Voriges Jahr machte ich den Gang, den ich hier erzähle; und ich thue das, weil einige Männer von Beurtheilung glaubten, es werde vielleicht Vielen nicht unangenehm, und Man¬ chen sogar nützlich seyn. Vielleicht waren diese Männer der Meinung, ich würde es anders und besser machen: darüber kann ich, in der Sa¬ che, nur an meine eigene individuelle Ueber¬ zeugung appelliren; so gern ich auch eingeste¬ hen will, daſs sie hier und da Recht haben mögen, was die Form betrifft.
Ich hoffe, Du bist mein Freund oder wirst es werden; und ist nicht das eine und wird nicht das andere, so bin ich so eigensinnig zu glauben, daſs die Schuld nicht an mir liegt. Vielleicht erfährst Du hier wenig oder nichts neues. Die Vernünftigen wissen das alles längst. IVAber es wird doch meistens entweder gar nicht oder nur sehr leise gesagt: und mich däucht es ist doch nothwendig, daſs es nun nach und nach auch laut und fest und deutlich gesagt werde, wenn wir nicht in Ewigkeit Milch trin¬ ken wollen. Bey dieser Kindernahrung möchte man uns gar zu gern beständig erhalten. Ohne starke Speise wird aber kein Mann im Einzel¬ nen, werden keine Männer im Allgemeinen: das hält im Moralischen wie im Physischen. Es thut mir leid, wenn ich in den Ton der Anmaſslichkeit gefallen seyn sollte. Aber es ist schwer, es ist sogar ohne Verrath der Sa¬ che unmöglich, bey gewissen Gegenständen die schöne Bescheidenheit zu halten. Ich überlasse das Gesagte der Prüfung und seiner Wirkung, und bin zufrieden, daſs ich das Wahre und Gute wollte.
Es ist eine sehr alte Bemerkung, daſs fast jeder Schriftsteller in seinen Büchern nur sein Ich schreibt. Das kann nicht anders seyn und soll wohl nicht anders seyn; wenn sich nur je¬ der vorher in gutes Licht und reine Stimmung setzt. Ich bin mir bewuſst, daſs ich lieber das Gute sehe und mich darüber freue, als dasV Böse finde und darüber zürne: aber die Freude bleibt still, und der Zorn wird laut.
In Romanen hat man uns nun lange ge¬ nug alte nicht mehr geläugnete Wahrheiten dichterisch eingekleidet, dargestellt und tausend mal wiederholt. Ich tadle dieses nicht; es ist der Anfang: aber immer nur Milchspeise der Kinder. Wir sollten doch endlich auch Män¬ ner werden und beginnen die Sachen ernsthaft geschichtsmäſsig zu nehmen, ohne Vorurtheil und Groll, ohne Leidenschaft und Selbstsucht. Oerter, Personen, Namen, Umstände sollten immer bey den Thatsachen als Belege seyn, damit alles so viel als[möglich] aktenmäſsig würde. Die Geschichte ist am Ende doch ganz allein das Magazin unsers Guten und Schlim¬ men.
Die Sache hat allerdings ihre Schwierig¬ keit. Wagt man sich an ein altes Vorurtheil des Kultus, so ist man noch jetzt ein Gottlo¬ ser; sondirt man etwas näher ein politisches und spricht über Malversationen, so wird man stracks unter die unruhigen Köpfe gesetzt: und beydes weiſs man sodann sehr leicht mit Böse¬ wicht synonym zu machen. Wer den StempelVI hat schlägt die Münze. Wer für sich noch et¬ was hofft oder fürchtet, darf die Fühlhörner nicht aus seiner Schale hervorbringen. Man sollte nie sagen, die Fürsten oder ihre Minister sind schlecht, wie man es so oft hört und liest; sondern, hier handelt dieser Fürst un¬ gerecht, widersprechend, grausam; und hier handelt dieser Minister als isolirter Plusma¬ cher und Volkspeiniger. Dergleichen Persona¬ litäten sind nothwendige heilsame Wagstücke für die Menschheit, und wenn sie von allen Regierungen als Pasquille gebrandmarkt wür¬ den. Das Ganze besteht nur aus Personalitäten, guten und schlechten. Die Sklaven haben Ty¬ rannen gemacht, der Blödsinn und Eigennutz haben die Privilegien erschaffen, und Schwach¬ heit und Leidenschaft verewigen beydes. So¬ bald die Könige den Muth haben werden sich zur allgemeinen Gerechtigkeit zu erheben, wer¬ den sie ihre eigene Sicherheit gründen und das Glück ihrer Völker durch Freyheit noth¬ wendig machen. Aber dazu gehört mehr als Schlachten gewinnen. Bis dahin wird und muſs es jedem rechtschaffenen Manne von Sinn und Entschlossenheit erlaubt seyn zu glauben undVII zu sagen, daſs alter Sauerteig alter Sauerteig sey.
Man findet es vielleicht sonderbar, daſs ein Mann, der zwey mal gegen die Freyheit zu Felde zog, einen solchen Ton führt. Die Ent¬ räthselung wäre nicht schwer. Das Schicksal hat mich gestoſsen. Ich bin nicht hartnäckig genug, meine eigene Meinung stürmisch gegen Millionen durchsetzen zu wollen: aber ich ha¬ be Selbstständigkeit genug, sie vor Millionen und ihren Ersten und Letzten nicht zu ver¬ läugnen.
Einige Männer, deren Namen die Nation mit Achtung nennt, haben mich aufgefodert et¬ was öffentlich über mein Leben und meine successive Bildung zu sagen: ich kann mich aber nicht dazu entschlieſsen. In meiner Ju¬ gend war es der Kampf eines jungen Menschen mit seinen Umständen und seinen Inkonsequen¬ zen; als ich Mann ward, waren meine Ver¬ flechtungen zuweilen so sonderbarer Art, daſs ich nicht immer ihre Erinnerung mit Vergnü¬ gen zurückrufe. Wer sagt gern, ich war ein Thor, um durch sein Beyspiel einige längst be¬ kannte Wahrheiten eindringlicher zu machen? VIIIAls ich als ein junger Mensch von achtzehn Jahren als theologischer Pflegling von der Aka¬ demie in die Welt hinein lief, fand man bey Untersuchung, daſs ich keinen Schulfreund er¬ stochen, kein Mädchen in den Klagestand ge¬ setzt und keine Schulden hinterlassen, daſs ich sogar die wenigen Thaler Schulden den Tag vor der Verschwindung noch bezahlt hatte; und man konnte nun den Grund der Entfer¬ nung durchaus nicht entdecken und hielt mich für melancholisch verirrt, und lieſs mich sogar in dieser Voraussetzung so schonend als mög¬ lich zur Nachsuchung in öffentliche Blätter sez¬ zen. Daſs ein Student den Tag vorher ehe er durchgeht, seine Schulden bezahlt, schien ein starker Beweis des Wahnsinns. Ich überlasse den Philantropen die Betrachtung über diesen Schluſs, der eine sehr schlimme Meinung von der Sittlichkeit unserer Jugend verräth. Dem Psychologen wird das Räthsel erklärt seyn, wenn ich ihm sage, daſs die Gesinnungen, die ich seitdem hier und da und vorzüglich in fol¬ gender Erzählung geäuſsert habe, schon damals alle lebendig in meiner Seele lagen, als ich mit neun Thalern und dem Tacitus in der Ta¬IX sche auf und davon ging. Was sollte ein Dorf¬ pfarrer mit diesen Gährungen? Bey einem Kos¬ mopoliten können sie auf einem festen Grunde von Moralität wohl noch etwas Gutes wirken. Der Sturm wird bey mir nie so hoch, daſs er mich von der Base, auf welcher ich als ver¬ nünftiger rechtlicher Mann stehen muſs, her¬ unterwürfe. Meine meisten Schicksale lagen in den Verhältnissen meines Lebens; und der letzte Gang nach Sicilien war vielleicht der erste ganz freye Entschluſs von einiger Bedeutung.
Man hat mich getadelt, daſs ich unstet und flüchtig sey: man that mir Unrecht. Die Umstände trieben mich, und es hielt mich keine höhere Pflicht. Daſs ich einige Jahre über dem Druck von Klopstocks Oden und Messia¬ de saſs, ist wohl nicht eines Flüchtlings Sache. Man wirft mir vor, daſs ich kein Amt suche. Zu vielen Aemtern fühle ich mich untauglich; und es gehört zu meinen Grundsätzen, die sich nicht auf lächerlichen Stolz gründen, daſs ich glaube, der Staat müsse Männer suchen für seine Aemter. Es ist mir also lieb, daſs ich Ursache habe zu denken, es müssen in meinem Vaterlande dreyſsig tausend Geschicktere undX Bessere seyn als ich. Wäre ich Minister, ich würde höchst wahrscheinlich selten einem Man¬ ne ein Amt geben, der es suchte. Das wer¬ den Viele für Grille halten; ich nicht. Wenn ich Isolierter nicht strenge nach meinen Grund¬ sätzen handeln will, wer soll es sonst?
Man hat es gemiſsbilligt, daſs ich den Rus¬ sischen Dienst verlassen habe. Ich kam durch Zufall hin, und durch Zufall weg. Ich bin schlecht belohnt worden; das ist wahrschein¬ lich auch Zufall: und ich bin noch zu gesund an Leib und Seele, um mir darüber eine Sup¬ pe verderben zu lassen, In der wichtigsten Periode, der Krise mit Polen, habe ich in Grod¬ no und Warschau die deutsche und französi¬ sche diplomatische Korrespondanz zwischen dem General Igelström, Pototzky, Möllendorf und den andern preuſsischen und russischen Gene¬ ralen besorgt, weil eben kein anderer Offizier im Hauptquartier war, der so viel mit der Fe¬ der arbeiten konnte. — Sie sind noch nicht verpflichtet, sagte Igelström zu mir, als er mir den ersten Brief von Möllendorf gab, Sie ha¬ ben noch nicht geschworen. Der ehrliche Mann, antwortete ich, kennt und thut seineXI Pflicht ohne Eid, und der Schurke wird da¬ durch nicht gehalten. — Man hat alten Staabs¬ offizieren Dinge von groſser Bedeutung abge¬ nommen und sie mir übergeben, als Möllen¬ dorf noch die Piliza zur Gränze forderte, und als man nachher russisch die Dietinen in Polen nach ganz eigenen Regeln ordnete und leitete. Igelström, Friesel und ich waren einige Zeit die Einzigen, die von dem ganzen Plane unter¬ richtet waren. Ich habe gearbeitet Tag und Nacht, bis zur letzten Stunde als der erste Ka¬ nonenschuſs unter meinem Fenster fiel: und mich däucht, daſs ich dann auch als Soldat meine Schuldigkeit nicht versäumte, wenn ich gleich während des langen Feuers kartätschen¬ sicher zuweilen in einer Mauernische neben den Grenadieren saſs und in meinem Taschen¬ homer blätterte. Zu den russischen Arbeiten hatte der General Dutzende; zu den deutschen und französischen, die der Lage der Sachen nach nicht unwichtig seyn konnten, niemand als mich: das wird Igelström selbst, Apraxin, Pistor, Bauer und andere bezeugen. Als der Franzose Sion ankam, waren die wichtigsten Geschäfte schon gethan. Dafür wurde mirXII denn dann und wann ein Geiger vorgezogen, der einem der Subows etwas vorgespielt hatte. Das ist auch wohl anderwärts nicht ungewöhn¬ lich. Ich hatte das Schicksal gefangen zu wer¬ den. Der General Igelström schickte mich nach Beendigung der ganzen Geschichte mit ei¬ nem schwer verwundeten jungen Manne, der mein Freund und dessen Vater der seinige war, nach Italien, damit der Kranke dort die Bäder in Pisa brauchen sollte. Wir konnten nicht hin, weil die Franzosen alles besetzt hatten. Die Kaiserin starb; ich konnte unmöglich an dem Tage zurück auf meinem Posten seyn, den Paul in seiner Ukase bestimmt hatte, und wurde aus wenig Dienst geschlossen. Man hat in Ruſsland wenig schöne Humanität bey dem Anblick auf das flache Land. Schon vorher hen, ich halb entschlossen nicht zurückzuge¬ hen, und war es nun ganz. Der Kaiser gab mir auf meine sehr freymüthige Vorstellung an ihn selbst, da ich durchaus keinen Dienst¬ fehler gemacht hatte, endlich der förmlichen ehrenvollen Abschied, den mir der General Pahlen zuschickte. Es ist sonst GewohnheitXIII in Ruſsland, Offizieren, die einige Dienste ge¬ leistet haben, ihren Gehalt zu lassen; ich er¬ hielt nichts. Das war vielleicht so Geist der Periode, und es würde Schwachheit von mir seyn mich darüber zu ärgern. Wenn ich jetzt etwas in Anregung bringen wollte, würde man die Sache für längst antiquirt halten und der Sinn des Resultats würde heiſsen: Wir Lö¬ wen haben gejagt. — Ich will mir den Nach¬ satz ersparen. Wenn ich nicht einige Kennt¬ nisse, etwas Lebensphilosophie und viel Genüg¬ samkeit hätte, könnte ich den Rock des Kaisers um ein Stückchen Brot im deutschen Vater¬ lande umher tragen.
Ich habe mich in meinem Leben nie er¬ niedriget, um etwas zu bitten das ich nicht verdient hatte; und ich will auch nicht ein¬ mal immer bitten, was ich verdiente. Es sind in der Welt viele Mittel ehrlich zu le¬ ben: und wenn keines mehr ist, finden sich doch einige, nicht mehr zu leben. Wer nach reiner Ueberzeugung seine Pflicht gethan hat, darf sich am Ende, wenn ihn die Kräfte verlassen, nicht schämen abzutreten. XIVAuf Billigung der Menschen muſs man nicht rechnen. Sie errichten heute Ehrensäulen und brauchen morgen den Ostracismus für den nehmlichen Mann und für die nehmliche That.
Wenn ich vielleicht noch vierzig Jahre gelebt habe und dann nichts mehr zu thun finde, kann es wohl noch eine kleine Aus¬ flucht werden, die Winkel meines Gedächt¬ nisses aufzustäuben, und meine Geschichte zur Epanorthose der Jüngern hervor zu suchen. Jetzt will ich leben, und gut und ruhig le¬ ben, so gut und ruhig man ohne einen Pfen¬ nig Vorrath leben kann. Es wird gewiſs ge¬ hen wie es bisher gegangen ist: denn ich ha¬ be keine Ansprüche, keine Furcht und keine Hoffnung.
Was ich hier in meiner Reiseerzählung gebe, wirst Du, lieber Leser, schon zu sich¬ ten wissen. Ich stehe für alles was ich selbst gesehen habe, in so fern ich meinen Ansich¬ ten und Einsichten trauen darf: und ich ha¬ be nichts vorgetragen, was ich nicht von ziemlich glaubwürdigen Männern wiederholtXV gehört hätte. Wenn ich über politische Din¬ ge etwas freymüthig und warm gewesen bin, so glaube ich, daſs diese Freymüthigkeit und Wärme dem Manne ziemt; sie mag nun eini¬ gen gefallen oder nicht. Ich bin übrigens ein so ruhiger Bürger, als man vielleicht in dem ganzen Meiſsnischen Kreise kaum einen Thor¬ schreiber hat. Manches ist jetzt weiter gedie¬ hen und gekommen, wie es wohl zu sehen war, ohne eben besser geworden zu seyn. Machte ich die Ronde jetzt, ich würde wahrscheinlich mehr zu erzählen haben, und Belege zu meinen vorigen Meinungen geben können.
Freylich möchte ich gern ein Buch ge¬ macht haben, das auch ästhetischen Werth zeigte; aber Charakteristik und Wahrheit würde durch ängstliche Glättung zu sehr lei¬ den. Niemand kann die Sachen und sich selbst besser geben, als beyde de sind. Ich fühle sehr wohl, daſs diese Bogen keine Lektüre für Toiletten seyn können. Dazu müſste vie¬ les heraus und vieles hinein, und vieles müſste anders seyn. Wenn aber hier und daXVI ein guter, unbefangener, rechtlicher, entschlos¬ sener Mann einige Gedanken für sich und an¬ dere brauchen kann, so soll mir die Erinne¬ rung Freude machen.
Leipzig 1803.Seume.
Ich schnallte in Grimme meinen Tornister, und wir gingen. Eine Karavane guter gemüthlicher Leutchen gab uns das Geleite bis über die Berge des Mulden¬ thals, und Freund Groſsmann sprach mit Freund Schnorr sehr viel aus dem Heiligthume ihrer Göttin, wovon ich Profaner sehr wenig verstand. Unbemerkt suchte ich einige Minuten für mich, setzte mich Sankt Georgens groſsem Lindwurm gegen über und betete mein Reisegebet, daſs der Himmel mir geben möchte billige freundliche Wirthe und höfliche Thor¬ schreiber von Leipzig bis nach Syrakus, und zurück auf dem andern Wege wieder in mein Land; daſs er mich behüten möchte vor den Händen der monarchi¬ schen und demagogischen Völkerbeglücker, die mit gleicher Despotie uns schlichten Menschen ihr System in die Nase heften, wie der Samojete seinen Thie¬ ren den Ring.
Nun sah ich zurück auf die schöne Gegend, die schon Melanchthon so lieblich fand, daſs er dort zu leben wünschte; und überlief in Gedanken schnell alle glücklichen Tage, die ich in derselben genossen hatte: Mühe und Verdruſs sind leicht vergessen. Dort12stand Hohenstädt mit seinen schönen Gruppen, und am Abhange zeigte sich Göschens herrliche Siedeley, wo wir so oft gruben und pflanzten und jäteten und plau¬ derten und ernteten, und Kartoffeln aſsen und Pfir¬ schen: an den Bergen lagen die freundlichen Dörfer umher, und der Fluſs wand sich gekrümmt durch die Bergschluchten hinab, in denen mir kein Pfad und kein Eichbaum unbekannt war.
Die Sonne blickte warm wie im Frühling und wir nahmen dankbar und mit der heitersten Hoffnung der Rückkehr von unsern Begleitern Abschied. Noch ein¬ mahl sah ich links nach der neuen Mühle auf die gröſste Höhe hin, die uns im Gartenhause zu Hohen¬ städt so oft zur Gränze unserer Aussicht über die Thä¬ ler gedient hatte, und wir wandelten ruhig die Straſse nach Hubertsburg hinab. In Altmügeln empfing man uns mit patriarchalischer Herzlichkeit, bewirthete uns mit der Freundschaft der Jugend und schickte uns den folgenden Morgen mit einer schönen Melodie von Göthens Liede — Kennst du das Land? — unter den wärmsten Wünschen weiter nach Meiſsen, wo wir eben so traulich willkommen waren. Wenn wir uns doch die freundlichen Bekannten an der südlichen Küste von Sicilien bestellen könnten! Die Elbe rollte majestätisch zwischen den Bergen von Dresden hinab. Die Höhen glänzten, als ob eben die Knospen wieder hervorbrechen wollten, und der Rauch stieg von dem Fluſse an den alten Scharfenberg romantisch hinauf. Das Wetter war den achten December so schwül, daſs es unserm Gefühl sehr wohlthätig war, als wir aus der Sonne in den Schatten des Waldes kamen.
3Seit zwölf Jahren hatte ich Dresden nicht gesehen, wo ich damahls von Leipzig herauf wandelte, um ei¬ nige Stellen in Guischards memoires militaires nachzu¬ suchen, die ich dort nicht finden konnte. Auch in Dresden fand ich sie nicht, weil man sie einem Gene¬ ral in die Lausitz geschickt hatte. Nach meiner Rück¬ kehr traf ich den Freybeuter Quintus Icilius bey dem Theologen Morus, und fand in demselben nichts, was in meinen Kram getaugt hätte. So macht man man¬ chen Marsch in der Welt wie im Kriege umsonst. Es wehte mich oft eine kalte, dicke, sehr unfreundliche Luft an, wenn ich einer Residenz nahe kam; und ich kann nicht sagen, daſs Dresden dieſsmahl eine Aus¬ nahme gemacht hätte, so freundlich auch das Wetter bey Meiſsen gewesen war. Man trifft so viele trübse¬ lige, unglückliche, entmenschte Gesichter, daſs man alle fünf Minuten auf eins stöſst, das den Staupbesen verdient zu haben oder ihn eben zu applicieren bereit scheint: Du kannst denken, daſs weder dieser noch jener Anblick wohl thut. Viele scheinen auf irgend eine Weise zum Hofe zu gehören oder die kleinen Offizianten der Kollegien zu seyn, die an dem Stricke der Armseligkeit fortziehen, und mit Grobheit grol¬ lend das Endchen Tau nach dem hauen, der ihrer Jämmerlichkeit zu nahe tritt. Ungezogenheit und Im¬ pertinenz ist bekanntlich am meisten unter dem Hof¬ gesinde der Groſsen zu Hause, das sich oft dadurch für die Miſshandlungen schadlos zu halten sucht, die es von der eben nicht feinen Willkühr der Herren erfahren muſs. Höflichkeit sollte vom Hofe kommen; aber das Wort scheint, wie viele andere im Leben,4 die Antiphrase des Sinnes zu seyn, und Hof heiſst oft nur ein Ort, wo man keine Höflichkeit mehr findet; so wie Gesetz oft der Gegensatz von Gerechtigkeit ist. Wehe dem Menschen, der zur Antichamber verdammt ist; es ist ein groſses Glück, wenn sein Geist nicht knechtisch oder despotisch wird; und es gehört mehr als gewöhnliche Männerkraft dazu, sich auf dem ge¬ hörigen Standpunkte der Menschenwürde zu erhalten.
Eben komme ich aus dem Theater, wo man Groſsmanns alte sechs Schüsseln gab. Du kennst die Gesellschaft. Sie arbeitete im Ganzen gar nicht übel. Das Stück selbst war beschnitten worden, und ich er¬ wartete nach der Gewohnheit eine förmliche Komba¬ busierung, fand aber bey genauer Vergleichung, daſs man dem Verfasser eine Menge Leerheiten und Platt¬ heiten ausgemärzt hatte, deren Wegschaffung Gewinn war. Verschiedene zu grelle Züge, die bey der ersten Erscheinung vor etwa fünf und zwanzig Jahren es viel¬ leicht noch nicht waren, waren gestrichen. Aber es war auch mit der gewöhnlichen Dresdner Engbrüstig¬ keit manches weggelassen worden, was zur Ehre der liberalen Duldung besser geblieben wäre. Ich sehe nicht ein, warum man den Fürsten in einen König verwandelt hatte. Das Ganze bekam durch die eigen¬ mächtige Krönung eine so steife Gezwungenheit, daſs es bey verschiedenen Scenen sehr auffallend war. Wenn man in Königsstädten die Könige zu Fürsten machen wollte, würde dadurch etwas gebessert? Sind nicht beyde Fehlern unterworfen? Fürchtete man hier zu treffen? Die Furcht war sehr unnöthig; und der Charakter des wirklich vortrefflichen Churfürsten5 muſs eher durch solche Winkelzüge beleidiget werden. Man hat ihm in seinem ganzen Leben vielleicht nur eine oder zwey Uebereilungen zur Last gelegt, und davon ist keine in diesem Stücke berührt. Daſs man die Grobheiten der verflossenen zwanzig Jahre weg¬ wischt, hat moralischen und ästhetischen Grund: aber ich sehe nicht ein, warum die noch immer auffallenden Thorheiten und Gebrechen der Adelskaste nicht mit Freymüthigkeit gesagt, gerügt und mit der Geiſsel des Spottes zur Besserung gezüchtiget werden sollen. Wenn es nicht mehr trifft, ist es nicht mehr nöthig; daſs es aber noch nöthig ist, zeigt die ängstliche Be¬ hutsamkeit, mit der man die Lächerlichkeit des jüng¬ sten Kammerjunkers zu berühren vermeidet.
Christ, als Hofrath, sprach durchaus bestimmt und richtig, und seine Aktion war genau, gemessen, ohne es zu scheinen. Du kennst seinen feinen Takt. Madam Hartwig spielte seine Tochter mit ihrer ge¬ wöhnlichen Theatergrazie und an einigen Stellen mit ungewöhnlicher sehr glücklicher Kunst. Madam Och¬ senheimer fängt an eine ziemlich gute Soubrette zu werden, und verspricht in der Schule ihres Mannes viel gutes in ihrem Fache. Ochsenheimer war nicht zu seinem Vortheile in der Rolle des Herrn von Wils¬ dorf. Thering und Bösenberg kennst Du: beyde hat¬ ten, der erste als Philipp, der zweyte als Wunderlich, ein ziemlich dankbares Feld. Thering spielte mit seiner gewöhnlichen barocken Laune und muſste gefallen; aber Bösenberg that einen beleidigenden Miſsgriff, der ihm vielleicht nur halb zur Last gelegt werden kann. Wunderlich wollte für den gelieferten Wagen stande¬6 bene bezahlt seyn: und nun denke dir Bösenbergs ober¬ sächsische Aussprache hinzu, die so gern das Weiche hart und das Harte weich macht, und die noch dazu hier sehr markiert zu seyn schien. Der halblateinische Theil des Publikums lachte heillos, und mir kam es als eine Ungezogenheit der ersten Gröſse vor. Die übrigen Rollen waren leidlich besetzt. Auch Drewitz machte den Fritz nicht übel, weil er ihn schlecht machte. Aber Henke war ein Major wie ein Stall¬ knecht, und arbeitete oder vielmehr pfuschte zur gro¬ ſsen Belustigung aller Militäre, die um mich her im Parket saſsen. Der Fehler war nicht so wohl sein ei¬ gen, als des Direktoriums, das ihn zum Major ge¬ macht hatte. Non omnia possumus omnes; er macht den Becker Ehlers in einem Ifflandischen Stücke recht gut.
Man hatte uns bange gemacht, wir würden Schwierigkeiten wegen Oestreichischer Pässe haben; aber ich muſs die Humanität der Gesandschaft rüh¬ men. Herr von Büel, als Sekretär, nahm uns sehr gütig auf, und fertigte, da er unsere Wünsche bald abzureisen vernahm, mit groſser Freundlichkeit so¬ gleich selbst aus; und in einigen Stunden erhielten wir die Papiere, von dem Grafen Metternich unter¬ schrieben, durch alle Kaiserliche Länder.
Du kennst meine Saumseligkeit und Sorglosigkeit in gelehrten Dingen und Sachen der Kunst. Was soll ich Laie im Heiligthum? Die Galerie sah ich nicht, weil ich dazu noch einmahl hätte Schuhe anziehen müssen; den Antikensaal sah ich nicht, weil ich den Inspektor das erste Mahl nicht traf; und das übrige7 nicht, weil ich zu indolent war. Du verlierst nichts; ein anderer wird Dir das alles weit besser erzählen und beschreiben.
Herrn Grassi besuchte ich, mehr in Schnorrs Ge¬ sellschaft und weil ich ihn ehedem schon in Warschau gesehen hatte, als weil ich mich sehr gedrängt ge¬ fühlt hätte seine Arbeiten zu sehen: und doch halte ich ihn für den besten Maler, den ich bis jetzt kenne. Er hat ein glühendes und doch sehr zartes Kolorit, mit einer richtigen interessanten Zeichnung. Mich däucht, er hat von dem strengen Ernst der al¬ ten ächten Schule etwas nachgelassen, und seine eigene blühende unaussprechlich reizende Grazie dafür aus¬ gegossen. Er hat mit besserm Glücke gethan, was Oeser in seiner letzten Manier thun wollte, durch wel¬ che er, wie die Kritiker der Kunst sehr gut wissen, unter die Nebulisten gerieth. Beyde schmeicheln; aber Grassi schmeichelt noch dem Kenner, und Oeser schmeichelte nur dem Liebhaber. Grassi erzählte mir noch manches von Warschau, wo wir beyde in der groſsen Krise der letzten Revolution Berührungspunkte fanden. Er hatte durch Teppers Fall einen Verlust von fünftausend Dukaten erlitten, und muſste wäh¬ rend der Belagerung bey dem Bürgerkorps als Korpo¬ ral zehn Mann kommandieren. Stelle Dir den sanf¬ ten Künstler auf einer Batterie mit einer Korporal¬ schaft wilder Polen vor, wo die kommenden Kugeln durchaus keine Weisung annehmen. Kosciuskos Freund¬ schaft und Kunstsinn brachten den guten Mann end¬ lich in Sicherheit, indem der General ihm Pässe zur Entfernung von dem schrecklichen Schauplatz aus¬8 wirkte und ihm selbst hinlängliche Begleitung gab, bis er nichts mehr zu befürchten hatte. Du kannst denken, daſs unser Freund Schnorr sich mit Enthu¬ siasmus an den Mann anschloſs; und die Herzlichkeit, mit der sich beyde einander öffneten, machte bey¬ den Ehre.
Heute früh wurde ich durch den Donner der Kanonen geweckt und erfuhr beym Aufstehen, daſs dem Hause ein Prinz geboren war. Vielleicht macht der Herr in seinem Leben nicht wieder so viel Lärm, als bey seiner Ankunft auf unserm Planeten. Die Fürsten dieses Hauses sind zum Glück ihrer Länder seit mehr als einem Jahrhundert meistens Kinder des Friedens. Dadurch werden ihre Verdienste gewiſs er¬ höht, und ihr Muth wird doch nicht mehr problema¬ tisch, als ob sie Schlachten gewännen.
Du weiſst, daſs Schreibseligkeit eben nicht meine Erbsünde ist, und wirst mir auch Deiner selbst wegen sehr gern verzeihen, wenn ich Dir eher zu wenig als zu viel erzähle. Wenn ich recht viel hätte schreiben wollen, hätte ich eben so gut zu Hause in meinem Polstersessel bleiben können. Nimm also mit Frag¬ menten vorlieb, aus denen am Ende doch unser gan¬ zes Leben besteht. In Dresden miſsfiel mir noch zu¬ letzt gar sehr, daſs man zur Bequemlichkeit der An¬ kömmlinge und Fremden noch nicht die Straſsen und9 Gassen an den Ecken bezeichnet hat; ein Polizeyar¬ tikel, an den man schon vor zehn Jahren in kleinen Provinzialstädten sogar in Polen gedacht hat, und der die Topographie auſserordentlich erleichtert: und To¬ pographie erleichtert wieder Geschäfte.
Den letzten Nachmittag sah ich dort noch die Mengsche Sammlung der Gypsabgüsse. Schnorr wird Dir besser erzählen, von welchem Werth sie ist, und Küttner hat es, meines Wissens, schon sehr gut ge¬ than. Du weiſst, daſs ich hier ziemlich Idiot bin und mich nicht, in das Heiligthum der Göttin wage; ob ich gleich über manche Kunstwerke, zum Beyspiel über die Mediceerin, meine ganz eigenen Gedanken habe, die mir wohl schwerlich ein Antiquar mit sei¬ ner Aesthetik austreiben wird. Schon freue ich mich auf den Augenblick, wo ich das Original in Palermo sehen werde, wo es, wie ich denke, jetzt steht. Hier intressierten mich eine Menge Köpfe am meisten, die ich gröſsten Theils für römische hielt. Küttners Wunsch fiel mir dabey ein, daſs der Churfürst diese Sammlung zur Wohlthat für die Kunst mehr komplet¬ tieren möchte. Auch ist die Periode des Beschauens zu beschränkt, da sie den Sommer wöchentlich nur zwey Tage und den Winter öffentlich gar nicht zu se¬ hen ist. Einige Verordnungen die Kunst betreffend sind mir barock genug vorgekommen. Kein Künstler, zum Beyspiel, darf auf der Galerie ein Stück ganz fertig kopieren, wie man mich versichert hat. Dieſs zeigt eine sehr kleinliche Eifersucht. Es wäre für die Schule in Dresden keine kleine Ehre, wenn Kopien groſser Meister von dort kämen, die man mit den10 Originalen verwechseln könnte. Auch darf kein Ma¬ ler länger als die bestimmten zwey Stunden oben ar¬ beiten, welches für die Kopisten in Oehl eine Zeit ist, in welcher fast nichts gemacht werden kann. Aber das Künstlervolk mag seinen Muthwillen auch zuwei¬ len bis zur Ungezogenheit treiben; und es soll vor kur¬ zem ein nahmhafter Maler unsers deutschen Vater¬ landes seine Pinsel auf einem der schönsten Originale abgewischt haben um die Farben zu versuchen. Da würde mir Laien unwillkührlich der Knotenstock sich in der Faust geregt haben.
Den letzten Abend sahe ich noch eine Oper, die mit ziemlich vieler Pracht gegeben wurde. Mein Ge¬ dächtniſs ist wie ein Sieb; aber mich däucht, es war die Gräfin von Amalfi. Die Musik ist, wenn ich nicht irre, sehr eklektisch. Es war bey der Vorstel¬ lung kein einziger schlechter Sänger und Akteur; aber nach meiner Meinung auch kein einziger vortrefflicher, so sehr man auch in Dresden dieses behauptete. Die Schuld mag wohl mein gewesen seyn, da ich mich fast in jedem Fache eines bessern Subjekts unwillkührlich erinnerte.
In Pirna sahen wir ein Stündchen Herrn Sieg¬ fried, den du als den Verfasser von Siama und Galmori kennest und der uns mit einigen Bekannten an die Gränze brachte. Nun gieng es in die Höhe; und so mild es unten am Flusse gewesen war, so rauh war es oben, und in einigen Stunden hatten wir schon Schnee. Dieser vermehrte sich bis einige Stunden hinter Peterswalde, nahm sodann allmählich wieder ab und hörte bey Auſsig wieder ganz auf.
11Man hatte mir gar sonderbare Begriffe von den auffallenden Erscheinungen der Böhmischen Katholi¬ cität gemacht. Ich habe nichts bemerkt. Im Gegen¬ theil muſs ich sagen, es gefiel mir alles auſserordent¬ lich wohl. Unser Wirthshaus in Peterswalde war so gut, als man mit gehöriger Genüglichkeit es sich nur immer wünschen kann. Der Zollbeamte, der den Paſs bescheinigte, war freundlich. Die Mahlzeit war nicht übel und die Aufwärterin gar allerliebst niedlich und artig. Lache nur über diese Bemerkung von mir Griesgram. Man müſste eine sehr verstimmte unästhe¬ tische Seele haben, wenn man nicht lieber ein jun¬ ges, hübsches, freundliches Gesicht sähe, als ein altes, häſsliches, murrsinniges. Das Mädchen setzte ihr Sil¬ bermützchen vor einem Spiegel, der zwischen zwey Marienbildern hing, so reitzend unbefangen in Ord¬ nung, als ob sie sich in Ehren eine kleine Unordnung recht gern wollte vergeben lassen. Der Ketzer Schnorr sahe dem rechtgläubigen Geschöpf so enthu¬ siastisch in die Augen, als ob er sich eben zu ihr be¬ kehren oder sie wenigstens zum Modell nehmen woll¬ te. Ueberdieſs ist der böhmischdeutsche Dialekt bis Lowositz ziemlich angenehm und gurgelt die Worte nicht halb so dick und widrig hervor, wie der gebir¬ gische in Sachsen.
Der Weg von Peterswalde nach Auſsig ist rauh, aber schön; von Auſsig, wo man wieder an die Elbe kommt, romantisch wild, links und rechts an dem Fluſse hohe Berge mit Schluchten, Felsenwänden und Spitzen. Hier tönte mir die Klage über die Undisci¬ plin unserer sächsischen Landesleute ins Ohr, die in12 dem Bayerischen Erbfolgekriege zur Feuerung hier alle Weinpfähle verbrannten. Sie durften nur einige hundert Schritte höher steigen, so hatten sie ganze Wälder. Das schmerzt mich in die Seele anderer. Wenn die Oestreicher es eben so schlimm machen, so werden wir dadurch nicht besser. Wenn wird un¬ sere Humanität wenigstens diese Schandflecken wegwi¬ schen? Bey Lowositz endigen allmählich die Berge, und von da bis Eger hinauf und Leutmeritz hinab ist schönes, herrliches, fruchtbares Land, das zwey Stun¬ den hinter Budin nun ganz Ebene wird. In Budin, einem Orte wo allgemeine Verlassenheit zu seyn scheint, traf ich bey dem Juden Lasar Tausig eine kleine Sammlung guter Bücher an, und lieſs mir von ihm, da er Lessings Nathan einem Freunde geliehen hatte, auf den Abend Kants Beweisgrund zur einzig möglichen Demonstration über das Daseyn Gottes geben.
Von Budin bis hierher stehen im Kalender sieben Meilen, und diese tornisterten wir von halb acht Uhr früh bis halb sechs Uhr Abends sehr bequem ab, und saſsen doch noch über eine Stunde zu Mittage in ei¬ nem Wirthshause, wo wir bey einem Eyerkuchen durchaus mit fasten und dafür funzig Kreuzer bezah¬ len muſsten; welches ich für einen Eyerkuchen in Böhmen eine stattliche Handvoll Geld finde. Da war13 es in Peterswalde verhältniſsmäſsig billiger und besser. Der Wirth zur goldenen Rose in Budin hatte ein gutes Haus von auſsen und ein schlechtes von innen. Eine Suppe von Kaldauen, altes dürres Rindfleisch und eine sehr zähe lederne Brate von einer Gans, die noch mit eine Retterin des Kapitols gewesen seyn mochte; noch schlechter waren die Betten: aber am schlechte¬ sten war der Preis. Die schlechten Sachen waren un¬ geheuer theuer, wovon ich schon vorher unterrichtet war. Aber Muſs ist ein Bretnagel, heiſst das Sprich¬ wort: er ist der Einzige in Budin, und mich däucht, schon Küttner hat gehörig sein Lob gesungen. Uebri¬ gens lasse ich die Qualität der Wirthshäuser mich we¬ nig anfechten. Das beste ist mir nicht zu gut, und mit dem schlechtesten weiſs ich noch fertig zu wer¬ den. Ich denke, es ist noch lange nicht so schlimm als auf einem englischen Transportschiffe, wo man uns wie die schwedischen Heringe einpökelte, oder im Zelte, oder auf der Brandwache, wo ich Stein zum Kopfkissen nahm, sanft schlief und das Donner¬ wetter ruhig über mir wegziehen lieſs.
In der Budiner Wirthsstube war ein Quodlibet von Menschen, die einander ihre Schicksale erzählten und hier und da zur Verschönerung wahrscheinlich etwas dazu logen. Einige Oestreichische Soldaten, Stallleute und ehemalige Stückknechte, die alle in der französischen Gefangenschaft gewesen waren, und ei¬ nige Sachsen von dem Kontingent machten eine er¬ bauliche Gruppe, und unterhielten die Nachbarn lang und breit von ihren ausgestandenen Leiden. Beson¬ ders machte einer der Soldaten eine so gräuliche Be¬14 schreibung von den Läusen im Felde und in der Ge¬ fangenschaft, daſs wir andern fast die Phthiriase davon hätten bekommen mögen. Mir war es nunmehr nur eine drollige Reminiscenz meiner ersten Seefahrt nach Amerika, wo die Engländer uns gar erbärmlich säuber¬ lich hielten, und wo wir, vom Kapitän bis zum Trommelschläger, der Thierchen auch eine solche Menge bekamen, daſs sie das Tauwerk zu zerfressen drohten. Ein Fuhrknecht erzählte dann unter andern toll genug, wie er und seine Cameraden in Iglau neu¬ lich einige Soldaten, in einem Streit wegen der Mäd¬ chen, gar furchtbar zusammen geprügelt hätten. Where there is a quarrel, there is always a lady in the case, dachte ich; gilt auch bey der Oestreichischen Bagage. Ein Soldat meinte, daſs die Fuhrknechte denn doch etwas sehr miſsliches und ungebührliches unternommen hätten, sich an den Vertheidigern des Vaterlandes zu vergreifen; die Geschichte würde ihnen am Ende bitter bekommen seyn. Ey was, versetzte der Fuhrknecht, es waren ja nur Legioner. Das ist etwas anders, erwiederte der Soldat beruhigt; das wa¬ ren nur Studenten und Kaufmannsjungen, die den dritten Marsch um das Butterbrot weinten wie die Hellerhuren; die kann man schon mit einer tüchtigen Tracht Schläge einweihen, um ihnen den Kitzel zu vertreiben.
In Prag registrierte uns eine Art von Thorschrei¬ ber gehörig ein, gab uns Quartierzettel und schickte unsere Pässe zur Vidierung auf das Polizeydirektorium. Die Herren der Polizey waren gegen alle Gewohnheit der Klasse in andern Ländern die Höflichkeit selbst,15 den andern Morgen war in zehn Minuten alles abge¬ than, und wir hatten unsern Bescheid bis Wien. Un¬ sere Bekannten wunderten sich sehr über unser Glück, da man noch kurz vorher Fremden mit Gesandschafts¬ pässen viele Schwierigkeiten gemacht hatte.
Das Theater hier ist polizeymäſsig richtig und nicht ohne Geschmack gebaut. Das Stück, das man gab, war schlecht, die Gesellschaft arbeitete nicht gut, und das Ballet ging nicht viel besser als das Stück. Der Gegenstand des letztern, das wilde Mädchen, war von dem Komponisten sehr gut ausgeführt; und es war Schade, daſs in der Vorstellung weder Charakter noch Takt richtig gehalten wurde. Guardasoni ist Unter¬ nehmer der beyden Abtheilungen des Theaters, sowohl der deutschen als der italiänischen. Die deutsche habe ich höchst mittelmäſsig gefunden, und die italiänische soll noch einige Grade schlechter seyn, die wir doch sonst in Leipzig bey ihm sehr gut besetzt und wohl geordnet fanden. Heute wurde Hamlet gegeben, und Du kannst Dir vorstellen, daſs ich nicht Lust hatte einen meiner Lieblinge gemiſshandelt zu sehen.
Die Bibliothek war geschlossen, weil sie in Feuers¬ gefahr gewesen war und man den Schaden ausbauet; und das wird länger dauern, als ich zu warten geson¬ nen bin. Der Bibliothekar, Rath Unger, der um Li¬ teratur und Aufklärung viel Verdienste und gegen Fremde groſse Gefälligkeit hat, würde indessen un¬ streitig die Güte gehabt haben uns die gelehrten Schä¬ tze zu zeigen, wenn wir ihn zu Hause getroffen hät¬ ten. Es ist bekannt, wie sehr sie im dreyſsigjährigen Kriege von den Schweden geplündert wurde, die durch16 Einverständniſs mit ihrer Parthey sogar die unterirdi¬ schen Gewölbe ausfindig zu machen wuſsten, um die versteckten Reichthümer hervorzuziehen. Durch die Aufhebung der Klöster unter Joseph dem Zweyten hat die Bibliothek wieder auſserordentlich gewonnen; aber die aufgehäuften Bücher und Schriften sind eben da¬ durch für die Literatur gröſserer Gefahr ausgesetzt, weil sie an einem einzigen Orte beysammen liegen. Der letzte Vorfall hat die Besorgniſs bestätigt und er¬ höht. Ein Glück war es, daſs eben damahls mehr als vierzig Menschen oben lasen, als durch die Nachläs¬ sigkeit eines Künstlers, der über derselben in Feuer arbeitete, die Gluth durchbrach. So ward selbst die liberale Benutzung des Instituts, dessen Einrichtung zu den musterhaftesten gehört, ihre Rettung.
Auf Grodschin war das Wetter unfreundlich und finster, und ich blickte nur durch Schneegestöber nach der Gegend hinaus, wo Friedrich schlug und Schwerin fiel. Die Kathedrale hat für die Liebhaber der Ge¬ schichte manches Merkwürdige. Die Begräbnisse der alten Herzoge von Böhmen gewähren, wenn man Musse hat, eine eigene Art von Genuſs; und das silberne Monument eines Erzbischofs ist vielleicht auch für den Künstler nicht ohne Interesse. Während Schnorr es betrachtete, stand ich vor den Gräbern der Kaiser Wenzel und Karls des Vierten, und fand, daſs die Zeiten der goldenen Bulle doch wohl nur für wenige Fürsten golden und für[die] ganze übrige Menschheit sehr bleyern waren. Schlicks des Ministers Grabmahl, gleich hinter dem Steine des Kaisers, ist ein verdor¬ bener gothischer Bombast ohne Geschmack und Würde. 17Eine Pyramide in der Kirche kommt mir vor, als ob man den Blocksberg in eine Nachtmütze stecken wollte.
Der gute Nepomuck auf der Brücke mit seiner ehrwürdigen Gesellschaft gewährt den frommen See¬ len noch viel Trost. Es scheint überhaupt in Prag, sowohl unter Katholiken als unter Protestanten, noch eine groſse Anzahl Zeloten zu geben: nur nicht unter den höhern Ständen, die in dieser Rücksicht die To¬ leranz selbst sind.
Ich freute mich, als ich hinter Lowositz in Böh¬ men auf die Ebenen kam, und hoffte nun einen be¬ trächtlichen Grad von Wohlstand und Kultur zu fin¬ den, da der Boden rund umher auſserordentlich fruchtbar zu seyn schien. Aber meine Erwartung wurde traurig getäuscht. Die Dörfer lagen dünn, und waren arm; noch mehr als in dem Gebirge. Man drosch in den Herrenhöfen auf vielen Tennen und die Bauernhäuser waren leer; die Einwohner schli¬ chen so niedergedrückt herum, als ob sie noch an dem härtesten Joche der Sklaverey zögen. Mich däucht, sie sind durch Josephs wohlthätige Absichten wenig gebessert worden, und höchst wahrscheinlich sind sie hier noch schwerer durch die Frohnen ge¬ drückt als irgendwo. Wo die Sklaverey systematisch ist, machen die Städte oft den Anhang des groſsen und kleinen Adels und theilen den Raub. Das schien hier der Fall. Alles war in Furcht als sich die Fran¬ zosen nahten: nur die Bauern jubelten laut und sagten, sie würden sie mit Freuden erwarten und sodann schon ihre Unterdrücker bezahlen. Ob der Landmann in218Rücksicht der Franzosen Recht hatte, ist eine an¬ dere Frage: ab er in seiner Freude bey der furchtba¬ ren Krise des Vaterlandes lag ein groſser Sinn, der wohl beherzigt zu werden verdiente, und der auch vielleicht den Frieden mehr beschleunigt hat als die verlornen Schlachten.
Die Leute jagen uns hier Angst ein, daſs rund umher in der Gegend Räuber und Mörder streifen. Das könnten sie nun wohl bleiben lassen; denn fort müssen wir. In Leutmeritz sollen über hundert sitzen, und in Prag nicht viel weniger. Die Auflö¬ sung der militärischen Korps ist immer von solchen Uebeln begleitet, so wie bey uns die Einrichtungen gewöhnlich sind. Ich gehe getrost vorwärts und ver¬ lasse mich etwas auf einen guten, schwerbezwingten Knotenstock, mit dem ich tüchtig schlagen und noch einige Zoll in die Rippen nachstoſsen kann. Freund Schnorr wird auch das seinige thun, und so müssen es schon drey gut bewaffnete entschlossene Kerle seyn, die uns anfallen wollen. Wir sehen nicht aus als ob wir viel bey uns trügen, und auch wohl nicht, als ob wir das wenige das wir tragen so leicht hergeben würden[. ]
Wir nahmen den Segen unsrer Freunde mit uns und pilgerten von Prag aus weiter. Wo ich nichts gesehen habe, kann ich Dir natürlicher Weise nichts19 erzählen. Nachtlager sind Nachtlager; und ob wir Schinken oder Wurst oder beydes zugleich aſsen, kann Dir ziemlich gleichgültig seyn.
Es war ein schöner, herrlicher, frischer Morgen, als wir durch Kolin und durch die Gegend des Schlachtfelds gingen. Daun wuſste alle seine Schlach¬ ten mit vieler Kunst zu Postengefechten zu machen, und Friedrich erfuhr mehr als einmahl das gewaltige Genie dieses neuen Kunktators. Wäre er bey Torgau nicht verwundet worden, es wäre wahrscheinlich eine zweyte Auflage von Kolin gewesen. Die Gegend von Kolin bis Czaſslau kam mir sehr angenehm vor, vor¬ züglich geben die Dörfer rechts im Thale einen schö¬ nen Anblick. Die vorletzte Anhöhe vor Czaſslau ge¬ währt eine herrliche Aussicht, rechts und links, vor¬ wärts und rückwärts, über eine fruchtbare mit Dör¬ fern und Städten besäete Fläche. Mich däucht, es wäre einer der besten militärischen Posten, so leicht und richtig kann man nach allen Gegenden hinab streichen: und mich sollte es sehr wundern, wenn der Fleck nicht irgend wo in der Kriegsgeschichte steht. Nicht weit von Kolin aſs ich zu Mittage in einem Wirthshause an der Straſse, ohne mich eben viel um die Mahlzeit zu bekümmern. Meine Seele war in einer eigenen sehr gemischten Stimmung, nicht ohne einige Wehmuth, unter den furchtbaren Scenen der Vorzeit; da tönte mir aus einer Ecke des groſsen fin¬ stern Zimmers eine schwache, zitternde, einfach ma¬ gische Musik zu. Ich gestehe Dir meine Schwachheit, ein Ton kann zuweilen meine Seele schmelzen und mich wie einen Knaben gängeln. Eine alte Böhmin20 saſs an einem helleren Fenster uns gegen über und trocknete sich die Augen, und ein junges schönes Mäd¬ chen, wahrscheinlich ihre Tochter, schien ihr mit Mienen und Worten sanft zu zureden. Ich verstand hier und da in der Entfernung nur einiges aus der Aehnlichkeit mit dem Russischen, das ich, wie Du weiſst, ehemahls etwas zu lernen genöthigt war. Die Empfindung bricht bey mir selten hervor, wenn mich nicht die Humanität allmächtig hinreiſst. Ich helfe wo ich kann; wenn ich es nur öfter könnte. Der Ton des alten Instruments, welches ein goldhariger jun¬ ger Kerl in dem andern dunkeln Winkel spielte, mochte auf die Weiberseelen stärker wirken, und ihre eigenthümliche Stimmung lebendiger machen. Es war nicht Harfe, nicht Laute, nicht Zither; man konnte mir den eigentlichen Nahmen des Instruments nicht nennen; am ähnlichsten war es der Russischen Balalaika.
Mich däucht, schon andere haben angemerkt, daſs die Straſse von Prag nach Wien vielleicht die be¬ fahrenste in ganz Europa ist. Uns begegneten eine unendliche Menge Wagen mit ungarischen Weinen, Wolle und Baumwolle: aber die meisten brachten Mehl in die Magazine bey Czaſslau und weiter hin nach der Gränze.
Die böhmischen Wirthshäuser sind eben nicht als die vorzüglichsten in Kredit, und wir hatten schon zwischen Dresden und Prag einmahl etwas cynisch essen, trinken und liegen müssen. Man tröstete uns, daſs wir in Deutschbrot ein sehr gutes Haus finden würden: aber nie wurde eine so gute Hoffnung so21 schlecht erfüllt. Wir gingen in zwey, die eben keine sonderliche Miene machten, und konnten keine Stube erhalten: die Officiere, hieſs es, haben auf dem Durch¬ marsche alles besetzt. Das mochte vielleicht auch der Fall seyn; denn alles ging von der Armee nach Hause: deſswegen die sichern Wege. Im dritten legte ich miſsmüthig sogleich meinen Tornister auf den Tisch, und quartierte mich ein ohne ein Wort zu sagen. Der Wirth war ein Kleckser und nennte sich einen Maler, und seine Mutter ein Muster von einem alten, häſsli¬ chen, keifischen Weibe, das schon seit vierzig Jahren aus der sechsten Bitte in die siebente getreten war. Es erschienen nach uns eine Menge Juden, Glashänd¬ ler, Tabuletkrämer und Kastenträger aller Art, von denen einer bis nach Sibirien an den Jenisey zu han¬ deln vorgab. Die Gesellschaft trank, sang und zankte sich sehr hoch, ohne sich um meine Aesthetik einen Pfifferling zu bekümmern: und zur Nacht schichtete man uns mit den Hebräern so enge auf das Stroh, daſs ich auf dem brittischen Transport nach Kolumbia kaum drückender eingelegt war. Solche Abende und Nächte muſsten schon mit eingerechnet werden, als ich zu Hause den Reisesack schnallte.
In Iglau habe ich bey meinem Durchmarsch nichts gesehen, als den groſsen schönen hellen Markt, dessen Häuser aber in der Ferne sich weit besser ma¬ chen als in der Nähe, wie fast alles in der Welt, das ins Prächtige fallen soll, ohne Kraft zu haben. Ziem¬ lich in der Mitte des Markts steht ein herrliches Drey - faltigkeitsstück, von Leopold dem Ersten und Joseph dem Ersten, so christgläubig als möglich, aber traurig22 wie die Barbarey. Einige feine Artikel waren zer¬ spalten und bekleckst; aber die conceptio immaculata und die sponsa spiritus sancti standen unter dem Ave Maria zum Trost der Gläubigen noch fest und wohl erhalten. Es soll bey Iglau schon ein recht guter Wein wachsen; er muſs aber nicht in Menge kommen; denn ich habe in der Gegend nicht viel Weingärten gesehen. Eine halbe Stunde dieſseits Iglau stehen an der Gränze zwey Pyramiden nicht weit von einander, welche im Jahr 1750 unter Maria Theresia von den böhmischen und mährischen Ständen errichtet worden sind. Die Inschriften sind ächtes neudiplomatisches Latein, und schon ziemlich verloschen; so daſs man in hundert Jahren wohl schwerlich mehr etwas davon wird lesen können: und doch sind sie, wie gewöhn¬ lich, zum ewigen Gedächtniſs gesetzt. In Mähren scheint mir durchaus noch mehr Liberalität und Bon¬ hommie zu herrschen als in Böhmen.
Im Städchen Stannern müssen beträchtliche Wol¬ lenmanufakturen seyn; denn alle Fenster sind mit die¬ sen Artikeln behangen, und man trägt sehr viel Mü¬ tzen, Strümpfe, Handschuhe und dergleichen zu auſserordentlich niedrigen Preisen zum Verkauf herum. Ein gutes bequemes Wirthshaus, das erste, das wir seitdem wir aus Prag sind trafen, hatte den Ort gleich etwas mehr in Kredit bey uns gesetzt. Wenn man nicht mit Extrapost fährt, sondern zu Fuſse trotzig vor sich hin stapelt, muſs man sich sehr oft sehr huronisch behelfen. Meine gröſste Furcht ist indessen vor der etwas ekeln Einquartierung gewisser weiſser schwarz besattelter Thierchen, die in Polen vorzüglich gedei¬23 hen und auch in Italien nicht selten seyn sollen. Uebrigens ist es mir ziemlich einerley, ob ich mich auf Eyderdunen oder Bohnenstroh wälze: Sed quam misere ista animalcula excruciare possint, apud nautas expertus sum; darum haben ihnen auch vermuthlich die Griechen den verderblichen Nahmen gegeben.
Hier in Znaym muſste ich zum ersten Mahl Wein trinken, weil der Göttertrank der Germanen in Wal¬ halla nicht mehr zu finden war. Der Wein war das Maſs für vier und zwanzig Kreuzer sehr gut, wie mich Schnorr versicherte; denn ich verstehe nichts davon und trinke den besten Burgunder mit Wasser wie den schlechtesten Potzdamer. Hier möchte ich wohl woh¬ nen, so lieblich und freundlich ist die ganze Gegend, selbst unter dem Schnee. An der einen Seite stöſst die Stadt an ziemliche Anhöhen, und auf den andern, vorzüglich nach Oestreich, wird die Nachbarschaft sehr malerisch durch die Menge Weingärten, die alle an sanften Abhängen hin gepflanzt sind. Die beyden Klöster an den beyden Enden der Stadt sind, wie die meisten Mönchsitze, treffliche Plätze. Das eine nach der Oestreichischen Seite hat Joseph der Zweyte unter andern mit eingezogen. Die Gebäude desselben sind so stattlich, daſs man sie für die Wohnung keines kleinen Fürsten halten sollte. Im Kriege diente das Kloster zu verschiedenen Behufen; bald zum Magazin, bald zum Aufenthalt für Gefangene: jetzt steht es leer.
Die römische Ruine, die hier zu sehen ist, steht zwey Stunden vor der Stadt, rechts hinab in einer schönen Gegend. Da ich aber in Mähren keine rö¬ mischen Ruinen studieren will, wandelte ich meines24 Weges weiter. Ein hiesiger Domherr hat sie, wie ich höre, erklärt, auf den ich Dich mit deiner Neugier verweise. Wenn ich nach den vielen schönen Wein¬ feldern rund in der Gegend urtheile, und nun höre daſs die Ruine von einem Domherrn erklärt worden ist, so sollte ich fast blindlings glauben, sie müsse sich auf die Dionysien bezogen haben. Der Boden mit den groſsen weitläufigen Weinfeldern könnte, da er überall sehr gut zu seyn scheint, doch wohl besser an¬ gewendet werden als zu Weinbau. Die Armen müs¬ sen billig eher Brot haben als die Reichen Wein; und Aebte und Domherren können in diesem Punkte weder Sinn noch Stimme haben.
Auf der Gränze von Mähren nach Oestreich habe ich kein Zeichen gefunden; nur sind sogleich die Wege merklich schlechter als in Böhmen und Mähren, und mit den Weingärten scheint mir entsetzlich viel guter Boden verdorben zu seyn. Ich nehme die Sache als Philan¬ throp und nicht als Trinker und Procentist. Schlech¬ tes Pflaster, das seit langer Zeit nicht ausgebauet seyn muſs, gilt für Chauſsee.
Wie häufig gute Münze und vorzüglich Gold hier ist, davon will ich Dir zwey Beyspielchen erzählen. Ich bezahlte gestern meine Mittagsmahlzeit in guten Zehnern, die in Sachsen eben nicht sonderlich gut sind; das sah ein Tabuletkrämer, machte mich auf¬ merksam wie viel ich verlöre, und nahm hastig, da ich ihn versicherte ich könne es nicht ändern und achte den kleinen Verlust nicht, die guten Zehner weg, und legte dem Wirth, der eben nicht zugegen war, neue schlechte Zwölfer dafür hin. Ein ander¬25 mahl fragte ich in einem Wirthshause, wo Reinlich¬ keit, Wohlhabenheit und sogar Ueberfluſs herrschte, und wo man uns sehr gut beköstigt hatte, wie hoch die Dukaten ständen? Mir fehlte kleines Geld. Der Wirth antwortete sehr ehrlich: Das kann ich Ihnen wirklich durchaus nicht sagen; denn ich habe seit vier Jahren kein Gold gesehen: nichts als schlechtes Geld und Papier; und ich will Sie nicht betrügen mit der alten Taxe. Der Mann befand sich übrigens mit schlechtem Gelde und Papier sehr wohl und war zu¬ frieden, ohne sich um Dukaten zu bekümmern.
Den zweyten Weihnachtsfeyertag kamen wir hier in Wien an, nachdem wir die Nacht vorher in Stockerau schon ächt wienerisch gegessen und geschlafen hatten. An der Barriere wurden wir durch eine Instanz ange¬ halten und an die andere zur Visitation gewiesen. Ich armer Teufel wurde hier in bester Form für einen Hebräer angesehen, der wohl Juwelen oder Brabanter Spitzen einpaschen könnte. Ueber die Physiognomen! Aber man muſste doch den casum in terminis gehabt haben. Mein ganzer Tornister wurde ausgepackt, meine weiſse und schwarze Wäsche durchwühlt, mein Homer beguckt, mein Theokrit herumgeworfen und mein Virgil beschaut, ob nicht vielleicht etwas franzö¬ sischer Konterband darin stecke: meine Taschen wur¬ den betastet und selbst meine Beinkleider fast bis an das heilige Bein durchsucht; alles sehr höflich. 26I must needs have the face of a smuggler. Meine Briefe wurden mir aus dem Taschenbuche genommen, und dazu muſste ich einen goldnen Dukaten eventuelle Strafe niederlegen, weil ich gegen ein Gesetz gesün¬ digt hatte, dessen Existenz ich gar nicht wuſste und zu wissen gar nicht gehalten bin. „ Du sollst kein versiegeltes Blättchen in deinem Taschenbuche tragen. “ Der Henker kann so ein Gebot im Dekalogus suchen. Aus besonderer Güte, und da man doch am Ende wohl einsah, daſs ich weder mit Brüſsler Kanten handelte noch die Post betrügen wollte, erhielt ich die Briefe nach drey Tagen wieder zurück, ohne weitere Strafe, als daſs man mir für den schönen vollwichtigen Duka¬ ten, nach der Kaisertaxe von welcher kein Kaufmann in der Residenz mehr etwas weiſs, neue blecherne Zwölfkreuzerstücke gab. Uebrigens ging alles freund¬ lich und höflich her, an der Barriere, auf der Post, und auf der Polizey. Wider alles Vermuthen beküm¬ merte man sich um uns nun mit keiner Sylbe weiter, als daſs man unsere Pässe dort behielt und sagte, bey der Abreise möchten wir sie wieder abholen. Sobald ich meine Empfehlungsbriefe von der Post wieder er¬ halten hatte, wandelte ich herum sie zu überliefern und meine Personalität vorzustellen. Die Herren wa¬ ren alle sehr freundschaftlich, und honorierten die Zettelchen mit wahrer Theilnahme. Ich könnte Dir hier mehrere brave Männer unserer Nation nennen, denen ich nicht unwillkommen war, und die ich hier zum ersten Mahl sah; aber Du bist mit ihrem Werth und ihrer Humanität schon mehr bekannt als ich.
Gestern war ich bey Füger, und hatte eine schöne27 Stunde wahren Genusses. Der Mann hat mich mit sei¬ nen Gesinnungen und seiner Handelsweise sehr inte¬ ressiert. Er hatte eben Geschäfte, und ich konnte da¬ her seine offene Ungezwungenheit desto besser bemer¬ ken: denn er besorgte sie so leicht, als ob er allein gewesen wäre, ohne uns dabey zu vernachlässigen. Wer in den Zimmern eines solchen Mannes lange Weile hat, für den ist keine Rettung. Er hatte so eben seinen Achilles bey dem Leichnam des Patroklus vollendet, der auch nun gezeichnet und in Kupfer gestochen werden soll. Ich hatte die Stelle nur noch einige Tage vorher in meinem Homer gelesen; Du kannst also denken, mit welcher Begierde ich an dem Stücke hing. Es ist ein bezauberndes Bild. Der junge Held in Lebensgröſse bey dem Todten, der bis an die Brust neben ihm sichtbar ist, scheint sich so eben von seinem tiefesten Schmerz zu erholen und Rache zu beschlieſsen. Die Figur ist ganz nackt, und scheint mir ein Meisterstück der Färbung und Zeich¬ nung; aber der Kopf ist göttlich. Du weiſst, ich bin nicht Enthusiast; aber ich konnte mich kaum im An¬ schauen sättigen. Wenn meine Stimme etwas gelten könnte, würde ich mit der himlisch jugendlichen Schönheit des Gesichts nicht ganz zufrieden seyn. Der Held, der hier vorgestellt werden sollte, ist nicht mehr der Jüngling, den Ulysses unter den Töchtern Lykomeds hervorsuchte: es ist der Pelide, der schon gefochten und gezürnt hat, der schon das Schrecken der Trojaner war. Um dieses zu seyn, scheint mir der Kopf noch zu viel aus dem Gynäceum zu haben. Mich däucht, der Mann sollte schon etwas vollende¬28 ter seyn: die Periode ist selbst nur sehr kurze Zeit vor seinem eigenen Tode. Ich bescheide mich gern, und überlasse dieses den Eingeweihten der Kunst. Ein Sklave steht hinter ihm, auf dessen Gesichte man Erstaunen und Furcht liest.
Mehr als alles war mir wichtig sein Zimmer der Messiade. Hier hängt fast zu jedem Gesange eine Meisterzeichnung, an der sein Geist mit Liebe und Eifer gearbeitet hat. Er sagte mir, daſs er vor Angst einige Wochen nicht zum Entschlusse habe kommen können, was er mit dem Gedicht anfangen solle, bis auf einmahl die ganze Reihe der Scenen sich ihm dargestellt habe. Es sind zwanzig, und nur von vie¬ ren hat Göschen die Kupfer zu seiner schönen Aus¬ gabe erhalten. Es wäre werth, daſs Göschen mit sei¬ nem gewöhnlichen Enthusiasmus für Wahrheit und Schönheit in der Kunst mit wackern Künstlern sich entschlösse, sie dem Publikum alle mitzutheilen: aber die Unternehmung würde keinen kleinen Aufwand er¬ fordern, wenn Füger auf keine Weise leiden sollte. Figuren und Gruppen sind vortreflich, die apostoli¬ schen Gesichter bezaubernd, und Judas mit dem Sa¬ tan gräſslich charakteristisch, ohne Karikatur. Vor¬ züglich hat mich gerüht das Blatt, wo der Apostel nach dem Tode des geliebten Lehrers den Weibern die Dornenkrone bringt. Die Stelle ist ein Meisterwerk des Pathos im Gedicht; das hat der Künstler gefühlt und sein Gefühl mit voller Seele der Gruppe eingehaucht. Der Eifer des Kaifas ist ein Feuerstrom, und der Haupt¬ mann der Römer gleicht Einem, der in seinem Schrecken es noch zeigt, daſs er zu dem alten Kapitol29 gehört. Porcia ist ein göttliches Weib. Am wenig¬ stens hat mich das erste und letzte Blatt befriedigen wollen, weil ich mich mit der Personificierung der Gottheit nicht vertragen kann. Man nehme das Ideal noch so hoch, es kommt immer nur ein Jupiter Olym¬ pius: und diesen will ich nicht haben; er ist mir nicht genug. Christus ist das erhabenste Ideal der christli¬ chen Kunst. Er ist selbst nach der orthodoxesten Lehre noch unser Bruder. Bis zu ihm kann sich un¬ sere Sinnlichkeit erheben, aber weiter nicht. Unsere Apostel und Heiligen sind die Götter und Heroen des alten Mythus. Bis zu Platos einzig wirklichem Wesen hat sich auch kein griechischer Künstler empor ge¬ wagt. Der olympische Jupiter ist der homerische. Ich wünschte Klopstock und Wieland nur eine Stunde hier in diesem Zimmer: sie würden Lohn für ihre Arbeit finden, und Füger für die seinige.
Ich muſs Dir noch über zwey Stücke von Füger etwas sagen, die ich in den Zimmern des Grafen Fries antraf und die Du vielleicht noch nicht kennst. Der Graf erinnerte sich meiner mit Güte von der Akademie her, und seine Freundlichkeit und Gefällig¬ keit gegen Fremde, so wie sein Enthusiasmus für Kunst und Wissenschaft, in denen er seinen besten Genuſs hat, sind allgemein bekannt. Die beyden Ge¬ mälde sind ziemlich neu; denn das erste ist nur zwey Jahre alt und das zweyte noch jünger. Das erste ist Brutus der Alte, wie er seine Söhne verdammt; und der Moment ist das furchtbare: Expedi secures! Man muſs das Ganze mit Einem Blicke umfassen können, um die Gröſse der Wirkung zu haben, die der Künst¬30 ler hervorgebracht hat. Jede Beschreibung, die aus einander setzt, schwächt. Das Stück ist reich an Fi¬ guren; aber es ist keine müſsig: sie gehören alle zur Katastrophe, oder nehmen Antheil daran. Alles ist richtiger eigenthümlicher Charakter, vom Konsul bis zum Liktor. Alles ist ächt römisch, und schön und groſs. Ich darf nicht wagen zu beschreiben; es muſs gesehen werden. Vorzüglich rührend für mich war eine sehr glückliche Episode, die, so viel ich mich erinnere, der alte Geschichtschreiber nicht hat: oder wenn er sie hat, wirkt sie hier im Bilde mächtiger als bey ihm in der Erzählung. Ein ziemlich alter Mann steht mit seinen zwey Knaben in der Entfernung und deutet mit dem ganzen Ausdruck eines flammen¬ den Patriotismus auf den Richter und das Gericht hin, als ob er sagen wollte: Bey den Göttern, so müſste ich gegen euch seyn, wenn ihr würdet wie diese! Va¬ ter und Söhne sind für mich unbeschreiblich schön.
Das zweyte Stück ist Virginius, der so eben seine Tochter geopfert hat, das Messer dem Volke und dem Decemvir zeigt, und als ein furchtbarer Prophet der künftigen Momente nur einen Augenblick da steht. Dieser Augenblick war einzig für den Geist des Künst¬ lers. Die beyden Hauptfiguren, Virginius und Appius Klaudius sind in ihrer Art vortreflich: aber unbe¬ schreiblich schön, rührend und von den Grazien selbst hingehaucht ist die Gruppe der Weiber, die das ster¬ bende Mädchen halten. Diese bekümmern sich nicht mehr um den Vater, nicht um den tyrannischen Rich¬ ter, nicht um das Volk, um nichts was um sie her ge¬ schieht; sie sind ganz allein mit dem geliebten Leich¬31 nam beschäftiget. Eine so reitzende Verschlingung schwebte selten der Seele eines Dichters vor: nimm nun noch die Vollendung und Zartheit der Figuren und das Pathos des Augenblicks dazu. Es ist eine der schönsten Kompostionen aus der Seele eines Künslers, den der Genius der hohen und schönen Humanität belebte. Ich würde nieder knien und anbeten, wenn ich die Römer nicht besser kennte. Du weiſst aber schon hierüber meine etwas ketzerische Denkungsart. Als Philantrop betrachtet möchte ich lieber in Ruſs¬ land leben, an der Kette der dortigen Knechtschaft, als unter dem Palladium der römischen Freyheit. Be¬ schuldige mich nicht zu schnell eines Paradoxons. Wehe den neuen Galliern, wenn sie die altrömische Freyheit ihrer Nation oder gar ihren Nachbarn auf¬ dringen oder, wie Klopstock spricht, aufjochen wollen! Aber wo gerathe ich hin?
Fügers neuestes Werk, an dem er jetzt, wie ich höre, für den Herzog Albert von Sachsen-Teschen, arbeitet, ist ein Jupiter, der dem Phidias erscheint, um ihn zu seinem Bilde vom Olympus zu begeistern. Da es in die Höhe kommen soll, ist die Anlage etwas kolossalisch. Der Gedanke ist kühn, sehr kühn: aber Füger ist vielleicht gemacht solche Gedanken auszu¬ führen. Mit einer liebenswürdigen Offenheit gesteht der groſse Künstler, daſs er einige seiner herrlichsten Kompositionen aus Vater Wielands Aristipp genommen hat. Nun wünschte ich auch David einige Stunden so nahe zu seyn, wie ich es Füger war; und ich hoffe es soll mir gelingen.
Während der vierzehn Tage, die ich hier hause¬32 te, war nur einige Mahl ein Stündchen reines helles Wetter, aber nie einen ganzen Tag; und die Wiener klagen, daſs dieses fast beständig so ist. Da ging ich denn so finster zuweilen allein für mich auf dem Walle und etymologisierte eins. Vindobana, quia dat vinum bonum; Danubius, qui dat nubes; und dergleichen mehr: wer weiſs, ob die Römer bey ihrer Nomenkla¬ tur nicht so gedacht haben. Wenn Füger, Retzer, Ratschky, Miller und einige andere nicht gewesen wären, die mir zuweilen ein Viertelstündchen schenk¬ ten, ich hätte den dritten Tag vor Angst meinen Tor¬ nister wieder packen müssen.
Von dem Wiener Theaterwesen kann ich Dir nicht viel Erbauliches sagen. Die Gesellschaft des Na¬ tionaltheaters ist abwechselnd in der Burg und am Kärnthner Thore, und spielt so gut sie kann. Das männliche Personale ist nicht so arm als das weibliche; aber Brockmann steht doch so isoliert dort und ragt über die andern so sehr empor, daſs er durch seine Ueberlegenheit die Harmonie merklich stört. Die an¬ dern, unter denen zwar einige gute sind, können ihm nicht nacharbeiten, und so geht er oft zu ihnen zurück; zumahl da auch seine schöne Periode nun vorbey ist. Man gab eben das Trauerspiel Regulus. Ich gestehe Dir, daſs es mir ungewöhnlich viel Vergnügen ge¬ macht hat; vielleicht schon deſswegen, weil es einen meiner Lieblingsgegenstände aus der Geschichte behan¬ delte. Ich halte das Stück für recht gut gearbeitet, so viel ich aus einer einzigen Vorstellung urtheilen kann, wo ich mich aber unwillkührlich mehr zum Genuſs hingab, als vielleicht zur Kritik nöthig war. Es sind33 allerdings mehrere kleine Verzeichnungen in den Cha¬ raktern; aber das Ganze hat doch durchaus einen sehr festen, ernsthaften, nicht unrömischen Gang: die Spra¬ che ist meistens rein und edel, und ich war zufrieden. Zum Meisterwerke fehlt ihm freylich noch manches; aber Apollo gebe uns nur mehrere solche Stücke, so haben wir Hoffnung auch jene zu erhalten. Es wird mir noch lange einen groſsen Genuſs gewähren, Brock¬ mann in der Rolle des Regulus gesehen zu haben. Der weibliche Theil der Gesellschaft, der auf den meisten Theatern etwas arm zu seyn pflegt, ist es hier vorzüg¬ lich; und man ist genöthigt die Rolle der ersten Lieb¬ haberin einer Person zu geben, die mit aller Ehre Aebtissin in Quedlinburg oder Gandersheim werden könnte. Die Dame ist gut, auch gute Schauspielerin; aber nicht für dieses Fach.
Die Italiäner sind verhältniſsmäſsig nicht besser. Man trillert sehr viel, und singt sehr wenig. Der Ka¬ strat Marchesi kombabusiert einen Helden so unbarm¬ herzig in seine eigene verstümmelte Natur hinein, daſs es für die Ohren des Mannes ein Jammer ist; und ich begreife nicht, wie man mit solcher Unmenschlichkeit so traurige Miſsgriffe in die Aesthetik hat thun können. Das mögen die Italiäner, wie vielen andern Unsinn, bey der gesunden Vernunft verantworten, wenn sie können.
Schikaneder treibt sein Wesen in der Vorstadt an der Wien, wo er sich ein gar stattliches Haus gebaut hat, dessen Einrichtung mancher Schauspieldirektor mit Nutzen besuchen könnte und sollte. Der Mann kennt sein Publikum und weiſs ihm zu geben was ihm schmeckt. Sein groſser Vorzug ist Lokalität, deren er sich oft mit einer Freymüthigkeit bedient, die ihm selbst und der Wiener Duldsamkeit noch Ehre macht. Ich habe auf seinem Theater über die Nationalnarr¬ heiten der Wiener Reichen und Höflinge Dinge gehört, die man in Dresden nicht dürfte laut werden lassen, ohne sich von höherem Orte eine strenge Weisung über Vermessenheit zuzuziehen. Mehrere seiner Stücke scheint er im eigentlichsten Sinne nur für sich selbst gemacht zu haben; und ich muſs bekennen, daſs mir seine barocke Personalität als Tyroler Wastel ungemei¬ nes Vergnügen gemacht hat. Es ist den Wienern von feinem Ton und Geschmack gar nicht übel zu neh¬ men, daſs sie zuweilen zu ihm und Kasperle heraus¬ fahren und das Nationaltheater und die Italiäner leer lassen. Seine Leute singen für die Vorstadt verhält¬ niſsmäſsig weit besser, als jene für die Burg. Die Klei¬35 dung ist an der Wien meistens ordentlicher und ge¬ schmackvoller, als die verunglückte Pracht dort am Hofe, wo die Stiefletten des Heldengefolges noch manchmahl einen sehr ärmlichen Aufzug machen. So lange Schikaneder Possen, Schnurren und seine eigenen tollen Operetten giebt, wo der Wiener Dialekt und der Ton des Orts nicht angenehm mit wirkt, kann er auch Leute von gebildetem Geschmack einige Mahl vergnügen; aber wenn er sich an ernsthafte Stücke wagt, die höheres Studium und durchaus einen höheren Grad von Bildung erfodern, muſs der Versuch aller¬ dings immer sehr schlecht ausfallen. Aber hier wird er vielleicht sagen, ich arbeite für mein Haus: dawi¬ der ist denn nichts einzuwenden; nur möchte ich dann nicht zu seinem Hause gehören. Er will aber höchst wahrscheinlich für nichts weiter gelten, als für das Mittel zwischen Kasperle und der Vollendung der mi¬ mischen Kunst im Nationaltheater. Die Herren Kas¬ perle und Schikaneder mögen ihre subordinirten Zwe¬ cke so ziemlich erreicht haben; aber das Nationalthea¬ ter ist, so wie ich es sah, noch weit entfernt, dem er¬ sten Ort unsers Vaterlandes und der Residenz eines groſsen Monarchen durch seinen Gehalt Ehre zu machen.
Den Herrn Kasperle aus der Leopoldstadt hat, wie ich höre, der Kaiser zum Baron gemacht; und mich däucht, der Herr hat seine Würde so gut verdient, als die meisten, die dazu erhoben werden. Er soll über¬ dieſs das wesentliche Verdienst besitzen, ein sehr guter Haushalter zu seyn.
Ueber die öffentlichen Angelegenheiten wird in36 Wien fast nichts geäuſsert, und Du kannst vielleicht Monate lang auf öffentliche Häuser gehen, ehe Du ein einziges Propos hörst, das auf Politik Bezug hätte; so sehr hält man mit alter Strenge eben so wohl auf Or¬ thodoxie im Staate wie in der Kirche. Es ist überall eine so andächtige Stille auf den Kaffehäusern, als ob das Hochamt gehalten würde, wo jeder kaum zu ath¬ men wagt. Da ich gewohnt bin, zwar nicht laut zu enragieren, aber doch gemächlich unbefangen für mich hin zu sprechen, erhielt ich einige Mahl eine freund¬ liche Weisung von Bekannten, die mich vor den Un¬ sichtbaren warnten. In wie fern sie Recht hatten, weiſs ich nicht; aber so viel behaupte ich, daſs die Herren sehr Unrecht haben, welche die Unsichtbaren brauchen. Einmahl spielte meine unbefangene Sorg¬ losigkeit fast einen Streich. Du weiſst, daſs ich durch¬ aus kein Revolutionär bin; weil man dadurch meistens das Schlechte nur Schlimmer macht; ich habe aber die Gewohnheit die Wirkung dessen was ich für gut halte zuweilen etwas lauter werden zu lassen, als viel¬ leicht gut ist. So hat mir der Marseiller Marsch als ein gutes musikalisches Stück gefallen, und es begeg¬ net mir wohl, daſs ich, ohne eben irgend etwas zu den¬ ken, eben so wie aus irgend einem andern Musikstücke, einige Takte unwillkührlich durch die Zähne brumme. Dieſs geschah einmahl, freylich sehr am unrechten Orte, in Wien, und wirkte natürlich wie ein Dämpfer auf die Anwesenden. Mir war mehr bange für die guten Leute als für mich: denn ich hatte weiter kei¬ nen Gedanken, als daſs mir die Musik der Takte ge¬ fiel, und selbst diesen jetzt nur sehr dunkel.
37Ich erinnere mich eines drolligen, halb ernsthaf¬ ten, halb komischen Auftritts in einem Wirthshause, der auf die übergroſse Aengstlichkeit in der Residenz Bezug hatte. Ein alter ehrlicher, eben nicht sehr po¬ litischer Oberstlieutenant hatte während des Krieges bey der Armee in Italien gestanden und sich dort gewöhnt, recht jovialisch lustig zu seyn. Seine Geschäfte hatten ihn in die Residenz gerufen, und er fand da an öffent¬ lichen Orten überall eine Klosterstille. Das war ihm sehr miſsbehaglich. Einige Tage hielt er es aus, dann brach er bey einem Glase Wein ächt soldatisch laut hervor und sagte mit ganz drolliger Unbefangenheit: „ Was, zum Teufel, ist denn das hier für ein ver¬ dammt frommes Wesen in Wien? Kann man denn hier nicht sprechen? Oder ist die ganze Residenz eine groſse Karthause? Man kommt ja hier in Gefahr das Reden zu verlernen. Oder darf man hier nicht reden? Ich habe so etwas gehört, daſs man überall lauern läſst: ist das wahr? Hole der Henker die Mummerey! Ich kann das nicht aushalten; und ich will laut reden und lustig seyn. “ Du hättest die Gesichter der Gesell¬ schaft bey dieser Ouvertüre sehen sollen. Einige wa¬ ren ernst, die andern erschrocken; andere lächelten, andere nickten gefällig und bedeutend über den Spaſs: aber niemand schloſs sich an den alten Haudegen an. Ich werde machen, sagte dieser, daſs ich wieder zur Armee komme; Das todte Wesen gefällt mir nicht.
Als die Franzosen bis in die Nähe von Wien vor¬ gedrungen waren, soll sich, die Magnaten und ihre Kreaturen etwa ausgenommen, niemand vor dem Feinde gefürchtet haben: aber desto gröſser war die38 allgemeine Besorgniſs vor den Unordnungen der zu¬ rückgeworfenen Armee. Damahls fing Bonaparte eben an, etwas bestimmter auf seine individuellen Aussich¬ ten loszuarbeiten, und hat dadurch zufälliger Weise den Oestreichern groſse Angst und groſse Verwirrun¬ gen erspart.
Doktor Gall hat eben einen Kabinetsbefehl erhal¬ ten, sich es nicht mehr beygehen zu lassen, den Leu¬ ten gleich am Schedel anzusehen, was sie darin haben. Die Ursache soll seyn, weil diese Wissenschaft auf Materialismus führe.
Man sieht auch hier in der Residenz nichts als Papier und schlechtes Geld. Die Manege mit schlech¬ tem Gelde ist bekannt; man führt daran, so lange es geht. Das Kassenpapier ist noch das unschuldigste Mittel die Armuth zu decken, so lange der Kredit hält. Aber nach meiner Meinung ist für den Staat nichts verderblicher und in dem Staat nichts un¬ gerechter als eigentliche Staatspapiere, so wie unsere Staaten eingerichtet sind. Eingerechnet unsere Privi¬ legien und Immunitäten, die freylich eine Sottise des öffentlichen Rechts sind, zahlen die Aermeren fast durchaus fünf Sechstheile der Staatsbedürfnisse. Die Inhaber der Staatspapiere, sie mögen Namen haben wie sie wollen, gehören meistens zu den Reichen, oder wohl gar zu den Privilegiaten. Die Interessen werden wieder aus den Staatseinkünften bezahlt, die meistens von den Aermeren bestritten werden. Ein beliebter Schriftsteller wollte vor kurzem die Wohlthä¬ tigkeit der Staatsschulden in Sachsen dadurch beweisen, weil man durch dieses Mittel sehr gut seine Gelder39 unterbringen könne. Nach diesem Schlusse sind die Krankheiten ein groſses Gut für die Menschheit, weil sich Aerzte, Chirurgen und Apotheker davon nähren. Ein eigener Ideengang, den freylich Leute nehmen können, die ohne Gemeinsinn gern viel Geld sicher unterbringen wollen. Das Resultat ist aber ohne vie¬ les Nachdenken, daſs durch die Staatsschulden die Aermern gezwungen sind, auſser der alten Last, noch den Reichen Interessen zu bezahlen, sie mögen wollen oder nicht. „ Bey Steuerkataster, auf allgemeine Gerechtigkeit gegründet, wäre es anders. Aber jetzt haben die Reichen die Steuerscheine und die Armen zahlen die Steuern. Man kann diese Logik nur bey einem Kasten voll Steuerobligationen bündig finden. Wo hätte der Staat die Verbindlichkeit den Reichen auf Kosten der Armen ihre Kapitale zu verzinsen? Und das ist doch das Facit jeder Staatsschuld. Jede Staatsschuld ist eine Krücke, und Krücken sind nur für Lahme. Die Sache ist zu wichtig, sie hier weiter zu erörtern. Ich weise Dich vorzüglich auf Humes Buch als das beste, was mir über diesen Gegenstand bekannt ist.
Sonderbar war es, daſs man in dem letzten Jahre des Krieges bey der höchsten Krise Wien zum Waffen¬ platz machen wollte; das Schlimmste, was die Regie¬ rung für ihre Sache thun konnte. Wenn damahls die Franzosen den Frieden nicht eben so nöthig hatten wie die Deutschen, oder wenn Bonaparte andere Absich¬ ten hatte, als er nachher zeigte, so war das Unglück für die Oestreichischen Staaten entsetzlich. Was konnte man von den Vorspiegelungen erwarten? Es war be¬40 kannt, Wien hätte sich nicht acht Tage halten kön¬ nen; und welche Folgen hätte es gehabt, wenn es auf dem Wege der Gewalt in die Hände der Feinde ge¬ kommen wäre? Die Wiener waren zwar sicher, daſs es nicht dahin kommen würde; aber eben deſswegen waren die Vorkehrungen ziemlich verkehrt. Man hätte gleich mit Entschlossenheit der Maxime des Mi¬ nisters folgen können, dessen übrige Verfahrungsart ich aber nicht vertheidigen möchte. Hier hatte er ganz Recht, wenn nur sonst die Kräfte gewogen wä¬ ren: Die Residenz ist nicht die Monarchie; und es ist manchem Staate nichts weniger als wohlthätig, daſs die Kapitale so viel Einfluſs auf das Ganze haben.
Für Kunstsachen und gelehrtes Wesen habe ich, wie Dir bekannt ist, nur selten eine glückliche Stim¬ mung; ich will Dir also, zumahl da das Feld hier zu groſs ist, darüber nichts weiter sagen: Du magst Dir von Schnorr erzählen lassen, der vermuthlich eher zu¬ rück kommt als ich.
Ich darf rühmen, daſs ich in Wien überall mit einer Bonhommie und Gefälligkeit behandelt worden bin, die man vielleicht in Residenzen nicht so gewöhn¬ lich findet. Selbst die schnakische Visitation an der Barriere wurde, was die Art betrifft, mit Höflichkeit gemacht. Den einzigen böotischen, aber auch ächt böo¬ tischen, Auftritt hatte ich den letzten Tag auf der ita¬ liänischen Kanzley. Hierher wurde ich mit meinem Passe von der Polizey um einen neuen gewiesen. Im Vorzimmer war man artig genug und meldete mich, da ich Eile zeigte, sogleich dem Präsidenten, der eine Art von Minister ist, den ich weiter nicht kenne. Er41 hatte meinen Paſs von Dresden schon vor sich in der Hand, als ich eintrat.
„ Währ üfs Aehr? “fragte er mich mit einem stier glotzenden Molochsgesicht in dem dicksten Wie¬ ner Bratwurstdialekt. Ich ehre das Idiom jeder Pro¬ vinz, so lange es das Organ der Humanität ist; und die braven Wiener mit ihrer Gutmüthigkeit haben mir nur selten das Gefühl rege gemacht, daſs ihre Aussprache etwas besser seyn sollte. Ich that ein kur¬ zes Stoſsgebetchen an die heilige Humanität, daſs sie mir hier etwas Geduld gäbe, und sagte meinen Na¬ men, indem ich auf den Paſs zeigte.
„ Wu will Aehr hünn? “
Steht im Passe: nach Italien.
„ Italien üſs gruhſs. “
Vor der Hand nach Venedig, und sodann weiter.
„ Slähftr holtr sähr füehl sulch lüederlüchches Ge¬ süendel härümmer. “
Nun, Freund, was war hier zu thun? Dem Men¬ schen zu antworten, wie er es verdiente? Er hätte leicht Mittel und Wege gefunden mich wenigstens acht Tage aufzuhalten, wenn er mich nicht gar zu¬ rück geschickt hätte: denn er war ja ein Stück von Minister. Ich suchte eine alte militärische Aufwallung mit Gewalt zu unterdrücken. Der Graf Metternich in Dresden muſs wohl wissen, was er thut und wem er seine Pässe giebt: er ist verantwortlich dafür! sagte ich so bestimmt als mir der Ton folgte. Der Mensch belugte mich von dem verschnittenen Haarschedel den polnischen Rock herab bis auf die Schariwari, die um ein Paar derbe rindslederne Stiefeln geknöpft waren.
42„ Wu wüll Aehr weiter hünn? “
Vorzüglich nach Sicilien.
Er glotzte von neuem, und fragte:
„ Wafs wüll Aehr da machchen? “
Hätte ich ihm nun die reine platte Wahrheit ge¬ sagt, daſs ich bloſs spazieren gehen wollte, um mir das Zwerchfell aus einander zu wandeln, das ich mir über dem Druck von Klopstocks Oden etwas zusammen ge¬ sessen hatte, so hätte der Mann höchst wahrscheinlich gar keinen Begriff davon gehabt und geglaubt, ich sey irgend einem Bedlam entlaufen.
Ich will den Theokrit dort studieren; sagte ich.
Weiſs der Himmel was er denken mochte; er sah mich an und sah auf den Paſs und sah mich wieder an, und schrieb sodann etwas auf den Paſs, welches, wie ich nachher sah, der Befehl zur Ausfertigung ei¬ nes andern war.
„ Abber Aehr dörf süchch nücht ünn Venedig uff¬ halten. “
Ich bin es nicht Willens, antwortete ich mit dem ganzen Murrsinn der düstern Laune, und bekomme hier auch nicht Lust dazu. Er beglotzte mich noch einmahl, gab mir den Paſs, und ich ging.
Man hat mir den Namen des Mannes genannt und gesagt, daſs dieses durchaus sein Charakter sey, und daſs er bey dem Kaiser in gar groſsem Vertrauen und hoch in Gnaden stehe. Desto schlimmer für den Kaiser und für ihn und die Wiener und alle, die mit ihm zu thun haben. Sein Gesicht hatte das Gepräge seiner Seele, das konnte ich beym ersten Anblick se¬ hen, ohne jemahls eine Stunde bey Gall gehört zu43 haben. Seinen Namen habe ich geflissentlich ver¬ gessen, erinnere mich aber noch so viel, daſs er, nicht zur Ehre unserer Nation, ein Deutscher, obgleich Prä¬ sident der italiänischen Kanzley war. Ist das der Vor¬ schmack von Italien? dachte ich; das fängt erbau¬ lich an.
Von hier ging ich mit dem Passe hinüber in die Kanzleystube, wo ausgefertigt wurde; und hier war der Revers des Stücks, ein ganz anderer Ton. Ich wurde so viel Euer Gnohden gescholten, daſs meine Bescheidenheit weder ein noch aus wuſste, und erhielt sogleich einen groſsen Realbogen voll Latein in ziem¬ lich gutem Stil, worin ich allen Ober - und Unteroffi¬ zianten des Kaisers im Namen des Kaisers gar nach¬ drücklich empfohlen wurde. Wenn es nur der Präsi¬ dent etwas höflicher gemacht hätte; es hätte mit der nehmlichen oder weit weniger Mühe für ihn und mich angenehmer werden können. Auf dem neuen Passe stand gratis und man foderte mir zwey Gulden ab, die ich auch, trotz der sonderbaren Hermenevtik des Wörtchens, sehr gern sogleich zahlte und froh war, daſs ich dem Uebermaſs der Grobheit und Höflichkeit zugleich entging.
Nun nahm ich von meinen alten und neuen Bekann¬ ten in der Kaiserstadt Abschied, packte meine Sieben¬ sachen zusammen und wandelte mit meinem neuen kaiserlichen Dokument Tages darauf fröhlichen Muthes44 die Straſse nach Steyermark. Schnorr hatte als Haus¬ vater billig Bedenken getragen, den Gang nach Hespe¬ rien weiter mit mir zu machen. Man hatte die Ge¬ fahr, die wohl ziemlich groſs war, von allen Seiten noch mehr vergröſsert; und was ich als einzelnes iso¬ liertes Menschenkind ganz ruhig wagen konnte, wäre für einen Familienvater Tollkühnheit gewesen. Kom¬ me ich um, so ist die Rechnung geschlossen und es ist Feyerabend: aber bey ihm wäre die Sache nicht so leicht abgethan. Er begleitete mich den zehnten Januar, an einem schönen hellen kalten Morgen eine Stunde weit heraus bis an ein altes gothisches Monu¬ ment, und übergab mich meinem guten Genius. Un¬ sere Trennung war nicht ohne Schmerz, aber rasch und hoffnungsvoll uns in Paris wieder zu finden.
Ich zog nun an den Bergen hin, die rechts im¬ mer gröſser wurden, dachte so wenig als möglich, denn viel denken ist, zumahl in einer solchen Stimmung und bey einer solchen Unternehmung, sehr unbequem, und setzte gemächlich einen Fuſs vor den andern im¬ mer weiter fort. Als die Nacht einbrach blieb ich in einem Dorfe zwischen Günselsdorf und Neustadt. So wie ich in die groſse Wirthsstube trat fand ich sie voll Soldaten, die ihre Bacchanalien hielten. Die Remi¬ niscenzen der Wachstuben, wo ich ehemahls Amts we¬ gen eine Zeit lang jede dritte Nacht unter Tabaks¬ dampf und Kleinbierwitz leben muſste, hielten mich, daſs ich nicht sogleich zurück fuhr. Ich pflanzte mich in einen Winkel am Ofen, und lieſs ungefähr dreyſsig Wildlinge ihr Unwesen so toll um mich her treiben, daſs mir die Ohren gellten. Einige spielten Karten,45 andere sangen, andere disputierten in allen Sprachen der Pfingstepistel mit Mund und Hand und Fuſs. Da entstand Streit im Ernst und die Handfestesten schie¬ nen schon im Begriff, sich einander die Argumenta ad hominem mit den Fäusten zu applicieren, da fing ein alter Kerl an in der entferntesten Ecke der groſsen gewölbten Stube auf einer Art von Sackpfeife zu bla¬ sen, und alles ward auf einmahl friedlich und lachte. Bey dem dritten und vierten Takte ward es still; bey dem sechsten faſsten ein Paar Grenadiere einander un¬ ter die Arme und fingen an zu walzen. Der Ball ver¬ mehrte sich, als ob Hüons Horn geblasen würde; man ergriff die Mädchen und sogar die alte dicke Wirthin, und aller Zank war vergessen. Dann traten Solotän¬ zer auf und tanzten steyerisch, dann kosakisch, und dann den ausgelassensten ungezogensten Kordax, daſs die Mädchen davon liefen und selbst der Sakpfeifer aufhörte. Dann ging die Scene von vorn an. Man spielte und trank, und fluchte und zankte und drohte mit Schlägen, bis der Sackpfeifer wieder anfing. Der Mann war hier mehr als Friedensrichter, er war ein wahrer Orpheus. Der Wein, den man aus groſsen Glaskrügen trank, that endlich seine Wirkung; alles ward ein volles, groſses, furchtbar bacchantisches Chor. Hier nahm ich den Riemen meines Tornisters auf die linke Schulter, meinen Knotenstock in die rechte Hand und zog mich auf mein Schlafzimmer, wo ich ein herrliches Thronbette fand und gewiſs wie ein Fuhrknecht geschlafen hätte, wäre ich nicht von den Grenadieren durch eine förmliche Bataille geweckt worden. Der ehrliche Wirth machte den Leidenden,46 überall das sicherste bey militärischer Regierung, und hätte seinen kriegerischen Gästen wohl gern ihre Kreu¬ zer geschenkt, wenn sie ihn nur in Ruhe gelassen hätten. Ein Offizier, wie ich aus dem Ton vermuthe¬ te, mit dem er sprach, machte endlich um zwey Uhr Schicht, und es ward ruhig.
Den andern Morgen fand ich einen ehrsamen al¬ ten Mann bey seinem Weine sitzen, der den Kopf über die nächtliche Geschichte der Kriegsmänner schüttelte. Dieser erzählte mir denn einiges über die Einquartierung und klagte ganz leise, daſs sie der Ge¬ gend sehr zur Last wäre. Die Soldaten waren auf Arbeit an dem Kanale, über den ich gestern gegangen war, und der, wie mir der Alte bedeutend zweifelhaft sagte, bis nach Triest geführt werden solle. Vor der Hand wird er nur die Steinkohlen von Neustadt nach Wien bringen. Das Wasser aus den Bergen bey Neu¬ stadt und Neukirchen war so schön und hell, daſs ich mich im Januar hätte hinein werfen mögen. Schönes Wasser ist eine meiner besten Liebschaften, und über¬ all wo nur Gelegenheit war ging ich hin und schöpfte und trank. Du muſst wissen, daſs ich noch nicht so ganz diogenisch einfach bin aus der hohlen Hand zu trinken, sondern dazu auf meiner Wanderschaft eine Flasche von Resine gebrauche, die reinlich ist, fest hält und sich gefällig in alle Formen fügt. Eine Stun¬ de von Schottwien fängt die Gegend an herrlich zu werden; vorzüglich macht ein Kloster rechts auf einer Anhöhe eine sehr romantische Parthie. Das Ganze hat Aehnlichkeit mit den Schluchten zwischen Auſsig und Lowositz; nur ist das Thal enger und der Fluſs47 kleiner; doch sind die Berghöhen nicht unbeträchtlich und sehr malerisch gruppiert. Das Städtchen Schott¬ wien liegt an dem kleinen Flüſschen Wien zwischen furchtbar hohen Bergen, und macht fast nur eine ein¬ zige Gasse. Vorzüglich schön sind die Felsenmassen am Eingange und Ausgange.
Es hatte zwey Tage ziemlich stark gefroren und fing heute zu Mittage merklich an zu thauen, und jetzt schlagen Regengüsse an meine Fenster und das Wasser schieſst von den Dächern und der kleine Fluſs rauscht mächtig durch die Gasse hinab. Mir schmeckt der Horaz und die gute Mahlzeit hinter dem warmen Ofen meines kleinen Zimmers vortrefflich. Der Horaz schmeckt mir, das heiſst, viele seiner Verse; denn der Mensch selbst mit seiner Kriecherey ist mir ziemlich zuwider. Da ist Juvenal ein ganz anderer Mann, ne¬ ben dem der Oktavianer wie ein Knabe steht. Es ist vielleicht schwer zu entscheiden, wer von beyden den Anstand und die Sitten mehr ins Auge schlägt, ob Horazens Kanidia oder Juvenals Fulvia; es ist aber ein wesentlicher Unterschied zwischen beyden zum Vor¬ theil des letztern. Wo Horaz zweydeutig witzelt oder gar ekelhaft schmutzig wird, sieht man überall, daſs es ihm gemüthlich ist, so etwas zu sagen; er gefällt sich darin: bey Juvenal ist es reiner tiefer moralischer Ingrimm. Er beleidigt mehr die Sitten als jener; aber bey ihm ist mehr Sittlichkeit. Horaz nennt die Sache noch feiner und kitzelt sich; Juvenal nennt sie wie sie ist, aber Zorn und Unwille hat den Vers gemacht.
Ein Felsenstück hängt drohend über das Haus her, in welchem ich übernachte. Hier fängt die Gegend48 an, die, wie ich erinnere, schon andere mit den schönsten in der Schweiz verglichen haben. Wie wird es aber auf den steyermärkischen Wegen werden, vor denen mir schon in Wien selbst Eingeborene bange machen wollten? Es kann nun nichts helfen; nur Muth, damit kommt man auch in der Hölle durch. Zwischen Neustadt und Neukirchen, einer langen lan¬ gen Ebene zwischen den Bergen, die sich hinter dem letzten Orte mehr und mehr zusammen schlieſsen, be¬ gegnete mir ein starkes Kommando mit Gefangenen. Der letztern waren wohl einige Dutzend; eine sehr gute Aussicht. Einige waren schwer geschlossen und klirrten trotzig mit den Ketten. Die Meisten waren Leute, welche die Straſsen unsicher gemacht hatten. Aber desto besser, dachte ich; nun sind der Schurken weniger da; und diese werden gewiſs nicht so bald wieder losgelassen. In Wien und hier auf dem Wege überall wurde erzählt, daſs man die Preſsburger Post angefallen, ausgeplündert und den Postillon und den Schaffner erschlagen habe. Auch bey Pegau, nicht weit von Gräz, war das nehmliche geschehen. Das waren aber gewiſs Leute, die vorher gehörig rekognos¬ ciert hatten, daſs die Post beträchtliche Summen führ¬ te, die sich auch wirklich zusammen über hundert und dreyſsig tausend Gulden belaufen haben sollen. Bey mir ist nicht viel zu rekognoscieren; mein Homer und meine Gummiflasche werden wenig Räuber in Versuchung bringen.
Von Schottwien bis hierher war heute in der Mitte des Januars eine tüchtige Wandlung. Der Sömmering ist kein Maulwurfshügel; es hatte die zweyte Hälfte der Nacht entsetzlich geschneyt; der Schnee ging mir hoch an die Waden; ich wuſste keinen Schritt Weg, und es war durchaus keine Bahn. Einige Mahl lief ich den Morgen noch im Finstern unten im Thal zu weit links, und muſste durch Verschläge in dem tie¬ fen Schnee die groſse Straſse wieder suchen. Nun ging es bergan zwey Stunden, und nach und nach ka¬ men einige Fuhrleute den Sömmering herab, und zeig¬ ten mir wenigstens, daſs ich dort hin muſste, wo sie kerkamen. Links und rechts waren hohe Berge, mit Schwarzwald bewachsen, der mit Schnee behangen war; und man konnte vor dem Gestöber kaum zwan¬ zig Schritte sehen. Oben auf den Bergabsätzen begeg¬ neten mir einige Reisewagen, die in dem schlechten Wege nicht fort konnten. Der Frost hielt noch nicht, und überdieſs waren die Gleise entsetzlich ausgeleyert. Herren und Bedienten waren abgestiegen und halfen fluchend dem Postillon das leere Fuhrwerk Schritt vor Schritt weiter hinauf winden. Ich wechselte die Schluchten bergauf bergab, und trabte zum groſsen Neide der dick bepelzten Herren an dem englischen Wagen fürbaſs. Ein andermahl rollten sie vor mir vorbey, wenn ich langsam fort zog. So gehts in der Welt: sie gingen schneller, ich ging sicherer. Auf die¬ ser Seite des Sömmerings kommt aus verschiedenen450Schluchten die Wien herab; und auf der zweyten Hälfte der Station, nach Mürzzuschlag, nachdem man den Gipfel des Berges erstiegen hat, kommt eben so die Mürz hervor, und ist in einer Stunde schon ein recht schöner Bach. Bey Mürzzuschlag treibt sie fast alle hundert Schritte Mühlen und Hammerwerke bis herab nach Krieglach, wo sie gröſser wird, nun schon ei¬ nen ansehnlichen Fluſs bildet, und nur mit Kosten ge¬ braucht werden kann. Es ist angenehm, die Industrie zu sehen, mit welcher man das kleine Wässerchen zu seinen Behufen zu leiten und zu gebrauchen weiſs; und die kleinen Thäler an dem Flusse herunter sind auſserordentlich lieblich, und machen auch unter dem Schnee mit ihren fleiſsigen Gruppen ein schönes Winterbild.
Die Wörter Mürzzuschlag und Krieglach klangen mir nach den Wiener Mordgeschichten gar sehr wie nomina male ominata, deren Etymologie ich mir gern hätte erklären lassen, wenn ich nicht zu faul gewesen wäre irgend einen Pastor aufzusuchen: und ich war herzlich froh, als ich gegen Abend so ziemlich aus der abenteuerlichen Gegend heraus war. Es ist etwas sehr gewöhnliches, daſs man einem Gaste, wenn er die Zeche bezahlt hat und abzieht, glückliche Reise wünscht, und man denkt nicht viel dabey: aber Du kannst nicht glauben, wie angenehm es ist, wenn es in einer solchen Lage, im Januar wenn der Sturm den Schnee 'gegen die Felsen jagt, mit Theilnahme von einem artigen hübschen Mädchen geschieht, zu¬ mahl wenn man den Kopf voll Räuber und Marodeurs hat.
Hier will ich einige Tage bleiben und ruhen; die Stadt und die Leute gefallen mir. Du weiſst, daſs der Ort auf den beyden Seiten der Murr sehr ange¬ nehm liegt; und das Ganze hat hier überall einen An¬ blick von Bonhommie und Wohlhabenheit, der sehr behaglich ist. Von Schottwien aus machte ich den er¬ sten Tag mit vieler Anstrengung nur fünf Meilen; und den zweyten mit vieler Leichtigkeit sieben: aber den ersten stieg ich in dem entsetzlichsten Schneegestöber an der Wien bergauf; und den zweyten ging ich bey ziemlich gutem Wetter an der Mürz bergab. Es ist ein eigenes Vergnügen, die Bäche an ihren Quellen zu sehen und ihnen zu folgen bis sie Flüsse werden. Die Mürz ist ein herrliches Wasser, und muſs die er¬ ste Meile schöne Forellen haben. Man hat mich zwar gewarnt, nicht in der Nacht zu gehen, und mich däucht, ich habe es versprochen: aber ich habe bis jetzt doch schon zwey Mahl dagegen gesündiget, und bin über eine Stunde die Nacht gelaufen. Indessen wer wird gern in einer schlechten Kabacke übernach¬ ten, wenn man ihm sagt, eine Meile von hier findet ihr ein gutes Wirthshaus.
An einem dieser Tage wurde ich zu Mittage in einem kleinen Städtchen gar köstlich bewirthet, und bezahlte nicht mehr als achtzehn Kreuzer. Das that meiner Philanthropie sehr wohl; denn Du weiſst, daſs ich mir aus den Kreuzern so wenig mache wie aus den Kreuzen. Mein Ideengang kam dadurch natürlich52 auf die schöne Tugend der Billigkeit und auf die un¬ billige Forderung, daſs alle Richter als Richter sie ha¬ ben sollen. Billigkeit ist die Nachlassung von seinem eigenen Rechte: und nun frage ich Dich, ob ein Rich¬ ter dabey etwas zu thun hat? Nur die Partheyen können und sollen billig seyn. Bey billigen Richtern wäre es um die Gerechtigkeit geschehen. Mit diesen Gedanken setzte ich mich in dem nächsten Wirths¬ hause nieder, und legte das Resultat derselben in mein Taschenbuch über die Billigkeit.
Jeder soll billig seyn für sich; das ist menschlich, das ist schön: aber alle müssen gerecht seyn gegen alle; das ist nothwendig, sonst kann das Ganze nicht bestehen. Der billige Richter ist ein schlechter Rich¬ ter, oder seine Gesetze sind sehr mangelhaft. Die Billigkeit des Richters wäre ein Eingriff in die Gerech¬ tigkeit. Zur Gerechtigkeit kann, muſs der Mensch gezwungen werden; zur Billigkeit nicht: das ist in der Natur der Sache gegründet. Wo die Partheyen billig seyn wollen, handelt der Richter nicht als Richter, sondern als Schiedsmann. Die Gerechtigkeit ist die erste groſse göttliche Kardinaltugend, welche die Menschheit weiter bringen kann. Nicht die Gerech¬ tigkeit, die in den zwölf Tafeln steht und die nach¬ her Justinian lehren lieſs. Jeder unbefangene Ge¬ schichtsforscher weiſs, was die Zehnmänner waren, was sie für Zwecke hatten und wie sie zu Werke gin¬ gen, und wie viel Unsinn Papinian von der Toilette der heiligen Theodora annehmen muſste. Nicht die Gerechtigkeit unserer Fürsten, die einige tausend Bauern mit Peitschen vom Pfluge hauen, damit sie ihnen ein Schwein jagen, das ein Jägerbursche zum Probeschuſs tödten könnte. An der Seine erschien vor einigen Jahren eine Morgenröthe, die sie hervorzufüh¬ ren versprach. Aber die Morgenröthe verschwand, es folgten Ungewitter, dann dicke Wolken und endlich54 Nebeltage. Es war ein Phantom. Wenn Du Gerech¬ tigkeit in Gesetzen suchst, irrest Du sehr; die Gesetze sollen erst aus der Gerechtigkeit hervor gehen. Du kannst hier, wie in manchem unserer Institute, schlie¬ ſsen: je mehr Gesetze, desto weniger Gerechtigkeit; je mehr Theologie, desto weniger Religion; je längere Predigten, desto weniger vernünftige Moral. Mit unserer bürgerlichen Gerechtigkeit geht es noch so ziemlich; denn die Gewalthaber begreifen wohl, daſs ohne diese durchaus nichts bestehen kann, daſs sie sich ohne die¬ selbe selbst auflösen: aber desto schlimmer sieht es mit der öffentlichen aus; und mich däucht, wir wer¬ den wohl noch einige platonische Jahre warten müssen, ehe es sich damit in der That bessert, so oft es sich auch ändern mag. Dazu ist die Erziehung des Men¬ schengeschlechts noch zu wenig gemacht, und diejeni¬ gen, die sie machen sollen, haben zu viel Interesse sie nicht zu machen, oder sie verkehrt zu machen. So bald Gerechtigkeit seyn wird, wird Friede seyn und Glück: sie ist die einzige Tugend, die uns fehlt. Wir haben Billigkeit, Groſsmuth, Menschenliebe, Gnade, Erbarmung genug im Einzelnen, bloſs weil wir im Allgemeinen keine Gerechtigkeit haben. Die Gnade verderbt alles, im Staate und in der Kirche. Wir wollen keine Gnade, wir wollen Gerechtigkeit; die Gnade gehört bloſs für Verbrecher; und meistens sind die Könige ungerecht, wo sie gnädig sind. Wer den Begriff der Gnade zuerst ins bürgerliche Leben und an die Thronen der Fürsten getragen hat, soll verdammt seyn von bloſser Gnade zu leben: vermuth¬ lich war er ein Mensch, der mit Gerechtigkeit nichts55 fordern konnte. Aus Gnaden wird selbst kein guter, rechtlicher, vernünftiger Mann selig werden wollen, und wenn es auch ein Dutzend Evangelisten sagten. Es ist ein Widerspruch; man lästert die Gottheit, wenn man ihr solche Dinge aufbürden will. Aber, lieber Freund, wo gerathe ich hin mit meinem Eifer in Gräz?
Mit diesen und ähnlichen Gedanken, die ich Dir hier nicht alle herschreiben kann, lief ich immer an der Mürz hinunter, kam in Brüg an die Murr und pilgerte an dem Flusse hinab. Schon zu Neukirchen waren mir eine Menge Wagen begegnet, die leer zu seyn schienen und doch auſserordentlich schwer gingen. Auf dem Sömmering traf ich noch mehr, und ent¬ deckte nun, daſs sie Kanonen führten, die sie höchst wahrscheinlich von Gräz und noch weiter von der ita¬ liänischen Armee brachten und deren Lavetten ver¬ muthlich verbraucht waren. Vor Einem Wagen zogen oft sechzehn Pferde, und der Wagen waren mehr als hundert. Für mich hatten sie den Vortheil, daſs sie Bahn machten. Hier und da war auch Bedeckung; und Soldaten mit Gewehr sehe ich als Reisender jezt immer gern: denn im Allgemeinen darf man anneh¬ men, diese sind ehrliche Leute; die Schlechten behält man in der Garnison und läſst sie nicht mit Gewehr im Lande herum ziehen.
Den zehnten um neun Uhr aus Wien, und den vierzehnten zu Mittage in Gräz, heiſst im Januar im¬ mer ehrlich zu Fuſse gegangen. Die Thäler am Flusse herunter sind fast alle romantisch schön, die Berge von beträchtlicher Höhe. Noch eine Meile von Brüg,56 gleich an dem Ufer der Mürz, steht ein schönes Land¬ haus; auf der einen Seite desselben siehst Du auf der Gartenmauer Pomona mit ihrem ganzen Gefolge in sehr grotesken Statüen abgebildet, und auf der andern die Musik mit den meisten Instrumenten nach der Reihe noch grotesker und fast an Karikatur gränzend. Das Ganze ist schnakisch genug, und thut eine possier¬ lich angenehme Wirkung. Der Trägerin des Füllhorns fehlte der Kopf, und da die ganze Gesellschaft ziem¬ lich beschneyt war, konnte man nicht entdecken, ob er abgeschlagen war oder ob man sie absichtlich ohne Kopf hingestellt hatte. Die Oerter in der Gegend ha¬ ben alle das Ansehen der Wohlhabenheit.
Bey Röthelstein beschwerte sich ein Landmann, mit dem ich eine Meile ging, über den Schaden, den die Wölfe und Luchse anrichteten, die aus den Ber¬ gen herab kämen. Der Schnee ward hoch und die Kälte schneidend, und ich eilte nach Pegau, bloſs weil der Ort für mich einen vaterländischen Namen hatte. Aber das Quartier war so traurig als ich es kaum auf der ganzen Reise angetroffen hatte. Man sperrte mich mit einem Kandidaten der Rechte zusammen, der aus der Provinz nach Gräz zum Examen ging und der mich durch seine drolligen Schilderungen der öffentli¬ chen Verhältnisse in Steyermark, für das schlechte Wirthshaus entschädigte. Er hatte viel Vorliebe für die Tyroler, ob er gleich ein Steyermärker war, und lobte Klagenfurt nach allen Prädikamenten. Mit ihm ging ich vollends hierher.
Gräz ist eine der schönsten groſsen Gegenden, die ich bis jetzt gesehen habe; die Berge rund umher ge¬57 ben die herrlichsten Aussichten, und müssen in der schönen Jahrszeit eine vortrefliche Wirkung thun. Das Schloſ[s], auf einem ziemlich hohen Berge, sieht man sehr weit; und von demselben hat man rund umher den Anblick der schön bebauten Landschaft, die durch Flüsse und Berge und eine Menge Dörfer herrlich gruppiert ist. Als ich oben in das Schloſsthor trat, stand ein Korporal dort und pfiff mit groſser Andacht eines der besten Stücke aus der Oper die Krakauer, welche die letzte Veranlassung zum Ausbruch der Re¬ volution in Warschau war. Da ich die Oper dort ge¬ nossen und das darauf folgende Trauerspiel selbst mit¬ gemacht hatte, so kannst Du denken, daſs diese Mu¬ sik hier in Gräz ganz eigen auf mich wirkte. Eben diese Melodie hatte mich oft so sehr beschäftigt, daſs ich manchmahl in Versuchung gewesen war, für mich selbst einen eigenen Text darauf zu machen, da ich das Polnische nicht sonderlich verstehe. Die Gefäng¬ nisse des Schlosses sind jetzt voll Verbrecher, die mir mit ihren Ketten entgegen klirrten. Das Spital, gleich unten am Schloſsberge, ist von Joseph dem Zweyten, ein stattliches Gebäude; und das neue sehr geschmack¬ volle Schauspielhaus, mit einer kurzen ächt lateinischen Inschrift, von den Ständen. Herr Küttner spricht schon ziemlich gut von dem hiesigen Theater, und ich habe sein Urtheil völlig richtig gefunden. Man gab eine neue Bearbeitung des alten Stücks der Teufel ist los. Der Text hält freylich, wie in den meisten Opern keine Kritik. Schade daſs man nicht in dem Tone fortgefahren ist, den Weiſse angeschlagen hatte. Es hätten eine Menge zu niedriger Redensarten ausge¬58 merzt werden sollen. Die Musik war eklektisch und gab Reminiscenzen, war aber sehr gefällig, und schon mehr italiänisch als deutsch. Der Gesang war besser, als ich ihn seit Guardasonis schöner Periode irgend wo gehört habe. Das Personale ist ziemlich gut be¬ setzt, und vorzüglich das weibliche nicht so ärmlich als in Dresden und Wien. Das einzige was mir miſs¬ fiel waren die Furien und Teufel, welche durchaus aussahen wie die Kohlenbrenner vom Blocksberge.
In einer Prolepse muſs ich Dir, nicht ganz zur Ehre unserer Mitbürger, sagen, daſs ich auf meiner ganzen Wanderschaft kein so schlechtes Schauspielhaus gesehen habe, als bey uns in Leipzig. Hier in Oest¬ reich und durch ganz Italien und auch in Frankreich sind überall gehörige bequeme Vorzimmer am Ein¬ gange, und die meisten haben Kaffeehäuser von meh¬ rern Piecen, wo man Erfrischungen aller Art und gut haben kann. Bey uns wird das Publikum in einem schlechten Winkel ziemlich schlecht bedient, und für Bequemlichkeit und Vergnügen derjenigen, die nun gerade diese Scene oder diesen Akt nicht sehen wol¬ len, ist gar nicht gesorgt. An Feuersgefahr scheint man eben so wenig gedacht zu haben, und sperrt das Publikum auf Gnade und Ungnade ohne Rettung und Ausflucht zusammen.
Die Gräzer sind ein gutes, geselliges, jovialisches Völkchen; sie sprechen im Durchschnitt etwas besser deutsch als die Wiener. Der Adel soll viel alten Stolz haben. Das ist nun so überall sein Geist, etwas grö¬ ber oder feiner; ausgenommen vielleicht in groſsen Städten und groſsen Residenzen, wo sich die Menschen59 etwas mehr an einander schleifen und abglätten. Längs der Mürz und der Murr herunter giebt es links und rechts noch manche alte Schlösser, die aber, dem Himmel sey Dank, immer mehr und mehr in Rui¬ nen sinken. Ihr Anblick erhöht nur noch das Ro¬ mantische. Von Iffland, der voriges Jahr auch hier war, spricht man so wohl hier als in Wien noch mit Enthusiasmus. An der Wirthstafel erzählten einige Gäste vom Lande viel von der Bärenjagd und den Abenteuern die es dabey gäbe. Ich glaubte immer, diese Art von Pelzwerk wäre jezt nur noch in Polen und jenseits zu Hause; aber voriges Jahr wurden hier in der Gegend zwölfe geschossen, und auch diesen Jahrgang schon wieder mehrere. Vor einigen Jahren wurde eine Bärin erlegt, die Junge hatte, und auf ei¬ nen Hof geschafft. Kurze Zeit nachher folgten die Jungen der Fährte der todten Mutter und setzten sich vor dem Hofe auf einen alten Lindenbaum, wo sie sich endlich ruhig fangen lieſsen. Die Gärten und der Lindenberg waren verschneyt, so daſs ich diese Vergnügungsörter nur von weitem sah.
Hier mache ich, wenn Du erlaubst, wieder eine Pause und lasse meine Hemden waschen und meine Stiefeln besohlen.
Von Gräz aus war es sehr kalt und ward immer kälter. Die erste Nacht blieb ich in Ehrenhausen, einem ganz hübschen Städtchen das seinem Namen60 Ehre macht, wo ich von meiner lieben Murr Abschied nahm. Der Ofen glühte, aber das Zimmer ward nicht warm. Der Weg von Ehrenhausen nach Mahrburg ist ein wahrer Garten, links und rechts mit Obstpflan¬ zungen und Weinbergen. Auch Mahrburg ist ein ganz hübscher Ort an der Drawa, und die Berge an dem Flusse hinauf und hinab sind voll der schönsten Wein¬ gärten. Eine herrliche ökonomische Musik war es für mich, daſs die Leute hier überall links und rechts auf Bohlentennen droschen. Man kann sich keinen traulichern Lärm denken. Das Deutsche hörte nunmehr unter den gemeinen Leuten auf und das Italiänische fing nicht an: dafür hörte ich das kraine¬ rische Rothwelsch, von dem ich nur hier und da et¬ was aus der Analogie mit dem Russischen verstand. Die Russen thun sich etwas darauf zu gute, daſs man sie so weit herab in ihrer Muttersprache versteht, und nennen sich deſswegen die Slawen, die Berühmten, ungefähr so wie die heutigen Gallier sich die groſse Nation nennen. Bis nach Triest und Görz wurden sie hier überall verstanden. Die Pohlen sprechen so¬ gleich leicht und verständlich mit ihnen, und die Böhmen finden keine groſse Schwierigkeit. Ich selbst erinnere mich, als ich vor mehreren Jahren aus Ruſs¬ land zurück kam und einen alten russischen Grenadier als Bedienten mit mir hatte, daſs er mir in der Lausitz in der Gegend von Lübben sagte: „ Aber, mein Gott, wir sind ja hier noch ganz in Ruſsland; hier spricht man ja noch gut russisch. “ So viel Aehnlichkeit ha¬ ben die slawischen Dialekte unter sich, von dem rus¬ sischen bis zum wendischen und krainischen.
61Von Gannewitz aus ist ein hoher furchtbar steiler Berg, weit steiler als der Sömmering; so daſs vier und dreyſsig Ochsen und sechs Pferde an einem Frachtwa¬ gen zogen, den die sechs Pferde auf gewöhnlichen Wegen allein fort brachten. Die Berge sind hier mei¬ stens mit schönen Buchen bewachsen, da sie an der Murr fast durchaus mit Schwarzwald bedeckt sind.
In Cilly kam ich ziemlich spät an, und that mir güt¬ lich in sehr gutem Bier, das nun ziemlich selten zu wer¬ den anfängt. Ich muſs aus Verzweiflung Wein trin¬ ken, und zwar viel; denn sonst würde man mich ohne Barmherzigkeit auf ein Strohlager weisen, und wenn ich auch noch so sehr mit dem Gelde klingelte. Es wurde hier bey meiner späten Ankunft so stark ge¬ schossen und geschrien, daſs ich glaubte es wäre Re¬ volution im Lande. Wie ich näher kam hörte ich, daſs es Schlittenfahrten waren. In Cilly hätte ich auch bald meine Laufbahn geschlossen: das ging so zu. Ich aſs gut und viel, wie gewöhnlich, in der Wirthsstube, und hatte bestellt, mir ein gutes Zimmer recht warm zu machen, weil es fürchterlich kalt war: denn die steyermärkischen und krainerischen Winter halten sich in gutem Kredit, und der jetzige ist vor¬ züglich strenge. Nach der Mahlzeit ging ich auf das Zimmer, zog mich aus, stellte mich einige Minuten an den Ofen, und legte mich zu Bette. Du weiſst daſs ich ein gar gesunder Kerl bin und jeden Tag gut esse, und jede Nacht gut schlafe. So auch hier. Aber es mochte vielleicht gegen vier Uhr des Morgens seyn, als ich durch eine furchtbare Angst geweckt wurde und den Kopf kaum heben konnte. So viel hatte ich62 Besinnung, daſs ich errieth, ich schlief in einem neu geweiſsten Zimmer, das man auf mein Verlangen ge¬ waltig geheitzt hatte. Als ich mich aufzurichten ver¬ suchte, um das Fenster zu öffnen, fiel ich kraftlos und dumpf auf den Pfühl zurück und verlor das Bewuſst¬ seyn. Als es helle ward erwachte ich wieder, sam¬ melte so viel Kraft das Fenster zu öffnen, mich anzu¬ ziehen, in der Eile das Zimmer zu verlassen, hinun¬ ter zu taumeln und unten etwas Wein und Brot zu bestellen. Hier kam der zweyte Paroxysmus; ich sank am Tische hin in einen namenlosen Zustand, wie in einen lichtleeren Abgrund, wo Finsterniſs hinter mir zuschloſs. So viel erinnere ich mich noch; ich dach¬ te, das ist der Tod, und war ruhig; sie werden mich schon gehörig begraben. Kurze Zeit darauf erwachte ich wieder unter dem entsetzlichsten Schweiſse, der mich aber mit jedem Augenblicke leichter ins Leben zurück brachte. Der ganze Körper war naſs, die Haare waren wie getaucht, und auf den Händen standen groſse Tropfen bis vorn an die Nägel der Finger. Nie¬ mand war in dem Zimmer; der Schweiſs brachte mir nach der Schwere des Todes ein Gefühl unaussprech¬ licher Behaglichkeit. Etwas Schwindel kam zurück; nun suchte ich mich zu ermannen und nahm etwas Wein und Brot. Die Luft, dachte ich, ist die beste Arzney, und auf alle Fälle stirbt man besser in dem freyen Elemente, als in der engen Kajüte. So nahm ich meinen Tornister mit groſser Anstrengung auf die Schulter und ging oder wankte vielmehr nur; aber mit jedem Schritte ward ich leichter und stärker und in einer halben Stunde fühlte ich nichts mehr, ob mir63 gleich Kleid, Hut, Haar und Bart und das ganze Ge¬ sicht schwer bereift war und der ganze Kerl wie schlechte verschossene Silberarbeit aussah; denn es fiel ein entsetzlicher kalter Nebel. Nach zwey Stunden frühstückte ich wieder mit so gutem Appetit, als ich je gethan hatte. Siehst Du, lieber Freund, so hätte mich der verdammte Kalk beynahe etwas früher als nöthig ist aus der Welt gefördert. Doch vielleicht kam mir dieses auch nur so gefährlich vor, weil ich keiner Phänomene von Krankheit, Ohnmacht und so weiter, gewohnt bin. Etwas gewitziget wurde ich da¬ durch für die Zukunft und ich visitierte nun allemahl erst die Wände eines geheitzten Zimmers, ehe ich mich ruhig einquartierte.
Zwischen Franz und Sankt Oswald steht rechts am Berge eine Pyramide mit einem Postament von schwar¬ zem Marmor, auf dem die Unterwerfungsakte der Krainer an Karl den Sechsten eingegraben ist: Se sub¬ strauerunt, heiſst es mit klassisch diplomatischer De¬ muth. Eine Viertelstunde weiter hin ist links ein anderes neueres Monument, wie es mir schien zur Ehre eines Ministers, der den Weg hatte machen lassen. Es war sehr kalt; die Schrift war schon ganz unleserlich und der Weg war auch wieder in übeln Umständen, ob¬ gleich beydes höchstens nur von Karl dem Sechsten.
Abends kam ich mit vieler Anstrengung in Sankt Oswald an, ob ich gleich recht gut zu Mittage geges¬ sen hatte; denn der Zufall mochte mich doch etwas geschwächt haben. Der Wirth, zu dem man mich hier wies, war ein Muster von Grobheit und hat die Ehre der Einzige seiner Art auf meiner ganzen Reise64 zu seyn: denn alle übrigen waren leidlich artig. Ich trat ein und legte meinen Tornister ab. Es war Zweydunkel, zwischen Hund und Wolf. „ Was will der Herr? “fragte mich ein ziemlich dicker handfester Kerl, der bey dem Präsidenten der italiänischen Kanz¬ ley in Wien Kammerdiener gewesen zu seyn schien, so ganz sprach er seine Sprache und seinen Dialekt. Du weiſst, daſs sehr oft ein Minister das Talent hat, durch sein wirksames Beyspiel die Grobheit durch die ganze Provinz zu verbreiten. „ Was will der Herr? “ Ich trat ihm etwas näher und sagte: Essen, trinken und schlafen. „ Das erste kann er, das zweyte nicht. “ Warum nicht? Ist hier nicht ein Wirthshaus? „ Nicht für Ihn. “ Für wen denn sonst? „ Für andere ehrli¬ che Leute. “ Ich bin hoffentlich doch auch ein ehrli¬ cher Mann. „ Geht mich nichts an. “ Aber es ist Abend, ich kann nicht weiter und werde also wohl hier bleiben müssen, sagte ich etwas bestimmt. Hier gerieth der dicke Mann in Zorn, ballte seine beyden Fäuste mit einer solchen Heftigkeit, als ob er mit je¬ der auf Einmahl ein halbes Dutzend solcher Knoten¬ stöcke zerbrechen wollte, wie ich trug. „ Mach der Herr nur kein Federlesens, und pack 'Er sich; oder ich rufe meine Knechte, da soll die Geschichte bald zu Ende seyn. “ Er deutete grimmig auf die Thür, und ging selbst hinaus. Ich wandte mich, als er hin¬ aus war, an einen jungen Menschen, der der Sohn vom Hause zu seyn schien, und fragte ihn ganz sanft um die Ursache einer solchen Behandlung. Er ant¬ wortete mir nicht. Ich sagte, wenn man mir nicht trauete, so möchte man meine Sachen in Verwahrung65 nehmen, und Börse und Paſs und Taschenbuch dazu. Er sagte mir ängstlich, der Herr wäre aufgebracht, und es würde wohl bey dem bleiben was er gesagt hätte. Hier kam der dicke Herr selbst wieder. „ Ist der Herr noch nicht fort? “ Aber, Lieber es ist ganz Nacht; ich bin sehr müde und es ist sehr kalt. „ Geht mich nichts an. “ Es ist kein anderes Wirthshaus in der Nähe. „ Wird schon eins finden. “ Auch wieder ein solches? „ Nur nicht räsonniert und Marsch fort! “ Hier ist mein Paſs aus der Wiener Staatskanzley. „ Ey, was! rief er grimmig wüthend, und ohne mit Respekt zu sagen, ich sch ..... auf den Quark. “ Was war zu thun? Zur Bataille durfte ich es nicht wohl kom¬ men lassen; denn da hätte ich trotz meinem schwer¬ bezwingten Knotenstock Schläge bekommen für die Hu¬ manität, quantum satis, und noch etwas mehr. Der Mensch schien Kaiser und Papst in Sankt Oswald in Einer Person zu seyn. Ich nahm ganz leise meinen Reisesack und ging zur Thür hinaus. War das nicht ein erbaulicher sehr ästhetischer Dialog?
Nun ist in ganz Sankt Oswald, so viel ich sah, weiter nichts als dieses ziemlich ansehnliche Wirths¬ haus, die Post, ich glaube die Pfarre, und einige kleine Tagelöhnerhütten. Zu der Postnation habe ich durch ganz Deutschland nicht das beste Zutrauen in Rücksicht der Humanität und Höflichkeit: das ist ein Resultat meiner Erfahrung als ich mit Extrapost reiste; nun denke Dir, wenn ein Kerl in dem Habersack kä¬ me! Er möchte noch so viel Dukaten in der Tasche haben, und zehren wie ein reicher Erbe; das wäre wider Polizey und die Ehre des Hauses. Zu dem566Pfarrer hätte ich wohl gehen sollen, wie ich nachher überlegte um meine Schuldigkeit ganz gethan zu ha¬ ben. Aber das Unwesen wurmte mich zu sehr; ich gab dem Heiligen im Geiste drey Nasenstüber, daſs er seine Leute so schlecht in der Zucht hielt, und schritt ganz trotzig an dem Berge durch die Schlucht hinun¬ ter in die Nacht hinein. Die tiefe Dämmerung, wo man doch im Zimmer noch nicht Licht hatte, und mein halb pohlnischer Anzug mochten mir auch wohl einen Streich gespielt haben: denn ich glaube fast, wenn wir einander hätten hell ins Gesicht sehen kön¬ nen, es wäre etwas glimpflicher gegangen. Die Ge¬ gend war nun voll Räuber und Wölfe, wie man mir erzählt hatte; ich marschierte also auf gutes Glück gera¬ dezu. Ungefähr eine halbe Stunde von dem Heiligen traf ich wieder ein Wirthshaus, das klein und erbärm¬ lich genug im Mondschein dort stand. Sehr ermüdet und etwas durchfroren trat ich wieder ein und legte wieder ab. Da saſsen drey Mädchen, von denen aber keine eine Sylbe deutsch sprach, und sangen bey ei¬ nem kleinen Lichtchen ihrer kleinen Schwester ein gar liebliches krainerisches Trio vor, um sie einzu¬ schläfern. Endlich kam der Wirth, der etwas deutsch radbrechte: dieser gab mir Brot, Wurst und Wein und ein Kopfkissen auf das Stroh. Ich war sehr froh daſs man mir kein Bett anbot; denn mein Lager war un¬ streitig das beste im ganzen Hause. Es war mir lieb, bey dieser Gelegenheit eine gewöhnliche krainerische Wirthschaft zu sehen, die dem Ansehen nach noch nicht die schlechteste war und die doch nicht viel bes¬ ser schien als man sie bey den Letten und Esthen in67 Kurland und Liefland findet. Gleiche Ursachen brin¬ gen gleiche Wirkungen.
Bey Popetsch steht rechts von der Post oben auf der Anhöhe ein stattliches Haus und hinter demselben zieht sich am Berge eine herrliche Parthie von Eich¬ bäumen hin. Es waren die ersten schönen Bäume dieser Art, die ich seit meinem letzten Spaziergange in dem Leipziger Rosenthale sah. Im Prater in Wien sind sie nicht zahlreich; dort in der Donaugegend sind die Pappeln und Weiden vorzüglich.
Nicht weit von Laybach fallen die Save und Lay¬ bach zusammen; und über die Save ist eine groſse höl¬ zerne Brücke. Die Lage des Laybacher Schlosses hat von fern viel Aehnlichkeit mit dem Gräzer; und auch die Stadt liegt hier ziemlich angenehm an beyden Sei¬ ten des Flusses, eben so wie Gräz an der Murr. Die Brücken machen hier wie in Gräz die besten Markt¬ plätze, da sie sehr bequem auf beyden Seiten mit Kaufmannsläden besetzt sind, eine groſse Annehmlich¬ keit für Fremde. Das Komödienhaus ist zwar nicht so gut als in Gräz, aber doch immer sehr anständig; und auch hier sind am Eingange links und rechts Kaffee - und Billardzimmer.
Schantroch, der hiesige Entrepreneur, der ab¬ wechselnd hier, in Görz, in Klagenfurt, und auch zu¬ weilen in Triest ist, gab Kotzebues Bayard. Er selbst spielte in einem ziemlich schlechten Dialekt, und sei¬ ne ganze Gesellschaft hält keine Vergleichung mit der Domaratiussischen in Gräz aus. Man sprach hier von einem Stück in Knittelversen, das alles, was Schiller und Lessing geschrieben haben, hinter sich lassen soll. 68Herr Schantroch, der mit mir in der nehmlichen Au¬ berge speiste, schien ein eben so seichter Kritiker zu seyn, als er ein mittelmäſsiger Schauspieler ist. Doch ist seine Gesellschaft nicht ganz ohne Verdienst und hat einige Subjekte, die auch ihren Dialekt ziemlich überwunden haben: und Herr Schantroch soll als Prinzipal alles thun, was in seinen Kräften ist, sie gut zu halten. Die Tagsordnung des Stadtgesprächs waren Balltrakasserien, wo sich vorzüglich ein Offizier durch sein unanständiges brüskes Betragen ausgezeichnet ha¬ ben sollte; und dieser war nach seinem Familienna¬ men zu urtheilen, leider unser Landsmann. Die Kaf¬ feehäuser sind in Gräz und hier weit besser als in Wien; und das hiesige Schweizerkaffeehaus ist ganz artig und verhältniſsmäſsig anständiger als das berühmte Milanosche in der Residenz, wo man sitzt, als ob man zur Finsterniſs verdammt wäre. Du siehst, daſs man für das letzte Zipfelchen unsers deutschen Vater¬ landes hier ganz komfortabel lebt und uns noch Ehre genug macht.
Einige Barone aus der Provinz, die in meiner Auberge speisten, sprachen von den hiesigen öffentli¬ chen Rechtsverhältnissen zwischen Obrigkeiten und Un¬ terthanen, oder vielmehr zwischen Erbherren und Leibeigenen; denn das erste ist nur ein Euphemismus: und da ergab sich denn für mich, den stillen Zuhö¬ rer, daſs alles noch ein groſses, grobes, verworrenes Chaos ist, eine Mischung von rechtlicher Unterdrü¬ ckung und alter Sklaverey.
Was Küttner von dem bösen Betragen der Fran¬ zosen in der hiesigen Gegend gesagt hat, muſs wohl69 sehr übertrieben seyn. Alle Eingeborene, mit denen ich gesprochen habe, reden mit Achtung von ihnen, und sagen, sie haben weit mehr von ihren eigenen Leuten gelitten. Aber auch diese verdienen mehr Entschuldigung, als man ihnen vieilleicht gönnen will. Die Armee war gesprengt. Stelle Dir die fürchterli¬ che Lage solcher Leute vor, wenn sie zumahl in kleine Partheyen geworfen werden. Der Feind sitzt im Rücken oder auch schon in den Seiten; sie wissen nicht wo ihre Oberanführer sind, haben keine Kasse, keinen Mundvorrath mehr: nun kämpfen sie ums Le¬ ben überall wo sie Vorrath treffen. Gutwillig giebt man ihnen nichts oder wenig; und die Bedürfnisse Vieler sind groſs. Natürlich sind die Halbgebildeten nicht immer im Stande, sich in den Gränzen der Be¬ sonnenheit zu halten. Die Einen wollen nichts geben, die Andern nehmen mehr als sie nothwendig brauchen. Daſs dieses so ziemlich der Fall war, beweist der Er¬ folg. Es wurden einige hundert eingefangen und auf das Schloſs zu Laybach gesetzt. Nun waren sie ordent¬ lich und ruhig und sagten: Wir wollen weiter nichts als Essen; wir konnten doch nicht verhungern.
Das Erdbeben, von dem man in Gräz fürchterli¬ che Dinge erzählte und sagte, es habe Laybach ganz zu Grunde gerichtet, ist nicht sehr merklich gewesen und hat nur einige alte Mauern eingestürzt. In Fiu¬ me, Triest und Görz soll man es stärker gespürt ha¬ ben; doch hat es auch dort sehr wenig Schaden ge¬ than. Die Transporte kommen auf der Save von Un¬ garn herauf bis in die Gegend der Stadt und werden von hier zu Lande weiter geschafft. Vorzüglich gehen70 die Bedürfnisse jetzt ins Venetianische, für die dort stehenden Truppen, und auch nach Tirol, das sich von dem Kriege noch nicht wieder erholt hat.
Zwischen der Save und der Laybach, wo beyde Flüsse sich vereinigen, soll in den Berggegenden ein groſser Strich Marschland liegen, an den die Regie¬ rung schon groſse Summen ohne Erfolg gewendet hat. Eine Anzahl Holländer, denen man in Unternehmun¬ gen dieser Art wohl am meisten trauen darf, hat sich erboten, das Wasser zu bändigen und die Gegend brauchbar zu machen, mit der Bedingung, eine ge¬ wisse Zeit frey von Abgaben zu bleiben. Aber die Regierung ist bis jetzt nicht zu bewegen; aus welchen Gründen, kann man nicht wohl begreifen: und so bleibt der Landstrich öde und leer, und das Wasser thut immer mehr Schaden.
Von Laybach aus geht es nun allmählich immer aus¬ wärts, und man hat die hohe Bergspitze des Loibels rechts hinter sich. Bey Oberlaybach, einem ziemlich kleinen Städtchen, kommt die Laybach aus den Ber¬ gen, und trägt gleich einige hundert Schritte von dem Orte des Ausgangs, Fahrzeuge von sechzig Zentnern. Von hier geht es immer höher bis nach Loitsch und so fort bis nach Planina, das, wie der Name zeigt, in einer kleinen Ebene ziemlich tief zwischen den rund umher emporsteigenden Bergen liegt. Der Weg von Laybach bis Oberlaybach hat noch ziemlich viel Kul¬71 tur; aber von da wird er wild und rauh, und man trifft auſser den Stationen bis nach Adlersberg wenig Häuser an. Hier in Planina hatte das Wasser vielen Unfug gemacht. Es dringt überall aus den Bergen hervor, und hat das ganze schöne Thal zu einer au¬ ſserordentlichen Höhe überschwemmt, so daſs die Ei¬ chen desselben bis an die Aeste im Wasser stehen. Dieses war noch nicht ganz fest gefroren, und man setzte auf mehrern Fahrzeugen beständig über nach Planina. Der Fall ist nicht selten in dieser Jahrszeit; aber dieses Mahl war die Fluth auſserordentlich hoch. Die Hälfte von Planina auf der andern Seite des Thals stand unter Wasser. Vorzüglich soll die Fluth auch mit vermehrt werden durch den Bach von Adlersberg, der dort bey der Schloſshöhle sich in die Felsen stürzt, so einige Meilen unter der Erde fortschieſst und hier in einer Schlucht wieder zum Vorschein kommt.
Von Planina aus windet sich der Weg in einer langen Schneckenlinie den groſsen Berg hinan, und giebt in mehrern Punkten rückwärts sehr schöne Par¬ thien, wie auch schon, wenn ich nicht irre, Herr Küttner bemerkt hat. Mich däucht, daſs man ohne groſsen Aufwand die Straſse in ziemlich gerader Linie hinauf hätte ziehen können, die auch, mit gehörigen Absätzen, eben nicht beschwerlich seyn würde. Ehr¬ liche Krainer hatten es hier und da schon mit ihren kleinen Wagen gethan, und zu Fuſse konnte man schon überall mit Bequemlichkeit durchschneiden. Die Herrschaft Adlersberg liegt oben auf der gröſsten Hö¬ he, und ist nur von noch höheren Bergspitzen umge¬ ben. Der Schloſsberg ist bey weitem nicht der höch¬72 ste, sondern nur der höchste in der Ebene, welche die Herrschaft ausmacht. Von allen Seiten sammelt sich das Wasser und bildet einen ziemlichen Fluſs, der bey der Grotte am Schloſsberge nahe bey der Mühle, wie oben erwähnt worden ist, in die Felsen stürzt. Ich wollte, wie Du denken kannst die Höhle sehen, und es ward mir schwer einen Menschen zu finden, der mich begleiten wollte. Endlich ging ein Mensch von der Mauth mit mir, kaufte Fackel und Licht, und führte mich weit weit zum Orte hinaus durch den tiefsten Schnee immer waldeinwärts. Das ging eine starke halbe Stunde ohne Bahn so fort, und der Mensch wuſste sodann nicht mehr wo er war, und suchte sich an den Felsenspitzen und Schluchten zu orientieren. Wir arbeiteten noch eine halbe Stunde durch den hohen Schnee, in dem dicksten Fichten¬ walde, und keine Grotte. Du begreifst, daſs es mir etwas bedenklich ward, mit einem wildfremden baum¬ starken Kerl so allein in den Schluchten herum zu kriechen und in Krain eine Höhle zu suchen: mich beruhigte aber, daſs ich von dem öffentlichen Kaffee¬ hause in der Stadt vor Aller Augen mit ihm abge¬ gangen war. Ich sagte ihm, die Höhle müsse, wie ich gehört habe, doch nahe an der Stadt am Schloſs¬ berge seyn, und er antwortete, jene in der Nähe der Stadt solle ich auf dem Rückwege sehen; aber diese entfernte sey die merkwürdigere. Endlich kamen wir nach vielem Irren und Suchen, in noch einer halben Stunde am Eingange der Höhle an. Dieser ist ro¬ mantisch wild und schauerlich in einem tiefen Kessel, rund umher mit groſsen Felsenstücken umgeben und73 mit dem dichtesten Schwarzwalde bewachsen. Hier zündeten wir in dem Gewölbe halb am Tage die Fa¬ ckel an und gingen in die Höhle hinein, ungefähr eine Viertelstunde über verschiedene Felsenfälle, sehr abschüssig immer bergab. Beym Hinabsteigen hörte ich links in einer ungeheuern Tiefe einen Strom rau¬ schen, welches vermuthlich das Wasser ist, das bey der Stadt in den Felsen fällt und bey Planina wieder heraus dringt. Wir stiegen nicht ohne Gefahr noch einige hundert Schritte weiter über ungeheuere einge¬ stürzte Felsenstücke immer bergab, und mein Führer sagte mir, weiter würde er nicht gehen, er wisse nun keinen Weg mehr und die Fackel würde sonst nicht den Rückweg dauern. Er mochte wohl nicht der be¬ ste Wegweiser seyn. Aber die Fackel brannte wirklich in der groſsen Tiefe und vermuthlich in der Nähe von Dünsten nur mit Mühe; wir stiegen also wieder heraus und förderten uns bald zu Tage. Nun fand mein Begleiter den Weg rückwärts nach der Stadt sehr leicht. Unterwegs erzählte er mir von allen den vor¬ nehmen und groſsen Personagen, die die Höhlen ge¬ sehen hätten. Diese entferntere sähen nur wenige; und unter diesen Wenigen nannte er vorzüglich den Prinzen Konstantin von Ruſsland. Mein Führer hatte den kürzesten Weg nehmen wollen und hatte mich unbemerkt auf die hohen Felsen über der Höhle am Schlosse gebracht, wo wir wie die Gemsen hingen und mit Gefahr hinunter klettern muſsten, wenn wir nicht einen Umweg von einer halben Stunde machen wollten. Einige Untenstehende riefen uns und zeigten uns die Pfade, auf denen es möglich war hinunter zu74 kommen. Nun standen wir am Eingange der andern Grotte, wo sich der Fluſs in den Felsen hineinstürzt. Der Fluſs nimmt sodann die Richtung ein wenig links; der Weg in der Grotte geht ziemlich gerade fort rechts. In einiger Entfernung vom Eingange er¬ weitert sich das Gewölbe, es wird sehr hoch und breit, man hört links den Fluſs wieder herauschen, und bald kommt man auf eine natürliche Felsenbrücke über denselben mitten unter dem Gewölbe. Hier thut die Flamme der Fackeln eine furchtbar schöne Wir¬ kung. Man hört das Wasser unter sich, und sieht über sich und rund um sich die Nacht des hohen brei¬ ten Gewölbes. Hier haben die Führer die Gewohn¬ heit einige Bund Stroh auf den Felsenwänden der Brücke anzuzünden, und hatten dieſsmahl sehr reich¬ lich zugetragen. Die magische Beleuchtung der gan¬ zen unterirdischen Brückenregion mit ihrem schauer¬ lichen Felsengewölbe, den grotesken Felsenwänden und dem unten im Abgrunde rauschenden Strom macht einen der schönsten Anblicke, deren ich mir bewuſst bin. Wenn der Strohhaufen fast verzehrt ist, stürzt man ihn von der Brücke hinab in den Strom, und so sieht man ihn unten in der Tiefe auf dem Wasser¬ bette noch einige Augenblicke fortglühen. Die plötz¬ lich aufsteigende weite Flammenhelle und die schnell zurückkehrende Finsterniſs, wo man bey dem schwa¬ chen Fackellichte nur einige Schritte sieht, macht ei¬ nen überraschenden Kontrast. Es hatten sich einige gemeine Krainer zu uns gesellet, die gern die Gele¬ genheit mitnehmen das schöne Schauspiel in der Grotte wieder zu sehen, dabey ihre Geschichten aus¬75 zukramen und noch einige Groschen zu verdienen. Bis hierher sind die Franzosen gekommen, sagten sie, als wir auf der Brücke standen; aber weiter wagten sie sich nicht. Warum nicht? fragte ich. Die Kerle zogen ein wichtiges Gesicht beym Fackelschein und suchten den Muth der Franzmänner verdächtig zu ma¬ chen. Die Franzmänner mochten wohl andere Ursa¬ chen haben. Sie waren höchst wahrscheinlich nicht zahlreich genug, hatten drauſsen nicht gehörige Maſs¬ regeln genommen und besorgten in der groſsen Tiefe der Höhle irgend ein unterirdisches Abenteuer kriege¬ rischer Natur. Auſserdem ist nichts zu fürchten. Ich ging nun links am Flusse jenseit der Brücke ungefähr noch einige hundert Schritte weiter fort; dann aber muſsten wir anfangen mit Lebensgefahr über die Fel¬ sen am Wasser hinzuklettern. Mein Führer sagte, es sey unmöglich weiter zu kommen. Das glaubte ich nun eben nicht: aber es war Schwierigkeit und Ge¬ fahr; ich wollte den Weg im Sonnenlichte weiter und wir krochen und wandelten zurück. Die Bielshöhle bey Elbingerode hat mehr Verschiedenheit und die be¬ nachbarte Baumannshöhle einige vielleicht eben so groſse Parthien aufzuweisen; aber sie haben nichts ähnliches, wie die furchtbare Höllenfahrt in der ersten und der Fluſs und die Brücke in der letztern sind. Die Tropfsteine sind in den Harzhöhlen häufiger, gro¬ tesker und schöner als hier. Zum Beweiſs daſs dieser Fluſs das bey Planina wieder heraus strömende Wasser sey, erzählte man mir, man habe vor einiger Zeit hier bey dem Einsturz ungefähr eine Metze Korke76 hinein geworfen, und diese seyen dort in der Berg¬ schlucht wieder zum Vorschein gekommen.
Hier sitze ich nun in Prewald, einer sehr hohen Bergspitze gegen über und zittere vor Frost bis man mein Zimmer heitzt. Die Höhle zu Burg, einem Gute des Grafen Kobenzl, habe ich nicht gesehen. Es thut mir leid; sie ist wie bekannt vorzüglich. Mein Wirth in Adlersberg erzählte mir abenteuerliche Dinge da¬ von. Sie soll von dort vier Stunden bis nach Wippach gegangen seyn, sey aber jetzt durch ein Erdbeben sehr verschüttet. Küttner hat sie gesehen und den Eingang abgebildet. Das Land ist rund umher voll von der¬ gleichen Höhlen, und wäre wohl der Bereisung eines Geologen werth. Vor einigen Jahren bauete ein Land¬ mann Weitzen auf einem schönen Feldstriche am Ab¬ hange eines Berges und erntete sehr reichlich; als er für das künftige Jahr bestellen wollte, schoſs der ganze Acker gegen zehn Klafter tief herab, und es fand sich daſs ein unterirdischer Fluſs unter demselben hin¬ gegangen war, und den Grund so ausgewaschen hatte, daſs er einstürzen muſste. Auch soll in einem See unweit Adlersberg eine noch ganz unbekannte Art von Eydechsen hausen, von der man erst seit kurzem den Naturkundigen einige Exemplare eingeschickt habe. Vor einigen Jahren soll sogar ein Bauer ein Kroko¬ dil geschossen haben. Das alles lasse ich indessen auf der Erzählung des Herrn Merk in Laybach beruhen, der mir jedoch ein sehr wahrhafter unterrichteter Mann zu seyn scheint.
Da ich nicht Kaufmann bin und nach den Bemer¬ kungen meiner Freunde durchaus keine merkantilische Seele habe, wirst Du von mir über Triest wohl nicht viel hören können, wo alles merkantilisch ist. In Prewald wohnte ich bey den drey Schwestern, die, wenn ich mich nicht irre, Herr Küttner schon nennt. Die Mädchen treiben eine gar drollige Wirthschaft, und ich befand mich bey ihnen leidlich genug. Zuerst waren sie etwas barsch und behandelten mich wie man einen gewöhnlichen Tornistermann zu behandeln pflegt. Da sie aber eine goldene Uhr sahen und mit hartem Gelde klimpern hörten, wurden sie ziemlich höflich und sogar sehr freundlich. Zum Abendgesell¬ schafter traf ich einen katholischen Feldprediger, der von Triest war, bey den Oestreichern einige Zeit in Udine gestanden hatte und nun hier ganz allein bey den Mädchen gar gemächlich in Kantonnierung zu liegen schien. Eine von den Schwestern war noch ein ganz hübsches Stückchen Erbsünde, und hätte wohl einen ehrlichen Kerl etwas an die sechste Bitte erin¬ nern können. Die erste Bekanntschaft mit den drey Personagen, ich nennte sie gerne Grazien wenn ich nicht historisch zu gewissenhaft wäre, machte ich drol¬ lig genug in der Küche, wo sie sich alle drey auf Stühlen oben auf dem groſsen Herde um ein ziemlich starkes Feuer hergepflanzt und im Fond des hintern Winkels an der Wand den Mann Gottes hatten, der ihnen Hanswurstiaden so possierlich vormachte, daſs78 alle drey aus vollem Halse lachten. Das war nun ein Jargon von Deutsch, Italiänisch und Krainerisch, von jeder dieser Sprachen die ästhetische Quintessenz, und ich verstand blutwenig davon. Indessen stellte ich mich doch so nahe als möglich, um von dem Feuer, wenn auch nicht der Unterhaltung doch des Herds meinen Antheil zu haben. Man nahm zuerst keine Notiz von mir, belugte mich sodann etwas neugierig und fuhr fort. Der geistliche Herr gewann mir bald Rede ab und sprach erst rein italiänisch, radbrechte dann deutsch und plauderte endlich das beste Mönchs¬ latein. Da es hier darauf ankam, kannst Du denken, daſs ich mit meiner Gelehrsamkeit eben nicht den Filz machte, und der Mann faſste bald eine gar ge¬ waltige Affektion zu mir, als ich glücklich genug ei¬ nige Dinge aus dem Griechischen zitierte, die er nur halb verstand. Nun empfahl er mich auch den schö¬ nen Wirthinnen sehr nachdrücklich, und ich hatte die Ehre ihn zum Tischgesellschafter zu erhalten. Die Mädchen staunten über unsere Gelehrsamkeit und hätten leicht zu viel Respekt bekommen können, wenn nicht der Mann zuweilen mit vieler Wendung eine tüchtige Schnurre mit eingeworfen hätte. Natürlich erhielt er, durch das Lob das er mir zukommen lieſs, selbst im Hause ein neues Relief: wer den andern so laut und gründlich beurtheilt, muſs ihn übersehen können.
Wenn ich nicht aus der trophonischen Höhle ge¬ kommen, nicht sehr müde gewesen wäre und nicht den folgenden Morgen ziemlich früh fort gewollt hät¬ te, wäre mir die lustige Unterhaltung des geistlichen79 Harlekins noch länger vielleicht nicht unlieb gewesen. Aber ich eilte zur Ruhe und lieſs die Leutchen lär¬ men. Als ich den andern Morgen aufstand und fort wollte, fand ich in dem ganzen, groſsen, nicht übel eingerichteten Hause noch keine Seele lebendig. Die Thüren waren nur von innen verriegelt und also für mich offen: aber wenn ich auch Schuft genug wär so schlechte Sottisen zu begehen, so könnte ich doch das Vertrauen so gutherziger Leutchen nicht miſsbrau¬ chen. Ich trabte mit meinen schweren Stiefeln einige Mahl über den Saal weg; niemand kam, nirgends eine Bewegung. Ich klopfte an einige Zimmer; keine Ant¬ wort. Endlich kam ich an ein Zimmer das nicht ver¬ schlossen war. Ich trat hinein, und siehe, das hüb¬ sche Stückchen Erbsünde hob sich so eben aus dem Bette und entschuldigte sich freundlich, daſs noch nie¬ mand im Hause wach sey. Weiſs der Himmel, ob ich armes Menschenkind nicht in groſse Verlegenheit würde gerathen seyn, wenn sie nicht um ihre Schul¬ tern den Mantel geworfen hätte, den gestern Abend der geistliche Herr um die seinigen hatte. Der Man¬ tel gab mir sogleich eine gehörige Portion Stoicismus; ich bezahlte meine Rechnung und trollte zum Tem¬ pel hinaus.
Du muſst wissen, daſs ich entweder gar nicht frühstücke, oder erst wenn ich zuvor einige Stunden gegangen bin, versteht sich wenn ich etwas finde. Seit diesem Tage machte ich mirs zum Gesetz, meine Rechnung alle Mahl den Tag vorher zu bezahlen, da¬ mit ich den Morgen auf keine Weise aufgehalten wer¬ de. In Prewald gab man mir zuerst Görzer Wein,80 der hier in der Gegend in besonders gutem Kredit steht und es verdient. Er gehört unter die wenigen Weine die ich ohne Wasser trank, welche Ehre, zum Bey¬ spiel, nicht einmahl dem Burgunder widerfährt. Doch kann ein Idiot wie ich hierin eben keine kompetente Stimme haben. Von Prewald bis nach Triest sind fünf Meilen. Ich hatte den Morgen nichts gegessen, fand unterwegs kein einladendes Haus; und, mein Freund, ich machte nüchtern im Januar die fünf Mei¬ len recht stattlich ab. In Sessana hatte mir das erste Wirthshaus gar keine gute Miene, und es hielten eine gewaltige Menge Fuhrleute davor. Der Ort ist nicht ganz klein, dachte ich, es wird sich schon noch ein anderes besseres finden. Es fand sich keins, ich war zu faul zu dem ersten zurück zu gehen, ging also vor¬ wärts; und nun war von Sessana bis an die Douane von Triest nichts zu haben. Es ist lauter steiniger Bergrücken und es war kein Tropfen gutes Wasser zu finden: das war für einen durstigen Fuſsgänger das verdrieſslichste. Wenn ich nicht zuweilen ein Stück¬ chen Eis gefunden hätte, das mir den Durst löschte, so wäre ich übel daran gewesen. Die Bergspitze von Prewald sah ich bis nach Triest, und sie schien mir immer so nahe, als ob man eine Falkonetkugel hätte hinüber schieſsen können. Von Schottwien bis Pre¬ wald hatte ich abwechselnd sehr viel Schnee; bey Ses¬ sana hörte er allmählich auf, und hier liegt er nur noch in einigen finstern Gängen und Schluchten. In Prewald zitterte ich noch vor Frost am Ofen und hier dieſseit des Berges am Meere schwitzt man schon. Es81 ist heute am drey und zwanzigsten Januar, so warm, daſs überall Thüren und Fenster offen stehen.
Der erste Anblick der Stadt Triest von oben her¬ ab ist überraschend, der Weg herunter ist angenehm genug, der Aufenthalt auf einige Zeit muſs viel Ver¬ gnügen gewähren; aber in die Länge möchte ich nicht hier wohnen. Die Lage des Orts ist bekannt, und fängt nun an ein Amphitheater am Meerbusen zu bil¬ den. Die Berge sind zu hoch und zu kahl um ange¬ nehm zu seyn; und zu Lande ist Triest von aller an¬ genehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht alles zu Wasser. Der Hafen ist ziemlich flach, und nur für kleine Fahrzeuge: die gröſsern und alle Kriegsschiffe müssen in ziemlicher Entfernung auf der Rehde bleiben, die nicht ganz sicher zu seyn scheint. Die See ist hier geduldig und man kann ihr noch sehr viel abtrotzen, wenn man von den Bergen herab in sie hinein arbeitet, und so nach und nach den Hafen vielleicht auch für groſse Schiffe anfahrbar macht.
An den Bergen rund herum hat man hinauf und herab terrassiert und dadurch ziemlich schöne Wein¬ gärten angelegt. Die Triester halten viel auf ihren Wein; ich kann darüber nicht urtheilen, und in mei¬ nem Gasthause giebt man gewöhnlich nur fremden. Die etwas höhere Altstadt am Kastell ist enge und finster. Die neue Stadt ist schon fast ganz der See abgewonnen. Ob hier das alte Tergeste gestanden hat, mögen die Antiquare ausmachen. Ich wohne in dem so genannten groſsen Gasthofe, einem Hause von ge¬ waltigem Umfange und dem nehmlichen, worin Win¬ kelmann von seinem meuchlerischen Bedienten ermor¬682det wurde. Meine Aussicht ist sehr schön nach dem Hafen, und vielleicht ist es das nehmliche Zimmer, in welchem das Unglück geschah. Die Geschichte ist hier schon ziemlich vergessen.
Ich fand hier den Philologen Abraham Penzel, der in Triest den Sprachmeister für die Italiäner deutsch und für die Deutschen italiänisch macht. Die Schicksale dieses sonderbaren Mannes würden eine lehrreiche angenehme Unterhaltung gewähren, wenn sie gut erzählt würden. Von Leipzig und Halle nach Polen, von Polen nach Wien, von Wien nach Lay¬ bach, von Laybach nach Triest, und überall in genia¬ lischen Verbindungen. Der unglückliche Hang zum Wein hat ihm manchen Streich gespielt und ihn zu¬ letzt genöthigt, seine Stelle in Laybach aufzugeben, wo er Professor der Dichtkunst am Gymnasium war. Er hat durch seine mannigfaltigen verflochtenen Schick¬ sale ein gewisses barockes Unterhaltungstalent gewon¬ nen, das den Mann nicht ohne Theilnahme läſst. Per varios casus, per tot discrimina rerum tendimus Tergestum, sagte er mit vieler Drolerie, damit uns hier, wie Winkelmann, der Teufel hole. Wir gin¬ gen zusammen aus, konnten aber Winkelmanns Grab nicht finden. Niemand wuſste etwas davon.
Das Haus eines Griechen, wenn ich mich nicht irre ist sein Name Garciatti, ist das beste in der Stadt und wirklich prächtig, ganz neu und in einem guten Stil gebaut. Eine ganz eigene recht traurige Klage der Triester ist über den Frieden. Mit christlicher Hu¬ manität bekümmern sie sich um die übrige Welt und ihre Drangsale kein Jota und wünschen nur, daſs ih¬83 nen der Himmel noch zehen Jahre einen so gedeihli¬ chen Krieg bescheren möchte; dann sollte ihr Triest eine Stadt werden, die mit den besten in Reihe und Glied treten könnte. Dabey haben die guten kauf¬ männischen Seelen gar nichts arges; schlagt euch todt, nur bezahlt vorher unsere Sardellen und türkischen Tücher. Das neue Schauspielhaus ist das beste, das ich bis jetzt auf meinem Wege gesehen habe. Gestern gab man auf demselben Theodoro Re di Corsica, wel¬ ches ein Lieblingsstück der Triester zu seyn scheint. Die Dekoration, vorzüglich die Parthie Rialto in Ve¬ nedig, war sehr brav. Es wäre aber auch unverzeihlich, wenn die reichen Nachbarn, die es noch dazu auf Unkosten der Herren von Sankt Markus sind, so etwas nicht ausgezeichnet haben wollten. Man sang recht gut, und durchaus besser als in Wien. Vorzüglich zeichneten sich durch Gesang und Spiel aus die Toch¬ ter des Wirths und der Kammerherr des Theodor. Die Logen sind alle schon durch Aktien von den Kaufleu¬ ten genommen und ein Fremder muſs sich auf ihre Höflichkeit verlassen, welches nicht immer angenehm seyn mag. Die Herren haben die Logen gekauft, be¬ zahlen aber noch jederzeit die Entree; eine eigene Art des Geldstolzes. Der Patriotismus könnte wohl eine etwas humanere Art finden die Kunst zu unter¬ stützen. Der Fremde, der doch wohl zu weilen Ursache haben kann im Publikum isoliert zu seyn, ist sehr wenig dabey berücksichtiget worden. Hier hörte ich zuerst den betäubenden Lärm in den italiänischen Theatern. Man bedient sich des Schauspiels zu Rendes¬ vous, zu Konversationen, zur Börse, und wer weiſs84 wozu sonst noch? Nur die Lieblingsarien werden still angehört; übrigens kann ein Andächtiger Thaliens nicht viel Genuſs haben; und die Schauspieler rächen oft durch ihre Nachlässigkeit die Vernachlässigung. Et¬ was eigenes war mir im Hause, daſs das Parterre überall entsetzlich nach Stockfisch roch, ich mochte mich hinwenden wo ich wollte.
Die Leute meinten wieder, ich sey nicht gescheidt, als sie hörten, ich wolle zu Fuſse von Triest über die Berge nach Venedig gehen und sagten, da würde ich nun wohl ein Bischen todt geschlagen werden: aber ich lieſs mich nicht irre machen und wandelte wieder den Berg herauf; zwar nicht den nehmlichen groſsen Fahrweg, kam aber doch, nach ungefähr zwey Stun¬ den Herumkreuzen am Ufer und durch die Weinberge, wieder auf die Heerstraſse. Ich besuchte die Höhlen von Korneale nicht, weil die ganze Gegend verdammt verdächtig aussah, und ich mich in der Wildniſs doch nicht so ganz allein und wildfremd den Leuten in die Hände geben wollte. Die Berge, welche von Natur sehr rauh und etwas öde sind, waren sonst deswegen so unsicher, weil sie, wie die genuesischen, der Zu¬ fluchtsort alles Gesindels der benachbarten Staaten wa¬ ren. Da ganz Venedig in Oestreichischen Händen ist, wird es nun der wachsamen Polizey leichter, Ordnung und Sicherheit zu erhalten. Man spürt in dieser Rück¬ sicht schon den Vortheil der Veränderungen. An dem85 Zwickel der Berge kommt hier ein schöner Fluſs aus der Erde hervor, der vermuthlich auch Höhlen bil¬ det. Hier sind, nach aller Lokalität, gewiſs Virgils Felsen des Timavus und ich sah stolz umher, daſs ich nun ausgemacht den klassischen Boden betrat. Der Einschnitt zwischen den Bergen, oder das Thal zwi¬ schen Santa Croce und Montefalkone macht noch jetzt der Beschreibung der Alten Ehre. Unten rechts am Meere stand vermuthlich der Heroentempel im Haine, und links etwas weiter herauf am Ausflusse des Tima¬ vus war der Hafen. Ich schlug mich hier rechts von der geraden Straſse nach Venedig ab über die Berge hinüber nach Görz, welches sechs ziemlich starke Meilen von Triest liegt. Wenn man einmahl über die Berge hinüber ist, welche freylich etwas kahl sind, hat man die schönsten Weinthäler. Der Wein wird hier schon nach italiänischer Weise behandelt, hängt an Ulmen oder Weiden, und macht, wo die Gegend etwas nachhilft, schöne Gruppierungen.
Von Görz nach Gradiska sind die Berge links ziemlich sanft und man hat die groſsen Höhen in be¬ trächtlicher Entfernung rechts: und wenn man über Gradiska nach Palma Nuova heraus kommt, ist man ganz in der schönen Fläche des ehemahligen venetia¬ nischen Friaul, hat links fast lauter Ebene bis zur See und nur rechts die ziemlich hohen Friauler Alpen. Von Görz nach Udine stehen im Kalender fünf Mei¬ len; aber Oestreichische Offiziere versicherten mich, es seyen gute sieben Meilen; und ich fand Ursache der Versicherung zu glauben. Palma Nuova war eine venetianische Gränzfestung, und nun hausen die Kai¬86 serlichen hier. Sie exercierten eben auf dem groſsen Platze vor dem Thore. Der Ort ist militärisch nicht ganz zu verachten, wenn er gut vertheidigt wird. Man kann nach allen Seiten hübsch rasieren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.
In Udine feyerte ich den neun und zwanzigsten Januar meinen Geburtstag, und höre wie. Ich hatte mir natürlich den Tag vorher schon vorgenommen, ihn recht stattlich zu begehen, und also vor allen Din¬ gen hier Ruhetag zu halten. Der Name Udine klang mir so schön, war mir aus der Künstlergeschichte be¬ kannt, und war überdieſs der Geburtsort unserer bra¬ ven Grassi in Dresden und Wien. Die groſse feyer¬ lich tönende Abendglocke verkündigte mir in der dun¬ keln Ferne, denn es war schon Nacht als ich ankam, eine ansehnliche Stadt. Vor Campo Formido war ich im Dunkeln vorbey gegangen. Am Thore zu Udine stand eine östreichische Wache, die mich examinierte. Ich bat um einen Grenadier, der mich in ein gutes Wirthshaus bringen sollte. Gewährt. Aber ein gutes Wirthshaus war nicht zu finden. Ueberall wo ich hinein trat, saſsen, standen und lagen eine Menge gemeiner Kerle bacchantisch vor ungeheuer groſsen Weinfässern, als ob sie mit Bürger bey Ja und Nein vor dem Zapfen sterben wollten. Es kam mir vor, als ob Bürger hier seine Uebersetzung gemacht haben müsse; denn der lateinische Text des alten englischen Bischofs hat die¬ ses Bild nicht. In dem ersten und zweyten dieser Häuser hatte ich nicht Lust zu bleiben; im dritten wollte man mich nicht behalten. Ruhig, dachte ich; du gehst auf die Wache: morgen wird sichs schon fin¬87 den. Der Sergeant gestand mir gern Quartier zu, da ich der Wache für ihre Höflichkeit ein gutes Trink¬ geld geben wollte. Nun holte man Brot und Wein für mich. Kaum war dieses da, so kam eine fremde Patrouille, einige Meilen weit her, welche ihr Quar¬ tier auch in der Wachstube nahm. Nun sagte der Sergeant ganz höflich, es sey kein Platz mehr da. Das sah ich auch selbst ein. Er machte auch Dienst¬ schwierigkeiten, die ich als ein alter Kriegsknecht sehr bald begriff. Ich überlieſs Brot und Wein dem Ue¬ berbringer und verlangte, man solle mich auf die Hauptwache bringen lassen. Das geschah. Dort fand ich mehrere Offiziere. Ich erzählte dem Wachhaben¬ den meinen Fall und schloſs mit der Meinung, daſs ich doch Quartier haben müsse, und sollte es auch auf der Hauptwache seyn. Die Herren lärmten, fluch¬ ten und lachten und sagten, es gehe ihnen eben so; die Welschen schlugen die Deutschen todt nach Noten, wo sie konnten. Man schickte mich zum Platzmajor. Gut. Dieser foderte meinen Paſs, fand ihn richtig, revidierte ihn, befahl, ich sollte mich den kommenden Morgen bey der Polizey melden ‚ die ihn auch unter¬ schreiben müsse, und machte einige Knasterbemer¬ kungen über die Nothwendigkeit der guten Ordnung, an der ich gar nicht zweifelte. Das ist alles recht gut, sagte ich; aber ich kann kein Quartier finden. Ach das wird nicht fehlen, meinte er: aber es fehlt, meinte ich. Der alte Herr setzte sein Glas bedächtlich nie¬ der, sah seine Donna an, rieb sich die Augenbraunen und schickte den Gefreyten mit mir und meinem Tornister alla nave. Der Gefreyte wies mich ins88 Schiff und ging. Als ich eintrat, sagte man mir, es sey durchaus kein Zimmer mehr leer; es sey alles be¬ setzt. Ich that groſs und bot viel Geld; aber es half nichts. Sie sollten es für den vierten Theil haben, antwortete mir eine alte ziemlich gedeihliche Frau; aber es ist kein Platz. Ich kann nicht fort, es ist spät; ich bin müde und es ist drauſsen kalt. Die Ita¬ liänerin machte es wie der Mann von Sankt Oswald, nur ganz höflich. Ich gehe nicht, sagte ich, wenn man mir nicht einen Menschen mitgiebt, der mich wieder auf die Hauptwache bringt. Den gab man. Nun war ich wieder auf der Hauptwache und erzählte und foderte Quartier. Man lärmte und fluchte und lachte von neuem. Ich versicherte nun bestimmt, ich würde hier bleiben. Wort gab Wort. Einer der Her¬ ren sagte lachend; Warten Sie, vielleicht bin ich noch so glücklich Ihnen Quartier zu verschaffen. Es ist eine verfluchte Geschichte; es geht uns oft auch so, wenn wir nicht mit Heereszug kommen: aber ich habe hier einige Bekanntschaft. Der Offizier ging ei¬ nige hundert Schritte weit davon mit mir in ein Haus, hielt Vortrag, und ich erhielt sehr höflich Quartier. Zimmer und Bette waren herrlich. Nun wollte ich essen; da war nichts zu haben. Ma Signore; sagte die Wirthin, questa casa non è locanda; non si mangia qui. Ich hatte sieben Meilen im Januar gemacht und war auf, dem Pflaster noch eine Stunde herum trot¬ tiert; ich konnte mich nicht entschlieſsen spät in der Finsterniſs noch einmahl auszugehen. Der Officier war fort. Ich sah grämlich aus, und man wünschte mir ohne Abendessen freundlich Felicissima notte: ich ging89 ärgerlich zu Bette und schlief herrlich. Den andern Morgen, an meinem Geburtstage, sollte ich auf die Polizey gehen. Der Sitz derselben war in vierzehn Tagen wohl vier Mahl verändert worden: man wies mich hier hin und dort hin, und ich fand sie nirgends.
So dachte ich in meinem Aerger, kaufte mir eine Semmel und einige Aepfel in die Tasche, ging nach Hause, bezahlte den sehr billigen Preis für mein Quartier, stekte meinen Paſs ohne die Polizey wieder in die Brieftasche und reiste zum Thore hinaus. Das war mein Geburtstag zum Morgen. Den Abend aber, denn zu Mittage konnte ich kein schickliches Haus finden und fastete, erholte ich mich ziemlich wieder zu Codroipo. Eine niedliche Piemonteserin, deren Mann ein Deutscher und Feldwebel bey einem kaiserlichen Regimente war, kam zu Fuſse mit ihrem kleinen Jun¬ gen von ungefähr zwey Jahren von Livorno und ging nach Gräz. Du weiſst ich liebe schöne reinliche Kin¬ der in diesem Alter ungewöhnlich, und der Knabe fing so eben an etwas von der Sprache seines Vaters und etwas von der Sprache seiner Mutter zu stam¬ meln und hatte sein groſses Wesen mit und auf mei¬ nem Tornister. Der Wirth brachte uns Polenta, Eyer¬ kuchen und zweyerley Fische aus dem Tagliamento, gesotten und gebraten. Du siehst, dabey war kein Fleisch; das war also an meinem Geburtstage gefastet nach den besen Regeln der Kirche.
90Der Weg zwischen Triest und Venedig ist auſser¬ ordentlich wasserreich; sehr viele groſse und kleine Flüsse kommen rechts von den Bergen herab, unter denen der Tagliamento und die Piave die vorzüglich¬ sten sind. Zwischen Codroipo und Valvasone ging ich über den Tagliamento in vier Stationen, auf dem Rü¬ cken eines groſsen ehrenfesten Charons, der seine lan¬ gen Fischerstiefeln bis an die Taille hinauf zog. Der Fluſs war jetzt ziemlich klein; und dieses ist zu sol¬ cher Zeit die Methode Fuſsgänger überzusetzen. Sein Bett ist über eine Viertelstunde breit und zeigt, wie wild er seyn muſs, wenn er das Bergwasser herab wälzt. Wenn die Bäche groſs sind, mag die Reise hier immer bedenklich seyn; denn man kann durch¬ aus an den Betten sehen, welche ungeheuere Wasser¬ menge dann überall herabströmt. Jetzt sind alle Was¬ ser so schön und hell, daſs ich überall trinke: denn für mich geht nichts über schönes Wasser. Die Wohl¬ that und den Werth davon zu empfinden, muſst Du dich von den Engländern einmahl nach Amerika transportieren lassen, wo man in dem stinkenden Wasser fingerlange Fasern von Unrath findet, die Nase zuhalten muſs, wenn man es durch ein Tuch geschla¬ gen trinken will, und doch noch froh ist, wenn man die kocytische Tunke zur Stillung des brennenden Durstes nur noch erhält. So ging es uns, als wir in den amerikanischen Krieg zogen, wo ich die Ehre[hatte] dem König die dreyzehn Provinzen mit verlie¬ ren zu helfen.
In Pordenone traf ich das erste Mahl eine öffent¬ liche Mummerey von Gassenmaskerade, muſste bey91 gar jämmerlichen Fischen wieder fasten, und vväre übel gefahren, wenn mich ein kleines niedliches Mädchen vom Hause nicht noch mitleidig mit Kasta¬ nien gefüttert hätte. Hier sind in der Markuskirche einige hübsche Votivgemählde, mit denen man sich wohl eine halbe Stunde angenehm beschäftigen kann. Von Udine bis Pordenone ist viel dürres Land; doch findet man mit unter auch sehr schöne Weinpflanzun¬ gen. Die Deutschen stehen, wie Du aus der Ge¬ schichte von Udine gesehen hast, eben nicht in dem besten Kredit hier in der Gegend, und es ist kein Un¬ glück für mich, daſs man mich meistens für einen Franzosen hält, weil in meine Sprache sich oft ein französischer Ausdruck einschleicht. Wenn ich gleich sage und wiederhohle, ich sey ein Deutscher; so will man es doch nicht glauben. In der Vermuthung, ich müsse ein französischer Offizier seyn, der das Land umher durchzieht, werde ich oft recht gut bewirthet. Dergleichen Promenaden der Franzosen müssen also doch so ungewöhnlich nicht seyn. Signore è Francese, ma non volete dirlo; Fate bene, fate bene: sagte man mir mit sehr freundlichem Gesichte. Alles kommt freylich auf den Partheygeist an, der hier eben so mächtig ist, als irgendwo. Viele klagen über die Franzosen; aber die Meisten scheinen es doch nicht gern zu sehen, daſs sie nicht mehr hier sind.
In Conegliano fand ich einige junge Kaufleute, die von Venedig kamen und den Weg nach Triest zu Fuſse machen wollten, den ich eben gekommen war. Das Herz ward ihnen sehr leicht, als ich sagte, es gehe recht gut und es sey mir keine Gefahr aufgesto¬92 ſsen: denn man hatte auch diesen Herrn von der an¬ dern Seite das Gehirn mit Schreckbildern angefüllt. Sodann war auch dort, wie er sich selbst in der Ge¬ sellschaft einführte, ein groſser Philosoph, ungarischer Hussarenunteroffizier, der hier den politischen Spion zu machen schien. Er donnerte gewaltig über die Revolution und brachte Anspielungen und indirekte Drohungen gegen meine Person, als dieses Verbrechens verdächtig. Der Wirth hat das Recht nach meinem Paſs zu fragen, mein Herr, versetzte ich, als mir die Worte zu stark und zu deutsch wurden: wenn Sie aber glauben, daſs es nöthig ist, so führen Sie mich vor die Behörde zur Untersuchung. Uebrigens erbitte ich mir von ihrer Philosophie etwas Humanität. Das wirkte: der Mann fing nun an ein halbes dutzend Sprachen zu sprechen, und vorzüglich das Italiänische und Ungarische mit einer horrenden Volubilität. So bald wir nur lateinisch zusammen kamen, waren wir Freunde, und er war sogleich von meiner politischen Orthodoxie überzeugt: und als ich ihn vollends zu meinem Wein mit Pastetchen ehrenvoll einlud, gehör¬ ten wir durchaus zu Einer Sekte. Er hielt sich an den Wein, ich mich an die Pastetchen, und alle Co¬ neglianer, Trevisaner und Venetianer staunten den Strom von Gelehrsamkeit an, den der Mann aus sei¬ nem Schatze hervorgoſs.
Von Conegliano bis Treviso hatte ich mir auf ei¬ nem eingefallenen Steinchen die Ferse blutig getreten, und gab zum ersten Mahl den Zudringlichkeiten eines Vetturino nach, der mich für sechs Liren nach Mestre bringen wollte. Mit der Bedingung, daſs ich gleich93 abginge, lieſs ich mir die Sache gefallen: denn ich wollte noch gern diesen Abend in Mestre seyn, um den folgenden Morgen zeitig nach Venedig überzuse¬ tzen. Sechs Liren war mir ein unbegreiflich niedri¬ ger Preis für einen vollen Wagen mit zwey guten Pferden, den er mir von dem Wirthshause als mein Fuhrwerk zeigte; so daſs ich nicht wuſste was ich den¬ ken sollte. Aber vor der Stadt hielt er an und packte noch einen venetianischen Kaufmann und eine Tyro¬ lerin ein, die als Kammerjungfer ihrer Gräfin nach¬ reiste; und nun begriff ich freilich. Von Conegliano aus ist der Weg schon sehr frequent und die Land¬ häuser werden häufiger und schöner; und von Treviso ist es fast lauter schöner mit Villen besetzter Garten. Die Tyrolerin sentimentalisierte darüber ununterbro¬ chen deutsch und italiänisch; der Italiäner war ein gar artiger Kerl, und da kamen denn die Leutchen bald in einen Ton allerliebster Zweydeutigkeiten, zu dem die deutsche Sprache, wenigstens die meinige, gar nicht geeignet ist: und doch kann man nicht sagen, daſs sie geradezu in Unanständigkeit ausgeartet wären. Bloſs der unreine Nasenton der Tyrolerin miſsfiel mir; und da ich bey der zufälligen Lüftung des Halstuches in der untern Gegend des Kinnbackens einige be¬ trächtliche Narben erblickte, war ich sehr froh, daſs ich mit excessiver Artigkeit dem Venetianer die Ehren¬ stelle neben ihr im Fond überlassen hatte. Ich er¬ hielt meinen Theil Witz von den Leutchen für meine überstoische Laune und Taciturnität, und rettete mich von dem Prädikat eines Gimpels vermuthlich nur durch meine Unkunde in der italiänischen Sprache94 und einige Sarkasmen, die ich ganz trocken hinwarf. In Mestre wollte mich die Dame aus Artigkeit mit in ihr Hotel nehmen und meinte, ich könnte morgen mit der Gräfin zusammen die Ueberfahrt nach dem schönen Venedig machen: aber ich fand eine Gesell¬ schaft von Venetianern, die noch diesen Abend über¬ setzen wollte und schloſs mich an. Wir ruderten den Kanal hinunter. Die Andern waren alle Einheimische und hatten weiter nichts nöthig als dieses zu sagen; aber ich Fremdling muſste einige Zeit auf der Wache warten, bis der Offiziant meinen Paſs gehörig regi¬ striert hatte. Er behielt ihn, und gab mir einen Pas¬ sierzettel, nach östreichischer Sitte, mit der Weisung, mich damit in Venedig auf der Polizey zu melden. Das foderte etwas Zeit, da der Herr etwas Myops und kein Tachygraph war; und meine Gesellschafter waren über den Aufenthalt etwas übellaunig. Doch das gab sich bald. Man fragte mich, als ich zurück kam, mit vieler Artigkeit und Theilnahme, wer ich sey? wohin ich wolle? und dergleichen; und wunderte sich höch¬ lich als man hörte, daſs ich zu Fuſse allein einen Spaziergang von Leipzig nach Syrakus machen wollte. Der Abend war schön, und ehe wir es uns versahen, kamen wir am Rialto an, wovon ich aber jetzt natür¬ lich weiter nichts als die magische Erscheinung sah. Ein junger Mann von Conegliano, mit dem ich wäh¬ rend der ganzen Ueberfahrt viel geplaudert hatte, be¬ gleitete mich durch eine groſse Menge enge Gäſschen in den Gasthof The Queen of England; und da hier alles besetzt war zum goldnen Stern, nicht weit vom95 Markusplatze, wo ich für billige Bezahlung ziemlich gutes Quatier und artige Bewirthung fand.
Den dritten Februar, wenn ich mich nicht irre, kam ich in Venedig an, und lief gleich den Morgen darauf mit einem alten abgedankten Bootsmann, der von Lissabon bis Konstantinopel und auf der afrikani¬ schen Seite zurück die ganze Küste kannte, und jetzt den Lohnbedienten machen muſste, in der Stadt her¬ um; sah mehr als zwanzig Kirchen in einigen Stun¬ den, von der Kathedrale des heiligen Markus herab bis auf das kleinste Kapellchen der ehemaligen Beherr¬ scherin des Adria. Wenn ich Künstler oder nur Ken¬ ner wäre, könnte ich Dir viel erzählen von dem was da ist und was da war. Aber das alles ist Dir wahr¬ scheinlich schon aus Büchern bekannt; und ich würde mir vielleicht weder mit der Aufzählung noch mit dem Urtheil groſse Ehre erwerben. Der Pallast der Republik sieht jetzt sehr öde aus, und der Rialto ist mit Kanonen besetzt. Auch am Ende des Markuspla¬ tzes nach dem Hafen zu haben die Oestreicher sechs Kanonen stehen, und gegen über auf Sankt George hatten schon die Franzosen eine Batterie angelegt, wel¬ che die Kaiserlichen natürlich unterhalten und erwei¬ tern. Die Parthie des Rialto hat meine Erwartung nicht befriedigt; aber der Markusplatz hat sie, auch so wie er noch jetzt ist, übertroffen.
Es mögen jetzt ungefähr drey Regimenter hier liegen, eine sehr kleine Anzahl für ernsthafte Vorfälle. So wie die Stimmung jetzt ist, nähme und behauptete man mit zehn tausend Mann Venedig; wenn man nehmlich im Anfange energisch und sodann klug und96 human zu Werke ginge. Das Militär und überhaupt die Bevölkerung zeigt sich meistens nur auf dem Markusplatze, am Hafen, am Rialto und am Zeug¬ hause; die übrigen Gegenden der Stadt sind ziemlich leer. Wenn man diese Parthien gesehen hat und ei¬ nige Mahl den groſsen Kanal auf und abgefahren ist, hat Venedig vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges mehr; man müſste denn gern Kirchen besuchen, die hier wirklich sehr schön sind.
Das Traurigste ist in Venedig die Armuth und Betteley. Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid ange¬ fleht zu werden; und der Anblick des Elends unter¬ stützt das Nothgeschrey des Jammers. Um alles in der Welt möchte ich jetzt nicht Beherrscher von Venedig seyn; ich würde unter der Last meiner Gefühle erlie¬ gen. Schon Küttner hat viele Beyspiele erzählt, und ich habe die Bestätigung stündlich gesehen. Die nie¬ derschlagendste Empfindung ist mir gewesen. Frauen von guter Familie in tiefen, schwarzen, undurchdring¬ lichen Schleyern kniend vor den Kirchenthüren zu finden, wie sie, die Hände gefaltet auf die Brust ge¬ legt, ein kleines hölzernes Gefäſs vor sich stehen ha¬ ben, in welches die vorübergehenden einige Soldi werfen. Wenn ich länger in Venedig bliebe, müſste ich nothwendig mit meiner Börse oder mit meiner Empfindung Bankerott machen.
Drollig genug sind die gewöhnlichen Improvisato¬ ren und Deklamatoren auf dem Markusplatze und am Hafen, die einen Kreis um sich her schlieſsen lassen und für eine Kleinigkeit irgend eine berühmte Stelle97 sprechen, oder auch aus dem Stegreife über ein gege¬ benes Thema theils in Prose theils in Versen sogleich mit solchem Feuer reden, daſs man sie wirklich ei¬ nige Mahl mit groſsem Vergnügen hört. Du kannst Dir vorstellen, wie geringe die Summe und wie ernie¬ drigend das Handwerk seyn muſs. Eine Menge Leute von allen Kalibern, Lumpige und Wohlgekleidete, saſsen auf Stühlen und auf der Erde rund herum und warteten auf den Anfang, und eine Art von buntsche¬ ckigem Bedienten, der seinem Prinzipal das Geld sam¬ melte, rief und wiederholte mit lauter Stimme: Manca ancora cinque soldi; ancora cinque soldi! Je¬ der warf seinen Soldo hin, und man machte gewaltige Augen, als ich einige Mahl mit einem schlechten Zwölfkreuzerstück der Foderung ein Ende machte und die Arbeit beschleunigte. Welch ein Abstand von die¬ sen Improvisatoren bis zu den römischen, von denen wir zuweilen in unsern deutschen Blättern lesen!
Auf der Giudekka ist es, wo möglich, noch ärm¬ licher als in der Stadt; aber eben deſswegen sind dort nicht so viele Bettler, weil vielleicht niemand hoffen darf, dort nur eine leidliche Ernte zu halten. Die Erlöserskirche ist daselbst die beste, und ihre Kapuzi¬ ner sind die Einzigen, die in Venedig noch etwas schöne Natur genieſsen. Die Kirche ist mit Orangerie besetzt, und sie haben bey ihrem Kloster, nach der See hinaus, einen sehr schönen Weingarten. Diese, nebst einigen Oleastern in der Gegend des Zeughau¬ ses, sind die einzigen Bäume, die ich in Venedig gese¬ hen habe. Die Insel Sankt George hält bekanntlich die Kirche und das Kapitel, wo der jetzige Papst ge¬798gewählt wurde, und wo auch noch sein Bildniſs ist, das bey den Venetianern von gemeinem Schlage in auſserordentlicher Verehrung steht. Der Maler hat sein mögliches gethan, die Draperie recht schön zu machen. Die Kirche selbst ist ein gar stattliches Ge¬ bäude, und wie ich schon oben gesagt habe, mit Batterien umgeben.
Die Venetianer sind übrigens im Allgemeinen höfliche, billige, freundschaftliche Leute, und ich habe von Vielen Artigkeiten genossen, die ich in mei¬ nem Vaterlande nicht herzlicher hätte erwarten kön¬ nen. Einen etwas schnurrigen Auftritt hatte ich vor einigen Tagen auf dem Markusplatze. Man hatte mich beständig in dem nehmlichen Reiserocke, (die Ursache war, weil ich keinen andern hatte, da ich kei¬ nen andern im Tornister tragen wollte,) an den öf¬ fentlichen Orten der Stadt herum laufen sehen, und doch gesehen, daſs ich mit einem Lohnbedienten lief und Liren verzehrte. Ich zahlte dem Bedienten jeden Abend sein Geld, wenn ich ihn nicht mehr brauchte; dieses geschah diesen Abend, da es noch ganz hell war, auf dem Markusplatze. Einige Dirnen der Aphrodite Pandemos mochten bemerkt haben, daſs ich bey der Abzahlung des Menschen eine ziemliche Handvoll silberner Liren aus der Tasche gezogen hatte, und legten sich, als der Bediente fort war und ich allein gemächlich nach Hause schlenderte, ganz freund¬ lich und gefällig an meinen Arm. Ich blieb stehen und sie thaten das nehmliche. Man gruppierte sich um uns herum, und ich bat sie höflich, sich nicht die Mühe zu geben mich zu inkommodieren. Sie fuhren mit99 ihrer artigen Vertraulichkeit fort, und ich ward ernst. Sie waren beyde ganz hübsche Sünderinnen, und tru¬ gen sich ganz niedlich und anständig mit der feine¬ ren Klasse. Ich demonstrierte in meinem gebroche¬ nen Italiänisch so gut ich konnte, sie möchten mich in Ruhe lassen. Es half nichts; die Gesellschaft in ei¬ niger Entfernung lächelte und Einige lachten sogar. Eine von den beyden Nymphchen schmiegte sich so schmeichelnd als möglich an mich an. Da ward ich heiſs und fing an in meinem stärksten Baſstone auf gut Russisch zu fluchen, mischte so etwas von Impudenza und senza vergogna dazu, stampfte mit meinem Kno¬ tenstocke emphatisch auf das Pflaster, daſs die Gesell¬ schaft sich schüchtern zerstreute und die erschrockenen Geschöpfchen ihren Weg gingen.
Ein anderer, etwas ernsthafterer Vorfall beschäf¬ tigte mich fast eine halbe Stunde. Ich verschlieſse den Abend mein Zimmer und lege mich zu Bette. Als ich den Morgen aufstehe, finde ich meine Kleider, die neben mir auf einem andern Bette lagen, ziemlich in Unordnung und meinen Huth herab geworfen. Das Schloſs war unberührt und mir fehlte übrigens nichts. Ich dachte hin und her und konnte nichts heraus grübeln, und mir schwebten mancherley son¬ derbare Gedanken von der alten venetianischen Poli¬ zey vor dem Gehirne; so daſs ich sogleich, als ich mich angezogen hatte, zu dem Kellner ging und ihm den Vorfall erzählte. Das Haus war groſs und voll. Da erhielt ich denn zu meiner Beruhigung den Aufschluſs, es seyen die Nacht noch Fremde angekommen, und man habe noch eine Matratze gebraucht, und sie aus dem100 Bette neben mir mit dem Hauptschlüssel abgeholt. Hätte ich nun die Sache nicht gründlich erfahren, wer weiſs was ich mir noch für Einbildungen gemacht hätte.
Jetzt ist meine Seele voll von einem einzigen Ge¬ genstande, von Canovas Hebe. Ich weiſs nicht, ob Du die liebenswürdige Göttin dieses Künstlers schon kennst; mich wird sie lange, vielleicht immer beherr¬ schen. Fast glaube ich nun, daſs die Neuen die Al¬ ten erreicht haben. Sie soll eines der jüngsten Werke des Mannes seyn, die ewige Jugend. Sie steht in dem Hause Alberici, und der Besitzer scheint den ganzen Werth des Schatzes zu fühlen. Er hat der Göttin ei¬ nen der besten Plätze, ein schönes helles Zimmer nach dem groſsen Kanal, angewiesen. Ich will, ich darf keine Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, daſs sie die Angebetete der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Ich habe die Mediceerin noch nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen von ihr zu urtheilen, ist hier für mich mehr als alle veneres cupidinesque.
Du denkst wohl, daſs mich das marmorne Mäd¬ chen etwas auſser mich gebracht hat; und so mag es allerdings seyn. Der Italiäner betrachtete meine An¬ dacht eben so aufmerksam, wie ich seine Göttin. Diese einzige Viertelstunde hat mir meine Reise be¬ zahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch bin ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die ich bis jetzt in der Natur und in der Kunst gesehen habe; und ich verzweifle selbst mit meinem Ideale höher steigen zu können. Ich muſs Canovas Hände küssen, wenn ich nach Rom komme, wo er, wie ich höre, jetzt lebt. Das goldene Gefäſs, die goldene Schale und das goldene Stirnband haben mich gewiſs nicht bestochen; ich habe bloſs die Göttin angebetet, auf deren Antlitz alles, was der weibliche Himmel liebenswürdiges hat, ausgegossen ist. In das Lob der Gestalt und Glieder und des Gewandes will ich nicht eingehen; das mögen die Geweiheten thun. Alles ist des Ganzen würdig.
In dem nehmlichen Hause steht auch noch ein schöner Gypsabguſs von des Künstlers Psyche. Sie ist auch ein schönes Werk; aber meine Seele ist zu voll von Hebe, um sich zu diesem Seelchen zu wenden. 102In dem Zimmer, wo der Abguſs der Psyche steht, sind rund an den Wänden Reliefs in Gyps von Canovas übrigen Arbeiten. Eine Grablegung des Sokrates durch seine Freunde. Die Scene, wo der Verurtheilte den Becher nimmt. Der Abschied von seiner Familie. Der Tod des Priamus nach Virgil. Der Tanz der Phäacier in Gegenwart des Ulysses, wo die beyden tanzenden Figuren vortrefflich sind: und die opfern¬ den Trojanerinnen vor der Minerva, unter Anführung der Hekuba. Alles ist eines groſsen und weisen Künst¬ lers würdig; aber Hebe hat sich nun einmahl meines Geistes bemächtiget und für das übrige nichts mehr übrig gelassen. Wenn der Künstler, wie man glaubt, nach einem Modell gearbeitet hat, so möchte ich für meine Ruhe das Original nicht sehen. Doch, wenn dieses auch ist, so wird seine Seele gewiſs es erst zu diesem Ideal erhoben haben, das jetzt alle Anschauer begeistert.
Da meine Wohnung hier nahe am Markusplatze ist, habe ich fast stündlich Gelegenheit die Stellen zu sehen, auf welchen die berühmten Pferde standen, die nun, wie ich höre, den konsularischen Pallast der Gal¬ lier bewachen sollen. Sonderbar; wenn ich nicht irre, erbeuteten die Venetianer, in Gesellschaft mit den Franzosen, diese Pferde nebst vielen andern gewöhnli¬ chen Schätzen. Die Venetianer lieſsen ihren Verbün¬ deten die Schätze und behielten die Pferde; und jetzt kommen die Herren und holen die Pferde nach. Wo ist der Bräutigam der Braut, der jährlich sein Fest auf dem adriatischen Meere feyerte? Die Britten gingen seit geraumer Zeit schon etwas willkührlich203 und ungebührlich mit seiner geliebten Schönen um; und nun ist er selbst an der Apoplexie gestorben, und ein Fremder nimmt sich kaum mehr Mühe sei¬ nen Bucentaur zu besehen. Venedig wird nun nach und nach von der Kapitale eines eigenen Staats zur Guvernementsstadt eines fremden Reichs sich modifi¬ cieren müssen; und desto besser für den Ort, wenn dieses sanft, von der einen Seite mit Schonung und von der andern mit gehöriger Resignation geschieht.
Gestern ging ich nach meinem Passe, der auf der Polizey gelegen hatte und dort unterschrieben werden muſste. Ich bin überhaupt kein groſser Wälscher, und der zischende Dialekt der Venetianer ist mir gar nicht geläufig. Ich konnte in der Kanzley mit dem Ausfer¬ tiger nicht gut fertig werden, und man wies mich in ein anderes Zimmer an einen andern Herrn, der fremde Zungen reden sollte. In der Meinung, er würde unter einem deutschen Monarchen auch wohl deutsch sprechen, sprach ich Deutscher deutsch. Non son asino ferino, antwortete der feine Mann, per rug¬ gire tedesco. Das waren, glaubte ich, seine Worte, die freylich eine grelle Ausnahme von der venetiani¬ schen Höflichkeit machten. Die Anwesenden lachten über den Witz, und ich, um zu zeigen daſs ich wider sein Vermuthen wenigstens seine Galanterie verstan¬ den hatte, sagte ziemlich mürrisch: Mais pourtant, Monsieur, il est à croire qu'il y quelqu'un ici, qui sache la langue de votre Souverain. Das machte den Herrn etwas verblüfft; er fuhr ganz höflich französisch fort sich zu erkundigen, sagte mir, daſs mein Paſs aus¬ gefertiget sey, und in drey Minuten war ich fort. Ich104 erzähle Dir dieses nur als noch einen neuen Beweis, wie man gegen unsere Nation gestimmt ist. Diese Stimmung ist ziemlich allgemein, und die Oestreicher scheinen sich keine sonderliche Mühe zu geben, sie zu ändern.
Morgen will ich über Padua am Adria hinab wan¬ deln und mich so viel als möglich dem Meere nahe halten, bis ich hinunter an den Absatz des Stiefels komme und mich an den Aetna hinüber bugsieren lassen kann. Die Sache ist nicht ganz leicht. Denn unter Ankona bey Loretto endigt die Poststraſse; und durch Abbruzzo und Kalabrien mag es nicht gar weg¬ sam und wirthlich seyn: sed non sine dis animosus infans. Ich weiſs, daſs mich Deine freundschaftlichen Wünsche begleiten, so wie Du überzeugt seyn wirst, daſs meine Seele oft bey meinen Freunden und also auch bey Dir ist.
Neun Tage war ich in Venedig herumgelaufen. Die Nacht war ich angekommen, die Nacht fuhr ich mit der Korriere wieder ab. Die Gesellschaft war ziem¬ lich zahlreich, und wir waren wie im trojanischen Pferde zusammen geschichtet. Das Wetter war nicht sehr günstig; wir fuhren also von Venedig nach Padua von acht Uhr des Abends bis den andern Mittag. Der Weg an der Brenta herauf soll sehr angenehm seyn; aber das Wasser hatte bekanntlich die Straſsen durch ganz Oberitalien so fürchterlich zugerichtet, daſs es105 ein trauriger Anblick war; und ich grämte mich nicht sehr, daſs ich auf meiner Fahrt und wegen stürmi¬ schen Wetters wenig davon sehen konnte. So wie wir in Padua ankamen, ward das Wetter leidlich. Die Unterredung im Schiffe war bunt und kraus wie die Gesellschaft; aber es wurde durchaus nichts gespro¬ chen, was Bezug auf Politik gehabt hätte. Die ein¬ zige Bemerkung nehme ich aus, welche ein alter ziemlich ernsthafter Mann machte: es wäre nun zu hoffen, daſs wir in dreyſsig oder vierzig Jahren zu Fuſse nach Venedig würden gehen können. Er deu¬ tete bloſs kurz an, die alte Regierung habe ein Inter¬ esse gehabt die Stadt als Insel zu erhalten und habe sich die Räumung der Lagunen viel Geld kosten las¬ sen; die neue Regierung werde ein entgegengesetztes Interesse haben, und brauchte dann nicht viel Kosten darauf zu wenden, die Straſse von Mestre nach Vene¬ dig fest zu machen. Ich lasse die Hypothese dahin gestellt seyn.
Als ich in Padua meine Mahlzeit genommen hat¬ te, nahm ich meinen Tornister und machte dem hei¬ ligen Antonius meinen Besuch. Sogleich war ein Ci¬ cerone da, der mich führte, und meinte, ich könne ganz füglich, so betornistert wie ich wäre, überall herum laufen. Ich nahm das sehr gerne an, und wandelte in diesem etwas grotesken Aufzuge, mit aller Devotion, die man dem alten Volksglauben schuldig ist, in der gothischen Kathedrale herum. In der Kir¬ che drängten sich mit Gewalt noch zwey Ciceronen zu mir und lieſsen sich mit Gewalt nicht abweisen; sie waren weit besser als ich gekleidet und zeigten106 mir alle ihre Wunder mit viel Salbung; und ich hatte die Ehre dreye zu bezahlen. Sodann ging ich das Monument des Livius aufzusuchen, von welchem alle meine drey Führer nichts wuſsten. Er muſs in seiner Vaterstadt jetzt so auſserordentlich berühmt nicht seyn: denn drey stattlich gekleidete Männer, die ich nach der Reihe anredete, konnten mir weder vom Livius noch von seinem Monumente erzählen; und doch sprachen zwey davon geläufig genug französisch. End¬ lich wies mich ein alter Graukopf nach dem Stadt¬ hause, wo es sich befinde. Ich wandelte in dem un¬ geheuren Saale des Stadthauses neugierig herum, und redete einen Mann mit einem ziemlich literärischen Antlitz lateinisch an. Er antwortete mir italiänisch, er habe zwar ehemals etwas Latein gelernt, aber es nun wieder ziemlich vergessen; und das meinige sey ihm zu alt, das könne er gar nicht verstehen. Er wies mich hierauf an einen Andern, der mit einem Buch in einer Ecke saſs. Dieser stand auf und zeigte mir mit vieler Humanität den alten Stein über dem Eingange einer Expedition. Du kennst ihn unstreitig mit seiner Inschrift, welche weiter nichts sagt, als daſs die Paduaner ihrem Mitbürger Livius hier dieses An¬ denken errichtet haben. Das neue prächtige Monu¬ ment, das der ehemalige venetianische Senat und das Paduanische Volk ihm gesetzt haben, sah ich nicht, weil es zu entfernt war und ich diesen Abend noch nach Battaglia patrollieren wollte. Als ich ging, sagte mir der Paduaner sehr artig: Gratias tibi habemus pro tua in nostrum popularem observantia. Eris nobis cum multis aliis testimonio, quantopere noster Livius apud107 exteros merito colatur. Valeas, nostrumque civem ames ac nobis faveas. Der Mann sagte dieses mit einer Herzlichkeit und einer gewissen klassischen Wichtig¬ keit, die ihm sehr wohl anstand.
Von Livius weg ging ich mit dem Livius im Ko¬ pfe gerades Weges durch seine alte trojanische Vater¬ stadt in das klassische Land hinein, das ehemahls so groſse Männer gab. Du weiſst, daſs ich sehr wenig Literator bin; weiſst aber auch, daſs ich von der Schule aus noch viel Vergnügen habe, dann und wann einen alten Knaster in seiner eigenen Sprache zu lesen. Li¬ vius war immer einer meiner Lieblinge, ob ich gleich Thucydides noch lieber habe. Ich wiederhole also wahrscheinlich zum zehentausendsten Mahle die Klage, daſs wir ihn nicht mehr ganz besitzen, und finde den übereilten etwas rodomantadischen Lärm, den man vor einiger Zeit hier und da über seine Wiederfin¬ dung gemacht hat, sehr verzeihlich. Ein Gedanke knüpfte sich an den andern; und da fand ich denn in meinem Sinn, daſs wir wohl schwerlich den ganzen Livius wieder haben werden. Freylich ist das zu be¬ dauern; denn gerade die wichtigsten Epochen der rö¬ mischen Geschichte für öffentliches Recht und Men¬ schenkunde, und wo sich unstreitig das Genie und die Freymüthigkeit des Livius in ihrem ganzen Gange ge¬ zeigt hat, der Sklavenkrieg und die Triumvirate sind verloren: aber was kann Klage helfen? Den Verlust erkläre ich mir so. Ich glaube durchaus nicht, daſs er aus Zufall oder Vernachläſsigung gekommen sey. Livius war ein freymüthiger, kühner, entschlossener Mann, ein warmer Patriot und Verehrer der Freyheit,108 wie alle seine Mitbürger, die es bey den letzten Unru¬ hen in Rom unter dem Triumvirat thätig genug ge¬ zeigt hatten; er war ein erklärter Feind der Despotie. August selbst, dem die römische Schmeicheley schänd¬ licher Weise einen so schönen Namen gab, nannte ihn mit einer sehr feinen Tyrannenmäſsigung nur ei¬ nen Pompejaner. Die Familie der Cäsarn war nun Meister; man kennt die Folge der erbaulichen Sub¬ jekte derselben, die schon schlimm genug waren, wenn sie auch nur halb so schlecht waren, als sie in der Geschichte stehen. Du findest doch wohl begreiflich, daſs die Cäsarn nicht absichtlich ein Werk, wie die Geschichte des Livius war, zu Lichte werden geför¬ dert haben. Es wird mir sogar aus einigen Stellen des Tacitus sehr wahrscheinlich, daſs man alles gethan hat sie zu unterdrücken; wenigstens die Stellen, wo der aristokratisch römische Geist überhaupt und die Tyranney der Cäsarischen Familie insbesondere mit sehr grellen Farben gezeichnet seyn muſste. Dieses waren vorzüglich der Sklavenkrieg und das Ende der Bürgerkriege. Es war überhaupt ein weitläufiges Werk, und nicht jeder war im Stande sich dasselbe kopieren zu lassen. Alle fanden es also wahrschein¬ lich genug ihrer Sicherheit und ihrem Interesse ge¬ mäſs, die Stellen nicht bey sich zu haben, die ihnen von dem Argwohn und der Grausamkeit ihrer Herr¬ scher leicht die blutigste Ahndung zuziehen konnten. Auf diese Weise ist das Schätzbarste von Livius im ei¬ gentlichen Sinne nicht sowohl verloren gegangen als vernichtet worden: und als man anfing ihn ins Ara¬ bische zu übersetzen, war er vermuthlich schon so109 verstümmelt, wie wir ihn jetzt haben. So stelle ich mir die Sache vor. Und gesetzt die wichtigen Bruch¬ stücke fänden sich noch irgendwo in einem sel¬ tenen Exemplar unter einem Aschenhaufen des Vul¬ kans, so kannst Du, aus der Analogie der neuen Herr¬ scher mit den alten, ziemlich sicher darauf rechnen, daſs wir die Schätze nicht erhalten werden; zumahl bey dem erneuerten und vergröſserten Argwohn, der seit einigen Jahrzehenden zwischen den Machthabern und den Beherrschten Statt hat. Wenn ich mich irre, soll es mir lieb seyn; denn ich wollte drey Fuſsreisen von der Elbe an den Liris machen, um dort von dem Livius den Spartakus zu lesen, den ich für einen der gröſsten und besten römischen Feldherren zu halten in Gefahr bin.
Unter diesen Ueberlegungen, deren Konsequenz ich Dir überlasse, wandelte ich die Straſse nach Ro¬ vigo fort. Diese Seite von Venedig ist nicht halb so schön als die andere von Treviso nach Mestre: die Ueberschwemmungen mit dem neuen Regenwasser hat¬ ten die Wege traurig zugerichtet, und ich zog sehr schwer durch den fetten Boden Italiens weiter. Ueber¬ all war der Segen des Himmels mit Verschwendung über die Gegend ausgeschüttet, und überall war in den Hütten die jämmerlichste Armuth. Vermuthlich war dieſs noch mit Folge des Kriegs. Nicht weit von Montselice kehrte ich zu Mittage an der Straſse in ei¬ nem Wirthshause ein, das nicht die schlimmste Miene hatte, und fand nichts, durchaus nichts, als etwas Wein. Ich wartete eine halbe Stunde und wollte viel zahlen, wenn man mir aus den benachbarten Häusern110 nur etwas Brot schaffen könnte. Aber es war unmög¬ lich; man gab mir aus Gutmüthigkeit noch einige Bissen schlechte Polenta, und ich muſste damit und mit meinem Schluk Wein weiter gehen.
Vor Rovigo setzte ich über die Etsch und trat in das Cisalpinische. Der Kaiserliche Offizier jenseit des Flusses, der meinen Paſs mit aller Schwerfälligkeit der alten Bocksbeuteley sehr lange revidierte, machte mir bange, daſs ich dieſseits bey dem französischen Kommandanten wohl Schwierigkeiten finden würde. Als ich zu diesem kam, war alles gerade das Gegen¬ theil. Er war ein freundlicher jovialischer Mann, der mir den Paſs, nach einem flüchtigen Blick auf mich und auf den Paſs, ohne ihn zu unterschreiben, zu¬ rück gab. Ich machte ihm darüber meine Bemerkung, daſs er nicht unterschriebe. Vous n' en avés pas be¬ soin; sagte er: Vous venés de l' autre coté? — Je viens de Vienne, et je m' en vais par Ferrare à Anco¬ ne. — N'importe; versetzte er; allés toujours. Bon voyage! Die Höflichkeit des Franzosen, die ich gegen die Nichthöflichkeit des Präsidenten in Wien und des Polizeyherrn in Venedig hielt, that mir sehr wohl. Rovigo war die erste eigentlich italiänische Stadt für mich; denn Triest und Venedig und die übrigen Oer¬ ter hatten alle noch so etwas Nordisches in ihrer Er¬ scheinung, daſs es mir kaum einfiel, ich sey schon in Italien. Weder hier, noch in Lagoscuro, noch in Ferrara fragte man mich weiter nach Pässen, ob ich gleich überall starke französische Besatzungen fand. Vor meinem Fenster in Rovigo stand auf dem Platze der groſse Freyheitsbaum mit der Mütze auf der111 Spitze, und gegen über in dem groſsen Kaffeehause war ein starkes Gewimmel von Italiänern und Fran¬ zosen, die sich der jovialischen Laune der Ungebun¬ denheit überlieſsen. Aber alles war sehr anständig und ohne Lärm.
Ich muſs Dir bekennen, daſs mir dieses heitere kühne Wesen gegen die stille bange Furchtsamkeit in Wien und Venedig sehr wohl gefiel, und daſs ich sel¬ ber etwas freyer zu athmen anfing; so wenig ich auch eben diese Freyheit für mich behalten und sie über¬ haupt den Menschenkindern wünschen möchte. Das Wasser hatte hier überall auſserordentlichen Schaden gethan, wie Du gewiſs schon aus den öffentlichen Blättern wirst gehört haben; vorzüglich hatte der so¬ genannte canale bianco seine Dämme durchbrochen und links und rechts groſse Verwüstungen angerichtet. Es arbeiteten oft mehrere hundert Mann an den Däm¬ men und werden Jahre arbeiten, ehe sie alles wieder in den alten Stand setzen. Hier sah man empörende Erscheinungen der Armuth in einem ziemlich geseg¬ neten Landstriche; und ich schreibe dieses auch mit dem Unheil zu, das die Flüsse und groſsen Kanäle hier sehr oft anrichten müssen. Da die Straſse ganz abscheulich war, lieſs ich mich bis Ponte di Lagos¬ curo auf dem Po hinauf rudern, und zahlte fünf Ru¬ derknechten für eine Strecke von drey Stunden die kleine Summe von zehn Liren. Der Po ist ein gro¬ ſses schönes majestätisches Wasser, und die heitere helle Abendsonne vergoldete seine Wellen und links und rechts die Ufer in weiter weiter Ferne. Es war, als ob ein Ozean herabrollte, und die Griechen haben112 ihn mit vollem Recht Eridanus, den Gabenbringer oder den Wogenwälzer genennt, nachdem Du nun die Erklärung machen willst. Eridanus und Rhodanus scheinen mir ganz die nehmlichen Namen zu seyn.
Wenn man an einem hellen kalten Abende zu Anfange des Februars einige Stunden auf dem Wasser gefahren ist, so ist ein gutes warmes Zimmer, eine Suppe und ein frisch gebratener Kapaun ein sehr an¬ genehmer Willkommen. Diesen fand ich in Ponte di Lagoscuro und wandelte den Morgen darauf in dem fürchterlichsten Regen auf einem ziemlich guten Wege die kleine Strecke nach Ferrara. Hier blieb ich und schlenderte den Nachmittag in der Stadt herum. Die architektonische Anlage des Orts ist sehr gut, die Straſsen sind lang und breit und hell. Es fehlt der ganzen Stadt nur eine Kleinigkeit, nehmlich Men¬ schen. Französische Soldaten sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger. Die öffentlichen Ge¬ bäude und Gärten und Plätze sind nicht ohne Schön¬ heit. Mehrere Stunden war ich in der Kathedrale und dem Universitätsgebäude. Am Eingange sind hier wie in Wien an der Bibliothek, sehr viele alte latei¬ nische Inschriften eingemauert, die meistens Leichen¬ steine sind und für mich wenig Interesse haben. Die Bibliothek aber ist ziemlich ansehnlich; und man wie¬ derholte mit Nachdruck einige Mahl, daſs durchaus kein Fürst etwas dazu gegeben habe, sondern, daſs alles durch die Beyträge des Publikums und von Privatleu¬ ten nur seit ungefähr funfzig Jahren angeschaft worden sey. Auf der Bibliothek findet sich jetzt auch das Grab und das Monument Ariosts, das sonst bey den113 Benediktinern stand: das sagt die neue lateinische Inschrift. Man zeigte mir mehrere Originalbriefe von Tasso, eine Originalhandschrift von Ariost und sein metallenes sehr schön gearbeitetes Dintenfaſs, an dem noch eine Feder war. Ohne eben die Authenticität sehr kritisch zu untersuchen, würde ich zu Oden und Di¬ thyramben begeistert worden seyn, wenn ich etwas in¬ spirationsfähiger wäre. So viel muſs ich sagen, die Bibliothek beschämt an Ordnung die meisten die ich gesehen habe.
Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr gut mit Suppe, Rindfleisch, Wurst, Fritters, Kapaun, Obst, Weintrauben und Käse von Parma. Du siehst daraus, daſs ich gewöhnlich nicht faste, wie an mei¬ nem Geburtstage zu Udine, und daſs die Leipziger Aubergisten vielleicht sich noch hier ein kleines Exem¬ pel nehmen könnten. Das Wetter war fürchterlich. Ich hatte gelesen von den groſsen gefährlichen Morä¬ sten zwischen Ferrara und Bologna, und die Erzäh¬ lungen bestätigten es und sagten weislich noch mehr; so daſs ich nicht ungern mit einem Vetturino handel¬ te, der sich mir nach Handwerksweise sehr höflich aufdrang. Der Wagen war gut, die Pferde waren schlecht und der Weg war noch schlechter. Schon in Padua konnte ich eine kleine Ahndung davon haben: denn eine Menge Kabrioletiers wollten mich nach Ve¬ rona und Mantua bringen; da ich aber sagte, daſs ich nach Bologna wollte, verlor kein Einziger ein Wort weiter, als daſs sie alle etwas von Teufelsweg durch die Zähne murmelten. Meine Kutschengefährten wa¬ ren ein cisalpinischer Kriegskommissär, und eine Da¬8114me von Cento, die ihren Mann in der Revolution ver¬ loren hatte. Wir zahlten gut und fuhren schlecht, und wären noch schlechter gefahren, wenn wir nicht zuweilen eine der schlimmsten Strecken zu Fuſse ge¬ gangen waren. Einige Stunden von Ferrara aus ging es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an die Achse. Der Vetturino wollte Ochsenvorspannung neh¬ men; die billigen Bauern foderten aber für zwey Stunden nicht mehr als acht und zwanzig Liren für zwey Ochsen, ungefähr sechs Gulden Reichsgeld. Der arme Teufel von Fuhrmann jammerte mich und ich rieth ihm selbst gar kein Gebot auf die unverschämte Foderung zu thun. Die Gaule arbeiteten mit der furchbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde weiter; dann ging es nicht mehr. Wir stiegen aus und arbeiteten uns zu Fuſse durch, und es ward mit dem leeren Wagen immer schlimmer. Erst fiel ein Pferd, und als sich dieses wieder erhoben hatte, das andere, und einige hundert Schritte weiter fielen alle beyde und wälzten sich ermattet in dem schlammigen thonigen Boden. Da hatten wir denn in Italien das ganze deutsche salzmannische menschliche Elend in concreto. Die Pferde halfen sich endlich wieder auf; aber der Wagen saſs fest. Nun stelle Dir die ganz be¬ kothete Personalität deines Freundes vor, wie ich mit der ganzen Kraft meines physischen Wesens meine Schulter unter die Hinterachse des Wagens setzte und heben und schieben half, daſs die Dame und der Kriegskommissär und der Vetturino erstaunten. Es ging, und nach drey Versuchen machte ich den Fuhr¬ mann wieder flott. Aber ans Einsetzen war nicht zu115 denken. Nun hatte ich das Amt, die Dame und den Kommissär durch die engen schweren Passagen zu bugsieren, und that es mit solchem Nachdruck und so geschicktem Gleichgewicht auf den schmahlen Stegen und Verschlägen und an den Gräben, daſs ich ihnen von meiner Kraft und Gewandtheit eine gar groſse Meinung gab. Schon hatten wir uns, als wir zu Fuſse voraus über den italiänischen Rhein, einen ziemlich ansehnlichen Fluſs, gesetzt hatten, in einem ganz ar¬ tigen Wirthshause zu Malalbergho einquartiert und uns in die Pantoffeln geworfen, als unser Fuhrmann an¬ kam und uns durchaus noch acht italiänische Meilen weiter bringen wollte. Ich hatte nichts dagegen, und die andern wurden überstimmt. Von hier aus sollte der Weg besser seyn. Wir schroteten uns also wieder in den Wagen und lieſsen uns weiter ziehen. Nun trat eine andere Furcht ein; der Dame und dem Kriegskommissär, drollig genug an Italiänern, ward bange vor Gespenstern. Der Kriegskommissär schien überhaupt mit seinem Muth nicht viel zur Befreyung seines Vaterlandes beygetragen zu haben. Mir ward zwar auch etwas unheimisch, nicht vor Geistern son¬ dern vor Straſsenräubern, für welche die Straſse zwi¬ schen tiefen breiten Kanälen ordentlich geeignet schien; indessen sammle ich in dergleichen Fällen als ein gu¬ ter Prädestinatianer meinen Muth und gehe getrost vorwärts. Gegen Mitternacht kamen wir glücklich auf unserer Station, einem isolierten, ziemlich groſsen und guten Gasthof an, der, wenn ich mich nicht irre, Althee hieſs und von dem ich Dir weiter nichts zu sagen weiſs, als daſs man mir einen Wein gab, der116 dem Champagner ähnlich war und also meinen Bey¬ fall hatte. Bey diesem Weine und der guten Mahl¬ zeit schien der Kriegskommissär ganz eigentlich in sei¬ nem rechten Elemente zu seyn: das ist ihm nun frey¬ lich nicht übel zu nehmen; denn ich befand mich nach einer solchen Fahrt dabey auch ganz behaglich.
Den andern Mittag langten wir hier in der alten päpstlichen Stadt Bologna an, wo man zuerst wieder nach meinem Passe fragte. Mit mir Fremden nahm man es nicht so strenge, als mit meinem Kameraden dem Kommissär, der aus der Gegend von Parma war, und der ein förmliches Kandidatenexamen aushalten muſste. Auf der Polizey, wo ich den Paſs signieren lassen muſste, war man eben so artig und höflich als an dem Gränzflusse. Hier in Bologna fand ich über¬ all eine exemplarische Unreinlichkeit, die an Schwei¬ nerey gränzt: und wenn man der häuslichen Nettig¬ keit der Italiäner überhaupt kein groſses Lob geben kann, so haben die Leute in Bologna den gröſsten Schmutz aufzuweisen. Auſser dem Stolz auf ihr altes Felsine, behaupten die Bologneser noch, daſs ihre Stadt so groſs sey wie Rom. Daran thun sie nun frey¬ lich etwas zu viel; wenn man aber auf den Thurm steigt und sich rings umher umschaut, so wird man den Raum doch groſs genug finden, um in eine solche Versuchung zu gerathen, zumahl wenn man etwas patriotisch ist. Der Hauptplatz mit der daran stoſsenden Kathedrale, und dem Gemeinehause rechts und den groſsen schönen Kaufmannshallen links, macht keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf demsel¬ ben, von Jean de Bologna, hat als Statüe wohl seine117 Verdienste; nur Schade, daſs der arme Gott hier so wenig von seinem Elemente hat, daſs er wohl kaum den Nachbaren auf hundert Schritte in die Runde zu trinken geben kann. Der Eingang des Gemeinehauses ist von Franzosen besetzt, und die Bürgerwache steht sehr demüthig in einem sehr spieſsbürgerlichen Auf¬ zug daneben. Ueber dem Portal hängt ein nicht un¬ feines Bild der Freyheit mit der Umschrift in groſsen Buchstaben: Republica Italiana; welches erst vor eini¬ gen Wochen hingesetzt war, da man die Cisalpiner in diese Nomenklatur metamorphosiert hatte.
Vor dem Nationaltheater wurde ich gewarnt, weil man daselbst durchaus immer die niedrigsten Hans¬ wurstiaden gebe und zum Intermezzo Hunde nach Ka¬ tzenmusik tanzen lasse. Hätte ich mehr Zeit gehabt so hätte ich doch wohl die Schnurrpfeifereyen mit an¬ gesehen. Ich ging aber auf das kleine Theater Da Ruffi, und fand es für eine so kleine Unternehmung allerliebst. Ich kann nicht begreifen, wie die Leute bey einem so geringen Eintrittsgelde und den kleinen Raum des Schauspielhauses den Aufwand bestreiten können. Man gab ein Stück aus der alten französi¬ schen Geschichte, den Sklaven aus Syrien, wo natür¬ lich viel über Freyheit und Patriotismus deklamiert wurde, aber schon wieder mit vieler Beziehung auf Fürstenwürde und Fürstenrechte, welches man viel¬ leicht voriges Jahr noch nicht hätte thun dürfen. Die Donna und der Held waren gut. Der Dialekt war für mich deutlich und angenehm; die meisten Schau¬ spieler waren, wie man mir sagte, Römer, und nur ein Einziger zischte venetianisch. Nach dem Stück118 gab man das beliebte Spiel Tombola, wovon ich vorher gar keinen Begriff hatte und auch jetzt noch keinen deutlichen bekommen habe, da es mir an jeder Art Spielgeist fehlt. Es ist eine Art Lotterie aus dem Stegreif, die für das Publikum auf dem Theater nach dem Stücke mit allgemeiner Theilnahme enthusiattisch gespielt wird. Die Anstalten waren sehr feyerlich; es waren Munizipalbeamten mit Wache auf dem Thea¬ ter, die Lose wurden vorher ausgerufen, alle gezeigt, und einem Knaben in den Sack geworfen. Ob man gleich nur um einige Scudi spielte, hätte man doch glauben sollen, es ginge um die Schätze Golkondas, so ein Feuereifer belebte alle Theilnehmer. Mir hätte das Spiel herzlich lange Weile gemacht, wie alle der¬ gleichen Hazardspiele, wenn nicht die Physionomien der Spielenden einiges Vergnügen gewährt hätten. Mein Cicerone war ein gewaltig gelehrter Kerl, und sprach und räsonnierte von Schulen und Meistern und Gemählden so strömend, als ob er die Dialektik stu¬ diert hätte und Professor der Aesthetik wäre; und er konnte es gar nicht zusammen reimen, daſs ich nicht wenigstens vierzehn Tage hier bleiben wollte, die Reichthümer der Kunst zu bewundern. Er hielt mich halb für einen Barbaren und halb für einen armen Teu¬ fel; und ich überlasse Dirs, in wie weit er in beydem Recht hat. Ich ging trotz seinen Demonstrationen und Remonstrationen den andern Morgen zum Thore hinaus.
Von Bologna geht es auf dem alten Emilischen Wege in der Niedrigung durch eine sehr wasserreiche Ge¬ gend immer nach Rimini herunter. Bloſs von Bologn bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse. Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneyt waren; der Boden ist überall sehr fett und reich. In Imola machte ich einen etwas barocken Einzug. Ich kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in Pordenone schon einen Prodrom gese¬ hen hatte. Die ganze Stadt war in Mummerey und zog in bunten Gruppen in den Straſsen herum. Nur hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Män¬ ner und Matronen und sahen dem tollen Wesen zu. Meine Erscheinung mochte für die Leute freylich et¬ was hyperboreisch seyn; eine solide pohlnische Klei¬ dung, ein Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein groſser schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere des Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmahl war ich mit einer Gruppe umgeben, die allerhand lächerliche Bockssprünge um mich herum machte. Die ernst¬ haften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit; einen genialischen Aufzug dieser Art kann man frey¬ lich nicht auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich trat mit den possierlichsten Stellungen eine tolle Mas¬ kenfratze vor mich hin und hielt mir ein Barbier¬ becken unter die Nase, das Don Quischott sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein anderes120 Bocksgesicht setzte sich hinter mich, um von seinem Attribut der Klystierspritze Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde Gelächter von halb Imola vor, als ich den Klystierspritzenkerl mit einer Schwen¬ kung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch nach ihm hin schwang und meine Personalität etwas aus dem Gedränge zu Tage förderte. Zum Unglück muſs ich Dir sagen, daſs mein Bart wirklich über drey Tage lang war und daſs ich von den dortigen rothen Weinen, an die ich nicht gewöhnt war, mich in ei¬ ner Art von Hartleibigkeit befand. Die Menge zer¬ streute sich lachend, und ein ziemlich wohl gekleide¬ ter Mann ohne Maske, den ich nach einem Gasthof fragte, brachte mich durch einige Straſsen in die Höl¬ le, Nummer Fünfe. Das war nun freylich kein er¬ baulicher Name; indessen ich war ziemlich müde und wollte in meinen Pontifikalibus nicht noch einmahl durch das Getümmel laufen um ein besseres Wirths¬ haus zu suchen; also blieb ich Nummer Fünfe in der Hölle. Nachdem ich meinen Sack abgelegt hatte, wandelte ich wieder vor zu dem Haufen; und nun muſs ich den Farcenspielern die Gerechtigkeit wider¬ fahren lassen, daſs sie sich, so weit es ihr Charakter erlaubte, ganz ordentlich und anständig betrugen. Ein entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich in drey verschiedenen Sprachen, in der deutschen, französi¬ schen und italiänischen, anredete, verlieſs mich mit seiner Dienstfertigkeit nicht eher, als bis einige fran¬ zösische Officiere mich von ihm retteten und mit mir in ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause war der beste Tummelplatz der Maskierten, die in121 hundert lächerlichen Aufzügen und Gruppierungen mit und ohne Musik auf und nieder liefen. Ein siedend heiſser politischer Imolait schloſs sich an mich an und führte das Gespräch durch verschiedene Gegenstände sehr bald auf die Politik und erkundigte sich, wie es in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der Wahrheit gemäſs, ganz ruhig. On les a bien forcé à coups de bayonettes à être en repos; sagte er. Appa¬ remment; sagte ich. — C'est toujours la meilleure ma¬ niere de disposer les gens à se conformer à la rai¬ son. — Mais oui, entgegnete ich, après en avoir es¬ sayé les autres; pourvù toute fois, qu' il y ait de la raison et de la justice au fond de l'affaire — Est¬ ce que vous en doutes pour la notre? — On ne peut pas repondre à cela en deux mots. Nun wollte er eine Diskussion anfangen und ward ziemlich heftig. Ich entschuldigte mich mit meiner alten Formel: Quand on commence, il faut toujours commencer par le com¬ mencement; da würde sich denn ergeben das alte Iliacos intra muros peccatur et extra. Der Abend rief mich zum Essen und zur Ruhe, und wir schieden recht freundschaftlich indem er meinte: Wenn es auf uns beyde angekommen wäre, würde wohl kein Krieg entstanden seyn. Das glaubte ich wenigstens für mich auf meiner Seite, und ging ganz andächtig in die Hölle Nummer Fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang recht sanft schlief. Ist Imola nicht ein Ort, wo ein Bischof sich zum Papst bilden kann?
In Faenza sah ich die erste französische Wachpa¬ rade, und in Forli nichts. Nicht eben als ob da nichts zu sehen wäre: Antiquare und Künstler finden daselbst122 reichliche Unterhaltung für ihre Liebslingsfächer. Aber ich dachte weder an alte noch neue Kriege und zog gerades Weges ins Wirthshaus, das Hotel de Naples. Auf mein ltaliänisch war man nicht auſserordentlich höflich, vermuthlich weil es nicht sonderlich gut war. Ne pourrai je pas parler au maitre de la maison? fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen Tornister abwarf. Auf einmahl war alles freundlich, und alles war zu haben. Sonderbar, wie zuweilen einige Worte so oder so wirken können, nachdem man sie hier oder da sagt. In Ferrara mochte ich wohl mit meinem Reisesacke einigen Herren etwas drollig vorkommen, und sie schienen sich hinter mir über mich mit lau¬ tem Gelächter etwas zu erlustigen. Qu'est ce qu'il y a là, Messieurs? fragte ich mit einer enrhumierten rauhen Stimme. Niente, Signore, war die Antwort; und alles trat still in eine bescheidnere Entfernung. In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilet gelten kön¬ nen. Ich fand in dem Hotel de Naples zwey Kauf¬ leute und drey Schiffer; der Kellner war ein joviali¬ scher Mensch; man begrüſste mich in einer Minute zehn Mahl mit dem Prädikate cittadino, gab mir den Ehrenplatz und fütterte mich à qui mieux mit den be¬ sten Gerichten. Es machte keinen Unterschied als man nun erfuhr, ich sey ein Deutscher; so sehr be¬ stimmt der erste Augenblick die künftige Behandlung. Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stür¬ misch war, um den Kamin her, machten einen trau¬ lichen freundlichen Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen allerliebsten Jungen, der wie ein Toast123 der Gesellschaft von den Knien des Einen zu den Knien des Andern ging.
Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten Forum Pompilii, und die Trümmer einer Brücke, wel¬ che auch alt zu seyn scheint. Ich sah von allem sehr wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke gleich vor Cesena über den Savio ist ein Werk, das bey den Italiänern für etwas sehr schönes gilt; das kann aber nur in dieser Gegend seyn. Das fürchterlich schlechte Wetter hielt mich in Cesena, da ich doch nur von Forli gekommen war und also nicht mehr als vier Stunden gemacht hatte. Hier wurde ich von dem Wirth mit einer gewissen kalten Förmlichkeit aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein ziemlich ärmliches Zimmer hinten hinaus geführt. Ich hatte weiter nichts dawider. Nachdem wir aber eine Stunde zusammen geplaudert hatten, ich in ei¬ nem Intermezzo des Regens etwas ausgegangen war, um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu besuchen, und wieder zurück kam, fand ich meine Sachen um¬ quartiert und mich in ein recht schönes Zimmer vorn heraus versetzt. Die Wirthin machte die Erklärung: Man habe mich für einen Franzosen gehalten, der von der Munizipalität logiert würde: nun pflegte die Mu¬ nizipalität seit geraumer Zeit für die zugeschickten Gä¬ ste gar nichts mehr zu bezahlen; man könnte es also nicht übel deuten, daſs sie auf diese Weise so wohlfeil als möglich durchzukommen suche. Aber ein Galan¬ tuomo wie ich, müsse mit Anstand bedient werden. Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom Hause waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als124 man in Ehren nur verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er bedauerte, daſs es Friede sey und der Schleichhandel nicht mehr so viel eintrage: das sagte er nehmlich, ohne sich sehr ver¬ blümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute Bewirthung auſserordentlich billig. Cesena ist übrigens eine alte sehr verfallene Stadt, und der auf¬ gepflanzte Freyheitsbaum machte unter den halbver¬ schütteten Häusern des fast leeren Marktes eine trau¬ rige Figur. Pius der Sechste muſs für seine Vaterstadt nicht viel gethan haben: es würde ihm weit rühmli¬ cher seyn, als der verunglückte Pallast für seinen ver¬ dienstlosen Nepoten.
Vor Savignano ging ich, nicht vvie Cäsar, über den Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten entscheidenden Schritt gethan, die sonderbare Freyheit seines Vaterlandes zu zertrümmern, als er als Despot des neu eroberten Galliens zurück kehrte. Ein eigener Charakter, der Julius Cäsar. Es ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Haſs verdienen. Ich erinnere mich, daſs es mir in einem solchen moralischen Kampfe ein¬ mahl entfuhr, Cäsar sey der liebenswürdigste Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Aeuſserung hätte mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät zugezo¬ gen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Bru¬ tus sey eigentlich der Schurke gewesen, und Cäsar ganz Liebenswürdigkeit. So, so; bien vous fasse! Ihr125 seyd werth, Cäsarn mit seiner ganzen Sippschaft und liebenswürdigen Nachkommenschaft zu Herrschern zu haben; ob ich es gleich nicht über mich nehmen wollte, den Junius Brutus durchaus zu vertheidigen. Also hier gingen wir beyde über den Rubikon, Cäsar und ich; haben aber übrigens beyde nichts mit einan¬ der gemein, als daſs wir — nach Rimini gingen.
In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von Leuten, die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen. Ich fragte einen wohlgekleideten Mann nach einem Speisehause. Er besah mich ganz miſstrauisch, schaute nach meinem Huthe und da er rund herum keine Kokarde entdeckte, ward sein An¬ sehen etwas grimmig und er schickte mich mit der höflichen Formel weiter: Andate al diavolo! Das war der Revers von Cesena. So gehts zu Revolutionszei¬ ten: für das nehmliche wirst Du hier gepflegt, dort beschimpft; glücklich wenns nicht weiter geht.
In Rimini schlief ich gewiſs ruhiger, als der mäch¬ tige Julius nach seiner Passage geschlafen haben mag. Vor der Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem Platze della Fontana steht der heilige Gaudentius von Bronze, der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul, ich weiſs nicht welcher, hat hier ein Monument für eine Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen lieſs. Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der wichtigsten Werke und für eine der gröſsten Wohlthaten; und hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht schöne wohl¬ thätige Wasserleitung bauet, kann ich ihm fast verge¬ ben, daſs er Papst ist. Auf dem andern Platze stand126 der Baum mit der Mütze und der Inschrift: L' Union des François et des Cisalpins. Aber welche Union! das mag der heilige Bartholomäus in Mayland sagen.
Wenn ich nun ein ordentlicher systematischer Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hin¬ auf auf die Berge gehen sollen, um die selige Repu¬ blik Sankt Marino zu besuchen; zumahl da ich eine kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn sie nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun gerade fort nach Katholika und Pesaro. Die Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini den Meister gespielt; deſswegen gingen die rechtgläu¬ bigen Bischöfe mit Protest herüber nach Katholika und verewigten ihre muthige Flucht durch den Na¬ men des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen ha¬ be, die ganze Geschichte auf einer groſsen Marmor¬ platte über dem Portal der Kirche zu Katholika: ich nehme mir aber selten die Mühe etwas abzu¬ schreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereyen. In Pesaro, wo ich beyläufig die erste Handvoll päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? Bey mir antwortete er. Sehr wohl! sagte ich, und folgte. Der Mann hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, ein Wundarzt für alte Schuhe zu seyn. Nun fragte er mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner Weisheit anheim, und er that sein möglichstes mich zu frieden zu stellen, ging aus und brachte Vik¬ tualien, machte selbst den Koch und holte zweyerley Wein. Das war von nun an oft der Fall, daſs der127 Herr Wirth sich hinstellte und mir die patriarchali¬ sche Mahlzeit bereitete und ich ihm hülfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz leise, daſs die gottlosen Franzosen viere der schönsten Gemählde von hier mit weggenommen haben. Als ich den andern Morgen im Kaffeehause saſs und mein Frühstück verzehrte, liessen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein Vetturino war nun ein ächter Orthodox, der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein Stoſsge¬ betchen sagte, seine Messe brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger ver¬ dammt wäre solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und Vernichtung für das Konsequen¬ teste halten: denn solche Seelen können nicht fort leben.
Vor Pesaro und noch mehr bey Fano wird die Gegend ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und De¬ fileen in den Höhen, und es wird leicht begreiflich, wie die fremden Karthager sich hier verirrten und den Römern leichtes Spiel machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse welche aus den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluſs, und hat eben so wenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo Hasdrubal geschlagen worden seyn soll. Ich kann darüber nichts bestimmen, da mir die Ge¬ schichte der Schlacht aus den alten Schriftstellern nicht gegenwärtig war. So viel ist gewiſs, daſs sie hier in128 der Gegend und am Flusse vorfiel; und mit dem Poly¬ bius und Livius in der Hand dürfte es vielleicht nicht schwer seyn, den Platz genau aufzusuchen. Da ich aber wahrscheinlich nicht in Italie kommandieren werde, war ich um den Posten nicht sehr bekümmert. Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen Konsuln selig!
Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine Lage: vorzüglich geben die üppig vegetierenden Gär¬ ten der Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen Ich hatte hier das Vergnügen ein italiänisches Stiergefecht zu sehen, wo die Hunde ziemlich hoch geworfen wur¬ den und ziemlich blutig wegkamen, und woran halb Sinigaglien sich sehr zu ergötzensc hien. Das Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich weiter bis Ankona, da ich einmahl in die Bequemlichkeit des Sitzens gekommen war. Die See ging hoch und die Brandung war schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit jungen Weitzen und Oehlbäumen ge¬ schmückt. Vor Ankona blühten den neunzehnten Fe¬ bruar Bohnen und Erbsen. Die Thäler und Berge rechts geben abwechselnd mit Wein und Obst und Oehl und Getreide eine herrliche Aussicht. Der Ha¬ fen von Ankona mag für die Alten auſserordentlich gut gewesen seyn; für die Neuern ist er es nicht mehr in dem Grade: und wenn nicht der Molo viel weiter hinaus geführt worden wäre, würde er wenig mehr brauchbar seyn. Es können nur wenig groſse Schiffe sicher darin liegen. Bekanntlich steht am Anfange des alten Molo der sogenannte Triumphbogen Trajans von weiſsem Marmor, der aus den Antiquitätenbüchern129 hinlänglich bekannt ist. Die Schrift fängt an ziem¬ lich zu verwittern, und man muſs schon sehr ziffern, wenn man den Sinn heraus haben will. Es müſste denn nur mir so gegangen seyn, der ich im Lesen der Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen des Van Vittelli, weiter hinaus, steht gegen den alten sehr demüthig da. Ganz am Ende des Molo steht ein Wachthurm, und vor demselben standen einige Piecen Artillerie auf dem Molo hereinwärts, die den Hafen bestreichen. Die übrigen Stücke decken oder wehren bloſs den Eingang von der Seite von Loretto. Am Thurme stand eine französische Wache, deren man in der ganzen Stadt sonst nicht viele fand, obgleich die Besatzung ziemlich stark ist. Est ce qu'il est permis de monter la tour pour voir la contrée? fragte ich. Non; war die Antwort: ich muſste also zurückgehen und die Berge rund umher besteigen, wenn ich die Aus¬ sicht theilweise haben wollte, die ich hier ganz hätte haben können. Es mag freylich wohl der beste mili¬ tärische Augenpunkt seyn. Das Seelazareth an dem andern Ende des Hafens, gleich am Wege von Loretto und Sinigaglia, der sich dort trennt, ist ein sehr schö¬ nes Gebäude ganz im Meere, so daſs eine Brücke hinüber führt. Es hat rund herum eine Menge schö¬ ner bequemer Gemächer, eine Kapelle mitten im Ho¬ fe, frisches Wasser durch Röhren vom Berge und ein ziemlich groſses Waarenhaus. Auch das Militärspital auf dem Lande ist ein schönes weitläufiges Gebäude. Die Schiffe sind meistens fremde und die Handlung hebt sich nur sehr langsam durch die Maſsregel des römischen Hofes, daſs man Ankona zu einem Frey¬9130hafen erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte Kathedralkirche, wo auſser dem unver¬ weslichen heiligen Cyriakus noch einige andere Kapi¬ talheilige begraben liegen, deren Namen mir entfallen sind. Man findet dort eine schöne prächtige, funkel¬ nagelneue Inskription, daſs Pius der Sechste auf sei¬ ner Rückkehr aus Deutschland, wo er die Wiener ge¬ segnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des Heili¬ gen in Augenschein genommen, bewundert und von neuem dokumentiert habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist dem Papst auf Kosten des Volks und der Stände der Mark Ankona in der glänzenden marmornen Krypte der Heiligen errichtet worden. O sancta!
Die Börse ist ein groſser, schöner, gewölbter Saal mitten in der Stadt, mit interessanten gut gearbeiteten Gemählden und Statüen, welche moralische und bür¬ gerliche Tugenden vorstellen. Die erstern sollen von Perugino seyn, wie man mir sagte; ich hätte sie nicht für so alt gehalten.
Im Theater gab man die alte Posse, der lustige Schuster, gar nicht übel; und das italiänische Talent zur Burleske mit dem feinen Takt für Schicklichkeit und Anstand zeigte sich hier sehr vortheilhaft. Ich kann nicht umhin, Dir hier einige Worte über un¬ sere deutschen Landsleute auf der Bühne zu sagen. Es wäre wohl zu wünschen, daſs sie etwas von der Delikatesse der Wälschen hierin hätten oder lernten. Das ist bey uns ein ewiges Küssen und sogar Schma¬ tzen auf den Brettern bey jeder Gelegenheit. Wenn man glaubt, daſs dieses eine schöne ästhetische Wir¬131 kung thun müsse, so irrt man sich vermuthlich; we¬ nigstens für mich muſs ich bekennen, daſs mir nichts langweiliger und peinlicher wird als eine solche Zärt¬ lichkeitsscene. Ein Kuſs ist alles, und ein Kuſs ist nichts; und hier ist er weniger als nichts, wenn er so seine Bedeutung verliert. Er gehört durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiſs die Einwürfe; aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie alle zu beantworten. Der Italiäner weiſs durch die feinen Nüanzen der Umarmung mehr zu wirken, als wir durch unsere Küsse. Es versteht sich, daſs seltene Ausnahmen Statt finden. Ein ande¬ rer Artikel, den wir etwas zu materiell behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer Bedeutung, und sollte füglich wegfallen. Es ist als ob wir unsere Stärke zeigen wollten, um die Präemi¬ nenz unsers Magens zu beweisen: und der Gebrauch der Theemaschine und der Serviette gehört bey mir durchaus nicht zu den guten Theaterkünsten; zumahl wenn man eine Theekanne auf das Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum unförmli¬ cher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, daſs ich da in dramaturgischen Eifer gerathe: es wirkt unangenehm, wenn man Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.
132Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort ge¬ funden, wo es so theuer wäre wie in Ankona; selbst nicht das theure Triest. Ich habe hier täglich im Wirthshause einen Kaiserdukaten bezahlen müssen, und war für dieses Geld schlecht genug bewirthet. Man schiebt noch alles auf den Krieg und auf die Belagerung; das mag den Aubergisten sehr gut zu Statten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem Lohnbedienten zahlte ich täglich sechs Paolo; dafür wollte er früh um neun Uhr kommen und den Abend mit Sonnenuntergange fort gehen; und machte gewal¬ tige Extrafoderungen, als er bis nach der Komödie bleiben sollte, da ich in der winkligen Stadt meine Auberge in der Nacht nicht leicht wieder zu finden glaubte. Er pflanzte sich im Parterre neben mich und unterhielt mich mit seinen Impertinenzen; und dafür muſste ich ihm die Entree bezahlen und zwey Paolo Nachschuſs für die Nachtstunden. Die Barbiere brin¬ gen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von Lehr¬ ling, der das Becken trägt und das Bartscheren von dem groſsen Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der That so geräumig, daſs man bequem ei¬ nige Ferkel darin abbrühen könnte, und man wun¬ dert sich nicht mehr so sehr, daſs die erhitzte Phan¬ tasie Don Quischotts so etwas für einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so kommt der Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in Ord¬ nung gelegt hat und fodert etwas della bona mano, della bona grazia, und macht zu einer Kleinigkeit kein sehr freundliches Gesicht. Mein Bart hat mich bey den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und133 wenn ich länger hier bliebe, würde ich mich an die Bequemlichkeit der Kapuziner halten.
Die Leute klagten über Noth und hielten bey hel¬ lem Tage durch die ganze Stadt Faschingsmumme¬ reyen, daſs die Franzosen die Polizeywache verdoppeln muſsten, damit das Volk einander nur nicht todt trat, so voll waren die Gassen gepfropft. Da gab es denn eben so possierliche Auftritte, wie in Imola. Vorzüg¬ lich schnakisch sah es aus, wenn eine sehr feine Ge¬ sellschaft in dem höchsten Maskeradenputz vorbey zog, ein wirklicher Ochsenbauer mit seinen weitgehörnten Thieren, die Weinfässer fuhren, sich eingeschoben hatte und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter den Fässern hertrollte, nicht vorbey konnte, mit Ungeduld ihre Blicke nach den Damen schickten, endlich durch¬ wischten und mit den soliden Fuhrleuten in ernst¬ hafte Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben und Lärm unter den dichtgedrängten Zuschauern links und rechts. Die armen Leute, welche über Hunger klagten, warfen doch einander mit Bonbons aller Art; aber vorzüglich gingen freundschaftliche zärtliche Ka¬ nonaden mit einer ungeheuern Menge Maiz, den man in Körben als Ammunition zu dieser Neckerey dort zum Verkauf trug. Mich däucht, man hätte nachher wohl zehen Scheffel sammeln können. Freylich lesen den andern Tag die Armen auf, was nicht im Koth zertreten und zerfahren ist; und damit entschuldigt man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr när¬ risch lustige Art Almosen auszutheilen.
Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet und man trifft daselbst immer sehr angenehme unter¬134 haltende Gesellschaft von Fremden und Einheimischen. Eine sonderbare Erscheinung muſs die Belagerung der Stadt im vorigen Kriege gemacht haben, wo fast alle Nationen von Europa, Oestreicher, Engländer, Russen, Italiäner und Türken gegen die neuen Gallier schlu¬ gen, die sich trotz allen Anstrengungen der Herren endlich doch darin behaupteten, und die nun bloſs durch die gewaltige Frömmigkeit ihrer Machthaber daraus vertrieben werden. Ankona ist gewiſs in jeder Rücksicht einer der interessantesten militärischen Po¬ sten an dieser Seite, und nächst Tarent der wichtigste am ganzen adriatischen Meere. Bis nach Ankona lau¬ tete mein Paſs von Wien aus, weil der höfliche Prä¬ sident der italiänischen Kanzley ihn durchaus nicht weiter schreiben wollte. Aber hier machte man mir gar keine Schwierigkeit mir einen Paſs zu geben, wo¬ hin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen besorgt, ich möchte dem Tode entgegen gehen. Da¬ wider lieſs sich nun freylich kein mathematischer Be¬ weis führen: ich machte den guten freundschaftlichen Leuten aber deutlich, daſs meine Art zu reisen am Ende doch wohl noch die sicherste sey. Wer würde Reichthümer in meinem Reisesacke suchen? Mein Aufzug war nicht versprechend; und um nichts schlägt man doch nirgends die Leute todt.
Wider meine Absicht bin ich nun hier in Rom. Die Leutchen in Ankona legten es mir so nahe ans Gewissen, daſs es Tollkühnheit gewesen wäre, von dort aus an dem Adria hinunter durch Abruzzo und Kalabrien zu gehen, wie mein Vorsatz war. Ihre Be¬ schreibungen waren fürchterlich, und im Wirthshause betete man schon im voraus bey meiner anscheinen¬ den Hartnäckigkeit für meine arme erschlagene Seele. Vous avés bien l'air d'être un peu François; et tout François est perdû sans ressource en Abruzzo. Ce sont des sauvages sans entrailles; sagte man mir. Das klang nun freylich nicht erbaulich; denn ich denke noch manches ehrliche Kartoffelgericht in meinem Vaterlande zu essen. On Vous prendra pour François, et on Vous coupera la gorge sans pitié; hieſs es. Fort bien, sagte ich; ou plûtot bien fort. Was war zu thun? Ich machte der traurigen Dame zu Loretto mei¬ nen Besuch, lieſs meinen Knotenstock von dem Sa¬ kristan zur Weihe durch das Allerheiligste tragen, be¬ guckte etwas die Votiven und die gewaltig vielen Beichtstühle, lieſs mir für einige Paolo ein halbes Du¬ tzend hoch geweihte Rosenkränze anhängen, um einige gläubige Sünderinnen in meinem Vaterlande damit zu beglückseligen, und wandelte durch die Apenninen getrost der Tiber zu. Freylich gab es auch hier kei¬ nen Mangel an Mordgeschichten, und in einigen Schluchten der Berge waren die Arme und Beine der Hingerichteten häufig genug hier und da zum Denk¬136 mahl und zur schrecklichen Warnung an den Ulmen aufgehängt: aber ich habe die Gabe zuweilen etwas dümmer und ärmer zu scheinen, als ich doch wirk¬ lich bin; und so bin ich glücklich auf dem Kapitole angelangt.
Die Gegend von Ankona nach Loretto ist herrlich, abwechselnd durch Thäler und auf Höhen, die alle mit schönem Getreide und Obst und Oehlbäumen be¬ setzt sind; desto schlechter ist der Weg. Es hatte noch etwas stark Eis gefroren, eine Erscheinung die mir in der Mitte des Februars bey Ankona ziemlich auffiel; und als die Sonne kam, vermehrte die Wärme die Beschwerlichkeit des Weges unerträglich.
Ich war seit Venedig überall so sehr von Bettlern geplagt gewesen, daſs ich auf der Straſse den dritten Menschen immer für einen Bettler ansah. Desto über¬ raschender war mir ein kleiner Irrthum vor Loretto, wo es vorzüglich von Armen wimmelt. Ein ältlicher ärmlich gekleideter Mann stand an einem Brücken¬ steine des Weges vor der Stadt, nahm mit vieler De¬ ferenz seinen alten Huth ab und sprach etwas ganz leise, das ich, daran gewöhnt, für eine gewöhnliche Bitte hielt. Ich sah ihn flüchtig an, fand an seinem Kleide und an seiner Miene, daſs er wohl bessere Tage gesehen haben müsse, und reichte ihm ein klei¬ nes Silberstück. Das setzte ihn in die gröſste Verle¬ genheit; sein Gesicht fing an zu glühen, seine Zunge zu stammeln: er hatte mir nur einen guten Morgen und glückliche Reise gewünscht. Nun sah ich dem Mann erst etwas näher ins Auge und fand so viel feine Bonhommie in seinem ganzen Wesen, daſs ich mich137 über meine Uebereilung ärgerte. Wahrscheinlich hiel¬ ten wir beyde einander für ärmer, als wir waren. Du wirst mir zugeben, daſs solche Erscheinungen, die kleine Unannehmlichkeit des augenblicklichen Gefühls abgerechnet, unserer Humanität sehr wohl thun müs¬ sen. Die Gegend um Loretto ist ein Paradies von Fruchtbarkeit, und die Engel müssen ganz gescheidte Leute gewesen seyn, da sie nun einmahl das Häus¬ chen im gelobten Lande nicht behaupten konnten, daſs sie es durch die Luft aus Dalmatien hierher bug¬ siert haben. Es steht hier doch wohl etwas besser, als es dort gestanden haben würde, wo es auch den Ungläubigen so zu sagen noch in den Klauen war. Zwar hatte es den Anschein, als ob der Unglaube auch hier etwas überhand nehmen wollte und einen dritten Transport nöthig machen würde; denn die ent¬ setzlichen Franzosen, die doch sonst die allerchrist¬ lichste Nation waren, hatten sich nicht entblödet der heiligen Jungfrau offenbare Gewalt anzuthun, worüber die hiesigen Frommen groſse Klagelieder und Verwün¬ schungen anstimmen: aber die neue Salbung des gro¬ ſsen Demagogen giebt auf einmahl der Sache für die Gottseligkeit eine andere Wendung. Die Mummerey nimmt wieder ihren Anfang, man macht Spektakel aller Art, wie ich denn selbst das Idol des Bacchus auf einer ungeheuern Tonne zum Fasching vor dem hei¬ ligen Hause in Pomp auf und abführen sah; und man verkauft wieder Indulgenzen nach Noten für alle Arten von Schurkereyen. Es ist überhaupt nicht viel Vernunft in der Vergebung der Sünden; aber wer138 diese Art derselben erfunden hat, bleibt ein Fluch der Menschheit, bis die Spur seiner Lehre getilget ist.
Mit diesen und ähnlichen Gedanken wandelte ich die lange Gasse von Loretto den Berg hinauf und hin¬ ab, durch die schönen Thäler weiter und immer nach Macerata zu. Links haben die Leute eine herr¬ liche Wasserleitung angelegt, die das Wasser von Re¬ canati nach Loretto bringt. Wenn ich überall eine solche Kultur fände, wie von Ankona bis Macerata und Tolentino, so wollte ich fast den Mönchen ihre Möncherey verzeihen. In Macerata bewillkommte mich im Thor ein päpstlicher Korporal und nahm sich polizeymäſsig die Freyheit meinen Paſs zu beschauen. Der Mann war übrigens recht höflich und artig und schickte mich in ein Wirthshaus nicht weit vom Tho¬ re, wo ich so freundlich und billig behandelt wurde, daſs mir die Leutchen mit ihrem gewaltig starken Glauben durch ihre Gutmüthigkeit auſserordentlich werth wurden. Ich machte mir ein gutes Feuer von Ulmenreisig und Weinreben, las eine Rhapsodie aus dem Homer und schlief so ruhig wie in der Nachbar¬ schaft des Leipziger Paulinums. Es war meine Ge¬ wohnheit des Morgens aus dem Quartier auf gut Glück ohne Frühstück auszugehen, und mich an das erste beste Wirthshaus an der Straſse zu halten. Die Ge¬ gend war paradisisch links und rechts; aber zu essen fand sich nichts. Hinter Macerata geht der Weg links nach Abruzzo ab, und ich gerieth in groſse Versuchung mich dort hinunter nach Fermo und Bari zu schlagen. Bloſs mein Versprechen in Ankona hielt mich zurück. 139Ich bat die guten Bruttier um Verzeihung für mein Miſstrauen und meinen Unglauben, und wanderte für¬ baſs. Der Hunger fing an mir ziemlich unbequem zu werden, als ich rechts am Wege ein ziemlich schmu¬ tziges Schild erblickte und nach einem Frühstück fragte. Da war nichts als Klage über Brotmangel. Endlich fand sich, da ich viel bat und viel bot, doch noch Wein und Brot. Das Brot war schlecht, aber der Wein desto besser. Ich war nüchtern, hatte schon viel Weg gemacht, war warm und trank in groſsen Zügen das Rebengeschenk, das wie die Gabe aus Gal¬ liens Kampanien perlte und wie Nektar hinunter glitt. Ich trank reichlich, denn ich war durstig; und als ich die Kaupone verlieſs, war es als schwebte ich davon, und als wäre mir der Geist des Gottes sogar in die Fersen gefahren. So viel erinnere ich mich, ich machte Verse, die mir in meiner Seligkeit ganz gut vorkamen. Schade, daſs ich nicht Zeit und Stimmung hatte sie aufzuschreiben; so würdest Du doch wenig¬ stens sehen, wie mir Lyäus dichten hilft; denn meine übrige Arbeit ist sehr nüchtern. Die Feldarbeiter be¬ trachteten mich aufmerksam, wie ich den Weg dahin schaukelte; und ich glaube, ich tanzte die Verse ab. Da fragte mich ganz pathetisch ein Eselstreiber: Vo¬ lete andare a Cavallo, Signore? Ich sah seine Kaval¬ lerie an, rieb mir zweifelnd die Augen und dachte: Sonst macht wohl der Wein die Esel zu Pferden: hat er denn hier die Pferde zu Eseln gemacht? Aber ich mochte reiben und gucken, so viel ich wollte, und meine Nase komisch mit dem Hofmannischen Glase bebrillen; die Erscheinungen blieben Esel; und ich140 gab auf den wiederholten Ehrenantrag des Mannes den diktatorischen Bescheid: Jo sono pedone e non voglio andare a cavallo sul asino. Die Leute sahen mich an und der Eseltreiber mit, und lächelten über meinen Gang und meine Sprache; aber waren so gutartig und lachten nicht. Das waren urbane Menschenkinder; ich glaube fast, daſs im gleichen Falle die Deutschen gelacht hätten.
In Tolentino gings gut, und ich lieſs mich über¬ reden von hier aus durch die Apenninen, denen man nichts gutes zutraut, ein Fuhrwerk zu nehmen, um nicht ganz allein zu seyn. Hier kommt der Chiente den Berg herunter und ist für Italien ein ganz hüb¬ scher Fluſs, hat auch etwas besseres Wasser als die übrigen. Man geht nun einige Tagereisen zwischen den Bergen immer an dem Flusse hinauf, bis zu sei¬ nem Ursprunge bey Colfiorito, wo er aus einem See kommt, in welchem sich das Wasser rund umher aus den hohen Spitzen der Apenninen sammelt. Ich hatte einen Wagen gemiethet, aber der Wirth als Vermie¬ ther kam mit der Entschuldigung: es sey jetzt eben keiner zu finden; ich müsse zwey Stunden warten. Das war nun nicht erbaulich: Aergerniſs hätte mich aber nur mehr aufgehalten; ich faſste also Geduld und lieſs mich mit meinem Tornister auf einen Maulesel schro¬ ten; mein Führer setzte sich, als wir zur Stadt hin¬ aus waren, auf die Kruppe, und so trabten wir italiä¬ nisch immer in den Schluchten hinauf. Diese wur¬ den bald ziemlich enge und wild, und hier und da aufgehangene Menschenknochen machten eben nicht die beste Idylle. Ich blieb auf einer Station, deren141 Namen ich vergessen habe, nicht weit von dem alten Kamerinum, dessen Livius im punischen Kriege sehr ehrenvoll erwähnt. Hier pflegte man mich sehr gast¬ freundlich und ich erhielt den bedungenen Wagen nach Foligno. Serrevalle ist ein groſses langes Dorf in einer engen furchtbaren Bergschlucht am Fluſs, nicht weit von der gröſsten Höhe des Apennins; und ich wunderte mich, daſs man hier so gut und so wohlfeil zu essen fand. Von dem See bey Colfiorito, einem Kessel in den höchsten Bergwänden, geht es bald auf der andern Seite abwärts, und der Weg win¬ det sich sehr wildromantisch in einer Felsenschnecke hinunter. Case nuove ist ein armes Oertchen am Ab¬ hange des Berges, fast eben so zwischen Felsen wie Seerevalle auf der andern Seite. Die Leute hier ver¬ stehen sich sehr gut zu nähren, indem sie die Sympa¬ thie der Reisenden in Kontribution setzen. Sie über¬ theuern den Fremden nicht, sondern appellieren bey der Bezahlung mit Resignation an seine Groſsmuth. Wenn man nun einen Blick auf die hohen, furchtba¬ ren, nackten Felsen rund um sich her wirft; man müſste keine Seele haben, wenn man nicht etwas tie¬ fer in die Tasche griffe und den gutmüthigen Men¬ schen leben hülfe.
Von Case nuove nach Foligno ist eine Parthie, wie es vielleicht in ganz Italien nur wenige giebt, so schön und romantisch ist sie. Man erhebt sich wie¬ der auf eine ansehnliche Höhe des Apennins, und hat über eine sehr reiche Gegend eine der gröſsten Aus¬ sichten. Unten rechts, tief in der Schlucht, sind in einem sich nach und nach erweiternden Thale die142 Papiermühlen des Papstes angelegt, die zu den besten in ltalien gehören sollen. Oben sind die Berge kahl, zeigen dann nach und nach Gesträuche, geben dann Oehlbäume und haben am Fuſse üppige Weingärten. Hier sah ich, glaube ich, zuerst die perennierende Eiche, die in Rom eine der ersten Zierden des Bor¬ ghesischen Gartens ist. Auf der Höhe des Weges soll man hier, wenn das Wetter rein und hell ist, bis nach Assisi und Perugia an dem alten Thrasymen se¬ hen können. Ich war nicht so glücklich; es war ziem¬ lich umwölkt: aber doch war es ein herrlicher An¬ blick. Wer nun ein Kerl wäre, der etwas ordentli¬ ches gelernt hätte! Hier komme ich nun schon in das Land, wo kein Stein ohne Namen ist. Mit ma¬ gischen Wolken überzogen liegt das alte finstere Fo¬ ligno unten im Thale, wo der Segen Hesperiens ruht. Rechts und links liegen Anhöhen mit Gebäuden, die gewiſs in der Vorzeit alle merkwürdig waren. Links hinunter weideten ehemahls die vom Klitumnus weiſs¬ gefärbten Stiere, welche die Weltbeherrscher zu ihren Opfern in die Hauptstadt holten; und tief tief weiter hinab liegt in einer Bergschlucht das alte Spoleto, vor dessen Thoren das vom Thrasymen siegreich herab¬ stürzende Heer Hannibals zum ersten Mahl von einer Munizipalstadt fürchterlich zurückgeschlagen wurde. In Foligno ist nicht viel zu sehen, nachdem die neuen Gallier das schöne Madonnenbild mit genommen ha¬ ben. Die Kathedralkirche wird jetzt ausgebessert, und mich däucht mit Geschmack. Man hatte mich in die Post einquartiert, wo man mich zwar ziemlich gut bewirthete, aber ungeheuer bezahlen lieſs. Eine Be¬143 wirthung, für die ich den vorigen Abend auch auf der Post oben in dem Apennin sieben Paolo gezahlt hatte, muſste ich hier in dem Lande des Segens mit sechzehn bezahlen. Man wollte mich überdieſs mit Gewalt zu Wagen weiter spedieren, und da ich dieſs durchaus nicht einging, sollte ich wenigstens ein Em¬ pfehlungsschreiben meines freundlichen Bewirthers nach Spoleto an einen seiner guten Freunde haben. Natür¬ lich, daſs ich auch dafür dankte; denn er hatte mir vorher durch sich selbst seine guten Freunde nicht sonderlich empfohlen. Sobald als der Morgen graute, nahm ich also mein Bündel und wandelte immer wie¬ der im Thale hinauf nach Hannibals Kopfstoſs. Hier kam ich bey den berühmten Quellen des Klitumnus vorbey, die jetzt von den Eselstreibern und Wasch¬ weibern gewissenlos entweiht werden; ob sie gleich noch eben so schön sind wie vormahls, als Plinius so enthusiastisch davon sprach. Groſse Haine und viele Tempel giebt es freylich nicht mehr hier; aber die Gegend ist allerliebst und ich stieg emsig hinab und trank durstig mit groſsen Zügen aus der stärksten Quelle, als ob es Hippokrene gewesen wäre. Hier und da standen noch ziemlich hohe Cypressen, die eh¬ mahls in der Gegend berühmt gewesen seyn sollen. Vorzüglich sah es aus, als ob Athene und Lyäus ihre Geschenke hier in ihrem Heiligthume niedergelegt hätten. Es sollen in den Weinbergen noch einige Trümmer alter Tempel seyn; ich suchte sie aber nicht auf. Als ich so dort mich auf dem jungen Ra¬ san sonnte, setzte sich ein stattlich gekleideter Jäger zu mir, lenkte das Gespräch sehr bald auf Politik, zog144 einige Zeitungsblätter aus der Tasche und wollte nun von mir wissen, wie man nach dem Frieden die end¬ liche Ausgleichung machen würde, und wie besonders der heilige Sitz und die geistlichen Churfürsten dabey bedacht werden sollten. Daran hatte ich nun mit kei¬ ner Sylbe gedacht, und sagte ihm ganz offenherzig, das überlieſse ich denen, interesset.
Ich bin nicht gern bey solchen Ausgleichungspro¬ jekten; denn es ist fast immer viel Empörendes dabey. Ein Beyspielchen will ich Dir davon erzählen. Du kannst Dir nichts Anmaſslicheres, Verwegeneres, Hohnsprechenderes, Impertinenteres denken, als den Russichen Nationalgeist; nicht den des Volks, sondern der hoffnungsvollen Spröſslinge der groſsen Familien, die die nächste Anwartschaft auf Aemter im Civil und bey der Armee haben. Einer dieser Herren, der nur wenig seinen Kameraden vorging, äuſserte in War¬ schau öffentlich im Vorzimmer, er hoffe wohl noch Russischer Gouverneur in Dresden zu werden und zu bleiben. Die Frage war eben, wie man Oestreich über die zweite Theilung in Polen zufrieden stellen wolle? Der Neffe des Gesandten, der doch Major bey der Armee und also kein Troſsbube war, meinte ganz naiv und unbefangen, da gäbe es ja noch Chur¬ fürsten und Fürsten genug zu spolieren. Dein Freund stand bey den Excellenzen, deren einige die morali¬ sche Kataphrase ihres Titels waren, und kehrte sich trocken weg und sagte: Das ist wenigstens der richtige Ausdruck. So geht es hier und da.
Der Jäger verlieſs mich nach einem halben Stündchen Kosen, und ich verlieſs den Klitumnus. 145In Spoleto ging ich ohne Schwierigkeit gerade durch das Thor hinein, durch welches Hannibal laut der Nachrichten nicht gehen konnte. Fast hätte ich nun Ursache gehabt zu bedauern, daſs ich das Empfeh¬ lungsschreiben des billigen Mannes in Foligno nicht angenommen hatte; denn ich lief in dem Neste wohl eine halbe Stunde herum, ehe ich ein leidliches Gast¬ haus finden konnte. Endlich führte man mich doch in eins, wo man für den dritten Theil der gestrigen Zeche eben so gut bewirthete. Das ist ein groſses, altes, dunkles, häſsliches, jämmerliches Loch, das Spo¬ leto; ich möchte lieber Küster Klimm zu Bergen in Norwegen seyn, als Erzbischof zu Spoleto. Die Leute hier, denen ich ins Auge guckte, sahen alle aus wie das böse Gewissen; und nur mein Wirth mit seiner Familie schien eine Ausnahme zu machen. Deſswe¬ gen habe ich mich auf keinen Deut um ihre Alter¬ thümer bekümmert, deren hier noch eine ziemliche Menge seyn sollen. Aber alles ist Trümmer; und Trümmern überhaupt, und zumahl in Spoleto, und überdieſs in so entsetzlichem Nebelwetter, geben eben keine schöne Unterhaltung. Ueber dem Thore, das man Hannibals Thor nennt, stehen die Worte in Marmor:
HANNIBAL CAESIS AD THRASYMENUM ROMANIS INFESTO AGMINE URBEM ROMAM PETENS, AD SPOLETUM MAGNA STRAGE SUORUM REPULSUS, INSIGNE PORTAE NOMEN FECIT.
10146So ist die Ueberschrift. Ich weiſs nicht ob es die Worte des Livius sind; mich däucht, bey diesem lau¬ tet es etwas anders. Die Sache hat indeſs nach den alten Schriftstellern ihre Richtigkeit; nur weiſs ich nicht ob es eben dieses Thor seyn möchte: denn wie vielen Veränderungen ist die Stadt nicht seit den pu¬ nischen Kriegen unterworfen gewesen! Doch ist es eben das Thor, durch das der Weg von Perugia geht. Der Marmor scheint ziemlich neu zu seyn. Jetzt dürfte sich wohl schwerlich ein französisches Bataillon zurückwerfen lassen.
Ich Idiot glaubte, als ich in Foligno angekommen war, ich sey nun den Apennin durchwandelt: aber das ganze Thal des Klitumnus mit den Städten Foligno und Spoleto liegt in den Bergen; von Spoleto bis Terni ist der furchtbarste Theil desselben; und hier war ich wieder zu Fuſse ganz allein. Den Morgen als ich Spoleto verlieſs, sah ich links an dem Felsen noch das alte gothische Schloſs, wo sich wackere Kerle viel¬ leicht noch einige Stunden um die Stadt schlagen kön¬ nen, ging vor den sonderbaren Anachoreten vorbey und immer die wilde Bergschlucht hinauf. Wo ich einkehrte unterhielt man mich überall mit Räuberge¬ schichten und Mordthaten, um mir einen Maulesel mit seinem Führer aufzuschwatzen; aber ich war nun einmahl hartnäckig und lief trotzig allein meinen Weg immer vorwärts. Oben auf dem Berge soll der Jupi¬ ter Summanus einen Tempel gehabt haben. Er ist wohl nur von Rom aus nach Umbrien der höchste Berg; denn sonst giebt es in der Kette viel höhere Parthien. Der Weg aufwärts von Spoleto ist noch147 nicht so wild und furchtbar als der Weg abwärts und weiter nach Terni. Das Thal abwärts ist zuweilen kaum hundert Schritte breit, rechts und links sind hohe Felsenberge, zwischen welche den ganzen Tag nur wenig Sonne kommt, mit Schluchten und Wald¬ strömen durchbrochen. Dörfer trifft man auf dem ganzen Wege nicht, als auf der Spitze des Berges nur einige Häuser und ein halbes Dutzend in Stetturn, dessen Name schon einen engen Paſs anzeigt. Hier und da sind noch einige isolierte Wohnungen, die eben nicht freundlich aussehen, und viele alte verlassene Gebäu¬ de, die ziemlich den Anblick von Räuberhöhlen tra¬ gen. Fast nichts ist bebaut. Die meisten Berge sind bis zu einer groſsen Höhe mit finstern wilden Lorber¬ büschen bewachsen, die vielleicht eine Bravobande zu ihren Siegszeichen brauchen könnte. Ich gestehe Dir, es war mir sehr wohl als sich einige italiänische Meilen vor Terni das Thal wieder weiterte und ich mich wieder etwas zu Tage gefördert sah und unter mir schöne friedliche Oehlwälder erblickte, unter de¬ nen der junge Weitzen grünte. Das Thal der Nera öffnete sich, und es lag wieder ein Paradies vor mir. Hohe Cypressen ragten hier und da in den Gärten an den Felsenklüften empor, und der Frühling schien in den ersten Gewächsen des Jahres mit wohlthätiger Ge¬ walt zu arbeiten.
Vorgestern kam ich auf meiner Reise hierher in Terni an. Mein Wirth, ein Tyroler und stolz auf die Ehre ein Deutscher zu seyn, fütterte mich auf gut östreichisch recht stattlich, und setzte mir zuletzt ein Gericht Sepien vor, die mir zum Anfange vielleicht148 besser geschmeckt hätten. Er mochte mich für einen Maler halten und glauben, daſs dieses zur Weihe gehöre. Zum Desert und zur Delikatesse kann ich den Dintenfisch nach dem Urtheil meines Gaumens nicht empfehlen; schon seine schwarzbraune Farbe ist in der Schüssel eben nicht ästhetisch. Nachdem ich gespeist, Interamner Wein getrunken und meinen Reisesack gehörig in Ordnung gelegt hatte, trollte ich fort nach dem Sonnentempel, nehmlich der jetzigen Diminutivkirche des heiligen Erlösers. Sie war ver¬ schlossen, ich lieſs mich aber nicht abweisen und ging zum Sakristan, der weiter keine Notiz von mir nahm, bey seiner Schüssel und seinem Buche unbeweglich sitzen blieb und mich durch eine alte Sara in die Kirche weisen lieſs. Der Mann hatte in seinem Sinne Recht; denn er dachte ohne Zweifel: Der da kommt weder mir noch meiner Kirche zu Ehren, sondern bloſs der heidnischen Sonne sein Kompliment zu ma¬ chen, Richtig. Die Leute haben bekanntlich das Tempelchen wie wahre Obskuranten behandelt und dafür gesorgt, daſs in den Sonnentempel keine Sonne mehr scheinen kann. Alle Eingänge sind vermauert und zu Nischen gemacht, in deren jeder ein Heiliger für Italien schlecht genug gepinselt ist; und über dem Altar steht ein Sankt Salvator, der seinen Verfertiger auch nicht aus dem Fegefeuer erlösen wird.
Nun stieg ich, ob ich gleich diesen Tag schon durch vier Meilen Apenninen von Spoleto herüber ge¬ kommen war, noch eine deutsche Meile lang den ho¬ hen Steinweg zu dem Fall des Velino hinauf. Das war Belohnung. Der Tag war herrlich; kein Wölk¬149 chen, und es wehte ein lauer Wind, der nur in der Gegend des Sturzes etwas kühl ward. Die Sonne stand schon etwas tief und bildete aus der furchtbaren Schlucht der Nera hoch in der Atmosphäre einen gan¬ zen hellen herrlich glühenden und einen gröſsern dun¬ keln Bogen im Staube des Falles. Ich saſs gegenüber auf dem Felsen und vergaſs einige Minuten alles was die Welt sonst groſses und schönes haben mag. Etwas gröſseres und schöneres von Menschenhänden hat sie schwerlich aufzuweisen. Folgendes war halb Gedanke, halb Gefühl, als ich wieder bey mir selbst war.
Oben am Sturz rund um das Felsenbette ist zwi¬ schen den hohen Bergen ungefähr eine kleine Stunde im Umkreise eine schöne Ebene, die voll ungehauener Oehlbäume und Weinstöcke steht. Ich wollte schon den Päpstlern über das Sakrilegium an der Natur fluchen, als ich hörte, dieses sey im letztern Kriege eine Lagerstätte der Neapolitaner gewesen. Sie schlu¬ gen hier Anfangs die Franzosen durch den alten Fel¬151 senweg hinunter, und ich begreife nicht, wie sie mit gewöhnlicher Besinnung es wagen konnten, sie weiter zu verfolgen. Sie gingen in das Manöver und bezahl¬ ten für ihre Kurzsichtigkeit unten sehr theuer. Es ist traurig für die Humanität, daſs man sich mit Tiger¬ wuth sogar unter den Zweigen des friedlichen Oehl¬ baums schlägt. So sehr ich zuweilen der Härte be¬ schuldiget werde, ein Oehlbaum und ein Weitzenfeld würde mir immer ein Heiligthum seyn; und ich könnte mich gleich zur Kartätsche gegen denjenigen stellen, der beydes zerstört. Die Sonne ging unter als ich den schönen Olivenwald herab kam, und kaum konnte ich unter den Weinstöcken noch einige Veil¬ chen und Hyacinthen pflücken, die dort ohne Pflege blühen.
Es war zu spät noch die Reste des Theaters in den Gärten des Bischofs zu sehen, und den andern Morgen wanderte ich nach Narni. Die Gegend von Narni aus an der Nera hinunter ist furchtbar schön. Die Brücke bey Borghetto über die Tiber ist zwar ein sehr braves Stück Arbeit, aber als Monument für drey Päpste immer sehr kleinlich, wenn man sie nur gegen die Reste des alten ponte rotto bey Narni über die Nera hält. Das sind doch noch Triumphbogen, die Sinn haben, diese Brücke und der Trajanische bey Ankona. Der schönste ist wohl der Wasserfall des Velino, der oben für die ganze Gegend von Rieti schon über zwey tausend Jahre eine Wohlthat ist, weil er sie vor Ueberschwemmungen schützt. Ich bekenne, daſs ich für zwecklose Pracht, wenn es auch Riesen¬ werke wären, keine sonderliche Stimmung habe.
152Eine halbe Stunde von Narni läſst man die Nera rechts und der Weg geht links auf der Anhöhe fort, immer noch wild genug, aber doch nicht mehr so graunvoll wie zwischen Spoleto und Terni. Das In¬ teramner Thal, das man hier bey Narni zuletzt in seiner ganzen Ausdehnung an der Nera hinauf über¬ sieht, stand bey den Alten billig in groſsem Ansehen, und ist noch jetzt bey aller Vernachlässigung der Kul¬ tur ein sehr schöner Strich zwischen dem Ciminus und dem Apennin. In Otrikoli, einem alten schmu¬ tzigen Orte nicht sehr weit von der Tiber, wo ich ge¬ gen Abend ankam, lud man mich gleich vor dem Thore höflich in ein Wirthshaus, und ich trug kein Bedenken meinen Sack abzuwerfen und mich zu den Leutchen an das Feuer zu pflanzen. Es hatte freylich keine sonderlich gute Miene; aber ich hätte leicht Gefahr gelaufen, im Städtchen selbst ein schlechteres oder gar keins zu finden und den Weg zurück zu ma¬ chen, wo ich dann nicht so willkommen gewesen wäre. Kaum hatte ich einige Minuten ziemlich stumm dort gesessen, als ein ganz gut gekleideter Mann sich neben mich setzte und mir mit einigen allgemeinen theilnehmenden Erkundigungen Rede ab¬ zugewinnen suchte. Er war ein starker heiſser Poli¬ tiker und, wie sehr natürlich, mit der Lage der Dinge und vorzüglich mit den allerneuesten Veränderungen nicht sonderlich zufrieden, und meinte weislich, die Sachen könnten so keinen Bestand haben. Sein Anse¬ hen versprach eben keinen ausgezeichneten Stand, und doch war er einer der gescheidtesten bewandertsten Männer, die ich noch auf meiner Wanderung in Ita¬153 lien von seiner Nation gesehen habe. Orthodoxie in Kirche und Staat schien seine Sache nicht zu seyn; und er muſste etwas Zutrauen zu mir gewonnen ha¬ ben, daſs er mich ohne Zurückhaltung so tief in seine Seele sehen lieſs. Er kannte die heutigen Staatsver¬ hältnisse ungewöhnlich gut und war in der alten Ge¬ schichte ziemlich zu Hause. Der alte Römerstolz schien tief in seinem Innern zu sitzen. Er sprach skoptisch vom Papste und schlecht von den Franzosen; besonders hatte sein Haſs den General Murat recht herzlich gefaſst, von dessen schamlosen Erpressungen er zähneknirschend sprach und der schon durch sei¬ nen Mameluckennamen allen Kredit bey ihm verloren hatte. Dieser Otrikolaner war seit langer Zeit der erste Mann, der meinen Spaziergang richtig begriff, und meinte, daſs sein Vaterland auch jetzt noch ihn verdiene, so tief es auch gesunken sey. Wir schüt¬ telten einander freundschaftlich die Hände, und ich ging mit der folgenden Morgendämmerung den Berg hinunter, neben den Ruinen der alten Stadt vorbey, auf die Tiber zu.
Bis jetzt war es Vergnügen gewesen auch im Kir¬ chenstaate zu reisen. Jenseits der Berge vor und hin¬ ter Ankona, bey Foligno und Spoleto und Terni und Narni war die Kultur doch noch reich und schön, und in den Bergen waren die Scenen romantisch groſs und zuweilen erhaben und furchtbar. Man vergaſs leicht die Gefahr, die sich finden konnte. Von der Tiber und Borghetto an wird alles wüst und öde. Die Be¬ völkerung wird noch dünner und die Kultur mit je¬ dem Schritte nachlässiger. Civita Castellana gilt für154 das alte Falerii der Falisker, wo der Schurke von Schulmeister seine Zöglinge ins feindliche Lager spa¬ zieren führte und von Kamill so brav unter den Ru¬ thenstreichen der Jungen zurückgeschickt wurde. Es ist angenehm genug, nach einer eingebildeten mili¬ tärischen Topographie sich hier den wirklich schönen Zug als gegenwärtig vorzustellen. Die Lage entspricht ganz der Idee, welche die Geschichte davon giebt. Der Ort ist fast rund umher mit Felsen umgeben, die von Natur unzugänglich sind. Der Anblick flöſste mir gleich Respekt ein, und ohne an Cluver zu den¬ ken, der, wie ich glaube, es ziemlich sicher erwie¬ sen hat, setzte ich sogleich eigenmächtig die alte Fe¬ stung hierher. Von Borghetto her führt eine alte Brücke über eine wilde romantische Felsenschlucht, und nach Nepi und Rom zu hat Pius der Sechste eine neue Brücke gebaut, welche das beste ist, was ich noch von ihm gesehen habe. Es ist übrigens gar er¬ baulich, in welchem pompösen Stil diese Dinge in Aufschriften erzählt werden: solche ampullae et ses¬ quipedalia verba scheinen recht in der Seele der heu¬ tigen Römlinge zu liegen. Die alten Römer thaten und lieſsen reden, und diese reden und lassen thun. Ich habe auf meinem Wege von Ankona hierher viele erhabene Bogen gefunden, welche in einer angeschwol¬ lenen Sprache weiter nichts sagten, als daſs Pius der Sechste hier gewesen war und vielleicht ein Frühstück eingenommen hatte. Diese Bogenspanner verdienten einen solchen Herrscher. Von Civita Castellana aus trennt sich die Straſse; die alte flaminische geht über Rignano, Malborghetto und Primaporta nach der155 Stadt, und die neue von Pius dem Sechsten über Nepi und Monterosi, wo sie in die Straſse von Florenz fällt. Ich dachte mit dem alten Sprichwort: Nun gehen alle Straſsen nach Rom; und hielt mich halb unwillkührlich rechts zu dem neuen Papst. Der alte Weg kann wohl nicht viel schlimmer seyn; als ich den neuen fand. Doch von Wegen darf ich mit mei¬ nen Landsleuten nicht sprechen; die sind wohl selten in einem andern Lande schlimmer als bey uns in Sachsen.
Erlaube mir über die Straſsen im Allgemeinen eine kleine vielleicht nicht überflüssige Expektoration. Es ist empörend, wenn dem Reisenden Geleite und Wegegeld abgefodert wird und er sich kaum aus dem Koth heraus winden kann um dieses Geld zu bezahlen. Die Straſsen sind einer der ersten Polizeyartikel, an den man fast überall zuletzt denkt. Geleite und We¬ gegeld und Postregal haben durchaus keinen Sinn, wenn daraus nicht für den Fürsten die Verbindlich¬ keit entspringt, für die Straſsen zu sorgen; und die Unterthanen sind nur dann zum Zuschuſs verpflichtet, wenn jene Einkünfte nicht hinreichen. Denn der Staat hat unbezweifelt die Befugniſs, die Natur und Zweckmäſsigkeit und den gesetzlichen Gebrauch aller Regalien zu untersuchen, wenn es nothwendig ist, und auf rechtliche Verwendung zu dringen. Das giebt sich aus dem Begriff der bürgerlichen Gesellschaft, wenn gleich nichts davon im Justinianischen Rechte steht, welches überhaupt als jus publicum das traurigste ist, das die Vernunft ersinnen konnte; so sehr es auch ein Meisterwerk des bürgerlichen seyn mag. Bey den156 Straſsen tritt noch eine Hauptvernachlässigung ein, ohne deren Abstellung man durchaus auch mit gro¬ ſsen Summen und anhaltender Arbeit nicht glücklich seyn wird. Ich meine, man sucht nicht mit Strenge das Spurfahren zu verhüten. Es ist so gut als ob keine Verfügungen deswegen vorhanden wären, so wenig wird darauf gesehen. Es ist mathematisch zu bewei¬ sen, daſs die Gewohnheit des Spurfahrens, zumahl der schweren Wagen, die beste festeste Chaussee in kurzer Zeit durchaus verderben muſs. Ist einmahl der Ein¬ schnitt gemacht, so mag man schlagen und ausfüllen und klopfen und rammeln, so viel man will, man gewinnt nie wieder die vorige Festigkeit; die ersten Wagen fahren das Gleis wieder aus, und machen das Uebel ärger. Fängt man an ein zweytes Gleis zu ma¬ chen, so ist dieses bald eben so ausgeleyert, und so geht es nach und nach mit mehrern; bis die ganze Straſse ohne Hülfe zu Grunde gerichtet ist. Wenn aber der Weg nur einiger Maſsen in Ordnung ist und durchaus kein Wagen die Spur des vorhergehenden hält, so kann kein Gleis und kein Einschnitt entste¬ hen; sondern jedes Rad versieht, so zu sagen, die Stelle eines Rammels und hilft durch die beständige Veränderung des Drucks die Straſse bessern. Man würde eben so sehr endlich den Weg verderben, wenn man ohne Unterlaſs mit dem Rammel beständig auf die nehmliche Stelle schlagen wollte. Durch das Nichtspurfahren verändern auch die Pferde beständig ihre Tritte und das Nehmliche gilt sodann von den Hufen der Thiere was von den Rädern des Fuhrwerks gilt. Fast durchaus habe ich den Schaden dieser bö¬157 sen Gewohnheit gesehen, und nur im Hannöverischen hat man, so viel ich mich erinnere, strengere Maſsre¬ geln genommen ihn zu verhüten. Aber ich muſs ma¬ chen, daſs ich nach Rom komme.
Die Italiäner müssen denn doch auch zuweilen ein sehr richtiges Auge haben. Zwey etwas stattlichere Spaziergänger als ich begegneten mir mit ihren groſsen Knotenstöcken bey Nepi, vermuthlich um ihre Felder zu besehen, auf denen nicht viel gearbeitet wurde. Signore è tedesco e va a Roma; sagte mir einer der Herren sehr freundlich. Die Deutschen müssen häu¬ fig diese Straſse machen; denn ich hatte noch keine Sylbe gesprochen um mich durch den Accent zu ver¬ rathen. Sie riethen mir, ja nicht in Nepi zu bleiben sondern noch nach Monterosi zu gehen, wo ich es gut haben würde. Ich dankte und versprach es. Es ist sehr angenehm, wenn man sich bey dem ersten Anblick so ziemlich gewiſs in einer fremden Gegend orientieren kann. Nach meiner Rechnung muſste der mir links liegende Berg durchaus der Soracte seyn, obgleich kein Schnee darauf lag; und es fand sich so. Jetzt gehört er dem heiligen Sylvester, dessen Namen er auch trägt; doch hat sich die alte Benen¬ nung noch nicht verloren, denn man nennt ihn noch hier und da Soratte. Nun ärgerte es mich, daſs ich nicht links die alte flaminische Straſse gehalten hat¬ te; dann hätte ich den Herrn Soratte, der sich schon von weitem ganz artig macht, etwas näher gesehen, und wäre immer längs der Tiber hinunter gewandelt. Der Berg steht von dieser Seite ganz isoliert; das wuſste ich aus einigen Anmerkungen über den Horaz,158 und deſswegen erkannte ich ihn sogleich, da mir seine Distanz von Rom bekannt war. Hinten schlieſst er sich durch eine Kette von Hügeln an den Apennin. Der Berg ist zwar ziemlich hoch, aber gegen die Apenninen hinter ihm doch nur ein Zwerg. Ich will mir doch einmahl ein recht schulmeisterlich herme¬ nevtisches Ansehen geben, und Dir hierbey eine prag¬ matische Bemerkung machen. Vielleicht weiſst Du sie schon; thut nichts; eine gute Sache kann man zweymahl hören. Du darfst von dem hohen Schnee des Horaz nicht eben auf die Höhe des Berges schlie¬ ſsen. Der Sorakte hat, weil er mit der groſsen Berg¬ kette der Apenninen verglichen, doch nicht auſseror - dentlich hoch ist und tiefer herab in der Ebene liegt, nur selten Schnee; und Herr Horaz wollte durch sei¬ nen Schnee den ziemlich starken Winter anzeigen, wo man wohl thäte, Kastanien zu braten und sich zum Kamin und zum Becher zu halten. Das finde ich denn ganz vernünftig. Vielleicht war er eben da¬ mahls in Tibur, wo er von Mäcens Landgute bloſs die Spitze des beschneyten Sorakte sehr malerisch grup¬ piert vor sich hatte. Uebrigens thue ich dem Horaz keine kleine Ehre, daſs ich mich mit einem seiner Verse so lange beschäftige; denn er ist durch seine Sinnesart mein Mann gar nicht, und es ist Schade, daſs die Musen gerade an ihn so viel verschwendet haben.
Nepi könnte ein gar herrlicher Ort seyn, wenn die Leute hier etwas fleiſsiger seyn wollten: aber je näher man Rom kommt, desto deutlicher spürt man die Folgen des päpstlichen Segens, die durchaus wie159 Fluch aussehen. Hinter Monterosi packte mich ein Vetturino, der von Viterbo kam und nach Rom ging, mit solchem Ungestüm an, daſs ich mich nothwendig in seinen Wagen setzen muſste, wo ich einen stattlich gekleideten Herrn fand, der eine todte Ziege und ei¬ nen Korb voll anderer Viktualien neben sich hatte. Die Ziege wurde eingepackt und der Korb beyseite gesetzt; ich legte meinen Tornister zu meinen Füſsen gehörig in Ordnung, und pflanzte mich Barbaren ne¬ ben den zierlichen Römer. Er belugte mich stark und ich ihn nur oben hin; nach einigen Minuten fing das Gespräch an, und ich schwatzte so gut ich in der neuen römischen Zunge konnte. Das ewige Thema waren leider wieder Mordgeschichten, und der Herr guckte jede Minute zum Schlage hinaus, ob er keine Pistolenholfter sähe. Ganz spaſshaft ist es freylich nicht, wie ich nachher erfahren habe: aber eine sol¬ che Furcht ist doch sehr possierlich und lächerlich. Diese Angst hielt bey dem Mann an bis wir an die Geyerbrücke von Rom kamen, wo er sich nach und nach wieder erholte. Am Volksthore, denn durch dieses fuhren wir ein, fragten die päpstlichen Patron¬ taschen nach meinem Passe und brachten ihn sogleich zurück mit der Bitte: Qualche cosa della bona grazia pella guardia. So so; das fängt gut an: ich muſste wohl einige Paolo herausrücken. Da hielten wir nun vor dem groſsen Obelisken und ich überlegte, nach welcher von den drey groſsen Straſsen ich auf gut Glück hinunter gehen sollte. Eben hatte ich meinen Gesichtspunkt in die Mitte hinab durch den Corso ge¬ nommen und wollte aussteigen, als mein Kamerad160 mich fragte wo ich wohnen würde? Das weiſs ich nicht, sagte ich; ich muſs ein Wirthshaus suchen. Er bot mir an mich mit in sein Haus zu nehmen. Er habe zwar kein Wirthshaus, ich solle es aber bey ihm so gut finden, als es Gefälligkeit machen könne. Ich sah dem Manne näher ins Auge und las wenigstens keine Schurkerey darin, dachte, hier oder da ist ei¬ nerley, setzte mich wieder nieder und lieſs mich mit fort ziehen. Man brachte mich, dem heiligen Fran¬ ziskus mit den Stigmen gegen über, in den Pallast Strozzi, wo mein Wirth eine Art von Haushofmeister zu seyn scheint.
So bin ich denn also unwidersprechlich hier an der gelben Tiber, und zwar in keinem der letzten Häuser. Man hat hier im Hause viel Höflichkeit für mich und mehr Aufmerksamkeit als mir lieb ist: denn ich merke, daſs ich hier viel theurer leben werde, als in irgend einem Wirthshause; wie mir meine Landsleute, die den römischen Rommel etwas verstehen, auch schon erklärt haben. Ich habe meine Addressen auf¬ gesucht. Uhden und Fernow empfingen mich mit Humanität und freundschaftlicher Wärme. Du kennst die Männer aus ihren Arbeiten, welche gut sind; aber sie selbst sind noch besser, welches nicht immer der Fall bey literärischen Männern ist. Ich bin also schon kein Fremdling mehr am Kapitole. Auch den selbst¬ ständigen, originellen und etwas barocken Reinhart161 sah ich gleich den zweyten Tag, und mehrere andere deutsche Künstler. Gmelin ist ein lebhafter joviali¬ scher Mann, der nicht umsonst die Welt gesehn hat, und der eine eigene Gabe besitzt im Deutschen und Französischen mit der lebendigsten Mimik zu erzählen.
Der Kardinal Borgia, an den ich einen Brief hatte, nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf. Ein Anderer würde in seinem Stil Herablassung sagen; nach meinem Begriff läſst sich kein Mensch herab, wenn er mit Menschen spricht: und wenn irgend ein so genannter Groſser in seinem Charakter noch Her¬ ablassung nöthig hat, so steht er noch lange nicht auf dem rechten Punkte. Ich war genöthigt meine An¬ rede französisch zu machen, da ich mir im Italiäni¬ schen nicht Wendung genug zutraute, mit einem sol¬ chen Manne eine zusammenhängende Unterredung zu halten. Er antwortete mir in der nehmlichen Spra¬ che; aber kaum hörte er, daſs ich Latein wuſste, so fuhr er für einen Kardinal drollig genug lateinisch fort, das Lob dieser Sprache zu machen, durch welche die Nationen so fest zusammen hangen. Haec est illa lingua, setzte er hinzu, quae nobis peperit at¬ que Virgilios. Et Tiberios et Nerones, hätte ich fast unwillkührlich durch die Zähne gemurmelt. Ein Wort gab das andere, ich muſste ihm einiges von meiner Kriegswanderung nach Amerika erzählen und von mei¬ nem Wesen in Polen, und der alte Herr fiel mir mit vieler Gutmüthigkeit um den Hals, und faſste mich im Ausbruch der Jovialität nicht allein beym Kopf son¬ dern sogar bey den Ohren. Ein alter militärischer General seiner Heiligkeit stand dabey, und es wurde11162ein herzliches Trio gelacht, wo ich so bescheiden als möglich mit einstimmte. Du wirst schon wissen, daſs man in Rom mehr Mönchsgenerale als Kriegsgenerale antrifft. Beyde spielen mit Kanonen, und es wäre nicht schwer zu entscheiden, welche die ihrigen am besten zu gebrauchen wissen. Ich erhielt die Erlaub¬ niſs ohne Einschränkung immer zu dem Kardinal zu kommen, welches für einen Pilger, wie ich bin, keine Kleinigkeit ist. Er stutzte gewaltig, als er hörte, ich wolle übermorgen mein Bündel nehmen und des Weges weiter wandeln, billigte aber meine Gründe lachend, als ich ihm sagte, ich wollte vor dem Ein¬ tritt der heiſsen Jahrszeit meinen Spaziergang nach Syrakus endigen und auf meiner Rückkehr mich län¬ ger hier aufhalten. Er bot mir keine Empfehlung nach Veletri an, um dort freyeren Eintritt in das Fa¬ milienkabinett zu haben, worüber ich mich einiger Maſsen wunderte. Aber man hat Schwierigkeiten mit den Franzosen gehabt und Einige fürchteten sogar, die Franzosen würden die ganze Sammlung wegschaffen lassen. Das geschieht nun zwar, wie ich höre, nicht; aber es ist doch begreiflich, daſs dadurch etwas Furcht¬ samkeit und Unordnung entstanden seyn mag. Uebri¬ gens bin ich nicht nach Italien gegangen, um vorzüg¬ lich Kabinette und Gallerien zu sehen und tröste mich leicht mit meiner Laienphilosophie.
Eben habe ich Canova gesehen und unsere Freun¬ de, Reinhart und Fernow. Es ist überall wohlthätig, wenn sich verwandte Menschen treffen; aber wenn sie sich auf so klassischem Boden finden, gewinnt das Ge¬ fühl eine eigene Magie schöner Humanität. Canova163 hat eine zweyte Hebe für die Pariser gearbeitet, die mir aber mit den Veränderungen die er gemacht hat und die er doch wohl für Verbesserungen halten muſs, nicht sowohl gefällt wie die venezianische. Du kennst meinen Enthusiasmus für diese. Er hat, däucht mich, dem Urtheil und dem Geschmack der Franzosen ge¬ schmeichelt, denen ich aber in der Anlage einer Bat¬ terie eher folgen wollte, als in der Kritik über reine Weiblichkeit. Es bleibt an allen ihren schönen Wei¬ bern immer noch etwas von dem Charakter aus dem alten Palais Royal zurück. Er hat auch zwey Fechter nach dem Pausanias gemacht, die nach langer Ermü¬ dung zur Entscheidung einander freyen Stoſs geben. Der Eine hat so eben den furchtbarsten Schlag vor die Stirne erhalten, — dieses ist der Moment — und reiſst sodann mit entsetzlichem Grimm seinem Gegner mit der Faust auf einem Griff das Eingeweide aus. Sie gelten für Muster der Anatomie und des Aus¬ drucks. Da sie keine nahe Beziehung auf reine schöne Humanität haben, konnten sie mich nicht so sehr be¬ schäftigen: denn Furcht und Grimm sind Leidenschaf¬ ten, von denen ich gerne mich wegwende. Die Stelle aus dem Pausanias ist mir nicht gegenwärtig; ich weise Dich auf ihn. Demaxenus heiſst, glaube ich, der eine Fechter.
In einigen Tagen werde ich durch die Pontinen nach Terracina und sodann weiter nach Süden gehen; damit ich vor der ganz heiſsen Jahrszeit, wenns glückt, wieder zurück komme. Miſsglückt es, denn man spricht gar wunderlich, so mögen die Barbaren mich auf ihrer Seele haben. Ich will mich nicht durch Furcht ängstigen, die auf alle Fälle kein guter Haus¬164 genosse in der Seele ist. Zu Ende des Jahres hoffe ich post varios casus Dich wieder zu sehen.
Du siehst, daſs ich aus den Sümpfen heraus bin. Die Prophezeiung meiner Freunde in Rom hat einge¬ troffen. Der Herr Haushofmeister in dem Pallast Strozzi, dem heiligen Franz mit den Stigmen gegen über, überlieſs es meiner Groſsmuth, die seinige zu belohnen. Das heiſst nun die Leute meistens am unrechten Flecke angefaſst. Ich griff mich indessen an, so viel ich konnte, und gab für drey Tage Woh¬ nung und drey Mahlzeiten, die übrigen hatte ich aus¬ wärts gehalten, zwey Kaiserdukaten, welches ich für ziemlich honett hielt. Der Mann machte in Rom ein flämisches Gesicht, aber doch weiter keine Bemerkung, sondern begleitete mich noch gefällig bis Sankt Jo¬ hann vom Lateran, wo er mir am Thore seine Ad¬ dresse gab, damit ich ihn bey meiner Rückkunft fin¬ den möchte. Er mochte die Rechnung gezogen und überlegt haben, daſs einen ganzen Monat verhältniſs¬ mäſsig das Geldchen doch mit zu nehmen wäre. Das war nun aber mir nicht gelegen; meine Börse wollte sich in die Länge nicht so groſsmüthig behandeln las¬ sen. Man hat der Ausgaben mehrere. Ich ging nun durch die weitläufigen halb verfallenen Gärten der Stadt und durch die ganz wüste Gegend vor derselben nach Albano hinüber.
Einige Millien vor der Stadt wandelte links unter165 den Ruinen der alten Wasserleitungen, die vom Berge herabkamen, ein Mann mit einem Buch einsam hin, suchte sich rund umher zu orientieren, und schloſs sich, als ich näher kam, an mich an. Er war ein Franzose, der sich in Veletri schon lange häuslich nie¬ dergelassen hatte, in der Stadt gewesen war und jetzt heim ging. Seine Gesellschaft war mir hier höchst angenehm, da er mit der Geschichte der Zeit und den Vorfällen des Kriegs bekannt war und rund um¬ her mir alle Auftritte erklärte. Links hinauf nach den Hügeln des Albanerbergs hatten sich die Franzo¬ sen und Insurgenten hartnäckig geschlagen. Die In¬ surgenten hatten zuerst einigen Vortheil und hatten deſswegen nach der Weise der Revolutionäre angefan¬ gen höchst grausam zu verfahren: aber die Franzosen trieben sie mit ihrer gewöhnlichen Energie bald in die Enge; und nun fehlte es wieder nicht an Gewalthä¬ tigkeiten aller Art. Einige Millien von Albano ist rechts am Wege eine Gegend, welche Schwefelquellen halten muſs; denn der Geruch ist entsetzlich und muſs in der heiſsen Sommerperiode kaum erträglich seyn. In einer Peripherie von mehrern hundert Schritten keimt deſswegen kein Gräschen, obgleich übrigens der Strich nicht unfruchtbar ist.
Die Albaner bilden sich ein, daſs ihre Stadt das alte Alba longa sey, und sagen es noch bis jetzt auf Treu und Glauben jedem Fremden, der es hören will. Die Antiquare haben zwar gezeigt, daſs das nicht seyn könne, und daſs die alte Stadt laut der Geschichte an der andern Seite des Sees am Fuſse des Berges müsse gelegen haben: aber drey oder vier Millien,166 danken die Albaner, machen keinen groſsen Unter¬ schied; und es ist wenigstens niemand in der Gegend, der ein näheres Recht auf Alba longa hätte als sie. Wir wollen sie also in dem ruhigen Besitz lassen. Die jetzige Stadt scheint zur Zeit der ersten Cäsarn aus einigen Villen entstanden zu seyn, von denen die des Pompejus die vorzüglichste war. Dadurch sieht es nun freylich um das Monument der Kuriatier miſslich aus, das auf dem Wege nach Aricia steht, und wel¬ ches mir überhaupt ein ziemlich gothisches Ansehen hat. Nach der Geschichte sind alle, die drey Kuria¬ tier wie die beyden Horatier, unten vor der Stadt Rom begraben, wo der Kampf geschah und wo auch ihre Monumente standen: indessen läſst sich wohl den¬ ken, daſs die neuen Albaner aus altem Patriotismus ihren braven Landsleuten hier ein neues Denkmahl errichteten, als unten die alten verfallen waren. We¬ nigstens ist nicht einzusehen, wozu das Ding mit den drey Spitzen sonst sollte aufgeführt seyn. Ein Kastell zur Vertheidigung des Weges wäre das Einzige, wozu man es machen könnte; aber dazu hat es nicht die Gestalt.
In Albano fand mein Franzose Bekannte, bey de¬ nen er einkehrte, und ich lieſs mich auf die Post bringen, welche das beste Wirthshaus ist. Sobald ich abgelegt hatte, trat ein artiger junger Mann zu mir ins Zimmer, der aus der Gegend war und mit vieler Gutmüthigkeit mir die Unterhaltung machte. Mit ihm wandelte ich noch etwas in der schönen Gegend hin und her, und namentlich an das Monument, von des¬ sen Alterthum er indessen auch nicht sonderlich über¬167 zeugt war. Antiquitäten schienen zwar seine Sache nicht zu seyn; aber dafür war er desto bekannter mit der neuen Welt. Er sprach französisch und englisch mit vieler Geläufigkeit, weil er in beyden Ländern einige Zeit gewesen war; eine nicht gewöhnliche Er¬ scheinung unter den Italiänern. Je m'appelle Prince, sagte er, mais je ne le suis pas; indessen hatten ihn die Franzosen nach seiner Angabe prinzlich genug be¬ handelt, alle seine Oehlbäume umgehauen, und ihm auf lange Zeit einen jährlichen Verlust von zweytau¬ send Piastern verursacht. Die Wahrheit daran lasse ich auf seiner Erzählung beruhen. Der junge Mann zeigte viel Offenheit, Gewandtheit und Humanität in seinem Charakter. Sodann führte er mich einige hun¬ dert Schritte weiter zu einer alten Eiche an dem Wege nach Aricia, nicht weit von dem Eingange in den Park und die Gärten des Fürsten Chigi. Die Ei¬ che sollte von seltener Schönheit seyn, und sie ist auch wirklich sehr ansehnlich und malerisch: aber wir haben bey uns in Deutschland an vielen Orten gröſsere und schönere.
Den Herrn Fürsten Chigi kannte ich aus Charak¬ teristiken von Rom, und hätte wohl Lust gehabt seine Besitzungen näher zu besehen. Er selbst ist als Dich¬ ter und Deklamator in der Stadt bekannt und soll wirklich unter diesen Rubricken viel Verdienst haben. Er muſs indessen ein sehr sonderbarer Bukoliker und Idyllendichter seyn; denn in seinem Park hat er den schönsten und herrlichsten Eichenhain niederhauen lassen, und in dem Ueberreste läſst er die Schweine so wild herum laufen, als ob er sich ganz allein von168 der Mastung nähren wolle. Darüber sind nun beson¬ ders die Maler und Zeichner so entrüstet, daſs sie den Mann förmlich in Verdammniſs gesetzt haben; ich weiſs nicht, wie er sich daraus erlösen will. Die Gegend ist dessen ungeachtet noch eine der schönsten in Italien, und das romantische Gemisch von Wildheit und Kultur, die hier zu kämpfen scheinen, macht, wenn man aus der Oede Roms kommt, einen sonder¬ baren wohlthätigen Eindruck. Die Leute in dieser Gegend haben den Ruhm vorzüglich gute Banditen zu seyn.
Von Albano ging ich den andern Morgen über eben dieses Aricia, dessen Horaz in seiner Reiseepistel von Rom nach Brundisi gedenkt, nach Gensano und Veletri und immer in die Pontinen hinein. Die Leute von Gensano sind mir als die fleiſsigsten und sittigsten im ganzen Kirchenstaate vorgekommen, und sie haben wirklich ihr Fleckchen Land so gut bearbeitet, daſs sie den Wohlthaten der Natur Ehre machen. Die Lage ist sehr schön; Berge und Thäler liegen in dem lieblichsten Gemische rund umher, und der kleine See von Nemi, unter dem Namen der Dianenspiegel, giebt der Gegend noch das Interesse der mythologi¬ schen Geschichte.
Vor Veletri holte mich ein Franzose ein, nicht mein gestriger sondern ein anderer, der bey der Con¬ deischen Armee den Krieg mitgemacht hatte, jetzt von Rom kam und mit Empfehlungen von dem alten Ge¬ neral Suworow nach Neapel zu Akton ging, von dem er Anstellung hoffte. In zwey Minuten waren wir be¬ kannt und musterten die Armeen durch ganz Europa. 169Nach seinen Briefen muſste er ein sehr braver Offizier gewesen seyn, der selbst bey Perugia ein Detachement kommandierte; und ich habe ihn als einen ehrlichen Mann kennen lernen. Wir aſsen zusammen in Veletri und trollten sodann ganz vergnügt die Berge hinab in die Sümpfe hinein, die einige Stunden hinter der Stadt ihren Anfang nehmen. In Cisterne wollten wir übernachten; aber das Wirthshaus hatte die schlechte¬ ste Miene von der Welt, und die päpstlichen Drajoner trieben ein gewaltig lärmendes Wesen. Uebrigens fiel mir ein, daſs dieses vermuthlich der Ort war, wo Ho¬ raz so sehr von den Flöhen gebissen wurde und noch andere traurige Abenteuer hatte, daſs auch der Apo¬ stel Paulus hier geschlafen haben soll, ehe man ihn in Rom in die Kerker des Kapitols einsperrte. Das war nun lauter böses Omen. Wir beschlossen also, zu¬ mahl da es noch hoch am Tage war, noch eine Sta¬ tion weiter zu wandeln, bis Torre di tre ponti. Hier kamen wir aus dem Regen in die Traufe. Es war ein groſses leeres Haus; der Wirth war nach Paris gereist, um, wenn es möglich wäre, seine Habe wieder zu erhalten, die man ihm in die Wette geraubt hatte. Erst plünderten die Neapolitaner, dann die Franzosen, dann wieder die Neapolitaner, und die Streiter des heiligen Vaters zur Gesellschaft: das ist nun so römi¬ sche Wirthschaft. Es war im ganzen Hause kein Bett, und die Leute sahen nicht auſserordentlich freundlich aus. Der Wirth war abwesend; es waren viel Fremde da, die in den pontinischen Sümpfen, wohin sogar der Auswurf aus Rom flüchtet, kein groſses Zutrauen einflöſsen können. Die alte gutmüthige Haushälterin170 gab uns eine groſse Decke; wir verrammelten unsere Thüre mit Tisch und Stühlen, damit man wenigstens nicht ohne Lärm herein kommen könnte, legten uns beyde, der französische Oberstlieutenant und ich, in die breite mit Heu gefüllte Bettstelle, stellten unsere Stöcke daneben, deckten uns zu und schliefen, so gut uns die Kälte, die Flöhe und die quackenden Frösche schlafen lieſsen. Den Morgen darauf war das Wetter fürchterlich und machte den nicht angenehmen Weg noch verdrieſslicher: vorzüglich fluchte der Franzose nach altem Stil tous les diables mit allem Nachdrucke durch alle Instanzen, die Yorick angegeben hat. Es konn¬ te indessen nichts helfen; ich Hyperboreer zog bärenmä¬ ſsig immer weiter; der Franzmann aber verstekte sich in ein altes leeres Brückenhaus über dem Kanal und wollte den Sturm vorbey gehen lassen. Wenn man naſs ist, muſs man laufen; ich lieſs ihn ruhen, und versprach, hier in Terracina im Gasthofe auf ihn zu warten.
Die letzte Station vor Terracina war für mich die abenteuerlichste. Die alte appische Straſse geht links etwas oben an den Bergen hin und macht da¬ durch einen ziemlichen Umweg: aber die Neuen woll¬ ten dem Elemente zum Trotz klüger seyn, und zogen sie unüberlegt genug gerade fort. Sie sieht recht schön aus, wenn sie nur gut wäre. Das Wasser war groſs, ich hatte den Abweg links über eine alte Brü¬ cke nicht gemerkt und ging die groſse gerade Linie immer weiter. In einer halben Stunde stand ich vor Wasser, das rechts aus der See hereingetreten war und links durch die Gebüsche weit hinauf ging. Durch171 den ersten Absatz schritt ich rasch; aber es kam ein zweyter und ein dritter noch gröſserer. Es war dabey ein furchtbarer Regensturm und ich konnte nicht zwan¬ zig Schritte sehen. Ich ging fast eine Viertelstunde auf der Straſse bis über den Gürtel im Wasser, und wuſste nicht was vor mir seyn würde. Einige Mahl waren leere Plätze links und rechts; und da stand ich in den Einschnitten wie im Meere. Nur die Bäume, die ich dunkel durch den Regensturm sah, machten mir Muth vorwärts. Endlich war ich glücklich durch die päpstliche Stelle, und zog eine Parallele zwischen den Alten und Neuen, die eben nicht zum Vortheil meiner Zeitgenossen ausfiel. Wie ich heraus war, ward der Himmel hell, und ich sah den Berg der Circe in der Abendsonne zu meiner Rechten und zu meiner Linken die Felsen von Terracina glänzen. Es war wirklich, als ob die alte Generalhexe eben einen Hauptproceſs machte, und ich konnte froh seyn, daſs ich noch so gut mit einem bischen Schmutz davon gekommen war. Nachdem ich in der Locanda Reale, einem groſsen stattlichen Hause an dem Heerwege vor der Stadt, Quartier gemacht hatte, rekognoscierte ich oben den Ort auf dem weiſsen Felsen, wie ihn Horaz nennt, wo man rechts und links von dem Circeischen Vorgebirge bis an das Kajetanische und über die In¬ seln eine herrliche Aussicht hat. Ich bekümmerte mich wenig um die Ruinen des alten Jupiterstempels und um den neuen Pallast des Papstes, sondern wei¬ dete mich an der unter mir liegenden schönen Gegend, den herrlichen Orangengärten, die ich hier zuerst ganz im Freyen ausgezeichnet schön fand, und der172 üppigen Vegetation aller Art. Auch mehrere Palm¬ bäume traf ich hier schon, da in Rom nur ein einzi¬ ger als eine Seltenheit nicht weit vom Kolosseum ge¬ zeigt wird. Von der letzten Station führt eine herrli¬ che Allee der schönsten und gröſsten Aprikosenbäume in die Stadt.
Mein Franzose kam, und es fand sich, daſs der arme Teufel mit seiner Börse auf den Hefen war. Ich muſste ihn also doch nach Neapel hinüber transpor¬ tieren helfen. Zu Abend traf ich ein Paar ziemlich reiche Mayländer, die mit schöner Equipage von Nea¬ pel kamen, und wir aſsen zusammen. Die Herren waren ganz verblüfft zu hören, daſs ich von Leipzig nach Agrigent tornistern wollte, bloſs um an dem süd¬ lichen Ufer Siciliens etwas herumzuschlendern und et¬ wa junge Mandeln und ganz frische Apfelsinen dort zu essen. Die Unterhaltung war sehr lebhaft und an¬ genehm, und die Norditaliäner schienen die schöne Neapel quouis modo, literärisch, ästhetisch und phy¬ sisch genossen zu haben. Morgen gehts ins Reich hinüber; denn so nennt man hier das Neapolitanische.
Der Morgen war frisch und schön, als wir Anxur verlieſsen, der Wind stark und die Brandung hoch¬ stürmend, so daſs ich am Strande eingenetzt war, ehe ich daran dachte. Die Wogen schlugen majestätisch an den steilen Felsen herauf. Am Eingange des Reichs hatte mein französischer Reisekamerad Zwist mit der173 Wache, die ihn nicht recht gern wollte passieren las¬ sen. Meinen Paſs vom Kardinal Ruffo besah man bloſs, schrieb meinen Namen aus, und ich war abge¬ fertiget. Der Franzose packte seine ganze Brieftasche aus, sprach hoch, erwähnte Suworow, appellierte an den Minister und zwang die Wache durch etwas Im¬ pertinenz in Respekt, die von ihrer Seite auch wohl etwas über die Instruktion gegangen seyn mochte. In Fondi, wo wir zu Mittage aſsen, trafen wir ziemlich viel Militär, unter dem mehrere Deutsche waren. Die Stadt selbst liegt, wie es der Name zeigt, in einem der angenehmsten Thäler, nicht sehr weit vom Meere. Der Weg von Terracina dahin ist abwechselnd furcht¬ bar und lachend, durch hohe Felsen und fruchtbare Felder. Nicht weit von Fondi sollen, glaube ich, links an den Bergen noch die Ueberreste von der Ville des Nerva zu sehen seyn; ich hielt mich aber an die Orangengärten, und vergaſs darüber den Kai¬ ser, die alten Stadtmauern, den See, den heiligen Thomas und alle andere Merkwürdigkeiten. Noch ei¬ nige Millien nach Itri hinaus ist die Gegend zwischen den Bergen ein wahres Paradies. Auf der Hälfte des Weges stand in einem engen Felsenpasse eine Batterie aus dem vorigen Kriege, wo die Franzosen tüchtig zu¬ rückgeworfen wurden. Sie suchten sich aber einen andern Weg über die hohen Berge, ein Einfall von dem die Neapolitaner sich gar nichts hatten träumen lassen. Das war eine etwas zu gutmüthige Zuversicht; man thut besser zu glauben, daſs die Feinde alle Gem¬ senjäger sind, und in einer Entfernung von sechs deutschen Meilen ist es nie unmöglich, daſs sie die174 Nacht noch kommen werden. Die Neapolitaner sahen den Feind im Rücken, und liefen über Hals und Kopf Dach Kajeta.
Itri war von den Franzosen häſslich mitgenom¬ men worden. Man hatte die Kirchen verwüstet und Pferdeställe daraus gemacht. Das ist nun freylich nicht sehr human; von Religiosität nichts zu sagen. Der Ort liegt in einer Bergschlucht tief begraben. Es standen hier nur wenige Soldaten zur Polizey, deren Kommandant ein ehemahliger östreichischer Sergeant, jetzt neapolitanischer Fähnrich war, der uns die Ehre that mit uns einige Stunden Wein zu trinken. Mein Franzose hatte keine Schuhe mehr; ich muſste ihm also doch Schuhe machen lassen. Den Morgen darauf konnte er nicht fort, weil seine Füſse nicht mehr in baulichem Wesen waren, und ich wollte nicht bleiben. Er suchte mich überdieſs zu überreden, ich möchte mit ihm von Kajeta aus zur See gehen, weil er den Landweg nicht aushalten würde. Das ging für mich nun nicht; denn ich wollte über den Liris hinunter nach Kapua und Kaserta. Ich gab ihm also zu dem Ausgelegten noch einen Kaiserdukaten, quittierte in Gedanken schon, übergab ihn und mich dem Him¬ mel und wandelte allein ab. Fast hätte ich vergessen Dir eine etwas ernsthafte Geschichte von Itri zu er¬ zählen, nehmlich ernsthaft für mich. Itri ist ein Nest; das Wirthshaus war schlecht. Unsere Wirthin war eine ziemlich alte Maritorne, die ihren Mann in der Revolution verloren und sich zur Haushaltung und den übrigen Behufen einen jungen Kerl genommen hatte. Ich legte mich oben auf einem Saale zu Bette,175 und mein Kamerad zechte unten noch eins mit dem Herrn Fähnrich Kommandanten, der wieder gekom¬ men war, und kam mir sodann nach. Er war etwas über See und schlief sogleich ein; ich philosophierte noch eins topsytorvy. Da hörte ich unten einen wil¬ den Kerl nach dem andern ankommen und sehr laut werden. Die Anzahl mochte wohl bis zehen oder zwölfe gestiegen seyn. Nun vernahm ich, daſs es über unsere Personalitäten geradezu herging und daſs man über uns eine ziemlich furchtbare Nachtinquisi¬ tion hielt. Sono cattive gente, hieſs es in einem ho¬ hen Ton einmahl über das andere; und man that den Vorschlag mit uns zu verfahren nach der Neapolitaner Revolutionsweise. Mein Franzose schnarchte. Du kannst denken, daſs mir nicht sonderlich lieblich da¬ bey zu Muthe ward. Man schlägt hier zum Anfang gleich die Leute todt, und macht sodann nachher — eben weiter keinen Proceſs. Die alte Dame, unsere Wirthin, nahm sich unser mit einem exemplarischen Muth an, sprach und schrie was sie konnte, und be¬ hauptete daſs wir ehrliche Leute wären; der Komman¬ dant hätte unsere Pässe gesehen. Nun schien man dem Kommandanten selbst in der Politik gerade nicht viel gutes zu zutrauen. Der Himmel weiſs, wie es noch möchte geworden seyn. Ich zog ganz stille Rock und Stiefeln an, nahm meine ganze Kontenanz und mein ganzes bischen Italiänisch zusammen, und machte Miene die Treppe hinunter unter sie zu gehen. „ Meine Herren, sagte ich so stark und bestimmt als ich konnte, ich bin ein fremder Reisender; ich däch¬ te, im Wirthshause wo ich hezahle dürfte ich zur176 Mitternacht Ruhe erwarten. Ich höre ich bin Ihnen verdächtig; führen Sie mich vor die Behörde, wohin Sie wollen: aber machen Sie die Sache mit Ernst und Ruhe und als ordentliche brave Leute ab. “ Es ward stiller; die Wirthin und Einige von ihnen baten mich oben zu bleiben, welches ich natürlich sehr gern that; und nach und nach schlichen sie alle fort. Spaſshaft ist es nicht ganz; denn dort geht man selten ohne Flinte und Messer, und jeder ist zur Exekution fertig.
Den andern Morgen wandelte ich also allein zwi¬ schen den Oehlbergen nach Mola di Gaeta hinüber. Die Amme ist durch dieses Etablissement ihres Namens fast berühmter geworden, als ihr frommer Milchsohn. Warum war ich nun nicht gestern noch bis hierher gegangen? Hier fand ich ein groſses, schönes, ziem¬ lich billiges Gasthaus, wo ich bey frischen Eyern und frischen Fischen, die nicht weit von mir aus dem Meere gezogen wurden, und frischen herrlichen Früch¬ ten ein vortreffliches Frühstück hielt. Unter mir stand ein Zitronengarten in der schönsten Gluth der Früchte; und links und rechts übersah ich die Bucht von der Spitze des Vorgebirges rund herum bis hinü¬ ber nach Ischia und Procida. Es ist das köstlichste Dessert in der Entfernung von einigen hundert Meilen, wenn wir uns durch die Erinnerung irgend eines klei¬ nen Vorfalles mit unsern Freunden wieder in nähere Berührung setzen können. Hier auf der nehmlichen Stelle hatte vor mehreren Jahren Friedrich Schulz gesessen und Fische und Früchte gegessen, und mich aufgefodert, seiner zu gedenken, wenn ich von Mola auf das klassische Land umher schauen würde. Jetzt177 ist er nicht mehr der Liebling seiner Freunde und der Grazien, der die Freude bey den Fittichen zu hal¬ ten verstand und sie rund umher gab. Wo auch seine Asche ruht, ein Biederer müsse hingehen und sie seg¬ nen. Keine seiner Schwachheiten werde gedacht; er machte durch sein Herz gut, was sein Kopf versah.
Nun ging ich vergnügt und froh die schöne ma¬ gische Gegend hinauf und hinab, bis hinunter wo der Nachricht zufolge ehemahls Ciceros Formiä stand, bis an den Liris hinab. Langsam wallte ich dahin; mich däuchte ich sähe die Schatten des Redners und des Feldherrn, des Tullius und des Marius, daher ziehen. Hier legte der Patriot den Kopf zur Sänfte heraus, und lieſs sich von dem Hauptmann, dem er das Leben gerettet hatte, entschlossen den Lohn für seine Philip¬ piken zahlen. Es ist mir der ehrwürdigste Moment in Ciceros Leben; der einzige vielleicht, wo er wirklich ganz rein als selbständiger Mann gehandelt hat. Als er gegen Verres sprach, war es vielleicht Ruhmsucht von der Rednerbühne zu glänzen; Gefahr war nicht dabey: als er gegen Katilina donnerte, stand seine Exi¬ stenz auf dem Spiel und er hatte keine andere Wahl als zu handeln oder mit zu Grunde zu gehen; als er gegen Antonius wüthete, trieben ihn wahrscheinlich Haſs und Partheysucht. Im Glück prahlte er, im Un¬ glück jammerte er: er zeigte in seinem ganzen Leben oft viel Ehrlichkeit und Wohlwollen; aber nur im Tode den Muth, der dem Manne ziemt. Sein Tod hat mich in gewisser Rücksicht mit seinem Leben aus¬ gesöhnt; so wie es Männer in der Geschichte giebt, deren Tod fast das Verdienst ihres Lebens auslöscht,12178Dort unten lag Minturnä; dort, stelle ich mir vor, stand das Haus, wo der Cimbrer mit dem Schwerte kam, als öffentlicher Henker den Ueberwinder seiner Nation zu tödten, und wo dieser gefangene Ueberwin¬ der ihm mit einigen Worten Todesschrecken in die Glieder jagte. „ Mensch, wagst du es, den Kajus Ma¬ rius zu morden? “ Weiter hinab rechts ist die Sumpfgegend, wo nach der Flucht der erste Mann der ersten Stadt der Welt sich im Schilfe verbarg, bis er sich hinüber nach Afrika retten konnte. Ich setzte unter diesen Gedanken über den Garigliano, und merkte kaum, daſs ich dieſseits von einer Menge Mauleseltreiber umgeben war, die mir alle sich und ihre Thiere zum Dienst anboten. Da half kein De¬ monstrieren, sie machten die Kleinigkeit der Foderung noch kleiner und setzten mich halb mit Gewalt auf ein lastbares Stück, schnallten meinen Reisesack in Ordnung, und so zog ich mit der lieblichen Karavane weiter. Ein Kalabrese hatte mich in Mola gebeten ihm meine Gesellschaft zu erlauben, und ich konnte nichts dawider haben. Ein Junge von ungefähr drey¬ zehn Jahren hatte sich einige Millien weiter herab an¬ geschlossen, der in der Residenz sein Glück versuchen wollte, weil seine Stiefmutter zu Hause den Kredit ihres Namens etwas zu strenge behauptete. Beyde lie¬ fen neben her. Es wurde bald alles durchfragt, und der Junge muſste etwas weitläufig seine Geschichte er¬ zählen. Nun fing mein alter Eseltreiber an mit wahr¬ haft väterlicher Wärme dem jungen Menschen die Ge¬ fahr vorzustellen, der er entgegen liefe. Er that die¬ ses mit einer Zärtlichkeit, einer Heftigkeit und mit179 einer Behutsamkeit im Vortrage, die mir den alten Mann sehr werth machten. Wäre ich Sultan gewesen, ich hätte den Eseltreiber zum Mufti gemacht, und es würde gut gegangen seyn. Diese schöne bedachstame Philanthropie wäre manchem unserer Moralisten zu wünschen. Auch schien er über die ehrenvolle Ge¬ sellschaft durch seinen Verstand und seinen heitern Ernst ein ziemliches Ansehen zu haben. Kurz vor Sessa schieden wir; ich setzte mich von dem Esel wieder auf meine Füſse. Er gab dem jungen Men¬ schen zu seinem Rathe etwas Geld; und ich griff na¬ türlich über dem Alten und dem Jungen auch etwas tiefer in die Tasche als wohl gewöhnlich. Mein Ka¬ labrese begleitete mich, ich mochte wollen oder nicht, auf die Post, als das beste Wirthshaus. Der Junge ging weiter.
Da es noch hoher Tag war, spazierte ich hinauf nach Sessa, das wie ich höre viel alte Merkwürdigkei¬ ten hat und ehemahls eine Hauptstadt der Volsker war. Der Weg von der Post hinunter und in die Stadt hinauf ist angenehm genug; und die Lage des Orts ist herrlich mit den schönsten Aussichten, rechts nach Kajeta und links über die Niedrigung weg nach dem Gaurus hinüber. Als ich in der Kathedralkir¬ che stand und einen heiligen Johannes, der enthaup¬ tet wird, betrachtete, und eben so sehr die Andacht einiger jungen ganz hübschen Weiber beherzigte, die den schönen Mann auf dem Bilde mit ihren Blicken festhielten; trat mein alter Eseltreiber, der auf der andern Seite herauf gekommen war, zu mir, mich zu begrüſsen. Er hatte mich vielleicht wegen einiger180 Aeuſserungen etwas lieb gewonnen und vermuthlich die Silberstücke gesehen, die ich dem Buben gegeben hatte; und als wir aus der Kirche traten, führte er mich in den Zirkel seiner Zunftleute, und stellte mich wohl funfzig Eseltreibern aus Sessa und der Gegend mit der freundschaftlichsten Theilnahme vor. Mich däucht, wenn die Leute hier Wahltag gehabt hätten, sie hätten mich dem Minister zum Trotz einstimmig zu ihrem Deputierten im Parlament gemacht; so sehr bezeigten sie mir alle ihr Wohlwollen: und ich kann Dir nicht läugnen, es däuchte mir mit völligem Rechte wenigstens eben so wohl, als da mich in War¬ schau die alte kommandierende Excellenz unter den Arm faſste, in dem Zimmer herum führte und mir in vollem Kreise die Ausfertigung einer Depesche ins Ohr flüsterte. Aus diesem Zirkel zogen mich einige sehr artige junge Leute, die mich weiter herum be¬ gleiteten, und vorzüglich zu den Augustinern führten, die für ihre Bäuche den behaglichsten Ruheplatz mit der schönsten Aussicht nach allen Seiten ausgesucht hatten. Der einzige Beweis, daſs die Leute doch noch etwas klassischen Geschmack haben müssen, ist, daſs sie die Falerner Berge übersehen. Ihr Gebäude ist für das Gelübde der Armuth eine Blasphemie. Doch daran bin ich schon gewohnt; man braucht nicht über den Liris zu gehen, um so ausschweifende Pracht, so unsinnige Verschwendung zu sehen. An der Ueberfahrt über den Garigliano oder Liris sieht man noch die Substruktionen einer alten Brücke, und nicht weit davon jenseits die Reste einer Wasserlei¬ tung. Der Fluſs selbst, der nicht sehr breit ist, muſs181 doch zuweilen gefährlich zu passieren seyn: denn er ist ziemlich tief und schnell und man erzählte mir, daſs, als die Franzosen ungefähr zwey Stunden auf¬ wärts mit der Reiterey hindurchsetzen wollten, ihrer viele dabey umgekommen wären. An den Ufern des¬ selben weiden groſse Heerden Büffel.
Als ich wieder hinunter kam, setzte man mir auch Falerner Wein vor; für die Aechtheit will ich indes¬ sen nicht stehen. Es ist bloſs die klassische Neugierde ihn getrunken zu haben; denn er hat schon längst seinen alten Kredit verloren. Höchst wahrscheinlich ist die Ursache der Ausartung Vernachlässigung, wie bey den meisten italiänischen Weinen, die sich besser halten würden, wenn man sie besser hielte. Als wir den Morgen auswandelten, ward meinem Kalabresen entsetzlich bange; er behauptete, das folgende Dorf be¬ stände aus lauter Räubern und Mördern, die die Pas¬ sage von Montagne spaccate zu ihrem Tummelplatz machten. Jeder Windstoſs durch das Gesträuch er¬ schreckte ihn; und als wir vollends einige bis auf die Zähne abgedorrte Köpfe in eisernen Käfichten an dem Felsen befestiget sahen, war er der Auflösung seines Wesens nahe, ob er gleich den Krieg als königlicher Kanonier mitgemacht hatte, und ein Kerl wie ein Bär war. Er fahselte von lauter Mariohlen, wie er sie nannte, die gar fürchterliche Leute seyn sollten und von denen er[erschreckliche] Dinge erzählte. Als ich mir eine Beschreibung der Kerle ausbat, sagte er, män wüſste nicht, woher sie kämen und wohin sie gingen, sondern nur was sie thäten; sie plünderten und raubten und schlügen todt wo sie könnten, gin¬182 gen zu Dutzenden bewaffnet, und erschienen und ver¬ schwänden, ohne sich um etwas zu bekümmern. Nach seiner Angabe kommen sie meistens aus den Bergen von Abbruzzo. Ich habe nun freylich zur Schande der Regierung gefunden, daſs der Mensch ziemlich Recht hat. Er pinselte mir aber die Ohren so voll, daſs ich ihm sagte, er möchte mich ungehudelt lassen mit seinen erbärmlichen Litaneyen; wenn ich todt ge¬ schlagen werden sollte, so wollte ich mich doch we¬ nigstens vorher weiter nicht beunruhigen. Das kam dem Kerl sehr gottlos vor, und mir seine Klagelieder sehr albern. Er trieb mich immer vorwärts, mich nur durch die berüchtigte Felsenpassage zu bringen; und dankte allen Heiligen inbrünstiglich, als wir aus der Gegend heraus waren. Er segnete meinen Ent¬ schluſs, als ich mich auf der Straſse von einem Vettu¬ rino bereden lieſs, mich einzusetzen und mich bis nach Kapua bringen zu lassen. Als wir in Kapua an¬ kamen, war der Gouverneur nach Kaserta gefahren, und wollte durchaus, ich sollte seine Rückkehr erwar¬ ten, damit er meinen Paſs ratifizieren möchte. End¬ lich bestürmte ich den Capitaine de jour so viel, daſs er mir den Paſs ohne Vidierung zurück gab, und dem Offizier von dem Thore Befehl schickte, er solle mich gehen lassen; er selbst wolle die Ausnahme ver¬ antworten.
Nun wollte ich über Altkapua nach Kaserta ge¬ hen; dazu war mein Kalabrese durchaus nicht zu brin¬ gen: er meinte, das wäre der sichere Tod; da wim¬ melte es von Mariohlen. Ich gab dem Schuft einige Karlin; lieſs ihn rechts nach Aversa forttrollen, um183 dort am rechten Orte seine attellanischen Fabeln zu erzählen, und schlug mich links nach Altkapua. Ei¬ nige ehrsame Bürger aus der Festung Neukapua, die ich einholte und denen ich die lächerliche Furcht des Menschen erzählte, meinten, es sey zwar etwas Ge¬ fahr, werde aber immer übertrieben, und man habe nun doch schon seit einigen Wochen nichts gehört. Die Herren schienen sich patriotisch ihrer vaterländi¬ schen Gegend anzunehmen. Wo ehmahls Kapua war, steht jetzt, glaube ich, der Flecken Sankt Martin, un¬ gefähr eine Stunde von der neuen Stadt, die unten am Vulturnus in einer bessern militärischen Position angelegt ist. Sankt Martin ist noch jetzt eine Lust¬ parthie für die Bürger der neuen Stadt, so sehr be¬ hauptet der alte Platz seinen Kredit. Es steht bekannt¬ lich noch der Rest eines alten Amphitheaters, das aus den Zeiten der Römer und also verhältniſsmäſsig neu ist, welches die Antiquare hinlänglich kennen, auf die ich Dich verweise. Ich ging durch die Trümmern eines Thors, das vermuthlich das nehmliche ist, durch welches Hannibal seinen Ruhm hinein und nicht wie¬ der heraus trug, lieſs nach kurzer Beschauung das Thea¬ ter links liegen und pilgerte den Weg nach Kaserta fort. Es stehen dort an der Straſse links und rechts nicht weit von einander ein Paar Monumente, die vermuthlich römische Begräbnisse sind, und von de¬ nen eines wenigstens in sehr gutem Stil gearbeitet zu seyn scheint.
Es wäre überflüssig, Dir eine Beschreibung des Schlosses in Kaserta anzufangen, die Du hier und da gewiſs weit genauer und besser finden kannst. Der184 erste Anblick ist groſs und wirklich imponierend. Der Garten links, die schönen Pflanzungen rechts, der prächtige Schloſsplatz und die Gebände rund umher, alles beschäftigt. Vorzüglich wird das Auge gefesselt von der Ansicht durch das groſse Thor, welche durch das ganze Schloſs und die Gärten bis weit hinaus auf die Berge geht, über welche man die berühmte Was¬ serleitung herüber gebracht hat. Diese schöne reiche Kunstkaskade schlieſst den Grund der Parthie. Man wird selten irgendwo so etwas magisches finden. Du weiſst, daſs auch hier die Franken etwas willkührlich gehaust haben: jetzt ist der Kronprinz und seine Sar¬ dinische Majestät hier.
Auf der Post empfing man mich, ob ich gleich ein Fuſsgänger war, mit vieler Artigkeit, und ich hatte bald einen Trupp Neugieriger um mich her, die mich von Adam bis Pontius Pilatus ausfragten; und alle wunderten sich, daſs ich den Räubern noch nicht in die Hände gefallen wäre. Humane Theil¬ nahme und Billigkeit zeichnete das Haus vor vielen andern aus. Ich hatte nur noch einige Stunden Zeit die Stadt zu besehen; dieſs war aber zur Auffassung eines richtigen Totaleindrucks genug. Den andern Morgen, als ich abgehen wollte, arretierte mich wie¬ der ein Vetturino an der Ecke des Marktes: Volete andare in carozza, Signore? — Ma si, si, sagte ich, se partite presto presto. — Questo momento; fauo¬ rissa montare. Ich stieg ein und setzte mich neben einen stattlichen dicken Herrn; sogleich kamen noch zwey andere und wir rollten zum Thore hinaus.
Dieses ist also das schöne, reiche, selige Kampa¬185 nien, das man seit dem es bekannt ist zum Paradiese erhoben hat, für das die römischen Soldaten ihr Ka¬ pitol vergessen wollten. Es ist wahr, der Strich zwi¬ schen Aversa, Kapua, Kaserta, Nola und Neapel, zwischen dem Vesuv, dem Gaurus und den hohen Apenninen, oder das sogenannte Kampanerthal, ist von allem was ich in der alten und neuen Welt bis jetzt noch gesehen habe der schönste Platz, wo die Natur alle ihre Gaben bis zur höchsten Verschwendung ausgegossen hat. Jeder Fuſstritt trieft von Segen. Du pflanzest einen Baum, und er wächst in kurzer Zeit[schwelgerisch] breit und hoch empor; Du hängst einen Weinstock daran und er wird stark wie ein Stamm, und seine Reben laufen weitausgreifend durch die Krone der Ulme; der Oehlbaum steht mit bescheide¬ ner Schönheit an dem Abhange der schützenden Berge; die Feige schwillt üppig unter dem groſsen Blatte am gesegneten Aste; gegen über glüht im sonnigen Thale die Orange, und unter dem Obstwalde wallt der Wei¬ tzen, nickt die Bohne, in reicher lieblicher Mischung. Der Arbeiter erntet dreyfach auf dem nehmlichen Bo¬ den in Fülle, Obst und Wein und Weitzen; und alles ist üppige ewig jugendliche Kraft. Unter diesen magi¬ schen Abwechselungen kamen wir in einigen Stunden in Parthenope an. Der stattliche dicke Herr, mein Nachbar, schien die Deutschen etwas in Affektion ge¬ nommen zu haben, war ehemahls einige Monathe in Wien und Prag gewesen, wuſste einige Dutzend Wör¬ ter von unserer Sprache, und war die Gefälligkeit selbst. Er war aus dem königlichen Hause, und mich wunderte seine Artigkeit etwas, da sonst Höflichkeit in186 der Regel bey uns nicht mit zu den ausgezeichneten Tugenden der Hausofficianten der Groſsen gehört. In Neapel brachte er mich in einem eigenen Wagen in das Haus eines seiner Bekannten an dem Thore von Toledo, bis ich den Herrn Heigelin aufgesucht hatte, an den meine Empfehlung von Wien lautete. Es ist wirklich sehr wohlthätig, wenn man, bey dem ersten Eintritt in so einen Ort wie Neapel ist, als Wildfrem¬ der eine so freundliche Hand zur Leitung findet, bis man sich selbst etwas orientieren kann.
Du muſst und wirst von mir nicht erwarten, daſs ich Dir eine topische, statistische, literarische oder vollständig kosmische Beschreibung von den Städten gebe, wo ich mich einige Zeit aufhalte. Dazu ist mein Aufenthalt zu kurz; die kannst Du von Reisen¬ den von Profession oder aus den Fächern besonderer Wissenschaften gewiſs besser bekommen. Ich erzähle Dir nur freundschaftlich, was ich sehe, was mich vielleicht beschäftigt und wie es mir geht. Meine Wohnung ist hier auf Mont Oliveto. Wie der Ort zu dem Namen des Oehlberges kommt weiſs ich nicht; er ist aber einer der besten Straſsen der Stadt, nicht weit von Toledo, mit welchem er sich oben vereini¬ get. Die Besitzerin des Hauses ist eine Französin, die sich seit einigen Jahren der hiesigen Revolution wegen zu ihrer Sicherheit in Marseille aufhält. Ich habe Ursache zufrieden zu seyn; es ist gut und billig. Die187 Gesellschaft besteht meistens aus Fremden, Englän¬ dern, Deutschen und Franzosen; die letzten machen jetzt hier die gröſste Anzahl aus.
Seit einigen Tagen bin ich mit einem alten Ge¬ nuesen, der halb Europa kennt und hier den Lohnbe¬ dienten und ein Stück von Cicerone macht, in der Stadt herum gelaufen. Der alte Kerl hat ziemlich viel Sinn und richtigen Takt für das Gute und sogar für das Schöne. Er hielt mir einen langen Sermon über die Landhäuser der Kaufleute rund in der Ge¬ gend umher, und bemerkte mit censorischer Strenge, daſs sie das Verderben vieler Familien würden. Man weiteifere gewöhnlich, wer das schönste Landhaus und die schönste Equipage habe, wer auf seinem Ca¬ sino die ausgesuchtesten Vergnügen genieſse und ge¬ nieſsen lasse, und weiteifere sich oft zur Vergessenheit, und endlich ins Unglück. Sitten und Ehre und Ver¬ mögen werden vergeudet. Kaum habe der Kaufmann ein kleines Etablissement in der Stadt, so denke er schon auf eines auf dem Lande; und das zweyte koste oft mehr als das erste. Spiel und Weibergalanterie und das verfluchte oft abwechselnde Cicisbeat seyen die stärksten Gegenstände des Aufwands; und doch sey das Cicisbeat hier noch nicht so herrschend als in Rom. Ich sah die Kirche des heiligen Januar in der Stadt; Neapel sollte, däucht mich, eine bessere Kathedrale haben. Das vorzüglichste darin sind einige merkwür¬ dige Grabsteine und die Kapelle des Heiligen. Dieses ist aber nicht der Ort, wo er gewöhnlich schwitzen muſs; das geschieht vor der Stadt in dem Hospital bey den Katakomben. In den Katakomben kroch ich über188 eine Stunde herum, und beschaute das unterirdische Wesen, und hörte die Gelehrsamkeit des Cicerone, der, wie ich vermuthe, Glöckner des Hospitals war. Über den Grüften ist ein Theil des Gartens von Capo di monte. Der Führer erzählte mir eine Menge Wun¬ der, die die Heiligen Januarius und Severus hier ganz gewiſs gethan haben, und ich war unterdessen mit meinen Konjekturen bey der Entstehung dieser Grüfte. Hier und da lagen in den Einschnitten der Zellen noch Skelette, und zuweilen ganze groſse Haufen von Knochen, wie man sagte, von der Zeit der groſsen Pest. Die römischen Katakomben habe ich nicht ge¬ sehen, weder nahe an der Stadt noch in Rignano, weil mich verständige Männer und Kenner versicher¬ ten, daſs man dort sehr wenig zu sehen habe und es nun ganz ausgemacht sey, daſs das Ganze weiter nichts als Puzzolangruben gewesen, die nach und nach zu dieser Tiefe und zu diesem Umfang gewachsen. Das ist begreiflich und das wahrscheinlichste.
Die heilige Klara hat das reichste Nonnenkloster in der Stadt und eine wirklich sehr prächtige Kirche, wo auch die Kinder des königlichen Hauses begraben werden. Die Nonnen sind alle aus den vornehmsten Familien, und man hat ihre Thorheit und ihr Elend so glänzend als möglich zu machen gesucht. Mein al¬ ter Genuese, der ein groſser Hermenevte in der Kir¬ chengeschichte ist, erzählte mir bey dieser Gelegen¬ heit ein Stückchen, das seinen Exegetentalenten keine Schande macht, und dessen Würdigung ich den Ken¬ nern überlasse. Die heilige Klara war eine Zeitgenos¬ sin des heiligen Franciskus und des heiligen Domini¬189 kus; und man giebt ihr Schuld, sie habe beyde insbe¬ sondere glauben lassen, sie sey jedem ausschlieſslich mit sehr feuriger christlicher Liebe zugethan. Dieses thut ihr in ihrer Heiligkeit weiter keinen Schaden. Je¬ der der beyden Heiligen glaubte es für sich und war selig, wie das zuweilen auch ohne Heiligkeit zu gehen pflegt. Dominikus war ein groſser starker energischer Kerl, ungefähr wie der Moſes des Michel Angelo in Rom, und sein Nebenbuhler Franciskus mehr ein äthe¬ rischer sentimentaler Stutzer, der auch seine Talente zu gebrauchen wuſste. Nun sollen auch die heiligen Damen zu verschiedenen Zeiten verschiedene Qualitä¬ ten lieben. Der handfeste Dominikus traf einmal den brünstigen Franciskus mit der heiligen Klara in einer geistlichen Ekstase, die seiner Eifersucht etwas zu kör¬ perlich vorkam; er ergriff in der Wuth die nächste Waffe, welches ein Bratspieſs war, und stieſs damit so grimmig auf den unbefugten Himmelsführer los, daſs er den armen schwachen Franz fast vor der Zeit da¬ hin geschickt hätte. Indeſs der Patient kam davon, und aus dieser schönen Züchtigung entstanden die Stigmen, die noch jetzt in der christlichen Katholicität mit allgemeiner Andacht verehrt werden. Ich habe, wie ich Dir erzählte, ihm in Rom gegen über gewohnt, und sie dort hinlänglich in Marmor dokumentirt ge¬ sehen. Mein Genuese sagte mir die heilige Anekdote nur vertraulich ins Ohr, und wollte übrigens als ein guter Orthodox weiter keine Glosse darüber machen, als daſs ihm halb unwillkührlich entfuhr: Quelles be¬ tises on nous donne à digerer! Chacun les prend à sa façon.
190Heute besuchte ich auch Virgils Grab. Die um¬ ständliche Beschreibung mag Dir ein Anderer machen. Es ist ein romantisches, idyllisches Plätzchen; und ich bin geneigt zu glauben, der Dichter sey hier begraben gewesen, die Urne mag nun hingekommen seyn, wo¬ hin sie wolle. Das Gebäudchen ist wohl nichts an¬ ders als ein Grab, nicht weit von dem Eingange der Grotte Posilippo, und eine der schönsten Stellen in der schönen Gegend. Ich weiſs nicht, warum man sich nun mit allem Fleiſs bemüht, den Mann auf die andere Seite der Stadt zu begraben, wo er nicht halb so schön liegt, wenn auch der Vesuv nicht sein Nach¬ bar wäre. Ich bin nicht Antiquar; aber die ganze Be¬ hauptung, daſs er dort drüben liege, beruht doch wohl nur auf der Nachricht, er sey am Berge Vesuv begra¬ ben worden. Das ist er aber auch, wenn er hier liegt; denn der Berg ist gerade gegen über: in eini¬ gen Stunden war er dort, wenn er zu Lande ging, und setzte er sich in ein Boot, so ging es noch schnel¬ ler. Die Entfernung eines solchen Nachbars, wie Ve¬ suv ist, wird nicht eben so genau genommen. Alle übrige Umstände sind mehr für diese Seite der Stadt. Hier ist die reichste, schönste Gegend, hier waren die vorzüglichsten Niederlagen der römischen Groſsen, vor¬ nehmlich auf der Spitze des Posilippo die Gärten des Pollio, der ein Freund war des römischen Avtokra¬ tors und ein Freund des Dichters; nach dieser Gegend lagen Puteoli und Bajä und Cumä, der Avernus und Misene, die Lieblingsgegenstände seiner Dichtungen; diese Gegend war überhaupt der Spielraum seiner lieb¬ sten Phantasie. Wahrscheinlich hat er hier gewohnt,191 und wahrscheinlich ist er hier begraben. Danat, der es, wenn ich nicht irre, zuerst erzählt, konnte wohl noch sichere Nachrichten haben, konnte davon Augen¬ zeuge gewesen seyn, daſs das Monument noch ganz und wohl erhalten war; hatte durchaus keine Ursache, diesem Fleckchen irgend einem Vorzug vor den übri¬ gen zu geben, und dieses ist der Ort seiner Angabe; zwey Steine von der Stadt, an dem Wege nach Pu¬ teoli, nicht weit von dem Eingange in die Grotte. Ich will nun auch einmal glauben; man hat für man¬ chen Glauben weit schlechtere Gründe: und also glau¬ be ich, daſs dieses Maros Grab sey. Den Lorber suchst Du nun umsonst; die gottlosen Afterverehrer haben ihn so lange bezupft, daſs kein Blättchen mehr davon zu sehen ist. Ich nahm mir die Mühe hinauf zu steigen und fand nichts als einige wild verschlun¬ gene Kräuter. Der Gärtner beklagte sich, daſs die gott¬ losen vandalischen Franzosen ihm den allerletzten Zweig des heiligen Lorbers geraubt haben. Dichter müssen es nicht gewesen seyn: denn davon wäre doch wohl etwas in die Welt erschollen, daſs der Lor¬ ber von dem Lateiner neuerdings auf einen Gallier übergegangen sey. Vielleicht schlägt er dort am Grabe des Mantuaners wieder aus. Man sollte we¬ nigstens zur Fortsetzung der schönen Fabel das seini¬ ge beytragen; ich gab dem Gärtner gerade zu den Rath.
Als ich hier und bey Sanazars Grabe nicht weit davon in der Servitenkirche war, verfolgte mich ein trauriger Cicerone so fürchterlich mit seiner Dienſtfer¬ tigkeit mir die Antiquitäten erklären zu wollen, daſs192 er durchaus nicht eher von meiner Seite ging, bis ich ihm einige kleine Silberstücke gab, die er sehr höflich und dankbar annahm. Ich habe mich nicht enthalten können bey dieser Gelegenheit wahres Mitleid mit dem groſsen Cicero zu haben, daſs sein Name hier ſo er¬ bärmlich herumgetragen wird. Die Ciceronen sind die Plagen der Reisenden, und immer ist einer un¬ wissender und abenteuerlicher als der andere. Den vernünftigsten habe ich noch in Tivoli getroffen, der mir auf der Eselspromenade zum wenigsten ein Duz¬ zend von Horazens Oden rezitirte und nach seiner Weise kommentirte.
Ich versuchte es an dem Fuſse des Posilippo an dem Strande hinaus bis an die Spitze zu wandeln; es war aber nicht möglich weiter als ungefähr eine Stun¬ de zu kommen: dann hörte jede Bahn auf, und das Ufer bestand hier und da aus schroffen Felsen. Hier stehen in einer Entfernung von ungefähr einer Vier¬ telstunde zwey alte Gebäude, die man für Schlösser der Königin Johanna hält, wo sie zuweilen auch ihr be¬ rüchtigtes Unwesen getrieben haben soll. Sie sind ziemlich zu so etwas geeignet, gehen weit ins Meer hinein, und es lieſse sich sehr gut zeigen, wozu dieses und jenes gedient haben könnte. Zwischen diesen bey¬ den alten leeren Gebäuden liegt das niedliche Caſino des Ritters Hamilton, wo er beständig den Veſuv vor Augen hatte; und man thut ihm vielleicht nicht ganz Unrecht, wenn man aus dem Ort seiner Vergnügun¬ gen auf etwas Aehnlichkeit mit dem Geschmack der schönen Königin schlieſst, die von der bösen Geschichte doch wohl etwas schlimmer gemacht worden ist als193 sie war. Ich war genöthigt wieder zurück zu gehen, und nicht weit von der Villa reale nahmen mich eine Menge Bootsleute in Beschlag, die mich an die Spitze hinaus rudern wollten. Es schien mir zu spät zu seyn, deſswegen wollte ich nichts hören. Aber man griff mich auf der schwachen Seite an; man blickte auf die See, welche sehr hoch ging, an den Himmel, wo Sturm hing, und auf mich mit einer Miene, als ob man sa¬ gen wollte, das wird dich abhalten. Dieser Methode war nicht zu widerstehen, ich bezahlte die Gefahr so¬ gleich mit einem Piaster mehr, und setzte mich mit meinen alten Genuesen in ein Boot, das ich erst selbst herunter ziehen half. Der Genuese hatte auch mehrere Seereisen gemacht, und hatte Muth wie ein Delphin. Aber die Fahrt ward ihm doch etwas bedenklich; der Sturm heulte von Surrent und Kapri gewaltig herüber und die Wogen machten rechts eine furchtbare Bran¬ dung; das Wasser füllte reichlich das Boot, und der Genuese hatte in einem Stündchen die Seekrankheit bis zu der letzten Wirkung. Ich wollte um das Inselchen Nisida herum gerudert seyn; das war aber nicht mög¬ lich: wir muſsten, als wir einige hundert Schritte vor dem Einsiedler vorbey waren, umkehren und unsere Zuflucht in ein einsames Haus nehmen, wohin man in der schönen Zeit von der Stadt aus zuweilen Was¬ serparthien macht, wo es aber jetzt traurig genug aus¬ sah. Indessen fütterte uns doch der Wirth mit Mak¬ karoni und gutem Käſe. Nicht weit von hier, nahe an dem Inselchen Nisida, auf welchem auch Brutus sich einige Zeit aufgehalten hat, sind die Trümmern eines alten Gebäudes, die aus dem Wasser hervorragen13194und die man gewöhnlich nur Virgils Schule nennt. Wenn man nun gleich den Ort wohl sehr uneigent¬ lich Virgils Schule nennt, so ist es doch sehr wahr -, scheinlich, daſs er hier oft gearbeitet haben mag. Es ist eine der angenehmsten klassischen mythologischen Stellen, welche die Einbildungskraft sich nur schaffen kann. Vermuthlich gehört der Platz zu den Gärten des Pollio. Er hatte hier um sich her einen groſsen Theil von dem Theater seiner Aeneide, alle Oerter die an den Meerbusen von Neapel und Bajä liegen, von den phlegräischen Feldern bis nach Surrent.
Nicht weit von der Landspitze und von dem Wirthshause, wo ich einkehrte, stand ehemals ein al¬ ter Tempel der Fortuna, von dem noch einige Säulen und etwas Gemäuer zu sehen sind. Jetzt hat man an dem Orte ein christliches Kirchlein gebauet und es der Madonna della fortuna geweiht. Man hat bekanntlich manches aus dem Heidenthum in den christlichen Ri¬ tus übergetragen, die Saturnalien, das Weihwasser und vieles andere; aber besser hätte man nicht umändern können: denn es ist wohl auf der ganzen Erde, in der wahren Geschichte und in der Fabellehre kein anderes Weib, das ein solches Glück gemacht hätte, als diese Madonna. Ein wenig weiter landeinwärts sind in den Gärten noch die gemauerten Tiefen, die man mit Wahrscheinlichkeit für die Fischhälter des Pollio an¬ nimmt, und in dieser Meinung eine groſse marmorne Tafel an der Thür angebracht hat, auf welcher latei¬ niſch alle Gräuel abscheulich genug beschrieben sind, die der Heide hier getrieben hat; wo denn natürlich die Milde unserer Religion und unserer Regierungen195 ächt kardinalisch gepriesen wird. Ich weiſs nicht, ob man nicht vielleicht mit dem brittischen Klagemann sagen sollte: A bitter change, feverer for fevere! Es ist jetzt kaum ein Sklave übrig, den Pollio in den Teich werfen könnte.
Mein Genuese bat mich um alles in der Welt, ihn nicht wieder ins Boot zu bringen. Auch ich war sehr zufrieden, einen andern Weg nach der Stadt zu¬ rück zu kehren. Ich zahlte also die Bootsleute ab, und wir gingen auf dem Rücken des Posilippo nach Nea¬ pel. Diese Promenade muſst du durchaus machen, wenn du einmal hierher kommst; sie ist eine der schönsten, die man in der herrlichen Gegend suchen kann. Lange Zeit hat man die beyden Meerbusen von Neapel und Bajä rechts und links im Gesicht, genieſst sodann die schöne Uebersicht auf die Parthie jenseit des Berges nach Puzzuoli, welche die Neapolitaner mit ihrer verkehrten Zunge nur Kianura oder die Ebene nennen. Man kommt nach ungefähr vier Mil¬ lien des herrlichsten Weges in der Gegend von Vir¬ gils Grabe wieder herunter auf die Straſse. Der Spa¬ ziergang ist freylich etwas wild, aber desto schöner.
Man ſagte mir, die Regierung habe wollen eine Straſse rund um den Posilippo herum auf der andern Seite nach Puzzuoli führen, so daſs man nicht nöthig hätte, durch die Grotte und die etwas ungesunde Ge¬ gend jenseits derselben zu fahren, sondern immer am Meere bliebe. Das würde in der That einer der herr¬ lichsten Wege werden; ungefähr eine halbe Stunde ist gemacht: aber wenn doch die neapolitanische Regie¬ rung vorher das Nöthige, Gerechtigkeit, Ordnung und196 Polizey besorgte; das andere würde sich nach und nach schon machen.
Bekanntlich wird das Fort Sankt Elmo mit der darunter liegenden Karthause für die schönste Parthie gehalten; und sie ist es auch für alle, die sich nicht weiter auf den Vesuv oder zu den Kamaldulensern be¬ mühen wollen. Es ist ein ziemlicher Spaziergang; auf die Karthause, den unser schlesische Landsmann, Herr Benkowitz, schon für eine groſse Unternehmung hält, auf welche er sich den Tag vorher vorbereitet. Ich Tornisterträger steckte die Tasche voll Orangen und Kastanien und wandelte damit zum Morgenbrote sehr leicht hinauf. In das Fort zu kommen hat jetzt bey den Zeitumständen einige Schwierigkeit, und man muſs vorher dazu die Erlaubniſs haben. Man sieht in der Karthause fast eben so viel, nur hat man nicht das Vergnügen zehen oder zwanzig Klaftern höher zu stehen. Die Karthause hat der König ausgeräumt und sich die meisten Schätze zugeeignet. Es ist jetzt nur noch ein einziger Mönch da, der den Ort in Aufsicht hat. In der Kirche sind noch mehrere schöne Ge¬ mälde, besonders von Lanfranc und ein noch nicht ganz vollendetes Altarblatt von Guido Reni; auch der Konventsaal hat noch Stücke von guten Meistern.
Um die schönste Aussicht zu haben muſst Du zu den Kamaldulensern steigen. Die Herren sind in der Revolution etwas decimiert worden, haben aber den Verlust nicht schwer empfunden. Man geht durch die Vorstadt Fraskati und einige Dörfer immer bergauf und verliert sich in etwas wilde Gegenden. Weil man nicht hinauf fahren kann, wird die Parthie nicht von197 sehr vielen gemacht. Wir verirrten uns, mein Ge¬ nuese und ich, in den Feigengärten und Kastanien¬ wäldern, und ich muſste dem alten Kerl noch mit meiner Topographie im Orientieren helfen. Das är¬ gerte mich gar nicht; denn wir trafen in der wilden Gegend einige recht hübsche Parthien nach allen Sei¬ ten. Es gab Stellen, wo man bis nach Kajeta hinü¬ ber sehen konnte. Da wir uns verspätet hatten, muſs¬ ten wir in einem Dorfe am Abhange des Berges zum Frühstück einkehren und einen zweyten Bothen mit nehmen. Dieser brachte uns auf einem der schönsten Wege an dem Berge über dem Agnano hin in das Kloster. Es ist dort nichts zu genieſsen als die Aus¬ sicht; die Kirche hat nichts merkwürdiges. Ein Layen¬ bruder führte mich mit vieler Höflichkeit durch alle ihre Herrlichkeiten, und endlich an eine ausspringende Felsenspitze des Gartens unter einige perennierende Ei¬ chen, die vielleicht der schönste Punkt in ganz Italien ist. Von Neapel sieht man zwar nicht viel, weil es fast ganz hinter dem Posilippo liegt; nur der hohe Theil von Elmo, Belvedere und einige andere Stück¬ chen sind sichtbar. Aber rund umher liegt das ganze schöne magische klassische Land unter Einem Blick. Portici, das auf der Lava der Stadt des Herkules steht, der sich empor thürmende Vesuv mit dem Somma, Torre del Greco, Pompeji, Stabiä, Surrent, Massa, Kapri, der ganze Posilippo, Nisida, Ischia, Procida, der ganze Meerbusen von Bajä mit den Trümmern der Gegend, Misene, die Thermen des Nero, der Lukriner See und hinter ihm versteckt der Avernus, die Solfa¬ tara, bey heiterm Wetter die Berge von Kumä, der198 Gaurus und weiter hin die beschneyten Apenninen; unten der Agnano mit der Hundsgrotte, deren Ein¬ gang nur ein hervorspringender Hügel bedeckt; der neue Berg hinter der Solfatara; alte und neue Berge, ausgebrannte und brennende Vulcane, alte und neue Städte, Elysium und die Hölle: — alles dieses fassest Du mit Deinem Auge, ehe Du hier eine Zeile liesest. Tief tief in der Ferne sieht man noch Ponza und ei¬ nige kleinere Inseln. Da haben die Mönche wieder das beste gewählt. Freund, wenn Du einmal hörst, daſs ich unbegreiflich verschwunden bin, so bringe mit unter Deine Muthmaſsungen, daſs ich vielleicht der schönsten Natur die gröſste Sottise zum Opfer ge¬ bracht habe und hier unter den Anachoreten hause. Hier den Homer und Virgil, den Thucydides und et¬ was von der attischen Biene, abwechselnd mit Aristo¬ phanes, Lucian und Juvenal; so könnte man wohl in den Kastanienwäldern leben und das Biſschen Vernunft bey sich behalten: denn diese wird jetzt doch überall wieder konterband. Also gehe zu den Kamaldulensern, wenn Du auch nicht in Versuchung bist, bey ihnen oben zu bleiben.
Jetzt schlieſse ich und schreibe Dir vermuthlich noch einiges über Neapel, wenn ich aus Trinakrion zurückkomme; denn eben muſs ich zu Schiffe nach Palermo.
Wir hatten einige Tage auf leidlichen Wind zum Auslaufen gewartet: endlich kam eine starke Tramon¬ tane und führte uns aus den Zauberplatze heraus. Es war gegen Abend, die sinkende Sonne vergoldete rund umher die Gipfel der schönen Berge, der Somma glänzte, der Vesuv wirbelte Rauchwölkchen, und die herrliche Königsstadt lag in einem groſsen groſsen Am¬ phitheater hinter uns in den magischen Strahlen. Rechts war Ischia und links Kapri; die Nacht senkte sich nach und nach und verschleyerte die ferneren Ge¬ genstände in tiefere Schatten. Ich konnte in dem Abendschimmer nur noch deutlich genug die kleine Stadt auf Kapri unterscheiden. Die gemeinen Neapo¬ litaner und Sicilianer nennen mit einer ihnen sehr ge¬ wöhnlichen Metathesis die Insel nur Krap. Sie ist ziemlich kahl. Ich hätte von Neapel aus gern eine Wasserfahrt dahin gemacht, um einige Stunden auf dem Theater herum zu wandeln, von welchem zur Schande des Menschenverstandes ein sybaritischer Wüst¬ ling einige Jahre das Menschengeschlecht miſshandelte; aber ich konnte keine gute Gesellschaft finden, und für mich allein wären nach meinen übrigen Ausgaben die Kosten zu ansehnlich gewesen. Ueberdieſs war es fast immer schlechtes Wetter. Zur Ueberfahrt hieher hatte ich mich auf ein Kauffartheyschiff verdungen, weil ich auf das Paketboot nicht warten wollte. Der Wind ging stark und die See hoch, aber ich schlief gut: man erkannte gleich daraus und aus meinem fe¬ sten Schritt auf dem Verdeck, daſs ich schon ein alter Seemann seyn müsse. Da es Fasten war und die200 Leute lauter Oel aſsen, wollte sich der Kapitän mit dem Essen für mich nicht befassen; ich hatte also auf acht Tage Wein, Orangen, Brot, Wurst und Schinken für mich auf das Schiff bringen lassen. Den ganzen Tag ging der Wind ziemlich stark und gut; aber ge¬ gen Abend legte er sich und die See ward hohl. Doch hatten wir uns gegen Morgen, also in allem sechs und dreyſsig Stunden, in den Hafen von Palermo hinein geleyert. Das war eine ziemlich gute Fahrt. Auf der Höhe hatten wir immer die Kanonen scharf geladen und ungefähr vierzig groſse Musketons fertig, um gegen die Korsaren zu schlagen, wenn einer kom¬ men sollte. Denn Du muſst wissen, der Unfug ist jetzt so groſs, und die neapolitanische Marine ist jetzt so schlecht, daſs sie zuweilen bis vor Kapri und sogar bis vor die Stadt kommen, um zu sehen, ob sie etwa Geschäfte machen können; wie sich die Spielkaper in den deutschen Bädern ausdrücken. Daſs ist nun frey¬ lich eine Schande für die Regierung; aber die Regie¬ rung hat dergleichen Schandflecke mehr.
Wir kamen hier ich weiſs nicht zu welchem Fe¬ ste an, wo in der Stadt so viel geschossen wurde, daſs ich die Garnison wenigstens für zehen tausend Mann stark hielt. Aber ich habe nachher die Methode des Feuerns gesehen. Sie gehört zur Frömmigkeit und ist drollig genug. Man hat eine ungeheure Menge klei¬ ner Mörser, die man in der Reihe nach einander ge¬ laden hinstellt; absatzweise stehen etwas gröſsere, die wie Artillerie donnern. Sie sind alle so gestellt, daſs, wenn am Flügel angezündet wird, das Feuer regelmäs¬ sig schnell die ganze Front hinunter greift und am201 Ende mit einigen groſsen Stücken schlieſst. Von wei¬ tem klingt es wie etwas groſses; und am Ende besorgt es ein einziger alter lahmer Konstabel. Unser Haupt¬ mann von der Aurora lieſs sich mit seiner Artillerie stark hören.
Ich wurde auf der Sanität, wohin ohne Unter¬ schied alle Ankommende müssen, mit vieler Artig¬ keit behandelt, und man lieſs mich sogleich gehen, wohin ich wollte, da die andern, meistens Neapolita¬ ner, noch warten muſsten. Mein erster Gang, nach¬ dem ich mich in einem ziemlich guten Wirthshause untergebracht hatte, war zu dem königlichen Biblio¬ thekar, dem Pater Sterzinger, an den ich von dem Sekretär der Königin aus Wien Briefe hatte. Der Güte dieses wirklich sehr ehrwürdigen Mannes danke ich meine schönsten Tage durch ganz Sicilien. Er gab mir durch die ganze Insel Empfehlungen an Männer von Wissenschaft und Humanität, in Agrigent, Syra¬ kus, Katanien und Messina. Der Saal der Bibliothek ist unter seiner Leitung in herrliche Ordnung gebracht, und mit alten sicilianischen Alterthümern sehr ge¬ schmackvoll ausgemalt worden, so daſs man hier mit einem Blick alles vorzügliche übersehen kann. Es fin¬ den sich in der hiesigen Bibliothek viele Ausgaben von Werth, und mir ist sie im Fache der Klassiker reicher vorgekommen als Sankt Markus in Venedig. Eine Sel¬ tenheit ist der chinesische Konfuzius mit der lateini¬ schen Interlinearversion, von den Jesuiten, deren Mis¬ sionsgeschäft in China damals glückliche Aussichten hatte. Hier habe ich weiter noch nichts gethan als Orangen gegessen, das Theater der heiligen Cecilia ge¬202 sehen, bin in der Flora und am Hafen herum gewan¬ delt und auf dem alten Erkte oder dem Monte Pelle¬ grino gewesen.
Von hier aus, sagt man mir, ist es durchaus nicht möglich, ohne Führer und Maulesel durch die Insel zu reisen. Selbst die Herren Bouge und Caillot, an die ich von Wien aus wegen meiner fünf Dreyer hier ge¬ wiesen bin, sagen, es werde sich nicht thun lassen. Ich habe nicht Lust mich jetzt hier länger aufzuhalten, lasse jetzt eben meine Stiefeln besohlen und will mor¬ gen früh in die Insel hineinstechen. Da ich barfuſs nicht wohl ausgehen kann und doch etwas anders zu schreiben eben nicht aufgelegt bin, habe ich mich hin¬ gesetzt und in Sicilien einen Sicilier, nehmlich den Theokritus, gelesen. Der Cyklops kam mir eben hier so drollig vor, daſs ich die Feder ergriff und ihn un¬ vermerkt deutsch niederschrieb. Ich will Dir die Ue¬ bersetzung ohne Entschuldigung und Präambeln geben und werde es sehr zufrieden seyn, wenn Du sie bes¬ ser machst; denn ich habe hier weder Apparat noch Geduld und wäre mit ganzen Stiefelsohlen wohl schwer¬ lich daran gekommen. Also wie folget:
Ist es nicht Schade, daſs wir das zärtliche Liebes¬ briefchen des Polyphemus an seine geliebte Galatee von dem Tyrannen Dionysius nicht mehr haben? Es wur¬ de, glaube ich, durch einen Triton bestellt. Die sici¬ lischen Felsen machen alle eine ganz eigene idyllische Erscheinung; und wenn ich mir so einen verliebten207 Cyklopen Homers oder Virgils in schmelzenden Kla¬ gen darauf sitzend vorstelle, so ist die Idee gewaltig possierlich. Das giebt übrigens auch, ohne eben meine persönlichen Verdienste mit den Realitäten des Poly¬ phemus zu vergleichen, eigene nunmehr nicht unan¬ genehme Reminiscenzen meiner übergroſsen Seligkeit, wenn ich ehmals meine theuer gekaufte Spätrose der kleinen Schwester meiner Galatee geben konnte, und wenn ich drey hyperboreische Meilen auf furchtbarem Wege in furchtbarem Wetter meinen letzten Gulden in das Schauspiel trug, um aus dem dunkelsten Win¬ kel der Loge nicht das Schauspiel sondern die Göttin zu sehen. Ich hatte mit meinen Cyklopen gleiches Schicksal und brauchte mit ziemlichem Erfolg das nehm¬ liche Mittel.
Eben hatte ich die letzten Verse geschrieben, als man mir meine Stiefeln brachte; und diesen Umstan¬ de verdankst Du, daſs ich Dir nicht auch noch seine Hexe oder sein Erntefest bringe.
Siehst Du, soweit bin ich nun, und bald am Ende meines Spaziergangs, der bey dem allen nicht jeder¬ manns Sache seyn mag. Von hier nach Syrakus habe ich nichts zu thun, als an der südlichen Küste hinzu¬ streichen; das kann in einigen Tagen geschehen. Wenn ich non ein ächter Gelehrter oder gar Antiquar wäre, so würde ich mich ärgern; denn ich habe viel208 versehen. Ich wollte nehmlich von Palermo über Tra¬ pani, Alcamo und Sciakka gehen, um in Segeste und Selinunt die Alterthümer zu sehen, die noch dort sind. Auch Barthels hat sie nicht gesehen, wenn ich mich recht erinnere; und der Tempel von Segeste wäre doch wohl eine so kleine Abschweifung werth. Ich wohnte in Palermo mit einem neapolitanischen Offi¬ zier, einem Herrn Canella aus Girgenti, zusammen, mit dem ich ein langes und breites darüber sprach; und dieser hatte die Güte mir einen Mauleseltreiber aus seiner Vaterstadt als Wegweiser zu besorgen. Nun denke ich in meiner Sorglosigkeit weiter mit keiner Sylbe daran, und glaube der Kerl wird mich gerade an den Eryx bringen. Ich setze mich auf und reite in gröſster Andacht, in welcher ich meine Orangen nach und nach aufzehre, wohl zwey Stunden fort, als mir einfällt, daſs ich doch zu weit links von der See ab¬ komme. Der Eseltreiber versicherte mich aber sehr ehrlich, das sey der rechte gewöhnliche Weg nach Agri¬ gent. Ich bin wieder einige Millien zufrieden. End¬ lich kommen wir bei Bei Frati an, und ich finde mich zu sehr mitten in der Insel. Nun orientierte und er¬ klärte ich mich und da kam denn zum Vorschein, daſs sich der Eseltreiber dem Henker um meine Promena¬ de bekümmert hatte, und mit mir gerade den alten römischen Weg durch die Insel geritten war. Was war zu thun? Rechts einlenken? Da war eine ganze Welt voll Berge zu durchstechen, und niemand wollte den Weg wissen: und das Menschenkind verlangte nicht mehr als sechs goldene Unzen, um nach Paler¬ mo zurück und den andern Weg zu machen. Das209 war meiner Börse zu viel; ich entschloſs mich also mit etwas Griesgrämlichkeit nun so fort zu reiten, und die erycinische Göttin andern zu überlassen, die vielleicht auch ihren Werth besser zu würdigen ver¬ stehen. Wir ritten von Palermo bis fast an die Baga¬ rie den Weg nach Termini, und stachen dann erst rechts ab. Die Parthien sind angenehm und könnten noch angenehmer seyn, wenn die Leute etwas fleiſsi¬ ger wären. So wie man sich von der Hauptstadt ent¬ fernt, wird es ziemlich wild. Wir kamen durch einige ziemlich unbeträchtliche Oerter, und der Abfall der Kultur und des äuſserlichen Wohlstandes war ziemlich grell. Alles war weit theurer, als in der Hauptstadt, nur nicht die Apfelsinen, an denen ich mich erholte und von denen ich mein Magazin nicht leer werden lieſs. Nicht weit von Bei Frati blieb uns rechts auf der Anhöhe ein altes Schloſs liegen, das man Torre di Diana nannte, und wo die Saracenen mit den Chri¬ sten viel Grausamkeit getrieben haben sollen. Es war mir noch zu zeitig bey den schönen Brüdern zu blei¬ ben, zumal da das Wirthshaus gerade zu der Revers des Namens war; wir ritten also ungefähr fünf Millien weiter an ein anderes. Hier war auch nicht ein Stück¬ chen Brot, auch nicht einmal Makkaronen zu haben. Wir ritten also wieder weiter; mein Eseltreiber und noch ein armer Teufel, der sich angeschlossen hatte, fingen an sich vor Räubern zu fürchten, und ich war es auch wohl zufrieden, als wir ziemlich spät in Sankt Joseph nicht weit von einem Fluſse ankamen, dessen Namen ich vergessen habe.
Hier fanden wir eine ganze Menge Mauleseltreiber14210aus allen Theilen der Insel, und doch wenigstens Mak¬ karonen. Aus Vorsicht hatte ich für mich in Paler¬ mo Brot gekauft, das beste und schönste, das ich je gesehen und gegessen habe. Hier war es mir eine Wohlthat, und ich selbst konnte damit den Wohlthäter machen. Die Leutchen im Hause, unter denen ein Patient war, segneten die fremde Hülfe: denn das we¬ nige Brot, das sie selbst hatten, war sehr schlecht. Ist das nicht eine Blasphemie in Sicilien, das ehemals eine Brotkammer für die Stadt Rom war? Ich konnte mei¬ nen Unwillen kaum bergen.
Einen lustigen Streit gab es zum Dessert der Makkaronen. Die Eseltreiber hatten mir abgelauert, daſs ich wohl ihre Alterthümer mit besuchen wollte, wie sich denn dieses in Sicilien einem Fremden sehr leicht abmerken läſst. Da erhob sich ein Zwist unter den edelmüthigen Hippophorben über die Vorzüge ih¬ rer Vaterstädte in Rücksicht der Alterthümer. Der Eseltreiber von Agrigent rechnete seine Tempel und die Wunder und das Alter seiner Stadt; der Eseltreiber von Syrakus sein Theater, seine Steinbrüche und sein Ohr; der Eseltreiber von Alcamo sein Segeste und der Eseltreiber von Palermo hörte königlich zu und sagte — nichts. Ihr könnt euch auch groſs machen, sagte der Treiber von Katanien zu dem Treiber von Alcamo, mit eurem Margarethentempelchen, der nicht einmal euer ist, und fing an auch die Alterthümer seiner Va¬ terstadt, als der ältesten Universität der Erde, heraus zu streichen, wobey er den Alcibiades nicht vergaſs der in ihrem Theater geredet habe. Du muſst wissen, Margarethe heiſst bey den Siciliern durchaus ein gefäl¬211 liges feiles Mädchen: das war für die Mutter des from¬ men Mannes der Aeneide kein sonderlicher Weih¬ rauch. Ohne mein Erinnern siehst Du hieraus, daſ[s]die sicilischen Mauleseltreiber sehr starke Antiquare sind, ob sie die Sache gleich nicht immer auſseror dentlich genau nehmen: denn der Agrigentiner rech¬ nete den benachbarten Makaluba zu den Alterthümern seiner Vaterstadt, ohne daſs seine Gegner protestier¬ ten; und hätte der Streit länger gedauert, so hätte der Katanier vielleicht den Aetna auch mit aufgezählt.
Den Morgen darauf gingen wir durch die Jumar¬ ren, einen heilosen Weg, unter sehr schlechtem Wet¬ ter. Nie habe ich eine solche Armuth gesehen, und nie habe ich mir sie nur so entsetzlich denken kön¬ nen. Die Insel sieht im Innern furchtbar aus. Hier und da sind einige Stellen bebaut; aber das Ganze ist eine Wüste, die ich in Amerika kaum so schrecklich gesehen habe. Zu Mittage war im Wirthshause durch¬ aus kein Stückchen Brot zu haben. Die Bettler ka¬ men in den jämmerlichsten Erscheinungen, gegen welche die römischen auf der Treppe des spanischen Platzes noch Wohlhabenheit sind: sie bettelten nicht, sondern standen mit der ganzen Schau ihres Elends nur mit Blicken flehend in stummer Erwartung an der Thüre. Erst küſste man das Brot, das ich gab, und dann meine Hand. Ich blickte fluchend rund um mich her über den reichen Boden, und hätte in die¬ sem Augenblicke alle sicilische Barone und Aebte mit den Ministern an ihrer Spitze vor die Kartätsche stel¬ len können. Es ist heillos. Den Abend blieb ich in Fontana Fredda, wo ich, nach dem Namen zu urthei¬212 len, recht schönes Wasser zu trinken hoffte. Aber die Quelle ist so vernachlässiget, daſs mir der Wein sehr willkommen war. Ich muſste hier für ein Paar junge Tauben, das einzige was man finden konnte, acht Karlin, ungefähr einen Thaler nach unserm Gelde, bezahlen; da ich doch mit den ewigen Makkaronen mir den Magen nicht ganz verkleistern wollte. Das beste war hier ein groſser schöner herrlicher Orangen¬ garten, wo ich aussuchen und pflücken konnte, so viel ich Lust hatte, ohne daſs es die Rechnung ver¬ mehrt hätte, und wo ich die köstlichsten hochglühen¬ den Früchte von der Gröſse einer kleinen Melone fand. Gegen über hängt das alte Sutera traurig an einem Felsen, und Kampo franco von der andern Seite. Das Thal ist ein wahrer Hesperidengarten und die Segensgegend wimmelt von elenden Bettlern, vor denen ich keinen Fuſs vor die Thür setzen kann: denn ich kann nicht helfen, wenn ich auch alle Ta¬ schen leerte und mich ihnen gleich machte.
Der Fluſs ohne Brücke, über den ich in einem Strich von ungefähr drey deutschen Meilen wohl funf¬ zehn Mahl hatte reiten müssen, weil der Weg bald diesseits bald jenseits gehet, ward diesen Morgen ziem¬ lich groſs; und das letzte Mahl kamen zwey starke cyklopische Kerle, die mich mit Gewalt auf den Schultern hinüber trugen. Sie zogen sich aus bis aufs Hemde, schürzten sich auf bis unter die Arme, tru¬ gen Stöcke wie des Polyphemus ausgerissene Tannen, und suchten die gefährlichsten Stellen, um ihr Ver¬ dienst recht groſs zu machen: ich hätte gerade zu Fuſse durchgehen wollen, und wäre nicht schlimmer113 daran gewesen, als am Ende der pontinischen Süm¬ pfe vor Terracina. Ihre Foderung war unverschämt, und der Eseltreiber meinte ganz leise, ich möchte sie lieber willig geben, damit sie nicht bösartig würden. Sie sollen sich sonst kein Gewissen daraus machen, jemand mit dem Messer oder dem Gewehrlauf oder gerade zu mit dem Knittel in eine andere Welt zu liefern. Die Gerechtigkeit erkundigt sich nach solchen Kleinigkeiten nicht weiter. Der Fluſs geht nun rechts durch die Gebirge in die See. Ich habe seinen ei¬ gentlichen Namen nicht gefaſst; man nannte ihn bald so bald anders, nach der Gegend; am häufigsten nann¬ ten ihn die Einwohner Fiume di San Pietro. Von nun an war die Gegend bis hierher nach Agrigent abwech¬ selnd sehr schön und fruchtbar und auch noch leidlich bearbeitet. Nur um den Makaluba, den ich rechts von dem Wege ab aufsuchte, ist sie etwas mager.
Ich will Dir sagen, wie ich den Berg oder viel¬ mehr das Hügelchen fand. Seine Höhe ist ganz un¬ beträchtlich, und sein Umfang ungefähr eine kleine Viertelstunde. Rund umher sind in einer Entfernung von einigen Stunden ziemlich hohe Berge, so daſs ich die vulkanische Erscheinung Anfangs für Quellwasser von den Höhen hielt. Diese mögen dazu beytragen, aber sie sind wohl nicht die einzige Ursache. Die Höhe des Orts ist verhältniſsmäſsig doch zu groſs, und es giebt rund umher tiefere Gegenden, die auch wirk¬ lich Wasser halten. Am wenigsten lieſse sich seine periodische Wuth erklären. Wo ich hinauf stieg fand ich einen einzelnen drey Ellen hohen Kegel aus einer Masse von Thon und Sand, dessen Spitze oben eine214 Oeffnung hatte, aus welcher die Masse immer heraus quoll und herab floſs und so den Kegel vergröſserte. Auf der Höhe des Hügels waren sechs gröſsere Oeff¬ nungen, aus denen beständig die Masse hervor drang; ihre Kegel waren nicht so hoch, weil die Masse flüssi¬ ger war. Ich stieſs in einige meinen Knotenstock gerade hinein und fand keinen Grund; so wie ich aber nur die Seiten berührte war der Boden hart. In der Mitte und ziemlich auf der gröſsten Höhe dessel¬ ben war die gröſste Oeffnung, zu der ich aber nicht kommen konnte, weil der Boden nicht trug und ich befürchten muſste zu versinken. Zuweilen, wenn es anhaltend sehr warm und trocken ist, soll man auch zu diesem Trichter sehr leicht kommen können. Ich sah der Oeffnungen rund umher, gröſsere und kleine¬ re, ungefähr dreyſsig. Einige waren so klein, daſs sie nur ganz kleine Bläschen in Ringelchen ausstieſsen, und ich konnte meinen Stock nur mit Widerstand et¬ was hinein zwingen. Die Ausbrüche und die Regen¬ stürme ändern das Ansehen des Makaluba beständig; er ist daher noch etwas wandelbarer als seine gröſsern Herrn Vettern. Ihm gegenüber liegt in einer Entfer¬ nung von ungefähr zwey Stunden auf einer beträchtli¬ chen Anhöhe eine Stadt, die von weitem ziemlich hübsch aussieht und, wenn ich nicht irre, Ravonna heiſst. Die Einwohner dieses Orts und einiger nahe liegenden kleinen Dörfer wurden, wie man erzählte, vor drey Wochen sehr in Schrecken gesetzt, weil der Zwergberg anfing inwendig gewaltig zu brummen und zu lärmen. Es ist aber dieſsmahl bey dem Brummen geblieben. Von dem Diminutiv - Vulkan bis hierher215 sind ungefähr noch acht Millien durch eine ziemlich rauhe Gegend über mehrere Berge,
Mein Eintritt in die Lokanda hier war eine ge¬ waltig starke Ohrfeigenparthie. Das ging so zu. Als ich das Haus betrachtete, ob es mir anstehen und ob ich hier bleiben würde, kam ein sehr dienstfertiger Cicerone, der mich wahrscheinlich zu einem seiner Bekannten bringen wollte. Ehe ich mirs versah, schoſs ein junger starker Kerl aus einer Art von Küche heraus, fuhr vor mir vorbey und packte den höflichen Menschen mit einer furchtbaren Gewalt bey der Gur¬ gel, warf ihn nieder und fing an, ihn mit den Fäu¬ sten aus allen Kräften zu bearbeiten. Ich sprach zum Frieden so gut ich konnte, und er lieſs den armen Teufel endlich los, der auch sogleich abmarschierte. Ich sagte dem Fausthelden so glimpflich als möglich, daſs ich diese Art von Willkommen etwas zu hand¬ greiflich fände; da trat er ganz friedlich und sanft vor mich und demonstrierte mir, der Kerl habe seine Mut¬ ter geschimpft; das könne und werde er aber nicht leiden. Nun machte man mir ein Zimmer bereit; und so schlecht es auch war, so zeigten die Leute doch allen guten Willen: und damit ist ein ehrlicher Kerl schon zufrieden. Nun suchte ich den Ritter Ca¬ nella, den Onkel meines militärischen Freundes in Palermo, und den Kanonikus Raimondi auf. Beyde waren sehr artig und freundschaftlich, und der Ritter besuchte mich sogar in meinem Gasthause. Raimon¬ di, welcher Direktor der dortigen Schule ist, führte mich in die alte gothische Kathedrale, wo ich den an¬ tiken Taufstein sah und das akustische Kunststück216 nicht hören konnte, da er den Schlüssel zu der ver¬ schlossenen Stelle vergessen hatte und es unbescheiden gewesen wäre, ihn wegen der Kleinigkeit noch ein¬ mahl zu bemühen. Man findet es in vielen Kirchen. Wenn man an dem einen Ende ganz leise spricht, geht der Schall oben an dem Bogen hin und man hört ihn an der andern Seite ganz deutlich. Jetzt hat man den Ort deſswegen verschlossen, weil man auf diese Weise die Beichtenden belauschte. Der alte Taufstein, der die Geschichte des Hypolitus hält, ist aus den Reisenden und Antiquaren bekannt genug, und ich fand bey Vergleichung auf der Stelle, daſs Dor¬ ville, welcher bey Raimondi lag, fast durchaus auſser¬ ordentlich richtig gezeichnet hat.
Canella gab mir einen Brief an den Marchese Frangipani in Alikata. Mein Mauleseltreiber kam be¬ ständig und machte den Bedienten und Cicerone. Jo saggio tutto, Signore, Jo conosco tutte le maraviglie, sagte er mit einer apodyktischen Wichtigkeit, wider welche sich eben so wenig einwenden lieſs, als wider die Infallibilität des Papstes. Da ich das meiste was ich sehen wollte schon ziemlich kannte, hatte ich wei¬ ter nichts gegen die Gutherzigkeit des Kerls, der ein Bursche von ungefähr neunzehn Jahren war. Ich hatte das ganze Wesen der alten Stadt schon aus den Fen¬ stern des Herrn Raimondi übersehen, steckte also den folgenden Morgen mein Morgenbrot in die Tasche und ging hinunter in die ehemaligen Herrlichkeiten der alten Akragantiner. Was kann eine Rhapsodie über die Vergänglichkeit aller weltlichen Gröſse helfen? Ich sah da die Schutthaufen und Steinmassen des Jupiters¬217 tempels, und die ungeheuern Blöcke von dem Tempel des Herkules, wie nehmlich die Antiquare glauben; denn ich wage nicht etwas zu bestimmen. Die Trüm¬ mern waren mit Oehlbäumen und ungeheuern Karu¬ ben durchwachsen, die ich selten anderswo so schön und groſs gesehen habe. Sodann gingen wir weiter hinauf zu dem fast ganzen Tempel der Konkordia. Das Wetter war frisch und sehr windig. Ich stieg durch die Celle hinauf, wo mir mein weiser Führer folgte, und lief dann oben auf dem steinernen Gebälke durch den Wind mit einer, nordischen Festigkeit hin und her, daſs der Agrigentiner, der doch ein Maule¬ seltreiber war, vor Angst blaſs ward, an der Celle blieb und sich niedersetzte. Ich that das nehmliche mitten auf dem Gesimms, bot den Winden Trotz, nahm Brot und Braten und Orangen aus der Tasche und hielt ein Frühstück, das gewiſs Scipio auf den Trümmern von Karthago nicht besser gehabt hat. Ich konnte mich doch einer schauerlichen Empfindung nicht er¬ wehren, als ich über die Stelle des alten groſsen rei¬ chen Emporiums hinsah, wo einst nur ein einziger Bürger unvorbereitet vierhundert Gäste bewirthete und jedem die üppigste Bequemlichkeit gab. Dort schlän¬ gelt sich der kleine Akragas, der der Stadt den Namen gab, hinunter in die See; und dort oben am Berge, wo jetzt kaum noch eine Trümmer steht, schlugen die Karthager, und das Schicksal der Stadt wurde nur durch den Muth der Bürger und die Deisidämonie des feindlichen Feldherrn noch aufgehalten. Wo jetzt die Stadt steht, war vermuthlich ehemahls ein Theil der Akropolis. Nun ging ich noch etwas weiter hin¬218 auf zu dem Tempel der Juno Lucina und den übri¬ gen Resten, unter denen man mehrere Tage sehr eparnorthotisch hin und her wandeln könnte. Die sy¬ stematischen Reisenden mögen Dir das übrige sagen; ich habe keine Entdeckungen gemacht. Der jetzige König hat einige Stücke wieder hinauf auf den Kon¬ kordientempel schaffen lassen und dafür die schöne alte Front mit der pompösen Inschrift entstellt: Ferdi¬ nandus IV. Rex Restaurauit. Ich hätte den Giebel herunter werfen mögen, wo die kleinliche Eitelkeit stand.
Die beyden ziemlich gut erhaltenen Tempel ste¬ hen nicht weit von den alten Mauern, in deren soli¬ dem Felsen eine Menge Aushöhlungen sind, aus denen man nicht recht weiſs was man machen soll. Einige halten sie für Gräber. Mir kommt es wahrscheinli¬ cher vor, daſs es Schlafstellen für die Wache sind, eine Art von Kasernen; und sie sind vermuthlich nur aus der neuern Zeit der Saracenen oder Gothen. Diese Mauern, so niedrig sie auch gegen die hohen Berge umher liegen, sind doch als Felsen beträchtlich genug, daſs man von der See aus die Stadt das hohe Akragas nennen konnte; und noch jetzt würden unsere Vierundzwanzig-Pfünder genug zu arbeiten haben eine Bresche hinein zu schlagen. Es ist wohl nicht ohne Grund geschehen, daſs man die schönsten Tem¬ pel der Mauer so nahe baute. Sie waren das Heilig¬ thum der Stadt; ihre Nähe beym Angriff muſste an¬ feuern, wo, die Bürger wirklich augenscheinlich pro aris et focis schlugen. Auch der Tempel des Herku¬ les muſs unten nicht weit von der Mauer gestanden219 haben. Dort sind aber die Mauern nicht so hoch und stark gewesen, weil die Natur dort nicht so unter¬ stützte; eben deſswegen setzte man vermuthlich dorthin den Tempel des Herkules, um die Bürger an der schwachen Seite mehr an Kampf und Gefahr zu erin¬ nern: eben deſswegen liegen wahrscheinlich dort Tem¬ pel und Mauer in Trümmern, weil vermuthlich daselbst die Stadt mehrere Mahl eingenommen wurde. Was ich aus dem sogenannten Grabmahl Hierons machen soll, weiſs ich nicht; ich überlasse es mit dem übrigen ruhig den Gelehrten. Ich habe nicht Zeit gelehrt zu werden. Am kürzesten dürfte ich nur meinem Maul¬ eseltreiber folgen; der sagt mir gläubig fest bestimmt: Kischt 'è il lempiò di San Gregoli; Kischta Madonna è antica: und wer es nicht glauben will, anathema sit. Der gute Mensch hat mich recht herzlich in Affektion genommen, und meint es recht gut; vorzüglich zeigt er mir gewissenhaft alle Klöster und sagt mir, wie reich sie sind. Nun interessieren mich die Klöster und ihre Bewohner nur ϰατ̕ αντιφϱασιν της ϰαλοϰαγαϑιας; ich sagte also diesen Morgen zu einem solchen Rap¬ port halb unwillig murmelnd in meinem Mutteridiom: Ich wollte es wären Schweinställe! Weiſs der Himmel, was der fromme Kerl verstanden haben mochte; Si si, Signore, dice bene, sagte er treuherzig; kischt' è la cosa. Er rechnete es mir hoch an, daſs er italiänisch sprach und nicht den Jargon seiner Landsleute, mit denen ich gar nicht fortkommen würde: doch kam ich mit seinen Landsleuten in ihrem Jargon noch so ziemlich ohne ihn fort. Auf der heutigen Promenade erzählte er mir von einer kleinen Stadt nicht weit von220 hier nach Alcamo hinab in dem Gebirge, wo die Leute griechisch sprächen oder gar türkisch, so daſs man sie gar nicht verstehen könnte, wie das oft der Fall zu Girgenti auf dem Markte wäre. Hier führte er eine Menge Wörter an, die ich leider wieder vergessen habe. Non sono cosi boni latini, come noi autri, sagte er. Du siehst der Mensch hat Ehre im Leibe.
Den musikalischen Talenten und der musikali¬ schen Neigung der Italiäner kann ich bis jetzt eben keine groſsen Lobsprüche machen. Ich habe von Triest bis hierher, auf dem Lande und in den Städ¬ ten, auch noch keine einzige Melodie gehört, die mich beschäftigt hätte, welches doch in andern Ländern manchmahl der Fall gewesen ist. Das beste war noch von eben diesem meinem ästhetischen Cicerone aus Agrigent, der eine Art Liebesliedchen sang und sehr emphatisch drollig genug immer wiederholte; Kischta nutte, kischta nutte in verru, iu verru. (Questa notte io verro.)
Eben bin ich unten am Hafen gewesen, der vier italiänische Meilen von der Stadt liegt. Der Weg da¬ hin ist sehr angenehm durch lauter Oehlpflanzungen und Mandelgärten. Hier und da sind sie mit Zäunen von Aloen besetzt, die in Sicilien zu einer auſseror¬ dentlichen Gröſse wachsen; noch häufiger aber mit indischen Feigen, die erst im September reif werden und von denen ich das Stück, so selten sind sie jetzt, in der Stadt mit fast einem Gulden bezahlen muſste, da ich die Seltenheit doch kosten wollte. Die Karu¬ ben oder Johannisbrotbäume gewinnen hier einen Umfang, von dem wir bey uns gar keine Begriffe ha¬221 haben. Sie sind so haufig, daſs in einigen Gegenden des südlichen Ufers das Vieh mit Karuben gemästet wird. Der Hafen, so wie er jetzt ist, ist vorzüglich von Karl dem Fünften gebaut. Bonaparte lag einige Tage hier und auf der Rhede, als er nach Aegypten ging: und damahls kamen auch einige Franzosen hin¬ auf in die Stadt, wo gar keine Garnison liegt. Sie müssen sich aber nicht gut empfohlen haben; denn der gemeine Mann und Bürger spricht mit Abscheu von ihnen. Der Hafen ist ungefähr wie in Ankona, und keiner der besten. Nicht weit davon sind eine Menge unterirdische Getreidebehälter, weil von Agri¬ gent sehr viel ausgeführt wird. Die politische Stim¬ mung durch ganz Sicilien ist gar sonderbar, und ich behalte mir vor Dir an einem andern Orte noch ei¬ nige Worte darüber zu sagen.
Dieſs ist also das Ziel meines Spazierganges, und nun gehe ich mit einigen kleinen Umschweifen wie¬ der nach Hause.
Ich will Dir von meiner Wanderung hierher so kurz als möglich das Umständliche berichten. Das Reisen zu Maulesel ward mir doch ziemlich kostbar. Von Agrigent aus verlangte man für einen Maulesel nicht weniger als eine Unze täglich, etwas mehr als einen Kaiserdukaten; oder ein Pezzo, wenn ich ihn selbst füttern und den Führer beköstigen wollte. Dieſs war nun sehr theuer; und mein eigener Unterhalt kostete, zumahl auf dem Lande, nicht wenig. Ich handelte also mit einem Mauleseltreiber, er sollte mich zu Fuſse auf einer Ronde um die Insel beglei¬ ten; dafür sollte er mit mir ordentlich leben, so gut man in Sicilien leben kann, und ich wollte ihm täg¬ lich noch fünf Karlin, ungefähr einen deutschen Gul¬ den, geben: dabey könnte er doch zusammen während der kurzen Zeit drey goldene Unzen Gewinn haben. Der Handel wurde gemacht; ich gab ihm zwey Unzen voraus, um für die eine einige Bedürfnisse auf die Reise anzuschaffen und die zweyte unterdessen seiner alten Mutter zu lassen. Er kaufte mir einen Haber¬ sack, ungefähr wie man ihn den Mauleseln mit dem Futter umhängt, that meine zwey Bücher, mein Hem¬ de mit den übrigen Quinquaillerien und etwas Pro¬ viant hinein, und trug mir ihn nach oder vor. Mei¬ nen stattlichen Tornister hatte ich, um ganz leicht223 zu seyn und auch aus Klugheit, versiegelt in Palermo gelassen: denn er fand überall so viel Beyfall und Liebhaber, daſs man mir einige Mahl sagte, man würde mich bloſs meines Tornisters wegen todt schlagen.
Ich muſs hier noch eine Bekanntschaft nachholen, die ich in Agrigent machte. Als ich in meinem Zim¬ mer aſs, trat ein stattlich gekleideter Mann zu mir herein und erkundigte sich theilnehmend nach allen gewöhnlichen Dingen, nach meinem Befinden und wie es mir in seinem Vaterlande gefiele, und so weiter. Die Bekanntschaft war bald gemacht; er wohnte in einem Zimmer mir gegenüber in dem nehmlichen Wirthshause, bat um die Erlaubniſs sein Essen zu mir zu bringen, und wir aſsen zusammen. Es fand sich, daſs er eine Art Steuerrevisor war, der in königlichen Geschäften reiste. Die Sicilianer sind ein sehr gut¬ müthiges neugieriges Völkchen, die in der ersten Vier¬ telstunde ganz treuherzig dem Fremden alles abzufra¬ gen verstehen. Ich fand nicht Ursache den Versteck¬ ten zu spielen; und so erfuhr der Herr Steuerrevisor über Tische auf seine Frage, daſs ich ein Ketzer war. Der dicke Herr legte vor Schrecken Messer und Ga¬ bel nieder, und sah mich an, als ob ich schon in der Hölle brennte; er fragte mich nun über unser Reli¬ gionssystem, von dem ich ihm so wenig als möglich so schonend als möglich sagte. Der Mensch war in Palermo verheirathet, hatte drey Kinder, und muſste, nach seiner offenen Beichte, auf der Landreise jede Nacht zur Bequemlichkeit wo möglich sein Mädchen haben; fluchte übrigens und zotierte auf lateinisch und224 italiänisch trotz einem Bootsknecht: aber er konnte durchaus nicht begreifen, wie man nicht an den Papst glauben und ohne Mönche leben könne. Dabey hatte er ziemliche Studien aus der römischen Legende. Doch entschloſs er sich mit mir fort zu essen, fragte aber immer weiter. Es fehlte ihm nicht an etwas Gutmüthigkeit und einem Schein von Vernunft; aber er donnerte doch halb spaſshaft das Verdammungsur¬ theil über uns alle her: Siete tutti minchioni, siete come le bestie. Das nenne ich mir Logik! Indessen, lieber Freund, es giebt dergleichen Logik noch viel in der Welt, in jure canonico, civili et publico, die uns für Sterling verkauft wird. Uebrigens trug der Mann viel Sorge für mich, schloſs sich brüderlich an mich an, und meinte ich ginge groſsen Gefahren ent¬ gegen. Das war nun nicht zu ändern. Als ich ab¬ ging, band er mich dem Eseltreiber auf die Seele, gab ihm für mich seine Addresse in Palermo und lieſs mich Ketzer doch unter dem Schutze aller Heiligen ziehen.
So zog ich denn mit meinem neuen Achates den Berg hinunter, über den kleinen Fluſs hinweg nach dem Monte chiaro hin, auf Palma zu, welches die hiesigen Einwohner Parma nennen. Ein junger Mensch, der in Syrakus einen Handel machen wollte, gesellte sich mit seinem Esel zu uns. Mir war das nicht lieb, weil ich immer die Ehre hatte für alle Eseltreiber der ganzen Insel zu bezahlen. In Palma traf ich einige meiner Bekannten, die Antiquare von Sankt Joseph, die sich über das Margarethentempel¬ chen von Segeste zankten. Diese Herren staunten225 über meine Verwegenheit, daſs ich zu Fuſse weiter reisen wollte. Hier hatte ich ein Unglück, das mich auch den Weg allein fortzusetzen zwang. Mein Be¬ gleiter von Agrigent war sehr fromm, es war Fasten; er aſs so viel Paste, daſs ich über seine Capacität er¬ staunte. Indeſs ein Sicilianer dieser Art hat seine Ta¬ lente, die unser einer nicht immer beurtheilen kann. Ich mochte nichts sagen; er hätte glauben können, es wäre wegen der Bezahlung. Wir gingen fort; aber kaum waren wir eine halbe Stunde gegangen, so fing die Paste an zu schwellen, und verursachte dem Men¬ schen fürchterliche Passionen. Ich fing nun an ihm den Sermon zu halten, warum er so viel von dem Zeug und nicht lieber etwas mit mir gegessen habe. Hier rührte ihn von neuem das Gewissen, und er be¬ kannte mir, er habe schon furchtbare Angst gehabt, daſs er mit mir in der Fasten zu Fontana fredda eine halbe Taube gegessen. Sein Beichtvater habe ihn hart darüber angelassen. Die Sache ward nun schlimmer. Er fiel nieder, wälzte sich und schrie vor Schmerz und konnte durchaus nicht fort. Was sollte ich thun? Ich konnte hier nicht bleiben. Nachdem ich ihm so derb und sanft als möglich den Text über seinen un¬ vernünftigen Fraſs gelesen hatte, nahm ich ihm mei¬ nen Sack ab, übergab ihn seinem Freunde und Lands¬ manne, überlieſs ihn seinen Heiligen und ging weiter. Es war mir lieb, daſs ich ihn so gut versorgt sah; ich hätte ihm nicht helfen können: doch that es mir um den armen dummen Teufel leid. Ich habe nachher erfahren, daſs er sich erholt hat. Wenn er gestorben wäre, wäre es gewiſs zum Wunder bloſs darum gewe¬15226sen, weil er in der Fasten mit einem Ketzer junge Tauben gegessen hatte, nicht wegen seines bestiali¬ schen Makkaronenfraſses. Ich habe vernünftige Aerzte in Italien darüber sprechen hören, daſs jährlich in der Fasten eine Menge Menschen an der verdammten Paste sich zu Tode kleistern; denn der gemeine Mann hat die ganze lange Zeit über fast nichts anders als Makkaronen mit Oehl.
Ich ging also nun allein auf gut Glück immer an der Küste hin, bald das Meer im Auge, bald etwas weiter links in das Land hinein, nachdem mich der Weg trug. Bey Palma ist wieder schöne herrliche Gegend, mit abwechselnden Hügeln und Thälern, die alle mit Oehlbäumen und Orangengärten besetzt sind. Die hier wachsenden Orangen sind etwas kleiner als die übrigen in der Insel, aber sie sind die feinsten und wohlschmeckendsten, die ich gegessen habe; selbst die von Malta nicht ausgenommen, deren man eine Men¬ ge in Neapel findet. Gegen Abend kam ich in Ali¬ kata an, wo ich vor der Stadt zwey sehr wohlgeklei¬ dete Spaziergänger antraf, die mich zu sich auf eine Rasenbank einluden und in zehen Minuten mir meine ganze Geschichte abgefragt hatten. Wir gingen zusam¬ men in die Stadt, ich halte sie für die beste, die ich nach Palermo bis jetzt noch auf der Insel gesehen habe. Das Wirthshaus, das ich fand, war ziemlich gut; ich hatte also nicht Ursache, dem Marchese Fran¬ gipani, an den ich empfohlen war, beschwerlich zu fallen. Indessen gab ich doch meinen Brief ab, und er nahm mich mit vieler Artigkeit in seinem ziemlich groſsen Hause auf, wo ich eine ansehnliche Gesell¬227 schaft fand. Man nöthigte mich, mit den Damen et¬ was französisch und mit den geistlichen Herren, deren einige zugegen waren, lateinisch zu sprechen. Als man sich zum Spiel setzte — c'est partout comme chés nous — und ich daran nicht Theil nehmen wollte noch konnte, da ich nie ein Kartenblatt anrühre, em¬ pfahl ich mich und befand mich in meinem Wirths¬ hause einsam recht wohl. In der schönen Abenddäm¬ merung machte ich noch einen Spaziergang an dem Strande und sah der Fischerey zu. Die hiesige Rhede muſs für die Schiffe nicht viel werth seyn, so viel ich von der Lage mit einem Ueberblick urtheilen kann. Gleich vor Alikata, von Palma her, liegt ein sich am Meere herziehender Berg, der von den Ge¬ lehrten mit Grund für den Eknomos der Alten gehal¬ ten wird. Jenseits des Salzflusses, oder des südlichen Himera, denn der nördliche flieſst bey Termini, ist ein anderer Berg, dessen Name, glaube ich, Phala¬ rius heiſst: und diese beyden Berge paradieren in den karthagischen Kriegen. Der Eknomos soll nach der Erklärung Einiger seinen Namen davon haben, weil der agrigentinische Tyrann Phalaris den Perillischen Stier hier aufgestellt haben soll. Dieses scheint aber mehr auf den Phalarius zu passen. Wenn Du mir er¬ laubst eine Konjektur zu machen, so will ich anneh¬ men, daſs der Eknomos deswegen so genannt worden sey, weil er ganz allein, isoliert, von der ganzen übri¬ gen Bergkette rund herum abgesondert liegt: die an¬ dern Berge hängen in einem groſsen Amphitheater alle zusammen. Der griechische Name, däucht mich, könne dieſs bedeuten: εϰ τȣ νομȣ των αλλων οϱων ϰειται228 γεωλοφος. Der Berg ist jetzt ziemlich gut bebaut, mit schönen Oelgärten und mehreren Landhäusern be¬ setzt, und giebt der Gegend ein sehr freundliches An¬ sehen. Links ist an dem Himera hinauf eine schöne groſse Ebene mit Weitzenfeldern; eine der besten die ich je gesehen habe. Alikata ist der erste Ort, wo ich in Sicilien billig behandelt wurde.
Ueberall warnte man mich vor bösen Wegen und vorzüglich hier in Alikata, wo man sagte, daſs die achtzehn Millien von hier nach Terra nuova die schlimmsten in der ganzen Insel wären. Sono cattive gente, hieſs es; und cattive war der ewige Euphemis¬ mus, wenn sie zur Ehre ihres Landes nicht Räuber und Banditen sagen wollten. Hier hat mich wahr¬ scheinlich nur meine armselige Figur gerettet. Ich wandelte gutes Muthes am Strande hin, las Muscheln und murmelte ein Liedchen von Anakreon, machte mit meinen Gedanken tausend Cirkumherumschweife und blieb bey der schönen Idee stehen, daſs ich hier nun vermuthlich in die geloischen Felder käme: da sah ich von weitem drey Reiter und zwar zu Pferde auf mich zu trottieren. Die Erscheinung eines Maul¬ esels oder Esels ist mir in Sicilien immer lieber als eines Pferdes. Mir ward etwas unreimisch, und ich nahm mir vor, so ernsthaft als möglich vor ihnen vor¬ bey zu gehen. Das litten sie aber nicht, ob sie es gleich auch mit ziemlichem Ernst thaten. Sie waren alle drey mit Flinten bewaffnet; der Dolch versteht sich von selbst. Ich grüſste nicht ganz ohne Arg¬ wohn. Man rief mir halt! und da ich that, als ob ich es nicht gleich verstanden hätte, ritt einer mit Ve¬229 hemenz auf mich zu, faſste mich beym Kragen und riſs mich so heftig herum, daſs das Schisma noch an meinem Rocke zu sehen ist. Wer seyd Ihr? — Ein Reisender. — Wo wollt Ihr hin? — Nach Syrakus. — Warum reitet Ihr nicht? — Es ist mir zu theuer; ich habe nicht Geld genug dazu. — Einer meiner Freun¬ de in Rom hat mich in dem barocken Aufzuge ge¬ zeichnet, den ich damals machte, damit ich, wie er sagte, doch sagen könnte, ich habe mich in Rom ma¬ len lassen. Ich schicke Dir die Zeichnung zur Er¬ bauung, und Du wirst hier wenigstens meine Eitel¬ keit nicht beschuldigen, daſs sie sich ins beste Licht gesetzt hat. Man riſs meinen Sack auf und fand frey¬ lich keine Herrlichkeiten, ein Hemde, zwey Bücher, ein Stück hartes Brot, ein Stückchen noch härteren Käse und einige Orangen. Man besah mich aufmerk¬ sam von der Ferse bis zur Scheitel. — Ihr habt also kein Geld zum Reiten? — Ich kann so viel nicht be¬ zahlen. — Meine Figur und mein Sack schienen ihnen hierüber ein gleichlautendes Dokument zu seyn. Man nahm das weiſse Buch, in welches ich einige Bemer¬ kungen geschrieben hatte um die Reminiscenzen zu erhalten; man fragte, was es wäre, und durchblätterte es, und Einer, der etwas Ansehen über die beyden Andern zu haben schien, machte Miene es einzustek¬ ken. Ich sagte etwas betroffen: Aber das ist mein Tagebuch mit einigen Reisebemerkungen für meine Freunde. Der Mensch betrachtete mich in meiner Verlegenheit, besann sich einige Augenblicke, gab mir das Buch zurück und sagte zu dem Andern: Gieb ihm Wein! Dieses hielt ich, und wohl mit Recht, für das230 Zeichen der Hospitalität und der Sicherheit. Ob ich gleich nicht lange vorher reichlich aus einem kleinen Felsenbache getrunken hatte, so machte ich doch kei¬ ne Umstände der ehrenvollen Gesellschaft Bescheid zu thun, so gut ich konnte, und trank aus der darge¬ reichten engen Flasche. Diese Flaschen mit sehr en¬ gen Mündungen sind, wie Du vielleicht schon weiſst, hier für das Klima sehr diätetisch eingerichtet. Man ist durchaus genöthigt sehr langsam zu trinken, weil man doch nicht mehr schlucken kann als heraus läuft. Nun fragte man mich dieses und jenes, worauf ich so unbefangen als möglich antwortete. — An wen seyd Ihr in Syrakus empfohlen? — An den Ritter Lando¬ lina. — Den kenne ich; sagte Einer. — Ihr seyd also arm und wollt den Giro machen, und geht zu Fuſse? Ich bejahte das. Nun fragte man mich: Versteht Ihr das Spiel? Ich hatte die Frage nicht einmal recht ver¬ standen: da ich aber, auſser ein wenig Schach, durch¬ aus gar kein Spiel verstehe, konnte ich mit gutem Ge¬ wissen Nein antworten. Diese Frage ist mir vorher und nachher in Sicilien oft gethan worden, und die Erkundigung ist, ob man etwas vom Lotto verstehe, welches auch hier, Dank sey es der schlechten Regie¬ rung, eine allgemeine Seuche ist. Das gemeine Volk steht hier noch oft in dem Wahn, der Fremde als ein gescheidter Kerl müsse sogleich ausrechnen oder aus¬ zaubern können, welche Nummern gewinnen werden. Man wünschte mir gute Reise und ritt fort. Was war nun von den Leuten zu halten? Aus gewöhnli¬ cher Vorsicht hatte ich die Uhr tief gesteckt; sie war also nicht zu sehen: mein Taschenbuch, in welchem231 ungefähr noch sieben und zwanzig Unzen in Gold lie¬ gen mochten, war inwendig in einer Tasche hoch un¬ ter dem linken Arm und wurde also nicht bemerkt. Die Leute hatten keine Uniform und durchaus keine Zeichen als Polizeyreiter: übrigens waren sie für Si¬ cilien sehr anständig gekleidet. Gewehr und Dolche trägt in Unteritalien zur Schande der Juſtiz und Poli¬ zey jedermann. Wenn sie ehrlich waren, so thaten sie wenigstens alles mögliche es nicht zu scheinen: und das ist an der südlichen Küste von Sicilien fast eben so schlecht, als wenn bey uns in feiner Gesell¬ schaft ein abgefeimter Schurke gerade das Gegentheil thut. Ich denke immer, meine anscheinende Armse¬ ligkeit hat mich gerettet und die Uhr und die Unzen hätten mir den Hals brechen können.
Vor Terra nuova wurde ich wieder freundschaft¬ lich angehalten. Die Leute hoben Getreide aus ihren unterirdischen Magazinen, wahrscheinlich um es ein¬ zuschiffen. Ich fragte nach einem Gasthause. Man lud mich ein mich dort ein wenig niederzusetzen und auszuruhen; ich war wirklich müde und that es. Neu¬ gierigere Leute als in Sicilien habe ich nirgends gefun¬ den; aber im Ganzen fehlt es ihnen nicht an Guther¬ zigkeit. Was schlecht ist kommt alles auf Rechnung der Regierung und Religionsverfassung. Man fragte mich sogar ob ich eine Uhr trüge und begriff wieder nicht, wie ich es nur wagen könnte, so zu reisen. Und doch bin ich überzeugt, das war immer noch die sicherste Art, da ich allein war.
In der Stadt im Wirthshause gab man mir ein Zimmer, worin kein Bett, kein Tisch und kein Stuhl232 war, und sagte dabey, ich würde in der ganzen Stadt kein besseres finden. Ich warf mich auf einen Hau¬ fen Haferspreu, die in einem Winkel aufgeschüttet war, und schlief ein. Ich mochte vielleicht ein Stünd¬ chen geschlafen haben und es war gegen Abend, da wurde ich geweckt. Mein Zimmer, wenn man das Loch so nennen kann, war voll Leute aller Art, eini¬ ge stattlich gekleidet, andere in Lumpen. Vor mir stand ein Mann im Matrosenhabit, der eine förmliche lange Inquisition mit mir anhob. Er war ganz höf¬ lich, so viel Höflichkeit nehmlich bey so einem Beneh¬ men Statt finden kann, fragte erst italiänisch, sprach dann etwas Tyrolerdeutsch, da er hörte, daſs ich ein Deutscher sey; dann französisch, dann englisch und endlich Latein. Die Anwesenden machten Ohren, Maul und Nase auf, um so viel als möglich zu kapie¬ ren. Man war geneigt mich für einen Franzosen zu halten, fragte, ob ich der Republik gedient habe, und so weiter: aber über ihre Stimmung gegen die Fran¬ zosen gaben sie nicht das geringste Merkzeichen. Der Mann im Matrosenkleide sagte, ich müſste Franzose seyn, weil ich das Französische so gut spräche. Das konnte nur ihm so vorkommen, weil er es sehr schlecht sprach. Das Examen ward mir endlich sehr penibel, so wie ein Bär am Pfahl zu stehen und mich auf diese Weise beschauen und vernehmen zu lassen; ich sagte also bestimmt: Wenn ich verdächtig bin, mein Herr, so bringen Sie mich vor die Behörde, wo ich mich legitimieren werde; oder wenn Sie selbst von der Polizey sind, so sprechen Sie offen, damit ich mich darnach benehmen kann. Erlauben Sie mir übri¬233 gens etwas Ruhe in einem öffentlichen Hause, wo ich bezahle; es ist warm und ich bin müde. Das sagte ich italiänisch so gut ich konnte, damit es alle verstehen möchten; einer der Herren bat mich höf¬ lich um Verzeihung, ohne weiter eine Erklärung zu geben; die Neugierigen verloren sich, und nach eini¬ gen Minuten war ich wieder allein auf meiner Hafer¬ spreu. Den Abend, nachdem ich bey einigen Seefi¬ schen sehr gut gefastet hatte, brachte man mir Heu[,] und ein gutmüthiger Tabuletkrämer aus Katanien gab mir zur Decke einen groſsen Schafpelz, welcher mir lieber war als ein Bett, das man nicht haben konnte.
Den andern Morgen ging ich über den Fluſs Gela und durch ein herrliches Thal nach Santa Maria di Niscemi hinauf. Dieses Thal mit den Parthien an dem Flusse links und rechts hinauf machte vermuthlich die Hauptgruppe der geloischen Felder aus. Wenn auch Gela nicht gerade da stand, wo jetzt Terra nuo¬ va steht, so lag es doch gewiſs nicht weit davon, und höchst wahrscheinlich nur etwas weiter bergabwärts nach dem Flusse hin, wo noch jetzt einige alte Ueberreste von Gemäuern und Säulen zu sehen seyn sollen. Das Thal ist auch noch jetzt in der äuſsersten Vernachläs¬ sigung sehr schön, und es läſst sich begreifen, daſs es ehemals bey der Industrie der Griechen ein Zaubergar¬ ten mag gewesen seyn. Hier in Niscemi ist es wahr¬ scheinlich, wo vor mehrern Jahren ein merkwürdiger Erdfall geschehen ist, den Landolina beschrieben hat.
Von hier aus wollte ich nach Noto gehen, und von dort nach Syrakus. Aber wenn man in Sicilien nicht bekannt ist und ohne Wegweiser reist, so bleibt234 man, wenn man nicht todt geschlagen wird, zwar immer in der Insel; aber man kommt nicht immer geraden Weges an den bestimmten Ort. Einige Meilen in der Nachbarschaft der Hauptstadt ausgenommen, kann man eigentlich gar nicht sagen, daſs in Sicilien Wege sind. Es sind bloſs Mauleseltriften, die sich oft so verlieren, daſs man mit ganzer Aufmerksamkeit den Hufen nachspüren muſs. Der König selbst kann in seinem Königreich nicht weiter als nach Montreal, Termini und einige Meilen nach Agrigent zu im Wa¬ gen gehen: will er weiter, so muſs seine Majestät sich gefallen lassen einen Gaul oder sicherer einen Maul¬ esel zu besteigen. Das läſst er denn wohl bleiben, und deſswegen geht es auch noch etwas schlechter als gewöhnlich anderwärts, wo es die Fürsten nur sehr selten thun. Man rieth mir, von Santa Maria nach Caltagirone zu gehen; das that ich als ein Wildfrem¬ der. Aber ich war kaum ein Stündchen gegangen, als ich in einen ziemlich groſsen Wald perennierender Ei¬ chen kam, wo ich alle Spur verlor, einige Stunden in Felsen und Bergschluchten herum lief, bis ich mich nur mit Schwierigkeit wieder links orientierte, indem ich den Gesichtspunkt nach einer hohen Felsenspitze nahm. Hier fand ich vorzüglich schöne Weiden in den Thälern und groſse zahlreiche Heerden. Um Cal¬ tagirone herum ist die Kultur noch am leidlichsten; man kann sie noch nicht gut nennen. Die Stadt, wel¬ che auf einer nicht unbeträchtlichen Höhe liegt, hat rund umher schöne angränzende Thäler, und es herrscht hier für Sicilien noch eine ziemliche Wohlha¬ benheit. Ich war nun auf einmal wieder beynahe235 mitten in der Insel. In der Stadt war auf dem Markte ein gewaltiger Lärm von Menschen; man aſs und trank, und handelte und zankte, und sprach über¬ all sehr hoch, als auf einmal das Allerheiligste vorbey¬ getragen wurde; schnell ward alles still und stürzte nieder und der ganze Markt machte eine sonderbare Gruppe. Ich konnte aus meinem Fenster bey einer Mahlzeit getrockneter Oliven, die mein Lieblingsge¬ richt hier sind, unbemerkt und bequem alles sehen. Ein so gutes Wirthshaus hätte ich hier nicht gesucht; Zimmer, Bett, Tisch, alles ist sehr gut, und verhält¬ niſsmäſsig sehr billig.
Von hier aus wollte ich nach Syrakus, und ging aufmerksam immer den Weg fort, den man mir be¬ zeichnet hatte, und war, ehe ich mirs versah, in Pala¬ gonia, dem Stammhause des seligen Patrons der Un¬ geheuer, barocken Andenkens. Wäre ich an seiner Stelle gewesen, ich wäre hier geblieben; denn Palago¬ nia gefällt mir viel besser als die Nachbarschaft von Palermo, wo er das Tabernakel seiner ästhetischen, Miſsgeburten aufschlug. Wieland läſst den geächteten Diagoras in der Gegend von Tempe aus Aergerniſs über Götter und Menschen ein ähnliches Spielwerk treiben; aber er thut es besser und genialischer als der Sicilianer. Palagonia liegt herrlich in einem Bergwin¬ kel des Thales Enna. Kommt man von Caltagirone herüber, so geht man durch furchtbare Felsenschluch¬ ten und steigt einen Berg herab, als ob es in die Hölle ginge; und es geht in ein Elysium. Schade daſs die exemplarische sicilianische Faulheit es nicht besser be¬ nutzt und genieſst. Die Stadt ist traurig schmutzig. 236Ueber den Namen der Stadt habe ich nichts gehört und gelesen; welches freylich nicht viel sagen will, da ich sehr wenig höre und lese. Ich will annehmen, er sey entstanden aus Paliconia, weil nicht weit da¬ von rechts hinauf in den hohen Felsen der Naphthasee der Paliker liegt, von dem die Fabel so viel zu erzäh¬ len und die Naturgeschichte manches zu sagen hat. Wäre ich nicht allein gewesen, oder hätte mehr Zeit, oder stände mit meiner Börse nicht in so genauer Rechnung, so hätte ich ihn aufgesucht.
Von hier aus wollte ich nach Syrakus. Einer der überraschendsten Anblicke für mich war, als ich aus Palagonia heraus trat. Vor mir lag das ganze, groſse, schöne Thal Enna, das den Fablern billig so werth ist. Rechts und links griffen rund herum die hohen felsi¬ gen Bergketten, die es einschlieſsen und von Noto und Mazzara trennen; und in dem Grunde gegen über stand furchtbar der Aetna mit seinem beschneyten Haupte, von dessen Schedel die ewige lichte Rauch¬ säule in der reinen Luft empor stieg, und sich lang¬ sam nach Westen zog. Ich hatte den Altvater wegen des dunkeln Wetters noch nicht gesehen, weder zu Lande noch auf dem Wasser. Nur auf der südlichen Küste in Agrigent vor dem Thore des Schulgebäudes zeigte man mir den Riesen in den fernen Wolken; aber mein Auge war nicht scharf genug ihn deutlich zu erkennen. Jetzt stand er auf einmal ziemlich nahe in seiner ganzen furchtbaren Gröſse vor mir. Kata¬ nien lag von seinen Hügeln gedeckt; sonst hätte man es auch sehen können. Ich setzte mich unter einen alten Oelbaum, der der Athene Polias Ehre gemacht237 haben würde, auf die jungen wilden Hyacinthen nie¬ der und genoſs eine Viertelstunde eine der schönsten und herrlichsten Scenen der Natur. Das war wieder Belohnung und ich dachte nicht weiter an die Schnapp¬ hähne und das Examen von Terra nuova. Ich würde rechts hinauf gestiegen seyn in die Berge, wo viele Höhlen der alten sikanischen Urbewohner in Felsen gehauen seyn sollen; aber ich konnte dem Orientieren und der müſsigen Neugierde in einer sehr wilden Ge¬ gend nicht so viel Zeit opfern. Ich verirrte mich aber¬ mals und kam anstatt nach Syrakus nach Lentini. Es war mir nicht unlieb die alte Stadt zu sehen, die zur Zeit der Griechen keine unbeträchtliche Rolle spielt. Sie ist in dem Miſskredit der schlechten Luft, weſs¬ wegen auf einer gröſsern Anhöhe Karl der Fünfte, däucht mich, Carlentini anlegte. Ich spürte nichts von der schlechten Luft; aber freylich kann man vom Ende des März keinen Schluſs auf das Ende des July machen. Der See giebt der Gegend ein heiteres la¬ chendes Ansehen, und diese würde sich sehr bald sehr gesund machen lassen, wenn man fleiſsiger wäre. Um die Stadt herum ist alles ein wahrer Orangengarten; und Du kannst denken, daſs ich mit den Hesperiden nicht ganz enthaltsam war, da ich doch nun nicht hoffen durfte Syrakusertrauben zu essen. Mir hat es gefallen in Lentini, und wenn die Leute daselbst krank werden, so sind sie wahrscheinlich selbst Schuld dar¬ an, nach allem was ich davon sehe. Ich war nun zwey mal irre gegangen, und hielt es daher doch für gut einen Mauleselführer zu nehmen. Er erschien und wir machten bald den Handel, da ich nicht viel mer¬238 kantilisches Talent habe und gewöhnlich gleich zu¬ schlage. Nun wollte der Mensch die ganze Summe voraus haben; das fand ich etwas sonderbar und meinte, wenn er mir nicht traute, so müſsten wir theilen, und ich würde ihm die Hälfte voraus zahlen. Damit war er durchaus nicht zufrieden; aber noch drolliger war sein Grund. Er meinte, wenn ich ge¬ plündert oder erschlagen würde, wie sollte er dann zu seinem Gelde kommen? Das war mir zu arg; ich schickte ihn ärgerlich fort und ging mit meinem Schnappsack allein.
Von hier wollte ich nach Syrakus; aber ich ging in den Mauleseltriften der Bergschluchten und Höhen und Thäler abermals irre, und kam anstatt nach Sy¬ rakus nach Augusta. Das erste Stündchen Weg war schön und ziemlich gut bebaut; aber sodann waren einige Stunden nichts als Wildniſs, wo rund umher Oleaster, fette Asphodelen und Kleebäume wuchsen. Eine starke Stunde vor Augusta fing die Kultur wie¬ der an, und hier ist sie vielleicht am besten auf der ganzen Insel. Der Wein, den ich hier sah, wird ganz dicht am Boden alle Jahre weggeschnitten, und die einzige Rebe des Jahres giebt die Ernte. Das kann nun wohl nur hier in diesem Boden und unter die¬ sem Himmel geschehen. Es ist ein eigenes Vergnü¬ gen die Verschiedenheit des Weinbaues von Meiſsen bis nach Syrakus zu sehen; und wenn ich ein wein¬ gelehrter Mann wäre, hätte ich viel lernen können. Die Landzunge auf welcher Augusta liegt, mit der Gegend einige Stunden umher, gehört zu dem üppig¬ sten Boden der Insel. Vor der Stadt machte man Salz239 aus Seewasser, zu welcher Operation man einen gros¬ sen Strich todtes Erdreich brauchte. Nirgends habe ich so schwelgerische Vegetation gesehen, als in dieser Ge¬ gend. Die Stadt ist rings um vom Meere umgeben, und es führt nur eine ziemlich feste Brücke hinüber. Von der Landseite ist der Ort also gut vertheidigt und es würde eine förmliche Belagerung dazu gehören ihn zu nehmen. Von der Seeseite scheint das nicht zu seyn. Die wenigen Werke nach dem Wasser zu wol¬ len nicht viel sagen. Die Stadt ist nicht viel kleiner als die Insel Ortygia oder das heutige Syrakus. Ich wurde zu dem Stadthauptmann geführt, der meinen Paſs besah und mir ihn sogleich ohne Umstände mit vieler Höflichkeit zurück gab. Hier wurde ich, aus meinem Passe, Don Juan getauft, welchen Namen ich sodann auf dem übrigen Wege durch die ganze Insel bey allen Mauleseltreibern durch Ueberlieferung be¬ hielt. Der Gouverneur oder Stadthauptmann, was er seyn mochte, denn ich habe mich um seinen Posten weiter nicht bekümmert, bewirthete mich mit dem berühmten syrakusischen Muskatensekt, den endlich dieser Herr wohl gut haben muſs, und mit englischem Ale und Biskuit. Das Ale war gut und das Biskuit besser, und über den Wein habe ich keine Stimme. Mir war er zu stark und zu süſs. Ein Perukenma¬ cher, der in dem Hause des Stadthauptmanns war, führte mich gerade in sein eigenes Haus, bewirthete mich ziemlich gut und lieſs mich noch besser bezah¬ len. Dafür wurde ich aber so viel beexcellenzt, als ob ich der erste Ordensgeneral wäre, der den groſsen päbstlichen Ablaſs auf hundert Jahre herum trüge. 240Man erzählte mir, daſs vor einigen Monaten ein Deut¬ scher mit seiner Frau aus Malta durch Sturm hier ein¬ zulaufen genöthigt worden sey, und, da er keinen Paſs gehabt, zwanzig Tage habe hier bleiben müssen, bis man Befehl von Palermo eingeholt habe. Solche Gui¬ gnons können eintreten.
Um nicht noch einmal in den Bergen herum zu irren, nahm ich nun endlich einen Maulesel mit ei¬ nem Führer hierher nach Syrakus. Ich hatte eine groſse Strecke Weges an dem Meerbusen wieder zu¬ rück zu machen. So lange ich mich in der Gegend von Augusta befand, war die Kultur ziemlich gut; aber so wie wir Syrakus näher kamen, ward es im¬ mer wüster und leerer. Der Aetna, der über die an¬ dern Berge hervor ragte, rauchte in der schönen Mor¬ genluft. Der Mauleseltreiber hatte mir zum Führer einen kleinen Buben mitgegeben, der sich, sobald wir heraus waren, auf die Kruppe schwang, mir einen kleinen eisernen Stachel zum Sporn gab, und so mit mir und dem Maulesel über die Felsen hintrabte. Diese Thiere hören auf nichts als diesen Stachel, der ihnen statt aller übrigen Treibmittel am Halse appli¬ ziert wird. Wenn es nicht recht gehen wollte, rief der kleine Mephistophiles hinter mir: Pungite, Don Juan, sempre pungite. Siehst Du, so kurz und leicht ist die Weisheit der Mauleseltreiber und der Politiker. Das scheint das Schiboletchen aller Minister zu seyn. Wie der Hals des Staats sich bey dem Stachel befindet, was kümmert das die Herren? Wenn es nur geht oder wenigstens schleicht. Mein kleiner Führer er¬ zählte mir hier und da Geschichten von Todtschlagen,241 so wie wir an den Bergen hinritten. Rechts lieſsen wir die Stadt Melitta liegen, die auf einer Anhöhe des Hybla noch eine ziemlich angenehme Erscheinung macht. Sonst ist der Berg ziemlich kahl. Acht Mil¬ lien von Syrakus frühstückte ich an der Feigenquelle, wo der Feigen sehr wenig aber viel sehr schöne Oel¬ bäume waren, fast der Halbinsel Thapsus gegen über. Nun trifft man schon hier und da Trümmern, die zwar noch nicht in dem Bezirk der alten Stadt selbst, aber doch in ihrer Nähe liegen. Noch einige Millien weiter hin ritt ich den alten Weg durch die Mauer des Dionysius herauf, und befand mich nun in der ungeheuern Ruine, die jetzt eine Mischung von ma¬ gern Pflanzungen, kahlen Felsen, Steinhaufen und elenden Häusern ist. Als ich in der Gegend der alten Neapolis zwischen den Felsengräbern war, dankte ich meinen Führer ab und spazierte nun zu Fuſse weiter fort. Der Bube war gescheidt genug mir einen Gulden über den Akkord abzufordern. In Syrakus ging ich durch alle drey Thore der Festung als Spaziergänger, ohne daſs man mir eine Sylbe sagte: auch bin ich nicht weiter gefragt worden. Das war doch noch eine artige stillschweigende Anerkennung meiner Qualität. Den Spaziergänger läſst man gehen.
So singt Asmus den ersten May in Wansbeck; so kann ich ja wohl vier Wochen früher den ersten April in Syrakus singen: so froh bin ich; ob ich gleich vor ei¬ nigen Stunden beynahe in dem Syrakasumpfe ersoffen oder erstickt wäre. Wo fange ich an? Wo höre ich auf? Wenn man in Syrakus nicht weit von der Arethu¬ se sitzt und einem Freunde im Vaterlande schreibt, so stürmen die Gegenstände auf den Geist: vergieb mir also ein Biſschen Unordnung.
So wie ich zum Thore herein war und eine Stra¬ ſse herauf schlenderte, — wohlzumerken, mein Sack hielt keine groſse Peripherie, und ich konnte ihn mit seinem Inhalt leicht in den Taschen bergen — so rief mir ein Mann aus einer Bude zu: Vous etes etran¬ ger, Monsieur, et Vous cherchés une auberge? — Vous l'avés touché, Monsieur! sagte ich. Aiés la bonté d'en¬ trer un peu dans mon attelier; j'aurai l'honneur de Vous servir. Ich trat ein. Der Mann war ein Hutma¬ cher, Franzose von Geburt, und schon seit vielen Jah¬ ren ansäſsig in Syrakus. Er begleitete mich in ein ziemlich leidliches Wirthshaus, das auch Landolina nachher als das beste nannte. Die Nahrung, wenig¬243 stens das Hutmachen, ist in Syrakus so schlecht, daſs mein Franzose es gern zufrieden war, bey mir ein Mittelding von Haushofmeister und Cicerone zu ma¬ chen. Ich traf Landolina das erste Mahl nicht; er war auf einem Landgute. In einer Fes[t]ung kann ich doch gutwillig nicht bleiben, wenn man mich nicht einsperrt; ich lief also hinaus an den Hafen, nehmlich an den groſsen, oder an den Meerbusen: denn der kleine auf der andern Seite nach den Steinbrüchen zu hat jetzt nichts merkwürdiges mehr; so viel auch Aga¬ thokles Marmor daran verschwendet haben soll. Ich ging gerade fort, über den Anapus, weit hinüber über das Olympeum, und wäre vielleicht bis an die Abthei¬ lung des Berges hinunter gegangen, wenn der Tag nicht schon zu tief gewesen wäre. Ich bin doch schon ziemlich weit gegen Süden gewandelt; denn, wenn ich nicht irre, so segelte in den punischen Kriegen der Römer Otacilius von hier aus nach Afrika, machte groſse Beute in Utika, und war den dritten Abend wieder zurück. Ob Syrakus oder Lilybäum der Ort war, von dem er aus fuhr, darüber wird Dir dein Li¬ vius Bescheid geben; wer kann alles behalten? Du siehst doch, daſs ich, wenn ich sonst nur ein ächter Weidmann wäre, in einigen Tagen die Jagdparthie des frommen Aeneas und der Frau Dido mitmachen könnte.
Plemmyrium liegt hier vor mir und sieht sehr wild aus, und hat jetzt durchaus nichts mehr, das nur eines Spazierganges werth wäre. Eine zweyte Sumpf¬ gegend hielt mich auf; sonst wäre ich wohl noch et¬ was weiter gegangen. Auf dem Rückwege setzte ich244 mich ein Viertelstündchen an die zwey Säulen, die für die Ueberreste von dem Tempel des Jupiter Olym¬ pius gelten. Hier lieſs Dionysius dem Gott den golde¬ nen Mantel abnehmen, weil er meinte, er sey für den Sommer zu schwer und für den Winter zu kalt; ein wollener schicke sich besser für alle Jahrszeiten. Der Herr war ein ganz eigener Haushofmeister, welches er auch an dem Barte des Apollo zeigte. Als ich wieder über den Anapus herüber war, dachte ich gerade nach Neapolis herauf zu schneiden und so einen etwas an¬ dern Weg zurück zu nehmen. Die Sonne stand hoch nicht ganz am Rande, ich sah alles vor mir und dachte den Gang noch recht bequem zu machen. Aber o Syraka! Syraka! An solchen Orten sollte man durchaus mit der Charte in der Hand gehen. Ehe ich mirs versah war ich im Sumpfe; ich dachte es zu zwingen und kam immer tiefer hinein: ich dachte nun rechts umzukeh¬ ren um keinen zu groſsen Umweg zu machen; und da fiel ich denn einige Mahl bis an den Gürtel in noch etwas schlimmeres als Wasser. Es ward Abend und ich fürchtete man möchte das Thor schlieſsen; wo man denn eben so unerbittlich ist als in Hamburg. Endlich arbeitete ich mich doch mit vielem Schweiſs in einem nicht gar erbaulichen Aufzug wieder auf den Weg, und kam so eben vor Thorschluſs herein. Mein Franzose, der auf mich in meinem Wirthshause warte¬ te, war schon meinetwegen in Angst, und erzählte mir nun Wunderdinge von dem Sumpfe. Vor einiger Zeit, als die Franzosen hier waren, hatten einige Offiziere gejagt. Einer der Herrn verläuft sich auf einem klei¬ nen Abstecher in den Syraka, denkt wie ich, ist aber245 nicht so glücklich, und sinkt bis fast unter die Arme hinein. Er kann sich nicht heraus bringen, ruft um¬ sonst, und feuert mit seinem Gewehr um Hülfe: dar¬ auf kommen seine Kameraden, und müssen ihn nach vielem vergeblichen Rekognoscieren von allen Seiten mit Stricken herausziehen. Laſs Dir es also nicht einfallen, wenn Du rechts am Anapus spazieren ge¬ hest, gerade hinüber nach der schönen Anhöhe zu gehen: bleib hübsch auf dem Wege, sonst kommst Du in eine schmutzige Tiefe, in den Syraka.
Eben komme ich von einem Spazierritt mit Lan¬ dolina zurück. Der Mann verdient ganz das enthusia¬ stische Lob, das ihm mehrere Reisende geben: ich habe es an mir erfahren. Er ist einige Mahl mit wahrhaft freundschaftlicher Theilnahme mit mir weit herum geritten und gegangen. Du weiſst, daſs er Rit¬ ter ist, und er hatte versprochen, mich zu Pferde in meinem Quartier abzuholen. Ich hatte mir also auch einen ordentlichen Gaul bestellt, so stattlich als man ihn in Syrakus finden konnte, um dem Manne durch meine zu barocke Kavalkade nicht Schande zu machen. Wir ritten weit hinaus bis nach Epipolä, wo wir un¬ sere Pferde lieſsen und nach den äuſsersten Festungs¬ werken der alten Stadt über viele Felsen zu Fuſse gin¬ gen. Hier besah ich mit dem besten Führer, den Du vermuthlich in ganz Sicilien in jeder Rücksicht finden kannst, die Schlösser Labdalum und Euryalus. Die ausführlichere Beschreibung mit dem Plan magst Du bey Barthels sehen: alles würde doch bey mir, wie246 bey ihm, Landolina gehören. Wir waren schon weit umher gestiegen, und setzten uns hier auf eine der höchsten Stellen der alten Festung nieder, um rund um uns her zu schauen. Ich halte dieses halbe Stünd¬ chen für eines der schönsten die ich genossen habe, wenn ich nur die Melancholie heraus wischen könnte, die für die Menschheit darin war. Von dieser Spitze übersah man die ganze groſse ungeheure Fläche der ehemaligen Stadt, die nun halb als Ruine und halb als Wildniſs da liegt. Rechts hinunter zog sich die alte Mauer nach Neapolis, dem Syraka und dem Ha¬ fen: links hinab ging bis ans Meer die gegen vier Millien lange berühmte neuere Mauer, welche Dio¬ nysius in so kurzer Zeit gegen die Karthager aufführen lieſs. Von beyden sieht man noch den Gang durch die Trümmern, und hier und da noch mächtige Werkstücke aufgefügt. Tief hinunter nach der Insel, die jetzt das Städtchen ausmacht, liegen die Scenen der Gröſse des ehemaligen Syrakus, die nunmehr kaum das Auge auffindet. Rechts kommt der Anapus in dem Thale zwischen den Bergen hervor, und weiter hin jenseits zieht sich eine lange Kette des Hybla rund um die Erdspitze herum. Hinter uns lag der mons crinitus, wo die Athenienser bey der unglücklichen Unternehmung gegen Sicilien standen. Dort unten rechts an der alten Mauer, welche die Herren von Athen umsonst angriffen, stand das Haus des Timo¬ leon, wo man bey der kleinen Mühle noch die Trüm¬ mer zeigt. Links hier unten brach Marcellus herein, drang dort hervor bis in die Gegend des kleinen Ha¬ fens, wo der schöpferische Geist Archimeds mit dem247 Feuer des Himmels seine Schiffe verzehrte: dort stand er im Lager und wagte es lange nicht weiter zu ge¬ hen, weil er sich hier vor der starken Besatzung der Auſsenwerke in Epipolä fürchtete. Dort weiter links hinunter auf der Ebene liegt der Acker, den der Ver¬ räther erhielt, welcher die Römer führte. Weiter hinab lag Thapsus, und in der Ferne Augusta, jenseits eines andern Meerbusens. Hier hätte ich Tage lang, sitzen mögen mit dem Thucydides und Diodor in der Hand. Diese Schlösser sind vielleicht das wichtigste, was wir aus dem Kriegswesen der Alten noch haben: und wenn sich ein Militär von Kenntnissen und Genie Zeit nehmen wollte, sie zu untersuchen, es würde ei¬ ne angenehme sehr lehrreiche Unterhaltung werden. Die Arbeit ist von ziemlichem Umfang, und die Neuern haben an Solidität und Gröſse schwerlich etwas ähnliches aufzuweisen. Wenn sie nicht etwas zu weit von der Stadt lägen, würden sie derselben von un¬ endlichem Nutzen gewesen seyn. Aber so waren es durch die Lage bloſs sehr feste Auſsenwerke, deren Wichtigkeit vorzüglich der peloponnesische Krieg ge¬ zeigt hatte. Die Athenienser hatten die Mauer rechts von der Seite des Anapus nicht zwingen können: ihre Anzahl war vermuthlich zu geringe und sie hatten kei¬ nen Alcibiades zum Führer mehr. Die Römer dran¬ gen durch die groſse Linie links. Wäre diese Linie kürzer gewesen, oder mit andern Worten, hätte die Hauptbefestigung nicht zu weit hinaus gelegen; es wäre vielleicht dem Marcellus trotz der Verrätherey nicht gelungen. Dehnung schwächt, wo man sie nicht in der offenen Schlacht zum Manöver benutzen kann.
248Jetzt sitze ich hier und lese Theokrit in seiner Vaterstadt. Ich wollte Du wärst bey mir und wir könnten das Vergnügen theilen, so würde es gröſser werden. Mein eigenes Exemplar hatte ich, um ganz leicht zu seyn, mit in Palermo gelassen, bat mir ihn also von Landolina aus. Dieser gab mir mit vieler Artigkeit die Ausgabe eines Deutschen, von unserm Stroth; und dieses nehmliche Exemplar war ein Ge¬ schenk von Stroth an Münter, und von Münter an Landolina, und ich las nun darin an der Arethuse. Der Ideengang hat etwas magisches. — Sey nur ru¬ hig, ich habe jetzt zu viel Vergnügen dabey und meine Stiefelsohlen sind noch ganz; Du sollst hier mit keiner Uebersetzung geplagt werden.
Auch heute komme ich von einem Spaziergang mit Landolina zurück. Wir waren nur in der Nähe, in der alten Neapolis, die aber wirklich das Interes¬ santeste der alten Ueberreste enthält. Die Antiquare sind dem unermüdeten patriotischen Eifer Landolinas unendlich viel schuldig. Er hat eine Menge Säulen des alten Forums wieder aufgefunden, welche die Lage genauer bestimmen. Es lag natürlich gleich an dem Hafen, und besteht jetzt meistens aus Gärten und ei¬ nem offenen Platze gleich vor dem jetzigen einzigen Landthore. Etwas rechts weiter hinauf hat Landolina das römische Amphitheater besser aufgeräumt und hier und da Korridore zu Tage gefördert, die jetzt zu Mauleseleyen dienen. Die Römer trugen ihre blutigen Schauspiele überall hin. Die Area giebt jetzt einen schönen Garten mit der üppigsten Vegetation. Weiter rechts hinauf ist das alte groſse griechische Theater,249 fast rund herum in Felsen gehauen. Rechts wo der natürliche Felsen nicht weit genug hinaus reichte, war etwas angebaut, und dort hat es natürlich am meisten gelitten. Die Inschrift, über deren Aechtheit und Al¬ ter man sich zankt, ist jetzt noch ziemlich deutlich zu lesen. Es läſst sich viel dawider sagen, und sie be¬ weist wohl weiter nichts als die Existenz einer Köni¬ gin Philistis, von welcher auch Münzen vorhanden sind, von der aber die Geschichte weiter nichts sagt. Die Wasserleitung geht nahe am Theater weg; ver¬ muthlich brachte sie ehemahls auch das Wasser hin¬ ein. Die Leute waren etwas nachlässig gewesen, so daſs ein Zug Wasser gerade auf den Stein mit der In¬ schrift floſs, die etwas mit Gesträuchen überwachsen war. Landolina gerieth darüber billig in heftigen Un¬ willen, schalt den Müller und lieſs es auf der Stelle abändern. Gegen über steht eine Kapelle an dem Or¬ te, wo Cicero das Grab des Archimedes gefunden ha¬ ben will. Wir fanden freylich nichts mehr; aber es ist doch schon ein eigenes Gefühl, daſs wir es finden würden, wenn es noch da wäre, und daſs vermuth¬ lich in dieser kleinen Peripherie der groſse Mann be¬ graben liegt. Nun gingen wir durch den Begräbniſs¬ weg hinauf und oben rechts herum, auf der Fläche von Neapolis fort. Es würde zu weitläufig werden, wenn ich Dir alle die verschiedenen Gestalten der kleinen und gröſsern Begräbniſskammern beschreiben wollte. Wir gingen zu den Latomien und zwar zu dem berüchtigten Ohre des Dionysius. Akustisch ge¬ nug ist es ausgehauen und man hat ihm nicht ohne Grund diesen Namen gegeben. Ein Blättchen Papier,250 das man am Eingange zerreiſst, macht ein betäuben¬ des Geräusch, und wenn man stark in die Hand klatscht, giebt es einen Knall wie einen Büchsenschuſs, nur etwas dumpfer. Wir wandelten durch die ganze Tiefe und darin hin und her. Landolina zeigte mir vorzüglich die Art, wo es ausgehauen war, die ich Dir aber als Laie nicht mechanisch genau beschreiben kann. Man hob sich von unten hinauf auf Gerüsten, wovon man noch die Vertiefungen in dem Felsen sieht, und erhielt dadurch eine Höhlung von einem etwas schneckenförmigen Gang, der ihm wohl vorzüglich die lange Dauer gesichert hat. Bey Neapel habe ich, wenn ich nicht irre, etwas ähnliches in den Steingru¬ ben des Posilippo bemerkt. Nirgends ist aber die Me¬ thode so vollendet ausgearbeitet, wie hier in diesem Ohre. Ob Dionysius dasselbe habe hauen lassen, lieſse sich noch bezweifeln, obgleich Cicero der Meinung zu seyn scheint; aber daſs er es zu einem Gefängnisse habe einrichten lassen, hat wohl seine Richtigkeit. Cicero nennt es ein schreckliches Carcer. Hin und wieder sieht man noch Ringe in dem Felsen, in der Höhe und an dem Boden, und auch einige durchge¬ brochene Höhlungen, in denen Ringe gewesen seyn mögen. Diese gelten für Maschinen die Gefangenen anzuschlieſsen. Wer kann darüber etwas bestimmen? Oben am Eingange ist das Kämmerchen, welches ehe¬ mahls für das Lauscheplätzchen des Dionysius galt. Es gehört jetzt viel Maschinerie dazu, von unten hin¬ auf oder von oben herab dahin zu kommen. Ich bin also nicht darin gewesen. Landolina erklärt das Ganze für eine Fabel, die Tzetzes zuerst erzählt habe. Die¬251 ses Behältniſs hat durch Erdbeben gelitten; an der tiefen Höhle selbst aber oder an dem eigentlichen Ohre ist kein Schade geschehen. Gleich an dem Ein¬ gang hat Landolina eine eingestürzte Treppe entdeckt; die er mir zeigte. Die Stufen in den zusammenge¬ stürzten Felsenstücken sind zu deutlich; und es läſst sich wohl etwas anders nicht daraus machen als eine Treppe. Man nimmt an, diese habe durch einen verdeckten Gang in das Gefängniſs geführt, durch wel¬ che der Tyrann selbst Gefangene von Bedeutung hier¬ her brachte. Mit dem Dichter, der seine Verse nicht loben wollte, wird er wohl nicht so viel Umstände ge¬ macht haben. Landolina sagte mir, er habe sich vor einigen Jahren durch Maschinen mit einigen Englän¬ dern in das obere kleine Behältniſs bringen lassen und eine Menge Experimente gemacht; man höre aber nichts als ein verworrenes dumpfes Geräusch.
Die Spieſsbürger von Syrakus lassen sich aber den hübschen Roman nicht so leicht nehmen; und gestern Abend räsonnierte einer von ihnen gegen mich bey einer Flasche Syrakuser verfänglich genug darüber un¬ gefähr so: „ Wozu soll das Kämmerchen oben gewe¬ sen seyn? Zum Anfange einer neuen Steingrube, wo¬ zu man es gewöhnlich machen will, ist es an einem sehr unschicklichen Orte, und rund umher sind weit bessere Stellen. Die Treppe, welche Landolina selbst entdeckt hat, führt gerade dahin; kann nach der Lage nirgends anders hin führen. Wenn man jetzt oben nichts deutlich mehr hört, so ist das kein Beweis, daſs man ehedem nichts deutlich hörte. Die Erdbeben haben an dem Eingange vieles zertrümmert und ein¬252 gestürzt, also auch sehr leicht die Akustik verändern können. Man sagt, Dionysius habe hier in dieser Ge¬ gend der Stadt keinen Pallast gehabt. Zugegeben daſs dieses wahr sey, so war dieses desto besser für ihn allen Argwohn seiner nahen Gegenwart zu entfernen. Er konnte deſswegen bey wichtigen Vorfällen sich im¬ mer die Mühe geben von Epipolä hierher zu kommen und zu hören; ein Tyrann ist durch seine Spione und Kreaturen überall. Dionysius war keiner von den be¬ quemen sybaritischen Volksquälern. Damit läugne ich nicht, daſs er drauſsen in Epipolä noch mehrere Ge¬ fängnisse mag gehabt haben: man hatte in Paris weit mehrere, als wir hier in Syrakus. “ Ich überlasse es den Gelehrten, die Gründe des ehrlichen Mannes zu widerlegen; ich habe nichts von dem Meinigen hinzu gethan. Mich däucht, für einen Bürger von Syrakus schlieſst er nicht ganz übel.
In dem Vorhofe des so genannten Ohres treiben die Seiler ihr Wesen, und vor demselben sind die Intervallen der Felsenklüfte mit kleinen Gärten, vor¬ züglich von Feigenbäumen, romantisch durchpflanzt. Weiter hin ist ein anderer Steinbruch, der einer wah¬ ren Feerey gleicht. Er ist von einer ziemlichen Tie¬ fe, durchaus nicht zugänglich, als nur durch einen einzigen Eingang nach der Stadtseite, den der Besitzer hat verschlieſsen lassen. Von oben kann man das ganze kleine magische Etablissement übersehen, das aus den niedlichsten Parthien von inländischen und ausländischen Bäumen und Blumen bestehet. Die Pflaumen standen eben jetzt in der schönsten Blüthe, und ich war überrascht hier den vaterländischen Baum253 zu finden, den ich fast in ganz Sicilien nicht weiter gesehen habe. Er braucht hier in dem heiſseren Him¬ melsstrich den Schatten der Tiefe. Das vorzüglichste was ich mit Landolina auf diesem Gange noch sah, war ein tief verschüttetes altes Haus, dessen Dach vielleicht ursprünglich sich schon unter der Erde befand. Das Eigene dieses Hauses sind die mit Kalk gefüllten irde¬ nen Röhren in der Bekleidung und Dachung, über deren Zweck die Gelehrten durchaus keine sehr wahr¬ scheinliche Konjektur machen können. Vielleicht war es ein Bad, und der Eigenthümer hielt dieses für ein Mittel es trocken zu halten; da diese Röhren vermuth¬ lich Luft von auſsen empfingen und die Feuchtigkeit der Wände mit abzogen. Der enge Raum und die innere Einrichtung sind für diese Vermuthung des Landolina. Nicht weit davon ist eine alte Presse für Wein oder Oehl in Felsen gehauen, die noch so gut erhalten ist, daſs, wenn man wollte, sie mit wenig Mühe in Gang gesetzt werden könnte.
Bey den Kapuzinern am Meere, in der Gegend des kleinen Marmorhafens, sind die Latomien, die vermuthlich die furchtbaren Gefängnisse für die Athenienser im peloponnesischen Kriege waren. Ich bin einige Mahl ziemlich lange darin herum gewan¬ delt. Die Mönche haben jetzt ihre Gärten darin an¬ gelegt, aus denen eben so wenig Erlösung seyn würde. Man könnte sie noch heut zu Tage zu eben dem Be¬ huf gebrauchen, und zehen Mann könnten ohne Ge¬ fahr zehn tausend ganz sicher bewachen. Der Ge¬ brauch zu Gefängnissen im Kriege mag sich auch nicht auf das damahlige Beyspiel eingeschränkt haben;254 dieses war nun das gröſste und fürchterlichste. Die Mönche bewirtheten mich mit schönen Orangen, und bedauerten, daſs die Engländer schon die besten alle aufgegessen und mitgenommen hätten, sagten aber nicht dabey, wie viel das Kloster Geschenke dafür er¬ halten haben mag: denn man bezahlt gewöhnlich der¬ gleichen Höflichkeiten ziemlich theuer. Hier hat man einen ähnlichen Gang, wie das Ohr des Dionysius; er ist aber nicht ausgeführt worden, weil man ver¬ muthlich den Stein zu dem Behufe nicht tauglich fand. Man kann stundenlang hier herum spazieren, und findet immer wieder irgend etwas groteskes und abenteuerliches, das man noch nicht gesehen hat. Wenn man nun die alte Geschichte zurückruft, so er¬ hält das Ganze ein sonderbares Interesse, das man vielleicht an keinem Platze des Erdbodens in diesem Grade wieder findet. Besonders rührend war mir hier an Ort und Stelle die bekannte Anekdote, daſs viele Gefangene sich aus der traurigen Lage bloſs durch ei¬ nige Verse des Euripides zogen: und mich däucht, ein schöneres Opfer ist nie einem Dichter gebracht worden.
In dem heutigen Syrakus oder dem alten Insel¬ chen Ortygia ist jetzt nichts merkwürdiges mehr, als der alte Minerventempel und die Arethuse. Diese Quelle ist, wenn man auch mit keiner Sylbe an die alte Fabel denkt, bis heute noch eine der schönsten und sonderbarsten, die es vielleicht giebt. Wenn sie auch nicht vom Alpheus kommt, so kommt sie doch gewiſs von dem festen Lande der Insel; und schon dieser Gang ist wundersam genug. Wo einmahl etwas da ist, kommt es den Dichtern auf einige Grade Er¬255 höhung nicht an, zumahl den Griechen. Ich habe bey Landolina eine ganze ziemlich lange Abhandlung über die Arethuse gesehen, die er mit vieler Gelehr¬ samkeit und vielem Scharfsinn aus der ganzen Peri¬ pherie der griechischen und lateinischen Literatur von den ältesten Zeiten bis auf den heutigen Tag zusam¬ men getragen hat. In Sicilien und Italien dankt nie¬ mand für diese Arbeit: es wäre aber für die übrigen Länder von Europa zu wünschen, daſs sie bekannter wür¬ de. Vielleicht läſst er sie noch in Florenz drucken. Mehreres davon ist durch seine Freunde schon im Auslande bekannt. Er hat eine Menge sonderbarer Erscheinungen an der Quelle bemerkt, die mit dem Wasser des Alpheus Analogie haben, und die viel¬ leicht zu der Fabel Veranlassung geben konnten. Sie quillt zuweilen roth, nimmt zuweilen ab und bleibt zuweilen ganz weg, so daſs man trocken tief in die Höhle hinein gehen kann; und dieses zu einer Zeit, wo sie nach den gewöhnlichen physischen Wetterbe¬ rechnungen stärker quellen sollte: sie vertreibt Som¬ mersprossen, welches selbst Landolina zu glauben schien. Aehnliche Erscheinungen will man an dem Alpheus bemerkt haben. Nun kamen die Griechen von dort herüber, und brachten ihre Mythen und ihre Liebe zu denselben mit sich auf die Insel; so war die Fabel gemacht: das Andenken des vaterländischen Flusses war ihnen willkommen. Die neueste Verände¬ rung mit der Quelle findet man, däucht mich, noch in Barthels zum Nachtrage in einem Briefe, der höchst wahrscheinlich auch von Landolina ist. Seitdem ist das Wasser süſs geblieben, heiſst es. Ich fand eine256 Menge Wäscherinnen an der reichen schönen Quelle. Das Wasser ist gewöhnlich rein und hell, aber nicht mehr, wie ehemahls, ungewöhnlich schön. Ich stieg so tief als möglich hinunter und schöpfte mit der hoh¬ len Hand: man kann zwar das Wasser trinken, aber es schmeckt doch noch etwas brackisch, wie das meiste Wasser der Brunnen in Holland. Die Vermischung mit dem Meere muſs also durch die neueste Verände¬ rung noch nicht gänzlich wieder gehoben seyn. Alles Wasser auf der kleinen Insel hat die nehmliche Be¬ schaffenheit, und gehört wahrscheinlich durchaus zu der nehmlichen Quelle. In der Kirche Sankt Philippi ist eine alte tiefe tiefe Gruft mit einer ziemlich be¬ quemen Wendeltreppe hinab, wo unten Wasser von der nehmlichen Beschaffenheit ist; nur fand ich es et¬ was salziger: das mag vielleicht von der groſsen Tiefe und dem beständig verschlossenen Raum herkommen. Landolina hält es für das alte Lustralwasser, welches man oft in griechischen Tempeln fand. Sehr mög¬ lich; es läſst sich gegen die Vermuthung nichts sagen. Aber kann es nicht eben so wohl ein gewöhnlicher Brunnen zum öffentlichen Gebrauch gewesen seyn? Er hatte unstreitig das nehmliche Schicksal mit der Arethuse in den verschiedenen Erderschütterungen. Man weiſs die Insel machte bey den alten Tyrannen die Hauptfestung der Stadt aus. Man hatte auſser der Arethuse wenig Wasser in den Werken. Diese schöne Quelle lag dicht am Meere und war sehr bekannt. Der Feind konnte Mittel finden sie zu nehmen oder zu verderben. War der Gedanke, sich noch einen Wasserplatz auf diesen Fall zu verschaffen und ihn257 vielleicht geheim zu halten, nicht sehr natürlich? Ich will die Vermuthung nicht weiter verfolgen und eben so wenig hartnäckig behaupten.
Als ich hier in der Kirche saſs, die eben ausge¬ bessert wird, und den Schlüssel zur erwähnten Gruft erwartete, gesellte sich ein neapolitanischer Offizier zu mir, der ein Franzose von Geburt und schon über zwanzig Jahre in hiesigen Diensten war. Er sprach recht gut deutsch und hatte ehemals mehrere Reisen durch verschiedene Länder von Europa gemacht. Wenn man diesen Mann von der Regierung und der Kir¬ chendisciplin sprechen hörte; man hätte das Feuer vom Himmel zur Vertilgung der Schande rufen mö¬ gen. Alles bestätigte seine Erzählung, und Unzufrie¬ denheit und Murrsinn schien nicht in dem Charakter des Mannes zu liegen. Vorzüglich war die Unzucht der römischen Kirche, nach seiner Aussage, ein Gräuel, wie man ihn in dem weggeworfensten Heidenthum nicht schlimmer finden konnte. Blutschande aller Art ist in der Gegend gar nichts ungewöhnliches und wird mit einem kleinen Ablaſsgelde in Ordnung gebracht und fortgesetzt. Der Beichtstuhl ist ein Kuppelplatz, wo sich der Klerus für eine kleine Belohnung sehr leicht zum Unterhändler her giebt, wenn er nicht Theilnehmer ist. Wer profane Schwierigkeiten in sei¬ ner Liebschaft findet, wendet sich an einen Mönch oder sonstigen Geislichen, und die ehrsamste sprödeste Person wird bald gefällig gemacht. Der Mann sprach den Altar gegen über davon wie von Dingen, die je¬ dermann wisse, und nannte mir mit groſser Freymü¬ thigkeit zu seinen Behauptungen Beyspiele, die ich17258gern wieder vergessen habe. Ich erzähle die Thatsa¬ che, und überlasse Dir die Glossen.
Minerva hat in ihrem Tempel der heiligen Luci¬ lie Platz machen müssen. Man hat das Gebäude nach der gewöhnlichen Weise behandelt, und aus einem sehr schönen Tempel eine ziemlich schlechte Kirche gemacht. Das Ganze ist verbaut, so daſs nur noch von innen und auſsen der griechische Säulengang sichtbar ist. Das Frontespice ist nach dem neuen Stil schön und groſs, sticht aber gegen die alte griechische Einfachheit nicht sehr vortheilhaft ab.
Bald wäre ich unschuldiger Weise Veranlassung eines Unglücks geworden. Ein Kastrat, der in der Ka¬ thedralkirche singt und nicht mehr als sechzig Piaster jährlich hat, war mein Gast in der Auberge, weil er sehr freundlich war und ein sehr gutmüthiger Kerl zu seyn schien. Ein Geiger, sein Nebenbuhler, neckte ihn lange mit allerhand Sarkasmen über seine Zuthu¬ lichkeit, und kam endlich auch auf einen eigenen ei¬ gentlichen topischen Fehler, an dem der arme Teufel ganz unschuldig war, da ihn andere vermuthlich ohne seine Beystimmung an ihm gemacht hatten. Darüber gerieth das entmannte Bild so in Wuth, daſs er mit dem Messer auf den Geiger zuschoſs und ihn erstochen haben würde, wäre dieser durch die Anwesenden nicht sogleich fortgeschafft worden. Auch der Sänger konnte die Aergerniſs durchaus nicht verdauen und entfernte sich.
Eben sitze ich hier bey einem Gericht Aale aus dem Anapus, die hier für eine Delikatesse der Dom¬ herrn gelten, und die ich also wohl eben so verdienst¬259 los verzehren kann. Ich habe sie selbst auf dem Flusse gekauft und halb mit gefischt. Ich fuhr nehm¬ lich heute nach Mittage mit meinem Franzosen über den Hafen den Anapus hinauf, um das Papier zu su¬ chen. Das Papier fand ich auf der Cyane links bald in einer solchen Menge, daſs wir das Boot kaum durcharbeiten konnten: aber die schöne Quelle konnte ich nicht erreichen. Es war zu spät; wir muſsten fürchten verschlossen zu werden und kehrten zurück. Das ärgerte mich etwas; ich hätte früher fahren müs¬ sen. Das Wasser ging hoch und wir kamen noch eben wieder zum Schlusse an. Hier am Hafen woll¬ ten einige Köche der hiesigen Schmecker mir durch¬ aus meine Beute abhandeln und boten gewaltig viel für meine Aale, machten auch Anstalt sich derselben zu bemächtigen, als ob das so Regel wäre: ich hielt aber den Fang fest und sagte bestimmt, ich wollte hier in Syrakus meine Aale aus dem Anapus selbst essen, und ich würde sie weder dem Bischof, noch dem Statthalter, noch dem König selbst geben, wenn er sie nicht durch Grenadiere nehmen lieſse. Die Leute beguckten mich und lieſsen mich abziehen. Ue¬ ber das Papier selbst und des Landolina Art es zu zu¬ bereiten habe ich nichts hinzu zu fügen; ob ich gleich glaube in den bisherigen Beschreibungen der Pflanze, zwar keine Unrichtigkeiten, aber doch einige Unvoll¬ ständigkeit entdeckt zu haben. Die Sache ist aber zu unwichtig. Unser schlechtes Lumpenpapier ist im¬ mer noch besser als das beste Papier, das ich von der Pflanze vom Nil und aus Sicilien gesehen habe. Wir können nun das Sumpfgewächs und den Kommentar260 des Plinius darüber entbehren; es hat nur noch das Interesse des Alterthums.
Eine drollige Anekdote darf ich Dir noch mitthei¬ len, welche die gelehrten Späher und Seher betrifft, und die mir der besten einer unter ihnen, Landolina selbst, mit vieler Jovialität erzählte, als wir nach ei¬ nem Spaziergange in dem alten griechischen Theater saſsen und ausruhten. Landolina machte mit einer Gesellschaft, von welcher er einen unserer Landsleute, ich glaube den Baron von Hildesheim, nannte, eine ähnliche Wanderung. Hier entstand ein Zwist über eine Vertiefung in dem Felsen, die ein jeder nach sei¬ ner Weise interpretierte. Einige hielten sie für ein Grab eines Kindes irgend einer alten vornehmen Fa¬ milie, und brachten Beweise, die vielleicht eben so problematisch waren, wie die Sache, welche sie bewei¬ sen sollten. Man sprach und stritt her und hin. Das bemerkte ein alter Bauer nicht weit davon, daſs man über dieses Loch sprach. Er kam näher und erkun¬ digte sich und hörte, wovon die Rede war. Das kann ich Ihnen leicht erklären, hob er an; vor ungefähr zwanzig Jahren habe ich es selbst gehauen, um meine Schweine daraus zu füttern: da ich nun seit mehrern Jahren keine Schweine mehr habe, füttere ich keine mehr daraus. Die Archäologen lachten über die bün¬ dige Erklärung, ohne welche sie unstreitig noch lange sehr gelehrt darüber gesprochen und vielleicht sogar geschrieben hätten. So geht es uns wohl noch manch¬ mal, setzte Landolina sehr launig hinzu.
Die hiesigen Katakomben unterscheiden sich we¬ sentlich von denen zu Neapel. Was beyde ursprüng¬261 lich gewesen seyn mögen ist wohl schwerlich zu be¬ stimmen; aber daſs beyde in der Folge zu Begräbniſs¬ plätzen gedient haben, ist ausgemacht. Von den syra¬ kusischen lieſse sich vielleicht aus dem Bau mehr be¬ haupten, daſs sie ursprünglich dazu gehauen wurden. Der groſse Unterschied der neapolitanischen und syra¬ kusischen besteht darin, daſs in den neapolitanischen die Leichenbehälter von dem Boden aufwärts, und hier in die Tiefe der Wand hinein gearbeitet sind. Dort sind unten die gröſsern und dann an der Wand her¬ auf die kleinern Behälter; hier sind vorn die gröſsern und dann weiter hin in die Felsenwand hinein die kleinern: so daſs in Neapel das Dreyeck der Lage an der Seite aufwärts, in Syrakus mit der Spitze einwärts niedergelegt zu denken ist. Beschreibung ist schwer und Zeichnung macht noch mehr Umstände; ich weiſs nicht ob ich Dir deutlich geworden bin. Ein avtopti¬ scher Anblick giebt es in einem Moment. In Neapel lagen die Kadaver in kleineren Nischen an der Wand hinauf, unten die gröſseren und aufwärts immer klei¬ nere; in Syrakus in den Felsen hinein, vorn gröſsere und hinterwärts immer kleinere. Hier habe ich den einzigen vernünftigen Mönch als Mönch in meinem Leben gesehen. Wo man sonst auch noch zuweilen gute und vernünftige trifft, sind sie es wenigstens nicht als Mönche. Der Eingang in die Gruft ist hier eine alte Kirche des heiligen Johannes, wo nur selten Gottesdienst gehalten wird. Dieser Mönch ist der ein¬ zige Bewohner der Kirche und der Katakomben; Glöckner und Sakristan, und Abt und Kellner und Layenbruder zugleich. Das erste Mal, als wir kamen,262 war er nicht zu Hause, sondern in der Stadt nach Le¬ bensmitteln. Als wir umkehrten, begegneten wir ihm in den Feigengärten, und gingen wieder mit ihm zu¬ rück nach Sankt Johannis. Er machte für einen Reli¬ giosen einen etwas sonderbaren genialischen Aufzug. Seine Eselin hatte gesetzt, und doch hatte er sie nö¬ thig um seine Viktualien aus der Stadt zu holen; er nahm sie also, da sie allein nicht gehen wollte, mit dem jungen Esel von drey und zwanzig Stunden zu¬ sammen. Der kleine Novize des Lebens konnte na¬ türlich die groſse Tour nicht aushalten. Der Mönch mit dem langen Talar nahm also den Zögling auf die Schultern und ging voran, und die Mutter folgte in angeborner Sanftmuth und Geduld mit den Körben. So fanden wir den Gottesmann. Er ist übrigens ein ehrlicher Schuster aus Syrakus, der drey Söhne erzogen und zur Armee und auf die See geschickt hat. Nach dem Tode seiner Frau, da seine abnehmenden Augen dem Ort und dem Draht nicht recht mehr gebieten wollten, hat ihn der Bischof hierher gesetzt; vielleicht das gescheidteste, was seit langer Zeit ein Bischof von Syrakus gethan hat. Die Krypte der Kirche, wo noch Gottesdienst gehalten wird, ist auch schon tief und schauerlich genug. Von den Gemälden in den ver¬ schiedenen Abtheilungen der Katakomben läſst sich wohl nicht viel sagen; denn sie sind wahrscheinlich meistens neu. Aus einer griechischen Inschrift habe ich auch nichts machen können: das ist indessen kein Beweis, daſs es andere nicht besser verstehen. Die Leute fabeln hier, daſs diese Katakomhen bis nach Ka¬263 tanien gehen; vermuthlich weil man ehemals dort auch Katakomben gefunden haben mag. Das ist eben so, als wenn zuweilen der Führer der Baumannshöhle versichert, daſs sie sich bis nach Goſslar erstrecke.
Der Sommer muſs hier zuweilen schon fürchter¬ lich seyn; denn Landolina erzählte mir von einem ge¬ wissen Südwestwinde, den man il ponente nennt, wel¬ cher zuweilen in einem Nachmittage durch seinen Hauch alle Pflanzen im eigentlichen Sinne verbrenne, die Bäume entlaube und den Wein verderbe. Der Sirocko soll ein kühlendes Lüftchen gegen diesen seyn: man finde nachher in einem solchen Grade alles ver¬ dorret, daſs man es sogleich zu Asche reiben könne. Zum Glück sey er nur sehr selten. Auch der Hagel, der hier zuweilen falle, sey so groſs und scharf, daſs er die Stengel der Pflanzen und die Aeste der Bäume nicht zerknicke, sondern zerschneide. Dieses seyen die zwey gefährlichsten Landplagen in dem südlichen Si¬ cilien. Die Winter sind gewöhnlich von keiner Be¬ deutung; nur der vergangene ist etwas hart gewesen und man hat seit zehen Jahren wieder den ersten Schnee aber auch nur auf einige Stunden in Syrakus gesehen. Ein solcher Tag ist ein Fest, besonders für die Jugend, denen so etwas eine sehr groſse Erschei¬ nung ist. Sonst sieht man den Schnee nur auf den Gipfeln ferner Berge.
Syrakus kommt immer mehr und mehr in Ver¬ fall; die Regierung scheint sich durchaus um nichts zu bekümmern. Nur zuweilen schickt sie ihre Steuer¬ revisoren, um die Abgaben mit Strenge einzutreiben. Es war mir eine sehr melancholische Viertelstunde, als264 ich mit Landolina oben auf der Felsenspitze von Eu¬ ryalus saſs, der würdige patriotisch eifernde Mann über das groſse traurige Feld seiner Vaterstadt hin¬ blickte, das kaum noch Trümmer war, und sagte: Das waren wir! und mit einem Blick hinunter auf das kleine Häufchen Häuser: Das sind wir! Ich habe während der vier Tage Umgang mit ihm in ihm ei¬ nen der reinsten und liebenswürdigsten Charakter ge¬ funden, und er sprach mit schönem Enthusiasmus von seinen nordischen Freunden Münter und Barthels und einigen andern, die ihn besucht hatten, und von Heyne, den er noch nicht gesehen hatte. Syrakus al¬ lein hatte ehemals mehr Einwohner als jetzt die ganze Insel. Nur der dritte Theil der Insel ist bebaut, und dieser ziemlich schlecht. Das habe ich auf meinen Zü¬ gen gefunden, und Eingeborne, die zugleich Kenner sind, bestätigen es durchaus. Ehemals schickte man bey der groſsen Bevölkerung Korn nach Rom, und die Insel wurde für ein Magazin der Hauptstadt der Welt gehalten. Neulich ist man genöthiget gewesen, Getrei¬ de aus der Levante kommen zu lassen, damit die we¬ nigen ärmlichen südlichen Küstenbewohner nicht Hunger litten. Kann man eine bessere Philippika auf die Regierung und den Minister in Neapel schreiben? Man giebt der physischen Verschlimmerung des Lan¬ des durch die Erdrevolutionen vieles Schuld: aber die Berge sind noch alle fruchtbar bis fast an die Spitzen. Wenn man die Gipfel der Riesen, des Aetna, des Eryx, des Taurus und einige Felsenparthien ausnimmt, könnte von allen gewonnen werden, wenn man Arbeit daran wagen wollte. Die Jumarren, diese verschrieenen Ge¬265 genden, geben reichlich, wenn man fleiſsig ist. Sici¬ lien ist ein Land des Fleiſses, der Arbeit und der Aus¬ dauer. Man will jetzt aber nur da bauen, wo man fast nicht nöthig hat zu arbeiten. Es sind freylich wenig groſse Striche hier, die so schwelgerisch frucht¬ bar wären wie das Kampanerthal: aber es könnte viel schönes Paradies geschaffen werden.
Der Hafen ist fast leer, und ist vielleicht einer der schönsten auf dem Erdboden. Wenn man ein Fort auf Plemmyrium und eines auf Ortygia hat, so kann keine Felucke heraus und hinein. Jetzt kreuzen die Korsaren bis vor die Kanonen. Als im vorigen Kriege die Franzosen Miene machten sich der Insel zu bemächtigen, war hier schon alles entschlossen sich recht tapfer zu ergeben. Man erzählte mir eine Anek¬ dote, die mir unglaublich vorkam, aber sie wurde verschieden im Publikum hier und da wiederholt. Der Gouverneur, um ja durchaus auſser Stande zu seyn schnell zu handeln, läſst alle Kaliber der Kugeln durch einander werfen und die Munition in Unord¬ nung bringen. Die Franzosen nahmen ihren Weg nach Aegypten und es war weder Gefecht noch Erge¬ ben nöthig; die Excellenz zog sich durch ein sanftes seliges Ende aus allem Verdruſs. Wenn die Franzosen ihren Vortheil besser verstanden, anstatt an den Nil zu gehen vorher die Insel anzugreifen; mit zehn tau¬ send Mann hätten sie dieselbe mit ihrer gewönlichen Energie genommen und mit gehöriger Klugheit auch behauptet. Freylich wären dazu andere Maaſsregeln nöthig gewesen, als ihre Generale und Kommissäre zur Schande der Nation und ihrer Sache hier und da er¬266 griffen haben. — Es kommen jetzt selten Schiffe nach Syrakus. Bloſs im vorigen Kriege war es ein Zu¬ fluchtsort gegen die Stürme: und dabey hat die Stadt wenigstens etwas gewonnen. Jetzt nach dem Frieden vermindert sich die Anzahl der Ankommenden bestän¬ dig wieder.
Noch etwas literarisches muſs ich Dir doch aus dem südlichen Sicilien melden, damit Du nicht glau¬ best ich sey ganz und gar unter die Analphabeten ge¬ treten. Landolina läſst jetzt in Florenz eine Abhand¬ lung drucken, in welcher er beweist, daſs der heutige berühmte Syrakuser Muskatenwein der οιυος πολλιος oder πολιος der Alten sey. Die klassischen Hauptstel¬ len darüber sind, glaube ich, die Gärten des Alcinous im Homer, und Hesiodus in seinen Tagewerken im sechs hundert und zehnten Vers. Im Homer heiſst es, daſs an den Weinstöcken reife Trauben und grü¬ nende und Blüthen zugleich gewesen seyen, worüber sich unsere Ausleger zuweilen quälen, sagte Landolina. Sie dürfen nur die Sache wörtlich nehmen und zu uns nach Syrakus kommen, so können sie sich bey der ersten Ernte des Muskatenweins zu Anfang des July leicht überzeugen. Aber nur die Muskatentraube hat diese Eigenschaft des Orangenbaums, daſs sie reife und unreife Früchte und Blüthen zu gleicher Zeit zeigt. Landolina behauptet, diese Traube sey zu¬ nächst aus Tarent nach Syrakus gekommen; das mag er beweisen. Dieses alles wird Dir, als einem wein¬ gelehrten Manne, weit wichtiger seyn, als mir Abac¬ cheveten. Er hat mir noch manche nicht unange¬267 nehme philologische Bemerkung über manche griechi¬ sche Stelle gemacht, für die ihm sein Freund Heyne in Göttingen Dank wissen wird, dem er sie wahr¬ scheinlich auch alle mitgetheilt hat. An der Arethuse kann man freylich manches etwas besser sehen, als an der Leine. Uebrigens sagte er noch, daſs Homer, der, nach der Genauigkeit seiner Beschreibung zu urtheilen, durchaus in Sicilien gewesen seyn müsse, vielleicht nicht sonderlich hier aufgenommen worden sey, weil er bey jeder Gelegenheit einen etwas bösartigen Tik gegen die Insel äuſsere.
Du siehst, ich bin nun auf der Rückkehr zu Dir. Syrakus oder vielleicht schon Agrigent war das süd¬ lichste Ende meines Weges. Vor einigen Tagen ritt ich zu Maulesel wieder mit einem ziemlich kleinen Führer hierher. Man kann die Reise in einem Som¬ mertage sehr bequem machen; und wenn man recht gut beritten ist, recht früh aufbricht und sich nicht sehr viel umsieht, kann man wohl Augusta noch mit nehmen. Die Maulesel machen einen barbarisch star¬ ken Schritt, und das Pungite, Don Juan, pungite! wurde auch nicht gespart. Es war ein herrlicher war¬ mer Regenmorgen, als ich Syrakus verlieſs; der Him¬ mel hellte sich auf, als ich aus der Festung war, und die Nachtigallen sangen wetteifernd in den Feigengär¬ ten und Mandelbäumen so schön, wie ich ihnen in Si¬ cilien gar nicht zugetraut hätte, da sie sich noch nicht sonderlich hatten hören lassen. Ich ging wieder vor der Feigenquelle vorbey und durch einen Strich der schönen herrlichen Gegend von Augusta. Aber vor derselben und nach derselben war es wüste; ununter¬ brochen wüste, bis diesseits der Berge an die Ufer des Simäthus. In einem Wirthshause am Fuſse der Ber¬ ge, ungefähr, ungefähr noch zehn Millien von Kata¬ nien, wo ich essen wollte und wenigstens Makkaro¬ nen suchte, gab der Wirth skoptisch zur Antwort: In Katanien sind Makkaronen; hier ist nichts. Der Mensch hatte die trotzige murrsinnige Physionomie der gedrückten Armuth und des Mangels, der nicht seine Schuld war, und gewann nicht eher eine etwas269 freundliche Miene, als bis ich seinen Kindern von meinem schönen Brote aus Syrakus gab; dann holte er mir mein Lieblingsgericht, getrocknete Oliven. In der Gegend des Simäthus war das Wasser ziemlizh groſs, das man auf die Felder umher auf den Reis leitete. Mein Maulesel, den ich nordischer Reiter wohl nicht recht geschickt lenken mochte, fiel in eine morastige Lache des Flusses, und bekam meine halbe Personalität unter sich. Mein linker Fuſs, der wegen einer alten Kontusion nicht viel vertragen kann, wur¬ de gequetscht und etwas verrenkt und ich kam lahm hier an. Sehr leicht hätte ich eines sehr unidyllischen schmutzigen Todes in dem Schlamme des Simäthus sterben können: doch zürne ich deſswegen dem Flusse nicht: denn er ist doch der einzige Fluſs, der diesen Namen auf der Insel verdient, und durchaus der gröſste, wenn gleich einige den Salzfluſs bey Alikata oder gar den Himera bey Termini gröſser machen. Der Simäthus ist ein eigentlicher Fluſs, und die an¬ dern sind nur Waldströme, die sich freylich zuweilen mit vieler Gewalt von den Gebirgen herabwälzen mö¬ gen, wie ich schon selbst die Erfahrung gemacht habe. Das dauert aber gewöhnlich nur einige Tage; dann kann man wieder zu Fuſs durch ihr Bette gehen. Nicht weit diesseit des Simäthus, über den hier eine ziemlich gute Fähre geht, führte mich mein unkundi¬ ger Eseltreiber in Büsche und Moräste hinein, daſs weder ich, noch er, noch der Esel weiter wuſsten. Mein Schmutz und mein Schmerz am Fuſse hatten mich etwas grämlich gemacht, so daſs ich im Aerger dem Jungen mit der Ruthe einige Schläge über das270 Kollet gab. Er fing an jämmerlich zu schreyen; wir erholten uns beyde und er sagte mir sodann mit vie¬ ler Mauleseltreiberweisheit, das sey sehr unklug von mir gewesen, daſs ich so wenig Geduld gehabt habe; ich habe zwar von ihm nichts zu fürchten, weil er ehrlich sey; aber ich sey doch immer in seiner Ge¬ walt. Avis dem Leser, der Junge hatte Recht, und ich schämte mich meiner Uebereilung; wir versöhn¬ ten uns und ritten philosophisch weiter. Die fernere Nachbarschaft von Katanien ist, für Katanien, schlecht genug gebaut; die ganze Gegend des Simäthus könnte und sollte etwas besser bearbeitet seyn. In der Nähe der Stadt fängt die Kultur ſchöner an. Ich lieſs an dem Stadtthore den Jungen mit der Bezahlung laufen und spazierte oder hinkte die Straſse hinab, wendete mich an die erste Physionomie, die mir gefiel und die mich auch in den Elephanten sehr gut unterbrachte. Für den beschädigten Fuſs gab mir ein Arzt bey dem Professor Gambino Muskatennuſsöl, und es ward so¬ gleich besser, und jetzt marschiere ich schon wieder ziemlich fest. Das habe ich auch nöthig; denn ich will auf den Aetna, wo sich mancher schon den Fuſs vertreten hat.
Eben stehe ich von einer ächt klassischen Mahl¬ zeit auf, mein Freund; und ich glaube fast, es wäre die beste in meinem Leben gewesen, wenn nur eini¬ ge Freunde wie Du aus dem Vaterlande mit mir ge¬ wesen wären. Aber mein Tischgeselle war ein hie¬ siger Geistlicher, eben die Physionomie, die ich auf der Straſse zum Führer bekam. Der Mann ist indes¬ sen für einen sicilischen Theologen vernünftig genug,271 und hat mir eben ich weiſs nicht wie klassisch bewie¬ sen, daſs Katanien das Vaterland der Flöhe sey. Mei¬ ne Mahlzeit, Freund, war ganz vom Aetna, bis auf die Fische, welche aus der See an seinem Fuſse wa¬ ren. Die Orangen, der Wein, die Kastanien, die Fei¬ gen und die Feigenschnepfen, alles ist vom Fuſse und von der Seite des Berges. Ich bin Willens ihn auf alle Weise zu genieſsen; deſswegen bin ich hergekom¬ men; und wohl nicht absichtlich um das Unwesen der Regierung und der Möncherey zu sehen. In Ka¬ tanien ist es wohl von ganz Sicilien und vielleicht von ganz Italien noch am hellsten und vernünftigsten; das hat Biskaris und einige seiner Freunde gemacht, durch welche etwas griechischer Geist wieder aufgelebt ist. Es ist hier sogar eine Art von Wohlstand und Flor, der den schlechten Einrichtungen in der Insel Hohn spricht. Hier würde ich leben, wenn ich mich nicht bey den Kamaldulensern in Neapel einsiedelte. Hier fängt man wenigstens an, das Unglück des Vaterlan¬ des, die Unordnungen und Malversationen aller Art, die schrecklichen Wirkungen der Unterdrückung und des dummen Aberglaubens recht lebhaft zu fühlen. Die Mönche haben den dritten Theil der Güter in den Händen; und wenn ihre Mast das einzige Uebel wäre, das sie dem Staate verursachen, so könnte der gräſs¬ liche Druckfehler doch vielleicht noch Verzeihung fin¬ den. Aber — mein Gott, wer wird ein Wort über die Mönche verlieren! Bonaparte wird sich zu seiner Zeit ihrer schon wieder eben so thätig annehmen, wie der Uebrigen, da sie mit ihnen zu seinem Systeme gehören. Es entfuhr mir aus kosmopolitischem In¬272 grimm hier in einer Gesellschaft, daſs ich sagte: Les moines avec leur cortege sont les morpions de l'huma¬ nité. Die Sentenz wurde mit lautem Beyfall aufge¬ nommen, und auf manchen vorübergehenden Kutten¬ träger angewendet. Du begreifst, daſs man schon ziemlich liberal seyn muſs, um so etwas nur zu ver¬ tragen: freylich verträgt man es nicht überall; aber die Stimmung ist doch sehr lebendig gegen das Unge¬ ziefer des Staats. Die Franzosen haben in der ganzen Insel keine geringe Parthey; und diese nimmt es Bo¬ noparte sehr übel, daſs er nach Aegypten ging und nicht vorher kam und sie nahm, welches nach ihrer Meinung etwas leichtes gewesen wäre. Muth, Klug¬ heit, allgemeine Gerechtigkeit und Humanität, von welchen Eigenschaften er wenigstens die erste Hälfte besitzt, hätten mit zehen tausend Mann die Sache ge¬ macht: und es ist leicht zu berechnen, was Sicilien für den Krieg gewesen wäre; wenn es auch nicht mehr so wichtig ist, als in den karthagischen Kriegen oder unter, den Normännern. Alle vernünftige Insu¬ laner sind völlig überzeugt, daſs sie bey dem nächsten Kriege, an dem Neapel nur entfernt Antheil nimmt, die Beute der Engländer oder Franzosen seyn werden; und ich gab ihnen mit voller Ueberlegung den Trost, daſs sie sich im Ganzen auf keinen Fall verschlim¬ mern könnten, so sehr auch einzelne Städte leiden möchten. Sie schienen das leicht zu begreifen, und sich also nicht zu fürchten.
Es würde zu weitläufig werden, wenn ich anfan¬ gen wollte, Dir nur etwas systematisch über Lite¬ ratur und Antiquitäten zu schreiben. Andere haben273 das besser vor mir gethan, als ich es könnte. Es hat sich wesentlich nichts geändert. Der thätige Geist des alten Biscaris scheint nicht ganz auf seinem Nachfolger übergegangen zu seyn; obgleich auch dieser noch im¬ mer die nehmliche Humanität zeigt. Das Kabinet ist wohl nicht ganz in der besten Ordnung. Was mich im Antikensaale vorzüglich beschäftigt hat, waren ei¬ nige sehr schöne griechische und römische Köpfe, ein Torso fast von der nehmlichen Gestalt, wie der jetzi¬ ge Pariser, und den Einige diesem fast gleich schätzen, und eine Büste der Ceres, die beste die ich gesehen habe. Es sind mehrere Statüen der Venus da; aber keine einzige, die mir gefallen hätte. Unter den klei¬ nen Bronzen zeichneten sich für mich aus, ein Atlas der Himmelsträger, ein Mars, ein Merkur und ein Herkules. Es sind auch noch einige andere von vor¬ treflicher Arbeit. Die Lampensammlung ist sehr be¬ trächtlich, vorzüglich die Matrimoniallampen, unter denen viele sehr niedliche, leichtfertige, aphrodisische Mysterien sind, die dem Charakter nach aus den Zei¬ ten der römischen Kaiser zu seyn scheinen. Manches gehört wohl auf keine Weise in eine solche Samm¬ lung, vorzüglich nicht die Gewehre, welche wenig In¬ teresse für Künstler und Kenner haben: einzelne Anek¬ doten müſsten denn die Stücke merkwürdig machen. Vorzüglich schön ist noch eine längliche Vase, wo Ulyſs und Diomed die Pferde des Rhösus bringen.
Das Uebrige findet man besser und geordneter bey dem Ritter Gioeni, dessen Fach ausschlieſslich die Naturgeschichte ist, und vorzüglich die Naturgeschichte Siciliens. Man findet bey ihm alle vulkanische Pro¬18274dukte des Aetna, des Vesuv und der liparischen In¬ seln, und es ist ein Vergnügen die Resultate eines an¬ haltenden Fleiſses hier zusammen zu sehen. Hier sind alle sicilischen Steine, von denen die Marmorar¬ ten vorzüglich schön sind. Bey Landolina und Bisca¬ ris und Gioeni sind Tische, die aus allen sicilischen Marmorarten gearbeitet sind. Das Fach der Muscheln findet man wohl selten so schön und so reich als bey dem letzten. Was mich besonders aufhielt, waren die verschiedenen niedlichen Sorten von Bernstein, alle aus Sicilien, die ich hier nicht gesucht hätte. Ich wuſste wohl, daſs man in Sicilien Bernstein findet, aber ich wuſste nicht daſs er so schön und groſs angetroffen wird: und ich habe aus der Ostsee keine so schönen Farben und Schattierungen davon gesehen. Die Arbei¬ ten waren sehr niedlich und geschmackvoll. In der neuern Chemie und Physik muſs man indessen nicht sehr gewissenhaft mit fortgehen: denn es wurde zu¬ fällig von der Platina gesprochen, die Gesellschaft war nicht ganz klein und nicht ganz gewöhnlich, und man gestand sogar Deinem idiotischen Freunde eine Stim¬ me über die spezifische Schwere des Metalles zu. End¬ lich muſste unser Landsmann Bergmann den Zwist entscheiden, und ich war wirklich seinem Ausspruche am nächsten gekommen. Der Ritter und sein Bruder sind Männer von vieler Humanität und unermüdetem Eifer für die Wissenschaft.
Ich hatte das Vergnügen in dem Universitätsge¬ bäude einer theologischen Doktorkreation beyzuwohnen. Der Saal ist groſs und schön und hell. Rund herum sind einige groſse Männer des Alterthums nicht übel275 abgemahlt, von denen einige Katanier waren; nehm¬ lich Charondas und Stesichorus; auch Cicero hatte für seinen Eifer für die Insel die Ehre hier zu seyn; so¬ dann der Syrakusier Archimed. Theokrit war den frommen Leuten vermuthlich zu frivol; er war nicht hier. Der Kandidat war ein Dominikaner, und machte in ziemlich gutem Latein die Lobrede der Stadt und der Akademie Katanien. Der Promotor hielt sodann der Theologie eine Lobrede, die sehr mönchisch war, und die ich ihm bloſs der guten Sprache wegen nur in Sicilien noch verzeihe. Nun, dachte ich, wird die Disputation angehen; und vielleicht vergönnt man so¬ gar, da die Versammlung nicht zahlreich war, dem Hyperboreer auch ein Wörtchen zu sprechen. Aber das war schon alles inter privatos parietes mit dem Examen abgemacht: man gab dem Kandidaten den Hut, die Trompeter bliesen, und wir gingen fort. Die Universitätsbibliothek ist nicht zahlreich, aber gut ge¬ wählt und geordnet, und der Bibliothekar ist ein freundlicher verständiger Mann. Er zeigte mir eine erste Ausgabe vom Horaz, die mit den Episteln an¬ fing, und die, wie er mir sagte, Fabricius sehr gelobt habe.
In den antiken Bädern unter der Kathedrale, durch welche eine Ader des Amenanus geleitet ist, die noch flieſst, war die Luft so übel, daſs der Professor Gam¬ bino es nur einige Minuten aushalten konnte. Meine Brust war etwas stärker; aber ich machte doch, daſs ich wieder heraus kam. Sie werden selten besucht. Auch in den dreyfachen Korridoren des Theaters et¬ was weiter hinauf kroch ich eine Viertelstunde herum:276 von hier hat der Prinz Biscaris seine besten Schätze gezogen. Auch hier ist ein Aquedukt des Amenanus, aber sehr verschüttet. Nicht weit davon ist ein altes Odeum, das jetzt zu Privatwohnungen verbauet ist. Die Kommission der Alterthümer hat aber nun die Oberaufsicht, und kein Eigenthümer darf ohne ihre Erlaubniſs einen Stein regen.
Das Kloster und die Kirche der reichen Benedik¬ tiner sind so gut als man eine schlechte Sache machen kann. Die Kirche gilt für die gröſste in ganz Sicilien und ist noch nicht ausgebaut; an der Faſsade fehlt noch viel. Sie mag dessen ungeachtet wohl die schön¬ ste seyn. Die Gemälde in derselben sind nicht ohne Werth, und die Stücke eines Eingebornen, des Mo¬ realese, werden billig geschätzt. Am meisten thut man sich auf die Orgel zu gute, die vor ungefähr zwanzig Jahren von Don Donato del Piano gebauet worden ist. Er hat auch eine in Sankt Martin bey Palermo gebaut; aber diese hier soll, wie die Katanier behaupten, weit vorzüglicher seyn. Man hatte die wirklich ausgezeichnete Humanität, sie für einige Frem¬ de nach dem Gottesdienste noch lange spielen zu las¬ sen; und ich glaube selbst in Rom keine bessere ge¬ hört zu haben. Schwerlich findet man eine gröſsere Stärke, Reinheit und Verschiedenheit. Einige kleine Spielwerke für die Mönche sind freylich dabey, die durchaus alle Instrumente in einem einzigen haben wollen: aber das Echo ist wirklich ein Meisterstück; ich habe es noch in keiner Musik so magisch gehört. Die Abenddämmerung in der groſsen schönen Kirche, und dann die feyerlich schaurige Beleuchtung wirkten277 mit. Die Bibliothek und das Kabinet der Benedikti¬ ner sind ansehnlich genug, und könnten bey den Ein¬ künften des Klosters noch weit besser seyn. Im Mu¬ seum finden sich einige hübsche Stücke von Guido Reni und, wie man behauptet, von Raphael. Mehrere griechische Inschriften sind an den Wänden umher. Eine auf einer Marmortafel ist so gelehrt, daſs sie, wie man sagte, auch die gelehrtesten Antiquare in Italien nicht haben erklären können: auch Viskonti nicht. Ich hatte nicht Zeit; und was wollte ich Rekrut nach diesem athletischen Triarier. Doch kam es mir vor, als ob sie in einem späteren griechischen Stile das Märterthum der heiligen Agatha enthielte. Wenn Du nach Katanien zu den Benediktinern kommst, magst Du dein Heil versuchen. In der Bibliothek bewirthete man mich, als einen Leipziger, aus Höflichkeit mit den Actis eruditorum, die in einer Klosterbibliothek in Ka¬ tanien auch wirklich eine Seltenheit seyn mögen. Die Byzantiner waren alle mit Caute in Verwahrung ge¬ setzt, und werden nicht jedem gegeben. einen einen, sehr groſsen Schatz zeigte man mir eine auſserordent¬ lich schön geschriebene Vulgata. Ich las etwas darin, und verschüttete die gute Meinung der Herren fast durch die voreilige Bemerkung, es wäre Schade, daſs der Kopist gar kein Griechisch verstanden hätte. Man sah mich an; ich war also genöthigt zu zeigen, daſs er aus dieser Unwissenheit vieles idiotisch und falsch geschrieben habe. Die guten Leute waren verlegen und legten ihr Heiligthum wieder an seinen Ort, und ihre Mienen sagten, daſs solche Schätze nicht für Pro¬ fane wären. Der Pater Sekretär, ein feiner gebildeter278 Mann, der in seinem Zimmer ein herrliches englisches Instrument hatte, gab mir einen Brief an ihren Bru¬ der oben am Berge im Namen des Abts, da er hörte, daſs ich auf den Berg wollte. Er schüttelte indessen zweifelhaft den Kopf und erzählte mir schreckliche Dinge von der Kälte in der obern Region des Riesen: es würde unmöglich seyn, meinte er, schon jetzt in der frühen Jahrszeit noch zu Anfange des Aprils hin¬ auf zu kommen. Er erzählte mir von einigen West¬ phalen, die es auch bey der nehmlichen Jahrszeit ge¬ wagt hätten, aber kaum zur Hälfte gekommen wären und doch Nasen und Ohren erfroren hätten. Ich lieſs mich aber nicht niederschlagen; denn ich wäre ja nicht werth gewesen nordamerikanischen und russi¬ schen Winter erlebt zu haben.
Das Kloster hat achtzig tausend Skudi Einkünfte, und steht im Kredit, daſs es damit viel gutes thut. Das heiſst aber wohl weiter nichts, als funfzig Faulen¬ zer ernähren hundert Bettler; dadurch werden beyde dem Staate unnütz und verderblich. So jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen, sagt unser al¬ ter Sirach; und ich finde den Ausspruch ganz vernünf¬ tig, auch wenn er mir selbst das Todesurtheil schriebe.
Eine schöne Promenade ist der Garten dieses nehmlichen Klosters, der hinter den Gebäuden auf lau¬ ter Lava angelegt ist, und wo man links und rechts und gerade aus die schönste Aussicht auf den Berg und das Meer und die bebaute Ebene hat. Die Lavafelder geben dem Ganzen das Ansehen einer groſsen mäch¬ tigen Zauberey. Gleich neben diesem Garten, neben dem Klostergebäude nach der Stadt zu, hat ein Kano¬279 nikus einen kleinen botanischen Garten, wo er schon die Papierstaude von Syrakus als eine Seltenheit hält. Noch angenehmer ist der Gang in die Gärten des Prin¬ zen Biscaris in der nehmlichen Gegend. Als er ihn anlegte, hielt man es für eine Spielerey; aber er hat ge¬ zeigt, was Fleiſs mit Anhaltsamkeit und etwas Auf¬ wand thun kann. Er hat die Lava gezwungen; die Pflanzung grünt und blüht mit Wein und Feigen und Orangen und den schönsten Blumen aller Art. Der Gärtner brachte mir die gewöhnliche Höflichkeit, und ich legte mehrere Blumen in mein Taschenbuch für meine Freunde im Vaterlande.
Das Jesuitenkloster in der Stadt ist zum Etablisse¬ ment für Manufakturen gemacht: und ob dieses Eta¬ blissement gleich noch nicht weit gediehen ist, so ist doch durch die Vernichtung des Klosters schon viel ge¬ wonnen. In der Kathedrale hängt in einer Kapelle ein schrecklich treues Gemälde, ungefähr sechs Fuſs im Quadrat, von der letzten groſsen Eruption des Ber¬ ges 1669, die fast die Stadt zu Grunde richtete. Ein ächter Künstler sollte es nehmen und ihm in einer neuen Bearbeitung zur Wahrheit des Ganzen auch Kunstwerth geben. Es würde ein furchtbar schönes Stück werden, und das ganze Gebiet der Kunst hätte dann vielleicht nichts ähnliches aufzuweisen. Hier hätte Raphael arbeiten sollen; da war mehr als sein Brand.
Unten wo der zertheilte Amenanus wieder aus den Lavaschichten heraus flieſst steht noch etwas von der alten Mauer Kat niens, ungefähr in gleicher Ent¬ fernung zwischen dem Molo links und dem Lavaberge rechts, der dort weiter in die See hinein sich empor280 gethürmt hat. An dem Molo hat man schon lange mit vielen Kosten gearbeitet; ich fürchte aber die See wird gewaltiger seyn als die Arbeit. Wenn links ein Felsenufer etwas weiter hervorgriffe und den Wogen¬ sturz von Kalabrien her etwas dämmte, so wäre eher Hoffnung zur Haltbarkeit. Die Erfahrung, von der ich nichts wuſste, hat schon meine Meinung bestätigt, und einige verständige Leute pflichteten mir bey. Ka¬ tanien wird sich wohl müssen mit einer leidlichen Rhede begnügen, wenn nicht vielleicht einmal der Aetna, der groſse Bauer und Zerstörer, einen Hafen bauet. Er darf nur links einen solchen Berg ins Meer schieſsen, wie er rechts gethan hat, so ist er fertig. Es fragt sich, ob das zu wünschen wäre. Die Straſse Fer¬ dinande, von dem prächtigen Thore von Syrakus her, ist die Hauptstraſse: eine andere, die ihr etwas auf¬ wärts parallel läuft, ist fast eben so schön. Wenn Ka¬ tanien so fort arbeitet, macht es sich nach einem gros¬ sen Plane zu einer prächtigen Stadt. Fast alle öffent¬ liche Monumente sind von der Kommune aus eige¬ nen Kräften bestritten, und es sind derselben nicht wenig: des Hofes geschieht nur Ehrenerwähnung. Es ist der lieblichste Ort, den ich in Sicilien gesehen ha¬ be, und übrigens sehr wenig mit der Regierung in Kollision; so daſs viel gutes zu erwarten ist. Die Da¬ zwischenkunft der Höfe verderbt wie ein Mehlthau meistens das natürliche Gedeihen der freyen Industrie.
Ich muſs mich etwas fassen, daſs ich Dich den Weg über den Berg und Taormina hierher mit mir nicht gar zu unordentlich machen lasse; ob Du gleich Ge¬ duld genug wirst haben müssen, denn ich bin ein gar schlechter Systematiker. Der Wirth im Elephanten in Katanien, in dessen Buche ich viele Bekannte fand und der sich als einen sehr guten Hodegeten ankün¬ digte, besorgte mir eben nicht wohlfeil einen Mann mit einem Thiere, der mit mir die Fahrt bestehen sollte. Ich packte meinen Sack voll Orangen und ritt nun bergan. Wie viel ich Dörfer und Flecken durch¬ ritt ehe ich am Sandkloster ankam, weiſs ich nicht mehr. Dieses Kloster gehört bekanntlich den reichen Benediktinern unten in der Stadt, die hier nur einen Layenbruder haben, welcher die Oekonomie besorgt denn sie haben rund umher weite Distrikte von Wein¬ bergen. Bey den Mönchen gilt selten das Sprichwort, im Weine ist Wahrheit; sondern im Weine ist Schlau¬ heit. Ich kann mir nicht helfen, und wenn mich die Mönche zum Abt machten, ich würde sagen, je gröſser das Kloster, desto gröſser die Sottise. Die Mönche unten sind gar feine Kauze, die das Inkonse¬ quente und Bedenkliche und Kritische ihrer jetzigen Lage sehr gut fühlen und die Kutte durchzuschauen wissen: diese waren freundlich und höflich. Der Layenbruder hier im Sande war etwas grämelnd und murrsinnig. Er nahm meinen Empfehlungsbrief, be¬ trachtete ihn und sagte mir ganz trocken: Der Abt,282 mein Vorgesetzter, hat ihn nicht unterschrieben; er geht mich also nichts an. Das ist schlimm für mich, sagte ich: Ja wohl! sagte er. Was soll ich nun thun? fragte ich: Was Sie wollen; antwortete er. Er besann sich indessen doch etwas; man trug eben das Essen auf. Er fragte mich, ob ich mit essen wollte; und ich machte natürlich gar keine Umstände, weil ich ziemlich hungrig war. Wir setzten uns und über Tische ward mein Wirth freundlicher. Mein Maule¬ sel mit dem Führer wurde nach dem nächsten Orte Nikolosi geschickt und mir Quartier und Pflege gesi¬ chert. Man meldete, daſs eine fremde sehr vornehme Gesellschaft ankommen würde, die auch auf den Berg steigen wollte: das war mir lieb. Wir aſsen dreyer¬ ley Fische. Denke Dir, ein Layenbruder der Bene¬ diktiner in der höchsten Wohnung am Aetna zur Fa¬ sten dreyerley Fische! Denn über diesem Kloster sind nur noch einige Häuser links hinüber, und weiter nichts mehr in der Waldregion bis hinauf an die alte Geiſshöhle. Ich spreche von dieser Seite; die andern Pfade kenne ich nicht. Es kam ein anderer Herr, der uns trinken half. Dieser schien ein etwas besseres Stück von Geistlichen zu seyn. Mein Wirth zog den Brief aus der Tasche und lieſs ihn den andern vorle¬ sen: da ergab sich mir denn erst, daſs der Herr Layenbruder wohl gar nicht lesen konnte. Der Brief lautete ungefähr, daſs der Pater Sekretär ihm im Na¬ men und auf Befehl des Abtes schreibe, dem deut¬ schen reisenden Herrn, der von dem Minister sehr empfohlen wäre, nach Würden bestens zu bewirthen. Von meiner Entfernung war nun gar nicht mehr die283 Rede. Der Bruder erzählte mir seine Reisen und sei¬ ne Schicksale, und daſs ihn der Papst kenne. Bald kam er auf meine Ketzerey und segnete sich. Er lieſs sich mein Seelenheil und meine Bekehrung noch et¬ was angelegener seyn, als der palermitanische Steuer¬ revisor in Agrigent, fand mich aber ganz refraktarisch: er muſste mich mit seinem besten Futter in die Hölle gehen lassen. Der vornehmste Grund, den er brauch¬ te, mich zum Christen zu machen, war: Ich hätte doch einen sehr gefährlichen Weg vor mir, es seyen auf dem Berge schon viele umgekommen; nun könnte ich, wenn ich auch todt gefunden würde, nicht ein¬ mahl christlich begraben werden. Das war nun frey¬ lich ein triftiges Argument; denn bey diesen Herren ist kein Akatholikus ein Christ. Ich sagte ihm so sanft als möglich die Anekdote des Diogenes, der sich im ähnlichen Falle aus bat, man möchte ihm nach dem Tode einen Stock hinlegen, damit er die Hunde wegjagen könnte. Der Mann schüttelte den Kopf und — trank sein Glas. Nun wurde mir ein Führer bestellt, der theuer genug war, und auf alle Fälle al¬ les in Ordnung gesetzt, wenn auch die Gesellschaft nicht kommen sollte. Eben als die Einrichtung ge¬ troffen worden war, wurde gemeldet, daſs die Englän¬ der nicht kommen würden, sondern in Nikolosi blie¬ ben. Darüber war der Mann Gottes sehr ergrimmt und betete etwas unsanft, wie Elisa der Bärenprophet, über einige seiner Feinde unten in Katanien und oben in Nikolosi. Ich machte eine Ausflucht gegen über auf die Monti rossi, die sich bey der letzten groſsen Eruption gebildet haben, vermuthlich von der Farbe284 den Namen tragen und von ihren Gipfeln eine herrli¬ che Aussicht geben. Man hat eine starke Viertelstunde nöthig sie zu ersteigen, und von ihnen sieht man noch jetzt den ganzen ungeheuern Lavastrom der hier aus¬ brach, alles umwälzte und zernichtete, einen groſsen Theil der Stadt zerstörte und tief hinter derselben sich als eine hohe Felsenwand in der See stemmte. Ich weiſs wohl, daſs Stollberg anderer Meinung ist; aber ich habe es hier so von vielen Einwohnern gehört, unter denen auch manche ziemlich unterrichtete Män¬ ner waren. Als ich herunter stieg, begegnete ich zwey Engländern von der Parthie aus Nikolosi, die den nehm¬ lichen Spaziergang hierher gemacht hatten. Ihrer wa¬ ren fünfe, lauter Offiziere von der Garnison aus Mal¬ ta, die von Neapel kamen und unterwegs den Berg mit sehen wollten; ein Major, ein Hauptmann und drey Lieutenants. Sie freuten sich noch einen zur Parthie zu bekommen, und ich holte flugs meinen Sack vom Mönche und zog herunter zu den Englän¬ dern ins Wirthshaus nach Nikolosi, wo schon vorher mein Führer einquartiert war. Der Mönch machte ein finsteres Gesicht, murrte etwas durch die Zähne, vermuthlich einige Flüche über uns Ketzer alle: ich dankte und ging.
Hier trieben wir nun, die fünf Britten und Dein Freund, unser Wesen sehr erbaulich. Die Engländer hat¬ ten den Wirth vom goldenen Löwen aus Katanien mit¬ gebracht; ich trat zur Gesellschaft, man schaffte mir ein Bett so gut als möglich, und wir legten uns nieder und schliefen nicht viel. Die Herren erzählten ihre Abenteuer, militärische und galante, von der Themse285 und vom Nil, und bald traf die Kritik einen General bald ein Mädchen. Vorzüglich war der Gegenstand ihrer Reminiscenzen eine gewisse originelle Trompe¬ tersfrau, die sie nach allen Prädikamenten zur Königin ihres Lagers in Aegypten erhoben. Gegen Mitternacht kamen die Führer, und nun setzte sich die ganze Ka¬ ravane zu Maulesel; sechs Signori Forestieri, zwey Füh¬ rer mit Laternen und ein Proviantträger. Es war, wenn ich nicht irre, den sechsten April zu Mitter¬ nacht, oder den siebenten des Morgens. Den vorigen Tag war es trübes Wetter gewesen, hatte den Abend ziemlich stark geregnet, hellte sich aber auf so wie wir aus dem Wirthshause zogen. Wir gingen bey meinem Mönch in Sankt Nicolas del bosco ove della rena vorbey Es war frisch und ward bald kalt, und dann sehr kalt. Wir trottierten und lärmten uns warm. Dann deklamierte der Major Grays Kirchhof, dann sangen wir God save the king, nach Händel, und Birtannia, rule the waves, und andere englischpatrio¬ tische Sachen. Jeder gab seinen Schnak. We are al¬ ready pretty high, sagte der Eine; it is a bitter nip¬ ping cald, der Andere. Methinks, hear the dogstar bark, and Mars meets Venus in the dark; fuhr ein Dritter fort. Is that not smoke there? fragte ein subalterner Myops; I believe I see already old Nock smoking his pipe. But, my dear, sagte der Major, You are pur¬ blind upon your starboard eye; it is an oaktree. So war es; das gab Gelächter, und wir ritten weiter. Bald kamen wir aus der bebauten Region in die wal¬ dige, und gingen nun unter den Eichen immer berg¬ auf. Ungefähr um ein Uhr kamen wir in der Gegend286 der Geiſshöhle an, die aber jetzt auſser Uebung kommt. Der Fürst von Paterno hat dort ein Haus gebaut, wo die Fremden eintreten und sich bey einem Feuer wärmen können. Das Haus ist schlecht genug, und ein deutscher Dorfschulze würde sich schämen, es nicht besser gemacht zu haben. Indessen ist es doch besser als nichts und vermuthlich bequemer als die Höhle. Hier blieben wir eine kleine Halbestunde, be¬ stiegen wieder unsere Maulthiere und ritten nunmehr aus der waldigen Region in den Schnee hinein. Un¬ gefähr eine Viertelstunde über dem Hause und der Höhle hörte die Vegetation ganz auf und der Schnee fing an hoch zu werden, der schon um das Haus her hier und da neu und alt lag. Wir muſsten nun ab¬ steigen und unsere Maulthiere hier lassen. Der Schnee ward bald sehr hoch und das Steigen sehr beschwer¬ lich. Unsere Führer riethen uns nur langsam zu ge¬ hen, und sie hatten Recht: aber die Herren ruhten zu oft absatzweise, und darin hatten diese nicht Recht. Methinks I smell the morning air, sagte der Major, und fuhr ganz drollig fort, als ein junger Lieutenant durch den hohlen Schnee auf ein Lavastück fiel und über den Fuſs klagte: Alack, what dangers do inviron the man that meddles with cold iron! Die Kälte des Morgens ward schneidend und die Engländer, die wohl in Aegypten und Malta eine solche Parthie nicht gemacht hatten, schüttelten sich wie die Matrosen. Endlich erreichten wir den Steinhaufen des so genann¬ ten Philosophenthurms, und die Sonne stieg eben glü¬ hend über die Berge von Kalabrien herauf und ver¬ goldete was wir von der Meerenge sehen konnten, die287 ganze See und den Taurus zu unsern Füſsen. Ganz rein war die Luft nicht, aber ohne Wolken; um de¬ sto magischer war die Scene. Hinter uns lag noch alles in Nacht und vor uns tanzten hier und da Nebel¬ gestalten auf dem Ocean. Wer kann beschreiben? Nimm deinen Benda, und laſs auf silbernem Flügel dem Mädchen auf Naxos die Sonne aufgehen: und wenn Du nicht Etwas von unserm Vergnügen hast, so kann Dir kein Gott helfen. So ging uns Titan auf; aber wir waren über dem werdenden Gewitter: es konnte uns nicht erreichen. Einer der Herren lief wehklagend und hoch aufschreyend um die Trümmern herum; denn er hatte die Finger erfroren. Wir hal¬ fen mit Schnee und rieben und wuschen, und arbei¬ teten uns endlich zu dem Gipfel des Berges hinauf. Mich däucht, man müſste bis zum Philosophenthurm reiten können; bis dahin ist es nicht zu sehr jäh: aber die Kälte verbietet es; wenigstens möchte ich deſswegen nicht von der Kavalkade seyn. Von hier aus kann man nicht mehr gehen; man muſs steigen, und zuweilen klettern, und zuweilen klimmen. Es scheint noch eine Viertelstunde bis zur höchsten Spitze zu seyn, aber es ist wohl noch ein Stündchen Arbeit. Die Britten letzten sich mit Rum, und da ich von dergleichen Zeug nichts trinke, aſs ich von Zeit zu Zeit eine Apfelsine aus der Tasche. Sie waren ziem¬ lich gefroren; aber ich habe nie so etwas köstliches genossen. Als ich keine Apfelsinen mehr hatte, denn der Appetit war stark, stillte ich den Durst mit Schnee, arbeitete immer vorwärts, und war zur Ehre der deut¬ schen Nation der Erste an dem obersten Felsenrande288 der groſsen ungeheuern Schlucht, in welcher der Kra¬ ter liegt. Einer der Führer kam nach mir, dann der Major, dann der zweyte Führer, dann die ganze klei¬ ne Karavane bis auf den Herrn mit den erfrorenen Fingern. Hier standen und saſsen und lagen wir, halb in dem Qualm des aufsteigenden Rauchdampfes einge¬ hüllt und keiner sprach ein Wort und jeder staunte in den furchtbaren Schlund hinab, aus welchem es in dunkeln und weiſslichen Wolken dumpf und wüthend herauftobte. — Endlich sagte der Major, indem er sich mit einem tiefen Athemzuge Luft machte: Now it is indeed worth a young man's while to mount and see it; for such a sight is not to be met with in the parks of old England. Mehr kannst Du von einem ächten Britten nicht erwarten, dessen patriotische Seele ihren Gefährten mit Rostbeef und Porter ambrosisch bewirthet.
Die Schlucht, ungefähr eine kleine Stunde im Umfange, lag vor uns, wir standen alle auf einer ziemlich schmalen Felsenwand, und bückten uns über eine steile Kluft von vielleicht sechzig bis siebzig Klaf¬ tern hinaus. Einige legten sich nieder, um sich auf der grausen Höhe vor Schwindel zu sichern. In die¬ ser Schlucht lag tief der Krater, der seine Stürme aus dem Abgrunde nach der entgegengesetzten Seite hin¬ über warf. Der Wind kam von der Morgensonne und wir standen noch ziemlich sicher vor dem Dampfe; nur daſs hier und da etwas durch die Felsenspalten heraufdrang. Rund herum ist keine Möglichkeit vor den ungeheuern senkrechten Lavablöcken, bis hinun¬ ter ganz nahe an den Rand des eigentlichen Schlun¬289 des zu kommen. Bloſs von der Seite von Taormina, wo eine sehr groſse Vertiefung ausgeht, muſs man hinein steigen können, wenn man Zeit und Muth ge¬ nug hat, die Gefahr zu bestehen: denn eine kleine Veränderung des Windes kann tödtlich werden, und man erstickt wie Plinius. Uebrigens würde man wohl unten am Rande weiter nichts sehen können. Hätte ich drey Tage Zeit und einen entschlossenen, der Ge¬ gend ganz kundigen Führer, so wollte ich mir wohl die Ehre erwerben unten gewesen zu seyn, wenn es der Wind erlaubte. Man müſste aber mit viel gröſse¬ rer Schwierigkeit von Taormina hinauf steigen.
Nachdem wir uns von unserm ersten Hinstaunen etwas erholt hatten, sahen wir nun auch rund umher. Die Sonne stand nicht mehr so tief, und es war auch auf der übrigen Insel schon ziemlich hell. Wir sahen das ganze groſse schöne herrliche Eiland unter uns, vor uns liegen, wenigstens den schönsten Theil des¬ selben. Alles was um den Berg herum liegt, das ganze Thal Enna, bis nach Palagonia und Lentini, mit al¬ len Städten und Flecken und Flüssen, war wie in ma¬ gischen Duft gewebt. Vorzüglich reitzend zog sich der Simäthus aus den Bergen durch die schöne Fläche lang lang hinab in das Meer, und man übersah mit Einem Blick seinen ganzen Lauf. Tiefer hin lag der See Lentini und glänzte wie ein Zauberspiegel durch die elektrische Luft. Die Folge wird zeigen, daſs die Luft nicht sehr rein, aber vielleicht nur desto schöner für unsern Morgen war. Man sah hinunter bis nach Augusta und in die Gegend von Syrakus. Aber die Schwäche meiner Augen und die Dünste des Himmels,19290der doch fast unbewölkt war, hinderten mich weiter zu sehen. Messina habe ich nicht gesehen; und mich däucht, man kann es von hier nicht sehen: es liegt zu tief landeinwärts an der Meerenge und die Berge müssen es decken. Palermo kann man durchaus nicht sehen, sondern nur die Berge umher. Von den Lipa¬ ren sahen wir nur etwas durch die Wölkchen. Nach¬ dem wir rund umher genug hinabgeschaut hatten, und das erste Staunen sich zu etwas Ruhe setzte, sagte der Major nach englischer Sitte: Now be sure, we needs must give a shout at the top down the gulf; und so stimmten wir denn drey Mahl ein mächtiges Freuden¬ geschrey an, daſs die Höhlen des furchtbaren Riesen wiederhallten, und die Führer uns warnten, wir möch¬ ten durch unsere Ruchlosigkeit nicht die Teufel unten wecken. Sie nannten den Schlund nur mit etwas ver¬ ändertem Mythus: la casa del diavolo und das Echo in den Klüften la sua risposta.
Der Umfang des kleinen tief unten liegenden Kessels mag ungefähr eine kleine Viertelstunde seyn. Es kochte und brauste, und wüthete und tobte und stürmte unaufhörlich aus ihm herauf. Einen zweyten Krater habe ich nicht gesehen; der dicke Rauch müſste vielleicht ganz seinen Eingang decken, oder dieser zweyte Schlund müſste auf der andern Seite der Fel¬ sen liegen, zu der wir wegen des Windes, der den Dampf dorthin trieb, nicht kommen konnten. Auch hier waren wir nicht ganz vom Rauche frey; die rothe Uniform der Engländer mit den goldenen Achselbän¬ dern war ganz schwarzgrau geworden; mein blauer Rock hatte seine Farbe nicht merklich geändert.
291Ich hatte mich bisher im Aufsteigen immer mit Schnee gelabt; aber hier am Rande auf der Spitze war er bitter salzig und konnte nicht genossen werden. Nicht weit vom Rande lag ein Auswurf von verschie¬ denen Farben, den ich für todten Schwefel hielt. Er war heiſs und wir konnten unsere Füſse darin wärmen. Wir setzten uns an eine Felsenwand, und sahen auf die zauberische Gegend unter uns, vorzüglich nach Katanien und Paterno hinab. Die Monti rossi bey Ni¬ kolosi glichen fast Maulwurfshügeln, und die ganze groſse ausgestorbene Familie des alten lebendigen Va¬ ters, lag rund umher. Nur er selbst wirkte mit ewi¬ gem Feuer in furchtbarer Jugendkraft. Welche unge¬ heuere Werkstatt muſs er haben! Der letzte groſse Ausbruch war fast drey deutsche Meilen vom Gipfel hinab bey Nikolosi. Wenn er wieder durchbrechen sollte, fürchte ich für die Seite von Taormina, wo nun die Erdschicht am dünsten zu seyn scheint. Die Luft war trotz dem Feuer des Vulkans und der Sonne doch sehr kalt, und wir stiegen wieder herab. Unser Herabsteigen war vielleicht noch belohnender als der Aufenthalt auf dem obersten Gipfel. Bis zum Philoso¬ phenthurm war viel Behutsamkeit nöthig. Hier war nun der Proviantträger angekommen, und wir hielten unser Frühstück. Die Engländer griffen zur Rumfla¬ sche und ich hielt mich zum gebratenen Huhn und dann zum Schnee. Brot und Braten waren ziem¬ lich hart gefroren, aber der heiſse Hunger thaute es bald auf. Indem wir aſsen, genossen wir das schönste Schauspiel, das vielleicht das Auge eines Menschen genieſsen kann. Der Himmel war fast ganz hell, und292 nur hinter uns über dem Simäthus hingen einige klei¬ ne lichte Wolken. Die Sonne stand schon ziemlich hoch an der Küste Kalabriens; die See war glänzend. Da zeigten sich zuerst hier und da einige kleine Fleck¬ chen auf dem Meere links vor Taormina, die fast wie Inselchen aussahen. Unsere Führer sagten uns sogleich was folgen würde. Die Flecken wurden zusehens grö¬ ſser, bildeten flockige Nebelwolken und breiteten sich aus und flossen zusammen. Keine morganische Fee kann eine solche Farbenglut und solchen Wechsel ha¬ ben, als die Nebel von Moment zu Moment annah¬ men. Es schoſs in die Höhe und glich einem Walde mit den dichtesten Bäumen von den sonderbarsten Ge¬ stalten, war hier gedrängter und dunkler, dort dünner und heller, und die Sonne schien in einem noch ziemlich kleinen Winkel auf das Gewebe hinab, das schnell die ganze nördliche Küste deckte und das wir tief unter uns sahen. Der Gluthstrom fing an die Schluchten der Berge zu füllen, und hinter uns lag das Thal Enna mit seiner ganzen Schönheit in einem unnennbaren Halblichte, so daſs wir nur noch den See von Lentini als ein helles Fleckchen sahen. Die¬ ses alles und die Bildung des himmlischen Gemäldes an der Nordostseite, war das Werk einer kleinen Vier¬ telstunde. Ich werde eine so geschmückte Scene wahr¬ scheinlich in meinem Leben nicht wieder sehen. Sie ist nur hier zu treffen und auch hier sehr selten; die Führer priesen uns und sogar sich selbst deſswegen glücklich. Wir brachen auf, um, wo möglich, unten dem Regen zu entgehen: in einigen Minuten sahen wir nichts mehr von dem Gipfel des Berges; alles war293 in undurchdringlichem Nebel gehüllt, und wir selbst schossen auf der Bahn, die wir im Hinaufsteigen ge¬ macht hatten, pfeilschnell herab. Ohne den Schnee hätten wir es nicht so sicher gekonnt. Nach einer halben Stunde hatten wir die Blitze links, immer noch unter uns. Der Nebel hellte sich wieder auf, oder vielmehr wir traten aus demselben heraus, das Gewit¬ ter zog neben uns her nach Katanien zu, und wir kamen in weniger als der Hälfte Zeit wieder in das Haus am Ende der Waldregion, wo wir uns an das Feuer setzten; nehmlich diejenigen, die es wagen durften. Die Engländer hatten zu dieser Bergreise ei¬ ne eigene Vorkehrung getroffen. Weiſs der Himmel, wer es ihnen mag gerathen haben: die meinige war besser. Sie kamen in Nikolosi in Stiefeln an, setzten sich aber dort in Schuhe, und über diese Schuhe zo¬ gen sie die dicksten wollenen Strümpfe, die man sich denken kann, und die sie sogar, wie sie mir sagten, schon in Holland zu diesem Behufe gekauft hatten. Der Aufzug lieſs sonderbar genug; sie sahen mit den groſsen Aetnastöcken, von unten auf alle ziemlich aus, wie samogetische Bärenführer. Ich ging in meinem gewöhnlichen Reisezeug mit gewöhnlichen baumwolle¬ nen Strümpfen in meinen festen Stiefeln. Schon hin¬ aufwärts waren einige holländische Strümpfe zerrissen; herabwärts ging es über die Schuhe und die Unter¬ strümpfe. Einige liefen auf den Zehen, die sie na¬ türlich erfroren hatten. Meine Warnung, langsam und fest ohne abzusetzen fortzugehen, hatte nichts ge¬ holfen. Mir fehlte nicht das Geringste. Vorzüglich hatte Einer der jungen Herren die Unvorsichtigkeit ge¬294 habt, sich mit warmem Wasser zu waschen und an das Feuer zu setzen. In einigen Minuten jauchzte er vor Schmerz, wie Homers verwundeter Kriegsgott, und hat den Denkzettel mitgenommen. Vermuthlich wird er in Katanien oder Malta zu kurieren haben. Du kannst sehen, welcher auffallende Kontrast hier in ei¬ ner kleinen Entfernung in der Gegend ist: unten bey Katanien raufte man reifen Flachs und die Gerste stand hoch in Aehren; und hier oben erfror man Hände und Füſse. Nun ritten wir noch immer mit dem Gewitter durch die Waldregion nach Nikolosi hinab, wo wir eine herrliche Mahlzeit fanden, die der Wirth aus dem goldenen Löwen in Katanien kontrakt¬ mäſsg angeschaft hatte. Wir nahmen Abschied; die Engländer ritten zurück nach Katanien, und ich mei¬ nes Weges hierher nach Taormina.
Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so vielfältigen Schönheiten als um diesen Berg. Seine Höhe kann ich nicht bestimmen. In einem geogra¬ phischen Verzeichniſs wurde er hier beträchtlich höher angegeben, als die höchsten Alpen: das mögen die mathematischen Geographen ausmachen. Der Profes¬ sor Gambino aus Katanien will diesen August mit ei¬ ner Gesellschaft hinauf gehen, um oben noch mehrere Beobachtungen zu machen. Man hat in der Insel das Sprichwort vom Aetna: On le voit toujours le cha¬ peau blanc et la pipe à la bouche. — Der Schnee soll nie ganz schmelzen; das ist in einem so sehr süd¬ lichen Klima viel. Man nennt ihn in Sicilien mei¬ stens, wie bekannt, Monte Gibello: aber man nennt ihn auch noch sehr oft Aetna, oder den Berg von Si¬295 cilien oder geradezu vorzugsweise den Berg. Die letzte Benennung habe ich am häufigsten und zwar auch unten an der südlichen Küste gefunden. Mir scheint es überhaupt, daſs man jetzt anfängt, die alten Namen wieder hervorzusuchen und zu gebrauchen. So habe ich den Fluſs unten nie anders als Simäthus nennen hören.
Bis an das Bergkloster der Benediktiner, ist der Aetna von dieser Seite bebaut, und ziemlich gut be¬ baut; weiter hinauf ist Wald und fast von lauter Ei¬ chen, die jetzt noch alle kahl standen; und nicht weit von der Geiſshöhle oder dem jetzigen Hause von Pa¬ terno, hört die Vegetation auf. Wir fanden von dort an bis zum Gipfel hohen Schnee. Die bebaute Region giebt eine Abwechselung, die man vielleicht selten mehr auf dem Erdboden findet. Unten reifen im lieb¬ lichsten Gemische die meisten Früchte des wärmern Erdstrichs; alle Orangengeschlechter wachsen und blü¬ hen in goldenem Glanze. Weiter hinauf gedeiht die Granate, dann der Oehlbaum, dann die Feige, dann nur der Weinstock und die Kastanie; und dann nur noch die ehrwürdige Eiche. Am Fuſse triffst Du alles dieses zusammen in schönen Gruppen, und zuweilen Palmen dazu.
Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir mein Führer, nur auf Einem Punkte, den alten gro¬ ſsen berühmten Kastanienbaum in der Ferne. Kaum kann ich sagen, daſs ich ihn gesehen habe; ich wollte ihm aber nicht einen Tag aufopfern. Die Nacht muſste ich in einem kleinen elenden Dörfchen blei¬ ben. Der Weg nach Taormina gehört zu den schön¬ sten, besonders einige Millien vor der Stadt. Dieser296 Ort, welcher ehemahls unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus steht, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Aetna, links das fabel¬ hafte Ufer der Insel, und gegenüber sieht man weit weit hinauf an den Küsten von Kalabrien. Höchst wahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung durch die Saracenen, so gut als möglich wieder zusammen gesetzt, scheint aber da¬ bey nach sehr willkührlichen Konjekturen verfahren zu seyn. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten, und alles was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen: und doch hat eben der schönste, prächtigste Theil am meisten von den Barbaren gelitten. Das alte Schloſs, welches noch höher als die Stadt liegt, muſs schwer zu neh¬ men seyn. Die heilige Mutter vom Felsen könnte es also ziemlich gut vertheidigen, wenn ihre Kinder ver¬ ständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Katanien an den Kom¬ mandanten, die einzige in Sicilien, welche schlecht honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirthshaus unten am Fuſse des Berges, welches aber eine starke Stunde hinunter ist. Das konnte mir mein Maulesel¬ treiber auch sagen; und hätte ich oben ein Wirths¬ haus finden können, so wäre ich dem Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bey den Kapuzinern sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wan¬297 derte wieder allein zu Fuſse weiter: denn an der See hinauf, dachte ich, kann ich nun Messina nicht ver¬ fehlen. Ein alter Sergeant von Taormina, der mir dort den Cicerone machte, wollte mir eine Order an den Kommandanten von Sankt Alexis, einen unter ihm stehenden Korporal, mit geben, daſs er mir das Schloſs auf der Felsenspitze zeigen sollte: ich dankte ihm aber mit der Entschuldigung, daſs ich nicht Zeit haben würde. Der Weg hinauf und herab von Taor¬ mina ist etwas halsbrechend, und hat einige schöne, gut bebaute Schluchten. Mein Aufenthalt oben dauerte aus angeführten Ursachen nur zwey kleine Stunden, bis ich das Theater gesehen und Fische und Oliven mit dem Sergeanten gegessen hatte. Der ehrliche alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit durchaus ei¬ nige Millien begleiten, damit ich den Weg nicht ver¬ lieren möchte. Einen gar sonderbaren, langgezogenen, nicht unsonorischen Dialekt haben hier die Leute. Auf die Frage, wie weit ich noch zum nächsten Orte habe, erhielt ich die Antwort: Saruhn incuhra cin¬ quuh migliah; welches jeder ohne Noten verste¬ hen wird.
Diese Nacht blieb ich in einem kleinen Orte, der, glaube ich, Giumarrinese hieſs, und noch acht¬ zehn Millien von Messina entfernt ist. Ein Seebad nach einem ziemlich warmen Tage that mir recht wohl; und die frischen Sardellen gleich aus der See waren nachher ein ganz gutes Gericht. Man thut sich hier darauf etwas zu gute und behauptet mit Recht, daſs man sie in Palermo nicht so schön haben kann. Einige Millien vor Messina fand ich wieder Fuhrgleise,298 welches mir ordentlich eine Wohlthat war; denn seit Agrigent hatte ich keinen Wagen gesehen. In Syra¬ kus kann man nur eine Viertelstunde an der See bis an ein Kloster vor der Stadt fahren: und eine geistli¬ che Sänfte, von Mauleseln getragen, die ich in den Bergschluchten zwischen Lentini und Augusta antraf, war alles was ich einem Fuhrwerk ähnliches gefun¬ den hatte.
In der langen Vorstadt von Messina traf ich einige sehr gut gearbeitete Brunnen, mit pompösen lateini¬ schen Inschriften, worin ein Brunnen mit Recht als eine groſse Wohlthat gepriesen wurde. Nur Schade, daſs sie kein Wasser hatten. Die Hafenseite ist noch eine furchtbare Trümmer, und doch der einzige nahe Spaziergang für die Stadt. Noch der jetzige Anblick zeigt, was das Ganze muſs gewesen seyn; und ich glaube wirklich, die Messinesen haben Recht gehabt, wenn sie sagten: es sey in der Welt nicht so etwas prächtiges mehr gewesen, als ihre Faſsade an dem Ha¬ fen, die sie nur vorzugsweise den Pallast nannten, und ihn noch jetzt in den Trümmern so nennen. Das Schicksal scheint hier eine schreckliche Erinnerung an unsere Ohnmacht gegeben zu haben: Das könnt ihr mit Macht und angestrengtem Fleiſs in Jahrhunder¬ ten; und das kann ich in einem Momente! Die Mo¬ numente stürzten, und die ganze Felsenküste jenseits und diesseits wurde zerrüttet! — Nur die Heiligenni¬ schen an den Enden werden wieder aufgebaut und Bettelmönche hineingesetzt, den geistlichen Tribut ein¬ zutreiben. Aufwärts in der Stadt wird sehr lebhaft und sehr solid wieder aufgebaut. Die Häuser bekom¬ men durchaus nicht mehr als zwey Stockwerke, um bey künftigen Erderschütterungen nicht zu sehr unter ihrer Last zu leiden. Das unterste Stockwerk hat selbst in den furchtbaren Erdbeben überall wenig ge¬ litten.
300Messina ist reich an Statuen ihrer Könige, von denen einige nicht schlecht sind. Ich habe stunden¬ lang vor dem Bilde Philipps des zweyten gestanden, und die Geschichte aus seinem Gesichte gesucht. Mich däucht, er trägt sie darauf; und selbst Schiller scheint seinen Charakter desselben von so einem Kopfe genom¬ men zu haben. Die heilige Jungfrau ist bekanntlich die vorzügliche Patronin der Messinesen, und Du kannst nicht glauben, wie fest und heilig sie noch auf ihren Schutzbrief halten. Wenn sie hier nicht im Erd¬ beben hilft, so wie Agatha in Katanien den Berg nicht zähmt, so müssen freylich die Sünder gestraft werden. Ich hatte so eben Gelegenheit, eine groſse feyerliche Ceremonie ihr zu Ehren zu sehen. Die ganze Geistlichkeit mit einem ziemlich ansehnlichen Gefolge vom weltlichen Arm hielt das Palmenfest. Mich wundert nicht, daſs die Palmen in Sicilien nicht besser fortkommen und immer seltener werden, wenn man sie alle Jahre auf diese Art so gewissenlos plün¬ dert. Alles trug Palmenzweige, und wer keinen von den Bäumen mehr haben konnte, der hatte sich einen schnitzen und färben lassen. Der Aufzug wäre pos¬ sierlich gewesen, wenn er nicht zu ernsthaft gewesen wäre. Ein Mönch predigte sodann in der Kathedral¬ kirche eine halbe Stunde von der heiligen Jungfrau und ihrem gewaltigen Kredit im Himmel, und ihrer besondern Gnade gegen die Stadt, und führte dafür Beweise an, wo selbst der ächteste gläubigste Katholik hätte ausrufen mögen: Credat Judaeus apella! Sodann kam der Erzbischof in einem Ungeheuern alten vergol¬ deten Staatswagen mit vier stattlichen Mauleseln, stieg301 aus und segnete das Volk und es ging selig nach Hause. Die Kathedrale hat in ihrem Bau nichts merk¬ würdiges als die Säulen, die aus dem alten Neptunus¬ tempel am Pharus sind. Der groſse, prächtige Altar war verhängt; er gilt in ganz Sicilien für ein Wun¬ der der Arbeit und des Reichthums. Man machte mir Hoffnung, daſs ich ihn würde sehen können, und nahm es ziemlich übel, daſs mir die Sache so gleich¬ gültig schien.
Man sagt, die Hafenseite liege deſswegen noch so ganz in Trümmern, weil die Regierung sie durchaus eben so schön nach dem alten Plan aufgebaut wissen wolle, und die Bürger sie nur mit dem übrigen gleich, zwey Stock hoch, aufzuführen gesonnen seyen. Mich däucht, das Ganze, ob ich es gleich von sehr un¬ terrichteten Leuten gehört habe, sey doch nur ein Ge¬ rücht: und wenn es wahr ist, so zeigt es den guten soliden Verstand der Bürger, und die Unkunde und Marotte der Regierung. Die Statue des jetzigen Kö¬ nigs, Ferdinand des vierten, hat man noch 1792 mit¬ ten unter die Trümmern gesetzt. Wenn hier der gute Herr nicht seinen lethargischen Schnupfen verliert, so kann ihm kein Anticyra helfen. Was die Leute bey der Aufstellung der Statue eben hier mögen gedacht haben, ist mir unbegreiflich, da der König weder eine solche Ehre noch eine solche Verspottung verdient. Die Statue war auf alle Fälle hier das letzte, was man aufstellen sollte. In dem Hafen liegen eben jetzt vier englische Fregatten, und es scheint als ob die Britten über die Insel Wache hielten, so bedenklich mag ih¬ nen die Lage derselben vorkommen. Es sind schöne302 herrliche Schiffe, und so oft ich etwas von der engli¬ schen Flotte gesehen habe, habe ich unwillkührlich den übermüthigen Insulanern ihr stolzes Britannia, rule the waves verziehen; eben so wie dem Pariser Didot sein Excudebam, wenn ich die Arbeit selbst be¬ trachtete.
Von der Wasserseite möchte es immer etwas ko¬ sten, Messina anzugreifen: aber zu Lande, von Skaletta her, würde man so ziemlich gleich gegen gleich fech¬ ten, und der Ort würde sich nicht halten. Ich war hier an einen Präpositus in einem Kloster empfohlen, der viel Güte und Freundlichkeit aber ziemlich wenig Sinn für Aufklärung hatte, welches man dem guten Mann in seiner Lage so übel nicht nehmen muſs. Er begleitete mich mit vieler Gefälligkeit überall hin, und wollte mich in dem Kloster logieren; aber ich hatte schon in der Stadt ein ziemlich gutes Wirthshaus. Die Kirche des heiligen Gregorius auf einer ziemlichen An¬ höhe ist reich an Freskogemälden und Marmorarbeit: aber was mir wichtiger ist als dieses, sie giebt von ih¬ rer Faſsade links und rechts die schönste Aussicht über die Stadt und den Meerbusen; und mit einem guten Glase muſs man hier sehen können, was gegen über am Ufer in Italien und in Rhegio auf den Gassen ge¬ schieht. In dem Hause des Herrn Marini, eines Patri¬ ciers der Stadt, steht als neuestes Alterthum ein Stück einer alten Säule mit Inschrift, das vor einiger Zeit gefunden worden ist. Sie hat auf einem Brunnen gestanden, und man behauptet, ihre Inschrift sey grie¬ chisch; aber niemand ist da, der sie erklären könnte. Ob ich gleich leidlich griechisch lese, so konnte ich303 doch nicht einmal heraus bringen, ob es nur griechi¬ chische Lettern waren. Vielleicht ist es altes phönizi¬ sches Griechisch, und in diesem Falle vielleicht eins der ältesten Monumente. Schrift und Marmor haben sehr gelitten, da sie so lange unter der Erde gelegen haben. Das Stück ist, so viel ich weiſs, noch nicht bekannt, und wird sorgfältig aufgehoben. Ich em¬ pfehle es Männern, die gelehrter sind als ich; da es doch vielleicht für irgend einen Punkt der Geschichte nicht unwichtig ist.
Die Herren des Klosters luden mich ein zum Fasttage bey ihnen zu essen. Dieses ist die einzige Mahlzeit, die ich in Italien bey Italiänern genossen ha¬ be; und sie war stattlich. Von den übrigen Herren habe ich viel Höflichkeit erhalten, aber nichts zu es¬ sen. Das ist nun so die italiänische Weise, die ich weder loben noch tadeln will. Das Kloster bestand nur aus wenigen Geistlichen: der Layenbrüder, welche die Bedienten machten, waren mehr. Man gab mir den Ehrenplatz und war sehr artig und ich sollte dank¬ bar seyn: aber erst für Humanität — magis amica ve¬ ritas. Ich habe mir die Gerichte gemerkt, und muſs sie Dir hier nennen, damit Du siehst, wie man an einem sicilischen Klostertische fastet. Zum Eingang kam eine Suppe mit jungen Erbsen und jungem Kohl¬ raby; sodann kamen Makkaronen mit Käse; sodann eine Pastete von Sardellen, Oliven, Kapern und star¬ ken aromatischen Kräutern; ferner ein Kompott von Oliven, Limonen und Gewürz; ferner einige groſse herrliche goldgelbe Fische aus der See, die ich für die beste Art von Börsen hielt; weiter hochgewürzte vor¬304 trefliche Artischocken: das Dessert bestand aus Lattich¬ sallat, den schönsten jungen Fenchelstauden, Käse, Ka¬ stanien und Nüssen: alles, und vorzüglich das Brot, war von der besten Qualität, und schon einzeln quan¬ tum satis superque. Vor allen habe ich die Kastanien nirgends so schön und so delikat gebraten gefunden. Nun frage ich Dich, heiſst das nicht, mit diesen Fasten einem ehrlichen Kerl mit aller Gewalt die Erbsünde in den Leib jagen? Bey dieser Diät muſs man frey¬ lich orthodoxen Glauben gewinnen, der die Vernunft verachtet. Ich ging hinaus und lief einige Meilen am Strande herum, bis zur Charybdis hinunter; aber die Gläubigen blieben zu Hause in der Gottseligkeit. Das nenne ich einen Fasttag; nun denke Dir den Festtag. Meine fuſswandelnde Person war wohl nicht so wich¬ tig, daſs man deſswegen eine Aenderung in der Klo¬ sterregel sollte gemacht haben. Nun führte man mich oben in dem unausgebauten Kloster herum, und zeigte mir die Anlagen und das Modell, das man da¬ zu aus Rom hatte kommen lassen. Ich hoffe vom Himmel zum Heil der Menschheit, die Sottise soll nicht fertig werden. Ob so etwas auf meiner Nase mag gesessen haben, weiſs ich nicht; die Herren zeig¬ ten mir nichts mehr von ihren übrigen Herrlichkei¬ ten. Hier las man mir ein Manuskript von einem Abt Sacchio vor, das eine Beschreibung und Geschichte der Stadt Messina enthielt und das man sehr hoch schätzte: aber nach dem zu urtheilen, was davon ge¬ lesen wurde, brauchen wir es nicht zu bedauern, daſs der Schatz im Kloster liegt; die Abhandlung scheint bloſs für Mönche pragmatisch.
305Die Festung zu sehen, muſs man Erla[u][b]niſs ha¬ ben, welches etwas schwer hält. Ich bemühte mich nicht darum, da ich schon so viel aus der Anlage sa¬ he, daſs man mit zwey tausend braven Grenadieren ohne Erlaubniſs hinein gehen könnte. Alles ist nur auf einen Angriff zu Wasser berechnet. Der Hafen hier und in Palermo sind noch die einzigen Oerter, wo ich in Sicilien einige artige Weibergestalten gesehen habe. Anderwärts, und vorzüglich in Agrigent und Syrakus, war ich mit meinen griechischen Idealen aus dem Theokrit traurig durchgefallen. Der Hafen ist hier und in Palermo die einzige Promenade, und für den Menschen, der Menschen studieren will, gewiſs eine der wichtigsten; so bunt und kraus sind die Ge¬ stalten vieler Nationen durch einander gruppiert. Schon in der Stadt selbst wohnt eine groſse Verschiedenheit, und der Fremden sind eine Menge. Einen der schön¬ sten Augenblicke hatte ich gestern Abends, bey dem ich als Mensch über die Menschen mich fast der Freu¬ denthränen nicht enthalten konnte. Ein fremdes Schiff kam aus dem mittelländischen Meer die Meer¬ enge herab. Ich weiſs nicht, ob es durch Sturm oder irgend einen andern Unfall gelitten hatte; es war in Gefahr und that Nothschüsse. Du hättest sehen sol¬ len, mit welchem göttlichen Enthusiasmus fast über¬ menschlicher Kraft zwanzig Boote von verschiedenen Völkern durch die Wogen auf die Höhe hinausarbeite¬ ten, um die Leidenden zu retten. Italiäner, Franzo¬ sen, Engländer, Griechen und Türken wetteiferten in dem schönsten Kampfe: sie waren glücklich und20306brachtern alles ohne Verlust in den Hafen. In diesem Momente ärgerte ich mich fast, daſs ich nicht reich war, hier den Rettern ein menschliches Fest zu geben: aber ein zweyter Augenblick gab mir Besinnung; es war so schöner. Das brave bunte Gewimmel war mehr belohnt durch die That; und ich war sehr glück¬ lich, daſs ich sie gesehen hatte. Als ich zurückging, Wurde ich an einer Heiligennische per la santa vergi¬ ne um ein Almosen gebeten; ich sah den Mann for¬ schend an und er fuhr fort: Date nella vostra idea, date pure; sara bene impiegato. Der Mensch verstand wenigstens den Menschen, wenn er ihn auch betrü¬ gen sollte; ich gab.
Hier bin ich wieder von der Runde zurück. Der letzte Zug von Messina hierher war der beschwerlich¬ ste, aber er hat auch viel belohnendes. Die Berge hierher waren mir gar fürchterlich beschrieben wor¬ den; ich miethete mir also einen Maulesel mit seinem Führer und setzte ruhig aus. Beschäftigt mit den al¬ ten Messeniern, der eisernen Tyranney der Spartaner, der muthigen Flucht der braven Männer nach Zankle und allen ihren Schicksalen, Unglücksfällen, Ausartun¬ gen und Erholungen, die Seele voll von diesen Ge¬ danken stieg ich neben meinem Maulesel den Berg herauf und blieb oft stehen, einen Rückblick auf zwey so schöne Länder zugleich zu nehmen. Melazzo auf einer weitausgehenden Landzunge macht von fern ei¬ nen hübschen Anblick, und das Land umher scheint nicht übel gebaut zu seyn. Auch diese Gegend hat viel im letzten Erdbeben gelitten. Unten am Pelor sahe ich zum ersten Mal wieder grüne vaterländische Eichen und die Nachtigallen schlugen wetteifernd aus den Schluchten. Mir ward auf einmal so heimisch wohl dabey, daſs ich hier hätte bleiben mögen. Es geht doch nichts über einen deutschen Eichenwald. Bey Barcellana, wie man den Ort nannte, sah ich das schönste Thal in ganz Sicilien; und andere sind, däucht mich, schon vor mir dieser Meinung gewesen. Es ist ein reitzendes Gemische von Früchten aller Art, Orangen und Oel, Feigen und Wein, Bohnen und Weitzen; und die anschlieſsenden Berge sind nicht zu308 hoch und rauh, sondern ihre Gipfel sind noch mit schöner Waldung bekrönt. In Patti war kein Pferde¬ stall zu finden; wir ritten also von einem Ort zum andern immer weiter am Ufer hin bis Mitternacht. Patti dankt, däucht mich, seinen Ursprung, oder we¬ nigſtens seinen Namen, einem dort geschlossenen Ver¬ gleiche in den punischen Kriegen. Den Ort meines Nachtlagers habe ich vergessen, aber die Art nicht. Die See war furchtbar stürmisch, und es hatte entsetz¬ lich geregnet. Mit vieler Mühe konnten wir noch ei¬ nige Fische und Eyer erhalten. Es hatten sich zwey Fremde zu mir gesellt, die auch von Messina kamen und ins Land ritten. Wein war genug da, aber kein Brot. Man gab mir aus Höflichkeit die beste Schlaf¬ stelle: diese war auf einem steinernen Absatze neben der Krippe; die andern Herren legten sich unten zu den Schweinen. Mein Mauleseltreiber trug zärtliche Sorge für mich und gab mir seine Kaputze: und man begriff überhaupt nicht, wie ich es habe wagen können ohne Kaputze zu reisen. Diese sonderbare Art von schwarzbraunem Mantel mit der spitzigen Kopfdecke ist in ganz Italien und vorzüglich in Sicilien eine Hauptmöbel. Ich hatte ganz Geschmack daran gewonnen; und wenn ich von dieser Nacht urtheilen soll, so habe ich Talent zum Kapuziner, denn ich schlief gut. Den ersten Tag machten wir funfzig Mil¬ lien.
In Sankt Agatha, einem Kloster von einer sehr angenehmen Lage, wollten wir die zweyte Nacht blei¬ ben; und dort scheint kein übles Wirthshaus zu seyn: aber es war noch zu früh und wir ritten mehrere309 Millien weiter bis Aque dolci, wo der schöne Name das beste war, wie vor Agrigent in Fontana fredda. Hier waren Leute, wie die sikanischen Urbewohner der Insel, groſs und stark und rauh und furchtbar. Hier, glaube ich, war ich mit meiner Ketzerey wirklich in einer etwas unangenehmen Lage. Ein Stück von Geistlichen hatte Lunte gerochen und nahm mich sehr in Anspruch, und ich hielt ihn mir nur durch Latein vom Halse, vor dem er sich zu fürchten schien. An¬ derwärts war der Bekehrungseifer gutmüthig und wohl¬ wollend sanft; hier hatte er etwas cyklopisches. Nicht weit von dem Ort ist oben in dem Felsen eine Höhle, in die man mich mit Gewalt führen wollte. Es war aber zu spät und ich hatte auch nicht recht Lust, mit solchen Physionomien allein in den Felsenhöhlen her¬ um zu kriechen. Ich war hier nicht in Adlersberg. Ich muſste hier für ein Bett sechs Karlin bezahlen, und als ich bemerkte, daſs ich für Bett und Zimmer zu¬ sammen in Palermo nur drey bezahlte, sagte mir der Riese von Wirth ganz skoptisch: Freylich; aber dafür sind Sie auch eben jetzt nicht in Palermo und be¬ kommen doch ein Bett. Der Grund war in Sicilien so unrecht nicht.
Wir hatten schon, wie mir mein Führer sagte, mit Gefahr einige Flüsse durchgesetzt. Nun kamen wir an einen, den sie Santa Maria nannten. Es muſste oben fluthend geregnet haben; denn die Waldströme waren fürchterlich angeschwollen. Dieses macht oft den Weg gefährlich, da keine Brücken sind. Einer der Cyklopen, den man füglich für einen Polyphem hätte nehmen können, so riesenhaft war er selbst und310 so groſs und zackig der wilde Stamm, den er als Stock führte, machte die Gefahr noch gröſser. Die Ge¬ sellschaft hatte sich gesammelt; keiner wollte es wa¬ gen zu reiten. Meinem Führer war für sich, und noch mehr für seinen Maulesel bange. Es war nichts. Die Insulaner sind an groſse Flüsse nicht gewöhnt. Man machte viele Kreuze und betete Stoſsgebetchen an alle Heiligen, ehe man den Maulesel einen Fuſs ins Wasser setzen lieſs; und dankte dann vorzüglich der heiligen Maria für die Errettung. An einem sol¬ chen Strome, wo ich allein war, wollte mein Führer, ein Knabe von funfzehn Jahren, durchaus umkehren und liegen bleiben, bis das Wasser von den Bergen abgelaufen wäre. Das hätte mich Piaster gekostet und stand mir nicht an. Ich erklärte ihm rein heraus, ich würde reiten, er möchte machen was er wollte. In der Angst für sein Thier und seine Seele schloſs er sich auf der Kruppe fest an mich an, zitterte und be¬ tete; und ich leitete und schlug und spornte den Maul¬ esel glücklich hinüber. Da haben uns die lieben Hei¬ ligen gerettet, sagte er, als er am andern Ufer wieder Luft schöpfte: und mein Stock und der Maulesel, sagte ich. Der Bursche kreuzigte sich drey Mal, faſste aber doch in Zukunft etwas mehr Muth zu dem mei¬ nigen. Sodann blieben wir in einem einzigen isolier¬ ten Hause vor einem Orte, dessen Namen ich auch wieder vergessen habe. Ich hätte sollen beständig ei¬ nen Nomenklator bey mir haben. Das Donnerwetter hatte mich diesen und den vorigen Tag verfolgt; und es schneyte und graupelte bis über einen Fuſs hoch. Die Waldströme waren wirklich sehr hinderlich und311 vielleicht zuweilen gar gefährlich für Leute, die nicht an das Element gewöhnt sind und nicht Muth haben. Einmal verdankte ich aber dem groſsen Wasser eine schöne Scene. Der Fluſs war, nach der Meinung mei¬ nes Begleiters, unten durchaus nicht zu passieren, und er ritt mit mir an demselben hinauf, wo er eine Brücke wuſste. Der Weg war zwar lang und ich ward etwas ungeduldig; aber ich kam in ein Thal, das ei¬ nen so schönen groſsen Orangenwald hielt, wie ich ihn auf der ganzen Insel noch nicht gesehen hatte. Des Menschen Leidenschaft ist nun einmal seine Lei¬ denschaft. Für einige Kreutzer konnte mein Magen überall haben so viel er nur fassen konnte: aber mei¬ ne Augen wollten auch zehren, und diese brauchten mehr zur Sättigung und lieſsen dann gern alles hän¬ gen und liegen.
Endlich kamen wir in Cefalu an. Für groſse Schiffe ist hier wohl kein Hafen zum Aufenthalt. Der Ort hat vermuthlich den Namen vom Berge, der ei¬ ner der sonderbarsten ist. Wir hatten bisher die lipa¬ rischen Inseln immer rechts gehabt; nun verschwan¬ den sie nach und nach. Von Messina bis Cefalu ist es sehr wild; von hier an fängt die Kultur wieder an etwas besser zu werden. Es kommen nun viel Reiſs¬ felder. Bey Cefalu sah ich eine schöne, lange, hohe, blühende Rosenhecke, deren erste Knospen eben zahl¬ reich aufbrachen. Ich hätte dem Pfleger die Hände küssen mögen; es waren die ersten, die ich in ganz Unteritalien und Sicilien sah. Die Leute sind schänd¬ liche Verräther an der schönen Natur.
In Termini erholte ich mich; hier findet man312 wieder etwas Menschlichkeit und Bequemlichkeit. Mei¬ ne Wirthin war eine alte freundliche Frau, die alles mögliche that mich zufrieden zu stellen, welches bey mir sehr leicht ist. Sie examinierte mich theilneh¬ mend über alles; nur nicht über meine Religion, ein seltener Fall in Sicilien; stellte mir vor was meine Mutter jetzt meinetwegen für Unruhe haben müſste, und rieth mir nach Hause zu eilen; sie hätte auch ei¬ nen Sohn auf dem festen Lande, den sie zurück er¬ wartete. Wenn ihre Theilnahme und Pflege auch sehr mütterlich war, so war indessen doch ihre Rechnung etwas stiefmütterlich.
Als ich in einer melancholisch ruhigen Stimmung über Vergangenheit und Gegenwart hing und mit meinem Mäoniden in der Hand auf den Himerafluſs hinabschaute, ward unwillkührlich eine Elegie in mei¬ ner Seele lebendig. Es war mir, als ob ich die Göt¬ tin der Insel mit noch mehr Schmerz als über ihre geliebte Tochter am Anapus klagen hörte, und ich ge¬ be Dir ohne weitere Bemerkung, was aus ihrer Seele in die meinige herüber hallte.
Von Termini aus kann der König wieder fahren. Indessen hätte der Minister, der den Weg gebaut hat, ihn mit weniger Kosten vermuthlich besser und dauer¬ hafter machen können. Die Wasserableitung ist nicht sonderlich beachtet. In der Bagaria sah ich von aus¬ sen noch einige sublime Grotesken des sublim grotes¬ ken Fürsten von Palagonia, die nun nach seinem To¬ de nach und nach alle weggeschafft werden. Ich hatte weder Zeit noch Lust das innere Heiligthum der Un¬ geheuer zu sehen. Wenn indessen seine drollige Durchlaucht nur etwas zur Verschönerung der Gegend umher beygetragen hat, so will ich ihm die Miſshand¬ lung der Mythologie, der ich übrigens selbst nicht auſserordentlich hold bin, sehr gern verzeihen. Die ganze Gegend um die Stadt, vorzüglich nach Palermo zu, ist die bebauteste und ordentlichste, die man in Sicilien sehen kann, wenn es gleich keine der schön¬ sten und reichsten ist.
Mir war es wirklich nicht wohl, als ich wieder in die Nachbarschaft von Palermo kam, wo ich mich nun schon als etwas heimisch betrachtete. Mein Ein¬ zug in die Residenz war, als ob ich ihn noch bey dem316 hochseligen Fürsten von Palagonia bestellt hätte. Es holte uns eine Sänfte irgend eines Bischofs, vermuth¬ lich des Bischofs von Cefalu, ein. Sie war überall mit Schellen behangen und wurde nach der Gewohnheit von zweyen der stärksten Maulesel getragen, die von einigen reitenden Bedienten geführt wurden. Die Sänfte war ziemlich geräumig und mochte bequem Platz haben für den Bischof und seine Nichte; denn ich ha¬ be es in Sicilien durchaus gemerkt, daſs die vorneh¬ men Geistlichen viel auf Nichten halten. Ein alter dicker satirischer Eseltreiber setzte sich gravitätisch hin¬ ein, fing an barock daraus zu diakonieren und mit groſsen Grimassen den Segen zu spenden. Die Schel¬ len klangen, er nickte und schnitt ein Bocksgesicht und die Karavane lachte über die Posse, bis die Nähe der Stadt der Profanation ein Ende machte. Nun zog die ganze originelle Kavalkade hinter mir mit Schel¬ lengeläute in Palermo zum Seethor ein. In Leipzig hätte ich damit ein Schauspiel für ein Quartier der Stadt machen können; in Palermo lachten bloſs zwey Visitatoren.
Mein alter Wirth hier schickte mich zu einem neuen, seinem Freunde, weil sein Haus voll war. Ich war hier eben so gut wie dort und noch etwas billiger; und hatte überdieſs die Aussicht auf den Ha¬ fen. Nun habe ich wieder meinen Reisegefährten von Seehund, welcher den Maro mit einigen andern Ka¬ meraden hält. Die Zeit wird mir aber so wenig lang, daſs ich nur selten die alten Knaster aus dem Felle nehme.
Vor einigen Tagen war hier Osterjahrmarkt am Hafen, auf welchen die Palermitaner etwas zu halten scheinen, wo aber auſser einigen Quinquaillerien, nicht viel zu haben ist. Man hat wenigstens dabey die Gelegenheit, fast die ganze galante Welt von Pa¬ lermo spazieren gehen und fahren zu sehen. Es sind hier mehr schöne Wagen als in Messina, oh dort gleich im Allgemeinen mehr Wohlstand zu herrschen scheint. Es herrscht hier, wie fast an allen Höfen, Verschwendung und Armuth. In Messina ist man in Gefahr von den Wagen etwas gerädert zu werden; aber hier hat man für die Fuſsgänger am Strande ei¬ gene Wege gemacht, die für schön gelten. Du magst Herrn Hager lesen; ich kann Dir nicht alles erzählen. Noch einmahl habe ich die Promenade auf den Monte Pellegrino gemacht, als ob ich auch ein heiliger Pil¬ ger wäre. Mich lockte bloſs die Aussicht, wie wohl auch manchen andern Pilger bloſs irgend eine Aus¬ sicht locken mag. Das Wetter war mir wieder nicht318 günstig; ich lieſs mich indessen nicht abhalten, und stieg bis ziemlich auf den höchsten Gipfel des Felsen¬ bergs hinauf. Wo das Kloster steht ist ein Absatz von etwas fruchtbarem Erdreich, das noch sehr gutes Ge¬ treide hält. Ich ging hinaus bis an die äuſserste Spi¬ tze, wo eine Kapelle der heiligen Rosalia stehet mit ihrem Bilde, das füglich etwas besser seyn sollte. Die Fremden aller Länder hatten sich hier verewigt und mir wenig Platz gelassen. Alles war voll, und Stirn und Wange und Busen des heiligen Rosenmädchens waren beschrieben; es blieb mir nichts übrig als ihr meinen Namen auf die Nasenspitze zu setzen. Viel¬ leicht dachte jeder durch die Aufsetzung seines Na¬ mens das Gemälde zu verbessern; die Nasenspitze ist wenigstens durch den meinigen nicht verdorben worden: und dieses ist das einzige Mal, daſs ich auf der ganzen Wandlung meinen Namen geschrieben ha¬ be, wenn mich nicht die Polizey dazu nöthigte.
Zwischen diesem isolierten Felsen und der höhe¬ ren Bergkette liegt ein herrliches kleines Thal, das sich von der Stadt immer enger bis an die See vor¬ zieht. Es ist reichlich gesegnet und der Fleiſs könnte noch mehr gewinnen. Hier muſs nach der Topogra¬ phie das Städchen Hykkara gelegen haben, aus wel¬ chem Micias die schöne Lais holte und nach Griechen¬ land brachte. Weiter hinaus suchte ich mit meinen Hofmannischen Augen den Eryx bey Trapani, und knüpfte in vielen schnellen Uebergängen Wieland, Aristipp, und die erycinische Göttin zusammen. Weiſs der Himmel wie ich in diesem Thema auf den Hudi¬ bras kam; die Ideenverbindung mag wohl etwas319 schnell und gesetzlos gewesen seyn, und ich halte es nicht für wichtig genug sie wieder aufzusuchen. Ich guckte hin nach Trapani und sang oder murmelte nach einer beliebten Melodie aus Mozarts Zauberflöte die schönen harmonischen Verse von Butler, die ich immer für ein Meisterstück der Knittelrhythmik gehal¬ ten habe. Sie paſsten vortreflich zur Melodie des Vo¬ gelfängers. Also ich brummte:
Ich hatte in meinem musikalischen Enthusiasmus nicht auf den Weg Achtung gegeben; und kaum hatte ich die letzte Zeile gesungen und wollte die erste wie¬ der anfangen, so fiel ich auf die Nase, welches mir selbst auf dem Aetna nicht begegnet war, wo doch die Landsleute Butlers in ihren Strümpfen alle sehr oft zu Falle kamen. Hatte vielleicht die Göttin von Amathunt und vom Eryx die Profanation rächen wol¬ len; die Nase blutete mir. Besser die Nase, als das Herz, dachte ich. Auch dieses war mir wohl ehe¬ mals etwas enge gewesen; jetzt war ihm längst wieder leicht. Ich hatte aus Gewohnheit noch ein kleines niedliches Madonnenbildchen an einer seidenen Schnur am Halse hangen, das mir oft das Prädikat der Ka¬ tholicität erworben hatte. Das Original hatte mich320 königlich betrogen. Jetzt nahm ich es unwillkührlich von der linken Seite, nach welcher sich das Idolchen immer neigte, schloſs unwillkührlich das Glas auf, nahm das elfenbeinerne Täfelchen heraus und er¬ schrak, als ich es heftig unwillkührlich in zehen Stü¬ cke zersplittert zwischen dem Daumen hielt. War das lauter Rache Rosaliens und der vom Eryx? Mögen sie sich an niemand bitterer rächen! Ich hielt die Trümmerchen in der Hand; Freund Schnorr mag ver¬ zeihen: er hatte mit Liebe an dem Bildchen gepinselt. Einige Minuten hielt mich Phantasus noch mit Weh¬ muth am Original; ich saſs auf einem Felsenstücke des Erkta und sah es im Geist an der Spree im gol¬ denen Wagen rollen. Rolle zu; und so flogen die Stücke mit der goldenen Einfassung den Abgrund hin¬ unter. Ehemals wäre ich dem Bildchen nachgesprun¬ gen; noch jetzt dem Original. Aber ich stieg nun ru¬ hig den Schneckengang nach der Königsstadt hinab; die röthlichen Wölkchen vom Aetna her flockten lieb¬ lich mir vor den Augen. Ich vergaſs das Gemälde; möge es dem Original wohl gehen!
Ich hatte mich bis tief in die Nacht verspätet, und wurde zu Hause gräſslich bewillkommt. Aber da muſs ich Dir noch mehreres erzählen, ehe Du dieses gehörig verstehest. Du erinnerst dich des guten Steuer¬ revisors, der sich in Agrigent meiner so freundschaft¬ lich annahm, daſs er fast die Menschheit streitig machte. Kaum hatte ich in meinem Wirthshause die erste Nacht ausgeschlafen, als mein Steuerrevisor zu mir herein trat. Das that mir nun recht wohl; denn wer freut sich nicht, daſs sich jemand um ihn beküm¬321 mert? Er erzählte mir, er sey meinetwegen in gro¬ ſsem Schrecken gewesen, als der Eseltreiber zurück gekommen, habe geglaubt, ich werde nun sicher um¬ kommen, da ich allein ohne Waffen in der Insel her¬ um laufe. Der Mauleseltreiberjunge, mein Begleiter, sagte er mir zum Trost, sey völlig von der Paste wie¬ der genesen, und er habe die zwey Unzen bis auf den Abzug einiger Kleinigkeiten ihm wieder herausgeben müssen. Gut, dachte ich; also wieder zwey Unzen ge¬ rettet; ich kann sie brauchen. Sogleich nach seiner Ankunft in Palermo habe er sich nach meinem Wirths¬ hause erkundigt und es bald erfahren. Nun sey er seit acht Tagen täglich da gewesen, um nachzufragen, Heute früh habe er meine Ankunft erfahren und sey sogleich hierher zu mir geeilt. Nun lud er mich ein zu ihm in sein Haus zu ziehen. Das war mir nun nicht ganz recht; denn ich wäre lieber geblieben wo ich war. Indessen der Mann bat so freundlich, war so besorgt gewesen; ich packte also ein, und lieſs hin¬ tragen. Er wohnte vor dem Thore nach Montreale. Wir aſsen, und seine Frau, eine heiſse zelotische nicht unfeine Sicilianerin, fing nun meine Bekehrung an. Das Examen ging über Tische und zum Dessert von Artikel zu Artikel, von dem Papste und den Mönchen bis auf die unbefleckte Empfängniſs. Das letzte war das Allerheiligste, von dem ich nichts wuſste. Die gute Frau hätte, wie es schien, lieber ihre eigene Keuschheit in Gefahr gesetzt, als das geringste von der Jungferschaft Mariens aufgegeben. Man sprach mit aller Wärme und Salbung, mich zu überzeugen; aber vergebens. Man fing nun an mir Aussichten zu eröff¬21322nen: ja, lieber Gott, wenn ich ein anderer Kerl wä¬ re, als ich bin, könnte ich im Vaterlande Aussichten haben, wo man sie doch am liebsten hat. Don Juan ‚ fate vi cristiano, et state qui in Sicilia. — Ma lo so¬ no. — Ma non siete cattoliso. — Ma sono bene co¬ si; non si puo meglio. Die Frau aſs im Eifer Bonbon und trank Wein und ward heftig, und da ich denn trocken halsstarrig fort blieb, rief sie in heiliger Wuth aus, indem sie den Teller von sich stieſs: Ma vol altri voi siete tutti baroni f-t-ti. Ueber diese Nai¬ vetät erschrak ich, und wäre jetzt für zwey Unzen gern zurück in mein Wirthshaus gewesen. Nach Ti¬ sche ging ich zu Rosalien, wie ich Dir erzählte. Ich glaubte das Haus meines neuen Wirths recht gut ge¬ merkt zu haben und irrte mich doch; ich kam in ein unrechtes. Nun wollte ich eben fragen, wo hier Don Filippo wohne, als ein Kerl ladro, briccone, furfante heraus schrie und wüthend mit dem Messer auf mich zu stürzte. Ich hob so schnell ich konnte die Eisen¬ zwinge meines Knotenstocks, flüchtete eben so schnell zum Hause hinaus und eilte die finstere Gasse hinun¬ ter. Die Nachbarschaft gerieth in Lärm: eine schöne Nachbarschaft, dachte ich, und ging in mein altes Gasthaus. Dort war ich sehr willkommen. Ich hatte mich eben zu Bette gelegt, als der Herr Steuerrevisor kam und mich aufsuchte. Er war meinetwegen in Todesangst. Ich erzählte ihm mein Abenteuer und sagte, daſs ich in einer solchen Nachbarschaft nicht wohnen möchte; er lieſs aber nicht nach bis ich ihm versprach, morgen wieder zu ihm zu kommen, denn diesen Abend war ich nicht wieder aus dem Bette zu323 bringen. Den andern Morgen war er wieder sehr früh da und holte mich ab. Nun lebten wir leidlich ordentlich einige Tage, das Vorgefallene wurde be¬ dauert und meine Ketzerey weiter nicht mehr als nur im Allgemeinen in Anspruch genommen. Aber wenn wir zuweilen zusammen ausgingen, welches der Herr sehr gut zu veranstalten wuſste, hatte er immer etwas zu kaufen und kein Geld bey sich: ich war also ziem¬ lich stark in Auslage und bezahlte jede Mahlzeit da¬ durch sehr theuer. Ich muſste Geld haben von dem Kaufmann, und er erbot sich sogar meine Geschäfte bey ihm zu machen, da ich doch der Sprache nicht recht mächtig wäre. Aber dazu war ich bey aller meiner indolenten Gutherzigkeit denn doch schon zu sehr gewitziget, dankte und verbat seine Mühwaltung, und holte meine Barschaft nicht eher als bis ich ab¬ reisen wollte. Er half mir zuletzt noch manches be¬ sorgen, und da er sich meinetwegen bey Nacht etwas enrhümiert hatte, muſste ich bey dem schlechten Wet¬ ter mit ihm doch wohl einen Wagen nehmen. Hier erzählte mir der Mann sehr naiv etwas näher seine Amtsbeschäftigungen. Wir müssen, sagte er, in der Insel herum reisen, die rückständigen Steuern einzu¬ treiben, und im Namen des Königes den Leuten Klei¬ der, Betten und das übrige Hausgeräthe wegzunehmen, wenn sie nicht zahlen können. Es packte mich bey diesen trockenen Worten eine Kälte, daſs ich im Wa¬ gen meine Reisejacke dichter anzog und unwillkühr¬ lich nach meinem Halstuche griff. Die zwey Unzen wurden vergessen, und ich erinnerte nicht; ob ich sie gleich nun lieber dem Mauleseltreiber gelassen hätte,324 der so groſsen unglücklichen Appetit an der Paste hat¬ te. Ueberdieſs war ich mit vielem in Auslage, und es war mir sehr lieb, als der Kapitän an Bord rufen lieſs. Er begleitete mich bis ans Wasser im Wagen mit sei¬ nen kleinen Mädchen, die in der That allerliebst niedliche Geschöpfchen waren. Beym Abschied in meiner Kajüte bat er sich noch eine Unze zum Ge¬ schenk für diese aus: ich ungalanter Kerl zog mürrisch die Börse und gab ihm schweigend das Goldstück hin. Er hatte mir es sehr verübelt, daſs ich mir auf dem Paketboote ein Zimmer für mich genommen und mich an die Tafel des Kapitäns verdungen hatte. Das war nach seiner Meinung Verschwendung, und ich hätte für das Viertel der Summe mich unter die Takelage des Raums sollen werfen lassen. Ein erbaulicher Wirth, der Herr Steuerrevisor! Der Wind blieb wi¬ drig, wir fuhren nicht ab, und ich zog lieber wieder hinaus ins Wirthshaus: gleich suchte er mich wieder auf und wollte mich wieder zu sich haben. Der Mensch ward endlich unerträglich zudringlich und weg¬ geworfen unverschämt, und ich muſste noch bey eini¬ gen Parthien für ihn bezahlen. Um mich aber endlich recht bestimmt, nach der schicklichsten Weise für ihn, zu benehmen, aſs ich in der Auberge unbefangen mit groſsem Appetit ein Gericht nach dem andern, ohne ihn einzuladen oder für ihn zu bestellen. Nun wünschte er mir gute Reise, und ich sah ihn nicht wieder, den Herrn Steuerrevisor Don Filippo — — seinen Geschlechtsnamen will ich vergessen. Sterzin¬ ger, mit dem ich nachher noch sprach, kannte ihn und lachte. Er hatte in der Welt mehrere gelehrte325 und merkantilische Metamorphosen gemacht, bis er zu seiner jetzigen Würde gedieh. Der Himmel lasse ihm meine Unzen zur Besserung bekommen!
Das Gebäude des botanischen Gartens hinter der Flora am Hafen ist nun fertig. Der Franzose Julieu hat es gezeichnet und ein Palermitaner es nach dem Riſs aufgeführt. Die Sicilianer sind mit der Ausfüh¬ rung aber nicht mit der Idee zufrieden. Wo man rechts und links, auf der Insel und dem festen Lan¬ de, noch so viele schöne Monumente griechischer Kunst hat, ist man freylich etwas schwierig. Die Säu¬ len sind nicht rein und oben und unten verziert. Der Saal ist nach der Anlage des Linneischen in Schwe¬ den, und vielleicht einer der prächtigsten dieser Art. Rund umher stehen die Büsten der groſsen Männer des Fachs in Nischen, von Theophrast bis zu Büffon. Dem Zeichner des Gebäudes hat man die Ehre ange¬ than, sein Gesicht unter einem andern alten Namen mit darunter zu setzen; eine eigene sonderbare Art von Belohnung.
Der alte Cassero oder Carso, in allen italiänischen Städten von Bedeutung die Hauptstraſse, hat jetzt sei¬ nen Namen verändert und heiſst Toledo nach der Hauptstraſse von Neapel; vermuthlich dem anwesen¬ den Hofe eine Schmeicheley zu machen. Uebrigens muſs der Hof eben nicht auſserordentlich geliebt seyn; denn ich habe oft gehört, daſs man nie so schlechtes Wetter auf der Insel gehabt habe, als die vier Jahre, so lange der Hof hier sey.
Die Polizey scheint hier nicht sehr genau zu seyn, oder berechnet Dinge nicht, die es doch wohl326 verdienten. Vor einigen Tagen führte man auf einer breiten Gasse öffentlich ein Banditendrama auf. Es war sogar Militärwache dabey um Ordnung zu halten, und die ganze Gasse war gedrängt voll Zuschauer. Die Schauspieler arbeiteten gräſslich schön, und der Held hätte dem Handwerk Ehre gemacht. Freylich wird er mit poetischer Gerechtigkeit wohl im Stücke seine Strafe erhalten; aber dergleichen Scenen, wo noch so viel natürliche heroische Kraft und Dekla¬ mation ist, sind zu blendend, um in Unteritalien auf öffentlichen Plätzen unter dem gröſsten Zulauf gegeben zu werden. Man zahlt nichts; jeder tritt hin und schaut und nimmt was und wie viel er will. Haben doch sogar Schillers Räuber einmal Unfug bey uns an¬ gerichtet. Auf diese Weise arbeitet man dem sieden¬ den Blute nicht wenig entgegen. Auch ist das Messer noch eben so sehr im Gebrauch und vielleicht noch mehr, als vor zwanzig Jahren. Ich hatte vor einigen Tagen ein Schauspiel davon. Ich ging den Morgen aus; ein Kerl schoſs blutig an mir vorbey, und ein anderer mit dem Dolche hinter ihm her. Es sam¬ melte sich Volk, und in einigen Minuten war einer erstochen, und der Mörder verwundet entlaufen. Die Wache, welche nicht weit davon stand, that als ob sie dabey gar nichts zu thun hätte. Dergleichen Auf¬ tritte gelten dort für eine gewöhnliche Festtagstrakas¬ serie. Sie haben einen erschlagen, klingt in Sicilien und Unteritalien nicht härter als bey uns, wenn man sagt, es ist einer berauscht in den Graben gefallen. Nur gegen die Fremden scheinen sie, aus einer alten religiösen Sitte, noch einige Ehrfurcht zu haben. Sie327 erstechen sich unter einander bey der geringsten Ver¬ anlassung, hörte ich einen kundigen wahrhaften Mann urtheilen; aber ein Fremder ist heilig. Ich möchte mich freylich nicht zu sehr auf meine fremde Heilig¬ keit verlassen; aber die Sache ist nicht ohne Grund. Ich blieb, zum Beyspiel, zwischen Messina und Paler¬ mo in einem einzelnen Hause, dessen zwey handfeste Besitzer ich gleich beym ersten Anblick klassificiert hatte. Alles bestätigte meinen Argwohn und meine Besorgniſs. Man speiste mich indessen leidlich und machte mir sodann ein Lager auf einer Art von Prit¬ sche, so daſs alle Schieſsgewehre und Dolche in ei¬ nem Winkel zu meinem Kopfe lagen. Man machte mich auch darauf aufmerksam, daſs ich bewaffnet wä¬ re, und ich schlief nun ziemlich ruhig.
Nach Sankt Martin hinauf bin ich nicht gekom¬ men, weil das Wetter beständig sehr unfreundlich war, und ich mich die letzten Tage nicht entfernen durfte, da man mit dem ersten guten Winde abfahren wollte. Die Mönche dort oben sollen die prächtigste Mast in der ganzen Christenheit haben. Wenn das Christenthum Schuld an allem Unheil wäre, das man bey seinen Priestern und durch seine Priester sieht, so wäre der Stifter der hassenswürdigste der Menschen. Das astronomische Observatorium auf dem Schlosse konnte ich nicht füglich sehen, weil Piazzi nicht zu¬ gegen vvar. Uebrigens bin ich auch ein Laie am Himmel. Vielleicht hat es eine wohlthätige Wirkung auf die Insel, daſs die Sicilianer nun ihre Göttin un¬ ter den Sternen finden; bisher haben sie das Heilig¬ thum der Ceres und ihre Geschenke gewissenlos ver¬328 achtet. Eine vaterländische Neuigkeit ist mir noch aufgestoſsen. Der Kaiser Karl der Fünfte hat um Si¬ cilien groſse Verdienste, und sein Andenken ist billig den Insulanern ehrwürdig. Ueberall findet man noch Arbeiten von ihm, die seinen thätigen Geist bezeich¬ nen, und die jetzt vernachlässigt und vergessen wer¬ den. Die Wachthürme rund umher, die er nach sei¬ ner afrikanischen Unternehmung aufführen lieſs, zei¬ gen von seinem Muth und der damaligen Kraft der Insel. Seine Bildsäule steht also in Palermo fast mit¬ ten in der Stadt am Toledo auf einem freyen Platze; aber mit einem Bombast, der nicht in der Natur des Mannes lag. Er hat in der Inschrift eine lange Reihe Beynamen, und heiſst unter andern, vermuthlich we¬ gen der Mühlberger Schlacht, auch der Sachse und Hesse. Könnte man nun unsern Kurfürsten Moritz, dessen Enkomiast ich übrigens nicht ganz unbedingt werden möchte, nicht wegen der Ehrenberger Klause den Oestreicher und Spanier nennen? Sein Sieg war bedeutend genug und die Folge des Tages für die Pro¬ testanten auf immer wichtig.
Der Wind schaukelt uns ohne Fortkommen hin und her, und fast schon den ganzen Tag tanzen wir hier vor Massa, Kapri und Ischia herum. Den ein und zwanzigsten April Abends gab das Kriegsschiff, wel¬ ches jetzt, glaube ich, die ganze Flotte des Königs von Neapel ausmacht, das Signal, und wir arbeiteten uns aus dem Hafen heraus. Den andern Morgen hatten wir Sicilien und sogar Palermo noch ziemlich nah im Gesichte; der Rosalienberg und die Spitzen von Ter¬ mini und Cefalu lagen ganz deutlich vor uns: das an¬ dere war von dem trüben Wetter gedeckt. Mehrere Schiffe mit Orangen und Oel hatten sich angeschlossen, um die sichere Fahrt mit dem Kriegsschiffe und dem Paketboot zu machen. Das letztere hat auch zwanzig Kanonen und ist zum Schlagen eingerichtet. Wir saſsen lange zwischen Ustika und den liparischen In¬ seln, und ich las, weiſs der Himmel wie ich eben hier auf diesen Artikel fiel, während der Windstille die Georgika Virgils, die ich hier besser genoſs als jemals. Nur wollte mir die Schluſsfabel von dem Bienenvater nicht sonderlich gefallen: sie ist schön, aber hierher gezwungen. Dann las ich, da der Wind noch nicht kommen wollte, ob wir gleich in seinem mythologi¬ schen Vaterlande waren, ein groſses Stück in die Ae¬ neis hinein. Hier wollte mir nun, unter vielen Schön¬ heiten im 4. Buche die Beschreibung des Atlas wieder nicht behagen, so herrlich sie auch klingt. Es ist, dünkt mich, etwas Unordnung darin, die man dem Herrn Maro330 nicht zutrauen sollte. Da ich eben nicht viel zu thun habe, will ich Dir die Stelle ein wenig vorschulmei¬ stern. Merkur kommt von seinem Herrn Vater auf der Ambassade zu Frau Dido hierher. Die Verse, heis¬ sen, wie sie in meinem Buche stehen:
Die Verse sind unvergleichlich schön und malerisch: aber er bringt auf den obersten Scheitel Sturm und Regen, läſst Schnee auf die Schultern fallen, Flüsse aus dem Kinn strömen und weiter unten den Bart von Eis starren. Das ist nun alles ziemlich umge¬ kehrt, wenn ich meinem biſschen Erfahrung glaube. Ich weiſs nicht was Heyne aus der Stelle gemacht hat. So weit oben werden überdieſs wohl schwerlich noch Fichten wachsen. Ich überlasse es Dir, Deinen Lieb¬ ling zu vertheidigen; ich selbst bleibe hier mit meiner Hermenevtik etwas stecken. Wer in seinem Leben keine hohen Berge gesehen und bestiegen hat, nimmt so etwas freylich nicht genau. Schade um die schönen Verse.
Diese Nacht begegneten uns viele französische Schiffe, die ihre Landsleute von Tarent holen wollen. Alles ist ungeduldig bald am Lande zu seyn; aber331 Aeolus hat uns noch immer seinen Schlauch nicht ge¬ geben, und wir müssen aushalten. Das Essen ist recht gut und die Gesellschaft noch besser; meine Geduld ist also weiter auf keiner sehr groſsen Probe; und ich habe noch die ganze Odyssee zu lesen. Der Russische und Englische Gesandte sind auf dem groſsen Schiffe; wir haben also noch die Ehre ihrentwegen recht lang¬ sam zu fahren. Die Geschichte des Tags auf unserer Flotte sagt eben, daſs der Russischen Excellenz ein Pferd krank geworden ist. Wie viele von den Leuten seekrank sind, das ist eine erbärmliche Kleinigkeit: aber bedenke nur, der Leibgaul des Russischen Ge¬ sandten, der ist ein Kerl von Gewicht. Man erzählt bey Tische dieſs und jenes: sogar die Geschichten der Hofleute aus ihrem eigenen Munde bestätigen die schlechte Meinung, die ich durchaus von der neapoli¬ tanischen Regierung habe. Es waren einige sybariti¬ sche Herren bey uns, die doch nicht lassen konnten, dann und wann etwas vorzubringen und einzugeste¬ hen, was Stoff zu Aergerniſs und Sarkasmen gab. Es ist wieder tiefe Nacht im Golf geworden; der Wind bläst hoch und wirft uns gewaltig. Ich habe auf allen meinen Fahrten, Dank sey es meiner guten Erziehung, nie die Seekrankheit gehabt: ich lege mich ruhig nie¬ der und schlafe.
Ich erwachte im Hafen. Eine Mütze voll günstiger Wind und die Geschicklichkeit des Kapitäns hatten uns herein gebracht. Nun machte ich in drey Minu¬ ten meine Toilette, nahm den ersten besten Lazarone und wandelte in mein altes Wirthshaus auf Montoli¬ veto, wo ich sogar meine alte Stube wieder leer fand. Das war mir sehr lieb; denn ich bin gar kein Freund von Veränderung. Mein alter Genuese war bey einem andern Fremden, und ich konnte den ersten Tag kei¬ nen Lohnbedienten erhalten, weil man gehört hatte, daſs ich viel zu Fuſse herum lief und laufen wollte, ob ich mich gleich erbot einige Karlin mehr als ge¬ wöhnlich zu zahlen. Das nenne ich kampanische Be¬ quemlichkeit, von der man eine Menge drollige Anek¬ doten hat. Den ersten Tag wollte mir keiner folgen; dann wollte ich keinen haben.
Ich machte mich ganz allein mit der Morgenröthe auf nach Puzzuoli. Dort fehlte es nicht an Wegwei¬ sern, und ich wurde gleich beym Eingange in Beschlag genommen. Ich lieſs mir gern gefallen mich in dem Meerbusen von Bajä herum zu rudern und da die al¬ ten Herrlichkeiten zu sehen. Du kennst sie aus an¬ dern Büchern; ich will Dich also mit ihrer Beschrei¬ bung verschonen. Wenn ich Dir auch alle Säulen des Serapistempels anatomierte, wir würden deſswegen in unsern Konjekturen nicht weiter kommen. Was ich aus der sogenannten Brücke des Kaligula machen soll, weiſs ich nicht: die Meinung der Antiquare, daſs es333 ein Molo gewesen seyn soll, will mir nicht recht ein¬ leuchten. Es sind noch dreyzehn Stücke davon übrig, die in verschiedenen Distanzen aus dem Wasser her¬ vorragen. Wenn es nicht zu idiotisch klänge, würde ich sie wohl für die Reste der berüchtigten Brücke halten. Die Entfernung von Puzzuoli nach Bajä ist nicht so groſs, daſs es einem Menschen, wie das Stie¬ felchen, nicht hätte einfallen können so einen Streich zu machen. Damals war der Meerbusen landeinwärts noch etwas tiefer; der Lukriner See hing mit dem Avernus zusammen und half den Julischen Hafen bil¬ den; der Umweg war also etwas gröſser als jetzt. Zum Molo für Puzzuoli scheinen mir die Trümmern we¬ der Gestalt noch gehörige Richtung zu haben. Meinet¬ wegen sey es wie man wolle. Ich stieg bey dem Lu¬ kriner See aus, der durch die Erdrevolutionen sehr viel eingeengt worden ist. Jetzt ist er nichts besser als ein groſser Teich. Wir gingen, vermuthlich durch den Einschnitt des Berges, hinein, durch welchen man ehemals die beyden Seen, den Lukriner und den Averner, zusammen verbunden hatte, um den Juli¬ schen Hafen zu bilden. Häufige Erdbeben und vulka¬ nische Ausbrüche haben alles geändert. Der Zugang zum Avernus ist noch jetzt romantisch genug, und der Eintritt in die sogenannte Grotte der Sibylle wirk¬ lich schön und schauerlich. Ich setzte mich am Ein¬ gange hin und sah rechts gegen über den alten Tem¬ pel, der für den Tempel des Apollo gilt. Es ist ein Wunder, wie dieser Tempel bey der Erhebung des neuen Berges stehen blieb, die ohne groſse Erschütte¬ rung der Nachbarschaft unmöglich geschehen konnte. 334Man kann nichts romaneskeres haben, als den kleinen Gang von dem Averner See bis zum Eintritt in die Grotte, zumal wenn man den Kopf voll Fabel hat. Hier zündeten wir die Fackel an und gingen nun in dem Gewölbe hinter, bis man rechts tief hinunter in das Sakrarium steigt. Vermuthlich hat Virgil seine Erzäh¬ lung nach diesem Orte gearbeitet; denn das Facilis descensus Averni scheint wörtlich hier weggenommen zu seyn. Es ging immer tiefer und tiefer, bis wir an ein etwas weites Gemach kamen, welches ziemlich voll Wasser war. Hier muſste ich mich auf den Rük¬ ken meines Führers setzen und hinüber reiten. Rechts und links fand ich hier einen langen Katalog von Neu¬ gierigen aller Nationen. Mein Name steht oben auf dem Erkta, wo die Karthager so brav und lange schlu¬ gen, der heiligen Rosalia auf der Nase; und damit ge¬ nug. So ganz allein mit einem Wildfremden in die¬ ser Höhle herum zu schleichen, mein Freund, macht doch etwas unheimisch.
Kaum hatte ich diese Verschen kumisiert, als mein Leiter mich aus meiner Andacht mit der Bemerkung drollig genug weckte: Era questa Sibylla una grande putana; e era qui un gabinetto segreto, dove fece — — Hier brauchte er einige Töne, die in allen Sprachen ziemlich verständlich sind. Nun war meine Prophe¬ tin sogleich eine Zigeunerin. Was doch die Phantasie nicht alles macht, nachdem man nur die Sache ein wenig höher oder tiefer nimmt! Die Leute fabeln hier, daſs aus der Höhle ein Gang nach Bajä und ein ande¬ rer nach Kumä gegangen sey, wo die Hexe ein zwey¬ tes Heiligthum hatte. Das ist sehr leicht möglich und war vielleicht weiter nichts als der jetzige groſse Gang, der nach dem Avernus und also nach Kumä offen und nach dem Lukriner oder nach Bajä verschüttet ist. Auch hier könnte er wieder sehr leicht geöffnet wer¬ den. Die ganze Anlage ist ein Werk der Kunst, viel¬ leicht durch die schöne romantische Lage der Berge und Seen und einige Felsenspalten veranlaſst; aber vermuthlich von hohem Alter. Die Wasservögel schwimmen recht lustig auf dem Avernus herum, und die Luft war auch nicht leer von Geflügel; so336 daſs der Ort nunmehr die Antiphrase seines Namens ist.
Nun wandelte ich an dem Meerbusen hinunter und sah die ehemaligen Thermen des Nero. Solltest Du glauben, daſs ich nicht im Stande war hinunter zu steigen? Ich hatte mich ausgezogen und versuchte es zwey Mal. Der Dampf trieb mir aber auf den vierzig Schritten, die ich ungefähr vorwärts ging, einen so entsetzlichen Schweiſs aus, daſs ich umkehrte. Ich lieſs den Kerl allein seine Eyer kochen. Meine vor¬ nehmen Landsleute, die unten gewesen seyn sollen, müssen den Schwitzkasten besser vertragen können als ich: das Experiment war mir zu heiſs. Ob die alten Gebäude, die am Strande hinstehen, Tempel oder Bä¬ der gewesen, vermag ich nicht zu entscheiden. Sie gehören augenscheinlich zu Bajä und zu Bajä waren viele berühmte Bäder; doch findet man sie sonst wohl nicht leicht von dieser Tempelform. Es sind zwey Rotunden, jetzt ziemlich hoch mit Erde angefüllt, und das Echo darin ist furchtbar stark. Das sogenannte Grab Agrippinens verdient wohl gesehen zu werden, es mag gehören wem es will. Die Arbeit ist gut und die Wandverzierungen sind sehr niedlich und ge¬ schmackvoll. Ich fand darin ein Stückchen Bernstein von der Gestalt eines Diskus, mit einem kleinen Lo¬ che in der Mitte, durch welches ein Drath oder Ring gegangen zu seyn schien. Der Himmel mag wissen, ob es alt ist oder wie es sonst dahin gekommen seyn mag. Von dem Tempel des Herkules, in dessen Nähe Agrippine umgekommen seyn soll, werden, hart unter dem Vorgebirge Misene, noch einige Trümmern ge¬337 zeigt. Baulä ist jetzt ein kleines armseliges Dörfchen. Was die Piscine und die Felsengänge oder die soge¬ nannten Gefängnisse des Nero mögen gewesen seyn, darüber zanken sich noch die Gelehrten. Ich begreife nicht, warum sie nicht von Menschen, wie die römi¬ schen Cäsarn von der schlechtesten Sorte waren, zu Kerkern sollen gebraucht worden seyn. Sie sind gräſs¬ lich und die Gefängnisse in Syrakus sind Ballsäle da¬ gegen: wie denn alles Grausame bey den Römern schrecklicher und scheuſslicher war, als bey den Grie¬ chen, die Spartaner vielleicht ausgenommen, die mehr einen römischen Stempel trugen. Bis fast hinaus auf die Spitze des Vorgebirges und bis hinab an die ely¬ seischen Felder und das todte Meer sind schöne Pflan¬ zungen von Wein und Feigen. Misene ist eine von dieser Seite auslaufende Erdzunge, die sich mit dem hohen Felsen dieses Namens schlieſst. Gegen über liegt nicht weit davon sogleich Procida, und man er¬ zählte, daſs die Engländer im vorigen Kriege von dort herüber nach Baulä geschossen haben. Das ist aber doch nicht wohl möglich; es muſs aus den Schiffen auf dem Passe zwischen Procida und Misene geschehen seyn. Im Vorbeygehen darf ich Dir noch sagen, daſs ich neulich in Rom in den deutschen Propyläen eine Recension von Gmelins Blättern von dieser Gegend gesehen habe, wo man sich fast ausdrückt, als ob das Mare morto und der Avernus eine und die nehmliche See wären; eine Unbestimmtheit, die man doch in den Propyläen nicht antreffen sollte.
Ich lieſs mich von Misene gern über den Meer¬ busen hinüber nach Puzzuoli rudern, wo ich zwar et¬22338was spät aber mit desto besserm Appetit eine herrli¬ che Mahlzeit nahm. Der Bajische Meerbusen ist we¬ gen seiner Schönheiten berühmt; aber überall, wohin man blickt, findet man nur Trümmern, Zerstörungen der Zeit, der Barbarey und der Erdrevolutionen, als ob sich alles vereinigt hätte, diesen Sitz der schänd¬ lichsten Despotie zu zernichten und nur die Reize der Natur übrig zu lassen. Der neue Berg wird jetzt ziemlich bearbeitet und giebt guten Wein, wie man sagt. Die Leute behaupten hier mit Gewalt, hier ha¬ be ehemals der Falerner Berg gestanden und sey in den verschiedenen Erdrevolutionen mit verschüttet worden; geben auch noch eine Sorte Wein für Faler¬ ner, der allerdings besser seyn soll, als der ächte Fa¬ lerner bey Sessa auf der andern Seite des Gaurus. Ei¬ ne sonderbare Phantasie ist mir vorgekommen; ich weiſs nicht, ob ich der erste bin, der sie gehabt hat. Kapri sieht von hier, und noch mehr von der Spitze des Posilippo und Nisida aus, wie der Kopf eines un¬ geheuern Krokodils, das seinen Rachen nach Surrent dreht. Diese Einbildung kam mir immer wieder, so oft ich dahin sah; und sie giebt der Tiberiade einen abscheulichen Stempel[.]
Der Weg von Puzzuoli nach Neapel zurück, geht durch ein üppig reiches Thal an dem Posilippo hin. Die Gegend ist aber als sehr ungesund bekannt, we¬ gen der Solfatara und des Agnano, die links in der Nähe liegen. Der beträchtliche Berg Posilippo liegt rechts vor Dir; alles ist geschlossen und nirgends eine Schlucht zu sehen, und Dir wird vielleicht etwas ban¬ ge vor der Auffahrt und Abfahrt. Diese ersparst Du;339 denn Du fährst, wie ein Erdgeist, gerade durch den Berg hin. Dieſs ist die berühmte Grotte. Vermuth¬ lich war die Veranlassung dazu der Steinbruch, den man tief hinein arbeitete. Man konnte dabey leicht auf den Gedanken kommen durchzugehen, und so ei¬ nen geraden Weg zu machen. Der Eingang von Nea¬ pel ist schöner als von Puzzuoli, und wenn man bey einer gewissen Mischung der Atmosphäre aus der Mitte in die schöne Beleuchtung hinaus sieht, ist es ein unbeschreiblicher Anblick. Auch von dieser Ar¬ beit ist die Zeit der Entstehung unbekannt. Zur Zeit der Römer muſs das Werk nicht unternommen wor¬ den seyn; denn diese hätten wahrscheinlich etwas da¬ von aufgezeichnet, weil sie, als sie hierher in diese Gegend kamen, schon ziemlich eitel waren. In der Mitte der Höhle ist, links von Neapel aus, ein Behält¬ niſs eingehauen, welches jeder Vernünftige sogleich ei¬ ner Polizeywache anweisen würde. Aber hier giebt man es der heiligen Jungfrau zur Kapelle, und dann und wann sollen sich Räuber darin aufhalten und dar¬ aus die Gegend unsicher machen!
Eben komme ich vom Vesuv. Aber da ich auch von Pästum komme, muſs ich vom Anfange anfan¬ gen, wenn Du nur einigermaſsen mit mir promenie¬ ren sollst. Meine Absicht war, so ganz gemächlich über Salerne in einigen Tagen allein hinunter nach Pästum zu gehen: aber ohne alle Kunde möchte es doch etwas bedenklich gewesen seyn. Ueberdieſs drückte mich die Hitze auf dem staubigen Wege nach Pompeji unerträglich; meine Fuſssohlen hatten durch langen Gebrauch einige Hühneraugen gewonnen, die340 den Marsch in der Hitze eben nicht befördern. Ich lieſs mich also in Torre del Greco, wo jetzt der beste Wein wächst, überreden eine Karriole zu nehmen. Eine der schönsten Parthien, vielleicht in ganz Italien, ist der Weg von Pompeji nach Salerne, vorzüglich um Kava herum. Ohne mich um die Alterthümer zu bekümmern, ergötzte ich mich an dem, was da war; ob ich gleich nicht läugnen kann, daſs Fleiſs und Anhaltsamkeit es hier und da noch schöner hätte machen können.
In Salerne, wo ich sehr zeitig ankam, wollte ich die Nacht bleiben, und den folgenden Morgen weiter fahren. Ich wandelte also in der Stadt herum, und bald faſste mich ein Geistlicher bey der Krause, der mir alle Herrlichkeiten seiner Vaterstadt zeigte. Die Kathedrale mit ihren Wundern war das erste. Das Bassin am Eingange, von einem einzigen Stücke ge¬ arbeitet, lieſse sich wirklich auch in Rom noch sehen. Man zeigte mir eine Menge Gräber von alten Erzbi¬ schöfen und Salernitaner Advokaten, die den Leuten gewaltig wichtig waren. Einige schöne alte Basreliefs aus Pästum hat man hier und da mit zur Verzierung neuer Monumente gebraucht. Das Merkwürdigste sind mehrere sehr schöne antike Säulen, die man auch aus Pästum geholt hat. Man führte mich auch in das Adyton der Krypte des Schutzpatrons, welches Mat¬ thäus ist. Hier stand die statua biformis des Heili¬ gen, die einem Janus ziemlich ähnlich sieht. Bey die¬ ser Gelegenheit wurden mir alle Wunder erzählt, die der Apostel zum Heile der Stadt gegen die Saracenen gethan hatte. Es läſst sich wohl begreifen, wie das341 zuging, und wie irgend ein Spruch von ihm und der Enthusiasmus für ihn so viel wirkten, daſs die Ungläu¬ bigen abziehen muſsten. Und nach der alten Rechts¬ regel, quod quis per alium — kommt ihm dann die Ehre billig zu. Das wissen die Spitzköpfe unter den Herren gar trefflich zu amalgamieren: die Plattköpfe haben es gar nicht nöthig, die nehmen es starkgläubig geradezu. Im Hintergrund der Krypte stehen noch ein Paar weibliche Heiligkeiten, deren Namen ich ver¬ gessen habe, deren Blut aber noch beständig floſs. Ich hörte es selbst rauschen und kann es also bezeugen; ich wagte gläubig keine Erklärung des Gaukelspiels. Unter den vielen Narren war auch ein Vernünftiger, der mir vorzüglich die Säulen aus Pästum alle und von allen Seiten in den schönsten Beleuchtungen zeigte: er drückte mir stillschweigend die Hand als ich fort ging. Nun brachte man mich noch mit Ge¬ walt in eine andere Kirche, wo eine schöne Kreuzi¬ gung weder gemalt noch gehauen noch gegossen, son¬ dern ins Holz gewachsen war. Mit Hülfe einiger Phantasie konnte man wohl so etwas heraus oder viel¬ mehr hineinbringen; und die Wunder überlasse ich den Gläubigen. Einige wunderten sich, daſs ich doch gar nichts aufschriebe, wie andere Reisende; und einer der jungen Herren, die mich begleiteten, sagte zu meinem Lobe, ich wäre von allem hinlänglich unter¬ richtet und überzeugt. Da sagte er denn in beydem eine groſse Lüge. Als ich weg ging, bat sich mein Hauptführer, der sich, glaube ich, einen Kastellan des Erzbischofs nannte, etwas für die Armen aus; das gab ich: sodann etwas zu einer Seelenmesse für mich; das342 gab ich auch. Schadet niemand und hilft wohl; man muſs die Gläubigen stärken, lautet das Schibolet, das Göthens Reincke der Fuchs von seiner Frau Mutter bekommt. Dann bat er sich etwas für seine Mühe aus. Dazu machte ich endlich ein grämliches Gesicht und zog noch zwey Karlin hervor. Als ich sie ihm hinreichte, schnappte sie ein Profaner weg, der sich einen Korporal nannte, und von dem ich eben so wenig wuſste, wie er zur Gesellschaft noch wie er in den Dienst der Kirche gekommen war. Darüber ent¬ stand Streit zwischen dem Klerikus und dem Laien. Der geistliche Herr sagte mir ins rechte Ohr, daſs der Korporal ein liederlicher Säufer wäre; dieser zischelte mir gelegenheitlich ins linke, das Mönchsgesicht sey ein Gauner und lebe von Betruge: ich antwortete bey¬ den ganz leise, daſs ich das nehmliche glaube und es wohl gemerkt habe. Es ist ein heilloses Leben.
Ich kann mir nicht helfen, Lieber, ich muſs es Dir nur gestehen, daſs ich den Artikel von der Ver¬ gebung der Sünden für einen der verderblichsten halte, den die Halbbildung der Vernunft zum angebli¬ chen Troste der Schwachköpfe nur hat erfinden kön¬ nen. Er ist der schlimmste Anthropomorphismus, den man der Gottheit andichten kann. Es ist kein Gedan¬ ke, daſs Sünde vergeben werde: jeder wird wohl mit allen seinen bösen und guten Werken hingehen müs¬ sen, wohin ihm seine Natur führt. Eine miſsverstan¬ dene Humanität hat den Irrthum zum Unglück des Menschengeschlechts aufgestellt und fortgepflanzt: und nun wickeln sich die Theologen so fein als möglich in Distinktionen herum, welche die Sache durchaus nicht besser machen. Was ein Mensch gefehlt hat, bleibt in Ewigkeit gefehit; es läſst sich keine einzige Folge ei¬ ner einzigen That aus der Kette der Dinge heraus reis¬ sen. Die Schwachheiten der Natur sind durch die Na¬ tur selbst gegeben, und die Herrscherin Vernunft soll sie durch ihre Stärke zu leiten und zu vermindern suchen. Der Begriff der Verzeihung hindert meistens das Besserwerden. Gehe nur in die Welt, um Dich davon zu berzeugen. Soll vielleicht dieser Trost gros¬ sen Bösewichtern zu Statten kommen? Alle Schurken, die sich nicht bessern können, die von Beichte zu Beichte täglich weggeworfener und niederträchtiger werden; diese sollen zum Heile der Menschheit ver¬344 zweifeln. Jeder soll haben, was ihm zukommt. Die Verzweiflung der Bösewichter ist Wohlthat für die Welt; sie ist das Opfer, das der Tugend und der Gött¬ lichkeit unserer Natur gebracht wird. Verzweifle, wer sich nicht bessern hann; die Vergebung der Sünden kann ich nicht begreifen: sie ist ein Widerspruch, ge¬ hört zu den Gängelbändern der geistlichen Empirik, damit ja niemand allein gehen lerne. Man darf nur die Länder recht beschauen, wo diese entsetzliche Gnade im gröſsten Umfange und Unfuge regiert; kein rechtlicher Mann ist dort seiner Existenz sicher. Die Geschichte belegt.
Hier in Salerne erhielt ich einen neuen Führer, der mir sehr problematisch aussah. Er machte mich dadurch aufmerksam, daſs ich bey ihm auſserordent¬ lich sicher sey, weil er alles schlechte Gesindel als freundliche Bekannten grüſste und meinte, in seiner Gesellschaft könne mir nichts geschehen. Das begriff ich und war ziemlich ruhig, obgleich nicht wegen sei¬ ner Ehrlichkeit. Er hatte mich öffentlich in der Stadt übernommen; es galt also seine eigene Sicherheit, mich dahin wieder zurück zu liefern: weiter hätte ich ihm dann nicht trauen mögen. Wir fuhren noch diesen Abend ab, und blieben die Nacht an der Stra¬ ſse in einem einzelnen Wirthshause, wo sich der Weg nach Pästum rechts von der Landstraſse nach Eboli und Kalabrien trennt. Diese Landstraſse geht von hier aus nur ungefähr noch vierzig Millien; dann fängt sie an sicilianisch zu werden und ist nur für Maulesel gangbar. Es war herrliches Wetter; der Him¬ mel schien mir an dem schönen Morgen vorzüglich345 wohl zu wollen: meine Seele ward lebendiger als gewöhnlich.
Ich gebe Dir zu, daſs in diesen Versen wenig Poesie ist; aber desto mehr ist darin lautere Wahrheit. 347Ich hielt mich hier nur zwey Stunden auf, umging die Area der Stadt, in welcher nichts als die drey bekannten groſsen alten Gebäude, die Wohnung des Monsignore, eines Bischofs wie ich höre, ein elendes elendes Wirthshaus und noch ein anderes jämmerli¬ ches Haus stehen. Das ist jetzt ganz Pästum. Ich suchte, jetzt in der Rosenzeit, Rosen in Pästum für Dich, um Dir ein klassisch sentimentales Geschenk mit zu bringen: aber da kann ein Seher keine Rose finden. In der ganzen Gegend rund umher, versi¬ cherte mich einer von den Leuten des Monsignore, ist kein Rosenstock mehr. Ich durchschaute und durch¬ suchte selbst alles, auch den Garten des gnädigen Herrn; aber die Barbaren hatten keine einzige Rose. Darüber gerieth ich in hohen Eifer und donnerte über das Piakulum an der heiligen Natur. Der Wirth, mein Führer, sagte mir, vor sechs Jahren wä¬ ren noch einige da gewesen; aber die Fremden hätten sie vollends alle weggerissen. Das war nun eine er¬ bärmliche Entschuldigung. Ich machte ihm begreiflich, daſs die Rosen von Pästum ehedem als die schönsten der Erde berühmt gewesen, daſs er sie nicht muſste abreiſsen lassen, daſs er nachpflanzen sollte, daſs es sein Vortheil seyn würde, daſs jeder Fremde gern et¬ was für eine pästische Rose bezahlte; daſs ich, zum Beyspiel, selbst jetzt wohl einen Piaster gäbe, wenn ich nur eine erhalten könnte. Das letzte besonders leuchtete dem Manne ein; um die schöne Natur schien er sich nicht zu bekümmern; dazu ist die dortige Menschheit zu tief gesunken. Er versprach darauf zu denken, und ich habe vielleicht das Verdienst, daſs348 man künftig in Pästum wieder Rosen findet: wenig¬ stens will ich hiermit alle bitten, die nehmlichen Er¬ innerungen eindringlich zu wiederholen, bis es fruchtet.
Eine Abhandlung über die Tempel erwarte nicht. Ich setzte mich an einem Rest von Altar hin, der in einem derselben noch zu finden ist, und ruhte eine Viertelstunde unter meinen Freunden, den Griechen. Wenn einer ihrer Geister zurück käme und mich Hy¬ perboreer unter den letzten Trümmern seiner Vater¬ stadt sähe! Hier ist mehr als in Agrigent. Ich bin nicht der erste, welcher es anmerkt, was die Leute für gewaltig hohe Stufen gemacht haben, hier und in Agrigent. Man muſs sehr elastisch steigen, oder man ist in Gefahr sich einen Bruch zu schreiten. Daſs ei¬ ner von den Tempeln dem Neptun gehöre, beruht wahrscheinlich auf dem Umstand daſs er der vorzüg¬ liche Schutzgott der Stadt war: so wie man eines der Gebäude für eine Palästra hält, weil es anders als die gewöhnlichen Tempel mit zwey Reihen Säulen über einander gebaut ist. Sollte dieses nicht vielmehr ein Bulevterion gewesen seyn? Denn es läſst sich nicht wohl begreifen, wozu die obere Säulenreihe in einer Palästra dienen sollte. Vielleicht war es auch Bulev¬ terion und Palästra zugleich; unten dieses, oben jenes. Nicht weit von den Gebäuden zeigte man mir noch eine Seltenheit, einen Stein, der nur vor kurzem ge¬ funden seyn muſs, weil ich ihn noch von niemand angeführt gefunden habe. Es ist aber nur ein ge¬ wöhnlicher Leichenstein, und zwar ziemlich neu aus der lateinischen Zeit. Das Quadrat der Stadt ist noch349 überall sehr deutlich zu unterscheiden durch die Trümmern der Mauern. Das Thor nach Salerne hin hat noch etwas hohes Gemäuer, und das Bergthor ist noch ziemlich ganz und wohl erhalten. Die beyden übrigen, die man mir als das Seethor und Justizthor nannte, zeigen nur noch ihre Spuren. Die Hauptur¬ sache, warum der Ort vor allen übrigen so gänzlich in Verfall gerathen ist, scheint mir das schlechte Was¬ ser zu seyn. Ich versuchte zwey Mal zu trinken, und fand beyde Mal Salzwasser: das Meer ist nicht fern, die Gegend ist tief und auch aus den nahen Bergen kommt Salzwasser. Das süſse Wasser muſste weit und mit Kosten hergeleitet werden. Die Vegetation recht¬ fertigt noch jetzt Virgils Angabe. Der Anblick ist ei¬ ner der schönsten und der traurigsten. Als ich auf dem Rückwege zu Fuſse etwas voraus ging, lag auf den Aesten eines Feigenbaums eine groſse Schlange geringelt, die mich ruhig ansah. Sie war wohl stärker als ein Mannsarm, ganz schwarz von Farbe und ihr Blick war furchtbar. Sie schien sich gar nicht um mich zu bekümmern, und ich hatte eben nicht Lust ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Es fiel mir ein, daſs Virgil atros colubros anführt, die er eben nicht als gutartig beschreibt: diese schien von der Sorte zu seyn.
Auf meiner Rückkehr hatte ich Gelegenheit zwey sehr ungleichartige Herren von dem neapolitanischen Militär kennen zu lernen. Ich wurde einige Millien von Salerne an der Straſse angehalten, und ein Offi¬ zier nicht mit der besten Physionomie setzte sich ge¬ radezu zu mir in die Karriole, ohne eine Sylbe Apo¬350 logie über ein solches Betragen zu machen, und wir fuhren weiter. Ich hörte, daſs mein Fuhrmann vor¬ her sagte: E un signore Inglese: das half aber nichts; der Kriegsmann pflanzte sich ein. Als er Posten ge¬ faſst hatte, wollte er mir durch allerhand Wendungen Rede abgewinnen: seine Grobheit hatte mich aber so verblüfft, daſs ich keine Sylbe vorbrachte. Vor der Stadt stieg er aus und ging fort ohne ein Wörtchen Höflichkeit. Das ist noch etwas stärker als die Imper¬ tinenz der deutschen Militäre hier und da gegen die sogenannten Philister, die doch auch zuweilen syste¬ matisch ungezogen genug ist. Als ich gegen Abend in der Stadt spazieren ging, redete mich ein Zweyter an: Sie sind ein Engländer? — Nein. — Aber ein Rus¬ se? — Nein. — Doch ein Pole? — Auch nicht. — Was sind sie denn für ein Landsmann? — Ich bin ein Deutscher. — Thut nichts; Sie sind ein Fremder und erlauben mir, daſs ich Sie etwas begleite. — Sehr gern; es wird m〈…〉〈…〉 angenehm seyn. Ich sah mich um, als ob ich etwas suchte. Er fragte mich, ob ich in ein Kaffeehaus gehen wollte. Wenn man Eis dort hat; war meine Antwort. Das war zu haben: er führte mich und ich aſs tüchtig, in der Vorausse¬ tzung ich würde für mich und ihn tüchtig bezahlen müssen. Das pflegte so manchmal der Fall zu seyn. Aber als ich bezahlen wollte, sagte die Wirthin, es sey alles schon berichtigt. Das war ein schöner Ge¬ gensatz zu der Ungezogenheit vor zwey Stunden. Er begleitete mich noch in verschiedene Parthien der Stadt, besonders hinauf zu den Kapuzinern, wo man eine der schönsten Aussichten über den ganzen Meer¬351 busen von Salerne hat. Ich konnte mich nicht ent¬ halten, dem jungen artigen Manne das schlimme Be¬ tragen seines Kameraden zu erzählen. Ich bin nicht gesonnen, sagte ich, mich in[] der Fremde in Hän¬ del einzulassen; aber wenn ich den Namen des Offi¬ zieres wüſste und einige Tage hier bliebe, würde ich doch vielleicht seinen Chef fragen, ob dieses hier in der Disciplin gut heiſse. Der junge Mann fing nun eine groſse lange Klage über viele Dinge an, die ich ihm sehr gern glaubte. Wir gingen eben vor einem Gefängnisse vorbey, aus dessen Gittern ein Kerl sah und uns anredete. Dieser Mensch hat vierzig umge¬ bracht, sagte der Offizier, als wir weiter gingen. Ich sah ihn an. Hoffentlich kann es ihm nicht bewiesen werden; erwiederte ich. — Doch, doch; für wenig¬ stens die Hälfte könnte der Beweis komplett geführt werden. Mich überlief ein kalter Schauder: und die Regierung? fragte ich. Ach Gott, die Regierung, sagte er ganz leise, — braucht ihn. Hier faſste es mich wie die Hölle. Ich hatte dergleichen Dinge oft gehört; jetzt sollte ich es sogar sehen. Freund, wenn ich ein Neapolitaner wäre, ich wäre in Versuchung aus ergrimmter Ehrlichkeit ein Bandit zu werden und mit dem Minister anzufangen. Welche Regierung ist das, die so entsetzlich mit dem Leben ihrer Bürger umgeht! Kann man sich eine gröſsere Summe von Abscheulichkeit und Niederträchtigkeit denken? Jetzt wird er hoffentlich seine Strafe bekommen; sagte ich zu meinem unbekannten Freunde. Ach nein, antwor¬ tete er; jetzt sitzt er wegen eines kleinen Subordina¬ tionsfehlers, und morgen früh kommt er los. — Wie¬352 der ein hübsches Stückchen von der Vergebung der Sünde. Die Amnestie des Königs hat die Armen und die Provinzen mit rechtlichen Räubern angefüllt. Er nahm die Banditen auf, sie waren brav wie ihr Name sagt, er belohnte sie königlich, gab Aemter und Eh¬ renstellen; und jetzt treiben sie ihr Handwerk als Hauptleute der Provinzen gesetzlich. Dieses wird in der Residenz erzählt, auf den Straſsen und in Pro¬ vinzialstädten, und es werden mit Abscheu Personen und Ort und Umstände dabey genannt.
Ich lief eine Stunde in Pompeji herum, und sah was die andern auch gesehen haben, und lief in den aufgegrabenen Gassen und den zu Tage geförderten Häusern hin und her. Die Alten wohnten doch ziemlich enge. Die Stadt muſs bey dem allen präch¬ tig genug gewesen seyn, und man kann sich nichts netter und geschmackvoller denken als das kleine Theater, wo fast alles von schönem Marmor ist; und die Inskription mit eingelegter Bronze vor dem Pro¬ scenium ist als ob sie nur vor wenigen Jahren ge¬ macht wäre. Die Franzosen haben wieder einen be¬ trächtlichen Theil ans Licht gefördert und sollen viel gefunden haben, wovon aber sehr wenig nach Paris ins Museum kommt. Jeder Kommissär scheint zu nehmen was ihm am nächsten liegt, und die Regie¬ rung schweigt wahrscheinlich mit berechneter Klug¬ heit. Es ist etwas mehr als unartig, daſs die alten schönen Wände so durchaus mit Namen bekleckst sind. Ich habe viele darunter gefunden, die diese kleine Eitelkeit wohl nicht sollten gehabt haben. Vor¬ züglich waren dabey einige französische Generale, von351 denen man dieses hier nicht hätte erwarten sollen: bey der Sibylle ist es etwas anders.
Von Salerne aus war ich mit einer Dame aus Ka¬ serta und ihrem Vetter zurück gefahren. Als diese hörten, daſs ich von Portici aus auf den Berg wollte, thaten sie den Vorschlag Parthie zu machen. Ich hatte nichts dagegen; wir mietheten Esel und ritten. Was vorher zu sehen war geschah; die Dame konnte, als wir absteigen muſsten, zu Fuſse nicht weit fort und blieb zurück; und ich war so ungalant mich nicht darum zu bekümmern. Der Herr Vetter strengte sich an, und arbeitete mir nach. Als wir an die Oeff¬ nung gekommen waren, aus welcher der letzte Strom über Torre del Greco hinunter gebrochen war, wollte der Führer nicht weiter und sagte, weiter ginge sein Akkord nicht. Ich wollte mich weiter nicht über die Unverschämtheit des Betrügers ärgern und erklärte ihm ganz kurz und laut, er möchte machen was er wollte; ich würde hinauf steigen. Doch nicht allein? meinte er. Ganz allein, sagte ich, wenn niemand mit mir geht; und ich stapelte immer rasch den Sand¬ berg hinauf. Er besann sich doch und folgte. Es ist eine Arbeit, die schwerer ist als auf den Aetna zu ge¬ hen; wenigstens über den Schnee, wie ich es fand. Der Sand und die Asche machen das Steigen entsetz¬ lich beschwerlich: man sinkt fast so viel rückwärts, als man vorwärts geht. Es war übrigens Gewitterluft und drückend heiſs. Endlich kam ich oben an dem Rande an. Der Krater ist jetzt, wie Du schon weiſst, eingestürzt, der Berg ein beträchtliches niedriger, und es ist gar keine eigentliche gröſsere Oeffnung mehr23352 da. Nur an einigen Stellen dringt etwas Rauch durch die felsigen Lavaritzen hervor. Man kann also hinun¬ ter gehen. Die Franzosen, welche es zuerst thaten, wenigstens so viel man weiſs, haben viel Rotomon¬ tade von der Unternehmung gemacht: jetzt ist es von der Seite von Pompeji ziemlich leicht. Fast jeder, der herauf steigt, steigt hinab in den Schlund; und es sind von meinen Bekannten viele unten gewesen. Ich selbst hatte den rechten Weg nicht gefaſst, weil ich eine andere kleinere Oeffnung untersuchen wollte, aus welcher auch noch etwas Dampf kam und zuweilen auch Flamme kommen soll. Die Zeit war mir nun zu kurz; sonst wäre ich von der andern Seite noch ganz hinunter gestiegen. Gefahr kann weiter nicht seyn, als die gewöhnliche. Während mein Führer und der Kasertaner ruhten und schwatzten, sah ich mich um. Die Aussicht ist fast die nehmliche, wie bey den Kamaldulensern: ich würde jene noch vorziehen, ob¬ gleich diese gröſser ist. Nur die Stadt und die ganze Parthie von Posilippo hat man hier besser. Nie hatte ich noch so furchtbare Hitze ausgestanden als im Her¬ aufsteigen. Jetzt schwebten über Surrent einige Wölk¬ chen und über dem Avernus ein Donnerwetter: es ward Abend und ich eilte hinab. Hinunter geht es sehr schnell. Ich hatte schon Durst als die Reise auf¬ wärts ging; und nun suchte ich lechzend überall Was¬ ser. Ein artiges liebliches Mädchen brachte uns end¬ lich aus einem der obersten Weinberge ein groſses vol¬ les Gefäſs. So durstig ich auch war, war mir doch das Mädchen fast willkommener als das Wasser: und wenn ich länger hier bliebe, ich glaube fast ich würde353 den Vulkan gerade auf diesem Wege vielleicht ohne Führer noch oft besuchen. In einem groſsen Sommer¬ hause, nicht weit von der heiligen Maria, erwartete uns die Dame und hatte unterdessen Thränen Christi bringen lassen. Aber das Wasser war mir oben lieber als hier die köstlichen Thränen, und die Hebe des er¬ sten wohl auch etwas lieber als die Hebe der zweyten.
Es war schon ziemlich dunkel als wir in Portici ankamen, und wir wollten noch in der letzten Abend¬ dämmerung nach Neapel. Mit dem Museum in Por¬ tici war ich ziemlich unglücklich. Das erste Mal war es nicht offen und ich sah bloſs das Schloſs und die Zimmer, die, wenn man die Arbeit aus Pompeji, ei¬ nige schöne Lavatische und die Statuen zu Pferde aus dem Herkulanum weg nimmt nichts merkwürdiges enthalten. In dem Hofe des Museums liegen noch einige bronzene Pferdeköpfe aus dem Theater von Herkulanum: die Statuen selbst sind in der Lava zu¬ sammen geschmolzen. So viel ich von den Köpfen urtheilen kann, möchte ich wohl diese Pferde haben, und ich gäbe die Pariser von Venedig sogleich dafür hin. In dem Theater von Herkulanum bin ich eine ganze Stunde herum gewandelt, und habe den Ort ge¬ sehen, wo die Marmorpferde gestanden hatten, und den Ort wo die bronzenen geschmolzen waren. Be¬ kanntlich ist es hier viel schwerer zu graben als in Pompeji: denn diese Lava ist Stein, jene nur Aschen¬ regen. Dort sind nur Weinberge und Feigengärten auf der Oberfläche; hier steht die Stadt darauf: denn Portici steht gerade über dem alten Herkulanum; und fast gerade über dem Theater steht jetzt oben eine354 Kirche. Die Dame von Kaserta gab mir beym Ab¬ schied am Toledo ihre Addresse; ich hatte aber nicht Zeit mich weiter um sie zu bekümmern.
Ob gleich der Vesuv gegen den Aetna nur ein Maulwurfshügel ist, so hat er durch seine klassische Nachbarschaft vielleicht ein gröſseres Interesse, als irgend ein anderer Vulkan der Erde. Ich war den ganzen Abend noch voll von der Aussicht oben, die ich noch nicht so ganz nach meinem Genius hatte ge¬ nieſsen können. Ich setzte mich im Geist wieder hin¬ auf und überschaute rund umher das schöne blühende magische Land. Die wichtigsten Scenen der Einbil¬ dungskraft der Alten lagen im Kreise da; unvermerkt gerieth ich ins Aufnehmen der Gegenstände um den Vulkan.
Unter diesen Phantasien schlief ich ruhig ein. Ob ich gleich gern das furchtbare Schauspiel eines solchen Vulkans in seiner ganzen entsetzlichen Kraft sehen möchte, so bin ich doch nicht hart genug es zu wünschen. Ich will mich mit dem begnügen, was mir der Aetna gegeben hat. Der Vesuv kräuselt blos zuweilen einige Rauchwölkchen; aber ich fürchte, sein Schlaf und sein Verschütten sind von schlimmer Vor¬ bedeutung. Der Aetna war auch verschüttet, ehe er Katanien überströmte, und in dem Krater des Vesuv waren zuweilen groſse Bäume gewachsen. Bey seinem künftigen Ausbruche dürfte die Gegend vor Portici, eben da wo oben der Heilige Januarius steht um den Feind abzuhalten, am meisten der Gefahr ausgesetzt seyn; denn dort ist nach dem äuſsern Anschein jetzt die Erdschale am dünnsten. Man scheint so etwas gefühlt zu haben als man den heiligen Flammenbän¬ diger hierher setzte.
Die Russen in Neapel machen eine sonderbare Erscheinung. Sie sind des Königs Leibwache, weil man ganz laut sagt, daſs er sich auf seine eigenen357 Soldaten nicht verlassen kann. Wenn dieses so ist, so ist es ganz gewiſs seine eigene Schuld; denn ich halte die Neapolitaner für eine der bravsten und besten Na¬ tionen, so wie überhaupt die Italiäner. Was ich hier und da schlimmes sagen muſs, betrifft nur die Regie¬ rung, ihre schlechte Verfassung oder Verwaltung und das Religionsunwesen. Die Russen haben sich sehr metamorphosiert und ich würde sie kaum wieder er¬ kannt haben. Du weiſst daſs ich die Schulmeisterey in keinem Dinge verachte, wenn sie das Gründliche bezweckt: aber ich glaube, sie haben sich durch Pauls Veränderungen durchaus nicht gebessert. Brav wer¬ den sie immer bleiben; das ist im Charakter der Na¬ tion: aber Paul hätte das Gute behalten und das Bes¬ sere geben sollen. Ich habe nicht gesehen, daſs sie besser Linie und besser den Schwenkpunkt hielten, und fertiger die Waffen handhabten; aber desto schlechter waren sie gekleidet, ästhetisch und militä¬ risch. Die steifen Zöpfe, die Potemkin mit vielen an¬ dern Bocksbeuteleyen kassiert hatte, geben den Kerlen ein Ansehen von ganz possierlicher Unbehülflichkeit. Potemkin hatte freylich wohl manches gethan, was nichts werth war; aber diese Ordonanz bey der Armee war sicher gut. Paul war in seiner Empfindlichkeit zu einseitig. Uebrigens werden hier die Russischen Offiziere, wie ich höre, zuweilen nicht wegen ihrer Artigkeit gelobt, und man erzählte sehr auffallende Beyspiele vom Gegentheil. Das sind hoffentlich nur unangenehme Ausnahmen; denn man läſst im Ganzen der Ordnung und der Strenge des Generals Gerechtig¬ keit widerfahren.
358Der heilige Januarius wird als Jakobiner gewaltig gemiſshandelt, und von den Lazaronen auf alle Weise beschimpft: es fehlt wenig daſs er nicht des Patronats völlig entsetzt wird. Dafür wird der heilige Antonius sehr auf seine Kosten gehoben; und es wird diesem so¬ gar durch Manifeste vom Hofe fetiert. Doch ist die Januariusfarce wieder glücklich von Statten gegangen, und er hat endlich wieder ordentlich geblutet. Ich habe für dergleichen Dinge wenig Takt, bin also nicht dabey gewesen, ob die Schnurre gleich fast unter meinen Augen vorging. Einer meiner Freunde er¬ zählte mir von den furchtbaren Aengstigungen einiger jungen Weiber und ihrer heiſsen Andacht, ehe das Mirakel kam, und von ihrer ausgelassenen heiligen ekstatischen Freude, als es glücklich vollendet war. Womit kann man den Menschen nicht noch hinhal¬ ten, wenn man ihm einmal seine Urbefugnisse ge¬ nommen hat.
Nun bin ich wieder hier in dem Sitz der heiligen Kirche, aber nicht in ihrem Schooſse. Wie Schade das ist, ich habe so viel Ansatz und Neigung zur Ka¬ tholicität, würde mich so gern auch an ein Oberhaupt in geistlichen Dingen halten, wenn nur die Leute et¬ was leidlicher ordentlich und vernünftig wären. Mei¬ ner ist der Katholicismus der Vernunft, der allgemei¬ nen Gerechtigkeit, der Freyheit und Humanität; und der ihrige ist die Nebelkappe der Vorurtheile, der Pri¬ vilegien, des eisernen Gewissenszwanges. Ich hoffte, wir würden einst zusammen kommen; aber seit Bo¬ napartes Bekehrung habe ich für mich die Hoffnung sinken laſſen. Dank sey es der Frömmeley und dem Mamelukengeist des groſsen französischen Bannerherrn, die Römer haben nun wieder Ueberfluſs an Kirchen, Mönchen und Banditen. Er hat uns zum wenigsten wieder einige hundert Jahre zurückgeworfen. Homo sum — sagt Terenz; sonst könntest Du leicht fragen, was mich das Zeug anginge. Aber ich will den Faden meiner Wanderschaft wieder aufnehmen.
Den letzten Tag in Neapel besuchte ich noch den Agnano und die Hundsgrotte. Schon Füger in Wien hatte mich gewarnt, ich möchte mich dort in Acht nehmen: allein im May, dachte ich, hat so ein Spa¬ ziergang wohl nichts zu sagen. Der Morgen war drückend schwül, und über der Solfatara und dem Kamaldulenser Berge hingen Gewitterwolken. Alles ist bekannt genug; ich wollte nur aus Neugier das360 Lokale sehen und weiter keinen Hund auf die Folter setzen. Nachdem ich ungefähr ein Stündchen am See herumgewandelt war und mir die Lage besehen hatte, ward mir der Kopf auf einmal sonderbar dumpf und schwer, und ich eilte daſs ich durch die Bergschlucht wieder heraus kam. Es war ein eigenes furchtbares Gefühl, als ob sich alle flüſsigen Theile mischten und die festen sich auflösen wollten. So wie ich mich von der Gegend entfernte, kehrte mein heller Sinn zurück, und es blieb mir nur eine gewisse Schwere und Mü¬ digkeit von der Wärme. Eine eigene Erscheinung in meinem Physischen war es mir indessen, als ich gleich nachher in einem Wirthshause nicht weit von Posi¬ lippo aſs, daſs ich mir an einer eben nicht harten Kastanie auf einmal drey Zähne bis fast zum Ausfallen locker biſs. Der Agnano und die Hundsgrotte kosten dich ein wenig zu viel, dachte ich, und that schon Verzicht auf meine drey Vorderzähne. Aber Verände¬ rung der Luft und etwas Schonung haben sie bis auf einen wieder ziemlich fest gemacht; und dieser wird sich hoffentlich auch wieder erholen. Will er nicht, nun so will ich ihn der Hundsgrotte opfern.
Von Rom nach Neapel war ich zu Fuſse gegan¬ gen: von Neapel nach Rom fuhr ich der Schnelligkeit wegen mit dem Neapolitanischen Kourier. Noch die Nacht fuhren wir über Aversa nach Kapua, und den Tag von Kapua nach Terracina. Anstatt einer attella¬ nischen Fabel erzählte man uns in Aversa als wahre Geschichte, daſs eben die Räuber vom Berge herunter gekommen wären und einen armen Teufel um sech¬ zig Piaster erschlagen hätten. In Fondi stahl ich mich361 mit etwas bösem Gewissen voraus, weil ich dem Herrn Zolleinnehmer nicht gern in die Hände fallen wollte. Dieser Herr hatte nehmlich auf meiner Hinreise einen sehr groſsen Gefallen an meinem Seehundstornister bekommen, wollte ihn durchaus haben und bot mir bis zu drey goldenen Unzen darauf. Ich wollte ihn nicht missen, hatte seiner Zudringlichkeit aber doch einige Hoffnung gemacht, wenn ich zurück käme: und jetzt wollte ich ihn eben so wenig missen. Wer bringt nicht gern Haut und Fell und alles wieder heil mit sich zurück? Durch die Pontinen ging es dieſsmal die Nacht, welches ich sehr wohl zufrieden war. Der Morgen graute, als wir in Veletri eintrafen. Nun kam aber eine ächt italiänische Stelle, über der ich leicht hätte den Hals brechen können.
Ich habe die Gewohnheit beständig voraus zu lau¬ fen, wo ich kann. Zwischen Gensano und Aricia ist eine schöne Waldgegend, durch welche die Straſse geht. Oben am Berge bat der Postillion, wir möchten aussteigen, weil er vermuthlich den Hemmschuh ein¬ legen wollte und am Wagen etwas zu hämmern hatte. Der Offizier blieb bey seinen Depeschen am Wagen, und ich schlenderte leicht und unbefangen den Berg hinunter in den Wald hinein, und dachte wie ich Freund Reinhart in Aricia überraschen würde, der jetzt daselbst seyn wollte. Ungefähr sieben Minuten mochte ich so fort gewandelt seyn, da stürzten links aus dem Gebüsche vier Kerle auf mich zu. Ihre Both¬ schaft erklärte sich sogleich. Einer faſste mich bey der Krause und setzte mir den Dolch an die Kehle; der andere am Arm, und setzte mir den Dolch auf362 die Brust; die beyden übrigen blieben dispositions¬ mäſsig in einer kleinen Entfernung mit aufgezogenen Karabinern. In der Bestürzung sagte ich halb unwill¬ kührlich auf Deutsch zu ihnen: Ey so nehmt denn ins Teufels Namen alles was ich habe! Da machte ei¬ ner eine doppelt gräſsliche Pantomime mit Gesicht und Dolch, um mir zu verstehen zu geben, man würde stoſsen und schieſsen, sobald ich noch eine Sylbe spräche. Ich schwieg also. In Eile nahmen sie mir nun die Börse und etwas kleines Geld aus den Westentaschen, welches beydes zusammen sich viel¬ leicht auf sieben Piaster belief. Nun zogen sie mich mit der vehementesten Gewalt nach dem Gebüsche, und die Karabiner suchten mir durch richtige Schwen¬ kung Willigkeit einzuflöſsen. Ich machte mich bloſs so schwer als möglich, da weiter thätiger Widerstand zu thun der gewisse Tod gewesen wäre: man zerriſs mir in der Anstrengung Weste und Hemd. Vermuth¬ lich wollte man mich dort im Busche gemächlich durchsuchen und ausziehen, und dann mit mir thun, was man für gut finden würde. Sind die Herren sicher, so lassen sie das Opfer laufen; sind sie das nicht, so geben sie einen Schuſs oder Stich, und die Todten sprechen nicht. In diesem kritischen Momente, denn das Ganze dauerte vielleicht kaum eine Minute, hörte man den Wagen von oben herabrollen und auch Stimmen von unten: sie lieſsen mich also los und nah¬ men die Flucht in den Wald. Ich ging etwas verblüfft meinen Weg fort, ohne jemand zu erwarten. Die Uhr saſs, wie in Sicilien, tief, und das Taschentuch stak unter dem Arme in einem Rocksacke: beydes wurde363 also in der Geschwindigkeit nicht gefunden. Die Kerle sahen gräſslich aus wie ihr Handwerk; keiner war, nach meiner Taxe, unter zwanzig und keiner über dreiſsig. Sie hatten sich gemalt und trugen falsche Bärte; ein Beweiſs, daſs sie aus der Gegend waren und Entdeckung fürchteten. Reinhart traf ich in Aricia nicht; er war noch in Rom. So hätte ich wohl noch leicht in der schönen klassischen Gegend bleiben kön¬ nen. Dort spielt ein Theil der Aeneide, und nach aller Topographie bezahlten daselbst Lausus und Eu¬ ryalus ihre jugendliche Unbesonnenheit: nicht eben, daſs sie gingen, sondern daſs sie unterwegs so alberne Streiche machten, die kein preuſsischer Rekrut machen würde. Wer wird einen schön polierten glänzenden Helm aufsetzen, um versteckt zu bleiben? Herr Virgil hat sie bloſs der schönen Episode wegen so ganz un¬ überlegt handeln lassen.
Hier in Rom brachte man mir die tröstliche Nach¬ richt, daſs zwey von den Schurken, die mich in dem Walde geplündert hätten, erwischt wären, und daſs ich vielleicht noch das Vergnügen haben würde sie hängen zu sehen. Dawider habe ich weiter nichts, als daſs es bey der jetzigen ungeheuern Unordnung der Dinge sehr wenig helfen wird. Ich habe hier et¬ was von einem Manuscript gesehen, das in kurzem in Deutschland, wenn ich nicht irre bey Perthes, gedruckt werden soll, und das ein Gemälde vom jetzigen Rom enthält. Du wirst Dich wundern, wenn ich Dir sage, daſs fast alles darin noch sehr sanft gezeichnet ist. Der Mann kann auf alle Fälle kompetenter Beurtheiler seyn; denn er ist lange hier, ist ein freyer, unbefan¬364 gener, kenntniſsvoller Mann, bey dem Herz und Kopf gehörig im Gleichgewicht stehen. Die Hierarchie wird wieder in ihrer gröſsten Ausdehnung eingeführt; und was das Volk eben jetzt darunter leiden müsse, kannst Du berechnen. Die Klöster nehmen alle ihre Güter mit Strenge wieder in Besitz, die eingezogenen Kir¬ chen werden wieder geheiligt, und alle Prälaten be¬ haupten fürs allererste wieder ihren alten Glanz. Da mästen sich wieder die Mönche, und wer bekümmert sich darum, daſs das Volk hungert? Die Straſsen sind nicht allein mit Bettlern bedeckt, sondern diese Bettler sterben wirklich daselbst vor Hunger und Elend. Ich weiſs, daſs bey meinem Hierseyn an einem Tage fünf bis sechs Personen vor Hunger gestorben sind. Ich selbst habe Einige niederfallen und sterben sehen. Rührt dieses das geistliche Mastheer? Der Ausdruck ist empörend, aber nicht mehr als die Wahrheit. Jedes Wort ist an seiner Stelle gut, denke und sage ich mit dem Alten. Als die Leiche Pius des Sechsten prächtig eingebracht wurde, damit die Exequien noch prächti¬ ger gehalten werden könnten, erhob sich selbst aus dem gläubigen Gedränge ein Fünkchen Vernunft in dem dumpfen Gemurmel, daſs man so viel Lärm und Kosten mit einem Todten mache und die Lebendigen im Elende verhungern lasse. Rom ist oft die Kloake der Menschheit gewesen, aber vielleicht nie mehr als jetzt. Es ist keine Ordnung, keine Justiz, keine Poli¬ zey; auf dem Lande noch weniger als in der Stadt: und wenn die Menschheit nicht noch tiefer gesunken ist, als sie wirklich liegt, so kommt es bloſs daher, weil man das Göttliche in der Natur durch die gröſste365 Unvernunft nicht ausrotten kann. Du kannst denken, mit welcher Stimmung ein vernünftiger Philanthrop sich hier[umsieht]. Ich hatte mich mit einer bittern Philippika gerüstet, als ich wieder zu Borgia gehen wollte. Nil valent apud Vos leges, nil justitia, nil boni mores; saginantur sacerdotes, perit plebs, caecutit populus; vilipenditur quodcunque est homini sanctum honestas, modestia, omnis virtus. Infimus et improbis¬ simus quisque cum armis per oppida et agros praeda¬ bundus incedit, furatur, rapit, trucidat, jugulat, in¬ cendia miscet. Haec est illa religio scilicet, auctoris ignominia, rationis opprobrium, qua Vos homines liberos et viros fortes ad servitia et latrones detrudere cona¬ mini. So g[o]hr es, und ich versichere Dich, Freund, es ist keine Sylbe Redekunst dabey. Aber gesetzt auch ein Kardinal hätte das so hingenommen, warum sollte ich dem alten guten ehrlichen Manne Herzklopfen ma¬ chen? Es hilft nichts; das liegt schon im System. Man wird schon Palliativen finden; aber an Heilung ist nicht zu denken. Die Herren sind immer klug wie die Schlangen; weiter gehen sie im Evangelium nicht. Die neuesten Beweise davon kannst Du in Florenz und Paris sehen. Ich ging gar nicht zu Borgia, weil ich meiner eigenen Klugheit nicht traute. Ueberdies hielt mich vielleicht noch eine andere Kleinigkeit zu¬ rück. Die Römischen Vornehmen haben einen ganzen Haufen Bedienten im Hause, und geben nur schlech¬ ten Sold. Jeder Fremde der nur die geringste Höflich¬ keit vom Herrn empfängt, wird dafür von der Vale¬ taille in Anspruch genommen. Das hatte ich erfahren. Nun kann man einem ganzen Hausetat doch schicklich366 nicht weniger als einen Piaster geben; und so viel wollte ich für den Papst und sein ganzes Kollegium nicht mehr in Auslage seyn.
Ich will das Betragen der Franzosen hier und in ganz Unteritalien nicht rechtfertigen: aber dadurch daſs sie die Sache wieder aufgegeben haben, ist die Mensch¬ heit in unsägliches Elend zurückgefallen. Ich weiſs was darüber gesagt werden kann, und von wie vielen Seiten alles betrachtet werden muſs: aber wenn man schlecht angefangen hat so hat man noch schlechter geendiget; das Zeugniſs wird mit Zähneknirschen jeder rechtliche Römer und Neapolitaner geben. Geschichte kann ich hier nicht schreiben. Durch ihren unbeding¬ ten nicht nothwendigen Abzug ist die schrecklichste Anarchie entstanden. Die Heerstraſsen sind voll Räu¬ ber; die niederträchtigsten Bösewichter ziehen bewaff¬ net im Lande herum. Bloſs während meiner kurzen Anwesenheit in Rom sind drey Kourier geplündert und fünf Dragoner von der Eskorte erschossen worden. Niemand wagt es etwas mehr mit der Post zu geben. Der französische General lieſs wegen vieler Ungebühr ein altes Gesetz schärfen, das den Dolchträgern den Tod bestimmt und lieſs eine Anzahl Verbrecher vor dem Volksthore wirklich niederschieſsen. Die Härte war Wohlthat; nun war Sicherheit. Jetzt trägt jeder¬ mann wieder seinen Dolch und braucht ihn. Die Kardinäle sind immer noch in dem schändlichen Kre¬ dit als Beschützer der Verbrecher. Man erzählt jetzt noch Beyspiele mit allen Namen und Umständen, daſs sie Mörder in ihren Wagen in Sicherheit bringen las¬ sen. Ueber öffentliche Armenanstalten bey den Katho¬367 liken ist schon viel gesagt. Rom war auch in dieser Rücksicht die Metropolis. Jetzt sind durch die Revo¬ lution fast alle öffentliche Armenfonds wie ausgeplün¬ dert, und die Noth ist vor der Ernte unter der ganz armen Klasse schrecklich. In ganz Marino und Albano ist keine öffentliche Schule, also keine Sorge für Er¬ ziehung; in Rom ist sie schlecht. Der Kirchenstaat ist eine Oede rund um Rom herum, deſswegen erlaubt aber kein Güterbesitzer, daſs man auf seinem Grunde arbeite. Das Feudalrecht könnte in Gefahr gerathen. Wenn er nicht geradezu hungert, was gehn ihn die Hefen des Romulus an. Die Möncherey kommt wieder in ihren grassesten Flor, und man erzählt sich wieder neue Bubenstücke der Kuttenträger, die der Schande der finstersten Zeiten gleich kommen. Man sagt wohl, Italien sey ein Paradies von Teufeln bewohnt: das heiſst der menschlichen Natur Hohn gesprochen. Der Italiäner ist ein edler herrlicher Mensch; aber seine Regenten sind Mönche oder Mönchsknechte; die mei¬ sten sind Väter ohne Kinder: das ist Erklärung genug. Ueberdieſs ist es der Sitz der Vergebung der Sünde.
Ich will nur machen, daſs ich hinauskomme, sonst denkst Du, daſs ich beiſsig und bösartig gewor¬ den bin. Die Parthien rund herum sind ohne mich bekannt genug: ich habe die meisten, allein und in Gesellschaft, in der schönsten Jahrszeit genossen. Man kann hier seyn und sich wohl befinden, nur muſs man die Humanität zu Hause lassen. Mit Uhden habe ich die Parthien von Marino, Grottaferrata, Fraskati und den Albaner See gesehen. Eins der ältesten Mo¬ numente ist am See der Felsenkanal, der das Wasser24368 aus demselben durch den Berg in die Ebene hinab läſst, und der, wenn ich nicht irre, noch aus den Zeiten des Kamillus ist. Die Geschichte seiner Entste¬ hung ist bekannt. Man wirkt noch heute eben so durch den Aberglauben wie damals. Wenn der Gott von Delphi den Ausspruch der Mathematiker nicht be¬ stätigt hätte, wären die Römer schwerlich an die Ar¬ beit gegangen. Das ganze Werk steht noch jetzt in seiner alten herrlichen ursprünglichen Gröſse da und erfüllt den Zweck. Uhden wunderte sich, daſs Kluver, ein sonst so genauer und gewissenhafter Beobachter, sagt, es seyen nur noch Spuren da, da doch der ganze Kanal noch eben so gangbar ist, wie vor zwey tausend Jahren. Mich däucht zu Kluvers Rechtfertigung muſs man annehmen, daſs der Eingang eben damals ver¬ schüttet war, welches sich periodenweise leicht denken läſst; und der Antiquar untersuchte nicht näher. Der Eingang ist ein sehr romantischer Platz und der Ge¬ genstand der Zeichner: vorzüglich wirkt die alte peren¬ nirende Eiche an demselben. Das Schloſs Gandolfo oben auf dem Berge ist eine der schönsten Aussichten in der ganzen schönen Gegend. Hier zeigte man mir im Promenieren einen Priester, der in einem Gefecht mit den Franzosen allein achtzehn niedergeschossen hatte. Das nenne ich einen Mann von der streitenden Kirche! Wehe der Humanität, wenn sie die trium¬ phierende wird. Wer auf Hadrian eine Lobrede schrei¬ ben will, muſs nicht hierher gehen, und die Ueber¬ reste seiner Ville sehen: man sieht noch ganz den Pomp eines morgenländischen Herrschers, und die Furcht einer engbrüstigen tyrannischen Seele. Trajan369 hat Monumente besserer Bedeutung hinterlassen. Wo bey Fraskati wahrscheinlich des groſsen Tullius Tusku¬ lum gestanden hat, sieht man jetzt sehr analog — eine Papiermühle. Das Plätzchen ist sehr philosophisch; nur würde Thucydides hier schwerlich de natura deo¬ rum geschrieben haben. Der schönste Ort von allen antiken Gebäuden, die ich noch gesehen habe, ist un¬ streitig die Ville des Mecän in Tivoli. Man kann an¬ nehmen, daſs der Schmeichler Horaz hier mehrere seiner lieblichsten Oden gedichtet habe, für den gewal¬ tigen Mann, neben und unter dem er hier hauste. Man wollte mich unten am Flusse jenseits in ein Haus führen, wo noch Horazens Bad zu sehen seyn soll; aber ich hatte nicht Lust: es fiel mir seine Cani¬ dia ein. Virgil war ein feinerer Mann und ein besse¬ rer Mensch. Kein Stein ist hier oben ohne Namen und um die Kaskade und die Grotte und um die Kaskadellen. Wenn ich Dir die Kaskadellen von un¬ serm Reinhart mit bringen könnte, das würde für Dich noch Beute aus Hesperien seyn: ich bin nur Laie.
Von den Kunstschätzen in Rom darf ich nicht anfangen. Die Franzosen haben allerdings vieles fort¬ geschafft; aber der Abgang wird bey dem groſsen Reichthum doch nicht sehr vermiſst. Ueberdieſs haben sie mit wahrem Ehrgefühl kein Privateigenthum ange¬ tastet. Einigen ihrer vehementesten Gegner haben sie gedroht; doch ist es bey den Drohungen geblieben: und die Privatsammlungen sind bekanntlich zahlreich und sehr ansehnlich. Nur einige sind durch die Zeit¬ umstände von ihren Besitzern zersplittert worden; vor¬370 züglich die Sammlung des Hauses Kolonna. Aus den Gärten Borghese ist kein einziges Stück entfernt. Bloſs der Fechter und der Silen daselbst haben einen so klassischen Werth, wie ihn mehrere der nach Paris geschafften Stücke nicht haben. Die gröſste Sottise, die vielleicht je die Antiquare gemacht haben, ist daſs sie diesen Silen mit dem lieblichen jungen Bacchus für einen Saturnus hielten, der eben auch diese Geburt fressen wollte. Der erste, der diese Erklärung aus¬ kramte, muſs vor Hypochondrie Konvulsionen gehabt haben. Vorzüglich beschäftigte mich noch eine Kna¬ benstatue mit der Bulle, die man für einen jungen Britannikus hält. Sey es wer man wolle, es ist ein römischer Knabe, der sich der männlichen Toga nä¬ hert, mit einer unbeschreiblichen Zartheit und An¬ muth dargestellt. Ich habe nichts ähnliches in dieser Art mehr gefunden.
In der Galerie Doria zog meine Aufmerksamkeit vornehmlich ein weibliches Gemälde von Leonardo da Vinci auf sich, das man für die Königin Johanna von Neapel ausgab. Darüber erschrak ich. Das kann Johanna nicht seyn, sagte ich, unmöglich; ich wäre für das Original von Leukade gesprungen: das kann die Neapolitanerin nicht seyn. Wenn sie es ist, hat die Geschichte gelogen, oder die Natur selbst ist eine Falschspielerin. Man behauptete, es wär 'ihr Bild, und ich genoſs in der Träumerey über den Kopf die schö¬ nen Salvator Rosa im andern Flügel nur halb. Als ich nach Hause kam, fragte ich Fernow; und dieser sagte mir, ich habe Recht; es sey nun ausgemacht, daſs es eine gewisse Gräfin aus Oberitalien sey. Ich371 freute mich, als ob ich eine Kriminalinquisition los wäre.
Auf dem Kapitol vermiſste ich den schönen Bru¬ tus. Dieser ist nach Paris gewandelt, hieſs es. Was soll Brutus in Paris? Vor funfzig Jahren wäre es eine Posse gewesen, und jetzt ist es eine Blasphemie. Dort wachsen die Cäsarn wie die Fliegenschwämme. Noch sah ich die alte hetrurische Wölfin, die bey Cäsars To¬ de vom Blitz beschädigt worden seyn soll. Die Sel¬ tenheit ist wenigstens sehenswerth. Von dem Thur¬ me des Kapitols übersah ich mit einem Blick das gan¬ ze groſse Ruinenfeld unter mir. Einer meiner Freun¬ de machte mir ein Geschenk mit einer Rhapsodie über die Peterskirche; ich gab ihm dafür eine über das Kapitol zurück. Ich schicke sie Dir hier, weil ich glauben darf, daſs Dir vielleicht die Ansicht einiges Vergnügen machen kann.
In dem Pallast Spada besuchte ich einige Augenblicke die Statue des Pompejus, die man bekanntlich für die nehmliche ausgiebt, unter welcher Cäsar erstochen wurde. Dieses kann auch vielleicht so wahrscheinlich gemacht werden, als solche Sachen es leiden. Die Sta¬ tue hat sonst nichts Merkwürdiges und ist artistisch378 von keinem groſsen Werth. Unter dieser Statue soll¬ ten alle Revolutionäre mit wahren hellen gemäſsigten Philanthropen zwölf Mitternächte Rath halten, ehe sie einen Schritt wagten. Was rein gut oder schlecht in dem Einzelnen ist, ist es nicht immer in der Ge¬ sammtheit; auf der Stufe der Bildung, auf welcher die Menschheit jetzt stehet.
Die Peterskirche gehört eigentlich der ganzen Christenheit, und die Hierarchie würde vielleicht gern das enorme Werk vernichtet sehen, wenn sie das un¬ selige Schisma wieder heben könnte, das über ihrem Bau in der christlichen Welt entstanden ist. Etwas mehr gesunde Moral und Mäſsigung hätte damals die Päbste mit Hülfe des abergläubischen Enthusiasmus zu Herren derselben gemacht: diese Gelegenheit kommt nie wieder. Ob die Menschheit dadurch gewonnen oder verloren hätte, ist eine schwere Frage. Es ist als ob man der stillen Gröſse der alten Kunst mit diesem herkulischen Bau habe Hohn sprechen wollen. Du kennst das Pantheon als den schönsten Tempel des Alterthums. Stelle Dir vor, verhältniſsmäs¬ sgein ungeheuern Raum, als die Area des Heiligen¬ tempels, zu einer groſsen Höhe aufgeführt, und oben das ganze Pantheon als Kuppel darauf gesetzt, so hast Du die Peterskirche. Das Riesenmäſsige hat man er¬ reicht. Wir saſsen in dem Knopfe der Kuppel unser drey, und übersahen die gefallene Roma. Diese Kir¬ che wird einst mit ihrer Kolonnade die gröſste Ruine von Rom, so wie Rom vielleicht die gröſste Ruine der Welt ist.
In dem benachbarten Vatikan beschäftigten mich379 nur Raphaels Logen und Stanzen und die Sixtinische Kapelle. Beyde sind so bekannt, daſs ich es kaum wage Dir ein Wort davon zu sagen. Ein Engländer soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo in zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig, und hat den Beyfall der Kenner. Er sollte dann fortfahren und die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Si¬ byllen haben eben so herrliche Gruppierungen und sind eben so voll Kraft und Seele.
Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang ge¬ standen und mich immer wieder hingewendet. Nach diesem Sokrates will mir kein anderer mehr genug thun. So muſs Sokrates gewesen seyn, wie dieser hier ist; und so Diogenes, wie dieser da liegt. Pytha¬ goras hielt mich nicht so lange fest, als Archimedes mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und Würde dargestellt. Ich sahe den Brand und im Vor¬ zimmer die Schlacht: aber ich ging immer wieder zu seiner Schule. Ich würde vor dem erhabenen Geiste des Künstlers voll drückender Ehrfurcht zurück beben, wenn ich nicht an der andern Wand seinen Parnaſs sähe, auf welchen er als den Apoll den Kammerdie¬ ner des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt hat. Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben als eine solche Vermenschlichung sehen, den Apollo mit der Kremoneser Geige. Die Logen fangen an an der Luftseite stark zu leiden. Sie sind ein würdiger Vorhof des Heiligthums und vielleicht reicher als das Adyton selbst. Hier konnten die Gallier nichts anta¬ sten, sie hätten denn als Vandalen zerstören müssen:380 und das sind sie doch nicht, ihre Feinde mögen sagen was sie wollen. Ich müſste Dir von Rom allein ein Buch schreiben, wenn ich länger bliebe und länger schriebe; und ich würde doch nur wenig erschöpfen.
Zum Schluſs schicke ich Dir eine ganz funkelna¬ gelneue Art von Centauren, von der Schöpfung eines unserer Landsleute. Aber ich muſs Dir die Schö¬ pfungsgeschichte erzählen, damit Du das Werk ver¬ stehst.
Es hält sich seit einigen Jahren hier ein reicher Britte auf, dessen grilliger Charakter, gelinde gespro¬ chen, durch ganz Europa ziemlich bekannt ist, und der weder als Lord eine Ehre der Nation noch als Bischof eine Zierde der Kirche von England genannt werden kann. Dieser Herr hat bey der Impertinenz des Reich¬ thums die Marotte den Kenner und Gönner in der Kunst zu machen und den Geschmack zu leiten, und zwar so unglücklich, daſs seine Urtheile in Italien hier und da bey Verständigen fast für Verdammung gel¬ ten. Vorzüglich haſst er Raphael und zieht bey jeder Gelegenheit seine deos minorum gentium auf dessen Un¬ kosten hervor. Indessen er bezahlt reich, und es ge¬ ben sich ihm, zur Erniedrigung des Genius, vielleicht manche gute Köpfe hin, die er dann ewig zur Mittel¬ mäſsigkeit stempelt. Viele lassen sich vieles von dem reichen Britten gefallen, der selten in den Gränzen der feinern Humanität bleiben soll. Für einen solchen hielt er nun auch unsern Landsmann; dieser aber war nicht geschmeidig genug sein Klient zu werden. Er lief und ritt und fuhr mit ihm, und lud ihn oft in sein Haus. Der Lord fing seine gewöhnlichen Unge¬381 zogenheiten gegen ihn an, fand aber nicht gehörigen Knechtsgeist. Einmal bat er ihn zu Tische. Der Künstler fand eine angesehene Gesellschaft von Frem¬ den und Römern, welcher er von dem Lord mit vie¬ lem Bombast als ein Universalgenie, ein Erzkosmopo¬ lit, ein Hauptjakobiner vorgestellt wurde. Jakobiner pflegt man dort, wie fast überall, jeden zu nennen, der nicht ganz unterthänig geduldig der Meinung der gnädigen Herrn ist, und sichs wohl gar beygehen läſst Unbefungnisse in den Menschen zu finden, die er be¬ haupten muſs, wenn er Menschenwerth haben will. Dem Künstler muſste dieser Ton miſsfallen, und ein Fremder suchte ihn durch Höflichkeit aus der peinli¬ chen Lage zu ziehen, indem er ihn nach seinem Va¬ terlande fragte. Ey was, fiel der Lord polternd ein, es ist ein Mensch der kein Vaterland hat, ein Univer¬ salmann, der überall zu Hause ist. Doch doch, My¬ lord, versetzte der Künstler, ich habe ein Vaterland, dessen ich mich gar nicht schäme; und ich hoffe mein Vaterland soll sich auch meiner nicht schämen: Sono Prussiano. Man sprach italiänisch. Prussiano? Prus¬ siano? sagte der Wirth: Ma mi pare che siete ruffiano. Das war doch Artigkeit gegen einen Mann, den man zu Tische gebeten hatte. Der ehrliche brave Künstler machte der Gesellschaft seine Verbeugung, würdigte den Lord keines Blicks und verlieſs das Zimmer und das Haus. Nach seiner Zurückkunft in sein eignes Zimmer schrieb er in gerechter Empfindlichkeit ihm ungefähr folgenden Brief:
382„ Mylord,
„ Ganz Europa weiſs, daſs Sie ein alter Geck sind, an dem nichts mehr zu bessern ist. Hätten Sie nur dreyſsig weniger, so würde ich von Ihnen für Ihre ungezogene Grobheit eine Genugthuung fordern, wie sie Leute von Ehre zu fordern berechtiget sind. Aber davor sind Sie nun gesichert. Ich schätze jedermann, wo ich ihn finde, ohne Rücksicht auf Stand und Ver¬ mögen, nach dem was er selbst werth ist; und Sie sind nichts werth. Sie haben alles was Sie verdienen, meine Verachtung. “
Der Lord hielt sich den Bauch vor Lachen über die Schnurre: er mag an solche Auftritte gewöhnt seyn. Aber der Zeichner setzte sich hin und fertigte das Blatt, das ich Dir gebe. Das lang gestreckte Schwein, die vollen Flaschen auf dem Sattel, die leeren zerbro¬ chenen Flaschen unten, das Glas, der Finger, der Krummstab, der groſse antike Weinkrug, der an dem Stocke lehnt, alles charakterisiert bitter, auch ohne Kopf und Ohren und ohne den Vers; aber alles ist Wahr¬ heit. Der alte fünf und siebzigjährige Pfaffe läſst noch kein Mädchen ruhig.
Der Lord erhielt Nachricht von der Zeichnung, deren Notiz in den guten Gesellschaften in Rom herum lief, und knirschte doch mit den Zähnen. Für so verwe¬383 gen hatte er einen Menschen nicht gehalten, der weder Bänder noch Geld hatte. Endlich sagte er doch, nach der gewöhnlichen Regel wo man zu bösem Spiele gute Miene macht: Il s'est venge en homme de genie. Die Zeichnung bekam ich, und ich trage kein Bedenken sie Dir mitzutheilen. *)Nach reiflicher Ueberlegung trage ich auch kein Be¬ denken das Ganze hier mit drucken zu lassen. Mich über so¬ genannte Personalitäten zu erklären, wäre hier zu weitläufig. Die Sache hat ihre Gränzen diesseits und jenseits. Für sol¬ che Delinquenten ist keine Strafe als die öffentliche Meinung: und warum soll die öffentliche Meinung nicht — öffentlich seyn und öffentlich dokumentiert werden? Die Parthien sind der Maler Reinhart und Lord Bristol. Von Bristol ist nun wohl keine Besserung zu erwarten; aber Andere sollen nicht so werden wie er ist: deſswegen wird es erzählt.
Von Rom hierher ging ich halb im Wagen, halb zu Fuſse; im Wagen so weit ich muſste, zu so weit ich konnte. Man hatte während meines Aufenthalts in Rom auf der Straſse von Florenz Kouriere geplün¬ dert, Soldaten erschossen und groſse Summen geraubt. Es wäre Tollkühnheit gewesen, allein zu wallfahrten, wenn man nicht geradezu ein Bettler war, und sich durch das cantabit vacuus sichern konnte. Ich fuhr also mit einer Gesellschaft nach Florenz. Von Ron¬ ciglione nach Viterbo gehts am See hinauf über den Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aus¬ sicht rechts hinüber nach dem Soratte; sie ist herr¬ lich. Man sieht hinüber nach Nepi und Civitacastella¬ na, bis fast nach Otrikoli, und weiter hin in die noch beschneyten Apenninen. Die Nebelwölkchen kräusel¬ ten sich herrlich und bezeichneten den Lauf der Ti¬ ber. Trotz der gedrohten Gefahr konnte ich doch nicht im Wagen bleiben, und trollte meistens zu Fuſse voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begeg¬ nete uns eine Gesellschaft, die nach aller Beschreibung, die ich schon in Rom von ihnen hatte, eine Karavane deutscher Künstler war, welche nach Paris von Rom gingen. Der Wagen fuhr eben bergab sehr schnell, und ich konnte mich nicht erkundigen.
Du kannst denken, daſs ich auf Thümmels Em¬ pfehlung in Montefiaskone den Estest nicht vergaſs. Er ist für mich der erste Wein der Erde; und doch hatte ich nicht bischöfliches Blut: zwey Flaschen trank385 ich den Manen unsers Landsmannes. Ich brauchte mich nicht hinein zu bemühen in die Stadt, deren An¬ blick auch sehr wenig einladendes hatte: der Wirth er¬ zählte unaufgefordert die Geschichte des seligen Herrn, und machte mir mit der Landsmannschaft ein Kom¬ pliment. Es war gut, daſs ich nicht hier bleiben konn¬ te; ich glaube, ich wäre Küster bey dem Bischofe ge¬ worden. Aus dem Munde des Wirths lautete die Grabschrift: Est est est, et propter nimium est dominus Fuggerus hic mortuus est. Ob nun der Herr Bischof, der sich hier an dem herrlichen Wein in die selige Ewigkeit hinüber trank, wirklich aus unserm edeln Geschlecht dieses Namens war, das überlasse ich den geistlichen Diplomatikern. Ich lief rüstig vor dem Wagen her, nach Bolsena zu, am See hin nach Sankt Lorenz, dem Lieblingsorte Pius des Sechsten. Die ganze Gegend um Bolsena ist romantisch. Daſs un¬ ten Altlorenzo so auſserordentlich ungesund seyn soll, kann ich nicht begreifen. Daran scheint nur die In¬ dolenz der Einwohner Schuld zu seyn.
Als eine Neuigkeit des Tages erzählte man hier die Geschichte von einem Komplott in Neapel. Mu¬ rat, den ich selbst noch in Neapel gesehen habe, soll die Rädelsführer durch seine Versprechungen zur Ent¬ deckung der ganzen Unternehmung sehr fein überre¬ det und sodann die ganze Liste dem Minister über¬ reicht haben. Weiſs der Himmel wie viel daran ist! Ganz ohne Grund ist das Gerücht nicht. Denn schon in Rom wurde davon gesprochen, und der König von Sardinien war aus Kaserta daselbst angelangt, wie man laut sagte aus Furcht vor Unruhen in Neapel, und386 wohnte im Pallast Kolonna. Die neapolitanische Re¬ gierung hatte dabey in ihrem Ingrimm ihre gewöhn¬ liche alte unüberlegte Strenge gebraucht. In Monte¬ fiaskone traf ich einen Franzosen, der zwey und zwan¬ zig Jahre in Livorno gehandelt hatte und ein gewalti¬ ger Royalist war. Ich wollte schon vor zwölf Jahren zurück gehen, sagte er mir, aber mein Vaterland ist diese ganze Zeit über eine Mördergrube und ein ver¬ fluchtes Land gewesen. Die Republikaner und De¬ mokraten sind alle Bösewichter. Nun, da Bonaparte wieder König ist, werde ich nach Hause gehen und mein Alter in Ruhe genieſsen. Der Mann sagte die¬ ses alles mit den nehmlichen Worten; ich bin nur Uebersetzer.
Aquapendente an dem Flusse macht eine schöne Parthie und ist für den Kirchenstaat eine nicht unbe¬ trächtliche Stadt. Was das für eine närrische Benen¬ nung der Oerter ist, sagte ein Engländer, Aquapen¬ dente und Montefiaskone; es muſs heiſsen Montepen¬ dente und Aquafiaskone. Vor Radikofani an der Gränze bey Torricelli hatte man auch den Kourier ge¬ plündert, und ein toskanischer Dragoner war dabey umgekommen. Siena ist ziemlich leer. Der heilige Geruch des Erzbischofs benahm mir alle Lust nur aus dem Wirthshause zu gehen. Er ist der nehmliche Herr, der zur Zeit Josephs des Zweyten päbstlicher Le¬ gat in den Niederlanden war, und daselbst allem Gu¬ ten sehr thätig widerstrebte. Neuerlich in der Revo¬ lution, hat er sich durch seine heroische Unvernunft ausgezeichnet. Die Juden mochten bey Ankunft der Franzosen den Glauben gewonnen haben, daſs sie387 auch Menschen seyn, und sich also bürgerlich einige Menschlichkeiten erlaubt haben. Nach Abzug der Franken hielt der christgläubige Pöbel zu Siena im Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht und führte dreyzehn der Elenden lebendig zum Scheiter¬ haufen. Einige muthige vernünftige Männer baten den Erzbischof sein Ansehn zu interponieren, damit die Abscheulichkeit nicht ausgeführt würde. Die Ener¬ gie des Glaubens weigerte sich standhaft gegen die Zu¬ muthungen der Menschlichkeit, und die Unglücklichen wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit le¬ bendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause zog, gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohl¬ gefallen seinen Segen. Doch dieses ist in Italien noch Humanität.
Von Siena nach Florenz ist ein schöner herrlicher Weg; und so wie man Florenz näher kommt wird die Kultur immer besser und endlich vortrefflich. Von Monte Cassiano, dem letzten Ort vor Florenz, ist die schönste Abwechselung von Berg und Thal bis in die Hauptstadt. Was Leopold für Toskana gethan hat, wird nun eilig alles wieder zerstört, und die Mönche fangen hier ihr Regiment eben so wieder an wie in Rom. Der allgemeine groſse Wohlstand, der durch die östreichische hier sehr liberale Regierung erzeugt worden war, wird indeſs nicht sogleich vertilgt. Hier sind Segen und Fleiſs zusammen. Der neue König wird nicht geachtet; jedermann sieht ihn als nicht exi¬ stierend an: bloſs der römische Hof gewinnt durch seine Schwachheit Stärke. Dieser Leopold, sagt der Nuntius, hat vieles gethan als ein ungehorsamer Sohn,388 das durch den Willen des heiligen Vaters und das An¬ sehen der Kirche ipso jure null ist. Du kannst den¬ ken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie schwach man die am Arno halten muſs, daſs man ei¬ ne solche Sprache wagt. Aber sie wissen, daſs sie mit dem Herrn in Paris zusammen gehen; das erklärt und rechtfertigt vielleicht ihre Kühnheit. Die gröſste An¬ zahl seufzt hier nach der alten Regierung; Neuerungs¬ süchtige hoffen auf Verbindung mit den Herren jen¬ seit des Berges, oder gar mit den Franzosen; die jez¬ zige Regierung hat den kleinsten Anhang. Der Kö¬ nig ist nicht gemacht ihn zu vergröſsern: das hat man sehr wohl gewuſst, sonst hätte man ihn nicht zum Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die Anekdote sehr laut herum, daſs er in seinem Privat¬ theater den Balordo vortrefflich macht, und niemand wundert sich darüber.
Es wurde hier von Meyers Nachrichten von Bo¬ napartes Privatleben gesprochen; und Leclerk, der ihn doch wohl etwas näher kennen muſs, soll darüber ganz eigene Berichtigungen gemacht haben. Die Fein¬ heit der Kardinäle zeigte sich vorzüglich in der Papst¬ wahl. Pius der Siebente war als Bischof von Imola Bonapartes Gastfreund gewesen: auf diesen Umstand und den individuellen Charakter des korsischen Fran¬ zosen lieſs sich schon etwas bauen. Du siehst es ist gegangen. In Imola kann man gut Maskerade spie¬ len. Der Papst und seine Gesellen vergessen das Ge¬ bot des heiligen Anchises noch nicht, das er seinem frommen Sohne beym Abschied aus der Hölle gab; und wo Ein Mittel nicht hilft, hilft das andere. In389 eine eigene Verlegenheit kamen indessen die Herren mit der Madonna von Loretto, welche bekanntlich die Franzosen mit sich genommen hatten. Ein Mönch kommt nach ihrer Entfernung und sagt: Das habe ich gefürchtet, daſs sie das heilige Wunderbild weg¬ führen würden; deſswegen habe ichs verborgen und ein anderes dafür hingestellt: hier ist das ächte. Die¬ ses wird nun den Gläubigen zur Verehrung hingesetzt, ohne daſs man in Rom sogleich etwas davon erfährt. — Ich habe es in Loretto selbst gesehen, mich aber um die Aechtheit des einen und des andern wenig be¬ kümmert. — Nun unterhandelt man in Rom über das Pariser und die Franzosen schicken es mit Reue zurück. Es kommt in Rom an, wo es noch stehen soll. Nun fragt sich, welches ist das ächte? Eins ist so schlecht wie das andere, und beyde thun natürlich Wunder in die Wette.
Von den hiesigen Merkwürdigkeiten ist das beste in Palermo; die Mediceerin, die Familie der Niobe und die besten Bilder; doch hat die Gallerie immer noch sehr interessante Sachen, vorzüglich für die Deut¬ schen. Mit der Mediceischen Venus ist es mir sonder¬ bar genug gegangen. Ich wünschte vorzüglich auf meiner Pilgerschaft auch dieses Wunderbild zu sehen, und es ist mir nicht gelungen. In Palermo habe ich mit Sterzinger in dem nehmlichen Hause gegessen, wo oben die Schätze unter Schloſs und Siegel und Wache standen. Sie waren durchaus nicht zu sehen. Der Inspektor von Florenz, der mit in Palermo war, hatte Hoffnung gemacht, ehe alles wieder zurückginge, würde er die Stücke zeigen. In Rom und Neapel390 wuſste man öffentlich gar nicht recht, wo sie waren: denn man hatte absichtlich ausgesprengt, das Schiff, welches alles von Livorno nach Portici und weiter nach Palermo schaffen sollte, sey zu Grunde gegangen, um die Aufmerksamkeit der Franzosen abzuziehen. Es steht aber zu befürchten, sie werden eine gute Nase haben und sich die Dame mit ihrer Gesellschaft nachholen. So viel ich Abgüsse davon gesehen habe, keiner hat mich befriediget. Sie ist, nach meiner Meinung, wohl keine himmlische Venus, sondern ein gewöhnliches Menschenwesen, das die Begierden viel¬ leicht mehr reitzen als beschwichtigen kann. Mir kommt es vor, ein Künstler hat seine schöne Geliebte zu einer Anadyomene gemacht; das Werk ist ihm ungewöhnlich gelungen: das ist das Ganze. Ueber die Stellung sind alle Künstler, welche Erfahrung ha¬ ben, einig, daſs es die gewöhnlichste ist, in welche sich die Weiblichkeit setzt, sobald das letzte Stückchen Gewand fällt, ohne je etwas von der Kunst gehört zu haben. Ich selbst hatte einst ein eigenes ganz naives Beyspiel davon, das ich Dir ganz schlicht erzählen will. Der Russische Hauptmann Graf Dessessarts — Gott tröste seine Seele, er ist wie ich höre an dem Versuche in Quiberon gestorben, den ich ihm nicht gerathen habe — er und ich, wir gingen einst in Warschau in ein Bad an der Weichsel. Dort fanden sich, wie es zu gehen pflegt, gefällige Mädchen ein, und eine junge allerliebste niedliche Sünderin von un¬ gefähr sechzehn Jahren brachte uns den Thee, um wahrscheinlich auch gelegenheitlich zu sehen ob Ge¬ schäfte zu machen wären. Wir waren beyde etwas391 zu ernsthaft. Das arme artige Geschöpfchen dauert mich, sagte der Graf; aber der Franzose konnte doch seinen Charakter nicht ganz verläugnen. Je voudrais pourtant la voir toute entiere, sagte er, und machte ihr den Vorschlag und bot viel dafür. Das Mädchen War verlegen und bekannte, daſs sie für einen Duka¬ ten in der letzten Instanz gefällig seyn würde; aber zur Schau wollte sie sich nicht verstehen. Mein Ka¬ merad verstand seine Logik, brachte mit feiner Schmei¬ cheley ihre Eitelkeit ins Spiel, und sie gab endlich für die doppelte Summe mit einigem Widerwillen ihr Modell. Sobald die letzte Falte fiel, warf sie sich in die nehmliche Stellung. Voilà la coquine de Medicis! sagte der Graf. Es war ein gemeines pohlnisches Mädchen mit den Geschenken der Natur, die für ih¬ ren Hetärensold sich etwas reitzend gekleidet hatte; eine Wissenschaft, in der die Pohlinnen vielleicht den Pariserinnen noch Unterricht geben könnten. Allemal ist mir bey einem Bild der Aphrodite Medicis die Poh¬ lin eingefallen und meine Konjunktur kam zurück; und mancher Künstler war nicht übel Willens meiner Meinung beyzutreten. Urania könnte in der Glorie ihrer hohen siegenden Unschuld keinen Gedanken an diese Kleinigkeit haben, die nur ein Satyr bemerken könnte. Ihr Postament war jetzt hier leer.
Es ist vielleicht doch auch jetzt noch keine un¬ nütze Frage, ob Moralität und reiner Geschmack nicht leidet durch die Aufstellung des ganz Nackten an öf¬ fentlichen Orten. Der Künstler mag es zu seiner Vol¬ lendung brauchen, muſs es brauchen: aber mich däucht, daſs Sokrates sodann seine Grazien mit Recht392 bekleidete. Kabinette und Museen sind in dieser Rücksicht keine öffentlichen Orte; denn es geht nur hin wer Beruf hat und wer sich schon etwas über das Gewöhnliche hebt. Sonst bin ich dem Nakten in Gärten und auf Spaziergängen eben nicht hold, ob mir gleich die Feigenblätter noch weniger gefallen. Empörend aber ist es für Geschmack und Feinheit des Gefühls, wenn man in unserm Vaterlande in der schönsten Gegend das häſslichste Bild der Aphrodite Pandemos mit den häſslichsten Attributen zuweilen aufgestellt sieht. Das heiſst die Sittenlosigkeit auf der Straſse predigen; und bloſs ein tiefes Gefühl für Frey¬ heit und Gerechtigkeit hat mich gehindert, die schänd¬ lichen Miſsgeburten zu zertrümmern oder in die Tiefe des Flusses zu stürzen.
Auf der Ambrosischen Bibliothek zu studieren hatte ich nicht Zeit. Die Philologen müssen in die Biblio¬ thek der Grafen Riccardi gehen, wo sie für ihr Fach die besten Schätze finden. Mir war es jetzt wichtiger in der Kirche Santa Croce die Monumente einiger groſsen Männer aufzusuchen, die sich zu Bürgern des ganzen Menschengeschlechts gemacht haben. Rechts ist vorn das Grabmal Bonarottis, und weiter hinunter auf der nehmlichen Seite Machiavellis, und links der Denkstein Galileis. Es verwahrt wohl kaum ein Plätz¬ chen der Erde die Asche so vortrefflicher Männer na¬ he beysammen.
Für den Antiquar und den Gelehrten ist von un¬ serer Nation jezt in Florenz noch ein wichtiger Mann, der preuſsische Geheime Rath Baron von Schellers¬ heim, ein Mann von offenem rechtlichen Charakter393 und vielen feinen Kenntnissen, dem sein Vermögen erlaubt, seiner Neigung für Kunst und Wissenschaft mehr zu opfern als ein anderer. Er besitzt vielleicht mehr antike Schätze, als irgend ein anderer Privat¬ mann. Was ich bey ihm gesehen habe, war vorzüg¬ lich, eine komplette alte römische Toilette von Silber; ein groſses altes silbernes ziemlich kubisches Gefäſs, welches ein Hochzeitgeschenk gewesen zu seyn und Hochzeitgeschenke enthalten zu haben scheint. Auf den vier Seiten sind von der ersten Bewerbung bis zur Nachhauseführung die Scenen der römischen Hoch¬ zeitgebräuche abgebildet. Dieses ist vielleicht das gröſste silberne Monument der alten Kunst, das man noch hat. Ferner hat er vier silberne Sinnbilder der vier Hauptstädte des römischen Reichs, Rom, Byzanz, Antiochia und Alexandria, welche die Konsuln oder vielleicht auch die andern kurrulischen Magistraturen an den Enden der Stangen ihrer Tragsessel führten. Diese scheinen etwas neuer zu seyn. Weiter besitzt er ei¬ nige alte komplette silberne Pferdegeschirre, mit Stirn¬ stücken und Bruststücken. Aber das Wichtigste sind seine geschnittenen Steine, unter welchen sich mehrere von sel¬ tenem Werth finden, und seine römischen Goldmünzen; mehrere konsularische von Pompejus an, und fast die ganze Folge der Kaisermünzen, von Julius Cäsar bis Augustulus. Hier fehlen nur wenige wichtige Stücke. Du siehst daſs dieses eine Liebhaberey nicht für jeder¬ mann ist. Ich schreibe Dir dieses etwas umständli¬ cher, weil es Dich vielleicht interessiert und Du es noch nicht in Büchern findest: denn seine Sammlung ist noch nicht alt.
394Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den Bergen an dem Flusse auf und ab sind bekannt genug, und Du erwartest gewiſs nicht, daſs ich als Spazier¬ gänger Dir alle die andern Merkwürdigkeiten auffüh¬ re. Das hiesige Militär kam mir traurig vor; schöne Leute, aber ohne Wendung und Geschicklichkeit. Zum Abschied sahe ich den Morgen noch die Amalfi¬ schen Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas bey mir in Kredit gesetzt, daſs sie diesen Kodex nicht genommen haben; und gegen Abend wohnte ich auf dem alten Schlosse einer Akademie der Georgophilen bey. Hier hielt man eine Vorlesung über die vortheil¬ hafteste Mischung der Erdarten zur besten Vegetation, und sodann las einer der Herren eine Einleitung zu einem chemisch physischen System. Zum Ende zeigte man einige seltene neue Naturprodukte. Neben mei¬ nem Zimmer im Bären wohnte eine französische Fa¬ milie, nur durch eine dünne Wand getrennt; diese betete den Abend über eine ganze Stunde ununterbro¬ chen so inbrünstig und laut, daſs mir über der An¬ dacht bange ward. Seit Ostern ist, wie ich höre, überall das Religionswesen wieder Mode; und in Frankreich scheint alles durchaus nur als Mode be¬ handelt zu werden.
Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wie¬ der an einen Vetturino verdungen und fand im Wa¬ gen einen französischen Chirurgus, der von der Armee aus Unteritalien kam, und eine italiänische Dame mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schoſse; und endlich kam noch ein Schweizerischer Kriegskommissär mit einem furchtbar groſsen Säbel, der in Handelsgeschäf¬395 ten seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau von Rosenthal, deren Mann östreichischer Offizier war, ging ganz allein mit ihrem Kinde, einem schö¬ nen sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb Jahr, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwar¬ ten, der in Livorno und anderwärts noch Dienstge¬ schäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes Per¬ sönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er die Ronde von der Mutter zu uns allen. Die Ge¬ sellschaft lachte über meine grämliche Personalität mit dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirk¬ lich selbst vor wie der Silen im Kabinett Borghese mit dem jungen Bacchus. Die Leutchen muſsten das nehm¬ liche meinen; denn die Gruppierung fand Beyfall und der Junge war gern bey mir.
Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast auf die gröſste Höhe. Du kannst denken, daſs ich viel zu Fuſse ging; der Franzose leistete mir dann zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem gro¬ sen Säbel kam selten aus dem Wagen. Etwas unhei¬ misch machen es oben auf dem Bergrücken die vielen Kreuze, welche bedeuten, daſs man hier jemand todt geschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas weniger fromm und politischer, und setzen nichts dar¬ auf; denn sonst würde der ganze Weg bey ihnen eine Allee von Kreuzen seyn. Ich muſs Dir bekennen, daſs ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Wa¬ rum nimmt man nicht etwas besseres aus der Bibel? Das Emblem scheint von der geistlichen und weltli¬ chen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu seyn, um396 alles kühne Emporstteben der Menschennatur zur knechtischen Geduld nieder zu drücken, und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Groſsmuth und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demuth. Demuth ist nach der Etymologie Muth zu dienen, und die zweydeutigste aller Tugenden. In der alten griechischen[und] römischen Moral findet man diese Tugend nicht; und die Einführung ist kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freylich auch phi¬ losophisch besser, Unrecht leiden als Unrecht thun; aber es giebt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als beydes: mit Muth und Kraft verhindern, daſs durchaus kein Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das Kreuz zwar meistens wegge¬ nommen, aber dafür den Galgen hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch noch et¬ was besser vor. Christus hat gewiſs seiner Religion keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat. Freylich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre Urbefugnisse etwas näher zu untersuchen und zu finden, daſs keine Konsequenz da¬ rin ist, sich durch den Druck des Feudalsystems und das Privilegienwesen kreuzigen zu lassen. Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.
Bey Pietramala sahe ich oben den zweydeutigen Vulkan nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den397 Felsen lag und der Wagen nicht anhalten wollte. Nun hatten wir von den Oelbäumen Abschied genommen; auf dieser Seite des Apennins sind sie nicht mehr zu finden. Auf der Südseite sind Oelbäume, auf der Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man kommt nun wieder dem lieben Vaterlande näher; alles gewinnt diesseit des Bergs schon eine etwas mehr nörd¬ liche Gestalt. Mein alter gelehrter Cicerone in Bo¬ logna hatte eine groſse Freude mich glücklich wieder zu sehen; und ich lief mit ihm so viel herum, als man in zwey Tagen laufen konnte. Aber der Schwei¬ zer Kriegskommissär führte mich mehr in die Kaffee¬ häuser als in die Museen. Ein pohlnischer Haupt¬ mann von der Legion, der, wie ich in Mailand fand, sich selbst einige Grade avanciert und hier geheirathet hatte, schloſs sich geflissentlich an uns an und freute sich mit Deutschen deutsch zu plaudern: denn er war lange kaiserlicher Unteroffizier gewesen. Der Mensch sagte, er sey in seinem Leben kein Republikaner gewesen, das lieſs sich von einem pohlnischen Edelmann sehr leicht denken, und er sey nun froh, daſs die H — e von Freyheit nach und nach wieder abgeschaft werde. Man hatte eben das Wappen über dem Generalzoll¬ hause geändert, und anstatt der Freyheit die Gerech¬ tigkeit hingesetzt; welches eigentlich eins ist. Die wahre Freyheit ist nichts anders als Gerechtigkeit: nur behüte uns der Himmel vor Freyheiten und Gerech¬ tigkeiten. Sodann erhob er die Tapferkeit und die Kriegszucht der Pohlen, von der ich selbst Beweise hatte, und an welcher ich also nicht zweifelte.
Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna398 noch zu sehen genöthigt war, will ich Dir nur die Galerie Sampieri erwähnen. Sie ist nicht groſs, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drey Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Eh¬ ren in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der Sammlung, und nach einigen die beste Ar¬ beit von Guido Reni, ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses Urtheil der Kenner recht¬ fertigen; aber mich hat weit mehr beschäftigt die Ha¬ gar von Guercino. Dieser Künstler hat den Mythus gefaſst, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern, nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbe¬ tet. Hagar ist ein schönes herrliches Ehrfurcht gebie¬ tendes Weib, das in dem Gefühl seines Werths da steht; der Vater der Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Scepter seiner Ehehälfre, und diese kann halb versteckt ihre kleine boshafte neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vortheil¬ haft auszeichnet. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter gedeihen, so lange man noch dieses Buch als göttliche Norm der Moral aufdringt und jedes Jota desselben mit Theopnevstie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn, so viele Unsittlichkeiten in Bey¬ spielen und Vorschriften, daſs ich oft mit vieler Ue¬ berlegung zu sagen pflege, der Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons Weisheit be¬ hüten. Man windet sich hierüber eben so schlecht, wie bey der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein Gewebe menschlicher Thorheiten und399 Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Ver¬ nunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gamälde unterhaltend genug, und als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig: aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brau¬ chen kann? Das Papstthum hat vielleicht keinen glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Hei¬ ligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind freylich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligsten Geboten der Vernunft wider¬ spricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit stempeln.
Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wie¬ der auf die Schulter und pilgerte durch die groſse schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena ge¬ fiel mirs sehr wohl, ohne daſs ich den erbeuteten Ei¬ mer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und la¬ chend; die Wirthshäuser Kaffeehäuser, sind gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daſs ein einziges Bajonett dabey gewesen wäre. In der neuen Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizey ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Masena, der hier kommandier¬ te, ergriff eine herrliche Methode Sicherheit zu schaf¬ fen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend geplündert worden; der General lieſs sie arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren26400 Bezirke die Schurkerey geschehen war, gezwungen das Geld zu ersetzen, und man lieſs die Fremden zie¬ hen. Ich finde darin, wenn es durchaus mit Strenge und Genauigkeit geschieht, keine Ungerechtigkeit.
In Reggio lag ein Pohlnisches Bataillon, und ein Unteroffizier desselben, der am Thore die Wache hatte und ein Anspacher war, freute sich höchlich wieder einen preuſsischen Paſs zu sehen, den ich mir von dem preuſsischen Residenten in Rom hatte geben las¬ sen, weil ich ihn mit Recht zu meiner Absicht für den besten hielt.
Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und einen oder zwey Tage dort ausruhen und Bodoni se¬ hen, an den ich Briefe von Rom hatte. Aber höre, wie schnurrig ich um das Vergnügen gebracht wurde. Am Thore wurde ich den achten Juny mit vieler Aengstlichkeit examiniert und sodann mit einem Ge¬ freyten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte die Bocksbeuteley, ob sie mir gleich hier zum ersten Mal begegnete. Unterwegs freuete ich mich über die gutaussehenden Kaffeehäuser und saſs schon im Geist bey einer Schale Eis: denn ich hatte einen warmen Marsch gehabt. Die Parmesaner saſsen gemüthlich dort und schienen viel Bonhommie zu präsentieren; nur hier und da zeigte sich ein breites aufgedunsenes Ge¬ sicht, wie ihr Käse. Auf der Hauptwache las der Offizier meinen Paſs, rief einen andern Gefreyten und befahl ihm mit mir zu gehen. Ich glaubte, ich sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und hoffte schon auf eine ähnliche Bewirthung, wie in Au¬ gusta in Sicilien. Aber der Zug dauerte mir sehr lan¬401 ge; ich fragte und erfuhr, ich müſste zum Thore hin¬ aus, ich dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war mir gleich aufs Herz gefallen, als ich auf dem Markte die Grenadiere so entsetzlich schön gepudert sah. Die Kerle trugen hinten Merleons, so groſs wie das Kattegat. Ich foderte, man sollte mich zum Kom¬ mandanten bringen. Ma, mio caro, non posso mica; sagte er. Ich drang darauf. Ma, mio caro, non sa¬ pete il servizio; questo, non posso mica. Ich alter Kriegsknecht muſste mir die Sottise gefallen lassen. Warum hatte ich mich vergessen? Der Mensch hatte Recht. Wir kamen ans Thor und ich fragte den Of¬ fizier, indem ich ihm meinen Paſs wies, ob das eine humane Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behan¬ deln. Er sah mich an, sagte mir höfliche Worte und berief sich auf Befehl. Ich verlangte noch einmal zum Kommandanten gebracht zu werden; ich wollte hier bleiben, ich hätte Geschäfte. Er zuckte die Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas liberale¬ res Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hin¬ schicken; der Offizier war unschlüssig: Ma, mio caro, non possiamo mica, sagte der Gefreyte von der Haupt¬ wache, der noch dabey stand. Der Offizier sagte mir, er könne mir jetzt nicht helfen, ich könne morgen wieder herein kommen und dann thun was ich wolle. Jetzt ging ich trotzig den Weg zum Thore hinaus. Der Gefreyte hätte keine bessere Charakteristik von Parma und den Parmesanern geben können: Ma, mio caro, non possono mica. Aergerlich und halb lachend ging ich in ein Wirthshaus eine gute Strecke vor dem Thore. Das nenne ich mir eine aufmerksame besorg¬402 liche Polizey. Ich hatte in Reggio den Bart machen lassen, ein reines feines Hemd angezogen, mich ge¬ putzt und gebürstet. Ihre problematischen Landsleute zwischen Alikata und Terranuova, und ihre nicht problematischen Landsleute zwischen Gensano und Ari¬ cia hatten zwar bey ihrer braven Visitation einige Schismen in Rock und Weste gebracht; aber dessen ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter Ge¬ sellschaft meinen Aufzug für sehr honorig erklärt. Ich zog einige Mal meine goldene Uhr und erbot mich zehn Louisdor Kaution zu machen, und im Passe war ich stattlich mit Signor betitelt: nichts, man gestat¬ tete mir kein Quartier in der Stadt. Und nun denkst Du, daſs ich den andern Morgen hinein ging und mich des fernern erkundigte? Das lieſs ich hübsch bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich nicht wieder: diese Ehre erhalten die Par¬ mesaner nicht. Ich aſs gut und schlief gut, und schlug den andern Morgen den Weg nach Piacenza ein. Man merkte, daſs die Leute hier in Parma noch orthodox und nicht von der Ketzerey ihrer Nachbarn angesteckt sind; denn ich sah hier wieder viele Dolche und Schieſsgewehre, wie bey den ächten Italiänern jenseits der Berge. Die Nachtigallen sangen so herr¬ lich und so schmetternd, und ich wunderte mich, wie sie in der Nähe eines so konfiscierten Orts noch einen Ton anschlagen konnten. Aber sie schlugen fort und endlich vergaſs ich das Eis, den Käse, Bodoni und Mica, und wandelte auf den Po zu. Ich hatte in Rom ein herrliches Gemälde von dem Uebergange über den Fluſs aus dem letzten Kriege gesehen: der Künstler403 war hier gewesen und hatte nach der Natur gearbei¬ tet und ein Meisterstück der Perspektive gemacht. Jetzt suchte ich mich zu orientieren. Der Ort ist sehr leer und öde, aber der Fluſs macht schöne Parthien.
In Lodi aſs ich wohl ruhiger zu Mittage als Bo¬ naparte, wenn ich mir gleich nicht so viel Ruhm er¬ warb, und konnte gemächlich den Posten besehen, wo man geschlagen hatte. Unter andern guten Sachen traf ich hier die schönsten Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenn gleich das alte Laus Pom¬ peji nicht gerade hier lag, so ist doch wohl der Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden: we¬ nigstens wird das hier auf einem Marmor am Rath¬ hause behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein sinnreiches Geschlecht seyn; das sahe man an ihren Schildern. Unter andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius, der sehr geistreich das Maſs nahm.
Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz, und bin schon längst nicht mehr in dem Lande, wo die Ziteronen blühn. In Rom sagt man, daſs das Erdbeben vorigen Monat den Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist aber kein Stein herunter ge¬ worfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet vielleicht mit dem Münster in Straſsburg um den Vor¬ zug, ob es gleich nicht vollendet ist, und es vielleicht auch nie werden wird. In der Kapitale der italischen Republik geht alles nach gallischen Gesetzen; und hier und dort, wie Du weiſst, alles nach dem Willen des korsischen Avtokrators. Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht viel dawider zu sagen. Man scheint404 hier der goldenen Freyheit nicht durchaus auſseror¬ dentlich hold zu seyn. Einer meiner Bekannten be¬ gleitete mich etwas durch die Stadt und unter andern auch in die Kathedrale. Hinter der kunstreichen Krypte des heiligen Borromeus steht in einer Nische der geschundene heilige Bartholomeus, mit der Haut auf den Schultern hangend. Er gilt für eine gräſslich schöne Anatomie. Der Italiäner stand und betrachtete ihn einige Minuten: das sind wir, sagte er endlich; die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser Elend sehen können. Die Franzosen machen eine schöne Parade vor dem Pallast der Republik: nur wird es mir schwer, die allgewaltigen Sieger in ihnen zu er¬ kennen, vor denen Europa gezittert hat. Das alte weitläufige Schloſs vor der Stadt wird sehr verengt und vor demselben der Platz Bonaparte gemacht: jetzt ist dort noch alles wüste und leer.
Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci in dem Kloster der heiligen Maria. Das Kloster ist jetzt leer, und das Refektorium, wo das Gemälde an der Wand ist, war während der Revolution, wie man sagt, eini¬ ge Zeit sogar ein Pferdestall. Das Stück ist einige Mal restauriert, Volpato hat es zuletzt gezeichnet und Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der Stich, der für ein Meisterstück der Kunst gilt, auch bey euch schon zu haben: Du magst ihn also sehen und urtheilen. Ich sah ihn in Rom zum ersten Mal. Auch in dem verfallenen Zustande ist mir das Origi¬ nal noch weit lieber als der Stich, so schön auch die¬ ser ist. Volpato ist vielleicht etwas willkührlich bey405 der Kopierung zu Werke gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe ist. Wir sind indessen dem Künstler Danck schuldig für die Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urtheil hat der Maler den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kon¬ trast schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er sitzt da, wie ein kühner tiefsinniger mit sich selbst nicht ganz unzufriedener Finanzminister, der einen groſsen Streich wagt: er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht; nur ein Unbesonne¬ ner. Ein Bösewicht hätte sich nicht getödtet. Er glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte freylich nicht Judas seyn und meinen Freund auf diese Weise in Gefahr setzen: aber eben vielleicht nur darum nicht, vveil ich nicht so viel Glauben habe als er. — Jetzt muſs man auf einer Leiter hinunter steigen in den Saal, der untere Eingang ist ver¬ mauert: und nun leidet das Stück durch feuchte dum¬ pfe Luft vielleicht eben so sehr, als vorher durch an¬ dere üble Behandlung.
Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Paler¬ mo wieder das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil acht Tage vor und acht Ta¬ ge nach seinem Feste kein Theater geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater nicht se¬ hen. In Rom machten mir meine Freunde eine so schlimme Schilderung von dem dortigen Thea¬ terwesen, daſs ich gar nicht Lust bekam eins zu su¬406 chen. Man sagt, das Haus sey hier eben so groſs, als das groſse in Neapel. Der Gesang war nicht aus¬ gezeichnet und für das groſse Haus zu schwach. Man erzählte mir hier eine Anekdote von der Strinasacchi, die jetzt in Paris ist. Ich gebe sie Dir, wie ich sie hörte: sie ist mir wahrscheinlich, weil uns etwas ähn¬ liches mit ihr in Leipzig begegnete, nur daſs weder unser Miſsfallen noch unser Enthusiasmus so weit ging als die italiänische Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr nicht die Annehmlichkeiten der Person auf dem Thea¬ ter gegeben. Bey ihrer ersten Erscheinung erschrak hier das ganze Haus so sehr vor ihrer Gestalt und ge¬ rieth so in Unwillen, daſs man sie durchaus nicht wollte singen lassen. Der Direktor muſste erscheinen und es sich als eine groſse Gefälligkeit für sich selbst erbitten, daſs man ihr nur eine einzige Scene erlaubte, dann möchte man verurtheilen, wenn man wollte. Die Wirkung war voraus zu sehen; man war beschämt und ging nun in einen rauschenden Enthusiasmus über: und nach Endigung des Stücks spannte man die Pferde vom Wagen und fuhr die Sängerin durch einen groſsen Theil der Stadt nach Hause. Es wäre eine psychologisch nicht unwichtige Frage, das aufrichtige Bekenntniſs der Weiber zu hören, ob sie das zweyte für das erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat keine Stimme mehr über die Sache.
Das Ballet war schottisch und sehr militärisch. Man arbeitete mit einer groſsen Menge Gewehr und sogar mit Kanonen: und das Ganze machte sich auf dem groſsen Raume sehr gut. Der Charaktertanz war aber mangelhaft, vorzüglich bei der Mutter. Man407 hatte gute Springer, aber keine Tänzer; ein gewöhn¬ licher Fehler, wo das Ganze nicht mit Einer Seele ar¬ beitet. Ich habe nie wieder so gute Pantomime gese¬ hen als in Warschau aus der Schule des Königs Ponia¬ towsky. An ihm ist ein groſser Balletmeister verloren gegangen und ein schlechter König gewonnen worden.
In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an den General Dombrowsky erhalten und er nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf und lud mich mit nordi¬ scher Gastfreyheit auf die ganze Zeit meines Hierseyns an seinen Tisch. Hier fand ich mit ihm und andern von Pohlen aus Berührung. Ich hatte ihn einige Mal in Suworows Hauptquartiere gesehen; und er hatte von seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen noch sehr lieb. Er ist einer von den heutigen Generalen, die die meiste Wissenschaft ihres Faches haben; und Du findest bey ihm Bücher und Charten, die Du vielleicht an vielen andern Orten vergebens suchst. Er ist ein sehr freyer strenger Beurtheiler militärischer Zeich¬ nungen, fordert das Wesentliche und bekümmert sich nicht um zierliche Kleinigkeiten. Er hat eine schöne Sammlung guter Kupferstiche von den Köpfen groſser Männer; besonders ist darunter ein Gustav Adolph, der sehr alt und charakteristisch ist und auf den er viel hält. Eine Anekdote aus diesem nur geendigten Kriege wird Dir vielleicht nicht unangenehm seyn. Dombrowsky liebt Schillers dreyſsigjährigen Krieg und trug ihn in seinen Feldzügen in der Tasche. Bey Novi schlug eine Kugel gerade auf den Ort, wo unten das Buch lag; und dadurch wurde ihm wahrscheinlich das Leben gerettet Ich habe das durchschlagene Exem¬408 plar selbst in Rom gesehen, wo er es einem Freunde zum Andenken geschenkt hat, und die Erzählung aus dem eigenen Munde des Generals. Er sagte mir la¬ chend, Schiller hat mich gerettet, aber er ist vielleicht auch Schuld an der Gefahr: denn die Kugel hat eine Unwahrheit heraus geschlagen. Es stand dort, die Pohlen haben in der Schlacht bey Lützen gefochten: das ist nicht wahr; es waren Kroaten. Die Pohlen haben nie für Geld geschlagen: selbst jetzt schlugen wir noch für unser Vaterland; ob es gleich nunmehr unwiederbringlich verloren ist. Das gab etwas Sich¬ tung der vergangenen Politik. Ich meinte, es wäre voraus zu sehen gewesen, daſs für Pohlen keine Ret¬ tung mehr war. Die Franzosen würden sich in ihrer noch kritischen Lage nicht der ganzen Wirkung der furchtbaren Tripleallianz bloſs stellen, um ein Zwitter¬ ding von Republik wieder zu etablieren, an deren Existenz sie nun gar kein Interesse mehr hatten. Die Eifersucht zwischen den groſsen mächtigen Nachbarn ist wahrscheinlich und ihnen vortheilhaft. Wenn die Pohlen noch unter einem einzigen Herrn wären, so lieſse sich durch eben diese Eifersucht noch Rettung denken. Das schienen sie vorher selbst zu fühlen, und thaten, da die Katastrophe nun einmal herbey geführt war, hier und da etwas, um unter Einen Herrn zu kommen. Ich weiſs selbst, daſs ich als russischer Of¬ fizier in Posen vor der Hauptwache vor den preuſsi¬ schen Kanonen von einem Dutzend junger Pohlen be¬ lagert wurde, die mirs nahe ans Herz legten, daſs doch die Kaiserin sie alle nehmen möchte; sie sollte ihnen nur einige Bataillone Hülfe schicken, so wollten409 sie die Preuſsen zurückschlagen. Sie brachten eine Menge speciöse Gründe, warum sie lieber russische Unterthanen zu seyn wünschten; aber die wahren ver¬ bargen sie gewiſs. Sie dachten unstreitig, bleiben wir beysammen, so können wir durch irgend eine Kon¬ junktur bald wieder politische Existenz gewinnen. Der General fand die Schluſsfolge ziemlich bündig, sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse die letzte schwache Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav und edel.
Die Pohlen haben hier noch ganz ihre alte Orga¬ nisation und tragen ihre alten Abzeichen, so daſs man die alten Offiziere noch für Sachsen halten könnte, Der Mangel im Kriege muſs in Italien zuweilen hoch gestiegen seyn; denn es wurde erzählt, daſs einmal die Portion des Soldaten auf acht Kastanien und vier Frösche reduciret gewesen sey. Die Zufriedenheit wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art militärisch drolliger Vertraulichkeit geäuſsert. So sagten die Fran¬ zosen von den Pohlen: Ah ce sont de braves coquins; ils mangent comme les loups, boivent diablement, et se battent comme les lions. Die Pohlnischen Offiziere konnten den französischen Soldaten nicht Lob genug ertheilen über ihren Muth, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam. Wo die Franzosen nicht durchdrangen, waren gewiſs alle Mal ihre Anführer Schuld daran. Es wurde behauptet, daſs das Pohlni¬ sche Corps bey der letzten Musterung noch 15000 Mann stark gewesen sey; und jetzt wird eben in Livorno ein Theil davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das Ansehen, als ob Bonaparte alle Truppen, die410 ihm zu seinen Absichten in Europa als etwas undienst¬ lich vorkommen, auf diese gute kluge Weise fortzu¬ schaffen suche, welches man auch hier und da zu merken scheint. Auch werden die Unruhen dort viel¬ leicht geflissentlich nicht so schnell gedämpft, als wohl sonst die französische Energie vermöchte.
Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich mehrere Tage länger hier, als ich zu bleiben gesonnen war; und in den Muſsenstunden lese ich mit viel Ge¬ nuſs Wielands Oberon, den mir ein Landsmann brachte. Die ersten Tage hatte man mich im Wirthshause mit einem gewissen Miſstrauen wie einen gewöhnlichen Tornisterträger behandelt, da ich aber täglich zum Ge¬ neral ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige Leute zum Besuch auf meinem Zimmer empfing, und vorzüglich wohl da ich einige schwere Goldstücke wechseln lieſs, ward das ganze Haus vom Prinzipal bis zum letzten Stubenfeger ungewöhnlich artig. Noch muſs ich Dir bemerken, daſs ich in Mailand von ganz Italien nach meinem Geschmack die schönsten Weiber gefunden habe; den Korso in Rom nicht ausgenom¬ men. Ich urtheile nach den Promenaden, die hier sehr volkreich sind, und nach den Schauspielen. Hier im Hause hatte ich nun vermuthlich, wie in Italien oft, das Unglück, für einen reichen Sonderling zu gel¬ ten, den man nach seiner Weise behandeln müsse. Ich mochte in Unteritalien und Sicilien oft protestieren so viel ich wollte, und meine Deutschheit behaupten, so war Signor Inglese und Eccellenza; und man mach¬ te die Rechnung darnach. So etwas mochte man auch nach verjüngtem Maſsstabe in Mailand denken. Die411 Industrie ist mancherley. Ich saſs an einem Sonntag Morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge schöne Sün¬ derin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetä¬ ronkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als Philosoph zu erhöhen suchen. Signore comanda qualche cosa? fragte sie in lieblich lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spie¬ len lieſs und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke, ehe ich etwas unschlüſsig No antwortete. Niente? fragte sie, und der Teufel muſs ihr im Ton Unterricht ge¬ geben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und war höchst wahrscheinlich im Begriff eine Sottise zu sagen oder gar zu begehen, als mir schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige gab. Niente, brummte ich grämelnd, halb mit mir selbst in Zwist; und die Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Ab¬ schied. Wer weiſs, ob ich nicht das Körbchen etwas näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drit¬ ten Mal mit der nehmlichen Stimme gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir zu¬ frieden zum General.
Nun bin ich bey den Helvetiern und fast wieder im deutschen Vaterlande, und bereite mich in einigen Ta¬ gen einen kleinen Abstecher zu den Galliern zu ma¬ chen. Viel Erbauliches wird nach allen Aspekten dort jetzt füglich nicht zu sehen und zu hören seyn: in¬ dessen da ich einmal in Bewegung bin, will ich doch an die Seine hinunter wandeln. Wenn ich wieder fest sitze möchte es etwas schwer halten.
Den vierzehnten Juny ging ich aus Mailand und ging diesen Tag herüber nach Sesto am Ticino, den ich nicht für so beträchtlich gehalten hätte als ich ihn fand. In der Gegend von Mailand war schon eine Menge Getreide geerntet und alles war in voller Ar¬ beit; und als ich über den Berg herüber kam, fing das Korn nach Altorf herunter eben erst an zu schos¬ sen: das ist merklicher Kontrast. Die gröſste Wohl¬ that war mir nun wieder das schöne Wasser, das ich überall fand. Von Mailand hatte ich die beschneyten Alpen mit Vergnügen gesehen und nun nahte ich mich ihnen mit jedem Schritte, und kam bald selbst hinein. Von Sesto aus fuhr ich auf dem Ticino und dem La¬ go maggiore herauf, bloſs um die schöne Gegend zu genieſsen, die wirklich herrlich ist. Ich kam aus Un¬ teritalien und Sicilien und gab mir also keine groſse Mühe die Borromeischen Inseln in der Nähe zu sehen, da mein Schiffer mir sagte, es würde mich einen Tag mehr und also wohl zwey Dukaten mehr kosten. Ich sah also bey Varone links an der Anhöhe den gigan¬413 tischen heiligen Karl Borromeus aus der Ferne und fuhr dann sowohl bey der schönen Insel als bey der Mutterinsel vorbey. Man hätte mir höchst wahrschein¬ lich dort nur Orangengärten gezeigt, die ich in Unter¬ italien besser gesehen habe, und hätte mir gesagt, hier hat Joseph, hier Maria Theresia und hier Bonaparte geschlafen. Das wäre mir denn zusammen kaum so wichtig gewesen, als da mich der Kastellan von dem Schlosse zu Weissenfels belehrte, hier in diesem Bette schlief Friedrich der Zweyte nach der Schlacht bey Roſsbach. Die Fruchtbarkeit an dem See ist hier zu¬ weilen auſserordentlich groſs, und wo die Gegend vor den rauheren Winden geschützt wird, findet man hier Früchte, die man in der ganzen Lombardey umsonst sucht. Es sind hier noch recht schöne Oelbäume, die man diesseit der Apenninen nur selten findet, und so¬ gar indische Feigen in der freyen Luft. Ich schlief am Ende des Sees in Magadino, wo der obere Ticin hinein fällt, in einem leidlichen Hause, schon zwi¬ schen rauhen Bergen. Den andern Morgen trat ich den Gang an dem Flusse herauf über Belinzona an, der mich nach einigen Tagen über den Gotthardt herüber brachte. Zwey Tage ging ich am Flusse immer berg¬ auf. Die Hitze war unten in der Schlucht ziemlich drückend bis nach Sankt Veit, wo man, ich glaube zum Frohnleichnamsfeste, einen Jahrmarkt hielt, der mir besser gefiel als der Ostermarkt in Palermo, ob¬ gleich für mich weiter nichts da war als Kirschen. Den ersten Abend blieb ich in einem kleinen Orte, dessen Name mir entfallen ist. Der Ticin stürzte un¬ ter meinem Fenster durch die Felsen hinunter, gegen -414 über lag am Abhange ein Kloster, und hinter demsel¬ ben erhob sich eine furchtbar hohe Alpe in schroffen Felsenmassen, deren Scheitel jetzt fast zu Johannis mit Schnee bedeckt war. Die Bewirthung war besser, als ich sie in diesen Klüften erwartet hätte; vorzüglich waren die Forellen aus dem Ticin köstlich. Die Leute schienen viel ursprüngliche Güte zu haben. Mein gröſs¬ ter Genuſs waren hier die Alpenquellen, vor denen ich selten vorbey ging ohne zu ruhen und zu trinken, wenn auch beydes eben nicht nöthig war, und in den Schluchten um mich her zu blicken, und vorwärts und rückwärts die Gegenstände fest zu halten. Jetzt schmolz eben der Schnee auf den Höhen der Berge, und oft hatte ich vier bis sechs Wasserfälle vor den Augen, die sich von den nackten Häuptern der Alpen in hundert Brechungen herab stürzten, und von de¬ nen der kleinste doch eine sehr starke Wassersäule gab. Der Ticin macht auf dieser Seite schönere Par¬ thien als die Reuſs auf der deutschen; und nichts muſs überraschender seyn, als hier hinauf und dort hinunter zu steigen. Ayrolles war mein zweytes Nachtlager. Hier sprach man im Hause deutsch, italiä¬ nisch und französisch fast gleich fertig, und der Wirth machte mit seiner Familie einen sehr artigen Zirkel, in dem ich sogleich heimisch war. Suworow hatte einige Zeit bey ihm gestanden, und wir hatten beyde einen Berührungspunkt. Er war ganz voll Enthusias¬ mus für den alten General, und rühmte vorzüglich seine Freundlichkeit und Humanität, welches vielleicht vielen etwas sonderbar und verdächtig vorkommen wird. Aber ich sehe nicht ein, was den Wirth in415 Ayrolles oben am Gotthardt bestimmen sollte, eine Sache zu sagen, die er nicht sah. Suworovv war nicht der einzige General, der ihm im Kriege die Ehre an¬ gethan hatte bey ihm zu seyn: er zeichnete sie alle, wie er sie gefunden hatte. Mehrere davon sind allge¬ mein bekannt. Ich habe das zweydeutige Glück ge¬ habt, für den Enkomiasten des alten Suworow zu gelten, und ich suchte nun seinen wahren Charakter zu retten und einige Phänomene zu erklären, die ihn zur Last gelegt werden. In Prag hatte er zu einem häſslichen Gemälde gesessen. Der Löwe ist todt und nun wird zugeschlagen. Ich weiſs sehr wohl, daſs das ganze Leben dieses Mannes eine Kette von Eigenhei¬ ten war; aber wenn man seine Nichtfreunde in Prag und Wien hörte, wäre er ein ausgemachter alter mür¬ rischer Geck von einem weggeworfenen Charakter ge¬ wesen; und der war er doch gewiſs nicht. Sonderbar¬ keit war überhaupt sein Stempel: und in Prag war er in einer eigenen Stimmung gegen jedermann und jedermann war in einer eigenen Stimmung gegen ihn. Die politischen Verhältnisse lassen vermuthen, in welcher peinlichen Lage er damals von allen Seiten sich befand. Weder sein eigener Monarch noch der östreichische Hof waren mit seinem Betragen zufrie¬ den. Er hatte ohne Schonung über Fehler aller Art und ohne Rücksicht der Person gesprochen. Er war alt und kränklich und sah dem Ende seines Lebens entgegen. Seine Grillen konnten unter diesen Umstän¬ den sich nicht vermindern. Die Ungezogenheiten ei¬ niger seiner Untergebenen wurden wahrscheinlich ihm zur Last gelegt; und er selbst war freylich nicht der27416 Mann, der durch schöne Humanität und Grazie des Lebens immer seinen Charakter hätte empfehlen kön¬ nen. Seines Werths sich bewuſst, fest rechtlicher Mann, aber eisern konsequenter Soldat, war er voll Eigenhei¬ ten, von denen viele wie Bizarrerien und Marotten aussahen; war äuſserst strenge gegen sich und dann auch in seinen Forderungen gegen andere, und sprach skoptisch und sarkastisch über alles. Seine Bigotterie war sehr wohl berechnet, und unstreitig nicht so ta¬ delhaft als sie an der Seine gewesen wäre: aber auch in diesem Stücke verläugnete ihn sein eigener Charak¬ ter nicht und gab ihr ein Ansehen von Possierlichkeit. Er soll in Prag eine schmutzige Filzerey gezeigt haben, weggefahren seyn ohne einen Kreuzer zu bezahlen, und nichts als einen alten Nachttopf zurückgelassen haben, den man als eine Reliquie ganz eigener Art aufbewahrt. Dieſs ist nun gewiſs wieder ein barockes Quidproquo: denn Geitz war so wenig in seinem Charakter als prahlerische Verschwendung. Wenn ich diese Dinge nicht von wahrhaften Leuten hätte, wür¬ de ich nur den Kopf schütteln und sie zu den lächer¬ lichen Erfindungen des Tages setzen. Aber man muſs auch den Teufel nicht schwärzer machen als er ist, und ich bin fest überzeugt, daſs Suworow durchaus ein ehrlicher Mann und kein Wüthrich war, wenn er auch eine starke Dose Excentricität hatte und mit der Welt im Privatleben oft Komödie spielte, so wie man seine Energie im öffentlichen zu lauter Trauerspielen brauchte. Du weiſst, daſs ich dem Manne durchaus nichts zu danken habe und kannst also in meinen Aeuſserungen nichts als meine ehrliche Meinung fin¬417 den. Wenn wir einigen Engländern glauben wollen, die durch ihren persönlichen Charakter ihre Glaubwür¬ digkeit nicht verwirkt haben, so ist der Nordländer Suworow, wenn auch alles wahr war, was von ihm erzählt wird, immer noch ein Muster der Humanität gegen den Helden des Tages Bonaparte, der auf seinen morgenländischen Feldzügen die Gefangenen zu Tau¬ senden nieder kartätschen lieſs.
Hier oben behauptete man, wenn Suworow Zeit gehabt hätte nur noch sechs Tausend Mann über den Berg hinüber nach Zürich zu werfen, so wäre die Schlacht eben so fürchterlich gegen die Franzosen aus¬ gefallen, wie nun gegen die Russen. Alle Franzosen, mit denen ich über die Geschichte gesprochen habe, gestehen das nehmliche ein und sagen, bloſs die Ent¬ fernung des Erzherzogs, der in die Falle des falschen Manövers am Unterrhein ging, sey die Ursache ihres Glücks gewesen; und sie bekennen, daſs sie im gan¬ zen Kriege meistens nur die Fehler der Gegner gewon¬ nen haben. Hier in Zürich habe ich rund umher mich nach dem Betragen der Russen erkundigt, und man giebt ihnen überall das Zeugniſs einer guten Auf¬ führung, die man doch anderwärts als abscheulich ge¬ schildert hat. Das thut Partheygeist. Man beklagt sich weit mehr über die Franzosen, deren Art Krieg zu führen dem Lande entsetzlich drückend seyn muſs, da sie selten Magazine bey sich haben und zusammen treiben was möglich ist. Das geht einmal und zwey¬ mal; das drittemal muſs es gefährlich werden; welches die Schlauköpfe sehr wohl wissen. Sie berechnen nur klug; Humanität ist ihnen sehr subalterner Zweck. 418 Dieses ist einigen Generalen und Kommissären, und nicht der ganzen Nation zuzurechnen.
Ayrolles ist der letzte italiänische Ort, und dies¬ seit des Berges in Sankt Ursel ist man wieder bey den Deutschen. Zwey Tage war ich beständig bergauf ge¬ gangen; Du kannst also denken, daſs der Ort schon auf einer beträchtlichen Höhe steht. Rund umher sind Schneegebirge, und der Ticin bricht rauschend von den verschiedenen Abtheilungen des Berges herab. Ich schlief unter einem Gewitter ein; ein majestätisches Schauspiel hier in den Schluchten der höchsten Alpen. Der Donner brach sich an den hohen Felsenschädeln, und rollte sodann furchtbar durch das Thal hinunter durch das ich herauf gekommen war. Ein solches Echo hörst Du nicht auf der Ebene von Lützen.
In dem Wirthshause zu Ayrolles saſs ein armer Teufel, der sich leise beklagte, daſs seine Börse ihm keine Suppe erlaubte. Du kannst denken, daſs ich ihm zur Suppe auch noch ein Stückchen Rindfleisch schaff¬ te; denn ich habe nun einmal die Schwachheit, daſs es mir nicht schmeckt, wenn andere in meiner Nähe hungern. Er war ein ziemlich alter wandernder Schnei¬ der aus Constanz, der, wie er sagte, nach Genua ge¬ hen wollte einen Bruder aufzusuchen. Er hörte aber überall so viel von der Theuerung und der Unsicher¬ heit in Italien, daſs er lieber wieder zurück über die Alpen wollte, und erbot sich mir meinen Reisesack zu tragen. Ich sagte ihm, ich wollte auf seine Ent¬ schlieſsungen durchaus keinen Einfluſs haben, er müſste seine Umstände am besten wissen, ich wäre gewohnt meinen Sack selbst zu tragen. Er wollte bestimmt419 wieder zurück, und ich trug kein Bedenken, ihn mei¬ nen Tornister umhängen zu lassen. Wir stiegen also den kommenden Morgen, den achtzehnten Juny rüstig den Gotthardt hinauf. Es war nach dem Gewitter sehr schlechtes Wetter, kalt und windig, und in den obern Schluchten konnte man vor dem Nebel und noch weiter hinauf vor dem Schneegestöber durchaus nichts sehen; links und rechts blickten die beschneyten Gipfel aus der Dunkelheit des Sturms drohend herunter. Nach zwey starken Stunden hatten wir uns auf die obere Fläche hinauf gearbeitet, wo das Kloster und das Wirthshaus steht, und wo man im vorigen Kriege geschlagen hat. Das erste liegt jetzt noch wüst und der Schnee ist von innen hoch an den Wänden aufge¬ schichtet; das Wirthshaus ist ziemlich wieder herge¬ stellt und man hat schon wieder leidliche Bequemlich¬ keit. Es muſs eine herkulische Arbeit gewesen seyn hier nur kleine Artilleriestücke herauf zu bringen, und war wohl nur in den wärmsten Sommermonaten möglich. Der Schnee liegt noch jetzt auf dem Wege sehr hoch und ich fiel einigemal bis an die Brust durch. Den höchsten Gipfel des Berges zu ersteigen würde mir zu nichts gefrommt haben, da man vor den Nebel kaum zwanzig Schritte sehen konnte. Es ist vielleicht in den Annalen der Menschheit aus die¬ sem Kriege ein neues Phänomen, daſs man ihn hier zuerst über Wolken und Ungewitter herauf trug: coe¬ lum ipsum petimus stultitia. Das Wasser auf der ober¬ sten Fläche des Berges hat einen ziemlichen Umfang, denn es gieſst sich rund umher die Ausbeute des Re¬ gens und Schnee von den höchsten Felsen in den See,420 aus dem sodann die Flüsse nach mehrern Seiten hin¬ abrauschen. Es müſste das gröſste Vergnügen seyn, einige Jahre nach einander Alpenwanderungen machen zu können. Welche Verschiedenheit der Gemälde hat nicht allein der Gotthardt? Kornfelder wogen um seine Füſse, Heerden weiden um seine Knie, Wälder um¬ gürten seine Lenden, wo das Wild durch die Schluch¬ ten stürzt; Ungewitter stürmen um seine Schultern, von denen die Flüsse nach allen Meeren herabrauschen, und das Haupt des Adula schwimmt in Sonnenstrah¬ len. Das gestrige Gewitter mochte vielleicht Ursache des heutigen schrecklichen Wetters seyn: doch war die Veränderung so schnell, daſs in einer Viertelstunde manchmal dicker Nebel, Sturm, Schneegestöber, Re¬ gen und Sonnenschein war und sich die Wolken schon wieder durch die Schluchten drängten. Als ich oben gefrühstückt hatte ging ich nun auf der deutschen Seite über Sankt Ursel, durch das Ursler Loch und über die Teufelsbrücken herab. Denke Dir das Teufelswetter zu der Teufelsbrücke, wo ich links und rechts kaum einige Klaftern an den Felsen in die Höhe sehen konnte, und Du wirst finden, daſs es eine Teufels¬ parthie war: ich möchte aber doch ihre Reminiscenz nicht gern missen. Als wir weiter herab kamen ward das Wetter heiter und freundlich, und nur einige Schluchten in den furchtbaren Schwarzwäldern waren noch hoch mit Schnee gefüllt, und die Spitzen der Berge weiſs. Mein Schneider von Konstanz erzählte mir manches aus seinem Lebenslaufe, der nicht eben der beste war, wovon aber der Mensch keine Ahn¬ dung zu haben schien. Sehr naiv machte er den An¬421 fang mit dem Bekenntniſs, daſs er in seinem ganzen Leben nicht gearbeitet habe und nun in seinem acht und vierzigsten Jahre nicht anfangen werde. — So so, das ist erbaulich; und was hat Er denn gethan? — Ich habe gedient. — Besser arbeiten als dienen. — Nun erzählte er mir, wo er überall gewesen war: da war denn meine Personalität eine Hausunke gegen den Herrn Hipperling von Konstanz. Er kannte die Bou¬ lewards besser als seine Hölle und hatte alle Weinhäu¬ ser um Neapel diesseits und jenseits der Grotte ver¬ sucht. Zuerst war er kaiserlicher Grenadier gewesen, dann Reitknecht in Frankreich, dann Kanonier in Neapel und zuletzt Mönch in Korsika. Er fluchte sehr orthodox über die Franzosen, die ihm seine Kloster¬ glückseligkeit geraubt hatten, weil sie die Nester zer¬ störten. Jetzt machte er Miene mit mir wieder nach Paris zu gehen. Ich gab ihm meinen Beyfall über seine ewige unstete Landläuferey nicht zu erkennen, und er selbst schien zu fühlen, er hätte doch wohl besser gethan sich treulich an Nadel und Fingerhut zu halten. Wir schlenderten eine hübsche Parthie ab, da wir in einem Tage von Ayrolles den Berg herüber bis herab über Altorf nach Flüren am See gingen. Altorf, das vor einigen Jahren durch den Blitz entzün¬ det wurde und fast ganz abbrannte, wird jetzt recht schön aber eben so unordentlich wieder aufgebaut. Die Berggegend sollte doch wohl etwas mehr Symetrie er¬ lauben. Eine Stunde jenseit Altorf war das Wasser sehr heftig aus den Bergen herunter geschossen und konnte nicht schnell genug den Weg in die Reuſs fin¬ den, daſs wir eine Viertelstunde ziemlich bis an den422 Gürtel auf der Straſse im Wasser waden muſsten. Es war kein Ausweg. Gehts nicht, so schwimmt man, dachte ich; und mein Schneider tornisterte hinter mir her. Den Morgen nahm ich ein Boot herüber nach Luzern, ohne weiter den Ort besehen zu haben, wo Tell den Apfel abgeschossen hatte. Nicht weit von der Abfahrt stürzt rechts ein Wasserfall von sehr ho¬ hen Felsen herab, nicht weit von Tells Kapelle, und man erzählte mir, daſs oben in den Alpen ein be¬ trächtlicher See von dem Wasser der noch höhern Berge wäre, der hier herab flösse. Schade daſs man nicht Zeit hat hinauf zu klettern; die Parthie sieht von unten aus schon sehr romantisch, und oben muſs man eine der herrlichsten Aussichten nach der Reuſs und den Waldstädtersee haben. Die Fahrt ist bekannt, und Du findest sie in den meisten Schweizerreisen. In dem seligen Republikchen Gersau frühstückten wir, und die Herren beklagten sich bitter, daſs ihnen die Franzosen ihre geliebte Autonomie genommen hatten. Die ganze Fahrt auf dem Wasser herab bis nach Lu¬ zern ist eine der schönsten; links und rechts liegen die kleinen Kantone und höher die Schneealpen, in welche man zuweilen weit weit hineinsieht. Der Pi¬ latusberg vor Luzern ist nur ein Zwerg, der den Vor¬ hof der Riesen bewacht. In Luzern fand ich im Wirthshause unter der guten Gesellschaft einige Freun¬ de von Johannes Müller, die mit vieler Wärme von ihm sprachen. Nachdem ich die Brücken und den Fluſs beschaut hatte, ging ich zum General Pfeiffer um seine wächserne Schweiz zu sehen. Die Sache ist bekannt genug, aber kein so unnützes Spielwerk, wie423 wohl einige glauben. Der Mann hat mit Liebe viel schöne Jahre seines Lebens daran gearbeitet, und mit einer Genauigkeit, wie vielleicht nur wenig militärische Charten gemacht werden. Die Franzosen haben das auch gefühlt, und Lecourbe, gegen den der alte Ge¬ neral zuerst eine entschiedene Abneigung zeigte, wuſs¬ te durch seine Geschmeidigkeit endlich den guten Willen des Greises so zu gewinnen, daſs er sich als seinen Schüler ansehen konnte. Die Schule hat ihm genützt; und es wird allgemein nicht ohne Grund be¬ hauptet, er würde den Krieg in den Bergen nicht so vortheilhaft gemacht haben ohne des Alten Unterricht. Die Wachsarbeit ist bekannt: es ist Schade, daſs ihn die Jahre nicht erlauben das Uebrige zu vollenden. Dieser Krieg hat die Bergbewohner in Erstaunen ge¬ setzt: man hat sich in ihrem Lande in Gegenden ge¬ schlagen, die man durchaus für unzugänglich hielt. Die Feinde haben Wege gemacht, die nur ihre Gem¬ senjäger vorher machten; vorzüglich die Russen und die Franzosen. Man hat sich auf einmal überzeugt, daſs die Schweiz bisher vorzüglich nur durch die Ei¬ fersucht der groſsen Nachbarn ihr politisches Daseyn hatte. Die Russen und Franzosen kamen auf Pfaden in das Murter Thal, die man nur für Steinböcke gangbar hielt. Die Katholicität scheint in Luzern sehr gemäſsigt und freundlich zu seyn. Das Merkwürdigste für mich war noch, daſs mir der Kellner im Gasthofe erzählte, man habe hier im See zwey und dreyſsig Sorten Forellen, so daſs man also bey der kleinsten Wendung der Windrose eine andere Sorte hat. Dieje¬ nigen welche man mir gab hätten einen Apicius in424 Entzücken setzen können, und ich rathe Dir, wenn Du hierher kommst, Dich an die Forellen zu halten, wenn Du gleich nicht alle Sorten des Kellners finden solltest.
Von Luzern lieſs ich mich auf dem Wasser wie¬ der zurück rudern, durch die Bucht links, ging über den kleinen Bergrücken herab an den Zuger See, setzte mich wieder ein und lieſs mich nach Zug bringen. Wäre ich etwas frömmer gewesen, so wäre ich zur heiligen Mutter von Einsiedel gegangen. Auf dem Bergrücken zwischen diesen beyden Seen steht die be¬ kannte andere Kapelle Tells mit der schönen Poesie. Alles ist sehr gut und sehr patriotisch; aber ich fürch¬ te, nicht sehr wahr: denn wenn auch die Schweizer noch die Alten wären, würden sie sich doch in diesen Konjunkturen schwerlich retten. Man nimmt die gröſseren fruchtbaren Kantons und läſst die Alpenjäger jagen und hungern; sie werden schon kommen und bitten. Bloſs die Eifersucht gegen Oestreich gab der Schweiz Existenz und Dauer.
Von Zug aus nahm ich meinen Tornister selbst wieder auf den Rücken. Der Schneider sah einige Minuten verblüfft, brummte und bemerkte sodann, ich müsse doch sehr furchtsam seyn, daſs ich ihm meinen Reisesack nicht anvertrauen wolle. Ich machte ihm begreiflich, daſs hier zwischen Zug und Zürich gar nichts zu fürchten sey, daſs mich allenfalls mein Knotenstock gegen ihn schütze, daſs ich ihm aber keine Verbindlichkeit weiter haben wolle: seine Gesellschaft sey mir auch zu theuer, er sey unbescheiden und fast unverschämt; ich wolle weiter nichts für ihn bezah¬425 len. Nun erzählte ich ihm, daſs ich in Luzern für meine eigene Rechnung vier und dreyſsig Batzen und für die seinige sechs und dreyſsig bezahlt habe; das konveniere mir nicht. Er entschuldigte sich, er habe einen Landsmann gefunden und mit ihm etwas ge¬ trunken, und der Wirth habe zu viel angeschrieben. Vielleicht ist beydes, sagte ich, Er hat zu viel getrun¬ ken und jener hat noch mehr angeschrieben, ob mir das gleich von dem ehrlichen Luzerner nicht wahr¬ scheinlich vorkommt: aber, mein Freund, Er hat wahrscheinlich der Landsleute viele von Neapel bis Paris; ich zahle gern eine Suppe und ein Stück Fleisch und einige Groschen, aber ich lasse mich nur Einmal so grob mitnehmen. Er verlieſs mich indessen doch nicht, wir wandelten zusammen den Albis hinauf und herab, setzten uns unten in ein Boot und lieſsen uns über den See herab nach Zürich fahren, wo ich dem Sünder einige Lehren und etwas Geld gab, und ihn laufen lieſs. Er wird indessen beydes schon oft um¬ sonst bekommen haben.
Hier bin ich nun wieder unter vaterländischen Freunden und könnte bald bey Dir seyn, wenn ich nicht noch etwas links abgehen wollte. In Zürich möchte ich wohl leben: das Oertliche hat mir selten anderwärts so wohl gefallen. Ich trug einen Brief aus Rom zu Madam Geſsner, der Wittwe des liebenswür¬ digen Dichters, und ging von ihr hinaus an das Mo¬ nument, das die patriotische Freundschaft dem ersten Idyllensänger unserer Nation errichtet hat, an dem Zusammenflusse der Siehl und der Limmat. Das Plätz¬ chen ist idyllisch schön und ganz in dem Geiste des426 Mannes, den man ehren wollte; und der Künstler, sein Landsmann, hat die edle Einfalt nicht verfehlt, welche hier erfordert wurde. Akazien, Platanen, Sil¬ berpappeln und Trauerweiden umgeben den heiligen Ort. Einige Zeit verwendete ich darauf die Schlacht¬ gegend zu überschauen; und ich kann nicht begreifen, wie die Oestreicher ihre Stellung verlassen konnten. Ich verschone Dich mit Beschreibungen; die Du in vielen Büchern vielleicht besser findest. Eine eigene Erscheinung war es mir hier, daſs bey Vidierung des Passes zwey Batzen bezahlt werden muſsten. Ich möchte wohl wissen wie man dieses mit liberaler Humanität oder nur mit Rechtlichkeit in Uebereinstimmung wollte.
Nun erlaube mir noch fragmentarisch etwas über meinen Gang durch Italien im Allgemeinen zu sagen. Du hast aus meiner Erzählung gesehen, daſs es jetzt wirklich traurig dort aussieht; vielleicht trauriger als es je war. Ich bin gewissenhaft gewesen und jedes Wort ist Wahrheit, so weit man historische Wahrheit verbürgen kann. Daſs Brydone in Sicilien gewesen ist, bezweifelt niemand; aber viele haben vieles gegen seine schönen Erzählungen. So viel weiſs ich, daſs in Sicilien selbst, und vorzüglich in Agrigent und Syra¬ kus, man sehr übel mit ihm zufrieden ist; aber Bar¬ thels ist doch vielleicht zu strenge gegen ihn verfah¬ ren. Mehrere Augen, die ich hier nicht aufzählen kann, haben ihre Richtigkeit; und sein Hauptfehler ist, daſs er seiner poetischen Phantasie zu viel Spielraum gab. Die Besten über die Insel von den Neuern sind wohl Barthels und Münter. Dorville habe ich fast427 durchaus sehr genau gefunden, so viel ich auf dem Fluge habe bemerken können.
Das ganze Königreich Neapel ist in der traurigsten Verfassung. Ein Kourier, der von Messina über Rheggio nach Neapel gehen soll, hält den Weg immer für ge¬ fährlicher als einen Feldzug. Der Offizier mit dem ich nach Rom reiste, war sechszehnmal geplündert worden und dankte es nur seiner völligen Resignation, daſs er noch lebte. Ich könnte sprechen, sagte er, aber dann dürfte ich keine Reise mehr machen, oder ich wäre auf der ersten ein Mann des Todes. Alle Gräuel, die wir von Paris während der Revolution gehört haben, sind noch Menschlichkeit gegen das was Neapel aufzu¬ weisen hat. Was die Demokraten in Paris einfach thaten, haben die royalistischen Lazaronen und Kalabre¬ sen in Neapel zehnfach abscheulich sublimiert. Man hat im eigentlichsten Sinne die Menschen lebendig ge¬ braten, Stücken abgeschnitten und ihre Freunde ge¬ zwungen davon zu essen; der andern schändlichen Ab¬ scheulichkeiten nicht zu erwähnen. Ein wahrhafter durchaus rechtlicher Mann sagte mir, man sey mit ei¬ ner Tasche voll abgeschnittener eingesalzener Nasen und Ohren zu ihm gekommen, aufgezählt wer die Eigenthümer derselben gewesen, und er habe seine ganze Standhaftigkeit und Klugheit nöthig gehabt, nicht zu viel Miſsbilligung zu zeigen, damit er nicht selbst unter die Opfer geriethe. Das ist unter Ruffo gesche¬ hen, dessen Menschlichkeit sogar noch hier und da gerühmt wird. Die Geschichte der Patrioten von Sankt Elmo ist bekannt. Nelson und seine Dame, die Ex¬ gemahlin Hamiltons, lieſsen im Namen der Regierung428 die Kapitulation kassieren, und die Henker hatten volle Arbeit. Auf diese Weise kann man alles was heilig ist niederreiſsen. Man nennt den Namen des Admirals und noch mehr den Namen der Dame mit Abscheu und Verwünschung und bringt Data zur Belegung. In Kalabrien soll jetzt allgemeine Anarchie seyn. Das ist begreiflich. Bildung ist nicht, und das Biſschen Chri¬ stenthum ist, so wie es dort ist, mehr ein Fluch der Menschheit. Die Franzosen kamen und setzten in Re¬ volution; die Halbwilden trauten und wurden verra¬ then. Ruffo kam im Namen des Königs und versprach; die Betrogenen folgten und wütheten unter ihm bis zur Schande der menschlichen Natur in der Hauptstadt. Nun sagen sie, der König habe sie noch ärger betro¬ gen als die Franzosen. Wer kann bestimmen, wie weit sie Recht haben? Die Regierung des Dey kann kaum grausamer seyn; schlechter ist sie nicht. Im ganzen Königreich und der Insel zusammen sind jetzt kaum funfzehn tausend Mann Truppen: diese haben einen schlechten Sold und dieser schlechte Sold wird noch schlechter bezahlt. Du kannst die Folgen den¬ ken. Unzufriedenheit gilt für Jakobinismus, wie fast überall. Ich habe die meisten Städte des Reichs gese¬ hen, und nach meinem Ueberschlage ist die Zahl der Truppen noch hoch angenommen. Die sogenannten Patrioten schreyen über Verrätherey der Franzosen und knirschen die Zähne über die Regierung. Mäſsigung und Gerechtigkeit ist in Neapel kein Gedanke. Mit fünf tausend Franzosen will ich das ganze Reich wie¬ der reformieren und behaupten, sagte mir ein eben nicht zelotischer Partheygänger. Die rechtlichsten Leute429 wurden gezwungen der Revolution beyzutreten um sich zu retten, und wurden hernach wegen dieses Zwanges hingerichtet. Vorzüglich traf dieses Schicksal die Aerzte. Es wurden Beyspiele mit Umständen er¬ zählt, die Schauder erregen. Filangieri war zu seinem Glücke vorher gestorben. Die Regierung nimmt bey ihrer gänzlichen Vernachläſsigung noch alle Mittel, die Gemüther noch mehr zu erbittern; ist saumselig, wo rechtliche Strenge nöthig wäre, und grausam, wo weise Mäſsigung frommen würde. In Sicilien treibt das Feudalsystem in den gräſslichsten Gestalten das Unheil fort: und obgleich mehr als die Hälfte der In¬ sel wüste liegt, so würde doch kein Baron einen Fuſs lang anders als nach den strengsten Lehnsgesetzen be¬ arbeiten lassen. Die Folgen sind klar. Wie geachtet die Regierung und geliebt der Minister ist, davon habe ich selbst ein Beyspielchen von den Lazaronen in Nea¬ pel gehört. Es kam ein Schiff von Palermo an mit etwas Ladung aus der Haushaltung des Königs. Unter andern wurde ein groſser schöner Maulesel ausgeschifft; das neugierige Volk stand wie gewöhnlich gedrängt umher. Kischt 'è il primo minischtro, sagte ein Kerl aus dem Haufen, und die ganze Menge brach in ein lautes Gelächter aus. Ohne Zweifel ist der Minister nicht so schlecht als ihn seine Feinde machen; aber er ist es doch genug, um ein schlechter Minister zu seyn. Das Facit liegt am Tage; das Reich verarmt täglich mehr und der Minister wird täglich reicher. An Ma¬ nufakturen wird gar nicht gedacht: die Engländer und Deutschen versorgen alle Provinzen. In Neapel brauchte ich Strümpfe; die waren englisch: in Syrakus war430 nichts einheimisches zu finden. Ueberall sind fremde Kaufleute, die mit fremden Artikeln handeln. Man sagt in Neapel auf allen Straſsen ganz laut, der Mini¬ ster verkaufe als Halbbritte die Nation an die Englän¬ der. Man schreyt über die öffentliche Armuth und die öffentliche Verschwendung; man lebe von der Gnade der Franzosen und halte drey Höfe, in Palermo und Kaserta und Wien. Einzeln erzählte Vorfälle sind em¬ pörend. Der König ist ein Liebhaber von schönen Weibern. Das mag er: andere sind es auch, ohne Kö¬ nige zu seyn. In der Revolution wurde eine Dame als Staatsverbrecherin mit ergriffen, und das Tribunal ver¬ urtheilte sie zum Tode. Die vornehme interessante Frau appellierte an den König, und ihre Freunde brachten es so weit, daſs sie zur endlichen Entschei¬ dung ihres Schicksals nach Palermo geschickt wurde. Der König war dort in ihrer Gesellschaft nach der Liebhaber Weise; endlich drangen die strengen Straf¬ prediger an sein Gewissen: die Frau wurde nach Nea¬ pel zurückgeschickt und — hingerichtet. Sie erzählte das Ganze selbst vor ihrem Tode auf dem Blutgerüste. Das ist verhältniſsmäſsig eben so schlimm als die ein¬ gesalzenen Nasen und Ohren. Man hat mir Namen und Umstände und den ganzen Prozeſs wiederholt genannt.
Die Kassen sind leer, die Offizianten müssen war¬ ten, und dabey soll man Jagdparthien geben, die über 50000 neapolitanische Dukaten kosten. Der General Murat erhielt Geschenke, deren Werth sich auf 200000 Thaler belief. Ich weiſs nicht wer mehr indigniert, ob der König oder Murat? Jener handelt nicht als Kö¬431 nig und dieser nicht als Republikaner. Anders that Fabricius. Die Räuber streifen aus einer Provinz in die andere, und plündern und morden, o ne daſs die Juſtiz weiter darnach fragt. Man läſst die Leute so gut und so schlecht seyn als sie wollen; nun sind der Schlechten fast immer mehr als der Guten, zumal bey solchen Vernachlässigungen: so ist die Unordnung leicht erklärt. Die Beschaffenheit des Landes hilft dem Unfuge; die Berge bergen in ihren Schluchten und Winkeln die Bösewichter, gegen welche die Regierung keine Vorkehrungen trifft. Ich habe in dem ganzen Reiche keine militärische Patrouille gesehen, aber Hau¬ fen Bewaffnete bis zu fünf und zwanzig. Diese sollen Polizey seyn; aber sie tragen kein Abzeichen, sind nicht zu finden, und alle ehrliche Leute fürchten sich vor ihnen.
Ueberhaupt habe ich in Neapel jetzt drey Partheyen bemerkt; die Parthey des Königs und der jetzigen Re¬ gierung, zu welcher alle Anhänger des Königs und des Ministers gehören: die Parthey des Kronprinzen, von dem man sich ohne vielen Grund etwas besseres verspricht: und die Parthey der Malkontenten, die keine Hoffnung vom Vater und Sohn haben, und glau¬ ben, keine Veränderung könne schlimmer werden. Die letzte scheint die stärkste zu seyn, weiſs aber nun, da sie von den Franzosen gänzlich verlassen worden ist, in der Angst selbst nicht, wohin sie den Gesichts¬ punkt nehmen soll.
In Rom arbeitet man mit allen Kräften an der Wiederherstellung aller Zweige der Hierarchie und des Feudalsystems: Gerechtigkeit und Polizey werden schon28432 folgen, so weit sie sich mit beyden vertragen können. Die Mönche glänzen von Fett und segnen ihren Hei¬ land Bonaparte. Das Volk hungert und stirbt, oder flucht und raubt, nachdem es mehr Energie oder fromme Eselsgeduld hat. Es wird schon besser wer¬ den, so viel es das System leidet.
In Hetrurien weiſs man sich vor Erstaunen über alle die Veränderungen zu Hause und auswärts noch nicht zu fassen. Die Meisten, da die Menschen nun doch einmal beherrscht seyn müssen, wünschen sich das sanfte östreichische Joch, wie es unter Leopold war. Die Vernünftigern klagen leise oder auch wohl laut über die Anmaſslichkeit des römischen Hofes und die Schwachheit der Regierung; und die hitzigen Po¬ lypragmatiker hoffen auf eine Veränderung diesseits der Berge.
Die italische Republik windet sich, trotz den Ei¬ genmächtigkeiten und Malversationen der Franzosen ihrer Herren Nachbarn, nach und nach aus der tau¬ sendjährigen Lethargie. Hier war an einigen Orten viel vorgearbeitet: aber auch das alte Päpstliche erholt sich und wird etwas humaner. Das Päpstliche dies¬ seits der Apenninen scheint indessen nie so tief gesun¬ ken zu seyn, als in der Nähe des Heiligthums. Alles liegt noch im Werden und in der Krise. Die groſsen Städte klagen über Verlust, aber das platte Land hebt sich doch merklich. Das läſst sich wieder sehr leicht erklären. In Italien scheinen überhaupt die Städte das Land verzehrt zu haben, welches wohl weder politisch noch kosmisch gut ist.
Die Franzosen im Allgemeinen haben sich in Ita¬433 lien gut betragen, so wie man ihnen das nehmliche Zeugniſs auch wohl in Deutschland nicht versagen kann. Man erzählt Beyspiele von Aufopferung und Edelmuth, die dem humanen Zuhörer auſserordentlich wohl thun, und seine sympathetische Natur für den Gegensatz entschädigen, der sich zuweilen zeigt. Ein¬ zelne Generale, Kommissäre und Offiziere machen oft grelle Ausnahmen. Unter den Generalen wird Murat als Erpresser und Plagegeist überall genannt; und mich däucht der Augenschein bestätigt die Beschuldigung: er wird bey einem groſsen Aufwand reich. Ich habe eine ewige Regel, deren Richtigkeit ich mir nicht ab¬ streiten lasse. Wer in dem Dienst des Staats reich wird, kann kein Mann von edelm Charakter seyn. Je¬ der Staat besoldet seine Diener nur so, daſs sie anstän¬ dig leben und höchstens einen Sichherheitspfennig sparen können: aber zum Reichthum kann es auf ei¬ ne ehrenvolle Weise durchaus keiner bringen. Es giebt nach meiner Meinung nur zwey rechtliche Wege zum Reichthum, nehmlich Handel und Oekonomie; einige wenige Glücksfälle ausgenommen. Ist der Staatsdie¬ ner zugleich Handelsmann, so hört er eben dadurch auf einem wichtigen Posten gut vorzustehen. Die Kommissäre haben einmal das unselige Privilegium die Nationen zu betrügen, weil man ihnen unmöglich alles genau durchschauen kann; und die französischen sollen es sehr ausgedehnt gebraucht haben. Revoltie¬ rend für mich ist es gewesen, wenn ich hörte, daſs viele französische Offiziere frey durch alle Provinzen reisten, mit oder ohne Geschäft, sich nach ihrem Cha¬ rakter für sich und ihre Begleitung eine Menge Pfer¬434 de zahlen lieſsen und doch allein gingen und knicke¬ risch nur zwey nahmen, und das Geld für die übri¬ gen einsäckelten. Manche arme Kommune, die kaum noch Brot hatte, muſste bey dergleichen Gelegenhei¬ ten exekutorisch ihren letzten Silberpfennig zusammen bringen, um den fremden so genannten republikani¬ schen Wohlthäter zu bezahlen. Das nenne ich Völker¬ beglückung! Man muſs bekennen, daſs die Franzosen selbst über diese Schändlichkeit fluchten; aber sie ge¬ schahe doch oft. Wo Murat als General kommandirt, fällt so etwas nicht auf; Moreau würde seine Nation von einem solchen Schandflecken zu retten wissen. So viel ich von den Franzosen in Italien gemeine Solda¬ ten und Unteroffiziere gesehen habe, und ich bin man¬ che Meile in ihrer Gesellschaft gegangen, habe ich sie alle gesittet, artig, bescheiden und sehr unterrichtet ge¬ funden. Sie urtheilten meistens mit Bündigkeit und Bestimmtheit und äuſserten durchaus ein so feines Ge¬ fühl, daſs es mir immer ein Vergnügen war, solche Gesellschaft zu treffen. Das alte vornehme Zotenreis¬ sen im Fluchen ist sehr selten geworden, und sie spre¬ chen über militärische Dispositionen mit einer solchen Klugheit und zugleich mit einem solchen Subordina¬ tionsgeist, daſs sich nur ein schlechter Offizier andere Soldaten wünschen könnte.
In Ansehung des Physischen ist ein Gang von Triest nach Syrakus und zurück an den Zürcher See, wenn er auch nur flüchtig ist, mit vielen angenehmen Erscheinungen verbunden. Auf der Insel ist das lieb¬ lichste Gemisch des Reichthums aller Naturprodukte, so viel man ohne Anstrengung gewinnen kann; Oran¬435 gen aller Art, Palmen, Karuben, Oel, Feigen, indische und gemeine, Kastanien, Wein, Weitzen, Reiſs. Bey Neapel werden die indischen Feigen, die Karuben und Pahnen schon selten; diesseits der Pontinen die Oran¬ gen; diesseits der Apenninen Oel und Feigen. Die südliche Seite des Bergs von Florenz aus hat noch die herrlichsten Oelpflanzungen; beym Herabsteigen nach Bologna findet man sie nicht mehr: alles sind Kasta¬ nienwälder. In der Lombardey ist der Trieb üppig an Wein und Getreide; aber alles ist schon mehr nördlich. Ein einziger Weinstock macht noch eine groſse Laube, und auf einem einzigen Maulbeerbaume hingen zuweilen sechs Mädchen, welche Blätter pflück¬ ten: aber ein Oelbaum ist schon eine Seltenheit. Die südlichen Seiten der Alpenberge geben durch ihre La¬ ge hier und da noch Früchte des wärmern Erdstrichs, und am Lago maggiore hat man noch Orangengärten, Olivenpflanzungen und sogar, obgleich nur spärlich, in¬ dische Feigen. Am Ticino herauf trifft man noch Kastanien die Menge und sehr schöne und groſse Bäu¬ me, und bis Ayrolles wächst gutes Getreide. Dann hört nach und nach die Vegetation auf. An der Reuſs diesseits kann man weit tiefer herab gehen, ehe sie wieder anfängt. Sankt Ursel liegt vielleicht tiefer als Ayrolles und man hat dort noch nichts von Getreide. Kastanien trifft man auf dieser Seite nicht mehr oder nur höchst selten, und der Nuſsbaum nimmt ihre Stelle ein. Weiter herab ist alles vaterländisch.
Von Zürich hierher ist ein hübsches Stück Weges, und ich schreibe Dir davon so wenig als möglich, weil alles ziemlich bekannt ist. Einige Freunde begleiteten mich den 24sten Juny ein Stündchen von Zürich aus, und schickten mich unter des Himmels Geleite weiter. Bey Eglisau begrüſste ich das erste Mal den herrlichen Rhein und ging von da nach Schafhausen, bloſs um den Fall zu sehen. Er hat an Masse freylich weit mehr als der Velino; aber ich wäre sehr verlegen, wel¬ chen ich die gröſste malerische Schönheit zugestehen sollte. Dort ist die Natur noch gröſser als hier und der Sturz noch weit furchtbarer. Mich däucht, ich habe gehört, ein Engländer habe versucht den Fall herunter zu fahren: und ich glaube, die Donquischot¬ terie ist allerdings nicht unmöglich, wenn der Fluſs voll ist. Bey kleinem Wasser würde man unfehlbar zerschmettert. Nur müſste die Seite von Laufen ge¬ wählt werden; denn die von Schafhausen würde ziemlich gewisser Tod seyn. Ich sage nicht, daſs man nicht auf der Unternehmung umkommen könne: aber gesetzt ich würde auf der Seite von Laufen oben ver¬ folgt und sähe keine Ausflucht, so würde ich kein Be¬ denken tragen mich in einem guten Boot den Fall hinab zu wagen und würde meine Rettung nicht ganz unwahrscheinlich finden. In der Krone in Schafhau¬ sen war sehr gute Gesellschaft von Kaufleuten, Kom¬ missären und Engländern.
Den 25sten stach ich in das Breisgau herüber. 437 Laufenburg, wo ich die Nacht blieb, ist ein ärmlicher Ort, wo der Rhein einen zweyten kleinern nicht so gefährlichen Fall bildet: doch ist auch dieser Schuſs zwischen den Felsen sehr malerisch. Weiter hin ste¬ hen in den Dörfern noch Franzosen bis zum Austrag der Sache, und die Einwohner sind in Verzweiflung über den Druck von allen Seiten. Bloſs unsere gerin¬ ge Anzahl verhindert uns, sagte man mir laut, ge¬ waltsame Mittel zu unserer Befreyung zu versuchen. Die Franzosen müssen hier sehr schlechte abscheuliche Mannszucht halten: denn ich habe wiederholt erzählen hören, daſs sie durchreisende Weiber mit Gewalt hin¬ auf in den Wald zur Miſshandlung schleppen. An den eingebohrnen wagen sie sich nicht zu vergreifen, weil sie unfehlbar todtgeschlagen würden, es entstän¬ de daraus was wolle: diese Unordnungen fürchten sie doch. Jeder Einquartierte muſs täglich zwey Pfund Brot, ein Pfund Fleisch und eine Flasche Wein erhal¬ ten. Seit einiger Zeit müssen die Wirthe für den Wein zehn Kreuzer täglich bezahlen: dafür werden dem Soldaten Kittel angeschafft. Da ist denn doch die groſse Nation verächtlich klein. Das ist heute den 26sten Juny unseres Jahres 1802; und der Komman¬ dant der Truppen mag seine Ehre retten, wenn er kann: ich sage was ich vielfältig gehört habe.
Die Gegend am Rhein herunter ist fast durchaus schön, und besonders bey Rheinfelden. In Basel am Thore lud man mich zum Kriegsdienst der Spanier ein, die hier für junges Volk von allen Nationen freye Werbung hatten, aufgenommen die Franzosen und Schweizer. Mir war das nicht unlieb, ob ich438 gleich die Ehreneinladung bestimmt ausschlug: denn es zeigt wenigstens, ich sehe noch aus, als ob ich eine Patrone beiſsen und mit schlagen könne. Im Wilden Manne war die Gesellschaft an des Wirthstafel ziem¬ lich zahlreich und sehr artig. Der französische Kom¬ mandant, zu dem ich wegen meines Passes ging, war freundlich und höflich. Der preuſsische Paſs war in Mailand revidiert worden, und der General Charpen¬ tier hatte daselbst bloſs darauf geschrieben, daſs er durch die Schweiz nach Paris gültig sey. In Basel wies man mich damit an den ersten Gränzposten, un¬ gefähr noch eine Stunde vor der Stadt. Als ich dort ankam, sahe der Offizier nur flüchtig hinein, gab ihn zurück und sagte: Vous etes bien en regle. Bon voya¬ ge! und seitdem bin ich nirgends mehr darnach ge¬ fragt worden. So wie ich in das französische Gebiet trat, war alles merklich wohlfeiler und man war durchaus höflicher und billiger. In einem Dorfe nicht weit von Belfort hielt ich eine herrliche Mittagsmahl¬ zeit mit Suppe, Rindfleisch, Zwischengericht, Braten, zweyerley Desert und gutem Wein und zahlte dafür dreyſsig Sols. Dafür hätte ich jenseit der Alpen we¬ nigstens dreymal so viel bezahlen müssen. Den nehm¬ lichen Abend, vier Meilen von Basel, zahlte ich für ein recht gutes Quartier mit Zehrung nur sechs und vierzig Sols. So ging es verhältniſsmäſsig immer fort; und auch nicht viel theurer ist es in Paris. Mir thut die Humanität und das allgemeine Wohlbefinden bes¬ ser als der wohlfeile Preis. Man spricht dort noch et¬ was deutsch und Leute von Erziehung bemühen sich beyde Sprachen richtig und angenehm zu reden. Das439 Dorf war ziemlich groſs und als ich gegen Abend noch einen Gang an den Gärten und Wiesen hin machte, hörte ich in der Ferne an einem kleinen buschigen Abhange einen Gesang, der mich lockte. Das war mir in ganz Italien nicht begegnet; und als ich näher kam hörte ich eine schöne einfache ländliche Melodie zu ei¬ nem deutschen Texte, den ich für ein Gedicht von Matthison hielt. Die Sängerinnen waren drey Mäd¬ chen, die man wohl in der schönen Abendröthe für Grazien hätte nehmen können. Die Zuhörer mehrten sich und ich war so heimisch, als ob ich an den Ufern der Saale gesessen hätte.
Nun ging ich über Besançon und Auxonne nach Dijon herunter. Es war ein Vergnügen zu wandeln; überall sahe man Fleiſs und zuweilen auch Wohlstand. Wenigstens war nirgends der drückende Mangel und die exorbitante Theurung, die man jenseits der Alpen fand: und doch hatte hier die Revolution gewüthet und der Krieg gezehrt. Besançon ist wohl mehr ein Waffenplatz als eine Festung. Wenigstens würde bey einer Belagerung die Stadt bald zu Grunde gehen und der Ort sich kaum halten. In Auxonne wurden alle Festungswerke niedergerissen, und jedermann ging und ritt und fuhr ungehindert und ungefragt aus und ein. Das fand ich selbst gegen die Schweiz sehr libe¬ ral. Einen Abend blieb ich in Genlis, dem Gute der bekannten Schriftstellerin. Die Besitzung ist sehr nett, aber sehr bescheiden; und die Dame wird trotz allem was ihre Feinde von ihr sagen hier sehr geliebt.
Dijon hat ungefähr eine Stunde im Umfange und rund um die Stadt einen ziemlich angenehmen Spa¬440 ziergang. Der Ort empfindet die Folgen der Revolu¬ tion vor allen übrigen, weil sie hier vorzüglich heftig war. Die Leute wissen bis jetzt vor Angst noch nicht, wo sie mit ihrer Stimmung hin sollen: die Meisten scheinen königlich zu seyn. Mein Wirth, der sehr höf¬ lich mit mir herum lief, erzählte mir in langen Kla¬ gen den ganzen Verlauf der Sachen in ihrer Stadt, und die schreckliche Periode unter Robespierre, wo so viele brave Leute theils guilottiniert wurden, theils in den Gefängnissen vor Angst und Gram starben. Die Sache hat freylich mehrere Seiten. Viele scheinen nur das Anhängsel der ehemaligen Reichen vom Adel und der Geistlichkeit zu machen: diese können allerdings bey keiner vernünftigern Einrichtung gewinnen. Alle groſse Städte, die nicht auf Handel, Fabriken und In¬ dustrie beruhen, die Kapitale ausgenommen, müssen durch die Veränderung nothwendig verlieren, da die Parlamentsherren, der reiche Adel und die reiche Geistlichkeit nicht mehr ihr Vermögen daselbst verzeh¬ ren. Der Park des Prinzen Condé vor dem Peters¬ thore ist jetzt verkauft und ein öffentlicher Belusti¬ gungsort. Im Ganzen ist die Stadt sehr todt.
Von Dijon fuhr ich, weil mir das Wetter zu heiſs ward, mit dem Kourier nach Auxerres, und von dort mit der Diligence nach Paris. Auxerres ist eine Mit¬ telstadt, aber ziemlich lebhaft, wenigstens weit lebhaf¬ ter als Dijon. Zum Friedensfeste hatte man an dem Boulevardkoffer der Hebe einen Tempel aufgeführt, der der franzö ischen Kunst eben keine Ehre macht. Die Gesellschaft war aber angenehm und die Bewirthung gut und billig. Die Wirthin, ein Prototyp der alten441 ächt französischen Gutherzigkeit, setzte sich zu mir in die Gartenlaube und hielt mir bey Gelegenheit der Be¬ zahlung einen langen Unterricht über den Geldkurs, und gab mir Warnungen, damit ich als Fremder mit der Münze nicht betrogen würde; welches indessen zur Ehre der Nation nur sehr selten geschehen ist. In Ita¬ lien war der Fall häufiger, und auch in der Schweiz.
Die Gesellschaft in der Diligence war besser als der einsylbige Kourier von Dijon. Ein alter General von der alten Regierung, ein fremder Edelmann aus der Schweiz, ein Landpfarrer der zugleich Mediciner war, ein Kaufmann ehmals Adjutant des General Le¬ courbe, ein Gelehrter von Auxerres, der vorzüglich in der Oekonomie stark zu seyn schien und einige ande¬ re Unbekannte machten eine sehr bunte Konversation. Ich saſs zwischen dem Geistlichen und dem Gelehrten im Fond, und vor mir der General auf dem Mittel¬ sitze. Der General hatte ehemals in Domingo kom¬ mandiert, wäre fast bey seiner Rückkehr in Brest guillottiniert worden, und nur die Intervention vieler angesehener Kaufleute hatte ihn gerettet, die seiner po¬ litischen Orthodoxie in der damaligen Zeit das beste Zeugniſs gaben. Der Geistliche war ausgewandert ge¬ wesen und hatte als Arzt einige Zeit auf der Gränze gelebt, war aber mit vieler Klugheit zu rechter Zeit zurückgekommen und hatte seitdem nach dem Winde laviert. Jetzt zeigte er nun wieder mehr seinen ei¬ gentlichen Geist. Er war ein Mann von vielen Kennt¬ nissen und vielem Scharfsinn und vieler Verbindung mit dem ehemaligen Groſsen; also allerdings kein Platt¬ kopf, sondern ein Spitzkopf.
442Er erzählte, als ob das so seyn müſste, eine Men¬ ge heilige Schnurren seiner Jugend, die sogar in sei¬ nem eigenen Munde zwar unterhaltend aber eben nicht salbungsreich waren. So war er bey Sens einmal als falscher Bischof gereist und hatte falsche Offizialien ge¬ halten, und man hatte sich fast todt gelacht als er den Spaſs entdeckte. Ein andermal hatte er einst als Chor¬ schüler gesehen, daſs ein Bauer seinem Beichtvater ei¬ nen groſsen schönen Karpfen brachte und ihn unter¬ dessen in den Weihkessel setzte. Schnell stahl ihn der Hecht mit seinen Gesellen zum Frühstück, und hatte seine groſse Freude, als der absolvierte Bauer kam und in und unter dem Weihkessel umsonst den eingesetz¬ ten Karpfen suchte, um ihn nun in die Küche des geistlichen Herrn abzuliefern. Dergleichen Schnurren hatte er zu Dutzenden, und erzählte sie besser als ich. Noch eine Drolerie zeichnete sich aus, aus der alten französischen Geschichte. Es lebte unweit Sens ein Kanzler von Frankreich auf seinen Gütern und war als sehr guter Haushalter bekannt. Einst kommt ein Bauer von seinem Gute in die Beichte und beichtet, er habe dem Kanzler die Perücke gekämmt. Nun, seyd Ihr denn sein Peruckenmacher? fragte der Beicht¬ vater. — Nein; ich habe sie ihm nur so gekämmt. — Das sind Possen; die könnt ihr künftig bleiben lassen: was gehn Euch des Kanzlers Perücken an. — Dieser geht mit der Absolution fort und ein anderer kommt und beichtet, er habe dem Kanzler die Perücke ge¬ kämmt. Die nehmliche Sünde, der nehmliche Ver¬ weis, die nehmliche Vergebung: da kommt ein dritter mit der nehmlichen Beichte. Das fällt dem geistlichen443 Herrn plötzlich auf, es müsse eine ganz eigene Käm¬ merey seyn. Die Vorhergehenden hielten in der Kir¬ che noch etwas Andacht; écoutés donc, Messieurs les perruquiers, ruft er ihnen zu, venés encore un peu ici; il y a encore à peigner. Was hat das für eine Bewandt¬ niſs mit der Perücke? Nun erklärte denn das beich¬ tende Kleeblatt, der Kanzler habe sehr schöne Heuscho¬ ber drauſsen auf der Wiese stehen, und sie gingen zu¬ weilen mit dem Rechen hinaus und zögen rund her¬ um bedächtig herunter, daſs es niemand merkte: das nennten sie des Kanzlers Perücke kämmen. Die neue Manier die Perücke zu behandeln wurde also nun scharf gerügt, untersagt und schwer verpönt.
Nung fing der Herr an im Ernst sehr fromm zu erzählen, was die heiligen Reliquien hier und da in der Nachbarschaft von Paris wieder für Wunder thäten, und dem Himmel zu danken, daſs man endlich wie¬ der anfange an die allerheiligste Religion zu denken und sie nun wieder wagen dürfe, ihr Haupt empor zu heben. Er erzählte wenigstens ein halbes Dutzend ganz nagelneue Wunder, von denen ich natürlich keins behalten habe. Er selbst hatte mit heiſsem heili¬ gen Eifer un abregé precis sur la verité de la religion chrétienne geschrieben, so hieſs glaube ich der Titel, und das Buch dem Kardinal Kaprara zugeschickt. Nach dem Tone zu urtheilen, kann ich mir die Gründe denken. Der Kardinal habe ihm, wie er sagte, ein schönes Belobungsschreiben gegeben und ihn aufge¬ muntert, in seinem Eifer muthig fort zu fahren. Ei¬ nen komplettern Beweis für die Wahrheit in dem Bu¬ che kann man nun füglich nicht verlangen, als das Urtheil und den Stempel des Kardinals Kaprara.
444Nun wurde von den alten Zeiten gesprochen, die Ceremonien und Feyerlichkeiten des Hofs beschrieben und nicht ganz leise hingedeutet, daſs man die glück¬ liche Rückkehr derselben bald hoffe. Der geistliche Herr, der den Sprecher machte und wirklich gut sprach, erhob nun vorzüglich die Mätressen der Könige von Frankreich, von der schönen Gabriele bis zur Pompa¬ dour und weiter herunter. Es wurde dabey das Eh¬ rengesetz der Galanterie nicht vergessen: Les rois ne font que des princes, les princes font des nobles et les nobles des roturiers. Er behauptete aus gar nicht un¬ scheinbaren Gründen, daſs alle diese Damen sehr gut¬ müthige Geschöpfe gewesen, und ich bin selbst der Meinung, daſs sie dem Reiche weit weniger Schaden zugefügt haben als die Minister und die Könige selbst, deren Schwachheiten gegen beyde oft unerhört waren. Nur klang die Apologie aus dem Munde eines sehr orthodoxen Geistlichen etwas drollig. Gegen Bonaparte hatte er weiter nichts, als daſs er zu schnell gehe, daſs man aber von dem groſsen Manne noch nicht urthei¬ len dürfe. Da hatte ich denn freylich gesündigt; denn ich hatte nun leider einmal geurtheilt. Das Urtheil über öffentliche Männer, es mag wahr oder falsch seyn, kommt nie zu früh, aber oft zu spät. Mit from¬ mer Andacht meinte er noch, que Bonaparte seroit le plus grand homme de l'univers et de toute l'histoire, s'il mettoit en se retirant le vrai rejetton sur le throne. Schwerlich wird der Konsul den Pfarrer zu seinem ge¬ heimen Rath machen. Das alles wurde ohne viele Vorsicht öffentlich in der Diligence geäuſsert: Du siehst, daſs sich die Fahne sehr gedreht hat. Man sagte laut,445 daſs die Mehrheit den König wünsche, und ihre Zucht¬ meister mögen ihnen wohl den Wunsch ausgepreſst haben. Die Generale nannte man nur les mangeurs de la republique, und das ohne Zweifel mit Recht.
Unter diesen und andern Ventilationen kamen wir den 6sten July in Paris an, wo man mich in das Hotel du Nord in der Straſse Quincampoi brachte, wo, wie ich höre, der berüchtigte Law ehemals sein We¬ sen oder Unwesen trieb. Das war mir zu entfernt von den Plätzen, die ich besuchen werde. Mein er¬ ster Gang war Freund Schnorr aufzusuchen. Ich fand mit der Addresse sogleich sein Haus und hörte zu meinem groſsen Leidwesen, daſs er vor sieben Tagen schon abgereist war. Seine Stube war noch leer, der Kolonnade des Louvers gegen über; ich zog also we¬ nigstens in seine Stube: und aus dieser schreibe ich Dir, in der Hoffnung Dich bald selbst wieder zu se¬ hen; denn meine Börse wird mich bald genug erin¬ nern die väterlichen Laren zu suchen.
Es würde anmaſslich seyn, wenn ich Dir eine groſse Abhandlung über Paris schreiben wollte, da Du davon jeden Monat in allen Journalen ein Dutzend lesen kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin nur un¬ gefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon wieder fertig abzusegeln.
Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, aus¬ genommen ein Papierchen an einen Kaufmann wegen meiner letzten sechs Dreyer. Ich habe nicht das In¬ troduktionstalent und im Allgemeinen auch nicht viel Lust mich so genannten groſsen Männern zu nahen. Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die ihrige und ist des Willkommens selten gewiſs; trifft sie vielleicht sel¬ ten zur schönen Stunde, und hätte mehr von ihnen gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte. Das ist der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm, wenn es nicht Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man ist in dieser Rücksicht auch zuweilen sehr unbillig. Man erwartet oder verlangt vielleicht sogar von einem berühmten Schriftsteller, er solle in seiner persönli¬ chen Erscheinung dem Geist und dem Witz in seinen Büchern gleich kommen oder ihn noch übertreffen; und man bedenkt nicht, daſs das Buch die Quintes¬ senz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und daſs die gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Ge¬ burtsnoth seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam,447 und doch ist sie nicht ungewöhnlich. Es giebt zuwei len glückliche Geister, deren mündlicher extemporä rer Vortrag besser ist, als ihre gesichtetste Schrift: aber dieses kann nicht zur Regel dienen.
Ich ging zu Herrn Millin, weil ich dort Briefe zu finden hoffte. Diese fand ich zwar nicht, aber man hatte ihm meinen Namen genannt und er nahm mich sehr freundlich auf; und ich bin, so wie ich ihn nun kenne, versichert, ich würde auch ohne dieſs freund¬ lich aufgenommen worden seyn. Millin ist für die Fremden, die in literarischer Absicht Paris besuchen, eine wahre Wohlthat. Der Mann hat eine groſse Peri¬ pherie von Kenntnissen, die ächte französische Heiterkeit, selbst eine schöne Büchersammlung in vielen Fächern und aus vielen Sprachen, und eine seltene Humanität. Mehrere junge Deutsche haben den Vortheil in seinen Zimmern zu arbeiten und sich seines Raths zu bedie¬ nen. Ich habe ihn oft und immer gleich jovialisch und gefällig gesehen. Auf der Nationalbibliothek herrscht eine musterhafte Ordnung und eine beyspiel¬ lose Gefälligkeit gegen Fremde. Daſs in der öffent¬ lichen Gerechtigkeit groſse Lücken sind, ist bekannt, und daſs ihre gepriesene Freiheit täglich preſshafter wird, leidet eben so wenig Zweifel. Ich hatte selbst ein Beyspielchen. Die Kaiserin Katharina die Zweyte hatte dem Papst Pius dem Sechsten ein Geschenk mit allen Russischen Goldmünzen gemacht: der Werth muſs beträchtlich gewesen seyn. Diese lagen mit den übrigen Schätzen im Vatikan. Die Franzosen nahmen sie weg, um sie nach Paris zu den übrigen Schätzen zu bringen. In Rom sind sie nicht mehr; aber deſs¬29448 wegen sind sie nicht in Paris. Man sprach davon; ich fragte darnach. — Sie sind nicht da. — Aber sie sollten da seyn. — Freylich. — Wer hat denn die Besorgung gehabt? — Man schwieg. — Der Kommissär muſs doch bekannt seyn. Man antwortete nicht. — Warum untersucht man die Sache nicht? — Man zuckte die Schultern. — Aber das ist ja nichts als die allergewöhnlichste Gerechtigkeit und die Sache der Nation, über die jeder zu sprechen und zu fragen befugt ist. — Wenn die Herren an der Spitze, sagte man leise, die doch nothwendig davon unterrichtet seyn müssen, es nicht thun und es mit Stillschweigen übergehen; wer will es wagen? — Wagen, wagen! brummte ich; so so, das ist schöne Gerechtigkeit, schöne Freyheit. Meine Worte und mein Ton setzten die Leutchen etwas in Verlegenheit; und es schien, ich war wirklich seit langer Zeit der erste, der nur so eine Aeuſserung wagte. Wo keine Gerechtigkeit ist, ist keine Freyheit; und wo keine Freyheit ist, ist keine Gerechtigkeit: der Begriff ist eins; nur in der Anwendung verirrt man sich, oder vielmehr sucht an¬ dere zu verwirren.
In dem Saale der Manuskripte arbeiten viel In¬ länder und Ausländer, und unter andern auch Doktor Hager an seinem chinesischen Werke. Ich lieſs mir den Plutarch von Sankt Markus in Venedig geben, um doch auch ein gelehrtes Ansehen zu haben, bin aber nicht weit darin gekommen. Es wird mir sauer dieses zu lesen und ich nehme lieber den Homer von Wolf oder den Anakreon von Brunk, wo mir leicht und deutlich alles vorgezogen ist. In der Kupferstich¬449 sammlung hängt an den Fenstern herum eine gezeich¬ nete Kopie von Raphaels Psyche aus der Farnesine; aber sie gewährt kein auſserordentlich groſses Vergnü¬ gen, wenn man das Original noch in ganz frischem Andenken hat.
Mein erster Gang, als ich ins Museum im Lou¬ ver kam, war zum Laokoon. Ich hatte in Dresden in der Mengsischen Sammlung der Abgüsse und in Florenz bey der schönen Kopie des Biondelli einen Zweifel aufgefangen, den man mir dort nicht lösen konnte. Man sagte mir, es sey so im Original; und das konnte ich nicht glauben oder ich beschuldigte den alten groſsen Künstler eines Fehlers. Die Sache war, das linke Bein, um welches sich an der Wade mit groſser Gewalt die Schlange windet, war im Ab¬ guſs und in der Marmorkopie gar nicht eingedrückt. Ich weiſs wohl, daſs die groſse Anstrengung der Mus¬ keln einen tiefen Eindruck verhindern muſs: aber eine solche Bestie, wie diese Schlange war und auf dem Kunstwerk ist, muſste mit ihrer ganzen Kraft der Schlingung den Eindruck doch ziemlich merklich ma¬ chen. Hier sah ich die Ursache der Irrung auf einen Blick. Das Bein war an der Stelle gebrochen, und so auch die Schlange; man hatte die Stücke zusammen gesetzt: aber eine kleine Vertiefung der Wade unter der Pressung war auch noch im Bruche sichtbar. Beym Abguſs und der Kopie scheint man darauf nicht geachtet zu haben und hat die Wade im Druck der Schlange so natürlich gemacht, als ob sie durch einen seidenen Strumpf gezogen würde. Ich überlasse das Deiner Untersuchung und Beurtheilung; mir kommt450 es vor, als ob die so verschönerte Wade deſswegen nicht schöner wäre.
Den Apollo von Belvedere will man jetzt, wie ich höre, zum Nero dem Sieger machen. Klassische Stellen hat man wohl für sich, daſs Nero in dieser Gestalt existiert haben könne; es kommt darauf an, daſs man beweise, er sey es wirklich. Es wäre Scha¬ de um das schöne hohe Ideal der Künstler, wenn sei¬ ne Schöpfung eine solche Veranlassung sollte gehabt haben. Der Musaget gefällt mir nicht, so wenig als einige seiner Mädchen: aber dafür sind andere dabey, die hohen Werth haben. Unter der Gesellschaft steht ein Sokrateskopf, nach welchem Raphael den seinigen in seiner Schule gemacht haben soll. Wie könnte ich Dir den Reichthum beschreiben, den die Franken hergebracht haben! Ich wollte nur, die Mediceerin wäre auch da, damit ich doch das Wunderbild sehen könnte. Vorzüglich beschäftigten mich einige Ge¬ schichtsstatüen und Geschichtsköpfe, meistens Römer; und vor allen den beyden Brutus, die man links am Fenster in ein ziemlich gutes Licht gesetzt hat, wel¬ ches im Ganzen nicht der Fall ist: denn die mei¬ sten Kunstwerke, selbst der Laokoon und der Belvede¬ rische Apoll, stehen schlecht. Ich bin oft in dem Saale auf und ab gewandelt und habe links und rechts die Schätze betrachtet; aber ich kam immer wieder zu den Köpfen und vorzüglich zu diesen Köpfen zu¬ rück. Ich gestehe Dir meine Schwachheit, daſs ich lieber Geschichtsköpfe sah als Ideale: und auch unter den Idealen finde ich mehr Portraite und Geschichte, als die Künstler vielleicht zugestehen wollen.
451Die Gemäldesammlung oben ist verhältniſsmäſsig noch reicher und kostbarer als der Antikensaal unten: ber die Ordnung und Aufstellung ist vielleicht noch ehlerhafter. Wenig Stücke, ausgenommen der groſse Vordersaal, haben ein gutes Licht. Die Madonna von Foligno war bey Madonna Bonaparte, und die Trans¬ figuration war verschlossen unter den Händen der Re¬ stauratoren: ich habe sie also nicht gesehen. Dafür war ich glücklich den Saal der Zeichnungen offen zu treffen. Wie sehr bedauerte ich, daſs Schnorr nicht mehr hier war: er wäre hier in seinem eigentlichen Element gewesen. Das Wichtigste darunter ist doch wohl auf alle Fälle die völlig ausgearbeitete Skizze Ra¬ phaels von seiner Schule, mich däucht, fast so groſs wie das Gemälde selbst. Er hat bekanntlich nachher im Vatikan in der Arbeit einige wenige Veränderun¬ gen gemacht. Ich genoſs und lieſs die Andern gelehrt vergleichen; nahm hier wieder den Sokrates und Diogenes und Archimedes. Im nehmlichen Saale sah ich auch die Vasen und einige Tische. Die bekannte Mengsische Vase mit der doppelten griechischen Auf¬ schrift zeichnet sich auch durch Schönheit vor den meisten übrigen aus. Daſs die eine Inschrift Δεπας heiſst, ist die höchste Wahrscheinlichkeit: aber die Entzifferung der andern beruht wohl nur auf Konjek¬ tur des Gegenstandes; denn man könnte aus den Zü¬ gen eben so gut Κοϱαϰας als Πεπαυσο machen. Die Vermuthung ist indessen sinnreich, wenn sie auch nicht richtig seyn sollte. Vielleicht giebt irgend eine Stelle eines alten Schriftstellers einigen Aufschluſs darüber.
452Ich hatte gewünscht David zu sehen, hörte aber in Paris so viel problematisches über seinen Charakter, daſs mir die Lust verging. Ich sah ihn nur ein ein¬ ziges Mal in seinem kleinen Garten am Louver, und sein Anblick lud mich nicht ein, Versuche zu machen ihm näher zu kommen. Das that mir leid; denn ich finde in dem Manne sonst vieles was mich hingezogen hätte. Aber reine Moralität ist das erste, was ich von dem Manne fodere, den ich zu sehen wünschen soll. Vielleicht thut man dem strengen etwas finstern Künst¬ ler auch etwas zu viel; desto besser für ihn und für uns alle. Sein Sohn hatte die Höflichkeit mich in das Attelier seines Vaters zu führen, wo Brutus der Alte steht, ein herrliches Trauerstück. Mann nennt es hier nur die Reue des Brutus, und ich begreife nicht, wie man zu dieser Idee gekommen ist. Die Leichen der jungen Menschen werden eben vorbey getragen, der weibliche Theil der Familie unterliegt dem Gewicht des Schmerzes, die Mutter wird ohnmächtig gehalten. Diese Gruppierung ist schön und pathetisch. Der alte Patriot sitzt entfernt in der Tiefe seines Kummers; er fühlt ganz die Verwaisung seines Hauses. Dieſs ist nach meiner Meinung die ganze Deutung des Stücks. Reue ist nicht auf seinem Gesichte und kann, so viel ich weiſs, nach der Geschichte nicht darauf seyn. Diese Arbeit hat mir besser gefallen als die Sabine¬ rinnen, welche in einem abgelegenen Saale für 36 Sols Entre gezeigt werden. Ich weiſs nicht ob David es nöthig hat, sich Geld zahlen zu lassen: aber die Methode macht weder ihm noch der Nation Ehre. Ich habe nichts gezahlt, weil mich sein Sohn führte. Es453 thut mir in seine und jedes guten Franzosen Seele leid, daſs die Kunst hier so sehr merkantilisch ist. Ueber das Stück selbst schweige ich, da ich im Gan¬ zen der Meinung der andern deutschen Beurthei¬ ler bin.
In Versailles war ich zweymal; einmal allein, um mich um zu sehen; das zweyte Mal in Gesellschaft mit Landsleuten, als die Wasser sprangen. In Paris sah man alles unentgeltlich und überall war zuvorkom¬ mende Gefälligkeit: in Versailles war durchaus eine Begehrlichkeit, die gegen die Pariser Humanität sehr unangenehm abstach. Ich zahlte einem Lohnlakey für zwey Stunden einen kleinen Thaler; darüber murrte er und verlangte mehr. Ich gab dem Mann in den ehemaligen Zimmern des Königs dreyſsig Sols; dafür war er nicht höflich. Alles war theuer und schlechter, und alle Gesichter waren mürrischer. Du wirst mir die Beschreibung der Herrlichkeiten erlassen. Unten das Naturalienkabinett ist sehr artig und enthält meh¬ rere Kuriositäten, muſs aber freylich viel verlieren, wenn man einige Tage vorher den botanischen Garten in Paris gesehen hat. Eine eigene Erscheinung ist in dem hintersten Zimmer eine Zusammenhäufung der Idole der verschiedenen Kulten des Erdbodens. Dar¬ unter stand auch noch das Kreuz, und mich wundert, daſs man es nach Abschlieſsung des Konkordats noch nicht wieder von hier weggenommen hat, da es doch sonst durchaus wieder in seine Würde gesetzt ist. Die Gemälde auf den Sälen oben sind alle aus der fran¬ zösischen Schule, und es sind viele Stücke darunter, die durch Kunst und noch mehr durch Geschichtsbe¬454 ziehung interessant sind. Der Garten und vorzüglich die Orangerie wird in guter Ordnung gehalten. Sie ist schön, und es ist wohl wahrscheinlich, was man sagt, daſs Bäume dabey sind, die schon unter Hein¬ rich dem Vierten hier gestanden haben. Die Parthien nach Trianon hinüber sind noch eben so schön, als sie vor zwanzig Jahren waren. Die Versailler, welche unstreitig von allen am meisten durch die Revolution verloren haben und bey denen das monarchische We¬ sen vielleicht noch am festesten sitzt, schmeicheln sich, daſs der Hof wieder hierher kommen werde, damit sie doch nicht gänzlich zu Grunde gehen. Das ist ge¬ radezu ihre Sprache und ihr Ausdruck; und sie haben wohl daran nicht Unrecht. Wenn sie vom Groſskon¬ sul sprechen, nennen sie sein Gefolge seinen Hof; und wenn man die Sache recht ohne Vorurtheil nimmt, ist er absoluter und despotischer als irgend ein König von Frankreich war, von Hugo Kapet bis zum letzten unglück¬ lichen Ludwig. Jetzt wird St. Cloud für ihn eingerichtet.
Gestern habe ich ihn auch endlich gesehen, den Korsen, der der groſsen Nation mit zehnfachem Wucher zurück giebt, was die groſse Nation seine kleine seit langer Zeit hatte empfinden lassen. Es war der vier¬ zehnte July und ein groſses Volksfest, wo der ganze Pomp der seligen Republik hinter ihm herzog. Früh hielt er groſse Parade auf dem Hofe der Tuilerien, wo alles Militär in Paris und einige Regimenter in der Nachbarschaft die Revüe passierten. Ich hatte daher Gelegenheit zugleich die schönsten Truppen von Frank¬ reich zu sehen. Die Konsulargarde ist unstreitig ein Korps von den schönsten Männern, die man an Ei¬455 nem Ort beysammen denken kann: nur kann ich mir in den französischen Soldaten, ich mag sie besehen wie ich will, immer noch nicht die Sieger von Euro¬ pa vorstellen. Wir sind mehr durch den Geist ihrer Sache und ihren hohen Enthusiasmus als durch ihre Kriegskunst geschlagen worden. Die taktische Methode des Tiraillierens, die aber nur der Ueberlegene an Anzahl brauchen kann, hat das ihrige auch gethan. Von Bonaparte sollte ich vielleicht lieber schweigen, da ich nicht sein Verehrer bin. Einen solchen Mann sieht man auf zwey hundert Meilen vielleicht besser als auf zehn Schritte. Es scheint aber in meinem Charakter zu liegen, Dir über ihn etwas zu sagen; und das will ich denn mit Offenheit thun. Ich bin keines Menschen Feind, sondern nur der Freund der Wahrheit, Freyheit und Gerechtigkeit. Neid und Her¬ absetzungssucht sind meiner Seele fremd, ich nehme immer nur die Sache. Ich bin dem Mann von seiner ersten Erscheinung an mit Aufmerksamkeit gefolgt, und habe seinen Muth, seinen Scharfblick, seine mili¬ tärische und politische Gröſse nie verkannt. Proble¬ matisch ist er in seinem Charakter immer gewesen, und ist es jetzt mehr als jemals, wenn man ihn nicht verdammen soll. Bis auf den Tag von Marengo, wo ihn Desaix Tod aus den republikanischen Gränzen heraus hob, hat er als Republikaner im Allgemeinen handeln müssen: seitdem hat er nichts mehr im Sinne eines Republikaners gethan.
Als er aus Aegypten kam, trat er die Krise seines Charakters an. Wir wollen sehen was er in Paris thut, dachte ich, und dann urtheilen. Ich tadle ihn456 nicht, daſs er das Direktorium stürzte: es war keine Regierung, die unter irgend einem Titel die Billigung der Vernünftigen und Rechtschaffenen hätte erhalten können. Ich tadle ihn nicht, daſs er so viel als mög¬ lich in der wichtigen Periode das Ruder des Staats für sich in die Hände zu bekommen suchte: es war in der Vehemenz der Faktionen vielleicht das einzige Mittel diese Faktionen zu stillen. Aber nun fängt der Punkt an, wo sein eigenster Charakter hervorzutreten scheint. Seitdem hat er nichts mehr für die Republik gethan, sondern alles für sich selbst; eben da er aufhören sollte irgend etwas mehr für sich selbst zu thun, son¬ dern alles für die Republik. Jeder Schritt, den er that, war mit herrlich berechneter Klugheit vor¬ wärts für ihn, und für die Republik rückwärts. Land gewinnen heiſst nicht die Republik befestigen. Die Erste Konstitution zeigte zuerst den Geist, den er athmen würde. Sie wurde mit dem Bajonett gemacht, wie fast alle Konstitutionen. Es that mir an diesem Tage wehe für Frankreich und für Bonaparte. Das Schicksal hatte ihm die Macht in die Hände gelegt der gröſste Mann der Weltgeschichte zu werden: er hatte aber dazu nicht Erhabenheit genug und setzte sich herab mit den übrigen Groſsen auf gleichen Fuſs. Er ist gröſser als die Dionyse und Kromwelle; aber er ist es doch in ihrer Art und erwirbt sich ihren Ruhm. Daſs er nicht sah, daſs die Konstitution die neue Republik zertrümmern würde und dem Despo¬ tismus die Wege wieder bahnen, das läſst sich von seinem tiefen Blick nicht denken; und über seine Ab¬ sichten mag ich nicht Richter seyn. Ich habe wider457 das Konsulat nichts, nichts wider das erste Konsulat. Aber seine Macht war sogleich zu exorbitant, und die Dauer war nicht mehr republikanisch. Ich gebe zu, daſs die Dauer der römischen Magistraturen von Ei¬ nem Jahre zu kurz war, zumal bey der Unbestimmt¬ heit und Schlaffheit ihrer Gesetze de ambitu; aber die Dauer der neuen französischen von zehn Jahren war zu lang. Der letzte Stoſs war, daſs der alte Konsul wieder gewählt werden konnte. Ein Mann, der zehn Jahre lang eine fast gränzenlose Gewalt in den Hän¬ den gehabt hat, müſste ein Blödsinniger oder schon ein öffentlicher verächtlicher Bösewicht seyn, wenn er nicht Mittel finden sollte, sich wieder wählen zu lassen, und sodann nicht Mittel die Wahl zum Vortheil seiner Kreaturen zu beherrschen. Kleine Bedienungen mö¬ gen und dürfen in einer Republik lebenslänglich seyn; wenn es aber die groſsen sind, geht der Weg zur Despotie. Das lehrt die Geschichte. Ich hätte nicht geglaubt, daſs es so schnell gehen würde; aber auch dieses zeigt den Charakter der Nation. Fast sollte man glauben, die Franzosen seyen zur Despotie ge¬ macht, so kommen sie ihr überall entgegen. Sie ha¬ ben während der ganzen Revolution viel republikani¬ sche Aufwallung, oft republikanischen Enthusiasmus, zuweilen republikanische Wuth gezeigt, aber selten republikanischen Sinn und Geist, und noch nie repub¬ likanische Vernunft. Nicht als ob nicht hier und da einige Männer gewesen wären, die das letzte hatten; aber der Sturm verschlang sie. Es sind durch diese Staatsveränderung freylich Ideen in Umlauf gekommen und furchtbar bis zur Wuth gepredigt worden, die458 man sich vorher nur sehr leise sagte, und die so leicht nicht wieder zu vertilgen seyn werden: aber die halbe oder falsche Aufklärung dieser Ideen und der Miſs¬ brauch derselben geben den etwas gewitzigten Gegnern die Waffen selbst wieder in die Hände. Die Repub¬ lik Frankreich trägt so wie die römische, und zwar weit näher als jene, ihre Auflösung in sich, wenn man keine haltbarere Konstitution bauet, als bis jetzt ge¬ schehen ist. Mir thut das leid; ich habe vorher ganz ruhig dem Getümmel zugesehen und immer geglaubt und gehofft, daſs aus dem wild gährenden Chaos end¬ lich noch etwas vernünftiges hervortauchen würde. Seitdem Bonaparte die Freyheit entschieden wieder zu Grabe zu tragen droht, ist mirs als ob ich Republika¬ ner geworden wäre. Ich bin nicht der Meinung, daſs eine groſse Republik nicht dauern könne. Wir haben an der römischen das Gegentheil gesehen, die doch, trotz ihrer gerühmten Weisheit, schlecht genug orga¬ nisiert war. Ich halte dafür, daſs in einer wohlgeord¬ neten Republik am meisten Menschenwürde, Men¬ schenwerth, allgemeine Gerechtigkeit und allgemeine Glückseligkeit möglich ist. Beweis und Vergleichung weiter zu führen würde wenig frommen und hier nicht der Ort seyn. Privilegien aller Art sind das Grab der Freyheit und Gerechtigkeit. Schon das Wort erklärt sich. Eine Ausnahme vom Gesetz ist eine Ungerech¬ tigkeit, oder das Gesetz ist schlecht. In Deutschland hat man klüglich die Geistlichen und Gelehrten in et¬ was Theil an manchen Privilegien nehmen lassen, da¬ mit der Begriff nicht so leicht unbefangen aus einan¬ der gesetzt werde, und die Beleuchtung Publicität ge¬459 winne. In Frankreich hat man zwar die Privilegien mit einem einzigen Machtstreich zertrümmert und glaubt nun genug gethan zu haben. Aber sie werden sich schon wieder einschleichen und festsetzen, und man arbeitete selbst dadurch für sie, daſs man auf der Gegenseite ohne Schonung stürmte, und zu weit ging. Die Republik der Fische ist durch die freye Fische¬ rey zerstört, sagte der geistliche Herr ganz skoptisch in dem Postwagen; und die freye Jagd giebt der Poli¬ zey genug zu thun: denn es macht allerhand Gesindel im Lande allerhand Jagd. Muſs man denn bey Ab¬ stellung der Ungebühr unbedingt durchaus die Jagd frey geben? Oder ist dieses nur ein Rechtsbegriff? Sie kann nicht frey seyn. In jedem wohlgeordneten Staate ist sie nur ein Recht der Eigenthümer; und nur der Eigenthümer kann die Befugniſs haben das Wild auf seinem Grundstücke zu tödten, und hat den Proceſs gegen den Nachbar, der es zum Schaden sei¬ ner Nachbarn nicht thut. Das Lehnssystem ist in Frankreich abgeschafft. Es wird sich aber von selbst wieder machen; denn man hat keine Vorkehrungen dagegen getroffen. Nach meiner Ueberzeugung ist die Grundlage der Freyheit und Gerechtigkeit in einem Staate, daſs der Staat durchaus nur reine Besitzungen giebt und sichert und dafür reine Pflichten fordert. Durch diesen Grundsatz allein werden die Rechtsver¬ hältnisse vereinfacht, und Beeinträchtigungen aller Art aufgehoben. Es entsteht daraus nothwendig ein Ge¬ setz, das eine Einschränkung des Eigenthumsrechts zu seyn scheint: dieses ist aber nicht weiter, als in so fern gar niemand ein Eigenthumsrecht zum Nachtheil460 des Staats haben kann und darf. Niemand darf nehm¬ lich die Erlaubuiſs haben seine Grundstücke mit La¬ sten zu verkaufen oder auf immer zu vergeben, son¬ dern muſs sie durchaus rein veräuſsern. Nur durch dieses Gesetz wird der Rückkehr des Feudalsystems der Weg versperrt, werden alle Frohnverhältnisse, alle Leistungen an Subordinierte, Emphyteusen, alle Erbpachtungen aufgehoben. Denn alles dieses ist der Weg zum Lehnssystem, und dieses der Weg zu Ungerechtigkeiten aller Art und zur Skla¬ verey. Wo es noch erlaubt ist mit Lastklauseln Grund¬ stücke umzutauschen, kann in die länge keine wahre Freyheit und Gerechtigkeit bestehen. Dagegen sind wohl schwerlich gültige Einwendungen zu machen. Wenn jemand zu viele Grundstücke hat, daſs er sie nicht durch sich und seine Familie verwalten oder durch Pächter besorgen und bestellen lassen kann; so hat er für den Staat in jeder Rücksicht zu viel; er ist ihm zu reich. Er mag dann verkaufen, aber rein verkaufen und ohne Bedingung, so theuer als er will. Intermediäre Lasten können nicht bleiben; der Bürger kann niemand Pflichten schuldig seyn als dem Staate: und Bürger ist jeder, der nur einen Fuſs Landes be¬ sitzt. In detrimentum reipublicae finden keine Besi¬ tzungen Statt. Es versteht sich von selbst, daſs dann alle Steuerkataster nach der Regel Detri gemacht wer¬ den; und die erste Realimmunität ist der erste Schritt zur Despotie. So lange unsere Staaten nicht nach die¬ sen Grundsätzen gemacht werden, dürfen wir nicht allgemeine Gerechtigkeit, nicht allgemeines Interesse, nicht Festigkeit und Dauer erwarten. In Frankreich461 ist kein Gesetz, das den belasteten Verkauf der Grund¬ stücke untersagte; die Folge ist voraus zu sehen.
Die Errichtung der Ehrenlegion mit Anweisung auf Nationalgüter ist der erste beträchtliche Schritt zur Wiedereinführung des Lehnsystems; das wird allge¬ mein gefühlt: aber niemand hat die Macht dem All¬ mächtigen zu widerstehen, der den Bayonetten befiehlt. Die Bayonette sind, wie gewöhnlich, sehr fein mit ins Spiel gezogen, und die meisten Führer derselben nehmen sich nicht die Mühe, bis auf übermorgen vorwärts zu denken. Wo die Regierung militärisch wird, ist es um Freiheit und Gerechtigkeit gethan. Rom fiel, so bald sie es ward. Die Geistlichkeit spricht wieder hoch und laut. Freylich wird sie nicht so schnell wieder zu der enormen Höhe steigen, wo sie vorher stand, so wenig wie der Adel. Aber das alte System wurde auch nicht in Einem Tage gebaut. Ich erinnere mich, daſs vor einiger Zeit ein Emigrant in Deutschland, der übrigens nicht Schuld daran war daſs die Esel keine Hörner haben, sich höchlich freute, daſs nun wenigstens ein Edelmann allein an der Spitze stehe: das übrige werde sich schon machen. Der Mann muſs in seiner Unbefangenheit eine prophetische Seele gehabt haben. Es hat wirklich alles Ansehen sich zu machen. Man sagt, Kaprara habe schon auf Wieder¬ herstellung der Klöster angetragen, sey aber von Bona¬ parte zurück gewiesen worden. Bonaparte müſste nicht der kluge Mann seyn, der er ist, wenn er ohne Noth solche Sprünge machen wollte, oder mehr gäbe, als er zu seinem Behufe muſs. Es ist das Glück des Adels und der Geistlichkeit, daſs sie mit Modificationen, in462 seine Zwecke gehören. Wenns Noth thut, wird sich schon alles geben. Daſs die Katholicität in Frankreich noch vielen Anhang, theils aus Ueberzeugung, theils aus Gemächlichkeit, theils aus Politik hat, beweist das Konkordat sehr deutlich. Man hat wirklich den Katho¬ licismus zur Staatsreligion, das heiſst zur herrschenden gemacht, und ich stehe nicht dafür, wenn es so fort geht, daſs man in hundert Jahren das Bekehrungsge¬ schäft nicht wieder mit Dragonern treibt. Ich wurde durch die Rolle, die Bonaparte dabey spielte, gar nicht überrascht; es war seine Konsequenz: er war bey der Osterceremonie der nehmliche, welcher er in Aegypten war, wo er sein Manifest anfing: Im Namen des ein¬ zigen Gottes, der keinen Sohn hat! Er dachte, mundus vult — ergo —; aber das Sprichwort ist wahr; und es wäre zu wünschen gewesen, daſs er nicht so gedacht hätte. Il est un peu singe, mais il est comme il faut; sagte der geistliche Herr im Postwagen. Er ist dadurch von seiner Gröſse herab gestiegen. Man sagt, er habe sogar die Fahnen weihen wollen, sey aber durch das Gemurmel der alten Grenadiere davon abgehalten worden, die doch anfingen die Dose etwas zu stark zu finden. Ein Mann, der in Berlin und Pe¬ tersburg entschieden republikanische Maſsregeln nimmt, gilt dort mit Grund für widerrechtlich und die Regie¬ rung verfährt gegen ihn nach den Gesetzen; das Ge¬ gentheil muſs aus dem nehmlichen Grunde seit zehn Jahren in Frankreich gelten: man müſste denn in der Berechnung etwas höher gehen; welches aber sodann jedem Revolutionär in utramque partem zu Statten kommen würde.
463Jetzt lebt er einsam und miſstrauisch, mehr als je ein Morgenländer. Friedrich versäumte selten eine Wachparade; der Konsul hält alle Monate nur eine ein¬ zige. Er erscheint selten und immer nur mit einer starken Wache, und soll im Schauspiel in seiner Loge Reverbers nach allen Seiten haben, die ihm alles zei¬ gen ohne daſs ihn jemand sieht. Bey andern Maſs¬ regeln könnte er als Fremdling wie eine wohlthätige Gottheit unter der Nation herum wandeln, und sein Name würde in der Weltgeschichte die Gröſse aller an¬ dern niederstrahlen. Nun wird er unter den Augusten oder wenigstens unter den Dionysen glänzen; dafür thut er auf den kleinlichen Ruhm eines Aristides Ver¬ zicht. Ich könnte weinen; es ist mir, als ob mir ein böser Geist meinen Himmel verdorben hätte. Ich wollte so gern einmal einen wahrhaft groſsen Mann rein ver¬ ehren; das kann ich nun hier nicht.
Man sagt sich hier und da still und leise mehrere Bonmots, die seinen Stempel tragen. Von dem Tage an des ägyptischen Manifestes hat sich meine Seele über seinen Charakter auf Schildwache gesetzt. Das Konkor¬ dat und die Osterfeyer sind das Nebenstück. Als ihn ein zelotischer Republikaner in die ehemaligen Zim¬ mer des Königs führte, die er nun selbst bewohnen wollte, und ihm dabey bedeutend sagte: Citoyen, vous entrés ici dans la chambre d'un tyran: antwortete er mit schnellem Scharfsinn: S'il avoit été tyran, il le serait encore: Eine furchtbare Wahrheit aus seinem Munde. Als ihm vorgestellt wurde, das Volk murre bey einigen seiner Schritte, er möchte bedenken; er¬ wiederte er: Le peuple n'est rien pour qui le sait me¬30464 ner. Dem Sieyes, den die Parthey des Konsuls bey jeder Gelegenheit als einen flachen sehr subalternen Kopf darstellt, soll er auf eine Erinnerung sehr skop¬ tisch gesagt haben: Si j'avois été roi en 1790, je le serois encore; et si j'avois dit alors la messe, j'en fe¬ rois encore de même. Ich sage Dir, was man hier und da bedächtlich an öffentlichen Orten spricht; denn laut zu reden wagt es niemand, weil seine lettres de cachet eben so sicher nach Bicetre führen als unter den Kö¬ nigen in die Bastille. Als das bekannte Buch über das lebenslängliche Konsulat erschien und er es nicht mehr unterdrücken konnte und doch den Verfasser, der ein angesehener und von der Nation allgemein geachteter Mann war, willkührlich gewaltsam in der Krise anzu¬ tasten nicht wagte, begnügte er sich zu sagen: Es sey alles sehr gut, aber jetzt nur noch etwas zu früh. Je¬ dermann der etwas weiter blickte, behauptete, es sey leider etwas zu spät. Das Gesetzgebende Korps nennt man hier die Versammlung, durch welche er Gesetze giebt. Als sein Kommissär, ich glaube Reding, mit dem feinen Vorschlag des lebenslänglichen Konsulats nicht sogleich überall erwünschten Eingang fand; son¬ dern vielmehr Schwierigkeiten aller Art antraf, soll er bey dem schlimmen Rapport ungeduldig mit allen Fingern geknackt und gesagt haben: Ah je saurai les attraper. Das hat er gehalten. Er schmiedete schnell, weil es warm war: nach vierzehntägigen Abkühlungen und Ueberlegungen möchte die Sache anders gegangen seyn. Ueber die Stimmung werden sonderbare Anek¬ doten erzählt; aber sie ist geschehen.
Man nennt ihn hier mit verschiedenen Namen,465 le premier consul, le grand consul, le consul vorzugs¬ weise. Die beyden andern, die auch nur das Drittheil der Wache haben, sind neben ihm Figuranten und ih¬ rer wird weiter nicht gedacht, als in der Form der öffentlichen Verhandlungen. Scherzweise nennt man ihn auch Sa Majesté, und ich stehe nicht dafür, daſs es nicht Ernst wird. Auch heiſst er ziemlich öffentlich empereur des Gaules, vielleicht die schicklichste Benen¬ nung für seinen Charakter, welche die Franzosen auch zugleich an die mögliche Folge erinnert. Auf Cäsar folgte August, und so weiter.
Die Feyer des Tags des Bastillenthurms beschloſs ein Konzert in den Tuilerien, wo in dem Gartenplatze vor dem Orchester am Schlosse eine unzählige Menge Menschen zusammen gedrängt stand. Die ganze Na¬ tionalmusik führte es aus, und that es mit Kunst und Fertigkeit und Würde. Die Musik selbst gefiel mir nicht, ein Marsch ausgenommen, der durch seinen feierlichen Gesang eine hohe Wirkung hervorbrachte. Ich habe den Meister nicht erfahren. Das erste Orche¬ ster und vielleicht die erste Versammlung der Erde hätte bessere Musik haben sollen. Auf dem Balkon waren alle hohe Magistraturen der Republik, wie sie noch heiſst, in ihrem Staatsaufzuge, und von den fremden Diplomatikern diejenigen, denen der Rang eine solche Ehre gab. Der erste Konsul lieſs sich ei¬ nigemal sehen, ehe man Notiz von ihm nahm. End¬ lich fingen einige der Vordern an zu klatschen; es folgte aber nur ein kleiner Theil der Menge. Der Platz hielt vielleicht über hundert Tausend, und kaum der hundertste Theil gab die Ehrenbezeugung. Der466 Enthusiasmus war also nicht so allgemein, als man für ihn in seiner neuen Würde hätte erwarten sollen. Auch die Illumination war nicht die Hälfte von dem, was sie voriges Jahr gewesen seyn soll: und man sprach hier und da davon, daſs die republikanischen Feste nach und nach eingehen sollten. Das ist begreif¬ lich. Indessen werden sie doch etwas länger dauern als die Republik selbst.
Von den Merkwürdigkeiten in Paris darf ich nicht wieder anfangen, wenn ich kein Buch schreiben will; und dazu habe ich weder Lust noch Zeit noch Kennt¬ niſs. Die bunte Scene wandelt sich alle Tage und ist alle Tage interessant. Bloſs der Garten der Tuilerien mit den elysäischen Feldern, welcher die Hauptpro¬ menade der Pariser in dieser Gegend ausmacht, ge¬ währt täglich eine unendliche Verschiedenheit. Die Preſsfreyheit ist hier verhältniſsmäſsig eingeschränkter als in Wien, und ich bin fest überzeugt, wenn der Tartuffe jetzt erschiene, man würde ihn eben sowohl verdammen als damals und Moliere könnte wieder sa¬ gen: Monsieur président ne veut pas, qu'on le joue. Die Dekaden sind durch das Konkordat und der Ein¬ führung der römischen Religion nothwendig geradezu wieder abgeschafft; sie heben einander auf. Auch rech¬ net man in Paris fast überall wieder nach dem alten Kalender und zählt nach Wochen. Die öffentlichen Verhandlungen werden bald folgen. Die Fasten werden in den Provinzen in Frankreich hier und da strenger gehalten als in Italien. In Italien konnte ich fast über¬ all essen nach Belieben; in Dijon muſste ich einige¬ mal, sogar an der Wirthstafel, zur Fasten mit der467 Gesellschaft Froschragout essen: es war kein anderes Fleisch da. Mir war es einerley, ich esse gern Frösche; aber diese Mahlzeit ist doch sonst nicht jedermanns Sache. So ging mirs noch mehrere Mal auf der Reise. In Paris nimmt man freylich noch keine Notiz davon; aber man that es auch ehemals nicht. Die alten Na¬ men der Oerter und Gassen treten nach und nach alle wieder ein, und eine republikanische Charte von der Stadt ist fast gar nicht mehr zu brauchen. Viele stellen sich, als ob sie die neuen Namen gar nicht wüſsten; so sah mich ein sehr wohlgekleideter Mann glupisch an, als ich in die rue de la loi wollte, wieſs mich aber sehr höflich weiter, als ich sie rue de Richelieu nannte. Das Pantheon heiſst wieder die heilige Genoveve, und wird höchst wahrscheinlich nur unter dieser Rubrik vollendet werden. Ob sich alles so sanft wieder ma¬ chen wird, weiſs der Himmel. Man scheint jetzt von allen Seiten mit gehörigen Modifikationen darauf hin¬ zuarbeiten. Die wieder eingewanderten und wieder eingesetzten Geistlichen treten schon überall von neuem mit ihren Anmaſslichkeiten hervor und finden Eng¬ brüstigkeit genug für ihre Lehre. Sie versagen, wie man erzählt, hier und da die Absolution, wenn man die Güter der Emigranten nicht wieder heraus geben will. Das kann in einzelnen Fällen sogar republikani¬ sche Gerechtigkeit seyn: aber der Miſsbrauch kann weit führen. Man erzählt viele Beyspiele, daſs die franzö¬ sischen Roskolniks durchaus keine gemischten Ehen ge¬ statten. Laſst nur erst die Geistlichkeit in die Justiz greifen, so seyd ihr verloren. Vor einigen Tagen las ich eine ziemlich sonderbare Abhandlung in einem468 öffentlichen Blatte, wo der Verfasser eine Parallele zwi¬ schen dem französischen und englischen Nationalcha¬ rakter zog. Man blieb ungewiſs, ob das Ganze Ernst oder Ironie war. Er lieſs den Britten wirklich den Vorzug des tiefern Denkens, und behauptete für seine Nation durchaus nur die schöne Humanität und den Geschmack. Wenn sich das letzte nur ohne das erste halten könnte. Die Ausführung war wirklich drollig. Er sagt nicht undeutlich, die ganze Revolution sey eine Sache des Geschmacks und der Mode gewesen; und wenn man die Geschichte durchgeht, ist man fast geneigt ihm Recht zu geben. Aber diese Mode hat Ströme Blut gekostet; und wenn man so fortfährt wird fast so wenig dadurch gewonnen werden, als durch jede andere Mode der Herren von der Seine.
Die Polizey ist im Allgemeinen auſserordentlich liberal, wenn man sich nur nicht beygehen läſst, sich mit Politik zu bemengen. Das ist man in Wien auch. Der Diktator scheint das alte Schibolet zu brauchen, panem et circenses. Wenn ich in irgend einer groſsen Stadt zu leben mich entschlieſsen könnte, so würde ich Paris wählen. Die Franzosen haben mehr als eine andere Nation dafür gesorgt, daſs man in der Haupt¬ stadt noch etwas schöne Natur findet. Die Tuilerien, die elysäischen Felder, die Boulewards, Luxenburg, der botanische Garten, der Invalidenplatz, Fraskati und mehrere andere öffentliche Orte gewähren eine schöne Ausflucht, die man durchaus in keiner andern groſsen Stadt so trifft. Eine meiner sentimentalen Morgen¬ promenaden war die Wachparade der Invaliden zu se¬ hen; in meinem Leben ist mir nichts rührender ge¬469 wesen, als diese ehrwürdige Versammlung. Kein ein¬ ziger Mann, der nicht für sein Vaterland eine ehren¬ volle Wunde trug, die ihm die Dankbarkeit seiner Mitbürger erwarb. Zur Ehre unserer Chirurgie und Mechanik wandelten Leute ohne beyde Füſse so fest und trotzig auf Holz, als ob sie morgen noch eine Batterie nehmen wollten. Die guten Getäuschten glau¬ ben vielleicht noch für Freyheit und Gerechtigkeit ge¬ fochten zu haben und verstümmelt zu seyn.
Morgen will ich zu Fuſse fort, und bin eben bloſs aus Vorsicht mit meinem Passe auf der Polizey gewe¬ sen: denn man weiſs doch nicht, welche Schwierig¬ keiten man in der Provinz haben kann. Meine Lands¬ leute und Bekannten hatte mir gleich beym Eintritt in die Stadt gesagt, ich müſste mich mit meinem Passe auf der Polizey melden, und redeten viel von Strenge. Ich fand keinen Beruf hin zu gehen. Es ist die Sache der Polizey, sich um mich zu bekümmern, wenn sie will; ich weiſs nichts von ihrem Wesen. Man hat von Basel aus bis hierher nicht nach mei¬ nem Passe gefragt; auch nicht hier an der Barriere. Der Wirth schrieb meinen Namen auf und sagte übri¬ gens kein Wort, daſs ich etwas zu thun hätte. Wenn mich die Polizey braucht, sagte ich, wird sie mich schon holen lassen; man hätte mir das Nöthige an der Barriere im Wagen oder im Wirthshause sagen sollen. Es fragte auch niemand. Indessen, da ich fort will, ging ich doch hin. Der Offizier, der die fremden Pässe zu besorgen hatte, hörte mich höflich an, besahe mich und den Paſs und sagte sehr freundlich, ohne ihn zu unterschreiben: Es ist weiter nichts nöthig; Sie470 reisen so ab, wenn Sie wollen. — Der Paſs war noch der Preuſsische von Rom aus. — Wenn Sie ihn allen¬ falls vom Grafen Luchesini wollen vidieren lassen, das können Sie thun; aber nöthig ists nicht. Ich dankte ihm und ging. In dergleichen Fällen thue ich nicht gern mehr als ich muſs; ich ging also nicht zu dem Gesandten.
Den Himmel sey Dank, nun bin ich wieder diesseit des Rheins im Vaterlande. Ich werde Dir über mei¬ nen Gang von Paris hierher nur wenig zu sagen ha¬ ben, da er so oft gemacht wird und bekannter ist als eine Poststraſse in Deutschland.
Den ein und zwanzigsten ging ich aus Paris und schlief in Meaux. Der Weg ist angenehm und volk¬ reich, wenn gleich nicht malerisch; und die Bewir¬ thung ist überall ziemlich gut, freundlich und billig. Wenn ich zwischen Rom und Paris eine Vergleichung ziehen soll, so fällt sie in Rücksicht der Literatur und des Lebensgenusses allerdings für Paris, aber in Rück¬ sicht der Kunst immer noch für Rom aus. Du darfst nur das neueste sehr treue Gemälde von Rom lesen, um zu sehen wie viel für Humanität und Umgang dort zu haben ist; für Wissenschaft ist fast nicht mehr. Alte Geschichte und alles was sich darauf bezieht ist das einzige, was man dort an Ort und Stelle gründ¬ lich und geschmackvoll studieren kann. In Paris sind die öffentlichen vortrefflichen Büchersammlungen für jedermann, und es gehört sogar zum guten Ton, we¬ nigstens zuweilen eine Promenade durch die Säle zu machen, die Fächer zu besehen, die Raritätenkasten zu begucken und einige Kupferstiche zu beschauen. Wer sie benutzen will findet in allen Zweigen Reich¬ thümer; und alles wird mit Gefälligkeit gereicht. In Rom wurde die vatikanische Bibliothek, so lange ich dort war, nicht geöffnet. Die Schätze schlafen in Ita¬472 lien, und es ist vielleicht kein Unglück, daſs sie etwas geweckt und zu wandern gezwungen worden sind.
Mit der Kunst ist es anders. Wäre ich Künstler und hätte die Wahl zwischen Rom und Paris, ich würde mich keine Minute besinnen und für das erste entscheiden. Die Franzosen hatten allerdings vorher eine hübsche Sammlung, und haben nun die Haupt¬ werke der Kunst herüber geschafft: aber dadurch ha¬ ben sie Rom den Vortheil noch nicht abgewonnen. In Gemälden mag vielleicht kein Ort der Welt seyn, der reicher wäre als Paris; aber die ersten Meisterwerke der gröſsten Künstler, die lauter Freskostücke sind, konnten doch nicht weggeschafft werden. Die Logen, die Stanzen, die Kapelle, die Farnesine, Grottaferrata und andere Orte, wo Michel Angelo, Raphael, die Caracci, Domenichino und andere den ganzen Reich¬ thum ihres Geistes niedergelegt haben, muſsten unan¬ getastet bleiben, wenn man nicht vandalisch zerstören wollte. Die Schule von Athen allein gilt mehr als eine ganze Gallerie. Die venezianischen Pferde, welche vor dem Hofe der Tuilerien aufgestellt sind, mögen sehr schöne Arbeit seyn; aber mir gefallen die meisten Statüen in Italien besser. Die Rasse der Pferde ist nicht sehr edel. Ich zweifle, ob sie unter den Pferde¬ kennern so viel Lärm machen werden, als sie unter den Künstlern oder vielmehr unter den Antiqua¬ ren gemacht haben. Das Pferd des Mark Aurel auf dem Kapitol ist mir weit mehr werth, und die beyden Marmorpferde aus Herkulanum in Portici würde ich auch vorziehen. Der einzige Vorzug, den sie haben, ist, daſs sie vielleicht die einzigen Tethrip¬473 pen sind, die wir noch übrig haben: und auch dazu fehlt ihnen noch viel. Schlecht sind sie nicht und man sieht sie immer mit Vergnügen; aber für die schöne Arbeit sollten es schönere Pferde seyn. Man hat ihnen die gallischen Hähne zu Wächtern gegeben. Gegen das Kapitol haben diese nicht nöthig zu krähen, wie die Gänse gegen die Gallier schrien; wenn sie nur sonst die wichtigste Weckstunde nicht vorbey lassen.
Die Franzosen haben übrigens nur öffentliche Sammlungen, die vatikanische und kapitolinische, in Kontribution gesetzt. Es ist kein Privateigenthum an¬ gegriffen worden. Die Privatsammlungen machen aber in Rom vielleicht den gröſsten Theil aus. In der Villa Borghese steht alles wie es war; und der Fechter und der Silen mit dem Bacchus sind Werke, die an klassischem Werth in Paris ihres gleichen suchen. Die schönsten Basreliefs sind noch in Rom in dem Garten Borghese und auf dem Kapitol und sonst hier und da. Sarkophagen, freylich sehr untergeordnete Kunstwerke, und Badegefäſse sind in Rom noch in groſser Menge von ausgesuchter Schönheit: in Paris sind von den letztern nur zwey ärmliche Stücke, die man in Rom kaum aufstellen würde. Uebrigens ist die Gegend um Rom selbst mehr eine Wiege der Kunst. Die Natur hat ihren Zauber hingegossen, den man nicht wegtra¬ gen kann. Man hat zwar die Namen Fraskati und Tivoli nach Paris gebracht und alles schön genug ein¬ gerichtet: aber Fraskati und Tivoli selbst werden für den Maler dort bleiben, wenn man auch alles um¬ her zerstört. Der Fall, die Grotte, die Kaskadellen und die magischen Berge können nicht verrückt wer¬474 den, und stehen noch jetzt, wie vor zwey tausend Jahren, mit dem ganzen Zauber des Alterthums. Das Haus des Mecän verfällt, wie die Häuser des Flakkus und Katullus; man zieht keine Musen mehr aus ihrem Schutt hervor: aber die Gegend hat noch tausend Reitzungen ohne sie. Man hat in Paris keinen Alba¬ ner See, kein Subiaco, kein Terni in der Nähe. Der Gelehrte gehe nach Paris; der Künstler wird zur Voll¬ endung immer noch nach Rom gehen, wenn er gleich für sein Fach auch hier an der Seine jetzt zehnmal mehr findet als vorher. Sobald die Franzosen Raphaele und Bonarotti haben werden, sind sie die Koryphäen der Kunst, und man wird zu ihnen wallfahrten, wie ins Vatikan.
Füger und David scheinen mir indessen jetzt die einzigen groſsen Figurenmaler zu seyn. Die Italiäner haben, so viel ich weiſs, keinen Mann, den sie diesen beyden an die Seite stellen können. Dafür haben die andern keinen Canova. Ein groſser Verlust für die Kunst ist Drouais Tod, und es giebt nicht gemeine Kritiker, die seinen Marius allen Arbeiten seines Lehrers vorziehen.
Den zweyten Tag trennte sich der Weg, und ohne weitern Unterricht schlug ich die Straſse rechts ein, war aber dieſsmal nicht dem besten Genius ge¬ folgt. Sie war sehr öde und unfruchtbar, die Dörfer waren dünn und mager, und es ward nicht eher wie¬ der konfortabel, bis die Straſsen bey Chalons wieder zusammen fielen. Ich verlor dadurch einen groſsen Strich von Champagne, und die schönen Rephühner¬ augen in Epernay, auf die ich mich schon beym Estest in Montefiaskone gefreut hatte. Das liebe Gut, das475 man mir dort in den Wirthshäusern unter dem Na¬ men Champagner gab, kann ich nicht empfehlen. Ei¬ nige Stunden von Chalons schlief ich die Nacht an ei¬ nem Ort der Pogny heiſst, und der seinem Namen nach vielleicht der Ort seyn kann, wo Attila sehr tra¬ gisch das Nonplusultra seiner Züge machte. Dann übernachtete ich in Longchamp, dann in Ligne en Barrois. In Nancy, wo ich Vormittags ankam, besah ich Nachmittags das Schloſs und die Gärten, welche jetzt einen angenehmen öffentlichen Spaziergang ge¬ währen und ziemlich gut unterhalten werden. Hier hatte ich den 26sten July schon reife ziemlich gute Weintrauben. Der Professor Wilmet, den ich mit ei¬ nem Briefe von Paris besuchte, macht seinem hollän¬ dischen Namen durch wahre Philanthropie Ehre, ob er gleich weder deutsch noch holländisch spricht. Er ist Millins Pflegevater und spricht mit vieler Zärtlich¬ keit von ihm, so wie dieser oft mit kindlicher Dank¬ barkeit in Paris den Professor nannte. Wilmet war mit der deutschen Literatur und besonders mit dem Zustande der Chemie und Naturgeschichte in Deutsch¬ land sehr gut bekannt und schätzte die Genauigkeit und Gründlichkeit der deutschen Untersuchungen.
Von da ging ich über Toul immer nach Straſs¬ burg herauf. Von Nancy aus pflegt man die Notiz auf den Wirthshausschildern in französischer und deutscher Sprache zu setzen, wo denn das Deutsche zuweilen toll genug aussieht. Bey Zabern ist die Gegend unge¬ wöhnlich schön und es muſs in den Bergen hinauf romantische Parthien geben. Da ich den letzten Abend noch gern nach Straſsburg wollte, nahm ich die letzte476 Station Extrapost und lieſs mich in die Stadt Lion bringen. Das Wetter ward mir zu heiſs und ich wollte den andern Morgen mit der Diligence nach Mainz fahren: aber des alten wackern Oberlins Höflichkeit und einige neue angenehme Bekanntschaften hielten mich noch einige Tage länger bis zur nächsten Ab¬ fahrt. Oberlin traf ich auf der Bibliothek und er hatte die Güte mir ihre Schätze selbst zu zeigen. Un¬ ter den bronzenen Stücken ist mir ein kleiner weib¬ licher Satyr aufgefallen, der nicht übel gearbeitet war. Die Seltenheit solcher Exemplare erhöht vielleicht den Werth. Der alte verstorbene Hermann hatte auf der Bibliothek die Stücke der verstümmelten Statüen vom Münster und sarkastischen Inschriften auf die vandali¬ schen Zerstörer aufbewahrt, wo Rühl und einige an¬ dere sich nicht über ihre Enkomien freuen würden. Das schöne Wetter lockte mich mit einer Gesellschaft über den Rhein herüber, und ich betrat nach meiner Pilgerschaft bey Kehl zuerst wieder den vaterländischen Boden, und sah die Verschüttungen des Forts und die neuen Einrichtungen der Regierung von Baden. Es ist schon sehr viel wieder aufgebaut. Daſs ich mich etwas auf dem Münster umsah, brauche ich Dir wohl nicht zu sagen. Man hat eine herrliche Aussicht auf die ganze groſse schöne reiche Gegend und den ma¬ jestätischen Fluſs hinauf und hinab. Es wäre vielleicht schwer zu bestimmen, ob der Dom in Mailand oder diese Kathedrale den Vorzug verdient. Diese beyden Gebäude sind wohl auf alle Fälle die gröſsten Monu¬ mente gothischer Baukunst. Als ich in der Thomas¬ kirche das schlechtgedachte und schön gearbeitete Mo¬477 nument des Marschalls Moriz von Sachsen betrachtete, kamen einige französische Soldaten zu mir, die sich wunderten, wie hierher ein Kurfürst von Sachsen käme, und ich muſste ihnen von der Geschichte des Helden so viel erzählen als ich wuſste, um sie mit sich selbst in Einigkeit zu setzen. Auf der Polizey wunderte man sich, daſs mein Paſs nirgends unter¬ schrieben war und ich wunderte mich mit und er¬ zählte meine ganze Promenade von Basel bis Paris und von Paris bis Straſsburg; da gab man mir auch hier das Papier ohne Unterschrift zurück.
Nun fuhren wir über Weiſsenburg, Landau, Worms und so weiter nach Mainz. Nach meiner alten Ge¬ wohnheit lief ich bey dem Wechsel der Pferde in Landau voraus und hatte wohl eine Stunde Weges ge¬ macht. Die Deutschen der dortigen Gegend und tie¬ fer jenseit des Rheins herauf haben einen gar sonder¬ baren Dialekt, der dem Judenidiom in Polen nicht ganz unähnlich ist. Ich glaube doch ziemlich rein und richtig deutsch zu sprechen; desto schnurriger muſste es mir vorkommen, daſs ich dort wegen eben dieser Aussprache für einen Juden gehalten wurde. Ich saſs unter einem Nuſsbaum und aſs Obst, als sich ein Mann zu mir setzte, der rechts herein wanderte. Ich fragte, ob ich nicht irren könnte und ob die Diligen¬ ce hier nothwendig vorbey muſste; er bejahte dieses. Ein Wort gab das andere, und er fragte mich in sei¬ ner lieblichen Mundart: Der Härr sayn ain Jüd, unn rähsen nachcher Mähnz? — Ich reise nach Mainz; aber ich bin kein Jude. Warum glaubt Er daſs ich ein Jude sey? — Wähl der Härr okkeroht sprücht wü¬478 ain Jüd. Man hat mir zu Hause wohl manches Kom¬ pliment über meine Sprache gemacht; aber ein solches war nicht darunter.
Von der Gegend von Weiſsenburg kann ich mili¬ tärisch nichts sagen, da es noch ziemlich finster war, als wir dort durchgingen. Landau ist weiter nichts als Festung, und alles was in der Stadt steht, scheint bloſs auf diesen einzigen Zweck Beziehung zu haben. Wir kamen in Mainz gegen Morgen an und man schickte mich in den Mainzer Hof, welcher, wie ich höre, für den besten Gasthof gilt. In Mainz sieht man noch mehr Spuren von Revolutionsverwüstungen als an irgend einem andern Orte. Der Krieg hat verhält¬ niſsmäſsig weniger geschadet. Ich hielt mich nur ei¬ nen Tag auf um einige Männer zu sehen, an die ich von Oberlin Addresse hatte. Auch unser Bergrath Werner von Freyberg war hier und geht, wie ich hö¬ re, nach Paris. Sein Name ist in ganz Frankreich in hohem Ansehen.
Den andern Tag rollte ich mit der kaiserlichen Diligence durch einen der schönsten Striche Deutsch¬ lands hierher.
Auf meinem Wege von Paris hierher fragte man mich oft mit ziemlicher Neugierde nach Zeitungen aus der Hauptstadt, und nahm die Nachrichten immer mit verschiedener Stimmung auf. Sehr oft hörte ich vorzüglich die Bemerkung über den Konsul wieder¬ holen: Mais pourtant il n'est pas aimé; besonders von Militären. Das ist begreiflich. Es giebt Regimenter und ganze Korps, die ihn nie gesehen haben und die doch auch für die Republik brave Männer gewesen479 sind. Diese wünschen sich ihn vielleicht sehr gern zum General, aber nicht zum Souverain, wie es das Ansehen gewinnt. Il fait diablement des choses, ce petit caporal d' Italie; cela va loin! sagte man; und ein Wortspieler, der ein katonischer Republikaner war, bezeichnete ihn mürrisch mit folgendem Ausdruck: Bonaparte qui gloriam bene partam male perdit. In der Gegend von Straſsburg habe ich hier und da ge¬ hört, daſs man bey seinem Namen knirscht und be¬ hauptete, er führe allen alten Unfug geradezu wieder ein, den man auf immer vertrieben zu haben glaubte. Was ein einziger Mann wieder einfahren kann, ist wohl eigentlich nicht abgeschafft. Man wollte in der ersten Konstitution dein König keine ausländische Frau erlauben, und jetzt haben wir sogar einen fremden Abentheurer zum König, der willkührlicher mit uns verfährt als je ein Bourbonide: wer ihm miſsfällt ist Verbrecher und ihm miſsfällt jeder, der selbständige Freiheit und Vernunft athmet. Er weiſs sich vortreff¬ lich die ehemalige Wuth und den Haſs der Partheyen zu Nutze zu machen.
Weiter nach Mainz redete man nichts mehr von der Republik und den öffentlichen Geschäften, sondern klagte nur über den Druck und die Malversation der Kommissäre, und jammerte über die neue Freiheit. Den Zehnten geben wir nicht mehr, den behalten wir, sagen die Bauern mit Bitterkeit. Eine grausamere Aposiopese kann man sich kaum denken, wenn auch die neun Zehntheile eine groſse Hyperbel sind. Ein Zeichen, daſs die Regierung wenig nach vernünftigen Grundsätzen verfährt, ist nach meiner Meinung im¬31480 mer, wenn sie militärisch ist und wenn man anfängt ausschlieſslich den Bürger von dem Krieger zu tren¬ nen. In Frankreich macht der Soldat wieder alles, und was ein General sagt, ist Gesetz in seinem Distrikt. Die nächsten Militäre nach dem Konsul bezeichnen ih¬ ren Charakter genug durch ihre Bereicherung. Der allgemeine Liebling der Nation ist Moreau, und der Mann verdient ohne Zweifel die groſse stille Verehrung seines ganzen Zeitalters. Ich bin nirgends gewesen, in Deutschland, Italien und Frankreich, wo man nebst seinen Kriegstalenten nicht seine tadellose Rechtlich¬ keit, seine Mäſsigung und Humanität gepriesen hätte. Er soll es ausgeschlagen haben, Offizier der Ehrenle¬ gion zu werden, die so eben errichtet werden soll, und die jeder Republikaner für unrepublikanisch und für die Wiederauflebung des Feudalwesens hält. Man thut ihm vielleicht keinen Dienst, ihn mit dem öffent¬ lichen System in Kollision zu setzen; aber seine Un¬ zufriedenheit wird überall ziemlich laut erzählt. Seine Partisane, die weniger Mäſsigung haben, als er selbst, wünschten ihn hier und da laut am Ruder und sagten nur Moreau grand consul; zogen aber die Worte so sonderbar, daſs es klang wie Mort au grand consul. Die Sprache erleichtert viel solche Spiele, hinter welche sich die Partheysucht versteckt.
In der Postkutsche von Mainz hierher war ein Gewimmel von Menschen und einige segneten sich wirklich ganz laut, daſs sie aus der vermaledeyten Frei¬ heit einmal heraus wären, in der man sie blutig so sklavisch behandle. Dieſs waren ihre eigenen Aus¬ drücke. Und doch waren sie mit ihrem ganzen Ver¬481 mögen noch jenseit des Rheins in der Freiheit. Vor Hochheim wandelte ich in Gesellschaft eines Spazier¬ gängers der Gegend, wie es schien, den Berg herauf. Der Mann nahm mit vielem Murrsinn von der ersten muntern hübschen Erntearbeiterin im Felde Gelegen¬ heit eine furchtbare Rhapsodie über die Weiber zu hal¬ ten, hatte aber ganz das Ansehen, als ob er der Mi¬ sogyn nicht immer gewesen wäre und nicht immer bleiben würde: denn alles Uebertriebene hält nicht lange. Er nahm sein Beyspiel nicht bloſs von den Linden weg und aus dem Egalitätspalaste, und muſste tiefer in die Verdorbenheit der Welt mit dem Ge¬ schlecht verflochten seyn. Er machte mit lebhaftem Kolorit ein Gemälde, gegen welches Juvenals lassata viris noch eine Vestalin war; und ich war froh, als mich der Wagen auf der Ebene wieder einholte und ich wieder einsteigen konnte. Du weiſst, ich habe eben nicht Ursache geflissentlich den Enkomiasten der Damen zu machen; indessen muſs man ihnen doch die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daſs sie — nicht schlimmer sind als die Männer: und die meisten ihrer Sünden leiden noch etwas mehr Apologie als die Sotti¬ sen unseres Geschlechts.
Frankfurt muſs dem Anschein nach durch den Krieg weit mehr gewonnen als verloren haben. Der Verlust war öffentlich und momentan; der Gewinn ging fast durch alle Klassen und war dauernd. Es ist überall Wohlstand und Vorrath; man bauet und bes¬ sert und erweitert von allen Seiten: und die ganze Ge¬ gend rund umher ist wie ein Paradies; besonders nach Offenbach hinüber. Man glaubt in Oberitalien482 zu seyn. Unser Leipzig kann sich nicht wohl damit messen, ob es gleich vielleicht im Ganzen netter ist.
Von hier kann Dir jeder Kaufmann Nachrichten genug von der Messe mitbringen. Ich besuchte nur einige alte Bekannte und machte einige neue. Wenn ich ein Kerl mit der Börse à mon aise wäre, würde ich vermuthlich Frankfurt zu meinem Aufenthalt wäh¬ len. Es ist eine Mittelstadt, die gerade genug Genuſs des Lebens giebt für Leib und Seele, um nicht zu fa¬ sten und sich nicht zu übersättigen. Im Fall eines Kriegs mit den Franzosen liegt es freylich schlimm: die Herren können alle Nächte eine Promenade von Mainz herüber machen, den Morgen hier zum Früh¬ stück und zum Abendbrote wieder zu Hause seyn.
Bey der Frau von Laroche in Offenbach traf ich den alten Grafen Metternich, wenn ich nicht irre, den Vater des kaiserlichen Gesandten in Dresden. Er war ehemals Minister in den Niederlanden; und nie habe ich einen Mann von öffentlichem Charakter gesehen, zu dem ich in so kurzer Zeit ein so groſses reines Zu¬ trauen gefaſst hätte: so sehr trägt sein Gesicht und sein Benehmen den Abdruck der festen Rechtlichkeit mit der feinsten Humanität.
Meine Ronde ist vollendet und ich bin wieder bey unsern väterlichen Laren an der Pleiſse. Von Frank¬ furt aus ging ich über Bergen in Gesellschaft nach dem Oertchen Bischofsheim, wo man mir ein freund¬ liches Mahl zugedacht hatte. Bey Bergen und Kolin haben unsere Landsleute gezeigt, daſs sie nicht Schuld an den übeln Streichen bey Pirna waren. Vor Hanau ging ich vorbey und hielt mich immer die Straſse nach Fulda herein. Die Hitze des vorzüglich heiſsen Sommers drückte mich zwar ziemlich, aber ich nahm mir Zeit, ruhte oft unter einem Eichbaume und war die Nacht mit den schlechten Wirthshäusern zufrieden. Auf meiner ganzen Reise hatte ich sie nicht so schlecht gefunden als hier einige Mal in Hessen. Zwischen Fulda und Hünefeld drückte mich die Hitze furchtbar und der Durst war brennend, und auf meiner ganzen Wanderung habe ich vielleicht keine so groſse Wohl¬ that genoſsen, als da ich sodann links an der Straſse eine schöne Quelle fand. Leute welche einen guten Flaschenkeller im englischen Wagen haben, haben da¬ von keinen Begriff. Der Hitze haben sie im Wagen nicht viel weniger, aber die Erquickung können sie nicht so fühlen. Du darfst mir glauben, ich habe die¬ ses und jenes versucht. In Hünefeld war Schieſsen,484 die Gesellschaft der Honoratioren speiste in meinem Wirthshause, und ich hatte das Vergnügen die Musik so gut zu hören, als man sie wahrscheinlich in der Gegend und aus Fulda hatte auftreiben können. Wenn auch zuweilen eine Kakophonie mit unter läuft, thut nichts; sie können das Gute noch nicht ganz verder¬ ben, eben so wenig als man es in der Welt durch Verkehrtheit und Unvernunft ganz ausrotten kann.
In Vach hatten mich ehemals die Handlanger des alten Landgrafen in Beschlag genommen und nach Ziegenhain und Kassel und von da nach Amerika ge¬ liefert. Jetzt sollen dergleichen Gewaltthätigkeiten ab¬ gestellt seyn. Doch möchte ich den fürstlichen Be¬ kehrungen nicht zu viel trauen; sie sind nicht siche¬ rer als die Demagogischen. Es wäre unbegreiflich, wie der Landgraf seit langer Zeit so unerhört will¬ kührlich, zum Verderben des Landes und einzig zum Vortheil seiner Kasse, mit seinen Leuten geschaltet und förmlich den Seelenverkäufer gemacht hat, wenn es nicht durch einen Blick ins Innere erklärt würde. Die Landstände wurden selten gefragt, und konnten dann fast keine Stimme haben. Der Adel ist nicht reich und abhängig vom Hofe. Die Minister und Ge¬ nerale hatten ihren Vortheil dem Herrn zu Willen zu leben. Jeder hatte vom Hofe irgend etwas, oder hoffte etwas, oder fürchtete etwas, für sich oder seine Verwandten. Die groſsen Offiziere gewan¬ nen Geld und Ehre, die kleinen Unterstützung und Beförderung. Die Uebrigen litten den Schlag. Das Volk selbst ist bis zum Uebermaſs treu und brav. 485 Hier und da war Verzweiflung; aber der alte Kriegs¬ geist half. Die Hessen glauben, wo geschlagen wird müssen sie dabey seyn. Das ist ihr Charakter aus dem tiefsten Alterthum. Ich erinnere mich in einem Klas¬ siker gelesen zu haben, daſs die Katten lange vor Christi Geburt als Hülfstruppen unter den Römern in Afrika schlugen. Jetzt hat der Landgraf die fremden Verbindungen aufgegeben.
Von Vach wollte ich Post nach Schmalkalden zu meinem Freunde Münchhausen nehmen. Der Wirth verpflichtete sich, da nicht sogleich Postpferde zu ha¬ ben waren, mich hinüber zu schaffen, lieſs sich die Posttaxe für zwey Pferde und den Wagen bezahlen und gab mir einen alten Gaul zum Reiten. Das nenne ich Industrie. Was wollte ich machen? Ich setzte mich auf, weil ich fort wollte. Doch kam ich zu spät an. Es war schon tief Nacht als ich den Berg hinein ritt und gegen zehn Uhr war ich erst in dem Thale der Stadt. Die Meinungschen Oerter und Dör¬ fer, durch die ich ging, zeichneten sich immer sehr vorteilhaft aus. Das einzige, was mir dort nicht ein¬ leuchten wollte, war, daſs man überall so viel herrli¬ ches Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses Giftkraut, das sicher zum Verderben der Menschen gehört, beweist vielleicht mehr als irgend ein anderes Beyspiel, daſs der Mensch ein Thier der Gewohnheit ist. In Amerika, wo man noch auf fünf hun¬ dert Jahre Land genug bat, mag man die Pflan¬ ze auf Kosten der Nachbarn immer pflegen, aber bey uns ist es schlimm, wenn man durchaus die Oe¬486 konomie mehr merkantilisch als patriotisch berech¬ net.
Ich lieſs mich den andern Morgen meinem Freun¬ de ohne meinen Namen als einen Bekannten melden, der von Frankfurt käme. Wir hatten uns seit neun¬ zehn Jahren nicht gesehen und unser letztes Gespräch waren einige Worte auf dem Ocean, als der Zufall unsere Schiffe so nahe zusammen brachte. Die Zeit hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte vielleicht manchen Zug verändert, verwischt und ein¬ gegraben. Ich wuſste vor wem ich stand und konnte also nicht irren. Er schien schnell seinen ganzen dor¬ tigen Zirkel durchzugehen, stand vor mir und kannte mich nicht. Hier habe ich ein kleines Empfehlungs¬ schreiben, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem Ringe war. Es war als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte, er fiel mir mit meinem Namen um den Hals und führte mich im Jubel zu seiner Frau. Die¬ ses war wieder eine der schönsten Minuten mei¬ nes Lebens. Einige Tage blieb ich bey ihm und sei¬ nen Freunden, und genoſs, so weit mir meine ernstere Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der Ge¬ sellschaft.
Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich durch das Gothaische und Altenburgische ging. Man sieht fast nirgends einen höhern Grad von Wohlstand. Es herrscht daselbst durchaus noch eine gewisse Bon¬ hommie des Charakters, daſs ich viele Gesichter fand, denen ich ohne weitere Bekanntschaft meine Börse487 hätte anvertrauen wollen, um sie an einem bezeichne¬ ten Ort zu bringen, wo ich sie sicher wieder gefunden haben würde. Ich habe in diesem Ländchen weni¬ ger Bekanntschaft als sonst irgend wo: Du kannst al¬ so glauben, daſs ich nicht aus Gefälligkeit rede. So oft ich darin war, habe ich immer die reinste Hoch¬ achtung und Verehrung gegen den Herzog gefaſst Um einen Fürsten zu sehen braucht man nicht eben seine Schlösser zu besuchen, oder gar die Gnade zu genieſsen ihm vorgestellt zu werden. Oft sieht man da am wenigsten von ihm. Seine Städte und Dörfer und Wege und Brücken geben die beste Bekanntschaft; vorausgesetzt er ist kein junger Mann, der die Regie¬ rung erst antrat. In diesem Falle könnte ihm viel Gutes und Schlimmes unverdienter Weise angerechnet werden. Wo das Bier schlecht und theuer und das Brot theuer und schlecht ist, wo ich die Dörfer ver¬ fallen und elend und doch die Visitatoren nach dem Sacke lugen sehe, da gehe ich so schnell als möglich meines Weges. Nicht das Predigen der Humanität sondern das Thun hat Werth. Desto schlimmer, wenn man viel spricht und wenig thut.
Schon in Paris hatte ich gehört die Preuſsen wä¬ ren in Erfurt, und wunderte mich jetzt, da ich sie noch nicht hier fand. Diese Saumseligkeit ist sonst ihre Sache nicht, wenn etwas zu besetzen ist. Fast sollte man glauben, die langsame Bedächtlichkeit habe einen pathologisch moralischen Grund. Hier erinnerte mich ein heimlicher Aerger, daſs ich ein Sachse bin. Ich hielt mir lange Betrachtungen über die Groſsmuth488 und Uneigennützigkeit der königlichen Freundschaften; ich verglich den Verlust des Königs mit seinem Ge¬ winn; ich überdachte die alten, rechtlichen Ansprü¬ che, die Sachsen wirklich noch machen konnte und machen muſste. Wenn Sachsen eine Macht von hun¬ dert tausend Mann wäre, so würde die gewöhnliche Politik das Verfahren rechtfertigen. Jetzt mag es alles seyn was Du willst, nur ist es nicht freundschaftlich. Mich däucht, daſs man in Dresden doch wohl etwas lebendigere wirksamere Maſsregeln hätte nehmen kön¬ nen und sollen. Es war voraus zu sehen. Die Leipzi¬ ger werden die Folgen spüren. Freylich wird man vielleicht die ersten zehn Jahre nichts oder wenig thun; aber man hat doch nun die Kneipzange von beyden Seiten in den Händen, und kann sicher das festina lente spielen. Politisch muſs man immer den¬ ken, was geschehen kann wird geschehen. Der ge¬ genwärtige Schritt rechtfertigt die Furcht vor dem künftigen. Zutrauen giebt das nicht. Ich hätte von Berlin in diesen Verhältnissen zu Dresden solche Re¬ sultate nicht erwartet.
In Weimar freute ich mich einige Männer wie¬ der zu sehen, die das ganze Vaterland ehrt. Der Pa¬ triarch Wieland und der wirklich wackere Böttiger em¬ pfingen mich mit freundschaftlicher Wärme zurück. Die Herzogin Mutter hatte die Güte, mit vieler Theil¬ nahme sich nach ihren Freunden diesseit und jenseit der Pontinen zu erkundigen und den unbefangenen Pilger mit Freundlichkeit zu sich zu laden. Jeder¬ mann kennt und schätzt sie als die verehrungswürdig¬ ste Matrone, wenn sie auch nicht Fürstin wäre.
489Als ich den andern Morgen durch das Hölzchen nach Nauenburg herüber wandelte, begegnete mir ein Preuſsisches Bataillon, das nach Erfurt zog. Wenn man in dem nehmlichen Rocke mit der nehmlichen Chaussüre über Wien und Rom nach Syrakus und über Paris zurück geht, mag der Aufzug freylich et¬ was unscheinbar werden. Es ist die nicht löbliche Gewohnheit unserer deutschen Landsleute mit den Fremden zuweilen etwas unfein Nekkerey zu treiben. Die Soldaten waren ordonanzmäſsig artig genug; aber einige Offiziere geruhten sich mit meiner Personalität ein Späſschen zu machen. Ich ging natürlich den Fuſssteg am Busche hin und der Heereszug zog den Heerweg. Einer der Herren fragte seinen Kameraden in einem etwas ausgezeichneten pommerischen Dia¬ lekte, den man auf dem Papier nicht so angenehm nachmachen kann: Was ist das für ein Kerl, der dort geht? Der andere antwortete zu meiner Bezeich¬ nung: Er wird wohl gehen und das Handwerk be¬ grüſsen. Nein, hörte ich eine andere Stimme, ich weiſs nicht was es für ein närrischer Kerl seyn mag; ich habe ihn gestern bey der Herzogin im Garten si¬ tzen sehen. Uebersetze das erst etwas ins Pommeri¬ sche, wenn Du finden willst, daſs es mir ziemlich schnakisch vorkam. Indessen glaube ich unmaſsgeb¬ lich, die Herren hätten ihre Untersuchung und Beur¬ theilung über mich etwas höflicher doch wohl einige Minuten sparen können, bis ich sie nicht mehr hörte. Aber mit einem Philister macht bekanntlich ein Preu¬ ſsischer Offizier nicht viel Umstände. Ob das recht490 und human ist, wäre freylich etwas näher zu be¬ stimmen.
Meiner alten guten Mutter in Posern bey Wei¬ ſsenfels war meine Erscheinung überraschend. Man hatte ihr den Vorfall mit den Banditen schon erzählt, und Du kannst glauben, daſs sie meinetwegen etwas besorgt war, da sie als orthodoxe Anhängerin Luthers überhaupt nicht die beste Meinung von dem Papst und seinen Anordnungen hat. Sie erlaubte durchaus nicht, daſs ich zu Fuſse wei¬ ter ging, sondern lieſs mich bedächtlich in den Wagen packen und hierher an die Pleiſsenburg bringen. Du kannst Dir vorstellen, daſs ich froh war meine hiesigen Freunde wieder zu sehen. Schnorr war der erste den ich auf¬ suchte, und das enthusiastische Menschenkind warf komisch den Pinsel weg, zog das beste seiner drolligen Gesichter und machte einen prak¬ tischen Kommentar auf Horazens Stelle, daſs man bey der Rückkehr eines Freundes von den Cyklopen wohl ein Biſschen närrisch seyn könne.
Morgen gehe ich nach Grimme und Hohen¬ städt, und da will ich ausruhen trotz Epikurs Göttern. Mich däucht, daſs ich nun einige Wo¬ chen ehrlich lungern kann. Wer in neun Mo¬ naten meistens zu Fuſse eine solche Wanderung macht, schützt sich noch einige Jahre vor dem Podagra. Zum Lobe meines Schuhmachers, des mannhaften alten Heerdegen in Leipzig, muſs ich Dir noch sagen, daſs ich in den nehmli¬491 chen Stiefeln ausgegangen und zurückgekommen bin, ohne neue Schuhe ansetzen zu lassen, und daſs diese noch das Ansehen haben, in bauli¬ chem Wesen noch eine solche Wanderung mit zu machen.
Bald bin ich bey Dir, und dann wollen wir plaudern; von manchen mehr als ich geschrie¬ ben habe, von manchem weniger.
Braunschweig gedruckt bei Friedrich Vieweg.
Seite 13. Zeile 5. lese man braten. 40, 13. hat. 48, 1. wie ich mich. 53, 2. Troſs. 65, 4. v. u. mit dem. 70, 18. aufwärts. 76, 5. zu Lueg. 103, 21. glaube ich. 121, 14. doutés. 145, 17. auch. 147, 8. Strettura. 163, 8. v. u. De¬ moxenus. 177, 5. Keiner. 183, 9. v. u. du jour. 184, 4. v. u. favorisca. 186, 4. vor dem Thor in das Haus eines sei¬ ner Bekannten am Toledo. 190, 8. v. u. Niederlassungen. 191, 1. Donat. 198, 2. v. u. Trinakrien. 201, 11. v. u. allen. 205, 8. werthsten. 206, 11. findst. 240, 1. v. u. Todtschlä¬ gen. 244, 11. noch. 266, 1. v. u. Abacchevten. 272, 8. v. u. Überzeugung. 307, 6. v. u. Barcellona. 313, 3. v. u. sahe. 315, 4. v. u. recht. 318, 7. v. u. Micias. 320, 5. v. u. daſs er mir fast. 322, 5. cattolico. ibid. 11. voi. 325, 11. v. u. Corso. 352. 2. Armee. 353, 9. wir rollten. 354, 6. doch vielleicht. 362. 2. v. u. Taschenbuch. 373, 12. Wer. 375, 3. gewannen. 378, 10. v. u. verhältniſsmäſsigen. 381, 10. Urbefugnisse. 384, 7. v. u. von Paris nach Rom. 401, 5. Merletons. 403, 11. v. u. sagte. 410, 3. v. u. war ich im¬ mer. 411, 7. Hetärenkünste. 415, 8. nur. 417, 13. v. u. nur durch die. 426, 5. v. u. Rügen. 440, 4. v. u. Boule¬ wardskoffee. 441, 2. v. u. den. 450, 12. v. u. die beyden. 466, 10. v. u. und die Einführung. 476, 14. mit sarkastischen. 484, 6. doch. 489, 2. Naumburg.
Die übrigen kleinern Fehler der Officin in Interpunktion, Grammatik und Orthographie wird der gütige Leser leicht selbst auffinden und verbessern.
Jupiters goldner Mantel in Syrakus ist ein Irrthum des Ver. fassers.
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