Voriges Jahr machte ich den Gang, den ich hier erzähle; und ich thue das, weil einige Männer von Beurtheilung glaubten, es werde vielleicht Vielen nicht unangenehm, und Man¬ chen sogar nützlich seyn. Vielleicht waren diese Männer der Meinung, ich würde es anders und besser machen: darüber kann ich, in der Sa¬ che, nur an meine eigene individuelle Ueber¬ zeugung appelliren; so gern ich auch eingeste¬ hen will, daſs sie hier und da Recht haben mögen, was die Form betrifft.
Ich hoffe, Du bist mein Freund oder wirst es werden; und ist nicht das eine und wird nicht das andere, so bin ich so eigensinnig zu glauben, daſs die Schuld nicht an mir liegt. Vielleicht erfährst Du hier wenig oder nichts neues. Die Vernünftigen wissen das alles längst. IVAber es wird doch meistens entweder gar nicht oder nur sehr leise gesagt: und mich däucht es ist doch nothwendig, daſs es nun nach und nach auch laut und fest und deutlich gesagt werde, wenn wir nicht in Ewigkeit Milch trin¬ ken wollen. Bey dieser Kindernahrung möchte man uns gar zu gern beständig erhalten. Ohne starke Speise wird aber kein Mann im Einzel¬ nen, werden keine Männer im Allgemeinen: das hält im Moralischen wie im Physischen. Es thut mir leid, wenn ich in den Ton der Anmaſslichkeit gefallen seyn sollte. Aber es ist schwer, es ist sogar ohne Verrath der Sa¬ che unmöglich, bey gewissen Gegenständen die schöne Bescheidenheit zu halten. Ich überlasse das Gesagte der Prüfung und seiner Wirkung, und bin zufrieden, daſs ich das Wahre und Gute wollte.
Es ist eine sehr alte Bemerkung, daſs fast jeder Schriftsteller in seinen Büchern nur sein Ich schreibt. Das kann nicht anders seyn und soll wohl nicht anders seyn; wenn sich nur je¬ der vorher in gutes Licht und reine Stimmung setzt. Ich bin mir bewuſst, daſs ich lieber das Gute sehe und mich darüber freue, als dasV Böse finde und darüber zürne: aber die Freude bleibt still, und der Zorn wird laut.
In Romanen hat man uns nun lange ge¬ nug alte nicht mehr geläugnete Wahrheiten dichterisch eingekleidet, dargestellt und tausend mal wiederholt. Ich tadle dieses nicht; es ist der Anfang: aber immer nur Milchspeise der Kinder. Wir sollten doch endlich auch Män¬ ner werden und beginnen die Sachen ernsthaft geschichtsmäſsig zu nehmen, ohne Vorurtheil und Groll, ohne Leidenschaft und Selbstsucht. Oerter, Personen, Namen, Umstände sollten immer bey den Thatsachen als Belege seyn, damit alles so viel als[möglich] aktenmäſsig würde. Die Geschichte ist am Ende doch ganz allein das Magazin unsers Guten und Schlim¬ men.
Die Sache hat allerdings ihre Schwierig¬ keit. Wagt man sich an ein altes Vorurtheil des Kultus, so ist man noch jetzt ein Gottlo¬ ser; sondirt man etwas näher ein politisches und spricht über Malversationen, so wird man stracks unter die unruhigen Köpfe gesetzt: und beydes weiſs man sodann sehr leicht mit Böse¬ wicht synonym zu machen. Wer den StempelVI hat schlägt die Münze. Wer für sich noch et¬ was hofft oder fürchtet, darf die Fühlhörner nicht aus seiner Schale hervorbringen. Man sollte nie sagen, die Fürsten oder ihre Minister sind schlecht, wie man es so oft hört und liest; sondern, hier handelt dieser Fürst un¬ gerecht, widersprechend, grausam; und hier handelt dieser Minister als isolirter Plusma¬ cher und Volkspeiniger. Dergleichen Persona¬ litäten sind nothwendige heilsame Wagstücke für die Menschheit, und wenn sie von allen Regierungen als Pasquille gebrandmarkt wür¬ den. Das Ganze besteht nur aus Personalitäten, guten und schlechten. Die Sklaven haben Ty¬ rannen gemacht, der Blödsinn und Eigennutz haben die Privilegien erschaffen, und Schwach¬ heit und Leidenschaft verewigen beydes. So¬ bald die Könige den Muth haben werden sich zur allgemeinen Gerechtigkeit zu erheben, wer¬ den sie ihre eigene Sicherheit gründen und das Glück ihrer Völker durch Freyheit noth¬ wendig machen. Aber dazu gehört mehr als Schlachten gewinnen. Bis dahin wird und muſs es jedem rechtschaffenen Manne von Sinn und Entschlossenheit erlaubt seyn zu glauben undVII zu sagen, daſs alter Sauerteig alter Sauerteig sey.
Man findet es vielleicht sonderbar, daſs ein Mann, der zwey mal gegen die Freyheit zu Felde zog, einen solchen Ton führt. Die Ent¬ räthselung wäre nicht schwer. Das Schicksal hat mich gestoſsen. Ich bin nicht hartnäckig genug, meine eigene Meinung stürmisch gegen Millionen durchsetzen zu wollen: aber ich ha¬ be Selbstständigkeit genug, sie vor Millionen und ihren Ersten und Letzten nicht zu ver¬ läugnen.
Einige Männer, deren Namen die Nation mit Achtung nennt, haben mich aufgefodert et¬ was öffentlich über mein Leben und meine successive Bildung zu sagen: ich kann mich aber nicht dazu entschlieſsen. In meiner Ju¬ gend war es der Kampf eines jungen Menschen mit seinen Umständen und seinen Inkonsequen¬ zen; als ich Mann ward, waren meine Ver¬ flechtungen zuweilen so sonderbarer Art, daſs ich nicht immer ihre Erinnerung mit Vergnü¬ gen zurückrufe. Wer sagt gern, ich war ein Thor, um durch sein Beyspiel einige längst be¬ kannte Wahrheiten eindringlicher zu machen? VIIIAls ich als ein junger Mensch von achtzehn Jahren als theologischer Pflegling von der Aka¬ demie in die Welt hinein lief, fand man bey Untersuchung, daſs ich keinen Schulfreund er¬ stochen, kein Mädchen in den Klagestand ge¬ setzt und keine Schulden hinterlassen, daſs ich sogar die wenigen Thaler Schulden den Tag vor der Verschwindung noch bezahlt hatte; und man konnte nun den Grund der Entfer¬ nung durchaus nicht entdecken und hielt mich für melancholisch verirrt, und lieſs mich sogar in dieser Voraussetzung so schonend als mög¬ lich zur Nachsuchung in öffentliche Blätter sez¬ zen. Daſs ein Student den Tag vorher ehe er durchgeht, seine Schulden bezahlt, schien ein starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse den Philantropen die Betrachtung über diesen Schluſs, der eine sehr schlimme Meinung von der Sittlichkeit unserer Jugend verräth. Dem Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn, wenn ich ihm sage, daſs die Gesinnungen, die ich seitdem hier und da und vorzüglich in fol¬ gender Erzählung geäuſsert habe, schon damals alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich mit neun Thalern und dem Tacitus in der Ta¬IX sche auf und davon ging. Was sollte ein Dorf¬ pfarrer mit diesen Gährungen? Bey einem Kos¬ mopoliten können sie auf einem festen Grunde von Moralität wohl noch etwas Gutes wirken. Der Sturm wird bey mir nie so hoch, daſs er mich von der Base, auf welcher ich als ver¬ nünftiger rechtlicher Mann stehen muſs, her¬ unterwürfe. Meine meisten Schicksale lagen in den Verhältnissen meines Lebens; und der letzte Gang nach Sicilien war vielleicht der erste ganz freye Entschluſs von einiger Bedeutung.
Man hat mich getadelt, daſs ich unstet und flüchtig sey: man that mir Unrecht. Die Umstände trieben mich, und es hielt mich keine höhere Pflicht. Daſs ich einige Jahre über dem Druck von Klopstocks Oden und Messia¬ de saſs, ist wohl nicht eines Flüchtlings Sache. Man wirft mir vor, daſs ich kein Amt suche. Zu vielen Aemtern fühle ich mich untauglich; und es gehört zu meinen Grundsätzen, die sich nicht auf lächerlichen Stolz gründen, daſs ich glaube, der Staat müsse Männer suchen für seine Aemter. Es ist mir also lieb, daſs ich Ursache habe zu denken, es müssen in meinem Vaterlande dreyſsig tausend Geschicktere undX Bessere seyn als ich. Wäre ich Minister, ich würde höchst wahrscheinlich selten einem Man¬ ne ein Amt geben, der es suchte. Das wer¬ den Viele für Grille halten; ich nicht. Wenn ich Isolierter nicht strenge nach meinen Grund¬ sätzen handeln will, wer soll es sonst?
Man hat es gemiſsbilligt, daſs ich den Rus¬ sischen Dienst verlassen habe. Ich kam durch Zufall hin, und durch Zufall weg. Ich bin schlecht belohnt worden; das ist wahrschein¬ lich auch Zufall: und ich bin noch zu gesund an Leib und Seele, um mir darüber eine Sup¬ pe verderben zu lassen, In der wichtigsten Periode, der Krise mit Polen, habe ich in Grod¬ no und Warschau die deutsche und französi¬ sche diplomatische Korrespondanz zwischen dem General Igelström, Pototzky, Möllendorf und den andern preuſsischen und russischen Gene¬ ralen besorgt, weil eben kein anderer Offizier im Hauptquartier war, der so viel mit der Fe¬ der arbeiten konnte. — Sie sind noch nicht verpflichtet, sagte Igelström zu mir, als er mir den ersten Brief von Möllendorf gab, Sie ha¬ ben noch nicht geschworen. Der ehrliche Mann, antwortete ich, kennt und thut seineXI Pflicht ohne Eid, und der Schurke wird da¬ durch nicht gehalten. — Man hat alten Staabs¬ offizieren Dinge von groſser Bedeutung abge¬ nommen und sie mir übergeben, als Möllen¬ dorf noch die Piliza zur Gränze forderte, und als man nachher russisch die Dietinen in Polen nach ganz eigenen Regeln ordnete und leitete. Igelström, Friesel und ich waren einige Zeit die Einzigen, die von dem ganzen Plane unter¬ richtet waren. Ich habe gearbeitet Tag und Nacht, bis zur letzten Stunde als der erste Ka¬ nonenschuſs unter meinem Fenster fiel: und mich däucht, daſs ich dann auch als Soldat meine Schuldigkeit nicht versäumte, wenn ich gleich während des langen Feuers kartätschen¬ sicher zuweilen in einer Mauernische neben den Grenadieren saſs und in meinem Taschen¬ homer blätterte. Zu den russischen Arbeiten hatte der General Dutzende; zu den deutschen und französischen, die der Lage der Sachen nach nicht unwichtig seyn konnten, niemand als mich: das wird Igelström selbst, Apraxin, Pistor, Bauer und andere bezeugen. Als der Franzose Sion ankam, waren die wichtigsten Geschäfte schon gethan. Dafür wurde mirXII denn dann und wann ein Geiger vorgezogen, der einem der Subows etwas vorgespielt hatte. Das ist auch wohl anderwärts nicht ungewöhn¬ lich. Ich hatte das Schicksal gefangen zu wer¬ den. Der General Igelström schickte mich nach Beendigung der ganzen Geschichte mit ei¬ nem schwer verwundeten jungen Manne, der mein Freund und dessen Vater der seinige war, nach Italien, damit der Kranke dort die Bäder in Pisa brauchen sollte. Wir konnten nicht hin, weil die Franzosen alles besetzt hatten. Die Kaiserin starb; ich konnte unmöglich an dem Tage zurück auf meinem Posten seyn, den Paul in seiner Ukase bestimmt hatte, und wurde aus wenig Dienst geschlossen. Man hat in Ruſsland wenig schöne Humanität bey dem Anblick auf das flache Land. Schon vorher hen, ich halb entschlossen nicht zurückzuge¬ hen, und war es nun ganz. Der Kaiser gab mir auf meine sehr freymüthige Vorstellung an ihn selbst, da ich durchaus keinen Dienst¬ fehler gemacht hatte, endlich der förmlichen ehrenvollen Abschied, den mir der General Pahlen zuschickte. Es ist sonst GewohnheitXIII in Ruſsland, Offizieren, die einige Dienste ge¬ leistet haben, ihren Gehalt zu lassen; ich er¬ hielt nichts. Das war vielleicht so Geist der Periode, und es würde Schwachheit von mir seyn mich darüber zu ärgern. Wenn ich jetzt etwas in Anregung bringen wollte, würde man die Sache für längst antiquirt halten und der Sinn des Resultats würde heiſsen: Wir Lö¬ wen haben gejagt. — Ich will mir den Nach¬ satz ersparen. Wenn ich nicht einige Kennt¬ nisse, etwas Lebensphilosophie und viel Genüg¬ samkeit hätte, könnte ich den Rock des Kaisers um ein Stückchen Brot im deutschen Vater¬ lande umher tragen.
Ich habe mich in meinem Leben nie er¬ niedriget, um etwas zu bitten das ich nicht verdient hatte; und ich will auch nicht ein¬ mal immer bitten, was ich verdiente. Es sind in der Welt viele Mittel ehrlich zu le¬ ben: und wenn keines mehr ist, finden sich doch einige, nicht mehr zu leben. Wer nach reiner Ueberzeugung seine Pflicht gethan hat, darf sich am Ende, wenn ihn die Kräfte verlassen, nicht schämen abzutreten. XIVAuf Billigung der Menschen muſs man nicht rechnen. Sie errichten heute Ehrensäulen und brauchen morgen den Ostracismus für den nehmlichen Mann und für die nehmliche That.
Wenn ich vielleicht noch vierzig Jahre gelebt habe und dann nichts mehr zu thun finde, kann es wohl noch eine kleine Aus¬ flucht werden, die Winkel meines Gedächt¬ nisses aufzustäuben, und meine Geschichte zur Epanorthose der Jüngern hervor zu suchen. Jetzt will ich leben, und gut und ruhig le¬ ben, so gut und ruhig man ohne einen Pfen¬ nig Vorrath leben kann. Es wird gewiſs ge¬ hen wie es bisher gegangen ist: denn ich ha¬ be keine Ansprüche, keine Furcht und keine Hoffnung.
Was ich hier in meiner Reiseerzählung gebe, wirst Du, lieber Leser, schon zu sich¬ ten wissen. Ich stehe für alles was ich selbst gesehen habe, in so fern ich meinen Ansich¬ ten und Einsichten trauen darf: und ich ha¬ be nichts vorgetragen, was ich nicht von ziemlich glaubwürdigen Männern wiederholtXV gehört hätte. Wenn ich über politische Din¬ ge etwas freymüthig und warm gewesen bin, so glaube ich, daſs diese Freymüthigkeit und Wärme dem Manne ziemt; sie mag nun eini¬ gen gefallen oder nicht. Ich bin übrigens ein so ruhiger Bürger, als man vielleicht in dem ganzen Meiſsnischen Kreise kaum einen Thor¬ schreiber hat. Manches ist jetzt weiter gedie¬ hen und gekommen, wie es wohl zu sehen war, ohne eben besser geworden zu seyn. Machte ich die Ronde jetzt, ich würde wahrscheinlich mehr zu erzählen haben, und Belege zu meinen vorigen Meinungen geben können.
Freylich möchte ich gern ein Buch ge¬ macht haben, das auch ästhetischen Werth zeigte; aber Charakteristik und Wahrheit würde durch ängstliche Glättung zu sehr lei¬ den. Niemand kann die Sachen und sich selbst besser geben, als beyde de sind. Ich fühle sehr wohl, daſs diese Bogen keine Lektüre für Toiletten seyn können. Dazu müſste vie¬ les heraus und vieles hinein, und vieles müſste anders seyn. Wenn aber hier und daXVI ein guter, unbefangener, rechtlicher, entschlos¬ sener Mann einige Gedanken für sich und an¬ dere brauchen kann, so soll mir die Erinne¬ rung Freude machen.
Leipzig 1803.Seume.
Ich schnallte in Grimme meinen Tornister, und wir gingen. Eine Karavane guter gemüthlicher Leutchen gab uns das Geleite bis über die Berge des Mulden¬ thals, und Freund Groſsmann sprach mit Freund Schnorr sehr viel aus dem Heiligthume ihrer Göttin, wovon ich Profaner sehr wenig verstand. Unbemerkt suchte ich einige Minuten für mich, setzte mich Sankt Georgens groſsem Lindwurm gegen über und betete mein Reisegebet, daſs der Himmel mir geben möchte billige freundliche Wirthe und höfliche Thor¬ schreiber von Leipzig bis nach Syrakus, und zurück auf dem andern Wege wieder in mein Land; daſs er mich behüten möchte vor den Händen der monarchi¬ schen und demagogischen Völkerbeglücker, die mit gleicher Despotie uns schlichten Menschen ihr System in die Nase heften, wie der Samojete seinen Thie¬ ren den Ring.
Nun sah ich zurück auf die schöne Gegend, die schon Melanchthon so lieblich fand, daſs er dort zu leben wünschte; und überlief in Gedanken schnell alle glücklichen Tage, die ich in derselben genossen hatte: Mühe und Verdruſs sind leicht vergessen. Dort12stand Hohenstädt mit seinen schönen Gruppen, und am Abhange zeigte sich Göschens herrliche Siedeley, wo wir so oft gruben und pflanzten und jäteten und plau¬ derten und ernteten, und Kartoffeln aſsen und Pfir¬ schen: an den Bergen lagen die freundlichen Dörfer umher, und der Fluſs wand sich gekrümmt durch die Bergschluchten hinab, in denen mir kein Pfad und kein Eichbaum unbekannt war.
Die Sonne blickte warm wie im Frühling und wir nahmen dankbar und mit der heitersten Hoffnung der Rückkehr von unsern Begleitern Abschied. Noch ein¬ mahl sah ich links nach der neuen Mühle auf die gröſste Höhe hin, die uns im Gartenhause zu Hohen¬ städt so oft zur Gränze unserer Aussicht über die Thä¬ ler gedient hatte, und wir wandelten ruhig die Straſse nach Hubertsburg hinab. In Altmügeln empfing man uns mit patriarchalischer Herzlichkeit, bewirthete uns mit der Freundschaft der Jugend und schickte uns den folgenden Morgen mit einer schönen Melodie von Göthens Liede — Kennst du das Land? — unter den wärmsten Wünschen weiter nach Meiſsen, wo wir eben so traulich willkommen waren. Wenn wir uns doch die freundlichen Bekannten an der südlichen Küste von Sicilien bestellen könnten! Die Elbe rollte majestätisch zwischen den Bergen von Dresden hinab. Die Höhen glänzten, als ob eben die Knospen wieder hervorbrechen wollten, und der Rauch stieg von dem Fluſse an den alten Scharfenberg romantisch hinauf. Das Wetter war den achten December so schwül, daſs es unserm Gefühl sehr wohlthätig war, als wir aus der Sonne in den Schatten des Waldes kamen.
3Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen, wo ich damahls von Leipzig herauf wandelte, um ei¬ nige Stellen in Guischards memoires militaires nachzu¬ suchen, die ich dort nicht finden konnte. Auch in Dresden fand ich sie nicht, weil man sie einem Gene¬ ral in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner Rück¬ kehr traf ich den Freybeuter Quintus Icilius bey dem Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was in meinen Kram getaugt hätte. So macht man man¬ chen Marsch in der Welt wie im Kriege umsonst. Es wehte mich oft eine kalte, dicke, sehr unfreundliche Luft an, wenn ich einer Residenz nahe kam; und ich kann nicht sagen, daſs Dresden dieſsmahl eine Aus¬ nahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter bey Meiſsen gewesen war. Man trifft so viele trübse¬ lige, unglückliche, entmenschte Gesichter, daſs man alle fünf Minuten auf eins stöſst, das den Staupbesen verdient zu haben oder ihn eben zu applicieren bereit scheint: Du kannst denken, daſs weder dieser noch jener Anblick wohl thut. Viele scheinen auf irgend eine Weise zum Hofe zu gehören oder die kleinen Offizianten der Kollegien zu seyn, die an dem Stricke der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit grol¬ lend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Im¬ pertinenz ist bekanntlich am meisten unter dem Hof¬ gesinde der Groſsen zu Hause, das sich oft dadurch für die Miſshandlungen schadlos zu halten sucht, die es von der eben nicht feinen Willkühr der Herren erfahren muſs. Höflichkeit sollte vom Hofe kommen; aber das Wort scheint, wie viele andere im Leben,4 die Antiphrase des Sinnes zu seyn, und Hof heiſst oft nur ein Ort, wo man keine Höflichkeit mehr findet; so wie Gesetz oft der Gegensatz von Gerechtigkeit ist. Wehe dem Menschen, der zur Antichamber verdammt ist; es ist ein groſses Glück, wenn sein Geist nicht knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem ge¬ hörigen Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.
Eben komme ich aus dem Theater, wo man Groſsmanns alte sechs Schüsseln gab. Du kennst die Gesellschaft. Sie arbeitete im Ganzen gar nicht übel. Das Stück selbst war beschnitten worden, und ich er¬ wartete nach der Gewohnheit eine förmliche Komba¬ busierung, fand aber bey genauer Vergleichung, daſs man dem Verfasser eine Menge Leerheiten und Platt¬ heiten ausgemärzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn war. Verschiedene zu grelle Züge, die bey der ersten Erscheinung vor etwa fünf und zwanzig Jahren es viel¬ leicht noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es war auch mit der gewöhnlichen Dresdner Engbrüstig¬ keit manches weggelassen worden, was zur Ehre der liberalen Duldung besser geblieben wäre. Ich sehe nicht ein, warum man den Fürsten in einen König verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die eigen¬ mächtige Krönung eine so steife Gezwungenheit, daſs es bey verschiedenen Scenen sehr auffallend war. Wenn man in Königsstädten die Könige zu Fürsten machen wollte, würde dadurch etwas gebessert? Sind nicht beyde Fehlern unterworfen? Fürchtete man hier zu treffen? Die Furcht war sehr unnöthig; und der Charakter des wirklich vortrefflichen Churfürsten5 muſs eher durch solche Winkelzüge beleidiget werden. Man hat ihm in seinem ganzen Leben vielleicht nur eine oder zwey Uebereilungen zur Last gelegt, und davon ist keine in diesem Stücke berührt. Daſs man die Grobheiten der verflossenen zwanzig Jahre weg¬ wischt, hat moralischen und ästhetischen Grund: aber ich sehe nicht ein, warum die noch immer auffallenden Thorheiten und Gebrechen der Adelskaste nicht mit Freymüthigkeit gesagt, gerügt und mit der Geiſsel des Spottes zur Besserung gezüchtiget werden sollen. Wenn es nicht mehr trifft, ist es nicht mehr nöthig; daſs es aber noch nöthig ist, zeigt die ängstliche Be¬ hutsamkeit, mit der man die Lächerlichkeit des jüng¬ sten Kammerjunkers zu berühren vermeidet.
Christ, als Hofrath, sprach durchaus bestimmt und richtig, und seine Aktion war genau, gemessen, ohne es zu scheinen. Du kennst seinen feinen Takt. Madam Hartwig spielte seine Tochter mit ihrer ge¬ wöhnlichen Theatergrazie und an einigen Stellen mit ungewöhnlicher sehr glücklicher Kunst. Madam Och¬ senheimer fängt an eine ziemlich gute Soubrette zu werden, und verspricht in der Schule ihres Mannes viel gutes in ihrem Fache. Ochsenheimer war nicht zu seinem Vortheile in der Rolle des Herrn von Wils¬ dorf. Thering und Bösenberg kennst Du: beyde hat¬ ten, der erste als Philipp, der zweyte als Wunderlich, ein ziemlich dankbares Feld. Thering spielte mit seiner gewöhnlichen barocken Laune und muſste gefallen; aber Bösenberg that einen beleidigenden Miſsgriff, der ihm vielleicht nur halb zur Last gelegt werden kann. Wunderlich wollte für den gelieferten Wagen stande¬6 bene bezahlt seyn: und nun denke dir Bösenbergs ober¬ sächsische Aussprache hinzu, die so gern das Weiche hart und das Harte weich macht, und die noch dazu hier sehr markiert zu seyn schien. Der halblateinische Theil des Publikums lachte heillos, und mir kam es als eine Ungezogenheit der ersten Gröſse vor. Die übrigen Rollen waren leidlich besetzt. Auch Drewitz machte den Fritz nicht übel, weil er ihn schlecht machte. Aber Henke war ein Major wie ein Stall¬ knecht, und arbeitete oder vielmehr pfuschte zur gro¬ ſsen Belustigung aller Militäre, die um mich her im Parket saſsen. Der Fehler war nicht so wohl sein ei¬ gen, als des Direktoriums, das ihn zum Major ge¬ macht hatte. Non omnia possumus omnes; er macht den Becker Ehlers in einem Ifflandischen Stücke recht gut.
Man hatte uns bange gemacht, wir würden Schwierigkeiten wegen Oestreichischer Pässe haben; aber ich muſs die Humanität der Gesandschaft rüh¬ men. Herr von Büel, als Sekretär, nahm uns sehr gütig auf, und fertigte, da er unsere Wünsche bald abzureisen vernahm, mit groſser Freundlichkeit so¬ gleich selbst aus; und in einigen Stunden erhielten wir die Papiere, von dem Grafen Metternich unter¬ schrieben, durch alle Kaiserliche Länder.
Du kennst meine Saumseligkeit und Sorglosigkeit in gelehrten Dingen und Sachen der Kunst. Was soll ich Laie im Heiligthum? Die Galerie sah ich nicht, weil ich dazu noch einmahl hätte Schuhe anziehen müssen; den Antikensaal sah ich nicht, weil ich den Inspektor das erste Mahl nicht traf; und das übrige7 nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts; ein anderer wird Dir das alles weit besser erzählen und beschreiben.
Herrn Grassi besuchte ich, mehr in Schnorrs Ge¬ sellschaft und weil ich ihn ehedem schon in Warschau gesehen hatte, als weil ich mich sehr gedrängt ge¬ fühlt hätte seine Arbeiten zu sehen: und doch halte ich ihn für den besten Maler, den ich bis jetzt kenne. Er hat ein glühendes und doch sehr zartes Kolorit, mit einer richtigen interessanten Zeichnung. Mich däucht, er hat von dem strengen Ernst der al¬ ten ächten Schule etwas nachgelassen, und seine eigene blühende unaussprechlich reizende Grazie dafür aus¬ gegossen. Er hat mit besserm Glücke gethan, was Oeser in seiner letzten Manier thun wollte, durch wel¬ che er, wie die Kritiker der Kunst sehr gut wissen, unter die Nebulisten gerieth. Beyde schmeicheln; aber Grassi schmeichelt noch dem Kenner, und Oeser schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir noch manches von Warschau, wo wir beyde in der groſsen Krise der letzten Revolution Berührungspunkte fanden. Er hatte durch Teppers Fall einen Verlust von fünftausend Dukaten erlitten, und muſste wäh¬ rend der Belagerung bey dem Bürgerkorps als Korpo¬ ral zehn Mann kommandieren. Stelle Dir den sanf¬ ten Künstler auf einer Batterie mit einer Korporal¬ schaft wilder Polen vor, wo die kommenden Kugeln durchaus keine Weisung annehmen. Kosciuskos Freund¬ schaft und Kunstsinn brachten den guten Mann end¬ lich in Sicherheit, indem der General ihm Pässe zur Entfernung von dem schrecklichen Schauplatz aus¬8 wirkte und ihm selbst hinlängliche Begleitung gab, bis er nichts mehr zu befürchten hatte. Du kannst denken, daſs unser Freund Schnorr sich mit Enthu¬ siasmus an den Mann anschloſs; und die Herzlichkeit, mit der sich beyde einander öffneten, machte bey¬ den Ehre.
Heute früh wurde ich durch den Donner der Kanonen geweckt und erfuhr beym Aufstehen, daſs dem Hause ein Prinz geboren war. Vielleicht macht der Herr in seinem Leben nicht wieder so viel Lärm, als bey seiner Ankunft auf unserm Planeten. Die Fürsten dieses Hauses sind zum Glück ihrer Länder seit mehr als einem Jahrhundert meistens Kinder des Friedens. Dadurch werden ihre Verdienste gewiſs er¬ höht, und ihr Muth wird doch nicht mehr problema¬ tisch, als ob sie Schlachten gewännen.
Du weiſst, daſs Schreibseligkeit eben nicht meine Erbsünde ist, und wirst mir auch Deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, wenn ich Dir eher zu wenig als zu viel erzähle. Wenn ich recht viel hätte schreiben wollen, hätte ich eben so gut zu Hause in meinem Polstersessel bleiben können. Nimm also mit Frag¬ menten vorlieb, aus denen am Ende doch unser gan¬ zes Leben besteht. In Dresden miſsfiel mir noch zu¬ letzt gar sehr, daſs man zur Bequemlichkeit der An¬ kömmlinge und Fremden noch nicht die Straſsen und9 Gassen an den Ecken bezeichnet hat; ein Polizeyar¬ tikel, an den man schon vor zehn Jahren in kleinen Provinzialstädten sogar in Polen gedacht hat, und der die Topographie auſserordentlich erleichtert: und To¬ pographie erleichtert wieder Geschäfte.
Den letzten Nachmittag sah ich dort noch die Mengsche Sammlung der Gypsabgüsse. Schnorr wird Dir besser erzählen, von welchem Werth sie ist, und Küttner hat es, meines Wissens, schon sehr gut ge¬ than. Du weiſst, daſs ich hier ziemlich Idiot bin und mich nicht, in das Heiligthum der Göttin wage; ob ich gleich über manche Kunstwerke, zum Beyspiel über die Mediceerin, meine ganz eigenen Gedanken habe, die mir wohl schwerlich ein Antiquar mit sei¬ ner Aesthetik austreiben wird. Schon freue ich mich auf den Augenblick, wo ich das Original in Palermo sehen werde, wo es, wie ich denke, jetzt steht. Hier intressierten mich eine Menge Köpfe am meisten, die ich gröſsten Theils für römische hielt. Küttners Wunsch fiel mir dabey ein, daſs der Churfürst diese Sammlung zur Wohlthat für die Kunst mehr komplet¬ tieren möchte. Auch ist die Periode des Beschauens zu beschränkt, da sie den Sommer wöchentlich nur zwey Tage und den Winter öffentlich gar nicht zu se¬ hen ist. Einige Verordnungen die Kunst betreffend sind mir barock genug vorgekommen. Kein Künstler, zum Beyspiel, darf auf der Galerie ein Stück ganz fertig kopieren, wie man mich versichert hat. Dieſs zeigt eine sehr kleinliche Eifersucht. Es wäre für die Schule in Dresden keine kleine Ehre, wenn Kopien groſser Meister von dort kämen, die man mit den10 Originalen verwechseln könnte. Auch darf kein Ma¬ ler länger als die bestimmten zwey Stunden oben ar¬ beiten, welches für die Kopisten in Oehl eine Zeit ist, in welcher fast nichts gemacht werden kann. Aber das Künstlervolk mag seinen Muthwillen auch zuwei¬ len bis zur Ungezogenheit treiben; und es soll vor kur¬ zem ein nahmhafter Maler unsers deutschen Vater¬ landes seine Pinsel auf einem der schönsten Originale abgewischt haben um die Farben zu versuchen. Da würde mir Laien unwillkührlich der Knotenstock sich in der Faust geregt haben.
Den letzten Abend sahe ich noch eine Oper, die mit ziemlich vieler Pracht gegeben wurde. Mein Ge¬ dächtniſs ist wie ein Sieb; aber mich däucht, es war die Gräfin von Amalfi. Die Musik ist, wenn ich nicht irre, sehr eklektisch. Es war bey der Vorstel¬ lung kein einziger schlechter Sänger und Akteur; aber nach meiner Meinung auch kein einziger vortrefflicher, so sehr man auch in Dresden dieses behauptete. Die Schuld mag wohl mein gewesen seyn, da ich mich fast in jedem Fache eines bessern Subjekts unwillkührlich erinnerte.
In Pirna sahen wir ein Stündchen Herrn Sieg¬ fried, den du als den Verfasser von Siama und Galmori kennest und der uns mit einigen Bekannten an die Gränze brachte. Nun gieng es in die Höhe; und so mild es unten am Flusse gewesen war, so rauh war es oben, und in einigen Stunden hatten wir schon Schnee. Dieser vermehrte sich bis einige Stunden hinter Peterswalde, nahm sodann allmählich wieder ab und hörte bey Auſsig wieder ganz auf.
11Man hatte mir gar sonderbare Begriffe von den auffallenden Erscheinungen der Böhmischen Katholi¬ cität gemacht. Ich habe nichts bemerkt. Im Gegen¬ theil muſs ich sagen, es gefiel mir alles auſserordent¬ lich wohl. Unser Wirthshaus in Peterswalde war so gut, als man mit gehöriger Genüglichkeit es sich nur immer wünschen kann. Der Zollbeamte, der den Paſs bescheinigte, war freundlich. Die Mahlzeit war nicht übel und die Aufwärterin gar allerliebst niedlich und artig. Lache nur über diese Bemerkung von mir Griesgram. Man müſste eine sehr verstimmte unästhe¬ tische Seele haben, wenn man nicht lieber ein jun¬ ges, hübsches, freundliches Gesicht sähe, als ein altes, häſsliches, murrsinniges. Das Mädchen setzte ihr Sil¬ bermützchen vor einem Spiegel, der zwischen zwey Marienbildern hing, so reitzend unbefangen in Ord¬ nung, als ob sie sich in Ehren eine kleine Unordnung recht gern wollte vergeben lassen. Der Ketzer Schnorr sahe dem rechtgläubigen Geschöpf so enthu¬ siastisch in die Augen, als ob er sich eben zu ihr be¬ kehren oder sie wenigstens zum Modell nehmen woll¬ te. Ueberdieſs ist der böhmischdeutsche Dialekt bis Lowositz ziemlich angenehm und gurgelt die Worte nicht halb so dick und widrig hervor, wie der gebir¬ gische in Sachsen.
Der Weg von Peterswalde nach Auſsig ist rauh, aber schön; von Auſsig, wo man wieder an die Elbe kommt, romantisch wild, links und rechts an dem Fluſse hohe Berge mit Schluchten, Felsenwänden und Spitzen. Hier tönte mir die Klage über die Undisci¬ plin unserer sächsischen Landesleute ins Ohr, die in12 dem Bayerischen Erbfolgekriege zur Feuerung hier alle Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige hundert Schritte höher steigen, so hatten sie ganze Wälder. Das schmerzt mich in die Seele anderer. Wenn die Oestreicher es eben so schlimm machen, so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird un¬ sere Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwi¬ schen? Bey Lowositz endigen allmählich die Berge, und von da bis Eger hinauf und Leutmeritz hinab ist schönes, herrliches, fruchtbares Land, das zwey Stun¬ den hinter Budin nun ganz Ebene wird. In Budin, einem Orte wo allgemeine Verlassenheit zu seyn scheint, traf ich bey dem Juden Lasar Tausig eine kleine Sammlung guter Bücher an, und lieſs mir von ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen hatte, auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig möglichen Demonstration über das Daseyn Gottes geben.
Von Budin bis hierher stehen im Kalender sieben Meilen, und diese tornisterten wir von halb acht Uhr früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem ab, und saſsen doch noch über eine Stunde zu Mittage in ei¬ nem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen durchaus mit fasten und dafür funzig Kreuzer bezah¬ len muſsten; welches ich für einen Eyerkuchen in Böhmen eine stattliche Handvoll Geld finde. Da war13 es in Peterswalde verhältniſsmäſsig billiger und besser. Der Wirth zur goldenen Rose in Budin hatte ein gutes Haus von auſsen und ein schlechtes von innen. Eine Suppe von Kaldauen, altes dürres Rindfleisch und eine sehr zähe lederne Brate von einer Gans, die noch mit eine Retterin des Kapitols gewesen seyn mochte; noch schlechter waren die Betten: aber am schlechte¬ sten war der Preis. Die schlechten Sachen waren un¬ geheuer theuer, wovon ich schon vorher unterrichtet war. Aber Muſs ist ein Bretnagel, heiſst das Sprich¬ wort: er ist der Einzige in Budin, und mich däucht, schon Küttner hat gehörig sein Lob gesungen. Uebri¬ gens lasse ich die Qualität der Wirthshäuser mich we¬ nig anfechten. Das beste ist mir nicht zu gut, und mit dem schlechtesten weiſs ich noch fertig zu wer¬ den. Ich denke, es ist noch lange nicht so schlimm als auf einem englischen Transportschiffe, wo man uns wie die schwedischen Heringe einpökelte, oder im Zelte, oder auf der Brandwache, wo ich Stein zum Kopfkissen nahm, sanft schlief und das Donner¬ wetter ruhig über mir wegziehen lieſs.
In der Budiner Wirthsstube war ein Quodlibet von Menschen, die einander ihre Schicksale erzählten und hier und da zur Verschönerung wahrscheinlich etwas dazu logen. Einige Oestreichische Soldaten, Stallleute und ehemalige Stückknechte, die alle in der französischen Gefangenschaft gewesen waren, und ei¬ nige Sachsen von dem Kontingent machten eine er¬ bauliche Gruppe, und unterhielten die Nachbarn lang und breit von ihren ausgestandenen Leiden. Beson¬ ders machte einer der Soldaten eine so gräuliche Be¬14 schreibung von den Läusen im Felde und in der Ge¬ fangenschaft, daſs wir andern fast die Phthiriase davon hätten bekommen mögen. Mir war es nunmehr nur eine drollige Reminiscenz meiner ersten Seefahrt nach Amerika, wo die Engländer uns gar erbärmlich säuber¬ lich hielten, und wo wir, vom Kapitän bis zum Trommelschläger, der Thierchen auch eine solche Menge bekamen, daſs sie das Tauwerk zu zerfressen drohten. Ein Fuhrknecht erzählte dann unter andern toll genug, wie er und seine Cameraden in Iglau neu¬ lich einige Soldaten, in einem Streit wegen der Mäd¬ chen, gar furchtbar zusammen geprügelt hätten. Where there is a quarrel, there is always a lady in the case, dachte ich; gilt auch bey der Oestreichischen Bagage. Ein Soldat meinte, daſs die Fuhrknechte denn doch etwas sehr miſsliches und ungebührliches unternommen hätten, sich an den Vertheidigern des Vaterlandes zu vergreifen; die Geschichte würde ihnen am Ende bitter bekommen seyn. Ey was, versetzte der Fuhrknecht, es waren ja nur Legioner. Das ist etwas anders, erwiederte der Soldat beruhigt; das wa¬ ren nur Studenten und Kaufmannsjungen, die den dritten Marsch um das Butterbrot weinten wie die Hellerhuren; die kann man schon mit einer tüchtigen Tracht Schläge einweihen, um ihnen den Kitzel zu vertreiben.
In Prag registrierte uns eine Art von Thorschrei¬ ber gehörig ein, gab uns Quartierzettel und schickte unsere Pässe zur Vidierung auf das Polizeydirektorium. Die Herren der Polizey waren gegen alle Gewohnheit der Klasse in andern Ländern die Höflichkeit selbst,15 den andern Morgen war in zehn Minuten alles abge¬ than, und wir hatten unsern Bescheid bis Wien. Un¬ sere Bekannten wunderten sich sehr über unser Glück, da man noch kurz vorher Fremden mit Gesandschafts¬ pässen viele Schwierigkeiten gemacht hatte.
Das Theater hier ist polizeymäſsig richtig und nicht ohne Geschmack gebaut. Das Stück, das man gab, war schlecht, die Gesellschaft arbeitete nicht gut, und das Ballet ging nicht viel besser als das Stück. Der Gegenstand des letztern, das wilde Mädchen, war von dem Komponisten sehr gut ausgeführt; und es war Schade, daſs in der Vorstellung weder Charakter noch Takt richtig gehalten wurde. Guardasoni ist Unter¬ nehmer der beyden Abtheilungen des Theaters, sowohl der deutschen als der italiänischen. Die deutsche habe ich höchst mittelmäſsig gefunden, und die italiänische soll noch einige Grade schlechter seyn, die wir doch sonst in Leipzig bey ihm sehr gut besetzt und wohl geordnet fanden. Heute wurde Hamlet gegeben, und Du kannst Dir vorstellen, daſs ich nicht Lust hatte einen meiner Lieblinge gemiſshandelt zu sehen.
Die Bibliothek war geschlossen, weil sie in Feuers¬ gefahr gewesen war und man den Schaden ausbauet; und das wird länger dauern, als ich zu warten geson¬ nen bin. Der Bibliothekar, Rath Unger, der um Li¬ teratur und Aufklärung viel Verdienste und gegen Fremde groſse Gefälligkeit hat, würde indessen un¬ streitig die Güte gehabt haben uns die gelehrten Schä¬ tze zu zeigen, wenn wir ihn zu Hause getroffen hät¬ ten. Es ist bekannt, wie sehr sie im dreyſsigjährigen Kriege von den Schweden geplündert wurde, die durch16 Einverständniſs mit ihrer Parthey sogar die unterirdi¬ schen Gewölbe ausfindig zu machen wuſsten, um die versteckten Reichthümer hervorzuziehen. Durch die Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweyten hat die Bibliothek wieder auſserordentlich gewonnen; aber die aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben da¬ durch für die Literatur gröſserer Gefahr ausgesetzt, weil sie an einem einzigen Orte beysammen liegen. Der letzte Vorfall hat die Besorgniſs bestätigt und er¬ höht. Ein Glück war es, daſs eben damahls mehr als vierzig Menschen oben lasen, als durch die Nachläs¬ sigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die liberale Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu den musterhaftesten gehört, ihre Rettung.
Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und finster, und ich blickte nur durch Schneegestöber nach der Gegend hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin fiel. Die Kathedrale hat für die Liebhaber der Ge¬ schichte manches Merkwürdige. Die Begräbnisse der alten Herzoge von Böhmen gewähren, wenn man Musse hat, eine eigene Art von Genuſs; und das silberne Monument eines Erzbischofs ist vielleicht auch für den Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr es betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser Wenzel und Karls des Vierten, und fand, daſs die Zeiten der goldenen Bulle doch wohl nur für wenige Fürsten golden und für[die] ganze übrige Menschheit sehr bleyern waren. Schlicks des Ministers Grabmahl, gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein verdor¬ bener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde. 17Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken wollte.
Der gute Nepomuck auf der Brücke mit seiner ehrwürdigen Gesellschaft gewährt den frommen See¬ len noch viel Trost. Es scheint überhaupt in Prag, sowohl unter Katholiken als unter Protestanten, noch eine groſse Anzahl Zeloten zu geben: nur nicht unter den höhern Ständen, die in dieser Rücksicht die To¬ leranz selbst sind.
Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böh¬ men auf die Ebenen kam, und hoffte nun einen be¬ trächtlichen Grad von Wohlstand und Kultur zu fin¬ den, da der Boden rund umher auſserordentlich fruchtbar zu seyn schien. Aber meine Erwartung wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn, und waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man drosch in den Herrenhöfen auf vielen Tennen und die Bauernhäuser waren leer; die Einwohner schli¬ chen so niedergedrückt herum, als ob sie noch an dem härtesten Joche der Sklaverey zögen. Mich däucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten wenig gebessert worden, und höchst wahrscheinlich sind sie hier noch schwerer durch die Frohnen ge¬ drückt als irgendwo. Wo die Sklaverey systematisch ist, machen die Städte oft den Anhang des groſsen und kleinen Adels und theilen den Raub. Das schien hier der Fall. Alles war in Furcht als sich die Fran¬ zosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten, sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon ihre Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in218Rücksicht der Franzosen Recht hatte, ist eine an¬ dere Frage: ab er in seiner Freude bey der furchtba¬ ren Krise des Vaterlandes lag ein groſser Sinn, der wohl beherzigt zu werden verdiente, und der auch vielleicht den Frieden mehr beschleunigt hat als die verlornen Schlachten.
Die Leute jagen uns hier Angst ein, daſs rund umher in der Gegend Räuber und Mörder streifen. Das könnten sie nun wohl bleiben lassen; denn fort müssen wir. In Leutmeritz sollen über hundert sitzen, und in Prag nicht viel weniger. Die Auflö¬ sung der militärischen Korps ist immer von solchen Uebeln begleitet, so wie bey uns die Einrichtungen gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und ver¬ lasse mich etwas auf einen guten, schwerbezwingten Knotenstock, mit dem ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen nachstoſsen kann. Freund Schnorr wird auch das seinige thun, und so müssen es schon drey gut bewaffnete entschlossene Kerle seyn, die uns anfallen wollen. Wir sehen nicht aus als ob wir viel bey uns trügen, und auch wohl nicht, als ob wir das wenige das wir tragen so leicht hergeben würden[. ]
Wir nahmen den Segen unsrer Freunde mit uns und pilgerten von Prag aus weiter. Wo ich nichts gesehen habe, kann ich Dir natürlicher Weise nichts19 erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir Schinken oder Wurst oder beydes zugleich aſsen, kann Dir ziemlich gleichgültig seyn.
Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen, als wir durch Kolin und durch die Gegend des Schlachtfelds gingen. Daun wuſste alle seine Schlach¬ ten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen, und Friedrich erfuhr mehr als einmahl das gewaltige Genie dieses neuen Kunktators. Wäre er bey Torgau nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine zweyte Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von Kolin bis Czaſslau kam mir sehr angenehm vor, vor¬ züglich geben die Dörfer rechts im Thale einen schö¬ nen Anblick. Die vorletzte Anhöhe vor Czaſslau ge¬ währt eine herrliche Aussicht, rechts und links, vor¬ wärts und rückwärts, über eine fruchtbare mit Dör¬ fern und Städten besäete Fläche. Mich däucht, es wäre einer der besten militärischen Posten, so leicht und richtig kann man nach allen Gegenden hinab streichen: und mich sollte es sehr wundern, wenn der Fleck nicht irgend wo in der Kriegsgeschichte steht. Nicht weit von Kolin aſs ich zu Mittage in einem Wirthshause an der Straſse, ohne mich eben viel um die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in einer eigenen sehr gemischten Stimmung, nicht ohne einige Wehmuth, unter den furchtbaren Scenen der Vorzeit; da tönte mir aus einer Ecke des groſsen fin¬ stern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach ma¬ gische Musik zu. Ich gestehe Dir meine Schwachheit, ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin20 saſs an einem helleren Fenster uns gegen über und trocknete sich die Augen, und ein junges schönes Mäd¬ chen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit Mienen und Worten sanft zu zureden. Ich verstand hier und da in der Entfernung nur einiges aus der Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du weiſst, ehemahls etwas zu lernen genöthigt war. Die Empfindung bricht bey mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität allmächtig hinreiſst. Ich helfe wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der Ton des alten Instruments, welches ein goldhariger jun¬ ger Kerl in dem andern dunkeln Winkel spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und ihre eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den eigentlichen Nahmen des Instruments nicht nennen; am ähnlichsten war es der Russischen Balalaika.
Mich däucht, schon andere haben angemerkt, daſs die Straſse von Prag nach Wien vielleicht die be¬ fahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen, Wolle und Baumwolle: aber die meisten brachten Mehl in die Magazine bey Czaſslau und weiter hin nach der Gränze.
Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als die vorzüglichsten in Kredit, und wir hatten schon zwischen Dresden und Prag einmahl etwas cynisch essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns, daſs wir in Deutschbrot ein sehr gutes Haus finden würden: aber nie wurde eine so gute Hoffnung so21 schlecht erfüllt. Wir gingen in zwey, die eben keine sonderliche Miene machten, und konnten keine Stube erhalten: die Officiere, hieſs es, haben auf dem Durch¬ marsche alles besetzt. Das mochte vielleicht auch der Fall seyn; denn alles ging von der Armee nach Hause: deſswegen die sichern Wege. Im dritten legte ich miſsmüthig sogleich meinen Tornister auf den Tisch, und quartierte mich ein ohne ein Wort zu sagen. Der Wirth war ein Kleckser und nennte sich einen Maler, und seine Mutter ein Muster von einem alten, häſsli¬ chen, keifischen Weibe, das schon seit vierzig Jahren aus der sechsten Bitte in die siebente getreten war. Es erschienen nach uns eine Menge Juden, Glashänd¬ ler, Tabuletkrämer und Kastenträger aller Art, von denen einer bis nach Sibirien an den Jenisey zu han¬ deln vorgab. Die Gesellschaft trank, sang und zankte sich sehr hoch, ohne sich um meine Aesthetik einen Pfifferling zu bekümmern: und zur Nacht schichtete man uns mit den Hebräern so enge auf das Stroh, daſs ich auf dem brittischen Transport nach Kolumbia kaum drückender eingelegt war. Solche Abende und Nächte muſsten schon mit eingerechnet werden, als ich zu Hause den Reisesack schnallte.
In Iglau habe ich bey meinem Durchmarsch nichts gesehen, als den groſsen schönen hellen Markt, dessen Häuser aber in der Ferne sich weit besser ma¬ chen als in der Nähe, wie fast alles in der Welt, das ins Prächtige fallen soll, ohne Kraft zu haben. Ziem¬ lich in der Mitte des Markts steht ein herrliches Drey - faltigkeitsstück, von Leopold dem Ersten und Joseph dem Ersten, so christgläubig als möglich, aber traurig22 wie die Barbarey. Einige feine Artikel waren zer¬ spalten und bekleckst; aber die conceptio immaculata und die sponsa spiritus sancti standen unter dem Ave Maria zum Trost der Gläubigen noch fest und wohl erhalten. Es soll bey Iglau schon ein recht guter Wein wachsen; er muſs aber nicht in Menge kommen; denn ich habe in der Gegend nicht viel Weingärten gesehen. Eine halbe Stunde dieſseits Iglau stehen an der Gränze zwey Pyramiden nicht weit von einander, welche im Jahr 1750 unter Maria Theresia von den böhmischen und mährischen Ständen errichtet worden sind. Die Inschriften sind ächtes neudiplomatisches Latein, und schon ziemlich verloschen; so daſs man in hundert Jahren wohl schwerlich mehr etwas davon wird lesen können: und doch sind sie, wie gewöhn¬ lich, zum ewigen Gedächtniſs gesetzt. In Mähren scheint mir durchaus noch mehr Liberalität und Bon¬ hommie zu herrschen als in Böhmen.
Im Städchen Stannern müssen beträchtliche Wol¬ lenmanufakturen seyn; denn alle Fenster sind mit die¬ sen Artikeln behangen, und man trägt sehr viel Mü¬ tzen, Strümpfe, Handschuhe und dergleichen zu auſserordentlich niedrigen Preisen zum Verkauf herum. Ein gutes bequemes Wirthshaus, das erste, das wir seitdem wir aus Prag sind trafen, hatte den Ort gleich etwas mehr in Kredit bey uns gesetzt. Wenn man nicht mit Extrapost fährt, sondern zu Fuſse trotzig vor sich hin stapelt, muſs man sich sehr oft sehr huronisch behelfen. Meine gröſste Furcht ist indessen vor der etwas ekeln Einquartierung gewisser weiſser schwarz besattelter Thierchen, die in Polen vorzüglich gedei¬23 hen und auch in Italien nicht selten seyn sollen. Uebrigens ist es mir ziemlich einerley, ob ich mich auf Eyderdunen oder Bohnenstroh wälze: Sed quam misere ista animalcula excruciare possint, apud nautas expertus sum; darum haben ihnen auch vermuthlich die Griechen den verderblichen Nahmen gegeben.
Hier in Znaym muſste ich zum ersten Mahl Wein trinken, weil der Göttertrank der Germanen in Wal¬ halla nicht mehr zu finden war. Der Wein war das Maſs für vier und zwanzig Kreuzer sehr gut, wie mich Schnorr versicherte; denn ich verstehe nichts davon und trinke den besten Burgunder mit Wasser wie den schlechtesten Potzdamer. Hier möchte ich wohl woh¬ nen, so lieblich und freundlich ist die ganze Gegend, selbst unter dem Schnee. An der einen Seite stöſst die Stadt an ziemliche Anhöhen, und auf den andern, vorzüglich nach Oestreich, wird die Nachbarschaft sehr malerisch durch die Menge Weingärten, die alle an sanften Abhängen hin gepflanzt sind. Die beyden Klöster an den beyden Enden der Stadt sind, wie die meisten Mönchsitze, treffliche Plätze. Das eine nach der Oestreichischen Seite hat Joseph der Zweyte unter andern mit eingezogen. Die Gebäude desselben sind so stattlich, daſs man sie für die Wohnung keines kleinen Fürsten halten sollte. Im Kriege diente das Kloster zu verschiedenen Behufen; bald zum Magazin, bald zum Aufenthalt für Gefangene: jetzt steht es leer.
Die römische Ruine, die hier zu sehen ist, steht zwey Stunden vor der Stadt, rechts hinab in einer schönen Gegend. Da ich aber in Mähren keine rö¬ mischen Ruinen studieren will, wandelte ich meines24 Weges weiter. Ein hiesiger Domherr hat sie, wie ich höre, erklärt, auf den ich Dich mit deiner Neugier verweise. Wenn ich nach den vielen schönen Wein¬ feldern rund in der Gegend urtheile, und nun höre daſs die Ruine von einem Domherrn erklärt worden ist, so sollte ich fast blindlings glauben, sie müsse sich auf die Dionysien bezogen haben. Der Boden mit den groſsen weitläufigen Weinfeldern könnte, da er überall sehr gut zu seyn scheint, doch wohl besser an¬ gewendet werden als zu Weinbau. Die Armen müs¬ sen billig eher Brot haben als die Reichen Wein; und Aebte und Domherren können in diesem Punkte weder Sinn noch Stimme haben.
Auf der Gränze von Mähren nach Oestreich habe ich kein Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege merklich schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit den Weingärten scheint mir entsetzlich viel guter Boden verdorben zu seyn. Ich nehme die Sache als Philan¬ throp und nicht als Trinker und Procentist. Schlech¬ tes Pflaster, das seit langer Zeit nicht ausgebauet seyn muſs, gilt für Chauſsee.
Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier ist, davon will ich Dir zwey Beyspielchen erzählen. Ich bezahlte gestern meine Mittagsmahlzeit in guten Zehnern, die in Sachsen eben nicht sonderlich gut sind; das sah ein Tabuletkrämer, machte mich auf¬ merksam wie viel ich verlöre, und nahm hastig, da ich ihn versicherte ich könne es nicht ändern und achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner weg, und legte dem Wirth, der eben nicht zugegen war, neue schlechte Zwölfer dafür hin. Ein ander¬25 mahl fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlich¬ keit, Wohlhabenheit und sogar Ueberfluſs herrschte, und wo man uns sehr gut beköstigt hatte, wie hoch die Dukaten ständen? Mir fehlte kleines Geld. Der Wirth antwortete sehr ehrlich: Das kann ich Ihnen wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe seit vier Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes Geld und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der alten Taxe. Der Mann befand sich übrigens mit schlechtem Gelde und Papier sehr wohl und war zu¬ frieden, ohne sich um Dukaten zu bekümmern.
Den zweyten Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir die Nacht vorher in Stockerau schon ächt wienerisch gegessen und geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine Instanz ange¬ halten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich armer Teufel wurde hier in bester Form für einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen! Aber man muſste doch den casum in terminis gehabt haben. Mein ganzer Tornister wurde ausgepackt, meine weiſse und schwarze Wäsche durchwühlt, mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas franzö¬ sischer Konterband darin stecke: meine Taschen wur¬ den betastet und selbst meine Beinkleider fast bis an das heilige Bein durchsucht; alles sehr höflich. 26I must needs have the face of a smuggler. Meine Briefe wurden mir aus dem Taschenbuche genommen, und dazu muſste ich einen goldnen Dukaten eventuelle Strafe niederlegen, weil ich gegen ein Gesetz gesün¬ digt hatte, dessen Existenz ich gar nicht wuſste und zu wissen gar nicht gehalten bin. „ Du sollst kein versiegeltes Blättchen in deinem Taschenbuche tragen. “ Der Henker kann so ein Gebot im Dekalogus suchen. Aus besonderer Güte, und da man doch am Ende wohl einsah, daſs ich weder mit Brüſsler Kanten handelte noch die Post betrügen wollte, erhielt ich die Briefe nach drey Tagen wieder zurück, ohne weitere Strafe, als daſs man mir für den schönen vollwichtigen Duka¬ ten, nach der Kaisertaxe von welcher kein Kaufmann in der Residenz mehr etwas weiſs, neue blecherne Zwölfkreuzerstücke gab. Uebrigens ging alles freund¬ lich und höflich her, an der Barriere, auf der Post, und auf der Polizey. Wider alles Vermuthen beküm¬ merte man sich um uns nun mit keiner Sylbe weiter, als daſs man unsere Pässe dort behielt und sagte, bey der Abreise möchten wir sie wieder abholen. Sobald ich meine Empfehlungsbriefe von der Post wieder er¬ halten hatte, wandelte ich herum sie zu überliefern und meine Personalität vorzustellen. Die Herren wa¬ ren alle sehr freundschaftlich, und honorierten die Zettelchen mit wahrer Theilnahme. Ich könnte Dir hier mehrere brave Männer unserer Nation nennen, denen ich nicht unwillkommen war, und die ich hier zum ersten Mahl sah; aber Du bist mit ihrem Werth und ihrer Humanität schon mehr bekannt als ich.
Gestern war ich bey Füger, und hatte eine schöne27 Stunde wahren Genusses. Der Mann hat mich mit sei¬ nen Gesinnungen und seiner Handelsweise sehr inte¬ ressiert. Er hatte eben Geschäfte, und ich konnte da¬ her seine offene Ungezwungenheit desto besser bemer¬ ken: denn er besorgte sie so leicht, als ob er allein gewesen wäre, ohne uns dabey zu vernachlässigen. Wer in den Zimmern eines solchen Mannes lange Weile hat, für den ist keine Rettung. Er hatte so eben seinen Achilles bey dem Leichnam des Patroklus vollendet, der auch nun gezeichnet und in Kupfer gestochen werden soll. Ich hatte die Stelle nur noch einige Tage vorher in meinem Homer gelesen; Du kannst also denken, mit welcher Begierde ich an dem Stücke hing. Es ist ein bezauberndes Bild. Der junge Held in Lebensgröſse bey dem Todten, der bis an die Brust neben ihm sichtbar ist, scheint sich so eben von seinem tiefesten Schmerz zu erholen und Rache zu beschlieſsen. Die Figur ist ganz nackt, und scheint mir ein Meisterstück der Färbung und Zeich¬ nung; aber der Kopf ist göttlich. Du weiſst, ich bin nicht Enthusiast; aber ich konnte mich kaum im An¬ schauen sättigen. Wenn meine Stimme etwas gelten könnte, würde ich mit der himlisch jugendlichen Schönheit des Gesichts nicht ganz zufrieden seyn. Der Held, der hier vorgestellt werden sollte, ist nicht mehr der Jüngling, den Ulysses unter den Töchtern Lykomeds hervorsuchte: es ist der Pelide, der schon gefochten und gezürnt hat, der schon das Schrecken der Trojaner war. Um dieses zu seyn, scheint mir der Kopf noch zu viel aus dem Gynäceum zu haben. Mich däucht, der Mann sollte schon etwas vollende¬28 ter seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern, und überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst. Ein Sklave steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man Erstaunen und Furcht liest.
Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der Messiade. Hier hängt fast zu jedem Gesange eine Meisterzeichnung, an der sein Geist mit Liebe und Eifer gearbeitet hat. Er sagte mir, daſs er vor Angst einige Wochen nicht zum Entschlusse habe kommen können, was er mit dem Gedicht anfangen solle, bis auf einmahl die ganze Reihe der Scenen sich ihm dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vie¬ ren hat Göschen die Kupfer zu seiner schönen Aus¬ gabe erhalten. Es wäre werth, daſs Göschen mit sei¬ nem gewöhnlichen Enthusiasmus für Wahrheit und Schönheit in der Kunst mit wackern Künstlern sich entschlösse, sie dem Publikum alle mitzutheilen: aber die Unternehmung würde keinen kleinen Aufwand er¬ fordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte. Figuren und Gruppen sind vortreflich, die apostoli¬ schen Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Sa¬ tan gräſslich charakteristisch, ohne Karikatur. Vor¬ züglich hat mich gerüht das Blatt, wo der Apostel nach dem Tode des geliebten Lehrers den Weibern die Dornenkrone bringt. Die Stelle ist ein Meisterwerk des Pathos im Gedicht; das hat der Künstler gefühlt und sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe eingehaucht. Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom, und der Haupt¬ mann der Römer gleicht Einem, der in seinem Schrecken es noch zeigt, daſs er zu dem alten Kapitol29 gehört. Porcia ist ein göttliches Weib. Am wenig¬ stens hat mich das erste und letzte Blatt befriedigen wollen, weil ich mich mit der Personificierung der Gottheit nicht vertragen kann. Man nehme das Ideal noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter Olym¬ pius: und diesen will ich nicht haben; er ist mir nicht genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christli¬ chen Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten Lehre noch unser Bruder. Bis zu ihm kann sich un¬ sere Sinnlichkeit erheben, aber weiter nicht. Unsere Apostel und Heiligen sind die Götter und Heroen des alten Mythus. Bis zu Platos einzig wirklichem Wesen hat sich auch kein griechischer Künstler empor ge¬ wagt. Der olympische Jupiter ist der homerische. Ich wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde hier in diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre Arbeit finden, und Füger für die seinige.
Ich muſs Dir noch über zwey Stücke von Füger etwas sagen, die ich in den Zimmern des Grafen Fries antraf und die Du vielleicht noch nicht kennst. Der Graf erinnerte sich meiner mit Güte von der Akademie her, und seine Freundlichkeit und Gefällig¬ keit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten Genuſs hat, sind allgemein bekannt. Die beyden Ge¬ mälde sind ziemlich neu; denn das erste ist nur zwey Jahre alt und das zweyte noch jünger. Das erste ist Brutus der Alte, wie er seine Söhne verdammt; und der Moment ist das furchtbare: Expedi secures! Man muſs das Ganze mit Einem Blicke umfassen können, um die Gröſse der Wirkung zu haben, die der Künst¬30 ler hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die aus einander setzt, schwächt. Das Stück ist reich an Fi¬ guren; aber es ist keine müſsig: sie gehören alle zur Katastrophe, oder nehmen Antheil daran. Alles ist richtiger eigenthümlicher Charakter, vom Konsul bis zum Liktor. Alles ist ächt römisch, und schön und groſs. Ich darf nicht wagen zu beschreiben; es muſs gesehen werden. Vorzüglich rührend für mich war eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat: oder wenn er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger als bey ihm in der Erzählung. Ein ziemlich alter Mann steht mit seinen zwey Knaben in der Entfernung und deutet mit dem ganzen Ausdruck eines flammen¬ den Patriotismus auf den Richter und das Gericht hin, als ob er sagen wollte: Bey den Göttern, so müſste ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Va¬ ter und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.
Das zweyte Stück ist Virginius, der so eben seine Tochter geopfert hat, das Messer dem Volke und dem Decemvir zeigt, und als ein furchtbarer Prophet der künftigen Momente nur einen Augenblick da steht. Dieser Augenblick war einzig für den Geist des Künst¬ lers. Die beyden Hauptfiguren, Virginius und Appius Klaudius sind in ihrer Art vortreflich: aber unbe¬ schreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das ster¬ bende Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht mehr um den Vater, nicht um den tyrannischen Rich¬ ter, nicht um das Volk, um nichts was um sie her ge¬ schieht; sie sind ganz allein mit dem geliebten Leich¬31 nam beschäftiget. Eine so reitzende Verschlingung schwebte selten der Seele eines Dichters vor: nimm nun noch die Vollendung und Zartheit der Figuren und das Pathos des Augenblicks dazu. Es ist eine der schönsten Kompostionen aus der Seele eines Künslers, den der Genius der hohen und schönen Humanität belebte. Ich würde nieder knien und anbeten, wenn ich die Römer nicht besser kennte. Du weiſst aber schon hierüber meine etwas ketzerische Denkungsart. Als Philantrop betrachtet möchte ich lieber in Ruſs¬ land leben, an der Kette der dortigen Knechtschaft, als unter dem Palladium der römischen Freyheit. Be¬ schuldige mich nicht zu schnell eines Paradoxons. Wehe den neuen Galliern, wenn sie die altrömische Freyheit ihrer Nation oder gar ihren Nachbarn auf¬ dringen oder, wie Klopstock spricht, aufjochen wollen! Aber wo gerathe ich hin?
Fügers neuestes Werk, an dem er jetzt, wie ich höre, für den Herzog Albert von Sachsen-Teschen, arbeitet, ist ein Jupiter, der dem Phidias erscheint, um ihn zu seinem Bilde vom Olympus zu begeistern. Da es in die Höhe kommen soll, ist die Anlage etwas kolossalisch. Der Gedanke ist kühn, sehr kühn: aber Füger ist vielleicht gemacht solche Gedanken auszu¬ führen. Mit einer liebenswürdigen Offenheit gesteht der groſse Künstler, daſs er einige seiner herrlichsten Kompositionen aus Vater Wielands Aristipp genommen hat. Nun wünschte ich auch David einige Stunden so nahe zu seyn, wie ich es Füger war; und ich hoffe es soll mir gelingen.
Während der vierzehn Tage, die ich hier hause¬32 te, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, daſs dieses fast beständig so ist. Da ging ich denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle und etymologisierte eins. Vindobana, quia dat vinum bonum; Danubius, qui dat nubes; und dergleichen mehr: wer weiſs, ob die Römer bey ihrer Nomenkla¬ tur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer, Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenk¬ ten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tor¬ nister wieder packen müssen.
Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Na¬ tionaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt über die andern so sehr empor, daſs er durch seine Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die an¬ dern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist. Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe Dir, daſs es mir ungewöhnlich viel Vergnügen ge¬ macht hat; vielleicht schon deſswegen, weil es einen meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behan¬ delte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuſs hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind33 allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Cha¬ raktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Spra¬ che ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden. Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches; aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch lange einen groſsen Genuſs gewähren, Brock¬ mann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüg¬ lich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Lieb¬ haberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht für dieses Fach.
Die Italiäner sind verhältniſsmäſsig nicht besser. Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Ka¬ strat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarm¬ herzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, daſs es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit so traurige Miſsgriffe in die Aesthetik hat thun können. Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn, bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie können.
Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der Wien, wo er sich ein gar stattliches Haus gebaut hat, dessen Einrichtung mancher Schauspieldirektor mit Nutzen besuchen könnte und sollte. Der Mann kennt sein Publikum und weiſs ihm zu geben was ihm schmeckt. Sein groſser Vorzug ist Lokalität, deren er sich oft mit einer Freymüthigkeit bedient, die ihm selbst und der Wiener Duldsamkeit noch Ehre macht. Ich habe auf seinem Theater über die Nationalnarr¬ heiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen, ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung über Vermessenheit zuzuziehen. Mehrere seiner Stücke scheint er im eigentlichsten Sinne nur für sich selbst gemacht zu haben; und ich muſs bekennen, daſs mir seine barocke Personalität als Tyroler Wastel ungemei¬ nes Vergnügen gemacht hat. Es ist den Wienern von feinem Ton und Geschmack gar nicht übel zu neh¬ men, daſs sie zuweilen zu ihm und Kasperle heraus¬ fahren und das Nationaltheater und die Italiäner leer lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt verhält¬ niſsmäſsig weit besser, als jene für die Burg. Die Klei¬35 dung ist an der Wien meistens ordentlicher und ge¬ schmackvoller, als die verunglückte Pracht dort am Hofe, wo die Stiefletten des Heldengefolges noch manchmahl einen sehr ärmlichen Aufzug machen. So lange Schikaneder Possen, Schnurren und seine eigenen tollen Operetten giebt, wo der Wiener Dialekt und der Ton des Orts nicht angenehm mit wirkt, kann er auch Leute von gebildetem Geschmack einige Mahl vergnügen; aber wenn er sich an ernsthafte Stücke wagt, die höheres Studium und durchaus einen höheren Grad von Bildung erfodern, muſs der Versuch aller¬ dings immer sehr schlecht ausfallen. Aber hier wird er vielleicht sagen, ich arbeite für mein Haus: dawi¬ der ist denn nichts einzuwenden; nur möchte ich dann nicht zu seinem Hause gehören. Er will aber höchst wahrscheinlich für nichts weiter gelten, als für das Mittel zwischen Kasperle und der Vollendung der mi¬ mischen Kunst im Nationaltheater. Die Herren Kas¬ perle und Schikaneder mögen ihre subordinirten Zwe¬ cke so ziemlich erreicht haben; aber das Nationalthea¬ ter ist, so wie ich es sah, noch weit entfernt, dem er¬ sten Ort unsers Vaterlandes und der Residenz eines groſsen Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu machen.
Den Herrn Kasperle aus der Leopoldstadt hat, wie ich höre, der Kaiser zum Baron gemacht; und mich däucht, der Herr hat seine Würde so gut verdient, als die meisten, die dazu erhoben werden. Er soll über¬ dieſs das wesentliche Verdienst besitzen, ein sehr guter Haushalter zu seyn.
Ueber die öffentlichen Angelegenheiten wird in36 Wien fast nichts geäuſsert, und Du kannst vielleicht Monate lang auf öffentliche Häuser gehen, ehe Du ein einziges Propos hörst, das auf Politik Bezug hätte; so sehr hält man mit alter Strenge eben so wohl auf Or¬ thodoxie im Staate wie in der Kirche. Es ist überall eine so andächtige Stille auf den Kaffehäusern, als ob das Hochamt gehalten würde, wo jeder kaum zu ath¬ men wagt. Da ich gewohnt bin, zwar nicht laut zu enragieren, aber doch gemächlich unbefangen für mich hin zu sprechen, erhielt ich einige Mahl eine freund¬ liche Weisung von Bekannten, die mich vor den Un¬ sichtbaren warnten. In wie fern sie Recht hatten, weiſs ich nicht; aber so viel behaupte ich, daſs die Herren sehr Unrecht haben, welche die Unsichtbaren brauchen. Einmahl spielte meine unbefangene Sorg¬ losigkeit fast einen Streich. Du weiſst, daſs ich durch¬ aus kein Revolutionär bin; weil man dadurch meistens das Schlechte nur Schlimmer macht; ich habe aber die Gewohnheit die Wirkung dessen was ich für gut halte zuweilen etwas lauter werden zu lassen, als viel¬ leicht gut ist. So hat mir der Marseiller Marsch als ein gutes musikalisches Stück gefallen, und es begeg¬ net mir wohl, daſs ich, ohne eben irgend etwas zu den¬ ken, eben so wie aus irgend einem andern Musikstücke, einige Takte unwillkührlich durch die Zähne brumme. Dieſs geschah einmahl, freylich sehr am unrechten Orte, in Wien, und wirkte natürlich wie ein Dämpfer auf die Anwesenden. Mir war mehr bange für die guten Leute als für mich: denn ich hatte weiter kei¬ nen Gedanken, als daſs mir die Musik der Takte ge¬ fiel, und selbst diesen jetzt nur sehr dunkel.
37Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaf¬ ten, halb komischen Auftritts in einem Wirthshause, der auf die übergroſse Aengstlichkeit in der Residenz Bezug hatte. Ein alter ehrlicher, eben nicht sehr po¬ litischer Oberstlieutenant hatte während des Krieges bey der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht jovialisch lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz gerufen, und er fand da an öffent¬ lichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm sehr miſsbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann brach er bey einem Glase Wein ächt soldatisch laut hervor und sagte mit ganz drolliger Unbefangenheit: „ Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein ver¬ dammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine groſse Karthause? Man kommt ja hier in Gefahr das Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas gehört, daſs man überall lauern läſst: ist das wahr? Hole der Henker die Mummerey! Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut reden und lustig seyn. “ Du hättest die Gesichter der Gesell¬ schaft bey dieser Ouvertüre sehen sollen. Einige wa¬ ren ernst, die andern erschrocken; andere lächelten, andere nickten gefällig und bedeutend über den Spaſs: aber niemand schloſs sich an den alten Haudegen an. Ich werde machen, sagte dieser, daſs ich wieder zur Armee komme; Das todte Wesen gefällt mir nicht.
Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vor¬ gedrungen waren, soll sich, die Magnaten und ihre Kreaturen etwa ausgenommen, niemand vor dem Feinde gefürchtet haben: aber desto gröſser war die38 allgemeine Besorgniſs vor den Unordnungen der zu¬ rückgeworfenen Armee. Damahls fing Bonaparte eben an, etwas bestimmter auf seine individuellen Aussich¬ ten loszuarbeiten, und hat dadurch zufälliger Weise den Oestreichern groſse Angst und groſse Verwirrun¬ gen erspart.
Doktor Gall hat eben einen Kabinetsbefehl erhal¬ ten, sich es nicht mehr beygehen zu lassen, den Leu¬ ten gleich am Schedel anzusehen, was sie darin haben. Die Ursache soll seyn, weil diese Wissenschaft auf Materialismus führe.
Man sieht auch hier in der Residenz nichts als Papier und schlechtes Geld. Die Manege mit schlech¬ tem Gelde ist bekannt; man führt daran, so lange es geht. Das Kassenpapier ist noch das unschuldigste Mittel die Armuth zu decken, so lange der Kredit hält. Aber nach meiner Meinung ist für den Staat nichts verderblicher und in dem Staat nichts un¬ gerechter als eigentliche Staatspapiere, so wie unsere Staaten eingerichtet sind. Eingerechnet unsere Privi¬ legien und Immunitäten, die freylich eine Sottise des öffentlichen Rechts sind, zahlen die Aermeren fast durchaus fünf Sechstheile der Staatsbedürfnisse. Die Inhaber der Staatspapiere, sie mögen Namen haben wie sie wollen, gehören meistens zu den Reichen, oder wohl gar zu den Privilegiaten. Die Interessen werden wieder aus den Staatseinkünften bezahlt, die meistens von den Aermeren bestritten werden. Ein beliebter Schriftsteller wollte vor kurzem die Wohlthä¬ tigkeit der Staatsschulden in Sachsen dadurch beweisen, weil man durch dieses Mittel sehr gut seine Gelder39 unterbringen könne. Nach diesem Schlusse sind die Krankheiten ein groſses Gut für die Menschheit, weil sich Aerzte, Chirurgen und Apotheker davon nähren. Ein eigener Ideengang, den freylich Leute nehmen können, die ohne Gemeinsinn gern viel Geld sicher unterbringen wollen. Das Resultat ist aber ohne vie¬ les Nachdenken, daſs durch die Staatsschulden die Aermern gezwungen sind, auſser der alten Last, noch den Reichen Interessen zu bezahlen, sie mögen wollen oder nicht. „ Bey Steuerkataster, auf allgemeine Gerechtigkeit gegründet, wäre es anders. Aber jetzt haben die Reichen die Steuerscheine und die Armen zahlen die Steuern. Man kann diese Logik nur bey einem Kasten voll Steuerobligationen bündig finden. Wo hätte der Staat die Verbindlichkeit den Reichen auf Kosten der Armen ihre Kapitale zu verzinsen? Und das ist doch das Facit jeder Staatsschuld. Jede Staatsschuld ist eine Krücke, und Krücken sind nur für Lahme. Die Sache ist zu wichtig, sie hier weiter zu erörtern. Ich weise Dich vorzüglich auf Humes Buch als das beste, was mir über diesen Gegenstand bekannt ist.
Sonderbar war es, daſs man in dem letzten Jahre des Krieges bey der höchsten Krise Wien zum Waffen¬ platz machen wollte; das Schlimmste, was die Regie¬ rung für ihre Sache thun konnte. Wenn damahls die Franzosen den Frieden nicht eben so nöthig hatten wie die Deutschen, oder wenn Bonaparte andere Absich¬ ten hatte, als er nachher zeigte, so war das Unglück für die Oestreichischen Staaten entsetzlich. Was konnte man von den Vorspiegelungen erwarten? Es war be¬40 kannt, Wien hätte sich nicht acht Tage halten kön¬ nen; und welche Folgen hätte es gehabt, wenn es auf dem Wege der Gewalt in die Hände der Feinde ge¬ kommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, daſs es nicht dahin kommen würde; aber eben deſswegen waren die Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man hätte gleich mit Entschlossenheit der Maxime des Mi¬ nisters folgen können, dessen übrige Verfahrungsart ich aber nicht vertheidigen möchte. Hier hatte er ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte gewogen wä¬ ren: Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es ist manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, daſs die Kapitale so viel Einfluſs auf das Ganze haben.
Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich, wie Dir bekannt ist, nur selten eine glückliche Stim¬ mung; ich will Dir also, zumahl da das Feld hier zu groſs ist, darüber nichts weiter sagen: Du magst Dir von Schnorr erzählen lassen, der vermuthlich eher zu¬ rück kommt als ich.
Ich darf rühmen, daſs ich in Wien überall mit einer Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man vielleicht in Residenzen nicht so gewöhn¬ lich findet. Selbst die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen böotischen, aber auch ächt böo¬ tischen, Auftritt hatte ich den letzten Tag auf der ita¬ liänischen Kanzley. Hierher wurde ich mit meinem Passe von der Polizey um einen neuen gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er41 hatte meinen Paſs von Dresden schon vor sich in der Hand, als ich eintrat.
„ Währ üfs Aehr? “fragte er mich mit einem stier glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wie¬ ner Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Pro¬ vinz, so lange es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit ihrer Gutmüthigkeit haben mir nur selten das Gefühl rege gemacht, daſs ihre Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich that ein kur¬ zes Stoſsgebetchen an die heilige Humanität, daſs sie mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Na¬ men, indem ich auf den Paſs zeigte.
„ Wu will Aehr hünn? “
Steht im Passe: nach Italien.
„ Italien üſs gruhſs. “
Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.
„ Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Ge¬ süendel härümmer. “
Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Men¬ schen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und Wege gefunden mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zu¬ rück geschickt hätte: denn er war ja ein Stück von Minister. Ich suchte eine alte militärische Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich in Dresden muſs wohl wissen, was er thut und wem er seine Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte ich so bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von dem verschnittenen Haarschedel den polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um ein Paar derbe rindslederne Stiefeln geknöpft waren.
42„ Wu wüll Aehr weiter hünn? “
Vorzüglich nach Sicilien.
Er glotzte von neuem, und fragte:
„ Wafs wüll Aehr da machchen? “
Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit ge¬ sagt, daſs ich bloſs spazieren gehen wollte, um mir das Zwerchfell aus einander zu wandeln, das ich mir über dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammen ge¬ sessen hatte, so hätte der Mann höchst wahrscheinlich gar keinen Begriff davon gehabt und geglaubt, ich sey irgend einem Bedlam entlaufen.
Ich will den Theokrit dort studieren; sagte ich.
Weiſs der Himmel was er denken mochte; er sah mich an und sah auf den Paſs und sah mich wieder an, und schrieb sodann etwas auf den Paſs, welches, wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung ei¬ nes andern war.
„ Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uff¬ halten. “
Ich bin es nicht Willens, antwortete ich mit dem ganzen Murrsinn der düstern Laune, und bekomme hier auch nicht Lust dazu. Er beglotzte mich noch einmahl, gab mir den Paſs, und ich ging.
Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, daſs dieses durchaus sein Charakter sey, und daſs er bey dem Kaiser in gar groſsem Vertrauen und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und die Wiener und alle, die mit ihm zu thun haben. Sein Gesicht hatte das Gepräge seiner Seele, das konnte ich beym ersten Anblick se¬ hen, ohne jemahls eine Stunde bey Gall gehört zu43 haben. Seinen Namen habe ich geflissentlich ver¬ gessen, erinnere mich aber noch so viel, daſs er, nicht zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher, obgleich Prä¬ sident der italiänischen Kanzley war. Ist das der Vor¬ schmack von Italien? dachte ich; das fängt erbau¬ lich an.
Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die Kanzleystube, wo ausgefertigt wurde; und hier war der Revers des Stücks, ein ganz anderer Ton. Ich wurde so viel Euer Gnohden gescholten, daſs meine Bescheidenheit weder ein noch aus wuſste, und erhielt sogleich einen groſsen Realbogen voll Latein in ziem¬ lich gutem Stil, worin ich allen Ober - und Unteroffi¬ zianten des Kaisers im Namen des Kaisers gar nach¬ drücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsi¬ dent etwas höflicher gemacht hätte; es hätte mit der nehmlichen oder weit weniger Mühe für ihn und mich angenehmer werden können. Auf dem neuen Passe stand gratis und man foderte mir zwey Gulden ab, die ich auch, trotz der sonderbaren Hermenevtik des Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und froh war, daſs ich dem Uebermaſs der Grobheit und Höflichkeit zugleich entging.
Nun nahm ich von meinen alten und neuen Bekann¬ ten in der Kaiserstadt Abschied, packte meine Sieben¬ sachen zusammen und wandelte mit meinem neuen kaiserlichen Dokument Tages darauf fröhlichen Muthes44 die Straſse nach Steyermark. Schnorr hatte als Haus¬ vater billig Bedenken getragen, den Gang nach Hespe¬ rien weiter mit mir zu machen. Man hatte die Ge¬ fahr, die wohl ziemlich groſs war, von allen Seiten noch mehr vergröſsert; und was ich als einzelnes iso¬ liertes Menschenkind ganz ruhig wagen konnte, wäre für einen Familienvater Tollkühnheit gewesen. Kom¬ me ich um, so ist die Rechnung geschlossen und es ist Feyerabend: aber bey ihm wäre die Sache nicht so leicht abgethan. Er begleitete mich den zehnten Januar, an einem schönen hellen kalten Morgen eine Stunde weit heraus bis an ein altes gothisches Monu¬ ment, und übergab mich meinem guten Genius. Un¬ sere Trennung war nicht ohne Schmerz, aber rasch und hoffnungsvoll uns in Paris wieder zu finden.
Ich zog nun an den Bergen hin, die rechts im¬ mer gröſser wurden, dachte so wenig als möglich, denn viel denken ist, zumahl in einer solchen Stimmung und bey einer solchen Unternehmung, sehr unbequem, und setzte gemächlich einen Fuſs vor den andern im¬ mer weiter fort. Als die Nacht einbrach blieb ich in einem Dorfe zwischen Günselsdorf und Neustadt. So wie ich in die groſse Wirthsstube trat fand ich sie voll Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten. Die Remi¬ niscenzen der Wachstuben, wo ich ehemahls Amts we¬ gen eine Zeit lang jede dritte Nacht unter Tabaks¬ dampf und Kleinbierwitz leben muſste, hielten mich, daſs ich nicht sogleich zurück fuhr. Ich pflanzte mich in einen Winkel am Ofen, und lieſs ungefähr dreyſsig Wildlinge ihr Unwesen so toll um mich her treiben, daſs mir die Ohren gellten. Einige spielten Karten,45 andere sangen, andere disputierten in allen Sprachen der Pfingstepistel mit Mund und Hand und Fuſs. Da entstand Streit im Ernst und die Handfestesten schie¬ nen schon im Begriff, sich einander die Argumenta ad hominem mit den Fäusten zu applicieren, da fing ein alter Kerl an in der entferntesten Ecke der groſsen gewölbten Stube auf einer Art von Sackpfeife zu bla¬ sen, und alles ward auf einmahl friedlich und lachte. Bey dem dritten und vierten Takte ward es still; bey dem sechsten faſsten ein Paar Grenadiere einander un¬ ter die Arme und fingen an zu walzen. Der Ball ver¬ mehrte sich, als ob Hüons Horn geblasen würde; man ergriff die Mädchen und sogar die alte dicke Wirthin, und aller Zank war vergessen. Dann traten Solotän¬ zer auf und tanzten steyerisch, dann kosakisch, und dann den ausgelassensten ungezogensten Kordax, daſs die Mädchen davon liefen und selbst der Sakpfeifer aufhörte. Dann ging die Scene von vorn an. Man spielte und trank, und fluchte und zankte und drohte mit Schlägen, bis der Sackpfeifer wieder anfing. Der Mann war hier mehr als Friedensrichter, er war ein wahrer Orpheus. Der Wein, den man aus groſsen Glaskrügen trank, that endlich seine Wirkung; alles ward ein volles, groſses, furchtbar bacchantisches Chor. Hier nahm ich den Riemen meines Tornisters auf die linke Schulter, meinen Knotenstock in die rechte Hand und zog mich auf mein Schlafzimmer, wo ich ein herrliches Thronbette fand und gewiſs wie ein Fuhrknecht geschlafen hätte, wäre ich nicht von den Grenadieren durch eine förmliche Bataille geweckt worden. Der ehrliche Wirth machte den Leidenden,46 überall das sicherste bey militärischer Regierung, und hätte seinen kriegerischen Gästen wohl gern ihre Kreu¬ zer geschenkt, wenn sie ihn nur in Ruhe gelassen hätten. Ein Offizier, wie ich aus dem Ton vermuthe¬ te, mit dem er sprach, machte endlich um zwey Uhr Schicht, und es ward ruhig.
Den andern Morgen fand ich einen ehrsamen al¬ ten Mann bey seinem Weine sitzen, der den Kopf über die nächtliche Geschichte der Kriegsmänner schüttelte. Dieser erzählte mir denn einiges über die Einquartierung und klagte ganz leise, daſs sie der Ge¬ gend sehr zur Last wäre. Die Soldaten waren auf Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen war, und der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft sagte, bis nach Triest geführt werden solle. Vor der Hand wird er nur die Steinkohlen von Neustadt nach Wien bringen. Das Wasser aus den Bergen bey Neu¬ stadt und Neukirchen war so schön und hell, daſs ich mich im Januar hätte hinein werfen mögen. Schönes Wasser ist eine meiner besten Liebschaften, und über¬ all wo nur Gelegenheit war ging ich hin und schöpfte und trank. Du muſst wissen, daſs ich noch nicht so ganz diogenisch einfach bin aus der hohlen Hand zu trinken, sondern dazu auf meiner Wanderschaft eine Flasche von Resine gebrauche, die reinlich ist, fest hält und sich gefällig in alle Formen fügt. Eine Stun¬ de von Schottwien fängt die Gegend an herrlich zu werden; vorzüglich macht ein Kloster rechts auf einer Anhöhe eine sehr romantische Parthie. Das Ganze hat Aehnlichkeit mit den Schluchten zwischen Auſsig und Lowositz; nur ist das Thal enger und der Fluſs47 kleiner; doch sind die Berghöhen nicht unbeträchtlich und sehr malerisch gruppiert. Das Städtchen Schott¬ wien liegt an dem kleinen Flüſschen Wien zwischen furchtbar hohen Bergen, und macht fast nur eine ein¬ zige Gasse. Vorzüglich schön sind die Felsenmassen am Eingange und Ausgange.
Es hatte zwey Tage ziemlich stark gefroren und fing heute zu Mittage merklich an zu thauen, und jetzt schlagen Regengüsse an meine Fenster und das Wasser schieſst von den Dächern und der kleine Fluſs rauscht mächtig durch die Gasse hinab. Mir schmeckt der Horaz und die gute Mahlzeit hinter dem warmen Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich. Der Horaz schmeckt mir, das heiſst, viele seiner Verse; denn der Mensch selbst mit seiner Kriecherey ist mir ziemlich zuwider. Da ist Juvenal ein ganz anderer Mann, ne¬ ben dem der Oktavianer wie ein Knabe steht. Es ist vielleicht schwer zu entscheiden, wer von beyden den Anstand und die Sitten mehr ins Auge schlägt, ob Horazens Kanidia oder Juvenals Fulvia; es ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen beyden zum Vor¬ theil des letztern. Wo Horaz zweydeutig witzelt oder gar ekelhaft schmutzig wird, sieht man überall, daſs es ihm gemüthlich ist, so etwas zu sagen; er gefällt sich darin: bey Juvenal ist es reiner tiefer moralischer Ingrimm. Er beleidigt mehr die Sitten als jener; aber bey ihm ist mehr Sittlichkeit. Horaz nennt die Sache noch feiner und kitzelt sich; Juvenal nennt sie wie sie ist, aber Zorn und Unwille hat den Vers gemacht.
Ein Felsenstück hängt drohend über das Haus her, in welchem ich übernachte. Hier fängt die Gegend48 an, die, wie ich erinnere, schon andere mit den schönsten in der Schweiz verglichen haben. Wie wird es aber auf den steyermärkischen Wegen werden, vor denen mir schon in Wien selbst Eingeborene bange machen wollten? Es kann nun nichts helfen; nur Muth, damit kommt man auch in der Hölle durch. Zwischen Neustadt und Neukirchen, einer langen lan¬ gen Ebene zwischen den Bergen, die sich hinter dem letzten Orte mehr und mehr zusammen schlieſsen, be¬ gegnete mir ein starkes Kommando mit Gefangenen. Der letztern waren wohl einige Dutzend; eine sehr gute Aussicht. Einige waren schwer geschlossen und klirrten trotzig mit den Ketten. Die Meisten waren Leute, welche die Straſsen unsicher gemacht hatten. Aber desto besser, dachte ich; nun sind der Schurken weniger da; und diese werden gewiſs nicht so bald wieder losgelassen. In Wien und hier auf dem Wege überall wurde erzählt, daſs man die Preſsburger Post angefallen, ausgeplündert und den Postillon und den Schaffner erschlagen habe. Auch bey Pegau, nicht weit von Gräz, war das nehmliche geschehen. Das waren aber gewiſs Leute, die vorher gehörig rekognos¬ ciert hatten, daſs die Post beträchtliche Summen führ¬ te, die sich auch wirklich zusammen über hundert und dreyſsig tausend Gulden belaufen haben sollen. Bey mir ist nicht viel zu rekognoscieren; mein Homer und meine Gummiflasche werden wenig Räuber in Versuchung bringen.
Von Schottwien bis hierher war heute in der Mitte des Januars eine tüchtige Wandlung. Der Sömmering ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweyte Hälfte der Nacht entsetzlich geschneyt; der Schnee ging mir hoch an die Waden; ich wuſste keinen Schritt Weg, und es war durchaus keine Bahn. Einige Mahl lief ich den Morgen noch im Finstern unten im Thal zu weit links, und muſste durch Verschläge in dem tie¬ fen Schnee die groſse Straſse wieder suchen. Nun ging es bergan zwey Stunden, und nach und nach ka¬ men einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeig¬ ten mir wenigstens, daſs ich dort hin muſste, wo sie kerkamen. Links und rechts waren hohe Berge, mit Schwarzwald bewachsen, der mit Schnee behangen war; und man konnte vor dem Gestöber kaum zwan¬ zig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen begeg¬ neten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten Wege nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht, und überdieſs waren die Gleise entsetzlich ausgeleyert. Herren und Bedienten waren abgestiegen und halfen fluchend dem Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor Schritt weiter hinauf winden. Ich wechselte die Schluchten bergauf bergab, und trabte zum groſsen Neide der dick bepelzten Herren an dem englischen Wagen fürbaſs. Ein andermahl rollten sie vor mir vorbey, wenn ich langsam fort zog. So gehts in der Welt: sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf die¬ ser Seite des Sömmerings kommt aus verschiedenen450Schluchten die Wien herab; und auf der zweyten Hälfte der Station, nach Mürzzuschlag, nachdem man den Gipfel des Berges erstiegen hat, kommt eben so die Mürz hervor, und ist in einer Stunde schon ein recht schöner Bach. Bey Mürzzuschlag treibt sie fast alle hundert Schritte Mühlen und Hammerwerke bis herab nach Krieglach, wo sie gröſser wird, nun schon ei¬ nen ansehnlichen Fluſs bildet, und nur mit Kosten ge¬ braucht werden kann. Es ist angenehm, die Industrie zu sehen, mit welcher man das kleine Wässerchen zu seinen Behufen zu leiten und zu gebrauchen weiſs; und die kleinen Thäler an dem Flusse herunter sind auſserordentlich lieblich, und machen auch unter dem Schnee mit ihren fleiſsigen Gruppen ein schönes Winterbild.
Die Wörter Mürzzuschlag und Krieglach klangen mir nach den Wiener Mordgeschichten gar sehr wie nomina male ominata, deren Etymologie ich mir gern hätte erklären lassen, wenn ich nicht zu faul gewesen wäre irgend einen Pastor aufzusuchen: und ich war herzlich froh, als ich gegen Abend so ziemlich aus der abenteuerlichen Gegend heraus war. Es ist etwas sehr gewöhnliches, daſs man einem Gaste, wenn er die Zeche bezahlt hat und abzieht, glückliche Reise wünscht, und man denkt nicht viel dabey: aber Du kannst nicht glauben, wie angenehm es ist, wenn es in einer solchen Lage, im Januar wenn der Sturm den Schnee 'gegen die Felsen jagt, mit Theilnahme von einem artigen hübschen Mädchen geschieht, zu¬ mahl wenn man den Kopf voll Räuber und Marodeurs hat.
Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen; die Stadt und die Leute gefallen mir. Du weiſst, daſs der Ort auf den beyden Seiten der Murr sehr ange¬ nehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen An¬ blick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist. Von Schottwien aus machte ich den er¬ sten Tag mit vieler Anstrengung nur fünf Meilen; und den zweyten mit vieler Leichtigkeit sieben: aber den ersten stieg ich in dem entsetzlichsten Schneegestöber an der Wien bergauf; und den zweyten ging ich bey ziemlich gutem Wetter an der Mürz bergab. Es ist ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren Quellen zu sehen und ihnen zu folgen bis sie Flüsse werden. Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muſs die er¬ ste Meile schöne Forellen haben. Man hat mich zwar gewarnt, nicht in der Nacht zu gehen, und mich däucht, ich habe es versprochen: aber ich habe bis jetzt doch schon zwey Mahl dagegen gesündiget, und bin über eine Stunde die Nacht gelaufen. Indessen wer wird gern in einer schlechten Kabacke übernach¬ ten, wenn man ihm sagt, eine Meile von hier findet ihr ein gutes Wirthshaus.
An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in einem kleinen Städtchen gar köstlich bewirthet, und bezahlte nicht mehr als achtzehn Kreuzer. Das that meiner Philanthropie sehr wohl; denn Du weiſst, daſs ich mir aus den Kreuzern so wenig mache wie aus den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch natürlich52 auf die schöne Tugend der Billigkeit und auf die un¬ billige Forderung, daſs alle Richter als Richter sie ha¬ ben sollen. Billigkeit ist die Nachlassung von seinem eigenen Rechte: und nun frage ich Dich, ob ein Rich¬ ter dabey etwas zu thun hat? Nur die Partheyen können und sollen billig seyn. Bey billigen Richtern wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirths¬ hause nieder, und legte das Resultat derselben in mein Taschenbuch über die Billigkeit.
Jeder soll billig seyn für sich; das ist menschlich, das ist schön: aber alle müssen gerecht seyn gegen alle; das ist nothwendig, sonst kann das Ganze nicht bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Rich¬ ter, oder seine Gesetze sind sehr mangelhaft. Die Billigkeit des Richters wäre ein Eingriff in die Gerech¬ tigkeit. Zur Gerechtigkeit kann, muſs der Mensch gezwungen werden; zur Billigkeit nicht: das ist in der Natur der Sache gegründet. Wo die Partheyen billig seyn wollen, handelt der Richter nicht als Richter, sondern als Schiedsmann. Die Gerechtigkeit ist die erste groſse göttliche Kardinaltugend, welche die Menschheit weiter bringen kann. Nicht die Gerech¬ tigkeit, die in den zwölf Tafeln steht und die nach¬ her Justinian lehren lieſs. Jeder unbefangene Ge¬ schichtsforscher weiſs, was die Zehnmänner waren, was sie für Zwecke hatten und wie sie zu Werke gin¬ gen, und wie viel Unsinn Papinian von der Toilette der heiligen Theodora annehmen muſste. Nicht die Gerechtigkeit unserer Fürsten, die einige tausend Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie ihnen ein Schwein jagen, das ein Jägerbursche zum Probeschuſs tödten könnte. An der Seine erschien vor einigen Jahren eine Morgenröthe, die sie hervorzufüh¬ ren versprach. Aber die Morgenröthe verschwand, es folgten Ungewitter, dann dicke Wolken und endlich54 Nebeltage. Es war ein Phantom. Wenn Du Gerech¬ tigkeit in Gesetzen suchst, irrest Du sehr; die Gesetze sollen erst aus der Gerechtigkeit hervor gehen. Du kannst hier, wie in manchem unserer Institute, schlie¬ ſsen: je mehr Gesetze, desto weniger Gerechtigkeit; je mehr Theologie, desto weniger Religion; je längere Predigten, desto weniger vernünftige Moral. Mit unserer bürgerlichen Gerechtigkeit geht es noch so ziemlich; denn die Gewalthaber begreifen wohl, daſs ohne diese durchaus nichts bestehen kann, daſs sie sich ohne die¬ selbe selbst auflösen: aber desto schlimmer sieht es mit der öffentlichen aus; und mich däucht, wir wer¬ den wohl noch einige platonische Jahre warten müssen, ehe es sich damit in der That bessert, so oft es sich auch ändern mag. Dazu ist die Erziehung des Men¬ schengeschlechts noch zu wenig gemacht, und diejeni¬ gen, die sie machen sollen, haben zu viel Interesse sie nicht zu machen, oder sie verkehrt zu machen. So bald Gerechtigkeit seyn wird, wird Friede seyn und Glück: sie ist die einzige Tugend, die uns fehlt. Wir haben Billigkeit, Groſsmuth, Menschenliebe, Gnade, Erbarmung genug im Einzelnen, bloſs weil wir im Allgemeinen keine Gerechtigkeit haben. Die Gnade verderbt alles, im Staate und in der Kirche. Wir wollen keine Gnade, wir wollen Gerechtigkeit; die Gnade gehört bloſs für Verbrecher; und meistens sind die Könige ungerecht, wo sie gnädig sind. Wer den Begriff der Gnade zuerst ins bürgerliche Leben und an die Thronen der Fürsten getragen hat, soll verdammt seyn von bloſser Gnade zu leben: vermuth¬ lich war er ein Mensch, der mit Gerechtigkeit nichts55 fordern konnte. Aus Gnaden wird selbst kein guter, rechtlicher, vernünftiger Mann selig werden wollen, und wenn es auch ein Dutzend Evangelisten sagten. Es ist ein Widerspruch; man lästert die Gottheit, wenn man ihr solche Dinge aufbürden will. Aber, lieber Freund, wo gerathe ich hin mit meinem Eifer in Gräz?
Mit diesen und ähnlichen Gedanken, die ich Dir hier nicht alle herschreiben kann, lief ich immer an der Mürz hinunter, kam in Brüg an die Murr und pilgerte an dem Flusse hinab. Schon zu Neukirchen waren mir eine Menge Wagen begegnet, die leer zu seyn schienen und doch auſserordentlich schwer gingen. Auf dem Sömmering traf ich noch mehr, und ent¬ deckte nun, daſs sie Kanonen führten, die sie höchst wahrscheinlich von Gräz und noch weiter von der ita¬ liänischen Armee brachten und deren Lavetten ver¬ muthlich verbraucht waren. Vor Einem Wagen zogen oft sechzehn Pferde, und der Wagen waren mehr als hundert. Für mich hatten sie den Vortheil, daſs sie Bahn machten. Hier und da war auch Bedeckung; und Soldaten mit Gewehr sehe ich als Reisender jezt immer gern: denn im Allgemeinen darf man anneh¬ men, diese sind ehrliche Leute; die Schlechten behält man in der Garnison und läſst sie nicht mit Gewehr im Lande herum ziehen.
Den zehnten um neun Uhr aus Wien, und den vierzehnten zu Mittage in Gräz, heiſst im Januar im¬ mer ehrlich zu Fuſse gegangen. Die Thäler am Flusse herunter sind fast alle romantisch schön, die Berge von beträchtlicher Höhe. Noch eine Meile von Brüg,56 gleich an dem Ufer der Mürz, steht ein schönes Land¬ haus; auf der einen Seite desselben siehst Du auf der Gartenmauer Pomona mit ihrem ganzen Gefolge in sehr grotesken Statüen abgebildet, und auf der andern die Musik mit den meisten Instrumenten nach der Reihe noch grotesker und fast an Karikatur gränzend. Das Ganze ist schnakisch genug, und thut eine possier¬ lich angenehme Wirkung. Der Trägerin des Füllhorns fehlte der Kopf, und da die ganze Gesellschaft ziem¬ lich beschneyt war, konnte man nicht entdecken, ob er abgeschlagen war oder ob man sie absichtlich ohne Kopf hingestellt hatte. Die Oerter in der Gegend ha¬ ben alle das Ansehen der Wohlhabenheit.
Bey Röthelstein beschwerte sich ein Landmann, mit dem ich eine Meile ging, über den Schaden, den die Wölfe und Luchse anrichteten, die aus den Ber¬ gen herab kämen. Der Schnee ward hoch und die Kälte schneidend, und ich eilte nach Pegau, bloſs weil der Ort für mich einen vaterländischen Namen hatte. Aber das Quartier war so traurig als ich es kaum auf der ganzen Reise angetroffen hatte. Man sperrte mich mit einem Kandidaten der Rechte zusammen, der aus der Provinz nach Gräz zum Examen ging und der mich durch seine drolligen Schilderungen der öffentli¬ chen Verhältnisse in Steyermark, für das schlechte Wirthshaus entschädigte. Er hatte viel Vorliebe für die Tyroler, ob er gleich ein Steyermärker war, und lobte Klagenfurt nach allen Prädikamenten. Mit ihm ging ich vollends hierher.
Gräz ist eine der schönsten groſsen Gegenden, die ich bis jetzt gesehen habe; die Berge rund umher ge¬57 ben die herrlichsten Aussichten, und müssen in der schönen Jahrszeit eine vortrefliche Wirkung thun. Das Schloſ[s], auf einem ziemlich hohen Berge, sieht man sehr weit; und von demselben hat man rund umher den Anblick der schön bebauten Landschaft, die durch Flüsse und Berge und eine Menge Dörfer herrlich gruppiert ist. Als ich oben in das Schloſsthor trat, stand ein Korporal dort und pfiff mit groſser Andacht eines der besten Stücke aus der Oper die Krakauer, welche die letzte Veranlassung zum Ausbruch der Re¬ volution in Warschau war. Da ich die Oper dort ge¬ nossen und das darauf folgende Trauerspiel selbst mit¬ gemacht hatte, so kannst Du denken, daſs diese Mu¬ sik hier in Gräz ganz eigen auf mich wirkte. Eben diese Melodie hatte mich oft so sehr beschäftigt, daſs ich manchmahl in Versuchung gewesen war, für mich selbst einen eigenen Text darauf zu machen, da ich das Polnische nicht sonderlich verstehe. Die Gefäng¬ nisse des Schlosses sind jetzt voll Verbrecher, die mir mit ihren Ketten entgegen klirrten. Das Spital, gleich unten am Schloſsberge, ist von Joseph dem Zweyten, ein stattliches Gebäude; und das neue sehr geschmack¬ volle Schauspielhaus, mit einer kurzen ächt lateinischen Inschrift, von den Ständen. Herr Küttner spricht schon ziemlich gut von dem hiesigen Theater, und ich habe sein Urtheil völlig richtig gefunden. Man gab eine neue Bearbeitung des alten Stücks der Teufel ist los. Der Text hält freylich, wie in den meisten Opern keine Kritik. Schade daſs man nicht in dem Tone fortgefahren ist, den Weiſse angeschlagen hatte. Es hätten eine Menge zu niedriger Redensarten ausge¬58 merzt werden sollen. Die Musik war eklektisch und gab Reminiscenzen, war aber sehr gefällig, und schon mehr italiänisch als deutsch. Der Gesang war besser, als ich ihn seit Guardasonis schöner Periode irgend wo gehört habe. Das Personale ist ziemlich gut be¬ setzt, und vorzüglich das weibliche nicht so ärmlich als in Dresden und Wien. Das einzige was mir miſs¬ fiel waren die Furien und Teufel, welche durchaus aussahen wie die Kohlenbrenner vom Blocksberge.
In einer Prolepse muſs ich Dir, nicht ganz zur Ehre unserer Mitbürger, sagen, daſs ich auf meiner ganzen Wanderschaft kein so schlechtes Schauspielhaus gesehen habe, als bey uns in Leipzig. Hier in Oest¬ reich und durch ganz Italien und auch in Frankreich sind überall gehörige bequeme Vorzimmer am Ein¬ gange, und die meisten haben Kaffeehäuser von meh¬ rern Piecen, wo man Erfrischungen aller Art und gut haben kann. Bey uns wird das Publikum in einem schlechten Winkel ziemlich schlecht bedient, und für Bequemlichkeit und Vergnügen derjenigen, die nun gerade diese Scene oder diesen Akt nicht sehen wol¬ len, ist gar nicht gesorgt. An Feuersgefahr scheint man eben so wenig gedacht zu haben, und sperrt das Publikum auf Gnade und Ungnade ohne Rettung und Ausflucht zusammen.
Die Gräzer sind ein gutes, geselliges, jovialisches Völkchen; sie sprechen im Durchschnitt etwas besser deutsch als die Wiener. Der Adel soll viel alten Stolz haben. Das ist nun so überall sein Geist, etwas grö¬ ber oder feiner; ausgenommen vielleicht in groſsen Städten und groſsen Residenzen, wo sich die Menschen59 etwas mehr an einander schleifen und abglätten. Längs der Mürz und der Murr herunter giebt es links und rechts noch manche alte Schlösser, die aber, dem Himmel sey Dank, immer mehr und mehr in Rui¬ nen sinken. Ihr Anblick erhöht nur noch das Ro¬ mantische. Von Iffland, der voriges Jahr auch hier war, spricht man so wohl hier als in Wien noch mit Enthusiasmus. An der Wirthstafel erzählten einige Gäste vom Lande viel von der Bärenjagd und den Abenteuern die es dabey gäbe. Ich glaubte immer, diese Art von Pelzwerk wäre jezt nur noch in Polen und jenseits zu Hause; aber voriges Jahr wurden hier in der Gegend zwölfe geschossen, und auch diesen Jahrgang schon wieder mehrere. Vor einigen Jahren wurde eine Bärin erlegt, die Junge hatte, und auf ei¬ nen Hof geschafft. Kurze Zeit nachher folgten die Jungen der Fährte der todten Mutter und setzten sich vor dem Hofe auf einen alten Lindenbaum, wo sie sich endlich ruhig fangen lieſsen. Die Gärten und der Lindenberg waren verschneyt, so daſs ich diese Vergnügungsörter nur von weitem sah.
Hier mache ich, wenn Du erlaubst, wieder eine Pause und lasse meine Hemden waschen und meine Stiefeln besohlen.
Von Gräz aus war es sehr kalt und ward immer kälter. Die erste Nacht blieb ich in Ehrenhausen, einem ganz hübschen Städtchen das seinem Namen60 Ehre macht, wo ich von meiner lieben Murr Abschied nahm. Der Ofen glühte, aber das Zimmer ward nicht warm. Der Weg von Ehrenhausen nach Mahrburg ist ein wahrer Garten, links und rechts mit Obstpflan¬ zungen und Weinbergen. Auch Mahrburg ist ein ganz hübscher Ort an der Drawa, und die Berge an dem Flusse hinauf und hinab sind voll der schönsten Wein¬ gärten. Eine herrliche ökonomische Musik war es für mich, daſs die Leute hier überall links und rechts auf Bohlentennen droschen. Man kann sich keinen traulichern Lärm denken. Das Deutsche hörte nunmehr unter den gemeinen Leuten auf und das Italiänische fing nicht an: dafür hörte ich das kraine¬ rische Rothwelsch, von dem ich nur hier und da et¬ was aus der Analogie mit dem Russischen verstand. Die Russen thun sich etwas darauf zu gute, daſs man sie so weit herab in ihrer Muttersprache versteht, und nennen sich deſswegen die Slawen, die Berühmten, ungefähr so wie die heutigen Gallier sich die groſse Nation nennen. Bis nach Triest und Görz wurden sie hier überall verstanden. Die Pohlen sprechen so¬ gleich leicht und verständlich mit ihnen, und die Böhmen finden keine groſse Schwierigkeit. Ich selbst erinnere mich, als ich vor mehreren Jahren aus Ruſs¬ land zurück kam und einen alten russischen Grenadier als Bedienten mit mir hatte, daſs er mir in der Lausitz in der Gegend von Lübben sagte: „ Aber, mein Gott, wir sind ja hier noch ganz in Ruſsland; hier spricht man ja noch gut russisch. “ So viel Aehnlichkeit ha¬ ben die slawischen Dialekte unter sich, von dem rus¬ sischen bis zum wendischen und krainischen.
61Von Gannewitz aus ist ein hoher furchtbar steiler Berg, weit steiler als der Sömmering; so daſs vier und dreyſsig Ochsen und sechs Pferde an einem Frachtwa¬ gen zogen, den die sechs Pferde auf gewöhnlichen Wegen allein fort brachten. Die Berge sind hier mei¬ stens mit schönen Buchen bewachsen, da sie an der Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt sind.
In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir güt¬ lich in sehr gutem Bier, das nun ziemlich selten zu wer¬ den anfängt. Ich muſs aus Verzweiflung Wein trin¬ ken, und zwar viel; denn sonst würde man mich ohne Barmherzigkeit auf ein Strohlager weisen, und wenn ich auch noch so sehr mit dem Gelde klingelte. Es wurde hier bey meiner späten Ankunft so stark ge¬ schossen und geschrien, daſs ich glaubte es wäre Re¬ volution im Lande. Wie ich näher kam hörte ich, daſs es Schlittenfahrten waren. In Cilly hätte ich auch bald meine Laufbahn geschlossen: das ging so zu. Ich aſs gut und viel, wie gewöhnlich, in der Wirthsstube, und hatte bestellt, mir ein gutes Zimmer recht warm zu machen, weil es fürchterlich kalt war: denn die steyermärkischen und krainerischen Winter halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vor¬ züglich strenge. Nach der Mahlzeit ging ich auf das Zimmer, zog mich aus, stellte mich einige Minuten an den Ofen, und legte mich zu Bette. Du weiſst daſs ich ein gar gesunder Kerl bin und jeden Tag gut esse, und jede Nacht gut schlafe. So auch hier. Aber es mochte vielleicht gegen vier Uhr des Morgens seyn, als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde und den Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich62 Besinnung, daſs ich errieth, ich schlief in einem neu geweiſsten Zimmer, das man auf mein Verlangen ge¬ waltig geheitzt hatte. Als ich mich aufzurichten ver¬ suchte, um das Fenster zu öffnen, fiel ich kraftlos und dumpf auf den Pfühl zurück und verlor das Bewuſst¬ seyn. Als es helle ward erwachte ich wieder, sam¬ melte so viel Kraft das Fenster zu öffnen, mich anzu¬ ziehen, in der Eile das Zimmer zu verlassen, hinun¬ ter zu taumeln und unten etwas Wein und Brot zu bestellen. Hier kam der zweyte Paroxysmus; ich sank am Tische hin in einen namenlosen Zustand, wie in einen lichtleeren Abgrund, wo Finsterniſs hinter mir zuschloſs. So viel erinnere ich mich noch; ich dach¬ te, das ist der Tod, und war ruhig; sie werden mich schon gehörig begraben. Kurze Zeit darauf erwachte ich wieder unter dem entsetzlichsten Schweiſse, der mich aber mit jedem Augenblicke leichter ins Leben zurück brachte. Der ganze Körper war naſs, die Haare waren wie getaucht, und auf den Händen standen groſse Tropfen bis vorn an die Nägel der Finger. Nie¬ mand war in dem Zimmer; der Schweiſs brachte mir nach der Schwere des Todes ein Gefühl unaussprech¬ licher Behaglichkeit. Etwas Schwindel kam zurück; nun suchte ich mich zu ermannen und nahm etwas Wein und Brot. Die Luft, dachte ich, ist die beste Arzney, und auf alle Fälle stirbt man besser in dem freyen Elemente, als in der engen Kajüte. So nahm ich meinen Tornister mit groſser Anstrengung auf die Schulter und ging oder wankte vielmehr nur; aber mit jedem Schritte ward ich leichter und stärker und in einer halben Stunde fühlte ich nichts mehr, ob mir63 gleich Kleid, Hut, Haar und Bart und das ganze Ge¬ sicht schwer bereift war und der ganze Kerl wie schlechte verschossene Silberarbeit aussah; denn es fiel ein entsetzlicher kalter Nebel. Nach zwey Stunden frühstückte ich wieder mit so gutem Appetit, als ich je gethan hatte. Siehst Du, lieber Freund, so hätte mich der verdammte Kalk beynahe etwas früher als nöthig ist aus der Welt gefördert. Doch vielleicht kam mir dieses auch nur so gefährlich vor, weil ich keiner Phänomene von Krankheit, Ohnmacht und so weiter, gewohnt bin. Etwas gewitziget wurde ich da¬ durch für die Zukunft und ich visitierte nun allemahl erst die Wände eines geheitzten Zimmers, ehe ich mich ruhig einquartierte.
Zwischen Franz und Sankt Oswald steht rechts am Berge eine Pyramide mit einem Postament von schwar¬ zem Marmor, auf dem die Unterwerfungsakte der Krainer an Karl den Sechsten eingegraben ist: Se sub¬ strauerunt, heiſst es mit klassisch diplomatischer De¬ muth. Eine Viertelstunde weiter hin ist links ein anderes neueres Monument, wie es mir schien zur Ehre eines Ministers, der den Weg hatte machen lassen. Es war sehr kalt; die Schrift war schon ganz unleserlich und der Weg war auch wieder in übeln Umständen, ob¬ gleich beydes höchstens nur von Karl dem Sechsten.
Abends kam ich mit vieler Anstrengung in Sankt Oswald an, ob ich gleich recht gut zu Mittage geges¬ sen hatte; denn der Zufall mochte mich doch etwas geschwächt haben. Der Wirth, zu dem man mich hier wies, war ein Muster von Grobheit und hat die Ehre der Einzige seiner Art auf meiner ganzen Reise64 zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. „ Was will der Herr? “fragte mich ein ziemlich dicker handfester Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬ ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien, so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt. Du weiſst, daſs sehr oft ein Minister das Talent hat, durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die ganze Provinz zu verbreiten. „ Was will der Herr? “ Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken und schlafen. „ Das erste kann er, das zweyte nicht. “ Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? „ Nicht für Ihn. “ Für wen denn sonst? „ Für andere ehrli¬ che Leute. “ Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬ cher Mann. „ Geht mich nichts an. “ Aber es ist Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬ der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬ stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. „ Mach der Herr nur kein Federlesens, und pack 'Er sich; oder ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald zu Ende seyn. “ Er deutete grimmig auf die Thür, und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬ aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬ wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung65 nehmen, und Börse und Paſs und Taschenbuch dazu. Er sagte mir ängstlich, der Herr wäre aufgebracht, und es würde wohl bey dem bleiben was er gesagt hätte. Hier kam der dicke Herr selbst wieder. „ Ist der Herr noch nicht fort? “ Aber, Lieber es ist ganz Nacht; ich bin sehr müde und es ist sehr kalt. „ Geht mich nichts an. “ Es ist kein anderes Wirthshaus in der Nähe. „ Wird schon eins finden. “ Auch wieder ein solches? „ Nur nicht räsonniert und Marsch fort! “ Hier ist mein Paſs aus der Wiener Staatskanzley. „ Ey, was! rief er grimmig wüthend, und ohne mit Respekt zu sagen, ich sch ..... auf den Quark. “ Was war zu thun? Zur Bataille durfte ich es nicht wohl kom¬ men lassen; denn da hätte ich trotz meinem schwer¬ bezwingten Knotenstock Schläge bekommen für die Hu¬ manität, quantum satis, und noch etwas mehr. Der Mensch schien Kaiser und Papst in Sankt Oswald in Einer Person zu seyn. Ich nahm ganz leise meinen Reisesack und ging zur Thür hinaus. War das nicht ein erbaulicher sehr ästhetischer Dialog?
Nun ist in ganz Sankt Oswald, so viel ich sah, weiter nichts als dieses ziemlich ansehnliche Wirths¬ haus, die Post, ich glaube die Pfarre, und einige kleine Tagelöhnerhütten. Zu der Postnation habe ich durch ganz Deutschland nicht das beste Zutrauen in Rücksicht der Humanität und Höflichkeit: das ist ein Resultat meiner Erfahrung als ich mit Extrapost reiste; nun denke Dir, wenn ein Kerl in dem Habersack kä¬ me! Er möchte noch so viel Dukaten in der Tasche haben, und zehren wie ein reicher Erbe; das wäre wider Polizey und die Ehre des Hauses. Zu dem566Pfarrer hätte ich wohl gehen sollen, wie ich nachher überlegte um meine Schuldigkeit ganz gethan zu ha¬ ben. Aber das Unwesen wurmte mich zu sehr; ich gab dem Heiligen im Geiste drey Nasenstüber, daſs er seine Leute so schlecht in der Zucht hielt, und schritt ganz trotzig an dem Berge durch die Schlucht hinun¬ ter in die Nacht hinein. Die tiefe Dämmerung, wo man doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und mein halb pohlnischer Anzug mochten mir auch wohl einen Streich gespielt haben: denn ich glaube fast, wenn wir einander hätten hell ins Gesicht sehen kön¬ nen, es wäre etwas glimpflicher gegangen. Die Ge¬ gend war nun voll Räuber und Wölfe, wie man mir erzählt hatte; ich marschierte also auf gutes Glück gera¬ dezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem Heiligen traf ich wieder ein Wirthshaus, das klein und erbärm¬ lich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet und etwas durchfroren trat ich wieder ein und legte wieder ab. Da saſsen drey Mädchen, von denen aber keine eine Sylbe deutsch sprach, und sangen bey ei¬ nem kleinen Lichtchen ihrer kleinen Schwester ein gar liebliches krainerisches Trio vor, um sie einzu¬ schläfern. Endlich kam der Wirth, der etwas deutsch radbrechte: dieser gab mir Brot, Wurst und Wein und ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh daſs man mir kein Bett anbot; denn mein Lager war un¬ streitig das beste im ganzen Hause. Es war mir lieb, bey dieser Gelegenheit eine gewöhnliche krainerische Wirthschaft zu sehen, die dem Ansehen nach noch nicht die schlechteste war und die doch nicht viel bes¬ ser schien als man sie bey den Letten und Esthen in67 Kurland und Liefland findet. Gleiche Ursachen brin¬ gen gleiche Wirkungen.
Bey Popetsch steht rechts von der Post oben auf der Anhöhe ein stattliches Haus und hinter demselben zieht sich am Berge eine herrliche Parthie von Eich¬ bäumen hin. Es waren die ersten schönen Bäume dieser Art, die ich seit meinem letzten Spaziergange in dem Leipziger Rosenthale sah. Im Prater in Wien sind sie nicht zahlreich; dort in der Donaugegend sind die Pappeln und Weiden vorzüglich.
Nicht weit von Laybach fallen die Save und Lay¬ bach zusammen; und über die Save ist eine groſse höl¬ zerne Brücke. Die Lage des Laybacher Schlosses hat von fern viel Aehnlichkeit mit dem Gräzer; und auch die Stadt liegt hier ziemlich angenehm an beyden Sei¬ ten des Flusses, eben so wie Gräz an der Murr. Die Brücken machen hier wie in Gräz die besten Markt¬ plätze, da sie sehr bequem auf beyden Seiten mit Kaufmannsläden besetzt sind, eine groſse Annehmlich¬ keit für Fremde. Das Komödienhaus ist zwar nicht so gut als in Gräz, aber doch immer sehr anständig; und auch hier sind am Eingange links und rechts Kaffee - und Billardzimmer.
Schantroch, der hiesige Entrepreneur, der ab¬ wechselnd hier, in Görz, in Klagenfurt, und auch zu¬ weilen in Triest ist, gab Kotzebues Bayard. Er selbst spielte in einem ziemlich schlechten Dialekt, und sei¬ ne ganze Gesellschaft hält keine Vergleichung mit der Domaratiussischen in Gräz aus. Man sprach hier von einem Stück in Knittelversen, das alles, was Schiller und Lessing geschrieben haben, hinter sich lassen soll. 68Herr Schantroch, der mit mir in der nehmlichen Au¬ berge speiste, schien ein eben so seichter Kritiker zu seyn, als er ein mittelmäſsiger Schauspieler ist. Doch ist seine Gesellschaft nicht ganz ohne Verdienst und hat einige Subjekte, die auch ihren Dialekt ziemlich überwunden haben: und Herr Schantroch soll als Prinzipal alles thun, was in seinen Kräften ist, sie gut zu halten. Die Tagsordnung des Stadtgesprächs waren Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Offizier durch sein unanständiges brüskes Betragen ausgezeichnet ha¬ ben sollte; und dieser war nach seinem Familienna¬ men zu urtheilen, leider unser Landsmann. Die Kaf¬ feehäuser sind in Gräz und hier weit besser als in Wien; und das hiesige Schweizerkaffeehaus ist ganz artig und verhältniſsmäſsig anständiger als das berühmte Milanosche in der Residenz, wo man sitzt, als ob man zur Finsterniſs verdammt wäre. Du siehst, daſs man für das letzte Zipfelchen unsers deutschen Vater¬ landes hier ganz komfortabel lebt und uns noch Ehre genug macht.
Einige Barone aus der Provinz, die in meiner Auberge speisten, sprachen von den hiesigen öffentli¬ chen Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Un¬ terthanen, oder vielmehr zwischen Erbherren und Leibeigenen; denn das erste ist nur ein Euphemismus: und da ergab sich denn für mich, den stillen Zuhö¬ rer, daſs alles noch ein groſses, grobes, verworrenes Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher Unterdrü¬ ckung und alter Sklaverey.
Was Küttner von dem bösen Betragen der Fran¬ zosen in der hiesigen Gegend gesagt hat, muſs wohl69 sehr übertrieben seyn. Alle Eingeborene, mit denen ich gesprochen habe, reden mit Achtung von ihnen, und sagen, sie haben weit mehr von ihren eigenen Leuten gelitten. Aber auch diese verdienen mehr Entschuldigung, als man ihnen vieilleicht gönnen will. Die Armee war gesprengt. Stelle Dir die fürchterli¬ che Lage solcher Leute vor, wenn sie zumahl in kleine Partheyen geworfen werden. Der Feind sitzt im Rücken oder auch schon in den Seiten; sie wissen nicht wo ihre Oberanführer sind, haben keine Kasse, keinen Mundvorrath mehr: nun kämpfen sie ums Le¬ ben überall wo sie Vorrath treffen. Gutwillig giebt man ihnen nichts oder wenig; und die Bedürfnisse Vieler sind groſs. Natürlich sind die Halbgebildeten nicht immer im Stande, sich in den Gränzen der Be¬ sonnenheit zu halten. Die Einen wollen nichts geben, die Andern nehmen mehr als sie nothwendig brauchen. Daſs dieses so ziemlich der Fall war, beweist der Er¬ folg. Es wurden einige hundert eingefangen und auf das Schloſs zu Laybach gesetzt. Nun waren sie ordent¬ lich und ruhig und sagten: Wir wollen weiter nichts als Essen; wir konnten doch nicht verhungern.
Das Erdbeben, von dem man in Gräz fürchterli¬ che Dinge erzählte und sagte, es habe Laybach ganz zu Grunde gerichtet, ist nicht sehr merklich gewesen und hat nur einige alte Mauern eingestürzt. In Fiu¬ me, Triest und Görz soll man es stärker gespürt ha¬ ben; doch hat es auch dort sehr wenig Schaden ge¬ than. Die Transporte kommen auf der Save von Un¬ garn herauf bis in die Gegend der Stadt und werden von hier zu Lande weiter geschafft. Vorzüglich gehen70 die Bedürfnisse jetzt ins Venetianische, für die dort stehenden Truppen, und auch nach Tirol, das sich von dem Kriege noch nicht wieder erholt hat.
Zwischen der Save und der Laybach, wo beyde Flüsse sich vereinigen, soll in den Berggegenden ein groſser Strich Marschland liegen, an den die Regie¬ rung schon groſse Summen ohne Erfolg gewendet hat. Eine Anzahl Holländer, denen man in Unternehmun¬ gen dieser Art wohl am meisten trauen darf, hat sich erboten, das Wasser zu bändigen und die Gegend brauchbar zu machen, mit der Bedingung, eine ge¬ wisse Zeit frey von Abgaben zu bleiben. Aber die Regierung ist bis jetzt nicht zu bewegen; aus welchen Gründen, kann man nicht wohl begreifen: und so bleibt der Landstrich öde und leer, und das Wasser thut immer mehr Schaden.
Von Laybach aus geht es nun allmählich immer aus¬ wärts, und man hat die hohe Bergspitze des Loibels rechts hinter sich. Bey Oberlaybach, einem ziemlich kleinen Städtchen, kommt die Laybach aus den Ber¬ gen, und trägt gleich einige hundert Schritte von dem Orte des Ausgangs, Fahrzeuge von sechzig Zentnern. Von hier geht es immer höher bis nach Loitsch und so fort bis nach Planina, das, wie der Name zeigt, in einer kleinen Ebene ziemlich tief zwischen den rund umher emporsteigenden Bergen liegt. Der Weg von Laybach bis Oberlaybach hat noch ziemlich viel Kul¬71 tur; aber von da wird er wild und rauh, und man trifft auſser den Stationen bis nach Adlersberg wenig Häuser an. Hier in Planina hatte das Wasser vielen Unfug gemacht. Es dringt überall aus den Bergen hervor, und hat das ganze schöne Thal zu einer au¬ ſserordentlichen Höhe überschwemmt, so daſs die Ei¬ chen desselben bis an die Aeste im Wasser stehen. Dieses war noch nicht ganz fest gefroren, und man setzte auf mehrern Fahrzeugen beständig über nach Planina. Der Fall ist nicht selten in dieser Jahrszeit; aber dieses Mahl war die Fluth auſserordentlich hoch. Die Hälfte von Planina auf der andern Seite des Thals stand unter Wasser. Vorzüglich soll die Fluth auch mit vermehrt werden durch den Bach von Adlersberg, der dort bey der Schloſshöhle sich in die Felsen stürzt, so einige Meilen unter der Erde fortschieſst und hier in einer Schlucht wieder zum Vorschein kommt.
Von Planina aus windet sich der Weg in einer langen Schneckenlinie den groſsen Berg hinan, und giebt in mehrern Punkten rückwärts sehr schöne Par¬ thien, wie auch schon, wenn ich nicht irre, Herr Küttner bemerkt hat. Mich däucht, daſs man ohne groſsen Aufwand die Straſse in ziemlich gerader Linie hinauf hätte ziehen können, die auch, mit gehörigen Absätzen, eben nicht beschwerlich seyn würde. Ehr¬ liche Krainer hatten es hier und da schon mit ihren kleinen Wagen gethan, und zu Fuſse konnte man schon überall mit Bequemlichkeit durchschneiden. Die Herrschaft Adlersberg liegt oben auf der gröſsten Hö¬ he, und ist nur von noch höheren Bergspitzen umge¬ ben. Der Schloſsberg ist bey weitem nicht der höch¬72 ste, sondern nur der höchste in der Ebene, welche die Herrschaft ausmacht. Von allen Seiten sammelt sich das Wasser und bildet einen ziemlichen Fluſs, der bey der Grotte am Schloſsberge nahe bey der Mühle, wie oben erwähnt worden ist, in die Felsen stürzt. Ich wollte, wie Du denken kannst die Höhle sehen, und es ward mir schwer einen Menschen zu finden, der mich begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch von der Mauth mit mir, kaufte Fackel und Licht, und führte mich weit weit zum Orte hinaus durch den tiefsten Schnee immer waldeinwärts. Das ging eine starke halbe Stunde ohne Bahn so fort, und der Mensch wuſste sodann nicht mehr wo er war, und suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu orientieren. Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde durch den hohen Schnee, in dem dicksten Fichten¬ walde, und keine Grotte. Du begreifst, daſs es mir etwas bedenklich ward, mit einem wildfremden baum¬ starken Kerl so allein in den Schluchten herum zu kriechen und in Krain eine Höhle zu suchen: mich beruhigte aber, daſs ich von dem öffentlichen Kaffee¬ hause in der Stadt vor Aller Augen mit ihm abge¬ gangen war. Ich sagte ihm, die Höhle müsse, wie ich gehört habe, doch nahe an der Stadt am Schloſs¬ berge seyn, und er antwortete, jene in der Nähe der Stadt solle ich auf dem Rückwege sehen; aber diese entfernte sey die merkwürdigere. Endlich kamen wir nach vielem Irren und Suchen, in noch einer halben Stunde am Eingange der Höhle an. Dieser ist ro¬ mantisch wild und schauerlich in einem tiefen Kessel, rund umher mit groſsen Felsenstücken umgeben und73 mit dem dichtesten Schwarzwalde bewachsen. Hier zündeten wir in dem Gewölbe halb am Tage die Fa¬ ckel an und gingen in die Höhle hinein, ungefähr eine Viertelstunde über verschiedene Felsenfälle, sehr abschüssig immer bergab. Beym Hinabsteigen hörte ich links in einer ungeheuern Tiefe einen Strom rau¬ schen, welches vermuthlich das Wasser ist, das bey der Stadt in den Felsen fällt und bey Planina wieder heraus dringt. Wir stiegen nicht ohne Gefahr noch einige hundert Schritte weiter über ungeheuere einge¬ stürzte Felsenstücke immer bergab, und mein Führer sagte mir, weiter würde er nicht gehen, er wisse nun keinen Weg mehr und die Fackel würde sonst nicht den Rückweg dauern. Er mochte wohl nicht der be¬ ste Wegweiser seyn. Aber die Fackel brannte wirklich in der groſsen Tiefe und vermuthlich in der Nähe von Dünsten nur mit Mühe; wir stiegen also wieder heraus und förderten uns bald zu Tage. Nun fand mein Begleiter den Weg rückwärts nach der Stadt sehr leicht. Unterwegs erzählte er mir von allen den vor¬ nehmen und groſsen Personagen, die die Höhlen ge¬ sehen hätten. Diese entferntere sähen nur wenige; und unter diesen Wenigen nannte er vorzüglich den Prinzen Konstantin von Ruſsland. Mein Führer hatte den kürzesten Weg nehmen wollen und hatte mich unbemerkt auf die hohen Felsen über der Höhle am Schlosse gebracht, wo wir wie die Gemsen hingen und mit Gefahr hinunter klettern muſsten, wenn wir nicht einen Umweg von einer halben Stunde machen wollten. Einige Untenstehende riefen uns und zeigten uns die Pfade, auf denen es möglich war hinunter zu74 kommen. Nun standen wir am Eingange der andern Grotte, wo sich der Fluſs in den Felsen hineinstürzt. Der Fluſs nimmt sodann die Richtung ein wenig links; der Weg in der Grotte geht ziemlich gerade fort rechts. In einiger Entfernung vom Eingange er¬ weitert sich das Gewölbe, es wird sehr hoch und breit, man hört links den Fluſs wieder herauschen, und bald kommt man auf eine natürliche Felsenbrücke über denselben mitten unter dem Gewölbe. Hier thut die Flamme der Fackeln eine furchtbar schöne Wir¬ kung. Man hört das Wasser unter sich, und sieht über sich und rund um sich die Nacht des hohen brei¬ ten Gewölbes. Hier haben die Führer die Gewohn¬ heit einige Bund Stroh auf den Felsenwänden der Brücke anzuzünden, und hatten dieſsmahl sehr reich¬ lich zugetragen. Die magische Beleuchtung der gan¬ zen unterirdischen Brückenregion mit ihrem schauer¬ lichen Felsengewölbe, den grotesken Felsenwänden und dem unten im Abgrunde rauschenden Strom macht einen der schönsten Anblicke, deren ich mir bewuſst bin. Wenn der Strohhaufen fast verzehrt ist, stürzt man ihn von der Brücke hinab in den Strom, und so sieht man ihn unten in der Tiefe auf dem Wasser¬ bette noch einige Augenblicke fortglühen. Die plötz¬ lich aufsteigende weite Flammenhelle und die schnell zurückkehrende Finsterniſs, wo man bey dem schwa¬ chen Fackellichte nur einige Schritte sieht, macht ei¬ nen überraschenden Kontrast. Es hatten sich einige gemeine Krainer zu uns gesellet, die gern die Gele¬ genheit mitnehmen das schöne Schauspiel in der Grotte wieder zu sehen, dabey ihre Geschichten aus¬75 zukramen und noch einige Groschen zu verdienen. Bis hierher sind die Franzosen gekommen, sagten sie, als wir auf der Brücke standen; aber weiter wagten sie sich nicht. Warum nicht? fragte ich. Die Kerle zogen ein wichtiges Gesicht beym Fackelschein und suchten den Muth der Franzmänner verdächtig zu ma¬ chen. Die Franzmänner mochten wohl andere Ursa¬ chen haben. Sie waren höchst wahrscheinlich nicht zahlreich genug, hatten drauſsen nicht gehörige Maſs¬ regeln genommen und besorgten in der groſsen Tiefe der Höhle irgend ein unterirdisches Abenteuer kriege¬ rischer Natur. Auſserdem ist nichts zu fürchten. Ich ging nun links am Flusse jenseit der Brücke ungefähr noch einige hundert Schritte weiter fort; dann aber muſsten wir anfangen mit Lebensgefahr über die Fel¬ sen am Wasser hinzuklettern. Mein Führer sagte, es sey unmöglich weiter zu kommen. Das glaubte ich nun eben nicht: aber es war Schwierigkeit und Ge¬ fahr; ich wollte den Weg im Sonnenlichte weiter und wir krochen und wandelten zurück. Die Bielshöhle bey Elbingerode hat mehr Verschiedenheit und die be¬ nachbarte Baumannshöhle einige vielleicht eben so groſse Parthien aufzuweisen; aber sie haben nichts ähnliches, wie die furchtbare Höllenfahrt in der ersten und der Fluſs und die Brücke in der letztern sind. Die Tropfsteine sind in den Harzhöhlen häufiger, gro¬ tesker und schöner als hier. Zum Beweiſs daſs dieser Fluſs das bey Planina wieder heraus strömende Wasser sey, erzählte man mir, man habe vor einiger Zeit hier bey dem Einsturz ungefähr eine Metze Korke76 hinein geworfen, und diese seyen dort in der Berg¬ schlucht wieder zum Vorschein gekommen.
Hier sitze ich nun in Prewald, einer sehr hohen Bergspitze gegen über und zittere vor Frost bis man mein Zimmer heitzt. Die Höhle zu Burg, einem Gute des Grafen Kobenzl, habe ich nicht gesehen. Es thut mir leid; sie ist wie bekannt vorzüglich. Mein Wirth in Adlersberg erzählte mir abenteuerliche Dinge da¬ von. Sie soll von dort vier Stunden bis nach Wippach gegangen seyn, sey aber jetzt durch ein Erdbeben sehr verschüttet. Küttner hat sie gesehen und den Eingang abgebildet. Das Land ist rund umher voll von der¬ gleichen Höhlen, und wäre wohl der Bereisung eines Geologen werth. Vor einigen Jahren bauete ein Land¬ mann Weitzen auf einem schönen Feldstriche am Ab¬ hange eines Berges und erntete sehr reichlich; als er für das künftige Jahr bestellen wollte, schoſs der ganze Acker gegen zehn Klafter tief herab, und es fand sich daſs ein unterirdischer Fluſs unter demselben hin¬ gegangen war, und den Grund so ausgewaschen hatte, daſs er einstürzen muſste. Auch soll in einem See unweit Adlersberg eine noch ganz unbekannte Art von Eydechsen hausen, von der man erst seit kurzem den Naturkundigen einige Exemplare eingeschickt habe. Vor einigen Jahren soll sogar ein Bauer ein Kroko¬ dil geschossen haben. Das alles lasse ich indessen auf der Erzählung des Herrn Merk in Laybach beruhen, der mir jedoch ein sehr wahrhafter unterrichteter Mann zu seyn scheint.
Da ich nicht Kaufmann bin und nach den Bemer¬ kungen meiner Freunde durchaus keine merkantilische Seele habe, wirst Du von mir über Triest wohl nicht viel hören können, wo alles merkantilisch ist. In Prewald wohnte ich bey den drey Schwestern, die, wenn ich mich nicht irre, Herr Küttner schon nennt. Die Mädchen treiben eine gar drollige Wirthschaft, und ich befand mich bey ihnen leidlich genug. Zuerst waren sie etwas barsch und behandelten mich wie man einen gewöhnlichen Tornistermann zu behandeln pflegt. Da sie aber eine goldene Uhr sahen und mit hartem Gelde klimpern hörten, wurden sie ziemlich höflich und sogar sehr freundlich. Zum Abendgesell¬ schafter traf ich einen katholischen Feldprediger, der von Triest war, bey den Oestreichern einige Zeit in Udine gestanden hatte und nun hier ganz allein bey den Mädchen gar gemächlich in Kantonnierung zu liegen schien. Eine von den Schwestern war noch ein ganz hübsches Stückchen Erbsünde, und hätte wohl einen ehrlichen Kerl etwas an die sechste Bitte erin¬ nern können. Die erste Bekanntschaft mit den drey Personagen, ich nennte sie gerne Grazien wenn ich nicht historisch zu gewissenhaft wäre, machte ich drol¬ lig genug in der Küche, wo sie sich alle drey auf Stühlen oben auf dem groſsen Herde um ein ziemlich starkes Feuer hergepflanzt und im Fond des hintern Winkels an der Wand den Mann Gottes hatten, der ihnen Hanswurstiaden so possierlich vormachte, daſs78 alle drey aus vollem Halse lachten. Das war nun ein Jargon von Deutsch, Italiänisch und Krainerisch, von jeder dieser Sprachen die ästhetische Quintessenz, und ich verstand blutwenig davon. Indessen stellte ich mich doch so nahe als möglich, um von dem Feuer, wenn auch nicht der Unterhaltung doch des Herds meinen Antheil zu haben. Man nahm zuerst keine Notiz von mir, belugte mich sodann etwas neugierig und fuhr fort. Der geistliche Herr gewann mir bald Rede ab und sprach erst rein italiänisch, radbrechte dann deutsch und plauderte endlich das beste Mönchs¬ latein. Da es hier darauf ankam, kannst Du denken, daſs ich mit meiner Gelehrsamkeit eben nicht den Filz machte, und der Mann faſste bald eine gar ge¬ waltige Affektion zu mir, als ich glücklich genug ei¬ nige Dinge aus dem Griechischen zitierte, die er nur halb verstand. Nun empfahl er mich auch den schö¬ nen Wirthinnen sehr nachdrücklich, und ich hatte die Ehre ihn zum Tischgesellschafter zu erhalten. Die Mädchen staunten über unsere Gelehrsamkeit und hätten leicht zu viel Respekt bekommen können, wenn nicht der Mann zuweilen mit vieler Wendung eine tüchtige Schnurre mit eingeworfen hätte. Natürlich erhielt er, durch das Lob das er mir zukommen lieſs, selbst im Hause ein neues Relief: wer den andern so laut und gründlich beurtheilt, muſs ihn übersehen können.
Wenn ich nicht aus der trophonischen Höhle ge¬ kommen, nicht sehr müde gewesen wäre und nicht den folgenden Morgen ziemlich früh fort gewollt hät¬ te, wäre mir die lustige Unterhaltung des geistlichen79 Harlekins noch länger vielleicht nicht unlieb gewesen. Aber ich eilte zur Ruhe und lieſs die Leutchen lär¬ men. Als ich den andern Morgen aufstand und fort wollte, fand ich in dem ganzen, groſsen, nicht übel eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig. Die Thüren waren nur von innen verriegelt und also für mich offen: aber wenn ich auch Schuft genug wär so schlechte Sottisen zu begehen, so könnte ich doch das Vertrauen so gutherziger Leutchen nicht miſsbrau¬ chen. Ich trabte mit meinen schweren Stiefeln einige Mahl über den Saal weg; niemand kam, nirgends eine Bewegung. Ich klopfte an einige Zimmer; keine Ant¬ wort. Endlich kam ich an ein Zimmer das nicht ver¬ schlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das hüb¬ sche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem Bette und entschuldigte sich freundlich, daſs noch nie¬ mand im Hause wach sey. Weiſs der Himmel, ob ich armes Menschenkind nicht in groſse Verlegenheit würde gerathen seyn, wenn sie nicht um ihre Schul¬ tern den Mantel geworfen hätte, den gestern Abend der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der Man¬ tel gab mir sogleich eine gehörige Portion Stoicismus; ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tem¬ pel hinaus.
Du muſst wissen, daſs ich entweder gar nicht frühstücke, oder erst wenn ich zuvor einige Stunden gegangen bin, versteht sich wenn ich etwas finde. Seit diesem Tage machte ich mirs zum Gesetz, meine Rechnung alle Mahl den Tag vorher zu bezahlen, da¬ mit ich den Morgen auf keine Weise aufgehalten wer¬ de. In Prewald gab man mir zuerst Görzer Wein,80 der hier in der Gegend in besonders gutem Kredit steht und es verdient. Er gehört unter die wenigen Weine die ich ohne Wasser trank, welche Ehre, zum Bey¬ spiel, nicht einmahl dem Burgunder widerfährt. Doch kann ein Idiot wie ich hierin eben keine kompetente Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind fünf Meilen. Ich hatte den Morgen nichts gegessen, fand unterwegs kein einladendes Haus; und, mein Freund, ich machte nüchtern im Januar die fünf Mei¬ len recht stattlich ab. In Sessana hatte mir das erste Wirthshaus gar keine gute Miene, und es hielten eine gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist nicht ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein anderes besseres finden. Es fand sich keins, ich war zu faul zu dem ersten zurück zu gehen, ging also vor¬ wärts; und nun war von Sessana bis an die Douane von Triest nichts zu haben. Es ist lauter steiniger Bergrücken und es war kein Tropfen gutes Wasser zu finden: das war für einen durstigen Fuſsgänger das verdrieſslichste. Wenn ich nicht zuweilen ein Stück¬ chen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte, so wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von Prewald sah ich bis nach Triest, und sie schien mir immer so nahe, als ob man eine Falkonetkugel hätte hinüber schieſsen können. Von Schottwien bis Pre¬ wald hatte ich abwechselnd sehr viel Schnee; bey Ses¬ sana hörte er allmählich auf, und hier liegt er nur noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen und hier dieſseit des Berges am Meere schwitzt man schon. Es81 ist heute am drey und zwanzigsten Januar, so warm, daſs überall Thüren und Fenster offen stehen.
Der erste Anblick der Stadt Triest von oben her¬ ab ist überraschend, der Weg herunter ist angenehm genug, der Aufenthalt auf einige Zeit muſs viel Ver¬ gnügen gewähren; aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die Lage des Orts ist bekannt, und fängt nun an ein Amphitheater am Meerbusen zu bil¬ den. Die Berge sind zu hoch und zu kahl um ange¬ nehm zu seyn; und zu Lande ist Triest von aller an¬ genehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach, und nur für kleine Fahrzeuge: die gröſsern und alle Kriegsschiffe müssen in ziemlicher Entfernung auf der Rehde bleiben, die nicht ganz sicher zu seyn scheint. Die See ist hier geduldig und man kann ihr noch sehr viel abtrotzen, wenn man von den Bergen herab in sie hinein arbeitet, und so nach und nach den Hafen vielleicht auch für groſse Schiffe anfahrbar macht.
An den Bergen rund herum hat man hinauf und herab terrassiert und dadurch ziemlich schöne Wein¬ gärten angelegt. Die Triester halten viel auf ihren Wein; ich kann darüber nicht urtheilen, und in mei¬ nem Gasthause giebt man gewöhnlich nur fremden. Die etwas höhere Altstadt am Kastell ist enge und finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der See abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste gestanden hat, mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem so genannten groſsen Gasthofe, einem Hause von ge¬ waltigem Umfange und dem nehmlichen, worin Win¬ kelmann von seinem meuchlerischen Bedienten ermor¬682det wurde. Meine Aussicht ist sehr schön nach dem Hafen, und vielleicht ist es das nehmliche Zimmer, in welchem das Unglück geschah. Die Geschichte ist hier schon ziemlich vergessen.
Ich fand hier den Philologen Abraham Penzel, der in Triest den Sprachmeister für die Italiäner deutsch und für die Deutschen italiänisch macht. Die Schicksale dieses sonderbaren Mannes würden eine lehrreiche angenehme Unterhaltung gewähren, wenn sie gut erzählt würden. Von Leipzig und Halle nach Polen, von Polen nach Wien, von Wien nach Lay¬ bach, von Laybach nach Triest, und überall in genia¬ lischen Verbindungen. Der unglückliche Hang zum Wein hat ihm manchen Streich gespielt und ihn zu¬ letzt genöthigt, seine Stelle in Laybach aufzugeben, wo er Professor der Dichtkunst am Gymnasium war. Er hat durch seine mannigfaltigen verflochtenen Schick¬ sale ein gewisses barockes Unterhaltungstalent gewon¬ nen, das den Mann nicht ohne Theilnahme läſst. Per varios casus, per tot discrimina rerum tendimus Tergestum, sagte er mit vieler Drolerie, damit uns hier, wie Winkelmann, der Teufel hole. Wir gin¬ gen zusammen aus, konnten aber Winkelmanns Grab nicht finden. Niemand wuſste etwas davon.
Das Haus eines Griechen, wenn ich mich nicht irre ist sein Name Garciatti, ist das beste in der Stadt und wirklich prächtig, ganz neu und in einem guten Stil gebaut. Eine ganz eigene recht traurige Klage der Triester ist über den Frieden. Mit christlicher Hu¬ manität bekümmern sie sich um die übrige Welt und ihre Drangsale kein Jota und wünschen nur, daſs ih¬83 nen der Himmel noch zehen Jahre einen so gedeihli¬ chen Krieg bescheren möchte; dann sollte ihr Triest eine Stadt werden, die mit den besten in Reihe und Glied treten könnte. Dabey haben die guten kauf¬ männischen Seelen gar nichts arges; schlagt euch todt, nur bezahlt vorher unsere Sardellen und türkischen Tücher. Das neue Schauspielhaus ist das beste, das ich bis jetzt auf meinem Wege gesehen habe. Gestern gab man auf demselben Theodoro Re di Corsica, wel¬ ches ein Lieblingsstück der Triester zu seyn scheint. Die Dekoration, vorzüglich die Parthie Rialto in Ve¬ nedig, war sehr brav. Es wäre aber auch unverzeihlich, wenn die reichen Nachbarn, die es noch dazu auf Unkosten der Herren von Sankt Markus sind, so etwas nicht ausgezeichnet haben wollten. Man sang recht gut, und durchaus besser als in Wien. Vorzüglich zeichneten sich durch Gesang und Spiel aus die Toch¬ ter des Wirths und der Kammerherr des Theodor. Die Logen sind alle schon durch Aktien von den Kaufleu¬ ten genommen und ein Fremder muſs sich auf ihre Höflichkeit verlassen, welches nicht immer angenehm seyn mag. Die Herren haben die Logen gekauft, be¬ zahlen aber noch jederzeit die Entree; eine eigene Art des Geldstolzes. Der Patriotismus könnte wohl eine etwas humanere Art finden die Kunst zu unter¬ stützen. Der Fremde, der doch wohl zu weilen Ursache haben kann im Publikum isoliert zu seyn, ist sehr wenig dabey berücksichtiget worden. Hier hörte ich zuerst den betäubenden Lärm in den italiänischen Theatern. Man bedient sich des Schauspiels zu Rendes¬ vous, zu Konversationen, zur Börse, und wer weiſs84 wozu sonst noch? Nur die Lieblingsarien werden still angehört; übrigens kann ein Andächtiger Thaliens nicht viel Genuſs haben; und die Schauspieler rächen oft durch ihre Nachlässigkeit die Vernachlässigung. Et¬ was eigenes war mir im Hause, daſs das Parterre überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich mochte mich hinwenden wo ich wollte.
Die Leute meinten wieder, ich sey nicht gescheidt, als sie hörten, ich wolle zu Fuſse von Triest über die Berge nach Venedig gehen und sagten, da würde ich nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber ich lieſs mich nicht irre machen und wandelte wieder den Berg herauf; zwar nicht den nehmlichen groſsen Fahrweg, kam aber doch, nach ungefähr zwey Stun¬ den Herumkreuzen am Ufer und durch die Weinberge, wieder auf die Heerstraſse. Ich besuchte die Höhlen von Korneale nicht, weil die ganze Gegend verdammt verdächtig aussah, und ich mich in der Wildniſs doch nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten in die Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur sehr rauh und etwas öde sind, waren sonst deswegen so unsicher, weil sie, wie die genuesischen, der Zu¬ fluchtsort alles Gesindels der benachbarten Staaten wa¬ ren. Da ganz Venedig in Oestreichischen Händen ist, wird es nun der wachsamen Polizey leichter, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Man spürt in dieser Rück¬ sicht schon den Vortheil der Veränderungen. An dem85 Zwickel der Berge kommt hier ein schöner Fluſs aus der Erde hervor, der vermuthlich auch Höhlen bil¬ det. Hier sind, nach aller Lokalität, gewiſs Virgils Felsen des Timavus und ich sah stolz umher, daſs ich nun ausgemacht den klassischen Boden betrat. Der Einschnitt zwischen den Bergen, oder das Thal zwi¬ schen Santa Croce und Montefalkone macht noch jetzt der Beschreibung der Alten Ehre. Unten rechts am Meere stand vermuthlich der Heroentempel im Haine, und links etwas weiter herauf am Ausflusse des Tima¬ vus war der Hafen. Ich schlug mich hier rechts von der geraden Straſse nach Venedig ab über die Berge hinüber nach Görz, welches sechs ziemlich starke Meilen von Triest liegt. Wenn man einmahl über die Berge hinüber ist, welche freylich etwas kahl sind, hat man die schönsten Weinthäler. Der Wein wird hier schon nach italiänischer Weise behandelt, hängt an Ulmen oder Weiden, und macht, wo die Gegend etwas nachhilft, schöne Gruppierungen.
Von Görz nach Gradiska sind die Berge links ziemlich sanft und man hat die groſsen Höhen in be¬ trächtlicher Entfernung rechts: und wenn man über Gradiska nach Palma Nuova heraus kommt, ist man ganz in der schönen Fläche des ehemahligen venetia¬ nischen Friaul, hat links fast lauter Ebene bis zur See und nur rechts die ziemlich hohen Friauler Alpen. Von Görz nach Udine stehen im Kalender fünf Mei¬ len; aber Oestreichische Offiziere versicherten mich, es seyen gute sieben Meilen; und ich fand Ursache der Versicherung zu glauben. Palma Nuova war eine venetianische Gränzfestung, und nun hausen die Kai¬86 serlichen hier. Sie exercierten eben auf dem groſsen Platze vor dem Thore. Der Ort ist militärisch nicht ganz zu verachten, wenn er gut vertheidigt wird. Man kann nach allen Seiten hübsch rasieren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.
In Udine feyerte ich den neun und zwanzigsten Januar meinen Geburtstag, und höre wie. Ich hatte mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen, ihn recht stattlich zu begehen, und also vor allen Din¬ gen hier Ruhetag zu halten. Der Name Udine klang mir so schön, war mir aus der Künstlergeschichte be¬ kannt, und war überdieſs der Geburtsort unserer bra¬ ven Grassi in Dresden und Wien. Die groſse feyer¬ lich tönende Abendglocke verkündigte mir in der dun¬ keln Ferne, denn es war schon Nacht als ich ankam, eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formido war ich im Dunkeln vorbey gegangen. Am Thore zu Udine stand eine östreichische Wache, die mich examinierte. Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein gutes Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich hinein trat, saſsen, standen und lagen eine Menge gemeiner Kerle bacchantisch vor ungeheuer groſsen Weinfässern, als ob sie mit Bürger bey Ja und Nein vor dem Zapfen sterben wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier seine Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der lateinische Text des alten englischen Bischofs hat die¬ ses Bild nicht. In dem ersten und zweyten dieser Häuser hatte ich nicht Lust zu bleiben; im dritten wollte man mich nicht behalten. Ruhig, dachte ich; du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon fin¬87 den. Der Sergeant gestand mir gern Quartier zu, da ich der Wache für ihre Höflichkeit ein gutes Trink¬ geld geben wollte. Nun holte man Brot und Wein für mich. Kaum war dieses da, so kam eine fremde Patrouille, einige Meilen weit her, welche ihr Quar¬ tier auch in der Wachstube nahm. Nun sagte der Sergeant ganz höflich, es sey kein Platz mehr da. Das sah ich auch selbst ein. Er machte auch Dienst¬ schwierigkeiten, die ich als ein alter Kriegsknecht sehr bald begriff. Ich überlieſs Brot und Wein dem Ue¬ berbringer und verlangte, man solle mich auf die Hauptwache bringen lassen. Das geschah. Dort fand ich mehrere Offiziere. Ich erzählte dem Wachhaben¬ den meinen Fall und schloſs mit der Meinung, daſs ich doch Quartier haben müsse, und sollte es auch auf der Hauptwache seyn. Die Herren lärmten, fluch¬ ten und lachten und sagten, es gehe ihnen eben so; die Welschen schlugen die Deutschen todt nach Noten, wo sie konnten. Man schickte mich zum Platzmajor. Gut. Dieser foderte meinen Paſs, fand ihn richtig, revidierte ihn, befahl, ich sollte mich den kommenden Morgen bey der Polizey melden ‚ die ihn auch unter¬ schreiben müsse, und machte einige Knasterbemer¬ kungen über die Nothwendigkeit der guten Ordnung, an der ich gar nicht zweifelte. Das ist alles recht gut, sagte ich; aber ich kann kein Quartier finden. Ach das wird nicht fehlen, meinte er: aber es fehlt, meinte ich. Der alte Herr setzte sein Glas bedächtlich nie¬ der, sah seine Donna an, rieb sich die Augenbraunen und schickte den Gefreyten mit mir und meinem Tornister alla nave. Der Gefreyte wies mich ins88 Schiff und ging. Als ich eintrat, sagte man mir, es sey durchaus kein Zimmer mehr leer; es sey alles be¬ setzt. Ich that groſs und bot viel Geld; aber es half nichts. Sie sollten es für den vierten Theil haben, antwortete mir eine alte ziemlich gedeihliche Frau; aber es ist kein Platz. Ich kann nicht fort, es ist spät; ich bin müde und es ist drauſsen kalt. Die Ita¬ liänerin machte es wie der Mann von Sankt Oswald, nur ganz höflich. Ich gehe nicht, sagte ich, wenn man mir nicht einen Menschen mitgiebt, der mich wieder auf die Hauptwache bringt. Den gab man. Nun war ich wieder auf der Hauptwache und erzählte und foderte Quartier. Man lärmte und fluchte und lachte von neuem. Ich versicherte nun bestimmt, ich würde hier bleiben. Wort gab Wort. Einer der Her¬ ren sagte lachend; Warten Sie, vielleicht bin ich noch so glücklich Ihnen Quartier zu verschaffen. Es ist eine verfluchte Geschichte; es geht uns oft auch so, wenn wir nicht mit Heereszug kommen: aber ich habe hier einige Bekanntschaft. Der Offizier ging ei¬ nige hundert Schritte weit davon mit mir in ein Haus, hielt Vortrag, und ich erhielt sehr höflich Quartier. Zimmer und Bette waren herrlich. Nun wollte ich essen; da war nichts zu haben. Ma Signore; sagte die Wirthin, questa casa non è locanda; non si mangia qui. Ich hatte sieben Meilen im Januar gemacht und war auf, dem Pflaster noch eine Stunde herum trot¬ tiert; ich konnte mich nicht entschlieſsen spät in der Finsterniſs noch einmahl auszugehen. Der Officier war fort. Ich sah grämlich aus, und man wünschte mir ohne Abendessen freundlich Felicissima notte: ich ging89 ärgerlich zu Bette und schlief herrlich. Den andern Morgen, an meinem Geburtstage, sollte ich auf die Polizey gehen. Der Sitz derselben war in vierzehn Tagen wohl vier Mahl verändert worden: man wies mich hier hin und dort hin, und ich fand sie nirgends.
So dachte ich in meinem Aerger, kaufte mir eine Semmel und einige Aepfel in die Tasche, ging nach Hause, bezahlte den sehr billigen Preis für mein Quartier, stekte meinen Paſs ohne die Polizey wieder in die Brieftasche und reiste zum Thore hinaus. Das war mein Geburtstag zum Morgen. Den Abend aber, denn zu Mittage konnte ich kein schickliches Haus finden und fastete, erholte ich mich ziemlich wieder zu Codroipo. Eine niedliche Piemonteserin, deren Mann ein Deutscher und Feldwebel bey einem kaiserlichen Regimente war, kam zu Fuſse mit ihrem kleinen Jun¬ gen von ungefähr zwey Jahren von Livorno und ging nach Gräz. Du weiſst ich liebe schöne reinliche Kin¬ der in diesem Alter ungewöhnlich, und der Knabe fing so eben an etwas von der Sprache seines Vaters und etwas von der Sprache seiner Mutter zu stam¬ meln und hatte sein groſses Wesen mit und auf mei¬ nem Tornister. Der Wirth brachte uns Polenta, Eyer¬ kuchen und zweyerley Fische aus dem Tagliamento, gesotten und gebraten. Du siehst, dabey war kein Fleisch; das war also an meinem Geburtstage gefastet nach den besen Regeln der Kirche.
90Der Weg zwischen Triest und Venedig ist auſser¬ ordentlich wasserreich; sehr viele groſse und kleine Flüsse kommen rechts von den Bergen herab, unter denen der Tagliamento und die Piave die vorzüglich¬ sten sind. Zwischen Codroipo und Valvasone ging ich über den Tagliamento in vier Stationen, auf dem Rü¬ cken eines groſsen ehrenfesten Charons, der seine lan¬ gen Fischerstiefeln bis an die Taille hinauf zog. Der Fluſs war jetzt ziemlich klein; und dieses ist zu sol¬ cher Zeit die Methode Fuſsgänger überzusetzen. Sein Bett ist über eine Viertelstunde breit und zeigt, wie wild er seyn muſs, wenn er das Bergwasser herab wälzt. Wenn die Bäche groſs sind, mag die Reise hier immer bedenklich seyn; denn man kann durch¬ aus an den Betten sehen, welche ungeheuere Wasser¬ menge dann überall herabströmt. Jetzt sind alle Was¬ ser so schön und hell, daſs ich überall trinke: denn für mich geht nichts über schönes Wasser. Die Wohl¬ that und den Werth davon zu empfinden, muſst Du dich von den Engländern einmahl nach Amerika transportieren lassen, wo man in dem stinkenden Wasser fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase zuhalten muſs, wenn man es durch ein Tuch geschla¬ gen trinken will, und doch noch froh ist, wenn man die kocytische Tunke zur Stillung des brennenden Durstes nur noch erhält. So ging es uns, als wir in den amerikanischen Krieg zogen, wo ich die Ehre[hatte] dem König die dreyzehn Provinzen mit verlie¬ ren zu helfen.
In Pordenone traf ich das erste Mahl eine öffent¬ liche Mummerey von Gassenmaskerade, muſste bey91 gar jämmerlichen Fischen wieder fasten, und vväre übel gefahren, wenn mich ein kleines niedliches Mädchen vom Hause nicht noch mitleidig mit Kasta¬ nien gefüttert hätte. Hier sind in der Markuskirche einige hübsche Votivgemählde, mit denen man sich wohl eine halbe Stunde angenehm beschäftigen kann. Von Udine bis Pordenone ist viel dürres Land; doch findet man mit unter auch sehr schöne Weinpflanzun¬ gen. Die Deutschen stehen, wie Du aus der Ge¬ schichte von Udine gesehen hast, eben nicht in dem besten Kredit hier in der Gegend, und es ist kein Un¬ glück für mich, daſs man mich meistens für einen Franzosen hält, weil in meine Sprache sich oft ein französischer Ausdruck einschleicht. Wenn ich gleich sage und wiederhohle, ich sey ein Deutscher; so will man es doch nicht glauben. In der Vermuthung, ich müsse ein französischer Offizier seyn, der das Land umher durchzieht, werde ich oft recht gut bewirthet. Dergleichen Promenaden der Franzosen müssen also doch so ungewöhnlich nicht seyn. Signore è Francese, ma non volete dirlo; Fate bene, fate bene: sagte man mir mit sehr freundlichem Gesichte. Alles kommt freylich auf den Partheygeist an, der hier eben so mächtig ist, als irgendwo. Viele klagen über die Franzosen; aber die Meisten scheinen es doch nicht gern zu sehen, daſs sie nicht mehr hier sind.
In Conegliano fand ich einige junge Kaufleute, die von Venedig kamen und den Weg nach Triest zu Fuſse machen wollten, den ich eben gekommen war. Das Herz ward ihnen sehr leicht, als ich sagte, es gehe recht gut und es sey mir keine Gefahr aufgesto¬92 ſsen: denn man hatte auch diesen Herrn von der an¬ dern Seite das Gehirn mit Schreckbildern angefüllt. Sodann war auch dort, wie er sich selbst in der Ge¬ sellschaft einführte, ein groſser Philosoph, ungarischer Hussarenunteroffizier, der hier den politischen Spion zu machen schien. Er donnerte gewaltig über die Revolution und brachte Anspielungen und indirekte Drohungen gegen meine Person, als dieses Verbrechens verdächtig. Der Wirth hat das Recht nach meinem Paſs zu fragen, mein Herr, versetzte ich, als mir die Worte zu stark und zu deutsch wurden: wenn Sie aber glauben, daſs es nöthig ist, so führen Sie mich vor die Behörde zur Untersuchung. Uebrigens erbitte ich mir von ihrer Philosophie etwas Humanität. Das wirkte: der Mann fing nun an ein halbes dutzend Sprachen zu sprechen, und vorzüglich das Italiänische und Ungarische mit einer horrenden Volubilität. So bald wir nur lateinisch zusammen kamen, waren wir Freunde, und er war sogleich von meiner politischen Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends zu meinem Wein mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehör¬ ten wir durchaus zu Einer Sekte. Er hielt sich an den Wein, ich mich an die Pastetchen, und alle Co¬ neglianer, Trevisaner und Venetianer staunten den Strom von Gelehrsamkeit an, den der Mann aus sei¬ nem Schatze hervorgoſs.
Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf ei¬ nem eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten, und gab zum ersten Mahl den Zudringlichkeiten eines Vetturino nach, der mich für sechs Liren nach Mestre bringen wollte. Mit der Bedingung, daſs ich gleich93 abginge, lieſs ich mir die Sache gefallen: denn ich wollte noch gern diesen Abend in Mestre seyn, um den folgenden Morgen zeitig nach Venedig überzuse¬ tzen. Sechs Liren war mir ein unbegreiflich niedri¬ ger Preis für einen vollen Wagen mit zwey guten Pferden, den er mir von dem Wirthshause als mein Fuhrwerk zeigte; so daſs ich nicht wuſste was ich den¬ ken sollte. Aber vor der Stadt hielt er an und packte noch einen venetianischen Kaufmann und eine Tyro¬ lerin ein, die als Kammerjungfer ihrer Gräfin nach¬ reiste; und nun begriff ich freilich. Von Conegliano aus ist der Weg schon sehr frequent und die Land¬ häuser werden häufiger und schöner; und von Treviso ist es fast lauter schöner mit Villen besetzter Garten. Die Tyrolerin sentimentalisierte darüber ununterbro¬ chen deutsch und italiänisch; der Italiäner war ein gar artiger Kerl, und da kamen denn die Leutchen bald in einen Ton allerliebster Zweydeutigkeiten, zu dem die deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar nicht geeignet ist: und doch kann man nicht sagen, daſs sie geradezu in Unanständigkeit ausgeartet wären. Bloſs der unreine Nasenton der Tyrolerin miſsfiel mir; und da ich bey der zufälligen Lüftung des Halstuches in der untern Gegend des Kinnbackens einige be¬ trächtliche Narben erblickte, war ich sehr froh, daſs ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die Ehren¬ stelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich er¬ hielt meinen Theil Witz von den Leutchen für meine überstoische Laune und Taciturnität, und rettete mich von dem Prädikat eines Gimpels vermuthlich nur durch meine Unkunde in der italiänischen Sprache94 und einige Sarkasmen, die ich ganz trocken hinwarf. In Mestre wollte mich die Dame aus Artigkeit mit in ihr Hotel nehmen und meinte, ich könnte morgen mit der Gräfin zusammen die Ueberfahrt nach dem schönen Venedig machen: aber ich fand eine Gesell¬ schaft von Venetianern, die noch diesen Abend über¬ setzen wollte und schloſs mich an. Wir ruderten den Kanal hinunter. Die Andern waren alle Einheimische und hatten weiter nichts nöthig als dieses zu sagen; aber ich Fremdling muſste einige Zeit auf der Wache warten, bis der Offiziant meinen Paſs gehörig regi¬ striert hatte. Er behielt ihn, und gab mir einen Pas¬ sierzettel, nach östreichischer Sitte, mit der Weisung, mich damit in Venedig auf der Polizey zu melden. Das foderte etwas Zeit, da der Herr etwas Myops und kein Tachygraph war; und meine Gesellschafter waren über den Aufenthalt etwas übellaunig. Doch das gab sich bald. Man fragte mich, als ich zurück kam, mit vieler Artigkeit und Theilnahme, wer ich sey? wohin ich wolle? und dergleichen; und wunderte sich höch¬ lich als man hörte, daſs ich zu Fuſse allein einen Spaziergang von Leipzig nach Syrakus machen wollte. Der Abend war schön, und ehe wir es uns versahen, kamen wir am Rialto an, wovon ich aber jetzt natür¬ lich weiter nichts als die magische Erscheinung sah. Ein junger Mann von Conegliano, mit dem ich wäh¬ rend der ganzen Ueberfahrt viel geplaudert hatte, be¬ gleitete mich durch eine groſse Menge enge Gäſschen in den Gasthof The Queen of England; und da hier alles besetzt war zum goldnen Stern, nicht weit vom95 Markusplatze, wo ich für billige Bezahlung ziemlich gutes Quatier und artige Bewirthung fand.
Den dritten Februar, wenn ich mich nicht irre, kam ich in Venedig an, und lief gleich den Morgen darauf mit einem alten abgedankten Bootsmann, der von Lissabon bis Konstantinopel und auf der afrikani¬ schen Seite zurück die ganze Küste kannte, und jetzt den Lohnbedienten machen muſste, in der Stadt her¬ um; sah mehr als zwanzig Kirchen in einigen Stun¬ den, von der Kathedrale des heiligen Markus herab bis auf das kleinste Kapellchen der ehemaligen Beherr¬ scherin des Adria. Wenn ich Künstler oder nur Ken¬ ner wäre, könnte ich Dir viel erzählen von dem was da ist und was da war. Aber das alles ist Dir wahr¬ scheinlich schon aus Büchern bekannt; und ich würde mir vielleicht weder mit der Aufzählung noch mit dem Urtheil groſse Ehre erwerben. Der Pallast der Republik sieht jetzt sehr öde aus, und der Rialto ist mit Kanonen besetzt. Auch am Ende des Markuspla¬ tzes nach dem Hafen zu haben die Oestreicher sechs Kanonen stehen, und gegen über auf Sankt George hatten schon die Franzosen eine Batterie angelegt, wel¬ che die Kaiserlichen natürlich unterhalten und erwei¬ tern. Die Parthie des Rialto hat meine Erwartung nicht befriedigt; aber der Markusplatz hat sie, auch so wie er noch jetzt ist, übertroffen.
Es mögen jetzt ungefähr drey Regimenter hier liegen, eine sehr kleine Anzahl für ernsthafte Vorfälle. So wie die Stimmung jetzt ist, nähme und behauptete man mit zehn tausend Mann Venedig; wenn man nehmlich im Anfange energisch und sodann klug und96 human zu Werke ginge. Das Militär und überhaupt die Bevölkerung zeigt sich meistens nur auf dem Markusplatze, am Hafen, am Rialto und am Zeug¬ hause; die übrigen Gegenden der Stadt sind ziemlich leer. Wenn man diese Parthien gesehen hat und ei¬ nige Mahl den groſsen Kanal auf und abgefahren ist, hat Venedig vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges mehr; man müſste denn gern Kirchen besuchen, die hier wirklich sehr schön sind.
Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und Betteley. Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid ange¬ fleht zu werden; und der Anblick des Elends unter¬ stützt das Nothgeschrey des Jammers. Um alles in der Welt möchte ich jetzt nicht Beherrscher von Venedig seyn; ich würde unter der Last meiner Gefühle erlie¬ gen. Schon Küttner hat viele Beyspiele erzählt, und ich habe die Bestätigung stündlich gesehen. Die nie¬ derschlagendste Empfindung ist mir gewesen. Frauen von guter Familie in tiefen, schwarzen, undurchdring¬ lichen Schleyern kniend vor den Kirchenthüren zu finden, wie sie, die Hände gefaltet auf die Brust ge¬ legt, ein kleines hölzernes Gefäſs vor sich stehen ha¬ ben, in welches die vorübergehenden einige Soldi werfen. Wenn ich länger in Venedig bliebe, müſste ich nothwendig mit meiner Börse oder mit meiner Empfindung Bankerott machen.
Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisato¬ ren und Deklamatoren auf dem Markusplatze und am Hafen, die einen Kreis um sich her schlieſsen lassen und für eine Kleinigkeit irgend eine berühmte Stelle97 sprechen, oder auch aus dem Stegreife über ein gege¬ benes Thema theils in Prose theils in Versen sogleich mit solchem Feuer reden, daſs man sie wirklich ei¬ nige Mahl mit groſsem Vergnügen hört. Du kannst Dir vorstellen, wie geringe die Summe und wie ernie¬ drigend das Handwerk seyn muſs. Eine Menge Leute von allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete, saſsen auf Stühlen und auf der Erde rund herum und warteten auf den Anfang, und eine Art von buntsche¬ ckigem Bedienten, der seinem Prinzipal das Geld sam¬ melte, rief und wiederholte mit lauter Stimme: Manca ancora cinque soldi; ancora cinque soldi! Je¬ der warf seinen Soldo hin, und man machte gewaltige Augen, als ich einige Mahl mit einem schlechten Zwölfkreuzerstück der Foderung ein Ende machte und die Arbeit beschleunigte. Welch ein Abstand von die¬ sen Improvisatoren bis zu den römischen, von denen wir zuweilen in unsern deutschen Blättern lesen!
Auf der Giudekka ist es, wo möglich, noch ärm¬ licher als in der Stadt; aber eben deſswegen sind dort nicht so viele Bettler, weil vielleicht niemand hoffen darf, dort nur eine leidliche Ernte zu halten. Die Erlöserskirche ist daselbst die beste, und ihre Kapuzi¬ ner sind die Einzigen, die in Venedig noch etwas schöne Natur genieſsen. Die Kirche ist mit Orangerie besetzt, und sie haben bey ihrem Kloster, nach der See hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese, nebst einigen Oleastern in der Gegend des Zeughau¬ ses, sind die einzigen Bäume, die ich in Venedig gese¬ hen habe. Die Insel Sankt George hält bekanntlich die Kirche und das Kapitel, wo der jetzige Papst ge¬798gewählt wurde, und wo auch noch sein Bildniſs ist, das bey den Venetianern von gemeinem Schlage in auſserordentlicher Verehrung steht. Der Maler hat sein mögliches gethan, die Draperie recht schön zu machen. Die Kirche selbst ist ein gar stattliches Ge¬ bäude, und wie ich schon oben gesagt habe, mit Batterien umgeben.
Die Venetianer sind übrigens im Allgemeinen höfliche, billige, freundschaftliche Leute, und ich habe von Vielen Artigkeiten genossen, die ich in mei¬ nem Vaterlande nicht herzlicher hätte erwarten kön¬ nen. Einen etwas schnurrigen Auftritt hatte ich vor einigen Tagen auf dem Markusplatze. Man hatte mich beständig in dem nehmlichen Reiserocke, (die Ursache war, weil ich keinen andern hatte, da ich kei¬ nen andern im Tornister tragen wollte,) an den öf¬ fentlichen Orten der Stadt herum laufen sehen, und doch gesehen, daſs ich mit einem Lohnbedienten lief und Liren verzehrte. Ich zahlte dem Bedienten jeden Abend sein Geld, wenn ich ihn nicht mehr brauchte; dieses geschah diesen Abend, da es noch ganz hell war, auf dem Markusplatze. Einige Dirnen der Aphrodite Pandemos mochten bemerkt haben, daſs ich bey der Abzahlung des Menschen eine ziemliche Handvoll silberner Liren aus der Tasche gezogen hatte, und legten sich, als der Bediente fort war und ich allein gemächlich nach Hause schlenderte, ganz freund¬ lich und gefällig an meinen Arm. Ich blieb stehen und sie thaten das nehmliche. Man gruppierte sich um uns herum, und ich bat sie höflich, sich nicht die Mühe zu geben mich zu inkommodieren. Sie fuhren mit99 ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst. Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und tru¬ gen sich ganz niedlich und anständig mit der feine¬ ren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebroche¬ nen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in ei¬ niger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar. Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich heiſs und fing an in meinem stärksten Baſstone auf gut Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza und senza vergogna dazu, stampfte mit meinem Kno¬ tenstocke emphatisch auf das Pflaster, daſs die Gesell¬ schaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg gingen.
Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäf¬ tigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschlieſse den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider, die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich in Unordnung und meinen Huth herab geworfen. Das Schloſs war unberührt und mir fehlte übrigens nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts heraus grübeln, und mir schwebten mancherley son¬ derbare Gedanken von der alten venetianischen Poli¬ zey vor dem Gehirne; so daſs ich sogleich, als ich mich angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den Vorfall erzählte. Das Haus war groſs und voll. Da erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluſs, es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem100 Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt. Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer weiſs was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.
Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Ge¬ genstande, von Canovas Hebe. Ich weiſs nicht, ob Du die liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon kennst; mich wird sie lange, vielleicht immer beherr¬ schen. Fast glaube ich nun, daſs die Neuen die Al¬ ten erreicht haben. Sie soll eines der jüngsten Werke des Mannes seyn, die ewige Jugend. Sie steht in dem Hause Alberici, und der Besitzer scheint den ganzen Werth des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin ei¬ nen der besten Plätze, ein schönes helles Zimmer nach dem groſsen Kanal, angewiesen. Ich will, ich darf keine Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, daſs sie die Angebetete der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Ich habe die Mediceerin noch nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen von ihr zu urtheilen, ist hier für mich mehr als alle veneres cupidinesque.
Du denkst wohl, daſs mich das marmorne Mäd¬ chen etwas auſser mich gebracht hat; und so mag es allerdings seyn. Der Italiäner betrachtete meine An¬ dacht eben so aufmerksam, wie ich seine Göttin. Diese einzige Viertelstunde hat mir meine Reise be¬ zahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch bin ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die ich bis jetzt in der Natur und in der Kunst gesehen habe; und ich verzweifle selbst mit meinem Ideale höher steigen zu können. Ich muſs Canovas Hände küssen, wenn ich nach Rom komme, wo er, wie ich höre, jetzt lebt. Das goldene Gefäſs, die goldene Schale und das goldene Stirnband haben mich gewiſs nicht bestochen; ich habe bloſs die Göttin angebetet, auf deren Antlitz alles, was der weibliche Himmel liebenswürdiges hat, ausgegossen ist. In das Lob der Gestalt und Glieder und des Gewandes will ich nicht eingehen; das mögen die Geweiheten thun. Alles ist des Ganzen würdig.
In dem nehmlichen Hause steht auch noch ein schöner Gypsabguſs von des Künstlers Psyche. Sie ist auch ein schönes Werk; aber meine Seele ist zu voll von Hebe, um sich zu diesem Seelchen zu wenden. 102In dem Zimmer, wo der Abguſs der Psyche steht, sind rund an den Wänden Reliefs in Gyps von Canovas übrigen Arbeiten. Eine Grablegung des Sokrates durch seine Freunde. Die Scene, wo der Verurtheilte den Becher nimmt. Der Abschied von seiner Familie. Der Tod des Priamus nach Virgil. Der Tanz der Phäacier in Gegenwart des Ulysses, wo die beyden tanzenden Figuren vortrefflich sind: und die opfern¬ den Trojanerinnen vor der Minerva, unter Anführung der Hekuba. Alles ist eines groſsen und weisen Künst¬ lers würdig; aber Hebe hat sich nun einmahl meines Geistes bemächtiget und für das übrige nichts mehr übrig gelassen. Wenn der Künstler, wie man glaubt, nach einem Modell gearbeitet hat, so möchte ich für meine Ruhe das Original nicht sehen. Doch, wenn dieses auch ist, so wird seine Seele gewiſs es erst zu diesem Ideal erhoben haben, das jetzt alle Anschauer begeistert.
Da meine Wohnung hier nahe am Markusplatze ist, habe ich fast stündlich Gelegenheit die Stellen zu sehen, auf welchen die berühmten Pferde standen, die nun, wie ich höre, den konsularischen Pallast der Gal¬ lier bewachen sollen. Sonderbar; wenn ich nicht irre, erbeuteten die Venetianer, in Gesellschaft mit den Franzosen, diese Pferde nebst vielen andern gewöhnli¬ chen Schätzen. Die Venetianer lieſsen ihren Verbün¬ deten die Schätze und behielten die Pferde; und jetzt kommen die Herren und holen die Pferde nach. Wo ist der Bräutigam der Braut, der jährlich sein Fest auf dem adriatischen Meere feyerte? Die Britten gingen seit geraumer Zeit schon etwas willkührlich203 und ungebührlich mit seiner geliebten Schönen um; und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben, und ein Fremder nimmt sich kaum mehr Mühe sei¬ nen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach und nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur Guvernementsstadt eines fremden Reichs sich modifi¬ cieren müssen; und desto besser für den Ort, wenn dieses sanft, von der einen Seite mit Schonung und von der andern mit gehöriger Resignation geschieht.
Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der Polizey gelegen hatte und dort unterschrieben werden muſste. Ich bin überhaupt kein groſser Wälscher, und der zischende Dialekt der Venetianer ist mir gar nicht geläufig. Ich konnte in der Kanzley mit dem Ausfer¬ tiger nicht gut fertig werden, und man wies mich in ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er würde unter einem deutschen Monarchen auch wohl deutsch sprechen, sprach ich Deutscher deutsch. Non son asino ferino, antwortete der feine Mann, per rug¬ gire tedesco. Das waren, glaubte ich, seine Worte, die freylich eine grelle Ausnahme von der venetiani¬ schen Höflichkeit machten. Die Anwesenden lachten über den Witz, und ich, um zu zeigen daſs ich wider sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie verstan¬ den hatte, sagte ziemlich mürrisch: Mais pourtant, Monsieur, il est à croire qu'il y quelqu'un ici, qui sache la langue de votre Souverain. Das machte den Herrn etwas verblüfft; er fuhr ganz höflich französisch fort sich zu erkundigen, sagte mir, daſs mein Paſs aus¬ gefertiget sey, und in drey Minuten war ich fort. Ich104 erzähle Dir dieses nur als noch einen neuen Beweis, wie man gegen unsere Nation gestimmt ist. Diese Stimmung ist ziemlich allgemein, und die Oestreicher scheinen sich keine sonderliche Mühe zu geben, sie zu ändern.
Morgen will ich über Padua am Adria hinab wan¬ deln und mich so viel als möglich dem Meere nahe halten, bis ich hinunter an den Absatz des Stiefels komme und mich an den Aetna hinüber bugsieren lassen kann. Die Sache ist nicht ganz leicht. Denn unter Ankona bey Loretto endigt die Poststraſse; und durch Abbruzzo und Kalabrien mag es nicht gar weg¬ sam und wirthlich seyn: sed non sine dis animosus infans. Ich weiſs, daſs mich Deine freundschaftlichen Wünsche begleiten, so wie Du überzeugt seyn wirst, daſs meine Seele oft bey meinen Freunden und also auch bey Dir ist.
Neun Tage war ich in Venedig herumgelaufen. Die Nacht war ich angekommen, die Nacht fuhr ich mit der Korriere wieder ab. Die Gesellschaft war ziem¬ lich zahlreich, und wir waren wie im trojanischen Pferde zusammen geschichtet. Das Wetter war nicht sehr günstig; wir fuhren also von Venedig nach Padua von acht Uhr des Abends bis den andern Mittag. Der Weg an der Brenta herauf soll sehr angenehm seyn; aber das Wasser hatte bekanntlich die Straſsen durch ganz Oberitalien so fürchterlich zugerichtet, daſs es105 ein trauriger Anblick war; und ich grämte mich nicht sehr, daſs ich auf meiner Fahrt und wegen stürmi¬ schen Wetters wenig davon sehen konnte. So wie wir in Padua ankamen, ward das Wetter leidlich. Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus wie die Gesellschaft; aber es wurde durchaus nichts gespro¬ chen, was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die ein¬ zige Bemerkung nehme ich aus, welche ein alter ziemlich ernsthafter Mann machte: es wäre nun zu hoffen, daſs wir in dreyſsig oder vierzig Jahren zu Fuſse nach Venedig würden gehen können. Er deu¬ tete bloſs kurz an, die alte Regierung habe ein Inter¬ esse gehabt die Stadt als Insel zu erhalten und habe sich die Räumung der Lagunen viel Geld kosten las¬ sen; die neue Regierung werde ein entgegengesetztes Interesse haben, und brauchte dann nicht viel Kosten darauf zu wenden, die Straſse von Mestre nach Vene¬ dig fest zu machen. Ich lasse die Hypothese dahin gestellt seyn.
Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hat¬ te, nahm ich meinen Tornister und machte dem hei¬ ligen Antonius meinen Besuch. Sogleich war ein Ci¬ cerone da, der mich führte, und meinte, ich könne ganz füglich, so betornistert wie ich wäre, überall herum laufen. Ich nahm das sehr gerne an, und wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge, mit aller Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig ist, in der gothischen Kathedrale herum. In der Kir¬ che drängten sich mit Gewalt noch zwey Ciceronen zu mir und lieſsen sich mit Gewalt nicht abweisen; sie waren weit besser als ich gekleidet und zeigten106 mir alle ihre Wunder mit viel Salbung; und ich hatte die Ehre dreye zu bezahlen. Sodann ging ich das Monument des Livius aufzusuchen, von welchem alle meine drey Führer nichts wuſsten. Er muſs in seiner Vaterstadt jetzt so auſserordentlich berühmt nicht seyn: denn drey stattlich gekleidete Männer, die ich nach der Reihe anredete, konnten mir weder vom Livius noch von seinem Monumente erzählen; und doch sprachen zwey davon geläufig genug französisch. End¬ lich wies mich ein alter Graukopf nach dem Stadt¬ hause, wo es sich befinde. Ich wandelte in dem un¬ geheuren Saale des Stadthauses neugierig herum, und redete einen Mann mit einem ziemlich literärischen Antlitz lateinisch an. Er antwortete mir italiänisch, er habe zwar ehemals etwas Latein gelernt, aber es nun wieder ziemlich vergessen; und das meinige sey ihm zu alt, das könne er gar nicht verstehen. Er wies mich hierauf an einen Andern, der mit einem Buch in einer Ecke saſs. Dieser stand auf und zeigte mir mit vieler Humanität den alten Stein über dem Eingange einer Expedition. Du kennst ihn unstreitig mit seiner Inschrift, welche weiter nichts sagt, als daſs die Paduaner ihrem Mitbürger Livius hier dieses An¬ denken errichtet haben. Das neue prächtige Monu¬ ment, das der ehemalige venetianische Senat und das Paduanische Volk ihm gesetzt haben, sah ich nicht, weil es zu entfernt war und ich diesen Abend noch nach Battaglia patrollieren wollte. Als ich ging, sagte mir der Paduaner sehr artig: Gratias tibi habemus pro tua in nostrum popularem observantia. Eris nobis cum multis aliis testimonio, quantopere noster Livius apud107 exteros merito colatur. Valeas, nostrumque civem ames ac nobis faveas. Der Mann sagte dieses mit einer Herzlichkeit und einer gewissen klassischen Wichtig¬ keit, die ihm sehr wohl anstand.
Von Livius weg ging ich mit dem Livius im Ko¬ pfe gerades Weges durch seine alte trojanische Vater¬ stadt in das klassische Land hinein, das ehemahls so groſse Männer gab. Du weiſst, daſs ich sehr wenig Literator bin; weiſst aber auch, daſs ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe, dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen. Li¬ vius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich Thucydides noch lieber habe. Ich wiederhole also wahrscheinlich zum zehentausendsten Mahle die Klage, daſs wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten etwas rodomantadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier und da über seine Wiederfin¬ dung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte sich an den andern; und da fand ich denn in meinem Sinn, daſs wir wohl schwerlich den ganzen Livius wieder haben werden. Freylich ist das zu be¬ dauern; denn gerade die wichtigsten Epochen der rö¬ mischen Geschichte für öffentliches Recht und Men¬ schenkunde, und wo sich unstreitig das Genie und die Freymüthigkeit des Livius in ihrem ganzen Gange ge¬ zeigt hat, der Sklavenkrieg und die Triumvirate sind verloren: aber was kann Klage helfen? Den Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, daſs er aus Zufall oder Vernachläſsigung gekommen sey. Livius war ein freymüthiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer Patriot und Verehrer der Freyheit,108 wie alle seine Mitbürger, die es bey den letzten Unru¬ hen in Rom unter dem Triumvirat thätig genug ge¬ zeigt hatten; er war ein erklärter Feind der Despotie. August selbst, dem die römische Schmeicheley schänd¬ licher Weise einen so schönen Namen gab, nannte ihn mit einer sehr feinen Tyrannenmäſsigung nur ei¬ nen Pompejaner. Die Familie der Cäsarn war nun Meister; man kennt die Folge der erbaulichen Sub¬ jekte derselben, die schon schlimm genug waren, wenn sie auch nur halb so schlecht waren, als sie in der Geschichte stehen. Du findest doch wohl begreiflich, daſs die Cäsarn nicht absichtlich ein Werk, wie die Geschichte des Livius war, zu Lichte werden geför¬ dert haben. Es wird mir sogar aus einigen Stellen des Tacitus sehr wahrscheinlich, daſs man alles gethan hat sie zu unterdrücken; wenigstens die Stellen, wo der aristokratisch römische Geist überhaupt und die Tyranney der Cäsarischen Familie insbesondere mit sehr grellen Farben gezeichnet seyn muſste. Dieses waren vorzüglich der Sklavenkrieg und das Ende der Bürgerkriege. Es war überhaupt ein weitläufiges Werk, und nicht jeder war im Stande sich dasselbe kopieren zu lassen. Alle fanden es also wahrschein¬ lich genug ihrer Sicherheit und ihrem Interesse ge¬ mäſs, die Stellen nicht bey sich zu haben, die ihnen von dem Argwohn und der Grausamkeit ihrer Herr¬ scher leicht die blutigste Ahndung zuziehen konnten. Auf diese Weise ist das Schätzbarste von Livius im ei¬ gentlichen Sinne nicht sowohl verloren gegangen als vernichtet worden: und als man anfing ihn ins Ara¬ bische zu übersetzen, war er vermuthlich schon so109 verstümmelt, wie wir ihn jetzt haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt die wichtigen Bruch¬ stücke fänden sich noch irgendwo in einem sel¬ tenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vul¬ kans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen Herr¬ scher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen, daſs wir die Schätze nicht erhalten werden; zumahl bey dem erneuerten und vergröſserten Argwohn, der seit einigen Jahrzehenden zwischen den Machthabern und den Beherrschten Statt hat. Wenn ich mich irre, soll es mir lieb seyn; denn ich wollte drey Fuſsreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort von dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der gröſsten und besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr bin.
Unter diesen Ueberlegungen, deren Konsequenz ich Dir überlasse, wandelte ich die Straſse nach Ro¬ vigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb so schön als die andere von Treviso nach Mestre: die Ueberschwemmungen mit dem neuen Regenwasser hat¬ ten die Wege traurig zugerichtet, und ich zog sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueber¬ all war der Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend ausgeschüttet, und überall war in den Hütten die jämmerlichste Armuth. Vermuthlich war dieſs noch mit Folge des Kriegs. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu Mittage an der Straſse in ei¬ nem Wirthshause ein, das nicht die schlimmste Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts, als etwas Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte viel zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern110 nur etwas Brot schaffen könnte. Aber es war unmög¬ lich; man gab mir aus Gutmüthigkeit noch einige Bissen schlechte Polenta, und ich muſste damit und mit meinem Schluk Wein weiter gehen.
Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das Cisalpinische. Der Kaiserliche Offizier jenseit des Flusses, der meinen Paſs mit aller Schwerfälligkeit der alten Bocksbeuteley sehr lange revidierte, machte mir bange, daſs ich dieſseits bey dem französischen Kommandanten wohl Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war alles gerade das Gegen¬ theil. Er war ein freundlicher jovialischer Mann, der mir den Paſs, nach einem flüchtigen Blick auf mich und auf den Paſs, ohne ihn zu unterschreiben, zu¬ rück gab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, daſs er nicht unterschriebe. Vous n' en avés pas be¬ soin; sagte er: Vous venés de l' autre coté? — Je viens de Vienne, et je m' en vais par Ferrare à Anco¬ ne. — N'importe; versetzte er; allés toujours. Bon voyage! Die Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des Polizeyherrn in Venedig hielt, that mir sehr wohl. Rovigo war die erste eigentlich italiänische Stadt für mich; denn Triest und Venedig und die übrigen Oer¬ ter hatten alle noch so etwas Nordisches in ihrer Er¬ scheinung, daſs es mir kaum einfiel, ich sey schon in Italien. Weder hier, noch in Lagoscuro, noch in Ferrara fragte man mich weiter nach Pässen, ob ich gleich überall starke französische Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem Platze der groſse Freyheitsbaum mit der Mütze auf der111 Spitze, und gegen über in dem groſsen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von Italiänern und Fran¬ zosen, die sich der jovialischen Laune der Ungebun¬ denheit überlieſsen. Aber alles war sehr anständig und ohne Lärm.
Ich muſs Dir bekennen, daſs mir dieses heitere kühne Wesen gegen die stille bange Furchtsamkeit in Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und daſs ich sel¬ ber etwas freyer zu athmen anfing; so wenig ich auch eben diese Freyheit für mich behalten und sie über¬ haupt den Menschenkindern wünschen möchte. Das Wasser hatte hier überall auſserordentlichen Schaden gethan, wie Du gewiſs schon aus den öffentlichen Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der so¬ genannte canale bianco seine Dämme durchbrochen und links und rechts groſse Verwüstungen angerichtet. Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den Däm¬ men und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder in den alten Stand setzen. Hier sah man empörende Erscheinungen der Armuth in einem ziemlich geseg¬ neten Landstriche; und ich schreibe dieses auch mit dem Unheil zu, das die Flüsse und groſsen Kanäle hier sehr oft anrichten müssen. Da die Straſse ganz abscheulich war, lieſs ich mich bis Ponte di Lagos¬ curo auf dem Po hinauf rudern, und zahlte fünf Ru¬ derknechten für eine Strecke von drey Stunden die kleine Summe von zehn Liren. Der Po ist ein gro¬ ſses schönes majestätisches Wasser, und die heitere helle Abendsonne vergoldete seine Wellen und links und rechts die Ufer in weiter weiter Ferne. Es war, als ob ein Ozean herabrollte, und die Griechen haben112 ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer oder den Wogenwälzer genennt, nachdem Du nun die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus scheinen mir ganz die nehmlichen Namen zu seyn.
Wenn man an einem hellen kalten Abende zu Anfange des Februars einige Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist ein gutes warmes Zimmer, eine Suppe und ein frisch gebratener Kapaun ein sehr an¬ genehmer Willkommen. Diesen fand ich in Ponte di Lagoscuro und wandelte den Morgen darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich guten Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum. Die architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die Straſsen sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen Stadt nur eine Kleinigkeit, nehmlich Men¬ schen. Französische Soldaten sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die öffentlichen Ge¬ bäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne Schön¬ heit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale und dem Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier wie in Wien an der Bibliothek, sehr viele alte latei¬ nische Inschriften eingemauert, die meistens Leichen¬ steine sind und für mich wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich ansehnlich; und man wie¬ derholte mit Nachdruck einige Mahl, daſs durchaus kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern, daſs alles durch die Beyträge des Publikums und von Privatleu¬ ten nur seit ungefähr funfzig Jahren angeschaft worden sey. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das Grab und das Monument Ariosts, das sonst bey den113 Benediktinern stand: das sagt die neue lateinische Inschrift. Man zeigte mir mehrere Originalbriefe von Tasso, eine Originalhandschrift von Ariost und sein metallenes sehr schön gearbeitetes Dintenfaſs, an dem noch eine Feder war. Ohne eben die Authenticität sehr kritisch zu untersuchen, würde ich zu Oden und Di¬ thyramben begeistert worden seyn, wenn ich etwas in¬ spirationsfähiger wäre. So viel muſs ich sagen, die Bibliothek beschämt an Ordnung die meisten die ich gesehen habe.
Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr gut mit Suppe, Rindfleisch, Wurst, Fritters, Kapaun, Obst, Weintrauben und Käse von Parma. Du siehst daraus, daſs ich gewöhnlich nicht faste, wie an mei¬ nem Geburtstage zu Udine, und daſs die Leipziger Aubergisten vielleicht sich noch hier ein kleines Exem¬ pel nehmen könnten. Das Wetter war fürchterlich. Ich hatte gelesen von den groſsen gefährlichen Morä¬ sten zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzäh¬ lungen bestätigten es und sagten weislich noch mehr; so daſs ich nicht ungern mit einem Vetturino handel¬ te, der sich mir nach Handwerksweise sehr höflich aufdrang. Der Wagen war gut, die Pferde waren schlecht und der Weg war noch schlechter. Schon in Padua konnte ich eine kleine Ahndung davon haben: denn eine Menge Kabrioletiers wollten mich nach Ve¬ rona und Mantua bringen; da ich aber sagte, daſs ich nach Bologna wollte, verlor kein Einziger ein Wort weiter, als daſs sie alle etwas von Teufelsweg durch die Zähne murmelten. Meine Kutschengefährten wa¬ ren ein cisalpinischer Kriegskommissär, und eine Da¬8114me von Cento, die ihren Mann in der Revolution ver¬ loren hatte. Wir zahlten gut und fuhren schlecht, und wären noch schlechter gefahren, wenn wir nicht zuweilen eine der schlimmsten Strecken zu Fuſse ge¬ gangen waren. Einige Stunden von Ferrara aus ging es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an die Achse. Der Vetturino wollte Ochsenvorspannung neh¬ men; die billigen Bauern foderten aber für zwey Stunden nicht mehr als acht und zwanzig Liren für zwey Ochsen, ungefähr sechs Gulden Reichsgeld. Der arme Teufel von Fuhrmann jammerte mich und ich rieth ihm selbst gar kein Gebot auf die unverschämte Foderung zu thun. Die Gaule arbeiteten mit der furchbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde weiter; dann ging es nicht mehr. Wir stiegen aus und arbeiteten uns zu Fuſse durch, und es ward mit dem leeren Wagen immer schlimmer. Erst fiel ein Pferd, und als sich dieses wieder erhoben hatte, das andere, und einige hundert Schritte weiter fielen alle beyde und wälzten sich ermattet in dem schlammigen thonigen Boden. Da hatten wir denn in Italien das ganze deutsche salzmannische menschliche Elend in concreto. Die Pferde halfen sich endlich wieder auf; aber der Wagen saſs fest. Nun stelle Dir die ganz be¬ kothete Personalität deines Freundes vor, wie ich mit der ganzen Kraft meines physischen Wesens meine Schulter unter die Hinterachse des Wagens setzte und heben und schieben half, daſs die Dame und der Kriegskommissär und der Vetturino erstaunten. Es ging, und nach drey Versuchen machte ich den Fuhr¬ mann wieder flott. Aber ans Einsetzen war nicht zu115 denken. Nun hatte ich das Amt, die Dame und den Kommissär durch die engen schweren Passagen zu bugsieren, und that es mit solchem Nachdruck und so geschicktem Gleichgewicht auf den schmahlen Stegen und Verschlägen und an den Gräben, daſs ich ihnen von meiner Kraft und Gewandtheit eine gar groſse Meinung gab. Schon hatten wir uns, als wir zu Fuſse voraus über den italiänischen Rhein, einen ziemlich ansehnlichen Fluſs, gesetzt hatten, in einem ganz ar¬ tigen Wirthshause zu Malalbergho einquartiert und uns in die Pantoffeln geworfen, als unser Fuhrmann an¬ kam und uns durchaus noch acht italiänische Meilen weiter bringen wollte. Ich hatte nichts dagegen, und die andern wurden überstimmt. Von hier aus sollte der Weg besser seyn. Wir schroteten uns also wieder in den Wagen und lieſsen uns weiter ziehen. Nun trat eine andere Furcht ein; der Dame und dem Kriegskommissär, drollig genug an Italiänern, ward bange vor Gespenstern. Der Kriegskommissär schien überhaupt mit seinem Muth nicht viel zur Befreyung seines Vaterlandes beygetragen zu haben. Mir ward zwar auch etwas unheimisch, nicht vor Geistern son¬ dern vor Straſsenräubern, für welche die Straſse zwi¬ schen tiefen breiten Kanälen ordentlich geeignet schien; indessen sammle ich in dergleichen Fällen als ein gu¬ ter Prädestinatianer meinen Muth und gehe getrost vorwärts. Gegen Mitternacht kamen wir glücklich auf unserer Station, einem isolierten, ziemlich groſsen und guten Gasthof an, der, wenn ich mich nicht irre, Althee hieſs und von dem ich Dir weiter nichts zu sagen weiſs, als daſs man mir einen Wein gab, der116 dem Champagner ähnlich war und also meinen Bey¬ fall hatte. Bey diesem Weine und der guten Mahl¬ zeit schien der Kriegskommissär ganz eigentlich in sei¬ nem rechten Elemente zu seyn: das ist ihm nun frey¬ lich nicht übel zu nehmen; denn ich befand mich nach einer solchen Fahrt dabey auch ganz behaglich.
Den andern Mittag langten wir hier in der alten päpstlichen Stadt Bologna an, wo man zuerst wieder nach meinem Passe fragte. Mit mir Fremden nahm man es nicht so strenge, als mit meinem Kameraden dem Kommissär, der aus der Gegend von Parma war, und der ein förmliches Kandidatenexamen aushalten muſste. Auf der Polizey, wo ich den Paſs signieren lassen muſste, war man eben so artig und höflich als an dem Gränzflusse. Hier in Bologna fand ich über¬ all eine exemplarische Unreinlichkeit, die an Schwei¬ nerey gränzt: und wenn man der häuslichen Nettig¬ keit der Italiäner überhaupt kein groſses Lob geben kann, so haben die Leute in Bologna den gröſsten Schmutz aufzuweisen. Auſser dem Stolz auf ihr altes Felsine, behaupten die Bologneser noch, daſs ihre Stadt so groſs sey wie Rom. Daran thun sie nun frey¬ lich etwas zu viel; wenn man aber auf den Thurm steigt und sich rings umher umschaut, so wird man den Raum doch groſs genug finden, um in eine solche Versuchung zu gerathen, zumahl wenn man etwas patriotisch ist. Der Hauptplatz mit der daran stoſsenden Kathedrale, und dem Gemeinehause rechts und den groſsen schönen Kaufmannshallen links, macht keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf demsel¬ ben, von Jean de Bologna, hat als Statüe wohl seine117 Verdienste; nur Schade, daſs der arme Gott hier so wenig von seinem Elemente hat, daſs er wohl kaum den Nachbaren auf hundert Schritte in die Runde zu trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht sehr demüthig in einem sehr spieſsbürgerlichen Auf¬ zug daneben. Ueber dem Portal hängt ein nicht un¬ feines Bild der Freyheit mit der Umschrift in groſsen Buchstaben: Republica Italiana; welches erst vor eini¬ gen Wochen hingesetzt war, da man die Cisalpiner in diese Nomenklatur metamorphosiert hatte.
Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil man daselbst durchaus immer die niedrigsten Hans¬ wurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach Ka¬ tzenmusik tanzen lasse. Hätte ich mehr Zeit gehabt so hätte ich doch wohl die Schnurrpfeifereyen mit an¬ gesehen. Ich ging aber auf das kleine Theater Da Ruffi, und fand es für eine so kleine Unternehmung allerliebst. Ich kann nicht begreifen, wie die Leute bey einem so geringen Eintrittsgelde und den kleinen Raum des Schauspielhauses den Aufwand bestreiten können. Man gab ein Stück aus der alten französi¬ schen Geschichte, den Sklaven aus Syrien, wo natür¬ lich viel über Freyheit und Patriotismus deklamiert wurde, aber schon wieder mit vieler Beziehung auf Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man viel¬ leicht voriges Jahr noch nicht hätte thun dürfen. Die Donna und der Held waren gut. Der Dialekt war für mich deutlich und angenehm; die meisten Schau¬ spieler waren, wie man mir sagte, Römer, und nur ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem Stück118 gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich vorher gar keinen Begriff hatte und auch jetzt noch keinen deutlichen bekommen habe, da es mir an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem Stücke mit allgemeiner Theilnahme enthusiattisch gespielt wird. Die Anstalten waren sehr feyerlich; es waren Munizipalbeamten mit Wache auf dem Thea¬ ter, die Lose wurden vorher ausgerufen, alle gezeigt, und einem Knaben in den Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte, hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze Golkondas, so ein Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir hätte das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle der¬ gleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physionomien der Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten. Mein Cicerone war ein gewaltig gelehrter Kerl, und sprach und räsonnierte von Schulen und Meistern und Gemählden so strömend, als ob er die Dialektik stu¬ diert hätte und Professor der Aesthetik wäre; und er konnte es gar nicht zusammen reimen, daſs ich nicht wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich halb für einen Barbaren und halb für einen armen Teu¬ fel; und ich überlasse Dirs, in wie weit er in beydem Recht hat. Ich ging trotz seinen Demonstrationen und Remonstrationen den andern Morgen zum Thore hinaus.
Von Bologna geht es auf dem alten Emilischen Wege in der Niedrigung durch eine sehr wasserreiche Ge¬ gend immer nach Rimini herunter. Bloſs von Bologn bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse. Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt waren; der Boden ist überall sehr fett und reich. In Imola machte ich einen etwas barocken Einzug. Ich kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in Pordenone schon einen Prodrom gese¬ hen hatte. Die ganze Stadt war in Mummerey und zog in bunten Gruppen in den Straſsen herum. Nur hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Män¬ ner und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu. Meine Erscheinung mochte für die Leute freylich et¬ was hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Klei¬ dung, ein Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein groſser schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere des Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmahl war ich mit einer Gruppe umgeben, die allerhand lächerliche Bockssprünge um mich herum machte. Die ernst¬ haften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit; einen genialischen Aufzug dieser Art kann man frey¬ lich nicht auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich trat mit den possierlichsten Stellungen eine tolle Mas¬ kenfratze vor mich hin und hielt mir ein Barbier¬ becken unter die Nase, das Don Quischott sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein anderes120 Bocksgesicht setzte sich hinter mich, um von seinem Attribut der Klystierspritze Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde Gelächter von halb Imola vor, als ich den Klystierspritzenkerl mit einer Schwen¬ kung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch nach ihm hin schwang und meine Personalität etwas aus dem Gedränge zu Tage förderte. Zum Unglück muſs ich Dir sagen, daſs mein Bart wirklich über drey Tage lang war und daſs ich von den dortigen rothen Weinen, an die ich nicht gewöhnt war, mich in ei¬ ner Art von Hartleibigkeit befand. Die Menge zer¬ streute sich lachend, und ein ziemlich wohl gekleide¬ ter Mann ohne Maske, den ich nach einem Gasthof fragte, brachte mich durch einige Straſsen in die Höl¬ le, Nummer Fünfe. Das war nun freylich kein er¬ baulicher Name; indessen ich war ziemlich müde und wollte in meinen Pontifikalibus nicht noch einmahl durch das Getümmel laufen um ein besseres Wirths¬ haus zu suchen; also blieb ich Nummer Fünfe in der Hölle. Nachdem ich meinen Sack abgelegt hatte, wandelte ich wieder vor zu dem Haufen; und nun muſs ich den Farcenspielern die Gerechtigkeit wider¬ fahren lassen, daſs sie sich, so weit es ihr Charakter erlaubte, ganz ordentlich und anständig betrugen. Ein entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich in drey verschiedenen Sprachen, in der deutschen, französi¬ schen und italiänischen, anredete, verlieſs mich mit seiner Dienstfertigkeit nicht eher, als bis einige fran¬ zösische Officiere mich von ihm retteten und mit mir in ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause war der beste Tummelplatz der Maskierten, die in121 hundert lächerlichen Aufzügen und Gruppierungen mit und ohne Musik auf und nieder liefen. Ein siedend heiſser politischer Imolait schloſs sich an mich an und führte das Gespräch durch verschiedene Gegenstände sehr bald auf die Politik und erkundigte sich, wie es in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der Wahrheit gemäſs, ganz ruhig. On les a bien forcé à coups de bayonettes à être en repos; sagte er. Appa¬ remment; sagte ich. — C'est toujours la meilleure ma¬ niere de disposer les gens à se conformer à la rai¬ son. — Mais oui, entgegnete ich, après en avoir es¬ sayé les autres; pourvù toute fois, qu' il y ait de la raison et de la justice au fond de l'affaire — Est¬ ce que vous en doutes pour la notre? — On ne peut pas repondre à cela en deux mots. Nun wollte er eine Diskussion anfangen und ward ziemlich heftig. Ich entschuldigte mich mit meiner alten Formel: Quand on commence, il faut toujours commencer par le com¬ mencement; da würde sich denn ergeben das alte Iliacos intra muros peccatur et extra. Der Abend rief mich zum Essen und zur Ruhe, und wir schieden recht freundschaftlich indem er meinte: Wenn es auf uns beyde angekommen wäre, würde wohl kein Krieg entstanden seyn. Das glaubte ich wenigstens für mich auf meiner Seite, und ging ganz andächtig in die Hölle Nummer Fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang recht sanft schlief. Ist Imola nicht ein Ort, wo ein Bischof sich zum Papst bilden kann?
In Faenza sah ich die erste französische Wachpa¬ rade, und in Forli nichts. Nicht eben als ob da nichts zu sehen wäre: Antiquare und Künstler finden daselbst122 reichliche Unterhaltung für ihre Liebslingsfächer. Aber ich dachte weder an alte noch neue Kriege und zog gerades Weges ins Wirthshaus, das Hotel de Naples. Auf mein ltaliänisch war man nicht auſserordentlich höflich, vermuthlich weil es nicht sonderlich gut war. Ne pourrai je pas parler au maitre de la maison? fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen Tornister abwarf. Auf einmahl war alles freundlich, und alles war zu haben. Sonderbar, wie zuweilen einige Worte so oder so wirken können, nachdem man sie hier oder da sagt. In Ferrara mochte ich wohl mit meinem Reisesacke einigen Herren etwas drollig vorkommen, und sie schienen sich hinter mir über mich mit lau¬ tem Gelächter etwas zu erlustigen. Qu'est ce qu'il y a là, Messieurs? fragte ich mit einer enrhumierten rauhen Stimme. Niente, Signore, war die Antwort; und alles trat still in eine bescheidnere Entfernung. In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilet gelten kön¬ nen. Ich fand in dem Hotel de Naples zwey Kauf¬ leute und drey Schiffer; der Kellner war ein joviali¬ scher Mensch; man begrüſste mich in einer Minute zehn Mahl mit dem Prädikate cittadino, gab mir den Ehrenplatz und fütterte mich à qui mieux mit den be¬ sten Gerichten. Es machte keinen Unterschied als man nun erfuhr, ich sey ein Deutscher; so sehr be¬ stimmt der erste Augenblick die künftige Behandlung. Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stür¬ misch war, um den Kamin her, machten einen trau¬ lichen freundlichen Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen allerliebsten Jungen, der wie ein Toast123 der Gesellschaft von den Knien des Einen zu den Knien des Andern ging.
Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten Forum Pompilii, und die Trümmer einer Brücke, wel¬ che auch alt zu seyn scheint. Ich sah von allem sehr wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke gleich vor Cesena über den Savio ist ein Werk, das bey den Italiänern für etwas sehr schönes gilt; das kann aber nur in dieser Gegend seyn. Das fürchterlich schlechte Wetter hielt mich in Cesena, da ich doch nur von Forli gekommen war und also nicht mehr als vier Stunden gemacht hatte. Hier wurde ich von dem Wirth mit einer gewissen kalten Förmlichkeit aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein ziemlich ärmliches Zimmer hinten hinaus geführt. Ich hatte weiter nichts dawider. Nachdem wir aber eine Stunde zusammen geplaudert hatten, ich in ei¬ nem Intermezzo des Regens etwas ausgegangen war, um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu besuchen, und wieder zurück kam, fand ich meine Sachen um¬ quartiert und mich in ein recht schönes Zimmer vorn heraus versetzt. Die Wirthin machte die Erklärung: Man habe mich für einen Franzosen gehalten, der von der Munizipalität logiert würde: nun pflegte die Mu¬ nizipalität seit geraumer Zeit für die zugeschickten Gä¬ ste gar nichts mehr zu bezahlen; man könnte es also nicht übel deuten, daſs sie auf diese Weise so wohlfeil als möglich durchzukommen suche. Aber ein Galan¬ tuomo wie ich, müsse mit Anstand bedient werden. Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom Hause waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als124 man in Ehren nur verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er bedauerte, daſs es Friede sey und der Schleichhandel nicht mehr so viel eintrage: das sagte er nehmlich, ohne sich sehr ver¬ blümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute Bewirthung auſserordentlich billig. Cesena ist übrigens eine alte sehr verfallene Stadt, und der auf¬ gepflanzte Freyheitsbaum machte unter den halbver¬ schütteten Häusern des fast leeren Marktes eine trau¬ rige Figur. Pius der Sechste muſs für seine Vaterstadt nicht viel gethan haben: es würde ihm weit rühmli¬ cher seyn, als der verunglückte Pallast für seinen ver¬ dienstlosen Nepoten.
Vor Savignano ging ich, nicht vvie Cäsar, über den Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten entscheidenden Schritt gethan, die sonderbare Freyheit seines Vaterlandes zu zertrümmern, als er als Despot des neu eroberten Galliens zurück kehrte. Ein eigener Charakter, der Julius Cäsar. Es ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Haſs verdienen. Ich erinnere mich, daſs es mir in einem solchen moralischen Kampfe ein¬ mahl entfuhr, Cäsar sey der liebenswürdigste Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Aeuſserung hätte mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät zugezo¬ gen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Bru¬ tus sey eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz Liebenswürdigkeit. So, so; bien vous fasse! Ihr125 seyd werth, Cäsarn mit seiner ganzen Sippschaft und liebenswürdigen Nachkommenschaft zu Herrschern zu haben; ob ich es gleich nicht über mich nehmen wollte, den Junius Brutus durchaus zu vertheidigen. Also hier gingen wir beyde über den Rubikon, Cäsar und ich; haben aber übrigens beyde nichts mit einan¬ der gemein, als daſs wir — nach Rimini gingen.
In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von Leuten, die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen. Ich fragte einen wohlgekleideten Mann nach einem Speisehause. Er besah mich ganz miſstrauisch, schaute nach meinem Huthe und da er rund herum keine Kokarde entdeckte, ward sein An¬ sehen etwas grimmig und er schickte mich mit der höflichen Formel weiter: Andate al diavolo! Das war der Revers von Cesena. So gehts zu Revolutionszei¬ ten: für das nehmliche wirst Du hier gepflegt, dort beschimpft; glücklich wenns nicht weiter geht.
In Rimini schlief ich gewiſs ruhiger, als der mäch¬ tige Julius nach seiner Passage geschlafen haben mag. Vor der Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem Platze della Fontana steht der heilige Gaudentius von Bronze, der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul, ich weiſs nicht welcher, hat hier ein Monument für eine Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen lieſs. Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der wichtigsten Werke und für eine der gröſsten Wohlthaten; und hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht schöne wohl¬ thätige Wasserleitung bauet, kann ich ihm fast verge¬ ben, daſs er Papst ist. Auf dem andern Platze stand126 der Baum mit der Mütze und der Inschrift: L' Union des François et des Cisalpins. Aber welche Union! das mag der heilige Bartholomäus in Mayland sagen.
Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hin¬ auf auf die Berge gehen sollen, um die selige Repu¬ blik Sankt Marino zu besuchen; zumahl da ich eine kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn sie nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini den Meister gespielt; deſswegen gingen die rechtgläu¬ bigen Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika und verewigten ihre muthige Flucht durch den Na¬ men des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen ha¬ be, die ganze Geschichte auf einer groſsen Marmor¬ platte über dem Portal der Kirche zu Katholika: ich nehme mir aber selten die Mühe etwas abzu¬ schreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen. In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? Bey mir antwortete er. Sehr wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, ein Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner Weisheit anheim, und er that sein möglichstes mich zu frieden zu stellen, ging aus und brachte Vik¬ tualien, machte selbst den Koch und holte zweyerley Wein. Das war von nun an oft der Fall, daſs der127 Herr Wirth sich hinstellte und mir die patriarchali¬ sche Mahlzeit bereitete und ich ihm hülfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz leise, daſs die gottlosen Franzosen viere der schönsten Gemählde von hier mit weggenommen haben. Als ich den andern Morgen im Kaffeehause saſs und mein Frühstück verzehrte, liessen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein Vetturino war nun ein ächter Orthodox, der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein Stoſsge¬ betchen sagte, seine Messe brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger ver¬ dammt wäre solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und Vernichtung für das Konsequen¬ teste halten: denn solche Seelen können nicht fort leben.
Vor Pesaro und noch mehr bey Fano wird die Gegend ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und De¬ fileen in den Höhen, und es wird leicht begreiflich, wie die fremden Karthager sich hier verirrten und den Römern leichtes Spiel machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse welche aus den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluſs, und hat eben so wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo Hasdrubal geschlagen worden seyn soll. Ich kann darüber nichts bestimmen, da mir die Ge¬ schichte der Schlacht aus den alten Schriftstellern nicht gegenwärtig war. So viel ist gewiſs, daſs sie hier in128 der Gegend und am Flusse vorfiel; und mit dem Poly¬ bius und Livius in der Hand dürfte es vielleicht nicht schwer seyn, den Platz genau aufzusuchen. Da ich aber wahrscheinlich nicht in Italie kommandieren werde, war ich um den Posten nicht sehr bekümmert. Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen Konsuln selig!
Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine Lage: vorzüglich geben die üppig vegetierenden Gär¬ ten der Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen Ich hatte hier das Vergnügen ein italiänisches Stiergefecht zu sehen, wo die Hunde ziemlich hoch geworfen wur¬ den und ziemlich blutig wegkamen, und woran halb Sinigaglien sich sehr zu ergötzensc hien. Das Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich weiter bis Ankona, da ich einmahl in die Bequemlichkeit des Sitzens gekommen war. Die See ging hoch und die Brandung war schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit jungen Weitzen und Oehlbäumen ge¬ schmückt. Vor Ankona blühten den neunzehnten Fe¬ bruar Bohnen und Erbsen. Die Thäler und Berge rechts geben abwechselnd mit Wein und Obst und Oehl und Getreide eine herrliche Aussicht. Der Ha¬ fen von Ankona mag für die Alten auſserordentlich gut gewesen seyn; für die Neuern ist er es nicht mehr in dem Grade: und wenn nicht der Molo viel weiter hinaus geführt worden wäre, würde er wenig mehr brauchbar seyn. Es können nur wenig groſse Schiffe sicher darin liegen. Bekanntlich steht am Anfange des alten Molo der sogenannte Triumphbogen Trajans von weiſsem Marmor, der aus den Antiquitätenbüchern129 hinlänglich bekannt ist. Die Schrift fängt an ziem¬ lich zu verwittern, und man muſs schon sehr ziffern, wenn man den Sinn heraus haben will. Es müſste denn nur mir so gegangen seyn, der ich im Lesen der Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen des Van Vittelli, weiter hinaus, steht gegen den alten sehr demüthig da. Ganz am Ende des Molo steht ein Wachthurm, und vor demselben standen einige Piecen Artillerie auf dem Molo hereinwärts, die den Hafen bestreichen. Die übrigen Stücke decken oder wehren bloſs den Eingang von der Seite von Loretto. Am Thurme stand eine französische Wache, deren man in der ganzen Stadt sonst nicht viele fand, obgleich die Besatzung ziemlich stark ist. Est ce qu'il est permis de monter la tour pour voir la contrée? fragte ich. Non; war die Antwort: ich muſste also zurückgehen und die Berge rund umher besteigen, wenn ich die Aus¬ sicht theilweise haben wollte, die ich hier ganz hätte haben können. Es mag freylich wohl der beste mili¬ tärische Augenpunkt seyn. Das Seelazareth an dem andern Ende des Hafens, gleich am Wege von Loretto und Sinigaglia, der sich dort trennt, ist ein sehr schö¬ nes Gebäude ganz im Meere, so daſs eine Brücke hinüber führt. Es hat rund herum eine Menge schö¬ ner bequemer Gemächer, eine Kapelle mitten im Ho¬ fe, frisches Wasser durch Röhren vom Berge und ein ziemlich groſses Waarenhaus. Auch das Militärspital auf dem Lande ist ein schönes weitläufiges Gebäude. Die Schiffe sind meistens fremde und die Handlung hebt sich nur sehr langsam durch die Maſsregel des römischen Hofes, daſs man Ankona zu einem Frey¬9130hafen erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte Kathedralkirche, wo auſser dem unver¬ weslichen heiligen Cyriakus noch einige andere Kapi¬ talheilige begraben liegen, deren Namen mir entfallen sind. Man findet dort eine schöne prächtige, funkel¬ nagelneue Inskription, daſs Pius der Sechste auf sei¬ ner Rückkehr aus Deutschland, wo er die Wiener ge¬ segnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des Heili¬ gen in Augenschein genommen, bewundert und von neuem dokumentiert habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist dem Papst auf Kosten des Volks und der Stände der Mark Ankona in der glänzenden marmornen Krypte der Heiligen errichtet worden. O sancta!
Die Börse ist ein groſser, schöner, gewölbter Saal mitten in der Stadt, mit interessanten gut gearbeiteten Gemählden und Statüen, welche moralische und bür¬ gerliche Tugenden vorstellen. Die erstern sollen von Perugino seyn, wie man mir sagte; ich hätte sie nicht für so alt gehalten.
Im Theater gab man die alte Posse, der lustige Schuster, gar nicht übel; und das italiänische Talent zur Burleske mit dem feinen Takt für Schicklichkeit und Anstand zeigte sich hier sehr vortheilhaft. Ich kann nicht umhin, Dir hier einige Worte über un¬ sere deutschen Landsleute auf der Bühne zu sagen. Es wäre wohl zu wünschen, daſs sie etwas von der Delikatesse der Wälschen hierin hätten oder lernten. Das ist bey uns ein ewiges Küssen und sogar Schma¬ tzen auf den Brettern bey jeder Gelegenheit. Wenn man glaubt, daſs dieses eine schöne ästhetische Wir¬131 kung thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; we¬ nigstens für mich muſs ich bekennen, daſs mir nichts langweiliger und peinlicher wird als eine solche Zärt¬ lichkeitsscene. Ein Kuſs ist alles, und ein Kuſs ist nichts; und hier ist er weniger als nichts, wenn er so seine Bedeutung verliert. Er gehört durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiſs die Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie alle zu beantworten. Der Italiäner weiſs durch die feinen Nüanzen der Umarmung mehr zu wirken, als wir durch unsere Küsse. Es versteht sich, daſs seltene Ausnahmen Statt finden. Ein ande¬ rer Artikel, den wir etwas zu materiell behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als ob wir unsere Stärke zeigen wollten, um die Präemi¬ nenz unsers Magens zu beweisen: und der Gebrauch der Theemaschine und der Serviette gehört bey mir durchaus nicht zu den guten Theaterkünsten; zumahl wenn man eine Theekanne auf das Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum unförmli¬ cher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, daſs ich da in dramaturgischen Eifer gerathe: es wirkt unangenehm, wenn man Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.
132Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort ge¬ funden, wo es so theuer wäre wie in Ankona; selbst nicht das theure Triest. Ich habe hier täglich im Wirthshause einen Kaiserdukaten bezahlen müssen, und war für dieses Geld schlecht genug bewirthet. Man schiebt noch alles auf den Krieg und auf die Belagerung; das mag den Aubergisten sehr gut zu Statten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem Lohnbedienten zahlte ich täglich sechs Paolo; dafür wollte er früh um neun Uhr kommen und den Abend mit Sonnenuntergange fort gehen; und machte gewal¬ tige Extrafoderungen, als er bis nach der Komödie bleiben sollte, da ich in der winkligen Stadt meine Auberge in der Nacht nicht leicht wieder zu finden glaubte. Er pflanzte sich im Parterre neben mich und unterhielt mich mit seinen Impertinenzen; und dafür muſste ich ihm die Entree bezahlen und zwey Paolo Nachschuſs für die Nachtstunden. Die Barbiere brin¬ gen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von Lehr¬ ling, der das Becken trägt und das Bartscheren von dem groſsen Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der That so geräumig, daſs man bequem ei¬ nige Ferkel darin abbrühen könnte, und man wun¬ dert sich nicht mehr so sehr, daſs die erhitzte Phan¬ tasie Don Quischotts so etwas für einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so kommt der Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in Ord¬ nung gelegt hat und fodert etwas della bona mano, della bona grazia, und macht zu einer Kleinigkeit kein sehr freundliches Gesicht. Mein Bart hat mich bey den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und133 wenn ich länger hier bliebe, würde ich mich an die Bequemlichkeit der Kapuziner halten.
Die Leute klagten über Noth und hielten bey hel¬ lem Tage durch die ganze Stadt Faschingsmumme¬ reyen, daſs die Franzosen die Polizeywache verdoppeln muſsten, damit das Volk einander nur nicht todt trat, so voll waren die Gassen gepfropft. Da gab es denn eben so possierliche Auftritte, wie in Imola. Vorzüg¬ lich schnakisch sah es aus, wenn eine sehr feine Ge¬ sellschaft in dem höchsten Maskeradenputz vorbey zog, ein wirklicher Ochsenbauer mit seinen weitgehörnten Thieren, die Weinfässer fuhren, sich eingeschoben hatte und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter den Fässern hertrollte, nicht vorbey konnte, mit Ungeduld ihre Blicke nach den Damen schickten, endlich durch¬ wischten und mit den soliden Fuhrleuten in ernst¬ hafte Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben und Lärm unter den dichtgedrängten Zuschauern links und rechts. Die armen Leute, welche über Hunger klagten, warfen doch einander mit Bonbons aller Art; aber vorzüglich gingen freundschaftliche zärtliche Ka¬ nonaden mit einer ungeheuern Menge Maiz, den man in Körben als Ammunition zu dieser Neckerey dort zum Verkauf trug. Mich däucht, man hätte nachher wohl zehen Scheffel sammeln können. Freylich lesen den andern Tag die Armen auf, was nicht im Koth zertreten und zerfahren ist; und damit entschuldigt man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr när¬ risch lustige Art Almosen auszutheilen.
Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet und man trifft daselbst immer sehr angenehme unter¬134 haltende Gesellschaft von Fremden und Einheimischen. Eine sonderbare Erscheinung muſs die Belagerung der Stadt im vorigen Kriege gemacht haben, wo fast alle Nationen von Europa, Oestreicher, Engländer, Russen, Italiäner und Türken gegen die neuen Gallier schlu¬ gen, die sich trotz allen Anstrengungen der Herren endlich doch darin behaupteten, und die nun bloſs durch die gewaltige Frömmigkeit ihrer Machthaber daraus vertrieben werden. Ankona ist gewiſs in jeder Rücksicht einer der interessantesten militärischen Po¬ sten an dieser Seite, und nächst Tarent der wichtigste am ganzen adriatischen Meere. Bis nach Ankona lau¬ tete mein Paſs von Wien aus, weil der höfliche Prä¬ sident der italiänischen Kanzley ihn durchaus nicht weiter schreiben wollte. Aber hier machte man mir gar keine Schwierigkeit mir einen Paſs zu geben, wo¬ hin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen besorgt, ich möchte dem Tode entgegen gehen. Da¬ wider lieſs sich nun freylich kein mathematischer Be¬ weis führen: ich machte den guten freundschaftlichen Leuten aber deutlich, daſs meine Art zu reisen am Ende doch wohl noch die sicherste sey. Wer würde Reichthümer in meinem Reisesacke suchen? Mein Aufzug war nicht versprechend; und um nichts schlägt man doch nirgends die Leute todt.
Wider meine Absicht bin ich nun hier in Rom. Die Leutchen in Ankona legten es mir so nahe ans Gewissen, daſs es Tollkühnheit gewesen wäre, von dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Be¬ schreibungen waren fürchterlich, und im Wirthshause betete man schon im voraus bey meiner anscheinen¬ den Hartnäckigkeit für meine arme erschlagene Seele. Vous avés bien l'air d'être un peu François; et tout François est perdû sans ressource en Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles; sagte man mir. Das klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich denke noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem Vaterlande zu essen. On Vous prendra pour François, et on Vous coupera la gorge sans pitié; hieſs es. Fort bien, sagte ich; ou plûtot bien fort. Was war zu thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto mei¬ nen Besuch, lieſs meinen Knotenstock von dem Sa¬ kristan zur Weihe durch das Allerheiligste tragen, be¬ guckte etwas die Votiven und die gewaltig vielen Beichtstühle, lieſs mir für einige Paolo ein halbes Du¬ tzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der Tiber zu. Freylich gab es auch hier kei¬ nen Mangel an Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und da zum Denk¬136 mahl und zur schrecklichen Warnung an den Ulmen aufgehängt: aber ich habe die Gabe zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen, als ich doch wirk¬ lich bin; und so bin ich glücklich auf dem Kapitole angelangt.
Die Gegend von Ankona nach Loretto ist herrlich, abwechselnd durch Thäler und auf Höhen, die alle mit schönem Getreide und Obst und Oehlbäumen be¬ setzt sind; desto schlechter ist der Weg. Es hatte noch etwas stark Eis gefroren, eine Erscheinung die mir in der Mitte des Februars bey Ankona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam, vermehrte die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges unerträglich.
Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt gewesen, daſs ich auf der Straſse den dritten Menschen immer für einen Bettler ansah. Desto über¬ raschender war mir ein kleiner Irrthum vor Loretto, wo es vorzüglich von Armen wimmelt. Ein ältlicher ärmlich gekleideter Mann stand an einem Brücken¬ steine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler De¬ ferenz seinen alten Huth ab und sprach etwas ganz leise, das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt. Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem Kleide und an seiner Miene, daſs er wohl bessere Tage gesehen haben müsse, und reichte ihm ein klei¬ nes Silberstück. Das setzte ihn in die gröſste Verle¬ genheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine Zunge zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas näher ins Auge und fand so viel feine Bonhommie in seinem ganzen Wesen, daſs ich mich137 über meine Uebereilung ärgerte. Wahrscheinlich hiel¬ ten wir beyde einander für ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, daſs solche Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr wohl thun müs¬ sen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte Leute gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häus¬ chen im gelobten Lande nicht behaupten konnten, daſs sie es durch die Luft aus Dalmatien hierher bug¬ siert haben. Es steht hier doch wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es auch den Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war. Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport nöthig machen würde; denn die ent¬ setzlichen Franzosen, die doch sonst die allerchrist¬ lichste Nation waren, hatten sich nicht entblödet der heiligen Jungfrau offenbare Gewalt anzuthun, worüber die hiesigen Frommen groſse Klagelieder und Verwün¬ schungen anstimmen: aber die neue Salbung des gro¬ ſsen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey nimmt wieder ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum Fasching vor dem hei¬ ligen Hause in Pomp auf und abführen sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft in der Vergebung der Sünden; aber wer138 diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.
Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange Gasse von Loretto den Berg hinauf und hin¬ ab, durch die schönen Thäler weiter und immer nach Macerata zu. Links haben die Leute eine herr¬ liche Wasserleitung angelegt, die das Wasser von Re¬ canati nach Loretto bringt. Wenn ich überall eine solche Kultur fände, wie von Ankona bis Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Thor ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeymäſsig die Freyheit meinen Paſs zu beschauen. Der Mann war übrigens recht höflich und artig und schickte mich in ein Wirthshaus nicht weit vom Tho¬ re, wo ich so freundlich und billig behandelt wurde, daſs mir die Leutchen mit ihrem gewaltig starken Glauben durch ihre Gutmüthigkeit auſserordentlich werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief so ruhig wie in der Nachbar¬ schaft des Leipziger Paulinums. Es war meine Ge¬ wohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut Glück ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste Wirthshaus an der Straſse zu halten. Die Ge¬ gend war paradisisch links und rechts; aber zu essen fand sich nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab, und ich gerieth in groſse Versuchung mich dort hinunter nach Fermo und Bari zu schlagen. Bloſs mein Versprechen in Ankona hielt mich zurück. 139Ich bat die guten Bruttier um Verzeihung für mein Miſstrauen und meinen Unglauben, und wanderte für¬ baſs. Der Hunger fing an mir ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein ziemlich schmu¬ tziges Schild erblickte und nach einem Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel. Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war warm und trank in groſsen Zügen das Rebengeschenk, das wie die Gabe aus Gal¬ liens Kampanien perlte und wie Nektar hinunter glitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig; und als ich die Kaupone verlieſs, war es als schwebte ich davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen. Schade, daſs ich nicht Zeit und Stimmung hatte sie aufzuschreiben; so würdest Du doch wenig¬ stens sehen, wie mir Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr nüchtern. Die Feldarbeiter be¬ trachteten mich aufmerksam, wie ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die Verse ab. Da fragte mich ganz pathetisch ein Eselstreiber: Vo¬ lete andare a Cavallo, Signore? Ich sah seine Kaval¬ lerie an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken, so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben Esel; und ich140 gab auf den wiederholten Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen Bescheid: Jo sono pedone e non voglio andare a cavallo sul asino. Die Leute sahen mich an und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das waren urbane Menschenkinder; ich glaube fast, daſs im gleichen Falle die Deutschen gelacht hätten.
In Tolentino gings gut, und ich lieſs mich über¬ reden von hier aus durch die Apenninen, denen man nichts gutes zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um nicht ganz allein zu seyn. Hier kommt der Chiente den Berg herunter und ist für Italien ein ganz hüb¬ scher Fluſs, hat auch etwas besseres Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen zwischen den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu sei¬ nem Ursprunge bey Colfiorito, wo er aus einem See kommt, in welchem sich das Wasser rund umher aus den hohen Spitzen der Apenninen sammelt. Ich hatte einen Wagen gemiethet, aber der Wirth als Vermie¬ ther kam mit der Entschuldigung: es sey jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwey Stunden warten. Das war nun nicht erbaulich: Aergerniſs hätte mich aber nur mehr aufgehalten; ich faſste also Geduld und lieſs mich mit meinem Tornister auf einen Maulesel schro¬ ten; mein Führer setzte sich, als wir zur Stadt hin¬ aus waren, auf die Kruppe, und so trabten wir italiä¬ nisch immer in den Schluchten hinauf. Diese wur¬ den bald ziemlich enge und wild, und hier und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht die beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren141 Namen ich vergessen habe, nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man mich sehr gast¬ freundlich und ich erhielt den bedungenen Wagen nach Foligno. Serrevalle ist ein groſses langes Dorf in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluſs, nicht weit von der gröſsten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich, daſs man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem See bey Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden, geht es bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg win¬ det sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Ab¬ hange des Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Seerevalle auf der andern Seite. Die Leute hier ver¬ stehen sich sehr gut zu nähren, indem sie die Sympa¬ thie der Reisenden in Kontribution setzen. Sie über¬ theuern den Fremden nicht, sondern appellieren bey der Bezahlung mit Resignation an seine Groſsmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen, furchtba¬ ren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man müſste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tie¬ fer in die Tasche griffe und den gutmüthigen Men¬ schen leben hülfe.
Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie, wie es vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so schön und romantisch ist sie. Man erhebt sich wie¬ der auf eine ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche Gegend eine der gröſsten Aus¬ sichten. Unten rechts, tief in der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden Thale die142 Papiermühlen des Papstes angelegt, die zu den besten in ltalien gehören sollen. Oben sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche, geben dann Oehlbäume und haben am Fuſse üppige Weingärten. Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennierende Eiche, die in Rom eine der ersten Zierden des Bor¬ ghesischen Gartens ist. Auf der Höhe des Weges soll man hier, wenn das Wetter rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an dem alten Thrasymen se¬ hen können. Ich war nicht so glücklich; es war ziem¬ lich umwölkt: aber doch war es ein herrlicher An¬ blick. Wer nun ein Kerl wäre, der etwas ordentli¬ ches gelernt hätte! Hier komme ich nun schon in das Land, wo kein Stein ohne Namen ist. Mit ma¬ gischen Wolken überzogen liegt das alte finstere Fo¬ ligno unten im Thale, wo der Segen Hesperiens ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die gewiſs in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter weideten ehemahls die vom Klitumnus weiſs¬ gefärbten Stiere, welche die Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt holten; und tief tief weiter hinab liegt in einer Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen Thoren das vom Thrasymen siegreich herab¬ stürzende Heer Hannibals zum ersten Mahl von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen wurde. In Foligno ist nicht viel zu sehen, nachdem die neuen Gallier das schöne Madonnenbild mit genommen ha¬ ben. Die Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert, und mich däucht mit Geschmack. Man hatte mich in die Post einquartiert, wo man mich zwar ziemlich gut bewirthete, aber ungeheuer bezahlen lieſs. Eine Be¬143 wirthung, für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in dem Apennin sieben Paolo gezahlt hatte, muſste ich hier in dem Lande des Segens mit sechzehn bezahlen. Man wollte mich überdieſs mit Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich dieſs durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein Em¬ pfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natür¬ lich, daſs ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen. Sobald als der Morgen graute, nahm ich also mein Bündel und wandelte immer wie¬ der im Thale hinauf nach Hannibals Kopfstoſs. Hier kam ich bey den berühmten Quellen des Klitumnus vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und Wasch¬ weibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich noch eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so enthusiastisch davon sprach. Groſse Haine und viele Tempel giebt es freylich nicht mehr hier; aber die Gegend ist allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit groſsen Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe Cypressen, die eh¬ mahls in der Gegend berühmt gewesen seyn sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich auf dem jungen Ra¬ san sonnte, setzte sich ein stattlich gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf Politik, zog144 einige Zeitungsblätter aus der Tasche und wollte nun von mir wissen, wie man nach dem Frieden die end¬ liche Ausgleichung machen würde, und wie besonders der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten dabey bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit kei¬ ner Sylbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig, das überlieſse ich denen, interesset.
Ich bin nicht gern bey solchen Ausgleichungspro¬ jekten; denn es ist fast immer viel Empörendes dabey. Ein Beyspielchen will ich Dir davon erzählen. Du kannst Dir nichts Anmaſslicheres, Verwegeneres, Hohnsprechenderes, Impertinenteres denken, als den Russichen Nationalgeist; nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen Spröſslinge der groſsen Familien, die die nächste Anwartschaft auf Aemter im Civil und bey der Armee haben. Einer dieser Herren, der nur wenig seinen Kameraden vorging, äuſserte in War¬ schau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch Russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu bleiben. Die Frage war eben, wie man Oestreich über die zweite Theilung in Polen zufrieden stellen wolle? Der Neffe des Gesandten, der doch Major bey der Armee und also kein Troſsbube war, meinte ganz naiv und unbefangen, da gäbe es ja noch Chur¬ fürsten und Fürsten genug zu spolieren. Dein Freund stand bey den Excellenzen, deren einige die morali¬ sche Kataphrase ihres Titels waren, und kehrte sich trocken weg und sagte: Das ist wenigstens der richtige Ausdruck. So geht es hier und da.
Der Jäger verlieſs mich nach einem halben Stündchen Kosen, und ich verlieſs den Klitumnus. 145In Spoleto ging ich ohne Schwierigkeit gerade durch das Thor hinein, durch welches Hannibal laut der Nachrichten nicht gehen konnte. Fast hätte ich nun Ursache gehabt zu bedauern, daſs ich das Empfeh¬ lungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl eine halbe Stunde herum, ehe ich ein leidliches Gast¬ haus finden konnte. Endlich führte man mich doch in eins, wo man für den dritten Theil der gestrigen Zeche eben so gut bewirthete. Das ist ein groſses, altes, dunkles, häſsliches, jämmerliches Loch, das Spo¬ leto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier, denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse Gewissen; und nur mein Wirth mit seiner Familie schien eine Ausnahme zu machen. Deſswe¬ gen habe ich mich auf keinen Deut um ihre Alter¬ thümer bekümmert, deren hier noch eine ziemliche Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und Trümmern überhaupt, und zumahl in Spoleto, und überdieſs in so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben keine schöne Unterhaltung. Ueber dem Thore, das man Hannibals Thor nennt, stehen die Worte in Marmor:
HANNIBAL CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS INFESTO AGMINE URBEM ROMAM PETENS, AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS, INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.
10146So ist die Ueberschrift. Ich weiſs nicht ob es die Worte des Livius sind; mich däucht, bey diesem lau¬ tet es etwas anders. Die Sache hat indeſs nach den alten Schriftstellern ihre Richtigkeit; nur weiſs ich nicht ob es eben dieses Thor seyn möchte: denn wie vielen Veränderungen ist die Stadt nicht seit den pu¬ nischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch ist es eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht. Der Marmor scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt dürfte sich wohl schwerlich ein französisches Bataillon zurückwerfen lassen.
Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich sey nun den Apennin durchwandelt: aber das ganze Thal des Klitumnus mit den Städten Foligno und Spoleto liegt in den Bergen; von Spoleto bis Terni ist der furchtbarste Theil desselben; und hier war ich wieder zu Fuſse ganz allein. Den Morgen als ich Spoleto verlieſs, sah ich links an dem Felsen noch das alte gothische Schloſs, wo sich wackere Kerle viel¬ leicht noch einige Stunden um die Stadt schlagen kön¬ nen, ging vor den sonderbaren Anachoreten vorbey und immer die wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich einkehrte unterhielt man mich überall mit Räuberge¬ schichten und Mordthaten, um mir einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen; aber ich war nun einmahl hartnäckig und lief trotzig allein meinen Weg immer vorwärts. Oben auf dem Berge soll der Jupi¬ ter Summanus einen Tempel gehabt haben. Er ist wohl nur von Rom aus nach Umbrien der höchste Berg; denn sonst giebt es in der Kette viel höhere Parthien. Der Weg aufwärts von Spoleto ist noch147 nicht so wild und furchtbar als der Weg abwärts und weiter nach Terni. Das Thal abwärts ist zuweilen kaum hundert Schritte breit, rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche den ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und Wald¬ strömen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur einige Häuser und ein halbes Dutzend in Stetturn, dessen Name schon einen engen Paſs anzeigt. Hier und da sind noch einige isolierte Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele alte verlassene Gebäu¬ de, die ziemlich den Anblick von Räuberhöhlen tra¬ gen. Fast nichts ist bebaut. Die meisten Berge sind bis zu einer groſsen Höhe mit finstern wilden Lorber¬ büschen bewachsen, die vielleicht eine Bravobande zu ihren Siegszeichen brauchen könnte. Ich gestehe Dir, es war mir sehr wohl als sich einige italiänische Meilen vor Terni das Thal wieder weiterte und ich mich wieder etwas zu Tage gefördert sah und unter mir schöne friedliche Oehlwälder erblickte, unter de¬ nen der junge Weitzen grünte. Das Thal der Nera öffnete sich, und es lag wieder ein Paradies vor mir. Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an den Felsenklüften empor, und der Frühling schien in den ersten Gewächsen des Jahres mit wohlthätiger Ge¬ walt zu arbeiten.
Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in Terni an. Mein Wirth, ein Tyroler und stolz auf die Ehre ein Deutscher zu seyn, fütterte mich auf gut östreichisch recht stattlich, und setzte mir zuletzt ein Gericht Sepien vor, die mir zum Anfange vielleicht148 besser geschmeckt hätten. Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, daſs dieses zur Weihe gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann ich den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens nicht empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe ist in der Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist, Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in Ordnung gelegt hatte, trollte ich fort nach dem Sonnentempel, nehmlich der jetzigen Diminutivkirche des heiligen Erlösers. Sie war ver¬ schlossen, ich lieſs mich aber nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine Notiz von mir nahm, bey seiner Schüssel und seinem Buche unbeweglich sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in die Kirche weisen lieſs. Der Mann hatte in seinem Sinne Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt weder mir noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloſs der heidnischen Sonne sein Kompliment zu ma¬ chen, Richtig. Die Leute haben bekanntlich das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt und dafür gesorgt, daſs in den Sonnentempel keine Sonne mehr scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert und zu Nischen gemacht, in deren jeder ein Heiliger für Italien schlecht genug gepinselt ist; und über dem Altar steht ein Sankt Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem Fegefeuer erlösen wird.
Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier Meilen Apenninen von Spoleto herüber ge¬ kommen war, noch eine deutsche Meile lang den ho¬ hen Steinweg zu dem Fall des Velino hinauf. Das war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein Wölk¬149 chen, und es wehte ein lauer Wind, der nur in der Gegend des Sturzes etwas kühl ward. Die Sonne stand schon etwas tief und bildete aus der furchtbaren Schlucht der Nera hoch in der Atmosphäre einen gan¬ zen hellen herrlich glühenden und einen gröſsern dun¬ keln Bogen im Staube des Falles. Ich saſs gegenüber auf dem Felsen und vergaſs einige Minuten alles was die Welt sonst groſses und schönes haben mag. Etwas gröſseres und schöneres von Menschenhänden hat sie schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke, halb Gefühl, als ich wieder bey mir selbst war.
Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwi¬ schen den hohen Bergen ungefähr eine kleine Stunde im Umkreise eine schöne Ebene, die voll ungehauener Oehlbäume und Weinstöcke steht. Ich wollte schon den Päpstlern über das Sakrilegium an der Natur fluchen, als ich hörte, dieses sey im letztern Kriege eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen. Sie schlu¬ gen hier Anfangs die Franzosen durch den alten Fel¬151 senweg hinunter, und ich begreife nicht, wie sie mit gewöhnlicher Besinnung es wagen konnten, sie weiter zu verfolgen. Sie gingen in das Manöver und bezahl¬ ten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr theuer. Es ist traurig für die Humanität, daſs man sich mit Tiger¬ wuth sogar unter den Zweigen des friedlichen Oehl¬ baums schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte be¬ schuldiget werde, ein Oehlbaum und ein Weitzenfeld würde mir immer ein Heiligthum seyn; und ich könnte mich gleich zur Kartätsche gegen denjenigen stellen, der beydes zerstört. Die Sonne ging unter als ich den schönen Olivenwald herab kam, und kaum konnte ich unter den Weinstöcken noch einige Veil¬ chen und Hyacinthen pflücken, die dort ohne Pflege blühen.
Es war zu spät noch die Reste des Theaters in den Gärten des Bischofs zu sehen, und den andern Morgen wanderte ich nach Narni. Die Gegend von Narni aus an der Nera hinunter ist furchtbar schön. Die Brücke bey Borghetto über die Tiber ist zwar ein sehr braves Stück Arbeit, aber als Monument für drey Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur gegen die Reste des alten ponte rotto bey Narni über die Nera hält. Das sind doch noch Triumphbogen, die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische bey Ankona. Der schönste ist wohl der Wasserfall des Velino, der oben für die ganze Gegend von Rieti schon über zwey tausend Jahre eine Wohlthat ist, weil er sie vor Ueberschwemmungen schützt. Ich bekenne, daſs ich für zwecklose Pracht, wenn es auch Riesen¬ werke wären, keine sonderliche Stimmung habe.
152Eine halbe Stunde von Narni läſst man die Nera rechts und der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild genug, aber doch nicht mehr so graunvoll wie zwischen Spoleto und Terni. Das In¬ teramner Thal, das man hier bey Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf über¬ sieht, stand bey den Alten billig in groſsem Ansehen, und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kul¬ tur ein sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In Otrikoli, einem alten schmu¬ tzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich ge¬ gen Abend ankam, lud man mich gleich vor dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich keine sonderlich gute Miene; aber ich hätte leicht Gefahr gelaufen, im Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden und den Weg zurück zu ma¬ chen, wo ich dann nicht so willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen theilnehmenden Erkundigungen Rede ab¬ zugewinnen suchte. Er war ein starker heiſser Poli¬ tiker und, wie sehr natürlich, mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein Anse¬ hen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten Männer, die ich noch auf meiner Wanderung in Ita¬153 lien von seiner Nation gesehen habe. Orthodoxie in Kirche und Staat schien seine Sache nicht zu seyn; und er muſste etwas Zutrauen zu mir gewonnen ha¬ ben, daſs er mich ohne Zurückhaltung so tief in seine Seele sehen lieſs. Er kannte die heutigen Staatsver¬ hältnisse ungewöhnlich gut und war in der alten Ge¬ schichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz schien tief in seinem Innern zu sitzen. Er sprach skoptisch vom Papste und schlecht von den Franzosen; besonders hatte sein Haſs den General Murat recht herzlich gefaſst, von dessen schamlosen Erpressungen er zähneknirschend sprach und der schon durch sei¬ nen Mameluckennamen allen Kredit bey ihm verloren hatte. Dieser Otrikolaner war seit langer Zeit der erste Mann, der meinen Spaziergang richtig begriff, und meinte, daſs sein Vaterland auch jetzt noch ihn verdiene, so tief es auch gesunken sey. Wir schüt¬ telten einander freundschaftlich die Hände, und ich ging mit der folgenden Morgendämmerung den Berg hinunter, neben den Ruinen der alten Stadt vorbey, auf die Tiber zu.
Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kir¬ chenstaate zu reisen. Jenseits der Berge vor und hin¬ ter Ankona, bey Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch noch reich und schön, und in den Bergen waren die Scenen romantisch groſs und zuweilen erhaben und furchtbar. Man vergaſs leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der Tiber und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die Be¬ völkerung wird noch dünner und die Kultur mit je¬ dem Schritte nachlässiger. Civita Castellana gilt für154 das alte Falerii der Falisker, wo der Schurke von Schulmeister seine Zöglinge ins feindliche Lager spa¬ zieren führte und von Kamill so brav unter den Ru¬ thenstreichen der Jungen zurückgeschickt wurde. Es ist angenehm genug, nach einer eingebildeten mili¬ tärischen Topographie sich hier den wirklich schönen Zug als gegenwärtig vorzustellen. Die Lage entspricht ganz der Idee, welche die Geschichte davon giebt. Der Ort ist fast rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich sind. Der Anblick flöſste mir gleich Respekt ein, und ohne an Cluver zu den¬ ken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher erwie¬ sen hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte Fe¬ stung hierher. Von Borghetto her führt eine alte Brücke über eine wilde romantische Felsenschlucht, und nach Nepi und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut, welche das beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe. Es ist übrigens gar er¬ baulich, in welchem pompösen Stil diese Dinge in Aufschriften erzählt werden: solche ampullae et ses¬ quipedalia verba scheinen recht in der Seele der heu¬ tigen Römlinge zu liegen. Die alten Römer thaten und lieſsen reden, und diese reden und lassen thun. Ich habe auf meinem Wege von Ankona hierher viele erhabene Bogen gefunden, welche in einer angeschwol¬ lenen Sprache weiter nichts sagten, als daſs Pius der Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten einen solchen Herrscher. Von Civita Castellana aus trennt sich die Straſse; die alte flaminische geht über Rignano, Malborghetto und Primaporta nach der155 Stadt, und die neue von Pius dem Sechsten über Nepi und Monterosi, wo sie in die Straſse von Florenz fällt. Ich dachte mit dem alten Sprichwort: Nun gehen alle Straſsen nach Rom; und hielt mich halb unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte Weg kann wohl nicht viel schlimmer seyn; als ich den neuen fand. Doch von Wegen darf ich mit mei¬ nen Landsleuten nicht sprechen; die sind wohl selten in einem andern Lande schlimmer als bey uns in Sachsen.
Erlaube mir über die Straſsen im Allgemeinen eine kleine vielleicht nicht überflüssige Expektoration. Es ist empörend, wenn dem Reisenden Geleite und Wegegeld abgefodert wird und er sich kaum aus dem Koth heraus winden kann um dieses Geld zu bezahlen. Die Straſsen sind einer der ersten Polizeyartikel, an den man fast überall zuletzt denkt. Geleite und We¬ gegeld und Postregal haben durchaus keinen Sinn, wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlich¬ keit entspringt, für die Straſsen zu sorgen; und die Unterthanen sind nur dann zum Zuschuſs verpflichtet, wenn jene Einkünfte nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die Befugniſs, die Natur und Zweckmäſsigkeit und den gesetzlichen Gebrauch aller Regalien zu untersuchen, wenn es nothwendig ist, und auf rechtliche Verwendung zu dringen. Das giebt sich aus dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, wenn gleich nichts davon im Justinianischen Rechte steht, welches überhaupt als jus publicum das traurigste ist, das die Vernunft ersinnen konnte; so sehr es auch ein Meisterwerk des bürgerlichen seyn mag. Bey den156 Straſsen tritt noch eine Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man durchaus auch mit gro¬ ſsen Summen und anhaltender Arbeit nicht glücklich seyn wird. Ich meine, man sucht nicht mit Strenge das Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut als ob keine Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig wird darauf gesehen. Es ist mathematisch zu bewei¬ sen, daſs die Gewohnheit des Spurfahrens, zumahl der schweren Wagen, die beste festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben muſs. Ist einmahl der Ein¬ schnitt gemacht, so mag man schlagen und ausfüllen und klopfen und rammeln, so viel man will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das Uebel ärger. Fängt man an ein zweytes Gleis zu ma¬ chen, so ist dieses bald eben so ausgeleyert, und so geht es nach und nach mit mehrern; bis die ganze Straſse ohne Hülfe zu Grunde gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur einiger Maſsen in Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt entste¬ hen; sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige Veränderung des Drucks die Straſse bessern. Man würde eben so sehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlaſs mit dem Rammel beständig auf die nehmliche Stelle schlagen wollte. Durch das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde beständig ihre Tritte und das Nehmliche gilt sodann von den Hufen der Thiere was von den Rädern des Fuhrwerks gilt. Fast durchaus habe ich den Schaden dieser bö¬157 sen Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen hat man, so viel ich mich erinnere, strengere Maſsre¬ geln genommen ihn zu verhüten. Aber ich muſs ma¬ chen, daſs ich nach Rom komme.
Die Italiäner müssen denn doch auch zuweilen ein sehr richtiges Auge haben. Zwey etwas stattlichere Spaziergänger als ich begegneten mir mit ihren groſsen Knotenstöcken bey Nepi, vermuthlich um ihre Felder zu besehen, auf denen nicht viel gearbeitet wurde. Signore è tedesco e va a Roma; sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen müssen häu¬ fig diese Straſse machen; denn ich hatte noch keine Sylbe gesprochen um mich durch den Accent zu ver¬ rathen. Sie riethen mir, ja nicht in Nepi zu bleiben sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es gut haben würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm, wenn man sich bey dem ersten Anblick so ziemlich gewiſs in einer fremden Gegend orientieren kann. Nach meiner Rechnung muſste der mir links liegende Berg durchaus der Soracte seyn, obgleich kein Schnee darauf lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem heiligen Sylvester, dessen Namen er auch trägt; doch hat sich die alte Benen¬ nung noch nicht verloren, denn man nennt ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, daſs ich nicht links die alte flaminische Straſse gehalten hat¬ te; dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem ganz artig macht, etwas näher gesehen, und wäre immer längs der Tiber hinunter gewandelt. Der Berg steht von dieser Seite ganz isoliert; das wuſste ich aus einigen Anmerkungen über den Horaz,158 und deſswegen erkannte ich ihn sogleich, da mir seine Distanz von Rom bekannt war. Hinten schlieſst er sich durch eine Kette von Hügeln an den Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die Apenninen hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will mir doch einmahl ein recht schulmeisterlich herme¬ nevtisches Ansehen geben, und Dir hierbey eine prag¬ matische Bemerkung machen. Vielleicht weiſst Du sie schon; thut nichts; eine gute Sache kann man zweymahl hören. Du darfst von dem hohen Schnee des Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schlie¬ ſsen. Der Sorakte hat, weil er mit der groſsen Berg¬ kette der Apenninen verglichen, doch nicht auſseror - dentlich hoch ist und tiefer herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr Horaz wollte durch sei¬ nen Schnee den ziemlich starken Winter anzeigen, wo man wohl thäte, Kastanien zu braten und sich zum Kamin und zum Becher zu halten. Das finde ich denn ganz vernünftig. Vielleicht war er eben da¬ mahls in Tibur, wo er von Mäcens Landgute bloſs die Spitze des beschneyten Sorakte sehr malerisch grup¬ piert vor sich hatte. Uebrigens thue ich dem Horaz keine kleine Ehre, daſs ich mich mit einem seiner Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist Schade, daſs die Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.
Nepi könnte ein gar herrlicher Ort seyn, wenn die Leute hier etwas fleiſsiger seyn wollten: aber je näher man Rom kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen Segens, die durchaus wie159 Fluch aussehen. Hinter Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, daſs ich mich nothwendig in seinen Wagen setzen muſste, wo ich einen stattlich gekleideten Herrn fand, der eine todte Ziege und ei¬ nen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte. Die Ziege wurde eingepackt und der Korb beyseite gesetzt; ich legte meinen Tornister zu meinen Füſsen gehörig in Ordnung, und pflanzte mich Barbaren ne¬ ben den zierlichen Römer. Er belugte mich stark und ich ihn nur oben hin; nach einigen Minuten fing das Gespräch an, und ich schwatzte so gut ich in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema waren leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe. Ganz spaſshaft ist es freylich nicht, wie ich nachher erfahren habe: aber eine sol¬ che Furcht ist doch sehr possierlich und lächerlich. Diese Angst hielt bey dem Mann an bis wir an die Geyerbrücke von Rom kamen, wo er sich nach und nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch dieses fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patron¬ taschen nach meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der Bitte: Qualche cosa della bona grazia pella guardia. So so; das fängt gut an: ich muſste wohl einige Paolo herausrücken. Da hielten wir nun vor dem groſsen Obelisken und ich überlegte, nach welcher von den drey groſsen Straſsen ich auf gut Glück hinunter gehen sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte hinab durch den Corso ge¬ nommen und wollte aussteigen, als mein Kamerad160 mich fragte wo ich wohnen würde? Das weiſs ich nicht, sagte ich; ich muſs ein Wirthshaus suchen. Er bot mir an mich mit in sein Haus zu nehmen. Er habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bey ihm so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah dem Manne näher ins Auge und las wenigstens keine Schurkerey darin, dachte, hier oder da ist ei¬ nerley, setzte mich wieder nieder und lieſs mich mit fort ziehen. Man brachte mich, dem heiligen Fran¬ ziskus mit den Stigmen gegen über, in den Pallast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister zu seyn scheint.
So bin ich denn also unwidersprechlich hier an der gelben Tiber, und zwar in keinem der letzten Häuser. Man hat hier im Hause viel Höflichkeit für mich und mehr Aufmerksamkeit als mir lieb ist: denn ich merke, daſs ich hier viel theurer leben werde, als in irgend einem Wirthshause; wie mir meine Landsleute, die den römischen Rommel etwas verstehen, auch schon erklärt haben. Ich habe meine Addressen auf¬ gesucht. Uhden und Fernow empfingen mich mit Humanität und freundschaftlicher Wärme. Du kennst die Männer aus ihren Arbeiten, welche gut sind; aber sie selbst sind noch besser, welches nicht immer der Fall bey literärischen Männern ist. Ich bin also schon kein Fremdling mehr am Kapitole. Auch den selbst¬ ständigen, originellen und etwas barocken Reinhart161 sah ich gleich den zweyten Tag, und mehrere andere deutsche Künstler. Gmelin ist ein lebhafter joviali¬ scher Mann, der nicht umsonst die Welt gesehn hat, und der eine eigene Gabe besitzt im Deutschen und Französischen mit der lebendigsten Mimik zu erzählen.
Der Kardinal Borgia, an den ich einen Brief hatte, nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf. Ein Anderer würde in seinem Stil Herablassung sagen; nach meinem Begriff läſst sich kein Mensch herab, wenn er mit Menschen spricht: und wenn irgend ein so genannter Groſser in seinem Charakter noch Her¬ ablassung nöthig hat, so steht er noch lange nicht auf dem rechten Punkte. Ich war genöthigt meine An¬ rede französisch zu machen, da ich mir im Italiäni¬ schen nicht Wendung genug zutraute, mit einem sol¬ chen Manne eine zusammenhängende Unterredung zu halten. Er antwortete mir in der nehmlichen Spra¬ che; aber kaum hörte er, daſs ich Latein wuſste, so fuhr er für einen Kardinal drollig genug lateinisch fort, das Lob dieser Sprache zu machen, durch welche die Nationen so fest zusammen hangen. Haec est illa lingua, setzte er hinzu, quae nobis peperit at¬ que Virgilios. Et Tiberios et Nerones, hätte ich fast unwillkührlich durch die Zähne gemurmelt. Ein Wort gab das andere, ich muſste ihm einiges von meiner Kriegswanderung nach Amerika erzählen und von mei¬ nem Wesen in Polen, und der alte Herr fiel mir mit vieler Gutmüthigkeit um den Hals, und faſste mich im Ausbruch der Jovialität nicht allein beym Kopf son¬ dern sogar bey den Ohren. Ein alter militärischer General seiner Heiligkeit stand dabey, und es wurde11162ein herzliches Trio gelacht, wo ich so bescheiden als möglich mit einstimmte. Du wirst schon wissen, daſs man in Rom mehr Mönchsgenerale als Kriegsgenerale antrifft. Beyde spielen mit Kanonen, und es wäre nicht schwer zu entscheiden, welche die ihrigen am besten zu gebrauchen wissen. Ich erhielt die Erlaub¬ niſs ohne Einschränkung immer zu dem Kardinal zu kommen, welches für einen Pilger, wie ich bin, keine Kleinigkeit ist. Er stutzte gewaltig, als er hörte, ich wolle übermorgen mein Bündel nehmen und des Weges weiter wandeln, billigte aber meine Gründe lachend, als ich ihm sagte, ich wollte vor dem Ein¬ tritt der heiſsen Jahrszeit meinen Spaziergang nach Syrakus endigen und auf meiner Rückkehr mich län¬ ger hier aufhalten. Er bot mir keine Empfehlung nach Veletri an, um dort freyeren Eintritt in das Fa¬ milienkabinett zu haben, worüber ich mich einiger Maſsen wunderte. Aber man hat Schwierigkeiten mit den Franzosen gehabt und Einige fürchteten sogar, die Franzosen würden die ganze Sammlung wegschaffen lassen. Das geschieht nun zwar, wie ich höre, nicht; aber es ist doch begreiflich, daſs dadurch etwas Furcht¬ samkeit und Unordnung entstanden seyn mag. Uebri¬ gens bin ich nicht nach Italien gegangen, um vorzüg¬ lich Kabinette und Gallerien zu sehen und tröste mich leicht mit meiner Laienphilosophie.
Eben habe ich Canova gesehen und unsere Freun¬ de, Reinhart und Fernow. Es ist überall wohlthätig, wenn sich verwandte Menschen treffen; aber wenn sie sich auf so klassischem Boden finden, gewinnt das Ge¬ fühl eine eigene Magie schöner Humanität. Canova163 hat eine zweyte Hebe für die Pariser gearbeitet, die mir aber mit den Veränderungen die er gemacht hat und die er doch wohl für Verbesserungen halten muſs, nicht sowohl gefällt wie die venezianische. Du kennst meinen Enthusiasmus für diese. Er hat, däucht mich, dem Urtheil und dem Geschmack der Franzosen ge¬ schmeichelt, denen ich aber in der Anlage einer Bat¬ terie eher folgen wollte, als in der Kritik über reine Weiblichkeit. Es bleibt an allen ihren schönen Wei¬ bern immer noch etwas von dem Charakter aus dem alten Palais Royal zurück. Er hat auch zwey Fechter nach dem Pausanias gemacht, die nach langer Ermü¬ dung zur Entscheidung einander freyen Stoſs geben. Der Eine hat so eben den furchtbarsten Schlag vor die Stirne erhalten, — dieses ist der Moment — und reiſst sodann mit entsetzlichem Grimm seinem Gegner mit der Faust auf einem Griff das Eingeweide aus. Sie gelten für Muster der Anatomie und des Aus¬ drucks. Da sie keine nahe Beziehung auf reine schöne Humanität haben, konnten sie mich nicht so sehr be¬ schäftigen: denn Furcht und Grimm sind Leidenschaf¬ ten, von denen ich gerne mich wegwende. Die Stelle aus dem Pausanias ist mir nicht gegenwärtig; ich weise Dich auf ihn. Demaxenus heiſst, glaube ich, der eine Fechter.
In einigen Tagen werde ich durch die Pontinen nach Terracina und sodann weiter nach Süden gehen; damit ich vor der ganz heiſsen Jahrszeit, wenns glückt, wieder zurück komme. Miſsglückt es, denn man spricht gar wunderlich, so mögen die Barbaren mich auf ihrer Seele haben. Ich will mich nicht durch Furcht ängstigen, die auf alle Fälle kein guter Haus¬164 genosse in der Seele ist. Zu Ende des Jahres hoffe ich post varios casus Dich wieder zu sehen.
Du siehst, daſs ich aus den Sümpfen heraus bin. Die Prophezeiung meiner Freunde in Rom hat einge¬ troffen. Der Herr Haushofmeister in dem Pallast Strozzi, dem heiligen Franz mit den Stigmen gegen über, überlieſs es meiner Groſsmuth, die seinige zu belohnen. Das heiſst nun die Leute meistens am unrechten Flecke angefaſst. Ich griff mich indessen an, so viel ich konnte, und gab für drey Tage Woh¬ nung und drey Mahlzeiten, die übrigen hatte ich aus¬ wärts gehalten, zwey Kaiserdukaten, welches ich für ziemlich honett hielt. Der Mann machte in Rom ein flämisches Gesicht, aber doch weiter keine Bemerkung, sondern begleitete mich noch gefällig bis Sankt Jo¬ hann vom Lateran, wo er mir am Thore seine Ad¬ dresse gab, damit ich ihn bey meiner Rückkunft fin¬ den möchte. Er mochte die Rechnung gezogen und überlegt haben, daſs einen ganzen Monat verhältniſs¬ mäſsig das Geldchen doch mit zu nehmen wäre. Das war nun aber mir nicht gelegen; meine Börse wollte sich in die Länge nicht so groſsmüthig behandeln las¬ sen. Man hat der Ausgaben mehrere. Ich ging nun durch die weitläufigen halb verfallenen Gärten der Stadt und durch die ganz wüste Gegend vor derselben nach Albano hinüber.
Einige Millien vor der Stadt wandelte links unter165 den Ruinen der alten Wasserleitungen, die vom Berge herabkamen, ein Mann mit einem Buch einsam hin, suchte sich rund umher zu orientieren, und schloſs sich, als ich näher kam, an mich an. Er war ein Franzose, der sich in Veletri schon lange häuslich nie¬ dergelassen hatte, in der Stadt gewesen war und jetzt heim ging. Seine Gesellschaft war mir hier höchst angenehm, da er mit der Geschichte der Zeit und den Vorfällen des Kriegs bekannt war und rund um¬ her mir alle Auftritte erklärte. Links hinauf nach den Hügeln des Albanerbergs hatten sich die Franzo¬ sen und Insurgenten hartnäckig geschlagen. Die In¬ surgenten hatten zuerst einigen Vortheil und hatten deſswegen nach der Weise der Revolutionäre angefan¬ gen höchst grausam zu verfahren: aber die Franzosen trieben sie mit ihrer gewöhnlichen Energie bald in die Enge; und nun fehlte es wieder nicht an Gewalthä¬ tigkeiten aller Art. Einige Millien von Albano ist rechts am Wege eine Gegend, welche Schwefelquellen halten muſs; denn der Geruch ist entsetzlich und muſs in der heiſsen Sommerperiode kaum erträglich seyn. In einer Peripherie von mehrern hundert Schritten keimt deſswegen kein Gräschen, obgleich übrigens der Strich nicht unfruchtbar ist.
Die Albaner bilden sich ein, daſs ihre Stadt das alte Alba longa sey, und sagen es noch bis jetzt auf Treu und Glauben jedem Fremden, der es hören will. Die Antiquare haben zwar gezeigt, daſs das nicht seyn könne, und daſs die alte Stadt laut der Geschichte an der andern Seite des Sees am Fuſse des Berges müsse gelegen haben: aber drey oder vier Millien,166 danken die Albaner, machen keinen groſsen Unter¬ schied; und es ist wenigstens niemand in der Gegend, der ein näheres Recht auf Alba longa hätte als sie. Wir wollen sie also in dem ruhigen Besitz lassen. Die jetzige Stadt scheint zur Zeit der ersten Cäsarn aus einigen Villen entstanden zu seyn, von denen die des Pompejus die vorzüglichste war. Dadurch sieht es nun freylich um das Monument der Kuriatier miſslich aus, das auf dem Wege nach Aricia steht, und wel¬ ches mir überhaupt ein ziemlich gothisches Ansehen hat. Nach der Geschichte sind alle, die drey Kuria¬ tier wie die beyden Horatier, unten vor der Stadt Rom begraben, wo der Kampf geschah und wo auch ihre Monumente standen: indessen läſst sich wohl den¬ ken, daſs die neuen Albaner aus altem Patriotismus ihren braven Landsleuten hier ein neues Denkmahl errichteten, als unten die alten verfallen waren. We¬ nigstens ist nicht einzusehen, wozu das Ding mit den drey Spitzen sonst sollte aufgeführt seyn. Ein Kastell zur Vertheidigung des Weges wäre das Einzige, wozu man es machen könnte; aber dazu hat es nicht die Gestalt.
In Albano fand mein Franzose Bekannte, bey de¬ nen er einkehrte, und ich lieſs mich auf die Post bringen, welche das beste Wirthshaus ist. Sobald ich abgelegt hatte, trat ein artiger junger Mann zu mir ins Zimmer, der aus der Gegend war und mit vieler Gutmüthigkeit mir die Unterhaltung machte. Mit ihm wandelte ich noch etwas in der schönen Gegend hin und her, und namentlich an das Monument, von des¬ sen Alterthum er indessen auch nicht sonderlich über¬167 zeugt war. Antiquitäten schienen zwar seine Sache nicht zu seyn; aber dafür war er desto bekannter mit der neuen Welt. Er sprach französisch und englisch mit vieler Geläufigkeit, weil er in beyden Ländern einige Zeit gewesen war; eine nicht gewöhnliche Er¬ scheinung unter den Italiänern. Je m'appelle Prince, sagte er, mais je ne le suis pas; indessen hatten ihn die Franzosen nach seiner Angabe prinzlich genug be¬ handelt, alle seine Oehlbäume umgehauen, und ihm auf lange Zeit einen jährlichen Verlust von zweytau¬ send Piastern verursacht. Die Wahrheit daran lasse ich auf seiner Erzählung beruhen. Der junge Mann zeigte viel Offenheit, Gewandtheit und Humanität in seinem Charakter. Sodann führte er mich einige hun¬ dert Schritte weiter zu einer alten Eiche an dem Wege nach Aricia, nicht weit von dem Eingange in den Park und die Gärten des Fürsten Chigi. Die Ei¬ che sollte von seltener Schönheit seyn, und sie ist auch wirklich sehr ansehnlich und malerisch: aber wir haben bey uns in Deutschland an vielen Orten gröſsere und schönere.
Den Herrn Fürsten Chigi kannte ich aus Charak¬ teristiken von Rom, und hätte wohl Lust gehabt seine Besitzungen näher zu besehen. Er selbst ist als Dich¬ ter und Deklamator in der Stadt bekannt und soll wirklich unter diesen Rubricken viel Verdienst haben. Er muſs indessen ein sehr sonderbarer Bukoliker und Idyllendichter seyn; denn in seinem Park hat er den schönsten und herrlichsten Eichenhain niederhauen lassen, und in dem Ueberreste läſst er die Schweine so wild herum laufen, als ob er sich ganz allein von168 der Mastung nähren wolle. Darüber sind nun beson¬ ders die Maler und Zeichner so entrüstet, daſs sie den Mann förmlich in Verdammniſs gesetzt haben; ich weiſs nicht, wie er sich daraus erlösen will. Die Gegend ist dessen ungeachtet noch eine der schönsten in Italien, und das romantische Gemisch von Wildheit und Kultur, die hier zu kämpfen scheinen, macht, wenn man aus der Oede Roms kommt, einen sonder¬ baren wohlthätigen Eindruck. Die Leute in dieser Gegend haben den Ruhm vorzüglich gute Banditen zu seyn.
Von Albano ging ich den andern Morgen über eben dieses Aricia, dessen Horaz in seiner Reiseepistel von Rom nach Brundisi gedenkt, nach Gensano und Veletri und immer in die Pontinen hinein. Die Leute von Gensano sind mir als die fleiſsigsten und sittigsten im ganzen Kirchenstaate vorgekommen, und sie haben wirklich ihr Fleckchen Land so gut bearbeitet, daſs sie den Wohlthaten der Natur Ehre machen. Die Lage ist sehr schön; Berge und Thäler liegen in dem lieblichsten Gemische rund umher, und der kleine See von Nemi, unter dem Namen der Dianenspiegel, giebt der Gegend noch das Interesse der mythologi¬ schen Geschichte.
Vor Veletri holte mich ein Franzose ein, nicht mein gestriger sondern ein anderer, der bey der Con¬ deischen Armee den Krieg mitgemacht hatte, jetzt von Rom kam und mit Empfehlungen von dem alten Ge¬ neral Suworow nach Neapel zu Akton ging, von dem er Anstellung hoffte. In zwey Minuten waren wir be¬ kannt und musterten die Armeen durch ganz Europa. 169Nach seinen Briefen muſste er ein sehr braver Offizier gewesen seyn, der selbst bey Perugia ein Detachement kommandierte; und ich habe ihn als einen ehrlichen Mann kennen lernen. Wir aſsen zusammen in Veletri und trollten sodann ganz vergnügt die Berge hinab in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt ihren Anfang nehmen. In Cisterne wollten wir übernachten; aber das Wirthshaus hatte die schlechte¬ ste Miene von der Welt, und die päpstlichen Drajoner trieben ein gewaltig lärmendes Wesen. Uebrigens fiel mir ein, daſs dieses vermuthlich der Ort war, wo Ho¬ raz so sehr von den Flöhen gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte, daſs auch der Apo¬ stel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe man ihn in Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zu¬ mahl da es noch hoch am Tage war, noch eine Sta¬ tion weiter zu wandeln, bis Torre di tre ponti. Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein groſses leeres Haus; der Wirth war nach Paris gereist, um, wenn es möglich wäre, seine Habe wieder zu erhalten, die man ihm in die Wette geraubt hatte. Erst plünderten die Neapolitaner, dann die Franzosen, dann wieder die Neapolitaner, und die Streiter des heiligen Vaters zur Gesellschaft: das ist nun so römi¬ sche Wirthschaft. Es war im ganzen Hause kein Bett, und die Leute sahen nicht auſserordentlich freundlich aus. Der Wirth war abwesend; es waren viel Fremde da, die in den pontinischen Sümpfen, wohin sogar der Auswurf aus Rom flüchtet, kein groſses Zutrauen einflöſsen können. Die alte gutmüthige Haushälterin170 gab uns eine groſse Decke; wir verrammelten unsere Thüre mit Tisch und Stühlen, damit man wenigstens nicht ohne Lärm herein kommen könnte, legten uns beyde, der französische Oberstlieutenant und ich, in die breite mit Heu gefüllte Bettstelle, stellten unsere Stöcke daneben, deckten uns zu und schliefen, so gut uns die Kälte, die Flöhe und die quackenden Frösche schlafen lieſsen. Den Morgen darauf war das Wetter fürchterlich und machte den nicht angenehmen Weg noch verdrieſslicher: vorzüglich fluchte der Franzose nach altem Stil tous les diables mit allem Nachdrucke durch alle Instanzen, die Yorick angegeben hat. Es konn¬ te indessen nichts helfen; ich Hyperboreer zog bärenmä¬ ſsig immer weiter; der Franzmann aber verstekte sich in ein altes leeres Brückenhaus über dem Kanal und wollte den Sturm vorbey gehen lassen. Wenn man naſs ist, muſs man laufen; ich lieſs ihn ruhen, und versprach, hier in Terracina im Gasthofe auf ihn zu warten.
Die letzte Station vor Terracina war für mich die abenteuerlichste. Die alte appische Straſse geht links etwas oben an den Bergen hin und macht da¬ durch einen ziemlichen Umweg: aber die Neuen woll¬ ten dem Elemente zum Trotz klüger seyn, und zogen sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war groſs, ich hatte den Abweg links über eine alte Brü¬ cke nicht gemerkt und ging die groſse gerade Linie immer weiter. In einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der See hereingetreten war und links durch die Gebüsche weit hinauf ging. Durch171 den ersten Absatz schritt ich rasch; aber es kam ein zweyter und ein dritter noch gröſserer. Es war dabey ein furchtbarer Regensturm und ich konnte nicht zwan¬ zig Schritte sehen. Ich ging fast eine Viertelstunde auf der Straſse bis über den Gürtel im Wasser, und wuſste nicht was vor mir seyn würde. Einige Mahl waren leere Plätze links und rechts; und da stand ich in den Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel durch den Regensturm sah, machten mir Muth vorwärts. Endlich war ich glücklich durch die päpstliche Stelle, und zog eine Parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum Vortheil meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war, ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der Circe in der Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen von Terracina glänzen. Es war wirklich, als ob die alte Generalhexe eben einen Hauptproceſs machte, und ich konnte froh seyn, daſs ich noch so gut mit einem bischen Schmutz davon gekommen war. Nachdem ich in der Locanda Reale, einem groſsen stattlichen Hause an dem Heerwege vor der Stadt, Quartier gemacht hatte, rekognoscierte ich oben den Ort auf dem weiſsen Felsen, wie ihn Horaz nennt, wo man rechts und links von dem Circeischen Vorgebirge bis an das Kajetanische und über die In¬ seln eine herrliche Aussicht hat. Ich bekümmerte mich wenig um die Ruinen des alten Jupiterstempels und um den neuen Pallast des Papstes, sondern wei¬ dete mich an der unter mir liegenden schönen Gegend, den herrlichen Orangengärten, die ich hier zuerst ganz im Freyen ausgezeichnet schön fand, und der172 üppigen Vegetation aller Art. Auch mehrere Palm¬ bäume traf ich hier schon, da in Rom nur ein einzi¬ ger als eine Seltenheit nicht weit vom Kolosseum ge¬ zeigt wird. Von der letzten Station führt eine herrli¬ che Allee der schönsten und gröſsten Aprikosenbäume in die Stadt.
Mein Franzose kam, und es fand sich, daſs der arme Teufel mit seiner Börse auf den Hefen war. Ich muſste ihn also doch nach Neapel hinüber transpor¬ tieren helfen. Zu Abend traf ich ein Paar ziemlich reiche Mayländer, die mit schöner Equipage von Nea¬ pel kamen, und wir aſsen zusammen. Die Herren waren ganz verblüfft zu hören, daſs ich von Leipzig nach Agrigent tornistern wollte, bloſs um an dem süd¬ lichen Ufer Siciliens etwas herumzuschlendern und et¬ wa junge Mandeln und ganz frische Apfelsinen dort zu essen. Die Unterhaltung war sehr lebhaft und an¬ genehm, und die Norditaliäner schienen die schöne Neapel quouis modo, literärisch, ästhetisch und phy¬ sisch genossen zu haben. Morgen gehts ins Reich hinüber; denn so nennt man hier das Neapolitanische.
Der Morgen war frisch und schön, als wir Anxur verlieſsen, der Wind stark und die Brandung hoch¬ stürmend, so daſs ich am Strande eingenetzt war, ehe ich daran dachte. Die Wogen schlugen majestätisch an den steilen Felsen herauf. Am Eingange des Reichs hatte mein französischer Reisekamerad Zwist mit der173 Wache, die ihn nicht recht gern wollte passieren las¬ sen. Meinen Paſs vom Kardinal Ruffo besah man bloſs, schrieb meinen Namen aus, und ich war abge¬ fertiget. Der Franzose packte seine ganze Brieftasche aus, sprach hoch, erwähnte Suworow, appellierte an den Minister und zwang die Wache durch etwas Im¬ pertinenz in Respekt, die von ihrer Seite auch wohl etwas über die Instruktion gegangen seyn mochte. In Fondi, wo wir zu Mittage aſsen, trafen wir ziemlich viel Militär, unter dem mehrere Deutsche waren. Die Stadt selbst liegt, wie es der Name zeigt, in einem der angenehmsten Thäler, nicht sehr weit vom Meere. Der Weg von Terracina dahin ist abwechselnd furcht¬ bar und lachend, durch hohe Felsen und fruchtbare Felder. Nicht weit von Fondi sollen, glaube ich, links an den Bergen noch die Ueberreste von der Ville des Nerva zu sehen seyn; ich hielt mich aber an die Orangengärten, und vergaſs darüber den Kai¬ ser, die alten Stadtmauern, den See, den heiligen Thomas und alle andere Merkwürdigkeiten. Noch ei¬ nige Millien nach Itri hinaus ist die Gegend zwischen den Bergen ein wahres Paradies. Auf der Hälfte des Weges stand in einem engen Felsenpasse eine Batterie aus dem vorigen Kriege, wo die Franzosen tüchtig zu¬ rückgeworfen wurden. Sie suchten sich aber einen andern Weg über die hohen Berge, ein Einfall von dem die Neapolitaner sich gar nichts hatten träumen lassen. Das war eine etwas zu gutmüthige Zuversicht; man thut besser zu glauben, daſs die Feinde alle Gem¬ senjäger sind, und in einer Entfernung von sechs deutschen Meilen ist es nie unmöglich, daſs sie die174 Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen den Feind im Rücken, und liefen über Hals und Kopf Dach Kajeta.
Itri war von den Franzosen häſslich mitgenom¬ men worden. Man hatte die Kirchen verwüstet und Pferdeställe daraus gemacht. Das ist nun freylich nicht sehr human; von Religiosität nichts zu sagen. Der Ort liegt in einer Bergschlucht tief begraben. Es standen hier nur wenige Soldaten zur Polizey, deren Kommandant ein ehemahliger östreichischer Sergeant, jetzt neapolitanischer Fähnrich war, der uns die Ehre that mit uns einige Stunden Wein zu trinken. Mein Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich muſste ihm also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf konnte er nicht fort, weil seine Füſse nicht mehr in baulichem Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben. Er suchte mich überdieſs zu überreden, ich möchte mit ihm von Kajeta aus zur See gehen, weil er den Landweg nicht aushalten würde. Das ging für mich nun nicht; denn ich wollte über den Liris hinunter nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittierte in Gedanken schon, übergab ihn und mich dem Him¬ mel und wandelte allein ab. Fast hätte ich vergessen Dir eine etwas ernsthafte Geschichte von Itri zu er¬ zählen, nehmlich ernsthaft für mich. Itri ist ein Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere Wirthin war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und den übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen hatte. Ich legte mich oben auf einem Saale zu Bette,175 und mein Kamerad zechte unten noch eins mit dem Herrn Fähnrich Kommandanten, der wieder gekom¬ men war, und kam mir sodann nach. Er war etwas über See und schlief sogleich ein; ich philosophierte noch eins topsytorvy. Da hörte ich unten einen wil¬ den Kerl nach dem andern ankommen und sehr laut werden. Die Anzahl mochte wohl bis zehen oder zwölfe gestiegen seyn. Nun vernahm ich, daſs es über unsere Personalitäten geradezu herging und daſs man über uns eine ziemlich furchtbare Nachtinquisi¬ tion hielt. Sono cattive gente, hieſs es in einem ho¬ hen Ton einmahl über das andere; und man that den Vorschlag mit uns zu verfahren nach der Neapolitaner Revolutionsweise. Mein Franzose schnarchte. Du kannst denken, daſs mir nicht sonderlich lieblich da¬ bey zu Muthe ward. Man schlägt hier zum Anfang gleich die Leute todt, und macht sodann nachher — eben weiter keinen Proceſs. Die alte Dame, unsere Wirthin, nahm sich unser mit einem exemplarischen Muth an, sprach und schrie was sie konnte, und be¬ hauptete daſs wir ehrliche Leute wären; der Komman¬ dant hätte unsere Pässe gesehen. Nun schien man dem Kommandanten selbst in der Politik gerade nicht viel gutes zu zutrauen. Der Himmel weiſs, wie es noch möchte geworden seyn. Ich zog ganz stille Rock und Stiefeln an, nahm meine ganze Kontenanz und mein ganzes bischen Italiänisch zusammen, und machte Miene die Treppe hinunter unter sie zu gehen. „ Meine Herren, sagte ich so stark und bestimmt als ich konnte, ich bin ein fremder Reisender; ich däch¬ te, im Wirthshause wo ich hezahle dürfte ich zur176 Mitternacht Ruhe erwarten. Ich höre ich bin Ihnen verdächtig; führen Sie mich vor die Behörde, wohin Sie wollen: aber machen Sie die Sache mit Ernst und Ruhe und als ordentliche brave Leute ab. “ Es ward stiller; die Wirthin und Einige von ihnen baten mich oben zu bleiben, welches ich natürlich sehr gern that; und nach und nach schlichen sie alle fort. Spaſshaft ist es nicht ganz; denn dort geht man selten ohne Flinte und Messer, und jeder ist zur Exekution fertig.
Den andern Morgen wandelte ich also allein zwi¬ schen den Oehlbergen nach Mola di Gaeta hinüber. Die Amme ist durch dieses Etablissement ihres Namens fast berühmter geworden, als ihr frommer Milchsohn. Warum war ich nun nicht gestern noch bis hierher gegangen? Hier fand ich ein groſses, schönes, ziem¬ lich billiges Gasthaus, wo ich bey frischen Eyern und frischen Fischen, die nicht weit von mir aus dem Meere gezogen wurden, und frischen herrlichen Früch¬ ten ein vortreffliches Frühstück hielt. Unter mir stand ein Zitronengarten in der schönsten Gluth der Früchte; und links und rechts übersah ich die Bucht von der Spitze des Vorgebirges rund herum bis hinü¬ ber nach Ischia und Procida. Es ist das köstlichste Dessert in der Entfernung von einigen hundert Meilen, wenn wir uns durch die Erinnerung irgend eines klei¬ nen Vorfalles mit unsern Freunden wieder in nähere Berührung setzen können. Hier auf der nehmlichen Stelle hatte vor mehreren Jahren Friedrich Schulz gesessen und Fische und Früchte gegessen, und mich aufgefodert, seiner zu gedenken, wenn ich von Mola auf das klassische Land umher schauen würde. Jetzt177 ist er nicht mehr der Liebling seiner Freunde und der Grazien, der die Freude bey den Fittichen zu hal¬ ten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie seg¬ nen. Keine seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.
Nun ging ich vergnügt und froh die schöne ma¬ gische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter wo der Nachricht zufolge ehemahls Ciceros Formiä stand, bis an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mich däuchte ich sähe die Schatten des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus, und lieſs sich von dem Hauptmann, dem er das Leben gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philip¬ piken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in Ciceros Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich ganz rein als selbständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht dabey: als er gegen Katilina donnerte, stand seine Exi¬ stenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich Haſs und Partheysucht. Im Glück prahlte er, im Un¬ glück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben aus¬ gesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt, deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht,12178Dort unten lag Minturnä; dort, stelle ich mir vor, stand das Haus, wo der Cimbrer mit dem Schwerte kam, als öffentlicher Henker den Ueberwinder seiner Nation zu tödten, und wo dieser gefangene Ueberwin¬ der ihm mit einigen Worten Todesschrecken in die Glieder jagte. „ Mensch, wagst du es, den Kajus Ma¬ rius zu morden? “ Weiter hinab rechts ist die Sumpfgegend, wo nach der Flucht der erste Mann der ersten Stadt der Welt sich im Schilfe verbarg, bis er sich hinüber nach Afrika retten konnte. Ich setzte unter diesen Gedanken über den Garigliano, und merkte kaum, daſs ich dieſseits von einer Menge Mauleseltreiber umgeben war, die mir alle sich und ihre Thiere zum Dienst anboten. Da half kein De¬ monstrieren, sie machten die Kleinigkeit der Foderung noch kleiner und setzten mich halb mit Gewalt auf ein lastbares Stück, schnallten meinen Reisesack in Ordnung, und so zog ich mit der lieblichen Karavane weiter. Ein Kalabrese hatte mich in Mola gebeten ihm meine Gesellschaft zu erlauben, und ich konnte nichts dawider haben. Ein Junge von ungefähr drey¬ zehn Jahren hatte sich einige Millien weiter herab an¬ geschlossen, der in der Residenz sein Glück versuchen wollte, weil seine Stiefmutter zu Hause den Kredit ihres Namens etwas zu strenge behauptete. Beyde lie¬ fen neben her. Es wurde bald alles durchfragt, und der Junge muſste etwas weitläufig seine Geschichte er¬ zählen. Nun fing mein alter Eseltreiber an mit wahr¬ haft väterlicher Wärme dem jungen Menschen die Ge¬ fahr vorzustellen, der er entgegen liefe. Er that die¬ ses mit einer Zärtlichkeit, einer Heftigkeit und mit179 einer Behutsamkeit im Vortrage, die mir den alten Mann sehr werth machten. Wäre ich Sultan gewesen, ich hätte den Eseltreiber zum Mufti gemacht, und es würde gut gegangen seyn. Diese schöne bedachstame Philanthropie wäre manchem unserer Moralisten zu wünschen. Auch schien er über die ehrenvolle Ge¬ sellschaft durch seinen Verstand und seinen heitern Ernst ein ziemliches Ansehen zu haben. Kurz vor Sessa schieden wir; ich setzte mich von dem Esel wieder auf meine Füſse. Er gab dem jungen Men¬ schen zu seinem Rathe etwas Geld; und ich griff na¬ türlich über dem Alten und dem Jungen auch etwas tiefer in die Tasche als wohl gewöhnlich. Mein Ka¬ labrese begleitete mich, ich mochte wollen oder nicht, auf die Post, als das beste Wirthshaus. Der Junge ging weiter.
Da es noch hoher Tag war, spazierte ich hinauf nach Sessa, das wie ich höre viel alte Merkwürdigkei¬ ten hat und ehemahls eine Hauptstadt der Volsker war. Der Weg von der Post hinunter und in die Stadt hinauf ist angenehm genug; und die Lage des Orts ist herrlich mit den schönsten Aussichten, rechts nach Kajeta und links über die Niedrigung weg nach dem Gaurus hinüber. Als ich in der Kathedralkir¬ che stand und einen heiligen Johannes, der enthaup¬ tet wird, betrachtete, und eben so sehr die Andacht einiger jungen ganz hübschen Weiber beherzigte, die den schönen Mann auf dem Bilde mit ihren Blicken festhielten; trat mein alter Eseltreiber, der auf der andern Seite herauf gekommen war, zu mir, mich zu begrüſsen. Er hatte mich vielleicht wegen einiger180 Aeuſserungen etwas lieb gewonnen und vermuthlich die Silberstücke gesehen, die ich dem Buben gegeben hatte; und als wir aus der Kirche traten, führte er mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte mich wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend mit der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mich däucht, wenn die Leute hier Wahltag gehabt hätten, sie hätten mich dem Minister zum Trotz einstimmig zu ihrem Deputierten im Parlament gemacht; so sehr bezeigten sie mir alle ihr Wohlwollen: und ich kann Dir nicht läugnen, es däuchte mir mit völligem Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in War¬ schau die alte kommandierende Excellenz unter den Arm faſste, in dem Zimmer herum führte und mir in vollem Kreise die Ausfertigung einer Depesche ins Ohr flüsterte. Aus diesem Zirkel zogen mich einige sehr artige junge Leute, die mich weiter herum be¬ gleiteten, und vorzüglich zu den Augustinern führten, die für ihre Bäuche den behaglichsten Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten ausgesucht hatten. Der einzige Beweis, daſs die Leute doch noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist, daſs sie die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude ist für das Gelübde der Armuth eine Blasphemie. Doch daran bin ich schon gewohnt; man braucht nicht über den Liris zu gehen, um so ausschweifende Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. An der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht man noch die Substruktionen einer alten Brücke, und nicht weit davon jenseits die Reste einer Wasserlei¬ tung. Der Fluſs selbst, der nicht sehr breit ist, muſs181 doch zuweilen gefährlich zu passieren seyn: denn er ist ziemlich tief und schnell und man erzählte mir, daſs, als die Franzosen ungefähr zwey Stunden auf¬ wärts mit der Reiterey hindurchsetzen wollten, ihrer viele dabey umgekommen wären. An den Ufern des¬ selben weiden groſse Heerden Büffel.
Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch Falerner Wein vor; für die Aechtheit will ich indes¬ sen nicht stehen. Es ist bloſs die klassische Neugierde ihn getrunken zu haben; denn er hat schon längst seinen alten Kredit verloren. Höchst wahrscheinlich ist die Ursache der Ausartung Vernachlässigung, wie bey den meisten italiänischen Weinen, die sich besser halten würden, wenn man sie besser hielte. Als wir den Morgen auswandelten, ward meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete, das folgende Dorf be¬ stände aus lauter Räubern und Mördern, die die Pas¬ sage von Montagne spaccate zu ihrem Tummelplatz machten. Jeder Windstoſs durch das Gesträuch er¬ schreckte ihn; und als wir vollends einige bis auf die Zähne abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichten an dem Felsen befestiget sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe, ob er gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht hatte, und ein Kerl wie ein Bär war. Er fahselte von lauter Mariohlen, wie er sie nannte, die gar fürchterliche Leute seyn sollten und von denen er[erschreckliche] Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle ausbat, sagte er, män wüſste nicht, woher sie kämen und wohin sie gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten und raubten und schlügen todt wo sie könnten, gin¬182 gen zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und ver¬ schwänden, ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach seiner Angabe kommen sie meistens aus den Bergen von Abbruzzo. Ich habe nun freylich zur Schande der Regierung gefunden, daſs der Mensch ziemlich Recht hat. Er pinselte mir aber die Ohren so voll, daſs ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt lassen mit seinen erbärmlichen Litaneyen; wenn ich todt ge¬ schlagen werden sollte, so wollte ich mich doch we¬ nigstens vorher weiter nicht beunruhigen. Das kam dem Kerl sehr gottlos vor, und mir seine Klagelieder sehr albern. Er trieb mich immer vorwärts, mich nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu bringen; und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir aus der Gegend heraus waren. Er segnete meinen Ent¬ schluſs, als ich mich auf der Straſse von einem Vettu¬ rino bereden lieſs, mich einzusetzen und mich bis nach Kapua bringen zu lassen. Als wir in Kapua an¬ kamen, war der Gouverneur nach Kaserta gefahren, und wollte durchaus, ich sollte seine Rückkehr erwar¬ ten, damit er meinen Paſs ratifizieren möchte. End¬ lich bestürmte ich den Capitaine de jour so viel, daſs er mir den Paſs ohne Vidierung zurück gab, und dem Offizier von dem Thore Befehl schickte, er solle mich gehen lassen; er selbst wolle die Ausnahme ver¬ antworten.
Nun wollte ich über Altkapua nach Kaserta ge¬ hen; dazu war mein Kalabrese durchaus nicht zu brin¬ gen: er meinte, das wäre der sichere Tod; da wim¬ melte es von Mariohlen. Ich gab dem Schuft einige Karlin; lieſs ihn rechts nach Aversa forttrollen, um183 dort am rechten Orte seine attellanischen Fabeln zu erzählen, und schlug mich links nach Altkapua. Ei¬ nige ehrsame Bürger aus der Festung Neukapua, die ich einholte und denen ich die lächerliche Furcht des Menschen erzählte, meinten, es sey zwar etwas Ge¬ fahr, werde aber immer übertrieben, und man habe nun doch schon seit einigen Wochen nichts gehört. Die Herren schienen sich patriotisch ihrer vaterländi¬ schen Gegend anzunehmen. Wo ehmahls Kapua war, steht jetzt, glaube ich, der Flecken Sankt Martin, un¬ gefähr eine Stunde von der neuen Stadt, die unten am Vulturnus in einer bessern militärischen Position angelegt ist. Sankt Martin ist noch jetzt eine Lust¬ parthie für die Bürger der neuen Stadt, so sehr be¬ hauptet der alte Platz seinen Kredit. Es steht bekannt¬ lich noch der Rest eines alten Amphitheaters, das aus den Zeiten der Römer und also verhältniſsmäſsig neu ist, welches die Antiquare hinlänglich kennen, auf die ich Dich verweise. Ich ging durch die Trümmern eines Thors, das vermuthlich das nehmliche ist, durch welches Hannibal seinen Ruhm hinein und nicht wie¬ der heraus trug, lieſs nach kurzer Beschauung das Thea¬ ter links liegen und pilgerte den Weg nach Kaserta fort. Es stehen dort an der Straſse links und rechts nicht weit von einander ein Paar Monumente, die vermuthlich römische Begräbnisse sind, und von de¬ nen eines wenigstens in sehr gutem Stil gearbeitet zu seyn scheint.
Es wäre überflüssig, Dir eine Beschreibung des Schlosses in Kaserta anzufangen, die Du hier und da gewiſs weit genauer und besser finden kannst. Der184 erste Anblick ist groſs und wirklich imponierend. Der Garten links, die schönen Pflanzungen rechts, der prächtige Schloſsplatz und die Gebände rund umher, alles beschäftigt. Vorzüglich wird das Auge gefesselt von der Ansicht durch das groſse Thor, welche durch das ganze Schloſs und die Gärten bis weit hinaus auf die Berge geht, über welche man die berühmte Was¬ serleitung herüber gebracht hat. Diese schöne reiche Kunstkaskade schlieſst den Grund der Parthie. Man wird selten irgendwo so etwas magisches finden. Du weiſst, daſs auch hier die Franken etwas willkührlich gehaust haben: jetzt ist der Kronprinz und seine Sar¬ dinische Majestät hier.
Auf der Post empfing man mich, ob ich gleich ein Fuſsgänger war, mit vieler Artigkeit, und ich hatte bald einen Trupp Neugieriger um mich her, die mich von Adam bis Pontius Pilatus ausfragten; und alle wunderten sich, daſs ich den Räubern noch nicht in die Hände gefallen wäre. Humane Theil¬ nahme und Billigkeit zeichnete das Haus vor vielen andern aus. Ich hatte nur noch einige Stunden Zeit die Stadt zu besehen; dieſs war aber zur Auffassung eines richtigen Totaleindrucks genug. Den andern Morgen, als ich abgehen wollte, arretierte mich wie¬ der ein Vetturino an der Ecke des Marktes: Volete andare in carozza, Signore? — Ma si, si, sagte ich, se partite presto presto. — Questo momento; fauo¬ rissa montare. Ich stieg ein und setzte mich neben einen stattlichen dicken Herrn; sogleich kamen noch zwey andere und wir rollten zum Thore hinaus.
Dieses ist also das schöne, reiche, selige Kampa¬185 nien, das man seit dem es bekannt ist zum Paradiese erhoben hat, für das die römischen Soldaten ihr Ka¬ pitol vergessen wollten. Es ist wahr, der Strich zwi¬ schen Aversa, Kapua, Kaserta, Nola und Neapel, zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und den hohen Apenninen, oder das sogenannte Kampanerthal, ist von allem was ich in der alten und neuen Welt bis jetzt noch gesehen habe der schönste Platz, wo die Natur alle ihre Gaben bis zur höchsten Verschwendung ausgegossen hat. Jeder Fuſstritt trieft von Segen. Du pflanzest einen Baum, und er wächst in kurzer Zeit[schwelgerisch] breit und hoch empor; Du hängst einen Weinstock daran und er wird stark wie ein Stamm, und seine Reben laufen weitausgreifend durch die Krone der Ulme; der Oehlbaum steht mit bescheide¬ ner Schönheit an dem Abhange der schützenden Berge; die Feige schwillt üppig unter dem groſsen Blatte am gesegneten Aste; gegen über glüht im sonnigen Thale die Orange, und unter dem Obstwalde wallt der Wei¬ tzen, nickt die Bohne, in reicher lieblicher Mischung. Der Arbeiter erntet dreyfach auf dem nehmlichen Bo¬ den in Fülle, Obst und Wein und Weitzen; und alles ist üppige ewig jugendliche Kraft. Unter diesen magi¬ schen Abwechselungen kamen wir in einigen Stunden in Parthenope an. Der stattliche dicke Herr, mein Nachbar, schien die Deutschen etwas in Affektion ge¬ nommen zu haben, war ehemahls einige Monathe in Wien und Prag gewesen, wuſste einige Dutzend Wör¬ ter von unserer Sprache, und war die Gefälligkeit selbst. Er war aus dem königlichen Hause, und mich wunderte seine Artigkeit etwas, da sonst Höflichkeit in186 der Regel bey uns nicht mit zu den ausgezeichneten Tugenden der Hausofficianten der Groſsen gehört. In Neapel brachte er mich in einem eigenen Wagen in das Haus eines seiner Bekannten an dem Thore von Toledo, bis ich den Herrn Heigelin aufgesucht hatte, an den meine Empfehlung von Wien lautete. Es ist wirklich sehr wohlthätig, wenn man, bey dem ersten Eintritt in so einen Ort wie Neapel ist, als Wildfrem¬ der eine so freundliche Hand zur Leitung findet, bis man sich selbst etwas orientieren kann.
Du muſst und wirst von mir nicht erwarten, daſs ich Dir eine topische, statistische, literarische oder vollständig kosmische Beschreibung von den Städten gebe, wo ich mich einige Zeit aufhalte. Dazu ist mein Aufenthalt zu kurz; die kannst Du von Reisen¬ den von Profession oder aus den Fächern besonderer Wissenschaften gewiſs besser bekommen. Ich erzähle Dir nur freundschaftlich, was ich sehe, was mich vielleicht beschäftigt und wie es mir geht. Meine Wohnung ist hier auf Mont Oliveto. Wie der Ort zu dem Namen des Oehlberges kommt weiſs ich nicht; er ist aber einer der besten Straſsen der Stadt, nicht weit von Toledo, mit welchem er sich oben vereini¬ get. Die Besitzerin des Hauses ist eine Französin, die sich seit einigen Jahren der hiesigen Revolution wegen zu ihrer Sicherheit in Marseille aufhält. Ich habe Ursache zufrieden zu seyn; es ist gut und billig. Die187 Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Englän¬ dern, Deutschen und Franzosen; die letzten machen jetzt hier die gröſste Anzahl aus.
Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Ge¬ nuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbe¬ dienten und ein Stück von Cicerone macht, in der Stadt herum gelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Ge¬ gend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge, daſs sie das Verderben vieler Familien würden. Man weiteifere gewöhnlich, wer das schönste Landhaus und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Ca¬ sino die ausgesuchtesten Vergnügen genieſse und ge¬ nieſsen lasse, und weiteifere sich oft zur Vergessenheit, und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Ver¬ mögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf eines auf dem Lande; und das zweyte koste oft mehr als das erste. Spiel und Weibergalanterie und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seyen die stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sey das Cicisbeat hier noch nicht so herrschend als in Rom. Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mich, eine bessere Kathedrale haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwür¬ dige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen muſs; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über188 eine Stunde herum, und beschaute das unterirdische Wesen, und hörte die Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermuthe, Glöckner des Hospitals war. Über den Grüften ist ein Theil des Gartens von Capo di monte. Der Führer erzählte mir eine Menge Wun¬ der, die die Heiligen Januarius und Severus hier ganz gewiſs gethan haben, und ich war unterdessen mit meinen Konjekturen bey der Entstehung dieser Grüfte. Hier und da lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und zuweilen ganze groſse Haufen von Knochen, wie man sagte, von der Zeit der groſsen Pest. Die römischen Katakomben habe ich nicht ge¬ sehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano, weil mich verständige Männer und Kenner versicher¬ ten, daſs man dort sehr wenig zu sehen habe und es nun ganz ausgemacht sey, daſs das Ganze weiter nichts als Puzzolangruben gewesen, die nach und nach zu dieser Tiefe und zu diesem Umfang gewachsen. Das ist begreiflich und das wahrscheinlichste.
Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster in der Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche, wo auch die Kinder des königlichen Hauses begraben werden. Die Nonnen sind alle aus den vornehmsten Familien, und man hat ihre Thorheit und ihr Elend so glänzend als möglich zu machen gesucht. Mein al¬ ter Genuese, der ein groſser Hermenevte in der Kir¬ chengeschichte ist, erzählte mir bey dieser Gelegen¬ heit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine Schande macht, und dessen Würdigung ich den Ken¬ nern überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenos¬ sin des heiligen Franciskus und des heiligen Domini¬189 kus; und man giebt ihr Schuld, sie habe beyde insbe¬ sondere glauben lassen, sie sey jedem ausschlieſslich mit sehr feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses thut ihr in ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Je¬ der der beyden Heiligen glaubte es für sich und war selig, wie das zuweilen auch ohne Heiligkeit zu gehen pflegt. Dominikus war ein groſser starker energischer Kerl, ungefähr wie der Moſes des Michel Angelo in Rom, und sein Nebenbuhler Franciskus mehr ein äthe¬ rischer sentimentaler Stutzer, der auch seine Talente zu gebrauchen wuſste. Nun sollen auch die heiligen Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitä¬ ten lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den brünstigen Franciskus mit der heiligen Klara in einer geistlichen Ekstase, die seiner Eifersucht etwas zu kör¬ perlich vorkam; er ergriff in der Wuth die nächste Waffe, welches ein Bratspieſs war, und stieſs damit so grimmig auf den unbefugten Himmelsführer los, daſs er den armen schwachen Franz fast vor der Zeit da¬ hin geschickt hätte. Indeſs der Patient kam davon, und aus dieser schönen Züchtigung entstanden die Stigmen, die noch jetzt in der christlichen Katholicität mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich habe, wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegen über gewohnt, und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt ge¬ sehen. Mein Genuese sagte mir die heilige Anekdote nur vertraulich ins Ohr, und wollte übrigens als ein guter Orthodox weiter keine Glosse darüber machen, als daſs ihm halb unwillkührlich entfuhr: Quelles be¬ tises on nous donne à digerer! Chacun les prend à sa façon.
190Heute besuchte ich auch Virgils Grab. Die um¬ ständliche Beschreibung mag Dir ein Anderer machen. Es ist ein romantisches, idyllisches Plätzchen; und ich bin geneigt zu glauben, der Dichter sey hier begraben gewesen, die Urne mag nun hingekommen seyn, wo¬ hin sie wolle. Das Gebäudchen ist wohl nichts an¬ ders als ein Grab, nicht weit von dem Eingange der Grotte Posilippo, und eine der schönsten Stellen in der schönen Gegend. Ich weiſs nicht, warum man sich nun mit allem Fleiſs bemüht, den Mann auf die andere Seite der Stadt zu begraben, wo er nicht halb so schön liegt, wenn auch der Vesuv nicht sein Nach¬ bar wäre. Ich bin nicht Antiquar; aber die ganze Be¬ hauptung, daſs er dort drüben liege, beruht doch wohl nur auf der Nachricht, er sey am Berge Vesuv begra¬ ben worden. Das ist er aber auch, wenn er hier liegt; denn der Berg ist gerade gegen über: in eini¬ gen Stunden war er dort, wenn er zu Lande ging, und setzte er sich in ein Boot, so ging es noch schnel¬ ler. Die Entfernung eines solchen Nachbars, wie Ve¬ suv ist, wird nicht eben so genau genommen. Alle übrige Umstände sind mehr für diese Seite der Stadt. Hier ist die reichste, schönste Gegend, hier waren die vorzüglichsten Niederlagen der römischen Groſsen, vor¬ nehmlich auf der Spitze des Posilippo die Gärten des Pollio, der ein Freund war des römischen Avtokra¬ tors und ein Freund des Dichters; nach dieser Gegend lagen Puteoli und Bajä und Cumä, der Avernus und Misene, die Lieblingsgegenstände seiner Dichtungen; diese Gegend war überhaupt der Spielraum seiner lieb¬ sten Phantasie. Wahrscheinlich hat er hier gewohnt,191 und wahrscheinlich ist er hier begraben. Danat, der es, wenn ich nicht irre, zuerst erzählt, konnte wohl noch sichere Nachrichten haben, konnte davon Augen¬ zeuge gewesen seyn, daſs das Monument noch ganz und wohl erhalten war; hatte durchaus keine Ursache, diesem Fleckchen irgend einem Vorzug vor den übri¬ gen zu geben, und dieses ist der Ort seiner Angabe; zwey Steine von der Stadt, an dem Wege nach Pu¬ teoli, nicht weit von dem Eingange in die Grotte. Ich will nun auch einmal glauben; man hat für man¬ chen Glauben weit schlechtere Gründe: und also glau¬ be ich, daſs dieses Maros Grab sey. Den Lorber suchst Du nun umsonst; die gottlosen Afterverehrer haben ihn so lange bezupft, daſs kein Blättchen mehr davon zu sehen ist. Ich nahm mir die Mühe hinauf zu steigen und fand nichts als einige wild verschlun¬ gene Kräuter. Der Gärtner beklagte sich, daſs die gott¬ losen vandalischen Franzosen ihm den allerletzten Zweig des heiligen Lorbers geraubt haben. Dichter müssen es nicht gewesen seyn: denn davon wäre doch wohl etwas in die Welt erschollen, daſs der Lor¬ ber von dem Lateiner neuerdings auf einen Gallier übergegangen sey. Vielleicht schlägt er dort am Grabe des Mantuaners wieder aus. Man sollte we¬ nigstens zur Fortsetzung der schönen Fabel das seini¬ ge beytragen; ich gab dem Gärtner gerade zu den Rath.
Als ich hier und bey Sanazars Grabe nicht weit davon in der Servitenkirche war, verfolgte mich ein trauriger Cicerone so fürchterlich mit seiner Dienſtfer¬ tigkeit mir die Antiquitäten erklären zu wollen, daſs192 er durchaus nicht eher von meiner Seite ging, bis ich ihm einige kleine Silberstücke gab, die er sehr höflich und dankbar annahm. Ich habe mich nicht enthalten können bey dieser Gelegenheit wahres Mitleid mit dem groſsen Cicero zu haben, daſs sein Name hier ſo er¬ bärmlich herumgetragen wird. Die Ciceronen sind die Plagen der Reisenden, und immer ist einer un¬ wissender und abenteuerlicher als der andere. Den vernünftigsten habe ich noch in Tivoli getroffen, der mir auf der Eselspromenade zum wenigsten ein Duz¬ zend von Horazens Oden rezitirte und nach seiner Weise kommentirte.
Ich versuchte es an dem Fuſse des Posilippo an dem Strande hinaus bis an die Spitze zu wandeln; es war aber nicht möglich weiter als ungefähr eine Stun¬ de zu kommen: dann hörte jede Bahn auf, und das Ufer bestand hier und da aus schroffen Felsen. Hier stehen in einer Entfernung von ungefähr einer Vier¬ telstunde zwey alte Gebäude, die man für Schlösser der Königin Johanna hält, wo sie zuweilen auch ihr be¬ rüchtigtes Unwesen getrieben haben soll. Sie sind ziemlich zu so etwas geeignet, gehen weit ins Meer hinein, und es lieſse sich sehr gut zeigen, wozu dieses und jenes gedient haben könnte. Zwischen diesen bey¬ den alten leeren Gebäuden liegt das niedliche Caſino des Ritters Hamilton, wo er beständig den Veſuv vor Augen hatte; und man thut ihm vielleicht nicht ganz Unrecht, wenn man aus dem Ort seiner Vergnügun¬ gen auf etwas Aehnlichkeit mit dem Geschmack der schönen Königin schlieſst, die von der bösen Geschichte doch wohl etwas schlimmer gemacht worden ist als193 sie war. Ich war genöthigt wieder zurück zu gehen, und nicht weit von der Villa reale nahmen mich eine Menge Bootsleute in Beschlag, die mich an die Spitze hinaus rudern wollten. Es schien mir zu spät zu seyn, deſswegen wollte ich nichts hören. Aber man griff mich auf der schwachen Seite an; man blickte auf die See, welche sehr hoch ging, an den Himmel, wo Sturm hing, und auf mich mit einer Miene, als ob man sa¬ gen wollte, das wird dich abhalten. Dieser Methode war nicht zu widerstehen, ich bezahlte die Gefahr so¬ gleich mit einem Piaster mehr, und setzte mich mit meinen alten Genuesen in ein Boot, das ich erst selbst herunter ziehen half. Der Genuese hatte auch mehrere Seereisen gemacht, und hatte Muth wie ein Delphin. Aber die Fahrt ward ihm doch etwas bedenklich; der Sturm heulte von Surrent und Kapri gewaltig herüber und die Wogen machten rechts eine furchtbare Bran¬ dung; das Wasser füllte reichlich das Boot, und der Genuese hatte in einem Stündchen die Seekrankheit bis zu der letzten Wirkung. Ich wollte um das Inselchen Nisida herum gerudert seyn; das war aber nicht mög¬ lich: wir muſsten, als wir einige hundert Schritte vor dem Einsiedler vorbey waren, umkehren und unsere Zuflucht in ein einsames Haus nehmen, wohin man in der schönen Zeit von der Stadt aus zuweilen Was¬ serparthien macht, wo es aber jetzt traurig genug aus¬ sah. Indessen fütterte uns doch der Wirth mit Mak¬ karoni und gutem Käſe. Nicht weit von hier, nahe an dem Inselchen Nisida, auf welchem auch Brutus sich einige Zeit aufgehalten hat, sind die Trümmern eines alten Gebäudes, die aus dem Wasser hervorragen13194und die man gewöhnlich nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort wohl sehr uneigent¬ lich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr wahr -, scheinlich, daſs er hier oft gearbeitet haben mag. Es ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen kann. Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten des Pollio. Er hatte hier um sich her einen groſsen Theil von dem Theater seiner Aeneide, alle Oerter die an den Meerbusen von Neapel und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach Surrent.
Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirthshause, wo ich einkehrte, stand ehemals ein al¬ ter Tempel der Fortuna, von dem noch einige Säulen und etwas Gemäuer zu sehen sind. Jetzt hat man an dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet und es der Madonna della fortuna geweiht. Man hat bekanntlich manches aus dem Heidenthum in den christlichen Ri¬ tus übergetragen, die Saturnalien, das Weihwasser und vieles andere; aber besser hätte man nicht umändern können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in der wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten noch die gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit für die Fischhälter des Pollio an¬ nimmt, und in dieser Meinung eine groſse marmorne Tafel an der Thür angebracht hat, auf welcher latei¬ niſch alle Gräuel abscheulich genug beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen195 ächt kardinalisch gepriesen wird. Ich weiſs nicht, ob man nicht vielleicht mit dem brittischen Klagemann sagen sollte: A bitter change, feverer for fevere! Es ist jetzt kaum ein Sklave übrig, den Pollio in den Teich werfen könnte.
Mein Genuese bat mich um alles in der Welt, ihn nicht wieder ins Boot zu bringen. Auch ich war sehr zufrieden, einen andern Weg nach der Stadt zu¬ rück zu kehren. Ich zahlte also die Bootsleute ab, und wir gingen auf dem Rücken des Posilippo nach Nea¬ pel. Diese Promenade muſst du durchaus machen, wenn du einmal hierher kommst; sie ist eine der schönsten, die man in der herrlichen Gegend suchen kann. Lange Zeit hat man die beyden Meerbusen von Neapel und Bajä rechts und links im Gesicht, genieſst sodann die schöne Uebersicht auf die Parthie jenseit des Berges nach Puzzuoli, welche die Neapolitaner mit ihrer verkehrten Zunge nur Kianura oder die Ebene nennen. Man kommt nach ungefähr vier Mil¬ lien des herrlichsten Weges in der Gegend von Vir¬ gils Grabe wieder herunter auf die Straſse. Der Spa¬ ziergang ist freylich etwas wild, aber desto schöner.
Man ſagte mir, die Regierung habe wollen eine Straſse rund um den Posilippo herum auf der andern Seite nach Puzzuoli führen, so daſs man nicht nöthig hätte, durch die Grotte und die etwas ungesunde Ge¬ gend jenseits derselben zu fahren, sondern immer am Meere bliebe. Das würde in der That einer der herr¬ lichsten Wege werden; ungefähr eine halbe Stunde ist gemacht: aber wenn doch die neapolitanische Regie¬ rung vorher das Nöthige, Gerechtigkeit, Ordnung und196 Polizey besorgte; das andere würde sich nach und nach schon machen.
Bekanntlich wird das Fort Sankt Elmo mit der darunter liegenden Karthause für die schönste Parthie gehalten; und sie ist es auch für alle, die sich nicht weiter auf den Vesuv oder zu den Kamaldulensern be¬ mühen wollen. Es ist ein ziemlicher Spaziergang; auf die Karthause, den unser schlesische Landsmann, Herr Benkowitz, schon für eine groſse Unternehmung hält, auf welche er sich den Tag vorher vorbereitet. Ich Tornisterträger steckte die Tasche voll Orangen und Kastanien und wandelte damit zum Morgenbrote sehr leicht hinauf. In das Fort zu kommen hat jetzt bey den Zeitumständen einige Schwierigkeit, und man muſs vorher dazu die Erlaubniſs haben. Man sieht in der Karthause fast eben so viel, nur hat man nicht das Vergnügen zehen oder zwanzig Klaftern höher zu stehen. Die Karthause hat der König ausgeräumt und sich die meisten Schätze zugeeignet. Es ist jetzt nur noch ein einziger Mönch da, der den Ort in Aufsicht hat. In der Kirche sind noch mehrere schöne Ge¬ mälde, besonders von Lanfranc und ein noch nicht ganz vollendetes Altarblatt von Guido Reni; auch der Konventsaal hat noch Stücke von guten Meistern.
Um die schönste Aussicht zu haben muſst Du zu den Kamaldulensern steigen. Die Herren sind in der Revolution etwas decimiert worden, haben aber den Verlust nicht schwer empfunden. Man geht durch die Vorstadt Fraskati und einige Dörfer immer bergauf und verliert sich in etwas wilde Gegenden. Weil man nicht hinauf fahren kann, wird die Parthie nicht von197 sehr vielen gemacht. Wir verirrten uns, mein Ge¬ nuese und ich, in den Feigengärten und Kastanien¬ wäldern, und ich muſste dem alten Kerl noch mit meiner Topographie im Orientieren helfen. Das är¬ gerte mich gar nicht; denn wir trafen in der wilden Gegend einige recht hübsche Parthien nach allen Sei¬ ten. Es gab Stellen, wo man bis nach Kajeta hinü¬ ber sehen konnte. Da wir uns verspätet hatten, muſs¬ ten wir in einem Dorfe am Abhange des Berges zum Frühstück einkehren und einen zweyten Bothen mit nehmen. Dieser brachte uns auf einem der schönsten Wege an dem Berge über dem Agnano hin in das Kloster. Es ist dort nichts zu genieſsen als die Aus¬ sicht; die Kirche hat nichts merkwürdiges. Ein Layen¬ bruder führte mich mit vieler Höflichkeit durch alle ihre Herrlichkeiten, und endlich an eine ausspringende Felsenspitze des Gartens unter einige perennierende Ei¬ chen, die vielleicht der schönste Punkt in ganz Italien ist. Von Neapel sieht man zwar nicht viel, weil es fast ganz hinter dem Posilippo liegt; nur der hohe Theil von Elmo, Belvedere und einige andere Stück¬ chen sind sichtbar. Aber rund umher liegt das ganze schöne magische klassische Land unter Einem Blick. Portici, das auf der Lava der Stadt des Herkules steht, der sich empor thürmende Vesuv mit dem Somma, Torre del Greco, Pompeji, Stabiä, Surrent, Massa, Kapri, der ganze Posilippo, Nisida, Ischia, Procida, der ganze Meerbusen von Bajä mit den Trümmern der Gegend, Misene, die Thermen des Nero, der Lukriner See und hinter ihm versteckt der Avernus, die Solfa¬ tara, bey heiterm Wetter die Berge von Kumä, der198 Gaurus und weiter hin die beschneyten Apenninen; unten der Agnano mit der Hundsgrotte, deren Ein¬ gang nur ein hervorspringender Hügel bedeckt; der neue Berg hinter der Solfatara; alte und neue Berge, ausgebrannte und brennende Vulcane, alte und neue Städte, Elysium und die Hölle: — alles dieses fassest Du mit Deinem Auge, ehe Du hier eine Zeile liesest. Tief tief in der Ferne sieht man noch Ponza und ei¬ nige kleinere Inseln. Da haben die Mönche wieder das beste gewählt. Freund, wenn Du einmal hörst, daſs ich unbegreiflich verschwunden bin, so bringe mit unter Deine Muthmaſsungen, daſs ich vielleicht der schönsten Natur die gröſste Sottise zum Opfer ge¬ bracht habe und hier unter den Anachoreten hause. Hier den Homer und Virgil, den Thucydides und et¬ was von der attischen Biene, abwechselnd mit Aristo¬ phanes, Lucian und Juvenal; so könnte man wohl in den Kastanienwäldern leben und das Biſschen Vernunft bey sich behalten: denn diese wird jetzt doch überall wieder konterband. Also gehe zu den Kamaldulensern, wenn Du auch nicht in Versuchung bist, bey ihnen oben zu bleiben.
Jetzt schlieſse ich und schreibe Dir vermuthlich noch einiges über Neapel, wenn ich aus Trinakrion zurückkomme; denn eben muſs ich zu Schiffe nach Palermo.
Wir hatten einige Tage auf leidlichen Wind zum Auslaufen gewartet: endlich kam eine starke Tramon¬ tane und führte uns aus den Zauberplatze heraus. Es war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete rund umher die Gipfel der schönen Berge, der Somma glänzte, der Vesuv wirbelte Rauchwölkchen, und die herrliche Königsstadt lag in einem groſsen groſsen Am¬ phitheater hinter uns in den magischen Strahlen. Rechts war Ischia und links Kapri; die Nacht senkte sich nach und nach und verschleyerte die ferneren Ge¬ genstände in tiefere Schatten. Ich konnte in dem Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine Stadt auf Kapri unterscheiden. Die gemeinen Neapo¬ litaner und Sicilianer nennen mit einer ihnen sehr ge¬ wöhnlichen Metathesis die Insel nur Krap. Sie ist ziemlich kahl. Ich hätte von Neapel aus gern eine Wasserfahrt dahin gemacht, um einige Stunden auf dem Theater herum zu wandeln, von welchem zur Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer Wüst¬ ling einige Jahre das Menschengeschlecht miſshandelte; aber ich konnte keine gute Gesellschaft finden, und für mich allein wären nach meinen übrigen Ausgaben die Kosten zu ansehnlich gewesen. Ueberdieſs war es fast immer schlechtes Wetter. Zur Ueberfahrt hieher hatte ich mich auf ein Kauffartheyschiff verdungen, weil ich auf das Paketboot nicht warten wollte. Der Wind ging stark und die See hoch, aber ich schlief gut: man erkannte gleich daraus und aus meinem fe¬ sten Schritt auf dem Verdeck, daſs ich schon ein alter Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die200 Leute lauter Oel aſsen, wollte sich der Kapitän mit dem Essen für mich nicht befassen; ich hatte also auf acht Tage Wein, Orangen, Brot, Wurst und Schinken für mich auf das Schiff bringen lassen. Den ganzen Tag ging der Wind ziemlich stark und gut; aber ge¬ gen Abend legte er sich und die See ward hohl. Doch hatten wir uns gegen Morgen, also in allem sechs und dreyſsig Stunden, in den Hafen von Palermo hinein geleyert. Das war eine ziemlich gute Fahrt. Auf der Höhe hatten wir immer die Kanonen scharf geladen und ungefähr vierzig groſse Musketons fertig, um gegen die Korsaren zu schlagen, wenn einer kom¬ men sollte. Denn Du muſst wissen, der Unfug ist jetzt so groſs, und die neapolitanische Marine ist jetzt so schlecht, daſs sie zuweilen bis vor Kapri und sogar bis vor die Stadt kommen, um zu sehen, ob sie etwa Geschäfte machen können; wie sich die Spielkaper in den deutschen Bädern ausdrücken. Daſs ist nun frey¬ lich eine Schande für die Regierung; aber die Regie¬ rung hat dergleichen Schandflecke mehr.
Wir kamen hier ich weiſs nicht zu welchem Fe¬ ste an, wo in der Stadt so viel geschossen wurde, daſs ich die Garnison wenigstens für zehen tausend Mann stark hielt. Aber ich habe nachher die Methode des Feuerns gesehen. Sie gehört zur Frömmigkeit und ist drollig genug. Man hat eine ungeheure Menge klei¬ ner Mörser, die man in der Reihe nach einander ge¬ laden hinstellt; absatzweise stehen etwas gröſsere, die wie Artillerie donnern. Sie sind alle so gestellt, daſs, wenn am Flügel angezündet wird, das Feuer regelmäs¬ sig schnell die ganze Front hinunter greift und am201 Ende mit einigen groſsen Stücken schlieſst. Von wei¬ tem klingt es wie etwas groſses; und am Ende besorgt es ein einziger alter lahmer Konstabel. Unser Haupt¬ mann von der Aurora lieſs sich mit seiner Artillerie stark hören.
Ich wurde auf der Sanität, wohin ohne Unter¬ schied alle Ankommende müssen, mit vieler Artig¬ keit behandelt, und man lieſs mich sogleich gehen, wohin ich wollte, da die andern, meistens Neapolita¬ ner, noch warten muſsten. Mein erster Gang, nach¬ dem ich mich in einem ziemlich guten Wirthshause untergebracht hatte, war zu dem königlichen Biblio¬ thekar, dem Pater Sterzinger, an den ich von dem Sekretär der Königin aus Wien Briefe hatte. Der Güte dieses wirklich sehr ehrwürdigen Mannes danke ich meine schönsten Tage durch ganz Sicilien. Er gab mir durch die ganze Insel Empfehlungen an Männer von Wissenschaft und Humanität, in Agrigent, Syra¬ kus, Katanien und Messina. Der Saal der Bibliothek ist unter seiner Leitung in herrliche Ordnung gebracht, und mit alten sicilianischen Alterthümern sehr ge¬ schmackvoll ausgemalt worden, so daſs man hier mit einem Blick alles vorzügliche übersehen kann. Es fin¬ den sich in der hiesigen Bibliothek viele Ausgaben von Werth, und mir ist sie im Fache der Klassiker reicher vorgekommen als Sankt Markus in Venedig. Eine Sel¬ tenheit ist der chinesische Konfuzius mit der lateini¬ schen Interlinearversion, von den Jesuiten, deren Mis¬ sionsgeschäft in China damals glückliche Aussichten hatte. Hier habe ich weiter noch nichts gethan als Orangen gegessen, das Theater der heiligen Cecilia ge¬202 sehen, bin in der Flora und am Hafen herum gewan¬ delt und auf dem alten Erkte oder dem Monte Pelle¬ grino gewesen.
Von hier aus, sagt man mir, ist es durchaus nicht möglich, ohne Führer und Maulesel durch die Insel zu reisen. Selbst die Herren Bouge und Caillot, an die ich von Wien aus wegen meiner fünf Dreyer hier ge¬ wiesen bin, sagen, es werde sich nicht thun lassen. Ich habe nicht Lust mich jetzt hier länger aufzuhalten, lasse jetzt eben meine Stiefeln besohlen und will mor¬ gen früh in die Insel hineinstechen. Da ich barfuſs nicht wohl ausgehen kann und doch etwas anders zu schreiben eben nicht aufgelegt bin, habe ich mich hin¬ gesetzt und in Sicilien einen Sicilier, nehmlich den Theokritus, gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier so drollig vor, daſs ich die Feder ergriff und ihn un¬ vermerkt deutsch niederschrieb. Ich will Dir die Ue¬ bersetzung ohne Entschuldigung und Präambeln geben und werde es sehr zufrieden seyn, wenn Du sie bes¬ ser machst; denn ich habe hier weder Apparat noch Geduld und wäre mit ganzen Stiefelsohlen wohl schwer¬ lich daran gekommen. Also wie folget:
Ist es nicht Schade, daſs wir das zärtliche Liebes¬ briefchen des Polyphemus an seine geliebte Galatee von dem Tyrannen Dionysius nicht mehr haben? Es wur¬ de, glaube ich, durch einen Triton bestellt. Die sici¬ lischen Felsen machen alle eine ganz eigene idyllische Erscheinung; und wenn ich mir so einen verliebten207 Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬ gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬ phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬ genehme Reminiscenzen meiner übergroſsen Seligkeit, wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬ kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬ liche Mittel.
Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬ de verdankst Du, daſs ich Dir nicht auch noch seine Hexe oder sein Erntefest bringe.
Siehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬ manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬ streichen; das kann in einigen Tagen geschehen. Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel208 versehen. Ich wollte nehmlich von Palermo über Tra¬ pani, Alcamo und Sciakka gehen, um in Segeste und Selinunt die Alterthümer zu sehen, die noch dort sind. Auch Barthels hat sie nicht gesehen, wenn ich mich recht erinnere; und der Tempel von Segeste wäre doch wohl eine so kleine Abschweifung werth. Ich wohnte in Palermo mit einem neapolitanischen Offi¬ zier, einem Herrn Canella aus Girgenti, zusammen, mit dem ich ein langes und breites darüber sprach; und dieser hatte die Güte mir einen Mauleseltreiber aus seiner Vaterstadt als Wegweiser zu besorgen. Nun denke ich in meiner Sorglosigkeit weiter mit keiner Sylbe daran, und glaube der Kerl wird mich gerade an den Eryx bringen. Ich setze mich auf und reite in gröſster Andacht, in welcher ich meine Orangen nach und nach aufzehre, wohl zwey Stunden fort, als mir einfällt, daſs ich doch zu weit links von der See ab¬ komme. Der Eseltreiber versicherte mich aber sehr ehrlich, das sey der rechte gewöhnliche Weg nach Agri¬ gent. Ich bin wieder einige Millien zufrieden. End¬ lich kommen wir bei Bei Frati an, und ich finde mich zu sehr mitten in der Insel. Nun orientierte und er¬ klärte ich mich und da kam denn zum Vorschein, daſs sich der Eseltreiber dem Henker um meine Promena¬ de bekümmert hatte, und mit mir gerade den alten römischen Weg durch die Insel geritten war. Was war zu thun? Rechts einlenken? Da war eine ganze Welt voll Berge zu durchstechen, und niemand wollte den Weg wissen: und das Menschenkind verlangte nicht mehr als sechs goldene Unzen, um nach Paler¬ mo zurück und den andern Weg zu machen. Das209 war meiner Börse zu viel; ich entschloſs mich also mit etwas Griesgrämlichkeit nun so fort zu reiten, und die erycinische Göttin andern zu überlassen, die vielleicht auch ihren Werth besser zu würdigen ver¬ stehen. Wir ritten von Palermo bis fast an die Baga¬ rie den Weg nach Termini, und stachen dann erst rechts ab. Die Parthien sind angenehm und könnten noch angenehmer seyn, wenn die Leute etwas fleiſsi¬ ger wären. So wie man sich von der Hauptstadt ent¬ fernt, wird es ziemlich wild. Wir kamen durch einige ziemlich unbeträchtliche Oerter, und der Abfall der Kultur und des äuſserlichen Wohlstandes war ziemlich grell. Alles war weit theurer, als in der Hauptstadt, nur nicht die Apfelsinen, an denen ich mich erholte und von denen ich mein Magazin nicht leer werden lieſs. Nicht weit von Bei Frati blieb uns rechts auf der Anhöhe ein altes Schloſs liegen, das man Torre di Diana nannte, und wo die Saracenen mit den Chri¬ sten viel Grausamkeit getrieben haben sollen. Es war mir noch zu zeitig bey den schönen Brüdern zu blei¬ ben, zumal da das Wirthshaus gerade zu der Revers des Namens war; wir ritten also ungefähr fünf Millien weiter an ein anderes. Hier war auch nicht ein Stück¬ chen Brot, auch nicht einmal Makkaronen zu haben. Wir ritten also wieder weiter; mein Eseltreiber und noch ein armer Teufel, der sich angeschlossen hatte, fingen an sich vor Räubern zu fürchten, und ich war es auch wohl zufrieden, als wir ziemlich spät in Sankt Joseph nicht weit von einem Fluſse ankamen, dessen Namen ich vergessen habe.
Hier fanden wir eine ganze Menge Mauleseltreiber14210aus allen Theilen der Insel, und doch wenigstens Mak¬ karonen. Aus Vorsicht hatte ich für mich in Paler¬ mo Brot gekauft, das beste und schönste, das ich je gesehen und gegessen habe. Hier war es mir eine Wohlthat, und ich selbst konnte damit den Wohlthäter machen. Die Leutchen im Hause, unter denen ein Patient war, segneten die fremde Hülfe: denn das we¬ nige Brot, das sie selbst hatten, war sehr schlecht. Ist das nicht eine Blasphemie in Sicilien, das ehemals eine Brotkammer für die Stadt Rom war? Ich konnte mei¬ nen Unwillen kaum bergen.
Einen lustigen Streit gab es zum Dessert der Makkaronen. Die Eseltreiber hatten mir abgelauert, daſs ich wohl ihre Alterthümer mit besuchen wollte, wie sich denn dieses in Sicilien einem Fremden sehr leicht abmerken läſst. Da erhob sich ein Zwist unter den edelmüthigen Hippophorben über die Vorzüge ih¬ rer Vaterstädte in Rücksicht der Alterthümer. Der Eseltreiber von Agrigent rechnete seine Tempel und die Wunder und das Alter seiner Stadt; der Eseltreiber von Syrakus sein Theater, seine Steinbrüche und sein Ohr; der Eseltreiber von Alcamo sein Segeste und der Eseltreiber von Palermo hörte königlich zu und sagte — nichts. Ihr könnt euch auch groſs machen, sagte der Treiber von Katanien zu dem Treiber von Alcamo, mit eurem Margarethentempelchen, der nicht einmal euer ist, und fing an auch die Alterthümer seiner Va¬ terstadt, als der ältesten Universität der Erde, heraus zu streichen, wobey er den Alcibiades nicht vergaſs der in ihrem Theater geredet habe. Du muſst wissen, Margarethe heiſst bey den Siciliern durchaus ein gefäl¬211 liges feiles Mädchen: das war für die Mutter des from¬ men Mannes der Aeneide kein sonderlicher Weih¬ rauch. Ohne mein Erinnern siehst Du hieraus, daſ[s]die sicilischen Mauleseltreiber sehr starke Antiquare sind, ob sie die Sache gleich nicht immer auſseror dentlich genau nehmen: denn der Agrigentiner rech¬ nete den benachbarten Makaluba zu den Alterthümern seiner Vaterstadt, ohne daſs seine Gegner protestier¬ ten; und hätte der Streit länger gedauert, so hätte der Katanier vielleicht den Aetna auch mit aufgezählt.
Den Morgen darauf gingen wir durch die Jumar¬ ren, einen heilosen Weg, unter sehr schlechtem Wet¬ ter. Nie habe ich eine solche Armuth gesehen, und nie habe ich mir sie nur so entsetzlich denken kön¬ nen. Die Insel sieht im Innern furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut; aber das Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so schrecklich gesehen habe. Zu Mittage war im Wirthshause durch¬ aus kein Stückchen Brot zu haben. Die Bettler ka¬ men in den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen welche die römischen auf der Treppe des spanischen Platzes noch Wohlhabenheit sind: sie bettelten nicht, sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends nur mit Blicken flehend in stummer Erwartung an der Thüre. Erst küſste man das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden, und hätte in die¬ sem Augenblicke alle sicilische Barone und Aebte mit den Ministern an ihrer Spitze vor die Kartätsche stel¬ len können. Es ist heillos. Den Abend blieb ich in Fontana Fredda, wo ich, nach dem Namen zu urthei¬212 len, recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die Quelle ist so vernachlässiget, daſs mir der Wein sehr willkommen war. Ich muſste hier für ein Paar junge Tauben, das einzige was man finden konnte, acht Karlin, ungefähr einen Thaler nach unserm Gelde, bezahlen; da ich doch mit den ewigen Makkaronen mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das beste war hier ein groſser schöner herrlicher Orangen¬ garten, wo ich aussuchen und pflücken konnte, so viel ich Lust hatte, ohne daſs es die Rechnung ver¬ mehrt hätte, und wo ich die köstlichsten hochglühen¬ den Früchte von der Gröſse einer kleinen Melone fand. Gegen über hängt das alte Sutera traurig an einem Felsen, und Kampo franco von der andern Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und die Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor denen ich keinen Fuſs vor die Thür setzen kann: denn ich kann nicht helfen, wenn ich auch alle Ta¬ schen leerte und mich ihnen gleich machte.
Der Fluſs ohne Brücke, über den ich in einem Strich von ungefähr drey deutschen Meilen wohl funf¬ zehn Mahl hatte reiten müssen, weil der Weg bald diesseits bald jenseits gehet, ward diesen Morgen ziem¬ lich groſs; und das letzte Mahl kamen zwey starke cyklopische Kerle, die mich mit Gewalt auf den Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus bis aufs Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme, tru¬ gen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen, und suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Ver¬ dienst recht groſs zu machen: ich hätte gerade zu Fuſse durchgehen wollen, und wäre nicht schlimmer113 daran gewesen, als am Ende der pontinischen Süm¬ pfe vor Terracina. Ihre Foderung war unverschämt, und der Eseltreiber meinte ganz leise, ich möchte sie lieber willig geben, damit sie nicht bösartig würden. Sie sollen sich sonst kein Gewissen daraus machen, jemand mit dem Messer oder dem Gewehrlauf oder gerade zu mit dem Knittel in eine andere Welt zu liefern. Die Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen Kleinigkeiten nicht weiter. Der Fluſs geht nun rechts durch die Gebirge in die See. Ich habe seinen ei¬ gentlichen Namen nicht gefaſst; man nannte ihn bald so bald anders, nach der Gegend; am häufigsten nann¬ ten ihn die Einwohner Fiume di San Pietro. Von nun an war die Gegend bis hierher nach Agrigent abwech¬ selnd sehr schön und fruchtbar und auch noch leidlich bearbeitet. Nur um den Makaluba, den ich rechts von dem Wege ab aufsuchte, ist sie etwas mager.
Ich will Dir sagen, wie ich den Berg oder viel¬ mehr das Hügelchen fand. Seine Höhe ist ganz un¬ beträchtlich, und sein Umfang ungefähr eine kleine Viertelstunde. Rund umher sind in einer Entfernung von einigen Stunden ziemlich hohe Berge, so daſs ich die vulkanische Erscheinung Anfangs für Quellwasser von den Höhen hielt. Diese mögen dazu beytragen, aber sie sind wohl nicht die einzige Ursache. Die Höhe des Orts ist verhältniſsmäſsig doch zu groſs, und es giebt rund umher tiefere Gegenden, die auch wirk¬ lich Wasser halten. Am wenigsten lieſse sich seine periodische Wuth erklären. Wo ich hinauf stieg fand ich einen einzelnen drey Ellen hohen Kegel aus einer Masse von Thon und Sand, dessen Spitze oben eine214 Oeffnung hatte, aus welcher die Masse immer heraus quoll und herab floſs und so den Kegel vergröſserte. Auf der Höhe des Hügels waren sechs gröſsere Oeff¬ nungen, aus denen beständig die Masse hervor drang; ihre Kegel waren nicht so hoch, weil die Masse flüssi¬ ger war. Ich stieſs in einige meinen Knotenstock gerade hinein und fand keinen Grund; so wie ich aber nur die Seiten berührte war der Boden hart. In der Mitte und ziemlich auf der gröſsten Höhe dessel¬ ben war die gröſste Oeffnung, zu der ich aber nicht kommen konnte, weil der Boden nicht trug und ich befürchten muſste zu versinken. Zuweilen, wenn es anhaltend sehr warm und trocken ist, soll man auch zu diesem Trichter sehr leicht kommen können. Ich sah der Oeffnungen rund umher, gröſsere und kleine¬ re, ungefähr dreyſsig. Einige waren so klein, daſs sie nur ganz kleine Bläschen in Ringelchen ausstieſsen, und ich konnte meinen Stock nur mit Widerstand et¬ was hinein zwingen. Die Ausbrüche und die Regen¬ stürme ändern das Ansehen des Makaluba beständig; er ist daher noch etwas wandelbarer als seine gröſsern Herrn Vettern. Ihm gegenüber liegt in einer Entfer¬ nung von ungefähr zwey Stunden auf einer beträchtli¬ chen Anhöhe eine Stadt, die von weitem ziemlich hübsch aussieht und, wenn ich nicht irre, Ravonna heiſst. Die Einwohner dieses Orts und einiger nahe liegenden kleinen Dörfer wurden, wie man erzählte, vor drey Wochen sehr in Schrecken gesetzt, weil der Zwergberg anfing inwendig gewaltig zu brummen und zu lärmen. Es ist aber dieſsmahl bey dem Brummen geblieben. Von dem Diminutiv - Vulkan bis hierher215 sind ungefähr noch acht Millien durch eine ziemlich rauhe Gegend über mehrere Berge,
Mein Eintritt in die Lokanda hier war eine ge¬ waltig starke Ohrfeigenparthie. Das ging so zu. Als ich das Haus betrachtete, ob es mir anstehen und ob ich hier bleiben würde, kam ein sehr dienstfertiger Cicerone, der mich wahrscheinlich zu einem seiner Bekannten bringen wollte. Ehe ich mirs versah, schoſs ein junger starker Kerl aus einer Art von Küche heraus, fuhr vor mir vorbey und packte den höflichen Menschen mit einer furchtbaren Gewalt bey der Gur¬ gel, warf ihn nieder und fing an, ihn mit den Fäu¬ sten aus allen Kräften zu bearbeiten. Ich sprach zum Frieden so gut ich konnte, und er lieſs den armen Teufel endlich los, der auch sogleich abmarschierte. Ich sagte dem Fausthelden so glimpflich als möglich, daſs ich diese Art von Willkommen etwas zu hand¬ greiflich fände; da trat er ganz friedlich und sanft vor mich und demonstrierte mir, der Kerl habe seine Mut¬ ter geschimpft; das könne und werde er aber nicht leiden. Nun machte man mir ein Zimmer bereit; und so schlecht es auch war, so zeigten die Leute doch allen guten Willen: und damit ist ein ehrlicher Kerl schon zufrieden. Nun suchte ich den Ritter Ca¬ nella, den Onkel meines militärischen Freundes in Palermo, und den Kanonikus Raimondi auf. Beyde waren sehr artig und freundschaftlich, und der Ritter besuchte mich sogar in meinem Gasthause. Raimon¬ di, welcher Direktor der dortigen Schule ist, führte mich in die alte gothische Kathedrale, wo ich den an¬ tiken Taufstein sah und das akustische Kunststück216 nicht hören konnte, da er den Schlüssel zu der ver¬ schlossenen Stelle vergessen hatte und es unbescheiden gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit noch ein¬ mahl zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen. Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht, geht der Schall oben an dem Bogen hin und man hört ihn an der andern Seite ganz deutlich. Jetzt hat man den Ort deſswegen verschlossen, weil man auf diese Weise die Beichtenden belauschte. Der alte Taufstein, der die Geschichte des Hypolitus hält, ist aus den Reisenden und Antiquaren bekannt genug, und ich fand bey Vergleichung auf der Stelle, daſs Dor¬ ville, welcher bey Raimondi lag, fast durchaus auſser¬ ordentlich richtig gezeichnet hat.
Canella gab mir einen Brief an den Marchese Frangipani in Alikata. Mein Mauleseltreiber kam be¬ ständig und machte den Bedienten und Cicerone. Jo saggio tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie, sagte er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider welche sich eben so wenig einwenden lieſs, als wider die Infallibilität des Papstes. Da ich das meiste was ich sehen wollte schon ziemlich kannte, hatte ich wei¬ ter nichts gegen die Gutherzigkeit des Kerls, der ein Bursche von ungefähr neunzehn Jahren war. Ich hatte das ganze Wesen der alten Stadt schon aus den Fen¬ stern des Herrn Raimondi übersehen, steckte also den folgenden Morgen mein Morgenbrot in die Tasche und ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten der alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über die Vergänglichkeit aller weltlichen Gröſse helfen? Ich sah da die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiters¬217 tempels, und die ungeheuern Blöcke von dem Tempel des Herkules, wie nehmlich die Antiquare glauben; denn ich wage nicht etwas zu bestimmen. Die Trüm¬ mern waren mit Oehlbäumen und ungeheuern Karu¬ ben durchwachsen, die ich selten anderswo so schön und groſs gesehen habe. Sodann gingen wir weiter hinauf zu dem fast ganzen Tempel der Konkordia. Das Wetter war frisch und sehr windig. Ich stieg durch die Celle hinauf, wo mir mein weiser Führer folgte, und lief dann oben auf dem steinernen Gebälke durch den Wind mit einer, nordischen Festigkeit hin und her, daſs der Agrigentiner, der doch ein Maule¬ seltreiber war, vor Angst blaſs ward, an der Celle blieb und sich niedersetzte. Ich that das nehmliche mitten auf dem Gesimms, bot den Winden Trotz, nahm Brot und Braten und Orangen aus der Tasche und hielt ein Frühstück, das gewiſs Scipio auf den Trümmern von Karthago nicht besser gehabt hat. Ich konnte mich doch einer schauerlichen Empfindung nicht er¬ wehren, als ich über die Stelle des alten groſsen rei¬ chen Emporiums hinsah, wo einst nur ein einziger Bürger unvorbereitet vierhundert Gäste bewirthete und jedem die üppigste Bequemlichkeit gab. Dort schlän¬ gelt sich der kleine Akragas, der der Stadt den Namen gab, hinunter in die See; und dort oben am Berge, wo jetzt kaum noch eine Trümmer steht, schlugen die Karthager, und das Schicksal der Stadt wurde nur durch den Muth der Bürger und die Deisidämonie des feindlichen Feldherrn noch aufgehalten. Wo jetzt die Stadt steht, war vermuthlich ehemahls ein Theil der Akropolis. Nun ging ich noch etwas weiter hin¬218 auf zu dem Tempel der Juno Lucina und den übri¬ gen Resten, unter denen man mehrere Tage sehr eparnorthotisch hin und her wandeln könnte. Die sy¬ stematischen Reisenden mögen Dir das übrige sagen; ich habe keine Entdeckungen gemacht. Der jetzige König hat einige Stücke wieder hinauf auf den Kon¬ kordientempel schaffen lassen und dafür die schöne alte Front mit der pompösen Inschrift entstellt: Ferdi¬ nandus IV. Rex Restaurauit. Ich hätte den Giebel herunter werfen mögen, wo die kleinliche Eitelkeit stand.
Die beyden ziemlich gut erhaltenen Tempel ste¬ hen nicht weit von den alten Mauern, in deren soli¬ dem Felsen eine Menge Aushöhlungen sind, aus denen man nicht recht weiſs was man machen soll. Einige halten sie für Gräber. Mir kommt es wahrscheinli¬ cher vor, daſs es Schlafstellen für die Wache sind, eine Art von Kasernen; und sie sind vermuthlich nur aus der neuern Zeit der Saracenen oder Gothen. Diese Mauern, so niedrig sie auch gegen die hohen Berge umher liegen, sind doch als Felsen beträchtlich genug, daſs man von der See aus die Stadt das hohe Akragas nennen konnte; und noch jetzt würden unsere Vierundzwanzig-Pfünder genug zu arbeiten haben eine Bresche hinein zu schlagen. Es ist wohl nicht ohne Grund geschehen, daſs man die schönsten Tem¬ pel der Mauer so nahe baute. Sie waren das Heilig¬ thum der Stadt; ihre Nähe beym Angriff muſste an¬ feuern, wo, die Bürger wirklich augenscheinlich pro aris et focis schlugen. Auch der Tempel des Herku¬ les muſs unten nicht weit von der Mauer gestanden219 haben. Dort sind aber die Mauern nicht so hoch und stark gewesen, weil die Natur dort nicht so unter¬ stützte; eben deſswegen setzte man vermuthlich dorthin den Tempel des Herkules, um die Bürger an der schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erin¬ nern: eben deſswegen liegen wahrscheinlich dort Tem¬ pel und Mauer in Trümmern, weil vermuthlich daselbst die Stadt mehrere Mahl eingenommen wurde. Was ich aus dem sogenannten Grabmahl Hierons machen soll, weiſs ich nicht; ich überlasse es mit dem übrigen ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit gelehrt zu werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem Maul¬ eseltreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt: Kischt 'è il lempiò di San Gregoli; Kischta Madonna è antica: und wer es nicht glauben will, anathema sit. Der gute Mensch hat mich recht herzlich in Affektion genommen, und meint es recht gut; vorzüglich zeigt er mir gewissenhaft alle Klöster und sagt mir, wie reich sie sind. Nun interessieren mich die Klöster und ihre Bewohner nur ϰατ̕ αντιφϱασιν της ϰαλοϰαγαϑιας; ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rap¬ port halb unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom: Ich wollte es wären Schweinställe! Weiſs der Himmel, was der fromme Kerl verstanden haben mochte; Si si, Signore, dice bene, sagte er treuherzig; kischt' è la cosa. Er rechnete es mir hoch an, daſs er italiänisch sprach und nicht den Jargon seiner Landsleute, mit denen ich gar nicht fortkommen würde: doch kam ich mit seinen Landsleuten in ihrem Jargon noch so ziemlich ohne ihn fort. Auf der heutigen Promenade erzählte er mir von einer kleinen Stadt nicht weit von220 hier nach Alcamo hinab in dem Gebirge, wo die Leute griechisch sprächen oder gar türkisch, so daſs man sie gar nicht verstehen könnte, wie das oft der Fall zu Girgenti auf dem Markte wäre. Hier führte er eine Menge Wörter an, die ich leider wieder vergessen habe. Non sono cosi boni latini, come noi autri, sagte er. Du siehst der Mensch hat Ehre im Leibe.
Den musikalischen Talenten und der musikali¬ schen Neigung der Italiäner kann ich bis jetzt eben keine groſsen Lobsprüche machen. Ich habe von Triest bis hierher, auf dem Lande und in den Städ¬ ten, auch noch keine einzige Melodie gehört, die mich beschäftigt hätte, welches doch in andern Ländern manchmahl der Fall gewesen ist. Das beste war noch von eben diesem meinem ästhetischen Cicerone aus Agrigent, der eine Art Liebesliedchen sang und sehr emphatisch drollig genug immer wiederholte; Kischta nutte, kischta nutte in verru, iu verru. (Questa notte io verro.)
Eben bin ich unten am Hafen gewesen, der vier italiänische Meilen von der Stadt liegt. Der Weg da¬ hin ist sehr angenehm durch lauter Oehlpflanzungen und Mandelgärten. Hier und da sind sie mit Zäunen von Aloen besetzt, die in Sicilien zu einer auſseror¬ dentlichen Gröſse wachsen; noch häufiger aber mit indischen Feigen, die erst im September reif werden und von denen ich das Stück, so selten sind sie jetzt, in der Stadt mit fast einem Gulden bezahlen muſste, da ich die Seltenheit doch kosten wollte. Die Karu¬ ben oder Johannisbrotbäume gewinnen hier einen Umfang, von dem wir bey uns gar keine Begriffe ha¬221 haben. Sie sind so haufig, daſs in einigen Gegenden des südlichen Ufers das Vieh mit Karuben gemästet wird. Der Hafen, so wie er jetzt ist, ist vorzüglich von Karl dem Fünften gebaut. Bonaparte lag einige Tage hier und auf der Rhede, als er nach Aegypten ging: und damahls kamen auch einige Franzosen hin¬ auf in die Stadt, wo gar keine Garnison liegt. Sie müssen sich aber nicht gut empfohlen haben; denn der gemeine Mann und Bürger spricht mit Abscheu von ihnen. Der Hafen ist ungefähr wie in Ankona, und keiner der besten. Nicht weit davon sind eine Menge unterirdische Getreidebehälter, weil von Agri¬ gent sehr viel ausgeführt wird. Die politische Stim¬ mung durch ganz Sicilien ist gar sonderbar, und ich behalte mir vor Dir an einem andern Orte noch ei¬ nige Worte darüber zu sagen.
Dieſs ist also das Ziel meines Spazierganges, und nun gehe ich mit einigen kleinen Umschweifen wie¬ der nach Hause.
Ich will Dir von meiner Wanderung hierher so kurz als möglich das Umständliche berichten. Das Reisen zu Maulesel ward mir doch ziemlich kostbar. Von Agrigent aus verlangte man für einen Maulesel nicht weniger als eine Unze täglich, etwas mehr als einen Kaiserdukaten; oder ein Pezzo, wenn ich ihn selbst füttern und den Führer beköstigen wollte. Dieſs war nun sehr theuer; und mein eigener Unterhalt kostete, zumahl auf dem Lande, nicht wenig. Ich handelte also mit einem Mauleseltreiber, er sollte mich zu Fuſse auf einer Ronde um die Insel beglei¬ ten; dafür sollte er mit mir ordentlich leben, so gut man in Sicilien leben kann, und ich wollte ihm täg¬ lich noch fünf Karlin, ungefähr einen deutschen Gul¬ den, geben: dabey könnte er doch zusammen während der kurzen Zeit drey goldene Unzen Gewinn haben. Der Handel wurde gemacht; ich gab ihm zwey Unzen voraus, um für die eine einige Bedürfnisse auf die Reise anzuschaffen und die zweyte unterdessen seiner alten Mutter zu lassen. Er kaufte mir einen Haber¬ sack, ungefähr wie man ihn den Mauleseln mit dem Futter umhängt, that meine zwey Bücher, mein Hem¬ de mit den übrigen Quinquaillerien und etwas Pro¬ viant hinein, und trug mir ihn nach oder vor. Mei¬ nen stattlichen Tornister hatte ich, um ganz leicht223 zu seyn und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo gelassen: denn er fand überall so viel Beyfall und Liebhaber, daſs man mir einige Mahl sagte, man würde mich bloſs meines Tornisters wegen todt schlagen.
Ich muſs hier noch eine Bekanntschaft nachholen, die ich in Agrigent machte. Als ich in meinem Zim¬ mer aſs, trat ein stattlich gekleideter Mann zu mir herein und erkundigte sich theilnehmend nach allen gewöhnlichen Dingen, nach meinem Befinden und wie es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so weiter. Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in einem Zimmer mir gegenüber in dem nehmlichen Wirthshause, bat um die Erlaubniſs sein Essen zu mir zu bringen, und wir aſsen zusammen. Es fand sich, daſs er eine Art Steuerrevisor war, der in königlichen Geschäften reiste. Die Sicilianer sind ein sehr gut¬ müthiges neugieriges Völkchen, die in der ersten Vier¬ telstunde ganz treuherzig dem Fremden alles abzufra¬ gen verstehen. Ich fand nicht Ursache den Versteck¬ ten zu spielen; und so erfuhr der Herr Steuerrevisor über Tische auf seine Frage, daſs ich ein Ketzer war. Der dicke Herr legte vor Schrecken Messer und Ga¬ bel nieder, und sah mich an, als ob ich schon in der Hölle brennte; er fragte mich nun über unser Reli¬ gionssystem, von dem ich ihm so wenig als möglich so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in Palermo verheirathet, hatte drey Kinder, und muſste, nach seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede Nacht zur Bequemlichkeit wo möglich sein Mädchen haben; fluchte übrigens und zotierte auf lateinisch und224 italiänisch trotz einem Bootsknecht: aber er konnte durchaus nicht begreifen, wie man nicht an den Papst glauben und ohne Mönche leben könne. Dabey hatte er ziemliche Studien aus der römischen Legende. Doch entschloſs er sich mit mir fort zu essen, fragte aber immer weiter. Es fehlte ihm nicht an etwas Gutmüthigkeit und einem Schein von Vernunft; aber er donnerte doch halb spaſshaft das Verdammungsur¬ theil über uns alle her: Siete tutti minchioni, siete come le bestie. Das nenne ich mir Logik! Indessen, lieber Freund, es giebt dergleichen Logik noch viel in der Welt, in jure canonico, civili et publico, die uns für Sterling verkauft wird. Uebrigens trug der Mann viel Sorge für mich, schloſs sich brüderlich an mich an, und meinte ich ginge groſsen Gefahren ent¬ gegen. Das war nun nicht zu ändern. Als ich ab¬ ging, band er mich dem Eseltreiber auf die Seele, gab ihm für mich seine Addresse in Palermo und lieſs mich Ketzer doch unter dem Schutze aller Heiligen ziehen.
So zog ich denn mit meinem neuen Achates den Berg hinunter, über den kleinen Fluſs hinweg nach dem Monte chiaro hin, auf Palma zu, welches die hiesigen Einwohner Parma nennen. Ein junger Mensch, der in Syrakus einen Handel machen wollte, gesellte sich mit seinem Esel zu uns. Mir war das nicht lieb, weil ich immer die Ehre hatte für alle Eseltreiber der ganzen Insel zu bezahlen. In Palma traf ich einige meiner Bekannten, die Antiquare von Sankt Joseph, die sich über das Margarethentempel¬ chen von Segeste zankten. Diese Herren staunten225 über meine Verwegenheit, daſs ich zu Fuſse weiter reisen wollte. Hier hatte ich ein Unglück, das mich auch den Weg allein fortzusetzen zwang. Mein Be¬ gleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten; er aſs so viel Paste, daſs ich über seine Capacität er¬ staunte. Indeſs ein Sicilianer dieser Art hat seine Ta¬ lente, die unser einer nicht immer beurtheilen kann. Ich mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es wäre wegen der Bezahlung. Wir gingen fort; aber kaum waren wir eine halbe Stunde gegangen, so fing die Paste an zu schwellen, und verursachte dem Men¬ schen fürchterliche Passionen. Ich fing nun an ihm den Sermon zu halten, warum er so viel von dem Zeug und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe. Hier rührte ihn von neuem das Gewissen, und er be¬ kannte mir, er habe schon furchtbare Angst gehabt, daſs er mit mir in der Fasten zu Fontana fredda eine halbe Taube gegessen. Sein Beichtvater habe ihn hart darüber angelassen. Die Sache ward nun schlimmer. Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor Schmerz und konnte durchaus nicht fort. Was sollte ich thun? Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so derb und sanft als möglich den Text über seinen un¬ vernünftigen Fraſs gelesen hatte, nahm ich ihm mei¬ nen Sack ab, übergab ihn seinem Freunde und Lands¬ manne, überlieſs ihn seinen Heiligen und ging weiter. Es war mir lieb, daſs ich ihn so gut versorgt sah; ich hätte ihm nicht helfen können: doch that es mir um den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher erfahren, daſs er sich erholt hat. Wenn er gestorben wäre, wäre es gewiſs zum Wunder bloſs darum gewe¬15226sen, weil er in der Fasten mit einem Ketzer junge Tauben gegessen hatte, nicht wegen seines bestiali¬ schen Makkaronenfraſses. Ich habe vernünftige Aerzte in Italien darüber sprechen hören, daſs jährlich in der Fasten eine Menge Menschen an der verdammten Paste sich zu Tode kleistern; denn der gemeine Mann hat die ganze lange Zeit über fast nichts anders als Makkaronen mit Oehl.
Ich ging also nun allein auf gut Glück immer an der Küste hin, bald das Meer im Auge, bald etwas weiter links in das Land hinein, nachdem mich der Weg trug. Bey Palma ist wieder schöne herrliche Gegend, mit abwechselnden Hügeln und Thälern, die alle mit Oehlbäumen und Orangengärten besetzt sind. Die hier wachsenden Orangen sind etwas kleiner als die übrigen in der Insel, aber sie sind die feinsten und wohlschmeckendsten, die ich gegessen habe; selbst die von Malta nicht ausgenommen, deren man eine Men¬ ge in Neapel findet. Gegen Abend kam ich in Ali¬ kata an, wo ich vor der Stadt zwey sehr wohlgeklei¬ dete Spaziergänger antraf, die mich zu sich auf eine Rasenbank einluden und in zehen Minuten mir meine ganze Geschichte abgefragt hatten. Wir gingen zusam¬ men in die Stadt, ich halte sie für die beste, die ich nach Palermo bis jetzt noch auf der Insel gesehen habe. Das Wirthshaus, das ich fand, war ziemlich gut; ich hatte also nicht Ursache, dem Marchese Fran¬ gipani, an den ich empfohlen war, beschwerlich zu fallen. Indessen gab ich doch meinen Brief ab, und er nahm mich mit vieler Artigkeit in seinem ziemlich groſsen Hause auf, wo ich eine ansehnliche Gesell¬227 schaft fand. Man nöthigte mich, mit den Damen et¬ was französisch und mit den geistlichen Herren, deren einige zugegen waren, lateinisch zu sprechen. Als man sich zum Spiel setzte — c'est partout comme chés nous — und ich daran nicht Theil nehmen wollte noch konnte, da ich nie ein Kartenblatt anrühre, em¬ pfahl ich mich und befand mich in meinem Wirths¬ hause einsam recht wohl. In der schönen Abenddäm¬ merung machte ich noch einen Spaziergang an dem Strande und sah der Fischerey zu. Die hiesige Rhede muſs für die Schiffe nicht viel werth seyn, so viel ich von der Lage mit einem Ueberblick urtheilen kann. Gleich vor Alikata, von Palma her, liegt ein sich am Meere herziehender Berg, der von den Ge¬ lehrten mit Grund für den Eknomos der Alten gehal¬ ten wird. Jenseits des Salzflusses, oder des südlichen Himera, denn der nördliche flieſst bey Termini, ist ein anderer Berg, dessen Name, glaube ich, Phala¬ rius heiſst: und diese beyden Berge paradieren in den karthagischen Kriegen. Der Eknomos soll nach der Erklärung Einiger seinen Namen davon haben, weil der agrigentinische Tyrann Phalaris den Perillischen Stier hier aufgestellt haben soll. Dieses scheint aber mehr auf den Phalarius zu passen. Wenn Du mir er¬ laubst eine Konjektur zu machen, so will ich anneh¬ men, daſs der Eknomos deswegen so genannt worden sey, weil er ganz allein, isoliert, von der ganzen übri¬ gen Bergkette rund herum abgesondert liegt: die an¬ dern Berge hängen in einem groſsen Amphitheater alle zusammen. Der griechische Name, däucht mich, könne dieſs bedeuten: εϰ τȣ νομȣ των αλλων οϱων ϰειται228 γεωλοφος. Der Berg ist jetzt ziemlich gut bebaut, mit schönen Oelgärten und mehreren Landhäusern be¬ setzt, und giebt der Gegend ein sehr freundliches An¬ sehen. Links ist an dem Himera hinauf eine schöne groſse Ebene mit Weitzenfeldern; eine der besten die ich je gesehen habe. Alikata ist der erste Ort, wo ich in Sicilien billig behandelt wurde.
Ueberall warnte man mich vor bösen Wegen und vorzüglich hier in Alikata, wo man sagte, daſs die achtzehn Millien von hier nach Terra nuova die schlimmsten in der ganzen Insel wären. Sono cattive gente, hieſs es; und cattive war der ewige Euphemis¬ mus, wenn sie zur Ehre ihres Landes nicht Räuber und Banditen sagen wollten. Hier hat mich wahr¬ scheinlich nur meine armselige Figur gerettet. Ich wandelte gutes Muthes am Strande hin, las Muscheln und murmelte ein Liedchen von Anakreon, machte mit meinen Gedanken tausend Cirkumherumschweife und blieb bey der schönen Idee stehen, daſs ich hier nun vermuthlich in die geloischen Felder käme: da sah ich von weitem drey Reiter und zwar zu Pferde auf mich zu trottieren. Die Erscheinung eines Maul¬ esels oder Esels ist mir in Sicilien immer lieber als eines Pferdes. Mir ward etwas unreimisch, und ich nahm mir vor, so ernsthaft als möglich vor ihnen vor¬ bey zu gehen. Das litten sie aber nicht, ob sie es gleich auch mit ziemlichem Ernst thaten. Sie waren alle drey mit Flinten bewaffnet; der Dolch versteht sich von selbst. Ich grüſste nicht ganz ohne Arg¬ wohn. Man rief mir halt! und da ich that, als ob ich es nicht gleich verstanden hätte, ritt einer mit Ve¬229 hemenz auf mich zu, faſste mich beym Kragen und riſs mich so heftig herum, daſs das Schisma noch an meinem Rocke zu sehen ist. Wer seyd Ihr? — Ein Reisender. — Wo wollt Ihr hin? — Nach Syrakus. — Warum reitet Ihr nicht? — Es ist mir zu theuer; ich habe nicht Geld genug dazu. — Einer meiner Freun¬ de in Rom hat mich in dem barocken Aufzuge ge¬ zeichnet, den ich damals machte, damit ich, wie er sagte, doch sagen könnte, ich habe mich in Rom ma¬ len lassen. Ich schicke Dir die Zeichnung zur Er¬ bauung, und Du wirst hier wenigstens meine Eitel¬ keit nicht beschuldigen, daſs sie sich ins beste Licht gesetzt hat. Man riſs meinen Sack auf und fand frey¬ lich keine Herrlichkeiten, ein Hemde, zwey Bücher, ein Stück hartes Brot, ein Stückchen noch härteren Käse und einige Orangen. Man besah mich aufmerk¬ sam von der Ferse bis zur Scheitel. — Ihr habt also kein Geld zum Reiten? — Ich kann so viel nicht be¬ zahlen. — Meine Figur und mein Sack schienen ihnen hierüber ein gleichlautendes Dokument zu seyn. Man nahm das weiſse Buch, in welches ich einige Bemer¬ kungen geschrieben hatte um die Reminiscenzen zu erhalten; man fragte, was es wäre, und durchblätterte es, und Einer, der etwas Ansehen über die beyden Andern zu haben schien, machte Miene es einzustek¬ ken. Ich sagte etwas betroffen: Aber das ist mein Tagebuch mit einigen Reisebemerkungen für meine Freunde. Der Mensch betrachtete mich in meiner Verlegenheit, besann sich einige Augenblicke, gab mir das Buch zurück und sagte zu dem Andern: Gieb ihm Wein! Dieses hielt ich, und wohl mit Recht, für das230 Zeichen der Hospitalität und der Sicherheit. Ob ich gleich nicht lange vorher reichlich aus einem kleinen Felsenbache getrunken hatte, so machte ich doch kei¬ ne Umstände der ehrenvollen Gesellschaft Bescheid zu thun, so gut ich konnte, und trank aus der darge¬ reichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr en¬ gen Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weiſst, hier für das Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man ist durchaus genöthigt sehr langsam zu trinken, weil man doch nicht mehr schlucken kann als heraus läuft. Nun fragte man mich dieses und jenes, worauf ich so unbefangen als möglich antwortete. — An wen seyd Ihr in Syrakus empfohlen? — An den Ritter Lando¬ lina. — Den kenne ich; sagte Einer. — Ihr seyd also arm und wollt den Giro machen, und geht zu Fuſse? Ich bejahte das. Nun fragte man mich: Versteht Ihr das Spiel? Ich hatte die Frage nicht einmal recht ver¬ standen: da ich aber, auſser ein wenig Schach, durch¬ aus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem Ge¬ wissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher und nachher in Sicilien oft gethan worden, und die Erkundigung ist, ob man etwas vom Lotto verstehe, welches auch hier, Dank sey es der schlechten Regie¬ rung, eine allgemeine Seuche ist. Das gemeine Volk steht hier noch oft in dem Wahn, der Fremde als ein gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen oder aus¬ zaubern können, welche Nummern gewinnen werden. Man wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was war nun von den Leuten zu halten? Aus gewöhnli¬ cher Vorsicht hatte ich die Uhr tief gesteckt; sie war also nicht zu sehen: mein Taschenbuch, in welchem231 ungefähr noch sieben und zwanzig Unzen in Gold lie¬ gen mochten, war inwendig in einer Tasche hoch un¬ ter dem linken Arm und wurde also nicht bemerkt. Die Leute hatten keine Uniform und durchaus keine Zeichen als Polizeyreiter: übrigens waren sie für Si¬ cilien sehr anständig gekleidet. Gewehr und Dolche trägt in Unteritalien zur Schande der Juſtiz und Poli¬ zey jedermann. Wenn sie ehrlich waren, so thaten sie wenigstens alles mögliche es nicht zu scheinen: und das ist an der südlichen Küste von Sicilien fast eben so schlecht, als wenn bey uns in feiner Gesell¬ schaft ein abgefeimter Schurke gerade das Gegentheil thut. Ich denke immer, meine anscheinende Armse¬ ligkeit hat mich gerettet und die Uhr und die Unzen hätten mir den Hals brechen können.
Vor Terra nuova wurde ich wieder freundschaft¬ lich angehalten. Die Leute hoben Getreide aus ihren unterirdischen Magazinen, wahrscheinlich um es ein¬ zuschiffen. Ich fragte nach einem Gasthause. Man lud mich ein mich dort ein wenig niederzusetzen und auszuruhen; ich war wirklich müde und that es. Neu¬ gierigere Leute als in Sicilien habe ich nirgends gefun¬ den; aber im Ganzen fehlt es ihnen nicht an Guther¬ zigkeit. Was schlecht ist kommt alles auf Rechnung der Regierung und Religionsverfassung. Man fragte mich sogar ob ich eine Uhr trüge und begriff wieder nicht, wie ich es nur wagen könnte, so zu reisen. Und doch bin ich überzeugt, das war immer noch die sicherste Art, da ich allein war.
In der Stadt im Wirthshause gab man mir ein Zimmer, worin kein Bett, kein Tisch und kein Stuhl232 war, und sagte dabey, ich würde in der ganzen Stadt kein besseres finden. Ich warf mich auf einen Hau¬ fen Haferspreu, die in einem Winkel aufgeschüttet war, und schlief ein. Ich mochte vielleicht ein Stünd¬ chen geschlafen haben und es war gegen Abend, da wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das Loch so nennen kann, war voll Leute aller Art, eini¬ ge stattlich gekleidet, andere in Lumpen. Vor mir stand ein Mann im Matrosenhabit, der eine förmliche lange Inquisition mit mir anhob. Er war ganz höf¬ lich, so viel Höflichkeit nehmlich bey so einem Beneh¬ men Statt finden kann, fragte erst italiänisch, sprach dann etwas Tyrolerdeutsch, da er hörte, daſs ich ein Deutscher sey; dann französisch, dann englisch und endlich Latein. Die Anwesenden machten Ohren, Maul und Nase auf, um so viel als möglich zu kapie¬ ren. Man war geneigt mich für einen Franzosen zu halten, fragte, ob ich der Republik gedient habe, und so weiter: aber über ihre Stimmung gegen die Fran¬ zosen gaben sie nicht das geringste Merkzeichen. Der Mann im Matrosenkleide sagte, ich müſste Franzose seyn, weil ich das Französische so gut spräche. Das konnte nur ihm so vorkommen, weil er es sehr schlecht sprach. Das Examen ward mir endlich sehr penibel, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen und mich auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen; ich sagte also bestimmt: Wenn ich verdächtig bin, mein Herr, so bringen Sie mich vor die Behörde, wo ich mich legitimieren werde; oder wenn Sie selbst von der Polizey sind, so sprechen Sie offen, damit ich mich darnach benehmen kann. Erlauben Sie mir übri¬233 gens etwas Ruhe in einem öffentlichen Hause, wo ich bezahle; es ist warm und ich bin müde. Das sagte ich italiänisch so gut ich konnte, damit es alle verstehen möchten; einer der Herren bat mich höf¬ lich um Verzeihung, ohne weiter eine Erklärung zu geben; die Neugierigen verloren sich, und nach eini¬ gen Minuten war ich wieder allein auf meiner Hafer¬ spreu. Den Abend, nachdem ich bey einigen Seefi¬ schen sehr gut gefastet hatte, brachte man mir Heu[,] und ein gutmüthiger Tabuletkrämer aus Katanien gab mir zur Decke einen groſsen Schafpelz, welcher mir lieber war als ein Bett, das man nicht haben konnte.
Den andern Morgen ging ich über den Fluſs Gela und durch ein herrliches Thal nach Santa Maria di Niscemi hinauf. Dieses Thal mit den Parthien an dem Flusse links und rechts hinauf machte vermuthlich die Hauptgruppe der geloischen Felder aus. Wenn auch Gela nicht gerade da stand, wo jetzt Terra nuo¬ va steht, so lag es doch gewiſs nicht weit davon, und höchst wahrscheinlich nur etwas weiter bergabwärts nach dem Flusse hin, wo noch jetzt einige alte Ueberreste von Gemäuern und Säulen zu sehen seyn sollen. Das Thal ist auch noch jetzt in der äuſsersten Vernachläs¬ sigung sehr schön, und es läſst sich begreifen, daſs es ehemals bey der Industrie der Griechen ein Zaubergar¬ ten mag gewesen seyn. Hier in Niscemi ist es wahr¬ scheinlich, wo vor mehrern Jahren ein merkwürdiger Erdfall geschehen ist, den Landolina beschrieben hat.
Von hier aus wollte ich nach Noto gehen, und von dort nach Syrakus. Aber wenn man in Sicilien nicht bekannt ist und ohne Wegweiser reist, so bleibt234 man, wenn man nicht todt geschlagen wird, zwar immer in der Insel; aber man kommt nicht immer geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige Meilen in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen, kann man eigentlich gar nicht sagen, daſs in Sicilien Wege sind. Es sind bloſs Mauleseltriften, die sich oft so verlieren, daſs man mit ganzer Aufmerksamkeit den Hufen nachspüren muſs. Der König selbst kann in seinem Königreich nicht weiter als nach Montreal, Termini und einige Meilen nach Agrigent zu im Wa¬ gen gehen: will er weiter, so muſs seine Majestät sich gefallen lassen einen Gaul oder sicherer einen Maul¬ esel zu besteigen. Das läſst er denn wohl bleiben, und deſswegen geht es auch noch etwas schlechter als gewöhnlich anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr selten thun. Man rieth mir, von Santa Maria nach Caltagirone zu gehen; das that ich als ein Wildfrem¬ der. Aber ich war kaum ein Stündchen gegangen, als ich in einen ziemlich groſsen Wald perennierender Ei¬ chen kam, wo ich alle Spur verlor, einige Stunden in Felsen und Bergschluchten herum lief, bis ich mich nur mit Schwierigkeit wieder links orientierte, indem ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze nahm. Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in den Thälern und groſse zahlreiche Heerden. Um Cal¬ tagirone herum ist die Kultur noch am leidlichsten; man kann sie noch nicht gut nennen. Die Stadt, wel¬ che auf einer nicht unbeträchtlichen Höhe liegt, hat rund umher schöne angränzende Thäler, und es herrscht hier für Sicilien noch eine ziemliche Wohlha¬ benheit. Ich war nun auf einmal wieder beynahe235 mitten in der Insel. In der Stadt war auf dem Markte ein gewaltiger Lärm von Menschen; man aſs und trank, und handelte und zankte, und sprach über¬ all sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste vorbey¬ getragen wurde; schnell ward alles still und stürzte nieder und der ganze Markt machte eine sonderbare Gruppe. Ich konnte aus meinem Fenster bey einer Mahlzeit getrockneter Oliven, die mein Lieblingsge¬ richt hier sind, unbemerkt und bequem alles sehen. Ein so gutes Wirthshaus hätte ich hier nicht gesucht; Zimmer, Bett, Tisch, alles ist sehr gut, und verhält¬ niſsmäſsig sehr billig.
Von hier aus wollte ich nach Syrakus, und ging aufmerksam immer den Weg fort, den man mir be¬ zeichnet hatte, und war, ehe ich mirs versah, in Pala¬ gonia, dem Stammhause des seligen Patrons der Un¬ geheuer, barocken Andenkens. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn Palago¬ nia gefällt mir viel besser als die Nachbarschaft von Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen, Miſsgeburten aufschlug. Wieland läſst den geächteten Diagoras in der Gegend von Tempe aus Aergerniſs über Götter und Menschen ein ähnliches Spielwerk treiben; aber er thut es besser und genialischer als der Sicilianer. Palagonia liegt herrlich in einem Bergwin¬ kel des Thales Enna. Kommt man von Caltagirone herüber, so geht man durch furchtbare Felsenschluch¬ ten und steigt einen Berg herab, als ob es in die Hölle ginge; und es geht in ein Elysium. Schade daſs die exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser be¬ nutzt und genieſst. Die Stadt ist traurig schmutzig. 236Ueber den Namen der Stadt habe ich nichts gehört und gelesen; welches freylich nicht viel sagen will, da ich sehr wenig höre und lese. Ich will annehmen, er sey entstanden aus Paliconia, weil nicht weit da¬ von rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee der Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzäh¬ len und die Naturgeschichte manches zu sagen hat. Wäre ich nicht allein gewesen, oder hätte mehr Zeit, oder stände mit meiner Börse nicht in so genauer Rechnung, so hätte ich ihn aufgesucht.
Von hier aus wollte ich nach Syrakus. Einer der überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus Palagonia heraus trat. Vor mir lag das ganze, groſse, schöne Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist. Rechts und links griffen rund herum die hohen felsi¬ gen Bergketten, die es einschlieſsen und von Noto und Mazzara trennen; und in dem Grunde gegen über stand furchtbar der Aetna mit seinem beschneyten Haupte, von dessen Schedel die ewige lichte Rauch¬ säule in der reinen Luft empor stieg, und sich lang¬ sam nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen des dunkeln Wetters noch nicht gesehen, weder zu Lande noch auf dem Wasser. Nur auf der südlichen Küste in Agrigent vor dem Thore des Schulgebäudes zeigte man mir den Riesen in den fernen Wolken; aber mein Auge war nicht scharf genug ihn deutlich zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich nahe in seiner ganzen furchtbaren Gröſse vor mir. Kata¬ nien lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man es auch sehen können. Ich setzte mich unter einen alten Oelbaum, der der Athene Polias Ehre gemacht237 haben würde, auf die jungen wilden Hyacinthen nie¬ der und genoſs eine Viertelstunde eine der schönsten und herrlichsten Scenen der Natur. Das war wieder Belohnung und ich dachte nicht weiter an die Schnapp¬ hähne und das Examen von Terra nuova. Ich würde rechts hinauf gestiegen seyn in die Berge, wo viele Höhlen der alten sikanischen Urbewohner in Felsen gehauen seyn sollen; aber ich konnte dem Orientieren und der müſsigen Neugierde in einer sehr wilden Ge¬ gend nicht so viel Zeit opfern. Ich verirrte mich aber¬ mals und kam anstatt nach Syrakus nach Lentini. Es war mir nicht unlieb die alte Stadt zu sehen, die zur Zeit der Griechen keine unbeträchtliche Rolle spielt. Sie ist in dem Miſskredit der schlechten Luft, weſs¬ wegen auf einer gröſsern Anhöhe Karl der Fünfte, däucht mich, Carlentini anlegte. Ich spürte nichts von der schlechten Luft; aber freylich kann man vom Ende des März keinen Schluſs auf das Ende des July machen. Der See giebt der Gegend ein heiteres la¬ chendes Ansehen, und diese würde sich sehr bald sehr gesund machen lassen, wenn man fleiſsiger wäre. Um die Stadt herum ist alles ein wahrer Orangengarten; und Du kannst denken, daſs ich mit den Hesperiden nicht ganz enthaltsam war, da ich doch nun nicht hoffen durfte Syrakusertrauben zu essen. Mir hat es gefallen in Lentini, und wenn die Leute daselbst krank werden, so sind sie wahrscheinlich selbst Schuld dar¬ an, nach allem was ich davon sehe. Ich war nun zwey mal irre gegangen, und hielt es daher doch für gut einen Mauleselführer zu nehmen. Er erschien und wir machten bald den Handel, da ich nicht viel mer¬238 kantilisches Talent habe und gewöhnlich gleich zu¬ schlage. Nun wollte der Mensch die ganze Summe voraus haben; das fand ich etwas sonderbar und meinte, wenn er mir nicht traute, so müſsten wir theilen, und ich würde ihm die Hälfte voraus zahlen. Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch drolliger war sein Grund. Er meinte, wenn ich ge¬ plündert oder erschlagen würde, wie sollte er dann zu seinem Gelde kommen? Das war mir zu arg; ich schickte ihn ärgerlich fort und ging mit meinem Schnappsack allein.
Von hier wollte ich nach Syrakus; aber ich ging in den Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen und Thäler abermals irre, und kam anstatt nach Sy¬ rakus nach Augusta. Das erste Stündchen Weg war schön und ziemlich gut bebaut; aber sodann waren einige Stunden nichts als Wildniſs, wo rund umher Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen. Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wie¬ der an, und hier ist sie vielleicht am besten auf der ganzen Insel. Der Wein, den ich hier sah, wird ganz dicht am Boden alle Jahre weggeschnitten, und die einzige Rebe des Jahres giebt die Ernte. Das kann nun wohl nur hier in diesem Boden und unter die¬ sem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnü¬ gen die Verschiedenheit des Weinbaues von Meiſsen bis nach Syrakus zu sehen; und wenn ich ein wein¬ gelehrter Mann wäre, hätte ich viel lernen können. Die Landzunge auf welcher Augusta liegt, mit der Gegend einige Stunden umher, gehört zu dem üppig¬ sten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man Salz239 aus Seewasser, zu welcher Operation man einen gros¬ sen Strich todtes Erdreich brauchte. Nirgends habe ich so schwelgerische Vegetation gesehen, als in dieser Ge¬ gend. Die Stadt ist rings um vom Meere umgeben, und es führt nur eine ziemlich feste Brücke hinüber. Von der Landseite ist der Ort also gut vertheidigt und es würde eine förmliche Belagerung dazu gehören ihn zu nehmen. Von der Seeseite scheint das nicht zu seyn. Die wenigen Werke nach dem Wasser zu wol¬ len nicht viel sagen. Die Stadt ist nicht viel kleiner als die Insel Ortygia oder das heutige Syrakus. Ich wurde zu dem Stadthauptmann geführt, der meinen Paſs besah und mir ihn sogleich ohne Umstände mit vieler Höflichkeit zurück gab. Hier wurde ich, aus meinem Passe, Don Juan getauft, welchen Namen ich sodann auf dem übrigen Wege durch die ganze Insel bey allen Mauleseltreibern durch Ueberlieferung be¬ hielt. Der Gouverneur oder Stadthauptmann, was er seyn mochte, denn ich habe mich um seinen Posten weiter nicht bekümmert, bewirthete mich mit dem berühmten syrakusischen Muskatensekt, den endlich dieser Herr wohl gut haben muſs, und mit englischem Ale und Biskuit. Das Ale war gut und das Biskuit besser, und über den Wein habe ich keine Stimme. Mir war er zu stark und zu süſs. Ein Perukenma¬ cher, der in dem Hause des Stadthauptmanns war, führte mich gerade in sein eigenes Haus, bewirthete mich ziemlich gut und lieſs mich noch besser bezah¬ len. Dafür wurde ich aber so viel beexcellenzt, als ob ich der erste Ordensgeneral wäre, der den groſsen päbstlichen Ablaſs auf hundert Jahre herum trüge. 240Man erzählte mir, daſs vor einigen Monaten ein Deut¬ scher mit seiner Frau aus Malta durch Sturm hier ein¬ zulaufen genöthigt worden sey, und, da er keinen Paſs gehabt, zwanzig Tage habe hier bleiben müssen, bis man Befehl von Palermo eingeholt habe. Solche Gui¬ gnons können eintreten.
Um nicht noch einmal in den Bergen herum zu irren, nahm ich nun endlich einen Maulesel mit ei¬ nem Führer hierher nach Syrakus. Ich hatte eine groſse Strecke Weges an dem Meerbusen wieder zu¬ rück zu machen. So lange ich mich in der Gegend von Augusta befand, war die Kultur ziemlich gut; aber so wie wir Syrakus näher kamen, ward es im¬ mer wüster und leerer. Der Aetna, der über die an¬ dern Berge hervor ragte, rauchte in der schönen Mor¬ genluft. Der Mauleseltreiber hatte mir zum Führer einen kleinen Buben mitgegeben, der sich, sobald wir heraus waren, auf die Kruppe schwang, mir einen kleinen eisernen Stachel zum Sporn gab, und so mit mir und dem Maulesel über die Felsen hintrabte. Diese Thiere hören auf nichts als diesen Stachel, der ihnen statt aller übrigen Treibmittel am Halse appli¬ ziert wird. Wenn es nicht recht gehen wollte, rief der kleine Mephistophiles hinter mir: Pungite, Don Juan, sempre pungite. Siehst Du, so kurz und leicht ist die Weisheit der Mauleseltreiber und der Politiker. Das scheint das Schiboletchen aller Minister zu seyn. Wie der Hals des Staats sich bey dem Stachel befindet, was kümmert das die Herren? Wenn es nur geht oder wenigstens schleicht. Mein kleiner Führer er¬ zählte mir hier und da Geschichten von Todtschlagen,241 so wie wir an den Bergen hinritten. Rechts lieſsen wir die Stadt Melitta liegen, die auf einer Anhöhe des Hybla noch eine ziemlich angenehme Erscheinung macht. Sonst ist der Berg ziemlich kahl. Acht Mil¬ lien von Syrakus frühstückte ich an der Feigenquelle, wo der Feigen sehr wenig aber viel sehr schöne Oel¬ bäume waren, fast der Halbinsel Thapsus gegen über. Nun trifft man schon hier und da Trümmern, die zwar noch nicht in dem Bezirk der alten Stadt selbst, aber doch in ihrer Nähe liegen. Noch einige Millien weiter hin ritt ich den alten Weg durch die Mauer des Dionysius herauf, und befand mich nun in der ungeheuern Ruine, die jetzt eine Mischung von ma¬ gern Pflanzungen, kahlen Felsen, Steinhaufen und elenden Häusern ist. Als ich in der Gegend der alten Neapolis zwischen den Felsengräbern war, dankte ich meinen Führer ab und spazierte nun zu Fuſse weiter fort. Der Bube war gescheidt genug mir einen Gulden über den Akkord abzufordern. In Syrakus ging ich durch alle drey Thore der Festung als Spaziergänger, ohne daſs man mir eine Sylbe sagte: auch bin ich nicht weiter gefragt worden. Das war doch noch eine artige stillschweigende Anerkennung meiner Qualität. Den Spaziergänger läſst man gehen.
So singt Asmus den ersten May in Wansbeck; so kann ich ja wohl vier Wochen früher den ersten April in Syrakus singen: so froh bin ich; ob ich gleich vor ei¬ nigen Stunden beynahe in dem Syrakasumpfe ersoffen oder erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethu¬ se sitzt und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so stürmen die Gegenstände auf den Geist: vergieb mir also ein Biſschen Unordnung.
So wie ich zum Thore herein war und eine Stra¬ ſse herauf schlenderte, — wohlzumerken, mein Sack hielt keine groſse Peripherie, und ich konnte ihn mit seinem Inhalt leicht in den Taschen bergen — so rief mir ein Mann aus einer Bude zu: Vous etes etran¬ ger, Monsieur, et Vous cherchés une auberge? — Vous l'avés touché, Monsieur! sagte ich. Aiés la bonté d'en¬ trer un peu dans mon attelier; j'aurai l'honneur de Vous servir. Ich trat ein. Der Mann war ein Hutma¬ cher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jah¬ ren ansäſsig in Syrakus. Er begleitete mich in ein ziemlich leidliches Wirthshaus, das auch Landolina nachher als das beste nannte. Die Nahrung, wenig¬243 stens das Hutmachen, ist in Syrakus so schlecht, daſs mein Franzose es gern zufrieden war, bey mir ein Mittelding von Haushofmeister und Cicerone zu ma¬ chen. Ich traf Landolina das erste Mahl nicht; er war auf einem Landgute. In einer Fes[t]ung kann ich doch gutwillig nicht bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich lief also hinaus an den Hafen, nehmlich an den groſsen, oder an den Meerbusen: denn der kleine auf der andern Seite nach den Steinbrüchen zu hat jetzt nichts merkwürdiges mehr; so viel auch Aga¬ thokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich ging gerade fort, über den Anapus, weit hinüber über das Olympeum, und wäre vielleicht bis an die Abthei¬ lung des Berges hinunter gegangen, wenn der Tag nicht schon zu tief gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den punischen Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach Afrika, machte groſse Beute in Utika, und war den dritten Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort war, von dem er aus fuhr, darüber wird Dir dein Li¬ vius Bescheid geben; wer kann alles behalten? Du siehst doch, daſs ich, wenn ich sonst nur ein ächter Weidmann wäre, in einigen Tagen die Jagdparthie des frommen Aeneas und der Frau Dido mitmachen könnte.
Plemmyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus, und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur eines Spazierganges werth wäre. Eine zweyte Sumpf¬ gegend hielt mich auf; sonst wäre ich wohl noch et¬ was weiter gegangen. Auf dem Rückwege setzte ich244 mich ein Viertelstündchen an die zwey Säulen, die für die Ueberreste von dem Tempel des Jupiter Olym¬ pius gelten. Hier lieſs Dionysius dem Gott den golde¬ nen Mantel abnehmen, weil er meinte, er sey für den Sommer zu schwer und für den Winter zu kalt; ein wollener schicke sich besser für alle Jahrszeiten. Der Herr war ein ganz eigener Haushofmeister, welches er auch an dem Barte des Apollo zeigte. Als ich wieder über den Anapus herüber war, dachte ich gerade nach Neapolis herauf zu schneiden und so einen etwas an¬ dern Weg zurück zu nehmen. Die Sonne stand hoch nicht ganz am Rande, ich sah alles vor mir und dachte den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka! Syraka! An solchen Orten sollte man durchaus mit der Charte in der Hand gehen. Ehe ich mirs versah war ich im Sumpfe; ich dachte es zu zwingen und kam immer tiefer hinein: ich dachte nun rechts umzukeh¬ ren um keinen zu groſsen Umweg zu machen; und da fiel ich denn einige Mahl bis an den Gürtel in noch etwas schlimmeres als Wasser. Es ward Abend und ich fürchtete man möchte das Thor schlieſsen; wo man denn eben so unerbittlich ist als in Hamburg. Endlich arbeitete ich mich doch mit vielem Schweiſs in einem nicht gar erbaulichen Aufzug wieder auf den Weg, und kam so eben vor Thorschluſs herein. Mein Franzose, der auf mich in meinem Wirthshause warte¬ te, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte mir nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer der Herrn verläuft sich auf einem klei¬ nen Abstecher in den Syraka, denkt wie ich, ist aber245 nicht so glücklich, und sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann sich nicht heraus bringen, ruft um¬ sonst, und feuert mit seinem Gewehr um Hülfe: dar¬ auf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach vielem vergeblichen Rekognoscieren von allen Seiten mit Stricken herausziehen. Laſs Dir es also nicht einfallen, wenn Du rechts am Anapus spazieren ge¬ hest, gerade hinüber nach der schönen Anhöhe zu gehen: bleib hübsch auf dem Wege, sonst kommst Du in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.
Eben komme ich von einem Spazierritt mit Lan¬ dolina zurück. Der Mann verdient ganz das enthusia¬ stische Lob, das ihm mehrere Reisende geben: ich habe es an mir erfahren. Er ist einige Mahl mit wahrhaft freundschaftlicher Theilnahme mit mir weit herum geritten und gegangen. Du weiſst, daſs er Rit¬ ter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich als man ihn in Syrakus finden konnte, um dem Manne durch meine zu barocke Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir ritten weit hinaus bis nach Epipolä, wo wir un¬ sere Pferde lieſsen und nach den äuſsersten Festungs¬ werken der alten Stadt über viele Felsen zu Fuſse gin¬ gen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den Du vermuthlich in ganz Sicilien in jeder Rücksicht finden kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bey Barthels sehen: alles würde doch bey mir, wie246 bey ihm, Landolina gehören. Wir waren schon weit umher gestiegen, und setzten uns hier auf eine der höchsten Stellen der alten Festung nieder, um rund um uns her zu schauen. Ich halte dieses halbe Stünd¬ chen für eines der schönsten die ich genossen habe, wenn ich nur die Melancholie heraus wischen könnte, die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah man die ganze groſse ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt, die nun halb als Ruine und halb als Wildniſs da liegt. Rechts hinunter zog sich die alte Mauer nach Neapolis, dem Syraka und dem Ha¬ fen: links hinab ging bis ans Meer die gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer, welche Dio¬ nysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen lieſs. Von beyden sieht man noch den Gang durch die Trümmern, und hier und da noch mächtige Werkstücke aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt das Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der Gröſse des ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet. Rechts kommt der Anapus in dem Thale zwischen den Bergen hervor, und weiter hin jenseits zieht sich eine lange Kette des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag der mons crinitus, wo die Athenienser bey der unglücklichen Unternehmung gegen Sicilien standen. Dort unten rechts an der alten Mauer, welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das Haus des Timo¬ leon, wo man bey der kleinen Mühle noch die Trüm¬ mer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein, drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Ha¬ fens, wo der schöpferische Geist Archimeds mit dem247 Feuer des Himmels seine Schiffe verzehrte: dort stand er im Lager und wagte es lange nicht weiter zu ge¬ hen, weil er sich hier vor der starken Besatzung der Auſsenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter links hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der Ver¬ räther erhielt, welcher die Römer führte. Weiter hinab lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseits eines andern Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang, sitzen mögen mit dem Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind vielleicht das wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der Alten noch haben: und wenn sich ein Militär von Kenntnissen und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde ei¬ ne angenehme sehr lehrreiche Unterhaltung werden. Die Arbeit ist von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an Solidität und Gröſse schwerlich etwas ähnliches aufzuweisen. Wenn sie nicht etwas zu weit von der Stadt lägen, würden sie derselben von un¬ endlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren es durch die Lage bloſs sehr feste Auſsenwerke, deren Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische Krieg ge¬ zeigt hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der Seite des Anapus nicht zwingen können: ihre Anzahl war vermuthlich zu geringe und sie hatten kei¬ nen Alcibiades zum Führer mehr. Die Römer dran¬ gen durch die groſse Linie links. Wäre diese Linie kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen; es wäre vielleicht dem Marcellus trotz der Verrätherey nicht gelungen. Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen Schlacht zum Manöver benutzen kann.
248Jetzt sitze ich hier und lese Theokrit in seiner Vaterstadt. Ich wollte Du wärst bey mir und wir könnten das Vergnügen theilen, so würde es gröſser werden. Mein eigenes Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu seyn, mit in Palermo gelassen, bat mir ihn also von Landolina aus. Dieser gab mir mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, von unserm Stroth; und dieses nehmliche Exemplar war ein Ge¬ schenk von Stroth an Münter, und von Münter an Landolina, und ich las nun darin an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas magisches. — Sey nur ru¬ hig, ich habe jetzt zu viel Vergnügen dabey und meine Stiefelsohlen sind noch ganz; Du sollst hier mit keiner Uebersetzung geplagt werden.
Auch heute komme ich von einem Spaziergang mit Landolina zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis, die aber wirklich das Interes¬ santeste der alten Ueberreste enthält. Die Antiquare sind dem unermüdeten patriotischen Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge Säulen des alten Forums wieder aufgefunden, welche die Lage genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen, und besteht jetzt meistens aus Gärten und ei¬ nem offenen Platze gleich vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts weiter hinauf hat Landolina das römische Amphitheater besser aufgeräumt und hier und da Korridore zu Tage gefördert, die jetzt zu Mauleseleyen dienen. Die Römer trugen ihre blutigen Schauspiele überall hin. Die Area giebt jetzt einen schönen Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf ist das alte groſse griechische Theater,249 fast rund herum in Felsen gehauen. Rechts wo der natürliche Felsen nicht weit genug hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren Aechtheit und Al¬ ter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich deutlich zu lesen. Es läſst sich viel dawider sagen, und sie be¬ weist wohl weiter nichts als die Existenz einer Köni¬ gin Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der aber die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung geht nahe am Theater weg; ver¬ muthlich brachte sie ehemahls auch das Wasser hin¬ ein. Die Leute waren etwas nachlässig gewesen, so daſs ein Zug Wasser gerade auf den Stein mit der In¬ schrift floſs, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war. Landolina gerieth darüber billig in heftigen Un¬ willen, schalt den Müller und lieſs es auf der Stelle abändern. Gegen über steht eine Kapelle an dem Or¬ te, wo Cicero das Grab des Archimedes gefunden ha¬ ben will. Wir fanden freylich nichts mehr; aber es ist doch schon ein eigenes Gefühl, daſs wir es finden würden, wenn es noch da wäre, und daſs vermuth¬ lich in dieser kleinen Peripherie der groſse Mann be¬ graben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbniſs¬ weg hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche von Neapolis fort. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich Dir alle die verschiedenen Gestalten der kleinen und gröſsern Begräbniſskammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den Latomien und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionysius. Akustisch ge¬ nug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier,250 das man am Eingange zerreiſst, macht ein betäuben¬ des Geräusch, und wenn man stark in die Hand klatscht, giebt es einen Knall wie einen Büchsenschuſs, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die ganze Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir vorzüglich die Art, wo es ausgehauen war, die ich Dir aber als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man noch die Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bey Neapel habe ich, wenn ich nicht irre, etwas ähnliches in den Steingru¬ ben des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Me¬ thode so vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob Dionysius dasselbe habe hauen lassen, lieſse sich noch bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu seyn scheint; aber daſs er es zu einem Gefängnisse habe einrichten lassen, hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt es ein schreckliches Carcer. Hin und wieder sieht man noch Ringe in dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige durchge¬ brochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn mögen. Diese gelten für Maschinen die Gefangenen anzuschlieſsen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am Eingange ist das Kämmerchen, welches ehe¬ mahls für das Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel Maschinerie dazu, von unten hin¬ auf oder von oben herab dahin zu kommen. Ich bin also nicht darin gewesen. Landolina erklärt das Ganze für eine Fabel, die Tzetzes zuerst erzählt habe. Die¬251 ses Behältniſs hat durch Erdbeben gelitten; an der tiefen Höhle selbst aber oder an dem eigentlichen Ohre ist kein Schade geschehen. Gleich an dem Ein¬ gang hat Landolina eine eingestürzte Treppe entdeckt; die er mir zeigte. Die Stufen in den zusammenge¬ stürzten Felsenstücken sind zu deutlich; und es läſst sich wohl etwas anders nicht daraus machen als eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten Gang in das Gefängniſs geführt, durch wel¬ che der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hier¬ her brachte. Mit dem Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl nicht so viel Umstände ge¬ macht haben. Landolina sagte mir, er habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen Englän¬ dern in das obere kleine Behältniſs bringen lassen und eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts als ein verworrenes dumpfes Geräusch.
Die Spieſsbürger von Syrakus lassen sich aber den hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern Abend räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey einer Flasche Syrakuser verfänglich genug darüber un¬ gefähr so: „ Wozu soll das Kämmerchen oben gewe¬ sen seyn? Zum Anfange einer neuen Steingrube, wo¬ zu man es gewöhnlich machen will, ist es an einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben nichts deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, daſs man ehedem nichts deutlich hörte. Die Erdbeben haben an dem Eingange vieles zertrümmert und ein¬252 gestürzt, also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man sagt, Dionysius habe hier in dieser Ge¬ gend der Stadt keinen Pallast gehabt. Zugegeben daſs dieses wahr sey, so war dieses desto besser für ihn allen Argwohn seiner nahen Gegenwart zu entfernen. Er konnte deſswegen bey wichtigen Vorfällen sich im¬ mer die Mühe geben von Epipolä hierher zu kommen und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den be¬ quemen sybaritischen Volksquälern. Damit läugne ich nicht, daſs er drauſsen in Epipolä noch mehrere Ge¬ fängnisse mag gehabt haben: man hatte in Paris weit mehrere, als wir hier in Syrakus. “ Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem Meinigen hinzu gethan. Mich däucht, für einen Bürger von Syrakus schlieſst er nicht ganz übel.
In dem Vorhofe des so genannten Ohres treiben die Seiler ihr Wesen, und vor demselben sind die Intervallen der Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vor¬ züglich von Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin ist ein anderer Steinbruch, der einer wah¬ ren Feerey gleicht. Er ist von einer ziemlichen Tie¬ fe, durchaus nicht zugänglich, als nur durch einen einzigen Eingang nach der Stadtseite, den der Besitzer hat verschlieſsen lassen. Von oben kann man das ganze kleine magische Etablissement übersehen, das aus den niedlichsten Parthien von inländischen und ausländischen Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben jetzt in der schönsten Blüthe, und ich war überrascht hier den vaterländischen Baum253 zu finden, den ich fast in ganz Sicilien nicht weiter gesehen habe. Er braucht hier in dem heiſseren Him¬ melsstrich den Schatten der Tiefe. Das vorzüglichste was ich mit Landolina auf diesem Gange noch sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand. Das Eigene dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irde¬ nen Röhren in der Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die Gelehrten durchaus keine sehr wahr¬ scheinliche Konjektur machen können. Vielleicht war es ein Bad, und der Eigenthümer hielt dieses für ein Mittel es trocken zu halten; da diese Röhren vermuth¬ lich Luft von auſsen empfingen und die Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der enge Raum und die innere Einrichtung sind für diese Vermuthung des Landolina. Nicht weit davon ist eine alte Presse für Wein oder Oehl in Felsen gehauen, die noch so gut erhalten ist, daſs, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in Gang gesetzt werden könnte.
Bey den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen Marmorhafens, sind die Latomien, die vermuthlich die furchtbaren Gefängnisse für die Athenienser im peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einige Mahl ziemlich lange darin herum gewan¬ delt. Die Mönche haben jetzt ihre Gärten darin an¬ gelegt, aus denen eben so wenig Erlösung seyn würde. Man könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Be¬ huf gebrauchen, und zehen Mann könnten ohne Ge¬ fahr zehn tausend ganz sicher bewachen. Der Ge¬ brauch zu Gefängnissen im Kriege mag sich auch nicht auf das damahlige Beyspiel eingeschränkt haben;254 dieses war nun das gröſste und fürchterlichste. Die Mönche bewirtheten mich mit schönen Orangen, und bedauerten, daſs die Engländer schon die besten alle aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten aber nicht dabey, wie viel das Kloster Geschenke dafür er¬ halten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich der¬ gleichen Höflichkeiten ziemlich theuer. Hier hat man einen ähnlichen Gang, wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht ausgeführt worden, weil man ver¬ muthlich den Stein zu dem Behufe nicht tauglich fand. Man kann stundenlang hier herum spazieren, und findet immer wieder irgend etwas groteskes und abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat. Wenn man nun die alte Geschichte zurückruft, so er¬ hält das Ganze ein sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem Platze des Erdbodens in diesem Grade wieder findet. Besonders rührend war mir hier an Ort und Stelle die bekannte Anekdote, daſs viele Gefangene sich aus der traurigen Lage bloſs durch ei¬ nige Verse des Euripides zogen: und mich däucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter gebracht worden.
In dem heutigen Syrakus oder dem alten Insel¬ chen Ortygia ist jetzt nichts merkwürdiges mehr, als der alte Minerventempel und die Arethuse. Diese Quelle ist, wenn man auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel denkt, bis heute noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht giebt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie doch gewiſs von dem festen Lande der Insel; und schon dieser Gang ist wundersam genug. Wo einmahl etwas da ist, kommt es den Dichtern auf einige Grade Er¬255 höhung nicht an, zumahl den Griechen. Ich habe bey Landolina eine ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse gesehen, die er mit vieler Gelehr¬ samkeit und vielem Scharfsinn aus der ganzen Peri¬ pherie der griechischen und lateinischen Literatur von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag zusam¬ men getragen hat. In Sicilien und Italien dankt nie¬ mand für diese Arbeit: es wäre aber für die übrigen Länder von Europa zu wünschen, daſs sie bekannter wür¬ de. Vielleicht läſst er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon ist durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine Menge sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die mit dem Wasser des Alpheus Analogie haben, und die viel¬ leicht zu der Fabel Veranlassung geben konnten. Sie quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt zuweilen ganz weg, so daſs man trocken tief in die Höhle hinein gehen kann; und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen physischen Wetterbe¬ rechnungen stärker quellen sollte: sie vertreibt Som¬ mersprossen, welches selbst Landolina zu glauben schien. Aehnliche Erscheinungen will man an dem Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen von dort herüber, und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht: das Andenken des vaterländischen Flusses war ihnen willkommen. Die neueste Verände¬ rung mit der Quelle findet man, däucht mich, noch in Barthels zum Nachtrage in einem Briefe, der höchst wahrscheinlich auch von Landolina ist. Seitdem ist das Wasser süſs geblieben, heiſst es. Ich fand eine256 Menge Wäscherinnen an der reichen schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich rein und hell, aber nicht mehr, wie ehemahls, ungewöhnlich schön. Ich stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der hoh¬ len Hand: man kann zwar das Wasser trinken, aber es schmeckt doch noch etwas brackisch, wie das meiste Wasser der Brunnen in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muſs also durch die neueste Verände¬ rung noch nicht gänzlich wieder gehoben seyn. Alles Wasser auf der kleinen Insel hat die nehmliche Be¬ schaffenheit, und gehört wahrscheinlich durchaus zu der nehmlichen Quelle. In der Kirche Sankt Philippi ist eine alte tiefe tiefe Gruft mit einer ziemlich be¬ quemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der nehmlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es et¬ was salziger: das mag vielleicht von der groſsen Tiefe und dem beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen Tempeln fand. Sehr mög¬ lich; es läſst sich gegen die Vermuthung nichts sagen. Aber kann es nicht eben so wohl ein gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauch gewesen seyn? Er hatte unstreitig das nehmliche Schicksal mit der Arethuse in den verschiedenen Erderschütterungen. Man weiſs die Insel machte bey den alten Tyrannen die Hauptfestung der Stadt aus. Man hatte auſser der Arethuse wenig Wasser in den Werken. Diese schöne Quelle lag dicht am Meere und war sehr bekannt. Der Feind konnte Mittel finden sie zu nehmen oder zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen Wasserplatz auf diesen Fall zu verschaffen und ihn257 vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich will die Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben so wenig hartnäckig behaupten.
Als ich hier in der Kirche saſs, die eben ausge¬ bessert wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete, gesellte sich ein neapolitanischer Offizier zu mir, der ein Franzose von Geburt und schon über zwanzig Jahre in hiesigen Diensten war. Er sprach recht gut deutsch und hatte ehemals mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa gemacht. Wenn man diesen Mann von der Regierung und der Kir¬ chendisciplin sprechen hörte; man hätte das Feuer vom Himmel zur Vertilgung der Schande rufen mö¬ gen. Alles bestätigte seine Erzählung, und Unzufrie¬ denheit und Murrsinn schien nicht in dem Charakter des Mannes zu liegen. Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche, nach seiner Aussage, ein Gräuel, wie man ihn in dem weggeworfensten Heidenthum nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller Art ist in der Gegend gar nichts ungewöhnliches und wird mit einem kleinen Ablaſsgelde in Ordnung gebracht und fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz, wo sich der Klerus für eine kleine Belohnung sehr leicht zum Unterhändler her giebt, wenn er nicht Theilnehmer ist. Wer profane Schwierigkeiten in sei¬ ner Liebschaft findet, wendet sich an einen Mönch oder sonstigen Geislichen, und die ehrsamste sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der Mann sprach den Altar gegen über davon wie von Dingen, die je¬ dermann wisse, und nannte mir mit groſser Freymü¬ thigkeit zu seinen Behauptungen Beyspiele, die ich17258gern wieder vergessen habe. Ich erzähle die Thatsa¬ che, und überlasse Dir die Glossen.
Minerva hat in ihrem Tempel der heiligen Luci¬ lie Platz machen müssen. Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen Weise behandelt, und aus einem sehr schönen Tempel eine ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze ist verbaut, so daſs nur noch von innen und auſsen der griechische Säulengang sichtbar ist. Das Frontespice ist nach dem neuen Stil schön und groſs, sticht aber gegen die alte griechische Einfachheit nicht sehr vortheilhaft ab.
Bald wäre ich unschuldiger Weise Veranlassung eines Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Ka¬ thedralkirche singt und nicht mehr als sechzig Piaster jährlich hat, war mein Gast in der Auberge, weil er sehr freundlich war und ein sehr gutmüthiger Kerl zu seyn schien. Ein Geiger, sein Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über seine Zuthu¬ lichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen ei¬ gentlichen topischen Fehler, an dem der arme Teufel ganz unschuldig war, da ihn andere vermuthlich ohne seine Beystimmung an ihm gemacht hatten. Darüber gerieth das entmannte Bild so in Wuth, daſs er mit dem Messer auf den Geiger zuschoſs und ihn erstochen haben würde, wäre dieser durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft worden. Auch der Sänger konnte die Aergerniſs durchaus nicht verdauen und entfernte sich.
Eben sitze ich hier bey einem Gericht Aale aus dem Anapus, die hier für eine Delikatesse der Dom¬ herrn gelten, und die ich also wohl eben so verdienst¬259 los verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft und halb mit gefischt. Ich fuhr nehm¬ lich heute nach Mittage mit meinem Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um das Papier zu su¬ chen. Das Papier fand ich auf der Cyane links bald in einer solchen Menge, daſs wir das Boot kaum durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle konnte ich nicht erreichen. Es war zu spät; wir muſsten fürchten verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich etwas; ich hätte früher fahren müs¬ sen. Das Wasser ging hoch und wir kamen noch eben wieder zum Schlusse an. Hier am Hafen woll¬ ten einige Köche der hiesigen Schmecker mir durch¬ aus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben zu bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt aber den Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus meine Aale aus dem Anapus selbst essen, und ich würde sie weder dem Bischof, noch dem Statthalter, noch dem König selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadiere nehmen lieſse. Die Leute beguckten mich und lieſsen mich abziehen. Ue¬ ber das Papier selbst und des Landolina Art es zu zu¬ bereiten habe ich nichts hinzu zu fügen; ob ich gleich glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze, zwar keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvoll¬ ständigkeit entdeckt zu haben. Die Sache ist aber zu unwichtig. Unser schlechtes Lumpenpapier ist im¬ mer noch besser als das beste Papier, das ich von der Pflanze vom Nil und aus Sicilien gesehen habe. Wir können nun das Sumpfgewächs und den Kommentar260 des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das Interesse des Alterthums.
Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mitthei¬ len, welche die gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir der besten einer unter ihnen, Landolina selbst, mit vieler Jovialität erzählte, als wir nach ei¬ nem Spaziergange in dem alten griechischen Theater saſsen und ausruhten. Landolina machte mit einer Gesellschaft, von welcher er einen unserer Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte, eine ähnliche Wanderung. Hier entstand ein Zwist über eine Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach sei¬ ner Weise interpretierte. Einige hielten sie für ein Grab eines Kindes irgend einer alten vornehmen Fa¬ milie, und brachten Beweise, die vielleicht eben so problematisch waren, wie die Sache, welche sie bewei¬ sen sollten. Man sprach und stritt her und hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, daſs man über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkun¬ digte sich und hörte, wovon die Rede war. Das kann ich Ihnen leicht erklären, hob er an; vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es selbst gehauen, um meine Schweine daraus zu füttern: da ich nun seit mehrern Jahren keine Schweine mehr habe, füttere ich keine mehr daraus. Die Archäologen lachten über die bün¬ dige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar geschrieben hätten. So geht es uns wohl noch manch¬ mal, setzte Landolina sehr launig hinzu.
Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich we¬ sentlich von denen zu Neapel. Was beyde ursprüng¬261 lich gewesen seyn mögen ist wohl schwerlich zu be¬ stimmen; aber daſs beyde in der Folge zu Begräbniſs¬ plätzen gedient haben, ist ausgemacht. Von den syra¬ kusischen lieſse sich vielleicht aus dem Bau mehr be¬ haupten, daſs sie ursprünglich dazu gehauen wurden. Der groſse Unterschied der neapolitanischen und syra¬ kusischen besteht darin, daſs in den neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts, und hier in die Tiefe der Wand hinein gearbeitet sind. Dort sind unten die gröſsern und dann an der Wand her¬ auf die kleinern Behälter; hier sind vorn die gröſsern und dann weiter hin in die Felsenwand hinein die kleinern: so daſs in Neapel das Dreyeck der Lage an der Seite aufwärts, in Syrakus mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist. Beschreibung ist schwer und Zeichnung macht noch mehr Umstände; ich weiſs nicht ob ich Dir deutlich geworden bin. Ein avtopti¬ scher Anblick giebt es in einem Moment. In Neapel lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand hinauf, unten die gröſseren und aufwärts immer klei¬ nere; in Syrakus in den Felsen hinein, vorn gröſsere und hinterwärts immer kleinere. Hier habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als Mönch in meinem Leben gesehen. Wo man sonst auch noch zuweilen gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens nicht als Mönche. Der Eingang in die Gruft ist hier eine alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur selten Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der ein¬ zige Bewohner der Kirche und der Katakomben; Glöckner und Sakristan, und Abt und Kellner und Layenbruder zugleich. Das erste Mal, als wir kamen,262 war er nicht zu Hause, sondern in der Stadt nach Le¬ bensmitteln. Als wir umkehrten, begegneten wir ihm in den Feigengärten, und gingen wieder mit ihm zu¬ rück nach Sankt Johannis. Er machte für einen Reli¬ giosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug. Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nö¬ thig um seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also, da sie allein nicht gehen wollte, mit dem jungen Esel von drey und zwanzig Stunden zu¬ sammen. Der kleine Novize des Lebens konnte na¬ türlich die groſse Tour nicht aushalten. Der Mönch mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster aus Syrakus, der drey Söhne erzogen und zur Armee und auf die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht recht mehr gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; vielleicht das gescheidteste, was seit langer Zeit ein Bischof von Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und schauerlich genug. Von den Gemälden in den ver¬ schiedenen Abtheilungen der Katakomben läſst sich wohl nicht viel sagen; denn sie sind wahrscheinlich meistens neu. Aus einer griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können: das ist indessen kein Beweis, daſs es andere nicht besser verstehen. Die Leute fabeln hier, daſs diese Katakomhen bis nach Ka¬263 tanien gehen; vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden haben mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der Baumannshöhle versichert, daſs sie sich bis nach Goſslar erstrecke.
Der Sommer muſs hier zuweilen schon fürchter¬ lich seyn; denn Landolina erzählte mir von einem ge¬ wissen Südwestwinde, den man il ponente nennt, wel¬ cher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocko soll ein kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn: man finde nachher in einem solchen Grade alles ver¬ dorret, daſs man es sogleich zu Asche reiben könne. Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch der Hagel, der hier zuweilen falle, sey so groſs und scharf, daſs er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die zwey gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Si¬ cilien. Die Winter sind gewöhnlich von keiner Be¬ deutung; nur der vergangene ist etwas hart gewesen und man hat seit zehen Jahren wieder den ersten Schnee aber auch nur auf einige Stunden in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest, besonders für die Jugend, denen so etwas eine sehr groſse Erschei¬ nung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den Gipfeln ferner Berge.
Syrakus kommt immer mehr und mehr in Ver¬ fall; die Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre Steuer¬ revisoren, um die Abgaben mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr melancholische Viertelstunde, als264 ich mit Landolina oben auf der Felsenspitze von Eu¬ ryalus saſs, der würdige patriotisch eifernde Mann über das groſse traurige Feld seiner Vaterstadt hin¬ blickte, das kaum noch Trümmer war, und sagte: Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf das kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe während der vier Tage Umgang mit ihm in ihm ei¬ nen der reinsten und liebenswürdigsten Charakter ge¬ funden, und er sprach mit schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus al¬ lein hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze Insel. Nur der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieser ziemlich schlecht. Das habe ich auf meinen Zü¬ gen gefunden, und Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es durchaus. Ehemals schickte man bey der groſsen Bevölkerung Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genöthiget gewesen, Getrei¬ de aus der Levante kommen zu lassen, damit die we¬ nigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung und den Minister in Neapel schreiben? Man giebt der physischen Verschlimmerung des Lan¬ des durch die Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die Berge sind noch alle fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der Riesen, des Aetna, des Eryx, des Taurus und einige Felsenparthien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden, wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese verschrieenen Ge¬265 genden, geben reichlich, wenn man fleiſsig ist. Sici¬ lien ist ein Land des Fleiſses, der Arbeit und der Aus¬ dauer. Man will jetzt aber nur da bauen, wo man fast nicht nöthig hat zu arbeiten. Es sind freylich wenig groſse Striche hier, die so schwelgerisch frucht¬ bar wären wie das Kampanerthal: aber es könnte viel schönes Paradies geschaffen werden.
Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer der schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemmyrium und eines auf Ortygia hat, so kann keine Felucke heraus und hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor die Kanonen. Als im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten sich der Insel zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich recht tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anek¬ dote, die mir unglaublich vorkam, aber sie wurde verschieden im Publikum hier und da wiederholt. Der Gouverneur, um ja durchaus auſser Stande zu seyn schnell zu handeln, läſst alle Kaliber der Kugeln durch einander werfen und die Munition in Unord¬ nung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach Aegypten und es war weder Gefecht noch Erge¬ ben nöthig; die Excellenz zog sich durch ein sanftes seliges Ende aus allem Verdruſs. Wenn die Franzosen ihren Vortheil besser verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel anzugreifen; mit zehn tau¬ send Mann hätten sie dieselbe mit ihrer gewönlichen Energie genommen und mit gehöriger Klugheit auch behauptet. Freylich wären dazu andere Maaſsregeln nöthig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da er¬266 griffen haben. — Es kommen jetzt selten Schiffe nach Syrakus. Bloſs im vorigen Kriege war es ein Zu¬ fluchtsort gegen die Stürme: und dabey hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen. Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der Ankommenden bestän¬ dig wieder.
Noch etwas literarisches muſs ich Dir doch aus dem südlichen Sicilien melden, damit Du nicht glau¬ best ich sey ganz und gar unter die Analphabeten ge¬ treten. Landolina läſst jetzt in Florenz eine Abhand¬ lung drucken, in welcher er beweist, daſs der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein der οιυος πολλιος oder πολιος der Alten sey. Die klassischen Hauptstel¬ len darüber sind, glaube ich, die Gärten des Alcinous im Homer, und Hesiodus in seinen Tagewerken im sechs hundert und zehnten Vers. Im Homer heiſst es, daſs an den Weinstöcken reife Trauben und grü¬ nende und Blüthen zugleich gewesen seyen, worüber sich unsere Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina. Sie dürfen nur die Sache wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus kommen, so können sie sich bey der ersten Ernte des Muskatenweins zu Anfang des July leicht überzeugen. Aber nur die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums, daſs sie reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sey zu¬ nächst aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag er beweisen. Dieses alles wird Dir, als einem wein¬ gelehrten Manne, weit wichtiger seyn, als mir Abac¬ cheveten. Er hat mir noch manche nicht unange¬267 nehme philologische Bemerkung über manche griechi¬ sche Stelle gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen Dank wissen wird, dem er sie wahr¬ scheinlich auch alle mitgetheilt hat. An der Arethuse kann man freylich manches etwas besser sehen, als an der Leine. Uebrigens sagte er noch, daſs Homer, der, nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu urtheilen, durchaus in Sicilien gewesen seyn müsse, vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sey, weil er bey jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik gegen die Insel äuſsere.
Du siehst, ich bin nun auf der Rückkehr zu Dir. Syrakus oder vielleicht schon Agrigent war das süd¬ lichste Ende meines Weges. Vor einigen Tagen ritt ich zu Maulesel wieder mit einem ziemlich kleinen Führer hierher. Man kann die Reise in einem Som¬ mertage sehr bequem machen; und wenn man recht gut beritten ist, recht früh aufbricht und sich nicht sehr viel umsieht, kann man wohl Augusta noch mit nehmen. Die Maulesel machen einen barbarisch star¬ ken Schritt, und das Pungite, Don Juan, pungite! wurde auch nicht gespart. Es war ein herrlicher war¬ mer Regenmorgen, als ich Syrakus verlieſs; der Him¬ mel hellte sich auf, als ich aus der Festung war, und die Nachtigallen sangen wetteifernd in den Feigengär¬ ten und Mandelbäumen so schön, wie ich ihnen in Si¬ cilien gar nicht zugetraut hätte, da sie sich noch nicht sonderlich hatten hören lassen. Ich ging wieder vor der Feigenquelle vorbey und durch einen Strich der schönen herrlichen Gegend von Augusta. Aber vor derselben und nach derselben war es wüste; ununter¬ brochen wüste, bis diesseits der Berge an die Ufer des Simäthus. In einem Wirthshause am Fuſse der Ber¬ ge, ungefähr, ungefähr noch zehn Millien von Kata¬ nien, wo ich essen wollte und wenigstens Makkaro¬ nen suchte, gab der Wirth skoptisch zur Antwort: In Katanien sind Makkaronen; hier ist nichts. Der Mensch hatte die trotzige murrsinnige Physionomie der gedrückten Armuth und des Mangels, der nicht seine Schuld war, und gewann nicht eher eine etwas269 freundliche Miene, als bis ich seinen Kindern von meinem schönen Brote aus Syrakus gab; dann holte er mir mein Lieblingsgericht, getrocknete Oliven. In der Gegend des Simäthus war das Wasser ziemlizh groſs, das man auf die Felder umher auf den Reis leitete. Mein Maulesel, den ich nordischer Reiter wohl nicht recht geschickt lenken mochte, fiel in eine morastige Lache des Flusses, und bekam meine halbe Personalität unter sich. Mein linker Fuſs, der wegen einer alten Kontusion nicht viel vertragen kann, wur¬ de gequetscht und etwas verrenkt und ich kam lahm hier an. Sehr leicht hätte ich eines sehr unidyllischen schmutzigen Todes in dem Schlamme des Simäthus sterben können: doch zürne ich deſswegen dem Flusse nicht: denn er ist doch der einzige Fluſs, der diesen Namen auf der Insel verdient, und durchaus der gröſste, wenn gleich einige den Salzfluſs bey Alikata oder gar den Himera bey Termini gröſser machen. Der Simäthus ist ein eigentlicher Fluſs, und die an¬ dern sind nur Waldströme, die sich freylich zuweilen mit vieler Gewalt von den Gebirgen herabwälzen mö¬ gen, wie ich schon selbst die Erfahrung gemacht habe. Das dauert aber gewöhnlich nur einige Tage; dann kann man wieder zu Fuſs durch ihr Bette gehen. Nicht weit diesseit des Simäthus, über den hier eine ziemlich gute Fähre geht, führte mich mein unkundi¬ ger Eseltreiber in Büsche und Moräste hinein, daſs weder ich, noch er, noch der Esel weiter wuſsten. Mein Schmutz und mein Schmerz am Fuſse hatten mich etwas grämlich gemacht, so daſs ich im Aerger dem Jungen mit der Ruthe einige Schläge über das270 Kollet gab. Er fing an jämmerlich zu schreyen; wir erholten uns beyde und er sagte mir sodann mit vie¬ ler Mauleseltreiberweisheit, das sey sehr unklug von mir gewesen, daſs ich so wenig Geduld gehabt habe; ich habe zwar von ihm nichts zu fürchten, weil er ehrlich sey; aber ich sey doch immer in seiner Ge¬ walt. Avis dem Leser, der Junge hatte Recht, und ich schämte mich meiner Uebereilung; wir versöhn¬ ten uns und ritten philosophisch weiter. Die fernere Nachbarschaft von Katanien ist, für Katanien, schlecht genug gebaut; die ganze Gegend des Simäthus könnte und sollte etwas besser bearbeitet seyn. In der Nähe der Stadt fängt die Kultur ſchöner an. Ich lieſs an dem Stadtthore den Jungen mit der Bezahlung laufen und spazierte oder hinkte die Straſse hinab, wendete mich an die erste Physionomie, die mir gefiel und die mich auch in den Elephanten sehr gut unterbrachte. Für den beschädigten Fuſs gab mir ein Arzt bey dem Professor Gambino Muskatennuſsöl, und es ward so¬ gleich besser, und jetzt marschiere ich schon wieder ziemlich fest. Das habe ich auch nöthig; denn ich will auf den Aetna, wo sich mancher schon den Fuſs vertreten hat.
Eben stehe ich von einer ächt klassischen Mahl¬ zeit auf, mein Freund; und ich glaube fast, es wäre die beste in meinem Leben gewesen, wenn nur eini¬ ge Freunde wie Du aus dem Vaterlande mit mir ge¬ wesen wären. Aber mein Tischgeselle war ein hie¬ siger Geistlicher, eben die Physionomie, die ich auf der Straſse zum Führer bekam. Der Mann ist indes¬ sen für einen sicilischen Theologen vernünftig genug,271 und hat mir eben ich weiſs nicht wie klassisch bewie¬ sen, daſs Katanien das Vaterland der Flöhe sey. Mei¬ ne Mahlzeit, Freund, war ganz vom Aetna, bis auf die Fische, welche aus der See an seinem Fuſse wa¬ ren. Die Orangen, der Wein, die Kastanien, die Fei¬ gen und die Feigenschnepfen, alles ist vom Fuſse und von der Seite des Berges. Ich bin Willens ihn auf alle Weise zu genieſsen; deſswegen bin ich hergekom¬ men; und wohl nicht absichtlich um das Unwesen der Regierung und der Möncherey zu sehen. In Ka¬ tanien ist es wohl von ganz Sicilien und vielleicht von ganz Italien noch am hellsten und vernünftigsten; das hat Biskaris und einige seiner Freunde gemacht, durch welche etwas griechischer Geist wieder aufgelebt ist. Es ist hier sogar eine Art von Wohlstand und Flor, der den schlechten Einrichtungen in der Insel Hohn spricht. Hier würde ich leben, wenn ich mich nicht bey den Kamaldulensern in Neapel einsiedelte. Hier fängt man wenigstens an, das Unglück des Vaterlan¬ des, die Unordnungen und Malversationen aller Art, die schrecklichen Wirkungen der Unterdrückung und des dummen Aberglaubens recht lebhaft zu fühlen. Die Mönche haben den dritten Theil der Güter in den Händen; und wenn ihre Mast das einzige Uebel wäre, das sie dem Staate verursachen, so könnte der gräſs¬ liche Druckfehler doch vielleicht noch Verzeihung fin¬ den. Aber — mein Gott, wer wird ein Wort über die Mönche verlieren! Bonaparte wird sich zu seiner Zeit ihrer schon wieder eben so thätig annehmen, wie der Uebrigen, da sie mit ihnen zu seinem Systeme gehören. Es entfuhr mir aus kosmopolitischem In¬272 grimm hier in einer Gesellschaft, daſs ich sagte: Les moines avec leur cortege sont les morpions de l'huma¬ nité. Die Sentenz wurde mit lautem Beyfall aufge¬ nommen, und auf manchen vorübergehenden Kutten¬ träger angewendet. Du begreifst, daſs man schon ziemlich liberal seyn muſs, um so etwas nur zu ver¬ tragen: freylich verträgt man es nicht überall; aber die Stimmung ist doch sehr lebendig gegen das Unge¬ ziefer des Staats. Die Franzosen haben in der ganzen Insel keine geringe Parthey; und diese nimmt es Bo¬ noparte sehr übel, daſs er nach Aegypten ging und nicht vorher kam und sie nahm, welches nach ihrer Meinung etwas leichtes gewesen wäre. Muth, Klug¬ heit, allgemeine Gerechtigkeit und Humanität, von welchen Eigenschaften er wenigstens die erste Hälfte besitzt, hätten mit zehen tausend Mann die Sache ge¬ macht: und es ist leicht zu berechnen, was Sicilien für den Krieg gewesen wäre; wenn es auch nicht mehr so wichtig ist, als in den karthagischen Kriegen oder unter, den Normännern. Alle vernünftige Insu¬ laner sind völlig überzeugt, daſs sie bey dem nächsten Kriege, an dem Neapel nur entfernt Antheil nimmt, die Beute der Engländer oder Franzosen seyn werden; und ich gab ihnen mit voller Ueberlegung den Trost, daſs sie sich im Ganzen auf keinen Fall verschlim¬ mern könnten, so sehr auch einzelne Städte leiden möchten. Sie schienen das leicht zu begreifen, und sich also nicht zu fürchten.
Es würde zu weitläufig werden, wenn ich anfan¬ gen wollte, Dir nur etwas systematisch über Lite¬ ratur und Antiquitäten zu schreiben. Andere haben273 das besser vor mir gethan, als ich es könnte. Es hat sich wesentlich nichts geändert. Der thätige Geist des alten Biscaris scheint nicht ganz auf seinem Nachfolger übergegangen zu seyn; obgleich auch dieser noch im¬ mer die nehmliche Humanität zeigt. Das Kabinet ist wohl nicht ganz in der besten Ordnung. Was mich im Antikensaale vorzüglich beschäftigt hat, waren ei¬ nige sehr schöne griechische und römische Köpfe, ein Torso fast von der nehmlichen Gestalt, wie der jetzi¬ ge Pariser, und den Einige diesem fast gleich schätzen, und eine Büste der Ceres, die beste die ich gesehen habe. Es sind mehrere Statüen der Venus da; aber keine einzige, die mir gefallen hätte. Unter den klei¬ nen Bronzen zeichneten sich für mich aus, ein Atlas der Himmelsträger, ein Mars, ein Merkur und ein Herkules. Es sind auch noch einige andere von vor¬ treflicher Arbeit. Die Lampensammlung ist sehr be¬ trächtlich, vorzüglich die Matrimoniallampen, unter denen viele sehr niedliche, leichtfertige, aphrodisische Mysterien sind, die dem Charakter nach aus den Zei¬ ten der römischen Kaiser zu seyn scheinen. Manches gehört wohl auf keine Weise in eine solche Samm¬ lung, vorzüglich nicht die Gewehre, welche wenig In¬ teresse für Künstler und Kenner haben: einzelne Anek¬ doten müſsten denn die Stücke merkwürdig machen. Vorzüglich schön ist noch eine längliche Vase, wo Ulyſs und Diomed die Pferde des Rhösus bringen.
Das Uebrige findet man besser und geordneter bey dem Ritter Gioeni, dessen Fach ausschlieſslich die Naturgeschichte ist, und vorzüglich die Naturgeschichte Siciliens. Man findet bey ihm alle vulkanische Pro¬18274dukte des Aetna, des Vesuv und der liparischen In¬ seln, und es ist ein Vergnügen die Resultate eines an¬ haltenden Fleiſses hier zusammen zu sehen. Hier sind alle sicilischen Steine, von denen die Marmorar¬ ten vorzüglich schön sind. Bey Landolina und Bisca¬ ris und Gioeni sind Tische, die aus allen sicilischen Marmorarten gearbeitet sind. Das Fach der Muscheln findet man wohl selten so schön und so reich als bey dem letzten. Was mich besonders aufhielt, waren die verschiedenen niedlichen Sorten von Bernstein, alle aus Sicilien, die ich hier nicht gesucht hätte. Ich wuſste wohl, daſs man in Sicilien Bernstein findet, aber ich wuſste nicht daſs er so schön und groſs angetroffen wird: und ich habe aus der Ostsee keine so schönen Farben und Schattierungen davon gesehen. Die Arbei¬ ten waren sehr niedlich und geschmackvoll. In der neuern Chemie und Physik muſs man indessen nicht sehr gewissenhaft mit fortgehen: denn es wurde zu¬ fällig von der Platina gesprochen, die Gesellschaft war nicht ganz klein und nicht ganz gewöhnlich, und man gestand sogar Deinem idiotischen Freunde eine Stim¬ me über die spezifische Schwere des Metalles zu. End¬ lich muſste unser Landsmann Bergmann den Zwist entscheiden, und ich war wirklich seinem Ausspruche am nächsten gekommen. Der Ritter und sein Bruder sind Männer von vieler Humanität und unermüdetem Eifer für die Wissenschaft.
Ich hatte das Vergnügen in dem Universitätsge¬ bäude einer theologischen Doktorkreation beyzuwohnen. Der Saal ist groſs und schön und hell. Rund herum sind einige groſse Männer des Alterthums nicht übel275 abgemahlt, von denen einige Katanier waren; nehm¬ lich Charondas und Stesichorus; auch Cicero hatte für seinen Eifer für die Insel die Ehre hier zu seyn; so¬ dann der Syrakusier Archimed. Theokrit war den frommen Leuten vermuthlich zu frivol; er war nicht hier. Der Kandidat war ein Dominikaner, und machte in ziemlich gutem Latein die Lobrede der Stadt und der Akademie Katanien. Der Promotor hielt sodann der Theologie eine Lobrede, die sehr mönchisch war, und die ich ihm bloſs der guten Sprache wegen nur in Sicilien noch verzeihe. Nun, dachte ich, wird die Disputation angehen; und vielleicht vergönnt man so¬ gar, da die Versammlung nicht zahlreich war, dem Hyperboreer auch ein Wörtchen zu sprechen. Aber das war schon alles inter privatos parietes mit dem Examen abgemacht: man gab dem Kandidaten den Hut, die Trompeter bliesen, und wir gingen fort. Die Universitätsbibliothek ist nicht zahlreich, aber gut ge¬ wählt und geordnet, und der Bibliothekar ist ein freundlicher verständiger Mann. Er zeigte mir eine erste Ausgabe vom Horaz, die mit den Episteln an¬ fing, und die, wie er mir sagte, Fabricius sehr gelobt habe.
In den antiken Bädern unter der Kathedrale, durch welche eine Ader des Amenanus geleitet ist, die noch flieſst, war die Luft so übel, daſs der Professor Gam¬ bino es nur einige Minuten aushalten konnte. Meine Brust war etwas stärker; aber ich machte doch, daſs ich wieder heraus kam. Sie werden selten besucht. Auch in den dreyfachen Korridoren des Theaters et¬ was weiter hinauf kroch ich eine Viertelstunde herum:276 von hier hat der Prinz Biscaris seine besten Schätze gezogen. Auch hier ist ein Aquedukt des Amenanus, aber sehr verschüttet. Nicht weit davon ist ein altes Odeum, das jetzt zu Privatwohnungen verbauet ist. Die Kommission der Alterthümer hat aber nun die Oberaufsicht, und kein Eigenthümer darf ohne ihre Erlaubniſs einen Stein regen.
Das Kloster und die Kirche der reichen Benedik¬ tiner sind so gut als man eine schlechte Sache machen kann. Die Kirche gilt für die gröſste in ganz Sicilien und ist noch nicht ausgebaut; an der Faſsade fehlt noch viel. Sie mag dessen ungeachtet wohl die schön¬ ste seyn. Die Gemälde in derselben sind nicht ohne Werth, und die Stücke eines Eingebornen, des Mo¬ realese, werden billig geschätzt. Am meisten thut man sich auf die Orgel zu gute, die vor ungefähr zwanzig Jahren von Don Donato del Piano gebauet worden ist. Er hat auch eine in Sankt Martin bey Palermo gebaut; aber diese hier soll, wie die Katanier behaupten, weit vorzüglicher seyn. Man hatte die wirklich ausgezeichnete Humanität, sie für einige Frem¬ de nach dem Gottesdienste noch lange spielen zu las¬ sen; und ich glaube selbst in Rom keine bessere ge¬ hört zu haben. Schwerlich findet man eine gröſsere Stärke, Reinheit und Verschiedenheit. Einige kleine Spielwerke für die Mönche sind freylich dabey, die durchaus alle Instrumente in einem einzigen haben wollen: aber das Echo ist wirklich ein Meisterstück; ich habe es noch in keiner Musik so magisch gehört. Die Abenddämmerung in der groſsen schönen Kirche, und dann die feyerlich schaurige Beleuchtung wirkten277 mit. Die Bibliothek und das Kabinet der Benedikti¬ ner sind ansehnlich genug, und könnten bey den Ein¬ künften des Klosters noch weit besser seyn. Im Mu¬ seum finden sich einige hübsche Stücke von Guido Reni und, wie man behauptet, von Raphael. Mehrere griechische Inschriften sind an den Wänden umher. Eine auf einer Marmortafel ist so gelehrt, daſs sie, wie man sagte, auch die gelehrtesten Antiquare in Italien nicht haben erklären können: auch Viskonti nicht. Ich hatte nicht Zeit; und was wollte ich Rekrut nach diesem athletischen Triarier. Doch kam es mir vor, als ob sie in einem späteren griechischen Stile das Märterthum der heiligen Agatha enthielte. Wenn Du nach Katanien zu den Benediktinern kommst, magst Du dein Heil versuchen. In der Bibliothek bewirthete man mich, als einen Leipziger, aus Höflichkeit mit den Actis eruditorum, die in einer Klosterbibliothek in Ka¬ tanien auch wirklich eine Seltenheit seyn mögen. Die Byzantiner waren alle mit Caute in Verwahrung ge¬ setzt, und werden nicht jedem gegeben. einen einen, sehr groſsen Schatz zeigte man mir eine auſserordent¬ lich schön geschriebene Vulgata. Ich las etwas darin, und verschüttete die gute Meinung der Herren fast durch die voreilige Bemerkung, es wäre Schade, daſs der Kopist gar kein Griechisch verstanden hätte. Man sah mich an; ich war also genöthigt zu zeigen, daſs er aus dieser Unwissenheit vieles idiotisch und falsch geschrieben habe. Die guten Leute waren verlegen und legten ihr Heiligthum wieder an seinen Ort, und ihre Mienen sagten, daſs solche Schätze nicht für Pro¬ fane wären. Der Pater Sekretär, ein feiner gebildeter278 Mann, der in seinem Zimmer ein herrliches englisches Instrument hatte, gab mir einen Brief an ihren Bru¬ der oben am Berge im Namen des Abts, da er hörte, daſs ich auf den Berg wollte. Er schüttelte indessen zweifelhaft den Kopf und erzählte mir schreckliche Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen: es würde unmöglich seyn, meinte er, schon jetzt in der frühen Jahrszeit noch zu Anfange des Aprils hin¬ auf zu kommen. Er erzählte mir von einigen West¬ phalen, die es auch bey der nehmlichen Jahrszeit ge¬ wagt hätten, aber kaum zur Hälfte gekommen wären und doch Nasen und Ohren erfroren hätten. Ich lieſs mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre ja nicht werth gewesen nordamerikanischen und russi¬ schen Winter erlebt zu haben.
Das Kloster hat achtzig tausend Skudi Einkünfte, und steht im Kredit, daſs es damit viel gutes thut. Das heiſst aber wohl weiter nichts, als funfzig Faulen¬ zer ernähren hundert Bettler; dadurch werden beyde dem Staate unnütz und verderblich. So jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen, sagt unser al¬ ter Sirach; und ich finde den Ausspruch ganz vernünf¬ tig, auch wenn er mir selbst das Todesurtheil schriebe.
Eine schöne Promenade ist der Garten dieses nehmlichen Klosters, der hinter den Gebäuden auf lau¬ ter Lava angelegt ist, und wo man links und rechts und gerade aus die schönste Aussicht auf den Berg und das Meer und die bebaute Ebene hat. Die Lavafelder geben dem Ganzen das Ansehen einer groſsen mäch¬ tigen Zauberey. Gleich neben diesem Garten, neben dem Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein Kano¬279 nikus einen kleinen botanischen Garten, wo er schon die Papierstaude von Syrakus als eine Seltenheit hält. Noch angenehmer ist der Gang in die Gärten des Prin¬ zen Biscaris in der nehmlichen Gegend. Als er ihn anlegte, hielt man es für eine Spielerey; aber er hat ge¬ zeigt, was Fleiſs mit Anhaltsamkeit und etwas Auf¬ wand thun kann. Er hat die Lava gezwungen; die Pflanzung grünt und blüht mit Wein und Feigen und Orangen und den schönsten Blumen aller Art. Der Gärtner brachte mir die gewöhnliche Höflichkeit, und ich legte mehrere Blumen in mein Taschenbuch für meine Freunde im Vaterlande.
Das Jesuitenkloster in der Stadt ist zum Etablisse¬ ment für Manufakturen gemacht: und ob dieses Eta¬ blissement gleich noch nicht weit gediehen ist, so ist doch durch die Vernichtung des Klosters schon viel ge¬ wonnen. In der Kathedrale hängt in einer Kapelle ein schrecklich treues Gemälde, ungefähr sechs Fuſs im Quadrat, von der letzten groſsen Eruption des Ber¬ ges 1669, die fast die Stadt zu Grunde richtete. Ein ächter Künstler sollte es nehmen und ihm in einer neuen Bearbeitung zur Wahrheit des Ganzen auch Kunstwerth geben. Es würde ein furchtbar schönes Stück werden, und das ganze Gebiet der Kunst hätte dann vielleicht nichts ähnliches aufzuweisen. Hier hätte Raphael arbeiten sollen; da war mehr als sein Brand.
Unten wo der zertheilte Amenanus wieder aus den Lavaschichten heraus flieſst steht noch etwas von der alten Mauer Kat niens, ungefähr in gleicher Ent¬ fernung zwischen dem Molo links und dem Lavaberge rechts, der dort weiter in die See hinein sich empor280 gethürmt hat. An dem Molo hat man schon lange mit vielen Kosten gearbeitet; ich fürchte aber die See wird gewaltiger seyn als die Arbeit. Wenn links ein Felsenufer etwas weiter hervorgriffe und den Wogen¬ sturz von Kalabrien her etwas dämmte, so wäre eher Hoffnung zur Haltbarkeit. Die Erfahrung, von der ich nichts wuſste, hat schon meine Meinung bestätigt, und einige verständige Leute pflichteten mir bey. Ka¬ tanien wird sich wohl müssen mit einer leidlichen Rhede begnügen, wenn nicht vielleicht einmal der Aetna, der groſse Bauer und Zerstörer, einen Hafen bauet. Er darf nur links einen solchen Berg ins Meer schieſsen, wie er rechts gethan hat, so ist er fertig. Es fragt sich, ob das zu wünschen wäre. Die Straſse Fer¬ dinande, von dem prächtigen Thore von Syrakus her, ist die Hauptstraſse: eine andere, die ihr etwas auf¬ wärts parallel läuft, ist fast eben so schön. Wenn Ka¬ tanien so fort arbeitet, macht es sich nach einem gros¬ sen Plane zu einer prächtigen Stadt. Fast alle öffent¬ liche Monumente sind von der Kommune aus eige¬ nen Kräften bestritten, und es sind derselben nicht wenig: des Hofes geschieht nur Ehrenerwähnung. Es ist der lieblichste Ort, den ich in Sicilien gesehen ha¬ be, und übrigens sehr wenig mit der Regierung in Kollision; so daſs viel gutes zu erwarten ist. Die Da¬ zwischenkunft der Höfe verderbt wie ein Mehlthau meistens das natürliche Gedeihen der freyen Industrie.
Ich muſs mich etwas fassen, daſs ich Dich den Weg über den Berg und Taormina hierher mit mir nicht gar zu unordentlich machen lasse; ob Du gleich Ge¬ duld genug wirst haben müssen, denn ich bin ein gar schlechter Systematiker. Der Wirth im Elephanten in Katanien, in dessen Buche ich viele Bekannte fand und der sich als einen sehr guten Hodegeten ankün¬ digte, besorgte mir eben nicht wohlfeil einen Mann mit einem Thiere, der mit mir die Fahrt bestehen sollte. Ich packte meinen Sack voll Orangen und ritt nun bergan. Wie viel ich Dörfer und Flecken durch¬ ritt ehe ich am Sandkloster ankam, weiſs ich nicht mehr. Dieses Kloster gehört bekanntlich den reichen Benediktinern unten in der Stadt, die hier nur einen Layenbruder haben, welcher die Oekonomie besorgt denn sie haben rund umher weite Distrikte von Wein¬ bergen. Bey den Mönchen gilt selten das Sprichwort, im Weine ist Wahrheit; sondern im Weine ist Schlau¬ heit. Ich kann mir nicht helfen, und wenn mich die Mönche zum Abt machten, ich würde sagen, je gröſser das Kloster, desto gröſser die Sottise. Die Mönche unten sind gar feine Kauze, die das Inkonse¬ quente und Bedenkliche und Kritische ihrer jetzigen Lage sehr gut fühlen und die Kutte durchzuschauen wissen: diese waren freundlich und höflich. Der Layenbruder hier im Sande war etwas grämelnd und murrsinnig. Er nahm meinen Empfehlungsbrief, be¬ trachtete ihn und sagte mir ganz trocken: Der Abt,282 mein Vorgesetzter, hat ihn nicht unterschrieben; er geht mich also nichts an. Das ist schlimm für mich, sagte ich: Ja wohl! sagte er. Was soll ich nun thun? fragte ich: Was Sie wollen; antwortete er. Er besann sich indessen doch etwas; man trug eben das Essen auf. Er fragte mich, ob ich mit essen wollte; und ich machte natürlich gar keine Umstände, weil ich ziemlich hungrig war. Wir setzten uns und über Tische ward mein Wirth freundlicher. Mein Maule¬ sel mit dem Führer wurde nach dem nächsten Orte Nikolosi geschickt und mir Quartier und Pflege gesi¬ chert. Man meldete, daſs eine fremde sehr vornehme Gesellschaft ankommen würde, die auch auf den Berg steigen wollte: das war mir lieb. Wir aſsen dreyer¬ ley Fische. Denke Dir, ein Layenbruder der Bene¬ diktiner in der höchsten Wohnung am Aetna zur Fa¬ sten dreyerley Fische! Denn über diesem Kloster sind nur noch einige Häuser links hinüber, und weiter nichts mehr in der Waldregion bis hinauf an die alte Geiſshöhle. Ich spreche von dieser Seite; die andern Pfade kenne ich nicht. Es kam ein anderer Herr, der uns trinken half. Dieser schien ein etwas besseres Stück von Geistlichen zu seyn. Mein Wirth zog den Brief aus der Tasche und lieſs ihn den andern vorle¬ sen: da ergab sich mir denn erst, daſs der Herr Layenbruder wohl gar nicht lesen konnte. Der Brief lautete ungefähr, daſs der Pater Sekretär ihm im Na¬ men und auf Befehl des Abtes schreibe, dem deut¬ schen reisenden Herrn, der von dem Minister sehr empfohlen wäre, nach Würden bestens zu bewirthen. Von meiner Entfernung war nun gar nicht mehr die283 Rede. Der Bruder erzählte mir seine Reisen und sei¬ ne Schicksale, und daſs ihn der Papst kenne. Bald kam er auf meine Ketzerey und segnete sich. Er lieſs sich mein Seelenheil und meine Bekehrung noch et¬ was angelegener seyn, als der palermitanische Steuer¬ revisor in Agrigent, fand mich aber ganz refraktarisch: er muſste mich mit seinem besten Futter in die Hölle gehen lassen. Der vornehmste Grund, den er brauch¬ te, mich zum Christen zu machen, war: Ich hätte doch einen sehr gefährlichen Weg vor mir, es seyen auf dem Berge schon viele umgekommen; nun könnte ich, wenn ich auch todt gefunden würde, nicht ein¬ mahl christlich begraben werden. Das war nun frey¬ lich ein triftiges Argument; denn bey diesen Herren ist kein Akatholikus ein Christ. Ich sagte ihm so sanft als möglich die Anekdote des Diogenes, der sich im ähnlichen Falle aus bat, man möchte ihm nach dem Tode einen Stock hinlegen, damit er die Hunde wegjagen könnte. Der Mann schüttelte den Kopf und — trank sein Glas. Nun wurde mir ein Führer bestellt, der theuer genug war, und auf alle Fälle al¬ les in Ordnung gesetzt, wenn auch die Gesellschaft nicht kommen sollte. Eben als die Einrichtung ge¬ troffen worden war, wurde gemeldet, daſs die Englän¬ der nicht kommen würden, sondern in Nikolosi blie¬ ben. Darüber war der Mann Gottes sehr ergrimmt und betete etwas unsanft, wie Elisa der Bärenprophet, über einige seiner Feinde unten in Katanien und oben in Nikolosi. Ich machte eine Ausflucht gegen über auf die Monti rossi, die sich bey der letzten groſsen Eruption gebildet haben, vermuthlich von der Farbe284 den Namen tragen und von ihren Gipfeln eine herrli¬ che Aussicht geben. Man hat eine starke Viertelstunde nöthig sie zu ersteigen, und von ihnen sieht man noch jetzt den ganzen ungeheuern Lavastrom der hier aus¬ brach, alles umwälzte und zernichtete, einen groſsen Theil der Stadt zerstörte und tief hinter derselben sich als eine hohe Felsenwand in der See stemmte. Ich weiſs wohl, daſs Stollberg anderer Meinung ist; aber ich habe es hier so von vielen Einwohnern gehört, unter denen auch manche ziemlich unterrichtete Män¬ ner waren. Als ich herunter stieg, begegnete ich zwey Engländern von der Parthie aus Nikolosi, die den nehm¬ lichen Spaziergang hierher gemacht hatten. Ihrer wa¬ ren fünfe, lauter Offiziere von der Garnison aus Mal¬ ta, die von Neapel kamen und unterwegs den Berg mit sehen wollten; ein Major, ein Hauptmann und drey Lieutenants. Sie freuten sich noch einen zur Parthie zu bekommen, und ich holte flugs meinen Sack vom Mönche und zog herunter zu den Englän¬ dern ins Wirthshaus nach Nikolosi, wo schon vorher mein Führer einquartiert war. Der Mönch machte ein finsteres Gesicht, murrte etwas durch die Zähne, vermuthlich einige Flüche über uns Ketzer alle: ich dankte und ging.
Hier trieben wir nun, die fünf Britten und Dein Freund, unser Wesen sehr erbaulich. Die Engländer hat¬ ten den Wirth vom goldenen Löwen aus Katanien mit¬ gebracht; ich trat zur Gesellschaft, man schaffte mir ein Bett so gut als möglich, und wir legten uns nieder und schliefen nicht viel. Die Herren erzählten ihre Abenteuer, militärische und galante, von der Themse285 und vom Nil, und bald traf die Kritik einen General bald ein Mädchen. Vorzüglich war der Gegenstand ihrer Reminiscenzen eine gewisse originelle Trompe¬ tersfrau, die sie nach allen Prädikamenten zur Königin ihres Lagers in Aegypten erhoben. Gegen Mitternacht kamen die Führer, und nun setzte sich die ganze Ka¬ ravane zu Maulesel; sechs Signori Forestieri, zwey Füh¬ rer mit Laternen und ein Proviantträger. Es war, wenn ich nicht irre, den sechsten April zu Mitter¬ nacht, oder den siebenten des Morgens. Den vorigen Tag war es trübes Wetter gewesen, hatte den Abend ziemlich stark geregnet, hellte sich aber auf so wie wir aus dem Wirthshause zogen. Wir gingen bey meinem Mönch in Sankt Nicolas del bosco ove della rena vorbey Es war frisch und ward bald kalt, und dann sehr kalt. Wir trottierten und lärmten uns warm. Dann deklamierte der Major Grays Kirchhof, dann sangen wir God save the king, nach Händel, und Birtannia, rule the waves, und andere englischpatrio¬ tische Sachen. Jeder gab seinen Schnak. We are al¬ ready pretty high, sagte der Eine; it is a bitter nip¬ ping cald, der Andere. Methinks, hear the dogstar bark, and Mars meets Venus in the dark; fuhr ein Dritter fort. Is that not smoke there? fragte ein subalterner Myops; I believe I see already old Nock smoking his pipe. But, my dear, sagte der Major, You are pur¬ blind upon your starboard eye; it is an oaktree. So war es; das gab Gelächter, und wir ritten weiter. Bald kamen wir aus der bebauten Region in die wal¬ dige, und gingen nun unter den Eichen immer berg¬ auf. Ungefähr um ein Uhr kamen wir in der Gegend286 der Geiſshöhle an, die aber jetzt auſser Uebung kommt. Der Fürst von Paterno hat dort ein Haus gebaut, wo die Fremden eintreten und sich bey einem Feuer wärmen können. Das Haus ist schlecht genug, und ein deutscher Dorfschulze würde sich schämen, es nicht besser gemacht zu haben. Indessen ist es doch besser als nichts und vermuthlich bequemer als die Höhle. Hier blieben wir eine kleine Halbestunde, be¬ stiegen wieder unsere Maulthiere und ritten nunmehr aus der waldigen Region in den Schnee hinein. Un¬ gefähr eine Viertelstunde über dem Hause und der Höhle hörte die Vegetation ganz auf und der Schnee fing an hoch zu werden, der schon um das Haus her hier und da neu und alt lag. Wir muſsten nun ab¬ steigen und unsere Maulthiere hier lassen. Der Schnee ward bald sehr hoch und das Steigen sehr beschwer¬ lich. Unsere Führer riethen uns nur langsam zu ge¬ hen, und sie hatten Recht: aber die Herren ruhten zu oft absatzweise, und darin hatten diese nicht Recht. Methinks I smell the morning air, sagte der Major, und fuhr ganz drollig fort, als ein junger Lieutenant durch den hohlen Schnee auf ein Lavastück fiel und über den Fuſs klagte: Alack, what dangers do inviron the man that meddles with cold iron! Die Kälte des Morgens ward schneidend und die Engländer, die wohl in Aegypten und Malta eine solche Parthie nicht gemacht hatten, schüttelten sich wie die Matrosen. Endlich erreichten wir den Steinhaufen des so genann¬ ten Philosophenthurms, und die Sonne stieg eben glü¬ hend über die Berge von Kalabrien herauf und ver¬ goldete was wir von der Meerenge sehen konnten, die287 ganze See und den Taurus zu unsern Füſsen. Ganz rein war die Luft nicht, aber ohne Wolken; um de¬ sto magischer war die Scene. Hinter uns lag noch alles in Nacht und vor uns tanzten hier und da Nebel¬ gestalten auf dem Ocean. Wer kann beschreiben? Nimm deinen Benda, und laſs auf silbernem Flügel dem Mädchen auf Naxos die Sonne aufgehen: und wenn Du nicht Etwas von unserm Vergnügen hast, so kann Dir kein Gott helfen. So ging uns Titan auf; aber wir waren über dem werdenden Gewitter: es konnte uns nicht erreichen. Einer der Herren lief wehklagend und hoch aufschreyend um die Trümmern herum; denn er hatte die Finger erfroren. Wir hal¬ fen mit Schnee und rieben und wuschen, und arbei¬ teten uns endlich zu dem Gipfel des Berges hinauf. Mich däucht, man müſste bis zum Philosophenthurm reiten können; bis dahin ist es nicht zu sehr jäh: aber die Kälte verbietet es; wenigstens möchte ich deſswegen nicht von der Kavalkade seyn. Von hier aus kann man nicht mehr gehen; man muſs steigen, und zuweilen klettern, und zuweilen klimmen. Es scheint noch eine Viertelstunde bis zur höchsten Spitze zu seyn, aber es ist wohl noch ein Stündchen Arbeit. Die Britten letzten sich mit Rum, und da ich von dergleichen Zeug nichts trinke, aſs ich von Zeit zu Zeit eine Apfelsine aus der Tasche. Sie waren ziem¬ lich gefroren; aber ich habe nie so etwas köstliches genossen. Als ich keine Apfelsinen mehr hatte, denn der Appetit war stark, stillte ich den Durst mit Schnee, arbeitete immer vorwärts, und war zur Ehre der deut¬ schen Nation der Erste an dem obersten Felsenrande288 der groſsen ungeheuern Schlucht, in welcher der Kra¬ ter liegt. Einer der Führer kam nach mir, dann der Major, dann der zweyte Führer, dann die ganze klei¬ ne Karavane bis auf den Herrn mit den erfrorenen Fingern. Hier standen und saſsen und lagen wir, halb in dem Qualm des aufsteigenden Rauchdampfes einge¬ hüllt und keiner sprach ein Wort und jeder staunte in den furchtbaren Schlund hinab, aus welchem es in dunkeln und weiſslichen Wolken dumpf und wüthend herauftobte. — Endlich sagte der Major, indem er sich mit einem tiefen Athemzuge Luft machte: Now it is indeed worth a young man's while to mount and see it; for such a sight is not to be met with in the parks of old England. Mehr kannst Du von einem ächten Britten nicht erwarten, dessen patriotische Seele ihren Gefährten mit Rostbeef und Porter ambrosisch bewirthet.
Die Schlucht, ungefähr eine kleine Stunde im Umfange, lag vor uns, wir standen alle auf einer ziemlich schmalen Felsenwand, und bückten uns über eine steile Kluft von vielleicht sechzig bis siebzig Klaf¬ tern hinaus. Einige legten sich nieder, um sich auf der grausen Höhe vor Schwindel zu sichern. In die¬ ser Schlucht lag tief der Krater, der seine Stürme aus dem Abgrunde nach der entgegengesetzten Seite hin¬ über warf. Der Wind kam von der Morgensonne und wir standen noch ziemlich sicher vor dem Dampfe; nur daſs hier und da etwas durch die Felsenspalten heraufdrang. Rund herum ist keine Möglichkeit vor den ungeheuern senkrechten Lavablöcken, bis hinun¬ ter ganz nahe an den Rand des eigentlichen Schlun¬289 des zu kommen. Bloſs von der Seite von Taormina, wo eine sehr groſse Vertiefung ausgeht, muſs man hinein steigen können, wenn man Zeit und Muth ge¬ nug hat, die Gefahr zu bestehen: denn eine kleine Veränderung des Windes kann tödtlich werden, und man erstickt wie Plinius. Uebrigens würde man wohl unten am Rande weiter nichts sehen können. Hätte ich drey Tage Zeit und einen entschlossenen, der Ge¬ gend ganz kundigen Führer, so wollte ich mir wohl die Ehre erwerben unten gewesen zu seyn, wenn es der Wind erlaubte. Man müſste aber mit viel gröſse¬ rer Schwierigkeit von Taormina hinauf steigen.
Nachdem wir uns von unserm ersten Hinstaunen etwas erholt hatten, sahen wir nun auch rund umher. Die Sonne stand nicht mehr so tief, und es war auch auf der übrigen Insel schon ziemlich hell. Wir sahen das ganze groſse schöne herrliche Eiland unter uns, vor uns liegen, wenigstens den schönsten Theil des¬ selben. Alles was um den Berg herum liegt, das ganze Thal Enna, bis nach Palagonia und Lentini, mit al¬ len Städten und Flecken und Flüssen, war wie in ma¬ gischen Duft gewebt. Vorzüglich reitzend zog sich der Simäthus aus den Bergen durch die schöne Fläche lang lang hinab in das Meer, und man übersah mit Einem Blick seinen ganzen Lauf. Tiefer hin lag der See Lentini und glänzte wie ein Zauberspiegel durch die elektrische Luft. Die Folge wird zeigen, daſs die Luft nicht sehr rein, aber vielleicht nur desto schöner für unsern Morgen war. Man sah hinunter bis nach Augusta und in die Gegend von Syrakus. Aber die Schwäche meiner Augen und die Dünste des Himmels,19290der doch fast unbewölkt war, hinderten mich weiter zu sehen. Messina habe ich nicht gesehen; und mich däucht, man kann es von hier nicht sehen: es liegt zu tief landeinwärts an der Meerenge und die Berge müssen es decken. Palermo kann man durchaus nicht sehen, sondern nur die Berge umher. Von den Lipa¬ ren sahen wir nur etwas durch die Wölkchen. Nach¬ dem wir rund umher genug hinabgeschaut hatten, und das erste Staunen sich zu etwas Ruhe setzte, sagte der Major nach englischer Sitte: Now be sure, we needs must give a shout at the top down the gulf; und so stimmten wir denn drey Mahl ein mächtiges Freuden¬ geschrey an, daſs die Höhlen des furchtbaren Riesen wiederhallten, und die Führer uns warnten, wir möch¬ ten durch unsere Ruchlosigkeit nicht die Teufel unten wecken. Sie nannten den Schlund nur mit etwas ver¬ ändertem Mythus: la casa del diavolo und das Echo in den Klüften la sua risposta.
Der Umfang des kleinen tief unten liegenden Kessels mag ungefähr eine kleine Viertelstunde seyn. Es kochte und brauste, und wüthete und tobte und stürmte unaufhörlich aus ihm herauf. Einen zweyten Krater habe ich nicht gesehen; der dicke Rauch müſste vielleicht ganz seinen Eingang decken, oder dieser zweyte Schlund müſste auf der andern Seite der Fel¬ sen liegen, zu der wir wegen des Windes, der den Dampf dorthin trieb, nicht kommen konnten. Auch hier waren wir nicht ganz vom Rauche frey; die rothe Uniform der Engländer mit den goldenen Achselbän¬ dern war ganz schwarzgrau geworden; mein blauer Rock hatte seine Farbe nicht merklich geändert.
291Ich hatte mich bisher im Aufsteigen immer mit Schnee gelabt; aber hier am Rande auf der Spitze war er bitter salzig und konnte nicht genossen werden. Nicht weit vom Rande lag ein Auswurf von verschie¬ denen Farben, den ich für todten Schwefel hielt. Er war heiſs und wir konnten unsere Füſse darin wärmen. Wir setzten uns an eine Felsenwand, und sahen auf die zauberische Gegend unter uns, vorzüglich nach Katanien und Paterno hinab. Die Monti rossi bey Ni¬ kolosi glichen fast Maulwurfshügeln, und die ganze groſse ausgestorbene Familie des alten lebendigen Va¬ ters, lag rund umher. Nur er selbst wirkte mit ewi¬ gem Feuer in furchtbarer Jugendkraft. Welche unge¬ heuere Werkstatt muſs er haben! Der letzte groſse Ausbruch war fast drey deutsche Meilen vom Gipfel hinab bey Nikolosi. Wenn er wieder durchbrechen sollte, fürchte ich für die Seite von Taormina, wo nun die Erdschicht am dünsten zu seyn scheint. Die Luft war trotz dem Feuer des Vulkans und der Sonne doch sehr kalt, und wir stiegen wieder herab. Unser Herabsteigen war vielleicht noch belohnender als der Aufenthalt auf dem obersten Gipfel. Bis zum Philoso¬ phenthurm war viel Behutsamkeit nöthig. Hier war nun der Proviantträger angekommen, und wir hielten unser Frühstück. Die Engländer griffen zur Rumfla¬ sche und ich hielt mich zum gebratenen Huhn und dann zum Schnee. Brot und Braten waren ziem¬ lich hart gefroren, aber der heiſse Hunger thaute es bald auf. Indem wir aſsen, genossen wir das schönste Schauspiel, das vielleicht das Auge eines Menschen genieſsen kann. Der Himmel war fast ganz hell, und292 nur hinter uns über dem Simäthus hingen einige klei¬ ne lichte Wolken. Die Sonne stand schon ziemlich hoch an der Küste Kalabriens; die See war glänzend. Da zeigten sich zuerst hier und da einige kleine Fleck¬ chen auf dem Meere links vor Taormina, die fast wie Inselchen aussahen. Unsere Führer sagten uns sogleich was folgen würde. Die Flecken wurden zusehens grö¬ ſser, bildeten flockige Nebelwolken und breiteten sich aus und flossen zusammen. Keine morganische Fee kann eine solche Farbenglut und solchen Wechsel ha¬ ben, als die Nebel von Moment zu Moment annah¬ men. Es schoſs in die Höhe und glich einem Walde mit den dichtesten Bäumen von den sonderbarsten Ge¬ stalten, war hier gedrängter und dunkler, dort dünner und heller, und die Sonne schien in einem noch ziemlich kleinen Winkel auf das Gewebe hinab, das schnell die ganze nördliche Küste deckte und das wir tief unter uns sahen. Der Gluthstrom fing an die Schluchten der Berge zu füllen, und hinter uns lag das Thal Enna mit seiner ganzen Schönheit in einem unnennbaren Halblichte, so daſs wir nur noch den See von Lentini als ein helles Fleckchen sahen. Die¬ ses alles und die Bildung des himmlischen Gemäldes an der Nordostseite, war das Werk einer kleinen Vier¬ telstunde. Ich werde eine so geschmückte Scene wahr¬ scheinlich in meinem Leben nicht wieder sehen. Sie ist nur hier zu treffen und auch hier sehr selten; die Führer priesen uns und sogar sich selbst deſswegen glücklich. Wir brachen auf, um, wo möglich, unten dem Regen zu entgehen: in einigen Minuten sahen wir nichts mehr von dem Gipfel des Berges; alles war293 in undurchdringlichem Nebel gehüllt, und wir selbst schossen auf der Bahn, die wir im Hinaufsteigen ge¬ macht hatten, pfeilschnell herab. Ohne den Schnee hätten wir es nicht so sicher gekonnt. Nach einer halben Stunde hatten wir die Blitze links, immer noch unter uns. Der Nebel hellte sich wieder auf, oder vielmehr wir traten aus demselben heraus, das Gewit¬ ter zog neben uns her nach Katanien zu, und wir kamen in weniger als der Hälfte Zeit wieder in das Haus am Ende der Waldregion, wo wir uns an das Feuer setzten; nehmlich diejenigen, die es wagen durften. Die Engländer hatten zu dieser Bergreise ei¬ ne eigene Vorkehrung getroffen. Weiſs der Himmel, wer es ihnen mag gerathen haben: die meinige war besser. Sie kamen in Nikolosi in Stiefeln an, setzten sich aber dort in Schuhe, und über diese Schuhe zo¬ gen sie die dicksten wollenen Strümpfe, die man sich denken kann, und die sie sogar, wie sie mir sagten, schon in Holland zu diesem Behufe gekauft hatten. Der Aufzug lieſs sonderbar genug; sie sahen mit den groſsen Aetnastöcken, von unten auf alle ziemlich aus, wie samogetische Bärenführer. Ich ging in meinem gewöhnlichen Reisezeug mit gewöhnlichen baumwolle¬ nen Strümpfen in meinen festen Stiefeln. Schon hin¬ aufwärts waren einige holländische Strümpfe zerrissen; herabwärts ging es über die Schuhe und die Unter¬ strümpfe. Einige liefen auf den Zehen, die sie na¬ türlich erfroren hatten. Meine Warnung, langsam und fest ohne abzusetzen fortzugehen, hatte nichts ge¬ holfen. Mir fehlte nicht das Geringste. Vorzüglich hatte Einer der jungen Herren die Unvorsichtigkeit ge¬294 habt, sich mit warmem Wasser zu waschen und an das Feuer zu setzen. In einigen Minuten jauchzte er vor Schmerz, wie Homers verwundeter Kriegsgott, und hat den Denkzettel mitgenommen. Vermuthlich wird er in Katanien oder Malta zu kurieren haben. Du kannst sehen, welcher auffallende Kontrast hier in ei¬ ner kleinen Entfernung in der Gegend ist: unten bey Katanien raufte man reifen Flachs und die Gerste stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man Hände und Füſse. Nun ritten wir noch immer mit dem Gewitter durch die Waldregion nach Nikolosi hinab, wo wir eine herrliche Mahlzeit fanden, die der Wirth aus dem goldenen Löwen in Katanien kontrakt¬ mäſsg angeschaft hatte. Wir nahmen Abschied; die Engländer ritten zurück nach Katanien, und ich mei¬ nes Weges hierher nach Taormina.
Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so vielfältigen Schönheiten als um diesen Berg. Seine Höhe kann ich nicht bestimmen. In einem geogra¬ phischen Verzeichniſs wurde er hier beträchtlich höher angegeben, als die höchsten Alpen: das mögen die mathematischen Geographen ausmachen. Der Profes¬ sor Gambino aus Katanien will diesen August mit ei¬ ner Gesellschaft hinauf gehen, um oben noch mehrere Beobachtungen zu machen. Man hat in der Insel das Sprichwort vom Aetna: On le voit toujours le cha¬ peau blanc et la pipe à la bouche. — Der Schnee soll nie ganz schmelzen; das ist in einem so sehr süd¬ lichen Klima viel. Man nennt ihn in Sicilien mei¬ stens, wie bekannt, Monte Gibello: aber man nennt ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von Si¬295 cilien oder geradezu vorzugsweise den Berg. Die letzte Benennung habe ich am häufigsten und zwar auch unten an der südlichen Küste gefunden. Mir scheint es überhaupt, daſs man jetzt anfängt, die alten Namen wieder hervorzusuchen und zu gebrauchen. So habe ich den Fluſs unten nie anders als Simäthus nennen hören.
Bis an das Bergkloster der Benediktiner, ist der Aetna von dieser Seite bebaut, und ziemlich gut be¬ baut; weiter hinauf ist Wald und fast von lauter Ei¬ chen, die jetzt noch alle kahl standen; und nicht weit von der Geiſshöhle oder dem jetzigen Hause von Pa¬ terno, hört die Vegetation auf. Wir fanden von dort an bis zum Gipfel hohen Schnee. Die bebaute Region giebt eine Abwechselung, die man vielleicht selten mehr auf dem Erdboden findet. Unten reifen im lieb¬ lichsten Gemische die meisten Früchte des wärmern Erdstrichs; alle Orangengeschlechter wachsen und blü¬ hen in goldenem Glanze. Weiter hinauf gedeiht die Granate, dann der Oehlbaum, dann die Feige, dann nur der Weinstock und die Kastanie; und dann nur noch die ehrwürdige Eiche. Am Fuſse triffst Du alles dieses zusammen in schönen Gruppen, und zuweilen Palmen dazu.
Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir mein Führer, nur auf Einem Punkte, den alten gro¬ ſsen berühmten Kastanienbaum in der Ferne. Kaum kann ich sagen, daſs ich ihn gesehen habe; ich wollte ihm aber nicht einen Tag aufopfern. Die Nacht muſste ich in einem kleinen elenden Dörfchen blei¬ ben. Der Weg nach Taormina gehört zu den schön¬ sten, besonders einige Millien vor der Stadt. Dieser296 Ort, welcher ehemahls unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabel¬ hafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung durch die Saracenen, so gut als möglich wieder zusammen gesetzt, scheint aber da¬ bey nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten, und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten von den Barbaren gelitten. Das alte Schloſs, welches noch höher als die Stadt liegt, muſs schwer zu neh¬ men seyn. Die heilige Mutter vom Felsen könnte es also ziemlich gut vertheidigen, wenn ihre Kinder ver¬ ständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kom¬ mandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus unten am Fuſse des Berges, welches aber eine starke Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Maulesel¬ treiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirths¬ haus finden können, so wäre ich dem Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wan¬297 derte wieder allein zu Fuſse weiter: denn an der See hinauf, dachte ich, kann ich nun Messina nicht ver¬ fehlen. Ein alter Sergeant von Taormina, der mir dort den Cicerone machte, wollte mir eine Order an den Kommandanten von Sankt Alexis, einen unter ihm stehenden Korporal, mit geben, daſs er mir das Schloſs auf der Felsenspitze zeigen sollte: ich dankte ihm aber mit der Entschuldigung, daſs ich nicht Zeit haben würde. Der Weg hinauf und herab von Taor¬ mina ist etwas halsbrechend, und hat einige schöne, gut bebaute Schluchten. Mein Aufenthalt oben dauerte aus angeführten Ursachen nur zwey kleine Stunden, bis ich das Theater gesehen und Fische und Oliven mit dem Sergeanten gegessen hatte. Der ehrliche alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit durchaus ei¬ nige Millien begleiten, damit ich den Weg nicht ver¬ lieren möchte. Einen gar sonderbaren, langgezogenen, nicht unsonorischen Dialekt haben hier die Leute. Auf die Frage, wie weit ich noch zum nächsten Orte habe, erhielt ich die Antwort: Saruhn incuhra cin¬ quuh migliah; welches jeder ohne Noten verste¬ hen wird.
Diese Nacht blieb ich in einem kleinen Orte, der, glaube ich, Giumarrinese hieſs, und noch acht¬ zehn Millien von Messina entfernt ist. Ein Seebad nach einem ziemlich warmen Tage that mir recht wohl; und die frischen Sardellen gleich aus der See waren nachher ein ganz gutes Gericht. Man thut sich hier darauf etwas zu gute und behauptet mit Recht, daſs man sie in Palermo nicht so schön haben kann. Einige Millien vor Messina fand ich wieder Fuhrgleise,298 welches mir ordentlich eine Wohlthat war; denn seit Agrigent hatte ich keinen Wagen gesehen. In Syra¬ kus kann man nur eine Viertelstunde an der See bis an ein Kloster vor der Stadt fahren: und eine geistli¬ che Sänfte, von Mauleseln getragen, die ich in den Bergschluchten zwischen Lentini und Augusta antraf, war alles was ich einem Fuhrwerk ähnliches gefun¬ den hatte.
In der langen Vorstadt von Messina traf ich einige sehr gut gearbeitete Brunnen, mit pompösen lateini¬ schen Inschriften, worin ein Brunnen mit Recht als eine groſse Wohlthat gepriesen wurde. Nur Schade, daſs sie kein Wasser hatten. Die Hafenseite ist noch eine furchtbare Trümmer, und doch der einzige nahe Spaziergang für die Stadt. Noch der jetzige Anblick zeigt, was das Ganze muſs gewesen seyn; und ich glaube wirklich, die Messinesen haben Recht gehabt, wenn sie sagten: es sey in der Welt nicht so etwas prächtiges mehr gewesen, als ihre Faſsade an dem Ha¬ fen, die sie nur vorzugsweise den Pallast nannten, und ihn noch jetzt in den Trümmern so nennen. Das Schicksal scheint hier eine schreckliche Erinnerung an unsere Ohnmacht gegeben zu haben: Das könnt ihr mit Macht und angestrengtem Fleiſs in Jahrhunder¬ ten; und das kann ich in einem Momente! Die Mo¬ numente stürzten, und die ganze Felsenküste jenseits und diesseits wurde zerrüttet! — Nur die Heiligenni¬ schen an den Enden werden wieder aufgebaut und Bettelmönche hineingesetzt, den geistlichen Tribut ein¬ zutreiben. Aufwärts in der Stadt wird sehr lebhaft und sehr solid wieder aufgebaut. Die Häuser bekom¬ men durchaus nicht mehr als zwey Stockwerke, um bey künftigen Erderschütterungen nicht zu sehr unter ihrer Last zu leiden. Das unterste Stockwerk hat selbst in den furchtbaren Erdbeben überall wenig ge¬ litten.
300Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von denen einige nicht schlecht sind. Ich habe stunden¬ lang vor dem Bilde Philipps des zweyten gestanden, und die Geschichte aus seinem Gesichte gesucht. Mich däucht, er trägt sie darauf; und selbst Schiller scheint seinen Charakter desselben von so einem Kopfe genom¬ men zu haben. Die heilige Jungfrau ist bekanntlich die vorzügliche Patronin der Messinesen, und Du kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf ihren Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erd¬ beben hilft, so wie Agatha in Katanien den Berg nicht zähmt, so müssen freylich die Sünder gestraft werden. Ich hatte so eben Gelegenheit, eine groſse feyerliche Ceremonie ihr zu Ehren zu sehen. Die ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich ansehnlichen Gefolge vom weltlichen Arm hielt das Palmenfest. Mich wundert nicht, daſs die Palmen in Sicilien nicht besser fortkommen und immer seltener werden, wenn man sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plün¬ dert. Alles trug Palmenzweige, und wer keinen von den Bäumen mehr haben konnte, der hatte sich einen schnitzen und färben lassen. Der Aufzug wäre pos¬ sierlich gewesen, wenn er nicht zu ernsthaft gewesen wäre. Ein Mönch predigte sodann in der Kathedral¬ kirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel, und ihrer besondern Gnade gegen die Stadt, und führte dafür Beweise an, wo selbst der ächteste gläubigste Katholik hätte ausrufen mögen: Credat Judaeus apella! Sodann kam der Erzbischof in einem Ungeheuern alten vergol¬ deten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln, stieg301 aus und segnete das Volk und es ging selig nach Hause. Die Kathedrale hat in ihrem Bau nichts merk¬ würdiges als die Säulen, die aus dem alten Neptunus¬ tempel am Pharus sind. Der groſse, prächtige Altar war verhängt; er gilt in ganz Sicilien für ein Wun¬ der der Arbeit und des Reichthums. Man machte mir Hoffnung, daſs ich ihn würde sehen können, und nahm es ziemlich übel, daſs mir die Sache so gleich¬ gültig schien.
Man sagt, die Hafenseite liege deſswegen noch so ganz in Trümmern, weil die Regierung sie durchaus eben so schön nach dem alten Plan aufgebaut wissen wolle, und die Bürger sie nur mit dem übrigen gleich, zwey Stock hoch, aufzuführen gesonnen seyen. Mich däucht, das Ganze, ob ich es gleich von sehr un¬ terrichteten Leuten gehört habe, sey doch nur ein Ge¬ rücht: und wenn es wahr ist, so zeigt es den guten soliden Verstand der Bürger, und die Unkunde und Marotte der Regierung. Die Statue des jetzigen Kö¬ nigs, Ferdinand des vierten, hat man noch 1792 mit¬ ten unter die Trümmern gesetzt. Wenn hier der gute Herr nicht seinen lethargischen Schnupfen verliert, so kann ihm kein Anticyra helfen. Was die Leute bey der Aufstellung der Statue eben hier mögen gedacht haben, ist mir unbegreiflich, da der König weder eine solche Ehre noch eine solche Verspottung verdient. Die Statue war auf alle Fälle hier das letzte, was man aufstellen sollte. In dem Hafen liegen eben jetzt vier englische Fregatten, und es scheint als ob die Britten über die Insel Wache hielten, so bedenklich mag ih¬ nen die Lage derselben vorkommen. Es sind schöne302 herrliche Schiffe, und so oft ich etwas von der engli¬ schen Flotte gesehen habe, habe ich unwillkührlich den übermüthigen Insulanern ihr stolzes Britannia, rule the waves verziehen; eben so wie dem Pariser Didot sein Excudebam, wenn ich die Arbeit selbst be¬ trachtete.
Von der Wasserseite möchte es immer etwas ko¬ sten, Messina anzugreifen: aber zu Lande, von Skaletta her, würde man so ziemlich gleich gegen gleich fech¬ ten, und der Ort würde sich nicht halten. Ich war hier an einen Präpositus in einem Kloster empfohlen, der viel Güte und Freundlichkeit aber ziemlich wenig Sinn für Aufklärung hatte, welches man dem guten Mann in seiner Lage so übel nicht nehmen muſs. Er begleitete mich mit vieler Gefälligkeit überall hin, und wollte mich in dem Kloster logieren; aber ich hatte schon in der Stadt ein ziemlich gutes Wirthshaus. Die Kirche des heiligen Gregorius auf einer ziemlichen An¬ höhe ist reich an Freskogemälden und Marmorarbeit: aber was mir wichtiger ist als dieses, sie giebt von ih¬ rer Faſsade links und rechts die schönste Aussicht über die Stadt und den Meerbusen; und mit einem guten Glase muſs man hier sehen können, was gegen über am Ufer in Italien und in Rhegio auf den Gassen ge¬ schieht. In dem Hause des Herrn Marini, eines Patri¬ ciers der Stadt, steht als neuestes Alterthum ein Stück einer alten Säule mit Inschrift, das vor einiger Zeit gefunden worden ist. Sie hat auf einem Brunnen gestanden, und man behauptet, ihre Inschrift sey grie¬ chisch; aber niemand ist da, der sie erklären könnte. Ob ich gleich leidlich griechisch lese, so konnte ich303 doch nicht einmal heraus bringen, ob es nur griechi¬ chische Lettern waren. Vielleicht ist es altes phönizi¬ sches Griechisch, und in diesem Falle vielleicht eins der ältesten Monumente. Schrift und Marmor haben sehr gelitten, da sie so lange unter der Erde gelegen haben. Das Stück ist, so viel ich weiſs, noch nicht bekannt, und wird sorgfältig aufgehoben. Ich em¬ pfehle es Männern, die gelehrter sind als ich; da es doch vielleicht für irgend einen Punkt der Geschichte nicht unwichtig ist.
Die Herren des Klosters luden mich ein zum Fasttage bey ihnen zu essen. Dieses ist die einzige Mahlzeit, die ich in Italien bey Italiänern genossen ha¬ be; und sie war stattlich. Von den übrigen Herren habe ich viel Höflichkeit erhalten, aber nichts zu es¬ sen. Das ist nun so die italiänische Weise, die ich weder loben noch tadeln will. Das Kloster bestand nur aus wenigen Geistlichen: der Layenbrüder, welche die Bedienten machten, waren mehr. Man gab mir den Ehrenplatz und war sehr artig und ich sollte dank¬ bar seyn: aber erst für Humanität — magis amica ve¬ ritas. Ich habe mir die Gerichte gemerkt, und muſs sie Dir hier nennen, damit Du siehst, wie man an einem sicilischen Klostertische fastet. Zum Eingang kam eine Suppe mit jungen Erbsen und jungem Kohl¬ raby; sodann kamen Makkaronen mit Käse; sodann eine Pastete von Sardellen, Oliven, Kapern und star¬ ken aromatischen Kräutern; ferner ein Kompott von Oliven, Limonen und Gewürz; ferner einige groſse herrliche goldgelbe Fische aus der See, die ich für die beste Art von Börsen hielt; weiter hochgewürzte vor¬304 trefliche Artischocken: das Dessert bestand aus Lattich¬ sallat, den schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Ka¬ stanien und Nüssen: alles, und vorzüglich das Brot, war von der besten Qualität, und schon einzeln quan¬ tum satis superque. Vor allen habe ich die Kastanien nirgends so schön und so delikat gebraten gefunden. Nun frage ich Dich, heiſst das nicht, mit diesen Fasten einem ehrlichen Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde in den Leib jagen? Bey dieser Diät muſs man frey¬ lich orthodoxen Glauben gewinnen, der die Vernunft verachtet. Ich ging hinaus und lief einige Meilen am Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber die Gläubigen blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das nenne ich einen Fasttag; nun denke Dir den Festtag. Meine fuſswandelnde Person war wohl nicht so wich¬ tig, daſs man deſswegen eine Aenderung in der Klo¬ sterregel sollte gemacht haben. Nun führte man mich oben in dem unausgebauten Kloster herum, und zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man da¬ zu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom Himmel zum Heil der Menschheit, die Sottise soll nicht fertig werden. Ob so etwas auf meiner Nase mag gesessen haben, weiſs ich nicht; die Herren zeig¬ ten mir nichts mehr von ihren übrigen Herrlichkei¬ ten. Hier las man mir ein Manuskript von einem Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte der Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch schätzte: aber nach dem zu urtheilen, was davon ge¬ lesen wurde, brauchen wir es nicht zu bedauern, daſs der Schatz im Kloster liegt; die Abhandlung scheint bloſs für Mönche pragmatisch.
305Die Festung zu sehen, muſs man Erla[u][b]niſs ha¬ ben, welches etwas schwer hält. Ich bemühte mich nicht darum, da ich schon so viel aus der Anlage sa¬ he, daſs man mit zwey tausend braven Grenadieren ohne Erlaubniſs hinein gehen könnte. Alles ist nur auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der Hafen hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter, wo ich in Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen habe. Anderwärts, und vorzüglich in Agrigent und Syrakus, war ich mit meinen griechischen Idealen aus dem Theokrit traurig durchgefallen. Der Hafen ist hier und in Palermo die einzige Promenade, und für den Menschen, der Menschen studieren will, gewiſs eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind die Ge¬ stalten vieler Nationen durch einander gruppiert. Schon in der Stadt selbst wohnt eine groſse Verschiedenheit, und der Fremden sind eine Menge. Einen der schön¬ sten Augenblicke hatte ich gestern Abends, bey dem ich als Mensch über die Menschen mich fast der Freu¬ denthränen nicht enthalten konnte. Ein fremdes Schiff kam aus dem mittelländischen Meer die Meer¬ enge herab. Ich weiſs nicht, ob es durch Sturm oder irgend einen andern Unfall gelitten hatte; es war in Gefahr und that Nothschüsse. Du hättest sehen sol¬ len, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast über¬ menschlicher Kraft zwanzig Boote von verschiedenen Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeite¬ ten, um die Leidenden zu retten. Italiäner, Franzo¬ sen, Engländer, Griechen und Türken wetteiferten in dem schönsten Kampfe: sie waren glücklich und20306brachtern alles ohne Verlust in den Hafen. In diesem Momente ärgerte ich mich fast, daſs ich nicht reich war, hier den Rettern ein menschliches Fest zu geben: aber ein zweyter Augenblick gab mir Besinnung; es war so schöner. Das brave bunte Gewimmel war mehr belohnt durch die That; und ich war sehr glück¬ lich, daſs ich sie gesehen hatte. Als ich zurückging, Wurde ich an einer Heiligennische per la santa vergi¬ ne um ein Almosen gebeten; ich sah den Mann for¬ schend an und er fuhr fort: Date nella vostra idea, date pure; sara bene impiegato. Der Mensch verstand wenigstens den Menschen, wenn er ihn auch betrü¬ gen sollte; ich gab.
Hier bin ich wieder von der Runde zurück. Der letzte Zug von Messina hierher war der beschwerlich¬ ste, aber er hat auch viel belohnendes. Die Berge hierher waren mir gar fürchterlich beschrieben wor¬ den; ich miethete mir also einen Maulesel mit seinem Führer und setzte ruhig aus. Beschäftigt mit den al¬ ten Messeniern, der eisernen Tyranney der Spartaner, der muthigen Flucht der braven Männer nach Zankle und allen ihren Schicksalen, Unglücksfällen, Ausartun¬ gen und Erholungen, die Seele voll von diesen Ge¬ danken stieg ich neben meinem Maulesel den Berg herauf und blieb oft stehen, einen Rückblick auf zwey so schöne Länder zugleich zu nehmen. Melazzo auf einer weitausgehenden Landzunge macht von fern ei¬ nen hübschen Anblick, und das Land umher scheint nicht übel gebaut zu seyn. Auch diese Gegend hat viel im letzten Erdbeben gelitten. Unten am Pelor sahe ich zum ersten Mal wieder grüne vaterländische Eichen und die Nachtigallen schlugen wetteifernd aus den Schluchten. Mir ward auf einmal so heimisch wohl dabey, daſs ich hier hätte bleiben mögen. Es geht doch nichts über einen deutschen Eichenwald. Bey Barcellana, wie man den Ort nannte, sah ich das schönste Thal in ganz Sicilien; und andere sind, däucht mich, schon vor mir dieser Meinung gewesen. Es ist ein reitzendes Gemische von Früchten aller Art, Orangen und Oel, Feigen und Wein, Bohnen und Weitzen; und die anschlieſsenden Berge sind nicht zu308 hoch und rauh, sondern ihre Gipfel sind noch mit schöner Waldung bekrönt. In Patti war kein Pferde¬ stall zu finden; wir ritten also von einem Ort zum andern immer weiter am Ufer hin bis Mitternacht. Patti dankt, däucht mich, seinen Ursprung, oder we¬ nigſtens seinen Namen, einem dort geschlossenen Ver¬ gleiche in den punischen Kriegen. Den Ort meines Nachtlagers habe ich vergessen, aber die Art nicht. Die See war furchtbar stürmisch, und es hatte entsetz¬ lich geregnet. Mit vieler Mühe konnten wir noch ei¬ nige Fische und Eyer erhalten. Es hatten sich zwey Fremde zu mir gesellt, die auch von Messina kamen und ins Land ritten. Wein war genug da, aber kein Brot. Man gab mir aus Höflichkeit die beste Schlaf¬ stelle: diese war auf einem steinernen Absatze neben der Krippe; die andern Herren legten sich unten zu den Schweinen. Mein Mauleseltreiber trug zärtliche Sorge für mich und gab mir seine Kaputze: und man begriff überhaupt nicht, wie ich es habe wagen können ohne Kaputze zu reisen. Diese sonderbare Art von schwarzbraunem Mantel mit der spitzigen Kopfdecke ist in ganz Italien und vorzüglich in Sicilien eine Hauptmöbel. Ich hatte ganz Geschmack daran gewonnen; und wenn ich von dieser Nacht urtheilen soll, so habe ich Talent zum Kapuziner, denn ich schlief gut. Den ersten Tag machten wir funfzig Mil¬ lien.
In Sankt Agatha, einem Kloster von einer sehr angenehmen Lage, wollten wir die zweyte Nacht blei¬ ben; und dort scheint kein übles Wirthshaus zu seyn: aber es war noch zu früh und wir ritten mehrere309 Millien weiter bis Aque dolci, wo der schöne Name das beste war, wie vor Agrigent in Fontana fredda. Hier waren Leute, wie die sikanischen Urbewohner der Insel, groſs und stark und rauh und furchtbar. Hier, glaube ich, war ich mit meiner Ketzerey wirklich in einer etwas unangenehmen Lage. Ein Stück von Geistlichen hatte Lunte gerochen und nahm mich sehr in Anspruch, und ich hielt ihn mir nur durch Latein vom Halse, vor dem er sich zu fürchten schien. An¬ derwärts war der Bekehrungseifer gutmüthig und wohl¬ wollend sanft; hier hatte er etwas cyklopisches. Nicht weit von dem Ort ist oben in dem Felsen eine Höhle, in die man mich mit Gewalt führen wollte. Es war aber zu spät und ich hatte auch nicht recht Lust, mit solchen Physionomien allein in den Felsenhöhlen her¬ um zu kriechen. Ich war hier nicht in Adlersberg. Ich muſste hier für ein Bett sechs Karlin bezahlen, und als ich bemerkte, daſs ich für Bett und Zimmer zu¬ sammen in Palermo nur drey bezahlte, sagte mir der Riese von Wirth ganz skoptisch: Freylich; aber dafür sind Sie auch eben jetzt nicht in Palermo und be¬ kommen doch ein Bett. Der Grund war in Sicilien so unrecht nicht.
Wir hatten schon, wie mir mein Führer sagte, mit Gefahr einige Flüsse durchgesetzt. Nun kamen wir an einen, den sie Santa Maria nannten. Es muſste oben fluthend geregnet haben; denn die Waldströme waren fürchterlich angeschwollen. Dieses macht oft den Weg gefährlich, da keine Brücken sind. Einer der Cyklopen, den man füglich für einen Polyphem hätte nehmen können, so riesenhaft war er selbst und310 so groſs und zackig der wilde Stamm, den er als Stock führte, machte die Gefahr noch gröſser. Die Ge¬ sellschaft hatte sich gesammelt; keiner wollte es wa¬ gen zu reiten. Meinem Führer war für sich, und noch mehr für seinen Maulesel bange. Es war nichts. Die Insulaner sind an groſse Flüsse nicht gewöhnt. Man machte viele Kreuze und betete Stoſsgebetchen an alle Heiligen, ehe man den Maulesel einen Fuſs ins Wasser setzen lieſs; und dankte dann vorzüglich der heiligen Maria für die Errettung. An einem sol¬ chen Strome, wo ich allein war, wollte mein Führer, ein Knabe von funfzehn Jahren, durchaus umkehren und liegen bleiben, bis das Wasser von den Bergen abgelaufen wäre. Das hätte mich Piaster gekostet und stand mir nicht an. Ich erklärte ihm rein heraus, ich würde reiten, er möchte machen was er wollte. In der Angst für sein Thier und seine Seele schloſs er sich auf der Kruppe fest an mich an, zitterte und be¬ tete; und ich leitete und schlug und spornte den Maul¬ esel glücklich hinüber. Da haben uns die lieben Hei¬ ligen gerettet, sagte er, als er am andern Ufer wieder Luft schöpfte: und mein Stock und der Maulesel, sagte ich. Der Bursche kreuzigte sich drey Mal, faſste aber doch in Zukunft etwas mehr Muth zu dem mei¬ nigen. Sodann blieben wir in einem einzigen isolier¬ ten Hause vor einem Orte, dessen Namen ich auch wieder vergessen habe. Ich hätte sollen beständig ei¬ nen Nomenklator bey mir haben. Das Donnerwetter hatte mich diesen und den vorigen Tag verfolgt; und es schneyte und graupelte bis über einen Fuſs hoch. Die Waldströme waren wirklich sehr hinderlich und311 vielleicht zuweilen gar gefährlich für Leute, die nicht an das Element gewöhnt sind und nicht Muth haben. Einmal verdankte ich aber dem groſsen Wasser eine schöne Scene. Der Fluſs war, nach der Meinung mei¬ nes Begleiters, unten durchaus nicht zu passieren, und er ritt mit mir an demselben hinauf, wo er eine Brücke wuſste. Der Weg war zwar lang und ich ward etwas ungeduldig; aber ich kam in ein Thal, das ei¬ nen so schönen groſsen Orangenwald hielt, wie ich ihn auf der ganzen Insel noch nicht gesehen hatte. Des Menschen Leidenschaft ist nun einmal seine Lei¬ denschaft. Für einige Kreutzer konnte mein Magen überall haben so viel er nur fassen konnte: aber mei¬ ne Augen wollten auch zehren, und diese brauchten mehr zur Sättigung und lieſsen dann gern alles hän¬ gen und liegen.
Endlich kamen wir in Cefalu an. Für groſse Schiffe ist hier wohl kein Hafen zum Aufenthalt. Der Ort hat vermuthlich den Namen vom Berge, der ei¬ ner der sonderbarsten ist. Wir hatten bisher die lipa¬ rischen Inseln immer rechts gehabt; nun verschwan¬ den sie nach und nach. Von Messina bis Cefalu ist es sehr wild; von hier an fängt die Kultur wieder an etwas besser zu werden. Es kommen nun viel Reiſs¬ felder. Bey Cefalu sah ich eine schöne, lange, hohe, blühende Rosenhecke, deren erste Knospen eben zahl¬ reich aufbrachen. Ich hätte dem Pfleger die Hände küssen mögen; es waren die ersten, die ich in ganz Unteritalien und Sicilien sah. Die Leute sind schänd¬ liche Verräther an der schönen Natur.
In Termini erholte ich mich; hier findet man312 wieder etwas Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Mei¬ ne Wirthin war eine alte freundliche Frau, die alles mögliche that mich zufrieden zu stellen, welches bey mir sehr leicht ist. Sie examinierte mich theilneh¬ mend über alles; nur nicht über meine Religion, ein seltener Fall in Sicilien; stellte mir vor was meine Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben müſste, und rieth mir nach Hause zu eilen; sie hätte auch ei¬ nen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurück er¬ wartete. Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch sehr mütterlich war, so war indessen doch ihre Rechnung etwas stiefmütterlich.
Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung über Vergangenheit und Gegenwart hing und mit meinem Mäoniden in der Hand auf den Himerafluſs hinabschaute, ward unwillkührlich eine Elegie in mei¬ ner Seele lebendig. Es war mir, als ob ich die Göt¬ tin der Insel mit noch mehr Schmerz als über ihre geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und ich ge¬ be Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele in die meinige herüber hallte.
Von Termini aus kann der König wieder fahren. Indessen hätte der Minister, der den Weg gebaut hat, ihn mit weniger Kosten vermuthlich besser und dauer¬ hafter machen können. Die Wasserableitung ist nicht sonderlich beachtet. In der Bagaria sah ich von aus¬ sen noch einige sublime Grotesken des sublim grotes¬ ken Fürsten von Palagonia, die nun nach seinem To¬ de nach und nach alle weggeschafft werden. Ich hatte weder Zeit noch Lust das innere Heiligthum der Un¬ geheuer zu sehen. Wenn indessen seine drollige Durchlaucht nur etwas zur Verschönerung der Gegend umher beygetragen hat, so will ich ihm die Miſshand¬ lung der Mythologie, der ich übrigens selbst nicht auſserordentlich hold bin, sehr gern verzeihen. Die ganze Gegend um die Stadt, vorzüglich nach Palermo zu, ist die bebauteste und ordentlichste, die man in Sicilien sehen kann, wenn es gleich keine der schön¬ sten und reichsten ist.
Mir war es wirklich nicht wohl, als ich wieder in die Nachbarschaft von Palermo kam, wo ich mich nun schon als etwas heimisch betrachtete. Mein Ein¬ zug in die Residenz war, als ob ich ihn noch bey dem316 hochseligen Fürsten von Palagonia bestellt hätte. Es holte uns eine Sänfte irgend eines Bischofs, vermuth¬ lich des Bischofs von Cefalu, ein. Sie war überall mit Schellen behangen und wurde nach der Gewohnheit von zweyen der stärksten Maulesel getragen, die von einigen reitenden Bedienten geführt wurden. Die Sänfte war ziemlich geräumig und mochte bequem Platz haben für den Bischof und seine Nichte; denn ich ha¬ be es in Sicilien durchaus gemerkt, daſs die vorneh¬ men Geistlichen viel auf Nichten halten. Ein alter dicker satirischer Eseltreiber setzte sich gravitätisch hin¬ ein, fing an barock daraus zu diakonieren und mit groſsen Grimassen den Segen zu spenden. Die Schel¬ len klangen, er nickte und schnitt ein Bocksgesicht und die Karavane lachte über die Posse, bis die Nähe der Stadt der Profanation ein Ende machte. Nun zog die ganze originelle Kavalkade hinter mir mit Schel¬ lengeläute in Palermo zum Seethor ein. In Leipzig hätte ich damit ein Schauspiel für ein Quartier der Stadt machen können; in Palermo lachten bloſs zwey Visitatoren.
Mein alter Wirth hier schickte mich zu einem neuen, seinem Freunde, weil sein Haus voll war. Ich war hier eben so gut wie dort und noch etwas billiger; und hatte überdieſs die Aussicht auf den Ha¬ fen. Nun habe ich wieder meinen Reisegefährten von Seehund, welcher den Maro mit einigen andern Ka¬ meraden hält. Die Zeit wird mir aber so wenig lang, daſs ich nur selten die alten Knaster aus dem Felle nehme.
Vor einigen Tagen war hier Osterjahrmarkt am Hafen, auf welchen die Palermitaner etwas zu halten scheinen, wo aber auſser einigen Quinquaillerien, nicht viel zu haben ist. Man hat wenigstens dabey die Gelegenheit, fast die ganze galante Welt von Pa¬ lermo spazieren gehen und fahren zu sehen. Es sind hier mehr schöne Wagen als in Messina, oh dort gleich im Allgemeinen mehr Wohlstand zu herrschen scheint. Es herrscht hier, wie fast an allen Höfen, Verschwendung und Armuth. In Messina ist man in Gefahr von den Wagen etwas gerädert zu werden; aber hier hat man für die Fuſsgänger am Strande ei¬ gene Wege gemacht, die für schön gelten. Du magst Herrn Hager lesen; ich kann Dir nicht alles erzählen. Noch einmahl habe ich die Promenade auf den Monte Pellegrino gemacht, als ob ich auch ein heiliger Pil¬ ger wäre. Mich lockte bloſs die Aussicht, wie wohl auch manchen andern Pilger bloſs irgend eine Aus¬ sicht locken mag. Das Wetter war mir wieder nicht318 günstig; ich lieſs mich indessen nicht abhalten, und stieg bis ziemlich auf den höchsten Gipfel des Felsen¬ bergs hinauf. Wo das Kloster steht ist ein Absatz von etwas fruchtbarem Erdreich, das noch sehr gutes Ge¬ treide hält. Ich ging hinaus bis an die äuſserste Spi¬ tze, wo eine Kapelle der heiligen Rosalia stehet mit ihrem Bilde, das füglich etwas besser seyn sollte. Die Fremden aller Länder hatten sich hier verewigt und mir wenig Platz gelassen. Alles war voll, und Stirn und Wange und Busen des heiligen Rosenmädchens waren beschrieben; es blieb mir nichts übrig als ihr meinen Namen auf die Nasenspitze zu setzen. Viel¬ leicht dachte jeder durch die Aufsetzung seines Na¬ mens das Gemälde zu verbessern; die Nasenspitze ist wenigstens durch den meinigen nicht verdorben worden: und dieses ist das einzige Mal, daſs ich auf der ganzen Wandlung meinen Namen geschrieben ha¬ be, wenn mich nicht die Polizey dazu nöthigte.
Zwischen diesem isolierten Felsen und der höhe¬ ren Bergkette liegt ein herrliches kleines Thal, das sich von der Stadt immer enger bis an die See vor¬ zieht. Es ist reichlich gesegnet und der Fleiſs könnte noch mehr gewinnen. Hier muſs nach der Topogra¬ phie das Städchen Hykkara gelegen haben, aus wel¬ chem Micias die schöne Lais holte und nach Griechen¬ land brachte. Weiter hinaus suchte ich mit meinen Hofmannischen Augen den Eryx bey Trapani, und knüpfte in vielen schnellen Uebergängen Wieland, Aristipp, und die erycinische Göttin zusammen. Weiſs der Himmel wie ich in diesem Thema auf den Hudi¬ bras kam; die Ideenverbindung mag wohl etwas319 schnell und gesetzlos gewesen seyn, und ich halte es nicht für wichtig genug sie wieder aufzusuchen. Ich guckte hin nach Trapani und sang oder murmelte nach einer beliebten Melodie aus Mozarts Zauberflöte die schönen harmonischen Verse von Butler, die ich immer für ein Meisterstück der Knittelrhythmik gehal¬ ten habe. Sie paſsten vortreflich zur Melodie des Vo¬ gelfängers. Also ich brummte:
Ich hatte in meinem musikalischen Enthusiasmus nicht auf den Weg Achtung gegeben; und kaum hatte ich die letzte Zeile gesungen und wollte die erste wie¬ der anfangen, so fiel ich auf die Nase, welches mir selbst auf dem Aetna nicht begegnet war, wo doch die Landsleute Butlers in ihren Strümpfen alle sehr oft zu Falle kamen. Hatte vielleicht die Göttin von Amathunt und vom Eryx die Profanation rächen wol¬ len; die Nase blutete mir. Besser die Nase, als das Herz, dachte ich. Auch dieses war mir wohl ehe¬ mals etwas enge gewesen; jetzt war ihm längst wieder leicht. Ich hatte aus Gewohnheit noch ein kleines niedliches Madonnenbildchen an einer seidenen Schnur am Halse hangen, das mir oft das Prädikat der Ka¬ tholicität erworben hatte. Das Original hatte mich320 königlich betrogen. Jetzt nahm ich es unwillkührlich von der linken Seite, nach welcher sich das Idolchen immer neigte, schloſs unwillkührlich das Glas auf, nahm das elfenbeinerne Täfelchen heraus und er¬ schrak, als ich es heftig unwillkührlich in zehen Stü¬ cke zersplittert zwischen dem Daumen hielt. War das lauter Rache Rosaliens und der vom Eryx? Mögen sie sich an niemand bitterer rächen! Ich hielt die Trümmerchen in der Hand; Freund Schnorr mag ver¬ zeihen: er hatte mit Liebe an dem Bildchen gepinselt. Einige Minuten hielt mich Phantasus noch mit Weh¬ muth am Original; ich saſs auf einem Felsenstücke des Erkta und sah es im Geist an der Spree im gol¬ denen Wagen rollen. Rolle zu; und so flogen die Stücke mit der goldenen Einfassung den Abgrund hin¬ unter. Ehemals wäre ich dem Bildchen nachgesprun¬ gen; noch jetzt dem Original. Aber ich stieg nun ru¬ hig den Schneckengang nach der Königsstadt hinab; die röthlichen Wölkchen vom Aetna her flockten lieb¬ lich mir vor den Augen. Ich vergaſs das Gemälde; möge es dem Original wohl gehen!
Ich hatte mich bis tief in die Nacht verspätet, und wurde zu Hause gräſslich bewillkommt. Aber da muſs ich Dir noch mehreres erzählen, ehe Du dieses gehörig verstehest. Du erinnerst dich des guten Steuer¬ revisors, der sich in Agrigent meiner so freundschaft¬ lich annahm, daſs er fast die Menschheit streitig machte. Kaum hatte ich in meinem Wirthshause die erste Nacht ausgeschlafen, als mein Steuerrevisor zu mir herein trat. Das that mir nun recht wohl; denn wer freut sich nicht, daſs sich jemand um ihn beküm¬321 mert? Er erzählte mir, er sey meinetwegen in gro¬ ſsem Schrecken gewesen, als der Eseltreiber zurück gekommen, habe geglaubt, ich werde nun sicher um¬ kommen, da ich allein ohne Waffen in der Insel her¬ um laufe. Der Mauleseltreiberjunge, mein Begleiter, sagte er mir zum Trost, sey völlig von der Paste wie¬ der genesen, und er habe die zwey Unzen bis auf den Abzug einiger Kleinigkeiten ihm wieder herausgeben müssen. Gut, dachte ich; also wieder zwey Unzen ge¬ rettet; ich kann sie brauchen. Sogleich nach seiner Ankunft in Palermo habe er sich nach meinem Wirths¬ hause erkundigt und es bald erfahren. Nun sey er seit acht Tagen täglich da gewesen, um nachzufragen, Heute früh habe er meine Ankunft erfahren und sey sogleich hierher zu mir geeilt. Nun lud er mich ein zu ihm in sein Haus zu ziehen. Das war mir nun nicht ganz recht; denn ich wäre lieber geblieben wo ich war. Indessen der Mann bat so freundlich, war so besorgt gewesen; ich packte also ein, und lieſs hin¬ tragen. Er wohnte vor dem Thore nach Montreale. Wir aſsen, und seine Frau, eine heiſse zelotische nicht unfeine Sicilianerin, fing nun meine Bekehrung an. Das Examen ging über Tische und zum Dessert von Artikel zu Artikel, von dem Papste und den Mönchen bis auf die unbefleckte Empfängniſs. Das letzte war das Allerheiligste, von dem ich nichts wuſste. Die gute Frau hätte, wie es schien, lieber ihre eigene Keuschheit in Gefahr gesetzt, als das geringste von der Jungferschaft Mariens aufgegeben. Man sprach mit aller Wärme und Salbung, mich zu überzeugen; aber vergebens. Man fing nun an mir Aussichten zu eröff¬21322nen: ja, lieber Gott, wenn ich ein anderer Kerl wä¬ re, als ich bin, könnte ich im Vaterlande Aussichten haben, wo man sie doch am liebsten hat. Don Juan ‚ fate vi cristiano, et state qui in Sicilia. — Ma lo so¬ no. — Ma non siete cattoliso. — Ma sono bene co¬ si; non si puo meglio. Die Frau aſs im Eifer Bonbon und trank Wein und ward heftig, und da ich denn trocken halsstarrig fort blieb, rief sie in heiliger Wuth aus, indem sie den Teller von sich stieſs: Ma vol altri voi siete tutti baroni f-t-ti. Ueber diese Nai¬ vetät erschrak ich, und wäre jetzt für zwey Unzen gern zurück in mein Wirthshaus gewesen. Nach Ti¬ sche ging ich zu Rosalien, wie ich Dir erzählte. Ich glaubte das Haus meines neuen Wirths recht gut ge¬ merkt zu haben und irrte mich doch; ich kam in ein unrechtes. Nun wollte ich eben fragen, wo hier Don Filippo wohne, als ein Kerl ladro, briccone, furfante heraus schrie und wüthend mit dem Messer auf mich zu stürzte. Ich hob so schnell ich konnte die Eisen¬ zwinge meines Knotenstocks, flüchtete eben so schnell zum Hause hinaus und eilte die finstere Gasse hinun¬ ter. Die Nachbarschaft gerieth in Lärm: eine schöne Nachbarschaft, dachte ich, und ging in mein altes Gasthaus. Dort war ich sehr willkommen. Ich hatte mich eben zu Bette gelegt, als der Herr Steuerrevisor kam und mich aufsuchte. Er war meinetwegen in Todesangst. Ich erzählte ihm mein Abenteuer und sagte, daſs ich in einer solchen Nachbarschaft nicht wohnen möchte; er lieſs aber nicht nach bis ich ihm versprach, morgen wieder zu ihm zu kommen, denn diesen Abend war ich nicht wieder aus dem Bette zu323 bringen. Den andern Morgen war er wieder sehr früh da und holte mich ab. Nun lebten wir leidlich ordentlich einige Tage, das Vorgefallene wurde be¬ dauert und meine Ketzerey weiter nicht mehr als nur im Allgemeinen in Anspruch genommen. Aber wenn wir zuweilen zusammen ausgingen, welches der Herr sehr gut zu veranstalten wuſste, hatte er immer etwas zu kaufen und kein Geld bey sich: ich war also ziem¬ lich stark in Auslage und bezahlte jede Mahlzeit da¬ durch sehr theuer. Ich muſste Geld haben von dem Kaufmann, und er erbot sich sogar meine Geschäfte bey ihm zu machen, da ich doch der Sprache nicht recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bey aller meiner indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu sehr gewitziget, dankte und verbat seine Mühwaltung, und holte meine Barschaft nicht eher als bis ich ab¬ reisen wollte. Er half mir zuletzt noch manches be¬ sorgen, und da er sich meinetwegen bey Nacht etwas enrhümiert hatte, muſste ich bey dem schlechten Wet¬ ter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen. Hier erzählte mir der Mann sehr naiv etwas näher seine Amtsbeschäftigungen. Wir müssen, sagte er, in der Insel herum reisen, die rückständigen Steuern einzu¬ treiben, und im Namen des Königes den Leuten Klei¬ der, Betten und das übrige Hausgeräthe wegzunehmen, wenn sie nicht zahlen können. Es packte mich bey diesen trockenen Worten eine Kälte, daſs ich im Wa¬ gen meine Reisejacke dichter anzog und unwillkühr¬ lich nach meinem Halstuche griff. Die zwey Unzen wurden vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie gleich nun lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte,324 der so groſsen unglücklichen Appetit an der Paste hat¬ te. Ueberdieſs war ich mit vielem in Auslage, und es war mir sehr lieb, als der Kapitän an Bord rufen lieſs. Er begleitete mich bis ans Wasser im Wagen mit sei¬ nen kleinen Mädchen, die in der That allerliebst niedliche Geschöpfchen waren. Beym Abschied in meiner Kajüte bat er sich noch eine Unze zum Ge¬ schenk für diese aus: ich ungalanter Kerl zog mürrisch die Börse und gab ihm schweigend das Goldstück hin. Er hatte mir es sehr verübelt, daſs ich mir auf dem Paketboote ein Zimmer für mich genommen und mich an die Tafel des Kapitäns verdungen hatte. Das war nach seiner Meinung Verschwendung, und ich hätte für das Viertel der Summe mich unter die Takelage des Raums sollen werfen lassen. Ein erbaulicher Wirth, der Herr Steuerrevisor! Der Wind blieb wi¬ drig, wir fuhren nicht ab, und ich zog lieber wieder hinaus ins Wirthshaus: gleich suchte er mich wieder auf und wollte mich wieder zu sich haben. Der Mensch ward endlich unerträglich zudringlich und weg¬ geworfen unverschämt, und ich muſste noch bey eini¬ gen Parthien für ihn bezahlen. Um mich aber endlich recht bestimmt, nach der schicklichsten Weise für ihn, zu benehmen, aſs ich in der Auberge unbefangen mit groſsem Appetit ein Gericht nach dem andern, ohne ihn einzuladen oder für ihn zu bestellen. Nun wünschte er mir gute Reise, und ich sah ihn nicht wieder, den Herrn Steuerrevisor Don Filippo — — seinen Geschlechtsnamen will ich vergessen. Sterzin¬ ger, mit dem ich nachher noch sprach, kannte ihn und lachte. Er hatte in der Welt mehrere gelehrte325 und merkantilische Metamorphosen gemacht, bis er zu seiner jetzigen Würde gedieh. Der Himmel lasse ihm meine Unzen zur Besserung bekommen!
Das Gebäude des botanischen Gartens hinter der Flora am Hafen ist nun fertig. Der Franzose Julieu hat es gezeichnet und ein Palermitaner es nach dem Riſs aufgeführt. Die Sicilianer sind mit der Ausfüh¬ rung aber nicht mit der Idee zufrieden. Wo man rechts und links, auf der Insel und dem festen Lan¬ de, noch so viele schöne Monumente griechischer Kunst hat, ist man freylich etwas schwierig. Die Säu¬ len sind nicht rein und oben und unten verziert. Der Saal ist nach der Anlage des Linneischen in Schwe¬ den, und vielleicht einer der prächtigsten dieser Art. Rund umher stehen die Büsten der groſsen Männer des Fachs in Nischen, von Theophrast bis zu Büffon. Dem Zeichner des Gebäudes hat man die Ehre ange¬ than, sein Gesicht unter einem andern alten Namen mit darunter zu setzen; eine eigene sonderbare Art von Belohnung.
Der alte Cassero oder Carso, in allen italiänischen Städten von Bedeutung die Hauptstraſse, hat jetzt sei¬ nen Namen verändert und heiſst Toledo nach der Hauptstraſse von Neapel; vermuthlich dem anwesen¬ den Hofe eine Schmeicheley zu machen. Uebrigens muſs der Hof eben nicht auſserordentlich geliebt seyn; denn ich habe oft gehört, daſs man nie so schlechtes Wetter auf der Insel gehabt habe, als die vier Jahre, so lange der Hof hier sey.
Die Polizey scheint hier nicht sehr genau zu seyn, oder berechnet Dinge nicht, die es doch wohl326 verdienten. Vor einigen Tagen führte man auf einer breiten Gasse öffentlich ein Banditendrama auf. Es war sogar Militärwache dabey um Ordnung zu halten, und die ganze Gasse war gedrängt voll Zuschauer. Die Schauspieler arbeiteten gräſslich schön, und der Held hätte dem Handwerk Ehre gemacht. Freylich wird er mit poetischer Gerechtigkeit wohl im Stücke seine Strafe erhalten; aber dergleichen Scenen, wo noch so viel natürliche heroische Kraft und Dekla¬ mation ist, sind zu blendend, um in Unteritalien auf öffentlichen Plätzen unter dem gröſsten Zulauf gegeben zu werden. Man zahlt nichts; jeder tritt hin und schaut und nimmt was und wie viel er will. Haben doch sogar Schillers Räuber einmal Unfug bey uns an¬ gerichtet. Auf diese Weise arbeitet man dem sieden¬ den Blute nicht wenig entgegen. Auch ist das Messer noch eben so sehr im Gebrauch und vielleicht noch mehr, als vor zwanzig Jahren. Ich hatte vor einigen Tagen ein Schauspiel davon. Ich ging den Morgen aus; ein Kerl schoſs blutig an mir vorbey, und ein anderer mit dem Dolche hinter ihm her. Es sam¬ melte sich Volk, und in einigen Minuten war einer erstochen, und der Mörder verwundet entlaufen. Die Wache, welche nicht weit davon stand, that als ob sie dabey gar nichts zu thun hätte. Dergleichen Auf¬ tritte gelten dort für eine gewöhnliche Festtagstrakas¬ serie. Sie haben einen erschlagen, klingt in Sicilien und Unteritalien nicht härter als bey uns, wenn man sagt, es ist einer berauscht in den Graben gefallen. Nur gegen die Fremden scheinen sie, aus einer alten religiösen Sitte, noch einige Ehrfurcht zu haben. Sie327 erstechen sich unter einander bey der geringsten Ver¬ anlassung, hörte ich einen kundigen wahrhaften Mann urtheilen; aber ein Fremder ist heilig. Ich möchte mich freylich nicht zu sehr auf meine