Ralow*)Ralow, am westlichen Ufer der Insel Rügen. Vor Zeiten ein berufener Wikinger oder Seeräubersitz; hernach eine Fürstenburg; heutiges Tags zum bloſsen Landsitz herab - gesunken.
*), sey mir gegrüſst im Schimmer der scheidenden Sonne!
Lieblich webet der Schleyer des Abends um deine
Gefilde.
Deine weiſsen Mauern sind sanft geröthet. Die
Dächer
Feuern im Golde des sinkenden Tags. Es dämmern
so schaurig
120 Deine säuselnden Hayn '. Es spiegeln die Wangen
des Himmels
Sich in den Fluthen so rosig, die deine Ferse be -
spühlen.
Burg des hallenden Meers! schön bist du.
Deine Gefilde
Lächeln in jedem ländlichen Reiz. Die üppigen
Wiesen
Duften von Quendel und Klee. Es wogt in der
Kühle des Weizens
Grünliche Fluth. Es glühn in den Gärten die Traub '
und der Pfirsich.
Funkenstäubend entgaukelt die Schmerle dem klaren
Gewässer
Deiner Weiher. Es flötet im thauenden Busche die
Drossel
Zwischen der Nachtigal Schlag. Und horch! vom
sprieſsenden Frühroth
Bis zu den Rosen des sinkenden Abends erschallet
das Brüllen
Weidender Heerden, das Jauchzen der Schnitter,
die gellende Lache
Fröhlicher Dirnen in dir. — Schön bist du, Tochter
des lauten
Ufers, vertraulich und lieb. Doch warst du in
Tagen der Vorzeit
121 Schöner und wilder. Es war dein Nam' in den Ta -
gen der Vorzeit
Weitgefeyert. Es pfiffen nicht deine Söhne vor
Zeiten
Hinter den Heerden so müſsig. Es dampften die
schauernden Rosse
Nicht vor dem knechtischen Pflug. Von der Burg
weitschauender Warte
Spähte der Thürmer fern in die See, und mahnte den
Wiking,
Daſs er komme mit Schnelle des Blitzes, mit Don -
nergeprassel
Jedem nahenden Kiel die Rippen zermalm ', und die
Beute
Jauchzend in deinem Schooſs, o Tochter des Mee -
res, verbürge.
Burg der tosenden See, mir weht mit der Kühle,
mir rauschet
Mit dem Sausen des Hayns der Begeisterung Fittig.
Die Wange
Flammet mir schon, wie die Scheibe des steigenden
Vollmonds. Hoch schwillt
Meine Seele, wie Wogen im Sturm, und gesichte -
trunken
Seh 'ich dämmernd und bleich die Schatten schlum -
mernder Vorwelt.
122Fünf Jahrhunderte sind verflossen. Der Urne
der Zeiten
Waren sie noch nicht entrollt. Da lauschte der
freche Ralunke
Hier im umgürtenden Ring von sieben Gräben und
Wällen.
Wild war des Räubers Herz, wie die Ströme
Golcha*)Drey Bäche fallen von der Stubbenkammer, dem nord - östlichen Kreidenufer der Halbinsel Jasmund, herab: die Bis - miz, die Golcha, und der Steinbach.
*), sein Anblick Finster, wie des nebelverschleierten Rugard**)Rugard, eine Anhöhe in der Mitte der Insel. Hier stand die Burg der alten Rügenfürsten.
**), sein Haupthaar
Buschicht und rauh, wie die Dornen auf Dubber -
worths***)Dubberworth, das gewaltigste aller Rügischen Heldengräber. Es liegt nahe bey Sagard auf Jasmund.
***) zottiger Scheitel. Sieben Segel empört 'er, dem meerdurchwallenden
Kaufmann
Todespaniere. So oft er von weitumschauender
Warte
Fern in der friedlichen See ein Segel erspähte, wie
flammte
Gierig sein Auge! wie tobte sein Herz! wie
schwellt' ihm den Busen
123 Blut - und Beutebegier! Rasch spannt 'er die Segel.
So spannet
Seinen Fittig, den Raub zu ereilen, der Adler des
Dollen. *)Dollen, ein waldiges Gestade an der Insel östlicher Seite.
*) Rurich mit röthlichem Haar, und Rawen mit
struppiger Braue
Folgten freudig dem älteren Bruder, dem Wilden
die Wilden.
Judith blieb daheim, der Räuber gefürchtete
Mutter.
Ihr saſs düsterer Grimm in jeder Runzel der
Stirne,
Laurende Tück 'in den zwiefach gefärbten Äpfeln
des Auges.
Auch Agathe blieb willig daheim, die Schwe -
ster der Räuber.
Wenig ähnlich den Brüdern, und wenig der tücki -
schen Mutter,
War die sanfte Agathe mitleidigen Herzens. Sie
schaute
Jammernd hinweg, wenn Blut in Ralow strömte.
Sie weinte
124 Auf die Perlen der Schnur, das Geschmeid 'ermor -
deter Jungfraun,
Welche der blutige Bruder — der Blutige liebte die
Schwester —
Ihr einst umhing. Es däuchten die Perlen ihr blu -
tige Thränen.
Schön war Agathe, ein freundlicher Stern bey
rothen Kometen:
Blau ihr Aug'; ihr Haar, wie wehende Fäden zur
Herbstzeit;
Schlank ihr Wuchs, wie die Birk 'in Boldewiz*)Boldewiz, ein Rittersitz im Herzen der Insel. Hier wurde diese Dichtung gefertiget.
*) Haynen; ihr Busen
Wie des hochhalsigen Schwans Gefieder am Busen
der Prora**)Prora, diejenige schmale und gebirgige Landenge, welche die Halbinsel Jasmund mit dem gröſseren Lande Rügen verbindet.
**). Süſses Bangen beklemmt 'ihr den Busen, ein Ahnen
und Wähnen.
Sinnend stand sie am Fenster im Dämmerstrahle des
Morgens,
Sahe die Sonne den Fluthen enttauchen. Wie brann -
ten die Fluthen!
125Sahe die Thürme der Stadt der Stralen*)Stralsund, welches um diese Zeit vom Fürsten Jaromar gegründet, wenigstens erweitert und ummauert wurde.
*). Wie strahlten die Thürme!
Sinnend stand sie am Fenster im Dämmerschimmer
des Abends,
Sahe den Mond in den wühlenden Fluthen, und
lauschte des Ostmeers
Dumpfem Grollen. Es schwellten ihr Seufzer den
Busen. Es wölkten
Süſse Thränen ihr Auge. Doch plötzlich stürmte die
Mutter
Freudig herein, und wenig gewünscht: „ Sie kom -
men, sie kommen!
Träumerin auf, und laſs uns die Freudigen freudig
empfangen! “
Und der Ralunke war weit gefürchtet. Seit
dreyzehn Jahren
Hieſs er die Geiſsel der See. Dem Schiffer gefror
bey dem Anblick
Seiner Flaggen das Blut. Oft streift 'er in fliegenden
Zügen
An den sicheren Küsten umher, und plündert', und
führte
126 Jüngling 'und Jungfraun heim. Des sandigen Red -
dewisch*)Reddewisch, itzt Mönkguth, eine andere Halb - insel an der südöstlichen Spitze des Landes.
*) Herrscher, Ritogar, welchem die Flamme der Jugend das An -
gesicht bräunte,
Schlug er in Fesseln, und schenkt 'ihn der Mutter.
Denn schön war der Jüngling
Und hochherzig und kühn und nur erlegen der
Menge.
Aber deſs achtete nicht die Freche. Schönheit
und Adel
Schnürten nur fester um ihren Gefangnen die Fessel
der Knechtschaft.
Seufzend sah es Agathe. Des Jünglings heroischer
Anstand,
Feuriger Trotz, unwilliges Dulden weckten ihr
Mitleid.
Mit dem Mitleid beschlich ihr die süſse Liebe den
Busen.
Herbstzeit war es und schwarze Nacht. Da
entriſs sich Agathe
Leise der holden Umarmung des Schlummers, tappte
noch leiser
127 Zu des Jünglings Lager sich hin, und wispert 'ins
Ohr ihm:
„ Auf! ich bin Agathe! ich rette dich. Folge mir,
Jüngling! “
Freudig erschreckt, sprang Ritogar auf. Sie faſst
ihm die Rechte,
Leitet ihn zitternd die Kammer der Mutter und
Brüder vorüber,
Führet den Blinden hinab in unterirdische Gänge,
Wallet die düstern schaudernd hindurch, erschleuſst
ihm der Pforte
Doppeltes Schloſs. Dann spricht sie mit blödem
geflügeltem Handdruck:
„ Flieh und denk' an Agathen! “ Und er, im trau -
lichen Dunkel,
Reiſset die Retterin wild an den schlagenden Busen,
und küſst ihr
Einen gewaltigen markdurchlodernden Kuſs, und —
„ Agathe, “
Ruft er, „ Agathe, ich flieh. Doch bald mit rü -
stiger Heerskraft
Kehr 'ich, erstreite dich, theile mit dir mein Bett
und mein Eyland. “
Sprachs, und floh durch die Nacht, durch den
Sturm und den eisigen Regen
Auf den Flügeln der Freud 'und Liebe zum hohen
Rugard.
128Tief im Schooſse des Eylands bäumet die trotzige
Scheitel,
Bäumet den vielfachgefurcheten Rücken der herrliche
Rugard.
Seine Stirne graut in ewigen Moose. Die Schlüchte
Nähren bey höherer Sonne noch Schnee. Gebiete -
risch schaut er
Rings um sich her über Länder und Meere. Hier
hauset 'in fester
Wallumgürteter Burg des stürmischen Rügens Ge -
bieter,
Jaromar. Groſs war sein Herz und weich und edel.
Er hatte
Manche Schlacht geschlagen mit Heeren der Zirzi -
paner
Und Lutezer*)Zirzipaner, Lutezer. Alte Slavischa Völker - stämme in Vorpommern.
*), und manchen bestanden im Rit - tergefechte.
„ Herrscher der Insel, “so sprach zu ihm der
entronnene Jüngling,
Keichend, schütternd von Frost, von Regen träu -
felnd. Die Locken
Hingen ihm schlicht um die Schläfe. Doch saſs ihm
Hoheit im Antlitz.
129„ Herrscher der Insel, erkennest du mich? erkennst
du des öden
„ Reddewisch Herrn? Mich schlug der Ralunk 'in
Fesseln. Die Fesseln
„ Trug ich sieben schmähliche Tage. Dann brach sie
Agathe
„ Und die Liebe. Sie harrt. Auf, leihe mir Waf -
fen und Männer! “
Ihm antwortet die heilige Kraft des Inselge -
bieters:
„ Nimm der Waffen und Männer, so viel du bedarfst,
mein Geliebter!
„ Nimm sie und schlage den frechen Ralunken, ver -
tilge des Räubers
„ Schändliche Brut, zerstöre sein Nest, und er -
rette Agathen.
„ Doch, bevor du dir selber das liebende Mägdlein
erstreitest,
„ Eile, mein Vetter, zur Stadt der Rosen*)Rostock.
*), und bringe von dannen
„ Meine Braut mir, die Tochter des Obotritenher -
zogs,
„ Heregunden. Schon längst erkohr ich die fürst -
liche Jungfrau;
„ Aber sie heimzuholen, verbot mir die Sorge des
Krieges.
I130„ Eile, geleite sie her. Dann geh, und kämpf 'um
Agathen! “
Freudig vernahm der Jüngling des Fürsten eh -
renden Antrag.
Freudig stürmt 'er den Rugard hinab, und warf
sich, wo Puliz*)Puliz, ein kleines romantisches Eiland, das, gleich einem grünen Amphitheater, am Fuſse des Rugard aus einem Meerbusen emporsteigt, den die Krümmung des Landes und der Halbinseln Jasmund und Wittow bilden.
*) Seine waldige Scheitel den Wogen enthebt, in die
Schiffe,
Welche frohlockten, die Braut des geliebten Ge -
bieters zu führen.
Zweymal sank die Sonn ', und dreymal stieg sie.
Da grüſsten
Jaromars Segel den Hafen der schönumuferten
Warne.
Warne, dich grüſst mein Gesang. In deinem
Wellengeriesel
Grüſs 'ich dich, segne dich, in deinen Schatten -
gestaden.
Warne, mein Herz ist dir hold. Du durchschlän -
gelst, ein silberner Faden,
131 Meines Vaterlands*)Grevesmühlen, eine kleine Landstadt zwischen Wismar und Lübeck, ist des Dichters Geburtsort.
*) grünendste Fluren. Unzählige Heerden
Trinken deines Gewässers. Sein trinkt die durstige
Hindin;
Sein das Reh und der Keuler des Waldes. Du näh -
rest der Wiesen
Gelbbeblümtes Grün. Du wässerst die Wurzeln von
tausend
Rauschenden Forsten. Du säugst die Kraft der
Ulme. Des Eichbaums
Wurzeln beströmst du, und tränkst die hundert -
jährige Tanne —
Warne, mein Herz ist dir hold. An deinen Schat -
tengestaden
Sahst du mich wandeln im Schimmer der Jugend.
Die Blume des Milchhaars
Sproſs um mein jugendlich Kinn. Mein funken -
stäubendes Auge
Thränte Sehnsucht. Es lechzte das Herz nach Lor -
beern des Nachruhms
Und nach den Myrten der Liebe. Von hohem Stau -
nen ergriffen,
Sank ich nieder an deine Gestade. Die weinende
Birke
I 2132Säuselte mir um das Haupt. Mich umdufteten Quen -
del und Orant.
Schlummer umflügelte mich, und sehnsuchttäuschende
Träume.
Warne, ich denke dein, und will dein nimmer
vergessen,
Will dich singen, Gesangeswerthe, in meinen Ge -
sängen.
Zweymal sank die Sonn ', und dreymal stieg sie.
Da grüſsten
Jaromars Flaggen den Hafen der schönumuferten
Warne.
Bräutlich geschmückt empfing sie der Hafen. Den
Masten entwallten
Farbige Wimpel. Den Thürmen entstürmte Feyer -
geläute.
Paukenwirbel, Drommetengeschmetter, unendlicher
Jubel
Brauste den Strand entlang, dem Fürstenboten ent -
gegen.
Heinrich, der graue Held, Wandaliens herr -
licher Herzog,
Schritt hervor, dem Rugen entgegen, im Krieger -
geschmeide.
Prächtig deckte sein silbernes Haar der flatternde
Helmbusch,
133 Prächtig die stählerne Schiene die Schenkel. Der
schuppige Panzer
Brannt 'in der Sonnengluth, wie Erz in der Esse
des Schmelzers.
Heregunde, die schönste der Fräulein, die Perle
des Norden,
Schimmert' im bräutlichen Schmuck dem frohen Vater
am Arme.
Knieend grüſste der Ruge die Züchtigerröthende.
Bieder
Hieſs ihn der Herzog willkommen. Es wurden in
Freuden der Tage
Drey verlebt, mit Turnieren gefeyert, und fest -
lichen Schmäusen.
Jammernd erhob sich am vierten die Klage der
weinenden Trennung.
Heregunde, begabt mit des Landes erlesensten
Schätzen,
Von zwölf blühenden Mägdlein geleitet, den Töch -
tern der Edeln,
Bot das bange Lebwohl, das letzte, lange, der Hei -
math,
Sank verstummend dem Vater in Arm, lautschluch -
zend der Mutter,
Faſste sich schnell, wand eilend sich los, sprang
hurtig ins Fahrzeug.
134Hurtig enteilte der gleitende Kiel dem hallenden
Ufer.
Heregunde bestieg den hohen Spiegel des Schiffes,
Stand dort, schaute verlangend zurück nach ihren
Verlaſsnen,
Breitete sehnend den Arm, und schwang den sil -
bernen Schleier,
Ob die geliebten Verlass'nen ihn sähen am weichen -
den Ufer.
Immer ferner entwich das gewünschte Gestade
Kaum sichtbar
Dämmert 'es noch. Es zerfloſs auch das dämmernde
Grau in die Wolken.
Aber sie wähnte noch immer, die Wolke sey heimi -
sches Ufer,
Bis sich der Himmel verhüllte, und Regen stiebten.
Da flossen
Ihre Thränen. Sie weinte sich aus. — Die Regen
versiegten.
Wieder kehrte die Heitre des Himmels. Es kehrte
die Heitre
Auch auf ihre Stirne zurück. Sie gedachte mit In -
brunst
Ihres Verlobten, des bräutlichen Tags, und der
süſsen Vereinung.
Aber, o Jammer! die Wonne der süſsersehn -
ten Umarmung
135 Sollte der Edeln nicht werden. — Der laurende
Räuber vernahm es,
Daſs ein Schiff an der östlichen Küste des Fürsten
Verlobte,
Ihren Brautschatz führte, und seinen entronnenen
Sklaven.
Beute dürstend und Blut, empört 'er die Segel, und
jagte
Mit den Brüdern dem Raube nach. In der Enge
des Gellen*)Ein Meerbusen, den das feste Land von Pommern und das südliche Ufer Rügens bilden.
*) Holt 'er sie ein. Lautschreiend gen Himmel erhoben
die Jungfraun
Ihre strömenden Augen. Die Jünglinge stürzten
zusammen,
Schworen zu sterben, und fochten mit Kraft der
Verzweiflung, wehrten
Lang' und tapfer den Räubern, erlagen doch end -
lich der Menge.
Ritogar, wild, wie das Wüthen der Schlacht, wie
der Ocean tobend,
Mähet ', ein Schnitter im Kornfeld, im Dickicht der
Räuber. Sein Eisen
Spendete Wunden und Tod. Es spaltete Rurich,
dem jüngsten
136 Der Ralunken, den Kopf. Der grimmige Rawen
ersah es,
Schwang die Axt, warf schleudernd die Herbe dem
Jüngling ins Antlitz.
Röchelnd entstürzt er dem Bord. So stürzt die
schönste der Buchen,
Ausgewühlt vom schmelzenden Schnee, entwurzelt
vom Gieſsbach,
In die Fluthen hinab von der kreidigen Stubben
kammer.
Ähnlich dem Brüllen der See, wenn sie itzt die
Leben von hundert
Schiffen verschlang, erscholl das Jauchzen der sie -
genden Räuber.
Bleich und starr, wie der Marmor, saſs Heregunde.
Der Räuber
Einer faſst 'ihr höhnisch das Kinn: „ Du Zierlich -
gelockte,
„ Freue dich, Traute. Mein Arm hat eines Weich -
linges Bette
„ Dich entrissen. Nun sollst du das Bette des star -
ken Ralunken
„ Schmücken. Dem Starken gebührt die Schöne. “—
Das zitternde Mädchen
Regte die Lippen, und schwieg. So schweigt die
Taube dem Falken.
137Näher stürmten die Räuber dem Ufer, dem
Horste die Falken.
Hoch am Gestade stand harrend Agathe. Ach harre,
du Arme,
Harre der schrecklichen Brüder nicht so! Sie kom -
men, sie führen
Hoch auf dem Maste das Haupt des kühnen Jüng -
lings. Sie sieht es.
Schwindel ergreift sie. Ihr flirren die Augen. Die
Sinne verrieseln
Ihr wie rauschende Wogen. Sie stürzt in die Flu -
then. Mit Mühe
Ward sie, doch nur auf Secunden, zurück ins
Leben gerissen.
Stürmischer, jauchzender grüſsten die Räuber
die Heimath. Das Ufer
Hallte das schreckliche Jauchzen zurück. In die
Näh ', in die Ferne
Scholl es, verscheuchte den Pflüger vom Pflug, von
der Heerde den Hirten.
Hin war der blutige Tag. Es folgte die frechste
der Nächte.
Wer mag nennen die Gräuel der Frevelvollen! Ver -
gessen
Sey sie auf immer, vertilgt aus der Schwestern Rei -
hen, wie jene,
138 Welche Eroberer, Schmeichler, und Freyheitsmör -
der gebaren!
Frühe mit dämmerndem Tag '— der Rausch des
Weins und der Wollust
Lag noch bleyern, wie Brodem der See, auf den
Wimpern der Schwelger —
Rief es durch Hof und Burg: „ Agathe! Agathe! “
Die Arme
War auf ewig dahin. Von einer seufzenden Pappel
Schwankendem Ast hing welk und schlaff die Er -
würgte herunter.
Winde durchsausten ihr Haar. Vom Krampf des
gewaltsamen Todes
War des Antlitzes Schöne verstellt. Aus brennender
Stirne
Quollen die Augen hervor. Ihr Blut gefror, und
ihr Herz stand.
Da entsprang der Ralunke dem Lager. Die gräſs -
liche Zeitung
Kracht 'ihm ins innerste Mark. Er hatte die Schwe -
ster geliebet.
Fürchterlich brüllend tobt' er umher, und ballte
die Fäuste,
Schlug sich die eherne Stirn, und zerstampfte den
Boden. Ihm rollten
139 Schreckliche Thränen aus stierem Auge die Backen
hinunter
Bis in den stachlichten Bart. So schleicht durch des
schaurigen Krakow*)Eine Landschaft in der Nähe von Bergen, der Haupt - stadt der Insel, voll Grabhügel und Opfermaale.
*) Dornverwachsene Maal 'ein träges, trübes Ge -
wässer.
Jaromar harrt 'indeſs mit ungeduldiger Sehn -
sucht
Seiner Verlobten entgegen. Des Rugard stickelsten
Gipfel
Klomm er stündlich hinan, zu spähen, ob keiner
der Wimpel
Ihm ihr Kommen verkündigt'. Allein da wehte kein
Wimpel.
Sieben Nächte verscheucht 'ihm den Schlaf von
den Wimpern die Sehnsucht.
Schrecklicher war ihm die acht'. In ihr vernahm er
die Zeitung.
Niedergebrochen wär 'er von ihr, und zu Boden
geworfen,
Hätt' ihn der Grimm nicht gestemmt, das lodernde
Rachegefühl nicht
140 Ihm die Seel 'entflammt. Mit Stimme des Sturmes
beschied er
Seine Krieger. Sie kamen, wie Hagelgewitter, die
Berge
Angeklommen. Und hoch auf den Bergen stand
Jaromar, rufend,
Daſs die Berg' und die Schründ 'ertönten: „ Welchem
der Starken
Theuer ist Freiheit und Beut', und Braut und
Freund, der beflügle
Seine Fersen, und komm 'und bäume die Lanz', und
schwöre,
An den Ralunken die Braut und den Fürsten zu
rächen. “— Sie bäumten
Jauchzend die Lanzen, und schrieen, wie tausend
die Stirnen der Berge
Niederbrausende Strudel, und schworen den Räu -
bern von Ralow
Rache, Vertilgung und Tod. Vier schöngebordete
Schiffe
Führten vor Abend das Heer vor die Pforten des
blutigen Ralow.
Und der Tag brach an. Aus drängenden feuri -
gen Wolken
Hob ihr blutweissagendes Antlitz die rothe Sonne.
Donnernd und wild, wie hervor aus Felsenklüften
der Strom brüllt,
141 Stürmte das Schlachtgeschrei aus Jaromars Schiffen.
Blutroth
Wehten die Flammen. Auf den Verdecken blitzten
die Krieger,
Stahlgepanzert, die Schwerter in Händen, Götter
der Rache.
Da entbrannte die Kraft des Ralunken. Mit
trotzigem Ingrimm
Bäumt 'er die sieben Segel, und eilte dem Dräuer
entgegen.
Und die Schlacht begann, und blutete furchtbar.
Des Streites
Kundig, stritten tapfer die Räuber. Noch tapferer
stritten
Rach 'und Schwur aus den Starken des Rugard.
Jaromarn mochte
Keiner bestehn. Er traf des Rawen borstige Braue.
Sinnlos taumelt' er, schwindelt 'hinab in die Wogen.
Die Wogen
Öfneten ihren schäumenden Schooſs, und deckten
den Frevler.
Wüthiger wüthete nun der Ralunke. Wie Forste
die Windsbraut,
Lichtet die Schaaren sein Stahl. Wie dem feuer -
beschweiften Kometen,
142 Brannt 'ihm die Wange. Wie Strahlen das Nord -
licht umflattern, so flattert'
Ihm das röthliche Haar um die glühende Stirne.
Sein Dräuen
Glich dem Donner in Alpen. Von seinen Blicken
war jeder
Feuerflamm '; ein jeder von seinen sausenden Hieben
Tod. Es erlagen ihm viele der rüstigsten Krieger
des Fürsten.
Steuer - und mastlos versanken der schöngebordeten
Schiffe
Zwey mit Leichen besät. Doch auch der feindlichen
Kiele
Trieben schon vier zerschellt, den Winden ein Spiel
und der Woge.
Schwül ward der Mittag, schwüler die Schlacht.
Aus dem gährenden Süden
Wälzten sich drohende Wetter herauf. Der Streit
und die Schwüle
Lösten dem wunden Ralunken die Knie. Er
schwankte zu Boden.
Weit auseinander stoben die Räuber. Wie Blät -
ter dem Herbststurm,
Fielen sie rauschend vor Jaromars Schwert. Noch
lag der Ralunke,
143 Blutet 'und schäumt' und knirscht '. Nun stieſs der
zürnende König
Tief den Stahl in den offenen Schlund. In stru -
delndem Blute
Floſs die schuldige Seele dahin. Ein jählinger Donner
Stürzte sie ächzend hinab in den Schlund des war -
tenden Abgrunds.
Flehend ergaben sich jetzt die übrigen Räuber
der Fessel.
Jaromar eilte zur öden Burg. Verlassen, verloren,
Hatte die Alte die Thore verriegelt; der fallenden
Brücken
Mächtige Dielen empört. Umher in den einsamen
Gängen
Irrte sie, heulte sie, schlug sich ins Antlitz, zer -
raufte verzweifelnd
Ihre silberhaarige Scheitel. Ein schneller Gedanke,
Von der Hölle geboren, durchblitzt 'ihr die Seele.
„ Dich rächen
„ Will ich, du Edelgefallner, an deiner Mörderin
rächen. “
Riefs, und fliegenden Haars, gezuckten funkelnden
Dolches,
Rannte sie in die Halle der Mädchen — die zittern -
den Mädchen
Bebten zurück — und durchstieſs dir, Heregunde,
den Busen.
144Näher und näher wälzete sich der Sieger Ge -
tümmel.
Mauern und Wälle durchbrachen die Stürmenden,
sprengten der Pforten
Eherne Riegel. Es hört sie, es sieht sie, die Ra -
sende kommen,
Lacht ein Hohngelächter der Höll ', und stürzt in
den Dolch sich.
Jaromar trat in die blutige Hall '. Ihm raucht'
an der Schwelle
Blut entgegen, und Blut vom Gesimse, und Blut
von dem Estrich,
Seiner Erkohrnen Blut. Des Siegers blasses Ver -
stummen
Sollst du nicht singen, Gesang, nicht singen die
Trauer des Helden.
Jaromar räumte die Burg den Seinen. Sie raub -
ten die Beute
Dreyzehnjähriger Fehden, und füllten die Gräben,
und schleiften
Mauern und Wall ', und vertilgten mit fressender
Flamme die hohen
Drohenden Thürme.
So fiel das Schrecken des Mee -
res. So stürzte
145 Ralow von seiner trotzenden Höhe. Noch leben die
Namen
Judith und Agath 'in den Haynen*)Zwey Gehölze der Gegend führen ihre Namen.
*). Stumm und einsam
Wandeln im zweifelnden Lichte des Mondes die
Schatten der Helden
Zwischen den Tannen. Das Eisen des Pflügers, der
Spaten des Gärtners,
Prallt oft klingend zurück vom versunkenen hohlen
Gemäuer.
Also die Sage der Väter — Wie still, wie
schauerlich liegst du,
Ralow, vor mir! Wie streift der Mond die däm -
mernden Hayne,
Und die glänzende Fluth! Wie schimmern im Thaue
den Abhang
Deine schwimmenden Saaten hinab! Ihr Helden der
Vorzeit,
Schön ist und schaurig die Nacht. Entsteiget den
Grüften, entschwebet
Euren stillen Gewölben, und wandelt im Krieger -
geschmeide
Vor mir über. Mein Herz gelüstet, die Starken zu
schauen
K146Mit der kräftigen Faust, der benarbten Stirne, dem
Gluthblick,
Mit der sonnegebranntem Wang ', und dem drallen
Einherschritt.
Wenig zu fassen vermags der Kunst entmarketer
Zögling,
Hört es, tröstet sich bald, und lacht der Riesen
und Mährlein!