Es war ſpät am Abende, ja die Nacht brach ſchon herein, als ein kleiner polniſcher Wagen vor einem Gehölz hielt. Die kleinen Pferde pruhſteten ange - griffen, denn es war kein eigentlicher Weg, auf welchem ſie dahergekommen waren, und der Boden war halb feucht und halb gefroren. Dazu herrſchte eine undurchdringliche Finſterniß, die Thiere ſchienen ſelbſt voll Angſt zu ſein; wie denn bekanntlich das Pferd ein’s der ſenſibelſten Geſchöpfe iſt, und faſt überall nur Eindrücken der Furcht nachgiebt. Dazu knallte bald hier, bald da noch ein Schuß, plötzlich und unerwartet jagte ein Reiter oder ein Fuhrwerk vorüber — es war nicht zu verwundern, daß man dicht neben ihnen den warmen Dampf ſpürte, wel - chen ſie ausſtrömten. — Aus dem kleinen Wagen kroch eine Figur, und ſchritt in das Gehölz. Dort4 ſchlug ſie Feuer, zündete in einer alten Laterne ein Lichtſtümpchen an, und ſchloß die kleine blechne Thür ſogleich wieder. Die Wände der Laterne waren trübes, ſchmutziges Horn, das Licht gab alſo nur einen ſehr matten, unſichern Schein, bei welchen kaum die äußern Umriſſe des Mannes zu erkennen waren.
Er trug einen langen Mantel, ſein Geſicht war durch eine tiefe Mütze halb verhüllt — nur wie er mit der Laterne am Geſträuche herumſuchte, kam er einmal mit dem Lichte bis in die Nähe der Bruſt, und man ſah einen dichten grauen Bart aus dem Mantel herauskucken.
Sein Beſtreben ging dahin, einen Zugang in’s Gehölz zu finden, und bald fuhr er auch ſeinen Wa - gen mitten in eine kleine Birkenſchonung hinein, deren junge Stämme und Zweige Pferden und Rädern nachgaben.
Darauf barg er die Laterne unter dem Mantel, und ſchritt eiligen Fußes auf der entgegengeſetzten Seite aus dem Hölzchen. Man kann eigentlich nicht ſagen er ſchritt, es war mehr ein geräuſchloſes Hin - ſchlüpfen. Jm Freien angekommen, kauerte er ſich5 zuſammen, und horchte mit angehaltenem Athem. Aber der Wind fuhr eben rauh über die Fläche, und warf harten, eiſigen Regen durcheinander. Es war kalt und ſchauerlich. Als jedoch der heftige Windſtoß vorüber war, drang es wirklich wie ein leiſes Geräuſch von allen Seiten her, aber das Geräuſch war wunderbar und ungewöhnlich, bald war es einem Wimmern, bald dem Hufſchlag von Pferden, bald dem Geſtöhn eines Thieres ähnlich — ein neuer Windſtoß, und es war nichts zu vernehmen.
Der graubärtige Mann ſchien befriedigt und huſchte weiter fort auf der naſſen Erde, ohne die Laterne hervorzubringen. Plötzlich ſtrauchelte er, und fiel auf die Seite. Lautlos raffte er ſich wieder zuſammen, öffnete den Mantel ein Wenig, und ſuchte mit dem trüben Lichte ſeiner Hornleuchte, was im Wege liege.
Es war ein Menſch, der auf dem Angeſichte lag. Ringsum floß eine ſchwarze Maſſe, in wel - cher die einzelnen fallenden Schneeflocken ſchmolzen, und die man ſelbſt bei der düſtern Beleuchtung für Blut erkannte. Der Graubart rückte näher und6 beleuchtete den Körper von Unten bis Oben. Darauf ſchüttelte er den Kopf, ſetzte die Leuchte beiſeit, und verſuchte es den Menſchen umzuwenden. Mit Mühe gelang es ihm; denn der Körper wog ſchwer, es war ein Leichnam. Der Alte nahm die Leuchte wieder zur Hand, das Geſicht war von Blut beſu - delt, aber des Alten Forſchen ging auf einen Orden, den der Todte auf der Bruſt trug. Er unterſuchte ihn beim Schein der Laterne. Davon abſtehend hielt er eine Weile inne und ſeufzte tief. Dann riß er des Todten Rock auf, leerte ihm die Taſchen und ſchlüpfte weiter.
En einiger Entfernung gab’s ein heftig Stöh - nen — der Alte näherte ſich vorſichtig, prallte aber wie von einem heftigen Stoße zurück, daß der Mantel aufſchlug und die Leuchte ſchimmerte. Es war ein ſterbendes Pferd, das mit dem Tode rin - gend die Vorderfüße in die Erde hieb, und dann röchelnd zuſammenbrach. Der Alte nahm ein Piſtol aus dem Sattel, unterſuchte vorſichtig, ob es geladen ſei, und verſuchte ſodann, auch das andere hervor - zuziehn; er war aber zu ſchwach, die darauf liegende Wucht des Thiers zu löſen.
7Jetzt ſchlug er den Mantel zurück, erhob ſich, und ging offen mit ſeiner Leuchte weiter. Links und rechts fand er Leichname und Kadaver von Pferden. Er unterſuchte überall, nahm, was er fand, ſchob’s in die Taſchen eines weiten ſchwarzen Gewandes, was er unter dem Mantel trug, und ging weiter.
Erſchöpft ſetzte er ſich endlich auf die Kroupe eines todten Pferdes, ſtellte die Leuchte an die Erde, und ſeufzte tief und ſchwer. „ Ruſſen, Ruſſen, nichts als Ruſſen — O Joel! “—
Bei dieſen leiſe gemurmelten Worten ſtemmte er die Hände auf die Kniee, der lange Oberkörper hob ſich geiſterartig aus dem Mantel, und bückte ſich nach vorn. Das ſchmutzig gelbe Licht der Laterne fiel zum erſten Male völlig auf ihn. Es war ein alter, von Haaren faſt unkenntlicher Judenkopf. Der weißgraue Bart bedeckte die untere Hälfte des Geſichts und ging bis dicht an die Backenknochen. Auch von den Wangen ſelbſt und von der ſcharfen großen Habichtsnaſe hingen einzelne lange Haare, und die Augenbraunen buſchten ſich mit ihrem noch dunkel gebliebenen Kolorit bis an die Augenlieder. 8Die Figur war lang und ſchmal und gebückt, in einen anliegenden ſchwarzen Rock gehüllt, der bis auf die Füße reichte, und von ſeidnem Stoff zu ſein ſchien, wie ihn die polniſchen Juden heute noch tragen. Seine magern langen Hände, mit ſchwarzen Haaren bedeckt, ſtachen grell von dem dunkeln Kaftan ab.
„ O Joel, mein Joel! “ſtöhnte er auf’s Neue, und erhob ſich wieder und ſchritt weiter zwiſchen Leichen und Kadavern, die jetzt mitunter zu großen Haufen im Wege lagen. Es war kein Zweifel mehr, daß er auf einem Schlachtfelde wandelte. — Aus einem Haufen drang plötzlich das deutliche Wim - mern eines Menſchen. Der Alte ſteckte haſtig ſeinen Kopf vorwärts und horchte, und als ſich das Geſtöhn wiederholte, ſchritt er ſchnell darauf zu. Es drang mitten aus einem Hügel von Leichen. Mit rieſen - mäßiger Anſtrengung, die Niemand dem alten Manne hätte zutrauen ſollen, warf er die oben liegenden Körper auf die Seite und drang zu dem noch Lebenden. Er richtete ihn halb auf, und griff in die Taſche, brachte eine Flaſche hervor und gab ihm zu trinken. Dem Unglücklichen waren die9 Beine zerſchoſſen. Der alte ſtreichelte ihm heftig das Geſicht, und fragte mit fliegenden Worten, wo die Kickiſchen Uhlanen zuletzt gefochten hätten. „ Sage mir’s Freund, ſage mir’s gleich, ich komme wieder und nehme Dich mit. “
Der Verwundete ſtreckte den Arm aus und wies nach Weſten — „ Jſt es weit? “ Verneinend ſchüttelte jener den Kopf.
Da nahm der Alte heftig die Leuchte, und wollte von dannen, aber der zerſchoſſene Soldat griff krampf - haft in den langen Mantel, und ſein Wimmern und ſeine Mienen beſchworen den Juden, ihm zu helfen. Mit einem Ruck machte ſich indeſſen dieſer los, ſprach: „ ich komme zurück “und ſchritt hinein in die Finſterniß.
Schneidend drang das Geſtöhn des Verlaſſenen durch die Nacht.
Der alte Jude war nicht lange gegangen, da ſtolperte er über Küraſſe und Helme — „ Gott mei - ner Väter, ich bin auf dem rechten, traurigen Wege, “murmelte er vor ſich hin, „ mit dieſen eiſernen Män - nern haben ſie gefochten. “ Und überwältigt von1 *10Angſt und Sorge brach er in lautes Wehklagen aus: „ Joel, Joel, Sohn meiner Eſther, wo biſt Du?! “
Haſtig unter den Rieſenleichnamen der Küraſſiere herumſuchend, die auf und unter den ungeheuren Pferden lagen, wiederholte er dieſen Schmerzensruf unaufhörlich.
Auf einmal vernahm er in einiger Entfernung eine Stimme, aber der Wind warf den raſſelnden Eisregen dazwiſchen, er konnte nichts Deutliches vernehmen. —
„ Manaſſe, mein Vater! “klang es von Neuem — Joel, ich komme, Joel —
Aber ſtatt hinzueilen, duckte er ſich zuſammen zwiſchen die Füße eines todten Pferdes, und regte ſich nicht. Seine aufmerkſamen Sinne hatten ihn auch nicht getäuſcht, ein Trupp Soldaten kam über das Schlachtfeld daher geritten gerade auf den Ort zu, wo Manaſſe lag, die Leuchte feſt in den Man - tel hüllend. Ob ſie verſprengt, ob Freund oder Feind waren, wer konute es wiſſen.
Ein Mann mit einer hell brennenden Laterne ſchritt voraus, die Pferde gingen ſchlurfend und unruhig zwiſchen den Leichen, ſie kamen dicht zu11 Manaſſe; kaum wagte er es, hinzuſehn nach den in Mäntel gehüllten Reitern.
Dicht in ſeiner Nähe hielten ſie, und einige ſtiegen von den Pferden. Manaſſe hörte ihre Sprache; es waren Ruſſen. Zitternd vor Froſt drückte er ſich tiefer in die Weichen des todten Pferdes.
Es ſchien, als ob ſie den Körper eines bedeutenden Offiziers ſuchten. Alle Leichen wurden betrachtet, und ſie kamen dabei Manaſſe ſo nahe, daß ein Reiter mit ſeinen Sporen in des Juden Mantel hängen blieb. Manaſſe regte ſich nicht, das morſche Tuch gab nach, der Reiter ſah ſich um, aber da die Laterne auf einer andern Seite leuchtete, ſo entdeckte er den zitternden Juden nicht.
Als ſich die ſuchende Gruppe ein Wenig ent - fernt hatte, machte ſich Manaſſe auf, und ſchlüpfte nach der Gegend, wo er Joels Ruf vernommen hatte. „ Joel — Joel “flüſterte er ununterbrochen mit gedämpfter Stimme. Die Laterne durfte er nicht zum Vorſchein bringen, und ſo kam’s, daß er in einen tiefen Graben ſtürzte, deſſen Oberfläche mit einer dünnen Eisrinde bedeckt war. Die Laterne13 zertrümmerte und verloſch. Er raffte ſich mühſam auf — „ Manaſſe — Manaſſe “klang’s in ſeiner Nähe. Das gab ihm Kraft ſich vollends aus dem Graben herauszuarbeiten — „ mein Sohn, mein Joel, mein Joel “— und ſo eilte der Durchnäßte dem Rufe zu.
Er fand ſeinen Sohn halb aufgerichtet, und nun brach aus dem Alten ein wirbelndes Gewitter von Empfindungen los. „ Mein Sohn, mein Joel, Eſthers Sohn — lebſt Du, wo haben Dich die Jsmaeliter verwundet, o mein Joel! “ Und dabei fuhren zitternd, liebkoſend, ſchnell, aber behutſam die Hände des Alten über den ganzen Körper des Sohnes.
Joel beruhigte ihn mit der Verſicherung, die Wunde ſei unbedeutend, und hindre ihn nur am Gehen. —
„ Auf, mein Sohn, hänge Dich auf meine Schul - tern, der Wagen harrt unſrer im Hölzchen “. —
Joel aber bedeutete ſeinem Vater, erſt müſſe ſein Nachbar dahin gebracht werden, dieſer habe ihn durch den letzten Schluck aus ſeiner Flaſche wieder ins Leben zurückgerufen. —
14Manaſſe war eine zeitlang ſprachlos, der Jdeen - gang ſeines Sohnes mocht’ ihm augenblicks ganz unfaßlich erſcheinen — „ Thörichter Joel, mach, hänge Dich auf meine Schultern, ich werde Mühe haben, Dich über den Graben zu bringen — ach Sohn meiner Eſther “und Schluchzen hemmte ſeine Worte, er fühlte von Neuem beſorgt an Joel’s Körper her - um — „ Joël, wo iſt die Wunde, welche Dir die Gottloſen geſchlagen? “—
Joel beſtand darauf, daß erſt ſein Nachbar in Sicherheit gebracht werde — „ er war der bravſte Soldat, und da liegt er erſtarrt, kaum fühl’ ich noch einen Reſt Leben in ihm, Vater Ma - naſſe eilt, ſchafft ihn zum Wagen, und holt dann mich. “—
Jetzt brach des Alten Leidenſchaft in ſtürmende Worte aus, er ſchalt ſeinen Sohn einen halbchriſt - lichen Narren, und man wußte nicht mehr, ob das unterbrechende Schluchzen mehr Mitleid oder Zorn gegen ſeinen Joel ſei — „ was kümmert Dich der todte Jdumäer, komm, halte Dich feſt! “— Und damit ſchickte er ſich an, ſeinen Sohn aufzuladen. —
15Joel weigerte ſich entſchieden; des Alten Zorn ſtieg auf das Höchſte — da kamen die ſuchenden Ruſſen auf ſie zu, wahrſcheinlich aufmerkſam ge - macht durch die lauten Worte des Zwiegeſprächs. Manaſſe drückte ſchnell ſeinen Kopf in den Schooß ſeines Sohnes, und bedeutete dieſen leiſe, ſich ſtill zu verhalten. Aber obwohl die Ruſſen ſchon dicht am Graben waren, ſo konnte er es doch nicht unter - laſſen, ſeine heftige Entrüſtung fortzumurmeln über die Thorheit Joels; wie ein gereizter Hund leiſe fortknurrt, wenn er nicht mehr bellen darf.
Die Ruſſen ſtanden am Graben und horchten — Manaſſe regte ſich nicht mehr; ſie wendeten ſich nach einer andern Seite.
Bald erhob ſich der vorige Streit zwiſchen Vater und Sohn auf’s Neue — Manaſſe raufte ſich den Bart, und ſchlug bald nach Joel, bald ſtreichelte er ihn. Er fand in ſeinem Kopfe nicht die kleinſte Beſchönigung für ſolchen Wahnſinn, und dies brachte ihn immer von Neuem außer ſich.
Joel aber blieb unerſchüttert, und ſo mußte der Alte endlich weichen, wenn er den eignen Sohn nicht ſeinem traurigen Schickſal überlaſſen wollte. 16Der Nachbar Joels lag auf zwei todten Küraſſieren, alſo zum Theil im Trocknen, Joel hatte auch ein Stück Mantel über ihn gebreitet.
Unter heftigen Verwünſchungen lud ihn Manaſſe auf ſich, und ſchleppte ihn ziemlich unſanft durch den Graben. Dann kam er zurück, und brachte auch Joel hinüber. „ Laß uns forteilen, “rief er, am andern Ufer ankommend, „ der Menſch iſt todt. “
„ „ Und hörſt Du nicht ſein Stöhnen, Vater Manaſſe, ““damit machte er ſich heftig vom Vater los, fiel an die Erde, und ſtieß einen Schmer - zensſchrei aus, da der Fall ſeine Wunde berührt hatte. —
„ Joel, mein Blut — “
„ „ Bei unſrer Mutter Eſther beſchwör’ ich Dich, Vater Manaſſe, bringe den Mann fort! ““
Seufzend that es Manaſſe. Keuchend kam er zurück, trocknete ſich den Schweiß, und lud ſeinen Sohn auf den Rücken. „ Meine Glieder zittern vor Froſt, und doch rinnt der Schweiß über meine Stirne, kaum hab’ ich den Wagen wieder gefunden — o Gott meiner Väter, wie züchtigſt Du mich, weil mein eigen Blut, dieſer Joel, mit den Js -17 maelitern unſre Sitten vermengt, o, thörichter, thörichter Joel. “—
Während er abgebrochen dieſe Worte ſprach, waren ſie in die Nähe jenes Verwundeten gekom - men, welcher dem Alten kurz zuvor den Weg zu ſeinem Sohne gezeigt hatt. Er bat in herzzerſchnei - denden Tönen ihm zu helfen, und erinnerte den Alten an ſein Verſprechen, da dieſer dicht an ihm vorüber ging und trotz der Finſterniß an der Stimme zu erkennen war.
„ Vater Manaſſe, was haſt Du verſprochen? “—
„ „ Schweig, Joel — nichts hab’ ich verſpro - chen ““— und raſcher ging er vorwärts.
Jmmer kläglicher ward das Winſeln des Zurück - bleibenden. Sie kamen zum Wagen. Sorgfältig legte der Alte ſeinen Sohn in das Heu, womit der kleine verdeckte Wagen angefüllt war, nahm die Pferde am Zügel und brachte mit vieler Vorſicht den Wagen aus dem Gehölz. —
„ Vater Manaſſe, hole den Unglücklichen! “
„ „ Schweig, kindiſcher Joel, kann ich das ganze Schlachtfeld meinen kleinen Krabben aufladen, kin - diſcher Joel! ““
18Damit ſetzte er ſich vornhin, und fuhr in die Nacht hinein, die ein wenig heller geworden war durch den dichten Schnee, welcher ſeit einigen Mi - nuten dicht herabfiel.
Es war das Schlachtfeld von Grochow, aus deſſen Nähe die kleinen Pferde den Wagen zogen. Am Tage vor dieſer unfreundlichen Nacht hatten die Polen und Ruſſen zum dritten Male auf das Er - bittertſte mit einander gekämpft. Die Ebene von Warſchau, welche ſich oſtwärts an die nahen Wäl - der erſtreckt, war drei Tage lang der Schauplatz mörderiſchen Kampfes geweſen.
Bekanntlich fließt der breite Weichſelſtrom rechts an der polniſchen Hauptſtadt Warſchau vorüber. Die eigentliche Stadt liegt alſo an ſeinem linken Ufer nach unſern Ländern zu, und wenn man ſo ſagen darf, auf der europäiſchen Seite. Am Ufer des Fluſſes hin prangen große Palläſte, und das ſtolze Warſchau gewährt von der großen Brücke, welche hinüber führt zur öſtlichen Vorſtadt Praga,20 einen königlichen Anblick. Man irrt ſehr, wenn man bei dem Worte „ polniſche Hauptſtadt “ſeine Vorſtellung nur ein Wenig von dem Anblick und Begriffe polniſcher Ortſchaften ſteigert: Warſchau gehört zu den imponirendſten Hauptſtädten Europas.
Die Vorſtadt Praga nun, ein befeſtigter Brücken - kopf, war der erſte Stützpunkt der polniſchen Armee, welche ſich auf den Feldern Angeſichts der großen Waldungen ausgebreitet hatte. Die Ruſſen rückten von Oſten her in den letzten Tagen des Februar aus jenen Wäldern heraus. Diebitſch war ihr Heer - führer, und Angeſichts Pragas entſpannen ſich die zwei Tage lang dauernden ſtürmiſchen Gefechte, welche man die Schlacht bei Praga nennt. Sie führten äußerlich zu keinem beſonderen Reſultate, und die Schlacht wird von der Geſchichte eine unentſchiedene genannt, war aber von großem moraliſchen Einfluſſe. Ueberall hatte man erwartet, Diebitſch werde mit der großen ruſſiſchen Armee die nach Zahlenverhält - niß unbedeutenden Truppen der Polen werfen, über die Pragaer Brücke nach Warſchau hineindringen, und ſo den Aufſtand endigen. Das war indeſſen nicht gelungen. Die hiſtoriſch bekannte leidenſchaft -21 liche Vaterlandsliebe der Polen, welche man bei dem ſonſtigen Weſen dieſer Nation hier und da bereits für Prahlerei hielt, hatte auf eine überraſchende Weiſe Wort gehalten. Und zwar unter den ungün - ſtigſten Verhältniſſen. Denn es gebrach ihnen vor allen Dingen an einem Mittelpunkte ihrer militai - riſchen Kraft, an einem verläſſigen Heerführer. Chlo - picki in der Zeit des Aufſtandes am letzten Tage des November zum Oberbefehlshaber ernannt, hatte nie an die Möglichkeit geglaubt, dem mächtigen Rußland militairiſch die Spitze bieten zu können, hatte ſich auf Unterhandlungen eingelaſſen, die Rü - ſtungen vernachläſſigt, und am Ende ſtörriſch ſeine Dictatur niedergelegt, als die zum Aeußerſten ent - ſchloſſene Nation ihm in den Weg trat. Chlopicki war aber der einzige populaire Mittelpunkt des Heeres, unzweifelhaft tapfer und ein tüchtiger Füh - rer aus der Napoleoniſchen Schule. Die Wahl eines neuen Führers war unſäglich ſchwer. Einen zweiten ſo hervorragenden General gab es nicht, jede Wahl mußte alſo die nicht Gewählten kränken. Be - ſonders bei einer ſo ehrgeizigen und eiferſüchtigen Nation. Man entſchloß ſich zu dem traurigen Aus -22 wege, einen Nichtmilitair, den Fürſten Radzivil, einen alten, höchſt wackern Patrioten zum Genera - liſſimus zu erwählen. Jn der Hoffnung, er werde nur für Chlopicki den Namen hergeben.
So geſchah es nun wohl auch, denn der graue Chlopicki ſetzte ſich zu Pferde und ritt hinaus ins Lager. Er hat ein ſtarres, geröthetes Soldaten - antlitz, weißgrauen Bart, hellblaue ſcharfe Augen. Prüfend ſah er nach den Wäldern hinüber, aus welchen die Ruſſen ſich entwickelten, und ordnete die Treffen. Aber es war ein halbes Weſen mit dem Kommando ohne Titel. Nicht alle Führer ge - horchten unbedingt und ſchnell, und es war mehr die erſtaunenswerthe ritterliche Tapferkeit der auf eigne Hand fechtenden Korps, welche die Schlacht in den Tagen bei Praga aufrecht erhielt.
Beide Heere waren übrigens in dieſen Tagen noch nicht in voller Kraft. Abtheilungen der pol - niſchen Armee waren nordöſtlich ein wenig vorge - ſchoben, um die Vereinigung eines großen ruſſiſchen Korps mit Diebitſch zu hindern. Die überlegne Zahl der Ruſſen hatte dies aber vereitelt, am Tage von Grochow war Alles koncentrirt.
23Grochow iſt ein kleines Dörfchen auf der Ebene von Praga. Nach dieſem drängte ſich an dieſem Tage die Hauptſchlacht. Ein Erlengebüſch war der Preis des Sieges, daſſelbe Gebüſch, in welchen Manaſſe die Nacht darauf ſein Fuhrwerk verbarg.
Diebitſch hatte am Ende bei ſo hartnäckigem Widerſtande die Entſcheidung des Tages auf einen großen Reiterangriff geſetzt, und Chlopicki war bei neuer Eroberung des Gebüſches von einer Granate niedergeworfen worden. Schon vorher hatte ſein ſcharfes Auge die Entwickelung der Reitermaſſen am fernen Waldesſaume entdeckt, und ununterbrochen hatte er nach Kavallerie gerufen. Aber er war nicht Generaliſſimus, und Fürſt Radzivil nicht bei der Hand. Noch als man ihn forttrug, wies er fort - während mit ſeinem Pfeifenſtummel zurück, und flehte um Kavallerie.
Von Praga aus lauft mitten durch die Ebene die breite große Heerſtraße in die Wälder hinein über Siedlce bis an die altpolniſchen Provinzen. Sie war der Mittelpunkt des auf dieſe Tage fol - genden Krieges, der rothe Faden aller Treffen und Schlachten vor der bei Oſtrolenka. Auf und neben24 dieſer Straße war der koloſſale Angriff von Reitern einhergedonnert, welchen Diebitſch angeordnet hatte. Auf der Straße ſelbſt kamen die gewaltigen Küraſſier - regimenter, unter welchen das Rieſenregiment Prinz Albrecht, an der Seite der Chauſſèe die leichtere Reiterei.
Dieſer Angriff nun war durch den kalten Muth der polniſchen Jnfanterie, welche ſich in Quarrée’s formirte, und erſt in der dichteſten Nähe des Fein - des ein mörderiſches Rottenfeuer eröffnete, er war durch die gewandte Tapferkeit der Kickiſchen Uhlanen zerſprengt worden. Die beſudelten, zerſprengten, abgematteten Reſte, welche nach dem Saume des Waldes zurückkamen, nöthigten Diebitſch, den Tag aufzugeben und in die Wälder zurückzugehn.
Bei dieſem blutigen Reitergefechte waren Joël und ſein Nachbar gefallen.
Durch Chlopicki’s Fall war aber auch unter den Polen eine ſolche Ungewißheit entſtanden, daß Nie - mand recht wußte, wie die Schlacht ſtand. Wer eben am Kampfe war, kämpfte auf’s Beſte, ein großer Theil des Trains zog aber bereits ſchon im Rückzuge über die Brücke von Praga, und der25 Generaliſſimus Radzivil ſelbſt hielt unſicher mit ſei - nem Pferde am Brückenkopfe.
So lagen die Sachen an jenem rauhen Spät - abende, und weder Manaſſe, der jenſeits aus der Waldung gekommen war, noch Joel, der bald pol - niſche, bald ruſſiſche Partien vorübereilen geſehen hatte, wußte, wie das Schickſal des Tages entſchie - den worden ſei. Jm Allgemeinen kamen indeſſen beide dahin überein, das Reſultat für die Polen günſtig anzuſehn, da Manaſſe auf ſeiner Herfahrt durch den Wald nur mit Mühe den rückwärts mar - ſchirenden Ruſſen ausgewichen war. Dies regte nun aber auch wieder die größte Bedenklichkeit auf, ob man ſich auf den Weg nach der Heimath machen dürfe, da dieſer eben durch jene Wälder führte, oder ob es gerathner ſei, nach Warſchau zu fahren. Der Wagen kam eben an der großen Chauſſée an, und man mußte ſich entſcheiden.
Manaſſe hatte viel gegen Warſchau einzuwen - den: es ſei ein theurer Ort, man werde abgeſperrt von allem Verkehr, das Haus in der Heimath bliebe allen Zufällen Preis gegeben, an Pflege für den Verwundeten dürfe man auch nicht denken, da ſoIII. 226viele Tauſende darauf Anſpruch machten. Jm Hinter - grunde lag ihm auch der lebhafte Wunſch, dem Sohne die Soldatenjacke wieder auszuziehen, worauf in Warſchau durchaus nicht zu rechnen war. Zur Sicherheit kannte Manaſſe alle kleinen Wege durch die Wälder, und meinte zuverſichtlicher, als ſonſt ſeine Art war, man würde gewiß glücklich durch - kommen, wenn man ſich weit genug rechts von der großen Straße halte nach dem Schloſſe des gnädigen Herrn zu.
Anfänglich hatte ſich Joël lebhaft wiederſetzt, der letzte Zuſatz ſchien ihn aber anders zu ſtimmen. Der Alte mochte ihn nicht ohne Abſicht beigebracht haben, Joel ſchwieg — Manaſſe fuhr queer über die Chauſſée nach dem Walde zu.
Die Finſterniß zwiſchen den Bäumen war natür - lich noch dichter, und das Fahren ſehr beſchwerlich. Manaſſe zitterte und klapperte vor Froſt in den naſſen Kleidern, ſprach aber kein Wort. Er mochte indeß noch ſo oft abſteigen, und rechts abführende Wege ſuchen, indem er mit den Händen herum - taſtete, immer hörte man von Zeit zu Zeit auf der linken Seite den verworrenen Lärm ruſſiſcher Kriegs - völker. Nicht ſelten mußte er ſtill halten, weil er bald eine marſchirende, bald eine reitende Truppe vor ſich hörte. Es blieb auch nicht aus, daß ſich einzelne Nachzügler am Wege fanden, welche vor Wunden oder Erſchöpfung nicht weiter konnten, und den Wagen in Anſpruch nahmen. Glücklicherweiſe war aber Manaſſe der ruſſiſchen Sprache völlig mächtig, und er wies alle Zudringlichen mit dem28 barſchen Bedeuten ab, er führe einen verwundeten ruſſiſchen General.
Bei alle dem war die Lage äußerſt gefährlich: wenn die Ruſſen die polniſchen Uniformen auf dem Wagen erkannten, ſo war das Aeußerſte zu befürch - ten. So nöthig ihnen alſo auch das Tageslicht war zum Auffinden des Weges, ſo beſorgt ſahen ſie doch das verdrießliche Grau des Morgens herauf - dämmern.
Und das Unglück ſtand auch ſchon am Wege. Nicht weit von ihnen theilte ſich die Straße; am Scheidepunkte hielt ein ruſſiſcher Offizier zu Pferde. Als er das Fuhrwerk erblickte, kam er ihm einige Schritte entgegen und forderte mit rauhen Worten die Abtretung des Wagens. Manaſſe brachte die gewöhnliche Entſchuldigung vor. Der Offizier ließ ſich aber nicht hindern, zog den Degen, gebot halt, und ſteckte den Kopf nach dem Wagen hinein. Glücklicherweiſe war jener Mantel, womit Joel auf dem Schlachtfelde ſeinen Nachbar zugedeckt hatte, von einem ruſſiſchen Küraſſier. Joel ſuchte deshalb in Eile ſich ſelbſt damit zu bedecken, und da er ebenfalls ruſſiſch verſtand, ſo rief er drohend, der29 Kamerad möge einen ruſſiſchen General nicht auf - halten. Der Offizier an die unterwürfigſte Subordina - tion gegen Höhere gewöhnt, wollte ſich eiligſt zurück - ziehen, als Valerius — ſo hieß der Nachbar Joels — zum erſten Male die Beſinnung wieder erhielt, und ſich ein Wenig aufrichtete. Der plötzliche Still - ſtand des Wagens, das heftige Geſpräch mochten dazu beigetragen haben. Durch dieſe Bewegung ward der Mantel zurückgeſchlagen, und der Offizier ſah noch mit dem letzten Blicke polniſche Uniformen. Da erhob er ein lautes Fluchen, hieb mit dem Säbel nach Manaſſe, und griff nach der Piſtolenhalfter. Manaſſe war aber dem Hiebe glücklich ausgewichen, Joel ſchob ſich, ſo ſchnell und ſo weit es ſeine Wunde geſtattete vorn nach der Oeffnung des Wa - gens, und drückte ein Piſtol nach ihm ab. Der Schuß traf, der Reiter wankte, Manaſſe hieb in die Pferde, und der Wagen flog rechts in den Weg hinein.
Es war daſſelbe Piſtol, welches Manaſſe auf dem Schlachtfelde mitgenommen, und unterwegs ſeinem Sohne gegeben hatte. Dies rettete ſie für den Augenblick; der Schuß hatte aber ihre Lage30 doppelt bedenklich gemacht. Er mußte Alles aufregen, was von Feinden in der Nähe war, und wirklich hörten die Flüchtigen bald mehrere Schüſſe hinter ſich fallen und Lärm von vielen Seiten. Manaſſe trieb die bereits erſchöpften kleinen Pferde auf das Aeußerſte an, und fuhr in jeden noch ſo ſchwach angedeuteten Weg hinein, welcher ſich nach rechts hin öffnete.
Nach einer Viertelſtunde hörte aller Weg auf, und ſie waren mitten im unwirthlichen Forſte. Die beſchneiten Kiefern ſahen ſie troſtlos an, der Schnee fiel dichter, ſie waren rathlos. Manaſſe ſtieg wim - mernd und betend ab, um einen Ausweg zu ſuchen. Valerius war unterdeſſen völlig zu ſich gekommen, Joel ſah jetzt haſtig nach des Nachbars breiter Kopf - wunde. Es war der tüchtige Hieb eines handfeſten Küraſſiers. So gut er konnte, verband er wenig - ſtens die klaffende Stelle mit ſeinem Halstuche, und ſetzte Valerius von dem in Kenntniß, was mit ihnen vorgegangen war.
Und warum fahren wir zu den Feinden ſtatt nach Warſchau? fragte dieſer verwundert.
31Still, ſtill, erwiederte Joel, wo ich Sie unter - bringen werde, giebt’s keine Feinde, es iſt eine überaus patriotiſche Familie, Sie werden mit Be - quemlichkeit geheilt, die alte Gräfin —
Ein durchdringender Schrei Manaſſes unterbrach ihn. Sie fuhren haſtig an die Oeffnung des Wa - gens, Manaſſe kam an den Wagen geſtürzt, die Pferde geriethen in Bewegung, ein Wolf ſprang durch die Bäume, grauroth, mager, den Kopf mit den tödtlichen düſtern Augen nach dem Fuhrwerke gerichtet. Valerius und Joel ſchrieen ebenfalls jach auf, die Pferde jagten mit dem Wagen in die Bäume hinein, die Achſen und Rippen des Fuhr - werks krachten, mit Mühe erhaſchte Joel die Zügel, und ſprang ſeine Wunde vergeſſend aus dem Wa - gen. Eben ſo that Valerius, deſſen Füße ihn nicht hinderten, rückwärts nach dem verlaſſenen Schauplatze zu laufen. Joel konnte nicht wieder von der Erde in die Höhe und ſchrie auf das Kläglichſte „ Ma - naſſe, Vater Manaſſe!
Der Alte war bei dem plötzlichen Anrücken des Wagens auf die Seite geworfen worden, und zurück -32 geblieben. Alles das lag im Zeitraume von wenig Augenblicken.
Valerius fand noch vom Schlachtfelde den Säbel an ſeiner Seite, und obwohl ihm Schmerz und Betäubniß durch die Wunde bei der plötzlichen Be - wegung alle Gegenſtände in eine Art von Nebel hüllte, ſo tappte er doch mit gezogener Klinge vor - wärts.
Manaſſe kauerte an einem Baume, zitterte und bebte, und wies mit den Händen nach der Seite — er iſt vorüber, iſt vorüber.
Kaum vermochte es der ſchwache Valerius, den in dieſem Augenblicke noch ſchwächeren Alten auf - zurichten. Dieſem hatte die Todesangſt alle Sehnen zerſchnitten. Straff und geſchmeidig war er bis hierher durch ſo viel Gefahren gegangen, und vor dem wilden Thiere brach er zuſammen. Er geſtand es ſpäter, daß ihm ein ganzer Trupp Feinde nicht ſo fürchterlich ſeien, als ein gefährliches Thier. Es ſind doch Menſchen, ſagte er mit ſchwacher Stimme, als er bis zum Wagen gekommen war und ſich ein wenig erholt hatte, es ſind Menſchen, für tauſend Dinge zugänglich, mit Organen wie ich, mit Schwä -33 chen wie ich. Sie können auf mich ſchießen, und meine Furcht iſt nicht ſo groß, ſie können vorbei - ſchießen — aber die Beſtie hat keine Schwäche mit mir gemein, ihre Zähne treffen immer — ach Joel!
Trotz ſeiner Schwäche ſah er, daß der Sohn hilflos an der Erde lag, und mit zitternden Hän - den griff er nach ihm — Joel, warum thuſt Du Dir ſolchen Schaden! Das wilde Thier ſprang vorbei, weil wir alle geſchrieen haben, wozu ſteigſt Du mit dem kranken Beine vom Wagen! — —
Joel verbarg ſeinen Schmerz, und ließ ſich von Valerius und dem Alten wieder hinaufheben. Darauf unterſuchte Manaſſe voll Angſt und Sorge, ob und wie der Wagen zerbrochen wäre, ſah ſich indeſſen immer noch vorſichtig um, ob noch eine Beſtie in der Nähe ſei.
Der Wagen war zwar beſchädigt, aber nicht ſo arg, daß die Weiterfahrt nicht hätte gewagt werden können. Er war durch den plötzlichen Ruck der Pferde auf einen ſchmalen freien Platz gebracht wor - den, und es öffnete ſich wieder ein enger Weg rechts in den Wald hinein. So fuhren ſie denn in Got - tes Namen weiter. Manaſſe war noch todtenbleich2 *34und die großen ſchwarzen Augen lagen erloſchen tief in den Höhlen, die langen erſtarrten Finger hielten unſicher die Lenkſtricke der Pferde.
So ging’s einige Stunden fort. Es zeigte ſich kein Wechſel: immer dieſelben unwirthlichen Kiefern, derſelbe halb verſchneite Weg. Valerius ſagte, ob man nicht den Pferden etwas Heu vorlegen wolle. Manaſſe ſchüttelte ſchweigend den Kopf. Man könne indeſſen ein Feuer anmachen, um ſich ein Wenig zu wärmen. Manaſſe ſelbſt vor Froſt klappernd, ſchüttelte ſchweigend den Kopf. — Der Alte war zwar von Wilna bis Lemberg und von Brody bis Kaliſch mit allen Wegen und Stegen des alten Königreichs bekannt, aber wer einmal auf Jrrwege geräth in dieſen polniſchen Wäldern, namentlich wenn der Schnee die Gegenden alle gleich macht, der braucht auch bei genauer Kenntniß des Landes oft Tag und Nacht, eh er ſich wieder zurecht fin - det. Manaſſe ſah immer aufmerkſam vor ſich hin, und trieb die müden Pferde ununterbrochen an. Joel klagte über Hunger: der Alte zog ein Stück Brod aus der Taſche, und reichte es ſeinem Sohne, ohne ſelbſt einen Biſſen zu begehren. Wohl aber35 wandte er ſich verdrießlich um, als Joel einen Theil davon an ſeinen Nachbar gab.
Es mochte gegen Mittag ſein, als er ſtill hielt, und den Pferden etwas von dem Heu vorwarf, was auf dem Wagen lag. Er zupfte es von der Seite heraus, auf welcher Valerius ſaß, und beob - achtete übrigens noch immer daſſelbe Schweigen. Vorſichtig griff er nun an ſeines Sohnes Bein und ſah fragend mit ſchmerzlichem Geſichte zu ihm in die Höhe. Auf Joels zufriednes Kopfnicken ging er hinweg und ſtellte ſich an die Seite des Wagens. Das Schneien hörte auf, und es fuhr folch ein hellgrauer Dämmer über den Himmel, wie er in jenen Gegenden zuweilen daran erinnert, es ſei noch eine Sonne hinter den Wolken. Alles rings war ſtill.
„ Jch höre Tritte — wahrhaftig, ich höre Tritte “fagte Manaſſe murmelnd vor ſich hin. Joel und Valerius indeſſen entdeckten nichts. Wirklich aber trat nach einer Weile ein Mann aus den Kiefern, und kam in den Weg unſrer Reiſenden. Er nahm keine Notiz von ihnen und wäre wahrſcheinlich ohne zu grüßen vorübergeſchritten, wenn ihn nicht Ma - naſſe angeredet hätte. Der polniſche Bauer und36 einem ſolchen ſah er gleich in dem kurzen Schaf - pelze, der die Kniee kaum bedeckte, iſt auf der Land - ſtraße nicht geſellig, am wenigſten ſpricht er einen Juden an. Das unterläßt er nicht ſowohl aus Haß oder Abneigung, ſondern aus gewöhnlicher Gleich - gültigkeit. Der Reiſende hat kein Jntereſſe für ihn, und die teutſche Redſeligkeit, die ſich freut, wenn ſie nur Gelegenheit findet, etwas zu reden, die kennt er nicht. Er geht tagelang durch Wald und Feld, ohne ein Wort zu ſprechen. Er unterſcheidet ſich von der höhern Klaſſe in ſehr vielen Dingen, welche nicht blos Reichthum und äußere Verhält - niſſe betreffen. Das Melancholiſche des ſlaviſchen Volkscharakters iſt noch vielfach am Bauer zu erken - nen. Mag er auch heftig, ſchnell, verſchlagen erſchei - nen, der trübe Slave iſt doch der Grund ſeines Weſens, und Schweigſamkeit bringt er aus ſeiner Hütte mit. Das chevalereske lebendige Weſen der Polen, was uns als polniſches bekannt wird, iſt, wie geſagt, mehr dem Vornehmen eigen, und wi - derſpricht auch dem eben Gefagten nicht — der lebhafteſte Pole iſt nicht ſo geſchwätzig wie der Fran - zos und Teutſche.
37Manaſſe erkundigte ſich in ſchneller Frage nach Weg und Richtung, und ob kein Dorf in der Nähe ſei. Der Bauer antwortete „ Ja “und ſchritt weiter. Manaſſe zäumte die Pferde wieder und fuhr hinter ihm her. Bald hatte er ihn eingeholt, und begann ſeine Fragen von Neuem: ob Ruſſen in dieſer Ge - gend ſeien? der Bauer ſchüttelte den Kopf — ob da drüben, von wo er herkäme, ſchon welche wären?
„ Ja. “
Nun peitſchte der Alte die Pferde, und in Kur - zem ſah er auch die Hütten eines Heidedörfchens vor ſich. Gleich aus dem erſten Hauſe kuckte ein alter Judenkopf nach den Ankömmlingen. Manaſſe hielt ſtill, denn das war ihm ein Zeichen, daß er vor dem Wirthshauſe ſei. Die meiſten der polni - ſchen Schenken ſind im Beſitz von Jſraeliten.
Die Verwundeten wurden in’s Haus gebracht. Das Zimmer begann ſogleich an der Hausthür, der Fußboden war ohne Dielen, ein großer Ofen ſtand in einer Ecke des weiten Raumes, und Feuer und Rauch drangen aus ſeinen vielen Ritzen. Dort legte Manaſſe ſeinen Sohn nieder, verſorgte die Pferde, verſchaffte ſich warmes Waſſer, zog ein38 chirurgiſches Beſteck unter dem ſeidnen Rocke hervor, und kniete nun hin vor ſeinen Sohn, um die Wunde zu unterſuchen. Aus den feſten und ſichern Hand - griffen konnte man ſchnell erſehen, daß er in dieſer Beſchäftigung vollkommen erfahren war. Als er die Wunde abgewaſchen hatte, ſtöhnte er vor Schmerz, als ſäße die Kugel, welche er entdeckte, in ſeinem Fleiſche.
Unterdeß trat auch der Bauer ein, forderte ein Glas Schnaps und ſah der Operation zu. Auf - merkſam betrachtete er die Uniformen der Reiſenden; ſie waren das Erſte, was ſeinen Jndifferentismus zu ſtören ſchien.
Zur Stärkung für die Verſchmachtenden war nichts zu finden, als ein Glas Schnaps, ein Stück Brod, und ein Töpfchen alter Kartoffeln, was Ma - naſſe an’s Feuer ſetzte.
Die Operation war glücklich vollendet. Joel lag am Ofen, und war vom Schmerz erſchöpft einge - ſchlafen. Manaſſe ſaß neben ihm an der Erde, und bewachte aufmerkſam ſeinen Schlummer. Er hatte noch immer keine Nahrung genoſſen, und verlangte noch immer keine. Seine Augen ruhten nur auf den Zügen ſeines Sohnes. Es ward allmählich dunkel in dem Raume, und der ſchwarze, magre Alte mit der Habichtsnaſe, dem ſchwarzen Käppchen auf dem Haupte, glich in ſeiner zuſammengekrümm - ten Stellung einem alten Raubvogel, welcher ſein Junges hütet. Das unſicher flimmernde Licht aus den Ofenritzen erhöhte das Phantaſtiſche des Anblicks.
Der Hauswirth, welcher öfter als nöthig war an der Gruppe vorüberging, fragte endlich leiſe Valerius, ob der Schlafende ein Verwandter Ma -40 naſſes ſei. Bei der Antwort ſchwieg er. Nach einer Weile trat er an den Alten hin, und ſagte leiſe: Jſt des Rabbi Manaſſe Fleiſch ein Krieger unter den Nazarenern?
„ Sprich nichts Unnützes! “erwiderte haſtig eben ſo leiſe der Alte — „ bis dazu kommt die gelegene Zeit. “
Der polniſche Bauer hatte ſich unterdeſſen an Valerius gemacht, und ihm mitgetheilt, er wolle Soldat werden, ob ihm dieſer nicht ſagen könne, wo er polniſche Truppen fände. Valerius erkundigte ſich nach ſeinen näheren Umſtänden, und der Bauer gab ihm in wenig Worten Auskunft. Er heiße Thaddäus Magiak, und ſei drüben aus Wawre, wo die Ruſſen ſtünden. Eigentlich habe er nicht viel Luſt zum Kriege gehabt, als er aber die Ruſſen geſehen habe, da ſei ihm der Groll gekommen, und er ſei zur Hinterthür hinaus geſprungen, um die Soldaten ſeiner Landsleute zu ſuchen. Was ſoll ich auch daheim — ſetzte er hinzu — Arbeit giebt es während des Krieges nicht, der Herr iſt fort, den Feinden mag ich keinen Handgriff thun, und die Ruſſen haſſen wir alle. Es ſind mir viel Kame -41 raden begegnet hier herüber, die auch davon gegan - gen ſind; allein kommt aber Jeder am Beſten durch — die Weichſel iſt breit, und unſere Lanzen ſind lang, als die Moskowiter geſtern zurückkamen, ha - ben wir’s wieder erfahren — helft mir zu einer Lanze, Herr. “
Jn dieſem Augenblick ſtürzte der jüdiſche Wirth mit dem Geſchrei in die Stube: „ die Ruſſen! die Ruſſen! ich höre ihr Geſchrei im Walde. “ Jm Nu hatte Manaſſe ſeinen Sohn auf den Armen und ſtürzte hinaus zum Wagen. Thaddäus war auch wie ein Blitz bei der Hand, und zäumte den einen Gaul, der Alte ſchrie: „ Genug, genug, “ſprang auf den Wagen und wollte fort, eh’ Vale - rius noch eingeſtiegen war. Der flinke Bauer riß ihm aber die Zügel aus der Hand, ſtieß ihn rück - lings in den Wagen, ſprang ſelbſt hinauf, hob Valerius zu ſich, entriß dem Alten die Peitſche, und jagte in den Wald hinein.
Hier hielt er ſtill, zäumte raſch auch das andre Pferd, gab Valerius die Zügel, horchte einen Augen - blick und ſagte dann: der Jude hat nicht gelogen,42 das iſt Koſackengeſchrei. — Wohin willſt Du? fragte er den Alten kurz.
Manaſſe nannte den Namen eines Städtchens, wo er zu Hauſe ſei.
Wenn die Koſacken hier ſind, erwiderte Thad - däus, ſo ſind ſie auch längſt in Eurem Orte.
Manaſſe ſeufzte tief. Joel, der aufgewacht war, nannte das Schloß eines Grafen. —
Jch weiß, rief Thaddäus und fort ging’s im Galopp. Es war finſter geworden, der neue Kutſcher ſchien aber des Weges vollkommen ſicher zu ſein; Valerius kroch aus Froſt mit in den Wagen, und ſank in Schlaf.
Als er erwachte, war es ſchon heller Tag, und das Fuhrwerk ſtand ſtill. Manaſſe und Joël waren ſchon abgeſtiegen, die Pferde waren ausgeſpannt und Thaddäus wartete ſeiner am Kutſcherſitze ſtehend. Die vernachläſſigte Wunde hatte ſich gerächt, und machte ihm große Schmerzen, ja, als er ſich auf - richten wollte, verlor er das Bewußtſein.
— Da er wieder zu ſich kam, fand er ſich auf einem harten Bett in einem großen Gemache; die Sonne ſchien hell durch ſchmutzige Fenſter, von43 Meubles fiel ein glänzender Sekretair von Maha - gonyholz in die Augen, daneben ſtand aber ein ficht - ner Schemel, und ein grober, gewöhnlicher Tiſch war an das Bett geſchoben. Die Decke, welche auf ihm lag, war von dunkelrother Seide, und auf das Sauberſte gearbeitet. Man ſah an allen Winkeln des Zimmers, daß es lang nicht bewohnt worden ſei.
Thaddäus ſtand neben dem Tiſche und ſah mit fröhlichen Augen auf den ſich bewegenden und er - munternden Kranken. Valerius blickte ihn lange an, der friſche Polack mit dem rothen, friſchen Luft - geſicht war ihm eine tüchtige Verheißung der Ge - ſundheit. Thaddäus war auch wirklich ein Reprä - ſentant jenes ſchlanken und doch fleiſchig und ſafti - gen polniſchen Nationalkörpers, an deſſen Bewegungen man überall Kraft und Geſchmeidigkeit erblickt. Er mochte 26 — 28 Jahre alt ſein, das lichtbraune Haar hing ihm glatt geſchnitten um den Kopf, die blaugrauen Augen ſahen verſchlagen unter langen Wimpern hervor, ein weicher Bart, der nie geſchoren ſein mochte, lag auf Lippen und Kinn, und der nackte Hals ſah wetterhart aus dem ſchmutzigen44 Pelze. Er ſprach nicht eher, als bis Valerius ihn fragte. Dann unterrichtete er ihn, ſo weit er es vermochte. Sie ſeien auf dem Schloſſe eines reichen Grafen, welchem die ganze Umgegend zugehöre. Als man gehört, daß Valerius ein Freiwilliger aus Deutſchland und bei Grochow verwundet ſei, habe man ihn auf das Bereitwilligſte empfangen. Ma - naſſe habe ihn verbunden, und ſei alsdann nach ſeinem Städtchen gewandert, um ſeine Habſeligkeiten zu ſchützen. Joel ſei noch da, und könne ſchon am Stock umhergehn; das ganze Haus lebe übrigens in großer Fröhlichkeit, weil nach allen Nachrichten und den Bewegungen der Ruſſen kein Zweifel obwalte, daß die Schlacht bei Grochow von den Polen ge - wonnen worden. Er ſelbſt — Thaddäus — ſei zu Valerius Pflege dageblieben, weil die meiſten männ - lichen Domeſtiken Soldaten geworden, und weil die Wunde des Herrn aus Deutſchland nach Manaſſes Verſicherung ihm bald geſtatten würde, den Thad - däus mit nach Warſchau zu nehmen.
Valerius konnte bald das Bett verlaſſen, der Graf ließ ſich entſchuldigen, daß er dem Gaſt nicht aufwarte — das Podagra feßle ihn an ſein Zimmer. 45Er eilte an’s Fenſter, um ſich zu orientiren. Das Schloß ſchien ein großes Gebäude zu ſein, es war aber offenbar ſchlecht erhalten, der Putz war an vielen Stellen abgefallen, die Stufen, welche zum Portal führten, waren ſchadhaft oder fehlten ganz, die Rinnen hingen zerſtört von der Traufe, auch das Dach mußte ſchadhaft ſein, denn im Zimmer des Valerius, was ſich im zweiten Stock befand, war ein Theil der Decke ſo mit Feuchtigkeit ange - füllt, daß er jeden Augenblick herunter zu ſtürzen drohte. Die Ausſicht vom Fenſter führte auf den nahen Wald. Wirthſchaftsgebäude und Scheuern lagen zerſtreut umher und gewährten einen unerfreu - lichen Anblick. Sie waren nachläſſig aus Lehm ge - baut und mit Stroh gedeckt. Hie und da bemerkte man große Lücken in Dach und Mauern. Die dünne Schneelage, welche Alles bedeckte, ſchmolz eben unter der hervortretenden Sonne, und das Ganze bekam ein ſchwarzes, unwirthliches Anſehn.
Valerius ſtand mit untergeſchlagenen Armen am Fenſter, und ein tiefer Seufzer drang aus ſeinem Herzen. Er war aus Deutſchland gekommen, um dieſem tapfern Volke zur Erkämpfung der Freiheit46 ſeinen Arm zu leihen. Muth und Patriotismus ohne Gleichen hatte er allerdings gefunden, ſonſt aber Alles in traurigem Zuſtande. Hohe geſellige Kultur neben aller Vernachläſſigung des häuslichen Lebensmaterials, Ehrgeiz ohne Maaß und ohne Berückſichtigung der Allgemeinheit, keine Spur von deutſcher Häbigkeit und Wohlfahrt. „ Es iſt ein ander Volk, ein ander Land “— ſprach er oft zu ſich — „ Du mußt Dich einleben, es nicht nach andern Formen bemeſſen. “ Aber froh wurde er doch nicht.
Wir glauben es nicht, wie viel äußere Freiheit wir entbehren können für den zierlichen und behag - lichen Heerd, für die anregende und befriedigende Geſellſchaft. So daß die geſellige Kultur oft mäch - tiger erſcheint als der Drang nach Freiheit. Dies macht es auch allein erklärlich, wie ganze Völker ohne Klage in den erniedrigendſten Regierungsfor - men fortleben, ja ſich befriedigt fühlen können.
Die Behaglichkeit eines heimlichen, hergebrach - ten Zuſtandes iſt die größte Macht des Beſtehenden, da immer nur der kleinſte Theil des Volkes von47 Jdeen angeregt wird und aus dem warmen Bett in die kalte Luft hinaus ſpringt. —
Joel kam herbei gehinkt, und unterrichtete den Kramken über Perſonen, Eigenthümlichkeit und Zu - ſammenhang des Hauſes.
Einige Tage darauf war Valerius ſo weit herge - ſtellt, um der Familie des Hauſes ſeine Aufwartung machen zu können. Er fand den Grafen in einem weiten, leeren Saale. Dort ſaß er auf einem Räder - ſtuhle, große Jagdhunde lagen daneben, die Füße waren in weite Pelzſtiefeln gehüllt, ein reicher Zobel - pelz ſchützte ihn gegen die ziemlich unbehagliche Tem - peratur des öden Raums.
Der Graf empfing ihn mit der Höflichkeit eines gewandten Weltmanns, Valerius mußte ſich einen der ſchlechten Stühle nehmen, welche in geringer Anzahl und unordentlich im Saale herumſtanden, und das Geſpräch war ſogleich mitten im Kriege.
Der Graf hatte eins jener verwüſteten Geſichter, die auch mitten in der Verwüſtung noch Spuren von großem Reiz entwickeln. Die Formen ſind ur -49 ſprünglich ſcharf und ſchön geweſen, das Leben hat ſie hie und da abgeſtumpft, die Mienen ſind durch tauſend Affekte ein wenig verzerrt worden. Die Mienen ſind aber die Sprache der Formen, und ſo machte der Anblick des Grafen keinen wohlthuenden Eindruck. Das graue Haar lockte ſich nur ſpärlich noch um die Schläfe, das Haupt war ſchon kahl; auf der hohen Stirne liefen allerlei Leidenſchaften wild durcheinander, und die Augen lauerten dreiſt, oder kamen frech angeſprungen. Um den Mund, welchen ein ſchwarzer Knebelbart zur Hälfte verbarg, flogen jene ſchnell wechſelnden, ungewöhnlichen Fal - ten und Eindrücke, die wie ein unbekanntes Alphabet ausſahen, deſſen Buchſtaben man nicht zuſammen - reimen kann.
Das war der Mann, welcher vor Valerius ſaß, heftig ſchilderte, verbindlich dazwiſchen ſprach, einen der Hunde über den Kopf ſchlug, die Peitſche nach dem alten Diener warf, der den Tiſch zu decken kam, und mit dem Fuße an einen der Hunde ſtieß, ſchnell wieder verbindlich gegen den Fremden lächelte, und mit vielerlei Redensarten das Geſpräch fortzu - ſpinnen wußte.
III. 350Aber in dem einen Punkte war er wie die beſten: Alles ward hingegeben für Polen, Alles auf’s Spiel geſetzt — der Graf brauchte nur ſeltner das Wort „ Vaterland, “er ſprach vom Königreiche Polen.
Selbſt dieſe Eigenſchaft hatte für Valerius etwas Unheimliches. Dies Gefühl ward noch geſteigert durch die Mutter des Grafen, welche bald darauf eintrat. Es war eine Matrone von achtzig Jahren, aber ſie trug ihre hohe Figur noch kerzengerade, und ihr ſtarres, magres Geſicht war noch voll angefan - gener Erzählungen von früherer außerordentlicher Schönheit. Sie machte den Eindruck eines Ge - ſpenſtes auf Valerius, denn ſie war ſchwarz gekleidet vom Scheitel bis zur Zehe, und ihre Manieren waren ſteif und förmlich, wie man ſie an alten ſpaniſchen und franzöſiſchen Hofdamen beſchreibt. Eine kurze Rede, welche ſie an ihn richtete, und worin ſie im Namen der Nation dankte, daß er aus fremdem Lande zum polniſchen Kriege gekommen ſei, machte einen peinlichen Eindruck auf den Deutſchen. Die Worte kamen wie aus dem Grabe und waren kühl wie die Luft der Grüfte. Und doch war dieſe Frau eigentlich das Ehrwürdigſte, was man ſehen konnte. 51Als achtzehnjähriges Mädchen hatte ſie die erſte Theilung erlebt und jene erſte Wuth des Adels ge - ſehen, die noch nicht wußte, wie ſie ſich geſtalten ſollte über die grinſende Neuheit der Dinge. Sie war am Hofe des gelehrten Stanislaus, des letzten Königs geweſen, ſie hatte Kosciusko durch ihre Schönheit und ihre Rede begeiſtert, ihr Gatte war mit ihm bei Maciejovice gefallen, fünf ihrer Söhne waren in den Napoleoniſchen Kriegen untergegangen, im Jahre zwölf hatte ſie zu Napoleon geſprochen vom Königreiche Polen, vor wenig Tagen war ihr letzter Enkel bei Grochow in der Schlacht geweſen, und ſie wußt’ es noch nicht, ob er noch lebte, und fragte auch nicht darnach. Seit Kosciuskos Falle hatte Niemand ſie mehr lächeln ſehn, und ſie trug nun 36 Jahre die ſchwarzen Kleider.
Wenn man von Wilna bis an die Karpathen kein ruſſiſch Wort mehr hören wird — pflegte ſie zu ſagen — dann ſollt Jhr mich mit einem weißen Kleide in den Sarg legen, und ich will im Tode wieder lächeln. Jch will auch nicht eher ſterben, als bis dies geſchieht, oder bis man noch einmal ſchreibt: Es giebt kein Polen mehr. Und ließe52 Gott, unſer Gott, das letzte geſchehen, dann ſollt Jhr meinen Leichnam auf das freie Feld werfen für die Vögel des Himmels, damit die Kunde von un - ſerm Unglück durch alle Lüfte getragen werde, und Gott ſie hören muß. —
Es iſt ein tiefes Geheimniß um die Heimath, und es iſt ein wahres Wort: Was uns wohl thun ſoll, muß uns heimathlich werden. Valerius ſtaunte die lange Grabesfrau an, er ſah in das untraulich lächelnde Geſicht des Grafen, aber es war ihm kalt im Herzen. Er fühlte es mit tiefem Weh, daß ihn nur ein Begriff mit dieſen Leuten vereine, kein Tropfen warmen Blutes; daß die Nationalitäten, die ihm ſtets unwichtig erſchienen waren, von ge - waltiger Bedeutung und Trennung ſeien.
Nur die Tochter des Hauſes, die ſchöne Hed - wig, erinnerte ihn an das friſche polniſche Element, an die ewige, tragiſche Jugend dieſes Volks, die nimmer klagt und wimmert, und unter Thränen lacht. Sie und der liebenswürdige Joel hielten ſei - nen Muth aufrecht in dieſer unnahbaren Fremde. Die Liebenswürdigkeit iſt überall daheim.
Die beiden Jugendgeſtalten waren es allein, die ſeinen Geiſt ein wenig aufheiterten. War es Folge der Krankheit, oder rührte es von andern Einflüſſen her: Valerius befand ſich fortwährend in einer Stimmung, die ihm das Leben ohne alle Farben, ohne alle Reize darſtellte. Er war durchgehends unzufrieden mit ſich ſelbſt, unzufrieden, daß er ſich früher jedem Anregen zur Begeiſterung hingegeben hatte, unzufrieden, daß ihm jetzt Alles grau, un - erquicklich, unintereſſant erſchien.
Es war ein rauher Abend, als ihm dieſe Ge - danken quälender als je auf Herz und Lippe traten. Er ſaß in dem großen Saale, wo die Familie zu Abend gegeſſen hatte. Die alte Gräfin und der Graf waren nach ihren Zimmern gebracht, Coeleſtin, der betagte Diener, räumte den Tiſch ab, und brachte54 die leeren Flaſchen beiſeit. Das war ein Geſchäft, was der regierende Herr Graf alle Tage einigemal nöthig machte. Der weite wüſte Saal lag in un - heimlicher Dämmerung, ein Licht, was für Valerius beſtimmt war, brannte flackernd an einem Fenſter, und der Luftzug, der durch die ſchlecht verwahrten Rahmen drang, drohte es zu verlöſchen. Der alte Domeſtik ging leiſen Schrittes ſchweigend ab und zu; in dem fernſten Winkel des Saales ſtand Va - lerius und blickte in die unfreundliche Nacht hinaus. Hie und da ſah er eine Schneeflocke vorübergleiten.
Er war in einer traurigen Stimmung, wie ſie im jungen Mannesalter bei einem prüfenden, ſtre - benden Geiſte leider nicht ſo ſelten erſcheint, als man zu glauben geneigt iſt. Sein Charakter war nicht von jenem leidenſchaftlichen Schwunge gehoben, der ohne weiteres auf den Dingen und Erſcheinungen hinfliegt, welche ſich ihm bieten. Obwohl der be - geiſterndſten Gefühle fähig, war doch ein gewiſſes kritiſches, rationelles Weſen in ſeinem Jnnern mächtig. Er hatte ſelten raſch und leidenſchaftlich eine Rich - tung eingeſchlagen; blieb er nun zwar im Verfolgen derſelben um ſo ſtandhafter und hartnäckiger, je55 tiefer allmählig ſeine Ueberzeugung Wurzel geſchlagen hatte, ſo fehlte ihm doch in kritiſchen Momenten jener ſchwärmeriſche Fanatismus, der alle Zweifel überflügelt und mit bunten Farben die blaſſe Wirk - lichkeit übertüncht. Jenes begeiſternde Element Alexanders des Großen ging ihm ab, was dieſer von ſeiner exaltirten Mutter Olympia geerbt hatte.
Man erzählt von dieſer, daß ſie die mildeſte unter den Frauen geweſen ſei, welche mit aufge - löſ’tem Haar und brennenden Fackeln und Augen in dunkler Nacht zum Opfer der Götter ſchritten. Jn der Nacht, bevor ſie Alexander empfing, hatte ſie geträumt, Jupiters Blitz ſchlüge in ihren Schooß.
Dieſer Blitz des Jupiter, der die zweifelloſen Helden und Verbrecher ſchafft, der Blitz des Fana - tismus, fehlte dem Valerius. Sein Weſen war fern von der ſchwanken Unentſchloſſenheit, von dem charak - terloſen Umhertappen. Es war eben im Gegentheil zu viel Charakter in ihm, als daß er hätte gerade fortſchreiten können, ohne wiederholt zu prüfen; es war zu viel Humanität in ihm, als daß eine ent - ſchiedene, unerſchütterliche Feindſchaft in ſeinem Herzen hätte entſtehen können. Die Humanität56 verträgt ſich nicht mit dem romantiſchen Helden - thume.
Valerius hatte ſich Polen anders gedacht, und er ſchalt ſich, daß er ſich wie ein Kind romantiſchen Vorſtellungen hingegeben hatte. „ Jſt es nicht thöricht, andre Zuſtände von einem Lande verlangen zu wollen, deſſen Entwickelung ſo gewaltſam geſtört worden iſt! bedarf’s denn äußerer bunter Jlluſionen, um die Begeiſterung für einen ſchönen Begriff lebendig zu erhalten — — Leider iſt es ſo; unſre Augen ſind die ſchnellſten Boten, wir thun immer nur halb ſo viel für ein garſtiges Mädchen, als für ein ſchönes, wenn wir auch glauben, es mit jener ſo gut zu meinen, als mit dieſer. “
So ſprach er leiſe vor ſich hin. Er kam nicht einmal zu dem Geſtändniſſe, daß das Unbehagliche um ihn her, der wüſte Saal, das Unordentliche des Hauſes das Meiſte beitrügen zu ſeinem Uebel - befinden. Er vergaß es völlig, daß er die Anſprüche eines Deutſchen an eine fremde Nation mache, daß es jene Gemüthlichkeit, jenes Beiſammenſitzen, jenes Schwätzen ſei, was er vermiſſe. Ueber die National - unterſchiede glaubte er ſo weit hinweg zu ſein, und57 wußte nicht, daß ſie bis in die geheimſten Winkel unſers Weſens eingepreßt ſind, und am lauteſten ſprechen, wenn man wer weiß welch hohe Motive zu hören glaubt. Wir erfreuen uns anders, wir erholen uns anders, wir haſſen und lieben anders — das wirkliche Nationalleben Jtaliens und Spaniens würde uns lange Zeit eben ſo unbequem erſcheinen; und vorzüglich zu Zeiten allgemeiner Erregtheit, wo das angewöhnte Weſen ohne Hülle hervortritt. Die Völker ſind in gegenſeitiger Beurtheilung noch lange nicht vorſichtig genug.
Valerius geſtand ſich’s, daß er in einem wohn - lichen Zimmer, im breiten Geſpräch mit deutſchen Freunden Welt und Dinge plötzlich anders anſehen würde.
Coeleſtin war unterdeß ſchon lange mit ſeinen Geſchäften zu Ende gekommen, hatte das Licht wie - der auf den Tiſch geſtellt, und ſchien den Aufbruch des Gaſtes vom Hauſe erwarten zu wollen. Zur deutſchen Nationalität des Valerius mochte es auch gehören, daß er keinen Diener warten laſſen, hinter dem Stuhle bei Tiſch ſehen konnte; es quälte ihn, es benahm ihm alle Ruhe, wenn er wußte, daß3 *58ein Menſch eine zeitlang lediglich von ihm und ſei - nen Launen beſtimmt werde. Raſch ging er nach dem alten Coeleſtin hin. Zu ſeinem Erſtaunen fah Valerius in einer andern Ecke des Saales Joel auf einem Stuhle ſitzen; er hatte das Ge - ſicht in die Hand gedrückt, und ſchien zu ſchla - fen. Valerius zog ihm die Hand weg, und fand das blaſſe Geſicht ſeines jungen Freundes in Thrä - nen gebadet.
Wenn man ſolche Thränen nicht erräth, muß man nicht darnach fragen. Das war Valers erſter Gedanke, indeß glaubte er ihre Quelle zum Theil zu kennen, und er wollte den jungen Mann zu tröſten verſuchen. Gleich als ob er ſelbſt dazu einer behaglichern Stimmung bedurft hätte, fragte er Coeleſtin, ob es möglich ſei, in dem Kamin Feuer anzumachen. Dem Alten ſchien die Frage ſo völlig überraſchend zu ſein, daß er ſich lange beſinnen mußte, ehe ein gedehntes „ O ja “zum Vorſchein kam.
Es befand ſich nämlich wirklich ein geſchmack - voller Kamin im Saale. Er war nach Art der Pariſer eingerichtet, und wie jene mit einer meſſing - nen Einfaſſung umgeben. Alles war indeſſen mit59 Staub bedeckt, und Coeleſtin antwortete, daß ſeit fünfzehn Jahren kein Feuer drinn geweſen ſei. Da - mals wäre der regierende Herr Graf von Paris gekommen und habe den Kamin anlegen laſſen; die ſelige, gnädige Gräfin wäre ein Paar Mal da ge - ſeſſen, wenn ſich Beſuch auf dem Schloſſe einge - funden hätte; die neue Gewohnheit ſei aber bald wieder vergeſſen worden.
Magyac ward gerufen, um den Kamin zu rei - nigen, Valerius nahm Joel unter den Arm und ging ſchweigend mit ihm auf und ab. Jn Kurzem brannte eine luſtige Flamme, und erleuchtete den wüſten Saal, ja das Licht lief bis in den nahen Wald hinüber. Die jungen Männer ſetzten ſich an den Kamin. Coeleſtin und Magyac hatten ſich in einen Winkel zurückgezogen, und ſahen mit einer Art von Neugierde auf das Feuer. Magyacs luft - rothes Geſicht ſtach wunderlich ab von dem ſchnee - weißen Haare des alten Domeſtiken. Coeleſtin war groß, das Alter hatte ſeine Schultern ſchon etwas nach vorn gebogen, aber ſein Schnurrbart war noch pechſchwarz, und die eingefallnen Züge traten noch mit großer Strenge hervor. Er hatte ein Auge60 verloren, und das andre war immer zur Hälfte bedeckt vom Augenliede, ſo daß man ſelten das friſche Schwarz des Augapfels erblickte. Die ferne Flamme ſpielte wunderliche Lichter auf die beiden Sarmaten - geſtalten, und Valerius, ein lebhafter Freund von ſolchen Bildern, machte eben ſeinen Nachbar auf die ganze lichte und dunkle Umgebung aufmerkſam, als die Scene noch lebendiger wurde durch den Ein - tritt Hedwigs. Sie klatſchte in die Hände, und kam zum Kamin geſprungen; ihre franzöſiſche Zofe rief entzückt, ſie ſehe Paris wieder; ſogar Joel wurde munter, und man ſchwatzte ein Weilchen heiter und luſtig. Das friſche ſechzehnjährige Mädchen glänzte wie ein zweites Feuer vor den Flammen mit ihren blitzenden, muthwilligen Augen, den weißen Schul - tern, und den braunen Flechten, die ihr halb auf - gelöſ’t um den Nacken flogen. Es ſchien, als habe ſie eben zu Bett gehen wollen, da ſie die unerwartete Geſellſchaft im Saal gefunden hatte. Das Hals - tuch trug ſie in der Hand, und den Kamm, wel - cher ſchon aus dem Mittelpunkt der Flechten ge - zogen war, ſteckte ſie ſcherzend in den Scheitel des offnen Haares. An ſich harmlos, von Jugend auf61 unter Männern, war ſie dreiſt und am fernſten von aller Prüderie. Jhre Großmutter war ja auch ein Mann und kümmerte ſich nur um die Befreiung des Vaterlandes, nicht aber um das Buſentuch ihrer Enkelin, die jetzt über Nacht zur Jungfrau empor gewachſen war. Jhre Mutter hatte ſie kaum ge - kannt. So war ſie denn wie ein luſtiges, freies Füllen gediehen, war natürlich, dreiſt und doch voll ächten Schamgefühls. Als ſie ihre Freude am Feuer geſättigt hatte, ſagte ſie „ Bonne nuit, Messieurs, “und ſprang davon. Es trat eine augenblickliche Stille ein, Valerius warf neues Holz auf’s Feuer, Joel ſah gedankenvoll in die Flammen hinein, als wollte er ſein Leben bis in die fernſte Zukunft darin entdecken. Da hörte man plötzlich außerhalb des Hauſes einen gellenden Pfiff durch die Luft ſchwirren. Joel ſchrack ſichtbar zuſammen, Valerius wendete ſich ſchnell um, und fragte die noch im Winkel ſtehenden Bediente, was dies zu bedeuten habe. Sie erklärten mit halben Worten ihre Unwiſſenheit; es war aber dem Valerius nicht entgangen, daß Coe - leſtin ſeine Hand nach dem Rockzipfel Magyacs aus - geſtreckt hatte, wahrſcheinlich, um dieſen vor einer62 Unvorſichtigkeit zu warnen. Magyac war offenbar am meiſten beunruhigt, und da er noch weniger an die unterwürfige Domeſtikenform Coeleſtins ge - wöhnt war, deſſen Körper wie eine Bildſäule unbe - weglich ſtand, während die Befehle ſeiner Herrſchaft ruhten, ſo wagte er’s, ſich an’s Fenſter zu ſchleichen, und hinauszublicken. Er ging ſogar auf die ent - gegengeſetzte Seite des Gemachs zu einer halb zer - ſchlagenen Glasthür, die auf einen verfallnen Balkon führte. Dabei ſchlich er aber auf den Zehen, als ſollte Valerius, den er wie ſeinen Herrn betrachtete, die Dreiſtigkeit ſeines Herumſtreichens im Saale nicht bemerken.
Verdrießlich über das Verläugnen einer Erſchei - nung, die ſeinen Umgebungen weniger unbekannt zu ſein ſchien, hieß er die beiden Leute zu Bett gehn.
Coeleſtin war wie ein Blitz verſchwunden, und Magyac verbarg ſeine Eile wenig. Die freundliche Behandlung, welche er bisher von Valerius erfahren hatte, war nicht ohne tiefen Eindruck auf den jungen Polen geblieben. Er war an rauhere Hände gewöhnt, und bewies dem deutſchen Herrn eine lebhafte Hin - gebung. Valerius hatte oft große Mühe, ſich den63 Verſuchen Magyacs zu entziehen, wenn er ihm den Arm oder den Rockzipfel küſſen wollte. An jenem Abende machte ihm dieſe orientaliſche Manier Ma - gyacs keine Sorge. Wie ein Fuchs klemmte er ſich mit ſeinem Pelze durch die halboffne Saalthür, und verſchwand.
„ Gegen die beſten Freunde iſt dieſe Nation miß - trauiſch und ſtolz, “brummte Valerius mürriſch vor ſich hin, und ſetzte ſich wieder an’s Feuer; er ſah Joel faſt unmerklich mit dem Kopfe nicken, tonlos die Lippen bewegen und in die Flamme ſtarren. Es war todtenſtill; nach einer Weile glaubte Valerius gegen den Wald zu wiederum jenes Pfeifen zu ver - nehmen, wenn auch ganz leiſe — er horchte auf - merkſam: Alles blieb ſtill, nur die Saalthür knarrte im Luftzuge.
Die beiden jungen Männer brachten noch eine lange Zeit ſchweigend zu. Jeder war offenbar in trübe, düſtre Gedanken verſunken. Joels Traurigkeit ſchien indeß weicher und von höherer Reizbarkeit zu ſein: zuweilen rollten dicke Thränen über ſeine Wangen.
„ Der Freiheitskrieg eines Volkes, ſagte endlich Valerius leiſe vor ſich hin, iſt wie ein Liebeskrieg, man nimmt die Unterſtützung eines Fremden an, aber betrachtet ihn gleichgültig wie ein Werkzeug, in den Herzensrath kann er nimmer aufgenommen werden. “—
Da ſah er zwei große Thränen des armen Joel; er ſchalt ſich, daß er ſo drängendes, nahes Leid über ſeinen Grillen habe vergeſſen können, und ſuchte nach einem Eingange, dem Kranken nahe zu treten, ohne ihn durch Beileidsgeſchrei noch ſchlim -65 mer an ſeine Krankheit zu erinnern. Alle Leiden ſind von einer Familie, die meiſten Troſtgedanken paſſen auf alle, und die edelſten Leiden ſind wie die edelſten Familien: ſie hören ſich nicht gern ſelbſt nennen, wenn man über ihre Schmerzen ſpricht. Das Unglück hat die zarteſte Schamhaftigkeit. Des - halb ſuchte Valerius einen fernen, und doch ver - wandten Gedankengang, um nur in die Tonart ſeines weinenden Nachbars einzufallen, nicht aber ſeine Trauermelodie ſelbſt anzuſtimmen.
Die Natur, hub er leiſe an, als ſetze er ſein Selbſtgeſpräch fort, iſt doch von tiefer Gerechtigkeit, ſie gleicht das äußere Leben durch’s innere aus. Je ſchwärzer es außen um den Menſchen wird, deſto mehr wird er nach Jnnen gedrängt, deſto lebendiger entzündet er das Licht ſeiner inwendigſten Seele; Leute, denen es immer nach Wunſch geht, ſehen niemals die verborgnen Reize des unergründlichen Menſchen. Der Flüchtling entdeckt alle verſteckten Thäler ſeiner Heimath. Nur das wäre ein zweifello - ſes Unglück, wenn großes Leid keine Poeſie in dem Menſchen zu wecken vermöchte, aber das geſchieht nicht: die unglücklichſten Menſchen ſind immer die66 begabteſten. Ein jeder von ihnen trägt ſeine Tra - gödie im Herzen, die hebt und erquickt ihn. Der Schmerz iſt der edelſte Reiz. — —
Joel drückte ihm die Hand. Sein Schmerz löſ’te ſich in einzelne Worte, endlich in eine zuſam - menhängende Erzählung auf. Und es iſt mit dem Schmerze ebenfalls wie mit ſchmollenden Liebesleu - ten: wenn ſie erſt zu ſprechen anfangen, und ſich ihr Leiden vorhalten, dann folgt auch die Ver - ſöhnung.
Sein Vater Manaſſe ſpielte die Hauptrolle in der Erzählung. „ Dieſer lange, magre Mann, “ſagte Joel, „ war einſt kräftig und ſchön, und in ſeiner gefurchten Stirn liegen lange, abenteuerliche Geſchichten, unglückliche Geſchichten. Er hat allen Wiſſenſchaften obgelegen, die den menſchlichen Geiſt anziehn, und nichts iſt ihm geblieben, was ſein Alter reizt und mit Antheil erfüllt, als ſein Geld und ſein Sohn. Nach jenem ſtrecken tauſend Diebe die Hände, über Nacht kann es verſchwunden ſein; der Sohn, ſein Stab und ſeine Stütze verläßt ihn mit Undank. Der Glaube, an den ſich der Vater krampfhaft klammert, obwohl er ſeinem Herzen67 fremd iſt, dieſer Glaube iſt ſeinem Sohne ein Gräuel. Und ſchiene die Sonne zwölf Monden lang ununterbrochen Tag und Nacht, ſie fände in dieſer kleinen Familie keinen glücklichen Winkel. “
Joel ſeufzte tief, und hielt einen Augenblick inne.
„ Nur aus Scenen der Verzweiflung, welche mei - nen armen Vater zuweilen überfüllt, weiß ich Einiges aus ſeinem Leben. Er iſt verſchloſſen wie das Grab. Die Medizin ſcheint er in ſeinen jungen Jahren am eifrigſten betrieben zu haben; in allen bedeuten - den Städten Europa’s hat er ſie ausgeübt. Aber auch die Aerzte haßt er, wie die Peſt. Einſt war ich ſchwer krank, und lag im Fieberſchlummer auf dem Lager. Manaſſe ſaß weinend an meinem Bett, und glaubte meinen Geiſt vom Fieber oder vom Schlafe befangen. Dem war aber nicht ſo, ich hörte Alles, was er vor ſich hinlispelte. Er ver - wünſchte die Natur, wenn ſie mich tödtete, das Auge ſeines Lebens. Kein Menſch kann einen Puls - ſchlag ſchaffen, nur die Frechheit behauptet’s, murrte er vor ſich hin, rette ihn Zufall oder Jehovah, rette ihn, wer am mächtigſten iſt. Dann brach68 ſich ſeine Stimme zu großer Milde, er rief mehr - mals den Namen Maria, und erzählte vor ſich hin, wie er des Abends in den Mantel gehüllt unter Kirchenpfeilern geſtanden, wie ſie gekommen ſei, und ihn geküßt habe, heiß und brünſtig. Aber Jude — Jude — ein Jude “ſtöhnte er ingrimmig — ich verlor die ganze Welt, und mein eigen Kind mußt’ ich mir ſtehlen “— —
„ Jene Maria war vielleicht meine Mutter. Einmal nur hab’ ich’s zu Manaſſe geſagt, da ſtarrte er mich an, und verfiel in eine ſchwere Krankheit. Kurz, mein Herr, ich bin als Jude aufgewachſen, und in dem einen Worte liegt das Unglück eines ganzen Menſchenlebens. “
„ Die Juden Jeruſalems kreuzigten Chriſtum, und ſeine Bekenner kreuzigen dafür ſeit achtzehn hundert Jahren Alles, was Jude heißt auf dem weiten Erdboden. Und was noch ſchlimmer iſt, ſie haben bereits einen großen Theil dieſes Volks ſo weit gebracht, daß er der Geißelung, der Verach - tung würdig iſt. Sie haben ihnen Meſſer und Schere genommen, und prügeln ſie, wenn ſie mit ungeſchornem Barte umhergehn. “— —
69„ Was ſoll ich Jhnen mehr erzählen? mit jenem Worte iſt Alles geſagt. Jch bin blind von Kindes - beinen auf — nicht genug: ich bin taub geboren — nicht genug: meine Zunge iſt lahm, und lernt nicht ſprechen. — Solche Menſchen nennt man elend, aber viel größeres Elend liegt in den drei Worten: ich bin ein Jude. Jene ſehen und hören nichts von der Schönheit der Welt, ſie wiſſen nicht, was ſie entbehren. Wir ſehen und hören und dür - fen nicht genießen. Es giebt kein größeres Unglück, als verachtet zu ſein, nicht wahr? — Doch, doch — das Unglück, einem verachteten Volke anzuge - hören, iſt noch ein größeres. Verbirg Dich jenſeits der Meere, fliehe auf den Flügeln der Abendröthe in die Nacht hinein — wo Du einen Menſchen findeſt, hörſt Du die drei fürchterlichen Worte: Er iſt ein Jude! “— —
— Mein Vater ließ mich Alles lernen, was ich erlernen wollte. Die Wiſſenſchaft tröſtet nicht, aber ſie hilft. Damals war er noch ſanfter, aber mit dem Alter ſtieg ſein Unglück, weil ſeine Schwäche ſtieg. Seit einiger Zeit gehört er zu der überſpann - ten Sekte, welche ſie Chaſſidim nennen, und iſt70 grundlos elend. Sonſt kümmerte er ſich nicht um ſeinen Glauben, nur aus Stolz verließ er ihn nicht; er ließ mich gewähren, wenn ich mich um die Bräuche nicht kümmerte, er fragte nie darnach — jetzt iſt er bigott, ohne an ſeine neuen Dinge zu glauben. Er will einen Glauben haben, und zwar den ſtrengſten, um die Oede ſeines Weſens zu bevölkern. Jetzt mag ihm mein Heidenthum viel Herzeleid machen, obwohl er mir nimmer ein Wort darüber ſagt. “
„ Als ich von der Univerſität heimkam, fand ich meinen Vater bei dem Herrn dieſes Hauſes, bei dem er Geſchäfte hatte. Als dieſer hörte, daß ich muſikaliſche Kenntniſſe beſäße, fragte er, ob ich ſeiner Tochter Muſik-Unterricht, geben wolle, ihr Verlobter, der Graf Stanislaus liebe Muſik. Fräu - lein Hedwig war damals ein Jahr jünger als jetzt; man hatte die beiden jungen Leute ſchon als Kin - der verlobt — ich blieb. Da kam die Revolution und der Krieg. Jch bat um eine Soldatenjacke, ich wollte ein Vaterland haben — man gewährte ſie mir. Mit Jhnen, mein Herr, kam ich zum erſten Mal ſeit dem December wieder hierher, und71 ich thörichter Menſch wundre mich, daß man mir unter wem Kasket noch immer den Juden anſieht “. —
„ — ich weiß ſelbſt nicht, was mir fehlt, und ich will auch nicht mehr weinen — laſſen Sie uns zu Bett gehen. “
Der Vorſchlag war dem Valerius nur zu ange - nehm — er hatte keinen Troſt für ihn. Die Lücke in ſeimer Erzählung, wo er von der Univerſität heimkehrte, war ihm nicht entgangen.
Man hatte das Feuer vergeſſen, es war dunkel geworden, nur die glühende Aſche warf einen unſi - chern rothen Schimmer auf das ſchmerzenreiche Antlitz des ſchönen Joel. Valerius nahm ihn bei der Hand, und ſie ſuchten ſchweigend ihre Zimmer.
Den andern Morgen ſchien die Sonne; das trübe Wetter hatte ſie bisher immer verborgen. Sie brachte Muth in das ſchwer gedrückte Herz des deutſchen Freiwilligen. Die Sonne hat wirklich ein wunder - bares Belebungselement für die ſinnenden Menſchen, die in lauter Gedanken das Leben hindurch klettern, und jener körperlichen Anregung zur Freude entbeh - ren, welche die ſtumpfe Maſſe, und die eigentlich glücklichen Menſchen zu Luſt und Jauchzen ſtachelt. Valerius gehörte nicht zu dieſen letzteren, und er verehrte darum die Sonne wie ein Peruaner; ſie war ihm das wirkliche Auge des Himmels und Gott und der Himmel waren für ihn der Begriff von eitel Schönheit, Freude und Glück.
Es war ihm aber auch dieſer Troſt nöthiger als je, es that ihm mehr als je Noth, in’s Auge,73 in die Seele der Welt hineinzublicken. Er befand ſich auf jenem traurigen Standpunkte menſchlicher Entwickelung, wo der graue Zweifel, die aſchfarbene Ungewißheit Herz und Geiſt anfüllt, wo bei leiden - ſchaftlichen Menſchen die Verzweiflung ausbricht, bei Ruhigern aber jene tödtliche Gleichgültigkeit des Unbehagens. Sogar die Vergangenheit war ihm verleidet: ſein eignes ſichres, abgemachtes Weſen, was ihn früher ausgezeichnet hatte, war jetzt ſeiner Erinnerung ein Gräuel. Abgeſchmackt, eitel, thö - richt erſchien ihm dieſe knabenhafte Sicherheit, dies ganze geſetzte Weſen, das ihm ſtets ein ſo großes Uebergewicht unter ſeiner Umgebung eingeräumt hatte.
Und doch waren es nicht jene Freiheitsgedanken an ſich, die er jetzt bezweifelte, es waren die Ver - hältniſſe im Großen, die allgemeinen hiſtoriſchen Entwickelungen, die ihm den Geiſt mit Dämmerung bedeckten. Er ahnete das Tauſendfältige der menſch - lichen Zuſtände, die tauſendfältigen Nüancen der Weltgeſchichte, die millionenfachen Wechſel in der Geſtalt eines Jahrhunderts und in der Geſtalt ſei - ner Wünſche und Bedürfniſſe. Er ſah die ArmuthIII. 474des menſchlichen Geiſtes, der reformiren will, neben dem unabſehbaren Reichthume, der unendlichen Man - nigfaltigkeit dieſer Welt und ihres verborgnen ewi - gen Gedankens. Wie ein Prisma ſchimmerte ihm aus dem Dunkel ſeiner Seele jener ewige Gott der Welt mit ſeinen Farben. Und dies Gefühl der Schwäche, daß er nicht eine einzelne beſtimmte Farbe herausblicken konnte, das Gefühl der Ohnmacht, ſie nicht im Geiſte alle vereinigt halten zu können, dies Gefühl der menſchlichen Beſchränktheit drückte ihn zu Boden.
Es giebt Menſchen, welche zu ſtolz ſind, einen Schritt weiter zu gehen, bevor ſie das Ziel genau kennen, auf welches ſie losſchreiten. Zu dieſen gehörte Valerius. Er glaubte noch an all ſeine früheren Gedanken, aber ſie erſchienen ihm jetzt unvollkommen, Anfänge der Bildung.
Das ſind die troſtloſeſten Momente im Leben, wo wir den Fuß erhoben haben von einer früheren Entwickelungsſtufe, und noch keinen neuen feſten Boden unter uns fühlen. Wir ſehen mit Schrecken, wie tief jene Stufe noch gelegen, wir erinnern uns mit Schaam, wie weit wir uns ſchon vorgeſchritten75 glaubten, als wir auf jener Stufe ſtanden, und der Gedanke zerknirſcht unſer ſtolzes Herz, daß wir beim nächſten Ruhepunkte wieder in denſelben Jrrthum verfallen, und uns für fertig, für vollendet halten werden. Wir ſehen ängſtlich fragend zum Himmel: wo iſt das Ende, wo iſt der Gipfelpunkt des Men - ſchen? Aber der blaue Himmel iſt endlos für das menſchliche Auge, und wenn wir noch ſo hoch ge - ſtiegen ſind, wir wiſſen’s nicht, ob es höher Stehende giebt, die uns verlachen. Da bricht das Herz, und wir greifen nach jener Milde und Toleranz für Andre, damit wir Verſöhnung in das Leben bringen.
Valerius ſeufzte tief auf nach ſolchen Gedanken, und ſah ſchmerzlich lächelnd in die Sonne: Nun denn, du mildes Licht, ich will eben weiter gehn, und jeder deiner Strahlen ſoll mir Muth verleihen. Es war ihm ſanft zu Sinne, als habe er ſich recht ausgeweint, und er ging leichten Schrittes in den Hof hinunter, um einen Ritt in’s Freie zu machen. Er wollte mit der Sonne ſchwelgen. Magyac war nicht zu ſehn; als wieder rüſtig geword’ner Soldat ging er nach dem Pferdeſtall, den lithauiſchen Gaul ſelbſt zu ſatteln, den ihm der Graf geſchenkt hatte.
76Zu ſeinem Erſtaunen fand er das Pferd ſchon geſattelt, ſogar ſchon aufgezäumt. Beim Umher - blicken bemerkte er, daß alle übrigen Gäule ebenfalls angeſchirrt und zum Ausreiten bereit waren.
Jn geringer Entfernung von ihm legte Magyac eben dem letzten noch übrigen Thiere einen alten Koſackenſattel auf; Coeleſtin ſtand neben ihm an die Pfoſte gelehnt, und Valerius hörte bald, daß ſie in einem lebhaften Zwiegeſpräch begriffen waren. Beide kehrten ihm den Rücken zu, und hatten ihn nicht geſehn.
„ Und was wird’s Euch helfen, Jhr Teller - lecker, wenn’s glücklich ausgeht “, ſagte Magyac, „ was? Für ’nen dummen Herrn bekommt Jhr einen klugen? “
Beſſer einen, als zwei! erwiderte Coeleſtin.
„ Beſſer gar keinen! “
Das geht nicht, dummer Bauer, Herrſchaft muß ſein.
Magyac lachte, hielt einen Augenblick inne im Schnallen des Sattelgurtes, und ſah vor ſich hin, als beſänne er ſich auf etwas, dann ſprach er ſchnell: „ Dein Graf iſt einer der ſchlimmſten — er ſchlägt77 die Woche ſiebenmal nach Dir, und ſchenkt Dir’s ganze Jahr nicht einen Schluck. “
Dafür nehm’ ich mir alle Stunden einen.
Coeleſtin zog bei dieſen Worten eine kleine Flaſche aus ſeiner kurzen abgetragnen Kutka, ſtemmte ſie feſt unter ſeinen Schnurrbart, legte den Kopf tief in den Nacken und that einen langen Schluck. Dar - auf ſchüttelte und räuſperte er ſich, gleich als ob ihm der Trunk entſetzlich vorkäme, und reichte dem Magyac die Flaſche. Valerius belächelte dieſe Säu - fermanier, und ſtellte ſich hinter einen hohen Futter - kaſten, um dem Geſpräche weiter zuzuhören, wenn ſich Magyac etwa beim Zurückgeben der Flaſche um - kehren ſollte.
„ Wie lange dienſt Du dem Grafen ſchon? “
Länger als Du Grünſchnabel pfeifen kannſt — im ſechs und dreißigſten Jahre.
„ Da haſt Du Kosciusco noch geſehn? “
Alle Tage, Und dabei nahm er ſeine Mütze andächtig vom Kopfe, und murmelte etwas vor ſich hin.
Magyac hatte ſich bei der Frage umgewendet, und ſah ihn mit blitzenden Augen an.
78„ Kosciusco hat nie einen Polen geſchlagen — weißt Du das? “ Und dabei fing er das alte Volks - lied an „ Noch iſt Polen nicht verloren, “und wenn er an den Refrain kam „ Kosciusco führt uns an, “da zwickte und kitzelte er das Pferd, daß es wieherte und hinten und vorn ausſchlug, und je mehr es lärmte, deſto ſtärker ſang er.
Hatt’ es der Schmied geſtern eilig? fragte Coe - leſtin nach einer Weile.
„ Ja wohl, die Hunde zotteln wie die Wölfe überall herum, ſie hungern! “
Nun, zu packen habe ich nicht viel, das ſilberne Tiſchzeug iſt ſchon lange in Warſchau, meinetwegen können ſie jede Stunde kommen, ’s iſt mir nur um die gnädige Gräfin —
„ Jſt’s denn wahr, Coeleſtin, daß König Sta - nislaus in ſie verliebt geweſen iſt “—
Es iſt die beſte Polin von der Warthe bis an den Dniepr, Du naſeweiſer Lümmel.
„ Jch weiß, ich weiß, Alter. Laß uns noch eins trinken. So lange der Schmied ein Paar Augen im Kopfe hat, und ſeine großen Fäuſte auf die Flinte legen kann, ſind ihre weißen Haare in Sicher -79 heit. ’s wird ein luſtiges Jahr, du krummer Schim - mel, und ’s werden viele Franzoſen traurig werden, die unſre Kutka nicht mehr tragen mögen. Gieb her, Du langer Saufaus, ich will eins auf den alten Krukowiecki trinken. “—
Jn dieſem Augenblicke hörte man Coeleſtin rufen. Er ſteckte eiligſt die Flaſche ein, wiſchte ſich den Schnurrbart ab, hauchte ſchnell einige Mal in die Luft, und machte ſich eiligſt davon.
„ Vergiß nicht, Alter, heut’ Abend wegen des Feuers “— rief ihm Magyac nach.
Valerius ging jetzt nach dem Stande ſeines Pferdes, und machte Geräuſch, als ob er eben erſt in den Stall trete. Magyac kam eiligſt herbeige - ſprungen, und bat ihn, heute noch nicht auszureiten. Valerius fragte ihn nach der Urſach dieſer Bitte. Der junge Pole meinte, des Herrn Kopfwunde ſei noch nicht ſo weit.
Poſſen, ſagte dieſer, und griff nach dem Zaum.
„ Die Gegend iſt unſicher, es reiten Ruſſen durch die Wälder, Herr. “
Valerius zog das Pferd hinter ſich fort, der Stallthüre zu.
80Magyac kratzte ſich verdrießlich in den Haaren, endlich, als jener den Fuß in den Steigbügel ſetzte, kam er eiligſt hinzugeſprungen, „ Herr, reitet nicht, der Schmied von Wavre iſt da geweſen. “
Wer iſt der Schmied von Wavre?
„ Ein Pole, Herr. “
Jn dieſem Augenblicke ward ein Fenſter im Schloſſe geöffnet, und Joel rief haſtig herunter, der Herr Graf ließe Valerius bitten, eiligſt zu ihm zu kommen. Hedwig öffnete den andern Fenſterflügel und winkte ihm heftig. Es blieb ihm keine Zeit, nähere Aufklärung von Magyac zu erfahren, und dieſer hatte nichts eiliger zu thun, als das Pferd wieder in den Stall zu ziehn.
Valerius fand ein lautes Leben im großen Saale. Kutſcher und Pferdeknechte trugen allerlei Waffen herbei und ſtellten und legten ſie neben den Stuhl des Grafen und auf den Tiſch, der vor ihm ſtand; Coeleſtin öffnete Weinflaſchen, der Kutſcher lud die Doppelflinte mit Kugeln, Hedwig tanzte ſingend herum, der Graf herrſchte den Leuten allerlei Be - fehle zu. Selbſt Joel lud Piſtolen; nur die alte Gräfin ſaß wie immer in ihren ſchwarzen Gewän -81 dern unbeweglich auf der Stelle, wo ſie alle Tage ſaß; ihre Augen ſahen gläſern und unbeweglich auf all die Dinge, und ſchienen nichts zu bemerken.
„ Sie müſſen zu Hauſe bleiben, Herr von Va - lerius — rief der Graf, der Teufel iſt los. Wir müſſen einen Ueberfall gewärtigen, es ſind ruſſiſche Streifkorps in der Nähe; Graf Stanislaus, den ich ſchon ſeit mehrern Tagen erwarte, kommt nicht. Er wollte uns mit einem Trupp Uhlanen nach War - ſchau eskortiren, da er für unſre Sicherheit fürchtete. Vielleicht iſt ſein Trupp zu klein geweſen, und er iſt abgeſchnitten von uns, vielleicht hält er auch die Gefahr nicht für ſo dringend, kurz, wir ſind unſerm Muthe überlaſſen. “—
Wer ſagt denn aber, daß die Gefahr ſo nahe ſei? es iſt durchaus nicht wahrſcheinlich, daß —
„ Ei, den Teufel auch, der Schmied von Wavre iſt heute Nacht da geweſen. “—
Aber wer iſt denn dieſer —
Jn dem Augenblicke hörte man das ſchnelle Wech - ſeln mehrerer Flintenſchüſſe im nahen Walde.
„ Auf Eure Poſten, ihr Schurken, ſchrie der Graf, und die Bediente flogen zur Thür hinaus. 4 *82Valerius trat an’s Fenſter, und ſah Alles, was von Knechten und Bedienten im Hauſe war, mit Waffen, meiſt Jagdflinten, an allerlei Verſtecke eilen — und ſich poſtiren. Thaddäus Magyac ſtand an die Pfoſte der Pferdeſtallthür gelehnt, und ſah unverwandten Blickes nach dem Walde. Des Grafen Stuhl und Tiſch wurden nach dem Fenſter hingerückt, damit er die erſten Kugeln in die Weite ſenden könne. Joel war zu demſelben Zwecke an’s zweite Fenſter getreten; Valerius an’s dritte poſtirt. Eoeleſtin ſtand zum Laden am Tiſche, und hatte einen großen Hau - fen Patronen vor ſich ausgebreitet. Der Graf bat ſeine Mutter, nach ihrem Zimmer zu gehn, ſie ſchüttelte aber den Kopf und blieb unverrückt in der alten Stellung. Hedwig, der ein Gleiches anbe - fohlen wurde, erklärte, daß ſie die Großmutter nicht verlaſſen wolle, und es träfen nicht alle Kugeln. Der Graf ſtieß einen Fluch aus, und lachte hinter - drein; Joel machte eine bittende Bewegung nach Hedwig hin, ſie trotzte ihm aber mit einem halb böſen Geſicht, und ſprach halblaut wie die kleinen Kinder gewöhnlich ſagen: Jch will aber nicht — da ſchien es, als flöge ein Schatten ungewöhnlichen83 Lebens über das Geſicht der alten Gräfin, und als zucke ein ſchneller Strahl aus ihren ſonſt ſprachloſen Augen über Joel hin. Sie griff haſtig nach der Hand Hedwigs, und zog ſie zu ſich nieder.
Es trat eine erwartungsvolle Stille ein, die wohl eine Viertelſtunde lang anhielt — nun hatte aber die Spannung dem leichtſinnigen Volkscharakter zu lange gedauert, der Graf ſchlug ein lautes Ge - lächter auf, griff nach einer Weinflaſche, rief dem Thaddäus zu, in den Wald auf Kundſchaft zu gehen, und bat Valerius, mit ihm zu frühſtücken. Man ſchloß die Fenſter, und das Leben des Tages ging weiter, als wäre man in der größten Sicherheit. Der Graf trank mehr als gewöhnlich, und ſchickte beim Abendeſſen Coeleſtin in den Keller, um Cham - pagner zu holen; „ die kleine Hedwig, “ſagte er, „ hat ſich heute ſo tapfer bewieſen, ſie trinkt gern ein Glas Champagner, ſie muß ihr Siegesfeſt feiern. “ Hedwig klatſchte in die Hände, ſprang zum Vater hin und küßte ihn — eine ſeltne Erſcheinung in ihrem Weſen. „ Papa, “ſagte ſie mit muthwilliger Stimme, und drehte mit den weißen Händen ſeinen dunkeln Schnurrbart, „ laß mich Soldat werden. “—84 Der Graf lachte, antwortete aber dem Valerius, welcher unterdeß ſeinen geſtrigen Verſuch mit dem Kamin erzählt hatte, und ihn wiederholen wollte. Hedwig ſprang fröhlich zu dem Vorſchlage über, ein Bediente ward ſogleich beordert, und in wenig Mi - nuten loderte ein luſtiges Feuer auf. Eben kam Coeleſtin mit den Flaſchen, ſah mit großer Beſtür - zung nach der lodernden Flamme, und flüſterte eiligſt dem Grafen etwas in’s Ohr — „ halt’s Maul, alter Narr, und mach’ den Draht von der Flaſche “— Coeleſtin zog ſein Augenlied einmal ganz in die Höhe, und ſchoß einen ſtechenden Blick auf Valerius. Dieſer freute ſich indeß mit Hedwig und Joel des Feuers; der Champagner ſpritzte, man trank auf die Befreiung des Vaterlandes, und es war ein wun - derlicher Anblick, wie die Flamme über die Mord - gewehre und luſtigen Geſichter hinlief, und von der alten düſtern Gräfin abzuprallen ſchien, welche dem Feuer den Rücken kehrte und nach den Fenſtern hin - ſtarrte, hinter welchen die Nacht lag. Joel, den der Wein aufgeregt hatte, ſang mit Begeiſterung ein altes polniſches Schlachtlied, und ſelbſt der halb - trunkne Graf ſchien der ſonoren Stimme und der85 alten herzergreifenden Melodie mit großem Antheil zuzuhören, das vaterländiſche Jntereſſe war unver - letzt, ja ſogar poetiſch in ihm erhalten. „ Schade, Joel, “ſagte er am Schluß des Liedes, und ſtürzte ein volles Glas hinunter, „ ſchade, Joel, daß Du ein Jude biſt. “—
Wie ein Schwertſchlag traf dies Wort drei Her - zen: Joel zitterte am ganzen Leibe, Valerius fühlte ſich von Schaam - und Zornesröthe übergoſſen, und aus Hedwigs Augen tropften große Thränen. Da flog Thaddäus wie ein Pfeil in den Saal — „ Sie ſind da, Herr — das unnütze Feuer hat ſie gelockt, “und damit riß er dem Coeleſtin ein feuchtes Tuch aus der Hand, womit dieſer den überfließenden Wein aufgetrocknet hatte, und warf es auf das Kamin - feuer, daß es zur Hälfte erloſch. „ Dreiſter Schurke, “rief der Graf, und hob die Hand nach ihm aus, Magyac wich auf die Seite, und ſtieß dabei Coe - leſtin in die Rippen — „ Schafskopf, “vor ſich hin murrend, „ nicht mal ſo viel nütze. “ Er riß das Fenſter auf, warf die nächſten Lichter um, und nahm die Büchſe, die er fortwährend in der Hand gehal - ten hatte, an den Backen. Das war Alles ein Augen -86 blick, und wirklich krachten zwei, drei Schüſſe ganz in der Nähe, die Fenſter klirrten, die Kugeln ſchlu - gen in die Decke des Saales, ein wildes Hurrah drang herauf — Valerius löſchte ſchnell das Kamin - feuer vollends, es ward einen Augenblick finſter im Saale, nur auf die den Fenſtern gegenüber liegende Wand fiel ein lichter Streifen von einem brennen - den Licht, was Coeleſtin hinter den Ofen poſtirt hatte. Schüſſe und Geſchrei von unten wuchſen. Die Leute des Grafen begannen aus Ställen und von Böden herunter ein ſicher treffendes Gegenfeuer; der Mond kam herauf und beleuchtete den Raum vor dem Schloſſe und den Saal. Ueberraſcht durch den unerwarteten Widerſtand ſammelte ſich das ruſ - ſiſche Streifkorps — denn ein ſolches machte den Ueberfall — und hielt einen Augenblick an. Sie mochten etwa noch 150 Schritt entfernt vom Schloſſe ſein, und man konnte ſie beim Schimmer des Mon - des von dort genau überſehen. Die baufälligen, ſchlechten Ställe und Wirthſchaftsgebäude befanden ſich zur linken und rechten Hand des Schloſſes, und ließen die Ausſicht nach dem Walde frei. Man erkannte leicht, daß es eine gemiſchte Truppe war,87 nicht eben zahlreich, aber doch der Mannſchaft des Schloſſes um das Doppelte überlegen. Sie war nur zur Hälfte beritten, einige Küraſſe und Lanzen - ſpitzen flimmerten in der Luft, hie und da ſah man ein Bayonnet. Während des kurzen Stillſtandes ſchienen ſie auf Jemand zu warten; wirklich ſprengte auch ein ſchwerer Reiter herzu, man hörte einige kurze, herriſche Worte, und die Truppe ſetzte ſich eben in Bewegung. Da begann Thaddäus jenes durchdringende Pfeifen, was ganz den ſcharfen Tönen einer Droſſel glich, wenn ſie einſam im Walde ihre Stimme erhebt — auf allen Böden, in allen Stall - thüren ward es wiederholt. Wie vom Blitz getroffen hielt der Feind inne. — „ Der Schmied, der Schmied, “ging’s von Munde zu Munde — jetzt knallte der Schuß des Thaddäus, und jener ſchwere Reiter, welcher der Anführer zu ſein ſchien, knickte vorn über den Hals des Pferdes herab. Dadurch wurde jener zweifelhafte Zuſtand aufgelöſ’t; die Ruſſen, welche vor einer verborgenen Macht beſorgt zu ſein ſchienen, ſtürzten jetzt in wildem Sprunge auf das Schloß zu; die Polen, welche jenen gehei - men Schrecken benutzt hatten, um ihrer Lage irgend88 eine andre Wendung zu geben, brannten nun auch all ihre Schüſſe ab und die meiſten ſchlugen ſicher in die heranſtürmende Maſſe. Die ſchlecht verwahrte Hausthür gab den Belagerten nur ſo viel Zeit, friſch zu laden, die Thür des Saales mit Stühlen und Tiſchen zu verrammeln, und die außen verſteckten Polen konnten noch einige gut gezielte Schüſſe theils unter die Belagerer ſchicken, theils nach den unvor - ſichtigen Ruſſen richten, welche ſich einzeln nach den Ställen wagten, um ein Pferd zu erbeuten.
Natürlich ging das Alles raſcher, als es erzählt werden kann; die Schritte, die Schüſſe und Tod und Wunden flogen. Und in all dem Lärmen ſaß die alte Gräfin regungslos an ihrer alten Stelle, der bleiche Mondesſchimmer zitterte über ihr ſteiner - nes Geſicht hin, nur wenn ihr Sohn ſeinen wilden Jubel ob eines friſch getroffenen Ruſſen aufſchlug, da ſchien es, als ſchlüge ein Funke aus ihren ſtarren Augen. Hedwig lief hin und her, um Patronen zuzutragen. Joel flüſterte ihr leiſe etwas zu, und deutete auf die alte Balkonthür, es ſchien aber nicht, als ob ſie etwas erwidere.
89Die Hausthür war gebrochen, der Schwarm ſtürzte die Treppe herauf, ein Schuß fuhr durch die Thür und man hörte ihn noch durch die gegenüber - ſtehende Thür des Saales dringen. Die gewaltige Wucht von mehreren Kolben flog an das Schloß, und ſtöhnend ſprang es auf. Der Graf hatte ſich in die Schußlinie rücken laſſen, die drei übrigen Schützen ſtanden neben und hinter ihm, nur zwei Schritt ſeitwärts ſaß die alte Gräfin; umſonſt ſchrie ihr Sohn, umſonſt zerrte Hedwig, ſie ſaß noch unbe - weglich, als man die gierigen Augen der Feinde erblickte. Vier Schüſſe drängten ſich von innen mit tödtlicher Haſt durch die enge Pforte, die Vor - derſten ſtürzten, und Coeleſtin harrte mit geſpannter Piſtol an der Mauer neben der Thür, um den erſten Eintretenden niederzuſtrecken. Eine augen - blickliche Pauſe trat ein; Valerius glaubte während der letzten Salve ein Geräuſch hinter ſich gehört zu haben, er warf einen ſchnellen Blick herum, eine breite Geſtalt ſtand hinter ihm, die Balkonthür lag an der Erde, von allen Seiten hörte man jenes ſchrillende Pfeifen, „ der Schmied von Wavre, “ſchrie Alles durcheinander.
So gewaltig iſt ſelbſt bei ſtumpfen Barbaren die moraliſche Kraft eines Begriffes: vor dieſem geſürch - teten Namen ſchracken die Angreifer bis zur Unthä - tigkeit zuſammen. Cöleſtin war der erſte, welcher ihn ausrief; das verhängnißvolle Pfeifen in ihrem Rücken, der Anblick jener Geſtalt, die nur dohend eine lange Flinte in die Höhe hielt, preßt den Ruſſen das gleiche Geſchrei dieſes Namens aus, und ſie ſtanden gelähmt wie die Wölfe, velche eine Feuerflamme vor ſich aufſchlagen ſehen.
Die Genoſſen des Schmiedes, welche von der Hausthür herauf gedrungen waren, und ſich mit der Beſatzung aus den Ställen verbunden hatten, überwältigten mit leichter Mühe den Reſt des Streif - korps, der ſich nur matt widerſetzte. Jn dieſem Augenblicke hörte man vor dem Schloſſe die Fan -91 fare einer Trompete. Cöleſtin hob wirklich mit froh - lockender Miene ſein Licht hinter dem Ofen hervor, der Schmied — denn dies war wirklich der ſo plötzlich erſchienene Mann — ſprang mit einem Satze zum Fenſter. Valerius, im Anſchauen deſſel - ben verloren, ſah ihn das blitzende graue Auge wie einen Pfeil hinabſchießen — „ es wird Graf Stanislaus endlich ſein, “ſchrie der Graf; ein flüch - tiges Licht der Befriedigung flog über das Antlitz des Schmiedes und er nickte leicht mit dem Kopfe. Darauf ging er raſchen Schrittes zum Stuhle der alten Gräfin, nahm ſeine dunkelrothe Pelzmütze ab, bückte ſich tief und küßte den Saum ihres ſchwar - zen Gewandes. Sein dichter Buſch brauner Haare, hie und da ſchon mit grauen vermiſcht, fiel ihm dabei in’s Geſicht, und er murmelte einige unver - ſtändliche Worte.
Der Graf rief indeß nach Cöleſtin, er ſolle eine Flaſche Champagner und einen der Gefangenen her - beibringen. Die Bedienten ſchleppten einen der Kü - raſſire in den Saal. Er fiel um Gnade flehend vor dem Grafen auf die Kniee, und aus einem mit Haaren verwachſenen ſchwarzen Geſichte ſahen92 ſeine trüben, ausdrucksloſen Augen ſtarr auf die Hand ſeines neuen Herrn. Cöleſtin ſchenkte den Wein in’s große Bierglas, deſſen ſich der Graf zu bedienen pflegte; dieſer aber ſpannte den Hahn eines Piſtols, und ſchoß die Ladung dem Gefangenen in’s Geſicht. Das arme Schlachtopfer duckte in Todes - angſt den Kopf nieder, und die Kugel riß ihm das Hinterhaupt entzwei, daß das Hirn weit umher ſprützte. —
Schreiend ſtürzte Hedwig herbei, um dem Vater in den Arm zu fallen, es war aber zu ſpät. Der Graf ſtieß einen Fluch aus, und wollte den Körper des Unglücklichen mit dem Fuße fortſtoßen, ein heftiger Schmerz erinnerte ihn aber an ſeine Krank - heit; er griff zur Entſchädigung nach dem vollen Glaſe und trank es in einem Zuge leer.
Als die Bedienten den Zerſchoſſenen hinaus - ſchleiften, erſchien Graf Stanislaus an der Thür. Kopfſchüttelnd und mit trübem Ausdrucke im Geſicht überſah er noch ſchnell, was ſich eben ereignet hatte. Lärmend hieß ihn der Graf willkommen, erzählte ihm, was vorgefallen, und mit den Worten „ zu rechter Zeit kam der Schmied, “wollte er ſich eben93 zu dieſem herumwenden, als er erſt bemerkte, daß dieſer Mann ſchon verſchwunden ſei, ohne einen Dank abzuwarten.
Stanislaus, ein hoch gewachſener junger und blühender Mann, erklärte, die Abreiſe nach War - ſchau müßte ſogleich vor ſich gehen, die Streifkorps drängten immer häufiger hinüber, jede Stunde Auf - ſchub ſei Verluſt, man würde ohnedies nur bei großem Glücke ungefährdet paſſiren können.
Cöleſtin brachte die Nachricht, der Schmied mit ſeinen Leuten ſei aufgebrochen, um die Straße für die gnädige Frau Gräfin rein zu halten, die Reiſe müſſe aber ſogleich angetreten werden, Magyac kenne die Tour genau, welche zu nehmen ſei, an ihn ſolle man ſich halten. Der Graf runzelte die Stirn und gab Befehl, aufzubrechen.
Binnen einer halben Stunde ſaß er im erſten Wagen wohl verpackt, und rings mit Waſſen um - geben, im zweiten fuhren die Damen, Stanislaus ritt auf der einen Seite, Valerius und Joel trab - ten auf der andern, dieſer mit dem traurigſten Geſichte von der Welt. Magyac eröffnete den Zug mit der Hälfte von den mit Stanislaus angekom -94 menen Uhlanen, die andere Hälfte mit den beritt - nen Bedienten des Grafen ſchloß ihn. Das wüſte Herrnhaus mit den todten Ruſſen blieb einſam zurück, die übrigen Gefangnen waren mit dem Schmiede und ſeinen Leuten verſchwunden. Es ging im raſchen Trabe durch den Wald hin, an keinem Wagen war ein Licht zu ſehen, hie und da nur fielen glänzende Mondesſtrahlen auf den ſchwar - zen Trupp, und von Zeit zu Zeit hörte man jenes Droſſelpfeifen tief aus dem Walde, das Magyac an der Spitze des Zuges beantwortete.
Von den Reitern konnte Niemand ſprechen, weil ſie mit größter Sorgfalt auf Weg und Pferde achten mußten, alle Minuten ſtolperte ein Thier über die Baumwurzeln. Nur Hedwig that einige leichte Fragen an Stanislaus, und fragte Valerius und Joel, ob Niemand verwundet worden ſei — „ ich ſeh ja durch den Mondſchein, lieber Joel, daß Sie ein klägliches Geſicht machen? Pfui doch, ſolch ein raſcher Schütze, ſolch ein friſcher Reiter. “—
Joel ſeufzte tief auf, und Valerius ſah bei einem Blicke des Mondes ein ſchmerzliches Lächeln über ſein Geſicht gleiten. Valerius ſelbſt war aber95 zu voll von dem, was vorgefallen. Das Bild des Schmieds von Wavre wich nicht von den Augen ſeines Gedächtniſſes. Er erſchien ihm wie die ver - körperte ſchmiegſame Kraft dieſer ganzen Nation. All jenes verſchloſſene, verſchlagne Element dieſes Volks mit den blitzraſchen Bewegungen, jene vor - nehme Armuth, jener ganze Anſtrich von helden - müthigen Brigands, den eine inſurgirende Nation von dieſer fliegenden Tapferkeit leicht erhält, all dies urſprüngliche Sarmatenthum erblickte er in die - ſem Manne.
Wie er da ſtand — ſprach die Erinnerung eifrig in ihm fort, — als ſein bloßer Anblick den Sieg entſchieden hatte, in dem kurzen weißgrauen Kittel, den der breite Ledergurt ſtraff zuſammenzog! Die Muskeln ſeiner Hand ſpielten wie heiße Son - nenſtrahlen an der Büchſe — und unter dem Pul - verdampfe von des Grafen Mordpiſtole verſchwand er wie ein Geiſt, es war der Urgeiſt einer Nation. —
Er ertappte ſich lächelnd auf dieſen Uebertrei - bungen, konnte und wollte ſich aber nicht davon losmachen. Das Leben wird erſt unſer, wenn es ſich wieder erzeugt in unſerm Jnnern, darum ſind96 die Dichter die reichſten Menſchen, darum ſind ſie kleine Götter, die alle Tage eine Welt ſchaffen, und ſich mit dem Troſte zu Bette legen: Siehe, es war Alles ſehr gut. Jm Sturm der Dinge ſelbſt ſind wir die Beute der Dinge; iſt es doch ein Hauptglück des gegenwärtigſten Reizes, der Liebe, ſich ihrer zu erinnern. Ein jahrelang erſehn - ter Kuß, im Fluge geraubt und erwiedert, macht ein ganzes darauffolgendes Leben voll Gewöhnlichkeit erträglich, während jener eigentliche Lebensaugen - blick an ſich kaum empfunden ward, und nur durch die lange Erwartung vorher und die lange Erinne - rung nachher ein beglückendes Ereigniß wurde.
So liegt in uns von Hauſe aus jener viel geſuchte Sieg über das Aeußere.
Aber auch dieſe nachſchaffende Fähigkeit war getrübt in Valerius, er reizte ſich mehr zum Ge - nuß, als daß dieſer Genuß ihn aufgeſucht hätte. Der Mittelpunkt ſeines Lebens war verſchoben, und Alles Uebrige dadurch in Unordnung gerathen. So machte er ſich Vorwürfe über dieſe ärmliche Manier, wie er’s nannte, nur das zu erkennen und zu ergreifen, was vorüber ſei, nicht der gegen -97 wärtige Anblick dieſes ſpärlich erleuchteten nächtli - chen Zuges wecke ein romantiſches Gefühl in ihm, ſchalt er weiter, nein, es ſei der Augenblick, als vor fünf Minuten die Mondesſtrahlen glänzend durch die Baumgipfel gebrochen ſeien, jener Augen - blick übe den Reiz auf ſein Jnneres, obwohl das Auge noch fortwährend daſſelbe ſehen könne, jener vergangene Augenblick liege bereits als geſchichtli - ches Bild dieſer Fahrt in ſeinem Gedächtniſſe. — Jch will keine Vergangenheit, ich will Gegenwart, ſprach er wie ein ungezogenes Kind vor ſich hin — ich will ein Menſch ſein, nicht aber ein Künſtler, den Träume beglücken. —
So wüthet der Menſch gegen ſein Fleiſch, und der Starke ſchmäht ſeine doppelten Kräfte, weil er in den Stunden des Unmuths einen Schwachen lächeln ſieht, und dieſen um ſeine Schwäche benei - den zu müſſen glaubt.
Aber wir mögen uns noch ſo viel Mühe geben, unſerm Weſen ungetreu zu werden, unſer eigent - liches Weſen iſt unſre Geſundheit, und die Natur ſtrebt immer von ſelbſt wieder dahin zurück.
III. 598Ehe er ſich ſeines Unmuths recht bewußt wurde, war Valerius mit den Gedanken in Teutſchland, und ein Ort nach dem andern mußte ſich ihm dar - ſtellen im Mondſchein dieſer Nacht. Das ſind Bilder, die den Menſchen am meiſten befangen mit ihrer unendlichen Mannigfaltigkeit. Eine Gruppe nach der andern breitet ſich vor ihm aus, jede hat ihre tauſend Beziehungen und Gewichte, die ſich fortwährend im Gleiſe erhalten, jede führt zu einer neuen, und der Geiſt irrt von einem Lande zum andern, über den Ocean, wo jener Mondſchein nicht zu ſehen iſt, und die Leute im Sonnenſtrahl umherwandeln — „ beim Schein des Mondes, beim Strahl der Sonne denken wohl manche von jenen Leuten an den Kampf in Polen, und ſo weckt und wirkt Alles durcheinander in dieſer Welt, und der Gedanke an den Allmächtigen füllt das Herz “—
„ Camilla, Camilla, die Welt iſt zu groß, das Jntereſſe zu mannigfaltig, Gottes Gedanke zu tief, und ich will Alles ſuchen — Dein Auge kommt mir immer ſeltner, ich tauge nichts für die Liebe, ich bin krank an Ueberfluß, und arm an Liebe für das Einzelne, vergieb mir! “—
99Da ſtolperte ſein Pferd über eine Wurzel, ſein Schenkel ward an einem Baum gequetſcht, und ſo erinnerte ihn die Gegenwart nur zu deutlich, daß er wiederum außer ihr geweſen ſei. Der Zug hielt ſtill, und jetzt erſt bemerkte Valerius, daß fernher aus dem Walde einzelne Feuer leuchteten. Er ritt vorſichtig bis an die Spitze des Zuges — Magyac ſah unentſchloſſen nach der Seite in den dichten Wald, als ſolle ihm von dort her Rath und Hilfe werden. Ein Umweg durch den Wald war nicht möglich für die Wagen, die Bäume ſtanden zu dicht.
Träumeriſch ſah Valerius nach den Feuern, er bemerkte es nicht, daß ſein Pferd langſamen Schrit - tes ihnen ſich näherte; Magyac war zwiſchen die Bäume geritten, wahrſcheinlich um zu rekognoſci - ren, und hatte keine Acht auf den melancholiſchen Teutſchen; die vorderſten Uhlanen mochten glauben, er wolle ebenfalls die Ortsgelegenheit näher erkun - den — kurz er kam ungehindert den Feuern immer näher, und ohne nachzudenken betrachtete er das neue Schauſpiel. Etwa wie man ein Wouver - mannſches Schlachtgemälde anſieht, ohne einen100 Augenblick daran zu denken, das ausgehobene Schwert des Mannes auf dem frieſiſchen Schimmel könne uns treffen.
Auf einer Lichtung war ein Trupp Koſacken gelagert, Roß und Reiter ruhten an der Erde, gewärmt durch hohe Feuer. Die Lanzen ſteckten ihnen zur Seite im Boden, und der größte Theil dieſer raſtloſen Steppenbewohner ſchien zu ſchlafen; hie und da erhob ſich einer mechaniſch mit dem halben Körper, und warf ein friſches Stück Holz in die Gluth, dann ſank er wieder in die vorige Stellung zurück, oder ſuchte ſich ein bequemeres Kopfkiſſen auf dem Bauche ſeines Pferdes. Die bär - tigen, augenloſen Geſichter, zur Hälfte gewöhnlich im Schatten, zur Hälfte vom Feuer beleuchtet, erhöhten durch ihre Regungsloſigkeit die Täuſchung, ein Ge - mälde zu ſehen.
So kam der junge Träumer bis zu den letzten Bäumen, welche an ſeinem ſchmalen Wege die Lich - tung begrenzten. Einige Schritte nur von ihm hielt der aufgeſtellte Wachtpoſten. Der Koſack war eben - falls eingeſchlafen, und ſaß mit untergeſchlagenen Armen wie eine Bildſäule da. Mit dem rechten101 Arme hatte er die Lanze eingeklemmt, die linke Hand hielt den Zügel. Ein langer ſchneeweißer Bart fiel bis auf die Bruſt herab, ein kleines ſchwarzes Kreuz drängte ſich darunter hervor; wahrſcheinlich hatte er noch kurz vorher ſeine Andacht verrichtet, nicht ahnend, wie Noth es ihm ſein dürfte, um ſeinem Glauben nach glücklicher zu ſterben. Der Schlaf hatte ihn übereilt und ihm nicht geſtattet, das Kreuzchen wieder auf die behaarte Bruſt zurück - zuſchieben.
Es war nur noch ein Schritt zwiſchen beiden Reitern, das Koſackenpferd zog langſam die trägen Augenlieder in die Höye und rückte den Kopf ein wenig aufwärts. Der Koſack, der die nachlaſ - ſende Straffheit des Zügels empfinden, wohl auch das Nahen eines Gegenſtandes bemerken mochte, machte eine Bewegung mit der Hand, öffnete die Augen, verſtorbene, lebensmüde Augen, öffnete den Mund —
Da fühlte Valerius den Zügel ſeines Pfer - des von einer raſchen Hand gehalten, der Koſack verſchwand plötzlich von ſeinem Gaule, es er - ſchien ein anderer Reiter darauf, und ehe er ſich102 ermuntern konnte, ſah er ſich auf dem Rückwege zu ſeinem Zuge. Der Schmied von Wavre ging neben ihm ein junger polniſcher Bauer ritt zu ſeiner andern Seite auf dem Koſackenpferde. Mit Grauen ſah er bei den nachleuchtenden Feuern, wie der alte Koſack mit einer Schlinge um den Hals von dem Bauer nachgeſchleift wurde. Das Pferd des plötzlich Erwürgten trug eben ſo geduldig den neuen Reiter, der es ſo ſchnell von ſeinem vorigen befreit hatte. —
Valerius war in jener Nacht nur auf kurze Zeiträume aus ſeiner Träumerei zu wecken geweſen. Er machte ſich die lebhafteſten Vorwürfe über dieſe gefährliche Schwäche, als ihm Magyac am andern Morgen die Begebenheiten der Nacht erzählte.
Das iſt jenes thörichte Leben in die Weite, in die Ferne, was den Baum vor Augen nicht merkt, bis er ſich kund giebt durch einen heftigen Stoß. Das iſt jenes Raiſonniren in’s Ungemeſſene hinaus, jenes deutſche Komponiren der nächſten weltgeſchicht - lichen Epochen, worüber die Gegenwart und das zeitig Nothwendige unbenutzt vorüberſtreicht, das iſt jenes unpraktiſche Weſen, was ſich ſo gern und ſo leicht mit höheren weiteren Zwecken entſchuldigt, was geprieſen ſein möchte als weitſichtiges, höheres Element, und was doch übertroffen wird von jenem104 kleinen Buben, der das Pferd tränkt, da es eben dürſtet. Auf den nächſten Schritt ſoll man achten, und dem Augenblick leben, der eben da iſt, den Ge - genſtand ergründen, der juſt neben uns ſteht.
So ſchalt er ſich, während Magyac erzählte. Der Schmied hatte das Bivouak umſtellt, und während die Schläfer mit wildem Geſchrei überfallen worden, waren die Wagen in größter Schnelligkeit ungehin - dert die Lichtung paſſirt. Nur das gnädige Fräulein, die bis zum Augenblick des Ueberfalls feſt geſchlafen, ſei, erweckt von dem plötzlichen Lärmen, aus dem Wa - gen geſprungen, und in den Wald hinein gelaufen; Joel, der ihr nachgeeilt, habe ſie zwar eingeholt, aber die Wagen ſeien längſt auf und davon geweſen, und ſo habe man das Fräulein hierher in’s Haus gebracht, wo ſie jetzt noch ruhig ſchlafe.
„ Aber wie bin ich denn hierher gekommen, Thaddäus? “
Ja, was weiß ich, Herr, Du ſagteſt ja zum Schmiede, daß Du ſeine Bekanntſchaft machen woll - teſt. —
„ So? “
105Valerius befand ſich auf einer ähnlichen Wald - lichtung, wie er heut Nacht geſehen, in ſeinen Man - tel gehüllt lag er an einem verglimmenden Feuer, hinter ihm ein langer ſtarker Baumſtamm. Dieſer hatte ihm zum Kiſſen gedient, wie er vermuthete, denn der Nacken ſchmerzte ihm gewaltig von dem kurzen Schlafe. Magyac ſaß vor ihm an der Erde, und ſcharrte einige Kartoffeln aus der Aſche, die er zum Frühſtück geröſtet hatte. Dann zog er ein Stück Schwarzbrot aus der einen Taſche ſeines Pelzes, und eine Schnapsflaſche aus der andern, und legte Alles vor Valerius hin, indem er ihn mit einem halb ver - ſchmitzten, halb ſchmerzlichen Lächeln aufforderte, ſich des Frühſtücks zu bedienen.
Valerius nahm lächelnd einige Biſſen Brot. Trinkt getroſt, Herr, ſagte Thaddäus, es iſt Wein vom Grafen, im Lärm der Abreiſe hab’ ich meine Flaſche leer und wieder voll gemacht — der alte Schurke, wenn nicht ſeine Mutter wäre, die der hei - lige Adalbert erhalten möge. —
Wo iſt Joel? Und wo ſind wir eigentlich? Thaddäus deutete auf einen Winkel des Gebäudes, unter deſſen Dache ſie ſich befanden — da lag der5 *106arme Junge zuſammengekrümmt unter ſeinem Man - tel und ſchlief. Mit der Hand und einem bunten Tüchlein hielt er ſich einen Theil des Geſichts ver - deckt — Valerius kannte das Tuch von jenem Abende, es war Hedwigs.
Thaddäus hatte die zweite Frage nicht beant - wortet; eh’ ſie Valerius wiederholte, ſah er ſich um, ob er ſie vielleicht ſelbſt beantworten könnte. Er erkannte nicht ohne Anſtrengung, daß er ſich mit ſeinen Gefährten unter einer ſogenannten Wild - raufe befände, wie man ſie für ſtrenge Winter zur Atzung des Wildes anlegt. Einige alte zeefallne Krippen und Raufen, die umher lagen, erinnerten in ihren Trümmern daran. Solche Wildraufen beſtehen eigentlich nur aus einem ſchiefen Dache, was ſich auf eine Bretterwand und einige Pfoſten ſtützt. Die drei übrigen Zugänge ſind offen, und da die offne Seite nach Morgen lag, ſo ſchien die Sonne freundlich auf die Gruppe, und erheiterte wie immer den deutſchen Wallfahrer, wie er ſich manchmal nannte. Der Fichten - und Kieferwald glänzte mit den Funken des gerinnenden leichten Schnees, der den Abend vorher gefallen, und jetzt107 größtentheils ſchon wieder verſchwunden war. Es begann einer jener Wintertage, in deren Mund - winkeln ſchon ein Frühlingslächeln ſchwebt, ein lauer Thauwind zog langſam über die Fläche. Solch ein Wind iſt wie der Hauch eines jungen Mädchens, wenn er uns zum erſten Male berührt, und wir empfinden, welch eine Luſt es ſein müſſe, von den Lippen geküßt zu werden, über welche dieſer Athem flog. Frühlingsahnung, Ahnung einer ſchönern Zeit zieht damit in unſre Bruſt.
Auch Valerius ſagte lächelnd: Es wird noch Alles gut werden — weiter, weiter.
Einer der Seitenausgänge dieſer Wildraufe war aber verſchloſſen durch ein Bretterhäuschen, was ſich daran lehnte, und mit der Hinterwand der Raufe eben jenen Winkel bildete, in welchem Joel lag.
Wer wohnt hier, Thaddäus? fragte Valerius von Neuem. Thaddäus umging aber die Frage noch einmal. Jn der guten alten Zeit, ſagte er, wo die Polen noch Polen waren, hat es hier in der Gegend einen freundlichen Herrn gegeben, wel - cher das Wild beſſer behandelte, als Mancher die108 Menſchen; der ließ in ſtrengen Wintern zuweilen hier Futter aufſchütten für die hungrigen Thiere — ’s iſt aber lange her, und die alten Bretter ſind ſchon verfault, wenn der Wind hineinfährt, da ſtöhnen ſie wie die Wölfe, die ſich öfters hierher flüchten. —
Jch bin Dein Freund, Thaddäus, wer wohnt in jenem Hauſe —
Gott lohn’s Euch, Herr, erwiderte dieſer, und griff nach Valerius Mantelzipfel, wir haben nicht viel Freunde, wir Polen in Schafspelzen, aber einen mächtigen, und einen ſtolzen Feind: den Ruſ - ſen und den Edelmann — dort in der Hütte, Herr, aber — und dabei ſank ſeine Stimme zum Geflü - ſter herab — wohnt der Schmied — ſeit vielen, vielen Jahren ſchon — wer ſeine Wohnung ver - räth, begegnet keinem Polen mehr, ſetzte er mit blitzenden Augen hinzu — es führt kein Weg durch den Wald hierher, und eine Stunde im Umkreiſe haben ſeine Freunde einen Graben im Walde rings - um gezogen, über den kein Reiter ſetzt, es haben viel Leute daran gegraben —
109Warum, fragte Valerius weiter, wohnt er denn ſchon ſo lange im Verborgenen?
Ein zuckendes, böſes Lächeln preßte ſich über Magyacs Geſicht, und er ſchien etwas Schlimmes auf der Zunge zu haben, aber er ſchluckte es hin - unter, und nach einer Pauſe fuhr er fort mit weh - müthigem Tone: Es iſt ſchon lange her, daß ſie ihm Alles genommen haben — ich war ein kleiner Bube, als er noch in Wavre wohnte mit Weib und Kind, und ’s war ein trüber, nebliger Herbſt - abend, als ich wieder einmal bei der Schmiede ſtand, und mit großer Freude die glühenden Fun - ken betrachtete, die durch den Nebel hinſtoben von des Schmiedes gewaltigen Schlägen. Ja, Herr, die alten Leute ſagen, ſie hätten Zeit ihres Lebens keinen tüchtigeren Polen geſehen als den Schmied Florian, und der ſelige Herr Kosciusko — Gott ſegne ſeine Aſche! — hat ihn immer den jungen Piaſten genannt. Ja, Herr, ſo war der Schmied, und als er an jenem Abende auf den Ambos ſchlug, da ſang er ein altes Lied von unſrer Freiheit, und die Geſellen ſangen mit, und das halbe Dorf ver - ſammelte ſich um die Schmiede, ’s war juſt der110 Abend vor’m heiligen Martinstage, die Leute in Wavre gedenken alle Jahre dieſes Abends. Denn als ſie noch nicht fertig waren mit der Axt, die der Schmied hämmerte, und dem Liede, das ſie alle ſangen, da kamen die Ruſſen aus Warſchau und wollten den Florian gefangen nehmen, weil er ein aufrühreriſcher Kopf ſei. Der Schmied aber ſchlug dem erſten, der ihm nahe kam, den Ham - mer vor den Kopf, daß er hinſchlug wie ein um - gehauener Baum. Nun ging das Schießen los, denn es wagte ſich keiner mehr an den Polen. Es dauerte auch nicht lange, da lag Florians Weib und ſein rüſtiger Junge im Blute, und der Schmied ſtürzte heraus wie ein angeſchoſſener Eber mitten unter die Soldaten — ſie fuhren entſetzt nach allen Seiten auseinander, und ehe ſie ſich wieder ſammelten, war Florian in den Wäldern. Jeder Ruſſe, der ihn wieder geſehn, hat’s mit dem Leben bezahlt. —
Florian iſt übrigens der beſte Mann im Lande, und thut keinem Kinde was zu Leide; viele Leute halten ihn auch für einen Heiligen; aber unglück - lich iſt er ſehr, und wenn er am Tage um unſer111 Vaterland geweint hat, ſo weint er des Nachts um ſein Weib und ſeinen friſchen Buben — Herr, ſeit ich den Schmied zum erſten Male in ſeinem Jammer belauſcht habe, ſeit der Zeit hat mich nichts mehr gerührt; — es war am verwichenen Martinsabende, ich hatte einen Wolf erſchlagen, und wollte dem Florian die Haut bringen für den Winter, da ſah ich ihn durch die Thürſpalte vor ſeinem Heiligen auf den Knien liegen, das Waſſer lief ihm in den Bart, und er fragte ſchluchzend den lieben Gott, ob er wohl wiſſe, wie ſchlecht es uns erginge im Lande Polen. — —
Thaddäus ſprach nicht weiter, es trat eine lange Pauſe ein, und Valerius reichte ihm die Hand, die jener heftig küßte. Der Mund des jungen Polen brannte heiß und fieberiſch.
Die Thür des kleinen Häuschens öffnete ſich, und Hedwig erſchien auf der Schwelle, friſch wie ein junger Waldbaum, den der Thau des Morgens erquickt hat. Sie ſah mit Lächeln auf den Schlä - fer im Winkel. Es lag ſo viel Schalkheit und ſo viel Wehmuth in dieſem Lächeln, daß man nicht wußte, ob jene größer als dieſe ſei. Joel ſchlug112 die Augen auf, und ſtreckte noch halb ſchlaftrunken die Arme nach ihr aus. Sie reichte ihm die Hand, und als er ſie an die Lippen führte, ſtrich ſie ihm leiſe damit über das Geſicht; ihre Hand berührte auch jenes Tüchlein, aber ſie ergriff es nicht.
Sie hatten den größten Theil des Tages über im Sonnenſcheine geſeſſen, und die Herzen hatten geſprochen mit jenen unmittelbaren Worten, die man nicht nacherzählen kann, und Valerius hatte zum erſten Male wieder ſeit langer, langer Zeit deutſche Lieder geſungen. Jene Verſe ſtahlen ſich aber im - mer von Neuem zwiſchen alle ſeine Lieder, die warme Luft ließ ſie nicht zur Ruhe kommen. Joel war ſchweigſam, aber ſanft und freundlich, und Hedwig hatte ihr inniges Ergötzen an all den neuen Weiſen,114 denn die Jugend liebt die Poeſie wie die friſche Luft. Joel hatte ſie die deutſche Sprache gelehrt, und wenn ſie ſich auch verwunderte, daß die Weiſen alle ſo langſam gingen, ſo hörte ſie doch nicht auf zu rufen: immer mehr, immer mehr!
Ueber dieſem Treiben kam der Abend, Magyac, der jenſeits des Grabens nach den im Dickicht unter - gebrachten Pferden geſehn hatte, kehrte zurück, machte in der Hütte ein Feuer an, und legte ſich auf ein Strohlager in einen Winkel. Kamin oder Ofen war nicht vorhanden, und der Rauch ſuchte ſich durch die vielen Oeffnungen des Daches ſeinen Weg. Kummervoll betrachtete Valerius dieſen unwirthlichen Raum, des armen Schmiedes ſteten Aufenthalt. Hedwig hatte ſich am Feuer niedergekauert, und wärmte ſich die Hände; Joel war nicht zu ſehen, bald aber hörte man von draußen her ſeine Stimme. Auch ihm war das traurige Herz aufgegangen in dieſen ſtillen Stunden, und was er nie zu ſprechen wagte, das ſang er jetzt in die Nacht hinaus, in den ſchweigſamen Wald hinein. Aber als ob es das polniſche Land nicht verſtehen ſollte, ſang auch er die Worte deutſcher Dichter. Er ſchien umher zu115 irren auf der Waldflur, manchmal verklangen die Worte in großer Ferne, manchmal hörte man ſie dicht an der Hütte. Hedwig horchte aufmerkſam, die Stimme kam eben näher und man verſtand die Worte:
Hiedwig ſah mit wehmüthigen Blicken in das Feuer; Valerius, an die Wand ſich lehnend, ſah forſchemd in ihr Angeſicht, es war alles ſtill rings - um, man hörte durch die dünne Bretterwand, wie der Sänger leiſe ſeufzte, und ſich langſam entfernte. Klagemd ſang er weiter:
116Die Stimme ſchwieg; es ſchien Valerius, als ſtünden dem ſchönen Mädchen die Augen voll Waſſer, aber ſie regte ſich nicht; der ſeidne Mantel glitt ihr langſam von der weißen Schulter — ſie ließ ihn gleiten; ihre langen Augenwimper ſenkten ſich kaum merklich ein wenig tiefer — man konnte das ſchöne Mädchen für ein Marmorbild halten.
Nach einiger Zeit nahten ſich Schritte von mehrern Seiten, und man hörte draußen eine Menge Stim - men. Magyac ſprang auf und ging nach der Thür, bat aber Valerius, ſo lange in der Hütte zu bleiben, bis der Schmied zurück käme. Durch die Spalten der Wand ſahen die Zurückbleibenden draußen unter der Wildraufe ein Feuer auflodern, und rings um daſſelbe eine Schaar bewaffneter Bauern. Die Zahl derſelben wurde immer größer, ihr Geſpräch immer lebhafter und ſtürmiſcher.
Warum liegen ſie fortwährend in Warſchau ſtill, ſchrie eine rauhe Stimme, warum geht’s nicht von der Stell’? Sie ſind Verräther, und ſchreiben nach Petersburg —
Das verſtehſt Du nicht, Slodczek, Du biſt ein Unband, der an einem Tage ſäen und ärndten will,118 ſprach ein alter Bauer, der ſich am Feuer nieder - geſetzt hatte.
Der Slodczek hat Recht, ſchrie eine Stimme aus dem dichteſten Haufen — er hat nicht Recht, ſchrie eine andre, und bald brauſ’te das Stimmen - gewirr unverſtändlich durcheinander.
Es muß was geſchehen, übertönte Slodczek das Durcheinander mit ſeiner rauhen Kehle, ſonſt ver - kaufen ſie uns wieder das Fell vom Leibe, und wenn’s Glück hoch kommt, ſind ſie ſelbſt die Käufer — wir müſſen nach Warſchau. —
Dieſes Wort erregte einen noch viel größeren Lärm, und es ſchien auf Augenblicke, als ob ſich die verſchieden geſinnten Meinungen durch die Waffen ſelbſt geltend machen wollten. Slodczek wenigſtens ſchlug ſein Gewehr auf einen Bauer an, der ſich ihm am eifrigſten entgegenzuſetzen ſchien. Aber jener Alte, der ihm zu Anfang widerſprochen hatte, ſchlug ihm das Gewehr in die Höhe, der Schuß ging indeſſen los, und die Kugel fuhr praſſelnd durch das alte Schindeldach.
Es folgte eine augenblickliche Stille; Slodczek ſelbſt ſchien beſtürzt zu ſein.
119Wie lange wird der Ring des Schmiedes ſicher ſein, wenn wir alle unſre Büchſen abſchießen? ſagte mit langſamer Betonung Thaddäus Magyac. —
Der alte Bauer warf einen jener fliegenden pol - niſchen Blicke auf Slodczek und auf die Uebrigen, dann ſah er gedankenvoll in den Lauf ſeines Ge - wehrs, und jener nationale Zug einer geſunden Me - lancholie lagerte ſich auf ſeinem ſchmalen Geſichte. — Wir werden zu zeitig auf die Fläche hinauslaufen, damit ſie uns alle mit einem Male treffen können — ſprach er mit traurigem Tone.
Man konnte nicht einen Augenblick verkennen, daß ſelbſt die Stürmiſchen dieſer Jnſurgenten keines - wegs zu etwas Durchgreifendem entſchloſſen waren. Die Gelegenheit ſchien ihnen zwar bequem, ihre ſchlechten Dienſtverhältniſſe zu den eingebornen Herrn des Landes beſſer zu geſtalten, und Viele waren der Meinung, daß Polen beſtehen könne, ohne daß ſie ſelbſt in ſo tiefer Abhängigkeit von den Edelleuten lebten, aber es war doch ſelbſt in dieſen mehr ein romantiſches Tappen nach größerer perſönlicher Frei - heit, als ein klares Bewußtſein. Und ſobald die allgemeine Gefahr des gemeinſchaftlichen Vaterlandes120 einen Augenblick dringend wurde, verſchwanden alle jene Halbgedanken wie die kleinen Wünſche eines Gefangenen vor dem großen Begriffe der Be - freiung.
Während es in der Verſammlung eine zeitlang völlig ſtill war, und die Bauern gedankenvoll vor ſich hinſahen, wendeten auch Hedwig und Valerius ihre Blicke von den Spalten, und ſahen ſich gegen - ſeitig an, um einander die Verwunderung über ſolch eine Scene auszudrücken. Sie waren beide in einer großen Spannung, und es war natürlich, daß ſie heftig zuſammenſchracken, als plötzlich der Laden auf - geriſſen wurde, der ſich auf der andern Seite der Hütte befand, ein langer Bart zum Vorſchein kam, und eine unheimliche Stimme mit eulenartigem, weitſchallendem Tone rief: Joel, wo biſt Du?
Wie der Sturmwind ſtürzten die Bauern her - bei, und in einem Nu lag der Mann, dem jene Stimme gehörte, niedergeworfen am Feuer unter der Wildraufe, und fünf, ſechs Büchſen waren auf ihn angeſchlagen.
Ein Spion, ein Spion! ſchrie Alles durchein - ander. — Ein Jude, ein jüdiſcher Spion! brüllte121 die Menge gleich darauf, als der Schein des Feuers auf ihn gefallen war.
Es war Manaſſe, Manaſſe in ſeinem langen ſchwarzſeidnen Kaftan. Das todtenbleiche Geſicht ſah ängſtlich auf die drohenden Feuerröhre, und mit haſtiger Stimme rief er: Jch bin kein Spion, ich bin der ehrliche Jude Manaſſe — wo iſt mein Sohn Joel? ſchrie er hinterdrein mit kreiſchender Stimme.
Drückt ab, ſtürmte Slodczek, er hat uns be - horcht; er verräth uns an die Edelleute. —
Jm Ringe des Schmiedes wird nicht geſchoſſen, ſagte Magyac, und warf gleichmüthig friſches Holz in’s Feuer.
Die Gewehre ſenkten ſich. Manaſſe benützte dieſen Augenblick zu ſeiner Vertheidigung: Jch habe nichts gehört, nichts, nicht ein Wort hab’ ich ge - hört; von jener Seite bin ich gekommen, um zu ſuchen meinen armen Sohn Joel. Mein Sohn Joel vergießt für Euch ſein Blut, er iſt Soldat, mein Joel, ſie haben ihn vom Pferde geſchoſſen bei Grochow, vom Pferde, was ich ihm ſelber gekauft; todtgeſchoſſen lag es neben ihm, das ſchöne Thier, das theure Thier. —
III. 6122Schlagt ihm den Schädel ein, unterbrach ihn Slodczek, und ging mit umgekehrter Büchſe auf ihn los — wenn er Geld verdienen kann, verräth er uns doch.
Da riß ſich der alte Jude mit der Kraft eines Jünglings aus den Fäuſten der beiden Bauern, die ihn feſthielten, und die lange magre Figur ſtreckte ſich kerzengerade in die Höhe; mit der einen Hand riß er ſich die ſchwarze Mütze vom Schädel, die andre ſtreckte er dem andringenden Slodczek ent - gegen — die dürren Finger zitterten, die dünnen grauen Haare flogen im Winde, er war anzuſchaun wie einer jener Propheten, die den Untergang Juda’s weiſſagten: Der Cherem des allmächtigen Adonai falle über Euch, ſo Jhr einem unglücklichen alten Manne ein Haar krümmt, Euer Stamm ſei ver - flucht bis in’s tauſendfachſte Glied, Euer Land ſoll wüſte liegen, wie das Land zwiſchen Aegypten und Kanaan, Euer Name ſoll vergeſſen werden auf ewig, und der Würgengel halte Wache an Euren Grenzen bis zum jüngſten Gericht, ſo Jhr Euch vergreift mit frechen Händen an einem Manne des ſtrengſten Geſetzes, an einem der Chaſſidim, an123 Manaſſe, dem Auserwählten des hochgelobten Herrn der Heerſchaaren. —
Dieſer Bannſtrahl machte einen unerwarteten Eindruck auf die Bauern. Es lag ein religiöſes Element darin, was die frommen Katholiken berührte, jener ſchreckliche Bezug auf ihr Vaterland und deſſen Zerſtörung, der entſetzlichſte Gedanke für den wilde - ſten polniſchen Bauer, der Anblick und die erſchrek - kende Zuverſicht des Greiſes, womit er die Worte ſprach — Alles das erzeugte eine Todtenſtille.
Manaſſe blieb in derſelben Stellung, ſeine Mus - keln ſchienen ehern geworden zu ſein, und die düſtern ſchwarzen Augen leuchteten wie ſchauerliche Todten - fackeln. —
— Jch ſoll Euch verrathen an Eure Herrn! O Adonai, wie lange ſchon liegt Dein Zorn auf uns — bin ich nicht ein tiefer gebeugter Sklave als Jhr — wenn der Herr Euch ſchlägt mit der Hand, ſo tritt er mich mit dem Fuße, wenn er den Einen von Euch mißhandelt, ſo beklagen ihn die Andern, wenn er mich mißhandelt, ſo lachen ſie, wenn Jhr unter die Kugeln lauft, und ſie Euch treffen, ſo fallt Jhr für Euer Land, ſo fallt Jhr124 als Helden, welche die Nachwelt beſingt — wenn wir fallen für Euer Land, ſo iſt ein Jude weniger, und das iſt gut, ſprecht Jhr dann — weil ich ſuche meinen Sohn Joel, der vielleicht ſchon gefallen iſt für Euch unter den Kugeln der Ruſſen, ſchlagt Jhr auch den Vater todt — das iſt auch gut. Und ich ſoll Euch verrathen! Was hab’ ich zu verrathen als größeres Elend denn Eures —
Dabei ſank er zuſammen. Hedwig, die ihn plötzlich verſchwinden ſah unter der Menge, glaubte, man ſei im Begriff, ihn umzubringen, und ſtürzte hinaus, Valerius, der ſchon längſt auf dem Sprunge geſtanden hatte, folgte ihr augenblicklich. Nur die Ueberzeugung, daß er in dieſem Augenblicke eine eben ſo verhaßte Erſcheinung ſein müſſe, als der Jude, daß er den Verdacht der Bauern, behorcht zu ſein, zur Gewißheit ſteigern würde, hatte ihn bisher abgehalten. Aber der Moment ſchien ihm der äußerſte, als Manaſſe vor ſeinen Blicken verſchwand, und er bemerkte es kaum, daß auch Hedwig hin - auseilte.
Jhr Erſcheinen machte die Verwirrung vollſtän - dig — „ ein Edelmann — des Grafen Tochter, “125ſchrie Alles durcheinander, und im erſten Augen - blicke drängten ſich die Bauern alle auf eine Seite zuſammen, gleich als ob ſie ſich fürchteten, oder nur in Maſſe von nun an handeln müßten.
Da erſchien auch plötzlich Joel, der mit dem größten Erſtaunen die Gruppe betrachtete, die ſo wenig zu den Liebesträumen paſſen mochte, aus denen er eben erwachte. Er ſtürzte zu Manaſſe und richtete ihn auf; in den Augen des zerbrochnen Greiſes leuchtete eine unbeſchreibliche Glückſeligkeit, als er ſah, daß es ſein Sohn, ſein Joel wäre, der ihn unterſtützte.
Das Feuer war zwiſchen den Parteien, nur Magyac ſaß wie ein unbetheiligter Grenzpflock vor demſelben, und ſomit zwiſchen den beiden in dieſem Augenblick ſo feindlich gegen einander geſtimmten Heeren.
Ein raſches Gemurmel flog durch die Gruppe der Bauern — es ſind Kickis Uniformen — ein braves Regiment — wir ſind verloren, wenn ſie lebendig den Ort verlaſſen — warum nicht gar — ſie müſſen dran. —
126Die letzte Aeußerung kam von Slodczek, der Lärm ward ſtürmiſch, die Maſſe bewegte ſich gegen das Feuer zu, Slodczek voran; Valerius und Joel zogen ihre Säbel, Hedwig ſtand unbeweglich, nur ihre Augen glitten bald von Joels Geſicht auf das Antlitz des alten Manaſſe, bald von dieſem auf jenes. —
Magyac nahm ruhig einen Feuerbrand und hielt ihn dem andringenden Slodczek unter die Naſe, daß dieſer einen Schritt zurückfuhr — dieſe Leute ſind die Gäſte des Schmieds von Wavre, ſprach er, und ſprang in die Höhe.
Slodczek aber, ergrimmt durch den ſteten Wider - ſpruch, riß ihm den Feuerbrand aus der Fauſt, ſchleu - derte ihn in die Finſterniß hinein, und fiel dann mit der größten Heftigkeit über Magyac her. Das Signal war gegeben, der Kampf ſelbſt erzeugt dann bei ſolchen Gelegenheiten den Kampf, wenn die Par - teien kurz vorher noch ſo unſchlüſſig geweſen wären. Alles drang auf die beiden Soldaten ein, welche ihre wehrloſen Verbündeten zurückſchoben, und ſich ſo gut als möglich zu vertheidigen gedachten. Das Handgemenge begann.
127Holla, ho! rief plötzlich eine donnernde Stimme, und von unwiderſtehlicher Kraft fühlten ſich die erſten Kämpfer auseinander geriſſen — „ der Schmied, der Schmied, “ſchrie Alles, und er ſtand wirklich zwiſchen ihnen. Die Flinte hing ihm auf dem Rücken, ſeine Hand war ohne Waffe, aber ſein Blick ge - nügte, dem Kampfe ein Ende zu machen. Er nahm ſeine dunkelrothe Mütze ab, ein unendlicher Schmerz breitete ſich über das gefurchte hartkantige Antlitz — die Hände faltend, ſah er mit ſtierem Auge vor ſich hin, und leiſe ſprach er: Vater Kosciusco, das ſind Deine Polen.
Dieſe Worte waren bis zum entfernteſten Bauer gedrungen — die erſt noch ſo unbändigen Jnſur - genten ſtanden mit niedergeſchlag’nen Augen da. Erſt nach einer langen Weile ſagte Slodczek halb - laut: Vater Florian, Sie haben uns behorcht. —
„ Was habt Jhr für Geheimniſſe vor ihnen? “fuhr der Schmied haſtig auf, „ ſie haſſen die Tyrannei ſo gut wie Jhr, ſie wollen unfers Landes Freiheit ſo gut wie Jhr, ſie beten zu Gott, was Jhr bittet “—
Und nach einer kurzen Pauſe ſetzte er hinzu: Wir gehen Alle nach Warſchau, übermorgen Abends128 um ſechs finden wir uns vor’m Hauſe des alten Krukowiecki, der heil’ge Adalbert nehm’ uns in ſei - nen Schutz. “—
Magyac voraus, zäume die Pferde, und führe ſie an den Kreuzweg, dort harrt der Wagen für das Fräulein. “
Thaddäus, der den Schmied kannte, wußte, daß Eile nöthig ſei, und flog wie ein Roß über die Lichtung nach dem Walde zu. Die Bauern grüßten den Schmied mit einer Miſchung von Ehrfurcht und Vertraulichkeit, und wohl auch mit einem Reſt von Schaam, daß ſie ſich vom heißen, zänkiſchen Blute zu einer Thorheit hatten fortreißen laſſen, und zer - ſtreuten ſich, haſtig über die Lichtung ſchreitend.
Jener gemäßigte Alte ſagte mürriſch zu ſeinem Begleiter, als ſie in das Dunkel des Waldes traten: Der Slodczek macht immer tolles Zeug — ’s ärgert mich aber doch, daß mir die hübſchen Pferde ent - gangen ſind, ich witterte ſie heut’ Abend, als ich durch den Wald nach dem Ringe ſtrich, und ich dachte, einmal heim zu reiten — ’s war kein Glücks - tag heute.
129Auch der Schmied brach mit den Uebrigen auf. Valerius wollte ihn geſprächig machen, er gab aber nur kurze, wenn auch höfliche Antworten. Manaſſe liebkoſ’te ſeinen Joel, und erzählte ihm, wie er in jener Nacht des Aufbruchs aus dem Schloſſe dort angekommen ſei, um ihn zu warnen vor den ſich immer mehr nach jener Seite ausbreitenden Ruſſen. Jhr wart fort, ich rannt’ Euch nach. Auf dem Wahlplatz im Walde fand ich einen ſchwerverwun - deten Koſacken. Jch verband ihn, damit er mir den Weg zeige, den Jhr eingeſchlagen. Er wies hierherzu — „ die letzten, “ſagte er, „ ſeien hierherzu geritten, ein junger Soldat mit ſchwarzem Haar und Bart fei dabei geweſen. “ „ „ Das war der junge Deutſche. ““— „ Gleichgültig, Joel, ich bin gelaufen, ohne zu ruhn, und hab’ Dich gefunden. “— Dabei liebkoſ’te er ihn heftig.
Sie traten in den Wald, aber eine große Helle in ihrem Rücken veranlaßte ſie, noch einmal rück - wärts zu ſchauen. Die Wildraufe und die Hütte ſtanden in lichten Flammen. Das iſt der Feuer - brand, ſagte Hedwig, welchen Slodczek in’s Dunkel warf. Der Schmied ſah traurig nach den luſtigen6 *130Flammen, und ſprach leiſe vor ſich hin: Nun habe ich nicht mehr, wo ich mein Haupt hinlegen könnte, wenn ich gehetzt werde wie der Hirſch. Er fuhr ſich mit der flachen Hand über das harte Geſicht, — nun, wie die Heiligen wollen! Jſt’s doch unferm Herrn Chriſtus nicht beſſer gegangen. Er nahm die Mütze zwiſchen die Hände, und ſeine breiten, feſten Lippen bewegten ſich, als ſpräche er ein ſtilles Gebet.
Das Feuer leuchtete unheimlich über die Haide, ſein Strahl hatte in der Einſamkeit nur ein paar Krähen aus dem Schlafe geſcheucht, die mit ihrem Grabgeſange über die Lichtung flogen. Der Schmied wandte ſich mit raſcher Wendung in den Wald, die Andern folgten dem ſchweigſamen Führer.
Es war einige Tage darauf, als Valerius in ſeinen Mantel gehüllt durch die Straßen von War - ſchau ſtrich. Der Mondſchein lag mit ſeinen wei - chen Blicken über der Stadt, wie eine ſüße Trauer oder wie eine wehmüthige Freude. Die äußeren Dinge fügen ſich ja nachgiebig unſers Herzens Wün - ſchen, wir leſen unſer Herz in ihren Blicken, und demſelben Lichte jauchzt der Eine wie einer Hoch - zeitsleuchte entgegen, während der andere eine Be - gräbnißfackel darin zu ſehen glaubt. Darum ſagen manche Leute, es ſei nichts wirklich, als unſer Gedanke.
Auch Valerius dachte ſo. Wozu quält man ſich mit den Aeußerlichkeiten, ſprach er in ſeinem trü - ben Sinne, unſer eigenſinniges Herz macht ja doch daraus, was es will. Wozu trachten wir unab -132 läſſig, Geſchichte zu machen, da wir doch nur klei - nen Kindern gleichen, die mit lächerlicher Mühe und Sorgfalt ihr Kartenhäuschen aufbauen — ein leichter Windzug wirft es um. Und wir wiſſen es nicht, von wannen der Wind kam, noch wohin er geht. —
Jſt es denn wirklich größer, ein Held zu ſein, Nationen zu bewegen, Völkerſchickſale geſtalten zu helfen, als daheim zu bleiben bei den Seinen, und ihrem kleinen Glücke, ihren unſcheinbaren Freuden Kraft und Thätigkeit zu widmen? Haben die ſoge - nannten Philiſter nicht am Ende Recht, daß wir uns um keine andern Dinge kümmern ſollen, als um jene, die uns zunächſt betreffen? Während ich kämpfe und ringe für eines Volkes Freiheit, weil ich den Begriff der Freiheit für etwas Großes halte, verſchmachten vielleicht die Meinen in Angſt und Mangel und Kummer — iſt denn nun auch wirk - lich dieſer Begriff der Freiheit größer als alle ande - ren? iſt es tugendhaft, Alles Andere darüber zu vernachläſſigen?
Großer Gott! im nächſten Jahrzehend iſt die Entwickelung der Menſchen vielleicht in ganz ande -133 ren Kreiſen, und mein Treiben iſt in den Augen der Erleuchtetſten ein thörichtes geworden, und das ſogenannte Heldenthum iſt eine moraliſche Karri - katur! —
Und wenn das Alles, was ich da denke und zweifle, Ausgeburten meines kranken Leibes ſind, warum iſt die Welt ſo ſchwankend, daß ſie immer nur ausſieht, wie ich ſie haben will? —
Dabei war er immer lebhafter hingeſchritten durch die Straßen, und war ohne ſeinen Willen auf die Weichſelbrücke gekommen. Eine große Waſ - ſerfläche übt ſtets einen tiefen Eindruck auf das menſchliche Herz: das Waſſer erſcheint uns wie ein unparteiiſches Element neben den andern irdiſchen Stoffen, theilnahmlos ſieht es wie ein großes ewi - ges Auge auf den Vorübergehenden, und das Schiff und der Schwimmer und der Sturm berühren nur ſeine Maſſe, ſein Leben iſt nicht zu treffen: es mag darüber hingezogen ſein, was da will, daſſelbe ewige Auge mit ſeiner Unerforſchlichkeit kehrt immer wie - der. Wie ſchweigende Gottheiten gehen die Waſ - ſerflächen an unſerm Treiben vorüber, und es bedünkt uns manchmal, als wohnte die tiefſte Weisheit in134 ihnen, und als würden wir ſie wiederfinden in einem andern Leben, wo ſie unbefangen Alles erzäh - len, was auf dieſer Erde vorgegangen iſt, die ein - zigen unbetheiligten Hiſtoriker neben den Sternen. Die Sterne können nämlich nur von den heitern Tagen erzählen; wenn Nebel und Wolken über der Erde liegen, da ſehen ſie nichts, und ſie ſteigen dann in der nächſten klaren Nacht herab in die Waſſerfluthen, um ſich erzählen zu laſſen, was unterdeß paſſirt ſei.
Jn ſolchen Träumereien ſchaukelte ſich Valerius Geiſt, während er am Brückengeländer lehnte, und in die murmelnden Wellen hinabſah, mit denen der Mond und die Sterne hin - und her fahrend verkehrten. Die ſchweigende Natur mit ihrer Ewig - keit in den Zügen übte, wie immer, ihre volle Kraft der Beruhigung auf ſein Herz, man glaubt dann unmittelbar vor dem Auge Gottes zu ſtehen, und die Welt ſchweigt im Menſchen.
Es war auch ein ſchöner Platz damals auf der Brücke, die nach Praga hinüberführt: auf der einen Seite die Feſtung, welche vor dem Feinde ſichert, unter ſich den breiten glänzenden Strom, auf der135 andern Seite die ſtolzen Palläſte, deren lichte Fen - ſter der Weichſel erzählten, wie die Polen alle wie - der daheim ſeien, wie die Freude wieder angeſiedelt werde in jenen ſo lange ſchweigenden, glanzloſen Häuſern. Aus der Stadt her ſchallte Muſik und Geſang, und das Herz des traurigen Valerius mußte endlich aufgehn in milderen Gedanken und Empfindungen.
Es fiel ihm ein, daß er auf dem Wege zum Grafen Kicki geweſen ſei, der ihn zum Ball gela - den, er hoffte fröhliche Menſchen zu ſehen, und ging eiligſt zurück nach der Stadt.
Jn einer engen Gaſſe ſah er eine lichte Haus - flur, und fröhliche junge Männergeſtalten, bald in ſchmutzige Schafpelze, bald in glänzende Unifor - men gekleidet gingen ein und aus; die ganze Straße hallte wieder von patriotiſchen Geſängen der Ab - und Zugehenden. Er blieb einen Augenblick ſtehen, und es ſchien ihm, als ſähe er Magyac eintreten. Neugierig gieng er ihm nach, und erblickte ſich bald in einem großen Saale, in welchem ſich zahlreiche Gruppen von Männern befanden. Der Raum war ſpärlich beleuchtet, und das bunte Durcheinander136 von lauter männlichen Geſtalten, die mit etwas gedämpfter Stimme, aber größtentheils raſch und heftig ſprachen, machte einen wunderlichen Eindruck.
Valerius drückte ſich in eine dunkle Ecke. Er wollte verſuchen, ob er ſich in dieſem ihm ganz neuen Elemente zu orientiren vermöchte. Dicht neben ihm ſtand eine Gruppe Bauern, ſie ſprachen leiſe und unverſtändlich. Jn ſeine Nähe drängte ſich ein Mann, bis an die Naſe in den Mantel gehüllt, die Mütze hatte er tief in die Augen gezogen — es entſtand eine Bewegung im Saale, und auf einer Art Tribune im Hintergrunde deſſelben erſchien eine Figur. Ein ſtürmiſches Beifallsrufen drang aus mehreren Gruppen, die meiſtentheils aus Offi - cieren und jungen Männern beſtanden, welche, in feinen Civilkleidern, den gebildeten Ständen anzu - gehören ſchienen. Die Bauern neben Valerius ſahen neugierig nach der Tribune, als wäre ihnen die Erſcheinung völlig neu und unbekannt. Der Red - ner — denn als ſolchen gab er ſich bald kund — war eine ſchmale, hohe Geſtalt, ganz in Schwarz gekleidet; auf dem Kopfe trug er ein Käppchen von eben dieſer Farbe, und ſein ganzes Anſehn gewann137 dadurch etwas Klerikaliſches. Die Haltung des Kör - pers ſchien von Sorgen oder Studien gebeugt zu ſein — da die Gegend, in welcher ſich der Redner befand, heller beleuchtet war, als die Tiefe des Saa - les, ſo konnte Valerius die Geſichtszüge genau un - terſcheiden. Es lagen tiefe geheimnißvolle Furchen in dem magern blaſſen Antlitze, die Naſe war ſpitz und ſcharf geformt, und die tiefliegenden Augen waren ſtill und faſt ohne Bewegung, bevor der Redner zu ſprechen begann. Dann aber flogen ſie zuweilen hervor mit einem wie unterirdiſchen Feuer, zuweilen glänzten ſie ſanft und mild wie die Seele der wohlwollendſten Weisheit. Derſelbe Wechſel ſpielte um den feinen Mund, und deſſen ſchmale Lippen: bald ſchienen Pfeile des tiefſten Haſſes aus den Winkeln zu fliegen, bald ſaß ein Lächeln darauf, was aus dem ſchönſten Herzen zu kommen ſchien, und von unendlicher Liebe zeugte.
Die Stimme war ſanft und äußerſt wohlklin - gend, und der Accent der ſchönſte, welchen Valerius noch in Polen gehört: die ſchwierigſten Konſonanten zerfloſſen auf jenen feinen Lippen, und Alles ſchmiegte ſich in Wohlklang und Reiz. Der Redner begann138 mit jener anſpruchsloſen Einfachheit mächtiger Künſt - ler die Geſchichte Polens zu erzählen, die Stimme ſchien leiſe und ſchwach, und da die Erzählung mit den fernſten Jahrhunderten aushob, ſo fürchtete man, es werde ihr für den eigentlichen Zweck, für die Verhältniſſe des Augenblicks keine Kraft übrig blei - ben. Aber dieſer Glaube war ſehr irrthümlich. Die Stimme wurde ſtärker, wie ein Baum, der immer höher wächſt, und ſo wie dieſer immer breiter um ſich greift mit ſeinen Zweigen, ſo ſchien auch dieſe Stimme immer tiefer in die Herzen der fernſten Zuhörer zu greifen. Es war eine Stille im Saale, daß man den Fall einer Nadel gehört hätte; auf allen Geſichtern war die höchſte Spannung zu leſen. Die Bauern neben Valerius ſchienen kaum zu ath - men, und ſo erreichte die Rede ihren Höhepunkt bis zum Ausbruch der neueſten Revolution, die noch mit den lebendigſten, blutvollſten Worten dar - geſtellt wurde. Da hörte ſie plötzlich auf, der Red - ner machte eine Pauſe. Der Eindruck war über jenen hinaus, wo der Beifall der Zuhörer losbrechen kann, dieſe waren ſelbſt über den Raum hinaus -139 gehoben und nicht ein Laut unterbrach die feier - liche Stille.
Der Redner ſchien auch dieſe Art der Aner - kennung zu verſchmähen, denn mit viel ſchwächerem, aber noch völlig feſtem und gewandtem Tone ſprach er nun über die neueſten Tage Jm Anfange der Rede waren dem aufmerkſamen Zuhörer manche kleine unbedeutende Sätze begegnet, die mit dem Folgenden im geringem oder gar keinem Zuſammen - hange zu ſtehen ſchienen. Sie betrafen meiſt die Verhältniſſe der niedrigſten Stände, und ſchienen mehr nebenbei vom Redner hineingeworfen zu ſein, um einen Theil ſeiner Zuhörer, die in Schafpelzen und ohne Halstuch gekommen waren, nicht ganz leer ausgehen zu laſſen. Aber all die kleinen Sätze wurden in dieſem letzten Theil der Rede ſorgfältig aufgehoben, zuſammengerückt, über - und unterbaut, daß man plötzlich ein maſſives Gebäude der Volks - freiheit vor ſich ſah, und im erſten Augenblicke ſtutzig war, wie es ſo plötzlich feſt in allen Theilen aus der Erde habe wachſen können. Es war aber in dieſem Abſchnitte der Rede alles ſo fein ſchat - tirt, ſo ſchnell und gewandt ausgedrückt, daß das140 Ganze wie ein Luftſchloß vorübergauckelte, und der eifrige Ariſtokrat hätte es anhören können, ohne zum klaren Bewußtſein zu kommen, wie ſeine innerſten Meinungen haſtig mit Erde verſchüttet würden. Die Argumente, die hiſtoriſchen Data flogen wie das Weberſchifflein und die Einſchlagfäden vor den Augen durcheinander, und das Gewebe war fertig, dicht und dauerhaft, ohne daß der Zuhörer Abſicht und Weiſe hatte beachten können. Man konnte in der Stunde darauf den Redner vor Gericht ziehen, und Niemand wäre im Stande geweſen, anzugeben, auf dieſe oder dieſe Weiſe hat er die Demokratie gepredigt. Und zwiſchen dieſem Schaffen und Bauen der Sätze und Gedanken blitzten die mächtigſten Kugeln auf gegen die Unbilden der Ariſtokratie; aber auf Blitz und Knall folgte eine ganz unerwar - tete Wendung der Rede, die ſcharfen Augen und Mundwinkel waren wieder ſanft und glatt, man glaubte ſich getäuſcht zu haben, man wurde von neuen Jntereſſen erſchüttert, und ein neuer Blitz ward von noch größeren Dingen verdrängt, und die Rede ſchloß mit einem erſchütternden Aufrufe zum Kamfe auf Leben und Tod, ſo daß man ſelbſt141 nicht wußte, war die Stimme wieder gewachſen oder nicht, hat der Redner zu viel oder zu wenig geſagt, ſoll man jubeln oder trauern, haſſen oder lieben. Aber durchgeſchüttelt und gerüttelt, ja erſchüt - tert war Alles bis in das innerſte Mark, und der lang verſchloſſene Athem rang ſich bei den Meiſten ſtöhnend an die Luft.
Der Redner war verſchwunden, und Valerius fragte in der Betäubung haſtig ſeinen verhüllten Nachbar, wer da geſprochen, obwohl es ſchien, als ob der Mann unter ſeinem Mantel nicht geſtört ſein wolle.
Joachim Lelevel — war die Antwort. —
Lelevel, wiederholte Valerius vor ſich hin, gleich als fände er einem alten Bekannten. Jn der Gruppe der Bauern ward der Name wiederholt, und ſie ſchienen nicht weniger ergriffen zu ſein von jener Rede als die Gebildeteren. Man glaubt es nicht, wie fein die geiſtigen Empfängnißorgane dieſes Volkes ſind. Die Zeit der Knechtſchaft hat ſie noch geſchärft; wo das ganze Wort nicht erlaubt iſt, da lernt man ſchnell das halbe verſtehn — die breite prunkende Art der Rede, das rhetoriſche Weſen142 konnte nur bei den Römern entſtehen, der weite Länderübermuth liegt darin, und darum hat ſich jene Gattung in der neuern Zeit auch vorzüglich auf die Franzoſen vererbt.
Ein unterdrücktes Volk macht wenig Worte. So erklärte ſich auch in dieſem Augenblicke Vale - rius jene auffallende Erſcheinung unter der Wild - raufe, wo die Bauern ſo viel wie nichts geſagt hatten, und doch für unberufene Ohren zu Viel geſagt zu haben fürchteten. Sie glaubten, auch ihre Auslaſſungen ſeien behorcht worden. Das iſt ein Hauptunglück der Knechtſchaft eines Volks, daß ſie die Unbefangenheit verlieren, daß ſie Begriffe, welche ihnen zu ſprechen verboten ſind, am Ende ſelbſt nicht auszu denken wagen, daß ſie mißtrauiſch werden.
Die Gedanken jener Jnſurgenten waren nicht einmal reif in ihnen geworden, noch weniger hat - ten ſie etwas Vollſtändiges ausgeſprochen, und den - noch glaubten ſie zu Viel geſagt, die ſchmerzensreiche Bruſt viel zu weit geöffnet zu haben. Mit dieſer kranken Sagacität und Kombinationsgabe des Ver - dachtes hatten ſie aber Lelevel vollkommen verſtanden.
143Und es mochten wirklich größtentheils dieſelben Bauern ſein. Bei der Bewegung, welche nach jener Rede unter ihnen entſtanden war, erblickte Valerius deutlich das wilde Geſicht des ſtürmiſchen Slodczek.
Ein anderer Redner war indeſſen aufgetreten: er war in der Uniform des vierten Regiments, und der Ausdruck ſeines Geſichts war barſch, un - ſchön, voll Leidenſchaft und ſchlecht verhehlten Grim - mes. Er ſprach mit wenig Rückhalt herben Tadel aus über die unzureichende Thätigkeit der zeitigen Regierung in Sachen des Kriegs und der geſell - ſchaftlichen Umgeſtaltung, verlangte durchgreifende Reformen gegen die Ariſtokratie des Landes auf der einen Seite, und ſchonungsloſe Allgemeinheit der Bewaffnung durch alles Volk, was polniſch ſpräche.
Valerius ward an den Jakobinerklub in Paris erinnert, und als er den Redner verlangen hörte, daß man aufräumen müſſe unter all den Leuten, an welchen der leiſeſte Verdacht des Ruſſenthums hafte, da ſtieg das blaſſe Angeſicht des ſteinernen Saint Juſt vor ſeinen Blicken auf, und jenes ent - ſetzliche Wort suspect, suspect, das Loſungswort der Schreckenszeit, ſchwirrte um ſeine Ohren.
144Dieſe Erſcheinung unumwundner Sprache bei einem allgemeinen Charakter, wie er ſich eben an jenem erſten Redner und jenen inſurgirenden Bauern herausgeſtellt hat, darf nicht verwundern. Der Muth iſt keinen Geſetzen unterworfen, und jener tollkühne Muth belebte einen großen Theil der damals thätigen polniſchen Jugend, die ſich im vierten Regimente koncentrirte. Jener Muth überſprang ſelbſt die national gewordenen Eigenthümlichkeiten.
Dieſe Rede erregte einen toſenden Lärm, und ſie ward eigentlich nicht zu Ende gebracht, ſondern der immer höher ſteigende Sturm übertäubte ſie — es lebe Driwiecki — der Name des Redners — es lebe Polen! brauſ’te der Lärmen durcheinander, und beſänftigte ſich nur zur Regelmäßigkeit, indem er in den donnernden Geſang des bekannten Volks - liedes „ Noch iſt Polen nicht verloren “überging.
Valerius ſah die Bauern außer ſich vor Bewe - gung, Thränen liefen ihnen in die Bärte, und ſie umarmten und küßten ſich ſtürmiſch.
Er wollte den Saal verlaſſen. Unweit der Thür ſah er im Dunkeln einen Mann ſtehn, der abge - ſondert von allen Uebrigen dem Sturme der Begei -145 ſterung nicht nachzugeben ſchien. Valerius ging dicht an ihm vorüber. Es war der Schmied. „ Gut Nacht, Florian, freuſt Du Dich nicht bei ſolchen Dingen? “— Es kommen ernſte Zeiten — Gute Nacht, Herr!
Dem Valerius ſchien es, als folge ihm ſein Nachbar, der Mann im weiten Mantel. Als er ſich aber vor dem Hauſe umblickte, gewahrte er nichts. Haſtig eilte er nach dem Hauſe des Grafen Kicki.
Auf Flur und Treppen rannten gallonirte Bediente hin und her. Alles war licht und hell, die Muſik tönte aus dem Saale — es war ein ganz andres Element, in welchem ſich Valerius wieder fand. Sein empfängliches Weſen nahm auch willig die neuen Eindrücke auf. Seit er das feſte Steuer ſeiner Lebensrichtung verloren hatte, hielt er es für’s Beſte, ſich dem Leben anzufügen, wie es ſich eben darbiete, ſein Schifflein ſchwimmen zu laſſen, wie es der Strom treibe. Aber ſeine Natur wider - ſprach dieſem Vorſatze faktiſch alle Tage, ſie fügte ſich nicht ſo ſchnell als ſeine Einſicht. Von jeher gewohnt, zwiſchen feſten Grundſätzen einherzuſchreiten, lehnte ſie ſich jetzt täglich auf, und verlangte die alte Prüfung, den alten Kriticismus. So erziehen ſich die beſonnenen Menſchen die aufmerkſamſten147 und zu Zeiten ſtörendſten Schulmeiſter in ihrem Buſen, und es mag oft ein leichtſinniger Menſch eher geſetzt und beſonnen werden, als ein geſetzter leichtſinnig. Jener leichte Sinn war es wenigſtens, nach welchem Valerius ſo ſehnlich verlangte, bisher immer umſonſt verlangte.
Diesmal trat er aber wirklich heitrer als gewöhn - lich in den Saal. Der Anblick eines Balles war ihm von jeher angenehm: Die zur Freude verſam - melten Menſchen, die zur Freude geputzten Damen, die zur Freude herausfordernde Muſik gewährten ihm immer den beſten Eindruck. Es ſtimmte auch völlig zu ſeinen Anſichten, die Fröhlichkeit, den heitern Genuß zu erzeugen nach allen Kräften. Durch dieſen Kanal der ſogenannten Lebensphiloſophie hatte nun einmal Alles zu ihm dringen müſſen, und wenn er auch jetzt anfing, dieſes gemachte Weſen mit Un - zufriedenheit anzuſehn, wenn er ſich auch lebhaft nach jener Unbefangenheit ſehnte, die allen Reiz der Umnittelbarkeit über uns ſchüttet, ſo konnte er ſich doch, wie geſagt, nicht ſo ſchnell ſeiner Ver - gangenheit entäußern; er mußte es geſchehen laſſen, daß der eben auf ihn andringende gefällige Ein -148 druck zum Theil in früheren Lehrſätzen ſeinen Ur - ſprung hatte.
Es war aber auch wirklich ein erheiternder An - blick, der ſich ihm darbot. Die polniſchen Damen, berühmt durch die friſche, lebendige Schönheit, jubel - ten in ihren ſtürmiſchen Nationaltänzen umher, der elaſtiſche Takt des Maſuret hob ſie wie beflügelt über den glatten Boden hin, die blitzenden Augen leuchteten ſiegestrunken, alle Bewegungen der weißen Arme waren kühn und ſchön — es war der Triumph des Vaterlandes, den ſie tanzten. Man ſah es, daß alle Kräfte und Fähigkeiten höher geſpannt waren als im Alltagsleben, und wenn ſich zuweilen jene einzelnen melancholiſchen Klänge ankündigten, die faſt in keiner polniſchen Nationalmuſik fehlen, ſo dienten ſie nur dazu, das Uebermüthige der Luſt, wie es an vielen Orten emporſchlug, in milde Poeſie zu wandeln. Man ſah es, daß ein wirkliches Feſt gefeiert wurde, daß eine gemeinſchaftliche Seele durch Alle wogte, und ſolch eine Freude theilt ſich mit, und dringt auf Alles ein wie die erquickende Früh - lingsluft, die an einem ſonnigen Tage über ein Land daher zieht. Valerius fühlte ſich plötzlich von149 einer ſo überſchwellenden Bewegung ergriffen, daß er hätte aufjauchzen mögen vor Freude. Er glich damals in Allem einem Bergſtrome, der heute bis auf den Grund vertrocknet, morgen brauſend über die Ufer ſchlägt, wenn ein warmer Regen in ſeine Schneeberge gefallen iſt.
Die Polen gewährten in ihrer kurzen Periode der Unabhängigkeit eine merkwürdige Erſcheinung. Mit ihrem liebenswürdigen Leichtſinne genoſſen ſie die plötzlich erſchienene Freiheit — oft ſtand der Feind nur einen Kanonenſchuß von ihnen entfernt, und ſie jubelten und jauchzten, als ob ſie in alle Ewigkeit geſichert wären. Jn allem Glanze erſchien damals jene nationale Poeſie ſanguiniſcher Völker, jeden Augenblick des Daſeins auszukaufen, und auch den äußerſten noch für eine Freude zu erbeuten. Dieſes Element imponirte Valerius, dem Sklaven der Zukunft, über die Maaßen. Er glaubte darin den Sieg eines ſtarken Herzens über alle Aeußer - lichkeit zu ſehen, und erregt von glücklicher Theil - nahme ſtand er an die Wand gelehnt, dem fröh - lichen Treiben zuſchauend.
150Der Maſuret ging zu Ende, die Tänzer dräng - ten ſich durcheinander, Valerius fühlte ſich bei der Hand ergriffen; es war Graf Stanislaus, der vor ihm ſtand, und ihn auf das herzlichſte begrüßte. Alle ſchönen Elemente, die man an den Polen be - merkt, wenn ſie im bewegten Kriege oder auf der raſchen Reiſe an uns vorüberfliegen, alle dieſe ein - nehmenden ritterlichen Vorzüge beſaß der junge Graf. Er war hoch, ſchlank und ſchön, ſein Haar glänzte in jener polniſchen Mittelfarbe zwiſchen blond und braun, und ein ſolcher Flaum flog kraus über ſeine Wangen und Lippen hinweg. Mehr als gewöhn - lich drückte ſich der Nationalzug einer leichten Me - lancholie in ſeinem Antlitz aus, und Valerius fühlte ihm gegenüber zum erſten Male das geſellige Ver - trauen, welches zu offner, rückhaltsloſer Mittheilung ermuthigt. Dieſen weſentlichen Reiz im Umgange mit Deutſchen hatte er bis jetzt in dieſem Lande völlig entbehren müſſen: alle Menſchen, denen er begegnet war, hatten ihm etweder eine leichtſinnige Oberflächlichkeit, oder eine verſteckte, mißtrauiſche Art des Weſens bekundet, und wenn er ſich darin geirrt hatte, ſo war er doch von Niemand vertrau -151 lich, mittheilend angeregt worden. Joel war viel zu ſehr mit eignem Leid bedeckt, als daß man ihn noch hätte zur Theilnahme an ſolchen feineren Din - gen auffordern können, wie es nationale Unterſchiede, hiſtoriſche Richtungen für einen jungen Menſchen ſein mußten, der mit den erſten Lebensbedingungen des Herzens und der Geſellſchaft zu kämpfen hatte.
Man darf ſich alſo nicht verwundern, wenn Valerius tief aufathmete, als er ſolch ein Zutrauen weckendes Leben bald nach den erſten Worten der Begrüßung in ſeinem neuen Bekannten entdeckte. Er fühlte ſich nun plötzlich nicht mehr allein in dem fremden Lande, und nun ſchien es ihm auch ſchnell, als ob dies der einzige Grund ſeiner bisherigen Miß - ſtimmung geweſen ſei.
Starke Menſchen ſind nur zu geneigt, tiefe, chroniſche Krankheiten ihres Geiſtes und Herzens weg - zuläugnen, ſobald ſie irgend eine äußere Veran - laſſung entdecken, welcher ſie das innre Unbehagen ihres Weſens zur Laſt legen können. Es iſt gewiß wahr, daß Nationalitäten, die ſo wenig Berührungs - punkte haben, als die deutſche und polniſche, die unbequemſten Zuſtände erzeugen können, wenn der152 Vertreter der einen Landesart plötzlich mitten in das andre Land geworfen wird. Aber die Krankheit des Valerius lag tiefer. Dem ſei nun wie ihm wolle, er glaubte einen vermittelnden Genius zwiſchen den verſchiedenen Volksſitten in Stanislaus gefunden zu haben; er gab ſich ihm mit aller Schwärmerei einer ſo unerwarteten Freude hin, und ſo wie Gleiches immer Gleiches erzeugt, ward auch des jungen Grafen Herz durch ſolche Wärme immer offner und lieben - der; ſie ſtrichen Arm in Arm im Saale auf und nieder, und redeten ſich bald ſo tief in Jntereſſen und Freundſchaft hinein, daß ſie, Tanz und Geſell - ſchaft vergeſſend, in die Seitenzimmer traten, um ungeſtört über Herzen und Völker ſprechen zu können.
Graf Stanislaus gehörte zu der jungen Gene - ration Polens, die in vielem Weſentlichen abweicht von dem überlieferten Begriffe, den wir von dieſem Volke haben. Schon von der erſten Theilung Polens datirt ein neues Moment der Bildung in Polen. Der einheimiſche Jammer trieb ſie auf Reiſen. Man - cher neue Bildungsſtoff kam mit den Heimkehrenden zurück. Aber die Umgeſtaltung des innerſten Weſens eines Volkes macht ſich nicht durch einige Reiſende,153 jener ſlaviſche Grundſtoff einer gewiſſen Wildheit war nicht im Handumwenden zu beſeitigen, und die äußern Einwirkungen ließen einer tiefern Läu - terung des Volkscharakters keine Zeit. Die Thei - lungen des Landes nahmen alle Kräfte gegen Außen in Anſpruch. Jndeß offenbarte ſich ſchon damals in der Conſtitution vom 3. Mai 1793 jenes neue Civiliſationsmoment, von welchem hier die Rede iſt, und der Hauptvertreter dieſer neuen polniſchen Rich - tung erſchien in dem ſanften und milden Thaddäus Kosciusco. Schon damals bildete ſich eine preis - würdige Mehrheit, welche alle Forderungen der Hu - manität zu berückſichtigen, die barbariſchen Ueber - reſte der polniſchen Gewohnheiten zu vernichten und das Volk aus der Knechtſchaft zu ziehen trachtete. Dieſer Keim iſt nicht untergegangen; die fortwäh - renden Stürme, welche das Land heimſuchten, haben ſeine beſten Männer in allen Ländern Europa’s um - hergeführt, und als die Revolution von 1830 aus - brach, fand ſie eine Schaar im Unglück gebildeter Polen, welche aller neuen Erfindungen der Civiliſa - tion mächtig, und über die alten Nationalvorurtheile hinausgehoben waren; ja ſie fand eine Jugend,7 *154welche nicht nur für die Freiheit, ſondern auch für alle Forderungen einer modernen Humanität ſchwärmte.
Zu dieſer Jugend gehörte Graf Stanislaus. Und dieſer junge Mann geſtand dem Valerius, daß er nur in den Stunden des Siegesrauſches an ein glückliches Ende dieſes Kampfes glaube. Und dabei trat jener polniſche Schmerzenszug wie das thränen - weiche Geſicht eines Mädchens auf ſeine Züge, in ſeine Augen. „ Die Revolution “— ſprach er — „ hat uns übereilt, noch liegen alle Beſtandtheile eines neuen Volkslebens chaotiſch in uns durchein - ander, noch iſt die perſönliche Eitelkeit, unſer Erb - übel, zu wenig gebrochen von der uneigennützigen Bildung, die ungeordneten Maſſen unſrer bedeutend - ſten Kräfte werden ſich in den Weg treten, und vereinzelt überwunden werden.
Bei dieſen Worten, welche Valerius mit tiefer Trauer anhörte, waren ſie wieder an die Thür ge - kommen, die in den Saal führte. Vom Orcheſter herab rauſchte eine Polonaiſe. Das iſt der polniſche Nationaltanz, welcher den ganzen Stolz des Volks - charakters ausdrückt, eine üppige Erinnerung an die früheren patriarchaliſchen Zuſtände. Es liegt eine155 ſiegreiche Unabhängigkeit in ihren Rythmen, und ſie ſcheint aus den früheſten Zeiten zu ſtammen, wo das Volk noch ohne Störung in aller Breite ſich ausdehnen konnte, durch keinerlei Feindſchaft zu Haſt und Ungeſtüm aufgeregt wurde, wo es ſeiner ſonnen - lichten und prächtigen Heimath in Aſien noch ein - gedenk war.
Ein eisgrauer alter Pole führte ſie an, und zum lebhaften Erſtaunen Valerius war Hedwig ſeine Dame. Das ſchöne Mädchen ſtrahlte in ſeiner Friſche und in der lebhaften, phantaſtiſchen Nationaltracht wie die ewig junge Schutzgöttin des Landes ſelbſt, die nur eben in ihrer Flüchtigkeit oft andre Dinge neugierig betrachtet als das ihr anvertraute Land. Auf dem ſchönen Haare trug Hedwig ein zierliches, blitzendes Kasket, und roth und weiß war ihre übrige blendende Tracht, bis auf die kleinen karmoiſinfarb - nen Halbſtiefel, welche das hochgeſchürzte Kleidchen mit aller Zierlichkeit des ſchöngeformten Beines ſehen ließ. Kurze Handſchuhe bedeckten nur den Unterarm, der übrige Arm, Nacken, Schulter bis an die muthig ſchwellende jungfräuliche Bruſt war luſtig entblößt, und das fröhliche Fleiſch lachte harmlos mit den156 ſtrahlenden Augen. Valerius hatte ſein inniges Ver - gnügen an dieſem Anblick. Sein krankhafter Zuſtand war in der letzten Zeit ſo groß geworden, daß auch die weibliche Schönheit keinen Reiz für ihn hatte, nur die vollendetſten Formen konnten ſeinem künſt - leriſchen Sinne ein flüchtiges Behagen erwecken, alle Sinnlichkeit — und es giebt eine ſolche von ſchöner Art — hatte völlig in ihm geſchwiegen, alles Blut ſchien aus ihm gewichen zu ſein. Jndeß, die Jugend - lichkeit Hedwigs war nicht ohne eine Art von Er - friſchung für ihn geweſen — jetzt ſah er zum erſten Male das ſchöne herausfordernde Mädchen in ihr, und der freundliche Gruß, den ſie ihm nickte, belebte ſeit langer Zeit zum erſten Mal ſein Auge mit dem muntern Wohlgefallen, was der Anblick eines ſchönen Mädchens erweckt.
War es ihm doch, als ob er die hohe Frauen - geſtalt, die hinter Hedwig an der Hand des Grafen Kicki einherſchritt, ſchon irgendwo geſehen! Sein Blick hatte zu feſt auf jener geruht, und die andere war ihm dunkel wie eine Nebenerſcheinung vorüber - geglitten; der Glanz und das Klirren des Tanzes zog ſeinen jetzt erweckten Sinn von Nachdenken ab,157 er ſchwelgte in dieſem halbkriegeriſchen Triumphzuge. Faſt Alles war im Kriegskoſtüm, die meiſten pol - niſchen Tänze wurden von den Männern mit Sporen getanzt, und in der Polonaiſe fehlte auch der klir - rende Säbel nicht. Die ſchlanken Geſtalten, das pulſirende Leben in den kleinſten Bewegungen, der Glanz der Augen, das Blendende in der freien Schönheit der lebhaften Frauen, die rauſchende Mu - ſik, — Alles das verſetzte den ſonſt ſo trüben Deut - ſchen in eine Art von Rauſch. „ Es wäre entſetz - lich “— wendete er ſich zu Stanislaus — „ wenn dieſe Nation wieder unterläge. “—
Sie tanzen bis zum Grabe, erwiderte dieſer mit trauriger Stimme.
Valerius Augen folgten dem leichten Schritte der ſchönen Hedwig, und wie von einem Schrecken ge - troffen, dachte ſein Herz plötzlich an Joel: „ Jn welcher dunklen Judenſtube mag der Arme jetzt ſitzen mit dem alten Manaſſe! Welch ein düſtrer Gegenſatz zu dieſen in Licht und Glanz ſchimmernden Sälen! — O, können ſie denn nie aufhören, dieſe grellen Kon - traſte der bürgerlichen Geſellſchaft! “
158Der Tanz war beendigt — wahrlich, jene Tän - zerin des Grafen Kicki, jene hohe Geſtalt, ſie war es, die Fürſtin Conſtantin! Wie kam ſie aus Deutſchland mitten in dieſe ferne Stadt des Krieges? Valerius wußte nicht, ob er ſich freuen ſollte oder ſich betrüben, es war wie ein Schreck, was ihn durchbebte, und er redete ſich vor, die ſtolze, ariſto - kratiſche Frau werde mit Hohnlächeln das verworrene Treiben einer jungen Freiheit betrachten, und dies ſei es, was ihn befangen habe bei ihrem Anblick.
Während ihm dieſe Gedanken durch Kopf und Herz flogen, war die Fürſtin neben dem Grafen Kicki ganz in ſeine Nähe gekommen, und betrachtete Valerius mit feſtem, beinahe herausfordernden Blicke. Dieſer, der eine unerklärliche Scheu empfand, die Bekanntſchaft mit ihr zu erneuern, blieb einen Augen - blick unſchlüſſig und ohne Bewegung, es mochte auch der natürliche Trotz ſein gegen jene befehlenden Augen. Aber er glaubte plötzlich einen weichen, ſchmerzlichen Zug um den ſonſt ſo ſtolzen Mund zu ſehen, das Verlangen, eine Landsmännin zu begrüßen, über - mannte ihn, wie er glaubte, und er ging langſamen Schrittes ihr entgegen, um ſich ihr vorzuſtellen.
159Eine ſchnelle Freude flog über ihr edles Geſicht und ſie empfing ihn auf das verbindlichſte —
Sie ſind ſo blaß, Herr Valerius? Sind Sie krank? fragte ſie mit weicher Stimme — und auf der Stirn haben Sie eine große Schmarre?
Sie hatte franzöſiſch geſprochen, und Graf Kicki übernahm die Antwort: Herr von Valerius über - nimmt ſich in Anſtrengungen für unſer Vaterland, bei Grochow iſt er auf dem Wahlplatz liegen geblie - ben, und wir haben ihn lange für todt gehalten, unterdeß hat er ſich in den Wäldern mit marodi - renden Ruſſen herumgeſchlagen — wahrhaftig, Herr von Valerius, Sie müſſen eine zeitlang den Dienſt ausſetzen, und ſich erholen — wenn wieder eine ſchöne Ausſicht für uns Reiter kommt, eine ſchöne Fläche und jenſeits himmelhohe Küraſſiere, dann ruf’ ich Sie, zuverläſſig, Herr von Valerius, dann ruf’ ich Sie. — Damit beurlaubte er ſich bei der Fürſtin, indem er artig verſicherte, der junge tapfre Landsmann würde ſie am intereſſanteſten zu unter - halten verſtehn, und dem Hauſe des Wirths ſo viel Ehre machen, als er ſeinem deutſchen Vaterlande160 Ruhm bereite durch ſeine Tapferkeit für eine unter - drückte Nation.
Graf Kicki war der polniſche Alcibiades: ſchön wie ein Gott, tapfer bis zur Verwegenheit, heiter, galant, liebenswürdig, ritterlich, war er der Abgott der polniſchen Damen, der fabelhafte Paladin des Krieges. Alles ſchrie ſeinen Namen, wenn er durch die Straßen ſprengte, die Damen eilten an’s Fenſter, und warfen Blumen auf ihn hinab, und kein Ge - liebter, kein Gatte verargte dies: der ſchöne Kicki war der Repräſentant ihrer nationalen Liebenswürdig - keit. Lächelnd und unbefangen, als wäre er aus einem Ritterroman heraus in die Straßen geſprengt, nahm er das Alles auf, und grüßte rechts und grüßte links, und verſchwand auf dem brauſenden Roſſe.
Die Fürſtin ſah ihm nach, und ſagte mit jenem vornehmen Abandon, den Valerius ſchon an ihr kannte, gleich als ob ſie ſich bereits den ganzen Abend mit dem wiedergefundnen Bekannten unter - halten hätte: Wahrhaftig, ein ſchöner Mann, und ein glücklicher Mann, ſetzte ſie nach einer kleinen Pauſe hinzu — ſchön und glücklich ſind die Meiſten dieſer phantaſtiſchen Nation, ſie leben in einem kindlichen161 Leichtſinne, einer liebenswürdigen Oberflächlichkeit dahin, als wäre das Leben ein Karneval, ſelbſt die Jdee ihres Vaterlandes iſt ihnen eine ſtehende Maske geworden, für die man ſchwärmen und ſich todt - ſchlagen laſſen muß — ſtill, ſtill, ich ſpreche frivol in meiner Ballſtimmung; Sie ſind ein tiefſinniger, ernſter Mann, ich weiß es. Machen Sie mir nicht das alte Profeſſorgeſicht, ich nehm’ es ja zurück, das bunte Zeug, man muß die heiligen Dinge einer Nation nicht beſpötteln, wo nähmen wir am Ende die Götter oder Götzen her, welche die Geſellſchaft halten und das Höhere von dem Niederen ſcheiden — wie geht’s Jhnen, Herr von Valerius? So heißen Sie ja wohl hier? Wo iſt Jhr Haß gegen den Adel geblieben, daß Sie ſich auf einmal ſolch ein adeliches „ von “gefallen laſſen?
Valerius konnte ſich eines Lächelns nicht erweh - ren, was zum Theil von dem gefälligen Eindruck herrührte, welchen die überwältigende Schönheit der Fürſtin auf ihn machte. Sie hatte, während ſie unter dem Sprechen einige Schritte im Saale hin - ging, den Handſchuh vom Arm geſtreift, um eine neugierige Locke feſtzuſtecken, welche ihr auf den162 Buſen herabgefallen war. Jhr voller Arm lockte in ſeiner Krümmung das Auge des Begleiters, der warme Handſchuh, den er hielt, ſtrömte das Frauenleben verführeriſch in ſeine Nerven, und es war nicht zu verwundern, wenn Valerius diesmal die necken - den Herausforderungen der Fürſtin unbeantwortet ließ, und kaum mit halben Worten etwas auf die letzte erwiderte.
Es iſt nicht wie in Deutſchland, Durchlaucht, mit den Titulaturen, die Leute fragen nicht nach meiner Geburt, ich gehöre zur höheren Klaſſe, und da werde ich Valeriuski, von Valerius genannt, ich mag wollen oder nicht —
Ganz Recht, nahm die Fürſtin die Rede auf, und ließ ſich ihren Handſchuh wieder geben — dies Land der Ariſtokratie iſt darin liebenswürdig, die kleine adelige Gewürzkrämerei Deutſchlands iſt ihnen unbekannt — ein freier unabhängiger Mann iſt ein Edelmann — aber antworten Sie doch, Herr von Valerius, wie geht’s Jhnen — laſſen Sie mir dieſen Namen: Herr von Valerius; ich muß Jhnen die Schwäche geſtehn, daß es mir leichter iſt, als das harte Herr Valerius. Dies „ von “iſt mir durch163 die Gewohnheit ſo nothwendig geworden, man iſt in Deutſchland nur mit ſolchen Leuten umgeben, die es führen, Sie ſind mir fremder, wenn ich es weg - laſſe, und ich möchte nicht gern, Herr von Valerius, daß Sie mir fremder ſeien, als Sie ſich ohnedies machen. Antworten Sie mir recht offen: wie geht’s Jhnen? Sind Sie glücklich, ſind Sie zufrieden?
Valerius ſchüttelte wehmüthig den Kopf.
Das freut mich — Sie werden mich nicht miß - verſtehn, Sie ſind ein Poet, und errathen meinen Jdeengang, oder doch irgend einen. Es ſoll Jhnen nicht gut gehn bei dieſem thörichten Leben — die Menſchen ſind der Opfer nicht werth, und warum vernachläſſigen Sie diejenigen, die Jhnen nahe ſtehn, um in’s Blaue hinaus für die Menſchheit zu wir - ken! Was iſt die Menſchheit? Der Menſch, der neben Jhnen ſteht. Sprechen Sie nichts darüber, ich bitte; ein andermal, nicht hier. Kennen Sie dort das ſchöne Mädchen, bei deſſen Anblick ſich vorhin Jhr trauriges Geſicht belebte? — Ja, ja, ich habe Sie beobachtet, wären Sie ein andrer Mann, ſo würde ich glauben, jene unerfahrnen jungen Augen hätten eben in aller Unſchuld Jhr Herz getroffen,164 aber Sie haben keine Zeit zu ſolchen Dingen, Jhre hiſtoriſchen Gedanken laſſen Sie nicht zu Privat - neigungen kommen. Nicht wahr, ich kenne Sie? — Jndeſſen, gerade die große Jugend dieſes ſchönen Mädchens könnte Jhnen gefährlich werden, ich weiß, Sie ſuchen jene Unbefangenheit, weil Sie eine dunkle Ahnung haben mögen, daß ſie Jhnen ſelbſt fehlt. — Jhr Geſicht voll Verwunderung, Herr von Vale - rius, iſt für mich ſehr unterhaltend, es ſteht Jhnen völlig neu und originell, da ſie ſonſt immer Alles wiſſen und durch nichts überraſcht werden, oder wenig - ſtens durch nichts ſich überraſchen laſſen. Es iſt da nichts zum Verwundern, wir Frauen bemerken es nebenbei, ohne daß wir handwerksmäßig auf das Beobachten ausgehen, und unſre Bemerkungen ſind oft tiefer, weil es die ſchnellen Gefühle ſind, von denen ſie uns zugetragen werden. Faſt jede Frau betrachtet eine neue Männerbekanntſchaft mit den Beziehungen der Liebe, der Mann mag noch ſo reiz - los und unintereſſant ſein, die Frau forſcht überall an ihm, ob nichts Liebenswürdiges aufzufinden ſei, und ſo lange ſie nicht vom Gegentheil überzeugt iſt, wird ihr der Mann nicht völlig gleichgültig. 165Das Lieben und Geliebtwerden iſt nun einmal unſer Element — natürlich iſt es dabei nicht immer auf Liebesverhältniſſe abgeſehn, was man ſo zu nennen beliebt, ſondern nur auf die Frage des Jntereſſes oder der Gleichgültigkeit. Jch bin aufrichtig, und ſage, was die meiſten Frauen verſchweigen. Sie können nun aber auch meinen Beobachtungen Glau - ben ſchenken und ſie der Berückſichtigung werth achten — lieben Sie jenes Mädchen, oder ſind Sie auf dem Wege ſie zu lieben? Geſchwind, ohne Ausflucht. —
Valerius lächelte, und geſtand, daß ihm Hedwig heut zum erſten Mal als ein ſchönes Mädchen aufgefallen ſei, übrigens drückte er nicht ohne eine leichte Jronie der Fürſtin ſeine Verwunderung aus über ſolch ein plötzliches und ungewöhnliches Verhör. —
Jch glaub’ es, fiel ſie ihm ſchnell in die Rede, und eine leichte Röthe flog über ihr Angeſicht, ich glaub’ es; Hiſtoriker wie Sie begreifen das nicht. Das ſind die Staatsangelegenheiten der Weiber, in dieſem Fache müſſen wir von Allem genau unter - richtet ſein; wir haben auch unſre hiſtoriſchen Jnter - eſſen. Wer wird auch ſo ungezogen ſein, und eine166 Dame gleich bei der erſten Begrüßung fragen, was ſie plötzlich aus Deutſchland nach Polen geführt habe. Sie müſſen ſich diplomatiſch ausbilden; nach dem Zweck und Ende fragt man wie billig eben am Ende, wenn man ſich die Hand zum Abſchiede drückt. Jch langweilte mich in Deutſchland, mein lieber Lands - mann, ich ſehe die Menſchen am liebſten in ihren Leidenſchaften, da tritt alle Schönheit, aller Reſt von Göttlichkeit hervor, da iſt das Leben aus dem Sumpfe der Gewöhnlichkeit erhoben, ich habe nicht Luſt, meine Jugend reizlos hinzubringen — die Zeit kommt früh genug, wo man nicht mehr reizt, nicht mehr gereizt wird, und nichts Beſſeres thun kann, als leſen und denken und philoſophiren, und Be - friedigung und Ruhe nach innen und außen ſuchen. Was mir Jntereſſe verſpricht, das ſuch’ ich auf — wenn Sie durchaus Tugend haben wollen, nun wohl, ich halte das für Tugend, Gottes Welt ſo ſchön zu finden, als es unſre Kräfte nur immer erlauben.
Alſo Sie kennen dies Mädchen ſchon länger? Erzählen Sie mir doch, was Sie hier für ein Leben getrieben haben — armer Mann, der ſchwere Hieb167 über den Kopf konnte Sie tödten. So viel iſt doch die Geſchichtskenntniß nicht werth. Freilich, was iſt der Mann, der nicht mit dem Leben zu ſpielen vermag, — Sie haben ganz Recht, und die Schmarre und der Schnurrbart ſtehn Jhnen gut. Bei ſolchen denkenden Leuten haben die Beweiſe des männlichen Muthes etwas Rührendes, bei den leeren Köpfen ſieht es leicht ſo aus, als gehörte das zum Hand - werk. Aber Sie müſſen noch leiden, die Wunde hat noch ein friſches Anſehn, ein ganz friſches, Sie Armer. Nicht wahr, Sie werden dem Kicki folgen, und ſich eine Zeitlang ſchonen, nicht wahr? Es iſt mir ganz neu an Jhnen, daß Sie ſo freundlich lächeln und eine ſchwatzhafte Frau ſo liebenswürdig anhören können. —
Jndeſſen, mein junger Landsmann, Sie müſſen ein andres Leben hier beginnen, wenn Sie nicht in vage, gefährliche Verwirrniſſe gerathen wollen. Wo waren Sie heut Abend, ehe Sie ſo ſpät in dieſem Saale erſchienen?
Valerius ſah ſie verwundert an.
Jm „ patriotiſchen Klub “waren Sie, mitten unter den wildeſten, exaltirteſten Demokraten, mit168 denen in Kurzem der offne Kampf losbrechen wird — laſſen Sie dieſe ultrademokratiſchen Dinge, die Jhnen gar nicht einmal ſo natürlich ſind, als Sie glauben. Sie haben ſich vielmehr dieſe Grundſätze als eine Art von Tugend angeeignet, weil Sie aus Trieb nach Charakterſtärke eine Art Schwärmer ſind, ein Syſtematiker —
Hier unterbrach der Graf Kicki die Fürſtin, und führte ſie zur Tafel. Valerius ſtand überraſcht von all den plötzlichen Erſcheinungen, die wie ein luſtiges Gewitter über ihn hereingebrochen waren, und be - merkte es kaum, daß Hedwig und Stanislaus zu ihm traten, und daß das fröhliche Mädchen über ſeine Geiſtesabweſenheit lachte. Aber er fühlte es mit innigem Behagen, als ſie ihren Arm in den ſeinen legte. Den andern reichte ſie Stanislaus und unter ihren Scherzen und liebenswürdigen Vor - würfen, daß der Herr von Valerius ſie auf eine abſcheuliche Weiſe ignorirt und kaum von Weitem gegrüßt habe, kamen ſie in den Speiſeſaal. Die Fürſtin ſaß nicht weit von ihnen, und ihre Augen ſahen mit einem ſeltnen Gemiſch von Wehmuth und Lebhaftigkeit auf den jungen Deutſchen, wenn er169 angelegentlich mit Hedwig plauderte, und wenn ſeine Augen mit unverhehltem Wohlgefallen auf den Zügen des glänzenden Mädchens ruhten. Sie ſaß dicht neben ihm, und wenn ſie eilig eine Bemerkung mitzutheilen hatte, da war ihre rothe Wange, ihr fröhlicher, kleiner Mund ſo dicht an dem bleichen Geſichte des Nachbars, daß ſelbſt ein unbefangner Zuſchauer hätte glauben können, ſtatt der Worte würden einmal plötzlich Küſſe gewechſelt werden.
Stanislaus ſaß ohne Aufmerkſamkeit für die beiden ſchwatzenden Leute neben ihnen. „ Jch bin nur neu - gierig “, ſagte Hedwig, „ was aus uns beiden Ver - lobten werden ſoll, wenn wir immer ſo wenig Zeit für einander haben — ſehen Sie nur, wie Stanis - laus unverwandten Auges da hinüber kuckt nach jenem alten Schnurrbart, ich wollte, Sie wären mein Ver - lobter, Valerius, Sie erzählen mir doch hübſche Geſchichten — aber ſind Sie auch ſo gut, ſo gut und lieb wie Stanislaus? Sie glauben es nicht, wie ſehr er’s iſt, wie ſehr! “
Und denken Sie gar nicht an den armen Joel? ſprach leiſe Valerius.
III. 8170Hedwig erröthete, ſchlug die Augen nieder, und ſagte nach einer Weile mit noch leiſerer Stimme: Ach der arme Joel! — Aber — ach, was weiß ich —
Als die Tafel aufgehoben wurde, geleiteten die beiden jungen Männer Hedwig an den Wagen, ſie war müde und ſchläfrig, und ſagte ihnen kaum „ gute Nacht “. Beide ſtiegen die Treppen wieder hinauf, da begegnete ihnen jener alte Schnurrbart, den Stanislaus während des Eſſens unabläſſig be - trachtet hatte. Es war ein bejahrter ſtattlicher Mann, ſein hartes und ſtolzes Geſicht war von einem ſtarken grauen Knebelbarte beſchattet, einem feineren Be - obachter entgingen aber jene Winkel ſeiner Züge nicht, in welchen eine lauernde Verſtellung, oder Liſt oder Geſchmeidigkeit kauerte; es war nicht leicht, das richtige Wort dafür zu finden. Seine Kleidung war ſehr einfach und unſcheinbar, aber national, der Bediente reichte ihm einen alten Militairmantel, und Stanislaus, der ſich ſchnell bei ſeinem Freunde ver - abſchiedete, und mit jenem Alten die Treppe wieder hinabſtieg, nannte ihn „ Herr General. “—
Es kamen indeß mehr Gäſte, die ſich entfern - ten; Valerius fürchtete, ſeine ſchöne Landsmännin171 nicht mehr zu finden, er ließ ſich keine Zeit, nach dem Namen dieſer Erſcheinung zu fragen, die ihm intereſſant war.
Die Fürſtin ging im Saale auf und nieder, umringt von einer Menge polniſcher Herren. Jhre Schönheit hatte die lebhaften Männer angezogen, und ihr gewandter Geiſt ſpielte mit den feurigen Huldigungen, welche dieſe Nation mit dem ihr eignen ritterlichen Ungeſtüm darbrachte, und immer eifriger darbrachte, je ſpröder, leichter und vornehmer die Fürſtin dergleichen aufnahm. Keiner ſah ſich ſon - derlich beachtet, Jeder war zuverſichtlich, und ihr Eifer, die Aufmerkſamkeit der reizenden Frau zu feſſeln, wurde immer lebhafter, je weniger Conſtan - tie davon Notiz nahm. So bildete ſich jene ſtür - miſche Unterhaltung um ſie her, wo im Grunde Niemand Antheil an dem Gegenſtande des Geſprächs nimmt, obwohl Alle dafür zu glühen ſcheinen, jene Unterhaltung des Egoismus, wo nur Jeder hervor - zutreten trachtet. —
Valerius hörte eine Zeitlang hin, und folgte mechaniſch der Gruppe; die Fürſtin ſah ihn nicht, und es ſchien ihm, als läge ein ungewöhnlicher Ernſt172 auf ihrem Geſichte, ein Ausdruck von Kummer, den er niemals auf dieſen ungetrübten Formen erblickt hatte. Jn der Mitte des Saales wartete er, bis die Gruppe vom andern Ende wieder zurückkam, dann ging er ihr entgegen. Denn die Flanken dieſer Schlachtordnung waren ſo ſtark beſetzt, daß man zu der belagerten Feſtung nicht durchzudringen vermochte. Conſtantie lächelte, als ſie ihn kommen ſah, es lag Freude, Wehmuth und auch etwas Stolz auf den ſchönen Lippen — „ à propos, rief ſie ihm entgegen, ich habe Briefe von Jhren Freunden aus Deutſch - land für Sie mitgebracht “, und nach dieſen Wor - ten ſagte ſie den Herren „ Gute Nacht “, ergriff den Arm des Grafen Kicki, und verließ den Saal. Valerius ging ebenfalls nach ſeinem Mantel; der Gedanke an die deutſchen Briefe erfüllte ſeinen Geiſt, und träumeriſch ſtieg er die Treppe hinab. „ Gute Nacht, lieber Träumer “flüſterte kaum hörbar eine deutſche Stimme neben ihm. Als er ſich ermunterte, ſah er den Grafen und die Fürſtin vor ſich hin eilen, und ein Schwarm von jener Gruppe aus dem Saale ſtürmte an ihm vorüber nach der Thür. Dort ſchwangen ſie ſich raſch auf ihre Pferde, und beglei -173 teten den Wagen Conſtantiens. Dieſe ungewöhnliche Kourtoiſie machte einen angenehmen Eindruck auf Valerius. Man ſieht gern das Heimiſche geehrt in der Fremde. Er glaubte wenigſtens, dies ſei der Grund ſeines Wohlgefallens an dieſer Scene.
Es war ſpät in der Nacht, aber der Mond ſchien noch in lichten Strahlen. Valerius war ſo erfüllt von Gedanken, Träumen, unklaren Wünſchen, daß er ſeine Wohnung noch nicht ſuchen mochte. Er wanderte durch die ſtillen Straßen, und war bald wieder auf der Weichſelbrücke. Wie ſo ganz anders ſahen ihn jetzt die Wellen des Fluſſes, die Sterne, die Mondesſtrahlen, die dunkel gewordnen Fenſter der Palläſte an; denn die äußeren Dinge erhalten erſt ihre Augen und ihre Sprache von unſerm Her - zen. Selbſt die trüben weltgeſchichtlichen Gedanken, die ihn vor wenig Stunden hier zu Boden drück - ten, ſie waren verſchwunden, und wenn er ſie her - beirief, ſo lächelten ſie, als hätten ſie ihren Scherz mit ihm getrieben.
175„ Es iſt wirklich eine Maskerade, “ſprach er vor ſich hin, „ dies wunderliche Leben bis in das geheimſte Treiben unſerer Gedanken hinein, und es kommt nur auf die Beleuchtung an, ob ſie ein ſchauerli - ches oder ein luſtiges Anſehn haben ſoll. Solch eine gewöhnliche Redensart: das Leben iſt eine Maskerade, und doch ſo tief und ſo richtig! Jm Grunde ſind in den vulgärſten Sprichwörtern und Phraſen alle Wahrheiten längſt aufgefunden, und es iſt thöricht, ſich darum zu quälen. Man ver - liert ſein Leben, und die Welt gewinnt nichts Neues. “— —
Aber ſein grübelnder Charakter verließ ihn auch in dieſem Augenblicke nicht, auch von ſeinen glück - lichen Momenten verlangte er Rechenſchaft. Er erin - nerte ſich einer Zeit, wo dieſe Fürſtin Conſtantie einen durchaus ungünſtigen Eindruck auf ihn gemacht hatte: ihr männlicher Stolz, ihre Keckheit, des Lebens Freuden wie eine Titanin an ſich zu reißen, hatte ihm mißfallen, entſchieden mißfallen. Und er konnte ſich doch nicht leugnen, daß ihre plötzliche Erſcheinung ihn jetzt mit einer Art Zauber überwältigt hatte. Aber er leugnete ſich’s. Stanislaus und der tieſe Blick, den176 er in ein ſo edles, ſo vortreffliches Herz gethan hatte, die Ueberzeugung, welche er dadurch gewon - nen, jenes romantiſche Polen, für das er ausge - zogen von ſeiner Heimath, exiſtire wirklich, Hedwig mit dem Schimmer ihrer lieblichen Jugend, die ganze kräftige Freude des Feſtes — das Alles, glaubte er, habe ſeinen Trübſinn verſcheucht. Und die Fürſtin hat wohl auch dazu beigetragen, ſetzte er leiſe hinzu. Sie erinnert mich an die ſchönen Tage in meiner Heimath, an das poetiſche Grün - ſchloß, an meine innige Camilla! Jch habe Dir verſprochen, Camilla, Dein zu gedenken, und Dich zu küſſen, wenn ich mich freue, vergieb, daß es ſeit ſo langer Zeit zum erſten Male geſchieht. —
Während er wieder nach der Stadt zurückkehrte, erkämpfte er von ſeiner Eitelkeit noch einen neuen Grund, und da es eben eine verſtockte Eitelkeit war, die er ſich in ſeinem früheren ſo abgemachten und ſicheren Weſen zum Vorwurf machte, ſo verfolgte er mit der Strenge eines Büßers jeden Sieg, den er über dieſe Schwäche zu erringen glaubte. Sie iſt die Schweſter des Eigennutzes, und dieſer der Erb - feind aller Bildung, ſagte er, um ſich in eine177 erhöhte Stimmung zu bringen, und dadurch ſeinen Fehler deſto lebhafter zu empfinden. Sie hat von jeher die beſten Menſchen, und ſomit die beſten Prinzipien unterjocht, die Führer und Träger neuer großer Jdeen haben ſich von der alten verderbten Welt bethören laſſen durch eitlen Prunk und Glanz, ſo iſt Cäſar, ſo Napoleon erlegen, ſo ſind tauſend weniger Bekannte immer wieder zurückgezogen wor - den unter den Troß der Gewöhnlichkeit.
Er glaubte nämlich, ein geheimes Etwas in ihm ſei geſchmeichelt oder beſtochen vom Range der Für - ſtin, und die mehr als gewöhnliche Auszeichnung, mit der ſie ihm begegne, mache darum einen ſo günſtigen Eindruck auf ihn, weil ſie von einer Für - ſtin ausgehe.
Sein ganzer demokratiſcher Stolz empörte ſich dagegen, aber was helfen Grundſätze gegen aner - zogne Schwächen! Jn unſerm Zeitalter der großen Standesunterſchiede wächſt mit einem großen Theile der niedriger Gebornen ein verborgner irdiſcher Him - mel auf, in welchem die höheren Stände ſich bewe - gen, nach welchem der Geiſt ſtrebt, ohne es zu wiſſen. Denn dieſer wunderliche Himmel liegt wie8 *178eine unklare, ungeſtaltete Ahnung in dieſen Menſchen, und wenn ſie mit vornehmen Leuten in genaue Lebensverhältniſſe kommen, ſo fühlen ſie ſich in einer erhabenern Sphäre, und doppelt glücklich, ohne daß ihr Stolz die richtige Deutung dieſer Jllu - ſion auffinden läßt. Das ſchreitet vom Bauer zum Bürger, vom Adligen zum Fürſten, und durch alle Mittelglieder dieſer Stände. Es hilft nichts dage - gen als ein troſtloſer Jndifferentismus, der keine Reize kennt, und die poetiſchen Menſchen verfallen am Erſten in dieſe Jlluſion. Denn der Begabteſte ſucht vor allem nach vollkommnern Zuſtänden. Dieſe Jlluſion völlig verwiſchen, hieße die platte Proſa ins Leben einführen, und die edleren Demokraten wollen wohl nicht alle Unterſchiede aufheben, ſondern ſie mildern, ſie auf richtigere Unterſchieds-Merkmale gründen, und die Ausſicht auf eine einſtige völlige Ausgleichung eröffnen. Denn ſie glauben an ein zukünftiges Aeußerſtes der menſchlichen Civiliſation.
Aber all dieſe Dinge, welche ſich Valerius auf dem Wege nach ſeiner Wohnung vorſprach, halfen ihm nicht von dem unbehaglichen Gefühle, was in ihm erregt war. Jenes geheime Etwas — jenes179 geheime Etwas, das glaubte er wie ein Wild ver - folgen zu müſſen, das war der unbeſtimmte Makel, auf den er alle ſeine Aufmerkſamkeit richten wollte.
Darüber hatte er ſich in den Straßen verirrt, und war in eine enge Sackgaſſe gerathen. Das Quergebäude, was die Gaſſe ſchloß, hatte ein gro - ßes Thor, er glaubte eine Spalte davon offen und einen Menſchen zwiſchen den Flügeln zu ſehen. Der Mondſchein fiel eben auf das Thor, Valerius ſah, daß der Menſch eingeſchlafen war, er wußte indeſ - ſen keinen Ausweg aus dieſem Straßengewinde, und ſah ſich genöthigt, den Schläfer zu wecken, um Beſcheid zu erhalten. Als er ihn rüttelte und nach dem Wege fragte, fuhr dieſer beſtürzt in die Höhe — ja, ja, Herr! — nahm Valerius bei der Hand und führte ihn durch einen ſchmalen, dunklen Hof, nach einem alten Stallgebäude. Dabei bat er fortwährend mit leiſer Stimme, der Herr möge ihn nur nicht verrathen, daß er geſchlafen, er müſſe den ganzen Tag Holz hauen, um ſein krankes Weib und ſeine Kinder zu ernähren, und es ſei jetzt ſchon die dritte Nacht, daß er am Thore ſtehen, und den Fremden den Weg weiſen müſſe, da ſei es ihm180 wohl zu vergeben. Dies und dergleichen ſprach der Mann, und ehe noch Valerius über die wunderliche Erſcheinung zu ſich gekommen war, und ein Wort geſprochen hatte, ſah er ſich von dem Führer in das Stallgebäude geſchoben.
Jn dem weiten Raume brannten nur einige Handlaternen, welche durch die Hände, in denen ſie ſchwankten, ihr flüchtiges Licht bald hier, bald dort - hin verbreiteten. Bei dieſen Streiflichtern erkannte Valerius, daß er unter eine Verſammlung gerathen ſei, die ſich eben aufzulöſen ſchien. Niemand hatte ſein Eintreten bemerkt, wenigſtens nahm Niemand Notiz davon. Er hörte noch die Worte: Alſo nichts von Skrzynecki, Alles für den Alten, und den Tod den Hunden — und ein beifälliges Gemurmel. Die Verſammlung zerſtreute ſich; und Valerius hüllte ſich tief in den Mantel, und ging mit von dannen, als ob er zu ihnen gehörte. Die Laternen waren verlöſcht, er konnte Niemand erkennen. Drin - nen glaubte er einige bärtige Bauerngeſichter erblickt zu haben, ein flüchtiger Mondblick zeigte ihm einige Militairmäntel, die vor ihm aus dem Thore tra - ten, an welchem der ſchläfrige Pförtner mit abge -181 zogener Mütze ſtand. Es war ein altes zerhacktes Geſicht, ein rother Säbelhieb lief wie ein Blutſtrich über daſſelbe. Er lächelte vertraulich, als Valerius vorbeiſchritt, und flüſterte ihm in’s Ohr: Herr, das lohnte ja nicht der Mühe.
Ein Theil der Verſammlung, die nicht eben zahlreich zu ſein ſchien, blieb noch im Hofe zurück, wahrſcheinlich, um kein Aufſehn durch ihre Menge zu erregen. Der erſte Theil, mit welchem Valerius fortſchritt, zertheilte ſich ebenfalls am Ende der Sackgaſſe, und dieſer ſchlug auf gut Glück den erſten beſten Weg ein, denn er hielt es nicht für rathſam, hier zu fragen. Es iſt immer gefährlicher zu Viel zu wiſſen, als zu wenig. Ein Bauer war ihm gefolgt, und es ſchien ihm, als ob er ſchon am Thore aufmerkſam von demſelben Geſellen betrachtet worden ſei. Der Mond trat eben in eine Lücke der Häuſer, und das Geſicht des Bauers beugte ſich plötzlich vor das ſeine. Es war Slodo - zek, der ihn forſchend anſah, und gleich darauf wie ein Pfeil einem Trupp der Uebrigen nachſtürzte, deren Schritte man noch in der Ferne hörte. Vale - rius erkannte das Drängende der Gefahr, und ging182 raſchen Schrittes nach der entgegengeſetzten Seite. Jm Gehen zog er leiſe ſeinen Säbel aus der Scheide, und drückte ihn unter den Arm. Schritte kamen hinter ihm drein; ſie konnten aber auch dem zwei - ten Trupp angehören, ſchnelles Laufen konnte ihn am leichteſten verdächtigen. Es bot ſich eben eine Querſtraße, er bog haſtig hinein, und rannte an eine Geſtalt, der Mantel flog ihm zurück, ſein nack - ter Säbel flimmerte in der Dunkelheit.
Pardon, ſprach eine höfliche Stimme. Die Tritte näherten ſich ſchnell. Valerius fragte den Unbekannten, der eben ſo in ſeinen Mantel ver - graben zu ſein ſchien, nach welcher Richtung zu der ſächſiſche Platz läge. Die Stimme gab Beſcheid, und er ging raſch die Quergaſſe entlang und bog in eine breitere Straße. Eine reitende Patrouille begegnete ihm, und er hatte nichts mehr von jenen Schritten zu beſorgen. Jene Stimme beſchäftigte ihn aber, er glaubte ſie ſchon gehört zu haben, es ſchien ihm, als hätte ſie die Worte „ Joachim Lele - vel “geſprochen.
Jetzt ſah er ſich auf bekanntem Wege, es war die Straße, in welcher Hedwig wohnte. Als er an183 dem Hauſe vorbeiging, welches ihrer Wohnung gegenüberlag, glaubte er eine Bewegung unter der dunklen Hausthüre zu bemerken. Genauer hinſehend erkannte er eine Mannsfigur, die in den Mantel gehüllt am Boden lag — ein ſchwerer Seufzer drang zu ihm auf. Valerius dachte, es ſei ein Verunglückter, welcher der Unterſtützung bedürfe; er neigte ſich zu ihm, und fragte nach ſeinem Schmerze und ob er helfen könne. Eine kalte Hand legte ſich in die ſeine, und eine Stimme wie aus den tiefſten Gräbern ſprach: Valerius, mir kann Niemand helfen, ich bin ein Jude.
Dabei richtete ſich die Figur langſam auf, und trat aus der Vertiefung des Portals — die bleichen Mondesſtrahlen fielen auf Joels bleiches Geſicht. Er drückte dem Valerius die Hand, warf noch einen Blick auf das gegenüberſtehende Haus, und ſchritt in die Nacht hinein. —
Das Schickſal ſchien in dieſer Nacht keine gleich - mäßige Stimmung in Valerius dulden zu wollen. Wie betäubt von den mannigfachen Wechſeln kam er nach Hauſe, und warf ſich auf’s Lager. Er wollte nichts mehr denken, nichts mehr überlegen, nichts184 fürchten, nichts hoffen, da er ſich ſolchergeſtalt in der Hand von allerlei Zufällen ſah, welche ihr höh - nendes Spiel mit ihm trieben.
Aber unſre Gedanken ſind eben der Himmel oder die Hölle, welchen wir nicht entfliehen können, ſelbſt im Schlaf nicht entfliehen können. Denn auch die Träume ſtehen in ihrem Dienſte. Und es will uns ſogar manchmal bedünken, als ſtreckten gerade in die Träume fremde Mächte dreiſter als ſonſt wohin ihre Hände: im Schlafe ſehen wir Gedanken und Bilder ausgewachſen vor uns ſtehn, deren An - fänge wir kaum in unſerm Herzen empfunden haben. Unſere Bildung wird in den Träumen ſogar verarbeitet und oft neu gewendet und gerichtet, unſre Selbſtſtändigkeit iſt zu Ende, aber unſre Kräfte ſind gewachſen, wir empfinden uns freudig oder ſchmerzlich als unmittelbare Werkzeuge höherer Ge - walten. Darum ließen ſchon die älteſten Völker im Traume die Götter kommen, und mit Menſchen ſprechen.
Darum nennen wir noch oft die begabteſten Menſchen, die Poeten, Träumer, weil wir ſie erfüllt ſehen von übergewöhnlichen Kräften, von185 göttlichen Worten und Gedanken, die ihnen nur direkt von der Gottheit gekommen ſein können im Schlaf und Traume. Wenn es ein Mittel giebt, die Zukunft zu errathen, ſo liegt es gewiß in den Träumen.
Dieſe Kenntniß der Zukunft war aber eben jene Frucht vom Baume der Erkenntniß, welche die neu - gierige Eva naſchte, und die ihr den Tod bereitete. Die Erfüllung iſt der Tod des Wunſches, und wer nicht mehr wünſchen und hoffen kann, der iſt des Todes.
Solch ein Erkenntnißtraum ſinkt oft in den Morgennächten auf die Menſchen herab, aber der Himmel iſt freundlich wie immer, und hüllt ihn in ſeine romantiſchen Nebel; nur wenn man in der ſpäteren Zeit wieder einen Theil jenes Traumes erfüllt glaubt, da dichtet man eine nächſte Folge, aber man weiß ſie nicht, und kann in Furcht und Hoffnung weiter leben.
Warum ſoll man dieſe Offenbarung nicht glau - ben? Webt ſie doch nur aus den Anlagen und Kräften, aus den verborgenen Gedanken des Schlä - fers ſeine Zukunft!
113[186]Das waren die träumeriſchen Dinge, welche den halbſchlafenden Valerius in jenen Morgenſtunden umflatterten; welch eine Geſchichte aber mitten in dieſen Gedanken durch ſeine Seele hinzog, davon wußte er am andern Morgen nur noch einzelne Stücke. Jm Verlauf des Lebens dichtete er ſich einen Zuſammenhang.
Die Vormittagsſonne weckte Valerius aus ſeinen Träumen, und brachte ihm, wie ſie es ſtets that, die Hoffnung auf einen lebendigen, heitern Tag, auf eine lichte Zukunft. Er ſchrieb’s auch dieſen Sonnenſtrahlen zu, daß er ſein Herz ſo ahnungs - reich und fröhlich bewegt fühlte, als ſtünden ihm große Freuden bevor. Er hatte es zwar nicht ver - geſſen, daß er ſich Briefe bei der Fürſtin holen ſollte, aber er meinte, dieſe ſchöne verführeriſche Frau habe keinen Antheil an ſeiner angenehmen Stimmung, und er werde auch heute noch nicht zu ihr gehen.
Mit dieſen herumſpielenden Gedanken legte er ſich in’s Fenſter, mitten in’s Gold der Sonne hinein, und athmete heiter die milde Winterluft. Das Fenſter führte nach der ſüdöſtlichen Fläche vor188 Warſchau, und die Waffen der manöverirenden Truppen, welche dort herumſchwärmten, blitzten weithin wie ein Funkenregen. Noch war auf dieſer deutſchen Seite der Stadt kein Feind zu erwarten, und ſelbſt Valerius ließ ſich die Möglichkeit nicht träumen, daß noch in demſelben Jahre von jener beſonnten Ebene der neue Untergang des polniſchen Volks in die Thore ziehen werde. Seine traurigen Gedanken waren überhaupt in den Hintergrund ge - drängt, und er ertappte ſich bald nur auf der Frage: gehſt Du heut zur Fürſtin, oder nicht? Er mußte über ſich ſelbſt lachen, und ſich eingeſtehen, daß es wieder ein Stückchen jenes geheimen Etwas, jener Eitelkeit, daß es Koquetterie ſei, wenn er nicht hin - gehe. Du willſt Dich rar machen, den Unintereſſir - ten ſpielen, ſagte er ſich ſpottend. Aber es kam heute nichts Ernſthaftes in ihm auf, die Zeit der Vorwürfe gegen ſich ſelbſt ſchien vorüber zu ſein: es iſt auch langweilig und abgeſchmackt, ſich fortwährend zu hof - meiſtern — dachte er — wir wollen einmal meine Erziehung und die Erziehung des Menſchengeſchlechts eine Zeitlang auf ſich beruhen laſſen. Magyac mußte das Pferd ſatteln, und er ritt ſpazieren, hinaus in189 die Sonne, und wenn das Pferd gelaufen wäre bis in’s heiße Afrika. O, es entwickelt ſich ein ſo ſchönes, geſundes Leben unſers Geiſtes und Herzens, wenn wir zu Wagen oder zu Pferde dahin geriſſen werden in die reine Gottesluft, Kopf und Herz werden durch keine Mühſeligkeit des Körpers geſtört und der Muth wächſt hoch in die Wolken. Der Muth iſt aber der eigentliche Lebensſtoff, welcher überall das Größte erzeugt in Thaten und Gedanken.
Es flog ſein Gaul an einem Phaeton vorüber, aus welchem er ſeinen Namen zu hören glaubte. Aber es that ihm weh, dem luſtigen Pferde das eiſerne Gebiß einzudrücken, und ſeinen Lauf zu hem - men. Wie oft ſeufzen wir gegen die Macht, wenn ſie uns durch Schmerzen zügelt, wo wir mit vollen Segeln dahin ſtreichen möchten! Und ein feines Gefühl ſetzt unſre Verhältniſſe leicht fort im Um - gange mit lieben Thieren. Liegt doch namentlich im Pferde ſo viel Schönheit und Adel, daß es den Menſchen nur zu leicht an ein verwandeltes, unglückliches Geſchlecht gemahnt, und ſeine Freund - lichkeit und ſanfte Hand in Anſpruch nimmt. Vale - rius kehrte alſo erſt um, als das Pferd ſeine Luſt190 gebüßt hatte, und ſuchte nun den Wagen wieder zu erreichen, um zu ſehen, ob er ſich geirrt habe oder nicht. Dieſer ſchien ſeine Richtung nach den Truppen hin zu nehmen, welche ſich auf der Fläche herumſchwenkten. Jetzt hielt er ſtill, Valerius ſah einen Reiter mit einem Handpferde anſprengen, ein Soldat ſprang aus dem Wagen, beſtieg das Pferd, und ritt zu den Truppen. Federn von Da - menhüten wehten über das zurückgeſchlagene Verdeck der Kutſche, Valerius näherte ſich langſam.
„ Da kommt der Unartige ganz langſam ange - ſchlichen! “
Das war Hedwig, und die Fürſtin ſaß neben ihr. Sie war Gaſt im Hauſe von Stanislaus Eltern. Dieſer war der Reiter geweſen, deſſen Regiment hier manöverirte, Conſtantie wollte die Truppenbewegungen anſehen.
Sie begrüßte ihren Landsmann auf das freund - lichſte, ja es lag ein Schmelz von Jnnigkeit in ihren Fragen, wie es ihm gehe, was er denke, ob ihn der ſchöne Morgen nicht erquicke? daß auch ſeine Antworten und Reden zutraulicher und herz - licher wurden als gewöhnlich.
191„ Jch habe Sie ja noch nie ſo munter geſehen, Herr von Valerius, rief Hedwig in ihrer jugend - lichen Heiterkeit, Sie haben ſogar einmal rothe Wangen — und jetzt noch röthere. “
Das thut die Sonne, liebes Fräulein, die Sonne —
„ Ja, die Sonne — es hat ein Jeder ſeine Sonne. “—
Da brauste das Uhlanenregiment vorüber, Graf Kicki in der ſchimmernden Uniform an der Spitze; er neigte den Degen, als er in die Linie des Wa - gens kam, und die ſchlanken Reiter, die flatternden Fähnlein, die blitzenden Waffen, das Gewieher und der Trott der Pferde gewährten den luſtigſten krie - geriſchen Eindruck von der Welt.
„ Wie können Sie denn in der Jrre herum - reiten, ſchwarz angethan wie ein Trauernder, wäh - rend Jhr Regiment im bunten Glanze die Revue paſſirt? Sind Sie denn Jhres Dienſtes entlaſſen? “
Ja, mein Fräulein Wunderhold, ich habe mich aus dem Waffendienſt in den Augendienſt begeben, und ich harre der Befehle — man hält mich für unbrauchbar zum Soldaten, und ſpricht von mir192 wie Don Juan von ſeiner verabſchiedeten Geliebten: Jhr Kopf hat ſehr gelitten —
Valerius erkundigte ſich nach der alten Gräfin, und hörte: daß ſie ſich noch eben ſo befände, wie ſie ſich ſeit einigen dreißig Jahren befunden habe — aber dieſer Krieg, ſetzte Hedwig traurig hinzu, wird wohl das Ende ihres Lebens ſein. Siegen wir, ſo ſtirbt ſie vor Freude, und werden wir von Neuem unterjocht, ſo ſtirbt ſie vor Kummer. —
— Es flogen Wolken über den Himmel, die Sonne ward bedeckt, und bald fiel ein trüber Re - gen. Sie eilten nach der Stadt zurück, Valerius verſprach, um die Theezeit ſeinen Beſuch zu machen, und ſo trennten ſie ſich.
Dieſer plötzliche Wechſel vom ſchimmernden Son - nenſcheine zum grauen trübſeligen Regenwetter ver - düſterte ſeinen Sinn, der nur gar zu geneigt war, ſich dunklen Ahnungen hinzugeben, wenn der Him - mel ſeine Anzeigen zu ſenden ſchien. Sein Geiſt kämpfte gegen den Aberglauben, aber ſein Herz dafür. Von demſelben Fenſter ſeiner Wohnung, aus dem er noch vor Kurzem die freudeſtrahlenden Waffen der polniſchen Soldaten geſehen hatte,193 erblickte er jetzt mit Mühe durch die düſtre Luft dunkle heimkehrende Schaaren; es war ihm einen Augenblick, als weine das ganze Volk, vom Him - mel und Glück verlaſſen.
Er rief Magyac, und fragte ihn haſtig, ob er geſtern das erſte Mal im patriotiſchen Klub geweſen ſei. Jn dem Augenblicke kam ihm erſt jene befremdliche Aeußerung der Fürſtin wieder in’s Gedächtniß, die eine Stunde nach ſeiner Anweſen - heit in der demokratiſchen Verſammlung bereits davon gewußt habe. Nichts verſtimmt offne, red - liche Menſchen mehr, als die Ueberzeugung, um - ſchlichen und behorcht zu werden; es belaſtet ſie wie ein böſes Gewiſſen, und das iſt das Aergſte, was ſie fürchten.
Nein, Herr, antwortete Magyac, zum zweiten Male. Er verſicherte, Valerius gar nicht geſehen, noch weniger gegen Jemand ſeinen Namen genannt zu haben. Dieſer hatte Magyac im Verdachte, auch in jenem Stallgebäude geweſen zu ſein, und er war im Begriffe, ihn auch darnach zu fragen. Aber es hielt ihn eine Art Stolz zurück, nach Ge - heimniſſen zu forſchen, die man verbergen wollte. III. 9194Dies ganze Weſen von heimlichen Umtrieben, was ſich um ihn her ſpann, verſtimmte ihn indeß immer mehr. Er war gekommen, für dieſes Volk zu käm - pfen, und nun ſah er ſich fortwährend wie ein ſtörender Fremder übergangen und doch beobachtet. Bei größerer Unbefangenheit hatte er allerdings kei - nen eigentlichen Grund zur Klage, es war Thorheit zu verlangen, daß die Polen jeden Fremden in ihre geheimſten Abſichten einweihen ſollten. Aber das Unbehagen war bei einem Charakter wie der ſeine ebenfalls natürlich.
So verbrachte er in trüber Stimmung den Reſt des Tages auf ſeinem Zimmer. Alle Zweifel über Leben, Völker, Freiheit rüttelten wieder an ihm, und er ſchalt ſich ſelbſt, daß der Gedanke an die glänzende Fürſtin zum Oeftern in ihm aufſtieg, und jene finſtern Geſtalten mit einem freundlichen Lichte beleuchtete.
Wenn wir einmal in’s Zweifeln gekommen ſind, ſo hält kein Glaube mehr feſt, und die ſtärkſten Menſchen, welche ſich auf eigne und neue Wege des Lebens gewagt haben, erſchrecken vor ihrer Kühn - heit. Sie beneiden dann einen Augenblick die große195 Maſſe der Alltagsmenſchen, die im hergebrachten Schlendrian einherziehen, dergleichen Zweifel und Sorgen nicht kennen, und im Trübſal immer links und rechts Stützen finden, weil ſie nie von der all - gemein betretenen Heerſtraße gewichen ſind. Die Männer neuer Lebensgedanken und einer neuen Zeit werden auch immer die Märtyrer derſelben, ſelbſt wenn ihnen die alte ſtörrige Außenwelt keine Kerker öffnet, keine Schaffote errichtet. Jhr Gewiſ - ſen, das unter den alten Gedanken aufgewachſen iſt, hält ſie unter einer immerwährenden Tortur, und es iſt um ſo peinlicher, als das der andern Menſchen, weil es die Verpflichtungen gegen die Geſellſchaft tiefer empfindet. Die immerwährende Prüfung hat es ſpitzer und feiner gemacht. Und der ſtärkſte Menſch mißtraut ſeinen Kräften, der edelſte Refor - mator fragt ſich in ſtillen Stunden: bringſt Du nicht auch Unglück mit Deinen neuen Gedanken? beruht das Herkommen nicht auf der Weisheit vieler Generationen? iſt Deine und der Gleichge - ſinnten Meinung nicht vielleicht unreif, unvollkom - men, grün und dreiſt neben den alten viel geprüf - ten Formen?
196Ertappt er ſich nun auf einem Jrrthum, auf einer Schwäche, ſie mögen noch ſo fern liegen von dem Hauptgange ſeiner Gedanken, dann iſt die all - gemeine Unſicherheit da. So ging es auch Valerius. Jn all ſeinen Ueberzeugungen war er ſchwankend geworden. Nichts war ihm früher klarer und abge - machter erſchienen, als das Verhältniß zwiſchen den verſchiedenen Geſchlechtern, ſeine Anſicht über Ehe und Treue. Der Gedanke an die Fürſtin weckte dies Alles wieder auf, und der quälende Zweifel ſeiner Seele brachte jetzt alle die Geſichter ſeiner Jdeen über dieſe Gegenſtände bleich und mit ver - zerrten Zügen vor ſeine Augen.
Die Dämmerung lag bereits in ſeinem Zimmer, und noch ging er brütend, prüfend, anklagend, ver - theidigend, verwerfend in demſelben auf und ab. Einem fremden Zuſchauer hätte er unheimlich erſchei - nen müſſen, wie er halblaut ſprechend mit unſicht - baren Geiſtern zu verkehren ſchien. Alle die ver - ſchiednen Meinungen, mit denen er rang, ſchienen in den Winkeln des Gemachs zu ſtehen, bald raſtete er vor dieſem, bald vor jenem, und ſprach mit ihnen, und antwortete ſtatt ihrer:
197„ Wenn ich die gewöhnliche Treue tadle, rede ich nicht der jämmerlichen Lüderlichkeit das Wort, die in grauenvollem Egoismus nur ihren Lüſten nachjagt, mag aus den Opfern derſelben werden, was da will. Löſe ich nicht den Beſtand aller Dinge auf, wenn ich den zuverläſſigen Glauben auf ihre unwandelbare Stetigkeit hinwegreiße? Sind denn ſo viele Jahrhunderte im Jrrthume geweſen, welche die Treue zu einer Tugend erhoben haben? “
„ Aber war nicht die rohe Tapferkeit, der grau - ſame blutdürſtige Fanatismus einſt auch eine Tu - gend? Kann die Welt von der Stelle rücken, wenn ſich die Geſellſchaft fortwährend in denſelben Gedan - ken herumbewegt? Jſt es nicht eine förmliche Mord - anſtalt, jene ſchwindſüchtige Treue, welche über ihren eignen Tod hinaus zu beſtehen trachtet? Das Jntereſſe, der Reiz, die leiſeſte Hoffnung von Glück iſt oft verſchwunden, wenn die Leute ein altes Ver - ſprechen einlöſen; beide Theile fühlen es, beide wa - gen es nicht zu äußern, um den Popanz der Treue nicht zu verletzen, beide ſtürzen ſich mit offnen Augen in’s Verderben. Das täglich wechſelnde Leben, der Reiz, welcher fröhlich vor ihre Augen tritt, predigt198 ſtürmend das Gegentheil, aber ſie verſtocken ſich, um ihr Geſpenſt nicht zu verletzen, ſie ſündigen gegen die Herrlichkeit der Natur, die ſich ihnen in den Schooß wirft, um ein Wort zu halten, das ihnen vielleicht ein Augenblick des Rauſches ent - lockt hat. “—
— „ Sind denn nicht aber wirklich die ſchön - ſten Gefühle von tieferer Dauer, von ſtetem Beſtande? Heißt es nicht das Herz verflachen, wenn man die Treue von dannen weist? Verurtheilen wir uns nicht ſelbſt dadurch zu jener vorüberfliegenden Unbedeu - tendheit, die alle Verbindung mit ewigen Zuſtänden aufgiebt? “—
„ O, erfindet, Jhr widerſprechenden Geiſter, ein neues Wort, verdrängt Eure tödtlichen Bezeichnun - gen für unwandelbare, unverrückte Zuſtände, ſie ſind unſerm Blute und unſerm Streben fremd, ſie ſind unnatürlich und erzeugen das Unglück — keine Un - treue, nein, ſie iſt des Herzens unwürdig, aber auch nicht jene Treue, jenes todte, ſtehende Ge - wäſſer. “
„ Jch ſehe Dich, Camilla, Du zürnſt mir nicht, wenn ich ein anderes Weib küſſe — Deine Seele199 lebt im Grunde meines Herzens, ſo lange ein Tro - pfen Bluts darin rollt. Und ſoll ich nicht mehr athmen, wenn es nicht Deine Luft iſt? — ohne Weiber iſt das Leben arm, arm, ſehr arm. “
„ Du zürnſt mir nicht, aber unglücklich wirſt Du doch, wenn Du’s erfährſt. Und würdeſt Du einen Andern küſſen? Hab ich mehr Recht? — wahr - haftig, ich habe mehr Recht, und das iſt kein thö - richter Männerſtolz, ich werde Dir’s erklären, aber ein andermal. Jetzt hab ich genug regiert, genug gearbeitet an der Einrichtung der Welt, ich muß Weiber ſehen! “
So hatte er ſich endlich in eine humoriſtiſche Laune hineingeſprochen. Es war ſelten, daß ſie ihn von ſeinen Gedanken erlöſ’te, aber er nahm ſie im - mer fröhlich auf, wenn ſie kam, und tröſtete ſich dann, wenn die Fragen ungelöst blieben mit Ham - let oder richtiger gegen Hamlet: Die Welt iſt zwar aus den Fugen, und ich ſoll ſie einrenken, aber ’s muß ja nicht heute ſein, Rom ward nicht an einem Tage erbaut, und der Herrgott müſſe auch das ſeine thun.
200Der Theetiſch, an dem er Hedwig und Con - ſtantie zu finden hoffte, mochte wohl die Hauptur - ſache dieſes ſeltnen Wechſels in ſeinem ernſten We - ſen ſein. Das geſunde Leben behielt ſein Recht über das künſtliche, und er beſaß ſo viel Jnſtinkt, ſich darüber zu freuen, und ſeinen Mantel zu nehmen.
Wie ein Schüler, der aus dem Examen kommt, und nicht eben unter den Beſten und Ausgezeich - netſten, aber auch nicht gerade unter den Faullen - zern genannt worden iſt, ſchritt er durch die Stra - ßen. Er glaubte, ſeinen Forſchungen und Studien einige Wochen Ferien gewähren zu dürfen, und er freute ſich eben auch wie der Schüler auf eine bequeme Zeit, die vor ihm läge.
Graf Stanislaus beſaß nur noch einen Vater. Das war ein hochbejahrter, liebenswürdiger Greis von den feinſten franzöſiſchen Manieren, der in großer Achtung ſtand, und allgemein geprieſen wurde wegen ſeinen anſpruchsloſen bürgerlichen Tugenden, ſeiner in Polen nicht eben gewöhnlichen Sanftmuth und Freundlichkeit gegen alle Stände, und endlich auch wegen ſeiner eben ſo ungewöhnlichen Bildung in Literatur, Kunſt und Staatsintereſſen. Der Beſuch der Fürſtin Conſtantie, mit welcher er verwandt war, erfreute ihn auch wegen der geſelligen For - men: ſie repräſentirte die Dame des Hauſes, und der alte reiche Graf ging in großer Glückſeligkeit trippelnd umher, daß ſein Salon jetzt wieder glän - zend geworden ſei wie Anno 94. Als Valerius eintrat, fand er ſchon eine zahlreiche Geſellſchaft,9 *202Conſtantie war umringt von Herren und Damen, und gewahrte ihn nicht. Der alte Graf, eine ſchlanke, vertrocknete Figur mit ſchneeweißem lockigen Haar, ſtand neben einer hohen Militairperſon und war im eifrigen Geſpräche. Stanislaus eilte herbei, um ihm ſeinen neuen Freund vorzuſtellen; ſie warteten indeß Beide ein Wenig, um das dem Anſchein nach wichtige Geſpräch nicht zu ſtören, und während der Sohn dem Freunde mit ſanfter herzlicher Stimme alle die Liebenswürdigkeiten des Vaters leiſe ſchil - derte, hatte dieſer Zeit, den Alten zu betrachten.
Er war ganz ſchwarz gekleidet bis auf das Hals - tuch, welches, wie die Leibwäſche, von blendender Weiße war, und einen heitern Schein auf das ſchmale, gefurchte, aber noch immer von einer leich - ten Röthe überflogene Geſicht warf. Jn den gro - ßen, tiefliegenden Augen ruhte eine freundliche Sanftmuth, und nur hier und da ſah man aus einem ſchnellen Blicke, daß ſie nicht auf Schwäche, ſondern auf eine große, geiſtige Ueberlegenheit ge - gründet ſei. Jm Knopfloche trug er das Band der Ehrenlegion.
203Stanislaus hatte ſeinen Freund ſchon angekün - digt, und der alte Graf nahm ihn mit der zuvor - kommendſten Liebenswürdigkeit auf.
Es war eine lange Reihe von Zimmern geöff - net und erleuchtet. Der Militair hatte ſich zu einem andern Theile der Geſellſchaft gewendet, die drei Männer traten in das zweite Zimmer, und wäh - rend der alte Graf ſeinen Gaſt mit einigen Gemäl - den bekannt machte, entfernten ſie ſich weiter von der Geſellſchaft.
„ Sie müſſen ſich nicht abſchrecken laſſen, “ſagte der alte Herr mit ſeinem liebenswürdigen Lä - cheln, „ wenn Jhnen nicht Alles bei uns die roman - tiſche Probe gehalten hat, wenn Sie ſogar durch Manches arg verletzt werden; wir ſind zu oft im Wachsthum geſtört. Von Hauſe aus waren wir verzogne Kinder, unſre Freiheit erſtickte im eignen überflüſſigen Blute, weil wir Alles im Herzen haben wollten, und es nicht recht zu vertheilen wußten. Verzogne Kinder bleiben auch im Unglück eigenſin - nig, und werden übermüthig bei jedem Schimmer von Glück. Aber Sie ſind ja aus dem Lande, was Alles Fremde ſo gern gewähren läßt, überwinden204 Sie nationale Antipathieen, welche bei ſo verſchie - denen Völkern nie ausbleiben, und ſtürmender und trennender ſind als große Gegenſätze, weil ſie uns bei jedem Schritte hindernd zwiſchen die Beine gerathen. Ertragen Sie uns eine Zeitlang, und Sie werden am Ende doch Manches zu lieben fin - den. Jedes Volk hat ſeine Liebenswürdigkeiten. Und Sie ſind ja auch auf der Höhe von Humanität, welche das Edle thut ohne Anſehn der Perſon — verſprechen Sie mir, mich zu beſuchen, wenn Sie mürriſch werden, ich bin ein alter Apotheker und habe Recepte aus manchem Jahrzehnd, verſprechen Sie mir’s.
Valerius ſchlug freudig in die dargebotene Hand. „ Nehmen Sie ſich in Acht “— fuhr der Greis fort — „ vor den Verbindungen mit unſern jungen Demokraten — verkennen Sie mich in dieſen Wor - ten nicht: ich liebe dieſe brauſende Jugend mit ihrem menſchenrechtlichen Fanatismus, o, ich liebe ſie ſo ſehr gerade wegen dieſer Poeſie der Tugend, ſie ſind das urſprüngliche Fundament der Geſellſchaft, dieſe Jünglinge mit den heißen Herzen. Aber ſie ken - nen die Welt nicht mit den tauſend Beſchränkungen,205 ohne welche ſich kein Staat konſtituiren läßt, ſo lange wir uns nicht iſoliren können von Gewohn - heit, Herkommen, geſchichtlicher Erinnerung, und beſonders ſo lange wir Nachbarn haben, denen wir uns akkommodiren müſſen. Ein Staat in Europa kann nicht nach Begriffen, nach bloßen Begriffen errichtet werden, welche der abgeſondert ſpekulirende Geiſt erſinnt, ſo wenig als das Jndividuum nach eignen geſelligen Regeln ſich bewegen darf, ſo lange es in der übrigen Geſellſchaft ſeinen Raum ein - nehmen will. Eben weil es nichts Einzelnes giebt, weil nichts ohne Verhältniſſe exiſtirt, können Wech - ſel und Aenderungen nur mit der größten Umſicht vorgenommen werden. Und Umſicht iſt nicht Sache des poetiſchen Herzens, ſondern der Erfahrung; darum dürfen wir unſern Jünglingen den Staat nicht überlaſſen. “
„ Machen Sie mir nicht ſo klägliche Geſichter. Freilich iſt es für das feurige Blut niederſchlagend, daß die Weltgeſchichte in ſo kleinen Schritten geht, daß ſie nicht eher weiter rückt, als bis ein großer Staatenraum auf gleicher Höhe angekommen iſt; aber auf dieſem lückenhaften Planeten, wo uns lau -206 ter unerklärte Anfänge umgeben, müſſen wir uns drein fügen. “
„ Verzeihen Sie meine Breite, ich komme zum Thema zurück. Jch hoffe, daß mein Sohn einen ganzen Freund in Jhnen gewinnt, Jhre Nation iſt die Nation der Freundſchaft, weil ſie am wenigſten ausſchließlich in Sitte, Formen und Gedanken iſt, weil ſie am meiſten annimmt und verzeiht, ja, erlauben Sie mir den Ausdruck, weil ſie am we - nigſten Nation iſt. Dieſes Kapitel der Demokratie betrifft aber meinen Sohn und ſeine Neigungen eben ſo dringend als Sie, Herr von Valerius. Es drängt mich, offen, ganz offen zu ſprechen, und ich verſpreche mir ſogar in Jhnen eine Hilfe, einen Sekundanten gegen Stanislaus zu erwerben. Jch habe meines Sohnes Bildung ſelbſt zu lebhafter Theilnahme an demokratiſchen Formen geleitet, ich bin ihm vor Allen Rechenſchaft ſchuldig, wenn ich ihn jetzt vom patriotiſchen Klub und dem, was dazu gehört, abziehen will. “
„ Meine Herren, es iſt das Wahrſcheinlichſte, daß dieſe Jntereſſen in Kurzem die eigentliche Lebens - frage Polens werden, ich halte ſogar den mächtigen207 Feind für unwichtiger. Wenn wir vereinigt blie - ben, beſiegte er uns nicht, aber die Trennung wird nur zu bald klaffen wie eine breite Wunde. Die Jugend iſt unternehmend, ſie iſt der Kern des Heeres, ſie wirbt den gemeinen Mann, oder hat ihn ſchon geworben, ſie will keine Vermittelung, ſie haßt das Halbe, das Vorbereitende; denn ihre Kraft iſt eben die gewaltige Einſeitigkeit, bald wird man uns mit dem Geſchrei aus dem Schlafe wecken: Demokratie oder Tod! “
„ Du ſchüttelſt den Kopf, Stanislaus, Du hoffſt wohl gar auf Krukowiecki — Unglücklicher, dieſer Mann iſt die ſchrecklichſte Garantie, er iſt voll un - lautern Ehrgeizes, der das Land in die Luft ſprengt für ſeinen Ruhm — gut, es mag ſein, ich will übertrieben haben. Ein Kampf dieſer Parteien bleibt gewiß nicht aus, und er verdirbt uns, er lähmt und verwirrt die Kräfte. Ein voreiliger Sieg der Demokratie tödtet uns. Was iſt Polen ohne ſeine Ariſtokratie? Ein rauſchender Baum, der über Nacht mit all ſeinem Blätterreichthum verdorret iſt. Die Ariſtokratie iſt noch in dieſem Augenblicke das Mark des Landes, das Land gehört ihr noch, ſie erzeugt208 die Mittel des Kriegs, in ihrem Stolze wurzelt noch die Kraft dieſer fortreißenden Vaterlandsliebe. Dabei gedenk’ ich unſrer Nachbarn gar nicht; die fremden Heere würden bald erſcheinen, wenn ein Convent in Warſchau geböte. “
„ Jndeß wollen wir das Kind nicht mit dem Bade ausſchütten, wie ſie in Deutſchland ſagen; ich ſehe mit Entzücken dieſen Sporn zur Energie, der unſern Edelleuten keine Zeit läßt für ihren per - ſönlichen Ehrgeiz, aber der Strom ſoll nicht aus dem Bett treten — und nun zum Schluß: man wird genöthigt ſein, in Kurzem ſtrenge Maaßregeln gegen den Klub zu unternehmen, halten Sie ſich fern davon, meine Herren, ſprechen Sie, wo Sie können, zur Mäßigung. “
Der alte Herr wurde zur Geſellſchaft gerufen, und Stanislaus ſagte beruhigend zu ſeinem Freunde: Laſſen Sie ſich nicht einſchüchtern, das Alter, und tauſend Hoffnungen, die fehlgeſchlagen ſind, haben ihn mißtrauiſch gemacht. General Krukowiecki iſt der wackerſte Pole. Niemand kann es wagen, ſtrenge Maaßregeln gegen die demokratiſche Jugend zu nehmen: wir haben die Revolution begon -209 nen, wir halten ſie aufrecht, Volk und Armee ſind für uns.
Valerius war nicht recht bei der Sache, der alte Graf und manches Andere beſchäftigte ihn. Der junge entzündete Pole bemerkte es indeſſen nicht, er disputirte noch eifrig weiter, und ſie ſchritten in der langen Zimmerreihe auf und ab. Es fiel Valerius auf, in dem vom Geſellſchafts - ſalon entfernteſten Zimmern größere Pracht, behag - lichere Einrichtung zu finden. Jm letzten Gemache, das ohne eignes Licht und nur von dem daranſto - ßenden beleuchtet war, ſtand ein prächtiges Bett, geheimnißvoll verſteckt von rothſeidnen Vorhän - gen. Es ſtieg eine flüſternde, behagliche Ahnung auf in ihm, er lüftete die Gardine im Vorüber - gehn ein wenig, und erblickte an der Wand ein kleines Gemälde. Die Dämmerung ließ es nicht genau ſehen, aber Valerius glaubte es zu erkennen. Auf Grünſchloß hatte er einſt ein kleines Bild ge - malt: es ſtellte eine Gebirgslandſchaft dar, an dem Bach im Vordergrunde ſitzt ein Bauermädchen und ſieht mit ſehnſüchtigem Blicke in die Bergſchluchten hinein, wo ſie ſich öffnen, und das Bild ſich in210 eine dämmernde Ferne verliert. Er wußte nicht mehr, wo das Bild hingekommen war, in dieſem Augenblicke glaubte er, es geſehen zu haben. Aber er konnte nicht raſten, da ſein Begleiter umkehrte, und nach dem vorletzten Zimmer zurückſchritt. Eine ſchmeichelnde Unruhe bemächtigte ſich ſeiner, es hielt ihn feſt in dieſen Zimmern, und er zog Stanis - laus auf ein Sopha. Auf einem Tiſche vor dem - ſelben lag eine große Mappe, und während der junge Pole allmählig in ſeine ſinnende Schweig - ſamkeit verſank, blätterte Valerius unter den Gemäl - den und Kupferſtichen, welche er in der Mappe fand. Eine verſteckte Seitentaſche fiel ihm auf, und er zog ein kleines Blatt Papier heraus, was mit Verſen beſchrieben war. — Er hatte ſie ſelbſt geſchrie - ben, dieſe Göthe’ſchen Verſe:
211Geh den Weibern zart entgegen,Du gewinnſt ſie auf mein Wort;Und wer raſch iſt und verwegen,Kommt vielleicht noch beſſer fort;Doch wem wenig dran gelegenScheinet, ob er reizt und rührt,Der beleidigt. der verführt.
Die beiden letzten Verſe waren unterſtrichen. Aber dieſe Striche rührten nicht von ihm her. Es ward jetzt ganz klar in ſeiner Erinnerung: er hatte dieſe Worte eines Nachmittags im Grünſchloß geſprochen, als die Rede auf Liebe und Liebesbewerbungen ge - kommen war, und die Fürſtin hatte ihn gebeten, ſie aufzuſchreiben.
Nachdenkend hielt er das Blatt in der Hand: damals hegte er ſogar einen Widerwillen gegen das kecke Weſen der Fürſtin, ſein Herz war damals erfüllt mit Camilla’s Reiz, Alles Uebrige berührte ihn nicht —
Da rauſchte ein Gewand, Conſtantie trat in’s Zimmer. Es hatte ſich im Salon ein Streit erho - ben über ein franzöſiſches Buch; ihn zu enden, war ſie nach ihren Gemächern geeilt, um das Buch zu holen.
Valerius ſah ſie mit großen Augen an, ein träumeriſches Nachſinnen lag in ihnen, das Blatt hielt er noch in der Hand. Eine flüchtige Röthe ſtieg in Conſtantiens Geſicht, ſie griff nach dem Blatte, und berührte dabei ſeine Hand. Ein ſüßes Gefühl weckte ihn aus dem Nachdenken.
212„ Pfui doch, wie unartig, meine Mappe durch - zuſtöbern! Wie kommen Sie denn überhaupt in meine Zimmer? Und wer hat denn jene Thüren geöffnet? “
Sie warf haſtig die Flügelthüre ihres Schlaf - zimmers herum. Unterdeß kam auch Hedwig her - beigeſprungen, ſchalt Stanislaus, daß er ſich von ihr und der Geſellſchaft entferne, und zog ihn fort. Die beiden Teutſchen waren allein. Conſtantie ging nach einem Winkel des Zimmers — „ Unartiger Menſch, helfen Sie mir ein Buch finden. “
Er ſprang hinzu — ſie nannte aber keinen Titel, und ſah zerſtreut unter die Bücher. Der leichte Schatten von Verlegenheit, welcher ſich über ihr Weſen verbreitete, gab dieſem glänzenden Weſen einen um ſo höhern Reiz, je ſeltner er an ihr wahrzunehmen war, je mehr er gegen das Herr - ſchende und Jmponirende ihrer Erſcheinung zu kon - traſtiren ſchien. Jhre rechte Hand taſtete wie ſuchend auf den Büchern umher, die linke ſtrich leiſe an den Falten des Gewandes entlang. Dieſe weiße Hand ſchien alle ihre außergewöhnliche Unſicherheit auszudrücken. Valerius ergriff ſie leiſe, die weichen,213 warmen Finger ſetzten noch einen Augenblick die Bewegung fort, und ſchienen ebenfalls unſchlüſſig zu ſein, ob ſie ſich dem Fremden ergeben ſollten. Aber ſie wurden ſtill, und kaum merklich wuchs ihre leichte Schwere von Sekunde zu Sekunde. Nur als ſie der Mann zu ſeinen Lippen aufhob, glaubte er ein leiſes Beben in ihnen zu verſpüren.
Valerius führte die Hand von den Lippen auf ſeine Wange, die warme Hand an die heiße Wange — er ſchwieg, ſie ſchwieg, ihr Kopf wendete ſich nicht zu ihm, aber er ſah ihr Herz ſtürmiſch klopfen.
Aus den vorderen Zimmern her kam Geräuſch; da wendete ſie ſich plötzlich zu ihm: ein unbeſchreib - licher Ausdruck von Wehmuth, Glück und Jnnig - keit lag darauf, feucht glänzten ihre Augen, jene vermittelnde Hand legte ſich eng und feſt in Hand und Wange des Mannes, er fühlte ihr heißes Antlitz an dem ſeinen, ihren Mund auf ſei - nem Auge, und fort war ſie, dahin flog ſie durch die Zimmer.
„ Hat ſie nicht „ Liebſter “geſagt, leiſe, ganz leiſe, als ſollte ich es ſelbſt nicht hören? “ſprach er eben ſo leiſe.
214Er konnte ſich lange von der Stelle, von dem Zimmer nicht trennen, und „ Liebſter, “„ Liebſter “flüſterte er oft vor ſich hin.
Als er in den Salon kam, lachte und ſcherzte man noch darüber, daß die Fürſtin ein falſches Buch gebracht und dann eiligſt ein Recht aufge - geben habe, was ſie kurz vorher ſo hartnäckig ver - theidigt.
Sie ſaß in einer holden Verwirrung da, und die Nachbarn des Teutſchen flüſterten einander zu: Sie wird alle Stunden ſchöner.
Valerius war ſo munter und ausgelaſſen, wie man ihn noch nicht geſehen hatte; er ſcherzte und tändelte ohne Aufhören mit Hedwig, die mehr als einmal zur Fürſtin ſagte: So liebenswürdig iſt Jhr Landsmann noch niemals, niemals gewe - ſen. Conſtantie lächelte wie das verborgene Glück, und ſah einen Augenblick auf Valerius. Es hing dann vor ihren Augen ein dünner Flor, durch welchen eine unendliche Seligkeit drängen zu wol - len ſchien. — Als der Salon leer geworden, fiel es ihr ein, daß ſie ihm Briefe aus Teutſchland215 mitgebracht habe; ſie ging fort, und als ſie wieder kam, trat ihr Valerius einige Schritte entgegen. Sie gab ihm die Briefe, und ſagte mit jener leiſen, die Seele bewegenden Stimme: Jch liebe Dich unſäglich. —
Der Wind trieb die Wolken wie ein ſcheltender Herr ſein Geſinde am Himmel umher. Sie flogen ſcheu unter dem Monde und den Sternen hinweg. Valerius glaubte aber auch ohne dies, Sterne und Himmel bewegten ſich im Tanze, als er aus dem Pallaſte trat. Die Bewegung des Herzens macht Alles beweglich, und es giebt keinen ſchöneren Sturm im Menſchen, als wenn eine Liebſchaft ihre Knoſpe ſchwellt, und wenn dieſe das Geheimniß ihrer Blume zu heben beginnt. Das ſind die Momente der Himmelsahnung, welche uns die Gottheit gelaſſen hat für dürre unerquickliche Steppen von freudloſen Jahren, es ſind die Ciſternen unſrer Lebenswüſte, die immer einige Tropfen friſches Waſſer bewahren, mag es noch ſo heiß um uns drängen. Solche217 Momente ſind’s geweſen, welche den Menſchen zum erſten Male den ſtolzen Glauben erzeugt haben, ſie ſeien Gott ähnliche Weſen.
Valerius flüchtete wieder zu ſeinem geliebten Strome hinaus, heute mit ſeiner Luſt. Heim konnte er nicht, das Zimmer war zu enge für ſein Herz, denn es iſt eine mehr als figürliche Redensart, daß das Herz ſich ausdehnt von großen Gefühlen — man braucht wirklich mehr Raum, und in einer kleinen Stube kann man nicht ſo viel Glück aus - ſtrömen, als in freier Luft.
„ Kühles, unparteiiſches Waſſer, heut beneide ich Dich nicht! “rief er aus. Aber er geſtand ſich’s eigentlich ſelbſt nicht genau, was ihn beglücke, er hüllte es in das große himmelblaue Wort „ Liebe. “ Und der Liebe, jeder Liebe, meinte er, dürfe man ſich immer freuen, ſie ſei der Herzensodem des Lebens. Der kleine vorlaute Geſell in ſeinem Bu - ſen, mit dem kritiſchen, verdrießlichen Angeſichte kam heute nicht zur Audienz mit ſeinem Geflüſter. Umſonſt ſprach er von der ſchönen Conſtantie auf Grünſchloß, wo dem Herrn Valerius die bloße freundliche Zuneigung derſelben Dame ſtörend, läſtigIII. 10218geweſen ſei. Er ward überhört. Liebe überwältigt wie die Sonne, ohne zu fragen und zu beachten, ob man ſie gewollt. —
— Es war ſchon ſpät am andern Vormittage, als Thaddäus ſeinem Herrn einige Briefe auf’s Bett legte. Sie ſteckten in der Bruſttaſche des Rocks, Herr, und waren ſchon ſo zerknittert.
Valerius erkannte in der Aufſchrift des einen Camillas Hand, und ſein Rauſch verflog wie die Glätte des Waſſerſpiegels von einem Luftſtoße. Lang - ſam entſiegelte er den Brief, und las und ſetzte ab, und las wieder, und die heißen Thränen liefen ihm über das Geſicht.
„ Warum ſchreibſt Du uns nicht, Lieber? biſt Du krank? haſt Du ein ſchlecht Gewiſſen? Nicht doch, es iſt eine thörichte Frage, dieſe zweite. Wir ſind ja einig darüber geworden, daß die Treue etwas Beſſ’res iſt, als was man ſo nennt. Jhr Männer fahrt durch die Welt dahin wie der Sturmwind, und der muß mehr Dingen begegnen als wir mit unſrer ſtillen häuslichen Atmoſphäre. Aber der Of - fenheit, der Mittheilung mußt Du mich würdigen, wie Du’s verſprachſt; meine Liebe iſt Dir ſicher219 wie der morgende Tag, nur der Tod endigt für mich beide auf dieſer Erde. “
„ Jch lebe ſtill und gedankenreich mit Dir hin. Des Morgens bin ich früh auf, und leſe Deine engliſchen Bücher; ſie ſind mir ſehr lieb mit ihrem ſchweren trüben Sinne, denn es kommt mir manch - mal Unrecht vor, daß ich noch ſo viel lachen kann, ſeit Du fort biſt. Jch kann mir aber nicht helfen, daß die Welt ſo viel komiſche Dummheiten hat. Zuweilen bin ich mitten im Weinen, daß ich Dich verloren habe, da paſſirt irgend etwas Lächerliches, und ich lache ſammt meinen Thränen. Du mußt mich ſchon gewähren laſſen, ich trage auch jetzt die Haare ſo, wie Du es gern mochteſt. Du würdeſt Dich gewiß freuen, wenn Du einmal plötzlich ein - träteſt: viel, viel artiger bin ich als ſonſt. “
„ Der Graf hat einmal Deinetwegen an den Oberſten Kicki geſchrieben, und entweder gar keine Nachricht erhalten oder eine traurige. Jch glaube, er und Alberta halten Dich für todt; es iſt wun - derlich, daß mich das gar nicht beunruhigt. Da - mals, nach Deinem Duell, hab’ ich ſo ſehr für Dich gezittert, jetzt fürcht’ ich dergleichen nicht im min -220 deſten. Jch könnte einen Eid darauf ablegen, daß Du noch lange, lange leben wirſt — es iſt noch zu viel Zukunft in Dir. Sieh, wie beſonders ich mich ausdrücke; es iſt noch aus der alten Schule. Und dann — gewiß kündigte ſich mir’s irgendwie an, wenn Dir ſo etwas Schlimmes begegnete. Daran glaub ich nun einmal feſt, ganz feſt. Jch bin faſt den ganzen Tag bei Dir, es müßte ein Ruck ein - treten — nein, nein, laß mir den Aberglauben meiner Mutter, daß die herzlichſten Gedanken der Menſchen durch die ganze Welt zuſammenhängen, daß ein aparter Engel dazu angeſtellt iſt vom lie - ben Gott, der das Gewebe ordnet und hält, und wie der Himmelspoſtmeiſter die gegenſeitigen Nach - richten beſorgt. Ach, was mach’ ich dem armen Engel zu thun! “
„ Aber, aber, der Fürſtin Conſtantie, die mei - nen Brief beſorgen will, trau ich nicht über den Weg, was Dich ſchlimmen Geſellen anbetrifft. Du biſt zwar fein ernſthaft und ehrbar, aber ſtille Waſſer ſind tief, und ich fürchte am meiſten, daß Dein Herz Beſchäftigung braucht. Wir Frauen - zimmer ſehen in ſolchen Dingen ſchärfer — ich221 denke mit Schrecken an die ſchönen Augen Conſtan - tiens, wenn ſie auf Dich fielen. Es war nicht jene Leidenſchaft in ihnen, die wir an ihr ſcheuten, ſie waren ſanft und milde, aber es lagen Wünſche — bin ich nicht recht einfältig, Dich ſelbſt aufmerkſam zu machen. Ach, liebe, küſſe, ſei glücklich, mein Herz, mein Blut, o, mein Valerius, den ich liebe, liebe ſo ganz und gar. Aber ich bin ja Dein „ ſtarkes Mädchen “nicht mehr, Du wirſt mir Alles erzählen, und mich immer mitlieben. Ja? “—
Nach dieſem Briefe war es um die Entzückungen vom vorigen Abende geſchehen. Er glaubte errö - then zu müſſen vor ſich ſelbſt, ſolch einer Liebe nicht allein, ungetheilt anzugehören. Mochten auch all ſeine Gedanken und Philoſopheme über Liebes - ſachen lächelnd ihre Stimme erheben, mochten ſie ihn ſchelten, daß er einer alten eingelebten Gewohn - heit ſeine Ueberzeugung opfere, daß es thöricht ſei, zu darben, um romantiſchen Grillen zu genügen — er ließ ſich nicht beſiegen, und ging nicht mehr zur Fürſtin.
Das Herz allein iſt der Richter in ſolchen Din - gen, ſprach er, und mein Herz duldet es nicht.
222Aber es waren ſchmerzhafte Tage, welche trüd und langſam vorüberſchlichen. Stanislaus beſuchte öfters ſeinen Freund, und machte ihm die lebhafteſten Vorwürfe, weil er das Haus ſeines Vaters nicht mehr beſuche, der ſo herzliches Jntereſſe an ihm nehme. Hedwig fragt zehnmal des Tages nach Jhnen, und Conſtantie hat ſich zweimal ängſtlich erkundigt, ob Sie krank ſeien. Es iſt ein rechter Jammer mit Euch empfindſamen Deutſchen, und mein guter Vater leidet arg darunter: Conſtantie kommt nun auch ſeit mehreren Tagen nicht mehr aus ihrem Zimmer, und der Salon iſt ohne Mit - telpunkt. Sie ſchützt Unwohlſein vor und Trauer um den Tod ihres Gemahls —
„ Jſt der Fürſt geſtorben? “
Allerdings, aber das wußte ſie ſchon an jenem Abende, als Sie das letzte Mal bei uns waren, und da hat man ihr kein Herzeleid angeſehn. Der ſchwachköpfige Mann iſt ihr immer ſehr gleichgültig geweſen, und ſie iſt viel zu ſtolz, eine erheuchelte Trauer zu zeigen. Meine kleine harmloſe Hedwig iſt auch übel davon betroffen. Bei dem rauhen, wenig geliebten Vater und der ſchweigenden Groß -223 mutter den ganzen Tag zu ſitzen wird ihr jetzt ſchwer, da ſie die letzten Tage reger Geſelligkeit verwöhnt haben. Neben Conſtantie konnte ſie den größten Theil des Tages bei uns ſein, und jetzt hat die launiſche Frau plötzlich keine Zeit für ſie. Kommen Sie, Freund, tröſten Sie uns.
Valerius entſchuldigte ſich auf das herzlichſte. Er habe traurige Briefe bekommen, er tauge jetzt nichts für Geſellſchaft. Aber der Freund kam alle Tage wieder, die Einſamkeit wurde auch dem teut - ſchen Träumer läſtig und langweilig, und da die Fürſtin noch immer nicht aus ihrem Zimmer ging, er alſo ihre Begegnung nicht zu fürchten hatte, ſo gab er eines Abends dem Drängen des Freun - des nach.
Die ſchönen Säle und Zimmer kamen ihm öde vor, da die beiden Frauen fehlten, und wenn er im Geſpräch bis an die Thüren Conſtantiens kam, ſo hielt er ſeinen Begleiter oft unwillkührlich einen Augenblick feſt, und lauſchte mitten im eifrigen gedankenloſen Sprechen, ob er kein Lebenszei - chen aus den Gemächern vernehme. Das Bild der ſchönen Frau, die in Trauer verſunken224 Tag für Tag einſam in jenen hohen ſchweigſa - men Zimmern ſaß, trat oft verſtohlen vor ſeine Seele. Er glaubte ſie in ſchwarzſeidnem Gewande mit aufgelöſ’tem Haare auf dem Fußteppich ſitzen zu ſehen, das blendende Weiß der Arme und des Buſens ſah verwundert auf die traurige Farbe des Kleides, und das Geſicht hatte den erſchütternden Ausdruck einer verlaſſ’nen Königin, die über Nacht von allen denen verrathen worden iſt, welche noch am Abende ihren Winken gehorchten.
Er ging ſpät nach Hauſe, denn der Ort, wo er ihr näher war, dünkte ihm doch noch beſſer, als ſein fernes einfames Zimmer; eine finſtre, ſchwei - gende Nacht hing wie ein ſchwarzer Mantel in den Straßen. Die Fenſterreihe der Fürſtin, nach welcher er aufblickte, war ohne Licht, nur in den letzten Zimmern dämmerte eine ſchwache Helle. Lange blieb er ſtehen, vielleicht hoffte er, die Gardinen wür - den ſich bewegen, und jene hohe Geſtalt würde ſich zeigen, aber er wußte es ſelbſt nicht, was er hoffte und ob er hoffte. —
Es kamen mehr ſolche Abende, und ſein Weſen wurde immer unruhiger und ungeduldiger. Nur225 zu deutlich erkannte er, daß es nicht an Umgebung und Geſellſchaft liege, wenn er die Zeit nicht hin - zubringen wiſſe, denn leſen und denken und denken und leſen kann man nur bei ruhigem Gemüthe. Er geſtand ſich’s langſam, es fehle ihm Liebe, und zwar Conſtantie.
Wohl denn, rief er aus, als er eines Abends wieder mißvergnügt und unruhvoll aus dem Palais des Grafen ſchritt, wohl denn: das Herz hat mich gehindert, das Herz treibt mich jetzt, ich werd’ ihm ewig folgen. — Gleich als ob er einen großen Sieg errungen habe, als ob er von einer ſchweren Krank - heit durch einen plötzlichen Himmelsſtrahl geneſen ſei, ſchritt er über die Straße, um von der andern Seite nach jenen letzten Fenſtern zu ſchauen, wie er alle Abende gethan. Heut aber ſah er mit leuchtenden Augen hinauf, und das Bild der trauernden Königin hatte ſich verwandelt, und er glaubte das ſchöne Weib ſchon in den Armen zu halten. Alles drängte ihn, ihr zu ſagen, was in ſeinem Herzen vorginge, ſogleich, im Augenblicke, keine lange Nacht des Zweifels und Harrens ſollte ſich dazwiſchen legen. Und während er noch ſann und dachte, wie das zu10 *226bewerkſtelligen ſei, da erhob ſich ſeine Stimme, und er ſang ein altes Lied. Sie mußte es kennen: in jener warmen Liebeszeit auf Grünſchloß, wo Alles mit Küſſen in den Augen und auf den Lippen durcheinander lief, da hatte man es oft in ſtillen Abendſtunden aus den Gebüſchen des Gartens drin - gen hören.
Es regte ſich nichts in der Straße, und ſie mußte in ihrer Abgeſchiedenheit ſeine Stimme klar und deutlich vernehmen.
Das Licht in Conſtantiens letzten Zimmern ver - loſch bis auf einen matten, kaum ſichtbaren Schein. Der Sänger glaubte, die Gardine ſich bewegen zu ſehn, aber die Dunkelheit war zu groß, um etwas genau unterſcheiden zu können. Darüber konnte er ſich aber nicht füglich täuſchen, daß in den noch erleuchteten Sälen ein Fenſter geöffnet und der Vorhang in die Höhe gezogen wurde. Ein Licht - ſchimmer fiel auf die Straße, oben am Fenſter ſah Valerius den alten Grafen mit ſeinen weißen Locken erſcheinen, und es war ihm, als mache der alte228 Mann eine abwehrende Bewegung mit der Hand. Der Sänger war aber im Uebermuthe feiner erwa - chenden Leidenſchaft und ſeines Liedes — es iſt auch ſchwerer, als Viele glauben, vom Singen zum plötz - lichen Verſtummen überzugehn — und er wieder - holte, die Straße hinabſchreitend, die Schlußverſe:
Am andern Tage ritt er durch dieſelbe Straße — Niemand war an den Fenſtern zu ſehen, die Gardinen in Conſtantiens Zimmern hingen wie Tagsgeſpenſter hinter den Scheiben, obwohl es bei - nahe Mittag war. Valerius wurde verdrießlich, und dachte einen Augenblick daran, als er vom Spazierritt nach Hauſe gekommen war, Conſtantien zu ſchreiben. Aber er verwarf den Gedanken ſchnell. Konnte nicht das ganze Verhältniß, das er ſich mit ihr gebildet hatte, eine Täuſchung ſein, wenigſtens zur Täuſchung gemacht werden? — er kannte die Fürſtin als ein überaus ſtolzes Weib, ſie war ihm mit einem überſchwellenden Herzen entgegengekom - men, er hatte ſich zurückgezogen; nein, er konnte nicht ſchreiben, die Furcht ſeines Stolzes ließ es nicht zu. Und doch geſtand er ſich’s, daß es230 keinen Stolz geben könne der wirklichen Liebe gegenüber. —
Sein Herz hoffte aber zuverſichtlich, ſie werde dieſen Abend in der Geſellſchaft erſcheinen, er werde ſie ſehen und ſprechen.
Da trat Manaſſe in ſein Zimmer, eine unerwar - tete Erſcheinung. Valerius hatte ihn nicht mehr geſehen, ſeit er in Warſchau war, und es kam ihm vor, als ſei der alte Mann in dieſer kurzen Zeit auffallend gealtert, ſeine Züge erſchienen ihm noch ſpitzer, die Augen noch tiefer, dem Grabe immer näher ſich zukehrend. „ Herr, “ſprach der Alte, „ mein Sohn Joel iſt krank, und ſein Herz ſehnt ſich nach Jhnen, laſſen Sie ſich hernieder, unter das Dach eines armen Juden zu treten, vielleicht können Sie helfen meinem armen Joel, ich kann es nicht. “ Seine Arme, die er während des Re - dens erhoben hatte, ſanken ſchlaff zurück, der Kopf neigte ſich auf die Bruſt, der lange Bart zitterte und das blaßgelbe Geſicht ward von jenem zerbroch - nen Ausdruck des Schmerzes überzogen, der einer völligen Gefühlloſigkeit ähnlich ſieht.
231Valerius war ſogleich bereit, und auf dem Wege fragte er den Alten, was Joel fehle. Er fragte um zu fragen, obwohl er die Krankheit mit all ihrer Schwere zu kennen glaubte. Manaſſe’s ver - grabene Augen ſtiegen bei dieſer Frage herauf aus ihren Höhlen, und ſahen mit einem entſetzlichen Ausdruck nach dem Himmel — mit der Hand wies er auf eine ſchwarze Wolke, welche die Sonne bedeckte. „ Adonai weiß es, “ſagte er mit leiſer, aber entſetzlicher Stimme, und nach einer Weile ſetzte er wie in Geiſtesabweſenheit hinzu: „ Was wollen wir klagen? Adonai leidet gleich uns, und alle Nächte weint er auf den Trümmern Zions voll Reue und Gram, brüllend wie ein Tiger, und in Verzweiflung, ſich auf immer mit ſeinem Volke überworfen zu haben — was wollen wir klagen, die ganze Welt iſt ein Wehe — — ach, mein Sohn Joel! “—
Mit einem leiſen Schauer hörte Valerius dieſe talmudiſtiſchen Dinge, und ſchritt haſtig vorwärts, in eine Straße hinein, welche größtentheils von Jſraeliten bewohnt ſchien. Juden, die ihnen begeg - neten, ſahen mit einem Gemiſch von Scheu und232 Ehrfurcht auf den alten Manaſſe — er trat in ein kleines Haus, durchſchritt den Hof hinter demſelben, wand ſich durch mehrere Gänge des Hintergebäudes, und öffnete endlich die Thüre eines kleinen abgele - genen Zimmers. Obwohl es noch heller Tag drau - ßen war, brannte doch hier eine Lampe; man ſah nirgends ein Fenſter, Joel lag auf einem alten Sopha, was mit einem ſchwarzen, jetzt abgeriebenen Seidenſtoffe überzogen war. Sein Geſicht war in die Kiſſen gedrückt, und er gab kein Lebenszeichen von ſich.
„ Mein Sohn Joel, “ſprach Manaſſe mit jener leiſen geiſterhaften Stimme, „ er iſt da, jener Mann aus Deutſchland, den du hältſt für Deinen Freund. “—
Joel wendete ſich herum, und ſtreckte die Hand nach Valerius aus — ſein Geſicht, halb bedeckt von den langen, lockigen Haaren, ſah zerſtört aus wie eine verwüſtete Kirche, wie ein ſchönes Gemälde, von deſſen Antlitz man das Leben ausgetilgt hat durch eine darüber geſtrichne weiße Farbe.
Valerius erſchrack im Jnnerſten, und die feuchte kalte Hand preſſend fragte er bekümmert, was ihm233 fehle, was er für ihn thun könne. Joel warf einen bittenden Blick auf ſeinen Vater.
Warum ſoll ich es nicht hören, Joel, ſprach dieſer, was Dich darnieder wirft, ich bin auch jung geweſen und habe gelitten wie Du — aber ich will gehen, wenn der Herr mir gut ſteht, daß Dir kein Unglück begegnet, während ich fern bin — Joel, mein Kind, verlaſſe nicht frühzeitig Deinen alten Vater —
Langſam ging der Alte hinaus, und man hörte es, wie er ſich unweit der Thüre auf den Boden ſetzte.
„ Sie ſind der einzige Menſch, “begann Joel mit ſchwacher Stimme, „ der mein Elend ermeſſen, mit dem ich darüber ſprechen kann. Jch glaubte nur die Wahl vor mir zu ſehen zwiſchen einem ſchnellen Tode, oder dem Ausſchütten meines Her - zens. Die Gedanken und Gefühle tödten mich, ich muß zum erſten Male in meinem Leben zu Jemand darüber reden, vielleicht hält das auf einige Zeit meinen Tod auf, den ich meines Vaters wegen fürchten muß, meines armen Vaters wegen. — Sie werden keine abſonderlichen Geheimniſſe erwar -234 ten, Sie werden voraus wiſſen, daß es ſich nur um ein kleines unbedeutendes Ding handelt, um einen ausgeſtoßenen Juden, wie mich. Aber ich weiß, Sie fühlen das abſcheuliche Unrecht der geſellſchaft - lichen Einrichtung, ich weiß, Sie ſind ein klarer, unbefangener Mann, ein gebrochnes Menſchenherz iſt Jhnen ſo viel, als ein gebrochnes Land, für das Sie das Leben einſetzen — können Sie mich nicht tröſten, ſo giebt es keinen Troſt für mich, und ich kann meinem armen Vater nicht helfen. “
Nach dieſer Einleitung erzählte er ihm die Ge - ſchichte ſeiner Neigung zu Hedwig. Sie hatte nichts Außerordentliches als die orientaliſche Gluth, welche ſich in dem kleinſten Worte Joels abſpiegelte, was er in dieſer Beziehung ſprach, die aus dem tiefſten Leben dringende Leidenſchaft, womit er das Mäd - chen in alle Faſern ſeines Lebens verflochten hatte. Niemals war es zu einer Erklärung gekommen von ſeiner Seite. So lange er Hedwig täglich ſehen konnte, wollte er nicht ſein Glück auf das Spiel ſetzen — das Leben in der Stadt hatte ſie ihm völlig aus den Augen gerückt. Einmal hatte er es verſucht, das Haus ihres Vaters zu betreten —235 Hedwig war nicht daheim geweſen, der alte Graf hatte ihn mit der ihm eignen ſchnöden Rohheit behandelt.
„ Es war ein ſchwerer Abend, als ich aus Hedwigs Hauſe trat, ohne ſie geſehen zu haben, und mein Gedächtniß die häßlichen Worte des Va - ters nicht vergeſſen konnte. Sie trafen mich damals in der Nacht — ich hatte die Heimkehr meines Mädchens erwartet, ich wollte nur ihren Schatten ſehen. Und ach, mein Freund, das waren noch glückliche Zeiten! “
„ Sehen Sie, es quälte mich zu Tode, ihre Augen nicht mehr ſehen zu können, und heute ging ich wieder hin in jenes Haus. Jch fand ſie, ich ſprach ſie, ach, und das Herz, das tiefgequälte, trat mir auf die Lippen, ich erzählte ihr all meine Freude, all mein Leid an ihr — Herr, ich lag vor ihr auf den Knieen, und bat um Leben oder Tod. Hedwig fuhr mir mit der Hand über die Locken, und bat mich, nicht ſo heftig zu ſein, und aufzuſtehn, Vater und Großmutter ſeien im Nebenzimmer. Aber die Welt war für mich ver - ſchwunden, ich ließ ihre Hand nicht mehr los, und236 beſchwor ſie, zu mir zu reden, wie es das Herz ihr eingebe. Das Mädchen war erſchrocken, war geäng - ſtigt, ich fühlte es, wie ihre Hand in der meinen zitterte; ich aber ließ nicht ab von meinem Drän - gen, und da ſprach ſie denn endlich zögernd und ſtotternd jene Worte “—
Joel hielt den Athem an, als müſſe alles Leben ſtill ſtehen in ſeinem Körper, er ſchloß die Augen, und drückte krampfhaft die Hand ſeines Freundes. Aber nach einer kurzen Pauſe fuhr er mit gefaßter, aber noch leiſerer Stimme fort:
„ Hedwig ſagte, ſie habe mich gern, ſie habe mich lieb, aber ich ängſtigte ſie mit ſolcher Leiden - ſchaft. Kurz — ſie hat es nicht ausgeſprochen, ſie weiß es vielleicht ſelbſt nicht, aber ich verſtand es — das arme Mädchen würde mich lieben, wenn ich ein Pole wäre — verſtehen Sie, Freund, ſie kann ſich eines leichten Schauers nicht erwehren, wenn ſie daran denkt, ach, wenn ſie daran denkt, daß ich ein Jude bin — —
— „ Gott im Himmel, Du weißt es, welch ein entſetzlicher Fluch gegen die ganze Welt aus meinem Herzen ſtieg, aber der namenloſe Jammer,237 der über mich herfiel, erſtickte ihn. Noch hielt ich Hedwigs Hand feſt, ſo feſt, wie ich jetzt die Jhrige halte, ich wollte ſie dem tückiſchen Schick - ſale nicht frei geben, noch lag ich vor ihr auf den Knieen — da hört’ ich ein wunderbares Gekreiſch hinter mir, und die Henkersſtimme des alten Gra - fen bringt mich zur Beſinnung. Die Flügelthüre iſt offen, wie der Höllenrichter ſitzt er auf ſeinem Stuhle mitten im andern Zimmer, die alte ſchwarze Gräfin ſteht nicht weit von uns, ihre trocknen Hände ſind wie zum Fluch erhoben — vorüber, vorüber, er hat nach den Bedienten gerufen — ich habe den einen zu Boden geſchlagen, Gott weiß, ob er wieder aufgeſtanden iſt, und bin hierher geflohn in Manaſſes verborgene Zelle “—
Valerius fühlte die Unmöglichkeit, hier zu trö - ſten, wie damals auf dem Schloſſe. Es handelte ſich um ein tödtliches Erbübel der Geſellſchaft, und er konnte wie ein freundlicher Arzt nur Alles auf - bieten, die Schmerzen zu lindern. Joel mußte ſich ausſprechen, ausklagen, austoben — die Zeit der Thränen war vorüber, aber jeder Schmerz iſt wie alles Jrdiſche, er erſchöpft ſich durch ſich ſelbſt. 238Und als Joels Kräfte die Flügel ſenkten, da erzählte ihm Valerius alle die verſchiedenen Peinigungen, denen dieſer und dieſer und jeder Stand ausgeſetzt iſt im Verhältniß zu dem andern, und wie es ſchwach und unwürdig ſei, ſolchen menſchlichen Zufälligkeiten ſein ganzes Weſen zu unterwerfen.
Der Stolz war es aber juſt, welcher Joel ein wenig aufrichten konnte, denn er hatte mehr als die Liebe ſein Herz gebrochen. Auch iſt ein edler Stolz in vornehmen und unterdrückten Menſchen noch ſtärker als die Liebe: ſie können weiter leben mit einem Herzen, das mit Liebesweh überfüllt iſt, aber ſie gehen unter, wenn man ihre Ehre und Würde zerſchlägt.
Valerius ſuchte alſo ſeinen Freund auf einen Standpunkt zu erheben, von welchem dieſe geſell - ſchaftlichen Mißverhältniſſe klein, unbedeutend, lächer - lich erſcheinen, er ſuchte ihm das ganze Gefühl eines denkenden Menſchen wiederzugeben, der leicht über die Zänkereien ſeines Tages, ſeines Jahrzehnds hinweggeht. Joel beſaß eine große, ſchöne Seele, die den höchſten Gedanken zugänglich war. Leiden erzeugen immer die Spekulation unſrer inneren Thä -239 tigkeiten, und ſie erweitert den Geiſt. Joel hatte Alles durchgedacht, und jedes Wort des Freundes fand eine befreundete Stätte. Es kehrte wieder Wärme in den Unglücklichen zurück, und als Manaſſe eintrat, war ſein Sohn ſo weit be - ruhigt, daß er dem alten Vater die Hand reichen konnte zum ſtillen Verſprechen, er werde nichts Gewaltſames gegen ſich unternehmen. Manaſſe herzte und küßte ihn und war ausſchweifend in ſeiner Freude. —
— „ Es war auch von Jhnen die Rede, “wen - dete ſich plötzlich Joel an Valerius — „ der Alte ſchrie im Zorne, Sie munterten mich auf zu ſo frevelhafter Dreiſtigkeit, Sie ſeien ein Jakobiner, trieben ſich in nächtlichen Verſchwörungen herum, und man würde dem fremden Landläufer das Hand - werk legen “—
Das machte den widerwärtigſten Eindruck auf den Deutſchen. — Jndeſſen hielt er es immer für eine Hauptaufgabe der Bildung, die eignen Jnter - eſſen zurückzudrängen, ſo lange Andere unſere Thä - tigkeit oder Theilnahme in Anſpruch nehmen. Er empfahl alſo Joel, ſich zunächſt in dem Verſteck240 Manaſſes aufzuhalten, bis er ſichre Nachricht erhielte, ob die Scene bei Hedwig in ſo weit glücklich ab - gelaufen ſei, daß der getroffene Bediente lebe oder nicht. Er, Valerius, wolle ſogleich zu dem Chef ihres Regimentes, dem Grafen Kicki, eilen, um die militairiſchen Dienſtverhältniſſe ſo weit zu ordnen, daß Joel in den nächſten Tagen von dieſer Seite her ohne Störung bleiben könne. So ſchied er.
Zu ſeinem Erſtaunen war es ſchon ſpäter Abend, als er in die Straßen heraus kam; es fiel ihm ſchwer auf’s Herz, daß er nicht füglich noch in das Haus von Stanislaus Vater gehen könne, daß Conſtantie, wenn ſie geſtern ſeinen Geſang gehört habe und heute wieder im Salon erſchienen ſei, völlig irre an ihm werden müſſe, ja daß ſie wohl gar glauben könne, er treibe ſeinen Scherz mit ihr. Eben ging er an ihrer Wohnung vorüber, es war finſter in ihren Zimmern. Unſchlüſſig ſtand er einen Augenblick; aber Joels Angelegenheit war dringend — er eilte weiter, ſeinen Oberſt aufzuſuchen.
Graf Kicki empfing ihn ernſt und kalt — ganz gegen ſeine Gewohnheit. Er war ſchon unterrichtet241 durch Hedwigs Vater. Der Bediente lebe noch, ſetzte er hinzu, aber der Vorfall ſei von ſehr trauri - ger Bedeutung. Sie können doch, ſprach er mit großer Schnelligkeit, Sie können doch, Herr von Valerius, unmöglich ſo viel moderne Bildung von uns verlangen, daß wir unſre edlen Familien mit Juden vermiſchen. Es ſteht mir kein Recht über den jungen Mann zu, oder der Augenblick iſt wenig - ſtens nicht geeignet, die Soldaten wegen ihrer Pri - vatangelegenheiten vor Gericht zu ſtellen, aber — und das Letzte ſprach er mit unverkennbarer Be - züglichkeit — ich wünſchte, nicht mehr ſolche auf - klärende Jndividuen unter meinem Regimente zu haben.
Valerius war von dem heftigſten Zorne bewegt, und kündigte dem Grafen mit ſchnellen Worten an, daß er für die Ehre danke, mit Truppen zu fechten, welche ihr Verdienſt von der höheren oder niederen Geburt erhielten.
Der Graf war überraſcht und wollte ſprechen, Valerius aber fühlte ſich im Jnnerſten verletzt, er glaubte all ſeine Grundſätze am Herzen angegriffen zu ſehn, und überließ ſich rückſichtslos einer Wallung,III. 11242wie ſie auch dem beſonnenſten Menſchen dieſer Art aufſteigt, wenn ihn ein Wort aus allen Täuſchun - gen rüttelt. Und dergleichen hatte er am wenigſten bei einer Revolutionsarmee wie die polniſche er - wartet.
„ Sie haben mich, Herr Graf, einſtweilig des Dienſtes entlaſſen, ich ſcheide nun für immer aus Jhrem Regimente. Nimmermehr hätte ich dieſe Art, über Soldaten zu urtheilen, bei einem Heere erwartet, deſſen alter Kern noch unter Napoleon gefochten. Bonaparte, Herr Graf, war ein armer korſikaniſcher Junker, Bonaparte hat nie darnach gefragt, was Junot, Bernadotte, Ney geweſen, bevor ſie Soldaten wurden; die Säbel, Herr Graf, und die Fähigkeit haben ſeine Marſchälle geſchaffen, in Aegypten war er Muſelmann, und hätte er Juden zu unterwerfen gehabt, er wäre in die Synagoge gegangen, er hat nie darnach gefragt, auf welche Weiſe ſeine Soldaten zu ihrem Gott beteten. Jch wünſche es von Herzen, aber ich glaube es kaum, daß Sie mit dieſen ariſtokratiſchen Bedenklichkeiten eine glückliche Revolution machen. “
243Damit wendete er ſich zum Abgehen. Der Graf trat ihm aber in den Weg und nahm ihn bei der Hand.
Sie irren ſich, Herr von Valerius, wenn Sie mich für einen Ariſtokraten halten, ich bin nichts weiter, als ein Pole und ein Soldat. Haben Sie Recht mit Jhrem Argwohn, ſo bin ich unſchuldig, denn ich weiß nichts von ſolchen Dingen und frage nicht darnach. Aber ich glaube nicht, daß es gut iſt, alle Unterſchiede niederzuwerfen — Sie ſollten ſich nicht das Leben verbittern, Herr von Valerius, mit ſolchem Zeuge, Sie ſind ein raſcher, friſcher Krieger, ein gebildeter Mann, was kümmern Sie ſich um andere Dinge! Jch war hitzig, die Ge - ſchichte mit Fräulein Hedwig hatte mich aufgebracht, man nennt Sie einen Jakobiner; aber laſſen Sie uns beiſammen bleiben und weiter zuſammen fechten. — A propos, ein Graf von Topf aus Teutſchland hat einmal an mich geſchrieben Jhretwegen, ich gab ihm unbefriedigende Nachrichten, die ungefähr ſo ausgeſehen haben mögen, als ſeien Sie bei Grochow geblieben — bringen Sie den Mann auf’s Reine, ich habe im Drang der Dinge fortwährend vergeſſen,244 Jhnen davon zu ſagen. — Und nicht wahr, wir fechten noch zuſammen? —
Valerius gab ihm keine bejahende Antwort, er war noch zu heftig in Aufregung. So ſchieden ſie raſch, und beide Theile waren unbefriedigt.
von Karl Jmmermann. Hamm u. Münſter, 1822. 8. 2. Brief an einen Freund über die falſchen Wanderjahre. Von Karl Jmmermann. Münſter, 1823. 8. 3. Car - denio und Celinde. Trauerſpiel von Karl Jmmermann. Berlin, 1826. 8. — Helene von Tournon. Erzählung von Amalia von Helvig, geborne Freiin von Jmhof. Berlin, 1824. 12. — Beiträge zur Poeſie, mit beſonderer Hinweiſung auf Goethe. Von Johann Peter Ecker - mann. Stuttgart, bei Cotta, 1824. — Das Mädchen von Andros, eine Komödie des Terentius, in den Vers - maßen des Originals, überſetzt von F. M. B. Mit Ein - leitung und Anmerkungen herausgegeben von K. W. L. Heyſe. Berlin, 1826. 4. — Das Leben der Frau von La Mothe-Guyon, von ihr ſelbſt beſchrieben. Aus dem Franzöſiſchen überſetzt von Henriette von Monten - glaut, geb. von Cronſtain. Drei Theile. Berlin, San - der, 1826. 8. — Magnus Gottfried Lichtwer’s Schriften. Herausgegeben von ſeinem Enkel Ernſt Ludwig Magnus von Pott. Mit einer Vorrede und Biographie Lichtwer’s; von Friedrich Cramer. Halberſtadt, 1828. 12. — Rußland in der neueſten Zeit. Eine Skizze von E. Pabel. Dresden u. Leipzig, 1830. 8. — Wanderung durch Vaterhaus, Kriegeslager und Akademie zur Kirche. Mittheilungen aus dem bewegten Leben eines evangeliſchen Geiſtlichen. Magdeburg, 1832. 8. — Notice sur Goethe. Genève, 1832. 8. — Ueber Goethe’s Fauſt, als Einlei - tung zu Vorträgen darüber. Von Dr. K. E. Schubarth. Hirſchberg, 1833. 4. — Memoiren eines deutſchen Staats - mannes aus den Jahren 1788 — 1816. Leipzig, 1833. 8. — Memoiren eines preußiſchen Offiziers. Herausgegeben von C. Herloßſohn. Leipzig, 1833. Zwei Theile. 12. — Biographiſche Nachrichten von der Gräfin Maria Aurora Königsmarck. Erzählt von Dr. Friedrich Cramer. Mit einem Facſimile. Quedlinburg und Leipzig, 1833. 8. — Zwei Jahre in Peiersburg. Ein Roman aus den Pa - pieren eines alten Diplomaten. Leipzig, Brockhaus, 1833. 8. — Erzählungen, Skizzen und Gedichte von Ludwig Rellſtab. Berlin, Duncker und Humblot, 1833. Drei Theile. 8. — Die Xenien aus Schiller’s Muſenalmanach für das Jahr 1797. Geſchichte, Abdruck und Erläuterung4[] derſelben. Danzig, 1833. 12. — Abendſtunden, heraus - gegeben von Dr. Franz Theremin. Berlin 1833. Duncker und Humblot 8. — Goethe’s Fauſt. Andeutungen über Sinn und Zuſammenhang des erſten und zweiten Theils der Tragödie. Von Dr. F. Deycks. Koblenz, 1834. 8. — Friedrich des Zweiten Anti-Machiavel, nach einer Original-Handſchrift herausgegeben. Hamburg, 1834. Friedrich Perthes. 8. — Veranlaſſung und Geſchichte des Krieges in der Mark Brandenburg im Jahre 1675. Nach Archivalien des Geheimen Staatsarchivs zu Berlin u. ſ. w., bearbeitet von H. von Gansauge. Berlin, bei G. Reimer 1834. 8. — Le Monde comme il est; par le marquis de Custine. Paris, chez Eugène Renduel. 1835. 2 Vol. 8. — Die drei Perioden der königlich preußi - ſchen Akademie der Wiſſenſchaften, und: König Friedrich der Zweite als Geſchichtſchreiber. Zwei akademiſche Reden von Friedrich Wilken. Berlin, 1835. Bei Duncker und Humblot, 8. — Erinnerungen an Winckelmann. Abhandlung von A. Krech. Berlin, 1835. 4. — Leben des königlich preußiſchen geheimen Rathes und Doctors der Arzneiwiſſenſchaft Ernſt Ludwig Heim. Aus hinter - laſſenen Briefen und Tagebüchern herausgegeben von Georg Wilhelm Keßler. Leipzig, Brockhaus, 1835. Zwei Theile. 12. — Facſimile von Handſchriften berühm - ter Männer und Frauen. Bekannt gemacht und mit hiſtoriſchen Erläuterungen begleitet von Dr. Wilhelm Dorow. Auf Stein geſchrieben im lithographiſchen Jn - ſtitute des Verlegers. Erſtes Heft. Berlin, 1836. Verlag von L. Sachſe und Comp. 4.
Gedichte.
Epigramme des Platon. — Prinz Ludwig Ferdinand von Preußen. — Die Brüder Warnawa in Hameln. — An eine ſchöne Frau. — Mädchen ſpiegel. — Romanze. — Betrachtung. — Herbſtgefühl. — An den Ueberſetzer Voß. — Weſentliches. — Verlorne Gegenwart. — Auf der Reiſe. — Der Edelknabe der Kaiſerin Kunigunde. — Johanna Stegen in Lüneburg. — Der Fürſtengarten. — Stimme des Kranken. — Die Ruſſen in Holland. — An der Nordſee. — Sand. — Wie es geht. — Uebereinſtim -5[] mung. — Fiat applicatio! — Falſche Götter. — Goethe’s Werke. — Friedrich Auguſt Wolf’s Marmorbüſte. — Jn Rauch’s Werkſtatt. — Tieck’s Gedichte aus Jtalien. — Verſagt und gewährt. — Nur weiter.
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Jnhalt des zweiten Bandes.
Ueberſicht. — Nicolaus Lenau. — Chamiſſo. — Jm - mermann. — Karl Köchy. — Hoffmann von Fallersleben. — Die Poeten von der Elbe. — Ludwig Tieck. — Bet - tina. — E. T. A. Hoffmann. — Die franzöſiſchen Ro - mantiker — Die fremden Sprachen. — Der Stil. — Wolfgang Menzel. — Jean Paul. — Von Woltmann. 6[]— Varnhagen von Enſe. — Fürſt Pückler Muskau. — Leopold Schefer. — Daniel Leßmann. — Detmold. — Der neue Unbekannte. — Edward Lytton Bulwer. — Spindler. — Der Roman.
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9[]III. Geſchichtliche Erinnerungen. — Kotzebue. — Eddyſtone. — Verona. — Magnetismus. — Die jungen Mütter. — Die Debüts. — Zwei Theaterdichter.
IV. Pariſer Tabletten. — Feſte in München. — Spiel. — Karl Schall. — J. G. Freiherr von Maltitz. — Rudolph vom Berge. — Jna.
Die Engländer. Von Franz Kottenkamp.
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Die jetzigen und die früheren Stutzer. — Begriff des Gentleman. — Begriff der engliſchen Ariſtokratie. — Spleen, Whims und Humor. — Comforts. — Egoismus und Gemeinſinn. — Nationalhaß. — Auswärtige Politik. — Colonien. — Heer und Flotte. — Whiggism und Torysm. — Bemerkungen über geiſtiges Leben.
Die Sagen und Geſchichten des Rheinlandes. Jn umfaſſender Auswahl geſammelt und bearbeitet von Karl Geib. gr. 8. broſchirt. 2 Thlr. — 3 fl. 30 kr.
10[]Die Reiſetage aus meinem Leben von Ludwig Bechſtein.
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Jnhalt.
I. Thüringen. — Frankfurt. — Die Rheinfahrt. — Cöln. — Düſſeldorf. — Aachen. — Belgiſche Reiſe.
II. Paris.
Klagen eines Juden.
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Der Verſtümmelte. Aus dem Franzoͤſiſchen von Saintine.
Nach der vierten Auflage in’s Deutſche übertragen.
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