PRIMS Full-text transcription (HTML)
Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben
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Berlin1880.A. Hofmann & Comp.

Inhalt.

  • Seite
  • Eine erſte Seereiſe1
  • Die deutſche Marine 1848 1852144
  • Gründung144
  • Bewegte Zeit177
  • Auflöſung211
  • Ernſtes und Heiteres. Bilder aus dem Stillleben der deutſchen Marine229
  • 1. Auf der Weſer229
  • 2. In der Officiermeſſe250
  • Die Seejunker286
  • Mit der Panzerfregatte Friedrich Karl nach Weſtindien und dem Mittelmeer304
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Eine erſte Seereiſe.

Das deutſche Volk zeigt ein lebhaftes Intereſſe für maritime Angelegenheiten, iſt jedoch mit deren näheren Verhältniſſen im Allgemeinen nur ſehr unvollkommen vertraut und macht ſich von ihnen vielfach unrichtige Vorſtellungen. Den Meiſten erſcheint das Seeweſen von einem romantiſchen Nimbus umfloſſen, der namentlich auf jugendliche Gemüther einen ver - führeriſchen Reiz ausübt, deſſen Schimmer aber bei genauer Betrachtung bedeutend verblaßt. Die Wirklichkeit zerſtört dann mit rauher Hand ſo manche Illuſion, die den jungen Mann zur Wahl des ſeemänniſchen Berufs beſtimmt hat; ſie ſtreift von dem Bilde, das die Phantaſie mit leuchtenden Farben ge - ſchmückt, die glänzende poetiſche Hülle und es bleibt nur die nackte Proſa in der Geſtalt eines ſchweren Lebens voll Mühe, Arbeit und Entbehrungen. Wohl hat es nach gewiſſen Rich - tungen hin auch ſeinen hohen Werth; kein anderes iſt ſo ge - eignet, Charactere zu bilden, den Jüngling ſchnell zum Manne im beſten Sinne des Wortes reifen zu laſſen, in dem ſteten Kampfe mit den Elementen ſeine geiſtige und körperliche Kraft zu ſtählen, ſeinem Blicke eine weite Perſpective zu öffnen und ihm die großartigen Wunder der Schöpfung vor Augen zu führen; aber Freuden und Genüſſe, die nach gewöhnlichenR. Werner, Erinnerungen. 12WernerBegriffen das Leben verſchönern, weiſt das ſeemänniſche Fach nur wenige auf.

In der Kriegsmarine bietet ſich und namentlich in den höheren Officiersſtellen einiger Erſatz dafür, aber in der Handels - marine iſt das ſelten der Fall. Hier iſt auch für den Kapitän das Leben faſt nur eine ununterbrochene Kette von Mühſelig - keiten und ſchwerer Verantwortung. Er iſt abhängig von ſeinen Rhedern. Erwerben iſt ihre und überhaupt die Deviſe des Handels, dem die Schiffe dienen, und alles Uebrige tritt dagegen in den Hintergrund. Mit fliegender Haſt wird das von langer Reiſe zurückgekehrte Fahrzeug entladen und gefüllt, um ſchleunigſt wieder hinausgeſchickt zu werden über den weiten Ocean und mehr zu erwerben. Der Begriff der Heimath iſt deshalb für den Seemann der Handelsmarine faſt unbekannt; Häuslichkeit, Weib und Kind ſind für ihn nur flüchtige Erſcheinungen; in die Seligkeit des Wiederſehens miſcht der Gedanke an das ſo bald wieder bevorſtehende Scheiden bereits bittere Wermuthstropfen. Nur ſpärliche Stunden ungetrübten Glückes ſind ihm vergönnt und Jahre lang muß er auf einſamem Meere von der Er - innerung zehren.

Das Leben an Bord eines Kauffarteiſchiffes, wie es ſich in Wahrheit geſtaltet, iſt in weiteren Kreiſen wenig gekannt; unſere Literatur hat ſich mit dieſem Gegenſtande bisher faſt gar nicht beſchäftigt und doch bietet es ſo manche Momente, die all - gemeines Intereſſe verdienen. Wenn ich deshalb im Nach - ſtehenden die Eindrücke und Erfahrungen zu ſchildern verſuche, die ein junger Mann von Bildung auf einer erſten Seereiſe gewinnt, darf ich vorausſetzen, manchem Leſer etwas Neues zu bieten, ihm einen Einblick in die Eigenthümlichkeiten des See - weſens zu gewähren und gleichzeitig zur Richtigſtellung irriger Anſichten beizutragen. Das Leben an Bord von Handelsſchiffen hat ſich zwar ſeit jener Zeit, von der ich reden werde, in einigen Aeußerlichkeiten geändert und zwar zu Gunſten der Seeleute,3Eine erſte Seereiſeaber in ſeinen Grundzügen iſt es daſſelbe geblieben und das Bild, welches ich von ihm zu zeichnen gedenke, wird deshalb auch noch heute ſeine Geltung haben.

Mein Geburtsort iſt ein kleiner Marktflecken mitten im Lande und faſt hundert Meilen von der Meeresküſte entfernt. Wie ich dort eine beſondere Vorliebe für das Seeleben habe gewinnen können, weiß ich nicht; das Flüßchen, mit deſſen Waſſer ich getauft bin, kann kaum die Urſache geweſen ſein, denn es war ſo flach, daß nicht einmal ein Kahn auf ihm ſchwimmen konnte. Da ich indeſſen ſchon als Kind oft die Neigung zu meinem ſpäteren Berufe ausgeſprochen haben ſoll, ſo muß ſie wohl unabhängig von äußeren Einflüſſen in mir gekeimt haben. Später trugen die Seeromane von Cooper und Marryat das Ihrige dazu bei, jene Neigung zu befeſtigen und ließen in mir den unumſtößlichen Entſchluß reifen, zur See zu gehen. Seine Durchführung koſtete harten Kampf und ich fand im elterlichen Hauſe lange Zeit keine Unterſtützung meiner Ideen; der Vater wollte zuerſt durchaus nichts davon wiſſen und auch der Oheim ſchüttelte bedenklich den Kopf. Er war ein alter Theologe, der im elterlichen Hauſe eine wichtige Rolle ſpielte, da der Vater, ein viel beſchäftigter Beamter, ihm weſentlichen Antheil an der Kindererziehung überließ. Doch dieſe Wider - ſtände vermochten mich nicht von meinem Vorhaben abzubringen, ſondern beſtärkten mich im Gegentheil darin. Ich ſetzte meine Hoffnung auf die Mutter; ſie mußte und würde helfen, ſie, an der ich mit jeder Faſer meines Herzens hing, und der Vater mußte doch zuletzt auch ein wenig Sympathie fühlen, wenn er ſah, daß Character in mir wohnte. Und es kam ſo, die Mutter trat zuerſt zu mir über; mit blutendem Herzen zwar ſprach ſie zu meinem Gunſten, aber ſie that es. Der Vater1*4Wernergab nach und der alte treue Oheim, dem ich ſo viel verdanke, deſſen Andenken ich ſegne, wurde ebenfalls überwunden. Gott ſegne Dich und lenke Deine Schritte , das waren die letzten Worte der Mutter, als ich Abſchied nahm, und damit riß ich mich vom treueſten, beſten Herzen los, um fortan meinen Weg durch die fremde kalte Welt allein zu machen. Ich ging einer unbekannten Zukunft entgegen, ohne weiteren Halt, als mich ſelbſt, der ich kaum dem Knabenalter entwachſen war.

Mein Lebensweg iſt nicht leicht geweſen, oft habe ich ihn Schritt für Schritt mit großer Mühe und Noth erkämpfen müſſen, aber der Mutter Segen hat auf mir geruht. Mein Vater brachte mich nach Hamburg; er hatte Empfehlungen an eine große Rhederei erhalten und ſchon nach wenigen Tagen war ich auf einem Oſtindienfahrer untergebracht. Tags zuvor, ehe ich an Bord ging, um mich einzuſchiffen, reiſte mein Vater ab. Als er den Poſtwagen beſtieg Eiſenbahnen gab es in Deutſchland damals nur wenige und er mir mit zitternder Stimme das letzte Lebewohl zurief, da durchzuckte mich ein tiefer Schmerz. Es war, als ob ich gewaltſam von allem, was mir lieb und theuer, losgeriſſen wurde; ich war wie be - täubt und hätte ausrufen mögen Vater, nimm mich wieder mit Dir zurück! aber ich ſchämte mich meiner Schwäche und winkte nur mit thränendem Auge den Abſchiedsgruß. Der Poſtillon ſtieß in’s Horn, der Wagen rollte über das Pflaſter; dort hinter der Ecke verſchwand er, ich war allein und wandte meine Schritte zu dem Gaſthofe, wo wir Wohnung genommen hatten.

Dort fand ich meine inzwiſchen angekommene Seekiſte mit der Ausſtattung für die Reiſe vor und das gab meinen trüben Gedanken eine andere Richtung. Ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als den neuen Seemannsanzug zu probiren und kam mir in dem dunkelblauen wollenen Hemde mit weit über die Schul - tern zurückfallendem Kragen, dem loſe darumgeknüpften ſeidenen5Eine erſte SeereiſeHalstuche und der ſchottiſchen Mütze ganz intereſſant vor. Ziemlich ſelbſtbewußt machte ich einen Spaziergang am Hafen und hätte ſtatt der Mütze auch gar zu gern den Südweſter aufgeſetzt, jene Regenkappe von geöltem Segeltuch mit Nacken - ſchirm, die den Seeleuten bei ſchlechtem Wetter ſo gute Dienſte leiſtet, aber zu meinem Bedauern regnete es nicht und ich mußte mich heute ſchon begnügen, in meinem Aeußeren etwas weniger ſpecifiſch ſeemänniſch zu erſcheinen.

Der Abend verging, indem ich wiederholt mein neues Eigenthum muſterte, es ſorgfältig in der Kiſte lagerte und mit Behagen meinen bisherigen Civilanzug zu einem Packete for - mirte, um ihn nach Hauſe zu ſchicken. Trotz der wehmüthigen Gefühle, die mich bei dem Gedanken an die Heimath beſchlichen, empfand ich doch volle Befriedigung, am Ziel meiner ſeit ſo lange gehegten Wünſche angelangt zu ſein. Die hochfliegendſten und ehrgeizigſten Pläne entſtanden in meinem Kopfe, und ich ſchlief endlich ein, um die letzte Nacht auf dem Feſtlande zu - zubringen. Für lange Zeit ſollte es auch die letzte ſein, in der ich mich einer ungeſtörten Ruhe erfreuen durfte; meinen Zukunfts - träumen ſetzte aber ſchon der folgende Tag einen häßlichen Dämpfer auf.

Auf dem Comptoir der Rheder, wo ich meinen Lehrlings - contract unterzeichnete, hatte man mir mitgetheilt, daß ich am Morgen nach der Abreiſe meines Vaters an Bord zu gehen habe. Ich glaubte deshalb beſonders pünktlich zu ſein, als ich mich um acht Uhr auf dem Schiffe meldete, täuſchte mich aber. Ich wurde vom Kapitän auf ſehr unliebenswürdige Weiſe em - pfangen, und obwohl ich das von ihm geſprochene Plattdeutſch nur halb verſtand, hörte ich doch harte Vorwürfe heraus, daß ich nicht ſchon mit Beginn der Arbeitszeit gekommen ſei. Das war kein angenehmer Anfang. Mein Schiff hieß Alma . Es war eine nicht ſehr große Bark, d. h. ein dreimaſtiges Schiff, das nur an den beiden vorderen Maſten Raaen führte, während6Wernerſich am hinteren ſogenannte Gaffelſegel befanden, und hatte für ſeine Größe eine verhältnißmäßig ſtarke Beſatzung, welche außer dem Kapitän und den beiden Steuerleuten aus achtzehn Mann be - ſtand. Die Alma war Tags zuvor auf die Helling geholt, um mit neuen Kupferplatten beſchlagen zu werden. Die Helling iſt eine mit Bohlen oder Steinplatten belegte ſchiefe Ebene, auf der Schiffe gebaut werden. In früheren Zeiten reparirte man auch alte Schiffe auf den Hellingen; ſie mußten auf einem Schlitten, der ihnen im Waſſer untergeſchoben wurde, hinaufgewunden werden; das war ſchwere Arbeit und ſtrengte die Fahrzeuge ſtark an. Jetzt macht man es ihnen bequemer; man hat überall Docks, feſt gemauerte oder eiſerne ſchwimmende Baſſins mit Thüren. Die Schiffe werden hineingeholt, man pumpt nach Schluß der Thüren das Waſſer aus, und die in - zwiſchen abgeſtützten Fahrzeuge ſtehen trocken.

Ich war die hohe Leiter, die vom Lande bis zum Deck der Alma führte, hinaufgeklettert, meine Seekiſte aber unten im Regen ſtehen geblieben. Als der Kapitän mich entlaſſen hatte, ſah ich vergebens nach Hülfe aus, um die Kiſte an Bord zu bringen. Einige Leute der Mannſchaft arbeiteten in der Bemaſtung, ſonſt war Niemand da und ich ſtand ziemlich rath - los. Endlich kam ein älterer Mann mit bärbeißigem Geſicht und einer dicken Backe die Leiter herauf an Deck, wo ich herumirrte.

Wer biſt Du? fragte er mich mit ſo barſcher Stimme, daß ich ordentlich erſchrak. Ich nannte meinen Namen. Was willſt Du hier? fuhr er in demſelben Tone fort und natürlich wie Alle an Bord in plattdeutſcher Sprache. Als ich ihm mit - getheilt, daß ich als Lehrling an Bord gekommen ſei, erwiederte er So! nun, ich bin der Bootsmann des Schiffes und Du haſt mir zu gehorchen, das merke Dir. Als Bekräftigung dieſer Sentenz ſpuckte er eine Maſſe braunen Saftes aus und ich bemerkte, wie die dicke Backe plötzlich dünn wurde, dagegen7Eine erſte Seereiſedie andere anſchwoll. Anfänglich konnte ich mir dieſe wunder - bare Metamorphoſe nicht erklären, ſpäter entdeckte ich, daß ein rieſiges Stück Kautabak die Urſache war, welches von einer Seite des Mundes nach der anderen wanderte, ſobald der Bootsmann auf irgend eine ſeiner Reden einen beſonderen Trumpf ſetzen wollte.

Auf meine Bitte ließ er nun durch einige Matroſen meine Kiſte an Bord ſchaffen und wies mir in dem Mannſchaftsraume den Platz für jene und meine Coje an. Ich verſtand manches nicht, von dem, was er ſagte und fragte wiederholt; da verlor er die Geduld, was wir Schweizer wohl an Bord zu ſuchen hätten, wenn wir nicht einmal Plattdeutſch verſtänden, meinte er brum - mend. Er war nämlich der Anſicht, Hochdeutſch würde nur in der Schweiz geſprochen.

Mein zukünftiger Wohnraum techniſch das Logis genannt machte einen ſehr deprimirenden Eindruck auf mich und entſprach auch nicht meinen beſcheidenſten Erwartungen. Es lag in der vorderſten Spitze des Schiffes, im Bug und unter Deck, hatte die Form eines Dreiecks, war ſo niedrig, daß man nur gebückt darin ſtehen konnte und ſo eng, daß ein Umhergehen ſehr ſchwierig wurde. An den Wänden waren je zwei feſte Cojen übereinander gebaut, aber nicht 18 ſondern nur 16, ſo daß je zwei der vier Jüngſten, zu denen ich gehörte, nur ein Bett hatten. Die Kiſten ſtanden vor den Cojen; ſie und zwei Klapptiſche, ſowie eine von dem Deck herabhängende blecherne Oellampe mit zwei Flammen bildeten das einzige Mobiliar des Logis, das ſein Tageslicht durch die Niedergangs - luke erhielt. Eine weitere Umſchau war mir nicht geſtattet; denn kaum hatte ich meine Kiſte placirt und die vom Regen durchfeuchtete Matratze in die Coje geſtopft, als auch ſchon des Bootsmanns Stimme erſchallte. Meinen Namen mußte er wohl ſchon wieder vergeſſen haben, denn er rief mich Schweizer und nannte mich auch conſequent während der ganzen ſpäteren Reiſe ſo.

8Werner

Was thuſt Du ſo lange dort unten? fuhr er mich an, hier heißt’s arbeiten und nicht faulenzen. Nimm jenen Korb und ſuche die Spiker unter dem Schiffe zuſammen.

Ich hatte zwar keine Ahnung, was er mit Spikern meinte, war aber auch ſchon zu ſehr eingeſchüchtert, um zu fragen und kletterte ſchleunigſt die Leiter nach der Werft hinunter, wo ich auch von einem gutmüthigen Matroſen den gewünſchten Aufſchluß über den Befehl des Bootsmannes erhielt. Die Zimmerleute löſten die alten verbrauchten Kupferplatten vom Boden des Schiffes, und ich ſollte die bei dieſer Gelegenheit auf die Erde fallenden Kupfernägel aufſuchen, welche an Bord Spiker ge - nannt werden.

Die Arbeit behagte mir keineswegs; ich hatte mir den Anfang ſo ganz anders gedacht, aber ich war fleißig und ſelbſt der alte Bootsmann ſchien mit meinem Eifer nicht unzufrieden zu ſein, der mir bei der ungewohnten Beſchäftigung trotz des kalten Wetters die Schweißtropfen auf die Stirn trieb. Die Zeit zum Mittagseſſen kam; der Koch ſtand oben an der Leiter, klatſchte dreimal in die Hände und rief etwas, das mir wie Handſchuh ! klang, aber wie ich ſpäter erfuhr Handen ſchoon (Hände rein!) hieß. Ich mußte mich ſehr damit beeilen, denn ich wurde belehrt, daß das Signal mich als den Jüngſten ſpeciell angehe und ich die Speiſen von der Küche nach dem Logis zu tragen habe. Als dies geſchehen, gab der Koch ein zweites eigenthümliches Signal, diesmal aber mit einem, wenn auch nicht melodienreichen Geſange: Schaffen over all, ſchaffen unnen un boben, ſchaffen in Gottes Namen (Eſſen überall, eſſen unten und oben, eſſen in Gottes Namen) klang es mit lauter Stimme nach der Werft hinunter und die Leute ſam - melten ſich, um ihr Mahl einzunehmen. Daſſelbe war kräftig und gut; die Arbeit hatte Appetit gemacht, das Eſſen ſchmeckte mir vortrefflich und von dem auf meine Ration entfallenden Pfunde Fleiſch blieb nichts übrig. Die Unterhaltung dagegen9Eine erſte Seereiſemundete mir weniger; was ich davon verſtand, war ſo weit verſchieden von dem, was ich bisher gewohnt geweſen.

Nachmittags ſuchte ich wieder Nägel aus dem Schmutz; mein Cojenkamerad half mir dabei. Er war ein friſcher, netter Burſche in meinem Alter und ſtammte von der Inſel Föhr, wie faſt die ganze Beſatzung und der Kapitän ſelbſt. In damaliger Zeit ſtellten die Frieſiſchen Inſeln ein ſehr großes Contingent an Seeleuten für die Hamburger Schiffe; die meiſten Kapitäne waren von dort und zogen ihre Landsleute, Verwandte und Bekannte heran. Mein Bettgenoſſe hieß Heinrich Peterſen, der Kapitän Pay Anderſen, der Bootsmann Peter Hinrichſen, und außer dem Oberſteuermann und mir endeten alle Namen an Bord auf ſen. Heinrich hatte zwar auch noch keine Seereiſe gemacht, aber er war mehrere Wochen an Bord und auf ſeiner Heimathsinſel von Jugend auf mit dem Waſſer und mit Schiffen vertraut geweſen und beſaß deshalb ſchon eine Menge nautiſcher Kenntniſſe, um die ich ihn beneidete.

Nach Feierabend gingen die meiſten Leute an Land auf Urlaub. Ich blieb zurück; theilweiſe war ich nicht in der Stimmung, um irgend welches Vergnügen aufzuſuchen, theils hatte mich die Arbeit ermüdet und ich legte mich bald nach dem Abendbrode zur Coje. Ich fand die mit Seegras geſtopfte Matratze und das Kopfkiſſen zwar etwas hart, die ungewohnte wollene Decke kratzte und namentlich wollte mir das getheilte Bett durchaus nicht gefallen, aber trotzdem kam der Schlaf bald und feſt, das Vorrecht der Jugend.

Nach einigen Stunden wurde ich jedoch aus meinen Träumen geweckt und unſanft aufgerüttelt. Ich bekam die Nachtwache und mußte eine Stunde auf dem Deck ſein. Ein Schiff iſt nie ohne Wache; in See beſteht dieſelbe aus der Hälfte der Mannſchaft, im Hafen geht ein Mann Wache und wird ſtündlich abgelöſt, während die Seewache vier Stunden dauert.

10Werner

Es war eine ſchöne Herbſtnacht, der Mond ſchien hell und klar und goß ſein Licht auf die Thürme und Dächer der alten Hanſeſtadt, die ich von meinem hohen Standpunkte aus über - blickte. Der dunkle Elbſtrom glitt ſchweigend dahin und am Horizont zeichnete ſich der Maſtenwald der im Hafen liegenden Schiffe. Ueberall herrſchte Ruhe und Schweigen; ich war mit mir allein, da konnte es nicht ausbleiben, daß der verfloſſene Tag an meinem Geiſte vorüberzog und die empfangenen Ein - drücke ſich wiederſpiegelten. Ich kann nicht ſagen, daß ich irgend wie darüber Befriedigung empfunden hätte; Coopers und Marryats Romane hatten mir ſo ganz andere Anſchauungen vom Schiffsleben beigebracht, wie ich ſie heute verwirklicht geſehen. Als ich vor einigen Tagen mit meinem Vater durch den Hafen gefahren war, arbeiteten auf einem Schiffe Matroſen hoch oben in der Takelage. Indem der Vater auf den gefähr - lich ſcheinenden luftigen Sitz wies, fragte er mich Haſt Du noch Luſt, Seemann zu werden? Jetzt erſt recht , war meine Antwort geweſen, denn gerade das Gefährliche hatte mich ange - zogen und nicht erſchreckt, wie der Vater gehofft. Statt wage - halſigen Kletterns in der Bemaſtung, hatte ich jetzt den ganzen Tag am Lande alte zerbrochene Nägel ſammeln müſſen. Vom Kapitän war ich unfreundlich empfangen worden. Heinrich hatte mir geſagt, daß er als Seemann einen vorzüglichen Ruf habe, aber ſchroff und abſtoßend gegen ſeine Untergebenen und des - halb bei ihnen nicht beliebt ſei. Sein Geſichtsausdruck war ernſt, ja finſter und ich forſchte darin vergebens nach Wohl - wollen. Die Steuerleute hatten im Laufe des Tages faſt keine Notiz von mir genommen, der Bootsmann war barſch gegen mich geweſen. So hatten ſich meine Vorgeſetzten gezeigt; der Blick auf die Mannſchaften war nicht erfreulicher. Aus gebil - deter Umgebung, aus dem Kreiſe eines glücklichen Familienlebens war ich unter Menſchen geſchleudert und auf Jahre mit ihnen auf einen beſchränkten Raum zuſammengefeſſelt, die, das11Eine erſte Seereiſefühlte ich jetzt ſchon klar und deutlich, mir innerlich ſtets fremd bleiben mußten, da ich zu ſehr verſchieden von ihnen war.

Was ſollte daraus werden? Vor meinem geiſtigen Auge entrollte ſich eine düſtere Zukunft; die trübſten Gedanken ſtürm - ten auf mich ein. Ich wurde völlig muthlos, bereute bitter den Seemannsberuf erwählt zu haben und mein gepreßtes Herz machte ſich in einem Thränenſtrome Luft. Doch, dann trat mir wieder vor die Seele, wie mir das alles zu Hauſe vom Vater vorgeſtellt, wie nachdrücklich ich von ihm gewarnt war und trotz - dem jeden Hebel angeſetzt hatte, um meinen Entſchluß zur That zu machen. Nein! Mochte kommen was da wollte von Zurücktreten konnte und durfte keine Rede mehr ſein. Was ich begonnen, das wollte ich ſiegreich beenden oder dabei unter - gehen das war der Entſchluß, den ich, in der ſtillen Nacht - ſtunde faßte und durchzuführen mir feſt gelobte.

Der andere Morgen fand mich vorbereitet, allem Unge - wohnten und Schweren, das meine neue Laufbahn mit ſich brachte, friſch in das Geſicht zu ſehen und mich durch nichts entmuthigen zu laſſen. Zugleich aber war ich mir auch darüber völlig klar geworden, daß ich am heutigen Tage mit meiner Jugend abgeſchloſſen hatte. Sie lag mit ihren Freuden, ihrer Poeſie, ihren Hoffnungen und Illuſionen hinter mir vor mir nur das Leben mit ſeinem Ernſt, ſeiner Arbeit und den ſtrengen mitleidsloſen Anforderungen, die es an meine Perſon ſtellte.

Nach acht Tagen war das Schiff gekupfert und lief von der Helling ab.

Am andern Tage begann die Beladung des Schiffes, und damit ging ſeine ſonſtige Fertigſtellung für See Hand in Hand. Darüber verfloſſen vierzehn Tage und es wurde Anfang October bis wir alles zum Abſegeln fertig gemacht hatten. Das nächſte Reiſeziel war Batavia, ob noch andere Häfen angelaufen werden ſollten, blieb vorläufig unbeſtimmt; aller Wahrſcheinlichkeit nach konnte man auf eine Abweſenheit von über einem Jahre rechnen. 12WernerDieſe erſte Probezeit in Hamburg wurde mir ſehr ſchwer; aber getreu meinem gefaßten Entſchluſſe, lernte ich arbeiten, meine Kräfte anwenden und meine Aufmerkſamkeit auf die practiſche Seite des Lebens richten.

Der Tag der Abreiſe war gekommen und der Lootſe er - ſchien an Bord. Mit der eintretenden Ebbe warfen wir von den Pfählen los, an denen das Schiff im eigentlichen Hafen feſt gemacht war und holten es auf den Strom. Der Wind war ungünſtig; das enge und gewundene Fahrwaſſer geſtattete kein Laviren und da es zu jener Zeit noch keine Schleppdampfer gab, die jetzt bei ſolchen Gelegenheiten den Schiffen die Arbeit abnehmen, ſo trieben wir mit dem Strom, aber gegen den Wind die Elbe hinunter. Das war eine langweilige Sache; bisweilen konnten wir eine kleine Strecke ſegeln, doch die Ebbe brachte uns nur bis zur Rhede von Glückſtadt, dann trat die Fluth ein und wir mußten ankern.

Ich hatte inzwiſchen Gelegenheit gehabt, meine erſte Lection in der Seemannſchaft zu erhalten. Das Treiben eines Schiffes in einem ſchmalen Fahrwaſſer erfordert ſehr viel nautiſches Ge - ſchick; wer es verſteht, der kann überhaupt mit einem Schiffe manövriren. Die Dampfſchifffahrt hat dies Treiben meiſt auf - hören laſſen, aber im Intereſſe ſeemänniſcher Tüchtigkeit iſt es ſehr zu bedauern, denn es iſt damit eine vortreffliche und faſt unerſetzliche Schule für das Manövriren mit Segelſchiffen ver - loren gegangen. Unſer Lootſe, ein Mann in den Fünfzigern und der Typus eines wettergeſtählten Seemanns, verſtand die Sache aus dem Grunde. Mit ſtiller Bewunderung ſah ich, wie er die Alma durch die ſchwierigſten Paſſagen lenkte und namentlich imponirte mir die Ruhe und Sicherheit, mit denen er ſeine Befehle ertheilte. Mein Poſten war in ſeiner Nähe. Er mußte wohl bemerkt haben, mit welchem lebhaften Intereſſe ich den Bewegungen des Schiffes folgte und mir Urſache und Wirkung klar zu machen ſuchte, denn zu meiner großen, wenn13Eine erſte Seereiſeauch freudigen Ueberraſchung redete er mich unerwartet mit freundlichem Wohlwollen an und fragte, wonach ich ſo auf - merkſam ausſchaute.

Ich möchte mit einem Schiffe ſo manövriren können wie Sie , war meine Antwort. Sie ſchien ihm zu gefallen. Stelle Dich neben mich, ſagte er mir zunickend und wenn Du etwas nicht verſtehſt, ſo frage. Er gab mir dann eine Erklärung der folgenden Manöver in eben ſo knapper wie verſtändlicher Weiſe, ſo daß mir die Punkte, auf welche es ankam, vollſtändig klar wurden und ich in der kurzen Zeit ungemein viel lernte, was mir für meine ſpätere Laufbahn ſehr nützlich geweſen iſt. Der Weſtwind war am andern Tage ſtürmiſch geworden und da mit ihm nichts in der Nordſee zu machen war, warteten wir auf gutes Wetter. Wir mußten uns jedoch noch volle acht Tage gedulden, bis es eintrat, wenn ich es ſelbſt auch nicht be - dauerte, da der Lootſe, welcher wohl Gefallen an mir gefunden haben mußte, mich bei jeder Gelegenheit aufſuchte, um mit mir zu ſprechen und mich zu belehren. Mit welchem Eifer ich be - ſtrebt war, davon Nutzen zu ziehen, bedarf wohl kaum der Er - wähnung. Mein Verſtand ſagte mir, daß ich mich aus meiner untergeordneten Stellung, in der ich mich ſo unglücklich fühlte, um ſo ſchneller befreien würde, je eher ich in meinem Fache etwas Tüchtiges lernte und deswegen ſetzte ich meine ganze Energie daran, meine Wißbegier zu befriedigen.

Ich war jedoch dem Lootſen nicht allein für ſeine werth - volle Unterweiſung, ſondern auch dafür ſo dankbar, daß er ſich freundlich gegen mich zeigte, was mich um ſo wohlthuender be - rührte, als ſich bis jetzt Niemand von der Beſatzung mit Aus - nahme Heinrichs, meines Cojenkameraden, um mich gekümmert hatte. Kapitän und Steuerleute ſchienen mich nur als eine Arbeitsmaſchine zu betrachten; keiner von ihnen hatte ein gütiges Wort an mich gerichtet, und die Matroſen im Logis benutzten mich als den Jüngſten ebenfalls nur zu barſch geforderten14WernerDienſtleiſtungen. Wie oft biß ich die Zähne aufeinander, um meinen erregten Empfindungen nicht laut Luft zu machen, doch auch das hatte ſein Gutes, denn ich lernte mich ſelbſt zu über - winden und die meinem Character innewohnende Heftigkeit zu unterdrücken. Nur des Bootsmanns Benehmen änderte ſich allmälig günſtig für mich. Meine Willigkeit, allen mir ge - wordenen Befehlen ſo ſchnell und gut wie möglich nachzukommen, mochte dazu beitragen, ihn wohlwollender gegen mich zu ſtim - men, wahrſcheinlich aber auch der Einfluß des Lootſen. Ich wurde ſeiner Wache zugetheilt, zwar keineswegs geſchont, aber wenn er jetzt Schweizer rief, dann klang es nicht mehr ſo hart wie früher. Ich hörte öfter ein ermunterndes Wort und begann durchzufühlen, daß in der Bruſt des alten Seebären trotz der rauhen Schale doch ein warmes Herz ſchlug.

Endlich war der Wind müde geworden, ſtets aus derſelben Ecke zu wehen. Er ging in der Nacht ſüdlich, freilich links herum, durch Süden ſtatt durch Norden und der Lootſe meinte deshalb, er würde keinen Beſtand haben, aber der Kapitän wollte ſich die günſtige Brieſe nicht über den Kopf wehen laſſen und mit Tagesanbruch wurden die Anker gelichtet. In unſerer Nähe hatten ſich in den letzten Tagen wohl einige vierzig Schiffe angeſammelt, die ebenfalls in See wollten und nun mit uns die gute Gelegenheit benutzten.

Welches rege Leben herrſchte da ringsum auf der Waſſer - fläche und wie intereſſant war das Schauſpiel, eine ſo große Flotte ſich gleichzeitig in Bewegung ſetzen zu ſehen! Von allen Seiten ertönten in der hellhörigen Morgenluft die Commandos, das Klipp klapp der Ankerſpille, mit denen die Ketten einge - wunden, ſowie das Hoi ho! und der Geſang der Matroſen, nach deſſen Tacte die Segel geheißt oder andere Arbeiten verrichtet wurden. Vom Winde gebläht entfaltete ſich die weiße Leinwand an den Raaen und dieſe wurde in das Kreuz gebraßt, ſobald die Anker grade unter dem Schiffe ſtanden. Licht Anker! lautete dann der15Eine erſte SeereiſeBefehl; die Leute eilten an das Spill zurück und wiederum hörte man das Klipp klapp der Ankerwinden und das Hoi ho! der Matroſen. Glied für Glied und nur mit gewaltiger Kraft - anſtrengung wanderte die Kette durch die Klüſenöffnung im Bug des Schiffes herein auf das Deck, bis der Anker aus dem zähen Grunde gebrochen war und das Fahrzeug frei von ſeinen Feſſeln auf den Fluthen ſchwamm. Sofort folgte es dem Drucke der vorderen gegen den Wind geſtellten Segel, ſie wirkten wie ein Hebel und warfen den Kopf herum, bis die den andern Weg gebraßten Hinterſegel füllten. Dann war die Auf - gabe der Vorſegel gelöſt; ſie wurden mit den hinteren parallel geſtellt; die bis dahin noch unter den Raaen zuſammengefalteten Unterſegel fielen, das Schiff wurde mit Hülfe des Steuerruders auf ſeinen Curs gebracht und glitt vor der ſtrammen Briſe und in ſeinem Laufe durch die Ebbe beſchleunigt pfeilſchnell auf dem Strome dahin.

Von den übrigen Mitſeglern war bereits die Hälfte unter - wegs, aber unſere Alma zeigte ſich flink. Ihr Bug, ſcharf wie ein Meſſer, durchſchnitt faſt geräuſchlos das Waſſer; Hand über Hand lief ſie auf und ließ eines der Fahrzeuge nach dem andern hinter ſich. Platz für den Oſtindienfahrer ſchien ſie zu ſagen und ihre Flagge flatterte luſtig im Winde.

Der Seemann identificirt ſich mit ſeinem Schiffe; er em - pfindet deſſen Vorzüge als ſeine eigenen und triumphirt, wenn er einen Schnellſegler unter den Füßen hat, ſo wenig es ſein Verdienſt iſt. Das finſtere Geſicht des Kapitäns hellte ſich auf; die Leute ſcherzten mit gutmüthigem Hohn nach den Fahrzeugen hinüber, an denen wir vorbeiliefen und auch ich war in meinem Herzen bereits ſoviel Seemann geworden, um den Triumph mit zu empfinden.

Der Wind friſchte auf, wir liefen zehn Knoten, zwei eine halbe Meile, in der Stunde und paſſirten Mittags Cuxhafen. Das niedrige rechte Elbufer war bereits unſern Blicken ent -16Wernerſchwunden, auch das linke begann ſich allmälig unter den Horizont zu ſenken und der Thurm der Elbinſel Neuwerk er - hob ſich als letzter Wachtpoſten des Feſtlandes aus der ihn umgebenden Waſſerfläche. Wir ſchoſſen an dem innern Feuer - ſchiffe vorbei, das am Tage durch ſeine rothe Farbe und durch Kugeln auf den Spitzen der Maſten, ſowie Nachts durch weit leuchtende Laternen vor gefährlichen Sänden warnt; dann kam die in der Elbmündung verankerte Lootſen-Galliote in Sicht und wir hielten auf ſie zu. Die Lootſenflagge wurde bei uns im Vortop geheißt und auf dies Signal ſtieß ein Boot von der Galliote ab, um den Lootſen abzuholen. Die Unterſegel wurden fortgenommen, die Hinterraaen gegen den Wind gebraßt, das Schiff verlor ſeine Fahrt und trieb langſam auf das wartende Boot zu. Der Lootſe ſtand mittſchiffs an der Fallreepstreppe und nahm die Briefe in Empfang, die als letzte Grüße in die Heimath gingen. Auch ich brachte den meinigen; ich hatte viele Tage daran geſchrieben, aber ſein Inhalt verrieth nichts von dem, was ich fühlte und feſt in meiner Bruſt verſchloſſen hielt; die Meinigen ſollten glauben, daß ich in meinem Berufe glücklich und zufrieden ſei. Ihre Abſchiedsbriefe waren mit thränendem Auge oft von mir geleſen und die mir darin ge - ſandten Segenswünſche hatten meinen herben Schmerz gelindert; für lange, lange Zeit ſollten ſie mein einziger Schatz und mein Troſt in der Einſamkeit ſein.

Der Lootſe drückte mir warm die Hand. Kopf oben, mein Junge! ſagte er Du wirſt darüber fortkommen; er ſchien in meinem Herzen geleſen zu haben. Das Boot kam längſeit und er ging von Bord. Behaltene Reiſe! klang ſein ſeemänniſcher Abſchiedsgruß ſo einfache Worte und doch ſo vielſagend! Danke, danke Lootſe! war die Erwiderung der Beſatzung. Ein letztes Winken mit der Hand und das Boot flog dahin. Braßt voll! commandirte der Kapitän; die Hinterraaen flogen herum, und der Wind blähte wieder ihre17Eine erſte SeereiſeSegel, Fock und Großſegel wurden geſetzt und das Schiff zog hinein in die weite See, die fortan meine Heimath war.

Wir hatten von Tagesfrühe an mit Alle Mann tüchtig gearbeitet; es gab noch ſo manches für See in Ordnung zu bringen und feſt zu machen, damit es bei den zu erwartenden Bewegungen des Schiffes nicht umſtürzte. Jetzt, als wir auch das äußerſte Feuerſchiff und die rothe Tonne hinter uns hatten, welche die Mündung der Elbe kennzeichnet, war alles ſo weit fertig, daß die eine Hälfte der Mannſchaft entbehrt werden konnte. Backbordwache, ſo genannt nach Backbord, der linken Seite des Schiffes, während die andere Steuerbordwache heißt, erhielt Freiwache oder Wache zur Coje, wie ſonderbarer Weiſe der techniſche Ausdruck auf Handelsſchiffen lautet. Ich ging jedoch nicht unter Deck, ſondern ſtand vorn an der Bord - wand und ließ meine Blicke über die endloſe Fläche gleiten, die ſich vor mir aufrollte. Es war das Meer, das ich jetzt wirk - lich ſah, das Meer, nach dem mein Herz ſeit langen Jahren ſich geſehnt, das ungekannt dennoch einen ſolchen Zauber auf mich geübt, das mit geheimnißvoller Macht mich an ſich gezogen, bis ich endlich ſein eigen geworden war. Unbegrenzt, mit dem Himmel ſich verſchmelzend, lag es vor mir, zwar anders, wie meine Phantaſie mir ſein Bild gezeichnet, aber immer gewaltig und imponirend. Ich hatte ſo viel von ſeinen Schönheiten, ſeinen Wundern, ſeinen Schrecken geleſen, daß jetzt die Wirklichkeit meinen Vorſtellungen nicht entſprach. Vergebens ſchaute ich nach den ſich thürmenden Wellen, die ich mir vom Ocean unzer - trennlich dachte; nicht wallend und wogend zeigte ſich mir die dunkle Fluth, ſondern ruhig und friedlich breitete ſie ſich aus. Ich hatte vergeſſen, daß wir uns noch in nächſter Nähe der Küſte befanden, daß der Wind ſüdlich von ihr herüber wehte und deshalb kein Seegang aufkommen konnte. Eine Heerde Delphine umſpielte eine Zeit lang das Schiff, um nach Weſten zu bald wieder zu verſchwinden. Wo ſie hinziehen, dort wirdR. Werner, Erinnerungen. 218Wernerbald der Wind herkommen, ſagen die Seeleute und es trifft bisweilen zu.

Faſt alle Schiffe, mit denen wir am Morgen zugleich Anker gelichtet, hatten wir weit hinter uns gelaſſen und viele von ihnen ſchwammen nur noch wie weiße Punkte auf der Meeresfläche, die nicht mehr von dem gelblichen Waſſer des Elbſtromes getrübt wurde, ſondern eine lichte, grüne Färbung angenommen hatte, in der das Kielwaſſer unſeres Schiffes einen breiten ſilberſchäumenden Streifen zeichnete. Fern am nördlichen Horizonte tauchte Helgoland als bläulicher Hügel auf, doch nur einen Augenblick, dann ſenkte ſich ein grauer Wolkenſchleier herab, entzog es den ſpähenden Blicken, und ſehr bald verwan - delte ſich auch das Bild, in deſſen Anſchauen ich verſunken war.

Wir hatten bisher vor dem Winde geſegelt, der ſtoßweiſe und mit ſehr wechſelnder Stärke wehte. Der Himmel ſah nicht gut aus, auf hellgrauem Grunde ſchwammen dunkle kleine Wolken und jagten darüber hin, als würden ſie von einem Sturme gepeitſcht. Die Sonne hatte ſich den ganzen Tag nicht blicken laſſen, die Möven kreiſchten durchdringend und hielten ſich niedrig über dem Waſſer.

Das giebt keine gute Nacht, hörte ich den Bootsmann ſagen. Er war wieder an Deck gekommen, um ſich See und Himmel zu betrachten, freilich von einem praktiſcherem Stand - punkte aus, als ich. Ja meinte der von ihm angeredete Zimmer - mann ein Krümper*Wenn der Wind links herumgeht, ſo ſagen die Seeleute er krümpt. Gewöhnlich hat er dann keinen Beſtand und das Wetter wird ſchlecht. hält nicht lange vor, und die Blänke dort im Weſten wird bald ihr Geſicht zeigen. Kaum waren die Worte des Sprechers verhallt, als auf einmal alle Segel los - kamen und heftig zu ſchlagen begannen. Steuerbord Vor - braſſen! rief der Oberſteuermann vom Hinterdeck; die Segel ſollten ſchärfer an den Wind geſtellt werden.

19Eine erſte Seereiſe

Da haben wir es ſchon ſagte der Bootsmann und das Tabaksprümchen flog mit Gewalt in ſeinem Munde von Backbord nach Steuerbord, nun wird auch bald das Reefen*Verkleinern der Segel. hinterher kommen.

Der Zimmermann ging mit zum Braſſen; der Wind war auf Südweſt zurückgeſprungen und friſchte ſteif auf. Die kleineren Segel konnten grade noch ſtehen, aber der jetzt ſeitlich einkommende Winddruck legte das Schiff bedeutend über. Auch änderte ſich zu meinem Erſtaunen die ganze Scenerie um mich überraſchend ſchnell; die von mir vermißten Wellen waren, wenn auch nicht grade thurmhoch, da, als ſeien ſie hervor - gezaubert und wir mußten in einen Strich hineingelaufen ſein, wo ſchon länger ſtarker Weſtwind geſtanden hatte. Das bis dahin ſo ruhig liegende Schiff begann allerlei unerwartete Be - wegungen zu machen, die mir durchaus nicht behagten, ſo daß ich mich krampfhaft an einem Tau feſthielt und mit den Augen vergebens nach einem feſten Punkte am Horizonte ſuchte. Plötzlich ſtampfte die Alma tief in die See, ich verlor das Gleichgewicht, fiel auf das Deck nieder und ein gleichzeitig über den Bug kom - mender kräftiger Sprützer weichte mich gründlich in Salzwaſſer ein.

Nun Schweizer, wie gefällt Dir die Seefahrt? fragte mich der Bootsmann lachend. Die wahrheitsgetreue Antwort hätte gelautet: In dieſem Augenblicke herzlich ſchlecht , aber ſie blieb mir in der Kehle ſtecken oder flog vielmehr unaus - geſprochen mit noch anderen Dingen über Bord. Die See - krankheit hatte mich gepackt und zwar gleich ganz gehörig. Himmel, welches Daſein! über alle Maßen elend. Man hätte mich über Bord werfen können, ich würde mich nicht geſträubt haben, und dazu noch Spott von allen Seiten. Ich wollte hinunter und zur Coje, aber kaum hatte ich die feuchtwarme drückende Luft des Logis geathmet, da wurde es mir wie zum Sterben und trieb mich mit Gewalt wieder in’s Freie. 2*20WernerInzwiſchen war es Abend geworden, der Wind nahm zu, es dampfte tüchtig über den Bug und regnete außerdem noch. Auf der dem Winde abgekehrten Seite vom Großboote, in Lee hinter der Kombüſe*Küche., war eine Parthie Stroh aufgeſtapelt, das man zu irgend welchen Zwecken mitgenommen hatte. Hier fand ich ein einigermaßen gegen Wind und Regen geſchütztes Plätzchen und machte mir ein Neſt. Man hatte wol Erbarmen mit meinem Leiden und ließ mich ruhig liegen, ja in der Nacht deckte mich ſogar Jemand mit einem Stück getheertem Segeltuch zu und ich glaubte den Bootsmann zu erkennen. Vom Sonnabend bis Dienſtag, drei volle Tage, dauerte der ſchreck - liche Zuſtand; von dem was um mich her vorging, empfand ich nichts, ich hatte genug mit meiner eigenen trübſeligen Exiſtenz zu thun. Dann endlich wurde mir beſſer zu Muthe und ich erhob mich aus meinem Bivouak. Die Leute waren beim Mittageſſen, es gab weiße Bohnen und in der Kombüſe ſtand ein Reſt im Topfe. Sie erſchienen mir plötzlich ſehr ver - lockend; ich machte mich darüber her und es blieb nichts übrig, obwol es wol drei Rationen ſein mochten die Natur wollte ihr Recht haben. Meine Seekrankheit war gewichen; ich fühlte mich noch etwas matt, aber das ging bald vorüber und in wenigen Tagen waren mir auch die Seebeine gewachſen, d. h. ich hatte gelernt, bei den ſchwankenden Bewegungen des Schiffes mich im Gleichgewicht zu halten.

Das alte Seemannsſprichwort bezüglich der Richtung des kommenden Windes: Im Sommer die Bänke**Dunkle Wolkenſtreifen am Horizont., im Winter die Blänke, aus dem der Zimmermann ſeine meteorologiſche Prophezeiung abgeleitet, hatte Recht gehabt. Der aus der Blänke, d. h. aus einem hellen Streifen am Horizont des ſonſt gleichmäßig bedeckten Himmels gekommene Weſtwind hatte unangenehmen Beſtand. Bald war er ſehr ſteif, bald flaute21Eine erſte Seereiſeer etwas ab, aber er blies uns ſtets hartnäckig in die Zähne. Wir kreuzten, nach des Bootsmanns Anſicht, das Blaue vom Himmel herunter und die ewig ſcharf angebraßten Raaen ſcheuerten zu ſeinem Kummer trotz dickſter Bewickelung alle Wanten und Pardunen, wie die Haltetaue der Bemaſtung heißen, entzwei, ohne daß wir deshalb viel weiter gekommen wären. Wir hatten ſeit 8 Tagen die Elbe verlaſſen und erſt die Höhe der hollän - diſchen Küſte erreicht, worüber des Kapitäns Geſicht um nichts freundlicher ausſah. Die Mannſchaft wußte ſich jedoch über die verlängerte Dauer der Reiſe leichter zu tröſten. Der Monat dreht und der Koch packt auf lautet bei ſolchen Anläſſen ihre Lebensphiloſophie, d. h. die Gage läuft fort und an Eſſen fehlts auch nicht; das Uebrige kümmert ſie nicht, wenigſtens was die nautiſche Führung des Schiffes anbetrifft.

Der Matroſe raiſonnirt zwar ſehr gern und über alles mögliche an Bord, wobei ſtets das letzte Schiff, auf dem er diente, das höchſte Lob erhält, wenn er es auch noch ſo ſchlecht hatte, aber in die Navigation miſcht er ſich nicht und kritiſirt ſie nicht. Er hat einen ungemeinen Reſpect vor fachlichem Wiſſen und beugt ſich dieſem willig. Sein Vertrauen in die Fähigkeit des Kapitäns, das Schiff gut und auf dem beſten Wege an den Ort ſeiner Beſtimmung zu führen iſt oft wahr - haft rührend. Mag es bisweilen noch ſo bedenklich mit der Sicherheit ausſehen, und das Fahrzeug auf Haaresbreite am Strande vorbeigehen, der Matroſe legt ſich deshalb ruhig zur Coje und ſchläft die wenigen ihm vergönnten Stunden ohne alle Sorge. Der Alte wird es ſchon wiſſen wie er es macht denkt er bei ſich und wenn auch in dickem Wetter eine Küſte angeſegelt wird, ohne leichtſinniger Weiſe das Senkblei zu ge - brauchen, bis das Schiff hoch und trocken auf dem Strand ſitzt, glaubt er deswegen doch nicht an Unfähigkeit oder ſtrafbare Nachläſſigkeit des Alten , ſondern hält es für ein beſonderes Unglück. Mich kümmerte natürlich das langſame Vorwärts -22Wernerkommen auch nicht, wenngleich ich dabei nicht an das Drehen des Monats und das Aufpacken des Kochs dachte. Ich hatte ſo viel zu ſehen und zu lernen, daß mir die Zeit ungemein ſchnell verfloß. Ich mußte tüchtig heran, aber das war mir grade recht; ich wollte lernen, je mehr und je ſchneller, deſto beſſer.

Meine Schienbeine waren wund vom Erklimmen der Bramwanten, die nicht wie die übrigen Haltetaue der Maſten und Stengen ausgewebt, d. h. mit Strickleitern verſehen ſind. Es galt dann an den bloßen Tauen hochzuklettern um das Oberbramſegel, das höchſte im Schiff, los oder feſt zu machen, oder die Raa auf und nieder zu geben. Das geſchah nämlich ſeitdem ich nicht mehr ſeekrank war, täglich und zwar mußten mein Kamerad Heinrich und ich damit regelmäßig unſere Frei - wache erkaufen, er im Vortop, ich im Großtop. Der Kapitän, von deſſen erziehlichem Einfluß auf uns wir bisher wenig be - merkt, hatte dieſe Anordnung getroffen, um uns flink zu machen, und es läßt ſich nicht leugnen, daß das Mittel probat war. Nichts wird an Bord mehr geſchätzt als Ruhe und Schlaf und es gehört zu den täglichen Vorkommniſſen, daß ſowol der Matroſe wie der junge Officier ſich während der ihnen ver - gönnten kurzen Ruhezeit durch einen Kameraden wecken laſſen, nur um ſich zu ſagen, du kannſt noch ein bis zwei Stunden ſchlafen und im Bewußtſein dieſes Hochgenuſſes ſich auf die andere Seite zu wenden. Für uns Beide war natürlich der Schlaf grade ſo viel werth, und ſehr bald hatten wir das Manöver trotz der wunden Schienbeine in fünf Minuten hinter uns, ſo daß der Kapitän ſeinen Zweck völlig erreicht hatte.

Die Schienbeine waren es aber nicht allein, welche litten; durch das Ziehen an den von Salzwaſſer naſſen Tauen bekamen meine Finger tiefe Riſſe an den Seiten, und ich mußte manchen harten Stoß an Kopf und Körper verwinden, ehe ich lernte, mich geſchickt auf den beſchränkten Räumen des Schiffes zu23Eine erſte Seereiſebewegen aber ich verbiß die Schmerzen und jeder Tag brachte mich vorwärts. Nicht wenig trug dazu mein Verhältniß zum Bootsmann bei; daſſelbe geſtaltete ſich immer freundſchaft - licher, beſonders ſeitdem er merkte, daß ich gute Fortſchritte im Plattdeutſchen machte, wenngleich er mich deshalb doch Schweizer nannte. Er gab mir allerlei gute Rathſchläge, wie ich mich in dieſem oder jenem ſchwierigen Falle meines Faches zu ver - halten hatte, weihte mich in die Geheimniſſe des Langſpleißes, des Grummetſtroppes, des türkiſchen Knotens und anderer zur Zunft gehörigen künſtlichen Tauwerksarbeiten ein und war ſehr befriedigt, als ich den allerdings traurig mißlungenen Verſuch gemacht hatte, das Tabakskauen zu erlernen. Ich war danach ſo furchtbar ſeekrank geworden, daß ich eine halbe Stunde wie todt lag und mir feierlich gelobte, von ferneren Experimenten nach dieſer Richtung definitiv Abſtand zu nehmen.

Wir befanden uns auf der Höhe von Texel, d. h. nach Schätzung des Kapitäns, denn Sonne und aſtronomiſche Orts - beſtimmung hatten wir in der ganzen Zeit nicht gehabt. Das Loth war unſer einziger Wegweiſer geweſen und wie der Blinde mit dem Stock hatten wir unſern Weg nach der Waſſertiefe und Beſchaffenheit des Grundes, welchen das an ſeiner untern Fläche mit Talg armirte Loth heraufbrachte, fühlen müſſen. Das Wetter hatte ſich bisher verhältnißmäßig gehalten und nur ſelten brauchte ein Reff eingeſteckt zu werden, jetzt jedoch mehr - ten ſich die Zeichen, daß ein gehöriger Sturm im Anzuge ſei. Ueber die gleichmäßige graue Decke des Himmels jagten wieder dunkle zerriſſene Wolken; am Horizont ballten ſie ſich zuſam - men, ſo daß ſie wie Gebirgsmaſſen mit ſcharf geränderten Kuppen erſchienen. Der Wind begann ſtoßweiſe zu wehen und man hörte es oben in den Lüften rauſchen. Die See wurde unruhig, und der Barometer fiel ſtark. Das hätte nun alles noch hingehen mögen, aber das Schlimmſte war, daß der Zimmermann von Frauen, und der Koch von Pferden geträumt24Wernerhatte. Siehſt du Schweizer , ſagte der Bootsmann ich halte nicht viel von dieſen neumodiſchen Dingern; ich habe fünfzehn Reiſen nach Grönland und drei nach der Südſee gemacht und über 50 Wallfiſche harpunirt, aber wir haben nie einen Baro - meter gehabt. Wenn man dagegen von Pferden und Frauen - zimmern träumt, dann kannſt Du Dich darauf verlaſſen, dann giebt es auch was. Das trügt nie, und je älter und häßlicher die Frauenzimmer ſind, deſto toller fängt es an zu wehen das iſt ſo ſicher wie Amen in der Kirche , dabei flog das Prümchen nach der andern Seite, faſt mit einem hörbaren Ruck, wie beim Rekruten die Augen nach rechts.

Jedenfalls ſchien der Kapitän wenigſtens mit der Schluß - folgerung des Bootsmanns, daß es viel Wind gäbe, einver - ſtanden zu ſein, denn er ließ noch vor Abend die Marsſegel doppelt reefen, wodurch ſie beinah um die Hälfte verkleinert wurden, und das war nicht umſonſt geſchehen. Kurz vor Mitternacht ſchoß der Sturm aus Nordweſt aus und kam an mit Trom - meln und Pfeifen. Er fiel in die Segel und legte das Schiff auf die Seite, daß es ächzte und ſtöhnte. Er wühlte die See auf, und der über das ganze Vorſchiff ſprühende Giſcht leuchtete unheimlich durch die finſtere Nacht. Es mußten Segel geborgen werden, um das Schiff zu erleichtern, das unter ihrem Druck ſchwer in der See ſtampfte und dadurch ſehr in ſeinen Verbänden litt. Das Großſegel, das unterſte am Großmaſt kam zuerſt an die Reihe, dann der Klüver, ein dreieckiges Segel am Klüverbaum, der Verlängerung des ſchräg nach vorn hinausliegenden Bugſpriets. Heinrich und ich wurden hinausgeſchickt, um den Klüver feſt zu machen. Es iſt das eigentlich Matroſenarbeit, weil viel Kraft und Geſchick dazu gehört und bleibt dennoch bei ſchwerem Arbeiten des Schiffes gefährlich. Auf Kriegsſchiffen iſt deshalb unter dem Klüverbaum ein Netz ausgeſpannt, weil die See die Leute herabſchlagen kann. Auf Handelsſchiffen nimmt man nicht ſo viel Rückſicht und glaubte uns Beiden die ſchwere Aufgabe25Eine erſte Seereiſezumuthen zu dürfen, die wir körperkräftig und überdem durch die täglichen Oberbramſegel-Exercitien genügend flink gemacht waren. Wir ſelbſt empfanden natürlich einen berechtigten Stolz über das uns geſchenkte Vertrauen und gehorchten auf das ſchnellſte dem uns gewordenen Befehle.

Das Klüverſchoot, die untere Ecke des Segels mit dem daran befeſtigten Tau ſchlug im Winde ſo heftig, daß das ganze Vorgeſchirr zitterte. Feſtgehalten Jungens rief der Boots - mann uns nach und von draußen angefangen, ſonſt ſchlägt Euch der Klüver ohne Gnade vom Baum. Wir hörten nur mit halbem Ohr und liefen hinaus. Auf dem Bugſpriet ging es noch, da hatten wir feſtes Holz unter den Füßen und zwei dazu angebrachte Taue, die Laufſtagen, um ſie mit den Händen zu faſſen, aber auf dem Klüverbaum war das Feſthalten leichter geſagt, als gethan. Unten nur das ſogenannte Pferd, ein Tau um darin zu ſtehen, oben den runden glatten Baum. Er mußte zwiſchen Bruſt und Knie geklemmt werden, das war der ganze Halt, denn die beiden Hände gebrauchte man zur Arbeit. Wir kamen indeſſen glücklich hinaus und fingen an, das Segel zu beſchlagen. Es war mir, als hätten wir ein wildes Thier ein - zufangen, ſo ungeberdig zeigte ſich der im Sturm peitſchende Klüver. Verſchiedene Male glaubten wir ihn ſchon gebändigt zu haben, dann riß ihn der Wind uns wieder aus den Händen.

Ich kämpfte meinen erſten perſönlichen Kampf mit den Elementen und es ſtachelte meinen Ehrgeiz, als Sieger daraus hervorzugehen. Heinrich ſchien eben ſo zu fühlen und wir ar - beiteten wie zwei Männer. Die ungewohnte ſeltſame Umgebung trug nicht wenig dazu bei, den Kampf noch aufregender zu machen. Die dunkle Nacht, das Heulen und Pfeifen des Windes in der Takelage, das Rauſchen des Schiffes durch das Waſſer, welches ſich wie ein glühender Berg vor ſeinem Bug aufſtaute, die ſchäumenden, überkopfenden Wellen, denen wir bei dem26WernerAuf - und Niederſtampfen bisweilen ſo nahe kamen, daß unſere Füße ſie berührten alles das wirkte wie bezaubernd auf mich ein und beſtrickte förmlich meine Sinne. Ja, ſo hatte ich mir das Seeleben gedacht, das war es, wonach ich mich geſehnt, das die Poeſie des Meeres, die mich ſo mächtig ange - zogen und meine Phantaſie beſchäftigt hatte. Oh wie freudig bewegte das mein Herz, ſo hatte ich mich doch nicht getäuſcht und mein Beruf war nicht verfehlt! Mein Geiſt entfaltete ſeine Schwingen, er flog hinaus in die Zukunft und mechaniſch nur arbeiteten meine Hände.

Wir hatten den Klüver wieder halb auf den Baum ge - bracht, aber der gute Rath des Bootsmannes Feſthalten war vergeſſen. Das Schiff ſtampfte auf einmal ſehr ſchwer hinunter. Wir lagen über dem Baum und hielten das ſich ſträubende Segel. Da ſchlug die See unter das Pferd, in dem wir ſtanden und mit Gewalt unter unſere Füße; gleichzeitig faßte der Wind wieder das Klüverſchoot und peitſchte es hinaus in die Luft. In dem Streben, es zu halten, verloren wir durch den Stoß der See von unten das Gleichgewicht, flogen über den Baum fort und ſtürzten hinunter in die gähnende Tiefe. Ich glaubte den Ruf Mann über Bord zu hören, empfand etwas wie einen Schlag dann verlor ich die Beſinnung.

Als ich wieder zu mir kam und die Augen aufſchlug, lag ich in meiner Coje. Vor mir auf der Seekiſte ſaß der Boots - mann und hatte meine Hand gefaßt.

Schweizer ſagte er und ſeine ſonſt ſo rauhe Stimme klang freundlich und herzlich beinah wäre das mit Dir unklar gegangen. Ein ander Mal, da thue, was ich Dir ſage und halte Dich feſt. Siehſt Du mein Junge, wenn man ein ordent - licher Seemann werden will, dann muß man an jedem Finger einen Angelhaken haben und wenn man bei zwei Reffen in den Marsſegeln den Klüver feſt macht, dann müſſen Bauch und Beine wie eine Wantſchraube den Baum feſthalten.

27Eine erſte Seereiſe

Wie bin ich denn aber gerettet worden? fragte ich, ich bin doch über Bord gefallen.

Ja, bisweilen iſt ein verkehrter Kink auch zu etwas nütze erwiederte er lächelnd das haſt Du der Beſchlagzei - ſing vom Klüver zu danken. Vorläufig aber ſchweige, trink hier den Schluck, den der Alte Dir geſchickt und dann ſchlafe. Morgen früh mußt Du wieder auf ſein, denn da brauchen wir alle Mann. Es ſteckt noch viel Schlimmes in der Luft, ich fühle es in meinen Knochen und will auch noch etwas zur Coje.

Dabei reichte er mir eine Flaſche Madeira, aus der ich einen tüchtigen Schluck nahm, der mir wie Feuer durch die Adern rieſelte und mich wunderbar belebte.

Danke Bootsmann, wie viel Uhr iſt es?

Gleich vier Glas*Der Tag an Bord iſt in vierſtündige Wachen getheilt. Die Zeit derſelben wurde früher nach Halb-Stundengläſern bemeſſen. Um 12 Uhr beginnt eine neue Wache; wenn deshalb 4 Glas ausgelaufen waren, bedeutete dies 2 Uhr. Trotz Abſchaffung der Sanduhren hat man die alte Bezeichnung beibehalten..

Kurz vor Mitternacht hatte ich den Klüver feſtmachen ſollen, jetzt war es bald zwei Uhr; ich mußte alſo zwei Stunden ohne Bewußtſein gelegen haben und der Bootsmann hatte dieſe Zeit von ſeiner Freiwache geopfert, um bei mir zu wachen. Ich war tief gerührt und drückte ihm dankbar die Hand; ich ſtand nicht mehr allein und hatte einen väterlichen Freund gewonnen.

Wo iſt Heinrich? fragte ich weiter.

Der Alte drehte ſich ab[und] fuhr mit der verkehrten Hand über die Augen. Er ſchläft in Gottes Keller erwiederte er halblaut.

Ich verſtand nur die erſten Worte, den Sinn der letzten jedoch nicht. Der Bootsmann ging zur Coje und bald hörte ich an ſeinen tiefen Athemzügen, daß er ſchlief. Ich ſann darüber nach, was er mit dem verkehrten Kink und der Be - ſchlagzeiſing gemeint haben konnte, aber der ungewohnte Wein28Wernermochte wol wirken, meine Gedanken verſchwammen und ich entſchlummerte ebenfalls. Mein Schlaf mußte ſehr feſt ſein. Ich hörte beim Wachwechſel um vier Uhr nichts von dem ſonderbaren Geſange, mit dem die Freiwache geweckt wird Reiß*Gleichbedeutend hier mit dem engliſchen rise , aufſtehen. aus Quartier in Gottes Namen . Man ließ mich ruhig liegen und erſt gegen Tages Anbruch wurde ich wach, als der Alarm - ruf Reeve, Reeve in die Logiskappe hinunter gellte. Der Sturm hatte ſo zugenommen, daß das letzte Reff in die Mars - ſegel geſteckt werden mußte. Jener Ruf an Bord von Handels - ſchiffen wie Ueberall, überall! bedeutet, daß Noth am Mann iſt und alles flog aus der Coje. Ich fühlte mich wieder voll - ſtändig geſund, war im Augenblick angekleidet und ſprang als einer der erſten die Treppe hinauf an Deck.

Huh! wie wehte es und wie peitſchte Regen und Hagel in das Geſicht, ſo daß man kaum die Augen öffnen konnte! Eine ſchwere Hagelbö war eingefallen. Trotz der heruntergelaſſenen Marsſegel ſtanden Raaen und Braſſen zum brechen; das Schiff lag ſo über, daß faſt die Lee-Verſchanzung im Waſſer ſchleppte; die See dampfte von vorn bis mittſchiffs ununterbrochen über Deck und man konnte nur vorwärts kommen, indem man ſich längs der Bordwand an den Tauen hielt. Der Bootsmann hatte Recht gehabt, es lag noch viel Schlimmes in der Luft.

Mit Anſpannung aller Kräfte gelang es uns, das dritte Reff einzubinden, aber wir lagen über eine halbe Stunde auf den Raaen und brachen uns die Fingernägel an dem naſſen ſteifen Segeltuch, ehe wir es bewältigten. Als wir endlich fertig waren, hatte auch die nachgelaſſen; das Schiff richtete ſich etwas auf und lag bequemer und ruhiger auf dem Waſſer, ob - wol es immer noch ſchlimm genug arbeitete. Es war hell geworden und klarte auf.

Mannt**Bemannt. das Loth! befahl der Kapitän, der die ganze29Eine erſte SeereiſeNacht das Deck nicht verlaſſen hatte und in deſſen Geſicht ich eine gewiſſe Unruhe wahrzunehmen glaubte. Mein Blick fiel auf das Waſſer. Es ſah ſo ſonderbar weißlich aus; alle die Tage hatte ich ſeine ſchöne ſmaragdgrüne Farbe bewundert. Flink mit dem Loth rief der Bootsmann den Leuten zu und ſprang mit der Leine in der Hand mittſchiffs auf die Ver - ſchanzung. Auch in ſeinen Zügen ſchien ſich Beſorgniß auszuſprechen.

Was iſt Bootsmann? fragte ich.

Leegerwall*Land unter dem Winde.! war ſeine kurze Antwort, die mich jedoch ſo klug ließ wie vorher.

Paß auf, achter**Hinten.! erklang es vom Fockwant***Haltetaue des vorderſten (Fock) Maſtes. her und der dort poſtirte Mann warf das Loth.

Der Bootsmann ließ die Leine durch die Hand gleiten und holte, als ſie auf und nieder zeigte, mit großer Haſt das Loſe ein. Ein Lederläppchen, das in der Leine befeſtigt war, ſchnitt mit der Waſſerfläche ab. Zehn Faden! ſagte er zu dem herangetretenen Kapitän und wechſelte mit ihm einen be - deutungsvollen Blick. Ich weiß nicht, weshalb die beiden Worte mich ſo eigenthümlich erſchreckten. Sechzig Fuß Waſſer war ja tief genug für irgend welches Schiff. Land in Lee! rief jetzt ein Matroſe und aller Blicke wandten ſich nach der be - zeichneten Richtung. Ein niedriger grauer Streifen trat aus der ſich verziehenden hervor, wir konnten kaum noch zwei Meilen von der Küſte entfernt ſein. Jetzt wurde mir auf ein - mal die Bedeutung von Leegerwall klar. Wir waren auf einer Leeküſte beſetzt. Die Milchfarbe des Waſſers hatte die geringe Tiefe angezeigt; ſie war der Reflex des hellen Sandgrundes.

Der Kapitän ſah die Grundprobe an, die das Loth herauf - gebracht hatte. Es ſtimmt mit dem Beſteck äußerte er anſcheinend ruhig zum Oberſteuermann, wir haben Texel . 30Werner Hans Hanſen wendete er ſich dann an einen Matroſen, Du haſt gute Augen, geh in’s Want und ſieh, ob Du nicht einen Thurm gewahr werden kannſt. Der Angeredete enterte auf und ſuchte den Horizont ab.

Feuerthurm voraus drei Strich*Der Compaß reſp. der Horizont wird in 360 Grade oder 32 Striche getheilt, von denen einer 11¼ Grad enthält. in Lee rief er und zeigte mit der Hand nach der Richtung.

Gut, ſagte der Kapitän und winkte ihm herunter zu kommen. Wie viel Abdrift haben wir? fragte er den Steuermann.

Vier Strich meldete dieſer, als er nach der Richtung des Kielwaſſers geſehen hatte. Der Wind war Nordweſt, die Alma lag ſcheinbar etwas ab vom Lande, mit der Drift näherte ſie ſich jedoch demſelben. Wenn ein Schiff ſcharf am Winde ſegelt und nur kleine Segel führt, alſo wenig Fahrt machen kann, ſo geht es nicht in der Richtung ſeines Kiels voraus, ſondern wird vom Winde ſchräg ſeitwärts geſchoben das iſt ſeine Abdrift.

Wir müſſen Segel ſetzen. Ein Reff aus den Marsſegeln!

Das eben mit ſo viel Mühe und Roth eingenommene Reff wurde wieder ausgeſteckt.

Wie viel Drift? Drei Strich! Noch zu viel, Großſegel los!

Das Großſegel wurde geſetzt und verminderte die Drift abermals um Strich. Das Schiff ging damit grade längs der Küſte, aber das genügte noch nicht, es mußte auch davon abliegen. Der Klüver wurde geheißt. Alles ging gut; das Schiff machte unter dem Preß von Segeln ſchlanke Fahrt und der Feuerthurm wanderte raſch aus. Noch zwei Stunden ſo, dann befanden wir uns in freiem Waſſer und konnten auf - athmen. Augenblicklich war der Wind nicht zu ſchwer für die Segel, aber dort leewärts ſtieg am Horizonte ſchon wieder eine31Eine erſte SeereiſeHagelbö herauf. Man kennt ſie an den dunkelgelben Streifen, die ſich ſcharf gegen das übrige Gewölk abgrenzen und wie eine ſtarre Mauer erſcheinen. Wenn ſie ſo viel Wind brachte, wie die letzte, dann war es kaum denkbar, daß die Segel es aus - halten konnten. Trotzdem hofften wir es; jeder von uns wußte, daß es hieß Biegen oder Brechen . Konnten wir von der Küſte nicht frei ſegeln, ſo waren wir höchſt wahrſcheinlich verloren.

Seit meinem Erwachen hatten die Ereigniſſe des Morgens ſo ſchnell gewechſelt und mein Intereſſe ſo ſehr in Anſpruch genommen, daß mir keine Zeit blieb, mich um etwas anders zu kümmern. Jetzt war eine Ruhepauſe; die vergangene Nacht trat mir wieder lebhaft vor die Seele und damit auch meine noch unaufgeklärte Rettung. Ein Leichtmatroſe von unſerer Wache gab mir Aufſchluß über die näheren Umſtände. Als ich von der See über den Klüverbaum geworfen war, hatte ſich die Beſchlagzeiſing, d. h. das zum Befeſtigen der Segel dienende Tau, durch einen glücklichen Zufall wie eine Schleife um meinen Körper gewunden, was der Bootsmann mit einem verkehrten Kink*Eine Verdrehung im Tauwerk; figürlich auch auf Ecke übertragen. bezeichnete. Dadurch war ich über Waſſer hängen ge - blieben, aber mit dem Kopf gegen den Stampfſtock**Eine Art Strebepfeiler, der vom Bugſpriet nach unten zeigt und zum Straffhalten von Haltetauen des Klüverbaums dient. geſchlagen, beſinnungslos geworden und hatte als lebloſe Maſſe geſchwebt, die bei jedem tiefern Stampfen des Schiffes in das Waſſer getaucht wurde.

Ohne die ſchleunigſte Hülfe wäre ich verloren geweſen und dieſe wurde mir mit eigener größter Lebensgefahr durch den Bootsmann gebracht. Während das Unglück paſſirte, hatte er auf der Back***Der vorderſte Theil des oberen Verdecks. geſtanden. Durch ſeinen Ruf Mann über Bord 32Wernerwar die Wache alarmirt. Dann hatte er ſich ein Tau um den Leib befeſtigt, war nach dem Stampfſtock hinausgeklettert, hatte mich in ſeine Arme genommen, die Beſchlagzeiſing abgeſchnitten und mich an Bord getragen. Zweimal war er mit mir völlig in der See begraben worden, hatte ſich und mich aber mit faſt übermenſchlicher Kraft feſtgehalten und mich glücklich gerettet.

Und auf welche Weiſe iſt Heinrich geborgen? fragte ich den Leichtmatroſen.

Heinrich? erwiederte dieſer erſtaunt weißt Du denn nicht, daß er über Bord gegangen iſt?

Ich zuckte erſchreckt zuſammen. Aber doch gerettet rief ich, der Bootsmann ſagte mir doch heute Nacht, er ſchliefe.

Ja, in Gottes Keller, da unten auf dem weißen Sande ſchläft er, bis der liebe Gott einmal alle Mann ruft. Nein, zu retten war er nicht. Als wir das Mann über Bord hörten, da ließ der Steuermann ſogleich an den Wind luven und wir braßten im Großtop back*Die Segel ſo ſtellen, daß der Wind von vorn darauf fällt, ſo daß das Schiff durch den Gegendruck zum Stillſtande gebracht wird., um beizudrehen. Die Rettungsboje wurde über Bord geworfen und außer dem Unter - ſteuermann traten wir gleich mit vier Freiwilligen vor, um trotz des ſchlechten Wetters und der finſtern Nacht in das Lee - boot zu gehen. Aber als wir letzteres halb zu Waſſer gelaſſen hatten, da holte das Schiff ſo heftig nach Lee über, daß die See drei Planken im Boot einſchlug und da war natürlich an Retten nicht mehr zu denken.

Es hätte uns doch nichts geholfen, fuhr der Leicht - matroſe traurig fort. Als das Boot wieder geheißt war und wir Dich in Deine Coje getragen hatten, ſollte ich ein im Waſſer ſchleppendes Tau einholen. Es hackte etwas daran und ich ſah über Bord was es ſei[.]Da löſte ſich eine größere Maſſe von der Schiffsſeite und trieb langſam ſinkend nach33Eine erſte Seereiſehinten. Es war der arme Heinrich, denn das Waſſer feuerte ſo, daß ſowohl ich wie der Unterſteuermann klar einen menſchlichen Körper erkannten. Da er ein guter Schwimmer war, muß er beim Fallen betäubt worden ſein, denn Niemand hat einen Schrei gehört. Dann iſt er langſeit in die Bucht des Taues getrieben und von ihm feſtgehalten, bis es von mir eingeholt wurde.

Die Kunde erſchütterte mich auf das heftigſte, weil ſie mich ſo unvermittelt traf der friſche, von Geſundheit ſtrotzende Knabe von ſo plötzlichem Tode ereilt!

In wie tiefernſter Geſtalt trat mir das Seeleben gleich von vornherein entgegen, mit welcher furchtbaren Deutlichkeit führte es mir vor Augen, daß auf einem Schiffe uns nur eine Planke von dem ſtets offenen Grabe trennt! Wenn Heinrich mir auch nicht beſonders nahe geſtanden hatte, war er mir doch ein guter Kamerad geweſen, deſſen offenes, heiteres Weſen mich anſprach und der auch mir bei jeder Gelegenheit zeigte, daß er mich gern mochte. Ich fühlte deshalb ſeinen Verluſt um ſo ſchmerzlicher, als ich für die übrigen jungen Leute der Mann - ſchaft wenig Sympathie hatte. Unwillkürlich rannen mir die Thränen über die Backen, doch blieb mir keine Zeit dieſen Ge - danken nachzuhängen. Das Schlimme in der Luft ſtürmte jetzt mit ſeiner ganzen Schwere auf uns ein.

Die hatte uns erreicht und entlud ihre ganze Gewalt. Zuerſt kam der Hagel und dann folgte bald der Wind. Der Kapitän wußte, um welchen Einſatz er ſpielte. Von Segel - bergen war keine Rede; wir mußten preſſen die unheilvolle Küſte war ſchon zu nah, wir durften nicht treiben. Er hatte für alle Fälle die Mannſchaft auf die Windſeite des Hinter - decks beordert und dem Mann am Ruder befohlen, ganz nahe am Winde zu halten.

Da ſetzte mit einem furchtbaren Stoße der Sturm ein und legte mit übermäßigem Drucke das Schiff auf die Seite. Er war ein paar Striche mehr nach hinten herumgegangen undR. Werner, Erinnerungen. 334Wernerpackte deshalb die Alma unter vollen Segeln. Daß ſie nicht kenternd umſchlug, dankte ſie nur ihrer Eiſenladung, wodurch ſie ſehr viel Steifheit*Ein Schiff iſt ſteif, wenn ſein Schwerpunkt ſehr tief liegt; es legt ſich dann nur ſchwer über. Das Gegentheil von ſteif nennt man rank . beſaß; die Segel flogen nicht fort, weil ſie ganz neu waren, doch der Sturm ſuchte ſich einen andern Angriffspunkt.

Luv, luv, hart an den Wind! ſchrie der Kapitän dem Manne am Ruder zu, um die Kraft aus den Segeln zu nehmen. Vergebens! Ehe der Rudergaſt noch gehorchen konnte, ertönte ein Krachen und Raſſeln und Splittern und der Fockmaſt ging über Bord. Der Klüverbaum und das Bugſprit**Der vorn und ſchräg über das Schiff herausragende Maſt. waren von ihm mitgenommen. Unſer Schickſal ſchien beſiegelt, das Schiff war ſteuerlos geworden. Es ſchoß in den Wind, verlor die Fahrt und begann grade auf die Küſte zu treiben.

Unſere einzige Rettung beruhte jetzt auf den Ankern; wir mußten verſuchen den Sturm abzureiten. Wir trieben hinter dem Wrack des Fockmaſtes mit ſeinen Raaen und Segeln. Es gewährte uns in doppelter Beziehung Nutzen; die anrollenden Seen brachen ſich an ihm und ſein Widerſtand im Waſſer ver - langſamte bedeutend unſere Drift. Der Kapitän gab ſeine Be - fehle mit eiſerner Ruhe, die ihre Rückwirkung auf uns nicht verfehlte. Da war kein Zaudern und Zagen, jeder that mit Einſatz der ganzen Kraft ſeine Schuldigkeit. Hilf dir ſelbſt und Gott wird dir helfen, das iſt des rechten Seemanns Credo. Die Anker fielen und die ganze Länge der Ketten wurde vorgegeben. Ehe wir aber ſo weit kamen, war geraume Zeit vergangen und die Küſte nur noch etwa eine Meile entfernt. Wir ſahen die Brandung, wie ſie an den Strand rollte und der Sturm ihren ſchäumenden Giſcht hoch in die Lüfte trug. Die Anker hatten gut gefaßt, und die Ketten hielten, aber nun35Eine erſte Seereiſetrieb das Vorgeſchirr*Das Bugſprit mit Zubehör. gegen unſern Bug. Es rammte auf ge - fährliche Weiſe gegen Schiff und Ketten und mußte deshalb auf das ſchleunigſte gekappt werden. Wir verloren damit frei - lich den bisherigen Schutz und wie gut auch das Schiff ſonſt ritt, ſo brachen die ſchweren Grundſeen doch öfter darüber hin wie über eine Klippe und die Ketten wurden ſo ſtraff geſpannt, daß ſie jeden Augenblick zu ſpringen drohten.

Da der Sturm noch zunahm, mußte zum letzten Hülfs - mittel geſchritten und auch der Großmaſt gekappt werden. Trotz größter Vorſicht zerſchmetterte er beim Sturze zwei Boote und einen Theil der Verſchanzung; im Falle des Strandens hatten wir jetzt nicht einmal ein Boot mehr, denn die übrig gebliebene ſchwache Gig hätte in der Brandung nicht leben können. Zur Rettung des Schiffes konnte unſrerſeits nichts mehr geſchehen; alles Uebrige ſtand in Gottes Hand.

So lange hatten wir mit Anſpannung aller Kräfte arbeiten müſſen und nur an die Ausführung der gegebenen Befehle ge - dacht; jetzt jedoch, wo das Schiff ſelbſt faſt als Wrack in der brandenden See lag und nichts mehr zu thun war, da blieb uns Zeit, über unſere Lage nachzudenken. Sie kam auch mir in ihrer ganzen Furchtbarkeit zum Bewußtſein. Die Ketten waren unſere letzte Hoffnung, ihr Brechen gleichbedeutend mit ſicherem Tode, aber Niemand verlor deswegen den Muth. Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung bei dem Seemanne, daß er nicht an die Gefahr glaubt, bis ſie ihn wirklich packt und er in ihr zu Grunde geht. Das iſt aber ein großes Glück für den Beruf, denn keine vorzeitige Furcht oder Verzweiflung lähmt ſeine Thatkraft; ſie bleibt bis zum letzten möglichen Augenblicke und dadurch grade wird die Gefahr in den meiſten Fällen beſeitigt.

Die Wuth des Sturmes nahm inzwiſchen noch zu. Eine jagte die andere und wühlte die See faſt bis auf den3*36WernerGrund auf. Bald rollten die Wogen wie mächtige Berge heran, hoben das Schiff hoch auf ihren Rücken und ließen es dann wieder blitzſchnell hinabſchießen in das Wellenthal, als ſollte es in ihm begraben werden; bald wurden ſie von der Gewalt des Windes vollſtändig niedergeweht und ringsum kochte und brodelte nur eine ſchäumende Maſſe und überſchüttete das Schiff mit einem Sprühregen.

Der Eindruck, den dieſer Kampf der Elemente auf mich machte, war ein großartiger. Obwohl ich ſeitdem ſo oft ähnliche und kaum weniger furchtbare Scenen erlebt habe, iſt jener Tag vor allem lebendig in meinem Gedächtniſſe geblieben, wohl weil ich damals zum erſten Male die Majeſtät des Meeres ſah. Das Heulen des Orkans, das Rauſchen der Wellen, die daher ſtürmten und deren Kämme mit donnerndem Getöſe überbrachen, das Erkrachen des Schiffes in Fugen und Balken, ſein Aechzen und Stöhnen, als ſei es ein menſchliches Weſen, das inmitten dieſes Aufruhrs der Natur ſeinen Todeskampf kämpfte wahrlich es war eine Majeſtät, aber von grauenvoller Erhabenheit.

Demüthig beugte ich mein Haupt vor ihr, in der ſich des Schöpfers Allmacht ſo gewaltig offenbarte und ein inbrünſtiges Gebet ſtieg zu ihm empor, deſſen ſtarke Hand allein jetzt unſer ſchwaches Schiff über den dunkeln Waſſern hielt. Nie zuvor hatte ich ſeine Nähe, das Wehen ſeines Odems ſo deutlich gefühlt wie heute inmitten der Wuth des Orkans und des wilden Brauſens der Wellen, inmitten der Schrecken der Luft und der Tiefe.

Und doch beſchlich keine Furcht mein Herz; aus dem be - täubenden Getöſe der erregten Natur ſprach eine tröſtende Stimme: Aengſtigt Euch nicht, ich wache über Euch, und ruhig erwartete ich unſer ferneres Geſchick.

Langſam ſchwand der Tag dahin. Die Mannſchaft war ſämmtlich auf dem Hinterdeck verſammelt; vorn auf dem Schiffe konnte man wegen der überbrechenden Waſſermaſſen nicht ausdauern. Mit Lebensgefahr und oft bis über die Bruſt im Waſſer ſtehend37Eine erſte Seereiſewar von uns das Ankerſpill*Die Winde für die Ankerkette. abgeſtützt worden, um bei den furchtbaren Stößen, die es durch die beim Stampfen ſtraff werdenden Ketten auszuhalten hatte, nicht über Kopf zu gehen. Die Kombüſe war ſchon durch den fallenden Fockmaſt zerſtört; gekocht konnte nicht werden. Schiffszwieback und etwas Rum mit Waſſer diente uns als Nahrung.

Gegen Sonnenuntergang ſchien der Sturm noch einmal ſeine ganze Kraft entfalten zu wollen. Immer härter wehte es, immer höher thürmten ſich die Wellen und warfen das Schiff wie einen Ball ſich einander zu. Bisweilen erklang durch das Brauſen und Rauſchen ein unheimlich gellender Ton, als ob an eine Glasglocke geſchlagen würde. Es waren die Ketten, die zum Springen ſtanden, wenn eine ſchwere Grundſee das Schiff packte und es nach hinten ſchleuderte. Ueber das Geſicht des Kapitäns flog ein leiſer Schatten, wenn der Ton ſich hören ließ; er fühlte, wie wir alle, daß jetzt der kritiſchſte Moment für unſer Schiff gekommen ſei. Er ging jedoch glücklich vorüber. Wenn die Sonne hinunterweht, gutes Wetter in Ausſicht ſteht, dieſe alte Wind - und Wetterregel der Seeleute bewährte ſich auch diesmal.

Gegen acht Uhr Abends brach ſich das Wetter; der dichte gleichmäßige Wolkenſchleier zerriß; hier und dort ſchaute ein Stern hervor, zuerſt nur einen Augenblick, dann dauernd. Die Pauſen zwiſchen den Böen wurden länger, die Kraft der See ſchwächer und das Schiff ruckte nicht mehr ſo heftig in ſeine Ankerketten. Der Wind ſelbſt ließ allmälig nach, drehte ſich dabei nach rechts und die uns drohende Todesnoth ſchien durch Gottes gnädigen Beiſtand beſeitigt. Um Mitternacht hatten ſich die Elemente ganz beruhigt. Ueber uns wölbte ſich der ſternenklare Himmel; der Wind war ſtetig abflauend nach Oſten herumgegangen und dadurch ablandig geworden. Die See fiel38Wernerund bald ſchwankte unſer Schiff nur noch leiſe auf den ſich glättenden Wellen.

Augenblicklich war keinerlei Gefahr vorhanden, die Alma lag zwar als ein hülfloſes Wrack, aber in der Nacht konnte doch nicht viel geſchehen und vor allen Dingen bedurften wir der Ruhe und Erholung nach den furchtbaren Strapazen der letzten 24 Stunden. Drei Viertel der Mannſchaft wurden deshalb zur Coje geſchickt und bald waren im ſüßen Schlummer Angſt und Sorgen des Tages vergeſſen. Der andere Morgen fand uns alle wieder friſch, und rüſtig ging es an die Arbeit. Es galt vorerſt Nothmaſten zu errichten, um den uns nächſten Hafen erreichen zu können. Der Fockmaſt war ziemlich hoch abgebrochen, ſo daß wir ohne zu große Schwierigkeit eine Reſervemarsſtenge daran befeſtigen und eine Marsraa aufbringen konnten. Ehe wir jedoch damit fertig waren, bemerkten wir von Süden her ein Dampfſchiff, das ſeinen Curs auf uns zu nehmen ſchien. Bald erkannten wir auch die Flagge; es war ein holländiſches Kriegsſchiff. Vom Feuerthurm aus hatte man nach Helvoetsluys unſere gefährliche Lage am Tage zuvor mit - getheilt und der Admiral des dortigen Kriegshafens den Dampfer zu unſerer Hülfe entſandt, ſobald die Witterung es geſtattete. Der Commandant ſchickte einige dreißig Mann an Bord, um unſere Anker zu lichten; die Bugſirtaue wurden feſtgemacht, der Dampfer ſetzte ſich in Bewegung, bei dem ſchönen Wetter und ruhigem Waſſer ging es mit ſchneller Fahrt vorwärts und nach wenigen Stunden liefen wir wohlbehalten in Helvoetsluys ein.

Am Hafen hatte ſich eine große Menge Zuſchauer geſammelt, als wir ankamen, um ſtaunend auf die Verwüſtungen zu blicken, die Sturm und See auf unſerm Schiffe angerichtet. Letzteres ſah aber auch ſchlimm aus mit ſeinen gebrochenen Maſten, ſeinen fortgeſchlagenen Booten und zerſchmetterten Verſchanzungen und wir kamen uns als Helden des Tages ordentlich groß vor. Die angeſtellte Beſichtigung von Sachverſtändigen ergab, daß39Eine erſte Seereiſeder Rumpf, trotz der furchtbaren Anſtrengung bei dem Abreiten des Sturmes, unter Waſſer nicht gelitten hatte. Wir brauchten deshalb nicht auf die Helling zu holen, aber die übrigen Repa - raturen erforderten doch eine Zeit von ſechs Wochen und erſt kurz vor Weihnacht konnten wir unſere Weiterreiſe antreten.

Für mich bot der Aufenthalt viel Neues und Intereſſantes in den Anlagen und Etabliſſements des großen holländiſchen Kriegshafens. Wie gewaltig imponirten mir die Linienſchiffe, neben denen unſere Alma wie ein Boot erſchien. Der Sohn unſeres Conſuls, eines deutſchen Kaufmanns, war Kadett auf einem derſelben. Er kam eines Tages in Begleitung ſeines Vaters an Bord, um der Einladung unſers Kapitäns zu einem Frühſtück Folge zu leiſten. Bei dieſer Gelegenheit redete er mich verſchiedene Male an, um von mir Auskunft über den Verlauf des von uns verlebten ſchweren Wetters zu erhalten. Er mochte wohl aus meinen Antworten entnehmen, daß ich nicht zu der gewöhnlichen Klaſſe von Schiffsjungen gehörte und ihm an Bildung gleich ſtand, denn unſere Unterhaltung ſpann ſich immer länger aus. Wir fanden beide Gefallen an einander. Gleiches Alter, gleiche Anſchauungen und Fachgenoſſenſchaft ließen ſehr bald eine gewiſſe Vertrautheit zwiſchen uns entſtehen und ein warmer Händedruck bekräftigte beim Abſchiede unſere junge Freundſchaft. Trotzdem beſchlich mich eine gewiſſe Bitter - keit, als ich ihn in ſeiner ſchmucken Uniform dahin gehen ſah. Als ich mit jugendlicher Begeiſterung mich für den ſeemänniſchen Beruf entſchied, da kannte ich das Seeleben nur aus Büchern und bildete danach meine Begriffe. Ich glaubte, ähnlich wie jener Kadett meine Laufbahn zu beginnen, in Gemeinſchaft mit Meinesgleichen zu leben, in Erprobung meiner geiſtigen Kraft den Ocean zu durchfurchen, die Elemente zu bekämpfen und zu beſiegen, meine Wißbegierde im Anſchauen und Studium fremder Welten zu befriedigen und wie ganz anders hatten ſich die Sachen geſtaltet! Ich war ein Schiffsjunge, der Letzte auf einer40Wernerniedrigen Stufe des Lebens das was ich mir geträumt und was der Kadett mir wieder ſo lebhaft in das Gedächtniß rief, war für mich unerreichbar. Deutſchland beſaß keine Kriegsflotte, auf der ich meine Träume verwirklichen konnte, und mir winkte nur ein untergeordnetes Ziel. In dieſe trüben Gedanken ver - ſunken ſtand ich an der Verſchanzung, als ich mich an der Schulter berührt fühlte. Ich drehte mich um und blickte in das Geſicht des Bootsmanns, deſſen treuherzige Augen mit faſt väterlichem Wohlwollen auf mir ruhten. Er mochte wohl ahnen, was in mir vorging und wollte mich auf ſeine Art tröſten.

Nicht mit loſen Segeln liegen, Schweizer, damit kommt man nicht vorwärts und treibt nur nach Lee. Immer hübſch voll halten, mein Junge, dann kreuzt es ſich gut auf gegen conträren Wind.

Ich verſtand, was er meinte, und indem ich ihm dankbar zunickte, wiſchte ich mir die Thräne aus dem Auge, die meinen Blick verſchleiert hatte. Ich gedachte meines Vorſatzes auf der erſten Nachtwache im Hamburger Hafen und wollte muthig gegen eine traurige Stimmung ankämpfen. Es iſt nichts werth, immer ſo an Bord zu hocken, fuhr der Bootsmann fort, Du kannſt heute Abend mit mir an Land gehen; ich habe den Alten ſchon um Erlaubniß gefragt und er hat nichts dagegen. Da kommſt Du in anſtändige Geſellſchaft und auf andere Gedanken. Es ſind zwar meiſtens Holländer, aber ich denke, Du wirſt ſie ſchon verſtehen.

Bald nachher rief mich der Kapitän in die Cajüte und fragte mich, ob ich etwas Geld haben wollte, ich hätte mir ſchon eine Monatsgage verdient. Er war nicht mehr ſo barſch und unfreundlich gegen mich, wie früher, ſondern ſprach wohlwollend zu mir. Die ſchwere Zeit, welche wir kürzlich mit einander verlebt, hatte ihn uns Allen wohl etwas näher gebracht. Gemein - ſam beſtandene Gefahren knüpfen ja gewöhnlich zwiſchen Menſchen ein engeres Band und außerdem hatte er auch wohl dabei die Ueber -41Eine erſte Seereiſezeugung gewonnen, daß unſere geſammte Mannſchaft ſeemänniſch tüchtig war und er ſich auf ſie in kritiſchen Augenblicken ſicher verlaſſen konnte. Was mich ſelbſt betraf, ſo konnte natürlich von eigener ſeemänniſcher Tüchtigkeit noch keine Rede ſein, aber es war ihm wahrſcheinlich nicht entgangen, daß ich verſucht hatte, meine Schuldigkeit zu thun und daß es mir weder an dem nöthigen Willen, noch an den Anlagen fehlte, um ein Seemann zu werden.

In jener Zeit gingen ſehr wenige junge Leute aus dem Binnenlande zur See. Die Schiffe recrutirten ihre Beſatzungen faſt ausſchließlich aus den Küſtendiſtricten und Oberländer oder Schweizer , wie der Bootsmann ſie nannte, wurden nicht nur von ihren Vorgeſetzten, auch von ihren Kameraden mit einem gewiſſen Vorurtheil empfangen, namentlich wenn ſie einen höheren Bildungsgrad beſaßen. Man betrachtete ſie als unberechtigte Eindringlinge und machte ihnen das Leben auf jede Weiſe ſchwer, bis ſie zeigten, daß ſie fixe Kerle waren.

Dadurch, daß ich mir die Zuneigung des Bootsmannes erworben, war allmälig meine Stellung den Matroſen gegenüber eine günſtigere geworden. Er wurde von ihnen willig als der fixeſte Kerl an Bord anerkannt und genoß ungetheilte Achtung. Man wagte deshalb nicht ſo mit mir, ſeinem Schützlinge, um - zugehen, wie es zu jener Zeit allgemein geſchah und vielfach auch noch jetzt der Fall iſt, d. h. die Schiffsjungen als die Diener eines Jeden an Bord zu betrachten und von ihnen nach allen Richtungen und in rüder Weiſe Gehorſam zu verlangen. Ich wurde ſtillſchweigend von jenen Dienſtleiſtungen befreit, die nicht unmittelbar mit meinem ſeemänniſchen Berufe in Zuſammen - hang ſtanden und wenn die Matroſen natürlich auch eiferſüchtig darüber wachten, daß ich ſie als Reſpectsperſonen betrachtete und ſie mit Ihr anredete, ſo traten ſie mir doch allmälig mehr als Kameraden entgegen und beantworteten nicht nur meine Fragen freundlich und eingehend, ſondern unterhielten ſich aus freien Stücken auf der Wache mit mir. Im Allgemeinen waren42Werneres tüchtige Leute. Unter der rauhen Außenſeite barg ſich ein guter Kern, hinter ihrem oft craſſen Aberglauben eine tiefe Religioſität und, trotz ihrer vielen Schattenſeiten, konnte man ihren Charaktereigenſchaften eine gewiſſe Achtung nicht verſagen, wenn man ſie näher kennen lernte.

Die Monatsgage, welche ich vom Kapitän empfing, war zwar nur gering, aber ſie erfüllte mich doch mit Genugthuung. Es war das erſte ſelbſtverdiente Geld, ich ſtand jetzt auf eigenen Füßen. Ich erhielt zwei Thaler monatlich, viel weniger, als die übrigen Schiffsjungen, aber dafür ſtand ich auch in einem anderen Verhältniſſe. Ich war nicht einfach, wie jene, durch den Kapitän angenommen, ſondern durch die Rheder contract - lich als Lehrling engagirt und zwar auf vier Jahre. Ich er - hielt während dieſer Zeit an Bord und am Lande freie Station, meine geſammte Kleidung, und der Kapitän war verpflichtet, mich auch theoretiſch in der Navigation ſo weit vorzubereiten, daß ich am Schluſſe meiner Lehrzeit nach kurzem Beſuch der Navigationsſchule das Steuermannsexamen ablegen und als Steuermann fahren konnte. Dies Lehrlingsverhältniß war bis dahin in Deutſchland nicht gebräuchlich, dagegen in England, Holland und Frankreich, und von meinen Rhedern herüber - genommen, um ſich junge Leute aus beſſeren Ständen zu Steuer - leuten und Kapitänen heranzuziehen. Die deutſche Schifffahrt begann damals allmälig aus ihrem alten Schlendrian heraus - zutreten, und die Rheder ſahen ein, daß die Führung ihrer Schiffe durch Kapitäne von Bildung nur gewinnen könne. Prac - tiſche Seemannſchaft blieb und bleibt zwar immer Hauptſache, aber daneben hergehende theoretiſche Kenntniſſe der Meteorologie, Hydrographie ꝛc. mit Hülfe deren die Reiſen abgekürzt wurden, brachten baaren Gewinn. Wenige Jahre ſpäter, als der be - rühmte amerikaniſche Hydrograph Maury ſeine Wind - und Wetterkarten herausgab, die auf Grund von ſyſtematiſchen Beobachtungen intelligenter Seeleute auf ihren verſchiedenen Reiſen43Eine erſte Seereiſeconſtruirt waren, wies derſelbe überzeugend nach, daß z. B. Reiſen von Europa nach Oſtindien um durchſchnittlich 20 Tage abgekürzt werden konnten, wenn die Kapitäne ſich mit dem Studium der Meteorologie vertraut machten. Das ergab aber für größere Schiffe Erſparniſſe von Tauſenden von Thalern.

Nach Feierabend ging ich mit dem Bootsmann an Land. Er hatte ſich ſehr fein gemacht und auch meinen Sonntagsanzug inſpicirt, ehe wir das Schiff verließen. Unſer Weg führte direct in ein am Hafen gelegenes Gaſthaus, in dem Seeleute verkehrten, aber nur die höheren Chargen von Handelsſchiffen, d. h. Steuerleute und Bootsleute, und damit war die an - ſtändige Geſellſchaft gemeint geweſen. Mein alter Mentor hatte es zwar gut mit mir im Sinne gehabt, aber der Kreis, in den er mich brachte, war nicht dazu angethan, mich zu zer - ſtreuen und zu erheitern. Ich kam mir wie verrathen und ver - kauft unter allen dieſen ernſten, bedächtigen und ſteifen Holländern vor. Da ſaßen ſie in der nur ſpärlich erleuchteten Gaſtſtube an einem ſchwerfälligen Tiſche, auf eben ſo ſchwerfälligen Bänken, Jeder mit einem Glas Genever vor ſich und einer langen Kalk - pfeife im Munde, aus der ſie um die Wette dichte Rauchwolken blieſen, welche das Zimmer mit einem Nebel erfüllten. Es herrſchte eine ſtrenge Rangordnung in den Sitzen, wie mir ſpäter der Bootsmann erklärte, und zwar regelte ſich dieſelbe nach der Zahl der nach Oſtindien gemachten Reiſen. Sieben Reiſen dorthin waren das Erforderniß, um überhaupt in dem Club als Mitglied zugelaſſen zu werden, und erſt dieſe Zahl gab Anſpruch auf das Prädicat vollbefahren. Unſer Boots - mann war als Gaſt geladen, ſeine drei Reiſen nach der Südſee zählten für voll, und für ſein Anſehen ſprach der Umſtand, daß er einen ſolchen Neuling wie mich einführen durfte. Natürlich war ich ſtumme Perſon und ſuchte vergebens meinen Wider - willen gegen den Genever zu überwinden, den man auch mir vorſetzte, während eine Kalkpfeife mir nicht verabreicht war;44Wernerin Gegenwart von ſo hohen Perſönlichkeiten zu rauchen, wäre nach den Regeln der Schiffsetikette für mich eine Reſpects - widrigkeit geweſen. Die Unterhaltung, eben ſo ernſt, gemeſſen und ſchwerfällig, wie die Perſonen ſelbſt, die ſie führten, drehte ſich natürlich nur um Fachgegenſtände, war aber trotzdem mit ſehr kernigen Ausdrücken gewürzt, an denen die holländiſche Sprache ſo reich iſt, und die ſie in den Augen der Niederländer zu einer ſo krachtigen Taal kräftigen Sprache machen, wie ſie ihr Idiom mit Vorliebe und auch mit Recht nennen.

Zwei Stunden hielt ich unter den Vollbefahrenen aus, dann erbat ich mir vom Bootsmann die Erlaubniß, an Bord zurückkehren zu dürfen und zog es vor, auf meiner Kiſte ſitzend, bei dem trüben flackernden Lichte der Logislampe, das Papier auf den Knien, einen Brief an die Eltern zu ſchreiben, während die an Bord zurückgebliebenen Matroſen rauchend und Karten ſpielend die Plätze an den Tiſchen einnahmen.

Das verhältnißmäßig kleine Städchen bot wenig Anziehendes, dagegen deſto mehr Abſchreckendes durch das rohe Treiben in den Quartieren, wo der gewöhnliche Seemann verkehrte. Zur Ehre unſerer Mannſchaft muß ich ſagen, daß ſie ſich von demſelben fernhielt und den Umgang mit dem Abſchaum mied, der einen großen Theil der holländiſchen Kriegsſchiffsbeſatzungen bildete. Holland hatte damals für ſeine Größe eine ungemein bedeutende Schifffahrt und zählte allein 5 600 große Oſtindien - fahrer, mit je 40 50 Mann Beſatzung; da blieben für die auf das Werbeſyſtem angewieſenen Kriegsſchiffe nicht viel einheimiſche Seeleute übrig, von denen übrigens auch nur ein Bruchtheil den nicht eben gut bezahlten und außerdem wegen ſeiner zweifel - haften Elemente ſehr in Mißcredit ſtehenden Dienſt auf der Kriegs - flotte aufſuchte. Ein Seemann, der etwas auf ſeine Reputation unter den Kameraden gab, ſträubte ſich ſo lange wie möglich dagegen, und ſo war die Marine gezwungen, zur Completirung ihrer Mannſchaften zu nehmen, was ſich bot; der Charakter45Eine erſte Seereiſedieſes Abhubs zeigte ſich auf den Straßen und in den Kneipen in widerwärtigſter Geſtalt. Um eine ſolche kaum den Namen von Menſchen verdienende Bande in Ordnung zu halten, be - durfte es natürlich auch beſonderer Zuchtmittel, aber wie noth - wendig ſie auch waren, machten ſie auf uns doch den pein - lichſten Eindruck. Wir lagen in unmittelbarer Nähe des Linien - ſchiffes Kortenaar mit 800 Mann Beſatzung, das ſich fertig machte, um nach Java zu gehen und waren oft Augen - und Ohrenzeugen der körperlichen Strafen, die faſt täglich ver - hängt wurden, aber durch ihre Härte mir krampfhaft das Herz zuſammenzogen. Ein Mann z. B., der ſchon zum zweiten Male deſertirt und wieder ergriffen war, wurde an einem Tau hängend an der Groß-Raa bis zu einer Höhe von 50 Fuß emporgezogen, dann ließ man ihn in das eiſige Waſſer fallen wir waren im November holte ihn auf das Deck und wir hörten, trotz des Trommelwirbels, bei der Execution das Klatſchen des Tauendes auf die naſſen Kleider und das Geſchrei des Delinquenten. Ein anſtändig denkender Menſch, kann ſich frei - lich kaum einen Begriff davon machen, zu welchem Grade von Beſtialität einzelne ſolcher Individuen herabſinken und man weiß nicht, was einen mehr ſchaudern macht, dieſe oder die Strafe. Solche traurigen Eindrücke, die man täglich erhielt, waren nicht geeignet, den Landgang für mich verlockend zu machen und ich wäre deshalb für die übrige Dauer unſeres Aufenthaltes an Bord verblieben, wenn ich nicht nach einiger Zeit auf das freudigſte durch eine Einladung in das Haus unſeres Conſuls überraſcht worden wäre, die ich meinem neugewonnenen Freunde, dem Kadetten, verdankte.

Wie wohlthuend berührte es mich, nach Monaten wieder einmal in einem angenehmen Familienkreiſe verkehren zu dürfen, wo man mich mit Freundlichkeit wie einen Gleichgeſtellten empfing und ich mich wie zu Hauſe fühlte. Wie vergaß ich ſo bald alles Trübe und Bittere der letzten Zeit und mit welchem46Wernererwärmenden Strahle erfüllte die gütige Aufnahme mein ver - zagtes Herz! Manchen ſchönen unvergeſſenen Abend verbrachte ich in jener liebenswürdigen Familie, deren ich mich heute noch ſo dankbar erinnere, und ſo geſtalteten ſich für mich die letzten Wochen unſeres Bleibens in ungeahnt angenehmer Weiſe. Der alte Bootsmann hatte wieder einmal Recht gehabt, die anſtändige Geſellſchaft brachte mich, wenn ſie auch etwas anders zuſammen - geſetzt war, als die von ihm mit dieſem Namen belegte, auf andere Gedanken. Ich lag nicht mehr mit loſen Segeln, ſondern hielt voll und kreuzte damit flott gegen den conträren Wind trüber und bohrender Gedanken auf. Die eintreffenden guten Nachrichten aus dem Elternhauſe trugen nicht wenig dazu bei, mich froh zu ſtimmen, und als unſere Reparaturen beendet waren und wir kurz vor Weihnachten in See gingen, da wurde mir der Abſchied von den guten Menſchen, die ſich des fremden, alleinſtehenden Seemanns ſo liebevoll angenommen, wohl ſchwer, aber gleichzeitig trug ich auch friſchen, hoffenden Muth mit mir hinaus in die weite Ferne und fühlte mich neu gekräftigt, um kommenden Widerwärtigkeiten ſiegreich die Spitze zu bieten.

Mit günſtigem Winde verließen wir den Hafen; ſchon am nächſten Tage tauchten die Kreidefelſen Englands vor unſern Blicken auf und pfeilſchnell ging es bei gutem Wetter durch den Kanal, als wollte die Alma einholen, was ſie verſäumt. Leider dauerte es nicht lange, das Mißgeſchick ſchien ſich an unſere Ferſen zu heften, denn kaum waren wir in den Meerbuſen von Biscaya eingetreten, da begann das Kämpfen mit den Elementen auf’s Neue und das liebe Weihnachtsfeſt brachte uns wenig Freude. Glücklicher Weiſe kamen wir diesmal ohne Ver - luſt an Segeln und Rundhölzern davon, obwohl wir ganz ge - hörig durchgeſchüttelt wurden. Zuerſt blies der Wind ſtürmiſch aus Südweſten, dann ſchoß er mit Trommeln und Pfeifen aus Nordweſt hervor, und erſt als wir uns mit dieſem unter ſtets gerefften Segeln, mit himmelhoher See, mit Hagel und Schnee47Eine erſte Seereiſeund bitterer Kälte bis zur Höhe von Cap Finisterre gequält hatten, fühlte der grimme Poſeidon Mitleid mit uns und ſchickte uns einen ſtrammen portugieſiſchen Norder, mit dem wir unter einem Preß von Segeln ſüdwärts flogen. Anfänglich trauten wir dem Frieden nicht recht und wagten kaum ein Reff aus - zuſtecken, doch die Barometer ſtiegen langſam und der Zimmer - mann träumte nicht länger von Pferden und Frauenzimmern. Da glaubte man denn hinter wie vor dem Maſte, in der Kajüte wie im Logis allmälig an den Beſtand, und es wurde der Alma an Segeln aufgepackt, was darauf hängen wollte.

Nach einigen Tagen ließ zwar die Stärke des Windes bedeutend nach und wir machten nur wenige Meilen durch’s Waſſer, allein uns kam das ganz recht, denn wir waren ununterbrochen ſo lange von Wind und Wetter unſanft umhergeſtoßen worden, daß wir es uns gern gefallen ließen, nicht bei jedem Schritte nach einem Gegenſtande zum Feſthalten zu ſuchen, die Regen - jacke aus geölter Leinwand, den Südweſter und die ſchweren Seeſtiefel bei Seite legen zu können und bei Tiſch unſere Blech - ſchüſſeln nicht mehr in der Luft balancirend halten zu müſſen.

Wir befanden uns auf der Höhe der Straße von Gibraltar und es war ſchon bedeutend wärmer geworden. Mit welchem Behagen genoſſen wir die uns ſo wohlthuende Aenderung! Die hohen Wellenberge, welche der atlantiſche Ocean in die Biscayiſche Bucht wälzt, hatten ſich allmälig geglättet, die dunkelgrüne Färbung des Waſſers war tiefem Blau gewichen und ſtatt der gewaltſam und mit donnerndem Toſen überbrechenden Sturzſeen, die bisher faſt ſtets unſere drohenden Begleiter geweſen, waren es jetzt nur leichte, durchſichtige Wellen, auf denen unſer Schiff ſich wiegte, die tändelnd an Bug und Seiten emporſchnellten, oder leiſe nebenher rauſchten und in deren ſilbernem Schaume die Sonnenſtrahlen ſich badeten. Bis dahin hatten alle Luken verſchloſſen gehalten werden müſſen und die Luft unten im Schiffe war dumpf und ſchlecht. Regen und überdampfende48WernerWellen hatten nachgrade unſern ganzen Kleidervorrath durchnäßt, ohne daß ſich Gelegenheit bot, denſelben wieder zu trocknen und auch unſer Bettzeug war klamm und feucht. Da empfanden wir denn die warme Sonne und den trockenen Wind außer - ordentlich wohlthuend und ſuchten von beiden nach Kräften zu profitiren. In jeder Luke wurden Windſäcke aufgeheißt, um die ſchöne friſche Luft durch das ganze Schiff ſtreichen zu laſſen, und das Oberdeck war in einen Trockenboden verwandelt. Man ſah nur vergnügte Geſichter, und Scherze, wenngleich oft derber Art, flogen hin und her, denn auch auf das Gemüth übte das ſo lang entbehrte ſchöne Wetter günſtigen Einfluß. Am Nach - mittage wurde es ziemlich ſtill, doch erwuchs uns dadurch eine angenehme Abwechſelung, daß wir zwei Schildkröten fingen. In dieſer Gegend, vor dem Eingange zum Mittelmeer, begegnet man ihnen häufig und wenn Windſtille eintritt, kann man bei einiger Geſchicklichkeit ihrer leicht habhaft werden. In allem, was Fiſcherei anbetraf, zeigte ſich unſer alter Bootsmann als Meiſter; Harpunen, Elger*Harpunen zum Fang kleinerer Fiſche. Sie ſind mit 6 9 Wider - haken verſehen., Angeln und Netze jeder Art waren in beſter Ordnung und zu ſofortigem Gebrauche bereit. Seine langen Erfahrungen auf dieſem Gebiete ſetzten ihn in den Stand, Alles auf’s zweckmäßigſte einzurichten und ſeiner großen Geſchick - lichkeit entging ſelten ein Fang auf den er Jagd machte. Bei Inſtandſetzung der Fiſchereigeräthſchaften mußte ich ihm meiſtens helfen; er zeigte mir dann die Handgriffe und belehrte mich, wie dieſer oder jener Fiſch am beſten zu erlegen ſei, was mir ſpäter ſehr zu ſtatten kam.

Als wir die erſte Schildkröte in Sicht bekommen hatten, wurde ſcharf nach anderen ausgeſehen und alles bereit gehalten. Es dauerte auch nicht lange, da kamen eine zweite und dritte angetrieben und zwar Beide von ziemlicher Größe. Durch49Eine erſte SeereiſeBacklegen der Segel wurde die geringe Fahrt des Schiffes gänzlich gehemmt und dann ein Boot zu Waſſer gelaſſen. Wenn Schildkröten ſich längere Zeit an der Oberfläche des Waſſers zeigen, ſo ſchlafen ſie gewöhnlich und man muß ſich ihnen ſehr geräuſchlos nähern, um ſie nicht vorzeitig zu wecken. In einer Entfernung von 15 20 Metern geben die Ruderer dem Boote noch mit aller Kraft eine letzte Vorwärtsbewegung und laſſen es damit laufen. Es iſt danach Aufgabe des Mannes am Steuer, das Boot genau auf das Thier zu dirigiren, da davon der Fang abhängig iſt. Vorn im Boot ſteht der Mann mit dem Schildkrötennetz, einem ſehr einfachen Inſtrumente. Zwei Stangen, gewöhnlich Bootshaken, werden wie ein Andreas - kreuz über einander gebunden. Zwiſchen den beiden äußern und kürzeren Scheeren wird ein grobmaſchiges Netz ſackartig, aber nicht zu tief herabhängend, befeſtigt, die längere Scheere dient als Handhabe und der Steven des Bootes als Stützpunkt. Die ganze Kunſt beſteht dann darin, das Netz in dem richtigen Augenblicke ſo weit zu ſenken, daß man damit die Schildkröte unterfährt, und danach es ſofort wieder über Waſſer und in das Boot zu heben. Dort legt man das Thier auf den Rücken, um es gänzlich unſchädlich zu machen, muß ſich jedoch in Acht nehmen, nicht ſeinem Maule nah zu kommen. Mit den einem Papageiſchnabel ähnlich geformten und meſſerartig ſcharfen Hornkiefern ſchnappt es um ſich und iſt im Stande einen Fuß - oder Armknochen morſch abzubeißen.

Der Bootsmann handhabte das Netz und im Verein mit dem geſchickten Steuern des Unterſteuermanns gelang es, nicht nur die beiden vorhin geſehenen, ſondern noch eine dritte Schild - kröte zu fangen, die wir ſpäter entdeckten. Dann friſchte die Brieſe auf, das glatte Waſſer wurde rauh und wir mußten an Bord zurück. Die gefangenen Thiere hatten ungefähr gleiche Größe, wogen zwiſchen 40 50 Pfund und gaben für die ganze Beſatzung verſchiedene wohlſchmeckende Mahlzeiten. IchR. Werner, Erinnerungen. 450Wernerhabe auf ſpäteren Reiſen in dieſer Gegend noch oft Schildkröten gefangen, doch nie größere geſehen, während man in ſüdlicheren Ländern bisweilen ganz außerordentlich mächtige Exemplare bis zu 5 600 Pfund Gewicht findet. Zwei ſolche Thiere kaufte ich einmal auf der Inſel Ascenſion, um ſie mit nach Europa zu nehmen. Unſere Reiſe dauerte 8 Wochen. Während der ganzen Zeit lagen die Schildkröten unter dem Decksboot auf dem Rücken mit einem naſſen Sack unter dem Kopfe und wenn die See es nicht ſelbſt beſorgte, wurden ihnen täglich zur Er - friſchung ein Paar Eimer Waſſer über den Körper geſpült. Zu freſſen erhielten ſie nichts, weil wir nichts für ſie hatten, aber trotz der wenig behaglichen Situation kamen beide Thiere lebend in Deutſchland an und eine von ihnen hatte ſogar die Freundlichkeit, einige Wochen lang täglich 15 18 Eier zu legen, die wir uns wohl ſchmecken ließen.

Es ſchien, als ſollten wir für alle das bisher erlebte Un - gemach an Wind und Wetter jetzt entſchädigt werden, denn der Norder wuchs wieder zu einer ſteifen Brieſe, die uns mit zehn Meilen Fahrt vorwärts trieb und uns in wenigen Tagen auf die Höhe von Madeira und damit an die Grenze der Tropen brachte. Doch vergebens ſtrengten wir unſere Augen an, um die ſchöne Inſel am fernen Horizonte zu entdecken. Die eigen - thümliche aber ganz praktiſche Belohnung, welche auf Hamburger Kauffarteiſchiffen demjenigen winkt, welcher nach längerer See - reiſe zuerſt das Land ſieht, nämlich das nöthige Segeltuch zu einer Hoſe, die dann der Betreffende ſich ſelbſt anzufertigen hat, blieb diesmal unverdient und Madeira kam nicht zum Vorſchein. Das verdarb für den Tag Allen die gute Laune; dem Kapitän, der ohnehin nicht viel davon beſaß, weil ſeine aſtronomiſche Rechnung ſo ſchlecht ſtimmte; den Leuten, weil ihnen die Segel - tuchhoſe entgangen war, und mir ſelbſt auch, weil ich auf meiner Freiwache zwei volle Stunden umſonſt im Top geſeſſen und Ausguck gehalten hatte.

51Eine erſte Seereiſe

Das ſchöne Wetter brachte indeſſen bald alles wieder in das rechte Gleis. Der Nordwind war in den Nordoſtwind übergegangen und wir hatten die Region des Paſſates erreicht, die Region des ewigen Friedens und der Ruhe in der Natur, die der Seemann mit vollen Zügen genießt, in der er die harten Mühen und Entbehrungen ſeines Lebens vergißt und in welcher der Schöpfer alles an Schönheit und Lieblichkeit vereint hat, was das Meer aufweiſt. Kein Sturm, keine tückiſche Hagelbö iſt zu fürchten; die Stunden der Nachtruhe werden nicht durch den Nothruf Reewe, reewe! geſtört, Nebel und Finſterniß haben ihre Schrecken verloren. Kaum merkbar ſchwankt das Schiff auf den vom Winde leicht bewegten Wellen und zieht Wochenlang ſeine Bahn durch ſie, ohne daß die Stellung der Segel verändert wird, weil die milde gleichmäßige Brieſe ſtets aus derſelben Richtung weht. Das Meer leuchtet in dem ſchönſten tiefſten Blau, über ihm wölbt ſich in lichter Klarheit das Firmament und von keinem neidiſchen Gewölk ge - trübt, ſendet die Sonne ihre goldigen Strahlen hernieder, aber nicht ſengend und verzehrend, ſondern überall Leben ſpendend und fördernd, durch den Wind und die Verdunſtung des Waſſers gemäßigt und deshalb auch von den Menſchen nur wohlthätig empfunden. Die Stetigkeit und Ruhe in der Natur legt der Beſatzung keinerlei außergewöhnliche Anſtrengungen auf, wie in den nordiſchen Gegenden und das Uhrwerk des Seetages rollt ſich gleichmäßig ab. Die Arbeit hört deswegen freilich nicht auf; im Gegentheil es giebt mehr davon, als ſonſt, aber ſie iſt nicht anſtrengend und die Zeit ſchwindet ſchnell dabei. Der Landbewohner kann oft nicht begreifen, daß man an Bord ſo viel zu thun hat, und doch iſt es in ſolchem Grade der Fall, daß man mit der Arbeit nie fertig wird, mag die Reiſe auch noch ſo lange währen. Selbſt aber, wenn nothwendige Arbeit nicht vorliegt, muß aus Rückſichten der Disciplin irgend welche ge -4*52Wernerſchaffen werden; nur ſtete Beſchäftigung der Beſatzung kann dieſelbe vor unnützen Gedanken bewahren.

Nicht mit Unrecht ſagt man von einem Schiffe, es ſei wie eine Damenuhr ſtets reparaturbedürftig; das iſt wirklich der Fall; es kommt nie völlig in Ordnung. Durch die ſtete Bewegung, denen Segel und Taue ausgeſetzt ſind, ſcheuern ſie aneinander und leiden. Um dem vorzubeugen, die ganze Takelage darauf hin zu revidiren, ſie mit Schonungsmaterial zu bewickeln u. ſ. w. wird allein ſchon täglich eine mehrſtündige Arbeit von einigen Menſchen beanſprucht. Sodann geht vieles durch den Gebrauch entzwei und muß erſetzt werden. Regen und See waſchen den Theer vom ſtehenden Gut, die Farbe von den Maſten, Raaen und Planken; die Hitze ſchmilzt das Pech aus den Näthen und reckt die Haltetaue der Maſten und Stengen, ſo daß ſie ſtraffer angeſetzt werden müſſen genug Arbeit vollauf und ohne Ende. Aber ſie iſt, wie geſagt, nicht ſchwer, ſie fordert keine große Anſtrengung, es iſt keine Eile nöthig und ſo befindet ſich der Matroſe wohl dabei, genießt nach Herzensluſt die ſchöne ruhige Zeit und ſammelt neue Kräfte für die kommenden Strapazen, die ſeiner außerhalb der Tropen wieder harren.

Gegenſegler hat man im Paſſat kaum zu fürchten; ſie nehmen eine andere Route und mit dem Ausguck wird es des - halb nicht ſcharf gehalten. Da bleibt dann Nachts nur eine Stunde Dienſt am Ruder und Zeit genug zum Schlafen. Die Freiwachen am Tage wurden deshalb nicht mehr wie bisher angewandt, um womöglich Vorrath zu ſchlafen, ſondern zu allerlei Beſchäftigungen, nützlichen und unnützen verwerthet. Unter den nützlichen ſpielte die Inſtandhaltung der Kleider und ihre eventuelle Neuanfertigung die Hauptrolle. Ich lernte nicht nur ſtopfen und nähen, ſondern auch Maß nehmen und zu - ſchneiden, wenn die Erſtlinge der Kunſt auch wunderliche Modelle abgaben. Segeltuch war geſuchtes Material; ſowohl Beinkleider53Eine erſte Seereiſewie Mützen und Schuhe wurden daraus hergeſtellt und die Ueberbleibſel der in der Nordſee fortgeflogenen Segel ſtiegen bedeutend im Werthe.

Aus mitgenommenem Havannahſtroh, das in allen See - plätzen käuflich iſt, wurden Hüte geflochten und es war wirklich zu bewundern, wie geſchickt ſich die Matroſen in all dergleichen zeigten. Hatte man die Kleider in Ordnung gebracht, dann ging es an das Teppichnähen. Freilich waren die Zuthaten nur primitiv; getheertes braunes und weißes Manillatauwerk, zu denen noch etwas rothe oder blaue Stoffwolle trat; mehr hatte man nicht, aber Geduld und Geſchick ſchufen aus dieſen einfachen Sachen ganz hübſche Gegenſtände.

Zu den unnützen Beſchäftigungen gehörte das Tätowiren, das unter den Matroſen ſehr im Schwange iſt, und das man natürlich als junger Menſch auch hübſch findet und mitmacht, während man ſpäter nicht begreifen kann, wie man an einer ſolchen Geſchmackloſigkeit hat Gefallen finden können und ſich glücklich ſchätzt, wenigſtens nur ſolche Körpertheile verunſtaltet zu haben, die gewöhnlich durch die Kleidung verdeckt werden. Drei Nähnadeln werden ſo zuſammengebunden, daß ſie ein Dreieck bilden und die vorderſte ein wenig mehr vorſteht, als die beiden hintern das iſt das Inſtrument, mit dem man ſich in den Konturen der vorher aufgezeichneten Figuren die Haut aufreißt, um in die kleinen Löcher chineſiſche Tuſche oder Zinnober zu reiben, je nachdem man blaue oder rothe Täto - wirung wünſcht. Es iſt eine ziemlich ſchmerzhafte Operation und mir immer unbegreiflich geweſen, wie manche Seeleute ſich den ganzen Körper haben tätowiren laſſen können.

Kommt etwas Jagdbares in Sicht, ſo wird jedoch ſchleunigſt jede andere Beſchäftigung bei Seite geworfen. Tümmler oder Meerſchweine, Delphine und Bonniten ſieht man in den Tropen ſehr viel; oft umſpielen ſie in großen Herden, namentlich die Tümmler, das Schiff und jagen ſich in tollen Sprüngen. Sie54Wernerwerden mit der Harpune gefangen, ſind aber ſo ſchnell, daß man ſelten einen bekommt. Obwohl wir im Laufe der Reiſe vielen Tauſenden dieſer Thiere begegneten, fingen wir nur zwei, die beide vom Bootsmann harpunirt wurden. Merkwürdig iſt es, daß die Herde, mag ſie noch ſo groß ſein, ſofort ſpurlos verſchwindet, ſobald ein Thier harpunirt oder auch nur ver - wundet wird. Nach altem ſeemänniſchen Glauben ſollen die Tümmler ſtets nach der Richtung ziehen, aus welcher man den Wind erwarten darf. Es verhält ſich jedoch damit, wie mit den meiſten Wetterregeln, ſie treffen eben ſo oft zu, wie nicht. Delphine und Bonniten ſind leichter zu erlegen als Tümmler. Sie ziehen gewöhnlich in grader Linie und mit derſelben Geſchwindigkeit wie das Schiff ſelbſt, vor dem Bug deſſelben und nahe unter der Oberfläche hin, um ſich die Jagd auf fliegende Fiſche bequem zu machen, die ihr Nahrungs - mittel bilden. Dieſe werden nämlich durch das Geräuſch des Schiffes, das letzteres beim durchſchneiden des Waſſers macht, aufgeſcheucht und fliegen dann Strecken von hundert und mehr Fuß, um in dem Augenblicke, wo ſie wieder das Waſſer be - rühren von ihren mit gleicher Schnelligkeit folgenden Feinden erſchnappt zu werden.

Die etwa einen Meter langen Delphine, deren wunderbares Farbenſpiel beim Sterben auch in das Reich der Fabel gehört, oder wenigſtens ſehr übertrieben iſt, werden mit dem neun - zackigen Elger harpunirt, die Bonniten dagegen mit Angeln gefangen, deren Köder, einen blanken Zinnfiſch, man auf der Waſſeroberfläche hüpfen läßt. Bei beiden Arten iſt das Jagd - vergnügen die Hauptſache. Das Fleiſch des Tümmlers ſchmeckt ziemlich gut, Delphin und Bonnit ſind jedoch äußerſt trocken und erſterer wird immer mit einem ſilbernen Löffel gekocht und nur mit Mißtrauen gegeſſen. Er ſoll ſehr häufig giftig ſein, namentlich in der Nähe der africaniſchen Küſte, wo der Meeres - boden kupferhaltig iſt. Ein äußerſt ſchmackhaftes und ſtets55Eine erſte Seereiſewillkommenes Gericht liefern dagegen die fliegenden Fiſche. Ihnen ſtellten wir daher eifrig nach und auch mit recht gutem Erfolge. Außenbords wurden möglichſt nahe über der Waſſer - fläche an Stangen Netze horizontal befeſtigt und Nachts eine Laterne hineingehängt. Die durch das Schiff aufgeſcheuchten Fiſche flogen dann oft gegen das Licht und bisweilen fingen wir in einer Nacht mehrere Dutzend. Nichts kann den Reiſen - den einen deutlicheren Begriff von der wunderbaren Reichhaltig - keit der Meeresfauna geben, als der fliegende Fiſch. Er lebt innerhalb der Wendekreiſe, alſo in einer Zone, welche bei un - gefähr 1000 geographiſchen Meilen Breite die ganze Erde um - faßt. Wenn man in dieſer Zone ſegelt, ſieht man in irgend einer Richtung beſtändig Schaaren von ihnen fliegen, die oft nach Hunderten und Tauſenden zählen.

Dann und wann zog auch eine Herde Pottfiſche in der Nähe vorüber und feſſelte unſere Aufmerkſamkeit; überhaupt fehlte es für mich, da mir alles dies neu war, nicht an Ab - wechſelung.

Mein Lieblingsplatz war der Außenklüverbaum, die zweite Verlängerung des Bugſpriets und vierzig bis funfzig Fuß vor dem Schiffsrumpfe gelegen. Dort ſaß ich auf meiner Frei - wache im Paſſat oft Stundenlang, um den Ocean in ſeiner ganzen Schönheit bewundernd zu betrachten und ſeinen Zauber voll auf mich wirken zu laſſen. War das Meer mir im Nor - den in ſchauerlicher Erhabenheit und Majeſtät erſchienen, ſo bot es hier das Bild lieblicher und doch großartiger Ruhe. Leiſe ſchaukelte ſich auf den vom goldigen Sonnenlichte über - goſſenen Fluthen das Schiff, das ich draußen, von meinem luftigen Sitze, wie ein von mir getrenntes Weſen überſchaute. Dort unten der ſchmale ſchwarze Rumpf, an deſſen ſcharfen Bug ſich die Wellen ſchäumend kräuſelten und in ihrem feinen Waſſerſtaube die Sonnenſtrahlen zu einem Regenbogen verdich - teten darüber der Pyramidenbau der von der gleich -56Wernermäßigen Brieſe geſchnellten ſchneeweißen Segel deren Spitze das dreieckige Himmelſegel ſich wirklich im Himmel zu ver - lieren ſchien und ringsum die weite endloſe Waſſerfläche wahrlich ein prachtvolles Bild, an deſſen Schönheit ich mich nicht ſatt ſehen konnte und das die ganze Poeſie des Meeres in ſich verkörperte.

Man glaubt vielfach, der Seemann ſei nicht religiös, und wenn man bisweilen ſein Gebahren am Lande ſieht, ohne ihm auch an Bord zu folgen und dort ſein Weſen und ſeinen Charakter zu beobachten, ſo ſcheint dieſe Anſicht eine Berech - tigung zu haben, aber ſie iſt trotzdem irrig. Ein tief religiöſer Zug geht durch ſein Gemüth, und das iſt bei ſeinem Leben auch nicht anders möglich. Nur ein völlig verderbtes und verhärtetes Herz kann unempfänglich ſein gegen die Schönheiten und Wunder, mögen ſie auch oft grauſig erſcheinen, in denen Gott ſeine All - macht auf dem Meere offenbart.

Die ganze Natur, in Berg und Thal, in Wald und Feld iſt zwar auch voll von ſolchen Wundern, aber nirgend ſprechen ſie ſo laut und vernehmlich zum Menſchen, wie auf der See. Das Heulen und Pfeifen des Sturmes, das Brauſen der Wogen, wenn der Orkan ſie peitſcht, das Donnern und Ziſchen und Schäumen der Brandung, wenn ſie ſich an den Felſen bricht, oder brüllend ſich auf den Strand wälzt, das Aechzen und Stöhnen des Schiffes in dem wüthenden Ringen mit den toſenden Elementen, wenn nur eine ſchmale Planke den Menſchen von dem naſſen Grabe trennt und dann wieder ein Bild wie das obige im Paſſat das ſind Mahnungen, dem ſich auch die roheſte Natur nicht verſchließen kann. Sie künden die Nähe Gottes, ſeine Liebe und ſeine Allmacht; unwillkührlich nehmen ſie das Herz des Seemannes gefangen und leiten ihn unmerk - lich auf die Bahn der Religion und Gottesfurcht. Selten giebt der Matroſe zwar ſeinen Gefühlen nach dieſer Richtung Aus - druck, ja er mag ſich oft ſelbſt nicht einmal klar darüber ſein,57Eine erſte Seereiſeaber ſie ſind vorhanden und wenn ſich die Religion des See - mannes wenig im Aeußern und in ſeinen Worten zeigt, ſo ruht ſie tief im Innern ſeines Herzens und giebt ſich in Thaten kund, die einer edlen Geſinnung entſtammen.

Daß dieſe Religion mit Aberglauben verbunden, ja öfter von ihm überwuchert iſt, erklärt ſich ebenfalls leicht aus den Verhältniſſen und iſt viel eher zu entſchuldigen, als bei anderen Klaſſen. Wenn die angeblichen Wunder von Lourdes, Marpingen und Dittrichswalde ſo viele Tauſende von intelligenten Gläubigen finden, wenn der Spiritismus in den höchſten Klaſſen der Ge - ſellſchaft ſeine Triumphe feiert, darf man dem Matroſen gewiß keinen Vorwurf daraus machen, wenn ſein ungeſchulter Geiſt gewiſſe Wirkungen übernatürlichen Urſachen zuſchreibt. Bei ſeinen vielen und weiten Reiſen hat er ſo viel Wunderbares geſehen und erlebt, für das ihm ſeine geringe geiſtige Entwickelung keine Erklärung zu geben vermag. Die Natur offenbart ſich ihm in ſo großem Styl und unter ſo ungewöhnlichen Verhältniſſen; er erblickt räthſelhafte Erſcheinungen, er hört Geräuſche und fühlt Einflüſſe, von denen er ſich auf einfache Weiſe keine Rechenſchaft zu geben vermag da iſt es nur natürlich, daß ſolche Wahrnehmungen dem Aberglauben Nahrung geben, daß der Matroſe das Segeln am Freitage für ein Unglück hält, daß er in den electriſchen Elmsfeuern, welche bei Gewittern mit ihren bleichen grünlichen Schein die eiſenbeſchlagenen Spitzen der Maſten und Raaen Irrlichtern gleich umflattern, die Seelen verunglückter Kameraden erblickt und auf die Exiſtenz des Klabautermann ſchwört.

Doch andrerſeits wieder gewinnt dieſer Aberglaube nie ſo viel Gewalt über ihn, um ihn ſeiner Pflicht untreu werden zu laſſen. Er bleibt bei alledem practiſch und ein Axiom ſeiner Religion iſt hilf dir ſelbſt, ſo wird Gott dir helfen . Er vertraut auf die Vorſehung, aber auch auf Anker und Ketten, auf Taue und Segel und wenn er auch an die Erſcheinung des Klabautermann und das Unglück glaubt,58Wernerdas damit unvermeidlich ſeinem Schiffe droht, ſo legt er des - wegen nicht trübſelig die Hände in den Schooß, ſondern gebraucht bis zum letzten Augenblick ſeine Kräfte, um das Unglück abzuwenden, und einen ſolchen Aberglauben kann man ſich dann ſchon gefallen laſſen. Er gefährdet weder den Betreffenden noch Andere.

Wie ſich Gegenſätze oft im Leben berühren, ſo findet das auch im Bordleben ſtatt. Wenn mich da draußen auf der Spitze des Außenklüverbaums eine Stunde lang ein poetiſcher Hauch umwehte und ich, geiſtig losgelöſt von meiner Umgebung, nur dem Fluge meiner Gedanken folgte, dann wurde ich beim Wiederbetreten des Decks oft unſanft in die rauhe Proſa des täglichen Lebens zurückgeführt. Zu ſolcher Proſa und zwar zu einer ſehr ſchmutzigen gehört auch das Labſalben , das Theeren ſämmtlichen ſtehenden Gutes, d. h. aller derjenigen Taue, welche wie Wanten, Pardunen, Stagen ꝛc. zum Halten der Maſten und Stengen beſtimmt und ſtraff geſpannt ſind, während als Gegenſatz das laufende Tauwerk beweglich iſt und vorzugsweiſe zur Handhabung der Segel dient. Der Theer conſervirt die Takelage gegen Witterungseinflüſſe; die Operation des Labſalbens wird auf längeren Reiſerouten etwa alle ſechs Monate vollzogen und zwar vorzugsweiſe in den Paſſatgegenden, wo die Witterung dauernd gut iſt. Den jüngeren Mannſchaften fällt dabei natür - lich, wie überall, die unangenehmſte Aufgabe, das Einſchmieren der Stage zu, die von den Toppen der Maſten und Stengen ſchräg nach vorn und unten führen. Auf meinen Theil kam das ganze Vorgeſchirr, d. h. das größte Penſum, das mich mehrere Tage in Anſpruch nahm. Ein Beſenſtiel oder ein ähnlicher Holz - knüttel hing in Tauen und bildete für den Labſalbenden den Sitz. Er wurde mit einer laufenden Schleife ſo an dem Stag befeſtigt, daß man letzteres mit den Händen gut erreichen konnte. Mittels eines anderen Taues, wurde dann der ironiſch Boots - mannsſtuhl genannte Sitz an das obere Ende des Stags gezogen, man ſetzte ſich hinein und wurde je nachdem die Arbeit59Eine erſte Seereiſefortſchritt, allmälig hinunter gelaſſen. Das Handwerkszeug waren ein Eimer voll Theer, der ſeitwärts am Bootsmannsſtuhl hing und ein Büſchel Werg, mit dem man ſchmierte. Da hing man denn hoch oben zwiſchen Wind und Waſſer, wie der Dieb am Galgen und ſuchte ſeine Arbeit ſo gut wie möglich zu machen. Wie auf dem Außenklüverbaum ſchwebte ich auch hier losgelöſt von meiner Umgebung, aber zu poetiſchen Träumen war beim Labſalben keine Zeit; ich hatte meine ganze Aufmerkſamkeit auf den flüſſigen Theer und darauf zu richten, daß ich einer - ſeits keine freien Stellen, ſogenannte Feiertage, ließ und andrer - ſeits nicht Theer auf das Deck verſchüttete. Für beides hatte unſer Bootsmann ein gutes Auge, und ſo vortrefflich ich auch mit ihm ſtand, konnte mir dies Verhältniß nicht ein nochmaliges Hinunterreiten am Stag und Abſchaben der Theerflecke während meiner Freiwache erſparen. Daß trotzdem einzelne ſolche Flecken unvermeidlich waren, erklärt ſich aus der Situation, über hundert Fuß hoch in den Lüften an einem einzelnen Taue zu hängen, aber die meiſten fallenden Tropfen fing man mit dem eigenen Körper auf und wenn irgendwo, ſo iſt der landläufige Ausdruck Theerjacke für Matroſen beim Labſalben zutreffend. Wie ſah man nach Beendigung der Arbeit aus und wie ſchwer war es, ſich wieder zu reinigen!

Das Hauptreinigungsmaterial beſtand in altem Fett, das der Koch vom Salzfleich abſchäumt und das an Bord geſammelt wird, um die Stengen einzuſchmieren, damit die Raaen an ihnen gut auf - und niedergleiten. Damit ließ ſich denn auch das Gröbſte entfernen, aber die ätzende Flüſſigkeit fraß ſich ſo in die Hände ein, daß ſie vollſtändig dunkelbraun erſchienen und es Wochen dauerte, bis ſie allmälig ihre natürliche Farbe wieder annahmen. Bei reichlicher Anwendung von Waſſer und Seife wäre der Prozeß wohl bedeutend ſchneller von Statten gegangen, aber das war zur damaligen Zeit auf Kauffartei - ſchiffen, welche lange Reiſen machten, ein Luxus, nach dem man60Wernerſich zwar oft genug ſehnte, der einem aber nur höchſt ſelten zu Theil wurde.

In Seewaſſer löſte ſich damals keine Seife, wiewohl man in letzterer Zeit ſolche erfunden hat, die es einigermaßen thut, und von friſchem Waſſer, wie der Seemann Trinkwaſſer nennt, gab es nichts, wenigſtens nicht ſo viel, daß man ſich darin hätte ordentlich waſchen können. Sonnabends erhielt Jeder von uns ein kleines Töpfchen warmes Waſſer, etwa ¼ Liter zum Raſiren, das war alles. Damit mußte man dann ſehr öco - nomiſch umgehen; man reinigte ſich ſo gut wie möglich das Geſicht und danach goſſen fünf bis ſechs Mann ihre Portion zuſammen, um es gemeinſam für die Hände zu benützen. Eine ſolche Sparſamkeit war zwar unangenehm, hatte aber doch ihre Berechtigung. Auf einer Reiſe nach Oſtindien bietet ſich für Segelſchiffe faſt keine Gelegenheit, ohne großen Zeitverluſt einen Hafen zur Ergänzung des Trinkwaſſervorraths anzulaufen. Nur Madeira liegt für dieſe Zwecke bequem, aber unſere Schiffs - rechnung war ſo aus dem Wege, daß wir es nicht einmal ſahen, und das paſſirte Handelsſchiffen öfter. Sie nahmen deshalb ſo viel Vorrath mit ſich, wie er für die Reiſe muthmaßlich aus - reichte; da dieſe aber durch unglückliche Zwiſchenfälle ſich ſtatt der gewöhnlichen vier auch auf fünf Monate ausdehnen konnte, ſo war bei dem Waſſerverbrauch große Vorſicht geboten, um nicht in die furchtbare Lage zu kommen, daran Mangel zu leiden. Es war immer ſchon genug, daß wir nicht auf Ration geſetzt wurden und immer ſtets ſo viel trinken konnten, wie wir wollten. Der größte Theil der Waſſerfäſſer war auf dem Oberdeck placirt und der Durſtige holte ſich daraus ſeinen Bedarf. Die Verſuchung, davon auch zum Waſchen zu nehmen, reizte ſehr, aber Niemand unterlag ihr. Jeder hielt es für ein großes Unrecht und meines Wiſſens iſt es nie vorgekommen. Mit dem Trinken, ſo viel man wollte, war es übrigens gerade zu der Zeit, von der ich rede, d. h. nach dem Uebergange aus den61Eine erſte Seereiſekälteren Gegenden in die Tropen, ein eigenes Ding. Man trank trotz der Erlaubniß ſo wenig, wie man irgend konnte und ertrug freiwillig (eben ſo gut könnte man freilich auch ſagen, gezwungen) Qualen des Durſtes.

Wie ſchon erwähnt, befanden ſich, um Ladungsraum zu erſparen, die meiſten Waſſerfäſſer auf Deck und nur etwa ſechs bis acht Pipen, die einen Reſervevorrath für einen Monat bildeten, im Raum. Letztere durften aber unter gewöhnlichen Verhältniſſen nicht angerührt werden, da die Möglichkeit nicht ausgeſchloſſen war, daß eine Sturzſee auf dem Deck tabula rasa machte und ſie dann den letzten Nothanker bildeten. Somit waren wir nur auf jene angewieſen, in denen ſich aber durch die Einwirkung der Tropenſonne ein Fäulnißprozeß bildete, der uns veranlaßte, das Waſſer nur zu genießen, wenn wir es vor Durſt nicht mehr aushalten konnten und dann auch nur mit geſchloſſenen Augen und angehaltenem Athem. Es war nicht nur trübe, ſondern gradezu ſchleimig, zog Fäden und roch ſchrecklich nach Schwefelwaſſerſtoffgas. Als ich zum erſten Male davon genoß, mußte ich es aus Ekel wieder von mir geben, aber der Durſt erwies ſich als der Stärkere; die unappetitliche Flüſſigkeit blieb ſchließlich im Magen. Merkwürdig genug be - nachtheiligte das offenbar faule Waſſer unſere Geſundheit nicht im geringſten. Würde man in den Tropen dergleichen Waſſer am Lande aus irgend einem Pfuhl trinken, ja ſelbſt nur fließendes, auf welches die Sonnenhitze gewirkt, ſo würde der Betreffende in 90 von 100 Fällen damit ein perniciöſes Fieber einſchlucken, aber hier trat dergleichen nicht ein. Weder wurde von uns irgend Jemand krank, noch habe ich gehört, daß es auf andern Schiffen der Fall geweſen, obwohl dort ganz die - ſelben Verhältniſſe obwalteten. Dieſer Fäulnißprozeß dauerte etwa vierzehn Tage; dann ſanken die davon ergriffenen vege - tabiliſchen Stoffe allmälig zu Boden, das Waſſer klärte ſich und der Geruch verſchwand. Eine Menge kleiner Thierchen62Wernerjagte ſich zwar nach längerer Zeit darin umher, aber dieſe fiſchte man, ſo gut es gehen wollte, heraus.

Für Kapitän und Steuerleute befand ſich ein Filtrirapparat an Bord, der aber nur ungefähr für deren Bedarf ausreichte. Bisweilen, wenn ich Nachts auf der Mittelwache am Steuer ſtand, brachte mir dann der Unterſteuermann aus beſonderem Wohlwollen ein ſolches Glas deſtillirtes Waſſer, wahrſcheinlich auf Anregung meines alten Freundes, des Bootsmanns, der mit ihm auf gutem Fuße ſtand. Was für ein Genuß war das und wie dankbar war ich dem Geber dafür!

Es wäre ja ein Leichtes und für die Rheder gar keine koſtſpielige Sache geweſen, auch für die ganze Mannſchaft ſolche Filtrirapparate mitzugeben, aber daran dachte Niemand. Weder Geiz noch böſer Wille waren an der Unterlaſſung Schuld. Der Matroſe ſchluckte ohne ernſtlich zu murren das böſe Getränk hinunter, es ſchadete ſeiner Geſundheit nicht, man war es von jeher ſo gewohnt, die Humanitätsideen der Neuzeit waren damals noch nicht im Schwange und ſo blieb es einfach beim Alten, während z. B. auf der Rhede von Batavia, wo der Genuß rohen Waſſers als geſundheitsſchädlich gilt, die Mannſchaften auf deutſchen Schiffen nur gekochtes Theewaſſer zum Trinken erhielten, ein Beweis, daß man nicht etwa ſparſam ſein wollte.

In neuerer Zeit und namentlich nach Erfindung des Normandyſchen Deſtillirapparats, der die Aufgabe gelöſt hat, die condenſirten und demgemäß ſalzfreien Dämpfe von Seewaſſer mit der nöthigen Menge von Luft zu miſchen, wodurch das ſo gewonnene Waſſer erſt trinkbar wurde, haben ſich dieſe Ver - hältniſſe etwas geändert. Auf faſt allen Kriegsſchiffen befinden ſich ſolche Apparate, die täglich bis zu 2000 Liter Waſſer liefern, und ebenſo auf den größeren Handelsdampfern. Dadurch iſt es möglich geworden, dem gewöhnlichen Matroſen an Bord wenigſtens den Genuß guten Trinkwaſſers und auch den nöthigen Bedarf zur Reinigung ſeines Körpers und ſeiner Wäſche zu63Eine erſte Seereiſegewähren. Und doch ſollte man es kaum glauben, daß mir Befehlshaber vorgekommen ſind, welche, mit einem Deſtillirapparat ausgerüſtet, denſelben nicht in Thätigkeit treten ließen und die Mannſchaften in tropiſcher Sonnengluth auf ſchärfſte Waſſer - ration ſetzten, ſodaß den Armen die lechzende Zunge am Gaumen klebte nur, um die für den Betrieb des Apparates erforder - lichen wenigen Kohlen zu ſparen! Solche Leute dürfen ſich dann allerdings auch nicht wundern, wenn ſie den wüthendſten Haß ihrer Untergebenen ernten.

Als wir ſpäter das Cap der guten Hoffnung paſſirt hatten und wiederum in die heiße Zone kamen, machte das Waſſer den Fäulnißprozeß zum zweiten Male, wenn auch in geringerem Grade durch. Danach blieb es dann gut und klar, nahm jedoch eine gelbliche Farbe wie Rheinwein an. Ich habe von ſolchem Waſſer getrunken, das 8 10 Jahre unangerührt in den Reſerve - fäſſern gelegen hatte, aber vollkommen gut war und durchaus rein ſchmeckte.

Ebenſowenig wie bei dem Waſſer durfte und darf auch heute noch der Kauffartei-Matroſe bei ſeinem Speiſen wähleriſch ſein und Feinſchmecker finden ihre Rechnung nicht an Bord. Auf Schiffen mit anſtändigen Rhedern, zu denen das unſere gehörte, war die Verpflegung an ſich eine auskömmliche und relativ gute, aber die Verhältniſſe bringen es einmal mit ſich, daß weniger auf Wohlgeſchmack, als darauf geſehen wird, daß die mitgenommenen Proviantartikel ſich ein Jahr und länger halten und dann den erforderlichen Nahrungsſtoff beſitzen, um dem Seemanne zu ſeinem ſchweren arbeitsreichen Beruf auch die nöthigen Kräfte zuzuführen.

Unter ſolchen Umſtänden iſt die Auswahl eine geringe und das toujours perdrix natürlich. Viermal in der Woche gab es zu Mittag Erbſen, zur Abwechſelung allerdings nur zwei - mal gelbe, einmal grüne und einmal graue, dann einmal weiße Bohnen und zweimal Pudding. Das letztere klingt nun zwar64Wernerganz einladend, an Bord von Handelsſchiffen verſteht man aber unter Pudding für die Leute etwas anderes, als ſonſt im gewöhnlichen Leben. Die Ingredienzien ſind einfach Mehl, Waſſer und etwas abgeſchöpftes Fett vom geſalzenen Rindfleiſch, und das Ganze wird in Salzwaſſer in einem Segeltuchbeutel gekocht. Das mag ſehr nahrhaft ſein, aber beſonders gut ſchmeckte es mir nicht. Eben ſo wenig habe ich mich je mit den grauen Erbſen befreunden können. In Oſtpreußen, wo ſie wachſen, gelten ſie als Leckerbiſſen, ich wüßte jedoch Niemand aus einem andern Theile Deutſchlands, der dieſen Geſchmack getheilt hätte. Bei den Matroſen haben ſie den Spitznamen Bramſtagläufer und gewöhnlich ging der ganze Suppennapf voll bei uns unan - gerührt über Bord oder man fütterte damit die Schweine, wenn ſolche zum Schlachten mitgenommen waren.

Von dem geſalzenen Rindfleiſch gab es vier Mal und vom Schweinefleiſch drei Mal wöchentlich, außerdem Morgens Kaffee und als dicken Brei gekochte Graupen, Abends Thee und wie zum Frühſtück Schiffszwieback und Butter, ſo lange ſie reichte. Kaffee und Thee trank man natürlich ohne Milch und Zucker.

Trotz dieſes einfachen wenn auch ſehr ſoliden Küchenzettels, hätte ſich nichts dagegen ſagen laſſen, ſo lange die verſchiedenen Proviantartikel gut blieben, aber das dauerte nur kurze Zeit, und ſchon nach einigen Monaten ſah es ziemlich ſchlimm damit aus. Die Hülſenfrüchte wurden hart, die Butter in den Tropen flüſſig und abſchmeckend, das Fleiſch durch das längere Liegen in der ſcharfen Pökel brandſalzig, hart und holzig, das Schweine - fleiſch gelb und ranzig, das Mehl miethig und in dem Schiffs - zwieback hauſten ganze Inſectenſammlungen. Nur die Graupen blieben gut und Monate lang bildeten ſie unſer Hauptnahrungs - mittel an den Tagen, wo es Erbſen oder Bohnen gab, alſo fünf Mal in der Woche. Da zum Frühſtück eine reichliche Portion gekocht wurde, hoben wir uns ſtets davon zu Mittag auf.

Das harte trockene Salzfleiſch, das die Matroſen Torniſter -65Eine erſte Seereiſefleiſch nennen, weil ſie behaupten, daß man es einen Tag lang im Torniſter tragen könne, ohne einen Fettfleck zu bekommen, flößte mir einen völligen Widerwillen ein. Ich habe es Jahre lang nicht gegeſſen und auch der Schiffszwieback war nicht meine Paſſion; dagegen mochte ich faute de mieux die Graupen ganz gern. Man ſieht, verwöhnt wurde man nicht an Bord. Alle 14 Tage wurde aber auch Roggenbrod für einen Tag gebacken und das gab einen wahren Feſttag. Dann wurden ſelbſt die Graupen mißachtet und nur das friſche Brod gegeſſen, wenn es auch oft eine verbrannte Kruſte und zollbreite Waſſerſtreifen zeigte es ſchmeckte uns doch herrlich.

Mit der Dauer der Reiſe wurde natürlich die Verſchlechte - rung der Proviantartikel immer größer, aber eine eigentliche Unzufriedenheit, welche nachtheiligen Einfluß auf den guten Geiſt der Mannſchaft geübt hätte, zeigte ſich deshalb doch nicht. Die Leute wußten, daß die ſämmtlichen Lebensmittel gut an Bord gekommen und die Rheder in keiner Weiſe knauſerig geweſen waren. Dies Bewußtſein genügte ihnen, um über die Mängel der Verpflegung zwar wie über alles zu räſonniren das liegt nun einmal in der Natur der Matroſen aber ſie auch nicht ernſt zu nehmen.

Die Genügſamkeit des gewöhnlichen Seemanns verdient überhaupt Bewunderung. Wenn er von Seiten ſeiner Vor - geſetzten nur richtig und human behandelt wird und merkt, daß jene etwas für ihn übrig haben, dann iſt er mit allem zu - frieden. Unverdroſſen arbeitet er Tag und Nacht, erträgt ohne Murren die größten Strapazen, hilft ſich ſcherzend über Un - gemach fort und vergißt alles Schwere, ſobald nur ein freund - licher Strahl ihm wieder leuchtet. Das gilt im allgemeinen von den tüchtigen Seeleuten aller Nationen, ſpeciell aber von den Deutſchen, die vor den andern noch die größere Zuverläſſig - keit voraus haben und grade in den kritiſchſten Momenten ſich am meiſten bewähren.

R. Werner, Erinnerungen. 566Werner

Sorgloſe Heiterkeit und eine Leichtlebigkeit, die oft als Leicht - ſinn bezeichnet werden muß und ernſtere Gedanken an die Zu - kunft nicht aufkommen läßt, ſind vorwiegende Charakterzüge des Matroſen. Sie ſprechen ſich in ſeinem Thun und Laſſen, in ſeinem Sprechen, Denken und in ſeinen Liedern aus. Vom Singen iſt er ein großer Freund; merkwürdiger Weiſe iſt aber der Schatz wirklicher Seemannslieder ein ſehr kleiner in Deutſch - land, während die Engländer davon Hunderte und oft von draſtiſcher Komik haben.

Jeder Arbeit an Bord von Kauffarteiſchiffen wird von Geſang begleitet; Ankerlichten, Heißen der Segel, der Boote, überhaupt alles, wobei Kraftanſtrengung und namentlich gleich - zeitige erforderlich iſt, geht nach dem Tacte von Liedern, deren Text allerdings ſehr oft nicht vor dem Richterſtuhl guten Ge - ſchmacks beſtehen kann. Dieſe Arbeitsgeſänge, wie man ſie wohl nennen kann, haben alle denſelben Zuſchnitt. Der Vorſänger ſingt eine Strophe vor und alle übrigen fallen mit einem kurzen Refrain ein, bei dem dann der Tonfall angiebt, wann alle zu - gleich an einem Tau ziehen ſollen. Unter den übrigen Liedern, die nur zur Unterhaltung dienen, nimmt Heine’s Loreley einen hervorragenden Platz ein und es wird mit Vorliebe geſungen, wenn die Leute recht ſchwer und lange gearbeitet haben. Daß es überhaupt von den Matroſen adoptirt iſt, gründet ſich wohl auf den darin vorkommenden Schiffer und Kahn, daß ſie es aber regelmäßig nach ſchwerer Arbeit anſtimmen, habe ich mir nicht erklären können, es ſei denn, daß dann ihre Gemüthsſtimmung mit den beiden erſten Strophen ſympathiſirt. Bei uns an Bord wurde in den Freizeiten viel geſungen. Wir hatten recht gute Stimmen unter den Leuten und einer der Matroſen kannte auch ganz paſſable Lieder, die er entweder ſelbſt gemacht oder irgendwo aufgeleſen hatte. Eins derſelben, das den oben er - wähnten Kehr dich an nichts des Seemanns in humoriſtiſcher Weiſe veranſchaulicht und dabei nach Salzwaſſer ſchmeckt, ſprach67Eine erſte Seereiſeſehr an und hatte eine recht gefällige Melodie. So viel ich mich erinnere, lautete es folgendermaßen:

Ich kann nicht erinnern, daß jemals auf See
Matroſen ich traurig erblickt,
Kein Hagel und Regen, kein Sturm oder Schnee
Nichts giebt’s was zu Boden ihn drückt.
Wenn’s weht aus Nordweſt und in Sorge und Noth,
Manch Bräutchen und Mutter ſich quält,
Sitzt Janmaat behaglich in Lee
1Die geſchützte Seite unter dem Winde.
1 von dem Boot
Und da wird gelacht und erzählt.
Guckt Rasmus
2Perſonificirte See.
2 dann über die Reiling
3Verſchanzung.
3 und ſpült
Gehörig die Klüſen
4Die Oeffnungen vorn am Schiff, durch welche die Ankerketten nach außenbord’s geleitet werden, hier figürlich für Augen.
4 ihm aus,
Dann ſchüttelt er ſich wie ein Pudel und ſchilt
Und zieht auch die Naſe wohl kraus.
Bald iſt er jedoch wieder heiter geſtimmt
Wie ſehr er zuerſt auch erboſt,
Staut beſſer ſich in die Kinken
5Eigentlich eine falſche Bucht in einem Tau, figürlich Ecke.
5 und nimmt
Ein tüchtiges Prüntje
6Kau - taback.
6 zum Troſt.
Wenn Nachts in der Coje er wonnig und warm
Liegt bis an die Ohren verſteckt
Und ihn aus der Träume holdſeligen Schwarm
Das donnernde Reewe
7Der Ruf, wenn bei Sturm die Leute zum Segelkürzen an Deck kommen ſollen.
7 erweckt,
Dann wickelt er ſich aus den Decken hervor
Und’s ſetzt auch bisweilen ’nen Fluch,
Wenn ſchallend die Glocke verkündet dem Ohr
Daß eben ſechs Glaſen
8Jede Wache von 4 Stunden wird in 8 halbe Stunden (Glaſen, von den früher gebrauchten Sanduhren ſogenannt) eingetheilt. Wenn ſechs Glaſen geſchlagen werden, ſo iſt nur noch eine
8 es ſchlug.
5*68Werner
Doch hat er gereeft nun und hat ihm der Wind
Die Augen gehörig verklart,
Dann iſt auch verflogen der Aerger geſchwind
Sobald er das Grogfaß gewahrt.
Mit Hoi! ho! da fliegen die Raaen hinauf,
Dann wird das Beſanſchrot geholt
9Figürlich für Schnapsaustheilen . Das Beſanſchrot iſt ein Tau, das auf dem Hinterdeck fährt und in ſeiner Nähe treten die Leute an, um Schnaps zu empfangen.
9.
Zur Coje! ſchallt’s nun und im ſchnellſten Lauf
Die Freiwach hinunter ſich trollt.
Wenn’s in den Beſchüten
10Schiffs - zwieback, engliſch Biscuit.
10 ſich regt und bewegt
Von Würmern und Gott weiß was mehr,
Daß, wenn man ſie hin auf die Back
11Tiſch.
11 vor ſich legt,
Von ſelber ſie laufen umher;
Wenn Erbſen und Bohnen wie Blei ſind ſo hart,
Bramſtagläufer
12Graue Erbſen.
12 ähnlich wie Stein,
Wenn’s Salzfleiſch nicht riecht aromatiſcher Art
Und das Speck hat nun goldgelben Schein,
Was kümmert es Janmaat? ihm iſt es egal,
Kaum daß er verziehet den Mund,
Er klopfet das Brod auf die Back ein’ge Mal
Und dann geht’s hinein in den Mund.
Er tröſtet ſich dann, daß er bald kommt zu Haus,
Da giebt es den Beutel voll Geld,
Damit wird gejubelt in Saus und in Braus
Und alles kopfüber geſtellt.
Wie lebt ſich’s ſo luſtig und fröhlich an Land!
Da wird nicht geheißt und gereeft,
Da wird nicht geſcheuert mit Steinen und Sand;
Da ſtört ihn kein Wind, wenn er ſchläft.
8Stunde der Wache übrig. Da die Arbeit des Reefens aber oft eine Stunde und länger dauert, ſo haben die dazu verwendeten Leute der Frei - wache keine Chance, noch einmal zur Coje zu gehen und kommen deshalb in ihrem Schlafe zu kurz.69Eine erſte Seereiſe
Doch leider iſt kurz nur der Freude Beſtand,
Der Pfennig, der letzte geht fort.
Adieu liebes Mädchen, adieu ſchönes Land!
Jetzt heißt es Marſch, wieder an Bord!

Auch ein zweites, aus derſelben Quelle ſtammend, in dem ſich eine Theerjacke ſelbſt ironiſirt, wurde gern geſungen und mag hier Platz finden:

Faſt ſcheint es, als ob ſchon dem ſeemännſchen Stande
Anklebte ein eigenes Duften nach Theer;
Denn auch in dem feinſten Landrattengewande
Riecht man den Matroſen von weitem ſchon her.
Heut wollt ich zu Balle und putzte mich mächtig,
Die Kneifzange
1Frack.
1 ſaß mir gemacht wie aus Guß,
Die ſchneeweißen Leeſegel
2Vatermörder.
2 ſtanden ganz prächtig,
Wie Kohltheer ſo glänzten die Stiefel am Fuß.
Das ſeidene Schnupftuch halb ’raus aus der Taſche,
Die Schraub
3Hut.
3 auf drei Haaren, den Bart fein gebrannt,
So ging ich wie Felix
4Phönix.
4 hervor aus der Aſche
Und macht mich, als wär ich mit Pabſtens verwandt.
Bedächtiglich ſteuerte ich zu dem Balle
Und hört ſchon von weitem des Baſſes Gebrumm
Und bei der Muſik weit klingendem Schalle,
Da drehten ſich wirbelnd die Paare ſchon um.
Bald lockten auch mich zu dem Drehen die Töne
Und machten mich wirbeln vom Kiel bis zum Top
5Von der Fuß - ſohle bis zum Scheitel.
5,
Ich enterte eine verlaſſene Schöne
Und kreuzte mit ihr durch den Saal in Salopp.
Doch, kaum hatt die Länge des Deck’s ich gemeſſen
Und wollte mit meiner Fregatt über Stag
6Umwenden.
6,
Da riß ſie ſich los, wie vom Teufel beſeſſen,
Gewaltſam, daß bald ſie den Arm mir zerbrach.
70Werner
Sie braßte
7Bewegte.
7 die Arme in höchſter Extaſe,
Fiel dann einer Freundin graciös in den Schooß
Und hielt ſich ein mächtiges Tuch vor die Naſe,
Wobei ſie mir grimmige Blicke zuſchoß.
Doch denkt meine Scham, als ich hörte ſie ſagen
Ganz laut zu der großen Geſellſchaft umher,
Hilf Himmel, ich konnt es nicht länger ertragen,
Es riecht ja ſo fürchterlich ſtrenge nach Theer!
Beſtürzt braßt ich back
8Stand ich ſtill.
8 und begann über’s Steuer
9Rückwärts.
9
Zu gehn und die Thüre zu ſuchen vom Saal,
Die Naſe der Schönen ſtill wünſchend zum Geier,
Die ſo mir verdarb dieſen glänzenden Ball.
So ging’s mir ſchon öfter, wenn gleich ich mich ſteckte
In allerlei Kleidung, es half mir nichts mehr,
Denn kam ich an Land, augenblicklich entdeckte
Ein weiblicher Riecher den häßlichen Theer.
Schenk ich einer Dame ’ne duftige Roſe,
So riecht ſie und ſpricht dann ganz ſchnippiſch; Mein Herr,
Verzeih’n Sie die Frage, Sie ſind wohl Matroſe?
Warum? Ja! Ah! ſagt ſie, ich rieche den Theer.
Was hilft es am Ende, ob ein ich mich weiche
In Oh
10Eau.
10 de Gott weiß was und Oh Mine Flöhr
11Eau de mille fleurs.
11.
Gleich heißt es, ſobald ich am Lande mich zeige,
Hilf Himmel, wie riechen Sie ſtrenge nach Theer.

Das letztere Lied ſchien ſogar dem alten Bootsmann ſehr zu gefallen, denn wenn die Leute Nachmittags auf der Frei - wache vorn auf dem Deck bei ihren verſchiedenen Beſchäftigungen zuſammenſaßen, munterte er ſie öfter auf, doch das Lied von Mine Flöhr zu ſingen und brummte dann die Melodie leiſe mit, wenn gleich er gewöhnlich dabei um ein bis zwei Töne aus der Reihe war. Vielleicht ſtiegen dabei Reminiscenzen an ſeine jüngeren Jahre und an eine darin verflochtene Mine in ihm auf.

71Eine erſte Seereiſe

Als wir die Cap Verdiſchen Inſeln paſſirt hatten, fanden wir eines Morgens merkwürdiger Weiſe unſere Segel ſämmtlich blaßroth gefärbt und bei näherer Unterſuchung auch das ganze Schiff mit einer feinen Schicht röthlichen Sandſtaubes belegt. Am andern Tage war die ganze Waſſeroberfläche, ſo wie auch die Takelage und das Deck mit Heuſchrecken bedeckt, ſo daß wir die völlig ermatteten Thiere haufenweis zuſammenfegen und unſern Schweinen zu einem leckeren Mahle verhelfen konnten. Auf meine wißbegierigen Fragen belehrte mich der Kapitän, daß ſowohl Sand, wie Heuſchrecken von der afrikaniſchen Küſte ſtammten, wahrſcheinlich durch einen der dort heimiſchen gewalt - ſamen Stürme (Tornado) vom Lande auf das Meer geführt und dann von dem Paſſatwinde weiter getragen würden.

Auch eine Menge kleiner Landvögel ließ ſich erſchöpft auf dem Schiffe nieder und wir griffen verſchiedene von ihnen, die wir jedoch leider nicht erhalten konnten, da uns das Futter für ſie fehlte, und ſo gingen die armen Thierchen, die ohne Nahrung bereits eine Reiſe von 150 Meilen gemacht hatten, zu Grunde.

In dieſer Gegend ſahen wir nach längerer Zeit auch wieder ein Schiff. Es kam von der afrikaniſchen Küſte herüber, ſteuerte weſtwärts und paſſirte uns ziemlich nahe. Wenn man ſonſt auf langen Reiſen einem Schiff begegnet, ſo iſt das immer ein freudiges Ereigniß, an dem Jeder an Bord den lebhafteſten Antheil nimmt. Man zeigt die Flagge und ſendet ſich gegen - ſeitig durch Auf - und Niederziehen derſelben einen ſtummen Gruß. Wenn es die Witterung erlaubt, fährt man ganz nahe an einander vorbei, um mündlich einige Worte mit einander zu wechſeln, wenn ſich die gegenſeitigen Fragen auch meiſtens nur auf das Woher und Wohin , auf die Dauer der Reiſe und die geographiſche Länge beziehen. Faſt immer aber iſt ein ſolches Begegnen auf dem weiten Ocean eine Abwechſelung, die das einförmige Leben an Bord angenehm unterbricht.

Hier war es jedoch nicht der Fall, im Gegentheil72Wernererregte das Erſcheinen des Fremden eine Zeitlang ein unheim - liches Gefühl. Als er noch etwa eine Meile entfernt war, zeigten wir unſere Flagge, aber die internationale Höflichkeit wurde auffälliger Weiſe nicht erwidert, während das Schiff dagegen ſeinen Curs änderte und grade auf uns zukam. Als ſein Rumpf aus dem Waſſer herauswuchs, wir die ſchlanken ſcharfen Formen des ſchwarz gemalten niedrigen Unterſchiffes, die hängenden Maſten mit den ungemein breiten Raaen des Fahrzeugs unterſchieden und bemerkten, mit welcher ſchnellen Fahrt die Brigg durch das Waſſer ſchnitt, da wußten wir, daß wir es mit keinem gewöhnlichen Kauffahrer, ſondern mit einem von der Guineaküſte kommenden Sclavenfahrer zu thun hatten. Zur damaligen Zeit war der Sclavenhandel zwiſchen Weſtindien und Afrika noch ſehr ſtark im Schwange. Die Engländer hielten zwar eine Reihe Kreuzer, aber meiſtens noch Segelſchiffe, die oft den lediglich auf Schnelligkeit gebauten Sclavenſchiffen im Laufen nicht gewachſen waren und deshalb dem Handel nur wenig Eintrag thaten. Außerdem waren jene gewöhnlich ſo ſtark bemannt und bewaffnet und die Beſatzung beſtand aus ſo ver - zweifelten Kerlen, daß ſie auch wohl mit den ſie verfolgenden Kriegsſchiffen den Kampf aufnahmen, wenn ſie nicht entfliehen konnten. Nicht ſelten hörte man noch vor 40 Jahren von ſolchen desparaten Kämpfen, bei denen die Kreuzer den Kürzeren gezogen, und ebenſo ſchrieb man das öftere ſpurloſe Verſchwinden von Kauffahrern auf der Höhe von Guinea Sclavenfahrern zu, die auch keineswegs vor Seeraub zurückſchreckten.

Uns wurde deshalb gar nicht wohl zu Muthe, als die verdächtige Brigg ſo direct auf uns zuſteuerte, um ſo mehr, als der Kapitän zuerſt mit dem Fernrohr ihr ganzes Deck mit Menſchen angefüllt geſehen hatte und jetzt bei dem Näherkommen Niemand zu erblicken war, als der Mann am Ruder. Er trug eine netzartige rothe Kopfbedeckung, wie man ſie bei portugieſiſchen und ſpaniſchen Matroſen häufig findet und auch der ganze73Eine erſte SeereiſeSchnitt des Fahrzeugs verrieth die Bauart jener Länder. Es ſegelte nahe hinter unſerm Heck vorüber, ohne jedoch ſcheinbar von uns Notiz zu nehmen, und luvte dann wieder zu ſeinem alten Curſe auf, um bei der ſtrammen Brieſe ſich eben ſo ſchnell zu entfernen, wie es gekommen. Der unheimliche Patron paſſirte uns auf kaum zweihundert Schritte und wir konnten ſein ganzes Deck überſehen. Er hatte kein Großboot mittſchiffs ſtehen, wie ſonſt bei Kauffahrern allgemein üblich iſt, ſondern nur zwei Seitenboote außenbords und ein drittes quer vor dem Heck in Krähnen hängen. Zwiſchen Fock - und Großmaſt befand ſich dagegen ein anderer Gegenſtand, der unſere Vermuthung über den wahren Charakter des Fremden zur Gewißheit erhob. Es war dies eine ſchwere Kanone, die man zwar mit einer Preſenning einem getheerten Stück Segeltuch bedeckt hatte, deren Conturen ſich jedoch deutlich genug abzeichneten, während wir ganz klar die metallenen Kreisſchienen auf dem Deck ſahen, auf denen das Geſchütz ſich drehte um nach beiden Seiten ſchießen zu können.

Jedenfalls athmeten wir frei auf, als das Unterſchiff der Brigg ſich wieder unter den Horizont zu ſenken begann und wir unbehelligt davon gekommen waren. Von Vertheidi - gung hätte bei einem Angriff des Sclavenfahrers keine Rede ſein können. Wir führten zwar zwei kleine ſechspfündige Karronaden und es befand ſich auch ein Dutzend alter verroſteter Gewehre an Bord, aber was wollte das gegen den langen 24-Pfünder der Brigg ſagen, hinter dem wahrſcheinlich auch eine waffengeübte Beſatzung von 40 50 rabiater Kerle ſtand? Unſere Beklemmung war uns deshalb nicht zu verdenken, um - ſomehr, als nach allem, was man über ſolche Räuber hörte, ſie, um die Spuren ihrer Verbrechen gänzlich zu verwiſchen, das beraubte Schiff anbohrten und es entweder in ihrer Gegenwart mit der vorher gefeſſelten Mannſchaft ſinken oder aber letztere über die Planken marſchiren ließen. Dazu wurde eine Planke über die Verſchanzung hinausgelegt und die unglücklichen74WernerGefangenen mußten, mit Kugeln oder andern Eiſenſtücken be - ſchwert, auf ihr hinausgehen. Waren ſie am äußerſten Ende der Planke angekommen, ſo kippte man das innere in die Höhe und jene ſtürzten in das Meer.

An demſelben Tage, der uns alle in ſolche gemeinſame Aufregung verſetzt hatte, paſſirte mir perſönlich noch ein Unfall, deſſen gefährlichen Folgen ich zwar glücklicher Weiſe entging, der aber leicht für mich eben ſo ſchlimm hätte ablaufen können, wie das Marſchiren über die Planke . Ich war hinaufgeſchickt, um an der Takelage der Großbramraa etwas zu repariren und ſaß zu dieſem Zwecke in dem unter der Raa hängenden, Pferd genannten, Tau, in welchem man ſteht, wenn man die Segel feſt oder los machen oder reefen ſoll. Das Schiff ſegelte vor dem Winde und rollte ſehr ſtark, ſo daß ich dort oben auf meinem luftigen Sitze ununterbrochen einen Kreisbogen von 60 70 Grad bei einem Radius von 35 Metern beſchrieb.

Als ich nach beendeter Arbeit mich anſchickte, an Deck nieder zu entern, brach plötzlich das Rak, der Tauring, welcher die Raa an der Stenge feſthält und das vom Winde geblähte Segel flog mit einem Ruck nach vorwärts. Ich verlor das Gleichgewicht, ſtürzte hinunter und wäre unbedingt verloren geweſen, wenn mich nicht 20 Fuß niederwärts verſchiedene Braſſen und andere Taue, die ſich dort wagerecht kreuzen, wie ein Netz aufgefangen und durch ihre Elaſticität die Gewalt des Falles gebrochen hätten.

Ich konnte nun meinen ſo gewaltſam beſchleunigten Weg nach unten in langſamerem Tempo fortſetzen, wenn mir auch der Schreck ſo in die Glieder gefahren war, daß ich am ganzen Körper zitterte. Schweizer , redete mich der Bootsmann an, was haſt du da wieder für dummes Zeug gemacht? wann wirſt du lernen, an jedem Finger einen Angelhaken zu haben, wie ich dir ſchon ſo oft geſagt! Die übrige Mannſchaft lachte und ich zwang mich auch dazu ſo ſchwer es mir wurde damit war dann die Sache abgethan. Dergleichen Fälle, bei75Eine erſte Seereiſedenen der Betreffende mit genauer Noth dem Tode entrinnt, kommen an Bord ungemein häufig vor, aber wenn es nur gut geht, ſo wird entweder keinerlei Notiz davon genommen oder die Sache ſcherzhaft aufgefaßt.

Eines Nachts, im biscayiſchen Meerbuſen, als das Schiff ſehr heftig in ſchwerer See arbeitete, wurde einer unſerer Leicht - matroſen beim Reefen über die Raa geſchleudert und hing an der Vorderſeite des Marsſegels nur mit einer Hand an einer von ihm ergriffenen Reffzeiſing. Wenige Secunden darauf wäre er auf das Deck oder in die See geſtürzt und in beiden Fällen unbedingt verloren geweſen, da die Witterung das Ausſetzen von Booten nicht geſtattete. Da ergriff ihn der neben ihm be - findliche Zimmermann, ein alter knurriger Seebär, beim Kragen, half ihm wieder auf die Raa und ranzte ihn an: Ein anderes Mal halt dich beſſer feſt, du verdammter Landlubber! Damit war die Sache abgethan.

Ein beſonders grauſiger Fall der Art, der mir ſpäter vor - kam, aber auch wunderbar glücklich verlief, iſt mir noch lebhaft im Gedächtniß geblieben.

Wir ſegelten mit der Fregatte Thetis, deren erſter Officier ich war, bei ſchönem Wetter und leichter Briefe im Mittelmeer, aber obwohl nur geringer Seegang herrſchte, ſchlingerte das Schiff ziemlich ſtark. Ich befand mich auf dem Hinterdeck, als vom Vorderſchiff plötzlich der Schreckensruf Mann über Bord erſchallte. Ich ſprang auf die Commandobank und blickte über Bord, ſah aber nur eine Mütze treiben und im Waſſer kein Anzeichen, daß ein ſchwerer Körper hineingefallen.

Die auf Kriegsſchiffen für ſolche Fälle auf jeder Wache abgetheilten Rettungsmannſchaften waren auf den Ruf ſofort zu ihrem Boote geeilt, um es zu Waſſer zu laſſen und ſchon wollte ich den Befehl geben, damit inne zu halten, weil ein Irrthum vorzuliegen ſchien, als ich zufällig einen Blick nach oben warf und furchtbar zuſammenſchrak. Ein Matroſe hatte auf der76WernerNock (Spitze) der Großbramraa, die ſich bei geheißtem Segel auf Fregatten 50 Meter über Waſſer befindet, gearbeitet und war wirklich hinabgeſtürzt. Die Leute vorn hatten ihn hinter dem Segel verſchwinden ſehen und daher der Ruf Mann über Bord . Im Fallen hatte der ſehr gewandte und kräftige Menſch jedoch das Pferd ergriffen und ſchwebte nun an dem einzelnen Tau hängend dort oben in der ſchwindelnden Höhe, während die Raa mit ihm bei dem rollenden Schiffe beſtändig einen gewaltigen Bogen durch die Luft beſchrieb. Es war eine ſchaurige Situation. Halten konnte er ſich in ihr nicht lange, an Wiederaufkommen auf die Raa war nicht zu denken, in der nächſten Zeit mußte er von oben kommen. Die einzig mög - liche Rettung für ihn lag darin, wenn er in das Waſſer fiel und es hing alles davon ab, daß er nicht die Geiſtesgegenwart verlor und zu rechter Zeit losließ.

Halten Sie ſich noch ſo lange feſt, Mann, bis das Boot zu Waſſer iſt, rief ich ihm zu, in dem ich ſo viel Ruhe wie möglich in meine Stimme zu legen ſuchte, und dann laſſen Sie ſich fallen, ſo bald das Schiff nach Steuerbord überholt.

Der Kutter wurde auf das ſchleunigſte zu Waſſer gelaſſen, die Unterſegel flogen beim Aufgeien*Zuſammenſchnüren. förmlich in die Höhe, aber es verging doch faſt eine Minute, ehe back gebraßt und alles ſo weit war, um den Verunglückten aufzunehmen, ſobald er wieder an der Oberfläche auftauchen würde. Auf meinen Ruf hatte der Matroſe, ſcheinbar ganz kaltblütig Zu Befehl er - widert und wenn dieſe prompte Antwort in ſo großer Todes - gefahr mich auch etwas beruhigte, wuchs mir und allen Uebrigen die kurze Minute doch zur Unendlichkeit und unſere Augen ſchweiften wohl hundertmal angſtvoll nach oben, aber der tüch - tige Mann hielt ſich wie mit eiſernen Klammern feſt. Endlich war das Boot ſo weit und hielt etwas ſeitwärts auf Riemen.

77Eine erſte Seereiſe

Alles klar, rief ich, beim nächſten Ueberholen laſſen Sie ſich fallen.

Wiederum ertönte es hernieder Zu Befehl und im nächſten Augenblicke ſauſte der Matroſe aus der furchtbaren Höhe wie ein Pfeil herunter.

Uns ſtockte der Athem; wir wußten nicht, ob er nicht breit auf das Waſſer ſchlagen und zerſchmettert werden würde. Doch war die Beſorgniß Gottlob unnöthig; wie eine Kerze ſo gerade durchſchnitt er die Luft, mit den Füßen zuerſt, die Hände hoch über dem Kopfe und fuhr wie ein Blitz in die Tiefe.

In tödtlicher Spannung erwarteten wir ſein Wiederauf - kommen. Da tauchte er wie ein Kork empor, ſchaute ſich nach dem Boote um und ſchwamm luſtig auf daſſelbe zu.

Donnerwetter waren ſeine erſten Worte, als man ihn in das Boot zog, ſolchen Satz habe ich mein Lebtag noch nicht gemacht, worauf natürlich ein allgemeines Gelächter der Boots - mannſchaft erfolgte. Mit demſelben Humor machte er beim Betreten des Decks die Meldung beim Wachehabenden Officier An Bord zurück, Herr Lieutenant , was ihm zur Belohnung ein ſteifes Glas Grog eintrug. Damit war aber die Sache erledigt und ſie wurde ſpäter ſelten und dann auch nur in ſcherzender Weiſe erwähnt.

Der Seemann weiß, daß ſein Leben oft an einem Faden hängt und liebt es nicht, in ernſter Weiſe daran erinnert zu werden. Wo er in einem ſolchen Falle freiſchlippt da behält er es entweder für ſich oder macht einen Spaß daraus. Bedauert zu werden hält er unter ſeiner Würde und glaubt ſich etwas zu vergeben, wenn er dergleichen Gefühlen Ausdruck leiht. Dadurch erſcheint er Fernſtehenden bisweilen gefühllos, was der Matroſe im allgemeinen aber durchaus nicht iſt. Im Gegen - theil birgt er unter der harten Außenſeite meiſtens ein ſehr gutes*Dieſer ehemalige Matroſe iſt jetzt Director einer Verſicherungs - geſellſchaft in einer mitteldeutſchen Stadt.78Wernerund weiches Herz, und es iſt ein charakteriſtiſcher Zug von ihm, daß er für ſeine Mitmenſchen bereitwillig ſich ſelbſt entblößt, um ihnen zu helfen, und ohne weiteres ſein Leben in die Schanze ſchlägt, um das Anderer zu retten. Das zeigt ſich ſo recht in ſchönſtem Lichte, wenn ein Mann über Bord fällt. Mag das Wetter noch ſo ſchlecht, die Nacht finſter, Sturm und See noch ſo wüthend ſein Alle drängen ſich herbei, um als Freiwillige in das Boot zu gehen und den Kameraden den zürnenden Elementen wieder zu entreißen, obwohl der die Verhältniſſe be - ſonnener überſchauende Vorgeſetzte, wenn auch mit ſchwerem Herzen, oft entſchieden dagegen auftreten und die Rettung verweigern muß, weil die ganze Bootsbeſatzung dabei zu Grunde gehen würde.

Und nun erſt beim Rettungswerk an den Seeküſten, wenn es ſich darum handelt, durch die wüthende Brandung den Schiff - brüchigen zu Hülfe zu kommen und ſie vor dem naſſen Grabe zu bewahren! Welcher Heroismus, welche Hingabe, welche be - wundernswerthe Selbſtverleugnung wird da von den Rettungs - mannſchaften gezeigt! Da gilt es oft viele Stunden lang mit faſt übermenſchlichen Kräften gegen Sturm und Wogen in einem gebrechlichen Boote zu kämpfen, jeden Augenblick gewärtig, von einer heranbrauſenden Sturzſee erfaßt und in die dunkle Tiefe geſchleudert zu werden. Wie viele büßen bei dieſem humanen Werke ihr Leben ein, ohne daß die Anderen ſich dadurch ſchrecken laſſen! Kein äußerer, irgendwie verlockender Lohn harrt ihrer, keine laute Anerkennung ſchmeichelt ihrem Ehrgeiz; am öden Strande abgelegener Inſeln und Küſten vollziehen ſich ſolche heroiſche Acte, von denen öfter nicht einmal die nächſte Umgebung Kunde erhält. Nein, die Motive ſind nur reine Menſchenliebe und ein gutes Herz, die ſich willig in Thaten äußern, aber es verſchmähen, Worte darüber zu verlieren.

Im Gegentheil ſucht der Matroſe etwas darin, äußerlich hart zu erſcheinen, namentlich an Bord eines Schiffes. Das Leben an Bord fordert vom Einzelnen, daß er ſich nach allen79Eine erſte SeereiſeRichtungen als Mann zeige und von dieſem Gefühle iſt der Seemann ſo durchdrungen, daß er den Begriff der Männlich - keit meiſtens zu ſtreng auffaßt. In dieſer Anſchauung glaubt er alle ſanfteren Regungen in ſeinem Innerſten verſchließen zu müſſen. Sie veranlaßt ihn, das glückliche Entrinnen aus drohender Todesgefahr als einen Scherz anzuſehen, körperliche Verletzungen als Bagatellen unbeachtet zu laſſen, kein Mitleiden, nicht ein - mal zu Kranken zu äußern und ſelbſt krank, ſich ſo lange hin - zuſchleppen und ſeine Arbeit zu thun, bis er thatſächlich zu - ſammenbricht und ſelbſt der energiſche Wille die fehlenden Kräfte nicht mehr zu erſetzen vermag. Alle weicheren Gefühle verſpottet er als weibiſche Schwäche und wie er dem nach ſeiner Anſicht vollkommenen Manne den das höchſte Lob ſpendenden Beinamen fixer Kerl beilegt, nennt er den Schwächling verachtungsvoll altes Weib . Dieſelbe übertriebene Auslegung des Begriffes Mann veranlaßt ihn oft den ſchwierigeren Weg zum Ziele zu wählen, obwohl ihm ein bequemer und gefahrloſer zu Gebote ſteht, mit ſeine Kräfte faſt überſteigender Anſtrengung eine Arbeit allein zu vollbringen, die er ohne Verſchmähung vorhandener und gebotener Hülfe ſo viel leichter hätte bewältigen können. Er klettert wie eine Fliege an der Decke, in den Püttingswanten, Taue, welche die Ränder der Mars ſchräg nach unten halten, außen herum in die letztere, während er viel bequemer gradeaus gehen und durch das Soldatenloch eben dahin kriechen könnte. Statt auf den Pferden der Raaen hinaus zu gehen und ſich mit den Händen feſtzuhalten, ſieht man ihn oft trotz der heftigen Schwankungen des Schiffes wie einen Seiltänzer oben auf den Raaen ſelbſt hinauslaufen, obwohl ihm bei dem leiſeſten Fehltritt ein Sturz von oben droht und ſtatt die Strickleitern in den Wanten*Haltetaue der Maſten. zu benutzen, rutſcht er an den Pardunen**Haltetaue der Stengen. oder anderen einzelnen Tauen hinunter.

80Werner

So macht er es bei hundert anderen Gelegenheiten. Kein Menſch drängt ihn dazu, er hat vollauf Zeit, aber er thut es, weil er glaubt, dergleichen gehöre ſich für einen tüchtigen Mann. Auf der andern Seite kommt eine ſolche Anſchauung allerdings auch wieder dem Berufe ſelbſt zu Gute und aus ihr erklärt ſich die Möglichkeit, daß Kauffarteiſchiffe mit ſo geringen Beſatzungen über See kommen und dieſe in kritiſchen Lagen oft kaum Glaubliches leiſten. Keiner verläßt ſich auf den Andern; ein Jeder thut ohne Sporn von ſelbſt das Mögliche und arbeitet, als ſollte er das Ganze allein ausführen. Je größer die Ge - fahr, je ſchwieriger die Lage, deſto größer ſind die Leiſtungen und deſto tapferer werden die Strapazen ertragen das iſt des echten Seemanns Art.

Unſere Reiſe bis in die Nähe des Aequators verlief ohne weitere bemerkenswerthe Umſtände. Wir ſchnitten denſelben, wie damals alle Segelſchiffe, zwiſchen dem 17. und 18. weſtlichen Längengrade von Greenwich. Jetzt geſchieht dies auf Grund hydrographiſcher und meteorologiſcher Forſchungen der neueren Zeit, 180 200 Meilen weſtlicher, zwiſchen dem 30. und 31. Grade weſtlicher Länge.

Für die um das Cap der guten Hoffnung beſtimmten Schiffe iſt dies zwar ein ſcheinbarer Umweg, aber in Wirklich - keit ein Gewinſt von durchſchnittlich 14 Tagen und mehr. Die beiden im Atlantiſchen Ocean wehenden Paſſate, der Nordoſt im Norden, der Südoſt im Süden des Aequators, verſchieben je nach dem Stande der Sonne ihre Grenzen im Laufe des Jahres um zwanzig bis dreißig Meilen, gehen aber nicht direct in einander über, ſondern bilden durch ihr Aufeinanderſtoßen in der Nähe der Linie, wie die Seeleute den Aequator nennen, einen Stillgürtel. Derſelbe iſt an der afrikaniſchen Küſte ziem - lich breit, 40 50 Meilen, ſpitzt ſich aber nach Weſten kegel - förmig zu und mißt auf 30 32 Grad Weſtlänge nur noch wenige Meilen. Ehe man dieſe Thatſache kannte, die wir den81Eine erſte Seereiſehydrographiſchen Beſtrebungen des berühmten Amerikaners Maury verdanken, geſchah es oft, daß Schiffe drei bis vier Wochen gebrauchten, ehe ſie auf ihrer öſtlichen Route dieſen Gürtel überwanden, während man gegenwärtig weiter weſtlich die Sache in ein paar Tagen abmacht, ja, wie ich es ſpäter einmal ge - habt, faſt direct aus einem Paſſat in den andern ſegeln kann.

Wir verloren den Nordoſtpaſſat damals auf 1 Grad Nordbreite und fanden den Südoſt auf Grad Süd, aber dieſe 50 Meilen wurden uns erſchrecklich ſauer gemacht. Wir gebrauchten, um ſie zu durchſegeln, nicht weniger als 23 Tage und zwar faſt unter beſtändigen Gewittern und furchtbaren Regengüſſen, von denen man ſich in unſerm Klima kaum einen Begriff machen kann. Es iſt dies die Folge der aufeinander ſtoßenden Paſſate. Die mit Waſſerdünſten geſättigten beiden Luftſtrömungen ſteigen beim Zuſammentreffen in die Höhe, ihr Waſſerdampf verdichtet ſich in den oberen kalten Regionen und ſchlägt, meiſtens von electriſchen Entladungen begleitet, als Regen nieder und zwar faſt ohne Unterbrechung, da auch der Verdich - tungsprozeß beſtändig vor ſich geht.

Nach den drei Wochen bequemen, ruhigen Lebens, das uns der Nordoſtpaſſat gebracht, empfanden wir den Contraſt höchſt unbehaglich. Bis dahin waren Raaen und Segel faſt nicht gerührt, jetzt nahm das Braſſen, Segelbergen und Segel - ſetzen weder Tag noch Nacht ein Ende. Abſolute Windſtille hatten wir nur wenige Stunden in der ganzen Zeit, bald ſprang von dieſer, bald von jener Seite ein leiſer Hauch auf, der als Katzenpfote das Waſſer kräuſelte. Bisweilen dauerte er keine Viertelſtunde, aber er durfte nicht unbenutzt vorüber - gehen und die Segel mußten nach ihm geſtellt werden, wenn er uns auch nur ein paar Schritte vorwärts brachte. Dann wieder zog eine Gewitterbö herauf, und da man nie wiſſen konnte, was darin ſteckte, ſo mußten die vielleicht eben geſetzten Segel wieder fortgenommen werden. Da das bei einer ſoR. Werner, Erinnerungen. 682Wernergeringen Mannſchaft aber verhältnißmäßig langſam ging, ſo paſſirte es auch öfter, daß wir von dem Winde überraſcht wurden und dann Gott danken mußten, wenn wir mit einem blauen Auge davon kamen und nicht Stengen und Raaen verloren.

Namentlich Nachts waren ſolche Böen ſehr unwillkommen und ſchaurig. Ich erinnere mich noch einer derſelben, die von allen Schrecken eines tropiſchen Gewitters begleitet war.

Unſere Wache kam um zwölf Uhr Nachts auf das Deck. Der Regen hatte ſeit kurzem aufgehört, es war todtenſtill, aber ſo finſter, daß man nicht zwei Schritte weit etwas zu unter - ſcheiden vermochte und wir wie Blinde unſern Weg tappen mußten. Die kleinen Segel hatte die Wache aus Vorſicht ſchon geborgen, die großen hingen vom Regen doppelt ſchwer an Stengen und Maſten nieder. Die See war ſo merkwürdig ruhig, daß das Schiff bisweilen Minuten lang bewegungslos auf dem Waſſer lag; dann rollten ein paar Wellen heran und die naſſen Segel ſchlugen mit lautem Krachen gegen die Maſten, um gleich darauf wieder eben ſo ruhig und unbewegt hernieder zu hängen. Die unheimliche Stille laſtete in Verbindung mit der ſchwarzen Nacht wie ein Alp auf uns; es war, als ob etwas Schlimmes in der Luft lag. Der Unterſteuermann ließ alle größeren Segel fortnehmen, die Marsſegel herunterführen und ihre Flächen durch Ausholen der Refftaljen um die Hälfte verkleinern, um auf Alles gefaßt zu ſein, doch das ganze Manöver wurde von uns lautlos und ohne den bei ſolchen Gelegenheiten ſtets üblichen Sang ausgeführt. Der Kapitän war auch auf Deck gekommen; wir hörten ihn hinten gehen, aber die Schritte klangen hohl und dumpf, als ob die ſchwere Luft den Schall nieder und gegen die Verſchanzung drückte. Die beiden Bramſegel wurden noch gegeit und der Kapitän gab den Befehl, ſie feſt zu machen. Ich wurde in den Großtop hinauf - geſchickt, während ein Leichtmatroſe das Vorbramſegel beſchlagen ſollte. Ich weiß nicht woran es lag, daß mir meine Aufgabe83Eine erſte Seereiſeſchneller als je gelang. Früher hatte ich meine Kräfte ſehr an - ſtrengen müſſen, um das ziemlich große trockene Segel allein zu bewältigen, heute war es naß und doch war ich in wenigen Minuten damit fertig und wieder an Deck. Ich fand die Leute der Wache bei der Kombüſe zuſammenſtehen und geheimnißvoll flüſtern, als ob etwas außergewöhnliches paſſirt ſei. Als ich zu ihnen herantrat, blickten ſie mich ſo ſonderbar an, daß es mir auffiel. Haſt Du ihn geſehen, Reinhold? redete mich der Bootsmann mit gedämpfter Stimme an. Es war das erſte Mal auf der Reiſe, daß er mich bei meinem richtigen Namen nannte.

Wen? fragte ich, erſtaunt über das feierliche und unge - wohnte Weſen des Bootsmanns.

Heinrich! lautete die Antwort.

Welchen Heinrich? Die Sache wurde mir immer un - verſtändlicher, es befand ſich gar kein Heinrich an Bord.

Nun, Heinrich Peterſen! Er war ja bei Dir auf der Raa und half Dir das Segel feſtmachen, ſonſt hätteſt Du es in der kurzen Zeit nicht fertig bekommen.

Ich ſtarrte den Bootsmann an und zweifelte an ſeinem Verſtande. Heinrich Peterſen war ja in der Nordſee ertrunken und ſollte bei mir auf der Raa geweſen ſein?

Was ſiehſt Du mich ſo an? Es iſt ſo wie ich Dir ſage, aber Du brauchſt deshalb nicht beſorgt zu ſein. Er ſtand hinter Dir und das ſchadet nichts. Wenn er Jemand holen will, dann ſetzt er ſich ihm auf die Schultern.

Ich wußte noch immer nicht, was ich davon denken ſollte und blickte fragend auf die übrigen Leute.

Ja ja, wir alle haben ihn geſehen , ſagte der Segel - macher, und ....

Da iſt er wieder , rief halblaut in dieſem Augenblicke einer der Matroſen. Alle Blicke wandten ſich nach oben und auch die meinen folgten. Unwillkürlich erſchrak ich; dort oben6*84Wernerüber dem Top der Vorbramſtenge ſchwebte ein kugelförmiges bläuliches Licht. Bald hob es ſich einige Fuß, bald ſenkte es ſich wieder oder ſchwebte ſeitwärts. Dann verſchwand es auf einige Sekunden ganz, um wieder zu erſcheinen und ſeinen unheimlichen Tanz weiter zu führen. Plötzlich flog es mit einem Ruck abwärts und hielt ſich eine Zeit lang über dem Kopfe des Leichtmatroſen, der das Vorbramſegel feſtmachte, während ſich ähnliche Flammen auch auf den übrigen Toppen zeigten. Ihr matter Schimmer erleuchtete nur den nächſten Umkreis, alles übrige war in tiefe Nacht gehüllt.

Er ruft Jens, flüſterte der Bootsmann, indem er mich anrührte, ſieh, wie er ihm auf die Schultern klettert.

Mich überlief es kalt. Die blaſſe Kugel ſchien auf dem Kopfe des Leichtmatroſen befeſtigt, welcher noch immer das Segel nicht auf die Raa bringen konnte. Sie goß einen fahlen Schein über ſein Geſicht, der es mit einer Leichenfarbe bedeckte, obwol von dem übrigen Körper nichts zu ſehen war, was die Sache noch ſchauriger machte. Dann verſchwand das Licht wieder auf einige Minuten, um vorn auf der Spitze des Außen - klüverbaums wieder aufzuflammen und dort ſeinen Irrlichtstanz von neuem zu beginnen.

Er ſteigt herunter, äußerte der Segelmacher, das giebt Wind, gut daß wir die Segel fort haben.

Jens hatte endlich ſein Segel feſt gemacht und war an Deck gekommen, aber Niemand ſprach zu ihm ein Wort über das, was wir geſehen. Er ſelbſt äußerte auch nichts; wahr - ſcheinlich hatte er oben von dem Lichte gar nichts bemerkt, denn ſein Benehmen war ſo unbefangen wie ſonſt. Auch vom Klüver - baum war die Flamme jetzt verſchwunden und zeigte ſich nicht wieder.

Es war ein Elmsfeuer geweſen, das ſich bei Gewitterluft in den Tropen öfter auf den eiſenbeſchlagenen Spitzen der Maſten und Raaen zeigt, im Aberglauben des gewöhnlichen Seemanns aber als Seele eines abgeſchiedenen Kameraden gilt. Wenn es in85Eine erſte Seereiſedie Höhe ſteigt, bedeutet es gutes Wetter, und es kommt Sturm, wenn es ſich ſenkt. Beleuchtet es den Kopf eines Matroſen in der Takelage, ſo iſt es das Vorzeichen ſeines baldigen Todes.

Ich ſah die Erſcheinung zum erſten Male, hatte früher noch nichts davon gehört, und wenn mein Verſtand mir auch ſagte, ſie ſei electriſcher Natur, ſo hatte ich mich doch eines drückenden Gefühls nicht erwehren können. Die tiefe Dunkelheit und die unheimliche, ſchaurige Stille hatten auch mein Gemüth gefangen genommen und es mit abergläubiſcher Furcht erfüllt.

Einige ſchwere Regentropfen begannen zu fallen; es war ſo ſtill, daß man jeden einzelnen derſelben auf das Deck auf - ſchlagen hörte. Einige Minuten ſpäter ertönte dumpfes Rollen des Donners und Wetterleuchten durchzuckte den Horizont. Wir warteten in ängſtlicher Spannung auf das Einfallen der , aber ſie blieb noch immer aus. Ein plötzlicher Windſtoß, wenn auch nur ſchwach, blähte die Marsſegel für einen Augenblick, dann hingen ſie wieder regungslos.

Da auf einmal war es, als ob nur Feuer uns umfinge und tauſend grelle Blitze vom Himmel zugleich auf uns hernieder zuckten. Im ſelben Augenblicke erkrachte der Donner mit ſo furchtbarer Gewalt, daß der Ocean zu erzittern ſchien und wir erſchreckt zuſammenfuhren, während der Himmel ſeine Schleuſen öffnete und wahre Ströme von Waſſer auf uns ergoß. Es war ein förmlicher Wolkenbruch, und obwol er in dieſer Stärke kaum fünf Minuten dauerte, ſo konnte das Waſſer durch Speigaten und Sturzpforten doch nicht ablaufen. Es ſtand fußhoch auf dem Deck und wogte mit dumpfen Rauſchen hin und her, wenn das Schiff ſich bewegte.

Dazu die dichte Finſterniß, das unaufhörliche blendende Blitzen und der betäubende Donner wahrlich es war als ob die Welt untergehen ſollte, und wir ſtanden wie erſtarrt über die ſchaurige Großartigkeit des Naturereigniſſes.

Noch immer regte ſich wunderbarer Weiſe kein Lüftchen86Wernerund die ſo unnatürliche Stille drückte uns förmlich nieder. Sie erſchien drohend und unheilverkündend. Der Regen hörte jetzt eben ſo plötzlich auf, wie er über uns hereingebrochen war, die dichte Wolkendecke zerriß an einer Stelle, und nun kam endlich die herangebrauſt. Hui! was für eine Maſſe Wind führte ſie mit ſich und wie peitſchte ſie die dunklen Waſſer! Kochend und ſchäumend trieb ſie die Wellen vor ſich her, und wie vorhin die Atmoſphäre vom electriſchen Fluidum erglühte, ſo glich jetzt der vom Sturm erregte Ocean, der bis dahin in tiefer Nacht gelegen, einem Feuermeer, und die Myriaden von Weſen, welche ihn bevölkern, ſprühten in phosphoriſchem Glanze.

Als die in die Segel fiel und ehe das ſtill ſtehende Schiff ſich durch das Waſſer zu bewegen begann, zitterte und krachte es in allen Fugen. Unſer gutes Glück wollte, daß der Wind grade von hinten kam und nur die beiden dicht gereeften Mars - ſegel ſtanden, ſonſt hätten wir die Maſten verloren oder wären gekentert. So aber flogen wir nach wenigen Minuten mit 10 Knoten Fahrt platt vor dem Winde dahin und ſchwächten um eben ſo viel die Schnelligkeit des Orcans und damit ſeine Kraft. Es war immer noch ſchlimm genug, aber bei ſolchen Böen iſt der erſte Stoß der gefährlichſte. Wir hatten ihn glück - lich überwunden und der Alp, der bis dahin auf uns gelaſtet, löſte ſich von unſrer Bruſt. Wir wußten jetzt, woran wir waren; auch die ſchwarze Dunkelheit war etwas gewichen und unſer gutes Schiff dem wüthenden Sturme gewachſen. Ueberdies kam der Wind aus Norden, wir flogen direct dem Süden zu und jede Meile die wir gewannen, war für uns Geldes werth.

Leider dauerte die kaum eine halbe Stunde an, dann war alles wieder vorbei. Der Wind ließ nach und hörte endlich ganz auf. Der helle Streifen am Himmel verſchwand, der Regen begann auf’s neue, wenn auch nicht ſo gewaltig wie vorher, in der Ferne grollte der Donner, den Horizont erhellte noch einmal der Widerſchein der Blitze, aber das Glühen des87Eine erſte SeereiſeMeeres verloſch allmälig. Seine aufgeregte Oberfläche glättete ſich, bald lag wieder tiefe Nacht auf ihr. Der Rieſe ſchlummerte nach dem ſchweren Kampfe, und unſer Schiff ſchaukelte ſich leiſe auf den Wellen, die ſanft und regelmäßig ſich hoben und ſenkten.

Die Linie paſſirten wir eines Sonntags, d. h. wir glaubten es; denn ſeit acht Tagen hatten wir weder Sonne noch Mond oder Sterne geſehen und keine Beobachtung gemacht. Unſere Koppelscursrechnung nach dem geſteuerten Curſe und der durch - laufenen Diſtanz war auch ſehr unſicher, da ſie ſich bei dem ſo häufigen und plötzlichen Wechſel der Richtung und Stärke des Windes ſchwer führen ließ. Natürlich entging ich nebſt den Andern, die den Aequator noch nicht paſſirt hatten, nicht der üblichen Taufe, jedoch wurde ſie, wie auf den meiſten Kauffartei - ſchiffen, in ziemlich roher Weiſe ausgeführt, die einer näheren Beſchreibung nicht werth iſt. Man wurde mit einer Miſchung von Fett und Theer im Geſicht eingeſeift und mit einem Raſir - meſſer aus Bandeiſen raſirt. Dabei verband man dem Be - treffenden die Augen und ſetzte ihn auf ein Brett, das über einer mit Waſſer gefüllten Tonne lag. Nach Beendigung des Raſſirens zog man das Brett fort und der Täufling fiel in’s Waſſer. Das war die ganze Procedur und, wie man ſieht, wenig Humor dabei. Eingeweicht wurden wir ohnehin genug bei dem permanenten Regen und das Untertauchen hatte deshalb nicht einmal den Reiz der Neuheit. Das Intereſſanteſte bei der ganzen ſogenannten Taufe waren wohl einige Flaſchen Rum, die der Kapitän zur Feier des Tages ſpendete und aus denen ein ſteifer Grog gebraut wurde, dem dann natürlich Geſang folgte.

Einige Tage darauf ſah ich auch zum erſten Male Waſſer - hoſen und zwar zu gleicher Zeit zwei, während eine dritte ſich etwas ſpäter bildete. Sie waren einige Meilen entfernt und nahmen ihren Weg ſeitwärts von uns, ſo daß wir ſie ohne weitere Sorge beobachten konnten. Aus einer dunkelgefärbten und ſcheinbar ſehr tiefziehenden Regenwolke ſchoß zuerſt eine88Wernertrichterförmige Spitze hervor, die jedoch nicht grade, ſondern etwas gebogen war. Nach einigen Minuten ſah man in dieſer Spitze Bewegung; die Ränder veränderten ſich, der Trichter wurde zuſehends ſtärker und zuckte auf und nieder, bald bis ganz nahe auf die Waſſerfläche, bald in größerer Höhe. Dann nahm man Bewegung in dem Meerestheile unter der Spitze wahr, als ob das Waſſer kochend aufwallte und es war deut - lich zu ſehen, wie ſich allmälig ein runder Waſſerberg bildete, der ſich ſcharf gegen ſeine Umgebung abhob. Das Auf - und Niederzucken des Trichters wurde nun heftiger, bis er ſich plötz - lich mit dem Berge vereinigte und die Waſſerhoſe als ſchräg - ſtehende und etwas gebogene Säule langſam wanderte, um nach 20 bis 30 Minuten ſich wieder ebenſo zurückzubilden und zu verſchwinden. Donnerähnliche Geräuſche, wie ſie dieſe Er - ſcheinungen oft begleiten ſollen, hatten wir nicht vernommen; vielleicht war die Entfernung zu groß. Jedenfalls iſt aber kleineren Schiffen zu rathen, ihnen aus dem Wege zu gehen, oder bei ihrer Annäherung ſie durch einen Kanonenſchuß recht - zeitig zu ſprengen, da ſie ſchon öfter durch ihre wirbelnde Be - wegung die Maſten gebrochen haben.

Endlich näherten wir uns der ſüdlichen Grenze des unangenehmen Stillgürtels, der uns mit ſeinen Attributen wochenlang ſo ſchwer gepeinigt hatte. Nur eine Annehm - lichkeit wies er für uns auf. Bei dem ſtrömenden Regen konnten wir nach Herzensluſt uns in friſchem Waſſer gründlich reinigen und auch unſere Kleider waſchen. Zum Trinken war das Waſſer allerdings nicht zu gebrauchen, da es durch Herunter - laufen an Tauwerk und Segeln einen widerlichen Theergeſchmack angenommen hatte. Dafür ſammelten wir es aber ſorgſam für Wäſchebedarf. Jedes leere Waſſerfaß oder ſonſtige Gefäß, das ſich nur irgend dafür eignete, wurde gefüllt, und auf dieſe Weiſe reichte der Vorrath faſt für die ganze übrige Reiſe, um uns täglich einmal den Luxus einer Abſeifung zu geſtatten.

89Eine erſte Seereiſe

In der letzten Woche hatte der Regen nachgelaſſen, die Sonne brach auf Stunden durch, aber mit dem Aufhören der Gewitterböen verloren wir auch die ſtärkeren oder ſchwächeren Windſtöße, die uns vorwärs gebracht. Wir lagen bisweilen 48 Stunden in vollkommener Windſtille und dies war um ſo ärgerlicher, als wir uns nur noch höchſtens zwei bis drei Meilen von der Grenze des Südoſtpaſſates befanden und aus den Toppen den dunklen Streifen zu erkennen glaubten, den an - kommende Brieſe auf dem Waſſer macht. Das war eine Ge - duldsprobe und auch das Kratzen am Maſt und Pfeifen wollte keinen Wind bringen. Es erſchien mir wahrhaft komiſch, mit welchem Ernſt die alten Matroſen an die Wirkſamkeit dieſer beiden Mittel glaubten. Das Pfeifen iſt ſonſt an Bord voll - ſtändig verpönt; aus Langeweile hatte ich es einige Male Nachts auf der Wache gethan, doch war es mir ſtets mit der unwirſchen Bemerkung unterſagt, auf einem Schiffe müſſe man nicht pfeifen. Jetzt begriff ich den Grund des Verbotes. Pfeifen giebt Wind; damals hatten wir aber ſo viel davon, daß wir nicht mehr gebrauchen konnten.

Nachdem übrigens die Sonne wieder zum Vorſchein ge - kommen war und jetzt der kühlfächelnde Hauch des Windes fehlte, merkten wir doch die tropiſche Hitze ganz bedeutend. Der rothe Hund , eine Ausſchlagskrankheit, die faſt jeder Nordeuropäer beim Uebergang in heiße Klimate durchzumachen hat, zeigte ſich in unangenehmer Weiſe. Man mußte ſich in Acht nehmen, nicht außer dem abgehärteten Geſicht und den Händen, andere Körpertheile der Sonne auszuſetzen, weil dieſe ſofort Blaſen zog, und die Hitze erſchlaffte die Muskeln, namentlich der jüngeren Leute, ſo, daß man ſich gar nicht rühren mochte.

Ach, wie ſchwer wurde es mir in dieſer Zeit, wenn ich zu irgend welchem Zwecke nach der Bramraa hinauf mußte und wie oft wurde ich, wenn das Klettern ſehr langſam ging, durch die höhnenden Worte angeſpornt: Du kommſt ja nicht aus90Wernerder Stelle, Dich hat gewiß Jan Looi gepackt. Wie die Matroſen gern perſonificiren und z. B. die See, d. h. wenn ſie in unbequemer Weiſe ſich fühlbar macht, Rasmus *Erasmus. nennen, ſo bezeichnen ſie die durch die Hitze erzeugte Schlaffheit des Körpers mit Jan Looi ; das letztere Wort ſtammt aus dem niederdeutſchen und bedeutet träge, faul . Dieſer Hohn wirkte beſſer, als andere Mittel, um die Ermattung zu überwinden und ich kam auch bald darüber fort.

Am letzten Tage, an dem wir uns im Stillgürtel befanden, erlebte ich noch ein wunderbares und höchſt intereſſantes Schau - ſpiel, das uns alle in die höchſte Aufregung verſetzte und über - dies nur ſelten beobachtet wird.

Es war klarer ſchöner Sonnenſchein; kein Hauch trübte die Fläche des Meeres und die Sonnenſtrahlen tauchten ſich ſchim - mernd in ſeinen tiefblauen Schooß. Ich hatte Freiwache und war grade in die Lectüre eines alten Kalenders vertieft, der ſich in der Seekiſte des Kochs aufgefunden und deſſen Inhalt ich den Kameraden vorlas, als wir durch den Ruf eines in der Takelage beſchäftigten Matroſen: Brandung voraus, zwei Strich an Steuerbord aufgeſchreckt wurden.

Alle ſprangen auf und richteten die Blicke nach der be - zeichneten Stelle, die etwa zwei Meilen weit entfernt war. Der Kapitän ſchaute lange und aufmerkſam mit dem Fernrohr hin. Unbegreiflich! äußerte er kopfſchüttelnd, Auf hundert Meilen in der Runde zeigen die Karten nirgends eine Gefahr; ich bin hier ſchon zehnmal durchgekommen, habe davon weder etwas gehört noch geſehen, und doch ſind es richtige Klippen, die wir dort vor uns haben. Fünf bis ſechs dunkle Felſen ragten über die Waſſerfläche empor und die Brandung ſpritzte ſchäumend an ihnen hinauf.

Unterdeſſen war auch der Bootsmann an Deck gekommen,91Eine erſte Seereiſeund nahm die Sache in Augenſchein. Das ſind weder Klippen noch Brandung ſagte er nach einer Weile ſehr beſtimmt.

Was ſoll es denn ſein? fragte ziemlich pikirt der Kapitän.

Das ſind Walfiſche, erwiederte der Bootsmaun, Was Ihr für Klippen anſeht, ſind Floſſen und Schwänze. Sie ſpielen und ſchlagen damit auf das Waſſer, daß es wie Bran - dung erſcheint.

Zuerſt begegnete die Bemerkung nur ungläubigem Lächeln, aber bald überzeugten wir uns, daß der alte Harpunier, der zwanzig Jahre in allen Welttheilen dem Walfiſchfang obgelegen, Recht hatte.

Das iſt eine ganze Schule! fuhr er fort, indem der ſonſt ſo ruhige Mann in Erinnerung an die früheren Kämpfe mit den Rieſen des Meeres immer lebendiger wurde. Seht dort die gewaltige Floſſe in der Mitte, die alle anderen überragt, das iſt der alte Schulmeiſter, der mit der Heerde von Weibchen zieht. Wie ſchade, daß wir keine Leinen haben da wäre ein Fang zu machen, der uns ein paar Tauſend Thaler ein - brächte. Sie ſind luſtig, und man kann bis auf fünf Schritte herankommen, ohne daß ſie es merken. Da! jetzt bläſt der Bulle! Was ein Kerl muß das ſein der mißt mindeſtens ſeine 60 Fuß! rief der Bootsmann in voller Extaſe. Ein mächtiger Strahl von feinem Waſſerdampf ſtieg in die Lüfte und die Sonne malte einen prachtvollen Regenbogen hinein. Als ob dies ein Signal geweſen wäre, verſchwand jedoch plötzlich die ganze Schaar von der Oberfläche. Faſt gleichzeitig hoben ſich acht bis zehn gewaltige Schwänze aus dem Waſſer und die rieſigen Körper tauchten von uns abgewandt in die Tiefe.

Sie kommen wieder auf, verhieß der Bootsmann, als wir unſer Bedauern darüber ausſprachen, und wir werden ſie bald ganz in der Nähe haben. Der Walfiſch ſteigt immer in der entgegengeſetzten Richtung wieder in die Höhe, in der er92Wernerhinuntergegangen. Die Thiere müſſen übrigens durch etwas erſchreckt worden ſein, ſonſt iſt das nicht ihre Art, ſo plötzlich das Spiel abzubrechen.

Wir warteten in Spannung wohl eine Viertelſtunde, da blies es wieder, erſt einmal und wieder ſo mächtig wie vorhin, dann in kleinen Zwiſchenräumen noch fünf - bis ſechsmal, aber mit ſchwächerem und niedrigerem Strahl. Wie der Bootsmann vorausgeſagt, tauchte die Heerde wieder auf und zwar ganz nahe bei unſerm Schiffe, keine 300 Schritte von uns entfernt.

Wie auf Commando liefen wir Alle, der Kapitän voran, nach oben in die Takelage, um beſſer zu ſehen. Ich hielt mich zum Bootsmann, der mir über Alles am beſten Auskunft geben konnte und ſaß mit ihm auf der Vormarsraa. Die Fiſche waren bei der geringen Entfernung und in dem klaren durch - ſichtigen Waſſer ſo deutlich zu ſehen, als ob ſie vor uns lägen. Jeden ihrer Körpertheile, den gewaltigen Kopf mit dem Ein - ſchnitte des coloſſalen Rachens, das Blasloch, die Floſſen unter - ſchieden wir klar, ja ſogar die Muſchelklumpen, die ſich auf den ungeſchlachten Rücken angeſetzt, konnten wir genau wahr - nehmen.

Mich feſſelte die Neuheit des Anblicks natürlich auf das höchſte und ich zitterte förmlich vor Erregung. Die Heerde beſtand aus acht Stück, dem Bullen und ſieben Kühen; Kälber waren nicht dabei. Der Bulle war ein gewaltiges Thier und eher noch länger als ihn der Bootsmann geſchätzt hatte. Die Weibchen erſchienen dagegen bedeutend kleiner und hatten unge - fähr gleiche Größe. Alle waren ſehr nahe an einander gedrängt, der Bulle auf dem linken Flügel etwas ſchräg vorgeſchoben, als wollte er die Heerde gegen etwas decken. Sie blieben ziemlich auf demſelben Flecke, bewegten faſt unmerklich Floſſen und Schwanz und nur dann und wann neigte ſich einer oder der andere etwas auf die Seite, ſo daß wir ein Stück des weißen Bauches ſehen konnten.

93Eine erſte Seereiſe

Ich ſage Dir, Schweizer, da iſt etwas unklar, hub der Bootsmann wieder an, das iſt nicht die Manier der Wale, ſo auf einem Fleck zu hocken, das habe ich noch nie geſehen.

Vielleicht ſehen ſie unſer Schiff und ängſtigen ſich davor, erwiederte ich.

O, Gott bewahre, vor Schiffen haben ſie keine Furcht, das habe ich einmal in der Südſee auf eine Weiſe erfahren, an die ich noch heute mit Schaudern denke nein, es muß etwas anderes ſein! Sieh! ſieh! was der Bulle macht!

Das Thier flog aus ſeiner ſchrägen Lage, wie ein Blitz, nach links, faſt um einen Viertelkreis herum und ſchoß dabei etwa 50 Schritt voraus, gegen unſer Schiff hin, ſo daß wir ihn noch viel deutlicher als vorhin ſahen. Gleichzeitig hoben ſich wieder die Schwänze der Kühe in die Luft; wie ein Lauf - feuer von Geſchützen ſchlugen ſie krachend damit das Waſſer, daß es hoch aufſchäumte und ſchoſſen dann faſt perpendiculär in die Tiefe.

Das iſt kein Spiel mehr, ſagte der Bootsmann, das iſt bitterer Ernſt es muß ein ſchrecklicher Feind in der Nähe ſein. Ah, ich habe mich nicht geirrt, dort iſt er! Schwertfiſche!

Ich folgte der Richtung der Hand und ſah jetzt die vom Bootsmann entdeckten Fiſche. Es waren ſechs, von 15 bis 16 Fuß Länge; ſie kamen mit fliegender Fahrt unter unſerm Schiffsboden hervorgeſchoſſen und nahmen ihre Richtung auf den ſie offenbar erwartenden Bullen. In dem Augenblicke jedoch, als wir ſie ſahen, theilten ſie ſich, nur zwei behielten ihren Curs bei, die übrigen bogen nach rechts ab, wahrſcheinlich um den fliehenden Kühen zu folgen. Die beiden erſteren, etwa zehn Schritt von einander entfernt, nahmen ihren Weg auf die Flanke des Walfiſches in wenigen Secunden mußten ſie ihn erreichen und dann war er verloren. Da erfolgte wieder die unbegreiflich blitzſchnelle Drehung, diesmal nach rechts; der Kopf94Wernerdes gewaltigen Thieres ſenkte ſich und es führte mit dem Schwanze nahe an der Oberfläche des Waſſers einen furchtbaren Schlag.

Der Angriff der Schwertfiſche war mißlungen und der eine von ihnen kampfunfähig gemacht; er lag auf der Seite, bewegte zwar noch die Floſſen, mußte aber ſchwer beſchädigt ſein, denn er ſtrich nur langſam ſeitwärts in die Tiefe. Der zweite war unverletzt; wir ſahen ihn aus dem ſchäumenden Waſſer, das der Schwanzſchlag verurſacht, mit pfeilartiger Ge - ſchwindigkeit hervorkommen und nach links ſchwimmen, um ſehr bald unſern Blicken zu entſchwinden.

Der Walfiſch ſtand regungslos im Waſſer und uns ſo nahe, daß wir faſt direct auf ihn niederſahen. Er blies, als ob er zur Fortſetzung des Kampfes Athem ſchöpfen wollte. Es klang wie ein übernatürlicher Poſaunenton, aber wir ſahen in der großen Nähe auch deutlich, daß es kein Waſſer war, was er von ſich gab, ſondern nur mit nebelartigem Dampf vermiſchte Luft. Es fielen keine Tropfen auf die Waſſerfläche zurück.

Bravo, bravo, ertönte es laut von den Toppen und Raaen aus unſer aller Munde, die wir Zuſchauer des wunder - baren Kampfes waren. Hurrah! der Wal hat geſiegt.

Als ob dieſer unſere Beifallsrufe verſtanden, drehte er den Kopf etwas nach uns zu, blieb aber ſonſt auf der Stelle und ſein mächtiger Rücken ſtand einige Fuß aus dem Waſſer hervor.

Wartet, wartet, mahnte der Bootsmann, die Sache iſt noch nicht zu Ende. Ihr kennt die Schwertfiſche nicht, ſo leicht geben ſie den Kampf nicht auf. Der alte Schulmeiſter weiß das auch ganz genau; ſeht nur, wie er den Kopf dreht und die Augen überall hin ſcharfen Ausguck halten.

Kaum waren die Worte verhallt, als auch ſchon ein neuer Angriff erfolgte, diesmal aber augenſcheinlich von der andern Seite, als woher ihn der Walfiſch erwartete. Der Schwertfiſch hatte einen völligen Halbkreis gemacht und ſich Hülfe geholt,95Eine erſte Seereiſeum ſeinen Angriff zu erneuern. Den letzteren ſelbſt ſahen wir nicht, ſondern nur ſeine großartige Wirkung. Der Wal ſprang mit ſeinem ganzen Körper ſo hoch aus dem Waſſer, daß der Bauch ſich noch einige Fuß über der Oberfläche befand und ſchlug dann mit einem donnerähnlichen Krach und ſo furchtbarer Gewalt in ſein Element zurück, daß der Fall ein Meer von ſchäumenden Giſcht bildete und hohe Wellen bis zu unſerm Schiff trug.

Im ſelben Augenblicke, als der verzweifelte Luftſprung gethan wurde, ſahen wir drei Schwertfiſche in ſechs bis acht Fuß Abſtand und parallel neben einander unter dem Walfiſch hervor - ſchießen und gleich darauf in dem Schaum verſchwinden. Offen - bar hatte der Wal keine Zeit mehr gehabt, der Attaque mit einem Schwanzſchlage zu begegnen, wie vorhin und ſich nur durch Herausſchnellen aus dem Waſſer retten können. Die Schwertfiſche hatten ſo ihr Ziel verfehlt und waren unter ihm durchgegangen. Der zweite Gang des merkwürdigen Kampfes war beendet, und wiederum ertönte aus dem Munde der Be - ſatzung ein Hurrah für den Wal.

Er iſt doch verloren, ſagte der Bootsmann; es ſind drei gegen einen, die beiden andern werden auch noch zurück - kommen und dann iſt er unbedingt fertig. Schade um den ſchönen Thran, fügte er bedauernd hinzu. Er ſah die Sache weniger vom chevaleresken, als vom Standpunkte des Harpuniers an, während wir andern alle Partei für den Wal nahmen. Die Prophezeihung ſollte nur zu bald in Erfüllung gehen. Der Kampf begann auf’s neue und wurde von beiden Seiten mit der größten Wuth und Erbitterung geführt. Leider entgingen uns jetzt die meiſten Details, aber wie heiß der Streit entbrannt war, das ſahen wir an den heftigen Bewegungen des Wal - fiſches, an dem Wogen und Schäumen des gepeitſchten Waſſers, wenn letzterer ſeine Schwanzſchläge austheilte, an dem ſchnellen Wechſel des Kampfplatzes, bald unmittelbar beim Schiffe, bald96Werner500 Schritt und mehr davon entfernt. Die Schwertfiſche ſelbſt ſahen wir faſt gar nicht mehr; ſie ſchwammen bedeutend tiefer als der Wal, weil die Angriffe ſtets auf deſſen verwundbarſten Theil unterhalb der Bauchfloſſen gerichtet waren, und die raſenden Sprünge und Stöße des letzteren machten die Waſſerfläche ſo trübe und undurchſichtig, daß wir zu unſerm großen Bedauern ihren Bewegungen nicht folgen konnten. Nur einmal machte auch einer von ihnen einen Satz aus dem Waſſer, offenbar um einem ſofort darauf erfolgenden Schwanzſchlage zu entgehen.

So wogte der furchtbare Kampf hin und her. Wir folgten, ſo weit wir konnten, ſeinen Einzelheiten in athemloſer Spannung wohl zehn Minuten lang, dann trat die Kataſtrophe ein. Jener mächtige Poſaunenton von vorhin ertönte wieder, aus dem Blasloch ſtieg die Dunſtſäule hoch in die Lüfte, aber diesmal ſpiegelten ſich die Sonnenſtrahlen nicht in Regenbogenfarben in ihr wieder, denn der Dunſt zeigte ſich mit Blut gemiſcht und roth gefärbt. Der tapfere Wal war tödtlich von ſeinen Feinden getroffen. Wie raſend jagte er im Kreiſe umher, bisweilen bis zu ſeiner halben Höhe aus dem Waſſer hervorragend und es mit gewaltigen Schlägen peitſchend. Dann erhob ſich der Leviathan wieder mit einem furchtbaren Satze aus dem Waſſer, aber neben ihm hing ein Schwertfiſch, den er mit ſich in die Luft empor - genommen, um ihn beim Fall mit der Wucht ſeines Körpers zu zerſchmettern und, ſelbſt ſterbend, ſeinem Feinde den Tod zu geben. Noch einmal warf der Gigant einen Blutſtrahl hoch dann folgten drei bis vier furchtbare Schwanzſchläge und alles war ſtill. Das Waſſer glättete ſich und der mächtige Körper des tapfern Wal ſchwamm leblos an der Oberfläche. Nach ſeiner erſten Verwundung hatte er ſich ſo weit von unſerm Schiffe entfernt, daß wir das Letzte der ſubmarinen Schlacht nur noch undeutlich ſahen, aber wir konnten uns eines ſchmerzlichen Ge - fühls des Bedauerns nicht erwehren, daß der Held der Tiefe, der ſo brav geſtritten, am Ende doch hatte unterliegen müſſen.

97Eine erſte Seereiſe

Auch der Bootsmann ſprach ſein Bedauern aus, aber nur darüber, daß wir keine Fäſſer an Bord hatten, um den koſt - baren Speck zu retten.

Der hat mindeſtens ſeine dreihundert Tonnen, es iſt ein Capitalbulle, und nun geht all der Blubber vor die Haie , klagte er. Da ſind rund 1500 Thaler zum Teufel, und nun muß es gar ein Potwal ſein, ſonſt könnte man in einer Stunde doch noch eine Maſſe Geld an ihm verdienen.

Wie ſo? fragte ich, da ich den Sinn der letzten Be - merkung nicht verſtand.

Der Potwal hat keine Barten, erwiederte er, ſondern nur Zähne im Unterkiefer, und die haben wenig Werth, wenn - gleich er damit Unglück genug anrichten kann. Ich hab’s erlebt und kann davon ein Liedchen ſingen; aber jetzt wollen wir niederentern und den Alten um ein Boot fragen. Wir wollen uns wenigſtens ein Stück von der Zunge holen, die ſchmeckt ganz vortrefflich und eine ſolche Abwechſelung bei dem ewigen Torniſterfleiſch thut wohl.

In meinem Eifer, recht ſchnell an Deck zu kommen und auch wol mit einer gewiſſen Eitelkeit, um vor dem Bootsmann meine Gewandtheit zu zeigen, benutzte ich nicht die Strickleitern der Wanten, ſondern rutſchte an der Stenge-Pardune herunter, aber leider bekam es mir ſchlecht. Ich machte es zu ſchnell und verbrannte mir ſo das Innere der Handfläche, daß ganze Stücke von der Haut abgeriſſen wurden.

Bravo Schweizer, das nenne ich flink! rief der Boots - mann. Siehſt du, mit der Zeit kann noch ein ganz tüchtiger Kerl aus Dir werden.

Das Lob war theuer erkauft; ich biß vor Schmerz die Zähne aufeinander, ließ aber natürlich von meinem Mißgeſchick nichts verlauten, um nicht ausgelacht zu werden. Der Kapitän erlaubte, daß der Bootsmann die Gig nahm, um ein Stück von der Zunge zu holen, und ich durfte mitfahren. SeltenR. Werner, Erinnerungen. 798Wernerhabe ich ſolche Schmerzen ausgeſtanden, als bei dieſer Fahrt, weil das Holz der Bootsriemen beim Rudern ſtets mit dem rohen Fleiſch meiner geſchundenen Hände in Berührung kam, aber mit einem eines Indianers würdigen Stoicismus ertrug ich die heilloſe Pein, um für die Zukunft eine Lehre daraus zu ziehen.

Wir fanden den Walfiſch auf der Seite liegend und die ganze Waſſerfläche in ſeiner Umgebung von Blut geröthet. Er hatte eine Länge von über 60 Fuß und namentlich imponirte mir der rieſige Kopf, der ein Drittheil des ganzen Körpers auszumachen ſchien. Am Bauche hatte er vier ſchwere Wunden, drei davon mehr horizontal, die vierte tödtliche jedoch durch einen wohlgezielten Stoß von unten verurſacht. Sie war es wol, die den Wal zu ſeinem letzten verzweifelten Luftſprunge getrieben hatte, bei dem er den Schwertfiſch mit in die Höhe riß. Das abgebrochene Schwert ſtak in der Wunde, war aber ſo feſt zwiſchen die Rippen eingekeilt, daß es nicht möglich war, daſſelbe mit den Händen herauszuziehen. Als wir dann mit dem Boote zum Rachen hinholten, um ein Stück der Zunge herauszuſchneiden, fanden wir erſteren krampfhaft geſchloſſen, aber zwiſchen den Kiefern einen vollſtändig zermalmten Schwert - fiſch. Der Wal mußte ihn wahrſcheinlich noch unmittelbar vor ſeinem Tode recht quer erfaßt und ihn mit ſeiner gewaltigen Reihe von 48, ſechs bis ſieben Zoll langen, kegelförmigen Zähnen förmlich zu Brei zerquetſcht haben; nur der Kopf mit dem Schwert hing an der oben liegenden Seite des Rachens noch unverletzt, ſo daß wir ihn abſchneiden und in das Boot nehmen konnten.

Damit war dem Bootsmann jedoch nicht gedient, er war auf die Zunge verſeſſen und wollte ſie durchaus haben. Das ließ ſich aber nur machen, wenn wir den Fiſch langſeit des Schiffes brachten, und wir bugſirten ihn deshalb bis dorthin. Als der Koloß einmal in Bewegung geſetzt war, glitt er leicht99Eine erſte Seereiſedurch das Waſſer, und nach kaum einer Stunde war er an der Seite des Schiffes befeſtigt. Doch alle Mühe, den Rachen zu öffnen, war vergebens und zum großen Kummer des Boots - mannes und unſrer ſelbſt mußten wir uns den Appetit auf den ſo hoch gerühmten Leckerbiſſen vergehen laſſen. Als der Fiſch bei dieſen Verſuchen mit Tauen herumgedreht wurde, fanden wir zu unſerem Erſtaunen drei alte verroſtete Harpunen in ſeinem Rücken. Zwei davon trugen denſelben Schiffsnamen, die dritte jedoch einen andern; das Thier mußte alſo ſchon früher von zwei verſchiedenen Walfiſchfängern gejagt und ihnen entronnen ſein. Sowohl die Harpunen, als auch die abgebrochene Säge wurden zum Andenken an den merkwürdigen Tag heraus - geſchnitten; dann aber mußte der Wal losgeworfen werden, denn es ſprang etwas Wind auf und der Kapitän wollte dies ausnutzen.

Wie um ein Aas die Raben, ſo hatten ſich in der letzten Stunde eine ganze Reihe Haie um den todten Wal geſammelt. Woher ſie ſo ſchnell kamen mochte der liebe Gott wiſſen, aber wir zählten wohl zwölf von den verſchiedenſten Größen, die mit ihren dreieckigen Rückenfloſſen die Waſſerfläche ſchneidend bis auf 20 bis 30 Schritt Entfernung das Schiff umkreiſten und auf den Augenblick zu warten ſchienen, wo ihnen die ſelten reiche Beute zufallen mußte. Als wir den Fiſch loswarfen und er kaum eine Schiffslänge von uns entfernt war, ſchoſſen ſie von allen Seiten auf ihn zu und riſſen mit ihren furchtbaren Gebiſſen mächtige Stücke aus dem Kadaver.

Den Kopf des Schwertfiſches ließ der Kapitän für ſich ſkelettiren; das abgebrochene Schwert erhielt der Bootsmann, ſchenkte es aber mir, und ich habe es als ein Andenken, ſowol an den alten Mann, dem ich außer ſo vielen andern Wohlthaten, auch mein Leben verdankte, als auch an das furchtbare Schau - ſpiel aufbewahrt, das zu ſehen und namentlich in ſolcher Nähe ſelten Jemandem vergönnt iſt.

7*100Werner

Das Merkwürdigſte bei dieſen Kämpfen zwiſchen Schwert - fiſch oder Narwal und den Walen ſoll aber ſein, daß erſtere die letzteren nicht etwa angreifen, um ſie zu freſſen, ſondern aus reiner Mordluſt. Ein anderer, etwa zwanzig Fuß langer Raubfiſch, der ſogenannte Dreſcher, und ſelbſt zum Geſchlecht der Wale gehörig, iſt ebenfalls Todfeind ſeiner großen Brüder, ver - nichtet ſie aber, um wenigſtens ihre Zunge zu freſſen, die auch ſein alleiniges Angriffsobject bildet. Wie er das anfängt, iſt mir allerdings nicht klar geworden und ich kann mir auch nicht denken, daß er das bei den mit ſo gewaltigen Zähnen bewaff - neten Potfiſchen verſucht, nachdem ich geſehen, wie ein Schwert - fiſch zermalmt worden war.

Der leiſe Windhauch, welcher den Kapitän veranlaßte, den todten Fiſch loszuwerfen, zeigte ſich endlich als der ſo lang er - ſehnte Südoſtpaſſat. Ganz allmälig friſchte er zu einer ſchönen Brieſe auf, und gegen Abend glitt unſere Alma wieder leicht - füßig mit rundgeſchwellten Segeln durch die Fluthen, deren gleichmäßige Wellen mit leiſem Rauſchen überköpften. Alles Ungemach der letzten drei Wochen war vergeſſen und wiederum genoſſen wir für eben ſo lange Zeit die Annehmlichkeiten des See - lebens wie im Norden der Linie, die noch dadurch erhöht wurden, daß wir jetzt am Winde ſegelten, dieſer einen ſeitlichen Druck auf die Segel übte und daß in Folge deſſen das Schlingern auf - hörte, das bisweilen recht unbequem geworden war.

Auf Grund der Windrichtung, die im Beginn des Paſſats noch ſüdlicher iſt als Südoſt, müſſen Segelſchiffe einen ganz bedeutenden Bogen nach Weſten machen und kommen ziemlich weit nach der ſüdamerikaniſchen Küſte hinüber. Erſt auf un - gefähr 30 Grad ſüdlicher Breite wechſelt der Paſſat mit ver - änderlichen Winden, mit denen man in ſüdöſtlicher Richtung bis über den 40. Grad ſüdlicher Breite ſteuert, um die dort herr - ſchenden Weſtwinde aufzuſuchen. Mit ihnen ſegelt man dann um das Cap der guten Hoffnung und ſo weit nach Oſten, bis man101Eine erſte Seereiſenach Norden umbiegen und mit dem Südoſtpaſſat die Sunda - ſtraße erreichen kann.

Wir kamen an der auf der Höhe des Caps der guten Hoffnung, aber etwa 350 Meilen weſtlich davon gelegenen Inſel Triſtan d’Acunha vorbei und wollten ſie in Sicht laufen, um unſere Schiffsrechnung zu verificiren. Es ging uns aber gerade ſo, wie mit Madeira. Wir ſollten ſie nach unſrem Beſteck auf eine Meile Entfernung paſſiren; es war das ſchönſte ſichtigſte Wetter, aber wir ſpähten vergebens; die Segeltuchhoſe blieb wiederum un - verdient. Wir waren alſo mindeſtens 20 bis 25 Meilen aus dem Wege, denn bei der außerordentlich klaren Luft hätten wir den hohen ſpitzen Bergkegel, der die Inſel bildet, ſehen müſſen. Es konnten aber eben ſo gut hundert Meilen ſein und da offenbar unſer irdiſcher Chronometer, mit deſſen Hülfe man die geogra - phiſche Länge berechnet, falſch zeigte, ſo mußten wir ſchon auf die nie fehlgehende himmliſche Uhr zurückgreifen und uns an die Monddiſtanzen halten, die den Chronometer erſetzen.

Nun iſt aber ſowol die Beobachtung wie die Berechnung der Diſtanzen zwiſchen Mond und Sonne reſp. Sternen eins der ſchwierigſten Probleme, welche die Nautik kennt, und beides war namentlich für die Kapitäne alten Schlages, zu denen der unſere gehörte, eine böſe Nuß.

Sie zeigten ſich im allgemeinen als außerordentlich tüchtige Seeleute, die mit ihren Schiffen leſen und ſchreiben konnten, wie man zu ſagen pflegte, und in Drangſal und Noth bei Sturm und Wetter den Kopf oben zu behalten wußten, aber mit der theoretiſchen Navigation fand es ſich bei ihnen, namentlich auf den frieſiſchen Inſeln, nur ſchwach beſtellt. Staatliche Navi - gationsſchulen exiſtirten dort nicht, und ſo wurden die jungen Seeleute, wenn ſie einmal einen Winter zu Hauſe waren, von alten invaliden Kapitänen in die Geheimniſſe der nautiſchen Be - rechnungen eingeweiht, die ſich allerdings auf ein Minimum be - ſchränkten. Mit den verſchiedenen Methoden, die Breite aufzu -102Wernerfinden, ging es noch. Weder die Beobachtung noch die Berech - nung erforderte beſonderes Kopfzerbrechen, und auch das Berech - nen von Chronometerlängen war nicht übermäßig ſchwierig, aber auf Diſtanzen ließen ſich die alten Seebären nicht ein, und erſt der neueren Zeit war es vorbehalten, die Erlernung dieſer Methoden für Kapitäne und Steuerleute der Handelsmarine obligatoriſch zu machen.

Unſerm Kapitän war die Sache jedenfalls ſehr unklar und er befand ſich in einem unangenehmen Dilemma. Wir hatten von Schiffswegen zwar einen Sextant an Bord, aber ich war überzeugt, daß er noch nie ein ſolches ſubtiles Inſtrument in der Hand gehabt hatte und gar nicht damit umzugehen verſtand, ſo gut er ſeinen mächtigen handfeſten Octanten zur einfachen Höhenmeſſung auch handhaben konnte. Von der Berechnung war natürlich bei ihm gar keine Rede, und ſo hätte er ſich vor ſeinen Untergebenen nur blamirt, wenn er ſich überhaupt auf einen Verſuch nach dieſer Richtung einließ. Und doch mußte er gemacht werden, denn ſo irrten wir auf dem großen Ocean um - her, ohne auch nur annähernd zu wiſſen, wo wir uns befanden. Er ſtellte ſich deshalb klüglicher Weiſe auf den Standpunkt des Vorgeſetzten und befahl einfach den Steuerleuten, die betreffen - den Beobachtungen anzuſtellen. Dieſe hatten beide die Navi - gationsſchule beſucht, wußten wenigſtens wie es anzufangen war und begannen mit der heikeln Aufgabe.

Nun gehören aber zum Ausmeſſen einer Diſtanz für gewöhn - lich zwei Beobachter und ein Dritter, der die Beobachtungen niederſchreibt und die Zeit notirt. Zu dieſem Dritten beſtimmte der Kapitän mich, da ich ohnehin nach meinem Contract in der Navigation unterrichtet werden ſollte, und auf dieſe Weiſe wurde ich dann in die Myſterien der Letzteren eingeführt. Natür - lich ergriff ich dieſe Gelegenheit mit dem größten Eifer und Intereſſe, die Steuerleute unterwieſen mich in der Behandlung der Inſtrumente und in den Regeln der Berechnung; ich ſtudirte,103Eine erſte Seereiſebeobachtete und rechnete, wann ſich nur irgend Gelegenheit und Zeit bot, und meine ſichtbaren Fortſchritte ſpornten mich zu immer größerer Thätigkeit an. Von einem wiſſenſchaftlichen Verſtänd - niß der Berechnungen konnte zwar keine Rede ſein, ich lernte ſie nur mechaniſch, aber das genügte für den vorliegenden Zweck vollſtändig. Die Hauptſache blieb genaues Beobachten, weil da - von die Richtigkeit des Reſultates abhing und darin hatte ich es in nicht zu langer Zeit durch unermüdliche Uebung ſo weit ge - bracht, daß ich mir ohne Ueberhebung darauf etwas zu Gute thun konnte. Auch in der ausführenden Rechnung war ich den Steuerleuten bald überlegen, was übrigens gar nicht auffallen konnte, da ich eben das Gymnaſium abſolvirt hatte und jene Beiden ihre Elementarkenntniſſe nur von einer gewöhnlichen Volksſchule ableiteten.

Anfänglich haperte es mit den Beobachtungen ſehr und wir gelangten zu wunderbaren Ergebniſſen; der Eine rechnete den Standpunkt des Schiffes oft zehn Meilen anders heraus als der Andere, aber Uebung macht den Meiſter. Allmälig näherten wir uns, und nach Ablauf von drei bis vier Wochen ſtimmten wir ſo überein, daß, wenn wir unſere drei Beobachtungen mittel - ten, wir mit ziemlicher Genauigkeit, d. h. auf 2 bis 3 Meilen, was für die Praxis ausreicht, ſagen konnten: das und das iſt unſere Länge und daß wir ſpäter darauf hin auch die Sunda - ſtraße auf den Kopf anſegelten.

Ehe ich zur See ging, hatte ich ſchon vielfach von der Pracht des ſüdlichen geſtirnten Himmels gehört und geleſen und fand dieſelben Schilderungen auch ſpäter in Reiſebeſchreibungen. Mir ſelbſt iſt es jedoch nicht möglich geweſen, dies beſtätigt zu finden, und ich bin noch heute der Meinung, daß unſer nordi - ſcher Himmel in dieſer Beziehung den ſüdlichen weit übertrifft und ſeine Sternbilder viel glänzender und ſchöner ſind. In meiner Knabenphantaſie leuchtete namentlich das ſüdliche Kreuz in märchenhaftem Glanze, übergroß und feurig dachte ich mir104Wernerdie Geſtirne, wurde aber ſehr enttäuſcht. Auf ſpäteren Reiſen habe ich mir oft den Spaß gemacht, nach Ankunft des Schiffes auf der ſüdlichen Hemiſphäre, Kameraden, die noch nicht dort geweſen, das ſüdliche Kreuz aufſuchen zu laſſen, aber keiner von ihnen vermochte es zu finden. Wenn ich es ihnen dann zeigte, ertönte regelmäßig ein enttäuſchtes Ach, das iſt es! und ich hatte die Genugthuung, den poetiſchen Reiſebeſchreibern gegenüber nicht der alleinige Proſaiker zu ſein. Das Bild iſt ein regel - mäßiges aus fünf Sternen beſtehendes Kreuz, aber nur einer von ihnen iſt zweiter, die übrigen ſind fünfter und ſech - ſter Größe woher ſollte deshalb ein beſonderer Glanz kommen?

Einen Vorzug hat allerdings die ſüdliche Halbkugel vor der unſeren, wenigſtens in der Nähe des Caps der guten Hoff - nung: das iſt die wunderbare Klarheit und Durchſichtigkeit der Luft. Wir haben bei hellſtem Sonnenſchein bis Mittags 11 Uhr und dann wieder von zwei Uhr an öfter Planeten ſo deutlich am Himmel geſehen, daß wir mit den Inſtrumenten ihre Höhe meſſen konnten. Die Urſache dieſer eigenthümlichen Erſcheinung mag darin zu ſuchen ſein, daß es im Süden des Caps kein Land giebt, deſſen Dünſte die Atmoſphäre trüben.

Als wir über den vierzigſten Grad ſüdlicher Breite hinaus - kamen, fing die Schlecht-Wetter-Periode wieder an und wir ver - blieben darin nicht weniger als ſechs Wochen. Wir ſegelten zwar immer mit günſtigem Weſtwinde, der hier den atmoſphäri - ſchen Gegenſtrom zum Südoſtpaſſat bildet, aber wir hatten leider beſtändig mehr davon, als wir gebrauchen konnten. Selten ver - mochten wir größere als doppelt gereefte Marsſegel zu führen, und oft wehte es ſo hart, daß wir tagelang vor Sturmſegeln beigedreht liegen mußten. Für ein Schiff giebt es eine gewiſſe Grenze, über die hinaus es nicht mehr ſegeln kann, ſondern beidrehen, d. h. unter kleinen Sturmſegeln am Winde liegen und langſam ſeitwärts treiben muß. Es iſt weniger die Stärke105Eine erſte Seereiſedes Windes, als die Gewalt der aufgewühlten See, welche zu dieſem Manöver zwingt. Dieſe erhält bei ſchweren Winden eine ſolche Schnelligkeit, daß ſie die vor ihr laufenden Schiffe überholt oder bei ſeitlichem Sturme quer über ſie hinbricht und in beiden Fällen als verheerende Sturzſee nicht nur alles nieder - reißen, ſondern die Fahrzeuge geradezu vernichten kann.

Höchſtwahrſcheinlich ſind der preußiſche Kriegsſchooner Frauenlob , welcher 1860 bei einem Teufun im chineſiſchen Meere und die Korvette Amazone , die ein Jahr ſpäter bei einem ähnlichen Wirbelſturme in der Nordſee mit Mann und Maus unterging, von einem ſolchen Geſchick ereilt und von einer Sturzſee be - graben worden. Wenn man vor dem Winde ſegelt, iſt der Moment des Beidrehens immer ein gefährlicher und man darf damit nicht ſo lange warten, bis die See zu ſchwer geworden iſt. Es iſt eine eigenthümliche Erſcheinung, daß bei Stürmen faſt immer drei große überbrechende Wellen ſich in kurzen Zwiſchenräumen folgen und dann eine längere Pauſe von ver - hältnißmäßig ruhigerem Waſſer eintritt. Dieſe Pauſe muß wo - möglich zum Beidrehen benutzt werden. Gelingt es dem Schiffe nicht, während ihrer Dauer mit dem Kopfe an den Wind zu kommen, ſo ſetzt es ſich der Gefahr aus, von einer der nächſten drei ſchweren Wellen erreicht und überflutet zu werden. Liegt es aber am Winde, dann hat es in der Regel nichts von Sturm und See zu fürchten, wenn es ſich in offenem Waſſer befindet. Es treibt dann vor den kleinen Sturmſegeln ſeitwärts, macht mit ſeinem Rumpfe ein ſehr breites und ziemlich glattes Kiel - waſſer und an dieſem brechen und verlaufen ſich die gefürchteten Kämme der heranrollenden Sturzſeen.

Zu den erwünſchten nautiſchen Eigenſchaften eines Schiffes gehört, daß es gut beiliegt und mit dem Kopfe immer auf 60 70 Grad am Winde liegt. Thut es dies nicht und fällt es öfter 20 30 Grad mehr ab, ſo fängt es an, Fahrt durch das Waſſer zu machen, weil dann der Wind mehr von106Wernerhinten auf Maſten, Raaen und Segel wirkt, es verliert das ſchützende Kielwaſſer und iſt Sturzſeen ausgeſetzt. Unſere Alma lag vortrefflich bei, und eigentlich zogen wir dieſe Poſition dem Segeln vor ſtürmiſchen Winden vor. Bei letzterem ſchlingerten wir in der hohen See, gegen welche die Segel keine ſeitliche Stütze gaben, oft ſo entſetzlich, daß faſt die Spitzen der Unter - raaen in das Waſſer tauchten, wir von beiden Seiten über die Verſchanzung Waſſer ſchöpften und beſtändig ein naſſes, ſchlüpfe - riges Deck hatten.

Bei ſolchen Gelegenheiten lernt man zwar den Werth der Seebeine ſchätzen, auf die Dauer aber wird es wahrhaft un - erträglich, wenn man Tage und Wochen lang ſich nur an auf - geſpannten Tauen von einer Stelle des Schiffes nach der anderen bewegen kann, bei den Mahlzeiten ſich auf das platte Deck mit irgendwo feſtgeſtemmten Füßen ſetzen und dann noch den Suppen - napf mit großer Kunſt balanciren muß, um nicht durch ein heftiges Ueberholen kopfüber in eine Ecke geſchleudert zu werden. Unter ſolchen Verhältniſſen war das Beidrehen eine ordentliche Erholung. Das ſchreckliche Schlingern hörte auf, wir bekamen ein trockenes Deck und fühlten uns einigermaßen als Menſchen. Wenn das Schiff bei der gewaltig hohen See auch bisweilen ſo tief ſtampfte, daß uns der Athem ſtockte, ſo war das lange nicht ſo unangenehm, wie das ununterbrochene Hin - und Herſchleu - dern. Die Wellen, welche ich bisher in der Nordſee und im Biscayiſchen Meerbuſen geſehen, waren Kinderſpiel gegen den Seegang beim Cap der guten Hoffnung. Ich hätte nicht geglaubt, daß ſich ſolche Waſſerberge aufthürmen könnten, und wenn einzelne derſelben angerollt kamen, zuerſt den Bug des Schiffes und dann das Heck ſo hoch empor hoben, daß es unter einem Winkel von 45 Grad zum Horizonte auf - oder niederwärts zeigte, dann mußte man ſich an ſolche gewaltſame Bewegungen erſt gewöhnen, um nicht durch ſie erſchreckt und ſchwindlich zu werden.

107Eine erſte Seereiſe

Wenn wir beigedreht lagen, wurde wenig gearbeitet, höch - ſtens Werg gezupft oder Flechtwerk aus Kabelgarnen gefertigt, eine Beſchäftigung, bei der man ſich in eine möglichſt geſchützte Ecke drückte und die Zeit durch Erzählungen kürzte. Der Kapi - tän hatte aber auch nichts dagegen, wenn wir an ſolchen Tagen Albatroſſe und Captauben angelten, die zu Hunderten unſer Schiff umſchwärmten und mit großem Geſchrei um jeden Biſſen Abfall kämpften, der aus der Kombüſe über Bord ging. Sie biſſen wie die Fiſche auf die mit etwas Speck geköderten Angel - haken und wir fingen ſie dutzendweiſe. Die Captauben ſind etwas größer als unſere Tauben, die Albatroſſe erreichen jedoch ein Gewicht von 15 20 Pfund; einzelne derſelben maßen mit ausgeſpannten Flügeln 10 12 Fuß. Dieſe außergewöhn - lich langen Flügel machen es ihnen unmöglich, ſich von einer glatten Fläche, wie z. B. von einem Schiffsdeck zu erheben. Wenn ſie ſchwimmen, müſſen ſie ſtets abwarten, bis ſie ſich auf der Spitze einer Welle befinden, ehe ſie in die Höhe fliegen können. Sobald wir ſie aber auf das Deck ſetzten, wurden ſie ſowie auch die Captauben ſichtlich ſeekrank. Als Speiſe ſind beide Vogelarten nicht zu verwerthen; das Fleiſch iſt ſo hart und thranig, daß nur der größte Hunger es verzehrbar macht, und man fängt ſie nur wegen der Federn. Dieſe decken in ſo ungemeiner Fülle namentlich die Bruſt, daß der Körper von der Größe eines Schwanes erſcheint, aber gerupft nicht viel größer als ein Hahn iſt. Als ſparſamer Hausvater ließ unſer Kapitän die gefangenen Thiere ſorgſam rupfen, und da wir während der Reiſe einige zwanzig Albatroſſe angelten, ſo hat er ſeiner Frau gewiß das nöthige Federmaterial für ein paar vollſtändige Betten mitgebracht; der Bruſtpelz gab den ſchönſten Eiderdunen nichts nach. Sonſt bot die Reiſe auf dieſer Strecke wenig Abwechſelung und war ungemein eintönig. Schiffe hatten wir ſeit dem Paſſiren des Aequators, d. h. ſeit einigen Mona - ten nicht geſehen; nach Eisbergen hielten wir ſcharfen Ausguck108Wernerund öfter ſpornten uns eiskalte Nebel, die ihre Nähe zu verkünden ſchienen, noch zu erhöhter Wachſamkeit an, aber wir bekamen keine in Sicht. Sie können gerade wegen ihrer Nebelatmoſphäre und beſonders Nachts den Schiffen ſehr ge - fährlich werden. Der Kapitän war gewiß mit ihrem Nicht - erſcheinen zufrieden, ich jedoch hätte gar zu gern eine ſolche ſchwimmende Kryſtallinſel, von deren Schönheit ſelbſt mein alter proſaiſcher Bootsmann in ſeiner Weiſe ſchwärmte, geſehen.

Als wir ungefähr auf der Höhe der beiden unbewohnten und nur zeitweiſe von Walfiſchfängern zum Auskochen des Thranes beſuchten Inſeln Amſterdam und St. Paul angekommen waren, von wo aus man allmälig die ſüdlichen Breiten verläßt, um nordwärts den Südoſtpaſſat aufzuſuchen und damit die Sundaſtraße anzuſteuern, wurden wir abermals von Nebel heim - geſucht. Gleichzeitig hatte ſich jedoch endlich der ſtürmiſche Wind gelegt, der ſo lange unſer unbequemer Begleiter geweſen, ebenſo war die gewaltige See niedergegangen und wir konnten zum erſten Male nach vielen Wochen wieder die kleineren Segel führen. Nach einigen Tagen erreichten wir den Südoſtpaſſat und ſteuerten damit die Sundaſtraße an. Unſere Beobachtungen er - wieſen ſich als richtig, und man kann ſich denken, daß ich nicht wenig ſtolz war, in der Navigation ſolche Fortſchritte gemacht und Kenntniſſe gewonnen zu haben, die man ſich ſonſt erſt er - wirbt, wenn man als Steuermann fährt. Wir kamen Nachts vor die Straße. Das Land ſelbſt hatten wir Tags zuvor noch nicht geſehen, doch ſeine Nähe war uns bereits durch mehrere Landvögel angekündigt, die ſich auf unſer Schiff verirrten. Es war ſehr dunkel, aber mit der ſchönen ſtetigen Brieſe keine Ge - fahr, Nachts die Küſte anzuſegeln. Sie hebt ſich ſteil aus dem Meere ohne weiter vorliegende Klippen oder Untiefen, iſt ſo hoch, daß wir ſie auf eine Meile ſehen mußten und ſchlimm - ſten Falls konnten wir mit dem ablandigen Winde immer wieder abkommen.

109Eine erſte Seereiſe

Gegen Mitternacht ſchlief die Brieſe ein und es wurde eine kleine Weile ſtill. Daß wir ganz nahe unter der Küſte ſein mußten, merkten wir an dem ruhigen Waſſer, auf dem ſich das Schiff faſt gar nicht bewegte, bald aber auch an den koſt - baren Blumendüften, die der leiſe Hauch des jetzt ankommenden Landwindes zu uns herüberführte. In der Nähe von größeren Landgebieten hört der Paſſat auf und wird durch die täglich regelmäßig wechſelnde See - und Landbrieſe verdrängt, welche das Reſultat der Einwirkung der Sonne ſind. Am Tage er - wärmt ſie durch ihre Strahlen das Land bedeutend ſchneller und intenſiver als das umgebende Meer, deſſen Temperatur nur unmerklich dadurch geändert wird. Die Folge iſt, daß ſich die Luft über dem Lande verdünnt und die Luft vom kälteren Meere zur Ausgleichung als Seebrieſe herbeiſtrömt. Nachts findet dagegen der umgekehrte Proceß ſtatt. Durch Ausſtrah - lung wird das Land zu einer niedrigeren Temperatur abgekühlt, als ſie das Meer bewahrt. In Folge deſſen ſtrömt die Luft von erſterem ſeewärts und trägt das Aroma, das Blumen und Blüthen mit Eintritt der Abendkühle ausſtrömen, viele Meilen weit mit ſich hinaus.

Am andern Morgen mit Tagesanbruch liefen wir in die Sundaſtraße ein. Wir hatten für damalige Zeiten eine ziemlich ſchnelle Reiſe gehabt, 105 Tage von Helvetsluys, aber ſeit 100 Tagen ſahen wir zum erſten Male wieder Land. Mit welcher Freude begrüßte ich den ſo lang entbehrten Anblick und weidete meine Augen an dem prachtvollen Grün der Waldungen. In ungeahnter Fülle und Ueppigkeit bedeckten ſie das ſchöne Java, an deſſen Küſte wir auf kaum tauſend Schritt Entfernung hinſegelten, während zur Linken die mächtigen Bergkegel der Inſel Cracatoa und Sumatras ſich in die Lüfte erhoben und in jenem bläulichen Dufte ſchwammen, der den ſüdlichen Gegenden eigenthümlich iſt. Aber die ganze wunderbare Schönheit einer tropiſchen Landſchaft enthüllte ſich meinem trunkenen Blicke erſt,110Wernerals wir am andern Tage auf der Rhede von Anjer, einem kleinen malayiſchen Städtchen der Javaniſchen Provinz Bantam ankerten. Wir blieben zwar nur wenige Stunden, lediglich zu dem Zwecke, Erfriſchungen zu kaufen und kamen deshalb nicht an das Land, waren jedoch ſo nahe dem Ufer, daß wir mit bloßem Auge alles unterſcheiden konnten. Die Hütten der Eingeborenen lagen maleriſch in dem dichten Grün am Abhange eines Hügels zerſtreut, deſſen Rücken Anpflanzungen von Kokos - palmen krönten. Unten am Strande auf einem freien Platze erhob ſich ein gewaltiger Baum von ſo gigantiſchen Dimenſionen, als ſei er dort hingeſtellt, um Zeugniß zu geben von der un - erſchöpflichen Kraft und dem Reichthum des Bodens. Weiter - hin wiegten ſich die Blätter der Bananen im lauen Winde und ihr helles Grün zeichnete deutlich die Conturen gegen den dunk - len Hintergrund ab. Ich war wie bezaubert von der ebenſo ſchönen wie lieblichen Scenerie, deren Fremdartigkeit den Reiz noch erhöhte, doch dann wurde meine Aufmerkſamkeit durch Näherliegendes in Anſpruch genommen. Sechs bis acht ma - layiſche Boote kamen herangerudert bis an den Rand mit Er - zeugniſſen der Tropenzone, mit Früchten und Thieren der ver - ſchiedenſten Art gefüllt, und ich wußte nicht, wohin ich das Auge zuerſt wenden ſollte. Hier waren es die mächtigen Dolden goldiger Bananen, dort Ananas, Mangoſtin, Pampelmus, die meine Aufmerkſamkeit feſſelten und das Verlangen nach ihrem Beſitze wachriefen, während anderwärts Hunderte von kleinen Vögeln, bunte javaniſche Sperlinge in Käfigen zwitſcherten, Papageien ihr glänzendes Gefieder zeigten, blendend weiße Kaka - dus ihren hochrothen Kamm aufſetzten, wenn die in ihrer Nähe befindlichen Affen verſuchten, ihnen das Gefieder zu zer - zauſen. Unten im Boote lagen große Schildkröten, daneben wurden allerliebſte Zwerghirſche von der Größe eines Lammes feilgeboten und auch an mordgierigen Tigerkatzen und anderem Raubzeuge fehlte es nicht. Dazwiſchen ſah man Korallen und111Eine erſte SeereiſeMuſcheln in den verſchiedenartigſten Formen und Farben auf - geſtapelt und die braunen Geſtalten der Malayen prieſen in einem Gemiſch aller möglichen Sprachbrocken ihre Waare an. Anjer iſt ein Halteplatz für faſt alle Schiffe, welche ein - oder ausgehend die Sundaſtraße paſſiren und deshalb hat ſich hier ein ſo lebhafter Markt herausgebildet, bei dem die Ver - käufer glänzende Geſchäfte machen, weil der ſorgloſe Seemann nicht nur alles mögliche kauft, ſo lange er einen Pfennig in der Taſche hat, ſondern auch nicht um den Preis feilſcht. Oft kommt es vor, daß auf größeren Schiffen, die heimwärts gehen, für Hunderte von Thalern allein an Thieren gekauft wird und es dann dort in der erſten Zeit wie in einer großen Menagerie ausſieht. So ſtörend dies in mancher Beziehung für den Dienſt iſt, läßt man doch den Leuten darin ziemlich viel Freiheit, denn die Sache dauert nicht lange. Ungunſt der Witterung, Mangel an der richtigen Nahrung und Pflege räumen ſehr bald auf, und nicht der zwanzigſte Theil der mitgenommenen Thiere wird wirklich bis zur Heimath gebracht. In der Ausſicht, auf der Rückreiſe den Ort wieder anzulaufen, begnügten wir uns mit dem bewundernden Anſchauen der lebenden und todten Selten - heiten und verwendeten das uns verabfolgte Geld nur zum Ein - kauf von Früchten, um darin nach Herzensluſt zu ſchwelgen. Vier bis fünf Dutzend Hühner wurden vom Kapitän acquirirt, um nach faſt viermonatlicher Seekoſt der Mannſchaft den Ge - nuß von friſchem Fleiſch zu gewähren und die Spuren des Scorbuts zu beſeitigen, die ſich, wenn auch noch in leichter Form, bei einigen von uns in aufgelockertem, leicht blutendem Zahnfleiſch zu zeigen begannen.

Dann wurde Anker gelichtet und mit der leichten Land - brieſe, die Abends wieder den Duft von Millionen Blüthen vom Lande zu uns herüber trug, ſteuerten wir weiter unſerm Ziele, der Rhede von Batavia zu. Am andern Morgen paſſir - ten wir eine Menge kleiner Inſeln, welche die öſtliche Hälfte der112WernerSundaſtraße und weiterhin die Java-See kennzeichnen. Viele Hunderte von ihnen ſchwimmen wie lichtgrüne mit einem Silber - reif eingefaßte Perlen auf dem tiefblauen Waſſer. Ein ſchmaler Sandſtrand umſäumt ſie und die vom milden Windhauch be - wegten Wellen rauſchen leiſe und ſchaumglänzend zu ihm hin - auf. Ein idylliſcher Friede ruht über ihnen, doch wie paradie - ſiſch ſchön ſie auch von außen erſcheinen, iſt faſt keine von ihnen bewohnt, weil ihnen noch die Bedingungen für die menſchliche Exiſtenz fehlen. Einſt, vor Jahrtauſenden, nahm hohes Feſtland ihre Stelle ein; dann ſank es unmerklich tiefer und tiefer, bis die Fluten des Meeres es bedeckten und es für immer in ihrem Schooße begruben. Aber jene kleinen Inſeln ſind die Wahrzeichen ſeines ehemaligen Daſeins; in geheimnißvoller und geräuſchloſer Weiſe ſind ſie auf den Spitzen der verſunkenen Berge aufgebaut und ununterbrochen arbeiten Milliarden winziger Arbeiter weiter an ihnen, um auf das Geheiß des Schöpfers Continente zu ſchaffen und der Menſchheit neue Wohnſtätten an Stelle der verſchwundenen zu bereiten.

Jene wunderbaren Baumeiſter ſind die Korallenthiere, deren hervorragendſte Typen die Actinien oder See-Anemonen bilden. Ihre Structur und mannigfaltige lebhafte Färbung verleiht ihnen das Ausſehen lebendiger Blumen, und ſie feſſeln in den Aquarien vorzugsweiſe durch ihre Schönheit die Aufmerkſamkeit und das Intereſſe des Beſchauers. Ein transparenter Schlauch, mit deſſen unterer Fläche ſie ſich an den Meeresboden heften, bildet ihre äußere Körperhülle und in ihm iſt ſtrahlenförmig durch Scheidewände ein zweiter unten offner Schlauch, der Magen, befeſtigt, deſſen oberes Ende den mit einem dichten Büſchel ſeiner Saug - und Fühlfäden beſetzten Mund trägt. Bei den ungeſtörten Thieren ſind dieſe Fäden in unaufhörlicher Be - wegung, um aus dem umgebenden Seewaſſer ſowol die nöthige Nahrung aufzunehmen, als auch aus ihm kohlenſauren Kalk abzuſcheiden, denſelben Atom für Atom von ihrem Körper wieder113Eine erſte Seereiſeabzuſetzen und daraus jene Gerüſte zu bilden, deren unendlich vielfache und ſchöne Formen wir als Korallen bewundern.

Licht und Wärme ſind die Lebensbedingungen der bauenden Korallenthiere; deshalb finden wir ſie nur innerhalb der Tropen an ihrer nie endenden Arbeit und nicht tiefer als 200 Fuß unter dem Meeresſpiegel. In wie großartiger Weiſe ſie aber dort eine Rolle im Haushalt der Schöpfung ſpielen, dafür mögen die That - ſachen ſprechen, daß es an der Weſtküſte von Neucaledonien ein Korallenriff von über vierzig Meilen und an der Nordoſtküſte von Auſtralien ein ſolches von über dreihundert Meilen Länge giebt. Faſt alle die prachtvollen Inſeln des Stillen Meeres und ein großer Theil derer im Indiſchen Ocean innerhalb der Tropen ſind Producte der Korallen.

Dieſe Bildungen treten in verſchiedenen Formen auf, die charakteriſtiſche iſt jedoch der Atoll oder die Lagunen Inſel. Die Korallenthiere ſetzen ſich an die Seiten eines ſich ſenkenden Bergkegels und bauen mit nie irrendem Inſtinkt aufwärts, wohin die belebenden und erwärmenden Strahlen der Sonne ſie locken, bis ſie als ringförmiges Riff die Oberfläche des Meeres erreichen, die ihrer Arbeit eine Grenze ſetzt. Die brandenden Wogen zerbrechen theilweiſe an der Außenſeite das ſpröde Ge - äſt und werfen die Trümmer nach innen; im Laufe der Jahr - hunderte füllt ſich allmälig die eingeſchloſſene Lagune, das Riff wird erhöht, die Verwitterung der Bruchſtücke ſchafft fruchtbaren Boden, Wind und Strömung tragen Samen herbei und die neugeſchaffene Inſel deckt ſich mit Pflanzen - und Baumwuchs.

Zuerſt ſind es freilich nur Mangroven und anderes Ge - ſträuch, welche Wurzel faſſen in dem noch von Seewaſſer durch - feuchteten Grunde; doch ihr abſterbendes Laub ſchichtet mit - helfend den Humus, der der anſchwemmenden Kokosnuß geſtattet, zu keimen, als ſchlanke Palme ihre Blätterkrone hoch in die Lüfte zu erheben und als fruchttragender Baum dem Menſchen zu künden, daß wiedererſtandenes Land ſich zur Cultur bereitet. R. Werner, Erinnerungen. 8114WernerDie Inſeln der Javaniſchen Gewäſſer ſind, wie bemerkt, meiſtens noch nicht ſo weit vorgeſchritten und nur auf wenigen größeren überragt die Kokospalme das Unterholz, deſſen wirres Durch - einander von Luftwurzeln in den bracken Gewäſſern der noch nicht ganz aufgefüllten Lagune Nahrung ſucht und findet. Für den Menſchen können ſie deshalb noch nicht als dauernde Heim - ſtätte dienen, und nur hier und dort hat ein Malaye an ihren Ufern eine zerbrechliche Hütte aufgeſchlagen, um darin ſeine Sieſta zu halten, wenn die glühenden Strahlen der Sonne ihn von dem ergiebigen Fiſchgrunde vertreiben, den er in der Nähe entdeckt hat.

Die Fahrt zwiſchen dieſen Inſeln, in deren Namen ſämmt - liche Städte Hollands vertreten ſind, bei dem ruhigen Waſſer und der linden Brieſe war reizend, die vielen malayiſchen Han - dels - und Fiſcher-Praue, Boote von zierlichem, feinem Schnitt mit ſchön gebogenen Voluten an ihren beiden Enden und dem mächtigen Baſtſegel an ſchlanken Bambus-Maſten und Raaen, bildeten eine belebende Staffage des friedlichen Bildes. Am andern Mittage erreichten wir mit der Seebrieſe die Rhede von Batavia, aber ſie entſprach nicht meinen Erwartungen, die durch das bisher Geſehene ſich noch geſteigert hatten. Man liegt faſt eine Stunde weit von der Stadt, ſieht nichts von ihr und ſelbſt ihre landſchaftliche Umgebung bietet wenig Schönes. Eine große gleichmäßig mit Baumwuchs beſtandene Ebene, nach Süden zu leiſe aufſteigend, breitet ſich vor dem Blicke aus und wird nur in weiter Ferne durch die Spitzen der Vulkane im Innern der Inſel überhöht, aus deren Krater man bei blauem Himmel ſchwache Rauchwolken aufwirbeln ſieht, ein Zeichen, daß ihr unter - irdiſches Feuer noch nicht erloſchen iſt und jeden Augenblick mit vernichtender Gewalt wieder hervorbrechen kann.

Wir fanden eine ziemliche Anzahl Schiffe vor, meiſtens natürlich Holländer, doch auch einige Deutſche, in deren Nähe wir ankerten. Auch chineſiſche Dſchunken, jene ungeheuerlichen Fahrzeuge, die ſeit Jahrtauſenden ihre Form behalten haben115Eine erſte Seereiſeund an denen die Fortſchritte der Zeit wie an dem Reiche der Mitte ſelbſt, ſpurlos vorübergegangen ſind, waren da. Vorn und hinten thürmen ſich auf ihnen hohe Kaſtelle; an ihren Pfahlmaſten hängen ſchwerfällige Mattenſegel, nach Art unſerer hölzernen Jalouſien conſtruirt, und ihre ganze Erſcheinung macht den Eindruck der größten Ungeſchicklichkeit und Unbeholfenheit, der nirgends durch gefällige Linien, wie man ſie bei den Fahr - zeugen aller übrigen Nationen trifft, gemildert wird. Das Segeln am Winde und Laviren, welches unſere Altvorderen, die Sachſen, bereits vor mehr als anderthalb Tauſend Jahren erfanden, iſt ihnen noch heute eine unverſtandene Kunſt; ſie ver - mögen deshalb nur mit günſtigem Winde zu ſegeln und können trotz der geringen Entfernung zwiſchen China und Java jährlich nicht mehr als eine Reiſe machen. Es wehen auf dieſer Strecke halbjährliche Winde, die Monſune, mit entgegengeſetzten Rich - tungen; mit dem Oſt-Monſun kommen ſie ſüdwärts, und kehren nach vier - bis fünfmonatlichem Stillliegen mit dem Weſtwinde in ihre Heimath zurück. Von aſtronomiſchen Ortsbeſtimmungen haben ſie kein Verſtändniß; wie die alten Phönicier nur längs der Küſte ſegelnd, ſuchen ſie von Vorgebirge zu Vorgebirge ihren Weg und glauben ihn ohne die beiden großen am Bug jeder Dſchunke gemalten Augen, die den plumpen Fahrzeugen ein noch groteskeres Ausſehen verleihen, nicht finden zu können. Von Schiffahrts-Inſtrumenten beſitzen ſie nur den Compaß. Es iſt hiſtoriſch nachgewieſen, daß die Chineſen ihn bereits 500 Jahre früher erfunden hatten, als er in Europa in Gebrauch kam, aber er iſt noch eben ſo primitiv wie damals und hat es nicht vermocht, ihre Navigation zu Verbeſſerungen anzuſpornen, obwohl China ſo viel Fahrzeuge zählt, wie faſt die ganze übrige Welt zu - ſammen genommen. Es iſt deshalb nicht zu verwundern, wenn wir bei einem plötzlich ausbrechenden Sturme an der chineſiſchen Küſte von Unglücksfällen hören, die uns kaum begreiflich ſind und daß an einem Tage bisweilen 6 800 Dſchunken mit8*116Werner10 12000 Menſchen und mehr Beſatzung von den Wellen begraben werden.

Bald nach dem Ankern ging der Kapitän ans Land und ich wurde mit in die Gig geſchickt. Wir ſegelten mit der friſchen Seebrieſe hinein und gelangten ziemlich ſchnell bis an den ſchmalen Kanal, der die Rhede mit der Stadt verbindet und durch niedriges ſumpfiges Land führt. Hier mußte wegen Windſtille zu den Rudern gegriffen werden, und da wir faſt noch eine halbe Stunde gebrauchten, ehe wir den Anlegeplatz erreichten, kamen wir bei der ſengenden Sonnengluth in Schweiß gebadet an. Die Landungsſtelle war nicht ſehr einladend; eine Menge Boote mit ſchreienden und geſticulirenden Malayen, Chineſen und Laskaren lag dicht zuſammengedrängt dort, ſo daß wir nur mit Mühe uns einen Weg zu bahnen vermochten; daneben wühlten ein paar Dutzend Kambaun, javaniſche Ochſen, in dem ſchlammigen Waſſer, um ſich gegen Fliegen zu ſchützen, ſo daß nur ihr ungeſchlachter Kopf herausſah, und zwiſchen ihnen badeten eben ſo viel Malayen jeden Alters und Ge - ſchlechtes. Die nächſte Umgebung bildeten große todtblickende Speicher, der Beginn der ohne alle architektoniſche Schönheit nur nach dem Nützlichkeitsprincip gebauten Stadt, und ihnen gegenüber erhob ſich der niedrige Erdwall einer Befeſtigung, der ſtatt der Palliſaden durch eine allerdings eben ſo wirkſame lebendige und ſechs Fuß dicke Hecke von Cactus geſchützt wurde. Ueber dieſem wenig erquicklichen Bilde zitterte der Broden er - hitzter Luft wie über einem Glühofen, und ein widerlich pene - tranter Geruch von verweſenden Körpern beleidigte die Naſe. Der Kapitän beſtieg einen der am Platze haltenden und mit feurigen Ponies beſpannten Miethwagen, um nach Welltefreden, der Villenvorſtadt, zu fahren, wo die Europäer in reinerer Luft und reizvollerer Umgebung wohnen, während in Batavia ſelbſt ſich nur die Geſchäfts - und Waarenhäuſer befinden. Unſere neidenden Blicke flogen ihm nach, dann aber führten wir den117Eine erſte Seereiſeerhaltenen Befehl aus, uns wieder an Bord zu begeben, und die folgende Stunde angeſtrengten Ruderns vermochte nicht meine Stimmung zu verbeſſern.

Wo waren die Träume geblieben, denen ich mich früher hingegeben, wenn meine Phantaſie mir die Schönheiten der Tropenländer ausmalte, in deren Genuß ich zu ſchwelgen hoffte, indem ich Seemann wurde? Zerſtoben, verweht, wie ſchon ſo viele andere in den letzten fünf Monaten! Der Kauffahrtei - ſeemann, mit Ausnahme des Kapitäns, ſieht wenig oder nichts von den meiſten fremden Ländern; die viele Arbeit, welche grade in den Häfen ſich häuft und ſeine ganzen Kräfte in Anſpruch nimmt, ſo daß er Abends erſchöpft nur Ruhe ſucht, die wenigen Stunden Urlaub, die er höchſtens Sonntags einmal erhält, und andere Umſtände ſind ebenſo viele Hinderniſſe für ihn, und für mich gab es keine Ausnahme. Alle Romantik war dahin; wir trafen an einem Sonntage ein und es lagen zunächſt vierzehn Tage ſchwerer Arbeit des Löſchens und Ladens vor mir. Es wird bei größerer Entfernung vom Land nur immer eine Hälfte der Mannſchaft auf einmal beurlaubt; nach altem Herkommen hat Steuerbord-Wache, die vom Oberſteuermann commandirt wird, bei ſolchen Anläſſen den Vorzug und ich gehörte zur Backbordwache.

Das Bootsrudern hörte glücklicher Weiſe auf. Europäer erkranken zu leicht dadurch und es werden deshalb für die Dauer des Aufenthaltes malayiſche Ruderer angenommen, mit denen der am Lande wohnende Kapitän täglich an Bord kommt, um Anordnungen zu treffen. Die materiellen Genüſſe, welche ſich uns boten, beſchränkten ſich auf die ſchönen Südfrüchte, an denen ich mich allerdings hoch erquickte, die geiſtigen auf Austauſch von abendlichen Beſuchen bei unſern Landsleuten auf den deut - ſchen Schiffen. Eine große Freude, die allerdings für mich viel Trübes aufwog, bereitete die unerwartete Ankunft von Briefen aus der Heimath. Die Nachrichten waren zwar ſchon Monate118Werneralt, denn damals gebrauchte die Ueberlandpoſt noch acht Wochen bis Java, während jetzt kaum mehr als die Hälfte Zeit dazu erforderlich iſt, aber ſie lauteten erfreulich und wurden von mir Vereinſamten mit Jubel begrüßt. Wie manche abendliche Stunde verging mir trotz der Ermüdung von des Tages Laſt und Hitze in angenehmſter Befriedigung, wenn ich vor meiner Kiſte knieend bei dem Stümpfchen eines mir vom Steuermanne geſchenkten Lichtes an der Beantwortung der Briefe ſchrieb und dieſe, Bogen an Bogen reihend, ſich faſt zu einem Buche geſtaltete. Ich hatte ſo viel zu ſagen und zu erzählen, was die Lieben daheim inter - eſſirte freilich wie es auf dem Grunde meines Herzens aus - ſah, mit welcher Sehnſucht und Reue meine Gedanken hinflogen zu ihnen, das verſchloß ich nach wie vor ſorgſam in meinem Innern und ſie ſollten es mit meinem Willen nie erfahren.

Eine ſehr unangenehme Zugabe für uns war in der erſten Zeit das Verbot des Trinkens von rohem Waſſer aus Geſund - heitsrückſichten; es durfte nur Theewaſſer genoſſen werden. Jeden Morgen wurden einige Eimer gekocht, aber bei der Hitze kühlte der Thee nur ſehr langſam ab und ſo hatten wir zum Löſchen des brennenden Durſtes nur warmes Waſſer. Merk - würdiger Weiſe gewöhnte man ſich jedoch ſehr bald daran und trank es ſchließlich gern. Im übrigen war unſere Verpflegung ſehr gut. Es gab täglich friſchen Proviant, abwechſelnd Hühner, Schildkröte - und Hammelfleiſch, dazu ſüße Kartoffeln und Yams. Morgens kam ein chineſiſcher Händler mit Eiern und Früchten zu mäßigen Preiſen an Bord, von welchen letzteren für mich in Butter gebratene Bananen damals und ſeitdem den größten Leckerbiſſen bildeten, und wir hatten nach dieſer Richtung nicht zu klagen. Die Witterung war während der ganzen Zeit am Tage ſchön, jedoch faſt jede Nacht hatten wir Gewitter, die ge - wöhnlich gegen Mitternacht begannen, zwei bis drei Stunden anhielten und ſich oft mit furchtbarer Wuth entluden.

Unten im Logis konnte man vor Hitze, namentlich aber119Eine erſte Seereiſevor Wanzen kein Auge ſchließen. Letztere ſind auf älteren Kauf - fahrteiſchiffen eine häufige Plage und es giebt kein Mittel, um ſie mit Erfolg zu vertreiben. Da flüchteten wir dann auf das Deck und ſchliefen in ſelbſt gefertigten Hängematten, zu denen der Kapitän uns altes Segeltuch verabfolgen ließ, vorn auf der Back unter dem Sonnenſegel. So lange es von oben trocken war, ging es, aber wenn die Gewitterregen losbrachen, bot das Sonnenſegel gegen ihre Gewalt wenig Schutz. Wir zogen zwar noch ein Tau über unſere Hängematten und hingen eine wollene Decke zeltartig darüber, aber auch ſie half nicht immer und wir wurden bisweilen trotzdem gründlich durchnäßt, was wir indeſſen den Wanzen bedeutend vorzogen.

Eines Abends ſtanden wir, von der Arbeit todtmüde, im Begriff, in unſere luftige Schlafſtätte zu klettern, als wieder eine heftige Gewitterbö einfiel. Es war eine ganze Menge Wind dabei und obwol er über Land kam, wühlte er doch rauhe See auf, ſo daß das Schiff ziemlich heftig vor ſeinem Anker ſtampfte. Unſer Großboot war ausgeſetzt und hinter dem Schiffe befeſtigt, wie dies auf Handelsſchiffen üblich iſt, wenn ſie laden oder löſchen, um die zum Laderaum führende große Luke freizumachen, auf der in See das Boot ſonſt ſteht. Durch die heftigen Stöße, mit denen letzteres in die kurze See ruckte, brach die Fangleine und das Boot trieb ſeewärts. Der wach - habende Matroſe meldete den Verluſt dem Steuermann und dieſer befahl, eins der Seitenboote, die Schaluppe, zu Waſſer zu laſſen und zu bemannen, um den Flüchtling wieder einzufangen. Bei der beſchränkten Bemannungszahl eines gewöhnlichen Handels - ſchiffes können die Boote natürlich nicht wie auf Kriegsſchiffen eine beſonders abgetheilte Beſatzung haben, aber es iſt Gebrauch, daß bei ſolchen Gelegenheiten ohne beſonderen Befehl die Jünge - ren ſtets voran ſind, und ſomit ſprang auch ich mit drei anderen Leichtmatroſen und dem Unterſteuermann in die Schaluppe. Letzte - rer ging an das Steuer, während wir vier anderen rudern ſollten.

120Werner

Kaum war das Boot jedoch zu Waſſer, als dieſes von allen Seiten in das Fahrzeug eindrang. Durch langes Hängen an den Davids (Krähnen) in der brennenden Sonne waren die Planken ganz zuſammengetrocknet und die Näthe klafften. Auf Grund der vielen ſonſtigen und drängenden Arbeiten an Bord hatte man verſäumt, wie es ſich ſonſt gehört, in die hängenden Boote ſo viel Waſſer zu gießen, daß ihr Boden bedeckt und gegen Auftrocknen geſchützt wurde. In der Hoffnung, daß die Näthe ſich im Waſſer bald wieder zuſammenziehen würden, ließen wir uns in aller Eile noch ein paar Eimer zum Aus - ſchöpfen heruntergeben, ohne uns weitere Sorge zu machen und ſtießen vom Schiffe ab. Trotz anhaltenden Schöpfens durch zwei von uns füllte ſich aber das Boot zuſehends, und wir hatten uns noch keine hundert Schritte von der Alma entfernt, als das Waſſer faſt bis unter die Sitzbänke geſtiegen war und wir bei dem Seegange kaum noch die Ruder gebrauchen konnten.

Wir befanden uns in einer höchſt kritiſchen Lage. Unter ſolchen Umſtänden war es unmöglich, gegen Wind und See das Schiff wieder zu erreichen und wir trieben mit dem allmälig tiefer ſinkenden Boote bei ſtockfinſterer Nacht, ſcharfem Winde und ſtrömendem Regen in die offene See hinaus. Um unſere Situation noch ſchauriger zu machen, ſahen wir, wie neben dem Boote ſich im Waſſer zwei feurige Streifen bewegten es war das Kielwaſſer von zwei Haien, das in unheimlich grünlichem Lichte ſchimmerte. Von dieſen ſchrecklichen Räubern der Tiefe wimmelt es auf der Rhede von Batavia und ſie mochten wol Beute wittern.

Es galt die Schaluppe unter allen Umſtänden flott zu halten. Sank ſie noch einige Zoll tiefer, ſo waren wir gänzlich hilflos. Die See ſpülte dann hinein und wir gingen unter allen Um - ſtänden verloren, ſei es, um unſern Tod in den Fluthen oder im Rachen der Haie zu finden. Wir gaben deshalb das Rudern auf, ließen uns treiben und ſchöpften ſämmtlich mit Eimern,121Eine erſte SeereiſeSüdweſtern und Händen unter Aufbietung aller Kräfte. Unſere Anſtrengungen wurden glücklicher Weiſe mit Erfolg gekrönt. Das Waſſer minderte ſich nach und nach, die Planken hatten ſich auch wol etwas zuſammengezogen, und nach einer Viertelſtunde war erſteres ſoweit bewältigt, daß fernerhin zwei von uns ge - nügten, um das Boot flott zu halten. Wir waren inzwiſchen ſo weit getrieben, daß wir die Laterne, welche man auf dem Schiffe für uns als Erkennungszeichen ausgehängt, aus Sicht verloren. Die hatte nicht nachgelaſſen; die Blitze flammten ohne Unterlaß, der Donner rollte und krachte betäubend und der Wind wehte ſo ſtürmiſch, daß unſer Boot vor ihm und der See ohne Segel und Maſten förmlich dahinflog wohin? das wußte Niemand. Wir hatten keinen Compaß; durch die ſchwarze Decke des Himmels brach kein Stern, um uns die Richtung anzugeben, wir irrten umher auf dem pfadloſen Meere und konnten nur muthmaßen, daß wir gegen Sumatra hin ver - ſchlagen wurden. Aber wie ſchnell auch das Boot die branden - den Wellen durchſchnitt und durch die Nacht dahinſauſte die Haie hielten mit uns Schritt. Bald liefen ſie neben einander, bald umkreiſten ſie getrennt in nächſter Nähe das Boot, als wollten ſie uns andeuten: Ihr ſeid uns doch verfallen . Der Sturm wuchs, anſtatt, wie wir gehofft, nachzulaſſen. Wir waren in unſerem gebrechlichen, lecken Fahrzeuge machtlos gegen ihn. Alles, was wir vermochten, war, letzteres recht vor dem Winde zu halten, um es nicht quer zur See kommen zu laſſen und dann durch die erſte Sturzſee gekentert zu werden. Trotzdem lief die See dann und wann an den Seiten über und wir Alle mußten ſchöpfen, um flott zu bleiben. Doch, was half das? Wenn der Wind ſich nicht mäßigte, hatten wir nur noch eine kurze Spanne Zeit zum Leben. Die fünf Meilen bis zur Küſte von Sumatra waren in wenigen Stunden zurückgelegt und unſerer harrte dann das Geſchick, an den die Inſel umſäumen - den Klippen zerſchellt zu werden.

122Werner

In dumpfem Schweigen ſtarrten wir in die ſchwarze Nacht hinaus und erwarteten die nächſte Zukunft. Am ganzen Hori - zonte wetterleuchtete es ununterbrochen; dazwiſchen fuhren zackige Blitze blendend und grell hernieder; faſt unaufhörlich rollte der Donner und ſeine Schläge ertönten immer lauter und näher. Die Köpfe der überbrechenden Wellen rauſchten hohl, ſie ſchim - merten phosphorescirend, wälzten ſich aufthürmend neben unſerem Boote her, bereit, uns jeden Augenblick zu verſchlingen, und mitten in dieſem Aufruhr der Natur wurde unſer ſchwankes Boot auf der düſteren, mitleidsloſen Waſſerfläche wie ein Ball von Woge zu Woge dahin gepeitſcht.

Da ſchien ſich die ganze Maſſe der in der Atmoſphäre angehäuften Elektricität auf einmal entladen zu wollen. Das Firmament verwandelte ſich plötzlich in ein Flammenmeer und es war einen Augenblick tageshell. Unmittelbar danach erfolgte ein ſo furchtbarer Donnerſchlag, daß er uns vollſtändig betäubte. Das Boot wurde ſo gewaltig erſchüttert, daß wir im erſten Momente glaubten, es ſei vom Blitze getroffen und zerſchmettert. Aber jene kurze Tageshelle hatte hingereicht, um unſere ganze ſchreckliche Lage mit einem Schlage zu ändern. Das verlorene Großboot war ganz in unſerer Nähe, rechts voraus; wir alle hatten es geſehen und eine Täuſchung war ausgeſchloſſen. Eben - ſo hatten wir auch Inſeln vor uns erblickt; das konnten nur die Inſeln der Sundaſtraße ſein, die wenige Meilen von der Rhede von Batavia entfernt liegen.

Wir trieben alſo nicht nordweſtlich nach Sumatra, ſondern weſtlich und der Wind mußte ſich etwas gedreht haben. Dieſe Wahrnehmung gab uns unſere ganze Energie zurück. Wenn wir das Großboot erreichten, ſo hatten wir ein feſtes nicht leckendes und der See gewachſenes Fahrzeug unter den Füßen und die Hoffnung, es ſo zu dirigiren, daß es von den kleinen Inſeln frei ging, hinter denen wir Schutz gegen Wind und See fanden. Aber ſelbſt wenn uns dies nicht gelang, ſo lagen vor123Eine erſte Seereiſeden Inſeln keine Klippen; die See hätte das Boot direct gegen den Sandſtrand geworfen und wir konnten uns retten. Sobald unſere Augen ſich von der Blendung des furchtbaren Blitzes etwas erholt, richteten ſie ſich ſuchend nach vorn, und nach kurzer Zeit hatten wir auch das Boot gefunden. Da es weniger Windfang, als unſere mit fünf Menſchen gefüllte Scha - luppe beſaß und deshalb langſamer trieb, erreichten wir es bald. Der Steuermann ſteuerte geſchickt längſeit deſſelben; ich ſprang mit der Fangleine hinein, belegte ſie um eine Bootsducht, und ſo waren wir geborgen.

Alles, was ſich loſe in der Schaluppe befand, wurde hinüber gegeben. Der Leichtmatroſe, welcher die Sachen zugereicht, wollte eben, als Letzter, die neben dem Großboot liegende Schaluppe ver - laſſen und hatte ſchon einen Fuß in erſteres geſetzt, als plötzlich eine ſchwere See heranrollte, ſich zwiſchen die Vordertheile beider Boote drängte und dieſe um 4 5 Fuß, ſo weit die Fangleine geſtattete, auseinander riß. Dadurch verlor der Mann das Gleichgewicht und ſtürzte zwiſchen den Booten in’s Waſſer. Wir alle ſprangen ſofort hinzu, um dem Verunglückten Boots - haken und Riemen hinzureichen, doch er ergriff ſie nicht.

Ein markdurchdringender Schrei erfüllte die Luft und ließ uns faſt das Blut in den Adern gerinnen. Die Haie waren dem Boote nicht umſonſt gefolgt dort unten zogen ſie wieder ihre beiden mattleuchtenden Streifen, aber zwiſchen ihnen zeigte ſich noch ein dritter; es war unſer armer Kamerad, der zer - fleiſcht in die Tiefe ſank!

Als ob mit dieſem traurigen Opfer unſer Leben erkauft wäre, ließ das furchtbare Wetter nach. Noch immer zwar zuckten die Blitze und rollte der Donner, allein das Gewitter verzog ſich in die Ferne, die ſchwarze Wolkendecke zerriß, der ſtrömende Regen hörte auf, es wurde etwas heller und der Wind ſchwächer. Ganz nahe vor uns erblickten wir jetzt eine Inſel, welche die auf den Strand rollende Brandung mit einem glühen -124Wernerden Kranze umſäumte. Es gelang uns, dieſelbe ganz nahe zu umſteuern, hinter ihr in dem ſtillen Waſſer mit den Booten das Ufer zu erreichen und ſie mit den Fangleinen an einem Baume zu befeſtigen. Wir waren gerettet und hatten die Hoffnung, am anderen Morgen mit der Seebrieſe an Bord unſeres Schiffes zurückkehren zu können.

So lange wir uns im Boote und in ſo großer geiſtiger Aufregung befanden, merkten wir nichts von körperlicher Er - mattung, nun aber begann ſie ſich fühlbar zu machen. Uns quälte Durſt, aber wo war Waſſer zu finden? Auf keiner dieſer kleinen Inſeln giebt es Trinkwaſſer. Wahrſcheinlich hatten ſich irgendwo im Innern nach dem ſchweren Regen Pfützen ge - bildet, doch mit Ausnahme des ſchmalen Küſtenrandes, war die Inſel mit ſo dichtem Gebüſch bedeckt, daß wir bei der Dunkel - heit unmöglich hineindringen konnten und uns auf den andern Morgen vertröſten mußten. Wir ſtreckten uns in unſeren naſſen Kleidern auf dem naſſen Boden aus und verſuchten zu ſchlafen. Mich floh lange der Schlummer; ich mußte immer an den ver - lorenen Kameraden denken, und wenn ein Windſtoß durch die Bäume zu unſeren Häupten pfiff, dann ſchreckte ich auf und glaubte wieder den gellenden Schrei des Armen zu hören.

Das war nun ſchon der zweite, der in der Zeit von wenigen Monaten gewaltſam aus unſerer kleinen Schaar her - ausgeriſſen wurde. Wen würde das nächſte Todesloos tref - fen? Der Verunglückte hatte mir nicht nahe geſtanden, viel weniger nahe, als Heinrich Peterſen, den die See vom Klüver - baum nahm, aber ein Tod auf dem Meere iſt ſo ganz anders, wie am Lande, ſo viel trauriger und ergreifender. Wenn Je - mand am Lande ſtirbt, ſo iſt man immer mehr oder minder darauf vorbereitet und wäre es ſelbſt nicht der Fall, ſo ſind wenigſtens ſeine ſterblichen Reſte vorhanden; man folgt ihm zu Grabe und der Denkſtein erinnert uns an ihn. Doch auf See bei einem ſolchen Unglücksfalle fehlt alles das. Der125Eine erſte SeereiſeBetreffende iſt uns nahe wir hören ſeine Stimme, wir ſcherzen oder ſprechen mit ihm, und plötzlich iſt er von unſerer Seite verſchwunden, ohne eine Spur zu hinterlaſſen. Jung, kräftig und geſund ſteht er vor uns und im nächſten Augenblick ruht er in dem weiten naſſen Grabe. Kein äußeres Zeichen irgend welcher Art erinnert mehr an ihn nur ſein leerer Platz iſt ſein Grabſtein, und dieſe Leere, die er hinterläßt, hat etwas ſo tief trauriges.

Mit Tagesanbruch wurden wir wach. Das Wetter zeigte ſich wieder prachtvoll, der Himmel wolkenlos und das Meer lag ruhig und ſpiegelglatt vor unſeren Blicken. Unſer Durſt war brennend geworden und wir bahnten uns einen Weg durch das Gebüſch, um Waſſer zu ſuchen. Es gelang; in einer Lich - tung hatte ſich Waſſer in einem Tümpel geſammelt, aber ein breiter Streifen Moraſt umgab ihn. Wir ſanken ſo tief ein, daß keine Möglichkeit war, das Waſſer zu erreichen, und doch mußten wir auf irgend eine Weiſe dazu gelangen. Sein Anblick hatte uns erſt recht fühlbar gemacht, was wir litten; die Zunge klebte am Gaumen und wir erduldeten Tantalusqualen.

Endlich kam uns der Gedanke, den Moraſt zu überbrücken. Wir ſchnitten mit unſeren Meſſern Zweige, banden ſie zu Faſchinen, warfen ſie in die weiche Maſſe und legten die Boots - riemen und die loſen Ruderbänke ſowie die Ruder und Boden - bretter der Boote darauf. Auf dieſe Weiſe gelang es uns, nach ſtundenlanger mühſamer Arbeit, einzeln und auf dem Bauche vorſichtig uns vorſchiebend, bis an das Waſſer zu kommen. Es war lauwarm, bräunlich und von einer Haut überzogen, die wir erſt abſtreifen mußten; aber mit welcher Gier wir trotzdem die widrige Flüſſigkeit einſchlürften, mit der wir möglicher Weiſe das tödtliche Klimafieber uns einimpften, vermag nur der zu ermeſſen, der die Qualen des Durſtes ſelbſt em - pfunden.

Die Inſel, auf der wir uns befanden, lag ungefähr drei126WernerMeilen von der Rhede entfernt; wir konnten eben die Maſt - ſpitzen der dort ankernden Schiffe über dem Horizonte erblicken. Gegen zehn Uhr Morgens ſchlief die ſchwache Landbrieſe ein, dann kam Stille und brennende Sonnengluth, gegen die wir im Gebüſch Schutz ſuchten. Mit unendlicher Mühe ſchöpften wir noch aus dem flachen Tümpel mit den Händen einen Eimer Waſſer, um auf der bevorſtehenden langen Rücktour nicht wie - der Durſt zu leiden. Eßbares war auf der Inſel nicht vor - handen außer einigen Schnecken und an den Strand geworfenen Muſcheln; unſer Hunger war jedoch noch nicht groß genug, um dieſe roh zu verſpeiſen. Die Seebrieſe ließ lange auf ſich warten; erſt kurz vor Mittag trat ſie ein und wir machten uns auf den Weg. Wir ruderten in der Schaluppe und hatten das Großboot im Schlepptau. Wir kamen nur ſehr langſam vorwärts und fühlten allmälig unſere Kräfte ſchwinden. Da die Brieſe kräftig auffriſchte, verſuchten wir, Maſt und Segel zu improviſiren. Die zu den Booten gehörige Betakelung war nicht darin; wie ſo oft auf Kauffahrteiſchiffen war ſie aus falſcher Sparſamkeit irgendwo im Schiffe verſtaut, anſtatt ſich ſtets in den Booten zu befinden, wie auf Kriegsſchiffen. Einige zuſammengebundene Bootsriemen mußten den Maſt, ein anderer die Raa abgeben, die aufgerebbelte Fangleine lieferte das nöthige Bendſelwerk und das Material zu dem Segel bildeten unſere Hemden, die wir mit den Kabelgarnen der Fangleine an die Raa und zuſammen - nähten, während wir mit nacktem Oberkörper im Boot ſaßen. Es war eine wunderliche Takelage; da wir aber platt vor dem Winde ſegelten, erfüllte ſie ihren Zweck. Gegen Abend, nach faſt 24ſtündiger Abweſenheit, trafen wir von unſerer Irrfahrt wieder an Bord ein.

Es war Feierabend und die Beſatzung ſtand am Fallreep, um uns zu empfangen. Sie hatte ſchon von weitem geſehen, daß einer fehlte und die Begrüßung war keine laute. Als ich an Deck kam, drückte mir der Bootsmann ſtumm die Hand,127Eine erſte Seereiſeaber auch ohne daß er ſprach, las ich in ſeinen treuen Augen die Freude, daß ich glücklich zurückgekommen. Ich ging mit ihm nach vorn. Die Andern dachten, Ihr wäret alle verloren ſagte er nach einer Weile. Sie meinten, die Schaluppe hätte in ſolcher See nicht leben können, aber ich glaubte nicht daran, ich hätte Euch ſonſt wol heute Nacht im Traume ge - ſehen doch als Ihr hinter dem Heck vor der Holländiſchen Bark vorkamt und nur mit Vieren im Boot waret, da wußte ich auch, daß kein anderer als Jens Jenſſen fehlen konnte.

Denkſt Du noch daran, als Ihr beide in jener ſchreck - lichen Gewitternacht bei der Linie die Bramſegel feſt machtet und das Elmsfeuer erſt bei Dir im Großtop war und dann zu Jens nach dem Vortop flog? Das war der Heinrich, denn jene blauen Feuerkugeln zeigen ſich nur auf ſolchen Schiffen, die durch Unglück einen Mann verloren haben. Es ſind die Seelen der Abgeſtorbenen, die herumirren, weil ſie kein chriſt - liches Begräbniß erhalten haben und deshalb nicht zur Ruhe kommen können. Und als die Flamme ſich dann Jens auf die Schulter ſetzte und ſein Geſicht ſo fahl beleuchtete, als hätte er ſchon lange im Grabe gelegen, da war es uns allen, die wir es ſahen, klar, daß Heinrich ihn rief und er zunächſt an die Reihe kommen würde. Armer Jens! Seine Mutter wird’s ſchwer überleben; er war der letzte von ihren vier Söhnen. Zwei gingen mitſammt dem Vater auf dem kleinen Schuner verloren, den dieſer als Kapitän fuhr. Das Fahrzeug ſoll im Kanal übergeſegelt worden ſein und man hat nie wieder etwas davon gehört. Der dritte kenterte mit dem Boote, als er einem geſtrandeten Schiffe zu Hülfe kommen wollte und ertrank. Nun auch noch den letzten zu verlieren, das iſt hart arme Mutter!

Er wandte ſich ab von mir, lehnte ſich an die Verſchanzung und blickte über Bord. Das that er immer, wenn er nicht weiter ſprechen wollte und ich ließ ihn deshalb allein.

128Werner

Die übrigen Leute redeten auch nur wenig von dem Todten. Es iſt das immer ſo an Bord, ohne daß Mangel an Gefühl daran die Schuld trägt. Der gewöhnliche Seemann hat eine gewiſſe Scheu vor ſolchen Geſprächen, die wol mit einer Art Aberglauben zuſammenhängt. Wenige Tage darauf wurden wir jedoch auf eine ſchreckliche Art an den Unglücksfall wieder er - innert.

Ein Bremer Schiff kam auf die Rhede und ankerte in unſerer unmittelbaren Nähe. Am Abend ging die ganze Be - ſatzung über Bord, um ſich zu baden und ſchwamm luſtig um - her. Andern Tages kamen die Leute zu uns zum Beſuch und wir warnten ſie auf das Eindringlichſte vor dem Baden. Kurz vor unſerer Ankunft war ein engliſcher Matroſe von einem Hai erfaßt worden und ein Kaiman hatte einen holländiſchen Steuer - mann, der auf dem Rande des Bootes ſaß und deſſen Rock - ſchöße nahe über Waſſer hingen, an den letzteren erfaßt, ihn über Bord gezogen und verſchlungen. Sie ſchienen unſere War - nung jedoch in den Wind zu ſchlagen, denn zwei Tage darauf ſahen wir ſie zu unſerem Schrecken wieder ſämmtlich baden und um das an der Backſpiere liegende Boot herumſchwimmen. Einer der Matroſen hielt ſich an der Fangleine des Bootes feſt, als er plötzlich den Kameraden zurief: Leute geht ins Boot, hier iſt ein Hai. Er iſt bei mir geweſen, hat mir aber nichts gethan. Die Leute kletterten ſchnell in das Boot, ſahen jedoch gleichzeitig, wie Jener ſich zwar noch krampfhaft an dem er - faßten Taue feſthielt, aber auch, wie ſein Kopf auf die Seite fiel und ſich das Waſſer in ſeiner Umgebung blutig färbte. Sie holten auf das ſchleunigſte das Boot zu ihm hin und hoben ihn hinein, doch nur noch den Rumpf. Beide Beine waren zwiſchen Knie und Hüfte abgebiſſen, ob durch einen der coloſſalen Grundhaie von 14 16 Fuß Länge, wie man ſie in jenen Gegenden trifft, oder durch einen Kaiman, blieb unent - ſchieden. Nach zehn Minuten war der Aermſte verblutet und129Eine erſte Seereiſeeine Leiche. Wir ſahen den ganzen Vorgang mit an und man kann ſich denken, welchen furchtbaren Eindruck er auf uns machte.

Das Löſchen und Laden des Schiffes ging ziemlich ſchnell vor ſich. Letzteres ſollte ſobald wie möglich nach Deutſchland expedirt werden, um noch vor Winter wieder auszulaufen und es waren deshalb zwanzig malayiſche Kulis zur Hülfe an Bord geſchickt. Sie leiſteten zwar nicht ſehr viel, aber immerhin be - ſchleunigte ihre große Zahl doch die Arbeit merklich und unſer Aufenthalt dauerte vorausſichtlich nicht länger als drei Wochen. Wegen der großen Entfernung unſeres Ankerplatzes vom Lande blieben die Kulis auch Nachts an Bord und es intereſſirte mich, ihre Lebensgewohnheiten zu beobachten. Tages über hielten ſie ſich auf dem Oberdeck auf, wo für ſie eine Art Zelt mit einem proviſoriſchen Herd zum Kochen ihrer Mahlzeiten errichtet war. Letztere beſtanden der Hauptſache nach unveränderlich aus Reis, den ſie mit zerſtampften Schoten von ſpaniſchem Pfeffer würz - ten, während einige Yams und ohne Fett am Feuer geröſtete Fiſche die Zuthaten bildeten. Fleiſch ſchafften ſie für ſich ſelbſt nicht an, nahmen aber gern, was von unſerem Mittagseſſen übrig blieb; Spirituoſen lehnten ſie dagegen, als den Satzungen ihres mahomedaniſchen Glaubens widerſprechend, ab.

Ihre Geſtalten waren klein und wenig muskelkräftig, ihre Hautfarbe hellbraun, das lange ſchwarze Haar unter einem turbanähnlich gewundenen Kopftuche verſteckt. Der landesübliche von beiden Geſchlechtern getragene Sarong, ein weiter geſchloſſe - ner Rock von buntem Kattun, hüllte den unteren Körper, eine enge Jacke von gleichem Stoff den oberen ein. Hervorſtehende Backenknochen und wulſtige Lippen machen die Geſichtszüge un - ſchön und durch die Folgen des Betelkauens erſcheinen ſie noch abſtoßender. Das Betelkauen iſt allgemein und wird nur wäh - rend der Mahlzeiten unterbrochen; die Erneuerung der ziemlich ſchnell verbrauchten Packete nimmt im täglichen Leben des Ma -R. Werner, Erinnerungen. 9130Wernerlayen viel Zeit in Anſpruch und wird mit einer Sorgfalt und Wichtigkeit betrieben, als wäre es ein höchſt wichtiger Act. Etwas zerkleinerte Betelnuß, Tabak und Gambir (Katechu) werden dazu in ein mit kalkiger Maſſe beſtrichenes Betelblatt gewickelt. Die adſtringirenden Stoffe ſondern einen ätzenden rothen Saft ab, der die Zähne ſchwarz beizt und das Innere des Mundes blutig roth färbt. Nebenbei ſind die Malayen jedoch auch leidenſchaftliche Raucher und für eine Cigarre kann man viel von ihnen erreichen.

Abends ſammelten ſich die Kulis regelmäßig unter ihrem Zelte, auf deſſen Herde eine improviſirte Lampe aus einer Kokosnußſchale mit einem unſicheren matten Schein die Um - gebung beleuchtete. Einer von ihnen blies eine Bambusflöte und ein anderer begleitete die Töne unisono mit Fiſtelſtimme, während die Uebrigen im Kreiſe hockend mit geſpannter Auf - merkſamkeit den eigenthümlichen Geſangsweiſen lauſchten. Dieſe Unterhaltungen dauerten allabendlich Stunden lang, und die vorgetragenen Lieder mußten wohl ernſten Inhaltes ſein, denn man hörte nie lachen oder laute Heiterkeit. Ich denke mir, es waren epiſche Verherrlichungen ihrer Volkshelden, deren Thaten ſich hauptſächlich auf dem Felde des Seeraubes vollzogen haben. Wenn uns auch die Bedeutung der Geſänge ver - borgen bleiben mußte, eigneten wir uns doch bald ſo viel Brocken der Sprache an, daß wir uns nothdürftig mit den Kulis verſtändigen konnten. Die malayiſche Sprache iſt über - haupt leicht zu erlernen; ſie iſt in ihrem Bau ungemein ein - fach, hat wenig Wortflexionen und einen großen Reichthum von Vocalen, der ſie wolklingend und leicht in’s Gehör fallend macht. Alle auf Java anſäſſigen Holländer ſprechen malayiſch und ver - kehren mit der einheimiſchen Bevölkerung nur in dieſem Idiom.

Mein Urlaubsſonntag ſtand vor der Thür und er ver - ſprach mehr, als ich bisher zu hoffen gewagt hatte. Das hol - ländiſche Linienſchiff Kortenaar , in deſſen Nähe wir in Hel -131Eine erſte Seereiſevoetsluys gelegen, war vor kurzem eingetroffen und zu meiner großen Freude auf ihm mein junger Freund, der Sohn unſeres Conſuls, als Kadett eingeſchifft. Er hatte mich nicht vergeſſen, ſondern ſobald er konnte, mich aufgeſucht, um mich zu ſeinen Verwandten nach Welltefreden einzuladen; vom Kapitän war mir ein 48ſtündiger Urlaub bewilligt worden. Die Ausſicht, unter ſo unerwartet günſtigen Umſtänden an Land zu gehen und die wunderſchöne Inſel kennen zu lernen, entzückte mich begreif - licher Weiſe auf das höchſte leider ſollte ſie aber unter ganz anderen Umſtänden ſich verwirklichen, als meine Phantaſie ſich geträumt hatte. Ich wurde an’s Land geſchafft, aber ohne Be - wußtſein und nur um in das Hoſpital aufgenommen zu werden. Am Sonnabend Abend fühlte ich mich plötzlich ſehr unwol, alle meine Glieder ſchmerzten, ich mußte mich zur Coje legen, und mein Zuſtand verſchlimmerte ſich ſo ſchnell, daß ſchon nach wenigen Stunden meine Gedanken zu wandern begannen und heiße Gluth meine Kräfte verzehrte. Ich war vom Klimafieber befallen und es trat gleich mit ſolcher Heftigkeit auf, daß der am andern Morgen vom Kortenaar geholte Arzt meine ſo - fortige Ueberführung in das Hoſpital anordnete. Wie man mir ſpäter mittheilte, hatte Niemand an Bord geglaubt, mich lebend wiederzuſehen. Mein jugendlich kräftiger Körper leiſtete jedoch dem Anfalle erfolgreichen Widerſtand, und als ich am dritten Tage wieder zu mir kam, war ich wol todesmatt, aber die größte Gefahr beſeitigt. Der Oberarzt war ein Deutſcher, von dem ich ſehr freundlich behandelt wurde, das Hoſpital ſelbſt ließ nichts zu wünſchen übrig; mein Freund, der Kadett, be - ſuchte mich verſchiedene Male, ſeine Verwandten ſandten mir auf ſeine Veranlaſſung Bücher, und da meine Kräfte allmälig zurück - kehrten, fand ſich auch die Elaſticität meines Geiſtes wieder ein und ich blickte nicht mehr ſo trübe in die Zukunft.

Am ſechſten Tage hatte ich mich ſo weit erholt, daß ich das Bett verlaſſen konnte. Es war wieder Sonntag geworden9*132Wernerund ich hatte ganz beſtimmt gehofft, daß der alte Bootsmann mich beſuchen würde, aber er blieb aus. Das ſchmerzte mich tief; fremde Leute erwieſen ſich freundlich gegen mich in meiner Verlaſſenheit, doch an Bord des eigenen Schiffes ſchien ſich Niemand um mich zu kümmern. Der Kapitän war einmal in der erſten Zeit dageweſen, als ich noch ohne Beſinnung lag, dann nicht wieder. Andern Morgens erſchien er nochmals, doch hauptſächlich nur, um den Arzt zu fragen, ob ich nicht am nächſten Tage entlaſſen werden könne, da das Schiff am Mitt - woch ſegeln ſolle. Der Doctor gab ſein Einverſtändniß unter der Bedingung, daß ich noch längere Zeit geſchont würde und ſo brachte mich die Gig an Bord zurück. Dabei fühlte ich je - doch, wie ſehr ſchwach und angegriffen ich noch war, ich konnte ohne Hülfe nicht die Fallreepstreppe erſteigen. Den Bootsmann fand ich in der Coje, auch er hatte ſeit drei Tagen das Fieber. Wäre ich nicht ſelbſt ſo elendiglich auf den Strand gelau - fen, Schweizer ſagte er mit matter Stimme zu mir, als ich an ſein Bett trat dann hätte ich Dich ganz beſtimmt beſucht. Ich drückte ihm ſtumm die Hand und mir traten die Thränen in die Augen, als ich den kräftigen Mann jetzt ſo hülflos da - liegen ſah. In das Hoſpital hatte er abſolut nicht gewollt; in wenigen Tagen werde alles wieder gut ſein, meinte er, und in der That ſchien ſich ſein Zuſtand auch etwas zu beſſern.

Von Krankenpflege in gewöhnlichem Sinne iſt auf Kauf - farteiſchiffen nicht die Rede. Die ſo knapp bemeſſene und durch die Kranken noch mehr geſchwächte Beſatzungszahl geſtattet nicht die Stellung beſonderer Wärter; die Kameraden thun wol hier und dort gern eine Handreichung, aber oft iſt Niemand von ihnen in der Nähe, wenn das Bedürfniß dazu gerade am dringend - ſten iſt. Heilmittel verabreicht der Kapitän aus der an Bord befindlichen Medicinkiſte, nach Anleitung eines kleinen zu dieſem Zwecke mitgegebenen Buches und nach beſtem Wiſſen. Ob dieſes beſte Wiſſen auch das richtige iſt, hängt mehr oder minder von133Eine erſte Seereiſeeinem glücklichen Ungefähr ab. Eben ſo wenig giebt es paſſende Krankenkoſt; wer nicht Erbſen und Salzfleiſch vertragen kann, für den wird etwas Reisſuppe gekocht, in vielen Fällen freilich zutreffend, aber für Reconvalescenten doch nur kraftloſes Eſſen. Ich war, wie der Doctor verordnet, vorläufig von allem Dienſte dispenſirt, und wenn auch ſehr matt, doch im Stande auf zu ſein und es drängte mich mein Herz, den Mann, welchem ich ſo viel ſchuldete und der ſtets in väterlicher Weiſe ſeine Hand ſchützend über mir gehalten, nach beſten Kräften zu pflegen und ihm dadurch meine Dankbarkeit zu beweiſen.

Am beſtimmten Tage traten wir unſere Rückreiſe an. Der Gedanke, daß fortan jede zurückgelegte Meile mich der geliebten Hei - math näher brachte, würde unter anderen Umſtänden mein Herz freudiger haben klopfen laſſen, als es der Fall war. Mein Be - finden hatte ſich in den letzten Tagen eher verſchlechtert, als ge - beſſert; ich war wol zu früh aus dem Hoſpital entlaſſen worden und der Aufenthalt an Bord in der dumpfen, unreinen Luft des Logis mir nicht zuträglich geweſen. Ich fühlte mich ſehr gedrückt und zu - gleich apathiſch, ſo daß ſelbſt die Naturſchönheiten von Anjer, wo wir behufs Einnehmen von Erfriſchungen noch einmal einen kurzen Aufenthalt nahmen, mich gleichgiltig ließen. Dazu kam, daß die Krankheit des Bootsmanns ſich ſichtlich verſchlimmerte. In den erſten Tagen hatte er noch öfter in ſeiner gewohnten gutmüthig ſcherzhaften Weiſe zu mir geſprochen, doch dann war er ſtiller geworden; das Fieber trat heftiger auf und er lag vielfach ohne Beſinnung oder redete irre. Er nahm nichts zu ſich, als etwas Wein mit Waſſer, das ich ihm löffelweiſe einflößte, um ſeine brennende Zunge zu kühlen. Ich ſah, daß es mit ihm zu Ende ging und eine tiefe Traurigkeit ergriff mich bei dem Gedanken, den einzigen Menſchen an Bord zu verlieren, der es wahr - haft gut mit mir meinte und dann ganz einſam und verlaſſen zu ſein.

Am vierten Tage unſerer Reiſe auf der Abendwache hatte134Wernerer wieder einen heftigen Anfall gehabt. Danach war er ruhiger geworden und ſchien einzuſchlafen. Als ich eine Zeit lang ſeinen Athemzügen gelauſcht, die ſo regelmäßig waren, daß ich auf den Eintritt einer günſtigen Kriſe hoffte, ſuchte ich meine Coje auf, um auch ein wenig zu ſchlummern, doch ſchon nach wenigen Minuten hörte ich leiſe meinen Namen rufen und ſprang wieder auf, um nach dem Kranken zu ſehen. Reinhold ſagte er, indem er die Worte nur mit Mühe und abgebrochen hervor - ſtieß, es iſt vorbei mit mir, ich fühle es und morgen werde ich in Gottes Keller liegen. Sage dem Zimmermann, er ſolle von den zweizölligen Planken zum Sarge nehmen und es be - ſchweren, damit die Haie nicht heran können und es gut ſinkt. Was ich hinterlaſſe bekommen die Armen, da ich keine Ange - hörigen habe; der Kapitän weiß ſchon davon. Weiter iſt nichts zu beſtellen, das andere habe ich vorhin mit dem lieben Gott ſelbſt alles klar gemacht. Leb wol mein Junge, Du haſt mich treu gepflegt und ich danke Dir. Werde ein fixer Kerl und wenn Du nach oben gehſt, dann halte Dich immer an den Wanten feſt, aber nie an den Webeleinen, ſie können leicht brechen. Er ſchwieg und hielt meine Hand in der ſeinen. Trotz meines von Thränen getrübten Blickes nahm ich jetzt eine große Veränderung in ſeinen Geſichtszügen wahr. Der Tod trat an ihn heran, einige röchelnde Töne drangen aus der Bruſt hervor, die Glieder ſtreckten ſich und alles war vorbei! Als der letzte Seufzer des Sterbenden verhallte, da ſchlug es acht Glas Mitternacht, und der Ruf des die Freiwache wecken - den Matroſen Reiß aus Quartier in Gottes Namen! ſchallte in die Logiskappe hinunter. Der Ruf galt den Lebenden, aber auch der Todte folgte ihm; ſeine Seele verließ ihr irdiſches Quartier, um ſich zum Himmel emporzuſchwingen in Gottes Namen. Ich drückte ihm die Augen zu.

Am andern Nachmittage übergaben wir ihn ſeinem weiten Grabe. Als der nach ſeinen letzten Wünſchen gefertigte Sarg135Eine erſte Seereiſezur Fallreepstreppe geſchafft war, wurde als Zeichen der Trauer die Flagge halbſtocks geheißt und im Großtop back gebraßt, um das Schiff zum Stillſtande zu bringen. Die Beſatzung ver - ſammelte ſich um die Leiche und der Kapitän betete ein Vater - unſer. Dann wurde der Sarg auf die Reiling gehoben und langſam in die blaue Fluth hinabgelaſſen. Tiefer und tiefer ſank er, ſeine Formen wurden undeutlicher, zuletzt ſah man noch einen dunkeln Schimmer, dann war er verſchwunden und nur noch einige Blaſen ſtiegen empor zur Oberfläche, um ſich mit dem Perlenſchaum der nächſten Welle zu miſchen. Ruhe ſanft, alter Mann, ich habe Dich nicht vergeſſen und werde Dir ſtets ein treues Andenken bewahren.

Leiſe rauſchend durch die Wogen
Zieht das Schiff im ebnen Lauf,
An dem lichten Himmelsbogen
Flammt des Tages Kön’gin auf.
Unverhüllet, purpurglühend
Taucht ſie aus der Fluth hervor,
Tauſend gold’ne Strahlen ſprühend
Steigt im Aether ſie empor.
Neues Treiben, neues Leben
Wird erweckt durch ihren Glanz,
Und die blauen Wellen heben
Koſend ſich zum Morgentanz.
Doch an Bord iſt’s trüb und ſtille
Trotz der Sonne gold’nem Licht,
Denn der Landesflagge Hülle
Deckt ein Todtenangeſicht.
Aus der Kameraden Kreiſe
Rief es Gott zur ew’gen Ruh,
Nach der langen Lebensreiſe
Schloß er ihm die Augen zu.
136Werner
Von dem Quarterdeck erſchallet:
Braßt die Hinterraaen back!
Von der Gaffel niederwallet
Halben Stock’s die Trauerflagg.
In dem Sarg, nach Seemanns Weiſe
Nur aus rohem Holz gemacht,
Wird er zu der letzten Reiſe
An die Fallreep hingebracht.
Einfach und mit ſchlichten Worten
Betet jetzt der Kapitän,
Und man ſiehet aller Orten
Thränen in den Augen ſtehn.
Leiſe rauſcht es an der Stelle,
Wo man ſenkt den Sarg hinab,
Tändelnd ſpielen Wind und Welle
Auf des Seemanns weitem Grab.

Es wurde voll gebraßt und das Schiff lenkte wieder in ſeinen Curs. Die Leute gingen ſtill an ihre Arbeit; einige Tage lag es wie ein trüber Schatten über dem Schiffe, dann nahm alles wieder ſein gewohntes Ausſehen an. Bisweilen wurde des Verſtorbenen mit einigen ehrenden Worten gedacht, dann ſprach man nicht weiter von ihm.

Von der Rückreiſe habe ich nicht viel zu erzählen, als daß ſie für mich ſehr traurig verlief. Das Fieber kehrte von Zeit zu Zeit zurück und ließ mich nicht zu Kräften kommen. Bis - weilen konnte ich eine Woche lang leichten Dienſt thun, dann warf mich ein Rückfall wieder auf das Krankenlager und ich durchkoſtete all das Schwere, was damit in den meiſten Fällen auf Kauffarteiſchiffen verbunden iſt und von dem man oft nicht begreifen kann, wie man es überhaupt überſteht. Je länger ſich mein Leiden hinzog, deſto gleichgiltiger wurden die Uebrigen und deſto weniger Rückſicht nahmen ſie auf mich. Als wir das Cap der guten Hoffnung paſſirten war es Winterzeit und deshalb137Eine erſte Seereiſekalt und ſtürmiſch. Wenn ich dann Nachts in Fieberhitze lag und brennender Durſt mich verzehrte, war Niemand da, um mir einen Trunk zu reichen. Ich mußte aufſtehen, um mir ihn ſelbſt aus den Waſſerfäſſern an Deck zu holen, wenn auch der kalte Wind mich eiſig durchſchauerte und ich von überſpritzendem Seewaſſer durchnäßt in meine Coje zurückkehrte. Der menſch - liche Körper vermag oft wunderbar viel zu ertragen, das er - probte ich damals an mir.

Auf der Heimreiſe von Oſtindien nach Europa wird man mehr vom Winde begünſtigt als auf dem Hinwege und hat im Durchſchnitt beſſeres Wetter. Faſt die ganze Strecke von der Sundaſtraße bis zum Cap durchläuft man mit dem Paſſat in grader Richtung und wird außerdem noch durch bedeutende Strömung unterſtützt. Beim Cap hat man zwar gewöhnlich 8 bis 14 Tage mit Stürmen zu kämpfen, doch bringt auch hier ſtarker Strom helfend das Schiff vorwärts und es erreicht des - halb bald aufs neue den Südoſtpaſſat, um mit ihm bis zum Aequator, von dort nach Ueberwindung der Stillen mit dem Nordoſt bis zu den Azoren zu gehen und dann die Weſtwinde zum Anſegeln des Kanals aufzuſuchen. Nur einmal wurde die Einförmigkeit des Bordlebens, bei der man ſchließlich faſt die Namen der Tage vergaß, durch das Anſegeln von St. Helena unterbrochen, um Trinkwaſſer einzunehmen. Die Inſel liegt auf dem directen Wege und wird deshalb von faſt allen heimkehren - den Schiffen zu jenem Zwecke angelaufen. Mein Geſundheits - zuſtand hatte ſich in der letzten Zeit wieder ſo weit gebeſſert, daß ich bei dem ſchönen Wetter auf ſein konnte, und ſo durfte ich mich wenigſtens an dem äußeren Anblicke der als Napoleons Gefängniß ſo berühmt gewordenen einſamen Felſeninſel zer - ſtreuen. Des Kaiſers Gebeine waren im Jahre zuvor nach Frankreich zurückgeholt worden, um im Invalidendome beigeſetzt zu werden. Longwood, das Haus, in dem er bis zu ſeinem Tode gewohnt, ein einſtöckiges, ſchmuckloſes Gebäude, liegt auf138Wernereiner kleinen Hochebene im Innern der Inſel; man ſieht es von der Rhede aus. An Land kam natürlich Niemand von der Beſatzung, da wir nur einen halben Tag blieben, und die Geſundheitsbehörde wollte zuerſt überhaupt keine Communication mit dem Lande geſtatten, weil wir einen Todten gehabt und ich krank war. Als mich der Quarantänearzt jedoch unterſucht hatte, erklärte er mein Leiden als nicht anſteckend und ließ freien Ver - kehr zu. Von mir wurde keine weitere Notiz genommen; ich blieb nach wie vor mir allein überlaſſen meine Natur mußte ſich ſelbſt helfen.

St. Helena iſt eine ſteil aus dem Ocean aufſteigende Felſeninſel, deren höchſte Spitze ſich bis zu 500 Meter erhebt und die eine Länge von bei einer Breite von Meilen hat. Ihre kleine Hauptſtadt Jamestown liegt in einem roman - tiſchen Thale an der Nordoſtſeite der Inſel, mithin leewärts und geſchützt vor dem Südoſtpaſſat. Die begrenzte Bucht vor dieſem Thale iſt auch der einzige Ankerplatz, die ganze übrige Küſte, welche den Eindruck einer gigantiſchen Felſenmauer macht, ſtürzt eben ſo ſenkrecht in die unergründliche Tiefe hinab, wie ſie über Waſſer in die Lüfte ſtrebt. Man ankert etwa 1000 Schritte von der Stadt, aber bei der Durchſichtigkeit der Atmoſphäre und der Höhe der Felſen glaubt man kaum 100 Schritt ent - fernt zu ſein. Schiffe liegen völlig ſicher auf der Rhede; dann und wann kommt ein Windſtoß über die Berge, der jedoch nur oben durch die Maſtſpitzen pfeift und die Waſſerfläche kaum kräuſelt. Boote können deshalb immer fahren, wenn auch der Seegang des atlantiſchen Oceans ſich ununterbrochen an den Baſaltwänden der Inſel bricht und der ſtete Donner der Bran - dung an das Ohr ſchlägt. Das Landen bei der Stadt, wo weder eine Mole noch ſonſtige Einrichtungen den Booten ein ruhiges Anlegen geſtattet, iſt ſehr ſchwierig, weil die Fahrzeuge durch den Seegang beſtändig 3 bis 4 Meter auf und nieder wogen. Die dafür eingerichteten Boote haben hinten einen kurzen139Eine erſte SeereiſeMaſt, an dem der Landende ſich feſthält, bis er entweder auf die nach dem Waſſer leitenden Stufen ſpringen, oder die Platt - form erreichen kann, welche an einem weit ausliegenden Dreh - kahne hängt, mit der er dann auf das Ufer geſchwungen wird.

Eine Menge Boote mit Früchten, Seltenheiten und Reli - quien von Napoleons Grabe kamen längſeit. Namentlich wur - den kleine muſchelbeklebte Doſen mit Erde daher, ſowie Zweige und Blätter von der das Grab beſchattenden Trauerweide feil geboten. Obwol die Sachen, wie meiſtens dergleichen, wahr - ſcheinlich anderwärts herſtammten, nahm ich doch in gutem Glauben ein Andenken mit.

Nicht weit von uns lag eine engliſche Kriegsbrigg, die Tags zuvor einen an der afrikaniſchen Küſte genommenen Sclaven - fahrer eingebracht hatte. Die Priſe war eine Brigg von ganz ähnlichem Ausſehen, wie jene, die uns damals auf der Hinreiſe Schrecken einjagte. Sie hatte 500 Neger an Bord, die grade ausgeſchifft wurden. Zu dieſem Zwecke kamen große Barken mit flachem Boden längſeit und die Schwarzen wurden wie Waaren darin verſtaut. Sie mußten ſich mit ausgeſpreizten Beinen niederlegen und der nächſte wurde dann immer mit dem Kopfe zwiſchen die Schenkel des anderen gepackt. Man erzählte uns, daß jährlich durchſchnittlich 2 bis 3000 Sclaven von den eng - liſchen Kreuzern aufgebracht und befreit würden. Mit dieſem Befreien hatte es nun allerdings ſeine eigene Bewandtniß und bei aller Menſchenfreundlichkeit machten die Engländer dabei ein gutes Geſchäft. Die Mannſchaft der Kriegsſchiffe erhielt für jeden aufgebrachten Neger 1 £; dies mußten aber letztere ſelbſt bezahlen und zwar durch zehnjährige Arbeit in den engliſchen Weſtindiſchen Kolonien als Aprentices Lehrlinge . Erſt nach dieſer Zeit erhielten ſie ihre volle Freiheit, ſahen jedoch ihr Vater - land nicht wieder.

Die Bucht von Jamestown iſt ganz ungemein fiſchreich, namentlich an Makrelen und dieſe bilden das Hauptnahrungs -140Wernermittel der niederen Volksklaſſen. Ich hatte früher gehört, daß Heringszüge in ſo dichten Maſſen wie Mauern erſchienen, ohne recht daran glauben zu wollen, hier aber überzeugte ich mich von der Wahrheit. Eine ſolche Makrelenmauer näherte ſich unſerem Schiffe und wir fingen in kaum einer Viertelſtunde, während welcher die Fiſche in unmittelbarer Nähe blieben, viele Hunderte, indem wir drei bis vier zuſammengebundene Makrelen - haken zwiſchen die Maſſe warfen und die daran irgendwie an - gehakten Fiſche an Bord holten. Was nicht friſch gegeſſen wer - den konnte, wurde geräuchert und für die nächſten Tage als willkommener Leckerbiſſen mitgenommen.

Gegen Abend war unſer Trinkwaſſer ergänzt und wir traten unſere Weiterreiſe an, um abermals zwei Monate lang mit Himmel und Meer allein zu ſein.

Es paſſirte nichts Außergewöhnliches, nur wurde das Leben an Bord noch eintöniger, als es bisher geweſen war. Gewöhn - liche Seeleute haben nur einen engen Geſichtskreis und ihre Unterhaltung beſchränkt ſich auf eine verhältnißmäßig geringe Zahl von Gegenſtänden. Auf einer ſo langen Reiſe erſchöpfen ſich dieſelben und es bleibt nichts als Dreſchen deſſelben Strohes, das ſchon bei der erſten Bearbeitung nicht ſchmackhaft war. Nach dem Tode des Bootsmannes fühlte ich mehr als je, wie wenig ich zu den Uebrigen paßte; oft vergingen Tage, an denen ich kaum ein gleichgiltiges Wort mit ihnen wechſelte, und es konnte nicht ausbleiben, daß auch ſie mir keinerlei Entgegen - kommen zeigten. Seit Batavia waren unſere Chronometer regu - lirt. Monddiſtanzen, bei denen ich hätte behülflich ſein können, wurden nicht mehr beobachtet, und da ich wegen meiner Krank - heit nur ſehr ſelten Wache gehen konnte, kam ich mit Kapitän und Steuerleuten faſt nicht in Berührung. Die wenigen Bücher, welche mir der Kadett zum Abſchiede mitgegeben, waren längſt mehrfach geleſen, meine einzige Zerſtreuung bildete Schreiben und Zeichnen. O wie entſetzlich lang wurden mir die vier141Eine erſte SeereiſeMonate der Rückreiſe und um ſo mehr, als das Gefühl der körperlichen Schwäche nothwendig auch auf meinen Geiſt zurück - wirkte. Mit bleiernen Füßen ſchlichen die Tage dahin ohne jede Abwechſelung.

Endlich waren die Azoren erreicht und wir fanden den er - warteten Weſtwind. Die Inſeln Corvo und Flores zeichneten ihre Conturen in weiter Ferne am Horizont, acht Tage darauf kamen wir auf die Gründe und das tiefe Blau des Oceans wandelte ſich in dunkles Grün, das allmälig heller wurde und die Nähe des Landes verkündete. Dann tauchte die Küſte von England auf und der günſtige Weſt führte uns ſchnell durch Kanal und Nordſee. Bei Helgoland erhielten wir einen Loot - ſen; in ununterbrochener fliegender Fahrt ging es hinein in die Elbe bis Glückſtadt und dann anderen Tages nach Hamburg. Es war, als ob wir für das Mißgeſchick der Ausreiſe entſchädigt werden ſollten und eine geheimnißvolle Macht uns zur Heimath zöge. Mit Ausnahme weniger Tage am Cap der guten Hoff - nung hatten wir keinen Sturm gehabt und waren ſtets von gutem Winde begünſtigt geweſen.

Bei dem Anblick der Thürme der alten Hanſeſtadt über - wältigte mich der Anſturm der verſchiedenſten Gefühle. Freude und Wehmuth kämpften in meiner Bruſt und machten meine Augen feucht. Meine Gedanken ſchweiften in die Vergangen - heit um ein Jahr zurück. Als ich damals zuerſt den Maſten - wald im Hafen ſah, war mir das Herz in der Ausſicht aufge - gangen, nun bald ſelbſt mit einem der Schiffe hinauszuziehen über den weiten Ocean in ferne Welten und meine Jugend - träume zu verwirklichen. Wie hoffnungsvoll war mir zu jener Zeit die Zukunft erſchienen, wie ſchön hatte ich es mir gedacht, nach langer Reiſe heimzukehren zu den Meinen, ſtolz und be - friedigt von meinem Berufe ſie zu begrüßen, mich von meinen Jugendgenoſſen um all das Große und Wunderbare beneiden zu laſſen, das ich geſehn und erlebt und nun war alles ſo142Wernerganz anders geworden! Krank und gebrochen kam ich zurück und meine Zukunft lag ſchwer und traurig vor mir.

Der Anker fiel; der Hafenmeiſter ließ das Schiff an den Pfählen im Hafen feſt machen; Boote legten an und brachten Freunde und Bekannte der Mannſchaft zur Bewillkommnung. Ich ſtand abſeit und wurde von Niemand begrüßt. Mein Herz ſchnürte ſich zuſammen, doch bald ſollte es auch durch einen Freudenſtrahl erhellt werden. Der Kapitän rief mich und hatte einen Brief in der Hand; er kam von den Eltern und war von den Rhedern an Bord geſandt. Er hatte zwar ſchon mehrere Wochen auf mich gewartet, aber er enthielt gute Nach - richten und das Liebeszeichen erquickte und ſtärkte mich wunder - bar. Als die Rheder von meiner Krankheit hörten, ließen ſie mich ärztlich unterſuchen; das Fieber war ſeit einem Monate nicht wiedergekehrt, ich litt nur noch an den Nachwehen. Ein längerer Aufenthalt am Lande und gute Pflege würden mich un - zweifelhaft wieder herſtellen, meinte der Doctor, und ſo erhielt ich unbeſtimmten Urlaub, um mich im Elternhauſe zu erholen. Mit der Alma ging ich vorausſichtlich nicht wieder fort, da ſie ſchon nach vier Wochen auslaufen ſollte, doch darüber em - pfand ich kein Bedauern; das auf ihr verlebte Jahr ſchloß zu viel trübe Erinnerungen in ſich.

Die zweitägige Reiſe mit der Poſt bis zu meinem Heimaths - orte hatte mich ungemein angegriffen und ich kam ſo elend und todesmatt an, wie ich mich noch nie gefühlt hatte. Ich war am Tage nach unſerem Eintreffen in Hamburg abgereiſt, hatte vorher nicht geſchrieben und die Meinen erwarteten mich des - halb nicht. Ich war in dem Jahre bedeutend gewachſen, meine Geſichtsfarbe zeigte das krankhafte Gelb der Leberleidenden und meine ſeemänniſche Kleidung mochte mich noch unkenntlicher machen, denn die Bekannten, welche mir begegneten, als ich die wenigen Schritte von der Poſt bis zur elterlichen Wohnung über die Straße wankte, ſahen neugierig der fremden Erſcheinung nach.

143Eine erſte Seereiſe

Der Vater war nicht zu Hauſe, und auf mein Anklopfen öffnete mir die Mutter die Thür. Wünſchen Sie meinen Mann zu ſprechen? fragte ſie mich.

Mutter! ſchrie ich auf, indem es mir wie ein Stich durch’s Herz ging, auch Du kennſt mich nicht wieder? und dann ſank ich ohnmächtig zuſammen.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Bette und die Augen der Meinen waren in liebender Sorge auf mich ge - richtet. Das letzte Jahr ſchwand wie ein düſterer Traum vor den leuchtenden Bildern der Gegenwart; unter der Pflege der Mutter kehrten bald meine Kräfte zurück, und nach acht Wochen blühten die Roſen der Geſundheit wieder auf meinen Wangen. Bis dahin hatten die Eltern kein Wort über meine Zukunft geſprochen; dann fragte mich der Vater eines Tages: Willſt Du wieder auf die Schule oder Seemann bleiben? Ich hatte die Frage vorausgeſehen; die Antwort ſtand ſeit jener erſten Nacht an Bord feſt. Sie lautete: Ich gehe wieder zur See, Vater.

Wenige Tage ſpäter reiſte ich nach Hamburg, um bald darauf mich an Bord des Vollſchiffes Malwine einzuſchiffen. Die ferneren Jahre wurden mir nicht ſo ſchwer und mein Körper litt nicht mehr unter den Einflüſſen des tropiſchen Klimas. Ich machte noch ſechs Reiſen nach den oſtindiſchen Gewäſſern. Als ich von der letzten zu Ende des Jahres 1848 zurückkehrte, da war eine deutſche Flotte erſtanden. Ich trat als Officier in dieſelbe ein und meine Jugendträume hatten endlich ihre Er - füllung gefunden.

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Die deutſche Marine 1848 1852.

Gründung.

Es war Völkerfrühling geworden, Deutſchland wenigſtens glaubte zu jener Zeit ernſtlich daran, daß er gekommen ſei. Unter dem Jubel von Millionen war er geboren; aber leider als Frühgeburt ohne nachhaltige Lebenskraft und den Keim des Todes bereits in ſich tragend. Er trieb eine Menge vielverſprechender Knospen, doch keine entfaltete ſich zur Blüthe, viel weniger noch zur Frucht; ſie welkten alle vor der Zeit da - hin und verdorrten. Freiheit, Einheit, Größe und Macht des Vaterlandes das waren die Schlagworte der Schwärmer, welche damals mit Phraſen Weltgeſchichte zu machen hofften und nicht fühlten, daß grade die Weltgeſchichte ihnen hohnvoll in das Geſicht ſchlug, daß kein Land unfreier, zerriſſener und machtloſer war als Deutſchland.

Und dennoch! nach einer Richtung wurde dieſe Macht - loſigkeit ſelbſt von jenen Schwärmern tief empfunden und trieb ihnen die Schamröthe in das Geſicht. Mit wenigen ſchwach bemannten Kriegsſchiffen hielt das winzige Dänemark das große Deutſchland in Schach. Es blockirte ſeine Häfen, lähmte ſeinen Handel und caperte ſeine Kauffarteiſchiffe.

145Die deutſche Marine 1848 1852

Auch die nüchternen Leute fühlten die Schmach und der verlangende Ruf nach einer deutſchen Flotte, nach einer Geltung zur See ertönte laut und allgemein im ganzen Lande, in allen Schichten des Volkes. Ueberall ſprach, ſchrieb, ſang und ſammelte man dafür, aber man war faſt ohne Ausnahme ſo naiv zu glauben, daß ſich eine Flotte in wenigen Monaten herſtellen laſſe und lieferte damit den Beweis, daß man in Deutſchland von Marineſachen nur wenig verſtand. Man hatte keine Ahnung davon, was zur Schaffung einer Marine gehöre und hielt den guten Willen für ausreichend. Selbſt in den Hanſeſtädten ſchien dieſe Einſicht zu fehlen, und die Schwärmerei über den practi - ſchen Verſtand den Sieg davon zu tragen. Man erinnerte ſich dort wohl der eigenen Seemächtigkeit, die einſt ſo lange Zeit die nordiſchen Kronen ſich botmäßig gemacht und glaubte, ſie durch Energie ſofort wieder in das Leben rufen zu können. Man vergaß aber völlig, daß vier Jahrhunderte zwiſchen da - mals und jetzt lagen, daß die 77 Städte, welche einſt König Waldemar von Dänemark den Fehdebrief ſandten und deren Flotten ſein Reich zertrümmerten, den Kern und die Thatkraft Norddeutſchlands darſtellten, daß ſie, von gleichem Intereſſe geleitet und demſelben Willen beſeelt, Deutſchland nach außen als einiges Reich erſcheinen ließen, daß jetzt aber die poli - tiſchen Verhältniſſe ſo ganz anders lagen.

Bartholdt, Verfaſſer der Geſchichte der deutſchen See - macht *Hiſtoriſches Taſchenbuch von Raumer. Dritte Folge. Zweiter Jahrgang., hatte die Dinge richtiger erfaßt, als die Nach - kommen der alten Hanſen, wenn er ſeine Abhandlung mit folgenden Worten ſchloß: Wir haben Eiſen und Kupfer in unſeren Bergwerken, hochgewipfelte Tannen im Schwarzwald, die als Maſtbäume und Stangen jährlich nach Holland hin - unter ſchwimmen. Wir haben in den Oſtſeeprovinzen rieſigeR. Werner, Erinnerungen. 10146WernerEichen zu Kielen und Planken und knorriges Krummholz zu Schiffsrippen in Fülle, die alljährlich ſelbſt nach dem Norden ausgeführt werden. Hanf gedeiht bei uns in Menge zu Tau - werk und Segeln. Wir haben lernbegierige Schiffsbaumeiſter und Zimmerer, Anker - und Kettenſchmiede, Stückgießer. Wir haben vom Samlande bis nach Oſtfriesland ein zahlloſes Fiſcher - und Schiffervolk, breit von Bruſt und Schultern, mit markvollen Knochen, ſcharfen Auges; Piloten, deren wetterge - bräuntes Geſicht trotzig in den Sturm blickt und die die Pfade des Meeres, ſeine Tiefen überall kennen. Wir haben geſchütz - kundige Meiſter, Soldaten, die den Tod nicht ſcheuen, mehr als wir brauchen; entſchloſſene unerſchrockene Schiffsführer. Wir haben die Wiſſenſchaft, welche die Sternenbahnen mißt und die geheimen Geſetze der Natur ergründet und dennoch kein Kriegsſchiff, um einen übermüthigen kleinen Nachbar hinter ſeinen ſchmalen Belten aufzuſuchen, und unter dem weiten Himmelsgewölbe kein Fleckchen freien Landes zur Aufnahme darbender fleißiger Menge. Täuſcht uns unſere Prüfung alter Geſchichten und der deutſchen Volksnatur nicht, ſo bleibt uns nur ein Mittel, aber ein wie unerreichbares! um jeder Seemacht der Welt gewachſen zu ſein: ſtarke Territorialeinheit an unſeren Meeren.

In der Hauptſache ſind die Worte des Geſchichtsforſchers prophetiſch geweſen. Die Bedeutung unſerer Flotte beginnt erſt mit der Schaffung jener ſtarken Territorialeinheit an unſeren Meeren. Daß der Zeitpunkt dafür ſchon nach zwei Jahrzehn - ten kommen ſollte, hat Bartholdt ſich freilich nicht gedacht. Ebenſo irrte er in der Annahme, daß die deutſche Flotte unter jener Vorbedingung jeder Seemacht der Welt gewachſen ſein werde. Das iſt ſie weder jetzt, noch wird ſie es vorausſichtlich werden, weil Deutſchland dazu zu arm iſt und ſeiner geogra - phiſchen Lage nach den militäriſchen Schwerpunkt ſtets in der Armee ſuchen muß; aber die Marine kann bei verſtändiger Be -147Die deutſche Marine 1848 1852handlung und Verwerthung vollauf die Zwecke erfüllen, für welche Deutſchland ſie nöthig hat.

Sie kann unſere beiden deutſchen Meere gegen jeden feind - lichen Seeangriff wirkſam vertheidigen, ſo daß unſere Seeflanken gedeckt ſind. In zweiter Reihe genügt ſie im Frieden ſo weit zum Schutze unſeres Handels, um den Deutſchen im Aus - lande das Bewußtſein zu verſchaffen, daß das Vaterland ihre Rechte wahre. Unſere Flotte iſt Deutſchlands Größe und Macht - ſtellung angemeſſen, aber nicht provocirend; ſie überſteigt nicht unſere Mittel und flößt Achtung ein mit einer ſolchen Gel - tung zur See darf unſer Volk ſich ſchon zufrieden ſtellen.

Konnte die Flotte zu ihrer jetzigen Bedeutung aber auch erſt nach Aufrichtung des deutſchen Reichs kommen, ſo be - ſtanden ihre Grundlagen doch bereits lange, und dieſem Umſtande iſt es zu danken, daß ſie gegenwärtig ſchon einen verhältnißmäßig hohen Standpunkt einnimmt. Jene Grundlagen ſtammten aus dem Jahre 1848 und fanden ihre Verkörperung in der damals in das Leben gerufenen deutſchen Marine, deren größter Theil zwar leider an unſeren derzeitigen traurigen politiſchen Verhält - niſſen ſchmachvoll zu Grunde ging, deren kleinerer aber in der preußiſchen Marine glücklicher Weiſe für eine beſſere Zukunft ge - rettet wurde. Aus dieſer preußiſchen iſt unſere Reichsmarine hervorgegangen und die deutſche Flotte von 1848 iſt deshalb die Wiege unſerer heutigen Seemacht.

Bei den regen Sympathien, welche der letzteren im ganzen Lande entgegengebracht werden, dürfte es deshalb nicht ohne Intereſſe ſein, einen Blick auf die Marine von 1848 zu werfen, auf welche einſt die Augen des deutſchen Volkes mit ſo viel Liebe ſchauten und in deren ſchwarzrothgoldenem Banner ſich auch eine kurze Spanne Zeit ſeine Einheitsträume verwirklichen zu wollen ſchienen. Ein ſolcher Rückblick wird zwar das Eingangs Ausgeſprochene beſtätigen, daß man in Deutſchland wenig Begriff davon hatte, was zur Schaffung einer Flotte nöthig ſei, gleich -10*148Wernerzeitig aber auch darthun, was Thatkraft und Patriotismus in kurzer Zeit und unter den größten Schwierigkeiten zu ſchaffen vermochten, und er wird dazu beitragen, das Andenken derjenigen Männer im Volke lebendig zu erhalten, die damals in ſelbſtloſer Hingabe ungemein Großes leiſteten und denen das Land zu Dank verpflichtet iſt.

Mitte Mai 1848 trat in Frankfurt a / M. die deutſche Nationalverſammlung zuſammen. Sowohl unter dem Drucke der öffentlichen Meinung wie auch aus eigener Initiative war eine ihrer erſten politiſchen Thaten die Bildung eines Marine - ausſchuſſes mit dem practiſchen Hintergrunde einer Bewilligung von ſechs Millionen Thalern für die Gründung einer Flotte. Ob dieſe Bewilligung auch die Zahlung bedingte, darüber wurde man ſich freilich damals nicht klar. Der Hanſeatiſchen Energie ging es mit der Sache jedoch nicht ſchnell genug vorwärts. Hamburg erinnerte ſich, wie bereits bemerkt, der Thaten ſeiner Vorfahren; die Dänen ſollten ſofort von unſern deutſchen Küſten verjagt werden und am 8. Mai conſtituirte ſich dort ein Marinecomité, das aus den Chefs der drei großen Rhedereien Godeffroy u. Comp., Roſs Bidal u. Comp. und Sloman beſtand und es ſich zur Aufgabe machte, in kürzeſter Friſt dem Feinde eine See - macht entgegenzuſtellen.

Es handelte ſich zunächſt um die Beſchaffung von geeig - neten Schiffen und Perſonal. Die deutſche Küſte war blockirt; von außerhalb konnte kein Material hereingebracht werden und man mußte ſich im Inlande danach umſehen. Kurzer Ent - ſchluß führte zum Ankauf des dem Hauſe Godeffroy gehörigen dreimaſtigen Segelſchiffes gleichen Namens. Die Kaufſumme betrug nahe an 30,000 Thaler und Deutſchland war damit in den Beſitz einer Fregatte gelangt, die auch ſofort Deutſch - land getauft wurde. Darob großer Jubel und Enthuſiasmus149Die deutſche Marine 1848 1852im ganzen Lande; man erkannte, was Energie und feſter Wille vermochten. Die Beſchaffungskoſten wurden aus den eingegangenen freiwilligen Beiträgen beſtritten, die wenigſtens in den erſten Wochen der Sammlungen ziemlich reichlich gefloſſen waren. Der Enthuſiasmus erhöhte ſich noch, als der Rheder Sloman in ehrenvoll patriotiſcher Weiſe ſein dreimaſtiges Segelſchiff Frank - lin dem Comité unentgeltlich zur Dispoſition ſtellte, und die Vorſtadt St. Pauli auf ihre Koſten ein Ruderkanonenboot bauen ließ.

Die Deutſchland hatte für ein Schiff zwar ſchon ein ehrwürdiges Alter und durfte von ſich ſagen: Schier dreißig Jahre bin ich alt, da ſie 1819 in Bombay das Licht der Welt erblickte, aber jedenfalls war ſie ſehr gut und vom beſten Oſtindiſchen Teakholz gebaut, größer als irgend eins der deut - ſchen Kauffarteiſchiffe und deshalb der Gedanke, ſie in ein Kriegs - ſchiff umzuwandeln, an und für ſich nicht ſo verkehrt. Nur beging man den großen Fehler, ſie Fregatte zu taufen und da - durch die in Marineangelegenheiten ſo unkundigen Binnenländern glauben zu machen, es ſei ein den däniſchen Fregatten eben - bürtiges Schiff aus dem Boden geſtampft. Leichte Corvette wäre eine anſpruchloſere aber paſſendere Bezeichnung dafür ge - weſen. Eine Fregatte, wie z. B. die Gefion , war, abgeſehen von allen ſonſtigen Unterſchieden, damals noch einmal ſo groß, noch einmal ſo ſtark, wie die Deutſchland und koſtete die zehn - fache Summe.

Ohne Zeitverluſt wurde ſeitens des Comité an die Um - wandlung der beiden Schiffe zu Kriegsfahrzeugen gegangen, allein ſchon jetzt kam ein empfindlicher Rückſchlag. Man ſah, daß das eigene Können überſchätzt war. Trotz des beſten Willens begegnete man bei der Arbeit den größten Schwierigkeiten, weil es gänzlich an Sachverſtändigen fehlte und in der Eile auch keine aus dem Auslande herangezogen werden konnten. Das alte Sprüchwort Viel Köpfe, viel Sinne brachte ſich nach -150Wernertheilig zur Geltung und der Mangel an Sachkunde zeigte ſich beſonders in einer Ueberladung des Schiffes mit Geſchützen.

Nicht weniger als zwei und dreißig Geſchütze, davon vier - zehn 32-Pfünder zur damaligen Zeit die ſchwerſten Kanonen der Segelfregatten außerdem ſechs 18-Pfünder und zwölf 18-pfündige Karronaden (mit kürzerem, ſchwächerem Rohr und geringerer Pulverladung, als die gleichkalibrigen Kanonen) bilde - ten die Armirung, während das Schiff ſchon für die Hälfte dieſer Geſchütze zu klein und zu ſchwach war.

Erſt kurz vor Beendigung des Umbaues gelang es dem Comité, einen wirklichen Marineofficier in ſeine Dienſte zu ziehen. Es war ein Engländer, mit Namen Strutt; er hatte früher in der engliſchen Flotte als sailing master gedient, war aber ſchon ſeit längerer Zeit nicht mehr activ. Beſonders glücklich konnte man dieſe Wahl nicht nennen, denn viel Sachkunde brachte der neue Chef der Hamburger Marine nicht mit. Die sailing masters waren früher in der engliſchen Marine Officiere zweiten Ranges mit beſchränktem Avancement (Kapitäne konnten ſie nicht werden) und von den eigentlichen Seeofficieren über die Achſel angeſehen. Ihr Dienſt beſchränkte ſich lediglich auf die Navigi - rung des Schiffes, auf dem ſie ſich befanden; den militäriſchen Aufgaben ſtanden ſie aber ganz fremd, und ein ſolcher Mann, der plötzlich als Organiſator einer, wenn auch kleinen Marine auftreten ſollte, war deshalb deplacirt. Es dauerte auch nicht lange, bis ſeine Schwächen völlig erkannt wurden und er von der Schaubühne wieder abtreten mußte.

Mit der vollendeten Neueinrichtung der Schiffe erſtand eine andere Schwierigkeit. Die bereiten Mittel waren erſchöpft, die Sammlungen hatten aufgehört und man machte die Erfah - rung, daß, trotz aller Begeiſterung eines Volkes, aus freiwilligen Beiträgen ſich kaum ein wirkliches Kriegsſchiff geſchweige denn eine Flotte ſchaffen laſſe. Das Comité ließ ſich dadurch jedoch nicht entmuthigen. Im Hinblick auf die von der Nationalver -151Die deutſche Marine 1848 1852ſammlung bewilligten ſechs Millionen Thaler, wandte es ſich ſowohl an jene, wie auch an den Bundestag mit dem Antrage, drei kleine Handelsdampfer anzukaufen und zu armiren, um mit ihnen und den beiden Segelſchiffen einen Handſtreich auf das däniſche Blockadegeſchwader zu unternehmen.

Man ſieht, der alte unternehmende Geiſt ihrer Vorväter war noch nicht von den Hamburgern gewichen, aber der Marine - ausſchuß der Nationalverſammlung glaubte vorſichtiger ſein zu müſſen. Er zweifelte ſtark an dem Gelingen eines ſolchen Unter - nehmens, weil, abgeſehen von dem mangelhaften Material der Schiffe, er mit Recht auf das Fehlen geeigneter Führer, ſo wie auf den Umſtand hinwies, daß weder Officiere noch Mannſchaften mit den Geſchützen umzugehen verſtänden. Der Ausſchuß ver - hielt ſich deshalb gegen das Project ablehnend. Der Bundes - tag theilte dieſe Bedenken jedoch nicht. Ganz im Widerſpruch mit der ihm ſonſt eigenen übergroßen Ruhe und Bedachtſamkeit ging er ſofort auf die Vorſchläge des Hamburger Comités ein und überwies dem letzteren am 6. Juni 1848 und zwar ohne Wiſſen des Marineausſchuſſes die verlangte Summe von 300,000 Thalern. Dies Verfahren kennzeichnete allerdings ſchon zur Genüge den Stand der Dinge in Frankfurt und illu - ſtrirte die Einheit des deutſchen Reichs. Das Geld wurde dem Feſtungsbaufonds entnommen, denn von den ſechs Millio - nen Thalern war noch nichts vorhanden. Die Nationalver - ſammlung hatte ſie decretirt, aber die Eincaſſirung machte zu große Schwierigkeiten.

Für jene 300,000 Thaler wurden Ende Juni drei Dampf - ſchiffe der Hamburg-Huller Dampfſchiffahrtgeſellſchaft angekauft, armirt und ausgerüſtet und ſie erhielten die Namen Hamburg , Bremen und Lübeck . Zwei von den früheren Kapitänen dieſer Dampfer beide Engländer wurden mit übernommen, ebenſo das Maſchinenperſonal. Die Stellen der noch fehlenden Officiere beſetzte man mit Kapitänen und Steuerleuten aus der152Wernerdeutſchen Handelsflotte. Es meldete ſich eine ſolche Menge, daß unter den tüchtigſten und intelligenteſten eine Wahl getroffen werden konnte und im allgemeinen wenig Mißgriffe gemacht wurden. Die Werbung der Matroſen machte mehr Schwierig - keiten und die Schiffe hatten keineswegs volle Beſatzungen. Da indeſſen ſehr bald die Unterhandlungen wegen eines Waffenſtill - ſtandes begannen und dieſer ſchon Ende Auguſt in Malmö auf ſieben Monate abgeſchloſſen wurde, mäßigte ſich damit auch die bisherige Eile der Flottenrüſtungen. Sie verfielen in ein lang - ſameres Tempo, und um ſo mehr, als mit dem Einſetzen einer deutſchen Centralgewalt und der Schaffung eines Reichsmini - ſteriums auch die Angelegenheit der deutſchen Flotte aus den Händen des Hamburger Comité’s in die des neuen Reichs - miniſteriums überging, wenngleich dieſes Uebergangsſtadium mehrere Monate beanſpruchte und erſt im October been - det war.

Anfang October wurden die Schiffe der Hamburger Flo - tille von einer Reichscommiſſion, der auch ein engliſcher Marine - Ingenieur angehörte, behufs Uebernahme auf ihren Zuſtand unterſucht, jedoch fiel der Bericht nicht ſehr glänzend aus. Der - ſelbe hob hervor, daß die Deutſchland nicht fünf Minuten lang dem Angriffe der Breitſeite einer ſchweren Corvette zu widerſtehen vermöge. Der Franklin wurde überhaupt nach jeder Richtung als zu ſchwach für ein Kriegsſchiff gefunden, von ſeiner Uebernahme deshalb von vornherein abgeſehen und das Fahrzeug mit Dank ſeinem patriotiſchen Eigenthümer Sloman zurückgegeben.

Die drei Dampfcorvetten ſtellten ſich ebenfalls als ſehr mangelhaft heraus. Die Commiſſion befürwortete nur deshalb ihre Uebernahme, weil bereits ſo viel Geld dafür verausgabt war und der eingetretene Waffenſtillſtand ſie während des Win - ters ſo umzubauen und zu verſtärken erlaubte, daß ſie im näch - ſten Frühjahre ziemlich kriegstüchtig ſein konnten.

153Die deutſche Marine 1848 1852

So gingen denn im October 1848 die Anfänge der deut - ſchen Flotte, die allerdings noch vieles zu wünſchen übrig ließen, in den Beſitz des Reiches über. Die ſchwarzrothgoldene Flagge mit dem Reichsadler entfaltete ſich an ihren Gaffeln und der Gedanke deutſcher Seemächtigkeit ſchien ſich ſeiner Verwirklichung nähern zu wollen. Daß dies vorläufig nur ein frommer Wunſch bleiben, daß der eingeſetzten Centralgewalt nicht ſehr bald die definitive Geſtaltung einer einheitlichen ſtarken Reichsregierung folgen würde, glaubten damals noch Wenige befürchten zu müſſen.

Im Reichsminiſterium befand man ſich indeſſen der zu - künftigen deutſchen Flotte gegenüber in nicht geringer Verlegen - heit. Es war Niemand da, der auch nur das geringſte Ver - ſtändniß von der Organiſation einer Marine gehabt hätte, und doch verlangte das Volk, daß beim Wiederausbruch des Krieges im nächſten Frühjahre die ſchwarzrothgoldene Flagge dem Danne - brog auf dem Meere entgegentreten und ihn von unſeren Küſten verjagen ſollte. Man forſchte im In - und Auslande nach ge - eigneten Perſönlichkeiten, namentlich deutſcher Nationalität, denen man die Marineangelegenheiten übertragen könne, allein lange Zeit vergebens. Der öſterreichiſche Admiral Sourdeau, den man zuerſt im Auge hatte, antwortete nicht einmal auf das deshalb an ihn gerichtete Schreiben des Reichsminiſters Schmerling, ſeines Landsmannes, ein Umſtand, der durchblicken ließ, wie Oeſterreich ſich zum zukünftigen deutſchen Reich zu ſtellen beab - ſichtigte. Nordamerika, der einzige auswärtige Staat, der über - haupt die deutſche Centralgewalt anerkannte, war geneigt, einen höheren Marineofficier nach Frankfurt zu ſenden, aber darüber mußten, wegen der Entfernung, noch Monate vergehen, während es nöthig war, daß Jemand ſofort die Angelegenheit in die Hand nahm, um die einleitenden Schritte zu thun.

Der Bremer Großkaufmann Duckwitz war als Reichs - Handelsminiſter berufen. Weil er ſich als Bremer natürlich lebhafter für Schiffahrtsangelegenheiten intereſſirte und man ihm154Wernerauch mehr Kenntniß nautiſcher Dinge zutraute, als den übrigen Miniſtern, ſo wurde ihm die Marine übertragen. Es fiel ihm eine ſchwere, undankbare Aufgabe zu; aber er unterzog ſich der - ſelben mit patriotiſcher Hingebung und die Gerechtigkeit erfordert, anzuerkennen, daß er trotz der großen entgegenſtehenden Schwie - rigkeiten in der kurzen Zeit ſeiner Amtsführung (bis Mai 1849) ungemein viel geſchaffen und der deutſchen Marine eine Grund - lage gegeben hatte, die ſich, wenn es erſterer vergönnt geweſen, ſich darauf emporzubauen, als eine gute und ſolide bewährt haben würde.

Duckwitz erinnerte lebhaft an jene alten Patriciernaturen, wie ſie uns in der ruhmvollen Geſchichte der Hanſa ſo glänzend entgegentreten; vornehme Männer, aber practiſche kluge Kauf - leute, zugleich gewiegte Diplomaten und wenn es ſein mußte, tapfere und geſcheite Heerführer zu Waſſer und zu Lande, die zu ſiegen oder zu ſterben wußten, ſtets und überall als leuch - tendes Beiſpiel vorangehend und auf jedem Poſten, den das Vertrauen ihrer Mitbürger ihnen übertrug, Großes leiſtend.

Als Hauptaufgabe betrachtete der neue Marineminiſter die Heranziehung von ſachkundigen Männern, welche bei der Or - ganiſation mitwirken konnten. Er wandte ſich zunächſt an den Geſandten der Vereinigten Staaten und erhielt bei deren freund - lichen Geſinnungen für Deutſchland auch ſogleich bereitwillige Zuſage für die Sendung eines hervorragenden Marineofficiers. Sein zweiter Schritt war durch Vermittlung des Erzherzog - Reichsverweſers den Prinz Adalbert von Preußen zu einer thäti - gen Theilnahme an dem Organiſationswerke zu vermögen.

Dieſer ritterliche Hohenzoller hatte ſeit ſeiner früheſten Jugend das größte Intereſſe für Marineangelegenheiten an den Tag gelegt und ſich nicht nur mit dem Studium derſelben auf das eingehendſte beſchäftigt, ſondern war, wo ſich ihm irgend die Gelegenheit bot, bemüht geweſen, das Seeweſen nach allen Rich - tungen auch practiſch kennen zu lernen. Sein Enthuſiasmus155Die deutſche Marine 1848 1852für das letztere war ſo groß, daß er als funfzehnjähriger Knabe von Stralſund aus mit einem Vertrauten auf eigene Fauſt in einem größeren Segelboote eine Seereiſe nach Schweden unter - nommen haben ſoll, ſo daß die Eltern durch ſein ſpurloſes Ver - ſchwinden in die größte Trauer verſetzt wurden, bis er durch ſeine Rückkunft die Beſorgniſſe zerſtreute und ſich Verzeihung für ſeine Eigenmächtigkeit erwirkte. Einige Jahre ſpäter er - hielt der junge Prinz die Erlaubniß, eine längere Seereiſe auf einer ſardiniſchen Fregatte nach Braſilien und zurück zu machen. Dadurch gewann er einen genauen Einblick in das Kriegsſchiffs - weſen, und bei ſeinen hervorragenden Geiſtesgaben konnte es nicht fehlen, daß er ſich das Verſtändniß deſſelben völlig zu eigen machte. Er war in Deutſchland der einzige Mann, der ein competentes Urtheil in Marineſachen beſaß und bei Begründung einer deutſchen Flotte konnte deshalb nichts erwünſchter ſein, als den Prinzen, deſſen Specialwaffe die Artillerie war, mit welcher die Marine als Waffe vornehmlich zu rechnen hatte, an ihrer Spitze zu ſehen; nur ließ ſich für die Verwirklichung dieſer Idee leider ſehr ſchwer eine Form finden.

Als königlicher Prinz konnte er weder ſelbſt Miniſter ſein, noch irgend eine amtliche Stellung unter einem Miniſter beklei - den. Guter Rath war theuer, jedoch gelang es dem findigen Geiſte des Marineminiſters auch dieſe Schwierigkeit glücklich zu beſeitigen und in Uebereinſtimmung mit dem Prinzen, der mit Freuden bereit war, ſeine Kräfte dem Vaterlande zu weihen, dem Letzteren bei Geſtaltung der Marine eine entſprechende Mit - wirkung zu ſichern.

Duckwitz reichte unter dem 30. October 1848 dem Erz - herzog-Reichsverweſer einen Vorſchlag ein, bis zur definitiven Geſtaltung der Reichsgewalt, die man damals noch in nicht zu ferner Zeit als beſtimmt vorausſetzte, zwei Behörden zu bilden, welche befähigt und befugt ſeien, ſolche Vorbereitungen und Ein - leitungen zu treffen, daß die definitive Organiſation der Marine156Wernermit der der Reichsgewalt zugleich in’s Leben treten könne. Dieſe Behörden waren eine Marine-Abtheilung und eine techniſche Marine-Commiſſion.

Die aus einigen Räthen und Schreibern beſtehende Marine - Abtheilung ſollte unter Verantwortlichkeit des Miniſters das Rechnungsweſen und die Verwaltung beſorgen, wozu auch der Ankauf von Schiffen und Material gehörte, der jedoch nicht ohne Billigung der techniſchen Commiſſion erfolgen durfte.

Als Aufgaben der letzteren wurden dagegen hauptſächlich die nachſtehenden bezeichnet:

  • 1) Gutachtliche Aeußerungen über techniſche Fragen.
  • 2) Anträge an die Marine-Abtheilung bezüglich Kauf oder Bau von Schiffen ꝛc.
  • 3) Unterſuchung der deutſchen Häfen zu Kriegszwecken be - hufs Anlegung von Arſenalen, Werften ꝛc.
  • 4) Ausarbeitung eines Planes für die deutſche Marine und die künftige Geſtaltung der Marinebehörden.

Der Erzherzog-Reichsverweſer genehmigte dieſe Anträge, und damit war der richtige Weg eingeſchlagen, um dem zum Vorſitzenden der techniſchen Commiſſion ernannten Prinzen Adal - bert von Preußen einen maßgebenden Einfluß auf die zukünftige Geſtaltung der deutſchen Flotte üben zu laſſen und ſeine reich - haltigen maritimen Kenntniſſe zu ihren Gunſten zu verwerthen, ohne durch ſeine exceptionelle Stellung als königlicher Prinz be - hindert zu ſein.

Inzwiſchen hatte man noch andere höhere Marineoffi - ciere, davon zwei geborne und einen naturaliſirten Deutſchen ermittelt und Duckwitz ſie zum Eintritt in die techniſche Com - miſſion bewogen. Es waren dies der in griechiſchen Dienſten befindlich geweſene Kapitän Brommy oder Bromme, ein gebor - ner Leipziger, der Kapitän Donner, früher in däniſchen, damals in ſchleswig-holſteiniſchen Dienſten und der Kapitänlieutenant Schröder, von Geburt ein Holländer, ſeit einigen Jahren aber157Die deutſche Marine 1848 1852als Director des preußiſchen Navigationsſchulweſens in preußiſchen Dienſten ſtehend. Außerdem wurden aus dem Marineausſchuß der Nationalverſammlung noch General v. Radowitz, Major Tei - chert und einige andere Perſönlichkeiten, ſo wie der engliſche Marine - Ingenieur Morgan, der Major von Wangenheim, der öſterreichi - ſche Oberſt von Kudriaffsky und endlich die Waſſerbaudirectoren Hübbe und Blome der Commiſſion beigegeben, ſo daß in ihr Seeofficiere, Infanterie, Artillerie und Waſſerbau ſich vertreten fanden und ſie leiſten konnte, was unter den obwaltenden Ver - hältniſſen möglich war.

In die Marine-Abtheilung berief Duckwitz als Räthe Kerſt und Jordan ſo wie ſpäter noch den hannoverſchen Hauptmann Marcard. Kerſt war mit Marineangelegenheiten von früher her ſchon etwas vertraut, da er als Artillerieofficier auf einem braſi - lianiſchen Kriegsſchiffe einen achtmonatlichen Krieg gegen Buenos - Ayres mitgemacht hatte. Auf Jordan wurde Duckwitz durch das rege Intereſſe aufmerkſam, welches jener im Marineausſchuß für die Flottenangelegenheiten an den Tag legte. Jedenfalls be - wieſen die nachherigen Leiſtungen dieſer beiden Männer, welche nach dem Rücktritt von Duckwitz als die Seele der Marinever - waltung gelten konnten, daß der letztere mit ihrer Wahl einen ſehr glücklichen Griff gethan hatte.

Jede der beiden neugeſchaffenen Behörden widmete ſich mit vollſtem Eifer ihren Aufgaben und war bemüht, ihren Wirkungs - kreis, ihre Beziehungen nach außen und unter ſich, ſo wie den Geſchäftsgang feſtzuſtellen. Dabei traten nun zwar ſogleich große Mängel in der getroffenen Organiſation zu Tage, aber der gute Wille beſeitigte bald alle vorhandenen Schwierigkeiten. Das Hauptaugenmerk richtete man auf die Beſchaffung von brauch - baren Streitmitteln, um beim Wiederausbruch des Krieges den Dänen wirklich entgegentreten zu können.

Es wurden deshalb zunächſt die nothwendigen Umbauten der Schiffe der Hamburger Flotille angeordnet und auch ſo ge -158Wernerfördert, daß wenigſtens die beiden Dampfer Hamburg und Lübeck im April 1849 ſee - und kriegsbereit waren. Mit der Bremen dauerte es einige Monate länger, weil es ſich herausſtellte, daß auch deren Dampfkeſſel einer Erneuerung be - durfte. Von einer activen Verwendung der Fregatte Deutſch - land wurde jedoch abgeſehen. Die techniſche Commiſſion gewann ſehr bald die Ueberzeugung, daß ſie als Kriegsſchiff im Ernſt - falle und als Gegner von däniſchen Linienſchiffen und Fregatten völlig unzulänglich ſei. Man nahm ihr deshalb ſpäter die Ueberzahl der Geſchütze, mit der ſie ausgerüſtet war, und be - ſtimmte ſie zum Schulſchiffe für die Kadetten oder Seejunker, wie erſtere in der deutſchen Marine hießen, wozu ſie ſich aller - dings ſehr gut eignete.

Ein weiterer Schritt des thatkräftigen Duckwitz war die auf Vorſchlag der Commiſſion erfolgende Beſchaffung von mehr Schiffen. Da in Deutſchland alle Vorausſetzungen dafür fehlten, konnte dies natürlich nur im Auslande geſchehen, obwohl dem Reichsminiſterium von beſchränkten Localpatrioten Vorwürfe ge - nug gemacht wurden, daß das Geld nicht im Lande bliebe. Man richtete die Blicke auf Nordamerika und England. Beide Länder beſaßen eine Reihe von großen Poſtdampfern, die nach den beſtehenden Landesgeſetzen gleich ſo gebaut werden mußten, daß ſie bei Ausbruch eines Krieges mit geringen Aenderungen als Kriegsſchiffe gebraucht werden konnten. Es wurde deshalb beſchloſſen, drei ſolcher großer Schiffe anzukaufen und drei andere, eine große und zwei kleinere Dampfcorvetten, in England in Bau zu geben, deren Fertigſtellung man bis zum Juni 1849 contrahiren wollte.

Man entſandte ſofort die nöthigen Techniker nach England, und dieſe kauften noch vor Schluß des Jahres die beiden der Cunard-Linie gehörigen und zu Dampffregatten geeigneten trans - atlantiſchen Poſtſchiffe Britannia und Acadia , ebenſo wie ſie den Contract zum Bau von einer größeren und zwei kleine -159Die deutſche Marine 1848 1852ren Dampfcorvetten, alle drei zum Juni 1849 lieferbar, ab - ſchloſſen. Eine dritte ſehr große Dampffregatte, die United States, wurde in New-York angekauft. Auf Erſuchen der Reichs - regierung geſtattete der nordamerikaniſche Marineminiſter nicht nur, daß ein Officier der dortigen Marine den Umbau des Dampfers zu einem Kriegsſchiffe leitete, ſondern auch, daß die amerikaniſchen Arſenale alle Bedürfniſſe wie Geſchütze, Muni - tion ꝛc. lieferten.

Mehr Vorſicht mußte bei den in England gekauften Schiffen beobachtet werden, um nicht gegen die engliſchen Neutralitätsge - ſetze zu verſtoßen, um ſo mehr, als die engliſchen Sympathien nicht auf deutſcher, ſondern auf däniſcher Seite lagen. Da Britannia und Acadia wegen der Eisverhältniſſe noch nicht nach der Weſer abgehen konnten, wurden ſie, um keine Zeit zu verlieren, in England im Innern für ihre zukünftige Beſtim - mung umgebaut. So discret dies auch geſchah, blieb es dem Auge der däniſchen Agenten nicht verborgen und Dänemark ſetzte bei der engliſchen Regierung alle Hebel an, um den Ab - gang der Schiffe zu hindern. Ehe jedoch jene die darauf bezüglichen Befehle ertheilte, kam die Reichsregierung ihr dadurch zuvor, daß die Schiffe Ende Februar 1849 Ordre erhielten, ſofort nach der Weſer abzugehen. Sie hatten weder Geſchütze noch Munition; die im Innern vorgenommenen Aenderungen konnten ebenſogut anderen, als Kriegszwecken gelten; ihre Be - ſatzung hatte eine normale Zahl und beſtand aus Engländern; es vermochten deshalb die Behörden keinen legalen Grund für die Zurückhaltung zu finden und mußten ſie ungehindert ziehen laſſen.

So weit war alles gut gegangen, allein nun begann eine Reihe von Unglücksfällen und Gegenſchlägen, die wohl ge - eignet waren, einem weniger energiſchen Manne, als Duckwitz es war, allen Muth zu nehmen. Zunächſt langte zwar die Britannia glücklich auf der Weſer an, aber die Acadia nur mit160Wernerſchwerer Havarie. Durch Unkenntniß ihres engliſchen Lootſen war ſie auf Terſchelling feſt gekommen, und man konnte es als ein beſonderes Glück anſehen, daß ſie nicht gänzlich ver - loren gegangen war. Ihre Beſchädigungen ſtellten ſich jedoch als ſo bedeutend heraus, daß eine Grundreparatur nöthig wurde, die ſich nur in einem Trockendock ausführen ließ. Docks von einer Größe, um ſo lange Schiffe wie die Acadia aufzunehmen, beſaß Deutſchland damals noch nicht. Es mußte deshalb bei Brake erſt ein ſolches proviſoriſch ausgegraben werden, und da - mit war zugleich ausgeſprochen, daß die Acadia , jetzt in Erzherzog Johann umgetauft, während die Britannia den Namen Barbaroſſa erhielt, vor Ablauf eines Jahres nicht wieder ſeefertig gemacht werden konnte.

Das war ein höchſt unangenehmer Strich durch die Rech - nung; aber mit deſto mehr Energie wurde nun an die Ein - richtung und Ausrüſtung des Barbaroſſa gegangen. Man wollte wenigſtens dies Schiff rechtzeitig fertig ſtellen, doch auch hier ging alles quer. Geſchütze, Munition und die ſonſtige in England beſchaffte Kriegsausrüſtung für Barbaroſſa und Erzherzog Johann waren in einem Segelſchiffe verladen, das im Februar nach der Weſer abging, aber, durch Havarie ge - zwungen, wieder nach England zurückkehren mußte. Nun ver - packte man die Gegenſtände in drei andere Schiffe, aber als dieſe ſegelfertig waren, hatten die Dänen wieder die Blockade der deutſchen Küſten eröffnet. Trotzdem erreichten zwei der Schiffe noch mit Noth ihre Beſtimmung, während das dritte nach England zurückging. Hier wurden die Sachen abermals gelöſcht und dann über Oſtende nach Bremerhafen geſchickt, ſo daß faſt der Monat Mai darüber hinging, bis endlich die Ein - richtung des Barbaroſſa vollendet werden konnte.

Mußten dieſe Gegenſchläge ſchon höchſt niederdrückend wir - ken, ſo war die Enttäuſchung, welche Duckwitz mit Bezug auf die faſt ſicher erhoffte Acquiſition fremdländiſcher Marineofficiere161Die deutſche Marine 1848 1852erfuhr, noch bei weitem ſchmerzlicher. Wie oben bemerkt, hatte er ſich gleich bei Antritt ſeines Amtes an den Präſidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika wegen Entſendung eines höheren Marineofficiers nach Frankfurt gewandt. Dieſem Wunſche war auch auf das Bereitwilligſte entſprochen worden und der Commodore Parker traf Ende Januar in Frankfurt ein, nicht allein, um bei der Organiſation der deutſchen Flotte werth - vollen Rath zu ertheilen, ſondern auch im Auftrage des Präſi - denten nach den beſonderen Wünſchen der deutſchen Centralge - walt und danach zu fragen, wie viel Officiere der amerikani - ſchen Marine, von welchem Range, auf wie lange Zeit und unter welchen Bedingungen dieſelben verlangt würden.

Somit konnte der Reichsmarineminiſter nicht anders an - nehmen, als daß Deutſchland über den ſchwierigſten Punkt bei Gründung einer Marine, über die Officiersfrage glücklich fort ſei. Nach eingehender Berathung mit Commodore Parker wünſchte Duckwitz vierzig Officiere verſchiedener Grade, darunter einen Commodore, der als Contreadmiral in deutſche Dienſte und an die Spitze der Marine treten ſollte, ſowie einen Marine - ſchiffbau-Ingenieur von Ruf. Wenn es nicht auf länger mög - lich ſei, wurde ihre Dienſtleiſtung auf neun Monate erbeten und ihnen Gehalt, ſowie eventuell Penſion nach amerikaniſchen Sätzen zugeſichert.

Dieſen Antrag hatte Duckwitz am 25. Januar 1849*S. Beantwortung der Interpellation des Abgeordneten von Reden an das Reichsminiſterium, die Wirkſamkeit der Marineabtheilung betreffend am 30. April 1849 von dem Reichsminiſter des Handels. (Ueber die Gründung der deutſchen Kriegsmarine von A. Duckwitz. Bremen 1849.) ſchriftlich an Parker gerichtet und zwar mit deſſen vorbehaltlicher Zuſtimmung. Er durfte deshalb wol mit Recht die baldige und ſichere Ankunft der gewünſchten Officiere erwarten. Wie niederſchmetternd war aber die Erfahrung, als ſtatt der Offi -R. Werner, Erinnerungen. 11162Wernerciere durch den deutſchen Geſandten in Waſhington, von Rönne, die ihm amtlich mitgetheilte Abſchrift eines Berichtes vom Commodore Parker einging, den dieſer am 24. Januar, alſo einen Tag vor Entgegennahme des von Duckwitz verfaßten und mit ihm verabredeten Antrags, an ſeinen Marineminiſter Maſon eingereicht hatte.

In dieſem Berichte wurde die deutſche Flotte höchſt abfällig beurtheilt. Es ſei bis jetzt nur ſehr wenig geſchehen, hieß es darin, und nicht einmal Geſetze über die Marine ſeien erlaſſen worden. Dann wurden die geringen Streitkräfte Deutſchlands im Gegenſatze zur däniſchen Seemacht aufgezählt, die Parker in höchſt übertriebener Weiſe auf 1035 Kanonen mit 9755 Mann berechnete. Er erwähnte dabei unter anderen fünf Linienſchiffe mit je 84 Kanonen, die allerdings in der däniſchen Marine - liſte auf dem Papier figurirten, von denen aber nur eins, der ſpäter bei Eckernförde in die Luft geflogene Chriſtian VIII. als dienſttauglich in Betracht kommen konnte.

Ich ſehe, fährt Parker dann in ſeinem Berichte fort, daher kein Feld, auf welchem amerikaniſche Officiere Ehre für ſich oder ihr Land gewinnen könnten. Bei dieſer Sachlage ſcheint es mir unweiſe zu ſein, daß amerikaniſche Officiere irgend etwas mit Deutſchland zu thun haben, bis die Centralgewalt definitiv errichtet iſt, es ſei denn im Wege des guten Rathes.

Mit Recht ſagt Duckwitz über dieſes Schreiben: Herr Parker iſt alſo von der Anſicht ausgegangen, daß nur in dem Falle amerikaniſche Officiere in unſere Dienſte treten könnten, wenn unſere Flotte eben ſo groß wäre, wie die däniſche. In dieſem Falle würden wir aber amerikaniſcher Officiere nicht be - dürfen. Es handelte ſich grade um Bildung der Anfänge einer Flotte; nur zu dieſer fehlten uns die Officiere und die Organi - ſatoren.

Mit Bezug auf den Mangel an Geſetzen über die Marine hatte Parker freilich Recht und war dies nur eine Conſequenz163Die deutſche Marine 1848 1852der zerfahrenen deutſchen Verhältniſſe. Man wartete von Woche zu Woche auf eine definitive Geſtaltung des Reichs und damit auch auf die Emanirung der betreffenden Geſetze über Wehr - pflicht, Rang - und Soldverhältniſſe, Invalidenverſorgung u. ſ. w. Nach dieſer Richtung ließ ſich deshalb gegen ſeinen Bericht nichts einwenden, nur war das Benehmen Parkers ſelbſt in Behandlung der Angelegenheit durchaus kein loyales und hätte eine härtere Beurtheilung verdient, als Duckwitz ihm zu Theil werden ließ.

Eine weitere höchſt unangenehme Folge des Berichtes war noch der verzögerte Abgang der United States. Die Regie - rung in Waſhington ſtellte ſich nämlich jetzt plötzlich auf den Standpunkt ſtricter Neutralität. Die Erlaubniß, den Kriegsbe - darf des Schiffes aus dem Arſenal der Marine zu beziehen, wurde zurückgenommen und ſo mußten alle Gegenſtände auf Privatwege beſchafft werden. Außerdem wurde auch noch der Abgang des Schiffes überhaupt beanſtandet und nach langen Verhandlungen nur gegen eine Bürgſchaft von 300,000 $ ge - ſtattet, um eine Garantie zu haben, daß das Schiff keinen feind - ſeligen Act gegen eine mit Nordamerika in Frieden befindliche Nation beginge.

Alles dies hatte ſo viel Zeit in Anſpruch genommen, daß die United States (ſpäter in Hanſa umgetauft) nicht zur beſtimmten Zeit eintreffen konnte. Anfänglich war der Termin ihrer völligen Fertigſtellung und ihres Abganges auf den 15. Mai verabredet worden und das Schiff ſollte dann, vollſtändig kriegsmäßig eingerichtet, aber als Handelsſchiff mit Geſchützen und Munition als Ladung, ſowie mit der vollen Beſatzung und den erwarteten vierzig Officieren als Paſſagiere, nach Deutſch - land abgehen und noch vor Ende des Waffenſtillſtandes dort eintreffen. Dieſer Plan war nun vereitelt. Die Hanſa ging zwar im April von Amerika ab, kam aber nur bis England, weil inzwiſchen wieder die Blockade eingetreten war. Deutſch -11*164Wernerland gelangte erſt im Spätherbſt 1849 in den wirklichen Beſitz des Schiffes.

Das war viel Unglück auf einmal, aber es kam noch ande - res hinzu, um die gehegten Hoffnungen auf ein zum Frühjahr kriegsbereites deutſches Geſchwader gründlich zu zerſtören.

Die preußiſche Regierung weigerte ſich, den Anträgen der Centralgewalt Folge zu leiſten und ihre Poſtdampfſchiffe Preußiſcher Adler und Eliſabeth zur Dispoſition zu ſtellen und gab außerdem die Erklärung ab, daß die ihr gehörigen Kriegsſchiffe und Kanonenboote nicht die ſchwarzrothgoldene, ſondern die preußiſche Flagge führen würden. Das war wol der härteſte Schlag, den die junge deutſche Flotte empfing und ſah einem Todesſtreich erſchreckend ähnlich.

Auf materiellem Gebiete ſtellten ſich die Sachen nicht günſtiger.

Die von der Nationalverſammlung für Gründung einer Flotte bewilligten ſechs Millionen Thaler ſollten in zwei Raten, am 1. October 1848 und am 1. Mai 1849 eingezahlt werden. Oeſterreich weigerte jedoch überhaupt Zahlung; Bayern, Sach - ſen, Luxemburg und Limburg blieben im Rückſtande. Ebenſo behielt Preußen ſeine zweite fällige Rate zur Deckung der Koſten für die 1848 übernommene Geſtellung von 39 Kanonenbooten ein. Die letzteren waren fertig, aber wie Preußen die Führung der deutſchen Flagge verweigerte, hielt es auch die Kanonenboote von der Reichsflotte und für ſich zurück.

So ſchmolzen die bewilligten ſechs Millionen auf Mil - lionen zuſammen und die Marineverwaltung, welche bereits drei Millionen verausgabt, befand ſich im Mai mit einer halben Million im Vorſchuß, die vorläufig aus anderen Fonds ent - nommen wurden. Die geſammten freiwilligen Beiträge Deutſchlands hatten noch nicht einmal die Höhe von 100,000 Thalern erreicht.

Daß unter ſolchen Umſtänden die leitenden Perſönlichkeiten,165Die deutſche Marine 1848 1852vor allem aber Duckwitz, auf deſſen Schultern die ganze Ver - antwortung ruhte, nicht alle Luſt verloren, ſondern mit unge - brochenem Muthe weiter arbeiteten, beweiſt mehr als alles andere ihren Patriotismus, ihre Thatkraft und Selbſtloſigkeit.

Neben dem Ankauf und contrahirten Bau von größeren Kriegsſchiffen hatte die Reichsmarineverwaltung aber auch die Küſtenvertheidigung in’s Auge gefaßt und war mit derſelben ebenſo energiſch vorgegangen. Von der techniſchen Commiſſion waren nebſt einer Anzahl von Küſtenbatterien auch achtzig Kano - nenboote zum Küſtenſchutze als erforderlich erachtet worden. Preußen hatte bereits den Bau von 39 Kanonenbooten, Schles - wig-Holſtein den von zwölf eingeleitet. Einige ſolcher Fahrzeuge wurden von Städten geſchenkt und der Reſt von der deutſchen Marineverwaltung in Bau gegeben. Zum Frühjahr 1849 waren dieſe Boote bis auf die Armirung fertig.

Zur Lieferung der Geſchützrohre, ſowol für die Kanonen - boote wie für die Küſtenbatterien waren auch deutſche Eiſen - gießereien aufgefordert, um nach dieſer Richtung die Marine vom Auslande unabhängig zu machen. Zwei derſelben, die Fabrik von Frerichs u. Comp. in Rönnebeck und die Sayner Hütte, erboten ſich zur Lieferung. Mit der erſten wurde con - trahirt, außerdem mit einer Lütticher Fabrik. Die Laffetten gab man in Hamburg auf und die preußiſche Regierung übernahm die Lieferung von Geſchoſſen ꝛc. Die Lütticher lieferten recht - zeitig und gut, die Rönnebecker dagegen nicht. Bei der erſten Lieferung ſprangen beim Probeſchießen mehrere Geſchütze; es mußte daher die ganze Lieferung caſſirt werden, weshalb ſich die Schlagfertigkeit der Kanonenboote nicht zur beſtimmten Zeit erreichen ließ.

Am 10. Februar 1849 waren von der techniſchen Com - miſſion die ihr geſtellten Aufgaben vollendet und ſie löſte ſich auf. Während ihrer faſt dreimonatlichen Thätigkeit hatte ſie durch ihre Arbeiten auf dem Gebiete der Organiſation, durch166Wernerdie von ihr entworfenen Reglements und ihre Gutachten unge - mein viel Gutes geleiſtet und dadurch der jungen Marine einen feſten inneren Halt gegeben. Es waren Dienſtvorſchriften er - laſſen, ein Geſchützexercirreglement ausgearbeitet, Beſtimmungen über die Uniformirung gegeben und eine Disciplinar-Strafordnung geſchaffen worden, die bis auf geringe Aenderungen, welche 1870 bei Reviſion der Militärſtrafrechtspflege gemacht wurden, noch heute in der Reichsmarine gilt. Mit dem Auseinandergehen der Commiſſion erwuchſen der Marineverwaltung jedoch neue Schwierigkeiten.

Von den als ihre Mitglieder fungirenden Seeofficieren ging Commodore Schröder in preußiſche, Kapitän Donner in ſchles - wig-holſteiniſche Dienſte zurück, und ſo blieb als einziger wirk - licher Seeofficier nur der Kapitän Brommy übrig. Wahrlich ein ſchlimmeres Zuſammentreffen von ungünſtigen Umſtänden, zu denen noch die gänzlich unſicheren politiſchen Zuſtände des Reichs traten, konnte für die junge deutſche Marine kaum ge - dacht werden. Sie war ein wahres Schmerzenskind und wurde unter den trübſeligſten Verhältniſſen geboren.

Als Duckwitz die Marine im October übernahm, glaubte ſelbſt er, der nüchterne, practiſche Mann, an eine ſehr baldige definitive Geſtaltung der Reichsregierung. Statt deſſen zögerte ſich dieſelbe von Monat zu Monat hin, und als das Miniſte - rium Gagern und mit ihm Duckwitz Anfangs Mai 1849 zurücktrat, da hatte auch er wol ſchon längere Zeit allen Glau - ben an ein einiges deutſches Reich verloren; aber bis zum letz - ten Augenblicke verzweifelte er wenigſtens noch nicht an der Marine. Er hoffte, daß wenn nur erſt eine Anzahl brauch - barer Kriegsſchiffe angeſchafft, armirt, bemannt und damit ein feſter Kern gegeben ſei, ſich das ſo ohne weiteres nicht wieder fortwiſchen laſſe und daß ſich irgend eine Form finden werde, die neue und vor allen Dingen ſo nöthige Waffe dem Vater - lande zu erhalten. Deshalb ließ Duckwitz ſich durch keine167Die deutſche Marine 1848 1852Gegenſchläge entmuthigen, ſondern ſtrebte unbeirrt dem Ziele zu, das er ſich geſteckt.

Es war inzwiſchen eine ſolche Maſſe Materials jeder Art für die Marine beſchafft worden und bei Bremerhafen zuſammen - gefloſſen, daß nothwendiger Weiſe eine beſondere Verwaltung da - für in das Leben treten und ein Seezeugmeiſteramt für die Nordſee geſchaffen werden mußte.

Die Organiſation dieſer Behörde konnte, als der Haupt - ſache nach rein techniſcher Natur, nur durch einen dazu geeig - neten Seeofficier geſchehen und ebenſo mußte ihr Chef wenigſtens anfänglich ein Seeofficier ſein. Außer Kapitän Brommy war kein ſolcher vorhanden und er im Miniſterium beſchäftigt. So dringend erwünſcht aber auch ſein Verbleiben in dieſer Behörde war, mußte dennoch die practiſche Seite vorgehen. Er wurde deshalb von Duckwitz nach Bremerhafen geſandt, um nicht allein die Seezeugmeiſterei zu organiſiren, ſondern auch das active Commando über die ganze Marine zu übernehmen, Officiere und Mannſchaften zu ſchulen, die letzteren zu discipliniren und auch die Fertigſtellung der Schiffe zu betreiben.

Das Miniſterium mußte indeſſen für ſich ſelbſt ſorgen. Kerſt und Jordan waren jedoch ſo gute Kräfte, gleich von vorn - herein mit ſo gutem Willen an die Sache herangegangen und hatten ſich ſo trefflich in ſie hineingearbeitet, daß alles glatt ging und Brommy’s Fortgang nicht ſo empfunden wurde, wie man anfangs gefürchtet. Für Brommy waren die ihm über - tragenen Functionen nahezu erdrückend. Wenn er ſich denſelben auch willig unterzog und ſie mit eben ſo großem Eifer wie Ge - ſchick und Thatkraft in Angriff nahm, ſo konnte er doch allein auf die Dauer das Geforderte nicht leiſten und es galt deshalb, nachdem die Acquiſition amerikaniſcher Officiere ſo traurig ge - ſcheitert, andere geeignete Kräfte zu des Seezeugmeiſters Unter - ſtützung heranzuziehen.

Es gelang dies auch durch Engagement von ſechs älteren168Wernerbelgiſchen Seeofficieren, welche als Lieutenants zur See I. Claſſe (Hauptmannsrang) in den Reichsdienſt traten. Ein glücklicher Zufall wollte, daß Belgien grade zu jener Zeit ſeine Marine als nutzlos und zu koſtſpielig für ein ſo kleines Land aufgab, ſeine Seeofficiere penſionirte und dieſe als Privatleute nun ohne weitere Schwierigkeiten in fremde Dienſte treten konnten. Die Unſicherheit der deutſchen Verhältniſſe war für ſie von keiner weiteren Bedeutung. Hatte die deutſche Marine keine Zukunft, ſo gingen ſie einfach nach Belgien zurück, um ihre Penſion weiter zu beziehen und ſie ſetzten deshalb nichts auf das Spiel.

Mit der Ankunft der Belgier, die außerdem den Vorzug hatten, deutſch zu verſtehen und deutſches Commando führen zu können, erhielt Brommy eine weſentliche Unterſtützung für alle Commando-Angelegenheiten, während ſich auch für die Verwal - tung der Seezeugmeiſterei allmälig tüchtiges Perſonal fand. Namentlich war es der ſpäter an die Spitze dieſer Behörde be - rufene damalige Oberlieutenant Weber, ein Darmſtädter, und wie Brommy bisher in griechiſchen Dienſten, der es verſtand ſich in überraſchend kurzer Zeit in die ihm übertragene neue Stellung hinein zu arbeiten und die Seezeugmeiſterei auf eine Stufe der Vollkommenheit zu bringen, die wenig zu wünſchen übrig ließ.

So kam denn bald alles in das richtige Gleis und bei dem im Allgemeinen herrſchenden guten Geiſte und dem feſten Willen, die Sache vorwärts zu bringen, wurde in kurzer Zeit ganz Außerordentliches geleiſtet und ſehr bald eine Ordnung in allen Angelegenheiten geſchaffen, die wirklich muſterhaft genannt werden konnte.

Schwierigkeiten gab es ja trotzdem noch genug zu über - winden und eine der ſchlimmſten war die Mannſchaftsfrage. Dieſelbe war in keiner Weiſe geregelt und wie bereits weiter oben erwähnt, fehlte es an allen einſchlägigen Geſetzen. Statt der erwarteten feſten Geſtaltung der Reichsverhältniſſe, welche169Die deutſche Marine 1848 1852jene Geſetze bringen ſollte, trat nur noch größere Zerfahrenheit ein. Verſchiedene Staaten wollten gar nichts von der Marine wiſſen und von einer Wehrpflicht für dieſelbe war keine Rede. Ebenſo bedenklich ſtand es mit der Kriegsflagge. Ein einziger Seeſtaat, Nordamerika, hatte die deutſche Centralgewalt aner - kannt, alle übrigen nicht; deshalb war auch nur jenem eine Mittheilung über die deutſche Kriegsflagge gemacht worden.

Da indeſſen die fertigen Schiffe bemannt werden mußten, ſo ſchritt man zur Werbung. Bei der wegen der Blockade da - nieder liegenden Schiffahrt waren Seeleute genug am Lande, und da der Matroſe ein Kind des Augenblicks iſt und ſich wegen ſeiner Zukunft keine große Sorge macht, ſo gelang es, trotz mangelnder Geſetze über Invalidenverſorgung, allmälig ſo - wol im Inlande wie in England die nöthige Zahl Matroſen zur Beſetzung der fertigen oder in nächſter Zeit fertig werdenden Schiffe anzuwerben, während auch ein kleiner Theil officiell von Oldenburg geſtellt wurde, das ſich überhaupt echt deutſch und der Marine wolgeſinnt zeigte.

Die Anwerbung von Marineſoldaten machte ſich dagegen nicht ſo leicht. Der Verlegenheit half man jedoch dadurch ab, daß durch die Einwirkung von Duckwitz eine Compagnie des Bremiſchen Contingents zur Marine commandirt wurde und den Dienſt der Seeſoldaten verſah.

Mit dem 1. April 1849 konnte man die Gründungs - periode der deutſchen Marine ungefähr als abgeſchloſſen betrach - ten. Es waren in den fünf Wintermonaten neun Kriegsdampf - ſchiffe übernommen, gekauft reſp. in Bau gegeben und zwar Hanſa , Barbaroſſa , Erzherzog Johann , Ernſt Auguſt , Oldenburg , Frankfurt , Hamburg , Bremen und - beck , ferner die Segelfregatte Deutſchland und 27 Kanonen - boote. Die Marine hatte eine Organiſation, die nothwendig - ſten Reglements waren geſchaffen, die Verwaltung geordnet, die ſeefertigen Schiffe mit einer vollen exercirten und disciplinirten170WernerBeſatzung verſehen. Der Mangel an wirklichen Seeofficieren, welche als Lehrmeiſter dienen konnten, war durch die Belgier gehoben; die deutſchen aus der Handelsmarine hervorgegangenen Officiere füllten ihre Poſten voll aus, die Mehrzahl verſprach ſehr bald tüchtiges zu leiſten und nur mit den Engländern, die man mit den angekauften Schiffen übernommen hatte, war keine glückliche Acquiſition gemacht.

Daß alles dies in der kurzen Zeit und trotz der oben dargelegten Schwierigkeiten hatte in das Leben gerufen und durchgeführt werden können, bleibt das unantaſtbare Verdienſt von Duckwitz und Brommy.

Eine wirkliche Flotte, wie ſie die Majorität des deutſchen Volkes in ihrer Unkenntniß maritimer Verhältniſſe verlangte, konnten ſie allerdings nicht herzaubern, aber das Mögliche war von ihnen vollbracht. Sie hatten eine ſolide Grundlage ge - ſchaffen und dafür geſorgt, daß diejenigen Elemente vorhanden waren, aus denen ſich eine Flotte aufbaut. Es iſt deshalb nur eine Forderung der Gerechtigkeit, das Andenken dieſer beiden Männer zu ehren, welche ſich voll einſetzten, um ein großes nationales Werk zu ſchaffen. Daß dieſes Werk kein bleibendes war, daß es ſchmachvoll untergehen mußte, war nicht ihre Schuld und ſchmälert nicht ihren Ruhm. Ihnen hat wol das Herz am meiſten dabei geblutet, als die deutſche Flotte unter den Hammer kam.

Eine verdiente und ihn hochehrende Anerkennung für ſeine Thätigkeit erhielt Brommy noch kurz vor dem Rücktritt des Erzherzog-Reichsverweſers durch ſeine Ernennung zum Contre - admiral, die von dem nachſtehenden Handbillet begleitet war:

Unter den meiner Fürſorge anvertrauten Angelegen - heiten hat die Gründung einer deutſchen Flotte meine Auf - merkſamkeit ſtets in beſonderem Grade auf ſich gezogen.

Je größer die Schwierigkeiten und Hinderniſſe waren, mit welchen die Ausführung dieſes Planes zu kämpfen hatte,171Die deutſche Marine 1848 1852deſto mehr mußte es mich freuen, daß die junge Flotte in Ihnen, Herr Commodore Brommy, einen Chef gefunden hatte, deſſen Umſicht und Energie ſo manche Schwierigkeiten zu beſiegen wußte, für ſo manches Fehlende Erſatz leiſtete.

Ich will daher nicht aus meiner jetzigen Stellung ſchei - den, ohne Ihnen einen beſonderen Beweis meiner Zufrieden - heit mit Ihrer Ausführung zu geben und habe zu dieſem Zwecke Sie unter heutigem Datum zum Contreadmiral ernannt.

Frankfurt, den 11. November 1849.

Der Reichsverweſer gez. Erzherzog Johann.

Schließlich ſei noch kurz der Schleswig-Holſtein’ſchen Ma - rine erwähnt, die zwar ſelbſtändig neben der deutſchen exiſtirte, aber in gewiſſer Beziehung doch wieder einen Theil derſelben bildete. Sie beſtand aus zwölf Ruder-Kanonenbooten, aus dem Dampfer Bonin ein früheres Kauffarteiſchiff, das von der Größe der Dampfcorvette Hamburg , wie dieſe umgebaut und armirt war und aus dem Schuner Elbe , der bei Ausbruch des Krieges als däniſches Wachtſchiff bei Altona ge - legen hatte und von den Schleswig-Holſteinern genommen war.

Die zwölf Kanonenboote bildeten das Contingent, welches Schleswig-Holſtein auf Requiſition der Centralgewalt zum deut - ſchen Küſtenſchutz ſtellte. Außerdem bauten die Herzogthümer aber noch ein Dampfkanonenboot, von der Tann , und zwar war dies das erſte dieſer Claſſe von Fahrzeugen, das über - haupt conſtruirt wurde und anderen Marinen nach dieſer Rich - tung den Weg zeigte. Während des Krimkrieges ſchufen Eng - land und Frankreich Hunderte von dieſen Booten, einige Jahre danach folgte auch Preußen, und damit wurden die bisher zum Küſtenſchutz verwendeten Ruderkanonenboote aus der Welt ge - ſchafft, welche einer ſehr großen Beſatzung bedurften, ungemein langſam und ſchwerfällig in der Bewegung und nur in ſtillem172WernerWaſſer zu gebrauchen waren. Leider nahm der von der Tann ein trauriges Ende. Im Jahre 1851 wurde er in der Neu - ſtädter Bucht von einer däniſchen Fregatte gejagt und mußte ſich vor der Uebermacht nach der Trave zurückziehen. Er konnte dieſe jedoch nicht mehr erreichen, und um das Boot nicht in die Hände des Feindes fallen zu laſſen, wurde es von ſeinem Commandanten auf den Strand geſetzt und verbrannt.

Noch in einer anderen Hinſicht ging Schleswig-Holſtein allen anderen Nationen voran: in der Vertheidigung der Häfen mit Torpedos, die jetzt in der Seekriegführung eine ſo hervor - ragende Rolle ſpielen. Am 24. März 1848 wurde die provi - ſoriſche Regierung für Schleswig-Holſtein proclamirt. Am 26. März brachte der däniſche Kriegsdampfer Hecla die Schleswig - Holſteiniſche Deputation nach Kiel zurück, welche dem König von Dänemark die Wünſche der Herzogthümer vorgetragen hatte. Dieſe Wünſche waren zurückgewieſen und damit der Krieg er - klärt. Friedrichsort war verlaſſen und nicht befeſtigt. Da galt es, den Hafen von Kiel gegen feindliche Angriffe zu ſchützen und Profeſſor Himly, Chemiker an der Kieler Univerſität, machte den Vorſchlag, dies durch Torpedos zu thun. Der Vorſchlag wurde von der proviſoriſchen Regierung angenommen und Himly legte im Fahrwaſſer in der Gegend der Düſternbrooker Badean - ſtalt zwei ſolcher Waſſerminen. Die eine beſtand aus einem Kautſchuckſack, die andere aus einer doppelten Tonne, beide waren mit Pulver gefüllt. Die Zündung ſollte auf electriſchem Wege, d. h. in der Weiſe geſchehen, wie es jetzt allgemein ge - bräuchlich iſt, während z. B. die Ruſſen im Krimkriege noch die weit unzuverläſſigere Contactzündung anwandten. Dabei mußte das feindliche Schiff gegen den Torpedo ſtoßen und eine Röhre zerbrechen, deren Säureinhalt ſich auf ein chemiſches Ele - ment ergoß und die Zündung herbeiführte.

Die Lage der Himly’ſchen Waſſerminen war durch genaue Viſirung feſtgeſtellt. Beim Paſſiren derſelben durch ein feind -173Die deutſche Marine 1848 1852liches Kriegsſchiff ſollten ſie auf ein betreffendes Signal geſprengt werden. Ob ihre Wirkſamkeit den Erwartungen entſprochen hätte, mag dahin geſtellt bleiben, jedenfalls erreichten die Torpedos aber völlig ihren Zweck, denn die Dänen, welche davon gehört, wagten ſich mit ihren Schiffen nicht innerhalb Friedrichsorts.

Noch für eine andere unterſeeiſche Vertheidigungs - reſp. Angriffswaffe wurde Schleswig-Holſtein zu jener Zeit: das Ver - ſuchsfeld für Taucherboote.

Bei dem 1848 in Holſtein eingerückten Bairiſchen Contin - gent ſtand der durch ſeine ſubmarinen Erfindungen ſpäter be - kannt gewordene Wilhelm Bauer als Unterofficier. Nach dem Waffenſtillſtande von Malmö trat er in die Schleswig-Holſtei - niſche Armee und kam hier zuerſt auf die Idee, ein Taucher - ſchiff zu conſtruiren. Es gelang ihm, ſeine Pläne einigen ein - flußreichen Leuten vorzulegen, und dieſe veranlaßten eine Begut - achtung der Principien durch verſchiedene Kieler Profeſſoren. Das Gutachten fiel günſtig aus und geſtützt auf daſſelbe wandte ſich Bauer nun an die proviſoriſche Regierung der Herzogthümer, welche jedoch erklärte, für dergleichen Projecte keine Mittel zu haben. Als indeſſen darauf eine öffentliche Subſcription eine namhafte Summe ergab, entſchloß ſich die Regierung, den zum Bau eines ſolchen ſubmarinen Bootes erforderlichen Reſtbetrag herzugeben.

Daſſelbe wurde nun in Kiel bei Schweffel und Howaldt gebaut. Es war ungefähr 36 Fuß lang, mit einer Schraube zur Fortbewegung verſehen und aus Eiſen conſtruirt. Nach ſeiner Form war es unten ſcharf, oben etwas abgerundet; in - wendig hatte es eine kräftige Pumpe und vorn oben eine waſſerdichte Lucke, in der eine ſehr ſtarke Glasſcheibe eingeſetzt war. Dieſe diente dazu, um ſowol Licht in das Boot zu laſſen, als auch aus dem Boote nach außen ſehen zu können. Unmittelbar neben der Luke befanden ſich zwei Guttaperchaärmel, die nach außenbords mündeten, aber kein Waſſer in das Boot174Wernerließen. Durch dieſe Aermel ſollte ein Mann die Arme ſtecken, um ein am Bug des Bootes feſtgeſchrobenes Exploſionsobject zu löſen und an dem Kiel des feindlichen Schiffes zu befeſtigen. Die bewegende Kraft war die von Menſchen; die Schraube wurde mit den Händen durch eine Kurbel in Thätigkeit geſetzt.

Als das fertiggeſtellte Boot ſeine Probefahrt machen ſollte, ging Bauer mit zwei Leuten hinein. Er ſchloß die waſſerdichte Luke, öffnete ein Ventil im Boden, um durch Waſſerballaſt das Boot zum Tauchen zu bringen, und es ſank. Danach wurde die Pumpe probirt, und es gelang durch Auspumpen des Waſſers das Boot wieder an die Oberfläche zu bringen. Bauer rief den ihn begleitenden Booten zu, daß die Pumpen zu ſchwach ſchienen, ſchloß dann aber die Luke wieder, ſetzte die Probefahrt fort und das Fahrzeug iſt nie wieder an das Tageslicht gekommen.

Es war etwa elf Uhr Morgens, als Bauer zum zweiten Male unter Waſſer ging. Die Fortbewegung mittels der Schraube gelang, wenn auch nur in mäßiger Weiſe; doch die Pumpen waren zu ſchwach, um das eingelaſſene Waſſer ſchnell zu be - wältigen und das Boot ſank deshalb 40 Fuß tief bis auf den Grund.

Bauer ſchien das Boot für eine ſolche Tiefe und den ſich daraus ergebenden Waſſerdruck zu ſchwach conſtruirt zu haben. Die Erbauer hatten ihn gleich beim Bau auf dieſen Umſtand aufmerkſam gemacht, aber ohne daß er darauf Rückſicht genommen hätte. In Folge dieſer Schwäche ſog das Fahrzeug ziemlich Waſſer. Die Pumpe genügte nicht, daſſelbe zu entfernen, aber der Waſſerdruck von außen beſchwerte auch die Luke der Art, daß Bauer ſie nicht öffnen konnte. Seine Lage war eine un - gemein kritiſche. Das eindringende Waſſer ſtieg immer höher; von außerhalb war auf keine Rettung zu hoffen und ſo ſchien das Schickſal der drei Leute beſiegelt.

Oben auf der Waſſerfläche hatte ſich inzwiſchen eine175Die deutſche Marine 1848 1852Menge Boote mit Zuſchauern angeſammelt, welche vergebens auf das Wiedererſcheinen Bauers warteten und nach ſtunden - langem Harren ihn als verloren betrachteten. Da endlich, um drei Uhr Nachmittags, alſo vier volle Stunden nach dem Tauchen, wurden plötzlich alle drei Leute mit einer ungemeinen Vehemenz an die Oberfläche geſchleudert und von den wartenden Booten aufgenommen. Ihre Rettung ſchien durch ein Wunder bewerk - ſtelligt zu ſein, erklärte ſich aber durch die Compreſſion der Luft in dem Boote. Letztere war durch das höher ſteigende Waſſer allmälig immer gewachſen, bis ſie dem äußeren Waſſerdruck das Gleichgewicht hielt. Dieſen Moment hatte Bauer wahrgenommen, um die Luke zu öffnen und war dann mit den beiden Leuten, die er mit großer Geiſtesgegenwart vorher zu dem Zwecke unter der Luke richtig placirt, in die Höhe geſchleudert worden.

Das Experiment war an der zu ſchwachen Conſtruction des Bootes und an der zu geringen Kraft der Pumpe geſchei - tert. Dagegen hatte Bauer den Beweis geliefert, daß das Boot ſich heben und ſenken konnte, daß es ſich fortbewegen ließ und daß die Inſaſſen ohne Gefahr für ihre Geſundheit vier Stunden unter Waſſer hatten aushalten können.

Wenn aber das Unglück auch nicht eingetreten wäre und das Boot gut functionirt hätte, ſo würde ſein Nutzen doch höchſt problematiſcher Natur geweſen ſein. Das anzugreifende Schiff hätte zunächſt vor Anker liegen müſſen, um irgend eine Chance des Gelingens zu bieten. Sodann erwuchs für das Boot aber noch eine andere Schwierigkeit, die es aller Wahrſcheinlichkeit nach nicht überwunden hätte.

Bei Nacht war ein Angriff ziemlich ausgeſchloſſen, da man in dem Boote unter Waſſer nichts ſehen konnte. Bei Tage hätte es aber ſchon in einer ſehr großen Entfernung von dem Feinde tauchen müſſen, um gegen deſſen Schußwaffen ge - ſichert zu ſein. Den richtigen Weg auf eine ſo weite Strecke zu finden, war kaum möglich oder wenigſtens ſo unſicher, daß176Wernerdas Gelingen gänzlich vom Zufall abhängig blieb. Außerdem kam endlich noch ein Umſtand in Betracht, an dem bisher alle ſubmarinen Fahrzeuge geſcheitert ſind und gegen den auch das Bauer’ſche Boot nicht geſichert war, die Innehaltung einer be - ſtimmten Tiefe unter Waſſer. Bereits Fulton hatte im An - fange dieſes Jahrhunderts zu demſelben Zwecke wie Bauer ein ſubmarines Boot conſtruirt, mit dem er tauchte, einen Explo - ſionskörper am Kiele eines alten dazu hergegebenen Schiffes befeſtigte und es in die Luft ſprengte, aber es gelang ihm eben - ſowenig eine beſtimmte Tiefe zu halten. Einem Mitte der fünfziger Jahre in Cherbourg erbauten Taucherſchiffe Plon - geur , von dem man ſich die großartigſten Erfolge verſprach, er - ging es ebenſo.

Nur ein Mann hat bis jetzt dies Problem gelöſt, der Er - finder der Fiſchtorpedos, Whitehead in Fiume, jedoch auch nur für die Torpedos und ſelbſt für dieſe nicht einmal mit unbe - dingter Sicherheit, da einzelne derſelben immer noch in den Grund gehen und dort ſtecken bleiben. Ein äußerſt geringer Einfluß, das Verbiegen irgend eines kleinen Gegenſtandes am Torpedo, oder eine ſonſtige ganz unbedeutende Formveränderung iſt im Stande, erſterem eine falſche Richtung zu geben und ihn ſtatt in einer beſtimmten Tiefe grade aus, mit einer Curve nach unten gehen zu laſſen.

Bauer hat ſpäter noch vielfach mit ſubmarinen Booten ſowol in Deutſchland wie in Rußland experimentirt, aber es iſt ihm nicht gelungen, etwas Zweckmäßiges zu ſchaffen. Es ſcheint nach dem Mißlingen ſo vieler in dieſer Richtung unternomme - ner Verſuche, als ob das ſichere Fahren unter Waſſer dem Menſchen verſchloſſen bleiben ſoll.

177Die deutſche Marine 1848 1852

Bewegte Zeit.

Der Malmöer Waffenſtillſtand war abgelaufen. Das kleine muthige Dänemark hatte ohne Furcht vor dem großen freilich uneinigen Gegner den unterbrochenen Kampf und die Blockade unſerer Küſten wiederaufgenommen. Wenn die deutſchen Ma - rinebeſtrebungen ihm bis jetzt auch nicht gefährlich geworden waren, ſo hatte es dieſelben thatſächlich doch nicht unberückſich - tigt gelaſſen und ihnen dadurch wider Willen eine gewiſſe Be - deutung und Anerkennung zugeſtehen müſſen. Es hatte für nöthig befunden, ſeine bisherigen Seerüſtungen zu vermehren und außer den vorjährigen Schiffen noch ein Linienſchiff und einige Raddampfer mehr in Dienſt zu ſtellen, ſowie ſeine Blockadeſchiffe vollzählig zu bemannen.

Anfang April 1849 zog Dänemark im Belt ein Geſchwa - der zuſammen. Es beſtand aus dem erwähnten Linienſchiffe, dem Zweidecker Chriſtian VIII. von 84, aus der neuen, als beſonderer Schnellſegler berühmten Fregatte Gefion, von 48 Kanonen und aus den beiden mit je ſechs Geſchützen armirten Raddampfcorvetten Geyſer und Hecla . Den Oberbefehl über die Schiffe führte der auf dem Geyſer eingeſchiffte Commandeur Garde. Chriſtian VIII. wurde vom Kapitän Paludan, die Gefion vom Kapitän Meyer commandirt. Die Beſatzungs - ſtärke des Geſchwaders belief ſich auf ungefähr 1500 Mann; ſeine Beſtimmung war, mit den däniſchen Landtruppen zu coope - riren, die von den Schleswig-Holſteinern bei Eckernförde provi - ſoriſch erbauten beiden Strandbatterien zu zerſtören und danach im Rücken der nach Jütland vorgedrungenen deutſchen Truppen Eckernförde ſelbſt zu beſetzen.

Am 4. April erſchienen gegen Abend plötzlich Chriſtian VIII. und Gefion in der Mündung der Bucht und unter - warfen die Ufer einer genauen Recognoscirung. Sie näherten ſich jedoch den Schanzen und der Stadt nicht bis auf Schuß -R. Werner, Erinnerungen. 12178Wernerweite, ſondern kreuzten nach Erreichung ihres Zweckes gegen den herrſchenden Oſtwind wieder aus der Bucht, um ſich draußen mit den beiden wartenden Dampfſchiffen zu vereinigen.

Die Bewohner der Stadt geriethen natürlich in große Auf - regung. Es war als gewiß anzunehmen, daß die Dänen am andern Morgen wiederkehren und daß dann ein harter Kampf bevorſtehen würde, deſſen Ausgang für Eckernförde verhängniß - voll werden konnte und vorausſichtlich werden mußte. Die beiden großen Schiffe führten zuſammen 132 Geſchütze ſchwerſten Ka - libers und es ſtanden ihnen nur zwei kleine Erdwerke von zu - ſammen zehn Geſchützen gegenüber.

Nach den bisherigen Erfahrungen von Schiffskämpfen gegen Strandbatterien würden dieſe durch das feindliche Maſſenfeuer vernichtet und dem Erdboden gleich gemacht werden, und dann war auch Eckernförde verloren. Zwar wurde durch den Herzog Ernſt von Coburg-Gotha, der den Oberbefehl über die in und um Eckernförde ſtehenden deutſchen Streitkräfte führte, noch eine naſſauiſche Feldbatterie herangezogen, aber was bedeuteten ihre ſchwachen Sechspfünder gegen die gewaltigen Feuerſchlünde der Schiffscoloſſe, und ebenſo wenig vermochte das zum Schutze der Stadt beſtimmte Thüringiſche Infanteriebatail - lon irgendwie das drohende Unheil abzuwenden.

Nach Zerſtörung der Schanzen konnten die Dänen, unter dem Schutze ihrer Kanonen, eine beliebige Anzahl Truppen an jedem ihnen convenirenden Punkte der Bucht landen. Die Beſorgniß der Bevölkerung war deshalb nicht unbegründet, wenngleich die braven Truppen das bange Gefühl der Stadt - bewohner keineswegs theilten. Sie brannten im Gegentheil vor Kampfbegier und konnten die Zeit nicht erwarten, um ſich trotz ihrer Schwäche mit dem ſo gewaltig überlegenen Feinde zu meſſen.

Am andern Morgen mit Tagesanbruch raſſelten Trom - melwirbel in den Straßen der Stadt, deren geängſtigte Ein -179Die deutſche Marine 1848 1852wohner größtentheils gar nicht zur Ruhe gegangen waren. Es ward Generalmarſch geſchlagen, die Infanterie eilte zu ihren Sammelplätzen, die Kanoniere beſetzten ihre Schanzen. Die nördliche wurde vom Hauptmann Jungmann, einem früheren preußiſchen Artillerieofficier, die ſüdliche von dem Unterofficier von Preußer, einem Schleswig-Holſteiner, befehligt; die Bedie - nungsmannſchaften waren Schleswig-Holſteiner, deren größter Theil erſt ſeit wenigen Monaten diente. Der Tag verſprach ſchön zu werden. Der Himmel war unbewölkt, die Sonne ent - ſtieg ſtrahlend dem Meere, der Oſtwind blies in die Bucht und die lichtgrünen Wellen tanzten luſtig und von weißem Schaum gekrönt in der friſchen Brieſe. Es war ein Bild des Friedens, das ſich dem Blicke bot doch wie bald ſollte es ſich wandeln in wildes Kampfgewühl, wie bald ſollten die klaren Wogen ſich röthen vom Blut und das goldne Antlitz der Sonne in ſchwar - zem Pulverdampf ſich trauernd verhüllen!

Gegen ſechs Uhr Morgens ſah man die vier feindlichen Schiffe am fernen Horizonte aus dem leichten Morgennebel emportauchen. Die beiden Dampfer blieben im Eingange der Bucht zurück; die Segler nahmen Curs auf die Stadt, Chri - ſtian VIII. leitete, die Gefion folgte in ſeinem Kielwaſſer. Stolz flatterte der Dannebrog im Winde und drohend blickten die Geſchützrohre aus den Pforten. Näher und näher kamen die beiden Schiffe, bange Stille herrſchte in der Stadt, auf den Gemüthern lagerte es wie Gewitterſchwüle; in den Schan - zen jedoch erwartete man muthigen Herzens und feſten Auges den Feind, der unter vollen Segeln heranſteuerte.

Gegen ſieben Uhr hatte dieſer ſein Ziel erreicht und war nur noch wenige Hundert Schritte von der Nordſchanze ent - fernt. Da erkrachte es auf einmal, als ob die Erde ſich ſpalten ſollte. Die zweiundvierzig Feuerſchlünde der Steuerbordſeite des Linienſchiffes entluden ſich gleichzeitig, ein Hagel von Ge - ſchoſſen ſauſte pfeifend und ziſchend gegen die Schanze und einige12*180WernerMinuten ſpäter folgte, kaum weniger furchtbar, die Breitſeite der Gefion. Die Schlacht hatte begonnen, der eherne Tritt des Kriegsgottes ließ die Luft erdröhnen und erfüllte die Herzen der Zuſchauer mit bangem Schrecken. Jetzt bogen beide Schiffe um, gaben der etwas weiter entfernten Südſchanze eine andere Breitſeite und entzogen ſich dann für kurze Zeit in einer dichten Wolke den angſterfüllten Blicken der Stadtbewohner.

Als der Wind den Pulverdampf verwehte, lagen ſie vor Anker, Chriſtian VIII. weiter ſüdlich, die Gefion in Kernſchuß - weite der Nordſchanze. Offenbar hatte man nicht anders ge - glaubt, als daß die beiden Werke durch das Höllenfeuer vom Erdboden vertilgt oder wenigſtens gänzlich kampfunfähig gemacht worden ſeien, da ſie ſonſt wohl nicht ein ſo gewagtes Manöver ausgeführt und mit auflandigem Winde an einer Stelle ſo tief in der Bucht vor Anker gegangen wären, wo die Nähe des Ufers ein nothwendig werdendes Unterſegel-Gehen ſehr erſchweren mußte.

Bald ſahen die Dänen auch den gemachten ſchweren Fehler ein. Beim Ankern war das Linienſchiff etwas getrieben und dem Ufer ſo nahe gekommen, daß ſein Steuerruder bereits den Grund berührte, und als ſich auch von den Schanzen die ſchwarze Rauchwolke hob, da zeigten ſich dieſe zwar nicht unverletzt, ver - ſchiedene ihrer Geſchütze waren beſchädigt, auch ihre Erdwälle hatten gelitten indeß keineswegs in dem Maße, wie die Dänen in Ueberſchätzung ihrer Streitmittel erwartet.

Von den Bedienungsmannſchaften war Niemand gefallen, nur ein kleiner Theil verwundet, und bald zeigten die tapferen Kanoniere, daß Furcht und Muthloſigkeit, auch einer ſo gewalti - gen Macht gegenüber, in ihrer Bruſt keinen Raum hatte. Ihre Geſchütze ſpieen auf die kurze Entfernung Tod und Verderben und riſſen in die dichtgedrängte Mannſchaft an Bord der Schiffe furchtbare Lücken. Die Dänen kämpften verzweiflungsvoll; Lage um Lage ſchmetterten ſie den Schanzen entgegen, aber es ſchien,181Die deutſche Marine 1848 1852als ob dieſe gefeit ſeien. Trotz der Tauſende von Geſchoſſen, die ſie überſchütteten, wurden ſie weder zum Schweigen gebracht noch eines ihrer Geſchütze dauernd außer Gefecht geſetzt. Gar oft zwar wurde eines oder das andere getroffen, aber immer gelang es, den Schaden wieder auszubeſſern und von Neuem ſprühte es dem erſchreckten Feinde ſeinen tödtlichen Inhalt ent - gegen.

Gegen elf Uhr hatte die Gefion ſchon bedeutend gelitten; ſie lag im Kreuzfeuer beider Batterien und ihre Todten und Verwundeten beliefen ſich bereits auf ein Viertheil der Beſatzung. Auf ein Signal von ihr kam der Geſchwaderchef Garde mit dem Geyſer in die Bucht hinein, um die Fregatte aus ihrer ver - zweifelten Lage zu befreien. Schon befand ſich der Dampfer in nächſter Nähe des unglücklichen Schiffes; es wurden Anſtalten gemacht, um das Bugſiertau an Bord zu geben; wenige Minu - ten länger und die Gefion wäre gerettet geweſen da ſchlug eine aus der Nordſchanze kommende Kugel in den Radkaſten des Geyſer und vereitelte den Verſuch. Der Schuß war von dem Gefreiten Wommelsdorf gegeben worden, er beſiegelte das Schickſal der Gefion . Der Geyſer war ſo beſchädigt, daß er ſofort Kehrt machen und von dem Hecla in’s Schlepptau genommen werden mußte.

Kapitän Paludan gewann die Ueberzeugung, daß ſowol ſein Schiff, wie die Gefion verloren waren; Hauptmann Jungmann hatte begonnen, mit glühenden Kugeln zu feuern und mehrere der - ſelben waren nur mit großer Mühe aus dem Rumpf des Chriſtian VIII. zu entfernen geweſen. Paludan ließ deshalb kurz nach zwölf Uhr die Parlamentärflagge aufziehen und ſandte nach Einſtellung des Feuers einen Seeofficier mit der peremptori ſchen Forderung an’s Land, ſofort die Schanzen zu räumen und die beiden Schiffe ungehindert ziehen zu laſſen, widrigenfalls die Stadt in Brand geſchoſſen werden würde. Doch die Botſchaft ver - fehlte ihren Zweck; trotz der drohenden Form erklang es aus182Wernerihr wie ein letzter Schrei der Verzweiflung. Es mußte ſchlimm mit den Schiffen ſtehen, wenn man einen völkerrechtswidrigen Act in Ausſicht ſtellte, um ihren Abzug zu erzwingen. Die Bürger von Eckernförde legten deshalb, ſelbſt auf die Gefahr hin, ihre ſchutzloſe Stadt in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandelt zu ſehen, die Entſcheidung über die Forderung der Dänen in die Hände der oberſten Militärbehörde, und ſahen reſignirt der Zukunft entgegen.

Der Herzog von Coburg wies die Forderung entſchieden ab und bewilligte Paludan nur eine zweiſtündige Waffenruhe, die von beiden Seiten zur Ausbeſſerung der erlittenen Schäden benutzt wurde. Dann begann der Kampf auf’s Neue und heftiger als zuvor, aber das Geſchick wandte ſich immer ver - hängnißvoller gegen die Dänen. Die Südſchanze feuerte eben - falls mit glühenden Kugeln auf das Linienſchiff und weihte es damit dem Verderben. Der Wind war etwas nördlicher gegangen, und die Gefion drehte der Preußerſchen Batterie mehr ihr Heck zu. Infolge deſſen wurde ſie der Länge nach beſchoſſen und verlor furchtbar an Menſchen; von ihren beiden hintern Ge - ſchützen mähten die Kugeln der Südſchanze dreimal die Be - dienungen nieder. Auch die Naſſauer Feldbatterie griff ver - heerend mit ihrem Feuer ein, obwol ſie wegen des kleinen Kalibers ihrer Geſchütze nicht ſo todtbringend wirkte, wie die der beiden Schanzen.

Alle Bemühungen Paludan’s, um ſein Schiff wieder in tieferes Waſſer zu bringen, blieben erfolglos. Er ſignaliſirte der Gefion, ihm ein Kabeltau zu ſchicken, um ſich damit vom Strande abzuholen, dem der ſtets wachſende Oſtwind das Linienſchiff immer näher gedrängt hatte. Das Boot mit dem Tau hatte bereits den größten Theil des Wegs zurückgelegt, da wurde es von einer Kugel aus der Südbatterie getroffen und ſank mit ſeiner Laſt und ſeiner Bemannung in die Tiefe.

Auch der letzte Verſuch Paludan’s mißlang und das Un -183Die deutſche Marine 1848 1852glück heftete ſich immer drohender an ſeine Ferſen. Der Wind war zwar ſtärker geworden, aber, wie bemerkt, etwas nach Norden herumgegangen, ſo daß es möglich ſchien, mit dem Schiffe abzukreuzen und das freie Fahrwaſſer der Bucht zu ge - winnen. Unter dem heftigſten Feuer der deutſchen Batterien wurden Segel geſetzt und die Ankerkette gelöſt, da wollte es das böſe Geſchick der Dänen, daß auch dieſe letzte Hoffnung vereitelt werden ſollte. Im hinterſten Maſte des Chriſtian VIII. waren Scharfſchützen poſtirt worden, um auf die Geſchütz - bedienungen am Lande zu feuern. Namentlich wurde die ohne Deckung zwiſchen Stadt und Nordſchanze aufgeſtellte Naſſauiſche Feldbatterie unter Hauptmann Müller ſehr von ihnen beläſtigt. Um ſich ihrer zu entledigen, ließ der Batteriechef ein Geſchütz mit Kartätſchen laden und auf die Kreuzmars richten, wo jene ſtan - den. Dieſer Schuß fiel gerade in dem Augenblicke, als das Linienſchiff ſich vorwärts zu bewegen begann, und er war es, der letzteres in die Gewalt der Deutſchen brachte. Die Kartät - ſchen erfüllten nicht nur ihren Zweck, die Scharfſchützen zu ver - treiben, ſondern ſie zerriſſen auch verſchiedene wichtige Taue und Segel. Dadurch verlor das Schiff ſeine Segel - und Steuerkraft, drehte infolge deſſen mit dem Vordertheile ver - kehrt in den Wind und gerieth ſo feſt auf den Grund, daß an ein Wiederabkommen nicht zu denken war und es auch mit ſeinen Geſchützen die Schanzen nicht mehr beſtreichen konnte, während es ſelbſt ſich im heftigſten Kreuzfeuer derſelben befand.

Die glühenden Kugeln hatten Chriſtian VIII. an ver - ſchiedenen Stellen in Brand geſteckt, ohne daß es gelungen war, an den Heerd des Feuers zu kommen und daſſelbe zu löſchen. Wurde der Kampf fortgeſetzt, ſo ſtand auch der Gefion daſſelbe Schickſal bevor. Die Todten und Verwundeten zählten, nament - lich auf letzterem Schiffe, bereits nach Hunderten, die deut - ſchen Schanzen aber hatten nicht viel mehr gelitten, als am Vormittage und faſt jeder ihrer Schüſſe brachte Vernichtung. 184WernerWas half alle Tapferkeit und Todesverachtung der Schiffs - beſatzungen, die im Blute ihrer Kameraden thatſächlich wateten und dennoch willig und ohne Zagen die geriſſenen Lücken aus - füllten, um mit zerſchmetterten Gliedern in den nächſten Minuten ſelbſt einen zwar heldenhaften aber nutzloſen Tod zu finden. Zuſehends erfüllte ſich das traurige Geſchick, Rettung war nicht möglich, an Hülfe von außen nicht zu denken; es wäre ein Ver - brechen geweſen, das Gefecht länger fortzuführen und noch mehr Menſchen zu opfern, und ſo gab denn der unglückliche Kapitän um fünfeinhalb Uhr Abends den Befehl, die Flagge zu ſtreichen.

Der ſtolze Dannebrog ſenkte ſich von der Gaffel, der Ge - ſchützdonner verſtummte, die Schlacht war für die Deutſchen gewonnen. Vieltauſendſtimmiger Jubel der am Lande ver - ſammelten Zuſchauer erſchallte; aus Schleswig, Rendsburg, Kiel und der ganzen Umgegend waren ſie gekommen, herbei - gerufen durch die furchtbare Kanonade, die den ganzen Tag auf viele Meilen weit den Donner der Geſchütze durch das Land getragen. Stundenlang hatten ſie zwiſchen Furcht und Hoff - nung geſchwebt, gar oft hatte es geſchienen, als ob die Schanzen unterliegen ſollten und nun waren ſie glänzend als Sieger aus dem wüthenden ungleichen Kampfe hervorgegangen und hatten die deutſchen Waffen mit unvergänglichem Ruhme bedeckt.

Und die Sieger ſelbſt? Wie ſeltſam contraſtirte mit dem lauten Jubel die ſchweigende Ruhe der Kanoniere! Mit ver - ſchränkten Armen und von Pulverrauch geſchwärzten Geſichtern ſtanden ſie da an ihren Geſchützen und blickten mit ſtiller Be - friedigung auf die Trophäen, die ſie durch ihre Kaltblütigkeit und Tapferkeit unter der Leitung ihrer heldenmüthigen Führer heute dem Vaterlande errungen hatten, wenngleich die Mehrzahl die ganze Größe und Bedeutung des erfochtenen Sieges gar nicht zu verſtehen ſchien.

Die bisherige Seekriegsgeſchichte hatte ſolche Reſultate, wie der 5. April ſie gebracht, noch nicht aufzuweiſen. Zwei Schlacht -185Die deutſche Marine 1848 1852ſchiffe, welche in damaliger Zeit Strandbatterien gegenüber für unüberwindlich gehalten wurden, mußten ſich einer Hand voll kühner Artilleriſten ergeben, und dieſe hatten nicht einmal nam - hafte Verluſte erlitten. Freilich war dabei in Betracht zu ziehen, daß die Dänen von ſeltenem Unglück verfolgt wurden. Ein verhängnißvoller Fehler war es geweſen, daß Paludan die Schiffe bei einem grade in die Bucht wehendem Winde gleich ſoweit hineinführte und dadurch ihre Bewegungsfähigkeit lähmte, aber als ganz beſonderes Mißgeſchick muß es bezeichnet werden, daß der Geyſer zerſchoſſen, das Boot der Gefion mit dem Bugſirtau in den Grund gebohrt ward und ſchließlich der Kartätſchſchuß der Naſſauiſchen Batterie das Entkommen des Linienſchiffes unmöglich machte.

Inzwiſchen verrieth die aus letzterem in immer größerer Dichtigkeit hervorquellende Rauchwolke, daß das an Bord aus - gebrochene Feuer bedeutender ſei, als man geglaubt. Schleunige Hülfe war geboten und nach gethaner Blutarbeit galt es die von ihr verſchonten Feinde dem Leben zu erhalten. Alle vor - handenen Boote wurden in Thätigkeit geſetzt, um zunächſt die am meiſten gefährdete Beſatzung des Linienſchiffes an’s Land zu ſchaffen und der tapfere Unterofficier Preußer ſtand dabei mit ſeinen Kanonieren in erſter Reihe.

Erſchütternd war der Anblick, als die von dem heißen Kampfe des Tages bis zum Tode erſchöpften däniſchen Kriegsgefangenen durch die glänzend illuminirten Straßen der Stadt geführt wur - den, um in Kirche und Schule einquartiert zu werden. Von allen Seiten eilten die Bürger herbei, um ſie mit Speiſe und Trank zu erquicken. Paludan hatte ſeine Drohung nicht wahr gemacht und kein einziges Geſchoß war abſichtlich in die Stadt gefallen; deshalb herrſchte auch keinerlei Erbitterung gegen die Beſiegten, man ſchenkte vielmehr ihrem herben Geſchick Be - dauern und ehrte ihre Tapferkeit. Bevor jedoch noch alle Ge - fangenen ausgeſchifft waren, erdröhnte plötzlich ein furchtbarer186WernerKnall. Aus einer dunklen Rauchwolke züngelte eine gewaltige Feuergarbe zum Firmament empor, Tauſende von Granaten, Raketen und andern Munitionskörpern durchſauſten die Luft und zogen wie Meteore glühende Streifen durch die Nacht Chriſtian VIII. war in die Luft geflogen. Das Feuer hatte die Pulverkammer erreicht und die furchtbare Kataſtrophe herbei - geführt. Zweihundert Mann der Beſatzung, welche noch nicht hatten abgeholt werden können, verloren durch die Exploſion ihr Leben. Doch auch mit dieſem ſchweren Opfer war der Kriegs - gott noch nicht zufrieden geweſen Preußer, der mit ſeinen Kanonieren bereits Hunderte von Gefangenen an’s Land gebracht, war eben im Begriff, wieder mit einer Anzahl derſelben von dem brennenden Schiffe abzuſtoßen, als ihn der Tod ereilte. Mit den Trümmern der Boote ſanken er und ſeine Leute zer - ſchmettert in die Tiefe.

Die Exploſion war eine ſo gewaltige geweſen, daß man ſogar in der Stadt Schleswig den Luftdruck deutlich fühlte. Am nächſten Tage fand man Schiffstheile, Waffen und andere Gegenſtände, die bis zu unglaublichen Entfernungen weſtwärts von der Stadt geflogen waren.

Die Neugierigen, welche aus der Umgebung Nachts und früh Morgens am 6. April nach Eckernförde kamen, fanden die Stadt wie ausgeſtorben. Die Abſpannung der Bevölkerung war nach den ungemeinen Aufregungen der letzten 48 Stunden eine ſo große, daß Alles ſich todtmüde zur Ruhe begeben hatte und unbeſorgt um die däniſchen Kriegsgefangenen im tiefſten Schlum - mer lag. Den Letzteren wäre es ein Leichtes geweſen, die beiden ſchlaftrunkenen Poſten, von denen ſie allein bewacht wur - den, zu überwältigen und unbehelligt durch die Stadt nach Nor - den zu marſchiren.

Die Gefion , deren Batterie ein grauenvolles Bild der Zerſtörung bot und in dem ſich Leiche auf Leiche thürmte, wurde zunächſt von Officieren und Mannſchaften der im Kieler Hafen187Die deutſche Marine 1848 1852ſtationirten Schleswig-Holſteiniſchen Flotille beſetzt. Sie hatte weit mehr als Chriſtian VIII. gelitten und über 80 Todte, während erſterer bis zur Exploſion nur einige 60 zählte. Auf beiden Schiffen befanden ſich außerdem noch nahe an 100 Ver - wundete und über 900 Mann wurden zu Gefangenen gemacht. Der deutſche Verluſt war dagegen verſchwindend zu nennen; er belief ſich nur auf 4 Todte und 17 Verwundete, und ſeine Geringfügigkeit iſt faſt unbegreiflich zu nennen, wenn man bedenkt, daß die Be - ſatzungen der beiden deutſchen Schanzen faſt acht Stunden lang dem mörderiſchen Feuer von 132 ſchweren Geſchützen auf wenige Hundert Schritte Entfernung ausgeſetzt waren.

In ganz Deutſchland rief der Tag von Eckernförde eine enthu - ſiaſtiſche Freude hervor und nicht am wenigſten auf der deutſchen Marine. War der Verluſt ſeiner beiden ſchönſten und kriegstüchtig - ſten Schiffe für Dänemark ein Schlag, den es nicht ſo bald ver - winden konnte und der ſeine Seemächtigkeit Deutſchland gegen - über wenigſtens auf längere Zeit hinaus weſentlich ſchwächte, ſo durfte der uns daraus erwachſende Gewinn ſowol in materiel - ler wie moraliſcher Beziehung nicht hoch genug veranſchlagt werden.

Durch die glorreiche Action wurde das faſt erkaltete Intereſſe für die deutſche Marine in der Bevölkerung wieder lebhaft angeregt und dadurch ein Druck auf die Regierun - gen ausgeübt. Ein großer Theil derſelben hatte, unter dem Einfluſſe der herrſchenden reactionären Strömung, mit ſcheelem Auge auf die nach ihrer Anſicht revolutionäre Schöpfung geblickt, und ſich aus dieſen wie aus andern Gründen der Verpflich - tung zur Beitragsleiſtung entzogen. Ende März war es bereits ſo weit gekommen, daß der fällige Sold für die Marinemannſchaften nicht mehr ausgezahlt werden konnte. Infolge deſſen gaben ſich auf verſchiedenen Schiffen Zeichen der Indisciplin kund, und nur mit großer Mühe gelang es den Officieren, die Leute zu beſchwichtigen und zu ihrer Pflicht zurückzuführen.

Jetzt nach dem glänzenden Siege, den die ganze Nation188Wernerauf das Lebhafteſte mitempfand, hielten es die verſchiede - nen ſäumigen Staaten doch für angemeſſen, die rückſtändigen Matricularbeiträge einzuliefern, und ſo wurde die Klippe, an der ſchon damals die Marine zu ſcheitern drohte, noch einmal glücklich umſchifft. Für uns in der Marine Stehende war der 5. April aber auch deshalb von größter Wichtigkeit, weil wir damit in den Beſitz eines Kriegsſchiffes gelangten, das, abge - ſehen von ſeiner Größe und ſeinem für damalige Verhältniſſe bedeutenden Kriegswerthe, nach allen Richtungen hin als Modell gelten durfte. Die Gefion war deshalb für die deutſche Flotte eine koſtbare Aquiſition. Sie hatte zwar in dem Kampfe ſo bedeutend gelitten, daß ſie in den nächſten Monaten nicht activ verwendet werden konnte, allein das beeinträchtigte ihren ſpäteren Werth für uns nicht, und als ſie bald darauf von der Centralgewalt übernommen und die ſchwarzrothgoldene Flagge auf ihr geheißt wurde, da war das ein Jubel - und Freudentag für die ganze Marine.

Wir glaubten in der ſo heiß erſtrittenen Trophäe deutſcher Tapferkeit ein Pfand zu beſitzen, das die deutſche Nation nicht wieder von ſich laſſen würde und hielten jetzt die Fortexiſtenz der Flotte, an der ſelbſt wir jüngeren Officiere bisweilen leiſe Zweifel zu hegen begannen, für geſichert. Dies Gefühl wirkte auf alle Verhältniſſe günſtig zurück. Wir brannten vor Verlangen, uns mit den Dänen zu meſſen und, wie wir natür - lich vorausſetzten, ebenfalls Lorbeeren zu pflücken. Mit wahrem Feuereifer wurde das neue Geſchütz-Exercirreglement auswendig gelernt, und Jeder that ſein Beſtes, um ſich nach allen Rich - tungen für die kommenden Gefechte vorzubereiten. An Bord der fertig ausgerüſteten Corvetten Hamburg und Lübeck gelang dies auch völlig, und Ende April waren dieſe beiden Schiffe, wenigſtens was ihre Beſatzung betraf, ſo kriegstüchtig, daß ſie unbedingt in den Kampf ziehen konnten, da ſie auch ſchon eine Schießübung abgehalten hatten. Auf dem Barbaroſſa zögerte189Die deutſche Marine 1848 1852ſich jedoch die Sache wegen verſpäteten Eintreffens der in Eng - land gefertigten Kriegsausrüſtung noch länger hin und erſt Ende Mai wurde das Schiff einigermaßen ſeefertig. Leider ſtand es mit der Kriegsbereitſchaft nicht ſo gut. Der Commandant des Barbaroſſa war ein alter gutmüthiger, aber ſonſt ziemlich un - fähiger Engländer. Er war Kapitän eines der vom Hamburger Comité angekauften Dampfer geweſen und mit übernommen wor - den, weil er in früheren Zeiten einmal, wenn auch in untergeordne - ter Stellung, in der engliſchen Kriegsmarine gedient hatte. Als die amerikaniſchen Officiere ausblieben und ehe die Belgier ein - trafen, hatte man ihn zum Commandanten des Barbaroſſa ge - macht. Von dem militäriſchen Dienſte verſtand er jedoch herz - lich wenig, die Bedienung der Geſchütze war ihm gänzlich un - bekannt und blieb es deshalb Sache der Officiere, zu denen auch ich gehörte, ſich und die Mannſchaft weiter aus - und fort - zubilden.

Auf der Deutſchland , Hamburg und Lübeck befanden ſich die gewöhnlichen glattläufigen Geſchütze, welche nur Vollkugeln ſchoſſen und deren Bedienung verhältnißmäßig wenig Schwierig - keiten machte. Der Barbaroſſa war dagegen mit 68-Pfünder - Bombengeſchützen neuen Modells armirt, die von uns noch Niemand kannte. Wir ſuchten uns natürlich ſo gut wie möglich damit abzufinden und glaubten auch das Exercitium unſern Leuten in verhältnißmäßig kurzer Zeit ganz vortrefflich bei - gebracht zu haben, ſollten aber bald die unangenehme Erfahrung machen, daß Autodidacten trotz allen Fleißes leicht in verhängniß - volle Fehler verfallen.

Anfang Juni meldete unſer alter Kapitän, den wir trotz ſeiner Unbedeutendheit doch alle gern mochten, dem inzwiſchen zum Commodore ernannten Kapitän Brommy, unſerem Ober - befehlshaber, den Barbaroſſa kriegsbereit, und dieſer beſchloß am 4. Juni mit den drei Schiffen eine Recognoscirungsfahrt in See zu unternehmen. Daß für einen Ernſtkampf eine Schießübung,190Wernernamentlich mit Geſchützen neuen Modelles, eine unerläßliche Vor - bedingung ſei, davon hatte unſer Kapitän keine Ahnung; der Commodore hatte ſie wol vorausgeſetzt und wir jüngeren Offi - ciere waren artilleriſtiſch noch zu unerfahren, und glaubten, gutes Exercitium und Richtübungen ſeien genügend.

Es war ein herrlicher Sommertag und die Sonne ſchien warm vom wolkenloſen Himmel herab, als wir unter dem Hurrah Tauſender von Zuſchauern, welche die Ufer der Weſer beſäum - ten, die Rhede von Bremerhafen verließen, um ſeewärts zu dampfen. Der Barbaroſſa, das Flaggſchiff, mit dem Com - modore-Stander an der Spitze des Großmaſtes, führte, Hamburg und Lübeck folgten zu beiden Seiten, mit erſterem ein gleichſeitiges Dreieck bildend. Mit ſchneller Fahrt ging es den Strom hinab, aus den Schornſteinen quollen dunkle Rauch - ſäulen, die Radſchaufeln peitſchten die Fluthen und die Schiffe zogen ein breites ſchäumendes Kielwaſſer.

Um dem Feinde ein etwaiges Einlaufen in die Weſer zu wehren, waren alle Seezeichen entfernt, aber unſere tüchtigen Lootſen kannten trotzdem an ihren Landmarken das Fahrwaſſer ſo genau, daß wir mit ungehemmter Fahrt zwiſchen den Un - tiefen dahinflogen und bald die an der veränderten Waſſer - färbung kenntliche Mündung erreichten.

Die Nordſee das deutſche Meer, wie es die Eng - länder richtig bezeichnen, lag vor uns. Es herrſchte faſt völlige Windſtille; nur ein leiſer ſüdlicher Hauch kräuſelte hier und dort ganz leicht die ſonſt wie ein Spiegel ſich dehnende Meeres - fläche, in deren Smaragdgrün die Sonnenſtrahlen ſich badeten. Ein eigenthümlich erhebendes Gefühl ſchwellte unſere Bruſt. Das ſchwarzrothgoldene Banner mit dem Reichsadler, das Symbol neuerſtandener deutſcher Seemächtigkeit, flatterte zum erſten Male auf dem Meere und patriotiſcher Stolz ſchwellte unſere Herzen in dem Gedanken, daß wir uns möglicher Weiſe noch191Die deutſche Marine 1848 1852heute mit dem Feinde meſſen ſollten. Helgoland tauchte am fernen Horizonte auf; mit voller Kraft ſteuerten wir darauf hin.

Segler voraus , meldete der im Vortop des Barbaroſſa ſtationirte Ausguck, und Aller Augen richteten ſich auf den be - zeichneten Punkt. Nur drei Maſtſpitzen ragten aus dem Waſſer, aber bei unſerer ſchnellen Fahrt wuchſen ſie zuſehends empor. Bald hob ſich der Rumpf über die Meeresfläche und ließ keinen Zweifel, daß wir ein Kriegsſchiff vor uns hatten. Durch die Fernröhre unterſchieden wir die Flagge; es war der Dannebrog, das weiße Kreuz im rothen Felde, der von der Gaffel der Segel-Corvette Volkyrien wehte. Sie lag eine Meile ſüdlich von Helgoland; bei den ſchwankenden Bewegungen des Schiffes ſahen wir ihre Segel gegen Maſten und Stengen ſchlagen, ein Zeichen, daß ſie ſich in Windſtille befand und nicht manövrirfähig war.

Wie klopfte uns das Herz und mit welchem Jubel wurde das Signal des Flaggſchiffes aufgenommen, Curs auf den Feind zu ſetzen. Die Corvette war nur mit 12 kurzen 18-Pfündern armirt und ihre Beſatzung zählte noch nicht 200 Mann. Unſere drei Schiffe hatten zwar auch nur 12 Ge - ſchütze, aber davon führte der Barbaroſſa acht 68-pfündige Bombenkanonen, jede der beiden Corvetten einen langen 56 - und einen 32-Pfünder und unſere geſammte Beſatzung belief ſich nahe auf 400 Köpfe. Unter ſolchen Umſtänden unterlag es keinem Zweifel, daß ein Angriff unſrerſeits auf die Valkyrien mit vollem Erfolg gekrönt ſein mußte. Wir hatten es in der Hand, den faſt unbeweglichen Feind mit unſern weittragenden Geſchützen aus ſolcher Entfernung zu beſchießen, daß ſeine Ge - ſchoſſe uns nicht erreichten, um gegen die leichte Verletzbarkeit unſerer Maſchine geſichert zu ſein, und konnten ihn auf dieſe Weiſe zum Flaggenſtreichen zwingen.

Die Aufregung wuchs von Minute zu Minute je näher wir kamen und erreichte ihren Höhepunkt, als der Befehl ge - geben ward, die Schiffe fertig zum Gefecht zu machen. Der192WernerGeneralmarſch ertönte; die Mannſchaften waren wie electriſirt durch den Gedanken, an den Feind zu kommen und die Deutſch - land durch die Blockade angethanene Schmach zu rächen. Sie flogen förmlich auf ihre Poſten, unter ihren nervigen Armen bewegten ſich die ſchweren Geſchütze wie Kinderſpielzeug und waren im Nu fertig zum Laden.

Etwa zwei Meilen nördlich von Helgoland kamen noch zwei däniſche Fregatten in Sicht, und noch weiter hin zeichnete ſich die Rauchwolke eines Dampfers am Himmel ab, aber auch dort war Windſtille, die Segelſchiffe konnten nicht herankommen, dem Dampfer waren wir gewachſen und es wurde deshalb keine weitere Notiz davon genommen. Die Kartuſchen und Granaten wurden gebracht. Es ſollte von uns zum erſten Male ſcharf geſchoſſen werden.

Geladen! tönte das Commando.

Die Kartuſchen wurden in die Mündung geführt und die Anſetzer fertig gehalten.

Setzt an! Die beiden Lader ſchoben die Kartuſchen bis auf den Boden des Rohres und ſetzten ſie mit einem kurzen Stoße an.

Die Bewegungen waren ſo gleichmäßig und prompt wie bei der beſtexercirten Mannſchaft da aber ſtockte auf ein - mal das ganze Manöver. Die Anſetzer ſaßen in den Ge - ſchützen wie feſtgenagelt und waren auf keine Weiſe wieder herauszubekommen. Der zur Aufnahme der Kartuſche beſtimmte Ladungsraum im Rohr der Bombengeſchütze war koniſch geformt, der Kopf der Anſetzer aber cylindriſch. Die Exercirkartuſche füllte dieſen koniſchen Raum voll aus, die wirkliche Kartuſche aber nicht, und durch den Stoß hatten ſich die Anſetzer ſo ver - zweifelt feſtgeklemmt. Beim Exerciren kam dies nicht vor und unſere artilleriſtiſchen Erfahrungen waren, wie bemerkt, noch zu gering, um den Unterſchied vorher zu bedenken. Unter anderen Verhältniſſen würde die Situation lächerlich geweſen ſein, hier193Die deutſche Marine 1848 1852Angeſichts des Feindes war ſie jedoch ſehr ernſt; unſere Ent - fernung von ihm betrug kaum noch eine halbe Meile.

Die Maſchinen wurden geſtoppt und alle möglichen Mittel angewandt, um die Anſetzer wieder heraus zu holen, aber ver - gebens. Es blieb nichts übrig, als ſie heraus zu ſchießen. Was wol die Dänen gedacht haben mögen, als auf dem deut - ſchen Flaggſchiffe plötzlich ſämmtliche Geſchütze nach allen Himmels - richtungen abgefeuert wurden, ohne daß irgend wo das Ein - ſchlagen eines Geſchoſſes auf der glatten Meeresfläche ſich bemerk - lich machte? Das Manöver muß ihnen als unerklärliches Räthſel erſchienen ſein. Der Commodore machte ein ſehr zweifelhaftes Geſicht, die Meldung der Schlagfertigkeit des Schiffes ſtimmte gar nicht mit der eben gemachten Wahr - nehmung.

Die Anſetzer flogen natürlich zerſplittert in das Waſſer, doch glücklicher Weiſe fand ſich ein zweiter Satz an Bord. Im Augenblick waren die neuen an Deck gebracht und nach weni - gen Minuten hatten die Hobel der Zimmerleute ihnen die nöthige koniſche Form gegeben; der Schaden war damit reparirt. Aber - mals wurden die Kartuſchen angeſetzt; alles war jetzt in Ord - nung und die Maſchinen ſetzten ſich langſam in Bewegung, bis wir auf etwa 3500 Schritt herangekommen waren. Dann ſtoppten die Schiffe, das Feuer begann und wurde von der Valkyrien erwidert. Es war jedoch von beiden Seiten un - gefährlich. Die däniſchen Geſchoſſe erreichten uns lange nicht und unſere Granaten verfehlten auf die große Entfernung eben - falls ihr Ziel, was ja auch bei der Ungeübtheit der Mann - ſchaft im Scharfſchießen trotz allen Eifers und guten Willens nicht anders zu erwarten war. Uns Officieren gefiel aber dieſe Munitionsverſchwendung durchaus nicht. Voll Kampfesmuth wollten wir näher an den Feind und mit größter Ungeduld er - warteten wir den Befehl Voll Dampf voraus, der jedoch ausblieb.

R. Werner, Erinnerungen. 13194Werner

Das Geſchwader lief in offener Ordnung, d. h. es war den Schiffen nicht die Innehaltung einer genauen Poſition zu einander vorgeſchrieben. Dieſen Umſtand glaubte der Comman - dant der Hamburg benutzen zu dürfen, um ſich dem Feinde mehr zu nähern und ließ die Maſchine ſchneller anſchlagen. In dem Augenblicke jedoch, als die Corvette das Flaggſchiff paſſirte, fiel ein Kanonenſchuß von Helgoland.

Wo wollen ſie hin, Lieutenant Reichert? rief Brommy nach der Hamburg hinüber.

Ich will entern, Herr Commodore, tönte die Antwort des thatendurſtigen Commandanten zurück.

Machen Sie Signal: In die Elbe einlaufen, wandte Brommy ſich an ſeinen Flagglieutenant und das betreffende Signal Flagge No. 4 wehte nach wenigen Secunden vom Top des Maſtes.

Als der Befehl verſtanden war, folgte das Signal Feuer einſtellen. Das Ruder wurde Backbord gelegt, der Kopf der Schiffe drehte vom Feinde ab und der Elbmündung zu.

Wir ſtanden ſtarr und trauten kaum unſern Augen. Vor weni - gen Minuten noch war Jeder von uns feſt überzeugt, daß die Val - kyrien unſer ſei und jetzt ließen wir die ſichere Priſe ſchmählich im Stich und zogen wie kläffende Hunde von dannen. War das die Kraftprobe deutſcher Seemächtigkeit und durften wir nun noch ſtolz ſein, unter der ſchwarzrothgoldenen Flagge zu dienen? Wir koch - ten innerlich vor Wuth, übten äußerlich aber natürlich nur ſtum - men Gehorſam; dieſe Selbſtüberwindung unter den obwalten - den Umſtänden war gewiß ein Beweis für die gute Disciplin, welche an Bord der Schiffe herrſchte. Vergebens fragten wir uns, was der Grund dieſer plötzlichen Umkehr ſein könne und der Commodore mochte wol ſelbſt fühlen, daß er uns eine gewiſſe Aufklärung ſeiner uns unbegreiflichen Handlungsweiſe ſchuldig ſei. Wie erſtaunt und gleichzeitig im Innerſten empört waren wir aber, als wir von ihm erfuhren, daß der vorhin195Die deutſche Marine 1848 1852von Helgoland gefallene Schuß ihn zum Abbrechen des Gefechts beſtimmt habe. Jener Schuß hatte verkündet, daß die Valkyrien ſich auf neutralem Grunde, auf engliſchem Territorium befinde und hatte uns gewarnt, letzteres in feindlicher Abſicht zu be - ſchreiten.

Nach unſer aller Meinung und nach den genommenen Peilungen war der Däne fünf Seemeilen von der Inſel ent - fernt geweſen und von uns Officieren hätte ſich deshalb gewiß Niemand an den Schuß gekehrt, da nach den damaligen inter - nationalen Principien die Neutralitätsgrenze ſich nur bis auf Kanonenſchußweite erſtreckte, allein wir waren leider nicht maß - gebend und Brommy mußte wol anderer Meinung ſein. Viel - leicht hatte er ja auch Befehl von Frankfurt, den Engländern, welche mit ihren Sympathien ganz auf Seiten der Dänen ſtan - den, keinerlei Anlaß zu irgend welchen begründeten Klagen zu geben. Von Mangel an Muth konnte bei dem energiſchen Charakter des Mannes um ſo weniger die Rede ſein, als wir ſo bedeutend in der Uebermacht waren und der einzige Vorwurf, der ihm mit Berechtigung gemacht werden konnte, war wol der einer übertriebenen politiſchen Vorſicht, um der nach Innen ſchon ſo ohnmächtigen Centralgewalt nicht auch noch einen Conflict mit einer fremden Macht aufzuladen. Uns Officieren wollte freilich dieſer Standpunkt nicht einleuchten und wir waren der Anſicht, daß Brommy es darauf ankommen laſſen und die Valkyrien nehmen mußte.

Unſer Gefühl ſagte uns, daß der Commodore ſich eine Chance hatte entgehen laſſen, welche ſchwerlich je ſo günſtig wieder - kehren würde und dies Gefühl hatte uns nicht getäuſcht. Es war die einzige Chance, die ſich überhaupt bot, und daß wir ſie aus irgend welchen Gründen nicht benutzten, gab Anlaß, daß der deutſchen Marine ein Schimpf angethan wurde, der uns die Schamröthe in das Geſicht trieb.

Lord Palmerſton, der Freund Dänemarks, ließ wenige Tage13*196Wernernach der für uns ſo kläglich abgelaufenen Affaire durch die Times verkünden, es hätten ſich Schiffe mit ſchwarzrothgoldener Flagge in der Nähe von Helgoland gezeigt; ließen ſie ſich noch einmal ſehen, ſo würde er ſie durch engliſche Kriegsſchiffe als Piraten aufbringen laſſen.

Wahrlich, die Beleidigung war tödtlich und ſie brannte uns deutſchen Seeofficieren auf der Seele!

Die Centralgewalt nahm ſie ohne Weiteres hin und wagte nicht einmal einen papiernen Proteſt gegen dieſe Beſchimpfung der deutſchen Flagge. Damit war aber auch das Todesurtheil der Marine geſprochen. Sie mußte ſich verkriechen, durfte ſich nicht auf dem Meere ſehen laſſen, der Fluch der Lächerlichkeit ruhte auf ihr und ihre Auflöſung war nur noch eine Frage der Zeit.

Wie ganz anders geſtaltete ſich menſchlicher Vorausſicht nach aber die Sache, wenn Brommy die däniſche Corvette genommen und ſie in die Elbe gebracht hätte. Wie würde die Marine hoch in den Augen Deutſchlands dageſtanden haben! Nach einer ſolchen kriegeriſchen That würde es wenigſtens unmöglich ge - worden ſein, ſie unter den Hammer zu bringen und England, das vor allem mit Thatſachen zu rechnen und kriegeriſchen Muth zu würdigen verſteht, hätte es auch nicht gewagt, uns jene tödt - liche Beleidigung in das Geſicht zu ſchleudern.

Vierundzwanzig Jahre ſpäter hatten ſich freilich die Ver - hältniſſe weſentlich geändert. 1873 ſtellte ſich der Kapitän eines engliſchen Panzerſchiffes an der ſpaniſchen Küſte unter die Befehle eines Kapitäns, von deſſen Schiffe zwar nicht die ſchwarzrothgoldene, aber die ſchwarzweißrothe Flagge des deut - ſchen Reiches wehte. Dieſer Kapitän war damals Officier auf dem Barbaroſſa geweſen; er hatte den angethanen Schimpf nicht vergeſſen, erhielt aber jetzt eine Genugthuung dafür.

Wann wird endlich auch jene Schmach geſühnt werden,197Die deutſche Marine 1848 1852die dem deutſchen Reiche durch den engliſchen Beſitz Helgoland’s angethan iſt?

Ein Stück deutſcher Erde, von einem echt deutſchen Volks - ſtamme, den Frieſen, bewohnt, ſtets zu Schleswig-Holſtein ge - hörig, unmittelbar an unſerer Küſte gelegen und einſt ein Theil derſelben, der Schlüſſel zu unſeren größten Strömen befindet ſich in den Händen einer fremden Macht!

Nicht etwa materielle Gründe haben dieſe Macht bewogen, ſich 1814 die Inſel vom König von Dänemark, der gar kein Recht dazu beſaß, abtreten zu laſſen, denn ſie birgt keine Schätze, ſie iſt ein armes Fleckchen Fels und bringt nichts ein. Nein, lediglich das Verlangen an unſerer Nordſeeküſte eine feſte Poſition zu gewinnen, von der aus erſtere vollſtändig beherrſcht werden konnte, war der Grund der Annexion.

Damals war Deutſchland macht - und kraftlos und mußte ſich den Pfahl im Fleiſche gefallen laſſen ſeitdem aber hat es ſich Macht und Kraft erworben. Es iſt ein einiges Reich und eine Großmacht erſten Ranges geworden, und es dürfte deshalb wol an der Zeit ſein, die Inſel zurückzufordern, nicht allein aus nationalen, ſondern auch aus militäriſchen Gründen.

Helgoland iſt, wie bemerkt, der Schlüſſel zu unſern drei großen Waſſerſtraßen: Elbe, Weſer und Jade und beherrſcht überdies noch das Emsgebiet. Wird Deutſchland mit einer See - macht in einen Krieg verwickelt, ſo bildet die Inſel der letzteren die wirkſamſte Stütze für maritime Operationen gegen unſere Küſte. So lange das Leuchtfeuer auf Helgoland brennt, wird dem Feinde die Navigirung in der Helgoländer Bucht und eine Blockade unſerer Nordſeeküſte ungemein erleichtert. Ohne in unſerm Beſitze und geeignet armirt zu ſein, ſo daß wir unter dem Schutze ſeiner Batterien eine Abtheilung Kriegsfahrzeuge (Panzerkanonenboote und Torpedoboote) ſtationiren können, bietet die Inſel dem Gegner wenigſtens in der guten Jahres - zeit verhältnißmäßig geſicherte Ankerplätze, wo er Kohlen198Wernerauffüllen, Transportſchiffe hinlegen, ſeine Flotte ſammeln und von dort aus er in größerem Maßſtabe gegen unſere Ströme operiren kann, ſei es, um zunächſt deren äußere Rheden zu ge - winnen oder eine Landung zu verſuchen. Wir ſind gezwungen, zum Schutze unſerer Nordſeeküſte ganz bedeutend größere Ver - theidigungsmittel an Material und Perſonal zu unterhalten, und die Beſorgniß vor einer Forcirung unſerer Ströme und einer Invaſion kann gleichzeitig einen großen Theil unſerer Land - ſtreitkräfte lahm legen.

Dies alles änderte ſich aber ungemein zu unſern Gunſten, wenn Helgoland uns gehört und zweckmäßig armirt wird. Wir könnten nach Belieben das Feuer löſchen, mit Hülfe der Batterien und einer unter der Inſel, oder zwiſchen ihr und den Dünen ſtationirten Flottenabtheilung dem Feinde den einzigen Ankerplatz verbieten, den er an unſerer Nordſeeküſte findet. Wir hinderten ihn dadurch am Ergänzen ſeiner Kohlen, zwängen ihn, beſtän - dig unter Dampf zu liegen und nähmen ihm jede Operations - baſis für einen Angriff auf unſere Küſte und für eine Invaſion, da er unmöglich wagen darf, mit einer Transportflotte vor unſern Flußmündungen zu erſcheinen, wenn er unſere Torpedo - fahrzeuge und Panzerkanonenboote im Rücken hat. Den ſchlagend - ſten Beweis für dieſe Ausführungen hat der letzte franzöſiſche Krieg gegeben. Die franzöſiſche Flotte hielt ſich ſtets in un - mittelbarer Nähe der Inſel auf, Tags über gewöhnlich ſüdöſtlich von ihr und wenn die Witterung es erlaubte, vor Anker. Da - durch ſparte ſie Kohlen und ermöglichte ein längeres in See - bleiben, während ſie Nachts meiſtens nordweſtlich von der Inſel in drei bis vier Meilen Entfernung, aber in Sicht des Leucht - thurmes, die offene See hielt, gegen überraſchende Nachtangriffe unſererſeits ſich ziemlich geſichert ſah und doch was unge - mein wichtig für ſie war mit Hülfe des Feuers immer genau ihre Poſition kannte. Ebenſo konnten die Kohlenſchiffe ſüdlich von der Inſel ankern und die Panzerſchiffe mit friſchen Kohlen199Die deutſche Marine 1848 1852verſorgen. Dies ſetzte die Franzoſen in den Stand, mit den - ſelben zehn bis zwölf Schiffen Monate lang die Blockade der Elbe, Weſer und Jade aufrecht zu erhalten. War Helgoland jedoch in unſerem Beſitz, ſo lag die Sache ganz anders. Von Ankern und Kohlennehmen konnte dann keine Rede ſein und mit dem ausgelöſchten Leuchtfeuer wäre die Schiffahrt in der Helgo - länder Bucht für die Franzoſen Nachts nicht nur eine höchſt unbequeme, ſondern auch gefährliche geworden. Ohne Ankern und Kohlenergänzen hätten ſich ihre Panzer höchſtens acht bis zehn Tage in der Nähe unſerer Küſte halten können. Wollten ſie die Blockade aufrecht erhalten, ſo mußten ſie die doppelte Zahl von Schiffen haben, um ſich abzulöſen. Hatte es unſer Gegner aber damals ſchon für nöthig erachtet, den drei Panzerſchiffen, die 1870 unſern ganzen Reichthum ausmachten, die dreifache Anzahl entgegenzuſtellen, um uns in Schach zu halten, würde es ihm ſchwer geworden ſein, noch eine zweite ablöſende Flotte in Dienſt zu ſtellen, und wie die Stärkenverhältniſſe unſerer Marine jetzt ſind, könnte davon erſt recht nicht die Rede ſein.

In militäriſcher Beziehung liegen die Sachen mithin für uns folgendermaßen: So lange ſich Helgoland in fremden Händen befindet, ſind wir gezwungen, zur Sicherſtellung unſerer Nordſeeküſte eine verhältnißmäßig große Seemacht aufzuſtellen und trotzdem in zweiter Reihe noch Landtruppen zur Abwehr einer möglichen Invaſion in Reſerve zu halten, wenn wir es mit einem mächtigen Feinde oder einer Coalition zu thun haben.

Gehört dagegen die Inſel uns, ſo genügt ein Theil der jetzt nothwendigen maritimen Streitkräfte, um ſowol eine Blockade unmöglich zu machen, als auch einer Invaſion von der Nord - ſee aus jede Chance eines Gelingens zu nehmen, und dem - gemäß wird die Aufſtellung von Landtruppen entbehrlich. Da - durch erſpart im Frieden unſer Land nicht nur beträchtliche Summen, weil wir die Zahl der Schlachtſchiffe beſchränken200Wernerkönnen, ſondern wir ſind im Kriege auch in der glücklichen Lage, der Flotte allein die erfolgreiche Vertheidigung der Nordſeeküſte zu überlaſſen und die ſonſt dazu erforderlichen Landtruppen dem zu Land angreifenden Feinde entgegenzuwerfen.

Die militäriſche Aufgabe unſerer Flotte kann naturgemäß über - haupt nur die Sicherung unſerer Küſten und die Freihaltung unſerer beiden deutſchen Meere von Invaſion und Blockade ſein. Dar - über hinauszugehen wäre ein folgenſchwerer Irrthum. Außer - halb der Oſt - und Nordſee haben wir mit unſern Schlacht - ſchiffen für gewöhnlich nichts zu thun. Wir beſitzen keine Colonien, die wir gegen feindliche Angriffe zu vertheidigen hätten, noch können wir uns mit einer größeren Seemacht jen - ſeits des Canals im Ocean ſchlagen, da wir dort weder eine Operationsbaſis noch eine geſicherte Rückzugslinie haben. So - mit wird der Thätigkeit unſerer Flotte im Kriege zwar eine ziemlich enge Schranke gezogen, aber ihre Bedeutung für das Land nicht abgeſchwächt. Werden wir mit einer oder mehreren Landmächten, die zugleich Seemächte ſind, in Krieg verwickelt, ſo wird die Flotte nie direct eine Entſcheidung herbeiführen können. Dies muß ſtets der Armee vorbehalten bleiben, aber jene muß im Stande ſein, indirect ganz weſentlich zu einer ſolchen Entſcheidung beizutragen. Kann ſie unſere Küſten von Invaſion frei halten, ſo erfüllt ſie vollſtändig ihren Zweck; denn ſobald die Armee, möge ſie nach Oſten, Weſten oder Süden Front machen, ihre ganze Nordflanke durch die Marine gedeckt weiß, kann ſie 100,000 Mann mehr dem Feinde entgegen - ſtellen, und wir wiſſen aus dem letzten franzöſiſchen Kriege, was das bedeutet!

Unſere Flotte wird aber dieſer ihrer natürlichen Aufgabe gewachſen ſein, wenn die Vertheidigung der Nordſeeküſte nicht zu ſchwer auf ihr laſtet, und deshalb iſt für Deutſchland der Beſitz von Helgoland von ſo großer Bedeutung.

Außer dieſer militäriſchen fällt aber auch noch die handels -201Die deutſche Marine 1848 1852politiſche Seite ſehr in’s Gewicht. Die Anſeglung unſerer großen Ströme Elbe und Weſer, ſowie auch der Eider, welche letztere alljährlich von Tauſenden kleinerer Schiffe angelaufen wird, die ihren Weg durch den Eidercanal nach Oſten nehmen, iſt ſo gefährlich und koſtet ſo ſehr viel Opfer an Schiffen und Menſchenleben, daß es im dringenden Intereſſe des Handels und der Schiffahrt liegt, dort einen leicht zugänglichen Noth - und Zufluchtshafen zu haben, wo die Schiffe Schutz gegen ſchweres Wetter finden. Dies Bedürfniß wird ſich in noch weit dringenderer Weiſe nach dem Bau des Nordoſtſeecanals geltend machen, der doch nur eine Frage der Zeit iſt und der die jetzige Frequenz der Helgolander Bucht verzehnfacht.

Für einen ſolchen Zufluchtshafen iſt aber Helgoland nicht nur der geeignetſte, ſondern der einzig mögliche Punkt. So lange es ſich unter engliſcher Herrſchaft befindet, iſt natürlich nicht daran zu denken. Wie ſollte England auch dazu kommen, Mil - lionen für eine Anlage auszugeben, die immer nur zum kleine - ren Theile der eigenen Schiffahrt, im übrigen aber dem Concur - renten Deutſchland und andern Nationen zu Gute käme! Ein ſolcher Hafen iſt deshalb nur möglich, wenn Helgoland deutſch iſt, und auch nach dieſer Richtung koſtet uns die in fremdem Beſitz befindliche Inſel jährlich Hunderttauſende, die durch Strandungen und Havarien unſerm Nationalvermögen verloren gehen.

Deutſchland kann natürlich Helgolands halber keinen Krieg mit England anfangen. Wenn aber das deutſche Volk davon durchdrungen wäre, daß der engliſche Beſitz der Inſel für unſer Nationalgefühl nicht länger erträglich iſt, weil er eine beſtändige Drohung gegen uns ausſpricht, wenn es ſich bewußt bliebe, daß Helgoland in unſern Händen die Sicherheit unſerer Küſten gegen jeden feindlichen Angriff ganz ungemein erhöht, und daß uns dadurch, ſowie durch die Erbauung eines Noth - hafens im Laufe der Zeit Hunderte von Millionen erſpart202Wernerwerden, während England nichts dadurch verliert, ſo würde es gewiß einmüthig die Inſel fordern.

Mit einem ſolchen Rückhalte würde es der Diplomatie nicht ſchwer fallen, einen Weg zu ermitteln, der auf friedliche Weiſe zum Ziele führt, und England würde ſich auch ſchließlich nicht weigern, dem ſo berechtigten Verlangen einer befreundeten Nation Rechnung zu tragen. England hat Griechenland wieder in Beſitz der joniſchen Inſeln geſetzt, ebenſo gut kann es Helgo - land an Deutſchland zurückgeben, ohne daß ſein Preſtige dar - unter leidet.

Möchte das Lied vom deutſchen Helgoland, das Karl Tannen in Bremen bereits vor zwölf Jahren ſang, überall in ganz Deutſchland erklingen und jeden Deutſchen daran erinnern, daß die Inſel ein verlorenes Kind unſerer Mutter Germania iſt, welches wir zurückfordern müſſen und wollen.

Im Meer, im herrlich deutſchen Meer
Klagt Wind und Woge laut und ſchwer,
Und jede Welle trägt es fort
Von dem verlor’nen Kind das Wort
Roth is de Kant,
Witt is dat Sand,
Das iſt das deutſche Helgoland!
Germania, du Mutter mein!
Du ſammelſt deine Glieder ein;
Vergiß auch nicht dein kleinſtes Kind,
Umbrauſt von Wogendrang und Wind.
Roth is de Kant,
Witt is dat Sand,
Das iſt das deutſche Helgoland!
Und wie das Meer im Wandern ſchwillt,
Und wie die Fluth die Ströme füllt,
So ſchwillt das Wort und füllt das Herz
Mit Sehnſucht an und tiefem Schmerz.
203Die deutſche Marine 1848 1852
Roth is de Kant,
Witt is dat Sand,
Das iſt das deutſche Helgoland!
Biſt du auch arm, biſt du auch klein,
Denk ich als gute, Mutter dein,
Bis ich dich ſicher weiß da drauß,
Verlorenes Kind im Vaterhaus.
Roth is de Kant,
Witt is dat Sand
*Die Farben der Helgolander Flagge ſind grün, weiß, roth. Die Inſelbewohner leiten ſie von der Färbung ihres Eilandes ab. Sie drücken dies durch folgendes plattdeutſche Verschen aus:
Grön iſt de Strand,
Roth is de Kant,
Witt is dat Sand,
Dat ſind de Farben von Helgoland!
*,
Das iſt das deutſche Helgoland!

Unſer Geſchwader lief in die Elbe ein und wir kamen gegen Abend bei Cuxhafen an. Mit wie hochfliegenden Hoff - nungen war der Tag von uns begonnen und mit welchen bitte - ren Enttäuſchungen endete er. Unſere Stimmung war eine ſehr gedrückte und auch der Mannſchaft merkte man es deutlich an, daß ſie die Ereigniſſe des Tages ſchmerzlich empfand.

Wir blieben einige Tage auf der Elbe. Der däniſche Admiral Steen Bille hatte gelobt, er wolle uns nicht wieder hinauslaſſen, aber er konnte ſein Gelöbniß nicht halten; eine Liſt des Commodore machte ihm einen Strich durch die Rech - nung. Trotz der großen nautiſchen Unbequemlichkeiten hielt ſich Steen Bille mit zwei Fregatten und dem Geyſer ganz nahe vor der Elbmündung und uns unter ſcharfer Blockade, außer - dem wurde letzterer täglich bis in die Nähe von Cuxhafen geſchickt, um zu recognosciren. Ein Auslaufen war für uns deshalb ſchwierig, jedoch eine baldige Rückkehr nach Bremerhafen,204Wernerunſerem Stationsorte, aus verſchiedenen Gründen ſehr wünſchens - werth, und zwar mußte es am Tage geſchehen, da bei dem Fehlen aller Seezeichen Nachts die Paſſage der Strommündungen zu gefährlich war.

Leider hatten wir Urſache anzunehmen, daß die Dänen durch Spione von allen unſern Bewegungen genau unterrichtet waren und daß der Geyſer nur täglich in die Elbe lief, um von Fiſchern oder Leuten, die ſich dafür ausgaben, Nachrichten über unſer Geſchwader zu erhalten. Darauf baute jedoch Brommy gerade ſeinen Plan, der auch gelang.

Vom Auslaufen war keine Rede. Im Gegentheil, ſo ſchien es, beabſichtigten wir in der Elbe lange zu bleiben und uns den Aufenthalt recht angenehm zu machen, denn an Bord des Flaggſchiffes wurden große Vorbereitungen zu einem Balle getroffen, der am 14. Juni ſtattfinden ſollte und zu dem ſchon Hunderte von Einladungen nach Cuxhafen und Umgegend einige Tage zuvor ergangen waren. Die Feſtlichkeit verſprach glänzend zu werden; Bootsladungen voll Blumen und grüner Zweige wurden vom Lande geholt, um zur Ausſchmückung des auf dem Verdeck des Barbaroſſa improviſirten Ballſaales zu dienen, die Matroſen wanden Guirlanden und die Damen am Lande ſchwelgten im Vorgefühl des ſie erwartenden Ver - gnügens.

Bereits am Abend des 13. legte ſich die ebenfalls feſtlich geſchmückte Corvette Lübeck an das Bollwerk von Cuxhafen, um am andern Tage die geladene Geſellſchaft zunächſt zu einer Waſſerparthie einige Meilen ſtromaufwärts und dann auf den Barbaroſſa zu führen. Wie bitter war aber am nächſten Morgen die Enttäuſchung der Gäſte, als ſowol die Lübeck wie die beiden andern Schiffe ſpurlos verſchwunden waren. Wie zürnten die ſo ſchmählich hintergangenen ſchönen Tänzerinnen dem böſen Commodore, der ſolchen Spott mit ihnen getrieben, und erſt die Mittheilungen des in das Geheimniß eingeweihten205Die deutſche Marine 1848 1852Amtmanns von Cuxhafen vermochten die allgemeine Entrüſtung zu dämpfen und Troſt zu ſpenden.

Das angeſagte Ballfeſt war nur eine Kriegsliſt von Brommy geweſen. Wie er vorausgeſetzt, war Steen Bille, durch ſeine Spione davon benachrichtigt, in die Falle gegangen und hatte unter ſolchen Umſtänden geglaubt, ſich am 13. in etwas freieres Waſſer zurückziehen zu können, was ihm um ſo er - wünſchter kam, als friſcher Nordwind mit unſichtigem regneri - ſchem Wetter eingeſetzt hatte und den Aufenthalt nahe vor der Elbmündung ſehr unangenehm machte.

Das Geheimniß war von Brommy ſo gut bewahrt worden, daß auch von uns Officieren Niemand eine Ahnung davon hatte, und die Ueberraſchung für das ganze Geſchwader eben ſo groß war, wie für die Damen, als um Mitternacht ein Officier mit dem Befehle an die beiden andern Schiffe entſandt wurde, Dampf aufzumachen und ſich zum Fortgehen fertig zu halten.

Als der erſte Tagesſchimmer den Horizont färbte, lichteten wir Anker und dampften die Elbe hinunter. Das Wetter blieb uns günſtig, der Regen dauerte fort und der Ausblick war be - ſchränkt. Trotzdem war der däniſche Admiral nicht ſo weit zurück - gegangen, als Brommy gehofft hatte. Auf halbem Wege, zwi - ſchen der Elbe und Helgoland, trafen wir auf die Dänen und ſie machten ſofort Jagd auf uns.

Es waren die beiden Fregatten, welche wir am 4. geſehen hatten und der Geyſer . Sie verſäumten nichts, um uns zu erreichen und ſetzten ſo viel Segel, wie ſich irgend darauf hängen ließen, trotzdem gelang es ihnen nicht. Eine Zeit lang war die Jagd ſehr aufregend, und wir glaubten diesmal zu einem Nahgefechte gezwungen zu werden. Die Fregatten kamen mit halbem Winde auf uns herunter und näherten ſich zu - ſehends, da ſie bei der ſteifen Briſe ſchneller liefen als wir, aber ehe ſie auf Schußweite herangekommen waren, mußten ſie wegen der zwiſchen Elbe und Weſer liegenden Gründe, denen206Wernerwir mit unſern flacher gehenden Schiffen näher kommen konnten, ſchärfer an den Wind gehen und verloren dadurch an Fahrt. Der Geyſer verſuchte nun mit aller Kraft uns aufzulaufen und feuerte auf 4 5000 Schritt Granaten, die aber eben ſo wie die unſeren den Gegner nicht erreichten, ſondern in der Luft platzten und harmlos in das Waſſer fielen. Vor der Weſer drehte das däniſche Geſchwader um.

Daß Brommy diesmal das Gefecht nicht annahm, war ihm nicht zu verdenken. Wenn es den Fregatten gelang, uns unter ihre Breitſeiten zu bekommen, was bei der ſteifen Briſe leicht möglich war, ſo hätte eine glatte Lage wahrſcheinlich unſer Schickſal beſiegelt, da unſere Maſchinen ungeſchützt und größten - theils über Waſſer lagen allein trotz dieſer Ueberzeugung trug der ruhmloſe Tag nicht dazu bei, unſere Stimmung zu verbeſſern. Das Debüt der deutſchen Flotte war ein zu trau - riges geweſen, als daß wir noch mit Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft hätten blicken können.

Wir thaten auch fernerhin unſere Schuldigkeit, aber jeder höhere geiſtige Schwung war gelähmt. Die deutſche Flotte vegetirte ferner nur noch. Mit den Dänen kam ſie nicht wieder in Be - rührung, und ſo lange der Krieg währte, zeigte ſich die ſchwarz - rothgoldene Flagge nicht mehr in der Nordſee. Die Drohung Palmerſton’s hatte ihren Zweck erreicht. Die Centralgewalt und nachher der Bundestag beugten ihr Haupt vor dem eng - liſchen Premierminiſter und Brommy erhielt Befehl, mit ſeinen Schiffen hübſch fein zu Hauſe zu bleiben.

Die von Frankfurt übernommene und in Eckernförde umgetaufte Gefion war inzwiſchen dem Nordſeegeſchwader zu - getheilt worden. Bei näherer Unterſuchung nach dem Kampfe ſtellte ſich heraus, daß ſie doch ärger zuſammengeſchoſſen war, als es anfänglich den Anſchein hatte, und ſo verging bis zu ihrer völligen Reparatur eine geraume Zeit. Danach war ſie aber einige Male nahe daran, für Deutſchland wieder verloren207Die deutſche Marine 1848 1852zu gehen. In dem einen Falle wurde ſie nur durch eine energiſche That ihres erſten Officiers, in dem andern durch die ſchützende Hand Preußens vor dem ſichern Untergange bewahrt.

Ich habe bereits früher erwähnt, daß mit dem Ankauf der Corvetten Hamburg , Lübeck und Bremen auch zwei von den engliſchen Kapitänen übernommen wurden, von denen der eine Commandant des Barbaroſſa war. Dem zweiten über - trug Brommy den Befehl über die Eckernförde nach ihrer Wiederherſtellung. Nach Anſicht von uns deutſchen Officieren war dies aber ein entſchiedener Mißgriff, denn wir alle hatten Gelegenheit gehabt, den Engländer als einen wenig fähigen Mann kennen zu lernen, der mindeſtens für das ihm be - ſtimmte ſchwierige Commando gänzlich ungeeignet war. Glück - licher Weiſe wurde ihm ein erſter Officier zur Seite geſtellt, dem es nicht an Energie und Tüchtigkeit gebrach, der Schiffs - fähnrich Thaulow, ein geborner Nordſchleswiger. Daß Brommy ſelbſt dem Engländer nicht unbedingt Vertrauen ſchenkte, geht aus den an Thaulow gerichteten Abſchiedsworten hervor, als dieſer ſich zur Uebernahme ſeiner neuen Stellung bei ihm ab - meldete. Mit Ihrer Ehre und Ihrem Leben ſind Sie ver - antwortlich für die Erhaltung der Eckernförde , ſagte er zu ihm. Von einem Ausländer konnte er das freilich nicht verlangen, namentlich nicht unter ſo kritiſchen Umſtänden, unter denen die Fregatte, nur auf ſich ſelbſt angewieſen, unbeſchützt, in einem vom Feinde occupirten Lande und unter einer Flagge lag, hinter der nur die ohnmächtige Centralgewalt ſtand und der ſelbſt die neutralen Mächte die Anerkennung verſagten.

Und dennoch wäre auch der tüchtigſte Commandant den Verhältniſſen nicht gewachſen und das Schiff unbedingt verloren geweſen, wenn ihm nicht König Friedrich Wilhelm IV. nach der für Schleswig-Holſtein ſo unglücklichen Schlacht von Idſtedt die Genehmigung zur Führung der preußiſchen Kriegsflagge ertheilt und ein Detachement von hundert Soldaten unter Oberſt von208WernerSzymborski an Bord commandirt hätte, durch welche das Schiff bis zur Entſcheidung über das Beſitzrecht gegen däniſche Angriffe geſchützt werden ſollte.

Am 12. September 1850 machte General von Williſen einen letzten Verſuch, mit der ſchleswig-holſteiniſchen Armee bei Miſſunde den Uebergang über die Schlei zu forciren und die däniſche Armee aus Schleswig zu werfen. Dieſer Verſuch mißlang jedoch gänzlich, und ſchon gegen Abend drangen einzelne däniſche Soldaten mit den ſich nach Süden zurückziehenden ſchleswig-holſteiniſchen Truppen in die Stadt Eckernförde ein, während däniſche Kanonenboote ſich dicht vor die Fregatte Eckern - förde legten.

Am jenſeitigen nördlichen Ufer des Hafens fuhren die Dänen eine Feldbatterie auf, deren Geſchütze auf ihre Gefion gerichtet wurden, während dieſe, zur Documentirung ſtricter Neu - tralität, alle Geſchütze aus den Pforten gezogen und dieſelben längsſchiffs aufgeſtellt hatte. Als der däniſche Batteriechef je - doch unerwartet die preußiſche Flagge ſtatt der deutſchen an der Gaffel wehen ſah, nahm er Anſtand, das Schiff zu beſchießen. Dagegen eröffneten plötzlich die däniſchen Kanonenboote das Feuer aus ihren ſchweren Bombengeſchützen, ſcheinbar zunächſt auf die vor der Eckernförde über den Hafen führende Schwimm - brücke, dann aber direct auf die Fregatte, deren Bug von mehre - ren im Unterraum des Schiffes platzenden Granaten durchſchla - gen wurde, wenn es auch glücklicher Weiſe den Anſtrengungen der Officiere und Mannſchaften gelang die daraus entſtehende Feuersgefahr abzuwenden.

Als die Dänen ſahen, daß ihr Plan, die Eckernförde von ungefähr in Brand zu ſchießen, mißlang, ſteckten ſie ein unmittel - bar neben dem Schiffe befindliches großes Holzlager in Brand. Die Situation war eine höchſt gefährliche. Die dem Lande zu - gekehrte Seite der unmittelbar am Ufer liegenden Fregatte be - gann zu glühen, die Enden der Raaen und das Tauwerk fingen209Die deutſche Marine 1848 1852Feuer und nur die aufopferndſten Bemühungen der Beſatzung vermochten der beginnenden Zerſtörung Einhalt zu thun.

Der Commandant ſchien jedoch unbegreiflicher Weiſe alles aufzubieten, um die Abſichten der Dänen zu fördern. Den Oberſt von Szymborski veranlaßte er, unter dem Vorgeben, das Schiff ſei nicht mehr zu retten, mit ſeinem Detachement an Land zu gehen, um den bald zu erwartenden Rückzug der Beſatzung zu decken und dieſe aufzunehmen. Den in der Takelage mit Löſchverſuchen beſchäftigten Matroſen rief er auf engliſch (deutſch hatte er noch nicht gelernt) zu: Kommt herunter und laßt das Schiff zum Teufel brennen und dem erſten Officier verbot er, das Schiff weiter von der Brandſtätte abzuholen, wozu dieſer Ordre ertheilt hatte.

Das Schiff war unbedingt verloren, wenn den Befehlen des Commandanten Folge geleiſtet wurde. Der erſte Officier erkannte, daß der Moment gekommen ſei, wo er mit ſeiner Ehre und ſeinem Leben für die Erhaltung der Fregatte einzuſtehen habe, wie Admiral Brommy von ihm verlangt. Der Comman - dant hatte, wollte man nichts ſchlimmeres annehmen, unbe - dingt den Kopf verloren es war die höchſte Zeit zu han - deln, und Thaulow handelte. Er beſann ſich nicht lange; ein - gedenk ſeiner Pflicht gegen das Vaterland, kündigte er ohne weiteres dem Engländer den Gehorſam. Dieſer verſuchte den erſten Officier unter Deck und in Arreſt zu ſchicken, aber auch der zweite Officier, Schiffsfähnrich Neynaber, ſagte ihm den Ge - horſam auf; die Mannſchaft ſtand zu ihren deutſchen Officieren und der Commandant ſah, daß es um ſeine Autorität geſchehen ſei. Er war klug genug, die Sache nicht weiter zu treiben und ließ ſtillſchweigend die Fregatte aus dem Bereiche des brennenden Holzfeldes holen. Die Beſatzung arbeitete mit Aufbietung aller Kräfte an dem Löſchen des bereits an verſchiedenen Stellen brennenden Schiffes, und ſo gelang es, daſſelbe zu retten.

Am andern Morgen wurde zwiſchen Oberſt von Szym -R. Werner, Erinnerungen. 14210Wernerborski und dem Befehlshaber der däniſchen Artillerie die Ver - einbarung getroffen, daß die Neutralität der Eckernförde re - ſpectirt, das Schiff nebſt Beſatzung aber als blockirt angeſehen und vom Lande aus ſtreng bewacht werden ſolle. Am 15. Oc - tober 1850 wurde endlich über das fernere Geſchick des Schiffes Entſcheidung getroffen. An dieſem Tage traf an Bord ein von König Friedrich Wilhelm IV. entſandter preußiſcher Officier mit der für Officiere und Mannſchaft des Schiffes hoch erfreulichen Nachricht ein, daß laut eines zwiſchen Kopenhagen und Frank - furt abgeſchloſſenen Separatvertrages die Eckernförde deutſches Eigenthum bleiben ſolle.

Kurze Zeit darauf wurde das Schiff von Eckernförde nach der Lübecker Bucht übergeführt. In Lübeck ſchiffte ſich das preußiſche Detachement aus, aber die preußiſche Flagge blieb auf dem Schiffe zu ſeinem Schutze wehen. Gegen Ende November ging es nach der Nordſee ab und wurde am 30. d. M. unter Helgoland von der deutſchen Dampfcorvette Ernſt Auguſt , unter Commando des Lieutenants I. Claſſe Reichardt, in Em - pfang genommen, der zugleich den Befehl überbrachte, die deutſche Flagge ſtatt der preußiſchen zu heißen. Am 1. Decem - ber traf die Eckernförde in Bremerhafen ein und kündete mit einundzwanzig Kanonenſchüſſen ſeine Ankunft.

Wir Officiere empfanden eine gewiſſe Freude, daß die Fregatte nach ſo vielen Fährlichkeiten endlich ſicher in einem deutſchen Hafen war, aber dieſe Freude war ſtark von Wehmuth und Bitterkeit durchſetzt. Niemand von uns verhehlte ſich, daß die Tage der deutſchen Flotte gezählt ſeien, von dem frühe - ren Enthuſtasmus war keine Spur mehr vorhanden. Wir alle fühlten, daß der ſchöne Traum deutſcher Einheit und deutſcher Seemächtigkeit bald ausgeträumt ſei.

Die Schiffsfähnriche Thaulow und Neynaber wurden wegen Gehorſamsverweigerung vor ein Kriegsgericht geſtellt, aber glän - zend freigeſprochen, was einer moraliſchen Verurtheilung ihres211Die deutſche Marine 1848 1852Commandanten gleichkam, der aber wunderbarer Weiſe bis zur Auflöſung der Flotte in Dienſt blieb, wenn er auch das Com - mando der Eckernförde verlor.

Auflöſung.

Das bange Vorgefühl von dem bevorſtehenden Ende der deutſchen Flotte, das ſich allen innerhalb derſelben Stehenden unwillkürlich ſchon bei dem Ausgange des Jahres 1850 aufdrängte, war leider ein berechtigtes. Wenngleich die endgültige ſchmach - volle Thatſache der öffentlichen Verſteigerung der nationalen Schöpfung ſich noch faſt Jahre hinzögerte, ſo gleich dieſe ganze Zeit doch nur einer beſtändigen Agonie für die Betheiligten.

Es wurden zwar verſchiedene Verſuche gemacht, die Flotte für Deutſchland zu erhalten, aber ſie ſcheiterten ſämmtlich an den zerfahrenen politiſchen Verhältniſſen und namentlich an dem Ringen der beiden Großmächte Preußen und Oeſterreich um die Oberherrſchaft.

Nachdem der deutſche Bund wiederhergeſtellt und ſeit Mai 1851 die Bundesverſammlung ſowol von Preußen und der Union, wie von Oeſterreich für einen Theil ſeiner Länder beſchickt war, beſchäftigte man ſich in ihr auch mit der Zukunft der deutſchen Flotte und ſuchte eine Form für ihre ſichere Exiſtenz zu finden.

Eine Reihe der deutſchen Mittel - und Kleinſtaaten meinte es aufrichtig gut mit der Marine und trat ohne Hinterge - danken für ſie als eine allgemeine deutſche Inſtitution ein, aber ohne Erfolg. Die Lage der Bundesverhältniſſe war eine derartige, das politiſche Band der Bundesmitglieder ſo locker und die Ausſicht auf ſeine größere Befeſtigung und Einheit eine ſo geringe, daß von der Idee einer dem Bunde als ſolchem ge - hörigen, durch Matricularbeiträge zu unterhaltenden und dem14*212WernerBunde allein unterſtellten Flotte als unausführbar Abſtand ge - nommen werden mußte.

Man machte deshalb den Vorſchlag einer Dreitheilung, in eine öſterreichiſche, preußiſche und in eine Nordſeeflotte, welche letztere von den übrigen deutſchen Staaten erhalten werden ſollte. Obwol dieſer von Oeſterreich ausgehende Vorſchlag nicht viel Lebensfähigkeit verſprach, wurde er doch von der Bundesverſamm - lung eingehend erwogen und ein Ausſchuß ernannt, der unter Zuziehung von Sachverſtändigen den Plan und ſeine Einzelheiten prüfen und dem Bunde darüber Bericht erſtatten ſollte. Das letztere geſchah in der Sitzung der Bundesverſammlung vom 25. November 1851.

Dieſer Bericht formulirte die Angelegenheit, unter Zugrunde - legung des von der Sachverſtändigen-Commiſſion geſammelten Materials, folgendermaßen:

1. Zum Schutze des Handels, der Schiffahrt und der Küſten Deutſchlands wird eine deutſche Bundesflotte gebildet, welche aus drei Abtheilungen beſteht:

a. aus einer öſterreichiſchen, nach Analogie des Bundes - heeres, ausgeſchieden aus der mit einem Ordinarium von Millionen Gulden und einem Extraordinarium von zwei Mil - lionen Gulden bis 1854 und Millionen Gulden bis 1860 ausgeſtatteten Marine;

b. aus einer preußiſchen, dotirt mit einer Million Tha - ler jährlich;

c. aus einer Nordſeeflotte, für welche von den übrigen deutſchen Staaten in einem näher zu vereinbarenden Verhältniſſe für die nächſten ſechs Jahre wenigſtens ebenfalls eine Million Thaler aufzubringen ſind.

Die Zahl und Stärke der Schiffe jeder Abtheilung bleibt näherer Vereinbarung vorbehalten und ſind jene ausgeworfenen Summen vorerſt nur als Anhaltspunkte zu betrachten.

2. Die gleichmäßige Feſtſtellung des Zuſammenwirkens der213Die deutſche Marine 1848 1852drei Flottenabtheilungen im Frieden, ſo wie die Beſetzung der ausländiſchen Stationen unterliegt ebenfalls der näheren Ver - einbarung.

3. Dem Bund ſteht zu im Frieden: Ueberwachung der contingentmäßigen Leiſtung, gegenſeitige Inſpectionen, Veran - laſſung gemeinſchaftlicher Uebungen und Expeditionen, jedoch letztere nur im Einverſtändniß mit den betreffenden Regie - rungen.

4. Für den Fall eines Bundeskrieges ſteht dem Bunde die Verfügung über die Flotte zu.

5. Oeſterreich, Preußen und die Staaten der Nordſeeflotte behalten die Organiſation und Verwaltung und, außer dem Falle des Bundeskrieges, auch die unbeſchränkte Verfügung über ihre Flottenabtheilungen, ſo weit dieſelbe nicht durch die unter 2 er - wähnte Vereinbarung beſchränkt werden ſollte.

6. Die Befugniſſe des Bundes werden durch eine der Bundesverſammlung unterzuordnende Marinecommiſſion aus - geübt.

7. Die Staaten der Nordſeeflotte werden ſich über die Errichtung der zur Organiſation und Verwaltung der Flotte erforderlichen Behörden vereinigen.

8. Die Staaten, welche künftig zur Nordſeeflotte gehören, übernehmen die geſammte Nordſeeflotte mit Material und Per - ſonal, erwerben ſämmtliche Rechte des Bundes über dieſelbe, befriedigen dagegen die von der Bundeskaſſe oder einzelnen Bundesgliedern bisher geleiſteten Vorſchüſſe und entſchädigen Preußen für ſeine bisher zur Nordſeeflotte gezahlten Beiträge.

9. Zu einem raſchen Abſchluſſe der vorbehaltenen Verein - barungen und Feſtſtellungen ertheilen die Bundesregierungen ihren Geſandten ſchleunigſt die nöthigen Vollmachten und In - ſtructionen.

Schließlich beantragte der Ausſchuß, der Bund wolle ſämmt - liche Regierungen erſuchen, ihre Meinung über die weſentlichen214WernerPunkte, namentlich über ihre Betheiligung an der Nordſeeflotten - abtheilung abzugeben und, zur Verhinderung der factiſchen Auf - löſung der vorhandenen Flotte, mit Ablauf des Jahres Mittel zur ferneren Erhaltung derſelben herbeizuſchaffen, ſei es durch Vorſchüſſe, Matricularbeiträge oder durch Aufnahme von An - leihen gegen Verpfändung der Schiffe.

Die Bundesverſammlung beſchloß hierauf über die vor - ſtehenden Anträge die Inſtructionen der Regierungen binnen drei Wochen einzuholen.

Wie der Unbefangene aus dem Obigen erſieht, verſprach eine Verwirklichung dieſer Anträge der deutſchen Flotte keine lebensfähige Zukunft. Wenn irgendwo eine einheitliche Leitung erforderlich wird, um Leiſtungsfähigkeit zu ſichern, ſo iſt dies bei Heer und Flotte der Fall. Der unglücklichen deutſchen Flotte war es aber nicht nur vorbehalten, in drei Contingente zu zerfallen, jede mit eigener Organiſation und Verwaltung, in welche weder der Bund noch irgend eine Centralbehörde hineinreden durfte, ſondern eines dieſer Contingente ſollte ſogar von dreißig Souveränen abhängig ſein. Eine ſolche Ein - richtung trug ſchon den Keim des Todes in ſich, und vom patriotiſchen Standpunkte war es deshalb nicht zu bedauern, daß ſie nicht ins Leben trat. Das Project ſcheiterte denn auch an dem Widerſtande Preußens ſo wie der mitteldeutſchen Staa - ten. Als die Geſandten ihre Inſtructionen empfangen hatten, ſprachen ſich die erwähnten Staaten in der Bundesſitzung vom 27. December 1851 entſchieden gegen den öſterreichiſchen Vor - ſchlag der Dreitheiligkeit der deutſchen Flotte aus, und da auch eine anderweitige Einigung über deren ferneres Schickſal nicht erreicht werden konnte, ſo wurde in der nächſten Sitzung, am 31. December, definitiv der Stab über ſie gebrochen.

An dieſem Tage hörte die deutſche Flotte auf, Bundesflotte zu ſein und es wurde ihre Verwer - thung reſp. Veräußerung beſchloſſen.

215Die deutſche Marine 1848 1852

Da dieſer Beſchluß ſich indeſſen nicht ſofort ausführen ließ, andererſeits aber der Mangel an Geld zur ferneren Unterhal - tung der Flotte den Bund in nicht geringe Verlegenheit ſetzte, ſo erbarmte ſich Preußen der jetzt von allen Seiten Verlaſſenen und erklärte ſich bereit, ihr Daſein durch Nachzahlung ſeines Theiles an der letzten Matricularumlage im Betrage von 532,000 Gulden noch eine Zeitlang zu friſten.

Es wurden nun bundesſeitig die Einleitungen zur Ver - werthung der Flotte getroffen, und unter dem 12. Januar 1852 theilte der Bundespräſidial-Geſandte Graf von Thun dem Contreadmiral Brommy das traurige Reſultat des letzten Bundes - beſchluſſes mit.

Dieſes Schreiben enthielt zugleich die Aufforderung, bei der bevorſtehenden Kataſtrophe Alles zu verhindern, was das Anſehen und die Würde des Bundes gefährden könne, eine Mahnung durch die ſich der Oberbefehlshaber mit Recht verletzt fühlen mußte, da ſie einen Zweifel an ſeinem Willen einſchloß, bis zum letzten Augenblicke ſeine Pflicht zu thun.

Sein Antwortſchreiben wies dieſe Unterſtellung in würde - voller Weiſe zurück.

Daß ich bis zum letzten Augenblicke, ſchrieb er, die Disciplin ſtreng aufrecht erhalten werde, dafür darf Euer Ex - cellenz dasjenige als Bürgſchaft dienen, was ich in den von mir ausgearbeiteten Dienſtvorſchriften niedergeſchrieben habe. Die Vorſchriften, welche ich meinen Untergebenen als Richtſchnur vorzeichnete, werde ich ſelbſt pünktlich auszuführen wiſſen.

Alles zu verhindern, was in der zu befürchtenden Kata - ſtrophe das Anſehn und die Würde des Bundes gefährden könnte, ſoll alsdann meine Aufgabe ſein, damit mir im allge - meinen Schiffbruche wenigſtens der Ruhm zu Theil werde, ein während anarchiſcher Zuſtände geſchaffenes Werk aus dem Chaos in Ordnung gebracht, es als Muſter von Subordination und Disciplin unter den ſchwierigſten und verwickeltſten Umſtänden216Wernerhingeſtellt und es als ſolches bis zur vollkommenen Auflöſung erhalten zu haben, damit die Alles richtende Zeit nicht unſere Marine in gleiche Kategorie mit andern Erzeugniſſen des Jahres Achtundvierzig ſtelle.

Dieſer Ruhm iſt dem Admiral geworden und ungeſchmä - lert verblieben. Bis zum letzten Augenblicke hat er es ver - ſtanden, jede Unordnung fern zu halten, trotz der rückſichtsloſen und der Würde des Bundes ſo wenig angemeſſenen Art, wie Officiere und Mannſchaften bei der Entlaſſung behandelt wurden und die ſpäter noch näher erwähnt werden wird.

Unter dem 27. Januar wurde von der Bundesverſamm - lung an die verſchiedenen Regierungen die Anfrage gerichtet, welche Schiffe ſie eventuell gegen den Taxwerth zu übernehmen geneigt ſeien, jedoch nur Preußen erklärte auf die Segelfregatte Eckernförde und die Dampffregatte Barbaroſſa zu reflec - tiren; alle übrigen Staaten lehnten ab.

Ehe dieſe Uebernahme indeſſen zur Thatſache wurde und trotz der vom Bunde beſchloſſenen Auflöſung, machten einige Staaten noch einen letzten Verſuch, die vorhandene Flotte vor dem ihr drohenden Schickſale zu retten, und zwar ging die erſte Anregung hierzu von Bayern aus. Leider war jedoch nicht der nationale Gedanke das Motiv des Vorſchlags, ſondern es ſollte dadurch nur ein Druck zu Gunſten des von Oeſterreich erſtreb - ten allgemeinen Zollvereins ausgeübt werden.

Preußen hatte den bis dahin beſtandenen Zollverein nach Abſchluß eines beſonderen Vertrages mit Hannover und Gewäh - rung eines Präcipuums an daſſelbe gekündigt, um ihn auf er - weiterter Grundlage wieder neu aufzurichten.

Oeſterreich ſah und nicht mit Unrecht voraus, daß die Zolleinheit Norddeutſchlands der erſte Schritt auch zu deſſen politiſcher Einheit unter preußiſcher Führung ſein werde und glaubte dieſem Schachzuge ſeines Rivalen nur dadurch wirkſam begegnen zu können, ſo wie ſeine gefährdete Suprematie in217Die deutſche Marine 1848 1852Deutſchland wiederhergeſtellt und befeſtigt zu ſehen, wenn es ihm gelänge, mit Geſammtöſterreich in den neuen Zollverein einzutreten.

Es ſuchte Bayern für ſeine Anſicht zu gewinnen. Dieſes ließ ſich auch zu ihm hinüberziehen und es ſollte die Flotten - frage zur Förderung der beiderſeitigen Beſtrebungen ausgebeutet werden. Das warme Intereſſe, welches faſt ungetheilt das ganze deutſche Volk und auch eine größere Zahl der Regierungen für Erhaltung der Flotte hegte, ſollte als Hebel für die politiſchen Pläne Oeſterreichs benutzt und zum wirkſamen Alliirten in der Machtfrage gemacht werden.

Der bayriſche Vorſchlag, deſſen eigentliche Natur freilich erſt ſpäter zu Tage trat, fand bei Hannover bereitwillig Auf - nahme. Letzteres erließ an die deutſchen Staaten, mit Ausnahme der beiden Großmächte Preußen und Oeſterreich, eine Einladung zur Beſchickung eines Flottencongreſſes zum 20. März in Han - nover. Die Aufgabe dieſes Congreſſes ſollte die Gründung eines Flottenvereins ſowie Berathung und Beſchlußfaſſung über die Herbeiſchaffung der für Gründung und Erhaltung einer lebensfähigen Nordſeeflotte erforderlichen Mittel ſein.

Preußen und Oeſterreich waren zur Theilnahme nicht auf - gefordert, weil, nach der Anſicht Hannovers, eine ſolche Einladung durch das den bisherigen Bundesverhandlungen zur Voraus - ſetzung und Grundlage dienende Contingentsverhältniß zum Bunde ausgeſchloſſen ſei. Von den übrigen deutſchen Staaten hatten zwanzig der Einladung durch Entſendung von Bevoll - mächtigten Folge geleiſtet, die übrigen theils direct abge - lehnt, theils keine Vertreter geſandt. Unter den Fehlenden befanden ſich auch Württemberg und Baden, wodurch ſchon von vorn herein dem Congreſſe kein günſtiges Prognoſtikon ge - ſtellt wurde.

Der Vorſitzende, der hannoverſche Miniſterpräſident von Scheele, eröffnete die Verſammlung mit einer Anrede, die ihrem218WernerWortlaute nach jeden Hintergedanken ausſchloß und nur den deutſch-patriotiſchen Gefühlen Hannovers in dieſer nationalen Angelegenheit Ausdruck gab. Er ſprach aus, daß Hannover ſich gedrungen gefühlt habe, in letzter Stunde noch einen Verſuch anzuſtellen, durch Erhaltung der Flotte der Gegenwart das be - klagenswerthe Schauſpiel der Auflöſung einer Inſtitution zu er - ſparen, die von dem Bunde der ſouveränen Fürſten und freien Städte Deutſchlands vor kurzem als Bundeseigenthum förmlich anerkannt worden und nach ſeiner Anſicht den organiſchen Ein - richtungen des Bundes zugehörig und mit den Hoffnungen und Wünſchen der ganzen Nation auf das Engſte verknüpft ſei.

Sollte dieſer Verſuch, das letzte Mittel zur Abwendung der drohenden Gefahr, ſcheitern, dann werde gewiß in nicht ferner Zukunft die Reue herankommen und das richtende Urtheil der Geſchichte diejenigen Staaten nicht verſchonen, durch deren Theilnahmsloſigkeit jenes nationale Inſtitut zu Grunde gegangen ſei; darum möge man an der Hoffnung des Gelingens um ſo feſter bis zum letzten Augenblicke halten.

Um jeden Zweifel an der Loyalität Hannovers gegen den Bund von vornherein auszuſchließen, erklärte der Vorſitzende dann, daß die zu gründende Flotte nur im Bundesverhältniſſe zu er - halten ſei. Zu einer andern, als zu einer Einrichtung im Bundesverbande werde Hannover nie die Hand zu bieten ver - mögen, weil eine von der Einwirkung und Verfügung des Bundes unabhängige Kriegsmacht ſich immer zu einem die Bundesgemeinſamkeit löſenden Elemente geſtalten müſſe. Des - halb ſei es auch nur die Abſicht, auf dem Congreſſe die zur Vorbereitung der weiteren Entſchließung des Bundes nothwendige vorgängige Einigung der Staaten unter einander über die Bil - dung des Contingents zu erſtreben.

Dann zu dem als nothwendig erkannten Beſtande der be - abſichtigten Flotte übergehend, wurde als Minimalgrundlage eines kräftigen Organismus ein Geſchwader von zwei Segelfregatten,219Die deutſche Marine 1848 1852zwei Segelcorvetten, drei Dampfſchiffen nebſt einer Anzahl von Kanonenbooten, ſo wie zur nachhaltigen Unterhaltung eines ſolchen Beſtandes, einſchließlich der Koſten der erſten Gründung und der Erbauung eines Kriegshafens, ein jährlicher Aufwand von etwa einer Million Thaler als nothwendig erachtet.

Zur Deckung dieſer Summe ſchlug Hannover den Satz von zwei Groſchen pro Kopf der auf zwölf Millionen Seelen geſchätzten Bevölkerung der eingeladenen Staaten und daneben eine Präcipualleiſtung der Küſtenſtaaten in demſelben Betrage pro Kopf vor, was zuſammen 927,000 Thaler pro Jahr ergebe, wobei durch die Theilnehmer dann noch die Lücken zu ergänzen ſeien, da einige Staaten ſich über ihren Beitritt zum Flotten - verein noch nicht entſchieden hätten.

Bei der Abſtimmung über dieſe Vorſchläge ergaben ſich leider ſofort ſehr divergirende Anſichten. Es zeigte ſich der innige Zuſammenhang, in den die Flottenfrage mit der damaligen Zoll - und Handelskriſe gebracht werden ſollte und wie die ein - zelnen Staaten ſich zur letzteren ſtellten.

Die Bereitwilligkeit, ſich durch Geldbeiträge an der Er - haltung der Flotte zu betheiligen, wenn auch nicht überall in Höhe der als nothwendig erkannten Summen, ſprachen alle verſammelten Vertreter aus, nur machten ſie dieſelbe von ver - ſchiedenen Bedingungen abhängig. Braunſchweig, Oldenburg, die Hanſeſtädte, Coburg-Gotha, Anhalt-Deſſau und Schaum - burg-Lippe ſtimmten den hannover’ſchen Vorſchlägen ohne Vor - behalt bei; Sachſen-Weimar, Sachſen-Altenburg, Anhalt-Bern - burg und Lippe-Detmold knüpften ihre Zuſtimmung an den Beitritt Preußens zum Flottenvereine; Bayern, Sachſen, Groß - herzogthum Heſſen, Naſſau und Sachſen-Meiningen machten ihre Theilnahme von einer befriedigenden Löſung der Zoll - und Handelsfrage abhängig. Was aber unter dieſer befriedigenden Löſung zu verſtehen war, ergab ſich deutlich aus der vom bayriſchen Geſandten abgegebenen Erklärung.

220Werner

Dieſelbe lautete folgendermaßen: Bayern habe zu jeder Zeit und bei allen Anläſſen, wo es ſich um gemeinnützige Schöpfungen und Einrichtungen für das Wohl des geſammten deutſchen Vaterlandes handelte, ſeine Opferbereitwilligkeit in ſolchem Maße bethätigt, daß es ſich des allſeitigen Anerkennt - niſſes hierüber verſichert halten dürfe. In Bezug auf die vor - liegende Angelegenheit habe es bereits in der Bundestagsſitzung vom 27. December v. J. ſeine Mitwirkung zur Bildung einer Nordſeeflotte auf der Grundlage eines dreitheiligen Flottencon - tingents zugeſagt und ſich anheiſchig gemacht, für die erſte Grün - dung einen einmaligen Beitrag von 800,000 Gulden und für deren Erhaltung jährlich 200,000 Gulden zu zahlen. Indeſſen ſei es dabei überall von der eben ſo wichtigen als in den Ver - hältniſſen begründeten Vorausſetzung ausgegangen, daß die über die deutſchen Zoll - und Handelsverhältniſſe ſchwebenden Ver - handlungen in befriedigender Weiſe gelöſt würden. Ein Binnenſtaat wie Bayern könne ſo lange, als eine Trennung von der Nordſee durch eine Zollgrenze beſtehe, und ſo lange nicht die Gewißheit gegeben ſei, dieſe Grenze durch Vereinigung in ein gemeinſchaftliches Zollgebiet beſeitigt zu ſehen, ſich von dem Beſtande einer Nordſeeflotte für ſeine materiellen Intereſſen einen mit den bedeutenden Opfern, welche dieſelbe fordere, im Ver - hältniſſe ſtehenden Nutzen nicht verſprechen. Ebenſo müſſe es wiederholt darauf aufmerkſam machen, daß auch, ſo lange zwiſchen Oeſterreich und dem übrigen Deutſchland die Trennung der Zoll - und Handels - verhältniſſe fortdauere, der Bildung einer deut - ſchen Flotte durch drei Contingente nicht minder eine der weſentlichſten Grundlagen für die ge - meinſamen, durch dieſe Flotte zu ſchützenden Inter - eſſen fehlen würde.

Indem Bayern dieſen Standpunkt feſt halte, könne es an keiner Vereinigung Theil nehmen, an welcher nur eine der221Die deutſche Marine 1848 1852beiden Großmächte betheiligt ſei, da dies immer nur eine Quelle von Irrungen und Verwickelungen bilden würde. Dieſen Er - klärungen ſchloſſen ſich, wie bereits bemerkt, Sachſen, Groß - herzogthum Heſſen, Naſſau und Sachſen-Meiningen an.

Es hatten ſich mithin im Schooße des Congreſſes drei Gruppen gebildet, deren Anſichten ſich principiell gegenüber - ſtanden. Die weiteren Verhandlungen führten weder eine Eini - gung in den Differenzpunkten noch eine Annäherung der ab - weichenden Meinungen herbei. Da auch die Frage des Geld - bedarfs nicht genügend erledigt werden konnte, weil nach Er - klärung des zur Conferenz zugezogenen Admiral Brommy die von den Staaten eventuell zu bewilligende Unterhaltungsſumme dem wirklichen Bedarf nicht entſprach und die Mehrzahl der Staaten eine höhere Beitragsquote nicht zu geben geſonnen war, ſo kam am dritten Congreßtage das Präſidium zu der traurigen Ueberzeugung, daß die von der Hannover’ſchen Regie - rung erſtrebten Verſuche als geſcheitert zu betrachten ſeien.

Damit war das endgültige Todesurtheil der Flotte ge - ſprochen und der letzte Act des Dramas begann.

Acht Tage nach dem Auseinandergehen des Congreſſes, am 2. April 1852, erhielt Brommy vom Bundespräſidium den Befehl, die Schiffe Eckernförde und Barbaroſſa an den Commiſſar der preußiſchen Regierung, Commodore Schröder, auszuliefern, und dieſer Befehl wurde am 5. April, dem Jahres - tage der Eroberung der Gefion , vollzogen.

Welcher Contraſt zwiſchen dem 5. April 1849 und dem von 1852! Damals erfüllte Jubel und Begeiſterung alle Ge - müther, die Hoffnung auf ein einiges Deutſchland und eine ſeiner Größe und Würde angemeſſene Flotte ſchwellte die Bruſt eines jeden Patrioten. Mit Stolz blickten alle Angehörigen der Marine zu dem ſchwarzrothgoldenen Banner empor, das über ihren Häuptern wehte und die Wiederkehr mächtiger Geltung zur See verhieß, wie ſie einſt vor Jahrhunderten Deutſchland222Wernerbeſeſſen und heute? Alle jene ſchönen Hoffnungen waren ge - knickt und zu Grabe getragen. Mit tiefer Trauer im Herzen ſahen Officiere und Mannſchaften der Flotte die Flagge, der ſie Treue geſchworen, langſam herniederſinken von den Maſten der Schiffe, um nie wieder emporzuſteigen. Der ſchöne Traum war ausgeträumt und Thränen der Wehmuth rannen über die ge - bräunten Wangen Derer, die damit ihren Lebenshoffnungen ent - ſagten und in eine trübe unſichere Zukunft blickten.

Die weitere Auflöſung ging nun ſchrittweiſe vor ſich. Der als Bundescommiſſar beſtellte Staatsrath Dr. Hannibal Fiſcher traf im Mai 1852 in Bremerhafen ein, um den Materialbe - ſtand der Flotte zu übernehmen und denſelben zu veräußern, was ſich in Bezug auf die Schiffe jedoch erſt im Laufe des Jahres vollzog.

Alle ohne Patent angeſtellten Officiere wurden mit der Abfindung eines dreimonatlichen Gehalts bereits im Mai ent - laſſen und von den Mannſchaften nur ſo viele zurückbehalten, als zur Bewachung der noch nicht verkauften Schiffe unumgäng - lich nöthig waren. Am 29. Juli ordnete ein Bundesbeſchluß auch die Entlaſſung der mit Patent und ohne Vorbehalt ange - ſtellten Officiere und Beamten an, indem man ihnen ein Jahres - gehalt als vollſtändige Abfindungsſumme offerirte, ein Beſchluß, der kein günſtiges Zeugniß für das Rechtsgefühl des Bundes ausſtellte und allgemeine Entrüſtung hervorrief.

Bereits im Januar, als Graf Thun den Admiral Brommy von dem bevorſtehenden Aufhören der Flotte in Kenntniß geſetzt und ihn aufgefordert hatte, Alles zu verhindern, was die Würde und das Anſehen des Bundes beeinträchtigen könne, hatte Brommy dieſen Punkt zur Sprache gebracht. Er ſchrieb damals an den Bundespräſidialgeſandten: Um aber dieſe ſchwierige Aufgabe (nämlich die Auflöſung der Flotte) zu erleichtern, dürfte es wol geeignet erſcheinen, dafür Sorge zu tragen, daß dem Officier - corps, welches dem Dienſte der deutſchen Marine ſich mit dem223Die deutſche Marine 1848 1852vollen Vertrauen widmete, das der an die Spitze der Regie - rung geſtellte Kaiſerliche Fürſt erweckte ein Beweis, daß die neue Schöpfung keine revolutionären Tendenzen haben ſolle irgend eine Garantie für die Zukunft gegeben werde, die durch eine plötzliche Auflöſung der Flotte gefährdet ſei.

Wenn Eure Excellenz in geneigte Berückſichtigung ziehen, daß ein Theil der Officiere durch diplomatiſche Verhandlungen herübergezogen, andere aber veranlaßt wurden, lucrative Stel - lungen aufzugeben, um ſich dem Dienſte des Vaterlandes zu widmen, welches ihrer Kräfte bedurfte, daß alle dieſe im vollen Glauben an die Decrete des Erzherzogs-Reichsverweſers in den Dienſt traten, ſo iſt es gewiß nur billig, zu erwarten, daß eben dieſe Decrete auch in Kraft verbleiben und die Zukunft derer ſichern, die ſich plötzlich der Mittel ihrer Exiſtenz beraubt ſehen.

Der frühere Bundestag übertrug dem Reichsverweſer ſeine Machtvollkommenheiten, dieſer der Bundescentralcommiſſion, von welcher die Bundesverſammlung ſie wieder übernahm. Legal war alſo die Marine von dem Augenblicke an, wo der Reichs - verweſer dieſelbe ſanctionirte, denn in einen revolutionären Dienſt würden weder ich noch die andern Officiere getreten ſein.

Ich hoffe keine Fehlbitte zu thun, wenn ich mich ver - trauensvoll an Eure Excellenz mit dem Geſuche wende, bei Auflöſung der Flotte die gerechten und billigen Anſprüche der Officiere bei der hohen Bundesverſammlung vertreten zu wollen.

Aber weder dieſer noch wiederholte Anträge des Admirals nach dieſer Richtung vermochten, trotz ihrer völligen Berechtigung, lange Zeit eine Aenderung des bezüglichen Bundesbeſchluſſes nicht herbeizuführen, und wenn ſpäter den patentirten Officieren eine kärgliche Penſion, von der allein ſie nicht leben konnten und auch nur ſo lange gezahlt wurde, bis ſie ſich eine andere Lebens - ſtellung verſchafft hatten, ſo war dies auch nicht einmal Ver - dienſt des Bundestags als ſolchen, ſondern der Dank dafür gebührte Preußen, deſſen Geſandter, Herr von Bismarck-Schön -224Wernerhauſen, mit ſeiner bekannten Energie für die ſo ungerecht be - handelten Officiere eintrat.

Der Bundescommiſſar Fiſcher war in vielen Beziehungen nicht der geeignete Mann, um den ihm gewordenen allerdings peinlichen Auftrag in einer Weiſe zu erledigen, wie es im Inter - eſſe aller Betheiligten erwünſcht war.

Eine ſehr unliebſame Verzögerung der Angelegenheit war die Folge, und erſt am 31. März 1853 der letzte Act des nationalen Dramas ausgeſpielt. Ein Generalbefehl des Ad - miral Brommy von dieſem Tage verkündete dem deutſchen Volke, daß die deutſche Flotte aufgehört hatte, zu exiſtiren und nur noch der Erinnerung angehörte.

Dieſer Befehl lautete folgendermaßen:

Dem ſämmtlichen Perſonal der deutſchen Bundesmarine wird hiermit bekannt gegeben, daß im Anſchluß an die bezüg - lichen früheren Verfügungen zur Ausſcheidung von Schiffen und Material ſowie zur Entlaſſung von Perſonal nunmehr unter dem 15. d. M. die Auflöſung der Marinebehörden und da - mit die Entlaſſung des geſammten bei Abwickelung der Geſchäfte noch betheiligt geweſenen Perſonals zum 31. März d. J. höch - ſten Ortes beſchloſſen worden iſt und durch das Obercommando zur Ausführung wird gebracht werden.

Schmerzlich iſt es dem Obercommando, dieſen inhaltſchwe - ren Act zur allgemeinen Kenntniß bringen zu müſſen, einen Act, durch welchen nicht nur das mit nationaler Begeiſterung in’s Leben gerufene und unter den ſchönſten Erwartungen emporgeblühte Inſtitut einer deutſchen Marine den bloßen Er - innerungen anheimgegeben wird, ſondern durch welchen auch die Hoffnungen ſo vieler tüchtiger Männer, die dem Vaterlande ihre Kräfte und Leben zu weihen nicht anſtanden, vernichtet worden ſind.

Dagegen bleibt es dem Obercommando ein wohlthuendes Gefühl, den von dieſen trüben Verhältniſſen abgewendeten Blick225Die deutſche Marine 1848 1852mit der Ueberzeugung in die Vergangenheit zurückwerfen zu können, daß dieſelbe ein glänzendes Beiſpiel dafür geweſen, was unbedingte Hingabe an eine große Idee und Vertrauen in die Oberleitung, der ihre Ausführung anvertraut war, ungeachtet aller entgegenſtehenden Hinderniſſe hervorzubringen vermögen.

Mit Stolz darf das Obercommando es ausſprechen, daß die deutſche Marine innerhalb der ihrer Ausbildung geſteckten engen Grenzen und unter den ſchwierigſten Verhältniſſen einen Höhepunkt erreicht hatte, welchem Sachkundige die vollſte Aner - kennung zollen mußten und der den Beweis lieferte, was Deutſch - land hinſichtlich ſeiner Wehrkraft zur See unter günſtigen Um - ſtänden zu leiſten vermöchte!

Indem das Obercommando ſämmtlichen Officieren, Be - amten und Mannſchaften der Marine Lebewohl ſagt, fühlt es ſich gedrungen, denſelben für ihre geleiſteten Dienſte ſeine volle Anerkennung und Zufriedenheit hiermit ausdrücklich und dankend auszuſprechen.

Bremerhafen, den 31. März 1853.

Das Obercommando der Marine. Rudolph Brommy, Contreadmiral.

Als im Monat März 1849 das erſte große deutſche Kriegsſchiff auf der Weſer eintraf und den Namen Barba - roſſa empfing, da beſeelte jeden Deutſchen das erhebende Be - wußtſein, einer großen Nation anzugehören und erfüllte ſeine Bruſt mit froher Hoffnung für die Ehre, Größe, Einheit, Frei - heit und wachſende Herrlichkeit des Vaterlandes.

Man glaubte dieſe Herrlichkeit neu errichtet und den alten Kaiſer Barbaroſſa aus den Fluthen, in denen er ſeinen Tod fand, auferſtanden, um auf den Fluthen des Meeres ſeine un - ſterbliche Laufbahn neu zu beginnen.

Wie er bis dahin im Geiſte und in der Erinnerung ſeinesR. Werner, Erinnerungen. 15226WernerVolkes gelebt, das die Freiheit und Einheit wollte, ſo lebte er jetzt weiter in der erſten thatſächlichen Erſcheinung und Ver - körperung dieſer Einheit, in der deutſchen Flotte.

In der ſchwarzrothgoldenen Kriegsflagge zeigte ſich der erſte deutſche Aar, der die Raben der Zwietracht von den Pforten des deutſchen Vaterlandes mit gewaltigem Flügelſchlage zurückſcheuchen, der ſie in alle Winde zerſtreuen, ſeine Schwingen entfalten und mit mächtigen Fängen die Feinde zermalmen ſollte.

Solchen Gefühlen patriotiſcher Begeiſterung hatten auch die Frauen und Jungfrauen der Stadt Brake, vor dem der Barbaroſſa zuerſt Anker geworfen, einen beredten Ausdruck gegeben, als ſie im Mai 1849 dem damaligen Kapitän Brommy eine koſtbare, von ihnen für jenes Schiff geſtickte Flagge über - gaben und dieſe ſelbſt unter dem Hurrah der Flottenmannſchaft und dem Donner der Kanonen hinaufzogen am Maſte, wo ſie fortan zum Ruhme und zur Ehre Deutſchlands wehen ſollte.

In ſeinem Danke hatte Brommy verſprochen, ſie unentweiht hoch zu halten in Krieg und Frieden und ſich nicht von ihr zu trennen. Als dann nach ſo kurzer Zeit jene erträumte Herrlich - keit des deutſchen Reiches ſo tief in den Staub ſank und der deutſche Aar, anſtatt ſeinen Flug zur Sonne zu richten, aber - mals, wenn auch glücklicher Weiſe auf nicht lange Zeit, trauernd das ſtolze Haupt unter den Flügeln barg, da fragten jene deut - ſchen Jungfrauen nach dem Schickſal ihrer Flagge, die für immer ſich von der Gaffel niedergeſenkt hatte.

Die Antwort des Admirals lautete folgendermaßen:

Meine Damen! Durchdrungen von demſelben Gefühle, welches Sie in dieſem verhängnißvollen Augenblicke bewegt, wagte ich es, Ihrem Wunſche zuvorzukommen, als ich ſah, daß die Stunde der Entſcheidung für die deutſche Marine geſchla - gen hatte.

Die mir in einer Zeit des Glaubens an ein einiges Deutſchland von Ihnen an Bord des Barbaroſſa überreichte227Die deutſche Marine 1848 1852Flagge, welche ich als Palladium zu ſchützen verſprach, darf nicht von der Sache, der ſie gewidmet ward, getrennt werden.

So lange das deutſche Geſchwader noch beſteht, ſoll dieſe Flagge nur auf dem Schiffe, das meine Flagge führt, über meinem Haupte wehen, und hat endlich die Marine zu Deutſch - lands unauslöſchlicher Schmach aufgehört zu beſtehen, dann werde ich ſie als ein heiliges Zeichen der Erinnerung ver - ſchwundener hehrer Tage, eines ſchönen Traumes, aufbewahren.

Einſt aber ſoll dieſe Flagge, welche ich ſo glücklich war, den Feinden des Vaterlandes zuerſt im offenen Kampfe auf unſerem deutſchen Meer entgegenzuführen, wenn die Täuſchungen der Gegenwart auf immer entſchwunden ſind, meine irdiſchen Reſte in kühlem Grabe ſchützend einhüllen, wie ich dieſelbe im Leben und trotz aller Widerwärtigkeiten treu und redlich ge - ſchützt habe.

Admiral Brommy war es nicht vergönnt, das Morgenroth beſſerer Tage anbrechen und, wenn auch nicht die ſchwarzroth - goldene, ſo doch die ſchwarzweißrothe Flagge des einigen und mächtigen deutſchen Reiches auf dem Ocean ſich entfalten und die Achtung der Welt erringen zu ſehen.

Er ſtarb am 9. Januar 1860 in St. Magnus an den Ufern der Weſer, wohin er ſich zurückgezogen, und jene Flagge war das Leichentuch, mit dem man ihn, ſeinem Wunſche gemäß, in das Grab legte. Sein einziger Sohn Rudolph fiel auf dem Felde der Ehre für König und Vaterland im Feldzuge 1870 bei St. Privat.

Auch Duckwitz, jener unermüdliche Kämpfer für Deutſch - lands Einheit und Geltung zur See, konnte nicht mehr das neu erſtandene Reich begrüßen und wurde früher in das Jen - ſeits berufen. Ehre ihrem Andenken!

Von den damaligen Officieren und Beamten der deutſchen Marine exiſtirt nur noch eine kleine Zahl. Ein Theil derſelben hat ſich zu ehrenvollen Stellungen emporgearbeitet, ein anderer15*228Werneriſt geſtorben, ein anderer verdorben. Das Alte ſtürzt und neues Leben blüht aus den Ruinen. Der Traum deutſcher Einheit und Seemächtigkeit, der damals ſo traurig zerfloß er hat ſich ſeit zehn Jahren zur freudigen Wirklichkeit geſtaltet. Die Raben der Zwietracht ſind verſcheucht, Deutſchland hat nach Jahrhunderten auch auf dem Meere wieder die Stellung einge - nommen, die ihm gebührt; die Kiele ſeiner Kriegsſchiffe durch - furchen die blauen Fluthen des Oceans und der deutſche Aar in der Flagge ſeiner Flotte wird fortan den Feinden zeigen, daß er jetzt Kraft genug in ſeinen Fängen beſitzt, um Unbill zu rächen und Schmach abzuwehren.

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Ernſtes und Heiteres. Bilder aus dem Stilleben der deutſchen Marine.

1. Auf der Weſer.

Wie der hiſtoriſche Rückblick auf Entſtehen und Vergehen der erſten deutſchen Marine zeigt, war ſie während ihres kurzen Lebenslaufes zu paſſiver Unthätigkeit verurtheilt und arm an Ereigniſſen, die in die Annalen der Geſchichte gehören. Die Ankunft der Eckernförde auf der Weſer nach ſo viel Fähr - lichkeiten und Hinderniſſen, die mehr als einmal die koſtbare Trophäe uns wieder zu entreißen drohten, war das letzte von einiger Aufregung begleitete Vorkommniß. Die fernere Exiſtenz der Flotte während der nachfolgenden zwei Jahre bis zu ihrer Auflöſung konnte nur noch ein Vegetiren genannt werden, bei dem die Tage in gleicher Einförmigkeit und Bedeutungsloſigkeit dahin ſchwanden. In der guten Jahreszeit lagen die Schiffe am linken Weſerufer, unweit des oldenburgiſchen Dorfes Blexen, Bremerhafen ſchräg gegenüber, vor Anker, in den Wintermona - ten wurden ſie zum Schutze gegen Eis theils in dem Geeſte - fluſſe bei Bremerhafen, theils in dem Hafen von Brake unter - gebracht und es war kein erquickender Anblick, ſie dann bei der Ebbe im Schlamme ſteckend und faſt trocken liegend zu ſehen.

230Werner

Weitere Bewegungen gab es für ſie ſonſt faſt nicht. Der Dienſt an Bord ging ſeinen Gang, aber brachte bei dem Still - liegen natürlich keine Abwechſelung. Wir Officiere ſtrebten da - hin, die Schiffe in möglichſt gute Ordnung zu bringen und einer dem andern darin den Rang abzulaufen, aber die gleich - förmige Tagesroutine wurde dadurch nicht verändert. Dieſes ewige Einerlei konnte weder uns noch den Mannſchaften zumal bei den infolge der Verhältniſſe ſehr herabgeſtimmten Anſprüchen Befriedigung gewähren und es war daher erklärlich, wenn die Langeweile Blaſen trieb.

Eine ſchwere Aufgabe war unter ſolchen Umſtänden die Aufrechterhaltung der Disciplin. Bis zum Jahre 1851 bildete die Disciplinarverordnung für die Reichsmarine unſer einziges Machtmittel, um 1500 1600 Mann in Ordnung zu halten. Es konnte weder ein Stand - noch ein Kriegsgericht abgehalten werden, weil es für die Flotte kein Strafgeſetzbuch und ebenſo - wenig eine Feſtung, ein Gefängniß oder ein Zuchthaus gab, in dem die zu längeren Freiheitsſtrafen Verurtheilten hätten Auf - nahme finden können. Selbſt in dieſer ſo höchſt wichtigen Beziehung ſchwebte die arme Marine in der Luft und war auf ſich ſelbſt angewieſen, bis endlich um jene Zeit Olden - burg ſich erbarmte, ſein Militärſtrafgeſetzbuch einführen ließ und auch der Marine ſeine Strafanſtalten zur Verfügung ſtellte. Wenn es trotzdem den Officieren gelang, einen guten Geiſt unter der Mannſchaft zu bewahren, jeder Lockerung der Dis - ciplin vorzubeugen und ſelbſt die unbändigſten Elemente zu zügeln, ſo iſt dies gewiß ein ſprechendes Zeugniß für ihre moraliſche Kraft, für den Ernſt, mit dem ſie ihren ſchweren Pflichten nachzukommen ſuchten und für den guten Einfluß, den ſie auf die Mannſchaften zu üben verſtanden.

Im erſten Jahre waren die Schwierigkeiten noch geringer, denn unſere damaligen Beſatzungen beſtanden aus ganz vorzüg - lichen Leuten, ſowol in fachlicher wie in moraliſcher Beziehung,231Ernſtes und Heiteresaus tüchtigen und braven Oldenburgern, Mecklenburgern, Schles - wig-Holſteinern und Hannoveranern, die ſich ungemein leicht lenken ließen, und ſelten wol haben Kriegsſchiffe ein ſo gutes Perſonal aufzuweiſen, wie es die deutſche Flotte damals beſaß. Nur ein bedenkliches Element, das wir uns aufgehalſt, befand ſich dar - unter, doch gelang es ſchon binnen Kurzem, es wieder auszu - merzen. Dies waren etwa fünfzig angeworbene engliſche Matro - ſen, die früher auf Kriegsſchiffen gedient hatten und militäriſche Lehrer unſerer Leute werden ſollten. Sehr bald zeigte ſich je - doch, daß ſie zu letzterem Zwecke ganz untauglich und außer - dem abſolut nicht zu zügeln waren. Der billige deutſche Branntwein war für ſie ein ſchlimmer Verführer, und um ihm wirkſam entgegenzutreten, hätten wir ſtatt über die beſchränkten Strafmittel unſerer humanen Disciplinarverordnung über dis - cretionäre Anwendung der neunſchwänzigen Katze verfügen müſſen. Beſtialiſche Trunkenheit, Gehorſamsverweigerung, blutige Raufereien unter ſich und mit unſern Leuten, die je - doch ſtets von den Engländern ausgingen, waren an der Tagesordnung, und wir mußten deshalb trachten, ſie auf das ſchleunigſte wieder los zu werden. Glücklicher Weiſe waren ſie nicht auf beſtimmte längere Zeit engagirt, und wir ſchickten ſie bis auf zwei oder drei gute Matroſen, innerhalb weniger Monate wieder fort.

Bei dieſer Gelegenheit trat der Characterunterſchied zwi - ſchen engliſchen und deutſchen Matroſen klar zu Tage, den ich ſpäter ſtets von neuem beobachtet habe und der die Wag - ſchale ſehr zu Gunſten der letzteren neigt. Der Engländer gilt im allgemeinen und namentlich auch bei uns in Deutſchland für den tüchtigſten Seemann der Welt. Es liegt mir fern, ihm ſeine fachliche Tüchtigkeit abzuſprechen, aber der Deutſche ſteht ihm darin wenigſtens nicht nach und iſt ihm in morali - ſcher Beziehung jedenfalls vorzuziehen. Der gewöhnliche eng - liſche Matroſe iſt innerlich viel roher und brutaler als der232Wernerunſere; der Branntwein bildet den Fluch ſeines Lebens; er bietet alles auf, um ihn ſich zu verſchaffen und ſich darin zu übernehmen. In Momenten der Gefahr iſt er weniger zuver - läſſig als der unſere und ſeine Führer verlieren leicht die Gewalt über ihn. Natürlich giebt es auch unter den deutſchen See - leuten Subjecte, die den Engländern darin nichts nachgeben, aber ſie bilden nur einen kleinen Bruchtheil der Geſammtheit, und dieſe hat auch im Auslande einen ſo guten Ruf, daß jeder Kapitän, namentlich aber der engliſche, deutſche Matroſen lieber wirbt, als ſeine Landsleute, weil er, neben ihren fachlichen Vor - zügen, ihre Zuverläſſigkeit, ihr ruhiges fleißiges Weſen und ihre Nüchternheit zu ſchätzen weiß.

Während wir anfangs mit unſern deutſchen Mannſchaften, was Disciplin und Kriegsſchiffszucht anbetraf, eine verhältniß - mäßig leichte Aufgabe hatten, wurde die Sache ſpäterhin doch etwas ſchwieriger. Nach Ablauf ihres Engagements gingen die guten mecklenburgiſchen und frieſiſchen Seeleute zum größten Theile fort, weil ihnen das ruhm - und thatenloſe Stillliegen der Schiffe nicht behagte. Was ſich ſtatt ihrer zum Eintritt meldete, war oft ziemlich zweifelhafter Natur und beſtand viel - fach aus Nichtſeeleuten. In Ermangelung beſſerer Elemente und um zur ungeſtörten Handhabung des Dienſtes unſere Mannſchaftsſtärke vollzählig zu halten, wurde bei der An - nahme nicht ſehr ſcrupulös verfahren. Wenn das ſeemänniſche Intereſſe an die ſich Meldenden ſtets die erſte Frage richten ließ Wie lange haben Sie gefahren? ſo begnügten wir uns doch auch mit ſolchen, die keine Fahrzeit hatten, da auf feſt verankerten Räderdampfſchiffen, die außerdem nur mit einer ſehr dürftigen Betakelung verſehen waren, eigentliche Seemann - ſchaft weniger in das Gewicht fiel.

Bei jener ſtereotypen Frage lief jedoch bisweilen ein draſti - ſches qui pro quo unter. So erinnere ich mich, daß ſich eines Tages auf unſerem Schiffe ein junger kräftiger Mann an -233Ernſtes und Heitereswerben laſſen wollte, deſſen ganze Erſcheinung einen ſehr guten Eindruck machte.

Wie lange haben Sie gefahren? lautete wieder die Frage des erſten Officiers.

Sieben Jahre! war die prompte und ſichere Erwide - rung des jungen Mannes.

Gut! ſagte der Officier, der ſich nicht wenig freute, nach langer Pauſe wieder einmal einen befahrenen Seemann gekapert zu haben, und ohne ſich weiter nach deſſen Papieren zu erkun - digen ſetzte er hinzu, wenn der Doctor Sie geſund befindet, können Sie als Matroſe I. Claſſe eingeſtellt werden und es bald zum Unterofficier bringen, wenn Sie ſich gut machen.

Die ärztliche Unterſuchung ergab ein günſtiges Reſultat, der Betreffende wurde vereidet und eingekleidet. Auch der Bootsmann gab ſeiner Freude über die ungewohnte Acquiſition Ausdruck. Er war ein Mecklenburger und der Typus eines eingefleiſchten alten Seemanns. Gott ſei Dank! äußerte er, nun bekommt man doch endlich einmal wieder einen vernünfti - gen Kerl zu allen den Landlubbern, den man bei einem ordentlichen Stück Matroſenarbeit anſtellen kann.

Am andern Tage gab es ein ſolches Stück Arbeit, und Mohr, ſo hieß der neu angeworbene Matroſe I. Claſſe, wurde vom Bootsmann damit betraut. Wie ſtaunte der Letztere aber, als er ſah, daß Mohr offenbar nicht die leiſeſte Ah - nung von der Behandlung des ihm gewordenen Auftrages hatte und dieſer auch ganz unbefangen erklärte, davon verſtehe er nichts.

Was? Mann! rief der Bootsmann in heller Entrüſtung, das verſtehſt Du nicht und Du willſt ſieben Jahre gefahren haben! Wo haſt Du denn gefahren?

Auf dem Bock, lautete die Antwort.

Was war das für ein Fahrzeug, ein ordentliches Schiff oder ein Stein Ewer?

234Werner

Das war gar kein Schiff.

Gar kein Schiff? donnerte jetzt der Bootsmann ganz wild. Was in des Teufels und ſeines Pumpſtocks Namen war es denn?

Ich habe als Kutſcher gefahren .

Der Bootsmann war ſtarr über dieſe vermeintliche Frech - heit und lief ſpornſtreichs zum erſten Officier, um das uner - hörte Verbrechen zu melden. Was war aber zu machen? Mohr hatte durchaus keine Schuld an dem Mißverſtändniſſe; als Kutſcher konnte er mit demſelben Rechte wie die Seeleute das Wort fahren mit haben conſtruiren, da er wie ſie activ an der Bewegung betheiligt iſt und hatte deshalb die an ihn gerichtete Frage nach beſter Ueberzeugung wahrheitsgemäß beant - wortet. Man konnte ihm weiter nichts anhaben, als daß er als Unbefahrener in die dritte Matroſenklaſſe verſetzt wurde. Was ihm aber damals an wirklicher Fahrzeit fehlte, das iſt von ihm inzwiſchen redlich nachgeholt worden. Jetzt hat er nicht nur ſieben, ſondern über zwanzig Jahre ſich den Wind in allen Welttheilen um die Naſe wehen laſſen. Bei Auflöſung der deutſchen Marine trat er mit in die preußiſche über und wurde mit der Zeit ein ungemein tüchtiger Seemann. Später war er drei Jahre lang mein Bootsmann, und man konnte ſich für dieſen ſchwierigen Poſten, der an Bord eines großen Kriegs - ſchiffes ſo viel Erfahrung, Umſicht, Fachkenntniß und unermüd - liche Thätigkeit erheiſcht, keinen beſſeren und zuverläſſigeren Mann wünſchen.

Nicht immer ſchlugen jedoch die Unbefahrenen ſo gut ein. Oefters waren es gar bösartige Geſellen, mit denen man zu thun hatte, und es mußten außergewöhnliche Mittel angewendet werden, um ſie unſchädlich zu machen und zu verhüten, daß ihr Beiſpiel nicht nachtheilig und anſteckend auf die übrigen Mann - ſchaften zurückwirkte.

So befand ſich an Bord der Hamburg ein ſolches Sub -235Ernſtes und Heiteresject, mit dem abſolut nichts anzufangen war. Nichts fruchtete bei ihm, weder Güte noch Strenge; die ganze Scala der Strafen, welche den Vorgeſetzten zu Gebote ſtanden, war erſchöpft, ohne irgend welchen Eindruck zu machen. Der Mann war längſt reif für zehn Jahre Zuchthaus, zu denen er aber aus den oben angeführten Gründen nicht verurtheilt werden konnte. Er ſtahl nicht nur wie ein Rabe, ſondern war auch einer der ungeber - digſten und boshafteſten Menſchen, die es geben konnte.

Eines Tages erhielt er einen Befehl vom erſten Officier, aber anſtatt denſelben zu befolgen, kletterte er in die Bemaſtung bis in die Bramſaling das Holzgerüſt, in welchem der Fuß der zweiten Verlängerung der Maſten, der Bramſtenge, befeſtigt iſt ſetzte ſich dort hin und begann in der gemeinſten Weiſe auf Commandant und erſten Officier zu ſchimpfen, ſo daß Alle an Bord auf das Höchſte empört waren. Ihn von dort oben herunterzuholen war bei dem verzweifelten Character des Mannes ein Wagſtück, das der Commandant Niemandem zumuthen mochte; als ſich jedoch ein Unterofficier freiwillig er - bot, den Menſchen an Deck zu bringen, erhielt er die Erlaub - niß dazu und enterte nach oben. Der Miſſethäter erwartete augenſcheinlich, von ihm angefaßt zu werden, retirirte auf die äußerſte Spitze der Bramſaling und machte ſich bereit, ſich zur Wehre zu ſetzen. Uns wurde bei dieſer Ausſicht gar nicht wohl zu Muthe, denn ein Kampf dort in den Lüften, wo die Füße nur auf den ſchmalen Balken der Saling einen Halt fanden, mußte aller Wahrſcheinlichkeit nach mit dem Herabſturze des Einen oder Beider enden. Der Unterofficier jedoch, zu unſerm Erſtaunen, that, als ob er ſich gar nicht um den Mann kümmerte, kletterte an ihm vorbei bis er die Spitze der Bram - ſtenge erreicht hatte und machte ſich dort einige Zeit lang an dem Tauwerk zu thun. Dann ließ er ſich an den Pardunen, den Haltetauen der Bramſtengen, welche von deren Spitze bis an Deck fahren, wieder ganz gemächlich herunter, bis er ſich236Wernernahe über dem Matroſen befand, der offenbar nichts von der wirklichen Abſicht des Unterofficiers ahnte und ſein Schimpfen fortſetzte.

Plötzlich ließ Letzterer jedoch die Füße los, ſchlang ſie blitzſchnell um den Hals des erſchreckten Mannes und riß ihn mit einem gewaltigen Ruck von der Saling, ſo daß er jetzt zwiſchen den zuſammengekniffenen Beinen wie in einer Schlinge faſt achtzig Fuß über Deck in freier Luft hing. Uns Zuſchauern ſtanden bei dieſem unerwarteten Manöver die Haare zu Berge, aber es ging alles gut. Der ebenſo kräftige wie wunderbar gewandte Unterofficier preßte zwar abſichtlich den Hals ſeines Gefangenen etwas ſcharf zuſammen, um ihn unſchädlich zu machen, kam dann aber Hand über Hand mit ſeiner Laſt den langen Weg an der Pardune herunter und lieferte ihn mit den Worten da iſt er an den wartenden Profoß ab. Der Menſch geberdete ſich jetzt aber ſo raſend, daß er in den polniſchen Bock geſpannt und mit einem Knebel im Munde unten in den Raum auf den Eiſenballaſt geworfen werden mußte, da ſich keine Arreſtlocale an Bord befanden, die auf Schiffen erſt eine Ein - richtung neuerer Zeit ſind. Das Verbleiben in dieſer Poſi - tion bis zum andern Morgen hatte ihn jedoch endlich zahm gemacht und bis zu ſeiner nach einigen Monaten erfolgenden Entlaſſung ließ er ſich nichts wieder zu Schulden kommen. Die über ihn verhängte Maßregel ſtand zwar in keinem Paragraphen der Disciplinarverordnung, aber ſolchen Menſchen zu bewäl - tigen, blieb nichts anderes übrig.

Ueberhaupt hat es mit den Strafen an Bord eine eigene Bewandtniß und es kann an dieſe nicht der Maßſtab gelegt werden, wie am Lande, weil die Verhältniſſe ſo ganz andere ſind. Wenn in einer Compagnie auf irgend eine Weiſe zehn oder mehr Mann ſich eines Vergehens ſchuldig machen, das ihnen einige Tage Arreſt einbringt, ſo können ſie alle zehn ſofort eingeſperrt werden, ohne daß der Dienſt oder die237Ernſtes und HeiteresKameraden im geringſten darunter leiden ganz anders an Bord. Auf einem Schiffe iſt für die auszuführenden Leiſtungen die Mannſchaft auf die geringſte Zahl bemeſſen, jede Hand berechnet und das Fehlen eines Mannes am Geſchütz, auf der Raa, beim Bedienen der Segel oder ſonſt macht ſich ſofort fühlbar und zwar um ſo mehr, je kleiner das Schiff und je geringer demgemäß ſeine Beſatzung iſt. Man nehme z. B. ein von Deutſchland auf der Reiſe nach Oſtaſien befindliches Kanonenboot, das eine Beſatzung von der ungefähren Stärke einer Compagnie hat und durch einen Kapitänlieutenant mit Hauptmannsrang commandirt wird. Wenn im Allgemeinen unſere Leute ſich gut halten, ſo iſt es doch möglich, daß ſich unter hundert Mann drei bis vier oder wol noch mehr ſchlechte Subjecte befinden. Das Schiff kommt nun nach Eng - land, die Leute erhalten Urlaub, und jene vier oder ſechs Mann bleiben nicht nur ein paar Tage über Urlaub aus, ſo daß das Schiff ihretwegen aufgehalten wird, ſondern ſie verüben auch noch Exceſſe. Was ſoll dann der Commandant mit ihnen anfangen? Seine Strafcompetenz erſtreckt ſich nur auf ſieben Tage Arreſt; aber ſelbſt davon abgeſehen, daß die Leute viel - leicht ſchon früher wegen derſelben Vergehen ſtrenger beſtraft ſind, entſtehen bei Vollſtreckung der Strafe alle möglichen Schwierigkeiten. Zunächſt giebt es auf kleineren Schiffen keine Arreſtlocale, weil es an Raum fehlt; wohin alſo mit den Leuten? Man kann ſie nur auf dem Deck placiren, denn im Zwiſchendeck würden ſie ſich im Wohnraume der Mannſchaft und in engſter Berührung mit derſelben befinden, was durchaus dem Geiſte der Strafvollſtreckung zuwiderläuft und ſie illu - ſoriſch macht. Es wird alſo auf dem engen Deck irgendwo ein Vorhang gezogen, der Arreſtant dahinter geſperrt und ein Poſten davor geſtellt, wie dies geſetzlich vorgeſchrieben und nöthig iſt. Alle ſechs Straffällige kann der Commandant aber nicht zugleich einſtecken, denn nicht allein ſie, ſondern auch noch die Poſten238Wernergehen von der Mannſchaft ab und dieſe würde zu ſehr geſchwächt werden, da man immer auch auf Kranke zu rechnen hat. Es ver - büßen alſo höchſtens zwei ihre Strafe zugleich und die letzten beiden kommen erſt nach vierzehn Tagen an die Reihe. Dabei ſtellt ſich die Sache ſo: der Arreſtant ſitzt, ſtatt wie das Geſetz vor - ſchreibt, in einer dunklen Zelle, auf dem hellen Deck, hört alles und ſieht das Meiſte, was um ihn vorgeht, faullenzt den Tag über und ſchläft unter Deck die ganze Nacht zwiſchen den Kame - raden, die ſeine Arbeit verrichten, ihn bewachen und außerdem Nachtwache thun müſſen.

Eine moraliſche Einwirkung der Arreſtſtrafe kann bei der - gleichen Subjecten wol nicht in Rede kommen, und deshalb bleibt die Thatſache beſtehen, daß ein nichtsnutziger Menſch ſich oft abſichtlich ein Vergehen zu Schulden kommen läßt, um in einen Zuſtand verſetzt zu werden, der den Namen Strafe trägt, in Wirklichkeit aber ihn auf Koſten ſeiner Kameraden von der Arbeit und läſtigen Nachtwachen befreit. Die Abſicht des Geſetzgebers wird alſo nicht erreicht, wobei noch nicht einmal der Fall berückſichtigt iſt, daß die Strafvollſtreckung durch ſchlechtes Wetter drei vier Mal ja auf Wochen unterbrochen werden kann, ſo daß der Betreffende, um z. B. ſieben Tage abzuſitzen, dazu vielleicht der dreifachen Zeit bedarf. Auf großen Schiffen, wo ſich ein paar Arreſtzellen befinden, ſtellen ſich die Verhältniſſe etwas günſtiger, doch nicht viel, und um dieſen Miß - ſtänden entgegenzutreten, müſſen an Bord von in See befind - lichen Kriegsſchiffen andere kürzere, aber dafür wirkſamere Strafen verhängt werden, als bei der Armee, wenn die Abſicht der Geſetzgeber erreicht werden ſoll. Aus dieſen Gründen er - klärt es ſich, weshalb körperliche Züchtigung auf den Marinen ſo lange beibehalten iſt. Unſere humaniſirende Zeitſtrömung er - blickt in dieſer Strafe Verletzung des Ehrgefühls und ſie iſt deshalb in neuerer Zeit meiſtens abgeſchafft. Darüber haben Practiker vielfach andere Anſichten und ſind der Meinung, daß239Ernſtes und Heitereswo kein Ehrgefühl iſt, es auch nicht verletzt werden kann. Doch es mag auch ohne Prügelſtrafen gehen, wenn man dafür an Bord ein Aequivalent ſchafft, das ähnlich empfindlich wirkt und möglichſt kurze Zeit in Anſpruch nimmt. So lange aber ein ſolcher Erſatz nicht gefunden iſt, kann den Vorſchriften des Ge - ſetzes nicht genügt werden und der Beſtrafte hat es auf Koſten ſeiner Kameraden und des Dienſtes verhältnißmäßig gut. Dem Officiercorps der jungen deutſchen Flotte fehlte es unter den obwaltenden Umſtänden natürlich an jener Homogenität, welche für eine ſolche Körperſchaft zwar ſehr wünſchenswerth und noth - wendig iſt, aber naturgemäß nur das Ergebniß einer verhältniß - mäßig langen Dienſtzeit bei gleichmäßiger Erziehung und gemein - ſamen Traditionen ſein kann. Daraus entſtanden denn mancher - lei Unzuträglichkeiten, die jedoch glücklicher Weiſe weniger un - günſtigen Einfluß auf das Ganze übten, als man hätte annehmen ſollen. In dem Corps waren vier verſchiedene Nationalitäten vertreten: Deutſche, Engländer, Amerikaner und Belgier; wenig - ſtens ſtand ein Deutſcher an der Spitze.

Mit den belgiſchen Officieren, im Ganzen ſechs, hatten wir unbedingt eine gute Acquiſition gemacht; es waren Männer von ſehr guter Erziehung, feinen Manieren und wiſſenſchaft - licher Bildung. Den Kriegsſchiffsdienſt verſtanden ſie aus dem Grunde, da ſie ſämmtlich Jahre lang auf der franzöſiſchen Flotte zur Dienſtleiſtung commandirt geweſen waren, und wir jungen deutſchen Officiere erhielten in ihnen treffliche Lehrmeiſter für das, was uns fehlte, d. h. für die Kenntniß des inneren Dienſtes und alles deſſen, was damit zuſammenhing. Bei den wenigen Gelegenheiten, wo wir mit den Schiffen in Bewegung waren, ſahen wir freilich, daß practiſche Seemannſchaft ihre ſchwache Seite war, allein dann traten wir Deutſchen ergänzend ein. Die Belgier erkannten auch unſere Ueberlegenheit darin an, hielten ſich vorſichtig zurück, und bei ſolchen Anſchauungen und gutem Willen von beiden Seiten konnte es nicht fehlen, daß240Wernerſich die innere Organiſation der Flotte in überraſchend ſchneller Zeit entwickelte.

Was die Handhabung des Dienſtes, die Exercitien, Ord - nung und Reinlichkeit betraf, konnten die Schiffe ſchon nach Jahresfriſt ohne irgend welche Ueberhebung muſterhaft genannt werden, und ihr Zuſtand lieferte jedenfalls den Beweis, daß die Bedingungen für eine deutſche Flotte vorhanden waren und daß dieſe nur der Pflege und Weiterbildung bedurfte. Im Sommer 1850 kam die amerikaniſche Fregatte St. Lawrence nach Bremerhafen und blieb dort einige Wochen. Wir verkehrten viel mit den Officieren, ſtatteten uns gegenſeitig oft Beſuche an Bord ab und bemerkten mit großer Genugthuung, daß wir mit unſeren Schiffen ſowol wie mit der Ausbildung der Mann - ſchaften hinter den Amerikanern nicht zurückſtanden. Freilich hatten wir zu jener Zeit noch den größten Theil unſeres vor - züglichen Perſonals an Mannſchaften, die unſere Bemühungen ſehr erleichterten.

Unſer deutſches Officiercorps war, in Bezug auf ſeine innere Beſchaffenheit, auf Erziehung und Bildung, aus ſehr verſchiedenen Elementen zuſammengeſetzt. Bei der Gründung der Flotte, wo es ſich um möglichſt ſchnelle Heranziehung von Officieren handelte und es dafür nur eine Quelle die Kauf - farteimarine gab, konnte es für die Auswahl zunächſt weniger auf Wiſſenſchaftlichkeit und vollendete äußere Formen, als auf practiſche Tüchtigkeit für die neu zu ſchaffenden Poſten an - kommen, und beides fand man in den Kapitänen und Steuer - leuten der Handelsſchiffe nicht oft vereint. Es blieb deshalb nicht aus, daß in dieſer Richtung mancherlei Mißgriffe ge - macht und Perſönlichkeiten dem neuen Officiercorps einver - leibt wurden, die grade nicht als Vorbilder für daſſelbe gelten konnten, wenn ſie ſonſt auch ganz biedere gute Menſchen waren. Uebrigens war vom Marineminiſter Duckwitz gleich von vornherein dafür geſorgt, daß diejenigen, deren Herkunft und241Ernſtes und HeiteresErziehung nicht die Wahrſcheinlichkeit bot, für die Dauer ge - eignete Mitglieder eines Officiercorps zu ſein, ohne weitere Schwierigkeit bald wieder entlaſſen werden konnten. Er hatte zu dieſem Zwecke zwei Kategorien von Seeofficieren geſchaffen, die Hülfsofficiere und die Fähnriche, die beide zwar denſelben militäriſchen Rang als Secondelientenant bekleideten, von denen erſtere aber höheres Gehalt bezogen. Dagegen war den Hülfs - officieren keinerlei Zukunft in der Marine garantirt und in ihrem Anſtellungsdecret ausgeſprochen, daß eine Beförderung eventuell wol erfolgen könne, aber nicht müſſe. Dieſer Klaſſe wurden diejenigen eingereiht, die, um das höhere Gehalt zu beziehen, entweder ſelbſt auf die erwähnten Vortheile ver - zichteten oder denen practiſche Tüchtigkeit allein als Empfehlung zur Seite ſtand. Als Fähnriche dagegen wurden, mit Patent und Ausſicht auf Avancement, ſolche jüngeren Leute einge - ſtellt, welche von guter Herkunft waren, neben fachlicher auch wiſſenſchaftliche Bildung beſaßen und deshalb brauchbare See - officiere zu werden verſprachen. Bei den ungeregelten Zu - ſtänden, welche bei Gründung der Flotte begreiflicher Weiſe in Frankfurt herrſchten, kamen bisweilen auch Verwechſelungen vor; Einzelne erhielten Patente als Fähnriche, die ſich nur zu Hülfsofficieren eigneten, andere wieder ſahen ſich plötzlich als Hülfsofficiere angeſtellt, die ſich zu Fähnrichen gemeldet hatten und ſich auch vollſtändig dazu qualificirten.

Außer den eigentlichen Seeofficieren beſtand der Stab der Schiffe noch aus den Aerzten, den Zahlmeiſtern, Secretären und auf den Dampfſchiffen aus den Maſchinen-Ingenieuren. Die letzteren waren ſämmtlich Engländer, da Deutſchland damals im Schiffsmaſchinenweſen noch nicht auf eigenen Füßen ſtand; ſie zeigten ſich, im Gegenſatze zu ihren als Officiere fungirenden Landsleuten, in ihrem Fache als ſehr tüchtig, wenn man in anderer Beziehung auch öfter ein Auge zudrücken mußte.

Aerzte, Zahlmeiſter und Secretäre ſtammten aus den ver -R. Werner, Erinnerungen. 16242Wernerſchiedenſten Theilen Deutſchlands, und letztere beiden Beamten - klaſſen auch aus den verſchiedenſten Lebensverhältniſſen. Enthu - ſiasmus für die neuerſtandene deutſche Seemacht, romantiſche Veranlagung, die auf erträumten Reiſen über den weiten Ocean Befriedigung zu finden gedachte, vielfach aber auch proſaiſchere Hoffnungen auf eine gute Carriere oder den Wiederaufbau einer zuſammengebrochenen Exiſtenz waren die Motive, welche Bewerber um jene Stellungen ſchaarenweis herbeiführte. Es fanden ſich Juriſten, ehemalige Kaufleute, Landwirthe, Apotheker und ver - floſſene Bürgermeiſter zuſammen, Perſönlichkeiten, die theilweiſe ſchon viel in der Welt umhergeſchweift waren, ohne feſten Boden gewinnen zu können und in der Marine auf beſſeres Glück hofften. Dies ſchloß jedoch nicht aus, daß ſelbſt von der letzte - ren Klaſſe Mehrere ſich in dem neuen Fache als tüchtige Menſchen und außerdem als prächtige Charactere zeigten und ſich bald überall Liebe und Achtung zu erwerben wußten. Ich that eine Zeit lang auf dem Barbaroſſa , dem Flaggſchiffe Brommy’s, Dienſt. Auf ihm eingeſchifft zu ſein, wurde als ein Vorzug betrachtet und beneidet. Unſer Officiercorps war ziem - lich groß; es beſtand aus acht Hülfsofficieren und Fähnrichen, ferner aus dem Arzt, Zahlmeiſter, Secretär und Ingenieur. Es wurde nicht viel an Land gegangen, da Bremerhafen dazu wenig anreizte; dagegen hatten wir oft Beſuch von unſern Kameraden und verbrachten mit ihnen manche gemüthliche Stunde bei Bowle und Cigarre. Unſer Zahlmeiſter lieferte beides in vorzüglicher Güte; er war Meſſevorſtand und hatte als ſolcher in der Flotte einen beſonderen Ruf. Niemand wußte, wie er es anfing, aber wir führten von unſeren Tafel - geldern nicht nur einen ausgezeichneten Tiſch, ſondern konnten auch ausgedehnte Gaſtfreiheit üben. Unſer Zuſammenleben war ein ſehr angenehmes, wenngleich bei der Verſchiedenartigkeit der Charactere kleine Frictionen nicht fehlten. Dieſelben wurden jedoch nie ſtörend, und vorzugsweiſe dankten wir dies der liebens -243Ernſtes und Heitereswürdigen Vermittelung des Zahlmeiſters, der mit gutmüthigem Humor jedem ernſteren Conflicte ſofort die Spitze abzubrechen und die gereizten Gemüther in ruhiges Fahrwaſſer zurückzu - leiten verſtand.

Zahlmeiſter Albert war überhaupt auch nach anderen Rich - tungen ſeines Faches ein Muſterknabe und hatte ſich als binnen - ländiſche Landratte wunderbar ſchnell in die anfänglich ihm ſo fremden Schiffsverhältniſſe zu finden gewußt. Er war Süd - deutſcher, hatte Jura ſtudirt und ſoeben ſein Referendarexamen gemacht, als der Ruf nach einer deutſchen Flotte im Vaterlande erſchallte. Da kam es auf einmal wie eine Erleuchtung über ihn, daß er bisher ſeinen Beruf verfehlt habe und falſchen Göttern huldige. Nicht Themis, ſondern Neptun rief ihn zur Heeresfolge; nicht der grüne Tiſch, ſondern der blaue, wogende Ocean war die Arena, auf der er fernerhin kämpfen und ſiegen ſollte. Die Pandecten flogen in die Ecke; der angehende See - held ſtürmte nach Frankfurt, um ſich zu einer Kadettenſtelle zu melden, wurde aber auf das Schmerzlichſte enttäuſcht, als man ihn für die Seeofficiercarriere zu alt erklärte. Seine durch dieſen Beſcheid ſchon geknickten Lebenshoffnungen richteten ſich jedoch wieder auf, als ſich ihm Ausſicht auf eine Zahlmeiſter - ſtellung eröffnete. Dankbar nahm er die letztere an, und ſchon wenige Tage darauf befand er ſich auf dem Wege nach Bre - merhafen.

Mit glühendem Eifer ergriff er jede ſich bietende Gelegen - heit, um ſich für ſeinen Beruf vorzubilden. Bereits auf der Reiſe nach ſeinem neuen Beſtimmungsorte, zuerſt auf dem Rhein - dampfer bis Cöln, dann auf dem Paſſagierdampfer von Bremen nach Bremerhafen ſuchte er nautiſche Studien zu machen. Er plagte Kapitäne und Mannſchaften mit Fragen nach allen möglichen Dingen bis auf’s Blut und hielt ſich Stunden lang in der mit Auswanderern letzter Claſſe vollgepfropften zweiten Kajüte auf, um in deren Stickluft die Naſe gegen zu erwartende Schiffsgerüche16*244Wernerabzuhärten. Alsbald nach ſeiner Ankunft in Bremerhafen be - gann er auch Cognac mit Waſſer zu trinken und Tabak zu kauen, da er beides für nothwendige Requiſiten eines Seemannes hielt. Doch nur in erſterem brachte er es zu einiger Fertigkeit; das Tabakskauen wollte ihm trotz aller Willensfeſtigkeit und Uebelkeit nicht gelingen und er tröſtete ſich ſchließlich damit, daß ein Zahlmeiſter allenfalls auch ohne daſſelbe leben könne. Zwar harrte ſeiner eine abermalige Enttäuſchung, als er bei ſeinem Eintritte in die Marine nicht an Bord eines Schiffes, ſondern in das Arſenal commandirt wurde, um in ſein neues Fach ein - geführt zu werden, jedoch fand er hier einen Kameraden, den Zahlmeiſter Wollweber, der ihn in die Obliegenheiten und Ge - heimniſſe ſeines Dienſtes einweihte.

Wollweber war bereits ein älterer Mann, der zwar die Zahlmeiſtergeſchäfte ebenfalls erſt ſeit einigen Wochen über - nommen hatte, dem dafür aber mancherlei Lebenserfahrungen zu Gebote ſtanden. Urſprünglich auch Juriſt von Fach und nebenbei ein vorzüglicher Muſiker, war er in die Göttinger Univerſitätsaffaire von 1831 verwickelt worden, nach Amerika ausgewandert, hatte dort eine Reihe von Jahren gelebt und nach ſeiner Rückkehr die Stellung als Zahlmeiſter und Vor - ſtand des Arſenals gefunden. Sein muſikaliſches Talent, ſeine gediegene Bildung und ſein wohlwollendes Weſen, dem das wechſelvolle Leben nicht den angeborenen Humor geraubt, hatte ihn im Kreiſe aller Kameraden ſehr beliebt gemacht.

Das Arſenal beſtand damals bei Gründung der Flotte vorläufig noch aus einem gemietheten Schuppen, in dem die von allen Seiten beſchafften und herbeiſtrömenden Vorraths - gegenſtände, namentlich artilleriſtiſcher Natur, gelagert wurden, und es war die Aufgabe der beiden ehemaligen Rechtskundigen, ſie zu verwalten und Ordnung in dies Chaos der heterogenſten und zum größten Theile ihnen unbekannten Dinge zu bringen. Wollweber hatte jedoch bereits einige Fortſchritte in der Kennt -245Ernſtes und Heiteresniß des vielſeitigen Materials gemacht und belehrte in der ihm eigenen humoriſtiſchen und gemüthlichen Weiſe ſeinen Aſſiſtenten über daſſelbe.

Für was würden Sie wol dieſe Dinger halten, verehr - ter Herr Kamerad, fragte er den eifrig lauſchenden Albert, in - dem er auf einige Tauſend in einander gepackter Näpfe von verſchiedener Größe wies, die in einer Ecke aufgeſtapelt waren.

Für Spucknäpfe, lautete nach einigem Beſinnen die Antwort.

Ganz richtig, Herr Kamerad; ich bewundere Ihren Scharf - ſinn. Es könnten Spucknäpfe ſein, die größeren für die Ma - troſen, die kleineren für die Schiffsjungen. Im Vertrauen geſagt, flüſterte er geheimnißvoll, ſind ſie jedoch im Haupt - buche unter einem andern Namen verzeichnet. Dort heißen ſie Granatſpiegel, und wie mir der Feuerwerker Baſſermann unter dem Siegel der Verſchwiegenheit mitgetheilt, ſollen ſie nur ge - legentlich als Spucknäpfe Verwendung finden. Ihre Hauptbe - ſtimmung iſt jedoch, als Unterſatz für die Granaten zu dienen, damit dieſe nicht umfallen.

Albert verbeugte ſich verſtändnißvoll vor ſeinem Vorge - ſetzten.

Apropos, fuhr dieſer fort, Sie ſchreiben gewiß eine deutlichere Handſchrift als ich, Herr Kamerad. Haben Sie doch die Güte, ein Placat anzufertigen, welches das Rauchen im Arſenale verbietet. Wir werden es dann an die Thüre nageln und ſobald es fertig iſt, auch unſere Cigarren fortlegen, um mit gutem Beiſpiele voranzugehen, denn dort in jenen Metall - kiſten befinden ſich ſehr feuergefährliche Dinger. Sehen Sie hier, für was würden Sie dieſe Röhrchen wohl halten?

Albert hatte keine Ahnung von dem Zwecke der ihm völlig fremden Gegenſtände, die das Ausſehen von Pfeifenräumern hatten und inſofern eine Ergänzung der Spucknäpfe ſein konnten.

Das ſind königlich hannoverſche gefüllte kupferne Fric -246Wernertionsſchlagröhren nach amerikaniſchem Modell, erklärte Woll - weber. Sie ſind mir ſehr antipathiſch, denn ich liebe Kürze und ihr Verzeichnen im Hauptbuche beanſprucht ſtets drei ganze Zeilen. Nach der Autorität meines artilleriſtiſchen ad latus Baſſermann werden ſie zum Abfeuern der Kanonen gebraucht. Er hat mir auch gezeigt, wie man ſie zur Exploſion bringt, und nach dem Frühſtück wollen wir einige derſelben zur Er - weiterung unſerer artilleriſtiſchen Kenntniſſe abfeuern.

Hiernach gelangte Wollweber an eine wolverſchloſſene Kiſte. Er öffnete ſie ſehr behutſam und enthüllte einen darin enthaltenen und in Werg verpackten Gegenſtand. Es war eine viereckige Meſſingplatte mit Gradeintheilung und beweglichem Zeiger.

Was iſt dies, verehrter Herr Kamerad? Merken Sie ſich’s, fuhr er in feierlichem Tone fort, als Albert kopfſchüttelnd ſchwieg, das iſt der wichtigſte Gegenſtand in der ganzen Ar - tillerie. Es iſt ein Pendelquadrant! Zwar ſind mir ſeine Functionen bis jetzt noch nicht ganz klar, aber infolge von Baſſermann’s Mittheilungen habe ich eine ſolche Hochachtung davor bekommen, daß ich ſtets ſalutirend an die Mütze greife, wenn in meiner Gegenwart das Wort Pendelquadrant aus - geſprochen wird.

Wollweber ſalutirte, Albert folgte ſeinem Beiſpiele und beide kamen überein, daß der Pendelquadrant in Zukunft den nicht zur Zunft gehörigen Beſuchern des Arſenals nur unter der Bedingung gezeigt werden ſollte, wenn ſie zuvor ihr Haupt entblößten. Indiscrete Fragen aber nach der eigentlichen Natur des merkwürdigen Gegenſtandes ſollten ebenſo wie die nach andern Dingen, deren Erklärung mehr Kenntniß erforderte, als die beiden Arſenalvorſtände beſaßen, mit der Antwort Geheim - niß abgewehrt werden.

Nach dem Pendelquadranten kamen die verſchiedenen Schiffshandwaffen, als Enterſäbel, Enterbeile und Enterpiken247Ernſtes und Heiteresan die Reihe. Sie bedurften keiner längeren Erklärung, doch machten Wollweber und Albert mit erſteren einige Gänge und gelangten beide bei dieſer Gelegenheit zu der befriedigenden Ge - wißheit, daß ſie ſich doch nicht ganz umſonſt auf deutſchen Hoch - ſchulen aufgehalten hatten.

Die etwas ungewohnte Bewegung hatte den Appetit ge - reizt und nach Stärkung durch ein ſolides Frühſtück und dem Abfeuern einiger Schlagröhren wurde die Belehrung fortgeſetzt. In Anbetracht der guten Cigarren, welche ſich noch in den Taſchen vorfanden, beſchloß man jedoch, das Placat wegen Nichtrauchens noch einige Tage auszuſetzen.

Es kam jetzt der wichtigſte Punkt zur Verhandlung, die Einweihung in die Geheimniſſe des ominöſen Hauptbuches, das bereits mehrmals erwähnt war und für Albert fortan an die Stelle des Corpus juris treten ſollte.

Auf eine gute Führung des Hauptbuches, verehrter Herr Kamerad, begann Wollweber, kommt ſehr viel an, mehr als Sie denken. Hätte ich früher dieſem Grundſatze gehuldigt, würde ich jetzt nicht in dieſem ungeheizten Arſenale zu frieren brauchen, obwol ich ſonſt ganz gern hier bin. Ich habe es mir deshalb zur Aufgabe gemacht, dieſes wichtige Buch wirklich gut zu führen, aber gleichzeitig dabei auch practiſch zu verfahren. Wie ich ſchon andeutete, iſt mein Motto Einfachheit und Kürze und ich habe es auch hier zur Anwendung gebracht. Sehen Sie, fuhr er fort, indem er das Hauptbuch aufſchlug, etwas Einfacheres kann es kaum geben. Hier ſteht die Ein - nahme, alles dicht beiſammen, ungeheuer überſichtlich!

In der That! ſehr einfach und überſichtlich, beſtätigte anerkennend Albert, und die Ausgabe?

Mit großer Gewandtheit warf Wollweber das Buch wie einen auf einer Seite gebackenen Eierkuchen in der Luft herum und ſchlug die Rückſeite auf. Hier ſteht die Ausgabe! zeigte er triumphirend.

248Werner

Ich mache Ihnen mein Compliment über dieſe practiſche Einrichtung, äußerte Albert bewundernd; das haben Sie ge - wiß in Amerika gelernt.

Keineswegs, erwiderte Wollweber. Es iſt mir im Gegentheil gar nicht gut bekommen, daß ich dort kein Haupt - buch führte. Vor fünfzehn Jahren ging ich mit zwei Lands - leuten, gleich mir ehemaligen Studenten, nach Amerika und wir kauften uns in Wisconſin eine Farm. Anfangs verlief alles vortrefflich. Wir waren bald Herren eines Grundbeſitzes, faſt ſo groß, wie ihn mancher kleine Fürſt in Deutſchland hat. Doch wir lebten ſehr flott und gaben mehr aus, als wir einnahmen; die Herrlichkeit nahm ein Ende und bald beſaßen wir nichts mehr als das nackte Leben.

Wie kam das? Wir hatten kein Hauptbuch geführt!

Jeder von uns ging nun ſeiner Wege. Ich wurde Muſik - lehrer in Boſton und fand auch mein reichliches Auskommen. Da ich aber als ſolcher durch meine Schülerinnen der fort - währenden Verführung zum Heirathen ausgeſetzt war und ich ein abgeſagter Feind des ehelichen Joches bin, verzichtete ich auf meinen neuen Erwerbszweig und begab mich nach dem Süden. Obwol ich mit Unterrichtgeben und Concerten glän - zende Geſchäfte gemacht, waren mir dennoch nur wenige Hundert Dollars übrig geblieben.

Wie kam das? Ich hatte kein Hauptbuch geführt!

In New-Orleans machte mir ein Amerikaner den Vor - ſchlag, mit ihm eine Seifenfabrik zu etabliren. Wir gewannen und verloren abwechſelnd. Eines Nachts wir hatten kurz zuvor grade ſehr gute Geſchäfte gemacht brannte die Fabrik mit allen ihren Vorräthen ab. Das vorhandene Geld ſteckte mein Compagnon zu ſich und behauptete, es ſei ſein Antheil. Ich verklagte ihn, wurde aber mit meiner Klage abgewieſen.

Weshalb? Wir hatten kein Hauptbuch geführt.

Aus dieſer kurzen Skizze mögen Sie, verehrter Herr249Ernſtes und HeiteresKamerad, entnehmen, wie wichtig ein ſolches Hauptbuch für unſer Leben iſt und ich habe deshalb das unſere ſo practiſch eingerichtet.

Sehnen Sie ſich aber trotzdem nicht nach Amerika zurück, das in der langen Zeit doch Ihr zweites Vaterland geworden? fragte Albert.

Nein, lautete die Antwort, es gefällt mir in Deutſch - land doch beſſer und auch meine jetzige Stellung ſagt mir zu. Nur eins kränkt mich tief, fügte er mit einem Seufzer hinzu, von dem man nicht wußte, ob er ernſt oder komiſch gemeint war.

Und darf ich fragen, was das iſt? bemerkte ſein Aſſi - ſtent theilnehmend.

Daß Herr von Bismarck-Schönhauſen es bis zum Ge - ſandten gebracht hat, während derſelbe in Göttingen beim Corps der Hannoveraner doch nur mein Leibfuchs war. Wahrſchein - lich hat er ſtets ein Hauptbuch geführt, ſetzte er als Troſt für ſich hinzu.

Albert blieb noch einige Monate unter Wollwebers Aegide im Arſenal. Dann wurde er als Schiffszahlmeiſter geeignet befunden, zuerſt auf eine der kleineren Corvetten und dann auf das Flaggſchiff commandirt. Luſt und natürliche Anlagen entwickelten ſchnell bei ihm ein nicht gewöhnliches Verwaltungs - talent, und wenn er ſpäter auch Einnahme und Ausgabe etwas anders gruppirte als im Hauptbuche des Arſenals, gedachte er doch ſtets dankbar ſeines welterfahrenen Vorgeſetzten, aus deſſen Lehren er ſo manches profitirt hatte. An Bord unſeres Schiffes zeigte er ſich als ein ebenſo umſichtiger und practiſcher Beamter, wie als liebenswürdiger und überall gern geſehener Kamerad.

250Werner

2. In der Officiermeſſe.

In dem hinteren Theile des Schiffes, je nachdem daſſelbe nur über oder auch unter Deck Geſchütze führt auf dem erſten oder zweiten Deck, liegt der gemeinſame Wohnraum für die Officiere, die Officiersmeſſe oder auch einfach Meſſe ge - nannt. In damaligen Zeiten, bei Gründung der Flotte, war ſie ein ſchmuckloſer, gewöhnlich weiß geſtrichener viereckiger Raum ohne weiteren Comfort. Ein Eßtiſch und die nothwendige Anzahl Stühle, beide handfeſt und lediglich nach dem Nützlich - keitsprincipe gebaut, bildeten das ganze Mobiliar, zu dem ſich vielleicht noch einige Bilder in beſcheidenen Goldleiſtenrahmen geſellten, wenn der mit Führung der Menage betraute Officier, der Meſſevorſtand, gut wirthſchaftete und kleine Ueberſchüſſe aus den Tafelgeldern erzielte, welche die Koſten für ſolche Zierrathen decken konnten. Das paſſirte jedoch ſelten und nur wenn routi - nirte Zahlmeiſter Meſſevorſtände waren; die Seeofficiere machten nach dieſer Richtung gewöhnlich Fiasko. Trotz Milchſuppe, Fiſch und Kohlſalat, die aus Sparſamkeit öfter das alleinige Menü bilde - ten, meldete ſich doch am letzten des Monats häufig ein Defi - cit und trug dem ungewandten Haushalter unliebſame Bemer - kungen und meiſtens mit Einſtimmigkeit ausgeſprochene feierliche Abſetzung von ſeinem Vertrauenspoſten ein.

Ihr Licht empfängt die Meſſe von oben, da ſie an den Seiten von den Kammern der Officiere umgeben wird. Dieſe Kammern ſind Räume von durchſchnittlich zwei Meter Länge und etwas mehr Tiefe. Wenn die Bauart des Schiffes es geſtattet, giebt man ihnen Seitenfenſter und auf den neueren, namentlich auf den Panzerſchiffen, ſind jene ſo groß, daß der Bewohner hinlänglich Luft und Licht hat, um ſo mehr, als hier auch die Höhe der Kammern bis 3 Meter beträgt.

Vor dreißig Jahren kannte man jedoch ſolchen Luxus noch nicht und glaubte weniger anſpruchsvoll ſein zu müſſen. Die251Ernſtes und HeiteresKammern waren niedrige, dunkle, ſchlecht ventilirte Räume, in denen man auf kleineren Schiffen ſich nur gebückt bewegen konnte und wo man auch zur Mittagszeit Licht brennen mußte, um zu leſen oder zu ſchreiben. Vielfach hatten ſie nicht einmal Seitenfenſter, ſondern nur ein in das Deck eingelaſſenes Glas - prisma, durch welches ein matter Lichtſchimmer fiel. Waren erſtere auf Fregatten und größeren Corvetten vorhanden, ſo be - ſtanden ſie aus runden dicken Glaslinſen von zehn bis zwölf Centimeter Durchmeſſer, die in Metallrahmen befeſtigt ſich öffnen und ſchließen ließen. Im Hafen war es geſtattet, ſie offen zu laſſen, ſobald aber das Schiff in See ging, durften ſie Nachts nie und am Tage nur mit ſpecieller Erlaubniß des Comman - danten oder erſten Officiers bei ſehr ſchönem Wetter und ruhiger See geöffnet werden. Ihre niedrige Lage über der Waſſerfläche ließ die Gefahr befürchten, daß bei Bewegungen des Schiffes Waſſer durch ſie einſtrömte und man war deshalb für ihren ſo - wie für den rechtzeitigen Verſchluß der unteren Geſchützpforten auf Fregatten und Linienſchiffen ängſtlich beſorgt. Eine Ver - nachläſſigung dieſer Vorſicht hat mehrfach furchtbares Unglück herbeigeführt, ſo z. B. bei dem engliſchen Segellinienſchiffe Royal George . Daſſelbe ſollte auf eine mehrjährige See - reiſe ausgehen und lag auf der Rhede von Portsmouth zu Anker. Um ein kleines Leck zu dichten, war das Schiff von den Zimmerleuten etwas nach der einen Seite übergeholt worden. Da ſtieg eine Gewitterbö auf; ein plötzlicher Windſtoß legte das Schiff nach jener Seite über, die unbefeſtigten Geſchütze rollten nach Lee, wodurch ſich das Fahrzeug noch mehr neigte; das Waſſer ſtürzte durch die offenſtehenden Unterpforten in die inneren Räume, in wenigen Minuten kenterte das mächtige Schiff, ſank auf den Grund und von ſeiner 900 Mann ſtarken Beſatzung wurde kaum der zwanzigſte Theil gerettet, während auch noch gegen 300 Frauen und Kinder, Angehörige der Mannſchaft, die den Ihrigen ein letztes Lebewol ſagen wollten252Wernerund deshalb an Bord gekommen waren, in den Fluthen ihren Tod fanden.

Daſſelbe furchtbare Schickſal ereilte vor 25 Jahren ein ruſſiſches Linienſchiff in der Oſtſee. Es befand ſich unter Segel, als es von einer heftigen überraſcht wurde und ſich infolge deſſen ſtark überlegte. Der wachehabende Officier hatte nicht nur verſäumt, zeitig die Segel zu bergen, ſondern auch die Unterpforten ſchließen zu laſſen und das unglückliche Schiff verſchwand mit ſeiner geſammten Beſatzung in den Fluthen. Einige in der Nähe ſegelnde Kauffarteiſchiffe eilten ſo ſchnell wie möglich zur Unglücksſtätte, konnten aber nur noch drei Mann retten.

In den Officierkammern der nicht ſehr großen Schiffe herrſcht im Allgemeinen nicht viel mehr Comfort, als in der Meſſe. Schon der beſchränkte Raum ſchließt dieſen Begriff aus. Die eingebaute Coje, ein Waſchtiſch, eine Kommode, ein Bücher - brett und vielleicht in einer günſtigen Ecke eine Art Kleider - ſchrank, ſowie ein Feldſtuhl laſſen oft nur ſo viel Platz, daß der Inhaber ſich mit Noth bewegen kann; hat er einen Kame - raden zum Beſuch, ſo muß Einer auf der Coje ſitzen.

Und doch, trotz der Beſchränktheit, des Halbdunkels und der dumpfen Luft wie glücklich iſt der Seeofficier, nament - lich auf längeren Reiſen, eine Kammer zu beſitzen. Wie lieb und werth wird ihm oft das beſcheidene Plätzchen, das er ſein eigen nennen darf, wohin er ſich in den ſpärlichen Freiſtunden, die der ſo viel fordernde Dienſt ihm läßt, zurückziehen, wo er ein Buch leſen, einen Brief ſchreiben oder auch nur ungeſtört ſeinen Gedanken nachhängen kann. Bei Commandirung eines Officiercorps an Bord eines Schiffes iſt es in den meiſten Fällen nicht möglich, Rückſicht darauf zu nehmen, ob auch die Perſönlichkeiten zu einander paſſen, da die dienſtlichen Anforde - rungen in erſter Reihe maßgebend ſind. Wie leicht kann es dann aber geſchehen und wie oft tritt der Fall in Wirklichkeit253Ernſtes und Heiteresein, daß die einzelnen Charactere durchaus nicht zu einander ſtimmen.

In einem Regimente oder Bataillon kommen ſolche Ver - hältniſſe weniger in Betracht; dort kann Einer dem Andern aus dem Wege gehen; nach Beendigung des Dienſtes iſt jeder Landofficier ſein eigener Herr. Er hat ſeine bequeme Wohnung, ſeine Familie, Geſellſchaften, Theater, einen Spaziergang in Wald und Feld oder andere Genüſſe, die ihm Erholung von den Anſtrengungen des Dienſtes bieten, durch die er die em - pfangenen unangenehmen Eindrücke von ſich abſtreifen und ſich die Elaſticität ſeines Geiſtes bewahren kann. Wie viel un - günſtiger iſt dagegen der Seeofficier geſtellt! Für Jahre wird er mit Kameraden, die ihm vielleicht antipathiſch ſind, auf den - ſelben kleinen Raum beſchränkt. Er kann ihnen nicht entfliehen, er iſt gezwungen, ſie faſt immer zu ſehen, er muß mit ihnen an demſelben Tiſche ſpeiſen, Luft, Licht, Schlimmes und Gutes mit ihnen theilen. Keinerlei Zerſtreuung zieht ſeine Gedanken ab, kein freudiges Ereigniß muntert ihn auf Himmel, Waſſer, die Bordwände und der Dienſt ſind ſeine Geſellſchafter und ein - zigen Begleiter. So iſt es denn natürlich, daß ſeine Stimmung von Tage zu Tage trüber wird, daß erbärmliche Kleinigkeiten, über die der Menſch in normalen Verhältniſſen leicht und gleich - gültig hinweggeht, ihn reizen und bohrende Gedanken veranlaſſen.

Dann iſt es die Kammer, in deren Einſamkeit er Zuflucht vor ſich ſelbſt ſucht, die er zur Vertrauten des an ihm nagen - den Kummers macht und die ihm Troſt ſpendet. Dort kann er die Maske abwerfen, die er draußen zu tragen genöthigt iſt und ſeinen Gefühlen freien Lauf laſſen ja dann iſt der kleine enge Raum ein Schatz, deſſen Werth nicht hoch genug veranſchlagt werden kann, das Paradies, in dem er die traurige Gegenwart vergeſſen und träumen darf, träumen von der Ver - gangenheit, deren ſchöne Erinnerungen milden Balſam auf ſein wundes Herz träufeln, träumen von der Zukunft, die ihm im254WernerKreiſe ſeiner Lieben reiche Entſchädigung verſpricht und aus den trauten Bildern, die vor ſeiner Seele vorüberziehen, ſchöpft er friſchen Muth.

Es giebt nicht viel Schiffe, auf denen das Zuſammenleben in der Meſſe nicht mehr oder minder durch ſolche Verhältniſſe beeinträchtigt würde, wenn die Reiſen mehrere Jahre dauern. Leider muß man den Grund in der Schwäche des menſchlichen Characters ſelbſt ſuchen und darf es als einen beſonderen Glücks - fall bezeichnen, wenn die Harmonie bis zum letzten Augenblicke ungeſtört bleibt. Sehr viel freilich können zu ihrer Aufrechterhal - tung der Commandant und der erſte Officier beitragen. Letzterer lebt mit in der Meſſe, und wenn er beobachtet, kann er leicht den Anläſſen auf die Spur kommen, welche den erſten Grund zu den Zerwürfniſſen legen. Meiſtens ſind ſie ſo geringfügiger Natur, daß ein gutes Wort zur richtigen Zeit, ein Scherz, eine freundliche Mahnung ſie ſpurlos verwiſchen würden, während ſonſt, bei der gereizten Stimmung der Gemüther, leicht die Hydra der Zwietracht aus ihnen erwächſt und ſie ſich zur Quelle ſtets intenſiver werdenden Zornes und Haſſes geſtalten. Der erſte Officier iſt aber vor Allen die geeignetſte Perſönlichkeit, um es nicht ſo weit kommen zu laſſen. Er hat das Recht und die Verpflichtung dazu; er ſteht über den Parteien und kann ver - möge ſeiner Stellung, viel eher als jeder Andere, vermittelnd, beſchwichtigend und ausgleichend eintreten und in Verbindung mit richtigem Tactgefühl ſeine Autorität nach dieſer Richtung hin in wolthätiger Weiſe zur Geltung bringen.

In noch höherem Grade aber wird das Leben in der Meſſe und überhaupt an Bord durch den Commandanten bedingt. Dieſer hat es in der Hand, Allen den Aufenthalt auf dem Schiffe lieb und angenehm zu machen und dadurch am meiſten zur Fernhaltung von Zerwürfniſſen beizutragen, indem er nicht nur ſelbſt, ſoweit dies die eigentlichen Schiffsverhältniſſe geſtatten, mit den Officieren in kameradſchaftlicher Weiſe verkehrt, ſondern255Ernſtes und Heiteresihnen auch das Leben auf jede Weiſe erleichtert und freundlich geſtaltet. Leider iſt das nicht immer der Fall; es giebt Schiffs - commandanten, die in Folge unrichtiger Auffaſſung ihrer Stel - lung oder tadelnswerther Charactereigenſchaften ihr Schiff für Jeden unleidlich machen können, weil ſie die ihnen verliehene große Macht, die nicht mit Unrecht öfter mit der eines abſoluten Herrſchers verglichen wird, mißbrauchen, wenngleich ihnen keine Ueberſchreitung ihrer weitgehenden Befugniſſe nachzuweiſen iſt. Niemand kann einem Commandanten etwas anhaben, wenn er unter Berufung auf irgend welche dienſtliche Gründe Officieren und Mannſchaften den Urlaub verweigert oder ſo beſchränkt, daß es einem Verbote gleichkommt, wenn er die Exercitien ſo weit treibt, daß ſie zur Tortur werden, wenn er die Beſatzung ohne zwingende Urſache auf ſcharfe Waſſerration ſetzt, ſo daß die lechzende Zunge am Gaumen klebt, wenn er ſeinen Unter - gebenen die geringen Freuden, welche ihnen ihr ſchwerer Beruf gewährt, vergällt und vergiftet.

Glücklicher Weiſe ſind derartige Charactere ſelten, aber es hat deren gegeben und Lavandelle in ſeinem Vie navale er - zählt von einem ſolchen, der ſeinen Untergebenen das Schiff zur wahren Hölle machte, ſie zur Verzweiflung trieb und da - durch für ſich und ſie ein furchtbares, tragiſches Schickſal her - aufbeſchwor.

Es war dies der Commandant einer franzöſiſchen Kriegs - brigg, mit der er im Jahre 1836 auf zwei Jahre nach der Antillenſtation ging, eine jener niedrigen Seelen, deren Gemein - heit und Niedertracht ſich in ihrem wahren Lichte erſt zeigt, wenn ſie glauben, die Macht in Händen zu haben. So lange er Subalternofficier war, ſchmeichelte er Jedem, von dem er irgendwie Vortheile erhoffte, und namentlich den Vorgeſetzten. Vorwürfe nahm er von ihnen wie eine Gunſt entgegen, Grob - heiten und Ungerechtigkeiten mit ſanftem Lächeln. Er ſuchte ſich einen hohen Beſchützer aus, deſſen verdammte Seele er ſpielte,256Wernerer überſprang Kameraden, weil er kriechen konnte, erhielt Decorationen als Pflaſter für hingenommene Beleidigungen und endlich das Commando der Brigg als Belohnung für Speichel - leckerei.

Sein Ziel war erreicht; er ſtreifte die Maske ab, warf ſeinen beſpuckten Rock hinter ſich und zeigte ſein wahres Geſicht, das nicht erröthen konnte, weil es keine Scham mehr kannte. Seine Kameraden von geſtern, heute ſeine Untergebenen, wurden ſeine Opfer. Sie hatten ſeine Natur erkannt, es bis dahin unter ihrer Würde gehalten, ihm die Hand zu reichen, an Bord ihn unter Quarantäne geſtellt und ſeinen Namen nur mit einem verächtlichen Achſelzucken genannt. Er hatte alles gefühlt, aber mit lächelndem Munde auf ſeine Zeit gewartet; jetzt endlich war ſie gekommen und fortan wurde Rache die Triebfeder aller ſeiner Handlungen.

Die Brigg hatte zwei Jahre auf der Station in Weſt - indien gelegen, und dieſe ganze Zeit war für die Beſatzung nur ein hartes Gefängniß, eine ununterbrochene geiſtige und körper - liche Quälerei geweſen. Der Kapitän wohnte am Lande, aber übte von dort ſeine Gewalt über die Untergebenen aus; er hatte an Bord ſeine Spione, die ihm alles hinterbrachten. Faſt täglich erſchienen Befehle, die die härteſte Tyrannei übten, aber befolgt werden mußten, weil ſie die dienſtlichen Schranken inne hielten, und ſo wurden hundert Menſchen durch einen unſichtbaren Ver - folger allmälig zur Verzweiflung getrieben. Die Brigg war Meilen vom Ufer verankert, Niemand erhielt Urlaub und nur Einzelne kamen an’s Land, wenn der Dienſt es durchaus erforderte. Tödtlicher Haß gegen den Peiniger erwuchs in den Herzen der Officiere und Mannſchaften; er wurde nicht aus - geſprochen, aber deſto glühender flammte er in der verſchloſſenen Bruſt und drohte ſie zu ſprengen.

Endlich erſcheint der Tag der Heimkehr und der Kapitän kommt mit heiterer Miene an Bord. Seine Miſſion iſt beendet,257Ernſtes und Heiteresein höherer Grad erwartet ihn bei ſeiner Rückkehr. Auf den bleichen und abgezehrten Geſichtern der Mannſchaft zeigt ſich jedoch kein Freudenſtrahl, obwol es heimwärts geht; unheilver - heißender Ernſt lagert auf ihren Zügen und finſtere Wuth zieht ihr Herz krampfhaft zuſammen als ſie lautlos um das Gang - ſpill marſchiren, um den Anker zu lichten. Der Kapitän lieſt eine unbeſtimmte Drohung in ihren Mienen und es wird ihm unheimlich zu Muthe. Er ſucht mit den Officieren ein Ge - ſpräch anzuknüpfen, doch vergebens; ſie befolgen nur ſtumm die erhaltenen Befehle, ſonſt weichen ſie ihm ſcheu aus, wie dem böſen Feind.

Im Bahamacanal ſteigt eine auf, eine von jenen, die der Schrecken der Seefahrer ſind und den Orkan in ihrem Schooße tragen. Der Officier der Wache benachrichtigt den Kapitän von der nahenden Gefahr; er kommt an Deck und ertheilt den Befehl, Segel zu kürzen. Der Officier läßt Alle Mann aufpfeifen und wiederholt das erhaltene Commando, doch die Ausführung unterbleibt. Stumm und drohend ſteht die Mannſchaft auf dem Vorderdeck, der Bootsmann wirft ſeine Signalpfeife über Bord, reißt ſich die Abzeichen von der Jacke und ſtellt ſich ſchweigend an das Bugſpriet. Die Bande der Disciplin ſind geſprengt und der Gehorſam iſt gekündigt, wäh - rend der Sturm heulend über das Waſſer daherfährt.

Gei auf Marsſegel, ruft der erſchreckte Kapitän, indem Leichenbläſſe ſein Geſicht überzieht; er fühlt, daß die Nemeſis naht.

Wir werden die Segel nicht fortnehmen, erwidern hundert Stimmen zugleich.

Holen Sie Ihre Waffen! wendet ſich der Kapitän zu den Officieren, das iſt Meuterei! Der Angſtſchweiß perlt dem Feigling von der Stirn.

Die Angeredeten ziehen ſich nach dem Hinterdeck zurück; nur der Wachehabende bleibt auf der Commandobank; ſein glanzloſes Auge blickt dem Sturme entgegen, der pfeifend undR. Werner, Erinnerungen. 17258Wernerbrauſend hereinbricht und das Schiff durch die Wellen peitſcht, die von allen Seiten es zu verſchlingen drohen.

Einige wenige Nichtſeeleute und Matroſen begeben ſich zum Kapitän auf das Hinterdeck.

Was ſollen wir machen, ſprechen ſie mit ſchlotternden Knieen zu ihm, wir werden untergehen!

Nieder mit den Spionen! ruft die Mannſchaft, wir wollen ſterben.

Der Kapitän ſteht bleich und zitternd; er nimmt dem Officier der Wache das Sprachrohr ab, er hofft noch auf Wiederkehr der Ordnung, wenn er ſelbſt commandirt; aber die Antwort der Mannſchaft iſt nur höhniſches Lachen, das ſich mit dem Grollen des Sturmes miſcht. Dann verſchwindet auf eine Minute Alles im dampfenden Giſcht; die Brigg ſcheint unter - zugehen, ſie legt ſich auf die Seite und die See bricht dar - über fort.

Kappt die Maſten um Gottes Willen! tönt es heiſer aus der Bruſt des Kapitäns hervor. Seine Spione wollen hinunter und Beile holen, doch die Mannſchaft treibt ſie von den Luken zurück.

Wir wollen ſterben und er ſoll mit uns gehen, ruft es wieder vorn, und die Officiere bewahren ein düſteres Schweigen. Da kracht es, die Bemaſtung geht über Bord; die Brigg richtet ſich wieder auf, aber jetzt rammen die Maſten gegen die Bordwände und drohen Löcher zu brechen.

Ich verſpreche Euch Allen Begnadigung, ich ſchwöre es auf meine Ehre! bittet der Kapitän in höchſter Angſt, aber kappt die Taue!

Deine Ehre? Ha, wer glaubt daran? höhnen die Matroſen.

Der Kapitän fleht, wüthet und droht; die Mannſchaft ſchwelgt im Gefühl befriedigter Rache, aber es genügt ihr nicht mehr, aus Haß gegen einen verabſcheuten Vorgeſetzten Schiff259Ernſtes und Heiteresund Leben zu verlieren; ſie will mehr, ſie lechzt nach Blut und dringt in drohender Haltung zum Hinterdeck.

Du mußt ſterben, Hyäne! ziſcht es in ſein Ohr, ſterben mit uns, aber Du zuerſt und mit Dir Deine Spione.

Zu Hülfe, meine Herren Officiere, zu Hülfe! ich gelobe Ihnen meine Fürſprache, Beförderung, Orden die Angſt er - ſtickt ſeine Stimme aber die Officiere verhalten ſich ſchweigend wie bisher; nur der erſte Officier begiebt ſich in das Zwiſchen - deck hinunter. Der Kapitän glaubt, er wolle Waffen holen; ein ſchwacher Hoffnungsſchimmer leuchtet auf dem verzerrten Ge - ſicht, doch vergebens harrt er auf die Rückkehr. Die Sturzſeen überfluthen inzwiſchen das Deck, der Orkan heult und das Schiff erzittert unter den heftigen Stößen der gebrochenen Maſten gegen Bug und Seite. Mit dieſen Schrecken miſcht ſich der Angſtſchrei von Menſchen; es ſind die Spione des Kapitäns, die Mannſchaft hat ſich ihrer bemächtigt, ihnen die Kleider vom Leibe geriſſen und peitſcht ſie erbarmungslos. Blutgieriger Wahnſinn leuchtet aus den Augen der Matroſen, die Officiere ſchauen gleichgültig der furchtbaren Vergeltung zu; der Kapitän bricht in die Kniee und fleht um Gnade. In dieſem Augenblicke öffnet der erſte Officier die Thür zur Pulverkammer; ein Blitz und Donner wie von hundert Ge - wittern und das Schiff fliegt zerſchellt in die Lüfte Opfer und Henker werden von den Wellen verſchlungen.

Die iſt vorüber, der Sturm ſchweigt, die aufgeregten Wogen glätten ſich und die Sonne ſendet wieder friedlich ihre leuchtenden Strahlen zum blauen Ocean hernieder. Eine Stunde ſpäter paſſirt ein amerikaniſches Schiff die Stelle, wo das Grauſige ſich vollzogen. Auf einer zerbrochenen Spiere treibt der einzig Ueber - lebende der erſchütternden Kataſtrophe und wird von den Ameri - kanern aufgenommen; es iſt ein Schiffsjunge, halbtodt und mit ſchweren Brandwunden bedeckt. Er erzählte den Zuſammenhang, aber am andern Tage war auch er ſeinen Leiden erlegen.

17*260Werner

Ziehen wir einen Schleier über das düſtere Bild, das glücklicher Weiſe in der Geſchichte der Marine vereinzelt da - ſteht und wenden wir uns freundlicheren Scenen zu, wie ſie z. B. die Officiersmeſſe des Barbaroſſa bot. Abgeſehen da - von, daß das Stillliegen der Schiffe im Hafen dem Einzelnen geſtattet hätte, unerquicklichen Reibungen aus dem Wege zu gehen, ſtanden die Meſſemitglieder trotz der großen Verſchieden - heit des Characters, der Lebensanſchauungen und des Bildungs - grades auf einem ſehr guten kameradſchaftlichen Fuße und es herrſchte ein ſehr gemüthlicher Ton an Bord. Das hauptſäch - lich belebende Element war Fähnrich Mathy. Er hatte ein ſehr gewandtes Weſen, beſaß Humor und verband damit ein großes Erzählertalent, das die Unterhaltung ſelten in’s Stocken gerathen ließ. Er war ziemlich viel in der Welt umhergekommen und wußte bei jeder Gelegenheit irgend ein Erlebniß anzu - knüpfen, von dem es nur zweifelhaft blieb, ob er es ſelbſt er - lebt, adoptirt oder ganz oder theilweiſe erfunden hatte. Dabei nahm er es jedoch keineswegs übel, wenn man bisweilen in ſeine Erzählungen leiſen Zweifel ſetzte, ſondern tröſtete ſich damit, daß er die Lacher ſtets auf ſeiner Seite hatte.

Ein ähnlicher Character, wenigſtens was das Erzählen an - betraf, war Fähnrich Frank, nur waren ſeine Geſchichten weniger intereſſant als lang und behandelten vorzugsweiſe Spukthemata. Wehe dem Unglücklichen, der dieſen Erzählungen zum Opfer fiel; unter zwei bis drei Stunden kamen ſie nicht zu Ende und unter den Nebenumſtänden ging überdies regelmäßig die Pointe verloren. An ein Entkommen war gar nicht zu denken, wenn man ſich mit ihm allein befand und Lieutenant W., der mit Frank zuſammen die Wache hatte, mußte ſchwer darunter leiden. Keine Unterbrechung half; nach Beſeitigung einer Störung ſetzte Frank genau wieder bei den Worten ein, mit denen er aufgehört, bis der Lieutenant ſich in ſein Schickſal ergab und ihn zu Ende ſprechen ließ.

261Ernſtes und Heiteres

Nur in der Meſſe gelang es ihm ſehr ſelten, zu Worte zu kommen. Mathy’s Suade gegenüber war er machtlos und dieſer kappte regelmäßig Frank’s langen Faden ſo oft, bis dieſer es aufgab, ihn weiter zu ſpinnen und ſich verdrießlich in ſeine Kammer zurückzog. Gewöhnlich gelang es ihm jedoch, Mr. Roberts, den engliſchen Maſchineningenieur, mit ſich zu bug - ſiren und ihn zu einem Glaſe Grog einzuladen. Mr. Roberts war ein dankbarer Zuhörer; er verſtand zwar kein Deutſch, da Jeder mit ihm engliſch ſprach, aber dies hielt ihn nicht ab, den Geſprächen der Uebrigen in der Meſſe mit größter Aufmerk - ſamkeit zu lauſchen und dann und wann den bewundernden Ausruf how funny wie komiſch! dazwiſchen zu werfen. Als Frank’s Gaſt hatte er den doppelten Genuß, deſſen Spuk - geſchichten in Engliſch anzuhören, wodurch ſie noch länger wurden und dazu bei einem ſteifen Grog zu ſitzen; was von beiden ihm beſſer gefiel, blieb unentſchieden.

Eine tonangebende Perſönlichkeit war auch der Arzt des Schiffes, Dr. Altmanns, ein Süddeutſcher von queckſilberner Be - weglichkeit. Dem militäriſchen Range nach war er als Marine - arzt II. Claſſe der Aelteſte der Meſſe und von Anfang an mit Erfolg beſtrebt geweſen, dieſen Standpunkt zur Geltung zu bringen. Er war ein ſtarker Dialectiker und geiſtig ſehr ge - wandt. Die Seeofficiere waren ihm in dieſer Richtung nicht gewachſen, er ſprach ſie im Wortkampf ſehr bald todt und hatte dadurch ſo ziemlich die Alleinherrſchaft an ſich geriſſen. Eines Tages war dieſe Herrſchaft aber erſchüttert worden, die Autori - tät hatte einige arge Stöße erlitten und der Doctor hielt ſich infolge deſſen etwas mehr im Hintergrunde.

Bei einer ſonſt liebenswürdigen Außenſeite, die den Ver - kehr mit ihm erleichterte, hatte Altmanns einige Schwächen, die ſeinen Kameraden eine Handhabe boten, ſich für die in den Wortgefechten ſtets erlittenen Niederlagen zu rächen. Er war ziemlich eitel, und nicht nur auf ſeine vermeintliche geiſtige Ueber -262Wernerlegenheit, ſondern auch auf ſeine Perſon, namentlich aber auf ſeine wirklich ſehr kleinen und zarten Hände, die er deshalb auch mit beſonderer Sorgfalt pflegte. Sie und die Epauletten mit den glänzenden goldenen Troddeln trug er gar zu gern zur Schau und ging deshalb viel an Land. Selten verſäumte er einen Ball, machte allen hübſchen Mädchen den Hof, tanzte ſehr flott und hielt tapfer bis zuletzt aus, ſo daß er dann erſt ſpät Nachts an Bord zurückkehrte. Auf dieſen Umſtand hin war ihm ein unangenehmer Streich geſpielt worden.

Bei der Rückkunft in einer bitterkalten Winternacht fand er zu ſeinem Schrecken in ſeiner Coje ſechs 68pfündige Kugeln fein ſäuberlich in eine Reihe gelegt. Vergebens gab er ſich die erdenklichſte Mühe, ſie herauszuheben. Seine ſchönen und ſorg - ſam gepflegten Hände waren nicht im Staude, die Koloſſe zu umſpannen und hartnäckig entglitten die letzteren bei jedem Ver - ſuche. Jemand von der Wache um Hülfe zu bitten, wagte der Doctor nicht, aus Beſorgniß, am nächſten Tage der allgemeine Gegenſtand kauſtiſchen Matroſenwitzes zu werden; ſeinen treuen Burſchen konnte er nicht wecken, da er deſſen Hängematten - nummer im Zwiſchendeck nicht kannte, und ſo blieb ihm nichts übrig, als den Reſt der Nacht auf einem Stuhle zuzubringen. Ofen hatten die Kammern nicht; wollten die Inhaber ſich ein - mal auf eine Viertelſtunde die Illuſion behaglicher Wärme gönnen, dann wurde in der Küche eine 32-Pfünder-Kugel glühend gemacht, in einen mit Sand gefüllten Eimer gelegt und damit ein Ofen improviſirt. Doch Nachts brannte kein Feuer in der Küche, und ſo ließen Aerger und Kälte den Doctor kein Auge ſchließen, bis endlich mit der Reveille der treue Burſche erſchien und ihn aus der fatalen Situation befreite.

Kurze Zeit darauf wurde ſeine Eitelkeit jedoch noch em - pfindlicher beſtraft. Ein Meſſevorſtand an Bord hat eine ſchlimme Stellung; er muß ſehr geduldig ſein, um ſich durch die ſtets geübte Kritik der übrigen Kameraden nicht den Appe -263Ernſtes und Heiterestit verderben zu laſſen und fährt nur dann gut, wenn er ſich an nichts kehrt, ſondern lediglich das kochen läßt, was ihm ſelbſt ſchmeckt. Trotzdem giebt es Ehrgeizige, die nach dieſer viel - geſchmähten Stellung ſtreben, und zu ihnen gehörte auch Alt - manns. Er war einer der ſchärfſten Kritiker und brachte es auch endlich ſo weit, daß er ſeine eigene Wahl durchſetzte. Als ſein Vorgänger ihm die vorhandenen Vorräthe übergab, fanden ſich unter denſelben auch mehrere Blechbüchſen, dem Anſcheine nach Conſerven, die zu jener Zeit ſich an Bord der Schiffe einzuführen begannen. Auf die Frage nach dem Inhalte, er - hielt der Doctor die Antwort: Grüne Erbſen; ſie müſſen drei Stunden in der Büchſe kochen und erſt kurz vor dem Anrichten geöffnet werden, dann ſchmecken ſie aber wie friſch gepflückt.

Der neue Meſſevorſtand war über die Ausſicht auf friſches Gemüſe mitten im Winter ſehr erfreut. Am nächſten Sonntag wurden mehrere Gäſte zu Mittag geladen, und Altmanns gedachte, ſie nicht wenig mit den Conſerven zu überraſchen. Er inſtruirte den Koch genau und machte es ihm zur Pflicht, ihn zur rich - tigen Zeit zu rufen, um ſelbſt beim Oeffnen zugegen ſein zu können. Kurz vor Tiſch kam denn auch die betreffende Meldung; die Büchſen wurden aufgeſchnitten, aber man denke ſich des Doctors Entrüſtung die Erbſen hatten ſich in Eiſen ver - wandelt! Die vermeintlichen Conſerven waren Kartätſchbüchſen für die Salutgeſchütze des Barbaroſſa . Für Spott brauchte Altmanns nicht zu ſorgen; er heimſte mehr als wünſchenswerth davon ein, umſomehr, als auch der Reſt des Diners kläglich ſcheiterte und die Gäſte hungrig vom Tiſche aufſtehen mußten.

Um das Beſtmögliche zu leiſten, hatte nämlich der neue Meſſevorſtand den Koch durch eine Flaſche Madeira anzuſpornen verſucht, aber ſie ihm unvorſichtiger Weiſe ſchon vor ſtatt nach Tiſche geſchickt. Die Bouillon, noch vor Einwirkung des Madeira gekocht, war ausgezeichnet. Dann aber paſſirte die unangenehme Geſchichte mit den Kartätſchen. Wäre Altmanns264Wernernicht ſelbſt ſo aufgeregt geweſen, hätte er ſchon beim Oeffnen der Büchſen die bedenkliche Weinlaune des Kochs bemerken müſſen, doch ſo war ihm dies gänzlich entgangen. Nach Aus - fall des Zwiſchengerichtes ſetzte er ſeine Hoffnung auf den Reh - rücken. Er hatte ihn ſelbſt ausgeſucht, ihn drei Tage in ſaure Sahne legen laſſen, da mußte er ja vorzüglich ſein. Nach ſehr langer Pauſe, während der der Doctor auf Nadeln ſaß, erſchien endlich der Braten aber o Himmel! vollſtändig ver - kohlt und ungenießbar. Die Gäſte mußten ſich mit Compot und Pickles begnügen. Altmanns war zerſchmettert, ſein Re - nommée ſtand auf dem Spiel, ja es war zum großen Theil ſchon verloren, malitiöſe Bemerkungen ſchlugen an ſein Ohr nur der letzte Gang, der Pudding, weckte noch einen ſchwachen Hoffnungsſchimmer.

Wieder nach ſehr langer Pauſe, in der ſich die Unter - haltung nur mühſam fortſchleppte, erſchien er. Stolz und ſtattlich prangte er auf einer mächtigen Schüſſel in ſo rieſiger Größe, daß die Geſellſchaft ſich unbedingt daran ſatt eſſen konnte; doch die Freude war nur von kurzer Dauer und ein Blick auf das Prachtſtück in der Nähe ließ den armen Meſſe - vorſtand erbleichen. Was war das für eine ſonderbare Garni - rung? Ueberall ſchauten verdächtige weiße Zierrathen aus der Oberfläche hervor. Der Anſchnitt gab die Erklärung, aber ſie war vernichtend.

Nimm vierundzwanzig ganze Eier, hatte in dem vom Doctor ausgeſuchten Recept geſtanden. Infolge des Madeira hatte der Koch doppelt geſehen und achtundvierzig geleſen, im übrigen aber die ganzen Eier buchſtäblich genommen und nicht nur Gelbes und Weißes, ſondern auch die Schalen in den Pudding geſchlagen.

Das war für den armen Meſſevorſtand ein harter Schlag, ſein Debüt ein über alle Maßen trauriges geweſen. Noch am ſelben Abend legte er die neue Würde nieder, die dann endlich265Ernſtes und Heiteresin die richtigen Hände, in die des Zahlmeiſters kam. Für die nächſten Monate hielt er ſich aber ſehr zurück und die Seeoffi - ciere hatten Aufwaſſer. Fähnrich Mathy, der das Artillerie - material an Bord zu verwalten hatte, war höchlich erſtaunt, daß Kartätſchbüchſen unter die Vorräthe der Officiersmeſſe gerathen waren. Er ließ die drei gekochten wieder löthen, neu anſtreichen und ſie, um ſpäteren Mißverſtändniſſen vorzubeugen, dorthin ver - ſtauen, wohin ſie gehörten, in die Kugelracken um die Maſten.

An ſchönen Sommerabenden pflegten ſich nach Beendi - gung des Dienſtes die meiſten Meſſemitglieder auf dem Ober - deck, mittſchiffs, in der Nähe des Maſchinenſchornſteins zu verſammeln, um bei einer Cigarre ein Plauderſtündchen zu halten. Unten in der Meſſe durfte nämlich nicht geraucht werden; der Commandant betrachtete das als ein Capitalver - brechen. An Bord der Kriegsſchiffe herrſcht mancherlei ſonder - bare Etikette, die vielfach berechtigt iſt, aber aus früheren Zeiten auch eine Menge zopfigen Ballaſtes mit ſich führt, der an und für ſich keinen weiteren Sinn hat, als Unterofficieren und Mannſchaften einen unnöthigen Zwang aufzulegen und ihnen dadurch das Leben zu erſchweren. In neuerer Zeit hat man verſtändiger Weiſe Verſchiedenes von dieſem Zopf abge - ſchafft und dabei in Betracht gezogen, daß ein Wohlfühlen der Beſatzung an Bord und Gewähren harmloſer und gewohnter Genüſſe viel mehr zur Aufrechterhaltung der Disciplin und eines guten Geiſtes beiträgt, als alle Strenge und zweckloſe Etikette. Unſer Kapitän vermochte die Sache jedoch nicht von dieſem weiteren Geſichtspunkte aufzufaſſen; je weniger der alte Mann vom eigentlichen Dienſte verſtand, deſto mehr ſuchte er ihn in der peinlichen Beobachtung von Aeußerlichkeiten. Das Nichtrauchen in der Meſſe war ihm noch aus ſeiner kurzen Dienſtzeit vor drei Jahrzehnten als Maſter in der engliſchen Marine erinnerlich und nun ritt er es als Steckenpferd.

An einem prachtvollen warmen Sommerabend ſaßen Offi -266Wernerciere und Beamte auf dem Rauchplatze. Die Unterhaltung drehte ſich um ein großes Herrenfrühſtück, das der Commandant des Ernſt Auguſt am Tage zuvor zur Feier ſeines Geburts - tages an Bord ſeines Schiffes gegeben hatte und zu dem eine große Anzahl Gäſte, wie auch verſchiedene Officiere des Barba - roſſa eingeladen geweſen waren. Daß es dabei ſehr heiter hergegangen und mancher am andern Morgen mit ſchmerzenden Haaren aufgewacht war, kann man ſich denken, da dergleichen auch anderwärts vorkommt.

Mathy war wie gewöhnlich der Vortragende; die Wunden, welche die Kartätſchbüchſen und die 68-Pfünder dem Doctor Altmanns geſchlagen, waren noch nicht vernarbt und er beſchränkte ſich auf das Zuhören. Fähnrich Frank hatte ſchon verſchiedene Male vergebens verſucht, auch zu Worte zu kommen und den Erzähler in ſeinem Referate zu ergänzen, allein es war ihm nicht gelungen und er rückte infolge deſſen ſehr unruhig mit ſeinem Stuhle hin und her.

So ſcheint alſo das Amüſement ein allgemeines geweſen zu ſein, bemerkte Zahlmeiſter Albert.

Sicher, erwiderte Mathy. Sie können es daraus ent - nehmen, daß das Frühſtück netto zwölf Stunden dauerte, von ein Uhr Mittags bis ein Uhr Nachts. Es fing an Bord mit ſechszig Gäſten an und endete ſchließlich in Schillings Hotel mit ſechs der tapferſten Streiter; der Verbrauch von achtzig Flaſchen Champagner erklärt dieſen Ausfall zur Genüge.

Eine kurze Pauſe, welche Mathy machte, ſchien Frank eine günſtige Gelegenheit zu bieten, den Zuhörern eine ſeiner Ge - ſchichten zu verſetzen. Ja, bekräftigte er, es war eine ſolenne Fête, wie ich ſie nur noch einmal in meinem Leben mitgemacht habe. Nun, meine Herren, das war eine ganz famoſe Ge - ſchichte, die ich Ihnen doch erzählen muß. Als ich noch in Hamburg auf der Schule war ....

Aber Frank, unterbrach Mathy ſeinen Rivalen bei dieſen267Ernſtes und HeiteresWorten, die den ſteten Anfang ſeiner Geſchichten bildete, nehmen Sie mir’s nicht übel; erſtens iſt das ſchon lange her und dann haben Sie auch herzlich wenig vom geſtrigen Früh - ſtück geſehen und können eigentlich nicht gut darüber urtheilen.

Wie ſo? fragte Frank in komiſchem Zorn.

Nun, erwiderte Mathy lachend, nach dem Braten wurden Sie ſentimental, beim Deſſert fingen Sie an zu ſingen, und als wir vom Tiſch aufſtanden, verſuchten Sie, den Adjutanten des alten Hauptmanns von Kapernaum in Brand zu ſtecken.

Was ſagen Sie? äußerte Frank auf das Höchſte er - ſtaunt, davon iſt mir ja nicht das Geringſte bekannt. Als ich in Hamburg ....

How funny! warf Mr. Roberts dazwiſchen. Er hatte die Uebrigen lachen ſehen und daraus geſchloſſen, daß es ſich um etwas Komiſches handelte. Die Bemerkung verſtärkte natür - lich noch die Heiterkeit und Frank ſtockte einen Augenblick.

Eben darum, fiel Mathy ein. Sie erinnern ſich der Sache nicht mehr; daran trug der Champagner Schuld und deswegen ſagte ich, Sie hätten wenig vom Verlaufe geſehen.

Frank ſchien die Ueberzeugung zu gewinnen, daß er heute ſeine Geſchichte nicht an den Mann bringen würde, verſchwand in ſeine Kammer und der getreue Mr. Roberts mit ihm.

Was war das mit dem Inbrandſtecken des Lieutenant Decker? fragte der Zahlmeiſter.

Nun, erzählte Mathy weiter, der Champagner war ausgezeichnet und that ſeine Schuldigkeit; beim Deſſert wurde die Sache ſchon etwas bunt; die leidigen Toaſte wollten kein Ende nehmen, den Meiſten ging das Mundwerk mit Voll - dampf und ſelbſt der ſonſt ſo ſchweigſame alte Kapitän Traſſer von der Deutſchland kletterte auf den Tiſch und hielt eine lange Rede in flämiſcher Sprache, von der Niemand etwas verſtand.

Der Marineſtabsarzt und der Secretär des Admirals ge - riethen in heftigen Disput wegen ihrer Journalnummern und268WernerJeder wollte aus deren Zahl nachweiſen, daß es in ſeinem Reſſort viel mehr zu thun gebe, als in dem des andern. Der Stabsarzt behauptete, der Secretär hätte gleich mit Nr. 500 begonnen und dieſer wieder warf dem Doctor vor, daß er alle Einladungs - und Viſitenkarten, die bei ihm abgegeben würden, mit journaliſiren laſſe. Ihren Streit überſchrie dann der taube Hauptmann von Kapernaum wieder. Er erzählte, daß die Jungens von Bremerhafen auf der Lünette Fuchs , wo das geſammte Pulver für ſein Fort Wilhelm lagere, ein mächtiges Johannisfeuer angezündet hätten. Wenn das in Hannover bekannt würde, ſo könnten wol noch drei Jahre darüber ver - gehen, bis er Major würde. Das ſei aber nach 27jähriger tadelloſer Dienſtzeit als Hauptmann eine um ſo traurigere Aus - ſicht, als es mit ſeinem Gehör, wegen deſſen er bis jetzt nicht befördert ſei, doch täglich entſchieden beſſer werde. Neulich, als an ſeinem Geburtstage der Adjutant und der Unterofficier der Feſtungsbeſatzung zur Gratulation gekommen, habe er ſchon ganz deutlich ihr Klopfen an der Thür vernommen. Wie mir jedoch Decker vor einiger Zeit mittheilte, war ihm ein Böller vor die Stubenthür geſetzt und abgefeuert worden; das hatte dann der Hauptmann für Klopfen gehalten und Herein gerufen.

Um dieſe Zeit wurde nun die Tafel aufgehoben und die Geſellſchaft vertheilte ſich auf dem Deck. Frank verſuchte auch ſpazieren zu gehen, hatte aber ſeine Rundhölzer nicht mehr recht unter Commando, beſaß etwas zu viel Topgewicht und ſchlingerte deshalb ziemlich ſtark. Aehnlich ging es dem Adjutanten und ſo kamen beide von einander unklar. Das gab dann eine höchſt ergötzliche Scene. Frank drehte ſich um, ſchaute den Lieutenant eine Weile mit durchbohrenden Blicken ſtumm an und ſagte dann in dem feierlichen Tone, den Sie an ihn kennen, Herr, Sie ſind der verwerflichſte Character des neunzehnten Jahrhunderts, und ſchlingerte langſam weiter auf das Vordeck zu. Der Lieute - nant drehte ſich auch um und es überkam ihn ein unbeſtimmtes269Ernſtes und HeiteresGefühl, daß er ſich eine Erklärung der geäußerten Worte aus - bitten müſſe.

Was wollen Sie damit ſagen, Herr F ähnrich? interpellirte er Frank, als es ihm gelungen war, dieſen einzuholen.

Dieſer ſah ihm wieder eine Weile ſtarr in’s Geſicht wie vorhin und ſprach in demſelben feierlichen Tone: Herr, es wäre beſſer für Sie, Sie wären nie geboren worden.

Wir Umſtehenden lachten natürlich laut, doch ſchien dies Decker nur noch mehr zu reizen. Soll das eine Be leidigung ſein? ſtotterte er hervor.

Beleidigung? erwiderte Frank nach einigem Beſinnen, indem ſein bisheriger Ernſt allmälig dem vergnügteſten Lachen wich, nein! Ich habe nur einmal in meinem Leben einen Menſchen beleidigt, als ich in Hamburg auf der Schule war, ſeitdem nicht wieder, am allerwenigſten aber Dich, zugeknöpfter Waffenbruder. Komm an mein Herz, dann wirſt Du fühlen, wie ich Dich liebe! rief er dann gerührt, breitete die Arme aus und umſchlang zu unſerm Gaudium inbrünſtig den ver - blüfften Lieutenant, der aber plötzlich aufſchrie und mit Händen und Füßen arbeitete, um ſich aus der Umarmung zu befreien.

Wir ſprangen hinzu, um zu ſehen, was geſchehen ſei und fanden allerdings den Schrei ſehr gerechtfertigt. Frank hatte in ſeiner Rührſeligkeit die brennende Cigarre im Munde ver - geſſen und dieſe ſo gegen den Hals des von ihm umfangenen Adjutanten gepreßt, daß letzterer ein tüchtiges Brandmal davon trug. Nun gab es natürlich etwas Aufregung, und wir hatten genug zu thun, um den Lieutenant zu beruhigen und ihm zu beweiſen, daß nur ein unglücklicher Zufall an dem Vorgange Schuld ſei. Kaum war dies gelungen, als ſich eine andere merkwürdige Scene abſpielte. Wir hörten plötzlich Hülferufe im Zwiſchendeck, als ob Jemand umgebracht würde. Ich ſprang voll Beſorgniß durch die Vorluke hinunter und ſah dort vier270Werneroder fünf Kranke mit angſterfüllten Mienen auf zwei Aerzte deuten, die im Lazareth ſtanden. Es waren Aſcheberg vom Ernſt Auguſt und Bell von der Hamburg . Letzterer hielt, wie Sie wiſſen, von ſeiner Fahrt auf holländiſchen Kriegsſchiffen her, grundſätzlich alle kranken Matroſen für Simulanten, wenn ſie nicht wenigſtens ein Bein gebrochen haben. Er ſteht deshalb mit ſeinen Collegen ſehr viel in Conflict, weil dieſe unſere deutſchen Matroſen nicht mit dem Auswurf auf holländiſchen Schiffen auf gleiche Stufe ſtellen wollten. Geſtern war er durch den Champagner noch mehr in ſeiner Anſicht beſtärkt worden und hatte durch Anwendung eines neuen Heilverfahrens die Kranken ſo in Schrecken geſetzt. Nach Tiſch forderte er Aſcheberg auf, ihm ſeine Patienten zu zeigen, unter denen ſich einige hochinter - eſſante Fälle befinden ſollten. Beide kamen auch glücklich die Treppe hinunter bis in das Lazareth, wo die Kranken bei der großen Hitze ihre Hängematten verlaſſen hatten und auf den Bänken an Bord ſaßen oder lagen.

Wie viel haſt Du heute? fragte Bell.

Drei innere und vier äußere, erwiderte Aſcheberg.

So, und was fehlt dieſem hier? examinirte Bell weiter, indem er auf einen Mann deutete, der ausgeſtreckt auf der Bank lag und ſchlief.

Febris intermittens mit bedeutender Leberanſchwellung.

Was haſt Du ihm gegeben?

Zwanzig Gramm Chinin.

Chinin? lallte Bell, das w irkt viel zu langſam, da w eiß ich ein beſſeres Mittel von Holland her, das augen - blicklich hilft. Paß einmal auf. Dabei holte er mit der Hand aus und verſetzte dem nichts ahnenden Fieberkranken einen ſo wuchtigen Schlag auf deſſen Rücken, daß dieſer pfeilſchnell in die Höhe fuhr und auf den Beinen ſtand. Als er den Doctor zum zweiten Schlage ausholen ſah, ſtürzte er aber hülfe - ſchreiend und in der Meinung, er habe es mit einem Wahn -271Ernſtes und Heiteresſinnigen zu thun, in das Zwiſchendeck und die übrigen Kranken hinter ihm her.

Siehſt Du, College, rief Bell lachend dem ganz perplex daſtehenden Aſcheberg zu, wie probat mein Mittel iſt! Alles auf einmal curirt; das kenne ich von Holland her lauter Simulanten die Kerle. Ich weiß mit ihnen umzugehen, ha, ha! alles Si mu lan

Das letzte Wort kam nur noch in Gurgeltönen zu Tage, dann ſank Bell auf die Bank, wo der Kranke gelegen, und verfiel in einen Todtenſchlaf.

Ein lautſchallendes Gelächter veranlaßte den draſtiſchen Erzähler, eine kleine Pauſe zu machen. Was ſagte denn aber Aſcheberg zu dem Experiment? fragte Fähnrich Neuland, als wieder etwas Ruhe eintrat.

Nun er war völlig außer ſich, da Sie ja wiſſen, wie ungemein beſorgt er um ſeine Kranken iſt, und hat Bell radical die Freundſchaft gekündigt. Uebrigens hörte ich heute, daß dieſer ſelbſt von ſeiner geſtrigen Kur ſehr angegriffen iſt. Sein Kapi - tän hat ihm heute Morgen deshalb in Gegenwart des erſten Officiers gerathen, acht Tage lang ſeine Kammer zu hüten, und zwar ſoll dies infolge eines Schreibens vom Admiral geſchehen ſein, der alſo wol Kenntniß von dem ſonderbaren Heilverfahren erhalten haben muß.

Der Bootsmannsmaat der Wache pfiff die Seite, und die Ankunft eines Officiers unterbrach einen Augenblick die Unter - haltung.

Ah, guten Abend Flamberg, wie geht es Ihnen? das iſt nett, daß Sie ſich einmal wieder ſehen laſſen! tönte es ihm von allen Seiten entgegen, und die Bewillkommnung zeigte, ein wie gern geſehener Kamerad der Neuangekommene ſein mußte. Er war Lieutenant bei den Marinieren, wie damals die Seeſoldaten hießen, und ein fideles Haus, deſſen Humor jede geſellige Unterhaltung, an der er ſich betheiligte, zu würzen272Wernerund zu beleben verſtand. Heute jedoch lagerte ein ſinnender Ernſt auf ſeinen Zügen.

Was haben Sie, Flamberg? fragte der ihm ſpeciell be - freundete Zahlmeiſter. Sie machen ja ein Geſicht wie drei Tage Regenwetter.

Laſſen Sie ſich nicht ſtören, meine Herren, erwiderte der Lieutenant; es iſt eine Erinnerung, die mich den ganzen Tag ernſt geſtimmt hat. Ich fühle das Bedürfniß, mich etwas aufzuheitern, deshalb kam ich. Ich ſehe es Ihnen an, Mathy, Sie ſind am Erzählen. Fahren Sie fort, ich höre zu, dann wird ſich meine Stimmung wol beſſern.

Ich machte meinen Rapport über das geſtrige Feſt, ſagte dieſer, war aber ziemlich damit zu Ende gekommen, denn viel bleibt nicht mehr zu erzählen. Es wurde von der Geſellſchaft noch das Theater beſucht, deſſen ſämmtliche Plätze der Kapitän des Ernſt Auguſt für ſeine Gäſte belegt hatte, und wir ſpielten ein wenig mit, wogegen der durch das ausverkaufte Haus über - glückliche Director natürlich nichts einzuwenden hatte. Dann wurde Kurs auf Schillings Hôtel geſetzt und daſſelbe trotz des con - trären Windes wenigſtens von einem Theile der fröhlichen Ge - ſellſchaft erreicht, die ſich indeſſen allmälig immer mehr ver - kleinerte. Nur ſechs von uns behaupteten ſchließlich das Feld bis Mitternacht, wenngleich uns heute Morgen beim Erwachen etwas Kopfſchmerzen plagten.

Bei dieſen ſechs waren auch Sie, Flamberg, nicht wahr? fragte ein Officier, dann kann ich mir allerdings Ihre heutige trübe Stimmung erklären.

Ach nein, erwiderte dieſer elegiſch, das iſt’s nicht. Sie wiſſen, dergleichen ficht mich nicht ſo ſehr an. Wie ich Ihnen ſagte, es iſt eine Erinnerung, und dabei blies der Sprecher gedankenvoll dichte Rauchwolken in die Luft.

Nun heraus damit, alter Freund, rief Albert, Sie halten doch ſonſt nicht hinterm Berge.

273Ernſtes und Heiteres

Wenn Sie es denn durchaus erfahren wollen, es iſt heute der Jahrestag einer Begebenheit, die ich möchte ſagen meinem ganzen Leben eine höhere Weihe gegeben hat, begann Flamberg feierlich, was jedoch nicht hinderte, daß Alle, die den flotten, leichtlebigen Lieutenant näher kannten, laut auflachten.

Lachen Sie nicht, meine Herren, fuhr der Letztere in demſelben Tone fort, es iſt eine ernſte Geſchichte. Es iſt Ihnen bekannt, daß ich 1848 bei den Preußen ſtand. Mein altes frommes Mütterchen, die nach ſchwerem Kampfe endlich ihre Einwilligung ertheilte, daß ich als Freiwilliger eintreten durfte, übergab mir beim Abſchiede noch ein Büchelchen, den Thomas a Kempis, und ich mußte ihr geloben, denſelben ſtets bei mir zu tragen und ſo oft ich Zeit fände, darin zu leſen. Dies Verſprechen habe ich auch erfüllt und trage ſeitdem das Buch ſtets in meiner Bruſttaſche.

Es war bei den Dannewerken, meine Herren! Ich befand mich in den vorderſten Reihen der Stürmenden und wir drangen mit ſolchem Ungeſtüm vorwärts, daß, wie Gefangene ſpäter ausſagten, die Dänen geglaubt hatten, wir rennten wie die Stiere mit den Köpfen voran, um unſere Gegner mit der Pickel - haube aufzuſpießen.

Allgemeine Heiterkeit der Zuhörer.

Ja, wahrhaftig, bekräftigte der Erzähler, ſo war es; aber die Dänen ſchoſſen auch verteufelt gut hinter ihren Schanzen und der Tod hielt furchtbare Ernte unter uns. Meine Com - pagnie litt ganz beſonders. Mit den Wenigen, die noch übrig geblieben, ſtürmte ich unaufhaltſam vorwärts. Ich hatte das Glück, die erſte preußiſche Fahne auf den Wällen aufzupflanzen; im ſelben Augenblicke war es mir, als ob ich von unſichtbarer Fauſt einen Schlag vor die Bruſt erhielt. Ich taumelte zurück, raffte mich aber ſchnell wieder auf und fand mich merkwürdiger Weiſe unverletzt. Die Dannewerke waren genommen; die Preußen hatten einen ihrer ſchönſten Siege errungen.

R. Werner, Erinnerungen. 18274Werner

Gegen Abend bezogen wir Quartiere und ich kam auf einen einzeln gelegenen Bauernhof. Ehe ich mich ſchlafen legte, zog ich meinen Thomas a Kempis hervor, um darin zu leſen ich hatte es lange nicht gethan da denken Sie ſich mein Erſtaunen, meine Herren! das Buch war von einer Kugel durch - löchert, die innere Seite aber unverletzt, ſo daß die Kugel noch im Buche ſtecken mußte, wo ich ſie auch richtig zwiſchen den Blättern fand. Auf dem erſten unverletzten Blatte begann das achtzehnte Capitel des vierten Buches und an der Stelle, wo die Kugel einen ſichtbaren Bleiabdruck hinterlaſſen, ſtanden die Worte: es geſchieht bisweilen Mehreres, als der Menſch be - greifen kann.

Bravo Flamberg, gut erzählt, bravo! riefen die Zu - hörer, aber zeigen Sie uns das Buch, da Sie es ja ſtets bei ſich tragen.

Das Buch? Ja ſo, ich erinnere, als ich an Bord ging, wechſelte ich den Rock und es iſt in der Taſche ſtecken geblieben. Nun das nächſte Mal bringe ich es mit, aber die Kugel habe ich hier, die können Sie ſehen. Dabei holte er eine alte Mus - ketenkugel aus der Geldbörſe, doch vermochte ſie nicht die auf - tauchenden Zweifel zu beſchwichtigen. Flamberg war es jedoch gewohnt, dergleichen öfter zu hören und ſteckte daher die Kugel gleichmüthig wieder in ſeine Börſe. Der Thomas a Kempis war natürlich auch ſpäter nicht zur Hand, wenn Nach - frage kam; daß der Lieutenant aber den Jahrestag des Sturmes der Dannewerke vom 23. April auf den Juli verlegt hatte, wurde von ſeinem Auditorium nicht bemerkt, da deſſen Aufmerk - ſamkeit in dieſem Augenblicke ein anderer Gegenſtand voll in Anſpruch nahm.

Ein dreimaſtiger Schuner unter nordamerikaniſcher Flagge kreuzte die Weſer herauf und ſchoß mit der friſchen Brieſe in unmittelbarer Nähe der Hanſa vorüber. Aller Augen richte - ten ſich auf denſelben, denn der Seemann hat nicht nur für275Ernſtes und Heiteresſein eigenes, ſondern auch für jedes fremde Schiff hohes Inter - eſſe. Er muſtert es mit kritiſchem Blicke, ſucht Vorzüge und Nachtheile im Belauf der Planken oder in der Takelage und zieht in Gedanken oder laut Parallelen mit den Eigenſchaften ihm bekannter Fahrzeuge.

Der Schuner übte aber eine ganz beſondere Anziehungs - kraft, denn ſeine äußere Erſcheinung wich von den gebräuch - lichen Formen, namentlich von den in deutſchen Gewäſſern vor - kommenden, weſentlich ab. Sein langgeſtreckter Rumpf, der ungemein ſcharfe und oben ausfallende Bug, die ſchrägſtehenden Maſten, ſowie überhaupt der ganze Schnitt waren etwas Neues und Ungewohntes.

Man ſah es dem Fahrzeuge ſogleich an, daß es ein ebenſo tüchtiges Seeſchiff wie vorzüglic