PRIMS Full-text transcription (HTML)
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Wally, die Zweiflerin.
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Wally, die Zweiflerin.
Roman
Des Friedens Wund 'iſt Sicherheit, Sorgloſe Sicherheit; doch weiſer Zweifel Wird Leuchte der Vernunft, des Arztes Sonde, Der Wunde Grund zu prüfen.
(Shakſpeare.)
Mannheim. C. Löwenthals Verlagshandlung.1835.
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Erſtes Buch.

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1.

Auf weißem Zelter ſprengte im ſonnengold¬ durchwirkten Walde, Wally, ein Bild, das die Schönheit Aphroditens übertraf, da ſich bei ihm zu jedem klaſſiſchen Reize, der nur aus dem cy¬ priſchen Meerſchaume gefloſſen ſein konnte, noch alle romantiſchen Zauber geſellten: ja ſelbſt die Drapperie der modernſten Zeit fehlte nicht, ein Vorzug, der ſich weniger in der Schönheit ſelbſt, als in ihrer Atmoſphäre kund zu geben pflegt. Welche natürliche und ihr doch ſo vollkommen gegenwärtige Koketterie auf einem Thiere, von dem ſie wahrſcheinlich ſelbſt nicht wußte, daß es blind war! Wally gab ſich das Anſehen, als wäre ſie mit ihrer Situation verſchwi¬8 ſtert; aber nichts iſt ſo reizend, als wenn durch irgend eine faſt gelungene Affektation, durch die ganze Haltung eines innerlich mehr reflektirten wie angebornen Weſens einige kleine Lichtritzen ſchimmern und für den Mann, wel¬ cher ſie ſehen kann, die verſteckten Erleichte¬ rungen einer ſich einbohrenden Neigung wer¬ den. Aber von den zahlreichen Cavalieren, welche Wally umgaben, ſahe dieſe kleinen Lük¬ ken der Furcht edler Weiblichkeit Niemand. Jene, die Lücken der Furcht, kannte vielleicht der Jokey, der auch wußte, daß die weiße Stute blind war. Aber die Uebrigen hingen nur wie der Eiſenfeilſtaub am Magnet, wie die Nachahmung am Genie, wie das Ordinäre am Wunderbaren.

Am Wege ſchritt, wie es beim Tempera¬ mente ſich von ſelbſt verſteht, im Zweiviertel¬ takte Cäſar, ein Mann, der im Stande war, eine ſolche Gruppe, wie die vorbeiſprengende,9 im Nu zu überſehen und jede darin waltende Figur ſo zu iſoliren, daß er ſie Alle verarbei¬ tete und an ſeiner eigenen Individualität zerrieb. Kennt ihr dieſe genialen Charaktere, welche durch ihr Schweigen immer mehr ausdrücken, als wenn ſie reden, die nur ihr rollendes, ſiegen¬ des Auge in die Geſellſchaft bringen dürfen, und jede Perſönlichkeit darin abſorbiren in eine Huldigung, die ihnen wird ohne ihr Verlangen? Cäſar ſtand im zweiten Drittel der zwanziger Jahre. Um Naſe und Mund ſchlängelten Furchen, in welche die frühe Saat der Erkenntniß gefallen war, jene Linien, die ſich von dem lieblichſten Eindrucke bis zu dä¬ moniſcher Unheimlichkeit ſteigern können. Cä¬ ſars Bildung war fertig. Was er noch in ſich aufnahm, konnte nur dazu dienen, das ſchon Vorhandene zu befeſtigen, nicht zu verändern. Cäſar hatte die erſte Stufenleiter idealiſcher Schwärmerei, welche unſre Zeit auf junge Ge¬10 müther eindringen läßt, erſtiegen. Er hatte einen ganzen Friedhof todter Gedanken, herr¬ licher Ideen, an die er einſt glaubte, hinter ſich: er fiel nicht mehr vor ſich ſelbſt nieder und ließ ſeine Vergangenheit die Knie ſeiner Zukunft umſchlingen und ſie beten: heilige Zu¬ kunft, glühender Moloch, wann hör 'ich auf, mich mir ſelbſt zu opfern? Cäſar begrub keine Todten mehr: die ſtillen Ideen lagen ſo weit von ihm, daß ſeine Bewegungen ſie nicht mehr erdrücken konnten. Er war reif, nur noch formell, nur noch Skeptiker: er rechnete mit Begriffsſchatten, mit geweſenem Enthuſiasmus. Er war durch die Schule hindurch und hätte nur noch handeln können; denn wozu ihn ſeine tod¬ ten Ideen machten, er war ein ſtarker Cha¬ rakter. Unglückliche Jugend! Das Feld der Thätig¬ keit iſt dir verſchloſſen, im Strome der Bege¬ benheiten kann deine wiſſensmatte Seele nicht wieder neu geboren werden; du kannſt nur11 lächeln, ſeufzen, ſpotten, und die Frauen, wenn du liebſt, unglücklich machen!

Cäſar, wie er einſam wandelte, fühlte, daß er weinen ſollte, und lachte, um die Thränen zu vertreiben.

Da flog Wally mit ihren Begleitern an ihm vorüber. Sie ſchlug mit ihrer Gerte in die Seiten des ſchönen, aber blinden Gaules (ſie wußte es wahrhaftig nicht!) ein ſonderbarer Glanz klang durch die Luft, und zu Cäſars Füßen lagen fünf koſtbare Ringe.

Sie mußten an der Reitgerte geſteckt haben.

Wally ſah, was der Unbekannte am Wege aufnahm; ſie machte Miene anzuhalten; aber als der Fremde mit der Zurückgabe zögerte, blickte ſie bös und trieb ihren Schimmel wei¬ ter. Die Cavaliere hatten nichts geſehen.

Cäſar aber, da er die Reiterin ſogleich aus den Augen verlor, mußte ſich auf Alles beſin¬ nen. Er gefiel ſich darin, an eine alte Sage12 zu glauben, an die Prinzeſſin im Walde und ſich ſelbſt mit irgend einem Zauber in Verbin¬ dung zu bringen.

Er ſteckte die Ringe zu ſich und hatte ſie wieder vergeſſen, wie er innerhalb der Stadt war.

13

2.

Ein gewiſſer Regierungs-Präſident gab einen beinahe ländlichen Ball. Wally und Cäſar ſa¬ hen ſich hier. Cäſar hatte in einem Anfalle guter Laune die fünf Ringe über ſeine Hand¬ ſchuhe gezogen. Wally frug ihn, wie er dar¬ auf käme?

Weil meine rechte Hand, antwortete er, beim Tanzen immer ungeſchickt iſt. Die Ringe verhindern ſie, von dem glatten Rücken der Tänzerinnen abzugleiten.

Wally ließ ihn ſtehen: dieſer junge Mann mißfiel ihr. Aber ſie fühlte, daß ſie ſich zer¬ ſtreuen müſſe, und tanzte mit Vorliebe. Sie wurde erhitzt, verfolgte Cäſar und ſahe, daß er die Ringe wieder fortgenommen hatte.

Sie wollte ſie wieder haben und rief einem14 ihrer Employés, einem blondharigen Referen¬ där, der eine[kleine] Schrift über das Unzeit¬ gemäße politiſcher Garantien geſchrieben hatte. Sie ſetzte ihm die Lage der Dinge auseinander.

Ich bin gewohnt, ſagte ſie, für jeden Monat im Jahre einen andern Anbeter zu ha¬ ben, und ich nehme Niemanden an, der ſich nicht durch einen Ring in meine Gunſt einkauft. An meinem Finger will ich die Ringe nicht: ich trage ſie an meiner Reitgerte, und mache mir ein Vergnügen daraus, wenn ich von Juli zu Juli ins Bad reiſe und armen preßhaften Leuten ſie alle zwölf nach einander in die heißen Sprudelbecher werfe.

Darauf erklärte ſie ihm, wie ſie fünf davon verloren hätte, und verlangte, daß ſie ihr wie¬ der zu Handen, das heißt zur Reitgerte, kämen.

Der junge Mann, welcher über das Unzeit¬ gemäße politiſcher Garantien geſchrieben hatte, verſprach ſein Möglichſtes und redete Cäſar an.

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Cäſar betrachtete ihn und beſann ſich auf den Verfaſſer der kleinen Brochüre. Sie ver¬ ſtehen ſich darauf, ſagte er dann, als St. Georg gegen die Ungethüme der Zeit zu kämpfen. Die Ringe der Dame paſſen zu meinem Schup¬ penleibe: ich ſtehe als Lindwurm zu Ihren Dienſten!

Wie verſteh 'ich das? fragte der junge Mann, welcher über das Unzeitgemäße politi¬ ſcher Garantien geſchrieben hatte.

Cäſar ließ ihn ſtehen. Der Bote wagte nicht unverrichteter Sache zu Wally zurückzu¬ gehen; eben tanzte ſie, ſie hatte ſeine Abwei¬ ſung glücklicherweiſe nicht bemerkt.

Der junge Mann half ſich: er wußte, von wem die fünf Ringe kamen: vier von ſeinen Freunden, die mit ihm theils auf dem Stadt¬ amte fungirten, theils auf das nächſte militä¬ riſche Avancement warteten; einer gehörte ihm, denn Wally's Sonne ſtand zufällig während16 dieſes Monats in ſeinem Zeichen. Die Sache wurde unvermeidlich ein Ehrenhandel; aber er war perfid genug, dem Gegner das Spiel fünf¬ fach zu erſchweren. Cäſar bekam noch an dem¬ ſelben Abend fünf Ausforderungen ins Ohr geflüſtert.

Er nickte lächelnd zu jeder; für den fol¬ genden Morgen war Alles anberaumt, aber er entfernte ſich früh.

Wally tanzte bis in die Nacht. O welch ein Glück, ſich mit dem faden Mittelgut in ewig gleichen Kreiſen herumzudrehen!

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3.

Es war ſchon um die eilfte Vormittagsſtunde des folgenden Tages, als Wally unter den Hän¬ den ihres Kammermädchens ſaß und ihr Haar flechten ließ. Sie hatte einen kleinen Tiſch vor ſich gerückt, worauf die Erzeugniſſe der neueſten Literatur lagen. Natürlich kamen ſie friſch aus dem Buchladen; anſtändige Leute leſen nicht aus Leihbibliotheken.

Sie blätterte in dem jüngſten Muſenalma¬ nach von Schwab und Chamiſſo. Dieſe guten Waldſänger, ſprach ſie vor ſich hin, nehmen ſich die Freiheit, ſehr ennüyant zu ſein. Wenn uns die Reime nicht in einer Art von melodi¬ ſcher Spannung hielten, die Monotonie der Ge¬Gutzkow's Wally. 218fühle und Anſchauungen wäre tödtlich. Ich ziehe Proſa vor. Heine's Proſa iſt mir lieber, als Uhland und ſein ganzer Bardenhain.

Sie griff nach Heine's Salon, zweiter Band. Willſt du Philoſophie ſtudieren, Aurora? fragte ſie ihr Kammermädchen: hier ſind all die gelehrten, bemoosten Karpfen der deutſchen Philoſophie mit Frühlingspeterſilie und Vanille zubereitet. Man ſollte die Bonbons in Apho¬ rismen aus Heine's Salon einſchlagen. Welch geſunkenes Volk müſſen die Franzoſen ſein, daß ſie gerad 'auf der Stufe in den Wiſſenſchaf¬ ten ſtehen, wo in Deutſchland die Mädchen.

Einige Schriften vom jungen Deutſchland lagen zur Hand, von Wienbarg, Laube, Mundt. Wienbarg iſt zu demokratiſch: ich habe nie ge¬ wußt, daß ich vom Adel bin, ſagte ſie; aber mit Schrecken denk 'ich daran, ſeit ich dieſen Autor leſe. Laube ſcheint den Adel nicht abſchaffen, ſon¬ dern überflügeln zu wollen. Doch bleibt es arg: er19 iſt zudringlich. Er gibt ſich in ſeinen Schrif¬ ten das Anſehen, als kenne er jede ſeiner Le¬ ſerinnen und verlange von ihr eine Hingebung, um die er nicht ein Mal bittet. Mundt goutir' ich nur halb: denn er wird, je mehr er ſich ſelbſt klar zu werden ſcheint, für Andere im¬ mer unverſtändlicher. Verſtehſt du, Aurora?

Aurora hatte etwas in den Mund bekom¬ men und mußte abſcheulich huſten. Wally lachte.

Unter den Büchern lag zuletzt die neueſte Lieferung der Carlsruher Bilderbibel, auf welche Wally abonnirt hatte.

Wie ſonderbar doch das Chriſtenthum auf Velinpapier ausſieht! ſagte ſie zu ſich ſelbſt. Dienen dieſe Kupfer zu etwas anderem, als die Aufmerkſamkeit noch mehr von dem heili¬ gen Buche abzulenken! Siehe, da ſteht ein Druckfehler! Ein umgekehrter Buchſtabe! Es iſt hübſch, in der Bibel Irrthümer zu ent¬ decken.

2 *20

Wally ſahe nur auf das Aeußre, auf den Einband, dann las ſie etwas. Sie las einige Verſe, ein halbes Kapitel und fragte ihr Mäd¬ chen, wann ſie zuletzt in der Kirche geweſen wäre?

Aurora war nicht frivol: ſie war vor vier Wochen da geweſen.

Wally las, ohne zu hören. Dann fragte ſie: warum biſt du ſo ſtill?

Aurora war nicht mehr im Zimmer: Wally blickte ſich ſcheu um, und las weiter. Ihr Auge haftete ſtier auf den Buchſtaben: ſie ſchlug eine Seite nach der andern um: dann lehnte ſie ſich zurück, eine Thräne ſtand in ihrem Auge. Sie ſah mit einem flehenden, ver¬ zweifelnden Blick auf den kleinen Tiſch, der ſo viel Widerſprechendes friedlich umſchloß. Sie ſtützte den Kopf auf die Lehne ihres Seſſels; es war Sonntag. Die Glocken läuteten, aus der nahen Kirche brauſten die Töne der Orgel21 herüber. Wally war in Thränen aufgelöſt. Kann man dem Himmel ein ſchöneres Opfer bringen? Dieſe Thränen floſſen aus dem Weihe¬ becken einer unſichtbaren Kirche. Die Gottheit iſt nirgends näher, als wo ein Herz an ihr verzweifelt.

Aurora kam zurück. Es war Beſuch im Geſellſchaftszimmer. Wally hätte abſagen müſ¬ ſen; aber ſie war willenlos. Sie fand die Ritter von den fünf Ringen, einige von ihnen leicht verwundet.

Wally erſchrak, als ſie von dem Vorfalle hörte. Cäſar war am Arme bleſſirt. Aber ſchon die Nachricht, daß keine Gefahr vorhan¬ den ſei, richtete ſie auf; und wie in der menſch¬ lichen Seele Schmerz und Freude ſich ergän¬ zen, und das Linderungsmittel des einen Uebels auch alle übrigen Sorgen heilt, die mit ihm in keiner Verbindung ſtanden, ſo wandte ſie ſich22 theilnehmend dem Geſpräche zu. Es war fade, wie immer; aber verzeihlich der Tageszeit we¬ gen. Man ſoll vor Tiſche von keinem Men¬ ſchen verlangen, daß er geiſtreich ſei.

Wally konnte lachen und lachte übermäßig.

23

4.

Beide ſahen ſich eine Woche ſpäter. Wally hatte nicht das Herz, von dem Vorfalle zu ſprechen. Aber es währte nicht lange, ſo ſpra¬ chen ſie über den Muth.

Sie wollte wiſſen, ob der Muthige die Ge¬ fahr abſichtlich verkleinere oder geringer achte, ob der Muth noch während der Gefahr daure oder nur das Vorſpiel der Gefahr ſei. Cäſar ſagte, er habe nie über den Muth nachgedacht, beſäße ihn auch nicht hinreichend dafür. Wally brannte der Vorfall auf den Lippen; aber ſie hielt an ſich und lächelte blos.

Ich glaube, ſagte Cäſar, daß es Men¬ ſchen gibt, deren Muth darin beſteht, daß ſie die Gefahr gar nicht ſehen. Das ſind diejeni¬ gen, welche als die vorzugsweiſe Muthigen über¬24 all gefürchtet werden: auf den Univerſitäten jene unverſchämten Knaben, die gegen Jeder¬ mann die Hand in die Seite ſtemmen und von Verachtung und Malice überſprudeln; unterm Militär diejenigen, welche ihren Säbel gern ſo hängen, daß ſie ihn hinter ſich klirren hö¬ ren. Man kann aber ſagen, daß wenn dieſe Men¬ ſchen Einbildungskraft genug hätten, die Ge¬ fahr zu ſehen, ſie die verzagteſten ſein würden. Der Beſonnene iſt von Natur niemals muthig. Er folgt nur den Rückſichten, und iſt uner¬ ſchrocken, weil die Sache einmal nicht zu ändern iſt.

Wally fand dieſe Aeußerungen durchaus nicht ſo liebenswürdig, wie ſie gewohnt war, der¬ gleichen von ihren männlichen Umgebungen zu hören. Es war in ihrem innerlichen Urtheile etwas, was einen guten Schein hatte. Sie vermißte an Cäſar den Reiz der Natürlichkeit. Seine Reflexion zog an, befriedigte aber das25 Temperament nicht. Nichts deſto weniger traf ſie ſehr gut die Gedankenreihe Cäſars, indem ſie fortfuhr: Ich glaube faſt, Sie halten die Tugend für eine Berechnung?

Die Tugend nicht, entgegnete Cäſar; aber Alles, was man gern für Inſtinkt an¬ zuſehen gewohnt iſt. Unſre Handlungen ſollen berechnet ſein, unſre Empfindungen ſind es. Ich erinnere Sie nur an das Unbequeme man¬ cher Empfindung, mit der wir gern kokettiren, die uns aber in gewiſſen Zeiten recht zur Un¬ zeit kömmt.

Sie ſind ohne Natur; ſagte Wally.

Ich bin ohne Verſtellung; fiel Cäſar ein.

Ohne Verſtellung? Jeder Satz in Ihren Theorien ſcheint von Ihren zufälligen Zwek¬ ken abhängig zu ſein.

Cäſar mußte lächeln; er hatte etwas ge¬ ſagt, was er nicht meinte.

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Glauben Sie, fragte er, daß es in der Liebe eine Höflichkeit gibt?

Das verſteh 'ich nicht.

Cäſar blickte finſter und wollte abbrechen.

Was iſt Ihnen? fragte Wally.

Ich denke, Sie vermeiden über einen Zu¬ ſtand zu ſprechen, den Sie vielleicht nicht zu kennen vorgeben.

Halten Sie mich für eine Närrin? fragte Wally, erſt bös, dann aber hellte ſich ihr Antlitz zu einer Liebenswürdigkeit auf, die Cäſarn faſt einen Augenblick zu verwirren ſchien.

Nehmen Sie nur an, ſagte er, wie unzeitig und unbequem man werden kann, wenn man ſeinen Leidenſchaften immer den natürlichen Raum läßt. Ich verſpreche zum Beiſpiel einer Dame, ſie einen Tag um den andern zu beſuchen. Was heißt das? Sie iſt einen Tag um den an¬ dern in der Spannung, wo ſie glaubt beglücken zu können. Ihre Gedankenreihen werden im¬27 mer einen Tag überſchlagen, einen Tag, wo ſie nicht untreu aber ohne Rapport und Illu¬ ſion iſt. Man kann nicht unhöflicher ſein, als an dieſem Tage, der überſchlagen werden ſollte, der für die Liebe gar nicht da iſt, ſeine Braut zu überraſchen.

Wally lachte laut auf. Jetzt hielt ſie Cä¬ ſarn für einen Narren und fragte ihn, welche Frau ihm dieſe Geſtändniſſe gemacht habe.

Cäſar war kein Pedant, er lachte mit, fuhr aber fort: Ich verſichre Sie, es iſt nichts abſcheulicher, als das Ungeſchickte und Unbe¬ queme. Der Inſtinkt mag hier manche üble Empfindung hintertreiben; aber ſicher geht allein die Combination der Pſychologie. Ich möchte um alles in der Welt zu einer gewiſſen Zeit, unter gewiſſen Umſtänden von der Freund¬ ſchaft kein Opfer, von der Liebe keine Zärt¬ lichkeit verlangen. Mit unſrer rohen Natür¬ lichkeit ſind wir immer gewohnt zu übertreiben;28 in nichts ſind wir aber übertriebener, als in unſern Forderungen. Iſt es erhört, was der Enthuſiasmus nicht alles in den gefühlvollen Beziehungen der Geſchlechter oder in der Freund¬ ſchaft zu entdecken glaubte! Wer kann das alles leiſten! Wer kann ſo unhöflich ſein, alle dieſe Leiſtungen in Anſpruch nehmen? Sa¬ gen Sie!

Ich habe vergeſſen, Rumohr zu leſen; antwortete Wally.

Rumohr! ſprach Cäſar; Rumohr hatte vielleicht Anſtand, aber nicht Geiſt und Muth genug, eine Schule der Höflichkeit zu ſchreiben. Rumohr glaubt an ſeine Vorſchriften und ſcheut ſich doch, die meiſten davon anders, als in einem gewiſſen Helldunkel zu geben. Rumohr glaubte, er müſſe ſich immer noch eine Hinter¬ thür offen laſſen, um nicht für einen Fant zu gelten. Auch iſt dieſer Mann ſo ſehr in die Claſſicität verrannt, daß er alle Tugenden und29 Untugenden des Alterthums aufzählt, aber ein wichtiges, modernes Laſter ganz mit Stillſchwei¬ gen übergeht, ein Laſter, wofür die Alten gar keinen Ausdruck hatten. Rumohr konnte davon nicht ſprechen, weil er ſelbſt darin ganz ver¬ ſtrickt iſt. Dies iſt die Langeweile. Aber was Rumohr? Es gibt eine weit tiefere Höflich¬ keitstheorie, welche auf äſthetiſchen und mora¬ liſchen Prinzipien zu gleicher Zeit beruht. Soll ich ihren Grundſatz nennen? Laſſen Sie aus einem chriſtlichen Gebote nur einen Buchſtaben weg. Rathen Sie!

Wally wurde roth: nicht des Räthſels we¬ gen, ſondern des Chriſtenthums.

Cäſar ergänzte ſich ſelbſt und ſagte: Lebe deinen Nächſten, wie dich ſelbſt! Sei Egoiſt, ohne deinen Nachbar zu verwunden! Wenn ich mich in die innerſten Falten Ihrer Seele (Fal¬ ten! Ihre junge Seele! Aber die Seele iſt immer alt, der Theil der jahrtauſendjährigen30 Urſeele und Weltſeele, der in uns wohnt), wenn ich mich in ſie verſetze, ſo bin ich ge¬ wiß, immer die Wirkungen zu veranlaſſen, die ich eine Minute vorher ſchon beſtimmen kann. Sie hören mich nicht mehr. Es iſt wahr, ich habe zu laut geſprochen.

Der gute Cäſar mit ſeinen langweiligen Theorien! Er mochte Wunder glauben, wie zart er die Fibern des menſchlichen Herzens anatomire; und hatte ſchon längſt ſeine Wider¬ ſacherin innerlichſt verletzt. Er wußte dies nicht und ſchämte ſich, ſo theoretiſch debattirt zu haben. Um die Sache war es ihm gar nicht zu thun. Er hatte überhaupt nur zwei Steckenpferde, auf denen er ſich heiß reiten konnte, die Verachtung der Muſik und die Strenge der Erziehung. Dieſe beiden Fragen intereſſirten ihn, weil ſie das Nächſte berühr¬ ten, das Zimmer des Nachbars gleichſam, weil die Muſik ſich gern in der Geſellſchaft31 breit macht und über Erziehung ſo viel Em¬ pfindſames gefaſelt wird. Er pointirte die Verachtung der Muſik, um die jungen Damen (welche, wenn man von ihnen Gedanken ver¬ langt, mit Muſik antworten) ihre Leere fühlen zu machen: in der Erziehung aber den Stock, um ſich das Geſchwätz über Kinder, das Prä¬ ſentiren der lieben Kleinen, die Koketterie mit ſeiner einzigen oder ſeinem jüngſten Balge vom Leibe zu halten. Auf alles Uebrige ließ es Cäſar ankommen. Für Himmel, Hölle, Erde und was drin, drauf und drunter iſt, nahm er nur Intereſſe, um ſich zu unterhalten, oder eine hübſche Wendung darüber zu haben.

Warum iſt Cäſar kein Schriftſteller gewor¬ den? Er würde ein vortrefflicher Dialektiker ſein, immer gute Gedanken haben, und jeden¬ falls einen glänzenden Styl ſchreiben.

32

5.

Wir ſind noch in derſelben Geſellſchaft, wo über Herrn von Rumohr ſo abfällig geurtheilt wurde. Wally iſt nur hingebender und Cäſar erſchöpfter geworden. Er war im Zuge, links und rechts ſeine zuſammenhangloſen Einfälle auszuſtreuen und grade im Gegenſatz zu ſeiner Höflichkeitstheorie alle Welt zu verwunden. Die Hauptunterhaltung hatte der lange blonde Mann an ſich geriſſen, welcher über das Un¬ zeitgemäße politiſcher Garantien geſchrieben hatte. Mit ihm correſpondirte ein Juſtizrath, welcher anonymer Verfechter von verſchiedenen Lehr¬ büchern zur Kenntniß des allgemeinen Land¬ rechts war oder doch ſein ſollte. Beide citir¬ ten ſich wechſelſeitig als Autoritäten, der Junge den Alten, der Carrière wegen: der Alte den33 Jungen, weil er wußte, daß der Nachruhm in den Händen derer liegt, die nach uns leben. Cäſar war auf der Folter: er ahnte, daß ſie ausſchweifen wollten, daß ſie auf dem Wege wa¬ ren, zur ſchönen Literatur überzugehen.

Wirklich? zitterte er für ſich hinein. Warlich! Ja ſie müſſen O . Cäſar war aufgeſprungen.

Er wollte fort. Wally frug ihn, was er hätte?

Der Juſtizrath, Mitglied einer Liederta¬ fel, das heißt eines Vereins, wo man über Tafel die ſchlechten Compoſitionen eines Zelter und Anderer zu ſingen pflegte, rief: Iſt es nicht auffallend, daß auch nicht ein Einziger aus der neuen Schule in Deutſch¬ land ſich auf Muſik verſteht. Wie ſchön hat Tieck die italieniſche Muſik in ſeinen Sonet¬ ten charakteriſirt! Wie treffend drückt er in ſeinem Vorſpiel zum geſtiefelten Kater oderGutzkow's Wally. 334zur verkehrten Welt, ich weiß nicht, das We¬ ſen der verſchiedenen Inſtrumente aus! Wie hat die ganze romantiſche Schule in der Mu¬ ſik gelebt!

Und Hoffmann, rief eine ältliche Dame, die ihrem Teint nach mit Napoleon verwandt ſein konnte.

Und Hoffmann!‘, fielen Alle ein.

Ja, rief der Juſtizrath, Hoffmann, der mein College war!

Cäſar ſagte ruhig: Ich weiß nicht, worin der Zuſammenhang der Literatur und der In¬ ſtrumentation liegen ſollte. Göthe ſcheint mir auch ohne den Contrapunkt verſtändlich zu ſein.

Aber der Juſtizrath hatte das Wort: Man hat noch immer gefunden, daß irgend eine Be¬ ſchäftigung, welche dem Dichter ſonſt noch theuer und lieb war, recht hübſch das Weſen ſeiner eigenen Poeſie ausdrückte. Ich rede von Ho¬ mer und Oſſian nicht, Männern, die mehr Mu¬35 ſiker als Dichter waren; aber Göthe arbeitete in Pappe, wenn ich nicht irre. Schiller war Compagnie-Chirurgus. Nun ſehen Sie, das iſt proſaiſch genug; ſagen Sie mir von allen neuen Autoren einen, der ein gutes Urtheil über Muſik hätte? Es iſt Mangel einer ge¬ wiſſen Saite in der Seele, daß es ganz un¬ möglich iſt, die Namen Menzel, Börne, Heine u. ſ. w. mit irgend einer muſikaliſchen Ver¬ richtung zuſammenzubringen.

Die Lärmtrommel! hieß es irgendwo. Man beklatſchte den Einfall und nannte ihn witzig. Aber Recht hatte der Juſtizrath; auch Cäſar, wenn er ſagte: Was kann empfehlens¬ werther für die Richtung ſein, welche unſre erſten Geiſter nehmen? Alle frühere Literatur bildete ſich im Intereſſe irgend einer vereinzel¬ ten Kunſt oder Tendenz: die Leſſing-Göthiſche Zeit im Intereſſe der Antike: die Romantik im Intereſſe der Malerei: die Phantaſtik im3 *36Intereſſe der Muſik. Erſt in unſern Ta¬ gen ſammelt die Literatur ihre Vorpoſten, die ſich in die fremden Feldlager ganz verloren hatten, und zieht ſie in den Kern ihrer Kräfte zurück, um auf's Neue zu beſtimmen, welches ihr Zweck iſt. Ich glaube, daß ſich die Lite¬ ratur ausdehnen wird auf andre Felder, um ſie zu befruchten; aber warlich, mein Herr, auf die Muſik nicht!

Bis hierher ſprach Cäſar ſo richtig, daß es unnütz geweſen wäre, Unterſchriften darauf zu ſammeln. Das Folgende ſchien zweifelhaf¬ ter: Was ſoll überhaupt die Muſik? Dieſe klingende Mathematik? In der Erziehung ſind die geometriſchen Köpfe meiſt die dickſten und härteſten, und in den großen Muſikern habe ich immer Leute gefunden, die, obſchon ſie immer mit Schlüſſeln umgehen, doch über nichts Auf¬ ſchluß geben können. Die Muſik iſt eine ganz ſinnliche Kunſt. Wenn Sie dem Otaheiter37 einen Trauermarſch von Spontini vorſpielen, mein Herr, glauben Sie, daß er weinen wird? Er wird ſpringen und ſeine Kokosſchale vor Lebensluſt bis auf die Hefe leeren. Muſik iſt abſolut nichts: die Bildung legt erſt das hinein, was wir darin zu finden glauben. Wenn ich bei irgend einem Muſikſtück ein ſolcher Narr bin, an die Unſterblichkeit der Seele zu glau¬ ben, ſo verbinden zu gleicher Zeit Sie damit einen Begriff, welcher vielleicht der entgegen¬ geſetzte iſt. Wenn Sie bei einer Symfonie von Beethoven an einen gothiſchen Dom den¬ ken, ſo dachte der Componiſt an das Giebeldach einer Bauerhütte. Nein, mein Herr, die Muſik wird aufhören zu den Künſten gerechnet zu werden. Nähert ſich die Muſik in der Oper nicht ſchon immer mehr der rhetoriſchen Deklamation? Iſt die Sprache, das volle, tönende, menſchliche Wort nicht unendlich höher, als der unnatür¬ liche Gebrauch einer ganz im tiefſten Schlunde38 verſteckten zufälligen Fertigkeit? Ich bitte Sie, überlegen Sie das, mein Herr!

Hier war keine Verſtändigung mehr mög¬ lich. Was ſind Hunderttauſende in der Welt ohne das bischen Fortepiano, was ſie ſpielen können! Es war, als hätte einer geſagt, die Frauen ſollten keine Gigotärmel mehr tragen. Was wären dieſe ſchmalen Brüſte, dieſe gedan¬ kenloſen Köpfe ohne Gigots, ohne Pianoforte! Und doch ſtrafte man Cäsarn nicht durch Still¬ ſchweigen, ging nicht wie wegen eines Tollen zur Tagesordnung über, ſondern ſchrie auf und rief das Gefühl, den Himmel, die Moralität zu Hülfe, um einen Ketzer zu bekehren. Der blonde Unzeitgemäße war ſo glücklich, die Frage in das Gebiet der Politik hinüberzuſpielen und aus der Muſik eine Sache des Staates zu machen. Hierüber ſchwieg Cäſar.

Ihn verdroß nichts mehr, als das Warm¬ werden. Er wußte zu gut, daß die Adler nie¬39 mals in der Fläche horſten. Warum Niagara¬ donner, wo Knallerbſen genügen? Er gab ſich willig dem Spotte Wally's hin, die viel zu leichtſinnig war, auf dergleichen Debatten et¬ was zu geben, zu eitel, um eine allgemeine Unterhaltung intereſſant zu finden, und die überdies weder ſang noch ſpielte. Wally hatte Ideen, aber nur momentan; ſie ver¬ ſchmähte es, die Geiſtreiche zu ſcheinen, weil ſie wußte, daß ſie ſchön war. Flüchtig waren ihre Bewegungen, liebenswürdig, ohne Pedan¬ terei ihre Capricen. Cäſar fühlte das, und badete ſich in dem oberflächlichen Schaume, den Wally von den Ideen nur gelten ließ. Cä¬ ſar hatte Recht, ſie für unfähig zur Spekula¬ tion zu halten. Er nahm ſie wie ein humori¬ ſtiſches Capriccio der animaliſchen Natur.

Beide ſpotteten im Vertrauen über ſich, über Alle. Was ſie ſprachen als Sprechens¬ werthes, waren Raketen, die ſie ſich einander40 zuwarfen. Warum brechen Sie über Po¬ litik ab?

In Athen durfte kein Volksredner auf¬ treten, der nicht verheirathet war.

Was Sie gelehrt ſind! Ich bin es auch: in Kreta durfte niemand Geſetze geben, der nicht einen Strick um den Hals hatte.

Das iſt daſſelbe Geſetz: Die Athener wollten eigentlich auch ſagen, der keinen ſolchen Strick am Halſe habe.

Wie unanſtändig!

Wally!

Wally lachte: es war ein hübſcher, vertrau¬ licher Ton, in dem ihr Cäſar drohte. Was machen Sie mit Leuten, die Ihnen gefallen? fragte ſie ihn, ohne zu wiſſen, was ſie fragte.

Alles, nur nicht ihre Bekanntſchaft.

Das iſt auffallend! Doch können Sie Recht haben.

41

Wonach beurtheilen Sie die Menſchen, Wally?

Nach ihren Werken! O Gott, nein; dies wäre ja albern geantwortet, wie im Ka¬ techismus. Sagen Sie?

Nach dem, was ſie ſind?

Nein, nach dem, was ſie im Stande wären.

O Wally, Sie ſind liebenswürdig! Woran würden Sie denken, wenn Sie Jemanden prü¬ fen wollten, der zu lieben wäre?

An die auſſerordentlichen Fälle.

Cäſar ſchwieg. Dieſe Antwort war zu ernſt. Er betrachtete die fünf Ringe, die er über ſei¬ nen Handſchuhen trug, und fragte dann: Sie reiſen in's Bad?

In acht Tagen.

Sie werden den Rhein ſehen?

Von Mainz bis Cölln.

Von Mainz bis Düſſeldorf. Sie dürfen einen Beſuch bei den Malern und bei Immer¬42 mann nicht unterlaſſen. Läge Düſſeldorf in Thüringen, es würde ein zweites Weimar werden.

Sind die Ufer in der That ſo reizend?

Gefällig ſind ſie und da ſchön, wo Sie etwas von Rührung einfließen laſſen in Ihre Betrachtung.

Das verſteh 'ich nicht.

Das Schöne, Wally, iſt immer das Ueber¬ raſchende. Ich bin urſprünglich kalt gegen Alles, was in Deutſchland für ſchön ausgege¬ ben wird. Am Lurleyfelſen, wo der Rhein ſich wie ein See verengt, wo Flinten abgeſchoſſen und Waldhörner geblaſen werden, um die Echo's, von denen die Handbücher ſprechen, zu bewei¬ ſen: da werden Sie durch dieſe Zurüſtungen zur Wehmuth übermannt werden. Ihr blon¬ des, beſcheidenes Deutſchland, dem Sie nichts zutrauten, nicht einmal das Echo des Lurley, wird Sie rühren und bei einer fließenden Thräne43 werden Sie ſich geſtehen müſſen, daß der Rhein in der That ein ſchöner Strom iſt.

Sie wollen ſagen, die Natur ſpräche nur zu uns, je nachdem unſer Auge und Herz ſie anſieht.

Ich ſtand in dem Cöllner Dome. Sie kennen das zerriſſene Prinzip unſerer Zeit, nichts anzunehmen, was vielleicht richtig iſt, aber von Leuten proklamirt wurde, die uns widerſtehen. Der Enthuſiasmus der Einen er¬ kältet immer die Andern. Ich wollte den Cöll¬ ner Dom ironiſch betrachten, und mußte wei¬ nen, da ich ihn ſahe, über das Unvollendete der Idee, über die dünnen Hammerſchläge der Ausbauer, welche durch die mächtigen Räume picken, über mich ſelbſt, der ſein Herz künſtlich verhärtet und zu einer gemachten Empfindungs¬ loſigkeit herabgeſtimmt hatte.

Die Dampfſchiffe fahren zu ſchnell.

Sie fahren zu langſam und ſind für das44 Auge ermüdend. Der Gedanke einer feurigen über das Waſſer kriechenden Schildkröte ſteht vor unſrer Einbildungskraft, und wir ſind ein¬ mal daran gewöhnt, das Kriechen für langſam zu halten.

Ein ſonderbares Bild! Worüber nur meine Tante ſo lacht?

Ihre Tante iſt eine Spinne, die über den Ozean kriecht.

Wie ſo?

Sie ſpekulirt in Papieren.

Sie ſpricht über Politik: ich verſtehe nichts davon.

Verſtünden Sie davon, ſo glichen Sie einem Schmetterling, der ſich in die gaserleuchtete Verwirrung eines Salons verflogen hat.

Schmetterlinge ſind zu Gleichniſſen ver¬ braucht.

Wie die Unſterblichkeit ſelbſt.

Wally erröthete. Sie blickte auf Cäſars45 frivoles Lächeln und nahm dies Lächeln für eine Gewißheit, die ſie erſchrecken machte.

Wir ſähen uns nicht wieder? fragte ſie beklommen.

Geſetzt, nur die Guten ſähen ſich, ant¬ wortete Cäſar, ſo läßt die Tugend ſo viel Nüancen übrig, daß nichts deſto weniger im Jenſeits eine Mannichfaltigkeit entſtünde, die in ſeiner nächſten Nähe zu haben Gott kein Vergnügen machen würde. Ja wir ſelbſt wür¬ den uns weigern, alle die zu lieben, welche im Leben ehrliche, aber oft die langweiligſten Menſchen waren. Ich weiß aber nicht, wie aus einem langweiligen Menſchen plötzlich ein intereſſanter Engel werden könnte.

Sie ſind kein Chriſt?

Glauben Sie, daß Chriſtus von den Todten auferſtanden iſt?

O Gott, laſſen Sie, ich kann darüber nicht nachdenken. Ich

46

Sie ſtockte. In ihrem Auge ſprach ſich ein zerreißender Schmerz aus. So hatte ſie Cäſar noch nicht geſehen. Sie erhob ſich un¬ ruhig und war für dieſen Abend verſchwunden. Cäſar begriff hievon nichts. Er war ſo leicht¬ ſinnig, an Alles zu denken, nur nicht an die Religion. Aber Wally hatte ihn entzückt. So weit Menſchen dieſer Art noch lieben können, war Cäſar außer ſich. Er folgte Wally ohne Aufenthalt.

47

6.

Wally's Tante litt an nervöſen Reizungen und Abſpannungen, an Herzklopfen, Uebeln, für welche die Aerzte unter den naſſauiſchen Bädern das triſteſte, Schwalbach, empfehlen. Wally konnte in Wiesbaden und Ems tanzen, aber in Schwalbach mußte ſie der alten Dame die Zeitungen und Courszettel vorleſen (die Frau ſpekulirte wahrhaftig in Papieren!); in Schwalbach mußte ſie ſo manchen häuslichen Dienſt übernehmen, den man bald von ſich ab¬ wälzen würde, wenn man nicht das Vergnü¬ gen hätte, in einem Bade zu leben.

Sie hatte dies wunderbare Naſſau erreicht, dieſe unterirdiſche Küche Hygiea's, mit ihren Gebirgskeſſeln, in denen die heilſamen Quel¬ len ſieden und dampfen. Von üppiger Natur48 kann bei einem Lande nicht die Rede ſein, das von Alaun und Schwefel unterminirt iſt und in der Ernte immer einen Monat zu ſpät kömmt. Zwerghaft ſind die Bäume auf den Hügeln: aber reizende Perſpektiven öffnen ſich zahlreich in die weiten Thäler. Nichts iſt hier ſchöner, als die mannichfachen Schattirungen des grünen Kleides der Natur. Man ſteht an der morſch zerbröckelnden Mauer einer hohen Straße, und ſieht kleines Geſträuch zunächſt zu ſeinen Füßen; dann tiefer einen Wald, der ſich mit den ſchwär¬ zeſten Tinten in die tiefſte Spalte des Thales verliert, und in einem dumpfen Murmeln, in dem Rieſeln eines Waldbaches zu enden ſcheint; dort aber erhebt ſich wieder der Blick, die grüne Alpenmatte entlang, welche am andern Ende des Thales aufwärts ſteigt. Auf dem friſchen, üppigen Teppich weidet das Auge bis ſich die Sehkraft in jenen dunkeln Kranz von Fichten verliert, welcher den äußerſten Horizont49 umſäumt. Iſt das nicht viel für ein Land, wo die Natur ſich an gekochtem Waſſer erfri¬ ſchen muß? Das Land ähnelt der ſchwäbiſchen Alp. Auch ſprechen die Leute mit ſchwäbi¬ ſchem Accent.

Wally hat für ſolche Bemerkungen keinen Sinn: ich führe ſie auch nur an, um durch Wally's Mängel ihre Beſitzthümer anzudeuten. Sie iſt ohne Schwärmerei für die Natur, ohne Sinn für Blumen, welche ſie zerkaut, wenn ſie ihr in die Hand kommen. Sonne, Mond und Sterne gehen ihre Bahnen, ohne von Wally bemerkt zu werden. Jedermann wird bereit ſein, ſie gefühllos zu nennen, und ihr dennoch Unrecht thun. Wally's unausſprech¬ licher Reiz iſt ihre Natürlichkeit. Sie gibt ſich, wie ſie iſt, und hat die Tugend, alles beim rechten Namen zu nennen. Sie war ſehr un¬ glücklich, in Schwalbach leben zu müſſen.

Doch traf ſich Alles beſſer, als man er¬Gutzkow's Wally. 450wartet hatte. Das allmälige Herunterkommen der Romantik erſchlafft die bisher angeſpann¬ ten Nerven der Nationen. Es waren Deutſche genug da, die an Hoffmanns Tode litten, Fran¬ zoſen genug, welche die üblen Folgen von Victor Hugo's ruhendem Federkiel ſpürten. Sie alle wollten Reiz. Die ſpaniſche Kriſis war vielen in den Unterleib geſchlagen und hatte Hypo¬ chondrie erzeugt. Stahlbäder ſind ſehr anzu¬ rathen. Es war gedrängt in all den Höfen, goldnen Ketten, Gaſthöfen zu den beiden Indien. Wally wohnte im Kaiſerſaal.

Eines Tages ſtand ſie an einem Orte, den ſie vorzüglich liebte, am grünen Tiſche. Sie hazardirte im Pharo. Sie gewann; ſie gewann immer; vielleicht weil Dreiſtigkeit auch das ein¬ zige Geheimniß im Spiele iſt. Noch iſt es mir unerklärlich, wie die ſchüchternſten Weiber ſich an Dinge wagen, an welche die muthigſten Männer immer mit einer Art von Zaghaftig¬51 keit herangehen. Sie ſind die Erſten, wo es gilt, einen Thurm zu beſteigen, auf einem ſchwindelnden Wege zu gehen, Piſtolen abzu¬ ſchießen, mit einem Eskamoteur in Correſpon¬ denz zu treten, auf Vexierſtühle und an die Elektriſirmaſchine ſich zu ſtellen. Namentlich wird ſich auf dieſe letzten Dinge oft der mu¬ thigſte Mann nicht einlaſſen. Warum die Frauen? Weil ſie gewohnt ſind, zu herrſchen? Weil man ihnen genug ſagt, daß ihrer Schön¬ heit nichts widerſtehen könne? Wally ſpielte in der That, weil es ihr ſchon zur andern Natur geworden war, in jeder Lage zu gewinnen.

Plötzlich wird ſie unruhig. Sie verliert. Ihr Glück ſtürzt zuſammen. Sie fühlt, daß ihr ein Dämon entgegentritt, und rathet auf Cäſar. Sie wußte, daß ihr alles Widerwär¬ tige nur von einem Manne kommen konnte, der ſie beunruhigte und der ſie vielleicht zu lieben anfing. Wally blickte um ſich; Cä¬4 *52ſar ſtand in einer Ecke, grüßte ſtumm, bot ihr den Arm und führte ſie in die Zimmer ihrer Tante zurück, einer Dame, welche er einſt mit einer Spinne verglichen hatte, die über das Weltmeer kreucht.

53

7.

Ein Gewitter in Schwalbach iſt immer eine Kataſtrophe; aber ſie geht vorüber. Noch ge¬ fährlicher iſt es, wenn der Himmel jene wei¬ nerliche Laune hat, daß er von der grauen Wolkendecke unaufhörlich einen naſſen Staub tröpfeln läßt. Dann kann man in Schwalbach am beſten alle jene Uebel bekommen, für welche ſein Stahlwaſſer ſo gut ſein ſoll. Iſt man nicht melancholiſch, ſo wird man es erſt. Wally weinte den ganzen Tag vor Ungeduld. Sie wollte nach Wiesbaden; aber ihre Tante be¬ ſtand darauf, daß ihr die ſpaniſche Kriſis im Unterleibe ſäße. Der Geheimerath Fenner von Fenneberg, der Arzt der Saiſon, warf ſich gegen jede Unbeſonnenheit in's Mittel. Wally wollte ſterben vor Langerweile. Ihr werdet54 ſagen, ſie muß ſchlecht erzogen worden ſein. Gewiß, das war ſie.

Cäſar bot Alles auf, ihr die trübe Zeit zu verkürzen. Er erzählte ihr Beobachtungen aus Schwalbach, die gar nicht verdienen übergan¬ gen zu werden, z. B. folgende: Haben Sie noch nichts vom tollen Bärbel gehört? Das tolle Bärbel ſteht den ganzen Tag vom frühen Morgen bis in die ſpäte Nacht an der Hin¬ terpforte des Gaſthofes zu den beiden Indien, die auf die Landſtraße nach Ems hinausführt und ſpäht in die Extrapoſten, welche den Berg herunterkommen. Sie iſt von einem etwas ge¬ drückten Wuchſe, und hat matte Augen; aber ihre Geſichtsbildung iſt im höchſten Grade ein¬ nehmend, die Haut von der ganzen Feine und Weiße, welche zu blondem Haare gehört, um blonde Mädchen erträglich zu machen. Der Reiz Bärbels würde noch weit mehr hervortre¬ ten, wenn die fixe Idee, welche ſie beherrſchen55 ſoll, ihr nicht den an Wahnwitzigen ſo unheim¬ lichen Ausdruck und die eigenthümliche Verrük¬ kung aller Bewegungen gäbe. Und woran lei¬ det ſie? An zwei verunglückten Saiſons. In der erſten ſoll ſie der Gegenſtand irgend einer eleganten Herablaſſung geweſen ſein, die glück¬ licherweiſe ohne Folgen blieb. Sie fiel einem jungen Manne in die Augen, der ſie dann drei Monate lang nicht aus ſeinen Händen ließ und vielleicht gar mit ihr über Vorurtheile der privilegirten Stände, über die allgemeine Stimmberechtigung der Liebe und morganatiſche Ehen philoſophirt hat. Er verſprach im nächſten Jahre wiederzukommen. Einen langen Herbſt und Winter, einen ganzen Frühling hindurch war Bärbel glücklich und das frommſte Mäd¬ chen in Schwalbach. Sie war die erſte und letzte in der Kirche, die freundlichſte zu aller Welt. Die Mäßigung in einem Glücke, das ihre Kräfte überſtieg (nämlich das Wiederſehen war56 für ſie ſchon ein gränzenloſes Glück: wie leicht wird es Gott, ſeine Geſchöpfe ſelig zu machen!) Dieſe Mäßigung ſtand ihr ungemein ſchön, wie die Leute ſagen, die aus ihrer jetzigen Verwir¬ rung das Vorangegangene herausgelockt haben. Da kam die zweite Saiſon. Bärbel ſtand an der Gartenthür der beiden Indien. Ein großer Reiſewagen, thurmhoch bepackt, mit ſechs Pfer¬ den beſpannt, glitt am Hemmſchuh bedächtig die Höhe herab. Vorn und rückwärts Bediente, Kammerzofen, Bologneſer Hunde, ein Papa¬ gay, ein Geſchwätz und Gekrächz, das eine ganz neue Welt in das alte Schwalbach zu bringen ſchien. Bärbel ſtand auf den Zehen, blickte in den offenen Schlag und ſtieß einen entſetz¬ lichen Schrei aus. Sie hatte die untreue Herab¬ laſſung geſehen, wie ſie die Hand eines jungen reizenden Weibes küßte. Es war des jungen Paares erſte Badereiſe, gleich nach der Hoch¬ zeit. Das ſahe auch Bärbel ſogleich ein, nach¬57 dem ſie wieder zur Beſinnung gekommen war, denn noch war ſie nicht närriſch; aber ſie wurde es; ſchon durch die Ungewißheit, das Herumlaufen, Fragen, Erkundigen, Abgewieſen¬ werden, durch impertinente Bedienten, durch die Schaam, den Mann am Brunnen und auf der Promenade zu ſehen, und ihm nicht zu Füßen fallen zu dürfen. Sie war den Winter über ganz ſtill. Mit dem Frühjahr wurde ſie unruhig, holte immer tiefere Seufzer, ſchüttelte viel den Kopf, und nun ſteht ſie ſeit dem erſten Mai zu jeder Stunde des Tages hinter den beiden Indien und muß immer mehr erkranken, ſchon am Son¬ nenſtich. Sie ſieht in jede Kutſche und ſchämt ſich, wenn man ihr Geld zuwirft. Sie iſt für alle Schwalbacher Bettler der Lockvogel, oder der mit Honig ausgefüllte Stock, um die wilden Almoſen-Bienen zu fangen. Sie iſt die unſchul¬ dige Heilige, die ſtumm für ſie Alle bittet, und nichts davon hat, als immer tiefern Wahnſinn.

58

O ich bitte Sie, erzählen Sie Geſchich¬ ten, die ſich runden und einen Schluß haben! fiel Wally ein mit der ganzen Fühlloſigkeit, die ſie allein ſchon charakteriſiren würde, wenn ſie dieſelbe nicht mit allen Frauen gemein hätte, wo es ſich um die Herzensleiden ir¬ gend einer ihrer Schweſtern handelt. Sie ſind dabei alle kalt, eine gegen die Andere.

Den Schluß müſſen wir abwarten; ſagte Cäſar, erſchrocken über Wally's Phlegma. Er hätte ſie aufgegeben, wenn ſie als Phänomen nicht ſeine Neugier reizte. Auch würde er ſich Vorwürfe gemacht haben, Wally nachgereiſt zu ſein, wäre dieſe Mühe vergebens geweſen. Er dachte in der That daran, bei ihr zu irgend einem Ziele zu gelangen.

59

8.

Nach einiger Zeit theilten ſich die Wolken über dem Thale. Es war möglich ins Freie zu treten. Cäſar und Wally ſtiegen die Straße nach Ems hinauf. An der Thüre der beiden Indien ſtand das ſtille Bärbel und betrachtete ſie beide mit einem wehmüthig-rührenden Blicke. Wally blieb kalt dabei; er konnte das nicht begreifen.

Ich will Ihnen, Wally, ſagte er, eine andre Geſchichte erzählen, die ſich in unſrer Nähe begibt, und in der That ſchon eine Art Schluß hat. Glauben Sie nicht, daß ich die Demokratie ſo weit treibe, und auf Entdeckun¬ gen in den Hütten ausgehe. Die Schwalbacher bilden ſich ein, ihre Gäſte unterhalten zu müſ¬ ſen, und ſo erfuhr ich etwas, was würdig ge¬60 weſen wäre, von Hoffmann bearbeitet zu wer¬ den. Sie kennen die naſſauiſchen Soldaten, Wally! Sie haben über Bruſt und Schulter gelbe Bandeliere, was für ein preußiſches Auge kurios läßt. Die Artillerie iſt ſchöner, aber hören Sie von einem Tambour bei jener In¬ fanterie. Der junge Menſch ſtand in Wiesba¬ den, und ſoll ein Meiſter auf ſeinem Inſtru¬ mente geweſen ſein. Niemand in der naſſauiſchen Armee ſchlug wie er die Reveille mit ſolcher Fertigkeit. Seine Wirbel ſollen den Turbillons geglichen haben, welche bei Feuerwerken auf¬ ſteigen, nur daß er im Stande war, eine Vier¬ telſtunde lang die Schlägel in dieſer tremulan¬ ten Bewegung zu erhalten. Namentlich aber gelang ihm jenes hübſche Stakkato auf der Trommel, das mit Wirbeln untermiſcht die Er¬ ſchütterung des Kalbfells plötzlich hemmt und einen ganz abbrechenden Ton, einen Ton ohne alles Echo hervorbringen muß. Sie ſehen, welch61 einen Schatz das Haus Naſſau an dieſem Tam¬ bour hatte. Unglücklicherweiſe verliebte ſich aber der militäriſche Künſtler, und in ein Mädchen, das zwar den Werth der Armee zu ſchätzen wußte, auch den der Muſik, aber einem Trompeter von der Artillerie ſchon den Vor¬ zug gegeben hatte. Hier mußte eine Rivali¬ tät eintreten, welche der Liebe eben ſo ſehr galt, wie der Kunſt. Der Tambour verzweifelte nicht; indeſſen war er zu beſcheiden. Er fühlte, wie ſein Inſtrument, dieſe monotone Rhyth¬ mik, hinter der Trompete zurückſtand. Sein Gegenſtand war die Tochter eines Wiesbader Bürgers, eines Mannes, den man durch Aus¬ zeichnungen ehren konnte. Und wie zeichnete ihn der Trompeter aus! Wenn er des Abends in des gehofften Schwiegervaters Gärtchen ſaß, ſiehe, dann ſetzte er das ſilberne Mundſtück an die glänzende Trompete und blies den Parade¬ marſch, Friſch auf Kameraden! alle Walzer,62 von denen des Kurſaals an bis zu dem Zweitritt der Kirchweih. Das erfreute die Herzen die¬ ſer Menſchen. Die Nachbarn ſammelten ſich: ſie lauſchten, ſie klopften an die Gartenthür, ſie kamen herein und tanzten auf dem grünen Raſen. Der Schwiegervater hatte den gan¬ zen Abend die Nachtkappe zu lüften, und war unbeſchreiblich geehrt. Und wenn der Trom¬ peter mit ſeinen luſtigen Stücken Feierabend machte und ſie alle aus dem Gärtchen mußten, um in der Finſterniß die Beete nicht zu ver¬ derben, dann blieb er mit der Tochter noch al¬ lein und blies ihr Arien der Schwärmerei vor, Schöne Minka; Mich fliehen alle Freuden, mit ſterbenden, gedämpften und wie durch Zug¬ wind gehauchten Tönen, bis Alles ſtill wurde. Der Tambour hörte dieſe Scenen täglich und ver¬ ging vor Wehmuth. Er war eine ſanfte, ächt deutſche Heimwehnatur, voller Empfindung und Ehrgefühl. Jede Nacht badete er ſich in Thrä¬63 nen und ſchlug die Morgenreveille mit matten Händen. Das Feuer ſeiner Augen erloſch. Er fluchte ſeinem Inſtrumente, fluchte der Artil¬ lerie und ihren Trompeten. Was hatte er an ſeiner Trommel! dieſem dummen Lärmkaſten, bei deſſen Tönen ſich die Gebildeten der Na¬ tion das Ohr zuhalten, dieſer Klangma¬ ſchine, die, wie man mich in meiner Kindheit überredete, nur dazu da iſt, auf dem Schlacht¬ felde das Geſchrei der Verwundeten zu über¬ täuben! Zum Unglück gab es Augenblicke, wo der Tambour nichtsdeſtoweniger auf ſein In¬ ſtrument eiferſüchtig wurde. Iſt es nicht das wohlthätigſte Inſtrument, ſchlußfolgerte er, wenn es den Menſchen anzeigt, wo Feuer ausgebro¬ chen iſt, um welche Zeit das Thor geſchloſſen wird; kann es rührendere Töne geben, als die dumpfen Wirbel beim Begräbniſſe eines mei¬ ner Kameraden! Bei der Erinnerung an den Tod ſtürzten ihm die Thränen aus den Augen,64 von jenſeits drang die Trompete ſeines glück¬ lichen Nebenbuhlers herüber, ach! dieſe freudi¬ gen Töne durchſchnitten grauſam ſeine zitternde Seele. So ſchwand er hin und wurde immer mehr das blaſſe Bild der Reſignation. Er dachte nur an den Tod und ſagte oft, wenn er nicht käme, ſo müſſe er ſelbſt ſich ihn geben. Damit ging er lange um und weinte viel, ſo oft er beim Abendmahl und in der Kirche war. Aber es half nichts: die Liebe zermalmte ſein Herz, die Eiferſucht vernichtete ſeinen Stolz, ſtatt ihn zu erheben. Noch einmal richtete er ſich eines Abends auf, wo Alles ſtill war, am Tage vor der Hochzeit der Trompeterbraut, und ſetzte ſich dicht unter ihr Fenſter auf einen Stein. Zwiſchen den Füßen hielt er die Trommel ein¬ geſpannt, und begann ſie in der Stille der Nacht, wo Alles ſchlief, ſo ſchwermuthsvoll und ſanft zu rühren, daß es lange währte, bis mehr darauf achteten, wie das Mädchen oben in der65 Kammer. Sie hörte dieſe Serenade, ſie wußte Alles, denn ſie hatte den Tambour gekannt, ihn bevorzugt, ehe die Trompete kam. Sie zitterte unter der Bettdecke, denn es klang, wie zum Grab ſo hohl unterm Fenſter. Aber die Töne hoben ſich, die Schlägel wurden dringender, die abgeſtoßenen Punkte folgten Schlag auf Schlag: ſie mußte aufſpringen vor Entſetzen; die ganze Straße ſchien zu grollen und die Steine dumpf an einander zu ſchlagen. Man rief: Feuer! Sie riß das Fenſter auf. Draußen war alles ſtill; der Tambour war nirgends zu ſehen; auch beim Appell nicht. Man ſchiffte ſeine Trommel bei Mainz an der Rheinbrücke auf: ihn ſelber einen Tag ſpäter auf der nämlichen Stelle.

Wally hatte von dieſer Erzählung erwartet, daß ſie in einer Beziehung mit Schwalbach ſtünde und allem, was auf dieſe Erwartung keine Rückſicht nahm, nur eine oberflächliche Aufmerkſamkeit geſchenkt. Sie blickte Cäſar mitGutzkow's Wally. 566ruhigem Auge an, und fragte kalt, was in die¬ ſer Geſchichte mit Schwalbach zuſammenhinge? Cäſar fand dieſe Frage natürlich und legte ſie ſich nicht ſo empörend aus, als ſie urſprüng¬ lich war.

Dieſe Hiſtorie, fuhr er fort, iſt mehre Jahre alt. Der Trompeter heirathete die Tochter des Wiesbader Bürgers, nahm ſeinen Abſchied und zog nach Schwalbach, wo er die Direktion der Muſiken für die Saiſon zu über¬ nehmen pflegt. Aber ſeine Frau leidet ſeit jener traurigen Kataſtrophe ihres verſchmähten Liebhabers an einem unheilbaren Uebel. Hät¬ ten die Aerzte nicht ſchon zuweilen ähnliche Beobachtungen gemacht, ſo würde man ver¬ ſucht ſein, hier an einen Spuk, an eine Rache des geſpenſtiſchen Tambours zu glauben. Die Frau des Trompeters hört Tag und Nacht ein dumpfes Murmeln an ihrem Ohr, das ſich zu verſchiedenen Zeiten ſteigert und ihr wie der67 Ton einer Trommel vorkommen muß. Nachts ſchreckt ſie aus dem Schlaf auf, zeigt mit ſtie¬ rem Blick auf die Thür, wo ſie den blaſſen, kleinen Mann mit ſeinem Inſtrumente zu er¬ blicken glaubt; ſie hat nicht Ruhe, wie tief ſie ſich auch in die Kiſſen des Bettes hineinwühlt. Die Aerzte nennen dies eine unnatürlich prä¬ ponderirende Kraft des Gehörſinnes und kön¬ nen ſich auf die gleichzeitige Thatſache berufen, daß alle übrigen Sinne der Frau allmählich ſchwinden, und der übermäßig hervorbrechenden Gehörskraft zu weichen ſcheinen. Dabei iſt ſie abgefallen und bleich, ihr äußerer Körper ver¬ ringert ſich immer mehr: ich ſahe ſie, es iſt eine ganz abſorbirte Erſcheinung, die Grauſen erregt. Sie ſelbſt hat den feſten Glauben an die Rache des Tambours, oder wie es dieſe Leute nennen, daß er im Grabe keine Ruhe habe. Sie verſicherte mich, daß das Geſpenſt ihr überallhin folge, in Küche, Boden und Kel¬5 *68ler; ja auf dem Wege, ſelbſt im Walde ſähe ſie ihn oft, den Todten, wie er leibhaftig vor ihr ſtehe, die kleine, bleiche Figur, mit der Trommel auf dem weißen Schurzfell und dieſelben gelble¬ dernen Bandeliere um die Schultern gehängt, welche uns Preußen ſo fatal ſind. Die Aerzte wiſſen, daß die Frau bald ſterben muß an to¬ taler Nervenentkräftung. Ich glaub 'es. Gott, da ſteht ſie!

Wo? ſchrie Wally auf.

Cäſar lachte. Es war ein Scherz; aber ſie hatte ihn übel aufgenommen und ließ ſich mit der bitterſten Laune über ſeine Späße und abentheuerlichen Erzählungen aus.

Gehen Sie mit Ihren Trommeln und Trompeten! Womit Sie ſich doch alles ab¬ geben! ſagte ſie mürriſch, empfahl ſich, und wandte ſich allein dem Kaiſerſaal zu, wo ſie wohnte.

69

9.

Dieſe Scene war bald vergeſſen. Auf die regneriſchen Tage folgten mit dem Sonnenſcheine tauſend Aufforderungen der Natur, ihre Reize zu genießen. Bis in die entfernteſte Umgegend trugen Eſel und kleine Gefährte den weiblichen Theil der Geſellſchaft, welche als die Crème der Saiſon ſich zuſammengefunden hatten. Wally war eine ſprühende Girandole von Freude und Ausgelaſſenheit. Sie bildete den wahren Mit¬ telpunkt der Geſellſchaft, ſo aber, wie es Waſ¬ ſerkünſte gibt, wo man nur hier zu drücken braucht, um auf der entgegengeſetzten Seite überall luſtige Fontänen ſpringen zu laſſen. Cäſar war verſchloſſen und reflektirte viel. Dem Beobachter konnte es nicht entgehen, wie tief ſich Wally in ſeine Neigungen eindrückte. Wenn70 es nicht Liebe war, die ihn trieb, ſo war es die Aufgabe, die ſich ſeine Eitelkeit geſtellt hatte, Wally, dieſe Ungezähmte und Un¬ bändige überwunden zu haben. Hütet euch, ihr Frauen! die Liebe der meiſten Männer iſt nichts, als eine Huldigung, welche ſie ſich ſelbſt bringen.

Der Rhein ſollte das Ziel einer Spazier¬ fahrt ſein, der ſich eine große Anzahl von Bad¬ gäſten angeſchloſſen hatte. Wally war noch vor dieſem Ziele zu ſehr ermüdet, als daß ſie weiter konnte. Sie blieb bei einem der Bedien¬ ten zurück, um die nachkommenden Wagen ab¬ zuwarten. So trennte ſie ſich unbemerkt von der Geſellſchaft, ſo daß Cäſar, der auf Ab¬ wegen dem Zuge nachgeritten war, erſtaunte ſie allein zu finden. Er ſprang vom Pferde und gab es dem Bedienten. Wally und Cäſar gingen voran.

Der Verführung eines grünen Raſenplatzes71 mitten im Walde widerſtanden ſie nicht. Wäh¬ rend der Wagen und Cäſars Pferd auf der Straße hielten, giengen ſie dem einladenden Ruheorte entgegen und ſetzten ſich auf abgeſägte Baumrümpfe nieder. Es lag etwas Mecha¬ niſches in dieſen Bewegungen, als wenn eine Verabredung ſtatt gefunden hätte und doch ſchwiegen beide. Sie ſprachen noch immer nichts, auch als ſie beide mit geſtüztem Haupte ſich gegenüber ſaßen.

Seit einiger Zeit ſind Sie auf mich er¬ zürnt, Cäſar! ſagte dann Wally.

Ein Lächeln, das man kennen muß, um zu wiſſen, daß es nur die Maske eines tieferen Schmerzes iſt, flog über ihre Mienen. Das Lächeln Cäſars konnte Beiſtimmung oder Ver¬ wunderung ſein. Er war klug genug, ſie dar¬ über im Unklaren zu laſſen.

Ihre Geſchichten haben mich kalt gelaſſen; fuhr ſie fort.

72

Daran dachte Cäſar nicht mehr; aber er ſagte: hab 'Ich ſie denn verfaßt?

Nach einer Pauſe ſeufzte Wally tief auf, ſchlug ihren Blick zu Boden und begann eine Perſpektive in ihr Inneres zu geben, die Cä¬ ſar neu war, an ihr zumal, und die ihn ent¬ zückte. Ich muß mich, ich muß die Frauen haſſen; ſagte ſie ſtill; von Natur ſind wir grauſam und zu den Gefühlen, welche wir zu äußern wohl unter Umſtänden fähig wären, haben wir urſprünglich nur die bloßen Anlagen. Glau¬ ben Sie es, Cäſar, die Frauen gedeihen nur durch die Männer. Sie ſelber wären im Stande, ſich unter einander zu zerfleiſchen. Niemand kann bei dem Elende der Menſchen, bei Krieg, Erdbeben, öffentlichem und Privatunglück em¬ pfindungsloſer ſein, als die Frauen. Verſtehen Sie mich recht, ſo lange wir allein ſtehen. Was wir von Gefühl urſprünglich haben, das iſt mehr Schauer, als Bewußtſein, mehr thie¬73 riſche Furcht, als Reflexion einer edlen Seele. Ach, ich zittre oft vor einer Empfindungsloſig¬ keit, die ich nicht zu heilen weiß!

Aber woher die ſpätere Metamorphoſe der Frauen? fragte Cäſar, erſtaunt über die Wahrheit, welche ſich in Wally's Antlitze ausdrückte.

Sie ſtockte: ſie blickte ihn an. Er errieth und ſank zu ihren Füßen.

So lange dieſe Situation ſtumm war, konnte ſie zwiſchen beiden wohl empfunden ſein; als aber Wally nach einem Worte ſuchte, wies ſie ihn zurück.

Ihm war es recht; denn die Reflexion ſchlug ihn in den Nacken, und hatte ihn unwillkür¬ lich aufgeriſſen, da er auf nichts in ſeinem Herzen Vorbereitetes ſtieß und ihm jede Si¬ tuation fatal war, in der er ſich ſelbſt nicht hätte beobachten können.

74

Sie ſaßen beide wieder auf ihren Baum¬ ſtämmen. Doch war es eine warme Stim¬ mung, die ſich ihrer bemächtigt hatte, in der ſie wenn auch über nichts entſcheiden, dennoch über Alles unterhandeln konnten.

Wally verhehlte nicht, daß die Zauberruthe, welche die im Herzen des Weibes ſchlummernden Gefühle erſt wecke, die Liebe ſei. Cäſar er¬ griff ihre Hand und ſagte: Wir ſind für die Illuſion beide nicht gemacht. Eine Mücke würde uns ſtören, wollten wir zu den Ster¬ nen beten. Jede Aufwallung, bei der wir nur einen Augenblick unſre Manieren nicht in der Hand hätten, würde uns lächerlich ſcheinen. Helfen wir uns beide! Eine kurze Ueberein¬ kunft kann uns auf die Stufe verſetzen, welche uns alle jene Glückſeligkeit gewährt, die wir durch Zurückhaltung, Schaam, natürliches oder kokettes Weſen niemals erreichen. Wally! Wally!

75

Jetzt lag Cäſar zu Wally's Füßen, wahr¬ haftig, ohne Bewußtſein, von einem ungeheuchel¬ ten Gefühle übermannt. Aber was warf ihn nieder? Nicht die Liebe, ſondern der Gedanke an eine Humanitätsfrage, die niemanden von euch fremd iſt: der Gedanke an jene Augen¬ blicke, wo wir, überdrüſſig der conventionellen Formen des Lebens, zu aller Welt herantreten möchten und ihr zurufen: O warum dies Gehäuſe von Manieren, in welches du Spröde dich zurückziehſt? Warum dieſe Verhüllung des Menſchen in und an dir? Warum Zurückhal¬ tung, du, mein Bruder, du, meine Schweſter, da du doch gleichen Weſens mit mir biſt, eine Hand wie ich zum Drucke, einen Mund wie ich zum Kuſſe haſt? Ach, wie ſeh 'ich rings um mich her eine ſo reife Ernte von Liebe und Schönheit! Warum zögern, bis auf Jahre, daß ich ſie breche? Warum nicht das Ent¬ zücken, daß wir alle Menſchen ſind, ſchwach und76 ſtark, ſterblich und unſterblich! Dieſe unſicht¬ baren Barrieren, welche die Menſchen trennen, welche auch den Jüngling vom Mädchen tren¬ nen, müſſen fallen; denn ich kenne dich, dein Alles, dein Gehen und Stehen, deine Schwä¬ chen und Tugenden: ſiehe! hier iſt meine offne Bruſt, hier ſchlägt mein Herz, ich bin nichts, was noch etwas anderes wäre, als es iſt, nichts, was du für etwas anderes halten dürfteſt. Weib, in deinen Augen, in den Formen deines Kör¬ pers biſt du überreif zur Liebe; und wenn ich dich heut zum erſtenmale ſähe, ſo pflückt' ich dich, denn wir ſind die Kinder eines und deſ¬ ſelben Planeten, ich Menſch, wie du, beide al¬ ternd, beide den Tod fürchtend, beide elend. Was weichſt du mir aus?

Wally zerfloß in Thränen. So faſt hatte Cäſar zu ihr geſprochen, und ſie fühlte das Entzücken, ſtatt eines Weibes Menſch zu ſein. 77Sie zitterte bei dieſer ächt philanthropiſchen Vorſtellung, welche, wenn ſie allgemein würde, die Welt durchaus umgeſtalten und ihre ſchwie¬ rigen Fragen im Nu löſen müßte. Sie ließ die Umarmung Cäſars zu: nicht, weil ſie ihn liebte, oder aus Egoismus, aus Stolz, einen Mann überwunden zu haben, ſondern weil ſie ſich als das ſchwache Glied der großen Weſenkette fühlte, die Gott erſchaffen hat, weil ſie wußte, daß ſie ja vor der Wahrheit und Natur ganz nackt und bloß und mitleidswürdig war, weil ſie zu¬ letzt glaubte, daß dieſe heißen Küſſe, welche Cäſar auf ihre Lippen drückte, allen Millionen gälte unterm Sternenzelt.

Sehet da eine Scene, wie ſie in alten Zeiten nicht vorkam! Hier iſt Raffinirtes, Gemachtes, aus der Zerriſſenheit unſrer Zeit Gebornes: und was iſt die Wahrheit Romeo's und Juliettens gegen dieſe Lüge! Was iſt die78 egoiſtiſche Geſchlechtsliebe gegen dieſen Enthu¬ ſiasmus der Ideen, der zwei Seelen in die unglücklichſten Verwechſelungen werfen kann! Ich zittre vor einem Jahrhundert, das in ſeinen Irrthümern ſo tragiſch, in ſeinem Fluche ſo anbetungswürdig iſt.

79

10.

Die Uebereinkunft der Liebe zwiſchen Wally und Cäſar mußte ihren Verhältniſſen ein neues Colorit geben. Wir fürchten, daß die Farben allmählig erbleichen werden. Aber noch ſind ſie hell und friſch; noch liegt auf Wally's An¬ tlitz der melancholiſche Schatten jener entzük¬ tenden Verirrung, in Cäſars Mienen die Re¬ ſignation und Selbſtzufriedenheit, welche ſelbſt blaſirte Charaktere und verwitternde Natürlich¬ keiten ergreifen kann, wenn der immer durſtige Becher ihrer Wünſche einmal voll iſt bis an den Rand der Erfüllung. Das Wiederfinden eines Jugendfreundes unterſtützte Cäſars re¬ flektirende Perſönlichkeit ſich in einer Welt zu halten, in welcher er ſich ſeit einiger Zeit gefiel.

Waldemar hieß der neue Ankömmling, ein80 Mann, der einſt blühend und ſchön war, in der Reſidenz zu Wally's Anbetern gehörte, dann heirathete und trotz der glänzendſten Verhält¬ niſſe zu keiner Freude kam, da ſeine Gattin an unheilbaren Uebeln ſiechte. Die Stim¬ mung dieſes Mannes theilte ſich ſeinen Umge¬ bungen mit, erſt auch Cäſar, verlor ſich aber an dieſem in dem Augenblick, als ſie für ihn durch folgende gemiſchte Anekdote einen Grund bekam.

Seit Waldemars Ankunft im Bade hatte ſich nämlich das ſtille Bärbel von den beiden Indien zurückgezogen. Ihr Betragen gegen ihn ließ keinen Zweifel, daß dieſer Mann die Ur¬ ſache ihrer Geiſtesverwirrung geweſen war. Sie verfolgte Waldemar, wo er ſich nur blicken ließ, und weinte oft auf dem Wege, wenn er in zahlreicher Geſellſchaft vorüber ging. Jeder mann kannte den Zuſammenhang dieſer tragi¬ ſchen Comödie, doch wollten nicht Alle glauben,81 was Waldemar verſicherte, daß er ſich dieſes Mädchens durchaus nicht entſinne, nie mit ihr ein Wort gewechſelt, und auch im vorigen Jahre zum erſtenmale Schwalbach beſucht habe. Cä¬ ſar aber glaubte dieſen Verſicherungen; denn Waldemar war eine treue Seele, die Nieman¬ den betrüben konnte, noch weniger aber wäre eine Unwahrheit über ſeine Zunge gekommen. Er nahm den Wahnſinn Bärbels von der lächer¬ lichen Seite und ſuchte Waldemar zu tröſten. Ja, dieſem melancholiſchen Manne fehlte nur noch eine neue Urſache ſeiner Schwermuth!

Wally befand ſich in einer Stimmung, die ihr den Verkehr mit beiden Männern, der immer gewiſſe Gränzen und Nüancen hatte, recht zum Genuß machte. Einſt wollte ſie in einem Garten zu ihnen unbemerkt herantreten, während beide Freunde unter einem Bosket von verwelkenden Roſen ſich unterhielten; da ſie aber hörte, daß ihr Geſpräch religiöſe Saiten aufgezogen hatte, ſoGutzkow's Wally. 682fürchtete ſie, etwas zu verſtimmen, und blieb unwillkürlich in einer Weite ſtehen, daß ihr von dem Geſprochenen nichts entgieng und ſie dabei doch ungeſehen blieb. Sie fühlte das Mißliche dieſer Situation in einem Augenblicke nicht, wo alle ihre Seelenfäden Geſpinnſte zu ſchießen begannen, in die ſie ſich immer tiefer verſtrickte, wo es einer Unterſuchung über die Religion galt.

Hätt 'ich einen größeren Wirkungskreis, ſagte Waldemar, vielleicht gelänge es mir dann, den Unmuth meiner Seele zu zerſtreuen, wie auch jene Berge, auf welchen viel Wald¬ leben herrſcht, Tannen rauſchen und die Natur in einer ſteten Bewegung iſt, die Nebel ſich leichter zerſtreuen. Ich bin ein kahler Hügel, jedem Windzuge offen, und von jeder Wolke gleich bis tief unter die Augen bedeckt. Nach ideellen Schutzwehren ſuch' ich eben ſo verge¬ bens. Die Politik iſt nur im Stande, meine83 Schwermuth zu vermehren, und die Religion hat man mir durch meine Erziehung verleidet.

Wer wird auch, entgegnete Cäſar, bei üblen Stimmungen Hülfe von der Religion erwarten! Religion iſt das Produkt der Ver¬ zweiflung: wie kann ſie die Verzweiflung heilen?

Sie ſollte es wohl; jede Religion ſoll es, welche die Miene der Offenbarung an¬ nimmt, ſagte Waldemar. Aechte Religion iſt poſitive Heilkraft; aber gleicht das Chriſten¬ thum nicht einer Latwerge, die aus hundert Ingredienzien zuſammengekocht iſt? Meine Ver¬ nunft ſagt mir, auch ohne Hahnemanns Or¬ ganon, daß die Krankheiten immer einfache und nur die Symptome zuſammengeſetzt ſind, daß die Natur für jede ihrer Abnormitäten eine mediziniſche Rektifikation im ſimpeln Zuſtande hat und daß in einer Mixtur von Heilkräften eine Kraft die andere aufhebt. Die unerhörte Ueberladenheit des Chriſtenthums aus traditio¬6 *84nellen, hiſtoriſchen und bibliſchen Urſachen macht aber, daß es für den Schmerz der Seele ganz ohne Wirkung iſt. Eines ſeiner Dogmen ſtört das andre.

Ein Krampf ſchnürte Wally's Bruſt zuſam¬ men. Sie wankte ohnmächtig fort, bis jener Referendar, der über das Unzeitgemäße der politiſchen Garantien geſchrieben hatte, ihren Arm ergriff und ſie zu Waldemar und Cäſar führte, von denen er den erſten geſucht hatte.

Waldemar! rief er: was Sie glück¬ lich ſind! Ein Ehegatte, und noch bringen ſich Ihretwegen die Frauen um.

Was wollen Sie damit? fragte Wal¬ demar.

Sie müſſen nicht erſchrecken, ſagte je¬ ner; aber Ihr verlaſſenes Bärbel iſt todt. Sie ging geſtern den ganzen Tag um Schwal¬ bach herum, ſich ein Grab zu ſuchen, blieb dann noch lange bei den beiden Indien, wankte85 darauf mechaniſch fort bis an das Schloß Naſ¬ ſau, wo ſie ſich von der eiſernen Hängebrücke hinabgeſtürzt hat. An der linken Seite von hier, da wo der Brunnen auf der Brücke ſteht, ſoll ſie noch mehre Stunden geſeſſen haben, wie die Leute verſichern, die ſie dort ſahen. Die Gerichte von dort ſchicken dieſen Ring mit, der an dem Finger des Mädchens ſich befand. Ich hab 'ihn hier.

Waldemar erblaßte. Mein Gott! ſchrie er. Dieſer Ring

Cäſar ſprühte auf: Wie? rief er; Waldemar, du hätteſt dennoch

Ja, bemerkte der Dritte: ich kenn 'ihn. Sie trugen dieſen Ring vor mehren Jah¬ ren, Waldemar.

Wally trat hinzu und nahm den Ring. Sie betrachtete ihn und gab mit unpaſſender Hei¬ terkeit die Erklärung: Waldemar, Sie gaben86 mir vor drei Sommern dieſen Ring. Iſt eine Verheirathung dem Gedächtniſſe ſo ſchädlich?

Aber wie kam die Unglückliche zu dem Ringe, den alle Welt als ein Pfand meiner treuloſen Verſicherungen auslegen wird? fragte Waldemar mit bleichen Lippen, die doch wie¬ der ſprechen konnten, nachdem er ſich auf die Huldigungen beſann, die er einſt Wally ge¬ bracht hatte.

Ich hatte die Gewohnheit, ſagte Wally, die Ringe meiner Verehrer jährlich im Bade zurückzulaſſen, indem ich ſie in die Becher, die am Sprudel ſtehen, warf, und dieſe dann ar¬ men Leuten oder Kindern zu trinken gab. So iſt die Närrin wohl zu dem Geſchenke ge¬ kommen.

Gut erfunden! flüſterte der Referendär, dem im Augenblick auch ſein Ehrenhandel mit Cäſar einfiel. Wally blickte etwas ſtolz: man87 kann durchaus nicht ſagen, warum? und reichte dem Menſchen ihren Arm.

Waldemar ſaß in tiefes Nachſinnen verſun¬ ken. Wie wunderbar war der Zuſammenhang dieſes unglücklichen Ereigniſſes! Man konnte verſucht werden, an eine magnetiſche Einwir¬ kung zu glauben. Wer erklärte ihm, wie ein Ring eine Neigung veranlaſſen konnte zu einem Manne, den man nie geſehen! Wie kam es, daß die Arme, gleich als ſie ihn zum erſten¬ male ſahe, ihn als den Eigenthümer des Rin¬ ges erkannte, den ſie liebte und mit einer wirklichen Perſon verwechſelte! Er ging tief bekümmert in ſeine Wohnung und überredete ſeine kranke Gattin, mit ihm ſogleich den Schau¬ platz ſo unheimlicher Begebenheiten zu verlaſſen.

Was aber empfand Cäſar bei dem Ereig¬ niſſe? Nicht das Ereigniß ſelbſt, nicht den Schmerz ſeines Freundes, ſondern nur Eines, was ihn ſchon oft bei Vergleichung des Todes88 mit dem Leben intereſſirt hatte. Das arme Bärbel war vor ihrem Ende unruhig in dem Flecken herumgewankt und hatte den Tod ge¬ ſucht, der ihr nothwendig ſchien. Sie war bis nach der eiſernen Brücke gelaufen, um den Trö¬ ſter ihrer Leiden zu finden. Iſt es beim Selbſt¬ morde eine unſichtbare Hand, die die Kehle zuſchnürt? Geht man wahnſinnig, ohne Be¬ wußtſein in den Tod, wie die Mücke in das brennende Licht ſtürzt? Oder iſt man bei et¬ wa vorhandener Kraft, ſich noch als nachden¬ kend zu fühlen, ſchon ſo mit dem Tode ver¬ ſchwiſtert, daß jener weitere[Act] des Selbſt¬ mordes nur die Publikation eines Befehles wird, der ſchon abgemacht und im Stillen ausgeführt iſt? Darüber ſann Cäſar nach, und konnte ſich vor Schmerz nicht faſſen, als er bei dem Ver¬ folgen von Bärbels Benehmen nur darauf zu¬ rückkam, daß die Furcht vor dem Tode doch immer das Urſprüngliche und bis zum ſchwin¬89 denden Bewußtſein das Letzte ſei. Die Unzu¬ länglichkeiten der Erhabenheit, ſagte er, die Furcht vor dem Tode, der Schmerz, nicht wie Brutus, der alte und der junge tödten, nicht wie Cato ſterben zu können, die Bitte des Prinzen von Homburg, ihn leben zu laſſen: das iſt das Tragiſche unſrer Zeit und ein Gefühl, welches die Anſchauungen unſrer Welt von dem Zeitalter der Schickſalsidee ſo ſchmerzlich ver¬ ſchieden macht. Sie wollte ſterben, und lief einen ganzen Tag, einen Weg von ſechs Stunden, um den Tod zu finden, den ſie herzlich ſuchte und den ſie fürchtete!

So war Cäſar.

90

11.

Jenes feſte und präciſe Benehmen, das Wally bei der Aufklärung über den Ring ge¬ zeigt hatte, war nur durch die Situation her¬ vorgerufen worden. Auch wird ſich niemals ein Weib bei der Leidenſchaftlichkeit einer An¬ dern enthalten können, ſich aufzuſchnellen und mißachtend auf die fremde Verirrung herabzu¬ ſehen. Dieſe Stimmung war aber nur eine vorübergehende.

Die Erklärung, welche Waldemar über das Chriſtenthum abgab, hatte auf ihre Seele wie die Berührung eines kranken Zahnes gewirkt. Glaubt ihr, Wally habe nach einem Mittel¬ punkte ihres Lebens geſucht? Warlich nicht. Nirgends lagen etwa zerſtreute Bruchſtücke von Gedanken, die ſie gern verbunden hätte. Un¬91 mittelbar und zufällig war ihr ganzes Leben: nur im Religiöſen ſtand ſie oft, wie ein Wan¬ derer auf der Landſtraße, der den Weg verfehlt zu haben glaubt, ſich in der Gegend umblickt und mit ſeinem Ortsſinne ſich zu orientiren ſucht. Es war ein ganz bewußtloſes Sinnen, ein träumeriſches Fühlen, dem ſie ſich taſtend und anpochend hingab. Von einer Reflexion, einer zuſammenhängenden Unterſuchung konnte bei Wally nicht die Rede ſein. Sie litt an einem religiöſen Tik, an einer Krankheit, die ſich mehr in haſtiger Neugier, als in langem Schmerze äußerte. Sie war wie in einem Zimmer, das ſich plötzlich mit Rauch füllt und wo man ſich nicht anders helfen kann, als an das Fenſter zu ſpringen, es aufzureißen und mit einem unmäßigen Geſtus nach friſcher Luft zu haſchen.

Wally wußte ſelbſt nicht, was Alles zuſam¬ mentraf, ſie nachdenklicher als je zu machen. 92Sie hatte zum erſtenmale einige Beobachtun¬ gen über ihren Zuſtand in eine zuſammenhän¬ gende Kette aufgereiht. Sie war vor ihren Gedanken nicht ſcheu zurückgeſchreckt, ſondern hatte ſie diesmal ſcharf ins Auge gefaßt. In einem Brief an eine Freundin ſuchte ſie ihrer Angſt Luft zu machen.

Der Brief war vielleicht vollendet. Sie wagte nicht, was ſie hatte, wieder durchzule¬ ſen. Auch verzweifelte ſie während des Schrei¬ bens ihn abzuſenden. Sie zerriß ihn.

Einige Minuten blickte ſie die Reſte an; dann ordnete ſie mechaniſch, was davon noch vor ihr lag. Die Linien und Buchſtaben pa߬ ten zuſammen. Jetzt erſt las ſie ihn, wo ſie gleichſam wußte, daß er ihr nichts mehr ſcha¬ den könne.

Meine theure Antonie, hatte ſie geſchrie¬ ben; deine geſchmackvollen Muſter, das ſehr hübſche Diadem, was aber wohl zu meinem93 Haare nicht ſtehen wird, auch die engliſchen Nadeln und die neuen Touren zum Cotillon hab 'ich bekommen. Ich danke dir, An¬ tonie! Verzeih mir nur, daß ich nicht jetzt auch mit all dem Entzücken davon ſpreche, das ich wirklich über deine Gefälligkeit und die Ge¬ genſtände derſelben empfunden habe. Du glaubſt nicht, in welcher wunderlichen Stimmung ich heute bin. Und heute mußte ich doch ſchrei¬ ben Morgen würd' es ſchon beſſer ſein. Nur eins ſage mir, Antonie, haſt du wohl in dei¬ nem Leben einen frohen, recht frohen Augen¬ blick gehabt? Ich beſinne mich vergebens auf einen; denn es iſt doch immer eine peinliche Unruhe und Haſt, von der wir getrieben wer¬ den, eine Aengſtlichkeit, von welcher die Män¬ ner keine Vorſtellung haben. Zuweilen erſchreck 'ich vor dieſer pflanzenartigen Bewußtloſigkeit, in welcher die Frauen vegetiren, vor dieſer Zu¬ fälligkeit in allen ihren Begriffen, in ihrem94 Meinen und Fürwahrhalten. Der Augenblick iſt der Urheber unſrer Handlungen und die Ver¬ geßlichkeit die Richterin derſelben. Ach, An¬ tonie, ich beſchwöre dich! Nimm dieſe Klagen nicht als die Frucht eines regneriſchen Tages; o ich leide an einem Schmerze, der unheil¬ bar iſt, da ich ihn gar nicht zu nennen weiß. Das rennt, läuft, ſpringt, lacht, ſingt, weint, zankt, nun ſage mir um des Himmels Wil¬ len, was ſteckt dahinter? Was iſt der Kern dieſer ſpiralförmig fortkreiſelnden Unruhe? Die Männer ſind glücklich, weil man an ſie Anfor¬ derungen macht. Das Maaß ihrer Handlun¬ gen iſt der Beifall oder der Nutzen, den ſie damit gewinnen. Auch dies ſage, warum wir den Fauſt nicht leſen ſollen? Die Schilderung jener Zweifel, die eines Menſchen Bruſt durch¬ wühlen können, macht uns vertraut mit ihnen und die Wirkung derſelben für uns weniger gefährlich. Aber ich fühl' es, daß ſich in je¬95 des Menſchen Herzen innere Gedichte ent¬ wickeln, eine ganze Hiſtorie von Wundern, die wir zu erklären verzweifeln, Gedichte, in denen wir ſelbſt der von den Göttern verfolgte, ge¬ neckte, ſcheiternde, irrende Ulyſſes ſind. Das iſt alles halb, ſiehſt du. Es iſt noch immer nicht das, was ich ſagen möchte und nicht ſa¬ gen kann. Liebe Antonie, das iſt der Fluch: man verlangt nichts von uns, man will gar nichts, es kömmt gar nichts drauf an. Auch dies noch: wir haben einen Ideenkreis, in wel¬ chen uns die Erziehung hineinſchleuderte. Dar¬ aus dürfen wir nun nicht heraus und ſollen uns nur mit Grazie, wie ein gefangenes Thier, an dem Eiſengitter dieſes Rondels herumwin¬ den. Dieſe Gefangenſchaft unſerer Meinungen ach, war Spreu für den Wind! Rechte will ich in Anſpruch nehmen, für wen? für was? O Antonie, ich habe nichts, was werth wäre, gedacht: ich will gar nicht ſagen, ge¬96 meint oder geſprochen zu werden. Ich drücke an den Begriffen, die mir zu Gebote ſtehen; aber ſie ſind elaſtiſch und geben immer nach und gehen immer wieder zurück. So glaub 'ich, kommen auch die Revolutionen, wenn die Men¬ ſchen ſo viel Mühe haben, an ihrer Stirn hin - und herfahren und ihre welke Begriffstyrannei gern ſtürzen möchten mit etwas, was ſie ſuchen, aber nicht finden können. Dann ſchaffen ſie ſogar Gott ab, nämlich, weil ſie ihn wahrhaf¬ tig nicht verſtehen. Es iſt auch ſchwer, An¬ tonie! Die Schöpfung ſchon gut; aber wo¬ her? womit? warum? Der Menſch, der Affe, der Polyp, die Sinnpflanze, das Moos, der Stein, der Cryſtall, das Waſſer, die Luft, der Wind, Nichts: wo iſt Gott? Oder wollt ihr nicht den Weg des Waſſers gehen: ſo geht den des Feuers! Der Vulkan, das Licht, die Wärme, die Elektricität, der Magnetismus: wie kann Gott in der Volta'ſchen Säule ſtecken?

97

Hier mußte Wally laut auflachen, bei all ihrem Schmerz und Unglück. Der komiſche Conflikt der Schulweisheit mit ihrer Melan¬ cholie, die Vergleichung Gottes und jenes klei¬ nen Profeſſors der Phyſik, der ſie mit papi¬ nianiſchen Töpfen, Herobrunnen und Luftpum¬ pen ſo tief in die Natur hatte ſehen laſſen wollen, ob er gleich ſelbſt nur ein Auge hatte, das waren zu drollige Erinnerungen. Sie zuckte mitleidig mit ſich ſelbſt, über ſich ſelbſt die Achſel, und gieng Cäſar entgegen, der viel ungereimtes Zeug mit ihr zu ſprechen hatte.

Gutzkow's Wally. 798

12.

Ein Begegniß, das Wally kurze Zeit dar¬ auf erlebte, machte den erſten Abſchnitt in ihrem Leben. Es ſchien, als könnte ſie in ihrem jetzigen Aufenthalte die Heiterkeit nicht wieder gewinnen, welche ihrem Charakter entſprach. Ein Umſtand aber veranlaßte bald die Abreiſe von Schwalbach.

Wally war eines Abends ſpät und unmu¬ thig zu Bett gegangen. Die Lampe brannte noch auf ihrem Tiſche; aber ſie konnte nicht ſchlafen. Ihr Blut war in fieberhafter Auf¬ regung. Sie warf ſich unruhig hin und her, aber ihre Sinne wollten ſich nicht löſen.

Da ſprang ſie auf, ſetzte ſich an den Tiſch und fing all die Mittel zu prüfen an, welche die Leute anrathen, um in gleichmäßige Bewe¬99 gung des Bluts zu kommen. Sie zählte die zwölf Glockenſchläge an der Kirchthurmuhr, ſie zählte das Einmaleins her, von vorn und hin¬ ten, deklamirte das einzige Gedicht, welches ſie bei ihrem ſchlechten Gedächtniß auswendig wußte: Eine kleine Biene flog emſig hin und her, und ſog. Nichts half. Da erblickte ſie auf dem Tiſch die Anordnungen, welche ſie neulich ge¬ macht hatte, um an ihre Freundin zu ſchreiben. Sie ergriff die Feder und ſchrieb:

Meine theure Antonie, deine geſchmack¬ vollen Muſter, das ſehr hübſche Diadem, was aber wohl zu meinem Haare nicht ſtehen wird, auch die engliſchen Nadeln und die neuen Tou¬ ren zum Cottillon hab 'ich erhalten. Ich danke dir, liebe Antonie! Verzeih mir nur

Abſcheulich! rief ſie aus, und trat an das Fenſter. Der Mond beleuchtete hier und dort einen Theil des engen Thales und ſeiner Um¬ gebungen. Er war mit Wolken bedeckt, die7 *100aber nicht eilten, ſondern ſchwer auf ihm haf¬ teten. Es wehte kein Wind. In ſanfter, nächt¬ licher Stille ruhte die maleriſche Natur. Ein tannenſchwarzer Bergrücken begränzte auf der einen Seite die ovale Rundung des ſchlum¬ mernden Thales. Nirgends die Ahnung eines menſchlichen Weſens.

Wally hüllte ſich in einen leichten Nacht¬ überwurf. Ihr Zimmer lag zur ebnen Erde. Mit einem Tritte war ſie draußen im Freien. Ohne mehr zu wollen, als die Hitze ihres Blu¬ tes abkühlen, ſtieg ſie zur linken Hand die Straße hinauf, dann wieder hinunter zum Allee¬ ſaal hin. Sie wird nur einige Schritte unter den Bäumen auf und abgehen.

Als ſie ein weniges weiter gekommen war, vernahm ſie ein ſonderbares Geräuſch, welches man für das Seufzen einer ſchwankenden Pap¬ pel hätte halten können, wäre ein ſtarker Wind gegangen. Sie erſchrak, wie dieſe Laute ſich101 immer deutlicher als Geſtöhn und ſchmerzliche Klage zu erkennen gaben. Es war wie das Jammern eines Verwundeten, der ſich fürchtet, durch übergroßen Schmerzausdruck des Mundes vielleicht die brennenden Leiden ſeines Scha¬ dens deſto ſtärker zu machen.

Wally blieb betroffen ſtehen. Ihr ſiedendes Blut gerann und die Fieberhitze wich einer kal¬ ten Erſtarrung, in die der Schreck ihre Glie¬ der verſetzte.

Sie ſahe, daß ſich im Hintergrunde der Allee Etwas bewegte, das auf ſie heranzukom¬ men ſchien. Die Angſt hatte ſich ihrer Seele ſo ſehr bemächtigt, daß ſie nicht einmal wagte, zu entfliehen. Wie angewurzelt blieb ſie ſtehen, und wankte nur, als eine menſchliche Figur immer näher trat, mechaniſch hinter einen Baum, von dem ſie glaubte, daß er ihr Schutz gewähren könne.

Ein Weib kam mit händeringenden Geber¬102 den. Sie wandte ſich oft geſpenſtiſch um und ſuchte etwas, was man nicht ſehen konnte, von ſich abzuwehren. Dann fuhr ſie mit einer grauenerregenden Vehemenz und ſie begleiten¬ dem Geheul in die Gegend ihres Kopfes, als wolle ſie etwas bedecken oder irgend einen über¬ großen Schmerz ſtillen. Wally zitterte.

Jetzt ſtand die Unglückliche, welche nicht im Fieber zu ſein, ſondern das volle Bewußt¬ ſein zu haben ſchien, dicht vor ihr. Wally ſahe, wie ſie ſchwankte und zu Boden ſtürzte. Mit einem fürchterlichen Geſchrei wühlte das entſetzliche Weib ihren Kopf in den loſen Sand und rang, ihre Hände gleichſam zu vervielfäl¬ tigen, um den Kopf von allen Seiten bedecken zu können. Dabei ſtöhnte ſie wieder, und ſahe ſich, wie tief ſie auch den Kopf in den Sand hineingewühlt hatte, um, und fuhr mit einem gräßlichen Schrei auf, als hätte ſie einen Geiſt103 erblickt, bis ſie ohnmächtig und beſinnungslos in dieſer gräßlichen Lage verſtummte.

Wally wagte nicht, einen Laut von ſich zu geben. Als das Weſen ſich beruhigte, verſuchte ſie aufzutreten, ob man ſie auch nicht hören könne, wagte dreiſtre Schritte, und floh, als ſie eine Strecke weit von der Scene entfernt war, der ſie hatte beiwohnen müſſen. Sie fror an allen Gliedern, als ſie auf ihrem Lager ſich gebettet hatte und ſchlief ein aus Furcht.

Am folgenden Morgen betrieb ſie die Ab¬ reiſe. Die Tante zögerte. Unter keiner Be¬ dingung! rief Wally; ich bin eines Ortes müde, der mich umbringen muß. Das war ein fürchterlicher Ausdruck; die Tante war dieſe Wendungen nicht gewohnt. Sie entſetzte ſich und reiſte ab.

Als Cäſar ſie beide an den Wagen beglei¬ tete, erzählte er ihnen noch, daß die Frau des Trompeters an der geſpenſtiſchen Trommelmuſik104 ihres Ohres dieſe Nacht geſtorben ſei. Sie ſei vor Unruhe aus dem Hauſe gerannt, habe Nachts die ganze Stadt durchirrt, um den grauenhaften Tönen zu entfliehen, und ſei in der Allee gefunden worden, wie ſie mit dem Kopf in den Sand gewühlt dagelegen.

Wally winkte mit der Hand, daß er ſchwei¬ gen ſolle.

Cäſar aber glaubte, daß ſie ihn zum Ab¬ ſchied grüße; die Pferde zogen an und, den Spruch des großen Römers parodirend, ſagte er zu dem Fahrzeuge: du trägſt Cäſar und ſein Glück!

[105]

Zweites Buch.

[106][107]

1.

Der Sommer reifte zur Ernte. Aus ſeinen letzten Fäden ſpann ſich ein Herbſt voll Kel¬ terluſt. Die Aſtern ſammelten noch einmal alle Farben der ſchönen Vergangenheit, dann ſtarb die Natur und was zurückblieb, legte den Froſtreif und Nebelflor der Trauer an. Die Ströme gerannen, die Wolken zerrieben ſich zu Schneeflocken. Der Winter kam in ſeinen Pelz¬ ſchuhen angeſchlichen, und klopfte mit Weih¬ nachtsfreuden an die Reifblumen der Fenſter an.

Wally wirbelte ſich in einer Luſt, die ſie ſo zauberhaft zu regeln verſtand. Was Religion! Was Weltſchöpfung! Was Unſterblichkeit! Roth oder blau zum Kleide, das iſt die Frage. Ob's108 beſſer iſt, die Haare zu tragen à la Madelaine oder ſie zuſammen zu kämmen zu chineſiſchem Schopfe? Tanzen vielleicht auch Sprüch¬ wörter aufführen o nur gering iſt die Zahl der Vergnügungen, welche im Verhältniß zur zunehmenden Civiliſation nicht mehr lächerlich ſind: ſo ſehr gering! falls man ſich ſelbſt ſo viel liebt, nicht Karten zu ſpielen, jene melan¬ choliſchen Spiele Albions und der nordameri¬ kaniſchen Yankees, wenn man noch wie Mendel¬ ſohn philoſophiſch und kantiſch genug iſt, für den Scherz keinen Ernſt und für den Ernſt keinen Scherz aufzuwenden!

Aber eine Unterhaltung iſt unerſchöpflich; ein Spiel unermüdlich. Das iſt die Koketterie. Wally hatte damit alle Hände und alle Mie¬ nen voll zu thun. Künſtliche und natürliche Launen waren die Zahlen, mit welchen ſie ihre Umgangsexempel zuſammenſetzte. Wally ließ die ganze Welt wie elaſtiſche Figuren auf dem109 Reſonanzboden ihrer Einfälle ſpringen. Sie ſpielte die capriciöſen Melodien zu allen dieſen Bewegungen, welche ſie lachen machten. Was wollte ſie auch mehr? Sie wollte nicht einmal den Ruf davon, die Neigungen ihrer Umgebungen ſo unübertrefflich eskamotiren zu können. Sie that alles ohne Stolz, ohne Abſicht, ohne Bewußtſein. Sie war bezaubernd!

Cäſar war die Balancirſtange dieſer Equi¬ libres. Er rektificirte wie irgend ein chemi¬ ſches Natron alle die barokken Confuſionen, welche Wally anrichtete. Cäſar fiel dabei bald hier, bald dorthin, in jenem erſten Bilde. In dieſem letzten nahm Wally bald größere, bald kleinere Portionen von ihm. Er fehlte aber nie, und dieſe perſpektiviſche Verſchiebung bald zu einer Gunſt von einer Linie, bald zu einer von zwei Zollen, oder drei, hielt ihn in der Spannung, welche Männer allein zu feſſeln im Stande iſt. Es iſt möglich, daß Cäſar110 Wally liebte, wenigſtens war ſie ihm eine Ver¬ traute geworden. Er hätte ſie vielleicht einem andern abtreten können; aber von ihr ſich trennen, das konnte er nicht. Und doch! Viel¬ leicht! Wir ſind Charlatane, wir können alles!

Es war auf einem glänzenden Balle, der am Hofe gegeben wurde. Cäſar, der nicht tanzte, weil die Prinzeſſinnen zugegen waren und es ihn beleidigt haben würde, wenn ſie ihm durch ihre Kammerherrn die herkömmlichen Aufforderungen geſchickt hätten, zog ſich zurück. Wally beachtete ihn nicht. Er nahm das leicht. Er wußte, daß Wally weit entfernt war von der gewöhnlichen Anſicht deutſcher Mädchen, dem Tanze eine ſinnliche Bedeutung oder die Bedeutung irgend einer Gunſt unterzulegen; er wußte, daß ſie diejenigen liebte, mit denen ſie nicht tanzte. Und doch war ſie heute auf¬ geregter, als jemals. Das nahm ihn Wunder und verſtimmte ihn. Als Wally zu ihm trat,111 ſprach ſie: Ich habe Sie ſuchen müſſen. Wo ſtecken Sie? Ich muß Ihnen etwas ſagen.

Sie ſtanden in einem der entlegeneren Zim¬ mer. Und was?

Ich werde den ſardiniſchen Geſandten hei¬ rathen; aber wir ſprechen uns noch!

Damit war ſie verſchwunden.

Cäſar eilte nach Hauſe. Er hatte durch¬ aus nichts, was ihn drückte, und doch entſchloß er ſich, eine kleine Reiſe zu machen. Er war ſehr unruhig den ganzen Tag, mehre Tage. Er machte die Reiſe. Er notirte, zeichnete, ſchrieb viel Briefe. Er würde ſich vortrefflich zerſtreut haben, wenn ihm nicht aus jedem Baum, aus jedem Echo zugeklungen wäre: aber wir ſprechen uns noch! Dies Aber! machte ihn verwirrt; denn es klang wie eine ſo ſchwärmeriſche, träumende Liebe, daß er ge¬ glaubt hatte, den letzten lechzenden Seufzer,112 das kaum gelispelte felicissima notte einer Italienerin zu hören. Sind das ſchon die Wirkungen der ſardiniſchen Geſandtſchaft? ſagte er lächelnd und kehrte hübſch beruhigt in die Reſidenz zurück.

Er hatte bald darauf von Wally die Ein¬ ladung zu einem vertrauten Geſpräch.

113

2.

Am Tage, wo die Unterredung mit Wally ſtattfand, hätte man bei Cäſar nicht ahnen können, mit welcher Kataſtrophe er ſchließen würde. Cäſar ſchien die ganze Beruhigung zu beſitzen, welche man von ſeinem Charakter er¬ warten durfte. Höchſtens ließen ſich jene for¬ cirten Scherze, mit welchen er um ſich warf, vermuthen, daß irgend ein Gefühl wie ein Er¬ eigniß bei ihm im Anzuge war, dem er zu ent¬ gehen wünſchte. Dieſe Scherze ſind immer die über'm Meere kreiſenden Möven, welche den Sturm ankündigen.

Wenn er einem Freunde begegnete, der auf dem Stadtgericht arbeitete, ſo frug ihn Cäſar: Was haſt du jetzt unter Händen?

Eheſcheidungen hieß es.

Gutzkow's Wally. 8114

Alſo noch immer ſchlechte Ehen?

Schlechte Wahlen vor der Hochzeit, Leicht¬ ſinn

Ganz richtig; erklärte dann Cäſar. Es iſt ein Unglück, wenn man ſieht, mit welchem Leichtſinn die Ehen geſchloſſen werden. Der Beſitz einer kleinen Ausſteuer lockt den Hand¬ werker, ein Frauenzimmer zu heirathen, welches er gar nicht liebt. Der Staat ſollte niemals die Ehe bürgerlich vollziehen laſſen, bis nicht ein Kind vorhanden iſt, welches das Daſein der Liebe vorher ausweiſen muß.

Der junge Mann vom Stadtgerichte lä¬ chelte zu dieſem Vorſchlage. Cäſar ging und begegnete einem andern Freunde.

Du biſt verliebt, ſagte er ihm; aber Antonie iſt arm.

Es war dieſelbe Antonie, an welche Wally einſt ſchreiben wollte.

115

Antonie iſt arm! hieß die weinerliche Be¬ ſtätigung.

Siehe, was zu thun wäre! ſchlug Cäſar vor. Das Heirathen durch die Zeitungen greift um ſich. Aber man iſt erſt einen Schritt weit ge¬ kommen, wenn die Frauen durch Zeitungen nur Männer bekommen. Der zweite Schritt wäre, daß ſie durch die Zeitungen auch zu Vermögen kämen. Die Mädchen ſollten ſich durch ein Lotto ausſpielen. Sie ſollten die Männer auf¬ fordern, Aktien auf ihren Beſitz zu nehmen, Aktien, meinetwegen eine jede zu fünfhundert Thalern. Hundert Looſe dieſer Art geben eine Summe von 50,000 Thalern. Die Wahrſchein¬ lichkeit, daß unter hundert ich du er ge¬ winnen, iſt ſehr groß: man gewinnt ein Weib, ein reiches Weib, ein ſchönes Weib. Denn um eine Schöne muß es ſich handeln, der Neben¬ gewinne wegen, welche in Zugeſtändniſſen man¬ cher Art an diejenigen beſtehen müſſen, welche8 *116ſich mit Aufopferung von fünfhundert Thalern der ſeligen Chance ausſetzten, Mann einer ſchö¬ nen Frau und Beſitzer zufälliger 50,000 Tha¬ ler zu werden. Mein Lieber, das heißt, die Geſellſchaft revolutioniren.

Jener hatte nur an Antoine gedacht; Cä¬ ſar an Nichts, als ſie ſcheiden.

Der Abend kam heran. Die Thür zu Wally's Gemächern öffnete ſich. Beide ſaßen ſich ſtumm gegenüber. Cäſar, der von Wally nicht er¬ wartet hatte, daß ſie ſich in ein ſchwärmeriſches ſchwarzes Kleid werfen würde: Wally, welche nach einem Blicke in Cäſar's Mienen geizte, der verzeihend, warm und ſiegend auf ſie wirkte.

Liebenswürdig war es von dieſem gränzen¬ loſen Leichtſinn, daß er Thränen am Auge hän¬ gen hatte. Cäſar ſchwamm in Entzücken. Er war auf eine Komödie gefaßt, und fand eine tragiſche Scene, die ihn erſchütterte. Alles,117 was ſie ſprachen, war nur, um den Erklärun¬ gen, die ſie ſich machen wollten, zu entgehen. Cäſar mochte in ſeiner Eitelkeit übertreiben; Wally's Beſcheidenheit lag wohl nur darin, daß ſie glaubte, Cäſar um Verzeihung bitten zu müſſen. Alles Uebrige aber dichtete ſeine Phan¬ taſie hinzu.

Sie hielten ihre Hände in einander und ſpra¬ chen recht eifrig über Dinge, auf welche gar nichts ankam in ihrer Lage. Sie ſprachen von der Erfindung des Schießpulvers, vom Geſetz der Schwere, vom Compaß und der Magnet¬ nadel, worüber ſie ſchnell abbrachen, um nur immer wieder auf Neues zu kommen. So ver¬ rann die Zeit, aber das Entzücken Cäſar's ſtieg. Wally's Hand nahm er, und legte ſie ſanft auf die Lehne des Sopha's, um ſie als Kopfkiſſen zu brauchen. Sie lächelte dazu und warf ihm das ganze Polſter ihres elaſtiſchen Körpers, ſich ſelbſt in aller ihrer Anmuth nach. Sie hielt118 ihn umſchlungen, während ſie unwillig glaubte, daß er es thäte. Ihre nur leiſ 'aufgeſteckten Locken[neſtelten] ſich los und küßten Cäſar's brennende Wangen. Die langen Augenwimpern ſenkten ſich majeſtätiſch ſanft auf die bläulichen Ultramarinringel, welche unter dem Auge ſo viel Leidenſchaft verrathen. Dieſes Herablaſ¬ ſen des Vorhangs, dieſer Fenſterladenſchluß der Weiblichkeit, dieſe Verhüllung iſt das reizende Gegentheil deſſen, was ſie ſcheint, weil ſie nur allmälige Entwaffnung iſt. Es iſt das Sinken des Tages, der aufſteigende Stern, deſſen feuchte Strahlen die Kronen der Blumen auflockern und die Kelche erſchließen, während die Kelche zu ſchlafen ſcheinen. Cäſar umarmte Wally mit glühendem Entzücken und rief aus: O Wally, ich will nicht grauſam ſein! Ich eile Allem zuvorzukommen, was ſich auf deiner Lippe zu Tode ängſtigt und gern ſprechen möchte. Ich dringe nicht auf den Beſitz dieſes göttlichen119 Leibes, deſſen Seele mich ſtets umhauchen wird. Aber o Gott!

Was iſt? Cäſar! ſprich! fordre! Alles, Alles!

Cäſar ſann und war wie von einem unbe¬ kannten Gefühle ergriffen. Er ſtrich mit der Hand über ſeine Stirne und ſagte dann leiſe mit ſanften und zärtlichen Worten zu Wally: Sie werden reiſen: ich auch. Wir werden uns in vielen Jahren nicht wieder ſehen. Da gibt es ein reizendes Gedicht des deutſchen Mittel¬ alters, der Titurel, in welchem eine bezaubernde Sage erzählt wird. Tſchionatulander und Si¬ gune beten ſich an. Sie ſind faſt noch Kinder: ihre Liebe beſitzt die ganze Naivetät ihrer ju¬ gendlichen Thorheit. Ich ſpreche nicht von Tſchionatulander's Tod, weder vom treuen Hun¬ de, der aus der Schlacht die tragiſche Botſchaft bringt, nicht von Sigunens Klage, wie ſie den Leichnam des Geliebten im Arme haltend un¬ ter'm Baume ſitzt, wo Parzifal an ihr vorüber¬120 kömmt im Walde, nicht von dem Edelſtein un¬ ſerer deutſchen mittelalterlichen Dichtkunſt. Nur jener Zug iſt ſo meiſterhaft ſchön, wo Tſchio¬ natulander, als er in die Welt hinaus muß und ſein treues Windſpiel klug zu den beiden Lie¬ benden hinaufſieht, Sigunen anfleht, um eine Gunſt

Cäſar ſtockte und ſprach dann leiſe, mit faſt verhaltenem Athem: daß Sigune, um durch ihre Schönheit ihn gleichſam feſt zu machen, wie der magiſche Ausdruck der alten Zeit iſt, um ihm einen Anblick zu hinterlaſſen, der Wun¬ der wirkte in ſeiner Tapferkeit und Ausdauer, daß Sigune in vollkommener Nacktheit zum vielleicht ewigen Abſchiede ſich ihm zei¬ gen möge.

Wally betrachtete Cäſar einen Augenblick. Dann erhob ſie ſich ſtolz und verließ, ohne ein Wort zu ſprechen, das Zimmer. An ihre Rück¬ kehr war nicht zu denken.

121

Cäſar's Antlitz zeigte einen ſchmerzhaften Ausdruck. Er hatte das Höchſte bewieſen, deſſen ſeine Seele fähig war, die kindlichſte Naivetät, eine rührende Unſchuld in einer Forderung, die empörend war; aber die Schaam, die erſt in ihm aufglühte, verſchwand vor ſeinem Stolze, ſo edel und rein erſchien er ſich.

Sie iſt ohne Poeſie, ſie iſt albern, ich haſſe ſie! ſtieß er heftig heraus, trat zornig mit dem Fuße auf, lauſchte und verließ, da er nichts als den Schlag der Pendeluhr im Nebenſaale vernahm, mit unwillkürlichem Geräuſch das Zimmer und das Hotel. Er ſchwur, es nie¬ mals wieder zu betreten.

Sie hat nicht mich, ſie hat die Poeſie be¬ leidigt. Sie ekelt mich an! rief er und malte ſich Wally mit den gräßlichſten Farben, daß es ihm keine Freude machen mußte, noch an ſie zu den¬ ken. Wenn ſie ihm noch einfiel, ſo geſchah es nicht, ohne daß er mit dem Fuße etwas von ſich ſtieß.

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3.

Inzwiſchen rückte Wally's Vermählung her¬ an. Sie geſtand ſich oft und ſelbſt ihren Um¬ gebungen, daß es ihr wäre, als würde ein un¬ ſichtbares Netz, das ſie aber fühle, immer enger angezogen, und daß es ihr bald zum Erſticken ſein müßte. Alles, was man nur brachte, um die Atmoſphäre recht duftend und verführeriſch zu machen, drückte ihren Athem noch mehr zuſammen; ſie ging wie Gretchen im Fauſt und lüftete Fenſter und Thüren, da Mephiſtopheles im Zimmer es ſo ſchwül gemacht hatte.

Noch größer war aber die Unruhe in ihrem Innern. Sie brauchte gern phyſikaliſche Gleich¬ niſſe und verglich ſich mit dem Gefühl eines lebenden Weſens, das man in die Glocke einer Luftpumpe ſetzt; mit dem Vogel, dem es von123 innen und außen bei entzogener Luft weh wird. Ach, ſie konnte Cäſar nicht vergeſſen: ſie konnte jene begeiſterte Miene des Freundes nicht ver¬ geſſen, jene unſchuldige Seligkeit, die ſie an ihm noch nie gekannt hatte, und die er damals zeigte, als ſie einige aus ſeinen zuckenden Lippen ſchleichende Worte mit ſo pedantiſcher, altkluger Entrüſtung aufnahm. Schon im nächſten Au¬ genblicke, als ſie gegangen war, war ſie ſich mit ihrer Tugend recht abgeſchmackt vorgekommen.

Wally fühlte bald, daß Cäſar an das Unſittliche ſeines Antrags im Momente nicht gedacht hatte. Sie machte ſich den Vorwurf, dieſe Ueberlegung an dem Manne nicht abge¬ wartet zu haben. Auch mußte ſie ſich geſte¬ hen, daß Cäſar ihr vielleicht nie das Pre¬ käre der Situation eingeräumt haben würde. Jetzt wußte ſie, worin der ganze Zauber liegt. Sie fühlte, daß das wahrhaft Poetiſche unwiderſtehlich iſt, daß das Poetiſche höher ſteht,124 als alle Geſetze der Moral und des Herkom¬ mens. Sie fühlte auch wie klein man iſt, wenn man der Poeſie ſich widerſetzt. Ach, das quälte ſie, untergeordnet zu ſein und weniger unſchuldig im Grunde, als die Poeſie, die Menſchen braucht und ſchildert!

Wally ſchlug die rührende Geſchichte nach, die ihr Cäſar erzählt hatte. Sie weinte mit Sigunen, ſie koſtete die Unſchuld, die in dem Verlöbniß der beiden Liebenden des Gedichtes lag, allmälig immer tiefer. Es liegt in der Schönheit der Natur eine göttliche Gewalt, die bezaubert. Wally beugte und wand ſich mit all ihren ſchönen Grundſätzen und den Leh¬ ren, die ſie ihrer Erziehung, ja ſelbſt ihrer ver¬ nünftigen Ueberlegung verdankte, vor dem Ideale des Naturſchönen. Sie ging noch weiter. Sie gab die Natur auf, ſie hielt ſich an die Kunſt, an das Gebilde der Phantaſie, das in ſich ab¬125 gerundet und hier ſo richtig gezeichnet war, wie je¬ der logiſche Cirkel ihrer tugendhaften Entſchlüſſe. Sie kam ſich verächtlich vor, ſeitdem ſie fühlte, daß ſie für die höhere Poeſie kein Gegenſtand war. So konnte es nicht mehr fehlen, daß ſie ſich bald ſelbſt dazu machte.

Wie oft war ſie Cäſarn begegnet! Er blickte ſtolz! Er hatte eine Moral, die über der ihren war! Er konnte das Auge erheben, das Ideale hub es in ihm! Wally konnte nicht ſtolz ſein, An ihr ſchien die Reihe der Schaam zu ſein. Sie fürchtete ſich vor Cäſar. Ihre ganze Tu¬ gend war armſelig, ſeitdem ſie ihm gleichſam geſagt hatte, die Tugend könne nur in Verhül¬ lungen beſtehen, die Tugend könne nicht nackt ſein. Cäſar hatte an ihr den poetiſchen Reiz verloren. Er überſah ſie.

Ob es wohl Menſchen gibt, dachte Cäſar126 eines Tages bei ſich ſelbſt, welche die Literatur und das, was dem Leben durch ſie an ſchönen Elementen und Staffagen gegeben wird, für eine Tyrannei und eine despotiſche Willkür der Dich¬ ter und Künſtler halten? Wär 'ich ſelbſt Autor, ſo würde mich dieſer Gedanke erſchrecken. Ich würde die Gleichgültigkeit, die Dummheit der Maſſe immer mit einer Strafe verwechſeln, welche ich als Autor für die Zudringlichkeit meiner Schöpfungen mit Recht einernte. Ich würde zittern, wenn von Büchern die Rede kömmt, und würde immer gewärtig ſein, daß Jemand aufträte, und die Literatur in die Kategorie von Waarenartikeln ſtellte, von El¬ len - oder Kolonialwaaren, die man nimmt oder ſtehen läßt, je nach Bedürfniß. Ich brauche die Schönheit nicht! Fürchterlich, wenn von Homer und Oſſian die Rede wäre! Ich brauche nicht einmal die Beſtrebungen um das Schöne, wenn von einem Erſtlingsverſuche die Rede wäre! 127Ja, es gibt Menſchen dieſer Art, welche die Poeſie für eine Zumuthung halten, Geldmenſchen, Ariſtokraten, manche Könige, auch Frauen, be¬ ſonders wenn ſie ſchön ſind und ſie deßhalb glauben, der Bildung überhoben zu ſein!

Cäſar dachte dabei gewiß nicht an Wally; denn welch 'ein Unterſchied iſt es, für das Außeror¬ dentliche ſich intereſſiren, und dem Außeror¬ dentlichen ſich als Staffage unterlegen! Er hatte aber in dem Augenblick einen Brief von Wally in der Hand.

Ich habe Sie beleidigt, ſchrieb ſie ihm; Sie wiſſen es ja, Cäſar, daß der Muthloſe immer der Ausfallendſte iſt. Wiſſen Sie noch, wie wir über Muth ſtritten? Welch 'eine Zeit, wo Sie ſich um fünf Ringe, die Sie mir noch immer nicht wiedergegeben haben, mit fünf Men¬ ſchen ſchießen konnten! Morgen um zehn Uhr128 Abends beſuchen Sie das Hotel des ſardiniſchen Geſandten. Sie werden von Auroren, die Sie dort erwartet, an einen Ort geführt werden, den Sie nicht verlaſſen dürfen. Schwören Sie mir, hinter dem Vorhang, den Sie zehn Mi¬ nuten nach Zehn gütigſt zurückziehen wollen, nicht hervorzutreten! Cäſar, ſchwören Sie mir! Ich ſchäme mich vor Ihnen, daß ich Schaam hatte. Verantworten Sie es einſt! Vor Gott! Vor Gott! Aber ich liebe heiß, ewig, unausſprech¬ lich! Wally.

Und an Wally's Hochzeitstage zeichneten die Unſichtbaren ein reizendes Gemälde, ein Gemälde in altem Styl, zart, lieblich, wie die ſaubern Farbengruppen, welche ſich auf dem ſammet¬ weichen Pergamente goldener Gebetbücher des Mittelalters finden.

Rings, wie Rahmen und noch hineinrankend129 in die Scene Epheu und Weinlaub. Auf den Aeſten ſitzen Paradiesvögel in wunderbarem Far¬ benſpiel, auf den breiten Blättern der Arabes¬ ken ſchlummern Schmetterlinge, in den Kelchen der Blumen ſaugen Bienen. Oben ſchwebt der Vogel Phönix, der fußloſe Erzeuger ſeiner ſelbſt; unten blicken die ſpitzſchnäbligen Greifen und hüten das Gold der Fabel. Bezaubernd und märchenhaft iſt die Verſchlingung aller die¬ ſer Figuren. Es iſt wie ein Traum in den tauſend Nächten und der einen. Zur Rechten des Bilds aber im Schatten ſteht Tſchionatu¬ lander im goldenen, an der Sonne funkelnden Harniſch, Helm, Schild und Bogen ruhen auf der Erde. Der Mantel gleitet von des jungen Helden Schulter, ſeine Locken wallen üp¬ pig wie von einem Weſthauche gehoben. Das Auge ſtaunt; ein Entzücken lähmt die Zunge. Zur Linken aber ſchwillt aus den SonnennebelnGutzkow's Wally. 9130heraus ein Bild von bezaubernder Schönheit: Sigune, die ſchamhafter ihren nackten Leib ent¬ hüllt, als ihn die Venus der Medicis zu bedecken ſucht. Sie ſteht da, hülflos, geblendet von der Thorheit der Liebe, die ſie um dies Geſchenk bat, nicht mehr Willen, ſondern zerfloſſen in Schaam, Unſchuld und Hingebung. Sie ſteht ganz nackt, die hehre Geſtalt mit jungfräulich ſchwellenden Hüften, mit allen zarten Beugun¬ gen und Linien, welche von der Bruſt bis zur Zehe hinuntergleiten. Und zum Zeichen, daß eine fromme Weihe die ganze Ueppigkeit dieſe Situation heilige, blühen nirgends Roſen, ſon¬ dern eine hohe Lilie ſproßt dicht an dem Leibe Sigunens hervor und deckt ſymboliſch, als Blume der Keuſchheit an ihr die noch verſchloſſene Knoſpe ihrer Weiblichkeit. Alles iſt ein Hauch an dem Auge, ein ſtummer Moment, ſelbſt in dem klugen Auge des Hundes, der die Bewe¬ gungen verfolgt, welche der Blick ſeines Herrn131 macht. Das Ganze iſt ein Frevel; aber ein frevel der Unſchuld.

So ſtand Sigune einen zitternden Augen¬ blick; da umſchlang ſie rücklings der ſardini¬ ſche Geſandte, der ſeine junge Frau ſuchte. Es war ein Tropfen, der in den Dampf einer Phantasmagorie fällt und ſie in Nichts auf¬ löſt. Die Vorhänge fielen zurück und Tſchio¬ natulander wankte nach Hauſe. Der Geſandte ahnte Nichts. Tiefes Geheimniß.

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4.

Als Wally mit ihrem Manne nach Paris gekommen war, athmete ſie auf. Sie war froh, ſich von einer ganz verfehlten Stellung befreit zu ſehen. Sie wußte, daß ſie in Paris noch immer den ſtürmiſchen Bewegungen irgend einer Neigung ausgeſetzt ſein konnte, daß ihre ehe¬ liche Treue mit weit gefährlicheren Lockungen, wie in der Heimath, würde herausgefordert werden; allein ſicher war ſie jetzt vor den Zu¬ muthungen der Genialität, vor dem verwirren¬ den Benehmen Cäſars, vor Männern, welche zu poetiſch ſind, um ganz nach der Mode, und zu modiſch, um ganz nach der Poeſie zu leben. In Paris ſiegte ſie, wenn ſie wollte, noch im¬ mer durch die ſehr einfachen Künſte der Koket¬ terie. Nur die Situationen ſind es, welche133 dem Leben der pariſer Frauen eine beſondere[Originalität]