Dichten will ich ein Lied der unvergänglichen
Tugend.
Dichten will ich es heiſs und kühn, daſs, wer
sie verkannte,
Schnell aufspringe, die Hohe zu suchen, und wer
sie errungen,
An die Brust sie drücke mit voller Bräutigams -
inbrunst.
Tugend, Himmelgeborne, der Gottheit edelste
Gabe,
Labsal ewiger Geister, des Jünglings Sehnsucht,
des Mannes
Fernher strahlendes Ziel, des Greises theuer er -
rungnes
Höchstes Gut — Vergönne du Göttliche, daſs ich
die Schwelle
Deines Heiligthums schauernd beschreite, daſs ich
des Schleiers,
14 Welcher dein Angesicht deckt, den Zipfel, den
äuſsersten, lüpfe;
Daſs ich schaue den Reiz, in welchen entbrannt,
die Heroen
Jeglicher Zeit und jeglichen Volks, in Gefahren
und Tode
Freudig sich stürzten, und groſs und berühmt und
unsterblich sich starben,
Weil sie starben für dich. Ich sehe die Himmlische.
Dämmern
Seh 'ich die Formen der Göttergestalt im flieſsenden
Zwielicht.
Schauer ergreifen das Herz, und heilige Schrecken
den Kühnen.
Tugend, Tugend, der Gottheit Schooſskind,
Schutzgeist der Menschheit,
Tugend, wie bist du schön! Vor allen Töchtern
des Himmels
Schön und lieb und geschmückt mit herzbesiegenden
Reizen!
Wie so edel die Stirne gewölbt! Das gebietende
Auge
Flammen schleudernd! Die Wangen geröthet von
Thatenbegierde!
Lilienweiſs dein Gewand, geschürzt mit dem Gürtel
Aurorens.
15Tugend, kräftige Rebe, gepflanzt vom Schöp -
fer, gediehen
Durch des Himmels Regen und Thau zum schatten -
den Weinstock!
Siehe, wie funkeln an ihr, wie glühen die pur -
purnen Trauben!
Schau, wie perlt im goldenen Becher der duftende
Heilsaft!
Welcher dürstet, der komm '! und wessen Lippe
geweiht ist,
Komm' und trinke des köstlichen Weines, und
schwöre, von nun an
Nimmer zu kosten der Sinnlichkeit Kelch, noch
den Becher der Wollust.
Tugend, wie bist du süſs dem Liebling, dei -
nem Erkohrnen!
Wie der einsamen Braut das Angedenken des Trau -
ten!
Wie des heiligen Liedes Besuch der Seele des
Dichters!
Tugend, wie bist du stark, du Unüberwind -
liche Gottes!
Bändigst die Lieb 'und den Tod, die Bändiger jeg -
licher Stärke;
Lächelst, goldene Aehre, dem Stahl des Schnitters
entgegen;
16 Opferst groſsmuthvoll dein Letztes Bestes dem
Schicksal.
Auf von der Erde, hindurch die Luft, weit
über die Sterne
Wehet der Duft, erschallt der Ruf der Thaten der
Tugend.
Melde, mein Lied, damit dich der Spötter des
Dünkels nicht zeihe,
Melde, was Tugend ist, damit du spottest des
Dünkels.
Hemme den Flug ein wenig, Begeisterung! Laſs
uns die Schwester,
Laſs uns, was Tugend sey, die kühlere Denkerin
fragen! —
Nannten die Weisen dich nicht das Leben des
Geistes, sein wahres
Unabhängiges Seyn, des Gemüthes kostenden Gau -
men,
Sein leishörendes Ohr, sein sorgsam prüfendes
Auge,
Seinen sicheren Schritt auf graden Pfaden des
Rechtes,
Seine Monarchengewalt, zu steuern den lüsternen
Sinnen,
17 Daſs nicht den göttlichen Geist der Wollust Schlaf -
trunk entmanne,
Daſs nicht des Schmerzes Wuth der ewige Heros
erliege?
Bist du nicht, Hehre, der Saiten der Seele
lauterste Stimmung,
Ihr harmonischer Einklang in die Akkorde der
Schöpfung,
Ihr Einfugen im Gliederbau der sittlichen Ord
nung,
Ihr Behagen an sich, ihr Gernedaheimseyn, ihr
Jauchzen,
In sich selbst, im Lebensgefühle der vollen Ge -
sundheit!
Bist du nicht, Holde, die süſse, die selige
Liebesempfindung,
Welche den Geist hinneigt zur uranfänglichen
Schönheit,
Ihr Mitwirken zum sicherberechneten Besten des
Ganzen,
Ihr Hinschaun auf das Eine Nothwend'ge, ihr herz -
liches Sehnen,
Ihr unermüdsames Streben, zu schaffen in sich,
und um sich
Höhere Ordnung, lichtere Klarheit, reineren Ein -
klang?
B18Schau, wie quellen, wie rieseln, wie rauschen
in mächtigen Fluthen
Nie versiegende Ström 'aus dem unausschöpflichen
Urborn,
Und durchwässern das Land, und schwängern es,
daſs es gebäre
Kräftige Keim'; es schossen die Keim 'im Antlitz
des Himmels,
Blühn und wehn weit über die Flur in wogenden
Saaten.
Reine Jungfrau, wie sind aus deinem züchtigen
Schooſse,
Wie der Söhne so viel, so viel der Töchter ent -
sprossen!
Siehe, wie schweben die Schönen dahin, wie stei -
gen die zarten
Reinen Täublein, die freudigen sonnanfliegenden
Adler,
Lauschend auf deinen Wink, gerüstet, den Wink
zu vollführen!
Laſs mich singen die stattlichen Söhne, die
blühenden Töchter!
Der du, ernsten Blicks, gehorsamheischenden
Anstands,
19 Hader schlichtend, und Frieden gebietend, und
Brüder versöhnend,
Jene Schaaren durchwallst; wer bist du, Himmel -
geborner?
Rede, wer bist du! wer trittst du einher so
trotzigen Schrittes?
Sey mir gegrüſst in deinem Vermögen! Dich grüſsen
die Völker,
Grader gerechter Sinn! Des Rechtes ewiger
Eckstein!
Goldner Pfeiler der himmlischen Ordnung! Schrecken
des Drängers!
Aber der Leidenden Hort, ein Schild der flüchten -
den Unschuld.
Siehe, wie birget so blöde sich hinter dem
schattenden Mayen,
Wie so sittsam verhüllt, umrollt von flieſsenden
Locken,
Feuernd die Wange von Scham, die Brust von
Rosen umduftet,
Liebenswürdig und allgeliebt die heilige Un -
schuld!
Ach, wie senkt sich ihr Blick vor jedem fremderen
Anblick!
Ach, wie erschrickt ihr Ohr vor jedem leisen Ge -
flister!
B 220Ach, wie zittert ihr Herz von ungestandnen Ge -
fühlen!
Warum fliehst du, wie schüchterne Rehe des Wal -
des, Geliebte?
Hüte dich! Rein ist dein Kleid; daſs der Gasse
Staub es nicht schmutze!
Zart dein Antliz; daſs nicht der sengende Mittag
es bräune!
Aber geschmiegt an die göttliche Mutter, mit
trauerndem Anstand,
Mit gesenkterem Blick, mit thränenschimmernden
Augen,
Seufzergehobner Brust, und mitleidlächelnder
Lippe,
Redet, wer ist sie, wer sieht sie so trüblich, ein
Stern aus des Abends
Thauendem Dufte? — Ich kenne dein Antlitz —
die segnenden Völker
Nennen dich Menschenhuld, dich, theuerste
Tochter der Mutter,
Dich, den Liebling der Erd 'und des Himmels.
Reges Erbarmen
Schwellet dir ewig die Brust, und ewig nässen die
Augen
Thränen des Mitleids. Die Plagen des Lebens, der
Stachel der Armuth,
21 Und des Schmerzes durchdringender Schrey, der
schweigende Jammer,
Den nur die Mitternacht hört; der Trennung Herz -
leid, der Jammer
Brechender Augen und berstender Herzen, der
Übriggebliebnen
Trostverschmähendes Händeringen, zerfleischet, zu
Weiche,
Dir das fühlende Herz; doch schweigst du, eilest
und rettest.
Schau, wie sie schleicht mit schwellendem Schooſs in
die Hütte der Armuth!
Sieh, wie sie träufelt Öl und Wein in die Wunden
des Siechthums!
Wie sie sich grämt mit dem düsteren Gram! zur
stummen Verzweiflung
Setzet sie auf den Gräbern sich hin, und waget
den stummen
Starren Schmerz zu mildern in heilende Wehmuth. —
Wie schallt es
Hoch um die Göttliche her von Dankgestammel,
von lautem
Lobgepreise, von Stimmen der segnenden Liebe!
Die Stimmen
Klingen der Edlen, wie Lispel aus Edens seligen
Chören.
Sie durchströmet der Götter Gefühl, das nimmer -
gesungne,
22 Nimmerzusingende Himmelsgefühl, unsäglich zu
lieben,
Und unsäglich geliebt zu seyn, wie die selige Gott -
heit.
Neben der Göttlichen strahlst, in voller Reife
der Schönheit,
Du, o Lockens und Kants und Sokrates Freundin,
o Weisheit!
Schau, wie sie heftet den prüfenden Blick auf das
Wahre, das Gute!
Wie sie folgt mit geschärftem Auge dem Fluge des
Denkers!
Wie sie worfelt die Spreu von dem reinen Weizen,
die Schlacken
Siebenmal abschmelzt, eh sie des lauteren Goldes
sich freuet!
Sinnend geht sie einher am Rande des Baches, und
spähet
In der Natur verborgenem Schooſs. In die Tiefen
des Erdballs
Steigt sie hinab, und erfliegt in gestirnten Nächten
den Himmel.
Jegliche Feder und jegliches Rad des gewaltigen
Uhrwerks,
Alles Endlichen Maaſs und Zahl und Inhalt er -
forscht sie;
23 Jegliche Falt 'im Herzen der Menschen entblättert
sie; jede
Chiffer im offenen Buch des Menschengesichts liest
sie.
Jeder leisen Begier und jeder dämmernden Ahn -
dung
Folgt sie durch labyrinthische Gäng' in das heilige
Dunkel
Ihrer Geburt. Sie ergründet des Wissens schwin -
delnden Abgrund,
Miſst die Kräfte, und reiht die Geschlechter, und
ordnet die Arten,
Unermüdsam besorgt, zu fassen die Regel des
Ganzen,
Einzugreifen mit rüstiger Kraft in der herrlichen
Schöpfung
Starkes Getrieb ', in die Axe des unermeſslichen
Weltalls —
Wachsende Sittlichkeit zu fördern, und steigende
Gnüge.
Siehe die Zwillingsschwester der Weisheit; die
Mutter gebar sie
Neben der frühern, und nannte sie Mäſsigkeit.
Frisch ist ihr Ansehn;
Schlank ihr Wuchs; behend ihr Bewegen; die Gluth
der Gesundheit
24 Färbt ihr den blaugeaderten Arm und die Fülle der
Wange.
Denn sie leeret nur halb des Weins berauschenden
Becher;
Sparsam geneuſst sie der Frucht des Halms, und
des Saftes der Palme;
Nimmer verwöhnt ihr den Gaumen die kitzelnde
Würze des Auslands.
Nimmer ertappt sie die goldene Sonn 'in späterem
Schlummer.
Jede niedre Begier und Gunst erschlaffender Wol -
lust
Opfert sie willig dem edleren Dienst der Schwester,
der Weisheit.
Diese die göttlichen Kinder der göttlichen
Mutter. Die Bosheit
Zürnt 'ob ihrer Schöne, verschwor sich, ewige
Fehde
Ihnen zu bieten. Da ward dem waffenlosen Ge -
schwister
Ein Beschirmer geboren, ein kriegrischer Bruder.
Gewaltig
Ist sein Arm, wie der Blitz, sein Schild ein fun -
kelnder Demant,
Seine Lanze gestählt in Sirius feurigem Ofen.
25Heldenmuth ist sein Name. Sein Thun ist Schwei -
gen und Retten.
Mächtig bahnt er die Pfade des Rechts dem richten -
ten Bruder;
Fürchterlich bäumt er die strahlende Lanze zu schir -
men die Unschuld.
Jede grelle Gefahr, die, ein Riesengebirg', vor ihm
aufsteigt,
Überspringt er, wie Maulwurfshügel. Der Tück '
und der Bosheit
Schleudert er Kling' und Schaft der splitternden
Lanz 'an die Stirne.
Sieh, wie er spottet in seinem Vermögen des Wüthe -
richs Ohnmacht!
Wie er so ruhig steht dem hämisch grinsenden
Tode!
Flammen sprühet sein Blick, und Strahlen die Stirne.
Gewaltig
Schwillt ihm die Sehne, gewaltig der zuckende
Muskel. Es strafft sich
Jegliche Kraft in ihm, zu retten die leidende Un -
schuld,
Zu zermalmen den Dränger, zu sühnen jegliche
Thräne,
Die er entpreſste, mit lauen Strömen des schuldi -
gen Blutes.
26Tugend, wie lächelst, wie prangst du in Mit -
ten deiner Erzeugten!
Wer mag nennen die Kinder, die deiner Wurzel
entsproſsten,
Wer ermessen die Thaten, die ihren Rechten ent -
blitzten!
Wer erzählen die Namen der Edeln, der Helden
und Weisen,
Welchen du würdigtest, Hehre, zu zeigen das
göttliche Antlitz,
Daſs sie, von deiner Schöne gerührt, entzündet in
Liebe,
Schnell an die duftende Brust dir sanken, vom lin -
den Gesäusel
Deines Athems beseelt, gekräftigt durch deine Um -
armung
Thaten thäten, darob der staunende Erdkreis auf -
stand!
Soll ich singen die Namen der Helden, die
Preise der Thaten,
Welche flammen in Sternenschrift am Bogen des
Himmels,
Welche verkündigt die Vorwelt der Zukunft, der
Äon dem Äon,
Welche der späte Enkel, der Jüngling werdender
Zeiten,
27 Hört, und entbrennt, auffährt aus schönen Träumen,
sich grämet,
Daſs er nur träumte, ergrimmt ob seiner Dunkel -
heit, aufspringt,
Strebt, wie die Väter zu seyn, und gleich den
Vätern berühmt wird? —
Singe sie nicht, mein Gesang! In der Zeiten strö -
mendem Jubel
Würde doch nur unhörbar dein leises Lispeln ver -
hallen,
Wie das Säuseln des Blattes im tausendstimmigen
Sturmwind.
Aber singe die selige Ruhe der Tugend, den
Frieden;
Singe, welchen die Hohe gewähret dem Sohne des
Staubes,
Welcher die Himmlische sich erkohr zur Braut und
Gespielin.
Heil dem Gottgeliebten, dem Freund und Jün -
ger der Tugend!
Mög 'er wohnen in leimerner Hütte am Rauschen
des Baches,
Mög' er weiden mit Ruthen des Bachs die wollige
Heerde,
Mög 'er wohnen in thürmender Burg, und mit gol -
denem Zepter
28 Nationen weiden — Ihm ist das goldene Zep -
ter
Leicht, wie des Hirten Gerte; dem Hirten die
schwanke Gerte
Lieb und werth, wie dem Völkergebieter das[gol -] dene Zepter.
Heil dem Günstling des Himmels! In abgeschie -
dener Stille
Fühlt er sich glücklich, und glücklich im Strudel
der schwindelnden Menge.
Nimmer bewölkt sch sein innerer Mensch. Es er -
starret sein Busen
Nimmer im öden Frost der Seelenleerheit; und
nimmer
Senget ihm aus den Röhren das Mark der Leiden -
schaft Samum.
Heil dem Vielbegabten, dem Nimmerdarbenden!
Nimmer
Mangelt der Schatz ihm, den Diebe nicht stehlen,
und Flammen nicht fressen.
Du, o Mäſsigkeit, bleibst ihm, und du, o Seelen -
genüge!
Heil dem Gerechten! Wie steht er so freudig,
so sicher! Der Schrecken
29 Sträubet ihm nimmer das Haar, noch bleichet die
Furcht ihm die Wangen.
Seine Thaten lagern sich um ihn, ein schirmendes
Kriegsheer.
Furchtlos tritt er einher. Statt einer ehernen
Mauer
Dient ihm, vor keiner Schuld zu erblassen, vor
keinem Verbrechen.
Selig ist er. Der Eymer der Freuden leeret sich
nimmer,
Nimmer der Becher lieblicher Kühlungen, welcher
ihn labe,
Wenn ihn die Schweiſse der Tugend ermatteten,
weil er die Lasten
Seiner Brüder, und eigene Lasten, zu treulich ge -
tragen.
Hehre Göttin, mein Herz entbrennt dir. Das
glänzende Auge
Weinet dir nach, o allmitleidige Freundin des
Kummers.
Schonend beschwichtigest du des Lebens schluch -
zende Klagen.
Über flieſst von Tröstungen Gottes dein goldener
Becher.
Süſs ist dem Gramerschlafften, an deinem Busen zu
athmen,
30 Lieblich dem Jammermüden, in deinen Armen zu
schlummern.
Tugend, Tugend, der Gottheit Funke, Fackel
des Himmels!
Wehe mir, heilige Flamme, voran auf nächtlichem
Pfade,
Daſs nicht irre die täuschende Nacht den zweifeln -
den Wandrer.
Tugend, Tugend, der Menschheit Glorie, Lä -
cheln des Geistes,
Nieversiegender lauterer Quell der lautersten Freu -
den,
Einziges, was hienieden nicht Tand, noch Täu -
schung, noch Traum ist,
Einzige, deren Genuſs nicht Reue gebieret, noch
Ekel,
Einzig unabhängige Seligkeit, immer dir selbst
gleich,
Nimmer ändernd, und nimmer alternd, und nimmer
ermüdend,
Unaussingbare Würde des Geistes, Leben des Le -
bens,
Thätig wie Frühling, gewaltig wie Jugend, süſs
wie die Liebe,
Wollest dich, Heldin, erbarmen des rastlos schwär -
menden Jünglings
31 Wollest letzen an deinem Busen sein Dursten und
Schmachten,
Wollest ihn lullen in deinem Schooſs in heilenden
Schlummer.
Hab 'ich dir nicht, wie der Amme der Säugling,
entgegengezappelt?
Hab' ich dir nicht entgegengedurstet, wie Auen
dem Regen?
Hab 'ich nicht fest an dir gehalten im schütternden
Sturme?
Wollest nicht von dir stoſsen, o Gute, den flehen -
den Waller!
Wollest ihn bergen und retten bey dir, damit ihn
der Jugend
Leidenschaftliche Gluth nicht entnerve, damit er
nicht ewig
Nach verwehetem Rausch hinstarr' in gräſsliche
Kälte!
Wollst aufhauchen in seinem Innern dein heiliges
Feuer,
Daſs er Flüge des Adlers auf Sonnenbahnen er -
fliege!
Wollest ihm reichen dein Schwert, ihm gürten die
rüstige Lende,
Daſs er steh 'ein freudiger Held in Schlachtenge -
tümmel,
Daſs er trotz' an deinem Busen dem Neide des
Schicksals,
32 Daſs er vergesse bey deinem Kuſs, in deiner Um -
armung,
Was er an Ida verlor, dem Mägdlein mit Son -
nenlocken,
Süſs wie Lilienduft, und rein wie Lilienblüthe! —
Heimische Erde, du bist der Gräber Heimath.
Des Wandrers
Fuſstritt schwindet spurlos dahin. Sein Name ver -
hallet,
Wie der Gesang des Vogels im Walde. Die Winde
des Himmels
Kämpfen um seinen Staub. Ach, tröste mich, ewige
Tugend,
Tröste mich, wenn mich umrauschen des Todes
nächtliche Flügel,
Wenn mich, ein Meuchelmörder, ergreift der Ge -
danke des Tilgens
Aus der Lebendigen Land ', und aus der Seele der
Lieben —
Tröste mich, himmlische Tugend, mit deiner ewi -
gen Schöne!
Ewig ist Tugend. Ihr Strahl erlischt, ihr Leben
verwelkt nicht.
Werde laut, mein Gesang, wie Erndtegejauchz,
wie Siegsruf
33 Nach bestandenem heiſsen Schlachttag. Stürme die
Harfe
Mächtig hinab in vollen Griffen, und singe der
Tugend
Ewige Schöne, daſs kaum die bebenden Saiten es
tragen.
Ewig ist Tugend. Ihr Leuchten erlischt, ihr
Leben versiegt nicht.
Sieh, es verwelkt, es verweset der Blumen
des duftigen Kranzes,
Welche die Stirn 'ihr schatten, nicht Eine. Der
hellen Juwelen
Ihres Sterndiadems verblaſst in Ewigkeit keine.
Sieh, in der Ewigkeit nimmer ermessenem,
nimmer beschifftem
Ocean treiben die Zeiten und drängen sich Wog '
auf Woge.
Schau, wie fluthen die Hundert! wie rollen die
tausendmal Tausend
Brausend dahin, und reiſsen hinweg in wirbelnden
Strudeln
Alles, was ist, und war, und seyn wird! — Nur
die Gottheit
Bleibt, wie sie ist und war, und der Gottheit
Tochter, die Tugend.
C34Horch, wie ächzet, wie stöhnt des Weltalls
mächtige Axe!
Schau, es brechen die Angel der Erde. Die Sparren
des Himmels
Krachen. Der Feste lasurene Wölbungen trümmern.
Der Himmel
Krümmet sich in Gebärerinwehen, ermannet sich,
schüttelt
Sonnen und Erden und Sterne hinunter. Die tau -
melnden Welten
Stürzen zusammen in Schutt und Graus. — Die
göttliche Tugend
Flüchtet die scheiternden Trümmer hindurch, durch
die stiebende Asche,
Durch der berstenden Balle Geschrey, und die
wehenden Flammen
Hoch hinauf zum Stuhle des ewig lebenden Vaters.
Und der ewig liebende Vater breitet die
Rechte
Schirmend über sie aus. Sie küſst die Rechte des
Milden,
Der sie umfängt mit dem waltenden Arm, mit am -
brosischem Kusse
Sie begrüſst, und sie birgt in seinem sicheren
Schooſse.