. Die erſten, noch unfertigen Vermittlungsverſuche für beide Auffaſſungen iſt die Einſetzung von Verwaltungsgerichten nach dem Muſter der Conseils de Préfecture; allein man hat gewiß Recht, ſie nur als ein Uebergangsſtadium zu betrachten. Das Weſen und die Würde des Gerichts fordern eben ſo gut als das Recht, daß das Gericht als ſolches entſcheide. Doch gehört ein hoher Grad der Entwicklung des ſtaats - bürgerlichen Lebens dazu, um dieſen Gedanken zur Geltung zu bringen.

25

Dieſen Rechten und Pflichten der Regierung entſpricht nun von Seiten des Einzelnen der Gehorſam, der, in ſofern ſeine Gränzen durch das Geſetz gegeben ſind, der verfaſſungsmäßige Gehorſam iſt. Der Widerſtand iſt an und für ſich ein Unrecht; dagegen iſt das Recht des paſſiven Widerſtandes ein organiſches Recht, und der Ein - zelne haftet dabei ſeinerſeits dafür, daß er zu demſelben berechtigt war oder nicht.

B. Die Selbſtverwaltung.

I. Begriff und Organismus.

Die Selbſtverwaltung iſt die erſte Form, in welcher die Idee der freien Verwaltung als der organiſirten und berechtigten Theilnahme der Staatsbürger an der Funktion der Vollziehung im Allgemeinen, in der Verwaltung im Beſondern zur Verwirklichung gelangt. Sie entſteht dadurch, daß nicht ſo ſehr der freie und ſelbſtthätige Wille des Einzelnen, als vielmehr die Natur gegebener Verhältniſſe jene Theil - nahme erzeugt und nothwendig macht.

Es folgt daraus, daß das Syſtem dieſer Selbſtverwaltung auf dem Syſtem eben dieſer natürlichen Faktoren beruht, welche ſie ſelbſt erzeu - gen. Man muß deßhalb davon ausgehen, daß die Selbſtverwaltung kein einfacher Begriff iſt, und daher auch keine einfache Funktion hat und haben kann; zugleich aber auch, daß ſie wie ihre natürlichen Grund - lagen den ganzen Staat umſchließt, und ſomit ein zweites organiſches Syſtem der Vollziehung neben dem der Regierung bildet, aus deren gegenſeitigen Berührung dann das Recht beider hervorgeht.

Zwei große Gebiete des wirklichen Lebens ſind es nun, mit denen die Vollziehung zu thun hat; und die Selbſtverwaltung hat da - her auch im allgemeinſten Sinne zwei Grundformen. Das erſte Gebiet iſt das der Intereſſen, das zweite iſt das des feſten, begränzten Grundbeſitzes. Die Organiſation der Betheiligung des Staats - bürgerthums an der Vollziehung in Beziehung auf die Intereſſen nen - nen wir die Vertretungen, in Beziehung auf den örtlich begränzten Grundbeſitz die eigentliche Selbſtverwaltung. Jede dieſer Organi - ſationen bildet dann, für ein beſtimmtes Gebiet thätig, das was wir den Selbſtverwaltungskörper nennen.

Die Organiſation aller dieſer Selbſtverwaltungskörper beruht ge - meinſchaftlich auf dem Princip, die Thätigkeit des Einzelnen an den Funktion der Vollziehung zuzulaſſen, während ſie im Ganzen des Staates als ſelbſtändige Organe, in ihren höheren Stufen als ſelbſtändige Perſönlichkeit daſtehen. Die Verwirklichung dieſes Princips geſchieht26 dadurch, daß die Organe dieſer Selbſtverwaltungskörper aus der Wahl ihrer Angehörigen hervorgehen, und daß die ſo gewählten Vertreter das Recht haben, den Willen der Körper zu beſtimmen, und das Recht, dieſen Willen auszuführen. Die Ordnung des erſteren bildet demgemäß ihre Verfaſſung, die Ordnung des zweiten ihre Verwaltung. Ihre perſönliche Einheit aber wird nach außen durch ihr Oberhaupt vertreten, das gleichfalls aus der Wahl derſelben hervorgehen ſoll. Es iſt aber natürlich, daß dieſe allgemeinen Grundſätze je nach der Natur der Selbſtverwaltungskörper eine vielfach verſchiedene Geſtalt annehmen.

Die Vertretungen zunächſt heißen da, wo ſie von dem freien Willen und den Intereſſen der Einzelnen ausgehen, um über die Aufgabe der Vollziehung Wünſche und Forderungen auszuſprechen, Geſuche und Petitionen; da wo die Anſichten einzelner Fachmänner von der Regierung veranlaßt werden, Gutachten; wo ſich alle Betheilig - ten auf Veranlaſſung der Regierung ausſprechen, Vernehmungen (Enquêtes). Wo dagegen dauernde Körper auf Grundlage der Wahl zu dieſem Zweck gebildet werden, entſtehen die Räthe für die Aufgaben der Verwaltung überhaupt, die Kammern für beſtimmte Aufgaben der Volkswirthſchaftspflege. In den höheren Stadien der Selbſtver - waltung gehen die erſteren in amtliche Stellungen, letztere in die freien Vereine über. Die ſtrenge adminiſtrative Organiſirung herrſcht im Syſtem der Conseils in Frankreich, die freiere in den Associations in England; in Deutſchland wirken noch beide neben einander.

Die Selbſtverwaltung im eigentlichen Sinne hat drei, in ſich und ihren Funktionen und Rechten ſehr verſchiedene Körper.

Die Landſchaft iſt die, auf der hiſtoriſchen Staatenbildung be - ruhende, Land und Stamm in ihrer Beſonderheit umfaſſende Selbſt - verwaltung. Ihre weſentliche Bedeutung beruht darauf, daß ſie die Selbſtverwaltung da am kräftigſten vertritt, wo ſie am meiſten gefährdet wird, in ſtreng adminiſtrativ centraliſirten Staaten. Sie hat daher in den verſchiedenen Zeiten und Ländern ein ſehr verſchiedenes Schickſal in Europa gehabt. Ihre dauernde Heimath ſcheint Mitteleuropa zu ſein. Ihre Organiſation iſt unter allen Organen der freien Verwal - tung faſt allein fähig, die Elemente der Geſchlechter - und ſtändiſchen Ordnung dauernd zu erhalten. Eben deßhalb wird ihre Competenz ſich mit der Entwicklung der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft faſt von ſelbſt beſchränken.

Die Gemeinde iſt die ausgebildete Organiſation der örtlichen Selbſtverwaltung. Sie iſt daher beſtimmt und fähig, die Grundformen und Organe des Staats für ihr begränztes Gebiet in begränzter Weiſe27 herzuſtellen, und dadurch die großen Principien des verfaſſungsmäßigen Regierungsrechts bei ſich zur Anwendung zu bringen. In dieſem Sinne iſt die Gemeinde die Erzieherin des Einzelnen zum ſtaatsbürger - lichen Leben. Die Gemeinde hat daher ihr Oberhaupt, ihre Verfaſſung und ihre Verwaltung; ſie ſoll wenigſtens die Organe dieſer Funktionen in Bürgermeiſter, Gemeinderath (Magiſtrat) und Gemeindevertretung; ſie ſollte in den Magiſtratsräthen das Analogon der Miniſter haben, um das Syſtem der Verantwortlichkeit und Haftung ausbilden zu können. Eben darum iſt das Gemeindeweſen der Kern aller Selbſtver - waltung, die Gemeinde die Heimath der freien Verwaltung, und ein Volk ohne freie Gemeinde trotz aller freien Verfaſſung ein nicht freies, ſondern adminiſtrativ unfreies Volk. Deßhalb ſagen wir, daß die Ver - faſſung nur der erſte, die freie Verwaltung in der Gemeinde aber der zweite Schritt zur Freiheit des Volkes ſei. Und die Geſchichte des Ge - meindeweſens beweist zu allen Zeiten und in allen Völkern, daß in ihm der Maßſtab der inneren Freiheit gegeben iſt.

So lange nun das Gemeindeweſen allein auf hiſtoriſch entſtandenen Ortsgemeinden beruht, iſt eine organiſch entwickelte Selbſtverwal - tung nicht möglich, weil die Ortsgemeinden bei gleichen Aufgaben und gleichen Rechten ſo verſchieden in Umfang und Kraft ſind, daß der bei weitem größte Theil derſelben unfähig erſcheint, die Organe der Verfaſſung und Verwaltung bei ſich auszubilden. Die Zukunft des Gemeindeweſens liegt daher in der Bildung von Verwaltungsgemein - den, für deren Beſchlüſſe die Ortsgemeinde das vollziehende Organ iſt. Die bisherigen Verſuche der Kreis - und Bezirksgemeinden ſind nur noch der erſte Beginn dieſer höheren Organiſation, da ſie meiſt entweder bloß Rathskörper an der Seite der Beamteten, wie namentlich in Frankreich (Arrondissements und Souspréfets) oder Verbände mit einer einzelnen Aufgabe ſind, wie in England. Deutſchland wird die Arbeit und die Ehre haben, die Verwaltungsgemeinde aus der Orts - gemeinde zu erſchaffen, und damit das wahre Syſtem der Selbſtver - waltung zu verwirklichen.

Die Corporationen endlich ſind Selbſtverwaltungskörper für einen beſtimmten einzelnen Zweck auf Grundlage eines eigenen Ver - mögens. Sie ſind wieder entweder Körperſchaften, welche die ein - heitliche, öffentliche Organiſation einer Berufsthätigkeit enthalten, oder Stiftungen, deren Mittel für einen ſocialen Zweck verwaltet werden. Die Organiſation der erſteren beruht daher meiſtens auf ſtändiſchen Prin - cipien, die des zweiten auf den individuellen Vorſchriften der Stifter. Beide gehen in Staatsanſtalten über, wenn der Staat ihnen für die wachſende Bedeutung ihrer Aufgabe die Mittel aus ſeiner Verwaltung28 geben muß. Daher haben nur wenige unter dieſen Körpern die Fähig - keit, ſich dauernd zu erhalten.

II. Die Funktion der Selbſtverwaltung.

Die Funktion der Selbſtverwaltung iſt ihrem Begriff nach die Uebernahme der Funktion der Regierung, ſoweit die letztere durch be - gränzte Intereſſen und örtliche Verhältniſſe modificirt werden kann. Sie kann daher niemals eine geſetzgebende, und nur ausnahms - weiſe eine verordnende Gewalt beſitzen; ihre Funktion iſt ſtets die der verfügenden Behörde. Und auch dieſe Funktion iſt nach der Ver - ſchiedenheit der Selbſtverwaltungskörper eine weſentlich verſchiedene.

Die Vertretungen kennen, da ſie den Sonderintereſſen innerhalb der Vollzugsthätigkeit der Regierung Ausdruck geben, auch keine ver - fügende, ſondern nur eine berathende Funktion. Nur die eigentlichen Selbſtverwaltungskörper können verfügen, und haben damit auch die Zwangsgewalt (Polizei). Da ſie aber zugleich ſelbſtändig und auch Organe der Einheit des Staats ſind, ſo hat ihre Verfügungs - und Zwangsgewalt einen doppelten Charakter, der dem doppelten Recht derſelben zum Grunde liegt.

Die Geſammtheit der Funktionen nämlich, welche aus der Selb - ſtändigkeit der Selbſtverwaltungskörper hervorgehen, nennen wir den natürlichen oder freien, die Geſammtheit derjenigen, welche aus ihrem organiſchen Verhalten zur Einheit des Staats hervorgehen, den amt - lichen, ſtaatlichen oder übertragenen Wirkungskreis der Selbſtverwaltung. Es iſt klar, daß die Geſetzgebung den letzteren verengern oder erweitern kann; die Beſtimmung deſſelben bildet einen weſentlichen Theil des ge - ſetzlichen Gemeinderechts (Gemeindeordnung oder Gemeindeverfaſſung) und iſt wieder ſehr verſchieden in den verſchiedenen Staaten.

Der Umfang und Inhalt beider Arten der Funktionen iſt nun wieder ein anderer, je nachdem es ſich um Landſchaften, Gemeinden oder Corporationen handelt. Gemeinſchaftlich aber ſind für alle die folgenden Grundſätze.

Die Funktionen der Rechtsverwaltung müſſen ſtets und unbedingt, ſoweit ſie überhaupt der Selbſtverwaltung übergeben werden können, als amtliche angeſehen werden; eben ſo diejenigen, welche dem Heer - weſen angehören.

Die ſtaatswirthſchaftlichen Funktionen ſind amtlich, ſofern ſie die Finanzen betreffen; freie, ſo weit ſie auf die Mittel der eigenen Ver - waltung Bezug haben.

Die Aufgaben der inneren Verwaltung ſind grundſätzlich freie29 Funktionen, ſo weit ſie eine örtliche Begränzung zulaſſen; wo dieſe aufhört, beginnt die ſtaatliche Natur derſelben.

Dieſes Weſen der Funktionen bildet nun die Grundlage des Rechts - ſyſtemes der Selbſtverwaltung.

III. Das Rechtsſyſtem der Verwaltung.

Das Rechtsſyſtem der Selbſtverwaltung beruht darauf, daß dieſe Körper dem Obigen gemäß einerſeits ſelbſtändige Organe der vollziehen - den Gewalt des Staats, andererſeits zugleich organiſche Einheiten ihrer Angehörigen ſind. Die Geſammtheit der Rechtsſätze, welche aus dem erſteren Momente hervorgeht, iſt das öffentliche (ſtaatliche), die - jenige, welche aus dem zweiten Momente folgt, das innere Rechts - ſyſtem der Selbſtverwaltung.

Das öffentliche Rechtsſyſtem der Selbſtverwaltung entſcheidet die Gränze, bis zu welcher die letztere als Glied des ſtaatlichen Organis - mus in Verfügung und Zwang ſelbſtändig iſt.

Das Princip für dieſes Rechtsſyſtem iſt die einfache Conſequenz des Weſens der Verfügung, angewendet auf den Unterſchied zwiſchen freiem und amtlichem Wirkungskreis. Für den erſten geht das Recht auf die freie Verfügung ſo weit, als kein Geſetz und keine Verordnung entgegenſteht; keine Selbſtverwaltung kann zu einer Verfügung ge - zwungen werden, ſondern hat das Recht auf den paſſiven Widerſtand; keine Behörde hat ein Recht zur Verfügung in dem anerkannten Wir - kungskreis der Selbſtverwaltung; gegen die Verordnung hat die letztere das Recht der Klage und Beſchwerde wie jeder Einzelne. Wo dagegen der Wirkungskreis ein amtlicher iſt, haben die Organe der Selbſtver - waltungskörper die Stellung der Behörde, und damit ihre Rechte, nicht aber auch ihre Pflichten, ſpeziell in Beziehung auf den Erlaß von Ver - fügungen und ihrer zwangsweiſen Ausführung. Darum iſt es von praktiſcher Wichtigkeit, den erſteren möglichſt genau zu beſtimmen, weil im Zweifel die Mittelbehörde als berechtigt angeſehen werden muß, ohne Suſpenſiveffekt der Selbſtverwaltung als unterer Vollzugsbehörde Befehle zu geben.

Die drei Grundbegriffe, an denen ſich dieß öffentliche Recht der Selbſtverwaltung verwirklicht, ſind die der juriſtiſchen Perſönlichkeit, der Autonomie und der Oberaufſicht.

1) Die juriſtiſche Perſönlichkeit entſteht, wenn die Gemeinſchaft Einzelner zu einheitlichem Wollen und Handeln vom Staate als Per - ſönlichkeit anerkannt wird. Bis zu dieſer Anerkennung bleibt ſie eine vertragsmäßige Perſönlichkeit. Das Rechtsprincip der juriſtiſchen30 Perſönlichkeit beſteht darin, daß der Inhalt des Rechts der Organe derſelben, die Mitglieder zu verpflichten, bei ihr nicht mehr auf dem Vertrage, ſondern auf dem Weſen der Einheit beruht, welche jene Perſönlichkeit bildet. Je nach dem Inhalt dieſer Einheit unterſcheiden wir nun drei Arten der juriſtiſchen Perſönlichkeit. Die wirthſchaft - liche Perſönlichkeit iſt die für wirthſchaftliche Zwecke gebildete perſön - liche Einheit, die verwaltungsrechtliche diejenige, welche neben dem wirthſchaftlichen Zweck auch Funktionen der vollziehenden Gewalt enthält, für welche ihre materiellen Mittel die Bedingungen enthalten; die ſtaatsrechtliche endlich erſcheint da, wo zu der Theilnahme an der Vollziehung auch eine Theilnahme an der Geſetzgebung in Wahl - recht oder Virilſtimme hinzukommt. Die Selbſtverwaltungskörper ſind ſtets und nothwendig verwaltungsrechtliche, zuweilen auch (Virilſtimmen von Corporationen ꝛc. ) ſtaatsrechtliche Perſönlichkeiten. Das ſpecifiſche Recht ihrer Perſönlichkeit als ſelbſtthätiger Einheit iſt ſtets durch ihr Oberhaupt ausgeübt. Grundſatz: daß wie im Staate nur das als perſönlicher Wille des Selbſtverwaltungskörpers gilt, was die Zuſtim - mung (Unterſchrift) des Hauptes beſitzt.

2) Die Autonomie iſt das Recht der juriſtiſchen Perſönlichkeit, durch ihre Organe Beſchlüſſe zu faſſen und Thätigkeiten mit dem Rechte der vollziehenden Gewalt gegenüber ihrer Angehörigen auszuführen. Auch hier iſt der freie von dem amtlichen Wirkungskreis zu ſcheiden. Aus der Autonomie des erſteren folgt, daß die Beſchlüſſe der Organe das Recht der Verordnung, die Vollzugsthätigkeiten das Recht des öffentlichen Zwanges (der Polizei) haben. Es folgt zweitens, daß die Objekte dieſer Autonomie das Gebiet der autonomen Ver - waltung bilden. Princip der letzteren iſt, daß ſie, wie die Voll - ziehungsgewalt ſelbſt, zunächſt die geſetzlich verſchiedenen Verwaltungs - aufgaben erfüllen muß. Die Geſammtheit der der Autonomie der Selbſtverwaltung überwieſenen Aufgaben bildet ihre Competenz. Das Recht derſelben iſt die Ausſchließung der Verfügungsgewalt der Behörde für das, wozu die Selbſtverwaltung competent iſt; zweitens das Recht, die Mittel dafür durch eigene Beſchlüſſe aufzubringen und zu verwalten; drittens das Recht, über die Verwendung der nach Er - füllung des beſtimmten Zweckes übrig bleibenden Mittel ſelbſtändig zu verfügen. Die Autonomie für den ſtaatlichen Wirkungskreis beſteht jedoch nur darin, die Organe durch eigenen Beſchluß zu beſtimmen, welche die Vorſchriften der Vollzugsorgane auszuführen haben, und die Mittel dafür aufzubringen. Im Uebrigen tritt ganz das Verhältniß einer Behörde ein.

3) Die Oberaufſicht beruht nicht darauf, daß die Autonomie31 etwa das Recht des Einzelnen verletzen könnte; hierfür tritt vielmehr das innere Selbſtverwaltungsrecht ein. Sie iſt die rechtliche Conſe - quenz des Satzes, daß jede Selbſtverwaltung ſtets ein organiſches Glied des Ganzen bleibt; der Inhalt ihres Rechts beſteht demnach darin, die Harmonie zwiſchen der Autonomie in Verfaſſung und Ver - waltung der Selbſtverwaltungskörper mit den Geſetzen der Verwaltung des Staats herzuſtellen. Sie hat daher zuerſt zu ſorgen, daß die Competenz nicht überſchritten werde; ſie hat zu dem Ende das Recht der Kenntnißnahme von den Beſchlüſſen und Vollziehungen der Selbſt - verwaltung; ſie hat das Recht der Siſtirung und der Nichtigkeits - erklärung der Beſchlüſſe und der Auflöſung der Organe, ſtets unter der Haftung der verordnenden Gewalt, und zwar nach den Regeln der Haftung bei den Verordnungen. Hier ſind nun Begriffe und Recht noch ſehr im Werden und ſehr verſchieden in den einzelnen Ländern; es iſt ein weites Gebiet und nur durch eingehende Studien an der Hand feſter Begriffe zu bewältigen.

B. Das innere Rechtsſyſtem der Selbſtverwaltung iſt an ſich ſehr einfach, in der Wirklichkeit aber höchſt unausgebildet. Denn faſt allenthalben fehlt ſeine Grundlage, die klare und bewußte Scheidung der drei Organismen, namentlich der vollziehenden von der beſchließen - den Gewalt in den Gemeinden.

Das Princip dieſes ganzen Rechtsſyſtems iſt kein anderes, als die Anwendung der Grundſätze von Verantwortlichkeit der Vollzugsorgane gegenüber den beſchließenden (Magiſtrat gegenüber der Gemeindever - tretung) und der Haftung derſelben für jeden einzelnen Akt, mit dem ſie das[beſtehe]nde Recht von Geſetz oder Verordnung verletzen. Es gibt daher ein[Beschw]erderecht gegen die ganze Gemeinde ſo wie gegen die einzelnen[O]rgane eben ſo können Gemeinde und Gemeindeorgane vor dem ordentlichen Gerichte gellagt werden. Um das zur vollen Ent - wicklung zu bringen, bedarf es allerdings ſtatt der Ortsgemeinde der Verwaltungsgemeinde, denn nur dieſe iſt fähig, die einzelnen Organe bei ſich zu entwickeln und ihr beſonderes Recht feſtzuſtellen. Hier liegt der Fortſchritt auf dieſem hochwichtigen Gebiete.

Natürlich nun ſind alle dieſe Grundſätze je nach den beſtehenden Geſetzen über Landſchaft, Gemeinde und Corporationen ſehr verſchieden mehr oder weniger im Geiſte einer freieren Bewegung durchgeführt, und mehr oder weniger je nach den einzelnen Ländern noch mit den hiſtoriſchen Grundſätzen des Geſchlechter - und ſtändiſchen Rechts durch - flochten. Die Erklärung des Beſtehenden aus dieſen Grundlagen iſt die Geſchichte der Selbſtverwaltung.

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C. Das Vereinsweſen.

I. Begriff und Syſtem.

Der Begriff des Vereinsweſens im weiteſten Sinne umfaßt alle Formen, in denen ſich Einzelne zu einem beſtimmten Zweck freiwillig verbinden. Das Vereinsweſen als Theil der vollziehenden Gewalt da - gegen betrifft nur diejenigen Vereinigungen, deren Zweck die Vollziehung irgend einer Aufgabe der Verwaltung durch freie Verbindung von Mitteln und Kräften iſt. Dadurch tritt dieſer Theil des Vereins - weſens nothwendig in den Organismus und das Recht der Verwaltungs - lehre überhaupt und der vollziehenden Gewalt insbeſondere hinein, ſo daß in der That die letztere ohne ſie unvollſtändig erſcheint. Der bis - herige Entwicklungsgang in Geſetzgebung und Literatur macht es aber nothwendig, das ganze Syſtem des Vereinsweſens zu überſehen, um einen feſten Boden für das Vereinsrecht zu finden.

Die unterſten Formen der menſchlichen Vereinigungen entſtehen theils durch das natürliche Element des Geſchlechts in Ehe und Familie, theils durch die einzelnen und vorübergehenden Akte des Verkehrslebens in der Communio und den Verträgen aller Art. Sie gehören beide dem eigentlichen Vereinsweſen nicht an.

Das eigentliche Vereinsweſen beginnt, wenn man in dem Verein die Elemente eines ſelbſtändigen perſönlichen Lebens erkennt, alſo nebſt dem Körper und der Seele das Oberhaupt, den Willen und die That. Erſt auf dieſer Grundlage iſt ein Syſtem des Vereinsweſens möglich. Innerhalb dieſes Syſtems entſtehen dann die Arten der Vereinigungen und Vereine durch den Zweck oder das Objekt, welches ſie ſich ſetzen.

Gemeinſchaften nennen wir diejenigen Formen der Vereini - gung, welche nur durch das materielle Element, den Beſitz, entſtehen, und daher weſentlich einen hiſtoriſchen Charakter haben. Eben dadurch bilden ſie den Uebergang zu den Corporationen.

Verſammlungen ſind diejenigen Vereinigungen, welche nur dazu dienen, eine gemeinſame Anſicht auszuſprechen; ihr Inhalt iſt rein geiſtiger Natur; ſie bilden den Uebergang zu den Vertretungen.

Die Geſellſchaften ſind diejenigen Vereinigungen, die um des Erwerbes ihrer Mitglieder willen entſtanden ſind, und bei denen daher die Vereinigung nur das Mittel für dieſe wirthſchaftlichen Erwerbs - zwecke der Einzelnen ſind. Das ſind die ſtille, die offene und die Commandit-Geſellſchaft.

Die Aktiengeſellſchaften bilden den Uebergang zu den eigent - lichen Vereinen, indem der Zweck ſtets der Erwerb der Geſellſchafter33 iſt, während das Mittel, die Aktie, durch ihr Verhältniß zum Werth und Creditumlauf ſich weit über die Grenzen der urſprünglichen Geſell - ſchafter hinaus erſtreckt. Dadurch wird der Organismus und die Thätigkeit der Geſellſchaft nothwendig Gegenſtand des Verwaltungs - rechts, während der Zweck derſelben ein rein wirthſchaftlicher ſein kann. Iſt aber der Zweck der, vermöge der Ausübung irgend einer Verwaltungsaufgabe einen Erwerb zu erzielen, ſo nehmen ſie als Ver - waltungsvereine den Charakter und damit auch das Recht derſelben an; das Verhältniß der Aktie iſt dann ein Gebiet des wirthſchaftlichen Geſellſchaftsrechts, das Verhältniß der Thätigkeit der Geſellſchaft als Ganzes gehört dem Vereinsweſen.

Die eigentlichen Vereine ſind dann endlich diejenigen Ver - einigungen, deren Zweck die dauernde Ausübung einer Verwaltungs - aufgabe iſt. Die hiſtoriſche Form der Vereine auf Grundlage der Ver - waltung der unbeweglichen wirthſchaftlichen Güter und ihrer Intereſſen iſt dann der Verband (Waſſerverbände, Schulverbände, Wegever - bände ꝛc. ); auf Grundlage der Arbeit und ihrer ſpeziellen Intereſſen erſcheinen die hiſtoriſchen Genoſſenſchaften (Zunft, Innung ꝛc.). Beide werden nun von dem Vereinsweſen der ſtaatsbürgerlichen Geſell - ſchaft ſo weit überragt, daß ſie nur noch in Ausnahmen vorkommen.

Das Princip für das eigentliche ſtaatsbürgerliche Vereins - weſen iſt, daß jedes Gebiet des öffentlichen Lebens Gegenſtand einer dafür beſtimmten dauernden und organiſirten Vereinigung ſein kann. In dem Vereine iſt daher die volle freie Bethätigung der Einzelnen im öffentlichen Leben gegeben, da ſich in ihm die Einzelnen Mittel, Zweck und Organismus ſelbſt ſetzen. Die Bedeutung dieſes Auftretens der Vereine für das Geſammtleben beſteht darin, daß in ihnen ſich die Individualitäten für das öffentliche Leben geltend machen können, die ſonſt mit ihrer Bedeutung keinen Raum gewinnen. In einem freien Staate erfüllt ſich daher das ganze Leben deſſelben mit dem Vereinsweſen; und indem es auf dieſe Weiſe ein Faktor des Geſammt - lebens wird, entſteht die Nothwendigkeit, das in allen Vereinen ge - meinſame Element zu finden und in dieſem das Verhältniß zur Voll - ziehung feſtzuſtellen. Dieſes gemeinſame Element iſt nun das, was wir die organiſchen Grundbegriffe des Vereins nennen, und ohne welche ein Vereinsrecht nicht entwickelt werden kann.

Jeder Verein iſt zuerſt ſeinem Begriffe nach eine juriſtiſche Perſönlichkeit. Es bedarf dazu keiner beſonderen Verleihung des Rechts der letzteren, ſondern nur des durch die Regierung nicht wider - ſprochenen Akts der öffentlichen Conſtituirung deſſelben.

Jeder Verein hat das Element der Geſellſchaft dadurch in ſich,Stein, Handbuch der Verwaltungslehre. 334daß er ein wirthſchaftlicher Körper iſt, der ein Vermögen haben kann, aber eine Einnahme haben muß. Nach der Art wie dieſe Einnahme zuſammenkommt, unterſcheiden wir Beitrags -, Gegenſeitigkeits - und Aktienvereine.

Jeder Verein hat einen einzelnen beſtimmten Zweck; dieſer Zweck iſt zugleich Ausdruck der Thätigkeit des Vereins als Ganzem und Grundlage der Competenz ſeines Vorſtandes nach Innen und Außen.

Jeder Verein hat endlich einen perſönlichen Organismus, das iſt, ein Oberhaupt (Präſidium), einen Organismus der beſchließenden Ge - walt (Generalverſammlung) und der vollziehenden Gewalt (Verwaltungs - rath); das Analogon des Behördenſyſtems ſind ſeine Angeſtellten und Diener. Je klarer dieſe Grundorgane entwickelt ſind, deſto höher ſteht der Verein; jede unklare Verſchmelzung derſelben iſt ein Nachtheil und oft eine Gefahr für den Verein; ohne beſtimmte und bewußte Schei - dung derſelben iſt ein inneres Vereinsrecht nicht möglich.

Alle dieſe Momente ſind allen Vereinen gemein. Die durch den Willen der Mitglieder für jeden einzelnen Verein beſtimmte Ordnung derſelben nennen wir, indem ſie der öffentlichen Conſtituirung zum Grunde gelegt wird, die Statuten. Die Statuten bilden daher das Grundrecht jedes Vereins; ſie enthalten die Baſis für die Anwendung des Vereinsrechts auf jeden einzelnen Verein.

In der weiteren Entwicklung des Vereinslebens ergibt es ſich dann, daß das geſellſchaftliche Princip des Erwerbes der Mitglieder mit dem Vereinsprincip der Förderung der Geſammtentwicklung vielfach ver - bunden wird (Vereine auf Aktien). Damit wird dann aber weder das Weſen noch das Recht des Vereins geändert.

II. Die Vereinsarten als Funktionen des Vereins.

Die Funktionen des Vereinsweſens erſcheinen nun in den Vereins - arten. Die Art des Vereins entſteht durch den Zweck, den ſich der Verein im öffentlichen Leben ſetzt. Mithin iſt das Syſtem der Vereins - arten nichts anderes, als das Syſtem des Geſammtlebens der Menſchen im Staate.

Demnach unterſcheiden wir zunächſt die politiſchen Vereine und die Verwaltungsvereine.

Die politiſchen Vereine oder Verbindungen ſind ſolche, deren Zweck die Entwicklung des Verfaſſungslebens und ſeiner Geſetze iſt. Ihre Vorausſetzung iſt entweder ein tiefer Widerſpruch zwiſchen der beſtehenden Verfaſſung und den Anforderungen des Volkes, oder eine lebendige Entwicklung des inneren Staatsrechts. Im erſten Falle35 erſcheinen ſie allerdings als eine Gefahr für das Beſtehende, und werden daher meiſtens verboten und verfolgt; im zweiten ſind ſie der Ausdruck ihrer Zeit und ein organiſches Element des Fortſchrittes.

Die Verwaltungsvereine, gleichviel ob Aktien -, Beitrags - oder Gegenſeitigkeitsvereine,