PROTECTORAT: Se. Kön. Hoheit GROSSHERZOG KARL ALEXANDER von Sachsen. PROTECTORAT: Se. Kön. Hoheit PRINZ GEORG von Preussen.
Das Curatorium:Dr. R. Gneist Ordentl. Professor an der Königl. Universität zu Berlin. Dr. K. Werder Geh. Rath und Professor an der Kgl. Universität zu Berlin. Graf Usedom Königl. Preuss. Wirkl. Geh. Rath. C. v. Dachröden Königl. Kämmerer und Schlosshauptmann zu Berlin. Adolf Hagen Stadtrath.
STATUT:
§ 1. Jeder Literaturfreund, welcher dem Allgemeinen Verein für Deutsche Literatur als Mitglied beizutreten gedenkt, hat seine desfallsige Erklärung an die nächstgelegene Buchhandlung oder an das Bureau des Vereins für Deutsche Literatur in Berlin direct zu richten.
§ 2. Jedes Mitglied verpflichtet sich zur Zahlung eines Jahresbeitrags von Achtzehn Mark R. -W. (Für die Serie I — IV betrug derselbe 30 Mark pro Serie von 7 Bänden.)
§ 3. Jedes Mitglied erhält in der Serie vier Werke aus der Feder her - vorragender und beliebter Autoren. Jedes dieser Werke 20 — 23 Bogen um - fassend, in gefälliger Druckausstattung und elegantem Einbande. Nur bei poetischen Werken wird nicht immer der festgesetzte Umfang der Vereins-Publi - cationen innezuhalten sein, dafür jedoch diesen Werken eine besonders ele - gante Ausstattung zugewendet werden.
§ 4. Ein etwaiges Austretenwollen ist spätestens bei Empfang des dritten Bandes einer jeden Serie dem Bureau des Vereins anzuzeigen.
§ 5. Die Geschäftsführung des Vereins leitet Herr Verlagsbuchhändler A. Hofmann in Berlin selbstständig, sowie ihm auch die Vertretung des Vereins nach innen und aussen obliegt. Jeder Band ist eleg, in Halbfranz mit vergoldeter Rückenpressung gebunden.
☛ Alle Buchhandlungen des In - und Auslandes sowie das Bureau des Vereins in Berlin, Kronenstrasse 17, nehmen Beitritts-Erklärungen entgegen. ☚
In den bisher erschienenen Serien I — IV kamen nachstehende Werke zur Vertheilung:
Serie IBodenstedt, Fr., Aus dem Nachlasse Mirza-Schaffy’s. Hanslick, Dr. Ed., Die moderne Oper. Löher, Franz v., Kampf um Paderborn 1597 — 1604. Osenbrüggen, E., Die Schweizer, Da - heim und in der Fremde. Reitlinger, Edm., Freie Blicke. Popu - lärwissenschaftliche Aufsätze. Schmidt, Adolf, Historische Epochen und Katastrophen. Sybel, H. v., Vorträge und Aufsätze.
Serie II Auerbach, Berthold, Tausend Gedanken des Collaborators. Bodenstedt, Fr., Shakespeare’s Frauen - charaktere. Frenzel, Karl, Renaissance - und Rococo - Studien. Gutzkow, Carl, Rückblicke auf mein Leben. Heyse, Paul, Giuseppe Giusti, Ge - dichte. Hoyns, Dr. G., Die alte Welt. Richter, H. M., Geistesströmungen.
Serie III Bodenstedt, Fr., Der Sänger von Schiras, Hafisische Lieder. Büchner, Louis, Aus dem Geistesleben der Thiere. Goldbaum, W., Entlegene Culturen. Lindau, Paul. Alfred de Musset. Lorm, Hieronymus, Philosophie der Jahreszeiten. Reclam, C., Lebensregeln für die ge - bildeten Stände. Vambéry, H., Sittenbilder aus dem Morgenlande.
Serie IVDingelstedt, Fr., Literarisches Bilder - buch. Büchner, Dr. Louis, Liebesleben in der Thierwelt. Lazarus, Dr. M., Prof., Ideale Fragen. Lenz, Dr. Oscar, Skizzen aus West - afrika. Strodtmann, Ad., Lessing, Ein Lebens - bild. Vogel, Dr. H. W., Professor, Lichtbilder nach der Natur. Woltmann, Dr. A., Professor, Aus vier Jahrhunderten niederländisch-deut - scher Kunstgeschichte.
Bezugs-Erleichterung von Serie I — IV. Damit den verehrlichen Mitgliedern, welche der V. Serie beitreten, Gelegenheit gegeben wird, sich aus den bereits ausgegebenen 4 Serien die ihnen zusagenden Werke billiger als zum Einzelpreise von 6 Mark pro Band anschaffen zu können, haben wir die Be - zugs-Erleichterung einer Auswahl aus den erschienenen 28 Bänden getroffen und zwar:
☛ 7 verschiedene Bände nach freier Auswahl aus den ersten vier Serien zum früheren Subscriptionspreise von 30 Mark. ☛ 10 verschiedene Bände nach freier Auswahl aus den ersten vier Serien zum früheren Subscriptionspreise von 45 Mark. ☛ 14 verschiedene Bände nach freier Auswahl aus den ersten vier Serien zum früheren Subscriptionspreise von 60 Mark. ☛ 21 verschiedene Bände nach freier Auswahl aus den ersten vier Serien zum früheren Subscriptionspreise von 90 Mark.
Sämmtliche 4 Serien = 28 Bände kosten 120 Mark. Einzelpreis, pro Band, elegant gebunden 6 Mark.
☛ In der V. Serie gelangen nachstehende Werke zur Ausgabe: Hanslick, Prof. Dr. E., Musikalische Stationen. (Der modernen Oper II. Theil.) Cassel, Professor Paulus, Vom Nil zum Ganges. Wanderungen in die orientalische Welt. Werner, Contreadmiral a. D., Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Lauser, Dr. W., Klänge aus den Pyrenäen. In der VI. Serie wird u. A. erscheinen: Weber, M. von, Vom geflügelten Rade. Schmidt, Herm. von, Ein Reiseroman.
BUREAU des VEREINS FÜR DEUTSCHE LITERATUR. Geschäftsführende Leitung: A. Hofmann, Verlagsbuchhändler in Berlin, Kronenstrasse 17. Dr. L. Lenz, Schriftführer.
Das deutſche Volk zeigt ein lebhaftes Intereſſe für maritime Angelegenheiten, iſt jedoch mit deren näheren Verhältniſſen im Allgemeinen nur ſehr unvollkommen vertraut und macht ſich von ihnen vielfach unrichtige Vorſtellungen. Den Meiſten erſcheint das Seeweſen von einem romantiſchen Nimbus umfloſſen, der namentlich auf jugendliche Gemüther einen ver - führeriſchen Reiz ausübt, deſſen Schimmer aber bei genauer Betrachtung bedeutend verblaßt. Die Wirklichkeit zerſtört dann mit rauher Hand ſo manche Illuſion, die den jungen Mann zur Wahl des ſeemänniſchen Berufs beſtimmt hat; ſie ſtreift von dem Bilde, das die Phantaſie mit leuchtenden Farben ge - ſchmückt, die glänzende poetiſche Hülle und es bleibt nur die nackte Proſa in der Geſtalt eines ſchweren Lebens voll Mühe, Arbeit und Entbehrungen. Wohl hat es nach gewiſſen Rich - tungen hin auch ſeinen hohen Werth; kein anderes iſt ſo ge - eignet, Charactere zu bilden, den Jüngling ſchnell zum Manne im beſten Sinne des Wortes reifen zu laſſen, in dem ſteten Kampfe mit den Elementen ſeine geiſtige und körperliche Kraft zu ſtählen, ſeinem Blicke eine weite Perſpective zu öffnen und ihm die großartigen Wunder der Schöpfung vor Augen zu führen; aber Freuden und Genüſſe, die nach gewöhnlichenR. Werner, Erinnerungen. 12WernerBegriffen das Leben verſchönern, weiſt das ſeemänniſche Fach nur wenige auf.
In der Kriegsmarine bietet ſich und namentlich in den höheren Officiersſtellen einiger Erſatz dafür, aber in der Handels - marine iſt das ſelten der Fall. Hier iſt auch für den Kapitän das Leben faſt nur eine ununterbrochene Kette von Mühſelig - keiten und ſchwerer Verantwortung. Er iſt abhängig von ſeinen Rhedern. Erwerben iſt ihre und überhaupt die Deviſe des Handels, dem die Schiffe dienen, und alles Uebrige tritt dagegen in den Hintergrund. Mit fliegender Haſt wird das von langer Reiſe zurückgekehrte Fahrzeug entladen und gefüllt, um ſchleunigſt wieder hinausgeſchickt zu werden über den weiten Ocean und mehr zu erwerben. Der Begriff der Heimath iſt deshalb für den Seemann der Handelsmarine faſt unbekannt; Häuslichkeit, Weib und Kind ſind für ihn nur flüchtige Erſcheinungen; in die Seligkeit des Wiederſehens miſcht der Gedanke an das ſo bald wieder bevorſtehende Scheiden bereits bittere Wermuthstropfen. Nur ſpärliche Stunden ungetrübten Glückes ſind ihm vergönnt und Jahre lang muß er auf einſamem Meere von der Er - innerung zehren.
Das Leben an Bord eines Kauffarteiſchiffes, wie es ſich in Wahrheit geſtaltet, iſt in weiteren Kreiſen wenig gekannt; unſere Literatur hat ſich mit dieſem Gegenſtande bisher faſt gar nicht beſchäftigt und doch bietet es ſo manche Momente, die all - gemeines Intereſſe verdienen. Wenn ich deshalb im Nach - ſtehenden die Eindrücke und Erfahrungen zu ſchildern verſuche, die ein junger Mann von Bildung auf einer erſten Seereiſe gewinnt, darf ich vorausſetzen, manchem Leſer etwas Neues zu bieten, ihm einen Einblick in die Eigenthümlichkeiten des See - weſens zu gewähren und gleichzeitig zur Richtigſtellung irriger Anſichten beizutragen. Das Leben an Bord von Handelsſchiffen hat ſich zwar ſeit jener Zeit, von der ich reden werde, in einigen Aeußerlichkeiten geändert und zwar zu Gunſten der Seeleute,3Eine erſte Seereiſeaber in ſeinen Grundzügen iſt es daſſelbe geblieben und das Bild, welches ich von ihm zu zeichnen gedenke, wird deshalb auch noch heute ſeine Geltung haben.
Mein Geburtsort iſt ein kleiner Marktflecken mitten im Lande und faſt hundert Meilen von der Meeresküſte entfernt. Wie ich dort eine beſondere Vorliebe für das Seeleben habe gewinnen können, weiß ich nicht; das Flüßchen, mit deſſen Waſſer ich getauft bin, kann kaum die Urſache geweſen ſein, denn es war ſo flach, daß nicht einmal ein Kahn auf ihm ſchwimmen konnte. Da ich indeſſen ſchon als Kind oft die Neigung zu meinem ſpäteren Berufe ausgeſprochen haben ſoll, ſo muß ſie wohl unabhängig von äußeren Einflüſſen in mir gekeimt haben. Später trugen die Seeromane von Cooper und Marryat das Ihrige dazu bei, jene Neigung zu befeſtigen und ließen in mir den unumſtößlichen Entſchluß reifen, zur See zu gehen. Seine Durchführung koſtete harten Kampf und ich fand im elterlichen Hauſe lange Zeit keine Unterſtützung meiner Ideen; der Vater wollte zuerſt durchaus nichts davon wiſſen und auch der Oheim ſchüttelte bedenklich den Kopf. Er war ein alter Theologe, der im elterlichen Hauſe eine wichtige Rolle ſpielte, da der Vater, ein viel beſchäftigter Beamter, ihm weſentlichen Antheil an der Kindererziehung überließ. Doch dieſe Wider - ſtände vermochten mich nicht von meinem Vorhaben abzubringen, ſondern beſtärkten mich im Gegentheil darin. Ich ſetzte meine Hoffnung auf die Mutter; ſie mußte und würde helfen, ſie, an der ich mit jeder Faſer meines Herzens hing, und der Vater mußte doch zuletzt auch ein wenig Sympathie fühlen, wenn er ſah, daß Character in mir wohnte. Und es kam ſo, die Mutter trat zuerſt zu mir über; mit blutendem Herzen zwar ſprach ſie zu meinem Gunſten, aber ſie that es. Der Vater1*4Wernergab nach und der alte treue Oheim, dem ich ſo viel verdanke, deſſen Andenken ich ſegne, wurde ebenfalls überwunden. „ Gott ſegne Dich und lenke Deine Schritte “, das waren die letzten Worte der Mutter, als ich Abſchied nahm, und damit riß ich mich vom treueſten, beſten Herzen los, um fortan meinen Weg durch die fremde kalte Welt allein zu machen. Ich ging einer unbekannten Zukunft entgegen, ohne weiteren Halt, als mich ſelbſt, der ich kaum dem Knabenalter entwachſen war.
Mein Lebensweg iſt nicht leicht geweſen, oft habe ich ihn Schritt für Schritt mit großer Mühe und Noth erkämpfen müſſen, aber der Mutter Segen hat auf mir geruht. Mein Vater brachte mich nach Hamburg; er hatte Empfehlungen an eine große Rhederei erhalten und ſchon nach wenigen Tagen war ich auf einem Oſtindienfahrer untergebracht. Tags zuvor, ehe ich an Bord ging, um mich einzuſchiffen, reiſte mein Vater ab. Als er den Poſtwagen beſtieg — Eiſenbahnen gab es in Deutſchland damals nur wenige — und er mir mit zitternder Stimme das letzte Lebewohl zurief, da durchzuckte mich ein tiefer Schmerz. Es war, als ob ich gewaltſam von allem, was mir lieb und theuer, losgeriſſen wurde; ich war wie be - täubt und hätte ausrufen mögen „ Vater, nimm mich wieder mit Dir zurück! “aber ich ſchämte mich meiner Schwäche und winkte nur mit thränendem Auge den Abſchiedsgruß. Der Poſtillon ſtieß in’s Horn, der Wagen rollte über das Pflaſter; dort hinter der Ecke verſchwand er, ich war allein und wandte meine Schritte zu dem Gaſthofe, wo wir Wohnung genommen hatten.
Dort fand ich meine inzwiſchen angekommene Seekiſte mit der Ausſtattung für die Reiſe vor und das gab meinen trüben Gedanken eine andere Richtung. Ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als den neuen Seemannsanzug zu probiren und kam mir in dem dunkelblauen wollenen Hemde mit weit über die Schul - tern zurückfallendem Kragen, dem loſe darumgeknüpften ſeidenen5Eine erſte SeereiſeHalstuche und der ſchottiſchen Mütze ganz intereſſant vor. Ziemlich ſelbſtbewußt machte ich einen Spaziergang am Hafen und hätte ſtatt der Mütze auch gar zu gern den Südweſter aufgeſetzt, jene Regenkappe von geöltem Segeltuch mit Nacken - ſchirm, die den Seeleuten bei ſchlechtem Wetter ſo gute Dienſte leiſtet, aber zu meinem Bedauern regnete es nicht und ich mußte mich heute ſchon begnügen, in meinem Aeußeren etwas weniger ſpecifiſch ſeemänniſch zu erſcheinen.
Der Abend verging, indem ich wiederholt mein neues Eigenthum muſterte, es ſorgfältig in der Kiſte lagerte und mit Behagen meinen bisherigen Civilanzug zu einem Packete for - mirte, um ihn nach Hauſe zu ſchicken. Trotz der wehmüthigen Gefühle, die mich bei dem Gedanken an die Heimath beſchlichen, empfand ich doch volle Befriedigung, am Ziel meiner ſeit ſo lange gehegten Wünſche angelangt zu ſein. Die hochfliegendſten und ehrgeizigſten Pläne entſtanden in meinem Kopfe, und ich ſchlief endlich ein, um die letzte Nacht auf dem Feſtlande zu - zubringen. Für lange Zeit ſollte es auch die letzte ſein, in der ich mich einer ungeſtörten Ruhe erfreuen durfte; meinen Zukunfts - träumen ſetzte aber ſchon der folgende Tag einen häßlichen Dämpfer auf.
Auf dem Comptoir der Rheder, wo ich meinen Lehrlings - contract unterzeichnete, hatte man mir mitgetheilt, daß ich am Morgen nach der Abreiſe meines Vaters an Bord zu gehen habe. Ich glaubte deshalb beſonders pünktlich zu ſein, als ich mich um acht Uhr auf dem Schiffe meldete, täuſchte mich aber. Ich wurde vom Kapitän auf ſehr unliebenswürdige Weiſe em - pfangen, und obwohl ich das von ihm geſprochene Plattdeutſch nur halb verſtand, hörte ich doch harte Vorwürfe heraus, daß ich nicht ſchon mit Beginn der Arbeitszeit gekommen ſei. Das war kein angenehmer Anfang. Mein Schiff hieß „ Alma “. Es war eine nicht ſehr große Bark, d. h. ein dreimaſtiges Schiff, das nur an den beiden vorderen Maſten Raaen führte, während6Wernerſich am hinteren ſogenannte Gaffelſegel befanden, und hatte für ſeine Größe eine verhältnißmäßig ſtarke Beſatzung, welche außer dem Kapitän und den beiden Steuerleuten aus achtzehn Mann be - ſtand. Die „ Alma “war Tags zuvor auf die Helling geholt, um mit neuen Kupferplatten beſchlagen zu werden. Die Helling iſt eine mit Bohlen oder Steinplatten belegte ſchiefe Ebene, auf der Schiffe gebaut werden. In früheren Zeiten reparirte man auch alte Schiffe auf den Hellingen; — ſie mußten auf einem Schlitten, der ihnen im Waſſer untergeſchoben wurde, hinaufgewunden werden; das war ſchwere Arbeit und ſtrengte die Fahrzeuge ſtark an. Jetzt macht man es ihnen bequemer; man hat überall Docks, feſt gemauerte oder eiſerne ſchwimmende Baſſins mit Thüren. Die Schiffe werden hineingeholt, man pumpt nach Schluß der Thüren das Waſſer aus, und die in - zwiſchen abgeſtützten Fahrzeuge ſtehen trocken.
Ich war die hohe Leiter, die vom Lande bis zum Deck der „ Alma “führte, hinaufgeklettert, meine Seekiſte aber unten im Regen ſtehen geblieben. Als der Kapitän mich entlaſſen hatte, ſah ich vergebens nach Hülfe aus, um die Kiſte an Bord zu bringen. Einige Leute der Mannſchaft arbeiteten in der Bemaſtung, ſonſt war Niemand da und ich ſtand ziemlich rath - los. Endlich kam ein älterer Mann mit bärbeißigem Geſicht und einer dicken Backe die Leiter herauf an Deck, wo ich herumirrte.
„ Wer biſt Du? “fragte er mich mit ſo barſcher Stimme, daß ich ordentlich erſchrak. Ich nannte meinen Namen. „ Was willſt Du hier? “fuhr er in demſelben Tone fort und natürlich wie Alle an Bord in plattdeutſcher Sprache. Als ich ihm mit - getheilt, daß ich als Lehrling an Bord gekommen ſei, erwiederte er „ So! nun, ich bin der Bootsmann des Schiffes und Du haſt mir zu gehorchen, das merke Dir. “ Als Bekräftigung dieſer Sentenz ſpuckte er eine Maſſe braunen Saftes aus und ich bemerkte, wie die dicke Backe plötzlich dünn wurde, dagegen7Eine erſte Seereiſedie andere anſchwoll. Anfänglich konnte ich mir dieſe wunder - bare Metamorphoſe nicht erklären, ſpäter entdeckte ich, daß ein rieſiges Stück Kautabak die Urſache war, welches von einer Seite des Mundes nach der anderen wanderte, ſobald der Bootsmann auf irgend eine ſeiner Reden einen beſonderen Trumpf ſetzen wollte.
Auf meine Bitte ließ er nun durch einige Matroſen meine Kiſte an Bord ſchaffen und wies mir in dem Mannſchaftsraume den Platz für jene und meine Coje an. Ich verſtand manches nicht, von dem, was er ſagte und fragte wiederholt; da verlor er die Geduld, „ was wir Schweizer wohl an Bord zu ſuchen hätten, wenn wir nicht einmal Plattdeutſch verſtänden, “meinte er brum - mend. Er war nämlich der Anſicht, Hochdeutſch würde nur in der Schweiz geſprochen.
Mein zukünftiger Wohnraum — techniſch das „ Logis “genannt — machte einen ſehr deprimirenden Eindruck auf mich und entſprach auch nicht meinen beſcheidenſten Erwartungen. Es lag in der vorderſten Spitze des Schiffes, im Bug und unter Deck, hatte die Form eines Dreiecks, war ſo niedrig, daß man nur gebückt darin ſtehen konnte und ſo eng, daß ein Umhergehen ſehr ſchwierig wurde. An den Wänden waren je zwei feſte Cojen übereinander gebaut, aber nicht 18 ſondern nur 16, ſo daß je zwei der vier Jüngſten, zu denen ich gehörte, nur ein Bett hatten. Die Kiſten ſtanden vor den Cojen; ſie und zwei Klapptiſche, ſowie eine von dem Deck herabhängende blecherne Oellampe mit zwei Flammen bildeten das einzige Mobiliar des Logis, das ſein Tageslicht durch die Niedergangs - luke erhielt. Eine weitere Umſchau war mir nicht geſtattet; denn kaum hatte ich meine Kiſte placirt und die vom Regen durchfeuchtete Matratze in die Coje geſtopft, als auch ſchon des Bootsmanns Stimme erſchallte. Meinen Namen mußte er wohl ſchon wieder vergeſſen haben, denn er rief mich „ Schweizer “und nannte mich auch conſequent während der ganzen ſpäteren Reiſe ſo.
8Werner„ Was thuſt Du ſo lange dort unten? “fuhr er mich an, „ hier heißt’s arbeiten und nicht faulenzen. Nimm jenen Korb und ſuche die Spiker unter dem Schiffe zuſammen. “
Ich hatte zwar keine Ahnung, was er mit Spikern meinte, war aber auch ſchon zu ſehr eingeſchüchtert, um zu fragen und kletterte ſchleunigſt die Leiter nach der Werft hinunter, wo ich auch von einem gutmüthigen Matroſen den gewünſchten Aufſchluß über den Befehl des Bootsmannes erhielt. Die Zimmerleute löſten die alten verbrauchten Kupferplatten vom Boden des Schiffes, und ich ſollte die bei dieſer Gelegenheit auf die Erde fallenden Kupfernägel aufſuchen, welche an Bord Spiker ge - nannt werden.
Die Arbeit behagte mir keineswegs; ich hatte mir den Anfang ſo ganz anders gedacht, aber ich war fleißig und ſelbſt der alte Bootsmann ſchien mit meinem Eifer nicht unzufrieden zu ſein, der mir bei der ungewohnten Beſchäftigung trotz des kalten Wetters die Schweißtropfen auf die Stirn trieb. Die Zeit zum Mittagseſſen kam; der Koch ſtand oben an der Leiter, klatſchte dreimal in die Hände und rief etwas, das mir wie „ Handſchuh “! klang, aber wie ich ſpäter erfuhr „ Handen ſchoon “(Hände rein!) hieß. Ich mußte mich ſehr damit beeilen, denn ich wurde belehrt, daß das Signal mich als den Jüngſten ſpeciell angehe und ich die Speiſen von der Küche nach dem Logis zu tragen habe. Als dies geſchehen, gab der Koch ein zweites eigenthümliches Signal, diesmal aber mit einem, wenn auch nicht melodienreichen Geſange: „ Schaffen over all, ſchaffen unnen un boben, ſchaffen in Gottes Namen “(Eſſen überall, eſſen unten und oben, eſſen in Gottes Namen) klang es mit lauter Stimme nach der Werft hinunter und die Leute ſam - melten ſich, um ihr Mahl einzunehmen. Daſſelbe war kräftig und gut; die Arbeit hatte Appetit gemacht, das Eſſen ſchmeckte mir vortrefflich und von dem auf meine Ration entfallenden Pfunde Fleiſch blieb nichts übrig. Die Unterhaltung dagegen9Eine erſte Seereiſemundete mir weniger; was ich davon verſtand, war ſo weit verſchieden von dem, was ich bisher gewohnt geweſen.
Nachmittags ſuchte ich wieder Nägel aus dem Schmutz; mein Cojenkamerad half mir dabei. Er war ein friſcher, netter Burſche in meinem Alter und ſtammte von der Inſel Föhr, wie faſt die ganze Beſatzung und der Kapitän ſelbſt. In damaliger Zeit ſtellten die Frieſiſchen Inſeln ein ſehr großes Contingent an Seeleuten für die Hamburger Schiffe; die meiſten Kapitäne waren von dort und zogen ihre Landsleute, Verwandte und Bekannte heran. Mein Bettgenoſſe hieß Heinrich Peterſen, der Kapitän Pay Anderſen, der Bootsmann Peter Hinrichſen, und außer dem Oberſteuermann und mir endeten alle Namen an Bord auf ſen. Heinrich hatte zwar auch noch keine Seereiſe gemacht, aber er war mehrere Wochen an Bord und auf ſeiner Heimathsinſel von Jugend auf mit dem Waſſer und mit Schiffen vertraut geweſen und beſaß deshalb ſchon eine Menge nautiſcher Kenntniſſe, um die ich ihn beneidete.
Nach Feierabend gingen die meiſten Leute an Land auf Urlaub. Ich blieb zurück; theilweiſe war ich nicht in der Stimmung, um irgend welches Vergnügen aufzuſuchen, theils hatte mich die Arbeit ermüdet und ich legte mich bald nach dem Abendbrode zur Coje. Ich fand die mit Seegras geſtopfte Matratze und das Kopfkiſſen zwar etwas hart, die ungewohnte wollene Decke kratzte und namentlich wollte mir das getheilte Bett durchaus nicht gefallen, aber trotzdem kam der Schlaf bald und feſt, das Vorrecht der Jugend.
Nach einigen Stunden wurde ich jedoch aus meinen Träumen geweckt und unſanft aufgerüttelt. Ich bekam die Nachtwache und mußte eine Stunde auf dem Deck ſein. Ein Schiff iſt nie ohne Wache; in See beſteht dieſelbe aus der Hälfte der Mannſchaft, im Hafen geht ein Mann Wache und wird ſtündlich abgelöſt, während die Seewache vier Stunden dauert.
10WernerEs war eine ſchöne Herbſtnacht, der Mond ſchien hell und klar und goß ſein Licht auf die Thürme und Dächer der alten Hanſeſtadt, die ich von meinem hohen Standpunkte aus über - blickte. Der dunkle Elbſtrom glitt ſchweigend dahin und am Horizont zeichnete ſich der Maſtenwald der im Hafen liegenden Schiffe. Ueberall herrſchte Ruhe und Schweigen; ich war mit mir allein, da konnte es nicht ausbleiben, daß der verfloſſene Tag an meinem Geiſte vorüberzog und die empfangenen Ein - drücke ſich wiederſpiegelten. Ich kann nicht ſagen, daß ich irgend wie darüber Befriedigung empfunden hätte; Coopers und Marryats Romane hatten mir ſo ganz andere Anſchauungen vom Schiffsleben beigebracht, wie ich ſie heute verwirklicht geſehen. Als ich vor einigen Tagen mit meinem Vater durch den Hafen gefahren war, arbeiteten auf einem Schiffe Matroſen hoch oben in der Takelage. Indem der Vater auf den gefähr - lich ſcheinenden luftigen Sitz wies, fragte er mich „ Haſt Du noch Luſt, Seemann zu werden? “ „ Jetzt erſt recht “, war meine Antwort geweſen, denn gerade das Gefährliche hatte mich ange - zogen und nicht erſchreckt, wie der Vater gehofft. Statt wage - halſigen Kletterns in der Bemaſtung, hatte ich jetzt den ganzen Tag am Lande alte zerbrochene Nägel ſammeln müſſen. Vom Kapitän war ich unfreundlich empfangen worden. Heinrich hatte mir geſagt, daß er als Seemann einen vorzüglichen Ruf habe, aber ſchroff und abſtoßend gegen ſeine Untergebenen und des - halb bei ihnen nicht beliebt ſei. Sein Geſichtsausdruck war ernſt, ja finſter und ich forſchte darin vergebens nach Wohl - wollen. Die Steuerleute hatten im Laufe des Tages faſt keine Notiz von mir genommen, der Bootsmann war barſch gegen mich geweſen. So hatten ſich meine Vorgeſetzten gezeigt; der Blick auf die Mannſchaften war nicht erfreulicher. Aus gebil - deter Umgebung, aus dem Kreiſe eines glücklichen Familienlebens war ich unter Menſchen geſchleudert und auf Jahre mit ihnen auf einen beſchränkten Raum zuſammengefeſſelt, die, das11Eine erſte Seereiſefühlte ich jetzt ſchon klar und deutlich, mir innerlich ſtets fremd bleiben mußten, da ich zu ſehr verſchieden von ihnen war.
Was ſollte daraus werden? Vor meinem geiſtigen Auge entrollte ſich eine düſtere Zukunft; die trübſten Gedanken ſtürm - ten auf mich ein. Ich wurde völlig muthlos, bereute bitter den Seemannsberuf erwählt zu haben und mein gepreßtes Herz machte ſich in einem Thränenſtrome Luft. Doch, dann trat mir wieder vor die Seele, wie mir das alles zu Hauſe vom Vater vorgeſtellt, wie nachdrücklich ich von ihm gewarnt war und trotz - dem jeden Hebel angeſetzt hatte, um meinen Entſchluß zur That zu machen. Nein! Mochte kommen was da wollte — von Zurücktreten konnte und durfte keine Rede mehr ſein. Was ich begonnen, das wollte ich ſiegreich beenden oder dabei unter - gehen — das war der Entſchluß, den ich, in der ſtillen Nacht - ſtunde faßte und durchzuführen mir feſt gelobte.
Der andere Morgen fand mich vorbereitet, allem Unge - wohnten und Schweren, das meine neue Laufbahn mit ſich brachte, friſch in das Geſicht zu ſehen und mich durch nichts entmuthigen zu laſſen. Zugleich aber war ich mir auch darüber völlig klar geworden, daß ich am heutigen Tage mit meiner Jugend abgeſchloſſen hatte. Sie lag mit ihren Freuden, ihrer Poeſie, ihren Hoffnungen und Illuſionen hinter mir — vor mir nur das Leben mit ſeinem Ernſt, ſeiner Arbeit und den ſtrengen mitleidsloſen Anforderungen, die es an meine Perſon ſtellte.
Nach acht Tagen war das Schiff gekupfert und lief von der Helling ab.
Am andern Tage begann die Beladung des Schiffes, und damit ging ſeine ſonſtige Fertigſtellung für See Hand in Hand. Darüber verfloſſen vierzehn Tage und es wurde Anfang October bis wir alles zum Abſegeln fertig gemacht hatten. Das nächſte Reiſeziel war Batavia, ob noch andere Häfen angelaufen werden ſollten, blieb vorläufig unbeſtimmt; aller Wahrſcheinlichkeit nach konnte man auf eine Abweſenheit von über einem Jahre rechnen. 12WernerDieſe erſte Probezeit in Hamburg wurde mir ſehr ſchwer; aber getreu meinem gefaßten Entſchluſſe, lernte ich arbeiten, meine Kräfte anwenden und meine Aufmerkſamkeit auf die practiſche Seite des Lebens richten.
Der Tag der Abreiſe war gekommen und der Lootſe er - ſchien an Bord. Mit der eintretenden Ebbe warfen wir von den Pfählen los, an denen das Schiff im eigentlichen Hafen feſt gemacht war und holten es auf den Strom. Der Wind war ungünſtig; das enge und gewundene Fahrwaſſer geſtattete kein Laviren und da es zu jener Zeit noch keine Schleppdampfer gab, die jetzt bei ſolchen Gelegenheiten den Schiffen die Arbeit abnehmen, ſo trieben wir mit dem Strom, aber gegen den Wind die Elbe hinunter. Das war eine langweilige Sache; bisweilen konnten wir eine kleine Strecke ſegeln, doch die Ebbe brachte uns nur bis zur Rhede von Glückſtadt, dann trat die Fluth ein und wir mußten ankern.
Ich hatte inzwiſchen Gelegenheit gehabt, meine erſte Lection in der Seemannſchaft zu erhalten. Das Treiben eines Schiffes in einem ſchmalen Fahrwaſſer erfordert ſehr viel nautiſches Ge - ſchick; wer es verſteht, der kann überhaupt mit einem Schiffe manövriren. Die Dampfſchifffahrt hat dies Treiben meiſt auf - hören laſſen, aber im Intereſſe ſeemänniſcher Tüchtigkeit iſt es ſehr zu bedauern, denn es iſt damit eine vortreffliche und faſt unerſetzliche Schule für das Manövriren mit Segelſchiffen ver - loren gegangen. Unſer Lootſe, ein Mann in den Fünfzigern und der Typus eines wettergeſtählten Seemanns, verſtand die Sache aus dem Grunde. Mit ſtiller Bewunderung ſah ich, wie er die „ Alma “durch die ſchwierigſten Paſſagen lenkte und namentlich imponirte mir die Ruhe und Sicherheit, mit denen er ſeine Befehle ertheilte. Mein Poſten war in ſeiner Nähe. Er mußte wohl bemerkt haben, mit welchem lebhaften Intereſſe ich den Bewegungen des Schiffes folgte und mir Urſache und Wirkung klar zu machen ſuchte, denn zu meiner großen, wenn13Eine erſte Seereiſeauch freudigen Ueberraſchung redete er mich unerwartet mit freundlichem Wohlwollen an und fragte, wonach ich ſo auf - merkſam ausſchaute.
„ Ich möchte mit einem Schiffe ſo manövriren können wie Sie “, war meine Antwort. Sie ſchien ihm zu gefallen. „ Stelle Dich neben mich, “ſagte er mir zunickend „ und wenn Du etwas nicht verſtehſt, ſo frage. “ Er gab mir dann eine Erklärung der folgenden Manöver in eben ſo knapper wie verſtändlicher Weiſe, ſo daß mir die Punkte, auf welche es ankam, vollſtändig klar wurden und ich in der kurzen Zeit ungemein viel lernte, was mir für meine ſpätere Laufbahn ſehr nützlich geweſen iſt. Der Weſtwind war am andern Tage ſtürmiſch geworden und da mit ihm nichts in der Nordſee zu machen war, warteten wir auf gutes Wetter. Wir mußten uns jedoch noch volle acht Tage gedulden, bis es eintrat, wenn ich es ſelbſt auch nicht be - dauerte, da der Lootſe, welcher wohl Gefallen an mir gefunden haben mußte, mich bei jeder Gelegenheit aufſuchte, um mit mir zu ſprechen und mich zu belehren. Mit welchem Eifer ich be - ſtrebt war, davon Nutzen zu ziehen, bedarf wohl kaum der Er - wähnung. Mein Verſtand ſagte mir, daß ich mich aus meiner untergeordneten Stellung, in der ich mich ſo unglücklich fühlte, um ſo ſchneller befreien würde, je eher ich in meinem Fache etwas Tüchtiges lernte und deswegen ſetzte ich meine ganze Energie daran, meine Wißbegier zu befriedigen.
Ich war jedoch dem Lootſen nicht allein für ſeine werth - volle Unterweiſung, ſondern auch dafür ſo dankbar, daß er ſich freundlich gegen mich zeigte, was mich um ſo wohlthuender be - rührte, als ſich bis jetzt Niemand von der Beſatzung mit Aus - nahme Heinrichs, meines Cojenkameraden, um mich gekümmert hatte. Kapitän und Steuerleute ſchienen mich nur als eine Arbeitsmaſchine zu betrachten; keiner von ihnen hatte ein gütiges Wort an mich gerichtet, und die Matroſen im Logis benutzten mich als den Jüngſten ebenfalls nur zu barſch geforderten14WernerDienſtleiſtungen. Wie oft biß ich die Zähne aufeinander, um meinen erregten Empfindungen nicht laut Luft zu machen, doch auch das hatte ſein Gutes, denn ich lernte mich ſelbſt zu über - winden und die meinem Character innewohnende Heftigkeit zu unterdrücken. Nur des Bootsmanns Benehmen änderte ſich allmälig günſtig für mich. Meine Willigkeit, allen mir ge - wordenen Befehlen ſo ſchnell und gut wie möglich nachzukommen, mochte dazu beitragen, ihn wohlwollender gegen mich zu ſtim - men, wahrſcheinlich aber auch der Einfluß des Lootſen. Ich wurde ſeiner Wache zugetheilt, zwar keineswegs geſchont, aber wenn er jetzt „ Schweizer “rief, dann klang es nicht mehr ſo hart wie früher. Ich hörte öfter ein ermunterndes Wort und begann durchzufühlen, daß in der Bruſt des alten Seebären trotz der rauhen Schale doch ein warmes Herz ſchlug.
Endlich war der Wind müde geworden, ſtets aus derſelben Ecke zu wehen. Er ging in der Nacht ſüdlich, freilich links herum, durch Süden ſtatt durch Norden und der Lootſe meinte deshalb, er würde keinen Beſtand haben, aber der Kapitän wollte ſich die günſtige Brieſe nicht über den Kopf wehen laſſen und mit Tagesanbruch wurden die Anker gelichtet. In unſerer Nähe hatten ſich in den letzten Tagen wohl einige vierzig Schiffe angeſammelt, die ebenfalls in See wollten und nun mit uns die gute Gelegenheit benutzten.
Welches rege Leben herrſchte da ringsum auf der Waſſer - fläche und wie intereſſant war das Schauſpiel, eine ſo große Flotte ſich gleichzeitig in Bewegung ſetzen zu ſehen! Von allen Seiten ertönten in der hellhörigen Morgenluft die Commandos, das Klipp klapp der Ankerſpille, mit denen die Ketten einge - wunden, ſowie das Hoi ho! und der Geſang der Matroſen, nach deſſen Tacte die Segel geheißt oder andere Arbeiten verrichtet wurden. Vom Winde gebläht entfaltete ſich die weiße Leinwand an den Raaen und dieſe wurde in das Kreuz gebraßt, ſobald die Anker grade unter dem Schiffe ſtanden. „ Licht Anker! “lautete dann der15Eine erſte SeereiſeBefehl; die Leute eilten an das Spill zurück und wiederum hörte man das Klipp klapp der Ankerwinden und das Hoi ho! der Matroſen. Glied für Glied und nur mit gewaltiger Kraft - anſtrengung wanderte die Kette durch die Klüſenöffnung im Bug des Schiffes herein auf das Deck, bis der Anker aus dem zähen Grunde gebrochen war und das Fahrzeug frei von ſeinen Feſſeln auf den Fluthen ſchwamm. Sofort folgte es dem Drucke der vorderen gegen den Wind geſtellten Segel, ſie wirkten wie ein Hebel und warfen den Kopf herum, bis die den andern Weg gebraßten Hinterſegel füllten. Dann war die Auf - gabe der Vorſegel gelöſt; ſie wurden mit den hinteren parallel geſtellt; die bis dahin noch unter den Raaen zuſammengefalteten Unterſegel fielen, das Schiff wurde mit Hülfe des Steuerruders auf ſeinen Curs gebracht und glitt vor der ſtrammen Briſe und in ſeinem Laufe durch die Ebbe beſchleunigt pfeilſchnell auf dem Strome dahin.
Von den übrigen Mitſeglern war bereits die Hälfte unter - wegs, aber unſere „ Alma “zeigte ſich flink. Ihr Bug, ſcharf wie ein Meſſer, durchſchnitt faſt geräuſchlos das Waſſer; Hand über Hand lief ſie auf und ließ eines der Fahrzeuge nach dem andern hinter ſich. „ Platz für den Oſtindienfahrer “ſchien ſie zu ſagen und ihre Flagge flatterte luſtig im Winde.
Der Seemann identificirt ſich mit ſeinem Schiffe; er em - pfindet deſſen Vorzüge als ſeine eigenen und triumphirt, wenn er einen Schnellſegler unter den Füßen hat, ſo wenig es ſein Verdienſt iſt. Das finſtere Geſicht des Kapitäns hellte ſich auf; die Leute ſcherzten mit gutmüthigem Hohn nach den Fahrzeugen hinüber, an denen wir vorbeiliefen und auch ich war in meinem Herzen bereits ſoviel Seemann geworden, um den Triumph mit zu empfinden.
Der Wind friſchte auf, wir liefen zehn Knoten, zwei eine halbe Meile, in der Stunde und paſſirten Mittags Cuxhafen. Das niedrige rechte Elbufer war bereits unſern Blicken ent -16Wernerſchwunden, auch das linke begann ſich allmälig unter den Horizont zu ſenken und der Thurm der Elbinſel Neuwerk er - hob ſich als letzter Wachtpoſten des Feſtlandes aus der ihn umgebenden Waſſerfläche. Wir ſchoſſen an dem innern Feuer - ſchiffe vorbei, das am Tage durch ſeine rothe Farbe und durch Kugeln auf den Spitzen der Maſten, ſowie Nachts durch weit leuchtende Laternen vor gefährlichen Sänden warnt; dann kam die in der Elbmündung verankerte Lootſen-Galliote in Sicht und wir hielten auf ſie zu. Die Lootſenflagge wurde bei uns im Vortop geheißt und auf dies Signal ſtieß ein Boot von der Galliote ab, um den Lootſen abzuholen. Die Unterſegel wurden fortgenommen, die Hinterraaen gegen den Wind gebraßt, das Schiff verlor ſeine Fahrt und trieb langſam auf das wartende Boot zu. Der Lootſe ſtand mittſchiffs an der Fallreepstreppe und nahm die Briefe in Empfang, die als letzte Grüße in die Heimath gingen. Auch ich brachte den meinigen; ich hatte viele Tage daran geſchrieben, aber ſein Inhalt verrieth nichts von dem, was ich fühlte und feſt in meiner Bruſt verſchloſſen hielt; die Meinigen ſollten glauben, daß ich in meinem Berufe glücklich und zufrieden ſei. Ihre Abſchiedsbriefe waren mit thränendem Auge oft von mir geleſen und die mir darin ge - ſandten Segenswünſche hatten meinen herben Schmerz gelindert; für lange, lange Zeit ſollten ſie mein einziger Schatz und mein Troſt in der Einſamkeit ſein.
Der Lootſe drückte mir warm die Hand. „ Kopf oben, mein Junge! “ſagte er „ Du wirſt darüber fortkommen; “er ſchien in meinem Herzen geleſen zu haben. Das Boot kam längſeit und er ging von Bord. „ Behaltene Reiſe! “klang ſein ſeemänniſcher Abſchiedsgruß — ſo einfache Worte und doch ſo vielſagend! „ Danke, danke Lootſe! “war die Erwiderung der Beſatzung. Ein letztes Winken mit der Hand und das Boot flog dahin. „ Braßt voll! “commandirte der Kapitän; die Hinterraaen flogen herum, und der Wind blähte wieder ihre17Eine erſte SeereiſeSegel, Fock und Großſegel wurden geſetzt und das Schiff zog hinein in die weite See, die fortan meine Heimath war.
Wir hatten von Tagesfrühe an mit „ Alle Mann “tüchtig gearbeitet; es gab noch ſo manches für See in Ordnung zu bringen und feſt zu machen, damit es bei den zu erwartenden Bewegungen des Schiffes nicht umſtürzte. Jetzt, als wir auch das äußerſte Feuerſchiff und die rothe Tonne hinter uns hatten, welche die Mündung der Elbe kennzeichnet, war alles ſo weit fertig, daß die eine Hälfte der Mannſchaft entbehrt werden konnte. Backbordwache, ſo genannt nach Backbord, der linken Seite des Schiffes, während die andere Steuerbordwache heißt, erhielt Freiwache oder „ Wache zur Coje, “wie ſonderbarer Weiſe der techniſche Ausdruck auf Handelsſchiffen lautet. Ich ging jedoch nicht unter Deck, ſondern ſtand vorn an der Bord - wand und ließ meine Blicke über die endloſe Fläche gleiten, die ſich vor mir aufrollte. Es war das Meer, das ich jetzt wirk - lich ſah, das Meer, nach dem mein Herz ſeit langen Jahren ſich geſehnt, das ungekannt dennoch einen ſolchen Zauber auf mich geübt, das mit geheimnißvoller Macht mich an ſich gezogen, bis ich endlich ſein eigen geworden war. Unbegrenzt, mit dem Himmel ſich verſchmelzend, lag es vor mir, zwar anders, wie meine Phantaſie mir ſein Bild gezeichnet, aber immer gewaltig und imponirend. Ich hatte ſo viel von ſeinen Schönheiten, ſeinen Wundern, ſeinen Schrecken geleſen, daß jetzt die Wirklichkeit meinen Vorſtellungen nicht entſprach. Vergebens ſchaute ich nach den ſich thürmenden Wellen, die ich mir vom Ocean unzer - trennlich dachte; nicht wallend und wogend zeigte ſich mir die dunkle Fluth, ſondern ruhig und friedlich breitete ſie ſich aus. Ich hatte vergeſſen, daß wir uns noch in nächſter Nähe der Küſte befanden, daß der Wind ſüdlich von ihr herüber wehte und deshalb kein Seegang aufkommen konnte. Eine Heerde Delphine umſpielte eine Zeit lang das Schiff, um nach Weſten zu bald wieder zu verſchwinden. Wo ſie hinziehen, dort wirdR. Werner, Erinnerungen. 218Wernerbald der Wind herkommen, ſagen die Seeleute und es trifft bisweilen zu.
Faſt alle Schiffe, mit denen wir am Morgen zugleich Anker gelichtet, hatten wir weit hinter uns gelaſſen und viele von ihnen ſchwammen nur noch wie weiße Punkte auf der Meeresfläche, die nicht mehr von dem gelblichen Waſſer des Elbſtromes getrübt wurde, ſondern eine lichte, grüne Färbung angenommen hatte, in der das Kielwaſſer unſeres Schiffes einen breiten ſilberſchäumenden Streifen zeichnete. Fern am nördlichen Horizonte tauchte Helgoland als bläulicher Hügel auf, doch nur einen Augenblick, dann ſenkte ſich ein grauer Wolkenſchleier herab, entzog es den ſpähenden Blicken, und ſehr bald verwan - delte ſich auch das Bild, in deſſen Anſchauen ich verſunken war.
Wir hatten bisher vor dem Winde geſegelt, der ſtoßweiſe und mit ſehr wechſelnder Stärke wehte. Der Himmel ſah nicht gut aus, auf hellgrauem Grunde ſchwammen dunkle kleine Wolken und jagten darüber hin, als würden ſie von einem Sturme gepeitſcht. Die Sonne hatte ſich den ganzen Tag nicht blicken laſſen, die Möven kreiſchten durchdringend und hielten ſich niedrig über dem Waſſer.
„ Das giebt keine gute Nacht, “hörte ich den Bootsmann ſagen. Er war wieder an Deck gekommen, um ſich See und Himmel zu betrachten, freilich von einem praktiſcherem Stand - punkte aus, als ich. „ Ja “meinte der von ihm angeredete Zimmer - mann „ ein Krümper*Wenn der Wind links herumgeht, ſo ſagen die Seeleute „ er krümpt. “ Gewöhnlich hat er dann keinen Beſtand und das Wetter wird ſchlecht. hält nicht lange vor, und die Blänke dort im Weſten wird bald ihr Geſicht zeigen. “ Kaum waren die Worte des Sprechers verhallt, als auf einmal alle Segel los - kamen und heftig zu ſchlagen begannen. „ Steuerbord Vor - braſſen! “rief der Oberſteuermann vom Hinterdeck; die Segel ſollten ſchärfer an den Wind geſtellt werden.
19Eine erſte Seereiſe„ Da haben wir es ſchon “ſagte der Bootsmann und das Tabaksprümchen flog mit Gewalt in ſeinem Munde von Backbord nach Steuerbord, „ nun wird auch bald das Reefen*Verkleinern der Segel. hinterher kommen. “
Der Zimmermann ging mit zum Braſſen; der Wind war auf Südweſt zurückgeſprungen und friſchte ſteif auf. Die kleineren Segel konnten grade noch ſtehen, aber der jetzt ſeitlich einkommende Winddruck legte das Schiff bedeutend über. Auch änderte ſich zu meinem Erſtaunen die ganze Scenerie um mich überraſchend ſchnell; die von mir vermißten Wellen waren, wenn auch nicht grade thurmhoch, da, als ſeien ſie hervor - gezaubert und wir mußten in einen Strich hineingelaufen ſein, wo ſchon länger ſtarker Weſtwind geſtanden hatte. Das bis dahin ſo ruhig liegende Schiff begann allerlei unerwartete Be - wegungen zu machen, die mir durchaus nicht behagten, ſo daß ich mich krampfhaft an einem Tau feſthielt und mit den Augen vergebens nach einem feſten Punkte am Horizonte ſuchte. Plötzlich ſtampfte die „ Alma “tief in die See, ich verlor das Gleichgewicht, fiel auf das Deck nieder und ein gleichzeitig über den Bug kom - mender kräftiger Sprützer weichte mich gründlich in Salzwaſſer ein.
„ Nun Schweizer, wie gefällt Dir die Seefahrt? “fragte mich der Bootsmann lachend. Die wahrheitsgetreue Antwort hätte gelautet: „ In dieſem Augenblicke herzlich ſchlecht “, aber ſie blieb mir in der Kehle ſtecken oder flog vielmehr unaus - geſprochen mit noch anderen Dingen über Bord. Die See - krankheit hatte mich gepackt und zwar gleich ganz gehörig. Himmel, welches Daſein! über alle Maßen elend. Man hätte mich über Bord werfen können, ich würde mich nicht geſträubt haben, und dazu noch Spott von allen Seiten. Ich wollte hinunter und zur Coje, aber kaum hatte ich die feuchtwarme drückende Luft des Logis geathmet, da wurde es mir wie zum Sterben und trieb mich mit Gewalt wieder in’s Freie. 2*20WernerInzwiſchen war es Abend geworden, der Wind nahm zu, es dampfte tüchtig über den Bug und regnete außerdem noch. Auf der dem Winde abgekehrten Seite vom Großboote, in Lee hinter der Kombüſe*Küche., war eine Parthie Stroh aufgeſtapelt, das man zu irgend welchen Zwecken mitgenommen hatte. Hier fand ich ein einigermaßen gegen Wind und Regen geſchütztes Plätzchen und machte mir ein Neſt. Man hatte wol Erbarmen mit meinem Leiden und ließ mich ruhig liegen, ja in der Nacht deckte mich ſogar Jemand mit einem Stück getheertem Segeltuch zu und ich glaubte den Bootsmann zu erkennen. Vom Sonnabend bis Dienſtag, drei volle Tage, dauerte der ſchreck - liche Zuſtand; von dem was um mich her vorging, empfand ich nichts, ich hatte genug mit meiner eigenen trübſeligen Exiſtenz zu thun. Dann endlich wurde mir beſſer zu Muthe und ich erhob mich aus meinem Bivouak. Die Leute waren beim Mittageſſen, es gab weiße Bohnen und in der Kombüſe ſtand ein Reſt im Topfe. Sie erſchienen mir plötzlich ſehr ver - lockend; ich machte mich darüber her und es blieb nichts übrig, obwol es wol drei Rationen ſein mochten — die Natur wollte ihr Recht haben. Meine Seekrankheit war gewichen; ich fühlte mich noch etwas matt, aber das ging bald vorüber und in wenigen Tagen waren mir auch die Seebeine gewachſen, d. h. ich hatte gelernt, bei den ſchwankenden Bewegungen des Schiffes mich im Gleichgewicht zu halten.
Das alte Seemannsſprichwort bezüglich der Richtung des kommenden Windes: „ Im Sommer die Bänke**Dunkle Wolkenſtreifen am Horizont., im Winter die Blänke, “aus dem der Zimmermann ſeine meteorologiſche Prophezeiung abgeleitet, hatte Recht gehabt. Der aus der Blänke, d. h. aus einem hellen Streifen am Horizont des ſonſt gleichmäßig bedeckten Himmels gekommene Weſtwind hatte unangenehmen Beſtand. Bald war er ſehr ſteif, bald flaute21Eine erſte Seereiſeer etwas ab, aber er blies uns ſtets hartnäckig in die Zähne. Wir kreuzten, nach des Bootsmanns Anſicht, das Blaue vom Himmel herunter und die ewig ſcharf angebraßten Raaen ſcheuerten zu ſeinem Kummer trotz dickſter Bewickelung alle Wanten und Pardunen, wie die Haltetaue der Bemaſtung heißen, entzwei, ohne daß wir deshalb viel weiter gekommen wären. Wir hatten ſeit 8 Tagen die Elbe verlaſſen und erſt die Höhe der hollän - diſchen Küſte erreicht, worüber des Kapitäns Geſicht um nichts freundlicher ausſah. Die Mannſchaft wußte ſich jedoch über die verlängerte Dauer der Reiſe leichter zu tröſten. „ Der Monat dreht und der Koch packt auf “lautet bei ſolchen Anläſſen ihre Lebensphiloſophie, d. h. die Gage läuft fort und an Eſſen fehlts auch nicht; das Uebrige kümmert ſie nicht, wenigſtens was die nautiſche Führung des Schiffes anbetrifft.
Der Matroſe raiſonnirt zwar ſehr gern und über alles mögliche an Bord, wobei ſtets das letzte Schiff, auf dem er diente, das höchſte Lob erhält, wenn er es auch noch ſo ſchlecht hatte, aber in die Navigation miſcht er ſich nicht und kritiſirt ſie nicht. Er hat einen ungemeinen Reſpect vor fachlichem Wiſſen und beugt ſich dieſem willig. Sein Vertrauen in die Fähigkeit des Kapitäns, das Schiff gut und auf dem beſten Wege an den Ort ſeiner Beſtimmung zu führen iſt oft wahr - haft rührend. Mag es bisweilen noch ſo bedenklich mit der Sicherheit ausſehen, und das Fahrzeug auf Haaresbreite am Strande vorbeigehen, der Matroſe legt ſich deshalb ruhig zur Coje und ſchläft die wenigen ihm vergönnten Stunden ohne alle Sorge. „ Der Alte wird es ſchon wiſſen wie er es macht “denkt er bei ſich und wenn auch in dickem Wetter eine Küſte angeſegelt wird, ohne leichtſinniger Weiſe das Senkblei zu ge - brauchen, bis das Schiff hoch und trocken auf dem Strand ſitzt, glaubt er deswegen doch nicht an Unfähigkeit oder ſtrafbare Nachläſſigkeit des „ Alten “, ſondern hält es für ein beſonderes Unglück. Mich kümmerte natürlich das langſame Vorwärts -22Wernerkommen auch nicht, wenngleich ich dabei nicht an das Drehen des Monats und das Aufpacken des Kochs dachte. Ich hatte ſo viel zu ſehen und zu lernen, daß mir die Zeit ungemein ſchnell verfloß. Ich mußte tüchtig heran, aber das war mir grade recht; ich wollte lernen, je mehr und je ſchneller, deſto beſſer.
Meine Schienbeine waren wund vom Erklimmen der Bramwanten, die nicht wie die übrigen Haltetaue der Maſten und Stengen ausgewebt, d. h. mit Strickleitern verſehen ſind. Es galt dann an den bloßen Tauen hochzuklettern um das Oberbramſegel, das höchſte im Schiff, los oder feſt zu machen, oder die Raa auf und nieder zu geben. Das geſchah nämlich ſeitdem ich nicht mehr ſeekrank war, täglich und zwar mußten mein Kamerad Heinrich und ich damit regelmäßig unſere Frei - wache erkaufen, er im Vortop, ich im Großtop. Der Kapitän, von deſſen erziehlichem Einfluß auf uns wir bisher wenig be - merkt, hatte dieſe Anordnung getroffen, um uns flink zu machen, und es läßt ſich nicht leugnen, daß das Mittel probat war. Nichts wird an Bord mehr geſchätzt als Ruhe und Schlaf und es gehört zu den täglichen Vorkommniſſen, daß ſowol der Matroſe wie der junge Officier ſich während der ihnen ver - gönnten kurzen Ruhezeit durch einen Kameraden wecken laſſen, nur um ſich zu ſagen, du kannſt noch ein bis zwei Stunden ſchlafen und im Bewußtſein dieſes Hochgenuſſes ſich auf die andere Seite zu wenden. Für uns Beide war natürlich der Schlaf grade ſo viel werth, und ſehr bald hatten wir das Manöver trotz der wunden Schienbeine in fünf Minuten hinter uns, ſo daß der Kapitän ſeinen Zweck völlig erreicht hatte.
Die Schienbeine waren es aber nicht allein, welche litten; durch das Ziehen an den von Salzwaſſer naſſen Tauen bekamen meine Finger tiefe Riſſe an den Seiten, und ich mußte manchen harten Stoß an Kopf und Körper verwinden, ehe ich lernte, mich geſchickt auf den beſchränkten Räumen des Schiffes zu23Eine erſte Seereiſebewegen — aber ich verbiß die Schmerzen und jeder Tag brachte mich vorwärts. Nicht wenig trug dazu mein Verhältniß zum Bootsmann bei; daſſelbe geſtaltete ſich immer freundſchaft - licher, beſonders ſeitdem er merkte, daß ich gute Fortſchritte im Plattdeutſchen machte, wenngleich er mich deshalb doch „ Schweizer “nannte. Er gab mir allerlei gute Rathſchläge, wie ich mich in dieſem oder jenem ſchwierigen Falle meines Faches zu ver - halten hatte, weihte mich in die Geheimniſſe des Langſpleißes, des Grummetſtroppes, des türkiſchen Knotens und anderer zur Zunft gehörigen künſtlichen Tauwerksarbeiten ein und war ſehr befriedigt, als ich den allerdings traurig mißlungenen Verſuch gemacht hatte, das Tabakskauen zu erlernen. Ich war danach ſo furchtbar ſeekrank geworden, daß ich eine halbe Stunde wie todt lag und mir feierlich gelobte, von ferneren Experimenten nach dieſer Richtung definitiv Abſtand zu nehmen.
Wir befanden uns auf der Höhe von Texel, d. h. nach Schätzung des Kapitäns, denn Sonne und aſtronomiſche Orts - beſtimmung hatten wir in der ganzen Zeit nicht gehabt. Das Loth war unſer einziger Wegweiſer geweſen und wie der Blinde mit dem Stock hatten wir unſern Weg nach der Waſſertiefe und Beſchaffenheit des Grundes, welchen das an ſeiner untern Fläche mit Talg armirte Loth heraufbrachte, fühlen müſſen. Das Wetter hatte ſich bisher verhältnißmäßig gehalten und nur ſelten brauchte ein Reff eingeſteckt zu werden, jetzt jedoch mehr - ten ſich die Zeichen, daß ein gehöriger Sturm im Anzuge ſei. Ueber die gleichmäßige graue Decke des Himmels jagten wieder dunkle zerriſſene Wolken; am Horizont ballten ſie ſich zuſam - men, ſo daß ſie wie Gebirgsmaſſen mit ſcharf geränderten Kuppen erſchienen. Der Wind begann ſtoßweiſe zu wehen und man hörte es oben in den Lüften rauſchen. Die See wurde unruhig, und der Barometer fiel ſtark. Das hätte nun alles noch hingehen mögen, aber das Schlimmſte war, daß der Zimmermann von Frauen, und der Koch von Pferden geträumt24Wernerhatte. „ Siehſt du Schweizer “, ſagte der Bootsmann „ ich halte nicht viel von dieſen neumodiſchen Dingern; ich habe fünfzehn Reiſen nach Grönland und drei nach der Südſee gemacht und über 50 Wallfiſche harpunirt, aber wir haben nie einen Baro - meter gehabt. Wenn man dagegen von Pferden und Frauen - zimmern träumt, dann kannſt Du Dich darauf verlaſſen, dann giebt es auch was. Das trügt nie, und je älter und häßlicher die Frauenzimmer ſind, deſto toller fängt es an zu wehen — das iſt ſo ſicher wie Amen in der Kirche “, dabei flog das Prümchen nach der andern Seite, faſt mit einem hörbaren Ruck, wie beim Rekruten die Augen nach rechts.
Jedenfalls ſchien der Kapitän wenigſtens mit der Schluß - folgerung des Bootsmanns, daß es viel Wind gäbe, einver - ſtanden zu ſein, denn er ließ noch vor Abend die Marsſegel doppelt reefen, wodurch ſie beinah um die Hälfte verkleinert wurden, und das war nicht umſonſt geſchehen. Kurz vor Mitternacht ſchoß der Sturm aus Nordweſt aus und kam an mit Trom - meln und Pfeifen. Er fiel in die Segel und legte das Schiff auf die Seite, daß es ächzte und ſtöhnte. Er wühlte die See auf, und der über das ganze Vorſchiff ſprühende Giſcht leuchtete unheimlich durch die finſtere Nacht. Es mußten Segel geborgen werden, um das Schiff zu erleichtern, das unter ihrem Druck ſchwer in der See ſtampfte und dadurch ſehr in ſeinen Verbänden litt. Das Großſegel, das unterſte am Großmaſt kam zuerſt an die Reihe, dann der Klüver, ein dreieckiges Segel am Klüverbaum, der Verlängerung des ſchräg nach vorn hinausliegenden Bugſpriets. Heinrich und ich wurden hinausgeſchickt, um den Klüver feſt zu machen. Es iſt das eigentlich Matroſenarbeit, weil viel Kraft und Geſchick dazu gehört und bleibt dennoch bei ſchwerem Arbeiten des Schiffes gefährlich. Auf Kriegsſchiffen iſt deshalb unter dem Klüverbaum ein Netz ausgeſpannt, weil die See die Leute herabſchlagen kann. Auf Handelsſchiffen nimmt man nicht ſo viel Rückſicht und glaubte uns Beiden die ſchwere Aufgabe25Eine erſte Seereiſezumuthen zu dürfen, die wir körperkräftig und überdem durch die täglichen Oberbramſegel-Exercitien genügend „ flink “gemacht waren. Wir ſelbſt empfanden natürlich einen berechtigten Stolz über das uns geſchenkte Vertrauen und gehorchten auf das ſchnellſte dem uns gewordenen Befehle.
Das Klüverſchoot, die untere Ecke des Segels mit dem daran befeſtigten Tau ſchlug im Winde ſo heftig, daß das ganze Vorgeſchirr zitterte. „ Feſtgehalten Jungens “rief der Boots - mann uns nach „ und von draußen angefangen, ſonſt ſchlägt Euch der Klüver ohne Gnade vom Baum. “ Wir hörten nur mit halbem Ohr und liefen hinaus. Auf dem Bugſpriet ging es noch, da hatten wir feſtes Holz unter den Füßen und zwei dazu angebrachte Taue, die Laufſtagen, um ſie mit den Händen zu faſſen, aber auf dem Klüverbaum war das „ Feſthalten “leichter geſagt, als gethan. Unten nur das ſogenannte Pferd, ein Tau um darin zu ſtehen, oben den runden glatten Baum. Er mußte zwiſchen Bruſt und Knie geklemmt werden, das war der ganze Halt, denn die beiden Hände gebrauchte man zur Arbeit. Wir kamen indeſſen glücklich hinaus und fingen an, das Segel zu beſchlagen. Es war mir, als hätten wir ein wildes Thier ein - zufangen, ſo ungeberdig zeigte ſich der im Sturm peitſchende Klüver. Verſchiedene Male glaubten wir ihn ſchon gebändigt zu haben, dann riß ihn der Wind uns wieder aus den Händen.
Ich kämpfte meinen erſten perſönlichen Kampf mit den Elementen und es ſtachelte meinen Ehrgeiz, als Sieger daraus hervorzugehen. Heinrich ſchien eben ſo zu fühlen und wir ar - beiteten wie zwei Männer. Die ungewohnte ſeltſame Umgebung trug nicht wenig dazu bei, den Kampf noch aufregender zu machen. Die dunkle Nacht, das Heulen und Pfeifen des Windes in der Takelage, das Rauſchen des Schiffes durch das Waſſer, welches ſich wie ein glühender Berg vor ſeinem Bug aufſtaute, die ſchäumenden, überkopfenden Wellen, denen wir bei dem26WernerAuf - und Niederſtampfen bisweilen ſo nahe kamen, daß unſere Füße ſie berührten — alles das wirkte wie bezaubernd auf mich ein und beſtrickte förmlich meine Sinne. Ja, ſo hatte ich mir das Seeleben gedacht, das war es, wonach ich mich geſehnt, das die Poeſie des Meeres, die mich ſo mächtig ange - zogen und meine Phantaſie beſchäftigt hatte. Oh wie freudig bewegte das mein Herz, ſo hatte ich mich doch nicht getäuſcht und mein Beruf war nicht verfehlt! Mein Geiſt entfaltete ſeine Schwingen, er flog hinaus in die Zukunft und mechaniſch nur arbeiteten meine Hände.
Wir hatten den Klüver wieder halb auf den Baum ge - bracht, aber der gute Rath des Bootsmannes „ Feſthalten “war vergeſſen. Das Schiff ſtampfte auf einmal ſehr ſchwer hinunter. Wir lagen über dem Baum und hielten das ſich ſträubende Segel. Da ſchlug die See unter das Pferd, in dem wir ſtanden und mit Gewalt unter unſere Füße; gleichzeitig faßte der Wind wieder das Klüverſchoot und peitſchte es hinaus in die Luft. In dem Streben, es zu halten, verloren wir durch den Stoß der See von unten das Gleichgewicht, flogen über den Baum fort und ſtürzten hinunter in die gähnende Tiefe. Ich glaubte den Ruf „ Mann über Bord “zu hören, empfand etwas wie einen Schlag — dann verlor ich die Beſinnung.
Als ich wieder zu mir kam und die Augen aufſchlug, lag ich in meiner Coje. Vor mir auf der Seekiſte ſaß der Boots - mann und hatte meine Hand gefaßt.
„ Schweizer “ſagte er und ſeine ſonſt ſo rauhe Stimme klang freundlich und herzlich „ beinah wäre das mit Dir unklar gegangen. Ein ander Mal, da thue, was ich Dir ſage und halte Dich feſt. Siehſt Du mein Junge, wenn man ein ordent - licher Seemann werden will, dann muß man an jedem Finger einen Angelhaken haben und wenn man bei zwei Reffen in den Marsſegeln den Klüver feſt macht, dann müſſen Bauch und Beine wie eine Wantſchraube den Baum feſthalten. “
27Eine erſte Seereiſe„ Wie bin ich denn aber gerettet worden? “fragte ich, „ ich bin doch über Bord gefallen. “
„ Ja, bisweilen iſt ein verkehrter Kink auch zu etwas nütze “erwiederte er lächelnd „ das haſt Du der Beſchlagzei - ſing vom Klüver zu danken. Vorläufig aber ſchweige, trink hier den Schluck, den der Alte Dir geſchickt und dann ſchlafe. Morgen früh mußt Du wieder auf ſein, denn da brauchen wir alle Mann. Es ſteckt noch viel Schlimmes in der Luft, ich fühle es in meinen Knochen und will auch noch etwas zur Coje. “
Dabei reichte er mir eine Flaſche Madeira, aus der ich einen tüchtigen Schluck nahm, der mir wie Feuer durch die Adern rieſelte und mich wunderbar belebte.
„ Danke Bootsmann, wie viel Uhr iſt es? “
„ Gleich vier Glas*Der Tag an Bord iſt in vierſtündige Wachen getheilt. Die Zeit derſelben wurde früher nach Halb-Stundengläſern bemeſſen. Um 12 Uhr beginnt eine neue Wache; wenn deshalb 4 „ Glas “ausgelaufen waren, bedeutete dies 2 Uhr. Trotz Abſchaffung der Sanduhren hat man die alte Bezeichnung beibehalten.. “
Kurz vor Mitternacht hatte ich den Klüver feſtmachen ſollen, jetzt war es bald zwei Uhr; ich mußte alſo zwei Stunden ohne Bewußtſein gelegen haben und der Bootsmann hatte dieſe Zeit von ſeiner Freiwache geopfert, um bei mir zu wachen. Ich war tief gerührt und drückte ihm dankbar die Hand; ich ſtand nicht mehr allein und hatte einen väterlichen Freund gewonnen.
„ Wo iſt Heinrich? “fragte ich weiter.
Der Alte drehte ſich ab[und] fuhr mit der verkehrten Hand über die Augen. „ Er ſchläft — in Gottes Keller “erwiederte er halblaut.
Ich verſtand nur die erſten Worte, den Sinn der letzten jedoch nicht. Der Bootsmann ging zur Coje und bald hörte ich an ſeinen tiefen Athemzügen, daß er ſchlief. Ich ſann darüber nach, was er mit dem verkehrten Kink und der Be - ſchlagzeiſing gemeint haben konnte, aber der ungewohnte Wein28Wernermochte wol wirken, meine Gedanken verſchwammen und ich entſchlummerte ebenfalls. Mein Schlaf mußte ſehr feſt ſein. Ich hörte beim Wachwechſel um vier Uhr nichts von dem ſonderbaren Geſange, mit dem die Freiwache geweckt wird „ Reiß*Gleichbedeutend hier mit dem engliſchen „ rise “, aufſtehen. aus Quartier in Gottes Namen “. Man ließ mich ruhig liegen und erſt gegen Tages Anbruch wurde ich wach, als der Alarm - ruf „ Reeve, Reeve “in die Logiskappe hinunter gellte. Der Sturm hatte ſo zugenommen, daß das letzte Reff in die Mars - ſegel geſteckt werden mußte. Jener Ruf an Bord von Handels - ſchiffen wie „ Ueberall, überall! “bedeutet, daß Noth am Mann iſt und alles flog aus der Coje. Ich fühlte mich wieder voll - ſtändig geſund, war im Augenblick angekleidet und ſprang als einer der erſten die Treppe hinauf an Deck.
Huh! wie wehte es und wie peitſchte Regen und Hagel in das Geſicht, ſo daß man kaum die Augen öffnen konnte! Eine ſchwere Hagelbö war eingefallen. Trotz der heruntergelaſſenen Marsſegel ſtanden Raaen und Braſſen zum brechen; das Schiff lag ſo über, daß faſt die Lee-Verſchanzung im Waſſer ſchleppte; die See dampfte von vorn bis mittſchiffs ununterbrochen über Deck und man konnte nur vorwärts kommen, indem man ſich längs der Bordwand an den Tauen hielt. Der Bootsmann hatte Recht gehabt, es lag noch viel Schlimmes in der Luft.
Mit Anſpannung aller Kräfte gelang es uns, das dritte Reff einzubinden, aber wir lagen über eine halbe Stunde auf den Raaen und brachen uns die Fingernägel an dem naſſen ſteifen Segeltuch, ehe wir es bewältigten. Als wir endlich fertig waren, hatte auch die Bö nachgelaſſen; das Schiff richtete ſich etwas auf und lag bequemer und ruhiger auf dem Waſſer, ob - wol es immer noch ſchlimm genug arbeitete. Es war hell geworden und klarte auf.
„ Mannt**Bemannt. das Loth! “befahl der Kapitän, der die ganze29Eine erſte SeereiſeNacht das Deck nicht verlaſſen hatte und in deſſen Geſicht ich eine gewiſſe Unruhe wahrzunehmen glaubte. Mein Blick fiel auf das Waſſer. Es ſah ſo ſonderbar weißlich aus; alle die Tage hatte ich ſeine ſchöne ſmaragdgrüne Farbe bewundert. „ Flink mit dem Loth “rief der Bootsmann den Leuten zu und ſprang mit der Leine in der Hand mittſchiffs auf die Ver - ſchanzung. Auch in ſeinen Zügen ſchien ſich Beſorgniß auszuſprechen.
„ Was iſt Bootsmann? “fragte ich.
„ Leegerwall*Land unter dem Winde.! “war ſeine kurze Antwort, die mich jedoch ſo klug ließ wie vorher.
„ Paß auf, achter**Hinten.! “erklang es vom Fockwant***Haltetaue des vorderſten (Fock) Maſtes. her und der dort poſtirte Mann warf das Loth.
Der Bootsmann ließ die Leine durch die Hand gleiten und holte, als ſie auf und nieder zeigte, mit großer Haſt das Loſe ein. Ein Lederläppchen, das in der Leine befeſtigt war, ſchnitt mit der Waſſerfläche ab. „ Zehn Faden! “ſagte er zu dem herangetretenen Kapitän und wechſelte mit ihm einen be - deutungsvollen Blick. Ich weiß nicht, weshalb die beiden Worte mich ſo eigenthümlich erſchreckten. Sechzig Fuß Waſſer war ja tief genug für irgend welches Schiff. „ Land in Lee! “rief jetzt ein Matroſe und aller Blicke wandten ſich nach der be - zeichneten Richtung. Ein niedriger grauer Streifen trat aus der ſich verziehenden Bö hervor, wir konnten kaum noch zwei Meilen von der Küſte entfernt ſein. Jetzt wurde mir auf ein - mal die Bedeutung von „ Leegerwall “klar. Wir waren auf einer Leeküſte beſetzt. Die Milchfarbe des Waſſers hatte die geringe Tiefe angezeigt; ſie war der Reflex des hellen Sandgrundes.
Der Kapitän ſah die Grundprobe an, die das Loth herauf - gebracht hatte. „ Es ſtimmt mit dem Beſteck “äußerte er anſcheinend ruhig zum Oberſteuermann, „ wir haben Texel “. 30Werner„ Hans Hanſen “wendete er ſich dann an einen Matroſen, „ Du haſt gute Augen, geh in’s Want und ſieh, ob Du nicht einen Thurm gewahr werden kannſt. “ Der Angeredete enterte auf und ſuchte den Horizont ab.
„ Feuerthurm voraus drei Strich*Der Compaß reſp. der Horizont wird in 360 Grade oder 32 Striche getheilt, von denen einer 11¼ Grad enthält. in Lee “rief er und zeigte mit der Hand nach der Richtung.
„ Gut, “ſagte der Kapitän und winkte ihm herunter zu kommen. „ Wie viel Abdrift haben wir? “fragte er den Steuermann.
„ Vier Strich “meldete dieſer, als er nach der Richtung des Kielwaſſers geſehen hatte. Der Wind war Nordweſt, die „ Alma “lag ſcheinbar etwas ab vom Lande, mit der Drift näherte ſie ſich jedoch demſelben. Wenn ein Schiff ſcharf am Winde ſegelt und nur kleine Segel führt, alſo wenig Fahrt machen kann, ſo geht es nicht in der Richtung ſeines Kiels voraus, ſondern wird vom Winde ſchräg ſeitwärts geſchoben — das iſt ſeine Abdrift.
„ Wir müſſen Segel ſetzen. Ein Reff aus den Marsſegeln! “
Das eben mit ſo viel Mühe und Roth eingenommene Reff wurde wieder ausgeſteckt.
„ Wie viel Drift? “ „ Drei Strich! “ „ Noch zu viel, Großſegel los! “
Das Großſegel wurde geſetzt und verminderte die Drift abermals um 1½ Strich. Das Schiff ging damit grade längs der Küſte, aber das genügte noch nicht, es mußte auch davon abliegen. Der Klüver wurde geheißt. Alles ging gut; das Schiff machte unter dem Preß von Segeln ſchlanke Fahrt und der Feuerthurm wanderte raſch aus. Noch zwei Stunden ſo, dann befanden wir uns in freiem Waſſer und konnten auf - athmen. Augenblicklich war der Wind nicht zu ſchwer für die Segel, aber dort leewärts ſtieg am Horizonte ſchon wieder eine31Eine erſte SeereiſeHagelbö herauf. Man kennt ſie an den dunkelgelben Streifen, die ſich ſcharf gegen das übrige Gewölk abgrenzen und wie eine ſtarre Mauer erſcheinen. Wenn ſie ſo viel Wind brachte, wie die letzte, dann war es kaum denkbar, daß die Segel es aus - halten konnten. Trotzdem hofften wir es; jeder von uns wußte, daß es hieß „ Biegen oder Brechen “. Konnten wir von der Küſte nicht frei ſegeln, ſo waren wir höchſt wahrſcheinlich verloren.
Seit meinem Erwachen hatten die Ereigniſſe des Morgens ſo ſchnell gewechſelt und mein Intereſſe ſo ſehr in Anſpruch genommen, daß mir keine Zeit blieb, mich um etwas anders zu kümmern. Jetzt war eine Ruhepauſe; die vergangene Nacht trat mir wieder lebhaft vor die Seele und damit auch meine noch unaufgeklärte Rettung. Ein Leichtmatroſe von unſerer Wache gab mir Aufſchluß über die näheren Umſtände. Als ich von der See über den Klüverbaum geworfen war, hatte ſich die Beſchlagzeiſing, d. h. das zum Befeſtigen der Segel dienende Tau, durch einen glücklichen Zufall wie eine Schleife um meinen Körper gewunden, was der Bootsmann mit einem „ verkehrten Kink*Eine Verdrehung im Tauwerk; figürlich auch auf „ Ecke “übertragen. “bezeichnete. Dadurch war ich über Waſſer hängen ge - blieben, aber mit dem Kopf gegen den Stampfſtock**Eine Art Strebepfeiler, der vom Bugſpriet nach unten zeigt und zum Straffhalten von Haltetauen des Klüverbaums dient. geſchlagen, beſinnungslos geworden und hatte als lebloſe Maſſe geſchwebt, die bei jedem tiefern Stampfen des Schiffes in das Waſſer getaucht wurde.
Ohne die ſchleunigſte Hülfe wäre ich verloren geweſen und dieſe wurde mir mit eigener größter Lebensgefahr durch den Bootsmann gebracht. Während das Unglück paſſirte, hatte er auf der Back***Der vorderſte Theil des oberen Verdecks. geſtanden. Durch ſeinen Ruf „ Mann über Bord “32Wernerwar die Wache alarmirt. Dann hatte er ſich ein Tau um den Leib befeſtigt, war nach dem Stampfſtock hinausgeklettert, hatte mich in ſeine Arme genommen, die Beſchlagzeiſing abgeſchnitten und mich an Bord getragen. Zweimal war er mit mir völlig in der See begraben worden, hatte ſich und mich aber mit faſt übermenſchlicher Kraft feſtgehalten und mich glücklich gerettet.
„ Und auf welche Weiſe iſt Heinrich geborgen? “fragte ich den Leichtmatroſen.
„ Heinrich? “erwiederte dieſer erſtaunt „ weißt Du denn nicht, daß er über Bord gegangen iſt? “
Ich zuckte erſchreckt zuſammen. „ Aber doch gerettet “rief ich, „ der Bootsmann ſagte mir doch heute Nacht, er ſchliefe. “
„ Ja, in Gottes Keller, da unten auf dem weißen Sande ſchläft er, bis der liebe Gott einmal „ alle Mann “ruft. Nein, zu retten war er nicht. Als wir das „ Mann über Bord “hörten, da ließ der Steuermann ſogleich an den Wind luven und wir braßten im Großtop back*Die Segel ſo ſtellen, daß der Wind von vorn darauf fällt, ſo daß das Schiff durch den Gegendruck zum Stillſtande gebracht wird., um beizudrehen. Die Rettungsboje wurde über Bord geworfen und außer dem Unter - ſteuermann traten wir gleich mit vier Freiwilligen vor, um trotz des ſchlechten Wetters und der finſtern Nacht in das Lee - boot zu gehen. Aber als wir letzteres halb zu Waſſer gelaſſen hatten, da holte das Schiff ſo heftig nach Lee über, daß die See drei Planken im Boot einſchlug und da war natürlich an Retten nicht mehr zu denken.
„ Es hätte uns doch nichts geholfen, “fuhr der Leicht - matroſe traurig fort. „ Als das Boot wieder geheißt war und wir Dich in Deine Coje getragen hatten, ſollte ich ein im Waſſer ſchleppendes Tau einholen. Es hackte etwas daran und ich ſah über Bord was es ſei[.]Da löſte ſich eine größere Maſſe von der Schiffsſeite und trieb langſam ſinkend nach33Eine erſte Seereiſehinten. Es war der arme Heinrich, denn das Waſſer feuerte ſo, daß ſowohl ich wie der Unterſteuermann klar einen menſchlichen Körper erkannten. Da er ein guter Schwimmer war, muß er beim Fallen betäubt worden ſein, denn Niemand hat einen Schrei gehört. Dann iſt er langſeit in die Bucht des Taues getrieben und von ihm feſtgehalten, bis es von mir eingeholt wurde. “
Die Kunde erſchütterte mich auf das heftigſte, weil ſie mich ſo unvermittelt traf — der friſche, von Geſundheit ſtrotzende Knabe von ſo plötzlichem Tode ereilt!
In wie tiefernſter Geſtalt trat mir das Seeleben gleich von vornherein entgegen, mit welcher furchtbaren Deutlichkeit führte es mir vor Augen, daß auf einem Schiffe uns nur eine Planke von dem ſtets offenen Grabe trennt! Wenn Heinrich mir auch nicht beſonders nahe geſtanden hatte, war er mir doch ein guter Kamerad geweſen, deſſen offenes, heiteres Weſen mich anſprach und der auch mir bei jeder Gelegenheit zeigte, daß er mich gern mochte. Ich fühlte deshalb ſeinen Verluſt um ſo ſchmerzlicher, als ich für die übrigen jungen Leute der Mann - ſchaft wenig Sympathie hatte. Unwillkürlich rannen mir die Thränen über die Backen, doch blieb mir keine Zeit dieſen Ge - danken nachzuhängen. Das „ Schlimme in der Luft “ſtürmte jetzt mit ſeiner ganzen Schwere auf uns ein.
Die Bö hatte uns erreicht und entlud ihre ganze Gewalt. Zuerſt kam der Hagel und dann folgte bald der Wind. Der Kapitän wußte, um welchen Einſatz er ſpielte. Von Segel - bergen war keine Rede; wir mußten preſſen — die unheilvolle Küſte war ſchon zu nah, wir durften nicht treiben. Er hatte für alle Fälle die Mannſchaft auf die Windſeite des Hinter - decks beordert und dem Mann am Ruder befohlen, ganz nahe am Winde zu halten.
Da ſetzte mit einem furchtbaren Stoße der Sturm ein und legte mit übermäßigem Drucke das Schiff auf die Seite. Er war ein paar Striche mehr nach hinten herumgegangen undR. Werner, Erinnerungen. 334Wernerpackte deshalb die „ Alma “unter vollen Segeln. Daß ſie nicht kenternd umſchlug, dankte ſie nur ihrer Eiſenladung, wodurch ſie ſehr viel Steifheit*Ein Schiff iſt ſteif, wenn ſein Schwerpunkt ſehr tief liegt; es legt ſich dann nur ſchwer über. Das Gegentheil von ſteif nennt man „ rank “. beſaß; die Segel flogen nicht fort, weil ſie ganz neu waren, doch der Sturm ſuchte ſich einen andern Angriffspunkt.
„ Luv, luv, hart an den Wind! “ſchrie der Kapitän dem Manne am Ruder zu, um die Kraft aus den Segeln zu nehmen. Vergebens! Ehe der Rudergaſt noch gehorchen konnte, ertönte ein Krachen und Raſſeln und Splittern und der Fockmaſt ging über Bord. Der Klüverbaum und das Bugſprit**Der vorn und ſchräg über das Schiff herausragende Maſt. waren von ihm mitgenommen. Unſer Schickſal ſchien beſiegelt, das Schiff war ſteuerlos geworden. Es ſchoß in den Wind, verlor die Fahrt und begann grade auf die Küſte zu treiben.
Unſere einzige Rettung beruhte jetzt auf den Ankern; wir mußten verſuchen den Sturm abzureiten. Wir trieben hinter dem Wrack des Fockmaſtes mit ſeinen Raaen und Segeln. Es gewährte uns in doppelter Beziehung Nutzen; die anrollenden Seen brachen ſich an ihm und ſein Widerſtand im Waſſer ver - langſamte bedeutend unſere Drift. Der Kapitän gab ſeine Be - fehle mit eiſerner Ruhe, die ihre Rückwirkung auf uns nicht verfehlte. Da war kein Zaudern und Zagen, jeder that mit Einſatz der ganzen Kraft ſeine Schuldigkeit. „ Hilf dir ſelbſt und Gott wird dir helfen, “das iſt des rechten Seemanns Credo. Die Anker fielen und die ganze Länge der Ketten wurde vorgegeben. Ehe wir aber ſo weit kamen, war geraume Zeit vergangen und die Küſte nur noch etwa eine Meile entfernt. Wir ſahen die Brandung, wie ſie an den Strand rollte und der Sturm ihren ſchäumenden Giſcht hoch in die Lüfte trug. Die Anker hatten gut gefaßt, und die Ketten hielten, aber nun35Eine erſte Seereiſetrieb das Vorgeſchirr*Das Bugſprit mit Zubehör. gegen unſern Bug. Es rammte auf ge - fährliche Weiſe gegen Schiff und Ketten und mußte deshalb auf das ſchleunigſte gekappt werden. Wir verloren damit frei - lich den bisherigen Schutz und wie gut auch das Schiff ſonſt ritt, ſo brachen die ſchweren Grundſeen doch öfter darüber hin wie über eine Klippe und die Ketten wurden ſo ſtraff geſpannt, daß ſie jeden Augenblick zu ſpringen drohten.
Da der Sturm noch zunahm, mußte zum letzten Hülfs - mittel geſchritten und auch der Großmaſt gekappt werden. Trotz größter Vorſicht zerſchmetterte er beim Sturze zwei Boote und einen Theil der Verſchanzung; im Falle des Strandens hatten wir jetzt nicht einmal ein Boot mehr, denn die übrig gebliebene ſchwache Gig hätte in der Brandung nicht leben können. Zur Rettung des Schiffes konnte unſrerſeits nichts mehr geſchehen; alles Uebrige ſtand in Gottes Hand.
So lange hatten wir mit Anſpannung aller Kräfte arbeiten müſſen und nur an die Ausführung der gegebenen Befehle ge - dacht; jetzt jedoch, wo das Schiff ſelbſt faſt als Wrack in der brandenden See lag und nichts mehr zu thun war, da blieb uns Zeit, über unſere Lage nachzudenken. Sie kam auch mir in ihrer ganzen Furchtbarkeit zum Bewußtſein. Die Ketten waren unſere letzte Hoffnung, ihr Brechen gleichbedeutend mit ſicherem Tode, aber Niemand verlor deswegen den Muth. Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung bei dem Seemanne, daß er nicht an die Gefahr glaubt, bis ſie ihn wirklich packt und er in ihr zu Grunde geht. Das iſt aber ein großes Glück für den Beruf, denn keine vorzeitige Furcht oder Verzweiflung lähmt ſeine Thatkraft; ſie bleibt bis zum letzten möglichen Augenblicke und dadurch grade wird die Gefahr in den meiſten Fällen beſeitigt.
Die Wuth des Sturmes nahm inzwiſchen noch zu. Eine Bö jagte die andere und wühlte die See faſt bis auf den3*36WernerGrund auf. Bald rollten die Wogen wie mächtige Berge heran, hoben das Schiff hoch auf ihren Rücken und ließen es dann wieder blitzſchnell hinabſchießen in das Wellenthal, als ſollte es in ihm begraben werden; bald wurden ſie von der Gewalt des Windes vollſtändig niedergeweht und ringsum kochte und brodelte nur eine ſchäumende Maſſe und überſchüttete das Schiff mit einem Sprühregen.
Der Eindruck, den dieſer Kampf der Elemente auf mich machte, war ein großartiger. Obwohl ich ſeitdem ſo oft ähnliche und kaum weniger furchtbare Scenen erlebt habe, iſt jener Tag vor allem lebendig in meinem Gedächtniſſe geblieben, wohl weil ich damals zum erſten Male die Majeſtät des Meeres ſah. Das Heulen des Orkans, das Rauſchen der Wellen, die daher ſtürmten und deren Kämme mit donnerndem Getöſe überbrachen, das Erkrachen des Schiffes in Fugen und Balken, ſein Aechzen und Stöhnen, als ſei es ein menſchliches Weſen, das inmitten dieſes Aufruhrs der Natur ſeinen Todeskampf kämpfte — wahrlich es war eine Majeſtät, aber von grauenvoller Erhabenheit.
Demüthig beugte ich mein Haupt vor ihr, in der ſich des Schöpfers Allmacht ſo gewaltig offenbarte und ein inbrünſtiges Gebet ſtieg zu ihm empor, deſſen ſtarke Hand allein jetzt unſer ſchwaches Schiff über den dunkeln Waſſern hielt. Nie zuvor hatte ich ſeine Nähe, das Wehen ſeines Odems ſo deutlich gefühlt wie heute inmitten der Wuth des Orkans und des wilden Brauſens der Wellen, inmitten der Schrecken der Luft und der Tiefe.
Und doch beſchlich keine Furcht mein Herz; aus dem be - täubenden Getöſe der erregten Natur ſprach eine tröſtende Stimme: „ Aengſtigt Euch nicht, ich wache über Euch, “und ruhig erwartete ich unſer ferneres Geſchick.
Langſam ſchwand der Tag dahin. Die Mannſchaft war ſämmtlich auf dem Hinterdeck verſammelt; vorn auf dem Schiffe konnte man wegen der überbrechenden Waſſermaſſen nicht ausdauern. Mit Lebensgefahr und oft bis über die Bruſt im Waſſer ſtehend37Eine erſte Seereiſewar von uns das Ankerſpill*Die Winde für die Ankerkette. abgeſtützt worden, um bei den furchtbaren Stößen, die es durch die beim Stampfen ſtraff werdenden Ketten auszuhalten hatte, nicht über Kopf zu gehen. Die Kombüſe war ſchon durch den fallenden Fockmaſt zerſtört; gekocht konnte nicht werden. Schiffszwieback und etwas Rum mit Waſſer diente uns als Nahrung.
Gegen Sonnenuntergang ſchien der Sturm noch einmal ſeine ganze Kraft entfalten zu wollen. Immer härter wehte es, immer höher thürmten ſich die Wellen und warfen das Schiff wie einen Ball ſich einander zu. Bisweilen erklang durch das Brauſen und Rauſchen ein unheimlich gellender Ton, als ob an eine Glasglocke geſchlagen würde. Es waren die Ketten, die zum Springen ſtanden, wenn eine ſchwere Grundſee das Schiff packte und es nach hinten ſchleuderte. Ueber das Geſicht des Kapitäns flog ein leiſer Schatten, wenn der Ton ſich hören ließ; er fühlte, wie wir alle, daß jetzt der kritiſchſte Moment für unſer Schiff gekommen ſei. Er ging jedoch glücklich vorüber. „ Wenn die Sonne hinunterweht, gutes Wetter in Ausſicht ſteht, “dieſe alte Wind - und Wetterregel der Seeleute bewährte ſich auch diesmal.
Gegen acht Uhr Abends brach ſich das Wetter; der dichte gleichmäßige Wolkenſchleier zerriß; hier und dort ſchaute ein Stern hervor, zuerſt nur einen Augenblick, dann dauernd. Die Pauſen zwiſchen den Böen wurden länger, die Kraft der See ſchwächer und das Schiff ruckte nicht mehr ſo heftig in ſeine Ankerketten. Der Wind ſelbſt ließ allmälig nach, drehte ſich dabei nach rechts und die uns drohende Todesnoth ſchien durch Gottes gnädigen Beiſtand beſeitigt. Um Mitternacht hatten ſich die Elemente ganz beruhigt. Ueber uns wölbte ſich der ſternenklare Himmel; der Wind war ſtetig abflauend nach Oſten herumgegangen und dadurch ablandig geworden. Die See fiel38Wernerund bald ſchwankte unſer Schiff nur noch leiſe auf den ſich glättenden Wellen.
Augenblicklich war keinerlei Gefahr vorhanden, die „ Alma “lag zwar als ein hülfloſes Wrack, aber in der Nacht konnte doch nicht viel geſchehen und vor allen Dingen bedurften wir der Ruhe und Erholung nach den furchtbaren Strapazen der letzten 24 Stunden. Drei Viertel der Mannſchaft wurden deshalb zur Coje geſchickt und bald waren im ſüßen Schlummer Angſt und Sorgen des Tages vergeſſen. Der andere Morgen fand uns alle wieder friſch, und rüſtig ging es an die Arbeit. Es galt vorerſt Nothmaſten zu errichten, um den uns nächſten Hafen erreichen zu können. Der Fockmaſt war ziemlich hoch abgebrochen, ſo daß wir ohne zu große Schwierigkeit eine Reſervemarsſtenge daran befeſtigen und eine Marsraa aufbringen konnten. Ehe wir jedoch damit fertig waren, bemerkten wir von Süden her ein Dampfſchiff, das ſeinen Curs auf uns zu nehmen ſchien. Bald erkannten wir auch die Flagge; es war ein holländiſches Kriegsſchiff. Vom Feuerthurm aus hatte man nach Helvoetsluys unſere gefährliche Lage am Tage zuvor mit - getheilt und der Admiral des dortigen Kriegshafens den Dampfer zu unſerer Hülfe entſandt, ſobald die Witterung es geſtattete. Der Commandant ſchickte einige dreißig Mann an Bord, um unſere Anker zu lichten; die Bugſirtaue wurden feſtgemacht, der Dampfer ſetzte ſich in Bewegung, bei dem ſchönen Wetter und ruhigem Waſſer ging es mit ſchneller Fahrt vorwärts und nach wenigen Stunden liefen wir wohlbehalten in Helvoetsluys ein.
Am Hafen hatte ſich eine große Menge Zuſchauer geſammelt, als wir ankamen, um ſtaunend auf die Verwüſtungen zu blicken, die Sturm und See auf unſerm Schiffe angerichtet. Letzteres ſah aber auch ſchlimm aus mit ſeinen gebrochenen Maſten, ſeinen fortgeſchlagenen Booten und zerſchmetterten Verſchanzungen und wir kamen uns als Helden des Tages ordentlich groß vor. Die angeſtellte Beſichtigung von Sachverſtändigen ergab, daß39Eine erſte Seereiſeder Rumpf, trotz der furchtbaren Anſtrengung bei dem Abreiten des Sturmes, unter Waſſer nicht gelitten hatte. Wir brauchten deshalb nicht auf die Helling zu holen, aber die übrigen Repa - raturen erforderten doch eine Zeit von ſechs Wochen und erſt kurz vor Weihnacht konnten wir unſere Weiterreiſe antreten.
Für mich bot der Aufenthalt viel Neues und Intereſſantes in den Anlagen und Etabliſſements des großen holländiſchen Kriegshafens. Wie gewaltig imponirten mir die Linienſchiffe, neben denen unſere „ Alma “wie ein Boot erſchien. Der Sohn unſeres Conſuls, eines deutſchen Kaufmanns, war Kadett auf einem derſelben. Er kam eines Tages in Begleitung ſeines Vaters an Bord, um der Einladung unſers Kapitäns zu einem Frühſtück Folge zu leiſten. Bei dieſer Gelegenheit redete er mich verſchiedene Male an, um von mir Auskunft über den Verlauf des von uns verlebten ſchweren Wetters zu erhalten. Er mochte wohl aus meinen Antworten entnehmen, daß ich nicht zu der gewöhnlichen Klaſſe von Schiffsjungen gehörte und ihm an Bildung gleich ſtand, denn unſere Unterhaltung ſpann ſich immer länger aus. Wir fanden beide Gefallen an einander. Gleiches Alter, gleiche Anſchauungen und Fachgenoſſenſchaft ließen ſehr bald eine gewiſſe Vertrautheit zwiſchen uns entſtehen und ein warmer Händedruck bekräftigte beim Abſchiede unſere junge Freundſchaft. Trotzdem beſchlich mich eine gewiſſe Bitter - keit, als ich ihn in ſeiner ſchmucken Uniform dahin gehen ſah. Als ich mit jugendlicher Begeiſterung mich für den ſeemänniſchen Beruf entſchied, da kannte ich das Seeleben nur aus Büchern und bildete danach meine Begriffe. Ich glaubte, ähnlich wie jener Kadett meine Laufbahn zu beginnen, in Gemeinſchaft mit Meinesgleichen zu leben, in Erprobung meiner geiſtigen Kraft den Ocean zu durchfurchen, die Elemente zu bekämpfen und zu beſiegen, meine Wißbegierde im Anſchauen und Studium fremder Welten zu befriedigen — und wie ganz anders hatten ſich die Sachen geſtaltet! Ich war ein Schiffsjunge, der Letzte auf einer40Wernerniedrigen Stufe des Lebens — das was ich mir geträumt und was der Kadett mir wieder ſo lebhaft in das Gedächtniß rief, war für mich unerreichbar. Deutſchland beſaß keine Kriegsflotte, auf der ich meine Träume verwirklichen konnte, und mir winkte nur ein untergeordnetes Ziel. In dieſe trüben Gedanken ver - ſunken ſtand ich an der Verſchanzung, als ich mich an der Schulter berührt fühlte. Ich drehte mich um und blickte in das Geſicht des Bootsmanns, deſſen treuherzige Augen mit faſt väterlichem Wohlwollen auf mir ruhten. Er mochte wohl ahnen, was in mir vorging und wollte mich auf ſeine Art tröſten.
„ Nicht mit loſen Segeln liegen, Schweizer, damit kommt man nicht vorwärts und treibt nur nach Lee. Immer hübſch voll halten, mein Junge, dann kreuzt es ſich gut auf gegen conträren Wind. “
Ich verſtand, was er meinte, und indem ich ihm dankbar zunickte, wiſchte ich mir die Thräne aus dem Auge, die meinen Blick verſchleiert hatte. Ich gedachte meines Vorſatzes auf der erſten Nachtwache im Hamburger Hafen und wollte muthig gegen eine traurige Stimmung ankämpfen. „ Es iſt nichts werth, immer ſo an Bord zu hocken, “fuhr der Bootsmann fort, „ Du kannſt heute Abend mit mir an Land gehen; ich habe den Alten ſchon um Erlaubniß gefragt und er hat nichts dagegen. Da kommſt Du in anſtändige Geſellſchaft und auf andere Gedanken. Es ſind zwar meiſtens Holländer, aber ich denke, Du wirſt ſie ſchon verſtehen. “
Bald nachher rief mich der Kapitän in die Cajüte und fragte mich, ob ich etwas Geld haben wollte, ich hätte mir ſchon eine Monatsgage verdient. Er war nicht mehr ſo barſch und unfreundlich gegen mich, wie früher, ſondern ſprach wohlwollend zu mir. Die ſchwere Zeit, welche wir kürzlich mit einander verlebt, hatte ihn uns Allen wohl etwas näher gebracht. Gemein - ſam beſtandene Gefahren knüpfen ja gewöhnlich zwiſchen Menſchen ein engeres Band und außerdem hatte er auch wohl dabei die Ueber -41Eine erſte Seereiſezeugung gewonnen, daß unſere geſammte Mannſchaft ſeemänniſch tüchtig war und er ſich auf ſie in kritiſchen Augenblicken ſicher verlaſſen konnte. Was mich ſelbſt betraf, ſo konnte natürlich von eigener ſeemänniſcher Tüchtigkeit noch keine Rede ſein, aber es war ihm wahrſcheinlich nicht entgangen, daß ich verſucht hatte, meine Schuldigkeit zu thun und daß es mir weder an dem nöthigen Willen, noch an den Anlagen fehlte, um ein Seemann zu werden.
In jener Zeit gingen ſehr wenige junge Leute aus dem Binnenlande zur See. Die Schiffe recrutirten ihre Beſatzungen faſt ausſchließlich aus den Küſtendiſtricten und „ Oberländer “oder „ Schweizer “, wie der Bootsmann ſie nannte, wurden nicht nur von ihren Vorgeſetzten, auch von ihren Kameraden mit einem gewiſſen Vorurtheil empfangen, namentlich wenn ſie einen höheren Bildungsgrad beſaßen. Man betrachtete ſie als unberechtigte Eindringlinge und machte ihnen das Leben auf jede Weiſe ſchwer, bis ſie zeigten, daß ſie „ fixe Kerle “waren.
Dadurch, daß ich mir die Zuneigung des Bootsmannes erworben, war allmälig meine Stellung den Matroſen gegenüber eine günſtigere geworden. Er wurde von ihnen willig als der „ fixeſte Kerl “an Bord anerkannt und genoß ungetheilte Achtung. Man wagte deshalb nicht ſo mit mir, ſeinem Schützlinge, um - zugehen, wie es zu jener Zeit allgemein geſchah und vielfach auch noch jetzt der Fall iſt, d. h. die Schiffsjungen als die Diener eines Jeden an Bord zu betrachten und von ihnen nach allen Richtungen und in rüder Weiſe Gehorſam zu verlangen. Ich wurde ſtillſchweigend von jenen Dienſtleiſtungen befreit, die nicht unmittelbar mit meinem ſeemänniſchen Berufe in Zuſammen - hang ſtanden und wenn die Matroſen natürlich auch eiferſüchtig darüber wachten, daß ich ſie als Reſpectsperſonen betrachtete und ſie mit „ Ihr “anredete, ſo traten ſie mir doch allmälig mehr als Kameraden entgegen und beantworteten nicht nur meine Fragen freundlich und eingehend, ſondern unterhielten ſich aus freien Stücken auf der Wache mit mir. Im Allgemeinen waren42Werneres tüchtige Leute. Unter der rauhen Außenſeite barg ſich ein guter Kern, hinter ihrem oft craſſen Aberglauben eine tiefe Religioſität und, trotz ihrer vielen Schattenſeiten, konnte man ihren Charaktereigenſchaften eine gewiſſe Achtung nicht verſagen, wenn man ſie näher kennen lernte.
Die Monatsgage, welche ich vom Kapitän empfing, war zwar nur gering, aber ſie erfüllte mich doch mit Genugthuung. Es war das erſte ſelbſtverdiente Geld, ich ſtand jetzt auf eigenen Füßen. Ich erhielt zwei Thaler monatlich, viel weniger, als die übrigen Schiffsjungen, aber dafür ſtand ich auch in einem anderen Verhältniſſe. Ich war nicht einfach, wie jene, durch den Kapitän angenommen, ſondern durch die Rheder contract - lich als Lehrling engagirt und zwar auf vier Jahre. Ich er - hielt während dieſer Zeit an Bord und am Lande freie Station, meine geſammte Kleidung, und der Kapitän war verpflichtet, mich auch theoretiſch in der Navigation ſo weit vorzubereiten, daß ich am Schluſſe meiner Lehrzeit nach kurzem Beſuch der Navigationsſchule das Steuermannsexamen ablegen und als Steuermann fahren konnte. Dies Lehrlingsverhältniß war bis dahin in Deutſchland nicht gebräuchlich, dagegen in England, Holland und Frankreich, und von meinen Rhedern herüber - genommen, um ſich junge Leute aus beſſeren Ständen zu Steuer - leuten und Kapitänen heranzuziehen. Die deutſche Schifffahrt begann damals allmälig aus ihrem alten Schlendrian heraus - zutreten, und die Rheder ſahen ein, daß die Führung ihrer Schiffe durch Kapitäne von Bildung nur gewinnen könne. Prac - tiſche Seemannſchaft blieb und bleibt zwar immer Hauptſache, aber daneben hergehende theoretiſche Kenntniſſe der Meteorologie, Hydrographie ꝛc. mit Hülfe deren die Reiſen abgekürzt wurden, brachten baaren Gewinn. Wenige Jahre ſpäter, als der be - rühmte amerikaniſche Hydrograph Maury ſeine Wind - und Wetterkarten herausgab, die auf Grund von ſyſtematiſchen Beobachtungen intelligenter Seeleute auf ihren verſchiedenen Reiſen43Eine erſte Seereiſeconſtruirt waren, wies derſelbe überzeugend nach, daß z. B. Reiſen von Europa nach Oſtindien um durchſchnittlich 20 Tage abgekürzt werden konnten, wenn die Kapitäne ſich mit dem Studium der Meteorologie vertraut machten. Das ergab aber für größere Schiffe Erſparniſſe von Tauſenden von Thalern.
Nach Feierabend ging ich mit dem Bootsmann an Land. Er hatte ſich ſehr fein gemacht und auch meinen Sonntagsanzug inſpicirt, ehe wir das Schiff verließen. Unſer Weg führte direct in ein am Hafen gelegenes Gaſthaus, in dem Seeleute verkehrten, aber nur die höheren Chargen von Handelsſchiffen, d. h. Steuerleute und Bootsleute, und damit war die „ an - ſtändige Geſellſchaft “gemeint geweſen. Mein alter Mentor hatte es zwar gut mit mir im Sinne gehabt, aber der Kreis, in den er mich brachte, war nicht dazu angethan, mich zu zer - ſtreuen und zu erheitern. Ich kam mir wie verrathen und ver - kauft unter allen dieſen ernſten, bedächtigen und ſteifen Holländern vor. Da ſaßen ſie in der nur ſpärlich erleuchteten Gaſtſtube an einem ſchwerfälligen Tiſche, auf eben ſo ſchwerfälligen Bänken, Jeder mit einem Glas Genever vor ſich und einer langen Kalk - pfeife im Munde, aus der ſie um die Wette dichte Rauchwolken blieſen, welche das Zimmer mit einem Nebel erfüllten. Es herrſchte eine ſtrenge Rangordnung in den Sitzen, wie mir ſpäter der Bootsmann erklärte, und zwar regelte ſich dieſelbe nach der Zahl der nach Oſtindien gemachten Reiſen. Sieben Reiſen dorthin waren das Erforderniß, um überhaupt in dem Club als Mitglied zugelaſſen zu werden, und erſt dieſe Zahl gab Anſpruch auf das Prädicat „ vollbefahren. “ Unſer Boots - mann war als Gaſt geladen, ſeine drei Reiſen nach der Südſee zählten für voll, und für ſein Anſehen ſprach der Umſtand, daß er einen ſolchen Neuling wie mich einführen durfte. Natürlich war ich ſtumme Perſon und ſuchte vergebens meinen Wider - willen gegen den Genever zu überwinden, den man auch mir vorſetzte, während eine Kalkpfeife mir nicht verabreicht war;44Wernerin Gegenwart von ſo hohen Perſönlichkeiten zu rauchen, wäre nach den Regeln der Schiffsetikette für mich eine Reſpects - widrigkeit geweſen. Die Unterhaltung, eben ſo ernſt, gemeſſen und ſchwerfällig, wie die Perſonen ſelbſt, die ſie führten, drehte ſich natürlich nur um Fachgegenſtände, war aber trotzdem mit ſehr kernigen Ausdrücken gewürzt, an denen die holländiſche Sprache ſo reich iſt, und die ſie in den Augen der Niederländer zu einer ſo „ krachtigen Taal “— kräftigen Sprache — machen, wie ſie ihr Idiom mit Vorliebe und auch mit Recht nennen.
Zwei Stunden hielt ich unter den „ Vollbefahrenen “aus, dann erbat ich mir vom Bootsmann die Erlaubniß, an Bord zurückkehren zu dürfen und zog es vor, auf meiner Kiſte ſitzend, bei dem trüben flackernden Lichte der Logislampe, das Papier auf den Knien, einen Brief an die Eltern zu ſchreiben, während die an Bord zurückgebliebenen Matroſen rauchend und Karten ſpielend die Plätze an den Tiſchen einnahmen.
Das verhältnißmäßig kleine Städchen bot wenig Anziehendes, dagegen deſto mehr Abſchreckendes durch das rohe Treiben in den Quartieren, wo der gewöhnliche Seemann verkehrte. Zur Ehre unſerer Mannſchaft muß ich ſagen, daß ſie ſich von demſelben fernhielt und den Umgang mit dem Abſchaum mied, der einen großen Theil der holländiſchen Kriegsſchiffsbeſatzungen bildete. Holland hatte damals für ſeine Größe eine ungemein bedeutende Schifffahrt und zählte allein 5 — 600 große Oſtindien - fahrer, mit je 40 — 50 Mann Beſatzung; da blieben für die auf das Werbeſyſtem angewieſenen Kriegsſchiffe nicht viel einheimiſche Seeleute übrig, von denen übrigens auch nur ein Bruchtheil den nicht eben gut bezahlten und außerdem wegen ſeiner zweifel - haften Elemente ſehr in Mißcredit ſtehenden Dienſt auf der Kriegs - flotte aufſuchte. Ein Seemann, der etwas auf ſeine Reputation unter den Kameraden gab, ſträubte ſich ſo lange wie möglich dagegen, und ſo war die Marine gezwungen, zur Completirung ihrer Mannſchaften zu nehmen, was ſich bot; der Charakter45Eine erſte Seereiſedieſes Abhubs zeigte ſich auf den Straßen und in den Kneipen in widerwärtigſter Geſtalt. Um eine ſolche kaum den Namen von Menſchen verdienende Bande in Ordnung zu halten, be - durfte es natürlich auch beſonderer Zuchtmittel, aber wie noth - wendig ſie auch waren, machten ſie auf uns doch den pein - lichſten Eindruck. Wir lagen in unmittelbarer Nähe des Linien - ſchiffes „ Kortenaar “mit 800 Mann Beſatzung, das ſich fertig machte, um nach Java zu gehen und waren oft Augen - und Ohrenzeugen der körperlichen Strafen, die faſt täglich ver - hängt wurden, aber durch ihre Härte mir krampfhaft das Herz zuſammenzogen. Ein Mann z. B., der ſchon zum zweiten Male deſertirt und wieder ergriffen war, wurde an einem Tau hängend an der Groß-Raa bis zu einer Höhe von 50 Fuß emporgezogen, dann ließ man ihn in das eiſige Waſſer fallen — wir waren im November — holte ihn auf das Deck und wir hörten, trotz des Trommelwirbels, bei der Execution das Klatſchen des Tauendes auf die naſſen Kleider und das Geſchrei des Delinquenten. Ein anſtändig denkender Menſch, kann ſich frei - lich kaum einen Begriff davon machen, zu welchem Grade von Beſtialität einzelne ſolcher Individuen herabſinken und man weiß nicht, was einen mehr ſchaudern macht, dieſe oder die Strafe. Solche traurigen Eindrücke, die man täglich erhielt, waren nicht geeignet, den Landgang für mich verlockend zu machen und ich wäre deshalb für die übrige Dauer unſeres Aufenthaltes an Bord verblieben, wenn ich nicht nach einiger Zeit auf das freudigſte durch eine Einladung in das Haus unſeres Conſuls überraſcht worden wäre, die ich meinem neugewonnenen Freunde, dem Kadetten, verdankte.
Wie wohlthuend berührte es mich, nach Monaten wieder einmal in einem angenehmen Familienkreiſe verkehren zu dürfen, wo man mich mit Freundlichkeit wie einen Gleichgeſtellten empfing und ich mich wie zu Hauſe fühlte. Wie vergaß ich ſo bald alles Trübe und Bittere der letzten Zeit und mit welchem46Wernererwärmenden Strahle erfüllte die gütige Aufnahme mein ver - zagtes Herz! Manchen ſchönen unvergeſſenen Abend verbrachte ich in jener liebenswürdigen Familie, deren ich mich heute noch ſo dankbar erinnere, und ſo geſtalteten ſich für mich die letzten Wochen unſeres Bleibens in ungeahnt angenehmer Weiſe. Der alte Bootsmann hatte wieder einmal Recht gehabt, die „ anſtändige Geſellſchaft “brachte mich, wenn ſie auch etwas anders zuſammen - geſetzt war, als die von ihm mit dieſem Namen belegte, auf andere Gedanken. Ich lag nicht mehr mit loſen Segeln, ſondern hielt voll und kreuzte damit flott gegen den conträren Wind trüber und bohrender Gedanken auf. Die eintreffenden guten Nachrichten aus dem Elternhauſe trugen nicht wenig dazu bei, mich froh zu ſtimmen, und als unſere Reparaturen beendet waren und wir kurz vor Weihnachten in See gingen, da wurde mir der Abſchied von den guten Menſchen, die ſich des fremden, alleinſtehenden Seemanns ſo liebevoll angenommen, wohl ſchwer, aber gleichzeitig trug ich auch friſchen, hoffenden Muth mit mir hinaus in die weite Ferne und fühlte mich neu gekräftigt, um kommenden Widerwärtigkeiten ſiegreich die Spitze zu bieten.
Mit günſtigem Winde verließen wir den Hafen; ſchon am nächſten Tage tauchten die Kreidefelſen Englands vor unſern Blicken auf und pfeilſchnell ging es bei gutem Wetter durch den Kanal, als wollte die „ Alma “einholen, was ſie verſäumt. Leider dauerte es nicht lange, das Mißgeſchick ſchien ſich an unſere Ferſen zu heften, denn kaum waren wir in den Meerbuſen von Biscaya eingetreten, da begann das Kämpfen mit den Elementen auf’s Neue und das liebe Weihnachtsfeſt brachte uns wenig Freude. Glücklicher Weiſe kamen wir diesmal ohne Ver - luſt an Segeln und Rundhölzern davon, obwohl wir ganz ge - hörig durchgeſchüttelt wurden. Zuerſt blies der Wind ſtürmiſch aus Südweſten, dann ſchoß er mit Trommeln und Pfeifen aus Nordweſt hervor, und erſt als wir uns mit dieſem unter ſtets gerefften Segeln, mit himmelhoher See, mit Hagel und Schnee47Eine erſte Seereiſeund bitterer Kälte bis zur Höhe von Cap Finisterre gequält hatten, fühlte der grimme Poſeidon Mitleid mit uns und ſchickte uns einen ſtrammen portugieſiſchen Norder, mit dem wir unter einem Preß von Segeln ſüdwärts flogen. Anfänglich trauten wir dem Frieden nicht recht und wagten kaum ein Reff aus - zuſtecken, doch die Barometer ſtiegen langſam und der Zimmer - mann träumte nicht länger von Pferden und Frauenzimmern. Da glaubte man denn hinter wie vor dem Maſte, in der Kajüte wie im Logis allmälig an den Beſtand, und es wurde der „ Alma “an Segeln aufgepackt, was darauf hängen wollte.
Nach einigen Tagen ließ zwar die Stärke des Windes bedeutend nach und wir machten nur wenige Meilen durch’s Waſſer, allein uns kam das ganz recht, denn wir waren ununterbrochen ſo lange von Wind und Wetter unſanft umhergeſtoßen worden, daß wir es uns gern gefallen ließen, nicht bei jedem Schritte nach einem Gegenſtande zum Feſthalten zu ſuchen, die Regen - jacke aus geölter Leinwand, den Südweſter und die ſchweren Seeſtiefel bei Seite legen zu können und bei Tiſch unſere Blech - ſchüſſeln nicht mehr in der Luft balancirend halten zu müſſen.
Wir befanden uns auf der Höhe der Straße von Gibraltar und es war ſchon bedeutend wärmer geworden. Mit welchem Behagen genoſſen wir die uns ſo wohlthuende Aenderung! Die hohen Wellenberge, welche der atlantiſche Ocean in die Biscayiſche Bucht wälzt, hatten ſich allmälig geglättet, die dunkelgrüne Färbung des Waſſers war tiefem Blau gewichen und ſtatt der gewaltſam und mit donnerndem Toſen überbrechenden Sturzſeen, die bisher faſt ſtets unſere drohenden Begleiter geweſen, waren es jetzt nur leichte, durchſichtige Wellen, auf denen unſer Schiff ſich wiegte, die tändelnd an Bug und Seiten emporſchnellten, oder leiſe nebenher rauſchten und in deren ſilbernem Schaume die Sonnenſtrahlen ſich badeten. Bis dahin hatten alle Luken verſchloſſen gehalten werden müſſen und die Luft unten im Schiffe war dumpf und ſchlecht. Regen und überdampfende48WernerWellen hatten nachgrade unſern ganzen Kleidervorrath durchnäßt, ohne daß ſich Gelegenheit bot, denſelben wieder zu trocknen und auch unſer Bettzeug war klamm und feucht. Da empfanden wir denn die warme Sonne und den trockenen Wind außer - ordentlich wohlthuend und ſuchten von beiden nach Kräften zu profitiren. In jeder Luke wurden Windſäcke aufgeheißt, um die ſchöne friſche Luft durch das ganze Schiff ſtreichen zu laſſen, und das Oberdeck war in einen Trockenboden verwandelt. Man ſah nur vergnügte Geſichter, und Scherze, wenngleich oft derber Art, flogen hin und her, denn auch auf das Gemüth übte das ſo lang entbehrte ſchöne Wetter günſtigen Einfluß. Am Nach - mittage wurde es ziemlich ſtill, doch erwuchs uns dadurch eine angenehme Abwechſelung, daß wir zwei Schildkröten fingen. In dieſer Gegend, vor dem Eingange zum Mittelmeer, begegnet man ihnen häufig und wenn Windſtille eintritt, kann man bei einiger Geſchicklichkeit ihrer leicht habhaft werden. In allem, was Fiſcherei anbetraf, zeigte ſich unſer alter Bootsmann als Meiſter; Harpunen, Elger*Harpunen zum Fang kleinerer Fiſche. Sie ſind mit 6 — 9 Wider - haken verſehen., Angeln und Netze jeder Art waren in beſter Ordnung und zu ſofortigem Gebrauche bereit. Seine langen Erfahrungen auf dieſem Gebiete ſetzten ihn in den Stand, Alles auf’s zweckmäßigſte einzurichten und ſeiner großen Geſchick - lichkeit entging ſelten ein Fang auf den er Jagd machte. Bei Inſtandſetzung der Fiſchereigeräthſchaften mußte ich ihm meiſtens helfen; er zeigte mir dann die Handgriffe und belehrte mich, wie dieſer oder jener Fiſch am beſten zu erlegen ſei, was mir ſpäter ſehr zu ſtatten kam.
Als wir die erſte Schildkröte in Sicht bekommen hatten, wurde ſcharf nach anderen ausgeſehen und alles bereit gehalten. Es dauerte auch nicht lange, da kamen eine zweite und dritte angetrieben und zwar Beide von ziemlicher Größe. Durch49Eine erſte SeereiſeBacklegen der Segel wurde die geringe Fahrt des Schiffes gänzlich gehemmt und dann ein Boot zu Waſſer gelaſſen. Wenn Schildkröten ſich längere Zeit an der Oberfläche des Waſſers zeigen, ſo ſchlafen ſie gewöhnlich und man muß ſich ihnen ſehr geräuſchlos nähern, um ſie nicht vorzeitig zu wecken. In einer Entfernung von 15 — 20 Metern geben die Ruderer dem Boote noch mit aller Kraft eine letzte Vorwärtsbewegung und laſſen es damit laufen. Es iſt danach Aufgabe des Mannes am Steuer, das Boot genau auf das Thier zu dirigiren, da davon der Fang abhängig iſt. Vorn im Boot ſteht der Mann mit dem Schildkrötennetz, einem ſehr einfachen Inſtrumente. Zwei Stangen, gewöhnlich Bootshaken, werden wie ein Andreas - kreuz über einander gebunden. Zwiſchen den beiden äußern und kürzeren Scheeren wird ein grobmaſchiges Netz ſackartig, aber nicht zu tief herabhängend, befeſtigt, die längere Scheere dient als Handhabe und der Steven des Bootes als Stützpunkt. Die ganze Kunſt beſteht dann darin, das Netz in dem richtigen Augenblicke ſo weit zu ſenken, daß man damit die Schildkröte unterfährt, und danach es ſofort wieder über Waſſer und in das Boot zu heben. Dort legt man das Thier auf den Rücken, um es gänzlich unſchädlich zu machen, muß ſich jedoch in Acht nehmen, nicht ſeinem Maule nah zu kommen. Mit den einem Papageiſchnabel ähnlich geformten und meſſerartig ſcharfen Hornkiefern ſchnappt es um ſich und iſt im Stande einen Fuß - oder Armknochen morſch abzubeißen.
Der Bootsmann handhabte das Netz und im Verein mit dem geſchickten Steuern des Unterſteuermanns gelang es, nicht nur die beiden vorhin geſehenen, ſondern noch eine dritte Schild - kröte zu fangen, die wir ſpäter entdeckten. Dann friſchte die Brieſe auf, das glatte Waſſer wurde rauh und wir mußten an Bord zurück. Die gefangenen Thiere hatten ungefähr gleiche Größe, wogen zwiſchen 40 — 50 Pfund und gaben für die ganze Beſatzung verſchiedene wohlſchmeckende Mahlzeiten. IchR. Werner, Erinnerungen. 450Wernerhabe auf ſpäteren Reiſen in dieſer Gegend noch oft Schildkröten gefangen, doch nie größere geſehen, während man in ſüdlicheren Ländern bisweilen ganz außerordentlich mächtige Exemplare bis zu 5 — 600 Pfund Gewicht findet. Zwei ſolche Thiere kaufte ich einmal auf der Inſel Ascenſion, um ſie mit nach Europa zu nehmen. Unſere Reiſe dauerte 8 Wochen. Während der ganzen Zeit lagen die Schildkröten unter dem Decksboot auf dem Rücken mit einem naſſen Sack unter dem Kopfe und wenn die See es nicht ſelbſt beſorgte, wurden ihnen täglich zur Er - friſchung ein Paar Eimer Waſſer über den Körper geſpült. Zu freſſen erhielten ſie nichts, weil wir nichts für ſie hatten, aber trotz der wenig behaglichen Situation kamen beide Thiere lebend in Deutſchland an und eine von ihnen hatte ſogar die Freundlichkeit, einige Wochen lang täglich 15 — 18 Eier zu legen, die wir uns wohl ſchmecken ließen.
Es ſchien, als ſollten wir für alle das bisher erlebte Un - gemach an Wind und Wetter jetzt entſchädigt werden, denn der Norder wuchs wieder zu einer ſteifen Brieſe, die uns mit zehn Meilen Fahrt vorwärts trieb und uns in wenigen Tagen auf die Höhe von Madeira und damit an die Grenze der Tropen brachte. Doch vergebens ſtrengten wir unſere Augen an, um die ſchöne Inſel am fernen Horizonte zu entdecken. Die eigen - thümliche aber ganz praktiſche Belohnung, welche auf Hamburger Kauffarteiſchiffen demjenigen winkt, welcher nach längerer See - reiſe zuerſt das Land ſieht, nämlich das nöthige Segeltuch zu einer Hoſe, die dann der Betreffende ſich ſelbſt anzufertigen hat, blieb diesmal unverdient und Madeira kam nicht zum Vorſchein. Das verdarb für den Tag Allen die gute Laune; dem Kapitän, der ohnehin nicht viel davon beſaß, weil ſeine aſtronomiſche Rechnung ſo ſchlecht ſtimmte; den Leuten, weil ihnen die Segel - tuchhoſe entgangen war, und mir ſelbſt auch, weil ich auf meiner Freiwache zwei volle Stunden umſonſt im Top geſeſſen und Ausguck gehalten hatte.
51Eine erſte SeereiſeDas ſchöne Wetter brachte indeſſen bald alles wieder in das rechte Gleis. Der Nordwind war in den Nordoſtwind übergegangen und wir hatten die Region des Paſſates erreicht, die Region des ewigen Friedens und der Ruhe in der Natur, die der Seemann mit vollen Zügen genießt, in der er die harten Mühen und Entbehrungen ſeines Lebens vergißt und in welcher der Schöpfer alles an Schönheit und Lieblichkeit vereint hat, was das Meer aufweiſt. Kein Sturm, keine tückiſche Hagelbö iſt zu fürchten; die Stunden der Nachtruhe werden nicht durch den Nothruf „ Reewe, reewe! “geſtört, Nebel und Finſterniß haben ihre Schrecken verloren. Kaum merkbar ſchwankt das Schiff auf den vom Winde leicht bewegten Wellen und zieht Wochenlang ſeine Bahn durch ſie, ohne daß die Stellung der Segel verändert wird, weil die milde gleichmäßige Brieſe ſtets aus derſelben Richtung weht. Das Meer leuchtet in dem ſchönſten tiefſten Blau, über ihm wölbt ſich in lichter Klarheit das Firmament und von keinem neidiſchen Gewölk ge - trübt, ſendet die Sonne ihre goldigen Strahlen hernieder, aber nicht ſengend und verzehrend, ſondern überall Leben ſpendend und fördernd, durch den Wind und die Verdunſtung des Waſſers gemäßigt und deshalb auch von den Menſchen nur wohlthätig empfunden. Die Stetigkeit und Ruhe in der Natur legt der Beſatzung keinerlei außergewöhnliche Anſtrengungen auf, wie in den nordiſchen Gegenden und das Uhrwerk des Seetages rollt ſich gleichmäßig ab. Die Arbeit hört deswegen freilich nicht auf; im Gegentheil es giebt mehr davon, als ſonſt, aber ſie iſt nicht anſtrengend und die Zeit ſchwindet ſchnell dabei. Der Landbewohner kann oft nicht begreifen, daß man an Bord ſo viel zu thun hat, und doch iſt es in ſolchem Grade der Fall, daß man mit der Arbeit nie fertig wird, mag die Reiſe auch noch ſo lange währen. Selbſt aber, wenn nothwendige Arbeit nicht vorliegt, muß aus Rückſichten der Disciplin irgend welche ge -4*52Wernerſchaffen werden; nur ſtete Beſchäftigung der Beſatzung kann dieſelbe vor unnützen Gedanken bewahren.
Nicht mit Unrecht ſagt man von einem Schiffe, es ſei wie eine Damenuhr ſtets reparaturbedürftig; das iſt wirklich der Fall; es kommt nie völlig in Ordnung. Durch die ſtete Bewegung, denen Segel und Taue ausgeſetzt ſind, ſcheuern ſie aneinander und leiden. Um dem vorzubeugen, die ganze Takelage darauf hin zu revidiren, ſie mit Schonungsmaterial zu bewickeln u. ſ. w. wird allein ſchon täglich eine mehrſtündige Arbeit von einigen Menſchen beanſprucht. Sodann geht vieles durch den Gebrauch entzwei und muß erſetzt werden. Regen und See waſchen den Theer vom ſtehenden Gut, die Farbe von den Maſten, Raaen und Planken; die Hitze ſchmilzt das Pech aus den Näthen und reckt die Haltetaue der Maſten und Stengen, ſo daß ſie ſtraffer angeſetzt werden müſſen — genug Arbeit vollauf und ohne Ende. Aber ſie iſt, wie geſagt, nicht ſchwer, ſie fordert keine große Anſtrengung, es iſt keine Eile nöthig und ſo befindet ſich der Matroſe wohl dabei, genießt nach Herzensluſt die ſchöne ruhige Zeit und ſammelt neue Kräfte für die kommenden Strapazen, die ſeiner außerhalb der Tropen wieder harren.
Gegenſegler hat man im Paſſat kaum zu fürchten; ſie nehmen eine andere Route und mit dem Ausguck wird es des - halb nicht ſcharf gehalten. Da bleibt dann Nachts nur eine Stunde Dienſt am Ruder und Zeit genug zum Schlafen. Die Freiwachen am Tage wurden deshalb nicht mehr wie bisher angewandt, um womöglich Vorrath zu ſchlafen, ſondern zu allerlei Beſchäftigungen, nützlichen und unnützen verwerthet. Unter den nützlichen ſpielte die Inſtandhaltung der Kleider und ihre eventuelle Neuanfertigung die Hauptrolle. Ich lernte nicht nur ſtopfen und nähen, ſondern auch Maß nehmen und zu - ſchneiden, wenn die Erſtlinge der Kunſt auch wunderliche Modelle abgaben. Segeltuch war geſuchtes Material; ſowohl Beinkleider53Eine erſte Seereiſewie Mützen und Schuhe wurden daraus hergeſtellt und die Ueberbleibſel der in der Nordſee fortgeflogenen Segel ſtiegen bedeutend im Werthe.
Aus mitgenommenem Havannahſtroh, das in allen See - plätzen käuflich iſt, wurden Hüte geflochten und es war wirklich zu bewundern, wie geſchickt ſich die Matroſen in all’ dergleichen zeigten. Hatte man die Kleider in Ordnung gebracht, dann ging es an das Teppichnähen. Freilich waren die Zuthaten nur primitiv; getheertes braunes und weißes Manillatauwerk, zu denen noch etwas rothe oder blaue Stoffwolle trat; mehr hatte man nicht, aber Geduld und Geſchick ſchufen aus dieſen einfachen Sachen ganz hübſche Gegenſtände.
Zu den unnützen Beſchäftigungen gehörte das Tätowiren, das unter den Matroſen ſehr im Schwange iſt, und das man natürlich als junger Menſch auch hübſch findet und mitmacht, während man ſpäter nicht begreifen kann, wie man an einer ſolchen Geſchmackloſigkeit hat Gefallen finden können und ſich glücklich ſchätzt, wenigſtens nur ſolche Körpertheile verunſtaltet zu haben, die gewöhnlich durch die Kleidung verdeckt werden. Drei Nähnadeln werden ſo zuſammengebunden, daß ſie ein Dreieck bilden und die vorderſte ein wenig mehr vorſteht, als die beiden hintern — das iſt das Inſtrument, mit dem man ſich in den Konturen der vorher aufgezeichneten Figuren die Haut aufreißt, um in die kleinen Löcher chineſiſche Tuſche oder Zinnober zu reiben, je nachdem man blaue oder rothe Täto - wirung wünſcht. Es iſt eine ziemlich ſchmerzhafte Operation und mir immer unbegreiflich geweſen, wie manche Seeleute ſich den ganzen Körper haben tätowiren laſſen können.
Kommt etwas Jagdbares in Sicht, ſo wird jedoch ſchleunigſt jede andere Beſchäftigung bei Seite geworfen. Tümmler oder Meerſchweine, Delphine und Bonniten ſieht man in den Tropen ſehr viel; oft umſpielen ſie in großen Herden, namentlich die Tümmler, das Schiff und jagen ſich in tollen Sprüngen. Sie54Wernerwerden mit der Harpune gefangen, ſind aber ſo ſchnell, daß man ſelten einen bekommt. Obwohl wir im Laufe der Reiſe vielen Tauſenden dieſer Thiere begegneten, fingen wir nur zwei, die beide vom Bootsmann harpunirt wurden. Merkwürdig iſt es, daß die Herde, mag ſie noch ſo groß ſein, ſofort ſpurlos verſchwindet, ſobald ein Thier harpunirt oder auch nur ver - wundet wird. Nach altem ſeemänniſchen Glauben ſollen die Tümmler ſtets nach der Richtung ziehen, aus welcher man den Wind erwarten darf. Es verhält ſich jedoch damit, wie mit den meiſten Wetterregeln, ſie treffen eben ſo oft zu, wie nicht. Delphine und Bonniten ſind leichter zu erlegen als Tümmler. Sie ziehen gewöhnlich in grader Linie und mit derſelben Geſchwindigkeit wie das Schiff ſelbſt, vor dem Bug deſſelben und nahe unter der Oberfläche hin, um ſich die Jagd auf fliegende Fiſche bequem zu machen, die ihr Nahrungs - mittel bilden. Dieſe werden nämlich durch das Geräuſch des Schiffes, das letzteres beim durchſchneiden des Waſſers macht, aufgeſcheucht und fliegen dann Strecken von hundert und mehr Fuß, um in dem Augenblicke, wo ſie wieder das Waſſer be - rühren von ihren mit gleicher Schnelligkeit folgenden Feinden erſchnappt zu werden.
Die etwa einen Meter langen Delphine, deren wunderbares Farbenſpiel beim Sterben auch in das Reich der Fabel gehört, oder wenigſtens ſehr übertrieben iſt, werden mit dem neun - zackigen Elger harpunirt, die Bonniten dagegen mit Angeln gefangen, deren Köder, einen blanken Zinnfiſch, man auf der Waſſeroberfläche hüpfen läßt. Bei beiden Arten iſt das Jagd - vergnügen die Hauptſache. Das Fleiſch des Tümmlers ſchmeckt ziemlich gut, Delphin und Bonnit ſind jedoch äußerſt trocken und erſterer wird immer mit einem ſilbernen Löffel gekocht und nur mit Mißtrauen gegeſſen. Er ſoll ſehr häufig giftig ſein, namentlich in der Nähe der africaniſchen Küſte, wo der Meeres - boden kupferhaltig iſt. Ein äußerſt ſchmackhaftes und ſtets55Eine erſte Seereiſewillkommenes Gericht liefern dagegen die fliegenden Fiſche. Ihnen ſtellten wir daher eifrig nach und auch mit recht gutem Erfolge. Außenbords wurden möglichſt nahe über der Waſſer - fläche an Stangen Netze horizontal befeſtigt und Nachts eine Laterne hineingehängt. Die durch das Schiff aufgeſcheuchten Fiſche flogen dann oft gegen das Licht und bisweilen fingen wir in einer Nacht mehrere Dutzend. Nichts kann den Reiſen - den einen deutlicheren Begriff von der wunderbaren Reichhaltig - keit der Meeresfauna geben, als der fliegende Fiſch. Er lebt innerhalb der Wendekreiſe, alſo in einer Zone, welche bei un - gefähr 1000 geographiſchen Meilen Breite die ganze Erde um - faßt. Wenn man in dieſer Zone ſegelt, ſieht man in irgend einer Richtung beſtändig Schaaren von ihnen fliegen, die oft nach Hunderten und Tauſenden zählen.
Dann und wann zog auch eine Herde Pottfiſche in der Nähe vorüber und feſſelte unſere Aufmerkſamkeit; überhaupt fehlte es für mich, da mir alles dies neu war, nicht an Ab - wechſelung.
Mein Lieblingsplatz war der Außenklüverbaum, die zweite Verlängerung des Bugſpriets und vierzig bis funfzig Fuß vor dem Schiffsrumpfe gelegen. Dort ſaß ich auf meiner Frei - wache im Paſſat oft Stundenlang, um den Ocean in ſeiner ganzen Schönheit bewundernd zu betrachten und ſeinen Zauber voll auf mich wirken zu laſſen. War das Meer mir im Nor - den in ſchauerlicher Erhabenheit und Majeſtät erſchienen, ſo bot es hier das Bild lieblicher und doch großartiger Ruhe. Leiſe ſchaukelte ſich auf den vom goldigen Sonnenlichte über - goſſenen Fluthen das Schiff, das ich draußen, von meinem luftigen Sitze, wie ein von mir getrenntes Weſen überſchaute. Dort unten der ſchmale ſchwarze Rumpf, an deſſen ſcharfen Bug ſich die Wellen ſchäumend kräuſelten und in ihrem feinen Waſſerſtaube die Sonnenſtrahlen zu einem Regenbogen verdich - teten — darüber der Pyramidenbau der von der gleich -56Wernermäßigen Brieſe geſchnellten ſchneeweißen Segel deren Spitze — das dreieckige Himmelſegel — ſich wirklich im Himmel zu ver - lieren ſchien und ringsum die weite endloſe Waſſerfläche — wahrlich ein prachtvolles Bild, an deſſen Schönheit ich mich nicht ſatt ſehen konnte und das die ganze Poeſie des Meeres in ſich verkörperte.
Man glaubt vielfach, der Seemann ſei nicht religiös, und wenn man bisweilen ſein Gebahren am Lande ſieht, ohne ihm auch an Bord zu folgen und dort ſein Weſen und ſeinen Charakter zu beobachten, ſo ſcheint dieſe Anſicht eine Berech - tigung zu haben, aber ſie iſt trotzdem irrig. Ein tief religiöſer Zug geht durch ſein Gemüth, und das iſt bei ſeinem Leben auch nicht anders möglich. Nur ein völlig verderbtes und verhärtetes Herz kann unempfänglich ſein gegen die Schönheiten und Wunder, mögen ſie auch oft grauſig erſcheinen, in denen Gott ſeine All - macht auf dem Meere offenbart.
Die ganze Natur, in Berg und Thal, in Wald und Feld iſt zwar auch voll von ſolchen Wundern, aber nirgend ſprechen ſie ſo laut und vernehmlich zum Menſchen, wie auf der See. Das Heulen und Pfeifen des Sturmes, das Brauſen der Wogen, wenn der Orkan ſie peitſcht, das Donnern und Ziſchen und Schäumen der Brandung, wenn ſie ſich an den Felſen bricht, oder brüllend ſich auf den Strand wälzt, das Aechzen und Stöhnen des Schiffes in dem wüthenden Ringen mit den toſenden Elementen, wenn nur eine ſchmale Planke den Menſchen von dem naſſen Grabe trennt — und dann wieder ein Bild wie das obige im Paſſat — das ſind Mahnungen, dem ſich auch die roheſte Natur nicht verſchließen kann. Sie künden die Nähe Gottes, ſeine Liebe und ſeine Allmacht; unwillkührlich nehmen ſie das Herz des Seemannes gefangen und leiten ihn unmerk - lich auf die Bahn der Religion und Gottesfurcht. Selten giebt der Matroſe zwar ſeinen Gefühlen nach dieſer Richtung Aus - druck, ja er mag ſich oft ſelbſt nicht einmal klar darüber ſein,57Eine erſte Seereiſeaber ſie ſind vorhanden und wenn ſich die Religion des See - mannes wenig im Aeußern und in ſeinen Worten zeigt, ſo ruht ſie tief im Innern ſeines Herzens und giebt ſich in Thaten kund, die einer edlen Geſinnung entſtammen.
Daß dieſe Religion mit Aberglauben verbunden, ja öfter von ihm überwuchert iſt, erklärt ſich ebenfalls leicht aus den Verhältniſſen und iſt viel eher zu entſchuldigen, als bei anderen Klaſſen. Wenn die angeblichen Wunder von Lourdes, Marpingen und Dittrichswalde ſo viele Tauſende von intelligenten Gläubigen finden, wenn der Spiritismus in den höchſten Klaſſen der Ge - ſellſchaft ſeine Triumphe feiert, darf man dem Matroſen gewiß keinen Vorwurf daraus machen, wenn ſein ungeſchulter Geiſt gewiſſe Wirkungen übernatürlichen Urſachen zuſchreibt. Bei ſeinen vielen und weiten Reiſen hat er ſo viel Wunderbares geſehen und erlebt, für das ihm ſeine geringe geiſtige Entwickelung keine Erklärung zu geben vermag. Die Natur offenbart ſich ihm in ſo großem Styl und unter ſo ungewöhnlichen Verhältniſſen; er erblickt räthſelhafte Erſcheinungen, er hört Geräuſche und fühlt Einflüſſe, von denen er ſich auf einfache Weiſe keine Rechenſchaft zu geben vermag — da iſt es nur natürlich, daß ſolche Wahrnehmungen dem Aberglauben Nahrung geben, daß der Matroſe das Segeln am Freitage für ein Unglück hält, daß er in den electriſchen Elmsfeuern, welche bei Gewittern mit ihren bleichen grünlichen Schein die eiſenbeſchlagenen Spitzen der Maſten und Raaen Irrlichtern gleich umflattern, die Seelen verunglückter Kameraden erblickt und auf die Exiſtenz des Klabautermann ſchwört.
Doch andrerſeits wieder gewinnt dieſer Aberglaube nie ſo viel Gewalt über ihn, um ihn ſeiner Pflicht untreu werden zu laſſen. Er bleibt bei alledem practiſch und ein Axiom ſeiner Religion iſt „ hilf dir ſelbſt, ſo wird Gott dir helfen “. Er vertraut auf die Vorſehung, aber auch auf Anker und Ketten, auf Taue und Segel und wenn er auch an die Erſcheinung des Klabautermann und das Unglück glaubt,58Wernerdas damit unvermeidlich ſeinem Schiffe droht, ſo legt er des - wegen nicht trübſelig die Hände in den Schooß, ſondern gebraucht bis zum letzten Augenblick ſeine Kräfte, um das Unglück abzuwenden, und einen ſolchen Aberglauben kann man ſich dann ſchon gefallen laſſen. Er gefährdet weder den Betreffenden noch Andere.
Wie ſich Gegenſätze oft im Leben berühren, ſo findet das auch im Bordleben ſtatt. Wenn mich da draußen auf der Spitze des Außenklüverbaums eine Stunde lang ein poetiſcher Hauch umwehte und ich, geiſtig losgelöſt von meiner Umgebung, nur dem Fluge meiner Gedanken folgte, dann wurde ich beim Wiederbetreten des Decks oft unſanft in die rauhe Proſa des täglichen Lebens zurückgeführt. Zu ſolcher Proſa und zwar zu einer ſehr ſchmutzigen gehört auch das „ Labſalben “, das Theeren ſämmtlichen ſtehenden Gutes, d. h. aller derjenigen Taue, welche wie Wanten, Pardunen, Stagen ꝛc. zum Halten der Maſten und Stengen beſtimmt und ſtraff geſpannt ſind, während als Gegenſatz das laufende Tauwerk beweglich iſt und vorzugsweiſe zur Handhabung der Segel dient. Der Theer conſervirt die Takelage gegen Witterungseinflüſſe; die Operation des Labſalbens wird auf längeren Reiſerouten etwa alle ſechs Monate vollzogen und zwar vorzugsweiſe in den Paſſatgegenden, wo die Witterung dauernd gut iſt. Den jüngeren Mannſchaften fällt dabei natür - lich, wie überall, die unangenehmſte Aufgabe, das Einſchmieren der Stage zu, die von den Toppen der Maſten und Stengen ſchräg nach vorn und unten führen. Auf meinen Theil kam das ganze Vorgeſchirr, d. h. das größte Penſum, das mich mehrere Tage in Anſpruch nahm. Ein Beſenſtiel oder ein ähnlicher Holz - knüttel hing in Tauen und bildete für den Labſalbenden den Sitz. Er wurde mit einer laufenden Schleife ſo an dem Stag befeſtigt, daß man letzteres mit den Händen gut erreichen konnte. Mittels eines anderen Taues, wurde dann der ironiſch „ Boots - mannsſtuhl “genannte Sitz an das obere Ende des Stags gezogen, man ſetzte ſich hinein und wurde je nachdem die Arbeit59Eine erſte Seereiſefortſchritt, allmälig hinunter gelaſſen. Das Handwerkszeug waren ein Eimer voll Theer, der ſeitwärts am Bootsmannsſtuhl hing und ein Büſchel Werg, mit dem man ſchmierte. Da hing man denn hoch oben zwiſchen Wind und Waſſer, wie der Dieb am Galgen und ſuchte ſeine Arbeit ſo gut wie möglich zu machen. Wie auf dem Außenklüverbaum ſchwebte ich auch hier losgelöſt von meiner Umgebung, aber zu poetiſchen Träumen war beim „ Labſalben “keine Zeit; ich hatte meine ganze Aufmerkſamkeit auf den flüſſigen Theer und darauf zu richten, daß ich einer - ſeits keine freien Stellen, ſogenannte Feiertage, ließ und andrer - ſeits nicht Theer auf das Deck verſchüttete. Für beides hatte unſer Bootsmann ein gutes Auge, und ſo vortrefflich ich auch mit ihm ſtand, konnte mir dies Verhältniß nicht ein nochmaliges Hinunterreiten am Stag und Abſchaben der Theerflecke während meiner Freiwache erſparen. Daß trotzdem einzelne ſolche Flecken unvermeidlich waren, erklärt ſich aus der Situation, über hundert Fuß hoch in den Lüften an einem einzelnen Taue zu hängen, aber die meiſten fallenden Tropfen fing man mit dem eigenen Körper auf und wenn irgendwo, ſo iſt der landläufige Ausdruck „ Theerjacke “für Matroſen beim Labſalben zutreffend. Wie ſah man nach Beendigung der Arbeit aus und wie ſchwer war es, ſich wieder zu reinigen!
Das Hauptreinigungsmaterial beſtand in altem Fett, das der Koch vom Salzfleich abſchäumt und das an Bord geſammelt wird, um die Stengen einzuſchmieren, damit die Raaen an ihnen gut auf - und niedergleiten. Damit ließ ſich denn auch das Gröbſte entfernen, aber die ätzende Flüſſigkeit fraß ſich ſo in die Hände ein, daß ſie vollſtändig dunkelbraun erſchienen und es Wochen dauerte, bis ſie allmälig ihre natürliche Farbe wieder annahmen. Bei reichlicher Anwendung von Waſſer und Seife wäre der Prozeß wohl bedeutend ſchneller von Statten gegangen, aber das war zur damaligen Zeit auf Kauffartei - ſchiffen, welche lange Reiſen machten, ein Luxus, nach dem man60Wernerſich zwar oft genug ſehnte, der einem aber nur höchſt ſelten zu Theil wurde.
In Seewaſſer löſte ſich damals keine Seife, wiewohl man in letzterer Zeit ſolche erfunden hat, die es einigermaßen thut, und von friſchem Waſſer, wie der Seemann Trinkwaſſer nennt, gab es nichts, wenigſtens nicht ſo viel, daß man ſich darin hätte ordentlich waſchen können. Sonnabends erhielt Jeder von uns ein kleines Töpfchen warmes Waſſer, etwa ¼ Liter zum Raſiren, das war alles. Damit mußte man dann ſehr öco - nomiſch umgehen; man reinigte ſich ſo gut wie möglich das Geſicht und danach goſſen fünf bis ſechs Mann ihre Portion zuſammen, um es gemeinſam für die Hände zu benützen. Eine ſolche Sparſamkeit war zwar unangenehm, hatte aber doch ihre Berechtigung. Auf einer Reiſe nach Oſtindien bietet ſich für Segelſchiffe faſt keine Gelegenheit, ohne großen Zeitverluſt einen Hafen zur Ergänzung des Trinkwaſſervorraths anzulaufen. Nur Madeira liegt für dieſe Zwecke bequem, aber unſere Schiffs - rechnung war ſo aus dem Wege, daß wir es nicht einmal ſahen, und das paſſirte Handelsſchiffen öfter. Sie nahmen deshalb ſo viel Vorrath mit ſich, wie er für die Reiſe muthmaßlich aus - reichte; da dieſe aber durch unglückliche Zwiſchenfälle ſich ſtatt der gewöhnlichen vier auch auf fünf Monate ausdehnen konnte, ſo war bei dem Waſſerverbrauch große Vorſicht geboten, um nicht in die furchtbare Lage zu kommen, daran Mangel zu leiden. Es war immer ſchon genug, daß wir nicht auf Ration geſetzt wurden und immer ſtets ſo viel trinken konnten, wie wir wollten. Der größte Theil der Waſſerfäſſer war auf dem Oberdeck placirt und der Durſtige holte ſich daraus ſeinen Bedarf. Die Verſuchung, davon auch zum Waſchen zu nehmen, reizte ſehr, aber Niemand unterlag ihr. Jeder hielt es für ein großes Unrecht und meines Wiſſens iſt es nie vorgekommen. Mit dem Trinken, ſo viel man wollte, war es übrigens gerade zu der Zeit, von der ich rede, d. h. nach dem Uebergange aus den61Eine erſte Seereiſekälteren Gegenden in die Tropen, ein eigenes Ding. Man trank trotz der Erlaubniß ſo wenig, wie man irgend konnte und ertrug freiwillig (eben ſo gut könnte man freilich auch ſagen, gezwungen) Qualen des Durſtes.
Wie ſchon erwähnt, befanden ſich, um Ladungsraum zu erſparen, die meiſten Waſſerfäſſer auf Deck und nur etwa ſechs bis acht Pipen, die einen Reſervevorrath für einen Monat bildeten, im Raum. Letztere durften aber unter gewöhnlichen Verhältniſſen nicht angerührt werden, da die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen war, daß eine Sturzſee auf dem Deck tabula rasa machte und ſie dann den letzten Nothanker bildeten. Somit waren wir nur auf jene angewieſen, in denen ſich aber durch die Einwirkung der Tropenſonne ein Fäulnißprozeß bildete, der uns veranlaßte, das Waſſer nur zu genießen, wenn wir es vor Durſt nicht mehr aushalten konnten und dann auch nur mit geſchloſſenen Augen und angehaltenem Athem. Es war nicht nur trübe, ſondern gradezu ſchleimig, zog Fäden und roch ſchrecklich nach Schwefelwaſſerſtoffgas. Als ich zum erſten Male davon genoß, mußte ich es aus Ekel wieder von mir geben, aber der Durſt erwies ſich als der Stärkere; die unappetitliche Flüſſigkeit blieb ſchließlich im Magen. Merkwürdig genug be - nachtheiligte das offenbar faule Waſſer unſere Geſundheit nicht im geringſten. Würde man in den Tropen dergleichen Waſſer am Lande aus irgend einem Pfuhl trinken, ja ſelbſt nur fließendes, auf welches die Sonnenhitze gewirkt, ſo würde der Betreffende in 90 von 100 Fällen damit ein perniciöſes Fieber einſchlucken, aber hier trat dergleichen nicht ein. Weder wurde von uns irgend Jemand krank, noch habe ich gehört, daß es auf andern Schiffen der Fall geweſen, obwohl dort ganz die - ſelben Verhältniſſe obwalteten. Dieſer Fäulnißprozeß dauerte etwa vierzehn Tage; dann ſanken die davon ergriffenen vege - tabiliſchen Stoffe allmälig zu Boden, das Waſſer klärte ſich und der Geruch verſchwand. Eine Menge kleiner Thierchen62Wernerjagte ſich zwar nach längerer Zeit darin umher, aber dieſe fiſchte man, ſo gut es gehen wollte, heraus.
Für Kapitän und Steuerleute befand ſich ein Filtrirapparat an Bord, der aber nur ungefähr für deren Bedarf ausreichte. Bisweilen, wenn ich Nachts auf der Mittelwache am Steuer ſtand, brachte mir dann der Unterſteuermann aus beſonderem Wohlwollen ein ſolches Glas deſtillirtes Waſſer, wahrſcheinlich auf Anregung meines alten Freundes, des Bootsmanns, der mit ihm auf gutem Fuße ſtand. Was für ein Genuß war das und wie dankbar war ich dem Geber dafür!
Es wäre ja ein Leichtes und für die Rheder gar keine koſtſpielige Sache geweſen, auch für die ganze Mannſchaft ſolche Filtrirapparate mitzugeben, aber daran dachte Niemand. Weder Geiz noch böſer Wille waren an der Unterlaſſung Schuld. Der Matroſe ſchluckte ohne ernſtlich zu murren das böſe Getränk hinunter, es ſchadete ſeiner Geſundheit nicht, man war es von jeher ſo gewohnt, die Humanitätsideen der Neuzeit waren damals noch nicht im Schwange und ſo blieb es einfach beim Alten, während z. B. auf der Rhede von Batavia, wo der Genuß rohen Waſſers als geſundheitsſchädlich gilt, die Mannſchaften auf deutſchen Schiffen nur gekochtes Theewaſſer zum Trinken erhielten, ein Beweis, daß man nicht etwa ſparſam ſein wollte.
In neuerer Zeit und namentlich nach Erfindung des Normandyſchen Deſtillirapparats, der die Aufgabe gelöſt hat, die condenſirten und demgemäß ſalzfreien Dämpfe von Seewaſſer mit der nöthigen Menge von Luft zu miſchen, wodurch das ſo gewonnene Waſſer erſt trinkbar wurde, haben ſich dieſe Ver - hältniſſe etwas geändert. Auf faſt allen Kriegsſchiffen befinden ſich ſolche Apparate, die täglich bis zu 2000 Liter Waſſer liefern, und ebenſo auf den größeren Handelsdampfern. Dadurch iſt es möglich geworden, dem gewöhnlichen Matroſen an Bord wenigſtens den Genuß guten Trinkwaſſers und auch den nöthigen Bedarf zur Reinigung ſeines Körpers und ſeiner Wäſche zu63Eine erſte Seereiſegewähren. Und doch ſollte man es kaum glauben, daß mir Befehlshaber vorgekommen ſind, welche, mit einem Deſtillirapparat ausgerüſtet, denſelben nicht in Thätigkeit treten ließen und die Mannſchaften in tropiſcher Sonnengluth auf ſchärfſte Waſſer - ration ſetzten, ſodaß den Armen die lechzende Zunge am Gaumen klebte — nur, um die für den Betrieb des Apparates erforder - lichen wenigen Kohlen zu ſparen! Solche Leute dürfen ſich dann allerdings auch nicht wundern, wenn ſie den wüthendſten Haß ihrer Untergebenen ernten.
Als wir ſpäter das Cap der guten Hoffnung paſſirt hatten und wiederum in die heiße Zone kamen, machte das Waſſer den Fäulnißprozeß zum zweiten Male, wenn auch in geringerem Grade durch. Danach blieb es dann gut und klar, nahm jedoch eine gelbliche Farbe wie Rheinwein an. Ich habe von ſolchem Waſſer getrunken, das 8 — 10 Jahre unangerührt in den Reſerve - fäſſern gelegen hatte, aber vollkommen gut war und durchaus rein ſchmeckte.
Ebenſowenig wie bei dem Waſſer durfte und darf auch heute noch der Kauffartei-Matroſe bei ſeinem Speiſen wähleriſch ſein und Feinſchmecker finden ihre Rechnung nicht an Bord. Auf Schiffen mit anſtändigen Rhedern, zu denen das unſere gehörte, war die Verpflegung an ſich eine auskömmliche und relativ gute, aber die Verhältniſſe bringen es einmal mit ſich, daß weniger auf Wohlgeſchmack, als darauf geſehen wird, daß die mitgenommenen Proviantartikel ſich ein Jahr und länger halten und dann den erforderlichen Nahrungsſtoff beſitzen, um dem Seemanne zu ſeinem ſchweren arbeitsreichen Beruf auch die nöthigen Kräfte zuzuführen.
Unter ſolchen Umſtänden iſt die Auswahl eine geringe und das toujours perdrix natürlich. Viermal in der Woche gab es zu Mittag Erbſen, zur Abwechſelung allerdings nur zwei - mal gelbe, einmal grüne und einmal graue, dann einmal weiße Bohnen und zweimal Pudding. Das letztere klingt nun zwar64Wernerganz einladend, an Bord von Handelsſchiffen verſteht man aber unter „ Pudding “für die Leute etwas anderes, als ſonſt im gewöhnlichen Leben. Die Ingredienzien ſind einfach Mehl, Waſſer und etwas abgeſchöpftes Fett vom geſalzenen Rindfleiſch, und das Ganze wird in Salzwaſſer in einem Segeltuchbeutel gekocht. Das mag ſehr nahrhaft ſein, aber beſonders gut ſchmeckte es mir nicht. Eben ſo wenig habe ich mich je mit den grauen Erbſen befreunden können. In Oſtpreußen, wo ſie wachſen, gelten ſie als Leckerbiſſen, ich wüßte jedoch Niemand aus einem andern Theile Deutſchlands, der dieſen Geſchmack getheilt hätte. Bei den Matroſen haben ſie den Spitznamen „ Bramſtagläufer “und gewöhnlich ging der ganze Suppennapf voll bei uns unan - gerührt über Bord oder man fütterte damit die Schweine, wenn ſolche zum Schlachten mitgenommen waren.
Von dem geſalzenen Rindfleiſch gab es vier Mal und vom Schweinefleiſch drei Mal wöchentlich, außerdem Morgens Kaffee und als dicken Brei gekochte Graupen, Abends Thee und wie zum Frühſtück Schiffszwieback und Butter, ſo lange ſie reichte. Kaffee und Thee trank man natürlich ohne Milch und Zucker.
Trotz dieſes einfachen wenn auch ſehr ſoliden Küchenzettels, hätte ſich nichts dagegen ſagen laſſen, ſo lange die verſchiedenen Proviantartikel gut blieben, aber das dauerte nur kurze Zeit, und ſchon nach einigen Monaten ſah es ziemlich ſchlimm damit aus. Die Hülſenfrüchte wurden hart, die Butter in den Tropen flüſſig und abſchmeckend, das Fleiſch durch das längere Liegen in der ſcharfen Pökel brandſalzig, hart und holzig, das Schweine - fleiſch gelb und ranzig, das Mehl miethig und in dem Schiffs - zwieback hauſten ganze Inſectenſammlungen. Nur die Graupen blieben gut und Monate lang bildeten ſie unſer Hauptnahrungs - mittel an den Tagen, wo es Erbſen oder Bohnen gab, alſo fünf Mal in der Woche. Da zum Frühſtück eine reichliche Portion gekocht wurde, hoben wir uns ſtets davon zu Mittag auf.
Das harte trockene Salzfleiſch, das die Matroſen Torniſter -65Eine erſte Seereiſefleiſch nennen, weil ſie behaupten, daß man es einen Tag lang im Torniſter tragen könne, ohne einen Fettfleck zu bekommen, flößte mir einen völligen Widerwillen ein. Ich habe es Jahre lang nicht gegeſſen und auch der Schiffszwieback war nicht meine Paſſion; dagegen mochte ich faute de mieux die Graupen ganz gern. Man ſieht, verwöhnt wurde man nicht an Bord. Alle 14 Tage wurde aber auch Roggenbrod für einen Tag gebacken und das gab einen wahren Feſttag. Dann wurden ſelbſt die Graupen mißachtet und nur das friſche Brod gegeſſen, wenn es auch oft eine verbrannte Kruſte und zollbreite Waſſerſtreifen zeigte — es ſchmeckte uns doch herrlich.
Mit der Dauer der Reiſe wurde natürlich die Verſchlechte - rung der Proviantartikel immer größer, aber eine eigentliche Unzufriedenheit, welche nachtheiligen Einfluß auf den guten Geiſt der Mannſchaft geübt hätte, zeigte ſich deshalb doch nicht. Die Leute wußten, daß die ſämmtlichen Lebensmittel gut an Bord gekommen und die Rheder in keiner Weiſe knauſerig geweſen waren. Dies Bewußtſein genügte ihnen, um über die Mängel der Verpflegung zwar wie über alles zu räſonniren — das liegt nun einmal in der Natur der Matroſen — aber ſie auch nicht ernſt zu nehmen.
Die Genügſamkeit des gewöhnlichen Seemanns verdient überhaupt Bewunderung. Wenn er von Seiten ſeiner Vor - geſetzten nur richtig und human behandelt wird und merkt, daß jene etwas für ihn übrig haben, dann iſt er mit allem zu - frieden. Unverdroſſen arbeitet er Tag und Nacht, erträgt ohne Murren die größten Strapazen, hilft ſich ſcherzend über Un - gemach fort und vergißt alles Schwere, ſobald nur ein freund - licher Strahl ihm wieder leuchtet. Das gilt im allgemeinen von den tüchtigen Seeleuten aller Nationen, ſpeciell aber von den Deutſchen, die vor den andern noch die größere Zuverläſſig - keit voraus haben und grade in den kritiſchſten Momenten ſich am meiſten bewähren.
R. Werner, Erinnerungen. 566WernerSorgloſe Heiterkeit und eine Leichtlebigkeit, die oft als Leicht - ſinn bezeichnet werden muß und ernſtere Gedanken an die Zu - kunft nicht aufkommen läßt, ſind vorwiegende Charakterzüge des Matroſen. Sie ſprechen ſich in ſeinem Thun und Laſſen, in ſeinem Sprechen, Denken und in ſeinen Liedern aus. Vom Singen iſt er ein großer Freund; merkwürdiger Weiſe iſt aber der Schatz wirklicher Seemannslieder ein ſehr kleiner in Deutſch - land, während die Engländer davon Hunderte und oft von draſtiſcher Komik haben.
Jeder Arbeit an Bord von Kauffarteiſchiffen wird von Geſang begleitet; Ankerlichten, Heißen der Segel, der Boote, überhaupt alles, wobei Kraftanſtrengung und namentlich gleich - zeitige erforderlich iſt, geht nach dem Tacte von Liedern, deren Text allerdings ſehr oft nicht vor dem Richterſtuhl guten Ge - ſchmacks beſtehen kann. Dieſe Arbeitsgeſänge, wie man ſie wohl nennen kann, haben alle denſelben Zuſchnitt. Der Vorſänger ſingt eine Strophe vor und alle übrigen fallen mit einem kurzen Refrain ein, bei dem dann der Tonfall angiebt, wann alle zu - gleich an einem Tau ziehen ſollen. Unter den übrigen Liedern, die nur zur Unterhaltung dienen, nimmt Heine’s „ Loreley “einen hervorragenden Platz ein und es wird mit Vorliebe geſungen, wenn die Leute recht ſchwer und lange gearbeitet haben. Daß es überhaupt von den Matroſen adoptirt iſt, gründet ſich wohl auf den darin vorkommenden Schiffer und Kahn, daß ſie es aber regelmäßig nach ſchwerer Arbeit anſtimmen, habe ich mir nicht erklären können, es ſei denn, daß dann ihre Gemüthsſtimmung mit den beiden erſten Strophen ſympathiſirt. Bei uns an Bord wurde in den Freizeiten viel geſungen. Wir hatten recht gute Stimmen unter den Leuten und einer der Matroſen kannte auch ganz paſſable Lieder, die er entweder ſelbſt gemacht oder irgendwo aufgeleſen hatte. Eins derſelben, das den oben er - wähnten „ Kehr dich an nichts “des Seemanns in humoriſtiſcher Weiſe veranſchaulicht und dabei nach Salzwaſſer ſchmeckt, ſprach67Eine erſte Seereiſeſehr an und hatte eine recht gefällige Melodie. So viel ich mich erinnere, lautete es folgendermaßen:
Auch ein zweites, aus derſelben Quelle ſtammend, in dem ſich eine Theerjacke ſelbſt ironiſirt, wurde gern geſungen und mag hier Platz finden:
Das letztere Lied ſchien ſogar dem alten Bootsmann ſehr zu gefallen, denn wenn die Leute Nachmittags auf der Frei - wache vorn auf dem Deck bei ihren verſchiedenen Beſchäftigungen zuſammenſaßen, munterte er ſie öfter auf, doch das Lied von „ Mine Flöhr “zu ſingen und brummte dann die Melodie leiſe mit, wenn gleich er gewöhnlich dabei um ein bis zwei Töne „ aus der Reihe “war. Vielleicht ſtiegen dabei Reminiscenzen an ſeine jüngeren Jahre und an eine darin verflochtene „ Mine “in ihm auf.
71Eine erſte SeereiſeAls wir die Cap Verdiſchen Inſeln paſſirt hatten, fanden wir eines Morgens merkwürdiger Weiſe unſere Segel ſämmtlich blaßroth gefärbt und bei näherer Unterſuchung auch das ganze Schiff mit einer feinen Schicht röthlichen Sandſtaubes belegt. Am andern Tage war die ganze Waſſeroberfläche, ſo wie auch die Takelage und das Deck mit Heuſchrecken bedeckt, ſo daß wir die völlig ermatteten Thiere haufenweis zuſammenfegen und unſern Schweinen zu einem leckeren Mahle verhelfen konnten. Auf meine wißbegierigen Fragen belehrte mich der Kapitän, daß ſowohl Sand, wie Heuſchrecken von der afrikaniſchen Küſte ſtammten, wahrſcheinlich durch einen der dort heimiſchen gewalt - ſamen Stürme (Tornado) vom Lande auf das Meer geführt und dann von dem Paſſatwinde weiter getragen würden.
Auch eine Menge kleiner Landvögel ließ ſich erſchöpft auf dem Schiffe nieder und wir griffen verſchiedene von ihnen, die wir jedoch leider nicht erhalten konnten, da uns das Futter für ſie fehlte, und ſo gingen die armen Thierchen, die ohne Nahrung bereits eine Reiſe von 150 Meilen gemacht hatten, zu Grunde.
In dieſer Gegend ſahen wir nach längerer Zeit auch wieder ein Schiff. Es kam von der afrikaniſchen Küſte herüber, ſteuerte weſtwärts und paſſirte uns ziemlich nahe. Wenn man ſonſt auf langen Reiſen einem Schiff begegnet, ſo iſt das immer ein freudiges Ereigniß, an dem Jeder an Bord den lebhafteſten Antheil nimmt. Man zeigt die Flagge und ſendet ſich gegen - ſeitig durch Auf - und Niederziehen derſelben einen ſtummen Gruß. Wenn es die Witterung erlaubt, fährt man ganz nahe an einander vorbei, um mündlich einige Worte mit einander zu wechſeln, wenn ſich die gegenſeitigen Fragen auch meiſtens nur auf das „ Woher “und „ Wohin “, auf die Dauer der Reiſe und die geographiſche Länge beziehen. Faſt immer aber iſt ein ſolches Begegnen auf dem weiten Ocean eine Abwechſelung, die das einförmige Leben an Bord angenehm unterbricht.
Hier war es jedoch nicht der Fall, im Gegentheil72Wernererregte das Erſcheinen des Fremden eine Zeitlang ein unheim - liches Gefühl. Als er noch etwa eine Meile entfernt war, zeigten wir unſere Flagge, aber die internationale Höflichkeit wurde auffälliger Weiſe nicht erwidert, während das Schiff dagegen ſeinen Curs änderte und grade auf uns zukam. Als ſein Rumpf aus dem Waſſer herauswuchs, wir die ſchlanken ſcharfen Formen des ſchwarz gemalten niedrigen Unterſchiffes, die hängenden Maſten mit den ungemein breiten Raaen des Fahrzeugs unterſchieden und bemerkten, mit welcher ſchnellen Fahrt die Brigg durch das Waſſer ſchnitt, da wußten wir, daß wir es mit keinem gewöhnlichen Kauffahrer, ſondern mit einem von der Guineaküſte kommenden Sclavenfahrer zu thun hatten. Zur damaligen Zeit war der Sclavenhandel zwiſchen Weſtindien und Afrika noch ſehr ſtark im Schwange. Die Engländer hielten zwar eine Reihe Kreuzer, aber meiſtens noch Segelſchiffe, die oft den lediglich auf Schnelligkeit gebauten Sclavenſchiffen im Laufen nicht gewachſen waren und deshalb dem Handel nur wenig Eintrag thaten. Außerdem waren jene gewöhnlich ſo ſtark bemannt und bewaffnet und die Beſatzung beſtand aus ſo ver - zweifelten Kerlen, daß ſie auch wohl mit den ſie verfolgenden Kriegsſchiffen den Kampf aufnahmen, wenn ſie nicht entfliehen konnten. Nicht ſelten hörte man noch vor 40 Jahren von ſolchen desparaten Kämpfen, bei denen die Kreuzer den Kürzeren gezogen, und ebenſo ſchrieb man das öftere ſpurloſe Verſchwinden von Kauffahrern auf der Höhe von Guinea Sclavenfahrern zu, die auch keineswegs vor Seeraub zurückſchreckten.
Uns wurde deshalb gar nicht wohl zu Muthe, als die verdächtige Brigg ſo direct auf uns zuſteuerte, um ſo mehr, als der Kapitän zuerſt mit dem Fernrohr ihr ganzes Deck mit Menſchen angefüllt geſehen hatte und jetzt bei dem Näherkommen Niemand zu erblicken war, als der Mann am Ruder. Er trug eine netzartige rothe Kopfbedeckung, wie man ſie bei portugieſiſchen und ſpaniſchen Matroſen häufig findet und auch der ganze73Eine erſte SeereiſeSchnitt des Fahrzeugs verrieth die Bauart jener Länder. Es ſegelte nahe hinter unſerm Heck vorüber, ohne jedoch ſcheinbar von uns Notiz zu nehmen, und luvte dann wieder zu ſeinem alten Curſe auf, um bei der ſtrammen Brieſe ſich eben ſo ſchnell zu entfernen, wie es gekommen. Der unheimliche Patron paſſirte uns auf kaum zweihundert Schritte und wir konnten ſein ganzes Deck überſehen. Er hatte kein Großboot mittſchiffs ſtehen, wie ſonſt bei Kauffahrern allgemein üblich iſt, ſondern nur zwei Seitenboote außenbords und ein drittes quer vor dem Heck in Krähnen hängen. Zwiſchen Fock - und Großmaſt befand ſich dagegen ein anderer Gegenſtand, der unſere Vermuthung über den wahren Charakter des Fremden zur Gewißheit erhob. Es war dies eine ſchwere Kanone, die man zwar mit einer Preſenning — einem getheerten Stück Segeltuch — bedeckt hatte, deren Conturen ſich jedoch deutlich genug abzeichneten, während wir ganz klar die metallenen Kreisſchienen auf dem Deck ſahen, auf denen das Geſchütz ſich drehte um nach beiden Seiten ſchießen zu können.
Jedenfalls athmeten wir frei auf, als das Unterſchiff der Brigg ſich wieder unter den Horizont zu ſenken begann und wir unbehelligt davon gekommen waren. Von Vertheidi - gung hätte bei einem Angriff des Sclavenfahrers keine Rede ſein können. Wir führten zwar zwei kleine ſechspfündige Karronaden und es befand ſich auch ein Dutzend alter verroſteter Gewehre an Bord, aber was wollte das gegen den langen 24-Pfünder der Brigg ſagen, hinter dem wahrſcheinlich auch eine waffengeübte Beſatzung von 40 — 50 rabiater Kerle ſtand? Unſere Beklemmung war uns deshalb nicht zu verdenken, um - ſomehr, als nach allem, was man über ſolche Räuber hörte, ſie, um die Spuren ihrer Verbrechen gänzlich zu verwiſchen, das beraubte Schiff anbohrten und es entweder in ihrer Gegenwart mit der vorher gefeſſelten Mannſchaft ſinken oder aber letztere „ über die Planken marſchiren “ließen. Dazu wurde eine Planke über die Verſchanzung hinausgelegt und die unglücklichen74WernerGefangenen mußten, mit Kugeln oder andern Eiſenſtücken be - ſchwert, auf ihr hinausgehen. Waren ſie am äußerſten Ende der Planke angekommen, ſo kippte man das innere in die Höhe und jene ſtürzten in das Meer.
An demſelben Tage, der uns alle in ſolche gemeinſame Aufregung verſetzt hatte, paſſirte mir perſönlich noch ein Unfall, deſſen gefährlichen Folgen ich zwar glücklicher Weiſe entging, der aber leicht für mich eben ſo ſchlimm hätte ablaufen können, wie das „ Marſchiren über die Planke “. Ich war hinaufgeſchickt, um an der Takelage der Großbramraa etwas zu repariren und ſaß zu dieſem Zwecke in dem unter der Raa hängenden, Pferd genannten, Tau, in welchem man ſteht, wenn man die Segel feſt oder los machen oder reefen ſoll. Das Schiff ſegelte vor dem Winde und rollte ſehr ſtark, ſo daß ich dort oben auf meinem luftigen Sitze ununterbrochen einen Kreisbogen von 60 — 70 Grad bei einem Radius von 35 Metern beſchrieb.
Als ich nach beendeter Arbeit mich anſchickte, an Deck nieder zu entern, brach plötzlich das Rak, der Tauring, welcher die Raa an der Stenge feſthält und das vom Winde geblähte Segel flog mit einem Ruck nach vorwärts. Ich verlor das Gleichgewicht, ſtürzte hinunter und wäre unbedingt verloren geweſen, wenn mich nicht 20 Fuß niederwärts verſchiedene Braſſen und andere Taue, die ſich dort wagerecht kreuzen, wie ein Netz aufgefangen und durch ihre Elaſticität die Gewalt des Falles gebrochen hätten.
Ich konnte nun meinen ſo gewaltſam beſchleunigten Weg nach unten in langſamerem Tempo fortſetzen, wenn mir auch der Schreck ſo in die Glieder gefahren war, daß ich am ganzen Körper zitterte. „ Schweizer “, redete mich der Bootsmann an, „ was haſt du da wieder für dummes Zeug gemacht? wann wirſt du lernen, an jedem Finger einen Angelhaken zu haben, wie ich dir ſchon ſo oft geſagt! “ Die übrige Mannſchaft lachte und ich zwang mich auch dazu ſo ſchwer es mir wurde — damit war dann die Sache abgethan. Dergleichen Fälle, bei75Eine erſte Seereiſedenen der Betreffende mit genauer Noth dem Tode entrinnt, kommen an Bord ungemein häufig vor, aber wenn es nur gut geht, ſo wird entweder keinerlei Notiz davon genommen oder die Sache ſcherzhaft aufgefaßt.
Eines Nachts, im biscayiſchen Meerbuſen, als das Schiff ſehr heftig in ſchwerer See arbeitete, wurde einer unſerer Leicht - matroſen beim Reefen über die Raa geſchleudert und hing an der Vorderſeite des Marsſegels nur mit einer Hand an einer von ihm ergriffenen Reffzeiſing. Wenige Secunden darauf wäre er auf das Deck oder in die See geſtürzt und in beiden Fällen unbedingt verloren geweſen, da die Witterung das Ausſetzen von Booten nicht geſtattete. Da ergriff ihn der neben ihm be - findliche Zimmermann, ein alter knurriger Seebär, beim Kragen, half ihm wieder auf die Raa und ranzte ihn an: „ Ein anderes Mal halt dich beſſer feſt, du verdammter Landlubber! “— Damit war die Sache abgethan.
Ein beſonders grauſiger Fall der Art, der mir ſpäter vor - kam, aber auch wunderbar glücklich verlief, iſt mir noch lebhaft im Gedächtniß geblieben.
Wir ſegelten mit der Fregatte Thetis, deren erſter Officier ich war, bei ſchönem Wetter und leichter Briefe im Mittelmeer, aber obwohl nur geringer Seegang herrſchte, ſchlingerte das Schiff ziemlich ſtark. Ich befand mich auf dem Hinterdeck, als vom Vorderſchiff plötzlich der Schreckensruf „ Mann über Bord “erſchallte. Ich ſprang auf die Commandobank und blickte über Bord, ſah aber nur eine Mütze treiben und im Waſſer kein Anzeichen, daß ein ſchwerer Körper hineingefallen.
Die auf Kriegsſchiffen für ſolche Fälle auf jeder Wache abgetheilten Rettungsmannſchaften waren auf den Ruf ſofort zu ihrem Boote geeilt, um es zu Waſſer zu laſſen und ſchon wollte ich den Befehl geben, damit inne zu halten, weil ein Irrthum vorzuliegen ſchien, als ich zufällig einen Blick nach oben warf und furchtbar zuſammenſchrak. Ein Matroſe hatte auf der76WernerNock (Spitze) der Großbramraa, die ſich bei geheißtem Segel auf Fregatten 50 Meter über Waſſer befindet, gearbeitet und war wirklich hinabgeſtürzt. Die Leute vorn hatten ihn hinter dem Segel verſchwinden ſehen und daher der Ruf „ Mann über Bord “. Im Fallen hatte der ſehr gewandte und kräftige Menſch jedoch das Pferd ergriffen und ſchwebte nun an dem einzelnen Tau hängend dort oben in der ſchwindelnden Höhe, während die Raa mit ihm bei dem rollenden Schiffe beſtändig einen gewaltigen Bogen durch die Luft beſchrieb. Es war eine ſchaurige Situation. Halten konnte er ſich in ihr nicht lange, an Wiederaufkommen auf die Raa war nicht zu denken, in der nächſten Zeit mußte er von oben kommen. Die einzig mög - liche Rettung für ihn lag darin, wenn er in das Waſſer fiel und es hing alles davon ab, daß er nicht die Geiſtesgegenwart verlor und zu rechter Zeit losließ.
„ Halten Sie ſich noch ſo lange feſt, Mann, bis das Boot zu Waſſer iſt, “rief ich ihm zu, in dem ich ſo viel Ruhe wie möglich in meine Stimme zu legen ſuchte, „ und dann laſſen Sie ſich fallen, ſo bald das Schiff nach Steuerbord überholt. “
Der Kutter wurde auf das ſchleunigſte zu Waſſer gelaſſen, die Unterſegel flogen beim Aufgeien*Zuſammenſchnüren. förmlich in die Höhe, aber es verging doch faſt eine Minute, ehe back gebraßt und alles ſo weit war, um den Verunglückten aufzunehmen, ſobald er wieder an der Oberfläche auftauchen würde. Auf meinen Ruf hatte der Matroſe, ſcheinbar ganz kaltblütig „ Zu Befehl “er - widert und wenn dieſe prompte Antwort in ſo großer Todes - gefahr mich auch etwas beruhigte, wuchs mir und allen Uebrigen die kurze Minute doch zur Unendlichkeit und unſere Augen ſchweiften wohl hundertmal angſtvoll nach oben, aber der tüch - tige Mann hielt ſich wie mit eiſernen Klammern feſt. Endlich war das Boot ſo weit und hielt etwas ſeitwärts auf Riemen.
77Eine erſte Seereiſe„ Alles klar, “rief ich, „ beim nächſten Ueberholen laſſen Sie ſich fallen. “
Wiederum ertönte es hernieder „ Zu Befehl “und im nächſten Augenblicke ſauſte der Matroſe aus der furchtbaren Höhe wie ein Pfeil herunter.
Uns ſtockte der Athem; wir wußten nicht, ob er nicht breit auf das Waſſer ſchlagen und zerſchmettert werden würde. Doch war die Beſorgniß Gottlob unnöthig; wie eine Kerze ſo gerade durchſchnitt er die Luft, mit den Füßen zuerſt, die Hände hoch über dem Kopfe und fuhr wie ein Blitz in die Tiefe.
In tödtlicher Spannung erwarteten wir ſein Wiederauf - kommen. Da tauchte er wie ein Kork empor, ſchaute ſich nach dem Boote um und ſchwamm luſtig auf daſſelbe zu.
„ Donnerwetter “waren ſeine erſten Worte, als man ihn in das Boot zog, „ ſolchen Satz habe ich mein Lebtag noch nicht gemacht, “worauf natürlich ein allgemeines Gelächter der Boots - mannſchaft erfolgte. Mit demſelben Humor machte er beim Betreten des Decks die Meldung beim Wachehabenden Officier „ An Bord zurück, Herr Lieutenant “, was ihm zur Belohnung ein ſteifes Glas Grog eintrug. Damit war aber die Sache erledigt und ſie wurde ſpäter ſelten und dann auch nur in ſcherzender Weiſe erwähnt.
Der Seemann weiß, daß ſein Leben oft an einem Faden hängt und liebt es nicht, in ernſter Weiſe daran erinnert zu werden. Wo er in einem ſolchen Falle „ freiſchlippt “da behält er es entweder für ſich oder macht einen Spaß daraus. Bedauert zu werden hält er unter ſeiner Würde und glaubt ſich etwas zu vergeben, wenn er dergleichen Gefühlen Ausdruck leiht. Dadurch erſcheint er Fernſtehenden bisweilen gefühllos, was der Matroſe im allgemeinen aber durchaus nicht iſt. Im Gegen - theil birgt er unter der harten Außenſeite meiſtens ein ſehr gutes*Dieſer ehemalige Matroſe iſt jetzt Director einer Verſicherungs - geſellſchaft in einer mitteldeutſchen Stadt.78Wernerund weiches Herz, und es iſt ein charakteriſtiſcher Zug von ihm, daß er für ſeine Mitmenſchen bereitwillig ſich ſelbſt entblößt, um ihnen zu helfen, und ohne weiteres ſein Leben in die Schanze ſchlägt, um das Anderer zu retten. Das zeigt ſich ſo recht in ſchönſtem Lichte, wenn ein Mann über Bord fällt. Mag das Wetter noch ſo ſchlecht, die Nacht finſter, Sturm und See noch ſo wüthend ſein — Alle drängen ſich herbei, um als Freiwillige in das Boot zu gehen und den Kameraden den zürnenden Elementen wieder zu entreißen, obwohl der die Verhältniſſe be - ſonnener überſchauende Vorgeſetzte, wenn auch mit ſchwerem Herzen, oft entſchieden dagegen auftreten und die Rettung verweigern muß, weil die ganze Bootsbeſatzung dabei zu Grunde gehen würde.
Und nun erſt beim Rettungswerk an den Seeküſten, wenn es ſich darum handelt, durch die wüthende Brandung den Schiff - brüchigen zu Hülfe zu kommen und ſie vor dem naſſen Grabe zu bewahren! Welcher Heroismus, welche Hingabe, welche be - wundernswerthe Selbſtverleugnung wird da von den Rettungs - mannſchaften gezeigt! Da gilt es oft viele Stunden lang mit faſt übermenſchlichen Kräften gegen Sturm und Wogen in einem gebrechlichen Boote zu kämpfen, jeden Augenblick gewärtig, von einer heranbrauſenden Sturzſee erfaßt und in die dunkle Tiefe geſchleudert zu werden. Wie viele büßen bei dieſem humanen Werke ihr Leben ein, ohne daß die Anderen ſich dadurch ſchrecken laſſen! Kein äußerer, irgendwie verlockender Lohn harrt ihrer, keine laute Anerkennung ſchmeichelt ihrem Ehrgeiz; — am öden Strande abgelegener Inſeln und Küſten vollziehen ſich ſolche heroiſche Acte, von denen öfter nicht einmal die nächſte Umgebung Kunde erhält. Nein, die Motive ſind nur reine Menſchenliebe und ein gutes Herz, die ſich willig in Thaten äußern, aber es verſchmähen, Worte darüber zu verlieren.
Im Gegentheil ſucht der Matroſe etwas darin, äußerlich hart zu erſcheinen, namentlich an Bord eines Schiffes. Das Leben an Bord fordert vom Einzelnen, daß er ſich nach allen79Eine erſte SeereiſeRichtungen als Mann zeige und von dieſem Gefühle iſt der Seemann ſo durchdrungen, daß er den Begriff der Männlich - keit meiſtens zu ſtreng auffaßt. In dieſer Anſchauung glaubt er alle ſanfteren Regungen in ſeinem Innerſten verſchließen zu müſſen. Sie veranlaßt ihn, das glückliche Entrinnen aus drohender Todesgefahr als einen Scherz anzuſehen, körperliche Verletzungen als Bagatellen unbeachtet zu laſſen, kein Mitleiden, nicht ein - mal zu Kranken zu äußern und ſelbſt krank, ſich ſo lange hin - zuſchleppen und ſeine Arbeit zu thun, bis er thatſächlich zu - ſammenbricht und ſelbſt der energiſche Wille die fehlenden Kräfte nicht mehr zu erſetzen vermag. Alle weicheren Gefühle verſpottet er als weibiſche Schwäche und wie er dem nach ſeiner Anſicht vollkommenen Manne den das höchſte Lob ſpendenden Beinamen „ fixer Kerl “beilegt, nennt er den Schwächling verachtungsvoll „ altes Weib “. Dieſelbe übertriebene Auslegung des Begriffes „ Mann “veranlaßt ihn oft den ſchwierigeren Weg zum Ziele zu wählen, obwohl ihm ein bequemer und gefahrloſer zu Gebote ſteht, mit ſeine Kräfte faſt überſteigender Anſtrengung eine Arbeit allein zu vollbringen, die er ohne Verſchmähung vorhandener und gebotener Hülfe ſo viel leichter hätte bewältigen können. Er klettert wie eine Fliege an der Decke, in den Püttingswanten, Taue, welche die Ränder der Mars ſchräg nach unten halten, außen herum in die letztere, während er viel bequemer gradeaus gehen und durch das Soldatenloch eben dahin kriechen könnte. Statt auf den Pferden der Raaen hinaus zu gehen und ſich mit den Händen feſtzuhalten, ſieht man ihn oft trotz der heftigen Schwankungen des Schiffes wie einen Seiltänzer oben auf den Raaen ſelbſt hinauslaufen, obwohl ihm bei dem leiſeſten Fehltritt ein Sturz von oben droht und ſtatt die Strickleitern in den Wanten*Haltetaue der Maſten. zu benutzen, rutſcht er an den Pardunen**Haltetaue der Stengen. oder anderen einzelnen Tauen hinunter.
80WernerSo macht er es bei hundert anderen Gelegenheiten. Kein Menſch drängt ihn dazu, er hat vollauf Zeit, aber er thut es, weil er glaubt, dergleichen gehöre ſich für einen tüchtigen Mann. Auf der andern Seite kommt eine ſolche Anſchauung allerdings auch wieder dem Berufe ſelbſt zu Gute und aus ihr erklärt ſich die Möglichkeit, daß Kauffarteiſchiffe mit ſo geringen Beſatzungen über See kommen und dieſe in kritiſchen Lagen oft kaum Glaubliches leiſten. Keiner verläßt ſich auf den Andern; ein Jeder thut ohne Sporn von ſelbſt das Mögliche und arbeitet, als ſollte er das Ganze allein ausführen. Je größer die Ge - fahr, je ſchwieriger die Lage, deſto größer ſind die Leiſtungen und deſto tapferer werden die Strapazen ertragen — das iſt des echten Seemanns Art.
Unſere Reiſe bis in die Nähe des Aequators verlief ohne weitere bemerkenswerthe Umſtände. Wir ſchnitten denſelben, wie damals alle Segelſchiffe, zwiſchen dem 17. und 18. weſtlichen Längengrade von Greenwich. Jetzt geſchieht dies auf Grund hydrographiſcher und meteorologiſcher Forſchungen der neueren Zeit, 180 — 200 Meilen weſtlicher, zwiſchen dem 30. und 31. Grade weſtlicher Länge.
Für die um das Cap der guten Hoffnung beſtimmten Schiffe iſt dies zwar ein ſcheinbarer Umweg, aber in Wirklich - keit ein Gewinſt von durchſchnittlich 14 Tagen und mehr. Die beiden im Atlantiſchen Ocean wehenden Paſſate, der Nordoſt im Norden, der Südoſt im Süden des Aequators, verſchieben je nach dem Stande der Sonne ihre Grenzen im Laufe des Jahres um zwanzig bis dreißig Meilen, gehen aber nicht direct in einander über, ſondern bilden durch ihr Aufeinanderſtoßen in der Nähe der Linie, wie die Seeleute den Aequator nennen, einen Stillgürtel. Derſelbe iſt an der afrikaniſchen Küſte ziem - lich breit, 40 — 50 Meilen, ſpitzt ſich aber nach Weſten kegel - förmig zu und mißt auf 30 — 32 Grad Weſtlänge nur noch wenige Meilen. Ehe man dieſe Thatſache kannte, die wir den81Eine erſte Seereiſehydrographiſchen Beſtrebungen des berühmten Amerikaners Maury verdanken, geſchah es oft, daß Schiffe drei bis vier Wochen gebrauchten, ehe ſie auf ihrer öſtlichen Route dieſen Gürtel überwanden, während man gegenwärtig weiter weſtlich die Sache in ein paar Tagen abmacht, ja, wie ich es ſpäter einmal ge - habt, faſt direct aus einem Paſſat in den andern ſegeln kann.
Wir verloren den Nordoſtpaſſat damals auf 1 Grad Nordbreite und fanden den Südoſt auf 2½ Grad Süd, aber dieſe 50 Meilen wurden uns erſchrecklich ſauer gemacht. Wir gebrauchten, um ſie zu durchſegeln, nicht weniger als 23 Tage und zwar faſt unter beſtändigen Gewittern und furchtbaren Regengüſſen, von denen man ſich in unſerm Klima kaum einen Begriff machen kann. Es iſt dies die Folge der aufeinander ſtoßenden Paſſate. Die mit Waſſerdünſten geſättigten beiden Luftſtrömungen ſteigen beim Zuſammentreffen in die Höhe, ihr Waſſerdampf verdichtet ſich in den oberen kalten Regionen und ſchlägt, meiſtens von electriſchen Entladungen begleitet, als Regen nieder und zwar faſt ohne Unterbrechung, da auch der Verdich - tungsprozeß beſtändig vor ſich geht.
Nach den drei Wochen bequemen, ruhigen Lebens, das uns der Nordoſtpaſſat gebracht, empfanden wir den Contraſt höchſt unbehaglich. Bis dahin waren Raaen und Segel faſt nicht gerührt, jetzt nahm das Braſſen, Segelbergen und Segel - ſetzen weder Tag noch Nacht ein Ende. Abſolute Windſtille hatten wir nur wenige Stunden in der ganzen Zeit, bald ſprang von dieſer, bald von jener Seite ein leiſer Hauch auf, der als „ Katzenpfote “das Waſſer kräuſelte. Bisweilen dauerte er keine Viertelſtunde, aber er durfte nicht unbenutzt vorüber - gehen und die Segel mußten nach ihm geſtellt werden, wenn er uns auch nur ein paar Schritte vorwärts brachte. Dann wieder zog eine Gewitterbö herauf, und da man nie wiſſen konnte, was darin ſteckte, ſo mußten die vielleicht eben geſetzten Segel wieder fortgenommen werden. Da das bei einer ſoR. Werner, Erinnerungen. 682Wernergeringen Mannſchaft aber verhältnißmäßig langſam ging, ſo paſſirte es auch öfter, daß wir von dem Winde überraſcht wurden und dann Gott danken mußten, wenn wir mit einem blauen Auge davon kamen und nicht Stengen und Raaen verloren.
Namentlich Nachts waren ſolche Böen ſehr unwillkommen und ſchaurig. Ich erinnere mich noch einer derſelben, die von allen Schrecken eines tropiſchen Gewitters begleitet war.
Unſere Wache kam um zwölf Uhr Nachts auf das Deck. Der Regen hatte ſeit kurzem aufgehört, es war todtenſtill, aber ſo finſter, daß man nicht zwei Schritte weit etwas zu unter - ſcheiden vermochte und wir wie Blinde unſern Weg tappen mußten. Die kleinen Segel hatte die Wache aus Vorſicht ſchon geborgen, die großen hingen vom Regen doppelt ſchwer an Stengen und Maſten nieder. Die See war ſo merkwürdig ruhig, daß das Schiff bisweilen Minuten lang bewegungslos auf dem Waſſer lag; dann rollten ein paar Wellen heran und die naſſen Segel ſchlugen mit lautem Krachen gegen die Maſten, um gleich darauf wieder eben ſo ruhig und unbewegt hernieder zu hängen. Die unheimliche Stille laſtete in Verbindung mit der ſchwarzen Nacht wie ein Alp auf uns; es war, als ob etwas Schlimmes in der Luft lag. Der Unterſteuermann ließ alle größeren Segel fortnehmen, die Marsſegel herunterführen und ihre Flächen durch Ausholen der Refftaljen um die Hälfte verkleinern, um auf Alles gefaßt zu ſein, doch das ganze Manöver wurde von uns lautlos und ohne den bei ſolchen Gelegenheiten ſtets üblichen Sang ausgeführt. Der Kapitän war auch auf Deck gekommen; wir hörten ihn hinten gehen, aber die Schritte klangen hohl und dumpf, als ob die ſchwere Luft den Schall nieder und gegen die Verſchanzung drückte. Die beiden Bramſegel wurden noch gegeit und der Kapitän gab den Befehl, ſie feſt zu machen. Ich wurde in den Großtop hinauf - geſchickt, während ein Leichtmatroſe das Vorbramſegel beſchlagen ſollte. Ich weiß nicht woran es lag, daß mir meine Aufgabe83Eine erſte Seereiſeſchneller als je gelang. Früher hatte ich meine Kräfte ſehr an - ſtrengen müſſen, um das ziemlich große trockene Segel allein zu bewältigen, heute war es naß und doch war ich in wenigen Minuten damit fertig und wieder an Deck. Ich fand die Leute der Wache bei der Kombüſe zuſammenſtehen und geheimnißvoll flüſtern, als ob etwas außergewöhnliches paſſirt ſei. Als ich zu ihnen herantrat, blickten ſie mich ſo ſonderbar an, daß es mir auffiel. „ Haſt Du ihn geſehen, Reinhold? “redete mich der Bootsmann mit gedämpfter Stimme an. Es war das erſte Mal auf der Reiſe, daß er mich bei meinem richtigen Namen nannte.
„ Wen? “fragte ich, erſtaunt über das feierliche und unge - wohnte Weſen des Bootsmanns.
„ Heinrich! “lautete die Antwort.
„ Welchen Heinrich? “ Die Sache wurde mir immer un - verſtändlicher, es befand ſich gar kein Heinrich an Bord.
„ Nun, Heinrich Peterſen! Er war ja bei Dir auf der Raa und half Dir das Segel feſtmachen, ſonſt hätteſt Du es in der kurzen Zeit nicht fertig bekommen. “
Ich ſtarrte den Bootsmann an und zweifelte an ſeinem Verſtande. Heinrich Peterſen war ja in der Nordſee ertrunken und ſollte bei mir auf der Raa geweſen ſein?
„ Was ſiehſt Du mich ſo an? Es iſt ſo wie ich Dir ſage, aber Du brauchſt deshalb nicht beſorgt zu ſein. Er ſtand hinter Dir und das ſchadet nichts. Wenn er Jemand holen will, dann ſetzt er ſich ihm auf die Schultern. “
Ich wußte noch immer nicht, was ich davon denken ſollte und blickte fragend auf die übrigen Leute.
„ Ja ja, wir alle haben ihn geſehen “, ſagte der Segel - macher, „ und “....
„ Da iſt er wieder “, rief halblaut in dieſem Augenblicke einer der Matroſen. Alle Blicke wandten ſich nach oben und auch die meinen folgten. Unwillkürlich erſchrak ich; dort oben6*84Wernerüber dem Top der Vorbramſtenge ſchwebte ein kugelförmiges bläuliches Licht. Bald hob es ſich einige Fuß, bald ſenkte es ſich wieder oder ſchwebte ſeitwärts. Dann verſchwand es auf einige Sekunden ganz, um wieder zu erſcheinen und ſeinen unheimlichen Tanz weiter zu führen. Plötzlich flog es mit einem Ruck abwärts und hielt ſich eine Zeit lang über dem Kopfe des Leichtmatroſen, der das Vorbramſegel feſtmachte, während ſich ähnliche Flammen auch auf den übrigen Toppen zeigten. Ihr matter Schimmer erleuchtete nur den nächſten Umkreis, alles übrige war in tiefe Nacht gehüllt.
„ Er ruft Jens, “flüſterte der Bootsmann, indem er mich anrührte, „ ſieh, wie er ihm auf die Schultern klettert. “
Mich überlief es kalt. Die blaſſe Kugel ſchien auf dem Kopfe des Leichtmatroſen befeſtigt, welcher noch immer das Segel nicht auf die Raa bringen konnte. Sie goß einen fahlen Schein über ſein Geſicht, der es mit einer Leichenfarbe bedeckte, obwol von dem übrigen Körper nichts zu ſehen war, was die Sache noch ſchauriger machte. Dann verſchwand das Licht wieder auf einige Minuten, um vorn auf der Spitze des Außen - klüverbaums wieder aufzuflammen und dort ſeinen Irrlichtstanz von neuem zu beginnen.
„ Er ſteigt herunter, “äußerte der Segelmacher, „ das giebt Wind, gut daß wir die Segel fort haben. “
Jens hatte endlich ſein Segel feſt gemacht und war an Deck gekommen, aber Niemand ſprach zu ihm ein Wort über das, was wir geſehen. Er ſelbſt äußerte auch nichts; wahr - ſcheinlich hatte er oben von dem Lichte gar nichts bemerkt, denn ſein Benehmen war ſo unbefangen wie ſonſt. Auch vom Klüver - baum war die Flamme jetzt verſchwunden und zeigte ſich nicht wieder.
Es war ein Elmsfeuer geweſen, das ſich bei Gewitterluft in den Tropen öfter auf den eiſenbeſchlagenen Spitzen der Maſten und Raaen zeigt, im Aberglauben des gewöhnlichen Seemanns aber als Seele eines abgeſchiedenen Kameraden gilt. Wenn es in85Eine erſte Seereiſedie Höhe ſteigt, bedeutet es gutes Wetter, und es kommt Sturm, wenn es ſich ſenkt. Beleuchtet es den Kopf eines Matroſen in der Takelage, ſo iſt es das Vorzeichen ſeines baldigen Todes.
Ich ſah die Erſcheinung zum erſten Male, hatte früher noch nichts davon gehört, und wenn mein Verſtand mir auch ſagte, ſie ſei electriſcher Natur, ſo hatte ich mich doch eines drückenden Gefühls nicht erwehren können. Die tiefe Dunkelheit und die unheimliche, ſchaurige Stille hatten auch mein Gemüth gefangen genommen und es mit abergläubiſcher Furcht erfüllt.
Einige ſchwere Regentropfen begannen zu fallen; es war ſo ſtill, daß man jeden einzelnen derſelben auf das Deck auf - ſchlagen hörte. Einige Minuten ſpäter ertönte dumpfes Rollen des Donners und Wetterleuchten durchzuckte den Horizont. Wir warteten in ängſtlicher Spannung auf das Einfallen der Bö, aber ſie blieb noch immer aus. Ein plötzlicher Windſtoß, wenn auch nur ſchwach, blähte die Marsſegel für einen Augenblick, dann hingen ſie wieder regungslos.
Da auf einmal war es, als ob nur Feuer uns umfinge und tauſend grelle Blitze vom Himmel zugleich auf uns hernieder zuckten. Im ſelben Augenblicke erkrachte der Donner mit ſo furchtbarer Gewalt, daß der Ocean zu erzittern ſchien und wir erſchreckt zuſammenfuhren, während der Himmel ſeine Schleuſen öffnete und wahre Ströme von Waſſer auf uns ergoß. Es war ein förmlicher Wolkenbruch, und obwol er in dieſer Stärke kaum fünf Minuten dauerte, ſo konnte das Waſſer durch Speigaten und Sturzpforten doch nicht ablaufen. Es ſtand fußhoch auf dem Deck und wogte mit dumpfen Rauſchen hin und her, wenn das Schiff ſich bewegte.
Dazu die dichte Finſterniß, das unaufhörliche blendende Blitzen und der betäubende Donner — wahrlich es war als ob die Welt untergehen ſollte, und wir ſtanden wie erſtarrt über die ſchaurige Großartigkeit des Naturereigniſſes.
Noch immer regte ſich wunderbarer Weiſe kein Lüftchen86Wernerund die ſo unnatürliche Stille drückte uns förmlich nieder. Sie erſchien drohend und unheilverkündend. Der Regen hörte jetzt eben ſo plötzlich auf, wie er über uns hereingebrochen war, die dichte Wolkendecke zerriß an einer Stelle, und nun kam endlich die Bö herangebrauſt. Hui! was für eine Maſſe Wind führte ſie mit ſich und wie peitſchte ſie die dunklen Waſſer! Kochend und ſchäumend trieb ſie die Wellen vor ſich her, und wie vorhin die Atmoſphäre vom electriſchen Fluidum erglühte, ſo glich jetzt der vom Sturm erregte Ocean, der bis dahin in tiefer Nacht gelegen, einem Feuermeer, und die Myriaden von Weſen, welche ihn bevölkern, ſprühten in phosphoriſchem Glanze.
Als die Bö in die Segel fiel und ehe das ſtill ſtehende Schiff ſich durch das Waſſer zu bewegen begann, zitterte und krachte es in allen Fugen. Unſer gutes Glück wollte, daß der Wind grade von hinten kam und nur die beiden dicht gereeften Mars - ſegel ſtanden, ſonſt hätten wir die Maſten verloren oder wären gekentert. So aber flogen wir nach wenigen Minuten mit 10 Knoten Fahrt platt vor dem Winde dahin und ſchwächten um eben ſo viel die Schnelligkeit des Orcans und damit ſeine Kraft. Es war immer noch ſchlimm genug, aber bei ſolchen Böen iſt der erſte Stoß der gefährlichſte. Wir hatten ihn glück - lich überwunden und der Alp, der bis dahin auf uns gelaſtet, löſte ſich von unſrer Bruſt. Wir wußten jetzt, woran wir waren; auch die ſchwarze Dunkelheit war etwas gewichen und unſer gutes Schiff dem wüthenden Sturme gewachſen. Ueberdies kam der Wind aus Norden, wir flogen direct dem Süden zu und jede Meile die wir gewannen, war für uns Geldes werth.
Leider dauerte die Bö kaum eine halbe Stunde an, dann war alles wieder vorbei. Der Wind ließ nach und hörte endlich ganz auf. Der helle Streifen am Himmel verſchwand, der Regen begann auf’s neue, wenn auch nicht ſo gewaltig wie vorher, in der Ferne grollte der Donner, den Horizont erhellte noch einmal der Widerſchein der Blitze, aber das Glühen des87Eine erſte SeereiſeMeeres verloſch allmälig. Seine aufgeregte Oberfläche glättete ſich, bald lag wieder tiefe Nacht auf ihr. Der Rieſe ſchlummerte nach dem ſchweren Kampfe, und unſer Schiff ſchaukelte ſich leiſe auf den Wellen, die ſanft und regelmäßig ſich hoben und ſenkten.
Die Linie paſſirten wir eines Sonntags, d. h. wir glaubten es; denn ſeit acht Tagen hatten wir weder Sonne noch Mond oder Sterne geſehen und keine Beobachtung gemacht. Unſere Koppelscursrechnung nach dem geſteuerten Curſe und der durch - laufenen Diſtanz war auch ſehr unſicher, da ſie ſich bei dem ſo häufigen und plötzlichen Wechſel der Richtung und Stärke des Windes ſchwer führen ließ. Natürlich entging ich nebſt den Andern, die den Aequator noch nicht paſſirt hatten, nicht der üblichen Taufe, jedoch wurde ſie, wie auf den meiſten Kauffartei - ſchiffen, in ziemlich roher Weiſe ausgeführt, die einer näheren Beſchreibung nicht werth iſt. Man wurde mit einer Miſchung von Fett und Theer im Geſicht eingeſeift und mit einem Raſir - meſſer aus Bandeiſen raſirt. Dabei verband man dem Be - treffenden die Augen und ſetzte ihn auf ein Brett, das über einer mit Waſſer gefüllten Tonne lag. Nach Beendigung des Raſſirens zog man das Brett fort und der Täufling fiel in’s Waſſer. Das war die ganze Procedur und, wie man ſieht, wenig Humor dabei. Eingeweicht wurden wir ohnehin genug bei dem permanenten Regen und das Untertauchen hatte deshalb nicht einmal den Reiz der Neuheit. Das Intereſſanteſte bei der ganzen ſogenannten Taufe waren wohl einige Flaſchen Rum, die der Kapitän zur Feier des Tages ſpendete und aus denen ein ſteifer Grog gebraut wurde, dem dann natürlich Geſang folgte.
Einige Tage darauf ſah ich auch zum erſten Male Waſſer - hoſen und zwar zu gleicher Zeit zwei, während eine dritte ſich etwas ſpäter bildete. Sie waren einige Meilen entfernt und nahmen ihren Weg ſeitwärts von uns, ſo daß wir ſie ohne weitere Sorge beobachten konnten. Aus einer dunkelgefärbten und ſcheinbar ſehr tiefziehenden Regenwolke ſchoß zuerſt eine88Wernertrichterförmige Spitze hervor, die jedoch nicht grade, ſondern etwas gebogen war. Nach einigen Minuten ſah man in dieſer Spitze Bewegung; die Ränder veränderten ſich, der Trichter wurde zuſehends ſtärker und zuckte auf und nieder, bald bis ganz nahe auf die Waſſerfläche, bald in größerer Höhe. Dann nahm man Bewegung in dem Meerestheile unter der Spitze wahr, als ob das Waſſer kochend aufwallte und es war deut - lich zu ſehen, wie ſich allmälig ein runder Waſſerberg bildete, der ſich ſcharf gegen ſeine Umgebung abhob. Das Auf - und Niederzucken des Trichters wurde nun heftiger, bis er ſich plötz - lich mit dem Berge vereinigte und die Waſſerhoſe als ſchräg - ſtehende und etwas gebogene Säule langſam wanderte, um nach 20 bis 30 Minuten ſich wieder ebenſo zurückzubilden und zu verſchwinden. Donnerähnliche Geräuſche, wie ſie dieſe Er - ſcheinungen oft begleiten ſollen, hatten wir nicht vernommen; vielleicht war die Entfernung zu groß. Jedenfalls iſt aber kleineren Schiffen zu rathen, ihnen aus dem Wege zu gehen, oder bei ihrer Annäherung ſie durch einen Kanonenſchuß recht - zeitig zu ſprengen, da ſie ſchon öfter durch ihre wirbelnde Be - wegung die Maſten gebrochen haben.
Endlich näherten wir uns der ſüdlichen Grenze des unangenehmen Stillgürtels, der uns mit ſeinen Attributen wochenlang ſo ſchwer gepeinigt hatte. Nur eine Annehm - lichkeit wies er für uns auf. Bei dem ſtrömenden Regen konnten wir nach Herzensluſt uns in friſchem Waſſer gründlich reinigen und auch unſere Kleider waſchen. Zum Trinken war das Waſſer allerdings nicht zu gebrauchen, da es durch Herunter - laufen an Tauwerk und Segeln einen widerlichen Theergeſchmack angenommen hatte. Dafür ſammelten wir es aber ſorgſam für Wäſchebedarf. Jedes leere Waſſerfaß oder ſonſtige Gefäß, das ſich nur irgend dafür eignete, wurde gefüllt, und auf dieſe Weiſe reichte der Vorrath faſt für die ganze übrige Reiſe, um uns täglich einmal den Luxus einer Abſeifung zu geſtatten.
89Eine erſte SeereiſeIn der letzten Woche hatte der Regen nachgelaſſen, die Sonne brach auf Stunden durch, aber mit dem Aufhören der Gewitterböen verloren wir auch die ſtärkeren oder ſchwächeren Windſtöße, die uns vorwärs gebracht. Wir lagen bisweilen 48 Stunden in vollkommener Windſtille und dies war um ſo ärgerlicher, als wir uns nur noch höchſtens zwei bis drei Meilen von der Grenze des Südoſtpaſſates befanden und aus den Toppen den dunklen Streifen zu erkennen glaubten, den an - kommende Brieſe auf dem Waſſer macht. Das war eine Ge - duldsprobe und auch das Kratzen am Maſt und Pfeifen wollte keinen Wind bringen. Es erſchien mir wahrhaft komiſch, mit welchem Ernſt die alten Matroſen an die Wirkſamkeit dieſer beiden Mittel glaubten. Das Pfeifen iſt ſonſt an Bord voll - ſtändig verpönt; aus Langeweile hatte ich es einige Male Nachts auf der Wache gethan, doch war es mir ſtets mit der unwirſchen Bemerkung unterſagt, auf einem Schiffe müſſe man nicht pfeifen. Jetzt begriff ich den Grund des Verbotes. Pfeifen giebt Wind; damals hatten wir aber ſo viel davon, daß wir nicht mehr gebrauchen konnten.
Nachdem übrigens die Sonne wieder zum Vorſchein ge - kommen war und jetzt der kühlfächelnde Hauch des Windes fehlte, merkten wir doch die tropiſche Hitze ganz bedeutend. Der „ rothe Hund “, eine Ausſchlagskrankheit, die faſt jeder Nordeuropäer beim Uebergang in heiße Klimate durchzumachen hat, zeigte ſich in unangenehmer Weiſe. Man mußte ſich in Acht nehmen, nicht außer dem abgehärteten Geſicht und den Händen, andere Körpertheile der Sonne auszuſetzen, weil dieſe ſofort Blaſen zog, und die Hitze erſchlaffte die Muskeln, namentlich der jüngeren Leute, ſo, daß man ſich gar nicht rühren mochte.
Ach, wie ſchwer wurde es mir in dieſer Zeit, wenn ich zu irgend welchem Zwecke nach der Bramraa hinauf mußte und wie oft wurde ich, wenn das Klettern ſehr langſam ging, durch die höhnenden Worte angeſpornt: „ Du kommſt ja nicht aus90Wernerder Stelle, Dich hat gewiß Jan Looi gepackt. “ Wie die Matroſen gern perſonificiren und z. B. die See, d. h. wenn ſie in unbequemer Weiſe ſich fühlbar macht, „ Rasmus “*Erasmus. nennen, ſo bezeichnen ſie die durch die Hitze erzeugte Schlaffheit des Körpers mit „ Jan Looi “; das letztere Wort ſtammt aus dem niederdeutſchen und bedeutet „ träge, faul “. Dieſer Hohn wirkte beſſer, als andere Mittel, um die Ermattung zu überwinden und ich kam auch bald darüber fort.
Am letzten Tage, an dem wir uns im Stillgürtel befanden, erlebte ich noch ein wunderbares und höchſt intereſſantes Schau - ſpiel, das uns alle in die höchſte Aufregung verſetzte und über - dies nur ſelten beobachtet wird.
Es war klarer ſchöner Sonnenſchein; kein Hauch trübte die Fläche des Meeres und die Sonnenſtrahlen tauchten ſich ſchim - mernd in ſeinen tiefblauen Schooß. Ich hatte Freiwache und war grade in die Lectüre eines alten Kalenders vertieft, der ſich in der Seekiſte des Kochs aufgefunden und deſſen Inhalt ich den Kameraden vorlas, als wir durch den Ruf eines in der Takelage beſchäftigten Matroſen: „ Brandung voraus, zwei Strich an Steuerbord “aufgeſchreckt wurden.
Alle ſprangen auf und richteten die Blicke nach der be - zeichneten Stelle, die etwa zwei Meilen weit entfernt war. Der Kapitän ſchaute lange und aufmerkſam mit dem Fernrohr hin. „ Unbegreiflich! “äußerte er kopfſchüttelnd, „ Auf hundert Meilen in der Runde zeigen die Karten nirgends eine Gefahr; ich bin hier ſchon zehnmal durchgekommen, habe davon weder etwas gehört noch geſehen, und doch ſind es richtige Klippen, die wir dort vor uns haben. “ Fünf bis ſechs dunkle Felſen ragten über die Waſſerfläche empor und die Brandung ſpritzte ſchäumend an ihnen hinauf.
Unterdeſſen war auch der Bootsmann an Deck gekommen,91Eine erſte Seereiſeund nahm die Sache in Augenſchein. „ Das ſind weder Klippen noch Brandung “ſagte er nach einer Weile ſehr beſtimmt.
„ Was ſoll es denn ſein? “fragte ziemlich pikirt der Kapitän.
„ Das ſind Walfiſche, “erwiederte der Bootsmaun, „ Was Ihr für Klippen anſeht, ſind Floſſen und Schwänze. Sie ſpielen und ſchlagen damit auf das Waſſer, daß es wie Bran - dung erſcheint. “
Zuerſt begegnete die Bemerkung nur ungläubigem Lächeln, aber bald überzeugten wir uns, daß der alte Harpunier, der zwanzig Jahre in allen Welttheilen dem Walfiſchfang obgelegen, Recht hatte.
„ Das iſt eine ganze Schule! “fuhr er fort, indem der ſonſt ſo ruhige Mann in Erinnerung an die früheren Kämpfe mit den Rieſen des Meeres immer lebendiger wurde. „ Seht dort die gewaltige Floſſe in der Mitte, die alle anderen überragt, das iſt der alte Schulmeiſter, der mit der Heerde von Weibchen zieht. Wie ſchade, daß wir keine Leinen haben — da wäre ein Fang zu machen, der uns ein paar Tauſend Thaler ein - brächte. Sie ſind luſtig, und man kann bis auf fünf Schritte herankommen, ohne daß ſie es merken. Da! jetzt bläſt der Bulle! Was ein Kerl muß das ſein — der mißt mindeſtens ſeine 60 Fuß! “rief der Bootsmann in voller Extaſe. Ein mächtiger Strahl von feinem Waſſerdampf ſtieg in die Lüfte und die Sonne malte einen prachtvollen Regenbogen hinein. Als ob dies ein Signal geweſen wäre, verſchwand jedoch plötzlich die ganze Schaar von der Oberfläche. Faſt gleichzeitig hoben ſich acht bis zehn gewaltige Schwänze aus dem Waſſer und die rieſigen Körper tauchten von uns abgewandt in die Tiefe.
„ Sie kommen wieder auf, “verhieß der Bootsmann, als wir unſer Bedauern darüber ausſprachen, „ und wir werden ſie bald ganz in der Nähe haben. Der Walfiſch ſteigt immer in der entgegengeſetzten Richtung wieder in die Höhe, in der er92Wernerhinuntergegangen. Die Thiere müſſen übrigens durch etwas erſchreckt worden ſein, ſonſt iſt das nicht ihre Art, ſo plötzlich das Spiel abzubrechen. “
Wir warteten in Spannung wohl eine Viertelſtunde, da blies es wieder, erſt einmal und wieder ſo mächtig wie vorhin, dann in kleinen Zwiſchenräumen noch fünf - bis ſechsmal, aber mit ſchwächerem und niedrigerem Strahl. Wie der Bootsmann vorausgeſagt, tauchte die Heerde wieder auf und zwar ganz nahe bei unſerm Schiffe, keine 300 Schritte von uns entfernt.
Wie auf Commando liefen wir Alle, der Kapitän voran, nach oben in die Takelage, um beſſer zu ſehen. Ich hielt mich zum Bootsmann, der mir über Alles am beſten Auskunft geben konnte und ſaß mit ihm auf der Vormarsraa. Die Fiſche waren bei der geringen Entfernung und in dem klaren durch - ſichtigen Waſſer ſo deutlich zu ſehen, als ob ſie vor uns lägen. Jeden ihrer Körpertheile, den gewaltigen Kopf mit dem Ein - ſchnitte des coloſſalen Rachens, das Blasloch, die Floſſen unter - ſchieden wir klar, ja ſogar die Muſchelklumpen, die ſich auf den ungeſchlachten Rücken angeſetzt, konnten wir genau wahr - nehmen.
Mich feſſelte die Neuheit des Anblicks natürlich auf das höchſte und ich zitterte förmlich vor Erregung. Die Heerde beſtand aus acht Stück, dem Bullen und ſieben Kühen; Kälber waren nicht dabei. Der Bulle war ein gewaltiges Thier und eher noch länger als ihn der Bootsmann geſchätzt hatte. Die Weibchen erſchienen dagegen bedeutend kleiner und hatten unge - fähr gleiche Größe. Alle waren ſehr nahe an einander gedrängt, der Bulle auf dem linken Flügel etwas ſchräg vorgeſchoben, als wollte er die Heerde gegen etwas decken. Sie blieben ziemlich auf demſelben Flecke, bewegten faſt unmerklich Floſſen und Schwanz und nur dann und wann neigte ſich einer oder der andere etwas auf die Seite, ſo daß wir ein Stück des weißen Bauches ſehen konnten.
93Eine erſte Seereiſe„ Ich ſage Dir, Schweizer, da iſt etwas unklar, “hub der Bootsmann wieder an, „ das iſt nicht die Manier der Wale, ſo auf einem Fleck zu hocken, das habe ich noch nie geſehen. “
„ Vielleicht ſehen ſie unſer Schiff und ängſtigen ſich davor, “erwiederte ich.
„ O, Gott bewahre, vor Schiffen haben ſie keine Furcht, das habe ich einmal in der Südſee auf eine Weiſe erfahren, an die ich noch heute mit Schaudern denke — nein, es muß etwas anderes ſein! Sieh! ſieh! was der Bulle macht! “
Das Thier flog aus ſeiner ſchrägen Lage, wie ein Blitz, nach links, faſt um einen Viertelkreis herum und ſchoß dabei etwa 50 Schritt voraus, gegen unſer Schiff hin, ſo daß wir ihn noch viel deutlicher als vorhin ſahen. Gleichzeitig hoben ſich wieder die Schwänze der Kühe in die Luft; wie ein Lauf - feuer von Geſchützen ſchlugen ſie krachend damit das Waſſer, daß es hoch aufſchäumte und ſchoſſen dann faſt perpendiculär in die Tiefe.
„ Das iſt kein Spiel mehr, “ſagte der Bootsmann, „ das iſt bitterer Ernſt — es muß ein ſchrecklicher Feind in der Nähe ſein. — Ah, ich habe mich nicht geirrt, dort iſt er! Schwertfiſche! “
Ich folgte der Richtung der Hand und ſah jetzt die vom Bootsmann entdeckten Fiſche. Es waren ſechs, von 15 bis 16 Fuß Länge; ſie kamen mit fliegender Fahrt unter unſerm Schiffsboden hervorgeſchoſſen und nahmen ihre Richtung auf den ſie offenbar erwartenden Bullen. In dem Augenblicke jedoch, als wir ſie ſahen, theilten ſie ſich, nur zwei behielten ihren Curs bei, die übrigen bogen nach rechts ab, wahrſcheinlich um den fliehenden Kühen zu folgen. Die beiden erſteren, etwa zehn Schritt von einander entfernt, nahmen ihren Weg auf die Flanke des Walfiſches — in wenigen Secunden mußten ſie ihn erreichen und dann war er verloren. Da erfolgte wieder die unbegreiflich blitzſchnelle Drehung, diesmal nach rechts; der Kopf94Wernerdes gewaltigen Thieres ſenkte ſich und es führte mit dem Schwanze nahe an der Oberfläche des Waſſers einen furchtbaren Schlag.
Der Angriff der Schwertfiſche war mißlungen und der eine von ihnen kampfunfähig gemacht; er lag auf der Seite, bewegte zwar noch die Floſſen, mußte aber ſchwer beſchädigt ſein, denn er ſtrich nur langſam ſeitwärts in die Tiefe. Der zweite war unverletzt; wir ſahen ihn aus dem ſchäumenden Waſſer, das der Schwanzſchlag verurſacht, mit pfeilartiger Ge - ſchwindigkeit hervorkommen und nach links ſchwimmen, um ſehr bald unſern Blicken zu entſchwinden.
Der Walfiſch ſtand regungslos im Waſſer und uns ſo nahe, daß wir faſt direct auf ihn niederſahen. Er blies, als ob er zur Fortſetzung des Kampfes Athem ſchöpfen wollte. Es klang wie ein übernatürlicher Poſaunenton, aber wir ſahen in der großen Nähe auch deutlich, daß es kein Waſſer war, was er von ſich gab, ſondern nur mit nebelartigem Dampf vermiſchte Luft. Es fielen keine Tropfen auf die Waſſerfläche zurück.
„ Bravo, bravo, “ertönte es laut von den Toppen und Raaen aus unſer aller Munde, die wir Zuſchauer des wunder - baren Kampfes waren. „ Hurrah! der Wal hat geſiegt. “
Als ob dieſer unſere Beifallsrufe verſtanden, drehte er den Kopf etwas nach uns zu, blieb aber ſonſt auf der Stelle und ſein mächtiger Rücken ſtand einige Fuß aus dem Waſſer hervor.
„ Wartet, wartet, “mahnte der Bootsmann, „ die Sache iſt noch nicht zu Ende. Ihr kennt die Schwertfiſche nicht, ſo leicht geben ſie den Kampf nicht auf. Der alte Schulmeiſter weiß das auch ganz genau; ſeht nur, wie er den Kopf dreht und die Augen überall hin ſcharfen Ausguck halten. “
Kaum waren die Worte verhallt, als auch ſchon ein neuer Angriff erfolgte, diesmal aber augenſcheinlich von der andern Seite, als woher ihn der Walfiſch erwartete. Der Schwertfiſch hatte einen völligen Halbkreis gemacht und ſich Hülfe geholt,95Eine erſte Seereiſeum ſeinen Angriff zu erneuern. Den letzteren ſelbſt ſahen wir nicht, ſondern nur ſeine großartige Wirkung. Der Wal ſprang mit ſeinem ganzen Körper ſo hoch aus dem Waſſer, daß der Bauch ſich noch einige Fuß über der Oberfläche befand und ſchlug dann mit einem donnerähnlichen Krach und ſo furchtbarer Gewalt in ſein Element zurück, daß der Fall ein Meer von ſchäumenden Giſcht bildete und hohe Wellen bis zu unſerm Schiff trug.
Im ſelben Augenblicke, als der verzweifelte Luftſprung gethan wurde, ſahen wir drei Schwertfiſche in ſechs bis acht Fuß Abſtand und parallel neben einander unter dem Walfiſch hervor - ſchießen und gleich darauf in dem Schaum verſchwinden. Offen - bar hatte der Wal keine Zeit mehr gehabt, der Attaque mit einem Schwanzſchlage zu begegnen, wie vorhin und ſich nur durch Herausſchnellen aus dem Waſſer retten können. Die Schwertfiſche hatten ſo ihr Ziel verfehlt und waren unter ihm durchgegangen. Der zweite Gang des merkwürdigen Kampfes war beendet, und wiederum ertönte aus dem Munde der Be - ſatzung ein „ Hurrah “für den Wal.
„ Er iſt doch verloren, “ſagte der Bootsmann; „ es ſind drei gegen einen, die beiden andern werden auch noch zurück - kommen und dann iſt er unbedingt fertig. Schade um den ſchönen Thran, “fügte er bedauernd hinzu. Er ſah die Sache weniger vom chevaleresken, als vom Standpunkte des Harpuniers an, während wir andern alle Partei für den Wal nahmen. Die Prophezeihung ſollte nur zu bald in Erfüllung gehen. Der Kampf begann auf’s neue und wurde von beiden Seiten mit der größten Wuth und Erbitterung geführt. Leider entgingen uns jetzt die meiſten Details, aber wie heiß der Streit entbrannt war, das ſahen wir an den heftigen Bewegungen des Wal - fiſches, an dem Wogen und Schäumen des gepeitſchten Waſſers, wenn letzterer ſeine Schwanzſchläge austheilte, an dem ſchnellen Wechſel des Kampfplatzes, bald unmittelbar beim Schiffe, bald96Werner500 Schritt und mehr davon entfernt. Die Schwertfiſche ſelbſt ſahen wir faſt gar nicht mehr; ſie ſchwammen bedeutend tiefer als der Wal, weil die Angriffe ſtets auf deſſen verwundbarſten Theil unterhalb der Bauchfloſſen gerichtet waren, und die raſenden Sprünge und Stöße des letzteren machten die Waſſerfläche ſo trübe und undurchſichtig, daß wir zu unſerm großen Bedauern ihren Bewegungen nicht folgen konnten. Nur einmal machte auch einer von ihnen einen Satz aus dem Waſſer, offenbar um einem ſofort darauf erfolgenden Schwanzſchlage zu entgehen.
So wogte der furchtbare Kampf hin und her. Wir folgten, ſo weit wir konnten, ſeinen Einzelheiten in athemloſer Spannung wohl zehn Minuten lang, dann trat die Kataſtrophe ein. Jener mächtige Poſaunenton von vorhin ertönte wieder, aus dem Blasloch ſtieg die Dunſtſäule hoch in die Lüfte, aber diesmal ſpiegelten ſich die Sonnenſtrahlen nicht in Regenbogenfarben in ihr wieder, denn der Dunſt zeigte ſich mit Blut gemiſcht und roth gefärbt. Der tapfere Wal war tödtlich von ſeinen Feinden getroffen. Wie raſend jagte er im Kreiſe umher, bisweilen bis zu ſeiner halben Höhe aus dem Waſſer hervorragend und es mit gewaltigen Schlägen peitſchend. Dann erhob ſich der Leviathan wieder mit einem furchtbaren Satze aus dem Waſſer, aber neben ihm hing ein Schwertfiſch, den er mit ſich in die Luft empor - genommen, um ihn beim Fall mit der Wucht ſeines Körpers zu zerſchmettern und, ſelbſt ſterbend, ſeinem Feinde den Tod zu geben. Noch einmal warf der Gigant einen Blutſtrahl hoch — dann folgten drei bis vier furchtbare Schwanzſchläge und alles war ſtill. Das Waſſer glättete ſich und der mächtige Körper des tapfern Wal ſchwamm leblos an der Oberfläche. Nach ſeiner erſten Verwundung hatte er ſich ſo weit von unſerm Schiffe entfernt, daß wir das Letzte der ſubmarinen Schlacht nur noch undeutlich ſahen, aber wir konnten uns eines ſchmerzlichen Ge - fühls des Bedauerns nicht erwehren, daß der Held der Tiefe, der ſo brav geſtritten, am Ende doch hatte unterliegen müſſen.
97Eine erſte SeereiſeAuch der Bootsmann ſprach ſein Bedauern aus, aber nur darüber, daß wir keine Fäſſer an Bord hatten, um den koſt - baren Speck zu retten.
„ Der hat mindeſtens ſeine dreihundert Tonnen, es iſt ein Capitalbulle, und nun geht all’ der Blubber vor die Haie “, klagte er. „ Da ſind rund 1500 Thaler zum Teufel, und nun muß es gar ein Potwal ſein, ſonſt könnte man in einer Stunde doch noch eine Maſſe Geld an ihm verdienen. “
„ Wie ſo? “fragte ich, da ich den Sinn der letzten Be - merkung nicht verſtand.
„ Der Potwal hat keine Barten, “erwiederte er, „ ſondern nur Zähne im Unterkiefer, und die haben wenig Werth, wenn - gleich er damit Unglück genug anrichten kann. Ich hab’s erlebt und kann davon ein Liedchen ſingen; aber jetzt wollen wir niederentern und den Alten um ein Boot fragen. Wir wollen uns wenigſtens ein Stück von der Zunge holen, die ſchmeckt ganz vortrefflich und eine ſolche Abwechſelung bei dem ewigen Torniſterfleiſch thut wohl. “
In meinem Eifer, recht ſchnell an Deck zu kommen und auch wol mit einer gewiſſen Eitelkeit, um vor dem Bootsmann meine Gewandtheit zu zeigen, benutzte ich nicht die Strickleitern der Wanten, ſondern rutſchte an der Stenge-Pardune herunter, aber leider bekam es mir ſchlecht. Ich machte es zu ſchnell und verbrannte mir ſo das Innere der Handfläche, daß ganze Stücke von der Haut abgeriſſen wurden.
„ Bravo Schweizer, das nenne ich flink! “rief der Boots - mann. „ Siehſt du, mit der Zeit kann noch ein ganz tüchtiger Kerl aus Dir werden. “
Das Lob war theuer erkauft; ich biß vor Schmerz die Zähne aufeinander, ließ aber natürlich von meinem Mißgeſchick nichts verlauten, um nicht ausgelacht zu werden. Der Kapitän erlaubte, daß der Bootsmann die Gig nahm, um ein Stück von der Zunge zu holen, und ich durfte mitfahren. SeltenR. Werner, Erinnerungen. 798Wernerhabe ich ſolche Schmerzen ausgeſtanden, als bei dieſer Fahrt, weil das Holz der Bootsriemen beim Rudern ſtets mit dem rohen Fleiſch meiner geſchundenen Hände in Berührung kam, aber mit einem eines Indianers würdigen Stoicismus ertrug ich die heilloſe Pein, um für die Zukunft eine Lehre daraus zu ziehen.
Wir fanden den Walfiſch auf der Seite liegend und die ganze Waſſerfläche in ſeiner Umgebung von Blut geröthet. Er hatte eine Länge von über 60 Fuß und namentlich imponirte mir der rieſige Kopf, der ein Drittheil des ganzen Körpers auszumachen ſchien. Am Bauche hatte er vier ſchwere Wunden, drei davon mehr horizontal, die vierte tödtliche jedoch durch einen wohlgezielten Stoß von unten verurſacht. Sie war es wol, die den Wal zu ſeinem letzten verzweifelten Luftſprunge getrieben hatte, bei dem er den Schwertfiſch mit in die Höhe riß. Das abgebrochene Schwert ſtak in der Wunde, war aber ſo feſt zwiſchen die Rippen eingekeilt, daß es nicht möglich war, daſſelbe mit den Händen herauszuziehen. Als wir dann mit dem Boote zum Rachen hinholten, um ein Stück der Zunge herauszuſchneiden, fanden wir erſteren krampfhaft geſchloſſen, aber zwiſchen den Kiefern einen vollſtändig zermalmten Schwert - fiſch. Der Wal mußte ihn wahrſcheinlich noch unmittelbar vor ſeinem Tode recht quer erfaßt und ihn mit ſeiner gewaltigen Reihe von 48, ſechs bis ſieben Zoll langen, kegelförmigen Zähnen förmlich zu Brei zerquetſcht haben; nur der Kopf mit dem Schwert hing an der oben liegenden Seite des Rachens noch unverletzt, ſo daß wir ihn abſchneiden und in das Boot nehmen konnten.
Damit war dem Bootsmann jedoch nicht gedient, er war auf die Zunge verſeſſen und wollte ſie durchaus haben. Das ließ ſich aber nur machen, wenn wir den Fiſch langſeit des Schiffes brachten, und wir bugſirten ihn deshalb bis dorthin. Als der Koloß einmal in Bewegung geſetzt war, glitt er leicht99Eine erſte Seereiſedurch das Waſſer, und nach kaum einer Stunde war er an der Seite des Schiffes befeſtigt. Doch alle Mühe, den Rachen zu öffnen, war vergebens und zum großen Kummer des Boots - mannes und unſrer ſelbſt mußten wir uns den Appetit auf den ſo hoch gerühmten Leckerbiſſen vergehen laſſen. Als der Fiſch bei dieſen Verſuchen mit Tauen herumgedreht wurde, fanden wir zu unſerem Erſtaunen drei alte verroſtete Harpunen in ſeinem Rücken. Zwei davon trugen denſelben Schiffsnamen, die dritte jedoch einen andern; das Thier mußte alſo ſchon früher von zwei verſchiedenen Walfiſchfängern gejagt und ihnen entronnen ſein. Sowohl die Harpunen, als auch die abgebrochene Säge wurden zum Andenken an den merkwürdigen Tag heraus - geſchnitten; dann aber mußte der Wal losgeworfen werden, denn es ſprang etwas Wind auf und der Kapitän wollte dies ausnutzen.
Wie um ein Aas die Raben, ſo hatten ſich in der letzten Stunde eine ganze Reihe Haie um den todten Wal geſammelt. Woher ſie ſo ſchnell kamen mochte der liebe Gott wiſſen, aber wir zählten wohl zwölf von den verſchiedenſten Größen, die mit ihren dreieckigen Rückenfloſſen die Waſſerfläche ſchneidend bis auf 20 bis 30 Schritt Entfernung das Schiff umkreiſten und auf den Augenblick zu warten ſchienen, wo ihnen die ſelten reiche Beute zufallen mußte. Als wir den Fiſch loswarfen und er kaum eine Schiffslänge von uns entfernt war, ſchoſſen ſie von allen Seiten auf ihn zu und riſſen mit ihren furchtbaren Gebiſſen mächtige Stücke aus dem Kadaver.
Den Kopf des Schwertfiſches ließ der Kapitän für ſich ſkelettiren; das abgebrochene Schwert erhielt der Bootsmann, ſchenkte es aber mir, und ich habe es als ein Andenken, ſowol an den alten Mann, dem ich außer ſo vielen andern Wohlthaten, auch mein Leben verdankte, als auch an das furchtbare Schau - ſpiel aufbewahrt, das zu ſehen und namentlich in ſolcher Nähe ſelten Jemandem vergönnt iſt.
7*100WernerDas Merkwürdigſte bei dieſen Kämpfen zwiſchen Schwert - fiſch oder Narwal und den Walen ſoll aber ſein, daß erſtere die letzteren nicht etwa angreifen, um ſie zu freſſen, ſondern aus reiner Mordluſt. Ein anderer, etwa zwanzig Fuß langer Raubfiſch, der ſogenannte Dreſcher, und ſelbſt zum Geſchlecht der Wale gehörig, iſt ebenfalls Todfeind ſeiner großen Brüder, ver - nichtet ſie aber, um wenigſtens ihre Zunge zu freſſen, die auch ſein alleiniges Angriffsobject bildet. Wie er das anfängt, iſt mir allerdings nicht klar geworden und ich kann mir auch nicht denken, daß er das bei den mit ſo gewaltigen Zähnen bewaff - neten Potfiſchen verſucht, nachdem ich geſehen, wie ein Schwert - fiſch zermalmt worden war.
Der leiſe Windhauch, welcher den Kapitän veranlaßte, den todten Fiſch loszuwerfen, zeigte ſich endlich als der ſo lang er - ſehnte Südoſtpaſſat. Ganz allmälig friſchte er zu einer ſchönen Brieſe auf, und gegen Abend glitt unſere „ Alma “wieder leicht - füßig mit rundgeſchwellten Segeln durch die Fluthen, deren gleichmäßige Wellen mit leiſem Rauſchen überköpften. Alles Ungemach der letzten drei Wochen war vergeſſen und wiederum genoſſen wir für eben ſo lange Zeit die Annehmlichkeiten des See - lebens wie im Norden der Linie, die noch dadurch erhöht wurden, daß wir jetzt am Winde ſegelten, dieſer einen ſeitlichen Druck auf die Segel übte und daß in Folge deſſen das Schlingern auf - hörte, das bisweilen recht unbequem geworden war.
Auf Grund der Windrichtung, die im Beginn des Paſſats noch ſüdlicher iſt als Südoſt, müſſen Segelſchiffe einen ganz bedeutenden Bogen nach Weſten machen und kommen ziemlich weit nach der ſüdamerikaniſchen Küſte hinüber. Erſt auf un - gefähr 30 Grad ſüdlicher Breite wechſelt der Paſſat mit ver - änderlichen Winden, mit denen man in ſüdöſtlicher Richtung bis über den 40. Grad ſüdlicher Breite ſteuert, um die dort herr - ſchenden Weſtwinde aufzuſuchen. Mit ihnen ſegelt man dann um das Cap der guten Hoffnung und ſo weit nach Oſten, bis man101Eine erſte Seereiſenach Norden umbiegen und mit dem Südoſtpaſſat die Sunda - ſtraße erreichen kann.
Wir kamen an der auf der Höhe des Caps der guten Hoffnung, aber etwa 350 Meilen weſtlich davon gelegenen Inſel Triſtan d’Acunha vorbei und wollten ſie in Sicht laufen, um unſere Schiffsrechnung zu verificiren. Es ging uns aber gerade ſo, wie mit Madeira. Wir ſollten ſie nach unſrem Beſteck auf eine Meile Entfernung paſſiren; es war das ſchönſte ſichtigſte Wetter, aber wir ſpähten vergebens; die Segeltuchhoſe blieb wiederum un - verdient. Wir waren alſo mindeſtens 20 bis 25 Meilen aus dem Wege, denn bei der außerordentlich klaren Luft hätten wir den hohen ſpitzen Bergkegel, der die Inſel bildet, ſehen müſſen. Es konnten aber eben ſo gut hundert Meilen ſein und da offenbar unſer irdiſcher Chronometer, mit deſſen Hülfe man die geogra - phiſche Länge berechnet, falſch zeigte, ſo mußten wir ſchon auf die nie fehlgehende himmliſche Uhr zurückgreifen und uns an die Monddiſtanzen halten, die den Chronometer erſetzen.
Nun iſt aber ſowol die Beobachtung wie die Berechnung der Diſtanzen zwiſchen Mond und Sonne reſp. Sternen eins der ſchwierigſten Probleme, welche die Nautik kennt, und beides war namentlich für die Kapitäne alten Schlages, zu denen der unſere gehörte, eine böſe Nuß.
Sie zeigten ſich im allgemeinen als außerordentlich tüchtige Seeleute, die mit ihren Schiffen leſen und ſchreiben konnten, wie man zu ſagen pflegte, und in Drangſal und Noth bei Sturm und Wetter den Kopf oben zu behalten wußten, aber mit der theoretiſchen Navigation fand es ſich bei ihnen, namentlich auf den frieſiſchen Inſeln, nur ſchwach beſtellt. Staatliche Navi - gationsſchulen exiſtirten dort nicht, und ſo wurden die jungen Seeleute, wenn ſie einmal einen Winter zu Hauſe waren, von alten invaliden Kapitänen in die Geheimniſſe der nautiſchen Be - rechnungen eingeweiht, die ſich allerdings auf ein Minimum be - ſchränkten. Mit den verſchiedenen Methoden, die Breite aufzu -102Wernerfinden, ging es noch. Weder die Beobachtung noch die Berech - nung erforderte beſonderes Kopfzerbrechen, und auch das Berech - nen von Chronometerlängen war nicht übermäßig ſchwierig, aber auf Diſtanzen ließen ſich die alten Seebären nicht ein, und erſt der neueren Zeit war es vorbehalten, die Erlernung dieſer Methoden für Kapitäne und Steuerleute der Handelsmarine obligatoriſch zu machen.
Unſerm Kapitän war die Sache jedenfalls ſehr unklar und er befand ſich in einem unangenehmen Dilemma. Wir hatten von Schiffswegen zwar einen Sextant an Bord, aber ich war überzeugt, daß er noch nie ein ſolches ſubtiles Inſtrument in der Hand gehabt hatte und gar nicht damit umzugehen verſtand, ſo gut er ſeinen mächtigen handfeſten Octanten zur einfachen Höhenmeſſung auch handhaben konnte. Von der Berechnung war natürlich bei ihm gar keine Rede, und ſo hätte er ſich vor ſeinen Untergebenen nur blamirt, wenn er ſich überhaupt auf einen Verſuch nach dieſer Richtung einließ. Und doch mußte er gemacht werden, denn ſo irrten wir auf dem großen Ocean um - her, ohne auch nur annähernd zu wiſſen, wo wir uns befanden. Er ſtellte ſich deshalb klüglicher Weiſe auf den Standpunkt des Vorgeſetzten und befahl einfach den Steuerleuten, die betreffen - den Beobachtungen anzuſtellen. Dieſe hatten beide die Navi - gationsſchule beſucht, wußten wenigſtens wie es anzufangen war und begannen mit der heikeln Aufgabe.
Nun gehören aber zum Ausmeſſen einer Diſtanz für gewöhn - lich zwei Beobachter und ein Dritter, der die Beobachtungen niederſchreibt und die Zeit notirt. Zu dieſem Dritten beſtimmte der Kapitän mich, da ich ohnehin nach meinem Contract in der Navigation unterrichtet werden ſollte, und auf dieſe Weiſe wurde ich dann in die Myſterien der Letzteren eingeführt. Natür - lich ergriff ich dieſe Gelegenheit mit dem größten Eifer und Intereſſe, die Steuerleute unterwieſen mich in der Behandlung der Inſtrumente und in den Regeln der Berechnung; ich ſtudirte,103Eine erſte Seereiſebeobachtete und rechnete, wann ſich nur irgend Gelegenheit und Zeit bot, und meine ſichtbaren Fortſchritte ſpornten mich zu immer größerer Thätigkeit an. Von einem wiſſenſchaftlichen Verſtänd - niß der Berechnungen konnte zwar keine Rede ſein, ich lernte ſie nur mechaniſch, aber das genügte für den vorliegenden Zweck vollſtändig. Die Hauptſache blieb genaues Beobachten, weil da - von die Richtigkeit des Reſultates abhing und darin hatte ich es in nicht zu langer Zeit durch unermüdliche Uebung ſo weit ge - bracht, daß ich mir ohne Ueberhebung darauf etwas zu Gute thun konnte. Auch in der ausführenden Rechnung war ich den Steuerleuten bald überlegen, was übrigens gar nicht auffallen konnte, da ich eben das Gymnaſium abſolvirt hatte und jene Beiden ihre Elementarkenntniſſe nur von einer gewöhnlichen Volksſchule ableiteten.
Anfänglich haperte es mit den Beobachtungen ſehr und wir gelangten zu wunderbaren Ergebniſſen; der Eine rechnete den Standpunkt des Schiffes oft zehn Meilen anders heraus als der Andere, aber Uebung macht den Meiſter. Allmälig näherten wir uns, und nach Ablauf von drei bis vier Wochen ſtimmten wir ſo überein, daß, wenn wir unſere drei Beobachtungen mittel - ten, wir mit ziemlicher Genauigkeit, d. h. auf 2 bis 3 Meilen, was für die Praxis ausreicht, ſagen konnten: das und das iſt unſere Länge und daß wir ſpäter darauf hin auch die Sunda - ſtraße auf den Kopf anſegelten.
Ehe ich zur See ging, hatte ich ſchon vielfach von der Pracht des ſüdlichen geſtirnten Himmels gehört und geleſen und fand dieſelben Schilderungen auch ſpäter in Reiſebeſchreibungen. Mir ſelbſt iſt es jedoch nicht möglich geweſen, dies beſtätigt zu finden, und ich bin noch heute der Meinung, daß unſer nordi - ſcher Himmel in dieſer Beziehung den ſüdlichen weit übertrifft und ſeine Sternbilder viel glänzender und ſchöner ſind. In meiner Knabenphantaſie leuchtete namentlich das ſüdliche Kreuz in märchenhaftem Glanze, übergroß und feurig dachte ich mir104Wernerdie Geſtirne, wurde aber ſehr enttäuſcht. Auf ſpäteren Reiſen habe ich mir oft den Spaß gemacht, nach Ankunft des Schiffes auf der ſüdlichen Hemiſphäre, Kameraden, die noch nicht dort geweſen, das ſüdliche Kreuz aufſuchen zu laſſen, aber keiner von ihnen vermochte es zu finden. Wenn ich es ihnen dann zeigte, ertönte regelmäßig ein enttäuſchtes „ Ach, das iſt es! “und ich hatte die Genugthuung, den poetiſchen Reiſebeſchreibern gegenüber nicht der alleinige Proſaiker zu ſein. Das Bild iſt ein regel - mäßiges aus fünf Sternen beſtehendes Kreuz, aber nur einer von ihnen iſt zweiter, die übrigen ſind fünfter und ſech - ſter Größe — woher ſollte deshalb ein beſonderer Glanz kommen?
Einen Vorzug hat allerdings die ſüdliche Halbkugel vor der unſeren, wenigſtens in der Nähe des Caps der guten Hoff - nung: das iſt die wunderbare Klarheit und Durchſichtigkeit der Luft. Wir haben bei hellſtem Sonnenſchein bis Mittags 11 Uhr und dann wieder von zwei Uhr an öfter Planeten ſo deutlich am Himmel geſehen, daß wir mit den Inſtrumenten ihre Höhe meſſen konnten. Die Urſache dieſer eigenthümlichen Erſcheinung mag darin zu ſuchen ſein, daß es im Süden des Caps kein Land giebt, deſſen Dünſte die Atmoſphäre trüben.
Als wir über den vierzigſten Grad ſüdlicher Breite hinaus - kamen, fing die Schlecht-Wetter-Periode wieder an und wir ver - blieben darin nicht weniger als ſechs Wochen. Wir ſegelten zwar immer mit günſtigem Weſtwinde, der hier den atmoſphäri - ſchen Gegenſtrom zum Südoſtpaſſat bildet, aber wir hatten leider beſtändig mehr davon, als wir gebrauchen konnten. Selten ver - mochten wir größere als doppelt gereefte Marsſegel zu führen, und oft wehte es ſo hart, daß wir tagelang vor Sturmſegeln beigedreht liegen mußten. Für ein Schiff giebt es eine gewiſſe Grenze, über die hinaus es nicht mehr ſegeln kann, ſondern beidrehen, d. h. unter kleinen Sturmſegeln am Winde liegen und langſam ſeitwärts treiben muß. Es iſt weniger die Stärke105Eine erſte Seereiſedes Windes, als die Gewalt der aufgewühlten See, welche zu dieſem Manöver zwingt. Dieſe erhält bei ſchweren Winden eine ſolche Schnelligkeit, daß ſie die vor ihr laufenden Schiffe überholt oder bei ſeitlichem Sturme quer über ſie hinbricht und in beiden Fällen als verheerende Sturzſee nicht nur alles nieder - reißen, ſondern die Fahrzeuge geradezu vernichten kann.
Höchſtwahrſcheinlich ſind der preußiſche Kriegsſchooner „ Frauenlob “, welcher 1860 bei einem Teufun im chineſiſchen Meere und die Korvette „ Amazone “, die ein Jahr ſpäter bei einem ähnlichen Wirbelſturme in der Nordſee mit Mann und Maus unterging, von einem ſolchen Geſchick ereilt und von einer Sturzſee be - graben worden. Wenn man vor dem Winde ſegelt, iſt der Moment des Beidrehens immer ein gefährlicher und man darf damit nicht ſo lange warten, bis die See zu ſchwer geworden iſt. Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung, daß bei Stürmen faſt immer drei große überbrechende Wellen ſich in kurzen Zwiſchenräumen folgen und dann eine längere Pauſe von ver - hältnißmäßig ruhigerem Waſſer eintritt. Dieſe Pauſe muß wo - möglich zum Beidrehen benutzt werden. Gelingt es dem Schiffe nicht, während ihrer Dauer mit dem Kopfe an den Wind zu kommen, ſo ſetzt es ſich der Gefahr aus, von einer der nächſten drei ſchweren Wellen erreicht und überflutet zu werden. Liegt es aber am Winde, dann hat es in der Regel nichts von Sturm und See zu fürchten, wenn es ſich in offenem Waſſer befindet. Es treibt dann vor den kleinen Sturmſegeln ſeitwärts, macht mit ſeinem Rumpfe ein ſehr breites und ziemlich glattes Kiel - waſſer und an dieſem brechen und verlaufen ſich die gefürchteten Kämme der heranrollenden Sturzſeen.
Zu den erwünſchten nautiſchen Eigenſchaften eines Schiffes gehört, daß es gut beiliegt und mit dem Kopfe immer auf 60 — 70 Grad am Winde liegt. Thut es dies nicht und fällt es öfter 20 — 30 Grad mehr ab, ſo fängt es an, Fahrt durch das Waſſer zu machen, weil dann der Wind mehr von106Wernerhinten auf Maſten, Raaen und Segel wirkt, es verliert das ſchützende Kielwaſſer und iſt Sturzſeen ausgeſetzt. Unſere „ Alma “lag vortrefflich bei, und eigentlich zogen wir dieſe Poſition dem Segeln vor ſtürmiſchen Winden vor. Bei letzterem ſchlingerten wir in der hohen See, gegen welche die Segel keine ſeitliche Stütze gaben, oft ſo entſetzlich, daß faſt die Spitzen der Unter - raaen in das Waſſer tauchten, wir von beiden Seiten über die Verſchanzung Waſſer ſchöpften und beſtändig ein naſſes, ſchlüpfe - riges Deck hatten.
Bei ſolchen Gelegenheiten lernt man zwar den Werth der Seebeine ſchätzen, auf die Dauer aber wird es wahrhaft un - erträglich, wenn man Tage und Wochen lang ſich nur an auf - geſpannten Tauen von einer Stelle des Schiffes nach der anderen bewegen kann, bei den Mahlzeiten ſich auf das platte Deck mit irgendwo feſtgeſtemmten Füßen ſetzen und dann noch den Suppen - napf mit großer Kunſt balanciren muß, um nicht durch ein heftiges Ueberholen kopfüber in eine Ecke geſchleudert zu werden. Unter ſolchen Verhältniſſen war das Beidrehen eine ordentliche Erholung. Das ſchreckliche Schlingern hörte auf, wir bekamen ein trockenes Deck und fühlten uns einigermaßen als Menſchen. Wenn das Schiff bei der gewaltig hohen See auch bisweilen ſo tief ſtampfte, daß uns der Athem ſtockte, ſo war das lange nicht ſo unangenehm, wie das ununterbrochene Hin - und Herſchleu - dern. Die Wellen, welche ich bisher in der Nordſee und im Biscayiſchen Meerbuſen geſehen, waren Kinderſpiel gegen den Seegang beim Cap der guten Hoffnung. Ich hätte nicht geglaubt, daß ſich ſolche Waſſerberge aufthürmen könnten, und wenn einzelne derſelben angerollt kamen, zuerſt den Bug des Schiffes und dann das Heck ſo hoch empor hoben, daß es unter einem Winkel von 45 Grad zum Horizonte auf - oder niederwärts zeigte, dann mußte man ſich an ſolche gewaltſame Bewegungen erſt gewöhnen, um nicht durch ſie erſchreckt und ſchwindlich zu werden.
107Eine erſte SeereiſeWenn wir beigedreht lagen, wurde wenig gearbeitet, höch - ſtens Werg gezupft oder Flechtwerk aus Kabelgarnen gefertigt, eine Beſchäftigung, bei der man ſich in eine möglichſt geſchützte Ecke drückte und die Zeit durch Erzählungen kürzte. Der Kapi - tän hatte aber auch nichts dagegen, wenn wir an ſolchen Tagen Albatroſſe und Captauben angelten, die zu Hunderten unſer Schiff umſchwärmten und mit großem Geſchrei um jeden Biſſen Abfall kämpften, der aus der Kombüſe über Bord ging. Sie biſſen wie die Fiſche auf die mit etwas Speck geköderten Angel - haken und wir fingen ſie dutzendweiſe. Die Captauben ſind etwas größer als unſere Tauben, die Albatroſſe erreichen jedoch ein Gewicht von 15 — 20 Pfund; einzelne derſelben maßen mit ausgeſpannten Flügeln 10 — 12 Fuß. Dieſe außergewöhn - lich langen Flügel machen es ihnen unmöglich, ſich von einer glatten Fläche, wie z. B. von einem Schiffsdeck zu erheben. Wenn ſie ſchwimmen, müſſen ſie ſtets abwarten, bis ſie ſich auf der Spitze einer Welle befinden, ehe ſie in die Höhe fliegen können. Sobald wir ſie aber auf das Deck ſetzten, wurden ſie ſowie auch die Captauben ſichtlich ſeekrank. Als Speiſe ſind beide Vogelarten nicht zu verwerthen; das Fleiſch iſt ſo hart und thranig, daß nur der größte Hunger es verzehrbar macht, und man fängt ſie nur wegen der Federn. Dieſe decken in ſo ungemeiner Fülle namentlich die Bruſt, daß der Körper von der Größe eines Schwanes erſcheint, aber gerupft nicht viel größer als ein Hahn iſt. Als ſparſamer Hausvater ließ unſer Kapitän die gefangenen Thiere ſorgſam rupfen, und da wir während der Reiſe einige zwanzig Albatroſſe angelten, ſo hat er ſeiner Frau gewiß das nöthige Federmaterial für ein paar vollſtändige Betten mitgebracht; der Bruſtpelz gab den ſchönſten Eiderdunen nichts nach. Sonſt bot die Reiſe auf dieſer Strecke wenig Abwechſelung und war ungemein eintönig. Schiffe hatten wir ſeit dem Paſſiren des Aequators, d. h. ſeit einigen Mona - ten nicht geſehen; nach Eisbergen hielten wir ſcharfen Ausguck108Wernerund öfter ſpornten uns eiskalte Nebel, die ihre Nähe zu verkünden ſchienen, noch zu erhöhter Wachſamkeit an, aber wir bekamen keine in Sicht. Sie können gerade wegen ihrer Nebelatmoſphäre und beſonders Nachts den Schiffen ſehr ge - fährlich werden. Der Kapitän war gewiß mit ihrem Nicht - erſcheinen zufrieden, ich jedoch hätte gar zu gern eine ſolche ſchwimmende Kryſtallinſel, von deren Schönheit ſelbſt mein alter proſaiſcher Bootsmann in ſeiner Weiſe ſchwärmte, geſehen.
Als wir ungefähr auf der Höhe der beiden unbewohnten und nur zeitweiſe von Walfiſchfängern zum Auskochen des Thranes beſuchten Inſeln Amſterdam und St. Paul angekommen waren, von wo aus man allmälig die ſüdlichen Breiten verläßt, um nordwärts den Südoſtpaſſat aufzuſuchen und damit die Sundaſtraße anzuſteuern, wurden wir abermals von Nebel heim - geſucht. Gleichzeitig hatte ſich jedoch endlich der ſtürmiſche Wind gelegt, der ſo lange unſer unbequemer Begleiter geweſen, ebenſo war die gewaltige See niedergegangen und wir konnten zum erſten Male nach vielen Wochen wieder die kleineren Segel führen. Nach einigen Tagen erreichten wir den Südoſtpaſſat und ſteuerten damit die Sundaſtraße an. Unſere Beobachtungen er - wieſen ſich als richtig, und man kann ſich denken, daß ich nicht wenig ſtolz war, in der Navigation ſolche Fortſchritte gemacht und Kenntniſſe gewonnen zu haben, die man ſich ſonſt erſt er - wirbt, wenn man als Steuermann fährt. Wir kamen Nachts vor die Straße. Das Land ſelbſt hatten wir Tags zuvor noch nicht geſehen, doch ſeine Nähe war uns bereits durch mehrere Landvögel angekündigt, die ſich auf unſer Schiff verirrten. Es war ſehr dunkel, aber mit der ſchönen ſtetigen Brieſe keine Ge - fahr, Nachts die Küſte anzuſegeln. Sie hebt ſich ſteil aus dem Meere ohne weiter vorliegende Klippen oder Untiefen, iſt ſo hoch, daß wir ſie auf eine Meile ſehen mußten und ſchlimm - ſten Falls konnten wir mit dem ablandigen Winde immer wieder abkommen.
109Eine erſte SeereiſeGegen Mitternacht ſchlief die Brieſe ein und es wurde eine kleine Weile ſtill. Daß wir ganz nahe unter der Küſte ſein mußten, merkten wir an dem ruhigen Waſſer, auf dem ſich das Schiff faſt gar nicht bewegte, bald aber auch an den koſt - baren Blumendüften, die der leiſe Hauch des jetzt ankommenden Landwindes zu uns herüberführte. In der Nähe von größeren Landgebieten hört der Paſſat auf und wird durch die täglich regelmäßig wechſelnde See - und Landbrieſe verdrängt, welche das Reſultat der Einwirkung der Sonne ſind. Am Tage er - wärmt ſie durch ihre Strahlen das Land bedeutend ſchneller und intenſiver als das umgebende Meer, deſſen Temperatur nur unmerklich dadurch geändert wird. Die Folge iſt, daß ſich die Luft über dem Lande verdünnt und die Luft vom kälteren Meere zur Ausgleichung als Seebrieſe herbeiſtrömt. Nachts findet dagegen der umgekehrte Proceß ſtatt. Durch Ausſtrah - lung wird das Land zu einer niedrigeren Temperatur abgekühlt, als ſie das Meer bewahrt. In Folge deſſen ſtrömt die Luft von erſterem ſeewärts und trägt das Aroma, das Blumen und Blüthen mit Eintritt der Abendkühle ausſtrömen, viele Meilen weit mit ſich hinaus.
Am andern Morgen mit Tagesanbruch liefen wir in die Sundaſtraße ein. Wir hatten für damalige Zeiten eine ziemlich ſchnelle Reiſe gehabt, 105 Tage von Helvetsluys, aber ſeit 100 Tagen ſahen wir zum erſten Male wieder Land. Mit welcher Freude begrüßte ich den ſo lang entbehrten Anblick und weidete meine Augen an dem prachtvollen Grün der Waldungen. In ungeahnter Fülle und Ueppigkeit bedeckten ſie das ſchöne Java, an deſſen Küſte wir auf kaum tauſend Schritt Entfernung hinſegelten, während zur Linken die mächtigen Bergkegel der Inſel Cracatoa und Sumatras ſich in die Lüfte erhoben und in jenem bläulichen Dufte ſchwammen, der den ſüdlichen Gegenden eigenthümlich iſt. Aber die ganze wunderbare Schönheit einer tropiſchen Landſchaft enthüllte ſich meinem trunkenen Blicke erſt,110Wernerals wir am andern Tage auf der Rhede von Anjer, einem kleinen malayiſchen Städtchen der Javaniſchen Provinz Bantam ankerten. Wir blieben zwar nur wenige Stunden, lediglich zu dem Zwecke, Erfriſchungen zu kaufen und kamen deshalb nicht an das Land, waren jedoch ſo nahe dem Ufer, daß wir mit bloßem Auge alles unterſcheiden konnten. Die Hütten der Eingeborenen lagen maleriſch in dem dichten Grün am Abhange eines Hügels zerſtreut, deſſen Rücken Anpflanzungen von Kokos - palmen krönten. Unten am Strande auf einem freien Platze erhob ſich ein gewaltiger Baum von ſo gigantiſchen Dimenſionen, als ſei er dort hingeſtellt, um Zeugniß zu geben von der un - erſchöpflichen Kraft und dem Reichthum des Bodens. Weiter - hin wiegten ſich die Blätter der Bananen im lauen Winde und ihr helles Grün zeichnete deutlich die Conturen gegen den dunk - len Hintergrund ab. Ich war wie bezaubert von der ebenſo ſchönen wie lieblichen Scenerie, deren Fremdartigkeit den Reiz noch erhöhte, doch dann wurde meine Aufmerkſamkeit durch Näherliegendes in Anſpruch genommen. Sechs bis acht ma - layiſche Boote kamen herangerudert bis an den Rand mit Er - zeugniſſen der Tropenzone, mit Früchten und Thieren der ver - ſchiedenſten Art gefüllt, und ich wußte nicht, wohin ich das Auge zuerſt wenden ſollte. Hier waren es die mächtigen Dolden goldiger Bananen, dort Ananas, Mangoſtin, Pampelmus, die meine Aufmerkſamkeit feſſelten und das Verlangen nach ihrem Beſitze wachriefen, während anderwärts Hunderte von kleinen Vögeln, bunte javaniſche Sperlinge in Käfigen zwitſcherten, Papageien ihr glänzendes Gefieder zeigten, blendend weiße Kaka - dus ihren hochrothen Kamm aufſetzten, wenn die in ihrer Nähe befindlichen Affen verſuchten, ihnen das Gefieder zu zer - zauſen. Unten im Boote lagen große Schildkröten, daneben wurden allerliebſte Zwerghirſche von der Größe eines Lammes feilgeboten und auch an mordgierigen Tigerkatzen und anderem Raubzeuge fehlte es nicht. Dazwiſchen ſah man Korallen und111Eine erſte SeereiſeMuſcheln in den verſchiedenartigſten Formen und Farben auf - geſtapelt und die braunen Geſtalten der Malayen prieſen in einem Gemiſch aller möglichen Sprachbrocken ihre Waare an. Anjer iſt ein Halteplatz für faſt alle Schiffe, welche ein - oder ausgehend die Sundaſtraße paſſiren und deshalb hat ſich hier ein ſo lebhafter Markt herausgebildet, bei dem die Ver - käufer glänzende Geſchäfte machen, weil der ſorgloſe Seemann nicht nur alles mögliche kauft, ſo lange er einen Pfennig in der Taſche hat, ſondern auch nicht um den Preis feilſcht. Oft kommt es vor, daß auf größeren Schiffen, die heimwärts gehen, für Hunderte von Thalern allein an Thieren gekauft wird und es dann dort in der erſten Zeit wie in einer großen Menagerie ausſieht. So ſtörend dies in mancher Beziehung für den Dienſt iſt, läßt man doch den Leuten darin ziemlich viel Freiheit, denn die Sache dauert nicht lange. Ungunſt der Witterung, Mangel an der richtigen Nahrung und Pflege räumen ſehr bald auf, und nicht der zwanzigſte Theil der mitgenommenen Thiere wird wirklich bis zur Heimath gebracht. In der Ausſicht, auf der Rückreiſe den Ort wieder anzulaufen, begnügten wir uns mit dem bewundernden Anſchauen der lebenden und todten Selten - heiten und verwendeten das uns verabfolgte Geld nur zum Ein - kauf von Früchten, um darin nach Herzensluſt zu ſchwelgen. Vier bis fünf Dutzend Hühner wurden vom Kapitän acquirirt, um nach faſt viermonatlicher Seekoſt der Mannſchaft den Ge - nuß von friſchem Fleiſch zu gewähren und die Spuren des Scorbuts zu beſeitigen, die ſich, wenn auch noch in leichter Form, bei einigen von uns in aufgelockertem, leicht blutendem Zahnfleiſch zu zeigen begannen.
Dann wurde Anker gelichtet und mit der leichten Land - brieſe, die Abends wieder den Duft von Millionen Blüthen vom Lande zu uns herüber trug, ſteuerten wir weiter unſerm Ziele, der Rhede von Batavia zu. Am andern Morgen paſſir - ten wir eine Menge kleiner Inſeln, welche die öſtliche Hälfte der112WernerSundaſtraße und weiterhin die Java-See kennzeichnen. Viele Hunderte von ihnen ſchwimmen wie lichtgrüne mit einem Silber - reif eingefaßte Perlen auf dem tiefblauen Waſſer. Ein ſchmaler Sandſtrand umſäumt ſie und die vom milden Windhauch be - wegten Wellen rauſchen leiſe und ſchaumglänzend zu ihm hin - auf. Ein idylliſcher Friede ruht über ihnen, doch wie paradie - ſiſch ſchön ſie auch von außen erſcheinen, iſt faſt keine von ihnen bewohnt, weil ihnen noch die Bedingungen für die menſchliche Exiſtenz fehlen. Einſt, vor Jahrtauſenden, nahm hohes Feſtland ihre Stelle ein; dann ſank es unmerklich tiefer und tiefer, bis die Fluten des Meeres es bedeckten und es für immer in ihrem Schooße begruben. Aber jene kleinen Inſeln ſind die Wahrzeichen ſeines ehemaligen Daſeins; in geheimnißvoller und geräuſchloſer Weiſe ſind ſie auf den Spitzen der verſunkenen Berge aufgebaut und ununterbrochen arbeiten Milliarden winziger Arbeiter weiter an ihnen, um auf das Geheiß des Schöpfers Continente zu ſchaffen und der Menſchheit neue Wohnſtätten an Stelle der verſchwundenen zu bereiten.
Jene wunderbaren Baumeiſter ſind die Korallenthiere, deren hervorragendſte Typen die Actinien oder See-Anemonen bilden. Ihre Structur und mannigfaltige lebhafte Färbung verleiht ihnen das Ausſehen lebendiger Blumen, und ſie feſſeln in den Aquarien vorzugsweiſe durch ihre Schönheit die Aufmerkſamkeit und das Intereſſe des Beſchauers. Ein transparenter Schlauch, mit deſſen unterer Fläche ſie ſich an den Meeresboden heften, bildet ihre äußere Körperhülle und in ihm iſt ſtrahlenförmig durch Scheidewände ein zweiter unten offner Schlauch, der Magen, befeſtigt, deſſen oberes Ende den mit einem dichten Büſchel ſeiner Saug - und Fühlfäden beſetzten Mund trägt. Bei den ungeſtörten Thieren ſind dieſe Fäden in unaufhörlicher Be - wegung, um aus dem umgebenden Seewaſſer ſowol die nöthige Nahrung aufzunehmen, als auch aus ihm kohlenſauren Kalk abzuſcheiden, denſelben Atom für Atom von ihrem Körper wieder113Eine erſte Seereiſeabzuſetzen und daraus jene Gerüſte zu bilden, deren unendlich vielfache und ſchöne Formen wir als Korallen bewundern.
Licht und Wärme ſind die Lebensbedingungen der bauenden Korallenthiere; deshalb finden wir ſie nur innerhalb der Tropen an ihrer nie endenden Arbeit und nicht tiefer als 200 Fuß unter dem Meeresſpiegel. In wie großartiger Weiſe ſie aber dort eine Rolle im Haushalt der Schöpfung ſpielen, dafür mögen die That - ſachen ſprechen, daß es an der Weſtküſte von Neucaledonien ein Korallenriff von über vierzig Meilen und an der Nordoſtküſte von Auſtralien ein ſolches von über dreihundert Meilen Länge giebt. Faſt alle die prachtvollen Inſeln des Stillen Meeres und ein großer Theil derer im Indiſchen Ocean innerhalb der Tropen ſind Producte der Korallen.
Dieſe Bildungen treten in verſchiedenen Formen auf, die charakteriſtiſche iſt jedoch der Atoll oder die Lagunen Inſel. Die Korallenthiere ſetzen ſich an die Seiten eines ſich ſenkenden Bergkegels und bauen mit nie irrendem Inſtinkt aufwärts, wohin die belebenden und erwärmenden Strahlen der Sonne ſie locken, bis ſie als ringförmiges Riff die Oberfläche des Meeres erreichen, die ihrer Arbeit eine Grenze ſetzt. Die brandenden Wogen zerbrechen theilweiſe an der Außenſeite das ſpröde Ge - äſt und werfen die Trümmer nach innen; im Laufe der Jahr - hunderte füllt ſich allmälig die eingeſchloſſene Lagune, das Riff wird erhöht, die Verwitterung der Bruchſtücke ſchafft fruchtbaren Boden, Wind und Strömung tragen Samen herbei und die neugeſchaffene Inſel deckt ſich mit Pflanzen - und Baumwuchs.
Zuerſt ſind es freilich nur Mangroven und anderes Ge - ſträuch, welche Wurzel faſſen in dem noch von Seewaſſer durch - feuchteten Grunde; doch ihr abſterbendes Laub ſchichtet mit - helfend den Humus, der der anſchwemmenden Kokosnuß geſtattet, zu keimen, als ſchlanke Palme ihre Blätterkrone hoch in die Lüfte zu erheben und als fruchttragender Baum dem Menſchen zu künden, daß wiedererſtandenes Land ſich zur Cultur bereitet. R. Werner, Erinnerungen. 8114WernerDie Inſeln der Javaniſchen Gewäſſer ſind, wie bemerkt, meiſtens noch nicht ſo weit vorgeſchritten und nur auf wenigen größeren überragt die Kokospalme das Unterholz, deſſen wirres Durch - einander von Luftwurzeln in den bracken Gewäſſern der noch nicht ganz aufgefüllten Lagune Nahrung ſucht und findet. Für den Menſchen können ſie deshalb noch nicht als dauernde Heim - ſtätte dienen, und nur hier und dort hat ein Malaye an ihren Ufern eine zerbrechliche Hütte aufgeſchlagen, um darin ſeine Sieſta zu halten, wenn die glühenden Strahlen der Sonne ihn von dem ergiebigen Fiſchgrunde vertreiben, den er in der Nähe entdeckt hat.
Die Fahrt zwiſchen dieſen Inſeln, in deren Namen ſämmt - liche Städte Hollands vertreten ſind, bei dem ruhigen Waſſer und der linden Brieſe war reizend, die vielen malayiſchen Han - dels - und Fiſcher-Praue, Boote von zierlichem, feinem Schnitt mit ſchön gebogenen Voluten an ihren beiden Enden und dem mächtigen Baſtſegel an ſchlanken Bambus-Maſten und Raaen, bildeten eine belebende Staffage des friedlichen Bildes. Am andern Mittage erreichten wir mit der Seebrieſe die Rhede von Batavia, aber ſie entſprach nicht meinen Erwartungen, die durch das bisher Geſehene ſich noch geſteigert hatten. Man liegt faſt eine Stunde weit von der Stadt, ſieht nichts von ihr und ſelbſt ihre landſchaftliche Umgebung bietet wenig Schönes. Eine große gleichmäßig mit Baumwuchs beſtandene Ebene, nach Süden zu leiſe aufſteigend, breitet ſich vor dem Blicke aus und wird nur in weiter Ferne durch die Spitzen der Vulkane im Innern der Inſel überhöht, aus deren Krater man bei blauem Himmel ſchwache Rauchwolken aufwirbeln ſieht, ein Zeichen, daß ihr unter - irdiſches Feuer noch nicht erloſchen iſt und jeden Augenblick mit vernichtender Gewalt wieder hervorbrechen kann.
Wir fanden eine ziemliche Anzahl Schiffe vor, meiſtens natürlich Holländer, doch auch einige Deutſche, in deren Nähe wir ankerten. Auch chineſiſche Dſchunken, jene ungeheuerlichen Fahrzeuge, die ſeit Jahrtauſenden ihre Form behalten haben115Eine erſte Seereiſeund an denen die Fortſchritte der Zeit wie an dem Reiche der Mitte ſelbſt, ſpurlos vorübergegangen ſind, waren da. Vorn und hinten thürmen ſich auf ihnen hohe Kaſtelle; an ihren Pfahlmaſten hängen ſchwerfällige Mattenſegel, nach Art unſerer hölzernen Jalouſien conſtruirt, und ihre ganze Erſcheinung macht den Eindruck der größten Ungeſchicklichkeit und Unbeholfenheit, der nirgends durch gefällige Linien, wie man ſie bei den Fahr - zeugen aller übrigen Nationen trifft, gemildert wird. Das Segeln am Winde und Laviren, welches unſere Altvorderen, die Sachſen, bereits vor mehr als anderthalb Tauſend Jahren erfanden, iſt ihnen noch heute eine unverſtandene Kunſt; ſie ver - mögen deshalb nur mit günſtigem Winde zu ſegeln und können trotz der geringen Entfernung zwiſchen China und Java jährlich nicht mehr als eine Reiſe machen. Es wehen auf dieſer Strecke halbjährliche Winde, die Monſune, mit entgegengeſetzten Rich - tungen; mit dem Oſt-Monſun kommen ſie ſüdwärts, und kehren nach vier - bis fünfmonatlichem Stillliegen mit dem Weſtwinde in ihre Heimath zurück. Von aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen haben ſie kein Verſtändniß; wie die alten Phönicier nur längs der Küſte ſegelnd, ſuchen ſie von Vorgebirge zu Vorgebirge ihren Weg und glauben ihn ohne die beiden großen am Bug jeder Dſchunke gemalten Augen, die den plumpen Fahrzeugen ein noch groteskeres Ausſehen verleihen, nicht finden zu können. Von Schiffahrts-Inſtrumenten beſitzen ſie nur den Compaß. Es iſt hiſtoriſch nachgewieſen, daß die Chineſen ihn bereits 500 Jahre früher erfunden hatten, als er in Europa in Gebrauch kam, aber er iſt noch eben ſo primitiv wie damals und hat es nicht vermocht, ihre Navigation zu Verbeſſerungen anzuſpornen, obwohl China ſo viel Fahrzeuge zählt, wie faſt die ganze übrige Welt zu - ſammen genommen. Es iſt deshalb nicht zu verwundern, wenn wir bei einem plötzlich ausbrechenden Sturme an der chineſiſchen Küſte von Unglücksfällen hören, die uns kaum begreiflich ſind und daß an einem Tage bisweilen 6 — 800 Dſchunken mit8*116Werner10 — 12000 Menſchen und mehr Beſatzung von den Wellen begraben werden.
Bald nach dem Ankern ging der Kapitän ans Land und ich wurde mit in die Gig geſchickt. Wir ſegelten mit der friſchen Seebrieſe hinein und gelangten ziemlich ſchnell bis an den ſchmalen Kanal, der die Rhede mit der Stadt verbindet und durch niedriges ſumpfiges Land führt. Hier mußte wegen Windſtille zu den Rudern gegriffen werden, und da wir faſt noch eine halbe Stunde gebrauchten, ehe wir den Anlegeplatz erreichten, kamen wir bei der ſengenden Sonnengluth in Schweiß gebadet an. Die Landungsſtelle war nicht ſehr einladend; eine Menge Boote mit ſchreienden und geſticulirenden Malayen, Chineſen und Laskaren lag dicht zuſammengedrängt dort, ſo daß wir nur mit Mühe uns einen Weg zu bahnen vermochten; daneben wühlten ein paar Dutzend Kambaun, javaniſche Ochſen, in dem ſchlammigen Waſſer, um ſich gegen Fliegen zu ſchützen, ſo daß nur ihr ungeſchlachter Kopf herausſah, und zwiſchen ihnen badeten eben ſo viel Malayen jeden Alters und Ge - ſchlechtes. Die nächſte Umgebung bildeten große todtblickende Speicher, der Beginn der ohne alle architektoniſche Schönheit nur nach dem Nützlichkeitsprincip gebauten Stadt, und ihnen gegenüber erhob ſich der niedrige Erdwall einer Befeſtigung, der ſtatt der Palliſaden durch eine allerdings eben ſo wirkſame lebendige und ſechs Fuß dicke Hecke von Cactus geſchützt wurde. Ueber dieſem wenig erquicklichen Bilde zitterte der Broden er - hitzter Luft wie über einem Glühofen, und ein widerlich pene - tranter Geruch von verweſenden Körpern beleidigte die Naſe. Der Kapitän beſtieg einen der am Platze haltenden und mit feurigen Ponies beſpannten Miethwagen, um nach Welltefreden, der Villenvorſtadt, zu fahren, wo die Europäer in reinerer Luft und reizvollerer Umgebung wohnen, während in Batavia ſelbſt ſich nur die Geſchäfts - und Waarenhäuſer befinden. Unſere neidenden Blicke flogen ihm nach, dann aber führten wir den117Eine erſte Seereiſeerhaltenen Befehl aus, uns wieder an Bord zu begeben, und die folgende Stunde angeſtrengten Ruderns vermochte nicht meine Stimmung zu verbeſſern.
Wo waren die Träume geblieben, denen ich mich früher hingegeben, wenn meine Phantaſie mir die Schönheiten der Tropenländer ausmalte, in deren Genuß ich zu ſchwelgen hoffte, indem ich Seemann wurde? — Zerſtoben, verweht, wie ſchon ſo viele andere in den letzten fünf Monaten! Der Kauffahrtei - ſeemann, mit Ausnahme des Kapitäns, ſieht wenig oder nichts von den meiſten fremden Ländern; die viele Arbeit, welche grade in den Häfen ſich häuft und ſeine ganzen Kräfte in Anſpruch nimmt, ſo daß er Abends erſchöpft nur Ruhe ſucht, die wenigen Stunden Urlaub, die er höchſtens Sonntags einmal erhält, und andere Umſtände ſind ebenſo viele Hinderniſſe für ihn, und für mich gab es keine Ausnahme. Alle Romantik war dahin; wir trafen an einem Sonntage ein und es lagen zunächſt vierzehn Tage ſchwerer Arbeit des Löſchens und Ladens vor mir. Es wird bei größerer Entfernung vom Land nur immer eine Hälfte der Mannſchaft auf einmal beurlaubt; nach altem Herkommen hat Steuerbord-Wache, die vom Oberſteuermann commandirt wird, bei ſolchen Anläſſen den Vorzug und ich gehörte zur Backbordwache.
Das Bootsrudern hörte glücklicher Weiſe auf. Europäer erkranken zu leicht dadurch und es werden deshalb für die Dauer des Aufenthaltes malayiſche Ruderer angenommen, mit denen der am Lande wohnende Kapitän täglich an Bord kommt, um Anordnungen zu treffen. Die materiellen Genüſſe, welche ſich uns boten, beſchränkten ſich auf die ſchönen Südfrüchte, an denen ich mich allerdings hoch erquickte, die geiſtigen auf Austauſch von abendlichen Beſuchen bei unſern Landsleuten auf den deut - ſchen Schiffen. Eine große Freude, die allerdings für mich viel Trübes aufwog, bereitete die unerwartete Ankunft von Briefen aus der Heimath. Die Nachrichten waren zwar ſchon Monate118Werneralt, denn damals gebrauchte die Ueberlandpoſt noch acht Wochen bis Java, während jetzt kaum mehr als die Hälfte Zeit dazu erforderlich iſt, aber ſie lauteten erfreulich und wurden von mir Vereinſamten mit Jubel begrüßt. Wie manche abendliche Stunde verging mir trotz der Ermüdung von des Tages Laſt und Hitze in angenehmſter Befriedigung, wenn ich vor meiner Kiſte knieend bei dem Stümpfchen eines mir vom Steuermanne geſchenkten Lichtes an der Beantwortung der Briefe ſchrieb und dieſe, Bogen an Bogen reihend, ſich faſt zu einem Buche geſtaltete. Ich hatte ſo viel zu ſagen und zu erzählen, was die Lieben daheim inter - eſſirte — freilich wie es auf dem Grunde meines Herzens aus - ſah, mit welcher Sehnſucht und Reue meine Gedanken hinflogen zu ihnen, das verſchloß ich nach wie vor ſorgſam in meinem Innern und ſie ſollten es mit meinem Willen nie erfahren.
Eine ſehr unangenehme Zugabe für uns war in der erſten Zeit das Verbot des Trinkens von rohem Waſſer aus Geſund - heitsrückſichten; es durfte nur Theewaſſer genoſſen werden. Jeden Morgen wurden einige Eimer gekocht, aber bei der Hitze kühlte der Thee nur ſehr langſam ab und ſo hatten wir zum Löſchen des brennenden Durſtes nur warmes Waſſer. Merk - würdiger Weiſe gewöhnte man ſich jedoch ſehr bald daran und trank es ſchließlich gern. Im übrigen war unſere Verpflegung ſehr gut. Es gab täglich friſchen Proviant, abwechſelnd Hühner, Schildkröte - und Hammelfleiſch, dazu ſüße Kartoffeln und Yams. Morgens kam ein chineſiſcher Händler mit Eiern und Früchten zu mäßigen Preiſen an Bord, von welchen letzteren für mich in Butter gebratene Bananen damals und ſeitdem den größten Leckerbiſſen bildeten, und wir hatten nach dieſer Richtung nicht zu klagen. Die Witterung war während der ganzen Zeit am Tage ſchön, jedoch faſt jede Nacht hatten wir Gewitter, die ge - wöhnlich gegen Mitternacht begannen, zwei bis drei Stunden anhielten und ſich oft mit furchtbarer Wuth entluden.
Unten im Logis konnte man vor Hitze, namentlich aber119Eine erſte Seereiſevor Wanzen kein Auge ſchließen. Letztere ſind auf älteren Kauf - fahrteiſchiffen eine häufige Plage und es giebt kein Mittel, um ſie mit Erfolg zu vertreiben. Da flüchteten wir dann auf das Deck und ſchliefen in ſelbſt gefertigten Hängematten, zu denen der Kapitän uns altes Segeltuch verabfolgen ließ, vorn auf der Back unter dem Sonnenſegel. So lange es von oben trocken war, ging es, aber wenn die Gewitterregen losbrachen, bot das Sonnenſegel gegen ihre Gewalt wenig Schutz. Wir zogen zwar noch ein Tau über unſere Hängematten und hingen eine wollene Decke zeltartig darüber, aber auch ſie half nicht immer und wir wurden bisweilen trotzdem gründlich durchnäßt, was wir indeſſen den Wanzen bedeutend vorzogen.
Eines Abends ſtanden wir, von der Arbeit todtmüde, im Begriff, in unſere luftige Schlafſtätte zu klettern, als wieder eine heftige Gewitterbö einfiel. Es war eine ganze Menge Wind dabei und obwol er über Land kam, wühlte er doch rauhe See auf, ſo daß das Schiff ziemlich heftig vor ſeinem Anker ſtampfte. Unſer Großboot war ausgeſetzt und hinter dem Schiffe befeſtigt, wie dies auf Handelsſchiffen üblich iſt, wenn ſie laden oder löſchen, um die zum Laderaum führende große Luke freizumachen, auf der in See das Boot ſonſt ſteht. Durch die heftigen Stöße, mit denen letzteres in die kurze See ruckte, brach die Fangleine und das Boot trieb ſeewärts. Der wach - habende Matroſe meldete den Verluſt dem Steuermann und dieſer befahl, eins der Seitenboote, die Schaluppe, zu Waſſer zu laſſen und zu bemannen, um den Flüchtling wieder einzufangen. Bei der beſchränkten Bemannungszahl eines gewöhnlichen Handels - ſchiffes können die Boote natürlich nicht wie auf Kriegsſchiffen eine beſonders abgetheilte Beſatzung haben, aber es iſt Gebrauch, daß bei ſolchen Gelegenheiten ohne beſonderen Befehl die Jünge - ren ſtets voran ſind, und ſomit ſprang auch ich mit drei anderen Leichtmatroſen und dem Unterſteuermann in die Schaluppe. Letzte - rer ging an das Steuer, während wir vier anderen rudern ſollten.
120WernerKaum war das Boot jedoch zu Waſſer, als dieſes von allen Seiten in das Fahrzeug eindrang. Durch langes Hängen an den Davids (Krähnen) in der brennenden Sonne waren die Planken ganz zuſammengetrocknet und die Näthe klafften. Auf Grund der vielen ſonſtigen und drängenden Arbeiten an Bord hatte man verſäumt, wie es ſich ſonſt gehört, in die hängenden Boote ſo viel Waſſer zu gießen, daß ihr Boden bedeckt und gegen Auftrocknen geſchützt wurde. In der Hoffnung, daß die Näthe ſich im Waſſer bald wieder zuſammenziehen würden, ließen wir uns in aller Eile noch ein paar Eimer zum Aus - ſchöpfen heruntergeben, ohne uns weitere Sorge zu machen und ſtießen vom Schiffe ab. Trotz anhaltenden Schöpfens durch zwei von uns füllte ſich aber das Boot zuſehends, und wir hatten uns noch keine hundert Schritte von der „ Alma “entfernt, als das Waſſer faſt bis unter die Sitzbänke geſtiegen war und wir bei dem Seegange kaum noch die Ruder gebrauchen konnten.
Wir befanden uns in einer höchſt kritiſchen Lage. Unter ſolchen Umſtänden war es unmöglich, gegen Wind und See das Schiff wieder zu erreichen und wir trieben mit dem allmälig tiefer ſinkenden Boote bei ſtockfinſterer Nacht, ſcharfem Winde und ſtrömendem Regen in die offene See hinaus. Um unſere Situation noch ſchauriger zu machen, ſahen wir, wie neben dem Boote ſich im Waſſer zwei feurige Streifen bewegten — es war das Kielwaſſer von zwei Haien, das in unheimlich grünlichem Lichte ſchimmerte. Von dieſen ſchrecklichen Räubern der Tiefe wimmelt es auf der Rhede von Batavia und ſie mochten wol Beute wittern.
Es galt die Schaluppe unter allen Umſtänden flott zu halten. Sank ſie noch einige Zoll tiefer, ſo waren wir gänzlich hilflos. Die See ſpülte dann hinein und wir gingen unter allen Um - ſtänden verloren, ſei es, um unſern Tod in den Fluthen oder im Rachen der Haie zu finden. Wir gaben deshalb das Rudern auf, ließen uns treiben und ſchöpften ſämmtlich mit Eimern,121Eine erſte SeereiſeSüdweſtern und Händen unter Aufbietung aller Kräfte. Unſere Anſtrengungen wurden glücklicher Weiſe mit Erfolg gekrönt. Das Waſſer minderte ſich nach und nach, die Planken hatten ſich auch wol etwas zuſammengezogen, und nach einer Viertelſtunde war erſteres ſoweit bewältigt, daß fernerhin zwei von uns ge - nügten, um das Boot flott zu halten. Wir waren inzwiſchen ſo weit getrieben, daß wir die Laterne, welche man auf dem Schiffe für uns als Erkennungszeichen ausgehängt, aus Sicht verloren. Die Bö hatte nicht nachgelaſſen; die Blitze flammten ohne Unterlaß, der Donner rollte und krachte betäubend und der Wind wehte ſo ſtürmiſch, daß unſer Boot vor ihm und der See ohne Segel und Maſten förmlich dahinflog — wohin? das wußte Niemand. Wir hatten keinen Compaß; durch die ſchwarze Decke des Himmels brach kein Stern, um uns die Richtung anzugeben, wir irrten umher auf dem pfadloſen Meere und konnten nur muthmaßen, daß wir gegen Sumatra hin ver - ſchlagen wurden. Aber wie ſchnell auch das Boot die branden - den Wellen durchſchnitt und durch die Nacht dahinſauſte — die Haie hielten mit uns Schritt. Bald liefen ſie neben einander, bald umkreiſten ſie getrennt in nächſter Nähe das Boot, als wollten ſie uns andeuten: „ Ihr ſeid uns doch verfallen “. Der Sturm wuchs, anſtatt, wie wir gehofft, nachzulaſſen. Wir waren in unſerem gebrechlichen, lecken Fahrzeuge machtlos gegen ihn. Alles, was wir vermochten, war, letzteres recht vor dem Winde zu halten, um es nicht quer zur See kommen zu laſſen und dann durch die erſte Sturzſee gekentert zu werden. Trotzdem lief die See dann und wann an den Seiten über und wir Alle mußten ſchöpfen, um flott zu bleiben. Doch, was half das? Wenn der Wind ſich nicht mäßigte, hatten wir nur noch eine kurze Spanne Zeit zum Leben. Die fünf Meilen bis zur Küſte von Sumatra waren in wenigen Stunden zurückgelegt und unſerer harrte dann das Geſchick, an den die Inſel umſäumen - den Klippen zerſchellt zu werden.
122WernerIn dumpfem Schweigen ſtarrten wir in die ſchwarze Nacht hinaus und erwarteten die nächſte Zukunft. Am ganzen Hori - zonte wetterleuchtete es ununterbrochen; dazwiſchen fuhren zackige Blitze blendend und grell hernieder; faſt unaufhörlich rollte der Donner und ſeine Schläge ertönten immer lauter und näher. Die Köpfe der überbrechenden Wellen rauſchten hohl, ſie ſchim - merten phosphorescirend, wälzten ſich aufthürmend neben unſerem Boote her, bereit, uns jeden Augenblick zu verſchlingen, und mitten in dieſem Aufruhr der Natur wurde unſer ſchwankes Boot auf der düſteren, mitleidsloſen Waſſerfläche wie ein Ball von Woge zu Woge dahin gepeitſcht.
Da ſchien ſich die ganze Maſſe der in der Atmoſphäre angehäuften Elektricität auf einmal entladen zu wollen. Das Firmament verwandelte ſich plötzlich in ein Flammenmeer und es war einen Augenblick tageshell. Unmittelbar danach erfolgte ein ſo furchtbarer Donnerſchlag, daß er uns vollſtändig betäubte. Das Boot wurde ſo gewaltig erſchüttert, daß wir im erſten Momente glaubten, es ſei vom Blitze getroffen und zerſchmettert. Aber jene kurze Tageshelle hatte hingereicht, um unſere ganze ſchreckliche Lage mit einem Schlage zu ändern. Das verlorene Großboot war ganz in unſerer Nähe, rechts voraus; wir alle hatten es geſehen und eine Täuſchung war ausgeſchloſſen. Eben - ſo hatten wir auch Inſeln vor uns erblickt; das konnten nur die Inſeln der Sundaſtraße ſein, die wenige Meilen von der Rhede von Batavia entfernt liegen.
Wir trieben alſo nicht nordweſtlich nach Sumatra, ſondern weſtlich und der Wind mußte ſich etwas gedreht haben. Dieſe Wahrnehmung gab uns unſere ganze Energie zurück. Wenn wir das Großboot erreichten, ſo hatten wir ein feſtes nicht leckendes und der See gewachſenes Fahrzeug unter den Füßen und die Hoffnung, es ſo zu dirigiren, daß es von den kleinen Inſeln frei ging, hinter denen wir Schutz gegen Wind und See fanden. Aber ſelbſt wenn uns dies nicht gelang, ſo lagen vor123Eine erſte Seereiſeden Inſeln keine Klippen; die See hätte das Boot direct gegen den Sandſtrand geworfen und wir konnten uns retten. Sobald unſere Augen ſich von der Blendung des furchtbaren Blitzes etwas erholt, richteten ſie ſich ſuchend nach vorn, und nach kurzer Zeit hatten wir auch das Boot gefunden. Da es weniger Windfang, als unſere mit fünf Menſchen gefüllte Scha - luppe beſaß und deshalb langſamer trieb, erreichten wir es bald. Der Steuermann ſteuerte geſchickt längſeit deſſelben; ich ſprang mit der Fangleine hinein, belegte ſie um eine Bootsducht, und ſo waren wir geborgen.
Alles, was ſich loſe in der Schaluppe befand, wurde hinüber gegeben. Der Leichtmatroſe, welcher die Sachen zugereicht, wollte eben, als Letzter, die neben dem Großboot liegende Schaluppe ver - laſſen und hatte ſchon einen Fuß in erſteres geſetzt, als plötzlich eine ſchwere See heranrollte, ſich zwiſchen die Vordertheile beider Boote drängte und dieſe um 4 — 5 Fuß, ſo weit die Fangleine geſtattete, auseinander riß. Dadurch verlor der Mann das Gleichgewicht und ſtürzte zwiſchen den Booten in’s Waſſer. Wir alle ſprangen ſofort hinzu, um dem Verunglückten Boots - haken und Riemen hinzureichen, doch er ergriff ſie nicht.
Ein markdurchdringender Schrei erfüllte die Luft und ließ uns faſt das Blut in den Adern gerinnen. Die Haie waren dem Boote nicht umſonſt gefolgt — dort unten zogen ſie wieder ihre beiden mattleuchtenden Streifen, aber zwiſchen ihnen zeigte ſich noch ein dritter; es war unſer armer Kamerad, der zer - fleiſcht in die Tiefe ſank!
Als ob mit dieſem traurigen Opfer unſer Leben erkauft wäre, ließ das furchtbare Wetter nach. Noch immer zwar zuckten die Blitze und rollte der Donner, allein das Gewitter verzog ſich in die Ferne, die ſchwarze Wolkendecke zerriß, der ſtrömende Regen hörte auf, es wurde etwas heller und der Wind ſchwächer. Ganz nahe vor uns erblickten wir jetzt eine Inſel, welche die auf den Strand rollende Brandung mit einem glühen -124Wernerden Kranze umſäumte. Es gelang uns, dieſelbe ganz nahe zu umſteuern, hinter ihr in dem ſtillen Waſſer mit den Booten das Ufer zu erreichen und ſie mit den Fangleinen an einem Baume zu befeſtigen. Wir waren gerettet und hatten die Hoffnung, am anderen Morgen mit der Seebrieſe an Bord unſeres Schiffes zurückkehren zu können.
So lange wir uns im Boote und in ſo großer geiſtiger Aufregung befanden, merkten wir nichts von körperlicher Er - mattung, nun aber begann ſie ſich fühlbar zu machen. Uns quälte Durſt, aber wo war Waſſer zu finden? Auf keiner dieſer kleinen Inſeln giebt es Trinkwaſſer. Wahrſcheinlich hatten ſich irgendwo im Innern nach dem ſchweren Regen Pfützen ge - bildet, doch mit Ausnahme des ſchmalen Küſtenrandes, war die Inſel mit ſo dichtem Gebüſch bedeckt, daß wir bei der Dunkel - heit unmöglich hineindringen konnten und uns auf den andern Morgen vertröſten mußten. Wir ſtreckten uns in unſeren naſſen Kleidern auf dem naſſen Boden aus und verſuchten zu ſchlafen. Mich floh lange der Schlummer; ich mußte immer an den ver - lorenen Kameraden denken, und wenn ein Windſtoß durch die Bäume zu unſeren Häupten pfiff, dann ſchreckte ich auf und glaubte wieder den gellenden Schrei des Armen zu hören.
Das war nun ſchon der zweite, der in der Zeit von wenigen Monaten gewaltſam aus unſerer kleinen Schaar her - ausgeriſſen wurde. Wen würde das nächſte Todesloos tref - fen? Der Verunglückte hatte mir nicht nahe geſtanden, viel weniger nahe, als Heinrich Peterſen, den die See vom Klüver - baum nahm, aber ein Tod auf dem Meere iſt ſo ganz anders, wie am Lande, ſo viel trauriger und ergreifender. Wenn Je - mand am Lande ſtirbt, ſo iſt man immer mehr oder minder darauf vorbereitet und wäre es ſelbſt nicht der Fall, ſo ſind wenigſtens ſeine ſterblichen Reſte vorhanden; man folgt ihm zu Grabe und der Denkſtein erinnert uns an ihn. Doch auf See bei einem ſolchen Unglücksfalle fehlt alles das. Der125Eine erſte SeereiſeBetreffende iſt uns nahe — wir hören ſeine Stimme, wir ſcherzen oder ſprechen mit ihm, und plötzlich iſt er von unſerer Seite verſchwunden, ohne eine Spur zu hinterlaſſen. Jung, kräftig und geſund ſteht er vor uns und im nächſten Augenblick ruht er in dem weiten naſſen Grabe. Kein äußeres Zeichen irgend welcher Art erinnert mehr an ihn — nur ſein leerer Platz iſt ſein Grabſtein, und dieſe Leere, die er hinterläßt, hat etwas ſo tief trauriges.
Mit Tagesanbruch wurden wir wach. Das Wetter zeigte ſich wieder prachtvoll, der Himmel wolkenlos und das Meer lag ruhig und ſpiegelglatt vor unſeren Blicken. Unſer Durſt war brennend geworden und wir bahnten uns einen Weg durch das Gebüſch, um Waſſer zu ſuchen. Es gelang; in einer Lich - tung hatte ſich Waſſer in einem Tümpel geſammelt, aber ein breiter Streifen Moraſt umgab ihn. Wir ſanken ſo tief ein, daß keine Möglichkeit war, das Waſſer zu erreichen, und doch mußten wir auf irgend eine Weiſe dazu gelangen. Sein Anblick hatte uns erſt recht fühlbar gemacht, was wir litten; die Zunge klebte am Gaumen und wir erduldeten Tantalusqualen.
Endlich kam uns der Gedanke, den Moraſt zu überbrücken. Wir ſchnitten mit unſeren Meſſern Zweige, banden ſie zu Faſchinen, warfen ſie in die weiche Maſſe und legten die Boots - riemen und die loſen Ruderbänke ſowie die Ruder und Boden - bretter der Boote darauf. Auf dieſe Weiſe gelang es uns, nach ſtundenlanger mühſamer Arbeit, einzeln und auf dem Bauche vorſichtig uns vorſchiebend, bis an das Waſſer zu kommen. Es war lauwarm, bräunlich und von einer Haut überzogen, die wir erſt abſtreifen mußten; aber mit welcher Gier wir trotzdem die widrige Flüſſigkeit einſchlürften, mit der wir möglicher Weiſe das tödtliche Klimafieber uns einimpften, vermag nur der zu ermeſſen, der die Qualen des Durſtes ſelbſt em - pfunden.
Die Inſel, auf der wir uns befanden, lag ungefähr drei126WernerMeilen von der Rhede entfernt; wir konnten eben die Maſt - ſpitzen der dort ankernden Schiffe über dem Horizonte erblicken. Gegen zehn Uhr Morgens ſchlief die ſchwache Landbrieſe ein, dann kam Stille und brennende Sonnengluth, gegen die wir im Gebüſch Schutz ſuchten. Mit unendlicher Mühe ſchöpften wir noch aus dem flachen Tümpel mit den Händen einen Eimer Waſſer, um auf der bevorſtehenden langen Rücktour nicht wie - der Durſt zu leiden. Eßbares war auf der Inſel nicht vor - handen außer einigen Schnecken und an den Strand geworfenen Muſcheln; unſer Hunger war jedoch noch nicht groß genug, um dieſe roh zu verſpeiſen. Die Seebrieſe ließ lange auf ſich warten; erſt kurz vor Mittag trat ſie ein und wir machten uns auf den Weg. Wir ruderten in der Schaluppe und hatten das Großboot im Schlepptau. Wir kamen nur ſehr langſam vorwärts und fühlten allmälig unſere Kräfte ſchwinden. Da die Brieſe kräftig auffriſchte, verſuchten wir, Maſt und Segel zu improviſiren. Die zu den Booten gehörige Betakelung war nicht darin; wie ſo oft auf Kauffahrteiſchiffen war ſie aus falſcher Sparſamkeit irgendwo im Schiffe verſtaut, anſtatt ſich ſtets in den Booten zu befinden, wie auf Kriegsſchiffen. Einige zuſammengebundene Bootsriemen mußten den Maſt, ein anderer die Raa abgeben, die aufgerebbelte Fangleine lieferte das nöthige Bendſelwerk und das Material zu dem Segel bildeten unſere Hemden, die wir mit den Kabelgarnen der Fangleine an die Raa und zuſammen - nähten, während wir mit nacktem Oberkörper im Boot ſaßen. Es war eine wunderliche Takelage; da wir aber platt vor dem Winde ſegelten, erfüllte ſie ihren Zweck. Gegen Abend, nach faſt 24ſtündiger Abweſenheit, trafen wir von unſerer Irrfahrt wieder an Bord ein.
Es war Feierabend und die Beſatzung ſtand am Fallreep, um uns zu empfangen. Sie hatte ſchon von weitem geſehen, daß einer fehlte und die Begrüßung war keine laute. Als ich an Deck kam, drückte mir der Bootsmann ſtumm die Hand,127Eine erſte Seereiſeaber auch ohne daß er ſprach, las ich in ſeinen treuen Augen die Freude, daß ich glücklich zurückgekommen. Ich ging mit ihm nach vorn. „ Die Andern dachten, Ihr wäret alle verloren “ſagte er nach einer Weile. „ Sie meinten, die Schaluppe hätte in ſolcher See nicht leben können, aber ich glaubte nicht daran, ich hätte Euch ſonſt wol heute Nacht im Traume ge - ſehen — doch als Ihr hinter dem Heck vor der Holländiſchen Bark vorkamt und nur mit Vieren im Boot waret, da wußte ich auch, daß kein anderer als Jens Jenſſen fehlen konnte. “
„ Denkſt Du noch daran, als Ihr beide in jener ſchreck - lichen Gewitternacht bei der Linie die Bramſegel feſt machtet und das Elmsfeuer erſt bei Dir im Großtop war und dann zu Jens nach dem Vortop flog? Das war der Heinrich, denn jene blauen Feuerkugeln zeigen ſich nur auf ſolchen Schiffen, die durch Unglück einen Mann verloren haben. Es ſind die Seelen der Abgeſtorbenen, die herumirren, weil ſie kein chriſt - liches Begräbniß erhalten haben und deshalb nicht zur Ruhe kommen können. Und als die Flamme ſich dann Jens auf die Schulter ſetzte und ſein Geſicht ſo fahl beleuchtete, als hätte er ſchon lange im Grabe gelegen, da war es uns allen, die wir es ſahen, klar, daß Heinrich ihn rief und er zunächſt an die Reihe kommen würde. Armer Jens! Seine Mutter wird’s ſchwer überleben; er war der letzte von ihren vier Söhnen. Zwei gingen mitſammt dem Vater auf dem kleinen Schuner verloren, den dieſer als Kapitän fuhr. Das Fahrzeug ſoll im Kanal übergeſegelt worden ſein und man hat nie wieder etwas davon gehört. Der dritte kenterte mit dem Boote, als er einem geſtrandeten Schiffe zu Hülfe kommen wollte und ertrank. Nun auch noch den letzten zu verlieren, das iſt hart — arme Mutter! “
Er wandte ſich ab von mir, lehnte ſich an die Verſchanzung und blickte über Bord. Das that er immer, wenn er nicht weiter ſprechen wollte und ich ließ ihn deshalb allein.
128WernerDie übrigen Leute redeten auch nur wenig von dem Todten. Es iſt das immer ſo an Bord, ohne daß Mangel an Gefühl daran die Schuld trägt. Der gewöhnliche Seemann hat eine gewiſſe Scheu vor ſolchen Geſprächen, die wol mit einer Art Aberglauben zuſammenhängt. Wenige Tage darauf wurden wir jedoch auf eine ſchreckliche Art an den Unglücksfall wieder er - innert.
Ein Bremer Schiff kam auf die Rhede und ankerte in unſerer unmittelbaren Nähe. Am Abend ging die ganze Be - ſatzung über Bord, um ſich zu baden und ſchwamm luſtig um - her. Andern Tages kamen die Leute zu uns zum Beſuch und wir warnten ſie auf das Eindringlichſte vor dem Baden. Kurz vor unſerer Ankunft war ein engliſcher Matroſe von einem Hai erfaßt worden und ein Kaiman hatte einen holländiſchen Steuer - mann, der auf dem Rande des Bootes ſaß und deſſen Rock - ſchöße nahe über Waſſer hingen, an den letzteren erfaßt, ihn über Bord gezogen und verſchlungen. Sie ſchienen unſere War - nung jedoch in den Wind zu ſchlagen, denn zwei Tage darauf ſahen wir ſie zu unſerem Schrecken wieder ſämmtlich baden und um das an der Backſpiere liegende Boot herumſchwimmen. Einer der Matroſen hielt ſich an der Fangleine des Bootes feſt, als er plötzlich den Kameraden zurief: „ Leute geht ins Boot, hier iſt ein Hai. Er iſt bei mir geweſen, hat mir aber nichts gethan. “ Die Leute kletterten ſchnell in das Boot, ſahen jedoch gleichzeitig, wie Jener ſich zwar noch krampfhaft an dem er - faßten Taue feſthielt, aber auch, wie ſein Kopf auf die Seite fiel und ſich das Waſſer in ſeiner Umgebung blutig färbte. Sie holten auf das ſchleunigſte das Boot zu ihm hin und hoben ihn hinein, doch nur noch den Rumpf. Beide Beine waren zwiſchen Knie und Hüfte abgebiſſen, ob durch einen der coloſſalen Grundhaie von 14 — 16 Fuß Länge, wie man ſie in jenen Gegenden trifft, oder durch einen Kaiman, blieb unent - ſchieden. Nach zehn Minuten war der Aermſte verblutet und129Eine erſte Seereiſeeine Leiche. Wir ſahen den ganzen Vorgang mit an und man kann ſich denken, welchen furchtbaren Eindruck er auf uns machte.
Das Löſchen und Laden des Schiffes ging ziemlich ſchnell vor ſich. Letzteres ſollte ſobald wie möglich nach Deutſchland expedirt werden, um noch vor Winter wieder auszulaufen und es waren deshalb zwanzig malayiſche Kulis zur Hülfe an Bord geſchickt. Sie leiſteten zwar nicht ſehr viel, aber immerhin be - ſchleunigte ihre große Zahl doch die Arbeit merklich und unſer Aufenthalt dauerte vorausſichtlich nicht länger als drei Wochen. Wegen der großen Entfernung unſeres Ankerplatzes vom Lande blieben die Kulis auch Nachts an Bord und es intereſſirte mich, ihre Lebensgewohnheiten zu beobachten. Tages über hielten ſie ſich auf dem Oberdeck auf, wo für ſie eine Art Zelt mit einem proviſoriſchen Herd zum Kochen ihrer Mahlzeiten errichtet war. Letztere beſtanden der Hauptſache nach unveränderlich aus Reis, den ſie mit zerſtampften Schoten von ſpaniſchem Pfeffer würz - ten, während einige Yams und ohne Fett am Feuer geröſtete Fiſche die Zuthaten bildeten. Fleiſch ſchafften ſie für ſich ſelbſt nicht an, nahmen aber gern, was von unſerem Mittagseſſen übrig blieb; Spirituoſen lehnten ſie dagegen, als den Satzungen ihres mahomedaniſchen Glaubens widerſprechend, ab.
Ihre Geſtalten waren klein und wenig muskelkräftig, ihre Hautfarbe hellbraun, das lange ſchwarze Haar unter einem turbanähnlich gewundenen Kopftuche verſteckt. Der landesübliche von beiden Geſchlechtern getragene Sarong, ein weiter geſchloſſe - ner Rock von buntem Kattun, hüllte den unteren Körper, eine enge Jacke von gleichem Stoff den oberen ein. Hervorſtehende Backenknochen und wulſtige Lippen machen die Geſichtszüge un - ſchön und durch die Folgen des Betelkauens erſcheinen ſie noch abſtoßender. Das Betelkauen iſt allgemein und wird nur wäh - rend der Mahlzeiten unterbrochen; die Erneuerung der ziemlich ſchnell verbrauchten Packete nimmt im täglichen Leben des Ma -R. Werner, Erinnerungen. 9130Wernerlayen viel Zeit in Anſpruch und wird mit einer Sorgfalt und Wichtigkeit betrieben, als wäre es ein höchſt wichtiger Act. Etwas zerkleinerte Betelnuß, Tabak und Gambir (Katechu) werden dazu in ein mit kalkiger Maſſe beſtrichenes Betelblatt gewickelt. Die adſtringirenden Stoffe ſondern einen ätzenden rothen Saft ab, der die Zähne ſchwarz beizt und das Innere des Mundes blutig roth färbt. Nebenbei ſind die Malayen jedoch auch leidenſchaftliche Raucher und für eine Cigarre kann man viel von ihnen erreichen.
Abends ſammelten ſich die Kulis regelmäßig unter ihrem Zelte, auf deſſen Herde eine improviſirte Lampe aus einer Kokosnußſchale mit einem unſicheren matten Schein die Um - gebung beleuchtete. Einer von ihnen blies eine Bambusflöte und ein anderer begleitete die Töne unisono mit Fiſtelſtimme, während die Uebrigen im Kreiſe hockend mit geſpannter Auf - merkſamkeit den eigenthümlichen Geſangsweiſen lauſchten. Dieſe Unterhaltungen dauerten allabendlich Stunden lang, und die vorgetragenen Lieder mußten wohl ernſten Inhaltes ſein, denn man hörte nie lachen oder laute Heiterkeit. Ich denke mir, es waren epiſche Verherrlichungen ihrer Volkshelden, deren Thaten ſich hauptſächlich auf dem Felde des Seeraubes vollzogen haben. Wenn uns auch die Bedeutung der Geſänge ver - borgen bleiben mußte, eigneten wir uns doch bald ſo viel Brocken der Sprache an, daß wir uns nothdürftig mit den Kulis verſtändigen konnten. Die malayiſche Sprache iſt über - haupt leicht zu erlernen; ſie iſt in ihrem Bau ungemein ein - fach, hat wenig Wortflexionen und einen großen Reichthum von Vocalen, der ſie wolklingend und leicht in’s Gehör fallend macht. Alle auf Java anſäſſigen Holländer ſprechen malayiſch und ver - kehren mit der einheimiſchen Bevölkerung nur in dieſem Idiom.
Mein Urlaubsſonntag ſtand vor der Thür und er ver - ſprach mehr, als ich bisher zu hoffen gewagt hatte. Das hol - ländiſche Linienſchiff „ Kortenaar “, in deſſen Nähe wir in Hel -131Eine erſte Seereiſevoetsluys gelegen, war vor kurzem eingetroffen und zu meiner großen Freude auf ihm mein junger Freund, der Sohn unſeres Conſuls, als Kadett eingeſchifft. Er hatte mich nicht vergeſſen, ſondern ſobald er konnte, mich aufgeſucht, um mich zu ſeinen Verwandten nach Welltefreden einzuladen; vom Kapitän war mir ein 48ſtündiger Urlaub bewilligt worden. Die Ausſicht, unter ſo unerwartet günſtigen Umſtänden an Land zu gehen und die wunderſchöne Inſel kennen zu lernen, entzückte mich begreif - licher Weiſe auf das höchſte — leider ſollte ſie aber unter ganz anderen Umſtänden ſich verwirklichen, als meine Phantaſie ſich geträumt hatte. Ich wurde an’s Land geſchafft, aber ohne Be - wußtſein und nur um in das Hoſpital aufgenommen zu werden. Am Sonnabend Abend fühlte ich mich plötzlich ſehr unwol, alle meine Glieder ſchmerzten, ich mußte mich zur Coje legen, und mein Zuſtand verſchlimmerte ſich ſo ſchnell, daß ſchon nach wenigen Stunden meine Gedanken zu wandern begannen und heiße Gluth meine Kräfte verzehrte. Ich war vom Klimafieber befallen und es trat gleich mit ſolcher Heftigkeit auf, daß der am andern Morgen vom „ Kortenaar “geholte Arzt meine ſo - fortige Ueberführung in das Hoſpital anordnete. Wie man mir ſpäter mittheilte, hatte Niemand an Bord geglaubt, mich lebend wiederzuſehen. Mein jugendlich kräftiger Körper leiſtete jedoch dem Anfalle erfolgreichen Widerſtand, und als ich am dritten Tage wieder zu mir kam, war ich wol todesmatt, aber die größte Gefahr beſeitigt. Der Oberarzt war ein Deutſcher, von dem ich ſehr freundlich behandelt wurde, das Hoſpital ſelbſt ließ nichts zu wünſchen übrig; mein Freund, der Kadett, be - ſuchte mich verſchiedene Male, ſeine Verwandten ſandten mir auf ſeine Veranlaſſung Bücher, und da meine Kräfte allmälig zurück - kehrten, fand ſich auch die Elaſticität meines Geiſtes wieder ein und ich blickte nicht mehr ſo trübe in die Zukunft.
Am ſechſten Tage hatte ich mich ſo weit erholt, daß ich das Bett verlaſſen konnte. Es war wieder Sonntag geworden9*132Wernerund ich hatte ganz beſtimmt gehofft, daß der alte Bootsmann mich beſuchen würde, aber er blieb aus. Das ſchmerzte mich tief; fremde Leute erwieſen ſich freundlich gegen mich in meiner Verlaſſenheit, doch an Bord des eigenen Schiffes ſchien ſich Niemand um mich zu kümmern. Der Kapitän war einmal in der erſten Zeit dageweſen, als ich noch ohne Beſinnung lag, dann nicht wieder. Andern Morgens erſchien er nochmals, doch hauptſächlich nur, um den Arzt zu fragen, ob ich nicht am nächſten Tage entlaſſen werden könne, da das Schiff am Mitt - woch ſegeln ſolle. Der Doctor gab ſein Einverſtändniß unter der Bedingung, daß ich noch längere Zeit geſchont würde und ſo brachte mich die Gig an Bord zurück. Dabei fühlte ich je - doch, wie ſehr ſchwach und angegriffen ich noch war, ich konnte ohne Hülfe nicht die Fallreepstreppe erſteigen. Den Bootsmann fand ich in der Coje, auch er hatte ſeit drei Tagen das Fieber. „ Wäre ich nicht ſelbſt ſo elendiglich auf den Strand gelau - fen, Schweizer “ſagte er mit matter Stimme zu mir, als ich an ſein Bett trat „ dann hätte ich Dich ganz beſtimmt beſucht. “ Ich drückte ihm ſtumm die Hand und mir traten die Thränen in die Augen, als ich den kräftigen Mann jetzt ſo hülflos da - liegen ſah. In das Hoſpital hatte er abſolut nicht gewollt; in wenigen Tagen werde alles wieder gut ſein, meinte er, und in der That ſchien ſich ſein Zuſtand auch etwas zu beſſern.
Von Krankenpflege in gewöhnlichem Sinne iſt auf Kauf - farteiſchiffen nicht die Rede. Die ſo knapp bemeſſene und durch die Kranken noch mehr geſchwächte Beſatzungszahl geſtattet nicht die Stellung beſonderer Wärter; die Kameraden thun wol hier und dort gern eine Handreichung, aber oft iſt Niemand von ihnen in der Nähe, wenn das Bedürfniß dazu gerade am dringend - ſten iſt. Heilmittel verabreicht der Kapitän aus der an Bord befindlichen Medicinkiſte, nach Anleitung eines kleinen zu dieſem Zwecke mitgegebenen Buches und nach beſtem Wiſſen. Ob dieſes beſte Wiſſen auch das richtige iſt, hängt mehr oder minder von133Eine erſte Seereiſeeinem glücklichen Ungefähr ab. Eben ſo wenig giebt es paſſende Krankenkoſt; wer nicht Erbſen und Salzfleiſch vertragen kann, für den wird etwas Reisſuppe gekocht, in vielen Fällen freilich zutreffend, aber für Reconvalescenten doch nur kraftloſes Eſſen. Ich war, wie der Doctor verordnet, vorläufig von allem Dienſte dispenſirt, und wenn auch ſehr matt, doch im Stande auf zu ſein und es drängte mich mein Herz, den Mann, welchem ich ſo viel ſchuldete und der ſtets in väterlicher Weiſe ſeine Hand ſchützend über mir gehalten, nach beſten Kräften zu pflegen und ihm dadurch meine Dankbarkeit zu beweiſen.
Am beſtimmten Tage traten wir unſere Rückreiſe an. Der Gedanke, daß fortan jede zurückgelegte Meile mich der geliebten Hei - math näher brachte, würde unter anderen Umſtänden mein Herz freudiger haben klopfen laſſen, als es der Fall war. Mein Be - finden hatte ſich in den letzten Tagen eher verſchlechtert, als ge - beſſert; ich war wol zu früh aus dem Hoſpital entlaſſen worden und der Aufenthalt an Bord in der dumpfen, unreinen Luft des Logis mir nicht zuträglich geweſen. Ich fühlte mich ſehr gedrückt und zu - gleich apathiſch, ſo daß ſelbſt die Naturſchönheiten von Anjer, wo wir behufs Einnehmen von Erfriſchungen noch einmal einen kurzen Aufenthalt nahmen, mich gleichgiltig ließen. Dazu kam, daß die Krankheit des Bootsmanns ſich ſichtlich verſchlimmerte. In den erſten Tagen hatte er noch öfter in ſeiner gewohnten gutmüthig ſcherzhaften Weiſe zu mir geſprochen, doch dann war er ſtiller geworden; das Fieber trat heftiger auf und er lag vielfach ohne Beſinnung oder redete irre. Er nahm nichts zu ſich, als etwas Wein mit Waſſer, das ich ihm löffelweiſe einflößte, um ſeine brennende Zunge zu kühlen. Ich ſah, daß es mit ihm zu Ende ging und eine tiefe Traurigkeit ergriff mich bei dem Gedanken, den einzigen Menſchen an Bord zu verlieren, der es wahr - haft gut mit mir meinte und dann ganz einſam und verlaſſen zu ſein.
Am vierten Tage unſerer Reiſe auf der Abendwache hatte134Wernerer wieder einen heftigen Anfall gehabt. Danach war er ruhiger geworden und ſchien einzuſchlafen. Als ich eine Zeit lang ſeinen Athemzügen gelauſcht, die ſo regelmäßig waren, daß ich auf den Eintritt einer günſtigen Kriſe hoffte, ſuchte ich meine Coje auf, um auch ein wenig zu ſchlummern, doch ſchon nach wenigen Minuten hörte ich leiſe meinen Namen rufen und ſprang wieder auf, um nach dem Kranken zu ſehen. „ Reinhold “ſagte er, indem er die Worte nur mit Mühe und abgebrochen hervor - ſtieß, „ es iſt vorbei mit mir, ich fühle es und morgen werde ich in Gottes Keller liegen. Sage dem Zimmermann, er ſolle von den zweizölligen Planken zum Sarge nehmen und es be - ſchweren, damit die Haie nicht heran können und es gut ſinkt. Was ich hinterlaſſe bekommen die Armen, da ich keine Ange - hörigen habe; der Kapitän weiß ſchon davon. Weiter iſt nichts zu beſtellen, das andere habe ich vorhin mit dem lieben Gott ſelbſt alles klar gemacht. Leb wol mein Junge, Du haſt mich treu gepflegt und ich danke Dir. Werde ein fixer Kerl und wenn Du nach oben gehſt, dann halte Dich immer an den Wanten feſt, aber nie an den Webeleinen, ſie können leicht brechen. “ Er ſchwieg und hielt meine Hand in der ſeinen. Trotz meines von Thränen getrübten Blickes nahm ich jetzt eine große Veränderung in ſeinen Geſichtszügen wahr. Der Tod trat an ihn heran, einige röchelnde Töne drangen aus der Bruſt hervor, die Glieder ſtreckten ſich und — alles war vorbei! Als der letzte Seufzer des Sterbenden verhallte, da ſchlug es acht Glas — Mitternacht, und der Ruf des die Freiwache wecken - den Matroſen „ Reiß aus Quartier in Gottes Namen! “ſchallte in die Logiskappe hinunter. Der Ruf galt den Lebenden, aber auch der Todte folgte ihm; ſeine Seele verließ ihr irdiſches Quartier, um ſich zum Himmel emporzuſchwingen in Gottes Namen. Ich drückte ihm die Augen zu.
Am andern Nachmittage übergaben wir ihn ſeinem weiten Grabe. Als der nach ſeinen letzten Wünſchen gefertigte Sarg135Eine erſte Seereiſezur Fallreepstreppe geſchafft war, wurde als Zeichen der Trauer die Flagge halbſtocks geheißt und im Großtop back gebraßt, um das Schiff zum Stillſtande zu bringen. Die Beſatzung ver - ſammelte ſich um die Leiche und der Kapitän betete ein Vater - unſer. Dann wurde der Sarg auf die Reiling gehoben und langſam in die blaue Fluth hinabgelaſſen. Tiefer und tiefer ſank er, ſeine Formen wurden undeutlicher, zuletzt ſah man noch einen dunkeln Schimmer, dann war er verſchwunden und nur noch einige Blaſen ſtiegen empor zur Oberfläche, um ſich mit dem Perlenſchaum der nächſten Welle zu miſchen. Ruhe ſanft, alter Mann, ich habe Dich nicht vergeſſen und werde Dir ſtets ein treues Andenken bewahren.
Es wurde voll gebraßt und das Schiff lenkte wieder in ſeinen Curs. Die Leute gingen ſtill an ihre Arbeit; einige Tage lag es wie ein trüber Schatten über dem Schiffe, dann nahm alles wieder ſein gewohntes Ausſehen an. Bisweilen wurde des Verſtorbenen mit einigen ehrenden Worten gedacht, dann ſprach man nicht weiter von ihm.
Von der Rückreiſe habe ich nicht viel zu erzählen, als daß ſie für mich ſehr traurig verlief. Das Fieber kehrte von Zeit zu Zeit zurück und ließ mich nicht zu Kräften kommen. Bis - weilen konnte ich eine Woche lang leichten Dienſt thun, dann warf mich ein Rückfall wieder auf das Krankenlager und ich durchkoſtete all’ das Schwere, was damit in den meiſten Fällen auf Kauffarteiſchiffen verbunden iſt und von dem man oft nicht begreifen kann, wie man es überhaupt überſteht. Je länger ſich mein Leiden hinzog, deſto gleichgiltiger wurden die Uebrigen und deſto weniger Rückſicht nahmen ſie auf mich. Als wir das Cap der guten Hoffnung paſſirten war es Winterzeit und deshalb137Eine erſte Seereiſekalt und ſtürmiſch. Wenn ich dann Nachts in Fieberhitze lag und brennender Durſt mich verzehrte, war Niemand da, um mir einen Trunk zu reichen. Ich mußte aufſtehen, um mir ihn ſelbſt aus den Waſſerfäſſern an Deck zu holen, wenn auch der kalte Wind mich eiſig durchſchauerte und ich von überſpritzendem Seewaſſer durchnäßt in meine Coje zurückkehrte. Der menſch - liche Körper vermag oft wunderbar viel zu ertragen, das er - probte ich damals an mir.
Auf der Heimreiſe von Oſtindien nach Europa wird man mehr vom Winde begünſtigt als auf dem Hinwege und hat im Durchſchnitt beſſeres Wetter. Faſt die ganze Strecke von der Sundaſtraße bis zum Cap durchläuft man mit dem Paſſat in grader Richtung und wird außerdem noch durch bedeutende Strömung unterſtützt. Beim Cap hat man zwar gewöhnlich 8 bis 14 Tage mit Stürmen zu kämpfen, doch bringt auch hier ſtarker Strom helfend das Schiff vorwärts und es erreicht des - halb bald aufs neue den Südoſtpaſſat, um mit ihm bis zum Aequator, von dort nach Ueberwindung der Stillen mit dem Nordoſt bis zu den Azoren zu gehen und dann die Weſtwinde zum Anſegeln des Kanals aufzuſuchen. Nur einmal wurde die Einförmigkeit des Bordlebens, bei der man ſchließlich faſt die Namen der Tage vergaß, durch das Anſegeln von St. Helena unterbrochen, um Trinkwaſſer einzunehmen. Die Inſel liegt auf dem directen Wege und wird deshalb von faſt allen heimkehren - den Schiffen zu jenem Zwecke angelaufen. Mein Geſundheits - zuſtand hatte ſich in der letzten Zeit wieder ſo weit gebeſſert, daß ich bei dem ſchönen Wetter auf ſein konnte, und ſo durfte ich mich wenigſtens an dem äußeren Anblicke der als Napoleons Gefängniß ſo berühmt gewordenen einſamen Felſeninſel zer - ſtreuen. Des Kaiſers Gebeine waren im Jahre zuvor nach Frankreich zurückgeholt worden, um im Invalidendome beigeſetzt zu werden. Longwood, das Haus, in dem er bis zu ſeinem Tode gewohnt, ein einſtöckiges, ſchmuckloſes Gebäude, liegt auf138Wernereiner kleinen Hochebene im Innern der Inſel; man ſieht es von der Rhede aus. An Land kam natürlich Niemand von der Beſatzung, da wir nur einen halben Tag blieben, und die Geſundheitsbehörde wollte zuerſt überhaupt keine Communication mit dem Lande geſtatten, weil wir einen Todten gehabt und ich krank war. Als mich der Quarantänearzt jedoch unterſucht hatte, erklärte er mein Leiden als nicht anſteckend und ließ freien Ver - kehr zu. Von mir wurde keine weitere Notiz genommen; ich blieb nach wie vor mir allein überlaſſen — meine Natur mußte ſich ſelbſt helfen.
St. Helena iſt eine ſteil aus dem Ocean aufſteigende Felſeninſel, deren höchſte Spitze ſich bis zu 500 Meter erhebt und die eine Länge von 2½ bei einer Breite von 1½ Meilen hat. Ihre kleine Hauptſtadt Jamestown liegt in einem roman - tiſchen Thale an der Nordoſtſeite der Inſel, mithin leewärts und geſchützt vor dem Südoſtpaſſat. Die begrenzte Bucht vor dieſem Thale iſt auch der einzige Ankerplatz, die ganze übrige Küſte, welche den Eindruck einer gigantiſchen Felſenmauer macht, ſtürzt eben ſo ſenkrecht in die unergründliche Tiefe hinab, wie ſie über Waſſer in die Lüfte ſtrebt. Man ankert etwa 1000 Schritte von der Stadt, aber bei der Durchſichtigkeit der Atmoſphäre und der Höhe der Felſen glaubt man kaum 100 Schritt ent - fernt zu ſein. Schiffe liegen völlig ſicher auf der Rhede; dann und wann kommt ein Windſtoß über die Berge, der jedoch nur oben durch die Maſtſpitzen pfeift und die Waſſerfläche kaum kräuſelt. Boote können deshalb immer fahren, wenn auch der Seegang des atlantiſchen Oceans ſich ununterbrochen an den Baſaltwänden der Inſel bricht und der ſtete Donner der Bran - dung an das Ohr ſchlägt. Das Landen bei der Stadt, wo weder eine Mole noch ſonſtige Einrichtungen den Booten ein ruhiges Anlegen geſtattet, iſt ſehr ſchwierig, weil die Fahrzeuge durch den Seegang beſtändig 3 bis 4 Meter auf und nieder wogen. Die dafür eingerichteten Boote haben hinten einen kurzen139Eine erſte SeereiſeMaſt, an dem der Landende ſich feſthält, bis er entweder auf die nach dem Waſſer leitenden Stufen ſpringen, oder die Platt - form erreichen kann, welche an einem weit ausliegenden Dreh - kahne hängt, mit der er dann auf das Ufer geſchwungen wird.
Eine Menge Boote mit Früchten, Seltenheiten und Reli - quien von Napoleons Grabe kamen längſeit. Namentlich wur - den kleine muſchelbeklebte Doſen mit Erde daher, ſowie Zweige und Blätter von der das Grab beſchattenden Trauerweide feil geboten. Obwol die Sachen, wie meiſtens dergleichen, wahr - ſcheinlich anderwärts herſtammten, nahm ich doch in gutem Glauben ein Andenken mit.
Nicht weit von uns lag eine engliſche Kriegsbrigg, die Tags zuvor einen an der afrikaniſchen Küſte genommenen Sclaven - fahrer eingebracht hatte. Die Priſe war eine Brigg von ganz ähnlichem Ausſehen, wie jene, die uns damals auf der Hinreiſe Schrecken einjagte. Sie hatte 500 Neger an Bord, die grade ausgeſchifft wurden. Zu dieſem Zwecke kamen große Barken mit flachem Boden längſeit und die Schwarzen wurden wie Waaren darin verſtaut. Sie mußten ſich mit ausgeſpreizten Beinen niederlegen und der nächſte wurde dann immer mit dem Kopfe zwiſchen die Schenkel des anderen gepackt. Man erzählte uns, daß jährlich durchſchnittlich 2 bis 3000 Sclaven von den eng - liſchen Kreuzern aufgebracht und befreit würden. Mit dieſem „ Befreien “hatte es nun allerdings ſeine eigene Bewandtniß und bei aller Menſchenfreundlichkeit machten die Engländer dabei ein gutes Geſchäft. Die Mannſchaft der Kriegsſchiffe erhielt für jeden aufgebrachten Neger 1 £; dies mußten aber letztere ſelbſt bezahlen und zwar durch zehnjährige Arbeit in den engliſchen Weſtindiſchen Kolonien als Aprentices „ Lehrlinge “. Erſt nach dieſer Zeit erhielten ſie ihre volle Freiheit, ſahen jedoch ihr Vater - land nicht wieder.
Die Bucht von Jamestown iſt ganz ungemein fiſchreich, namentlich an Makrelen und dieſe bilden das Hauptnahrungs -140Wernermittel der niederen Volksklaſſen. Ich hatte früher gehört, daß Heringszüge in ſo dichten Maſſen wie Mauern erſchienen, ohne recht daran glauben zu wollen, hier aber überzeugte ich mich von der Wahrheit. Eine ſolche Makrelenmauer näherte ſich unſerem Schiffe und wir fingen in kaum einer Viertelſtunde, während welcher die Fiſche in unmittelbarer Nähe blieben, viele Hunderte, indem wir drei bis vier zuſammengebundene Makrelen - haken zwiſchen die Maſſe warfen und die daran irgendwie an - gehakten Fiſche an Bord holten. Was nicht friſch gegeſſen wer - den konnte, wurde geräuchert und für die nächſten Tage als willkommener Leckerbiſſen mitgenommen.
Gegen Abend war unſer Trinkwaſſer ergänzt und wir traten unſere Weiterreiſe an, um abermals zwei Monate lang mit Himmel und Meer allein zu ſein.
Es paſſirte nichts Außergewöhnliches, nur wurde das Leben an Bord noch eintöniger, als es bisher geweſen war. Gewöhn - liche Seeleute haben nur einen engen Geſichtskreis und ihre Unterhaltung beſchränkt ſich auf eine verhältnißmäßig geringe Zahl von Gegenſtänden. Auf einer ſo langen Reiſe erſchöpfen ſich dieſelben und es bleibt nichts als Dreſchen deſſelben Strohes, das ſchon bei der erſten Bearbeitung nicht ſchmackhaft war. Nach dem Tode des Bootsmannes fühlte ich mehr als je, wie wenig ich zu den Uebrigen paßte; oft vergingen Tage, an denen ich kaum ein gleichgiltiges Wort mit ihnen wechſelte, und es konnte nicht ausbleiben, daß auch ſie mir keinerlei Entgegen - kommen zeigten. Seit Batavia waren unſere Chronometer regu - lirt. Monddiſtanzen, bei denen ich hätte behülflich ſein können, wurden nicht mehr beobachtet, und da ich wegen meiner Krank - heit nur ſehr ſelten Wache gehen konnte, kam ich mit Kapitän und Steuerleuten faſt nicht in Berührung. Die wenigen Bücher, welche mir der Kadett zum Abſchiede mitgegeben, waren längſt mehrfach geleſen, meine einzige Zerſtreuung bildete Schreiben und Zeichnen. O wie entſetzlich lang wurden mir die vier141Eine erſte SeereiſeMonate der Rückreiſe und um ſo mehr, als das Gefühl der körperlichen Schwäche nothwendig auch auf meinen Geiſt zurück - wirkte. Mit bleiernen Füßen ſchlichen die Tage dahin ohne jede Abwechſelung.
Endlich waren die Azoren erreicht und wir fanden den er - warteten Weſtwind. Die Inſeln Corvo und Flores zeichneten ihre Conturen in weiter Ferne am Horizont, acht Tage darauf kamen wir auf die „ Gründe “und das tiefe Blau des Oceans wandelte ſich in dunkles Grün, das allmälig heller wurde und die Nähe des Landes verkündete. Dann tauchte die Küſte von England auf und der günſtige Weſt führte uns ſchnell durch Kanal und Nordſee. Bei Helgoland erhielten wir einen Loot - ſen; in ununterbrochener fliegender Fahrt ging es hinein in die Elbe bis Glückſtadt und dann anderen Tages nach Hamburg. — Es war, als ob wir für das Mißgeſchick der Ausreiſe entſchädigt werden ſollten und eine geheimnißvolle Macht uns zur Heimath zöge. Mit Ausnahme weniger Tage am Cap der guten Hoff - nung hatten wir keinen Sturm gehabt und waren ſtets von gutem Winde begünſtigt geweſen.
Bei dem Anblick der Thürme der alten Hanſeſtadt über - wältigte mich der Anſturm der verſchiedenſten Gefühle. Freude und Wehmuth kämpften in meiner Bruſt und machten meine Augen feucht. Meine Gedanken ſchweiften in die Vergangen - heit um ein Jahr zurück. Als ich damals zuerſt den Maſten - wald im Hafen ſah, war mir das Herz in der Ausſicht aufge - gangen, nun bald ſelbſt mit einem der Schiffe hinauszuziehen über den weiten Ocean in ferne Welten und meine Jugend - träume zu verwirklichen. Wie hoffnungsvoll war mir zu jener Zeit die Zukunft erſchienen, wie ſchön hatte ich es mir gedacht, nach langer Reiſe heimzukehren zu den Meinen, ſtolz und be - friedigt von meinem Berufe ſie zu begrüßen, mich von meinen Jugendgenoſſen um all’ das Große und Wunderbare beneiden zu laſſen, das ich geſehn und erlebt — und nun war alles ſo142Wernerganz anders geworden! Krank und gebrochen kam ich zurück und meine Zukunft lag ſchwer und traurig vor mir.
Der Anker fiel; der Hafenmeiſter ließ das Schiff an den Pfählen im Hafen feſt machen; Boote legten an und brachten Freunde und Bekannte der Mannſchaft zur Bewillkommnung. Ich ſtand abſeit und wurde von Niemand begrüßt. Mein Herz ſchnürte ſich zuſammen, doch bald ſollte es auch durch einen Freudenſtrahl erhellt werden. Der Kapitän rief mich und hatte einen Brief in der Hand; er kam von den Eltern und war von den Rhedern an Bord geſandt. Er hatte zwar ſchon mehrere Wochen auf mich gewartet, aber er enthielt gute Nach - richten und das Liebeszeichen erquickte und ſtärkte mich wunder - bar. Als die Rheder von meiner Krankheit hörten, ließen ſie mich ärztlich unterſuchen; das Fieber war ſeit einem Monate nicht wiedergekehrt, ich litt nur noch an den Nachwehen. Ein längerer Aufenthalt am Lande und gute Pflege würden mich un - zweifelhaft wieder herſtellen, meinte der Doctor, und ſo erhielt ich unbeſtimmten Urlaub, um mich im Elternhauſe zu erholen. Mit der „ Alma “ging ich vorausſichtlich nicht wieder fort, da ſie ſchon nach vier Wochen auslaufen ſollte, doch darüber em - pfand ich kein Bedauern; das auf ihr verlebte Jahr ſchloß zu viel trübe Erinnerungen in ſich.
Die zweitägige Reiſe mit der Poſt bis zu meinem Heimaths - orte hatte mich ungemein angegriffen und ich kam ſo elend und todesmatt an, wie ich mich noch nie gefühlt hatte. Ich war am Tage nach unſerem Eintreffen in Hamburg abgereiſt, hatte vorher nicht geſchrieben und die Meinen erwarteten mich des - halb nicht. Ich war in dem Jahre bedeutend gewachſen, meine Geſichtsfarbe zeigte das krankhafte Gelb der Leberleidenden und meine ſeemänniſche Kleidung mochte mich noch unkenntlicher machen, denn die Bekannten, welche mir begegneten, als ich die wenigen Schritte von der Poſt bis zur elterlichen Wohnung über die Straße wankte, ſahen neugierig der fremden Erſcheinung nach.
143Eine erſte SeereiſeDer Vater war nicht zu Hauſe, und auf mein Anklopfen öffnete mir die Mutter die Thür. „ Wünſchen Sie meinen Mann zu ſprechen? “fragte ſie mich.
„ Mutter! “ſchrie ich auf, indem es mir wie ein Stich durch’s Herz ging, „ auch Du kennſt mich nicht wieder? “und dann ſank ich ohnmächtig zuſammen.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Bette und die Augen der Meinen waren in liebender Sorge auf mich ge - richtet. Das letzte Jahr ſchwand wie ein düſterer Traum vor den leuchtenden Bildern der Gegenwart; unter der Pflege der Mutter kehrten bald meine Kräfte zurück, und nach acht Wochen blühten die Roſen der Geſundheit wieder auf meinen Wangen. Bis dahin hatten die Eltern kein Wort über meine Zukunft geſprochen; dann fragte mich der Vater eines Tages: „ Willſt Du wieder auf die Schule oder Seemann bleiben? “ Ich hatte die Frage vorausgeſehen; die Antwort ſtand ſeit jener erſten Nacht an Bord feſt. Sie lautete: „ Ich gehe wieder zur See, Vater. “
Wenige Tage ſpäter reiſte ich nach Hamburg, um bald darauf mich an Bord des Vollſchiffes „ Malwine “einzuſchiffen. Die ferneren Jahre wurden mir nicht ſo ſchwer und mein Körper litt nicht mehr unter den Einflüſſen des tropiſchen Klimas. Ich machte noch ſechs Reiſen nach den oſtindiſchen Gewäſſern. Als ich von der letzten zu Ende des Jahres 1848 zurückkehrte, da war eine deutſche Flotte erſtanden. Ich trat als Officier in dieſelbe ein und meine Jugendträume hatten endlich ihre Er - füllung gefunden.
[144]Es war Völkerfrühling geworden, Deutſchland wenigſtens glaubte zu jener Zeit ernſtlich daran, daß er gekommen ſei. Unter dem Jubel von Millionen war er geboren; aber leider als Frühgeburt ohne nachhaltige Lebenskraft und den Keim des Todes bereits in ſich tragend. Er trieb eine Menge vielverſprechender Knospen, doch keine entfaltete ſich zur Blüthe, viel weniger noch zur Frucht; ſie welkten alle vor der Zeit da - hin und verdorrten. Freiheit, Einheit, Größe und Macht des Vaterlandes — das waren die Schlagworte der Schwärmer, welche damals mit Phraſen Weltgeſchichte zu machen hofften und nicht fühlten, daß grade die Weltgeſchichte ihnen hohnvoll in das Geſicht ſchlug, daß kein Land unfreier, zerriſſener und machtloſer war als Deutſchland.
Und dennoch! nach einer Richtung wurde dieſe Macht - loſigkeit ſelbſt von jenen Schwärmern tief empfunden und trieb ihnen die Schamröthe in das Geſicht. Mit wenigen ſchwach bemannten Kriegsſchiffen hielt das winzige Dänemark das große Deutſchland in Schach. Es blockirte ſeine Häfen, lähmte ſeinen Handel und caperte ſeine Kauffarteiſchiffe.
145Die deutſche Marine 1848 — 1852Auch die nüchternen Leute fühlten die Schmach und der verlangende Ruf nach einer deutſchen Flotte, nach einer Geltung zur See ertönte laut und allgemein im ganzen Lande, in allen Schichten des Volkes. Ueberall ſprach, ſchrieb, ſang und ſammelte man dafür, aber man war faſt ohne Ausnahme ſo naiv zu glauben, daß ſich eine Flotte in wenigen Monaten herſtellen laſſe und lieferte damit den Beweis, daß man in Deutſchland von Marineſachen nur wenig verſtand. Man hatte keine Ahnung davon, was zur Schaffung einer Marine gehöre und hielt den guten Willen für ausreichend. Selbſt in den Hanſeſtädten ſchien dieſe Einſicht zu fehlen, und die Schwärmerei über den practi - ſchen Verſtand den Sieg davon zu tragen. Man erinnerte ſich dort wohl der eigenen Seemächtigkeit, die einſt ſo lange Zeit die nordiſchen Kronen ſich botmäßig gemacht und glaubte, ſie durch Energie ſofort wieder in das Leben rufen zu können. Man vergaß aber völlig, daß vier Jahrhunderte zwiſchen da - mals und jetzt lagen, daß die 77 Städte, welche einſt König Waldemar von Dänemark den Fehdebrief ſandten und deren Flotten ſein Reich zertrümmerten, den Kern und die Thatkraft Norddeutſchlands darſtellten, daß ſie, von gleichem Intereſſe geleitet und demſelben Willen beſeelt, Deutſchland nach außen als einiges Reich erſcheinen ließen, daß jetzt aber die poli - tiſchen Verhältniſſe ſo ganz anders lagen.
Bartholdt, Verfaſſer der „ Geſchichte der deutſchen See - macht “*Hiſtoriſches Taſchenbuch von Raumer. Dritte Folge. Zweiter Jahrgang., hatte die Dinge richtiger erfaßt, als die Nach - kommen der alten Hanſen, wenn er ſeine Abhandlung mit folgenden Worten ſchloß: „ Wir haben Eiſen und Kupfer in unſeren Bergwerken, hochgewipfelte Tannen im Schwarzwald, die als Maſtbäume und Stangen jährlich nach Holland hin - unter ſchwimmen. Wir haben in den Oſtſeeprovinzen rieſigeR. Werner, Erinnerungen. 10146WernerEichen zu Kielen und Planken und knorriges Krummholz zu Schiffsrippen in Fülle, die alljährlich ſelbſt nach dem Norden ausgeführt werden. Hanf gedeiht bei uns in Menge zu Tau - werk und Segeln. Wir haben lernbegierige Schiffsbaumeiſter und Zimmerer, Anker - und Kettenſchmiede, Stückgießer. Wir haben vom Samlande bis nach Oſtfriesland ein zahlloſes Fiſcher - und Schiffervolk, breit von Bruſt und Schultern, mit markvollen Knochen, ſcharfen Auges; Piloten, deren wetterge - bräuntes Geſicht trotzig in den Sturm blickt und die die Pfade des Meeres, ſeine Tiefen überall kennen. Wir haben geſchütz - kundige Meiſter, Soldaten, die den Tod nicht ſcheuen, mehr als wir brauchen; entſchloſſene unerſchrockene Schiffsführer. Wir haben die Wiſſenſchaft, welche die Sternenbahnen mißt und die geheimen Geſetze der Natur ergründet und — dennoch kein Kriegsſchiff, um einen übermüthigen kleinen Nachbar hinter ſeinen ſchmalen Belten aufzuſuchen, und unter dem weiten Himmelsgewölbe kein Fleckchen freien Landes zur Aufnahme darbender fleißiger Menge. Täuſcht uns unſere Prüfung alter Geſchichten und der deutſchen Volksnatur nicht, ſo bleibt uns nur ein Mittel, aber ein wie unerreichbares! um jeder Seemacht der Welt gewachſen zu ſein: ſtarke Territorialeinheit an unſeren Meeren. “
In der Hauptſache ſind die Worte des Geſchichtsforſchers prophetiſch geweſen. Die Bedeutung unſerer Flotte beginnt erſt mit der Schaffung jener ſtarken Territorialeinheit an unſeren Meeren. Daß der Zeitpunkt dafür ſchon nach zwei Jahrzehn - ten kommen ſollte, hat Bartholdt ſich freilich nicht gedacht. Ebenſo irrte er in der Annahme, daß die deutſche Flotte unter jener Vorbedingung jeder Seemacht der Welt gewachſen ſein werde. Das iſt ſie weder jetzt, noch wird ſie es vorausſichtlich werden, weil Deutſchland dazu zu arm iſt und ſeiner geogra - phiſchen Lage nach den militäriſchen Schwerpunkt ſtets in der Armee ſuchen muß; aber die Marine kann bei verſtändiger Be -147Die deutſche Marine 1848 — 1852handlung und Verwerthung vollauf die Zwecke erfüllen, für welche Deutſchland ſie nöthig hat.
Sie kann unſere beiden deutſchen Meere gegen jeden feind - lichen Seeangriff wirkſam vertheidigen, ſo daß unſere Seeflanken gedeckt ſind. In zweiter Reihe genügt ſie im Frieden ſo weit zum Schutze unſeres Handels, um den Deutſchen im Aus - lande das Bewußtſein zu verſchaffen, daß das Vaterland ihre Rechte wahre. Unſere Flotte iſt Deutſchlands Größe und Macht - ſtellung angemeſſen, aber nicht provocirend; ſie überſteigt nicht unſere Mittel und flößt Achtung ein — mit einer ſolchen Gel - tung zur See darf unſer Volk ſich ſchon zufrieden ſtellen.
Konnte die Flotte zu ihrer jetzigen Bedeutung aber auch erſt nach Aufrichtung des deutſchen Reichs kommen, ſo be - ſtanden ihre Grundlagen doch bereits lange, und dieſem Umſtande iſt es zu danken, daß ſie gegenwärtig ſchon einen verhältnißmäßig hohen Standpunkt einnimmt. Jene Grundlagen ſtammten aus dem Jahre 1848 und fanden ihre Verkörperung in der damals in das Leben gerufenen deutſchen Marine, deren größter Theil zwar leider an unſeren derzeitigen traurigen politiſchen Verhält - niſſen ſchmachvoll zu Grunde ging, deren kleinerer aber in der preußiſchen Marine glücklicher Weiſe für eine beſſere Zukunft ge - rettet wurde. Aus dieſer preußiſchen iſt unſere Reichsmarine hervorgegangen und die deutſche Flotte von 1848 iſt deshalb die Wiege unſerer heutigen Seemacht.
Bei den regen Sympathien, welche der letzteren im ganzen Lande entgegengebracht werden, dürfte es deshalb nicht ohne Intereſſe ſein, einen Blick auf die Marine von 1848 zu werfen, auf welche einſt die Augen des deutſchen Volkes mit ſo viel Liebe ſchauten und in deren ſchwarzrothgoldenem Banner ſich auch eine kurze Spanne Zeit ſeine Einheitsträume verwirklichen zu wollen ſchienen. Ein ſolcher Rückblick wird zwar das Eingangs Ausgeſprochene beſtätigen, daß man in Deutſchland wenig Begriff davon hatte, was zur Schaffung einer Flotte nöthig ſei, gleich -10*148Wernerzeitig aber auch darthun, was Thatkraft und Patriotismus in kurzer Zeit und unter den größten Schwierigkeiten zu ſchaffen vermochten, und er wird dazu beitragen, das Andenken derjenigen Männer im Volke lebendig zu erhalten, die damals in ſelbſtloſer Hingabe ungemein Großes leiſteten und denen das Land zu Dank verpflichtet iſt.
Mitte Mai 1848 trat in Frankfurt a / M. die deutſche Nationalverſammlung zuſammen. Sowohl unter dem Drucke der öffentlichen Meinung wie auch aus eigener Initiative war eine ihrer erſten politiſchen Thaten die Bildung eines Marine - ausſchuſſes mit dem practiſchen Hintergrunde einer Bewilligung von ſechs Millionen Thalern für die Gründung einer Flotte. Ob dieſe Bewilligung auch die Zahlung bedingte, darüber wurde man ſich freilich damals nicht klar. Der Hanſeatiſchen Energie ging es mit der Sache jedoch nicht ſchnell genug vorwärts. Hamburg erinnerte ſich, wie bereits bemerkt, der Thaten ſeiner Vorfahren; die Dänen ſollten ſofort von unſern deutſchen Küſten verjagt werden und am 8. Mai conſtituirte ſich dort ein Marinecomité, das aus den Chefs der drei großen Rhedereien Godeffroy u. Comp., Roſs Bidal u. Comp. und Sloman beſtand und es ſich zur Aufgabe machte, in kürzeſter Friſt dem Feinde eine See - macht entgegenzuſtellen.
Es handelte ſich zunächſt um die Beſchaffung von geeig - neten Schiffen und Perſonal. Die deutſche Küſte war blockirt; von außerhalb konnte kein Material hereingebracht werden und man mußte ſich im Inlande danach umſehen. Kurzer Ent - ſchluß führte zum Ankauf des dem Hauſe Godeffroy gehörigen dreimaſtigen Segelſchiffes gleichen Namens. Die Kaufſumme betrug nahe an 30,000 Thaler und Deutſchland war damit in den Beſitz einer „ Fregatte “gelangt, die auch ſofort „ Deutſch - land “getauft wurde. Darob großer Jubel und Enthuſiasmus149Die deutſche Marine 1848 — 1852im ganzen Lande; man erkannte, was Energie und feſter Wille vermochten. Die Beſchaffungskoſten wurden aus den eingegangenen freiwilligen Beiträgen beſtritten, die wenigſtens in den erſten Wochen der Sammlungen ziemlich reichlich gefloſſen waren. Der Enthuſiasmus erhöhte ſich noch, als der Rheder Sloman in ehrenvoll patriotiſcher Weiſe ſein dreimaſtiges Segelſchiff „ Frank - lin “dem Comité unentgeltlich zur Dispoſition ſtellte, und die Vorſtadt St. Pauli auf ihre Koſten ein Ruderkanonenboot bauen ließ.
Die „ Deutſchland “hatte für ein Schiff zwar ſchon ein ehrwürdiges Alter und durfte von ſich ſagen: „ Schier dreißig Jahre bin ich alt, “da ſie 1819 in Bombay das Licht der Welt erblickte, aber jedenfalls war ſie ſehr gut und vom beſten Oſtindiſchen Teakholz gebaut, größer als irgend eins der deut - ſchen Kauffarteiſchiffe und deshalb der Gedanke, ſie in ein Kriegs - ſchiff umzuwandeln, an und für ſich nicht ſo verkehrt. Nur beging man den großen Fehler, ſie „ Fregatte “zu taufen und da - durch die in Marineangelegenheiten ſo unkundigen Binnenländern glauben zu machen, es ſei ein den däniſchen Fregatten eben - bürtiges Schiff aus dem Boden geſtampft. „ Leichte Corvette “wäre eine anſpruchloſere aber paſſendere Bezeichnung dafür ge - weſen. Eine Fregatte, wie z. B. die „ Gefion “, war, abgeſehen von allen ſonſtigen Unterſchieden, damals noch einmal ſo groß, noch einmal ſo ſtark, wie die „ Deutſchland “und koſtete die zehn - fache Summe.
Ohne Zeitverluſt wurde ſeitens des Comité an die Um - wandlung der beiden Schiffe zu Kriegsfahrzeugen gegangen, allein ſchon jetzt kam ein empfindlicher Rückſchlag. Man ſah, daß das eigene Können überſchätzt war. Trotz des beſten Willens begegnete man bei der Arbeit den größten Schwierigkeiten, weil es gänzlich an Sachverſtändigen fehlte und in der Eile auch keine aus dem Auslande herangezogen werden konnten. Das alte Sprüchwort „ Viel Köpfe, viel Sinne “brachte ſich nach -150Wernertheilig zur Geltung und der Mangel an Sachkunde zeigte ſich beſonders in einer Ueberladung des Schiffes mit Geſchützen.
Nicht weniger als zwei und dreißig Geſchütze, davon vier - zehn 32-Pfünder — zur damaligen Zeit die ſchwerſten Kanonen der Segelfregatten — außerdem ſechs 18-Pfünder und zwölf 18-pfündige Karronaden (mit kürzerem, ſchwächerem Rohr und geringerer Pulverladung, als die gleichkalibrigen Kanonen) bilde - ten die Armirung, während das Schiff ſchon für die Hälfte dieſer Geſchütze zu klein und zu ſchwach war.
Erſt kurz vor Beendigung des Umbaues gelang es dem Comité, einen wirklichen Marineofficier in ſeine Dienſte zu ziehen. Es war ein Engländer, mit Namen Strutt; er hatte früher in der engliſchen Flotte als sailing master gedient, war aber ſchon ſeit längerer Zeit nicht mehr activ. Beſonders glücklich konnte man dieſe Wahl nicht nennen, denn viel Sachkunde brachte der neue Chef der Hamburger Marine nicht mit. Die sailing masters waren früher in der engliſchen Marine Officiere zweiten Ranges mit beſchränktem Avancement (Kapitäne konnten ſie nicht werden) und von den eigentlichen Seeofficieren über die Achſel angeſehen. Ihr Dienſt beſchränkte ſich lediglich auf die Navigi - rung des Schiffes, auf dem ſie ſich befanden; den militäriſchen Aufgaben ſtanden ſie aber ganz fremd, und ein ſolcher Mann, der plötzlich als Organiſator einer, wenn auch kleinen Marine auftreten ſollte, war deshalb deplacirt. Es dauerte auch nicht lange, bis ſeine Schwächen völlig erkannt wurden und er von der Schaubühne wieder abtreten mußte.
Mit der vollendeten Neueinrichtung der Schiffe erſtand eine andere Schwierigkeit. Die bereiten Mittel waren erſchöpft, die Sammlungen hatten aufgehört und man machte die Erfah - rung, daß, trotz aller Begeiſterung eines Volkes, aus freiwilligen Beiträgen ſich kaum ein wirkliches Kriegsſchiff geſchweige denn eine Flotte ſchaffen laſſe. Das Comité ließ ſich dadurch jedoch nicht entmuthigen. Im Hinblick auf die von der Nationalver -151Die deutſche Marine 1848 — 1852ſammlung bewilligten ſechs Millionen Thaler, wandte es ſich ſowohl an jene, wie auch an den Bundestag mit dem Antrage, drei kleine Handelsdampfer anzukaufen und zu armiren, um mit ihnen und den beiden Segelſchiffen einen Handſtreich auf das däniſche Blockadegeſchwader zu unternehmen.
Man ſieht, der alte unternehmende Geiſt ihrer Vorväter war noch nicht von den Hamburgern gewichen, aber der Marine - ausſchuß der Nationalverſammlung glaubte vorſichtiger ſein zu müſſen. Er zweifelte ſtark an dem Gelingen eines ſolchen Unter - nehmens, weil, abgeſehen von dem mangelhaften Material der Schiffe, er mit Recht auf das Fehlen geeigneter Führer, ſo wie auf den Umſtand hinwies, daß weder Officiere noch Mannſchaften mit den Geſchützen umzugehen verſtänden. Der Ausſchuß ver - hielt ſich deshalb gegen das Project ablehnend. Der Bundes - tag theilte dieſe Bedenken jedoch nicht. Ganz im Widerſpruch mit der ihm ſonſt eigenen übergroßen Ruhe und Bedachtſamkeit ging er ſofort auf die Vorſchläge des Hamburger Comités ein und überwies dem letzteren am 6. Juni 1848 und zwar ohne Wiſſen des Marineausſchuſſes die verlangte Summe von 300,000 Thalern. Dies Verfahren kennzeichnete allerdings ſchon zur Genüge den Stand der Dinge in Frankfurt und illu - ſtrirte die „ Einheit “des deutſchen Reichs. Das Geld wurde dem Feſtungsbaufonds entnommen, denn von den ſechs Millio - nen Thalern war noch nichts vorhanden. Die Nationalver - ſammlung hatte ſie decretirt, aber die Eincaſſirung machte zu große Schwierigkeiten.
Für jene 300,000 Thaler wurden Ende Juni drei Dampf - ſchiffe der Hamburg-Huller Dampfſchiffahrtgeſellſchaft angekauft, armirt und ausgerüſtet und ſie erhielten die Namen „ Hamburg “, „ Bremen “und „ Lübeck “. Zwei von den früheren Kapitänen dieſer Dampfer — beide Engländer — wurden mit übernommen, ebenſo das Maſchinenperſonal. Die Stellen der noch fehlenden Officiere beſetzte man mit Kapitänen und Steuerleuten aus der152Wernerdeutſchen Handelsflotte. Es meldete ſich eine ſolche Menge, daß unter den tüchtigſten und intelligenteſten eine Wahl getroffen werden konnte und im allgemeinen wenig Mißgriffe gemacht wurden. Die Werbung der Matroſen machte mehr Schwierig - keiten und die Schiffe hatten keineswegs volle Beſatzungen. Da indeſſen ſehr bald die Unterhandlungen wegen eines Waffenſtill - ſtandes begannen und dieſer ſchon Ende Auguſt in Malmö auf ſieben Monate abgeſchloſſen wurde, mäßigte ſich damit auch die bisherige Eile der Flottenrüſtungen. Sie verfielen in ein lang - ſameres Tempo, und um ſo mehr, als mit dem Einſetzen einer deutſchen Centralgewalt und der Schaffung eines Reichsmini - ſteriums auch die Angelegenheit der deutſchen Flotte aus den Händen des Hamburger Comité’s in die des neuen Reichs - miniſteriums überging, wenngleich dieſes Uebergangsſtadium mehrere Monate beanſpruchte und erſt im October been - det war.
Anfang October wurden die Schiffe der Hamburger Flo - tille von einer Reichscommiſſion, der auch ein engliſcher Marine - Ingenieur angehörte, behufs Uebernahme auf ihren Zuſtand unterſucht, jedoch fiel der Bericht nicht ſehr glänzend aus. Der - ſelbe hob hervor, daß die „ Deutſchland “nicht fünf Minuten lang dem Angriffe der Breitſeite einer ſchweren Corvette zu widerſtehen vermöge. Der „ Franklin “wurde überhaupt nach jeder Richtung als zu ſchwach für ein Kriegsſchiff gefunden, von ſeiner Uebernahme deshalb von vornherein abgeſehen und das Fahrzeug mit Dank ſeinem patriotiſchen Eigenthümer Sloman zurückgegeben.
Die drei Dampfcorvetten ſtellten ſich ebenfalls als ſehr mangelhaft heraus. Die Commiſſion befürwortete nur deshalb ihre Uebernahme, weil bereits ſo viel Geld dafür verausgabt war und der eingetretene Waffenſtillſtand ſie während des Win - ters ſo umzubauen und zu verſtärken erlaubte, daß ſie im näch - ſten Frühjahre ziemlich kriegstüchtig ſein konnten.
153Die deutſche Marine 1848 — 1852So gingen denn im October 1848 die Anfänge der deut - ſchen Flotte, die allerdings noch vieles zu wünſchen übrig ließen, in den Beſitz des Reiches über. Die ſchwarzrothgoldene Flagge mit dem Reichsadler entfaltete ſich an ihren Gaffeln und der Gedanke deutſcher Seemächtigkeit ſchien ſich ſeiner Verwirklichung nähern zu wollen. Daß dies vorläufig nur ein frommer Wunſch bleiben, daß der eingeſetzten Centralgewalt nicht ſehr bald die definitive Geſtaltung einer einheitlichen ſtarken Reichsregierung folgen würde, glaubten damals noch Wenige befürchten zu müſſen.
Im Reichsminiſterium befand man ſich indeſſen der zu - künftigen deutſchen Flotte gegenüber in nicht geringer Verlegen - heit. Es war Niemand da, der auch nur das geringſte Ver - ſtändniß von der Organiſation einer Marine gehabt hätte, und doch verlangte das Volk, daß beim Wiederausbruch des Krieges im nächſten Frühjahre die ſchwarzrothgoldene Flagge dem Danne - brog auf dem Meere entgegentreten und ihn von unſeren Küſten verjagen ſollte. Man forſchte im In - und Auslande nach ge - eigneten Perſönlichkeiten, namentlich deutſcher Nationalität, denen man die Marineangelegenheiten übertragen könne, allein lange Zeit vergebens. Der öſterreichiſche Admiral Sourdeau, den man zuerſt im Auge hatte, antwortete nicht einmal auf das deshalb an ihn gerichtete Schreiben des Reichsminiſters Schmerling, ſeines Landsmannes, ein Umſtand, der durchblicken ließ, wie Oeſterreich ſich zum zukünftigen deutſchen Reich zu ſtellen beab - ſichtigte. Nordamerika, der einzige auswärtige Staat, der über - haupt die deutſche Centralgewalt anerkannte, war geneigt, einen höheren Marineofficier nach Frankfurt zu ſenden, aber darüber mußten, wegen der Entfernung, noch Monate vergehen, während es nöthig war, daß Jemand ſofort die Angelegenheit in die Hand nahm, um die einleitenden Schritte zu thun.
Der Bremer Großkaufmann Duckwitz war als Reichs - Handelsminiſter berufen. Weil er ſich als Bremer natürlich lebhafter für Schiffahrtsangelegenheiten intereſſirte und man ihm154Wernerauch mehr Kenntniß nautiſcher Dinge zutraute, als den übrigen Miniſtern, ſo wurde ihm die Marine übertragen. Es fiel ihm eine ſchwere, undankbare Aufgabe zu; aber er unterzog ſich der - ſelben mit patriotiſcher Hingebung und die Gerechtigkeit erfordert, anzuerkennen, daß er trotz der großen entgegenſtehenden Schwie - rigkeiten in der kurzen Zeit ſeiner Amtsführung (bis Mai 1849) ungemein viel geſchaffen und der deutſchen Marine eine Grund - lage gegeben hatte, die ſich, wenn es erſterer vergönnt geweſen, ſich darauf emporzubauen, als eine gute und ſolide bewährt haben würde.
Duckwitz erinnerte lebhaft an jene alten Patriciernaturen, wie ſie uns in der ruhmvollen Geſchichte der Hanſa ſo glänzend entgegentreten; vornehme Männer, aber practiſche kluge Kauf - leute, zugleich gewiegte Diplomaten und wenn es ſein mußte, tapfere und geſcheite Heerführer zu Waſſer und zu Lande, die zu ſiegen oder zu ſterben wußten, ſtets und überall als leuch - tendes Beiſpiel vorangehend und auf jedem Poſten, den das Vertrauen ihrer Mitbürger ihnen übertrug, Großes leiſtend.
Als Hauptaufgabe betrachtete der neue Marineminiſter die Heranziehung von ſachkundigen Männern, welche bei der Or - ganiſation mitwirken konnten. Er wandte ſich zunächſt an den Geſandten der Vereinigten Staaten und erhielt bei deren freund - lichen Geſinnungen für Deutſchland auch ſogleich bereitwillige Zuſage für die Sendung eines hervorragenden Marineofficiers. Sein zweiter Schritt war durch Vermittlung des Erzherzog - Reichsverweſers den Prinz Adalbert von Preußen zu einer thäti - gen Theilnahme an dem Organiſationswerke zu vermögen.
Dieſer ritterliche Hohenzoller hatte ſeit ſeiner früheſten Jugend das größte Intereſſe für Marineangelegenheiten an den Tag gelegt und ſich nicht nur mit dem Studium derſelben auf das eingehendſte beſchäftigt, ſondern war, wo ſich ihm irgend die Gelegenheit bot, bemüht geweſen, das Seeweſen nach allen Rich - tungen auch practiſch kennen zu lernen. Sein Enthuſiasmus155Die deutſche Marine 1848 — 1852für das letztere war ſo groß, daß er als funfzehnjähriger Knabe von Stralſund aus mit einem Vertrauten auf eigene Fauſt in einem größeren Segelboote eine Seereiſe nach Schweden unter - nommen haben ſoll, ſo daß die Eltern durch ſein ſpurloſes Ver - ſchwinden in die größte Trauer verſetzt wurden, bis er durch ſeine Rückkunft die Beſorgniſſe zerſtreute und ſich Verzeihung für ſeine Eigenmächtigkeit erwirkte. Einige Jahre ſpäter er - hielt der junge Prinz die Erlaubniß, eine längere Seereiſe auf einer ſardiniſchen Fregatte nach Braſilien und zurück zu machen. Dadurch gewann er einen genauen Einblick in das Kriegsſchiffs - weſen, und bei ſeinen hervorragenden Geiſtesgaben konnte es nicht fehlen, daß er ſich das Verſtändniß deſſelben völlig zu eigen machte. Er war in Deutſchland der einzige Mann, der ein competentes Urtheil in Marineſachen beſaß und bei Begründung einer deutſchen Flotte konnte deshalb nichts erwünſchter ſein, als den Prinzen, deſſen Specialwaffe die Artillerie war, mit welcher die Marine als Waffe vornehmlich zu rechnen hatte, an ihrer Spitze zu ſehen; nur ließ ſich für die Verwirklichung dieſer Idee leider ſehr ſchwer eine Form finden.
Als königlicher Prinz konnte er weder ſelbſt Miniſter ſein, noch irgend eine amtliche Stellung unter einem Miniſter beklei - den. Guter Rath war theuer, jedoch gelang es dem findigen Geiſte des Marineminiſters auch dieſe Schwierigkeit glücklich zu beſeitigen und in Uebereinſtimmung mit dem Prinzen, der mit Freuden bereit war, ſeine Kräfte dem Vaterlande zu weihen, dem Letzteren bei Geſtaltung der Marine eine entſprechende Mit - wirkung zu ſichern.
Duckwitz reichte unter dem 30. October 1848 dem Erz - herzog-Reichsverweſer einen Vorſchlag ein, bis zur definitiven Geſtaltung der Reichsgewalt, die man damals noch in nicht zu ferner Zeit als beſtimmt vorausſetzte, zwei Behörden zu bilden, welche befähigt und befugt ſeien, ſolche Vorbereitungen und Ein - leitungen zu treffen, daß die definitive Organiſation der Marine156Wernermit der der Reichsgewalt zugleich in’s Leben treten könne. Dieſe Behörden waren eine Marine-Abtheilung und eine techniſche Marine-Commiſſion.
Die aus einigen Räthen und Schreibern beſtehende Marine - Abtheilung ſollte unter Verantwortlichkeit des Miniſters das Rechnungsweſen und die Verwaltung beſorgen, wozu auch der Ankauf von Schiffen und Material gehörte, der jedoch nicht ohne Billigung der techniſchen Commiſſion erfolgen durfte.
Als Aufgaben der letzteren wurden dagegen hauptſächlich die nachſtehenden bezeichnet:
Der Erzherzog-Reichsverweſer genehmigte dieſe Anträge, und damit war der richtige Weg eingeſchlagen, um dem zum Vorſitzenden der techniſchen Commiſſion ernannten Prinzen Adal - bert von Preußen einen maßgebenden Einfluß auf die zukünftige Geſtaltung der deutſchen Flotte üben zu laſſen und ſeine reich - haltigen maritimen Kenntniſſe zu ihren Gunſten zu verwerthen, ohne durch ſeine exceptionelle Stellung als königlicher Prinz be - hindert zu ſein.
Inzwiſchen hatte man noch andere höhere Marineoffi - ciere, davon zwei geborne und einen naturaliſirten Deutſchen ermittelt und Duckwitz ſie zum Eintritt in die techniſche Com - miſſion bewogen. Es waren dies der in griechiſchen Dienſten befindlich geweſene Kapitän Brommy oder Bromme, ein gebor - ner Leipziger, der Kapitän Donner, früher in däniſchen, damals in ſchleswig-holſteiniſchen Dienſten und der Kapitänlieutenant Schröder, von Geburt ein Holländer, ſeit einigen Jahren aber157Die deutſche Marine 1848 — 1852als Director des preußiſchen Navigationsſchulweſens in preußiſchen Dienſten ſtehend. Außerdem wurden aus dem Marineausſchuß der Nationalverſammlung noch General v. Radowitz, Major Tei - chert und einige andere Perſönlichkeiten, ſo wie der engliſche Marine - Ingenieur Morgan, der Major von Wangenheim, der öſterreichi - ſche Oberſt von Kudriaffsky und endlich die Waſſerbaudirectoren Hübbe und Blome der Commiſſion beigegeben, ſo daß in ihr Seeofficiere, Infanterie, Artillerie und Waſſerbau ſich vertreten fanden und ſie leiſten konnte, was unter den obwaltenden Ver - hältniſſen möglich war.
In die Marine-Abtheilung berief Duckwitz als Räthe Kerſt und Jordan ſo wie ſpäter noch den hannoverſchen Hauptmann Marcard. Kerſt war mit Marineangelegenheiten von früher her ſchon etwas vertraut, da er als Artillerieofficier auf einem braſi - lianiſchen Kriegsſchiffe einen achtmonatlichen Krieg gegen Buenos - Ayres mitgemacht hatte. Auf Jordan wurde Duckwitz durch das rege Intereſſe aufmerkſam, welches jener im Marineausſchuß für die Flottenangelegenheiten an den Tag legte. Jedenfalls be - wieſen die nachherigen Leiſtungen dieſer beiden Männer, welche nach dem Rücktritt von Duckwitz als die Seele der Marinever - waltung gelten konnten, daß der letztere mit ihrer Wahl einen ſehr glücklichen Griff gethan hatte.
Jede der beiden neugeſchaffenen Behörden widmete ſich mit vollſtem Eifer ihren Aufgaben und war bemüht, ihren Wirkungs - kreis, ihre Beziehungen nach außen und unter ſich, ſo wie den Geſchäftsgang feſtzuſtellen. Dabei traten nun zwar ſogleich große Mängel in der getroffenen Organiſation zu Tage, aber der gute Wille beſeitigte bald alle vorhandenen Schwierigkeiten. Das Hauptaugenmerk richtete man auf die Beſchaffung von brauch - baren Streitmitteln, um beim Wiederausbruch des Krieges den Dänen wirklich entgegentreten zu können.
Es wurden deshalb zunächſt die nothwendigen Umbauten der Schiffe der Hamburger Flotille angeordnet und auch ſo ge -158Wernerfördert, daß wenigſtens die beiden Dampfer „ Hamburg “und „ Lübeck “im April 1849 ſee - und kriegsbereit waren. Mit der „ Bremen “dauerte es einige Monate länger, weil es ſich herausſtellte, daß auch deren Dampfkeſſel einer Erneuerung be - durfte. Von einer activen Verwendung der „ Fregatte “Deutſch - land wurde jedoch abgeſehen. Die techniſche Commiſſion gewann ſehr bald die Ueberzeugung, daß ſie als Kriegsſchiff im Ernſt - falle und als Gegner von däniſchen Linienſchiffen und Fregatten völlig unzulänglich ſei. Man nahm ihr deshalb ſpäter die Ueberzahl der Geſchütze, mit der ſie ausgerüſtet war, und be - ſtimmte ſie zum Schulſchiffe für die Kadetten oder Seejunker, wie erſtere in der deutſchen Marine hießen, wozu ſie ſich aller - dings ſehr gut eignete.
Ein weiterer Schritt des thatkräftigen Duckwitz war die auf Vorſchlag der Commiſſion erfolgende Beſchaffung von mehr Schiffen. Da in Deutſchland alle Vorausſetzungen dafür fehlten, konnte dies natürlich nur im Auslande geſchehen, obwohl dem Reichsminiſterium von beſchränkten Localpatrioten Vorwürfe ge - nug gemacht wurden, daß das Geld nicht im Lande bliebe. Man richtete die Blicke auf Nordamerika und England. Beide Länder beſaßen eine Reihe von großen Poſtdampfern, die nach den beſtehenden Landesgeſetzen gleich ſo gebaut werden mußten, daß ſie bei Ausbruch eines Krieges mit geringen Aenderungen als Kriegsſchiffe gebraucht werden konnten. Es wurde deshalb beſchloſſen, drei ſolcher großer Schiffe anzukaufen und drei andere, eine große und zwei kleinere Dampfcorvetten, in England in Bau zu geben, deren Fertigſtellung man bis zum Juni 1849 contrahiren wollte.
Man entſandte ſofort die nöthigen Techniker nach England, und dieſe kauften noch vor Schluß des Jahres die beiden der Cunard-Linie gehörigen und zu Dampffregatten geeigneten trans - atlantiſchen Poſtſchiffe „ Britannia “und „ Acadia “, ebenſo wie ſie den Contract zum Bau von einer größeren und zwei kleine -159Die deutſche Marine 1848 — 1852ren Dampfcorvetten, alle drei zum Juni 1849 lieferbar, ab - ſchloſſen. Eine dritte ſehr große Dampffregatte, die United States, wurde in New-York angekauft. Auf Erſuchen der Reichs - regierung geſtattete der nordamerikaniſche Marineminiſter nicht nur, daß ein Officier der dortigen Marine den Umbau des Dampfers zu einem Kriegsſchiffe leitete, ſondern auch, daß die amerikaniſchen Arſenale alle Bedürfniſſe wie Geſchütze, Muni - tion ꝛc. lieferten.
Mehr Vorſicht mußte bei den in England gekauften Schiffen beobachtet werden, um nicht gegen die engliſchen Neutralitätsge - ſetze zu verſtoßen, um ſo mehr, als die engliſchen Sympathien nicht auf deutſcher, ſondern auf däniſcher Seite lagen. Da „ Britannia “und „ Acadia “wegen der Eisverhältniſſe noch nicht nach der Weſer abgehen konnten, wurden ſie, um keine Zeit zu verlieren, in England im Innern für ihre zukünftige Beſtim - mung umgebaut. So discret dies auch geſchah, blieb es dem Auge der däniſchen Agenten nicht verborgen und Dänemark ſetzte bei der engliſchen Regierung alle Hebel an, um den Ab - gang der Schiffe zu hindern. Ehe jedoch jene die darauf bezüglichen Befehle ertheilte, kam die Reichsregierung ihr dadurch zuvor, daß die Schiffe Ende Februar 1849 Ordre erhielten, ſofort nach der Weſer abzugehen. Sie hatten weder Geſchütze noch Munition; die im Innern vorgenommenen Aenderungen konnten ebenſogut anderen, als Kriegszwecken gelten; ihre Be - ſatzung hatte eine normale Zahl und beſtand aus Engländern; es vermochten deshalb die Behörden keinen legalen Grund für die Zurückhaltung zu finden und mußten ſie ungehindert ziehen laſſen.
So weit war alles gut gegangen, allein nun begann eine Reihe von Unglücksfällen und Gegenſchlägen, die wohl ge - eignet waren, einem weniger energiſchen Manne, als Duckwitz es war, allen Muth zu nehmen. Zunächſt langte zwar die „ Britannia “glücklich auf der Weſer an, aber die „ Acadia “nur mit160Wernerſchwerer Havarie. Durch Unkenntniß ihres engliſchen Lootſen war ſie auf Terſchelling feſt gekommen, und man konnte es als ein beſonderes Glück anſehen, daß ſie nicht gänzlich ver - loren gegangen war. Ihre Beſchädigungen ſtellten ſich jedoch als ſo bedeutend heraus, daß eine Grundreparatur nöthig wurde, die ſich nur in einem Trockendock ausführen ließ. Docks von einer Größe, um ſo lange Schiffe wie die „ Acadia “aufzunehmen, beſaß Deutſchland damals noch nicht. Es mußte deshalb bei Brake erſt ein ſolches proviſoriſch ausgegraben werden, und da - mit war zugleich ausgeſprochen, daß die „ Acadia “, jetzt in „ Erzherzog Johann “umgetauft, während die „ Britannia “den Namen „ Barbaroſſa “erhielt, vor Ablauf eines Jahres nicht wieder ſeefertig gemacht werden konnte.
Das war ein höchſt unangenehmer Strich durch die Rech - nung; aber mit deſto mehr Energie wurde nun an die Ein - richtung und Ausrüſtung des „ Barbaroſſa “gegangen. Man wollte wenigſtens dies Schiff rechtzeitig fertig ſtellen, doch auch hier ging alles quer. Geſchütze, Munition und die ſonſtige in England beſchaffte Kriegsausrüſtung für „ Barbaroſſa “und „ Erzherzog Johann “waren in einem Segelſchiffe verladen, das im Februar nach der Weſer abging, aber, durch Havarie ge - zwungen, wieder nach England zurückkehren mußte. Nun ver - packte man die Gegenſtände in drei andere Schiffe, aber als dieſe ſegelfertig waren, hatten die Dänen wieder die Blockade der deutſchen Küſten eröffnet. Trotzdem erreichten zwei der Schiffe noch mit Noth ihre Beſtimmung, während das dritte nach England zurückging. Hier wurden die Sachen abermals gelöſcht und dann über Oſtende nach Bremerhafen geſchickt, ſo daß faſt der Monat Mai darüber hinging, bis endlich die Ein - richtung des „ Barbaroſſa “vollendet werden konnte.
Mußten dieſe Gegenſchläge ſchon höchſt niederdrückend wir - ken, ſo war die Enttäuſchung, welche Duckwitz mit Bezug auf die faſt ſicher erhoffte Acquiſition fremdländiſcher Marineofficiere161Die deutſche Marine 1848 — 1852erfuhr, noch bei weitem ſchmerzlicher. Wie oben bemerkt, hatte er ſich gleich bei Antritt ſeines Amtes an den Präſidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika wegen Entſendung eines höheren Marineofficiers nach Frankfurt gewandt. Dieſem Wunſche war auch auf das Bereitwilligſte entſprochen worden und der Commodore Parker traf Ende Januar in Frankfurt ein, nicht allein, um bei der Organiſation der deutſchen Flotte werth - vollen Rath zu ertheilen, ſondern auch im Auftrage des Präſi - denten nach den beſonderen Wünſchen der deutſchen Centralge - walt und danach zu fragen, wie viel Officiere der amerikani - ſchen Marine, von welchem Range, auf wie lange Zeit und unter welchen Bedingungen dieſelben verlangt würden.
Somit konnte der Reichsmarineminiſter nicht anders an - nehmen, als daß Deutſchland über den ſchwierigſten Punkt bei Gründung einer Marine, über die Officiersfrage glücklich fort ſei. Nach eingehender Berathung mit Commodore Parker wünſchte Duckwitz vierzig Officiere verſchiedener Grade, darunter einen Commodore, der als Contreadmiral in deutſche Dienſte und an die Spitze der Marine treten ſollte, ſowie einen Marine - ſchiffbau-Ingenieur von Ruf. Wenn es nicht auf länger mög - lich ſei, wurde ihre Dienſtleiſtung auf neun Monate erbeten und ihnen Gehalt, ſowie eventuell Penſion nach amerikaniſchen Sätzen zugeſichert.
Dieſen Antrag hatte Duckwitz am 25. Januar 1849*S. Beantwortung der Interpellation des Abgeordneten von Reden an das Reichsminiſterium, die Wirkſamkeit der Marineabtheilung betreffend am 30. April 1849 von dem Reichsminiſter des Handels. (Ueber die Gründung der deutſchen Kriegsmarine von A. Duckwitz. Bremen 1849.) ſchriftlich an Parker gerichtet und zwar mit deſſen vorbehaltlicher Zuſtimmung. Er durfte deshalb wol mit Recht die baldige und ſichere Ankunft der gewünſchten Officiere erwarten. Wie niederſchmetternd war aber die Erfahrung, als ſtatt der Offi -R. Werner, Erinnerungen. 11162Wernerciere durch den deutſchen Geſandten in Waſhington, von Rönne, die ihm amtlich mitgetheilte Abſchrift eines Berichtes vom Commodore Parker einging, den dieſer am 24. Januar, alſo einen Tag vor Entgegennahme des von Duckwitz verfaßten und mit ihm verabredeten Antrags, an ſeinen Marineminiſter Maſon eingereicht hatte.
In dieſem Berichte wurde die deutſche Flotte höchſt abfällig beurtheilt. Es ſei bis jetzt nur ſehr wenig geſchehen, hieß es darin, und nicht einmal Geſetze über die Marine ſeien erlaſſen worden. Dann wurden die geringen Streitkräfte Deutſchlands im Gegenſatze zur däniſchen Seemacht aufgezählt, die Parker in höchſt übertriebener Weiſe auf 1035 Kanonen mit 9755 Mann berechnete. Er erwähnte dabei unter anderen fünf Linienſchiffe mit je 84 Kanonen, die allerdings in der däniſchen Marine - liſte auf dem Papier figurirten, von denen aber nur eins, der ſpäter bei Eckernförde in die Luft geflogene Chriſtian VIII. als dienſttauglich in Betracht kommen konnte.
„ Ich ſehe, “fährt Parker dann in ſeinem Berichte fort, „ daher kein Feld, auf welchem amerikaniſche Officiere Ehre für ſich oder ihr Land gewinnen könnten. Bei dieſer Sachlage ſcheint es mir unweiſe zu ſein, daß amerikaniſche Officiere irgend etwas mit Deutſchland zu thun haben, bis die Centralgewalt definitiv errichtet iſt, es ſei denn im Wege des guten Rathes. “
Mit Recht ſagt Duckwitz über dieſes Schreiben: „ Herr Parker iſt alſo von der Anſicht ausgegangen, daß nur in dem Falle amerikaniſche Officiere in unſere Dienſte treten könnten, wenn unſere Flotte eben ſo groß wäre, wie die däniſche. In dieſem Falle würden wir aber amerikaniſcher Officiere nicht be - dürfen. Es handelte ſich grade um Bildung der Anfänge einer Flotte; nur zu dieſer fehlten uns die Officiere und die Organi - ſatoren. “
Mit Bezug auf den Mangel an Geſetzen über die Marine hatte Parker freilich Recht und war dies nur eine Conſequenz163Die deutſche Marine 1848 — 1852der zerfahrenen deutſchen Verhältniſſe. Man wartete von Woche zu Woche auf eine definitive Geſtaltung des Reichs und damit auch auf die Emanirung der betreffenden Geſetze über Wehr - pflicht, Rang - und Soldverhältniſſe, Invalidenverſorgung u. ſ. w. Nach dieſer Richtung ließ ſich deshalb gegen ſeinen Bericht nichts einwenden, nur war das Benehmen Parkers ſelbſt in Behandlung der Angelegenheit durchaus kein loyales und hätte eine härtere Beurtheilung verdient, als Duckwitz ihm zu Theil werden ließ.
Eine weitere höchſt unangenehme Folge des Berichtes war noch der verzögerte Abgang der „ United States. “ Die Regie - rung in Waſhington ſtellte ſich nämlich jetzt plötzlich auf den Standpunkt ſtricter Neutralität. Die Erlaubniß, den Kriegsbe - darf des Schiffes aus dem Arſenal der Marine zu beziehen, wurde zurückgenommen und ſo mußten alle Gegenſtände auf Privatwege beſchafft werden. Außerdem wurde auch noch der Abgang des Schiffes überhaupt beanſtandet und nach langen Verhandlungen nur gegen eine Bürgſchaft von 300,000 $ ge - ſtattet, um eine Garantie zu haben, daß das Schiff keinen feind - ſeligen Act gegen eine mit Nordamerika in Frieden befindliche Nation beginge.
Alles dies hatte ſo viel Zeit in Anſpruch genommen, daß die „ United States “(ſpäter in „ Hanſa “umgetauft) nicht zur beſtimmten Zeit eintreffen konnte. Anfänglich war der Termin ihrer völligen Fertigſtellung und ihres Abganges auf den 15. Mai verabredet worden und das Schiff ſollte dann, vollſtändig kriegsmäßig eingerichtet, aber als Handelsſchiff mit Geſchützen und Munition als Ladung, ſowie mit der vollen Beſatzung und den erwarteten vierzig Officieren als Paſſagiere, nach Deutſch - land abgehen und noch vor Ende des Waffenſtillſtandes dort eintreffen. Dieſer Plan war nun vereitelt. Die „ Hanſa “ging zwar im April von Amerika ab, kam aber nur bis England, weil inzwiſchen wieder die Blockade eingetreten war. Deutſch -11*164Wernerland gelangte erſt im Spätherbſt 1849 in den wirklichen Beſitz des Schiffes.
Das war viel Unglück auf einmal, aber es kam noch ande - res hinzu, um die gehegten Hoffnungen auf ein zum Frühjahr kriegsbereites deutſches Geſchwader gründlich zu zerſtören.
Die preußiſche Regierung weigerte ſich, den Anträgen der Centralgewalt Folge zu leiſten und ihre Poſtdampfſchiffe „ Preußiſcher Adler “und „ Eliſabeth “zur Dispoſition zu ſtellen und gab außerdem die Erklärung ab, daß die ihr gehörigen Kriegsſchiffe und Kanonenboote nicht die ſchwarzrothgoldene, ſondern die preußiſche Flagge führen würden. Das war wol der härteſte Schlag, den die junge deutſche Flotte empfing und ſah einem Todesſtreich erſchreckend ähnlich.
Auf materiellem Gebiete ſtellten ſich die Sachen nicht günſtiger.
Die von der Nationalverſammlung für Gründung einer Flotte bewilligten ſechs Millionen Thaler ſollten in zwei Raten, am 1. October 1848 und am 1. Mai 1849 eingezahlt werden. Oeſterreich weigerte jedoch überhaupt Zahlung; Bayern, Sach - ſen, Luxemburg und Limburg blieben im Rückſtande. Ebenſo behielt Preußen ſeine zweite fällige Rate zur Deckung der Koſten für die 1848 übernommene Geſtellung von 39 Kanonenbooten ein. Die letzteren waren fertig, aber wie Preußen die Führung der deutſchen Flagge verweigerte, hielt es auch die Kanonenboote von der Reichsflotte und für ſich zurück.
So ſchmolzen die bewilligten ſechs Millionen auf 2½ Mil - lionen zuſammen und die Marineverwaltung, welche bereits drei Millionen verausgabt, befand ſich im Mai mit einer halben Million im Vorſchuß, die vorläufig aus anderen Fonds ent - nommen wurden. Die geſammten freiwilligen Beiträge Deutſchlands hatten noch nicht einmal die Höhe von 100,000 Thalern erreicht.
Daß unter ſolchen Umſtänden die leitenden Perſönlichkeiten,165Die deutſche Marine 1848 — 1852vor allem aber Duckwitz, auf deſſen Schultern die ganze Ver - antwortung ruhte, nicht alle Luſt verloren, ſondern mit unge - brochenem Muthe weiter arbeiteten, beweiſt mehr als alles andere ihren Patriotismus, ihre Thatkraft und Selbſtloſigkeit.
Neben dem Ankauf und contrahirten Bau von größeren Kriegsſchiffen hatte die Reichsmarineverwaltung aber auch die Küſtenvertheidigung in’s Auge gefaßt und war mit derſelben ebenſo energiſch vorgegangen. Von der techniſchen Commiſſion waren nebſt einer Anzahl von Küſtenbatterien auch achtzig Kano - nenboote zum Küſtenſchutze als erforderlich erachtet worden. Preußen hatte bereits den Bau von 39 Kanonenbooten, Schles - wig-Holſtein den von zwölf eingeleitet. Einige ſolcher Fahrzeuge wurden von Städten geſchenkt und der Reſt von der deutſchen Marineverwaltung in Bau gegeben. Zum Frühjahr 1849 waren dieſe Boote bis auf die Armirung fertig.
Zur Lieferung der Geſchützrohre, ſowol für die Kanonen - boote wie für die Küſtenbatterien waren auch deutſche Eiſen - gießereien aufgefordert, um nach dieſer Richtung die Marine vom Auslande unabhängig zu machen. Zwei derſelben, die Fabrik von Frerichs u. Comp. in Rönnebeck und die Sayner Hütte, erboten ſich zur Lieferung. Mit der erſten wurde con - trahirt, außerdem mit einer Lütticher Fabrik. Die Laffetten gab man in Hamburg auf und die preußiſche Regierung übernahm die Lieferung von Geſchoſſen ꝛc. Die Lütticher lieferten recht - zeitig und gut, die Rönnebecker dagegen nicht. Bei der erſten Lieferung ſprangen beim Probeſchießen mehrere Geſchütze; es mußte daher die ganze Lieferung caſſirt werden, weshalb ſich die Schlagfertigkeit der Kanonenboote nicht zur beſtimmten Zeit erreichen ließ.
Am 10. Februar 1849 waren von der techniſchen Com - miſſion die ihr geſtellten Aufgaben vollendet und ſie löſte ſich auf. Während ihrer faſt dreimonatlichen Thätigkeit hatte ſie durch ihre Arbeiten auf dem Gebiete der Organiſation, durch166Wernerdie von ihr entworfenen Reglements und ihre Gutachten unge - mein viel Gutes geleiſtet und dadurch der jungen Marine einen feſten inneren Halt gegeben. Es waren Dienſtvorſchriften er - laſſen, ein Geſchützexercirreglement ausgearbeitet, Beſtimmungen über die Uniformirung gegeben und eine Disciplinar-Strafordnung geſchaffen worden, die bis auf geringe Aenderungen, welche 1870 bei Reviſion der Militärſtrafrechtspflege gemacht wurden, noch heute in der Reichsmarine gilt. Mit dem Auseinandergehen der Commiſſion erwuchſen der Marineverwaltung jedoch neue Schwierigkeiten.
Von den als ihre Mitglieder fungirenden Seeofficieren ging Commodore Schröder in preußiſche, Kapitän Donner in ſchles - wig-holſteiniſche Dienſte zurück, und ſo blieb als einziger wirk - licher Seeofficier nur der Kapitän Brommy übrig. Wahrlich ein ſchlimmeres Zuſammentreffen von ungünſtigen Umſtänden, zu denen noch die gänzlich unſicheren politiſchen Zuſtände des Reichs traten, konnte für die junge deutſche Marine kaum ge - dacht werden. Sie war ein wahres Schmerzenskind und wurde unter den trübſeligſten Verhältniſſen geboren.
Als Duckwitz die Marine im October übernahm, glaubte ſelbſt er, der nüchterne, practiſche Mann, an eine ſehr baldige definitive Geſtaltung der Reichsregierung. Statt deſſen zögerte ſich dieſelbe von Monat zu Monat hin, und als das Miniſte - rium Gagern und mit ihm Duckwitz Anfangs Mai 1849 zurücktrat, da hatte auch er wol ſchon längere Zeit allen Glau - ben an ein einiges deutſches Reich verloren; aber bis zum letz - ten Augenblicke verzweifelte er wenigſtens noch nicht an der Marine. Er hoffte, daß wenn nur erſt eine Anzahl brauch - barer Kriegsſchiffe angeſchafft, armirt, bemannt und damit ein feſter Kern gegeben ſei, ſich das ſo ohne weiteres nicht wieder fortwiſchen laſſe und daß ſich irgend eine Form finden werde, die neue und vor allen Dingen ſo nöthige Waffe dem Vater - lande zu erhalten. Deshalb ließ Duckwitz ſich durch keine167Die deutſche Marine 1848 — 1852Gegenſchläge entmuthigen, ſondern ſtrebte unbeirrt dem Ziele zu, das er ſich geſteckt.
Es war inzwiſchen eine ſolche Maſſe Materials jeder Art für die Marine beſchafft worden und bei Bremerhafen zuſammen - gefloſſen, daß nothwendiger Weiſe eine beſondere Verwaltung da - für in das Leben treten und ein Seezeugmeiſteramt für die Nordſee geſchaffen werden mußte.
Die Organiſation dieſer Behörde konnte, als der Haupt - ſache nach rein techniſcher Natur, nur durch einen dazu geeig - neten Seeofficier geſchehen und ebenſo mußte ihr Chef wenigſtens anfänglich ein Seeofficier ſein. Außer Kapitän Brommy war kein ſolcher vorhanden und er im Miniſterium beſchäftigt. So dringend erwünſcht aber auch ſein Verbleiben in dieſer Behörde war, mußte dennoch die practiſche Seite vorgehen. Er wurde deshalb von Duckwitz nach Bremerhafen geſandt, um nicht allein die Seezeugmeiſterei zu organiſiren, ſondern auch das active Commando über die ganze Marine zu übernehmen, Officiere und Mannſchaften zu ſchulen, die letzteren zu discipliniren und auch die Fertigſtellung der Schiffe zu betreiben.
Das Miniſterium mußte indeſſen für ſich ſelbſt ſorgen. Kerſt und Jordan waren jedoch ſo gute Kräfte, gleich von vorn - herein mit ſo gutem Willen an die Sache herangegangen und hatten ſich ſo trefflich in ſie hineingearbeitet, daß alles glatt ging und Brommy’s Fortgang nicht ſo empfunden wurde, wie man anfangs gefürchtet. Für Brommy waren die ihm über - tragenen Functionen nahezu erdrückend. Wenn er ſich denſelben auch willig unterzog und ſie mit eben ſo großem Eifer wie Ge - ſchick und Thatkraft in Angriff nahm, ſo konnte er doch allein auf die Dauer das Geforderte nicht leiſten und es galt deshalb, nachdem die Acquiſition amerikaniſcher Officiere ſo traurig ge - ſcheitert, andere geeignete Kräfte zu des Seezeugmeiſters Unter - ſtützung heranzuziehen.
Es gelang dies auch durch Engagement von ſechs älteren168Wernerbelgiſchen Seeofficieren, welche als Lieutenants zur See I. Claſſe (Hauptmannsrang) in den Reichsdienſt traten. Ein glücklicher Zufall wollte, daß Belgien grade zu jener Zeit ſeine Marine als nutzlos und zu koſtſpielig für ein ſo kleines Land aufgab, ſeine Seeofficiere penſionirte und dieſe als Privatleute nun ohne weitere Schwierigkeiten in fremde Dienſte treten konnten. Die Unſicherheit der deutſchen Verhältniſſe war für ſie von keiner weiteren Bedeutung. Hatte die deutſche Marine keine Zukunft, ſo gingen ſie einfach nach Belgien zurück, um ihre Penſion weiter zu beziehen und ſie ſetzten deshalb nichts auf das Spiel.
Mit der Ankunft der Belgier, die außerdem den Vorzug hatten, deutſch zu verſtehen und deutſches Commando führen zu können, erhielt Brommy eine weſentliche Unterſtützung für alle Commando-Angelegenheiten, während ſich auch für die Verwal - tung der Seezeugmeiſterei allmälig tüchtiges Perſonal fand. Namentlich war es der ſpäter an die Spitze dieſer Behörde be - rufene damalige Oberlieutenant Weber, ein Darmſtädter, und wie Brommy bisher in griechiſchen Dienſten, der es verſtand ſich in überraſchend kurzer Zeit in die ihm übertragene neue Stellung hinein zu arbeiten und die Seezeugmeiſterei auf eine Stufe der Vollkommenheit zu bringen, die wenig zu wünſchen übrig ließ.
So kam denn bald alles in das richtige Gleis und bei dem im Allgemeinen herrſchenden guten Geiſte und dem feſten Willen, die Sache vorwärts zu bringen, wurde in kurzer Zeit ganz Außerordentliches geleiſtet und ſehr bald eine Ordnung in allen Angelegenheiten geſchaffen, die wirklich muſterhaft genannt werden konnte.
Schwierigkeiten gab es ja trotzdem noch genug zu über - winden und eine der ſchlimmſten war die Mannſchaftsfrage. Dieſelbe war in keiner Weiſe geregelt und wie bereits weiter oben erwähnt, fehlte es an allen einſchlägigen Geſetzen. Statt der erwarteten feſten Geſtaltung der Reichsverhältniſſe, welche169Die deutſche Marine 1848 — 1852jene Geſetze bringen ſollte, trat nur noch größere Zerfahrenheit ein. Verſchiedene Staaten wollten gar nichts von der Marine wiſſen und von einer Wehrpflicht für dieſelbe war keine Rede. Ebenſo bedenklich ſtand es mit der Kriegsflagge. Ein einziger Seeſtaat, Nordamerika, hatte die deutſche Centralgewalt aner - kannt, alle übrigen nicht; deshalb war auch nur jenem eine Mittheilung über die deutſche Kriegsflagge gemacht worden.
Da indeſſen die fertigen Schiffe bemannt werden mußten, ſo ſchritt man zur Werbung. Bei der wegen der Blockade da - nieder liegenden Schiffahrt waren Seeleute genug am Lande, und da der Matroſe ein Kind des Augenblicks iſt und ſich wegen ſeiner Zukunft keine große Sorge macht, ſo gelang es, trotz mangelnder Geſetze über Invalidenverſorgung, allmälig ſo - wol im Inlande wie in England die nöthige Zahl Matroſen zur Beſetzung der fertigen oder in nächſter Zeit fertig werdenden Schiffe anzuwerben, während auch ein kleiner Theil officiell von Oldenburg geſtellt wurde, das ſich überhaupt echt deutſch und der Marine wolgeſinnt zeigte.
Die Anwerbung von Marineſoldaten machte ſich dagegen nicht ſo leicht. Der Verlegenheit half man jedoch dadurch ab, daß durch die Einwirkung von Duckwitz eine Compagnie des Bremiſchen Contingents zur Marine commandirt wurde und den Dienſt der Seeſoldaten verſah.
Mit dem 1. April 1849 konnte man die Gründungs - periode der deutſchen Marine ungefähr als abgeſchloſſen betrach - ten. Es waren in den fünf Wintermonaten neun Kriegsdampf - ſchiffe übernommen, gekauft reſp. in Bau gegeben und zwar „ Hanſa “, „ Barbaroſſa “, „ Erzherzog Johann “, „ Ernſt Auguſt “, „ Oldenburg “, „ Frankfurt “, „ Hamburg “, „ Bremen “und „ Lü - beck “, ferner die Segelfregatte „ Deutſchland “und 27 Kanonen - boote. Die Marine hatte eine Organiſation, die nothwendig - ſten Reglements waren geſchaffen, die Verwaltung geordnet, die ſeefertigen Schiffe mit einer vollen exercirten und disciplinirten170WernerBeſatzung verſehen. Der Mangel an wirklichen Seeofficieren, welche als Lehrmeiſter dienen konnten, war durch die Belgier gehoben; die deutſchen aus der Handelsmarine hervorgegangenen Officiere füllten ihre Poſten voll aus, die Mehrzahl verſprach ſehr bald tüchtiges zu leiſten und nur mit den Engländern, die man mit den angekauften Schiffen übernommen hatte, war keine glückliche Acquiſition gemacht.
Daß alles dies in der kurzen Zeit und trotz der oben dargelegten Schwierigkeiten hatte in das Leben gerufen und durchgeführt werden können, bleibt das unantaſtbare Verdienſt von Duckwitz und Brommy.
Eine wirkliche Flotte, wie ſie die Majorität des deutſchen Volkes in ihrer Unkenntniß maritimer Verhältniſſe verlangte, konnten ſie allerdings nicht herzaubern, aber das Mögliche war von ihnen vollbracht. Sie hatten eine ſolide Grundlage ge - ſchaffen und dafür geſorgt, daß diejenigen Elemente vorhanden waren, aus denen ſich eine Flotte aufbaut. Es iſt deshalb nur eine Forderung der Gerechtigkeit, das Andenken dieſer beiden Männer zu ehren, welche ſich voll einſetzten, um ein großes nationales Werk zu ſchaffen. Daß dieſes Werk kein bleibendes war, daß es ſchmachvoll untergehen mußte, war nicht ihre Schuld und ſchmälert nicht ihren Ruhm. Ihnen hat wol das Herz am meiſten dabei geblutet, als die deutſche Flotte unter den Hammer kam.
Eine verdiente und ihn hochehrende Anerkennung für ſeine Thätigkeit erhielt Brommy noch kurz vor dem Rücktritt des Erzherzog-Reichsverweſers durch ſeine Ernennung zum Contre - admiral, die von dem nachſtehenden Handbillet begleitet war:
„ Unter den meiner Fürſorge anvertrauten Angelegen - heiten hat die Gründung einer deutſchen Flotte meine Auf - merkſamkeit ſtets in beſonderem Grade auf ſich gezogen.
Je größer die Schwierigkeiten und Hinderniſſe waren, mit welchen die Ausführung dieſes Planes zu kämpfen hatte,171Die deutſche Marine 1848 — 1852deſto mehr mußte es mich freuen, daß die junge Flotte in Ihnen, Herr Commodore Brommy, einen Chef gefunden hatte, deſſen Umſicht und Energie ſo manche Schwierigkeiten zu beſiegen wußte, für ſo manches Fehlende Erſatz leiſtete.
Ich will daher nicht aus meiner jetzigen Stellung ſchei - den, ohne Ihnen einen beſonderen Beweis meiner Zufrieden - heit mit Ihrer Ausführung zu geben und habe zu dieſem Zwecke Sie unter heutigem Datum zum Contreadmiral ernannt.
Frankfurt, den 11. November 1849.
Der Reichsverweſer gez. Erzherzog Johann.
Schließlich ſei noch kurz der Schleswig-Holſtein’ſchen Ma - rine erwähnt, die zwar ſelbſtändig neben der deutſchen exiſtirte, aber in gewiſſer Beziehung doch wieder einen Theil derſelben bildete. Sie beſtand aus zwölf Ruder-Kanonenbooten, aus dem Dampfer „ Bonin “— ein früheres Kauffarteiſchiff, das von der Größe der Dampfcorvette „ Hamburg “, wie dieſe umgebaut und armirt war — und aus dem Schuner „ Elbe “, der bei Ausbruch des Krieges als däniſches Wachtſchiff bei Altona ge - legen hatte und von den Schleswig-Holſteinern genommen war.
Die zwölf Kanonenboote bildeten das Contingent, welches Schleswig-Holſtein auf Requiſition der Centralgewalt zum deut - ſchen Küſtenſchutz ſtellte. Außerdem bauten die Herzogthümer aber noch ein Dampfkanonenboot, „ von der Tann “, und zwar war dies das erſte dieſer Claſſe von Fahrzeugen, das über - haupt conſtruirt wurde und anderen Marinen nach dieſer Rich - tung den Weg zeigte. Während des Krimkrieges ſchufen Eng - land und Frankreich Hunderte von dieſen Booten, einige Jahre danach folgte auch Preußen, und damit wurden die bisher zum Küſtenſchutz verwendeten Ruderkanonenboote aus der Welt ge - ſchafft, welche einer ſehr großen Beſatzung bedurften, ungemein langſam und ſchwerfällig in der Bewegung und nur in ſtillem172WernerWaſſer zu gebrauchen waren. Leider nahm der „ von der Tann “ein trauriges Ende. Im Jahre 1851 wurde er in der Neu - ſtädter Bucht von einer däniſchen Fregatte gejagt und mußte ſich vor der Uebermacht nach der Trave zurückziehen. Er konnte dieſe jedoch nicht mehr erreichen, und um das Boot nicht in die Hände des Feindes fallen zu laſſen, wurde es von ſeinem Commandanten auf den Strand geſetzt und verbrannt.
Noch in einer anderen Hinſicht ging Schleswig-Holſtein allen anderen Nationen voran: in der Vertheidigung der Häfen mit Torpedos, die jetzt in der Seekriegführung eine ſo hervor - ragende Rolle ſpielen. Am 24. März 1848 wurde die provi - ſoriſche Regierung für Schleswig-Holſtein proclamirt. Am 26. März brachte der däniſche Kriegsdampfer „ Hecla “die Schleswig - Holſteiniſche Deputation nach Kiel zurück, welche dem König von Dänemark die Wünſche der Herzogthümer vorgetragen hatte. Dieſe Wünſche waren zurückgewieſen und damit der Krieg er - klärt. Friedrichsort war verlaſſen und nicht befeſtigt. Da galt es, den Hafen von Kiel gegen feindliche Angriffe zu ſchützen und Profeſſor Himly, Chemiker an der Kieler Univerſität, machte den Vorſchlag, dies durch Torpedos zu thun. Der Vorſchlag wurde von der proviſoriſchen Regierung angenommen und Himly legte im Fahrwaſſer in der Gegend der Düſternbrooker Badean - ſtalt zwei ſolcher Waſſerminen. Die eine beſtand aus einem Kautſchuckſack, die andere aus einer doppelten Tonne, beide waren mit Pulver gefüllt. Die Zündung ſollte auf electriſchem Wege, d. h. in der Weiſe geſchehen, wie es jetzt allgemein ge - bräuchlich iſt, während z. B. die Ruſſen im Krimkriege noch die weit unzuverläſſigere Contactzündung anwandten. Dabei mußte das feindliche Schiff gegen den Torpedo ſtoßen und eine Röhre zerbrechen, deren Säureinhalt ſich auf ein chemiſches Ele - ment ergoß und die Zündung herbeiführte.
Die Lage der Himly’ſchen Waſſerminen war durch genaue Viſirung feſtgeſtellt. Beim Paſſiren derſelben durch ein feind -173Die deutſche Marine 1848 — 1852liches Kriegsſchiff ſollten ſie auf ein betreffendes Signal geſprengt werden. Ob ihre Wirkſamkeit den Erwartungen entſprochen hätte, mag dahin geſtellt bleiben, jedenfalls erreichten die Torpedos aber völlig ihren Zweck, denn die Dänen, welche davon gehört, wagten ſich mit ihren Schiffen nicht innerhalb Friedrichsorts.
Noch für eine andere unterſeeiſche Vertheidigungs - reſp. Angriffswaffe wurde Schleswig-Holſtein zu jener Zeit: das Ver - ſuchsfeld für Taucherboote.
Bei dem 1848 in Holſtein eingerückten Bairiſchen Contin - gent ſtand der durch ſeine ſubmarinen Erfindungen ſpäter be - kannt gewordene Wilhelm Bauer als Unterofficier. Nach dem Waffenſtillſtande von Malmö trat er in die Schleswig-Holſtei - niſche Armee und kam hier zuerſt auf die Idee, ein Taucher - ſchiff zu conſtruiren. Es gelang ihm, ſeine Pläne einigen ein - flußreichen Leuten vorzulegen, und dieſe veranlaßten eine Begut - achtung der Principien durch verſchiedene Kieler Profeſſoren. Das Gutachten fiel günſtig aus und geſtützt auf daſſelbe wandte ſich Bauer nun an die proviſoriſche Regierung der Herzogthümer, welche jedoch erklärte, für dergleichen Projecte keine Mittel zu haben. Als indeſſen darauf eine öffentliche Subſcription eine namhafte Summe ergab, entſchloß ſich die Regierung, den zum Bau eines ſolchen ſubmarinen Bootes erforderlichen Reſtbetrag herzugeben.
Daſſelbe wurde nun in Kiel bei Schweffel und Howaldt gebaut. Es war ungefähr 36 Fuß lang, mit einer Schraube zur Fortbewegung verſehen und aus Eiſen conſtruirt. Nach ſeiner Form war es unten ſcharf, oben etwas abgerundet; in - wendig hatte es eine kräftige Pumpe und vorn oben eine waſſerdichte Lucke, in der eine ſehr ſtarke Glasſcheibe eingeſetzt war. Dieſe diente dazu, um ſowol Licht in das Boot zu laſſen, als auch aus dem Boote nach außen ſehen zu können. Unmittelbar neben der Luke befanden ſich zwei Guttaperchaärmel, die nach außenbords mündeten, aber kein Waſſer in das Boot174Wernerließen. Durch dieſe Aermel ſollte ein Mann die Arme ſtecken, um ein am Bug des Bootes feſtgeſchrobenes Exploſionsobject zu löſen und an dem Kiel des feindlichen Schiffes zu befeſtigen. Die bewegende Kraft war die von Menſchen; die Schraube wurde mit den Händen durch eine Kurbel in Thätigkeit geſetzt.
Als das fertiggeſtellte Boot ſeine Probefahrt machen ſollte, ging Bauer mit zwei Leuten hinein. Er ſchloß die waſſerdichte Luke, öffnete ein Ventil im Boden, um durch Waſſerballaſt das Boot zum Tauchen zu bringen, und es ſank. Danach wurde die Pumpe probirt, und es gelang durch Auspumpen des Waſſers das Boot wieder an die Oberfläche zu bringen. Bauer rief den ihn begleitenden Booten zu, daß die Pumpen zu ſchwach ſchienen, ſchloß dann aber die Luke wieder, ſetzte die Probefahrt fort — und das Fahrzeug iſt nie wieder an das Tageslicht gekommen.
Es war etwa elf Uhr Morgens, als Bauer zum zweiten Male unter Waſſer ging. Die Fortbewegung mittels der Schraube gelang, wenn auch nur in mäßiger Weiſe; doch die Pumpen waren zu ſchwach, um das eingelaſſene Waſſer ſchnell zu be - wältigen und das Boot ſank deshalb 40 Fuß tief bis auf den Grund.
Bauer ſchien das Boot für eine ſolche Tiefe und den ſich daraus ergebenden Waſſerdruck zu ſchwach conſtruirt zu haben. Die Erbauer hatten ihn gleich beim Bau auf dieſen Umſtand aufmerkſam gemacht, aber ohne daß er darauf Rückſicht genommen hätte. In Folge dieſer Schwäche ſog das Fahrzeug ziemlich Waſſer. Die Pumpe genügte nicht, daſſelbe zu entfernen, aber der Waſſerdruck von außen beſchwerte auch die Luke der Art, daß Bauer ſie nicht öffnen konnte. Seine Lage war eine un - gemein kritiſche. Das eindringende Waſſer ſtieg immer höher; von außerhalb war auf keine Rettung zu hoffen und ſo ſchien das Schickſal der drei Leute beſiegelt.
Oben auf der Waſſerfläche hatte ſich inzwiſchen eine175Die deutſche Marine 1848 — 1852Menge Boote mit Zuſchauern angeſammelt, welche vergebens auf das Wiedererſcheinen Bauers warteten und nach ſtunden - langem Harren ihn als verloren betrachteten. Da endlich, um drei Uhr Nachmittags, alſo vier volle Stunden nach dem Tauchen, wurden plötzlich alle drei Leute mit einer ungemeinen Vehemenz an die Oberfläche geſchleudert und von den wartenden Booten aufgenommen. Ihre Rettung ſchien durch ein Wunder bewerk - ſtelligt zu ſein, erklärte ſich aber durch die Compreſſion der Luft in dem Boote. Letztere war durch das höher ſteigende Waſſer allmälig immer gewachſen, bis ſie dem äußeren Waſſerdruck das Gleichgewicht hielt. Dieſen Moment hatte Bauer wahrgenommen, um die Luke zu öffnen und war dann mit den beiden Leuten, die er mit großer Geiſtesgegenwart vorher zu dem Zwecke unter der Luke richtig placirt, in die Höhe geſchleudert worden.
Das Experiment war an der zu ſchwachen Conſtruction des Bootes und an der zu geringen Kraft der Pumpe geſchei - tert. Dagegen hatte Bauer den Beweis geliefert, daß das Boot ſich heben und ſenken konnte, daß es ſich fortbewegen ließ und daß die Inſaſſen ohne Gefahr für ihre Geſundheit vier Stunden unter Waſſer hatten aushalten können.
Wenn aber das Unglück auch nicht eingetreten wäre und das Boot gut functionirt hätte, ſo würde ſein Nutzen doch höchſt problematiſcher Natur geweſen ſein. Das anzugreifende Schiff hätte zunächſt vor Anker liegen müſſen, um irgend eine Chance des Gelingens zu bieten. Sodann erwuchs für das Boot aber noch eine andere Schwierigkeit, die es aller Wahrſcheinlichkeit nach nicht überwunden hätte.
Bei Nacht war ein Angriff ziemlich ausgeſchloſſen, da man in dem Boote unter Waſſer nichts ſehen konnte. Bei Tage hätte es aber ſchon in einer ſehr großen Entfernung von dem Feinde tauchen müſſen, um gegen deſſen Schußwaffen ge - ſichert zu ſein. Den richtigen Weg auf eine ſo weite Strecke zu finden, war kaum möglich oder wenigſtens ſo unſicher, daß176Wernerdas Gelingen gänzlich vom Zufall abhängig blieb. Außerdem kam endlich noch ein Umſtand in Betracht, an dem bisher alle ſubmarinen Fahrzeuge geſcheitert ſind und gegen den auch das Bauer’ſche Boot nicht geſichert war, die Innehaltung einer be - ſtimmten Tiefe unter Waſſer. Bereits Fulton hatte im An - fange dieſes Jahrhunderts zu demſelben Zwecke wie Bauer ein ſubmarines Boot conſtruirt, mit dem er tauchte, einen Explo - ſionskörper am Kiele eines alten dazu hergegebenen Schiffes befeſtigte und es in die Luft ſprengte, aber es gelang ihm eben - ſowenig eine beſtimmte Tiefe zu halten. Einem Mitte der fünfziger Jahre in Cherbourg erbauten Taucherſchiffe „ Plon - geur “, von dem man ſich die großartigſten Erfolge verſprach, er - ging es ebenſo.
Nur ein Mann hat bis jetzt dies Problem gelöſt, der Er - finder der Fiſchtorpedos, Whitehead in Fiume, jedoch auch nur für die Torpedos und ſelbſt für dieſe nicht einmal mit unbe - dingter Sicherheit, da einzelne derſelben immer noch in den Grund gehen und dort ſtecken bleiben. Ein äußerſt geringer Einfluß, das Verbiegen irgend eines kleinen Gegenſtandes am Torpedo, oder eine ſonſtige ganz unbedeutende Formveränderung iſt im Stande, erſterem eine falſche Richtung zu geben und ihn ſtatt in einer beſtimmten Tiefe grade aus, mit einer Curve nach unten gehen zu laſſen.
Bauer hat ſpäter noch vielfach mit ſubmarinen Booten ſowol in Deutſchland wie in Rußland experimentirt, aber es iſt ihm nicht gelungen, etwas Zweckmäßiges zu ſchaffen. Es ſcheint nach dem Mißlingen ſo vieler in dieſer Richtung unternomme - ner Verſuche, als ob das ſichere Fahren unter Waſſer dem Menſchen verſchloſſen bleiben ſoll.
Der Malmöer Waffenſtillſtand war abgelaufen. Das kleine muthige Dänemark hatte ohne Furcht vor dem großen freilich uneinigen Gegner den unterbrochenen Kampf und die Blockade unſerer Küſten wiederaufgenommen. Wenn die deutſchen Ma - rinebeſtrebungen ihm bis jetzt auch nicht gefährlich geworden waren, ſo hatte es dieſelben thatſächlich doch nicht unberückſich - tigt gelaſſen und ihnen dadurch wider Willen eine gewiſſe Be - deutung und Anerkennung zugeſtehen müſſen. Es hatte für nöthig befunden, ſeine bisherigen Seerüſtungen zu vermehren und außer den vorjährigen Schiffen noch ein Linienſchiff und einige Raddampfer mehr in Dienſt zu ſtellen, ſowie ſeine Blockadeſchiffe vollzählig zu bemannen.
Anfang April 1849 zog Dänemark im Belt ein Geſchwa - der zuſammen. Es beſtand aus dem erwähnten Linienſchiffe, dem Zweidecker „ Chriſtian VIII. “von 84, aus der neuen, als beſonderer Schnellſegler berühmten Fregatte „ Gefion, “von 48 Kanonen und aus den beiden mit je ſechs Geſchützen armirten Raddampfcorvetten „ Geyſer “und „ Hecla “. Den Oberbefehl über die Schiffe führte der auf dem Geyſer eingeſchiffte Commandeur Garde. „ Chriſtian VIII. “wurde vom Kapitän Paludan, die „ Gefion “vom Kapitän Meyer commandirt. Die Beſatzungs - ſtärke des Geſchwaders belief ſich auf ungefähr 1500 Mann; ſeine Beſtimmung war, mit den däniſchen Landtruppen zu coope - riren, die von den Schleswig-Holſteinern bei Eckernförde provi - ſoriſch erbauten beiden Strandbatterien zu zerſtören und danach im Rücken der nach Jütland vorgedrungenen deutſchen Truppen Eckernförde ſelbſt zu beſetzen.
Am 4. April erſchienen gegen Abend plötzlich „ Chriſtian VIII. “und „ Gefion “in der Mündung der Bucht und unter - warfen die Ufer einer genauen Recognoscirung. Sie näherten ſich jedoch den Schanzen und der Stadt nicht bis auf Schuß -R. Werner, Erinnerungen. 12178Wernerweite, ſondern kreuzten nach Erreichung ihres Zweckes gegen den herrſchenden Oſtwind wieder aus der Bucht, um ſich draußen mit den beiden wartenden Dampfſchiffen zu vereinigen.
Die Bewohner der Stadt geriethen natürlich in große Auf - regung. Es war als gewiß anzunehmen, daß die Dänen am andern Morgen wiederkehren und daß dann ein harter Kampf bevorſtehen würde, deſſen Ausgang für Eckernförde verhängniß - voll werden konnte und vorausſichtlich werden mußte. Die beiden großen Schiffe führten zuſammen 132 Geſchütze ſchwerſten Ka - libers und es ſtanden ihnen nur zwei kleine Erdwerke von zu - ſammen zehn Geſchützen gegenüber.
Nach den bisherigen Erfahrungen von Schiffskämpfen gegen Strandbatterien würden dieſe durch das feindliche Maſſenfeuer vernichtet und dem Erdboden gleich gemacht werden, und dann war auch Eckernförde verloren. Zwar wurde durch den Herzog Ernſt von Coburg-Gotha, der den Oberbefehl über die in und um Eckernförde ſtehenden deutſchen Streitkräfte führte, noch eine naſſauiſche Feldbatterie herangezogen, aber was bedeuteten ihre ſchwachen Sechspfünder gegen die gewaltigen Feuerſchlünde der Schiffscoloſſe, und ebenſo wenig vermochte das zum Schutze der Stadt beſtimmte Thüringiſche Infanteriebatail - lon irgendwie das drohende Unheil abzuwenden.
Nach Zerſtörung der Schanzen konnten die Dänen, unter dem Schutze ihrer Kanonen, eine beliebige Anzahl Truppen an jedem ihnen convenirenden Punkte der Bucht landen. Die Beſorgniß der Bevölkerung war deshalb nicht unbegründet, wenngleich die braven Truppen das bange Gefühl der Stadt - bewohner keineswegs theilten. Sie brannten im Gegentheil vor Kampfbegier und konnten die Zeit nicht erwarten, um ſich trotz ihrer Schwäche mit dem ſo gewaltig überlegenen Feinde zu meſſen.
Am andern Morgen mit Tagesanbruch raſſelten Trom - melwirbel in den Straßen der Stadt, deren geängſtigte Ein -179Die deutſche Marine 1848 — 1852wohner größtentheils gar nicht zur Ruhe gegangen waren. Es ward Generalmarſch geſchlagen, die Infanterie eilte zu ihren Sammelplätzen, die Kanoniere beſetzten ihre Schanzen. Die nördliche wurde vom Hauptmann Jungmann, einem früheren preußiſchen Artillerieofficier, die ſüdliche von dem Unterofficier von Preußer, einem Schleswig-Holſteiner, befehligt; die Bedie - nungsmannſchaften waren Schleswig-Holſteiner, deren größter Theil erſt ſeit wenigen Monaten diente. Der Tag verſprach ſchön zu werden. Der Himmel war unbewölkt, die Sonne ent - ſtieg ſtrahlend dem Meere, der Oſtwind blies in die Bucht und die lichtgrünen Wellen tanzten luſtig und von weißem Schaum gekrönt in der friſchen Brieſe. Es war ein Bild des Friedens, das ſich dem Blicke bot — doch wie bald ſollte es ſich wandeln in wildes Kampfgewühl, wie bald ſollten die klaren Wogen ſich röthen vom Blut und das goldne Antlitz der Sonne in ſchwar - zem Pulverdampf ſich trauernd verhüllen!
Gegen ſechs Uhr Morgens ſah man die vier feindlichen Schiffe am fernen Horizonte aus dem leichten Morgennebel emportauchen. Die beiden Dampfer blieben im Eingange der Bucht zurück; die Segler nahmen Curs auf die Stadt, „ Chri - ſtian VIII. “leitete, „ die Gefion “folgte in ſeinem Kielwaſſer. Stolz flatterte der Dannebrog im Winde und drohend blickten die Geſchützrohre aus den Pforten. Näher und näher kamen die beiden Schiffe, bange Stille herrſchte in der Stadt, auf den Gemüthern lagerte es wie Gewitterſchwüle; in den Schan - zen jedoch erwartete man muthigen Herzens und feſten Auges den Feind, der unter vollen Segeln heranſteuerte.
Gegen ſieben Uhr hatte dieſer ſein Ziel erreicht und war nur noch wenige Hundert Schritte von der Nordſchanze ent - fernt. Da erkrachte es auf einmal, als ob die Erde ſich ſpalten ſollte. Die zweiundvierzig Feuerſchlünde der Steuerbordſeite des Linienſchiffes entluden ſich gleichzeitig, ein Hagel von Ge - ſchoſſen ſauſte pfeifend und ziſchend gegen die Schanze und einige12*180WernerMinuten ſpäter folgte, kaum weniger furchtbar, die Breitſeite der „ Gefion. “ Die Schlacht hatte begonnen, der eherne Tritt des Kriegsgottes ließ die Luft erdröhnen und erfüllte die Herzen der Zuſchauer mit bangem Schrecken. Jetzt bogen beide Schiffe um, gaben der etwas weiter entfernten Südſchanze eine andere Breitſeite und entzogen ſich dann für kurze Zeit in einer dichten Wolke den angſterfüllten Blicken der Stadtbewohner.
Als der Wind den Pulverdampf verwehte, lagen ſie vor Anker, „ Chriſtian VIII. “weiter ſüdlich, die „ Gefion “in Kernſchuß - weite der Nordſchanze. Offenbar hatte man nicht anders ge - glaubt, als daß die beiden Werke durch das Höllenfeuer vom Erdboden vertilgt oder wenigſtens gänzlich kampfunfähig gemacht worden ſeien, da ſie ſonſt wohl nicht ein ſo gewagtes Manöver ausgeführt und mit auflandigem Winde an einer Stelle ſo tief in der Bucht vor Anker gegangen wären, wo die Nähe des Ufers ein nothwendig werdendes Unterſegel-Gehen ſehr erſchweren mußte.
Bald ſahen die Dänen auch den gemachten ſchweren Fehler ein. Beim Ankern war das Linienſchiff etwas getrieben und dem Ufer ſo nahe gekommen, daß ſein Steuerruder bereits den Grund berührte, und als ſich auch von den Schanzen die ſchwarze Rauchwolke hob, da zeigten ſich dieſe zwar nicht unverletzt, ver - ſchiedene ihrer Geſchütze waren beſchädigt, auch ihre Erdwälle hatten gelitten — indeß keineswegs in dem Maße, wie die Dänen in Ueberſchätzung ihrer Streitmittel erwartet.
Von den Bedienungsmannſchaften war Niemand gefallen, nur ein kleiner Theil verwundet, und bald zeigten die tapferen Kanoniere, daß Furcht und Muthloſigkeit, auch einer ſo gewalti - gen Macht gegenüber, in ihrer Bruſt keinen Raum hatte. Ihre Geſchütze ſpieen auf die kurze Entfernung Tod und Verderben und riſſen in die dichtgedrängte Mannſchaft an Bord der Schiffe furchtbare Lücken. Die Dänen kämpften verzweiflungsvoll; Lage um Lage ſchmetterten ſie den Schanzen entgegen, aber es ſchien,181Die deutſche Marine 1848 — 1852als ob dieſe gefeit ſeien. Trotz der Tauſende von Geſchoſſen, die ſie überſchütteten, wurden ſie weder zum Schweigen gebracht noch eines ihrer Geſchütze dauernd außer Gefecht geſetzt. Gar oft zwar wurde eines oder das andere getroffen, aber immer gelang es, den Schaden wieder auszubeſſern und von Neuem ſprühte es dem erſchreckten Feinde ſeinen tödtlichen Inhalt ent - gegen.
Gegen elf Uhr hatte die „ Gefion “ſchon bedeutend gelitten; ſie lag im Kreuzfeuer beider Batterien und ihre Todten und Verwundeten beliefen ſich bereits auf ein Viertheil der Beſatzung. Auf ein Signal von ihr kam der Geſchwaderchef Garde mit dem „ Geyſer “in die Bucht hinein, um die Fregatte aus ihrer ver - zweifelten Lage zu befreien. Schon befand ſich der Dampfer in nächſter Nähe des unglücklichen Schiffes; es wurden Anſtalten gemacht, um das Bugſiertau an Bord zu geben; wenige Minu - ten länger und die „ Gefion “wäre gerettet geweſen — da ſchlug eine aus der Nordſchanze kommende Kugel in den Radkaſten des „ Geyſer “und vereitelte den Verſuch. Der Schuß war von dem Gefreiten Wommelsdorf gegeben worden, er beſiegelte das Schickſal der „ Gefion “. Der „ Geyſer “war ſo beſchädigt, daß er ſofort Kehrt machen und von dem „ Hecla “in’s Schlepptau genommen werden mußte.
Kapitän Paludan gewann die Ueberzeugung, daß ſowol ſein Schiff, wie die „ Gefion “verloren waren; Hauptmann Jungmann hatte begonnen, mit glühenden Kugeln zu feuern und mehrere der - ſelben waren nur mit großer Mühe aus dem Rumpf des „ Chriſtian VIII. “zu entfernen geweſen. Paludan ließ deshalb kurz nach zwölf Uhr die Parlamentärflagge aufziehen und ſandte nach Einſtellung des Feuers einen Seeofficier mit der peremptori ſchen Forderung an’s Land, ſofort die Schanzen zu räumen und die beiden Schiffe ungehindert ziehen zu laſſen, widrigenfalls die Stadt in Brand geſchoſſen werden würde. Doch die Botſchaft ver - fehlte ihren Zweck; trotz der drohenden Form erklang es aus182Wernerihr wie ein letzter Schrei der Verzweiflung. Es mußte ſchlimm mit den Schiffen ſtehen, wenn man einen völkerrechtswidrigen Act in Ausſicht ſtellte, um ihren Abzug zu erzwingen. Die Bürger von Eckernförde legten deshalb, ſelbſt auf die Gefahr hin, ihre ſchutzloſe Stadt in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandelt zu ſehen, die Entſcheidung über die Forderung der Dänen in die Hände der oberſten Militärbehörde, und ſahen reſignirt der Zukunft entgegen.
Der Herzog von Coburg wies die Forderung entſchieden ab und bewilligte Paludan nur eine zweiſtündige Waffenruhe, die von beiden Seiten zur Ausbeſſerung der erlittenen Schäden benutzt wurde. Dann begann der Kampf auf’s Neue und heftiger als zuvor, aber das Geſchick wandte ſich immer ver - hängnißvoller gegen die Dänen. Die Südſchanze feuerte eben - falls mit glühenden Kugeln auf das Linienſchiff und weihte es damit dem Verderben. Der Wind war etwas nördlicher gegangen, und die „ Gefion “drehte der Preußerſchen Batterie mehr ihr Heck zu. Infolge deſſen wurde ſie der Länge nach beſchoſſen und verlor furchtbar an Menſchen; von ihren beiden hintern Ge - ſchützen mähten die Kugeln der Südſchanze dreimal die Be - dienungen nieder. Auch die Naſſauer Feldbatterie griff ver - heerend mit ihrem Feuer ein, obwol ſie wegen des kleinen Kalibers ihrer Geſchütze nicht ſo todtbringend wirkte, wie die der beiden Schanzen.
Alle Bemühungen Paludan’s, um ſein Schiff wieder in tieferes Waſſer zu bringen, blieben erfolglos. Er ſignaliſirte der „ Gefion, “ihm ein Kabeltau zu ſchicken, um ſich damit vom Strande abzuholen, dem der ſtets wachſende Oſtwind das Linienſchiff immer näher gedrängt hatte. Das Boot mit dem Tau hatte bereits den größten Theil des Wegs zurückgelegt, da wurde es von einer Kugel aus der Südbatterie getroffen und ſank mit ſeiner Laſt und ſeiner Bemannung in die Tiefe.
Auch der letzte Verſuch Paludan’s mißlang und das Un -183Die deutſche Marine 1848 — 1852glück heftete ſich immer drohender an ſeine Ferſen. Der Wind war zwar ſtärker geworden, aber, wie bemerkt, etwas nach Norden herumgegangen, ſo daß es möglich ſchien, mit dem Schiffe abzukreuzen und das freie Fahrwaſſer der Bucht zu ge - winnen. Unter dem heftigſten Feuer der deutſchen Batterien wurden Segel geſetzt und die Ankerkette gelöſt, da wollte es das böſe Geſchick der Dänen, daß auch dieſe letzte Hoffnung vereitelt werden ſollte. Im hinterſten Maſte des „ Chriſtian VIII. “waren Scharfſchützen poſtirt worden, um auf die Geſchütz - bedienungen am Lande zu feuern. Namentlich wurde die ohne Deckung zwiſchen Stadt und Nordſchanze aufgeſtellte Naſſauiſche Feldbatterie unter Hauptmann Müller ſehr von ihnen beläſtigt. Um ſich ihrer zu entledigen, ließ der Batteriechef ein Geſchütz mit Kartätſchen laden und auf die Kreuzmars richten, wo jene ſtan - den. Dieſer Schuß fiel gerade in dem Augenblicke, als das Linienſchiff ſich vorwärts zu bewegen begann, und er war es, der letzteres in die Gewalt der Deutſchen brachte. Die Kartät - ſchen erfüllten nicht nur ihren Zweck, die Scharfſchützen zu ver - treiben, ſondern ſie zerriſſen auch verſchiedene wichtige Taue und Segel. Dadurch verlor das Schiff ſeine Segel - und Steuerkraft, drehte infolge deſſen mit dem Vordertheile ver - kehrt in den Wind und gerieth ſo feſt auf den Grund, daß an ein Wiederabkommen nicht zu denken war und es auch mit ſeinen Geſchützen die Schanzen nicht mehr beſtreichen konnte, während es ſelbſt ſich im heftigſten Kreuzfeuer derſelben befand.
Die glühenden Kugeln hatten „ Chriſtian VIII. “an ver - ſchiedenen Stellen in Brand geſteckt, ohne daß es gelungen war, an den Heerd des Feuers zu kommen und daſſelbe zu löſchen. Wurde der Kampf fortgeſetzt, ſo ſtand auch der „ Gefion “daſſelbe Schickſal bevor. Die Todten und Verwundeten zählten, nament - lich auf letzterem Schiffe, bereits nach Hunderten, die deut - ſchen Schanzen aber hatten nicht viel mehr gelitten, als am Vormittage und faſt jeder ihrer Schüſſe brachte Vernichtung. 184WernerWas half alle Tapferkeit und Todesverachtung der Schiffs - beſatzungen, die im Blute ihrer Kameraden thatſächlich wateten und dennoch willig und ohne Zagen die geriſſenen Lücken aus - füllten, um mit zerſchmetterten Gliedern in den nächſten Minuten ſelbſt einen zwar heldenhaften aber nutzloſen Tod zu finden. Zuſehends erfüllte ſich das traurige Geſchick, Rettung war nicht möglich, an Hülfe von außen nicht zu denken; es wäre ein Ver - brechen geweſen, das Gefecht länger fortzuführen und noch mehr Menſchen zu opfern, und ſo gab denn der unglückliche Kapitän um fünfeinhalb Uhr Abends den Befehl, die Flagge zu ſtreichen.
Der ſtolze Dannebrog ſenkte ſich von der Gaffel, der Ge - ſchützdonner verſtummte, die Schlacht war für die Deutſchen gewonnen. Vieltauſendſtimmiger Jubel der am Lande ver - ſammelten Zuſchauer erſchallte; aus Schleswig, Rendsburg, Kiel und der ganzen Umgegend waren ſie gekommen, herbei - gerufen durch die furchtbare Kanonade, die den ganzen Tag auf viele Meilen weit den Donner der Geſchütze durch das Land getragen. Stundenlang hatten ſie zwiſchen Furcht und Hoff - nung geſchwebt, gar oft hatte es geſchienen, als ob die Schanzen unterliegen ſollten und nun waren ſie glänzend als Sieger aus dem wüthenden ungleichen Kampfe hervorgegangen und hatten die deutſchen Waffen mit unvergänglichem Ruhme bedeckt.
Und die Sieger ſelbſt? Wie ſeltſam contraſtirte mit dem lauten Jubel die ſchweigende Ruhe der Kanoniere! Mit ver - ſchränkten Armen und von Pulverrauch geſchwärzten Geſichtern ſtanden ſie da an ihren Geſchützen und blickten mit ſtiller Be - friedigung auf die Trophäen, die ſie durch ihre Kaltblütigkeit und Tapferkeit unter der Leitung ihrer heldenmüthigen Führer heute dem Vaterlande errungen hatten, wenngleich die Mehrzahl die ganze Größe und Bedeutung des erfochtenen Sieges gar nicht zu verſtehen ſchien.
Die bisherige Seekriegsgeſchichte hatte ſolche Reſultate, wie der 5. April ſie gebracht, noch nicht aufzuweiſen. Zwei Schlacht -185Die deutſche Marine 1848 — 1852ſchiffe, welche in damaliger Zeit Strandbatterien gegenüber für unüberwindlich gehalten wurden, mußten ſich einer Hand voll kühner Artilleriſten ergeben, und dieſe hatten nicht einmal nam - hafte Verluſte erlitten. Freilich war dabei in Betracht zu ziehen, daß die Dänen von ſeltenem Unglück verfolgt wurden. Ein verhängnißvoller Fehler war es geweſen, daß Paludan die Schiffe bei einem grade in die Bucht wehendem Winde gleich ſoweit hineinführte und dadurch ihre Bewegungsfähigkeit lähmte, aber als ganz beſonderes Mißgeſchick muß es bezeichnet werden, daß der „ Geyſer “zerſchoſſen, das Boot der „ Gefion “mit dem Bugſirtau in den Grund gebohrt ward und ſchließlich der Kartätſchſchuß der Naſſauiſchen Batterie das Entkommen des Linienſchiffes unmöglich machte.
Inzwiſchen verrieth die aus letzterem in immer größerer Dichtigkeit hervorquellende Rauchwolke, daß das an Bord aus - gebrochene Feuer bedeutender ſei, als man geglaubt. Schleunige Hülfe war geboten und nach gethaner Blutarbeit galt es die von ihr verſchonten Feinde dem Leben zu erhalten. Alle vor - handenen Boote wurden in Thätigkeit geſetzt, um zunächſt die am meiſten gefährdete Beſatzung des Linienſchiffes an’s Land zu ſchaffen und der tapfere Unterofficier Preußer ſtand dabei mit ſeinen Kanonieren in erſter Reihe.
Erſchütternd war der Anblick, als die von dem heißen Kampfe des Tages bis zum Tode erſchöpften däniſchen Kriegsgefangenen durch die glänzend illuminirten Straßen der Stadt geführt wur - den, um in Kirche und Schule einquartiert zu werden. Von allen Seiten eilten die Bürger herbei, um ſie mit Speiſe und Trank zu erquicken. Paludan hatte ſeine Drohung nicht wahr gemacht und kein einziges Geſchoß war abſichtlich in die Stadt gefallen; deshalb herrſchte auch keinerlei Erbitterung gegen die Beſiegten, man ſchenkte vielmehr ihrem herben Geſchick Be - dauern und ehrte ihre Tapferkeit. Bevor jedoch noch alle Ge - fangenen ausgeſchifft waren, erdröhnte plötzlich ein furchtbarer186WernerKnall. Aus einer dunklen Rauchwolke züngelte eine gewaltige Feuergarbe zum Firmament empor, Tauſende von Granaten, Raketen und andern Munitionskörpern durchſauſten die Luft und zogen wie Meteore glühende Streifen durch die Nacht — „ Chriſtian VIII. “war in die Luft geflogen. Das Feuer hatte die Pulverkammer erreicht und die furchtbare Kataſtrophe herbei - geführt. Zweihundert Mann der Beſatzung, welche noch nicht hatten abgeholt werden können, verloren durch die Exploſion ihr Leben. Doch auch mit dieſem ſchweren Opfer war der Kriegs - gott noch nicht zufrieden geweſen — Preußer, der mit ſeinen Kanonieren bereits Hunderte von Gefangenen an’s Land gebracht, war eben im Begriff, wieder mit einer Anzahl derſelben von dem brennenden Schiffe abzuſtoßen, als ihn der Tod ereilte. Mit den Trümmern der Boote ſanken er und ſeine Leute zer - ſchmettert in die Tiefe.
Die Exploſion war eine ſo gewaltige geweſen, daß man ſogar in der Stadt Schleswig den Luftdruck deutlich fühlte. Am nächſten Tage fand man Schiffstheile, Waffen und andere Gegenſtände, die bis zu unglaublichen Entfernungen weſtwärts von der Stadt geflogen waren.
Die Neugierigen, welche aus der Umgebung Nachts und früh Morgens am 6. April nach Eckernförde kamen, fanden die Stadt wie ausgeſtorben. Die Abſpannung der Bevölkerung war nach den ungemeinen Aufregungen der letzten 48 Stunden eine ſo große, daß Alles ſich todtmüde zur Ruhe begeben hatte und unbeſorgt um die däniſchen Kriegsgefangenen im tiefſten Schlum - mer lag. Den Letzteren wäre es ein Leichtes geweſen, die beiden ſchlaftrunkenen Poſten, von denen ſie allein bewacht wur - den, zu überwältigen und unbehelligt durch die Stadt nach Nor - den zu marſchiren.
Die „ Gefion “, deren Batterie ein grauenvolles Bild der Zerſtörung bot und in dem ſich Leiche auf Leiche thürmte, wurde zunächſt von Officieren und Mannſchaften der im Kieler Hafen187Die deutſche Marine 1848 — 1852ſtationirten Schleswig-Holſteiniſchen Flotille beſetzt. Sie hatte weit mehr als „ Chriſtian VIII. “gelitten und über 80 Todte, während erſterer bis zur Exploſion nur einige 60 zählte. Auf beiden Schiffen befanden ſich außerdem noch nahe an 100 Ver - wundete und über 900 Mann wurden zu Gefangenen gemacht. Der deutſche Verluſt war dagegen verſchwindend zu nennen; er belief ſich nur auf 4 Todte und 17 Verwundete, und ſeine Geringfügigkeit iſt faſt unbegreiflich zu nennen, wenn man bedenkt, daß die Be - ſatzungen der beiden deutſchen Schanzen faſt acht Stunden lang dem mörderiſchen Feuer von 132 ſchweren Geſchützen auf wenige Hundert Schritte Entfernung ausgeſetzt waren.
In ganz Deutſchland rief der Tag von Eckernförde eine enthu - ſiaſtiſche Freude hervor und nicht am wenigſten auf der deutſchen Marine. War der Verluſt ſeiner beiden ſchönſten und kriegstüchtig - ſten Schiffe für Dänemark ein Schlag, den es nicht ſo bald ver - winden konnte und der ſeine Seemächtigkeit Deutſchland gegen - über wenigſtens auf längere Zeit hinaus weſentlich ſchwächte, ſo durfte der uns daraus erwachſende Gewinn ſowol in materiel - ler wie moraliſcher Beziehung nicht hoch genug veranſchlagt werden.
Durch die glorreiche Action wurde das faſt erkaltete Intereſſe für die deutſche Marine in der Bevölkerung wieder lebhaft angeregt und dadurch ein Druck auf die Regierun - gen ausgeübt. Ein großer Theil derſelben hatte, unter dem Einfluſſe der herrſchenden reactionären Strömung, mit ſcheelem Auge auf die nach ihrer Anſicht revolutionäre Schöpfung geblickt, und ſich aus dieſen wie aus andern Gründen der Verpflich - tung zur Beitragsleiſtung entzogen. Ende März war es bereits ſo weit gekommen, daß der fällige Sold für die Marinemannſchaften nicht mehr ausgezahlt werden konnte. Infolge deſſen gaben ſich auf verſchiedenen Schiffen Zeichen der Indisciplin kund, und nur mit großer Mühe gelang es den Officieren, die Leute zu beſchwichtigen und zu ihrer Pflicht zurückzuführen.
Jetzt nach dem glänzenden Siege, den die ganze Nation188Wernerauf das Lebhafteſte mitempfand, hielten es die verſchiede - nen ſäumigen Staaten doch für angemeſſen, die rückſtändigen Matricularbeiträge einzuliefern, und ſo wurde die Klippe, an der ſchon damals die Marine zu ſcheitern drohte, noch einmal glücklich umſchifft. Für uns in der Marine Stehende war der 5. April aber auch deshalb von größter Wichtigkeit, weil wir damit in den Beſitz eines Kriegsſchiffes gelangten, das, abge - ſehen von ſeiner Größe und ſeinem für damalige Verhältniſſe bedeutenden Kriegswerthe, nach allen Richtungen hin als Modell gelten durfte. Die „ Gefion “war deshalb für die deutſche Flotte eine koſtbare Aquiſition. Sie hatte zwar in dem Kampfe ſo bedeutend gelitten, daß ſie in den nächſten Monaten nicht activ verwendet werden konnte, allein das beeinträchtigte ihren ſpäteren Werth für uns nicht, und als ſie bald darauf von der Centralgewalt übernommen und die ſchwarzrothgoldene Flagge auf ihr geheißt wurde, da war das ein Jubel - und Freudentag für die ganze Marine.
Wir glaubten in der ſo heiß erſtrittenen Trophäe deutſcher Tapferkeit ein Pfand zu beſitzen, das die deutſche Nation nicht wieder von ſich laſſen würde und hielten jetzt die Fortexiſtenz der Flotte, an der ſelbſt wir jüngeren Officiere bisweilen leiſe Zweifel zu hegen begannen, für geſichert. Dies Gefühl wirkte auf alle Verhältniſſe günſtig zurück. Wir brannten vor Verlangen, uns mit den Dänen zu meſſen und, wie wir natür - lich vorausſetzten, ebenfalls Lorbeeren zu pflücken. Mit wahrem Feuereifer wurde das neue Geſchütz-Exercirreglement auswendig gelernt, und Jeder that ſein Beſtes, um ſich nach allen Rich - tungen für die kommenden Gefechte vorzubereiten. An Bord der fertig ausgerüſteten Corvetten „ Hamburg “und „ Lübeck “gelang dies auch völlig, und Ende April waren dieſe beiden Schiffe, wenigſtens was ihre Beſatzung betraf, ſo kriegstüchtig, daß ſie unbedingt in den Kampf ziehen konnten, da ſie auch ſchon eine Schießübung abgehalten hatten. Auf dem „ Barbaroſſa “zögerte189Die deutſche Marine 1848 — 1852ſich jedoch die Sache wegen verſpäteten Eintreffens der in Eng - land gefertigten Kriegsausrüſtung noch länger hin und erſt Ende Mai wurde das Schiff einigermaßen ſeefertig. Leider ſtand es mit der Kriegsbereitſchaft nicht ſo gut. Der Commandant des „ Barbaroſſa “war ein alter gutmüthiger, aber ſonſt ziemlich un - fähiger Engländer. Er war Kapitän eines der vom Hamburger Comité angekauften Dampfer geweſen und mit übernommen wor - den, weil er in früheren Zeiten einmal, wenn auch in untergeordne - ter Stellung, in der engliſchen Kriegsmarine gedient hatte. Als die amerikaniſchen Officiere ausblieben und ehe die Belgier ein - trafen, hatte man ihn zum Commandanten des „ Barbaroſſa “ge - macht. Von dem militäriſchen Dienſte verſtand er jedoch herz - lich wenig, die Bedienung der Geſchütze war ihm gänzlich un - bekannt und blieb es deshalb Sache der Officiere, zu denen auch ich gehörte, ſich und die Mannſchaft weiter aus - und fort - zubilden.
Auf der „ Deutſchland “, „ Hamburg “und „ Lübeck “befanden ſich die gewöhnlichen glattläufigen Geſchütze, welche nur Vollkugeln ſchoſſen und deren Bedienung verhältnißmäßig wenig Schwierig - keiten machte. Der „ Barbaroſſa “war dagegen mit 68-Pfünder - Bombengeſchützen neuen Modells armirt, die von uns noch Niemand kannte. Wir ſuchten uns natürlich ſo gut wie möglich damit abzufinden und glaubten auch das Exercitium unſern Leuten in verhältnißmäßig kurzer Zeit ganz vortrefflich bei - gebracht zu haben, ſollten aber bald die unangenehme Erfahrung machen, daß Autodidacten trotz allen Fleißes leicht in verhängniß - volle Fehler verfallen.
Anfang Juni meldete unſer alter Kapitän, den wir trotz ſeiner Unbedeutendheit doch alle gern mochten, dem inzwiſchen zum Commodore ernannten Kapitän Brommy, unſerem Ober - befehlshaber, den „ Barbaroſſa “kriegsbereit, und dieſer beſchloß am 4. Juni mit den drei Schiffen eine Recognoscirungsfahrt in See zu unternehmen. Daß für einen Ernſtkampf eine Schießübung,190Wernernamentlich mit Geſchützen neuen Modelles, eine unerläßliche Vor - bedingung ſei, davon hatte unſer Kapitän keine Ahnung; der Commodore hatte ſie wol vorausgeſetzt und wir jüngeren Offi - ciere waren artilleriſtiſch noch zu unerfahren, und glaubten, gutes Exercitium und Richtübungen ſeien genügend.
Es war ein herrlicher Sommertag und die Sonne ſchien warm vom wolkenloſen Himmel herab, als wir unter dem Hurrah Tauſender von Zuſchauern, welche die Ufer der Weſer beſäum - ten, die Rhede von Bremerhafen verließen, um ſeewärts zu dampfen. Der „ Barbaroſſa, “das Flaggſchiff, mit dem Com - modore-Stander an der Spitze des Großmaſtes, führte, „ Hamburg “und „ Lübeck “folgten zu beiden Seiten, mit erſterem ein gleichſeitiges Dreieck bildend. Mit ſchneller Fahrt ging es den Strom hinab, aus den Schornſteinen quollen dunkle Rauch - ſäulen, die Radſchaufeln peitſchten die Fluthen und die Schiffe zogen ein breites ſchäumendes Kielwaſſer.
Um dem Feinde ein etwaiges Einlaufen in die Weſer zu wehren, waren alle Seezeichen entfernt, aber unſere tüchtigen Lootſen kannten trotzdem an ihren Landmarken das Fahrwaſſer ſo genau, daß wir mit ungehemmter Fahrt zwiſchen den Un - tiefen dahinflogen und bald die an der veränderten Waſſer - färbung kenntliche Mündung erreichten.
Die Nordſee — das deutſche Meer, wie es die Eng - länder richtig bezeichnen, lag vor uns. Es herrſchte faſt völlige Windſtille; nur ein leiſer ſüdlicher Hauch kräuſelte hier und dort ganz leicht die ſonſt wie ein Spiegel ſich dehnende Meeres - fläche, in deren Smaragdgrün die Sonnenſtrahlen ſich badeten. Ein eigenthümlich erhebendes Gefühl ſchwellte unſere Bruſt. Das ſchwarzrothgoldene Banner mit dem Reichsadler, das Symbol neuerſtandener deutſcher Seemächtigkeit, flatterte zum erſten Male auf dem Meere und patriotiſcher Stolz ſchwellte unſere Herzen in dem Gedanken, daß wir uns möglicher Weiſe noch191Die deutſche Marine 1848 — 1852heute mit dem Feinde meſſen ſollten. Helgoland tauchte am fernen Horizonte auf; mit voller Kraft ſteuerten wir darauf hin.
„ Segler voraus “, meldete der im Vortop des „ Barbaroſſa “ſtationirte Ausguck, und Aller Augen richteten ſich auf den be - zeichneten Punkt. Nur drei Maſtſpitzen ragten aus dem Waſſer, aber bei unſerer ſchnellen Fahrt wuchſen ſie zuſehends empor. Bald hob ſich der Rumpf über die Meeresfläche und ließ keinen Zweifel, daß wir ein Kriegsſchiff vor uns hatten. Durch die Fernröhre unterſchieden wir die Flagge; es war der Dannebrog, das weiße Kreuz im rothen Felde, der von der Gaffel der Segel-Corvette „ Volkyrien “wehte. Sie lag eine Meile ſüdlich von Helgoland; bei den ſchwankenden Bewegungen des Schiffes ſahen wir ihre Segel gegen Maſten und Stengen ſchlagen, ein Zeichen, daß ſie ſich in Windſtille befand und nicht manövrirfähig war.
Wie klopfte uns das Herz und mit welchem Jubel wurde das Signal des Flaggſchiffes aufgenommen, Curs auf den Feind zu ſetzen. Die Corvette war nur mit 12 kurzen 18-Pfündern armirt und ihre Beſatzung zählte noch nicht 200 Mann. Unſere drei Schiffe hatten zwar auch nur 12 Ge - ſchütze, aber davon führte der Barbaroſſa acht 68-pfündige Bombenkanonen, jede der beiden Corvetten einen langen 56 - und einen 32-Pfünder und unſere geſammte Beſatzung belief ſich nahe auf 400 Köpfe. Unter ſolchen Umſtänden unterlag es keinem Zweifel, daß ein Angriff unſrerſeits auf die „ Valkyrien “mit vollem Erfolg gekrönt ſein mußte. Wir hatten es in der Hand, den faſt unbeweglichen Feind mit unſern weittragenden Geſchützen aus ſolcher Entfernung zu beſchießen, daß ſeine Ge - ſchoſſe uns nicht erreichten, um gegen die leichte Verletzbarkeit unſerer Maſchine geſichert zu ſein, und konnten ihn auf dieſe Weiſe zum Flaggenſtreichen zwingen.
Die Aufregung wuchs von Minute zu Minute je näher wir kamen und erreichte ihren Höhepunkt, als der Befehl ge - geben ward, die Schiffe fertig zum Gefecht zu machen. Der192WernerGeneralmarſch ertönte; die Mannſchaften waren wie electriſirt durch den Gedanken, an den Feind zu kommen und die Deutſch - land durch die Blockade angethanene Schmach zu rächen. Sie flogen förmlich auf ihre Poſten, unter ihren nervigen Armen bewegten ſich die ſchweren Geſchütze wie Kinderſpielzeug und waren im Nu fertig zum Laden.
Etwa zwei Meilen nördlich von Helgoland kamen noch zwei däniſche Fregatten in Sicht, und noch weiter hin zeichnete ſich die Rauchwolke eines Dampfers am Himmel ab, aber auch dort war Windſtille, die Segelſchiffe konnten nicht herankommen, dem Dampfer waren wir gewachſen und es wurde deshalb keine weitere Notiz davon genommen. Die Kartuſchen und Granaten wurden gebracht. Es ſollte von uns zum erſten Male ſcharf geſchoſſen werden.
„ Geladen! “tönte das Commando.
Die Kartuſchen wurden in die Mündung geführt und die Anſetzer fertig gehalten.
„ Setzt an! “ Die beiden Lader ſchoben die Kartuſchen bis auf den Boden des Rohres und ſetzten ſie mit einem kurzen Stoße an.
Die Bewegungen waren ſo gleichmäßig und prompt wie bei der beſtexercirten Mannſchaft — da aber ſtockte auf ein - mal das ganze Manöver. Die Anſetzer ſaßen in den Ge - ſchützen wie feſtgenagelt und waren auf keine Weiſe wieder herauszubekommen. Der zur Aufnahme der Kartuſche beſtimmte Ladungsraum im Rohr der Bombengeſchütze war koniſch geformt, der Kopf der Anſetzer aber cylindriſch. Die Exercirkartuſche füllte dieſen koniſchen Raum voll aus, die wirkliche Kartuſche aber nicht, und durch den Stoß hatten ſich die Anſetzer ſo ver - zweifelt feſtgeklemmt. Beim Exerciren kam dies nicht vor und unſere artilleriſtiſchen Erfahrungen waren, wie bemerkt, noch zu gering, um den Unterſchied vorher zu bedenken. Unter anderen Verhältniſſen würde die Situation lächerlich geweſen ſein, hier193Die deutſche Marine 1848 — 1852Angeſichts des Feindes war ſie jedoch ſehr ernſt; unſere Ent - fernung von ihm betrug kaum noch eine halbe Meile.
Die Maſchinen wurden geſtoppt und alle möglichen Mittel angewandt, um die Anſetzer wieder heraus zu holen, aber ver - gebens. Es blieb nichts übrig, als ſie heraus zu ſchießen. Was wol die Dänen gedacht haben mögen, als auf dem deut - ſchen Flaggſchiffe plötzlich ſämmtliche Geſchütze nach allen Himmels - richtungen abgefeuert wurden, ohne daß irgend wo das Ein - ſchlagen eines Geſchoſſes auf der glatten Meeresfläche ſich bemerk - lich machte? Das Manöver muß ihnen als unerklärliches Räthſel erſchienen ſein. Der Commodore machte ein ſehr zweifelhaftes Geſicht, die Meldung der Schlagfertigkeit des Schiffes ſtimmte gar nicht mit der eben gemachten Wahr - nehmung.
Die Anſetzer flogen natürlich zerſplittert in das Waſſer, doch glücklicher Weiſe fand ſich ein zweiter Satz an Bord. Im Augenblick waren die neuen an Deck gebracht und nach weni - gen Minuten hatten die Hobel der Zimmerleute ihnen die nöthige koniſche Form gegeben; der Schaden war damit reparirt. Aber - mals wurden die Kartuſchen angeſetzt; alles war jetzt in Ord - nung und die Maſchinen ſetzten ſich langſam in Bewegung, bis wir auf etwa 3500 Schritt herangekommen waren. Dann ſtoppten die Schiffe, das Feuer begann und wurde von der „ Valkyrien “erwidert. Es war jedoch von beiden Seiten un - gefährlich. Die däniſchen Geſchoſſe erreichten uns lange nicht und unſere Granaten verfehlten auf die große Entfernung eben - falls ihr Ziel, was ja auch bei der Ungeübtheit der Mann - ſchaft im Scharfſchießen trotz allen Eifers und guten Willens nicht anders zu erwarten war. Uns Officieren gefiel aber dieſe Munitionsverſchwendung durchaus nicht. Voll Kampfesmuth wollten wir näher an den Feind und mit größter Ungeduld er - warteten wir den Befehl „ Voll Dampf voraus, “der jedoch ausblieb.
R. Werner, Erinnerungen. 13194WernerDas Geſchwader lief in offener Ordnung, d. h. es war den Schiffen nicht die Innehaltung einer genauen Poſition zu einander vorgeſchrieben. Dieſen Umſtand glaubte der Comman - dant der „ Hamburg “benutzen zu dürfen, um ſich dem Feinde mehr zu nähern und ließ die Maſchine ſchneller anſchlagen. In dem Augenblicke jedoch, als die Corvette das Flaggſchiff paſſirte, fiel ein Kanonenſchuß von Helgoland.
„ Wo wollen ſie hin, Lieutenant Reichert? “rief Brommy nach der „ Hamburg “hinüber.
„ Ich will entern, Herr Commodore, “tönte die Antwort des thatendurſtigen Commandanten zurück.
„ Machen Sie Signal: In die Elbe einlaufen, “wandte Brommy ſich an ſeinen Flagglieutenant und das betreffende Signal „ Flagge No. 4 “wehte nach wenigen Secunden vom Top des Maſtes.
Als der Befehl verſtanden war, folgte das Signal „ Feuer einſtellen. “ Das Ruder wurde Backbord gelegt, der Kopf der Schiffe drehte vom Feinde ab und der Elbmündung zu.
Wir ſtanden ſtarr und trauten kaum unſern Augen. Vor weni - gen Minuten noch war Jeder von uns feſt überzeugt, daß die „ Val - kyrien “unſer ſei und jetzt ließen wir die ſichere Priſe ſchmählich im Stich und zogen wie kläffende Hunde von dannen. War das die Kraftprobe deutſcher Seemächtigkeit und durften wir nun noch ſtolz ſein, unter der ſchwarzrothgoldenen Flagge zu dienen? Wir koch - ten innerlich vor Wuth, übten äußerlich aber natürlich nur ſtum - men Gehorſam; dieſe Selbſtüberwindung unter den obwalten - den Umſtänden war gewiß ein Beweis für die gute Disciplin, welche an Bord der Schiffe herrſchte. Vergebens fragten wir uns, was der Grund dieſer plötzlichen Umkehr ſein könne und der Commodore mochte wol ſelbſt fühlen, daß er uns eine gewiſſe Aufklärung ſeiner uns unbegreiflichen Handlungsweiſe ſchuldig ſei. Wie erſtaunt und gleichzeitig im Innerſten empört waren wir aber, als wir von ihm erfuhren, daß der vorhin195Die deutſche Marine 1848 — 1852von Helgoland gefallene Schuß ihn zum Abbrechen des Gefechts beſtimmt habe. Jener Schuß hatte verkündet, daß die „ Valkyrien “ſich auf neutralem Grunde, auf engliſchem Territorium befinde und hatte uns gewarnt, letzteres in feindlicher Abſicht zu be - ſchreiten.
Nach unſer aller Meinung und nach den genommenen Peilungen war der Däne fünf Seemeilen von der Inſel ent - fernt geweſen und von uns Officieren hätte ſich deshalb gewiß Niemand an den Schuß gekehrt, da nach den damaligen inter - nationalen Principien die Neutralitätsgrenze ſich nur bis auf Kanonenſchußweite erſtreckte, allein wir waren leider nicht maß - gebend und Brommy mußte wol anderer Meinung ſein. Viel - leicht hatte er ja auch Befehl von Frankfurt, den Engländern, welche mit ihren Sympathien ganz auf Seiten der Dänen ſtan - den, keinerlei Anlaß zu irgend welchen begründeten Klagen zu geben. Von Mangel an Muth konnte bei dem energiſchen Charakter des Mannes um ſo weniger die Rede ſein, als wir ſo bedeutend in der Uebermacht waren und der einzige Vorwurf, der ihm mit Berechtigung gemacht werden konnte, war wol der einer übertriebenen politiſchen Vorſicht, um der nach Innen ſchon ſo ohnmächtigen Centralgewalt nicht auch noch einen Conflict mit einer fremden Macht aufzuladen. Uns Officieren wollte freilich dieſer Standpunkt nicht einleuchten und wir waren der Anſicht, daß Brommy es darauf ankommen laſſen und die „ Valkyrien “nehmen mußte.
Unſer Gefühl ſagte uns, daß der Commodore ſich eine Chance hatte entgehen laſſen, welche ſchwerlich je ſo günſtig wieder - kehren würde und dies Gefühl hatte uns nicht getäuſcht. Es war die einzige Chance, die ſich überhaupt bot, und daß wir ſie aus irgend welchen Gründen nicht benutzten, gab Anlaß, daß der deutſchen Marine ein Schimpf angethan wurde, der uns die Schamröthe in das Geſicht trieb.
Lord Palmerſton, der Freund Dänemarks, ließ wenige Tage13*196Wernernach der für uns ſo kläglich abgelaufenen Affaire durch die „ Times “verkünden, es hätten ſich Schiffe mit ſchwarzrothgoldener Flagge in der Nähe von Helgoland gezeigt; ließen ſie ſich noch einmal ſehen, ſo würde er ſie durch engliſche Kriegsſchiffe als Piraten aufbringen laſſen.
Wahrlich, die Beleidigung war tödtlich und ſie brannte uns deutſchen Seeofficieren auf der Seele!
Die Centralgewalt nahm ſie ohne Weiteres hin und wagte nicht einmal einen papiernen Proteſt gegen dieſe Beſchimpfung der deutſchen Flagge. Damit war aber auch das Todesurtheil der Marine geſprochen. Sie mußte ſich verkriechen, durfte ſich nicht auf dem Meere ſehen laſſen, der Fluch der Lächerlichkeit ruhte auf ihr und ihre Auflöſung war nur noch eine Frage der Zeit.
Wie ganz anders geſtaltete ſich menſchlicher Vorausſicht nach aber die Sache, wenn Brommy die däniſche Corvette genommen und ſie in die Elbe gebracht hätte. Wie würde die Marine hoch in den Augen Deutſchlands dageſtanden haben! Nach einer ſolchen kriegeriſchen That würde es wenigſtens unmöglich ge - worden ſein, ſie unter den Hammer zu bringen und England, das vor allem mit Thatſachen zu rechnen und kriegeriſchen Muth zu würdigen verſteht, hätte es auch nicht gewagt, uns jene tödt - liche Beleidigung in das Geſicht zu ſchleudern.
Vierundzwanzig Jahre ſpäter hatten ſich freilich die Ver - hältniſſe weſentlich geändert. 1873 ſtellte ſich der Kapitän eines engliſchen Panzerſchiffes an der ſpaniſchen Küſte unter die Befehle eines Kapitäns, von deſſen Schiffe zwar nicht die ſchwarzrothgoldene, aber die ſchwarzweißrothe Flagge des deut - ſchen Reiches wehte. Dieſer Kapitän war damals Officier auf dem „ Barbaroſſa “geweſen; er hatte den angethanen Schimpf nicht vergeſſen, erhielt aber jetzt eine Genugthuung dafür.
Wann wird endlich auch jene Schmach geſühnt werden,197Die deutſche Marine 1848 — 1852die dem deutſchen Reiche durch den engliſchen Beſitz Helgoland’s angethan iſt?
Ein Stück deutſcher Erde, von einem echt deutſchen Volks - ſtamme, den Frieſen, bewohnt, ſtets zu Schleswig-Holſtein ge - hörig, unmittelbar an unſerer Küſte gelegen und einſt ein Theil derſelben, der Schlüſſel zu unſeren größten Strömen — befindet ſich in den Händen einer fremden Macht!
Nicht etwa materielle Gründe haben dieſe Macht bewogen, ſich 1814 die Inſel vom König von Dänemark, der gar kein Recht dazu beſaß, abtreten zu laſſen, denn ſie birgt keine Schätze, ſie iſt ein armes Fleckchen Fels und bringt nichts ein. Nein, lediglich das Verlangen an unſerer Nordſeeküſte eine feſte Poſition zu gewinnen, von der aus erſtere vollſtändig beherrſcht werden konnte, war der Grund der Annexion.
Damals war Deutſchland macht - und kraftlos und mußte ſich den Pfahl im Fleiſche gefallen laſſen — ſeitdem aber hat es ſich Macht und Kraft erworben. Es iſt ein einiges Reich und eine Großmacht erſten Ranges geworden, und es dürfte deshalb wol an der Zeit ſein, die Inſel zurückzufordern, nicht allein aus nationalen, ſondern auch aus militäriſchen Gründen.
Helgoland iſt, wie bemerkt, der Schlüſſel zu unſern drei großen Waſſerſtraßen: Elbe, Weſer und Jade und beherrſcht überdies noch das Emsgebiet. Wird Deutſchland mit einer See - macht in einen Krieg verwickelt, ſo bildet die Inſel der letzteren die wirkſamſte Stütze für maritime Operationen gegen unſere Küſte. So lange das Leuchtfeuer auf Helgoland brennt, wird dem Feinde die Navigirung in der Helgoländer Bucht und eine Blockade unſerer Nordſeeküſte ungemein erleichtert. Ohne in unſerm Beſitze und geeignet armirt zu ſein, ſo daß wir unter dem Schutze ſeiner Batterien eine Abtheilung Kriegsfahrzeuge (Panzerkanonenboote und Torpedoboote) ſtationiren können, bietet die Inſel dem Gegner — wenigſtens in der guten Jahres - zeit — verhältnißmäßig geſicherte Ankerplätze, wo er Kohlen198Wernerauffüllen, Transportſchiffe hinlegen, ſeine Flotte ſammeln und von dort aus er in größerem Maßſtabe gegen unſere Ströme operiren kann, ſei es, um zunächſt deren äußere Rheden zu ge - winnen oder eine Landung zu verſuchen. Wir ſind gezwungen, zum Schutze unſerer Nordſeeküſte ganz bedeutend größere Ver - theidigungsmittel an Material und Perſonal zu unterhalten, und die Beſorgniß vor einer Forcirung unſerer Ströme und einer Invaſion kann gleichzeitig einen großen Theil unſerer Land - ſtreitkräfte lahm legen.
Dies alles änderte ſich aber ungemein zu unſern Gunſten, wenn Helgoland uns gehört und zweckmäßig armirt wird. Wir könnten nach Belieben das Feuer löſchen, mit Hülfe der Batterien und einer unter der Inſel, oder zwiſchen ihr und den Dünen ſtationirten Flottenabtheilung dem Feinde den einzigen Ankerplatz verbieten, den er an unſerer Nordſeeküſte findet. Wir hinderten ihn dadurch am Ergänzen ſeiner Kohlen, zwängen ihn, beſtän - dig unter Dampf zu liegen und nähmen ihm jede Operations - baſis für einen Angriff auf unſere Küſte und für eine Invaſion, da er unmöglich wagen darf, mit einer Transportflotte vor unſern Flußmündungen zu erſcheinen, wenn er unſere Torpedo - fahrzeuge und Panzerkanonenboote im Rücken hat. Den ſchlagend - ſten Beweis für dieſe Ausführungen hat der letzte franzöſiſche Krieg gegeben. Die franzöſiſche Flotte hielt ſich ſtets in un - mittelbarer Nähe der Inſel auf, Tags über gewöhnlich ſüdöſtlich von ihr und wenn die Witterung es erlaubte, vor Anker. Da - durch ſparte ſie Kohlen und ermöglichte ein längeres in See - bleiben, während ſie Nachts meiſtens nordweſtlich von der Inſel in drei bis vier Meilen Entfernung, aber in Sicht des Leucht - thurmes, die offene See hielt, gegen überraſchende Nachtangriffe unſererſeits ſich ziemlich geſichert ſah und doch — was unge - mein wichtig für ſie war — mit Hülfe des Feuers immer genau ihre Poſition kannte. Ebenſo konnten die Kohlenſchiffe ſüdlich von der Inſel ankern und die Panzerſchiffe mit friſchen Kohlen199Die deutſche Marine 1848 — 1852verſorgen. Dies ſetzte die Franzoſen in den Stand, mit den - ſelben zehn bis zwölf Schiffen Monate lang die Blockade der Elbe, Weſer und Jade aufrecht zu erhalten. War Helgoland jedoch in unſerem Beſitz, ſo lag die Sache ganz anders. Von Ankern und Kohlennehmen konnte dann keine Rede ſein und mit dem ausgelöſchten Leuchtfeuer wäre die Schiffahrt in der Helgo - länder Bucht für die Franzoſen Nachts nicht nur eine höchſt unbequeme, ſondern auch gefährliche geworden. Ohne Ankern und Kohlenergänzen hätten ſich ihre Panzer höchſtens acht bis zehn Tage in der Nähe unſerer Küſte halten können. Wollten ſie die Blockade aufrecht erhalten, ſo mußten ſie die doppelte Zahl von Schiffen haben, um ſich abzulöſen. Hatte es unſer Gegner aber damals ſchon für nöthig erachtet, den drei Panzerſchiffen, die 1870 unſern ganzen Reichthum ausmachten, die dreifache Anzahl entgegenzuſtellen, um uns in Schach zu halten, würde es ihm ſchwer geworden ſein, noch eine zweite ablöſende Flotte in Dienſt zu ſtellen, und wie die Stärkenverhältniſſe unſerer Marine jetzt ſind, könnte davon erſt recht nicht die Rede ſein.
In militäriſcher Beziehung liegen die Sachen mithin für uns folgendermaßen: So lange ſich Helgoland in fremden Händen befindet, ſind wir gezwungen, zur Sicherſtellung unſerer Nordſeeküſte eine verhältnißmäßig große Seemacht aufzuſtellen und trotzdem in zweiter Reihe noch Landtruppen zur Abwehr einer möglichen Invaſion in Reſerve zu halten, wenn wir es mit einem mächtigen Feinde oder einer Coalition zu thun haben.
Gehört dagegen die Inſel uns, ſo genügt ein Theil der jetzt nothwendigen maritimen Streitkräfte, um ſowol eine Blockade unmöglich zu machen, als auch einer Invaſion von der Nord - ſee aus jede Chance eines Gelingens zu nehmen, und dem - gemäß wird die Aufſtellung von Landtruppen entbehrlich. Da - durch erſpart im Frieden unſer Land nicht nur beträchtliche Summen, weil wir die Zahl der Schlachtſchiffe beſchränken200Wernerkönnen, ſondern wir ſind im Kriege auch in der glücklichen Lage, der Flotte allein die erfolgreiche Vertheidigung der Nordſeeküſte zu überlaſſen und die ſonſt dazu erforderlichen Landtruppen dem zu Land angreifenden Feinde entgegenzuwerfen.
Die militäriſche Aufgabe unſerer Flotte kann naturgemäß über - haupt nur die Sicherung unſerer Küſten und die Freihaltung unſerer beiden deutſchen Meere von Invaſion und Blockade ſein. Dar - über hinauszugehen wäre ein folgenſchwerer Irrthum. Außer - halb der Oſt - und Nordſee haben wir mit unſern Schlacht - ſchiffen für gewöhnlich nichts zu thun. Wir beſitzen keine Colonien, die wir gegen feindliche Angriffe zu vertheidigen hätten, noch können wir uns mit einer größeren Seemacht jen - ſeits des Canals im Ocean ſchlagen, da wir dort weder eine Operationsbaſis noch eine geſicherte Rückzugslinie haben. So - mit wird der Thätigkeit unſerer Flotte im Kriege zwar eine ziemlich enge Schranke gezogen, aber ihre Bedeutung für das Land nicht abgeſchwächt. Werden wir mit einer oder mehreren Landmächten, die zugleich Seemächte ſind, in Krieg verwickelt, ſo wird die Flotte nie direct eine Entſcheidung herbeiführen können. Dies muß ſtets der Armee vorbehalten bleiben, aber jene muß im Stande ſein, indirect ganz weſentlich zu einer ſolchen Entſcheidung beizutragen. Kann ſie unſere Küſten von Invaſion frei halten, ſo erfüllt ſie vollſtändig ihren Zweck; denn ſobald die Armee, möge ſie nach Oſten, Weſten oder Süden Front machen, ihre ganze Nordflanke durch die Marine gedeckt weiß, kann ſie 100,000 Mann mehr dem Feinde entgegen - ſtellen, und wir wiſſen aus dem letzten franzöſiſchen Kriege, was das bedeutet!
Unſere Flotte wird aber dieſer ihrer natürlichen Aufgabe gewachſen ſein, wenn die Vertheidigung der Nordſeeküſte nicht zu ſchwer auf ihr laſtet, und deshalb iſt für Deutſchland der Beſitz von Helgoland von ſo großer Bedeutung.
Außer dieſer militäriſchen fällt aber auch noch die handels -201Die deutſche Marine 1848 — 1852politiſche Seite ſehr in’s Gewicht. Die Anſeglung unſerer großen Ströme Elbe und Weſer, ſowie auch der Eider, welche letztere alljährlich von Tauſenden kleinerer Schiffe angelaufen wird, die ihren Weg durch den Eidercanal nach Oſten nehmen, iſt ſo gefährlich und koſtet ſo ſehr viel Opfer an Schiffen und Menſchenleben, daß es im dringenden Intereſſe des Handels und der Schiffahrt liegt, dort einen leicht zugänglichen Noth - und Zufluchtshafen zu haben, wo die Schiffe Schutz gegen ſchweres Wetter finden. Dies Bedürfniß wird ſich in noch weit dringenderer Weiſe nach dem Bau des Nordoſtſeecanals geltend machen, der doch nur eine Frage der Zeit iſt und der die jetzige Frequenz der Helgolander Bucht verzehnfacht.
Für einen ſolchen Zufluchtshafen iſt aber Helgoland nicht nur der geeignetſte, ſondern der einzig mögliche Punkt. So lange es ſich unter engliſcher Herrſchaft befindet, iſt natürlich nicht daran zu denken. Wie ſollte England auch dazu kommen, Mil - lionen für eine Anlage auszugeben, die immer nur zum kleine - ren Theile der eigenen Schiffahrt, im übrigen aber dem Concur - renten Deutſchland und andern Nationen zu Gute käme! Ein ſolcher Hafen iſt deshalb nur möglich, wenn Helgoland deutſch iſt, und auch nach dieſer Richtung koſtet uns die in fremdem Beſitz befindliche Inſel jährlich Hunderttauſende, die durch Strandungen und Havarien unſerm Nationalvermögen verloren gehen.
Deutſchland kann natürlich Helgolands halber keinen Krieg mit England anfangen. Wenn aber das deutſche Volk davon durchdrungen wäre, daß der engliſche Beſitz der Inſel für unſer Nationalgefühl nicht länger erträglich iſt, weil er eine beſtändige Drohung gegen uns ausſpricht, wenn es ſich bewußt bliebe, daß Helgoland in unſern Händen die Sicherheit unſerer Küſten gegen jeden feindlichen Angriff ganz ungemein erhöht, und daß uns dadurch, ſowie durch die Erbauung eines Noth - hafens im Laufe der Zeit Hunderte von Millionen erſpart202Wernerwerden, während England nichts dadurch verliert, ſo würde es gewiß einmüthig die Inſel fordern.
Mit einem ſolchen Rückhalte würde es der Diplomatie nicht ſchwer fallen, einen Weg zu ermitteln, der auf friedliche Weiſe zum Ziele führt, und England würde ſich auch ſchließlich nicht weigern, dem ſo berechtigten Verlangen einer befreundeten Nation Rechnung zu tragen. England hat Griechenland wieder in Beſitz der joniſchen Inſeln geſetzt, ebenſo gut kann es Helgo - land an Deutſchland zurückgeben, ohne daß ſein Preſtige dar - unter leidet.
Möchte das Lied vom deutſchen Helgoland, das Karl Tannen in Bremen bereits vor zwölf Jahren ſang, überall in ganz Deutſchland erklingen und jeden Deutſchen daran erinnern, daß die Inſel ein verlorenes Kind unſerer Mutter Germania iſt, welches wir zurückfordern müſſen und wollen.
Unſer Geſchwader lief in die Elbe ein und wir kamen gegen Abend bei Cuxhafen an. Mit wie hochfliegenden Hoff - nungen war der Tag von uns begonnen und mit welchen bitte - ren Enttäuſchungen endete er. Unſere Stimmung war eine ſehr gedrückte und auch der Mannſchaft merkte man es deutlich an, daß ſie die Ereigniſſe des Tages ſchmerzlich empfand.
Wir blieben einige Tage auf der Elbe. Der däniſche Admiral Steen Bille hatte gelobt, er wolle uns nicht wieder hinauslaſſen, aber er konnte ſein Gelöbniß nicht halten; eine Liſt des Commodore machte ihm einen Strich durch die Rech - nung. Trotz der großen nautiſchen Unbequemlichkeiten hielt ſich Steen Bille mit zwei Fregatten und dem „ Geyſer “ganz nahe vor der Elbmündung und uns unter ſcharfer Blockade, außer - dem wurde letzterer täglich bis in die Nähe von Cuxhafen geſchickt, um zu recognosciren. Ein Auslaufen war für uns deshalb ſchwierig, jedoch eine baldige Rückkehr nach Bremerhafen,204Wernerunſerem Stationsorte, aus verſchiedenen Gründen ſehr wünſchens - werth, und zwar mußte es am Tage geſchehen, da bei dem Fehlen aller Seezeichen Nachts die Paſſage der Strommündungen zu gefährlich war.
Leider hatten wir Urſache anzunehmen, daß die Dänen durch Spione von allen unſern Bewegungen genau unterrichtet waren und daß der „ Geyſer “nur täglich in die Elbe lief, um von Fiſchern oder Leuten, die ſich dafür ausgaben, Nachrichten über unſer Geſchwader zu erhalten. Darauf baute jedoch Brommy gerade ſeinen Plan, der auch gelang.
Vom Auslaufen war keine Rede. Im Gegentheil, ſo ſchien es, beabſichtigten wir in der Elbe lange zu bleiben und uns den Aufenthalt recht angenehm zu machen, denn an Bord des Flaggſchiffes wurden große Vorbereitungen zu einem Balle getroffen, der am 14. Juni ſtattfinden ſollte und zu dem ſchon Hunderte von Einladungen nach Cuxhafen und Umgegend einige Tage zuvor ergangen waren. Die Feſtlichkeit verſprach glänzend zu werden; Bootsladungen voll Blumen und grüner Zweige wurden vom Lande geholt, um zur Ausſchmückung des auf dem Verdeck des „ Barbaroſſa “improviſirten Ballſaales zu dienen, die Matroſen wanden Guirlanden und die Damen am Lande ſchwelgten im Vorgefühl des ſie erwartenden Ver - gnügens.
Bereits am Abend des 13. legte ſich die ebenfalls feſtlich geſchmückte Corvette „ Lübeck “an das Bollwerk von Cuxhafen, um am andern Tage die geladene Geſellſchaft zunächſt zu einer Waſſerparthie einige Meilen ſtromaufwärts und dann auf den „ Barbaroſſa “zu führen. Wie bitter war aber am nächſten Morgen die Enttäuſchung der Gäſte, als ſowol die „ Lübeck “wie die beiden andern Schiffe ſpurlos verſchwunden waren. Wie zürnten die ſo ſchmählich hintergangenen ſchönen Tänzerinnen dem böſen Commodore, der ſolchen Spott mit ihnen getrieben, und erſt die Mittheilungen des in das Geheimniß eingeweihten205Die deutſche Marine 1848 — 1852Amtmanns von Cuxhafen vermochten die allgemeine Entrüſtung zu dämpfen und Troſt zu ſpenden.
Das angeſagte Ballfeſt war nur eine Kriegsliſt von Brommy geweſen. Wie er vorausgeſetzt, war Steen Bille, durch ſeine Spione davon benachrichtigt, in die Falle gegangen und hatte unter ſolchen Umſtänden geglaubt, ſich am 13. in etwas freieres Waſſer zurückziehen zu können, was ihm um ſo er - wünſchter kam, als friſcher Nordwind mit unſichtigem regneri - ſchem Wetter eingeſetzt hatte und den Aufenthalt nahe vor der Elbmündung ſehr unangenehm machte.
Das Geheimniß war von Brommy ſo gut bewahrt worden, daß auch von uns Officieren Niemand eine Ahnung davon hatte, und die Ueberraſchung für das ganze Geſchwader eben ſo groß war, wie für die Damen, als um Mitternacht ein Officier mit dem Befehle an die beiden andern Schiffe entſandt wurde, Dampf aufzumachen und ſich zum Fortgehen fertig zu halten.
Als der erſte Tagesſchimmer den Horizont färbte, lichteten wir Anker und dampften die Elbe hinunter. Das Wetter blieb uns günſtig, der Regen dauerte fort und der Ausblick war be - ſchränkt. Trotzdem war der däniſche Admiral nicht ſo weit zurück - gegangen, als Brommy gehofft hatte. Auf halbem Wege, zwi - ſchen der Elbe und Helgoland, trafen wir auf die Dänen und ſie machten ſofort Jagd auf uns.
Es waren die beiden Fregatten, welche wir am 4. geſehen hatten und der „ Geyſer “. Sie verſäumten nichts, um uns zu erreichen und ſetzten ſo viel Segel, wie ſich irgend darauf hängen ließen, trotzdem gelang es ihnen nicht. Eine Zeit lang war die Jagd ſehr aufregend, und wir glaubten diesmal zu einem Nahgefechte gezwungen zu werden. Die Fregatten kamen mit halbem Winde auf uns herunter und näherten ſich zu - ſehends, da ſie bei der ſteifen Briſe ſchneller liefen als wir, aber ehe ſie auf Schußweite herangekommen waren, mußten ſie wegen der zwiſchen Elbe und Weſer liegenden Gründe, denen206Wernerwir mit unſern flacher gehenden Schiffen näher kommen konnten, ſchärfer an den Wind gehen und verloren dadurch an Fahrt. Der „ Geyſer “verſuchte nun mit aller Kraft uns aufzulaufen und feuerte auf 4 — 5000 Schritt Granaten, die aber eben ſo wie die unſeren den Gegner nicht erreichten, ſondern in der Luft platzten und harmlos in das Waſſer fielen. Vor der Weſer drehte das däniſche Geſchwader um.
Daß Brommy diesmal das Gefecht nicht annahm, war ihm nicht zu verdenken. Wenn es den Fregatten gelang, uns unter ihre Breitſeiten zu bekommen, was bei der ſteifen Briſe leicht möglich war, ſo hätte eine glatte Lage wahrſcheinlich unſer Schickſal beſiegelt, da unſere Maſchinen ungeſchützt und größten - theils über Waſſer lagen — allein trotz dieſer Ueberzeugung trug der ruhmloſe Tag nicht dazu bei, unſere Stimmung zu verbeſſern. Das Debüt der deutſchen Flotte war ein zu trau - riges geweſen, als daß wir noch mit Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft hätten blicken können.
Wir thaten auch fernerhin unſere Schuldigkeit, aber jeder höhere geiſtige Schwung war gelähmt. Die deutſche Flotte vegetirte ferner nur noch. Mit den Dänen kam ſie nicht wieder in Be - rührung, und ſo lange der Krieg währte, zeigte ſich die ſchwarz - rothgoldene Flagge nicht mehr in der Nordſee. Die Drohung Palmerſton’s hatte ihren Zweck erreicht. Die Centralgewalt und nachher der Bundestag beugten ihr Haupt vor dem eng - liſchen Premierminiſter und Brommy erhielt Befehl, mit ſeinen Schiffen hübſch fein zu Hauſe zu bleiben.
Die von Frankfurt übernommene und in „ Eckernförde “umgetaufte „ Gefion “war inzwiſchen dem Nordſeegeſchwader zu - getheilt worden. Bei näherer Unterſuchung nach dem Kampfe ſtellte ſich heraus, daß ſie doch ärger zuſammengeſchoſſen war, als es anfänglich den Anſchein hatte, und ſo verging bis zu ihrer völligen Reparatur eine geraume Zeit. Danach war ſie aber einige Male nahe daran, für Deutſchland wieder verloren207Die deutſche Marine 1848 — 1852zu gehen. In dem einen Falle wurde ſie nur durch eine energiſche That ihres erſten Officiers, in dem andern durch die ſchützende Hand Preußens vor dem ſichern Untergange bewahrt.
Ich habe bereits früher erwähnt, daß mit dem Ankauf der Corvetten „ Hamburg “, „ Lübeck “und „ Bremen “auch zwei von den engliſchen Kapitänen übernommen wurden, von denen der eine Commandant des „ Barbaroſſa “war. Dem zweiten über - trug Brommy den Befehl über die „ Eckernförde “nach ihrer Wiederherſtellung. Nach Anſicht von uns deutſchen Officieren war dies aber ein entſchiedener Mißgriff, denn wir alle hatten Gelegenheit gehabt, den Engländer als einen wenig fähigen Mann kennen zu lernen, der mindeſtens für das ihm be - ſtimmte ſchwierige Commando gänzlich ungeeignet war. Glück - licher Weiſe wurde ihm ein erſter Officier zur Seite geſtellt, dem es nicht an Energie und Tüchtigkeit gebrach, der Schiffs - fähnrich Thaulow, ein geborner Nordſchleswiger. Daß Brommy ſelbſt dem Engländer nicht unbedingt Vertrauen ſchenkte, geht aus den an Thaulow gerichteten Abſchiedsworten hervor, als dieſer ſich zur Uebernahme ſeiner neuen Stellung bei ihm ab - meldete. „ Mit Ihrer Ehre und Ihrem Leben ſind Sie ver - antwortlich für die Erhaltung der „ Eckernförde ““, ſagte er zu ihm. Von einem Ausländer konnte er das freilich nicht verlangen, namentlich nicht unter ſo kritiſchen Umſtänden, unter denen die Fregatte, nur auf ſich ſelbſt angewieſen, unbeſchützt, in einem vom Feinde occupirten Lande und unter einer Flagge lag, hinter der nur die ohnmächtige Centralgewalt ſtand und der ſelbſt die neutralen Mächte die Anerkennung verſagten.
Und dennoch wäre auch der tüchtigſte Commandant den Verhältniſſen nicht gewachſen und das Schiff unbedingt verloren geweſen, wenn ihm nicht König Friedrich Wilhelm IV. nach der für Schleswig-Holſtein ſo unglücklichen Schlacht von Idſtedt die Genehmigung zur Führung der preußiſchen Kriegsflagge ertheilt und ein Detachement von hundert Soldaten unter Oberſt von208WernerSzymborski an Bord commandirt hätte, durch welche das Schiff bis zur Entſcheidung über das Beſitzrecht gegen däniſche Angriffe geſchützt werden ſollte.
Am 12. September 1850 machte General von Williſen einen letzten Verſuch, mit der ſchleswig-holſteiniſchen Armee bei Miſſunde den Uebergang über die Schlei zu forciren und die däniſche Armee aus Schleswig zu werfen. Dieſer Verſuch mißlang jedoch gänzlich, und ſchon gegen Abend drangen einzelne däniſche Soldaten mit den ſich nach Süden zurückziehenden ſchleswig-holſteiniſchen Truppen in die Stadt Eckernförde ein, während däniſche Kanonenboote ſich dicht vor die Fregatte „ Eckern - förde “legten.
Am jenſeitigen nördlichen Ufer des Hafens fuhren die Dänen eine Feldbatterie auf, deren Geſchütze auf „ ihre Gefion “gerichtet wurden, während dieſe, zur Documentirung ſtricter Neu - tralität, alle Geſchütze aus den Pforten gezogen und dieſelben längsſchiffs aufgeſtellt hatte. Als der däniſche Batteriechef je - doch unerwartet die preußiſche Flagge ſtatt der deutſchen an der Gaffel wehen ſah, nahm er Anſtand, das Schiff zu beſchießen. Dagegen eröffneten plötzlich die däniſchen Kanonenboote das Feuer aus ihren ſchweren Bombengeſchützen, ſcheinbar zunächſt auf die vor der „ Eckernförde “über den Hafen führende Schwimm - brücke, dann aber direct auf die Fregatte, deren Bug von mehre - ren im Unterraum des Schiffes platzenden Granaten durchſchla - gen wurde, wenn es auch glücklicher Weiſe den Anſtrengungen der Officiere und Mannſchaften gelang die daraus entſtehende Feuersgefahr abzuwenden.
Als die Dänen ſahen, daß ihr Plan, die „ Eckernförde “von ungefähr in Brand zu ſchießen, mißlang, ſteckten ſie ein unmittel - bar neben dem Schiffe befindliches großes Holzlager in Brand. Die Situation war eine höchſt gefährliche. Die dem Lande zu - gekehrte Seite der unmittelbar am Ufer liegenden Fregatte be - gann zu glühen, die Enden der Raaen und das Tauwerk fingen209Die deutſche Marine 1848 — 1852Feuer und nur die aufopferndſten Bemühungen der Beſatzung vermochten der beginnenden Zerſtörung Einhalt zu thun.
Der Commandant ſchien jedoch unbegreiflicher Weiſe alles aufzubieten, um die Abſichten der Dänen zu fördern. Den Oberſt von Szymborski veranlaßte er, unter dem Vorgeben, das Schiff ſei nicht mehr zu retten, mit ſeinem Detachement an Land zu gehen, um den bald zu erwartenden Rückzug der Beſatzung zu decken und dieſe aufzunehmen. Den in der Takelage mit Löſchverſuchen beſchäftigten Matroſen rief er auf engliſch (deutſch hatte er noch nicht gelernt) zu: „ Kommt herunter und laßt das Schiff zum Teufel brennen “und dem erſten Officier verbot er, das Schiff weiter von der Brandſtätte abzuholen, wozu dieſer Ordre ertheilt hatte.
Das Schiff war unbedingt verloren, wenn den Befehlen des Commandanten Folge geleiſtet wurde. Der erſte Officier erkannte, daß der Moment gekommen ſei, wo er „ mit ſeiner Ehre und ſeinem Leben “für die Erhaltung der Fregatte einzuſtehen habe, wie Admiral Brommy von ihm verlangt. Der Comman - dant hatte, wollte man nichts ſchlimmeres annehmen, unbe - dingt den Kopf verloren — es war die höchſte Zeit zu han - deln, und Thaulow handelte. Er beſann ſich nicht lange; ein - gedenk ſeiner Pflicht gegen das Vaterland, kündigte er ohne weiteres dem Engländer den Gehorſam. Dieſer verſuchte den erſten Officier unter Deck und in Arreſt zu ſchicken, aber auch der zweite Officier, Schiffsfähnrich Neynaber, ſagte ihm den Ge - horſam auf; die Mannſchaft ſtand zu ihren deutſchen Officieren und der Commandant ſah, daß es um ſeine Autorität geſchehen ſei. Er war klug genug, die Sache nicht weiter zu treiben und ließ ſtillſchweigend die Fregatte aus dem Bereiche des brennenden Holzfeldes holen. Die Beſatzung arbeitete mit Aufbietung aller Kräfte an dem Löſchen des bereits an verſchiedenen Stellen brennenden Schiffes, und ſo gelang es, daſſelbe zu retten.
Am andern Morgen wurde zwiſchen Oberſt von Szym -R. Werner, Erinnerungen. 14210Wernerborski und dem Befehlshaber der däniſchen Artillerie die Ver - einbarung getroffen, daß die Neutralität der „ Eckernförde “re - ſpectirt, das Schiff nebſt Beſatzung aber als blockirt angeſehen und vom Lande aus ſtreng bewacht werden ſolle. Am 15. Oc - tober 1850 wurde endlich über das fernere Geſchick des Schiffes Entſcheidung getroffen. An dieſem Tage traf an Bord ein von König Friedrich Wilhelm IV. entſandter preußiſcher Officier mit der für Officiere und Mannſchaft des Schiffes hoch erfreulichen Nachricht ein, daß laut eines zwiſchen Kopenhagen und Frank - furt abgeſchloſſenen Separatvertrages die „ Eckernförde “deutſches Eigenthum bleiben ſolle.
Kurze Zeit darauf wurde das Schiff von Eckernförde nach der Lübecker Bucht übergeführt. In Lübeck ſchiffte ſich das preußiſche Detachement aus, aber die preußiſche Flagge blieb auf dem Schiffe zu ſeinem Schutze wehen. Gegen Ende November ging es nach der Nordſee ab und wurde am 30. d. M. unter Helgoland von der deutſchen Dampfcorvette „ Ernſt Auguſt “, unter Commando des Lieutenants I. Claſſe Reichardt, in Em - pfang genommen, der zugleich den Befehl überbrachte, die deutſche Flagge ſtatt der preußiſchen zu heißen. Am 1. Decem - ber traf die „ Eckernförde “in Bremerhafen ein und kündete mit einundzwanzig Kanonenſchüſſen ſeine Ankunft.
Wir Officiere empfanden eine gewiſſe Freude, daß die Fregatte nach ſo vielen Fährlichkeiten endlich ſicher in einem deutſchen Hafen war, aber dieſe Freude war ſtark von Wehmuth und Bitterkeit durchſetzt. Niemand von uns verhehlte ſich, daß die Tage der deutſchen Flotte gezählt ſeien, von dem frühe - ren Enthuſtasmus war keine Spur mehr vorhanden. Wir alle fühlten, daß der ſchöne Traum deutſcher Einheit und deutſcher Seemächtigkeit bald ausgeträumt ſei.
Die Schiffsfähnriche Thaulow und Neynaber wurden wegen Gehorſamsverweigerung vor ein Kriegsgericht geſtellt, aber glän - zend freigeſprochen, was einer moraliſchen Verurtheilung ihres211Die deutſche Marine 1848 — 1852Commandanten gleichkam, der aber wunderbarer Weiſe bis zur Auflöſung der Flotte in Dienſt blieb, wenn er auch das Com - mando der „ Eckernförde “verlor.
Das bange Vorgefühl von dem bevorſtehenden Ende der deutſchen Flotte, das ſich allen innerhalb derſelben Stehenden unwillkürlich ſchon bei dem Ausgange des Jahres 1850 aufdrängte, war leider ein berechtigtes. Wenngleich die endgültige ſchmach - volle Thatſache der öffentlichen Verſteigerung der nationalen Schöpfung ſich noch faſt 1½ Jahre hinzögerte, ſo gleich dieſe ganze Zeit doch nur einer beſtändigen Agonie für die Betheiligten.
Es wurden zwar verſchiedene Verſuche gemacht, die Flotte für Deutſchland zu erhalten, aber ſie ſcheiterten ſämmtlich an den zerfahrenen politiſchen Verhältniſſen und namentlich an dem Ringen der beiden Großmächte Preußen und Oeſterreich um die Oberherrſchaft.
Nachdem der deutſche Bund wiederhergeſtellt und ſeit Mai 1851 die Bundesverſammlung ſowol von Preußen und der Union, wie von Oeſterreich für einen Theil ſeiner Länder beſchickt war, beſchäftigte man ſich in ihr auch mit der Zukunft der deutſchen Flotte und ſuchte eine Form für ihre ſichere Exiſtenz zu finden.
Eine Reihe der deutſchen Mittel - und Kleinſtaaten meinte es aufrichtig gut mit der Marine und trat ohne Hinterge - danken für ſie als eine allgemeine deutſche Inſtitution ein, aber ohne Erfolg. Die Lage der Bundesverhältniſſe war eine derartige, das politiſche Band der Bundesmitglieder ſo locker und die Ausſicht auf ſeine größere Befeſtigung und Einheit eine ſo geringe, daß von der Idee einer dem Bunde als ſolchem ge - hörigen, durch Matricularbeiträge zu unterhaltenden und dem14*212WernerBunde allein unterſtellten Flotte als unausführbar Abſtand ge - nommen werden mußte.
Man machte deshalb den Vorſchlag einer Dreitheilung, in eine öſterreichiſche, preußiſche und in eine Nordſeeflotte, welche letztere von den übrigen deutſchen Staaten erhalten werden ſollte. Obwol dieſer von Oeſterreich ausgehende Vorſchlag nicht viel Lebensfähigkeit verſprach, wurde er doch von der Bundesverſamm - lung eingehend erwogen und ein Ausſchuß ernannt, der unter Zuziehung von Sachverſtändigen den Plan und ſeine Einzelheiten prüfen und dem Bunde darüber Bericht erſtatten ſollte. Das letztere geſchah in der Sitzung der Bundesverſammlung vom 25. November 1851.
Dieſer Bericht formulirte die Angelegenheit, unter Zugrunde - legung des von der Sachverſtändigen-Commiſſion geſammelten Materials, folgendermaßen:
1. Zum Schutze des Handels, der Schiffahrt und der Küſten Deutſchlands wird eine deutſche Bundesflotte gebildet, welche aus drei Abtheilungen beſteht:
a. aus einer öſterreichiſchen, nach Analogie des Bundes - heeres, ausgeſchieden aus der mit einem Ordinarium von 1½ Millionen Gulden und einem Extraordinarium von zwei Mil - lionen Gulden bis 1854 und 1½ Millionen Gulden bis 1860 ausgeſtatteten Marine;
b. aus einer preußiſchen, dotirt mit einer Million Tha - ler jährlich;
c. aus einer Nordſeeflotte, für welche von den übrigen deutſchen Staaten in einem näher zu vereinbarenden Verhältniſſe für die nächſten ſechs Jahre wenigſtens ebenfalls eine Million Thaler aufzubringen ſind.
Die Zahl und Stärke der Schiffe jeder Abtheilung bleibt näherer Vereinbarung vorbehalten und ſind jene ausgeworfenen Summen vorerſt nur als Anhaltspunkte zu betrachten.
2. Die gleichmäßige Feſtſtellung des Zuſammenwirkens der213Die deutſche Marine 1848 — 1852drei Flottenabtheilungen im Frieden, ſo wie die Beſetzung der ausländiſchen Stationen unterliegt ebenfalls der näheren Ver - einbarung.
3. Dem Bund ſteht zu im Frieden: Ueberwachung der contingentmäßigen Leiſtung, gegenſeitige Inſpectionen, Veran - laſſung gemeinſchaftlicher Uebungen und Expeditionen, jedoch letztere nur im Einverſtändniß mit den betreffenden Regie - rungen.
4. Für den Fall eines Bundeskrieges ſteht dem Bunde die Verfügung über die Flotte zu.
5. Oeſterreich, Preußen und die Staaten der Nordſeeflotte behalten die Organiſation und Verwaltung und, außer dem Falle des Bundeskrieges, auch die unbeſchränkte Verfügung über ihre Flottenabtheilungen, ſo weit dieſelbe nicht durch die unter 2 er - wähnte Vereinbarung beſchränkt werden ſollte.
6. Die Befugniſſe des Bundes werden durch eine der Bundesverſammlung unterzuordnende Marinecommiſſion aus - geübt.
7. Die Staaten der Nordſeeflotte werden ſich über die Errichtung der zur Organiſation und Verwaltung der Flotte erforderlichen Behörden vereinigen.
8. Die Staaten, welche künftig zur Nordſeeflotte gehören, übernehmen die geſammte Nordſeeflotte mit Material und Per - ſonal, erwerben ſämmtliche Rechte des Bundes über dieſelbe, befriedigen dagegen die von der Bundeskaſſe oder einzelnen Bundesgliedern bisher geleiſteten Vorſchüſſe und entſchädigen Preußen für ſeine bisher zur Nordſeeflotte gezahlten Beiträge.
9. Zu einem raſchen Abſchluſſe der vorbehaltenen Verein - barungen und Feſtſtellungen ertheilen die Bundesregierungen ihren Geſandten ſchleunigſt die nöthigen Vollmachten und In - ſtructionen.
Schließlich beantragte der Ausſchuß, der Bund wolle ſämmt - liche Regierungen erſuchen, ihre Meinung über die weſentlichen214WernerPunkte, namentlich über ihre Betheiligung an der Nordſeeflotten - abtheilung abzugeben und, zur Verhinderung der factiſchen Auf - löſung der vorhandenen Flotte, mit Ablauf des Jahres Mittel zur ferneren Erhaltung derſelben herbeizuſchaffen, ſei es durch Vorſchüſſe, Matricularbeiträge oder durch Aufnahme von An - leihen gegen Verpfändung der Schiffe.
Die Bundesverſammlung beſchloß hierauf über die vor - ſtehenden Anträge die Inſtructionen der Regierungen binnen drei Wochen einzuholen.
Wie der Unbefangene aus dem Obigen erſieht, verſprach eine Verwirklichung dieſer Anträge der deutſchen Flotte keine lebensfähige Zukunft. Wenn irgendwo eine einheitliche Leitung erforderlich wird, um Leiſtungsfähigkeit zu ſichern, ſo iſt dies bei Heer und Flotte der Fall. Der unglücklichen deutſchen Flotte war es aber nicht nur vorbehalten, in drei Contingente zu zerfallen, jede mit eigener Organiſation und Verwaltung, in welche weder der Bund noch irgend eine Centralbehörde hineinreden durfte, ſondern eines dieſer Contingente ſollte ſogar von dreißig Souveränen abhängig ſein. Eine ſolche Ein - richtung trug ſchon den Keim des Todes in ſich, und vom patriotiſchen Standpunkte war es deshalb nicht zu bedauern, daß ſie nicht ins Leben trat. Das Project ſcheiterte denn auch an dem Widerſtande Preußens ſo wie der mitteldeutſchen Staa - ten. Als die Geſandten ihre Inſtructionen empfangen hatten, ſprachen ſich die erwähnten Staaten in der Bundesſitzung vom 27. December 1851 entſchieden gegen den öſterreichiſchen Vor - ſchlag der Dreitheiligkeit der deutſchen Flotte aus, und da auch eine anderweitige Einigung über deren ferneres Schickſal nicht erreicht werden konnte, ſo wurde in der nächſten Sitzung, am 31. December, definitiv der Stab über ſie gebrochen.
An dieſem Tage hörte die deutſche Flotte auf, Bundesflotte zu ſein und es wurde ihre Verwer - thung reſp. Veräußerung beſchloſſen.
215Die deutſche Marine 1848 — 1852Da dieſer Beſchluß ſich indeſſen nicht ſofort ausführen ließ, andererſeits aber der Mangel an Geld zur ferneren Unterhal - tung der Flotte den Bund in nicht geringe Verlegenheit ſetzte, ſo erbarmte ſich Preußen der jetzt von allen Seiten Verlaſſenen und erklärte ſich bereit, ihr Daſein durch Nachzahlung ſeines Theiles an der letzten Matricularumlage im Betrage von 532,000 Gulden noch eine Zeitlang zu friſten.
Es wurden nun bundesſeitig die Einleitungen zur Ver - werthung der Flotte getroffen, und unter dem 12. Januar 1852 theilte der Bundespräſidial-Geſandte Graf von Thun dem Contreadmiral Brommy das traurige Reſultat des letzten Bundes - beſchluſſes mit.
Dieſes Schreiben enthielt zugleich die Aufforderung, bei der bevorſtehenden Kataſtrophe Alles zu verhindern, was das Anſehen und die Würde des Bundes gefährden könne, eine Mahnung durch die ſich der Oberbefehlshaber mit Recht verletzt fühlen mußte, da ſie einen Zweifel an ſeinem Willen einſchloß, bis zum letzten Augenblicke ſeine Pflicht zu thun.
Sein Antwortſchreiben wies dieſe Unterſtellung in würde - voller Weiſe zurück.
„ Daß ich bis zum letzten Augenblicke, “ſchrieb er, „ die Disciplin ſtreng aufrecht erhalten werde, dafür darf Euer Ex - cellenz dasjenige als Bürgſchaft dienen, was ich in den von mir ausgearbeiteten Dienſtvorſchriften niedergeſchrieben habe. Die Vorſchriften, welche ich meinen Untergebenen als Richtſchnur vorzeichnete, werde ich ſelbſt pünktlich auszuführen wiſſen.
„ Alles zu verhindern, was in der zu befürchtenden Kata - ſtrophe das Anſehn und die Würde des Bundes gefährden könnte, ſoll alsdann meine Aufgabe ſein, damit mir im allge - meinen Schiffbruche wenigſtens der Ruhm zu Theil werde, ein während anarchiſcher Zuſtände geſchaffenes Werk aus dem Chaos in Ordnung gebracht, es als Muſter von Subordination und Disciplin unter den ſchwierigſten und verwickeltſten Umſtänden216Wernerhingeſtellt und es als ſolches bis zur vollkommenen Auflöſung erhalten zu haben, damit die Alles richtende Zeit nicht unſere Marine in gleiche Kategorie mit andern Erzeugniſſen des Jahres Achtundvierzig ſtelle. “
Dieſer Ruhm iſt dem Admiral geworden und ungeſchmä - lert verblieben. Bis zum letzten Augenblicke hat er es ver - ſtanden, jede Unordnung fern zu halten, trotz der rückſichtsloſen und der Würde des Bundes ſo wenig angemeſſenen Art, wie Officiere und Mannſchaften bei der Entlaſſung behandelt wurden und die ſpäter noch näher erwähnt werden wird.
Unter dem 27. Januar wurde von der Bundesverſamm - lung an die verſchiedenen Regierungen die Anfrage gerichtet, welche Schiffe ſie eventuell gegen den Taxwerth zu übernehmen geneigt ſeien, jedoch nur Preußen erklärte auf die Segelfregatte „ Eckernförde “und die Dampffregatte „ Barbaroſſa “zu reflec - tiren; alle übrigen Staaten lehnten ab.
Ehe dieſe Uebernahme indeſſen zur Thatſache wurde und trotz der vom Bunde beſchloſſenen Auflöſung, machten einige Staaten noch einen letzten Verſuch, die vorhandene Flotte vor dem ihr drohenden Schickſale zu retten, und zwar ging die erſte Anregung hierzu von Bayern aus. Leider war jedoch nicht der nationale Gedanke das Motiv des Vorſchlags, ſondern es ſollte dadurch nur ein Druck zu Gunſten des von Oeſterreich erſtreb - ten allgemeinen Zollvereins ausgeübt werden.
Preußen hatte den bis dahin beſtandenen Zollverein nach Abſchluß eines beſonderen Vertrages mit Hannover und Gewäh - rung eines Präcipuums an daſſelbe gekündigt, um ihn auf er - weiterter Grundlage wieder neu aufzurichten.
Oeſterreich ſah und nicht mit Unrecht voraus, daß die Zolleinheit Norddeutſchlands der erſte Schritt auch zu deſſen politiſcher Einheit unter preußiſcher Führung ſein werde und glaubte dieſem Schachzuge ſeines Rivalen nur dadurch wirkſam begegnen zu können, ſo wie ſeine gefährdete Suprematie in217Die deutſche Marine 1848 — 1852Deutſchland wiederhergeſtellt und befeſtigt zu ſehen, wenn es ihm gelänge, mit Geſammtöſterreich in den neuen Zollverein einzutreten.
Es ſuchte Bayern für ſeine Anſicht zu gewinnen. Dieſes ließ ſich auch zu ihm hinüberziehen und es ſollte die Flotten - frage zur Förderung der beiderſeitigen Beſtrebungen ausgebeutet werden. Das warme Intereſſe, welches faſt ungetheilt das ganze deutſche Volk und auch eine größere Zahl der Regierungen für Erhaltung der Flotte hegte, ſollte als Hebel für die politiſchen Pläne Oeſterreichs benutzt und zum wirkſamen Alliirten in der Machtfrage gemacht werden.
Der bayriſche Vorſchlag, deſſen eigentliche Natur freilich erſt ſpäter zu Tage trat, fand bei Hannover bereitwillig Auf - nahme. Letzteres erließ an die deutſchen Staaten, mit Ausnahme der beiden Großmächte Preußen und Oeſterreich, eine Einladung zur Beſchickung eines Flottencongreſſes zum 20. März in Han - nover. Die Aufgabe dieſes Congreſſes ſollte die Gründung eines Flottenvereins ſowie Berathung und Beſchlußfaſſung über die Herbeiſchaffung der für Gründung und Erhaltung einer lebensfähigen Nordſeeflotte erforderlichen Mittel ſein.
Preußen und Oeſterreich waren zur Theilnahme nicht auf - gefordert, weil, nach der Anſicht Hannovers, eine ſolche Einladung durch das den bisherigen Bundesverhandlungen zur Voraus - ſetzung und Grundlage dienende Contingentsverhältniß zum Bunde ausgeſchloſſen ſei. Von den übrigen deutſchen Staaten hatten zwanzig der Einladung durch Entſendung von Bevoll - mächtigten Folge geleiſtet, die übrigen theils direct abge - lehnt, theils keine Vertreter geſandt. Unter den Fehlenden befanden ſich auch Württemberg und Baden, wodurch ſchon von vorn herein dem Congreſſe kein günſtiges Prognoſtikon ge - ſtellt wurde.
Der Vorſitzende, der hannoverſche Miniſterpräſident von Scheele, eröffnete die Verſammlung mit einer Anrede, die ihrem218WernerWortlaute nach jeden Hintergedanken ausſchloß und nur den deutſch-patriotiſchen Gefühlen Hannovers in dieſer nationalen Angelegenheit Ausdruck gab. Er ſprach aus, daß Hannover ſich gedrungen gefühlt habe, in letzter Stunde noch einen Verſuch anzuſtellen, durch Erhaltung der Flotte der Gegenwart das be - klagenswerthe Schauſpiel der Auflöſung einer Inſtitution zu er - ſparen, die von dem Bunde der ſouveränen Fürſten und freien Städte Deutſchlands vor kurzem als Bundeseigenthum förmlich anerkannt worden und nach ſeiner Anſicht den organiſchen Ein - richtungen des Bundes zugehörig und mit den Hoffnungen und Wünſchen der ganzen Nation auf das Engſte verknüpft ſei.
Sollte dieſer Verſuch, das letzte Mittel zur Abwendung der drohenden Gefahr, ſcheitern, dann werde gewiß in nicht ferner Zukunft die Reue herankommen und das richtende Urtheil der Geſchichte diejenigen Staaten nicht verſchonen, durch deren Theilnahmsloſigkeit jenes nationale Inſtitut zu Grunde gegangen ſei; darum möge man an der Hoffnung des Gelingens um ſo feſter bis zum letzten Augenblicke halten.
Um jeden Zweifel an der Loyalität Hannovers gegen den Bund von vornherein auszuſchließen, erklärte der Vorſitzende dann, daß die zu gründende Flotte nur im Bundesverhältniſſe zu er - halten ſei. Zu einer andern, als zu einer Einrichtung im Bundesverbande werde Hannover nie die Hand zu bieten ver - mögen, weil eine von der Einwirkung und Verfügung des Bundes unabhängige Kriegsmacht ſich immer zu einem die Bundesgemeinſamkeit löſenden Elemente geſtalten müſſe. Des - halb ſei es auch nur die Abſicht, auf dem Congreſſe die zur Vorbereitung der weiteren Entſchließung des Bundes nothwendige vorgängige Einigung der Staaten unter einander über die Bil - dung des Contingents zu erſtreben.
Dann zu dem als nothwendig erkannten Beſtande der be - abſichtigten Flotte übergehend, wurde als Minimalgrundlage eines kräftigen Organismus ein Geſchwader von zwei Segelfregatten,219Die deutſche Marine 1848 — 1852zwei Segelcorvetten, drei Dampfſchiffen nebſt einer Anzahl von Kanonenbooten, ſo wie zur nachhaltigen Unterhaltung eines ſolchen Beſtandes, einſchließlich der Koſten der erſten Gründung und der Erbauung eines Kriegshafens, ein jährlicher Aufwand von etwa einer Million Thaler als nothwendig erachtet.
Zur Deckung dieſer Summe ſchlug Hannover den Satz von zwei Groſchen pro Kopf der auf zwölf Millionen Seelen geſchätzten Bevölkerung der eingeladenen Staaten und daneben eine Präcipualleiſtung der Küſtenſtaaten in demſelben Betrage pro Kopf vor, was zuſammen 927,000 Thaler pro Jahr ergebe, wobei durch die Theilnehmer dann noch die Lücken zu ergänzen ſeien, da einige Staaten ſich über ihren Beitritt zum Flotten - verein noch nicht entſchieden hätten.
Bei der Abſtimmung über dieſe Vorſchläge ergaben ſich leider ſofort ſehr divergirende Anſichten. Es zeigte ſich der innige Zuſammenhang, in den die Flottenfrage mit der damaligen Zoll - und Handelskriſe gebracht werden ſollte und wie die ein - zelnen Staaten ſich zur letzteren ſtellten.
Die Bereitwilligkeit, ſich durch Geldbeiträge an der Er - haltung der Flotte zu betheiligen, wenn auch nicht überall in Höhe der als nothwendig erkannten Summen, ſprachen alle verſammelten Vertreter aus, nur machten ſie dieſelbe von ver - ſchiedenen Bedingungen abhängig. Braunſchweig, Oldenburg, die Hanſeſtädte, Coburg-Gotha, Anhalt-Deſſau und Schaum - burg-Lippe ſtimmten den hannover’ſchen Vorſchlägen ohne Vor - behalt bei; Sachſen-Weimar, Sachſen-Altenburg, Anhalt-Bern - burg und Lippe-Detmold knüpften ihre Zuſtimmung an den Beitritt Preußens zum Flottenvereine; Bayern, Sachſen, Groß - herzogthum Heſſen, Naſſau und Sachſen-Meiningen machten ihre Theilnahme von einer befriedigenden Löſung der Zoll - und Handelsfrage abhängig. Was aber unter dieſer „ befriedigenden Löſung “zu verſtehen war, ergab ſich deutlich aus der vom bayriſchen Geſandten abgegebenen Erklärung.
220WernerDieſelbe lautete folgendermaßen: Bayern habe zu jeder Zeit und bei allen Anläſſen, wo es ſich um gemeinnützige Schöpfungen und Einrichtungen für das Wohl des geſammten deutſchen Vaterlandes handelte, ſeine Opferbereitwilligkeit in ſolchem Maße bethätigt, daß es ſich des allſeitigen Anerkennt - niſſes hierüber verſichert halten dürfe. In Bezug auf die vor - liegende Angelegenheit habe es bereits in der Bundestagsſitzung vom 27. December v. J. ſeine Mitwirkung zur Bildung einer Nordſeeflotte auf der Grundlage eines dreitheiligen Flottencon - tingents zugeſagt und ſich anheiſchig gemacht, für die erſte Grün - dung einen einmaligen Beitrag von 800,000 Gulden und für deren Erhaltung jährlich 200,000 Gulden zu zahlen. Indeſſen ſei es dabei überall von der eben ſo wichtigen als in den Ver - hältniſſen begründeten Vorausſetzung ausgegangen, daß die über die deutſchen Zoll - und Handelsverhältniſſe ſchwebenden Ver - handlungen in befriedigender Weiſe gelöſt würden. Ein Binnenſtaat wie Bayern könne ſo lange, als eine Trennung von der Nordſee durch eine Zollgrenze beſtehe, und ſo lange nicht die Gewißheit gegeben ſei, dieſe Grenze durch Vereinigung in ein gemeinſchaftliches Zollgebiet beſeitigt zu ſehen, ſich von dem Beſtande einer Nordſeeflotte für ſeine materiellen Intereſſen einen mit den bedeutenden Opfern, welche dieſelbe fordere, im Ver - hältniſſe ſtehenden Nutzen nicht verſprechen. Ebenſo müſſe es wiederholt darauf aufmerkſam machen, daß auch, ſo lange zwiſchen Oeſterreich und dem übrigen Deutſchland die Trennung der Zoll - und Handels - verhältniſſe fortdauere, der Bildung einer deut - ſchen Flotte durch drei Contingente nicht minder eine der weſentlichſten Grundlagen für die ge - meinſamen, durch dieſe Flotte zu ſchützenden Inter - eſſen fehlen würde.
Indem Bayern dieſen Standpunkt feſt halte, könne es an keiner Vereinigung Theil nehmen, an welcher nur eine der221Die deutſche Marine 1848 — 1852beiden Großmächte betheiligt ſei, da dies immer nur eine Quelle von Irrungen und Verwickelungen bilden würde. Dieſen Er - klärungen ſchloſſen ſich, wie bereits bemerkt, Sachſen, Groß - herzogthum Heſſen, Naſſau und Sachſen-Meiningen an.
Es hatten ſich mithin im Schooße des Congreſſes drei Gruppen gebildet, deren Anſichten ſich principiell gegenüber - ſtanden. Die weiteren Verhandlungen führten weder eine Eini - gung in den Differenzpunkten noch eine Annäherung der ab - weichenden Meinungen herbei. Da auch die Frage des Geld - bedarfs nicht genügend erledigt werden konnte, weil nach Er - klärung des zur Conferenz zugezogenen Admiral Brommy die von den Staaten eventuell zu bewilligende Unterhaltungsſumme dem wirklichen Bedarf nicht entſprach und die Mehrzahl der Staaten eine höhere Beitragsquote nicht zu geben geſonnen war, ſo kam am dritten Congreßtage das Präſidium zu der traurigen Ueberzeugung, daß die von der Hannover’ſchen Regie - rung erſtrebten Verſuche als geſcheitert zu betrachten ſeien.
Damit war das endgültige Todesurtheil der Flotte ge - ſprochen und der letzte Act des Dramas begann.
Acht Tage nach dem Auseinandergehen des Congreſſes, am 2. April 1852, erhielt Brommy vom Bundespräſidium den Befehl, die Schiffe „ Eckernförde “und „ Barbaroſſa “an den Commiſſar der preußiſchen Regierung, Commodore Schröder, auszuliefern, und dieſer Befehl wurde am 5. April, dem Jahres - tage der Eroberung der „ Gefion “, vollzogen.
Welcher Contraſt zwiſchen dem 5. April 1849 und dem von 1852! Damals erfüllte Jubel und Begeiſterung alle Ge - müther, die Hoffnung auf ein einiges Deutſchland und eine ſeiner Größe und Würde angemeſſene Flotte ſchwellte die Bruſt eines jeden Patrioten. Mit Stolz blickten alle Angehörigen der Marine zu dem ſchwarzrothgoldenen Banner empor, das über ihren Häuptern wehte und die Wiederkehr mächtiger Geltung zur See verhieß, wie ſie einſt vor Jahrhunderten Deutſchland222Wernerbeſeſſen — und heute? Alle jene ſchönen Hoffnungen waren ge - knickt und zu Grabe getragen. Mit tiefer Trauer im Herzen ſahen Officiere und Mannſchaften der Flotte die Flagge, der ſie Treue geſchworen, langſam herniederſinken von den Maſten der Schiffe, um nie wieder emporzuſteigen. Der ſchöne Traum war ausgeträumt und Thränen der Wehmuth rannen über die ge - bräunten Wangen Derer, die damit ihren Lebenshoffnungen ent - ſagten und in eine trübe unſichere Zukunft blickten.
Die weitere Auflöſung ging nun ſchrittweiſe vor ſich. Der als Bundescommiſſar beſtellte Staatsrath Dr. Hannibal Fiſcher traf im Mai 1852 in Bremerhafen ein, um den Materialbe - ſtand der Flotte zu übernehmen und denſelben zu veräußern, was ſich in Bezug auf die Schiffe jedoch erſt im Laufe des Jahres vollzog.
Alle ohne Patent angeſtellten Officiere wurden mit der Abfindung eines dreimonatlichen Gehalts bereits im Mai ent - laſſen und von den Mannſchaften nur ſo viele zurückbehalten, als zur Bewachung der noch nicht verkauften Schiffe unumgäng - lich nöthig waren. Am 29. Juli ordnete ein Bundesbeſchluß auch die Entlaſſung der mit Patent und ohne Vorbehalt ange - ſtellten Officiere und Beamten an, indem man ihnen ein Jahres - gehalt als vollſtändige Abfindungsſumme offerirte, ein Beſchluß, der kein günſtiges Zeugniß für das Rechtsgefühl des Bundes ausſtellte und allgemeine Entrüſtung hervorrief.
Bereits im Januar, als Graf Thun den Admiral Brommy von dem bevorſtehenden Aufhören der Flotte in Kenntniß geſetzt und ihn aufgefordert hatte, Alles zu verhindern, was die Würde und das Anſehen des Bundes beeinträchtigen könne, hatte Brommy dieſen Punkt zur Sprache gebracht. Er ſchrieb damals an den Bundespräſidialgeſandten: „ Um aber dieſe ſchwierige Aufgabe (nämlich die Auflöſung der Flotte) zu erleichtern, dürfte es wol geeignet erſcheinen, dafür Sorge zu tragen, daß dem Officier - corps, welches dem Dienſte der deutſchen Marine ſich mit dem223Die deutſche Marine 1848 — 1852vollen Vertrauen widmete, das der an die Spitze der Regie - rung geſtellte Kaiſerliche Fürſt erweckte — ein Beweis, daß die neue Schöpfung keine revolutionären Tendenzen haben ſolle — irgend eine Garantie für die Zukunft gegeben werde, die durch eine plötzliche Auflöſung der Flotte gefährdet ſei.
„ Wenn Eure Excellenz in geneigte Berückſichtigung ziehen, daß ein Theil der Officiere durch diplomatiſche Verhandlungen herübergezogen, andere aber veranlaßt wurden, lucrative Stel - lungen aufzugeben, um ſich dem Dienſte des Vaterlandes zu widmen, welches ihrer Kräfte bedurfte, daß alle dieſe im vollen Glauben an die Decrete des Erzherzogs-Reichsverweſers in den Dienſt traten, ſo iſt es gewiß nur billig, zu erwarten, daß eben dieſe Decrete auch in Kraft verbleiben und die Zukunft derer ſichern, die ſich plötzlich der Mittel ihrer Exiſtenz beraubt ſehen.
„ Der frühere Bundestag übertrug dem Reichsverweſer ſeine Machtvollkommenheiten, dieſer der Bundescentralcommiſſion, von welcher die Bundesverſammlung ſie wieder übernahm. Legal war alſo die Marine von dem Augenblicke an, wo der Reichs - verweſer dieſelbe ſanctionirte, denn in einen revolutionären Dienſt würden weder ich noch die andern Officiere getreten ſein.
„ Ich hoffe keine Fehlbitte zu thun, wenn ich mich ver - trauensvoll an Eure Excellenz mit dem Geſuche wende, bei Auflöſung der Flotte die gerechten und billigen Anſprüche der Officiere bei der hohen Bundesverſammlung vertreten zu wollen. “
Aber weder dieſer noch wiederholte Anträge des Admirals nach dieſer Richtung vermochten, trotz ihrer völligen Berechtigung, lange Zeit eine Aenderung des bezüglichen Bundesbeſchluſſes nicht herbeizuführen, und wenn ſpäter den patentirten Officieren eine kärgliche Penſion, von der allein ſie nicht leben konnten und auch nur ſo lange gezahlt wurde, bis ſie ſich eine andere Lebens - ſtellung verſchafft hatten, ſo war dies auch nicht einmal Ver - dienſt des Bundestags als ſolchen, ſondern der Dank dafür gebührte Preußen, deſſen Geſandter, Herr von Bismarck-Schön -224Wernerhauſen, mit ſeiner bekannten Energie für die ſo ungerecht be - handelten Officiere eintrat.
Der Bundescommiſſar Fiſcher war in vielen Beziehungen nicht der geeignete Mann, um den ihm gewordenen allerdings peinlichen Auftrag in einer Weiſe zu erledigen, wie es im Inter - eſſe aller Betheiligten erwünſcht war.
Eine ſehr unliebſame Verzögerung der Angelegenheit war die Folge, und erſt am 31. März 1853 der letzte Act des nationalen Dramas ausgeſpielt. Ein Generalbefehl des Ad - miral Brommy von dieſem Tage verkündete dem deutſchen Volke, daß die deutſche Flotte aufgehört hatte, zu exiſtiren und nur noch der Erinnerung angehörte.
Dieſer Befehl lautete folgendermaßen:
„ Dem ſämmtlichen Perſonal der deutſchen Bundesmarine wird hiermit bekannt gegeben, daß im Anſchluß an die bezüg - lichen früheren Verfügungen zur Ausſcheidung von Schiffen und Material ſowie zur Entlaſſung von Perſonal nunmehr unter dem 15. d. M. die Auflöſung der Marinebehörden und da - mit die Entlaſſung des geſammten bei Abwickelung der Geſchäfte noch betheiligt geweſenen Perſonals zum 31. März d. J. höch - ſten Ortes beſchloſſen worden iſt und durch das Obercommando zur Ausführung wird gebracht werden.
„ Schmerzlich iſt es dem Obercommando, dieſen inhaltſchwe - ren Act zur allgemeinen Kenntniß bringen zu müſſen, einen Act, durch welchen nicht nur das mit nationaler Begeiſterung in’s Leben gerufene und unter den ſchönſten Erwartungen emporgeblühte Inſtitut einer deutſchen Marine den bloßen Er - innerungen anheimgegeben wird, ſondern durch welchen auch die Hoffnungen ſo vieler tüchtiger Männer, die dem Vaterlande ihre Kräfte und Leben zu weihen nicht anſtanden, vernichtet worden ſind.
„ Dagegen bleibt es dem Obercommando ein wohlthuendes Gefühl, den von dieſen trüben Verhältniſſen abgewendeten Blick225Die deutſche Marine 1848 — 1852mit der Ueberzeugung in die Vergangenheit zurückwerfen zu können, daß dieſelbe ein glänzendes Beiſpiel dafür geweſen, was unbedingte Hingabe an eine große Idee und Vertrauen in die Oberleitung, der ihre Ausführung anvertraut war, ungeachtet aller entgegenſtehenden Hinderniſſe hervorzubringen vermögen.
Mit Stolz darf das Obercommando es ausſprechen, daß die deutſche Marine innerhalb der ihrer Ausbildung geſteckten engen Grenzen und unter den ſchwierigſten Verhältniſſen einen Höhepunkt erreicht hatte, welchem Sachkundige die vollſte Aner - kennung zollen mußten und der den Beweis lieferte, was Deutſch - land hinſichtlich ſeiner Wehrkraft zur See unter günſtigen Um - ſtänden zu leiſten vermöchte!
Indem das Obercommando ſämmtlichen Officieren, Be - amten und Mannſchaften der Marine Lebewohl ſagt, fühlt es ſich gedrungen, denſelben für ihre geleiſteten Dienſte ſeine volle Anerkennung und Zufriedenheit hiermit ausdrücklich und dankend auszuſprechen.
Bremerhafen, den 31. März 1853.
Das Obercommando der Marine. Rudolph Brommy, Contreadmiral.
Als im Monat März 1849 das erſte große deutſche Kriegsſchiff auf der Weſer eintraf und den Namen „ Barba - roſſa “empfing, da beſeelte jeden Deutſchen das erhebende Be - wußtſein, einer großen Nation anzugehören und erfüllte ſeine Bruſt mit froher Hoffnung für die Ehre, Größe, Einheit, Frei - heit und wachſende Herrlichkeit des Vaterlandes.
Man glaubte dieſe Herrlichkeit neu errichtet und den alten Kaiſer Barbaroſſa aus den Fluthen, in denen er ſeinen Tod fand, auferſtanden, um auf den Fluthen des Meeres ſeine un - ſterbliche Laufbahn neu zu beginnen.
Wie er bis dahin im Geiſte und in der Erinnerung ſeinesR. Werner, Erinnerungen. 15226WernerVolkes gelebt, das die Freiheit und Einheit wollte, ſo lebte er jetzt weiter in der erſten thatſächlichen Erſcheinung und Ver - körperung dieſer Einheit, in der deutſchen Flotte.
In der ſchwarzrothgoldenen Kriegsflagge zeigte ſich der erſte deutſche Aar, der die Raben der Zwietracht von den Pforten des deutſchen Vaterlandes mit gewaltigem Flügelſchlage zurückſcheuchen, der ſie in alle Winde zerſtreuen, ſeine Schwingen entfalten und mit mächtigen Fängen die Feinde zermalmen ſollte.
Solchen Gefühlen patriotiſcher Begeiſterung hatten auch die Frauen und Jungfrauen der Stadt Brake, vor dem der „ Barbaroſſa “zuerſt Anker geworfen, einen beredten Ausdruck gegeben, als ſie im Mai 1849 dem damaligen Kapitän Brommy eine koſtbare, von ihnen für jenes Schiff geſtickte Flagge über - gaben und dieſe ſelbſt unter dem Hurrah der Flottenmannſchaft und dem Donner der Kanonen hinaufzogen am Maſte, wo ſie fortan zum Ruhme und zur Ehre Deutſchlands wehen ſollte.
In ſeinem Danke hatte Brommy verſprochen, ſie unentweiht hoch zu halten in Krieg und Frieden und ſich nicht von ihr zu trennen. Als dann nach ſo kurzer Zeit jene erträumte Herrlich - keit des deutſchen Reiches ſo tief in den Staub ſank und der deutſche Aar, anſtatt ſeinen Flug zur Sonne zu richten, aber - mals, wenn auch glücklicher Weiſe auf nicht lange Zeit, trauernd das ſtolze Haupt unter den Flügeln barg, da fragten jene deut - ſchen Jungfrauen nach dem Schickſal ihrer Flagge, die für immer ſich von der Gaffel niedergeſenkt hatte.
Die Antwort des Admirals lautete folgendermaßen:
„ Meine Damen! Durchdrungen von demſelben Gefühle, welches Sie in dieſem verhängnißvollen Augenblicke bewegt, wagte ich es, Ihrem Wunſche zuvorzukommen, als ich ſah, daß die Stunde der Entſcheidung für die deutſche Marine geſchla - gen hatte.
Die mir in einer Zeit des Glaubens an ein einiges Deutſchland von Ihnen an Bord des „ Barbaroſſa “überreichte227Die deutſche Marine 1848 — 1852Flagge, welche ich als Palladium zu ſchützen verſprach, darf nicht von der Sache, der ſie gewidmet ward, getrennt werden.
So lange das deutſche Geſchwader noch beſteht, ſoll dieſe Flagge nur auf dem Schiffe, das meine Flagge führt, über meinem Haupte wehen, und hat endlich die Marine zu Deutſch - lands unauslöſchlicher Schmach aufgehört zu beſtehen, dann werde ich ſie als ein heiliges Zeichen der Erinnerung ver - ſchwundener hehrer Tage, eines ſchönen Traumes, aufbewahren.
Einſt aber ſoll dieſe Flagge, welche ich ſo glücklich war, den Feinden des Vaterlandes zuerſt im offenen Kampfe auf unſerem deutſchen Meer entgegenzuführen, wenn die Täuſchungen der Gegenwart auf immer entſchwunden ſind, meine irdiſchen Reſte in kühlem Grabe ſchützend einhüllen, wie ich dieſelbe im Leben und trotz aller Widerwärtigkeiten treu und redlich ge - ſchützt habe. “
Admiral Brommy war es nicht vergönnt, das Morgenroth beſſerer Tage anbrechen und, wenn auch nicht die ſchwarzroth - goldene, ſo doch die ſchwarzweißrothe Flagge des einigen und mächtigen deutſchen Reiches auf dem Ocean ſich entfalten und die Achtung der Welt erringen zu ſehen.
Er ſtarb am 9. Januar 1860 in St. Magnus an den Ufern der Weſer, wohin er ſich zurückgezogen, und jene Flagge war das Leichentuch, mit dem man ihn, ſeinem Wunſche gemäß, in das Grab legte. Sein einziger Sohn Rudolph fiel auf dem Felde der Ehre für König und Vaterland im Feldzuge 1870 bei St. Privat.
Auch Duckwitz, jener unermüdliche Kämpfer für Deutſch - lands Einheit und Geltung zur See, konnte nicht mehr das neu erſtandene Reich begrüßen und wurde früher in das Jen - ſeits berufen. Ehre ihrem Andenken!
Von den damaligen Officieren und Beamten der deutſchen Marine exiſtirt nur noch eine kleine Zahl. Ein Theil derſelben hat ſich zu ehrenvollen Stellungen emporgearbeitet, ein anderer15*228Werneriſt geſtorben, ein anderer verdorben. „ Das Alte ſtürzt und neues Leben blüht aus den Ruinen. “ Der Traum deutſcher Einheit und Seemächtigkeit, der damals ſo traurig zerfloß — er hat ſich ſeit zehn Jahren zur freudigen Wirklichkeit geſtaltet. Die Raben der Zwietracht ſind verſcheucht, Deutſchland hat nach Jahrhunderten auch auf dem Meere wieder die Stellung einge - nommen, die ihm gebührt; die Kiele ſeiner Kriegsſchiffe durch - furchen die blauen Fluthen des Oceans und der deutſche Aar in der Flagge ſeiner Flotte wird fortan den Feinden zeigen, daß er jetzt Kraft genug in ſeinen Fängen beſitzt, um Unbill zu rächen und Schmach abzuwehren.
[229]Wie der hiſtoriſche Rückblick auf Entſtehen und Vergehen der erſten deutſchen Marine zeigt, war ſie während ihres kurzen Lebenslaufes zu paſſiver Unthätigkeit verurtheilt und arm an Ereigniſſen, die in die Annalen der Geſchichte gehören. Die Ankunft der „ Eckernförde “auf der Weſer nach ſo viel Fähr - lichkeiten und Hinderniſſen, die mehr als einmal die koſtbare Trophäe uns wieder zu entreißen drohten, war das letzte von einiger Aufregung begleitete Vorkommniß. Die fernere Exiſtenz der Flotte während der nachfolgenden zwei Jahre bis zu ihrer Auflöſung konnte nur noch ein Vegetiren genannt werden, bei dem die Tage in gleicher Einförmigkeit und Bedeutungsloſigkeit dahin ſchwanden. In der guten Jahreszeit lagen die Schiffe am linken Weſerufer, unweit des oldenburgiſchen Dorfes Blexen, Bremerhafen ſchräg gegenüber, vor Anker, in den Wintermona - ten wurden ſie zum Schutze gegen Eis theils in dem Geeſte - fluſſe bei Bremerhafen, theils in dem Hafen von Brake unter - gebracht und es war kein erquickender Anblick, ſie dann bei der Ebbe im Schlamme ſteckend und faſt trocken liegend zu ſehen.
230WernerWeitere Bewegungen gab es für ſie ſonſt faſt nicht. Der Dienſt an Bord ging ſeinen Gang, aber brachte bei dem Still - liegen natürlich keine Abwechſelung. Wir Officiere ſtrebten da - hin, die Schiffe in möglichſt gute Ordnung zu bringen und einer dem andern darin den Rang abzulaufen, aber die gleich - förmige Tagesroutine wurde dadurch nicht verändert. Dieſes ewige Einerlei konnte weder uns noch den Mannſchaften zumal bei den infolge der Verhältniſſe ſehr herabgeſtimmten Anſprüchen Befriedigung gewähren und es war daher erklärlich, wenn die Langeweile Blaſen trieb.
Eine ſchwere Aufgabe war unter ſolchen Umſtänden die Aufrechterhaltung der Disciplin. Bis zum Jahre 1851 bildete die Disciplinarverordnung für die Reichsmarine unſer einziges Machtmittel, um 1500 — 1600 Mann in Ordnung zu halten. Es konnte weder ein Stand - noch ein Kriegsgericht abgehalten werden, weil es für die Flotte kein Strafgeſetzbuch und ebenſo - wenig eine Feſtung, ein Gefängniß oder ein Zuchthaus gab, in dem die zu längeren Freiheitsſtrafen Verurtheilten hätten Auf - nahme finden können. Selbſt in dieſer ſo höchſt wichtigen Beziehung ſchwebte die arme Marine in der Luft und war auf ſich ſelbſt angewieſen, bis endlich um jene Zeit Olden - burg ſich erbarmte, ſein Militärſtrafgeſetzbuch einführen ließ und auch der Marine ſeine Strafanſtalten zur Verfügung ſtellte. Wenn es trotzdem den Officieren gelang, einen guten Geiſt unter der Mannſchaft zu bewahren, jeder Lockerung der Dis - ciplin vorzubeugen und ſelbſt die unbändigſten Elemente zu zügeln, ſo iſt dies gewiß ein ſprechendes Zeugniß für ihre moraliſche Kraft, für den Ernſt, mit dem ſie ihren ſchweren Pflichten nachzukommen ſuchten und für den guten Einfluß, den ſie auf die Mannſchaften zu üben verſtanden.
Im erſten Jahre waren die Schwierigkeiten noch geringer, denn unſere damaligen Beſatzungen beſtanden aus ganz vorzüg - lichen Leuten, ſowol in fachlicher wie in moraliſcher Beziehung,231Ernſtes und Heiteresaus tüchtigen und braven Oldenburgern, Mecklenburgern, Schles - wig-Holſteinern und Hannoveranern, die ſich ungemein leicht lenken ließen, und ſelten wol haben Kriegsſchiffe ein ſo gutes Perſonal aufzuweiſen, wie es die deutſche Flotte damals beſaß. Nur ein bedenkliches Element, das wir uns aufgehalſt, befand ſich dar - unter, doch gelang es ſchon binnen Kurzem, es wieder auszu - merzen. Dies waren etwa fünfzig angeworbene engliſche Matro - ſen, die früher auf Kriegsſchiffen gedient hatten und militäriſche Lehrer unſerer Leute werden ſollten. Sehr bald zeigte ſich je - doch, daß ſie zu letzterem Zwecke ganz untauglich und außer - dem abſolut nicht zu zügeln waren. Der billige deutſche Branntwein war für ſie ein ſchlimmer Verführer, und um ihm wirkſam entgegenzutreten, hätten wir ſtatt über die beſchränkten Strafmittel unſerer humanen Disciplinarverordnung über dis - cretionäre Anwendung der neunſchwänzigen Katze verfügen müſſen. Beſtialiſche Trunkenheit, Gehorſamsverweigerung, blutige Raufereien unter ſich und mit unſern Leuten, die je - doch ſtets von den Engländern ausgingen, waren an der Tagesordnung, und wir mußten deshalb trachten, ſie auf das ſchleunigſte wieder los zu werden. Glücklicher Weiſe waren ſie nicht auf beſtimmte längere Zeit engagirt, und wir ſchickten ſie bis auf zwei oder drei gute Matroſen, innerhalb weniger Monate wieder fort.
Bei dieſer Gelegenheit trat der Characterunterſchied zwi - ſchen engliſchen und deutſchen Matroſen klar zu Tage, den ich ſpäter ſtets von neuem beobachtet habe und der die Wag - ſchale ſehr zu Gunſten der letzteren neigt. Der Engländer gilt im allgemeinen und namentlich auch bei uns in Deutſchland für den tüchtigſten Seemann der Welt. Es liegt mir fern, ihm ſeine fachliche Tüchtigkeit abzuſprechen, aber der Deutſche ſteht ihm darin wenigſtens nicht nach und iſt ihm in morali - ſcher Beziehung jedenfalls vorzuziehen. Der gewöhnliche eng - liſche Matroſe iſt innerlich viel roher und brutaler als der232Wernerunſere; der Branntwein bildet den Fluch ſeines Lebens; er bietet alles auf, um ihn ſich zu verſchaffen und ſich darin zu übernehmen. In Momenten der Gefahr iſt er weniger zuver - läſſig als der unſere und ſeine Führer verlieren leicht die Gewalt über ihn. Natürlich giebt es auch unter den deutſchen See - leuten Subjecte, die den Engländern darin nichts nachgeben, aber ſie bilden nur einen kleinen Bruchtheil der Geſammtheit, und dieſe hat auch im Auslande einen ſo guten Ruf, daß jeder Kapitän, namentlich aber der engliſche, deutſche Matroſen lieber wirbt, als ſeine Landsleute, weil er, neben ihren fachlichen Vor - zügen, ihre Zuverläſſigkeit, ihr ruhiges fleißiges Weſen und ihre Nüchternheit zu ſchätzen weiß.
Während wir anfangs mit unſern deutſchen Mannſchaften, was Disciplin und Kriegsſchiffszucht anbetraf, eine verhältniß - mäßig leichte Aufgabe hatten, wurde die Sache ſpäterhin doch etwas ſchwieriger. Nach Ablauf ihres Engagements gingen die guten mecklenburgiſchen und frieſiſchen Seeleute zum größten Theile fort, weil ihnen das ruhm - und thatenloſe Stillliegen der Schiffe nicht behagte. Was ſich ſtatt ihrer zum Eintritt meldete, war oft ziemlich zweifelhafter Natur und beſtand viel - fach aus Nichtſeeleuten. In Ermangelung beſſerer Elemente und um zur ungeſtörten Handhabung des Dienſtes unſere Mannſchaftsſtärke vollzählig zu halten, wurde bei der An - nahme nicht ſehr ſcrupulös verfahren. Wenn das ſeemänniſche Intereſſe an die ſich Meldenden ſtets die erſte Frage richten ließ „ Wie lange haben Sie gefahren? “ſo begnügten wir uns doch auch mit ſolchen, die keine Fahrzeit hatten, da auf feſt verankerten Räderdampfſchiffen, die außerdem nur mit einer ſehr dürftigen Betakelung verſehen waren, eigentliche Seemann - ſchaft weniger in das Gewicht fiel.
Bei jener ſtereotypen Frage lief jedoch bisweilen ein draſti - ſches qui pro quo unter. So erinnere ich mich, daß ſich eines Tages auf unſerem Schiffe ein junger kräftiger Mann an -233Ernſtes und Heitereswerben laſſen wollte, deſſen ganze Erſcheinung einen ſehr guten Eindruck machte.
„ Wie lange haben Sie gefahren? “lautete wieder die Frage des erſten Officiers.
„ Sieben Jahre! “war die prompte und ſichere Erwide - rung des jungen Mannes.
„ Gut! “ſagte der Officier, der ſich nicht wenig freute, nach langer Pauſe wieder einmal einen befahrenen Seemann gekapert zu haben, und ohne ſich weiter nach deſſen Papieren zu erkun - digen ſetzte er hinzu, „ wenn der Doctor Sie geſund befindet, können Sie als Matroſe I. Claſſe eingeſtellt werden und es bald zum Unterofficier bringen, wenn Sie ſich gut machen. “
Die ärztliche Unterſuchung ergab ein günſtiges Reſultat, der Betreffende wurde vereidet und eingekleidet. Auch der Bootsmann gab ſeiner Freude über die ungewohnte Acquiſition Ausdruck. Er war ein Mecklenburger und der Typus eines eingefleiſchten alten Seemanns. „ Gott ſei Dank! “äußerte er, „ nun bekommt man doch endlich einmal wieder einen vernünfti - gen Kerl zu allen den Landlubbern, den man bei einem ordentlichen Stück Matroſenarbeit anſtellen kann. “
Am andern Tage gab es ein ſolches Stück Arbeit, und Mohr, ſo hieß der neu angeworbene Matroſe I. Claſſe, wurde vom Bootsmann damit betraut. Wie ſtaunte der Letztere aber, als er ſah, daß Mohr offenbar nicht die leiſeſte Ah - nung von der Behandlung des ihm gewordenen Auftrages hatte und dieſer auch ganz unbefangen erklärte, davon verſtehe er nichts.
„ Was? Mann! “rief der Bootsmann in heller Entrüſtung, „ das verſtehſt Du nicht und Du willſt ſieben Jahre gefahren haben! Wo haſt Du denn gefahren? “
„ Auf dem Bock, “lautete die Antwort.
„ Was war das für ein Fahrzeug, ein ordentliches Schiff oder ein Stein Ewer? “
234Werner„ Das war gar kein Schiff. “
„ Gar kein Schiff? “donnerte jetzt der Bootsmann ganz wild. „ Was in des Teufels und ſeines Pumpſtocks Namen war es denn? “
„ Ich habe als Kutſcher gefahren “.
Der Bootsmann war ſtarr über dieſe vermeintliche Frech - heit und lief ſpornſtreichs zum erſten Officier, um das uner - hörte Verbrechen zu melden. Was war aber zu machen? Mohr hatte durchaus keine Schuld an dem Mißverſtändniſſe; als Kutſcher konnte er mit demſelben Rechte wie die Seeleute das Wort „ fahren “mit „ haben “conſtruiren, da er wie ſie activ an der Bewegung betheiligt iſt und hatte deshalb die an ihn gerichtete Frage nach beſter Ueberzeugung wahrheitsgemäß beant - wortet. Man konnte ihm weiter nichts anhaben, als daß er als „ Unbefahrener “in die dritte Matroſenklaſſe verſetzt wurde. Was ihm aber damals an wirklicher Fahrzeit fehlte, das iſt von ihm inzwiſchen redlich nachgeholt worden. Jetzt hat er nicht nur ſieben, ſondern über zwanzig Jahre ſich den Wind in allen Welttheilen um die Naſe wehen laſſen. Bei Auflöſung der deutſchen Marine trat er mit in die preußiſche über und wurde mit der Zeit ein ungemein tüchtiger Seemann. Später war er drei Jahre lang mein Bootsmann, und man konnte ſich für dieſen ſchwierigen Poſten, der an Bord eines großen Kriegs - ſchiffes ſo viel Erfahrung, Umſicht, Fachkenntniß und unermüd - liche Thätigkeit erheiſcht, keinen beſſeren und zuverläſſigeren Mann wünſchen.
Nicht immer ſchlugen jedoch die Unbefahrenen ſo gut ein. Oefters waren es gar bösartige Geſellen, mit denen man zu thun hatte, und es mußten außergewöhnliche Mittel angewendet werden, um ſie unſchädlich zu machen und zu verhüten, daß ihr Beiſpiel nicht nachtheilig und anſteckend auf die übrigen Mann - ſchaften zurückwirkte.
So befand ſich an Bord der „ Hamburg “ein ſolches Sub -235Ernſtes und Heiteresject, mit dem abſolut nichts anzufangen war. Nichts fruchtete bei ihm, weder Güte noch Strenge; die ganze Scala der Strafen, welche den Vorgeſetzten zu Gebote ſtanden, war erſchöpft, ohne irgend welchen Eindruck zu machen. Der Mann war längſt reif für zehn Jahre Zuchthaus, zu denen er aber aus den oben angeführten Gründen nicht verurtheilt werden konnte. Er ſtahl nicht nur wie ein Rabe, ſondern war auch einer der ungeber - digſten und boshafteſten Menſchen, die es geben konnte.
Eines Tages erhielt er einen Befehl vom erſten Officier, aber anſtatt denſelben zu befolgen, kletterte er in die Bemaſtung bis in die Bramſaling — das Holzgerüſt, in welchem der Fuß der zweiten Verlängerung der Maſten, der Bramſtenge, befeſtigt iſt — ſetzte ſich dort hin und begann in der gemeinſten Weiſe auf Commandant und erſten Officier zu ſchimpfen, ſo daß Alle an Bord auf das Höchſte empört waren. Ihn von dort oben herunterzuholen war bei dem verzweifelten Character des Mannes ein Wagſtück, das der Commandant Niemandem zumuthen mochte; als ſich jedoch ein Unterofficier freiwillig er - bot, den Menſchen an Deck zu bringen, erhielt er die Erlaub - niß dazu und enterte nach oben. Der Miſſethäter erwartete augenſcheinlich, von ihm angefaßt zu werden, retirirte auf die äußerſte Spitze der Bramſaling und machte ſich bereit, ſich zur Wehre zu ſetzen. Uns wurde bei dieſer Ausſicht gar nicht wohl zu Muthe, denn ein Kampf dort in den Lüften, wo die Füße nur auf den ſchmalen Balken der Saling einen Halt fanden, mußte aller Wahrſcheinlichkeit nach mit dem Herabſturze des Einen oder Beider enden. Der Unterofficier jedoch, zu unſerm Erſtaunen, that, als ob er ſich gar nicht um den Mann kümmerte, kletterte an ihm vorbei bis er die Spitze der Bram - ſtenge erreicht hatte und machte ſich dort einige Zeit lang an dem Tauwerk zu thun. Dann ließ er ſich an den Pardunen, den Haltetauen der Bramſtengen, welche von deren Spitze bis an Deck fahren, wieder ganz gemächlich herunter, bis er ſich236Wernernahe über dem Matroſen befand, der offenbar nichts von der wirklichen Abſicht des Unterofficiers ahnte und ſein Schimpfen fortſetzte.
Plötzlich ließ Letzterer jedoch die Füße los, ſchlang ſie blitzſchnell um den Hals des erſchreckten Mannes und riß ihn mit einem gewaltigen Ruck von der Saling, ſo daß er jetzt zwiſchen den zuſammengekniffenen Beinen wie in einer Schlinge faſt achtzig Fuß über Deck in freier Luft hing. Uns Zuſchauern ſtanden bei dieſem unerwarteten Manöver die Haare zu Berge, aber es ging alles gut. Der ebenſo kräftige wie wunderbar gewandte Unterofficier preßte zwar abſichtlich den Hals ſeines Gefangenen etwas ſcharf zuſammen, um ihn unſchädlich zu machen, kam dann aber Hand über Hand mit ſeiner Laſt den langen Weg an der Pardune herunter und lieferte ihn mit den Worten „ da iſt er “an den wartenden Profoß ab. Der Menſch geberdete ſich jetzt aber ſo raſend, daß er in den polniſchen Bock geſpannt und mit einem Knebel im Munde unten in den Raum auf den Eiſenballaſt geworfen werden mußte, da ſich keine Arreſtlocale an Bord befanden, die auf Schiffen erſt eine Ein - richtung neuerer Zeit ſind. Das Verbleiben in dieſer Poſi - tion bis zum andern Morgen hatte ihn jedoch endlich zahm gemacht und bis zu ſeiner nach einigen Monaten erfolgenden Entlaſſung ließ er ſich nichts wieder zu Schulden kommen. Die über ihn verhängte Maßregel ſtand zwar in keinem Paragraphen der Disciplinarverordnung, aber ſolchen Menſchen zu bewäl - tigen, blieb nichts anderes übrig.
Ueberhaupt hat es mit den Strafen an Bord eine eigene Bewandtniß und es kann an dieſe nicht der Maßſtab gelegt werden, wie am Lande, weil die Verhältniſſe ſo ganz andere ſind. Wenn in einer Compagnie auf irgend eine Weiſe zehn oder mehr Mann ſich eines Vergehens ſchuldig machen, das ihnen einige Tage Arreſt einbringt, ſo können ſie alle zehn ſofort eingeſperrt werden, ohne daß der Dienſt oder die237Ernſtes und HeiteresKameraden im geringſten darunter leiden — ganz anders an Bord. Auf einem Schiffe iſt für die auszuführenden Leiſtungen die Mannſchaft auf die geringſte Zahl bemeſſen, jede Hand berechnet und das Fehlen eines Mannes am Geſchütz, auf der Raa, beim Bedienen der Segel oder ſonſt macht ſich ſofort fühlbar und zwar um ſo mehr, je kleiner das Schiff und je geringer demgemäß ſeine Beſatzung iſt. Man nehme z. B. ein von Deutſchland auf der Reiſe nach Oſtaſien befindliches Kanonenboot, das eine Beſatzung von der ungefähren Stärke einer Compagnie hat und durch einen Kapitänlieutenant mit Hauptmannsrang commandirt wird. Wenn im Allgemeinen unſere Leute ſich gut halten, ſo iſt es doch möglich, daß ſich unter hundert Mann drei bis vier oder wol noch mehr ſchlechte Subjecte befinden. Das Schiff kommt nun nach Eng - land, die Leute erhalten Urlaub, und jene vier oder ſechs Mann bleiben nicht nur ein paar Tage über Urlaub aus, ſo daß das Schiff ihretwegen aufgehalten wird, ſondern ſie verüben auch noch Exceſſe. Was ſoll dann der Commandant mit ihnen anfangen? Seine Strafcompetenz erſtreckt ſich nur auf ſieben Tage Arreſt; aber ſelbſt davon abgeſehen, daß die Leute viel - leicht ſchon früher wegen derſelben Vergehen ſtrenger beſtraft ſind, entſtehen bei Vollſtreckung der Strafe alle möglichen Schwierigkeiten. Zunächſt giebt es auf kleineren Schiffen keine Arreſtlocale, weil es an Raum fehlt; wohin alſo mit den Leuten? Man kann ſie nur auf dem Deck placiren, denn im Zwiſchendeck würden ſie ſich im Wohnraume der Mannſchaft und in engſter Berührung mit derſelben befinden, was durchaus dem Geiſte der Strafvollſtreckung zuwiderläuft und ſie illu - ſoriſch macht. Es wird alſo auf dem engen Deck irgendwo ein Vorhang gezogen, der Arreſtant dahinter geſperrt und ein Poſten davor geſtellt, wie dies geſetzlich vorgeſchrieben und nöthig iſt. Alle ſechs Straffällige kann der Commandant aber nicht zugleich einſtecken, denn nicht allein ſie, ſondern auch noch die Poſten238Wernergehen von der Mannſchaft ab und dieſe würde zu ſehr geſchwächt werden, da man immer auch auf Kranke zu rechnen hat. Es ver - büßen alſo höchſtens zwei ihre Strafe zugleich und die letzten beiden kommen erſt nach vierzehn Tagen an die Reihe. Dabei ſtellt ſich die Sache ſo: der Arreſtant ſitzt, ſtatt wie das Geſetz vor - ſchreibt, in einer dunklen Zelle, auf dem hellen Deck, hört alles und ſieht das Meiſte, was um ihn vorgeht, faullenzt den Tag über und ſchläft unter Deck die ganze Nacht zwiſchen den Kame - raden, die ſeine Arbeit verrichten, ihn bewachen und außerdem Nachtwache thun müſſen.
Eine moraliſche Einwirkung der Arreſtſtrafe kann bei der - gleichen Subjecten wol nicht in Rede kommen, und deshalb bleibt die Thatſache beſtehen, daß ein nichtsnutziger Menſch ſich oft abſichtlich ein Vergehen zu Schulden kommen läßt, um in einen Zuſtand verſetzt zu werden, der den Namen „ Strafe “trägt, in Wirklichkeit aber ihn auf Koſten ſeiner Kameraden von der Arbeit und läſtigen Nachtwachen befreit. Die Abſicht des Geſetzgebers wird alſo nicht erreicht, wobei noch nicht einmal der Fall berückſichtigt iſt, daß die Strafvollſtreckung durch ſchlechtes Wetter drei vier Mal ja auf Wochen unterbrochen werden kann, ſo daß der Betreffende, um z. B. ſieben Tage abzuſitzen, dazu vielleicht der dreifachen Zeit bedarf. Auf großen Schiffen, wo ſich ein paar Arreſtzellen befinden, ſtellen ſich die Verhältniſſe etwas günſtiger, doch nicht viel, und um dieſen Miß - ſtänden entgegenzutreten, müſſen an Bord von in See befind - lichen Kriegsſchiffen andere kürzere, aber dafür wirkſamere Strafen verhängt werden, als bei der Armee, wenn die Abſicht der Geſetzgeber erreicht werden ſoll. Aus dieſen Gründen er - klärt es ſich, weshalb körperliche Züchtigung auf den Marinen ſo lange beibehalten iſt. Unſere humaniſirende Zeitſtrömung er - blickt in dieſer Strafe Verletzung des Ehrgefühls und ſie iſt deshalb in neuerer Zeit meiſtens abgeſchafft. Darüber haben Practiker vielfach andere Anſichten und ſind der Meinung, daß239Ernſtes und Heitereswo kein Ehrgefühl iſt, es auch nicht verletzt werden kann. Doch es mag auch ohne Prügelſtrafen gehen, wenn man dafür an Bord ein Aequivalent ſchafft, das ähnlich empfindlich wirkt und möglichſt kurze Zeit in Anſpruch nimmt. So lange aber ein ſolcher Erſatz nicht gefunden iſt, kann den Vorſchriften des Ge - ſetzes nicht genügt werden und der Beſtrafte hat es auf Koſten ſeiner Kameraden und des Dienſtes verhältnißmäßig gut. Dem Officiercorps der jungen deutſchen Flotte fehlte es unter den obwaltenden Umſtänden natürlich an jener Homogenität, welche für eine ſolche Körperſchaft zwar ſehr wünſchenswerth und noth - wendig iſt, aber naturgemäß nur das Ergebniß einer verhältniß - mäßig langen Dienſtzeit bei gleichmäßiger Erziehung und gemein - ſamen Traditionen ſein kann. Daraus entſtanden denn mancher - lei Unzuträglichkeiten, die jedoch glücklicher Weiſe weniger un - günſtigen Einfluß auf das Ganze übten, als man hätte annehmen ſollen. In dem Corps waren vier verſchiedene Nationalitäten vertreten: Deutſche, Engländer, Amerikaner und Belgier; wenig - ſtens ſtand ein Deutſcher an der Spitze.
Mit den belgiſchen Officieren, im Ganzen ſechs, hatten wir unbedingt eine gute Acquiſition gemacht; es waren Männer von ſehr guter Erziehung, feinen Manieren und wiſſenſchaft - licher Bildung. Den Kriegsſchiffsdienſt verſtanden ſie aus dem Grunde, da ſie ſämmtlich Jahre lang auf der franzöſiſchen Flotte zur Dienſtleiſtung commandirt geweſen waren, und wir jungen deutſchen Officiere erhielten in ihnen treffliche Lehrmeiſter für das, was uns fehlte, d. h. für die Kenntniß des inneren Dienſtes und alles deſſen, was damit zuſammenhing. Bei den wenigen Gelegenheiten, wo wir mit den Schiffen in Bewegung waren, ſahen wir freilich, daß practiſche Seemannſchaft ihre ſchwache Seite war, allein dann traten wir Deutſchen ergänzend ein. Die Belgier erkannten auch unſere Ueberlegenheit darin an, hielten ſich vorſichtig zurück, und bei ſolchen Anſchauungen und gutem Willen von beiden Seiten konnte es nicht fehlen, daß240Wernerſich die innere Organiſation der Flotte in überraſchend ſchneller Zeit entwickelte.
Was die Handhabung des Dienſtes, die Exercitien, Ord - nung und Reinlichkeit betraf, konnten die Schiffe ſchon nach Jahresfriſt ohne irgend welche Ueberhebung muſterhaft genannt werden, und ihr Zuſtand lieferte jedenfalls den Beweis, daß die Bedingungen für eine deutſche Flotte vorhanden waren und daß dieſe nur der Pflege und Weiterbildung bedurfte. Im Sommer 1850 kam die amerikaniſche Fregatte „ St. Lawrence “nach Bremerhafen und blieb dort einige Wochen. Wir verkehrten viel mit den Officieren, ſtatteten uns gegenſeitig oft Beſuche an Bord ab und bemerkten mit großer Genugthuung, daß wir mit unſeren Schiffen ſowol wie mit der Ausbildung der Mann - ſchaften hinter den Amerikanern nicht zurückſtanden. Freilich hatten wir zu jener Zeit noch den größten Theil unſeres vor - züglichen Perſonals an Mannſchaften, die unſere Bemühungen ſehr erleichterten.
Unſer deutſches Officiercorps war, in Bezug auf ſeine innere Beſchaffenheit, auf Erziehung und Bildung, aus ſehr verſchiedenen Elementen zuſammengeſetzt. Bei der Gründung der Flotte, wo es ſich um möglichſt ſchnelle Heranziehung von Officieren handelte und es dafür nur eine Quelle die Kauf - farteimarine gab, konnte es für die Auswahl zunächſt weniger auf Wiſſenſchaftlichkeit und vollendete äußere Formen, als auf practiſche Tüchtigkeit für die neu zu ſchaffenden Poſten an - kommen, und beides fand man in den Kapitänen und Steuer - leuten der Handelsſchiffe nicht oft vereint. Es blieb deshalb nicht aus, daß in dieſer Richtung mancherlei Mißgriffe ge - macht und Perſönlichkeiten dem neuen Officiercorps einver - leibt wurden, die grade nicht als Vorbilder für daſſelbe gelten konnten, wenn ſie ſonſt auch ganz biedere gute Menſchen waren. Uebrigens war vom Marineminiſter Duckwitz gleich von vornherein dafür geſorgt, daß diejenigen, deren Herkunft und241Ernſtes und HeiteresErziehung nicht die Wahrſcheinlichkeit bot, für die Dauer ge - eignete Mitglieder eines Officiercorps zu ſein, ohne weitere Schwierigkeit bald wieder entlaſſen werden konnten. Er hatte zu dieſem Zwecke zwei Kategorien von Seeofficieren geſchaffen, die Hülfsofficiere und die Fähnriche, die beide zwar denſelben militäriſchen Rang als Secondelientenant bekleideten, von denen erſtere aber höheres Gehalt bezogen. Dagegen war den Hülfs - officieren keinerlei Zukunft in der Marine garantirt und in ihrem Anſtellungsdecret ausgeſprochen, daß eine Beförderung eventuell wol erfolgen könne, aber nicht müſſe. Dieſer Klaſſe wurden diejenigen eingereiht, die, um das höhere Gehalt zu beziehen, entweder ſelbſt auf die erwähnten Vortheile ver - zichteten oder denen practiſche Tüchtigkeit allein als Empfehlung zur Seite ſtand. Als Fähnriche dagegen wurden, mit Patent und Ausſicht auf Avancement, ſolche jüngeren Leute einge - ſtellt, welche von guter Herkunft waren, neben fachlicher auch wiſſenſchaftliche Bildung beſaßen und deshalb brauchbare See - officiere zu werden verſprachen. Bei den ungeregelten Zu - ſtänden, welche bei Gründung der Flotte begreiflicher Weiſe in Frankfurt herrſchten, kamen bisweilen auch Verwechſelungen vor; Einzelne erhielten Patente als Fähnriche, die ſich nur zu Hülfsofficieren eigneten, andere wieder ſahen ſich plötzlich als Hülfsofficiere angeſtellt, die ſich zu Fähnrichen gemeldet hatten und ſich auch vollſtändig dazu qualificirten.
Außer den eigentlichen Seeofficieren beſtand der Stab der Schiffe noch aus den Aerzten, den Zahlmeiſtern, Secretären und auf den Dampfſchiffen aus den Maſchinen-Ingenieuren. Die letzteren waren ſämmtlich Engländer, da Deutſchland damals im Schiffsmaſchinenweſen noch nicht auf eigenen Füßen ſtand; ſie zeigten ſich, im Gegenſatze zu ihren als Officiere fungirenden Landsleuten, in ihrem Fache als ſehr tüchtig, wenn man in anderer Beziehung auch öfter ein Auge zudrücken mußte.
Aerzte, Zahlmeiſter und Secretäre ſtammten aus den ver -R. Werner, Erinnerungen. 16242Wernerſchiedenſten Theilen Deutſchlands, und letztere beiden Beamten - klaſſen auch aus den verſchiedenſten Lebensverhältniſſen. Enthu - ſiasmus für die neuerſtandene deutſche Seemacht, romantiſche Veranlagung, die auf erträumten Reiſen über den weiten Ocean Befriedigung zu finden gedachte, vielfach aber auch proſaiſchere Hoffnungen auf eine gute Carriere oder den Wiederaufbau einer zuſammengebrochenen Exiſtenz waren die Motive, welche Bewerber um jene Stellungen ſchaarenweis herbeiführte. Es fanden ſich Juriſten, ehemalige Kaufleute, Landwirthe, Apotheker und ver - floſſene Bürgermeiſter zuſammen, Perſönlichkeiten, die theilweiſe ſchon viel in der Welt umhergeſchweift waren, ohne feſten Boden gewinnen zu können und in der Marine auf beſſeres Glück hofften. Dies ſchloß jedoch nicht aus, daß ſelbſt von der letzte - ren Klaſſe Mehrere ſich in dem neuen Fache als tüchtige Menſchen und außerdem als prächtige Charactere zeigten und ſich bald überall Liebe und Achtung zu erwerben wußten. Ich that eine Zeit lang auf dem „ Barbaroſſa “, dem Flaggſchiffe Brommy’s, Dienſt. Auf ihm eingeſchifft zu ſein, wurde als ein Vorzug betrachtet und beneidet. Unſer Officiercorps war ziem - lich groß; es beſtand aus acht Hülfsofficieren und Fähnrichen, ferner aus dem Arzt, Zahlmeiſter, Secretär und Ingenieur. Es wurde nicht viel an Land gegangen, da Bremerhafen dazu wenig anreizte; dagegen hatten wir oft Beſuch von unſern Kameraden und verbrachten mit ihnen manche gemüthliche Stunde bei Bowle und Cigarre. Unſer Zahlmeiſter lieferte beides in vorzüglicher Güte; er war Meſſevorſtand und hatte als ſolcher in der Flotte einen beſonderen Ruf. Niemand wußte, wie er es anfing, aber wir führten von unſeren Tafel - geldern nicht nur einen ausgezeichneten Tiſch, ſondern konnten auch ausgedehnte Gaſtfreiheit üben. Unſer Zuſammenleben war ein ſehr angenehmes, wenngleich bei der Verſchiedenartigkeit der Charactere kleine Frictionen nicht fehlten. Dieſelben wurden jedoch nie ſtörend, und vorzugsweiſe dankten wir dies der liebens -243Ernſtes und Heitereswürdigen Vermittelung des Zahlmeiſters, der mit gutmüthigem Humor jedem ernſteren Conflicte ſofort die Spitze abzubrechen und die gereizten Gemüther in ruhiges Fahrwaſſer zurückzu - leiten verſtand.
Zahlmeiſter Albert war überhaupt auch nach anderen Rich - tungen ſeines Faches ein Muſterknabe und hatte ſich als binnen - ländiſche Landratte wunderbar ſchnell in die anfänglich ihm ſo fremden Schiffsverhältniſſe zu finden gewußt. Er war Süd - deutſcher, hatte Jura ſtudirt und ſoeben ſein Referendarexamen gemacht, als der Ruf nach einer deutſchen Flotte im Vaterlande erſchallte. Da kam es auf einmal wie eine Erleuchtung über ihn, daß er bisher ſeinen Beruf verfehlt habe und falſchen Göttern huldige. Nicht Themis, ſondern Neptun rief ihn zur Heeresfolge; nicht der grüne Tiſch, ſondern der blaue, wogende Ocean war die Arena, auf der er fernerhin kämpfen und ſiegen ſollte. Die Pandecten flogen in die Ecke; der angehende See - held ſtürmte nach Frankfurt, um ſich zu einer Kadettenſtelle zu melden, wurde aber auf das Schmerzlichſte enttäuſcht, als man ihn für die Seeofficiercarriere zu alt erklärte. Seine durch dieſen Beſcheid ſchon geknickten Lebenshoffnungen richteten ſich jedoch wieder auf, als ſich ihm Ausſicht auf eine Zahlmeiſter - ſtellung eröffnete. Dankbar nahm er die letztere an, und ſchon wenige Tage darauf befand er ſich auf dem Wege nach Bre - merhafen.
Mit glühendem Eifer ergriff er jede ſich bietende Gelegen - heit, um ſich für ſeinen Beruf vorzubilden. Bereits auf der Reiſe nach ſeinem neuen Beſtimmungsorte, zuerſt auf dem Rhein - dampfer bis Cöln, dann auf dem Paſſagierdampfer von Bremen nach Bremerhafen ſuchte er nautiſche Studien zu machen. Er plagte Kapitäne und Mannſchaften mit Fragen nach allen möglichen Dingen bis auf’s Blut und hielt ſich Stunden lang in der mit Auswanderern letzter Claſſe vollgepfropften zweiten Kajüte auf, um in deren Stickluft die Naſe gegen zu erwartende Schiffsgerüche16*244Wernerabzuhärten. Alsbald nach ſeiner Ankunft in Bremerhafen be - gann er auch Cognac mit Waſſer zu trinken und Tabak zu kauen, da er beides für nothwendige Requiſiten eines Seemannes hielt. Doch nur in erſterem brachte er es zu einiger Fertigkeit; das Tabakskauen wollte ihm trotz aller Willensfeſtigkeit und Uebelkeit nicht gelingen und er tröſtete ſich ſchließlich damit, daß ein Zahlmeiſter allenfalls auch ohne daſſelbe leben könne. Zwar harrte ſeiner eine abermalige Enttäuſchung, als er bei ſeinem Eintritte in die Marine nicht an Bord eines Schiffes, ſondern in das Arſenal commandirt wurde, um in ſein neues Fach ein - geführt zu werden, jedoch fand er hier einen Kameraden, den Zahlmeiſter Wollweber, der ihn in die Obliegenheiten und Ge - heimniſſe ſeines Dienſtes einweihte.
Wollweber war bereits ein älterer Mann, der zwar die Zahlmeiſtergeſchäfte ebenfalls erſt ſeit einigen Wochen über - nommen hatte, dem dafür aber mancherlei Lebenserfahrungen zu Gebote ſtanden. Urſprünglich auch Juriſt von Fach und nebenbei ein vorzüglicher Muſiker, war er in die Göttinger Univerſitätsaffaire von 1831 verwickelt worden, nach Amerika ausgewandert, hatte dort eine Reihe von Jahren gelebt und nach ſeiner Rückkehr die Stellung als Zahlmeiſter und Vor - ſtand des Arſenals gefunden. Sein muſikaliſches Talent, ſeine gediegene Bildung und ſein wohlwollendes Weſen, dem das wechſelvolle Leben nicht den angeborenen Humor geraubt, hatte ihn im Kreiſe aller Kameraden ſehr beliebt gemacht.
Das „ Arſenal “beſtand damals bei Gründung der Flotte vorläufig noch aus einem gemietheten Schuppen, in dem die von allen Seiten beſchafften und herbeiſtrömenden Vorraths - gegenſtände, namentlich artilleriſtiſcher Natur, gelagert wurden, und es war die Aufgabe der beiden ehemaligen Rechtskundigen, ſie zu verwalten und Ordnung in dies Chaos der heterogenſten und zum größten Theile ihnen unbekannten Dinge zu bringen. Wollweber hatte jedoch bereits einige Fortſchritte in der Kennt -245Ernſtes und Heiteresniß des vielſeitigen Materials gemacht und belehrte in der ihm eigenen humoriſtiſchen und gemüthlichen Weiſe ſeinen Aſſiſtenten über daſſelbe.
„ Für was würden Sie wol dieſe Dinger halten, verehr - ter Herr Kamerad, “fragte er den eifrig lauſchenden Albert, in - dem er auf einige Tauſend in einander gepackter Näpfe von verſchiedener Größe wies, die in einer Ecke aufgeſtapelt waren.
„ Für Spucknäpfe, “lautete nach einigem Beſinnen die Antwort.
„ Ganz richtig, Herr Kamerad; ich bewundere Ihren Scharf - ſinn. Es könnten Spucknäpfe ſein, die größeren für die Ma - troſen, die kleineren für die Schiffsjungen. Im Vertrauen geſagt, “flüſterte er geheimnißvoll, „ ſind ſie jedoch im Haupt - buche unter einem andern Namen verzeichnet. Dort heißen ſie Granatſpiegel, und wie mir der Feuerwerker Baſſermann unter dem Siegel der Verſchwiegenheit mitgetheilt, ſollen ſie nur ge - legentlich als Spucknäpfe Verwendung finden. Ihre Hauptbe - ſtimmung iſt jedoch, als Unterſatz für die Granaten zu dienen, damit dieſe nicht umfallen. “
Albert verbeugte ſich verſtändnißvoll vor ſeinem Vorge - ſetzten.
„ Apropos, “fuhr dieſer fort, „ Sie ſchreiben gewiß eine deutlichere Handſchrift als ich, Herr Kamerad. Haben Sie doch die Güte, ein Placat anzufertigen, welches das Rauchen im Arſenale verbietet. Wir werden es dann an die Thüre nageln und ſobald es fertig iſt, auch unſere Cigarren fortlegen, um mit gutem Beiſpiele voranzugehen, denn dort in jenen Metall - kiſten befinden ſich ſehr feuergefährliche Dinger. Sehen Sie hier, für was würden Sie dieſe Röhrchen wohl halten? “
Albert hatte keine Ahnung von dem Zwecke der ihm völlig fremden Gegenſtände, die das Ausſehen von Pfeifenräumern hatten und inſofern eine Ergänzung der Spucknäpfe ſein konnten.
„ Das ſind königlich hannoverſche gefüllte kupferne Fric -246Wernertionsſchlagröhren nach amerikaniſchem Modell, “erklärte Woll - weber. „ Sie ſind mir ſehr antipathiſch, denn ich liebe Kürze und ihr Verzeichnen im Hauptbuche beanſprucht ſtets drei ganze Zeilen. Nach der Autorität meines artilleriſtiſchen ad latus Baſſermann werden ſie zum Abfeuern der Kanonen gebraucht. Er hat mir auch gezeigt, wie man ſie zur Exploſion bringt, und nach dem Frühſtück wollen wir einige derſelben zur Er - weiterung unſerer artilleriſtiſchen Kenntniſſe abfeuern. “
Hiernach gelangte Wollweber an eine wolverſchloſſene Kiſte. Er öffnete ſie ſehr behutſam und enthüllte einen darin enthaltenen und in Werg verpackten Gegenſtand. Es war eine viereckige Meſſingplatte mit Gradeintheilung und beweglichem Zeiger.
„ Was iſt dies, verehrter Herr Kamerad? Merken Sie ſich’s, “fuhr er in feierlichem Tone fort, als Albert kopfſchüttelnd ſchwieg, „ das iſt der wichtigſte Gegenſtand in der ganzen Ar - tillerie. Es iſt ein Pendelquadrant! Zwar ſind mir ſeine Functionen bis jetzt noch nicht ganz klar, aber infolge von Baſſermann’s Mittheilungen habe ich eine ſolche Hochachtung davor bekommen, daß ich ſtets ſalutirend an die Mütze greife, wenn in meiner Gegenwart das Wort „ Pendelquadrant “aus - geſprochen wird. “
Wollweber ſalutirte, Albert folgte ſeinem Beiſpiele und beide kamen überein, daß der „ Pendelquadrant “in Zukunft den „ nicht zur Zunft gehörigen “Beſuchern des Arſenals nur unter der Bedingung gezeigt werden ſollte, wenn ſie zuvor ihr Haupt entblößten. Indiscrete Fragen aber nach der eigentlichen Natur des merkwürdigen Gegenſtandes ſollten ebenſo wie die nach andern Dingen, deren Erklärung mehr Kenntniß erforderte, als die beiden Arſenalvorſtände beſaßen, mit der Antwort „ Geheim - niß “abgewehrt werden.
Nach dem Pendelquadranten kamen die verſchiedenen Schiffshandwaffen, als Enterſäbel, Enterbeile und Enterpiken247Ernſtes und Heiteresan die Reihe. Sie bedurften keiner längeren Erklärung, doch machten Wollweber und Albert mit erſteren einige Gänge und gelangten beide bei dieſer Gelegenheit zu der befriedigenden Ge - wißheit, daß ſie ſich doch nicht ganz umſonſt auf deutſchen Hoch - ſchulen aufgehalten hatten.
Die etwas ungewohnte Bewegung hatte den Appetit ge - reizt und nach Stärkung durch ein ſolides Frühſtück und dem Abfeuern einiger Schlagröhren wurde die Belehrung fortgeſetzt. In Anbetracht der guten Cigarren, welche ſich noch in den Taſchen vorfanden, beſchloß man jedoch, das Placat wegen „ Nichtrauchens “noch einige Tage auszuſetzen.
Es kam jetzt der wichtigſte Punkt zur Verhandlung, die Einweihung in die Geheimniſſe des ominöſen Hauptbuches, das bereits mehrmals erwähnt war und für Albert fortan an die Stelle des Corpus juris treten ſollte.
„ Auf eine gute Führung des Hauptbuches, verehrter Herr Kamerad, “begann Wollweber, „ kommt ſehr viel an, mehr als Sie denken. Hätte ich früher dieſem Grundſatze gehuldigt, würde ich jetzt nicht in dieſem ungeheizten Arſenale zu frieren brauchen, obwol ich ſonſt ganz gern hier bin. Ich habe es mir deshalb zur Aufgabe gemacht, dieſes wichtige Buch wirklich gut zu führen, aber gleichzeitig dabei auch practiſch zu verfahren. Wie ich ſchon andeutete, iſt mein Motto „ Einfachheit und Kürze “und ich habe es auch hier zur Anwendung gebracht. Sehen Sie, “fuhr er fort, indem er das Hauptbuch aufſchlug, „ etwas Einfacheres kann es kaum geben. Hier ſteht die Ein - nahme, alles dicht beiſammen, ungeheuer überſichtlich! “
„ In der That! ſehr einfach und überſichtlich, “beſtätigte anerkennend Albert, „ und die Ausgabe? “
Mit großer Gewandtheit warf Wollweber das Buch wie einen auf einer Seite gebackenen Eierkuchen in der Luft herum und ſchlug die Rückſeite auf. „ Hier ſteht die Ausgabe! “zeigte er triumphirend.
248Werner„ Ich mache Ihnen mein Compliment über dieſe practiſche Einrichtung, “äußerte Albert bewundernd; „ das haben Sie ge - wiß in Amerika gelernt. “
„ Keineswegs, “erwiderte Wollweber. „ Es iſt mir im Gegentheil gar nicht gut bekommen, daß ich dort kein Haupt - buch führte. Vor fünfzehn Jahren ging ich mit zwei Lands - leuten, gleich mir ehemaligen Studenten, nach Amerika und wir kauften uns in Wisconſin eine Farm. Anfangs verlief alles vortrefflich. Wir waren bald Herren eines Grundbeſitzes, faſt ſo groß, wie ihn mancher kleine Fürſt in Deutſchland hat. Doch wir lebten ſehr flott und gaben mehr aus, als wir einnahmen; die Herrlichkeit nahm ein Ende und bald beſaßen wir nichts mehr als das nackte Leben.
„ Wie kam das? Wir hatten kein Hauptbuch geführt!
„ Jeder von uns ging nun ſeiner Wege. Ich wurde Muſik - lehrer in Boſton und fand auch mein reichliches Auskommen. Da ich aber als ſolcher durch meine Schülerinnen der fort - währenden Verführung zum Heirathen ausgeſetzt war und ich ein abgeſagter Feind des ehelichen Joches bin, verzichtete ich auf meinen neuen Erwerbszweig und begab mich nach dem Süden. Obwol ich mit Unterrichtgeben und Concerten glän - zende Geſchäfte gemacht, waren mir dennoch nur wenige Hundert Dollars übrig geblieben.
„ Wie kam das? Ich hatte kein Hauptbuch geführt!
„ In New-Orleans machte mir ein Amerikaner den Vor - ſchlag, mit ihm eine Seifenfabrik zu etabliren. Wir gewannen und verloren abwechſelnd. Eines Nachts — wir hatten kurz zuvor grade ſehr gute Geſchäfte gemacht — brannte die Fabrik mit allen ihren Vorräthen ab. Das vorhandene Geld ſteckte mein Compagnon zu ſich und behauptete, es ſei ſein Antheil. Ich verklagte ihn, wurde aber mit meiner Klage abgewieſen.
„ Weshalb? Wir hatten kein Hauptbuch geführt.
„ Aus dieſer kurzen Skizze mögen Sie, verehrter Herr249Ernſtes und HeiteresKamerad, entnehmen, wie wichtig ein ſolches Hauptbuch für unſer Leben iſt und ich habe deshalb das unſere ſo practiſch eingerichtet. “
„ Sehnen Sie ſich aber trotzdem nicht nach Amerika zurück, das in der langen Zeit doch Ihr zweites Vaterland geworden? “fragte Albert.
„ Nein, “lautete die Antwort, „ es gefällt mir in Deutſch - land doch beſſer und auch meine jetzige Stellung ſagt mir zu. Nur eins kränkt mich tief, “fügte er mit einem Seufzer hinzu, von dem man nicht wußte, ob er ernſt oder komiſch gemeint war.
„ Und darf ich fragen, was das iſt? “bemerkte ſein Aſſi - ſtent theilnehmend.
„ Daß Herr von Bismarck-Schönhauſen es bis zum Ge - ſandten gebracht hat, während derſelbe in Göttingen beim Corps der Hannoveraner doch nur mein Leibfuchs war. Wahrſchein - lich hat er ſtets ein Hauptbuch geführt, “ſetzte er als Troſt für ſich hinzu.
Albert blieb noch einige Monate unter Wollwebers Aegide im Arſenal. Dann wurde er als Schiffszahlmeiſter geeignet befunden, zuerſt auf eine der kleineren Corvetten und dann auf das Flaggſchiff commandirt. Luſt und natürliche Anlagen entwickelten ſchnell bei ihm ein nicht gewöhnliches Verwaltungs - talent, und wenn er ſpäter auch Einnahme und Ausgabe etwas anders gruppirte als im Hauptbuche des Arſenals, gedachte er doch ſtets dankbar ſeines welterfahrenen Vorgeſetzten, aus deſſen Lehren er ſo manches profitirt hatte. An Bord unſeres Schiffes zeigte er ſich als ein ebenſo umſichtiger und practiſcher Beamter, wie als liebenswürdiger und überall gern geſehener Kamerad.
In dem hinteren Theile des Schiffes, je nachdem daſſelbe nur über oder auch unter Deck Geſchütze führt — auf dem erſten oder zweiten Deck, liegt der gemeinſame Wohnraum für die Officiere, die Officiersmeſſe oder auch einfach Meſſe ge - nannt. In damaligen Zeiten, bei Gründung der Flotte, war ſie ein ſchmuckloſer, gewöhnlich weiß geſtrichener viereckiger Raum ohne weiteren Comfort. Ein Eßtiſch und die nothwendige Anzahl Stühle, beide handfeſt und lediglich nach dem Nützlich - keitsprincipe gebaut, bildeten das ganze Mobiliar, zu dem ſich vielleicht noch einige Bilder in beſcheidenen Goldleiſtenrahmen geſellten, wenn der mit Führung der Menage betraute Officier, der Meſſevorſtand, gut wirthſchaftete und kleine Ueberſchüſſe aus den Tafelgeldern erzielte, welche die Koſten für ſolche Zierrathen decken konnten. Das paſſirte jedoch ſelten und nur wenn routi - nirte Zahlmeiſter Meſſevorſtände waren; die Seeofficiere machten nach dieſer Richtung gewöhnlich Fiasko. Trotz Milchſuppe, Fiſch und Kohlſalat, die aus Sparſamkeit öfter das alleinige Menü bilde - ten, meldete ſich doch am letzten des Monats häufig ein Defi - cit und trug dem ungewandten Haushalter unliebſame Bemer - kungen und meiſtens mit Einſtimmigkeit ausgeſprochene feierliche Abſetzung von ſeinem Vertrauenspoſten ein.
Ihr Licht empfängt die Meſſe von oben, da ſie an den Seiten von den Kammern der Officiere umgeben wird. Dieſe Kammern ſind Räume von durchſchnittlich zwei Meter Länge und etwas mehr Tiefe. Wenn die Bauart des Schiffes es geſtattet, giebt man ihnen Seitenfenſter und auf den neueren, namentlich auf den Panzerſchiffen, ſind jene ſo groß, daß der Bewohner hinlänglich Luft und Licht hat, um ſo mehr, als hier auch die Höhe der Kammern 2½ bis 3 Meter beträgt.
Vor dreißig Jahren kannte man jedoch ſolchen Luxus noch nicht und glaubte weniger anſpruchsvoll ſein zu müſſen. Die251Ernſtes und HeiteresKammern waren niedrige, dunkle, ſchlecht ventilirte Räume, in denen man auf kleineren Schiffen ſich nur gebückt bewegen konnte und wo man auch zur Mittagszeit Licht brennen mußte, um zu leſen oder zu ſchreiben. Vielfach hatten ſie nicht einmal Seitenfenſter, ſondern nur ein in das Deck eingelaſſenes Glas - prisma, durch welches ein matter Lichtſchimmer fiel. Waren erſtere auf Fregatten und größeren Corvetten vorhanden, ſo be - ſtanden ſie aus runden dicken Glaslinſen von zehn bis zwölf Centimeter Durchmeſſer, die in Metallrahmen befeſtigt ſich öffnen und ſchließen ließen. Im Hafen war es geſtattet, ſie offen zu laſſen, ſobald aber das Schiff in See ging, durften ſie Nachts nie und am Tage nur mit ſpecieller Erlaubniß des Comman - danten oder erſten Officiers bei ſehr ſchönem Wetter und ruhiger See geöffnet werden. Ihre niedrige Lage über der Waſſerfläche ließ die Gefahr befürchten, daß bei Bewegungen des Schiffes Waſſer durch ſie einſtrömte und man war deshalb für ihren ſo - wie für den rechtzeitigen Verſchluß der unteren Geſchützpforten auf Fregatten und Linienſchiffen ängſtlich beſorgt. Eine Ver - nachläſſigung dieſer Vorſicht hat mehrfach furchtbares Unglück herbeigeführt, ſo z. B. bei dem engliſchen Segellinienſchiffe „ Royal George “. Daſſelbe ſollte auf eine mehrjährige See - reiſe ausgehen und lag auf der Rhede von Portsmouth zu Anker. Um ein kleines Leck zu dichten, war das Schiff von den Zimmerleuten etwas nach der einen Seite übergeholt worden. Da ſtieg eine Gewitterbö auf; ein plötzlicher Windſtoß legte das Schiff nach jener Seite über, die unbefeſtigten Geſchütze rollten nach Lee, wodurch ſich das Fahrzeug noch mehr neigte; das Waſſer ſtürzte durch die offenſtehenden Unterpforten in die inneren Räume, in wenigen Minuten kenterte das mächtige Schiff, ſank auf den Grund und von ſeiner 900 Mann ſtarken Beſatzung wurde kaum der zwanzigſte Theil gerettet, während auch noch gegen 300 Frauen und Kinder, Angehörige der Mannſchaft, die den Ihrigen ein letztes Lebewol ſagen wollten252Wernerund deshalb an Bord gekommen waren, in den Fluthen ihren Tod fanden.
Daſſelbe furchtbare Schickſal ereilte vor 25 Jahren ein ruſſiſches Linienſchiff in der Oſtſee. Es befand ſich unter Segel, als es von einer heftigen Bö überraſcht wurde und ſich infolge deſſen ſtark überlegte. Der wachehabende Officier hatte nicht nur verſäumt, zeitig die Segel zu bergen, ſondern auch die Unterpforten ſchließen zu laſſen und das unglückliche Schiff verſchwand mit ſeiner geſammten Beſatzung in den Fluthen. Einige in der Nähe ſegelnde Kauffarteiſchiffe eilten ſo ſchnell wie möglich zur Unglücksſtätte, konnten aber nur noch drei Mann retten.
In den Officierkammern der nicht ſehr großen Schiffe herrſcht im Allgemeinen nicht viel mehr Comfort, als in der Meſſe. Schon der beſchränkte Raum ſchließt dieſen Begriff aus. Die eingebaute Coje, ein Waſchtiſch, eine Kommode, ein Bücher - brett und vielleicht in einer günſtigen Ecke eine Art Kleider - ſchrank, ſowie ein Feldſtuhl laſſen oft nur ſo viel Platz, daß der Inhaber ſich mit Noth bewegen kann; hat er einen Kame - raden zum Beſuch, ſo muß Einer auf der Coje ſitzen.
Und doch, trotz der Beſchränktheit, des Halbdunkels und der dumpfen Luft — wie glücklich iſt der Seeofficier, nament - lich auf längeren Reiſen, eine Kammer zu beſitzen. Wie lieb und werth wird ihm oft das beſcheidene Plätzchen, das er ſein eigen nennen darf, wohin er ſich in den ſpärlichen Freiſtunden, die der ſo viel fordernde Dienſt ihm läßt, zurückziehen, wo er ein Buch leſen, einen Brief ſchreiben oder auch nur ungeſtört ſeinen Gedanken nachhängen kann. Bei Commandirung eines Officiercorps an Bord eines Schiffes iſt es in den meiſten Fällen nicht möglich, Rückſicht darauf zu nehmen, ob auch die Perſönlichkeiten zu einander paſſen, da die dienſtlichen Anforde - rungen in erſter Reihe maßgebend ſind. Wie leicht kann es dann aber geſchehen und wie oft tritt der Fall in Wirklichkeit253Ernſtes und Heiteresein, daß die einzelnen Charactere durchaus nicht zu einander ſtimmen.
In einem Regimente oder Bataillon kommen ſolche Ver - hältniſſe weniger in Betracht; dort kann Einer dem Andern aus dem Wege gehen; nach Beendigung des Dienſtes iſt jeder Landofficier ſein eigener Herr. Er hat ſeine bequeme Wohnung, ſeine Familie, Geſellſchaften, Theater, einen Spaziergang in Wald und Feld oder andere Genüſſe, die ihm Erholung von den Anſtrengungen des Dienſtes bieten, durch die er die em - pfangenen unangenehmen Eindrücke von ſich abſtreifen und ſich die Elaſticität ſeines Geiſtes bewahren kann. Wie viel un - günſtiger iſt dagegen der Seeofficier geſtellt! Für Jahre wird er mit Kameraden, die ihm vielleicht antipathiſch ſind, auf den - ſelben kleinen Raum beſchränkt. Er kann ihnen nicht entfliehen, er iſt gezwungen, ſie faſt immer zu ſehen, er muß mit ihnen an demſelben Tiſche ſpeiſen, Luft, Licht, Schlimmes und Gutes mit ihnen theilen. Keinerlei Zerſtreuung zieht ſeine Gedanken ab, kein freudiges Ereigniß muntert ihn auf — Himmel, Waſſer, die Bordwände und der Dienſt ſind ſeine Geſellſchafter und ein - zigen Begleiter. So iſt es denn natürlich, daß ſeine Stimmung von Tage zu Tage trüber wird, daß erbärmliche Kleinigkeiten, über die der Menſch in normalen Verhältniſſen leicht und gleich - gültig hinweggeht, ihn reizen und bohrende Gedanken veranlaſſen.
Dann iſt es die Kammer, in deren Einſamkeit er Zuflucht vor ſich ſelbſt ſucht, die er zur Vertrauten des an ihm nagen - den Kummers macht und die ihm Troſt ſpendet. Dort kann er die Maske abwerfen, die er draußen zu tragen genöthigt iſt und ſeinen Gefühlen freien Lauf laſſen — ja dann iſt der kleine enge Raum ein Schatz, deſſen Werth nicht hoch genug veranſchlagt werden kann, das Paradies, in dem er die traurige Gegenwart vergeſſen und träumen darf, träumen von der Ver - gangenheit, deren ſchöne Erinnerungen milden Balſam auf ſein wundes Herz träufeln, träumen von der Zukunft, die ihm im254WernerKreiſe ſeiner Lieben reiche Entſchädigung verſpricht und aus den trauten Bildern, die vor ſeiner Seele vorüberziehen, ſchöpft er friſchen Muth.
Es giebt nicht viel Schiffe, auf denen das Zuſammenleben in der Meſſe nicht mehr oder minder durch ſolche Verhältniſſe beeinträchtigt würde, wenn die Reiſen mehrere Jahre dauern. Leider muß man den Grund in der Schwäche des menſchlichen Characters ſelbſt ſuchen und darf es als einen beſonderen Glücks - fall bezeichnen, wenn die Harmonie bis zum letzten Augenblicke ungeſtört bleibt. Sehr viel freilich können zu ihrer Aufrechterhal - tung der Commandant und der erſte Officier beitragen. Letzterer lebt mit in der Meſſe, und wenn er beobachtet, kann er leicht den Anläſſen auf die Spur kommen, welche den erſten Grund zu den Zerwürfniſſen legen. Meiſtens ſind ſie ſo geringfügiger Natur, daß ein gutes Wort zur richtigen Zeit, ein Scherz, eine freundliche Mahnung ſie ſpurlos verwiſchen würden, während ſonſt, bei der gereizten Stimmung der Gemüther, leicht die Hydra der Zwietracht aus ihnen erwächſt und ſie ſich zur Quelle ſtets intenſiver werdenden Zornes und Haſſes geſtalten. Der erſte Officier iſt aber vor Allen die geeignetſte Perſönlichkeit, um es nicht ſo weit kommen zu laſſen. Er hat das Recht und die Verpflichtung dazu; er ſteht über den Parteien und kann ver - möge ſeiner Stellung, viel eher als jeder Andere, vermittelnd, beſchwichtigend und ausgleichend eintreten und in Verbindung mit richtigem Tactgefühl ſeine Autorität nach dieſer Richtung hin in wolthätiger Weiſe zur Geltung bringen.
In noch höherem Grade aber wird das Leben in der Meſſe und überhaupt an Bord durch den Commandanten bedingt. Dieſer hat es in der Hand, Allen den Aufenthalt auf dem Schiffe lieb und angenehm zu machen und dadurch am meiſten zur Fernhaltung von Zerwürfniſſen beizutragen, indem er nicht nur ſelbſt, ſoweit dies die eigentlichen Schiffsverhältniſſe geſtatten, mit den Officieren in kameradſchaftlicher Weiſe verkehrt, ſondern255Ernſtes und Heiteresihnen auch das Leben auf jede Weiſe erleichtert und freundlich geſtaltet. Leider iſt das nicht immer der Fall; es giebt Schiffs - commandanten, die in Folge unrichtiger Auffaſſung ihrer Stel - lung oder tadelnswerther Charactereigenſchaften ihr Schiff für Jeden unleidlich machen können, weil ſie die ihnen verliehene große Macht, die nicht mit Unrecht öfter mit der eines abſoluten Herrſchers verglichen wird, mißbrauchen, wenngleich ihnen keine Ueberſchreitung ihrer weitgehenden Befugniſſe nachzuweiſen iſt. Niemand kann einem Commandanten etwas anhaben, wenn er unter Berufung auf irgend welche dienſtliche Gründe Officieren und Mannſchaften den Urlaub verweigert oder ſo beſchränkt, daß es einem Verbote gleichkommt, wenn er die Exercitien ſo weit treibt, daß ſie zur Tortur werden, wenn er die Beſatzung ohne zwingende Urſache auf ſcharfe Waſſerration ſetzt, ſo daß die lechzende Zunge am Gaumen klebt, wenn er ſeinen Unter - gebenen die geringen Freuden, welche ihnen ihr ſchwerer Beruf gewährt, vergällt und vergiftet.
Glücklicher Weiſe ſind derartige Charactere ſelten, aber es hat deren gegeben und Lavandelle in ſeinem „ Vie navale “er - zählt von einem ſolchen, der ſeinen Untergebenen das Schiff zur wahren Hölle machte, ſie zur Verzweiflung trieb und da - durch für ſich und ſie ein furchtbares, tragiſches Schickſal her - aufbeſchwor.
Es war dies der Commandant einer franzöſiſchen Kriegs - brigg, mit der er im Jahre 1836 auf zwei Jahre nach der Antillenſtation ging, eine jener niedrigen Seelen, deren Gemein - heit und Niedertracht ſich in ihrem wahren Lichte erſt zeigt, wenn ſie glauben, die Macht in Händen zu haben. So lange er Subalternofficier war, ſchmeichelte er Jedem, von dem er irgendwie Vortheile erhoffte, und namentlich den Vorgeſetzten. Vorwürfe nahm er von ihnen wie eine Gunſt entgegen, Grob - heiten und Ungerechtigkeiten mit ſanftem Lächeln. Er ſuchte ſich einen hohen Beſchützer aus, deſſen verdammte Seele er ſpielte,256Wernerer überſprang Kameraden, weil er kriechen konnte, erhielt Decorationen als Pflaſter für hingenommene Beleidigungen und endlich das Commando der Brigg als Belohnung für Speichel - leckerei.
Sein Ziel war erreicht; er ſtreifte die Maske ab, warf ſeinen beſpuckten Rock hinter ſich und zeigte ſein wahres Geſicht, das nicht erröthen konnte, weil es keine Scham mehr kannte. Seine Kameraden von geſtern, heute ſeine Untergebenen, wurden ſeine Opfer. Sie hatten ſeine Natur erkannt, es bis dahin unter ihrer Würde gehalten, ihm die Hand zu reichen, an Bord ihn unter Quarantäne geſtellt und ſeinen Namen nur mit einem verächtlichen Achſelzucken genannt. Er hatte alles gefühlt, aber mit lächelndem Munde auf ſeine Zeit gewartet; jetzt endlich war ſie gekommen und fortan wurde Rache die Triebfeder aller ſeiner Handlungen.
Die Brigg hatte zwei Jahre auf der Station in Weſt - indien gelegen, und dieſe ganze Zeit war für die Beſatzung nur ein hartes Gefängniß, eine ununterbrochene geiſtige und körper - liche Quälerei geweſen. Der Kapitän wohnte am Lande, aber übte von dort ſeine Gewalt über die Untergebenen aus; er hatte an Bord ſeine Spione, die ihm alles hinterbrachten. Faſt täglich erſchienen Befehle, die die härteſte Tyrannei übten, aber befolgt werden mußten, weil ſie die dienſtlichen Schranken inne hielten, und ſo wurden hundert Menſchen durch einen unſichtbaren Ver - folger allmälig zur Verzweiflung getrieben. Die Brigg war 1½ Meilen vom Ufer verankert, Niemand erhielt Urlaub und nur Einzelne kamen an’s Land, wenn der Dienſt es durchaus erforderte. Tödtlicher Haß gegen den Peiniger erwuchs in den Herzen der Officiere und Mannſchaften; er wurde nicht aus - geſprochen, aber deſto glühender flammte er in der verſchloſſenen Bruſt und drohte ſie zu ſprengen.
Endlich erſcheint der Tag der Heimkehr und der Kapitän kommt mit heiterer Miene an Bord. Seine Miſſion iſt beendet,257Ernſtes und Heiteresein höherer Grad erwartet ihn bei ſeiner Rückkehr. Auf den bleichen und abgezehrten Geſichtern der Mannſchaft zeigt ſich jedoch kein Freudenſtrahl, obwol es heimwärts geht; unheilver - heißender Ernſt lagert auf ihren Zügen und finſtere Wuth zieht ihr Herz krampfhaft zuſammen als ſie lautlos um das Gang - ſpill marſchiren, um den Anker zu lichten. Der Kapitän lieſt eine unbeſtimmte Drohung in ihren Mienen und es wird ihm unheimlich zu Muthe. Er ſucht mit den Officieren ein Ge - ſpräch anzuknüpfen, doch vergebens; ſie befolgen nur ſtumm die erhaltenen Befehle, ſonſt weichen ſie ihm ſcheu aus, wie dem böſen Feind.
Im Bahamacanal ſteigt eine Bö auf, eine von jenen, die der Schrecken der Seefahrer ſind und den Orkan in ihrem Schooße tragen. Der Officier der Wache benachrichtigt den Kapitän von der nahenden Gefahr; er kommt an Deck und ertheilt den Befehl, Segel zu kürzen. Der Officier läßt „ Alle Mann “aufpfeifen und wiederholt das erhaltene Commando, doch die Ausführung unterbleibt. Stumm und drohend ſteht die Mannſchaft auf dem Vorderdeck, der Bootsmann wirft ſeine Signalpfeife über Bord, reißt ſich die Abzeichen von der Jacke und ſtellt ſich ſchweigend an das Bugſpriet. Die Bande der Disciplin ſind geſprengt und der Gehorſam iſt gekündigt, wäh - rend der Sturm heulend über das Waſſer daherfährt.
„ Gei auf Marsſegel, “ruft der erſchreckte Kapitän, indem Leichenbläſſe ſein Geſicht überzieht; er fühlt, daß die Nemeſis naht.
„ Wir werden die Segel nicht fortnehmen, “erwidern hundert Stimmen zugleich.
„ Holen Sie Ihre Waffen! “wendet ſich der Kapitän zu den Officieren, „ das iſt Meuterei! “ Der Angſtſchweiß perlt dem Feigling von der Stirn.
Die Angeredeten ziehen ſich nach dem Hinterdeck zurück; nur der Wachehabende bleibt auf der Commandobank; ſein glanzloſes Auge blickt dem Sturme entgegen, der pfeifend undR. Werner, Erinnerungen. 17258Wernerbrauſend hereinbricht und das Schiff durch die Wellen peitſcht, die von allen Seiten es zu verſchlingen drohen.
Einige wenige Nichtſeeleute und Matroſen begeben ſich zum Kapitän auf das Hinterdeck.
„ Was ſollen wir machen, “ſprechen ſie mit ſchlotternden Knieen zu ihm, „ wir werden untergehen! “
„ Nieder mit den Spionen! “ruft die Mannſchaft, „ wir wollen ſterben. “
Der Kapitän ſteht bleich und zitternd; er nimmt dem Officier der Wache das Sprachrohr ab, er hofft noch auf Wiederkehr der Ordnung, wenn er ſelbſt commandirt; aber die Antwort der Mannſchaft iſt nur höhniſches Lachen, das ſich mit dem Grollen des Sturmes miſcht. Dann verſchwindet auf eine Minute Alles im dampfenden Giſcht; die Brigg ſcheint unter - zugehen, ſie legt ſich auf die Seite und die See bricht dar - über fort.
„ Kappt die Maſten um Gottes Willen! “tönt es heiſer aus der Bruſt des Kapitäns hervor. Seine Spione wollen hinunter und Beile holen, doch die Mannſchaft treibt ſie von den Luken zurück.
„ Wir wollen ſterben und er ſoll mit uns gehen, “ruft es wieder vorn, und die Officiere bewahren ein düſteres Schweigen. Da kracht es, die Bemaſtung geht über Bord; die Brigg richtet ſich wieder auf, aber jetzt rammen die Maſten gegen die Bordwände und drohen Löcher zu brechen.
„ Ich verſpreche Euch Allen Begnadigung, ich ſchwöre es auf meine Ehre! “bittet der Kapitän in höchſter Angſt, „ aber kappt die Taue! “
„ Deine Ehre? Ha, wer glaubt daran? “höhnen die Matroſen.
Der Kapitän fleht, wüthet und droht; die Mannſchaft ſchwelgt im Gefühl befriedigter Rache, aber es genügt ihr nicht mehr, aus Haß gegen einen verabſcheuten Vorgeſetzten Schiff259Ernſtes und Heiteresund Leben zu verlieren; ſie will mehr, ſie lechzt nach Blut und dringt in drohender Haltung zum Hinterdeck.
„ Du mußt ſterben, Hyäne! “ziſcht es in ſein Ohr, „ ſterben mit uns, aber Du zuerſt und mit Dir Deine Spione. “
„ Zu Hülfe, meine Herren Officiere, zu Hülfe! ich gelobe Ihnen meine Fürſprache, Beförderung, Orden “— die Angſt er - ſtickt ſeine Stimme — aber die Officiere verhalten ſich ſchweigend wie bisher; nur der erſte Officier begiebt ſich in das Zwiſchen - deck hinunter. Der Kapitän glaubt, er wolle Waffen holen; ein ſchwacher Hoffnungsſchimmer leuchtet auf dem verzerrten Ge - ſicht, doch vergebens harrt er auf die Rückkehr. Die Sturzſeen überfluthen inzwiſchen das Deck, der Orkan heult und das Schiff erzittert unter den heftigen Stößen der gebrochenen Maſten gegen Bug und Seite. Mit dieſen Schrecken miſcht ſich der Angſtſchrei von Menſchen; es ſind die Spione des Kapitäns, die Mannſchaft hat ſich ihrer bemächtigt, ihnen die Kleider vom Leibe geriſſen und peitſcht ſie erbarmungslos. Blutgieriger Wahnſinn leuchtet aus den Augen der Matroſen, die Officiere ſchauen gleichgültig der furchtbaren Vergeltung zu; der Kapitän bricht in die Kniee und fleht um Gnade. In dieſem Augenblicke öffnet der erſte Officier die Thür zur Pulverkammer; ein Blitz und Donner wie von hundert Ge - wittern und das Schiff fliegt zerſchellt in die Lüfte — Opfer und Henker werden von den Wellen verſchlungen.
Die Bö iſt vorüber, der Sturm ſchweigt, die aufgeregten Wogen glätten ſich und die Sonne ſendet wieder friedlich ihre leuchtenden Strahlen zum blauen Ocean hernieder. Eine Stunde ſpäter paſſirt ein amerikaniſches Schiff die Stelle, wo das Grauſige ſich vollzogen. Auf einer zerbrochenen Spiere treibt der einzig Ueber - lebende der erſchütternden Kataſtrophe und wird von den Ameri - kanern aufgenommen; es iſt ein Schiffsjunge, halbtodt und mit ſchweren Brandwunden bedeckt. Er erzählte den Zuſammenhang, aber am andern Tage war auch er ſeinen Leiden erlegen.
17*260WernerZiehen wir einen Schleier über das düſtere Bild, das glücklicher Weiſe in der Geſchichte der Marine vereinzelt da - ſteht und wenden wir uns freundlicheren Scenen zu, wie ſie z. B. die Officiersmeſſe des „ Barbaroſſa “bot. Abgeſehen da - von, daß das Stillliegen der Schiffe im Hafen dem Einzelnen geſtattet hätte, unerquicklichen Reibungen aus dem Wege zu gehen, ſtanden die Meſſemitglieder trotz der großen Verſchieden - heit des Characters, der Lebensanſchauungen und des Bildungs - grades auf einem ſehr guten kameradſchaftlichen Fuße und es herrſchte ein ſehr gemüthlicher Ton an Bord. Das hauptſäch - lich belebende Element war Fähnrich Mathy. Er hatte ein ſehr gewandtes Weſen, beſaß Humor und verband damit ein großes Erzählertalent, das die Unterhaltung ſelten in’s Stocken gerathen ließ. Er war ziemlich viel in der Welt umhergekommen und wußte bei jeder Gelegenheit irgend ein Erlebniß anzu - knüpfen, von dem es nur zweifelhaft blieb, ob er es ſelbſt er - lebt, adoptirt oder ganz oder theilweiſe erfunden hatte. Dabei nahm er es jedoch keineswegs übel, wenn man bisweilen in ſeine Erzählungen leiſen Zweifel ſetzte, ſondern tröſtete ſich damit, daß er die Lacher ſtets auf ſeiner Seite hatte.
Ein ähnlicher Character, wenigſtens was das Erzählen an - betraf, war Fähnrich Frank, nur waren ſeine Geſchichten weniger intereſſant als lang und behandelten vorzugsweiſe Spukthemata. Wehe dem Unglücklichen, der dieſen Erzählungen zum Opfer fiel; unter zwei bis drei Stunden kamen ſie nicht zu Ende und unter den Nebenumſtänden ging überdies regelmäßig die Pointe verloren. An ein Entkommen war gar nicht zu denken, wenn man ſich mit ihm allein befand und Lieutenant W., der mit Frank zuſammen die Wache hatte, mußte ſchwer darunter leiden. Keine Unterbrechung half; nach Beſeitigung einer Störung ſetzte Frank genau wieder bei den Worten ein, mit denen er aufgehört, bis der Lieutenant ſich in ſein Schickſal ergab und ihn zu Ende ſprechen ließ.
261Ernſtes und HeiteresNur in der Meſſe gelang es ihm ſehr ſelten, zu Worte zu kommen. Mathy’s Suade gegenüber war er machtlos und dieſer kappte regelmäßig Frank’s langen Faden ſo oft, bis dieſer es aufgab, ihn weiter zu ſpinnen und ſich verdrießlich in ſeine Kammer zurückzog. Gewöhnlich gelang es ihm jedoch, Mr. Roberts, den engliſchen Maſchineningenieur, mit ſich zu bug - ſiren und ihn zu einem Glaſe Grog einzuladen. Mr. Roberts war ein dankbarer Zuhörer; er verſtand zwar kein Deutſch, da Jeder mit ihm engliſch ſprach, aber dies hielt ihn nicht ab, den Geſprächen der Uebrigen in der Meſſe mit größter Aufmerk - ſamkeit zu lauſchen und dann und wann den bewundernden Ausruf „ how funny “— wie komiſch! dazwiſchen zu werfen. Als Frank’s Gaſt hatte er den doppelten Genuß, deſſen Spuk - geſchichten in Engliſch anzuhören, wodurch ſie noch länger wurden und dazu bei einem ſteifen Grog zu ſitzen; was von beiden ihm beſſer gefiel, blieb unentſchieden.
Eine tonangebende Perſönlichkeit war auch der Arzt des Schiffes, Dr. Altmanns, ein Süddeutſcher von queckſilberner Be - weglichkeit. Dem militäriſchen Range nach war er als Marine - arzt II. Claſſe der Aelteſte der Meſſe und von Anfang an mit Erfolg beſtrebt geweſen, dieſen Standpunkt zur Geltung zu bringen. Er war ein ſtarker Dialectiker und geiſtig ſehr ge - wandt. Die Seeofficiere waren ihm in dieſer Richtung nicht gewachſen, er ſprach ſie im Wortkampf ſehr bald todt und hatte dadurch ſo ziemlich die Alleinherrſchaft an ſich geriſſen. Eines Tages war dieſe Herrſchaft aber erſchüttert worden, die Autori - tät hatte einige arge Stöße erlitten und der Doctor hielt ſich infolge deſſen etwas mehr im Hintergrunde.
Bei einer ſonſt liebenswürdigen Außenſeite, die den Ver - kehr mit ihm erleichterte, hatte Altmanns einige Schwächen, die ſeinen Kameraden eine Handhabe boten, ſich für die in den Wortgefechten ſtets erlittenen Niederlagen zu rächen. Er war ziemlich eitel, und nicht nur auf ſeine vermeintliche geiſtige Ueber -262Wernerlegenheit, ſondern auch auf ſeine Perſon, namentlich aber auf ſeine wirklich ſehr kleinen und zarten Hände, die er deshalb auch mit beſonderer Sorgfalt pflegte. Sie und die Epauletten mit den glänzenden goldenen Troddeln trug er gar zu gern zur Schau und ging deshalb viel an Land. Selten verſäumte er einen Ball, machte allen hübſchen Mädchen den Hof, tanzte ſehr flott und hielt tapfer bis zuletzt aus, ſo daß er dann erſt ſpät Nachts an Bord zurückkehrte. Auf dieſen Umſtand hin war ihm ein unangenehmer Streich geſpielt worden.
Bei der Rückkunft in einer bitterkalten Winternacht fand er zu ſeinem Schrecken in ſeiner Coje ſechs 68pfündige Kugeln fein ſäuberlich in eine Reihe gelegt. Vergebens gab er ſich die erdenklichſte Mühe, ſie herauszuheben. Seine ſchönen und ſorg - ſam gepflegten Hände waren nicht im Staude, die Koloſſe zu umſpannen und hartnäckig entglitten die letzteren bei jedem Ver - ſuche. Jemand von der Wache um Hülfe zu bitten, wagte der Doctor nicht, aus Beſorgniß, am nächſten Tage der allgemeine Gegenſtand kauſtiſchen Matroſenwitzes zu werden; ſeinen treuen Burſchen konnte er nicht wecken, da er deſſen Hängematten - nummer im Zwiſchendeck nicht kannte, und ſo blieb ihm nichts übrig, als den Reſt der Nacht auf einem Stuhle zuzubringen. Ofen hatten die Kammern nicht; wollten die Inhaber ſich ein - mal auf eine Viertelſtunde die Illuſion behaglicher Wärme gönnen, dann wurde in der Küche eine 32-Pfünder-Kugel glühend gemacht, in einen mit Sand gefüllten Eimer gelegt und damit ein Ofen improviſirt. Doch Nachts brannte kein Feuer in der Küche, und ſo ließen Aerger und Kälte den Doctor kein Auge ſchließen, bis endlich mit der Reveille der treue Burſche erſchien und ihn aus der fatalen Situation befreite.
Kurze Zeit darauf wurde ſeine Eitelkeit jedoch noch em - pfindlicher beſtraft. Ein Meſſevorſtand an Bord hat eine ſchlimme Stellung; er muß ſehr geduldig ſein, um ſich durch die ſtets geübte Kritik der übrigen Kameraden nicht den Appe -263Ernſtes und Heiterestit verderben zu laſſen und fährt nur dann gut, wenn er ſich an nichts kehrt, ſondern lediglich das kochen läßt, was ihm ſelbſt ſchmeckt. Trotzdem giebt es Ehrgeizige, die nach dieſer viel - geſchmähten Stellung ſtreben, und zu ihnen gehörte auch Alt - manns. Er war einer der ſchärfſten Kritiker und brachte es auch endlich ſo weit, daß er ſeine eigene Wahl durchſetzte. Als ſein Vorgänger ihm die vorhandenen Vorräthe übergab, fanden ſich unter denſelben auch mehrere Blechbüchſen, dem Anſcheine nach Conſerven, die zu jener Zeit ſich an Bord der Schiffe einzuführen begannen. Auf die Frage nach dem Inhalte, er - hielt der Doctor die Antwort: „ Grüne Erbſen; ſie müſſen drei Stunden in der Büchſe kochen und erſt kurz vor dem Anrichten geöffnet werden, dann ſchmecken ſie aber wie friſch gepflückt. “
Der neue Meſſevorſtand war über die Ausſicht auf friſches Gemüſe mitten im Winter ſehr erfreut. Am nächſten Sonntag wurden mehrere Gäſte zu Mittag geladen, und Altmanns gedachte, ſie nicht wenig mit den Conſerven zu überraſchen. Er inſtruirte den Koch genau und machte es ihm zur Pflicht, ihn zur rich - tigen Zeit zu rufen, um ſelbſt beim Oeffnen zugegen ſein zu können. Kurz vor Tiſch kam denn auch die betreffende Meldung; die Büchſen wurden aufgeſchnitten, aber man denke ſich des Doctors Entrüſtung — die Erbſen hatten ſich in Eiſen ver - wandelt! Die vermeintlichen Conſerven waren Kartätſchbüchſen für die Salutgeſchütze des „ Barbaroſſa “. Für Spott brauchte Altmanns nicht zu ſorgen; er heimſte mehr als wünſchenswerth davon ein, umſomehr, als auch der Reſt des Diners kläglich ſcheiterte und die Gäſte hungrig vom Tiſche aufſtehen mußten.
Um das Beſtmögliche zu leiſten, hatte nämlich der neue Meſſevorſtand den Koch durch eine Flaſche Madeira anzuſpornen verſucht, aber ſie ihm unvorſichtiger Weiſe ſchon vor ſtatt nach Tiſche geſchickt. Die Bouillon, noch vor Einwirkung des Madeira gekocht, war ausgezeichnet. Dann aber paſſirte die unangenehme Geſchichte mit den Kartätſchen. Wäre Altmanns264Wernernicht ſelbſt ſo aufgeregt geweſen, hätte er ſchon beim Oeffnen der Büchſen die bedenkliche Weinlaune des Kochs bemerken müſſen, doch ſo war ihm dies gänzlich entgangen. Nach Aus - fall des Zwiſchengerichtes ſetzte er ſeine Hoffnung auf den Reh - rücken. Er hatte ihn ſelbſt ausgeſucht, ihn drei Tage in ſaure Sahne legen laſſen, da mußte er ja vorzüglich ſein. Nach ſehr langer Pauſe, während der der Doctor auf Nadeln ſaß, erſchien endlich der Braten — aber o Himmel! vollſtändig ver - kohlt und ungenießbar. Die Gäſte mußten ſich mit Compot und Pickles begnügen. Altmanns war zerſchmettert, ſein Re - nommée ſtand auf dem Spiel, ja es war zum großen Theil ſchon verloren, malitiöſe Bemerkungen ſchlugen an ſein Ohr — nur der letzte Gang, der Pudding, weckte noch einen ſchwachen Hoffnungsſchimmer.
Wieder nach ſehr langer Pauſe, in der ſich die Unter - haltung nur mühſam fortſchleppte, erſchien er. Stolz und ſtattlich prangte er auf einer mächtigen Schüſſel in ſo rieſiger Größe, daß die Geſellſchaft ſich unbedingt daran ſatt eſſen konnte; doch die Freude war nur von kurzer Dauer und ein Blick auf das Prachtſtück in der Nähe ließ den armen Meſſe - vorſtand erbleichen. Was war das für eine ſonderbare Garni - rung? Ueberall ſchauten verdächtige weiße Zierrathen aus der Oberfläche hervor. Der Anſchnitt gab die Erklärung, aber ſie war vernichtend.
„ Nimm vierundzwanzig ganze Eier, “hatte in dem vom Doctor ausgeſuchten Recept geſtanden. Infolge des Madeira hatte der Koch doppelt geſehen und achtundvierzig geleſen, im übrigen aber die „ ganzen Eier “buchſtäblich genommen und nicht nur Gelbes und Weißes, ſondern auch die Schalen in den Pudding geſchlagen.
Das war für den armen Meſſevorſtand ein harter Schlag, ſein Debüt ein über alle Maßen trauriges geweſen. Noch am ſelben Abend legte er die neue Würde nieder, die dann endlich265Ernſtes und Heiteresin die richtigen Hände, in die des Zahlmeiſters kam. Für die nächſten Monate hielt er ſich aber ſehr zurück und die Seeoffi - ciere hatten Aufwaſſer. Fähnrich Mathy, der das Artillerie - material an Bord zu verwalten hatte, war höchlich erſtaunt, daß Kartätſchbüchſen unter die Vorräthe der Officiersmeſſe gerathen waren. Er ließ die drei gekochten wieder löthen, neu anſtreichen und ſie, um ſpäteren Mißverſtändniſſen vorzubeugen, dorthin ver - ſtauen, wohin ſie gehörten, in die Kugelracken um die Maſten.
An ſchönen Sommerabenden pflegten ſich nach Beendi - gung des Dienſtes die meiſten Meſſemitglieder auf dem Ober - deck, mittſchiffs, in der Nähe des Maſchinenſchornſteins zu verſammeln, um bei einer Cigarre ein Plauderſtündchen zu halten. Unten in der Meſſe durfte nämlich nicht geraucht werden; der Commandant betrachtete das als ein Capitalver - brechen. An Bord der Kriegsſchiffe herrſcht mancherlei ſonder - bare Etikette, die vielfach berechtigt iſt, aber aus früheren Zeiten auch eine Menge zopfigen Ballaſtes mit ſich führt, der an und für ſich keinen weiteren Sinn hat, als Unterofficieren und Mannſchaften einen unnöthigen Zwang aufzulegen und ihnen dadurch das Leben zu erſchweren. In neuerer Zeit hat man verſtändiger Weiſe Verſchiedenes von dieſem Zopf abge - ſchafft und dabei in Betracht gezogen, daß ein Wohlfühlen der Beſatzung an Bord und Gewähren harmloſer und gewohnter Genüſſe viel mehr zur Aufrechterhaltung der Disciplin und eines guten Geiſtes beiträgt, als alle Strenge und zweckloſe Etikette. Unſer Kapitän vermochte die Sache jedoch nicht von dieſem weiteren Geſichtspunkte aufzufaſſen; je weniger der alte Mann vom eigentlichen Dienſte verſtand, deſto mehr ſuchte er ihn in der peinlichen Beobachtung von Aeußerlichkeiten. Das Nichtrauchen in der Meſſe war ihm noch aus ſeiner kurzen Dienſtzeit vor drei Jahrzehnten als Maſter in der engliſchen Marine erinnerlich und nun ritt er es als Steckenpferd.
An einem prachtvollen warmen Sommerabend ſaßen Offi -266Wernerciere und Beamte auf dem Rauchplatze. Die Unterhaltung drehte ſich um ein großes Herrenfrühſtück, das der Commandant des „ Ernſt Auguſt “am Tage zuvor zur Feier ſeines Geburts - tages an Bord ſeines Schiffes gegeben hatte und zu dem eine große Anzahl Gäſte, wie auch verſchiedene Officiere des „ Barba - roſſa “eingeladen geweſen waren. Daß es dabei ſehr heiter hergegangen und mancher am andern Morgen mit ſchmerzenden Haaren aufgewacht war, kann man ſich denken, da dergleichen auch anderwärts vorkommt.
Mathy war wie gewöhnlich der Vortragende; die Wunden, welche die Kartätſchbüchſen und die 68-Pfünder dem Doctor Altmanns geſchlagen, waren noch nicht vernarbt und er beſchränkte ſich auf das Zuhören. Fähnrich Frank hatte ſchon verſchiedene Male vergebens verſucht, auch zu Worte zu kommen und den Erzähler in ſeinem Referate zu ergänzen, allein es war ihm nicht gelungen und er rückte infolge deſſen ſehr unruhig mit ſeinem Stuhle hin und her.
„ So ſcheint alſo das Amüſement ein allgemeines geweſen zu ſein, “bemerkte Zahlmeiſter Albert.
„ Sicher, “erwiderte Mathy. „ Sie können es daraus ent - nehmen, daß das Frühſtück netto zwölf Stunden dauerte, von ein Uhr Mittags bis ein Uhr Nachts. Es fing an Bord mit ſechszig Gäſten an und endete ſchließlich in Schillings Hotel mit ſechs der tapferſten Streiter; der Verbrauch von achtzig Flaſchen Champagner erklärt dieſen Ausfall zur Genüge. “
Eine kurze Pauſe, welche Mathy machte, ſchien Frank eine günſtige Gelegenheit zu bieten, den Zuhörern eine ſeiner Ge - ſchichten zu verſetzen. „ Ja, “bekräftigte er, „ es war eine ſolenne Fête, wie ich ſie nur noch einmal in meinem Leben mitgemacht habe. Nun, meine Herren, das war eine ganz famoſe Ge - ſchichte, die ich Ihnen doch erzählen muß. Als ich noch in Hamburg auf der Schule war .... “
„ Aber Frank, “unterbrach Mathy ſeinen Rivalen bei dieſen267Ernſtes und HeiteresWorten, die den ſteten Anfang ſeiner „ Geſchichten “bildete, „ nehmen Sie mir’s nicht übel; erſtens iſt das ſchon lange her und dann haben Sie auch herzlich wenig vom geſtrigen Früh - ſtück geſehen und können eigentlich nicht gut darüber urtheilen. “
„ Wie ſo? “fragte Frank in komiſchem Zorn.
„ Nun, “erwiderte Mathy lachend, „ nach dem Braten wurden Sie ſentimental, beim Deſſert fingen Sie an zu ſingen, und als wir vom Tiſch aufſtanden, verſuchten Sie, den Adjutanten des alten Hauptmanns von Kapernaum in Brand zu ſtecken. “
„ Was ſagen Sie? “äußerte Frank auf das Höchſte er - ſtaunt, „ davon iſt mir ja nicht das Geringſte bekannt. Als ich in Hamburg .... “
„ How funny! “warf Mr. Roberts dazwiſchen. Er hatte die Uebrigen lachen ſehen und daraus geſchloſſen, daß es ſich um etwas Komiſches handelte. Die Bemerkung verſtärkte natür - lich noch die Heiterkeit und Frank ſtockte einen Augenblick.
„ Eben darum, “fiel Mathy ein. „ Sie erinnern ſich der Sache nicht mehr; daran trug der Champagner Schuld und deswegen ſagte ich, Sie hätten wenig vom Verlaufe geſehen. “
Frank ſchien die Ueberzeugung zu gewinnen, daß er heute ſeine Geſchichte nicht an den Mann bringen würde, verſchwand in ſeine Kammer und der getreue Mr. Roberts mit ihm.
„ Was war das mit dem Inbrandſtecken des Lieutenant Decker? “fragte der Zahlmeiſter.
„ Nun, “erzählte Mathy weiter, „ der Champagner war ausgezeichnet und that ſeine Schuldigkeit; beim Deſſert wurde die Sache ſchon etwas bunt; die leidigen Toaſte wollten kein Ende nehmen, den Meiſten ging das Mundwerk mit Voll - dampf und ſelbſt der ſonſt ſo ſchweigſame alte Kapitän Traſſer von der „ Deutſchland “kletterte auf den Tiſch und hielt eine lange Rede in flämiſcher Sprache, von der Niemand etwas verſtand.
Der Marineſtabsarzt und der Secretär des Admirals ge - riethen in heftigen Disput wegen ihrer Journalnummern und268WernerJeder wollte aus deren Zahl nachweiſen, daß es in ſeinem Reſſort viel mehr zu thun gebe, als in dem des andern. Der Stabsarzt behauptete, der Secretär hätte gleich mit Nr. 500 begonnen und dieſer wieder warf dem Doctor vor, daß er alle Einladungs - und Viſitenkarten, die bei ihm abgegeben würden, mit journaliſiren laſſe. Ihren Streit überſchrie dann der taube Hauptmann von Kapernaum wieder. Er erzählte, daß die Jungens von Bremerhafen auf der Lünette „ Fuchs “, wo das geſammte Pulver für ſein Fort „ Wilhelm “lagere, ein mächtiges Johannisfeuer angezündet hätten. Wenn das in Hannover bekannt würde, ſo könnten wol noch drei Jahre darüber ver - gehen, bis er Major würde. Das ſei aber nach 27jähriger tadelloſer Dienſtzeit als Hauptmann eine um ſo traurigere Aus - ſicht, als es mit ſeinem Gehör, wegen deſſen er bis jetzt nicht befördert ſei, doch täglich entſchieden beſſer werde. Neulich, als an ſeinem Geburtstage der Adjutant und der Unterofficier der Feſtungsbeſatzung zur Gratulation gekommen, habe er ſchon ganz deutlich ihr Klopfen an der Thür vernommen. Wie mir jedoch Decker vor einiger Zeit mittheilte, war ihm ein Böller vor die Stubenthür geſetzt und abgefeuert worden; das hatte dann der Hauptmann für Klopfen gehalten und „ Herein “gerufen.
Um dieſe Zeit wurde nun die Tafel aufgehoben und die Geſellſchaft vertheilte ſich auf dem Deck. Frank verſuchte auch ſpazieren zu gehen, hatte aber ſeine Rundhölzer nicht mehr recht unter Commando, beſaß etwas zu viel Topgewicht und ſchlingerte deshalb ziemlich ſtark. Aehnlich ging es dem Adjutanten und ſo kamen beide von einander unklar. Das gab dann eine höchſt ergötzliche Scene. Frank drehte ſich um, ſchaute den Lieutenant eine Weile mit durchbohrenden Blicken ſtumm an und ſagte dann in dem feierlichen Tone, den Sie an ihn kennen, „ Herr, Sie ſind der verwerflichſte Character des neunzehnten Jahrhunderts, “und ſchlingerte langſam weiter auf das Vordeck zu. Der Lieute - nant drehte ſich auch um und es überkam ihn ein unbeſtimmtes269Ernſtes und HeiteresGefühl, daß er ſich eine Erklärung der geäußerten Worte aus - bitten müſſe.
„ Was wollen Sie damit ſagen, Herr F — ähnrich? “interpellirte er Frank, als es ihm gelungen war, dieſen einzuholen.
Dieſer ſah ihm wieder eine Weile ſtarr in’s Geſicht wie vorhin und ſprach in demſelben feierlichen Tone: „ Herr, es wäre beſſer für Sie, Sie wären nie geboren worden. “
Wir Umſtehenden lachten natürlich laut, doch ſchien dies Decker nur noch mehr zu reizen. „ Soll das eine Be — leidigung ſein? “ſtotterte er hervor.
„ Beleidigung? “erwiderte Frank nach einigem Beſinnen, indem ſein bisheriger Ernſt allmälig dem vergnügteſten Lachen wich, „ nein! Ich habe nur einmal in meinem Leben einen Menſchen beleidigt, als ich in Hamburg auf der Schule war, ſeitdem nicht wieder, am allerwenigſten aber Dich, zugeknöpfter Waffenbruder. Komm an mein Herz, dann wirſt Du fühlen, wie ich Dich liebe! “rief er dann gerührt, breitete die Arme aus und umſchlang zu unſerm Gaudium inbrünſtig den ver - blüfften Lieutenant, der aber plötzlich aufſchrie und mit Händen und Füßen arbeitete, um ſich aus der Umarmung zu befreien.
Wir ſprangen hinzu, um zu ſehen, was geſchehen ſei und fanden allerdings den Schrei ſehr gerechtfertigt. Frank hatte in ſeiner Rührſeligkeit die brennende Cigarre im Munde ver - geſſen und dieſe ſo gegen den Hals des von ihm umfangenen Adjutanten gepreßt, daß letzterer ein tüchtiges Brandmal davon trug. Nun gab es natürlich etwas Aufregung, und wir hatten genug zu thun, um den Lieutenant zu beruhigen und ihm zu beweiſen, daß nur ein unglücklicher Zufall an dem Vorgange Schuld ſei. Kaum war dies gelungen, als ſich eine andere merkwürdige Scene abſpielte. Wir hörten plötzlich Hülferufe im Zwiſchendeck, als ob Jemand umgebracht würde. Ich ſprang voll Beſorgniß durch die Vorluke hinunter und ſah dort vier270Werneroder fünf Kranke mit angſterfüllten Mienen auf zwei Aerzte deuten, die im Lazareth ſtanden. Es waren Aſcheberg vom „ Ernſt Auguſt “und Bell von der „ Hamburg “. Letzterer hielt, wie Sie wiſſen, von ſeiner Fahrt auf holländiſchen Kriegsſchiffen her, grundſätzlich alle kranken Matroſen für Simulanten, wenn ſie nicht wenigſtens ein Bein gebrochen haben. Er ſteht deshalb mit ſeinen Collegen ſehr viel in Conflict, weil dieſe unſere deutſchen Matroſen nicht mit dem Auswurf auf holländiſchen Schiffen auf gleiche Stufe ſtellen wollten. Geſtern war er durch den Champagner noch mehr in ſeiner Anſicht beſtärkt worden und hatte durch Anwendung eines neuen Heilverfahrens die Kranken ſo in Schrecken geſetzt. Nach Tiſch forderte er Aſcheberg auf, ihm ſeine Patienten zu zeigen, unter denen ſich einige hochinter - eſſante Fälle befinden ſollten. Beide kamen auch glücklich die Treppe hinunter bis in das Lazareth, wo die Kranken bei der großen Hitze ihre Hängematten verlaſſen hatten und auf den Bänken an Bord ſaßen oder lagen.
„ Wie viel haſt Du heute? “fragte Bell.
„ Drei innere und vier äußere, “erwiderte Aſcheberg.
„ So, und was fehlt dieſem hier? “examinirte Bell weiter, indem er auf einen Mann deutete, der ausgeſtreckt auf der Bank lag und ſchlief.
„ Febris intermittens mit bedeutender Leberanſchwellung. “
„ Was haſt Du ihm gegeben? “
„ Zwanzig Gramm Chinin. “
„ Chinin? “lallte Bell, „ das w — irkt viel zu langſam, da w — eiß ich ein beſſeres Mittel von Holland her, das augen - blicklich hilft. Paß einmal auf. “ Dabei holte er mit der Hand aus und verſetzte dem nichts ahnenden Fieberkranken einen ſo wuchtigen Schlag auf deſſen Rücken, daß dieſer pfeilſchnell in die Höhe fuhr und auf den Beinen ſtand. Als er den Doctor zum zweiten Schlage ausholen ſah, ſtürzte er aber hülfe - ſchreiend und in der Meinung, er habe es mit einem Wahn -271Ernſtes und Heiteresſinnigen zu thun, in das Zwiſchendeck und die übrigen Kranken hinter ihm her.
„ Siehſt Du, College, “rief Bell lachend dem ganz perplex daſtehenden Aſcheberg zu, „ wie probat mein Mittel iſt! Alles auf einmal curirt; das kenne ich von Holland her — lauter Simulanten die Kerle. Ich weiß mit ihnen umzugehen, ha, ha! alles — Si — mu — lan — “
Das letzte Wort kam nur noch in Gurgeltönen zu Tage, dann ſank Bell auf die Bank, wo der Kranke gelegen, und verfiel in einen Todtenſchlaf.
Ein lautſchallendes Gelächter veranlaßte den draſtiſchen Erzähler, eine kleine Pauſe zu machen. „ Was ſagte denn aber Aſcheberg zu dem Experiment? “fragte Fähnrich Neuland, als wieder etwas Ruhe eintrat.
„ Nun er war völlig außer ſich, da Sie ja wiſſen, wie ungemein beſorgt er um ſeine Kranken iſt, und hat Bell radical die Freundſchaft gekündigt. Uebrigens hörte ich heute, daß dieſer ſelbſt von ſeiner geſtrigen Kur ſehr angegriffen iſt. Sein Kapi - tän hat ihm heute Morgen deshalb in Gegenwart des erſten Officiers gerathen, acht Tage lang ſeine Kammer zu hüten, und zwar ſoll dies infolge eines Schreibens vom Admiral geſchehen ſein, der alſo wol Kenntniß von dem ſonderbaren Heilverfahren erhalten haben muß. “
Der Bootsmannsmaat der Wache pfiff die Seite, und die Ankunft eines Officiers unterbrach einen Augenblick die Unter - haltung.
„ Ah, guten Abend Flamberg, wie geht es Ihnen? das iſt nett, daß Sie ſich einmal wieder ſehen laſſen! “tönte es ihm von allen Seiten entgegen, und die Bewillkommnung zeigte, ein wie gern geſehener Kamerad der Neuangekommene ſein mußte. Er war Lieutenant bei den Marinieren, wie damals die Seeſoldaten hießen, und ein fideles Haus, deſſen Humor jede geſellige Unterhaltung, an der er ſich betheiligte, zu würzen272Wernerund zu beleben verſtand. Heute jedoch lagerte ein ſinnender Ernſt auf ſeinen Zügen.
„ Was haben Sie, Flamberg? “fragte der ihm ſpeciell be - freundete Zahlmeiſter. „ Sie machen ja ein Geſicht wie drei Tage Regenwetter. “
„ Laſſen Sie ſich nicht ſtören, meine Herren, “erwiderte der Lieutenant; „ es iſt eine Erinnerung, die mich den ganzen Tag ernſt geſtimmt hat. Ich fühle das Bedürfniß, mich etwas aufzuheitern, deshalb kam ich. Ich ſehe es Ihnen an, Mathy, Sie ſind am Erzählen. Fahren Sie fort, ich höre zu, dann wird ſich meine Stimmung wol beſſern. “
„ Ich machte meinen Rapport über das geſtrige Feſt, “ſagte dieſer, „ war aber ziemlich damit zu Ende gekommen, denn viel bleibt nicht mehr zu erzählen. Es wurde von der Geſellſchaft noch das Theater beſucht, deſſen ſämmtliche Plätze der Kapitän des „ Ernſt Auguſt “für ſeine Gäſte belegt hatte, und wir ſpielten ein wenig mit, wogegen der durch das ausverkaufte Haus über - glückliche Director natürlich nichts einzuwenden hatte. Dann wurde Kurs auf Schillings Hôtel geſetzt und daſſelbe trotz des con - trären Windes wenigſtens von einem Theile der fröhlichen Ge - ſellſchaft erreicht, die ſich indeſſen allmälig immer mehr ver - kleinerte. Nur ſechs von uns behaupteten ſchließlich das Feld bis Mitternacht, wenngleich uns heute Morgen beim Erwachen etwas Kopfſchmerzen plagten. “
„ Bei dieſen ſechs waren auch Sie, Flamberg, nicht wahr? “fragte ein Officier, „ dann kann ich mir allerdings Ihre heutige trübe Stimmung erklären. “
„ Ach nein, “erwiderte dieſer elegiſch, „ das iſt’s nicht. Sie wiſſen, dergleichen ficht mich nicht ſo ſehr an. Wie ich Ihnen ſagte, es iſt eine Erinnerung, “und dabei blies der Sprecher gedankenvoll dichte Rauchwolken in die Luft.
„ Nun heraus damit, alter Freund, “rief Albert, „ Sie halten doch ſonſt nicht hinterm Berge. “
273Ernſtes und Heiteres„ Wenn Sie es denn durchaus erfahren wollen, es iſt heute der Jahrestag einer Begebenheit, die — ich möchte ſagen — meinem ganzen Leben eine höhere Weihe gegeben hat, “begann Flamberg feierlich, was jedoch nicht hinderte, daß Alle, die den flotten, leichtlebigen Lieutenant näher kannten, laut auflachten.
„ Lachen Sie nicht, meine Herren, “fuhr der Letztere in demſelben Tone fort, „ es iſt eine ernſte Geſchichte. Es iſt Ihnen bekannt, daß ich 1848 bei den Preußen ſtand. Mein altes frommes Mütterchen, die nach ſchwerem Kampfe endlich ihre Einwilligung ertheilte, daß ich als Freiwilliger eintreten durfte, übergab mir beim Abſchiede noch ein Büchelchen, den Thomas a Kempis, und ich mußte ihr geloben, denſelben ſtets bei mir zu tragen und ſo oft ich Zeit fände, darin zu leſen. Dies Verſprechen habe ich auch erfüllt und trage ſeitdem das Buch ſtets in meiner Bruſttaſche.
Es war bei den Dannewerken, meine Herren! Ich befand mich in den vorderſten Reihen der Stürmenden und wir drangen mit ſolchem Ungeſtüm vorwärts, daß, wie Gefangene ſpäter ausſagten, die Dänen geglaubt hatten, wir rennten wie die Stiere mit den Köpfen voran, um unſere Gegner mit der Pickel - haube aufzuſpießen. “
Allgemeine Heiterkeit der Zuhörer.
„ Ja, wahrhaftig, “bekräftigte der Erzähler, „ ſo war es; aber die Dänen ſchoſſen auch verteufelt gut hinter ihren Schanzen und der Tod hielt furchtbare Ernte unter uns. Meine Com - pagnie litt ganz beſonders. Mit den Wenigen, die noch übrig geblieben, ſtürmte ich unaufhaltſam vorwärts. Ich hatte das Glück, die erſte preußiſche Fahne auf den Wällen aufzupflanzen; im ſelben Augenblicke war es mir, als ob ich von unſichtbarer Fauſt einen Schlag vor die Bruſt erhielt. Ich taumelte zurück, raffte mich aber ſchnell wieder auf und fand mich merkwürdiger Weiſe unverletzt. Die Dannewerke waren genommen; die Preußen hatten einen ihrer ſchönſten Siege errungen.
R. Werner, Erinnerungen. 18274WernerGegen Abend bezogen wir Quartiere und ich kam auf einen einzeln gelegenen Bauernhof. Ehe ich mich ſchlafen legte, zog ich meinen Thomas a Kempis hervor, um darin zu leſen — ich hatte es lange nicht gethan — da denken Sie ſich mein Erſtaunen, meine Herren! das Buch war von einer Kugel durch - löchert, die innere Seite aber unverletzt, ſo daß die Kugel noch im Buche ſtecken mußte, wo ich ſie auch richtig zwiſchen den Blättern fand. Auf dem erſten unverletzten Blatte begann das achtzehnte Capitel des vierten Buches und an der Stelle, wo die Kugel einen ſichtbaren Bleiabdruck hinterlaſſen, ſtanden die Worte: „ es geſchieht bisweilen Mehreres, als der Menſch be - greifen kann. “
„ Bravo Flamberg, “gut erzählt, „ bravo! “riefen die Zu - hörer, „ aber zeigen Sie uns das Buch, da Sie es ja ſtets bei ſich tragen. “
„ Das Buch? Ja ſo, ich erinnere, als ich an Bord ging, wechſelte ich den Rock und es iſt in der Taſche ſtecken geblieben. Nun das nächſte Mal bringe ich es mit, aber die Kugel habe ich hier, die können Sie ſehen. “ Dabei holte er eine alte Mus - ketenkugel aus der Geldbörſe, doch vermochte ſie nicht die auf - tauchenden Zweifel zu beſchwichtigen. Flamberg war es jedoch gewohnt, dergleichen öfter zu hören und ſteckte daher die Kugel gleichmüthig wieder in ſeine Börſe. Der Thomas a Kempis war natürlich auch ſpäter nicht zur Hand, wenn Nach - frage kam; daß der Lieutenant aber den Jahrestag des Sturmes der Dannewerke vom 23. April auf den Juli verlegt hatte, wurde von ſeinem Auditorium nicht bemerkt, da deſſen Aufmerk - ſamkeit in dieſem Augenblicke ein anderer Gegenſtand voll in Anſpruch nahm.
Ein dreimaſtiger Schuner unter nordamerikaniſcher Flagge kreuzte die Weſer herauf und ſchoß mit der friſchen Brieſe in unmittelbarer Nähe der „ Hanſa “vorüber. Aller Augen richte - ten ſich auf denſelben, denn der Seemann hat nicht nur für275Ernſtes und Heiteresſein eigenes, ſondern auch für jedes fremde Schiff hohes Inter - eſſe. Er muſtert es mit kritiſchem Blicke, ſucht Vorzüge und Nachtheile im Belauf der Planken oder in der Takelage und zieht in Gedanken oder laut Parallelen mit den Eigenſchaften ihm bekannter Fahrzeuge.
Der Schuner übte aber eine ganz beſondere Anziehungs - kraft, denn ſeine äußere Erſcheinung wich von den gebräuch - lichen Formen, namentlich von den in deutſchen Gewäſſern vor - kommenden, weſentlich ab. Sein langgeſtreckter Rumpf, der ungemein ſcharfe und oben ausfallende Bug, die ſchrägſtehenden Maſten, ſowie überhaupt der ganze Schnitt waren etwas Neues und Ungewohntes.
Man ſah es dem Fahrzeuge ſogleich an, daß es ein ebenſo tüchtiges Seeſchiff wie vorzüglicher Segler ſein mußte. Es war ein ſogenannter „ Klipper “, ein Schnellſegler par excellence und ein Modell, von deſſen nautiſchen Leiſtungen man ſich Wunderdinge in ſeemänniſchen Kreiſen erzählte.
Zu damaliger Zeit begann man gerade beim Schiffbau ſich von dem alten Schlendrian loszumachen, der ihn ſeit vielen Jahr - zehnten gefangen hielt, und zwar war es Nordamerika, das in dieſer Richtung zuerſt mit gutem Beiſpiele voranging. Sein aufblühender Seehandel und die Concurrenz mit dem bis dahin meerbeherrſchenden England wirkten als Sporn, mit ſeinen Schiffen dem Gegner den Rang abzulaufen, und das gelungene Reſultat dieſes Strebens wurden die Klipper. Es waren mög - lichſt vollkommene Segelſchiffe von früher für unmöglich ge - haltener Schnelligkeit, mit vorzüglichen nautiſchen Eigenſchaften, großer Ladefähigkeit und gleichzeitig ſehr eleganten Formen.
„ Wie ſchön er auf dem Waſſer liegt — wie eine Möwe! “
„ Und der Bug, ſcharf wie ein Meſſer! er macht nicht einmal Schaum, wenn er durch das Waſſer ſchneidet! “
„ Dieſe hängenden Maſten gefallen mir beſonders! “
„ Ja! und wie die Segel ſtehen — wie ein Brett! “
18*276Werner„ Paßt auf! Jetzt geht er über Stag; ich wette, er liegt auf vier Strich am Winde! “
„ Richtig, jetzt iſt er herum; er kreuzt wahrhaftig im rechten Winkel! “
„ Welch’ ein prachtvolles Fahrzeug! “
Dieſe und ähnliche Bemerkungen tönten von allen Seiten und zeigten, wie lebhaft die Erſcheinung des ſchönen Schiffes das fachmänniſche Intereſſe feſſelte.
Nachdem der Schuner gewendet, zeigte er den Nachblicken - den ſein Heck, auf dem in goldenen Buchſtaben Name und Heimathsort ſtand.
Mathy hatte das Fernrohr genommen, um den Namen zu leſen. „ Dachte ich’s mir doch, daß er es ſein mußte! “rief er aus, „ das iſt der „ Grey-Hound “von New-Orleans, meine Herren, ich kenne ihn, denn ich habe auf ſeinem Schweſter - ſchiffe, dem „ Bugbear “, zwei Jahre gefahren und mit ihm ver - ſchiedene Reiſen nach Archangel und St. Petersburg gemacht. Ja, “fuhr er wie begeiſtert fort, „ das ſind Schiffe, wie man ſie wol nicht wieder trifft. Sie ſegeln nicht, ſie fliegen, und bei dem ſchlechteſten Wetter liegen ſie ſo ruhig, daß man Flaſchen und Gläſer getroſt auf den polirten Tiſchen ſtehen laſſen kann. “
„ Wenn man ſie feſthält, “äußerte malitiös Frank, der die Gelegenheit wahrnahm, um für den ſtets abgeſchnittenen Faden eine kleine Rache zu nehmen und die Lacher auf ſeine Seite zu bringen. Er hatte Mr. Roberts ſeine Geſchichte glück - lich beigebracht und ſich den Uebrigen wieder angeſchloſſen.
„ Pah! dieſe Klipper kommen doch nicht gegen die „ Luiſe “auf, “fuhr er, um den errungenen Vortheil auszubeuten, ſchnell fort; „ das iſt ein Fruchtjager, meine Herren, auf dem ich ge - fahren. Wiſſen Sie, den hatte der bekannte Schiffsbaumeiſter Randow in Stettin gebaut und die Amerikaner haben ihn zum Modell genommen, reichen ihm aber nicht das Waſſer. In277Ernſtes und Heiteresder Bucht von Biscaya ſegelten wir einmal mit ſehr ſtrammer Brieſe, ſo daß kaum die Gaffeltopſegel ſtehen konnten. Ich war Steuermann, hatte die Wache und ſah, hinten an der Reiling ſtehend, über Bord in die vorbeirauſchenden Wellen. Da bemerkte ich auf einmal eine Menge halber Fiſche vorbei treiben, bald die Kopf -, bald die Schwanzſtücke. Denken Sie ſich, wir waren zwiſchen eine Heerde Delphine gekommen und unſer ſcharfer Vorſteven ſchnitt die Thiere hundertweiſe durch, da die „ Luiſe “ſo ſchnell ſegelte, daß die Fiſche gar nicht aus - weichen konnten.
So war das Fahrzeug auf der ganzen Reiſe noch nicht gelaufen und ich dachte deshalb, du willſt doch einmal loggen*Die Fahrt des Schiffes meſſen. Dies geſchieht mit einer dünnen, auf eine Welle gerollten Leine. An ihrem Endpunkte iſt ein im Waſſer aufrechtſtehendes und Widerſtand leiſtendes Holzbrettchen befeſtigt. Die ſich abrollende Leine iſt in Abtheilungen (Knoten) getheilt, die eine un - gefähre Länge von 7,8 Meter (22½ Fuß) haben. So viel Knoten nun während eines Zeitraumes von 14 Secunden (das Maaß dafür iſt eine Sanduhr) auslaufen, ſo viel Seemeilen oder Knoten macht das Schiff in einer, oder ſo viel geographiſche Meilen in vier Stunden. Eine Seemeile iſt gleich 1854 Meter und unter Berechnung einiger practiſcher Fehler - quellen verhält ſich 1854 Meter: 1 Stunde (3600 Secunden) = 7,8 Meter: 14 Secunden., wir machen gewiß 15 bis 16 Knoten.
Ich logge alſo. Die Leine auf der Rolle war bis fünf - zehn Knoten gemarkt, aber ehe nur das Logglas zur Hälfte durchgelaufen, war die Leine ſchon ganz abgerollt und von der Reibung quoll eine dicke Rauchwolke aus der Welle hervor. Der ſie haltende Junge war darüber ganz perplex geworden; anſtatt ſie los zu laſſen, hielt er ſie krampfhaft feſt und die Folge da - von war, daß er mit ihr beinahe über Bord ging. Mit ge - nauer Noth erfaßte ich noch gerade ſein Bein, um ihn zu retten, aber ſeine beiden Hände waren durch die brennende Welle ganz mit Brandblaſen bedeckt. Die „ Luiſe “mußte alſo mindeſtens278Wernerdreißig Meilen gemacht haben. Wiſſen Sie, meine Herren, es war wunderbar und etwas Aehnliches iſt mir nur noch einmal paſſirt, als ich in Hamburg auf der .... “
Ein homeriſches Gelächter unterbrach Frank’s Redefluß und auch Mr. Roberts glaubte ein „ how very funny “an - bringen zu müſſen.
Nur Mathy blieb ernſt. Sobald ſich die Heiterkeit aber etwas gelegt und Frank wieder anknüpfen wollte: „ Schule war, “fiel erſterer ihm in’s Wort: „ Was Sie da von den Fiſchen erzählen, war auf dem „ Bugbear “tägliches Vorkommniß und wurde von uns gar nicht beachtet. Aber um Ihnen zu be - weiſen, wie unſer Schiff ſegelte, führe ich einfach an, daß wenn wir lenzten*Vor einem Sturme ſegeln., wir alle paar Stunden beidrehen mußten, um auf den Wind zu warten, da wir ihn regelmäßig ausliefen. Da nun, wie Ihnen Allen bekannt iſt, ein Sturm mindeſtens 48 Knoten macht, ſo können Sie ſich allein ausrechnen, wie ſchnell der „ Bugbear “geſegelt haben muß. Wie wäre es auch ſonſt möglich geweſen, daß wir von New-Orleans in elf Tagen nach St. Petersburg gelangt wären. Der Kaiſer von Rußland beſuchte gerade bei unſerer Ankunft auf der Rhede von Kron - ſtadt die Flotte, wobei die famoſe Geſchichte mit dem Admiral paſſirte, von der Sie wol gehört haben. Er kam ſelbſt an Bord unſeres Schiffes, gab unſerem Kapitän einen höheren Orden, mir eine prachtvolle goldene Uhr, die mir leider geſtohlen iſt, und jedem von der Beſatzung hundert Rubel. “
Frank verſtummte. Er war übertrumpft. Gegen einen ſolchen Beweis vermochte er nichts mehr anzuführen. Er ſah ein, daß dagegen ſelbſt das „ Wunderbare “, was er in Ham - burg erlebt, abfiel und er gab deshalb weiteres Erzählen für heute auf, während Mathy triumphirte.
„ Was war das für eine Geſchichte mit dem ruſſiſchen279Ernſtes und HeiteresAdmiral, “fragte Flamberg, als die Gemüther ſich wieder etwas beruhigt hatten.
„ Die kennen Sie nicht? Sie lief ja damals durch alle Zeitungen. Nun dann hören Sie; ich war Augenzeuge und kann deshalb den Verlauf genau ſchildern. Die ruſſiſche Flotte war auf der Rhede von Kronſtadt verſammelt und der Kaiſer wollte ſie beſuchen, hatte ſich jedoch das übliche Salutiren und Paradiren verbeten. Sei es, daß ein Mißverſtändniß obwaltete, genug, der commandirende Admiral auf dem Flaggſchiffe, in deſſen Nähe wir geankert hatten, glaubte es recht gut zu machen, wenn er den ganzen Apparat des officiellen Empfanges in Scene ſetzte. Der Kaiſer erblickte darin jedoch einen Ungehorſam gegen ſeine Befehle und war bei ſeiner autokratiſchen Natur darüber ſehr aufgebracht. Einen Officier von niedrigerem Range hätte er wahrſcheinlich gleich zum Matroſen degradirt; hier glaubte er jedoch etwas Rückſicht nehmen zu müſſen und ſchickte den un - glücklichen Admiral zur Strafe nur bis Sonnenuntergang in den Top. Es war Morgens zehn Uhr, wir befanden uns im Juli und die Sonne ging um zehn Uhr Abends unter.
Im erſten Augenblick wagte natürlich Niemand, eine Für - bitte einzulegen und den Zorn des Kaiſers noch mehr zu reizen, und ſo ſahen wir denn den alten Herrn in voller Uniform die Wanten hinauf und in die Großmars*Maſtkorb. klettern. Langſam genug ging es, und um die Puttingswanten herum kam er auch nicht, dazu war er zu ſteif, ſondern er kroch durch das Soldatenloch. Als er eine Stunde dort geſeſſen, der Kaiſer ſich zur Abfahrt bereit machte und ſein Zorn etwas verraucht war, riskirte ſeine Umgebung, ihn auf die Härte der verfügten Strafe aufmerkſam zu machen, die ſonſt ja nur über Kadetten verhängt wurde, und um Erlaß zu bitten.
„ Was ich befohlen, das kann ich nicht gleich wieder rück -280Wernergängig machen, “erwiderte der Kaiſer. „ Er muß deshalb bis Sonnenuntergang oben bleiben. “
„ Majeſtät, dann iſt aber nichts im Wege, daß der Ad - miral gleich herunterkommt, “ſagte einer der Admirale.
„ Wie ſo? “fragte der Kaiſer erſtaunt.
„ Majeſtät befehlen einfach, daß die Sonne jetzt, ſtatt heute Abend um zehn Uhr, untergeht. Es wird nur Signal zur Flaggenparade gemacht. “
Dem Kaiſer leuchtete dieſer Ausweg ein, der ihm das Mittel bot, ſeine Uebereilung gut zu machen, ohne ſeinen Be - fehl direct zurücknehmen zu müſſen. Das Signal zur Flaggen - parade ging in die Höhe und die Flaggen wurden ſämmtlich in aller Form niedergeholt. Obwol die Sonne noch hoch am Himmel leuchtete, ging ſie für die ruſſiſche Flotte officiell unter, und als der Kaiſer von Bord fuhr, um unſern „ Bugbear “in Augenſchein zu nehmen, enterte auch der Admiral aus dem Top nieder, um wieder das Commando der Flotte zu übernehmen.
Der kaiſerliche Beſuch war ja für uns eine große Ehre, “fuhr Mathy fort, indem er unmerklich auf ein anderes ſeiner „ Erlebniſſe “überging, „ aber mir perſönlich kam er ſehr theuer zu ſtehen und ich hatte dabei einen großen Verluſt, den auch die koſtbare goldene Uhr nicht aufwiegen konnte, um ſo mehr, als ſie mir nachher geſtohlen wurde. “
„ Wie ſo? Erzählen Sie! “riefen die neugierig gemachten Zuhörer und Mathy ließ ſich auch nicht lange bitten.
„ Ich beſaß einen wundervollen Papagei, den ich auf eigenthümliche Weiſe in Braſilien erhalten und der mir unge - mein viel werth war, nicht allein als Andenken an einen Freund, dem er früher gehörte, ſondern weil er ganz außergewöhnlich ſprach und ſang, wie wol nicht ſo leicht ein zweiter. Dieſen ſah einer der jungen Großfürſten, hörte ihn ſingen und war ſo entzückt von ihm, daß er ihn mir durchaus abkaufen wollte. Daß ich darauf nicht einging, können Sie ſich denken, aber281Ernſtes und Heitereswas blieb mir übrig, als ihn zum Geſchenk anzubieten, und ſo kam ich um das ſchöne ſeltene Thier, das ſchon ein Jahr lang mein ſteter Begleiter geweſen und das unter ſo höchſt wunderbaren Umſtänden in meinen Beſitz gelangt war, ſo wunderbaren, daß ſie kaum glaublich ſind. “
„ Was waren denn das für wunderbare Umſtände? “fragte Albert. „ Rücken Sie doch endlich damit heraus, nachdem Sie uns den Mund ſo wäſſerig gemacht. “
„ Gedulden Sie ſich doch nur, “erwiderte Mathy, der mit Befriedigung ſah, daß ſeine Zuhörerſchaft ſich in der geeigneten Stimmung befand, „ ich komme ja ſchon darauf hin. Es iſt nebenbei auch eine traurige Geſchichte. Vor vier Jahren war ich mit der „ Wespe “, einer amerikaniſchen Kriegsbrigg, in Rio - de-Janeiro. Wir lagen mehrere Monate dort, machten allerlei Bekanntſchaften, und unter andern lernte ich auch eines Tages einen deutſchen Herrn kennen, der etwa fünf Meilen von Rio nach dem Innern zu ſich angeſiedelt hatte. Wir fanden Ge - fallen an einander und wurden bald recht befreundet. Er lud mich dringend zu einem Beſuche auf ſeiner Beſitzung ein, und als er das nächſte Mal zur Stadt kam, ritt ich mit ihm hin - aus. Unſer Weg führte uns durch ein prachtvolles Stück Ur - wald, ehe wir an ſein Haus gelangten, das am Fuße eines ziemlich ſteilen Berges gelegen und von üppigen Kaffee - und Zuckerplantagen umgeben war. In dem Walde fielen mir große Schaaren von ſchönen Papageien auf. Sie zeichneten ſich nicht nur durch ihr wundervolles Gefieder, ſondern namentlich durch den melodiſchen Klang ihrer Stimme aus, während man doch ſonſt von dieſen Vögeln nur widerliches Gekreiſch vernimmt. Ebenſo waren ſie gar nicht ſcheu, ſondern flogen ganz zutrau - lich in unſerer Nähe umher, ſo daß man ſie faſt hätte greifen können. “
„ Sie werden ein ſchönes Exemplar in meinem Hauſe ſehen, “erzählte mein Freund. „ Ich habe es vor einem Jahre aus dem282WernerNeſte geholt und aufgezogen. Der Papagei iſt ſo zahm, daß er mir auf Schritt und Tritt nachfliegt. Oefter macht er auch Beſuche bei den Kameraden im Walde, kehrt aber regelmäßig bald zurück. Das Merkwürdigſte iſt aber ſeine muſikaliſche Begabung und ſeine klangvolle Stimme. Er verſucht, alle in meinem Hauſe gehörten Lieder nachzuſingen oder vielmehr nachzupfeifen und bei einigen gelingt ihm dies vortrefflich. Namentlich ſcheint ihm „ Wer hat Dich Du ſchöner Wald “zu gefallen, das von mir und meinen Kindern öfter als Quartett geſungen wird. Er reproducirt es ohne den leiſeſten Fehler und vollkommen rein. “
„ Als wir vor dem Hauſe meines Freundes ankamen, hatte ich Gelegenheit, ſofort die Bekanntſchaft dieſes merkwürdigen Vogels zu machen. Sobald er ſeines Herrn anſichtig wurde und von der Kette am Fuße frei gemacht war, flog er auf deſſen Schulter und drückte durch allerlei komiſche Bewegungen die größte Freude über ſeine Rückkunft aus. Ich blieb einige Tage auf der Hacienda und fand auch die übrigen gerühmten Vorzüge des Thieres beſtätigt; es pfiff verſchiedene deutſche Lieder glockenrein. Gar zu gern hätte ich den Papagei gehabt, aber er war offenbar meinem Freunde ſo ans Herz gewachſen, daß ich gar nicht wagte, ihn darum anzugehen.
Zwei Jahre darauf kam ich wieder mit dem „ Bugbear “nach Rio und beſchloß, da unſer Aufenthalt vorausſichtlich nur kurze Zeit dauerte, ſo bald als thunlich die Beſitzung meines Freundes aufzuſuchen. Ich miethete ein Maulthier und trat, von einem Führer begleitet, meinen Ritt an. Da wir auf be - wohnte Orte unterwegs nicht zu rechnen hatten und wir über - haupt der Sonnengluth halber nur in den frühen Morgen - und in den Abendſtunden reiten konnten, ſo nahm der Führer vor - ſorglich nicht nur die nöthige Speiſe, ſondern auch Hängematten mit, um ſie während der heißen Tageszeit im Schatten der Wälder aufſchnüren und unſere Sieſta darin halten zu können. Eben vor Dunkelwerden gelangten wir auch glücklich an den Ort283Ernſtes und Heiteresunſerer Beſtimmung, aber wer beſchreibt mein erſchreckendes Er - ſtaunen, als wir aus dem Walde traten und uns ſtatt des freundlich einladenden Hauſes, das mich vor zwei Jahren ſo gaſtfrei aufgenommen, nur ein Trümmerhaufen entgegenſtarrte.
Ein Bergſturz hatte den größten Theil der Gebäude be - graben, das Uebrige war niedergebrannt, alles öde und ver - laſſen. Das Unglück mußte ſchon vor längerer Zeit ſtattge - funden haben, denn üppige Schlinggewächſe überwucherten be - reits die verkohlten Balken. Nirgends konnten wir ein Anzeichen von der Nähe menſchlicher Bewohner entdecken; aller Wahr - ſcheinlichkeit nach war mein Freund und ſeine Familie Nachts von der Kataſtrophe überraſcht worden und Alle hatten unter den Trümmern der Wohnung ihr Grab gefunden.
Mit tiefer Trauer im Herzen ſchickte ich mich an, den Rückweg anzutreten. Es war jedoch ſo dunkel geworden, daß wir den Pfad durch den Urwald nicht zu erkennen vermochten, und ſo blieb uns nichts übrig, als die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen. Wir feſſelten unſere Maulthiere, nahmen unſer Abendbrod ein, ſchnürten dann die Hängematten, die uns jetzt vortrefflich zu ſtatten kamen, zwiſchen den Bäumen auf und ruhten in der duftathmenden Atmoſphäre und unter dem dichten Laubdach des Urwaldes, das uns auch gegen Regen vollſtändig geſchützt haben würde, ganz behaglich.
Andern Morgens erweckte mich ein aus der Ferne er - tönender Geſang. Im Halbſchlafe konnte ich mich zuerſt gar nicht recht orientiren; als ich ganz wach wurde, erkannte ich jedoch das Lied: „ Wer hat Dich Du ſchöner Wald “. Es wurde vierſtimmig geſungen, klang aber ſo voll, daß jede Stimme wenigſtens zehnfach beſetzt ſein mußte. Vergebens ſah ich mich nach den Sängern um, Niemand war zu entdecken. Die Sache wurde mir unheimlich. Wie kam mitten in einen braſilianiſchen Urwald ein deutſcher Sängerchor? Bei aufmerkſameren Hin - hören unterſchied ich, daß die Stimmen aus der Höhe kamen. 284WernerDie Sache wurde immer räthſelhafter! Ich weckte meinen Führer; auch er war ſtarr vor Erſtaunen und meinte, es ſei Hexerei. Da auf einmal verſtummte der Geſang. In den Kronen der mächtigen Bäume über unſeren Häuptern rauſchte es mit tauſendfachem Flügelſchlag.
Eine zahlloſe Schaar Papageien erhob ſich aus dem dunklen Laube, um ſich weiter nach unten ganz in unſerer Nähe auf den Zweigen niederzulaſſen. Ein beſonders ſchönes Exemplar ſetzte ſich keine zehn Fuß von mir entfernt. Ich freute mich über das prachtvolle Thier — da öffnet es den Schnabel und intonirt. Mit wunderbarer Präciſion fallen die übrigen Papa - geien vierſtimmig ein und der zweite Vers des Liedes erklingt mit einer Schönheit und Fülle des Tones, wie ich es nie ge - hört. Ich war aufs Tiefſte erregt; mein Führer glaubte an Zauberei, lag auf den Knieen und betete ein Ave Maria. Auch die Maulthiere waren wie wirr. Eine Zeit lang ſtanden ſie mit geſpitzten Ohren und geblähten Nüſtern, dann ſtieß das eine einen Laut aus, der wie ein ſchmetternder Trompetenton durch den Wald klang. Die Papageien wurden dadurch ſo erſchreckt, daß ſie plötzlich ihren Geſang unterbrachen und ſich in dichten Schaaren erhoben, um davon zu fliegen.
Nur ein Thier blieb zurück; es war dasjenige, was into - nirt hatte; aber ſein Bleiben war kein freiwilliges. In offen - barer Angſt flatterte es auf dem Zweige, wo es ſaß, hin und her. Ich ſprang hinzu und nun löſte ſich auch das Räthſel des gehörten Quartetts. Es war der Papagei meines verun - glückten Freundes. Er hatte noch die Kette am Fuß und ſich mit dieſer in dem Aſte verſchlungen, ſo daß er nicht fort und ich ihn greifen konnte. Wahrſcheinlich war er bei dem Bergſturz entkommen und hatte nach dem Verluſt ſeines Herrn die alte Waldesheimath aufgeſucht. Dort muß er dann in ſeiner außer - ordentlichen Vorliebe für Muſik ſeinen Kameraden jenes Lied vierſtimmig eingeübt haben.
285Ernſtes und HeiteresSie müſſen mir zugeben, meine Herren, daß das für einen Vogel alles mögliche iſt, und wenn ich nicht Alles erlebt hätte, würde ich es ſelbſt kaum glauben. Sie können ſich daher auch denken, wie ſchwer es mir werden mußte, mich von ihm zu trennen. “
„ Heute haben Sie ſich ſelbſt übertroffen, Mathy, “ſagte Fähnrich Fix, während allgemeine Heiterkeit laut wurde. „ Das geht noch über den Thomas a Kempis. “
„ Und über das Ausſegeln des Sturmes, “fügte der Zahl - meiſter hinzu.
„ Very funny, indeed! “bekräftigte Mr. Roberts.
Frank ſchüttelte nur ſchweigend den Kopf; er überzeugte ſich endgültig, daß er einem ſolchen Rivalen im Erzählen nicht gewachſen ſei.
„ Ja, meine Herren, “erwiderte Mathy gleichmüthig, „ wenn man ſo viel in der Welt herumgekommen iſt, wie ich, dann er - lebt man auch viel und darunter mancherlei, das im erſten Augenblicke wunderbar klingt, aber nichtsdeſtoweniger thatſäch - lich iſt. Denken Sie an Flambergs Buch: „ Es geſchieht bis - weilen Mehreres, als der Menſch begreifen kann. ““
Jean, der Steward, meldete jetzt, daß das Abendeſſen ſervirt ſei, und die Geſellſchaft brach auf, um ſich wieder in die Meſſe zu begeben. Das Plauderſtündchen war für heute vor - bei, aber Mathy’s Vorrath an „ Erlebniſſen “noch lange nicht erſchöpft. Wir haben ſpäter noch oft davon gehört und dar - über gelacht.
[286]Bei Gründung der deutſchen Flotte waren die Seejunker, wie der officielle Titel der Kadetten lautete, auf den verſchiedenen Schiffen vertheilt. Nach Lage der Umſtände konnten ſie jedoch auf Raddampfern mit deren mangelhafter Bemaſtung in practiſcher Beziehung wenig lernen; ſie wurden deshalb zum größten Theile auf der „ Deutſchland “eingeſchifft. Das Schiff mit ſeiner vollen Fregattentakelung bot wenigſtens Gelegenheit, das Segelexercitium auf größeren Kriegsſchiffen und was damit zuſammenhing kennen zu lernen, ebenſo geſtatteten ſeine Räum - lichkeiten die Unterbringung von 25 bis 30 Junkern und die Einrichtung eines regelrechten Lehrcurſes mit vorwiegend theoretiſchem Unterrichte. Als Lehrer fungirten theils Officiere, theils Civiliſten, und es wurde nach dieſer Seite nicht verſäumt, die Schüler für ihr Fach möglichſt gut vor - und auszubilden. Auch bei der Wahl der Meſſe war dieſe Rückſicht maßgebend geweſen, und ſie befand ſich auf der „ Deutſchland “nicht, wie ſonſt auf Fregatten, im Zwiſchendeck, ſondern in der hellen Batterie, damit die Junker nicht bei Licht zu arbeiten brauchten. Der Commandant des Schiffes, deſſen Obhut man die Er -287Die Seejunkerziehung der jungen Leute anvertraut hatte, war ein Belgier, ein Mann in bereits vorgeſchrittenem Alter. Er that ſein Beſtes, um die ihm gewordene Aufgabe zu erfüllen, aber dieſe war nicht leicht und die übermüthigen Zöglinge ſchlugen oft über die Stränge, um ſo mehr, als bei ihrer Einſtellung und Auswahl nicht mit derjenigen Sorgfalt verfahren war, wie dies ſpäter bei geordneteren Zuſtänden der Flotte geſchehen wäre. Es erklärte ſich daher, wenn ſich unter dem Corps einzelne Individuen befanden, die ihm nicht zur Zierde gereichten, dem Commandanten das Leben ſehr ſauer machten und auf ihre Kameraden keinen guten Einfluß übten, bis ſie ſich mit der Zeit abſtießen. Den Reſt jedoch bildeten im Allgemeinen gut erzogene Jünglinge, die gewiß zu tüchtigen Officieren herange - bildet wären, wenn das Schickſal der deutſchen Flotte Dauer verliehen hätte; ein großer Theil von ihnen hat ſich ſpäter einen ehrenvollen Lebensweg gebahnt.
Dem Alter nach ſchwankten die Junker zwiſchen 15 und 18 Jahren, jedoch war auch ein Zwanzigjähriger von entſpre - chender geiſtiger und körperlicher Entwickelung dabei, und es konnte nicht fehlen, daß er ſich in jeder Beziehung die Herrſchaft über ſeine Kameraden anmaßte. Sein Name war Fahrenholz; er beſaß großes Zeichentalent, das er hauptſächlich zu Carri - caturen verwerthete. In den meiſten Fällen war deren Gegen - ſtand der Kapitän, deſſen Eigenheiten und ſtark mit Flämiſch gemiſchtes Deutſch reichen Stoff zu ſolchen Zeichnungen liefer - ten. Hatten ſich die Seejunker über letztere genügend amü - ſirt, dann wurden ſie zu wirklichen „ fliegenden Blättern “, denn, von irgend einem geheimnißvollen Winde getrieben, flogen ſie ſo lange im Schiffe umher, bis ſie in die Hände des erſten Officiers oder in die des Commandanten ſelbſt fielen. Dieſer war von Natur äußerſt gutmüthig, ſchien auch außerdem ſeine eigene Jugend noch nicht vergeſſen zu haben, denn weit entfernt zu zürnen, amüſirte er ſich vielmehr über die allerdings288Wernergroßes Talent verrathenden Carricaturen — wenigſtens wurde nie nach dem Urheber geforſcht.
Des Kapitäns alter ego war ein von ihm aus Belgien verſchriebener Profoß, der Ueberall und Nirgends an Bord eines Kriegsſchiffes, bei uns Stabswachtmeiſter genannt. Er übt die Polizei an Bord aus, hat auf die Befolgung von tauſenderlei Vorſchriften und Beſtimmungen zu achten, die das Getriebe des ſo complicirten inneren und äußeren Dienſtes regeln und iſt deshalb eine gefürchtete, aber auch eine viel geplagte Perſönlichkeit an Bord. Er hat die Ordnung und Reinlich - keit in den Wohnräumen der Mannſchaft, ſowie Feuer und Licht zu überwachen, und auch die Officiere müſſen ſich ſeiner Autori - tät fügen, wenn er um zehn Uhr Abends in der Meſſe oder in den Kammern erſcheint, um darauf aufmerkſam zu machen, daß die Zeit zum Löſchen der Lichter gekommen. Bei der abend - lichen Ronde, die der erſte Officier im ganzen Schiffe vornimmt, iſt er eine Hauptperſon, und bei jedesmaligem Wachwechſel aller vier Stunden hat er aufzuſtehen und danach zu ſehen, daß die Leute ſchnell aus den Hängematten kommen. Er muß die Austhei - lung des Eſſens und der Spirituoſen beaufſichtigen, die Arre - ſtanten verſorgen, die Beurlaubten controlliren, die Ausbleiben - den an Land aufſuchen und bei ihrer Rückkehr ſie und die Boote dahin revidiren, daß nicht verbotene Getränke an Bord geſchmuggelt werden. Bei dem täglichen Strafrapport meldet er als öffentlicher Ankläger alle die Unglücklichen, die in den letzten 24 Stunden ſich irgend ein Vergehen haben zu Schulden kommen laſſen und wäre es auch nur, daß ſie einen Fettfleck auf das reingeſcheuerte Deck gemacht haben oder eine Minute länger in ihrer Hängematte geblieben ſind, nachdem die Pfiffe der Bootsmannsmaate das Signal zum Wachwechſel gegeben haben. Kurz die Stellung des Profoß iſt keine beneidenswerthe.
An Bord der „ Deutſchland “hatte er noch ſein beſonderes Augenmerk auf die Seejunker zu richten; er war der unzer -289Die Seejunkertrennliche Begleiter und Schatten des Commandanten, wo dieſer irgendwo im Schiffe dienſtlich erſchien, und fehlte deshalb auch nie auf den „ fliegenden Blättern “, auf denen der Kapitän ſelbſt verherrlicht wurde.
Letzterer muſterte jeden Morgen die Junker ſelbſt, ehe der Unterricht begann und achtete ſehr genau darauf, daß ſich ihr Aeußeres tadellos präſentirte. Eine aufgegangene Naht, ein ungebürſtetes Kleidungsſtück oder ein „ manquirender Knoop “(fehlender Knopf) wurde unnachſichtlich mit 24 Stunden Arreſt oder den Umſtänden nach mit mehr geahndet. Eine ſolche Muſterung war auch der Gegenſtand einer ſehr gelungenen Zeich - nung geworden. Die Seejunker ſtanden porträtähnlich und nach ihrer Größe rangirt auf dem Hinterdeck aufgeſtellt. Der inſpi - cirende Commandant, angethan mit einem franzöſiſchen Kapuzen - mantel, den er bei rauhem Wetter regelmäßig trug, war bei dem Kleinſten angelangt und ſchien ihm ſehr ernſte Vorhaltungen gemacht zu haben. Der Profoß ſtand dabei und notirte in ſeinem dickleibigen Taſchenbuche die verhängte Strafe. Als Commentar dienten die Worte des Kapitäns: „ Junker, manquirt een Finger; conſignirt voor drie Dagen Arreſt und als es noch eens gebührt, ſoll ich voor Ihren Abſcheid fragen. “ (Junker, Ihnen fehlt ein Finger; dafür erhalten Sie drei Tage Arreſt und wenn das noch einmal vorkommt, werde ich Sie zum Ab - ſchiede eingeben.) Dem Angeredeten fehlte nämlich ein Finger - glied an der linken Hand.
In den Mußeſtunden ließ man den jungen Leuten ziem - lich viel Freiheit und in der Meſſe ging es deshalb bisweilen laut und luſtig her. Der jugendliche Uebermuth wollte austoben und machte ſich in mancherlei draſtiſchen Ausbrüchen Luft. Doch werfen wir ſelbſt einen Blick in die Meſſe, um uns ein Bild von dem Leben darin zu verſchaffen. Sie iſt wie die Officiers - meſſe ein viereckiger ſchmuckloſer Raum, aber hell und luftig, da ſie ihr Licht nicht nur von oben, ſondern auch von denR. Werner, Erinnerungen. 19290WernerSeiten durch zwei Batteriepforten erhält. Die Wände ſind mit Kalk geſtrichen, theils aus ſanitären Rückſichten, um die Luft zu verbeſſern, deren Beſchaffenheit wegen des ſich im untern Raume ſammelnden und oft übelriechenden Waſſers manches zu wünſchen übrig läßt, theils aus öconomiſchen, da Kalk ſo viel billiger als Farbe iſt und die abgeſtoßenen Stellen ſich Sonn - abends nach der Generalwäſche des Schiffes leicht wieder repa - riren laſſen.
Die Mitte nimmt ein ſchwerer Tiſch ein, um den ebenſo maſſive Bänke laufen. Der Raum iſt zu gleicher Zeit Schul -, Eß - und Schlafzimmer; oben an den Decksbalken ſind nume - rirte Haken eingeſchroben, an denen Abends die Hängematten aufgehängt werden. An den Wänden befinden ſich verſchiedene Regale, auf denen in genialſter Unordnung die heterogenſten Gegenſtände liegen, Bücher, Spiegel, Rappiere, Guitarren, Ci - garrenkiſten und dergleichen. Unendlich oft hat der Profoß dar - über ſchon Rapport erſtattet, unendlich oft ſind auf Geheiß des erſten Officiers dieſe Regale aufgeräumt und ebenſo viele Male hat das Chaos den Betheiligten Strafwachen, Urlaubsentziehung oder auch Arreſt eingetragen, aber ohne nachhaltigen Erfolg. Nach kurzer Zeit zeigen ſich die Regale wieder ebenſo und eine gewiſſe Entſchuldigung dafür muß man allerdings gelten laſſen.
An Bord eines Kriegsſchiffes herrſcht bei der großen Be - ſatzungsſtärke und all den Vorräthen, die es mit ſich ſchleppen muß, um ſtets ſchlagfertig zu ſein, ein großer Raummangel, und der Einzelne muß ſich deshalb mit dem nothdürftigſten Platze zu ſeiner Exiſtenz begnügen. Von Kammern, wie ſie die Officiere — und die jüngern auch nicht immer — haben, kann aus dieſen Gründen für Kadetten nicht die Rede ſein. Die Hängematten mit dünner Matratze, noch dünnerem Kopf - kiſſen und wollener Decke bilden das Bett; für die Unterbrin - gung ſeines ſonſtigen Eigenthums war dem Junker nur ein hölzerner Koffer, die ſogenannte Seekiſte, von 3½ Fuß Länge291Die Seejunkerund etwas weniger Tiefe und Höhe, bewilligt, in der ſogar ſein blechernes Waſchgeräth verſtaut werden mußte. Dieſe Kiſte ſtand unten in dem dunkeln Zwiſchendeck, und außerdem gebot Jeder nur noch über ein Stückchen Regal von zwei Fuß Länge oben in der Meſſe. Das war herzlich wenig und erklärte das Durch - einander. Jetzt haben es die Kadetten etwas beſſer, ſie brauchen ſich nicht mehr in oder auf der Kiſte zu waſchen, und Jedem iſt außerdem ein Spind zugewieſen, in dem er wenigſtens ſeine Kleider und Wäſche unterbringen kann, da die größer geworde - nen Dimenſionen der neueren Schiffe dieſen Luxus geſtatten. Von den zwanzig Junkern hatte, mit Ausnahme der Unterrichts - ſtunden, der vierte Theil immer Wache auf dem Oberdeck, theils um practiſchen Dienſt zu thun, theils um für die Uebrigen in der immerhin für ſo viel Bewohner beſchränkten Meſſe Platz zu gewinnen.
Es iſt gegen fünf Uhr Nachmittags und die heutigen Lehr - ſtunden ſind vor kurzem beendet. Herr Freiſe, der Lehrer der ſphäriſchen Trigonometrie, ein ſcharfer mathematiſcher Kopf, aber für das übrige Leben ziemlich unbrauchbar und deshalb von ſeinen Schülern als cosinus a-sinus … bezeichnet, hat ſich ſehr viel Mühe gegeben, den Junkern das Verſtändniß einiger ſchwieriger Formeln zu eröffnen. Die Anſtrengung iſt deshalb ziemlich groß geweſen und eine Erholung nothwendig. Der Kaffee iſt bereits getrunken und ein rieſiger Topfkuchen, den der Steward Jean, — alle Stewards in der deutſchen Marine trugen den Gattungsnamen Jean — ſeines Zeichens ein Conditor, fabricirt, bis auf die Krümel verſchwunden. Nach Erledigung der materiellen Seite will aber auch das Gemüth bedacht ſein, es wird ein Lied intonirt und man hört ſchon von weitem den Geſang. Der Text kommt uns zwar ſehr bekannt vor, aber die Melodie klingt neu, ſcheint zu dem Inhalte nicht recht zu paſſen und iſt wahrſcheinlich an Bord ſelbſt componirt. Bei näherem Hinhören unterſcheiden wir denn auch deutlich die19*292WernerWorte; es iſt die Schiller’ſche Ballade: „ Ritter Toggenburg “, und wir kommen noch gerade zur rechten Zeit, um den Schluß - vers zu hören:
Allgemeine Heiterkeit! Die Melodie ſcheint angeſprochen zu haben und man ſchickt ſich an, das Lied zu wiederholen, als ein mit Stentorſtimme gerufenes „ Silentium! “den Ge - ſang unterbricht und lautloſe Stille hervorzaubert. Es iſt der Senior Fahrenholz, der Schweigen gebietet, und Niemand wagt ſeiner Autorität Widerſtand zu leiſten. Er hält ein „ Fliegendes Blatt “hoch, das er ſoeben mit den letzten Blei - federſtrichen vollendet hat, und alle Köpfe drängen ſich um den Künſtler, um ſein neueſtes Werk zu bewundern.
„ Famos, brillant, ausgezeichnet! “ertönen die Lobſprüche von allen Seiten. Die Ausrufe ſind gerechtfertigt; das Bild verherrlicht in trefflichſter Ausführung eine Epiſode aus der Seereiſe der ſtolzen Fregatte „ Deutſchland “. Auf Helgoland giebt es eine Kuh, die als einzige Vertreterin ihres Geſchlechtes auf der Inſel, „ die Kuh “genannt wird. Nach dieſer Ana - logie ſprechen die Seejunker auch nur von der Seereiſe, denn es iſt die einzige, welche das Kadettſchiff als Fregatte und unter ſchwarzrothgoldener Flagge gemacht hat. Die Reiſe er - ſtreckte ſich zwar nur von der Elbe bis zur Weſer, war aber reich an intereſſanten nautiſchen Erlebniſſen, bildete in dem bis - herigen Stillleben ein Ereigniß, haftete deshalb mit den kleinſten Einzelnheiten im Gedächtniſſe der Seejunker und gab immer wieder neuen Stoff zu Unterhaltungen und techniſchen Disputen. Seitdem trugen die jungen Leute ja ihren Namen erſt mit einer293Die Seejunkergewiſſen Berechtigung, denn ſie hatten wirklich die See geſehen, wenn auch nur ein paar Stunden lang. Eine kurze Zeit war ſogar die Küſte aus Sicht geweſen und einige von ihnen wären beinah ſeekrank geworden, wenn man nicht leider ſo ſchönes Wetter getroffen hätte. Und was für intereſſante Erinnerungen knüpften ſich an die Tour, wie viel Neues hatte ſich den er - ſtaunten Blicken geboten! Da war ein rothgemaltes Feuerſchiff paſſirt, Delphine hatten um das Schiff geſpielt und draußen in den Mündungen der Elbe und Weſer lebendige Seehunde mit verwunderten Augen das große Schiff angeſtaunt, das ſo verdächtig nahe an den Sänden vorbeiſtreifte, wo ſie ihre Mittagsruhe halten wollten. Und was für Fährlichkeiten hatte man trotz des ſchönen Wetters ausgeſtanden! Während man die Reiſe bei günſtigem Winde und ruhiger See ſonſt bequem in einem halben Tage macht, hatte ſie unter denſelben Umſtänden drei Mal vierundzwanzig Stunden gedauert, das Schiff auf der Strecke nicht weniger als drei Mal geſeſſen und drei ſchwere Kabeltaue waren bei den Verſuchen, es wieder flott zu machen, gebrochen. An Bord hatte ſich eine lebhafte Controverſe dar - über entſponnen, wer eigentlich an dem Feſtkommen die Schuld trage. Einige ſchoben es dem Commandanten in die Schuhe, der ſelbſt alle Manöver commandirt habe, andere wieder dem Lootſen, aber der Kapitän ſelbſt hatte die Sache ſehr ruhig genommen. Die „ Deutſchland “war von gutem ſoliden Teakholz gebaut, ihr hatte das verſchiedentliche „ Aufbrummen “nicht weiter ge - ſchadet, als höchſtens etwas Kupfer vom Boden abgeſcheuert, und ſo hatte der Commandant den Vorfall lediglich vom pädagogi - ſchen Standpunkte aus betrachtet und ſchmunzelnd gemeint, die Seejunker hätten viel Profit von der Reiſe gehabt und gelernt, wie man ein an Grund gerathenes Schiff wieder abbrächte. Darin hatte er zwar nun Recht, indeſſen wollte es ſelbſt den Seejunkern nicht einleuchten, daß man Kriegsſchiffe zu dieſem Zwecke ſo oft auf den Grund ſetze.
294WernerFahrenholz hatte nun dieſer Anſicht bildlichen Ausdruck gegeben, wenn auch in etwas ausgeſchmückter Weiſe. Seine Zeichnung ſtellte die „ Deutſchland “dar, wie ſie bemüht war, unter einem Winkel von 45 Grad die Inſel Helgoland zu er - klettern. Die Beſatzung des geſtrandeten Schiffes ſchien ſich ſchon ſalvirt zu haben, denn man ſah nur noch zwei Menſchen an Bord, den Kapitän und ſeinen Schatten, den Profoß. Letz - terer war beſchäftigt, die Fregatte mit einem Bootshaken von den Klippen, zwiſchen denen ſie feſtgeklemmt ſaß, abzuſchieben und ſtand vorn auf der Back, der Commandant aber befand ſich auf dem Hinterdeck, hatte die Kapuze ſeines Mantels über den Kopf gezogen, hielt die Arme gen Himmel ausgebreitet und dem Munde entfloß ſein Lieblingsausruf: „ Jeſus Maria! “ Sämmtliche Seejunker waren am Lande aufmarſchirt und machten der kletternden Fregatte höchſt deſpectirlich eine lange Naſe.
„ Nehmen Sie ſich in Acht, Fahrenholz, “ſagt Roſenſtock zu dieſem, der ſich als Reſpectsperſon „ Sie “nennen läßt, während er dagegen alle Kameraden duzt. „ Wenn der Alte das ſieht, könnte ihm doch die Galle überlaufen und Sie kommen unter acht Tagen Kabelgat*Kabelgat war der zur Aufbewahrung von Tauwerk beſtimmte Raum und diente gleichzeitig als Arreſtlocal für die Seejunker. Der alte Fölſch war der mit Beaufſichtigung des Kabelgats betraute Unter - officier. nicht fort. “
„ Ah bah! “äußert der Zeichner nachläſſig, „ hat nichts auf ſich, obgleich ich mir ganz gern einmal wieder vom alten Fölſch eins ſeiner langen Salzwaſſergarne vorſpinnen ließe. Ich weiß, daß meine „ Fliegenden Blätter “dem Commandanten Spaß machen und ſein Burſche hat mir geſagt, daß er ein be - ſonderes Album für ſie angelegt hat. “
„ Fahrenholz, wollen Sie nicht auch nächſtens Meyers be - rühmte Nachtwache verewigen? “fragt Koppen.
295Die SeejunkerDer kleine Meyer wird bei dieſen Worten feuerroth und ſieht aus, als wolle er Koppen in das Geſicht ſpringen, wäh - rend die Uebrigen laut lachen.
„ Na, kleiner Ehrenritter, ſei nur gut, “höhnt Koppen; „ ich werde es auch Deiner zukünftigen Braut nicht erzählen, aber in des Commandanten Album mußt Du nothwendig hinein. “
Meyer ſieht ſich vergebens nach Hülfe um, findet aber überall nur lachende Geſichter; er erwählt deshalb dem klüge - ren Theil und entzieht ſich weiteren Neckereien durch die Flucht auf das Deck.
„ Wie war eigentlich die Geſchichte? “fragt Fahrenholz. „ Wenn ich ſie zeichnen ſoll, muß ich auch die genaueren Um - ſtände kennen. Roſenſtock, Du warſt ja dabei, ſtatte einmal Rapport ab. “
„ Nun, “beginnt der Angeredete, „ Ihr wißt doch, daß Meyer in der letzten Zeit, als wir vor der Reiſe bei Glückſtadt lagen, ſo fromm geworden war und jeden Sonntag Urlaub nahm, um in die Kirche zu gehen, wie er ſagte. Der Alte freute ſich über den guten Jungen, der ſo gern Predigten hörte, aber ich kannte meine Pappenheimer und machte ſeine Frömmig - keit ausfindig. Als ich eines Sonntags mit Briefen an Land geſchickt wurde, nahm ich die Gelegenheit wahr und guckte im „ Blauen Anker “beim alten Iverſen vor. Ich ging gleich durch das Gaſtzimmer in die Nebenſtube, und richtig! es war wie ich gedacht: da ſaß unſer Kleiner bei Schön Hannchen und raspelte nach Kräften Süßholz. Er wurde ſchrecklich verlegen, dann aber bat er mich dringend, ihn nicht zu verrathen und lud mich zur Belohnung zu einer Bootfahrt nach Krautſand ein, die er für den Nachmittag mit Hannchen verabredet und zu der auch wirklich der alte Iverſen unter der Bedingung ſeine Zuſtimmung gegeben hatte, daß man vor Abend wieder zurück ſein ſollte.
Ich nahm die Einladung natürlich an; wir erbaten vom296Wernererſten Officier die Jolle für den Nachmittag zum Spazieren - ſegeln, holten Hannchen gegen zwei Uhr ab, ließen die Boots - gäſte an Land zurück, um nicht genirt zu ſein, und dachten gegen ſechs Uhr nach Glückſtadt zurück zu kommen. Alles ging auch ſehr ſchön; das Mädchen war allerliebſt, wir amüſirten uns herrlich, tranken in Krautſand bei Hannchens Tante Kaffee und fuhren gegen fünf Uhr vergnügt wieder ab.
Da mußte aber ein unglücklicher Nebel kommen, der ſo dicht war, daß wir keine Bootslänge vor uns ſehen konnten. Der Wind flaute ſo ab, daß an Segeln nicht weiter zu denken war und ſo mußten wir zu den Riemen greifen. Wir ruderten, was das Zeug halten wollte, da wir aber keinen Compaß mit uns hatten, war die Sache ſchlimm, und nach etwa einer Stunde ſaßen wir denn auch glücklich mit dem Boote feſt und zwar ſo gründlich, daß wir daſſelbe nicht wieder abſchieben konnten. Wir ſtiegen aus, um die Jolle zu erleichtern und ſie ſo vom Grunde wieder abzubringen, ſanken aber gleich bis an die Bruſt in den Schlick und mußten ſchleunigſt wieder in das Boot entern, um nicht ganz in dem Moraſt zu verſchwinden. Hannchen weinte, und wir beide ſaßen naß und ſchwarz bis faſt an den Hals auf der Sitzbank und verſuchten, ſie zu tröſten, wobei uns aber die Zähne bei der Ausſicht klapperten, die ganze lange Nacht in dieſem Aufzuge verbringen zu müſſen. Gegen ſieben Uhr waren wir feſtgekommen; ſeit einer Stunde lief die Ebbe, und es bot ſich deshalb keine Hoffnung, ſelbſt wenn der Nebel auf - klaren ſollte, vor dem nächſten Hochwaſſer am andern Morgen wieder flott zu werden.
Das war eine ſchöne Beſcheerung; aber wir konnten nichts dagegen thun, mußten uns ruhig in unſer Schickſal fügen und die Kleider am Leibe trocknen laſſen. Ich that alles mög - liche, um Hannchen zu beruhigen und ergriff dabei einmal ihre Hand, aber da hättet Ihr den kleinen Meyer ſehen ſollen! Er warf mir einen Blick zu, als ob er mich morden wollte,297Die Seejunkerund ſo überließ ich ihm denn allein die Tröſtung; aber erſt gegen Mitternacht hatte Hannchen ſich ſatt geweint und ließ ſich bereden, etwas zu ſchlafen. Wir machten ihr hinten in der Jolle, ſo gut es gehen wollte, ein Lager aus den Bootskiſſen und deckten ſie mit dem Großſegel zu. Die Fock nahm ich, um mich vorn im Boot zu lagern, und ich wollte auch Meyer bereden, ſich niederzulegen, aber er weigerte ſich hartnäckig und erklärte, unter jeder Bedingung wach bleiben zu wollen.
Nun ich ließ ihm ſeinen Willen, wickelte mich in die Fock und ſchlief auch bald ein. Die ſcharfkantigen Inhölzer des Bootes waren jedoch gerade nicht behaglich und ich wachte ſchon gegen zwei Uhr wieder ſo kreuzlahm auf, als ob ich auf Latten gelegen hätte. Trotz meiner Schmerzen mußte ich aber laut auf - lachen, denn wahrhaftig, Meyer ſaß wie der Engel Gabriel vor dem Paradieſe mit gezücktem Schwerte auf der Ruderbank mitt - ſchiffs und hielt über Hannchen Wache.
Ich wollte ihn ablöſen, aber er lehnte entſchieden ab. „ Ich habe die Erlaubniß von Hannchens Vater zu der Fahrt einge - holt und meine Pflicht iſt es, das Mädchen ſo wieder abzu - liefern, wie ich ſie empfangen, “ſprach er mit feierlichem Ernſt, „ und von dieſer Pflicht wird mich Niemand abwendig machen. “
Nun ich ließ ihn auf ſeinem Poſten, wählte mir die weichſte Planke aus und verſuchte noch etwas zu ſchlafen. End - lich wurde es Tag, der Nebel war gefallen und wir ſahen, wo wir waren. Die Ebbe hatte uns ganz gehörig verſetzt, und ſtatt an das Nordufer, waren wir an das ſüdliche, ganz nahe bei Freiburg, gerathen. Gegen ſechs Uhr Morgens kamen wir dann mit Hochwaſſer los und mit dem weſtlichen Winde um acht Uhr in Glückſtadt an. “
„ Und wie war der Empfang? “fragte ein Junker.
„ Nun Ihr könnt Euch denken, was der alte Iverſen für ein Geſicht machte und welche Mühe es koſtete, ihm unſere Un - ſchuld an dem Ausbleiben nachzuweiſen. Er wollte ſofort zur298WernerPolizei und uns als Entführer ſeiner Tochter arretiren laſſen. Erſt als ſein Blick auf unſere mit zolldickem getrocknetem Schlick bedeckten Beinkleider fiel, glaubte er uns, und als ich ihm dann erzählte, daß Meyer die ganze Nacht mit gezogenem Säbel über ſeiner Tochter gewacht und Meyer ſelbſt mit Pathos ſprach: „ Herr Iverſen, Ihre Tochter war Ehrenmännern anvertraut, rein wie ein Engel iſt ſie zurückgekommen, “obwol wir ſelbſt ſo teufelmäßig ſchmutzig ausſahen, da wurde der Alte ganz gerührt und ließ ſofort den Frühſtückstiſch zutakeln, um uns mit einem guten Beefſteak und Glühwein zu ſtärken und zu wärmen. Als wir an Bord zurückkehrten, gab es ja, wie Ihr wißt, vierund - zwanzig Stunden „ Kabelgat “, weil wir die Bootsgäſte an Land gelaſſen und dieſe ſich in der Nacht umhergetrieben hatten; aber mir war es ſchon recht, ich konnte gründlich ausſchlafen, da der alte Fölſch mir heimlich eine Matratze beſorgte, und ich glaube, Meyer war trotz ſeiner zarten Gefühle für Hannchen auch zu - frieden, nicht noch eine Nacht Engel Gabriel auf der Boots - ducht ſpielen zu müſſen. “
„ Gut geſprochen, Roſenſtock! “ſagt Fahrenholz unter dem Gelächter der Uebrigen, „ die Sache iſt werth, durch meinen Griffel verewigt zu werden und es ſoll demnächſt geſchehen. Bis dahin nehme ich aber Meyer unter meinen ſpeciellen Schutz. Roſenſtock hat ihm verſprochen, über die Sache zu ſchweigen und nur auf meinen Befehl darüber Rapport abgeſtattet. Bis auf Weiteres habt Ihr deshalb nichts davon zu wiſſen und ich bitte mir aus, daß Ihr meinen Befehl reſpectirt. Wer Meyer mit der Geſchichte neckt, hat es mit mir zu thun — verſtanden? “
Die Junker erinnern ſich, wie Fahrenholz Ungehorſam gegen ſeine Befehle ſtraft und nicken zuſtimmend. Wer nicht gehorcht, der wird nicht nur am Tage gezwiebelt, ſondern auch Nachts. Mitten im ſüßeſten Traume fühlt ſich der Betreffende grauſam in die Wirklichkeit zurückgeführt, indem plötzlich das Tau am untern Ende der Hängematte vom Haken losläßt und299Die Seejunkerden ſchlummernden Inſaſſen mit einem höchſt unangenehmen Ruck aus der horizontalen Lage in die vertikale verſetzt.
Die Unterhaltung nimmt eine andere Richtung. In Bre - merhafen giebt ein Taſchenſpieler Vorſtellungen, welche kürzlich von einem Theil der Seejunker beſucht worden, und es werden nun ſeine Leiſtungen kritiſirt. Auf Böhrs haben ſie einen ungemein imponirenden Eindruck hervorgebracht, während Andere weniger davon erbaut ſind und Fahrenholz, der ſelbſt in dieſem Fache dilettirt, ſie ſehr abfällig beurtheilt. Böhrs iſt ein ganz guter Junge, denkt nur ein wenig langſam und muß deshalb oft als Stichblatt für die Witze der Uebrigen dienen. Sein Enthuſias - mus für den Taſchenſpieler giebt Fahrenholz eine Idee ein, die Geſellſchaft auf ſeine Koſten zu amüſiren.
„ Du biſt entzückt von dem Menſchen, “wendet er ſich an Böhrs; „ ich will Dir zeigen, daß er ein Pfuſcher iſt. Ich werde alle ſeine Kartenkunſtſtücke Euch vormachen und gebe eine Bowle zum Beſten, wenn ich ihn nicht in Schatten ſtelle. “
Fahrenholz führt wirklich die Sachen elegant aus, erntet reichen Beifall und Böhrs blickt mit wahrhafter Ehrfurcht zu dem Künſtler empor. Dieſer hat inzwiſchen dem Steward Jean leiſe einen Befehl gegeben.
„ Jetzt ſollt Ihr aber etwas ſehen, “ſagte er nun, „ was Ihr noch bei keinem Taſchenſpieler gefunden habt. In wenigen Minuten werde ich ein Ei in eine Champagnerflaſche zaubern. “
Allgemeines Erſtaunen und kopfſchüttelnder Unglauben.
„ Ihr zweifelt, nun ich werde Euch den Beweis liefern. Jean, eine leere Champagnerflaſche und ein Ei! “
Der Spiritus familiaris erſcheint mit den verlangten Gegenſtänden.
„ So, nun ſcheert Euch auf fünf Minuten hinaus, wenn es fertig iſt, werde ich Euch rufen, “commandirt Fahrenholz.
Als dem Befehle Folge geleiſtet iſt, ſchält Fahrenholz das vorher nicht ganz hart gekochte Ei, gießt etwas Spiritus in die300WernerFlaſche und zündet dieſen mittels eines in Terpentin getauchten und an einem Draht befeſtigten Läppchens an. Dadurch wird eine Luftleere in der Flaſche erzeugt, Fahrenholz ſetzt das ge - ſchälte und mit etwas Oel geglättete Ei mit dem ſpitzen Ende auf die Oeffnung und der äußere Luftdruck ſchiebt es glatt durch den Flaſchenhals in das Innere, wo es vermöge ſeiner Elaſtici - tät wieder ſeine vorherige Form annimmt. Die Schalen werden ſorgfältig beſeitigt und dann die Geſellſchaft hereingerufen. Triumphirend hält Fahrenholz ihnen die Flaſche entgegen. Wahr - haftig, das Ei befindet ſich unverletzt darin. Daß es keine Schale hat, beachtet Niemand.
Am lauteſten äußert Böhrs ſeine Bewunderung: „ Nein, wie iſt es nur möglich, Fahrenholz, daß Sie ſo etwas fertig bringen, das iſt ja ganz unglaublich! “
„ Bah! Kleinigkeit! “erwidert dieſer. „ Mit derſelben Leich - tigkeit bringe ich alle möglichen Gegenſtände in die Flaſche; Dich auch, es dauert nur ein paar Minuten länger! “
Böhrs ſteht mit offenem Munde. „ Mich? “fragt er end - lich. „ Sie ſcherzen wol nur. “
„ Fällt mir gar nicht ein, ich ſpreche in vollem Ernſt. Willſt Du um eine Flaſche Champagner wetten? “
Die Sicherheit, mit der Fahrenholz ſeine Behauptung auf - ſtellt, verblüfft Böhrs zwar, aber er bleibt doch im Zweifel, ob er die Wette annehmen ſoll. Die Uebrigen merken, daß irgend ein ſchlechter Witz im Gange iſt. Zwar wiſſen ſie noch nicht recht, wo Fahrenholz hinaus will, aber ſie halten es für ihre Pflicht, ihn zu unterſtützen.
„ Wette doch, Böhrs! “rufen ſie dieſem von allen Seiten zu, „ Du mußt ja gewinnen! Er kann Dich unmöglich in die Flaſche bringen, dazu biſt Du viel zu dick. “
Böhrs zögert noch ein Weilchen, dann aber leuchtet ihm der letzte Grund ein und er nimmt die Wette an.
„ Nun dann zieh’ Dich aus, mit dem Zeuge geht es nicht, “301Die Seejunkerſagt Fahrenholz, „ der den größten Ernſt bewahrt und einen ſtrafenden Blick über die Andern ſchweifen läßt, um ihre Lach - muskeln im Zaume zu halten. Böhrs entkleidet ſich allmälig. „ Die Unterkleider kannſt Du anbehalten, ſie ſind ſo dünn, daß das nichts ausmacht, nur die Strümpfe müſſen herunter. Jean! Hole einmal aus dem Kabelgat einen Fetttopf! “
Jean ſtürzt hinaus und kommt nach wenigen Augenblicken mit einem Topf voll Stengenſchmiere zurück.
„ Gut, Du kannſt hinausgehen, Jean; wenn ich Dich brauche, werde ich Dich rufen! “
Der Steward verſchwindet und wendet dabei ſchleunigſt den Kopf ab, um nicht ſein Lachen ſehen zu laſſen.
„ So, Böhrs, “wendet ſich Fahrenholz an dieſen, „ nun ſchmiere Dir die Füße bis an die Knie ein, damit Du gut gleiteſt, dann kann es losgehen. “
Der Angeredete thut wie ihm geheißen, aber lächelt un - gläubig. Er iſt immer noch feſt überzeugt, daß er die Flaſche Champagner gewinnt. Die Uebrigen beißen ſich faſt die Lippen blutig, um nur einigermaßen ernſt zu bleiben.
„ Biſt Du fertig? “ „ Ja. “ Fahrenholz ſetzt die Flaſche neben ihn auf das Deck und ſagt dann trocken: „ Nun, dann klettere hinein. “
Jetzt kann ſich aber die andere Geſellſchaft nicht mehr halten und bricht in ein unauslöſchliches Gelächter aus. Böhrs ſchaut unruhig umher. Es dämmert in ihm auf, daß er das Opfer eines ihm geſpielten Streiches geworden. Bei ſeinem langſamen Denken weiß er noch nicht recht, wie er ſich dabei benehmen ſoll, als vor der Meſſethür verſchiedene Stimmen laut werden.
„ Pſt! “commandirt Fahrenholz, und alles ſchweigt lauſchend. Man unterſcheidet auch Damenſtimmen und eine derſelben fragt: „ Hier alſo wohnen die Seejunker; iſt es erlaubt hineinzugehen? “
„ Gewiß, “hört man den kleinen Meyer ſagen, „ es wird302Werneruns eine beſondere Ehre ſein, Sie in unſerer Meſſe bewill - kommen zu dürfen. “
„ Himmel! “ruft Roſenſtock, „ da kommt Damenbeſuch, Meyer führt umher; was ſollen wir anfangen? “
Der unglückliche Böhrs entkleidet und mit den eingeſalbten Füßen, glaubt in die Erde ſinken zu müſſen und ſieht ſich hülflos nach den Kameraden um. In dieſem Augenblicke wird an die Thür geklopft.
„ Unter den Tiſch, unter den Tiſch! “commandirt Fahren - holz. Es iſt der einzige Platz, wo Böhrs ſich verbergen kann, und er gehorcht inſtinktmäßig; ſeine Kleider werden ihm nachge - worfen und das noch vom Frühſtück her liegende Tiſchtuch als ſchützender Vorhang etwas mehr heruntergezogen. Auf das in - zwiſchen gerufene „ Herein “öffnet ſich die Thür und der kleine Meyer nöthigt mit vielen Verbeugungen die von ihm geführte Geſellſchaft in die Meſſe. Es ſind Bremerhafener Bekannte und mehrere allerliebſte junge Tamen dabei, mit denen die Seejunker auf dem letzten Balle getanzt haben. Meyer ladet ſie daher unbefangen ein, etwas Platz zu nehmen, und weiß die Rippenſtöße nicht zu deuten, die er deshalb von einigen Kameraden erhält.
„ Iſt Herr Böhrs nicht an Bord? “fragt eine der jungen Damen. „ Er war bei dem letzten Balle mein Cotillontänzer und ich habe mich ſo gut mit ihm unterhalten. “
„ Er wird ſehr bedauern, ſich Ihnen nicht vorſtellen zu können, mein gnädiges Fräulein, “nimmt Fahrenholz das Wort, „ er iſt aber im Augenblick etwas unpäßlich. “
„ Wie ſchade! Was fehlt ihm denn? “
„ Oh, gerade nichts Bedenkliches. Er hatte nur etwas Rheumatismus in den Füßen; da iſt ihm, kurz bevor Sie kamen, eine Einreibung verordnet und er hat ſich auf kurze Zeit hinlegen müſſen. “
Wol eine halbe Stunde lang bleibt die Geſellſchaft —303Die Seejunkerman kann ſich die Tortur des armen Böhrs unter dem Tiſche denken. Bei der lebhaften Unterhaltung über ſich, hat er es riskirt, ſich wenigſtens die Beinkleider anzuziehen und es iſt ihm gelungen. Kaum hat ſich die Meſſethür hinter der Geſell - ſchaft geſchloſſen, ſo kriecht er, roth vor Zorn, aus ſeinem Ver - ſteck hervor; aber was kann er thun? er wird nur mit einem abermaligen Hohngelächter empfangen und iſt der Gefoppte.
Was hilft es ihm, daß er ſchwört, ſich nicht wieder an - führen zu laſſen; bei der nächſten Gelegenheit zahlt er doch wieder die Koſten. Von tiefem Groll erfüllt geht er in das Zwiſchendeck an ſeine Kiſte, um ſich die Stengenſchmiere von den Füßen zu waſchen.
Inzwiſchen wird zur abendlichen Geſchützmuſterung ange - ſchlagen. Die Junker folgen eilends dem Trommelſignal und begeben ſich auf ihre Poſten. Der arme Böhrs kommt jedoch zu ſpät und eine ihm zudictirte Strafwache macht das Maaß ſeines Schmerzes voll.
[304]1872 bis 1873.
Im Jahre 1872 beabſichtigte die kaiſerliche Regierung ein ſogenanntes „ Fliegendes Geſchwader “um die Erde zu ſchicken. Es ſollte den überſeeiſchen Nationen die Flagge des neu erſtandenen Deutſchen Reiches vorführen, den in fremden Welttheilen angeſiedelten Deutſchen verkünden, daß jetzt das Vaterland die Macht und den Willen habe, ſeinen über die Erde zerſtreuten Kindern Schutz und Schirm gegen Willkühr und Unbill zu gewähren und dadurch in ihnen das ſtolze Be - wußtſein wecken und feſtigen, Angehörige eines einigen und großen Volkes zu ſein. Die Reiſe war auf achtzehn Monate berechnet. Da bei einer ſo knapp bemeſſenen Zeit der Aufent - halt an den einzelnen Punkten der in Ausſicht genommenen Route nur ein ſehr kurzer ſein konnte und die Schiffe ſich be - eilen mußten, um überhaupt die Tour in achtzehn Monaten zu vollenden, ſo hatte die Bezeichnung „ Fliegendes Geſchwader “eine gewiſſe Berechtigung.
Es beſtand aus drei Schiffen: der Panzerfregatte „ Fried - rich Karl “, der gedeckten Corvette „ Eliſabeth “und aus einem305Nach Weſtindien und dem Mittelmeergrößeren Kanonenboote, dem „ Albatroß “. Erſterer führte ſechs - zehn 21 Centimeter-Geſchütze mit 500 Mann, die „ Eliſabeth “war mit vierzehn 15 Centimeter-Geſchützen bei 390 Mann Be - ſatzung armirt und der „ Albatroß “mit vier Kanonen, von 12 reſp. 15 Centimeter Kaliber, bei einer Mannſchaft von 95 Köpfen.
In Weſtindien, dem erſten Reiſeziel, ſollten ſich dieſe Schiffe mit den dort bereits ſeit längerer Zeit ſtationirenden gedeckten Corvetten „ Vineta “und „ Gazelle “zum Zwecke ge - meinſchaftlicher Geſchwaderübungen vereinigen und dann über Braſilien und die La Plata Staaten um das Cap Horn gehen, während die beiden Corvetten die Heimreiſe antraten. Der Be - fehl über das Geſchwader wurde mir übertragen.
Der „ Friedrich Karl “war das erſte deutſche Panzerſchiff, welches eine transatlantiſche Reiſe machte, und für ſeine Wahl der Umſtand maßgebend geweſen, daß es auch ohne Maſchinen - kraft unter Segel ziemlich gut manövrirte. Für ein nur auf Dampf angewieſenes ſo großes Schiff wäre eine Reiſe um die Erde eine zu koſtſpielige Sache geweſen, abgeſehen davon, daß es, wenn ſeiner Maſchine etwas paſſirte, hülflos dalag.
Solche unter Segel manövrirende Panzerſchiffe gab es damals und giebt es auch jetzt nur ſehr wenige. So groß - artige Fortſchritte die Schiffsbautechnik auch in neuerer Zeit ge - macht, ſo ſchwierige Probleme ſie in den letzten Jahrzehnten, und zwar gerade bei Panzerſchiffen, gelöſt hat, iſt es ihr bis jetzt doch nicht gelungen, dieſen Coloſſen auch nur annähernd die Segelfähigkeit der früheren hölzernen Fregatten und Linien - ſchiffe zu geben.
Wenn ein Panzer unter Segel manövrirt, ſo iſt das weniger das Verdienſt des Baumeiſters, als ein glücklicher Zu - fall. Woran es liegt, daß die Wiſſenſchaft in dieſem Punkte die gewiegteſten Conſtructeure in Stich läßt, iſt noch nicht auf - geklärt; wahrſcheinlich iſt die gegen früher veränderte FormR. Werner, Erinnerungen. 20306Wernerder Schiffe unter Waſſer die Urſache, und bei der Wichtigkeit, welche Manövrir - und Drehfähigkeit für die Panzer namentlich im Kampfe haben, iſt es merkwürdig genug, daß die Techniker dieſem Punkte bisher ſo wenig Aufmerkſamkeit gewidmet haben. Ein Panzerſchiff, das in vier Minuten einen Kreis beſchreibt, wird auch einem ſtärkeren Gegner, der dazu der doppelten Zeit bedarf, bedeutend überlegen ſein, da es ſeinen Sporn und ſeine Artillerie ganz anders ausnutzen kann wie jener. Man kann hier wirklich ſagen: „ Wozu in die Ferne ſchweifen, ſieh das Gute liegt ſo nah; “etwas weniger Theorie und mehr Praxis würde ganz angebracht ſein.
Auch der Laie wird es leicht verſtehen können, daß, wenn es möglich wäre, dem Schiffskörper unter Waſſer die Form eines mit der Spitze nach unten gerichteten Kegels zu geben, dies das Ideal der Manövrirfähigkeit ſein müßte. Das iſt nun zwar nicht angängig, aber je mehr man ſich dieſem Ideal nähert, deſto beſſer wird das Schiff manövriren und deſto weniger Zeit und Raum wird es zu einer Drehung gebrauchen, während im entgegengeſetzten Falle das Umgekehrte eintritt. Bei den alten Holzſchiffen fand eine Näherung ſtatt, das Verhältniß ihrer Länge zur Breite war kleiner, ihr Vorſteven, die vordere Fläche des Rumpfes, ſchrägte ſich nach unten und hinten ab und letzterer erhielt dadurch die Form eines Trapezes, deſſen Langſeite in der Waſſerlinie lag. Bei den jetzigen Panzerſchiffen findet jedoch das Gegentheil ſtatt. Wegen des Sporns und um größere Tragkraft für die ſchweren Gewichte des Panzers zu gewinnen, ſpringt der Vorſteven vor, anſtatt zurückzuweichen; es entſteht auch eine Trapezform, aber ſeine Langſeite liegt jetzt nicht in der Waſſerlinie, ſondern im Kiel oder wenigſtens in deſſen Nähe. Die Folge iſt, daß bei Drehungen mehr Waſſer zu verdrängen iſt und erſtere dadurch erſchwert werden.
Nun läßt ſich zwar die Form des Rumpfes unter Waſſer aus verſchiedenen Gründen nicht gut ändern, aber es liegt doch307Nach Weſtindien und dem Mittelmeernahe, den Widerſtand des Waſſers dadurch bedeutend zu ver - ringern, daß man letzterem einen Durchlaß durch das Schiff verſchafft, indem man deſſen Schärfen hinten und vielleicht auch vorn mit Löchern verſieht. Bei Eiſenſchiffen, wie es jetzt alle Panzer ſind, macht dies vom baulichen Standpunkte keinerlei Schwierigkeiten. Der Dampffährenbeſitzer Grell in Steinwärder, ein reiner Practiker, iſt ſchon vor Jahren auf dieſen Gedanken gekommen und hat mit dem von ihm erfundenen Gitterkiel die günſtigſten Reſultate erzielt, allein unbegreiflicher Weiſe hat man in den Marinen keine Notiz von dieſer Erfindung genommen und einen Verſuch nicht der Mühe werth gehalten. Conſtruc - tionsänderungen nach anderen Richtungen haben bisher aber keine günſtigen Reſultate gegeben, und ſo bleibt es vor wie nach dem Zufall überlaſſen, ob ein Panzerſchiff beſſer oder ſchlechter manövrirt.
Außer dem „ Friedrich Karl “beſitzt unſere Marine nur noch ein Panzerſchiff, die ziemlich kurze Corvette „ Hanſa “, welche einigermaßen unter Segel manövrirt, doch ſind allerdings die übrigen ſeefahrenden Nationen nicht beſſer daran. Aus dieſem Grunde nimmt man in neueſter Zeit derartigen Schiffen vielfach die Bemaſtung ganz. Sie beanſprucht eine Menge Menſchen zu ihrer Bedienung, koſtet viel Geld, belaſtet das Schiff und iſt, ohne irgendwie zu nützen, durch ihren Windfang nur der Schnelligkeit und Manövrirfähigkeit hinderlich. Unſere neuen Ausfallcorvetten „ Bayern “und „ Sachſen “haben gar keine Takelage.
Die „ Eliſabeth “iſt unſere ſchönſte und ſchnellſte Holzcor - vette. Sie machte damals ihre erſte größere Reiſe, bewährte ſich nach allen Richtungen vorzüglich und gereichte überall, wo ſie erſchien, dem deutſchen Schiffbau zur Ehre.
Der kleine „ Albatroß “war der Erſtling einer neuen Claſſe von Kriegsfahrzeugen von verhältnißmäßig ſchwerer Bewaffnung, aber geringerem Tiefgange (noch nicht drei Meter). Er, wie20*308Wernerſein Schweſterſchiff „ Nautilus “, hatten die urſprüngliche Be - ſtimmung, in den chineſiſchen Gewäſſern gegen Piraten Verwen - dung zu finden und dieſe in ihre Schlupfwinkel auf ſeichten Flüſſen zu verfolgen. Das kleine Schiff ſollte ſeine erſte Hochſeeprobe beſtehen.
Die Ausrüſtung des Geſchwaders war bis Mitte October beendet und es lief alsdann von Wilhelmshafen aus. Unſere auf längere Expeditionen ausgehenden Schiffe trifft meiſtens das Geſchick, im Spätherbſt die heimiſchen Geſtade zu verlaſſen und ihre Reiſe mit dem dann in unſeren nordiſchen Gewäſſern durchſchnittlich herrſchenden ſchlechten Wetter zu beginnen. Für die Wahl dieſes Zeitpunktes, der auf der Flotte ſcherzweiſe „ Marinefrühling “getauft iſt, werden verſchiedene Gründe an - geführt, die zwar Manchem nicht einleuchten wollen, aber jeden - falls die Folge haben, die erſte Zeit der Reiſe in verſchiede - nen Richtungen höchſt unbehaglich zu machen und nicht ſelten durch größere oder geringere Havarien Schaden und Aufenthalt zu verurſachen. Wenn jedoch eine ſo ſchöne und intereſſante Reiſe winkt, wie damals unſerem Geſchwader, dann nimmt man dergleichen Unannehmlichkeiten gern mit in den Kauf. Die Schiffe wurden nicht davon verſchont; ja gleich am erſten Tage ſpielte Aeolus ſo heftig auf, daß ſie nicht einmal aus der Jade kamen und in deren Mündung ankern mußten.
Dieſe Gegend iſt nun gerade nicht danach angethan, den Abſchied von der Heimath zu erſchweren. Eine öde Fläche ſchmutzig gelben Waſſers zeigt ſich, ſoweit das Auge reicht, nur hier und dort unterbrochen durch die gerade Linie eines kahlen, baumloſen Deiches. Einige kreiſchende Möven, ein Seehund oder eine Taucherente, die einen Augenblick neugierig die unge - wohnte Erſcheinung von Schiffen betrachten, um danach wieder in dem trüben Elemente zu verſchwinden — das war die lebende Staffage, und über dem Ganzen wölbte ſich ein ebenſo trüber Herbſthimmel.
309Nach Weſtindien und dem MittelmeerDen Sachſen, Angeln, Bructern, Kaninefaten und wie ſonſt unſere Altvordern hießen, deren Stämme an den Mündungen unſerer Nordſeeſtröme ſaßen, war es wahrhaftig nicht zu ver - denken, wenn ſie weſtwärts zogen, um ſich ein neues und nicht ſo ſtiefmütterlich von der Natur behandeltes Heim zu ſuchen, und auch wir waren herzlich froh, am nächſten Tage dem un - wirthlichen Strande den Rücken zu kehren, als in der Nacht der Sturm ſich gelegt hatte. Der Weſtwind erlaubte kein Segeln, doch der Motor Dampf trieb das Geſchwader pfeil - ſchnell durch die grünen Fluthen der Nordſee und nur alle paar Stunden wurde ſein Lauf auf kurze Zeit gehemmt, um das Loth zu werfen und nach Tiefe und Beſchaffenheit des Grundes den geographiſchen Ort zu beſtimmen, da der graue Wolkenſchleier die Geſtirne verdeckte.
Die Zahl der begegnenden Schiffe wurde größer, je mehr wir uns dem Canale näherten und in der Nacht galt es ſchärfer Ausguck halten, um ihnen auszuweichen. „ Feuer voraus! “ „ Grünes Licht, zwei Strich in Lee! “ „ Rothes Licht, quer ab an Backbord! “ Dergleichen Rufe ertönen in dieſer Gegend, der Heerſtraße Tauſender von Schiffen, als Warnungen der ausgeſtellten Poſten oft kurz nach einander und der Officier der Wache muß die Regeln des Straßenrechts auf See genau im Kopfe haben und dabei ſeine volle Ruhe und Geiſtesgegenwart bewahren, um den drohenden Colliſionen aus dem Wege zu gehen.
Bisweilen geräth man mitten in eine Fiſcherflotte und ſieht plötzlich Hunderte von Blaulichten um ſich herum in der dunklen Nacht aufleuchten. Die Fiſcher brauchen nicht wie alle anderen Schiffe ſtändige farbige Laternen zu führen, ſondern ſind nur gehalten, ihre Nähe durch eine Terpentinflamme, eine ſogenannte Bluſe, kund zu geben. Aus Nachläſſigkeit zögern ſie oft ſo lange damit, bis es faſt zu ſpät iſt und nur mit genauer Noth einem Unglück vorgebeugt wird.
310WernerDunkelheit iſt der Schrecken des Seemanns in ſolchen engen Fahrwaſſern. Man lebt in einer beſtändigen nervöſen Aufregung; jeder Augenblick droht Unheil und ſelbſt bei der größten Aufmerkſamkeit kann man ihm bisweilen nicht ent - gehen.
Einige Jahre zuvor ſchleppte ich mit dem „ Kronprinz “den „ Friedrich Karl “nach Portsmouth. Letzterer hatte im Belt auf einer Untiefe ſeine Schraube abgeſchlagen und mußte zu ihrem Erſatze nach einem engliſchen Hafen, da wir damals noch keine eigenen Anſtalten dazu beſaßen. In der Nähe der Doggersbank in der Nordſee fiel Abends dichter Nebel ein, der kaum hundert Schritt weit ſehen ließ. Plötzlich tauchte quer vor uns ab eine Brigg unter vollen Segeln aus dem Dunkel auf. Sie lief gegen unſer Bugſirtau und zerriß daſſelbe, trieb dann aber gegen den „ Friedrich Karl “, deſſen Krahnbalken ihr beide Maſten abraſirte.
Die erſchreckende Zahl der Zuſammenſtöße giebt Zeugniß von den großen Gefahren, welche die Schiffahrt nach dieſer Richtung bedrohen, und man dankt ſeinem Schöpfer, wenn man die engen Straßen hinter ſich hat und auf dem freien Ocean ſchwimmt. Am andern Morgen näherten wir uns dem Ein - gange des Canals. Für tiefgehende Schiffe, wie der „ Friedrich Karl “, iſt hier das Fahrwaſſer ſehr ſchmal, kaum drei See - meilen breit; es wird durch ein Feuerſchiff auf dem „ Gallo - per Sand “gekennzeichnet. Es war jedoch wieder ſo unſichtige Witterung geworden, daß ein Anſegeln der ſchmalen Rinne ge - fährlich geweſen wäre, und ſo gebot die Vorſicht, noch einmal in das freie Waſſer der Nordſee zurückzukehren und dort günſtigere Umſtände abzuwarten, inzwiſchen uns aber mit dem uns heim - ſuchenden Sturme abzufinden.
Erſt 48 Stunden ſpäter beruhigte ſich der grimme Wind - gott und gab uns einen Freipaß für die Weiterfahrt, ſo daß wir, ſtatt der für Dampfſchiffe üblichen drei Tage, mehr als die311Nach Weſtindien und dem Mittelmeerdoppelte Zeit bis Plymouth, unſerem erſten Stationsorte, be - hufs Kohlenergänzung, gebrauchten.
Kohlenergänzung! Schreckliches Wort im nautiſchen Lexi - con! Wie viele Commandanten und erſten Officiere hat es ſchon zur Verzweiflung gebracht und obenein, wenn es un - unterbrochen dabei regnet, wie wir es trafen. Von den Hun - derten in dem engen Raum zuſammengedrängten Menſchen wird der Schmutz überall hingetragen, jedes Fleckchen im ganzen Schiffe mit einer ſchwarzen Kruſte überzogen und Jeder an Bord ſieht aus wie ein Neger. Die moderne Seefahrt hat durch den Dampf viel unerquickliche Zugaben erhalten, aber die Kohlenergänzung iſt die unerquicklichſte. Wir waren herzlich froh, damit zu Ende zu ſein, dem während der ganzen Zeit in einen Regenſchleier gehüllten Plymouth den Rücken zu kehren und unſere Schritte gen Süden nach Madeira zu richten.
Was nach gründlicher Wäſche im Hafen von Kohlenſchmutz auf dem Schiffe noch ſitzen geblieben war, das ſpülte ſchon am nächſten Tage der Weiterreiſe die See fort, denn die berüchtigte Bai von Biscaya, für welche die Maury’ſchen Wind - und Wetterkarten jeden dritten Tag einen Sturm vorzeichnen, ließ uns nicht ungeſchoren.
Ein von jenſeits des Oceans herüberkommender Cyclon, deſſen Centrum über uns fort ging, ſtellte die nautiſchen Eigen - ſchaften der drei Schiffe auf eine ſehr ſcharfe Probe, ſchüttelte ſie nach Herzensluſt und ſprengte ſie auseinander. Der „ Fried - rich Karl “entwickelte dabei die „ berechtigten Eigenthümlichkeiten “faſt aller Panzerſchiffe in ſchwerer See und rollte eine Zeit lang ſo heftig, daß man bisweilen verſucht war, ſich die Frage vor - zulegen: „ Wird er ſich wieder aufrichten? “wenn er beim Ueberholen faſt die Spitzen der Unterraaen in das Waſſer tauchte. Indeſſen gewöhnte man ſich allmälig an das forcirte Wiegen und gewann im Uebrigen die Ueberzeugung, ein gutes feſtes Schiff unter den Füßen zu haben.
312Werner„ Eliſabeth “und „ Albatroß “beſtanden die Schlechtwetter - Probe ebenfalls auf das Beſte. Mit erſterer fanden wir uns acht Tage ſpäter mitten auf dem großen Ocean wieder zu - ſammen, letzterer, der nach dem Sturme nicht, wie wir, allein geſegelt, ſondern auch gedampft hatte, war einen Tag vor uns in Madeira eingetroffen.
Was für ein herrliches Stück Erde hat doch der liebe Gott in Madeira geſchaffen! Wie eine koſtbare Perle ſchwimmt die Inſel auf den Fluthen des Meeres, deſſen tiefes Blau mit dem Azur des Himmels wetteifert, der ſich ſonnig und heiter über ihm wölbt. Auf der Grenze der gemäßigten und heißen Zone gelegen, iſt Madeira mit dem ſchönſten gleichmäßigen Klima geſegnet. Weder Eis und Schnee, noch ſengende Gluth der Tropenſonne ſind ſeinen Bewohnern bekannt, und neben der Weinrebe gedeiht in üppiger Fülle die Palme, die Banane, der Mais und das Zuckerrohr. Ein koſtbarer Blumenflor ziert Gärten und Feld, ein ewiger Frühling lacht und ein zufriedenes arbeitſames Volk genießt den Segen, den der Schöpfer mit vollen Händen geſpendet. Aus allen Ländern kommen Kranke, um in der milden Luft für die wunde Bruſt Heilung zu ſuchen und gar viele, die am Rande des Grabes ſtanden, ſind dem Leben und ihrer Familie wiedergegeben worden.
Drei Tage weilten wir an dem paradieſiſchen Orte und genoſſen in vollen Zügen ſeine Schönheiten, die ein Ritt nach dem Rio-Frio vor unſeren Blicken in vollſter Pracht entrollte. Es iſt das ein Sturzbach, der vom höchſten Gipfel der Inſel, dem Pico-Ruivo, herabkommend, bald in rauſchenden ſchäumen - den Caskaden über wilde zerriſſene Felſen ſtürzt, bald im ebenen Thalbett leiſe murmelnd und friedlich dahinfließt.
Ueber 4000 Fuß hoch hat man zu ſteigen, zuerſt durch dichte Waldungen von Edeltannen und Lorbeerbäumen, dann geht es durch baumartige Ericeen, bis auch ſie verſchwinden und nur Heidelbeerſträucher an ihre Stelle treten. Der Weg ſchmiegt313Nach Weſtindien und dem Mittelmeerſich im Zickzack an die Bergwände, und unwillkührlich drängt man die Pferde ganz nahe an die letzteren, wenn ſich zur Linken jähe Abgründe öffnen, die oft eine Tiefe von einigen Tauſend Fuß haben.
Oben auf der Höhe wurde eine kurze Raſt gemacht, um unſere Thiere verſchnaufen zu laſſen und uns ſelbſt an einem Trunke Quellwaſſer zu erlaben, das in der Nähe aus einem Felſen rieſelte. Ein großer Theil der Inſel wurde von uns überſchaut, doch dem Panorama fehlte die Lieblichkeit; wir ſtanden zu hoch, um in den Thälern etwas zu unterſcheiden. Auch das umgebende Meer verſchwamm mit den Wolken zu einer farb - loſen unendlichen Fläche, und ſo wanderte der Blick nur über ſchroff abfallende Schluchten, zerklüftete Felſen und wilde Natur, ohne ſich daran zu erquicken.
Der Thalritt entſchädigte uns reichlich. Faſt mit jedem Schritte abwärts änderte ſich die Scenerie und wurde ſchöner, der Wald dichter und üppiger. Die bis dahin kahlen Fels - wände bekleideten ſich mit ſaftigem Grün, aus dem dunkel - rothe Fuchſien hervorleuchteten; Schlingpflanzen hingen in zier - lichen Feſtons von Baum und Stein herab. Schnell näherten wir uns jetzt unſerem Ziel, dem idylliſchen Thal, durch welches der Rio-Frio ſich auf ſeiner Bahn zum Meere ſchlängelt. Bald hörten wir ſein Rauſchen und ſahen ihn aus weiter Ferne vom Pico-Ruivo herabkommen. Wie ein neckender Nix ſpielt und tanzt er hier in ſilbernen Wellen, verſchwindet dort hinter einem Vorſprunge, bald als Waſſerfall, bald als Fontäne aus enger Felsſpalte in blitzendem Sprühregen wieder hervorquellend, um abermals ſich zu verbergen und endlich durch ſaftiges Wieſengrün ruhig dahinzuſtrömen. Zart gefiedertes Farrenkraut bekränzt ſein Bett, Waſſerlilien und duftige Feldblumen nicken träumeriſch ihm zu. Goldiger Sonnenſchein ſpiegelt ſich in ihm wieder, ein kühler Hauch fächelt uns und ſtiller Friede lagert über der Stätte, die mit Recht der ſchönſte Punkt der ganzen Inſel ge -314Wernernannt werden kann und die gerade im Contraſt der ſie um - gebenden wilden und großartigen Natur um ſo ſchöner und lieb - licher erſcheint.
Stunden lang ſchwelgten wir nach Herzensluſt in dem reizenden Idyll und erfriſchten Herz und Geiſt daran. Dann mahnte die Zeit zum Aufbruch und es ging heimwärts, ein Blümchen am Hut zur Erinnerung. Oben auf den Höhen lagerten jetzt Wolken und umfingen uns mit dichtem Nebel, der unheimlich auf uns laſtete. Dann ſtiegen wir über ſie hinaus, die Sonne ſchien ſtrahlend aus dem tiefblauen Aether hernieder auf die zackige Felsſpitze des mächtigen Pico-Ruivo und die Gipfel der übrigen Berge. Aber ihre Körper, die Thäler und Schluchten, die Wälder und das Meer, ſie waren in dem weiß - lich grauen Wolkenſchleier verborgen, der unter uns die Inſel bedeckte, und es war uns, als ob wir in unermeßlicher Höhe über der Erde ſchwebten und jeden Augenblick hinabſtürzen könnten in bodenloſe Abgründe.
Doch mit feſtem, ſicherem Schritt trugen uns unſere Pferde thalwärts durch das Dunkel und wieder hinein in das ſonnige helle Leben, mit ſeinen Bäumen und Blumen. Aus den Thä - lern klangen die Glocken weidender Heerden zu uns herauf, das Meer leuchtete im himmliſchen Blau und die Brandung zog ein Silberband um die felſigen Ufer der Inſel. Aus dem dunkeln Grün tauchten nach einander Häuſer auf; dann kamen wir an das 2000 Fuß hoch gelegene Kloſter Signora dal Monte, deſſen weiße Mauern den anſegelnden Schiffen auf viele Meilen als ſichere Landmarke erſcheinen.
Hier verließen wir unſere Pferde, um in flachen breiten Schlitten die letzte Strecke bis zur Stadt hinunter zu ſauſen. Hui! Wie flogen wir dahin, „ daß Roß und Reiter ſchnoben und Kies und Funken ſtoben. “ Zuletzt mußten unſere Arrieros gewaltſam hemmen, indem ſie hinten auf die Kufen ſprangen, denn dieſe begannen zu brennen, ſo heftig war die Reibung auf315Nach Weſtindien und dem Mittelmeerden kleinen runden Kieſeln, mit denen der Weg gepflaſtert war. Anfänglich ſtanden uns bei der wilden Jagd die Haare zu Berge, aber bald gefiel uns die originelle Fahrt ſo, daß es nicht ſchnell genug gehen konnte. In fünfzehn Minuten waren wir unten und hatten in der Zeit vier deutſche Meilen zurückgelegt.
Für die deutſchen Seeofficiere hat Madeira faſt etwas heimiſches; keines unſerer Schiffe, das auf längere Expeditionen ausgeht, läßt es unbeſucht und manche der Herren ſind ſchon ſechs bis acht Mal dort geweſen. Sie begrüßen deshalb die liebliche Inſel wie eine alte Bekannte, und es iſt nicht nur ihre prachtvolle Natur mit allen tropiſchen Schönheiten, ohne deren unangenehme Zugaben, die ſie ſtets von neuem anzieht und feſſelt, ſondern es hat ſich auch im Laufe der Zeit zwiſchen ihnen und den Bewohnern ein freundſchaftliches Band geknüpft, das nicht wenig dazu beiträgt, den Aufenthalt zu verſchönern und mit beſonderen Reizen zu ſchmücken. Die herzliche und liebenswürdige Gaſtfreundſchaft der anſäſſigen Deutſchen ſteht dabei in erſter Reihe, doch auch die Madeirenſer ſelbſt erweiſen ſich außergewöhnlich entgegenkommend. Der meiſtens nur kurz bemeſſene Aufenthalt ſchwindet deshalb ſtets zu ſchnell und gar oft werden an Bord und an Land Gründe und Vorwände ge - ſucht und erfunden, um das Bleiben zu verlängern. Leider werden dieſelben von den maßgebenden Perſönlichkeiten ſelten als ſtichhaltig anerkannt und meines Wiſſens iſt es vor längeren Jahren nur einmal gelungen, einen Commandanten dazu zu bewegen.
Der Cadett Vogel, der liſtige, brachte das Kunſtſtück zu Wege und zwar mit Hülfe von Fräulein Roſa. Welcher Marineofficier kennt nicht Roſa, die privilegirte Wäſcherin ſämmtlicher Kriegsſchiffe, welche Madeira berühren — Roſa, die dreimal verheirathet war, eine Schaar Enkel beſitzt und trotzdem ſtets „ Fräulein “betitelt wird, wie vor vierzig Jahren, als die aufblühende Jungfrau ihre Carriere begann und für die Cadetten316Wernerwuſch, die jetzt als ehrwürdige Admirale umherwandern! Ihre einſtigen Reize ſind freilich inzwiſchen verloren gegangen, aber ihre Vorliebe für die Cadetten, ihre erſten Kunden und Ver - ehrer, hat ſie bewahrt, und Vogel ſtand bei ihr beſonders gut angeſchrieben.
Die Abfahrt des Schiffes war auf den Nachmittag feſtge - ſetzt, aber am Abend ſollte in Funchal ein großer Ball ſein. Das harte Herz des Kapitäns war nicht zu erweichen, der „ blaue Peter “, das Zeichen der bevorſtehenden Abfahrt, wehte bereits im Vortop, die Ankerwinde war bemannt und das Schiff ſeefertig — nur eins fehlte noch: die Wäſche. Unbegreiflich! Fräulein Roſa war ſonſt die Pünktlichkeit ſelbſt; drei Uhr war ihr vom erſten Officier als der letzte Termin bezeichnet und jetzt war es ſchon vier. Doch da kam ſie endlich am Strande mit den Körben angeſchleppt und ließ ſie in ein Boot verladen, das auf das Land geholt war. Madeira hat keinen Hafen, ſondern nur offenen Strand und bei der ſteten Brandung macht das Landen und Abkommen Schwierigkeiten, wenn es die heimi - ſchen Bootführer auch meiſterhaft verſtehen, ſie zu überwinden und ihre eigens dazu gebauten Fahrzeuge trocken zu halten.
Mit dem üblichen Geſchrei wurde das Boot abgeſchoben — aber o weh! Plötzlich ſchlug es quer in die Brandung hinein und füllte ſich bis an den Rand. Nur mit Mühe konnten es ſeine Inſaſſen wieder auf den Strand ziehen und die ſchwimmenden Körbe retten. Arme Roſa, arme Wäſche! Die des Kapitäns war auch dabei. Er machte ein finſteres Geſicht, aber ohne Wäſche konnte man doch nicht ſegeln. Roſa kam an Bord und klagte verzweifelt ihre Noth über das unverſchuldete Unglück; aber andern Morgens Schlag neun Uhr ſollte beſtimmt alles wieder in Ordnung ſein. Der Kapitän fügte ſich in das Unver - meidliche und das Schiff blieb. Roſa wechſelte mit Vogel beim Fortgehen einen verſtändnißvollen Blick und dieſer war im Be - wußtſein des gelungenen Streiches der flotteſte Tänzer auf dem317Nach Weſtindien und dem MittelmeerBalle, zu dem natürlich alle Officiere und Cadetten geladen waren. Später kam die Geſchichte heraus; der Unverbeſſerliche war die Seele der Verſchwörung geweſen, welcher der Kapitän zum Opfer fiel. Unter Connivenz von Fräulein Roſa und mit Hülfe von fünf Dollars waren die Bootführer von ihm be - ſtochen, das Boot abſichtlich voll Waſſer ſchlagen zu laſſen, das nur leere Körbe enthielt, während die fertige Wäſche noch in der Plättſtube ruhte. Um nachträglich noch eine Beſtrafung eintreten zu laſſen, war zu lange Zeit verſtrichen und ſo kam Vogel mit einem blauen Auge davon, aber ſeitdem ſind die Kapitäne der deutſchen Marine unbarmherzig, wenn es ſich um verſpätete Wäſche oder ähnliche Artikel handelt und die vorher beſtimmte Abfahrtszeit wird pünktlich eingehalten.
Die drei Tage waren um. Aus den Schornſteinen der Schiffe quollen ſchwarze Rauchwolken, auf dem Verdeck marſchir - ten nach dem Tacte heiterer Muſik die Matroſen um das Gang - ſpill. Der Anker hob ſich aus dem Grunde und der Bug des Schiffes wandte ſich ſeewärts.
„ Ruder Steuerbord! Langſam vorwärts! “ertönte das Commando.
Das Steuerrad drehte ſich unter den Händen der Ruder - gänger und die mächtige Schraube ſetzte ſich in Bewegung. Adieu Madeira!
Die Blicke wandern bedauernd über das zauberiſch ſchöne Eiland mit ſeinen Bergen und Thälern, ſeinen Villen und Gärten, über denen gigantiſch und himmelanſtrebend der Pico - Ruivo thront. Die Schiffe ziehen ihre Bahn durch die wogen - den Fluthen, günſtiger Nordoſtwind ſchwellt ihre Segel und mit fliegender Fahrt geht es nach dem Süden. Die prachtvollen Farbentöne der Inſel verſchwimmen, Noſſa Signora dal Monte’s weißes Gemäuer ſchimmert nur noch matt aus dem Dunkel der Umgebung hervor. Auf den Ruivo ſenkt ſich eine graue Wolke hernieder und verhüllt ſein Haupt. Immer tiefer taucht die318WernerInſel unter den Horizont — dann iſt ſie verſchwunden. Adieu Madeira!
Unſere Reiſe ging nach der Cap Verdiſchen Inſel St. Vincent, und nach acht Tagen trafen wir wohlbehalten dort ein. Von der Fahrt ſelbſt waren wir jedoch wenig erbaut. Der ſchöne Paſſatwind, mit dem wir von Madeira abſegelten, hatte keinen Beſtand, ſtatt ſeiner wurden wir von Windſtillen und tropiſchen Regen heimgeſucht.
Wir gingen zwiſchen den canariſchen Inſeln durch, ſahen bei der trüben Luft aber kaum ihre Umriſſe und das ſchneebe - deckte Haupt des Piks von Teneriffa zeigte ſich nur auf wenige Minuten.
Die Witterung war in dieſer Gegend jedenfalls eine ganz außergewöhnliche und das heftige Auf - und Niederſchwanken des Barometers deutete auf eine irgendwo ſtattfindende bedeutende atmoſphäriſche Störung. Wie wir ſpäter erfuhren, wüthete zur ſelben Zeit in der Oſtſee ein ſchwerer Nordoſtſturm, verur - ſachte dort eine heftige Ueberſchwemmung, und wahrſcheinlich empfanden wir den Reflex dieſer Lufterſchütterung, die, über den Ocean kommend, nicht fern von uns ihren verheerenden Weg nach Norden genommen hatte.
Wir liefen St. Vincent lediglich zum Zweck der Kohlen - ergänzung an, denn ſonſtiger Anziehungspunkte iſt es völlig bar. Vulkaniſchen Urſprungs und faſt regenlos (es regnet im Jahre nur ein höchſtens zwei Mal), nimmt der Verwitterungsproceß ſeiner Felſen einen ſehr langſamen Verlauf. Ihre Conturen ſind deshalb faſt noch eben ſo ſcharf und zerriſſen, wie ſie einſt durch unterirdiſche Kräfte aus dem Schooße der Erde empor - gehoben wurden. Aus demſelben Grunde fehlt es an Humus und an jedweder Vegetation. Die Tropenſonne brennt glühend hernieder auf das bräunlichrothe Geſtein und vergebens lechzt man nach Schatten. Natürliches Trinkwaſſer, d. h. Quellen,319Nach Weſtindien und dem Mittelmeergiebt es auf der Inſel nicht. Mit ungemeiner Mühe ſucht man in einigen großen Ciſternen den kargen Regen zu ſammeln, aber er reicht bei Weitem nicht für die 2000 Einwohner der Inſel aus. Man hat deshalb mehrere große Normandy’ſche Deſtillir - apparate aufgeſtellt, welche auch aus Seewaſſer ſo viel Trink - waſſer deſtilliren, daß davon — allerdings zu ziemlich hohen Preiſen — ſelbſt an paſſirende Schiffe abgegeben werden kann. Bekanntlich erhielt Normandy für ſeine ſegensreiche Erfindung vom engliſchen Parlament eine Belohnung von 20,000 ₤.
Die Cap Verden ſind überhaupt eine traurige Gruppe von Inſeln, und dieſer Eindruck tritt um ſo mehr hervor, wenn man direct von Madeira kommt, aber die traurigſte von allen iſt St. Vincent. Trotzdem iſt ſie die bevölkertſte, weil ſie den Vorzug eines ſehr geräumigen und vollſtändig geſchützten Hafens hat. Aus dieſem Grunde und wegen ihrer bequemen Lage für alle ſüdwärts gehenden Dampfer, hat man auf ihr eine Kohlen - ſtation errichtet. Der Verkehr iſt ein ſehr reger, denn man kann rechnen, daß durchſchnittlich täglich ein größeres Dampf - ſchiff mit Kohlen aufgefüllt wird und zwar geſchieht das un - gemein ſchnell, was man in Portugal oder portugieſiſchen Be - ſitzungen ſonſt nicht gewohnt iſt. Um unſern Bedarf von etwa 12,000 Centnern zu nehmen, brauchte das Geſchwader wenig mehr als acht Stunden. Die Kohlenarbeiter ſind Neger und Miſchlinge, die etwa zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen, in erbärmlichen Hütten wohnen und einen Taglohn von 50 Pfennigen nach unſerem Gelde erhalten. Da die Inſel ſelbſt nichts producirt und ſämmtliche Lebensbedürfniſſe von auswärts, größtentheils von dem ziemlich fruchtbaren St. Antonio ange - bracht werden müſſen, ſo würde jener geringe Verdienſt völlig unzureichend zum Unterhalte ſein, wenn der Hafen nicht ſo un - gemein fiſchreich wäre. Für wenige Pfennige kauft man vier bis fünf Kilo der ſchönſten Fiſche und die Neger leben des - halb größtentheils davon. Wir ſelbſt mußten uns auch damit320Wernerbegnügen, denn an friſchem Fleiſche war nur ein Eſel zu haben, für den wir dankten.
Wir blieben nur vierundzwanzig Stunden, d. h. gerade ſo lange, wie wir nöthig hatten, um unſere Kohlen aufzufüllen und dann die Schiffe wieder zu reinigen. Es wurde auch Ur - laub gegeben, aber faſt Niemand benutzte ihn. Wir hatten an dem äußeren Anblicke völlig genug gehabt und der Mann - ſchaft ſchien es ebenſo zu gehen. Der Wirth des „ Hôtel de France “war ſelbſt an Bord gekommen, um zu dem Fandango einzuladen, der Abends bei ihm von Negerinnen getanzt werden ſollte, allein auch dieſe Lockung verſagte und der Wirth machte bei uns jedenfalls ſchlechte Geſchäfte. Ohne Bedauern ſchieden wir von dem öden Platze und waren froh, als wir ſtatt der ſtarren, kahlen Felſen wieder den tiefblauen, wogenden Ocean vor Augen hatten, den unſere Kiele mit günſtigem Winde rauſchend durchſchnitten. Es ging nach Barbados, wo wir uns mit „ Gazelle “und „ Vineta “vereinigen ſollten. Die Reiſe dauerte vierzehn Tage und verlief ohne weitere bemerkenswerthe Um - ſtände. Nur ſchien die Natur immer noch nicht ihr Gleichge - wicht wieder gefunden zu haben, denn der Paſſat wollte ſich nicht einſtellen und Tage lang regnete es bei vielfacher Windſtille ſo anhaltend und ſtundenweiſe ſo furchtbar, daß man ſich bei uns kaum einen Begriff davon machen kann. Kein Gummirock gewährte Schutz dagegen; nach einer halben Stunde war er ebenſo wie der bewährte Südweſter vollſtändig durchweicht und wir hätten ebenſo gut im Bademantel umhermarſchiren können.
Am dritten Tage endlich erſchien der erſehnte Paſſatwind mit ſeinen den Seeleuten ſo willkommenen Attributen, die um ſo höher geſchätzt werden, wenn die Schiffe, wie die unſeren, aus nordiſchen Klimaten und zur Winterzeit kommen. Wie ange - nehm empfindet man das beſtändige Gleichgewicht in der Atmo - ſphäre, die ſchöne Witterung, die ruhige See und die wol - thuende nicht übermäßige Wärme. Man hat das Gefühl einer321Nach Weſtindien und dem Mittelmeerbehaglichen Sicherheit und überläßt ſich ihm ganz in dem Be - wußtſein, alle die Plackereien, Unbequemlichkeiten und Schrecken des Seelebens hinter ſich gelaſſen zu haben und nun eine ge - raume Zeit lang deſſen Lichtſeiten genießen zu können. Die von dunkeln Nächten, Nebeln, Stürmen und was damit zu - ſammenhängt aufgeregten Nerven fangen an, ſich zu beruhigen und das übt einen Rückſchlag auf alle Verhältniſſe an Bord aus, denn das Schiffsleben wird mehr durch Stimmungen be - einflußt, als das am Lande, wo ſich die Uebelgelaunten aus dem Wege gehen können. Seeleute wiſſen freilich von vornher - ein, daß ihr Beruf ein harter iſt und wenig Freuden bietet, aber wenn ſie Wochen lang und ununterbrochen nur die Kehr - ſeiten deſſelben vor Augen haben, dann kann es nicht ausbleiben, daß auch die Gleichmüthigſten aus ihrer Ruhe gebracht und in einen gereizten Gemüthszuſtand verſetzt werden, — ſie ſind eben Menſchen. Die heftigen Bewegungen des Schiffes machen jedes Gehen ſchwierig, ja gefährlich, beim Sitzen muß man ſich irgendwo mit den Beinen feſtklammern und wenn man nicht beſondere Vorſichtsmaßregeln trifft, kann man leicht aus der Coje geſchleudert werden. Die Mahlzeiten, ſonſt die Lichtpunkte des Bordlebens, weil bei ihnen allein der beſtändige Dienſtzwang abgeſtreift wird, geſtalten ſich zu den ungemüth - lichſten Sitzungen. Man iſt beſtrebt, ſie ſo bald wie möglich aufzuheben, weil man in ſteter Beſorgniß ſchwebt, daß ſich der Inhalt der Schüſſeln und Teller auf die Kleider ergießt, und trotz aller Vorſicht und krampfhaften Feſthaltens geht bei einem unerwarteten und ſchweren Ueberholen des Schiffes die ganze Geſchichte über Stag, wonach dann Perſonen und Speiſen ſich plötzlich in unliebſamer Miſchung an der Bordwand in Lee wiederfinden. Die See ſpült beſtändig über Deck, bald hinten, bald vorn und weicht Jeden gründlich ein, wenn es nicht ſchon der unaufhörliche Regen gethan haben ſollte. Trocke - nes Zeug zum Wechſeln giebt es ſchon ſeit langem nicht mehrR. Werner, Erinnerungen. 21322Wernerund auch das Bettzeug iſt naß von den am Eiſenbeſchlag der Verdecke ſich verdichtenden Dünſten. Bei den geſchloſſenen Luken herrſcht im Schiffe und in den Wohnräumen eine dumpfe übel - riechende Luft, und endlich bleibt keine Nachtruhe ungeſtört, weil bald dieſer bald jener unliebſame Anlaß ſie unterbricht.
Wenn ſolche Zuſtände vorübergehen, ſo läßt man ſie ſich gefallen und macht gute Miene zum böſen Spiel, dauern ſie aber Wochen, dann hilft auch der zäheſte Humor nicht mehr darüber fort und eine höchſt gereizte Stimmung iſt die natür - liche Folge, die nicht dazu beiträgt, das gezwungene Zuſammen - leben angenehm zu machen.
Alle dieſe Mißtöne ſchwinden jedoch vor dem Hauche des Paſſats und er wird auch dieſerhalb von den Betheiligten will - kommen geheißen.
Für uns hatten die 14 Tage der Reiſe noch die beſondere Annehmlichkeit, daß wir mit dem günſtigen Winde ſegeln konnten und die Maſchine nicht gebrauchten. Wie wurde dieſer ſeltene Umſtand vom Commandanten bis zum letzten Matroſen con amore genoſſen; wie wurde geputzt und das Schiff in allen ſeinen Theilen mit wahrer Luſt auf den Höhepunkt der Rein - lichkeit gebracht, weil man die Gewißheit hatte, nicht wieder alles am nächſten Tage durch Kohlenſtaub beſchmutzt zu ſehen! Ich glaube, der „ Friedrich Karl “hat niemals ſo hübſch und ſauber ausgeſchaut wie in dieſer Zeit, und dem Aufenthalt in Bar - bados wurde ſchon darum mit ungetrübter Freude entgegen geſehen, weil keine Kohlen ergänzt zu werden brauchten. Ende November trafen wir dort ein und fanden die beiden Cor - vetten vor, ſodaß unſer Geſchwader jetzt eine anſehnliche Macht bildete und aus fünf Schiffen mit achtzig Kanonen und 1800 Mann Beſatzung beſtand.
Barbados, die Bärtige, wie es von den entdeckenden Portugieſen nach den mit Luftwurzeln verſehenen Banianenbäumen genannt wurde, die ſie in großer Menge vorfanden, iſt die323Nach Weſtindien und dem Mittelmeerreichſte und ſchönſte der Inſeln über dem Winde und Sitz des Generalgouverneurs der engliſchen Antillen. Bei 450 Quadrat - kilometer Flächeninhalt zählt ſie 162,000 Einwohner, wovon jedoch nur der zehnte Theil aus Weißen beſteht, die Uebrigen ſind Neger und Miſchlinge.
Daß Barbados ſeit über 200 Jahren in engliſchem Beſitz iſt, merkt man auf Schritt und Tritt. Die Inſel iſt ungemein hoch cultivirt und deswegen auch ſo dicht bevölkert. Sie iſt nicht vulkaniſchen Urſprungs, ſondern hat ſich langſam ge - hoben. Ihre Höhenzüge ſind verhältnißmäßig abgeflacht und faſt durchgängig culturfähig; die höchſte Spitze iſt nur 350 Meter hoch. Die Hauptſtadt Bridgetown liegt am Meere und macht den Eindruck eines freundlichen Landſtädtchens ohne irgend welche hervorragende Baulichkeiten. Sie iſt von Hügeln umgeben, auf denen ſich die Europäer angebaut haben, um ſtets die Kühlung des friſchen Paſſatwindes zu genießen, der über die Inſel ſtreicht und ihr Klima zu einem ſehr angenehmen und namentlich geſunden macht. Die epidemiſchen Fieber, welche in Weſtindien oft mit ſo tödtlicher Gewalt auftreten, ſuchen Barba - dos ſelten heim und ebenſo iſt es von Erdbeben verſchont, leidet jedoch öfter durch Orkane. Das Hauptproduct der Inſel iſt Zucker; überall ſieht man wogende Zuckerfelder und Fabriken aus dem Grün auftauchen, und die über 25 Millionen Mark betragende Ausfuhr giebt einen Maßſtab für den Bodenreich - thum. Merkwürdiger Weiſe ſind auf Barbados keine Deutſchen; überall in der Welt findet man ſie angeſiedelt und faſt immer arbeiten ſie ſich zu angeſehenen Stellungen empor, nur hier nicht.
Neger und Farbige werden ſonſt von den Engländern als tief unter ihnen ſtehende Weſen angeſehen und danach be - handelt, oft ſo brutal, daß der humane Deutſche ſich dadurch verletzt und empört fühlt. Auf Barbados iſt das jedoch nicht der Fall; die Inſel hat eine ungemein freie Verfaſſung und der farbige Menſchenbruder glaubt, die ihm gewährte Freiheit21*324Wernerdurch eine Unverſchämtheit bethätigen zu müſſen, die ſich nament - lich den Fremden gegenüber oft ſehr unangenehm geltend macht. Es würde angemeſſen ſein, den Schwarzen das Uebermaß von Freiheit etwas zu beſchneiden, wie es auf Jamaika geſchehen iſt. Sie ſtehen auf einer zu niedrigen Stufe der Cultur, um richtigen und verſtändigen Gebrauch von einer Freiheit machen zu können, die für hochciviliſirte Nationen paſſen mag.
Unſer Aufenthalt währte acht Tage und wir genoſſen das Schöne, was die Inſel bot, mit vollen Zügen. Sehr viel trug dazu der freundliche Empfang bei, der uns von den Engländern, namentlich aber von dem Gouverneur, Herrn Rawſon, wurde. Er wohnt eine halbe Stunde außerhalb der Stadt und ſein Haus liegt ebenfalls auf einer Anhöhe, von der man eine ſchöne Ausſicht auf Bridgetown und einen Theil der Inſel genießt.
Herr Rawſon iſt ein Naturfreund und es treffen bei ihm alle Bedingungen zuſammen, um dieſer Neigung vollen Spiel - raum zu laſſen. Stellung, Mittel und Klima ſind ihm nach jeder Richtung dazu behülflich. Ein prachtvoller Garten, in europäiſcher Art und nicht in verwilderter Tropenweiſe gehalten, umgiebt das Gouvernementsgebäude. In ihm wandelt man „ ungeſtraft unter Palmen, “die ihn in allen Arten und Formen zieren, während die duftigſten Blumen dem Spaziergänger ihr Aroma ſpenden, die verſchiedenartigſten und wohlſchmeckendſten Früchte, die Guave, die Anone, Ananas und hundert andere mehr verlockend zum Genuſſe einladen und auch die bowling greens für croquet und cricket und anderen engliſchen Sport nicht fehlen.
Das Sehenswertheſte und Lieblichſte iſt jedoch der Farren - garten, ein Plätzchen, zu dem Herr Rawſon ſeine Beſucher gern und mit einem gewiſſen Stolze führt. Was es an ſchönen und zarten Pflanzengebilden aus den Familien der Farren und Orchideen giebt, das iſt aus den Urwäldern Braſiliens und Mittelamerikas hierher gebracht und wird mit liebevoller Sorg -325Nach Weſtindien und dem Mittelmeerfalt gehegt und gepflegt. Eine dichte Hecke von Schlingpflanzen hält den Wind ab, die Kronen mächtiger Palmen wölben ein Dach, das den Sonnenſtrahlen den Eingang wehrt, und eine Fontaine ſprüht feinen Staubregen, um den Gewächſen die - jenigen Lebensbedingungen zu gewähren, unter denen ſie in der ſchattigen Stille ihrer heimathlichen Wälder gedeihen. In welcher Weiſe Herrn Rawſon dies gelungen, davon giebt die üppige Entwickelung der Pflanzen und Blumen Zeugniß, und dem Beſucher wird es ſchwer, ſich wieder von dieſem kleinen Paradieſe zu trennen, indem man ebenſo die Schönheit und Mannichfaltigkeit der Formen bewundert, als mit Behagen den koſtbaren Duft einathmet, den die in allen Farben leuchtenden Orchideen ausſtrömen. Ein ſüßer Friede ruht über dieſem Pflanzeneden, das in ſolcher Lieblichkeit wol nicht zum zweiten Male exiſtirt.
Noch eine andere ähnliche Sehenswürdigkeit birgt das Gouvernementsgebäude in einer ſeiner großen Räumlichkeiten: eine ſo ſchöne und reiche Sammlung von Korallen und Muſcheln, wie ſie ebenfalls dem Beſchauer nicht oft geboten wird. Die ſchöpferiſche Kraft der Natur zeigt ſich hier womöglich in noch ſtaunenswertherer Weiſe als bei den Farren und Orchi - deen und man ſteht ſtill bewundernd vor dieſem Reichthum der wechſelndſten Formen, von dem man bisher keine Vor - ſtellung gehabt.
Die Heimath dieſer wol einzig in ihrer Art daſtehenden Sammlung iſt die nächſte Umgebung von Barbados ſelbſt und zwar vornehmlich die dem herrſchenden Paſſatwinde abgewandte Süd - weſtſeite der Inſel. Hier finden die Korallen die für ihre Ent - wickelung günſtigſten Verhältniſſe, Ruhe und Wärme. Zwar brauſt bisweilen ein Orkan über ſie dahin und wühlt das Meer auf, doch tritt dieſer Fall immerhin nur ſelten ein. Für ge - wöhnlich werden ſie nicht geſtört, keine Brandung hemmt ihr Wachsthum und zerbricht ihr ſprödes Geäſt und tiefe Ruhe326Wernerherrſcht im Gebiete der kleinen fleißigen Baumeiſter, die vom dunkeln Meeresgrunde aufwärts ſtreben zum belebenden Lichte der Sonne. In je größerer Tiefe ſie leben und je mehr ſie gegen Bewegung des umgebenden Waſſers geſchützt ſind, deſto feiner und zarter iſt ihre Structur, und gar mancher Zug mit dem Schleppnetze muß vergeblich gemacht werden, ehe es ge - lingt, die einzelnen Exemplare unbeſchädigt heraufzubringen.
Wir verſäumten nicht, auch für unſere heimiſchen Muſeen dieſen ergiebigen Boden mit dem Schleppnetze zu durchſuchen und die darauf verwandte Mühe wurde reich belohnt. Oefter traf man freilich Strecken von Meilen Länge, wo das Netz nichts ergab, dann aber wieder kam es bis an den Rand ge - füllt herauf und brachte Seltenheiten mit, auf die ſelbſt Herr Rawſon eiferſüchtig werden konnte. So z. B. fiſchten wir ein großes Exemplar einer Seefeder in einer Tiefe von einigen acht - zig Metern, das mit einem ſeiner ſchwachen Aeſte den Bügel des Netzes gefaßt und den langen Weg ungefährdet zurückge - legt hatte. Dieſe Koralline war für die Naturforſchung inſo - fern von Bedeutung, als ſie auf das Anſchaulichſte darthat, wie Thiere im Stande ſind, ſich in ihrer äußeren Erſcheinung will - kührlich zu ändern, um dadurch ihnen drohenden Gefahren zu entgehen.
Die Seefeder hatte eine bräunlich gelbe Färbung und war mit weißen Pünktchen beſät, die bei näherer Unterſuchung ſich als Mundöffnungen der die Koralline bewohnenden Polypen herausſtellten und wie Sterne aus Blättchen von weißer muſchel - artiger Subſtanz gebildet wurden. In ihrem Gezweig hatten ſich eine Maſſe kleiner Seeſterne feſtgeſetzt, und es war ganz deutlich wahrzunehmen, daß ſie ihren jetzigen Aufenthaltsort zu den ver - ſchiedenſten Zeiten erwählt hatten. Dies ergab ſich aus den Nüancen ihrer Färbung. Während etwa die Hälfte bereits voll - ſtändig das Ausſehen der Seefeder angenommen hatte und ſelbſt mit den weißen Punkten beſetzt war, die ſich jedoch unter der327Nach Weſtindien und dem MittelmeerLupe nicht als Mundöffnungen, ſondern nur als kalkige Secre - tionen darſtellten, waren andere erſt in allmäliger Umwandlung begriffen und die jüngſt Hinzugekommenen wieſen noch ihre natürliche ſchwärzlich graue Farbe auf. Jedenfalls offenbarte ſich hier ein wunderbarer Proceß der vorſorgenden Natur, um die Seeſterne dadurch vor ihren Feinden zu verbergen, daß ſie ſich genau die Farbe ihres Standortes aneigneten.
Die feſtgeſetzte Zeit unſeres Aufenthaltes ſchwand ſchnell dahin. Wir wären gern länger geblieben, aber wir hatten noch eine ganze Reihe von Plätzen zu beſuchen und es mußte ge - ſchieden ſein. Wir nahmen von Barbados die angenehmſten Eindrücke mit uns und werden uns der freundlichen Inſel und ihrer gaſtfreien uns entgegenkommenden Bewohner gern und dankbar erinnern.
Unſer nächſtes Ziel war Venezuela und zwar der öſtlichſte ſeiner drei Häfen, La Guayra, das wir in wenigen Tagen, von dem ſchönſten Paſſatwetter begünſtigt, erreichten. Der Ausdruck „ Hafen “iſt für La Guayra jedoch eigentlich nicht zutreffend, wenn man darunter einen gegen die Unbill der Witterung ge - ſchützten Ankerplatz verſteht. Die Stadt liegt an der offenen Küſte, auf welcher der Paſſatwind ſteht, und wenn derſelbe auch ziemlich gleichmäßige Stärke hat, ſo erregt er doch ſo viel See - gang, daß die Schiffe wie auf dem Meere ſich ſtets in ſchwan - kender Bewegung befinden. Weit unangenehmer wird dadurch aber die Verbindung mit dem Lande. Die Wellen rollen ſo heftig an den Strand, daß man ſelten mit den Booten landen kann, ohne durchnäßt zu werden und oft Tage lang gar keine Communication ſtattfindet.
Es kennzeichnet die Zuſtände der Republik, daß nicht ein - mal eine ſchützende Mole exiſtirt und man ſich mit einem ſoge - nannten Wellenbrecher begnügt, der ſich einige Meter weit in das Waſſer erſtreckt, aber ſo gut wie gar keinen Schutz gewährt. In welchem anderen Lande der Welt würde eine Seehandels -328Wernerſtadt, die jährlich von Hunderten größerer Schiffe beſucht wird, auf ſolche Weiſe vernachläſſigt ſein!
Ueberhaupt hat La Guayra eine ſehr ungünſtige Lage. Auf einem ſchmalen Küſtenſaum erbaut, liegt es, von beiden Seiten zwiſchen kahlen Felſen eingeklemmt, in glühendem Sonnen - brande und iſt vom Hinterlande durch eine bis 2500 Meter hoch ſteigende Gebirgskette abgeſchnitten, deren ſteile Wände ſich un - mittelbar hinter der Stadt erheben und mit der Küſte parallel laufen. Zwei ſchmale Reitwege und eine breitere Fahrſtraße vermitteln die Communication mit dem Innern reſp. mit der Hauptſtadt Caracas, die zwar in der Luftlinie nur 1 ½ Meilen entfernt liegt, aber zu Wagen mit guten Pferden in nicht weniger Zeit als vier Stunden erreicht werden kann.
Der Fahrweg iſt an den Bergabhängen ausgeſchnitten und ſteigt im Zickzack bis zu 1300 Meter an, um dann allmälig wieder abwärts zu gehen. Er iſt ſo breit, daß ſich zwei Wagen paſſiren können, aber trotzdem kommen häufig Unglücksfälle vor, und ſehr oft begegnet man roh gearbeiteten Kreuzen, welche die Stelle bezeichnen, wo Menſchen oder ganze Gefährte in die ſteilen Abgründe geſtürzt ſind.
La Guayra bietet nicht die mindeſten Reize; es beſitzt weder hervorragende Gebäude noch ſonſtige Sehenswürdigkeiten. Die Häuſer ſind im langweiligen Tropenſtyl nach demſelben Schema gebaut und wegen der Erdbeben meiſtens einſtöckig. In der Stadt ſelbſt fehlt jede Vegetation und nur die Umgebung mit den reichbewaldeten Gebirgen als Hintergrund und deren rechtwinklig auf die Küſte ſtoßenden Ausläufern, die ebenſo viele Vorgebirge bilden, giebt La Guayra einen gewiſſen romantiſchen Anſtrich. Jedenfalls iſt es aber nicht im Stande, den Beſucher irgendwie zu feſſeln, und auch wir blieben nur ſo lange, um eine Reiſe nach Caracas zu machen, deſſen Schönheit durch Humboldts Schilderungen in uns hohe Erwartungen geweckt hatte.
329Nach Weſtindien und dem MittelmeerDie Betheiligung an der Tour war eine ſehr rege und nicht weniger als fünf Wagen mit zwanzig Perſonen, ſowie verſchiedene Reiter bildeten eine ſtattliche Cavalcade. Leider war der Beginn nicht ſehr günſtig. Um der Sonnenhitze zu entgehen, ſollte ſchon um fünf Uhr Morgens aufgebrochen werden; wir waren auch zeitig genug zur Stelle, aber bei der herrſchenden Dunkelheit war die Landung ſehr ſchwierig, und wenn wir auch ſelbſt trocken an Land kamen, ſchlug unmittelbar nach unſerem Ausſteigen die See die Boote voll und unſere Bagage wurde gründlich eingeweicht, was für Epauletten, Hüte u. ſ. w. ſich nicht ſehr vortheilhaft erwies. Sodann waren wir zwar reiſefertig, aber die Herren Kutſcher nicht. Sie ließen uns ohne irgend welche Entſchuldigung oder auch nur Bemer - kung 1 ½ Stunden warten, und ſo kamen wir erſt lange nach Sonnenaufgang fort. Wir hatten eben mit Republikanern zu thun. Der Weg führte zunächſt längs der Küſte und durch die Vorſtadt Maiquetia, wo die Fremden ihre Wohnhäuſer haben, während ſich die Geſchäftslocale in der Stadt befinden. Mai - quetia iſt zwar auch ein höchſt unſchöner, langweiliger Ort mit ſchrecklichem Straßenpflaſter, auf dem man ſich Hals und Beine brechen kann, aber es bietet den dort Wohnenden wenigſtens Schatten und die Häuſer liegen hinter Palmen, Bananen und anderen üppig belaubten Tropenbäumen verſteckt.
Nach etwa einer Meile geht es dann aufwärts in das Gebirge. Die Tour hatte große Aehnlichkeit mit unſerem Ritt auf Madeira. Hier wie dort ſtiegen wir allmälig zu der - ſelben Höhe empor, hier wie dort beſchlich uns zuerſt ein ängſt - liches unbehagliches Gefühl, wenn ſich zu unſerer Seite jähe Abgründe von immer wachſender Tiefe öffneten. Allmälig ließen wir die mächtigen Baumgruppen der Ebene hinter uns, Aloe, Cactus und niedriges Geſtrüpp bildete die Bewaldung der Höhen und nur ab und zu erhob ſich aus letzterem die ſeltſame Geſtalt eines Indio nudo — eines nackten Indianers, wie die330WernerEingeborenen den Baum nennen. Er hat die kupferbraune glänzende Farbe der Indianer, ſeine Zweige ſind faſt blattlos und ſtrecken ſich wie nackte Arme horizontal aus. Die Aus - ſicht von den Höhen war prachtvoll und kein neidiſcher Nebel trübte ſie. Die Luft war ſo klar und durchſichtig, daß alle Gegenſtände viel näher erſchienen und bei jeder Biegung des Weges öffnete ſich ein neues Panorama, das unſere Blicke feſſelte. Zu unſeren Füßen lagerten Hunderte von Bergkuppen, deren dunkle Bewaldung öfter von lieblichen Thälern unter - brochen wurde, durch welche ſich ein Bergſtrom wand und an deſſen Ufern Bananen oder Brotfruchtbäume ihre Blätter im Winde wiegten. In nächſter Nähe webte ein reicher Blumenflor einen leuchtenden Teppich über die Erde, buntgefiederte Vögel huſchten durch das Gezweig der Bäume und prachtvoll gefärbte Schmetterlinge glänzten im Sonnenlichte und entzückten das Auge.
Dieſer beſtändige Wechſel der Scenerie verkürzte uns auf die angenehmſte Weiſe die Zeit, aber auch anderartige neue Erſcheinungen zogen unſere Aufmerkſamkeit auf ſich. Die Fahrſtraße vermittelt den ganzen Handelsverkehr zwiſchen dem Inlande und La Guayra und es herrſcht deshalb auf ihr eine ungemein lebhafte Communication. Endloſe Züge von beladenen Maulthieren oder zweiräderigen Karren kommen dem Reiſenden entgegen und die Glocken der Leitthiere klingen melodiſch ſchon aus weiter Ferne zu ihm herüber. Mit bedächtigem Schritt ſteigen die Thiere herunter und laſſen den begegnenden Wagen die ſichere Bergſeite, dagegen verurſachen die im ſcharfen Trabe thalwärts jagenden Miethwagen oft keinen geringen Schrecken, wenn ſie, ohne daß man ihren Peitſchenknall vorher gehört, plötzlich um eine der ſcharfen Ecken biegen und nun ausge - wichen werden ſoll. Da heißt es aufpaſſen und geſchickt ſein, und das muß man den Venezuelaner Kutſchern laſſen, ſie ver - ſtehen ihr Fach aus dem Grunde. Unter dem Eindrucke ihrer331Nach Weſtindien und dem Mittelmeerungemeinen Sicherheit beim Fahren ſchwand bei uns allmälig die Aufregung bei ſolchen Begegnungen und bald achteten wir auch nicht mehr auf die Kreuze, die meiſtens an ſolchen Biegungen errichtet waren.
Die vier Stunden, in denen wir nach Caracas vertrags - mäßig geſchafft werden ſollten, reckten ſich jedoch um ebenſoviel weiter hinaus wie unſere verabredete Abfahrt am Morgen. Die Kutſcher hatten offenbar viel Durſt oder auch das Bedürfniß einer lebhafteren Unterhaltung, als wir mit ihnen pflogen, denn ohne ſich an unſere Remonſtrationen zu kehren, hielten ſie bei jeder Poſada, wenn auch der Ausdruck für ſolche Oertlichkeit oft ſehr gewagt war. Vier Pfähle mit einem Dach von Palmen - blättern lehnten ſich windſchief gegen die Felswand. In einer Ecke befand ſich eine Feuerſtelle; ein Keſſel, zwei oder drei irdene Gefäße und eine geflochtene Hürde, hinter welcher ſich die Schlafſtellen verbargen — das war die geſammte Ausſtattung dieſer „ Gaſthöfe “. Unſereiner konnte in ihnen natürlich nichts bekommen, denn das in den irdenen Gefäßen enthaltene un - definirbare gegohrene Getränk war für Europäer ungenießbar.
Auf halbem Wege wurden wir jedoch in einer dieſen Namen wirklich verdienenden Poſada, welche vier Wände und mehrere Zimmer hatte, durch ein ganz vortreffliches Frühſtück entſchädigt, das auch verhältnißmäßig nicht theuer war und, was uns beſonders auffiel, merkwürdig reinlich ſervirt wurde. Hier erhielten wir neue Pferde, und da wir den höchſten Punkt unſerer Route überwunden hatten, ſo ging es jetzt im ſchärfſten Trabe und ſehr ſchnell vorwärts. Noch eine Biegung, und die ganze Hochebene von Caracas mit der Stadt in ihrer Mitte, eingeſchloſſen von reichbewaldeten Höhenzügen, auf denen der bläuliche Duft ſüdlicher Gegenden lagerte, zeigte ſich unſeren Blicken.
So ſchön und romantiſch uns aber auch die Umgebung erſchien, ſo wenig imponirte uns die Stadt ſelbſt. Möglicher -332Wernerweiſe mag ſie im Anfange dieſes Jahrhunderts ein großartigeres Ausſehen gehabt haben, aber bekanntlich wurde ſie 1812 durch ein Erdbeben vollſtändig zerſtört, nur die Kathedrale und zwei bis drei andere Gebäude blieben ſtehen, und bei dem Wieder - aufbau hat man allein das Nützlichkeitsprincip gelten laſſen. Mit Rückſicht auf Erdbeben ſind, mit ſehr wenigen Ausnahmen, ſämmtliche Häuſer einſtöckig, ohne jede architektoniſche Schönheit, aus rohen Bruchſteinen aufgeführt. Die Straßen durchſchneiden ſich zwar wie in allen Tropenſtädten ſpaniſchen Urſprungs recht - winklig in beſtimmten Entfernungen, ſind aber meiſtens ſehr eng und ſchlecht gepflaſtert. Außer der Kathedrale ſind die übrigen Kirchen niedrig und gedrückt und treten deshalb kaum aus der eintönigen Häuſermaſſe hervor, ſo daß der Eindruck, den man von Caracas gewinnt, ein höchſt mittelmäßiger iſt.
Die Kathedrale bildet ungefähr den Mittelpunkt der Stadt und die eine Seite des einzigen größeren öffentlichen Platzes (es giebt deren noch zwei andere), der zwar auch nur beſchränkte Dimenſionen hat, ſonſt aber recht geſchmackvoll mit Gartenan - lagen geſchmückt iſt. Erfahrungsmäßig treten an dieſen Punkten die Erdbeben am ſchwächſten auf und deshalb finden ſich hier auch die einzigen zweiſtöckigen Häuſer: das Congreßgebäude und der erzbiſchöfliche Palaſt. Letzterer war zur Zeit unſerer An - weſenheit jedoch unbewohnt und der Erzbiſchof befand ſich im Exil. Venezuela hatte auch ſeinen Culturkampf, aber der Präſi - dent der Republik, Guzman Blanco, machte mit dem geſammten Clerus kurzen Proceß. Er ließ den widerſpenſtigen und den Staatsgeſetzen den Gehorſam verſagenden Erzbiſchof ohne Weite - res aufheben, mit einigen anderen unbotmäßigen Prälaten auf ein Schiff und außer Landes bringen. Ebenſo entzog er den Klöſtern die bislang gewährten ſtaatlichen Zuſchüſſe und wies die Inſaſſen an, ſich ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu erwerben.
Die Kathedrale hinterläßt keinen ſchönen Eindruck. Sie333Nach Weſtindien und dem Mittelmeeriſt an und für ſich wegen der Erdbeben ziemlich niedrig und ringsum von ſchweren aus Steinen gemauerten Strebe - pfeilern umgeben, wodurch ſie etwas Maſſiges erhält und ihr Styl nicht zur Geltung kommt. Auch ihr Inneres bietet nichts Sehenswerthes, außer einer Statue des Bolivar, die von einem italieniſchen Künſtler gefertigt iſt.
Unter den 50,000 Einwohnern der Stadt befinden ſich gegen 3000 Fremde, darunter 600 Deutſche, die durchſchnittlich in recht guten Verhältniſſen leben und eine ſehr geachtete Stel - lung einnehmen. Venezuela iſt überhaupt das Land, wo Deutſche vorzugsweiſe prosperiren und wo Anſiedlungen in größerem Maße, namentlich auf der klimatiſch ſo günſtigen Hochebene des Inlandes, ſehr zu empfehlen wären, wenn die politiſchen Ver - hältniſſe des Landes ſich etwas mehr conſolidiren wollten. Durch die häufigen Revolutionen aber wurde bis vor kurzem die Exi - ſtenz der Anſiedler ſtets gefährdet.
In den letzten zehn Jahren iſt es in Venezuela verhältniß - mäßig friedlich hergegangen und dies hauptſächlich dem erwähnten Guzman Blanco zu danken. Ein ungemein energiſcher Mann, wenn auch nicht ſcrupulös in der Wahl ſeiner Mittel, weiß er ſeine Landsleute in der richtigen Weiſe zu behandeln, d. h. ihnen gehörig den Daum auf das Auge zu drücken und dadurch Frieden im Lande zu erhalten. Während ſeiner erſten Präſi - dentſchaft 1871 — 75 erfreute ſich Venezuela vollkommener Ruhe. Unter ſeinem Nachfolger fingen die alten Streitigkeiten zwiſchen den beiden politiſchen Parteien, den conſervativen Blauen und den liberalen Gelben wieder an. Zu den erſteren zählten die Großgrundbeſitzer, zu den letzteren die Städte und mit ihnen die Fremden.
Anfang 1879 kam es in Caracas von neuem zu einer blutigen Revolution. Die Liberalen, auf deren Seite Guzman ſtand, ſiegten und letzterer wurde aus Deutſchland, wo er ſich mit ſeiner Familie längere Zeit aufhielt, zurückberufen, um zum334Wernerzweiten Male den Präſidentenſtuhl zu beſteigen oder vielmehr, er rief ſich ſelbſt zurück, da er den Augenblick für geeignet hielt.
Es iſt kaum zu bezweifeln, daß er diesmal nicht wieder freiwillig zurücktreten wird, und dem Lande kann man es nur wünſchen. Wir dürfen zwar an ihn nicht den Maßſtab legen, wie wir es bei Regenten civiliſirter Länder zu thun gewohnt ſind und er würde bei uns kaum acht Tage auf ſeinem Poſten bleiben, allein dort iſt er — wenigſtens bis auf weiteres — der rechte Mann am rechten Orte. Er iſt ein Deſpot vom reinſten Waſſer, mit nach unſeren Begriffen eigenthümlichen Grundſätzen über die Verwendung der Einkünfte, aber das Land fährt beſſer da - bei, als bei irgend einem ſeiner Vorgänger und hebt ſich. Bei den unerſchöpflichen Hülfsquellen, die es beſitzt, bedarf es nur Frieden, um dieſelben auszubeuten, und dieſen Frieden weiß Guzman zu erzwingen und die verkommenen, unruhigen Elemente niederzuhalten.
Nach den Landesgeſetzen herrſcht vollſtändige Preßfrei - heit, aber nur ſo weit Guzman es für gut hält. Er ſelbſt ſchreibt Zeitungsartikel über ſeine Perſon, nennt ſich darin den berühmteſten Mann des Jahrhunderts, dem Napoleon der Erſte, Kaiſer Wilhelm, Bismarck und Moltke nicht das Waſſer reichen (wörtlich!) — wenn aber ein Anderer eine ſeiner Maßnahmen in der Preſſe kritiſiren wollte, ſo wäre er verloren. Ein Deutſcher, der ſonſt mit dem Präſidenten auf ſehr gutem Fuße ſtand, beabſichtigte vor kurzem irgend einen Uebelſtand öffentlich zur Sprache zu bringen und ſchickte zu dieſem Zwecke einen Artikel an die erſte Zeitung von Caracas. Der - ſelbe wurde nicht gedruckt, aber Guzman ließ dem Verfaſſer be - deuten, ihn überhaupt nicht zu veröffentlichen, weil er ſonſt ge - zwungen ſei, ihm die Freundſchaft zu kündigen und ihn einzuſtecken. Im Uebrigen iſt er jedoch für Deutſchland ſehr eingenommen und die Deutſchen haben in Venezuela jedenfalls mehr Einfluß, als die Angehörigen irgend einer anderen Nation.
Wenn man auf das prachtvolle Land blickt mit ſeiner un -335Nach Weſtindien und dem Mittelmeerendlichen Fruchtbarkeit, die bei der geringſten Pflege des Bodens hundertfachen Ertrag liefert, mit ſeinem Reichthum an edlen und nützlichen Metallen, ſeinen großartigen Waldungen der werthvollſten Holzarten mit Millionen Hectaren culturfähigen aber unbebaut liegenden Landes, mit ſeinen Llanos, auf denen unzählbare Viehheerden üppige Weide finden — und wenn man daran denkt, daß eine Fläche von über 800 Quadratmeilen dieſes geſegneten Striches faſt drei Jahrzehnte lang in deutſchem Beſitze war, dann kann man ein Gefühl wehmüthiger Trauer nicht unterdrücken, daß ein ſolcher Schatz für Deutſchland und zwar durch eigene Schuld ſeiner damaligen Beſitzer wieder ver - loren gehen mußte. Was hätte aus dieſem Lande bei ver - ſtändiger Coloniſation und rationeller Ausbeutung ſeiner Boden - erzeugniſſe und Mineralſchätze gemacht werden können, welche unverſiegbare Quelle nationalen Wohlſtandes und Reichthumes hätte ſich für Deutſchland daraus ſchaffen laſſen!
Im Jahre 1528 gab Kaiſer Karl V. Venezuela den Augsburger Welſern, welchen er große Summen ſchuldete, zum caſtiliſchen Erblehn. Das abgetretene Land erſtreckte ſich zwi - ſchen Cap Maracapanos und de la Vela und dem 10. und 12. Grade nördlicher Breite in einer Länge von 200 Leguas bis zum See von Maracaibo und ſchloß den reichſten und frucht - barſten Theil der jetzigen Republik ein.
Ambroſius Dalfinger, Geſchäftsträger der Welſer in Madrid, ſegelte 1529 mit 400 deutſchen und ſpaniſchen Soldaten und achtzig Pferden von Spanien aus über den Ocean, um das Lehn für ſeine Herren in Beſitz zu nehmen. Er machte Züge in das Innere, gründete auch eine Niederlaſſung an der Grenze von Neu-Granada, allein die krankhafte Sucht nach Auffindung von Gold und Silber, welche damals Alle beherrſchte, die nach Amerika zogen, ließ auch ihm keine Ruhe. Anſtatt zu coloni - ſiren, ſtreifte er mit ſeinen Truppen in den Cordilleren umher, wo er Minen zu finden hoffte, und gerieth in verderbliche336WernerKämpfe mit den Indianern. Geſchlagen und mit Verluſt ſeiner meiſten Leute, mußte er ſich nach Coriana zurückziehen, wo er ſeinen Wunden 1535 erlag.
Ihm folgten nach einander Allemann, Georg von Speyer und Claus Federmann, aber auch ſie verfielen in dieſelben Fehler wie ihr Vorgänger und für eine geregelte Coloniſation wurde nicht einmal eine Grundlage geſchaffen. Dann entſtanden Streitigkeiten über Zehnten und Abgaben mit den ſpaniſchen Behörden und die Welſer zögerten eine Zeit lang mit Wieder - beſetzung der Stelle eines Oberbefehlshabers. Dieſer Umſtand bot Iſabella, der Gemahlin des Infanten Philipp II. eine will - kommene Handhabe, ihre vermeintlichen Anrechte auf Venezuela geltend zu machen. Sie wirkte auf den Indiſchen Rath in St. Domingo ein und dieſer gab dem ausgeübten Drucke nach. Er entſandte einen ſpaniſchen Statthalter und ſprach das Lehn im Jahre 1555 überhaupt den Welſern ab. Damit war die ein - zige und glänzende Gelegenheit für Deutſchland, eine Colonial - macht zu werden und Theil an der Weltherrſchaft zu nehmen, für immer verloren.
Von den 600,000 Einwohnern Venezuela’s ſind die Hälfte Nachkommen der ſpaniſchen Eroberer, wenn auch in den meiſten das europäiſche Blut nicht mehr rein erhalten iſt. Die andere Hälfte beſteht aus prononcirten Miſchlingen und Indianern. Von letzteren iſt faſt ein Drittheil noch ganz unabhängig, 200,000 ſind nominell civiliſirt, d. h. nicht in ſtetem Kampfe gegen die Weißen begriffen, ſonſt aber ebenſo „ wild “wie ehedem. In - folge Jahrhunderte langer Mißregierung iſt die große Maſſe der Venezuelaner europäiſcher Abſtammung verkommen, träge und unwiſſend und ſelbſt unter vorzüglichen Machthabern wird es noch Generationen dauern, bis darin eine Wandlung zum Beſſern geſchaffen werden kann.
Wie bereits bemerkt würde die Republik für deutſche Ein - wanderung eins der geeignetſten Länder ſein, was Klima und337Nach Weſtindien und dem MittelmeerBodenbeſchaffenheit anbetrifft, jedoch iſt vorläufig nicht dazu zu rathen. Die politiſchen Verhältniſſe ſind dafür noch zu unſicher und die Behörden erfreuen ſich bis jetzt nicht eines ſolchen Rufes, um ihren den Auswanderern gemachten Verſprechungen unbedingt vertrauen zu dürfen. Eine Garantie für Fortkommen und Prosperität würde nur dann zu erblicken ſein, wenn die Anſiedler ſo zahlreich hinübergehen, daß ſie ſich ſelbſt ſchützen können. Tauſend waffenfähige Männer würden dazu völlig ausreichen, die natürlich nicht im ganzen Lande zerſtreut wohnen dürften, ſondern größere und compactere Gemeinweſen bilden müßten. Bis jetzt ſtellt die Regierung ſolchen Anſiedlungen, obwol ſie das beſte Heilmittel gegen die ſtets wiederkehrenden Revolutionen ſein würden, noch Hinderniſſe entgegen und des - halb iſt von einer Einwanderung für Deutſche entſchieden ab - zurathen.
Die Streitmacht Venezuela’s beläuft ſich nominell auf 6000 Soldaten, die auch wirklich vorhanden ſein mögen, an die man jedoch nicht etwa unſeren militäriſchen Maßſtab legen darf. Die Proben, welche wir in Caracas ſahen, erinnerten ſehr an Falſtaff’s Recruten, ſowol in Bezug auf Körperbeſchaffen - heit wie Uniform oder vielmehr Nichtuniform — wie mögen die Truppen erſt in den Provinzen beſchaffen geweſen ſein! Das Loos der Soldaten iſt ein trauriges, der Sold, noch nicht ein Groſchen pro Tag, bleibt oft Monate lang rückſtändig; da iſt es dann nicht auffällig, daß es bald dieſem bald jenem ehr - geizigen und geldgierigen „ General “gelingt, die Truppen zu einer Revolution zu verleiten oder daß letztere compagnieweiſe marodiren. Die Officiere ſind ihren Untergebenen entſprechend und bei dem geringen Solde kann auch nichts beſſeres erwartet werden. Ein activer General ſteht ſich z. B. ſchlechter, als bei uns ein Secondelieutenant, und wir bekamen keinen kleinen Schrecken, als bei Beſichtigung der Artilleriekaſerne und des dort aufgeſtellten verwahrloſten Geſchützparkes unſer Führer, derR. Werner, Erinnerungen. 22338Wernerin ſaloppem Negligée erſchien und von uns für einen Unter - officier gehalten wurde, ſich plötzlich als General entpuppte. Guzman ſoll das Militär etwas zu heben befliſſen ſein, aber man merkt nicht viel davon und ſowol der Zuſtand der Truppen wie der der beiden „ Kriegsſchiffe “, ein Paar alter hölzerner Dampfcorvetten mit reducirter Beſatzung, welche die Seemacht der Republik bilden, geben Zeugniß für die ungeregelten ſtaat - lichen Zuſtände Venezuela’s.
Unſer Aufenthalt in Caracas, während deſſen wir in einer engliſchen Penſion ſehr preiswürdig und gut wohnten, währte drei Tage. Von Seiten der Bewohner ſowie der Be - hörden kam man uns überall freundlich und aufmerkſam ent - gegen und bei einer Audienz hatten wir auch Gelegenheit, den Präſidenten Guzman Blanco perſönlich kennen zu lernen. Er war ein ſehr ſtattlicher Mann, jetzt wol Anfang der Vierziger, und die ihm innewohnende Energie prägte ſich in ſeinen Ge - ſichtszügen aus. Seine Gemahlin galt anerkannt für die ſchönſte Frau in Caracas und das will unter vielen Tauſenden von ſpaniſchen Creolinnen nicht wenig ſagen.
Das damalige Congreßgebäude, in dem wir empfangen wurden, hatte etwas Stallähnliches und zeichnete ſich durch Un - ſauberkeit aus. Eine Heerde zerlumpter Straßenjungen lungerte im Flur und auf den Treppen und drängte ſich auch unge - hindert mit in den Audienzſaal. Seit Kurzem iſt das jedoch geändert; Guzman hat ein prachtvolles neues Congreßhaus bauen laſſen, das eine Zierde der Stadt bildet und mit der Zeit wird man auch wol die Straßenjungen hinausweiſen. Mag der Präſident ſich aber auch in der Staatszeitung als den illustrisi - mo Americano bezeichnen, gegen deſſen Verdienſte der Ruhm Napoleons und Kaiſer Wilhelms völlig in den Schatten tritt, mag er in den Städten ſeines Landes Statuen von ſich er - richten laſſen und bereits die fünfte Million zu ſeinen Erſpar - niſſen in den fünf Jahren ſeiner Präſidentſchaft fügen — den -339Nach Weſtindien und dem Mittelmeernoch iſt dem Lande zu wünſchen, daß er an der Regierung bleibt. Er deckt deſſen Hülfsquellen auf, baut Eiſenbahnen und Ver - kehrswege, gründet Schulen und Univerſitäten, wenn dieſe auch noch mancherlei zu wünſchen übrig laſſen und fördert dadurch das materielle und ſittliche Wohl. Vor allem aber ſchafft er Frieden im Innern und damit überhaupt die Grundlage eines möglichen Gedeihens.
Von La Guayra ſegelten wir nach Puerto Cabello, dem größten und für Deutſchland ſpeciell wichtigen Exporthafen Venezuela’s, der, im Gegenſatz zu La Guayra, mit vollem Rechte den Namen Hafen beanſpruchen darf. Er wird durch eine mehrere Tauſend Meter lange und etwas gebogene Landzunge gebildet, welche den in unmittelbarer Nähe des Landes ankern - den Schiffen völlige Sicherheit gegen alle Unbill der Witterung gewährt. Der Hafen hat eine Tiefe von acht bis zehn Metern, die für die Handelsſchiffahrt genügt. Die Stadt ſelbſt zählt nur 6000 Einwohner und bietet, wie La Guayra, in ſich ſelbſt nichts Schönes oder Anziehendes. Auch hier haben die Fremden, unter denen die Deutſchen den hervorragendſten Platz einnehmen, in der Stadt nur ihre Geſchäftslocale und wohnen außerhalb derſelben, meiſtens in dem idylliſchen, etwa eine Stunde ent - fernten Thale von St. Eſteban.
Letzteres iſt eine der lieblichſten Oertlichkeiten, denen wir auf unſerer Reiſe begegnet ſind und der Inbegriff einer ſchönen tropiſchen Landſchaft, wie ſie der Europäer ſich in ſeiner Phantaſie vorzuſtellen pflegt, in Wirklichkeit jedoch nur höchſt ſelten angetroffen wird. Das Thal erſtreckt ſich in der Breite von durchſchnittlich 1500 Metern zwiſchen zwei Höhenzügen von mäßiger Erhebung und wird ſeiner Länge nach von einem Flüß - chen, dem Rio Eſteban, durchſtrömt. Die Berge ſind pracht - voll bewaldet und der Urwald zeigt ſich hier noch in ſeiner ganzen jungfräulichen Schönheit und Majeſtät. Das Thal ſelbſt iſt cultivirt und gewährt ein Bild der ungemeinen Frucht -22*340Wernerbarkeit, mit der Venezuela von der Natur geſegnet iſt. Was die Tropen an nutzbaren Bäumen, Sträuchern und Früchten bieten, das findet ſich hier in wunderbarer Fülle und Mannich - faltigkeit vereinigt. Kaffee, Zucker, Cacao, Baumwolle, Indigo, Vanille, Brodfrucht, Banane, Guave und hundert andere Pro - ducte der heißen Zone wachſen in größter Ueppigkeit und er - freuen das Auge.
Am meiſten wird jedoch Kaffee gebaut, der unter den zu dieſem Zwecke angepflanzten und ihn gegen die Sonnenſtrahlen ſchützenden Schattenbäumen vorzugsweiſe gedeiht und den Haupt - ausfuhrartikel von Puerto Cabello bildet. Parallel dem Fluſſe läuft eine breite und ſehr gut gehaltene Fahrſtraße, zu deren beiden Seiten die Landhäuſer der Fremden, umgeben von Gärten, liegen. Sie zeichnen ſich weniger durch ſchönen Bauſtyl aus, als durch tropiſchen Comfort, der darin gipfelt, daß die Zimmer möglichſt kühl ſind und der Wind überall freien Zu - tritt hat. Wir empfanden keine übermäßige Hitze, und im Winter iſt das Klima von Puerto Cabello überhaupt ein höchſt angenehmes, ſo daß wir während des Tages, ſelbſt zur Mittags - zeit, in der Umgebung von Eſteban umherſtreiften, ohne durch die Sonne zu ſehr beläſtigt zu werden.
So reich und mannichfaltig wie die Flora iſt auch die Fauna in dem Thale vertreten, namentlich an Vögeln und Schmetterlingen, die an Farbenpracht mit einander wetteifern. Hunderte von Kolibris ſchweben über den Blüthenkelchen der Orchideen, die wie Feſtons von den Zweigen der Bäume herab - hängen, und ſie ſind ſo wenig ſcheu, daß ſie ſich von den Menſchen aus nächſter Nähe beobachten laſſen. Der metalliſche Glanz ihres Gefieders blitzt und leuchtet in den Strahlen der Sonne wie Edel - geſtein, bald wie Diamant, bald wie Topas, Rubin oder Smaragd, je nachdem das Licht darauf fällt; man wird nicht müde, dem Spiele der reizenden Thierchen zuzuſchauen, wie ſie von Blume zu Blume huſchen, um duftenden Honig aus ihnen zu ſaugen.
341Nach Weſtindien und dem MittelmeerUnd wie am Tage, ſo blitzt und leuchtet es in Baum und Strauch auch Nachts. Wenn Vögel und Schmetterlinge zur Ruhe gegangen, dann kommen Millionen Glühwürmer aus ihrem Verſteck und erhellen das Dunkel mit ihrem phosphores - cirenden Schein. Viele haben die Größe eines Maikäfers, und das von ihnen ausſtrahlende Licht iſt ſo ſtark, daß man in dem Umkreiſe von zwei bis drei Fuß die Gegenſtände gut erkennen kann.
Wie Urwald und cultivirter Boden hier ſich unver - mittelt berühren, ſo tritt uns daſſelbe Schauſpiel auch mit Be - zug auf die Menſchen entgegen. Wenige hundert Schritte von Eſteban und ſeinen Villen entfernt haben Ureinwohner des Landes, Indianer, ihre gebrechlichen Hütten errichtet und leben von der Jagd und den Früchten des Waldes, wie vor Jahrhunder - ten ihre Väter es gethan. Ihre Zahl ſchmilzt freilich von Jahr zu Jahr beträchtlich zuſammen, und bald werden ſie aus den von Europäern bevölkerten Gegenden ganz verſchwunden und von dem Naturgeſetze ereilt ſein, demzufolge der rothe Mann untergeht, wo er mit dem Weißen zuſammentrifft.
Der Metallreichthum Venezuela’s tritt beſonders unweit Puerto Cabello in der Provinz Coro zu Tage und ſind vor allem die Kupfererze ergiebig. Bis vor wenigen Jahren ſchaffte man das Erz über zwanzig Meilen weit aus dem Diſtrict Aora auf Maulthieren bis zu dem weſtlich von Puerto Cabello gelege - nen Hafen Tucacas. Wenn trotzdem die Sache rentabel war, ſo lag es nahe, eine Eiſenbahn zu bauen, und in der That hatten die Engländer kurze Zeit vor unſerer Ankunft ein ſolches Unternehmen in’s Leben zu rufen verſucht, waren aber ebenfalls an den unſicheren Zuſtänden des Landes geſcheitert. Eines Tages überfielen revolutionirende Soldaten das Bureau, er - mordeten ſämmtliche Beamte, raubten das vorhandene Geld, und damit war alles zu Ende.
Der in Ausſicht ſtehende Gewinn war indeſſen ſo ver - lockend, daß, als Guzman Präſident geworden und damit Ruhe342Wernergeſchaffen war, ſich abermals eine engliſche Geſellſchaft zur Be - arbeitung der Kupferminen bildete, und unter den günſtigeren Umſtänden iſt ſeit einigen Jahren die Bahn fertig geworden und das Bergwerk in blühendem Betriebe.
Auch die Gold - und Silberminen, nach denen ſeit der Entdeckung Venezuela’s ſo viele Abenteurer ſuchten und denen die Statthalter der Welſer den Beſitz des Landes opferten, ſind kürzlich am Orinoko aufgefunden worden und haben ſich in einer Weiſe ergiebig gezeigt, die ſelbſt wol die kühnſten Hoffnungen der Unternehmer übertroffen hat. Im letzten Jahre ſind den Actionären einer Mine auf jede Actie von 1000 $ nicht weniger als 16,000 $ Dividende gezahlt worden. Hier iſt alſo der Speculation noch ein weites Feld geöffnet und es iſt zu hoffen, daß auch deutſches Capital ſich jetzt daran betheiligen wird, da durch Guzman eine Garantie friedlicher Zuſtände geboten iſt.
Wir blieben faſt vierzehn Tage in dem ſchönen Puerto Cabello, wo wir auch den Weihnachtsabend feierten und wo die deutſche Colonie alles aufbot, uns den Aufenthalt ſo angenehm wie möglich zu machen; dann gingen wir nach der nahe gelegenen Inſel Curaçao, um unſere Kohlenvorräthe zu ergänzen. Unſere Reiſe dahin dauerte 24 Stunden und wir verweilten dort auch nur wenige Tage. Bekanntlich gehört Curaçao den Holländern, aber es machte auf uns den Eindruck, als wären ſie es gern los, da die Inſel nichts einbringt, vielmehr einen jährlichen Zuſchuß von 300,000 Mark erfordert. Curaçao iſt felſig und mit einer ſo geringen Humusſchicht bedeckt, daß nur ſehr wenig Bäume fortkommen und die Ernten den Bedarf kaum decken. Da es keine Flüſſe und nur ſehr wenig Quellen giebt, ſo ſind die 20,000 Bewohner der Inſel auf das in der Regenzeit in Ciſternen angeſammelte Waſſer angewieſen. Von jenen Ein - wohnern ſind faſt nur die Beamten und das Militär Holländer; ein Viertel der Zahl bilden aus Portugal eingewanderte Juden, die zur Zeit der Inquiſition hier Schutz fanden; der Reſt343Nach Weſtindien und dem Mittelmeerbeſteht aus Negern und Miſchlingen. Deutſche trafen wir nur zwei.
Die einzige und Hauptſtadt der Inſel, Willemſtadt, iſt in europäiſchem Style erbaut. Sie macht einen freundlichen ſauberen Eindruck und liegt in der Umgebung des Hafens. Letzterer wird aus einem eine halbe Quadratmeile großen Baſſin, dem Schottegat, und einem 1500 Meter langen Canal gebildet, der das Baſſin mit dem Meere verbindet. Dieſer Hafen iſt voll - kommen ſicher von der Natur geſchaffen, und hat ſo viel Tiefe, daß die größten Schiffe darin ankern können.
In Curaçao iſt das commercielle Leben ſehr rege und namentlich die Handelsverbindung mit Venezuela bedeutend. Es herrſcht großer Wohlſtand auf der Inſel; das Haupt - geſchäft iſt in den Händen der Juden, ſoll jedoch nicht immer ganz reinlicher Natur ſein. Der auf allen Einfuhrartikeln in Mittelamerika laſtende Zoll von 30 Procent reizt zum Schmuggel und dieſer ſteht deshalb in hoher Blüthe. Auch noch ein anderes unmoraliſches Geſchäft war bis vor kurzer Zeit in lebhaf - tem Schwange. Geldmänner Curaçao’s verſorgten diejenigen, welche in den mittelamerikaniſchen Republiken eine der chroniſchen Revolutionen machen wollten, mit den nöthigen Baarmitteln und mit Waffen. Gelangte dann der Betreffende auf den Präſi - dentenſtuhl, ſo zahlte er die Vorſchüſſe mit hohen Zinſen zurück und beide Contrahenten ſtanden ſich gut dabei. Mißlang die Sache, ſo war allerdings das Geld verloren und mußte bei nächſter Gelegenheit doppelt wieder eingebracht werden. An ſolchen Gelegenheiten mangelte es aber bei der großen Zahl von Prätendenten — Venezuela zählt allein 600 Generäle in parti - bus — keineswegs.
Das Klima der Inſel kann als ein geſundes bezeichnet werden und der ungehindert über ſie hinſtreifende Paſſatwind mildert die Hitze; ebenſo iſt ſie von Erdbeben und Orkanen frei. Mit dieſen klimatiſchen Vorzügen, mit ihrer die Küſte von Vene -344Wernerzuela beherrſchenden Lage, dem ſicheren und leicht vertheidigungs - fähigen Hafen und bei den großen Handelsintereſſen, welche Deutſchland gerade in dieſer Gegend hat, wäre die Acquiſition von Curaçao für uns höchſt empfehlenswerth und nach alle dem, was man damals darüber hörte, würden ſich derſelben keine zu großen Schwierigkeiten entgegenſtellen.
Wenn auch eine eigentliche Colonialpolitik ſich bis jetzt in unſeren maßgebenden Kreiſen noch keiner beſonderen Sympathien zu erfreuen ſcheint, ſo hat man es andererſeits doch für nöthig befunden, im ſtillen Ocean durch Erwerbung von Kohlenſtationen unſeren dortigen Handelsbeziehungen einen Rückhalt zu geben. Das iſt gewiß nur zu loben, denn Gründung von Colonien hat in der Jetztzeit, wo die beſten Länder vergeben ſind, immer Be - denkliches und der Erfolg iſt zweifelhaft. Es kann leicht eine Schraube ohne Ende werden, dem Lande bedeutend mehr koſten, als einbringen und allerlei unliebſame Conſequenzen nach ſich ziehen. Laſſen ſich deshalb dieſelben Zwecke, d. h. Förderung und Erweiterung unſerer Handelsintereſſen durch die Erwerbung einer Flottenſtation, erreichen, ſo iſt letztere einer Colonie bei weitem vorzuziehen. Und das würde bei Curaçao der Fall ſein. Mit dem Beſitze der Inſel würden unſere Beziehungen zu Mittelamerika einen ganz bedeutenden Aufſchwung nehmen, namentlich aber zu Venezuela. Es könnte nicht ausbleiben, daß Deutſchlands Einfluß auf letzteres Land mächtig wüchſe, wenn es ſein ſo naher Nachbar würde, und unter ſolchen Verhältniſſen müßte auch deutſche Einwanderung unter dem Schutze von Ver - trägen ihre Rechnung finden. Der Ueberſchuß unſerer Bevölkerung, den wir nach Nordamerika abgegeben haben und noch abgeben, iſt für Deutſchland ſo gut wie verloren, wenigſtens hat unſer Handel und unſere Induſtrie nur geringen Nutzen von dieſen Auswanderern, die ſich ihrer neuen Heimath ſehr bald aſſimiliren. Das iſt jedoch anders in Staaten mit romaniſcher Bevölkerung; dort bewahrt der Deutſche ſeine Nationalität und den Zu -345Nach Weſtindien und dem Mittelmeerſammenhang mit dem alten Vaterlande viel länger, und die Ausſicht, daß er noch in gewiſſer Beziehung auf deſſen Schutz und Unterſtützung rechnen darf, wird dieſen Zuſammenhang nur feſtigen und erſprießlich auf Handel und Induſtrie zurückwirken. Auf dieſe Weiſe können wir Colonien gründen, die uns materiell nichts koſten, aber viel einbringen, und mit einer ſolchen Colo - nialpolitik darf ſich auch unſer vorſichtigſter Staatsmann ein - verſtanden erklären. Sie ſchützt uns vor bitteren Erfahrungen, wie ſie die Franzoſen in Algier und Cochinchina gemacht, und bewahrt uns vor überſeeiſchen Conflicten.
Am 4. Januar verließen wir Curaçao, wo wir ſowol bei den Holländern als den übrigen Einwohnern der höheren Claſſen die liebenswürdigſte und gaſtfreieſte Aufnahme gefunden hatten, um Sabanilla, den bedeutendſten Hafen der Vereinigten Staaten von Columbia — ehemals Republik Neu-Granada — anzulaufen. Der günſtige Paſſatwind veranlaßte uns, Kohlen zu ſparen und unter Segel dorthin zu gehen, was vier Tage in Anſpruch nahm. Der ſchneebedeckte Gipfel der bis 5000 Meter aufſteigenden Sierra Nevada kündete uns ſchon auf viele Meilen die Nähe unſeres Beſtimmungsortes, der ſelbſt jedoch uns nicht ſonderlich entzückte. Sabanilla iſt ein elendes Fiſcherdorf von wenigen Hundert Einwohnern; man liegt faſt eine Meile von ihm ent - fernt vor Anker. Ein Arm des Magdalenenſtromes, der bei dem Orte mündet, führt ſo viel Schlamm mit ſich, daß er das Fahrwaſſer auf eine ſolch’ bedeutende Strecke verflacht hat. Der Stapelplatz des Hafens iſt das vier Meilen weiter hinauf am Magdalenenſtrom liegende und mit Sabanilla durch eine Eiſen - bahn verbundene Barranquilla, eine Stadt von 16 — 18,000 Einwohnern und Sitz des Gouverneurs der Provinz.
Dieſe Eiſenbahn iſt Eigenthum von Bremer Kaufleuten, wie denn überhaupt die Deutſchen in Columbien ebenſo wie in Venezuela den Haupthandel in Händen haben, obwol hier ihre Zahl viel geringer iſt als dort. Die Bahn iſt ſeit 1871 in346WernerBetrieb und die Landesregierung hat dafür eine Zinsgarantie übernommen. Verſchiedene Flußdampfer, von denen drei eben - falls deutſches Eigenthum ſind und unter deutſcher Flagge fahren, vermitteln auf dem Magdalenenſtrom den Verkehr mit dem Innern; ſie gehen bis Honda, am Fuße der fruchtbaren Hochebenen hinauf, auf denen die Hauptſtadt Bogota erbaut iſt und die von zwei Drittheilen der drei Millionen betragenden Einwohner Columbien’s bevölkert werden.
Baranquilla liegt in einer wenig Abwechſelung gewähren - den gewellten Ebene und bietet weder von außen noch innen einen bemerkenswerthen oder angenehmen Anblick. Mit Aus - nahme der Wohnungen der Fremden ſind die Häuſer ſehr primi - tiv und verdienen zum großen Theil nur die Bezeichnung von Hütten. Die ſehr tief liegenden Straßen ſind nicht gepflaſtert; bei trockenem Wetter watet man in knietiefem Sande, bei naſſem im Waſſer. Aus dem Eindrucke, den die Erſcheinung der Stadt auf den Fremden macht, ſchließt er mit Recht, daß er es in Columbien in der großen Maſſe ungefähr mit derſelben Sorte von Menſchen zu thun hat, wie in Venezuela: mit auf niedriger Culturſtufe ſtehenden, verkommenen und faulen Creolen und Miſchlingen, welche letztere jedoch noch häßlicher ſind, als in dem Nachbarſtaate, da hier das Indianer - dort aber das Negerblut vorwaltet. Man ſagt den Columbiern zum Lobe nach, ſie ſeien weniger depravirt und friedfertiger als die Vene - zuelaner; ich laſſe das dahingeſtellt, jedenfalls aber wetteifern ſie mit ihnen in Trägheit. „ Nur nicht arbeiten “iſt ihre Parole, und deshalb können ſich dieſe Länder durch ihre eigene Bevölke - rung nicht heben, ſo lange dieſe ſelbſt nicht geiſtig gehoben wird. Bis dahin wird bei aller Fruchtbarkeit des Bodens und dem Reichthum an Mineralien, in denen Columbien mit Venezuela wetteifert, Viehzüchterei die Hauptbeſchäftigung bleiben, weil ſie die geringen Bedürfniſſe der Bewohner reichlich deckt, den Kopf gar nicht und die Muskeln nur wenig anſtrengt. Wie ſauer347Nach Weſtindien und dem Mittelmeerdem gewöhnlichen Columbier die Arbeit ankommen muß, geht aus den Lohnſätzen hervor, die für den Tagarbeiter vier bis fünf Mark betragen. In europäiſchen Ländern beſteht ein ziem - lich feſtes Verhältniß zwiſchen dem Taglohn und dem täg - lichen Bedarf des Arbeiters und ſeiner Familie, und beide decken ſich ungefähr. Dort iſt das aber keineswegs der Fall, weil das Volk nur ein Minimum von Bedürfniſſen hat. Man trete in die Wohnung eines ſolchen Taglöhners, die zunächſt von ihm ſelbſt gebaut wird und nichts koſtet, als allerdings ein paar Tage Arbeit. Das Holzgerüſt holt er ſich aus den Wäldern, die Matten, mit denen er Dach und Seiten deckt, flechten Frau und Kinder. Damit iſt die Wohnungsfrage er - ledigt, die im Leben unſeres Arbeiters eine bedeutende Rolle ſpielt. Betten kennt der columbiſche Taglöhner nicht; eine auf dem Fußboden ausgebreitete Matte erſetzt ſie. Die Kleidung beſteht aus einigen Lumpen für die Erwachſenen und aus Schmutz für die ſonſt nackten Kinder. An Hausrath genügt ein Topf zum Kochen der Speiſen, eine Kalebaſſe und ein Hack - meſſer zum Hauen des für die Feuerung nöthigen Holzes. Einige ſüße Kartoffeln, dann und wann auch etwas Fleiſchab - fall und wildwachſende oder wenigſtens ſehr billige Bananen und andere Früchte — das ſind die Bedürfniſſe der niederen Volksclaſſen. Man ſieht, daß wenige Pfennige dafür ausreichen und daß es den Fremden ſchwer werden muß, ſtändige Arbeiter zu bekommen, weil der Lohn einer Woche genügt, um Monate lang alle ihre Wünſche zu befriedigen. Im Innern, auf den Hochebenen von Bogota, ſoll die Arbeitsſcheu nicht ganz ſo groß ſein wie in den heißeren Strichen des Flachlandes und der Küſte; von daher kommen die Hauptausfuhrartikel: Tabak, Kaffee, Chinarinde, Gelbholz, Indigo, Elfenbeinnüſſe und Baumwolle. Die Cultur der letzteren iſt noch nicht lange in Columbia ein - geführt, rentirt aber, da Boden und Klima ſich gut dafür eignen. Da Baumwollenpflanzungen verhältnißmäßig wenig348WernerMühe machen, ſo haben die Fremden und namentlich die Deut - ſchen ſolche auch in der Umgegend von Barranquilla angelegt. Nach der Ernte ſchneidet man die Stauden ab; die neu aufſprießen - den ſind im nächſten Jahre ertragsfähig — das koſtet nicht viel Arbeit und iſt außerdem ſehr einträglich, wenn das Unglück es nicht gerade will, daß es in die Blüthen regnet.
Das Klima des Landes iſt geſund, namentlich auf den Hochebenen im Innern. Auch dieſe würden einen ungemein günſtigen Punkt für deutſche Einwanderung bieten, ſobald die ſchon lange projectirte Eiſenbahn zwiſchen der Hauptſtadt Bogota und Honda erbaut ſein wird, deren Herſtellung bis jetzt noch immer an Geldmangel ſcheitert. Die Bahn Sabanilla-Barran - quilla erforderte nicht ſo viel Capital; ſie iſt nur vier Meilen lang, führt durch ziemlich ebenes Land, die Baukoſten haben nicht mehr als 375,000 Mark pro Meile betragen und die Aufbringung der ganzen Bauſumme war deshalb nicht ſo ſchwierig. Die Strecke Bogota-Honda hat jedoch die dreifache Länge, die Terrainſchwierigkeiten ſind bedeutend größer, man wird die Meile nicht unter einer halben Million Mark herſtellen können und die Beſchaffung des Capitals iſt deshalb nicht ſo leicht. Im Lande ſelbſt iſt kein Gedanke daran, dazu iſt es zu arm und man erwartet den Bau mit deutſchem Gelde ausgeführt zu ſehen, während die Regierung wie bei der andern Bahn eine Zinsgarantie zuſichert. Jedenfalls wäre es das Natürlichſte, da Deutſchland am meiſten dabei intereſſirt iſt und es den bei weitem größten Antheil am Handel hat.
Nach Herſtellung der Bahn würde dann auch die Zeit ge - kommen ſein für deutſche Anſiedlung auf den Hochebenen — denn nur dort eignet ſich das Klima dazu. Ohne Bahn ſind die gewonnenen Producte nicht zu verwerthen, da die Speſen des Landtransportes bis zum Verſchiffungsorte Honda die Waare zu ſehr vertheuern und jede Maulthierladung (250 Pfd.) mit zehn bis zwölf Thalern belaſten. Vorläufig iſt deshalb349Nach Weſtindien und dem Mittelmeerauch hier von Einwanderung entſchieden abzurathen, obwol die politiſchen Zuſtände des Landes viel ruhiger ſind als in Vene - zuela und die Deutſchen bei der Regierung wie bei dem Volke in Anſehen und Achtung ſtehen. Columbien hat eine große Zukunft und birgt nach jeder Richtung unerſchöpflichen Reich - thum an Producten. Es bietet ein unbegrenztes Feld für deutſchen Unternehmungsgeiſt und eine Coloniſation in ähnlichem Sinne, wie ſie oben für Venezuela empfohlen, würde für beide Theile ſegensreich werden. Der Regierung iſt daran gelegen, das Land zu heben und ſie ſetzt den Hebel an der rechten Stelle an. Sie gründet Unterrichtsanſtalten und ruft dazu deutſche Lehrkräfte ins Land; an der Spitze des neuerrichteten Schul - lehrerſeminars in Bogota ſtand bei unſerer Anweſenheit ein proteſtantiſcher Deutſcher, ein Beweis, daß Toleranz im weiteſten Sinne geübt wird. Es kann deshalb nicht ſchwer werden, in engere Beziehungen zu Columbien zu treten, dem Lande deutſche Intelligenz, Arbeitskraft und Capital zur Hebung ſeiner reichen Schätze zuzuführen und dieſelben zum Nutzen beider Staaten auszubeuten. Curaçao als deutſche Flottenſtation würde auch in dieſem Betracht von unberechenbarer Wichtigkeit ſein und die vielfach ventilirte Frage: „ Bedarf Deutſchland Colonien? “auf dieſe Weiſe eine allſeitig befriedigende und willkommene Löſung finden.
Der Magdalenenſtrom, etwa von der Größe unſeres Rheins und die Hauptverkehrsader des Landes, galt bis vor einigen Jahren in ſeiner Mündung für größere Schiffe als unpaſſirbar. Dieſer Irrthum iſt 1875 durch die deutſche Dampfcorvette „ Auguſta “berichtigt, die mit ſechzehn Fuß Tiefgang bis Barran - quilla hinaufdampfte, eine Entdeckung, die dem Handel ſehr zu Gute kommen muß, da ſie von Barranquilla aus eine directe Verſchiffung der den Strom herabkommenden Güter ermöglicht und die jetzige Umladung auf die Bahn unnöthig macht. In welcher Weiſe die Verkehrserleichterung durch jene kurze Strecke350WernerEiſenbahn dem Lande ſelbſt Vortheile bringt, geht deutlich genug aus dem Umſtande hervor, daß die Zolleinnahmen Barranquilla’s ſich nach zweijährigem Beſtehen der Bahn verzwölffacht haben; man kann daraus abnehmen, welcher Steigerung der Handel mit Columbien fähig iſt. Bis jetzt iſt letzterer zum größten Theile in den Händen der Deutſchen, die Engländer erklären offen, daß ſie unbegreiflicher Weiſe in jenen Ländern nicht mit den Deutſchen concurriren können — ſorgen wir dafür, daß wir auch in Zukunft die gewonnene Poſition halten, befeſtigen und erweitern.
Wir blieben zehn Tage vor Sabanilla und benutzten die Zeit, um durch Vermeſſungen die ziemlich falſchen Karten richtig zu ſtellen, ſowie Land und Leute ſo viel wie möglich kennen zu lernen. Durch Austauſch von Beſuchen und durch geſellige Zu - ſammenkünfte an Land und an Bord kamen wir auch mit den höheren Claſſen in Berührung. Sie waren ſehr freundlich und zuvorkommend gegen uns, aber mein allgemeines Urtheil über die Bevölkerung fand ich auch hier beſtätigt; Bildung und Intelligenz waren mit ſehr wenigen Ausnahmen ungewöhnlich karg bemeſſen. Jedenfalls wird es trotz der Anſtrengungen der Regierung eine unabſehbare Zeit dauern, ehe das Land von ſeinen Bewohnern aus einen Aufſchwung erwarten darf und der Impuls dazu muß wol überhaupt von außen kommen.
Mit unſeren liebenswürdigen deutſchen Gaſtfreunden machten wir zu Pferde mancherlei Touren in die Umgegend, doch bietet dieſelbe dem Auge nicht viel Reiz oder Ab - wechſelung, beſonders wenn man aus dem ſchönen Puerto Ca - bello kommt. Mit Ausnahme der in weiter Entfernung auf - ſteigenden Sierra Nevada hat man nur eine endloſe leicht gewellte, wenig cultivirte Alluvialebene vor ſich, die hier und dort mit Mimoſen und niedrigem Laubholz beſtanden iſt, aber größerer Waldſtrecken entbehrt.
Unſer nächſtes Ziel war Hayti. Im Jahre 1872 hatte351Nach Weſtindien und dem Mittelmeerdort wegen eines gegen einen deutſchen Kaufmann in Jacmel verübten Gewaltactes eine Differenz ſtattgefunden. Deutſcher - ſeits war eine Entſchädigung gefordert, doch da die Regierung von Hayti darauf einzugehen nicht für gut befand, zu Repreſſalien gegriffen worden — die einzig richtige Art, wie man mit dergleichen Völkerſchaften umgehen muß. Der damalige Kapitän zur See Batſch, welcher den Befehl über die in den weſtindiſchen Ge - wäſſern ſtationirten gedeckten Corvetten „ Vineta “und „ Gazelle “führte, wurde beauftragt, ein Ultimatum zu ſtellen. Als Hayti ſich ablehnend verhielt, nahm Batſch im Hafen von Port au Prince die beiden Dampfcorvetten in Beſchlag, welche die See - ſtreitkräfte der Republik bildeten. Die Beſatzungen leiſteten keinen Widerſtand und die Sache verlief unblutig, machte aber den erhofften Eindruck, denn ſchon am andern Tage wurde die bis dahin verweigerte Entſchädigungsſumme gezahlt und Hayti erhielt ſeine Kriegsmarine zurück.
Der Präſident glaubte Grund zu haben, ſich über das Verfahren des Kapitän Batſch beſchweren zu können, und ſchickte zu dieſem Zwecke einen ſchwarzen General als außerordentlichen Geſandten nach Berlin. Die Miſſion war jedoch nicht von dem erwarteten Erfolg gekrönt geweſen und das Verhältniß zwiſchen den beiden Ländern noch ein geſpanntes geblieben. Unſererſeits wurde deshalb von einem längeren Aufenthalte in Port an Prince abgeſehen, um jede officielle Begegnung auszu - ſchließen; wir hielten uns nur anderthalb Tage dort auf, um unſer Trinkwaſſer zu ergänzen, das wir uns ſelbſt aus einem Flüßchen holten. Natürlich wurden die internationalen Förm - lichkeiten trotzdem nicht außer Augen geſetzt und die üblichen Salute von 21 Schuß ausgetauſcht.
Eine Anweſenheit von kaum 48 Stunden in einem fremden Lande kann einem Reiſenden natürlich keine Berechtigung geben, irgendwie ein erſchöpfendes Urtheil über daſſelbe zu fällen. Selbſt der ſchärfſte Beobachter wird ſich darauf beſchränken352Wernermüſſen, die empfangenen Eindrücke nur oberflächlich zu ſkizziren, indeſſen gaben uns beſondere Verhältniſſe Gelegen - heit, nach manchen Richtungen hin doch ein getreues Spiegel - bild von den inneren Zuſtänden der ſchwarzen Republik zu gewinnen. Der Seeofficier hat vor gewöhnlichen Reiſenden meiſtens voraus, daß er keiner zeitraubenden Empfehlungen und Einführungen an fremden Orten bedarf, und es gehört nicht zu den geringſten Annehmlichkeiten ſeines Standes, daß man ihn überall in den höheren Kreiſen der Geſellſchaft will - kommen heißt und ihm unaufgefordert entgegenträgt, was andere Reiſende meiſtens mühſam aufſuchen und erfragen müſſen. Will deshalb ein Seeofficier über Land und Leute, wenigſtens in großen Zügen, unterrichtet ſein, ſo reicht dazu auch ſchon eine verhältnißmäßig kurze Zeit aus. Die verſchiedenen Con - ſuln und fremden Kaufleute ſind faſt immer ſehr genaue Kenner der Landesverhältniſſe, und da man mit ihnen zunächſt in Be - rührung kommt, ſo kann man ſich leicht orientiren und aus den betreffenden Unterhaltungen objectiv richtige Schlüſſe ziehen. Dies kam mir auch hier zu Gute, außerdem ein vom Zufall herbeigeführtes längeres Zuſammenſein mit Vertretern der höch - ſten Kreiſe der ſouveränen Republik.
Vor längeren Jahren war ich in Monrovia, der Haupt - ſtadt der von amerikaniſchen Philantropen gegründeten Neger - republik Liberia geweſen. Es intereſſirte mich deshalb, Ver - gleiche zu ziehen, aber alles, was ich hier ſah und hörte, beſtätigte nur das dort ſchon gewonnene Urtheil, daß ſelbſt - ſtändige ſogenannte civiliſirte Negerſtaaten nur ein künſtliches Daſein friſten, ſo lange ſie ſich auf Weiße ſtützen oder an ſie anlehnen können, daß ſie aber moraliſch und materiell zurück - gehen und allmälig der alten Barbarei und Uncultur wieder verfallen, ſobald man ſie ſich ſelbſt überläßt. Mag man ſagen, was man will, der Neger ſteht nun einmal tief unter dem Weißen und die Menſchenfreunde, welche ihn mit uns gleich353Nach Weſtindien und dem Mittelmeerſtellen wollen, befinden ſich in einem Irrthum. Die Civiliſation der Neger wächſt nicht von innen heraus, ſondern ſitzt nur wie ein Firniß auf ihnen. Wird der letztere nicht wiederholt neu aufgetragen, ſo bekommt er klaffende Riſſe, aus denen die ur - ſprüngliche Barbarei hervorquillt.
Der Schwarze ahmt nach; er ſucht in der Form das Weſen und wird in den meiſten Fällen dabei zur Carricatur, aber geiſtig etwas Selbſtändiges zu ſchaffen, das iſt ihm im allgemeinen verſagt. Die Richtigkeit dieſer Behauptung lehrt ein Blick auf die Geſchichte. Haben jemals Schwarze in die - ſelbe activ eingegriffen und irgend etwas gethan, was dem Vor - wärtsſchreiten der Welt und der Civiliſation zu Gute gekommen wäre? Es muß ihnen alſo doch wohl die Fähigkeit dazu ab - gehen und ſie bilden im Schöpfungsplane nur Uebergangsfor - men, wie alle farbigen Racen, welche die Culturſtufe der Weißen nicht zu erreichen vermögen und deshalb ihnen Platz machen müſſen, wo dieſe erſcheinen.
Hayti iſt die ſchönſte und fruchtbarſte der großen An - tillen. Die ſie durchziehenden Bergketten ſind bis zu den höch - ſten Gipfeln culturfähig; alle Erzeugniſſe der Tropen gedeihen in üppigſter Weiſe; der Mineralreichthum iſt ſehr groß, überall findet man ſchöne und ſichere Häfen und Buchten, welche die Schiffahrt begünſtigen, — eine einigermaßen intelligente und thätige freie Bevölkerung müßte deshalb längſt die Inſel zu einem blühenden Emporium gemacht haben; aber was iſt ſie unter den Händen der Schwarzen ſeit Anfang dieſes Jahr - hunderts geworden? Sie bringt nicht mehr die Hälfte von dem hervor, was ſie unter der Herrſchaft der Weißen mit kaum ein Viertel ihrer jetzigen Bevölkerungszahl ausführte. Große Strecken des früher ergiebigſten Bodens liegen brach, die reichen Berg - werke werden gar nicht mehr bearbeitet und eigene Schiffahrt exiſtirt nur in kümmerlichem Maße. Dagegen wird der prachtvolle Waldbeſtand auf das Unverſtändigſte ruinirt, um das Blauholz,R. Werner, Erinnerungen. 23354WernerMahagoni und andere werthvolle Holzarten zu Gelde zu machen, weil mit einer ſolchen Induſtrie die wenigſte Arbeit verknüpft iſt. An Wiederpflanzen denkt natürlich Niemand und ſo geht die prachtvolle Inſel langſam aber ſicher der Verödung durch Sonnenbrand entgegen. Gedanken an die Zukunft hat der Neger nicht, er lebt nur der Gegenwart — après nous le déluge. Dagegen laufen Herzöge, Grafen und Fürſten mit goldſtrotzenden Uniformen dutzendweiſe umher, wenn ſie auch zerriſſene Stiefel haben oder barfuß ſind.
Ich machte mit einigen Officieren in der Vorſtadt von Port au Prince, dort wo das Flüßchen mündet, aus dem wir Waſſer holten, einen Spaziergang. Das Ufer war ſo flach, daß wir mit dem eigenen Boote nicht landen konnten und wir riefen deshalb einen Neger an, der mit einer Stange einen flach - bodigen Kahn ſchob, um uns an das Ufer zu ſetzen. Er kam auch ſofort unſerem Rufe nach und in der Meinung, er ſei ein Bootsführer, machten wir wenig Umſtände mit ihm. Wie er - ſtaunten wir jedoch, als er, nachdem er beim Landen einen Vierteldollar für ſeine Bemühungen zurückgewieſen, ſich als General z. D. Telletier vorſtellte und das mit einer Grandezza, die uns imponirte, wenngleich ſeine Kleidung etwas defect, ſein ſchwarzer Cylinderhut voller Beulen war und er keine Strümpfe in den Schuhen trug. Nachdem auch wir uns ihm genannt, lud er uns auf die verbindlichſte Weiſe ein, ihm die Ehre unſeres Beſuchs zu ſchenken. Um unſeren unbewußten Mißgriff gut zu machen, nahmen wir die Einladung an und folgten dem neuen Gaſtfreunde. Er war ein junger Mann von dreißig Jahren, für einen Neger von recht einnehmendem Aeußeren und gutem Wuchs. Nur die wadenloſen Beine und die Plattfüße ſtörten etwas.
Seine Behauſung war für einen General ziemlich beſchei - den und hatte etwas hüttenartiges. In den Zimmern drückten die Decken den Kopf und das vordere, durch welches wir paſſir -355Nach Weſtindien und dem Mittelmeerten, verrieth, daß unſer Wirth neben ſeiner militäriſchen Stellung noch eine Privatbeſchäftigung habe, nämlich einen kleinen Brannt - weinſchank ſowie eine Handlung mit Schwefelhölzern, Thon - pfeifen und geräucherten Würſten. Im Hinterzimmer wurden wir „ Madame “vorgeſtellt und zwar in vollendetſter Form. Sie war eine kleine niedliche Frau mit glattem Haar und ziemlich weiß, alſo mindeſtens eine Tercerone. Sie trug ein weißes peignoir, obwol es Nachmittag war; doch bei einem Vergleich der Farben fanden wir den Teint von Madame reiner und weißer als die Robe, unter deren mit der Zeit ausgefranzten Rockkante bisweilen ein paar zerriſſene Schuhe verſchämt her - vorſchauten.
Mit größter Liebenswürdigkeit wurden wir befragt, ob wir ſchon geſpeiſt hätten und ob man uns nicht eine kleine Erfri - ſchung anbieten dürfte. Als wir das letztere nicht ablehnen zu dürfen glaubten, flüſterte Monsieur le général Madame etwas zu und dieſe verſchwand in der Küche.
Es dauerte eine geraume Weile, ehe die Erfriſchung kam, wol anderthalb Stunden, jedoch wurde uns die Zeit nicht lang. Unſer Wirth unterhielt uns auf das Lebhafteſte und beant - wortete unſere, ich darf wol ſagen öfter indiscreten Fragen über die Landesverhältniſſe mit einer rührenden Offenheit, ob - ſchon wir bisweilen Mühe hatten, ſeinem etwas eigenthümlichen Franzöſiſch zu folgen. Die Unterhaltung wurde noch anziehen - der, als zwei ältere würdige Herren, ein Onkel und ein Freund des Hausherrn, erſchienen, erſterer ebenfalls General und in voller Uniform, letzterer Oberrichter. Auch durch ſie bereicher - ten wir unſere Kenntniſſe von Hayti bedeutend. Ihre eigenen Fragen an uns verriethen jedoch mehr Wißbegierde als Wiſſen.
Endlich erſchien Madame, um uns mit einer graziöſen Handbewegung zum Imbiß zu laden. Die beiden älteren Herren ſowie unſere Wirthe nahmen ebenfalls Theil. Die Speiſen waren ganz gut bereitet, und ſo ließen wir uns die ge -23*356Wernerbratenen Hühner ſchmecken. Ein eigenartiges Getränk, ziemlich trübe und von Geſchmack wie ſäuerliche mit Rum verſetzte Limo - nade, wollte mir weniger zuſagen und ich begnügte mich mit Waſſer. Bei einem Gange in den Garten, wo uns unſer Gaſt - freund ſeine Tafia-Deſtillationsanſtalt zeigen wollte, in der er den Schnaps für ſeinen Laden ſelbſt fabricirte, hatte er uns durch die Küche geführt. Dort hatte ich Madame beſchäftigt geſehen, zwiſchen ihren Händchen irgend etwas Undefinirbares in einem irdenen Topf zu quetſchen und da in demſelben Topfe das zweifelhafte Getränk ſervirt wurde, war mir der Appetit vergangen. Den ſchwarzen Herren ſchien es jedoch ſehr zu behagen und es machte ſie allmälig ſo aufgeräumt und zutraulich, daß uns ganz ſchwül dabei zu Muthe wurde und wir es für angezeigt hielten, an den Aufbruch zu denken.
Die dunkele Geſellſchaft hatte uns jedoch ſo in ihr Herz geſchloſſen, daß ſchwer fortzukommen war, und wir wurden auch nicht eher losgelaſſen, bis in Ermangelung von Photographien ein Austauſch von Viſitenkarten ſtattgefunden hatte, von ge - druckten allerdings nur von unſerer Seite. Für ſich und ſeine beiden Verwandten ſchnitt Herr Telletier die Karten erſt aus grauem Papier und ſchrieb dann mit einer gelblich braunen Flüſſigkeit die Namen darauf. Auf meine Frage nach der Natur dieſer Flüſſigkeit, erklärte er mir, es ſei die landesübliche Tinte und ſie werde aus Apfelſinen hergeſtellt, die an der Nordſeite der Gebirge wüchſen. Während die am Südabhange reifenden ihre volle Süßigkeit hätten, ſeien jene ſo ſauer, daß man ihren Saft nur zur Bereitung von Tinte und Schuhwichſe benutzen könne.
Endlich riſſen wir uns von der Geſellſchaft los; jedoch war uns die ganze Gaſtfreundſchaft ſo eigenthümlich vorgekommen, daß ich es beim Fortgange noch einmal riskirte, nach unſerer Schuld zu fragen. Diesmal erhielt ich keine Zurückweiſung wie bei dem Boote. „ Sechs Dollars, “lautete die prompte357Nach Weſtindien und dem MittelmeerAntwort des Generals, und er nahm die 1 ½ £ mit eleganter[Verbeugung] entgegen. Wir waren unſerer drei, hatten jeder ein halbes Küken mit Bratkartoffeln, etwas Gemüſe und ein Stück - chen Käſe nebſt dem zweifelhaften Getränke gehabt. Dafür waren drei Thaler pro Perſon immerhin ein ganz anſtändiger Preis, aber die mehrſtündige Unterhaltung mit zwei Generälen und einem Oberrichter, der auch der Senatskammer angehörte, hatte jedenfalls einen höheren Werth für uns gehabt. Sie be - ſtätigte meine anderwärts und in den verſchiedenſten Ländern gewonnenen Anſichten über die Civiliſation der Neger und hatte uns einen klaren Blick in die heilloſe Mißwirthſchaft auf Hayti thun laſſen. Man kann darauf wetten, daß die Inſel inner - halb weniger Jahrzehnte irgend einen Protector gefunden haben wird, der aller Wahrſcheinlichkeit Nordamerika heißt. Schade, daß Deutſchland wieder leer dabei ausgehen wird.
Als wir gegen Abend an Bord zurückfuhren, herrſchte auf der ungefähr tauſend Schritte von unſeren Schiffen zu Anker liegenden haytiſchen „ Flotte “reges Leben. Wir ſahen, daß ſämmtliche Kanonen auf dem Oberdeck der Corvetten nach hinten zu zuſammengefahren und auf den „ Friedrich Karl “gerichtet wurden. Man ſchien offenbar einen neuen Handſtreich von deutſcher Seite zu fürchten und ſich dagegen vorzubereiten. Wir bedauerten, den Herren auf den Schiffen durch unſere An - weſenheit eine ſchlafloſe Nacht bereitet zu haben, ließen uns ſelbſt aber durch die auf uns gerichteten Geſchütze in unſerer Nacht - ruhe nicht ſtören.
Am andern Tage verließen wir Port au Prince, um uns in die nahe gelegene Samana Bay zu begeben und dort acht Tage lang Uebungen in der Dampftaktik und mit Torpedos vorzunehmen, wozu ſich in dem ruhigen Waſſer der geſchützten Bucht vortreffliche Gelegenheit bot, die auf der Weiterreiſe vor - ausſichtlich nicht wiederkehrte und deshalb ausgenutzt werden mußte. Dieſe Taktik umfaßt die verſchiedenen Evolutionen eines358WernerGeſchwaders oder einer aus verſchiedenen Geſchwadern beſtehen - den Flotte zum Zwecke des Kampfes und bezieht ſich vorzugs - weiſe auf Panzerſchiffe, welche jetzt überall die eigentlichen Schlacht - ſchiffe bilden und in die Stelle der früheren Linienſchiffe getreten ſind. Ungepanzerte Kriegsſchiffe kommen, wie die Verhältniſſe augenblicklich liegen, für die eigentliche Seeſchlacht weniger in Betracht. Sie werden allerdings noch in Einzelkämpfen auf - treten und auch an größeren Gefechten Theil nehmen, können aber zur eigentlichen Entſcheidung nur verhältnißmäßig wenig beitragen, es ſei denn, daß der Offenſivtorpedo zu einer ver - hältnißmäßig ſo vollkommenen Waffe ausgebildet werde, wie das Geſchütz, was bis jetzt aber noch nicht der Fall iſt.
Seit Einführung der Panzerſchiffe in die Flotten hat die Aufſtellung einer zweckmäßigen Taktik die hervorragendſten See - officiere aller Nationen beſchäftigt, ohne daß ſich mit Beſtimmt - heit behaupten ließe, die Frage ſei endgültig gelöſt. Faſt jede Marine hat ihre eigene Taktik, die ſie für die beſte hält, aber erſt ein größerer Seekrieg kann darüber entſcheiden, ob Theorie und Praxis ſich gegenſeitig decken. Eine Flotte iſt nämlich in dieſer Beziehung bedeutend ungünſtiger geſtellt als eine Land - armee. Letztere kann auch im Frieden eine neue Taktik practiſch probiren, erſtere aber nicht. Bei Panzerſchiffen ſpielt für jeden Angriff der Sporn eine Hauptrolle, und bei der großen Ge - fährlichkeit dieſer Waffe, für welche die Kataſtrophe bei Folke - ſtone auch für Deutſchland ein ſo trauriges Beiſpiel geliefert, iſt es unmöglich, eine Gegenpartei aufzuſtellen und gegen dieſelbe zu agiren. Bei einem Rencontre von Landtruppen kommt es nicht darauf an, ob Menſchen und Pferde oder auch Geſchütze an einander gerathen, aber bei Panzerſchiffen kann ſchon die leiſeſte Berührung furchtbare Conſequenzen nach ſich ziehen. Eine Flotte darf deshalb immer nur gegen einen markirten Feind operiren und man gewinnt im Frieden nie ein auch nur an - nähernd richtiges Bild von einem Ernſtkampfe zur See.
359Nach Weſtindien und dem MittelmeerAußerdem iſt auch das Evolutioniren mit modernen Schiffen bedeutend ſchwieriger als mit den alten. Bei den Segelſchiffen hatte man für alle Bewegungen als beſtimmenden Factor den Wind und beide Parteien konnten deshalb innerhalb gewiſſer Grenzen immer ungefähr wiſſen, was der Gegner thun würde oder konnte. Ebenſo war es für die Kämpfer die Hauptauf - gabe, ihre Geſchütze zur Geltung zu bringen, und daraus ergab ſich von ſelbſt für alle ſeefahrenden Nationen dieſelbe Schlacht - formation, die ſogenannte Kiellinie, bei der die Schiffe ziemlich geſchloſſen hintereinander ſegelten und ihre Stärke, die Breit - ſeite, dem Feinde zukehrten. Die damalige Taktik gipfelte da - her darin, die feindliche Linie quer zu durchbrechen und ihre Schiffe, deren Vorder - und Hintertheil nur ſchwach armirt war, mit der Maſſe der Geſchütze der Länge nach zu beſtreichen, reſpective einem ſolchen Verſuche des Feindes entgegenzutreten.
Die Anwendung des Dampfes, die Erfindung oder viel - mehr die Wiedereinführung des Spornes, denn ſchon Jahr - hunderte vor unſerer Zeitrechnung waren die römiſchen, griechi - ſchen und puniſchen Flotten damit ausgerüſtet, und die Panze - rung haben dieſe einfachen Gefechtsverhältniſſe jedoch gänzlich umgewandelt. Die Bewegungen der Schiffe ſind jetzt vom Winde unabhängig und der Gegner kann ſie nicht mehr mit irgend welcher Sicherheit vorher wiſſen. Die offenſive Haupt - ſtärke liegt nicht mehr in der Breitſeite, ſondern im Bug, da ein gelungener Stoß verderblicher wirken kann als ein ſtunden - langer Geſchützkampf. Ebenſo iſt der Bug defenſiv ſtärker als die Breitſeite. Die auf letztere rechtwinklig aufſchlagenden Ge - ſchoſſe äußern ihre ganze Durchſchlagskraft; von vorn kommend treffen ſie jedoch ſtets unter einem Winkel auf den Panzer und ihre Durchſchlagskraft wird geringer, je ſpitzer dieſer Winkel iſt. Daſſelbe gilt von dem ähnlich ſcharf wie der Bug gebauten Hintertheil des Schiffes, dem Heck.
Es kommt aber jetzt auch darauf an, dem feind -360Wernerlichen Sporn nie die ſo leicht verwundbare Flanke, ſondern ſtets den eigenen Sporn zu zeigen. Die moderne Taktik beſteht des - halb in dem Beſtreben der Schiffe, ſtets direct auf den Feind loszudampfen, in nächſter Nähe die Artillerie zur Wirkung zu bringen, einen Spornſtoß zu verſuchen und dabei an dem An - griffspunkte in der Uebermacht zu ſein. Die Angriffsforma - tionen müſſen demnach ſo gewählt werden, daß ſie neben größter Compactheit und Beweglichkeit auch die volle Geſchützwirkung zur Geltung kommen laſſen. Den Schwerpunkt bildet dabei das Manövriren, und man darf die Behauptung aufſtellen, daß ſelbſt eine numeriſch ſchwächere Partei den Sieg davon tragen wird, ſobald ſie mit ihren Schiffen beſſer zu manövriren verſteht. Dies Manövriren mit Panzerſchiffen erfordert aber eben ſo viel ſee - männiſches Geſchick wie lange Uebung.
In früheren Zeiten, wo ſich Kriegsſchiffe im Allgemeinen nur durch ihre Größe unterſchieden, ſonſt aber nach denſelben Principien gebaut waren und die bewegende Kraft, der Wind, ſo ziemlich dieſelbe Wirkung auf alle übte, konnte der Comman - dant, welcher heute eine kleine Corvette befehligte, morgen eben - ſo gut mit dem größten Linienſchiffe manövriren. Das hat ſich jetzt geändert; die modernen Panzercoloſſe ſind einmal ſehr ver - ſchieden conſtruirt, um den ſich reißend ſchnell folgenden Er - findungen und Verbeſſerungen Rechnung zu tragen und ſodann manövriren ſie durchaus nicht gleichmäßig. Es iſt bis jetzt der Technik nicht gelungen, ihnen mit Sicherheit diejenigen nautiſchen Eigenſchaften zu geben, wie ſie die früheren Segelſchiffe beſaßen. Von zwei gleich großen Panzern ſteuert der eine gut, der andere ſchlecht, der erſte gebraucht vier Minuten zur Beſchreibung eines Kreiſes, der zweite die doppelte Zeit, jener macht ſchon bei ge - ringem Seegange ſehr tiefe ſeitliche Schwankungen, dieſer nicht. Die modernen Schlachtſchiffe ſind Individuen, von denen jedes ſeine beſonderen Eigenſchaften beſitzt; dieſe wollen gekannt ſein und eine ſolche Kenntniß läßt ſich nur durch ſehr lange Uebung erreichen.
361Nach Weſtindien und dem MittelmeerAuf den Segelſchiffen war der Commandant beim Manöv - riren viel unabhängiger als jetzt. Er gab ſeine Befehle über Segelſtellung und Ruderlage und controlirte deren richtige Aus - führung ſelbſt und mit einem Blicke. Jetzt iſt er von der Maſchine abhängig und die Controle um ſo viel ſchwieriger. Man ſucht ſie zwar durch alle möglichen mechaniſchen Vorrich - tungen, Hubzähler, Sprachrohre, Telegraphen der verſchiedenſten Art, zu erleichtern, aber jedenfalls wird ſie durch ſolche Hülfs - mittel nicht vereinfacht. Ueberhaupt ſind auf den Kriegsſchiffen überall die complicirteſten Verhältniſſe an Stelle der früheren einfachen getreten und deshalb erfordert ihre richtige Behand - lung ganz bedeutend mehr Kenntniſſe, Geſchick und namentlich mehr Uebung als ſonſt. Auch genügt es nicht, daß der Comman - dant allein ſein Schiff, deſſen Eigenſchaften und Eigenthümlich - keiten genau kennt, ſondern daſſelbe muß von den Officieren und dem größten Theile der Beſatzung gefordert werden, wenn man die volle Ausnutzung jener im Kampfe erwartet. Die ge - nannten Perſonen müſſen dauernd, wenn möglich Jahre lang auf demſelben Schiffe bleiben und vollkommen mit ihm ver - traut ſein; nur dann wird letzteres in der Schlacht das leiſten, was es vermag.
Die achttägigen Uebungen in der Samana Bay hatten den Kohlenvorrath des Geſchwaders ſo ziemlich erſchöpft und zu ſeiner Ergänzung liefen wir den nahen Hafen von Kingſton auf Jamaika an.
Das waren einmal wieder ſchöne Tage, die wir auf der prachtvollen Inſel verlebten. Der gaſtfreundliche Gouverneur lud uns auf ſeine Villa in den Bergen ein und wir genoſſen von dort auf Ausflügen in die blauen Gebirge, was die herr - liche Tropennatur bot. Bis über 2000 Meter erheben ſich die Höhenzüge im Innern, aber nicht ſo wild, zerriſſen und jäh wie auf Madeira oder Hayti, ſondern bequem aufſteigend und überall mit breiten und gut gehaltenen Wegen verſehen. Wie362Wernerin Barbados nimmt man auf den erſten Blick wahr, daß Eng - länder die Herren der Inſel ſind und dieſe ſich ſchon Jahr - hunderte lang in ihrem Beſitze befindet. Jedes Thal, jeder nicht zu ſteile Abhang iſt cultivirt, bis zu 2000 Meter Höhe trifft man Kaffeepflanzungen und überall in der Ebene liegen Zucker - und Rumfabriken zerſtreut. Seit Freilaſſung der Neger, von denen es über 300,000 auf Jamaika giebt, iſt der Ertrag um zwei Drittel zurückgegangen; er beginnt aber ſeit Einfüh - rung chineſiſcher Kulis, die hier wirklich freie Arbeiter ſind, ſich allmälig zu heben. Der Neger faullenzt und nur der Hunger treibt ihn, ein paar Tage im Monat zu arbeiten, um bei ſeinen geringen Bedürfniſſen für den gewonnenen Lohn während der übrigen Zeit in Nichtsthun zu ſchwelgen, das für ihn das höchſte irdiſche Glück einſchließt. Der Kuli dagegen hat wie alle Chineſen den Ehrgeiz, ein wohlhabender Mann zu werden und als ſolcher in ſeine Heimath zurückzukehren, an der er mit großer Liebe hängt und die er nur verlaſſen hat, weil in dem übervölkerten Lande kein Raum mehr für ihn war und ihm der Hungertod in’s Antlitz ſtarrte. In dieſem Gedanken arbeitet er unverdroſſen von früh bis ſpät, trotz Fieber und Sonnengluth, lebt überaus ſparſam und ärmlich und ſucht nur Geld zurück - zulegen. Leider gelingt es nur Wenigen, das Ziel zu erreichen, denn der verführende Teufel, das Opium, ſtiehlt ihnen das ſchwer Erworbene und zugleich die körperlichen und geiſtigen Kräfte. Aber ſie arbeiten ſo lange es möglich iſt, und unter ihren fleißigen Händen und bei dem geringen Lohn, den ſie be - anſpruchen, kommen die engliſchen Pflanzungen und Fabriken in die Höhe.
In den Tropen iſt für europäiſche Anforderungen nur der chineſiſche Kuli der gegebene Arbeiter, weil er aus eigenem An - triebe fleißig iſt und außer dem Neger reſp. Eingeborenen allein den ſchädlichen klimatiſchen Einflüſſen widerſteht. Wo in Colo - nien Sclaverei geherrſcht hat, iſt lediglich er im Stande, durch363Nach Weſtindien und dem Mittelmeerſeine körperliche Leiſtungsfähigkeit die frühere Sclavenarbeit zu erſetzen und dem wirthſchaftlichen Ruin oder wenigſtens dem Rückgange vorzubeugen, den die Aufhebung der Sclaverei noth - wendig nach ſich zieht. In Ländern jedoch, deren Klima dem weißen Manne dauernde Arbeit im Freien oder in Fabriken ge - ſtattet, iſt die Einführung von Chineſen in größeren Maſſen keineswegs wünſchenswerth, weil die Weißen mit ihnen durchaus nicht concurriren können.
Faßt man nur die materielle Seite in’s Auge, ſo mag es willkommen ſein, wenn die Arbeitskraft und infolge davon die Productionskoſten ſich ſo viel billiger ſtellen, aber es iſt auch das ethiſche Moment zu berückſichtigen. Die Fortſchritte der Civiliſation ſind darauf gerichtet, ſelbſt dem Niedrigſtgeborenen ein menſchenwürdiges Daſein zu ſichern, und wenn daſſelbe ſich auch nur in den beſcheidenſten Anſprüchen bewegt, ſo erfordert es für den weißen Arbeiter eine gewiſſe Summe für den Lebens - unterhalt, nach der ſich ſeine Lohnforderungen richten müſſen. Unter ein gewiſſes Minimum darf der weiße Arbeiter nicht hin - abgehen, ohne geiſtig und körperlich zu verkommen und mit dem, was der Kuli für ſich gebraucht, iſt es jenem unmöglich zu exi - ſtiren. Der Chineſe miethet ſich mit acht bis zehn Kameraden einen Raum als Wohnung, deſſen Kubikinhalt kaum für einen Europäer genügt, in dem die ganze ſchmutzige Geſellſchaft lebt, ſpeiſt, ſchläft und in deſſen für Weiße unerträglicher Atmo - ſphäre ſich die Ausdünſtungen ſo vieler Menſchen mit dem widerlich ſüßen Geruche des Opiumrauches miſchen. Die Bett - ſtellen ſind wegen des beſchränkten Platzes, drei bis vier über einander, an den Wänden aus alten Brettern zuſammengeſchlagen und ein paar Strohmatten bilden das Lager. Die Kleidung deckt nur auf das Dürftigſte die Blößen, Mobiliar wird als überflüßig betrachtet, und die Chineſen begnügen ſich mit einer Nahrung, die bei uns ſelbſt der hungrige Bettler verſchmähen würde und bei der er auch nicht leben könnte. Dazu tritt364Wernerdann noch der Umſtand, daß der in’s Ausland gehende Kuli alle ſeine mit unſeren Anſchauungen oft ſo wenig vereinbarenden Lebensgewohnheiten mit ſich nimmt und ſtarr an ihnen feſthält, daß er ſich unſeren Begriffen von Civiliſation gegenüber völlig ablehnend verhält, moraliſch ſehr tief ſteht und den verabſcheuungs - würdigſten Laſtern fröhnt. Eine Familie gründet er nicht und knüpft überhaupt kein feſteres Band mit ſeinem neuen Wohnſitze, weil er ſtets hofft, entweder lebend in die alte Heimath zurück - zukehren oder wenigſtens ſeine Leiche dahin übergeführt zu ſehen. Dieſe Vaterlandsliebe iſt zwar ein verſöhnender Zug in ſeinem Character, aber auch ſo ziemlich der einzige und er genügt nicht, um die ſonſtigen Schattenſeiten ſeiner aſiatiſchen Uncultur in helleres Licht zu ſtellen.
Unter ſolchen Umſtänden iſt es daher im Intereſſe der Civiliſation nur zu wünſchen, daß ſolche ihr ſelbſt unzugäng - lichen Elemente aus denjenigen Ländern fern gehalten werden, wo ſie die Exiſtenz von Weißen bedrohen und es iſt z. B. den Californiern nicht zu verdenken, wenn ſie alle Mittel aufbieten, um dem verheerenden Strome der ſich in ihr Land ergießenden chineſiſchen Einwanderung einen Damm entgegenzuſetzen.
Jamaika hat ſchon ſeit 200 Jahren eine Repräſentativ - verfaſſung, freier als das Mutterland. In mißverſtandener Menſchenliebe hatte man auch den freigelaſſenen Sclaven die - ſelben politiſchen Rechte ertheilt, die ſie natürlich nicht zu ge - brauchen verſtanden, und der Rückſchlag blieb nicht aus. Un - verſchämtes freches Auftreten gegen die Weißen und endlich Aufruhr und Empörung gegen die Engländer im Jahre 1865 war die natürliche Folge. Der damalige Gouverneur Eyre er - griff die richtigen energiſchen Maßregeln und unterdrückte ſcho - nungslos die Revolution; er wurde zwar abberufen, weil ſchwächliche Sentimentalität im Mutterlande ſein Verfahren als grauſam mißbilligte, indeſſen ſah man doch ein, daß die bis -365Nach Weſtindien und dem Mittelmeerherige Freiheit der Neger gefährlich ſei und ſo wurden durch eine Verfaſſungsänderung ihre politiſchen Rechte beſchränkt.
Jamaika erhält durch ſeine Vegetation einen ganz beſonde - ren Character. Es bietet nicht wie die meiſten und namentlich die von hohen Gebirgen durchzogenen Tropenländer das Bild einer durch ihre Großartigkeit und Wildheit imponirenden Natur, ſondern hinterläßt den Eindruck einer ruhigen friedlichen Land - ſchaft. Dazu tragen vor allem drei Baumformen bei, welche in den bewohnten oder zugänglichen Gegenden das Gros der Bewaldung bilden und ihr den das Auge ſo angenehm berüh - renden idylliſchen Reiz verleihen. Es ſind dies die Farren, der Bambus und der Mangobaum. Die Farren ſind heimiſch auf der Inſel; in Hunderten von Arten vertreten, bedecken ſie theils als Geſträuch große Strecken der von einer Menge Rinn - ſalen durchſtrömten Niederungen und der ſich leiſe abflachenden Abhänge, theils krönen ſie als mächtige Bäume von acht bis zehn Meter Höhe die Berggipfel in dichten Waldungen. Ihre in lichtem Grün ſtrahlenden Blattwedel mit den verſchiedenſten feingeſchnittenen Muſtern haben etwas ſo Sanftes und Weiches in ihrer Erſcheinung, daß der Blick unwillkührlich von ihnen angezogen wird und gern auf ihnen weilt. Einen ähnlichen erfreuenden Anblick gewähren die Bambusgebüſche mit ihren ſchlanken hohen Stämmen und feingefiederten Blättern, die ſich mit leiſem Rauſchen im Winde wiegen und flüſternd aus ihrer Heimath im fernen Oſten erzählen, aus der dieſer ebenſo ſchöne wie nützliche Strauch oder Baum — wie man ihn nennen will — hier eingeführt iſt. Er hat auf Jamaika alle Lebens - bedingungen gefunden, um in üppigſter Fülle zu gedeihen und es iſt eine wahre Pracht, ihn in ſeiner Entfaltung zu ſehen.
Der Mango, mit ſeiner breiten Krone, ſeinen glänzenden dunkelgrünen Blättern und goldgelben Früchten, iſt ebenfalls aus Oſtindien im erſten Viertel unſeres Jahrhunderts eingeführt, hat ſich aber bereits bis zu den mittleren Lagen der Höhenzüge366Wernerſo verbreitet, daß er ganze Waldungen bildet und die übrigen Bäume verdrängt.
Das weidende Vieh frißt ſehr gern ſeine auch dem Menſchen wohlſchmeckenden Früchte, welche die Größe eines Apfels und gelbes ſäuerliches Fleiſch haben und verpflanzt dadurch die Kerne, die wie Kokosnüſſe auf der Erdoberfläche liegen, keimen und ſich bewurzeln. Nur der mächtige Baumwollenbaum, der Rieſe der Pflanzenwelt auf der Inſel, weicht nicht vor den fremden Eindringlingen zurück. Mit einem Stamme von oft 15 bis 20 Fuß Durchmeſſer feſten Holzes, umgeben von dichtem Ge - flechte Tauſender von Luftwurzeln, die einen undurchdringlichen Wald für ſich bilden, und geſchmückt mit einer Krone, deren üppiges Blätterdach einem ganzen Regimente Schatten gewähren kann, ſteht der gewaltige Baum da. Er iſt der Ariſtokrat des Waldes, blickt ſtolz auf die Plebejer herab und duldet nicht ihre Nähe, denn faſt immer erblickt man ihn einſam auf freien Plätzen in Ebene und Thal und ſeine gigantiſchen Formen, in denen ſich die ſchöpferiſche Kraft der Tropennatur ſo großartig bekundet, fordern das Staunen und die Bewunderung der Menſchen heraus.
In den Thälern und Niederungen Jamaika’s iſt das Klima nicht geſund und oft hat das gelbe Fieber die Bevölkerung deci - mirt, doch auf den Bergen verweht der friſche Hauch des Paſſat - windes die bösartigen Miasmen und ſchafft einen ewigen Frühling. Alle Europäer ſuchen deshalb die Höhen; in den Städten an der Küſte weilt von ihnen nur, wen Geſchäfte dort feſſeln. Der Gouverneur wohnt 2000 Fuß hoch mit einer prachtvollen Ausſicht auf einen Theil der Inſel und das Meer. Ein in europäiſchem Style angelegter und ſchön gehaltener Garten überraſchte uns durch einen prachtvollen Roſenflor; zwei Tauſend Fuß höher an den Gipfeln der blauen Berge pflückten wir Walderdbeeren, deren aromatiſche Früchte uns bei unſeren Spazierritten erquickten und uns an die Heimath erinnerten. 367Nach Weſtindien und dem MittelmeerWer mag ſie hierher verpflanzt haben, dem nordiſchen Wandrer zur Freude und zum Labſal? Und wiederum höher, an Kaffee - pflanzungen vorbei, trugen uns unſere Pferde in dichte Wal - dungen von Baumfarren, welche die Bergſpitzen krönten. Aber ein Nebel lagerte auf ihnen und wob einen Schleier, durch den die Formen der Stämme und Wedel nur undeutlich und ge - ſpenſtiſch ſchimmerten. Es zog uns wieder thalwärts, hinab zum Sonnenlicht und zu dem Garten des Gouverneurs, wo die Roſen dufteten und die Kolibris um die Blüthenkelche ſchwirrten und in köſtlichem Farbenſpiel durch das Grün der Bäume blitzten.
Vier Tage verweilten wir oben in dem lieblichen Eden und genoſſen nach Herzensluſt die Schönheit und Pracht, die es ſelbſt und ſeine Umgebung boten. Die liebenswürdige Gaſt - freundſchaft des Gouverneurs trug nicht wenig dazu bei, dieſen Genuß zu erhöhen und das Scheiden wurde ſchwer. Wir blieben noch einige Tage unten in nächſter Nähe der Stadt. Auf einem Hügel hatte dort unſer Conſul ſeine Villa erbaut und ſich ein reizendes deutſches Heim geſchaffen, in dem wir fröhliche Stunden verbrachten. Er und die jungen Leute in ſeinem Comptoir waren die einzigen Deutſchen in Kingſton; in den übrigen Städten der Inſel exiſtiren gar keine, aber man findet auch ſonſt ſehr wenig Nichtengländer; die commerciellen Verhältniſſe der Inſel ſcheinen für Fremde keine günſtigen Chancen zu bieten.
Nach achttägigem Aufenthalte ſagten wir der uns ſo ſchnell lieb gewordenen Inſel Lebewohl und ſteuerten der letzten Station, Havannah, zu. Der Winter und damit die gute Jahreszeit nahte ſich dem Ende und es war wünſchenswerth, bald den geſunderen Süden aufzuſuchen. Die Reiſe bot nichts Bemerkens - werthes; der Paſſat mit ſeinem ewig heiteren Himmel brachte uns bald an den Ort unſerer Beſtimmung und wir waren nur noch wenige Meilen von Havannah entfernt, als plötzlich ein ungeahntes furchtbares Unglück uns bedrohte.
368WernerDie Schiffe hatten eine neue Art Nachtſignale, die Coſton - lichte, eine amerikaniſche Erfindung, an Bord, welche wie ähn - liche Feuerwerkskörper, Racketen u. ſ. w., im Vorraum zur Bombenkammer untergebracht waren. Dieſe Lichte ſind Cylinder von zwei bis drei Centimeter Durchmeſſer und doppelter Höhe. Ihr Satz beſteht aus Chemikalien und zum großen Theile aus Phosphor. Je nach ihrer Miſchung brennen ſie in weißem, grünem oder rothem Lichte mit ſehr intenſiver und weder durch Wind noch Regen löſchbarer Flamme mehrere Minuten lang. Combinationen der verſchiedenen Farben geben dann ſehr gute und weit ſichtbare Nachtſignale. Vor einiger Zeit war bemerkt worden, daß der Phosphor in einer Anzahl der Lichter Feuchtig - keit angezogen hatte. Sie wurden deshalb zum Trocknen auf das Oberdeck gebracht und in einem Gefäße in die Barkaſſe ge - ſetzt. Plötzlich entzündeten ſie ſich jedoch von ſelbſt und wurden brennend über Bord geworfen. Die große Feuergefähr - lichkeit, welche ſich bei dieſer Gelegenheit zeigte, ward Veran - laſſung, den Reſt der Lichte, etwa 1200, ſofort aus dem Vor - raume zur Bombenkammer zu entfernen und ſie auf dem Ober - deck in dem Commandothurm unterzubringen. Dieſer Thurm, für den Commandanten im Gefecht beſtimmt, hat zehn Centi - meter ſtarke Eiſenwände und ein eiſernes Dach. Zwiſchen letzte - rem und den Wänden befindet ſich eine ebenfalls zehn Centi - meter weite Spalte, durch welche der Commandant das Gefechts - feld überblicken kann; innen iſt der Thurm mit Planken von Teakholz gefüttert. Ein ſolcher eiſerner Behälter, der außerdem unter ſteter Controle des wachehabenden Officiers ſtand, erſchien als der geeignetſte Ort zur Aufbewahrung der Lichte, und ſie hatten auch ſchon mehrere Wochen friedlich darin geruht.
Der Hafen von Havannah war bereits in Sicht und wir dampften mit dem Geſchwader langſam darauf zu. Es herrſchte faſt völlige Windſtille und die Sonnenſegel waren zum Schutze gegen die Hitze überall ausgeholt. Innerhalb einer Stunde369Nach Weſtindien und dem Mittelmeerliefen wir vorausſichtlich in den Hafen ein, und unter ſolchen Umſtänden wurde gewöhnlich die Zahl der zu gebrauchenden Salutkartuſchen vorher aus der Pulverkammer genommen und in den Thurm gebracht, da man erſtere nicht gern oft öffnet oder länger offen hält, als durchaus nöthig iſt. Auch an jenem Tage war ich durch den Batterieofficier gefragt, ob die Kartuſchen — etwa Hundert zu einem halben Kilogramm Ladung — in den Thurm gebracht werden ſollten, jedoch hatte ich befohlen, damit noch zu warten, bis die Mannſchaften ihr Mittagseſſen eingenommen hätten.
Ich befand mich mit dem wachehabenden Officier auf der vorderen Brücke; die übrigen Officiere waren beim Früh - ſtück und von der Beſatzung nur die wachehabenden Unter - officiere und die Poſten auf Deck, alle übrigen beim Eſſen. Da erſchreckte uns auf einmal ein dumpfer Knall, und als ich mich umſchaute, ſtand der Commandothurm in Flammen, d. h. durch die Spalte zwiſchen Dach und Wänden und durch die Thüre ſchlug das Feuer meterhoch empor und ſpielte in allen Farben — die 1200 Coſtonlichte hatten ſich ſelbſt ent - zündet. Es war ein kritiſcher Moment, denn wenn auch der Thurm unter gewöhnlichen Umſtänden eine gewiſſe Sicherheit gegen Verbreitung des Feuers gab, ſo gewann das letztere jetzt in den Signallichtern eine außergewöhnliche Speiſe und es brach aus den Oeffnungen mit ſolcher Gewalt hervor, daß die in der Nähe ausgeſpannten Sonnenſegel auf das Aeußerſte gefährdet waren. Es galt deshalb zunächſt, dieſe zu entfernen, denn fingen ſie Feuer, ſo wurde die Sache ſchlimm.
Mit den auf dem Oberdeck von Kriegsſchiffen für der - gleichen Fälle ſtets zur Hand befindlichen Beilen wurden augen - blicklich die Haltetaue der Sonnenſegel gekappt und damit die Hauptgefahr beſeitigt. Inzwiſchen ertönte auch das Feuerſignal, kurze Doppelſchläge der Schiffsglocke, und die Mannſchaft flog auf ihre Poſten. Der ſchlimmſte Feind des Seemannes iſt Feuer im Schiff, und die erſte Rolle, in der er an Bord eingeübtR. Werner, Erinnerungen. 24370Wernerwird, iſt die Feuerrolle. Jeden Freitag Nachmittag, ob im Hafen oder auf See, wird Feuerlärm exercirt; nach zwei bis drei Minuten müſſen alle Löſchvorrichtungen getroffen ſein und alle Schläuche Waſſer geben. An jenem Tage wußten die Leute nun zwar ſofort, daß es diesmal ein Ernſtfeuer war, da ſie ohne Noth nie bei ihren Mahlzeiten geſtört werden, aber ſie erſchienen trotzdem ſo ruhig und geordnet wie zum Exercitium. Nach zwei Minuten richteten ſich die Waſſerſtrahlen von fünf Pumpen, darunter auch die von der Maſchine getriebene, auf den Thurm. Außerdem ſchlugen Hunderte von Menſchen mit Eimern Waſſer auf und bildeten Ketten, und ſo ergoß ſich eine ſo gewaltige Fluth auf die Brandſtätte, daß in kurzer Zeit das Feuer vollſtändig gelöſcht wurde.
Die Maſchinen waren auf allen Schiffen des Geſchwaders ſofort geſtoppt und die meiſten Boote zur eventuellen Rettung von Menſchenleben bereits zu Waſſer gelaſſen. Die gewaltige Flamme, welche aus dem Thurme hervorlohte, hatte von draußen die Gefahr noch größer erſcheinen laſſen, als ſie wirklich war und in unſeren Kameraden der anderen Schiffe die Befürchtung geweckt, daß das ganze Innere des Schiffes in Brand ſtehe. Glücklicherweiſe war die Beſorgniß unbegründet; aber wie dankbar konnten wir ſein, daß ein glücklicher Zufall es veran - laßt hatte, ohne irgend welchen beſtimmten Grund das Depo - niren der Hundert Kartuſchen noch eine Stunde auszuſetzen. Wie ſicher wäre das Schickſal des „ Friedrich Karl “beſiegelt geweſen, wenn fünfzig Kilogramm Pulver im Thurm explodirten. Jetzt beſchränkte ſich der Schaden auf das Anbrennen der inneren Holzbekleidung, das jedoch Dank den prompten Löſcharbeiten nicht bedeutend war. Nur das Officiercorps trug einen empfind - lichen pecuniären Verluſt davon; die neuen von ihm beſchafften und im Thurm aufbewahrten Inſtrumente für das Muſikcorps des Schiffes waren durch die große den Signallichtern entſtrö - mende Hitze vollſtändig geſchmolzen reſp. verbrannt. Sie hatten371Nach Weſtindien und dem Mittelmeereinen Werth von mehreren Hundert Thalern, für welche nach fiscaliſchen Grundſätzen kein Erſatz geleiſtet wurde. Angeſichts des anderweitigen Schadens, der hätte entſtehen können, fiel dies jedoch nicht in’s Gewicht, und wir verſchmerzten es leicht in dem Gedanken, wie gnädig die Vorſehung ein furchtbares Un - glück von uns abgewendet hatte.
Es war dies einmal wieder ein ſprechendes Beiſpiel der großen Gefahren, die das Leben des Seemannes ſo unerwartet und mitten in friedlicher Ruhe bedrohen und ihm mit ſchreck - licher Deutlichkeit das ſtets neben ihm gähnende Grab zeigen. Auf der andern Seite gab es aber auch einen erfreulichen Be - weis für die Vortrefflichkeit unſerer Kriegsſchiffsbeſatzungen, die ſich gerade in kritiſchen Momenten ſo glänzend bewährt und von jeher ihren Führern Vertrauen eingeflößt hat. Angeſichts der ſo plötzlich hereingebrochenen und grauſen Gefahr zeigte ſich nirgends Unruhe, Zögern oder Verwirrung; kaltblütig, umſichtig und geräuſchlos eilte Jedermann auf den ihm nach der Feuer - rolle angewieſenen Poſten und harrte der Befehle der Vorge - ſetzten, um ſie ſofort zur Ausführung zu bringen. So war es möglich, alle Befürchtungen ſo bald zu beſeitigen und ſchon nach fünfzehn Minuten konnten die Leute ſich hinunter be - geben, um ihre unterbrochene Mahlzeit zu beenden. Die Maſchinen ſetzten ſich wieder in Gang, und eine halbe Stunde ſpäter liefen wir in den Hafen von Havannah ein, der einer der ſchönſten und geräumigſten von ganz Weſtindien iſt. Ein Maſtenwald von Hunderten von Handelsſchiffen kündet ſeine große commercielle Wichtigkeit, und die ſich im Halbkreiſe an einem ſanft anſteigenden Hügel erhebende Hauptſtadt, mit ihren ſchönen monumentalen Gebäuden, ihren vielen öffentlichen von Gartenanlagen, Springbrunnen und Palmengruppen geſchmückten Plätzen und breiten geraden Straßen, macht ſchon von außen den Eindruck der Großſtadt und verräth die Bedeutung der „ Perle “der Antillen.
24*372WernerDem einſt weltbeherrſchenden Spanien, deſſen Könige ſich rühmen konnten, daß die Sonne nicht in ihrem Reiche unter - gehe, iſt nur wenig transatlantiſcher Länderbeſitz geblieben, aber in Cuba immer noch eine Colonie, die zu den herrlichſten und ergiebigſten der Welt gehören würde, wenn ſie ſich in den Händen einer energiſcheren und thätigeren Nation als die der Spanier befände, wenn die Sclavenfrage auf glückliche Weiſe gelöſt und die Corruption der Bewohner weniger groß wäre, die un - bekümmert um die Zukunft nur dem Augenblicke des Genuſſes leben und in denen die Schattenſeiten der Creolen ſich mehr als anderwärts zeigen. Die Inſel zählt kaum den zehnten Theil der Bevölkerung, welche ſie ernähren könnte, nicht der zwanzigſte Theil ihres culturfähigen Bodens iſt bebaut; in dem gebirgigen und im Gegenſatze zu den Küſtengegenden geſunden Innern giebt es Strecken von 5 — 10,000 Quadratkilometer Ausdehnung, die weder bewohnt noch überhaupt bekannt ſind. Wenn trotzdem jährlich allein für weit über hundert Mil - lionen Mark Zucker und Tabak ausgeführt werden, ſo mag man daraus ermeſſen, welchen unerſchöpflichen Schatz Spanien in Cuba noch aus dem Schiffbruche ſeiner früheren Macht gerettet hat. Ebenſo iſt es zu begreifen, daß das Mutterland die ver - zweifeltſten Anſtrengungen gemacht und außer vielen Millionen an Geld auch nicht das Opfer von 80,000 Soldaten geſcheut hat, um in dem bisherigen zehnjährigen Bürgerkriege die be - drohte Herrſchaft zu behaupten. Ob dieſe Opfer trotzdem nicht vergeblich gebracht ſind, ob nicht die Vereinigten Staaten von Nordamerika über kurz oder lang eine Gelegenheit finden oder vom Zaune brechen werden, um die Inſel, auf die ſich ſchon ſo lange ihre begehrlichen Blicke richten, zu annectiren — wer weiß es?
Wir fanden Kriegsſchiffe der verſchiedenſten Nationen im Hafen vor und es dauerte Stunden lang, ehe die üblichen Be - grüßungsſalute ausgetauſcht und der Kanonendonner verhallt373Nach Weſtindien und dem Mittelmeerwar. Im Winter iſt Havannah der Sammelplatz der fremden in Weſtindien ſtationirenden Flotten, und allerdings bietet es Abwechſelungen und Annehmlichkeiten in Fülle, um als Magnet zu wirken. Unſer Ankerplatz lag in unmittelbarer Nähe des Bollwerkes, wenige Ruderſchläge der Boote vermittelten die Communication; großartige Hotels und das Theater, deſſen prachtvolle innere Ausſtattung ihm den Anſpruch giebt, zu den erſten ſeiner Art zu zählen, waren unſere vis-à-vis, und ſomit verſprach der Aufenthalt ein ſehr intereſſanter zu werden. In dieſen Erwartungen wurden wir auch nicht getäuſcht und die vier Wochen, auf welche ſich, in Veranlaſſung verſchiedener Um - ſtände, unſer Verweilen ausdehnte, verflogen ſehr ſchnell. Die Spanier und Creolen zeigten ſich freundlich und entgegen - kommend; wir machten Bekanntſchaften mit liebenswürdigen ameri - kaniſchen Familien, von denen Havannah um dieſe Jahreszeit vielfach als klimatiſcher Kurort aufgeſucht wird. Ausflüge per Wagen und Bahn in die Umgegend und das Innere, letztere freilich wegen der häufigen Entgleiſungen ziemlich lebensgefährlich, wurden unternommen. Bälle und Geſellſchaften auf den Schiffen und am Lande, Theater und Stierkämpfe nahmen uns auf das Lebhafteſte in Anſpruch und es wurde Zeit, daß wir end - lich fortgingen, denn Havannah drohte uns ein modernes Capua zu werden.
Der noch jetzt nicht beendete und unter der Aſche fort - glimmende Bürgerkrieg wüthete damals ſtark, aber in Havannah ſelbſt merkte man nichts davon. Man hörte wol öfter Klagen, daß die Geſchäfte darnieder lägen, doch beeinträchtigte dies in keiner Weiſe die heitere Phyſiognomie der Stadt und ihrer Be - wohner. Man begegnete überall einer ſehr leichtfertigen Auf - faſſung des Lebens und einer ausgeprägten Vergnügungs - ſucht. Während unſerer Anweſenheit kamen zwei Bataillone friſcher Truppen aus Spanien an; ihrer Ausſchiffung wohnten viele Tauſende von Zuſchauern bei, obwol ſich ſolche ſeit Jahren374Wernerfaſt monatlich wiederholte. Wie kräftig und geſund ſchauten ſie aus die jungen Soldaten, wie hoffnungsvoll blitzten die dunkeln Augen in die Zukunft hinein, und wie bald ſollten ſie dem Moloch des Krieges zum Opfer fallen. Kaum hat wol einer von ihnen ſein Vaterland wiedergeſehen; bereits 50,000 ihrer Brüder hatte der Tod ſeit dem Beginn der Inſurrection dahingerafft, und noch 30,000 blühende Leben ſind ihnen bis heute ge - folgt. Alle ſchlummern fern von der Heimath in fremder Erde, und der Thau, der die ſchmuckloſe Raſendecke ihrer Maſſen - gräber benetzt, bedeutet die Thränen, die jenſeits des Oceans die einſamen Mütter ihren verlorenen Söhnen nachweinen. Doch die in Schmuck und Toilettenglanz ſtrahlenden Zuſchauerinnen trugen ſich nicht mit ſolchen Gedanken; für ſie war es ein militäriſches Schauſpiel, das einige Stunden lang etwas Neues und Stoff zu Bemerkungen, vielleicht auch Gelegenheit zur An - knüpfung einer Liaiſon bot, denn an Koketterie und verlangen - den Blicken fehlte es nicht.
In außerſpaniſchen Kreiſen erzählte man ſich allerlei Trauriges über das Schickſal, das dieſe armen Soldaten er - wartete; ſie ſollten weniger die feindlichen Kugeln als die eigene Mißverwaltung zu fürchten haben und neun Zehntel von ihnen lediglich daran zu Grunde gehen. Unter ungeſcheuter Nennung von Namen wurde behauptet, daß die Truppen ohne zureichende Kleidung und Nahrung in die unwegſamſten Gegenden, wo ſich die Inſurgenten aufhielten, geſchickt würden. Dann thaten die Sumpffieber ihr Werk, die von Strapazen und Hunger erſchöpften Körper konnten keinen Widerſtand leiſten, der Tod hielt hundertfältige Ernte und das Blutgeld für die nicht gelieferten Vorräthe floß in die Taſchen ungetreuer Menſchen.
Es muß ſehr viel reiche Leute in Havannah geben; man merkte es an dem überall und von Damen oft in unſinnigſter Weiſe zur Schau getragenen Luxus. Auf Spazierfahrten ſah man einige dieſer Creolinnen ihre neuen, ſoeben aus Paris be -375Nach Weſtindien und dem Mittelmeerzogenen Roben im Werthe von vielen Hundert Thalern über die Räder ihrer Wagen breiten, um ſie in wenigen Minuten total zu verderben, um dadurch mit ihrem Reichthum zu prunken. In Gold - und Brillantſchmuck fand ein ſtetes gegenſeitiges Ueberbieten ſtatt und beim Carneval, den wir mitmachten, bot ſich in anderer Weiſe Gelegenheit dazu. An den Maskeraden und Straßenaufzügen nahmen nur die mittleren und niederen Claſſen Theil; ſie wieſen nichts Originelles oder Intereſſantes auf, deſto größeren Glanz aber entwickelten die höheren Schichten der Geſellſchaft in ihren Equipagen, mit denen ſie in den Haupt - ſtraßen der Stadt Corſo fuhren. Sechs der prachtvollſten andaluſi - ſchen Pferde von edelſter Race bildeten die Beſpannung. Auf jedem zweiten Pferde ſaß ein Jockey in koſtbarer Livrée aus Sammt in brillirenden Farben, mit Gold oder Silber bordirt, und die Damen im Fond wetteiferten natürlich erſt recht in Reichthum der Toiletten und ſtrahlenden Geſchmeides. Unter ihnen fielen drei Schweſtern auf, Marquiſen, deren jede in einem beſonderen Wagen fuhr. Sie ſollten zu den reichſten Damen Cuba’s ge - hören, waren Beſitzerinnen großer Plantagen mit Tauſenden von Sclaven und unverheirathet. Ohne hervorragend hübſch zu ſein und trotz des Embonpoints, den die meiſten Creolinnen erhalten, wenn ſie die erſte Jugend paſſirt haben, ſahen ſie doch recht gut aus, und man wunderte ſich, daß ſie unver - heirathet geblieben waren, bis man erfuhr, daß ſelbſt für Havannah ihr Ruf mehr als zweifelhaft ſei. Man erzählte, die älteſte Marquiſe, bereits eine ſtarke Dreißigerin, ſei bei der unlängſt erfolgten Ankunft eines jungen europäiſchen Fürſten auf Cuba mit den beiden jüngeren Schweſtern eine hohe Wette eingegangen, daß ſie zuerſt den Prinzen in ihre Netze ziehen werde. Sie hatte auch wirklich die Wette gewonnen, doch ſoll es den beiden Schweſtern ſehr bald nachher gelungen ſein, den hohen Herrn zum Abfall zu bewegen. Abends am erſten Carne - valstage fand großer Maskenball im Theater ſtatt. Die Logen376Wernerwaren mit hölzernem Gitterwerk geſchloſſen, ſo daß es ausſah, als ob Niemand darin anweſend ſei, doch das war ein Irr - thum. Dahinter ſaßen dem Publicum unſichtbar die Damen der erſten geſellſchaftlichen Kreiſe Havannah’s und bewahrten auf dieſe Weiſe noch den Schein von Scham, wenn ſie letztere in Wirklichkeit auch nicht mehr beſaßen; denn etwas Scham - loſeres als die Tänze, Geſten und das ganze Auftreten der Masken kann man ſich kaum denken. Selbſt uns Männern wurde es zu viel, und man that einen tiefen Blick in die ſitt - lichen Zuſtände der Bevölkerung.
Wie ich bereits erwähnte, gehört das von einem früheren Generalkapitän Tacon erbaute und nach ihm benannte Theater zu den ſchönſten ſeiner Art und Schauſpieler wie Sänger laſſen nichts zu wünſchen übrig. In tropiſchen Städten dürfte ein ſolches vortreffliches Enſemble zum zweiten Male kaum gefunden werden.
Auch der Beſuch der Arena, der Stiergefechte, wurde nicht verſäumt, aber es ſind unerquickliche Schauſpiele und die portu - gieſiſchen den ſpaniſchen bedeutend vorzuziehen. In jenen geht es ritterlicher und weniger grauſam zu. Der Matador zeigt auf prachtvollem Pferde ſeine außerordentliche Gewandtheit im Reiten. Mit leiſem Zügel - und Schenkeldruck weiß er dem heranſtür - menden Stiere auszuweichen, aber zugleich mit dem ſtumpfen Degen die Stelle im Nacken des wüthenden Thieres zu mar - kiren, wo der Stoß tödtlich ſein würde, um danach mit unnach - ahmlicher Grandezza, leichtem Kopfneigen und lächelndem Munde den jubelnden Zuſchauern für die Anerkennung ſeiner Geſchick - lichkeit zu danken. Den Stieren ſind auf die abgeſchnittenen Spitzen der Hörner Kugeln geſetzt, und wenn der Kampf auch noch immer genug Nervenaufregung bringt, ſo zeugt er doch von verfeinertem Gefühl im Vergleich zu der rohen Blutgier, welche die Pointe der ſpaniſchen Stiergefechte iſt. Acht bis zehn unglückliche Pferde werden dabei dem Tode geweiht; es ſind elende Thiere, für den Abdecker reif und ſchon deshalb ein377Nach Weſtindien und dem Mittelmeerwiderlicher Anblick. Das eine Auge iſt ihnen mit einem Tuche verbunden und dieſe Seite halten die Reiter ſtets dem angreifen - den Stiere zugewandt, weil ſonſt die Pferde nicht Stand halten würden. Wenn dann fünf bis ſechs von den armen Thieren von einem Stiere der Bauch aufgeriſſen worden, daß die Eingeweide auf der Erde nachſchleppen, und man ſie hinausführt, dann ertönt frenetiſcher Jubel von Seiten der Zuſchauer, als ob die größten Heldenthaten verrichtet wären, und die danach erfolgende Tödtung des Stieres durch den Matador wird kaum mit mehr Beifall begrüßt. Nimmt der Stier jedoch das Pferd nicht an, dann erſchallt von Seiten des Publicums der tauſendſtimmige Ruf: „ los perros, los perros! Die Hunde! “ Acht bis zehn Bull - doggen werden in die Bahn gelaſſen, ſtürzen ſich mit wüthen - dem Geheul auf ihren Gegner und verbeißen ſich in ſeiner Naſe, im Bauch und im Schwanz. Es hilft ihm nicht, daß er ver - ſchiedene auf die Hörner nimmt und hoch in die Luft wirft; in dem weichen Sande thut ihnen der Fall wenig Schaden. Immer wieder greifen die grimmen Beſtien ihn an, bis fünf oder ſechs an ſeinem Kopfe hängen und das dadurch wehrlos gemachte Thier dem Degen des Matador überliefern, der ihm den Gnadenſtoß giebt. Der rauſchende Beifall der Zuſchauer zeigt ihre innere Roheit und auf die Nachkommen des römiſchen Plebs, der ſeine Schauluſt in den nicht weniger blutigen und grauſamen Gladiatorenkämpfen ſättigte, haben zwei Tauſend Jahre, wenn auch langſam fortſchreitender Cultur, und das Chriſtenthum wenig veredelnden Einfluß zu üben vermocht. Fünf bis ſechs Stunden lang dauern die Kämpfe, die nur in ſteten Wiederholungen beſtehen, aber ſchon nach der erſten Scene wandten wir uns mit Ekel davon ab.
Bis jetzt herrſcht auf Cuba noch Sclaverei; von den 1,300,000 Einwohnern ſollen 600,000, alſo faſt die Hälfte Sclaven ſein. Seit 1870 ſind Geſetze erlaſſen, welche die all - mälige Aufhebung der Sclaverei anzubahnen die Beſtimmung378Wernerhaben: alle nach jenem Jahre geborenen Kinder ſollen frei ſein, alle über ſechzig Jahre alten Schwarzen ebenfalls. Aber es fehlt jede Controle, die Geſetze werden von den Behörden äußerſt lax gehandhabt und nach allen Richtungen umgangen, ſo daß in den zehn Jahren faſt keine Wandelung in den früheren Verhältniſſen eingetreten iſt; ja man behauptet, daß ſelbſt noch Tauſende von Negern jährlich aus Afrika eingeführt werden, obwol dies bei der ſcharfen Aufſicht, welche die Kreuzer der Engländer an der afrikaniſchen Küſte führen, kaum denkbar iſt. Nach officiellen Angaben ſollen ſich nur noch 250,000 Sclaven auf der Inſel befinden, doch iſt das ſchwerlich richtig und die obige Zahl wird zutreffender ſein. Es giebt auf Cuba allein über dreiundert mit Dampf betriebene Zuckerfabriken, deren jede Hunderte von Sclaven hält. Wir beſuchten eine derſelben, auf der man fünfhundert Neger hielt; in ihrer unmittelbaren Nachbar - ſchaft arbeitete eine Fabrik mit der doppelten Anzahl. Auf beiden befand ſich nicht ein einziger freier Schwarzer; merkwürdiger Weiſe waren ſelbſt die Säuglinge vor 1870 geboren, und Neger über 60 Jahre nicht vorhanden. An jene Fabriken reihen ſich nun noch alle mit Pferden oder Ochſen getriebenen Zuckermühlen alter Art, von denen Tauſende auf den kleinen Plantagen exiſtiren, auch der Tabaksbau, die im großen Maßſtabe getriebene Viehzucht und die ſonſtige Plantagenwirthſchaft beſchäftigt viele Neger, alſo wird die Zahl 600,000 nicht zu hoch gegriffen ſein. Außer - dem ſind ſeit 1870 Tauſende von chineſiſchen Kulis als ſoge - nannte freie Arbeiter eingeführt, da jedoch darüber ebenfalls jede ſtaatliche Controle fehlt oder vernachläſſigt wird, ſo iſt der Kulihandel nur eine andere Form der Sclaverei. Wie wir uns durch den Augenſchein überzeugten, iſt das Loos der Chineſen um kein Haar beſſer als das der Neger. Achtzehn bis zwanzig Stunden harte Arbeit während der Zuckercampagne — ſo un - glaublich das auch klingen mag — bei rückſichtsloſem Gebrauch der Peitſche und eigener wenn auch ungeſetzlicher Gerichtsbarkeit der379Nach Weſtindien und dem MittelmeerPflanzer, Feſſelung mit ſchweren Ketten, Einſchließen des Nachts und Aufſpürung mit Bluthunden, wenn ſie zu entfliehen ſuchen, das iſt das Loos dieſer Unglücklichen während der acht Jahre Plantagenarbeit, zu der ſie ſich bei ihrer Ankunft für die Ab - zahlung des Paſſagepreiſes verpflichten müſſen.
Die Löſung der Sclavenfrage iſt ſowol für die Inſel wie für das Mutterland eine Sache von ſchwerwiegender Bedeutung. Auf der einen Seite bedroht wirthſchaftlicher Ruin die erſte und ſchwere Schädigung das letztere, wenn die Sclaverei plötzlich abgeſchafft wird, auf der andern iſt das jetzt gehandhabte Syſtem, wo Neger und Kulis wiſſen, daß man ihnen entgegen den Geſetzen ihre Freiheit vorenthält, auch nicht auf die Dauer haltbar. Es führt zu maſſenhaften Deſertionen, Aufruhr, Niederbrennen der Zuckerfelder und Fabriken, zur Bildung von Räuberbanden und Ermordung von Weißen. Nur die genaue Ausführung der be - ſtehenden Geſetze unter ſcharfer Controle der Regierung, ſowie wirklich freie Arbeit der Kulis, wie in den engliſchen Colo - nien, vermag einen Uebergang zu beſſeren Verhältniſſen herbei - zuführen, wenngleich derſelbe vorausſichtlich nicht ohne Convul - ſionen ſich vollziehen wird.
Wie ich ſchon bemerkt habe, empfing man uns in Ha - vannah ſehr entgegenkommend, auch von Seiten der Behörden, und wie überall, wo wir geweſen, fühlten wir auch hier, welches hohe Preſtige das Jahr 1870 und ſeine Folgen dem deutſchen Namen auch jenſeits des Oceans verſchafft hatte.
Auf dem ſpaniſchen Flaggſchiffe, der Dampffregatte „ Gerona “, wurde uns ein glänzender Ball gegeben, zu dem ſich der ganze Damenflor der vornehmen Havannah verſammelte, und bei der Danſa, jenem langſamen wiegenden Walzer, der eigends für liebeathmende Creolinnen erfunden zu ſein ſcheint, trug mancher junge Nordländer eine Herzenswunde davon, die ihm die gluthvollen Augen ſeiner lieblichen Tänzerin ſchlugen. In den ſpaniſchen Seeofficieren fanden wir ſehr ſympathiſche380WernerKameraden und ein von uns gegebener Ball auf dem „ Friedrich Karl “befeſtigte das angebahnte freundliche Verhältniß. Wie wunder - bar oft das Schickſal ſpielt! Kurz vor unſerem Abgange von Havannah war die Nachricht eingetroffen, daß König Amadeus die Krone niedergelegt hatte, ohne jedoch in der Colonie im entfernteſten den Eindruck zu machen, den man von ſolchem Ereigniſſe erwarten durfte. Wenige Monate ſpäter wurden vom „ Friedrich Karl “den Intranſigenten drei ſpaniſche Kriegs - ſchiffe abgenommen, um ſpäter der legitimen Regierung wieder ausgeliefert zu werden. Wer von uns hätte das an jenem Ballabende gedacht?
So ſchön und geſund das Klima von Havannah in den Wintermonaten iſt, ſo gefährlich wird es namentlich Fremden im Sommer. Gar oft wüthet dann das gelbe Fieber erbar - mungslos und rafft Tauſende hinweg. Eine größere Reinlichkeit und beſſere Handhabung der Geſundheitspolizei würde eine Wandelung zum Beſſeren in dieſen Verhältniſſen herbeiführen, allein daran iſt kaum zu denken. Für alle hygieniſchen Maßnahmen fehlt den ſüdlichen Nationen die Energie und Schmutz in der einen oder anderen Form ſcheint von ihnen unzertrennlich zu ſein.
Gegen Ende März beabſichtigten wir unſere Fahrt nach dem Süden anzutreten, jedoch änderte ein telegraphiſcher Befehl unerwartet die ganze Reiſeroute. Infolge der Abdankung des Königs Amadeus war in Spanien die Republik proclamirt worden, die carliſtiſche Erhebung machte Fortſchritte, franzöſiſche Communards hatten ſich mit ſpaniſchen Revolutionären verbunden, wiegelten den Süden gegen die Regierung in Madrid auf und die überall in dem unglücklichen Lande auftretenden Unruhen ließen die Sicherheit der dort angeſiedelten Deutſchen gefährdet erſcheinen. Die Reichsregierung hielt es deshalb für nothwendig, letzteren durch Entſendung von Schiffen an die ſpaniſche Küſte Schutz zu gewähren und es wurden „ Friedrich Karl “, „ Eliſabeth “und das bereits im Mittelmeer ſtationirende Kanonenboot „ Delphin “dazu auserſehen.
381Nach Weſtindien und dem MittelmeerUnſer Geſchwader trat nach Empfang der neuen Segel - ordre alsbald ſeine Rückreiſe nach Europa an, aber es lag auf der Hand, daß der veränderte Reiſeplan nicht den ungetheilten Beifall auf den Schiffen fand. Die Ausſicht auf eine Reiſe um die Erde war für die Meiſten zu verlockend geweſen, als daß ein wahrſcheinlich ſehr langweiliger Wachtdienſt an der ſpaniſchen Küſte dafür Erſatz bieten konnte.
Wehmüthig wurde Havannah Adieu geſagt, und es ging oſtwärts, während der „ Albatroß “in Weſtindien blieb. Die Reiſe war nicht angenehm; wir trafen im Durchſchnitte nur ſchlechtes Wetter und wurden von den Wellen des atlantiſchen Oceans gehörig durchgeſchüttelt. Um unſere Kohlen zu ergänzen, liefen wir Horta auf Fayal an, ſahen es jedoch nur von außen, da wir, weil von Havannah kommend, Quarantäne halten mußten und blieben auch nur einen Tag.
In England trennte ſich die „ Eliſabeth “vom Geſchwader und ging direct nach Spanien. Der „ Friedrich Karl “war jedoch gezwungen mit den beiden andern Schiffen nach Wilhelmshaven zu ſegeln, theils um einige Reparaturen an ſeiner Maſchine vorzunehmen, theils im Trockendock den Boden zu reinigen. Es iſt das für Schiffe mit eiſernem Boden eine höchſt unan - genehme Zugabe, und bis jetzt iſt es mit durchſchlagendem Er - folg noch nicht gelungen, das Bewachſen des Bodens mit Muſcheln und Pflanzen zu verhindern. Namentlich in den Tropen findet letzteres mit rapider Schnelligkeit ſtatt und auch bei dem „ Friedrich Karl “war es in einer Weiſe geſchehen, daß derſelbe ein Dritttheil ſeiner Fahrgeſchwindigkeit einge - büßt hatte.
Man hat allerlei Farbeanſtriche mit Metallgiften verſucht, aber ſie haben immer nur auf kurze Zeit das Anſetzen ver - hindern können. Kupferbeſchlag iſt zu gefährlich, weil er mit unbedingter Sicherheit ſich von dem eiſernen Boden nicht iſoliren läßt und dann der entſtehende galvaniſche Strom ſehr ſchnell382Wernerdas Eiſen zerſtört. Neuerlich iſt man deshalb zu Zinkbeſchlag übergegangen, weil dabei jener Strom nicht das Eiſen ſondern das Zink angreift und letzteres ſich dann gelegentlich erneuern läßt. Die ſtete Oxydation des Zinks ſoll bei dieſem Verfahren deſſen Oberfläche ſchlüpfrig erhalten und das Anſetzen von Pflanzen und Thieren verhüten.
Anfang Mai 1873 traf das Schiff in Wilhelmshaven ein, um vier Wochen darauf wieder nach dem Mittelmeere auszu - laufen. Liſſabon war das erſte Ziel und wurde am 19. Juni erreicht.
Es giebt wenige Städte, deren äußere Erſcheinung einen ſo imponirenden Anblick bietet, wie Liſſabon. Die Hauptſtadt Portugals wetteifert darin mit Konſtantinopel, Stockholm, Venedig und Rio - de-Janeiro. Sie erhebt ſich am rechten Ufer des Tajo und etwa zwei Meilen oberhalb deſſen Mündung auf ſieben Hügeln und zeichnet ſich durch großartige und monumentale Gebäude aus. Ebenſo trägt die reiche und fruchtbare Umgegend mit ihren Ge - filden, Villen, Fabriken und Klöſtern nicht wenig dazu bei, die Reize der Stadt zu erhöhen, und die ſcharfgezackten Spitzen der Berge von Cintra mit dem gleichnamigen romantiſchen Kloſter, das König Ferdinand, der Vater des regierenden Königs Dom Luiz, zu ſeinem Wohnſitze erwählt, bildet einen prachtvollen Hintergrund des bezaubernden Panoramas.
Weſtlich von der Stadt, in der Nähe der Vorſtadt Belen mit ihrer ehrwürdigen Kathedrale, liegt auf einer Anhöhe der königliche Palaſt Ajuda. Es iſt ein mächtiges Gebäude, das beſtimmt war, durch ſeine Großartigkeit und Schönheit alle Paläſte der Welt in den Schatten zu ſtellen, aber es iſt un - vollendet geblieben und nur ein Viertel des urſprünglichen Planes iſt fertig geſtellt. Ajuda wurde begonnen, als Braſilien noch zu Portugal gehörte; nach deſſen Abfall fehlte es an Geld und man begnügte ſich mit der jetzigen Größe, die immerhin noch ganz bedeutend iſt.
383Nach Weſtindien und dem MittelmeerWir blieben nur wenige Tage vor Liſſabon, um Kohlen und Waſſer zu ergänzen, hatten aber die Ehre und Freude, den König Dom Luiz an Bord unſeres Schiffes zu ſehen. Sohn eines deutſchen Fürſten und ſympathiſch für Deutſchland eingenommen, beehrte er den „ Friedrich Karl “mit einem länge - ren Beſuche, um die Exercitien unſerer Mannſchaften anzuſehen. Was wir ihm vorführten, fand ſeinen vollſten Beifall und dies war für uns um ſo ſchmeichelhafter, da der König vor ſeiner nicht erwarteten Thronbeſteigung Seeofficier war und wir ſein Urtheil als ein competentes anzuſehen hatten.
Am 25. Juni wurde die Reiſe fortgeſetzt und zunächſt in Malaga ein längerer Aufenthalt genommen. Die ſpaniſchen Intranſigenten hatten die politiſche Maske abgeworfen und ſich in ihrer wahren Geſtalt gezeigt. Unter Führung flüchtiger franzöſiſcher Communiſten, hatten ſie in Sevilla wie in Alcoy ſchreckliche Greuelthaten begangen und womöglich die Pariſer Communards noch übertroffen. Es war gebrannt und geplündert worden, man hatte Menſchen in Petroleum getränkt und dann ihre Kleider angezündet.
In Malaga befindet ſich die größte deutſche Colonie an der ſpaniſchen Küſte. Es wohnen dort über 200 Deutſche, die einen ganz bedeutenden Theil des ſtädtiſchen Handels in Händen haben. Wurde Malaga der Schauplatz ähnlicher Scenen wie Alcoy, ſo ſtanden wichtige deutſche Intereſſen auf dem Spiel und unſere Landsleute bedurften deshalb hier in erſter Reihe des Schutzes. Und dieſer erſchien um ſo mehr geboten, als Malaga die Autorität der Cortes nicht mehr anerkannte und unter Caravajal, einem Volkstribun, der es mit den Intranſi - genten hielt, aber keiner der ſchlimmſten war, einen eigenen Canton bildete.
Während der vierzehn Tage, die wir in Malaga zubrachten, blieb jedoch alles ruhig. Jeder ging ſeinen Geſchäften nach und Caravajal begnügte ſich, mäßige Kriegsſteuern auszuſchrei -384Wernerben, dann und wann die Freiwilligen, welche in Stelle des verjagten regulären Militärs getreten waren, zu muſtern oder mit einem Gefolge von Straßenjungen auf einem Eſel durch die Stadt zu reiten und ſich vom niederen Volk bewundern zu laſſen. Er war ein ſtattlicher, ja man kann wol ſagen ein ſchöner Mann und gar oft konnte man von Frauenlippen die Worte hören: „ bendita sea la madre, que te parió! “— „ geſegnet ſei die Mutter, die Dich geboren! “— eine Huldigung, die der Tribun mit freundlichem Nicken entgegennahm. Sonſt kümmerte ſich eigentlich Niemand viel um ihn. Es herrſchte vollkommene Ruhe und auch die Deutſchen ſelbſt glaubten nicht an eine ernſtliche Störung derſelben, um ſo weniger, als die Regie - rungstruppen begannen, etwas Energie in Unterdrückung der communiſtiſchen Bewegungen zu entwickeln. Unter Zurücklaſſung der „ Eliſabeth “und des „ Delphin “ging deshalb der „ Friedrich Karl “weiter oſtwärts, um die übrigen Hafenſtädte Spaniens zu beſuchen und die deutſche Flagge zu zeigen, und zwar zu - nächſt nach Barcelona. Auch dort herrſchte wie in Malaga Ruhe, ſo daß bis auf weiteres keine Gefährdung der Deutſchen zu fürchten war.
Nach achttägigem Aufenthalte ſteuerten wir nach Tarragona. Hier befanden ſich zwar nur zwei Deutſche, unſer Conſul und ſein Aſſocié, aber faſt der geſammte Exporthandel der Stadt ruhte in ihren Händen. Sie ſind die Beſitzer einer Weinfabrik, wie ſie in ſolcher Bedeutung wol kaum wieder zu finden iſt. Tarragona iſt ganz von Weinbergen umgeben, deren ſämmtliche Erträge vom deutſchen Conſul gepachtet ſind, in ſeinen Kellern und Etabliſſements verarbeitet werden und mit den verſchieden - ſten Marken daraus hervorgehen. Um einen Begriff von der Größe dieſes Geſchäfts zu geben, ſei erwähnt, daß daſſelbe in den letzten drei Monaten für 1 ¼ Million ſpaniſcher Thaler Wein ausgeführt hatte. Das Wort „ Weinfabrik “klingt bei uns zwar etwas anrüchig, iſt es aber in Spanien nicht. Man385Nach Weſtindien und dem Mittelmeerbearbeitet dort auch den Traubenſaft in der verſchiedenſten Weiſe, aber was man ihm zuſetzt, darf nur vom Weinſtock ſelbſt ſtammen — das iſt der große Unterſchied zwiſchen Weinfabriken in Spanien und in manchen Orten Deutſchlands.
Von Tarragona ging es nach Valencia, wo wir am 21. Juli Morgens eintrafen. Zwei Tage vorher hatte ſich die Pro - vinz als unabhängiger Canton erklärt; Gouverneur und Militär hatten die Stadt verlaſſen, aber die Ruhe noch nicht weiter ge - ſtört worden. Auch meinte unſer Conſul, in den nächſten Tagen würden Stiergefechte ſtattfinden und ein ſolches Schauſpiel nehme jeden Spanier ſo gefangen, daß bis dahin und während deſſelben alle politiſchen Verhältniſſe vollſtändig in den Hinter - grund träten. Er ſelbſt, der einzige Deutſche am Orte, fürchte nichts für ſeine Perſon, und ſo beabſichtigten wir, nur einige Tage zu bleiben, als Mittags der engliſche Conſul und der Commandant des in Valencia liegenden engliſchen Aviſos „ Hart “bei uns an Bord erſchienen.
Sie theilten mir ein Telegramm des engliſchen Conſuls aus Alicante mit, wonach dieſer auf das dringendſte um ſo - fortige Entſendung des „ Hart “erſuchte. Der Canton Murcia, an deſſen Spitze ſich der General Contreras geſtellt, hatte aus ſeiner Hauptſtadt Cartagena, dem vornehmſten Kriegshafen Spaniens, am Tage zuvor die Panzerfregatte „ Victoria “unter rother Flagge nach Alicante entſandt, zunächſt den Anſchluß der Stadt an Murcia verlangt und nach Verweigerung dieſes An - ſinnens Geld und Waffen gefordert.
Aber auch dies war abgelehnt worden und infolge deſſen hatte der Commandant mit einem Bombardement gedroht. Dieſer Commandant war kein wirklicher Marineofficier, ſondern der Kapitän eines Handelsſchiffes. Als in Cartagena die Be - ſatzungen der Kriegsſchiffe gemeutert und ſich für Contreras er - klärt hatten, waren ſämmtliche Marineofficiere der rechtmäßigen Regierung treu geblieben und nach Madrid gegangen, ebenſoR. Werner, Erinnerungen. 25386Wernerdie meiſten Unterofficiere und ein Theil der Beſatzungen. Die Mannſchaft der „ Victoria “beſtand deshalb aus zuſammenge - würfelten und ziemlich unſauberen Elementen.
Infolge der Drohung war unter den Bewohnern Alicantes eine große Panik ausgebrochen, Alles geflohen, der Gouverneur mit der militäriſchen Beſatzung an der Spitze, und die Stadt wie ausgeſtorben, daher der Nothruf des engliſchen Con - ſuls nach Hülfe. In Valencia waren jedoch noch bedeutend mehr britiſche Intereſſen zu ſchützen als in Alicante; der „ Hart “konnte deshalb nicht entbehrt werden, andere engliſche Kriegs - ſchiffe waren nicht in der Nähe, und ſo wurde ich vom engliſchen Conſul officiell und ſchriftlich erſucht, den Schutz der Engländer in Alicante zu übernehmen, dagegen verpflichtete er ſich, unſern Conſul in Valencia gegen jede etwaige Unbill zu ſichern.
Ich glaubte dieſer Aufforderung nachkommen zu müſſen und ging infolge deſſen Nachmittags nach Alicante ab, während der engliſche Conſul die bevorſtehende Ankunft des „ Friedrich Karl “dorthin telegraphirte. Meiner Anſicht nach, handelt es ſich dabei keineswegs um irgend eine politiſche Intervention oder um eine Einmiſchung in die inneren Verhältniſſe eines fremden Landes, ſondern lediglich um die Abwehr eines piratiſchen oder wenigſtens eines gegen das Völkerrecht verſtoßenden Actes, zu der jeder Commandant eines Kriegsſchiffes eo ipso verpflichtet iſt. Ein Kriegsſchiff war durch Meuterei ſeiner Beſatzung in die Hände einer ſich eine politiſche Partei nennenden Bande von Communiſten übergegangen; es war von Officieren und Mannſchaften beſetzt, die kein Mandat irgend einer rechtmäßigen und anerkannten Regierung hatten, führte eine unbekannte Flagge, ſuchte Geld zu erpreſſen und drohte, als dies mißlang, mit dem Bombardement einer offenen, wehrloſen Stadt.
Deshalb nahm ich keinen Anſtand, der Requiſition des engliſchen Conſuls nachzukommen und die Angehörigen einer be - freundeten Macht gegen die Angriffe einer Leben und Eigenthum387Nach Weſtindien und dem Mittelmeerfriedlicher Menſchen gefährdenden geſetzloſen Bande zu ſchützen. Die Cortes hatten zwar ſelbſt dieſe Schiffe als Piraten erklärt und die Kriegsſchiffe aller befreundeten Nationen waren durch einen Erlaß der Regierung in Madrid aufgefordert worden, jene aufzu - bringen, wo ſie ſie fänden, allein da die ſpaniſche Republik noch nicht officiell vom deutſchen Reiche anerkannt war, obwol ein deutſcher Geſchäftsträger in Madrid mit ihr officiöſe Beziehungen unterhielt, ſo hätte ich auf Grund dieſes Erlaſſes und ohne weitere Inſtructionen nichts gegen die Schiffe der Intranſigenten unternehmen können, hielt mich aber in Anbetracht der oben dargelegten Argumente dazu für berechtigt und verpflichtet. Ich ging deshalb mit der Abſicht nach Alicante, nicht nur das Bombardement nicht zu dulden, ſondern auch die „ Victoria “aufzubringen, wenn ich ſie unter rother Flagge träfe, und ſie unſchädlich zu machen. Dazu kam es jedoch nicht; denn als wir am andern Morgen früh vor Alicante anlangten, begegnete uns von weitem die „ Victoria “und zeigte ihre Flagge, aber nicht die rothe, ſondern die ſpaniſche. Da ich überdem nicht wußte, ob das angedrohte Bombardement wirklich ſtattgefunden, ſo fehlte mir jetzt ein legaler Grund zum Angriff und ich ließ ſie auf ihrem ſüdwärts gerichteten Wege paſſiren.
In Alicante ſelbſt erfuhren wir, daß das Telegramm des engliſchen Conſuls über die bevorſtehende Ankunft und Schutz - leiſtung des „ Friedrich Karl “die Sachlage ganz bedeutend ver - ändert hatte. Die Flüchtlinge waren größtentheils zurückgekehrt und die „ Victoria “hatte ihre Drohung, die Stadt zu bombar - diren, nicht ausgeführt, ſondern, im Bewußtſein ihres illegalen Treibens, es vorgezogen, ſich zu entfernen, jedoch noch einen auf der Rhede liegenden Aviſo, den „ Vigilante “, mitgenommen. Die „ Victoria “ſollte ſich nach Torre-vieja, einer kleinen auf dem Wege nach Cartagena liegenden Hafenſtadt, begeben haben, um dort ihre Erpreſſungen fortzuſetzen. Ich verließ deshalb Abends Alicante, wo von den Schiffen der Intranſigenten keine25*388WernerGefahr mehr zu befürchten war, dampfte die Küſte entlang nahe bei Torre-vieja vorbei, ohne indeſſen die „ Victoria “zu gewahren und traf am 23. Juli früh vor dem Hafen von Cartagena ein. Bei unſerer Annäherung fielen von dem Eingangsforts zwei blinde Schüſſe. Da ich ihre Bedeutung nicht kannte, hielt ich mich vorläufig einige Seemeilen von der Küſte entfernt und be - abſichtigte zunächſt, ein Boot in den Hafen zu ſchicken, um bei unſerem Conſul Erkundigungen über die Lage der Verhältniſſe einzuziehen und danach meine weitere Handlungsweiſe einzurich - ten. In Begriff dies anzuordnen, ſahen wir um die vor dem Hafen von Cartagena liegende Inſel Escombrero einen Aviſo biegen, der an der Gaffel eine rothe Flagge führte. Ich ver - legte ihm den Weg und ſchickte ein unbewaffnetes Boot an Bord, um anzufragen, was das für eine Flagge ſei und wer das Fahrzeug commandire. Die erſte Frage wurde mit „ Can - ton Murcia “beantwortet; ein Commandant konnte jedoch nicht nachgewieſen werden, vielmehr wurde als befehlende Behörde eine an Bord befindliche Deputation von fünf Perſonen be - zeichnet. Das Fahrzeug war der Tags zuvor von der „ Vic - toria “bei Alicante fortgenommene Aviſo „ Vigilante “, führte zwei Geſchütze, hatte fünfzig bewaffnete Menſchen ohne Uniform oder militäriſche Organiſation als Beſatzung und kam von Torre - vieja, wo es 72,000 Realen erpreßt hatte.
Hier lag nach meiner Auffaſſung eine dem Begriffe See - raub zum Verwechſeln ähnliche Handlung eines Schiffes vor, die unter keinen Umſtänden geduldet werden durfte, da ſie allen Regeln des Völkerrechts widerſprach. Die Thatſache ließ keine verſchiedenen Auslegungen zu und fiel unter das Rubrum „ See - polizei “, die ex officio von jedem Kriegsſchiffe auszuüben iſt. Andererſeits hielt ich es aber auch aus dem Grunde für meine Pflicht, dieſem Unweſen ſofort und energiſch entgegenzutreten, weil faſt in allen ſpaniſchen Hafenſtädten eine kleinere oder größere Anzahl Deutſche angeſiedelt waren, zu deren Schutz ich mit den389Nach Weſtindien und dem MittelmeerSchiffen nach dem Mittelmeere entſandt war und die gegen ſolche Erpreſſungen ſicher geſtellt werden mußten, da die legi - time Landesregierung außer Stande war, Schutz zu gewähren. Ich brachte daher das Fahrzeug auf, belegte es mit Beſchlag, ließ die rothe Flagge herunterholen und die deutſche Kriegs - flagge ſetzen. Ein blinder Kanonenſchuß über Deck, als die „ Vigilante “Miene machte, zu entfliehen und in den Hafen zu laufen, hatte jeden weiteren Widerſtand beſeitigt und die Sache ging ſehr ruhig vor ſich, wenigſtens auf dem Waſſer.
Am Lande verlief ſie nicht ſo glatt. Nach einer Stunde kam der Sohn unſeres Conſuls aus Cartagena mit dem Be - richte an Bord, in der Stadt herrſche große Aufregung über die Wegnahme des „ Vigilante “und Contreras habe infolge deſſen Befehl gegeben, die ganze Familie des deutſchen Conſuls Spottorno, der ſelbſt nicht am Orte anweſend war, zu verhaften. Dies war wiederum ein völkerrechtswidriger Act, den ich nicht dulden durfte. Ich dampfte deshalb ganz nahe an den Hafen, ſchickte ein Boot mit einem Officier in die Stadt und ließ den Behörden durch den Sohn unſeres Conſuls mittheilen, daß ich, falls man der Familie des letzteren oder einem anderen Deut - ſchen das leiſeſte Unrecht zufüge, in den Hafen kommen und Repreſſalien ergreifen würde.
Der Hafen von Cartagena öffnet ſich ſeewärts in die Bucht von Escombrero, die öſtlich vom Eingange liegt. Er wird durch eine Reihe von Feſtungswerken gedeckt, von denen zwei oben auf den Höhen und vier unten am Strande erbaut ſind. Zwiſchen die beiden äußerſten Strandforts wurde unſer Schiff gelegt, die Breitſeiten ihnen zugekehrt und den Bug gegen den Hafen und die Stadt gerichtet. Von den beiden äußeren Forts war der „ Friedrich Karl “gegen 300, von den beiden inneren 600, vom Hafen gegen 1000 Meter entfernt und konnte von der ganzen Stadt aus geſehen werden, was bisher, ſo lange er ſich in der Bucht von Escombrero befand, nicht der Fall war. 390WernerDas Schiff war natürlich klar zum Gefecht gemacht, und auch dies konnte den Landbewohnern nicht entgehen und zeigte ihnen den Ernſt der Situation. Es ließ ſich nicht leugnen, daß die Lage inmitten der ſechs Feſtungswerke etwas ſtark vorgeſchoben war, wenn es zum Kampfe kam, allein die Verhältniſſe geboten ſchnelles Handeln, und letzterem kamen verſchiedene günſtige Um - ſtände zu Hülfe. Die Forts datirten aus alter Zeit; man ſah ihnen ſchon von außen an, daß ſie vernachläſſigt waren und 21 Centimeter Granaten nicht wirkungslos von ihnen ab - prallen würden. Ebenſo war Grund zu der Annahme vor - handen, daß ſie nicht voll armirt und beſetzt ſeien, ſowie daß bei den politiſchen Zuſtänden in der Stadt ein energiſcher und erfolgreicher Widerſtand nicht erwartet werden konnte. Nach den erhaltenen Mittheilungen hatten auch alle anſtändigen Officiere der Beſatzung die Stadt verlaſſen; es fehlte die Disciplin unter den vorhandenen Truppen und ein energiſches Vorgehen erſchien deshalb angezeigt und zweckentſprechend. Dieſe Vor - ausſetzung erwies ſich in allen Punkten als zutreffend. In den Feſtungswerken zeigte ſich nirgends der Verſuch eines Wider - ſtandes und nicht einmal die Geſchütze wurden beſetzt. Die von Contreras angedrohte Verhaftung der Familie des Conſuls unterblieb und ich erhielt die Nachricht, es ſei den Deutſchen geſtattet worden, ſich an Bord des „ Friedrich Karl “zu begeben. Die im Hafen liegende „ Victoria “, ein Panzerſchiff von der Stärke und Bewaffnung unſeres „ König Wilhelm “, alſo dem „ Friedrich Karl “bedeutend überlegen, ſowie ein Raddampfer „ Fernando el Catolico “machten zwar Dampf, allein die Demon - ſtration verlief ſehr kläglich. Als unſer Schiff ſich mit geöff - neten Geſchützpforten den Molen näherte und ſich ſo legte, um jene Schiffe beim Verlaſſen des Hafens ſofort anzugreifen, be - ruhigte ſich ihr Eifer und ſie ließen die Feuer wieder ausgehen. Im Hafen lagen außerdem noch die Panzerſchiffe „ Numancia “, „ Mendez Nu[fi]ez “und „ Tetuan “, aber auf ihnen rührte ſich391Nach Weſtindien und dem Mittelmeernichts, und es ließ ſich daraus ſchließen, daß ſie keine Beſatzung hatten. Auf allen Schiffen ſowie auf den Feſtungswerken wehte ſtatt der ſpaniſchen die rothe Flagge, das neue Emblem des ſouveränen Cantons Murcia.
Während ſich dieſe Vorgänge abſpielten, kam der Comman - dant des engliſchen Kanonenbootes „ Pigeon “, welches als ein - ziges fremdes Kriegsſchiff auf der Rhede von Escombrero ankerte, zu mir an Bord, um ſich unter meinen Befehl zu ſtellen. Er theilte vollſtändig meine eigene Auffaſſung der Sachlage, daß wir es hier nicht mit politiſchen Parteien zu thun, ſondern nur Verſtöße gegen das Völkerrecht zu verhindern hatten, er hielt ſich deshalb verpflichtet, mit uns gemeinſam zu handeln und ſolidariſch für die bedrohten Intereſſen der Fremden in Spanien einzutreten. Nach einiger Zeit erſchienen drei Abge - ordnete der junta revolucional, wie ſich die oberſte Behörde des Canton Murcia nannte, auf dem „ Friedrich Karl “, um zu unterhandeln.
Unter der Deputation, welche an Stelle eines Comman - danten den Befehl über die „ Vigilante “geführt, befand ſich auch ein gewiſſer Galvez Arce, der eigentliche Anſtifter und Führer der ganzen revolutionären Bewegung von Cartagena. Er war ein einfacher ungebildeter Mann, der kaum ſeinen Namen ſchreiben konnte und ein unklarer Kopf, jedoch, wie wir erfuhren, jedenfalls einer der wenigen Republikaner, die es ehr - lich mit der von ihnen vertretenen Sache meinten und der beim niederen Volke in hohem Anſehen ſtand.
Wenngleich es von vornherein meine Abſicht war, nur das Schiff feſtzuhalten, dagegen die Beſatzung frei zu geben, weil kein unzweideutiger piratiſcher Act von ihr begangen war, der ihre gerichtliche Verurtheilung nothwendig machte und weil ich jeden Schein einer Einmiſchung in die Parteiverhältniſſe Spaniens vermeiden wollte, ſo bot doch die Gefangennahme von Galvez eine willkommene Gelegenheit, um an ſeine Freigebung392Wernergewiſſe Bedingungen zu knüpfen, die namentlich den Deutſchen in Cartagena und den übrigen Küſtenſtädten zu Gute kommen ſollten. Dieſe Bedingungen wurden in einem ſchriftlichen Ab - kommen formulirt und den drei Abgeordneten übergeben, um ſie der Junta zur Genehmigung vorzulegen. Die Junta war zwar keine vom deutſchen Reiche anerkannte, aber doch die augen - blicklich factiſche Regierung. Vermöge der Kriegsſchiffe, welchen die legitime Regierung in Madrid keine anderen entgegenzuſtellen vermochte, dominirte ſie an der ganzen Südküſte und die dort anſäſſigen Deutſchen und Fremden waren ihren etwaigen Ge - waltacten Preis gegeben. Es mußte alſo mit den Thatſachen gerechnet und wenn ſich eine Gelegenheit bot, ohne Blutvergießen ſolche Gewaltacte zu hindern und unſeren deutſchen Landsleuten wirkſamen Schutz zu gewähren, dieſe ergriffen werden.
Das Abkommen lautete ſeinem Sinne nach folgendermaßen:
1. Der Commodore Werner, Commandant S. M. Panzer - fregatte „ Friedrich Karl “, hat ſich genöthigt geſehen, den bewaff - neten Dampfer „ Vigilante “, auf Grund der von ihm geführten und den Kriegsmarinen nicht bekannten Flagge, mit Beſchlag zu belegen.
2. Der Herr Antonio Galvez Arce, Commandant (gefe) der „ Vigilante “, erkennt dieſe Beſchlagnahme als berechtigt an, jedoch wird Commodore Werner die Beſatzung des genannten Schiffes freilaſſen.
3. Herr Galvez und die übrigen Unterzeichner dieſes Ab - kommens (die Vertreter der Junta) verpflichten ſich, Leben und Gut aller Deutſchen oder ſonſtigen Fremden, die ſich in Carta - gena oder unter Jurisdiction des am letzteren Orte gebildeten Wohlfahrtsausſchuſſes (junta de salud publica) befinden, zu reſpectiren.
4. Ebenſo verpflichtet ſich die genannte Junta, keines der gegenwärtig im Hafen von Cartagena vor Anker liegenden Kriegsſchiffe bis zum 28. d. M., bis wohin Inſtructionen der393Nach Weſtindien und dem Mittelmeerdeutſchen und engliſchen Regierung für „ Friedrich Karl “und „ Pigeon “eingetroffen ſein können, auslaufen zu laſſen.
5. Beide genannten Schiffe („ Friedrich Karl “und „ Pigeon “) ſowie andere, die etwa noch eintreffen ſollten, können, nach ihrer Wahl, entweder auf der Rhede von Escombrero oder im Hafen von Cartagena ankern und dürfen unter keinen Umſtänden in irgend welcher Weiſe von den Bewohnern des Landes behelligt werden.
An Bord der deutſchen Panzerfregatte „ Friedrich Karl “, den 23. Juli 1873.
Dieſes Schriftſtück wurde von der Junta ſowie von General Contreras, als Spitze der Militärbehörden, für bindend aner - kannt und einerſeits von mir und dem Commandant Trotter vom „ Pigeon “, andererſeits von den Deputirten der Junta, Moja, Sauvalle, Carvajal und Galvez, ſowie von dem ſtell - vertretenden deutſchen Conſul Spottorno unterzeichnet.
Infolge deſſen ſetzte ich Galvez mit der Beſatzung in Frei - heit und dämpfte damit die in der Stadt herrſchende Aufregung.
Der oben genannte Carvajal war der früher erwähnte Volkstribun von Malaga, und ich war ſehr erſtaunt, ihn in Cartagena wiederzuſehen, bis ich erfuhr, daß dort ſeine Herr - lichkeit ein jähes Ende gefunden hatte. Der neue in Malaga von der Cortes eingeſetzte Gouverneur Solier, ein energiſcher Mann, hatte Carvajal und ſeine Freiwilligen aus der Stadt zu drängen gewußt und dieſer hatte ſich nach Cartagena gerettet, um mit Hülfe der Kriegsſchiffe und in Verbindung mit der zurückgebliebenen Communiſtenpartei ſich am 24. d. M. Mala - ga’s wieder zu bemächtigen. Dies erfuhr ich noch vor Abſchluß der Verhandlungen aus ſeinem eigenen Munde. Er erzählte überhaupt ſehr unbefangen alles mögliche und ſagte mir unter anderem: „ Ich wollte heute mit „ Vigilante “, „ Victoria “und „ Fernando el Catolico “nach Malaga abgehen. “ Ich erwiderte, daß es mir leid thäte, ſeinem Vorhaben hindernd in den Weg394Wernertreten zu müſſen, aber gleichzeitig bewog mich dieſe Aeußerung noch den Paſſus 4 in das Abkommen mit aufzunehmen. Durch das Feſthalten der Schiffe wurde Carvajals Unternehmen bis auf weiteres vereitelt und der beſte Schutz gegen ſolche Aus - ſchreitungen gewährt, unter denen die Deutſchen am meiſten ge - litten hätten. Bis zum 28. hoffte ich präciſe Inſtructionen von Berlin aus zu erhalten und danach meine weiteren Maß - nahmen treffen zu können.
Die Annahme jener Bedingungen gab die Gewißheit, daß das den Behörden des Cantons Murcia gegenüber inne ge - haltene Verfahren ein zweckentſprechendes geweſen war. Der gezeigte Ernſt hatte ſie offenbar eingeſchüchtert, und im Intereſſe eines weiteren friedlichen Verlaufes der Angelegenheit kam es darauf an, ſie zwar einerſeits in keiner Weiſe zu provociren, andererſeits ſie aber in der Stimmung zu erhalten. Um ihnen zunächſt den Hauptſtein des Anſtoßes aus den Augen zu ſchaffen, wurde noch am ſelben Tage die „ Vigilante “mit einer Priſen - mannſchaft und unter deutſcher Kriegsflagge nach Gibraltar ge - ſchickt, um das Eintreffen weiterer Befehle von Berlin abzu - warten. Dort machte zwar der engliſche Gouverneur den Verſuch, das Schiff unter die Jurisdiction eines engliſchen Priſengerichts zu bringen, allein ohne Erfolg. Das eigenthümliche Anſinnen des Engländers wurde von dem commandirenden Officier der Priſe ebenſo höflich wie entſchieden abgelehnt und die letztere, auf Anweiſung des deutſchen Geſchäftsträgers in Madrid, ſpäter an den ſpaniſchen Conſul für die republikaniſche Regierung aus - geliefert, ſo daß ſie wieder in die Hände ihrer rechtmäßigen Eigenthümer gelangte. Auf dem Wege nach Gibraltar lief die „ Vigilante “Almeria an, wo die „ Eliſabeth “lag, und über - brachte ihr meinen Befehl, nach Cartagena zu kommen, da die Sachlage doch möglicherweiſe ihre Anweſenheit nöthig machen konnte. Sie traf dort am 24. Juli Abends ein, mußte indeſſen ſchon am andern Mittag wieder nach Cadix entſandt werden,395Nach Weſtindien und dem Mittelmeerda ſich die Communiſtenpartei unter Salvochea dieſer Stadt zu bemeiſtern drohte und der deutſche Conſul auf das dringendſte um die Hülfe eines Kriegsſchiffes bat.
In Cartagena ſchien man inzwiſchen durch die Fortnahme der „ Vigilante “doch etwas vorſichtiger geworden zu ſein. Bei Gelegenheit der Verhandlungen hatte ich die Erklärung abge - geben, daß ich jedes bewaffnete Schiff unter rother Flagge fort - nehmen würde, und das hatte Contreras wol bedenklich gemacht, um ſo mehr als nun auch noch die „ Eliſabeth “eingetroffen war. Am 25. Juli Morgens war deshalb auf allen Feſtungswerken und Kriegsſchiffen im Hafen die rothe Flagge verſchwunden und die ſpaniſche, wenn auch ohne die Krone darin, die ſich mit der Republik nicht vertrug, wieder geheißt.
Damit fiel für mich ein Grund zur Aufbringung der Schiffe fort; doch ſchien Contreras ſeiner Sache nicht ganz ſicher zu ſein, denn am 28. Juli Morgens hatte er alle Con - ſuln zuſammenberufen und in ihrer Gegenwart den unſrigen ge - fragt, ob ich die Schiffe unter ſpaniſcher Flagge paſſiren laſſen würde. Ich hatte dieſe Frage vorausgeſehen und unſeren Con - ſul ſchon im Vorwege erſucht, dieſelbe eventuell dahin zu be - antworten, daß ich die Schiffe ſo lange unbehelligt laſſen würde, als ſie die internationalen Geſetze reſpectirten und keinem Deut - ſchen ein Unrecht zufügten. Contreras gab darauf das feier - liche Verſprechen, daß beides nicht geſchehen ſolle, und ich erfuhr, daß er am 28. abends, nach Ablauf der in unſerem Vertrage feſtgeſetzten Friſt, mit der Fregatte „ Almanſa “(60 Kanonen) und dem Panzerſchiff „ Victoria “(23 Kanonen), mit einer Ge - ſammtbeſatzung von 1400 Mann, nach Almeria und von dort nach Malaga abgehen würde.
Von der deutſchen Regierung waren bis zu dieſem Tage zwar keine weiteren directen Inſtructionen für mich eingetroffen, indeſſen hatte ich durch unſeren Geſchäftsträger in Madrid die Anweiſung erhalten, die Schiffe der Intranſigenten zu über -396Wernerwachen und nicht zu dulden, daß ſie Gewaltacte gegen ſpaniſche Küſtenſtädte begingen, wodurch deutſche Intereſſen gefährdet werden könnten.
Abends am 28. verließen die beiden Schiffe Cartagena. Contreras hatte ſich mit ſeinem Stabe und einem Deputirten der föderaliſtiſchen Minorität der Cortes, dem Advocaten Torre, auf der „ Almanſa “eingeſchifft und auf ihr die Admiralsflagge geheißt. Der Canton Murcia oder vielmehr alle föderaliſtiſchen Parteien copirten nämlich auch in allen Aeußerlichkeiten die franzöſiſche Revolution von 1789. So wurde z. B. in den Städten, wo ſie die Herrſchaft erhielten oder zu erhalten glaub - ten, ſofort ein Wohlfahrtsausſchuß gebildet und den Militärbe - fehlshabern ein Mitglied deſſelben als ad latus, d. h. zur Ueberwachung beigegeben. Bei Contreras verſah der genannte Torre dieſen Vertrauenspoſten.
Bei dem Auslaufen der Schiffe beſäumten Tauſende und aber Tauſende von Zuſchauern das Ufer und gaben ihnen unter donnernden Hurrahrufen und Muſik das Geleit.
Um ihre Herrſchaft zu feſtigen, bedurften die Intranſigenten vor allen Dingen einer Ausbreitung ihrer Machtſphäre und materieller Mittel, deren Mangel ſich bereits ſehr fühlbar machte. Die reichen Seeſtädte waren nach beiden Richtungen hin ſehr begehrenswerthe Objecte. Mit Hülfe der großen Kriegsſchiffe, denen die Regierung von Madrid zur Zeit nichts entgegenzu - ſtellen hatte, ließen ſich dieſe Städte, in denen ſich überall mehr oder minder zahlreiche Communiſtenparteien befanden, nach An - ſicht der Cantonaliſten leicht bewältigen, während der Mangel einer Militärmacht zu Lande eine ſolche Offenſive ausſchloß. Das lebhafte Intereſſe, welches die Cartagener an dem Aus - laufen der Schiffe nahmen, war deshalb ſehr erklärlich. Letztere bildeten die Hauptſtärke der Revolution und konnten allein die Mittel ſchaffen, um dieſe zu nähren; ohne die Schiffe mußte ſie bald zuſammenbrechen.
397Nach Weſtindien und dem MittelmeerGleichzeitig mit Contreras verließ ich mit dem „ Friedrich Karl “die Rhede von Escombrero, ging mit vollem Dampf zwiſchen beiden Schiffen hindurch und ſetzte Curs auf Malaga, da ſich in Almeria keine Deutſchen befanden und mich deshalb die etwaigen Maßnahmen des Generals dort nichts angingen.
Am 29. Juli Mittags traf ich in Malaga ein und fand die Stadt in größter Aufregung. Laut telegraphiſcher Nachricht war Contreras mit beiden Schiffen vor Almeria erſchienen und hatte, unter Androhung eines Bombardements, die Proclamirung der Provinz als unabhängigen Canton und eine Contribution von vier Millionen Realen verlangt. Bei einer verſuchten Landung waren jedoch ſeine Leute von der regierungstreuen und tapferen Beſatzung Almeria’s zurückgeſchlagen worden und er hatte begonnen, die offene Stadt zu bombardiren. Daſſelbe Schickſal ſollte er Malaga angedroht haben, weil der dortige Gouverneur Solier mit ſeinen Milizen die Anhänger des nach Cartagena entflohenen Carvajal gründlich geſchlagen, theilweiſe zu Gefange - nen gemacht hatte und dieſe, ſowie den ohne weitere Umſchweife aufgehobenen Wohlfahrtsausſchuß auf einem Regierungsdampfer nach Ceuta hatte deportiren laſſen. Dies war am 25. geſchehen, d. h. an dem Tage, wo „ Victoria “und „ Vigilante “ſich unter Beiſtand der Communiſtenpartei der Stadt Malaga bemächtigen ſollten, war aber durch unſere Blockade des Hafens von Car - tagena vereitelt worden.
In der Nähe von Malaga befinden ſich zwar einige alte Strandbefeſtigungen, doch waren dieſelben theilweiſe gar nicht armirt und jedenfalls nicht im Stande, mit irgend welchem Er - folg die ſonſt offene Stadt gegen ein Bombardement der Schiffe zu vertheidigen. Die Deutſchen hegten deshalb große Beſorgniß; jedoch konnte ich ſie, auf Grund meiner Inſtructionen, vollkommen beruhigen und ihnen die Zuſicherung geben, daß ich ein Bom - bardement der Stadt nicht dulden und außerdem die Schiffe ſofort angreifen würde, ſobald ſie anderweitig Leben oder Gut der Deutſchen gefährdeten.
398WernerAm 31. Morgens kam die engliſche Panzerfregatte „ Swift - ſure “vor Malaga an. Die Inſtructionen des Kapitän Ward lauteten ähnlich wie die meinigen, und da er auch die Anſicht theilte, daß man es hier nicht mit politiſchen Parteien, ſondern mit Raubgeſindel zu thun hätte, ſo machte er mir den Vor - ſchlag, gemeinſam dieſem geſetzloſen Treiben entgegenzutreten und Malaga vor einem ähnlichen Schickſale, wie es Almeria be - troffen, dadurch zu bewahren, daß wir die Schiffe der Intranſi - genten zwangsweiſe nach Cartagena zurückescortirten und ſie dort ſo lange blokirten, bis wir von unſeren Regierungen Verhal - tungsmaßregeln für ihre weitere Behandlung empfangen würden. Für den Fall der Widerſetzlichkeit wollten wir die Schiffe nehmen und ſie nach Gibraltar bringen. Ich acceptirte dieſen Vorſchlag; das Abkommen wurde ſchriftlich formulirt und da ich der Anciennetät nach der ältere Officier war, ſtellte ſich der „ Swiftſure “unter meine Befehle.
Wir forderten den Kapitän der vor Malaga liegenden franzöſiſchen Panzercorvette „ Jeanne d’Arc “auf, mit uns ge - meinſame Sache zu machen, jedoch lehnte er dies mit dem Bemerken ab, ſeine Inſtruction gebiete ihm die Beobachtung der ſtricteſten Neutralität. Als am Nachmittage die Nachricht eintraf, die Schiffe ſeien nach dem Bombardement von Almeria nach Motril, einer nur noch zehn Meilen von Malage entfernten Stadt geſegelt, hätten dort ebenfalls, unter Androhung von Ge - waltmaßregeln, große Geldſummen erpreßt und befänden ſich auf dem Wege nach Malaga, dampfte die „ Jeanne d’Arc “merk - würdiger Weiſe nach Cadix ab. Dies Verfahren des Franzoſen gab zu denken und erweckte den Anſchein, als begünſtige Frank - reich die Intranſigenten, die man in Spanien ſchon ganz offen als Parteigänger von Don Carlos bezeichnete.
Am 1. Auguſt mit Tagesanbruch gingen „ Swiftſure “und „ Friedrich Karl “in See, um die Schiffe aufzuſuchen. Kaum hatten ſie die Anker gelichtet, als ſie auch ſchon in vier399Nach Weſtindien und dem MittelmeerSeemeilen Entfernung von Malaga die auf den Hafen zu - ſteuernde Fregatte „ Almanſa “, mit der Flagge von Contreras im Top erblickten. Die beiden Panzer nahmen ſie in die Mitte, dampften auf ſie zu und heißten auf etwa 2000 Meter Entfer - nung Flagge, ohne daß dies jedoch erwidert wurde. Wenn ein Kriegsſchiff einem anderen die Flagge zeigt, ſo verlangt die internationale Höflichkeit, daß letzteres daſſelbe thut. Geſchieht dies nicht, ſo iſt dies eine Nichtachtung, die kein Admiral oder Commandant ſich gefallen laſſen darf.
Auf der „ Almanſa “ſchien man offenbar den Kopf ver - loren zu haben, als man plötzlich unſere beiden Schiffe aus dem Morgennebel emportauchen ſah, und gleichzeitig documen - tirte ſich das ſchlechte Gewiſſen in der Unſicherheit des Steuerns. Bald lag die Fregatte landwärts, bald ſeewärts, aber zeigte noch immer keine Flagge. Ich ließ deshalb aus dem vorderen Geſchütz des „ Friedrich Karl “eine 21 Centimeter Granate dicht vor den Bug der „ Almanſa “feuern, eine Mahnung, die ſie auch augenblicklich verſtand, denn die ſpaniſche Flagge flog jetzt blitzſchnell in die Höhe. Gleichzeitig hoffte ich, die In - tranſigenten durch den ſcharfen Schuß zu überzeugen, daß ich inzwiſchen meine Anſichten nicht geändert hätte und ihnen ſcharf auf die Finger ſehen würde. Er ſchien auch in dieſem Sinne die beabſichtigte Wirkung nicht zu verfehlen, denn die „ Al - manſa “ſtoppte die Maſchine und wir liefen mit unſeren Schiffen bis auf Rufweite hinan. Als meine Frage, ob ſich General Contreras und ein Deputirter an Bord befände, be - jaht wurde, erſuchte ich beide an Bord des „ Friedrich Karl “zu kommen. Statt deſſen erſchien ein Landofficier, um mir mitzutheilen, der General könne, da keine Fallreepstreppe aus - gehängt ſei, wegen ſeiner großen Leibesſtärke nicht kommen. Ich ließ dieſe Entſchuldigung jedoch nicht gelten, wiederholte den Befehl und gab, um den General über unſere Abſichten nicht in Zweifel zu laſſen, dem Officier eine ſpaniſche Ueberſetzung400Wernerdes zwiſchen Kapitän Ward und mir getroffenen Ueberein - kommens zur Aushändigung an ſeinen Vorgeſetzten. Trotzdem erſchien Contreras nicht, ſo daß ich mit Anwendung von Ge - walt drohen mußte, für den Fall, daß er in zehn Minuten nicht an Bord ſei.
Der „ Friedrich Karl “hatte ſich inzwiſchen der „ Almanſa “bis auf fünfzig Schritte genähert; es wurde Generalmarſch ge - ſchlagen und die Leute eilten an die Geſchütze. Das half! die ultima ratio ſchien überzeugende Beweiskraft zu beſitzen, denn die Treppe wurde jetzt ſchleunigſt ausgeſetzt und Contreras er - ſchien alsbald mit drei Adjutanten und dem Deputirten Torre. Der General war wirklich außerordentlich dick und unbehülflich und konnte kaum unſere Fallreepstreppe heraufklettern. Als er das Deck des „ Friedrich Karl “betrat, war er vollſtändig er - ſchöpft und ſein erſtes Wort lautete: „ una silla “(ein Stuhl). Jedenfalls ſtrafte er das alte Wort Lügen, daß dicke Leute keine Verſchwörer ſeien.
Kapitän Ward, der inzwiſchen zu mir an Bord gekommen, und ich empfingen ihn am Fallreep. Um meiner Sache ganz ſicher zu ſein, richtete ich zunächſt die Frage an ihn, wohin er mit der „ Almanſa “wolle und wo die „ Victoria “ſei. Ich er - hielt die Antwort: „ Nach Malaga “, auch die „ Victoria “ſei dorthin beſtimmt und müſſe bald eintreffen.
Darauf theilte ich dem General nochmals mündlich mit, was Kapitän Ward und ich über ſeine Schiffe beſchloſſen und eröffnete ihm gleichzeitig meine Abſicht, ihn ſelbſt bis zur weite - ren Entſcheidung meiner Regierung als Geißel an Bord zu be - halten, um die Gewähr zu haben, daß den Deutſchen in Carta - gena kein Leid geſchähe. Bei Gelegenheit der „ Vigilante “- Affaire habe er bereits den Befehl zur Verhaftung der Familie des Conſuls ertheilt und ihn nur auf meine Drohung, die Stadt zu bombardiren, wieder rückgängig gemacht. Sodann habe er in Gegenwart aller Conſuln das Verſprechen gegeben, nicht401Nach Weſtindien und dem Mittelmeergegen internationale Geſetze zu handeln und keinen Deutſchen zu ſchädigen. Dennoch ſei zwei Tage danach die offene Stadt Al - meria von ihm bombardirt worden und Malaga daſſelbe Schick - ſal zugedacht geweſen. Nach dieſen Erfahrungen könne ich meine Landsleute nur dadurch gegen Wiederkehr ſolcher völker - rechtswidrigen Maßregeln ſchützen, daß ich ihn bis auf weiteres als Geißel zurückbehielte.
Contreras proteſtirte ſehr heftig gegen meine Anordnungen, nannte ſich das Oberhaupt und den Repräſentanten Spaniens und zeigte ſich ungemein hochfahrend. Ich nahm jedoch weiter keine Notiz von ſeinem Verhalten, das ſich übrigens ſehr bald von ſelbſt änderte. Gegen ſieben Uhr kam nämlich die „ Vic - toria “in Sicht, und wenn ich auch nach den gemachten Er - fahrungen keine Gegenwehr erwartete, ließ ich doch aus Vorſicht den „ Friedrich Karl “wieder klar zum Gefecht machen. Als nun der Generalmarſch ertönte, die Mannſchaften auf ihre Stationen eilten, die ſchweren Granaten in unmittelbarer Nähe des Generals auf den Geſchoßkarren zu den Geſchützen ge - fahren wurden, ſchwand auf einmal ſeine bis dahin zur Schau getragene ſittliche Entrüſtung. Trotz ſeiner Unbehülflichkeit, ſprang er ſehr lebhaft von dem Stuhle auf und bat mich ſehr dringend, an Bord der „ Almanſa “fahren zu dürfen, um der „ Victoria “Signal zu geben, daß ſie nicht feuere. Obwol ich nun dieſe Beſorgniß keineswegs theilte und den Intranſigenten nicht den Muth zutraute, den ihr Vorgeſetzter dämpfen zu müſſen glaubte, ſo geſtattete ich dennoch das Anſuchen des Generals, nachdem er mir — und zwar ohne von mir dazu veranlaßt zu ſein — freiwillig ſein Ehrenwort gegeben hatte, nach Aus - führung des Signals ſofort wieder zurückzukehren. Das Signal wurde gemacht, nach vieler Mühe auf der „ Victoria “ver - ſtanden und dieſe heißte eine weiße Flagge, d. h. ſie ſprach die Bitte aus, keine Feindſeligkeiten gegen ſie zu eröffnen. UmR. Werner, Erinnerungen. 26402Werneruns gleichzeitig zu überzeugen, welchen Reſpect ſie vor uns habe, dippte ſie vor jedem unſerer Schiffe wieder dreimal die Flagge, wie beim Auslaufen aus Cartagena, als ich die Linie durchbrach. Obwol dann beide Schiffe auf meinen Befehl mit Curs auf Cartagena Kehrt gemacht und, von „ Friedrich Karl “und „ Swiftſure “escortirt, ruhig den vorgeſchriebenen Weg dampften, kam Contreras nicht zurück. Ich wartete bis Mittag und ſprach dann gegen den Deputirten Torre mein Erſtaunen über eine ſolche Auffaſſung des Ehrenwortes ſeitens eines Generals und Staatsoberhauptes aus. Torre ſuchte ihn auf jede Weiſe zu vertheidigen, verſicherte, daß er beſtimmt kommen würde und nur ein Mißverſtändniß vorliegen könne. Als der General aber um zwei Uhr noch nicht zurückgekehrt war, ſchickte ich ein Boot und ließ ihm durch einen ſeiner Adjutanten den Befehl überbringen, ſich ſofort auf den „ Friedrich Karl “zurück - zubegeben. Dieſem Befehle gehorchte er auch, aber ohne ſich mit einem Worte zu entſchuldigen; ſein erſter Adjutant meinte, der General habe in der Zerſtreuung das Ehrenwort vergeſſen. Dies zur Characteriſtik eines Mannes, der ſich den Repräſen - tanten Spaniens nannte.
Wie richtig wir darin gehandelt hatten, die beiden Schiffe aufzubringen, ging aus einer unbewachten Aeußerung des Depu - tirten hervor. Er war ſehr lebhafter Natur und im Geſpräche mit einem unſerer Officiere entfuhr ihm der Ausruf: „ Wehe Malaga, wenn wir dorthin gekommen wären! “
Andererſeits war es wieder komiſch, ſeine Aufregung zu ſehen, als die Rede darauf kam, daß beim Erſcheinen eines Kriegs - ſchiffes der Centralregierung „ Victoria “und „ Almanſa “aus - geliefert werden würden. In größter Angſt ſtürzte er auf mich zu und beſchwor mich, ihn nicht an die Centralregierung aus - zuliefern, er ſtelle ſich unter deutſchen Schutz. Er war ſo exal - tirt, daß ich ihn kaum mit der Zuſicherung zu beruhigen ver -403Nach Weſtindien und dem Mittelmeermochte, es ſei nicht im entfernteſten meine Abſicht, ihn auszu - liefern, er könne vielmehr in Cartagena gehen, wohin er wolle.
Man ſieht, wes Geiſteskinder die Leiter der Intranſigen - ten waren.
In der darauffolgenden Nacht begegneten wir der eng - liſchen Mittelmeerflotte unter Befehl des Viceadmiral Yelverton, zu welcher auch der „ Swiftſure “gehörte. Kapitän Ward fuhr an Bord des Flaggſchiffes und meldete ſeinem Befehlshaber die von uns gethanen Schritte. Der Admiral billigte dieſelben vollſtändig, war jedoch der Anſicht, die Schiffe nicht im Hafen von Cartagena zu blockiren, ſondern ſie und ſämmtliche Waffen mit Beſchlag zu belegen, die Beſatzungen dagegen an Land zu ſchicken, was wir infolge deſſen auch zu thun beſchloſſen.
Am nächſten Tage fand zwiſchen „ Almanſa “und „ Fried - rich Karl “eine Colliſion ſtatt, bei der letzterem jedoch nur ein Boot ruinirt wurde, während die „ Almanſa “ſich ihr ganzes Vorgeſchirr zerbrach. Da ich Urſache zu der Annahme hatte, der Zuſammenſtoß ſei von der „ Almanſa “, wenn nicht abſicht - lich, ſo doch aus ſtrafbarer Nachläſſigkeit herbeigeführt, ſo änderte ich die Fahrordnung, gab beiden ſpaniſchen Schiffen die Weiſung, voranzudampfen und drohte ihnen, eine Granate über Deck zu feuern, ſobald ſie ſich wieder von dem aufgegebenen Curſe ent - fernten. Gleichzeitig befahl ich, die ſpaniſche Flagge zu ſtreichen und ſtatt derſelben die Quarantäneflagge zu ſetzen. Ich glaubte kaum, daß man dieſem Befehle ohne weiteres nachkommen würde und ließ deshalb beide Schiffe klar zum Gefecht machen, aber es wurde ohne Widerſpruch gehorcht, und ſo langten wir am 3. Auguſt Mittags auf der Rhede von Escombrero an.
Bei der großen Aufregung, welche ſchon die Fortnahme der „ Vigilante “in Cartagena hervorgerufen, konnten wir uns wol vorſtellen, welche Gefühle die der Revolution an - hängenden Bewohner der Stadt bewegen mußten, wenn ſie26*404Wernerdie beiden Schiffe, auf deren Miſſion ſie ſo große Hoff - nungen geſetzt, für ſich verloren ſahen. Dieſe ſollten ja nicht nur Geld und Waffen ſchaffen, ſondern auch die ganze Südküſte Spaniens, ſowie den zweiten Kriegshafen, Cadix, wo bereits zwiſchen Communiſten und Republikanern, und zwar nachtheilig für die letzteren, gekämpft wurde, gewinnen. Das war nun alles vorbei; die Truppen der Centralregierung mar - ſchirten heran, es fehlte an Waffen, Munition und vor allem an Geld. Alle wohlhabenden Bewohner Cartagena’s, 16,000 an der Zahl, waren geflohen, ſodaß nichts mehr erpreßt werden konnte, und ſo mußten die Cantonaliſten die Ueberzeugung ge - winnen, daß mit der Fortnahme der Schiffe der Anfang vom Ende gekommen ſei. Daß dieſe Ueberzeugung leicht dahin führen konnte, Repreſſalien an den Fremden zu nehmen, war nicht zu leugnen; es mußte deshalb unſererſeits dahin geſtrebt werden, ſolchen Folgen vorzubeugen.
So wie wir den Character der Intranſigenten kennen ge - lernt hatten, hielten Kapitän Ward und ich es für das Richtige, auch fernerhin eine unbeugſame Energie zu zeigen, um da - durch unſeren Zweck zu erreichen. Ehe wir noch ankerten, hatte ich eine längere Unterredung mit dem Deputirten Torre, um ihn auf die höchſt bedenklichen Folgen für die Stadt und ihre Bewohner aufmerkſam zu machen, die ein etwaiger Angriff auf die Fremden nach ſich ziehen würde. Dann ſandte ich ihn mit der Botſchaft an die Junta an Land, daß wir die Civil - und Militärbehörden für die Sicherheit der Fremden verantwort - lich machten und auf das Unnachſichtlichſte einſchreiten würden, wenn jene nicht den erwarteten Schutz fänden. Gleichzeitig wurden ſämmtliche Conſuln aufgefordert, allen Fremden, die ſich am Lande gefährdet glaubten, eine Zuflucht an Bord unſerer Schiffe anzubieten.
Wie Kapitän Ward und ich vorausgeſetzt, erfüllten unſere405Nach Weſtindien und dem MittelmeerMaßnahmen vollſtändig ihren Zweck. Der Deputirte hatte wol die Ueberzeugung gewonnen, daß die von uns in Ausſicht geſtellten, allerdings ſcharfen Maßregeln gegebenen Falles ohne Zögern zur Ausführung gebracht werden würden und ſchien dies den Behörden klar gemacht zu haben. Infolge deſſen blieben die Fremden unbehelligt und die Conſuln waren der Anſicht, daß ihre Schutzbefohlenen am Lande ſicher ſeien. Daß ich Contreras als Geißel an Bord behielt, übte jedoch weniger Einfluß, als wir anfänglich glaubten. Im Gegentheil war es für ihn ſelbſt gut, daß er vorläufig nicht an Land kam, da man ihm nicht traute und ſich das Gerücht ver - breitet hatte, es ſei ſeine Abſicht geweſen, die beiden Schiffe an die cubaniſchen Inſurgenten zu verkaufen.
Eine ſehr ſchwierige Aufgabe blieb uns jedoch noch: die Entwaffnung und Ausſchiffung der ſpaniſchen Schiffsmann - ſchaften. Es waren 1400 Mann, zur Hälfte Soldaten, wäh - rend „ Swiftſure “, „ Friedrich Karl “und die inzwiſchen einge - troffenen deutſchen und engliſchen Kanonenboote „ Delphin “und „ Torch “zuſammen nur wenig über 1100 Mann hatten. War das Niederholen der ſpaniſchen Flagge auf See auch wider - ſtandslos vor ſich gegangen, ſo ſtand doch die Sache hier weniger günſtig. Die Schiffe lagen unter den Kanonen der eigenen Feſtung verankert; kaum 1500 Schritt davon entfernt im Hafen die ſpaniſchen Panzerfregatten „ Mendez-Nuñez “, „ Numancia “und „ Tetuan “, ſowie die Corvette „ Fernando el Catolico “; unter ſolchen Umſtänden eine Entwaffnung von 1400 Mann vorzu - nehmen, die noch im Beſitz von zwei unter Dampf befindlichen ſchweren Schiffen mit 83 Geſchützen waren, blieb immerhin eine ſehr ernſte Angelegenheit.
Bis jetzt hatten alle unſere Maßregeln zu dem erwarteten Erfolge geführt und den Beweis geliefert, daß wir den Charak - ter der Intranſigenten richtig taxirt. Kapitän Ward und ich406Wernerbeſchloſſen deshalb auf dem eingeſchlagenen Wege weiterzugehen. Zunächſt wurde bei unſerer Ankunft auf der Rhede jede Communication der Schiffe unter ſich, wie auch mit dem Lande durch Androhung der ſtrengſten Maßregeln unterſagt, um ge - meinſchaftliches Handeln unmöglich zu machen reſp. zu erſchweren. Ein Cordon von Wachtbooten umgab die Priſen und dieſen wurde verboten, ohne meine ſpecielle Erlaubniß irgend ein Boot zu Waſſer zu laſſen, während gleichzeitig die Commandanten den Befehl erhielten, die Geſchütze zu entladen und die Feuer in den Maſchinen zu löſchen. Beim Zuwiderhandeln gegen dieſe Befehle ſollten die Schiffe ſofort von uns beſchoſſen werden. Der Commandant der „ Victoria “, bis zur Inſurrection Kapi - tän eines Handelsſchiffes, hatte auch zum Stabe der „ Vigilante “gehört und war jetzt zum zweiten Male unſer Gefangener. Ich rieth ihm ſpeciell an, keinerlei Anlaß zur Unzufriedenheit durch Ungehorſam zu geben, da er ſonſt ſich dem Schickſal ausſetzte, möglicher Weiſe bald an der Raa zu hängen. Dieſe Ausſicht ſchien die beabſichtigte Wirkung nicht zu verfehlen und es fiel nichts vor, was ein ernſtes Einſchreiten unſererſeits nöthig ge - macht hätte.
Kurz nach dem Ankern bat eine Deputation der ſpaniſchen Schiffsbeſatzungen durch ihre an Bord des „ Friedrich Karl “befohlenen Commandanten um Erlaubniß, mit dem General Contreras ſprechen zu dürfen. Unter der Bedingung, Zeuge der Unterredung zu ſein, geſtattete ich es, und etwa ſechszehn Vertreter der verſchiedenen Chargen kamen an Bord. Sie hatten offenbar geglaubt, Contreras ſei in Feſſeln und Banden ge - ſchlagen und müſſe Hunger leiden, denn es war wahrhaft rührend zu ſehen, wie einer der Matroſen ihm ein Stück Brod und Wurſt brachte. Die Deputation überzeugte ſich jedoch bald, daß es ihrem Vorgeſetzten nicht ſo ſchlecht ging, wie ſie gefürch - tet. Ich hatte ihm das ganze geräumige Verwaltungsbureau407Nach Weſtindien und dem Mittelmeerdes Schiffes als Wohnraum überwieſen, er war mit ſeinem Stabe mein Gaſt und es freute mich, ſeine Erklärung den Leuten gegenüber zu hören, daß er materiell nichts entbehre; was das Uebrige betreffe, ſo ſei er der Gewalt gewichen und die weitere Entwickelung der Dinge müſſe ruhig abgewartet werden.
Durch unſeren Conſul erfuhr ich, daß ſich an Bord der Priſen nur noch für einen Tag Lebensmittel befänden; in dieſem Umſtande glaubte ich, eine bedeutende Hülfe für die Löſung der ſchwierigen Aufgabe zu erblicken, die Mannſchaften gutwillig zum Verlaſſen der Schiffe zu bewegen. Bevor die Deputation wieder an Bord der letzteren zurückkehrte, ſprach ich deshalb eindringlich mit ihr über die Verhältniſſe und ſuchte ihr die - ſelben klar zu machen. Ich betonte, wie es unerläßlich ſei, daß die Beſatzungen ohne Waffen ausgeſchifft würden; da es aber wol begreiflich ſei, wie ſchwer ihnen ein ſolcher Entſchluß werden müſſe, ſo wolle ich ihnen 24 Stunden Bedenkzeit, bis zum andern Abend fünf Uhr, geben. Dann aber müßten ſie unbedingt von Bord und es würde mir ungemein leid thun, Gewaltmaßregeln anzuwenden, nachdem bisher alles ohne Blut - vergießen abgegangen ſei, um ſo mehr, als ein Widerſtand ihrer - ſeits gegen unſere Uebermacht keinerlei vernünftigen Zweck haben würde. Ihr geſammtes Privateigenthum könnten ſie ungehindert mit von Bord nehmen, ſämmtliche Waffen müßten dagegen aus - geliefert werden. Kapitän Ward, der ebenfalls der ſpaniſchen Sprache mächtig war, redete in gleichem Sinne, und es ſchien, als ob unſere Worte den Eindruck machten, den wir von ihnen erhofften. Der nächſte Morgen ſchon brachte die Beſtätigung unſerer Vorausſetzungen. Mit Tagesanbruch wurde auf beiden Schiffen eine blaue Flagge geheißt, das verabredete Signal für das Eingehen der Beſatzungen auf die geſtellten Bedingungen. Der wohlwollende wenn auch ernſte Ton unſerer Anſprachen, die ſcharfe Ueberwachung während der Nacht durch die Patrouillen -408Wernerboote, das Abſchneiden jeder Communication und endlich das Ausgehen des Proviantes hatten ihre Wirkung gethan.
Als die Flaggen an den Toppen erſchienen, fühlte ich mich weſentlich erleichtert, daß alles ſo glatt abzugehen ſchien, aber immer noch blieben bedeutende Schwierigkeiten zu beſeitigen, da es ſich jetzt um die wirkliche Beſitznahme und um die Aus - ſchiffung der Mannſchaften handelte. Die Commandanten der beiden Priſen wurden an Bord des „ Friedrich Karl “beordert und erhielten die bezüglichen Befehle über den am zweckmäßig - ſten erſcheinenden Modus der Uebergabe. Zuerſt ſollte die „ Almanſa “evacuirt werden. Fünfzig deutſche und ebenſo viel engliſche Matroſen und Soldaten, unter Führung von je einem Officier, wurden beſtimmt, das Schiff zu beſetzen. Die ge - ſammte Mannſchaft ſollte vor Ankunft unſeres Detachements vorn auf dem Oberdeck ohne Waffen mit ihren Privatſachen und fertig zur Ausſchiffung angetreten ſein. Der Commandant wurde angewieſen, mit den Schlüſſeln zur Pulverkammer in der Hand, am Fallreep den commandirenden deutſchen reſp. eng - liſchen Officier zu empfangen, ihm die Schlüſſel zu übergeben, den Weg zu den Pulver - reſp. Bombenkammern zu zeigen und nachzuweiſen, daß alles in Ordnung ſei. Währenddem ſollten unſere Leute ſich mit ſcharfgeladenem Gewehr auf dem Hinter - deck aufſtellen und ſtarke Patrouillen die unteren Räume dahin abſuchen, daß ſich Niemand mehr von der Beſatzung dort auf - halte, da ſich Verzeichniſſe der Mannſchaft nicht an Bord be - fanden. Ebenſo ſollte von unſerem Maſchinenperſonal unter - ſucht werden, ob nicht irgendwo ein Ventil geöffnet ſei, um das Schiff voll Waſſer zu laſſen.
In dieſer Weiſe ging denn auch die Uebergabe ohne weitere Störung vor ſich. Unmittelbar nach der Beſitznahme wurden zwanzig Boote längſeit geſchickt, um die Mannſchaften aufzunehmen. Danach formirten die Boote zwei Reihen (je409Nach Weſtindien und dem Mittelmeerzehn); eine armirte Dampfbarkaſſe nahm je eine Colonne in’s Schlepptau, „ Delphin “und „ Torch “gaben mit zum Gefecht fertig gemachten Schiffe zu beiden Seiten das Geleit, „ Fried - rich Karl “und „ Swiftſure “lichteten Anker und legten ſich, ebenfalls gefechtsbereit, ganz nahe an den inneren Hafen, um anzudeuten, daß irgend welcher Widerſtand ſofort niederge - ſchlagen werden würde. Dieſe Maßregeln verfehlten die beab - ſichtigte Wirkung nicht. Die Boote landeten, unter dem ſtummen Zuſchauen der eingeſchüchterten Bevölkerung, die Mannſchaften an den Kaimauern der Stadt ohne irgend welche Unordnung und kehrten ungefährdet an Bord zurück.
Mit der „ Victoria “wurde dann ebenſo verfahren, jedoch ſchifften wir deren Mannſchaften nicht im Hafen, ſondern an der Oſtſeite der Bucht von Escombrero aus. Wir bemerkten nämlich, daß man von der Inſel Escombrero nach der „ Vic - toria “lebhaft ſignaliſirte und gleichzeitig ſchickte unſer Conſul Botſchaft, daß nach Ankunft der „ Almanſa “- Mannſchaften „ Mendez-Nuñez “und „ Fernando el Catolico “Dampf gemacht hätten und uns anzugreifen beabſichtigten.
Nach allem, was wir bis jetzt von den Intranſigenten ge - ſehen, konnte dies nur eine Bravade der Bevölkerung gegenüber ſein, jedoch hielten wir es für richtig, die Gemüther etwas ab - zukühlen. Das Kanonenboot „ Torch “wurde mit der ſchrift - lichen Warnung an den „ Mendez-Nuñez “in den Hafen ge - ſchickt, ſich nicht außerhalb ſehen zu laſſen, da wir jedes aus - laufende Kriegsſchiff ſofort angreifen und fortnehmen würden. Damit war die Komödie ausgeſpielt, denn die Schiffe ließen nach Empfang der Botſchaft die Feuer alsbald wieder ausgehen. Den Signaliſten auf der Inſel Escombrero legte ein ſcharfer Schuß aus einem Krupp’ſchen Ballongeſchütz ſchleunigſt das Handwerk, und als die kleine Granate in ihrer Nähe platzte, räumten ſie Hals über Kopf das Feld. Die Mannſchaften der26**410Werner„ Victoria “hatten von dem Ausſchiffungsorte mit ihren Kleider - ſäcken zwei Stunden auf ungebahnten Sandwegen zu marſchi - ren, ehe ſie Cartagena erreichten, und wir hofften ſie durch dieſe Strapazen ebenfalls abzukühlen, wenn ſie infolge der Sig - nale etwa Widerſtandsgedanken gehegt haben ſollten. Am andern Tage gab es nochmals eine kleine Aufregung. Der engliſche Conſul theilte Kapitän Ward mit, von Communiſten ſeien Flugblätter mit der Aufforderung zur Ermordung ſämmt - licher Conſuln unter das Volk vertheilt und er wünſche ſich an Bord des „ Swiftſure “einzuſchiffen. Der „ Torch “wurde deshalb in den Hafen geſchickt, um auch unſeren Conſul aufzu - nehmen, doch nur der engliſche Conſul mit ſeinen Damen ſchiffte ſich ein, der deutſche lehnte ab. Nach ſeiner Anſicht waren die wenigen in Cartagena zurückgebliebenen Einwohner — etwa 25,000 Menſchen hatten ſeit der Revolution die Stadt ver - laſſen — derart eingeſchüchtert, daß Niemand jener Aufforde - rung Folge leiſten würde und deshalb ſei für die Fremden nichts zu fürchten, was ſich auch voll beſtätigte.
„ Almanſa “und „ Victoria “ſahen innen ſchrecklich aus. Sie ſtarrten von Schmutz und es herrſchte auf ihnen eine kaum glaubliche Unordnung. Wir hatten ein paar Tage mit einigen Hundert Mann zu thun, um ſie nur einigermaßen zu ſäubern. Erſteres Schiff wurde von engliſcher, letzteres von deutſcher Seite bewacht.
Am 6. Auguſt erhielt ich Befehl, Contreras freizulaſſen; er ging in Cartagena an Land, aber ſeine Rolle war ausge - ſpielt. Der Boden ſchwankte ſchon unter ſeinen Füßen und die Tage der Intranſigenten waren gezählt. Die meiſten von „ Victoria “und „ Almanſa “entlaſſenen Matroſen hatten nach den gemachten bitteren Erfahrungen dem Canton Murcia den Rücken gekehrt und waren theils nach Madrid gegangen, um ſich dort reuig zu geſtellen, theils hatten ſie ſich in ihre411Nach Weſtindien und dem MittelmeerHeimath geflüchtet. In Cartagena fehlte es ſowol an Lebens - mitteln wie an Geld, in Valencia wie in Cadix waren die Communiſten geſchlagen und vertrieben, und ſo hatte die rothe Republik keine Zukunft mehr. Kurze Zeit darauf, als auch Cartagena von den Truppen der Centralregierung angegriffen wurde und bald darauf fiel, floh Contreras auf dem Panzer - ſchiffe „ Tetuan “nach Oran, indem er das Cartagena blocki - rende republikaniſche Geſchwader durchbrach. Seitdem iſt er verſchollen.
Zur Characteriſtik der Leiter der ſogenannten föderaliſti - ſchen Bewegung, die jedoch in der Nähe geſehen eine ſtarke communiſtiſche Prägung hatte, ſei noch Folgendes erwähnt. Contreras, unter Iſabella Feldmarſchall, war ein eidbrüchiger General, der ſowol ſeiner legitimen Königin als auch ſpäter dem König Amadeus die Treue brach und dem deshalb zweimal Stellung, Rang, Orden und Ehrenzeichen aberkannt wurden. Mir gegenüber brach er ſein Ehrenwort und ließ als einzige Entſchuldigung vorbringen, er habe es vergeſſen. Der ſoge - nannte Miniſter des Innern des Cantons Murcia, Sauvalle, mit dem wir öfter zu thun hatten, war ſeines Zeichens ein Commis und, wie wir ſpäter in Malaga hörten, dort vor wenigen Monaten von ſeinem Principal wegen Veruntreuungen entlaſſen worden. Der Präſident des Wohlfahrtsausſchuſſes in Cartagena, Gutierrez, war ein früherer Sclavenhändler, die wortführenden Rathgeber beſtanden zum großen Theil aus flüchtigen franzöſiſchen Communards. Was alſo Spanien für ein Loos gehabt hätte, wenn ſolche ſittlich verkommene Menſchen zur Herrſchaft gelangt wären, mag ſich Jeder ſelbſt ſagen, und im Intereſſe der Humanität und der Civiliſation kann man ſich nur darüber freuen, daß jene Bewegung verhältnißmäßig bald unterdrückt wurde, ehe ſie größeres Unheil anrichtete. In - dem der „ Friedrich Karl “ſeine Aufgabe erfüllte, die gefährde -412Wernerten, an der ſpaniſchen Südküſte anſäſſigen Deutſchen wirkſam zu ſchützen, wurde er unabſichtlich mit in die Bewegung hin - eingezogen und gezwungen, darin eine gewiſſe Rolle zu ſpielen, die allerdings mit dazu beitrug, die Sache der Intranſigenten zu Fall zu bringen.
Am 9. Auguſt 1873 erhielt ich den Befehl, mit dem „ Friedrich Karl “nach Gibraltar zu gehen, um dort durch den Kapitän zur See Prczewiſinsky abgelöſt zu werden. Ich über - gab deshalb die „ Victoria “an Kapitän Ward und führte den mir ertheilten Befehl aus. Wie bekannt, wurden die beiden Schiffe ſpäter von den Engländern nach Gibraltar gebracht und der Centralregierung ausgeliefert.
Pierer’ſche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
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