Buch des Sängers.
Buch Hafis.
Buch der Liebe.
[48]49Dichter.
Buch der Betrachtungen.
[64][65]Buch des Unmuths.
[80][81]Buch der Sprüche.
7 *[100][101]Buch des Timur.
8[114][115]Buch Suleika.
Hatem.
Das Schenkenbuch.
[182][183]Buch der Parabeln.
[206][207]Buch des Parsen.
[216][217]Buch des Paradieses.
[224]225Nach der Schlacht von Bedr, unterm Sternenhimmel. Mahomet spricht.
Alles hat seine Zeit! — Ein Spruch dessen Bedeutung man bey längerem Leben immer mehr anerkennen lernt; diesemnach giebt es eine Zeit zu schweigen, eine andere zu sprechen, und zum Letzten entschlieſst sich diesmal der Dichter. Denn wenn dem früheren Alter Thun und Wirken gebührt, so ziemt dem späteren Betrachtung und Mit - theilung.
Ich habe die Schriften meiner ersten Jahre ohne Vorwort in die Welt gesandt, ohne auch nur im mindesten anzudeuten wie es damit gemeynt sey; dieſs geschah im Glauben an die Nation, daſs sie früher oder später das Vorgelegte benutzen werde. Und16 *244so gelang mehreren meiner Arbeiten augen - blickliche Wirkung, andere, nicht eben so faſslich und eindringend, bedurften um an - erkannt zu werden mehrerer Jahre. In - dessen gingen auch diese vorüber und ein zweytes, drittes nachwachsendes Geschlecht entschädigt mich doppelt und dreyfach für die Unbilden die ich von meinen früheren Zeitgenossen zu erdulden hatte.
Nun wünscht’ ich aber, daſs nichts den ersten guten Eindruck des gegenwärtigen Büchleins hindern möge. Ich entschlieſse mich daher zu erläutern, zu erklären, nach - zuweisen, und zwar bloſs in der Absicht daſs ein unmittelbares Verständniſs Lesern daraus erwachse, die mit dem Osten wenig oder nicht bekannt sind. Dagegen bedarf derjenige dieses Nachtrags nicht, der sich um Geschichte und Literatur einer so höchst merkwürdigen Weltregion näher umgethan hat. Er wird vielmehr die Quellen und Bäche leicht bezeichnen, deren erquickliches Naſs ich auf meine Blumenbeete geleitet.
Am liebsten aber wünschte der Verfas - ser vorstehender Gedichte als ein Reisen - der angesehen zu werden, dem es zum Lobe245 gereicht, wenn er sich der fremden Landes - art mit Neigung bequemt, deren Sprachge - brauch sich anzueignen trachtet, Gesinnun - gen zu theilen, Sitten aufzunehmen versteht. Man entschuldigt ihn, wenn es ihm auch nur bis auf einen gewissen Grad gelingt, wenn er immer noch an einem eignen Ac - cent, an einer unbezwinglichen Unbiegsam - keit seiner Landsmannschaft als Fremdling kenntlich bleibt. In diesem Sinne möge nun Verzeihung dem Büchlein gewährt seyn! Kenner vergeben mit Einsicht, Liebhaber, weniger gestört durch solche Mängel, neh - men das Dargebotne unbefangen auf.
Damit aber alles was der Reisende zu - rückbringt den Seinigen schneller behage, übernimmt er die Rolle eines Handelsmanns, der seine Waaren gefällig auslegt und sie auf mancherley Weise angenehm zu machen aucht; ankündigende, beschreibende, ja lob - preisende Redensarten wird man ihm nicht verargen.
Zuvörderst also darf unser Dichter wohl aussprechen daſs er sich, im Sittlichen und Aesthetischen, Verständlichkeit zur ersten Pflicht gemacht, daher er sich denn auch246 der schlichtesten Sprache, in dem leichtesten, faſslichsten Sylbenmaſse seiner Mundart be - fleiſsigt und nur von weitem auf dasjenige hindeutet, wo der Orientale durch Künst - lichkeit und Künsteley zu gefallen strebt.
Das Verständniſs jedoch wird durch manche nicht zu vermeidende fremde Worte gehindert, die deſshalb dunkel sind, weil sie sich auf bestimmte Gegenstände bezie - hen, auf Glauben, Meynungen, Herkom - men, Fabeln und Sitten. Diese zu erklä - ren hielt man für die nächste Pflicht und hat dabey das Bedürfniſs berücksichtigt, das aus Fragen und Einwendungen deutscher Hörenden und Lesenden hervorging. Ein angefügtes Register bezeichnet die Seite, wo dunkle Stellen vorkommen und auch wo sie erklärt werden. Dieses Erklären aber ge - schieht in einem gewissen Zusammenhange, damit nicht abgerissene Noten, sondern ein selbstständiger Text erscheine, der, obgleich nur flüchtig behandelt und lose verknüpft, dem Lesenden jedoch Uebersicht und Er - läuterung gewähre.
Möge das Bestreben unseres dieſsmaligen Berufes angenehm seyn! Wir dürfen es247 hoffen: denn in einer Zeit, wo so vieles aus dem Orient unserer Sprache treulich an - geeignet wird, mag es verdienstlich erschei - nen, wenn auch wir von unserer Seite die Aufmerksamkeit dorthin zu lenken suchen, woher so manches Groſse, Schöne und Gute seit Jahrtausenden zu uns gelangte, woher täglich mehr zu hoffen ist.
Naive Dichtkunst ist bey jeder Nation die erste, sie liegt allen folgenden zum Grunde; je frischer, je naturgemäſser sie hervortritt, desto glücklicher entwickeln sich die nachherigen Epochen.
Da wir von orientalischer Poesie spre - chen, so wird nothwendig der Bibel, als der ältesten Sammlung, zu gedenken. Ein gro - ſser Theil des alten Testaments ist mit er - höhter Gesinnung, ist enthusiastisch ge - schrieben und gehört dem Felde der Dicht - kunst an.
Erinnern wir uns nun lebhaft jener Zeit wo Herder und Eichhorn uns hierüber persönlich aufklärten, so gedenken wir ei - nes hohen Genusses, dem reinen orientali - schen Sonnenaufgang zu vergleichen. Was solche Männer uns verliehen und hinterlas - sen darf nur angedeutet werden, und man249 verzeiht uns die Eilfertigkeit mit welcher wir an diesen Schätzen vorüber gehen.
Beyspiels willen jedoch gedenken wir des Buches Ruth, welches bey seinem ho - hen Zweck einem Könige von Israel an - ständige, interessante Voreltern zu verschaf - fen zugleich als das lieblichste kleine Ganze betrachtet werden kann, das uns episch und idyllisch überliefert worden ist.
Wir verweilen sodann einen Augenblick bey dem hohen Lied, als dem zartesten und unnachahmlichsten was uns von Ausdruck leidenschaftlicher, anmuthiger Liebe zuge - kommen. Wir beklagen freylich daſs uns die fragmentarisch durcheinander geworfe - nen, übereinander geschobenen Gedichte keinen vollen reinen Genuſs gewähren, und doch sind wir entzückt uns in jene Zu - stände hinein zu ahnden, in welchen die Dichtenden gelebt. Durch und durch we - het eine milde Luft des lieblichsten Bezirks von Canaan; ländlich trauliche Verhältnisse, Wein -, Garten - und Gewürzbau, etwas von städtischer Beschränkung, sodann aber ein königlicher Hof, mit seinen Herrlichkeiten im Hintergrunde. Das Hauptthema jedoch250 bleibt glühende Neigung jugendlicher Her - zen, die sich suchen, finden, abstoſsen, an - ziehen, unter mancherley höchst einfachen Zuständen.
Mehrmals gedachten wir aus dieser lieb - lichen Verwirrung einiges herauszuheben, aneinander zu reihen; aber gerade das Räth - selhaft-Unauflösliche giebt den wenigen Blättern Anmuth und Eigenthümlichkeit. Wie oft sind nicht wohldenkende, ordnungs - liebende Geister angelockt worden irgend einen verständigen Zusammenhang zu finden oder hinein zu legen und einem folgenden bleibt immer dieselbige Arbeit.
Eben so hat das Buch Ruth seinen unbezwinglichen Reiz über manchen wa - ckern Mann schon ausgeübt, daſs er dem Wahn sich hingab, das, in seinem Laconis - mus unschätzbar dargestellte Ereigniſs, könne durch eine ausführliche, paraphrastische Be - handlung noch einigermaſsen gewinnen.
Und so dürfte Buch für Buch das Buch aller Bücher darthun, daſs es uns deſshalb gegeben sey, damit wir uns daran, wie an einer zweiten Welt, versuchen, uns daran verirren, aufklären und ausbilden mögen.
Bey einem östlichern Volke, den Ara - bern, finden wir herrliche Schätze an den Moallakat. Es sind Preisgesänge die aus dichterischen Kämpfen siegreich her - vorgingen; Gedichte, entsprungen vor Ma - homets Zeiten, mit goldenen Buchstaben geschrieben, aufgehängt an den Pforten des Gotteshauses zu Mekka. Sie deuten auf eine wandernde, heerdenreiche, kriegerische Na - tion, durch den Wechselstreit mehrerer Stämme innerlich beunruhigt. Dargestellt sind: festeste Anhänglichkeit an Stammge - nossen, Ehrbegierde, Tapferkeit, unver - söhnbare Rachelust gemildert durch Liebes - trauer, Wohlthätigkeit, Aufopferung, sämmt - lich gränzenlos. Diese Dichtungen geben uns einen hinlänglichen Begriff von der ho - hen Bildung des Stammes der Koraischiten, aus welchem Mahomet selbst entsprang, ih -252 nen aber eine düstre Religionshülle über - warf und jede Aussicht auf reinere Fort - schritte zu verhüllen wuſste.
Der Werth dieser trefflichen Gedichte, an Zahl Sieben, wird noch dadurch erhöht, daſs die gröſste Mannigfaltigkeit in ihnen herrscht. Hiervon können wir nicht kür - zere und würdigere Rechenschaft geben, als wenn wir einschaltend hinlegen, wie der einsichtige Jones ihren Charakter aus - spricht. „ Amralkais Gedicht ist weich, froh, glänzend, zierlich, mannigfaltig und anmuthig. Tarafas: kühn, aufgeregt, auf - springend und doch mit einiger Fröhlichkeit durchwebt. Das Gedicht von Zoheir scharf, ernst, keusch, voll moralischer Ge - bote und ernster Sprüche. Lebid’s Dich - tung ist leicht, verliebt, zierlich, zart; sie erinnert an Virgil’s zweite Ekloge: denn er beschwert sich über der Geliebten Stolz und Hochmuth und nimmt daher Anlaſs seine Tugenden herzuzählen, den Ruhm seines Stammes in den Himmel zu erheben. Das Lied Antaras zeigt sich stolz, drohend, tref - fend, prächtig, doch nicht ohne Schönheit der Beschreibungen und Bilder. Amri ist253 heftig, erhaben, ruhmredig; Harez darauf voll Weisheit, Scharfsinn und Würde. Auch erscheinen die beiden letzten als poetisch - politische Streitreden, welche vor einer Ver - sammlung Araber gehalten wurden, um den verderblichen Haſs zweyer Stämme zu be - schwichtigen. “
Wie wir nun durch dieses Wenige un - sere Leser gewiſs aufregen jene Gedichte zu lesen oder wieder zu lesen; so fügen wir ein anderes bei, aus Mahomets Zeit, und völlig im Geiste jener. Man könnte den Charak - ter desselben als düster, ja finster anspre - chen, glühend, rachlustig und von Rache gesättigt.
Wenig bedarf es, um sich über dieses Gedicht zu verständigen. Die Gröſse des Charakters, der Ernst, die rechtmäſsige Grausamkeit des Handelns sind hier eigent - lich das Mark der Poesie. Die zwey ersten Strophen geben die klare Exposition, in der dritten und vierten spricht der Todte und legt seinem Verwandten die Last auf ihn zu rächen. Die sechste und siebente schlieſst sich dem Sinne nach an die ersten, sie ste - hen lyrisch versetzt, die siebente bis drey - zehnte erhebt den Erschlagenen, daſs man die Gröſse seines Verlustes empfinde. Die vierzehnte bis siebzehnte Strophe schildert die Expedition gegen die Feinde; die acht - zehnte führt wieder rückwärts, die neun - zehnte und zwanzigste könnte gleich nach den beiden ersten stehen. Die einundzwan - stigste und zweiundzwanzigste könnte nach17 *260der siebzehnten Platz finden, sodann folgt Siegeslust und Genuſs beim Gastmahl, den Schluſs aber macht die furchtbare Freude die erlegten Feinde, Hyänen und Geyern zum Raube, vor sich liegen zu sehen.
Höchst merkwürdig erscheint uns bey diesem Gedicht, daſs die reine Prosa der Handlung durch Transposition der einzelnen Ereignisse poetisch wird. Dadurch, und daſs das Gedicht fast alles äuſsern Schmucks ermangelt, wird der Ernst desselben erhöht und wer sich recht hinein liest muſs das Geschehene, von Anfang bis zu Ende, nach und nach vor der Einbildungskraft aufge - haut erblicken.
Wenn wir uns nun zu einem friedli - chen, gesitteten Volke, den Persern wen - den, so müssen wir, da ihre Dichtungen eigentlich diese Arbeit veranlaſsten, in die früheste Zeit zurückgehen, damit uns da - durch die neuere verständlich werde. Merk - würdig bleibt es immer dem Geschichtsfor - scher daſs, mag auch ein Land noch so oft von Feinden erobert, unterjocht, ja vernichtet seyn, sich doch ein gewisser Kern der Nation immer in seinem Charakter er - hält, und, ehe man sich’s versieht, eine alt bekannte Volkserscheinung wieder auf - tritt.
In diesem Sinne möge es angenehm seyn von den ältesten Persern zu verneh - men und einen desto sicherern und freyeren Schritt, bis auf den heutigen Tag, eilig durchzuführen.
Auf das Anschauen der Natur gründete sich der alten Parsen Gottes-Verehrung, Sie wendeten sich, den Schöpfer anbetend, gegen die aufgehende Sonne, als der auffal - lend herrlichsten Erscheinung. Dort glaub - ten sie den Thron Gottes, von Engeln um - funkelt, zu erblicken. Die Glorie dieses herzerhebenden Dienstes konnte sich jeder, auch der Geringste täglich vergegenwärtigen. Aus der Hütte trat der Arme, der Krieger aus dem Zelt hervor und die religioseste aller Functionen war vollbracht. Dem neu - gebornen Kinde ertheilte man die Feuer - taufe in solchen Strahlen, und den ganzen Tag über, das ganze Leben hindurch, sah der Parse sich von dem Urgestirne bey al - len seinen Handlungen begleitet. Mond263 und Sterne erhellten die Nacht, ebenfalls unerreichbar, dem Gränzenlosen angehörig. Dagegen stellt sich das Feuer ihnen zur Seite; erleuchtend, erwärmend, nach sei - nem Vermögen. In Gegenwart dieses Stell - vertreters Gebete zu verrichten, sich vor dem unendlich Empfundenen zu beugen wird an - genehme fromme Pflicht. Reinlicher ist nichts als ein heiterer Sonnen-Aufgang und so reinlich muſste man auch die Feuer ent - zünden und hewahren, wenn sie heilig, sonnenähnlich seyn und bleiben sollten.
Zoroaster scheint die edle, reine Na - turreligion zuerst in einen umständlichen Cultus verwandelt zu haben. Das mentale Gebet, das alle Religionen einschlieſst und ausschlieſst, und nur bey wenigen, gottbe - günstigten Menschen den ganzen Lebens - wandel durchdringt, entwickelt sich bey den meisten nur als flammendes, beseeligen - des Gefühl des Augenblicks; nach dessen Verschwinden sogleich der sich selbst zu - rückgegebene, unbefriedigte, unbeschäftigte Mensch in die unendlichste Langeweile zu - rückfällt.
264Diese mit Ceremonien, mit Weihen und Entsühnen, mit Kommen und Gehen, Nei - gen und Beugen umständlich auszufüllen, ist Pflicht und Vortheil der Priesterschaft, welche denn ihr Gewerbe, durch Jahrhun - derte durch, in unendliche Kleinlichkeiten zersplittert. Wer von der ersten kindlich - frohen Verehrung einer aufgehenden Sonne bis zur Verrücktheit der Guebern, wie sie noch diesen Tag in Indien Statt findet, sich einen schnellen Ueberblick verschaffen kann, der mag dort eine frische, vom Schlaf dem ersten Tageslicht sich entgegenregende Na - tion erblicken, hier aber ein verdüstertes Volk, welches gemeine Langeweile durch fromme Langeweile zu tödten trachtet.
Wichtig ist es jedoch zu bemerken, daſs die alten Parsen nicht etwa nur das Feuer verehrt; ihre Religion ist durchaus auf die Würde der sämmtlichen Elemente gegründet, in sofern sie das Daseyn und die Macht Gottes verkündigen. Daher die heilige Scheu das Wasser, die Luft, die Erde zu besudeln. Eine solche Ehrfurcht vor allem was den Menschen Natürliches umgiebt leitet auf alle bürgerliche Tugen -265 den: Aufmerksamkeit, Reinlichkeit, Fleiſs wird angeregt und genährt. Hierauf war die Landescultur gegründet, denn wie sie keinen Fluſs verunreinigten, so wurden auch die Canäle mit sorgfältiger Wasserersparniſs angelegt und rein gehalten, aus deren Cir - kulation die Fruchtbarkeit des Landes ent - quoll, so daſs das Reich damals über das Zehnfache mehr bebaut war. Alles wozu die Sonne lächelte ward mit höchstem Fleiſs betrieben, vor anderm aber die Weinrebe, das eigentlichste Kind der Sonne, gepflegt.
Die seltsame Art ihre Todten zu be - statten leitet sich her aus eben dem über - triebenen Vorsatz, die reinen Elemente nicht zu verunreinigen. Auch die Stadtpolizey wirkt aus diesen Grundsätzen: Reinlichkeit der Straſsen war eine Religions-Angelegen - heit, und noch jetzt, da die Guebern ver - trieben, verstoſsen, verachtet sind und nur allenfalls in Vorstädten in verrufenen Quar - tieren ihre Wohnung finden, vermacht ein Sterbender dieses Bekenntnisses irgend eine Summe, damit eine oder die andere Straſse der Hauptstadt sogleich möge völlig gerei - nigt werden. Durch eine so lebendige prak -266 tische Gottesverehrung ward jene unglaub - liche Bevölkerung möglich, von der die Ge - schichte ein Zeugniſs giebt.
Eine so zarte Religion, gegründet auf die Allgegenwart Gottes in seinen Werken der Sinnenwelt, muſs einen eignen Einfluſs auf die Sitten ausüben. Man betrachte ihre Hauptgebote und Verbote: nicht lügen, keine Schulden machen, nicht undankbar seyn! die Fruchtbarkeit dieser Lehren wird sich jeder Ethiker und Ascete leicht entwi - ckeln. Denn eigentlich enthält das erste Verbot die beyden andern und alle übrigen, die doch eigentlich nur aus Unwahrheit und Untreue entspringen; und daher mag der Teufel im Orient bloſs unter Beziehung des ewigen Lügners angedeutet werden.
Da diese Religion jedoch zur Beschau - lichkeit führt, so könnte sie leicht zur Weichlichkeit verleiten, so wie denn in den langen und weiten Kleidern auch et - was Weibliches angedeutet scheint. Doch war auch in ihren Sitten und Verfassungen die Gegenwirkung groſs. Sie trugen Waf - fen, auch im Frieden und geselligen Leben, und übten sich im Gebrauch derselben auf267 alle mögliche Weise. Das geschickteste und heftigste Reiten war bey ihnen her - kömmlich, auch ihre Spiele, wie das mit Ballen und Schlägel, auf groſsen Rennbah - nen, erhielt sie rüstig, kräftig, behend; und eine unbarmherzige Conscription machte sie sämmtlich zu Helden auf den ersten Wink des Königs.
Schauen wir zurück auf ihren Gottes - sinn. Anfangs war der öffentliche Cultus auf wenige Feuer eingeschränkt und daher desto ehrwürdiger, dann vermehrte sich ein hochwürdiges Priesterthum nach und nach zahlreich, womit sich die Feuer vermehr - ten. Daſs diese innigst verbundene geist - liche Macht sich gegen die weltliche gele - gentlich auflehnen würde, liegt in der Na - tur dieses ewig unverträglichen Verhältnis - ses. Nicht zu gedenken daſs der Falsche Smerdis, der sich des Königreichs be - mächtigte, ein Magier gewesen, durch seine Genossen erhöht und eine Zeitlang gehal - ten worden, so treffen wir die Magier mehr - mals den Regenten fürchterlich.
Durch Alexanders Invasion zerstreut, unter seinen Parthischen Nachfolgern nicht268 begünstigt, von den Sassaniden wieder her - vorgehoben und versammlet, bewiesen sie sich immer fest auf ihren Grundsätzen, und widerstrebten dem Regenten der diesen zu - widerhandelte. Wie sie denn die Verbin - dung des Chosru mit der schönen Schirin, einer Christin, auf alle Weise beyden Thei - len widersetzlich verleideten.
Endlich von den Arabern auf immer verdrängt und nach Indien vertrieben und was von ihnen oder ihren Geistesverwand - ten in Persien zurückblieb bis auf den heu - tigen Tag verachtet und beschimpft, bald geduldet, bald verfolgt nach Willkühr der Herrscher, hält sich noch diese Religion hie und da in der frühesten Reinheit, selbst in kümmerlichen Winkeln, wie der Dich - ter solches durch das Vermächtniſs des alten Parsen auszudrücken gesucht hat.
Daſs man daher dieser Religion durch lange Zeiten durch sehr viel schuldig gewor - den, daſs in ihr die Möglichkeit einer höhern Cultur lag, die sich im westlichen Theile der östlichen Welt verbreitet, ist wohl nicht zu bezweifeln. Zwar ist es höchst schwierig einen Begriff zu geben, wie und269 woher sich diese Cultur ausbreitete. Viele Städte lagen als Lebenspunkte in vielen Regionen zerstreut; am bewundernswürdig - sten aber ist mir daſs die fatale Nähe des indischen Götzendienstes nicht auf sie wir - ken konnte. Auffallend bleibt es, da die Städte von Balck und Bamian so nah an einander lagen, hier die verrücktesten Gö - tzen in riesenhafter Gröſse verfertigt und angebetet zu sehen, indessen sich dort die Tempel des reinen Feuers erhielten, groſse Klöster dieses Bekenntnisses entstanden und eine Unzahl von Mobeden sich versammel - ten. Wie herrlich aber die Einrichtung solcher Anstalten müsse gewesen seyn, be - zeugen die auſserordentlichen Männer die von dort ausgegangen sind. Die Familie der Barmekiden stammte daher, die so lange als einfluſsreiche Staatsdiener glänzten, bis sie zuletzt, wie ein ungefähr ähnliches Geschlecht dieser Art zu unsern Zeiten, aus - gerottet und vertrieben worden.
Wenn der Philosoph aus Prinzipien sich ein Natur-Völker - und Staatsrecht aufer - baut, so forscht der Geschichtsfreund nach, wie es wohl mit solchen menschlichen Ver - hältnissen und Verbindungen von jeher ge - standen habe. Da finden wir denn im äl - testen Oriente: daſs alle Herrschaft sich ableiten lasse von dem Rechte Krieg zu erklären. Dieses Recht liegt, wie alle übrige, anfangs in dem Willen, in der Leidenschaft des Volkes. Ein Stammglied wird verletzt, sogleich regt sich die Masse, unaufgefordert, Rache zu nehmen am Be - leidiger. Weil aber die Menge zwar han - deln und wirken, nicht aber sich führen mag, überträgt sie, durch Wahl, Sitte, Ge - wohnheit, die Anführung zum Kampfe ei -271 nem Einzigen, es sey für Einen Kriegszug, für mehrere; dem tüchtigen Manne verleiht sie den gefährlichen Posten auf Lebenszeit, auch wohl endlich für seine Nachkommen. Und so verschafft sich der Einzelne, durch die Fähigkeit Krieg zu führen, das Recht den Krieg zu erklären.
Hieraus flieſst nun ferner die Befugniſs jeden Staatsbürger, der ohnehin als kampf - lustig und streitfertig angesehen werden darf, in die Schlacht zu rufen, zu fordern, zu zwingen. Diese Conscription muſste von jeher, wenn sie sich gerecht und wirksam erzeigen wollte, unbarmherzig seyn. Der erste Darius rüstet sich gegen verdächtige Nachbarn, das unzählige Volk gehorcht dem Wink. Ein Greis liefert drey Söhne, er bittet den Jüngsten vom Feldzuge zu be - freyen, der König sendet ihm den Knaben in Stücken zerhauen zurück. Hier ist also das Recht über Leben und Tod schon aus - gesprochen. In der Schlacht selbst leidets keine Frage: denn wird nicht oft willkühr - lich, ungeschickt ein ganzer Heerestheil vergebens aufgeopfert, und niemand fordert Rechenschaft vom Anführer.
272Nun zieht sich aber bey kriegerischen Nationen derselbe Zustand durch die kur - zen Friedenszeiten. Um den König her ist’s immer Krieg, und niemanden bey Hofe das Leben gesichert. Eben so werden die Steuern fort erhoben, die der Krieg nöthig machte. Deſshalb setzte denn auch Darius Codomannus, vorsichtig, regelmäſsige Abga - ben fest, statt freywilliger Geschenke. Nach diesem Grundsatz, mit dieser Verfassung stieg die Persische Monarchie zu höchster Macht und Glückseligkeit, die denn doch zuletzt an dem Hochsinn einer benachbar - ten, kleinen, zerstückelten Nation endlich scheiterte.
Die Perser, nachdem auſserordentliche Fürsten ihre Streitkräfte in eins versammelt und die Elasticität der Masse auf’s höchste gesteigert, zeigten sich, selbst entferntern Völkern, gefährlich, um so mehr den be - nachbarten.
Alle waren überwunden, nur die Griechen, uneins unter sich, vereinigten sich gegen den zahlreichen, mehrmals her - andringenden Feind und entwickelten mu - sterhafte Aufopferung, die erste und letzte Tugend, worin alle übrigen enthalten sind. Dadurch ward Frist gewonnen daſs, in dem Maſse wie die Persische Macht inner - lich zerfiel, Philipp von Macedonien eine Einheit gründen konnte, die übrigen Grie - chen um sich zu versammeln und ihnen für18274den Verlust ihrer innern Freiheit den Sieg über äuſsere Dränger vorzubereiten. Sein Sohn überzog die Perser und gewann das Reich.
Nicht nur furchtbar sondern äuſserst verhaſst hatten sich diese der griechischen Nation gemacht, indem sie Staat und Gottes - dienst zugleich bekriegten. Sie, einer Reli - gion ergeben, wo die himmlischen Gestirne, das Feuer, die Elemente, als gottähnliche Wesen in freier Welt verehrt wurden, fan - den höchst scheltenswerth daſs man die Göt - ter in Wohnungen einsperrte, sie unter Dach aubetete. Nun verbrannte und zer - störte man die Tempel, und schuf dadurch sich selbst ewig Haſs erregende Denkmäler, indem die Weisheit der Griechen beschloſs diese Ruinen niemals wieder aus ihrem Schutte zu erheben, sondern, zu Anreizung künftiger Rache, ahndungsvoll liegen zu lassen. Diese Gesinnungen ihren beleidigten Gottesdienst zu rächen, brachten die Grie - chen mit auf persischen Grund und Boden; manche Grausamkeit erklärt sich daher, auch will man den Brand von Persepolis damit entschuldigen.
275Die gottesdienstlichen Uebungen der Magier, die freilich, von ihrer ersten Ein - falt entfernt, auch schon Tempel und Klo - stergebäude bedurften, wurden gleichfalls zerstört, die Magier verjagt und zerstreut, von welchen jedoch immer eine groſse Menge versteckt sich sammelten und, auf bessere Zeiten, Gesinnung und Gottesdienst aufbewahrten. Ihre Geduld wurde freylich sehr geprüft: denn als mit Alexanders Tode die kurze Alleinherrschaft zerfiel und das Reich zersplitterte, bemächtigten sich die Parther des Theils, der uns gegenwärtig be - sonders beschäftigt. Sprache, Sitten, Re - ligion der Griechen ward bey ihnen ein - heimisch. Und so vergingen fünfhundert Jahre über der Asche der alten Tempel und Altäre, unter welchen das heilige Feuer im - merfort glimmend sich erhielt, so daſs die Sassaniden, zu Anfang des dritten Jahrhun - derts unserer Zeitrechnung, als sie, die alte Religion wieder bekennend, den frühern Dienst herstellten, sogleich eine Anzahl Magier und Mobeden vorfanden, welche an und über der Gränze Indiens sich und ihre Gesinnungen im Stillen erhalten hat -18 *276ten. Die altpersische Sprache wurde her - vorgezogen, die griechische verdrängt und zu einer eignen Nationalität wieder Grund gelegt. Hier finden wir nun in einem Zeit - raum von vierhundert Jahren die mytholo - gische Vorgeschichte persischer Ereignisse, durch poetisch-prosaische Nachklänge, ei - nigermaſsen erhalten. Die glanzreiche Däm - merung derselben erfreut uns immerfort und eine Mannigfaltigkeit von Charakteren und Ereignissen erweckt groſsen Antheil.
Was wir aber auch von Bild - und Bau - kunst dieser Epoche vernehmen, so ging es damit doch bloſs auf Pracht und Herrlich - keit, Gröſse und Weitläuftigkeit und un - förmliche Gestalten hinaus; und wie konnt’ es auch anders werden? da sie ihre Kunst vom Abendlande hernehmen muſsten, die schon dort so tief entwürdigt war. Der Dichter besitzt selbst einen Siegelring Sa - por des Ersten, einen Onyx, offenbar von einem westlichen Künstler damaliger Zeit, vielleicht einem Kriegsgefangnen, geschnit - ten. Und sollte der Siegelschneider des überwindenden Sassaniden geschickter ge - wesen seyn als der Stempelschneider des277 überwundenen Valentinian? Wie es aber mit den Münzen damaliger Zeit aussehe, ist uns leider nur zu wohl bekannt. Auch hat sich das Dichterisch-mährchen - hafte jener überbliebenen Monumente nach und nach, durch Bemühung der Kenner, zur historischen Prosa herabgestimmt. Da wir denn nun deutlich auch in diesem Bey - spiel begreifen, daſs ein Volk auf einer hohen sittlich-religiosen Stufe stehen, sich mit Pracht und Prunk umgeben und in Be - zug auf Künste noch immer unter die bar - barischen gezählt werden kann.
Eben so müssen wir auch, wenn wir orientalische und besonders persische Dicht - kunst der Folgezeit redlich schätzen und nicht, zu künftigem eignen Verdruſs und Beschämung, solche überschätzen wollen, gar wohl bedenken, wo denn eigentlich die werthe, wahre Dichtkunst in jenen Tagen zu finden gewesen.
Aus dem Westlande scheint sich nicht viel selbst nach dem nächsten Osten verlo - ren zu haben, Indien hielt man vorzüglich im Auge; und da denn doch den Verehrern des Feuers und der Elemente jene verrückt -278 monstrose Religion, dem Lebemenschen aber eine abstruse Philosophie keineswegs an - nehmlich seyn konnte; so nahm man von dort her, was allen Menschen immer gleich willkommen ist, Schriften die sich auf Weltklugheit beziehen; da man denn auf die Fabeln des Bidpai den höchsten Werth legte und dadurch schon eine künftige Poe - sie in ihrem tiefsten Grund zerstörte. Zu - gleich hatte man aus derselben Quelle das Schachspiel erhalten, welches, in Bezug mit jener Weltklugheit, allem Dichtersinn den Garaus zu machen völlig geeignet ist. Setzen wir dieses voraus, so werden wir das Naturell der späteren persichen Dichter, sobald sie durch günstige Anlässe hervorge - rufen wurden, höchlich rühmen und be - wundern, wie sie so manche Ungunst be - kämpfen, ihr ausweichen, oder vielleicht gar überwinden können.
Die Nähe von Byzanz, die Kriege mit den westlichen Kaisern und daraus entsprin - genden wechselseitigen Verhältnisse bringen endlich ein Gemisch hervor, wobey die christliche Religion zwischen die der alten Parsen sich einschlingt, nicht ohne Wider -279 streben der Mobeden und dortigen Religions - bewahrer. Wie denn doch die mancherlei Verdrüſslichkeiten, ja groſses Unglück selbst, das den trefflichen Fürsten Chosru Parvis überfiel, bloſs daher seinen Ursprung nahm, weil Schirin, liebenswürdig und reizend, am christlichen Glauben festhielt.
Dieses alles, auch nur obenhin betrach - tet, nöthigt uns zu gestehen, daſs die Vor - sätze, die Verfahrungsweise der Sassaniden alles Lob verdienen; nur waren sie nicht mächtig genug, in einer von Feinden rings umgebenen Lage, zur bewegtesten Zeit sich zu erhalten. Sie wurden, nach tüchtigem Widerstand, von den Arabern unterjocht, welche Mahomet durch Einheit zur furcht - barsten Macht erhoben hatte.
Da wir bey unseren Betrachtungen vom Standpunkte der Poesie entweder ausgehen oder doch auf denselben zurückkehren, so wird es unsern Zwecken angemessen seyn von genanntem auſserordentlichen Manne vorerst zu erzählen, wie er heftig behauptet und betheuert: er sey Prophet und nicht Poet und daher auch sein Koran als göttli - ches Gesetz und nicht etwa als menschliches Buch, zum Unterricht oder zum Vergnügen, anzusehen. Wollen wir nun den Unterschied zwischen Poeten und Propheten näher an - deuten, so sagen wir: beyde sind von einem Gott ergriffen und befeuert, der Poet aber vergeudet die ihm verliehene Gabe im Ge - nuſs, um Genuſs hervorzubringen, Ehre durch das Hervorgebrachte zu erlangen, al - lenfalls ein bequemes Leben. Alle übrigen Zwecke versäumt er, sucht mannigfaltig zu281 seyn, sich in Gesinnung und Darstellung gränzenlos zu zeigen. Der Prophet hinge - gen sieht nur auf einen einzigen bestimmten Zweck; solchen zu erlangen, bedient er sich der einfachsten Mittel. Irgend eine Lehre will er verkünden und, wie um eine Stan - darte, durch sie und um sie die Völker ver - sammeln. Hiezu bedarf es nur daſs die Welt glaube, er muſs alſo eintönig werden und bleiben. Denn das Mannigfaltige glaubt man nicht, man erkennt es.
Der ganze Inhalt des Korans, um mit wenigem viel zu sagen, findet sich zu An - fang der zweyten Sura und lautet folgender - maſsen. „ Es ist kein Zweifel in diesem Buch. Es ist eine Unterrichtung der From - men, welche die Geheimnisse des Glau - bens vor wahr halten, die bestimmten Zeiten des Gebets beobachten und von demjenigen was wir ihnen verliehen haben Almosen austheilen; und welche der Offenbarung glauben, die den Prophe - ten vor dir herabgesandt worden, und ge - wisse Versicherung des zukünftigen Lebens haben: diese werden von ihrem Herrn ge - leitet und sollen glücklich und selig seyn. 282Die Ungläubigen betreffend, wird es ihnen gleichviel seyn, ob du sie vermahnest oder nicht vermahnest; sie werden doch nicht glauben. Gott hat ihre Herzen und Ohren versiegelt. Eine Dunkelheit bedecket ihr Gesicht und sie werden eine schwere Strafe leiden. “
Und so wiederholt sich der Koran Sure für Sure. Glauben und Unglauben theilen sich in Oberes und Unteres, Himmel und Hölle sind den Bekennern und Läugnern zu - gedacht. Nähere Bestimmung des Gebote - nen und Verbotenen, fabelhafte Geschichten jüdischer und christlicher Religion, Ampli - ficationen aller Art, gränzenlose Tautolo - gieen und Wiederholungen bilden den Kör - per dieses heiligen Buches, das uns, so oft wir auch daran gehen, immer von neuem an - widert, dann aber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Verehrung abnöthigt.
Worin es daher jedem Geschichtsfor - scher von der gröſsten Wichtigkeit bleiben muſs, sprechen wir aus mit den Worten ei - nes vorzüglichen Mannes: „ Die Hauptab - sicht des Korans scheint diese gewesen zu seyn, die Bekenner der drei verschiedenen,283 in dem volkreichen Arabien damals herr - schenden Religionen, die meistentheils ver - mischt unter einander in den Tag hinein lebten und ohne Hirten und Wegweiser herum irrten, indem der gröſste Theil Gö - tzendiener und die übrigen entweder Juden oder Christen eines höchst irrigen und ketze - rischen Glaubens waren, in der Erkennt - niſs und Verehrung des einigen, ewigen und unsichtbaren Gottes, durch dessen All - macht alle Dinge geschaffen sind, und die so es nicht sind geschaffen werden können, des allerhöchsteu Herrschers, Richters und Herrn aller Herrn, unter der Bestätigung gewisser Gesetze und den äuſserlichen Zei - chen gewisser Ceremonien, theils von alter und theils von neuer Einsetzung, und die durch Vorstellung sowohl zeitlicher als ewiger Belohnungen und Strafen eingeschärft wurden, zu vereinigen und sie alle zu dem Gehorsam des Mahomet, als des Propheten und Gesandten Gottes zu bringen, der nach den wiederholten Erinnerungen, Verheiſsun - gen und Drohungen der vorigen Zeiten endlich Gottes wahre Religion auf Erden durch Gewalt der Waffen fortpflanzen und284 bestätigen sollte, um sowohl für den Hohen - priester, Bischoff oder Papst in geistlichen, als auch höchsten Prinzen in weltlichen Dingen erkannt zu werden. “
Behält man diese Ansicht fest im Auge, so kann man es dem Muselmann nicht ver - argen, wenn er die Zeit vor Mahomet die Zeit der Unwissenheit benennt, und völlig überzeugt ist daſs mit dem Islam Erleuch - tung und Weisheit erst beginne. Der Styl des Korans ist seinem Inhalt und Zweck gemäſs: streng, groſs, furchtbar, stellenweis wahrhaft erhaben; so treibt ein Keil den andern und darf ſich über die groſse Wirk - samkeit des Buches niemand verwundern. Weſshalb es denn auch von den ächten Ver - ehrern für unerschaffen und mit Gott gleich ewig erklärt wurde. Demohngeachtet aber fanden ſich gute Köpfe, die eine bessere Dicht - und Schreibart der Vorzeit aner - kannten und behaupteten: daſs, wenn es Gott nicht gefallen hätte durch Mahomet auf einmal seinen Willen und eine entschie - den gesetzliche Bildung zu offenbaren, die Araber nach und nach von selbst eine sol - che Stufe, und eine noch höhere würden285 erstiegen und reinere Begriffe in einer rei - nen Sprache entwickelt haben.
Andere, verwegener, behaupteten, Ma - homet habe ihre Sprache und Literatur verdorben, so daſs sie sich niemals wieder erholen werde. Der verwegenste jedoch, ein geistvoller Dichter, war kühn genug zu versichern: alles was Mahomet gesagt habe, wollte er auch gesagt haben, und besser, ja er ſammelte sogar eine An - zahl Sectirer um ſich her. Man bezeich - nete ihn deſshalb mit dem Spottnamen Mo - tanabbi, unter welchem wir ihn kennen, welches so viel heiſst als: einer der gern den Propheten spielen möchte.
Ob nun gleich die Muselmännische Kri - tik selbst an dem Koran manches Bedenken findet, indem Stellen die man früher aus demselben angeführt gegenwärtig nicht mehr darin zu finden sind, andere, ſich wider - sprechend, einander aufheben und was der - gleichen bey allen schriftlichen Ueberliefe - rungen nicht zu vermeidende Mängel ſind; so wird doch dieses Buch für ewige Zeiten höchst wirksam verbleiben, indem es durch - aus praktisch und den Bedürfnissen einer286 Nation gemäſs verfaſst worden, welche ih - ren Ruhm auf alte Ueberlieferungen grün - det und an herkömmlichen Sitten festhält.
In seiner Abneigung gegen Poesie er - scheint Mahomet auch höchst consequent, in - dem er alle Mährchen verbietet. Diese Spiele einer leichtfertigen Einbildungskraft, die vom Wirklichen bis zum Unmöglichen hin - und wiederſchwebt, und das Unwahrscheinliche als ein Wahrhaftes und Zweifelloses vor - trägt, waren der orientalischen Sinnlichkeit, einer weichen Ruhe und bequemem Müssig - gang höchst angemessen. Diese Luftge - bilde über einem wunderlichen Boden schwan - kend, hatten ſich zur Zeit der Sassaniden in’s Unendliche vermehrt, wie ſie uns Tau - send und Eine Nacht, an einen loſen Fa - den gereiht, als Beispiele darlegt. Ihr ei - gentlicher Charakter ist, daſs ſie keinen ſittlichen Zweck haben und daher den Men - schen nicht auf ſich selbst zurück, sondern auſser ſich hinaus ins unbedingte Freie füh - ren und tragen. Gerade das Entgegenge - setzte wollte Mahomet bewirken. Man sehe wie er die Ueberlieferungen des alten Testaments und die Ereignisse patriarchali -287 scher Familien, die freilich auch auf einem unbedingten Glauben an Gott, einem un - wandelbaren Gehorsam und also gleich - falls auf einem Islam beruhen, in Legen - den zu verwandeln weiſs, mit kluger Aus - führlichkeit den Glauben an Gott, Ver - trauen und Gehorsam immer mehr auszuſpre - chen und einzuschärfen versteht; wobey er ſich denn manches Mährchenhafte, ob - gleich immer zu seinen Zwecken dienlich, zu erlauben pflegt. Bewundernswürdig ist er, wenn man in diesem Sinne die Bege - benheiten Noahs, Abrahams, Josephs be - trachtet und beurtheilt.
Um aber in unsern eigensten Kreis zu - rückzukehren, wiederholen wir daſs die Sassaniden bey vierhundert Jahre regier - ten, vielleicht zuletzt nicht mit früherer Kraft und Glanz; doch hätten sie sich wohl noch eine Weile erhalten, wäre die Macht der Araber nicht dergestalt gewach - sen daſs ihr zu widerstehen kein älteres Reich im Stande war. Schon unter Omar, bald nach Mahomet, ging jene Dynastie zu Grunde, welche die altpersische Religion gehegt und einen seltenen Grad der Cultur verbreitet hatte.
Die Araber stürmten sogleich auf alle Bücher los, nach ihrer Ansicht, nur über - flüssige oder schädliche Schreibereyen; sie zerstörten alle Denkmale der Literatur, so daſs kaum die geringsten Bruchstücke zu uns gelangen konnten. Die sogleich einge - führte arabische Sprache verhinderte jede289 Wiederherstellung dessen was Nationell hei - ſsen konnte. Doch auch hier überwog die Bildung des Ueberwundenen nach und nach die Rohheit des Ueberwinders und die Ma - hometanischen Sieger gefielen sich in der Prachtliebe, den angenehmen Sitten und den dichterischen Resten der Besiegten. Daher bleibt noch immer, als die glän - zendste Epoche berühmt, die Zeit, wo die Barmekiden Einfluſs hatten zu Bagdad. Diese, vom Balch abstammend, nicht so - wohl selbst Mönche als Patrone und Be - schützer groſser Klöster und Bildungsan - stalten, bewahrten unter sich das heilige Feuer der Dicht - und Redekunst und be - haupteten durch ihre Welt-Klugheit und Charakter-Gröſse einen hohen Rang auch in der politischen Sphäre. Die Zeit der Bar - mekiden heiſst daher sprichwörtlich: eine Zeit localen, lebendigen Wesens und Wir - kens, von der man, wenn sie vorüber ist, nur hoffen kann daſs sie erst nach gerau - men Jahren an fremden Orten unter ähn - lichen Umständen vielleicht wieder aufquel - len werde.
19290Aber auch das Caliphat war von kur - zer Dauer; das ungeheure Reich erhielt sich kaum vierhundert Jahre; die entfern - teren Statthalter machten sich nach und nach mehr und mehr unabhängig, indem sie den Caliphen, als eine geistliche, Ti - tel und Pfründen spendende Macht, allen - falls gelten lieſsen.
Physisch-climatische Einwirkung auf Bildung menschlicher Gestalt und körperli - cher Eigenschaften leugnet niemand, aber man denkt nicht immer daran daſs Regie - rungsform eben auch einen moralisch-cli - matischen Zustand hervorbringe, worin die Charaktere auf verschiedene Weise sich aus - bilden. Von der Menge reden wir nicht, sondern von bedeutenden, ausgezeichneten Gestalten.
291In der Republik bilden sich groſse, glückliche, ruhig-rein thätige Charaktere; steigert sie sich zur Aristokratie, so ent - stehen würdige, consequente, tüchtige, im Befehlen und Gehorchen bewunderungswür - dige Männer. Geräth ein Staat in Anarchie, sogleich thun sich verwegene, kühne, sit - tenverachtende Menschen hervor, augen - blicklich gewaltsam wirkend, bis zum Ent - setzen, alle Mäſsigung verbannend. Die Despotie dagegen schafft groſse Charaktere; kluge, ruhige Uebersicht, strenge Thätig - keit, Festigkeit, Entschlossenheit, alles Ei - genschaften die man braucht um den Des - poten zu dienen, entwickeln sich in fähi - gen Geistern und verschaffen ihnen die er - sten Stellen des Staats, wo sie sich zu Herrschern ausbilden. Solche erwuchsen unter Alexander dem Groſsen, nach dessen frühzeitigem Tode seine Generale sogleich als Könige dastanden. Auf die Caliphen häufte sich ein ungeheures Reich, das sie durch Statthalter muſsten regieren lassen, deren Macht und Selbstständigkeit gedieh, indem die Kraft der obersten Herrscher ab - nahm. Ein solcher trefflicher Mann, der19 *292ein eigenes Reich sich zu gründen und zu verdienen wuſste, ist derjenige, von dem wir nun zu reden haben, um den Grund der neueren persischen Dichtkunst und ihre bedeutenden Lebens-Anfänge kennen zu lernen.
Mahmud, dessen Vater, im Gebirge gegen Indien, ein starkes Reich gegründet hatte, indessen die Caliphen in der Fläche des Euphrats zur Nichtigkeit versanken, setzte die Thätigkeit seines Vorgängers fort und machte sich berühmt wie Alexander und Friedrich. Er läſst den Caliphen als eine Art geistlicher Macht gelten, die man wohl, zu eigenem Vortheil, einigermaſsen anerkennen mag; doch erweitert er erst sein Reich um sich her, dringt sodann auf Indien los, mit groſser Kraft und beson - derm Glück. Als eifrigster Mahometaner beweist er sich unermüdlich und streng293 in Ausbreitung seines Glaubens und Zerstö - rung des Götzendienstes. Der Glaube an den einigen Gott wirkt immer geisterhebend, indem er den Menschen auf die Einheit seines eignen Innern zurückweist. Näher steht der Nationalprophete, der nur Anhäng - lichkeit und Förmlichkeiten fordert und eine Religion auszubreiten befiehlt, die, wie eine jede, zu unendlichen Auslegungen und Miſsdeutungen dem Secten - und Par - teygeist Raum läſst und demohngeachtet im - mer dieselbige bleibt.
Eine solche einfache Gottesverehrung muſste mit dem Indischen Götzendienste im herbsten Widerspruch stehen, Gegenwir - kung und Kampf, ja blutige Vernichtungs - kriege hervorrufen, wobey sich der Eifer des Zerstörens und Bekehrens noch durch Gewinn unendlicher Schätze erhöht fühlte. Ungeheure, fratzenhafte Bilder, deren hoh - ler Körper mit Gold und Juwelen ausge - füllt erfunden ward, schlug man in Stücke und sendete sie, geviertheilt, verschiedene Schwellen Mahometanischer Heilorte zu pflastern.’ Noch jetzt sind die Indischen Ungeheuer jedem reinen Gefühle verhaſst,294 wie gräſslich mögen sie den bildlosen Ma - hometaner angeschaut haben!
Nicht ganz am unrechten Orte wird hier die Bemerkung stehen, daſs der ur - sprüngliche Werth einer jeden Religion erst nach Verlauf von Jahrhunderten aus ihren Folgen beurtheilt werden kann. Die Jüdische Religion wird immer einen gewis - sen starren Eigensinn, dabey aber auch freien Klugsinn und lebendige Thätigkeit verbrei - ten; die Mahometanische läſst ihren Beken - ner nicht aus einer dumpfen Beschränktheit heraus, indem sie, keine schweren Pflichten fordernd, ihm innerhalb derselben alles Wün - schenswerthe verleiht und zugleich, durch Aussicht auf die Zukunft, Tapferkeit und Religionspatriotismus einflöſst und erhält.
Die Indische Lehre taugte von Haus aus nichts, so wie denn gegenwärtig ihre vielen tausend Götter, und zwar nicht etwa untergeordnete, sondern alle gleich unbe - dingt mächtige Götter, die Zufälligkeiten des Lebens nur noch mehr verwirren, den Unsinn jeder Leidenschaft fördern und die Verrücktheit des Lasters, als die höchste295 Stufe der Heiligkeit und Seligkeit, begün - stigen.
Auch selbst eine reinere Vielgötterey, wie die der Griechen und Römer, muſste doch zuletzt auf falschem Wege ihre Beken - ner und sich selbst verlieren. Dagegen ge - bührt der christlichen das höchste Lob, deren reiner, edler Ursprung sich immerfort dadurch bethätigt, daſs nach den gröſsten Verirrungen, in welche sie der dunkle Mensch hinein zog, eh man sichs versieht sie sich in ihrer ersten lieblichen Eigen - thümlichkeit, als Mission, als Hausgenos - sen - und Brüderschaft, zu Erquickung des sittlichen Menschenbedürnisses, immer wie - der hervorthut.
Billigen wir nun den Eifer des Götzen - stürmers Mahmud, so gönnen wir ihm die zu gleicher Zeit gewonnenen unendlichen Schätze, und verehren besonders in ihm den Stifter persischer Dichtkunst und höherer Kultur. Er, selbst aus persischem Stamme, lieſs sich nicht etwa in die Beschräncktheit der Araber hineinziehen, er fühlte gar wohl daſs der schönste Grund und Boden für Religion in der Nationalität zu finden296 sey; diese ruhet auf der Poesie, die uns älteste Geschichte in fabelhaften Bildern überliefert, nach und nach sodann ins Klare hervortritt und ohne Sprung die Vergangen - heit an die Gegenwart heranführt.
Unter diesen Betrachtungen gelangen wir also in das zehnte Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Man werfe einen Blick auf die höhere Bildung die sich dem Orient, ungeachtet der ausschlieſsenden Religion, immerfort aufdrang. Hier sammelten sich, fast wider Willen der wilden und schwachen Beherrscher, die Reste Griechischer und Rö - mischer Verdienste und so vieler geistreichen Christen, deren Eigenheiten aus der Kirche ausgestoſsen worden, weil auch diese, wie der Islam, auf Eingläubigkeit los arbeiten muſste.
Doch zwey groſse Verzweigungen des menschlichen Wissens und Wirkens gelang - ten zu einer freyern Thätigkeit!
Die Medicin sollte die Gebrechen des Mikrokosmus heilen, und die Sternkunde dasjenige dolmetschen, womit uns für die Zukunft der Himmel schmeicheln oder bedro - hen möchte; jene muſste der Natur, diese297 der Mathematik huldigen, und so waren beide wohl empfohlen und versorgt.
Die Geschäftsführung sodann unter despotischen Regenten blieb, auch bey gröſster Anfmerksamkeit und Genauigkeit, immer gefahrvoll, und ein Canzleyver - wandter bedurfte so viel Muth sich in den Divan zu bewegen als ein Held zur Schlacht; einer war nicht sicherer seinen Heerd wieder zu sehn als der andere.
Reisende Handelsleute brachten immer neuen Zuwachs an Schätzen und Kenntnis - sen herbey, das Innere des Landes, vom Euphrat bis zum Indus, bot eine eigne Welt von Gegenständen dar. Eine Masse wider einander streitender Völkerschaften, vertrie - bene, vertreibende, Herrscher, stellten überraschenden Wechsel von Sieg zur Knecht - schaft, von Obergewalt zur Dienstbarkeit nur gar zu oft vor Augen, und lieſsen geist - reiche Männer, über die traumartige Ver - gänglichkeit irdischer Dinge, die traurigsten Betrachtungen anstellen.
Dieses alles und noch weit mehr, im weitesten Umfange unendlicher Zersplitte - rung und augenblicklicher Wiederherstel -298 lung, sollte man vor Augen haben, um billig gegen die folgenden Dichter, besonders ge - gen die Persischen zu seyn; denn jedermann wird eingestehen, daſs die geschilderten Zustände keineswegs für ein Element gelten können, worin der Dichter sich nähren, erwachsen und gedeihen dürfte. Deſswegen sey uns erlaubt schon das edle Verdienst der Persischen Dichter des ersten Zeitalters als problematisch anzusprechen. Auch diese darf man nicht nach dem Höchsten messen, man muſs ihnen manches zugeben indem man sie liest, manches verzeihen wenn man sie gelesen hat.
Viele Dichter versammelten sich an Mahmuds Hofe, man spricht von vierhunder - ten, die daselbst ihr Wesen getrieben. Und wie nun alles im Orient sich unterordnen, sich höheren Geboten fügen muſs, so be - stellte ihnen auch der Fürst einen Dichter - fürsten, der sie prüfen, beurtheilen, sie zu Arbeiten, jedem Talent gemäſs, auf - muntern sollte. Diese Stelle hat man als eine der vorzüglichsten am Hofe zu betrach - ten: er war Minister aller wissenschaftli - chen, historischpoetischen Geschäfte; durch ihn wurden die Gunstbezeigungen seinen Untergebenen zu Theil, und wenn er den Hof begleitete, geschah es in so groſsem Gefolge, in so stattlichem Aufzuge, daſs man ihn wohl für einen Vezier halten konnte.
Wenn der Mensch daran denken soll von Ereignissen, die ihn zunächst betreffen, künftigen Geschlechtern Nachricht zu hin - terlassen, so gehört dazu ein gewisses Be - hagen an der Gegenwart, ein Gefühl von dem hohen Werthe derselben. Zuerst also befestigt er im Gedächtniſs was er von Vätern vernommen und überliefert solches in fabelhaften Umhüllungen; denn mündli - che Ueberlieferung wird immer mährchen - haft wachsen. Ist aber die Schrift erfunden, ergreift die Schreibseligkeit ein Volk vor dem andern, so entstehen alsdann Chroniken, welche den poetischen Rhythmus behalten, wenn die Poesie der Einbildungskraft und des Gefühls längst verschwunden ist. Die späteste Zeit versorgt uns mit ausführlichen Denkschriften, Selbstbiographien unter mancherley Gestalten.
301Auch im Orient finden wir gar frühe Documente einer bedeutenden Weltausbil - dung. Sollten auch unsere heiligen Bücher später in Schriften verfaſst seyn, so sind doch die Anlässe dazu als Ueberlieferungen uralt, und können nicht dankbar genug be - achtet werden. Wie vieles muſste nicht auch in dem mittlern Orient, wie wir Persien und seine Umgebungen nennen dür - fen, jeden Augenblick entstehen, und sich trotz aller Verwüstung und Zersplitterung erhalten. Denn wenn es zu höherer Aus - bildung groſser Landstrecken dienlich ist, daſs solche nicht Einem Herrn unterworfen, sondern unter mehrere getheilt seyen, so ist derselbe Zustand gleichfalls der Erhaltung nütze, weil das was an dem einen Ort zu Grunde geht, an dem andern fortbestehen, was aus dieser Ecke vertrieben wird, sich in jene flüchten kann.
Auf solche Weise müssen, ungeachtet aller Zerstörung und Verwüstung, sich manche Abschriften aus frühern Zeiten er - halten haben, die man von Epoche zu Epo - che theils abgeschrieben, theils erneuert. So finden wir daſs unter Jesdedschird, dem302 letzten Sassaniden, eine Reichsgeschichte verfaſst worden, wahrscheinlich aus alten Chroniken zusammengestellt, dergleichen sich schon Ahasverus in dem Buch Esther bey schlaflosen Nächten vorlesen läſst. Copien jenes Werkes, welches Bastana - me betitelt war, erhielten sich: denn vier - hundert Jahre später wird unter Mansur I., aus dem Hause der Samaniden, eine Bear - beitung desselben vorgenommen, bleibt aber unvollendet und die Dynastie wird von den Gasnewiden verschlungen. Mahmud jedoch, genannten Stammes zweyter Beherrscher, ist von gleichem Triebe belebt, und ver - theilt sieben Abtheilungen des Bastaname unter sieben Hofdichter. Es gelingt An - sari seinen Herrn am meisten zu befriedi - gen, er wird zum Dichterkönig ernannt und beauftragt das Ganze zu bearbeiten. Er aber, bequem und klug genug, weiſs das Geschäft zu verspäten und mochte sich im Stillen umthun, ob er nicht jemand fände, dem es zu übertragen wäre.
Starb 1030.
Die wichtige Epoche persischer Dicht - kunst, die wir nun erreichen, giebt uns zur Betrachtung Anlaſs, wie groſse Welt - ereignisse nur alsdann sich entwickeln, wenn gewisse Neigungen, Begriffe, Vorsätze hie und da, ohne Zusammenhang, einzeln aus - gesäet sich bewegen und im Stillen fort - wachsen, bis endlich früher oder später ein allgemeines Zusammenwirken hervortritt. In diesem Sinne ist es merkwürdig genug daſs zu gleicher Zeit, als ein mächtiger Fürst auf die Wiederherstellung einer Volks - und Stammes-Literatur bedacht war, ein Gärt - nersohn zu Tus gleichfalls ein Exemplar des Bastaname sich zueignete und das ein - geborene schöne Talent solchen Studien eif - rig widmete.
In Absicht über den dortigen Statthal - ter, wegen irgend einer Bedrängniſs, zu304 klagen, begiebt er sich nach Hofe, ist lange vergebens bemüht zu Ansari durchzudrin - gen, und durch dessen Vorsprache seinen Zweck zu erreichen. Endlich macht eine glückliche, gehaltvolle Reimzeile, aus dem Stegreife gesprochen, ihn dem Dichterkö - nige bekannt, welcher, Vertrauen zu sei - nem Talente fassend, ihn empfiehlt und ihm den Auftrag des groſsen Werkes verschafft. Firdusi beginnt das Schach Nameh unter günstigen Umständen, er wird im Anfange theilweis hinlänglich belohnt, nach drey - ſsigjähriger Arbeit hingegen entspricht das königliche Geschenk seiner Erwartung kei - neswegs. Erbittert verläſst er den Hof und stirbt, eben da der König seiner mit Gunst abermals gedenkt. Mahmud überlebt ihn kaum ein Jahr, innerhalb welches der alte Essedi, Firdusi’s Meister, das Schach Nameh völlig zu Ende schreibt.
Dieses Werk ist ein wichtiges, ernstes, mythisch-historisches National-Fundament, worin das Herkommen, das Daseyn, die Wirkung alter Helden aufbewahrt wird. Es bezieht sich auf frühere und spätere Vergangenheit, deſshalb das eigentlich Ge -305 schichtliche zuletzt mehr hervortritt, die früheren Fabeln jedoch manche uralte Tra - ditions-Wahrheit verhüllt überliefern.
Firdusi scheint überhaupt zu einem sol - chen Werke sich vortrefflich dadurch zu qualificiren, daſs er leidenschaftlich am Al - ten, ächt Nationellen, festgehalten und auch, in Absicht auf Sprache, frühe Reinigkeit und Tüchtigkeit zu erreichen gesucht, wie er denn arabische Worte verbannt und das alte Pelehwi zu beachten bemüht war.
Stirbt 1152.
Er studirt zu Tus, einer wegen bedeu - tender Lehranstalten berühmten, ja sogar wegen Ueberbildung verdächtigen Stadt; und als er, an der Thüre des Collegiums si - tzend, einen, mit Gefolge und Prunk, vor - beireitenden Groſsen erblickt, zu seiner gro - ſsen Verwunderung aber hört, daſs es ein Hofdichter sey, entschlieſst er sich zu glei - cher Höhe des Glücks zu gelangen. Ein20306übernacht geschriebenes Gedicht, wodurch er sich die Gunst des Fürsten erwirbt, ist uns übrig geblieben.
Aus diesem und aus mehreren Poesien die uns mitgetheilt worden blickt ein hei - terer Geist hervor, begabt mit unendlicher Umsicht und scharfem glücklichen Durch - schauen, er beherrscht einen unübersehba - ren Stoff. Er lebt in der Gegenwart, und wie er vom Schüler sogleich zum Hofmann übergeht, wird er ein freyer Encomiast und findet daſs kein besser Handwerk sey, als mitlebende Menschen durch Lob zu ergö - tzen. Fürsten, Veziere, edle und schöne Frauen, Dichter und Musiker schmückt er mit seinem Preis und weiſs auf einen jeden etwas Zierliches aus dem breiten Weltvor - rathe anzuwenden.
Wir können daher nicht billig finden, daſs man ihm die Verhältnisse in denen er gelebt und sein Talent genutzt, nach so viel hundert Jahren, zum Verbrechen macht. Was sollt’ aus dem Dichter werden, wenn es nicht hohe, mächtige, kluge, thätige, schöne und geschickte Menschen gäbe, an deren Vorzügen er sich auferbauen kann? 307An ihnen, wie die Rebe am Ulmenbaum, wie Epheu an der Mauer, rankt er sich hinauf, Auge und Sinn zu erquicken. Sollte man einen Juwelier schelten, der die Edelge - steine beyder Indien zum herrlichen Schmuck trefflicher Menschen zu verwenden sein Le - ben zubringt? Sollte man von ihm verlan - gen daſs er das, freylich sehr nützliche Ge - schäft eines Straſsenpflasterers übernähme?
So gut aber unser Dichter mit der Erde stand, ward ihm der Himmel verderblich. Eine bedeutende, das Volk aufregende Weis - sagung: als werde an einem gewissen Tage ein ungeheurer Sturm das Land verwüsten, traf nicht ein und der Schach selbst konnte gegen den allgemeinen Unwillen des Hofes und der Stadt seinen Liebling nicht retten. Dieser floh. Auch in entfernter Provinz schützte ihn nur der entschiedene Charakter eines freundlichen Statthalters.
Die Ehre der Astrologie kann jedoch gerettet werden, wenn man annimmt, daſs die Zusammenkunft so vieler Planeten in Einem Zeichen auf die Zukunft von Dschen -20 *308gis Chan hindeute, welcher in Persien mehr Verwüstung anrichtete als irgend ein Sturm - wind hätte bewirken können.
Stirbt 1180.
Ein zarter, hochbegabter Geist, der, wenn Firdusi die sämmtlichen Heldenüber - lieferungen erschöpfte, nunmehr die lieb - lichsten Wechselwirkungen innigster Liebe zum Stoffe seiner Gedichte wählt. Medsch - nun und Leila, Chosru und Schirin, Lie - bespaare, führt er vor; durch Ahndung, Geschick, Natur, Gewohnheit, Neigung, Leidenschaft für einander bestimmt, sich entschieden gewogen; dann aber durch Grille, Eigensinn, Zufall, Nöthigung und Zwang getrennt, eben so wunderlich wieder zu - sammengeführt und am Ende doch wieder auf eine oder die andere Weise weggerissen und geschieden.
309Aus diesen Stoffen und ihrer Behandlung erwächst die Erregung einer ideellen Sehn - sucht. Befriedigung finden wir nirgends. Die Anmuth ist groſs, die Mannigfaltigkeit unendlich.
Auch in seinen andern, unmittelbar moralischem Zweck gewidmeten Gedichten athmet gleiche liebenswürdige Klarheit. Was auch dem Menschen Zweideutiges begegnen mag, führt er jederzeit wieder ans Prakti - sche heran und findet in einem sittlichen Thun allen Räthseln die beste Auflösung.
Uebrigens führt er, seinem ruhigen Geschäft gemäſs, ein ruhiges Leben unter den Seldschugiden und wird in seiner Va - terstadt Gendsche begraben.
Stirbt 1262.
Er begleitet seinen Vater, der, wegen Verdrieſslichkeiten mit dem Sultan, sich von Balch hinweg begiebt, auf dem langen Reisezug. Unterwegs nach Mekka treffen sie Attar, der ein Buch göttlicher Ge - heimnisse dem Jünglinge verehrt und ihn zu heiligen Studien entzündet.
Hiebey ist so viel zu bemerken: daſs der eigentliche Dichter die Herrlichkeit der Welt in sich aufzunehmen berufen ist und deſshalb immer eher zu loben als zu tadeln geneigt seyn wird. Daraus folgt, daſs er den würdigsten Gegenstand aufzufinden sucht, und, wenn er alles durchgegangen, endlich sein Talent am liebsten zu Preis und Ver - herrlichung Gottes anwendet. Besonders aber liegt dieses Bedürfniſs dem Orientalen311 am nächsten, weil er immer dem Ueber - schwenglichen zustrebt und solches bey Be - trachtung der Gottheit in gröſster Fülle ge - wahr zu werden glaubt, so wie ihm denn bey jeder Ausführung niemand Uebertrie - benheit Schuld geben darf.
Schon der sogenannte Mahometanische Rosenkranz, wodurch der Name Allah mit neun und neunzig Eigenschaften verherrlicht wird, ist eine solche Lob - und Preis-Lita - ney. Bejahende, verneinende Eigenschaften bezeichnen das unbegreiflichste Wesen; der Anbeter staunt, ergiebt und beruhigt sich. Und wenn der weltliche Dichter die ihm vorschwebenden Vollkommenheiten an vor - zügliche Personen verwendet, so flüchtet sich der Gottergebene in das unpersönliche Wesen, das von Ewigkeit her alles durch - dringt.
So flüchtete sich Attar vom Hofe zur Beschaulichkeit, und Dschelaleddin, ein rei - ner Jüngling, der sich so eben auch vom Fürsten und der Hauptstadt entfernte, war um desto eher zu tieferen Studien zu ent - zünden.
312Nun zieht er mit seinem Vater, nach vollbrachten Wallfahrten, durch Klein-Asien, sie bleiben zu Iconium. Dort lehren sie, werden verfolgt, vertrieben, wieder einge - setzt, und liegen daselbst, mit einem ihrer treusten Lehrgenossen, begraben. Indessen hatte Dschengis Chan Persien erobert, ohne den ruhigen Ort ihres Aufenthaltes zu be - rühren.
Nach obiger Darstellung wird man die - sem groſsen Geiste nicht verargen, wenn er sich ins Abstruse gewendet. Seine Werke sehen etwas bunt aus, Geschichtchen, Mähr - chen, Parabeln, Legenden, Anecdoten, Bey - spiele, Probleme behandelt er, um eine ge - heimniſsvolle Lehre eingängig zu machen, von der er selbst keine deutliche Rechenschaft zu geben weiſs. Unterricht und Erhebung ist sein Zweck, im Ganzen aber sucht er durch die Einheitslehre alle Sehnsucht wo nicht zu erfüllen doch aufzulösen und an - zudeuten, daſs im göttlichen Wesen zuletzt alles untertauche und sich verkläre.
Stirbt 1291, alt 102 Jahre.
Gebürtig von Schiras, studirt er zu Bag - dad, wird als Jüngling durch Liebesunglück zum unstäten Leben eines Derwisch be - stimmt. Wallfahrtet funfzehnmal nach Mek - ka, gelangt auf seinen Wanderungen nach Indien und Klein-Asien, ja als Gefangener der Kreuzfahrer in’s Westland. Er über - steht wundersame Abentheuer, erwirbt aber schöne Länder - und Menschenkenntniſs. Nach dreyſsig Jahren zieht er sich zurück, bearbeitet seine Werke, und macht sie be - kannt. Er lebt und webt in einer groſsen Erfahrungsbreite und ist reich an Anecdo - ten, die er mit Sprüchen und Versen aus - schmückt. Leser und Hörer zu unterrich - ten ist sein entschiedener Zweck.
Sehr eingezogen in Schiras erlebt er das hundert und zweyte Jahr und wird da - selbst begraben. Dschenschis Nachkommen hatten Iran zum eignen Reiche gebildet, in welchem sich ruhig wohnen lieſs.
Stirbt 1389.
Wer sich noch, aus der Hälfte des vo - rigen Jahrhunderts, erinnert, wie unter den Protestanten Deutschlands nicht allein Geist - liche, sondern auch wohl Layen gefunden wurden, welche mit den heiligen Schriften sich dergestalt bekannt gemacht, daſs sie, als lebendige Concordanz, von allen Sprü - chen, wo und in welchem Zusammenhange sie zu finden, Rechenschaft zu geben sich geübt haben, die Hauptstellen aber auswen - dig wuſsten und solche zu irgend einer Anwendung immerfort bereit hielten; der wird zugleich gestehen daſs für solche Män - ner eine groſse Bildung daraus erwachsen muſste, weil das Gedächtniſs, immer mit würdigen Gegenständen beschäftigt, dem Gefühl, dem Urtheil reinen Stoff zu Genuſs und Behandlung aufbewahrte. Man nannte315 sie bibelfest und ein solcher Beyname gab eine vorzügliche Würde und unzwey - deutige Empfehlung.
Das was nun bey uns Christen aus na - türlicher Anlage und gutem Willen ent - sprang, war bey den Mahometanern Pflicht: denn indem es einem solchen Glaubensgenos - sen zum gröſsten Verdienst gereichte Abschrif - ten des Korans selbst zu vervielfältigen oder vervielfältigen zu lassen, so war es kein geringeres denselben auswendig zu lernen, um bey jedem Anlaſs die gehörigen Stellen anfüh - ren, Erbauung befördern, Streitigkeit schlich - ten zu können. Man benannte solche Per - sonen mit dem Ehrentitel Hafis, und die - ser ist unserm Dichter als bezeichnender Hauptname geblieben.
Nun ward, gar bald nach seinem Ur - sprunge, der Koran ein Gegenstand der un - endlichsten Auslegungen, gab Gelegenheit zu den spitzfindigsten Subtilitäten und, in - dem er die Sinnesweise eines jeden aufregte, entstanden gränzenlos abweichende Meinun - gen, verrückte Combinationen, ja die un - vernünftigsten Beziehungen aller Art wur - den versucht, so daſs der eigentlich geist -316 reiche verständige Mann eifrig bemüht seyn muſste, um nur wieder auf den Grund des reinen guten Textes zurück zu gelangen. Daher finden wir denn auch in der Ge - schichte des Islam Auslegung, Anwendung und Gebrauch oft bewundernswürdig.
Zu einer solchen Gewandtheit war das schönste dichterische Talent erzogen und heran gebildet; ihm gehörte der ganze Ko - ran und was für Religionsgebäude man dar - auf gegründet war ihm kein Räthsel. Er sagt selbst: „ Durch den Koran hab’ ich alles Was mir je gelang gemacht. “
Als Derwisch, Sofi, Scheich lehrte er in seinem Geburtsorte Schiras, auf welchen er sich beschränkte, wohl gelitten und ge - schätzt von der Familie Mosaffer und ihren Beziehungen. Er beschäftigte sich mit theo - logischen und grammatikalischen Arbeiten, und versammelte eine groſse Anzahl Schüler um sich her.
Mit solchen ernsten Studien, mit einem wirklichen Lehramte stehen seine Gedichte völlig im Widerspruch, der sich wohl dadurch heben läſst, wenn man sagt: daſs317 der Dichter nicht geradezu alles denken und leben müsse was er ausspricht, am wenigsten derjenige der in späterer Zeit in verwickelte Zustände geräth, wo er sich immer der rhetorischen Verstellung nähern und dasjenige vortragen wird was seine Zeitgenossen gerne hören. Dieſs scheint uns bey Hafis durchaus der Fall. Denn wie ein Mährchen-Erzähler auch nicht an die Zaubereyen glaubt die er vorspiegelt, sondern sie nur aufs beste zu beleben und auszustatten gedenkt, damit seine Zuhörer sich daran ergötzen, eben so wenig braucht gerade der lyrische Dichter dasjenige alles selbst auszuüben, womit er hohe und ge - ringe Leser und Sänger ergötzt und be - schmeichelt. Auch scheint unser Dichter keinen groſsen Werth auf seine so leicht hinflieſsenden Lieder gelegt zu haben, denn seine Schüler sammelten sie erst nach seinem Tode.
Nur wenig sagen wir von diesen Dich - tungen, weil man-sie genieſsen, sich damit in Einklang setzen sollte. Aus ihnen strömt eine fortquellende, mäſsige Lebendigkeit. Im Engen genügsam froh und klug, von318 der Fülle der Welt seinen Theil dahin neh - mend, in die Geheimnisse der Gottheit von fern hinein blickend, dagegen aber auch einmal Religionsübung und Sinnenlust ab - lehnend, eins wie das andere; wie denn überhaupt diese Dichtart, was sie auch zu befördern und zu lehren scheint, durch - aus eine sceptische Beweglichkeit behalten muſs.
Stirbt 1494, alt 82 Jahre.
Dschami faſst die ganze Erndte der bisherigen Bemühungen zusammen und zieht die Summe der religiosen, philosophischen, wissenschaftlichen, prosaisch-poetischen Cultur. Er hat einen groſsen Vortheil drey und zwanzig Jahre nach Hafis Tode gebo - ren zu werden und als Jüngling abermals ein ganz freyes Feld vor sich zu finden. Die gröſste Klarheit und Besonnenheit ist sein Eigenthum. Nun versucht und leistet319 er alles, erscheint sinnlich und übersinnlich zugleich; die Herrlichkeit der wirklichen und Dichterwelt liegt vor ihm, er bewegt sich zwischen beyden. Die Mystik konnte ihn nicht anmuthen; weil er aber ohne die - selbe den Kreis des National-Interesses nicht ausgefüllt hätte, so giebt er historisch Re - chenschaft von allen den Thorheiten, durch welche, stufenweis, der in seinem irdischen Wesen befangene Mensch sich der Gottheit unmittelbar anzunähern und sich zuletzt mit ihr zu vereinigen gedenkt; da denn doch zuletzt nur widernatürliche und widergei - stige, grasse Gestalten zum Vorscheine kom - men. Denn was thut der Mystiker anders? als daſs er sich an Problemen vorbey schleicht, oder sie weiter schiebt, wenn es sich thun läſst.
Man hat aus der sehr schicklich-gere - gelten Folge der sieben ersten römischen Könige schlieſsen wollen, daſs diese Ge - schichte klüglich und absichtlich erfunden sey, welches wir dahin gestellt seyn lassen; dagegen aber bemerken daſs die sieben Dich - ter, welche von dem Perser für die ersten gehalten werden, und innerhalb eines Zeit - raums von fünfhundert Jahren nach und nach erschienen, wirklich ein ethisch-poe - tisches Verhältniſs gegen einander haben, welches uns erdichtet scheinen könnte, wenn nicht ihre hinterlassenen Werke von ihrem wirklichen Daseyn das Zeugniſs gäben.
Betrachten wir aber dieses Siebenge - stirn genauer, wie es uns aus der Ferne vergönnt seyn mag; so finden wir daſs sie alle ein fruchtbares, immer sich erneuendes Talent besaſsen, wodurch sie sich über die Mehrzahl sehr vorzüglicher Männer, über321 die Unzahl mittlerer, täglicher Talente er - hoben sahen; dabey aber auch in eine be - sondere Zeit, in eine Lage gelangten, wo sie eine groſse Erndte glücklich wegnehmen und gleich-talentvollen Nachkommen sogar die Wirkung auf eine Zeit lang verkümmern durften, bis wieder ein Zeitraum verging, in welchem die Natur dem Dichter neue Schätze abermals aufschlieſsen konnte.
In diesem Sinne nehmen wir die Dar - gestellten einzeln nochmals durch und be - merken: daſs
Firdusi die ganzen vergangenen Staats - und Reichsereignisse, fabelhaft oder histo - risch aufbehalten, vorwegnahm, so daſs einem Nachfolger nur Bezug und Anmer - kung, nicht aber neue Behandlung und Darstellung übrig blieb.
Enveri hielt sich fest an der Gegen - wart. Glänzend und prächtig, wie die Na - tur ihm erschien, freud - und gabenvoll er - blickt er auch den Hof seines Schahs; bey - de Welten und ihre Vorzüge mit den lieb - lichsten Worten zu verknüpfen, war Pflicht und Behagen. Niemand hat es ihm hierin gleich gethan.
21322Nisami griff mit freundlicher Gewalt alles auf, was von Liebes - und Halbwun - derlegende in seinem Bezirk vorhanden seyn mochte. Schon im Koran war die Andeu - tung gegeben, wie man uralte lakonische Ueberlieferungen zu eigenen Zwecken be - handeln, ausführen und in gewisser Weit - läuftigkeit könne ergötzlich machen.
Dschelaleddin Rumi findet sich unbehaglich auf dem problematischen Boden der Wirklichkeit, und sucht die Räthsel der innern und äuſsern Erscheinungen auf geistige, geistreiche Weise zu lösen, daher sind seine Werke neue Räthsel, neuer Auf - lösungen und Commentare bedürftig. End - lich fühlt er sich gedrungen in die Allei - nigkeits-Lehre zu flüchten, wodurch soviel gewonnen als verloren wird, und zuletzt das, so tröstliche als untröstliche, Zero übrig bleibt. Wie sollte nun also irgend eine Rede-Mittheilung poetisch oder pro - saisch weiter gelingen? Glücklicherweise wird
Saadi, der Treffliche, in die weite Welt getrieben, mit gränzenlosen Einzeln - heiten der Empirie überhäuft, denen er323 allen etwas abzugewinnen weiſs. Er fühlt die Nothwendigkeit sich zu sammeln, über - zeugt sich von der Pflicht zu belehren, und so ist er uns Westländern zuerst fruchtbar und segenreich geworden.
Hafis, ein groſses heiteres Talent, das sich begnügt, alles abzuweisen wonach die Menschen begehren, Alles bey Seite zu schieben was sie nicht entbehren mögen, und dabey immer als lustiger Bruder ihres Gleichen erscheint. Er läſst sich nur in seinem National - und Zeitkreise richtig an - erkennen. Sobald man ihn aber gefaſst hat, bleibt er ein lieblicher Lebensgeleiter. Wie ihn denn auch noch jetzt, unbewuſst mehr als bewuſst, Kameel - und Maulthier-Trei - ber fortsingen, keineswegs um des Sinnes halben, den er selbst muthwillig zerstü - ckelt, sondern der Stimmung wegen, die er ewig rein und erfreulich verbreitet. Wer konnte denn nun auf diesen folgen da alles andere von den Vorgängern wegge - nommen war? als
Dschami, allem gewachsen was vor ihm geschehen und neben ihm geschah; wie er nun dieſs alles zusammen in Garben band,21 *324nachbildete, erneuerte, erweiterte, mit der gröſsten Klarheit die Tugenden und Fehler seiner Vorgänger in sich vereinigte, so blieb der Folgezeit nichts übrig als zu seyn wie er, insofern sie sich nicht verschlim - merte; und so ist es denn auch drey Jahr - hunderte durch geblieben. Wobey wir nur noch bemerken daſs, wenn früher oder später das Drama hätte durchbrechen und ein Dichter dieser Art sich hervorthun können, der ganze Gang der Literatur eine andere Wendung genommen hätte.
Wagten wir nun mit diesem Wenigen fünfhundert Jahre persischer Dicht - und Rede-Kunst zu schildern; so sey es, um mit Quintilian unserm alten Meister zu re - den, von Freunden aufgenommen in der Art wie man runde Zahlen erlaubt, nicht um genauer Bestimmung willen, sondern um etwas Allgemeines, bequemlichkeits - halber, annäherend auszusprechen.
Die Fruchtbarkeit und Mannigfaltigkeit der persischen Dichter entspringt aus einer unübersehbaren Breite der Auſsenwelt und ihrem unendlichen Reichthum. Ein immer bewegtes öffentliches Leben, in welchem alle Gegenstände gleichen Werth haben, wogt vor unserer Einbildungskraft, deſswe - gen uns ihre Vergleichungen oft so sehr auffallend und miſsbeliebig sind. Ohne Be - denken verknüpfen sie die edelsten und nie - drigsten Bilder, an welches Verfahren wir uns nicht so leicht gewöhnen.
Sprechen wir es aber aufrichtig aus: ein eigentlicher Lebemann, der frey und praktisch athmet, hat kein ästhetisches Ge - fühl und keinen Geschmack, ihm genügt Realität im Handlen, Genieſsen, Betrach - ten, eben so wie im Dichten; und wenn der Orientale, seltsame Wirkung hervorzu -326 bringen, das Ungereimte zusammenreimt, so soll der Deutsche, dem dergleichen wohl auch begegnet, dazu nicht scheel sehen.
Die Verwirrung, die durch solche Pro - ductionen in der Einbildungskraft entsteht, ist derjenigen zu vergleichen, wenn wir durch einen orientalischen Bazar, durch eine eu - ropäische Messe gehen. Nicht immer sind die kostbarsten und niedrigsten Waaren im Raume weit gesondert, sie vermischen sich in unsern Augen und oft gewahren wir auch die Fässer, Kisten, Säcke, worin sie transportirt worden. Wie auf einem Obst - und Gemüsmarkt sehen wir nicht allein Kräuter, Wurzeln und Früchte, sondern auch hier und dort allerley Arten Abwürf - linge, Schalen und Strunke.
Ferner kostets dem orientalischen Dich - ter nichts uns von der Erde in den Him - mel zu erheben und von da wieder herun - ter zu stürzen oder umgekehrt. Dem Aas eines faulenden Hundes versteht Nisami eine sittliche Betrachtung abzulocken, die uns in Erstaunen setzt und erbaut.
327Jedermann fühlt sich betroffen, wenn der, so liebevolle als geistreiche Prophet, nach seiner eigensten Weise, Schonung und Nachsicht fordert. Wie kräftig weiſs er die unruhige Menge auf sich selbst zurück zu führen, sich des Verwerfens, des Ver - wünschens zu schämen, unbeachteten Vor -328 zug mit Anerkennung, ja vielleicht mit Neid zu betrachten! Jeder Umstehende denkt nun an sein eigen Gebiſs! Schöne Zähne sind überall, besonders auch im Morgen - land, als eine Gabe Gottes hoch angenehm. Ein faulendes Geschöpf wird, durch das Vollkommene was von ihm übrig bleibt, ein Gegenstand der Bewunderung und des frömmsten Nachdenkens.
Nicht eben so klar und eindringlich wird uns das vortreffliche Gleichniſs, womit die Parabel schlieſst, wir tragen daher Sorge dasselbe anschaulich zu machen.
In Gegenden, wo es an Kalklagern ge - bricht, werden Muschelschaalen zu Berei - tung eines höchst nöthigen Baumaterials an - gewendet und, zwischen dürres Reisig ge - schichtet, von der erregten Flamme durch - geglüht. Der Zuschauende kann sich das Gefühl nicht nehmen, daſs diese Wesen, lebendig im Meere sich nährend und wach - send, noch kurz vorher der allgemeinen Lust des Daseyns nach ihrer Weise genossen und jetzt, nicht etwa verbrennen, sondern durch - geglüht, ihre völlige Gestalt behalten, wenn gleich alles Lebendige aus ihnen weggetrie -329 ben ist. Nehme man nunmehr an, daſs die Nacht hereinbricht und diese organischen Reste dem Auge des Beschauers wirklich glühend erscheinen, so läſst sich kein herr - lichers Bild einer tiefen, heimlichen Seelen - qual vor Augen stellen. Will sich jemand hievon ein vollkommenes Anschauen erwer - ben, so ersuche er einen Chemiker ihm Austerschaalen in den Zustand der Phos - phoreszenz zu versetzen, wo er mit uns gestehen wird, daſs ein siedend heiſses Ge - fühl, welches den Menschen durchdringt, wenn ein gerechter Vorwurf ihn, mitten in dem Dünkel eines zutraulichen Selbst - gefühls, unerwartet betrifft, nicht furchtbarer auszusprechen sey.
Solcher Gleichnisse würden sich zu Hunderten auffinden lassen, die das unmit - telbarste Anschauen des Natürlichen, Wirk - lichen voraussetzen und zugleich wiederum einen hohen sittlichen Begriff erwecken, der aus dem Grunde eines reinen ausgebil - deten Gefühls hervorsteigt.
Höchst schätzenswerth ist, bey dieser gränzenlosen Breite, ihre Aufmerksamkeit aufs Einzelne, der scharfe liebevolle Blick330 der einem bedeutenden Gegenstand sein ei - genthümlichstes abzugewinnen sucht. Sie haben poetische Stillleben, die sich den besten niederländischer Künstler an die Seite setzen, ja im Sittlichen sich darüber erheben dürfen. Aus eben dieser Neigung und Fähigkeit werden sie gewisse Lieblings - gegenstände nicht los; kein Persischer Dich - ter ermüdet die Lampe blendend, die Kerze leuchtend vorzustellen. Eben daher kommt auch die Eintönigkeit die man ihnen vor - wirft; aber genau betrachtet, werden die Naturgegenstände hey ihnen zum Surrogat der Mythologie, Rose und Nachtigall neh - men den Platz ein von Apoll und Daphne. Wenn man bedenkt was ihnen abging, daſs sie kein Theater, keine bildende Kunst hat - ten, ihr dichterisches Talent aber nicht ge - ringer war als irgend eins von jeher, so wird man, ihrer eigensten Welt befreundet, sie immer mehr bewundern müssen.
Der höchste Charakter orientalischer Dichtkunst ist, was wir Deutsche Geist nennen, das Vorwaltende des oberen Lei - tenden; hier sind alle übrige Eigenschaf - ten vereinigt, ohne daſs irgend eine, das eigenthümliche Recht behauptend, hervor - träte. Der Geist gehört vorzüglich dem Alter, oder einer alternden Weltepoche. Uebersicht des Weltwesens, Ironie, freyen Gebrauch der Talente finden wir in allen Dichtern des Orients. Resultat und Prä - misse wird uns zugleich geboten, deſshalb sehen wir auch wie groſser Werth auf ein Wort aus dem Stegreife gelegt wird. Jene Dichter haben alle Gegenstände gegenwär - tig und beziehen die entferntesten Dinge leicht auf einander, daher nähern sie sich auch dem was wir Witz nennen; doch steht der Witz nicht so hoch, denn dieser ist332 selbstsüchtig, selbstgefällig, wovon der Geist ganz frey bleibt, deſshalb er auch überall genialisch genannt werden kann und muſs.
Aber nicht der Dichter allein erfreut sich solcher Verdienste, die ganze Nation ist geistreich, wie aus unzähligen Anecdo - ten hervortritt. Durch ein geistreiches Wort wird der Zorn eines Fürsten erregt, durch ein anderes wieder besänftigt. Neigung und Leidenschaft leben und weben in glei - chem Elemente; so erfinden Behramguhr und Dilara den Reim, Dschemil und Boteinah bleiben bis ins höchste Alter leidenschaft - lich verbunden. Die ganze Geschichte der persischen Dichtkunst wimmlet von solchen Fällen.
Wenn man bedenkt, daſs Nuschirwan, einer der letzten Sassaniden, um die Zeit Mahomets mit ungeheuren Kosten die Fabeln des Bidpai und das Schachspiel aus Indien kommen läſst, so ist der Zustand einer sol - chen Zeit vollkommen ausgesprochen. Jene, nach dem zu urtheilen was uns überliefert ist, überbieten einander an Lebensklugheit und freyeren Ansichten irdischer Dinge. Deſs - halb konnte vier Jahrhunderte später, selbst333 in der ersten besten Epoche persischer Dicht - kunst, keine vollkommen-reine Naivetät statt finden. Die groſse Breite der Umsicht, die vom Dichter gefordert ward, das gesteigerte Wissen, die Hof - und Kriegsverhältnisse, alles verlangte groſse Besonnenheit.
Nach Weise von Dschami und seiner Zeit vermischten folgende Dichter Poesie und Prosa immer mehr, so daſs für alle Schreib - arten nur ein Styl angewendet wurde. Ge - schichte, Poesie, Philosophie, Canzley - und Briefstyl, alles wird auf gleiche Weise vorge - tragen und so geht es nun schon drey Jahr - hunderte fort. Ein Muster des allerneusten sind wir glücklicherweise im Stande vorzu - legen.
Als der Persische Botschafter, Mirza Aboul Hassan Khan, sich in Peters - burg befand, ersuchte man ihn um einige Zeilen seiner Handschrift. Er war freund -334 lich genug ein Blatt zu schreiben, wovon wir die Uebersetzung hier einschalten.
Ich bin durch die ganze Welt gereist, bin lange mit vielen Personen umgegangen, jeder Winkel gewährte mir einigen Nutzen, jeder Halm eine Aehre, und doch habe ich keinen Ort gesehen dieser Stadt vergleich - bar, noch ihren schönen Huris. Der Se - gen Gottes ruhe immer auf ihr! —
Wie wohl hat jener Kaufmann gespro - chen, der unter die Räuber fiel die ihre Pfeile auf ihn richteten. Ein König der den Han - del unterdrückt, verschlieſst die Thüre des Heils vor dem Gesichte seines Heeres. Wel - cher Verständige möchte bey solchem Ruf der Ungerechtigkeit sein Land besuchen? Willst du einen guten Namen erwerben, so behandle mit Achtung Kaufleute und Ge - sandte. Die Groſsen behandeln Reisende wohl, um sich einen guten Ruf zu machen. Das Land das die Fremden nicht beschützt geht bald unter. Sey ein Freund der Frem -335 den und Reisenden, denn sie sind als Mittel eines guten Rufs zu betrachten; sey gastfrey, schätze die Vorüberziehenden, hüte dich un - gerecht gegen sie zu seyn. Wer diesen Rath des Gesandten befolgt, wird gewiſs Vortheil davon ziehen.
Man erzählt daſs Omar ebn abd el asis ein mächtiger König war, und Nachts in seinem Kämmerlein voll Demuth und Un - terwerfung, das Angesicht zum Throne des Schöpfers wendend, sprach: O Herr! Gro - ſses hast du anvertraut der Hand des schwa - chen Knechtes; um der Herrlichkeit der Reinen und Heiligen deines Reiches willen, verleihe mir Gerechtigkeit und Billigkeit, bewahre mich vor der Bosheit der Menschen; ich fürchte daſs das Herz eines Unschuldi - gen durch mich könne betrübt worden seyn, und Fluch des Unterdrückten meinem Na - cken folge. Ein König soll immer an die Herrschaft und das Daseyn des höchsten Wesens gedenken, an die fortwährende Ver - änderlichkeit der irdischen Dinge, er soll bedenken daſs die Krone von einem würdi -336 gen Haupt auf ein unwürdiges übergeht und sich nicht zum Stolze verleiten lassen. Denn ein König der hochmüthig wird, Freund und Nachbarn verachtet, kann nicht lange auf seinem Throne gedeihen; man soll sich niemals durch den Ruhm einiger Tage auf - blähen lassen. Die Welt gleicht einem Feuer das am Wege angezündet ist, wer so viel davon nimmt als nöthig, um sich auf dem Wege zu leuchten, erduldet kein Ue - bel, aber wer mehr nimmt verbrennt sich.
Als man den Plato fragte, wie er in dieser Welt gelebt habe, antwortete er: mit Schmerzen bin ich hereingekommen, mein Leben war ein anhaltendes Erstaunen und ungern geh ich hinaus, und ich habe nichts gelernt als daſs ich nichts weiſs. Bleibe fern von dem der etwas unternimmt und unwissend ist, von einem Frommen der nicht unterrichtet ist; man könnte sie beide einem Esel vergleichen, der die Mühle dreht, ohne zu wissen warum. Der Säbel ist gut anzusehen, aber seine Wirkungen sind unangenehm. Ein wohldenkender Mann verbindet sich mit Fremden, aber der Bös - artige entfremdet sich seinem Nächsten. 337Ein König sagte zu einem der Behloul hieſs: gieb mir einen Rath. Dieser versetzte: beneide keinen Geitzigen, keinen ungerech - ten Richter, keinen Reichen der sich nicht aufs Haushalten versteht, keinen Freygebi - gen der sein Geld unnütz verschwendet, keinen Gelehrten dem das Urtheil fehlt. Man erwirbt in der Welt entweder einen guten oder einen bösen Namen, da kann man nun zwischen beyden wählen, und da nun ein jeder sterben muſs, gut oder bös, glücklich der, welcher den Ruhm eines Tu - gendhaften vorzog.
Diese Zeilen schrieb, dem Verlangen eines Freundes gemäſs, im Jahr 1231 der Hegire den Tag des Demazsul Sani, nach christlicher Zeitrechnung am .. May 1816, Mirza Eboul hassan Chan, von Schiraz, während seines Aufenthalts in der Hauptstadt St. Petersburg, als auſser - ordentlicher Abgesandter Sr. Majestät von Persien Fethali Schah Cadzar. Er hofft daſs man mit Güte einem Unwissenden ver - zeihen wird, der es unternahm einige Worte zu schreiben.
22338Wie nun aus Vorstehendem klar ist, daſs, seit drey Jahrhunderten, sich immer eine gewisse Prosa-Poesie erhalten hat, und Geschäfts - und Briefstyl öffentlich und in Privat-Verhandlungen immer derselbige bleibt; so erfahren wir, daſs in der neu - sten Zeit am persischen Hofe sich noch im - mer Dichter befinden, welche die Chronik des Tages, und also alles was der Kaiser vornimmt und was sich ereignet, in Reime verfaſst und zierlich geschrieben, einem hie - zu besonders bestellten Archivarius überlie - fern. Woraus denn erhellt daſs in dem unwandelbaren Orient, seit Ahasverus Zei - ten, der sich solche Chroniken bey schlaf - losen Nächten vorlesen lies, sich keine wei - tere Veränderung zugetragen hat.
Wir bemerken hiebey daſs ein solches Vorlesen mit einer gewissen Declamation geschehe, welche mit Emphase, einem Stei - gen und Fallen des Tons vorgetragen wird, und mit der Art wie die französischen Trauerspiele declamirt werden sehr viel Aehnlichkeit haben soll. Es läſst sich dies um so eher denken, als die persischen Dop -339 pelverse einen ähnlichen Contrast bilden, wie die beyden Hälften des Alexandriners.
Und so mag denn auch diese Beharr - lichkeit die Veranlassung seyn, daſs die Perser ihre Gedichte seit acht hundert Jah - ren noch immer lieben, schätzen und ver - ehren; wie wir denn selbst Zeuge gewesen, daſs ein Orientale ein vorzüglich eingebun - denes und erhaltenes Manuscript des Mes - newi mit eben so viel Ehrfurcht als wenn es der Koran wäre, betrachtete und be - handelte.
Die persische Dichtkunst aber, und was ihr ähnlich ist, wird von dem West - länder niemals ganz rein, mit vollem Be - hagen aufgenommen werden; worüber wir aufgeklärt seyn müssen, wenn uns der Ge - nuſs daran nicht unversehens gestört werden soll.
22 *340Es ist aber nicht die Religion die uns von jener Dichtkunst entfernt. Die Ein - heit Gottes, Ergebung in seinen Willen, Vermittlung durch einen Propheten, alles stimmt mehr oder weniger mit unserm Glau - ben, mit unserer Vorstellungsweise über - ein. Unsere heiligen Bücher liegen auch dort, ob nur gleich legendenweis, zum Grund.
In die Mährchen jener Gegend, Fabeln Parabeln, Anecdoten, Witz - und Scherz - reden sind wir längst eingeweiht. Auch ihre Mystik sollte uns ansprechen, sie ver - diente wenigstens, eines tiefen und gründ - lichen Ernstes wegen, mit der unsrigen verglichen zu werden, die in der neusten Zeit; genau betrachtet doch eigentlich nur eine charakter - und talentlose Sehnsucht ausdrückt; wie sie sich denn schon selbst parodirt, zeuge der Vers: Mir will ewiger Durst nur frommen Nach dem Durste.
Was aber dem Sinne der Westländer niemals eingehen kann, ist die geistige und körperliche Unterwürfigkeit unter seinen Herren und Oberen, die sich von uralten Zeiten herschreibt, indem Könige zuerst an die Stelle Gottes traten. Im alten Testa - ment lesen wir ohne sonderliches Befrem - den, wenn Mann und Weib vor Priester und Helden sich aufs Angesicht niederwirft und anbetet, denn dasselbe sind sie vor den Elohim zu thun gewohnt. Was zuerst aus natürlichem frommen Gefühl geschah verwandelte sich später in umständliche Hofsitte. Der Ku-tou, das dreymalige Niederwerfen dreymal wiederholt, schreibt sich dort her. Wie viele westliche Gesandt - schaften an östlichen Höfen sind an dieser Ceremonie gescheitert, und die persische Poe - sie kann im Ganzen bey uns nicht gut auf -342 genommen werden, wenn wir uns hierüber nicht vollkommen deutlich machen.
Welcher Westländer kann erträglich finden daſs der Orientale nicht allein sei - nen Kopf neunmal auf die Erde stöſst, son - dern denselben sogar wegwirft irgend wo - hin zu Ziel und Zweck.
Das Maillespiel zu Pferde, wo Ballen und Schlägel die groſse Rolle zugetheilt ist, erneuert sich oft vor dem Auge des Herr - schers und des Volkes, ja mit beyderseitiger persönlicher Theilnahme. Wenn aber der Dichter seinen Kopf als Ballen auf die Maillebahn des Schahs legt, damit der Fürst ihn gewahr werde, und mit dem Schlägel der Gunst zum Glück weiter fort spedire; so können und mögen wir freilich weder mit der Einbildungskraft noch mit der Em - pfindung folgen; denn so heiſst es:
Ferner:
Nicht aber allein vor dem Sultan, son - dern auch vor Geliebten erniedrigt man sich eben so tief und noch häufiger:
Man sieht deutlich hieraus daſs eins so wenig als das andere heiſsen will, erst344 bey würdiger Gelegenheit angewendet, zu - letzt immer häufiger gebraucht und gemiſs - braucht. So sagt Hafis wirklich possen - haft:
Ein tieferes Studium würde vielleicht die Vermuthung bestätigen, daſs frühere Dichter mit solchen Ausdrücken viel be - scheidener verfahren und nur spätere, auf demselben Schauplatz in derselben Sprache sich ergehend, endlich auch solche Miſs - bräuche, nicht einmal recht im Ernst, son - dern parodistisch beliebt, bis sich end - lich die Tropen dergestalt vom Gegenstand weg verlieren, daſs kein Verhältniſs mehr weder gedacht noch empfunden werden kann.
Und so schlieſsen wir denn mit den lieb - lichen Zeilen Enweris, welcher, so anmu - thig als schicklich, einen werthen Dichter seiner Zeit verehrt:
345Um uns nun über das Verhältniſs der Despoten zu den Ihrigen, und wiefern es noch menschlich sey, einigermaſsen aufzu - klären, auch uns über das knechtische Ver - fahren der Dichter vielleicht zu beruhigen, möge eine und die andere Stelle hier eige - schaltet seyn, welche Zeugniſs giebt wie Geschichts - und Weltkenner hierüber geur - theilt. Ein bedächtiger Engländer drückt sich folgendermaſsen aus:
„ Unumschränkte Gewalt, welche in Europa, durch Gewohnheiten und Umsicht einer gebildeten Zeit, zu gemäſsigten Re - gierungen gesänftiget wird, behält bey Asia -346 tischen Nationen immer einerley Charakter und bewegt sich beynahe in demselben Ver - lauf. Denn die geringen Unterschiede, welche des Menschen Staatswerth und Würde bezeichnen, sind bloſs von des Despoten persönlicher Gemüthsart abhängig und von dessen Macht, ja öfters mehr von dieser als jener. Kann doch kein Land zum Glück gedeihen, das fortwährend dem Krieg aus - gesetzt ist, wie es von der frühsten Zeit an das Schicksal aller östlichen schwäche - ren Königreiche gewesen. Daraus folgt daſs die gröſste Glückseligkeit, deren die Masse unter unumschränkter Herrschaft ge - nieſsen kann, sich aus der Gewalt und dem Ruf ihres Monarchen herschreibe, so wie das Wohlbehagen, worin sich dessen Un - terthanen einigermaſsen erfreuen, wesent - lich auf den Stolz begründet ist, zu dem ein solcher Fürst sie erhebt. “
„ Wir dürfen daher nicht bloſs an nie - drige und verkäufliche Gesinnungen denken, wenn die Schmeicheley uns auffällt, welche sie dem Fürsten erzeigen. Fühllos gegen den Werth der Freyheit, unbekannt mit allen übrigen Regierungsformen, rühmen sie347 ihren eigenen Zustand, worin es ihnen we - der an Sicherheit ermangelt noch an Beha - gen, und sind nicht allein willig, sondern stolz sich vor einem erhöhten Manne zu de - müthigen, wenn sie in der Gröſse seiner Macht Zuflucht finden und Schutz gegen gröſseres unterdrückendes Uebel. “
Gleichfalls läſst sich ein deutscher Re - censent geist - und kenntniſsreich also ver - nehmen:
„ Der Verfasser, allerdings Bewunderer des hohen Schwungs der Panegyriker dieses Zeitraums, tadelt zugleich mit Recht die sich im Ueberschwung der Lobpreisungen vergeudende Kraft edler Gemüther, und die Erniedrigung der Charakterwürde, welche dieſs gewöhnlich zur Folge hat. Allein es muſs gleichwohl bemerkt werden daſs in dem, in vielfachem Schmucke reicher Voll - endung aufgeführten, Kunstgebäude eines ächt poetischen Volkes panegyrische Dich - tung eben so wesentlich ist, als die satyri - sche, mit welcher sie nur den Gegensatz bildet, dessen Auflösung sich sodann ent - weder in der moralischen Dichtung, der ruhigen Richterin menschlicher Vorzüge348 und Gebrechen, der Führerin zum Ziele innerer Beruhigung, oder im Epos findet, welches mit unpartheyischer Kühnheit das Edelste menschlicher Trefflichkeit neben die nicht mehr getadelte, sondern als zum Gan - zen wirkende Gewöhnlichkeit des Lebens hinstellt, und beyde Gegensätze auflöst und zu einem reinen Bilde des Daseyns verei - nigt. Wenn es nämlich der menschlichen Natur gemäſs, und ein Zeichen ihrer höhe - ren Abkunft ist, daſs sie das Edle mensch - licher Handlungen, und jede höhere Voll - kommenheit mit Begeisterung erfaſst, und sich an deren Erwägung gleichsam das in - nere Leben erneuert, so ist die Lobprei - sung auch der Macht und Gewalt, wie sie in Fürsten sich offenbart, eine herrliche Erscheinung im Gebiete der Poesie, und bey uns, mit vollestem Rechte zwar, nur darum in Verachtung gesunken, weil die - jenigen, die sich derselben hingaben, mei - stens nicht Dichter, sondern nur feile Schmeichler gewesen. Wer aber, der Cal - deron seinen König preisen hört, mag hier, wo der kühnste Aufschwung der Phantasie ihn mit fortreiſst, an Käuflichkeit des Lo -349 bes denken? oder wer hat sein Herz noch gegen Pindars Siegeshymnen verwahren wol - len? Die despotische Natur der Herrscher - würde Persiens, wenn sie gleich in jener Zeit ihr Gegenbild in gemeiner Anbetung der Gewalt bey den meisten, welche Für - stenlob sangen, gefunden, hat dennoch durch die Idee verklärter Macht, die sie in edlen Gemüthern erzeugte, auch manche, der Be - wunderung der Nachwelt werthe Dichtun - gen hervorgerufen. Und wie die Dichter dieser Bewunderung noch heute werth sind, sind es auch diese Fürsten, bey welchen wir ächte Anerkennung der Würde des Menschen, und Begeisterung für die Kunst, welche ihr Andenken feyert, vorfinden. Enweri Chakani, Sahir Farjabi und Achestegi sind die Dichter dieses Zeit - raums im Fache der Panegyrik, deren Werke der Orient noch heute mit Entzücken liest, und so auch ihren edlen Namen vor jeder Verunglimpfung sicher stellt. Ein Beweis, wie nahe das Streben des panegyrischen Dichters an die höchste Forderung, die an den Menschen gestellt werden kann, gränze, ist der plötzliche Uebertritt eines dieser pa -350 negyrischen Dichter, Sanaji’s, zur reli - giösen Dichtung: aus dem Lobpreiser seines Fürsten ward er ein nur für Gott und die ewige Vollkommenheit begeisterter Sänger, nachdem er die Idee des Erhabenen, die er vorher im Leben aufzusuchen sich begnüg - te, nun jenseits dieses Daseyns zu finden gelernt hatte. “
Diese Betrachtungen zweyer ernsten, bedächtigen Männer werden das Urtheil über persische Dichter und Enkomiasten zur Milde bewegen, indem zugleich unsere früheren Aeuſserungen hiedurch bestätigt sind: in gefährlicher Zeit nämlich komme beym Regiment alles darauf an, daſs der Fürst nicht allein seine Unterthanen be - schützen, sondern sie auch persönlich ge - gen den Feind anführen könne. Zu dieser, bis auf die neusten Tage, sich bestätigenden Wahrheit lassen sich uralte Beyspiele fin -351 den; wie wir denn das Reichsgrundgesetz anführen, welches Gott dem israelitischen Volke, mit dessen allgemeiner Zustimmung, in dem Augenblick ertheilt, da es ein-für allemal einen König wünscht. Wir setzen diese Constitution, die uns freilich heut zu Tag etwas wunderlich scheinen möchte, wörtlich hieher.
„ Und Samuel verkündigte dem Volk das Recht des Königes den sie von dem Herrn forderten: das wird des Königes Recht seyn, der über euch herrschen wird: Eure Söhne wird er nehmen zu seinen Wagen und Reutern, die vor seinem Wagen her - traben, und zu Hauptleuten über Tausend und über Funfzig, und zu Ackerleuten, die ihm seinen Acker bauen, und zu Schnittern in seiner Erndte, und daſs sie seinen Har - nisch und was zu seinem Wagen gehört, machen. Eure Töchter aber wird er neh - men, daſs sie Apothekerinnen, Köchinnen und Beckerinnen seyn. Eure besten Äcker und Weinberge und Obstgärten wird er nehmen und seinen Knechten geben. Dazu von eurer Saat und Weinbergen wird er den Zehnden nehmen und seinen Kämme -352 rern und Knechten geben. Und eure Knechte und Mägde und eure feinesten Jünglinge, und eure Esel wird er nehmen und seine Geschäfte damit ausrichten. Von euren Heerden wird er den Zehenden nehmen: und ihr müsset seine Knechte seyn. “
Als nun Samuel dem Volk das Bedenk - liche einer solchen Uebereinkunft zu Ge - müthe führen und ihnen abrathen will, ruft es einstimmig: „ Mit nichten, sondern es soll ein König über uns seyn; daſs wir auch seyn wie alle andere Heiden, daſs uns un - ser König richte, und vor uns her ausziehe, wenn wir unsere Kriege führen. “
In diesem Sinne spricht der Perser:
Ueberhaupt pflegt man bey Beurthei - lung der verschiedenen Regierungsformen nicht genug zu beachten, daſs in allen, wie sie auch heiſsen, Freyheit und Knechtschaft zugleich polarisch existire. Steht die Ge - walt bey Einem, so ist die Menge unter - würfig, ist die Gewalt bey der Menge, so353 steht der Einzelne im Nachtheil; dieses geht denn durch alle Stufen durch, bis sich viel - leicht irgendwo ein Gleichgewicht, jedoch nur auf kurze Zeit, finden kann. Dem Ge - schichtsforscher ist es kein Geheimniſs; in bewegten Augenblicken des Lebens jedoch kann man darüber nicht ins Klare kommen. Wie man denn niemals mehr von Freyheit reden hört als wenn eine Parthey die andere unterjochen will und es auf weiter nichts angesehen ist, als daſs Gewalt, Einfluſs und Vermögen aus einer Hand in die andere ge - hen sollen. Freyheit ist die leise Parole heimlich Verschworner, das laute Feldge - schrey der öffentlich Umwälzenden, ja das Losungswort der Despotie selbst, wenn sie ihre unterjochte Masse gegen den Feind anführt, und ihr von auswärtigem Druck Erlösung auf alle Zeiten verspricht.
Doch so verfänglich-allgemeiner Be - trachtung wollen wir uns nicht hingeben, vielmehr in den Orient zurückwandern und schauen wie die menschliche Natur, die immer unbezwinglich bleibt, sich dem äuſsersten Druck entgegen setzt; und da finden wir denn überall daſs der Frey - und Eigensinn der Einzelnen sich gegen die Allgewalt des Einen ins Gleichgewicht stellt; sie sind Sclaven, aber nicht unterworfen, sie erlauben sich Kühnheiten ohne gleichen. Bringen wir ein Beyspiel aus den älteren Zeiten, begeben wir uns zu einem Abend - gelag in das Zelt Alexanders, dort treffen wir ihn mit den Seinigen in lebhaften, hef - tigen, ja wilden Wechselreden.
Clitus, Alexanders Milchbruder, Spiel - und Kriegsgefährte, verliert zwey Brüder im Felde, rettet dem König das Leben,355 zeigt sich als bedeutender General, treuer Statthalter wichtiger Provinzen. Die ange - maſste Gottheit des Monarchen kann er nicht billigen; er hat ihn herankommen se - hen, dienst - und hülfsbedürftig gekannt; einen innern hypochondrischen Widerwillen mag er nähren, seine Verdienste vielleicht zu hoch anschlagen.
Die Tischgespräche an Alexanders Ta - fel mögen immer von groſser Bedeutung ge - wesen seyn, alle Gäste waren tüchtige, ge - bildete Männer, alle zur Zeit des höchsten Rednerglanzes in Griechenland geboren. Gewöhnlich mochte man sich nüchterner Weise bedeutende Probleme aufgeben, wählen, oder zufällig ergreifen und solche sophistisch-rednerisch mit ziemlichem Be - wuſstseyn gegeneinander behaupten. Wenn denn aber doch ein jeder die Parthey ver - theidigte der er zugethan war, Trunk und Leidenschaft sich wechselsweise steigerten; so muſste es zuletzt zu gewaltsamen Scenen hinauslaufen. Auf diesem Wege begegnen wir der Vermuthung daſs der Brand von Persepolis nicht bloſs aus einer rohen, ab - surden Völlerey entglommen sey, vielmehr23 *356aus einem solchen Tischgespräch aufge - flammt, wo die eine Parthey behauptete, man müsse die Perser, da man sie einmal überwunden, auch nunmehr schonen, die andere aber, das schonungslose Verfahren der Asiaten in Zerstörung griechischer Tem - pel wieder vor die Seele der Gesellschaft führend, durch Steigerung des Wahnsinnes zu trunkener Wuth, die alten königlichen Denkmale in Asche verwandelte. Daſs Frauen mitgewirkt, welche immer die hef - tigsten, unversöhnlichsten Feinde der Feinde sind, macht unsere Vermuthung noch wahr - scheinlicher.
Sollte man jedoch hierüber noch eini - germaſsen zweifelhaft bleiben, so sind wir desto gewisser, was bey jenem Gelag, des - sen wir zuerst erwähnten, tödtlichen Zwie - spalt veranlaſst habe; die Geschichte be - wahrt es uns auf. Es war nämlich der im - mer sich wiederholende Streit zwischen dem Alter und der Jugend. Die Alten, auf deren Seite Clitus argumentirte, konnten sich auf eine folgerechte Reihe von Thaten berufen, die sie, dem König, dem Vaterland, dem einmal vorgesteckten Ziele getreu, unabläs -357 sig mit Kraft und Weisheit ausgeführt. Die Jugend hingegen nahm zwar als be - kannt an, daſs das alles geschehen, daſs viel gethan worden und daſs man wirklich an der Gränze von Indien sey; aber sie gab zu bedenken wie viel zu thun noch übrig bliebe, erbot sich das Gleiche zu leisten, und eine glänzende Zukunft versprechend, wuſste sie den Glanz geleisteter Thaten zu verdunkeln. Daſs der König sich auf diese Seite geschlagen ist natürlich, denn bey ihm konnte vom Geschehenen nicht mehr die Rede seyn. Clitus kehrte dagegen sei - nen heimlichen Unwillen heraus und wie - derholte, in des Königs Gegenwart, Miſsre - den, die dem Fürsten, als hinter seinem Rücken gesprochen, schon früher zu Ohren gekommen. Alexander hielt sich bewun - dernswürdig zusammen, doch leider zu lange. Clitus verging sich gränzenlos in widerwär - tigen. Reden, bis der König aufsprang, den seine Nächsten zuerst festhielten und Cli - tus bey Seite brachten. Dieser aber kehrt rasend mit neuen Schmähungen zurück, und Alexander stöſst ihn, den Spieſs von der Wache ergreifend, nieder.
358Was darauf erfolgt gehört nicht hier - her, nur bemerken wir, daſs die bitterste Klage des verzweiflenden Königs die Be - trachtung enthält, er werde künftig, wie ein Thier im Walde, einsam leben, weil niemand in seiner Gegenwart ein freyes Wort hervorzubringen wagen könne. Diese Rede, sie gehöre dem König oder dem Ge - schichtsschreiber, bestätigt dasjenige was wir oben vermuthet.
Noch im vorigen Jahrhunderte durfte man dem Kaiser von Persien bey Gastmalen unverschämt widersprechen, zuletzt wurde denn freylich der überkühne Tischgenosse bey den Füſsen weg und am Fürsten nah vor - bey geschleppt, ob dieser ihn vielleicht be - gnadige? Geschah es nicht, hinaus mit ihm und zusammengehauen.
Wie gränzenlos hartnäckig und wider - setzlich Günstlinge sich gegen den Kaiser betrugen, wird uns von glaubwürdigen Ge - schichtsschreibern anecdotenweis überliefert. Der Monarch ist wie das Schicksal, uner - bittlich, aber man trotzt ihm. Heftige Na - turen verfallen darüber in eine Art Wahn -359 sinn, wovon die wunderlichsten Beyspiele vorgelegt werden könnten.
Der obersten Gewalt jedoch, von der alles herflieſst, Wohlthat und Pein, unter - werfen sich mäſsige, feste, folgerechte Na - turen, um nach ihrer Weise zu leben und zu wirken. Der Dichter aber hat am er - sten Ursache sich dem Höchsten, der sein Talent schätzt, zu widmen. Am Hof, im Umgange mit Groſsen, eröffnet sich ihm eine Weltübersicht, deren er bedarf um zum Reichthum aller Stoffe zu gelangen. Hierin liegt nicht nur Entschuldigung, son - dern Berechtigung zu schmeicheln, wie es dem Panegyristen zukommt, der sein Hand - werk am besten ausübt, wenn er sich mit der Fülle des Stoffes bereichert, um Für - sten und Veziere, Mädchen und Knaben, Propheten und Heilige, ja zuletzt die Gott - heit selbst, menschlicher Weise überfüllt auszuschmücken.
Auch unsern westlichen Dichter loben wir, daſs er eine Welt von Putz und Pracht zusammengehäuft, um das Bild seiner Ge - liebten zu verherrlichen.
Die Besonnenheit des Dichters bezieht sich eigentlich auf die Form, den Stoff giebt ihm die Welt nur allzufreygebig, der Ge - halt entspringt freywillig aus der Fülle sei - nes Innern; bewuſstlos begegnen beyde ein - ander und zuletzt weiſs man nicht, wem eigentlich der Reichthum angehöre.
Aber die Form, ob sie schon vorzüg - lich im Genie liegt, will erkannt, will bedacht seyn, und hier wird Besonnenheit gefor - dert, daſs Form, Stoff und Gehalt sich zu einander schicken, sich in einander fügen, sich einander durchdringen.
Der Dichter steht viel zu hoch als daſs er Parthey machen sollte. Heiterkeit und Bewuſstseyn sind die schönen Gaben, für die er dem Schöpfer dankt: Bewuſstseyn, daſs er vor dem Furchtbaren nicht erschre - cke, Heiterkeit, daſs er alles erfreulich dar - zustellen wisse.
In der Arabischen Sprache wird man wenig Stamm - und Wurzelworte finden, die, wo nicht unmittelbar, doch mittelst geringer An - und Umbildung sich nicht auf Kameel, Pferd und Schaaf bezögen. Diesen allerersten Natur - und Lebensaus - druck dürfen wir nicht einmal tropisch nen - nen. Alles was der Mensch natürlich frey ausspricht sind Lebensbezüge; nun ist der Araber mit Kameel und Pferd so innig ver - wandt als Leib mit Seele, ihm kann nichts begegnen, was nicht auch diese Geschöpfe zugleich ergriffe und ihr Wesen und Wir - ken mit dem seinigen lebendig verbände. Denkt man zu den obengenannten noch an - dere Haus - und wilde Thiere hinzu, die dem frey umherziehenden Beduinen oft genug vors Auge kommen, so wird man auch diese in allen Lebensbeziehungen antreffen. Schrei - tet man nun so fort und beachtet alles übri - ge Sichtbare; Berg und Wüste, Felsen und362 Ebene, Bäume, Kräuter, Blumen, Fluſs und Meer und das vielgestirnte Firmament, so findet man daſs dem Orientalen bey al - lem alles einfällt, so daſs er, übers Kreuz das Fernste zu verknüpfen gewohnt, durch die geringste Buchstaben - und Silbenbiegung Widersprechendes aus einander herzuleiten kein Bedenken trägt. Hier sieht man daſs die Sprache schon an und für sich produc - tiv ist und zwar, in so fern sie dem Ge - danken entgegen kommt, rednerisch, in so fern sie der Einbildungskraft zusagt, poe - tisch.
Wer nun also, von den ersten noth - wendigen Ur-Tropen ausgehend, die freye - ren und kühneren bezeichnete, bis er end - lich zu den gewagtesten, willkührlichsten, ja zuletzt ungeschickten, conventionellen und abgeschmackten, gelangte, der hätte sich von den Hauptmomenten der orienta - lischen Dichtkunst eine freye Uebersicht verschafft. Er würde aber dabey sich leicht überzeugen, daſs von dem was wir Ge - schmack nennen, von der Sonderung näm - lich des Schicklichen vom Unschicklichen, in jener Literatur gar nicht die Rede seyn363 könne. Ihre Tugenden lassen sich nicht von ihren Fehlern trennen, beyde beziehen sich auf einander, entspringen aus einander und man muſs sie gelten lassen ohne Mä - ckeln und Markten. Nichts ist unerträgli - cher, als wenn Reiske und Michaelis jene Dichter bald in den Himmel heben, bald wieder wie einfältige Schulknaben be - handeln.
Dabey läſst sich jedoch auffallend be - merken, daſs die ältesten Dichter, die zu - nächst am Naturquell der Eindrücke lebten und ihre Sprache dichtend bildeten, sehr groſse Vorzüge haben müssen; diejenigen, die in eine schon durchgearbeitete Zeit, in verwickelte Verhältnisse kommen, zeigen zwar immer dasselbe Bestreben, verlieren aber allmählig die Spur des Rechten und Lobens - würdigen. Denn wenn sie nach entfernten und immer entfernteren Tropen haschen, so wird es baarer Unsinn, höchstens bleibt zuletzt nichts weiter als der allgemeinste Begriff, unter welchem die Gegenstände allenfalls möchten zusammen zu fassen seyn, der Begriff der alles Anschauen, und somit die Poesie selbst aufhebt.
Weil nun alles Vorgesagte auch von den nahe verwandten Gleichnissen gilt, so wäre durch einige Beyspiele unsere Behaup - tung zu bestätigen.
Man sieht den im freyen Felde auf - wachenden Jäger, der die aufgehende Sonne einem Falken vergleicht:
Oder noch prächtiger einem Löwen:
Wie muſs nicht Marko Polo, der alles dieses und mehr geschaut, solche Gleichnisse bewundert haben!
365Unaufhörlich finden wir den Dichter wie er mit Locken spielt.
ist höchst lieblich an ein schönes locken - reiches Haupt gerichtet, die Einbildungs - kraft hat nichts dawider sich die Haarspi - tzen hakenartig zu denken. Wenn aber der Dichter sagt, daſs er an Haaren aufge - hängt sey, so will es uns nicht recht ge - fallen. Wenn es nun aber gar vom Sultan heiſst:
so giebt es der Einbildungskraft entweder ein widerlich Bild oder gar keins.
Daſs wir von Wimpern gemordet werden, möchte wohl angehn, aber an Wimpern gespieſst seyn, kann uns nicht behagen; wenn ferner Wimpern, gar mit Besen verglichen, die Sterne vom Himmel herabkehren, so wird es uns doch zu bunt. Die Stirn der Schönen als Glättstein der Herzen; das Herz des Liebenden als Ge -366 schiebe von Thränenbächen fortgerollt und abgerundet; dergleichen mehr witzige als gefühlvolle Wagnisse nöthigen uns ein freundliches Lächeln ab.
Höchst geistreich aber kann genannt werden, wenn der Dichter die Feinde des Schachs wie Zeltenbehör behandelt wis - sen will.
Hier sieht man den Dichter im Haupt - quartier; das immer wiederholte Ab - und Aufschlagen des Lagers schwebt ihm vor der Seele.
Aus diesen wenigen Beyspielen, die man ins Unendliche vermehren könnte, erhellet, daſs keine Gränze zwischen dem was in unserm Sinne lobenswürdig und tadelhaft heiſsen möchte gezogen werden könne, weil ihre Tugenden ganz eigentlich die Blüthen ihrer Fehler sind. Wollen wir an diesen Productionen der herrlichsten Geister Theil nehmen, so müssen wir uns orienta -367 lisiren, der Orient wird nicht zu uns her - über kommen. Und obgleich Uebersetzun - gen höchst löblich sind um uns anzulocken, einzuleiten, so ist doch aus allem Vorigen ersichtlich, daſs in dieser Literatur die Spra - che als Sprache die erste Rolle spielt. Wer möchte sich nicht mit diesen Schätzen an der Quelle bekannt machen!
Bedenken wir nun daſs poetische Tech - nik den gröſsten Einfluſs auf jede Dich - tungsweise nothwendig ausübe; so finden wir auch hier daſs die zweyzeilig gereim - ten Verse der Orientalen einen Parallelis - mus fordern, welcher aber, statt den Geist zu sammeln, selben zerstreut, indem der Reim auf ganz fremdartige Gegenstände hin - weist. Dadurch erhalten ihre Gedichte einen Anstrich von Quodlibet, oder vorgeschrie - benen Endreimen, in welcher Art etwas Vorzügliches zu leisten freilich die ersten Talente gefordert werden. Wie nun hier - über die Nation streng geurtheilt hat, sieht man daran, daſs sie in fünf hundert Jahren nur sieben Dichter als ihre Obersten aner - kennt.
Auf alles was wir bisher geäuſsert kön - nen wir uns wohl berufen, als Zeugniſs besten Willens gegen orientalische Dicht - kunst. Wir dürfen es daher wohl wagen, Männern, denen eigentlich nähere ja un - mittelbare Kenntniſs dieser Regionen ge - gönnt ist, mit einer Warnung entgegen zu gehen, welche den Zweck allen möglichen Schaden von einer so guten Sache abzu - wenden nicht verläugnen wird.
Jedermann erleichtert sich durch Ver - gleichung das Urtheil, aber man erschwert sich’s auch: denn wenn ein Gleichniſs, zu weit durchgeführt, hinkt, so wird ein ver - gleichendes Urtheil immer unpassender, je genauer man es betrachtet. Wir wollen uns nicht zu weit verlieren, sondern im gegenwärtigen Falle nur so viel sagen: wenn der vortreffliche Jones die orientalischen369 Dichter mit Lateinern und Griechen ver - gleicht, so hat er seine Ursachen, das Ver - hältniſs zu England und den dortigen Alt - kritikern nöthigt ihn dazu. Er selbst, in der strengen classischen Schule gebildet, begriff wohl das ausschlieſsende Vorurtheil, das nichts wollte gelten lassen als was von Rom und Athen her auf uns vererbt wor - den. Er kannte, schätzte, liebte seinen Orient und wünschte dessen Productionen in Alt-England einzuführen, einzuschwär - zen, welches nicht anders als unter dem Stempel des Alterthums zu bewirken war. Dieses alles ist gegenwärtig ganz unnöthig, ja schädlich. Wir wissen die Dichtart der Orientalen zu schätzen, wir gestehen ihnen die gröſsten Vorzüge zu, aber man ver - gleiche sie mit sich selbst, man ehre sie in ihrem eignen Kreise, und vergesse doch dabey daſs es Griechen und Römer gegeben.
Niemanden verarge man, welchem Ho - raz bey Hafis einfällt. Hierüber hat ein Kenner sich bewundrungswürdig erklärt, so daſs dieses Verhältniſs nunmehr ausge - sprochen und für immer abgethan ist. Er sagt nämlich:
24370„ Die Aehnlichkeit Hafisens mit Horaz in den Ansichten des Lebens ist auffallend, und möchte einzig nur durch die Aehnlich - keit der Zeitalter, in welchen beyde Dich - ter gelebt, wo, bey Zerstörung aller Sicher - heit des bürgerlichen Daseyns, der Mensch sich auf flüchtigen, gleichsam im Vorüber - gehen gehaschten Genuſs des Lebens be - schränkt, zu erklären seyn. “
Was wir aber inständig bitten ist, daſs man Firdusi nicht mit Homer vergleiche, weil er in jedem Sinne, dem Stoff, der Form, der Behandlung nach, verlieren muſs. Wer sich hiervon überzeugen will verglei - che die furchtbare Monotonie der sieben Abenteuer des Isfendiar mit dem drey und zwanzigsten Gesang der Ilias, wo, zur Tod - tenfeyer Patroklos, die mannigfaltigsten Preise, von den verschiedenartigsten Helden, auf die verschiedenste Art gewonnen wer - den. Haben wir Deutsche nicht unsern herrlichen Niebelungen durch solche Ver - gleichung den gröſsten Schaden gethan? So höchst erfreulich sie sind, wenn man sich in ihren Kreis recht einbürgert und alles vertraulich und dankbar aufnimmt, so wun -371 derlich erscheinen sie, wenn man sie nach einem Maſsstabe miſst, den man niemals bey ihnen anschlagen sollte.
Es gilt ja schon dasselbe von dem Wer - ke eines einzigen Autors, der viel, mannig - faltig und lange geschrieben. Ueberlasse man doch der gemeinen unbehülflichen Menge vergleichend zu loben, zu wählen und zu verwerfen. Aber die Lehrer des Volks müssen auf einen Standpunct treten, wo eine allgemeine deutliche Uebersicht rei - nem unbewundenen Urtheil zu statten kommt.
Da wir nun so eben bey dem Urtheil über Schriftsteller alle Vergleichung abge - lehnt, so möchte man sich wundern, wenn wir unmittelbar darauf von einem Falle sprechen, in welchem wir sie zulässig fin - den. Wir hoffen jedoch daſs man uns diese Ausnahme darum erlauben werde, weil der Gedanke nicht uns, vielmehr einem dritten angehört.
Ein Mann, der des Orients Breite, Hö - hen und Tiefen durchdrungen, findet daſs kein deutscher Schriftsteller sich den östli - chen Poeten und sonstigen Verfassern mehr als Jean Paul Richter genähert habe; dieser Ausspruch schien zu bedeutend, als daſs wir ihm nicht gehörige Aufmerksam - keit hätten widmen sollen; auch können wir unsere Bemerkungen darüber um so leichter mittheilen, als wir uns nur auf das oben weitläufig Durchgeführte beziehen dürfen.
373Allerdings zeugen, um von der Per - sönlichkeit anzufangen, die Werke des ge - nannten Freundes von einem verständigen, umschauenden, einsichtigen, unterrichteten, ausgebildeten und dabey wohlwollenden, frommen Sinne. Ein so begabter Geist blickt, nach eigentlichst orientalischer Wei - se, munter und kühn in seiner Welt um - her, erschafft die seltsamsten Bezüge, ver - knüpft das Unverträgliche, jedoch derge - stalt daſs ein geheimer ethischer Faden sich mitschlinge, wodurch das Ganze zu einer gewissen Einheit geleitet wird.
Wenn wir nun vor kurzem die Natur - Elemente, woraus die älteren und vorzüg - lichsten Dichter des Orients ihre Werke bildeten, angedeutet und bezeichnet, so werden wir uns deutlich erklären, indem wir sagen: daſs, wenn jene in einer frischen, einfachen Region gewirkt, dieser Freund hingegen in einer ausgebildeten, überbilde - ten, verbildeten, vertrakten Welt leben und wirken, und eben daher sich anschi - cken muſs die seltsamsten Elemente zu be - herrschen. Um nun den Gegensatz zwischen der Umgebung eines Beduinen und unseres374 Autors mit wenigem anschaulich zu machen, ziehen wir aus einigen Blättern die bedeu - tendsten Ausdrücke:
Barrierren-Traktat, Extrablätter, Car - dinäle, Nebenreceſs, Billard, Bierkrüge, Reichsbänke, Sessionsstühle, Prinzipalcom - missarius, Enthusiasmus, Zepter-Queue, Bruststücke, Eichhornbauer, Agioteur, Schmutzfink, Incognito, Kolloquia, kano - nischer Billardsack, Gypsabdruck, Avance - ment, Hüttenjunge, Naturalisations-Acte, Pfingstprogram, Maurerisch, Manual-Pan - tomine, Amputirt, Supranumerar, Bijou - teriebude, Sabbaterweg u. s. f.
Wenn nun diese sämmtlichen Ausdrü - cke einem gebildeten deutschen Leser be - kannt sind, oder durch das Conversations - Lexicon bekannt werden können, gerade wie dem Orientalen die Auſsenwelt durch Handels - und Wallfahrts-Caravanen; so dürfen wir kühnlich einen ähnlichen Geist für berechtigt halten dieselbe Verfahrungs - Art auf einer völlig verschiednen Unterlage walten zu lassen.
Gestehen wir also unserm so geschätz - ten als fruchtbaren Schriftsteller zu, daſs375 er, in späteren Tagen lebend, um in seiner Epoche geistreich zu seyn, auf einen, durch Kunst, Wissenschaft, Technik, Politik, Kriegs - und Friedensverkehr und Verderb so unendlich verklausulirten, zersplitterten Zustand mannigfaltigst anspielen müsse; so glauben wir ihm die zugesprochene Orien - talität genugsam bestätigt zu haben.
Einen Unterschied jedoch, den eines poetischen und prosaischen Verfahrens, he - ben wir hervor. Dem Poeten, welchem Takt, Paralell-Stellung, Sylbenfall, Reim die gröſsten Hindernisse in den Weg zu le - gen scheinen, gereicht alles zum entschie - densten Vortheil, wenn er die Räthselkno - ten glücklich löst, die ihm aufgegeben sind, oder die er sich selbst aufgiebt; die kühn - ste Metapher verzeihen wir wegen eines unerwarteten Reims und freuen uns der Besonnenheit des Dichters, die er, in einer so nothgedrungenen Stellung, behauptet.
Der Prosaist hingegen hat die Ellebo - gen gänzlich frey und ist für jede Verwe - genheit verantwortlich, die er sich erlaubt; alles was den Geschmack verletzen könnte kommt auf seine Rechnung. Da nun aber,376 wie wir umständlich nachgewiesen, in einer solchen Dicht - und Schreibart das Schick - liche vom Unschicklichen abzusondern un - möglich ist; so kommt hier alles auf das Individuum an, das ein solches Wagstück unternimmt. Ist es ein Mann, wie Jean Paul, als Talent von Werth, als Mensch von Würde, so befreundet sich der angezogene Leser sogleich; alles ist erlaubt und will - kommen. Man fühlt sich in der Nähe des wohldenkenden Mannes behaglich, sein Ge - fühl theilt sich uns mit. Unsere Einbil - dungskraft erregt er, schmeichelt unseren Schwächen und festiget unsere Stärken.
Man übt seinen eigenen Witz, indem man die wunderlich aufgegebenen Räthsel zu lösen sucht und freut sich in und hin - ter einer buntverschränkten Welt, wie hin - ter einer andern Charade, Unterhaltung, Erregung, Rührung, ja Erbauung zu finden.
Dieſs ist ohngefähr was wir vorzubrin - gen wuſsten, um jene Vergleichung zu rech - fertigen; Uebereinstimmung und Differenz trachteten wir so kurz als möglich auszu - drücken; ein solcher Text könnte zu einer gränzenlosen Auslegung verführen.
Wenn jemand Wort und Ausdruck als heilige Zeugnisse betrachtet und sie nicht etwa, wie Scheidemünze oder Papiergeld, nur zu schnellem augenblicklichen Verkehr bringen, sondern im geistigen Handel und Wandel als wahres Aequivalent ausgetauscht wissen will; so kann man ihm nicht ver - übeln daſs er aufmerksam macht, wie her - kömmliche Ausdrücke, woran niemand mehr Arges hat, doch einen schädlichen Einfluſs verüben, Ansichten verdüstern, den Begriff entstellen und ganzen Fächern eine falsche Richtung geben.
Von der Art möchte wohl der einge - führte Gebrauch seyn daſs man den Titel: schöne Redekünste, als allgemeine Rubrik behandelt, unter welcher man Poe - sie und Prosa begreifen und eine neben der andern, ihren verschiedenen Theilen nach, aufstellen will.
378Poesie ist, rein und ächt betrachtet, weder Rede noch Kunst; keine Rede, weil sie zu ihrer Vollendung Takt, Gesang, Körperbewegung und Mimik bedarf; sie ist keine Kunst, weil alles auf dem Naturell beruht, welches zwar geregelt, aber nicht künstlerisch geängstiget werden darf; auch bleibt sie immer wahrhafter Ausdruck eines aufgeregten erhöhten Geistes, ohne Ziel und Zweck.
Die Redekunst aber, im eigentlichen Sinne, ist eine Rede und eine Kunst; sie beruht auf einer deutlichen, mäſsig leiden - schaftlichen Rede, und ist Kunst in jedem Sinne. Sie verfolgt ihre Zwecke und ist Verstellung vom Anfang bis zu Ende. Durch jene von uns gerügte Rubrik ist nun die Poesie entwürdigt, indem sie der Redekunst bey - wo nicht untergeordnet wird, Namen und Ehre von ihr ableitet.
Diese Benennung und Eintheilung hat freylich Beyfall und Platz gewonnen, weil höchst schätzenswerthe Bücher sie an der Stirne tragen, und schwer möchte man sich derselben sobald entwöhnen. Ein solches Verfahren kommt aber daher, weil man,379 bey Classification der Künste, den Künstler nicht zu Rathe zieht. Dem Literator kom - men die poetischen Werke zuerst als Buch - staben in die Hand, sie liegen als Bücher vor ihm, die er aufzustellen und zu ordnen berufen ist.
Allegorie, Ballade, Cantate, Drama, Elegie, Epigramm, Epistel, Epopee, Er - zählung, Fabel, Heroide, Idylle, Lehrge - dicht, Ode, Parodie, Roman, Romanze, Satyre.
Wenn man vorgemeldete Dichtarten, die wir alphabetisch zusammengestellt, und noch mehrere dergleichen, methodisch zu ordnen versuchen wollte, so würde man auf groſse, nicht leicht zu beseitigende Schwie - rigkeiten stoſsen. Betrachtet man obige Rubriken genauer, so findet man daſs sie bald nach äuſseren Kennzeichen, bald nach380 dem Inhalt, wenige aber einer wesentlichen Form nach benamst sind. Man bemerkt schnell daſs einige sich neben einander stel - len, andere sich andern unterordnen lassen. Zu Vergnügen und Genuſs möchte jede wohl für sich bestehen und wirken, wenn man aber, zu didaktischen oder historischen Zwecken, einer rationelleren Anordnung bedürfte, so ist es wohl der Mühe werth sich nach einer solchen umzusehen. Wir brin - gen daher Folgendes der Prüfung dar.
Es giebt nur drey ächte Naturformen der Poesie: die klar erzählende, die enthu - siastisch aufgeregte und die persönlich han - delnde: Epos, Lyrik und Drama. Diese drey Dichtweisen können zusammen oder abgesondert wirken. In dem kleinsten Ge - dicht findet man sie oft beysammen, und sie bringen eben durch diese Vereinigung im engsten Raume das herrlichste Gebild hervor, wie wir an den schätzenswerthe - sten Balladen aller Völker deutlich gewahr werden. Im älteren griechischen Trauer - spiel sehen wir sie gleichfalls alle drey ver - bunden und erst in einer gewissen Zeit - folge sondern sie sich. So lange der Chor die Hauptperson spielt zeigt sich Lyrik oben an, wie der Chor mehr Zuschauer wird treten die andern hervor, und zuletzt wo die Handlung sich persönlich und häus - lich zusammenzieht, findet man den Chor382 unbequem und lästig. Im französischen Trauerspiel ist die Exposition episch, die Mitte dramatisch und den fünften Act, der leidenschaftlich und enthusiastisch ausläuft, kann man lyrisch nennen.
Das Homerische Heldengedicht ist rein episch; der Rhapsode waltet immer vor, was sich ereignet erzählt er; niemand darf den Mund aufthun, dem er nicht vorher das Wort verliehen, dessen Rede und Ant - wort er nicht angekündigt. Abgebrochene Wechselreden, die schönste Zierde des Dra - ma’s, sind nicht zulässig.
Höre man aber nun den modernen Im - provisator auf öffentlichem Markte, der ei - nen geschichtlichen Gegenstand behandelt; er wird, um deutlich zu seyn, erst erzäh - len, dann, um Interesse zu erregen, als han - delnde Person sprechen, zuletzt enthusia - stisch auflodern und die Gemüther hinrei - ſsen. So wunderlich sind diese Elemente zu verschlingen, die Dichtarten bis ins Un - endliche mannigfaltig; und deſshalb auch so schwer eine Ordnung zu finden, wor - nach man sie neben oder nach einander auf - stellen könnte. Man wird sich aber eini -383 germaſsen dadurch helfen daſs man die drey Hauptelemente in einem Kreis gegen einander überstellt und sich Musterstücke sucht, wo je - des Element einzeln obwaltet. Alsdann sammle man Beyspiele die sich nach der einen oder nach der andern Seite hinneigen, bis endlich die Vereinigung von allen dreyen erscheint und somit der ganze Kreis in sich geschlossen ist.
Auf diesem Wege gelangt man zu schönen Ansichten, sowohl der Dichtarten, als des Charakters der Nationen und ihres Geschmacks in einer Zeitfolge. Und ob - gleich diese Verfahrungsart mehr zu eigner Belehrung, Unterhaltung und Maſsregel, als zum Unterricht anderer geeignet seyn mag, so wäre doch vielleicht ein Schema aufzustellen, welches zugleich die äuſseren zufälligen Formen und diese inneren noth - wendigen Uranfänge in faſslicher Ordnung darbrächte. Der Versuch jedoch wird im - mer so schwierig seyn als in der Natur - kunde das Bestreben den Bezug auszufinden der äuſseren Kennzeichen von Mineralien und Pflanzen zu ihren inneren Bestandthei - len, um eine naturgemäſse Ordnung dem Geiste darzustellen.
Höchst merkwürdig ist daſs die Persische Poesie kein Drama hat. Hätte ein drama - tischer Dichter aufstehen können, ihre ganze Literatur müſste ein anderes Ansehn gewonnen haben. Die Nation ist zur Ruhe geneigt, sie läſst sich gern etwas vorerzäh - len, daher die Unzahl Mährchen und die gränzenlosen Gedichte. So ist auch sonst das orientalische Leben an sich selbst nicht gesprächig; der Despotismus befördert keine Wechselreden und wir finden daſs eine jede Einwendung gegen Willen und Befehl des Herrschers allenfalls nur in Citaten des Korans und bekannter Dichterstellen her - vortritt, welches aber zugleich einen geist - reichen Zustand, Breite, Tiefe und Conse - quenz der Bildung voraussetzt. Daſs je - doch der Orientale die Gesprächsform so wenig als ein anderes Volk entbehren mag,385 sieht man an der Hochschätzung der Fabeln des Bidpai, der Wiederholung, Nachahmung und Fortsetzung derselben. Die Vögelge - spräche des Ferideddin Attar geben hievon gleichfalls das schönste Beyspiel.
Der in jedem Tag düster befangene, nach einer aufgehellten Zukunft sich um - schauende Mensch greift begierig nach Zu - fälligkeiten, um irgend eine weissagende Andeutung aufzuhaschen. Der Unentschlos - sene findet nur sein Heil im Entschluſs, dem Ausspruch des Looses sich zu unter - werfen. Solcher Art ist die überall her - kömmliche Orakelfrage an irgend ein be - deutendes Buch, zwischen dessen Blätter man eine Nadel versenkt und die dadurch bezeich - nete Stelle beym Aufschlagen gläubig beach - tet. Wir waren früher mit Personen genau verbunden, welche sich auf diese Weise bey der Bibel, dem Schatzkästlein und ähnlichen25386Erbauungswerken zutraulich Raths erholten und mehrmals in den gröſsten Nöthen Trost, ja Bestärkung fürs ganze Leben gewannen.
Im Orient finden wir diese Sitte gleich - falls in Uebung, sie wird Fal genannt und die Ehre derselben begegnete Hafisen gleich nach seinem Tode. Denn als die Streng - gläubigen ihn nicht feyerlich beerdigen wollten, befragte man seine Gedichte, und als die bezeichnete Stelle seines Grabes er - wähnt, das die Wanderer dereinst vereh - ren würden, so folgerte man daraus daſs er auch müsse ehrenvoll begraben werden. Der westliche Dichter spielt ebenfalls auf diese Gewohnheit an und wünscht daſs sei - nem Büchlein gleiche Ehre wiederfahren möge.
Um nicht zu viel Gutes von der soge - nannten Blumensprache zu denken, oder etwas Zartgefühltes davon zu erwarten, müssen wir uns durch Kenner belehren las - sen. Man hat nicht etwa einzelnen Blumen Bedeutung gegeben, um sie im Strauſs als Geheimschrift zu überreichen, und es sind nicht Blumen allein, die bey einer solchen stummen Unterhaltung Wort und Buchsta - ben bilden, sondern alles Sichtbare, Trans - portable wird mit gleichem Rechte ange - wendet.
Doch wie das geschehe, um eine Mit - theilung, einen Gefühl - und Gedankenwech - sel hervorzubringen, dieses können wir uns nur vorstellen, wenn wir die Haupteigenschaf - ten orientalischer Poesie vor Augen haben: den weit umgreifenden Blick über alle25 *388Welt-Gegenstände, die Leichtigkeit zu rei - men, sodann aber eine gewisse Lust und Richtung der Nation Räthsel aufzugeben, wodurch sich zugleich die Fähigkeit aus - bildet Räthsel aufzulösen, welches denje - nigen deutlich seyn wird, deren Talent sich dahin neigt Charaden, Logogryphen und dergleichen zu behandeln.
Hiebey ist nun zu bemerken: wenn ein Liebendes dem Geliebten irgend einen Ge - genstand zusendet, so muſs der Empfan - gende sich das Wort aussprechen, und suchen was sich darauf reimt, sodann aber ausspähen, welcher unter den vielen möglichen Reimen für den gegenwärtigen Zustand passen möchte? Daſs hiebey eine leidenschaftliche Divination obwalten müs - se, fällt sogleich in die Augen. Ein Bey - spiel kann die Sache deutlich machen und so sey folgender kleine Roman in einer sol - chen Correspondenz durchgeführt.
Amarante | Ich sah und brannte. |
Raute | Wer schaute? |
Haar vom Tiger | Ein kühner Krieger. |
Haar der Gazelle | An welcher Stelle? |
Büschel von Haaren | Du sollt’s erfahren. |
Kreide | Meide. |
Stroh | Ich brenne lichterloh. |
Trauben | Will’s erlauben. |
Corallen | Kannst mir gefallen. |
Mandelkern | Sehr gern. |
Rüben | Willst mich betrüben. |
Carotten | Willst meiner spotten. |
Zwiebeln | Was willst du grübeln. |
Trauben, die weiſsen | Was soll das heiſsen? |
Trauben, die blauen | Soll ich vertrauen? |
Quecken | Du willst mich necken. |
Nelken | Soll ich verwelken! |
Narzissen | Du muſst es wissen. |
Veilchen | Wart’ ein Weilchen. |
Kirschen | Willst mich zerknirschen. |
Feder vom Raben | Ich muſs dich haben. |
Vom Papageyen | Muſst mich befreyen. |
Marronen | Wo wollen wir wohnen? |
Bley | Ich bin dabey. |
Rosenfarb | Die Freude starb. |
Seide | Ich leide. |
Bohnen | Will dich schonen. |
Majoran | Geht mich nichts an. |
Blau | Nimm’s nicht genau. |
Traube | Ich glaube. |
Behren | Will’s verwehren. |
Feigen | Kannst du schweigen? |
Gold | Ich bin dir hold. |
Leder | Gebrauch die Feder. |
Papier | So bin ich dir. |
Maslieben | Schreib nach Belieben. |
Nacht-Violen | Ich laſs es holen. |
Ein Faden | Bist eingeladen. |
Ein Zweig | Mach keinen Streich. |
Straus | Ich bin zu Haus. |
Winden | Wirst mich finden. |
Myrthen | Will dich bewirthen. |
Jasmin | Nimm mich hin. |
Melissen | *** auf einem Kissen. |
Cypressen | Will’s vergessen. |
Bohnenblüthe | Du falsch Gemüthe. |
Kalk | Bist ein Schalk. |
Kohlen | Mag der *** dich holen. |
Vorstehende seltsame Mittheilungsart wird sehr bald unter lebhaften, einander gewogenen Personen auszuüben seyn. So - bald der Geist eine solche Richtung nimmt thut er Wunder. Zum Beleg aus manchen Geschichten nur Eine.
Zwey liebende Paare machen eine Lust - fahrt von einigen Meilen, bringen einen frohen Tag mit einander zu; auf der Rück - kehr unterhalten sie sich Charaden aufzu - geben. Gar bald wird nicht nur eine jede, wie sie vom Munde kommt, sogleich er - rathen, sondern zuletzt sogar das Wort,392 das der andere denkt und eben zum Wort - räthsel umbilden will, durch die unmittel - barste Divination erkannt und ausgespro - chen.
Indem man dergleichen zu unsern Zei - ten erzählt und betheuert, darf man nicht fürchten lächerlich zu werden, da solche psychische Erscheinungen noch lange nicht an dasjenige reichen, was der organische Magnetismus zu Tage gebracht hat.
Eine andere Art aber sich zu verstän - digen ist geistreich und herzlich! Wenn bey der vorigen Ohr und Witz im Spiele war, so ist es hier ein zartliebender, ästhe - tischer Sinn, der sich der höchsten Dich - tung gleich stellt.
Im Orient lernte man den Koran aus - wendig und so gaben die Suren und Verse, durch die mindeste Anspielung, ein leichtes Verständniſs unter den Geübten. Das Glei -393 che haben wir in Deutschland erlebt, wo vor funfzig Jahren die Erziehung dahin ge - richtet war, die sämmtlichen Heranwach - senden bibelfest zu machen; man lernte nicht allein bedeutende Sprüche auswendig, sondern erlangte zugleich von dem übrigen genugsame Kenntniſs. Nun gab es mehrere Menschen, die eine groſse Fertigkeit hatten auf alles was vorkam biblische Sprüche an - zuwenden und die heilige Schrift in der Conversation zu verbrauchen. Nicht zu läugnen ist, daſs hieraus die witzigsten, anmuthigsten Erwiederungen entstanden, wie denn noch heutiges Tags gewisse ewig anwendbare Hauptstellen hie und da im Ge - spräch vorkommen.
Gleicherweise bedient man sich classi - scher Worte, wodurch wir Gefühl und Er - eigniſs als ewig wiederkehrend bezeichnen und aussprechen.
Auch wir vor funfzig Jahren, als Jüng - linge, die einheimischen Dichter vereh - rend, belebten das Gedächtniſs durch ihre Schriften und erzeigten ihnen den schön - sten Beyfall, indem wir unsere Gedanken durch ihre gewählten und gebildeten Worte394 ausdrückten und dadurch eingestanden daſs sie besser als wir unser Innerstes zu ent - falten gewuſst.
Um aber zu unserm eigentlichen Zweck zu gelangen, erinnern wir an eine, zwar wohlbekannte, aber doch immer geheim - niſsvolle Weise, sich in Chiffern mitzuthei - len. Wenn nämlich zwey Personen, die ein Buch verabreden und indem sie Seiten - und Zeilenzahl zu einem Briefe verbinden, gewiſs sind, daſs der Empfänger mit ge - ringem Bemühen den Sinn zusammen finden werde.
Das Lied, welches wir mit der Rubrik Chiffer bezeichnet, will auf eine solche Verabredung hindeuten. Liebende werden einig Hafisens Gedichte zum Werkzeug ih - res Gefühlwechsels zu legen; sie bezeich - nen Seite und Zeile die ihren gegenwärti - gen Zustand ausdrückt, und so entstehen zusammengeschriebene Lieder vom schön - sten Ausdruck; herrliche zerstreute Stellen des unschätzbaren Dichters werden durch Leidenschaft und Gefühl verbunden, Nei - gung und Wahl verleihen dem Ganzen ein inneres Leben und die Entfernten finden395 ein tröstliches Ergeben, indem sie ihre Trauer mit Perlen seiner Worte schmücken.
Man hat in Deutschland zu einer ge - wissen Zeit manche Druckschriften vertheilt, als Manuscript für Freunde. Wem dieses befremdlich seyn könnte, der bedenke daſs doch am Ende jedes Buch nur für Theilnehmer, für Freunde, für Liebhaber des Verfassers geschrieben sey. Meinen Divan besonders möcht’ ich also bezeich - nen, dessen gegenwärtige Ausgabe nur als unvollkommen betrachtet werden kann. In jüngeren Jahren würd’ ich ihn länger zurück - gehalten haben, nun aber find’ ich es vor - theilhafter ihn selbst zusammenzustellen, als ein solches Geschäft, wie Hafis, den Nach -397 kommen zu hinterlassen. Denn eben daſs dieses Büchlein so da steht, wie ich es jetzt mittheilen konnte, erregt meinen Wunsch ihm die gebührende Vollständigkeit nach und nach zu verleihen. Was davon allen - falls zu hoffen seyn möchte, will ich Buch für Buch der Reihe nach andeuten.
Buch des Dichters. Hierin, wie es vorliegt, werden lebhafte Eindrücke man - cher Gegenstände und Erscheinungen auf Sinnlichkeit und Gemüth enthusiastisch aus - gedrückt und die näheren Bezüge des Dich - ters zum Orient angedeutet. Fährt er auf diese Weise fort, so kann der heitere Gar - ten aufs anmuthigste verziert werden; aber höchst erfreulich wird sich die Anlage er - weitern, wenn der Dichter nicht von sich und aus sich allein handeln wollte, viel - mehr auch seinen Dank, Gönnern und Freunden zu Ehren, ausspräche, um die Lebenden mit freundlichem Wort fest zu halten, die Abgeschiedenen ehrenvoll wie - der zurück zu rufen.
Hiebey ist jedoch zu bedenken, daſs der orientalische Flug und Schwung, jene reich und übermäſsig lobende Dichtart, dem Ge -398 fühl des Westländers vielleicht nicht zusagen möchte. Wir ergehen uns hoch und frey, ohne zu Hyperbeln unsre Zuflucht zu neh - men: denn wirklich nur eine reine, wohl - gefühlte Poesie vermag allenfalls die eigent - lichsten Vorzüge trefflicher Männer auszu - sprechen, deren Vollkommenheiten man erst recht empfindet, wenn sie dahin gegangen sind; wenn ihre Eigenheiten uns nicht mehr stören und das Eingreifende ihrer Wirkun - gen uns noch täglich und stündlich vor Augen tritt. Einen Theil dieser Schuld hatte der Dichter vor kurzem, bey einem herrlichen Feste in Allerhöchster Gegenwart, das Glück nach seiner Weise gemüthlich abzutragen.
Das Buch Hafis. Wenn alle dieje - nigen, welche sich der arabischen und ver - wandter Sprachen bedienen, schon als Poe - ten geboren und erzogen werden, so kann man sich denken daſs unter einer solchen Nation vorzügliche Geister ohne Zahl her - vorgehen. Wenn nun aber ein solches Volk in fünfhundert Jahren nur sieben Dichtern den ersten Rang zugesteht, so müssen wir einen solchen Ausspruch zwar mit Ehrfurcht399 annehmen, allein es wird uns zugleich vergönnt seyn nachzuforschen, worin ein solcher Vorzug eigentlich begründet seyn könne.
Diese Aufgabe in sofern es möglich ist zu lösen, möchte wohl auch dem künftigen Divan vorbehalten seyn. Denn, um nur von Hafis zu reden, wächst Bewunderung und Neigung gegen ihn, jemehr man ihn kennen lernt. Das glücklichste Naturell, groſse Bildung, freye Facilität und die reine Ueberzeugung daſs man den Menschen nur alsdann behagt, wenn man ihnen vorsingt was sie gern, leicht und bequem hören, wobey man ihnen denn auch etwas Schwe - res, Schwieriges, Unwillkommenes gele - gentlich mit unterschieben darf. Wenn Kenner im nachstehenden Liede Hafisens Bild einigermaſsen erblicken wollen, so würde den Westländer dieser Versuch ganz besonders erfreuen.
400Buch der Liebe würde sehr an - schwellen, wenn sechs Liebespaare in ihren Freuden und Leiden entschiedener aufträ - ten und noch andere neben ihnen aus der düsteren Vergangenheit mehr oder weniger klar hervorgingen. Wamik und Asra z. B. von denen sich auſser den Namen keine weitere Nachricht findet, könnten folgender - maſsen eingeführt werden:
401[403]Nicht weniger ist dieses Buch geeignet zu symbolischer Abschweifung, deren man sich in den Feldern des Orients kaum ent - halten kann. Der geistreiche Mensch, nicht zufrieden mit dem was man ihm darstellt, betrachtet alles was sich den Sinnen dar - bietet, als eine Vermummung, wohinter ein höheres geistiges Leben sich schalkhaft-ei - gensinnig verstekt, um uns anzuziehen und in edlere Regionen aufzulocken. Verfährt hier der Dichter mit Bewuſstseyn und Maaſs, so kann man es gelten lassen, sich daran freuen und zu entschiedenerem Auffluge die Fittige versuchen.
26 *402[404]Buch der Betrachtungen erwei - tert sich jeden Tag demjenigen der im Orient hauset; denn alles ist dort Betrachtung, die zwischen dem Sinnlichen und Uebersinnli - chen hin und her wogt, ohne sich für eins oder das andere zu entscheiden. Dieses Nachdenken, wozu man aufgefordert wird, ist von ganz eigner Art; es widmet sich nicht allein der Klugheit, obgleich diese die stärksten Forderungen macht, sondern es wird zugleich auf jene Puncte geführt, wo die seltsamsten Probleme des Erde-Le - bens strack und unerbittlich vor uns stehen und uns nöthigen dem Zufall, einer Vor - sehung und ihren unerforschlichen Rath - schlüssen die Knie zu beugen und unbe - dingte Ergebung als höchstes politisch-sitt - lich-religionses Gesetz auszusprechen.
Buch des Unmuths. Wenn die übrigen Bücher anwachsen, so erlaubt man auch wohl diesem das gleiche Recht. Erst müssen sich anmuthige, liebevolle, verstän - dige Zuthaten versammlen, eh die Ausbrü - che des Unmuths erträglich seyn können. Allgemein menschliches Wohlwollen, nach - sichtiges hülfreiches Gefühl verbindet den403[405] Himmel mit der Erde und bereitet ein den Menschen gegönntes Paradies. Dagegen ist der Unmuth stets egoistisch, er besteht auf Forderungen, deren Gewährung ihm auſsen blieb; er ist anmaſslich, abstoſsend und er - freut niemand, selbst diejenigen kaum die von gleichem Gefühl ergriffen sind. Dem - ungeachtet aber kann der Mensch solche Explosionen nicht immer zurückhalten, ja er thut wohl, wenn er seinem Verdruſs, besonders über verhinderte, gestörte Thätig - keit, auf diese Weise Luft zu machen trach - tet. Schon jetzt hätte dies Buch viel stär - ker und reicher seyn sollen; doch haben wir manches, um alle Miſsstimmung zu verhüten, bey Seite gelegt. Wie wir denn hierbey bemerken daſs dergleichen Äuſse - rungen, welche für den Augenblick bedenk - lich scheinen, in der Folge aber, als unver - fänglich, mit Heiterkeit und Wohlwollen aufgenommen werden, unter der Rubrik Paralipomena künftigen Jahren aufge - spart worden.
Dagegen ergreifen wir diese Gelegen - heit von der Anmaſsung zu reden, und zwar vorerst, wie sie im Orient zur Erscheinung404[406] kommt. Der Herrscher selbst ist der erste Anmaſsliche, der die übrigen alle auszu - schlieſsen scheint. Ihm stehen alle zu Dienst, er ist Gebieter sein selbst, niemand gebie - tet ihm, und sein eigner Wille erschafft die übrige Welt, so daſs er sich mit der Sonne, ja mit dem Weltall vergleichen kann. Auf - fallend ist es jedoch, daſs er eben dadurch genöthigt ist sich einen Mitregenten zu erwählen, der ihm in diesem unbegränzten Felde beystehe, ja ihn ganz eigentlich auf dem Weltenthrone erhalte. Es ist der Dichter, der mit und neben ihm wirkt und ihn über alle Sterbliche erhöht. Sammlen sich nun an seinem Hofe viele dergleichen Talente, so giebt er ihnen einen Dichterkönig, und zeigt dadurch, daſs er das höchste Talent für sei - nes Gleichen anerkenne. Hierdurch wird der Dichter aber aufgefordert, ja verleitet, eben so hoch von sich zu denken als von dem Fürsten, und sich im Mitbesitz der gröſsten Vorzüge und Glückseligkeiten zu fühlen. Hierin wird er bestärkt durch die gränzenlosen Geschenke die er erhält, durch den Reichthum den er sammelt, durch die Einwirkung die er ausübt. Auch setzt er405[407] sich in dieser Denkart so fest, daſs ihn irgend ein Miſslingen seiner Hoffnungen bis zum Wahnsinn treibt. Firdusi erwartet für sein Schah Nameh, nach einer früheren Aeuſserung des Kaisers, sechzig tausend Goldstücke; da er aber dagegen nur sech - zig tausend Silberstücke erhält, eben da er sich im Bade befindet, theilt er die Summe in drey Theile, schenkt einen dem Bothen, einen dem Bademeister und den dritten dem Sorbetschenken, und vernichtet sogleich, mit wenigen ehrenrührigen Schmähzeilen, alles Lob was er seit so vielen Jahren dem Schah gespendet. Er entflieht, verbirgt sich, widerruft nicht, sondern trägt seinen Haſs auf die Seinigen über, so daſs seine Schwester ein ansehnliches Geschenk, vom begütigten Sultan abgesendet, aber leider erst nach des Bruders Tode ankommend, gleichfalls verschmäht und abweist.
Wollten wir nun das alles weiter ent - wicklen, so würden wir sagen daſs vom Thron, durch alle Stufen hinab, bis zum Derwisch an der Straſsenecke, alles voller Anmaſsung zu finden sey, voll weltlichen und geistlichen Hochmuths, der auf die406[408] geringste Veranlassung sogleich gewaltsam hervorspringt.
Mit diesem sittlichen Gebrechen, wenn mans dafür halten will, sieht es im West - lande gar wunderlich aus. Bescheidenheit ist eigentlich eine gesellige Tugend, sie deutet auf groſse Ausbildung; sie ist eine Selbstverleugnung nach auſsen, welche, auf einem groſsen innern Werthe ruhend, als die höchste Eigenschaft des Menschen an - gesehen wird. Und so hören wir, daſs die Menge immer zuerst an den vorzüglichsten Menschen die Bescheidenheit preist, ohne sich auf ihre übrigen Qualitäten sonderlich einzulassen. Bescheidenheit aber ist immer mit Verstellung verknüpft und eine Art Schmeicheley, die um desto wirksamer ist als sie ohne Zudringlichkeit dem andern wohlthut, indem sie ihn in seinem behag - lichen Selbstgefühle nicht irre macht. Alles aber was man gute Gesellschaft nennt, be - steht in einer immer wachsenden Vernei - nung sein selbst, so daſs die Societät zu - letzt ganz Null wird; es müſste denn das Talent sich ausbilden, daſs wir, indem wir407[409] unsere Eitelkeit befriedigen, der Eitelkeit des andern zu schmeicheln wissen.
Mit den Anmaſsungen unsers westli - chen Dichters aber möchten wir die Lands - leute gern versöhnen. Eine gewisse Auf - schneiderey durfte dem Divan nicht fehlen, wenn der orientalische Charakter einiger - maſsen ausgedrückt werden sollte.
In die unerfreuliche Anmaſsung gegen die höheren Stände konnte der Dichter nicht verfallen. Seine glückliche Lage über - hob ihn jedes Kampfes mit Despotismus. In das Lob, das er seinen fürstlichen Ge - bietern zollen könnte, stimmt ja die Welt mit ein. Die hohen Personen, mit denen er sonst in Verhältniſs gestanden, pries und preist man noch immer. Ja man kann dem Dichter vorwerfen, daſs der enkomiastische Theil seines Divans nicht reich genug sey.
Was aber das Buch des Unmuths be - trifft, so möchte man wohl einiges daran zu tadeln finden. Jeder Unmuthige drückt zu deutlich aus, daſs seine persönliche Er - wartung nicht erfüllt, sein Verdienst nicht anerkannt sey. So auch er! Von oben herein ist er nicht beengt, aber von unten408[410] und von der Seite leidet er. Eine zudring - liche, oft platte, oft tückische Menge, mit ihren Chorführern, lähmt seine Thätigkeit; erst waffnet er sich mit Stolz und Verdruſs, dann aber, zu scharf gereizt und gepreſst, fühlt er Stärke genug sich durch sie durch - zuschlagen.
Sodann aber werden wir ihm zuge - stehen, daſs er mancherley Anmaſsungen dadurch zu mildern weiſs, daſs er sie, ge - fühlvoll und kunstreich, zuletzt auf die Ge - liebte bezieht, sich vor ihr demüthigt, ja vernichtet. Herz und Geist des Lesers wird ihm dieses zu gute schreiben.
Buch der Sprüche, sollte vor an - dern anschwellen; es ist mit den Büchern der Betrachtung und des Unmuths ganz nahe verwandt. Orientalische Sprüche jedoch be - halten den eigenthümlichen Charakter der ganzen Dichtkunst, daſs sie sich sehr oft auf sinnliche, sichtbare Gegenstände bezie - hen; und es finden sich viele darunter, die man mit Recht lakonische Parablen nen - nen könnte. Diese Art bleibt dem West - länder die schwerste, weil unsere Umge - bung zu trocken, geregelt und prosaisch409[411] erscheint. Alte deutsche Sprichwörter je - doch, wo sich der Sinn zum Gleichniſs umbildet, können hier gleichfalls unser Muster seyn.
Buch des Timur. Sollte eigentlich erst gegründet werden, und vielleicht müſs - ten ein paar Jahre hingehen, damit uns die allzunah liegende Deutung ein erhöhtes An - schaun ungeheurer Weltereignisse nicht mehr verkümmerte. Erheitert könnte diese Tragödie werden, wenn man des fürchter - lichen Weltverwüsters launigen Zug - und Zeltgefährten Nussreddin Chodscha von Zeit zu Zeit auftreten zu lassen sich ent - schlösse. Gute Stunden, freyer Sinn wer - den hiezu die beste Förderniſs verleihen. Ein Musterstück der Geschichtchen die zu uns herüber gekommen, fügen wir bey.
Timur war ein häſslicher Mann; er hatte ein blindes Auge und einen lahmen Fuſs. Indem nun eines Tags Chodscha um ihn war, kratzte sich Timur den Kopf, denn die Zeit des Barbierens war gekom - men, und befahl der Barbier solle geru -410[412] fen werden. Nachdem der Kopf gescho - ren war, gab der Barbier, wie gewöhnlich, Timur den Spiegel in die Hand. Timur sah sich im Spiegel und fand sein Ansehn gar zu häſslich. Darüber fing er an zu wei - nen, auch der Chodscha hub an zu weinen, und so weinten sie ein paar Stunden. Hier - auf trösteten einige Gesellschafter den Ti - mur und unterhielten ihn mit sonderbaren Erzählungen, um ihn alles vergessen zu machen. Timur hörte auf zu weinen, der Chodscha aber hörte nicht auf sondern fing erst recht an stärker zu weinen. Endlich sprach Timur zum Chodscha: höre! ich habe in den Spiegel geschaut und habe mich sehr häſslich gesehen, darüber be - trübte ich mich, weil ich nicht allein Kaiser bin, sondern auch viel Vermö - gen und Sclavinnen habe, daneben aber so häſslich bin, darum habe ich geweint. Und warum weinst du noch ohne Aufhören? Der Chodscha antwortete: wenn du nur einmal in den Spiegel gesehen und bei Be - schauung deines Gesichts es gar nicht hast aushalten können dich anzusehen, sondern darüber geweint hast, was sollen wir denn411[413] thun, die wir Nacht und Tag dein Gesicht anzusehen baben? Wenn wir nicht weinen, wer soll denn weinen! deſshalb habe ich geweint. — Timur kam vor Lachen auſser sich.
Buch Suleika Dieses, ohnehin das stärkste der ganzen Sammlung, möchte wohl für abgeschlossen anzusehen seyn. Der Hauch und Geist einer Leidenschaft, der durch das Ganze weht, kehrt nicht leicht wieder zurück, wenigstens ist dessen Rück - kehr, wie die eines guten Weinjahres, in Hoffnung und Demuth zu erwarten.
Ueber das Betragen des westlichen Dichters aber, in diesem Buche dürfen wir einige Betrachtungen anstellen. Nach dem Beyspiele mancher östlichen Vorgänger hält er sich entfernt vom Sultan. Als genüg - samer Derwisch darf er sich sogar dem Fürsten vergleichen; denn der gründliche Bettler soll eine Art von König seyn. Ar - muth giebt Verwegenheit. Irdische Gü - ter und ihren Werth nicht anzuerkennen, nichts oder wenig davon zu verlangen ist sein Entschluſs, der das sorgloseste Behagen erzeugt. Statt einen angstvollen Besitz zu412[414] suchen, verschenkt er in Gedanken Län - der und Schätze, und spottet über den der sie wirklich besaſs und verlor. Eigentlich aber hat sich unser Dichter zu einer frey - willigen Armuth bekannt, um desto stol - zer aufzutreten, daſs es ein Mädchen ge - be, die ihm deſswegen doch hold und ge - wärtig ist.
Aber noch eines gröſsern Mangels rühmt er sich: ihm entwich die Jugend; sein Alter, seine grauen Haare schmückt er mit der Liebe Suleikas, nicht gecken - haft zudringlich, nein! ihrer Gegenliebe gewiſs. Sie, die Geistreiche, weiſs den Geist zu schätzen, der die Jugend früh zeitigt und das Alter verjüngt.
Das Schenken-Buch. Weder die unmäſsige Neigung zu dem halb verbote - nen Weine, noch das Zartgefühl für die Schönheit eines heranwachsenden Knaben durfte im Divan vermiſst werden; letzte - res wollte jedoch unseren Sitten gemäſs in aller Reinheit behandelt seyn.
Die Wechselneigung des früheren und späteren Alters deutet eigentlich auf ein ächt pädagogisches Verhältniſs. Eine lei -413[415] denschaftliche Neigung des Kindes zum Greise ist keineswegs eine seltene, aber selten benutzte Erscheinung. Hier gewahre man den Bezug des Enkels zum Groſsva - ter, des spätgebornen Erben zum über - raschten zärtlichen Vater. In diesem Ver - hältniſs entwickelt sich eigentlich der Klugsinn der Kinder; sie sind aufmerksam auf Würde, Erfahrung, Gewalt des Aelte - ren; rein geborne Seelen empfinden dabey das Bedürfniſs einer ehrfurchtsvollen Nei - gung; das Alter wird hievon ergriffen und festgehalten. Empfindet und benutzt die Jugend ihr Uebergewicht um kindliche Zwecke zu erreichen, kindische Bedürfnisse zu befriedigen, so versöhnt uns die An - muth mit frühzeitiger Schalkheit. Höchst rührend aber bleibt das heranstrebende Ge - fühl des Knaben, der, von dem hohen Gei - ste des Alters erregt, in sich selbst ein Staunen fühlt, das ihm weissagt, auch der - gleichen könne sich in ihm entwickeln. Wir versuchten so schöne Verhältnisse im Schenkenbuche anzudeuten und gegenwär - tig weiter auszulegen. Saadi hat jedoch uns einige Beyspiele erhalten, deren Zart -414[416] heit, gewiſs allgemein anerkannt, das voll - kommenste Verständniſs eröffnet.
Folgendes nämlich erzählt er in seinem Rosengarten: „ Als Mahmud der König zu Chuaresm mit dem König von Chattaj Friede machte, bin ich zu Kaschker (einer Stadt der Usbeken oder Tartern) in die Kirche gekommen, woselbst, wie ihr wiſst, auch Schule gehalten wird, und habe allda einen Knaben gesehen, wunderschön von Gestalt und Angesicht. Dieser hatte eine Grammatik in der Hand um die Sprache rein und gründlich zu lernen; er las laut und zwar ein Exempel von einer Regel: sarab Seidon Amran. Seidon hat Am - ran geschlagen oder bekriegt. Amran ist der Accusativus. (Diese beiden Namen ste - hen aber hier zu allgemeiner Andeutung von Gegnern, wie die Deutschen sagen: Hinz oder Kunz.) Als er nun diese Worte einigemal wiederholt hatte, um sie dem Gedächtniſs einzuprägen, sagte ich: es ha - ben ja Chuaresm und Chattaj endlich Friede gemacht, sollen denn Seidon und Amran stets Krieg gegeneinander führen? Der Knabe lachte allerliebst und fragte415[417] was ich für ein Landsmann sey? und als ich antwortete: von Schiras, fragte er: ob ich nicht etwas von Saadis Schriften auswendig könnte, da ihm die persische Sprache sehr wohl gefalle?
Ich antwortete: gleichwie dein Ge - müth aus Liebe gegen die reine Sprache sich der Grammatik ergeben hat, also ist auch mein Herz der Liebe zu dir völlig ergeben, so daſs deiner Natur Bildniſs das Bildniſs meines Verstandes entraubet. Er betrachtete mich mit Aufmerksamkeit, als wollt’ er forschen, ob das was ich sagte Worte des Dichters, oder meine eignen Gefühle seyen; ich aber fuhr fort: du hast das Herz eines Liebhabers in dein Netz gefangen, wie Seidon. Wir gingen gerne mit dir um, aber du bist gegen uns, wie Seidon gegen Amron, abgeneigt und feind - lich. Er aber antwortete mir mit einiger bescheidenen Verlegenheit in Versen aus meinen eignen Gedichten und ich hatte den Vortheil ihm auf eben die Weise das allerschönste sagen zu können, und so lebten wir einige Tage in anmuthigen Un - terhaltungen. Als aber der Hof sich wie -27416[418]der zur Reise beschickt und wir willens waren den Morgen früh aufzubrechen, sagte einer von unsern Gefährten zu ihm: das ist Saadi selbst nach dem du gefragt hast.
Der Knabe kam eilend gelaufen, stellte sich mit aller Ehrerbietung gar freundlich gegen mir an und wünschte, daſs er mich doch eher gekannt kätte, und sprach: wa - rum hast du diese Tage her mir nicht of - fenbaren und sagen wollen, ich bin Saadi, damit ich dir gebührende Ehre nach mei - nem Vermögen anthun und meine Dienste vor deinen Füſsen demüthigen können. Aber ich antwortete: indem ich dich an - sah, kannte ich das Wort, ich bin’s, nicht aus mir bringen, mein Herz brach auf ge - gen dir als eine Rose die zu blühen be - ginnt. Er sprach ferner, ob es denn nicht möglich wäre daſs ich noch etliche Tage daselbst verharrte, damit er etwas von mir in Kunst und Wissenschaft lernen könnte; aber ich antwortete: es kann nicht seyn: denn ich sehe hier vortreff - liche Leute zwischen groſsen Bergen sit - zen, mir aber gefällt, mich vergnügt nur eine Höhle in der Welt zu haben und da -417[419] selbst zu verweilen. Und als er mir dar - auf etwas betrübt vorkam, sprach ich: wa - rum er sich nicht in die Stadt begebe, wo - selbst er sein Herz vom Bande der Trau - rigkeit befreien und fröhlicher leben könn - te. Er antwortete: da sind zwar viel schöne und anmuthige Bilder, es ist aber auch kothig und schlüpfrig in der Stadt, daſs auch wohl Elephanten gleiten und fallen könnten. Und so würd’ auch ich, bei Anschauung böser Exempel, nicht auf festem Fuſse bleiben. Als wir so gespro - chen, küſsten wir uns darauf Kopf und Angesicht und nahmen unsern Abschied. Da wurde denn wahr was der Dichter sagt: Liebende sind im Scheiden dem schönen Apfel gleich; Wange die sich an Wange drückt wird vor Lust und Leben roth; die andere hingegen ist bleich wie Kummer und Krankheit. “
An einem andern Orte erzählt dersel - bige Dichter:
„ In meinen jungen Jahren pflog ich mit einem Jüngling meines Gleichen auf - richtige beständige Freundschaft. Sein Antlitz war meinen Augen die Himmelsre -27 *418[420]gion, wohin wir uns, im Beten, als zu ei - nem Magnet wenden. Seine Gesellschaft war von meines ganzen Lebens-Wandel und Handel der beste Gewinn. Ich halte davor, daſs keiner unter den Menschen, (unter den Engeln möchte es allenfalls seyn,) auf der Welt gewesen der sich ihm hätte vergleichen können an Gestalt, Auf - richtigkeit und Ehre. Nachdem ich sol - cher Freundschaft genossen, hab’ ich es verredet und es däucht mir unbillig zu seyn nach seinem Tode meine Liebe einem an - dern zuzuwenden. Ohngefähr gerieth sein Fuſs in die Schlinge seines Verhängnisses, daſs er schleunigst ins Grab muſste. Ich habe eine gute Zeit auf seinem Grabe als ein Wächter gesessen und gelegen und gar viele Trauerlieder über seinen Tod und unser Scheiden ausgesprochen, welche mir und andern noch immer rührend bleiben. “
Buch der Parabeln. Obgleich die westlichen Nationen vom Reichthum des Orients sich vieles zugeeignet, so wird sich doch hier noch manches einzuerndten419[421] finden, welches näher zu bezeichnen wir folgendes eröffnen.
Die Parabeln sowohl als andere Dicht - arten des Orients, die sich auf Sittlichkeit beziehen, kann man in drei verschiedene Rubriken nicht ungeschickt eintheilen: in ethische, moralische und ascetische. Die ersten enthalten Ereignisse und Andeutun - gen, die sich auf den Menschen überhaupt und seine Zustände beziehen, ohne daſs dabey ausgesprochen werde was gut oder bös sey. Dieses aber wird durch die zwei - ten vorzüglich herausgesetzt und dem Hö - rer eine vernünftige Wahl vorbereitet. Die dritte hingegen fügt noch eine entschiedene Nöthigung hinzu: die sittliche Anregung wird Gebot und Gesetz. Diesen läſst sich eine vierte anfügen, sie stellen die wunder - baren Führungen und Fügungen dar, die aus unerforschlichen, unbegreiflichen Rath - schlüssen Gottes hervor gehen; lehren und bestätigen den eigentlichen Islam, die un - bedingte Ergebung in den Willen Gottes, die Ueberzeugung, daſs niemand seinem einmal bestimmten Loose ausweichen kön - ne. Will man noch eine fünfte hinzuthun,420[422] welche man die mystische nennen müſste: sie treibt den Menschen aus dem vorher - gehenden Zustand, der noch immer ängst - lich und drückend bleibt, zur Vereinigung mit Gott schon in diesem Leben und zur vorläufigen Entsagung derjenigen Güter, deren allenfallsiger Verlust uns schmerzen könnte. Sondert man die verschiedenen Zwecke bey allen bildlichen Darstellungen des Orients, so hat man schon viel gewon - nen, indem man sich sonst in Vermischung derselben immer gehindert fühlt, bald eine Nutzanwendung sucht, wo keine ist, dann aber eine tieferliegende Bedeutung über - sicht. Auffallende Beyspiele sämmtlicher Arten zu geben, müſste das Buch der Pa - rabeln interessant und lehrreich machen. Wohin die von uns dieſsmal vorgetragenen zu ordnen seyn möchten, wird dem ein - sichtigen Leser überlassen.
Buch des Parsen. Nur vielfache Ableitungen haben den Dichter verhindert die so abstrakt scheinende und doch so praktisch eingreifende Sonn - und Feuer - Verehrung in ihrem ganzen Umfange dich - terisch darzustellen, wozu der herrlichste421[423] Stoff sich anbietet. Möge ihm gegönnt seyn, das Versäumte glücklich nachzu - holen.
Buch des Paradieses. Auch diese Region des Mahometanischen Glaubens hat noch viele wunderschöne Plätze, Paradiese im Paradiese, daſs man sich daselbst gern ergehen, gern ansiedlen möchte. Scherz und Ernst verschlingen sich hier so lieb - lich in einander, und ein verklärtes Alltäg - liche verleiht uns Flügel zum Höheren und Höchsten zu gelangen. Und was sollte den Dichter hindern, Mahomets Wunderpferd zu besteigen und sich durch alle Himmel zu schwingen? warum sollte er nicht ehr - furchtsvoll jene heilige Nacht feyern, wo der Koran vollständig dem Propheten von obenher gebracht ward? Hier ist noch gar Manches zu gewinnen.
Nachdem ich mir nun mit der süſsen Hoffnung geschmeichelt sowohl für den Divan als für die beygefügten Erklärungen in der Folge noch manches wirken zu kön - nen, durchlaufe ich die Vorarbeiten, die, ungenutzt und unausgeführt, in zahllosen Blättern vor mir liegen; und da find’ ich denn einen Aufsatz, vor fünf und zwan - zig Jahren geschrieben, auf noch ältere Papiere und Studien sich beziehend.
Aus meinen biographischen Versuchen werden sich Freunde wohl erinnern, daſs ich dem ersten Buch Mosis viel Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet, und manchen jugendlichen Tag entlang in den Paradie - sen des Orients mich ergangen. Aber auch den folgenden historischen Schriften war Neigung und Fleiſs zugewendet. Die vier letzten Bücher Mosis nöthigten zu pünct -423[425] lichen Bemühungen, und nachstehender Aufsatz enthält die wunderlichen Resultate derselben. Mag ihm nun an dieser Stelle ein Platz gegönnt seyn. Denn wie alle unsere Wanderungen im Orient durch die heiligen Schriften veranlaſst worden, so kehren wir immer zu denselben zurück, als den erquicklichsten, obgleich hie und da getrübten, in die Erde sich verbergen - den, sodann aber rein und frisch wieder hervorspringenden Quellwassern.
„ Da kam ein neuer König auf in Egypten, der wuſste nichts von Joseph. “ Wie dem Herrscher so auch dem Volke war das Andenken seines Wohlthäters ver - schwunden, den Israeliten selbst scheinen die Namen ihrer Urväter nur wie alt her - kömmliche Klänge von weitem zu tönen. Seit vier hundert Jahren hatte sich die kleine Familie unglaublich vermehrt. Das424[426] Versprechen, ihrem groſsen Ahnherren von Gott unter so vielen Unwahrscheinlichkei - ten gethan, ist erfüllt; allein was hilft es ih - nen! Gerade diese groſse Zahl macht sie den Haupteinwohnern des Landes verdäch - tig. Man sucht sie zu quälen, zu ängsti - gen, zu belästigen, zu vertilgen, und so sehr sich auch ihre hartnäckige Natur da - gegen wehrt, so sehen sie doch ihr gänz - liches Verderben wohl voraus, als man sie, ein bisheriges freyes Hirtenvolk, nöthiget in und an ihren Grenzen mit eignen Hän - den feste Städte zu bauen, welche offenbar zu Zwing - und Kerkerplätzen für sie be - stimmt sind.
Hier fragen wir nun, ehe wir weiter gehen und uns durch sonderbar, ja unglück - lich redigirte Bücher mühsam durcharbei - ten; was wird uns denn als Grund, als Urstoff von den vier letzten Büchern Mo - sis übrig bleiben, da wir manches dabey zu erinnern, manches daraus zu entfernen für nöthig finden?
Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt - und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt425[427] der Conflict des Unglaubens und Glaubens. Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht, unter welcher Gestalt er auch wolle, sind glänzend, herzerhebend und fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle Epochen dagegen in welchen der Unglau - be, in welcher Form es sey, einen küm - merlichen Sieg behauptet, und wenn sie auch einen Augenblick mit einem Schein - glanze prahlen sollten, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit Erkenntniſs des Unfruchtbaren abquälen mag.
Die vier letzten Bücher Mosis haben, wenn uns das erste den Triumph des Glau - bens darstellte, den Unglauben zum Thema, der, auf die kleinlichste Weise, den Glau - ben, der sich aber freylich auch nicht in seiner ganzen Fülle zeigt, zwar nicht be - streitet und bekämpft, jedoch sich ihm von Schritt zu Schritt in den Weg schiebt, und oft durch Wohlthaten, öfter aber noch durch greuliche Strafen nicht geheilt, nicht ausgerottet, sondern nur augenblick - lich beschwichtigt wird, und deſshalb seinen schleichenden Gang dergestalt im -426[428] mer fortsetzt, daſs ein groſses, edles, auf die herrlichsten Verheiſsungen eines zuver - lässigen Nationalgottes unternommenes Ge - schäft gleich in seinem Anfange zu schei - tern droht, und auch niemals in seiner ganzen Fülle vollendet werden kann.
Wenn uns das Ungemüthliche dieses Inhalts, der, wenigstens für den ersten Anblick, verworrene, durch das Ganze lau - fende Grundfaden unlustig und verdrieſs - lich macht, so werden diese Bücher durch eine höchst traurige, unbegreifliche Redac - tion ganz ungenieſsbar. Den Gang der Geschichte sehen wir überall gehemmt durch eingeschaltete zahllose Gesetze, von deren gröſstem Theil man die eigentliche Ursache und Absicht nicht einsehen kann, wenigstens nicht warum sie in dem Augen - blick gegeben worden, oder, wenn sie spä - tern Ursprungs sind, warum sie hier ange - führt und eingeschaltet werden. Man sieht nicht ein, warum bey einem so ungeheuren Feldzuge, dem ohnehin so viel im Wege stand, man sich recht absichtlich und kleinlich bemüht, das religiöse Ceremonien-Gepäck zu vervielfältigen, wodurch jedes Vorwärts -427[429] kommen[unendlich] erschwert werden muſs. Man begreift nicht, warum Gesetze für die Zukunft, die noch völlig im Ungewis - sen schwebt, zu einer Zeit ausgesprochen werden, wo es jeden Tag, jede Stunde an Rath und That gebricht, und der Heerfüh - rer, der auf seinen Füſsen stehen sollte, sich wiederholt aufs Angesicht wirft, um Gnaden und Strafen von oben zu erflehen, die beyde nur verzettelt gereicht werden, so daſs man mit dem verirrten Volke den Hauptzweck völlig aus den Augen ver - liert.
Um mich nun in diesem Labyrinthe zu finden, gab ich mir die Mühe, sorgfäl - tig zu sondern, was eigentliche Erzählung ist, es mochte nun für Historie für Fabel, oder für beides zusammen, für Poesie gel - ten. Ich sonderte dieses von dem was ge - lehret und geboten wird. Unter dem er - sten verstehe ich das, was allen Ländern, allen sittlichen Menschen gemäſs seyn würde, und unter dem zweyten, was das Volk Israels besonders angeht und verbin - det. In wiefern mir das gelungen, wage ich selbst kaum zu beurtheilen, indem ich428[430] gegenwärtig nicht in der Lage bin, jene Studien nochmals vorzunehmen, sondern was ich hieraus aufzustellen gedenke, aus frühere nund späteren Papieren, wie es der Augenblick erlaubt, zusammentrage. Zwey Dinge sind es daher, auf die ich die Auf - merksamkeit meiner Leser zu richten wünsch - te. Erstlich, auf die Entwickelung der ganzen Begebenheit dieses wunderlichen Zugs aus dem Charakter des Feldherrn, der Anfangs nicht in dem günstigsten Lichte erscheint, und zweytens auf die Vermu - thung, daſs der Zug keine vierzig, sondern kaum zwey Jahre gedauert; wodurch denn eben der Feldherr, dessen Betragen wir zuerst tadeln muſsten, wieder gerechtfer - tigt und zu Ehren gebracht, zugleich aber auch die Ehre des Nationalgottes gegen den Unglimpf einer Härte, die noch uner - freulicher ist als die Halsstarrigkeit eines Volks, gerettet und beynah in seiner frü - hern Reinheit wieder hergestellt wird.
Erinnern wir uns nun zuerst des Israe - litischen Volkes in Aegypten, an dessen bedrängter Lage die späteste Nachwelt auf - gerufen ist Theil zu nehmen. Unter diesem429[431] Geschlecht, aus dem gewaltsamen Stamme Levi, tritt ein gewaltsamer Mann hervor; lebhaftes Gefühl von Recht und Unrecht bezeichnen denselben. Würdig seiner grim - migen Ahnherren erscheint er, von denen der Stammvater ausruft: „ Die Brüder Si - meon und Levi! ihre Schwerter sind mör - derische Waffen, meine Seele komme nicht in ihren Rath und meine Ehre sey nicht in ihrer Versammlung! denn in ihrem Zorn haben sie den Mann erwürgt und in ihrem Muthwillen haben sie den Ochsen verderbt! Verflucht sey ihr Zorn, daſs er so heftig ist, und ihr Grimm, daſs er so störrig ist! Ich will sie zerstreuen in Jakob und zer - streuen in Israel. “
Völlig nun in solchem Sinne kündigt sich Moses an. Den Egypter, der einen Israeliten miſshandelt, erschlägt er heimlich. Sein patriotischer Meuchelmord wird ent - deckt und er muſs entfliehen. Wer, eine solche Handlung begehend, sich als bloſsen Naturmenschen darstellt, nach dessen Er - ziehung hat man nicht Ursache zu fragen. Er sey von einer Fürstin als Knabe begün - stigt, er sey am Hofe erzogen worden;430[432] nichts hat auf ihn gewirkt; er ist ein treff - licher, starker Mann geworden, aber unter allen Verhältnissen roh geblieben. Und als einen solchen kräftigen, kurz gebundenen, verschlossenen, der Mittheilung unfähigen finden wir ihn auch in der Verbannung wieder. Seine kühne Faust erwirbt ihm die Neigung eines Midianitischen Fürsten - priesters, der ihn sogleich mit seiner Fa - milie verbindet. Nun lernt er die Wüste kennen, wo er künftig in dem beschwerli - chen Amte eines Heerführers auftreten soll.
Und nun lasset uns vor allen Dingen einen Blick auf die Midianiten werfen, un - ter welchen sich Moses gegenwärtig befin - det. Wir haben sie als ein groſses Volk anzuerkennen, das, wie alle nomadischen und handlenden Völker, durch mannigfaltige Beschäftigung seiner Stämme, durch eine bewegliche Ausbreitung, noch gröſser er - scheint als es ist. Wir finden die Midiani - ten am Berge Horeb, an der westlichen Seite des kleinen Meerbusens und sodann bis gegen Moab und den Arnon. Schon zeitig fanden wir sie als Handelsleute, die431[433] selbst durch Canaan caravanenweis nach Aegypten ziehn.
Unter einem solchen gebildeten Volke lebt nunmehr Moses, aber auch als ein ab - gesonderter, verschlossener Hirte. In dem traurigsten Zustande, in welchem ein treff - licher Mann sich nur befinden mag, der, nicht zum Denken und Ueberlegen gebo - ren, bloſs nach That strebt, sehen wir ihn einsam in der Wüste, stets im Geiste be - schäftigt mit den Schicksalen seines Volks, immer zu dem Gott seiner Ahnherren gewen - det, ängstlich die Verbannung fühlend, aus einem Lande, das, ohne der Väter Land zu seyn, doch gegenwärtig das Vaterland seines Volks ist. Zu schwach durch seine Faust in diesem groſsen Anliegen zu wir - ken, unfähig einen Plan zu entwerfen, und, wenn er ihn entwürfe, ungeschickt zu je - der Unterhandlung, zu einem, die Persön - lichkeit begünstigenden, zusammenhangen - den mündlichen Vortrag. Kein Wunder wär’ es wenn in solchem Zustande eine so starke Natur sich selbst verzehrte.
Einigen Trost kann ihm in dieser Lage die Verbindung geben, die ihm, durch hin28432[434]und wiederziehende Caravanen, mit den Seinigen erhalten wird. Nach manchem Zweifel und Zögern entschlieſst er sich zu - rückzukehren und des Volkes Retter zu werden. Aaron, sein Bruder, kommt ihm entgegen, und nun erfährt er, daſs die Gährung im Volke aufs höchste gestiegen sey. Jetzt dürfen es beide Brüder wagen, sich als Repräsentanten vor den König zu stellen. Allein dieser zeigt sich nichts we - niger als geneigt, eine groſse Anzahl Men - schen, die sich seit Jahrhunderten in sei - nem Lande, aus einem Hirtenvolk, zum Acker - bau, zu Handwerken und Künsten gebildet, sich mit seinen Unterthanen vermischt ha - ben, und deren ungeschlachte Masse we - nigstens bey Errichtung ungeheurer Monu - mente, bey Erbauung neuer Städte und Festen, frohnweis wohl zu gebrauchen ist, nunmehr so leicht wieder von sich, und in ihre alte Selbstständigkeit zurückzulassen.
Das Gesuch wird also abgewiesen, und, bey einbrechenden Landplagen, immer drin - gender wiederholt, immer hartnäckiger ver - sagt. Aber das aufgeregte hebräische Volk, in Aussicht auf ein Erbland, das ihm eine433[435] uralte Ueberlieferung verhieſs, in Hoffnung der Unabhängigkeit und Selbstbeherrschung, erkennt keine weiteren Pflichten. Unter dem Schein eines allgemeinen Festes lockt man Gold - und Silbergeschirre den Nach - barn ab, und in dem Augenblick da der Aegypter den Israeliten mit harmlosen Gast - malen beschäftigt glaubt, wird eine umge - kehrte sicilianische Vesper unternommen; der Fremde ermordet den Einheimischen, der Gast den Wirth, und, geleitet durch eine grausame Politik, erschlägt man nur den Erstgebornen, um, in einem Lande, wo die Erstgeburt so viele Rechte genieſst, den Eigennutz der Nachgebornen zu be - schäftigen, und der augenblicklichen Rache durch eine eilige Flucht entgehen zu kön - nen. Der Kunstgriff gelingt, man stöſst die Mörder aus, anstatt sie zu bestrafen. Nur spät versammelt der König sein Heer, aber die, den Fuſsvölkern sonst so fürch - terlichen, Reiter und Sichelwagen streiten auf einem sumpfigen Boden einen unglei - chen Kampf mit dem leichten und leicht bewaffneten Nachtrab; wahrscheinlich mit demselben entschlossenen, kühnen Haufen,28 *434[436]der sich bey dem Wagestück des allgemei - nen Mordes schon vorgeübt, und den wir in der Folge an seinen grausamen Thaten wieder zu erkennen, und zu bezeichnen, nicht verfehlen dürfen.
Ein so zu Angriff und Vertheidigung wohlgerüsteter Heeres - und Volkszug konn - te mehr als einen Weg in das Land der Verheiſsung wählen; der erste am Meere her, über Gaza, war kein Karavanenweg und mochte, wegen der wohlgerüsteten, kriegerischen Einwohner, gefährlich wer - den; der zweyte, obgleich weiter, schien mehr Sicherheit und mehr Vortheile anzu - bieten. Er ging an dem rothen Meere hin bis zum Sinai, von hier an konnte man wieder zweyerley Richtung nehmen. Die erste, die zunächst zum Ziel führte, zog sich am kleinen Meerbusen hin durch das Land der Midianiter und der Moabiter zum Jordan; die zweyte, quer durch die Wüste, wies auf Kades; in jenem Falle blieb das Land Edom links, hier rechts. Jenen er - sten Weg hatte sich Moses wahrscheinlich vorgenommen, den zweyten hingegen ein - zulenken scheint er durch die klugen Mi -435[437] dianiter verleitet zu seyn, wie wir zu - nächst wahrscheinlich zu machen gedenken, wenn wir vorher von der düsteren Stim - mung gesprochen haben, in die uns die Darstellung der, diesen Zug begleitenden, äuſseren Umstände versetzt.
Der heitere Nachthimmel, von unend - lichen Sternen glühend, auf welchen Abra - ham von seinem Gott hingewiesen worden, breitet nicht mehr sein goldenes Gezelt über uns aus; anstatt jenen heiteren Him - melslichtern zu gleichen, bewegt sich ein unzählbares Volk, miſsmuthig in einer trau - rigen Wüste. Alle fröhlichen Phänomene sind verschwunden, nur Feuerflammen er - scheinen an allen Ecken und Enden. Der Herr, der aus einem brennenden Busche Mosen berufen hatte, zieht nun vor der Masse her, in einem trüben Gluthqualm, den man Tags für eine Wolkensäule, Nachts als ein Feuermeteor ansprechen kann. Aus dem umwölkten Gipfel Sinai’s schrecken Blitz und Donner, und bey gering schei - nenden Vergehen brechen Flammen aus dem Boden und verzehren die Enden des Lagers. Speise und Trank ermangeln immer aufs436[438] neue und der unmuthige Volkswunsch nach Rückkehr wird nur bänglicher, je weniger ihr Führer sich gründlich zu helfen weiſs.
Schon zeitig, ehe noch der Heereszug an den Sinai gelangt, kommt Jethro sei - nem Schwiegersohn entgegen, bringt ihm Tochter und Enkel, die zur Zeit der Noth im Vaterzelte verwahrt gewesen, und be - weis’t sich als einen klugen Mann. Ein Volk wie die Midianiter, das frey seiner Bestimmung nachgeht, und seine Kräfte in Uebung zu setzen Gelegenheit findet, muſs gebildeter seyn als ein solches, das, unter fremdem Joche, in ewigem Widerstreit mit sich selbst und den Umständen lebt; und wie viel höherer Ansichten muſste ein Füh - rer jenes Volkes fähig seyn, als ein trüb - sinniger, in sich selbst verschlossener, recht - schaffener Mann, der sich zwar zum Thun und Herrschen geboren fühlt, dem aber die Natur zu solchem gefährlichen Hand - werke die Werkzeuge versagt hat.
Moses honnte sich zu dem Begriff nicht erheben, daſs ein Herrscher nicht überall gegenwärtig seyn, nicht alles selbst thun müsse; im Gegentheil machte er sich durch437[439] persönliches Wirken seine Amtsführung höchst sauer und beschwerlich. Jethro giebt ihm erst darüber Licht, und hilft ihm das Volk organisiren und Unter-Obrigkeiten bestellen; worauf er freylich selbst hätte fallen sollen.
Allein nicht bloſs das Beste seines Schwähers und der Israeliten mag Jethro bedacht, sondern auch sein eigenes und der Midianiten Wohl erwägt haben. Ihm kommt Moses, den er ehemals als Flüchtling auf - genommen, den er unter seine Diener, un - ter seine Knechte noch vor kurzem gezählt, nun entgegen, an der Spitze einer groſsen Volksmasse, die, ihren alten Sitz verlas - send, neuen Boden aufsucht und überall, wo sie sich hinlenkt, Furcht und Schre - cken verbreitet.
Nun konnte dem einsichtigen Manne nicht verborgen bleiben, daſs der nächste Weg der Kinder Israel durch die Besitzun - gen der Midianiter gehe, daſs dieser Zug überall den Heerden seines Volkes begeg - nen, dessen Ansiedelungen berühren, ja auf dessen schon wohleingerichteten Städte tref - fen würde. Die Grundsätze eines derge -438[440] stalt auswandernden Volks sind kein Ge - heimniſs, sie ruhen auf dem Eroberungs - rechte. Es zieht nicht ohne Widerstand, und in jedem Widerstand sieht es Unrecht; wer das Seinige vertheidigt ist ein Feind, den man ohne Schonung vertilgen kann.
Es brauchte keinen auſserordentlichen Blick um das Schicksal zu übersehen, dem die Völker ausgesetzt seyn würden über die sich eine solche Heuschrecken-Wolke herabwälzte. Hieraus geht nun die Ver - muthung zunächst hervor, daſs Jethro sei - nem Schwiegersohn den geraden und besten Weg verleidet, und ihn dagegen zu dem Wege quer durch die Wüste beredet; wel - che Ansicht dadurch mehr bestärkt wird, daſs Hobab nicht von der Seite seines Schwagers weicht, bis er ihn den angera - thenen Weg einschlagen sieht, ja ihn so - gar noch weiter begleitet, um den ganzen Zug von den Wohnorten der Midianiter desto sicherer abzulenken.
Vom Ausgange aus Egypten an gerech - net erst im vierzehnten Monat, geschah der Aufbruch von dem wir sprechen. Das Volk bezeichnete unterwegs einen Ort, wo439[441] es wegen Lüsternheit groſse Plage erlitten, durch den Namen Gelüstgräber, dann zogen sie gen Hazaroth, und lagerten sich ferner in der Wüste Paran. Dieser zurückgelegte Weg bleibt unbezweifelt. Sie waren nun schon nah an dem Ziel ihrer Reise, nur stand ihnen das Gebirg entge - gen, wodurch das Land Canaan von der Wüste getrennt wird. Man beschloſs Kund - schafter auszuschicken und rückte indessen weiter vor bis Kades. Hierhin kehrten die Botschafter zurück, brachten Nachrich - ten von der Vortrefflichkeit des Landes, aber leider auch von der Furchtbarkeit der Einwohner. Hier entstand nun abermals ein trauriger Zwiespalt und der Wettstreit von Glauben und Unglauben begann aufs neue.
Unglücklicher Weise hatte Moses noch weniger Feldherren - als Regententalente. Schon während des Streites gegen die Ama - lekiter begab er sich auf den Berg um zu beten, mittlerweile Josua an der Spitze des Heers den lange hin - und wieder schwan - kenden Sieg endlich dem Feinde abgewann. Nun zu Kades befand man sich wieder in440[442] einer zweydeutigen Lage. Josua und Ka - leb, die beherztesten unter den zwölf Ab - gesandten, rathen zum Angriff, rufen auf, getrauen sich das Land zu gewinnen. In - dessen wird durch übertriebene Beschrei - bung von bewaffneten Riesen-Geschlech - tern allenthalben Furcht und Schrecken er - regt; das verschüchterte Heer weigert sich hinauf zu rücken. Moses weiſs sich wie - der nicht zu helfen, erst fordert er sie auf, dann scheint auch ihm ein Angriff von die - ser Seite gefährlich. Er schlägt vor nach Osten zu ziehen. Hier mochte nun einem biedern Theil des Heeres gar zu unwürdig scheinen, solch einen ernstlichen, mühsam verfolgten Plan, auf diesem ersehnten Punct, aufzugeben. Sie rotten sich zusammen und ziehen wirklich das Gebirg hinauf. Moses aber bleibt zurück, das Heiligthum setzt sich nicht in Bewegung, daher ziemt es weder Josua noch Kaleb sich an die Spitze der Kühneren zu stellen. Genug! der nicht unterstützte, eigenmächtige Vortrab wird geschlagen, Ungeduld vermehrt sich. Der so oft schon ausgebrochene Unmuth des Volkes, die mehreren Meutereyen, an de -441[443] nen sogar Aaron und Myriane Theil ge - nommen, brechen aufs neue desto lebhafter aus, und geben abermals ein Zeugniſs, wie wenig Moses seinem groſsen Berufe ge - wachsen war. Es ist schon an sich keine Frage, wird aber durch das Zeugniſs Kalebs unwiderruflich bestätigt, daſs an dieser Stelle möglich, ja unerläſslich gewesen ins Land Canaan einzudringen, Hebron, den Hain Mamre in Besitz zu nehmen, das heilige Grab Abrahams zu erobern und sich dadurch einen Ziel-Stütz - und Mittelpunct für das ganze Unternehmen zu verschaffen. Welcher Nachtheil muſste dagegen dem unglücklichen Volk entspringen, wenn man den bisher befolgten, von Jethro zwar nicht ganz uneigennützig, aber doch nicht ganz verrätherisch vorgeschlagenen Plan auf ein - mal so freventlich aufzugeben, beschloſs.
Das zweyte Jahr, von dem Auszuge aus Egypten an gerechnet, war noch nicht vorüber und man hätte sich vor Ende des - selben, obgleich noch immer spät genug, im Besitz des schönsten Theils des erwünsch - ten Landes gesehen; allein die Bewohner, aufmerksam, hatten den Riegel vorgescho -442[444] ben, und wohin nun sich wenden? Man war nordwärts weit genug vorgerückt, und nun sollte man wieder ostwärts ziehen um jenen Weg endlich einzuschlagen, den man gleich anfangs hätte nehmen sollen. Allein gerade hier in Osten lag das von Gebirgen umgebene Land Edom vor, man wollte sich einen Durchzug erbitten, die klügeren Edomiter schlugen ihn rund ab. Sich durch - zufechten war nicht räthlich, man muſste sich also zu einem Umweg, bey dem man die edomitischen Gebirge links lieſs, be - quemen, und hier ging die Reise im Gan - zen ohne Schwierigkeit von Statten, denn es bedurfte nur wenige Stationen Oboth, Iiim, um an den Bach Sared, den ersten der seine Wasser ins todte Meer gieſst, und ferner an den Arnon zu gelan - gen. Indessen war Miriam verschieden, Aaron verschwunden, kurz nachdem sie sich gegen Mosen aufgelehnt hatten.
Vom Bache Arnon an ging alles noch glücklicher wie bisher. Das Volk sah sich zum zweitenmale nah am Ziele seiner Wün - sche, in einer Gegend die wenig Hinder - nisse entgegensetzte; hier konnte man in443[445] Masse vordringen, und die Völker, welche den Durchzug verweigerten überwinden, verderben und vertreiben. Man schritt weiter vor, und so wurden Midianiter, Moabiter, Amoriter in ihren schönsten Be - sitzungen angegriffen, ja die ersten sogar, was Jethro vorsichtig abzuwenden gedachte, vertilgt, das linke Ufer des Jordans wurde genommen und einigen ungeduldigen Stäm - men Ansiedelung erlaubt, unterdessen man abermals, auf hergebrachte Weise, Gesetze gab, Anordnungen machte und den Jordan zu überschreiten zögerte. Unter diesen Ver - handlungen verschwand Moses selbst, wie Aaron verschwunden war, und wir müſsten uns sehr irren, wenn nicht Josua und Ka - leb die seit einigen Jahren ertragene Re - gentschaft eines beschränkten Mannes zu endigen, und ihn so vielen Unglücklichen, die er vorausgeschickt, nachzusenden für gut gefunden hätten; um der Sache ein Ende zu machen und mit Ernst sich in den Besitz des ganzen rechten Jordanufers und des darin gelegenen Landes zu setzen.
Man wird der Darstellung, wie sie hier gegeben ist, wohl gerne zugestehen, daſs444[446] sie uns den Fortschritt eines wichtigen Un - ternehmens so rasch als consequent vor die Seele bringt; aber man wird ihr nicht sogleich Zutrauen und Beyfall schenken, weil sie jenen Heereszug, den der ausdrück - liche Buchstabe der heiligen Schrift auf sehr viele Jahre hinausdehnt, in kurzer Zeit vollbringen läſst. Wir müssen daher un - sere Gründe angeben, wodurch wir uns zu einer so groſsen Abweichung berechtigt glauben, und dieſs kann nicht besser ge - schehen, als wenn wir über die Erdfläche, welche jene Volksmasse zu durchziehen hatte, und über die Zeit, welche jede Ca - ravane zu einem solchen Zuge bedürfen würde, unsere Betrachtungen anstellen und zugleich was uns in diesem besonderen Falle überliefert ist, gegen einander halten und erwägen.
Wir übergehen den Zug vom rothen Meer bis an den Sinai, wir lassen ferner alles, was in der Gegend des Berges vor - gegangen, auf sich beruhen, und bemerken nur, daſs die groſse Volksmasse am zwan - zigsten Tage des zweyten Monats, im zwey - ten Jahr der Auswanderung aus Egypten,445[447] vom Fuſse des Sinai aufgebrochen. Von da bis zur Wüste Paran hatten sie keine vierzig Meilen, die eine beladene Caravane in fünf Tagen bequem zurücklegt. Man gebe der ganzen Colonne Zeit um jedes - mal heranzukommen, genugsame Rasttage, man setze anderen Aufenthalt, genug sie konnten auf alle Fälle in der Gegend ihrer Bestimmung in zwölf Tagen ankommen, welches denn auch mit der Bibel und der gewöhnlichen Meynung übereintrifft. Hier werden die Botschafter ausgeschickt, die ganze Volksmasse rückt nur um weniges weiter vor bis Kades, wohin die Abgesen - deten nach vierzig Tagen zurückkehren, worauf denn sogleich, nach schlecht aus - gefallenem Kriegsversuch, die Unterhand - lung mit den Edomitern unternommen wird. Man gebe dieser Negotiation so viel Zeit als man will, so wird man sie nicht wohl über dreiſsig Tage ausdehnen dürfen. Die Edomiter schlagen den Durchzug rein ab, und für Israel war es keineswegs räth - lich in einer so sehr gefährlichen Lage lange zu verweilen: denn wenn die Cana - niter mit den Edomitern einverstanden, jene446[448] von Norden, diese von Osten, aus ihren Gebirgen hervorgebrochen wären, so hätte Israel einen schlimmen Stand gehabt.
Auch macht hier die Geschichtserzäh - lung keine Pause, sondern der Entschluſs wird gleich gefaſst um das Gebirge Edom herum zu ziehen. Nun beträgt der Zug um das Gebirge Edom, erst nach Süden, dann nach Norden gerichtet, bis an den Fluſs Arnon abermals keine vierzig Meilen, welche also in fünf Tagen zurückzulegen gewesen wären. Summirt man nun auch jene vierzig Tage, in welchen sie den Tod Aarons betrauert hinzu, so behalten wir immer noch sechs Monate des zweyten Jahrs für jede Art von Retardation und Zaudern und zu denen Zügen übrig, welche die Kinder Israel glücklich bis an den Jordan bringen sollen. Wo kommen aber denn die übrigen achtunddreiſsig Jahre hin?
Diese haben den Auslegern viel Mühe gemacht, so wie die einundvierzig Statio - nen, unter denen funfzehn sind von wel - chen die Geschichtserzählung nichts meldet, die aber, in dem Verzeichnisse eingeschal - tet, den Geographen viel Pein verursacht447[449] haben. Nun stehen die eingeschobenen Sta - tionen mit den überschüssigen Jahren in glücklich fabelbaftem Verhältniſs; denn sechzehn Orte, von denen man nichts weiſs, und achtunddreyſsig Jahre, von de - nen man nichts erfährt, geben die beste Gelegenheit, sich mit den Kindern Israel in der Wüste zu verirren.
Wir setzen die Stationen der Geschichts - erzählung, welche durch Begebenheiten merkwürdig geworden, den Stationen des Verzeichnisses entgegen, wo man dann die leeren Orts-Namen sehr wohl von denen unterscheiden wird, welchen ein historischer Gehalt inwohnt.
Stationen der Kinder Israel in der Wüste.
Geschichtserzählung nach dem II. III. IV. V. Buch Mose. | Stationen-Verzeichniſs nach dem IV. Buch Mose 33. Capitel. |
Raemses. | |
Suchoth. | |
Etham. | |
Hahiroth. |
|
durchs Meer. |
Mara, Wüste Sur. | Mara, Wüste Etham. |
Elim. | Elim. 12 Brunnen. |
Am Meer. | |
Wüste Sin. | Wüste Sin. |
Daphka. | |
Alus. | |
Raphidim. | Raphidim. |
Wüste Sinai. | Wüste Sinai. |
Lustgräber. | Lustgräber. |
Hazeroth. | Hazeroth. |
Rithma. | |
Kades in Paran. | Rimmon Perez. |
Libna. | |
Rissa. | |
Kehelata. | |
Gebirg Sapher. | |
Harada. | |
Makeheleth. | |
Tabath. | |
Tharah. | |
Mithka. | |
Hasmona. | |
Moseroth. | |
Bnejaekon. | |
Harpidad. | |
Talhbatha. |
Abrona. | |
Ezeongaber. | |
Kades, Wüste Zin. | Kades, Wüste Zin. |
Berg Hor, Gränze Edom. | Berg Hor, Gränze Edom. |
Zalmona. | |
Phunon. | |
Oboth. | Oboth. |
Ijim. | |
Diban Gad. | |
Almon Diblathaim. | |
Gebirg Abarim. | Gebirg Abarim, Nebo. |
Bach Sared. | |
Arnon disseits. | |
Mathana. | |
Nahaliel. | |
Bamoth. | |
Berg Pispa. | |
Jahzah. | |
Hesbon. | |
Sihan. | |
Basan. | |
Gefild der Moabiter am Jordan. | Gefild der Moabiter am Jordan. |
Worauf wir nun aber vor allen Dingen merken müssen, ist, daſs uns die Geschichte29 *450[452]gleich von Hazeroth nach Kades führt, das Verzeichniſs aber hinter Hazeroth das Kades ausläſst und es erst nach der einge - schobenen Namenreihe hinter Ezeon-Gaber aufführt, und dadurch die Wüste Zin mit dem kleinen Arm des Arabischen Meerbu - sens in Berührung bringt. Hieran sind die Ausleger höchst irre geworden, indem ei - nige zwey Kades, andere hingegen, und zwar die meisten, nur eines annehmen, welche letztere Meynung wohl keinen Zwei - fel zuläſst.
Die Geschichtserzählung, wie wir sie sorgfältig von allen Einschiebseln getrennt haben, spricht von einem Kades in der Wüste Paran, und gleich darauf von einem Kades in der Wüste Zin; von dem ersten werden die Botschafter weggeschickt und von dem zweyten zieht die ganze Masse weg, nachdem die Edomiter den Durch - zug durch ihr Land verweigern. Hieraus geht von selbst hervor, daſs es ein und eben derselbe Ort ist; denn der vorgehabte Zug durch Edom war eine Folge des fehl - geschlagenen Versuchs von dieser Seite in das Land Canaan einzudringen, und so viel451[453] ist noch aus anderen Stellen deutlich, daſs die beyden öfters genannten Wüsten an einander stoſsen, Zin nördlicher, Paran südlicher lag, und Kades in einer Oase als Rastplatz zwischen beyden Wüsten gelegen war.
Niemals wäre man auch auf den Ge - danken gekommen sich zwey Kades einzu - bilden, wenn man nicht in der Verlegen - heit gewesen wäre, die Kinder Israel lange genug in der Wüste herumzuführen. Die - jenigen jedoch, welche nur Ein Kades an - nehmen und dabey von dem vierzigjährigen Zug und den eingeschalteten Stationen Re - chenschaft geben wollen, sind noch übler dran, besonders wissen sie, wenn sie den Zug auf der Charte darstellen wollen, sich nicht wunderlich genug zu gebährden, um das Unmögliche anschaulich zu machen. Denn freylich ist das Auge ein besserer Richter des Unschicklichen, als der innere Sinn. Sanson schiebt die vierzehn un - ächten Stationen zwischen den Sinai und Kades. Hier kann er nicht genug Zick - zacks auf seine Charte zeichnen, und doch beträgt jede Station nur zwey Meilen, eine452[454] Strecke die nicht einmal hinreicht, daſs sich ein solcher ungeheurer Heerwurm in Be - wegung setzen könnte.
Wie bevölkert und bebaut muſs nicht diese Wüste seyn, wo man alle zwey Mei - len, wo nicht Städte und Ortschaften, doch mit Namen bezeichnete Ruheplätze findet? Welcher Vortheil für den Heerführer und sein Volk! Dieser Reichthum der inneren Wüste aber wird dem Geographen bald verderblich. Er findet von Kades nur fünf Stationen bis Ezeongaber, und auf dem Rückwege nach Kades, wohin er sie doch bringen muſs, unglücklicherweise gar keine; er legt daher einige seltsame, und selbst in jener Liste nicht genannte Städte dem reisenden Volk in den Weg, so wie man ehemals die geographische Leerheit mit Elephanten zudeckte. Kalmet sucht sich aus der Noth, durch wunderliche Kreuz - und Querzüge zu helfen, setzt einen Theil der überflüssigen Orte gegen das mittellän - dische Meer zu, macht Hazeroth und Mo - seroth zu Einem Orte, und bringt, durch die seltsamsten Irrsprünge, seine Leute end - lich an den Arnon. Well, der zwey Ka -453[455] des annimmt, verzerrt die Lage des Lan - des über die Maſsen. Bey Nolin tanzt die Caravane eine Polonaise, wodurch sie wieder ans rothe Meer gelangt und den Sinai nordwärts im Rücken hat. Es ist nicht möglich weniger Einbildungskraft, Anschauen, Genauigkeit und Urtheil zu zei - gen, als diese frommen, wohldenkenden Männer.
Die Sache aber aufs genauste betrach - tet, wird es höchst wahrscheinlich, daſs das überflüssige Stationen-Verzeichniſs zu Rettung der problematischen vierzig Jahre eingeschoben werden. Denn in dem Texte, welchem wir bey unserer Erzählung genau folgen, steht: daſs das Volk, da es von den Cananitern geschlagen, und ihm der Durchzug durchs Land Edom versagt wor - den, auf dem Wege zum Schilfmeer, ge - gen Ezeongaber, der Edomiter Land um - zogen. Daraus ist der Irrthum entstanden, daſs sie wirklich an’s Schilfmeer nach Ezeon - gaber, das wahrscheinlich damals noch nicht existirte, gekommen, obgleich der Text von dem Umziehen des Gebirges Seir auf genannter Straſse spricht, so wie man sagt454[456] der Fuhrmann fährt die Leipziger Straſse, ohne daſs er deſshalb nothwendig nach Leipzig fahren müsse. Haben wir nun die überflüssigen Stationen bey Seite gebracht, so möchte es uns ja wohl auch mit den überflüssigen Jahren gelingen. Wir wissen daſs die alttestamentliche Chronologie künst - lich ist, daſs sich die ganze Zeitrechnung in bestimmte Kreise von neunundvierzig Jahren auflösen läſst, und daſs also diese mystischen Epochen herauszubringen man - che historische Zahlen müssen verändert worden seyn. Und wo lieſsen sich sechs bis achtunddreiſsig Jahre die etwa in ei - nem Cyklus fehlten, bequemer einschieben, als in jene Epoche, die so sehr im Dun - keln lag, und die auf einem wüsten unbe - kannten Flecke sollte zugebracht worden seyn.
Ohne daher an die Chronologie, das schwierigste aller Studien, nur irgend zu rühren, so wollen wir den poetischen Theil derselben hier zu Gunsten unserer Hypo - these kürzlich in Betracht ziehen.
Mehrere runde, heilig, symbolisch, poetisch zu nennende Zahlen kommen in455[457] der Bibel so wie in anderen alterthümli - chen Schriften vor. Die Zahl Sieben scheint dem Schaffen, Wirken und Thun, die Zahl Vierzig hingegen dem Beschauen, Erwar - ten, vorzüglich aber der Absonderung ge - widmet zu seyn. Die Sündfluth, welche Noah und die Seinen von aller übrigen Welt abtrennen sollte, nimmt vierzig Tage zu; nachdem die Gewässer genugsam ge - standen, verlaufen sie während vierzig Ta - gen, und so lange noch hält Noah den Schalter der Arche verschlossen. Gleiche Zeit verweilt Moses zweymal auf Sinai, abgesondert von dem Volke; die Kund - schafter bleiben eben so lange in Canaan, und so soll denn auch das ganze Volk durch so viel mühselige Jahre abgesondert von allen Völkern, gleichen Zeitraum bestätigt und geheiligt haben. Ja ins neue Testa - ment geht die Bedeutung dieser Zahl in ihrem vollen Werth hinüber; Christus bleibt vierzig Tage in der Wüste um den Versu - cher abzuwarten.
Wäre uns nun gelungen die Wande - rung der Kinder Israel vom Sinai, bis an den Jordan in einer kürzeren Zeit zu voll -456[458] bringen, ob wir gleich hiebey schon viel zu viel auf ein schwankendes, unwahr - scheinliches Retardiren Rücksicht genom - men; hätten wir uns so vieler fruchtlo - sen Jahre, so vieler unfruchtbaren Sta - tionen entledigt, so würde sogleich der groſse Heerführer, gegen das was wir an ihm zu erinnern gehabt, in seinem ganzen Werthe wieder hergestellt. Auch würde die Art wie in diesen Büchern Gott er - scheint uns nicht mehr so drückend seyn als bisher, wo er sich durchaus grauenvoll und schrecklich erzeigt; da schon wieder im Buch Josua und der Richter, sogar auch weiter hin, ein reineres patriarchalisches Wesen wieder hervortritt und der Gott Abrahams nach wie vor den Seinen freund - lich erscheint, wenn uns der Gott Mosis eine Zeitlang mit Grauen und Abscheu er - füllt hat. Uns hierüber aufzuklären spre - chen wir aus: wie der Mann so auch sein Gott. Daher also von dem Charakter Mo - sis noch einige Schluſsworte!
Ihr habt, könnte man uns zurufen, in dem Vorhergehenden mit allzu groſser Ver - wegenheit einem auſserordentlichen Manne457[459] diejenigen Eigenschaften abgesprochen, die bisher höchlich an ihm bewundert wurden, die Eigenschaften des Regenten und Heer - führers. Was aber zeichnet ihn denn aus? wodurch legitimirt er sich zu einem so wichtigen Beruf? Was giebt ihm die Kühn - heit sich, trotz innerer und äuſserer Un - gunst, zu einem solchen Geschäfte hinzu - drängen, wenn ihm jene Haupterforder - nisse, jene unerläſslichen Talente fehlen, die ihr ihm mit unerhörter Frechheit ab - sprecht? Hierauf lasse man uns antwor - ten: Nicht die Talente, nicht das Geschick zu diesem oder jenem machen eigentlich den Mann der That, die Persönlichkeit ist’s von der in solchen Fällen alles ab - hängt. Der Charakter ruht auf der Per - sönlichkeit, nicht auf den Talenten. Ta - lente können sich zum Charakter gesellen, er gesellt sich nicht zu ihnen: denn ihm ist alles entbehrlich auſser er selbst. Und so gestehen wir gern, daſs uns die Persön - lichkeit Mosis, von dem ersten Meuchel - mord an, durch alle Grausamkeiten durch, bis zum Verschwinden, ein höchst bedeu - tendes und würdiges Bild giebt, von einem458[460] Manne, der durch seine Natur zum Gröſs - ten getrieben ist. Aber freylich wird ein solches Bild ganz entstellt, wenn wir einen kräftigen, kurz gebundenen, raschen That - mann, vierzig Jahre ohne Sinn und Noth, mit einer ungeheuren Volksmasse, auf ei - nem so kleinen Raum, im Angesicht seines groſsen Zieles, herum taumeln sehen. Bloſs durch die Verkürzung des Wegs und der Zeit, die er darauf zugebracht, haben wir alles Böse, was wir von ihm zu sagen ge - wagt, wieder ausgeglichen und ihn an seine rechte Stelle gehoben.
Und so bleibt uns nichts mehr übrig, als dasjenige zu wiederholen, womit wir unsere Betrachtungen begonnen haben. Kein Schade geschieht den heiligen Schriften, so wenig als jeder anderen Ueberlieferung, wenn wir sie mit critischem Sinne behan - deln, wenn wir aufdecken, worin sie sich widerspricht, und wie oft das Ursprüngli - che, Bessere, durch nachherige Zusätze, Einschaltungen und Accommodationen ver - deckt, ja entstellt worden. Der innerliche, eigentliche Ur - und Grundwerth geht nur desto lebhafter und reiner hervor, und die -459[461] ser ist es auch, nach welchem jedermann, bewuſst oder bewuſstlos, hinblickt, hin - greift, sich daran erbaut und alles übrige, wo nicht wegwirft, doch fallen oder auf sich beruhen läſst.
Zusammen also sechs Monate. Woraus deutlich erhellt, daſs der Zug, man rechne auf Zaudern und Stockungen, Widerstand so viel man will, vor Ende des zweyten Jahrs gar wohl an den Jordan gelangen konnte.
Wenn uns die heiligen Schriften uran - fängliche Zustände und die allmälige Ent - wickelung einer bedeutenden Nation verge - genwärtigen; Männer aber, wie Michae - lis, Eichhorn, Paulus, Heeren, noch mehr Natur und Unmittelbarkeit in jenen Ueberlieferungen aufweisen als wir selbst hätten entdecken können; so ziehen wir, was die neuere und neuste Zeit an - geht, die gröſsten Vortheile aus Reisebe - schreibungen und andern dergleichen Docu - menten, die uns mehrere, nach Osten vor - dringende Westländer, nicht ohne Mühse - ligkeit, Genuſs und Gefahr, nach Hause gebracht und zu herrlicher Belehrung mit - getheilt haben. Hievon berühren wir nur einige Männer, durch deren Augen wir jene weit entfernten, höchst fremdartigen Gegenstände zu betrachten, seit vielen Jah - ren beschäftigt gewesen.
Deren zahllose Beschreibungen beleh - ren zwar auch in ihrer Art; doch verwir - ren sie über den eigentlichsten Zustand des Orients mehr unsere Einbildungskraft, als daſs sie ihr zur Hülfe kämen. Die Ein - seitigkeit der christlich-feindlichen Ansicht beschränkt uns durch ihre Beschränkung, die sich in der neuern Zeit nur einigerma - ſsen erweitert, als wir nunmehr jene Kriegs - ereignisse durch orientalische Schriftsteller nach und nach kennen lernen. Indessen bleiben wir allen aufgeregten Wall - und Kreuzfahrern zu Dank verpflichtet, da wir ihren religiosen Enthusiasmus, ihrem kräf - tigen, unermüdlichen Widerstreit gegen öst - liches Zudringen doch eigentlich Beschü - tzung und Erhaltung der gebildeten euro - päischen Zustände schuldig geworden.
Dieser vorzügliche Mann steht aller - dings oben an. Seine Reise fällt in die zweyte Hälfte des dreyzehnten Jahrhun - derts; er gelangt bis in den fernsten Osten, führt uns in die fremdartigsten Verhältnis - se, worüber wir, da sie beynahe fabelhaft aussehen, in Verwunderung, in Erstaunen gerathen. Gelangen wir aber auch nicht sogleich über das Einzelne zur Deutlich - keit, so ist doch der gedrängte Vortrag die - ses weitausgreifenden Wanderers höchst ge - schickt das Gefühl des Unendlichen, Unge - heuren in uns aufzuregen. Wir befinden uns an dem Hof des Kublai Chan, der, als Nachfolger von Gengis, grenzenlose Land - strecken beherrschte. Denn was soll man von einem Reiche und dessen Ausdehnung halten, wo es unter andern heiſst: „ Per - sien ist eine groſse Provinz, die aus neun Königreichen besteht; “und nach einem463[465] solchen Maſsstab wird alles übrige gemes - sen. So die Residenz, im Norden von Chi - na, unübersehbar; das Schloſs des Chans, eine Stadt in der Stadt; daselbst aufgebäufte Schätze und Waffen; Beamte, Soldaten und Hofleute unzählbar; zu wiederholten Fest - mahlen jeder mit seiner Gattin berufen. Eben so ein Landaufenthalt! Einrichtung zu allem Vergnügen, besonders ein Heer von Jägern, und eine Jagdlust in der gröſs - ten Ausbreitung. Gezähmte Leoparden, ab - gerichtete Falken, die thätigsten Gehülfen der Jagenden, zahllose Beute gehäuft. Da - bey das ganze Jahr Geschenke ausgespendet und empfangen. Gold und Silber; Juwe - len, Perlen, alle Arten von Kostbarkeiten im Besitz des Fürsten und seiner Begün - stigten; indessen sich die übrigen Millionen von Unterthanen wechselseitig mit einer Scheinmünze abzufinden haben.
Begeben wir uns aus der Hauptstadt auf die Reise, so wissen wir vor lauter Vorstädten nicht, wo die Stadt aufhört. Wir finden sofort Wohnung an Wohnun - gen, Dorf an Dörfern, und den herrlichen Fluſs hinab eine Reihe von Lustorten. Al -30464[466]les nach Tagereisen gerechnet und nicht wenigen.
Nun zieht, vom Kaiser beauftragt, der Reisende nach andern Gegenden; er führt uns durch unübersehbare Wüsten, dann zu heerdenreichen Gauen, Bergreihen hinan, zu Menschen von wunderbaren Gestalten und Sitten, und läſst uns zuletzt, über Eis und Schnee, nach der ewigen Nacht des Poles hinschauen. Dann auf einmal trägt er uns, wie auf einem Zaubermantel, über die Halbinsel Indiens hinab. Wir sehen Ceylon unter uns liegen, Madagascar, Java; unser Blick irrt auf wunderlich benamste Inseln, und doch läſst er uns überall von Menschengestalten und Sitten, von Land - schaft, Bäumen, Pflanzen und Thieren, so manche Besonderheit erkennen, die für die Wahrheit seiner Anschauung bürgt, wenn gleich Vieles mährchenhaft erscheinen möch - te. Nur der wohlunterrichtete Geograph könnte dies alles ordnen und bewähren. Wir muſsten uns mit dem allgemeinen Ein - druck begnügen; denn unsern ersten Stu - dien kamen keine Noten und Bemerkungen zu Hülfe.
Dessen Reise beginnt im Jahre 1320 und ist uns die Beschreibung derselben als Volksbuch, aber leider sehr ungestaltet, zu - gekommen. Man gesteht dem Verfasser zu daſs er groſse Reisen gemacht, vieles ge - sehen und gut gesehen, auch richtig be - schrieben. Nun beliebt es ihm aber nicht nur mit fremdem Kalbe zu pflügen, sondern auch alte und neue Fabeln einzuschalten, wodurch denn das Wahre selbst seine Glaub - würdigkeit verliert. Aus der lateinischen Ursprache erst ins Niederdeutsche, sodann ins Oberdeutsche gebracht, erleidet das Büch - lein neue Verfälschung der Namen. Auch der Uebersetzer erlaubt sich auszulassen und einzuschalten, wie unser Görres, in sei - ner verdienstlichen Schrift über die deut - schen Volksbücher anzeigt, auf welche Weise Genuſs und Nutzen an diesem bedeutenden Werke verkümmert worden.
Aus einem uralten römischen Geschlechte das seinen Stammbaum bis auf die edlen Familien der Republik zurückführen durf - te, ward Pietro della Valle geboren, im Jahre 1586 zu einer Zeit da die sämmt - lichen Reiche Europens sich einer hohen geistigen Bildung erfreuten. In Italien lebte Tasso noch, obgleich in traurigem Zustan - de; doch wirkten seine Gedichte auf alle vorzügliche Geister. Die Verskunst hatte sich so weit verbreitet, daſs schon Impro - visatoren hervortraten und kein junger Mann von freyern Gesinnungen des Talents ent - behren durfte sich Reimweis auszudrücken. Sprachstudium, Grammatik, Red - und Styl - kunst wurden gründlich behandelt, und so wuchs in allen diesen Vorzügen unser Jüng - ling sorgfältig gebildet heran.
Waffenübungen zu Fuſs und zu Roſs, die edle Fecht - und Reitkunst dienten ihm zu täglicher Entwickelung körperlicher467[469] Kräfte und der damit innig verbundenen Charakterstärke. Das wüste Treiben frü - herer Kreuzzüge hatte sich nun zur Kriegs - kunst und zu ritterlichem Wesen herange - bildet auch die Galanterie in sich aufge - nommen. Wir sehen den Jüngling wie er mehreren Schönen, besonders in Gedichten, den Hof macht, zuletzt aber höchst un - glücklich wird als ihn die eine, die er sich anzueignen, mit der er sich ernstlich zu verbinden gedenkt, hinantsetzt und einem unwürdigen sich hingiebt. Sein Schmerz ist gränzenlos und um sich Luft zu machen beschlieſst er, im Pilgerkleide, nach dem heiligen Lande zu wallen.
Im Jahre 1614 gelangt er nach Constan - tinopel, wo sein adeliches, einnehmendes Wesen die beste Aufnahme gewinnt. Nach Art seiner früheren Studien wirft er sich gleich auf die orientalischen Sprachen, ver - schafft sich zuerst eine Uebersicht der tür - kischen Literatur, Landesart und Sitten, und begiebt sich sodann, nicht ohne Be - dauern seiner neu erworbenen Freunde, nach Aegypten. Seinen dortigen Aufenthalt nutzt er ebenfalls um die alterthümliche Welt und468[470] ihre Spuren in der neueren auf das ernst - lichste zu suchen und zu verfolgen; von Cairo zieht er auf den Berg Sinai, das Grab der heiligen Catharina zu verehren, und kehrt, wie von einer Lustreise, zur Haupt - stadt Aegyptens zurück; gelangt, von da zum zweitenmale abreisend, in sechzehn Tagen nach Jerusalem, wodurch das wahre Maaſs der Entfernung beyder Städte sich unserer Einbildungskraft aufdrängt. Dort, das heilige Grab verehrend, erbittet er sich vom Erlöser, wie früher schon von der heiligen Catharina, Befreyung von seiner Leidenschaft; und wie Schuppen fällt es ihm von den Augen, daſs er ein Thor ge - wesen, die bisher Angebetete für die ein - zige zu halten die eine solche Huldigung verdiene; seine Abneigung gegen das übrige weibliche Geschlecht ist verschwunden, er sieht sich nach einer Gemalin um und schreibt seinen Freunden, zu denen er bald zurückzukehren hofft, ihm eine würdige auszusuchen.
Nachdem er nun alle heiligen Orte be - treten und bebetet, wozu ihm die Empfeh - lung seiner Freunde von Constantinopel,469[471] am meisten aber ein ihm zur Begleitung mitgegebenen Capighi, die besten Dienste thun, reist er mit dem vollständigsten Be - griff dieser Zustände weiter, erreicht Da - maskus, sodann Aleppo, woselbst er sich in syrische Kleidung hüllt und seinen Bart wachsen läſst. Hier nun begegnet ihm ein bedeutendes, schicksal-bestimmendes Aben - theuer. Ein Reisender gesellt sich zu ihm, der von der Schönheit und Liebenswürdig - keit einer jungen georgischen Christinn, die sich mit den Ihrigen zu Bagdad aufhält, nicht genug zu erzählen weiſs, und Valle verliebt sich, nach ächt orientalischer Wei - se, in ein Wortbild, dem er begierig ent - gegen reist. Ihre Gegenwart vermehrt Neigung und Verlangen, er weiſs die Mutter zu gewinnen, der Vater wird be - redet; doch geben beyde seiner ungestü - men Leidenschaft nur ungerne nach; ihre geliebte, anmuthige Tochter von sich zu lassen, scheint ein allzu groſses Opfer. Endlich wird sie seine Gattin und er ge - winnt dadurch für Leben und Reise den gröſsten Schatz. Denn ob er gleich mit adelichem Wissen und Kenntniſs mancher470[472] Art ausgestattet die Wallfahrt angetreten und in Beobachtung dessen was sich un - mittelbar auf den Menschen bezieht so auf - merksam als glücklich, und im Betragen gegen jederman in allen Fällen musterhaft gewesen; so fehlt es ihm doch an Kennt - niſs der Natur, deren Wissenschaft sich damals nur noch in dem engen Kreise ern - ster und bedächtiger Forscher bewegte. Da - her kann er die Aufträge seiner Freunde, die von Pflanzen und Hölzern, von Gewür - zen und Arzneyen Nachricht verlangen, nur unvollkommen befriedigen; die schöne Maani aber, als ein liebenswürdiger Haus - arzt, weiſs von Wurzeln, Kräutern und Blumen wie sie wachsen, von Harzen, Bal - samen, Oelen, Saamen und Hölzern, wie sie der Handel bringt, genugsame Rechen - schaft zu geben und ihres Gatten Beobach - tung, der Landes-Art gemäſs, zu berei - chern.
Wichtiger aber ist diese Verbindung für Lebens - und Reisethätigkeit. Maani, zwar vollkommen weiblich, zeigt sich von resolutem, allen Ereignissen gewachsenem Charakter; sie fürchtet keine Gefahr, ja471[473] sucht sie eher auf und beträgt sich überall edel und ruhig; sie besteigt auf Mannsweise das Pferd, weiſs es zu bezähmen und anzutrei - ben, und so bleibt sie eine muntere aufregende Gefährtin. Eben so wichtig ist es, daſs sie unterwegs mit den sämmtlichen Frauen in Berührung kommt, und ihr Gatte da - her von den Männern gut aufgenommen, bewirthet und unterhalten wird, indem sie sich auf Frauenweise mit den Gattinnen zu bethun und zu beschäftigen weiſs.
Nun genieſst aber erst das junge Paar eines, bey den bisherigen Wanderungen im türkischen Reiche, unbekannten Glücks. Sie betreten Persien im dreyſsigsten Jahre der Regierung Abbas des zweyten, der sich, wie Peter und Friedrich, den Namen des Groſsen verdiente. Nach einer gefahrvollen, bänglichen Jugend wird er sogleich beym Antritt seiner Regierung aufs deutlichste gewahr, wie er, um sein Reich zu beschü - tzen, die Gränzen erweitern müsse, und was für Mittel es gebe auch innerliche Herrschaft zu sichern; zugleich geht Sinnen und Trachten dahin das entvölkerte Reich durch Fremdlinge wieder herzustellen und472[474] den Verkehr der Seinigen durch öffentliche Wege - und Gastanstalten zu beleben und zu erleichtern. Die gröſsten Einkünfte und Begünstigungen verwendet er zu gränzen - losen Bauten. Ispahan, zur Hauptstadt ge - würdigt, mit Palästen und Gärten, Cara - vansereyen und Häusern, für königliche Gäste übersäet; eine Vorstadt für die Ar - menier erbaut, die, sich dankbar zu bewei - sen, ununterbrochen Gelegenheit finden, in - dem sie für eigene und für königliche Rech - nung handelnd, Profit und Tribut dem Für - sten zu gleicher Zeit abzutragen klug ge - nug sind. Eine Vorstadt für Georgier, eine andere für Nachfahren der Feueranbeter, erweitern abermals die Stadt, die zuletzt so gränzenlos als eine unserer neuen Reichs - mittelpuncte sich erstreckt. Römisch-Ca - tholische Geistliche, besonders Carmeliten sind wohl aufgenommen und beschützt; we - niger die Griechische Religion die, unter dem Schutz der Türken stehend, dem all - gemeinen Feinde Europens und Asiens an - zugehören scheint.
Ueber ein Jahr hatte sich della Valle in Ispahan aufgehalten und seine Zeit un -473[475] unterbrochen thätig benutzt, um von allen Zuständen und Verhältnissen genau Nach - richt einzuziehen. Wie lebendig sind da - her seine Darstellungen! wie genau seine Nachrichten! Endlich, nachdem er alles ausgekostet, fehlt ihm noch der Gipfel des ganzen Zustandes, die persönliche Bekannt - schaft des von ihm so hoch bewunderten Kaisers, der Begriff wie es bey Hof, im Gefecht, bey der Armee zugehe.
In dem Lande Mazenderan, der süd - lichen Küste des Caspischen Meers, in ei - ner, freylich sumpfigen, ungesunden Ge - gend, legte sich der thätige unruhige Fürst abermals eine groſse Stadt an, Ferhabad benannt, und bevölkerte sie mit beorderten Bürgern; sogleich in der Nähe erbaut er sich manchen Bergsitz auf den Höhen des amphitheatralischen Kessels, nicht allzuweit von seinen Gegnern den Russen und Türken, in einer durch Bergrücken geschützten Lage. Dort residirt er gewöhnlich und della Valle sucht ihn auf. Mit Maani kommt er an, wird wohl empfangen, nach einem orientalisch klugen, vorsichtigen Zaudern, dem Könige vorgestellt, gewinnt dessen Gunst und wird474[476] zur Tafel und Trinkgelagen zugelassen, wo er vorzüglich von europäischer Verfassung, Sitte, Religion dem schon wohlunterrich - teten, wissensbegierigen Fürsten Rechen - schaft zu geben hat.
Im Orient überhaupt, besonders aber in Persien, findet sich eine gewisse Naivi - tät und Unschuld des Betragens durch alle Stände bis zur Nähe des Throns. Zwar zeigt sich auf der obern Stufe eine ent - schiedene Förmlichkeit, bey Audienzen, Tafeln und sonst; bald aber entsteht in des Kaisers Umgebung eine Art von Carnevals - Freyheit, die sich höchst scherzhaft aus - nimmt. Erlustigt sich der Kaiser in Gär - ten und Kiosken, so darf niemand in Stie - feln auf die Teppiche treten worauf der Hof sich befindet. Ein tartarischer Fürst kömmt an, man zieht ihm den Stiefel aus; aber er, nicht geübt auf Einem Beine zu stehen, fängt an zu wanken; der Kaiser selbst tritt nun hinzu und hält ihn, bis die Operation vorüber ist. Gegen Abend steht der Kaiser in einem Hofzirkel in welchem goldene, weingefüllte Schaalen herumkrei - sen; mehrere von mäſsigem Gewicht, einige475[477] aber durch einen verstärkten Boden so schwer, daſs der ununterrichtete Gast den Wein verschüttet, wo nicht gar den Be - cher, zu höchster Belustigung des Herrn und der Eingeweihten, fallen läſst. Und so trinkt man im Kreise herum, bis einer, unfähig länger sich auf den Füſsen zu hal - ten, weggeführt wird, oder zur rechten Zeit hinwegschleicht. Beym Abschied wird dem Kaiser keine Ehrerbietung erzeigt, ei - ner verliert sich nach dem andern, bis zu - letzt der Herrscher allein bleibt, einer me - lancholischen Musik noch eine Zeitlang zu - hört und sich endlich auch zur Ruhe be - giebt. Noch seltsamere Geschichten wer - den aus dem Harem erzählt, wo die Frauen ihren Beherrscher kitzeln, sich mit ihm balgen, ihn auf den Teppich zu bringen su - chen, wobey er sich, unter groſsem Geläch - ter, nur mit Schimpfreden zu helfen und zu rächen sucht.
Indem wir nun dergleichen lustige Din - ge von den innern Unterhaltungen des Kai - serlichen Harems vernehmen, so dürfen wir nicht denken, daſs der Fürst und sein Staats - Divan müssig oder nachlässig geblieben. 476[478]Nicht der thätig-unruhige Geist Abbas des Groſsen allein war es der ihn antrieb eine zweyte Hauptstadt am Caspischen Meer zu erbauen; Ferhabat lag zwar höchst günstig zu Jagd - und Hoflust, aber auch, von ei - ner Bergkette geschützt, nahe genug an der Gränze, daſs der Kaiser jede Bewegung der Russen und Türken, seiner Erbfeinde, zeitig vernehmen und Gegenanstalten tref - fen konnte. Von den Russen war gegen - wärtig nichts zu fürchten, das innere Reich, durch Usurpatoren und Trugfürsten zerrüt - tet, genügte sich selbst nicht; die Türken hingegen hatte der Kaiser, schon vor zwölf Jahren in der glücklichsten Feldschlacht, dergestalt überwunden, daſs er in der Folge von dort her nichts mehr zu befahren hat - te, vielmehr noch groſse Landstrecken ih - nen abgewann. Eigentlicher Friede jedoch konnte zwischen solchen Nachbarn sich nimmer befestigen, einzelne Neckereyen, öffentliche Demonstrationen weckten beyde Parteyen zu fortwährender Aufmerksam - keit.
Gegenwärtig aber sieht sich Abbas zu ernsteren Kriegesrüstungen genöthigt. Völ -477[479] lig im urältesten Styl ruft er sein ganzes Heeresvolk in die Flächen von Aderbijan zusammen, es drängt sich in allen seinen Abtheilungen, zu Roſs und Fuſs, mit den mannigfaltigsten Waffen herbey; zugleich ein unendlicher Troſs. Denn jeder nimmt, wie bey einer Auswanderung, Weiber, Kin - der und Gepäcke mit. Auch della Valle führt seine schöne Maani und ihre Frauen, zu Pferd und Senfte, dem Heer und Hofe nach, weſshalb ihn der Kaiser belobt, weil er sich hiedurch als einen angesehenen Mann beweist.
Einer solchen ganzen Nation, die sich massenhaft in Bewegung setzt, darf es nun auch an gar nichts fehlen was sie zu Hause allenfalls bedürfen könnte; weshalb denn Kauf - und Handelsleute aller Art mitzie - hen, überall einen flüchtigen Bazar aufschla - gen, eines guten Absatzes gewärtig. Man vergleicht daher das Lager des Kaisers je - derzeit einer Stadt, worin denn auch so gute Polizey und Ordnung gehandhabt wird, daſs niemand, bey grausamer Strafe, weder fouragiren noch requiriren, viel weniger aber plündern darf, sondern von Groſsen478[480] und Kleinen alles baar bezahlt werden muſs; weſshalb denn nicht allein alle auf dem Wege liegenden Städte sich mit Vorräthen reichlich versehen, sondern auch aus be - nachbarten und entfernteren Provinzen Le - bensmittel und Bedürfnisse unversiegbar zu - flieſsen.
Was aber lassen sich für strategische, was für tactische Operationen von einer solchen organisirten Unordnung erwarten? besonders wenn man erfährt daſs alle Volks - Stamm - und Waffenabtheilungen sich im Gefecht vermischen und ohne bestimmten Vorder -, Neben - und Hintermann, wie es der Zufall giebt, durcheinander kämpfen; daher denn ein glücklich errungener Sieg so leicht umschlagen und eine einzige ver - lorne Schlacht auf viele Jahre hinaus das Schicksal eines Reiches bestimmen kann.
Diesmal aber kommt es zu keinem sol - chen furchtbaren Faust - und Waffengemen - ge. Zwar dringt man, mit undenkbarer Beschwerniſs, durchs Gebirge; aber man zaudert, weicht zurück, macht sogar An - stalten die eigenen Städte zu zerstören, da - mit der Feind in verwüsteten Landstrecken479[481] umkomme. Panischer Allarm, leere Sieges - botschaften schwanken durch einander; fre - ventlich abgelehnte, stolz verweigerte Frie - densbedingungen, verstellte Kampflust, hin - terlistiges Zögern verspäten erst und be - günstigen zuletzt den Frieden. Da zieht nun ein jeder, auf des Kaisers Befehl und Strafgebot ohne weitere Noth und Gefahr als was er von Weg und Gedränge gelit - ten, ungesäumt wieder nach Hause.
Auch della Valle finden wir zu Casbin in der Nähe des Hofes wieder, unzufrie - den, daſs der Feldzug gegen die Türken ein so baldiges Ende genommen. Denn wir haben ihn nicht bloſs als einen neugierigen Reisenden, als einen vom Zufall hin und wieder getriebenen Abenteurer zu betrach - ten; er hegt vielmehr seine Zwecke die er unausgesetzt verfolgt. Persien war damals eigentlich ein Land für Fremde; Abbas vieljährige Liberalität zog manchen muntern Geist herbey, noch war es nicht die Zeit förmlicher Gesandtschaften, kühne, ge - wandte Reisende machen sich geltend. Schon hatte Sherley, ein Engländer, früher sich selbst beauftragt und spielte den Vermittler31480[482]zwischen Osten und Westen; so auch della Valle, unabhängig, wohlhabend, vornehm, gebildet, empfohlen, findet Eingang bey Hofe und sucht gegen die Türken zu rei - zen. Ihn treibt eben dasselbe christliche Mitgefühl das die ersten Kreuzfahrer auf - regte; er hatte die Miſshandlungen from - mer Pilger am heiligen Grabe gesehen, zum Theil mit erduldet, und allen westlichen Nationen war daran gelegen, daſs Constan - tinopel von Osten her beunruhigt werde: aber Abbas vertraut nicht den Christen, die, auf eignen Vortheil bedacht, ihm zur rechten Zeit niemals von ihrer Seite bey - gestanden. Nun hat er sich mit den Tür - ken verglichen; della Valle läſst aber nicht nach und sucht eine Verbindung Persiens mit den Kosaken am schwarzen Meer an - zuknüpfen. Nun kehrt er nach Ispahan zu - rück, mit Absicht sich anzusiedeln und die Römisch-Catholische Religion zu fördern. Erst die Verwandten seiner Frau, dann noch mehr Christen aus Georgien zieht er an sich, eine georgianische Waise nimmt er an Kindesstatt an, hält sich mit den Carmeli - ten, und führt nichts weniger im Sinne als481[483] vom Kaiser eine Landstrecke, zu Gründung eines neuen Roms, zu erhalten.
Nun erscheint der Kaiser selbst wieder in Ispahan, Gesandte von allen Weltgegenden strömen herbey. Der Herrscher zu Pferd, auf dem gröſsten Platze, in Gegenwart sei - ner Soldaten, der angesehnsten Diener - schaft, bedeutender Fremden, deren Vor - nehmste auch alle zu Pferd mit Gefolge sich einfinden, ertheilt er launige Audien - zen; Geschenke werden gebracht, groſser Prunk damit getrieben, und doch werden sie bald hochfahrend verschmäht, bald da - rum jüdisch gemarktet, und so schwankt die Majestät immer zwischen dem Höchsten und Tiefsten. Sodann, bald geheimniſsvoll verschlossen im Harem, bald vor aller Au - gen handelnd, sich in alles Öffentliche ein - mischend, zeigt sich der Kaiser in uner - müdlicher, eigenwilliger Thätigkeit.
Durchaus auch bemerkt man einen be - sondern Freysinn in Religionssachen. Nur keinen Muhamedaner darf man zum Chri - stenthum bekehren; an Bekehrungen zum Islam, die er früher begünstigt, hat er selbst keine Freude mehr. Uebrigens mag man31 *482[484]glauben und vornehmen was man will. So feyern z. B. die Armenier gerade das Fest der Kreuzestaufe, die sie in ihrer prächti - gen Vorstadt, durch welche der Fluſs Syn - deruth läuft, feyerlichst begehen. Dieser Function will der Kaiser nicht allein mit groſsem Gefolge beywohnen, auch hier kann er das Befehlen, das Anordnen nicht lassen. Erst bespricht er sich mit den Pfaf - fen was sie eigentlich vorhaben? dann sprengt er auf und ab, reitet hin und her, und gebietet dem Zug Ordnung und Ruhe, mit Genauigkeit wie er seine Krieger be - handelt hätte. Nach geendigter Feyer sam - melt er die Geistlichen und andere bedeu - tende Männer um sich her, bespricht sich mit ihnen über mancherley Religionsmey - nungen und Gebräuche. Doch diese Frey - heit der Gesinnung gegen andere Glaubens - genossen ist nicht bloſs dem Kaiser per - sönlich, sie findet bey den Schiiten überhaupt statt. Diese, dem Ali anhän - gend, der, erst vom Caliphate verdrängt und als er endlich dazu gelangte, bald er - mordet wurde, können in manchem Sinne als die unterdrückte mahomedanische Reli -483[485] gionspartey angesehen werden; ihr Haſs wendet sich daher hauptsächlich gegen die Sunniten, welche die zwischen Mahomed und Ali eingeschobenen Caliphen mit zäh - len und verehren. Die Türken sind diesem Glauben zugethan und eine sowohl politi - sche als religiöse Spaltung trennt die bey - den Völker; indem nun die Schiiten ihre eigenen verschieden denkenden Glaubensge - nossen aufs äuſserste hassen, sind sie gleich - gültig gegen andere Bekenner und gewäh - ren ihnen weit eher als ihren eigentlichen Gegnern eine geneigte Aufnahme.
Aber auch, schlimm genug! diese Li - beralität leidet unter den Einflüssen Kaiser - licher Willkühr! Ein Reich zu bevölkern oder zu entvölkern ist dem despotischen Willen gleich gemäſs. Abbas, verkleidet auf dem Lande herumschleichend, vernimmt die Miſsreden einiger armenischen Frauen und fühlt sich dergestalt beleidigt, daſs er die grausamsten Strafen über die sämmtli - chen männlichen Einwohner des Dorfes verhängt. Schrecken und Bekümmerniſs verbreiten sich an den Ufern des Synde - ruths, und die Vorstadt Chalfa, erst durch484[486] die Theilnahme des Kaisers an ihrem Feste beglückt, versinkt in die tiefste Trauer.
Und so theilen wir immer die Gefühle groſser, durch den Despotismus wechsels - weise erhöhten und erniedrigten Völker. Nun bewundern wir auf welchen hohen Grad von Sicherheit und Wohlstand Abbas, als Selbst - und Alleinherrscher das Reich erhoben, und zugleich diesem Zustand eine solche Dauer verliehen, daſs seiner Nach - fahren Schwäche, Thorheit, folgeloses Be - tragen erst nach neunzig Jahren, das Reich völlig zu Grunde richten konnten; dann aber müssen wir freylich die Kehrseite die - ses imposanten Bildes hervorwenden.
Da eine jede Alleinherrschaft allen Ein - fluſs ablehnet und die Persönlichkeit des Regenten in gröſster Sicherheit zu bewah - ren hat, so folgt hieraus, daſs der Despot immerfort Verrath argwöhnen, überall Ge - fahr ahnden, auch Gewalt von allen Seiten befürchten müsse, weil er ja selbst nur durch Gewalt seinen erhabenen Posten be - hauptet. Eifersüchtig ist er daher auf je - den, der auſser ihm Ansehn und Vertrauen erweckt, glänzende Fertigkeiten zeigt, Schä -485[487] tze sammlet und an Thätigkeit mit ihm zu wetteifern scheint. Nun muſs aber in je - dem Sinn der Nachfolger am meisten Ver - dacht erregen. Schon zeugt es von einem groſsen Geist des königlichen Vaters wenn er seinen Sohn ohne Neid betrachtet, dem die Natur, in kurzem, alle bisherigen Be - sitzthümer und Erwerbnisse, ohne die Zu - stimmung des mächtig Wollenden, unwider - ruflich übertragen wird. Anderseits wird vom Sohne verlangt, daſs er, edelmüthig, gebildet und geschmackvoll, seine Hoffnun - gen mäſsige, seinen Wunsch verberge und dem väterlichen Schicksal auch nicht dem Scheine nach vorgreife. Und doch! wo ist die menschliche Natur so rein und groſs, so gelassen abwartend, so, unter nothwen - digen Bedingungen, mit Freude thätig? daſs in einer solchen Lage sich der Vater nicht über den Sohn, der Sohn nicht über den Vater beklage. Und wären sie beyde en - gelrein, so werden sich Ohrenbläser zwi - schen sie stellen, die Unvorsichtigkeit wird zum Verbrechen, der Schein zum Beweis. Wie viele Beyspiele liefert uns die Ge - schichte! wovon wir nur des jammervollen486[488] Familienlabyrinths gedenken, in welchem wir den König Herodes befangen sehen. Nicht allein die Seinigen halten ihn immer in schwebender Gefahr, auch ein durch Weissagung merkwürdiges Kind erregt seine Sorgen, und veranlaſst eine allgemein ver - breitete Grausamkeit, unmittelbar vor sei - nem Tode.
Also erging es auch Abbas dem Gro - ſsen; Söhne und Enkel machte man ver - dächtig und sie gaben Verdacht; einer ward unschuldig ermordet, der andere halb schul - dig geblendet. Dieser sprach: mich hast du nicht des Lichts beraubt, aber das Reich.
Zu diesen unglücklichen Gebrechen der Despotie fügt sich unvermeidlich ein ande - res, wobey noch zufälliger und unvor - gesehener sich Gewalttbaten und Verbre - chen entwickeln. Ein jeder Mensch wird von seinen Gewohnheiten regiert, nur wird er, durch äuſsere Bedingungen eingeschränkt, sich mäſsig verhalten und Mäſsigung wird ihm zur Gewohnheit. Gerade das Entge - gengesetzte findet sich bey dem Despoten; ein uneingeschränkter Wille steigert sich487[489] selbst und muſs, von auſsen nicht gewarnt, nach dem völlig Gränzenlosen streben. Wir finden hiedurch das Räthsel gelös’t wie aus einem löblichen jungen Fürsten, dessen erste Regierungsjahre gesegnet wurden, sich nach und nach ein Tyrann entwickelt, der Welt zum Fluch, und zum Untergang der Seinen; die auch deſshalb öfters dieser Qual eine gewaltsame Heilung zu verschaffen ge - nöthigt sind.
Unglücklicherweise nun wird jenes, dem Menschen eingeborne, alle Tugenden be - fördernde Streben ins Unbedingte seiner Wirkung nach schrecklicher wenn physi - sche Reize sich dazu gesellen. Hieraus entsteht die höchste Steigerung, welche glücklicherweise zuletzt in völlige Betäu - bung sich auflös’t. Wir meynen den über - mäſsigen Gebrauch des Weins, welcher die geringe Gränze einer besonnenen Gerechtig - keit und Billigkeit, die selbst der Tyrann als Mensch nicht ganz verneinen kann, au - genblicklich durchbricht und ein gränzenlo - ses Unheil anrichtet. Wende man das Ge - sagte auf Abbas den Groſsen an, der durch seine funfzigjährige Regierung sich zum488[490] einzigen, unbedingt-Wollenden seines aus - gebreiteten, bevölkerten Reichs erhoben hatte; denke man sich ihn freymüthiger Natur, gesellig und guter Laune, dann aber durch Verdacht, Verdruſs und was am schlimmsten ist, durch übel verstandene Gerechtigkeitsliebe irre geführt, durch hef - tiges Trinken aufgeregt, und, daſs wir das Letzte sagen, durch ein schnödes, unheil - bares körperliches Uebel gepeinigt und zur Verzweiflung gebracht: so wird man geste - hen daſs diejenigen Verzeihung, wo nicht Lob verdienen, welche einer so schreckli - chen Erscheinung auf Erden ein Ende mach - ten. Selig preisen wir daher gebildete Völ - ker, deren Monarch sich selbst durch ein edles sittliches Bewuſstseyn regiert; glück - lich die gemäſsigten, bedingten Regierun - gen, die ein Herrscher selbst zu lieben und zu fördern Ursache hat, weil sie ihn man - cher Verantwortung überheben, ihm gar manche Reue ersparen.
Aber nicht allein der Fürst, sondern ein jeder der, durch Vertrauen, Gunst oder Anmaſsung, Theil an der höchsten Macht gewinnt, kommt in Gefahr den Kreis zu489[491] überschreiten, welchen Gesetz und Sitte, Menschen-Gefühl, Gewissen, Religion und Herkommen, zu Glück und Beruhigung um das Menschengeschlecht gezogen haben. Und so mögen Minister und Günstlinge, Volksvertreter und Volk auf ihrer Huth seyn, daſs nicht auch sie, in den Strudel unbedingten Wollens hingerissen, sich und andere unwiederbringlich ins Verderben hinabziehen.
Kehren wir nun zu unserm Reisenden zurück, so finden wir ihn in einer unbe - quemen Lage. Bey aller seiner Vorliebe für den Orient muſs della Valle doch end - lich fühlen daſs er in einem Lande wohnt wo an keine Folge zu denken ist, und wo mit dem reinsten Willen und gröſster Thä - tigkeit kein neues Rom zu erbauen wäre. Die Verwandten seiner Frau lassen sich nicht einmal durch Familien-Bande halten; nachdem sie eine Zeitlang, zu Ispahan, in dem vertraulichsten Kreise gelebt finden sie es doch gerathener zurück an den Eu - phrat zu ziehen, und ihre gewohnte Le - bensweise dort fortzusetzen. Die übrigen Georgier zeigen wenig Eifer, ja die Car -490[492] meliten, denen das groſse Vorhaben vor - züglich am Herzen liegen muſste, können von Rom her weder Antheil noch Beystand erfahren.
Della Valle’s Eifer ermüdet und er ent - schlieſst sich nach Europa zurückzukeh - ren, leider gerade zur ungünstigsten Zeit. Durch die Wüste zu ziehen scheint ihm unleidlich, er beschlieſst über Indien zu gehen; aber jetzt eben entspinnen sich Kriegshändel zwischen Portugiesen, Spa - niern und Engländern wegen Ormus, dem bedeutendsten Handelsplatz, und Abbas findet seinem Vortheil gemäſs Theil daran zu nehmen. Der Kaiser beschlieſst die un - bequemen portugiesischen Nachbarn zu be - kämpfer, zu entfernen und die hülfreichen Engländer zuletzt; vielleicht durch List und Verzögerung, um ihre Absichten zu bringen und alle Vortheile sich zuzueignen.
In solchen bedenklichen Zeitläuften überrascht nun unsern Reisenden das wun - derbare Gefühl eigner Art, das den Men - schen mit sich selbst in den gröſsten Zwie - spalt setzt, das Gefühl der weiten Entfer - nung vom Vaterlande, im Augenblick wo491[493] wir, unbehaglich in der Fremde, nach Hause zurückzuwandern, ja schon dort an - gelangt zu seyn wünschten. Fast unmög - lich ist es in solchem Fall sich der Unge - duld zu erwehren; auch unser Freund wird davon ergriffen, sein lebhafter Charakter, sein edles tüchtiges Selbstvertrauen täuschen ihn über die Schwierigkeiten die im Wege stehen. Seiner zu Wagnissen aufgelegten Kühnheit ist es bisher gelungen alle Hin - dernisse zu besiegen, alle Plane durchzu - setzen, er schmeichelt sich fernerhin mit gleichem Glück und entschlieſst sich, da eine Rückkehr ihm durch die Wüste unerträg - lich scheint, zu dem Weg über Indien, in Gesellschaft seiner schönen Maani und ihrer Pflegetochter Mariuccia.
Manches unangenehme Ereigniſs tritt ein, als Vorbedeutung künftiger Gefahr; doch zieht er über Persepolis und Schiras, wie immer aufmerkend, Gegenstände, Sit - ten und Landesart genau bezeichnend und aufzeichnend. So gelangt er an den persi - schen Meerbusen, dort aber findet er, wie vorauszusehen gewesen, die sämmtlichen Häfen geschlossen, alle Schiffe, nach Kriegs -492[494] gebrauch, in Beschlag genommen. Dort am Ufer, in einer höchst ungesunden Ge - gend, trifft er Engländer gelagert, deren Caravane gleichfalls aufgehalten, einen gün - stigen Augenblick erpassen möchte. Freund - lich aufgenommen, schlieſst er sich an sie an, errichtet seine Gezelte nächst den ih - rigen und eine Palmhütte zu besserer Be - quemlichkeit. Hier scheint ihm ein freund - licher Stern zu leuchten! Seine Ehe war bisher kinderlos, und zu gröſster Freude beyder Gatten erklärt sich Maani guter Hoffnung; aber ihn ergreift eine Krank - heit, schlechte Kost und böse Luft zeigen den schlimmsten Einfluſs auf ihn und lei - der auch auf Maani, sie kommt zu früh nieder und das Fieber verläſst sie nicht. Ihr standhafter Charakter, auch ohne ärzt - liche Hülfe, erhält sie noch eine Zeitlang, sodann aber fühlt sie ihr Ende heranna - hen, ergiebt sich in frommer Gelassen - heit, verlangt aus der Palmenhütte unter die Zelte gebracht zu seyn, woselbst sie, indem Mariuccia die geweihte Kerze hält und della Valle die herkömmlichen Gebete verrichtet, in seinen Armen verscheidet. 493[495]Sie hatte das dreyundzwanzigste Jahr er - reicht.
Einem solchen ungeheuren Verluste zu schmeicheln beschlieſst er fest und unwi - derruflich den Leichnam in sein Erbbegräb - niſs mit nach Rom zu nehmen. An Har - zen, Balsamen und kostbaren Specereyen fehlt es ihm, glücklicherweise findet er eine Ladung des besten Kampfers, welcher, kunstreich durch erfahrne Personen ange - wendet, den Körper erhalten soll.
Hiedurch aber übernimmt er die gröſste Beschwerde, indem er so fortan den Aber - glauben der Cameeltreiber, die habsüchtigen Vorurtheile der Beamten, die Aufmerksam - keit der Zollbedienten auf der ganzen künf - tigen Reise zu beschwichtigen oder zu be - stechen hat.
Nun begleiten wir ihn nach Lar, der Hauptstadt des Laristan, wo er bessere Luft, gute Aufnahme findet, und die Er - oberung von Ormus durch die Perser ab - wartet. Aber auch ihre Triumphe dienen ihm zu keiner Förderniſs. Er sieht sich wieder nach Schiras zurückgedrängt, bis er denn doch endlich mit einem englischen494[496] Schiffe nach Indien geht. Hier finden wir sein Betragen dem bisherigen gleich; sein standhafter Muth, seine Kenntnisse, seine adlichen Eigenschaften verdienen ihm über - all leichten Eintritt und ehrenvolles Ver - weilen, endlich aber wird er doch nach dem persischen Meerbusen zurück und zur Heimfahrt durch die Wüste genöthigt.
Hier erduldet er alle gefürchteten Un - bilden. Von Stammhäuptern decimirt, taxirt von Zollbeamten, beraubt von Arabern und selbst in der Christenheit überall vexirt und verspätet, bringt er doch endlich Curiosi - täten und Kostbarkeiten genug, das Selt - samste und Kostbarste aber, den Körper seiner geliebten Maani nach Rom. Dort, auf Ara cöli, begeht er ein herrliches Lei - chenfest und als er in die Grube hinab - steigt, ihr die letzte Ehre zu erweisen, fin - den wir zwey Jungfräulein neben ihm, Silvia, eine während seiner Abwesenheit anmuthig herangewachsenen Tochter, und Tinatin di Ziba, die wir bisher unter dem Namen Mariuccia gekannt, beyde un - gefähr funfzehnjährig. Letztere, die seit dem Tode seiner Gemalin eine treue Rei -497 segefährtin und einziger Trost gewesen, nunmehr zu heirathen entschlieſst er sich, gegen den Willen seiner Verwandten, ja des Papstes, die ihm vornehmere und rei - chere Verbindungen zudenken. Nun be - thätigt er, noch mehrere Jahre glanzreich, einen heftig-kühnen und muthigen Cha - rakter, nicht ohne Händel, Verdruſs und Gefahr, und hinterläſst bey seinem Tode, der im sechsundsechzigsten Jahre erfolgt, eine zahlreiche Nachkommenschaft.
Es läſst sich bemerken daſs ein jeder den Weg, auf welchem er zu irgend einer Kenntniſs und Einsicht gelangt, allen übri - gen vorziehen und seine Nachfolger gern auf denselben einleiten und einweihen möch - te. In diesem Sinne hab’ ich Peter della Valle umständlich dargestellt, weil er der - jenige Reisende war, durch den mir die Eigenthümlichkeiten des Orients am ersten32498und klarsten aufgegangen, und meinem Vor - urtheil will scheinen daſs ich durch diese Darstellung erst meinem Divan einen ei - genthümlichen Grund und Boden gewon - nen habe. Möge dieſs andern zur Aufmun - terung gereichen, in dieser Zeit, die so reich an Blättern und einzelnen Heften ist, einen Folianten durchzulesen, durch den sie entschieden in eine bedeutende Welt gelangen, die ihnen in den neusten Reise - beschreibungen zwar oberflächlich-umgeän - dert, im Grund aber als dieselbe erschei - nen wird, welche sie dem vorzüglichen Manne zu seiner Zeit erschien.
Die Bogenzahl unserer, bis hierher ab - gedruckten Arbeiten erinnert uns vorsich - tiger und weniger abschweifend von nun an fortzufahren. Deſswegen sprechen wir von dem genannten trefflichen Manne nur im Vorübergehen. Sehr merkwürdig ist es, verschiedene Nationen als Reisende zu be - trachten. Wir finden Engländer, unter welchen wir Sherley und Herbert ungern vorbeygingen; sodann aber Italiäner; zu - letzt Franzosen. Hier trete nun ein Deut - scher hervor in seiner Kraft und Würde. Leider war er auf seiner Reise nach dem persischen Hof an einen Mann gebunden, der mehr als Abenteurer, denn als Gesand - ter erscheint; in beidem Sinne aber sich eigenwillig, ungeschickt, ja unsinnig be - nimmt. Der Geradsinn des trefflichen Olea - rius läſst sich dadurch nicht irre machen; er giebt uns höchst erfreuliche und belehrende Reiseberichte, die um so schätzbarer sind,32 *500als er nur wenige Jahre nach della Valle und kurz nach dem Tode Abbas des Gro - ſsen nach Persien kam, und bey seiner Rückkehr die Deutschen mit Saadi dem Trefflichen, durch eine tüchtige und er - freuliche Uebersetzung bekannt machte. Ungern brechen wir ab, weil wir auch diesem Manne, für das Gute das wir ihm schuldig sind, gründlichen Dank abzutra - gen wünschten. In gleicher Stellung finden wir uns gegen die beyden folgenden, deren Verdienste wir auch nur oberflächlich be - rühren dürfen.
Ersterer, Goldschmidt und Juwelen - händler, dringt mit Verstand und klugem Betragen, kostbar-kunstreiche Waaren zu seiner Empfehlung vorzeigend, an die orien - talischen Höfe und weiſs sich überall zu schicken und zu finden. Er gelangt nach Indien zu den Demantgruben, und, nach einer gefahrvollen Rückreise, wird er im Westen nicht zum freundlichsten aufgenom - men. Dessen hinterlassene Schriften sind höchst belehrend, und doch wird er von seinem Landsmann, Nachfolger und Rival Chardin nicht sowohl im Lebensgange gehindert, als in der öffentlichen Meynung nachher verdunkelt. Dieser, der sich gleich zu Anfang seiner Reise durch die gröſsten Hindernisse durcharbeiten muſs, versteht denn auch die Sinnesweise orientalischer Macht - und Geldhaber, die zwischen Groſs - muth und Eigennutz schwankt, trefflich zu502 benutzen, und ihrer, beym Besitz der gröſs - ten Schätze, nie zu stillenden Begier nach frischen Juwelen und fremden Goldarbeiten vielfach zu dienen, deſshalb er denn auch nicht ohne Glück und Vortheil wieder nach Hause zurückkehrt.
An diesen beyden Männern ist Ver - stand, Gleichmuth, Gewandtheit, Beharr - lichkeit, einnehmendes Betragen und Stand - haftigkeit nicht genug zu bewundern, und könnte jeder Weltmann sie auf seiner Le - bensreise als Muster verehren. Sie besaſsen aber zwey Vortheile, die nicht einem je - den zu statten kommen; sie waren Prote - stanten und Franzosen zugleich. Eigen - schaften, die, zusammen verbunden, höchst fähige Individuen hervorzubringen im Stande sind.
Was wir dem achtzehnten und schon dem neunzehnten Jahrhundert verdanken, darf hier gar nicht berührt werden. Die Engländer haben uns in der letzten Zeit über die unbekanntesten Gegenden aufge - klärt. Das Königreich Kabul, das alte Gedrosien und Caramanien sind uns zu - gänglich geworden. Wer kann seine Bli - cke zurückhalten daſs sie nicht über den Indus hinüberstreifen und dort die groſse Thätigkeit anerkennen die täglich weiter um sich greift; und so muſs sich denn, hie - durch gefördert, auch im Occident, die Lust nach ferner und tieferer Sprachkennt - niſs immer erweitern. Wenn wir beden - ken, welche Schritte Geist und Fleiſs Hand in Hand gethan haben, um aus dem be - schränkten hebräisch-rabbinischen Kreise bis zur Tiefe und Weite des Sanscrit zu gelangen; so erfreut man sich, seit so vie - len Jahren, Zeuge dieses Fortschreitens zu504 seyn. Selbst die Kriege die, so manches hindernd, zerstören, haben der gründlichen Einsicht viele Vortheile gebracht. Von den Himelaja-Gebirgen herab sind uns die Län - dereyen zu beiden Seiten des Indus, die bisher noch mährchenhaft genug geblieben, klar, mit der übrigen Welt im Zusammen - hang erschienen. Ueber die Halbinsel hin - unter bis Java können wir nach Belieben, nach Kräften und Gelegenheit unsere Ueber - sicht ausdehnen und uns im Besondersten unterrichten; und so öffnet sich den jün - gern Freunden des Orients eine Pforte nach der andern, um die Geheimnisse jener Ur - welt, die Mängel einer seltsamen Verfas - sung und unglücklichen Religion, so wie die Herrlichkeit der Poesie kennen zu ler - nen, in die sich reine Menschheit, edle Sitte, Heiterkeit und Liebe flüchtet, um uns über Castenstreit, phantastische Reli - gions-Ungeheuer und abstrusen Mysticis - mus zu trösten und zu überzeugen, daſs doch zuletzt in ihr das Heil der Mensch - heit aufbewahrt bleibe.
Sich selbst genaue Rechenschaft zu ge - ben von wem wir, auf unserem Lebens - und Studiengange, dieses oder jenes gelernt, wie wir nicht allein durch Freunde und Genossen, sondern auch durch Widersacher und Feinde gefördert worden, ist eine schwierige, kaum zu lösende Aufgabe. In - dessen fühl’ ich mich angetrieben einige Männer zu nennen, denen ich besonderen Dank abzutragen schuldig bin.
Jones. Die Verdienste dieses Mannes sind so weltbekannt und an mehr als einem Orte umständlich gerühmt, daſs mir nichts übrig bleibt als nur im Allgemeinen anzu - erkennen daſs ich aus seinen Bemühungen von jeher möglichsten Vortheil zu ziehen gesucht habe; doch will ich eine Seite be - zeichnen, von welcher er mir besonders merkwürdig geworden.
506Er, nach ächter englischer Bildungs - weise, in griechischer und lateinischer Li - teratur dergestalt gegründet, daſs er nicht allein die Producte derselben zu würdern, sondern auch selbst in diesen Sprachen zu arbeiten weiſs, mit den europäischen Lite - raturen gleichfalls bekannt, in den orien - talischen bewandert, erfreut er sich der doppelt schönen Gabe, einmal eine jede Nation in ihren eigensten Verdiensten zu schätzen, sodann aber das Schöne und Gute worin sie sämmtlich einander nothwendig gleichen überall aufzufinden.
Bey der Mittheilung seiner Einsichten jedoch findet er manche Schwierigkeit, vor - züglich stellt sich ihm die Vorliebe seiner Nation für alte classische Literatur entge - gen und wenn man ihn genau beobachtet, so wird man leicht gewahr daſs er, als ein kluger Mann, das Unbekannte ans Be - kannte, das Schätzenswerthe an das Ge - schätzte anzuschlieſsen sucht; er verschleyert seine Vorliebe für asiatische Dichtkunst und giebt mit gewandter Bescheidenheit meistens solche Beyspiele, die er lateinischen und griechischen hochbelobten Gedichten507 gar wohl an die Seite stellen darf, er be - nutzt die rhythmischen antiken Formen, um die anmuthigen Zartheiten des Orients auch Classicisten eingänglich zu machen. Aber nicht allein von alterthümlicher, sondern auch von patriotischer Seite mochte er viel Verdruſs erlebt haben, ihn schmerzte Herab - setzung orientalischer Dichtkunst; welches deutlich hervorleuchtet aus dem hart-iro - nischen, nur zweyblättrigen Aufsatz: Arabs, sive de Poësi Anglorum Dialogus, am Schlusse seines Werkes: über Asiatische Dichtkunst. Hier stellt er uns mit offenbarer Bitterkeit vor Augen, wie absurd sich Milton und Pope im orientalischen Gewand ausnähmen; woraus denn folgt, was auch wir so oft wiederholen, daſs man jeden Dichter in seiner Sprache und im eigenthümlichen Be - zirk seiner Zeit und Sitten aufsuchen, ken - nen und schätzen müsse.
Eichhorn. Mit vergnüglicher An - erkennung bemerke ich, daſs ich bey meinen gegenwärtigen Arbeiten noch das - selbe Exemplar benutze, welches mir der508 hochverdiente Mann, von seiner Ausgabe des Jones’schen Werks, vor zweyundvier - zig Jahren verehrte, als wir ihn noch un - ter die Unseren zählten und aus seinem Munde gar manches Heilsam-Belehrende vernahmen. Auch die ganze Zeit über bin ich seinem Lehrgange im Stillen gefolgt, und in diesen letzten Tagen freute ich mich höchlich abermals von seiner Hand das höchst wichtige Werk, das uns die Propheten und ihre Zustände aufklärt, vollendet zu erhalten. Denn was ist erfreulicher, für den ruhig-verständigen Mann, wie für den aufgeregten Dichter, als zu sehen, wie jene gottbegabten Männer mit hohem Gei - ste ihre bewegte Zeitumgebung betrachte - ten und auf das Wundersam-Bedenkliche was vorging strafend, warnend, tröstend und herzerhebend hindeuteten.
Mit diesem Wenigen sey mein dankba - rer Lebensbezug zu diesem würdigen Manne treulich ausgesprochen.
Lorsbach. Schuldigkeit ist es hier auch des wackern Lorsbach zu gedenken. 509Er kam betagt in unsern Kreis, wo er, in keinem Sinne, für sich eine behagliche La - ge fand; doch gab er mir gern über alles worüber ich ihn befragte treuen Bescheid, sobald es innerhalb der Grenze seiner Kennt - nisse lag, die er oft mochte zu scharf ge - zogen haben.
Wundersam schien es mir anfangs ihn als keinen sonderlichen Freund orientali - scher Poesie zu finden; und doch geht es einem jeden auf ähnliche Weise, der auf irgend ein Geschäft mit Vorliebe und En - thusiasmus Zeit und Kräfte verwendet und doch zuletzt eine gehoffte Ausbeute nicht zu finden glaubt. Und dann ist ja das Al - ter die Zeit die des Genusses entbehrt, da wo ihn der Mensch am meisten verdiente. Sein Verstand und seine Redlichkeit waren gleich heiter und ich erinnere mich der Stunden die ich mit ihm zubrachte immer mit Vergnügen.
Einen bedeutenden Einfluſs auf mein Studium, den ich dankbar erkenne, hatte der Prälat von Diez. Zur Zeit da ich mich um orientalische Literatur näher beküm - merte, war mir das Buch des Kabus zu Handen gekommen, und schien mir so be - deutend, daſs ich ihm viele Zeit widmete und mehrere Freunde zu dessen Betrachtung aufforderte. Durch einen Reisenden bot ich jenem schätzbaren Manne, dem ich so viel Belehrung schuldig geworden, einen ver - bindlichen Gruſs. Er sendete mir dagegen freundlich das kleine Büchlein über die Tulpen. Nun lieſs ich, auf seidenartiges Papier, einen kleinen Raum mit prächtiger goldner Blumen-Einfassung verzieren, wor - in ich nachfolgendes Gedicht schrieb:
511Und so entspann sich eine briefliche Unterhaltung, die der würdige Mann, bis an sein Ende, mit fast unleserlicher Hand, unter Leiden und Schmerzen getreulich fort - setzte.
Da ich nun mit Sitten und Geschichte des Orients bisher nur im Allgemeinen, mit Sprache so gut wie gar nicht bekannt ge - wesen, war eine solche Freundlichkeit mir von der gröſsten Bedeutung. Denn weil es mir, bey einem vorgezeichneten, metho - dischen Verfahren, um augenblickliche Auf - klärung zu thun war, welche in Büchern zu finden Kraft und Zeit verzehrenden Auf - wand erfordert hätte, so wendete ich mich in bedenklichen Fällen an ihn, und erhielt auf meine Frage jederzeit genügende und512 fördernde Antwort. Diese seine Briefe ver - dienten gar wohl wegen ihres Gehalts ge - druckt und als ein Denkmal seiner Kennt - nisse und seines Wohlwollens aufgestellt zu werden. Da ich seine strenge und ei - gene Gemüthsart kannte, so hütete ich mich ihn von gewisser Seite zu berühren; doch war er gefällig genug, ganz gegen seine Denkweise, als ich den Charakter des Nuſsreddin Chodscha, des lustigen Reise - und Zeltgefährten des Welteroberers Timur, zu kennen wünschte, mir einige jener Anecdoten zu übersetzen. Woraus denn abermal hervorging, daſs gar manche verfängliche Mährchen, welche die West - länder nach ihrer Weise behandelt, sich vom Orient herschreiben, jedoch die ei - gentliche Farbe, den wahren angemessenen Ton bey der Umbildung meistentheils ver - loren.
Da von diesem Buche das Manuscript sich nun auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin befindet, wäre es sehr zu wün - schen daſs ein Meister dieses Faches uns eine Uebersetzung gäbe. Vielleicht wäre sie in lateinischer Sprache am füglichsten513 zu unternehmen, damit der Gelehrte vor - erst vollständige Kenntniſs davon erhielte. Für das deutsche Publikum lieſse sich als - denn recht wohl eine anständige Ueberse - tzung im Auszug veranstalten.
Daſs ich an des Freundes übrigen Schriften, den Denkwürdigkeiten des Orients u. s. w. Theil genommen und Nutzen daraus gezogen, davon möge gegen - wärtiges Heft Beweise führen; bedenklicher ist es zu bekennen daſs auch seine, nicht gerade immer zu billigende, Streitsucht mir vielen Nutzen geschafft. Erinnert man sich aber seiner Universitäts-Jahre, wo man gewiſs zum Fechtboden eilte, wenn ein paar Mei - ster oder Senioren Kraft und Gewandtheit gegen einander versuchten, so wird niemand in Abrede seyn, daſs man bey solcher Ge - legenheit Stärken und Schwächen gewahr wurde, die einem Schüler vielleicht für immer verborgen geblieben wären.
Der Verfasser des Buches Kabus, Kjekjawus, König der Dilemiten, wel - che das Gebirgs-Land Ghilan, das gegen Mittag den Pontus euxinus abschlieſst, bewohnten, wird uns bey näherer Bekannt -33514schaft doppelt lieb werden. Als Kronprinz höchst sorgfältig zum freysten, thätigsten Leben erzogen, verlieſs er das Land, um weit in Osten sich auszubilden und zu prü - fen.
Kurz nach dem Tode Mahmuds, von welchem wir so viel Rühmliches zu melden hatten, kam er nach Gasna, wurde von dessen Sohne Messud freundlichst aufge - nommen und, in Gefolg mancher Kriegs - und Friedensdienste, mit einer Schwester vermählt. An einem Hofe, wo vor we - nigen Jahren Firdusi das Schach Nameh ge - schrieben, wo eine groſse Versammlung von Dichtern und talentvollen Menschen nicht ausgestorben war, wo der neue Herr - scher, kühn und kriegerisch wie sein Va - ter, geistreiche Gesellschaft zu schätzen wuſste, konnte Kjekjawus auf seiner Irr - fahrt den köstlichsten Raum zu fernerer Ausbildung finden.
Doch müssen wir zuerst von seiner Erziehung sprechen. Sein Vater hatte, die körperliche Ausbildung aufs höchste zu stei - gern, ihn einem trefflichen Pädagogen über - geben. Dieser brachte den Sohn zurück,515 geübt in allen ritterlichen Gewandtheiten: zu schieſsen, zu reiten, reitend zu schie - ſsen, den Speer zu werfen, den Schlägel zu führen und damit den Ball aufs geschick - teste zu treffen. Nachdem dieſs alles voll - kommen gelang und der König zufrieden schien, auch deſshalb den Lehrmeister höch - lich lobte, fügte er hinzu: Ich habe doch noch eins zu erinnern. Du hast meinen Sohn in allem unterrichtet, wozu er frem - der Werkzeuge bedarf, ohne Pferd kann er nicht reiten, nicht schieſsen ohne Bo - gen, was ist sein Arm wenn er keinen Wurfspieſs hat, und was wäre das Spiel ohne Schlägel und Ball. Das Einzige hast du ihn nicht gelehrt, wo er sein selbst al - lein bedarf, welches das Nothwendigste ist und wo ihm niemand helfen kann. Der Lehrer stand beschämt und vernahm daſs dem Prinzen die Kunst zu schwimmen feh - le. Auch diese wurde, jedoch mit einigem Widerwillen des Prinzen, erlernt und diese rettete ihm das Leben, als er auf einer Reise nach Mekka, mit einer groſsen Men - ge Pilger, auf dem Euphrat scheiternd nur mit wenigen davon kam.
33 *516Daſs er geistig in gleich hohem Grade gebildet gewesen beweist die gute Auf - nahme die er an dem Hofe von Gasna ge - funden, daſs er zum Gesellschafter des Für - sten ernannt war, welches damals viel hei - ſsen wollte, weil er gewandt seyn muſste, verständig und angenehm von allem Vor - kommenden genügende Rechenschaft zu ge - ben.
Unsicher war die Thronfolge von Ghi - lan, unsicher der Besitz des Reiches selbst, wegen mächtiger, eroberungssüchtiger Nach - barn. Endlich nach dem Tode seines erst abgesetzten, dann wieder eingesetzten kö - niglichen Vaters bestieg Kjekjawus mit groſser Weisheit und entschiedener Erge - benheit in die mögliche Folge der Ereig - nisse den Thron, und, in hohem Alter, da er voraussah daſs der Sohn Ghilan Schach noch einen gefährlichern Stand haben werde als er selbst, schreibt er dieſs merkwürdige Buch, worin er zu seinem Sohne spricht: „ daſs er ihn mit Künsten und Wissenschaften aus dem doppelten Grunde bekannt mache, um entweder durch irgend eine Kunst seinen Unterhalt zu ge -517 winnen, wenn er durchs Schicksal in die Nothwendigkeit versetzt werden möchte, oder im Fall er der Kunst zum Unterhalt nicht bedürfte, doch wenigstens vom Grun - de jeder Saohe wohl unterrichtet zu seyn, wenn er bey der Hoheit verbleiben sollte.
Wäre in unsern Tagen den hohen Emigrirten, die sich oft mit musterhafter Ergebung von ihrer Hände Arbeit nährten, ein solches Buch zu Handen gekommen, wie tröstlich wäre es ihnen gewesen.
Daſs ein so vortreffliches, ja unschätz - bares Buch nicht mehr bekannt geworden, daran mag hauptsächlich Ursache seyn, daſs es der Verfasser auf seine eigene Kosten herausgab und die Firma Nicolai solches nur in Commission genommen hatte, wo - durch gleich für ein solches Werk im Buch - handel eine ursprüngliche Stockung entsteht. Damit aber das Vaterland wisse, welcher Schatz ihm hier zubereitet liegt, so setzen wir den Inhalt der Capitel hierher und er - suchen die schätzbaren Tagesblätter, wie das Morgenblatt und der Gesellschaft - ter, die so erbaulichen als erfreulichen Anecdoten und Geschichten, nicht weniger518 die groſsen unvergleichlichen Maximen, die dieses Werk enthält, vorläufig allgemein bekannt zu machen.
Inhalt des Buches Kabus capitelweise.
Wie man nun aus einem Buche solchen Inhalts sich ohne Frage eine ausgebreitete Kenntniſs der orientalischen Zustände ver - sprechen kann, so wird man nicht zweiflen daſs man darin Analogien genug finden wer - de sich in seiner europäischen Lage zu be - lehren und zu beurtheilen.
Zum Schluſs eine kurze chronologische Wiederholung. König Kjekjawus kam un - gefähr zur Regierung Heg 450 = 1058, re - gierte noch Heg 473 = 1080, vermählt mit einer Tochter des Sultan Mahmud von Ghasna. Sein Sohn, Ghilan Schach, für welchen er das Werk schrieb, ward seiner521 Länder beraubt. Man weiſs wenig von seinem Leben, nichts von seinem Tode. Siehe Diez Uebersetzung. Berlin 1811.
Diejenige Buchhandlung die vorgemelde - tes Werk in Verlag oder Commission über - nommen wird ersucht solches anzuzeigen. Ein billiger Preis wird die wünschenswerthe Verbreitung erleichtern.
Wie viel ich diesem würdigen Mann schuldig geworden, beweist mein Büchlein in allen seinen Theilen. Längst war ich auf Hafis und dessen Gedichte aufmerksam, aber was mir auch Literatur, Reisebeschrei - bung Zeitblatt und sonst zu Gesicht brachte, gab mir keinen Begriff, keine Anschauung von dem Werth, von dem Verdienste die - ses auſserordentlichen Mannes. Endlich aber, als mir, im Frühling 1813, die voll -522 ständige Uebersetzung aller seiner Werke zukam, ergriff ich mit besonderer Vorliebe sein inneres Wesen und suchte mich durch eigene Production mit ihm in Verhältniſs zu setzen. Diese freundliche Beschäftigung half mir über bedenkliche Zeiten hinweg, und lieſs mich zuletzt die Früchte des er - rungenen Friedens aufs angenehmste genie - ſsen.
Schon seit einigen Jahren war mir der schwunghafte Betrieb der Fundgruben im Allgemeinen bekannt geworden, nun aber erschien die Zeit wo ich Vortheil daraus gewinnen sollte. Nach mannichfaltigen Sei - ten hin deutete dieses Werk, erregte und befriedigte zugleich das Bedürfniſs der Zeit; und hier bewahrheitete sich mir abermals die Erfahrung, daſs wir in jedem Fach von den Mitlebenden auf das schönste gefördert werden, sobald man sich ihrer Vorzüge dankbar und freundlich bedienen mag. Kennt - niſsreiche Männer belehren uns über die Vergangenheit, sie geben den Standpunct an, auf welchem sich die augenblickliche Thätigkeit hervorthut, sie deuten vorwärts auf den nächsten Weg, den wir einzuschla -523 gen haben. Glücklicher Weise wird ge - nanntes herrliche Werk noch immer mit gleichem Eifer fortgesetzt, und wenn man auch in diesem Felde seine Untersuchungen rückwärts anstellt; so kehrt man doch im - mer gern mit erneutem Antheil zu demje - nigen zurück, was uns hier so frisch ge - nieſsbar und brauchbar von vielen Seiten geboten wird.
Um jedoch eines zu erinnern muſs ich gestehen, daſs mich diese wichtige Samm - lung noch schneller gefördert hätte, wenn die Herausgeber, die freylich nur für voll - endete Kenner eintragen und arbeiten, auch auf Laien und Liebhaber ihr Augenmerk gerichtet und, wo nicht allen, doch meh - reren Aufsätzen eine kurze Einleitung, über die Umstände vergangner Zeit, Persönlich - keiten, Localitäten, vorgesetzt hätten; da denn freylich manches mühsame und zer - streuende Nachsuchen dem Lernbegierigen wäre erspart worden.
Doch alles was damals zu wünschen blieb ist uns jetzt in reichlichem Maſse ge - worden, durch das unschätzbare Werk, das uns Geschichte persischer Dichtkunst524 überliefert. Denn ich gestehe gern daſs schon im Jahre 1814, als die Göttinger Anzeigen uns die erste Nachricht von des - sen Inhalt vorläufig bekannt machten, ich sogleich meine Studien nach den gegebenen Rubriken ordnete und einrichtete, wodurch mir ein ansehnlicher Vortheil geworden. Als nun aber das mit Ungeduld erwartete Ganze endlich erschien, fand man sich auf einmal wie mitten in einer bekannten Welt, deren Verhältnisse man klar im Einzelnen erkennen und beachten konnte, da wo man sonst nur im Allgemeinsten, durch wech - selnde Nebelschichten bindurchsah.
Möge man mit meiner Benutzung die - ses Werks einigermaſsen zufrieden seyn und die Absicht erkennen auch diejenigen anzulocken, welche diesen gehäuften Schatz auf ihrem Lebenswege vielleicht weit zur Seite gelassen hätten.
Gewiſs besitzen wir nun ein Fun - dament, worauf die persische Literatur herrlich und übersehbar aufgebaut werden kann, nach dessen Muster auch andere Li - teraturen Stellung und Förderniſs gewin - nen sollen. Höchst wünschenswerth bleibt525 es jedoch daſs man die chronologische Ord - nung immerfort beybehalte und nicht etwa einen Versuch mache einer systematischen Aufstellung, nach den verschiedenen Dicht - arten. Bey den orientalischen Poeten ist alles zu sehr gemischt, als daſs man das Einzelne sondern könnte; der Charakter der Zeit und des Dichters in seiner Zeit ist allein belehrend und wirkt belebend auf einen jeden; wie es hier geschehen, bleibe ja die Behandlung sofortan.
Mögen die Verdienste der glänzenden Schirin, des lieblich ernst belehrenden Klee - blatts, das uns eben am Schluſs unserer Arbeit erfreut, allgemein anerkannt werden.
Da nun aber auch der Deutsche durch Uebersetzungen aller Art gegen den Orient immer weiter vorrückt, so finden wir uns veranlaſst etwas zwar Bekanntes, doch nie genug zu Wiederholendes an dieser Stelle beyzubringen.
Es giebt dreyerley Arten Uebersetzung. Die erste macht uns in unserm eigenen Sinne mit dem Auslande bekannt, eine schlicht ‒ prosaische ist hiezu die beste. Denn indem die Prosa alle Eigenthümlich - keiten einer jeden Dichtkunst völlig auf - hebt und selbst den poetischen Enthusias - mus auf eine allgemeine Wasser-Ebne nie - derzieht, so leistet sie für den Anfang den gröſsten Dienst, weil sie uns mit dem frem - den Vortrefflichen, mitten in unserer natio - nellen Häuslichkeit, in unserem gemeinen Leben überrascht und, ohne daſs wir wis - sen wie uns geschieht, eine höhere Stim -527 mung verleihend, wahrhaft erbaut. Eine solche Wirkung wird Luthers Bibelüber - setzung jederzeit hervorbringen.
Hätte man die Nibelungen gleich in tüchtige Prosa gesetzt und sie zu einem Volksbuche gestempelt, so wäre viel ge - wonnen worden, und der seltsame, ernste, düstere, grauerliche Rittersinn hätte uns mit seiner vollkommenen Kraft angespro - chen. Ob dieses jetzt noch räthlich und thunlich sey werden diejenigen am besten beurtheilen, die sich diesen alterthümlichen Geschäften entschiedener gewidmet haben.
Eine zweyte Epoche folgt hierauf, wo man sich in die Zustände des Auslandes zwar zu versetzen, aber eigentlich nur fremden Sinn sich anzueignen und mit eig - nem Sinne wieder darzustellen bemüht ist. Solche Zeit möchte ich im reinsten Wort - verstand die parodistische nennen. Meistentheils sind es geistreiche Menschen, die sich zu einem solchen Geschäft beru - fen fühlen. Die Franzosen bedienen sich dieser Art bey Uebersetzung aller poetischen Werke; Beyspiele zu Hunderten lassen sich in Delilles Uebertragungen finden. Der528 Franzose, wie er sich fremde Worte mund - recht macht, verfährt auch so mit den Ge - fühlen, Gedanken, ja den Gegenständen, er fordert durchaus für jede fremde Frucht ein Surrogat das auf seinem eignen Grund und Boden gewachsen sey.
Wielands Uebersetzungen gehören zu dieser Art und Weise; auch er hatte einen eigenthümlichen Verstands - und Geschmack - sinn, mit dem er sich dem Alterthum, dem Auslande nur insofern annäherte, als er seine Convenienz dabey fand. Dieser vor - zügliche Mann darf als Repräsentant seiner Zeit angesehen werden; er hat auſseror - dentlich gewirkt, indem gerade das was ihn anmuthete, wie er sichs zueignete und es wieder mittheilte, auch seinen Zeitge - nossen angenehm und genieſsbar begeg - nete.
Weil man aber weder im Vollkommenen noch Unvollkommenen lange verharren kann, sondern eine Umwandlung nach der andern immerhin erfolgen muſs; so erleb - ten wir den dritten Zeitraum, welcher der höchste und letzte zu nennen ist, derjenige nämlich, wo man die Uebersetzung dem Ori -529 ginal identisch machen möchte, so daſs eins nicht anstatt des andern, sondern an der Stelle des andern gelten solle.
Diese Art erlitt anfangs den gröſsten Widerstand; denn der Uebersetzer der sich fest an sein Original anschlieſst giebt mehr oder weniger die Originalität seiner Nation auf, und so entsteht ein Drittes, wozu der Geschmack der Menge sich erst heran bil - den muſs.
Der nie genug zu schätzende Voſs konnte das Publikum zuerst nicht befriedi - gen, bis man sich nach und nach in die neue Art hinein hörte, hinein bequemte. Wer nun aber jetzt übersieht was gesche - hen ist, welche Versatilität unter die Deut - schen gekommen, welche rhetorische, rhyth - mische, metrische Vortheile dem geistreich talentvollen Jüngling zur Hand sind, wie nun Ariost und Tasso, Shakespear und Cal - deron, als eingedeutschte Fremde, uns doppelt und dreyfach vorgeführt werden, der darf hoffen daſs die Literargeschichte unbewunden aussprechen werde, wer die - sen Weg unter mancherley Hindernissen zuerst einschlug.
34530Die von Hammerschen Arbeiten deuten nun auch meistens auf ähnliche Behandlung orientalischer Meisterwerke, bey welchen vorzüglich die Annäherung an äuſsere Form zu empfehlen ist. Wie unendlich vortheil - hafter zeigen sich die Stellen einer Ueber - setzung des Firdusi, welche uns genannter Freund geliefert, gegen diejenigen eines Umarbeiters, wovon einiges in den Fund - gruben zu lesen ist. Diese Art einen Dich - ter umzubilden halten wir für den traurig - sten Miſsgriff den ein fleiſsiger, dem Ge - schäft übrigens gewachsener Uebersetzer thun könnte.
Da aber bey jeder Literatur jene drey Epochen sich wiederholen, umkehren, ja die Behandlungsarten sich gleichzeitig aus - üben lassen; so wäre jetzt eine prosaische Uebersetzung des Schahname und der Werke des Nisami immer noch am Platz. Man benutzte sie zur überhineilenden, den Haupt - sinn aufschlieſsenden Lectür, wir erfreuten uns am Geschichtlichen, Fabelhaften, Ethi - schen im Allgemeinen und vertrauten uns immer näher mit den Gesinnungen und531 Denkweisen, bis wir uns endlich damit völlig verbrüdern könnten.
Man erinnere sich des entschiedensten Beyfalls den wir Deutschen einer solchen Uebersetzung der Sakontala gezollt, und wir können das Glück was sie gemacht gar wohl jener allgemeinen Prosa zuschrei - ben, in welche das Gedicht aufgelöst wor - den. Nun aber wär’ es an der Zeit uns davon eine Uebersetzung der dritten Art zu geben, die den verschiedenen Dialecten, rhythmischen, metrischen und prosaischen Sprachweisen des Originals entspräche und uns dieses Gedicht in seiner ganzen Eigen - thümlichkeit aufs neue erfreulich und ein - heimisch machte. Da nun in Paris eine Handschrift dieses ewigen Werkes befind - lich, so könnte ein dort hausender Deut - scher sich um uns ein unsterblich Verdienst durch solche Arbeit erwerben.
Der englische Uebersetzer des Wolken - boten, Megadhuta, ist gleichfalls aller Ehren werth, denn die erste Bekanntschaft mit einem solchen Werke macht immer Epoche in unserem Leben. Aber seine Uebersetzung ist eigentlich aus der zwey -34 *532ten Epoche, paraphrastisch und suppleto - risch, sie schmeichelt durch den fünffüſsi - gen Jambus dem nordöstlichen Ohr und Sinn. Unserm Kosegarten dagegen ver - danke ich wenige Verse unmittelbar aus der Ursprache, welche freylich einen ganz andern Aufschluſs geben. Ueberdieſs hat sich der Engländer Transpositionen der Motive erlaubt, die der geübte ästhetische Blick sogleich entdeckt und miſsbilligt.
Warum wir aber die dritte Epoche auch zugleich die letzte genannt, erklären wir noch mit Wenigem. Eine Ueberse - tzung die sich mit dem Original zu iden - tificiren strebt nähert sich zuletzt der Inter - linear-Version und erleichtert höchlich das Verständniſs des Originals, hiedurch wer - den wir an den Grundtext hinangeführt, ja getrieben und so ist denn zuletzt der ganze Zirkel abgeschlossen, in welchem sich die Annäherung des Fremden und Einheimi - schen, des Bekannten und Unbekannten bewegt.
In wiefern es uns gelungen ist den ur - ältesten abgeschiedenen Orient an den neu - sten, lebendigsten anzuknüpfen, werden Kenner und Freunde mit Wohlwollen be - urtheilen. Uns kam jedoch abermals eini - ges zur Hand das, der Geschichte des Tags angehörig, zu frohem und belebtem Schlusse des Ganzen erfreulich dienen möchte.
Als, vor etwa vier Jahren, der nach Petersburg bestimmte persische Gesandte die Aufträge seines Kaisers erhielt, ver - säumte die erlauchte Gemalin des Monar - chen keineswegs diese Gelegenheit, sie sen - dete vielmehr von ihrer Seite bedeutende Geschenke Ihro der Kaiserin Mutter aller Reuſsen Majestät, begleitet von einem Brie - fe, dessen Uebersetzung wir mitzutheilen das Glück haben.
534Schreiben der Gemalin des Kaisers von Persien an Ihro Majestät die Kaiserin Mutter aller Reuſsen.
So lange die Elemente dauern aus wel - chen die Welt besteht möge die erlauchte Frau des Pallasts der Gröſse, das Schatz - kästchen der Perle des Reiches, die Con - stellation der Gestirne der Herrschaft, die, welche die glänzende Sonne des groſsen Reiches getragen, den Zirkel des Mittel - punkts der Oberherrschaft, den Palmbaum der Frucht der obersten Gewalt, möge sie immer glücklich seyn und bewahrt vor allen Unfällen.
Nach dargebrachten diesen meinen auf - richtigsten Wünschen hab’ ich die Ehre an - zumelden, daſs, nachdem in unsern glück - lichen Zeiten, durch Wirkung der groſsen Barmherzigkeit des allgewaltigen Wesens, die Gärten der zwey hohen Mächte aufs neue frische Rosenblüthen hervortreiben und alles was sich zwischen die beyden535 herrlichen Höfe eingeschlichen durch auf - richtigste Einigkeit und Freundschaft be - seitigt ist; auch in Anerkennung dieser groſsen Wohlthat, nunmehr alle welche mit einem oder dem andern Hofe verbun - den sind, nicht aufhören werden freund - schaftliche Verhältnisse und Briefwechsel zu unterhalten.
Nun also in diesem Momente, da Se. Excellenz Mirsa Abul Hassan Chan, Ge - sandter an dem groſsen russischen Hofe, nach dessen Hauptstadt abreist, hab’ ich nöthig gefunden die Thüre der Freundschaft durch den Schlüssel dieses aufrichtigen Brie - fes zu eröffnen. Und, weil es ein alter Ge - brauch ist, gemäſs den Grundsätzen der Freundschaft und Herzlichkeit, daſs Freun - de sich Geschenke darbringen, so bitte ich die dargebotenen artigsten Schmuckwaaren unseres Landes gefällig aufzunehmen. Ich hoffe daſs Sie dagegen, durch einige Trop - fen freundlicher Briefe, den Garten eines Herzens erquicken werden, das Sie höch - lich liebt. Wie ich denn bitte mich mit Aufträgen zu erfreuen, die ich angelegent - lichst zu erfüllen mich erbiete.
536Gott erhalte Ihre Tage rein, glücklich und ruhmvoll.
Geschenke.
Wie ferner der in Petersburg verwei - lende Gesandte über die Verhältnisse beyder Nationen sich klug, bescheidentlich aus - drückt, konnten wir unsern Landsleuten, im Gefolg der Geschichte persischer Lite - ratur und Poesie, schon oben darlegen.
Neuerdings aber finden wir diesen gleichsam gebornen Gesandten, auf seiner Durchreise für England, in Wien von Gnadengaben seines Kaisers erreicht, denen der Herrscher selbst, durch dichte - rischen Ausdruck, Bedeutung und Glanz vollkommen verleihen will. Auch diese Gedichte fügen wir hinzu, als endlichen Schluſsstein unseres zwar mit mancherley Materialien, aber doch, Gott gebe! dauer - haft aufgeführten Domgewölbes.
538Die orientalischen Höfe beobachten, unter dem Schein einer kindlichen Naivetät, ein besonderes kluges, listiges Betragen und Verfahren; vorstehende Gedichte sind Be - weis davon.
Die neueste Russische Gesandtschaft nach Persien fand Mirsa Abul Hassan Chan zwar bey Hofe, aber nicht in ausgezeich - neter Gunst, er hält sich bescheiden zur Gesandtschaft, leistet ihr manche Dienste und erregt ihre Dankbarkeit. Einige Jahre darauf wird derselbige Mann, mit stattli - chem Gefolge, nach England gesendet, um ihn aber recht zu verherrlichen bedient man sich eines eigenen Mittels. Man stattet ihn bey seiner Abreise nicht mit allen Vorzü - gen aus, die man ihm zudenkt, sondern läſst ihn mit Creditiven und was sonst nö - thig ist seinen Weg antreten. Allein kaum ist er in Wien angelangt, so ereilen ihn glänzende Bestätigungen seiner Würde, auf - fallende Zeugnisse seiner Bedeutung. Eine Fahne mit Insignien des Reichs wird ihm gesendet, ein Ordensband mit dem Gleich - niſs der Sonne, ja mit dem Ebenbild des Kaisers selbst verziert, das alles erhebt ihn543 zum Stellvertreter der höchsten Macht, in und mit ihm ist die Majestät gegenwärtig. Dabey aber läſst man’s nicht bewenden, Gedichte werden hinzugefügt, die, nach orientalischer Weise, in glänzenden Meta - phern und Hyperbeln, Fahne, Sonne und Ebenbild erst verherrlichen.
Zum bessern Verständnisse des Einzel - nen fügen wir wenige Bemerkungen hinzu. Der Kaiser nennt sich einen Türken, als aus dem Stamme Katschar entsprungen, wel - cher zur türkischen Zunge gehört. Es wer - den nämlich alle Hauptstämme Persiens, welche das Kriegsheer stellen, nach Spra - che und Abstammung getheilt in die Stäm - me der Türkischen, Kurdischen, Lurischen und Arabischen Zunge.
Er vergleicht sich mit Dschemschid, wie die Perser ihre mächtigen Fürsten mit ihren alten Königen, in Beziehung auf ge - wisse Eigenschaften, zusammen stellen. Feridun an Würde, ein Dschemschid an Glanz, Alexander an Macht, ein Darius an Schutz. Schirm ist der Kaiser selbst, Schatten Gottes auf Erden, nur bedarf er freilich am heiſsen Sommertage eines Schirms,544 dieser aber beschattet ihn nicht allein, son - dern die ganze Welt. Der Moschusge - ruch, der feinste, dauerndste, theilbarste, steigt von des Kaisers Gürtel bis in Saturns Gehirn. Saturn ist für sie noch immer der oberste der Planeten, sein Kreis schlieſst die untere Welt ab, hier ist das Haupt, das Gehirn des Ganzen, wo Gehirn ist, sind Sinne, der Saturn ist also noch em - pfänglich für Moschusgeruch, der von dem Gürtel des Kaisers aufsteigt. Dara ist der Name Darius und bedeutet Herrscher, sie lassen auf keine Weise von der Erinnerung ihrer Voreltern los. Daſs Iran Löwen - schlucht genannt wird, finden wir deſs - halb bedeutend, weil der Theil von Per - sien, wo jetzt der Hof sich gewöhnlich aufhält, meist gebirgig ist, und sich gar wohl das Reich als eine Schlucht denken läſst, von Kriegern, Löwen bevölkert. Das seidene Banner erhöhet nun ausdrück - lich den Gesandten so hoch als möglich, und ein freundliches liebevolles Verhältniſs zu England wird zuletzt ausgesprochen.
Bey dem zweyten Gedicht können wir die allgemeine Anmerkung vorausschicken,545 daſs Wortbezüge der Persischen Dichtkunst ein inneres anmuthiges Leben verleihen, sie kommen oft vor und erfreuen uns durch sinnigen Anklang.
Das Band gilt auch für jede Art von Bezirkung, die einen Eingang hat und deſswegen wohl auch eines Pförtners bedarf, wie das Original sich ausdrückt und sagt: „ dessen Vorhang (oder Thor) die Sonne aufhebt (öffnet) “, denn das Thor vieler orientalischen Gemächer bildet ein Vorhang; der Halter und Aufheber des Vorhanges ist daher der Pförtner. Unter Mani ist Ma - nes gemeint, Sectenhaupt der Manichaer, er soll ein geschickter Maler gewesen seyn, und seine seltsamen Irrlehren hauptsächlich durch Gemälde verbreitet haben. Er steht hier wie wir Apelles und Raphael sagen würden. Bey dem Wort Herrscher - perlen fühlt sich die Einbildungskraft seltsam angeregt. Perlen gelten auch für Tropfen und so wird ein Perlenmeer denk - bar, in welches die gnädige Majestät den Günstling untertaucht. Zieht sie ihn wieder hervor, so bleiben die Tropfen an ihm hängen, und er ist köstlich geschmückt35546von Haupt zu Fuſs. Nun aber hat der Dienstweg auch Haupt und Fuſs, An - fang und Ende, Beginn und Ziel; weil nun also diesen der Diener treu durchschrit - ten, wird er gelobt und belohnt. Die fol - genden Zeilen deuten abermals auf die Ab - sicht den Gesandten überschwenglich zu erhöhen, und ihm an dem Hofe, wo er hingesandt worden, das höchste Vertrauen zu sichern, eben als wenn der Kaiser selbst gegenwärtig wäre. Daraus wir denn schlie - ſsen, daſs die Absendung nach England von der gröſsten Bedeutung sey.
Man hat von der Persischen Dicht - kunst mit Wahrheit gesagt, sie sey in ewiger Diastole und Systole begriffen, vor - stehende Gedichte bewahrheiten diese An - sicht. Immer geht es darin ins Grenzen - lose und gleich wieder ins Bestimmte zu - rück. Der Herrscher ist Weltlicht und zugleich seines Reiches Herr, der Schirm, der ihn vor der Sonne schützt, breitet seine Schatten über die Weltflur aus, die Wohl - gerüche seines Leibgurts sind dem Saturn noch ruchbar, und so weiter fort strebt alles hinaus und herein, aus den fabelhaf -547 testen Zeiten zum augenblicklichen Hoftag. Hieraus lernen wir abermals, daſs ihre Tropen, Metaphern, Hyperbeln niemals einzeln, sondern im Sinn und Zusammen - hange des Ganzen aufzunehmen sind.
Betrachtet man den Antheil der, von den ältesten bis auf die neusten Zeiten, schriftlicher Ueberlieferung gegönnt wor - den; so findet sich derselbe meistens da - durch belebt, daſs an jenen Pergamenten und Blättern immer noch etwas zu verän - dern und zu verbessern ist. Wäre es mög - lich daſs uns eine anerkannt-fehlerlose Ab - schrift eines alten Autors eingehändigt wür - de, so möchte solcher vielleicht gar bald zur Seite liegen.
Auch darf nicht geleugnet werden daſs wir persönlich einem Buche gar manchen35 *548Druckfehler verzeihen, indem wir uns durch dessen Entdeckung geschmeichelt fühlen. Möge diese menschliche Eigenheit auch unserer Druckschrift zu gute kommen, da verschiedenen Mängeln abzuhelfen, manche Fehler zu verbessern, uns oder andern, künftig vorbehalten bleibt; doch wird ein kleiner Beytrag hiezu nicht unfreundlich abgewiesen werden.
Zuvörderst also möge von der Recht - schreibung orientalischer Namen die Rede seyn, an welchen eine durchgängige Gleich - heit kaum zu erreichen ist. Denn, bey dem groſsen Unterschiede der östlichen und westlichen Sprachen, hält es schwer für die Alphabete jener bey uns reine Aequi - valente zu finden. Da nun ferner die eu - ropäischen Sprachen unter sich, wegen verschiedener Abstammung und einzelner Dialecte, dem eignen Alphabet verschiede - nen Werth und Bedeutung beylegen; so wird eine Uebereinstimmung noch schwie - riger.
Unter französischem Geleit sind wir hauptsächlich in jene Gegenden eingeführt worden. Herbelots Wörterbuch kam549 unsern Wünschen zu Hülfe. Nun muſste der französische Gelehrte orientalische Worte und Namen der nationellen Ausspra - che und Hörweise aneignen und gefällig machen, welches denn auch in deutsche Cultur nach und nach herüberging. So sa - gen wir noch Hegire lieber als Hedschra, des angenehmen Klanges und der alten Be - kanntschaft wegen.
Wie viel haben an ihrer Seite die Engländer nicht geleistet! Und, ob sie schon über die Aussprache ihres eignen Idioms nicht einig sind, sich doch, wie billig, des Rechts bedient, jene Namen nach ihrer Weise auszusprechen und zu schreiben, wodurch wir abermals in Schwan - ken und Zweifel gerathen.
Die Deutschen, denen es am leichte - sten fällt zu schreiben wie sie sprechen, die sich fremden Klängen, Quantitäten und Accenten nicht ungern gleichstellen, gingen ernstlich zu Werke. Eben aber weil sie dem Ausländischen und Fremden sich im - mer mehr anzunähern bemüht gewesen, so findet man auch hier zwischen älteren und neueren Schriften groſsen Unterschied, so550 daſs man sich einer sichern Autorität zu unterwerfen kaum Ueberzeugung findet.
Dieser Sorge hat mich jedoch der eben so einsichtige als gefällige Freund, J. G. L. Kosegarten, dem ich auch obige Uebersetzung der Kaiserlichen Gedichte ver - danke, gar freundlich enthoben und Be - richtigungen, wie sie im Register enthalten sind, wo auch zugleich einige Druckfehler bemerkt worden, mitgetheilt. Möge dieser zuverlässige Mann meine Vorbereitung zu einem künftigen Divan gleichfalls geneigt begünstigen.
CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe
Antiqua
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