PRIMS Full-text transcription (HTML)
Das junge Europa.
Novelle
Dritter Theil. Die Bürger.
Mannheim. Verlag von Heinrich Hoff. 1837.
Die Bürger.
Novelle
Mannheim. Verlag von Heinrich Hoff. 1837.
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Die Bürger.

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1. Hippolyt an Valerius.

Zu Pferde Dir, zu Pferde Dir, Laßt uns die Welt durchreiten, Die Erde rennt ſo blitzgeſchwind, Sie wird uns noch entgleiten.

Weißt Du noch, mein Lieber, wie ich dieſen Vers in die Luft hineinſang? Jch wußte ſelbſt nicht, wo er herkam. Wenn man ein wenig poetiſches Ge - ſchiick hat, da treten oft die verborgenſten Gedanken des Jnnern plötzlich als kleine ſangbare Verſe auf unſere Lippen. Das iſt das Geheimniß der Poeſie und der Welt, am Ende weiß kein Menſch, wie er zur ſogenannten Wahrheit kommt, auch die Ge - damken ſind Zufälle oder göttliche Ordnung. Es war damals ein ſchöner, friſcher Sonnenmorgen, und wir ritten über die thaublitzende Fläche hin, die Augen nach den fernen, dampfenden Bergen4 richtend. Jn der Kraft unſrer Jugend, in der Friſche des Morgens fühlten wir allen Reiz des Daſeins, und ſchworen luſtig hinauf zum Himmel, daß dieſe Welt zur Freude geſchaffen ſei, zum Tum - melplatze des kecken, muthigen Menſchen, und daß wir das beweiſen wollten durch unſer fröhliches Wan - derleben bis zum lachenden, muntern Tode ſelbſt. Das alte Europa, was damals ſeine morſche Hülle kaum geſchüttelt hatte, wollten wir verjüngen helfen, wir jungen, romantiſchen Narren! Nun, Freund, wir leben doch für Etwas, wenn wir auch den Schmetterling nicht mit drei ſchönen Worten aus der Puppe locken; Alles, was geſchieht, iſt intereſſant für uns, wir ſehen überall neue Jugend ſproſſen. Wenn wir uns auch tauſendfach irren, ſo leben wir doch, das heißt, wir empfinden nach allen Rich - tungen unſre Exiſtenz, wir haben Jntereſſen, und der Tod findet doch etwas an uns zu tödten, der nächſte Planet etwas fortzuſetzen. Unſre übermüthi - gen Jugendpläne, die Welt umzugeſtalten, haben wir wohl zum Theil aufgegeben, wir ſind erſchrocken vor der Mannigfaltigkeit der Welt, vor der Uner - ſchöpflichkeit ihrer Verhältniſſe und Zuſtände. Aber5 ſo kleinmüthig und verzagt wie Du, mein Freund, bin ich noch lange nicht. Pfui! was war das für ein muthloſer Brief, den Du mir aus Warſchau geſchrieben! Kopf in die Höhe! Vielleicht finden wir ſchon nach den nächſten Schritten das Abſolute, worin alle Schönheit und Herrlichkeit zuſammenge - drängt iſt, das Zauberwort, das alle Geheimniſſe löſ’t. Jmmer weiter im einmal begonnenen Laufe, laß brauſen, Freund, laß brauſen , wir ſind ein - mal auf dem Wege, und Kinder und Weiber kehren um, wenn die Wetter losbrechen und Alles ſtürzt und fällt.

Ja, es iſt wahr, anders iſt’s gekommen mit der revolutionairen Zeit, als wir erwarteten, es hat manchmal das Anſehn, als trieben Kobolde ihr Spiel mit uns, als ſei das Neue ſchlechter als das Alte, der üppige Kaufmann mit dem Geldbeutel in der Hand widerwärtiger als der alte Adlige mit dem Stammbaum; aber nur weiter, Freund, weiter! Wenn der Gedanke, wenn die Theorie nicht mehr Recht behalten ſoll, dann müßte ja die Vernünftig - keit der Erde, und mit ihr die Erde ſelbſt zu Grunde gehn. Der Gedanke iſt ja der Geiſt Gottes.

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Jch habe Dir ſeit dem Sommer 30, ſeit Paris nichts mehr über mein Leben geſchrieben. Offen geſtanden, Freund, jenes teutſche Mädchen, jene zauberiſche Julia hat ſo viel von meiner urſprüng - lichen Kraft zerbrochen, daß ich ſeit jener Zeit micht mehr gern von mir erzähle. Wir ſind wie die Wei - ber: wir geſtehen es uns nicht gern, daß wir älter und ſomit unmächtiger werden. Julia hat mir das fabelhafte Vertrauen auf meine Kraft und Macht geraubt, und dadurch den Zauber meiner Jugend erſchüttert. Sie war das erſte Mädchen, das mir widerſtand. Jn jener Nacht, wo ich Alles vergeb - lich aufgeboten hatte, um ſie zu erweichen, rannte ich wie toll durch die Straßen von Paris, ich ſtüirzte mich in die Seine, um meine Gluth zu kühlen, meine Eitelkeit und Zuverſicht waren in’s Herz ge - troffen. Jch kenne den ſentimentalen Liebesjammer nicht, den die Teutſchen ſo ausführlich beſchreiben, und woraus ſie eine Art von Poeſie gemacht haben, Wehmuth und Thränen kamen mir alſo nicht zu Hilfe, um die wilde, unbefriedigte Kraft in mir zu brechen, ſie mußte daher in ſich ſelbſt vertoben. O es war eine grauſame Wirthſchaft!

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Als die Ruhe wiederkam, und ich mich umſah, da graute mir vor dieſem neuen Weſen in Frank - reich. Die Lüge hatte den Kampfplatz behauptet, in lauter Täuſchungen ließ ſich das leichtſinnige, thörichte Volk herumſchaukeln, und es ſchnitt mir durch’s Herz, wenn ich den Jubel anſah, welchen ſie beim Anblick ihres neuen Königs erhoben. Dieſer Bürgerkönig Ludwig Philipp iſt der größte Reprä - ſentant unſrer jetzigen Tage, Gott geb es, nicht der neuen Zeit. Er iſt wirklich der Held einer Durch - gangsepoche, welche die Winde beflügeln mögen, und man darf ihm den Ruhm einer gewiſſen Größe nicht verſagen. Er hat nicht nur das alte Bour - bonenthum, und Alles, was um und dran war, bezwungen, nicht nur die Jakobiner unterworfen, ſondern allen Liberalismus bewältiget. Man kann ihn Ludwig den Vierzehnten des neuen Jahrhunderts nennen: jener hat die Ariſtokratie geſtürzt und ward der Abgott des Adels, dieſer hat die Demokratie unterdrückt und heißt der Bürgerkönig. Er beſitzt alle Eigenſchaften, die zu einem Helden dieſer neu - ſten Art nöthig ſind, er iſt klug, ſehr klug, und zwar beinahe ſo klug als Talleyrand, denn er hat’s8 lange nicht merken laſſen, daß er klug iſt. Er ver - meidet ferner die Extreme, ſetzt Krieg oder Frieden nie auf eine Karte, und wenn er’s einmal öffentlich thun muß, ſo ſpielt er privatim eine ganz andere, ſichere Partie. Das Repräſentativſyſtem, was ſonſt den Königen hinderlich war, iſt durch ſeine Klugheit für ihn die bequemſte Regierungsart geworden: iſt die öffentliche Partei im Nachtheil, ſo tragen die Miniſter Schande und Verluſt, der Thron desavouirt ſie, und zeigt beſcheiden, wie er bereits privatim viel vortheilhaftere Dinge vorbereitet habe; ſiegt das Miniſterium, ſo ſchließt er ſich emphatiſch dieſem Siege an, zuckt die Achſeln zur Privatpartei, und bedauert gegen die fremden Geſandten, daß ihm die Hände gebunden ſeien. Jn der erſten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts regierten die Abenteurer aller Art mit kecken Lügen und Jntriguen einen großen Theil von Europa; an die Stelle jener be - rechnenden Perſonen ſind jetzt berechnete Begriffe getreten; man herrſcht jetzt mit einer gewiſſen Staats - algebra, und in kurzer Zeit iſt aller Fortſchritt, den wir erwarteten, auf ein Paar Formeln gezogen, dieſe werden ſtudirt, die neue Wiſſenſchaft iſt fertig, ihr9 Urſprung und Beikram werden auf die Seite ge - worfen.

Als der Adel geſtürzt ward, kam der Deſpotis - mus an die Reihe, dieſen ſtürzten die Jakobiner, die Jakobiner unterlagen den Soldaten, die Sol - daten überwältigte das Geld. Und das Geld herrſcht heute noch, denn die Bildung, deren Herrſchaft wir zu befeſtigen glauben, ſteht im Solde des Gel - des. Ludwig Philipp iſt auch der König des Geldes, und die Börſe bedeutet jetzt Frankreichs General - ſtaaten. Was iſt nun geblieben von der alten Poeſie der Herrſchaft? Etwa die Tapferkeit? Allerdings iſt eine gewiſſe Tapferkeit noch zu finden: ſo lange Erfolg und Sieg noch zu hoffen iſt, wird Ludwig Philipp ſeinen Thron mit ſeinem Leibe vertheidigen, er iſt auch in dieſer Hinſicht der Held unſrer Tage. Aber dieſe Tapferkeit hat nichts von jener poetiſchen Eigenſchaft, die wir ſo nennen, ſie iſt die Tapfer - keit des Kaufmanns, der ſich für ſeine beſſeren Waa - renballen ſchlägt, der aber den Kampf aufgiebt, wenn er bedenklich wird, um wenigſtens einen Theil jenes Vermögens zu retten. Es iſt nichts mehr von dem ritterlichen Elemente des Streits zu entdecken, nichts1*10mehr von romantiſchen Fratzen jenes Schlachtrufes: Sieg oder Tod, König oder Nichts! nein, Alles oder doch Etwas heißt die neue Parole.

Glaube nicht, daß ich thörichterweiſe Ludwig Philipp anklagen will wegen dieſer Stellung. Nicht doch! Die Zuſtände haben ihm die Stellung an - gewieſen, und wenn ich nicht gegen dieſe ganze Richtung Partei nähme, ich würde ihn als die höchſte Potenz der jetzigen Klugheit und Macht bewundern. Jch verarge es dem Einzelnen nicht, wenn er herr - ſchen will, dieſer Trieb iſt uns zu tief eingepflanzt und enthält den Keim alles Fortſchritts; ich bekämpfe nur ſolche Einzelne: Ludwig Philipp konnte und wollte nicht Demokrat ſein, es blieb ihm nichts übrig, als der Hofmann des Volks, der Kaufmann der Nation, der Handelsmann der Repräſentativ - Regierung zu werden.

Jn der Nothwendigkeit ſeiner Stellung liegt aller Kummer, der mich drückt. Dieſe entſetzliche Proſa beugt mich zu Boden. Die Poeſie des Rit - terthums haben wir geſtürzt, und um die Poeſie des Liberalismus ſind wir vorläufig gebracht. Wird die Zeit kommen, und wann wird ſie kommen, wo11 die Geldintereſſen wieder die zweite, unterſtützende, nicht aber herrſchende Stelle einnehmen werden? Frankreich, als Flügelmann Europas, iſt auch das Horoskop Europa’s. Ueber kurz oder lang ſinkt auch die engliſche Ariſtokratie unter den Zahlen der brittiſchen Kaufleute, und ſo geht’s weiter. Oder iſt nicht eigentlich jetzt ſchon das Geld ein weſent - liches Moment der engliſchen Lords? Beſitz iſt die Loſung unſrer Tage, und die Kultur, wenn ſie was gelten ſoll, muß ſich ebenfalls darnach richten. Erfinde eine Poeſie des Beſitzes, oder wir gehen unter in dieſer breiten Proſa.

Du haſt Recht, wenn Du mir Vorwürfe machſt über mein völliges Stillſchweigen ſeit ſo langer Zeit, ich hatte aber auch Recht. Jch fing an, ein - herzutappen, ſtatt einherzuſchreiten durch die Welt. Soll ich meinen Freund mit herumzerren in der trunknen Bewegung? Schon bin ich wieder feſter, und da bin ich auch wieder bei Dir. Wo Dich meine Briefe treffen werden denn jetzt werd ich Dir öfter ſchreiben weiß ich nicht; ich will ſie alle nach Grünſchloß ſchicken, früher oder ſpäter kommen ſie Dir von dort ſicher in die Hände. 12Warum nicht nach Warſchau? Weil ich jeden Tag dachte, Warſchau iſt wieder ruſſiſch, und nun iſt’s ſo weit, und Leopold ſagt mir, Du ſei’ſt über die Brücke, wer weiß wohin; es iſt zu viel brutale Eitelkeit der Perſonen unter jenen Staroſten, als daß ihnen etwas gelingen könnte, was ſie gemein - ſchaftlich unternehmen. Es geht Alles auseinander, homeriſch treibt man ſich in Einzelnkämpfen um, und das iſt lauter Niederlage in unſrer modernen Zeit, wo die Perſon nichts mehr gilt. Und hättet Jhr noch mehr Leute, tapfer und gewaltig wie Achill und Ajax, ſchnell wie Diomed, gewandt wie Ulyß, es hälfe Euch nichts; ſelbſt in jener grauen Zeit konnten dieſe Heroen Troja nicht erobern, die Liſt und die Götter mußten’s thun. Und die Griechen vor Troja haben wahrlich eine große Aehnlichkeit mit den polniſchen Helden, und Homers Wunſch nach einer zügelnden Alleinherrſchaft erſcheint nur zu natürlich.

Das Epos an ſich hat mir immer einen ſehr langweiligen Beigeſchmack, und ich habe gar nichts dawider, daß die kleinen, kurzen, wandelbaren Jnter - eſſen der modernen Zeit dieſe Dichtungsart verdrängen;13 aber wenn der polniſche Krieg beſungen werden ſollte, ſo wäre das Epos die beſte Form dafür, das mag ich Dir zugeſtehen. Freilich ein ganz anderes, nai - veres als das bisherige Stanzenepos. Jch will Deine Poloniade leſen, wenn Du eine ſchreibſt; etwas lang - weilig wird ſie doch.

Warum ich nicht zu Euch gekommen bin? Jch weiß es ſelbſt nicht. Jch habe die Polen früher nicht leiden mögen, ich ſah ſie nur in der Fremde mit ihrem Stolz, ihren Bedienten, ihrer abſtoßenden Nationalität dieſen Krieg erwartete ich nicht von ihnen. Und Du weißt, ich handelte immer weniger nach allgemeinen Begriffen, mehr nach beſonderer Vorliebe, als Du, mein objektiver Freund. Du ſchreibſt von einer Goldrolle, die ich Dir mit mei - nem letzten kurzen Briefe nach Warſchau geſchickt haben ſoll. Das iſt ein Jrrthum, mein Billet ging allein an Dich.

Nun will ich Dir erzählen. Jch verließ Paris. Ungern, ja mit Schmerz ſchied ich von den Fran - zoſen. Sie ſind und bleiben das liebenswürdigſte Volk der Welt; ſelbſt ihre Jrrthümer und die Täu - ſchungen, welche ſie erleiden, keimen aus ihrer Lie -14 benswürdigkeit. Eine gewiſſe Ritterlichkeit hat immer ihre Mißgriffe erzeugt, auch die letzten. Wenn ſie ſich wie die Helden geſchlagen hatten, dann verziehen ſie auch großmüthig wie die Helden. Der ganze moderne Wirrwarr ſelbſt mit Berechnung und Geld wird von ihnen und durch ihre Lebhaftigkeit ſo bunt und intereſſant ausgebildet, daß er immer noch einen Schimmer von Poeſie behält. Jſt ihnen auch oft die Freiheit wieder entglitten, die Gleichheit haben ſie aus allen Stürmen gerettet; der reiche Banquier und der ärmſte Journaliſt, einer repräſentirt ſeinen Monſieur wie der andre; und das iſt nicht etwa geſellige Duldung mit allerlei Rückhaltsgedanken, wie man ſie in den beſten Geſellſchaften Teutſchlands findet, nein, es iſt eine Sache an ſich, ein Abſolutes. Jeder Mann gilt für einen Mann, und ſeine Worte werden nach ihrem abſoluten Werthe beachtet, nicht nach Rückſichten. Das Geld iſt mächtig, aber nicht allmächtig. Keime zu allerlei neuen, lockenden Zu - ſtänden liegen überall am Tage, nirgends iſt Tod und Erſtarrung.

Jch wollte mir das neue Königreich betrachten, was gegen alle diplomatiſche Erwartung aus den15 Niederlanden aufgewachſen war. Dieſe wilde Pflanze Belgiens hatte einen eigenthümlichen Reiz für mich. Den Polen verzeihen die ärgſten Stabilitätsmänner in ſchwachen Stunden eine Revolution. Es iſt Ge - ſchichte da, ſagen ſie, nationales, tiefes Element. Aber was wollen dieſe Belgier, deren Name ſo un - bekannt und neu iſt, wie die Namen Ligurien, Ba - tavien und dergleichen, die aus dem franzöſiſchen Paroxysmus der neunziger Jahre hervorwuchſen? Die Klagen dieſes Volks über Holland, fahren ſie fort, ſind nur Zeichen von eigenſinnigem Uebermuth, das Ganze iſt die frevelhafteſte Revolution, die noch dageweſen iſt.

Gerade das intereſſirte mich. Jch glaubte eine muthwillige Freiheitsſympathie darin zu finden. Es iſt kein ordinaires, anſtändiges Mädchen, dachte ich, was mit gutem Rechte eine Ehe verweigert, ſondern ein eigenſinniges, kapriciöſes, wildes Ding, was als ſelbſtſtändiges Geſchöpf auch ſeine Launen geltend machen will. Und Du weißt ja, ſolche Mädchen ſind mir immer die intereſſanteſten geweſen. Hier iſt Natur, üppige Natur, Urſprüngliches, dort kaltes Produkt beſchränkter Erziehung.

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So ritt ich denn im Spätherbſt über die nörd - lichen Flächen Frankreichs dahin, immer hinab nach der Meeresniederung, und ſah mich an einem hellen Mittage in den breiten, glänzenden Straßen von Brüſſel. Eine vornehme, blendende Stadt. Jch betrachtete mir lächelnd die Kanonenkugeln, die in dichten Schaaren aus manchen Häuſern kuckten, un - willige Zeugen der lärmenden Septembertage, und der entſchloſſenen Holländer, dieſe ſchimmernde Stadt um jeden Preis wieder zu erobern. Jch brachte mein Pferd unter, und eilte nach dem Park. Viel - leicht war es hier das erſte Mal, daß ich den Käm - pfen um Recht und Freiheit grollte, als ich ſo manchen der ſchönen, ſtattlichen Bäume, welche hier ihren majeſtätiſchen Schatten ausbreiten, zerſtört, verſtümmelt ſah. Ein ſtolzer, ausgebildeter Baum iſt wie ein fertiger abgerundeter Menſch, ſeine Ver - ſtümmelung erinnert an Barbarei. Es war ein ſchöner Tag, wie ihn die ſpäte Jahreszeit in dieſen Gegenden bringt; und der Park war erfüllt von Spazierenden zu Fuß, zu Roß und zu Wagen. Ein gewiſſer Freiheitsübermuth lag auf vielen Ge - ſichtern. Eine gelungene Revolution macht ſtolzer17 als eine gewonnene Schlacht, man glaubt den eige - nen Schulmeiſter überwunden zu haben, und der dünkt uns bekanntlich immer gelehrter und gewal - tiger als alle anderen. Der Menſchenſchlag in dem neuen Belgien ſchien mir übrigens wirklich abgeſon - dert und voll Eigenthümlichkeit, und ich glaubte eine Menge hiſtoriſcher Schattirungen herauszublicken: ſpaniſches, verſchloſſenes Feuer aus den Zeiten Phi - lipps, franzöſiſche Lebhaftigkeit, nördliches behagliches, ſaftiges Fleiſch, gemiſchte Charakterloſigkeit und was man dergleichen mehr beim erſten Anblick zuſammen - faſelt. Einen jungen Mann, der neben zwei Damen hertänzelte, hatte ich mit eingerechnet, und je näher er heranſchritt, deſto mehr beſchäftigte mich dies kleine, bewegliche franzöſiſche Geſicht mit ſchwarzen krauſen Haaren, die unter dem weißen Hute hervor - quollen, mit ſchwarzen, unruhigen Augen denke Dir, wie ich über meine Klaſſifikationen lachen mußte, als ich in dem kleinen Männchen unſern Leopold erkannte. Er wurde ſchneller mit mir fertig: mich ſehen, an meinen Hals fliegen, tauſend Fragen aus - ſtoßen, mich den Damen vorſtellen, war das Werk von zwei Minuten. Dieſe Damen nun waren die18 Frau und Tochter eines reichen, vornehmen Advoka - ten von Waelen. Die Familie iſt ſehr angeſehn und rühmt ſich mit ſpaniſchen Granden vermiſcht zu ſein. Leopold hatte mich mit ſeiner ſchnellen Gewandtheit unter dem alten ſpaniſchen Namen vorgeſtellt, den ich ſeit Jahren beinahe vergeſſen hatte. Der gute Junge dachte nicht daran, wie dieſer klangvolle Name ihm gefährlich werden könne. Er empfahl mich ſo vortrefflich bei dieſer Familie, daß ich in wenig Tagen ein hochangeſehener Hausfreund war. Frau van Wae - len iſt dreißig Jahr alt und eine ſtrotzende flamän - diſche Schönheit von hohem, vollem Wuchſe, feu - rigem Auge, ſie iſt ſchweigſamen und dennoch inner - lich lebhaften Temperamentes. Die beſten, üppigſten Formen für einen Rubens, eine Frau für Prome - nade, Haus und Bett, wie ſie ein Advokat nur wünſchen kann. Stolz auf ſich ſelbſt, eitel auf ihre Tochter kommt ſie in die wunderliche Verlegenheit, ob ſie die nahenden Liebhaber ſich oder der Tochter wünſchen ſoll. Denn Herr van Waelen iſt ein lan - ger, trockner Geſell mit einem buſchigen Backenbarte, ſeiner einzigen Schönheit. Es war wirklich ein ganz neues Element, in dem ich mich beim Eintritte in19 dies Haus bewegte. Denke Dir eine Wohnung, die äußerlich unſcheinbar, verſchloſſen ausſieht, und von Jalouſieen verſteckt wird, und Du ſtehſt mit mir vor van Waelens Hauſe. Ein blank ſchimmern - der Klöpfel hängt auf der dunkeln, hellackirten brei - ten Hausthür. Man klopft, die Thür öffnet ſich durch einen Druck, der vom fernen Bedientenzimmer ausgeht, man tritt in einen weiten Hausflur, Alles ringsum, Treppen, Thüren, Dielen glänzt von Glätte und Sauberkeit. Ein Beſucher gleich mir, der mit der Lokalität ſchon bekannt iſt, geht gerade aus, er weiß, daß die Treppen des Vorderhauſes nur wenige Tage des Jahres, nur bei großen Feſten betreten werden; ſie führen zu den Prachtzimmern, welche die Geſchichte der Familie entfalten, Kunſtarbeiten, die ſich forterben, wie Schlöſſer bei teutſchen Ritter - familien. Der Blick nach einem breiten viereckigen Hofe iſt offen. Dieſer iſt mit Quadern gepflaſtert, ein offner Saal, ein kleiner Markusplatz, auf den Seiten von den Flügeln des Haupgebäudes, hinten vom eigentlichen Wohngebäude begrenzt. Eine große Glasthür mit buntem Glaſe führt in das letztere, und zwar unmittelbar in den Salon, wo ſich die20 Familie gewöhnlich aufhält. Eine patriarchaliſche Stille iſt ringsum über Alles ausgegoſſen, der tiefſte Familienfriede ſcheint auf dem Ganzen zu lagern, und unſre ſtürmiſchen Jugendgedanken kamen mir frivol vor, als ich das erſte Mal in dieſe Räume trat. Jn dem Salon ſitzt die Frau vom Hauſe mit ihrer Tochter. Sie ſind mit weiblicher Arbeit beſchäftigt und ſprechen ſelten. Die Ausſicht geht auf den Garten, wo im Frühlinge die berühmten Tulpen der Niederlande blühen. Die Möbel des Salons ſind weniger modern, als maſſiv und koſt - bar; dunkle, ſammtne Tapeten bedecken die Wände, ſchwere rothſeidne Gardinen mit goldnen Troddeln beſchatten die Fenſter, Alles iſt prächtig, gediegen, Alles athmet vornehmes Schweigen und Ruhe. Die Mutter empfängt den Beſuch mit zurückhaltender, würdevoller Artigkeit, die Tochter erröthet, denn ihre Haut iſt ſo fein und durchſichtig, daß das Blut bei der geringſten Bewegung darauf ſichtbar wird. Sie iſt fünfzehn Jahr alt und ſo groß wie die Mutter. Alle Formen ſind bereits ſchön und rund an ihr ausgebildet Jch wurde unterbrochen

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2. Hippolyt an Valerius.

Schreiben und ſagen könnt Jhr Alles, aber ob ein einziges Wort von aller Weisheit der Menſchen wahr iſt, das weiß der Himmel. Wenn man einmal zu. zweifeln anfängt, ſo muß man Alles bezweifeln. Du weißt, es iſt ſonſt nicht meine Sache, ſkeptiſch zu ſein, aber wenn mir einmal ſolch eine Stunde kommt, dann iſt alle Welt für mich fraglich. Lieber Gott, iſt irgend ein Satz, eine Wahrheit in der Welt, von welchen nicht auch das Gegentheil plauſibel ge - macht werden kann? Das iſt ein ſchrecklicher Triumph der Bildung, der immer wieder einmal deutlich her - vortritt, wenn ein Volk ſeine Vollendung erreicht zu haben glaubt, um ihm begreiflich zu machen, die Welt ſei mehr als unſer Geiſt. Jn dieſen letzten22 Worten haſt Du die Probe von dieſem traurigen Exempel: vor ein Paar Tagen ſchrieb ich ganz anders, da war der Gedanke der Geiſt Gottes, und das Ding hatte auch ſeine Logik ach, Sklaven, Sklaven, die wir ſind in unſichtbaren Ketten, gegen welche alles Toben und Wüthen vergeblich iſt!

Erinnerſt Du Dich der Sophiſten in Griechen - land, welche die Schulweisheit ſo vornehm wegwer - fend anzuſehen pflegt? Dieſe Leute ſind ein ent - ſetzliches hiſtoriſches Moment. Sie waren die Gründer der eigentlichen Bildung, ſie wandten die Philoſophie auf Alles an, ſie emancipirten das Denken für den täglichen Gebrauch und ſie waren wirklich der Grenzſtein Griechenlands. Nicht daß ich die un - hiſtoriſche Plumpheit nachſagen möchte, die Sophiſten hätten Griechenlands Untergang herbeigeführt. Sie producirten nicht ſowohl Etwas, ſondern ſie waren ein Produkt. Der Kreis von Griechenlands leben - diger Entwickelung ward in ihnen vollendet, wie die Zeit fröhlicher Jugendjahre die Jahreszeit und die Weltgeſchichte wartet nicht auf unſere Wünſche. Und, Freund, es will mich manchmal bedünken, als ſei die Welt wieder auf ſolchem Punkte. Da -23 mals wurde das Alterthum geſchloſſen, jetzt geht das Mittelalter zu Ende, wenn es auch äußerlich ſchon mit Kaiſer Max, Berlichingen und Sickingen ge - ſtorben iſt. Weltperioden ſterben immer Jahrhunderte lang. Das Chriſtenthum, die Fahne der mittleren Zeit, iſt jetzt, wie damals die Weisheit der Alten, in Lebensgefahr, ſein göttliches Element der Huma - nitäit iſt in die allgemeine Kultur aufgenommen, wie in Griechenland das Denkgeſetz; nun beginnen die neuen unzuberechnenden Geſtaltungen, und wir ſtehen mitten im Wirrwarr, und unſern Händen entſchlüpfen die Urtheile über Dinge und Gedanken. Wir ſind wieder bei dem traurigen Satze: Sagen und ſchrei - bem könnt Jhr Alles, aber ob ein einziges Wort vom aller Weisheit der Menſchen wahr iſt, das weiß der Himmel.

Du haſt mich nicht angeſteckt, Freund, mit Deinen Warſchauer Briefen. Jeder denkende Menſch, der an den Parteiungen ſeiner Zeit lebhaften Antheil nimmt, lieſ’t und denkt ſeinen Fauſt. Gott ſei Damk, ich thu es ſelten, und bin härteren Stoffes demm Du. Raſches Wirken beſchleunigt die Zuſtände, je umſichrer man im Allgemeinen wird, deſto kräftiger24 muß man im Beſondern, im Nächſten wirken, nicht aber unſchlüſſig ſtehen bleiben, wie es Dir am Ende begegnen wird. Das nächſte, klar ausgeſprochene Ziel der Menſchen iſt die Freiheit; ſchaff ſie herbei, wir wollen ſehn, was darnach entſteht ſchlag Du erſt dieſe Welt in Trümmern, die andere mag darnach entſtehen

Leopold war’s, der mich in der Beſchreibung Margarethens, van Waelens ſchöner Tochter, ſtörte. Du kannſt ermeſſen, wie er nach gewöhnlicher Ma - nier nicht drei Tage mit zwei ſchönen Weibern leben konnte, ohne der ältern zu ſagen, ſie ſei bezaubernd, und die jüngere, den Engel ſeines Lebens, um Herz und Hand zu bitten. So wie er damals in aller Geſchwindigkeit eine Prinzeſſin heirathen wollte, ſo macht er’s noch heut mit jedem hübſchen Mädchen. Es iſt nicht etwa die Abſicht eines ungeſchickten Roué, der unter der ſchützenden Aegide einer baldigen Hoch - zeit dreiſt ſeinen Liebeswünſchen folgen zu können glaubt Gott bewahre, es iſt Leopolds ſchnell er - regtes, überwallendes Herz, es iſt ſein augenblick - licher, vollkommener Ernſt, und das Wunder iſt groß, daß ihn noch nirgends eine Schöne eben ſo25 ſchnell beim Wort genommen hat. Er hätte in den nächſten acht Tagen in der Güte ſeines Herzens die zweite, in den nächſten vierzehn Tagen die dritte geheurathet. Jch habe neuerdings den Jungen lieb gewonnen; Du erinnerſt Dich, daß mir eine zeitlang ſeine leichtſinnige Faſelei, ſein immerwährendes Lügen völlig zuwider war. Er iſt eigentlich noch ganz der - ſelbe, aber bei dieſer platten, Alles berechnenden Zeit iſt mir ſein Leichtſinn eine Art von Poeſie gewor - den: der Junge bewegt ſich fortwährend in der Welt herum, als lebt er noch zu König Arthurs Zeit; alle Begebenheiten ſeines täglichen Verkehrs ſind zwar in ſeinem Munde nach den gewöhnlichen Be - griffen Lügen, wenigſtens Unwahrheiten, aber ſie ſind romantiſch, ſie beleben das todte Einerlei unſers geſelligen Treibens. Und mir thut ſolch ein ver - ſchollnes ritterliches Jntereſſe manchmal ſo Noth, daß ich froh bin, mich Leopolds Täuſchungen hin - geben zu können. Alſo, er ſprang in’s Zimmer, während ich an Dich ſchrieb Hippolyt, ſchrie er, ſpaniſches Blut, Enkel des Cid, es giebt roman - tiſche Geſchäfte, noch ſiegen die Kaufleute nicht über die alte herrliche Welt mit den bunten, unerwartetV. 226wechſelnden Erſcheinungen. Hippolyt, die Liebe läßt nicht alle Romantik untergehn. Tallon will morgen Margarethen entführen beim Hahn des Aeskulap, beim Zauberer Merlin, es iſt kein Scherz, keine Poſſe, komm mit mir, Du ſollſt es ſelber hören. Du weißt, wir ſind eingeladen, übermorgen früh Wae - lens nach dem Felde von Waterloo zu begleiten, Tallon iſt von der Partie, im Vorwerke la belle alli - ance wartet der Wagen mit Napoleons ſechs Rappen, die ihn damals nach Brüſſel zur Krönung führen ſollten, und welche jetzt Herrn Tallon mit der ſchönen Margarethe nach Valenciennes zur Hochzeit bringen ſollen. Lache immer, aber ſetz Dir den Hut auf, und folge mir, Du ſollſt ſelber hören.

Jch brauche nur ein Paar Worte meiner abge brochnen Schilderung zuzuſetzen, damit Du die Sache überſiehſt. Leopold, der liebenswürdigſte Begriff von Liebe, fügte ſich mit der rührendſten Gutmüthigkeit in die zweite Stellung, als er ſah, daß ich ihn bei Margarethen aus der erſten verdrängt hatte. Seine zarte, wenn auch unermüdliche Zudringlichkeit war dem Mädchen erwünſcht geweſen, weil ſie der un - angehmen Bewerbungen eines Herrn Tallon in den27 Weg getreten war, den Margaretha nicht leiden mochte. Zudem mißfällt der kleine Schelm niemals einem Weibe. Dieſer Tallon nun iſt eine der räth - ſelhaften Erſcheinungen, wie ſie ſeit der Revolu - tion hier in Belgien gar nicht ſelten ſind. Man weiß nicht genau, wo er hergekommen, man weiß nicht genau, was er iſt, aber er zeigt ſich überall als einen entſchloſſenen Revolutionair, der furchtlos zu den gewagteſten Schritten räth und bei der ge - fährlichſten Gelegenheit vorangeht. Er iſt von außer - ordentlicher Bildung und Geſchmeidigkeit, ein Mann von etwa dreißig Jahren, mit einem ausdrucksvollen Geſichte und ſtechenden ſchwarzen Augen. Er hat ſich, wie geſagt, bei allen Vorfällen der Revolution tapfer und unerſchrocken bewieſen, er ſpielt die Rolle eines glänzenden Ehrenbürgers des neuen Staates, Lebensart und Gewohnheiten bezeichnen ihn als einen reichen Mann.

Natürlich war ein ſolcher Mann in Wälens Hauſe ſehr willkommen. Herr van Wälen gehört als Advocat zu der abſtrakten liberalen Partei, deren Ziel die Republik iſt. Der Anführer dieſer Rich - tung iſt de Potter. Dieſe Leute ſind die Prote -28 ſtanten der neuen Aera; der baare, kühle Rechts - verſtand iſt ihr Panier, die Proſa ihre Gebieterin. Mit Herrn van Wälen iſt Tallon vollkommen d ac - cord, wenn ſie neben einander im Salon auf und nieder gehn, und Europa regieren und einrichten. Mancher ſchnelle Seitenblick aber, den Tallon auf Frau van Wälen wirft, und welchen dieſe mit einem ſtolzen Lächeln beantwortet, unterrichtet den auf - merkſamen Zuſchauer, daß Tallon’s Glaubensbe - kenntniß mit dieſen magern Jdeen nicht erſchöpft iſt. Frau van Wälen iſt katholiſch, ultramontan katholiſch, ſie gehört zur fanatiſchen Glaubenspartei, die ſich mit den proteſtantiſchen Republikanern zum Sturze der holländiſchen Herrſchaft verbunden hat. Jhr Held iſt der Erzbiſchof von Mecheln. Jn ſtil - len Stunden mag Herr Tallon katholiſch revolutio - när ſein, die Revolution im Allgemeinen iſt das Geſchäft rühriger Leute wie Tallon. Margarethe liebt die orangengelben Weſten, wenn man ſie über Politik fragt, ſo iſt ſie für ein ſelbſtſtändiges Reich Belgien wie die Anderen, oder lächelnd meint ſie, der Prinz von Oranien ſitze gut zu Pferde, die alten Bekanntſchaften würden nicht zerriſſen, wenn29 er auf einen Thron zu Brüſſel geſetzt würde, und ein Hof wäre doch nothwendig, ſonſt wäre Brüſſel nicht Brüſſel, und die Kaufleute klagten Abends zu viel in der Theeſtunde. Mit Margarethen lächelt Herr Tallon. Trügt mich nicht Alles, ſo iſt der Burſch ein Jtaliener, obwohl er ſich für einen Franzoſen ausgiebt. Die Jtaliener waren immer die Agenten der Weltgeſchichte, wenn nicht im Großen und Ganzen, dann im Kleinen und Ein - zelnen, Cäſar, der Papismus, Machiavell, die Bilder, die Opern, Napoleon, Alles das ſtammt von dorther.

Jn dieſer Familie ſiehſt Du nun den größten Theil von Belgien, in Tallon vielleicht einen Re - volutionär von Profeſſion oder Neigung; nous ver - rons. Kurz, ſeine Heirathsbewerbungen ſind bis jetzt an dem Mädchen geſcheitert, das revolutionäre Jntereſſe Belgiens nimmt ab, Tallon hat vielleicht alſo ohnehin Luſt, das Land zu verlaſſen, tiefe Leidenſchaft liegt offenbar hinter dieſen ſchwarzen Augen, Leopolds Geſchichte von Entführung iſt nicht unmöglich ich folgte dem Kleinen.

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Halt, ſprach er unterwegs, tritt mit mir in dieſen Laden, kauf uns zwei Blouſen, wir müſſen ächt belgiſch ausſehen, wenn wir was erfahren wollen.

Jch that dem Kleinen den Willen, wir warfen die blauen Hemden über, und nun führte er mich durch eine Menge Straßen bis vor ein kleines Wirthshaus. Man hörte ſchon von Weitem den Lärm der Zecher. Dieſes Hotel hieß vor der Revo - lution zum guten König Wilhelm, als es aber in den Journalen Mode wurde, den guten König Wilhelm nur Guillaume le bourreau zu nennen, da änderte der Wirth dieſes Hotels ebenfalls ſeine Deviſe. Das Schild ändern, oder gar ein neues machen zu laſſen, wäre zu koſtſpielig geweſen, er ſtrich alſo auf Auktorität der Journale das Wort König aus, und ſetzte das beliebt gewordne an die Stelle. So ſiehſt Du denn jetzt die mehr als wun - derliche Ueberſchrift für einen Gaſthof zum guten Henker Wilhelm. Das Bild ſelbſt iſt dem Künſt - ler von vornherein ſo vortrefflich gerathen, daß es nicht der mindeſten Abänderung bedurft hat tritt herein, hier findeſt Du die ächteſten Wallenen,31 Flamländer und Brabançonen, Du ſollſt kaum in Deinem Leben mehr fluchen gehört haben.

Du darfſt Dich nicht wundern, wie Leopold zu ſolchen Detail - und Lokalkenntniſſen gekommen iſt. Daß er mit ſeiner Beweglichkeit überall her - umſchnüffelt, weißt Du ohnehin, und dann hat er während des Revolutionskampfes als Arzt figurirt, und dieſer Gaſthof iſt ein Hauptdepot geweſen.

Wir traten in eine niedrige Schenkſtube, und ſetzten uns in den dunkelſten Winkel. Der Wirth, deſſen Wange und Backenbart von Fett und Wohl - ſein glänzte, fragte nach unſerm Begehr ach, ſieh da, Herr Doctor, ſprach er, an ſein Sammt - käppchen greifend, zu Leopold, das iſt doch ſchön von Jhnen, daß Sie auch in langweiligen Friedens - zeiten mein Haus nicht verſchmähen, ich hab’s wohl immer geſagt: der Herr Doctor iſt ein ächter Volks - freund, er thut nicht appart, und macht ſich mit Jedermann gemein, ohne Unterſchied hab ich Recht, Herr Doctor?

Ohne Unterſchied, entgegnete Leopold, ſetzen Sie ſich zu uns, Herr Motten, helfen Sie uns eine Flaſche feinen Rothen ausſtechen, und erzählen Sie32 uns von Krieg und Frieden, und wie theuer die Metze Hafer

Hehe! immer der alte Spaßvogel, wie in den muntern Septembertagen he, Charles, eine Rothe hinten aus der Ecke im zweiten Keller! Hol der Teufel die Holländer, mein Herr, Sie können glau - ben, unſer kleiner Herr Doctor hier hat manchen Wallonen zum Lachen gebracht, während er ihm den braunen Arm vom Leibe ſchnitt, den ſie drü - ben im Park dem armen Jungen zerſchoſſen hatten; immer hat der kleine Doctor, mit Permiß, daß ich mich ſo freundſchaftlich ausdrücke immer hat er einen Spaß bei der Hand; aber hier kommt der Rothe

Während der Wirth einſchenkte, machte mich Leopold auf zwei ſonnverbrannte Geſichter aufmerk - ſam, die allein am nächſten Tiſche ſaßen. Das ſind Tallons Spitzbuben, horch auf ſie, ich beſchäf - tige den Wirth, flüſterte er mir zu.

Die Burſchen aber ſaßen ſchweigend bei ihren Schnappsgläſern und blieſen die Rauchwolken aus den Thonſtummeln, welche ſie im Munde hielten. Jch hatte Zeit, das ganze Terrain zu rekognosci -33 ren, ſo weit es die Tabackswolken geſtatteten. Jn Belgien iſt das Rauchen ſchon wieder viel allge - meiner als in Frankreich. Es waren noch drei Tiſche beſetzt, aber die Blouſen machten alle Geſtal - ten ſo einförmig, und das Durcheinander von Dia - lekten verwirrte mich auf der andern Seite ſo, daß ich zu keiner klaren geſonderten Vorſtellung kommen konnte.

Ein ſchwarzer Krauskopf, welcher eintrat, er - regte die allgemeine Aufmerkſamkeit, Alles rief und trank ihm zu, bon jour, Jacques! bon jour, Jacques! ſcholl es von allen Seiten, und das allgemein wer - dende Geſpräch ging jetzt in ein rauhes, hart klin - gendes Provinzialfranzöſiſch über. Nur der neu angekommene Jacques ſprach geläufig.

Die Franzoſen ſollen leben! rief ein kleiner Blouſenmann.

Die Franzoſen ſollen leben, ſetzte ein anderer hinzu, ſo lange ſie Belgien Belgien ſein laſſen und weiter nichts wollen.

Jacques warf ihm einen unwilligen Blick zu, und ſagte: Waren die Franzoſen nicht immer groß -2*34müthig? Jſt das Land nicht weit genug von der Bidaſſoa bis an den Rhein, brauchen die Franzo - ſen mehr?

’s ſoll uns lieb ſein, Jacques, erwiderte der Opponent lachend.

Jhr ſeid ein mißtrauiſch Volk, ſprach Jacques, wenn Jhr ein Volk ſeid

Halloh! ſchrie aus einem Munde die ganze Stube, Alles war aufgeſprungen, und aus mancher Blouſe ſah man dieſe oder jene Waffe hervor - blitzen Unverſchämter Franzoſe! brummte der Wirth.

Jacques ſchlug ein Gelächter auf, griff nach ſeinem Glaſe, als ob ihn die Drohungen, welche von allen Seiten auf ihn flogen, gar nicht küm - merten, und rief: Meſſieurs, es leben die nördli - chen Jtaliener!

Brummend ſetzte ſich Alles wieder nörd - liche Spanier ſind wir, ſprach der Opponent, ſo wahr ich Juan Meravilla heiße

Heilige Mutter Gottes, rief Einer, das klingt ſpaniſch

35

Was hat die heil’ge Mutter Gottes mit Bel - gien zu thun, erinnerte der größere von den ſonn - verbrannten Burſchen, zu denen ſich Jacques geſetzt hatte, die hilft heut zu Tage nicht mehr

Hör einmal, Highmans, dergleichen Anzüglich - keiten auf unſere katholiſche Religion verbitten wir uns, wir Spanier

Ach, Du ſpaniſcher Schaafskopf, bleib mit Deinem dummen Zeuge zu Hauſe, um Eure Mut - ter Gottes kümmert ſich heutiges Tages kein ver - nünftiger Menſch mehr, und um Eurer Pfaffen willen haben wir uns das Blut nicht abzapfen laſ - ſen im September

Ein drohendes Murren erhob ſich an mehreren Orten Highmans iſt ein Menſch ohne Ge - wiſſen, murmelte Herr Motten, der Wirth, Jhr Wohlſein, Herr Doctor, ſetzte er hinzu und leerte ſchlürfend ſein volles Glas.

Da ſeht Euch Vetter Motten an, rief High - mans, der weiß ſeine Heiligen zu behandeln, er trinkt ihnen ein Glas Rothwein nach dem andern zu, nicht wahr, Du Wirth zum Henker, das iſt die beſte Religion?

36

Du biſt ein gottloſer Menſch, brummte Mot - ten, wer einmal mit engliſchen Matroſen verkehrt hat, der verlernt’s Beten und Singen

Aber ’s Trinken lernt er, Motten zum Henker, und das muß Deine Religion ſein, wenn Du ein aufgeklärter Geiſt biſt drüben in Luxenburg nen - nen ſie’s Saufen, ein ſchönes Wort, beim luſtigen Alt-England

Der Teufel hole Alt - und Neu-England! rief der ſpaniſche Belgier, ſie haben uns bei Wa - terloo die Holländer gebracht, und

Du ſtockblinder Spanier, wie lange iſt das her! unterbrach ihn Highmans, weißt Du denn, wie weit’s bis Waterloo iſt?

Jener dachte nicht daran, daß die Frage wört - lich gemeint ſein könne, und ſchwieg. Jch aber verwandte nicht Auge noch Ohr von Highmens, und es entging mir nicht, als dieſer leiſe, an Jac - ques ſich wendend, die Frage wiederholte Jch bin nie draußen geweſen, ſetzte er hinzu, und habe übermorgen ein Geſchäft da

Während deſſen war der ſogenannte Meravlla aufgeſtanden, und dicht an mich herangetreten, als37 nähme etwas in meiner Nähe ſeine Aufmerkſamkeit in beſondern Anſpruch. Holla, ſchrie er plötzlich, ein Orangemann!

Bei dieſen Worten fuhr Alles auf, und ſtürzte hinzu Was? Wie? Nieder mit den Orangiſten!

Jch, der ich nur auf Highmans geachtet hatte, wurde jetzt erſt inne, daß es mir galt, und daß der ſpaniſche Belgier die Hand nach mir ausſtreckte. Jch warf ihn unſanft zurück, und fragte, was dem Narren einfiele?

Nieder mit ihm, Jhr Belgier, rief er zornig, hielt ſich aber in einiger Entfernung, unter der Blouſe an der ſchwarzen Halsbinde trägt er eine Orangeſchleife!

Ein wildes Geſchrei erhob ſich, und der ganze Haufe drängte auf mich ein. Jch erinnerte mich, daß mir Margarethe den Tag vorher im Scherz eine ſolche Schleife an das Halstuch geſteckt hatte, beim ſchnellen Ankleiden, als mich Leopold drängte, war dies verrätheriſche Parteizeichen vergeſſen worden.

Herr Motten, der Wirth erhob ſich ebenfalls mit ſeinem feiſten Leibe vom Stuhle, und ſah mit unverkennbarer Angſt in die Falten meiner Blouſe38 hinein Beim glücklichen September, murmelte er, ein Orangeband! aber mein Herr Doctor, wie können Sie in ſolcher Geſellſchaft meinen wohl und patriotiſch renomirten Gaſthof

Wirf doch den Lappen weg, flüſterte Leopold, und ſtörte Herrn Motten in ſeiner Rede. Der Haufe ſtürzte aber ſchon wirklich auf das gelbe Band los. Du weißt indeſſen, daß der Träger deſ - ſelben zufällig ein Paar geſunde Fäuſte beſitzt; dieſe warfen denn auch die nächſten Stürmer ohne Wei - teres zu Boden, und bewaffneten ſich mit der halb - leeren Weinflaſche. Eine augenblickliche Pauſe trat ein, und ich nahm das Wort folgendermaaßen: Meine Herren Belgier oder Spanier, wie Sie ſich nennen, ich bin kein Orangiſt; dieſe ihnen ſo ver - haßte Schleife iſt ſehr zufällig von einer ſchönen Dame an mein Halstuch befeſtigt worden, eine ſon - ſtige Bedeutung hat ſie für mich nicht, und ich ſtünde keinen Augenblick an, ſie zu entfernen, hät - ten Sie ſich nicht in eine ſo drohende Stellung geworfen, als ſollt ich dazu gezwungen werden. Das Haus Oranien iſt mir ſehr gleichgültig, aber zwingen laſſ ich mich auch nicht zur gleichgültigſten39 Handlung. Setzen Sie ſich ruhig an Jhre Plätze, dann will ich Jhren Wünſchen willfahren; dem Erſten aber, der ſich mir nähert, ſchlag ich den Hirnſchädel ein.

Herr Motten war der erſte, welcher ſich mit einem bedeutungsvollen Seitenblicke entfernte; Herr Juan Mervilla fluchte bei den Heiligen, und ſetzte ſich, und zu meiner eignen Verwunderung thaten die Uebrigen ein Gleiches. Jacques, Highmans und ſein Nachbar hatten merkwürdigerweiſe gar keinen Antheil an dem Vorfalle genommen, ſondern waren in leiſem, eifrigen Geſpräche begriffen. Es war nicht rathſam, länger zu weilen und auf dieſes zu horchen, wir bezahlten unſre Zeche an Charles und gingen. Herr Motten ſtand im Hausflur und ſchien auf uns zu warten. Er machte eine ſchlaue Miene und ſchüttelte einige Worte heraus, die ungefähr andeuten mochten, er kenne den Lauf der Welt, und ein guter Gaſtwirth ſei ein unpartheiiſcher Punkt, es iſt nur wegen meines Schildes, ſetzte er hinzu daß ich mich erkundige, ob wir eine Aen - derung zu erwarten haben. Denn ſehen Sie, ich habe den Henker draußen nicht hingeſchrieben, ſon -40 dern der Highmans und der Spanier drinn, aber mich würde man beim Kopfe nehmen; wenn man aber nur den rechten Augenblick weiß, da geht das ſchon. Jch weiß am beſten, wie die vornehmen Herren für den Prinzen von Oranien ſind, den Gott ſchützen möge, und Geld iſt die Seele vielleicht könnten Eure Herrlichkeit einem armen betriebſamen Bürger einen Wink geben

Morgen Mittag Punkt zwölf Uhr, Herr Mot - ten, ſagte ich, und ging, Leopold mit fortziehend. Herr Motten ſtand noch mit abgezogenem Käppchen unter ſeinem Henkerſchilde, als wir ſchon weit fort waren. Die europäiſche Politik mochte ihn ſchwer beunruhigen.

Jch hatte eigentlich nicht viel mehr erfahren, als Highman’s Frage, wie weit es bis Waterloo ſei, welche mit Leopolds Ausſage in einer Beziehung zu ſtehen ſchien.

Gegen die Theezeit ging ich nach Wälens Hauſe. Herr Tallon war mir bereits zuvorgekommen, und das Geſpräch wendete ſich nach allen Seiten um die Partie nach Waterloo, welche den Tag darauf veranſtaltet werden ſollte. Die politiſchen Beziehun -41 gen ließen nicht auf ſich warten, Herr van Wälen ſprach vom Könige Pharamund, dem Gründer des ſaliſchen Geſetzes, und den ſtolzen, gewaltigen Chlodowigs und Chlotars, die alle in Belgien geſeſ - ſen. Von hier aus, ſprach er mit Emphaſe, iſt Frankreich erobert worden, Belgien iſt der Urſitz der Merowinger, bis heutiges Tags der Mittel -, Grenz - und Sammelpunkt der romaniſchen und ger - maniſchen Völker.

Jch hatte mich ſtill zwiſchen Frau und Fräulein van der Wälen eingeſchoben, ließ die politiſirenden Herren im Zimmer auf - und abgehen, und ſah bald in die glänzend dunkelblauen Augen Margarethens, bald auf die weiße ſchöne Hand der Mutter. Es iſt gar kein Wunder, daß ſich hier eine Malerſchule ausgebildet hat: man findet nicht leicht anderswo ein lockenderes, ſchöneres Fleiſch, eine lebhaftere Jncarnation, und auch das Fleiſch hat ſeine Rechte, ja ſeine Geheimniſſe, es ſchafft die Form, es ſänf - tigt und hebt die Gedanken, es ſpiegelt das Blut und Leben des Menſchen die ascetiſchen Leute müſſen alle plaſtiſche Kunſt verdammen, wenn ſie conſequent ſein wollen. Die Schönheit des Laokoon42 beruht auf denſelben Geſetzen wie die Schönheit der marmornen Venus. Gott ſoll nun aber durchaus den ſchönen Leib dafür geſchaffen haben, daß er nicht geſehen werde. Die proteſtantiſch chriſtliche Geſittung hat doch recht viel Aehnliches von einer Penſionsſchulmeiſterei, wo den Kindern gerade nur ſo viel friſche Luft geſtattet wird, als ſie zum küm - merlichen Leben durchaus nöthig haben.

Worin liegt es wohl, daß ältere Frauenzimmer einen ſo großen Reiz für jüngere Männer haben? Die Thatſache iſt nicht abzuleugnen, daß die jun - gen Burſchen ſich zumeiſt in die Frauen von 30 Jahren verlieben. Daß ihnen ſolche weiter und behülflicher entgegenkommen, als die blöden Mäd - chen, löſ’t das Räthſel noch keineswegs. Es muß noch irgend ein Myſterium der Reife darunter ver - borgen liegen. Jch gehöre doch eigentlich nicht mehr zu den jungen Burſchen, und ich kann mich eines großen Jntereſſes für die ſchöne Frau van Wälen nicht erwehren, obwohl ich Margarethen ſchöner und liebenswürdiger finde. Dieſes wunderliche Verhält - niß hat auch alle meine Bewerbungen gelähmt, die zweifelloſe Einheit und Ganzheit meiner frühern43 Wünſche iſt dadurch gelähmt, und ſie war’s, welche mir immer die Kraft und Zuverſicht des Gelingens einflößte. Jch verliere meinen Charakter in dieſem Zuſtande, und mit ihm mein Heil, denn dies beruht immer in dem Gleichartigen zwiſchen unſerm Charakter und der daraus fließenden Handlung und Folge.

Nur wenn ich mich recht geläutert und hoch geſtimmt fühle, da ſiegt Margarethens poetiſches Jugendweſen völlig. Und ſo war’s an jenem Abende.

Du haſt noch kein Bild von ihr, ich wurde da - mals in der Beſchreibung geſtört. Sie iſt hoch und ſchlank was könnte auch eine der gewöhnlichen zuſammengedrückten Figuren für ein Jntereſſe er - regen! der Wuchs iſt die Freiheit, iſt die Jdee des Körpers, er macht aus dem Leibe die ſchöne Säule, welche in weichen, runden Begrenzungen ringsum und aufwärts nach Luft und Himmel ſtrebt. Und nun ſind alle Formen Margarethens, die Schultern, die Hüften, und was ſonſt nach außen ſtrebt, erſt ſo fein, jugendlich, ich möchte ſagen unſchuldig ge - rundet, es iſt noch keine Spur zu ſehen, daß ſie einſt eben ſo überreif, ſtark, überfüllt ausſehen wer - den, wie dies leicht bei Weibern von üppiger Vege -44 tation eintritt; es iſt über das ganze Mädchen noch jener lockende Höhenduft des Lebensmorgens ausge - goſſen, wie man ihn auf fernen, erſehnten Bergen liegen ſieht, daß ich dies ſüße Kind nur mit einer wohlthuenden Sehnſucht erblicken kann, mit einer Sehnſucht von ſo wunderlichem Gemiſch, wie ſie mir eigentlich fremd iſt. Von jenem keuſchen, un - ſchuldsvollen Element, was die Teutſchen oft im Munde führen, und was auch gewiß nur ächt germaniſch iſt, mag etwas dabei ſein; von meinen innigen, tiefen Liebesgedanken zu meinem geſtorbenen Engel Desdemona regt ſich auch wohl etwas in mir, wenn mich Margaretha mit ihren dunkelblauen Augen vertrauensvoll anblickt. Aber es ſind doch Alles dies nur Theile und Anfänge, das unwiderſtehliche Etwas, welches keine Wahl mehr überläßt, jenes pſychiſche Myſterium der Liebe fehlt noch. Und ſo iſt es immer nur ein beglückendes Wohlbehagen, was ich an der Seite des Mädchens empfinde, aber wenn ich mich ihm eine Stunde hingebe, dann ſehe ich recht, wie dem Kinde die Flügel wachſen, und es wird das blaue Auge glänzender, und Wort und Weſen kühner, ich bemerke ein Wetterleuchten an45 unſerm Horizonte, und ich glaube manchmal, über kurz oder lang iſt das Gewitter da, und der Blitz - ſtrahl, dem nichts entrinnen kann, fährt hernieder. Jch habe ſo viel teutſche Gewohnheit bei Euch an - genommen, daß ich dieſen unbeſtimmten Dämmer - zuſtand bereits liebe, wie wenig er auch ſonſt zu meinem Weſen ſtimmt, was die Mittelzuſtände gern überſpringen mag. Es ſind kleine niedrige Lehn - ſtühle nach veralteter Form, welche im Salon benutzt werden. Aber es ſitzt ſich teutſch behaglich auf den rothſammtnen Polſtern, und ich ſaß wie ein wohliger Glückspilz am Theetiſche zwiſchen den Frauen, ließ Leopold die Mutter unterhalten und erzählte der Tochter Mährchen und Geſchichten. Wenn ich mich ſo recht ſtark und kräftig fühle, ſo wild und kata - loniſch, wie Du’s manchmal nannteſt, ſo daß ich den Herrgott herausfordern möchte, die Erde auf meine Hand zu legen; denn gebe ich dem dunkeln, ja dem farbigen Teint des Weibes den Vorzug, dann erſcheint mir das nördlich-europäiſche Weiß ſchwäch - lich und krankhaft, ich bilde mir ein, ſolch ein weißes, blaſſes Geſchöpf hat keinen Gegendruck, keinen Wider - ſtand für meine Kraft, es müſſe zerbrechen unter46 meinen Armen. Aber jene braune, weltſtürmende Kraft iſt durch Juliens Widerſtand gebrochen, ich weiß nicht, ob ſie mir noch einmal in ihrer alten Macht und Fülle wieder kommen wird, und der elegiſche weiße Teint iſt jetzt mächtig über den ſchwa - chen Hippolyt. Margarethens Haupt iſt durchſichtig wie ein heitrer Abendhimmel, ich ſehe den kleinſten Gedanken in ihren Adern hüpfen, und dies klare griechiſche Antlitz liegt wie ein aufgeſchlagenes Buch vor mir. Jhr Haar iſt ja, wenn ich das ein - fache, platte Wort hinſchreibe, ſo erſchrickſt Du und die Jlluſion iſt Dir zerſtört, die Leute haben ſich eingebildet, rothes Haar ſei ein für allemal garſtig. Die guten Leute! Brandrothes, ſchattenloſes Haar iſt allerdings widerwärtig, es verödet das Geſicht. Aber Margarethens Locken, dichte, glänzende Locken, ſind aus Gold - und Kaſtanienbraun ſo ſchimmernd gemiſcht, daß ich nie etwas Schöneres geſehen zu haben glaube. Das farbloſe, matte Blond iſt durch die Tiefe der Goldfarbe völlig vernichtet, und das Schattige des Kaſtanienrothen, die dunklen Augen - brauen heben das weißeſte Antlitz überaus. Es bleibt ein merkwürdig Spiel der Natur, daß ſie das Tem -474849 drei Kategorieen. Rußland iſt nur ein Gewicht durch ſeine ſpecifiſche Schwere, und eine rein politiſche Macht; Jtalien iſt franzöſiſch da, wo es ſich den neuen Forderungen der Kultur anſchließt, ſogar im Reich der Künſte iſt es nur noch ein Muſeum. Teutſche und franzöſiſche Maler, teutſche und fran - zöſiſche Muſiker ſind ſo groß und mitunter größer als die italieniſchen.

Du glaubſt gar nicht, wie ich all die Redens - arten ſatt habe, ſelbſt wenn ich ſie ſelber mache, ſelbſt wenn ich ſie Dir gegenüber mache! Wahrhaftig, aufrichtig zu ſein iſt doch über die Maaßen ſchwer; es ſpricht ein gelernter, gebildeter Menſch in uns, der wenigſtens bei mir immer noch etwas ganz Anderes iſt, als ich ſelber. Ganz eigentlich lebt ein ſo tiefer beſtialiſcher Drang in mir, der Dich entſetzen würde, fänd ich einmal die ganz rückſichts - loſen Worte dafür. Herrſchen will ich, deſpotiſch herrſchen, das iſt Alles, und ich verarge es keinem Staate, keinem Herrn, wenn er für abſtrakte For - derungen auch nicht den kleinſten Zipfel ſeiner Macht hingiebt, die Macht iſt Alles, die Kraft, die Ge - walt! erfindet Tauſenderlei, darauf kommt es dochV. 350ewig hinaus; ich fühle den Drang dazu, und ich will ihn befriedigen. Was Geſetz, was Regel! Wenn ſie mir in den Weg treten, ſo ſind ſie mir im Wege und ich ſtoße ſie bei Seite. Es iſt ein reiner Zufall, daß ich in eine demokratiſch-revolu - tionaire Zeit gerathen bin, beſtünde jetzt die Fronde, ſo hielt ich mich zu dieſem ariſtokratiſchen Aufſtande, wäre ich ein Louis quatorze, ein Stuart, ich trieb’s nicht ſanfter denn dieſe, ſondern heftiger. Tüchtige Revolutionairs ſind immer vom perſönlichen Drange geſtachelt, ſchwache und furchtſame bedecken dieſen Drang mit Prinzipien und Grundſätzen, daraus entſtehen blos die Parteien, deren ſich der wirkliche, urſprüngliche Revolutionair und Held bemächtigt, um ſeinem Triebe kräftiger zu genügen. Das Prinzip iſt eine Waffe, der Furchtſame macht ſie ſich zum Dogma, weil ſich die meiſten Leute vor ſich ſelber fürchten. Jch lüge mir und lüge Dir, wenn ich mich in Raiſonnements ergehe, denn meiner eigent - lichen Seele ſind ſie alle fremd; im Grunde ſuche ich nur die That, und das heißt nur Poeſie, hinter der That und mit ihr heiſche ich ſicherlich die Macht, alles Uebrige iſt nur die Kleidung, woran ich mich51 gewöhnt habe. Jch ſchwatze über die Revolution, über Ludwig Philipp, über Belgien, wie gute teutſche Bürgersleute vom Wetter ſchwatzen, von der geſtrigen Boſtonpartie, von der Kuppelei zwiſchen zwei jungen Leuten; wenn das zufällig etwas Verfängliches wäre, wie meine Revolution, ſo könnten ſie in manchem Staate mit eben ſo gutem Rechte eingeſperrt werden, wie ich; meine Politik iſt ganz indifferent, all das Zeug intereſſirt mich nicht, ich ſpreche nur und treibe mit, weil ich noch immer nirgends den Zugang finde, ſelbſteigen die Welt zu meinem Genüge er - ſchütternd anzufaſſen.

Was weiß ich! Aber Jhr Prinzipienmenſchen bildet und karrt, Leute meines Schlags genießen, herrſchen, leben, oder die Kugel trifft ſie.

Warum, Frau van Wälen, ſagte ich leiſe zu ihr, kümmern Sie ſich um Politik, die Sie mit Jhrer Schönheit, mit Jhrem Herzen Kummer und Leben bereiten können? Erſt wenn wir ſelbſt un - mächtig werden, fragen wir nach Parteien, eher nicht; nur die Mittelmäßigkeit aſſociirt ſich, nur die Proſa; warum bleiben Sie nicht allein? Jch bin auch allein.

52

Holen Sie mich heute im Theater ab; den letzten Akt des Stücks liebe ich nicht.

Es iſt ein prächtiger Anblick, dieſe hohe, volle Frau in den ſchwer ſeidenen Gewändern; ſchweigend ruht die Schönheit ihres Antlitzes wie ein tiefer See, auf deſſen Grunde die bewegteſten Geheimniſſe und Leidenſchaften ſchlafen, zuweilen tritt ſolch ein leiſer Druck aus unbekannter Tiefe in das ſchwarze Auge der ſchönen Frau van Wälen.

Jch werde ſie abholen.

Natürlich war ich zeitig im Theater; ſie ſaß in vollem Putz da, ich ſollte ſie zu einer Soirée fahren, die ſie heut Abend noch beſuchen wolle, eine vor - nehme iriſche Familie, die Tags darauf Brüſſel ver - laſſen werde, empfange zum letzten Male. Es ſind intereſſante Katholiken, die mein Mann nicht kennt und nicht goutirt haben Sie Luſt, vorgeſtellt zu ſein, man wird Sie als ein ſpaniſches Kind will - kommen heißen, und die Leute halten die Paar Monate, welche ſie hier zubringen, offenes Haus.

Die Frau glich dem ſchönſten Rubensſchen Bilde von einer ſpaniſchen Königin, was er malen konnte,53 und doch war der prächtige Nacken und Schulterbau nicht ſo feiſt fleiſchig, wie ihn Rubens leicht machte, und doch war der geſund und kräftig weiße Teint dieſer Frau eben ſo ſchön! Nicht das krankhafte Weiß, was man bleich nennen ſoll. Und wie üppig, warm und kräftig war die Atmoſphäre des Weibes!

Jch drängte zur Abfahrt. Einen ſo vortreff - lichen Bedienten wie jetzt habe ich nie gehabt, die Jtaliener ſind geborne Bediente und Kuppler. Nicht ein Wort hatte ich ihm geſagt, als ich ſie in meinen Wagen hob, und er ließ durch alle krummen Straßen Brüſſels fahren, die er nur finden konnte, ehe wir zum Hotel der Jrländer kamen.

Frau van Wälen kam meiner ſtürmiſchen Um - armung weniger ſtürmiſch, aber heiß und feſt ent - gegen, wies indeſſen mein wildeſtes Drängen in ſo fern entſchieden ab, als ſie mir verhieß, ſchon mor - gen zum einſamſten Rendezvous ein Zimmer ihres Hauſes zu öffnen.

Was intereſſirten mich die Jrländer und die katholiſchen Belgier, welche dieſe Revolutionsſpielerei eingeleitet haben! Meine Erwählte war ſo auffallend ſchön, daß ich drängte und drängte, um nur wieder54 im Wagen zu ſein und dieſen lockenden Leib zu küſſen. Eine magere Brüſſelerin, die viel mehr Spitzen als Reiz bei ſich trug, tippte meiner Dame den Nacken an, und belehrte ſie lächelnd, daß an der Schultereinfaſſung hinten etwas zerriſſen wäre, ihre Kammerjungfer müſſe ſehr leidenſchaftlich ſein.

Ja, Wertheſte, das iſt ſie, erwiderte lächelnd meine Dame, und wir gingen, dem Zuſchnitte der Geſellſchaft nach ungewöhnlich früh; aber die Zeit war lang bis zum andern Tage und mein Blut heiß und mein Giacomo kannte Brüſſel ſo gut, daß wir erſt nach einer guten Stunde vor Wälens Hauſe ankamen.

Morgen iſt morgen, verſtehſt Du, nach Leopold’s Rechnung; zwiſchen dem Uebermorgen, wo ſie nach Waterloo fahren, liegt alſo noch ein Tag und eine Nacht nun Adieu, der Schlaf ſoll mich ſuchen.

Jch ſchreibe Dir weiter nach mehrern Tagen, und zwar aus Oſtende, Angeſichts des Meeres. Höre, wie ſich’s begab.

55

Als ich an jenem morgen zu Wälen’s kam, fand ich die ſchöne Frau vom Hauſe allein im Salon; es war ein ſonniger Herbſtnachmittag, Margarita war im Garten, Herr van Wälen auf dem Kaffeehauſe. Sie winkte mir beredſam mit den großen Augen, und wir ſtiegen die Treppe hin - auf, gingen durch die prächtigen Gemächer des Vor - derhauſes, und raſteten in einem ſchönen Eckzimmer. Zwei große, üppige Gemälde der flamändiſchen Schule lachten von der ſilberweiß tapezirten Wand, der Sonnenſchein blitzte nur in einzelnen Ritzen durch die geſchloſſenen grünen Jalouſieen.

Hier zeigte ſie mir eine unbemerkbare Tapeten - thür, welche auf einen Korridor des Nebenhauſes führt, gab mir die nöthigen Jnſtruktionen, und verhieß mir zum Abende den Schlüſſel, welcher das unbewohnte Nebenhaus und die Thür des Korridors öffne. Wie einſt die Burgherrn zu ihren Schlöſſern, ſo haben heute die lebeluſtigen Weiber verborgene Gänge und Thüren.

Sie war offenherzig und von reizender Jnnig - keit, und vertraute mir unter Anderm, daß Tallon früher umſonſt lebhaft nach ihrer Gunſt geſtrebt,56 die Domeſtiken beſtochen, verführt, und das Aergſte getrieben habe. Ja, ſie fühle ſich nicht ganz ſicher, ob der abſcheuliche Jakobiner nicht irgend was Nähe - res ahne von einem geheimen Zugange in dieſe Ge - mächer. Da ſeine Bewerbungen kein Gehör erreicht, ſo habe ſich der gemeine Menſch zu Margariten ge - wendet, ein Gräuel, ſagte Frau van Wälen, der mein Jnnerſtes empört; ich hätte den Menſchen längſt aus dem Hauſe gejagt, nähme nicht mein Mann mit ſeiner jammervollen Politik ein ſo fanatiſches Jntereſſe an ihm, aber ich werde eher das Aeußerſte thun, ehe ein Mann meine Tochter berührt, deſſen Auge erſt wohlgefällig auf mir geweilt und gewünſcht hat. Wenn ich Wälen betrüge, einen öden, kläg - lichen Mann, ſo vergiebt mir’s mein Beichtvater, aber weder dieſer noch mein Herz vergeben mir jene frevelhafte Verbindung.

Jch hielt es nicht für gut, ſie durch Mittheilung des Verdachts über die Waterloo-Partie zu beun - ruhigen, und war mir genügender Kraft bewußt, ſolch ein abenteuerlich Unternehmen zu zerſprengen.

Jch kam des Abends wieder, fand die Familie, Leopold und Tallon im Saale, und ſuchte emſig57 ein halbes tête-à-tête mit Frau van Wälen, da - mit ich die Schlüſſel erhielte. Sie ſchien mir un - ruhig, und zu meinem Erſtaunen wagte Tallon die wunderlichſten Sticheleien, als ob er die geſtrige Spitzendame geſprochen, und meinen Giacomo aus - ſpionirt habe. Man muß ſo bornirt für nichts Jn - tereſſe haben als für politiſches Gewäſch, wie dieſer Wälen, um ſo unberührt zu bleiben, wie er bleibt.

Endlich konnte mir Frau van Wälen zuflüſtern, wir könnten uns nicht ſehen, die Schlüſſel ſeien ſpurlos fort, ſie argwöhne Alles gegen dieſen Tallon, der aus dem Weg geräumt werden müſſe.

Wie ein ruhiger feuerſpeiender Berg, in deſſen Jnnern ungeſehn fulminante Ausbrüche bereit liegen, erſchien mir die Frau.

Am andern Morgen bewaffnete ich Giacomo tüchtig, der ſich ſo ungeſchickt anſtellte, daß eine halbe Stunde Zeit darüber vertrödelt wurde, nahm einen handfeſten Kutſcher und fuhr mit Leopold nach der Hügellehne von Waterloo hinaus. Wälen’s und Tallon waren ſchon da, wir ſahen ſie aus der Ferne auf dem Hügel ſtehn, und zwei Kerle ſprangen aus dem nahen Gehölz, hoben blitzſchnell Margarita3*58in den Wagen, warfen den Kutſcher vom Bocke, und ſprangen auf den Bock, Tallon machte einige Grimaſſen mit Armen und Beinen, ſprang ebenfalls nach, die Peitſche flog, der Wagen verſchwand, und als wir im Karriere oben ankamen, flog er ſchon weit in der Ebene dahin.

Frau van Wälen ſchrie mir wie eine Furie entgegen: Retten Sie mein Kind. Herr van Wälen ſchnupfte, und ſchimpfe auf die Straßenpolizei.

Jch befahl meinem Kutſcher, im Karriere nach - zujagen, er weigerte ſich, ich warf ihn Wälens Kutſcher nach, und jagte ſelbſt die Pferde; durch ein unnützes, unpaſſendes Zugreifen Giacomo’s in die Zügel wurden die Pferde plötzlich falſch gewen - det, der Wagen ſtürzte, die Thiere gingen durch, was weiß ich! auf dieſe Weiſe kam ich um die direkte Verfolgung, mußte mühſam ein Städtchen und eine Poſt ſuchen, und ſo hatte der Schurke weiten Vorſprung; ich fuhr lang in der Jrre her - um, bis mich neue Anzeichen nach Oſtende führten. Nach der Küſte zu ſchien der Räuber ſeine Beute gebracht zu haben, und es kam mir nun ſchon die lebhafte Beſorgniß, er möchte bereits eingeſchifft ſein.

59

Du glaubſt übrigens nicht, welch eine reizende Figur bei dem Allen die geraubte Margarita ſpielte in meiner Phantaſie das ſchlanke, noch ſo mäd - chenhafte Geſchöpf, welch eine urſprüngliche Tragik mußte ſich ausdrücken auf dieſem zarten, ausdrucks - vollen Geſichte, wenn ſie gegen die Brutalität eines verhaßten Entführers in Kampf und Sträuben gerieth!

Das Erſte, was mir in Oſtende aufſtieß, war ich traute meinen Augen nicht, und ſchlug mir die Täuſchung aus dem Sinne es war Giacomo! Eine ſolche Erſcheinung huſchte im Gedränge des Hafendammes an mir vorüber wie ein Schatten, ich griff darnach, aber ſie war auch im lichtloſen Gewühle der Menge wie ein Schatten verwiſcht.

Jn den Gaſthöfen, bei allen abgehenden Schiffen erkundigte ich mich umſonſt; kindiſch, daß ich mich nie in meinem Leben an die Polizei wenden mag Du haſt gewiß Recht, daß ſie ein heilſam, noth - wendig Jnſtitut iſt, ſo wie die Welt eben ſteht und liegt; mir widerſtrebt aber jedes Jnſtitut, was blos da iſt, den natürlichen, urſprünglichen Aeußerungen der Menſchheit aufzupaſſen, die immerwährende, lebendige Erinnerung, daß wir nur nach dem Schema60 leben ſollen laſſen wir’s, ich bin ein wilder Menſch und Du ein civiliſirter, wir vereinigen uns nicht darüber; kurz, ich fragte nicht und entſchloß mich, nach London zu gehn. Das Meer iſt weit, ſolch eine Einſchiffung kann Einem leicht entgehn, der Abenteurer hielt ſich auch gewiß nicht ſo lange in dem Staate auf, wo er den Geſetzen ſo ſicher ent - gegen getreten war.

Es war ein nebliger Morgen, als ich nach dem Schiffe ging, man ſah nicht drei Schritte vor ſich, da eilt ein Mann in derſelben Richtung nach dem Hafen an mir vorüber; der Matroſe, welcher meine Habſeligkeiten trägt, ruft, ich weiß nicht warum, etwas aus, das ungefähr wie Vorgeſehn! oder Attention! klingen mochte, jener Mann wendet ſich um, wir ſehen uns, ich ſchreie auf und ſtürze nach ihm hin, er wendet ſich blitzſchnell und ge - räuſchlos wie eine Schlange ſeitwärts, und ver - ſchwindet im Nebel, ich hinterdrein, bald hier, bald da werde ich ſeiner einen Moment anſichtig, aber nimmer lebhaft, da die Finſterniß ihn ſtets mit wenig Schritten ſeitwärts meinen Blicken entzieht. Plötzlich, als ich ihn wohl zum fünften Male wieder61 vor Augen bekomme, ſteht er, ich jag gegen ihn los, er ſtreckt mir ein Piſtol entgegen und ſagt athemlos, was weiß ich! denn ich beachtete es nicht und griff darnach, der Schuß blitzt und knallt vor meinem Geſicht, ich fühle einen Ruck im Arme, ſeine Kehle ruht aber bereits in meiner andern Hand. Wir waren an eine kleine, abgelegene Strandhöhe gerathen, ſeitab vom Hafen, das Meer rauſchte einen Schritt hinter meinem Feinde Sag im Augenblicke, wo iſt Margarita, oder ich ſchleudre dich in’s Meer! damit hielt ich ihn bereits halb übergebeugt nach hinten. Er röchelt und winkte, wie bereitwillig, mit dem Kopfe, meine Fauſt ließ kein Sprechen zu, ich lüftete ſie ein wenig, und er bekannte eiligſt das Verlangte. Jn dieſem Augen - blicke fühlte ich mich von hinten ergriffen, mein raſches Gegenwirken warf Tallon in’s Meer, der neue Gegner war Giacomo, ein Schuft, der mich alſo immer betrogen hatte. Der, wie ich ſpäter bemerkte, getroffene, linke Arm verſagte mir ſeinen Dienſt, und ich hatte auf Tod und Leben zu ringen, damit ich mich des geſchmeidigen Burſchen erwehrte, ihn auf die Meerſeite drängen und hinabdrücken62 konnte. Er klammerte ſich aber ſo feſt, daß ich das Gleichgewicht verlor und mit hinab ſtürzte.

Die kalte Woge verſchlang und bedeckte uns; hier unter der Waſſerdecke mußte ich mich noch zu ein paar verzweifelten Stößen aufraffen, um mich der ſtets noch feſthaltenden Klaue des ergrimmten Jtalieners zu erwehren. Der Strom riß uns nun auseinander, ich kam an die Luft und wußte nicht, wo Küſten - wo Meerſeits war, da der Nebel nichts ſehen ließ, aber die landwärts kommende Welle warf mich, den mit einem Arm Rudernden, glücklich an den Strand. Wie es den Schuften ergangen iſt, weiß ich nicht, ich blickte nicht um, ſondern ſtürzte fort, um Margariten’s Verſteck zu ſuchen; der Meeres - froſt ſchüttelte mich, warm quoll das Blut aus der Armwunde.

Ein anſtändiger Menſch mußte ſich erſt umklei - den, den Chirurgus rufen, und nach dem Mantel - ſacke ſehn, welchen der Matroſe geſchleppt hatte; unterdeß wäre eine der Ratten wieder an’s Land gekrochen und hätte Margariten bei Seite gebracht.

Sie empfing mich mit einer Freude über mein Erſcheinen, als ob des Menſchen guter Engel plötz -63 lich in die Hölle träte und Himmelsluft und Himmels - glück ſtatt der Verdammniß böte, und mit einem Weh über die Wunde und das Fieber, welches mich befiel, als ob die Sonne nicht mehr aufgehn wollte.

Vergieb, ich referire nicht ganz paſſend, weil ich momentan in der tollſten Luſtigkeit zu Paris ſitze, und eben aus Ste Pélagie komme, wo Leopold der Holde wegen übermäßiger Schulden weilt, und eben mit den geiſtreichſten Schuldenmachern Frank - reichs eine Konferenz hielt, wie die Schulden, dieſes Negative der Welt, in das Poſitive, aus der Ge - fangenſchaft in die Herrſchaft umzuwandeln ſeien. Es kamen ausgelaſſen geiſtreiche Dinge vor man iſt ſehr munter in Ste Pélagie und ich bin von tollen Einfällen völlig turbirt. So will ich einen Preis ausſetzen, wie man der Sonne einen Flanell - mantel umſchlägt, damit ſie nicht ſo dreiſt und ohne Weiteres auf die jetzt ſo rückſichtsvolle Erde falle.

Aber ich faſſe mich. Wie wunderbar geſtaltete ſich das Alles in Oſtende! Ein flüchtig wildes Fieber warf mich, Margarita pflegte mein, und ſtand in lodernder Liebe, ich weiß nicht, weil ich ihr Retter war oder um was ſonſt. Und wie duftend und64 üppig entfaltete ſich dieſe Knospe! Aber was ich nicht ſuche, verlange, erkämpfe, was ſich mir als unbegehrtes Geſchenk in den Schooß wirft, das iſt nichts für mich.

Jch ſagte, wir wollten nach Brüſſel da ſchrie ſie auf, und wehrte ab, und umklammerte meine Schultern, und flüſterte: Die Mutter würde mir mein Glück nicht gönnen.

Aber was ſollte ich auf die Länge in Oſtende? Jch beſtellte uns Plätze auf einem Fahrzeuge, und ſagte ihr, wir wollten in die weite Welt bald trug uns das Meer, das Meer, was ich allein ſeit meiner Jugend unverändert liebe. Es war ein ſchlankes freies Schiff, was mit Wind und Wellen kräftig rang ich haſſe die Dampfſchiffe, dieſe künſtliche Vermitte - lung des Menſchen mit dem Elemente, dieſe reprä - ſentative Schifffahrt, wo das freie, kräftige, gefähr - liche Jneinander des Menſchen und des Meeres geſtört iſt.

Jch hatte den Verdacht, in einer Spelunke des Schiffes Giacomo geſehn zu haben, nur er hatte ſolche dolchartige neapolitaniſche Augen eines Nachts ſtieg ich auf das Verdeck, der Mond ſchien65 hell, das Meer ging hoch und ſchäumend, von einem frechen Nachtwinde getrieben, der aus Weſten kam und uns nicht an die Küſte ließ. Am Bord ſaß eine dunkle Geſtalt, ich ſah, daß ſie zuſammenfuhr, da ich mich nahte es war Giacomo.

Jch trat ihm ruhig nahe, fragte ihn nach Tallon, und ob er auch entkommen ſei aus jenem Bade. Giacomo wußte es nicht; Hin - und Herfragen be - lehrte mich, daß jener Menſch ein Bruder Giaco - mo’s, ein Neapolitaner und wirklich ein Revolutions - abenteurer ſei. Uebrigens log Giacomo, wie immer; von jener Schußwunde iſt mein Arm gelähmt, und dieſe mir ungewohnte Schwäche mag wohl etwas dazu beitragen, daß ich mich feindſeliger gegen die Welt fühle, als ſonſt. Jch faßte den Schurken, eh er ſich deſſen verſah, bei Schulter und Hüfte, und ſchleuderte ihn in’s Meer. Wind und Wellen rauſchten hoch, ſonſt war nichts zu vernehmen.

Wir kamen Abends in Brüſſel an, ohne daß Margarita gewußt hätte, wo ſie ſei; ich ließ beim Hauſe ihres Vaters vorfahren, und eh ſie zu einer rechten Aeußerung kommen konnte, ſtanden wir im Salon vor Herr und Frau van Wälen.

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Du verräthſt mich, Hippolyt, rief ſie, und ſank in Ohnmacht.

Aber ſo etwas, wie das Antlitz der Frau van Wälen und deren Geberde habe ich niemals geſehn; ich glaube, es iſt das Erſte geweſen, wovor ich in meinem Leben wirklich erſchrocken bin. Die unglück - lichen Worte Margarita’s mochten ihr eine Geſchichte erzählt haben Mann, ſchrie ſie mir entgegen, und ſtreckte die Arme nach mir aus, wie eine Furie, die mich zerfleiſchen wollte, Mann, Du bringſt den Gräuel über unſre Familie! Herr van Wälen eilte, die Schnupftabakdoſe in der Hand, zwiſchen uns, ſie ſchleuderte ihn zur Seite, und ich entwich.

Jch bin zum erſten Male entflohn, aber vor einem tollen Weibe. Zufällig, weil die Wagen juſt hierher trieben, bin ich wieder nach Paris ge - kommen; hier fand ich Leopold, der ſich aus der umgeſtürzten Kutſche hierher bewegt und hier luſtig gelebt hatte. Ach, iſt das eine Welt, die es Einem ſo ſchwer macht, luſtig zu leben!

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3. Valerius an Hippolyt.

Gott weiß, ob Du jemals dieſe Zeilen erhältſt, Gott weiß, ob Du ſie leſen kannſt! Jch kritzle ſie mit einem Bleiſtifte auf kleine Papierſtückchen, die ich durch den Zufall mitunter bekomme, und die zum Theil ganz ſchmutzig ſind ich bin im Ge - fängniſſe, und daß ich endlich ſo viel erreicht habe, heimlich des Tags einige Zeilen aufzuſchreiben, iſt ein überſchwenglicher Vortheil. Lange Wochen, lange Monde ſind ohne ihn vorübergezogen, langſam, lang - ſam, ach wie bleiche ausgehungerte Weſen, Freund, wie hab ich gelitten, wie leide ich! Was hätte ich darum gegeben, Tags nur einen kleinen Gedanken aufſchreiben zu dürfen, der ſich aus der Gedanken - qual, die ſich unerlöſ’t, furienartig in dem Verſto -68 ßenen herumzauſ’t, allen übrigen vordrängt. Wenn man nichts los werden kann aus dem Jnneren, dann ſteht ſich Geiſt und Gedächtniß ab wie Waſ - ſer, das nicht bewegt wird, entweder das Geſetz und die Ordnung hören auf, und der regelloſe Wahnſinn erlöſ’t, oder man verfällt in eine dumpfe Schwäche, welche der kleinſten Geiſtesoperation nicht mehr gewachſen iſt

Das Blatt war zu Ende, und ich habe lange kein neues ergattern können, heut war an einen Eierkuchen, den ich zum Mittageſſen erhielt, ein Stückchen Papier angebacken, das benutze ich trotz ſeiner Fettigkeit. Jch fühle es, wie aus weiter Ferne, es wäre mir viel wohlthätiger, wenn ich Dir in einer gewiſſen Ordnung erzählte, aber die Kraft dazu gebricht; in gezwungenem Nichtsthun, in dem ewigen machtloſen Denken, auf welches ich angewieſen war, iſt all ſolche Strenge der Darſtel - lung verloren gegangen, ich tappe, und greife bald hierhin, greife bald dahin. Niemals kann ich ſchil - dern, was ich gelitten und leide: dieſe ſchweren69 Jnnerlichkeiten ſehen ſo unbedeutend aus, wenn ich ſie mit einem Wort bekleide, jedes Wort iſt ſchon zu kurz, zu frivol dafür, ſie ſind viel zarter als Worte; vielleicht könnte ſie nur Muſik wiedergeben, jedenfalls wird nur Liebe ſie ahnen und verſtehn. Und dann: die Bezeichnung verſchwindet mir unter den Händen, weil mein Gedächtniß die Spann - kraft verliert, und die Einförmigkeit doch immer wieder neue Nüancen des Schmerzes entwickelt, und man nun beſtrebt iſt, dies Alles zuſammen - zudrängen; könnte man’s, die ganze Menſchheit müßte von einem elektriſchen Schlage des Weh’s betroffen werden; es giebt unbeſchreiblich Leid in der Welt, das Gefängniß iſt ein ſolches. Ach, das Papier iſt aus, ich ſehe kaum, was ich geſchrieben, und die Freude war ſo kurz!

Es iſt doch ſchon ein Zweck, für den ich jetzt lebe, ſeit ich das kleine, kleine, ach ſo vortreffliche Stück - chen Bleiſtift gefunden in einer kleinen Uhrtaſche der Beinkleider, die ich niemals benutzt oder beach - tet hatte. Es iſt doch ein Geſchäft, wenn auch70 nur von zehn Minuten. Denke Dir das Entſetz - liche, wenn ich früh erwache, das kleine düſtre Gemach wieder ſehe, was ich im Schlaf vergeſſen habe, und mit Entſetzen wieder daran erinnert werde, daß mein Leben beendigt iſt auf eine ſo troſtloſe Art! Wir haben geklagt, wenn’s keinen Reiz gab, ach Freund, was iſt’s erſt, wenn’s gar kein Ge - ſchäft giebt! Sobald ich aufgeſtanden bin, mich angekleidet und mein kärglich Frühſtück verzehrt habe, dann bin ich fertig, nun liegt der lange, öde Tag vor mir, grau wie die Unterwelt der Alten, ich habe kein Buch, ich höre nichts, ich ſehe nichts, es iſt mir keine Thätigkeit übrig, als in dem klei - nen Raume herumzugehen, die Gedanken ſchweifen zu laſſen bis ſie ſchwindlich werden gleich meinem Kopfe, ruckweis kommen und gehen, athemlos am Ende die Dienſte verſagen. Gegen zwölf, oft lange vor zwölf bringt der Wärter das Mittagbrod; das iſt doch eine Unterbrechung, die magere Speiſe iſt doch ein Gegebenes, woran der Gedanke ſich wieder aufrichtet, ich möchte langſam darüber wenigſtens eine halbe Stunde hinziehn, wenn auch die eigent - liche Mahlzeit in zehn Minuten verzehrt ſein kann,71 aber der Wärter geſtattet eine ſolche Ausdehnung nicht, er hat noch 30 Andere zu füttern, und Ge - ſchirr und Beſteck müſſen gleich wieder fort, damit ich keinen Mißbrauch damit treibe. Die Thür raſ - ſelt zu, es iſt zwölf, ſieben Stunden breiten ſich vor mir aus, ſie wollen durchgebracht ſein, dann kommt eben ſo flüchtig das Bischen Abendeſſen; dann ſind neue Gedanken zu ſuchen für den Abend, ehe der Schlaf zu finden iſt, welcher dem Gefan - genen ohne Bewegung und Luft ſo träge ſich - hert, ſo unmuthig! Und das iſt nur ein Tag, und ſo reiht ſich ausdruckslos einer an den andern, bis man eben verrückt wird von den unbeſchäftigten Gedanken, oder ſtarr ſich wie das Thier der Wüſte in den Winkel hockt.

Könnt ich Dir nur folgerecht erzählen, das würde mir nützlich ſein; es drängt und bäumt ſich von Gedanken Alles ſo durcheinander, daß ich nicht weiß, wornach ich greifen ſoll, und ich zittre, daß man meinen Bleiſtift oder die beſchriebenen Papier - ſtücken entdeckt, und ich wieder in die alte Wüſte72 geworfen werde. Wenn die Wache auf dem Kor - ridor einen unregelmäßigen Schritt macht, ſo fahr ich zuſammen, ich denke, man ſieht es meiner Taſche an, daß verbotenes Papier darin ſteckt, und es treibt mich ein halber Wahnſinn dem Wärter zu ſagen, wenn er mich anſieht, unaufgefordert zu ſagen: Denken Sie nicht etwa, daß ich hier rechts in der Taſche Papierſtückchen und einen Bleiſtift habe! So nerven - und geiſtesſchwach wird man; man weiß es noch eine Zeitlang, man ſieht ſich bei lebendigem Leibe ſterben. Jch denke an alle die heruntergekommenen Leute meiner Bekanntſchaft, es fiel Eins nach dem Anderen von ihnen ab, der Beſitz, der Umgang, die Kleidung, ſie wollten doch noch auf Augenblicke leben, ſie tranken oder ſie ſtah - len gar und thaten noch Schlimmeres, und endeten kläglich, und die Welt höhnte darüber, und ver - dammte ſie rückſichtslos. Jch that es nie, und jetzt im Elend fühle ich, wie nah bei einander die guten und die ſchlechten Thaten ruhn, ſo nah wie die glücklichen und unglücklichen Geſchicke; ein kleiner Mangel führt zum nächſten großen, man greift nach der nächſten Rettung, Geiſt und Nerve wird73 ſchwach und verwirrt, Wahl hört völlig auf, der Zufall weiß, was daraus werden mag, und die Menſchen verurtheilen! Ach, mein Raum iſt wieder aus, ich bin wieder wer weiß wohin ge - rathen

Mit peinlicher Mühe habe ich mir Tage lang vorgeſagt, was ich damals noch dazu ſchreiben wollte, als der Papierfetzen zu Ende war, und ich habe lange keinen erreichen können; ſolch ein halb übrig bleibender Gedanke quält und martert, er will ent - weichen, weil er nur ein halbes iſt, mein Gedächt - niß wird ohnedies täglich ſchwächer. Es was dies: in einiger Entfernung von meinem Kerker höre ich zuweilen Ketten raſſeln, ich denke, es mag ein - ſewicht ſein, und ich fühl’s an meiner Schwäche, daß ich ja auch gar nicht ſicher bin, ein ſolcher zu werden. O, was iſt der Menſch! Und zu einem Erzählen komme ich immer nicht, und mein Kla - gen darüber füllt den ſpärlichen Papierraum nutzlos. Nun, ich will meine gefangenen Jdeen noch ſpe - cieller einzufangen ſuchen für die Darſtellung, dieſeV. 474nothwendige Ordnung wird mir doch ein Geſchäft ſein, und als ſolches, ach, wie willkommen! Heut hab ich nur ein Papierſtreifchen, das um’s Licht gewickelt war, und muß ſchließen.

Triumph! der Wärter hat mir ein altes ſchlech - tes Buch geliehen, darin iſt vom Okuliren der Bäume, von Vertreibung der Hühnerwurzeln, von Gelbmachen der Butter und ſolchen Dingen die Rede; aber es iſt etwas Lesbares, etwas außer mir, was zu Hilfe kommt, ich habe einen Troſt, eine Hoffnung, wenn mir die Gedanken ausgehn; ich klettre dann hinauf zu dem kleinen Fenſterchen, welches durch Eiſenſtäbe und eine Blechblende von der Außenwelt abſcheidet, und nur ein ſchmales Stückchen Himmel oben hereinläßt, dort leſ ich über das Buttermachen, und leſe jede Zeile zwei - mal, dreimal, um recht lange Zeit über dem Buche hinzubringen. Wie berauſchend ſcheint mir der Traum, ſolch ein Gartenknecht werden zu können, der graben und hacken darf in Gottes freier Natur, und wie wollt ich mich bei der Wirthin beliebt75 machen mit den geheimnißvollen Kenntniſſen, die ich aus der vergilbten Scharteke erlerne! Und nun der große Gewinn: hinten und vorn in dem Buche ſind zwei eingebundene ſchmutzige Papierblätter, die werd ich ſtehlen, und aus der Mitte werd ich man - ches loſe Druckblatt herausziehn, um über den Druck hinwegzuſchreiben; wenn es ſich ſpäter ſchwer leſen läßt, ſo hab ich ein neues Geſchäft des Entzifferns, ich bin jetzt ſehr reich, lieber Himmel! Eher darf ich’s aber nicht thun, als bis ich das Buch zurück - gegeben und nach mehreren Tagen erkannt habe, daß der Wärter nichts vermißt. Dann, im ſchlim - men Falle, werden die Blätter gefunden, und ich rette den Bleiſtift, weil ſie noch unbeſchrieben ſind. Es kommen alſo wieder einige ſchlimme Faſttage.

Es iſt gelungen, und nun will ich erzählen, aber nur vom Momente der Gefangenſchaft an; das Vorhergehende hat ſeine großen Umriſſe mit der äußern Welt gemein, das vergeſſe ich nicht, aber die kleinen Schattirungen zwiſchen vier Wän - den entgehen mir; ſie möchte ich feſthalten. Jch76 fühle es, je länger dieſe Einförmigkeit dauert, deſto ausdrucksloſer wird ſie mir, ich gewöhne mich und verliere in der Auffaffung das Unterſcheidende. Ach, und ein Ende iſt nicht abzuſehen, in der jetzigen Form kann es Jahre lang dauern, braucht gar nicht aufzuhören. Oh! kein Menſch hört und ſieht dieſen Seufzer, erfährt’s, welch ein entſetzlicher Schmerzesabgrund dahinter liegt. Alſo: durch viele Höfe und Gänge, mehrere Treppen aufwärts ward ich in ein kleines Gemach geführt, die Thür ward hinter mir zugeſchloſſen, ich bemerkte noch anfangs nichts, ich ward noch von den wahrhaft lebendigen Gedanken der letzten Verhältniſſe bewegt, ich ging ſtundenlang im Zimmerchen umher, bis ich müde war. Da bot ſich zum Ruhen ein kleines ſchwar - zes Kanapee, was zwar zu kurz war, um ſich darauf auszuſtrecken, was doch aber durch ſein Daſein harte Kerkergedanken nicht aufkommen ließ; gegenüber ſtand ein rother ordinärer Tiſch, ein Bett und zwei dito Stühle fanden ſich vor, auch ein kleiner Tiſch mit Waſchbecken und dergleichen. Jch rümpfte ein we - nig die Naſe, daß mein Gemach ſchmal und lang ſtatt viereckig ſei, daß man auf’s Sofa ſteigen77 müſſe, um zu dem vergitterten Fenſter zu kommen, und in den Hof hinabzufehen. Jndeſſen, die Ein - drücke waren ſehr flüchtig; zu Anfange denkt man auch, das werde nicht lange dauern, man iſt noch zerſtreuend mit der letzten Außenwelt beſchäftigt. Die Gefängnißentbehrungen traten mir auch noch milde vor die Augen: im Felde hatte ich mir das leidige Tabackrauchen wieder angewöhnt, man gab mir Feuerzeug und Pfeife, ich hatte eine volle Börſe in der Taſche, es wurde nicht darnach gefragt, kurz: es war nichts grell aufſtörendes Gefängliches da. Am andern Tage ward ich verhört; der Jn - quirent war ein ſehr artiger Mann, welcher ſich theilnehmend nach den kleinen Lebensbedürfniſſen erkundigte, mir ſeine Bibliothek anbot, und die lebhafte Hoffnung beſtätigte, daß mein Arreſt wohl nicht lange dauern würde. Die aufgeregte Zeit mache größere Strenge und Sorgfalt nöthig, man wiſſe, daß ich revolutionaire Grundſätze gehegt und mich dafür bewaffnet habe, um mich der polniſchen Revolution anzuſchließen. Das leugnete ich nicht, ſetzte aber hinzu, daß die polniſche Sache einmal für eine hiſtoriſch rechtmäßige gelte, und daß ich78 ferner nirgends eine heilſamere Lehre gefunden hätte, als juſt in Warſchau. Auf das Erſte entgegnete er höflich: Sie ſind ein wiſſenſchaftlich gebildeter Mann, und werden leicht einſehen, daß der beſte - hende Staat nicht auf alle hiſtoriſche Rückforderung eingehen kann, ohne ſtete Unruhe und die beliebigſte Rechtsänderung zu geſtatten; Sie wiſſen, wie die Geſchichte vorrückt und ſich geſtaltet, niemals alten Beſitz reſpektirend: wo kämen wir hin, wenn all ſolche Rekriminationen geſtattet würden, wenn z. B. der Elſaß von Deutſchland zurückbegehrt, die römiſch - deutſche Kaiſergewalt von Oeſtreich angeſprochen würde? Daß Sie zweitens das Mißliche der Revo - lution kennen gelernt, glaube ich wohl, aber Sie ſehen ein, daß ſolche Verſicherung jetzt, wo Sie im Gefängniſſe deshalb ſind, nicht von großem Belange iſt. Sie haben mit ihren Freunden durch Wort und Schrift die Revolution direkt propagirt, Sie haben ſelbſt an der einen mit den Waffen in der Hand Theil genommen, welche gegen die geſetzlich beſtehenden Traktate Europa’s gerichtet war; das werden Sie zugeſtehn, und Sie müſſen ſich’s nun gefallen laſſen, daß man ſich Jhrer Perſon verſi -79 chert, daß man die Gleichgeſinnten von Jhnen zu erfahren ſucht, von Jhrer bekannten Lebensthätigkeit auf unbekannte ſchließt, und deren mächtig zu wer - den trachtet. So kam’s in Gang, was man eine Unterſuchung nennt; wie human dieſer Mann gegen mich war, habe ich ſpäter mit großer Betrübniß eingeſehen, mit Betrübniß darüber, daß ich ihn nicht behielt. Den zweiten Tag war mir ſchon unruhiger im Gefängniſſe zu Muthe. Die erſte Jlluſion, daß es in ein Paar Stunden vorüber ſein könne, war vorüber, mit der Gegenwart fiel nun auch die un - ſichre Zukunft laſtend auf mich, mein eignes Jn - tereſſe erſchien mir ſo bedroht, daß mir die Jnter - eſſen der Bücher, welche mir der gütige Jnquirent geliehen hatte, fremd und künſtlich gemacht vor - kamen, ich hatte keine Ruhe zur Lektüre. Jch erinnere mich, daß mir eine einzige Stelle von vie - lem Geleſenen einen Eindruck machte, die ſtand in Deppings Erinnerungen aus Paris, er ſchildert einen glücklichen Menſchen und ſagt: zum Zeichen, daß er wirklich Glück hatte, wurde er auch von einem tüchtigen Unglück betroffen. Dieſe Stelle war mir ein wirklicher Troſt; die Dichter, welche80 er mir mitſchickte, wollten wenig helfen, merkwür - digerweiſe auch Shakesſpeare nicht: ſeine Dinge fielen all in eine tobendere, willkührlicher wechſelnde Zeit, als daß eine Vergleichung gepaßt hätte, ſeine Gedanken überſtürzen ſich in ihrem Reichthume ſo, daß ſie mir deshalb weniger wahr und nothwendig vorkommen. Er ſchüttet ſie, dachte ich, aus einem Füllhorn des Genies, unüberlegt, ungepflegt und ungeprüft, er weiß ſelbſt nicht, ob ſie immer wahr ſind. Und es tröſtet nur, was der Tröſtende ſelbſt glaubt, und wenn wir ſehen, daß ſich das Wort des Schreibenden wirklich bewährt hat. Deshalb vielleicht war mir Göthe allein von Erquickung: da war nichts Ueberſpanntes, Uebertriebenes, nur das Zuverläſſige war einfach geſagt, das Verlangen an die Welt war immer gemeſſen dieſe Lektüre allein gab mir Ruhe. Und was glaubte ich damals zu leiden, wenn ich nichts anzufangen wußte, als zu leſen, einmal an’s Fenſter zu klet - tern, in den leeren Hof hinabzuſehen, wo eintönig die Schildwache auf - und niederſchritt, und dann wieder zu leſen! Man wird ſo wüſt davon, man ſchlingt am Ende ohne Unterſcheidung Alles hin -81 unter, nichts iſt mehr friſch, nichts lockt, ach, und wie ſehnſüchtig hab ich ſpäter jene Zeit wieder herbeigewünſcht! Gefängniſſe, welche dem meinigen gegenüber, hatten Blechkaſten vor den Fenſterchen, und ſahen wie troſtlos erblindet aus; wenn ich mitunter hinter ihnen ſprechen, gar lachen hörte, ſo berührte es mich immer unheimlich. Mein freund - licher Wärter erwiderte mir auf Befragen achſel - zuckend, dort ſäßen ſchwere Verbrecher. Jch ſchau - erte, es überlief mich mit Grauſen, ſo durch ein Verbrechen vom Tageslichte abgeſchloſſen zu ſein. Lieber Gott, jetzt ſitze ich ſchon ſeit vielen Monaten hinter ſolcher Blende, und doch bin ich noch derſelbe, nur ſchwächer, doch lebe ich auch weiter, und das moraliſche Moment dieſer Däm - merung kümmert mich nicht mehr; der Menſch lernt Alles, auch die Verbrechermaske tragen, und am Ende hält er ſie für ſein wirkliches Geſicht. Jch vergeſſe es jetzt ſchon manchmal völlig, daß ich kein Verbrecher bin, ich muß mich ſelbſt daran erinnern, daß es nur höhere wechſelnde Staats - rückſichten ſind, welche mich in den Zuſtand gebracht, daß ich nur ſelbſt in dem Verhältniſſe dergeſtalt4 *82ſinke; nach längerer Zeit werde ich in moraliſchem Bewußtſein ganz in dieſen Kerker gehören. Wir ſind nichts ſelbſt, wir ſind halb oder ganz unſere Verhältniſſe. Jch rufe mir’s jetzt zurück, was es mir damals für verwundende Eindrücke gab, wenn Abends um zehn Uhr an die Thür geklopft und bemerkt wurde, das Licht ſei auszulöſchen; jetzt fällt es mir nicht mehr auf, wenn die Wache ſchreit Licht aus! ; in jenem erſten Jnterimsgefängniſſe ſaßen Vagabonden und ſolch leichtes Geſindel in meiner Nähe, was ſich durch leichtſinnige, rohe Aeuſſerungen, durch gemeinen Spektakel oft auf - fällig machte, zuweilen wurde des Abends ein Be - ſoffener oder ſolch ein Straßenheld eingebracht, er tobte wie ein Thier, und ich hörte wohl, daß man hier im abgelegenen Korridor nicht eben zart zum Eintritt nöthigte, nun fluchte der Kerl die halbe Nacht und wüthete gegen die Thür, bis er zuſam - menfiel ja, damals kam ich mir ſehr entwür - digt vor, jetzt hielt ich es bereits für eine Abwech - ſelung, eine Erholung gegen dies todte, bleierne Einerlei, was mich umgiebt, was nur zuweilen vom Raſſeln jener Kette unterbrochen wird. Da -83 mals, wo ich wüſt vom Leſen war, und nur nach Abwechſelung verlangte, wo ich wie ein Gefängniß - dilettant mich betrug, ward mir auch von vorn - herein eine Freiſtunde bewilligt, um auf einem klei - nen verſchloſſenen Hofe herumzugehen, und ich thörichter Menſch nahm gar kein Jntereſſe daran; es war heißer Sommer, wenig Schatten im Hofe, und eine Stunde lang dort auf - und abzugehen, ſchien mir ſehr langweilig, ich dünkte mir ein wil - des Thier, deſſen Käfigdeckel aufgeſchoben wird, und das vor Leuten hin und her rennt. Einige Arbeits - ſtuben der Behörde nämlich, und mehrere Gefäng - niſſe ſahen in den Hof, ordinaire Gefangne ſpot - teten über mich, daß ich im Hut und mit Hand - ſchuhen herumging; wenn ich gar eben ein friſches Hemd hatte, deſſen Manſchetten ſichtbar waren, ſo mußte die Wache oft dem Spotte Ruhe gebieten. Das kränkte mich tief, und ich ließ die Stunde oft vorübergehn jetzt bin ich ſo abgeſtumpft, daß ich Alles thäte einer Freiſtunde willen: ſo ſchmachte ich nach friſcher Luft, ſo dürſte ich dar - nach. Jch ginge mit meinem langen Barte und meinem wahrſcheinlich verbleichten Antlitze auf einer84 Gallerie umher, möchte zuſchauen, wer da wollte. Jn jenem kleinen Hofe ſah ich einen langen Beam - ten ſtets an einem Pulte ſtehn und ſchreiben, und ich bildete mir ſteif und feſt ein, der ſchriebe meine Sache, und er müßte nun bald meinen Freibrief ſchreiben; es war mir ſtets auffallend, daß der Mann nicht mit größerem Antheile auf mich her - unterſah. Gott weiß, was der lange Mann geſchrie - ben hat, aber er hätte etwas viel Beſſeres ſchreiben können. Ueberhaupt, ach, wie viel Anknüpfung und Romantik gab’s da drüben in dem Gefängniſſe! Jetzt empfinde ich es erſt in dieſer Oede und Ent - behrniß, wie man erſt ſieht, daß man Blut hat, wenn man’s verliert. Auf den kleinen Hof ging auch ein Flurfenſter, wo Fremde zuweilen erſchie - nen, wahrſcheinlich ſolche, die etwas petitioniren wollten. Da fand ſich denn wohl auch eine Dame ein, mitunter auch eine ſchöne in ſeidnem Gewande, mit einem Schleier. Ach, Du lieber Himmel, könnt ich doch in meinem Leben noch einmal eine ſchöne Dame mit ſeidnem Gewande und Schleier ſehen! Vom kläglichen Bedürfniſſe zum Auskom - men, vom Auskommen zur Wohlhäbigkeit, von85 dieſer zum Luxus, zum gefälligen Reize, wie weite Strecken liegen zwiſchen alle dem, und dieſe ganze, große Strecke liegt zwiſchen mir und der Welt! Jch liege hier im Staube, Schmutz, in der küm - merlichen Ernährung, und ſtrecke Hand und Wunſch aus nach einem ſeidnen Gewande wie der Bettler nach einem Goldſtücke. Bin ich derſelbe, dem eine Fürſtin in den Armen gelegen, der Prachtgewänder zerriſſen hat? Ein Fetzen davon könnte mir jetzt einen glücklichen Tag machen. Oft hab ich ſolche Gelüſte verhöhnt, weil ſie die Harmonie eines Zuſtandes, und auch der unterſte hat eine, weil ſie dieſen Ein - klang zerſtörten, weil ſie krankhaft ſeien. O wie grauſam war ich in ſolchen Worten, die todte Regel iſt eben die Proſa, der Tod; könnt ich meine Hand jetzt nur einen Augenblick auf einen Seiden - ſtoff legen, um an dem feinen glatten Stoffe zu empfinden, es giebt noch Reiz und Schönheit in der Welt!

Der Papiervorrath war zu Ende, und es iſt wieder eine lange Pauſe eingetreten; durch rüſtiges86 Darben habe ich mir einige Kreuzer abgeſpart an der Rechnung, welche der Wärter führt, und mir ein Stückchen Kuchen kaufen laſſen, weil bei mir zu Hauſe Kuchen etwas Sonntägliches, Feiertägli - ches iſt, und ich gern einmal ſolch einen Eindruck des Beſonderen, des Feſtlichen haben möchte. Ne - benher nun, es iſt gelungen, und ich will mir den Platz nicht verringern durch Erzählung der klei - nen Jntrigue: der Kuchen war in Papier einge - ſchlagen, was ich jetzt benütze. Du glaubſt nicht, wie viel ich Schmerz habe bei Beſchreibung jener erſten Gefängnißzeit, weil ſie mir jetzt ſo bunt und reich vorkommt gegen die jetzige, weil ich mich dar - nach zurückſehne, wie nach einem Eldorado. So giebt es auch unter den Bettlern Reichthum und Armuth, und über den glücklichern Genoſſen geht des Darbenden Wunſch nicht hinaus; ich bin ſo weit gedrückt, daß ich das Berauſchende einer tota - len Freiheit gar nicht mehr hoffe, nur nach jenem Zuſtande ſchmachte, wo keine Blende vor dem Fen - ſter iſt, wo ich rauchen, leſen, am Ende gar ſchrei - ben durfte, ſchreiben mit ordentlicher Dinte, wirk - lichen Federn und auf ganz reines weißes Papier;87 wo ich des Tags eine kleine Stunde in den Hof kam, und mitunter einen andern Menſchen ſah, als den Wärter. Denke, welch ein Reichthum war Folgendes: Jn jenem Gefängniſſe wurden auch die leichtſinnigen Mädchen der Straßenromantik einge - ſperrt, welche in ihrer geſetzlichen Geſetzloſigkeit etwas verſehen, und ſich hatten aufgreifen laſſen; dieſe leichten Kinder, welche zu Zwanzigen in einem gro - ßen Gemache kampirten, wo allerlei anderes Weibs - bild, das ſich irgendwo im Netz der Vorſchriften verirrt haben mochte, zuſammentraf, ſangen und tändelten in ihrem Käfig, wie es ihnen die Lange - weile eingab, und ſo lange es der Schließer geſtat - tete, deſſen Verbot und Anrede allerdings unange - nehm war. Zuweilen nun, wenn ich in die Frei - ſtunde geführt wurde, und an dieſem Terrain vor - überkam, ſtand die Thür offen, weil ausgefegt oder eine der Heldinnen abgerufen ward, die unter den ſtark aufmunternden Worten des Schließers ihre Toilette beendigte. Jch hatte dann einen vollen Blick in dies Serail; ſie lagen zum Theil halb entkleidet wegen der Wärme in allen Poſitionen umher, oder ſaßen, oder kauerten, oder verſuchten88 es, in dem Gedränge zu promeniren, und ſchmach - tender oder frecher wurde mir in Eile als einem jungen Mannsbilde allerlei Theilnahme ausgedrückt. Zuweilen gab es wirklich ſchöne Geſchöpfe darunter, und der Schließer machte mir ſtets einen ſchlechten Eindruck, wenn er ohne allen Unterſchied jegliche Aeußerung grob zur Ruhe wieß. Freilich war der Mann abgehärtet; ich ſprach ihn zuweilen, und er ſagte ſtets mit einem Fluche: das Pack taugt all nichts, erſt haben ſie ſich auf der Straße herum - getrieben, ach da thun ſie unſchuldig, wir laſſen ſie wieder laufen, dann kommen ſie zum zweiten Male, nun iſt’s ſchon ſchlimmer, und ſo drei, vier Mal fort, bis ſie zum Zuchthauſe reif ſind, und die Hübſcheſten ſind immer die Aergſten. Es gab immer eine viertelſtündige Unterhaltung jetzt gäb’s eine längere wenn ſie auf den Hof gelaſſen wur - den, den ich von meinem Fenſter ſah; laufen mochte keine, Frauenzimmer ſind nicht für Bewegung; ſie zankten ſich um die Schattenplätzchen, auch die Häß - lichſte, dem Gefängniß tief Verlorne, mochte den Teint nicht ausſetzen. Die Alten zerrten, die Jun - gen neckten, ſehr Viele hatten ſtets ein Töpfchen89 bei ſich mit irgend welchem Eßkrame; aber mir erwuchs noch ein ſpecielleres Jntereſſe daraus. Mein Wärter nämlich benutzte dieſe Garde, um mein Gemach täglich reinigen zu laſſen, und mit mun - terem Geſchmacke wählte er ſtets eine Handfeſte für’s Grobe und eine Hübſchere für’s Leichtere, das Bett zu machen, den Staub abzukehren. Das war den Mädchen auch eine Abwechſelung, und ſie kamen meiſt ſehr heiter, erzählten auch meiſt in der Kürze dieſer Viertelſtunde ihre Lebensgeſchichte. Ein bild - ſchönes Mädchen kam öfters wieder, endlich Tag für Tag; der Wärter nahm ein gewiß herzliches Jntereſſe an ihr und an ihrem Schickſale, er hatte ſie gekannt, da ſie noch als kleines Mädchen her - umgelaufen war, ſagte, ſie ſei ein wirklich gutmü - thiges Geſchöpf, und doch ſei ſie immer wieder auf leichtſinnigem Verkehr mit Männern betroffen wor - den. Sie nannte ſich Louiſe und war ſehr küm - merlich und ſpärlich gekleidet. Wenn ſie beim Aus - fegen manchmal die Thür herumſchlug, ſo daß der Wärter auf der Thürſchwelle, oder weiter zurück auf dem Korridor uns einige Augenblicke nicht ſehen konnte, dann erhob ſie ihre gutmüthigen, ſchönen90 Augen ſo ſanft und lockend gegen mich, und es lag ein ſo merkwürdiger Ausdruck darin, daß ich ſie gern weitläufiger befragt hätte. Sorgloſer Leicht - ſinn war ſo unverkennbar dabei, und doch ſo zu - traulich und harmlos! Sie ſagte mir auch, daß ſie wohl diesmal in’s Zuchthaus kommen würde, ſprach aber dies für mich ſo entſetzliche Wort ſo leicht aus, wie wir einſt vom Kaffeehauſe redeten. ’s iſt ſchlimm, meinte ſie, und nickte dabei mit dem Kopfe. Wenn man ihr aber die Backe ſtrei - chelte, ſo war das Lächeln gleich wieder da, und ſie flüſterte: Vielleicht kann ich mich einmal des Abends zu Jhrer Thür heraufſchleichen Aber mein Kind, meine Thür iſt ja zugeſchloſſen. So? Das iſt freilich ſchlimm, aber vielleicht geht’s doch; ach, da unten iſt’s langweilig! Längere Zeit, als zu dieſer Mittheilung nöthig war, dau - erte unſre halbe Einſamkeit nicht; ſie mußte wieder fort, ich ward wieder eingeſchloſſen, und ich konnte über die pikante Situation nachdenken, wie mit einer Zuchthauskanditatin getändelt werde. Sie kam jetzt jeden Morgen und flüſterte mir immer zu: ich komme nächſtens. So gab’s doch eine91 ordentliche Romananknüpfung dort; wie duftig er - ſcheint mir jetzt das unvorſichtige Mädchen! eine gemeine Spitzbübin, die mir ihre Lebensgeſchichte erzählen wollte, wäre mir jetzt ſehr erwünſcht, man hörte doch etwas, verkehrte mit einem Menſchen. Wirklich huſchte es eines Abends um meine Thüre her, und klopfte leiſe, die kecke Luiſe war da; der Schließer unten hatte den Schlüſſel nicht umgedreht, und ſie war heraufgeſchlichen. Aber bei mir war der Schlüſſel zweimal umgedreht, das leichtſinnige Kind fragte, ob ich kein Mittel wüßte; die Wache kam unterdeß vom andern Ende des Korridors lang - ſam aber ſicher herzugeſchritten, und Luiſa mußte fort. Jch hab ſie nicht wieder geſehn; mit den guten, treuen Augen hat ſie wahrſcheinlich auf’s Zuchthaus gemüßt. Aber auch dort wird ſie jetzt mitunter lachen und ſich glücklicher fühlen als ich.

Jch lerne ſo klein ſchreiben, und wahrſcheinlich auf Koſten meiner Augen ſo undeutlich Geſchriebenes leſen, daß ich geſtern mit meinem Kuchenpapiere nicht fertig geworden bin. Das hat mir den beſten92 Eindruck gegeben, dies Stückchen übrig bleibendes Papier hat mir die Möglichkeit eines Ueberfluſſes verſchafft, eines Ueberfluſſes, und ich bin ordentlich zufrieden geweſen im Verhältniſſe zu der ſonſtigen Zeit. So macht das Verhältniß Alles in der Welt, ſo elaſtiſch iſt der Menſch. Bei alle den Ab - wechſelungen meines vorigen Gefängniſſes fiel doch die Länge der Abgeſchloſſenheit immer ſchwerer auf mich, laß mich Dir’s offen geſtehn: manchmal glaubte ich erdrückt zu werden, ſo einſam, verlaſſen, un - glücklich erſchien ich mir, und die heißen, dichten Thränen brachen über mich herein. Ach, wie ein Kind habe ich geweint, manchmal Stunden lang; ich werd es nie vergeſſen, wie ich den Kopf an die Wand lehnte, und mich rückſichtslos dem ſchneiden - den Weh hingab, von der Welt ausgeſchloſſen zu ſein Tag um Tag, Nacht um Nacht! Und wenn ich in einer gewiſſen Süßigkeit des ganz frei ge - laſſenen Schmerzes erſchöpft war, da trat ein Vers von Goethe ſo oft mir auf die Lippen, ach ſo oft, und brachte immer wieder neue Thränen. Durch - gefühlt, durchgeweint hab ich jedes Wort, jede kleinſte, mögliche Bedeutung deſſelben; es war das93 Lied aus dem Wilhelm Meiſter, was der Harfner und Mignon zu Wilhelms Schmerze ſingen:

Nur wer die Sehnſucht kennt,
Weiß, was ich leide:
Allein und abgetrennt von aller Freude
Seh ich an’s Firmament
Nach jener Seite.
Ach wer mich liebt und kennt,
Jſt in der Weite,
Es ſchwindet mir, es brennt
Mein Eingeweide
Nur wer die Sehnſucht kennt,
Weiß, was ich leide!

Eigentlich hätte ich das Lied wie Proſa ohne Abſatz ſchreiben ſollen, wegen des Papiermangels, aber ich konnte mich nicht dazu entſchließen; das Beſte, was ich habe, ſoll ihm ſtets gewährt ſein, ein König kann in Lumpen gehn, aber nicht betteln. Wußt ich es nicht, ſo erfuhr ich’s durch dieſes Lied, daß ich eines feinen, edlen Schmerzes fähig ſei; wenn ich noch einmal auf dieſem Planeten in glänzende Verhältniſſe gelangen könnte, und ich ſäße unter ſchimmernder Pracht und prächtigen Menſchen und Tönen, und die einfache Sangesweiſe jenes94 Liedes ſchlüge an mein Ohr, o du wunderbare Welt, die Thränen brächen mir wiederum dick und heiß hervor bei den Worten: Ach wer mich liebt und kennt, iſt in der Weite, ich eilte hin zu dem Sänger, um ihm zu helfen, ich riſſe all die ſtrah - lende Welt mit mir, ich ſagte es ihr zweimal, drei - mal, ich ſetzte einen Preis darauf, daß es Niemand vergäße das wichtige Wort: Jn kleinen verborgenen Winkeln der Welt giebt es eine Einſamkeit, ein Elend, wie Eure eintönige Phantaſie niemals erfin - den kann; ſuchet, um zu helfen! Ach, Freund, jeder Menſch iſt eine fertige Welt, der neben ihm iſt eine fremde, und ſei’s der Bruder, ich fühl’s mit Entſetzen in meinem Unglück: wäre ich frei, ſo ergriffe auch mich die Woge wieder, ich triebe fort mit ihr, hätte mit dem Nächſten zu thun, was mich bedrohte, was mir erreichbar wäre, ach, ich ginge mit den Uebrigen, welche die Winkel vergeſſen, in denen der Menſch verdirbt.

Er ſieht weder Sonne noch Menſchenauge,
Er weiß nicht, wozu das Leben tauge,
Verdumpft, halb ſterbend, halb lebend.
95

Leb wohl, leb beſſer, das Papier iſt aus; empfinde nie bis in’s Herz die ſo harmlos ausſehenden Worte: Allein und abgetrennt von aller Freude.

Habe wieder ein Lied gemacht,
Habe mich ausgeweint,
Denke nun an die ſtille Nacht,
Meinen einzigen Freund:
Wenn die Sonne hinunter iſt,
Wird ſie leichter, die Noth
Denke dann: Nicht mehr allein Du biſt,
Ringsum iſt Alles todt.
Was Dich in der Ferne liebt,
Jſt jetzt ſtille wie Du,
Manches iſt wohl um Dich betrübt,
Hat eben Zeit dazu.

Thörichte Leute ſchmähen die Freude; es giebt kein Leben ohne die Freude, alle Momente derſelben ſind allein unſer Leben, alles Andere iſt dumpfe, todte Maſſe; ſelbſt in der Traurigkeit, im Schmerze ſind es allein die unerkannten kleinen Freudenpunkte, die ein Leben, ein Bewußtſein geſtatten. Hier in meinem Elend iſt’s der Tagesſchimmer, den ich ſehe, das körperliche Leben, was ich in dieſer und jener96 Wendung oder Regung einmal empfinde, das Ge - nüge Du bekommſt etwas zu eſſen oder Du wirſt Dich beſcheiden lernen dieſe Freudenatome halten auch mich am Leben. Zum Beiſpiele, daß ich wieder Papier habe, lauter kleine Stückchen, aber viel Stückchen. Jch kann wieder ſchreiben. Jn jenem Weh der Abgeſchloſſenheit, was mir ſo thrä - nenreich war im damaligen Gefängniſſe, da ſaß ich denn eines Tages brütend und traurig, als ich zu meinem Jnquirenten beſchieden wurde. Jſt’s Frei - heit? weiter dachte ich damals nichts, ſo viel Spiel - raum war damals noch gegeben wie lange iſt der fort! Und der Wärter war ſo gutmüthig, auf die Möglichkeit einzugehn, und zu ſagen: ’s muß wohl noch nicht ſo weit ſein. Der Jnquirent empfing mich ernſtfreundlich, und deutete mit der Hand ſeitwärts auf den Hintergrund des Zimmers. Eine Dame ſtand da, Geſichter, Gedanken ſtürzten übereinander in meinem Herzen, ich fand’s: es war Camilla, die ich in ſolcher Situation zu begrüßen hatte. Welch ein Gemiſch von Empfindungen! Das vortreffliche Mädchen hatte in Grünſchloß erfahren, was mir begegnet ſei, hatte ſich ohne Weiteres ſelbſt -97 ſtändig, allein aufgemacht, war hierher gekommen, zu allen Herrn und Behörden gelaufen, um für mich zu wirken, um zu mir zu dringen! Und ſie weinte jetzt nicht, ſie fragte ſtark und eifrig, worin ſie helfen und nützen könne. O wie viel Rührendes, Ueber - ſchwengliches liegt im ſtarken, liebenden Herzen eines Weibes! Daß ich nicht ängſtlich treu ſei, wußte ſie aus meinem früheren Weſen und Leben, daß ich es ihr nicht geblieben, wußte ſie nur zu gut; aber ſie iſt ein wirklich liebendes, ein ächtes, unver - fälſchtes Weib, ſie kam dennoch, da ich im Unglück war; im Glück hätte ſie mich niemals geſtört. O Du gute, herzensreiche Camilla! Konſtantie wohnt näher, und hätte mit der geringſten Anſtrengung große Mittel für mich in Bewegung zu ſetzen ver - mocht hierbei drängt es mich, Dir meine Schick - ſale von dem Augenblicke an zu ergänzen, wo ich mit Joel in Krakau ankam, bis zu dem Augenblicke meiner Verhaftung. Aber der Papiermangel ge - ſtattet mir nur wenige Striche. Wirſt Du es glaub - lich finden, daß ich auch kaum einen inneren und äußeren Zuſammenhang in jene Zeit bringen könnte, daß Zeit, Verhältniſſe und Menſchen wie ſchatten -V. 598hafte Traumgeſtalten an mir vorübergezogen ſind, vielleicht beſonders darum, weil die Menſchen gar keine höher menſchlichen Bezügniſſe zu mir hatten, nichts als erzogene, gezähmte Thiere für mich waren? Jch erſchrecke ſelbſt vor den Worten jetzt, welche meine damalige Zeit und meinen Aufenthalt bezeich - nen. Kurz, ein Menſch, der unſer Freund ſein mußte, wenn er ein Herz beſaß, wenigſtens ein Freund in Bezug auf die Ruſſen, Slodczek, den wir vor den Thoren Krakau’s im Jammer fanden, den wir retteten und nährten, überantwortete uns dem Feinde, weil es ihm einen kleinen Vortheil brachte, weil er undankbar iſt, wie es ein nicht ſelt - ner ſlaviſcher Zug mit ſich bringt, weil er den Aus - länder und den Juden keiner weitern Rückſicht werth achtet. Zum Glück waren wir an reine Koſacken gekommen, und unſer Weg ging nach dem ſüdlichen Sibirien, weil er den Koſacken der wünſchenswerthere ſchien. Der Koſack iſt gutmüthig, und in den meiſten Theilen Sibiriens verkehrt er gern, weil er es noch für ein Privatreich ſeiner Stämme anſieht; denn ſie haben es in der zweiten Hälfte des ſiebzehnten Jahrhunderts dem ruſſiſchen Reiche unterworfen. 99Was ſoll ich Dir nun ſagen, wo ich überall hin gerathen bin? Wir ſind eben Tag und Nacht ge - ritten, und an einem friſchen Morgen haben die Koſacken mit einander berathſchlagt, das hat nur ein Paar Minuten gedauert, und wir haben dann unſere urſprüngliche Richtung aufgegeben und uns nach Süden gewendet. Dann ſind wir geritten lange, lange über unendliche Ebenen, ich hatte ver - geſſen, was Sonntag oder Montag ſei, ich habe auch mit Joel kein Wort geſprochen, wir waren beide blaſirt, ſo ſind wir an die mongoliſchen Wäl - der gekommen. Und die Pferde liefen immer weiter; eines Abends lag auf der Fläche eine mongoliſche Jurta vor uns. Dies iſt ein Filzzelt, in welchem der Mongole ſchläft; dort ſteht ſein großer Keſſel, den er mit Kuhhaaren auswiſcht, in dem er ſeinen Thee kocht; der Thee iſt ſein tägliches Labſal. Jn Form eines Ziegels, an die fünfzehn Zoll lang, und wohl drei Pfund ſchwer, wird dieſer Thee aufbe - wahrt, und man nennt ihn ſeiner Form wegen Ziegelthee. Solch ein Ziegel wird in den Keſſel geworfen und zerkocht, man ſchüttet etwas unreines Steppenſalz hinein, was viel Bitterſalz enthält und100 Chuſchir genannt wird, fügt Pferdemilch und Butter hinzu, der Lama der Jurte giebt den Theeſegen, und man genießt heiß, ſiedend heiß. Der höfliche Mon - gole fordert Dich auf zu trinken, und Du thuſt wohl daran, denn auch nach warmen Tagen ſind die Nächte eiskalt.

Eine innere Welt gab’s nicht für mich, vielleicht gebrauchte ich ſolch ein vegetatives todtes Leben, da - mit Seele und Geiſt ſich von den Schlägen erhole. Jch ſuchte für nichts einen Zuſammenhang, weil mich aller Zuſammenhang ſo arg getäuſcht hatte, ſo habe ich denn auch nur Einzelnes geſehen, denn die Umgebung hat niemals mehr, als wir aufneh - men. Wir reiſ’ten mit ſolchen Filzjurten, die wir des Nachts aufſchlugen, der Weg ging durch Steppen, ich erinnere mich eines trägen, öden Ge - dankens, der damals in mir herumklapperte: die Welt iſt lang, ſehr lang. Dann kamen Hügel und am Abhange eines ſolchen plötzlich eine Stadt mit Kirchthürmen und Kuppeln, wie ich ſie nie geſehn. Sie gehörten zu einem Fohitempel, und die Stadt hieß Kiachta. Gott iſt überall, und die Menſchen101 brauchen ihn überall, ſei’s aus Furcht, ſei’s aus Liebe, ſei’s aus einem Gefühl, worin Beides liegt, und was ſie an manchen Orten Religion nennen. Hinter Kiachta kamen wir in einen dichten Fichten - wald, und mich flog ein Heimathsgefühl an, wie ein warmes Lüftchen, was ſich in den Winter ver - irrt; wir kamen an’s Flüßchen, Jbitſych geheißen, da gab es gar ſchöne Weiden, wo das Pferd graſ’te und wir lagern konnten. Jch glaube, dort habe ich einen Vers gemacht, woher er gekommen, wohin er gegangen, wer weiß es! Poeſie kommt wie ein Traum, den wir nicht erzeugt, und den wir nicht erzeugen können. Wir ſahen da Mongolen in bunten Kleidern, und zogen dann über den Gebirgs - rücken Zagan-Daba. Auf dem Gipfel der Berge liegen die Obos, das ſind Steinhaufen, welche dem Buddha errichtet werden; man muß Steine darauf legen, oder ein Halstuch aufhängen, um religiös zu ſein. Bei dem Worte Buddha dachte ich an Schlegel, das weiß ich noch, und da hab ich ein - mal gelächelt, ich erinnerte mich, daß er mit dieſer Religion Hindoſtans, welche die überwiegende Abart geworden iſt, ſehr unzufrieden war, und dieſer Ge -102 danke und die Situation, daß ich bei völliger Theil - nahmloſigkeit mit wirklich indiſchen Zuſtänden in Berührung trat, flog mir als ein leiſe Komiſches auf die Lippen. Dann gingen wir über den reißen - den Fluß Jro, und kehrten des Nachts ein, bald bei dieſen, bald bei jenen Mongolen. Sie waren immer ſchmutzig, immer roh, immer gutmüthig; vom Eingange in die Kibitke aus, der Thür gegen - über, ſtand immer der Schrank mit verſchiedenen Götzenbildern, dann ein Tiſchchen, worauf die ge - weihten Dinge, nämlich Gerſte, Waſſer, Brannt - wein, Thee; eine Schüſſel Aſche erſetzt die tibetani - ſchen Rauchkerzen. Rechts am Eingang iſt alles Hausgeräth: der Salzſchäffel, Tröge, hölzerne Taſſen, Schaumlöffel; in der Mitte ein eiſerner Dreifuß mit dem Keſſel. Ueberall wurden wir gaſtfrei auf - genommen; und als die Witterung immer wärmer wurde, dann bereiteten ſie uns auch ihren beliebten Kumyß aus Stutenmilch und Branntwein. Jn den meiſten Jurten findet man einen bettelnden mongo - liſchen Pilger, ſie gleichen unſern frühern Bettel - mönchen, ſind alle Lama’s, Prieſter, und ſehr gern geſehen. Nebenher ſind ſie chineſiſche Hauſirer,103 treiben Tauſchhandel, und nehmen beſonders Pelze mit. Der Lama iſt ein unentbehrlich Möbel jeder Jurte: nur durch ſeine Vermittelung kann der Mon - gole beten, deshalb iſt meiſt der zweite Sohn dazu beſtimmt. Jch erinnre mich einiger Eindrücke dunkel, die von dieſen Leuten mir gekommen ſind, es war namentlich ein Schmerz im Herzen und in der linken Pulsader, dicht an der Hand. Sie ſpielen nämlich auf einer Geige, Churr genannt, tief melancholiſche Lieder. An Kirgiſengräbern vor - über, durch die enge Schlucht eines Kalkgebirges kamen wir in die Wüſte Schamo oder Gobi. Es hatten ſich uns eilf ſolche chineſiſche Hauſirer ange - ſchloſſen, und die Koſacken wollten offenbar ein Handelsgeſchäft machen. Nicht weit vom Eingange in die Wüſte fanden wir einen Einſiedler, der natürlich ebenfalls ein Lama war, er trug ein rothes Kleid und eine kegelförmig hohe Mütze. Seine Wohnung war eine Höhle, dort ſahen wir ihn ſtehen, er hielt einen Roſenkranz in der Hand, und ſchrie: Geht gerades Weges fort, hier iſt heiliger Boden! Nebenher war er ſehr furchtſam, da wir ihm aber Tabak und Branntwein ſchenkten, die er104 bei aller ſonſtigen Enthaltſamkeit höchlich liebte, ſo beruhigte er ſich. Dort in der Nacht war’s, wo Joel zu mir trat der Einſiedler las eben bei zwei Lichtern eine Meſſe, und mich ſeit undenk - licher Zeit wieder einmal in deutſcher Sprache an - redete. Laß uns heimkehren ſprach er ich habe wieder Sehnſucht nach Menſchen; die Koſacken kümmern ſich nicht darum, ob wir bei ihnen ſind, ob nicht, unſere Pferde finden den Rückweg. Wir brachen auf, als die Karavane ſchlief, wir ritten viele, viele Tage; als ich zum erſten Male wieder deutſch rings um mich ſprechen hörte, da war der Frühling aufgeblüht, und mit den Lauten und Blumen des Vaterlandes wachte meine alte Welt wieder auf, die alten Träume und Wünſche kamen wieder, der Starrſchlummer war gebrochen, ich ſtreckte wieder die Arme aus nach dem Leben. Aber ich war allein; Joel war in Gallizien geblie - ben, es blieb mir nichts übrig, als zu ſingen und zu hoffen. Meine Landsleute waren nicht ſo gaſt - frei wie die Mongolen, ich war ohne Reiſemittel, und an einem warmen Frühlingstage mußte ich die letzten Kräfte anſtrengen, um ein Schloß zu erreichen,105 was im Schatten ſeiner hohen Bäume am wohlbe - kannten Strome lag. Jch wußte, daß es Conſtantien gehörte, ich wußte, daß ſie in der Frühlingszeit da zu wohnen pflegte, und meine Sehnſucht nach einem Herzen, was mich kannte, war ſo rieſengroß gewor - den, ich vergaß das ſchöne Weib und alles übrige Verhältniß, nur das Auge wollte ich ſehen, die Stimme wollte ich hören eines Weibes, das mich kannte, das eine Theilnahme zeigen mochte für den ewigen Wanderer. Erſchöpft, dürſtend, hungernd, von allerlei Drang gepeinigt kam ich an’s Schloß - thor, wo der Portier ſein Stübchen hat; ich fiel auf die Bank, ich fragte; die Fürſtin ſei da, war die Antwort, ſie ſäße eben bei Tafel. Der Por - tier mußte mir Schreibzeug geben, ich gab vor, eine drängende Mittheilung müſſe der Fürſtin ſogleich gemacht werden, ich ſchrieb ihr, mich einen Tag zu beherbergen, ich käme ermüdet von der chineſiſchen Grenze hier vorüber, und ſehnte mich, ein bekann - tes Weſen zu ſprechen der Portier, welcher den Brief ſelber auf’s Schloß hinauftrug, blieb ſehr lange, am Ende kam ein Wagen herabgeſchoſſen, darin ſaß die Fürſtin und William, ich kauerte erſchöpft5*106auf der kleinen Bank des Portiers, ſie brauſ’ten an mir vorüber. Der alte Portier kam mit dem Beſcheide nachgehinkt: das müßte ſeine vollkommene Richtigkeit gehabt haben, denn die Fürſtin habe Hals über Kopf nach dem Wagen geſchickt, und da fahre ſie hin. Der alte Mann ſchenkte mir ein Stück Schwarzbrot und einen Trunk, dann ſchleppte ich mich weiter, die herbe Wunde im Herzen.

Bald darauf begann die Gefangenſchaft, kam Camilla. Aber blaß war das arme Mädchen ſehr geworden ach, wie durchdrungen war ich damals, ihr dieſe rührende Anhänglichkeit mit aller Liebe zu danken, die nur in meinem Herzen gedeihen könne. Jn der Einſamkeit meines Gefängniſſes malte ich mir es aus, wie ſie zufrieden und glücklich ſein würde, wenn wir eine kleine häusliche Exiſtenz neben einander führten; die Welt müſſe freilich aufgegeben ſein, aber Camilla ſei zufrieden mit einem Jdyll. Um dieſe Zeit trat eine Kataſtrophe ein, und Alles wurde anders: ich wartete täglich auf meine Befrei - ung; eines Tages, als der Wärter mein Mittag -107 eſſen brachte, fiel mir ſein ſtilles, zurückhaltendes Benehmen auf; ich fragte, er ſchwieg, ich fragte dringender erſchrecken Sie nur nicht, ſagte er endlich, Sie kommen von uns weg, und die Unter - ſuchung wird größer und ſtrenger. Wer die Faſſung im Augenblicke verliert, iſt ſehr ſchwach oder wenig gebildet, dir Kultur iſt ja eine Faſſung; ich glaube, damals tröſtete ich den Wärter und mein Mit - tagbrot. Als er abgeräumt und zugeſchloſſen hatte, als ich wieder ſo recht gefänglich allein war, da ſtürzte der Jammer wie ein Sturzregen über mich. Mit jener Nachricht war nicht nur alle Ausſicht auf Freiheit vernichtet, ſondern ich wußte nun auch zuverläſſig, daß ich mindeſtens ein halbes Jahr Ge - fängniß noch vor mir hatte. O Du, zur ſchönſten Reiſe Gegürteter, laſſe Dich in’s Bett drücken mit der Gewißheit, viele Monate darin leiden zu müſſen, vielleicht nicht mehr aufzuſtehn. Es war ein ſchwerer Nachmittag und Abend, bis alle Hoffnungsmöglich - keit in mir erwürgt, zum Schweigen gebracht war; wer ſich ergeben kann, leidet weniger, ich konnt es nicht, und kann es in meiner Jämmerlichkeit heute noch nicht; nun kamen die Gedanken an Flucht,108 welche die Unruhe auf ihren Schultern tragen, und eine erhitzte Hoffnung hinter ſich herſchleppen. Mein damaliges Gefängniß lag dergeſtalt in der Mitte aller feſſelnden Anſtalten, daß ein Durchbruch unmöglich ſchien. An die Freiſtunde auf dem Hofe klammerte ſich Alles: dieſer Hof lag am Fluſſe, und war von dieſem nur durch ein großes Thor getrennt; das wurde zuweilen des Nachmittags geöffnet, und einer oder der andre Beamte ſetzte ſich in den Kahn, welcher an der Treppe lag, um zu angeln, oder er ſchloß gar den Kahn los, um fortzurudern der Glückliche, er wußte nicht, wie er beneidet wurde. Je näher die Gefangenſchaft mit der freien Welt in Berührung kommt, deſto ſchmerzhaft prickelnder wird ſie, die Vergleichung hebt oder ſchwächt alle Eindrücke. Die Sonne ſchien warm, ich ſchwimme mit Leichtigkeit, jenſeits des Fluſſes lockte die offene Straße, ein kühner Entſchluß konnte mich retten, die beſtürzte Wache, die neben mir ſtand, wäre nicht ſo ſchnell zum Laden ihrer Muskete gekommen, daß ich nicht die auf größere Entfernung große Un - ſicherheit des Schuſſes hätte riskiren können wer mag die Situation beſchreiben! Die Situation, wo109 ein Entſchluß in ſchnelle That übergehen ſoll, in eine That, die ſo mißlich war. Was ſollte ge - ſchehen, wenn ich drüben pudelnaß an’s Land kroch, am hellen, lichten Tage, in der fremden Stadt, die mitten im Lande liegt! Und doch war’s ſo lockend. Es hob ſich der Fuß, es pochte das Herz! Wie ſchwer iſt ſolch ein Ausbruch, wenn man be - ſonnen bleibt, und nicht von einer Leidenſchaft ge - ſtachelt wird das Thor ward zugeſchlagen, und nun dachte ich: Du hätteſt es doch wagen ſollen! Kümmerliche Weinreben rankten ſich in dem kleinen Hofe in die Höhe, und zwei bis drei kärg - liche Beete ſtellten eine Art Gärtchen vor, was ſich ein Wärter angelegt hatte, und wo er ſich zuweilen mit ſeiner Familie ſonnte. Die Mitglieder dieſer Familie waren über die Maaßen garſtig, die Jungen, welche nach Regenwürmern hackten, widrig ſkro - phulös, und wie beneidenswerth erſchienen ſie doch mir! Sie konnten gehen und kommen, im Auf - ſuchen der Regenwürmer lag eine freie, beliebige Zukunft, das Angeln nach Fiſchen hier oder dort, wie ſehr wünſchte ich ſolch ein Junge zu ſein, der den Begriff Staat noch nicht kannte, der noch keine110 Gedanken, keine Kolliſion gehabt, keine Wache, kein Schließer achtete auf ihn! Die Zeit war von peinigender Unruhe, wo ich auf den neuen Gefäng - nißzuſtand, auf das neue Verfahren wartete, ſie war ganz überflüſſig, förderte gar nicht zum Ende, war ein unnützes Jnterregnum, und doch ein Ge - fängniß. Sie dauerte wohl eine Woche, ich lechzte nach der Veränderung, nach dem neuen Gefängniſſe, das Unbekannte ſchmeichelt mit tauſend Möglichkeiten; auch für die Flucht hoffte ich neuen, beſſeren An - halt; ſo kam der letzte Abend und mit ihm ein ſchweres Gewitter. So lange ich gefangen war, hatte die Sonne geſchienen, und dadurch war meine Unruhe, meine Pein nur befördert worden: je locken - der die Welt ausſieht, deſto ſchwerer iſt das Ge - fängniß. Jetzt, unter dem gießenden Regen, den krachenden Donnerſchlägen, den zuckenden Blitzen mußte Jedermann im Zimmer bleiben, ich hatte wieder eine gleiche Gemeinſchaft mit der Welt, das war beruhigend. Und welch ein Genuß für meinen Privataberglauben war das Unwetter! Solche un - gewöhnliche Erſcheinung mußte einen großen Wechſel in meinem Leben ankündigen; wer im Unglück nicht111 abergläubiſch wird, der iſt ſehr ſtark, oder ſehr fühl - los, oder ſehr arm an Phantaſie. Jedes kleine Möbel, jedes Buch hatte mir eine Bedeutung, wenn es ſo oder ſo poſtirt war, jede wiederkehrende Be - ſchäftigung, das Aufziehen der Uhr, ob der rechte oder der linke Strumpf zuerſt ausgezogen wurde, ob ich das Licht ſo oder ſo anzündete oder auslöſchte, das hatte Alles ſeine Bedeutung, ſeinen Einfluß auf Europa und rückwirkend auf mich. Wenn man nichts zu thun hat, als zu hoffen, da wird jeder Gegenſtand thätig. Und beſonders, wenn Alles ſo einförmig wiederkehrt, ſo unverrückt bleibt. Jetzt tobte ein wild Gewitter, jetzt mußte Alles anders werden! Ach, ja wohl!

Wenn ich wieder hinunterkomm,
Da ſind die Blumen verſchwunden,
Da hat wohl auch Dein liebes Aug
Sich neuen Weg erfunden.
Es iſt ſo lang, ſo lange her,
Daß man mich hält gefangen,
Und da Dein Herz eine Blume iſt,
Jſt’s ihm wie jenen ergangen.
112
Sollt ich die Welt je wiederſehn,
Dein Aug je wieder erblicken,
Ach Gott, ich will den Blumen und Dir
Verzeihung blicken und nicken.

Es ward anders. Sonntag des Nachmittags nahm ich Abſchied von meinem Gefängniſſe, und ſo wie man, wie geſagt, auch unter den Dürftigen Reiche und Arme findet, ſo hoffte auch ich von einer Veränderung des Orts und der Verhältniſſe. Jch ſetzte mich zu meinem Jnquirenten in den Wagen; auf meiner Seite war er zugeſchloſſen, zur andern hinaus aber ſah ich die Straßen, und die Spazier - gänger, welche ſonntäglich geputzt dahin eilten zu ihrer Luſt und Erholung. Das ſchneidet tief in’s Herz: biſt Du ſchlechter als dieſe Maſſe gewöhn - licher Leute? Sie dürfen Sonne und Freiheit koſten, und Du ſiehſt ſeit langer Zeit Beides zum erſten Male wieder, und nur von weitem, und nur, um für lange, lange Zeit davon Abſchied zu nehmen, vielleicht für immer. Der Abend dieſes Tages fand mich in einem ſehr kleinen und faſt ganz dunklen Gefängniſſe, der Verzweiflung Vorbote, die Troſtloſigkeit lag mit mir auf dem harten Lager:113 das Geld, die Bücher, der Tabak, Alles war mir abgenommen worden, ich hatte nichts zur Beſchäfti - gung als die vier kahlen Wände, einen fichtnen Tiſch, einen fichtenen Schemel, ein blechern Hand - becken, was im Staube des Fußbodens ſtand. Der Wärter, ein großer, vierſchrötiger Menſch mit kahlem Kopfe war kurz, fremd und grob. Es war das Aeußerſte, was mir begegnen konnte, daß ich nach dem früheren Gefängniſſe zurückverlangte wie nach einem Paradieſe; ich weiß kaum, mit welchen Kräf - ten ich die erſten Wochen dieſes Zuſtandes überlebt habe: denke Dir das kleine, düſtre Loch, in den Winkel von zwei Gebäuden verſteckt, durch einen Blechkaſten verdunkelt, und mich ohne den gering - ſten Anhalt darin, herumtappend den langen Tag und Abend, ohne Gedanken, ohne Hoffnung. Die Unterſuchung war mir jetzt mit dem grauen Geſichte einer Unendlichkeit angekündigt, der Zuſtand konnte ſo lange dauern, als mein Leben o die Men - ſchen, die Menſchen! dachte ich wohl manchmal da, wenn ich aus der Dumpfheit aufwachte, die Menſchen treiben mit einander das Unverantwortliche. Jch hatte es geſehn, wie draußen warm und geſchäftig114 das Leben quoll, mein Herz, mein Auge lechzten nach der Welt, und wenn’s die einſame Wieſe, der ſtille Forſt, wenn ich ein beſchränkter Ackerknecht geweſen wäre, laßt mich dorthin, dachte ich, kein Hauch von mir ſoll ſich wieder in euer Leben und Weben miſchen. Umſonſt aller Wunſch! Meine Exiſtenz war an’s Gefängniß verloren, und zwar an’s todteinſame, dunkle, troſtloſe. Was Rechtes, Genaues, weiß ich eigentlich nicht mehr von jener erſten Zeit meiner jetzigen Gefangenſchaft, ich erin - nere mich nur, daß ich oft aus einer Starrheit und Taubheit erwachte, mich an der Mauer lehnend fand und zuſammenſchauerte, daß eine mir ganz fremde Geſellſchaft in meinem Kopfe zu wohnen ſchien, und Dinge trieb, von denen mein eigent - liches Jch gar nichts wußte. So fand ich nach einem langen Vormittage mein Bewußtſein durch Eintritt des Wärters wieder, und erkannte mit Grauſen, daß in mir etwas ganz Fremdes vorge - gangen war, aus zwei unbedeutenden, mir höchſt gleichgültigen Menſchen, die ich vor langer, langer Zeit in tändelnder Liebe zu einander geſehn hatte, war eine Novelle in meinem abweſenden Geiſte auf -115 und zuſammengewachſen, die mir als ein völlig außer mir liegendes Objekt Unterhaltungsſtoff und Furcht vor mir ſelber brachte. Jch dachte mit Schauer an die Wahnſinnigen, die furchtſam in ſich ſelbſt zuſammenkriechen, meine Nerven wurden nachgerade auch ſehr zupaſſend erſchüttert: der eintönige Schild - wachentritt auf der Flur, das regelmäßige Ablöſen nach je zwei Stunden, beſonders zur Nachtzeit, zerrüttete mich ganz. Mein Bett ſtand nämlich an einer Mauer, die den Gang bilden half, durch wel - chen die Wachtmannſchaft vorüber trottete; war ich Nachts eingeſchlafen, um die wüſte Exiſtenz zu ver - geſſen, ſo fuhr ich immer nach je zwei Stunden hoch auf, wenn die Schritte tief an mein Ohr tra - ten, oder gar die Waffen klirrten und polterten. Gott bewahre meinen ärgſten Feind vor ſolchem Zuſtande, war das Wort meiner Mutter; ich hatte einſt von einem Gefangenen gehört, der alle Stun - den auf den Anruf der Wache antworten mußte; es war ihm das Nervenſyſtem dadurch ſo zerſtört worden, daß er ſich nicht mehr tief genug unter die Erde retten konnte, um keine Nähe, kein Ge - räuſch zu empfinden. Jn einem Gemache, was116 dreißig Fuß hoch, mit einem Erdwalle bedeckt war, überfielen ihn Zuckungen und Krämpfe, wenn Je - mand über den Wall ſchritt. Der Mann quälte mich ſehr; ich fuhr zuſammen vor den eignen Be - wegungen meines Arms oder Beines. Es war recht ſchlimm, und daß ſolch Leben endlos vor mir lag, ach und liegt, dies mochte wohl das Schlimmſte ſein; es ſcheidet ſich ſchmerzhaft von Leben und Jugend, und wenn man obenein nicht zu der Ent - ſagung kommt, wenn man nicht ſcheiden will, ſo leidet man ſehr, ſehr. Jch habe damals oft an das gedankenlos viel gebrauchte Bild des Prome - theus gedacht, und die Herzenskenntniß der Griechen bewundert; der gewaltige Menſch iſt in erſchreckende Einſamkeit an den Felſen geſchmiedet, er, der die Menſchen zuſammenband gegen die Götter, iſt ein - ſam, ſtarrt in’s Unendliche, Leere, und an der Leber nagt ihm der Geier, gegen den er keine Abwehr, keine Waffe beſitzt; ja wohl, an der Leber nagt der einſame Kerker, es wühlt und bohrt, und der ſtöhnende Seufzer iſt eine Erleichterung.

117

Es ſind wieder viele, viele Tage vergangen, ohne daß ich Dir ſchreiben konnte; die Mittel, Papier zu erlangen, waren alle verſiegt, jetzt iſt wieder ein Fetzen, wenn auch grau und ſchmutzig, in meiner Hand. Jch ſage nichts mehr über jene erſte Zeit des hieſigen Kerkers, ich weiß nichts mehr, ich habe nicht geweint und nicht geklagt, Thränen gibt es nur, wenn wir die Hilfe des Leids in der Nähe glauben, wenn das Leid in unſere Vorſtellung und Fähigkeit des Schmerzes paßt, wenn das Leid uns natürlich bleibt. Jch litt damals dergeſtalt, daß ich nicht daran gedacht habe, es fehlten mir Bücher und Schreibmaterial, und ſie könnten mir wohl - thätig ſein, Gott mag es wiſſen, wie doch die langen Tage und Nächte an mir vorübergezogen ſind ſie ſind’s doch; deſſen erinnere ich mich, daß ich zuweilen den Schemel auf den Tiſch geſtellt habe, um zu dem verſetzten kleinen Fenſter hinauf zu kom - men, um durch die ſchmale Lücke, welche oben offen blieb, den Streifen blauen Himmels zu ſehen, nach dem ich dürſtete, wie ein Wüſtenreiſender nach einer Wolke dürſten mag. Jch hoffte immer, die Sonne müſſe einmal dieſe meine Linie paſſiren, ach ich118 hätte ſie ſo gern einmal geſehen, aber ſie that’s nicht, mein Gefängniß lag zu tief gegen Mitter - nacht, die Sonne konnt es nicht finden, und das Querhaus war dagegen. So viel ich bemerkte, war ſteter Sonnenſchein draußen, es muß ein wonne - voller Frühherbſt geweſen ſein; wenn’s möglich war, wurde mein Leiden ſehr dadurch erhöht. Auch keine hiſtoriſchen Erinnerungen giebt’s in dieſem Hauſe, Alles iſt traurig weiß und grau angeſtrichen, drüben im Loche , wie mein erſter Kerker genannt wird, im Verließ , wie das gute alte Wort ſagt, fand ich oben am Fenſterchen die Worte Dante’s mit Bleiſtift angeſchrieben, welche die Deviſe aller Ge - fängniſſe geworden und in allen zu finden ſind, die Worte: Lasciate ogni speranza, voi ch’entrati Laſſet draußen die Hoffnung, die Jhr hier ein - tretet Laßt draußen die Hoffnung, das hat lange, lange in meinem Kopfe als einziger, ungedachter Gedanke herumgeklappert; wie lange hab ich von dieſer eintönigen Hoffnungsloſigkeit gelebt! Eines Morgens ward’s beſſer, ich bekam ein andres Ge - fängniß, mein jetziges, es liegt nicht an jenem Durch - gange, wo die Wachtpoſten vorübertrampeln, das119 verſetzte Fenſterchen iſt etwas tiefer, und ich ſehe durch die Blendenöffnung oben die Spitze eines Baumes Vortheile, die mir einen glücklichen Tag bereiteten. Alles Uebrige blieb beim Alten, dennoch ſchien mir der Fortſchritt rieſengroß; für das Elend iſt alles Glück wohlfeil. Aber es dauerte nicht lang, wie zu den Thränen, ſo iſt zum deut - lichen Bewußtwerden des Mangels ein niedrigerer Grad des Leides nöthig; wo das Leid nicht mehr ganz und allein iſt und alle Räume ausfüllt, da erſcheint die Klage. Jetzt kam die ſchmerzhafteſte Sehnſucht nach Beſchäftigung, nach einem Anhalt der regellos ſchweifenden, ſich zu Tode hetzenden Ge - danken. Dieſe Gedanken unter ſich keuchten zwei - mal dergeſtalt bis zu einem Punkte ihrer eignen Verzweiflung, daß ich mit Entſetzen fühlte, ich ſei an der Grenze, wo der Wahnſinn mir entgegen - ſtierte. Jch warf mich auf’s Bett, drückte den Kopf in die Kiſſen, aber die Gedanken werden davon nicht berührt, ſie fangen ihren wüſten Tumult wie - der an, ſie ſchreien nach Stoff, ich ſprang wieder auf und lief umher, ich verſuchte es, ob nicht ein altes Lied in der eingetrockneten Kehle raſte, kräch -120 zend begann ich, denn die Stimme roſtet in dieſem Mangel aller Uebung völlig. Ruhe da! ſchrie die Wache unter dem Fenſter, die Wache auf dem Korridor ich hielt mich für verloren. Aber wahr - ſcheinlich hatten mich juſt die Wachen gerettet, der Zorn wachte auf und er fand leicht ſeinen Stoff, ſo wurde der Heißhunger nach Gedanken für den gefährlichen Augenblick beſchwichtigt. Jhr wißt es gar nicht da draußen, was Jhr habt, wenn Jhr Euch über Mangel oder Langeweile beſchwert; Eure Thür iſt offen, Eure Fenſter ſind’s ebenfalls, Jhr ſeht Menſchen, Jhr ſeht Thiere, wenn Eure Ge - danken gähnen, was wißt Jhr von Leid! Wenn Euer Leben ſtocken will, denkt an das ſchreckliche Nichts eines Gefängniſſes!

Hat denn nicht der menſchliche Geiſt Kraft genug in ſich, ohne Anknüpfung und äußere Mittel zu beſtehen? Jſt der meine ſo beſonders ſchwach? Ein rieſenmäßiges Gedächtniß wenigſtens mag nöthig ſein; allerdings producirt mein Geiſt unabläſſig, aber weil das Geſchaffene auf keine Weiſe nach außen hin Erſcheinung und Geſtalt empfangen kann, verwirrt121 ſich Alles in mir, und wird zur Laſt, der Geiſtes - arme mag in ſolchem Falle ſogar beſſer daran ſein. Einen kleinen Troſt finde ich darin, die traurigen Eindrücke in ein paar Verſe zu geſtalten, die alſo gewonnene Form befreit gewiſſermaaßen, und der alſo geordnete Zuſtand erhält wieder etwas von dem Adel in Beziehung auf übrige Welt, wie man ihn bei ſolcher Erniedrigung am meiſten braucht. Mehr als zwei oder drei behalte ich freilich nicht, und ich möchte Dir gern einige ältere herſchreiben, um neue machen zu können, wenn Verſe nur nicht ſo viel Platz wegnähmen. Und ich kann mich nicht entſchließen, ſie als Proſa ohne Abſatz herzuſchreiben, es ſcheint mir dies eine grobe Beleidigung der Schön - heit zu ſein, eine Figur in ſchmutzigem Schlafrocke auf dem Balle. Und wie rührend iſt mir dies Be - ſtreben, Dir all das aufzuſchreiben, da es wohl nie vor Deine Augen gebracht wird! Dieſe Unendlich - keit meines Gefängniſſes iſt eben der Tod ſelber; in jetziger Weiſe kann es ein Lebenlang fortgehn; wie beneidenswerth ſcheint mir derjenige, welcher zu zwanzig Jahr Kerker verurtheilt iſt, er kann doch berechnen, ob ihm wahrſcheinlicher Weiſe noch einV. 6122Paar Jahre für die freie Luft und die Menſchen übrig bleiben: jeder Tag fördert ihn doch! O kommt Verſe!

Wie gehn die Stunden langſam hin,
Jch glaube, der Tag ſteht ſtill,
Mein müder, abgehetzter Sinn
Weiß nicht mehr, was er will
Hat Alles zehnmal ſchon durchirrt,
Was jemals er erlebt,
Was nur vorüber ihm geſchwirrt,
Was er gehofft, geſtrebt
Er weiß nichts mehr, und dumpf und todt
Liegt Alles vor ihm da
Mein Gott, erbarm Dich dieſer Noth
Der Wahnſinn tritt mir nah!
Die Glocken läuten draußen,
Die Leute beten zu Gott
Und den Sturmwind hör ich brauſen,
O Glocken und Sturm, weckt Gott
Weckt Gott, daß er mir helfe,
Jch bin ja auch ſein Kind
Es heulen die Glocken wie Wolfe,
An’s Fenſter ſchlägt höhnend der Wind
123

Mit dem Sonnenſchein mag es draußen ein Ende haben, Regen und Wind ſchlagen an meine Blechblende, es wird Herbſt ſein das beruhigt mich in etwas, nur die Hypochondriſten gehen jetzt draußen ſpaziren. Aber es iſt Sonntag, hat mir der Wärter geſagt, und der Schmutz und das Un - ſonntägliche iſt rings um mich her in alter trau - riger Geſtalt.

Heut iſt Sonntag in der Welt,
Es putzen ſich alle Leute,
Ein Jeder hofft für Glück und Geld
Heut irgend eine Freude.
Hab drum mein beſtes Hemd erwählt,
Wollt auch gern Sonntag haben
Du ſieche Bruſt, ſo arg gequält,
Sollſt Dich am Hemde laben.

Wenn ſie auch Dir nicht nahe liegt, denn Du biſt ein gottloſer Menſch, aber andern Leuten iſt die Frage natürlich: Warum ſuchſt Du keinen Troſt bei Gott, warum flüchteſt Du nicht, von aller Welt124 verlaſſen, in den Schooß der Religion? Darauf muß ich geſtehen, daß ich nach der allgemeinen Ausbildung jetziger Jugend Alles auf die Feſtigung meines Charakters verwendet, alle höheren Bezüge da hinein gewoben habe, und daß es mir nichts hilft, ein Außenliegendes zu ſuchen. Jſt es mir nicht gelungen, was die Menſchen Gottheit und Religion nennen, in meine innerſten Faſern aufzu - nehmen, dann bin ich wirklich verlaſſen, wenn die Welt mich verläßt. Alſo iſt es mir aber niemals geworden, meinen inneren Halt haben nicht Leid noch Entbehrung erſchüttert, und in ſo weit hat mir der jetzt ziemlich allgemeine Zuſtand, welchen die Theologie beklagt, Probe gehalten. Jſt er ein falſcher, ſo wünſche ich denen Glück, welche im Stande ſind, einen anderen mit ſich in Einklang zu bringen; ich glaube es gern, daß der Traditions - gläubige feſteren Anhalt nach dieſer Seite hin fin - den mag, aber ich fürchte, die übrigen ſelbſteigenen Stützen des Charakters, die ſelbſtgezimmerten, ſind ihm ſchwächer und unkräftiger. Wohl dem Manne, der eine Vereinigung des Gegebenen und des Selbſt - gefundenen in ſich zu ſchaffen vermag; ich leugne125 es nicht, daß mein Standpunkt der Allgemeinheit unzugänglicher, unverläſſiger iſt, weil er nur vor der Aufgelöſ’theit und völligen Jrrreligion bewahrt, wenn jeder Einzelne eine umfaſſende, gegliederte Ausbildung erhält, ich leugne nicht, daß ich eine Zeit erſt für erfüllt, einen Staat erſt für geſichert halte, wenn die Gedanken außerirdiſcher Art zu einem allgemeinen Geſetz und Glauben vereinigt ſind, ich beklage es, daß dieſe Vereinigung ſeit mehreren hun - dert Jahren ſo tief erſchüttert iſt, aber ich will meine Exiſtenz ſo wenig eine falſche genannt haben, als ich die des Strenggläubigen eine falſche nennen will. Spotte nicht, Hippolyt, denn Du biſt nichts, als der romantiſche Egoismus, den die Geſellſchaft immer bekämpfen muß, Du biſt eine freche Forde - rung des urſprünglich Menſchlichen, die ich der An - feurung und Befruchtung wegen in Einzelnen ſtets lebendig erhalten ſehen möchte, aber wenn Du Dich für einen Typus ausgeben willſt, dann beginnt Deine Beſtimmung in ausgedehnteſter Weiſe, der Kampf und das Bekämpftwerden. Jch ſehe mit Leidweiſen den Verſuch, die Tradition ohne geiſtige Hilfe her - zuſtellen, denn ich erkenne aus der Geſchichte und126 dem allgemeinen Weſen der Jugend, wie gerade ſolch ein Verſuch die Religion als etwas von dem herrſchenden Bildungspunkte Abgeſondertes erhalten wird; die Religion muß aber der Mittelpunkt, die Blüthe aller Bildungsnüancen ſein. Die Reforma - toren oder Ketzer, wie ſie der Katholik nennt, haben die Auktorität gelöſ’t, die Philoſophie hat das ergrif - fen, und die Schlucht breit, breit ausgedehnt. Bis dahin ſchloß ſich alle Philoſophie an die Religion, nahm ſie als ein Vorausgeſetztes an, das hörte auf, die Philoſophie machte ſich zum ſouverainen Staate, und ſo lange nicht eine die andere wieder einverleiben kann, ſo lange kehrt der Friede nicht zurück. Solche Trennungen mögen der menſchheit - lichen Entwickelung nöthig ſein, aber begeht nun nicht die Thorheit und die Lüge, daß Jhr ſie damit aufheben wollt, wenn Jhr die Trennung leugnet. So iſt die jetzige Welt noch ſpinoziſtiſch inficirt bis in das Herz hinein: Spinoza hat die Perſönlichkeit Gottes, und in der daraus fließenden Conſequenz den monarchiſchen Staat geleugnet, von ihm dati - ren die modernen Republikaner, welche ſtreng-mo - narchiſch-kirchengläubig ſind, und den Monarchismus127 in Sitte und Gebrauch gleich den Puritanern ver - fechten; ſolches Durcheinander bleibt niemals aus, und es giebt Monarchiſten, die nichts glauben. Aber bei alle dem datirt die eigentliche Auflöſung der innerlichen, alten Zuſtände direkt von Spinoza. Kant, im innerſten Grunde nur ein Ausfluß jenes Juden, hat unſre teutſche Welt ſo tief gelöſ’t, wie es der Anblick des revolutionirten Frankreichs that. Der proſaiſche Verſtand und die irdene Nützlichkeit und alles Aehnliche hat ſich neben Großem und Ge - waltigem in ihm geſtärkt, in unſerm Teutſchland ſieht nun das Alles matter und bleicher aus; denkt Euch die Menſchen feuriger, die Verhältniſſe weni - ger in’s Herkommen eingerahmt, und hört dazu Folgendes von dem kleinen Königsberger Philoſophen, der Euch immer harmlos erſchienen iſt in Bezug auf Wirklichkeit und Staat: Als Kant die entſetz - lichſte Handlung des Convents erfuhr, welche Lud - wig XVI. betraf, da rief er aus: Nun, Herr, laß Deinen Diener in Frieden zur Grube fahren, da meine Augen dieſen Tag geſehn! Werdet ihr noch zweifeln, daß tiefe Schluchten neben Euch liegen, wo Jhr dünnes Pflanzengeſchling zu ſehen glaubt? 128 Die neueren Philoſophieen haben eine Vermittelung eingeſchlagen, die von großem Einfluſſe werden kann, aber noch jung iſt, und den Frieden noch weit vor ſich läßt. Jſt ein Zuſammengehn der Religion und Philo - ſophie wirklich ſo nahe, wenn die eine nur den Glauben verlangt, mag er mit Gedanken ausgeſchmückt ſein wie er will, und die andere den Gedanken auf den Thron ſetzt als Einziges? Jſt es nicht immer bloß ein Handinhandgehn? Warum ſollt ich bei ſolchen Verhältniſſen mich meines eigenen Zuſtandes ſchä - men? Jch bin zu trocken vernünftig, um einem Dogma anzugehören, was mir nicht auf dem Wege meines Gedankens zukommt, und fühle mich zu ſehr in poetiſche Ahnungen hineingedrängt, um mir das Unſichtbare vordefiniren oder wegdefiniren zu laſſen. So glaub ich an die Kraft und Macht des Gebetes, aber wenn es ein Unglück iſt, ſo habe ich es, die Kraft und Macht deſſelben nur darin zu finden, daß es mir ſelber Kraft und Macht gewährt. Auch wenn ich mir die Gottheit nicht zu einem bloßen Begriffe verdünnen mag, ich kann ſie mir nicht zu einem launiſchen Despotismus ausbilden, der im Einzelnen ſchenkt und nimmt, wie ihm eben129 der Eindruck kommen mag; ich glaube vielmehr, daß ſie in die Schöpfung des perſönlichen, indivi - duellen Menſchen auch alle individuellen Möglich - keiten gelegt hat, die eine geſetzliche Welt in ſich ſind, und doch die Freiheit jeglicher Ausbildung und Zuſammenſtellung in ſich tragen. Darum habe ich ſo viel Ehrfurcht vor jedem Jndividuum, und in dieſem Bezuge und Einfluſſe auf jeden Einzelnen iſt mir auch das Gebet ein wichtiger Moment; ich geſtatte aber auch deshalb, daß es ſich auf millio - nenfach verſchiedene Weiſe darſtellt. Bei mir iſt es ein Anderes als der gewöhnliche Ausdruck beſagt: Das Bitten iſt meiner Jndividualität, meinen An - ſichten von Gott und Welt, meiner grenzenloſen Bewunderung des Weltgebäudes, ſo weit ich es erkenne, das Bitten iſt dem Allen nicht angemeſ - ſen; wenn mich die ganz unbefangene Natur ein - mal dazu drängt, ſo iſt’s mir das Geſchenk einer unmotivirten Herzensſtunde, wie ſie dem Menſchen in Liebe und ſonſtigem edlem Drange zuweilen ge - währt iſt, ich gebe mich ihm dann wohl bis zu Thränen hin, ich fühle es mit Seligkeit, daß in ſolchen Momenten der innerlichſten Erregtheit das in6*130mir thätig iſt, was nächſte Anknüpfung mit höheren Welten ſein mag. Aber es äußert ſich das auf viele Weiſe, höchſt ſelten in der eigentlichen Gebetform, es äußert ſich in der reinſten, uneigennützigen Liebe für ein menſchlich Weſen, für eine That, für eine Offenbarung der Geſchichte oder der Natur, für ein Verhältniß meiner ſelbſt zur Welt, was mir plötz - lich aufgeht, und mir die Empfindung macht, als öffne ſich groß und ſelig ein Auge Gottes in mei - nem heiligſten inneren Menſchen. Soll ich Dir’s nun offen geſtehen, daß es mir wie kläglich und jämmerlich vorkam, juſt im tiefen Elende das Gebet ſo aufzuſuchen, wie es mir niemals nahe getreten, niemals für mein Jch natürlich geweſen war, und dieſe Verläugnung meiner ſelbſt mochte ich nicht. Der innerſte Gedanke eines nicht verwahrloſ’ten Menſchen iſt für mich ein Göttliches; dagegen zu lügen iſt mir ein Frevel, eine Sünde wie es die Terminologie nennt das Glück vielleicht bekehrte mich zu etwas Herkömmlichem, was meinem Weſen ſonſt fremd iſt, das Unglück nimmer. Der geheimſte, beſte Stolz iſt gar oft der Lebensodem einer mora - liſchen Exiſtenz, man muß ihn reſpektiren, ſelbſt131 beim Böſewichte. Jch konnte Gott bitten, daß er mir das Betteln erlaſſe, weil ein ſolch Verhältniß zu ihm nie das meine geweſen, aber ich konnte nicht bitten, daß er eingreifen möge in mein trau - rig Schickſal; ſolches ruckweiſe Regieren der Welt mag für Viele ein ſegensreicher Troſt ſein, wehe dem, der ihn leichtſinnig den Menſchen rauben wollte, für mich iſt er ein Fremdes, das eine mo - mentane Stärkung ſein mag, wenn man in meiner ſonſtigen Anſicht ſich ſelbſt verliert. Jch habe mit Gott geſprochen, aber mein Jndividuum iſt dabei für mich ſelbſt unverloren geblieben. Sagt man, ich habe keine Demuth, und ſei deshalb noch weit ab von dem, was das Dogma heiſche, ſo hat man vollkommen Recht. Aber es iſt eben mein Glaube, daß ich nichts in mir aufnehmen kann, was mei - ner beſten Jnnerlichkeit nicht zupaſſen will, und daß ich nicht im Stande bin, ja es für frevelhaft halte, gegen mich ſelbſt zu lügen.

Und nach alle dem wirſt Du mir doch glauben, daß es meine beſten Stunden in dieſem Elende ſind, wenn ich einen antwortreichen Verkehr mit der Gottheit finde, wie ich mir ſie denke durch132 Welt und Geſchichte regierend. Eben wenn ſie antwortet aus mir heraus, dann hab ich meines Erachtens das richtige Verhältniß zu ihr gefunden, und ſo könnte man ſich die Unterhaltung mit den alten Patriarchen der Erde erklären, wenn man eine Erklärung für ſich ſelbſt braucht, und nicht einſieht, daß eben jeder Menſch ſeine eigene Ver - bindung mit Gott habe, weil jeder Menſch ein eigener Menſch iſt. Warum ſoll ihn der Eine nicht im brennenden Buſche ſehn, der Andere im Säu - ſeln der Lüfte hören, der Dritte im Todesſchweigen der Wüſte oder des Kerkers!

Wenn Du dieſe ſchmutzigen Blätter je ſehen ſollteſt, wie würdeſt Du lächeln, daß ich nach Dei - ner Meinung ächt teutſch das letzte Stückchen Pa - pier für metaphyſiſche Redensarten verbrauchte. Jch hatte eben einen geſammelteren Tag gehabt und über Gott gedacht, und über die Art und Weiſe, in welcher die Menſchen ſich auf der Erde unter - einander eingerichtet, und daß ſie ſo viel Einzelne ausſtoßen müſſen durch Gefängniß und Tod. Ne -133 benher hab ich mir eine kleine Beſchäftigung erfun - den: täglich wird mir eine Flaſche ordinären Bie - res verabreicht, an welcher der Kork mit Bindfaden feſtgehalten wird. Dieſe kleinen Stückchen ſammle ich mir, flechte ich zuſammen, und faſre ſie dann am Ende auf, um eine Art Lunte zu erſchaffen. Mit dieſer ſtehe ich dann Stunden lang an der heißen Ofenröhre denn es iſt kälter geworden, und wird geheizt und warte, ob ſie ſich nicht entzünden werde. Der Ofen nämlich wird draußen gefeuert, man hat mir aber eine Pfeife und ein Reſtchen Taback wieder gegeben für den Fall, daß ich endlich eine Freiſtunde bekäme, und weil auf dem Hofe geraucht werden darf; Feuerzeuge ſind in den Gefängniſſen nicht geſtattet, und Rauchen iſt ſtreng unterſagt, Pfeife und Lorgnette, die mir gelaſſen iſt, ſehen mich alſo ganz ironiſch an, und die Lunte will ſich nicht entzünden; das Streben darnach iſt mir aber doch eine Beſchäftigung.

Jetzt iſt noch neuer Schmerz von Außen hin - zugekommen um Gottes willen macht draußen134 nicht noch Forderungen an mich, die Wände ſind dick, die Schlöſſer und Gitter feſt, werft nicht noch Skorpionen in meine Einſamkeit, ich kann Niemand helfen, ich gebiete blos über acht Schritte Raum. Als mein alter Vater Sonntags von der Kanzel gekommen iſt, da ſind Pfarrkinder zu ihm getre - ten, und haben gefragt, ob es denn wahr ſei, ein Reiſender habe es erzählt, daß der älteſte Pfarrſohn ein Verbrecher geworden ſei. Tritt uns erſt die Beſchränktheit nahe mit allen Rechten der unkun - digen Theilnahme, des unerfahrenen Vorwurfs, dann wird die Lähmung vollſtändig. Der Vater jammert und fragt, und ich kann ihm nicht helfen, ja ich kann ihm nicht antworten, denn es fehlt mir Pa - pier und Feder, und zur Tortur hat man dieſen Brief und ein Billet Camilla’s hereingelaſſen, ſeit Monden das erſte Verbindungszeichen mit der Welt, und ein ſo trauriges wie ein Grabesflor ver - hängt ihr mir auch noch die Welt draußen mit weinerlichen Wolken, die Welt, nach der ich ſchmachte? Wo ſoll ich hin mit meinen Wünſchen! Unglückliche Camilla! Sie hat nach Grünſchloß keine Nachricht gegeben, wo ſie hin ſei, ſie hat Himmel135 und Erde aufgeboten in der fremden Stadt, um zu mir zu dringen, mir zu helfen, jetzt liegt ſie erſchöpft darnieder, Niemand hilft ihr und ich kann nichts thun, als an die vier Wände laufen.

Hinter jenen Eiſenſtäben
Liegt das weite, offne Feld,
Liegt die Freude, liegt das Leben,
Gottes große, ſchöne Welt
Thränen, Thränen, ach ihr brechet
Jene harten Stäbe nicht
Ferne Sonnenſtrahlen, ſprechet
Von der ſchönen Welt mir nicht!
Denn es ſchmerzt mich ſo unſäglich,
Daß das Herz mir ſtille ſteht
Und ſo kommt die Welt mir täglich,
Bis die Sonne untergeht.

Es iſt Abend geworden und wieder Tag und wieder Abend und wieder Tag, der Geier hat ſich dick gefreſſen an meinem Eingeweide, jetzt iſt es wieder ganz ſtill; ein Lied iſt mir geblieben aus136 der ſchlafloſen Nacht mit einem garſtigen Gefäng - nißſchluſſe:

Hier gehen in goldnen Sälen
Die Menſchen hin und her,
Sie haben nur zu wählen,
Was das Vergnüglichſte wär.
Hier weint ein blaſſer Vater
Jn dunkler Abend-Noth,
Es fehlt ihm Troſt und Rather,
Die Kinder ſchreien nach Brod.
Hier wandeln Liebesleute
Jn dunkler Straße hin,
Sie kichern vor lauter Freude,
Vor fröhlichem Lebensſinn.
Hier ſitzt in trüber Kammer
Der Gefangne mit ſeiner Qual,
Mit ſeinem einſamen Jammer,
Mit der ſchwarzen Gedanken Zahl.
Und ob dem Allen ſchweben
Himmel und Sterne ſtill
Dies iſt das Menſchenleben,
Es kommt, wie’s eben will.
137

Wißt Jhr, was Reſignation heißt? Jhr verſagt Euch eine Freude, ja ihr entſagt manchem Noth - wendigen, aber Jhr lebt weiter. Jch kann dem troſtloſen Vater, der verlaſſenen Geliebten mit kei - nem Worte beiſtehn, und ich bin endlich auch ru - hig geworden, ich ſchlafe wieder ein, ich eſſe meine beſcheidene Koſt, was man ſagt, ich bin reſignirt. Sind’s doch Gedanken, neue Eindrücke geweſen, die ein Paar Tage erfüllt haben, iſt doch ſolch ſtechender Schmerz auch ein Gewinn neben Oede und Langweile! Ach, Hippolyt, ich habe es oft mit Redensarten bekleidet, ich hielt’s für Unrecht, das nackte, ſchonungsloſe Wort zu wählen, aber muß es nicht einmal geſagt ſein, wenn es denn doch vorhanden iſt? Wenn der Körper verſchleimt und verſtopft wird, und man hat ſelbſt Freiheit vor die Thür zu gehn, was iſt’s mit dem Leben? Wenn die Welt aus den Fugen reißt, und nichts allge - mein Geglaubtes und Geachtetes übrig bleibt, was lohnt’s zu leben? Bewahrſt Du dabei Nerven wie ſtraffe Stricke, wohl Dir, Du kannſt mit Hilfe der körperlichen Elaſticität hie und da einen Reiz gewinnen, die Verworrenheit zu einem pikanten138 Anblicke ineinander dichten, am kleinen Zuſtande dich laben; aber wenn auch der Körper blaſirt wird, was dann? Was iſt der Ruhm? Eine Nahrung kindiſcher Eitelkeit; was iſt die Theilnahme, welche Dir werden mag in Freundſchaft oder Liebe? Ein Zufälliges, weil Du juſt mit Leuten in Berührung kommſt, die das mögen, was Du ſcheinbar beſitzeſt, und was Dir über Nacht eine Laune, eine Krank - heit rauben kann! Was iſt die Menſchenentwicke - lung, für welche Du Dich erhitzeſt? Ein ſo lang - ſam und mannigfach Werdendes, daß Du Dich in Ewigkeit ſeiner nicht bemächtigen kannſt, wo Du mit allen Schlüſſen und Folgerungen am ſcheinba - ren Endpunkte Dich getäuſcht, Dich in den Hän - den einer ewig unerklärten Macht ſiehſt! Was iſt die Poeſie? Eine Spielerei Deines Herzens, ſo lange Dein Herz Kraft hat zu erfinden, zu kom - biniren, zu empfangen und zu genießen, und wenn Dir die Kraft ausgeht, iſt ſie nichts. Elaſtiſche Fähigkeit und Kraft iſt Alles, von ihnen wird Alles bedingt, wenn ſie Dir fehlen, kommt zu Deinem größten Reichthume die Blaſirtheit, ein künſtlich Wort, das wir aufgenommen haben, um den gar -139 ſtigen Ausdruck Stumpfheit zu umgehen. Jch möchte die Augen ſchließen können, und lange, lange ſchlafen. Klägliche, ſchwächliche Geſchöpfe, die ihren Zorn gegen die Gefängnißherren richten; der iſt eben auch eingefügt in den großen Zuſam - menhang, welcher immer der Einzelnen ſpotten muß, welcher von unzulänglichen Menſchen erfunden iſt. Wenn man den Gefängnißwärter haſſen wollte, dann würden ſie ſchnell zur Hand ſein mit weiſem Tadel, und meinen: der Mann kann nicht dafür. Geht doch zwei, drei, vier Schritte weiter, wer kann dafür? Der Menſch im Großen, das heißt der Menſch im Kleinen; ich habe Luſt, ihn völlig aufzugeben, und in Nacht und Oede zu verſinken. So klug war wohl Prometheus auch, aber er konnte nicht ſterben. Das Leben allein iſt ſchwer, und der Tod iſt unmöglich. Wenn ich nur ſchla - fen könnte!

Graue, graue Tage ſind vorübergeſchlichen, vor - übergekrochen; ein kleines Geſchöpf hat ſich meiner erbarmt, ein Mäuschen, und nun bin ich nicht140 mehr allein. Jch kann eigentlich dieſe kleinen Thiere nicht leiden, aber in der Wüſte hören die feinen Unterſchiede auf, iſt das kleine Ding doch ein leben - dig Weſen, was unabhängig von mir ſeine Bewe - gungen macht, und durch dieſe Selbſtſtändigkeit in meine Oede und Leere Abwechſelung, ich möchte ſagen objektive Abwechſelung bringt. Wenn ich ſo ruhig auf meinem Schmerzenslager liege, dann wagt ſie ſich immer weiter vor, um die kleinen Brotkrumen zu ſuchen, die ich zerſtreut habe. Feh - len dieſe, ſo knubbert ſie an meinen Stiefeln, als wüßte ſie, daß ich keine Stiefeln mehr brauche; gläſern iſt das kleine Auge, aber die Bewegungen des Körperchens deuten auf Wohlbefinden und Be - haglichkeit ſoll ich das Thier beneiden? Pfui, wie ſchwach! Wer aus dem Kreiſe ſeiner Exiſtenz heraus will, hat ſeine Exiſtenz ſchon verloren. Aber ein Sperling ſetzt ſich zuweilen auf die Spitze des Blechkaſtens, er gewährt keine Unterhaltung, da er nicht lange bleibt, aber er gewährt mir Freude, und bringt mir die Mährchenwelt. Jn dieſe hüll ich mich wie in weiche endloſe Gewänder, mit denen man auch Augen und Ohren verſchließt, um in141 eine ganz fremde Welt zu ſinken; Traum und Glaube ſind ſo gefällige Träger, wenn unſer Geiſt keine Hilfe hat, ich reite ſanft auf dem Rücken des Vogel Rok, hoch über die ſüdlichen Wüſten, Gebirge und Waſſer dahin, Nachts zwiſchen den Sternen umher, bald links grüßend, bald rechts. Auf den Sternen nämlich wohnen vertheilt alle die Menſchen, die mir jemals werth geweſen ſind, ſie reichen mir die Hand beim Vorüberfliegen, und wünſchen mir glückliche Reiſe ach, es wäre dem Herrgott doch eine Kleinigkeit, was im Mährchen möglich iſt, in Wahrheit möglich zu machen, und wie neu und intereſſant wäre die Welt, was gäb’s für Combinationen, und die Dichter herrſchten, denn die Phantaſie herrſchte. Vielleicht iſt die nächſte Zukunft die Mährchenzukunft, wenn ich jetzt ſtürbe, müßt ich ſie finden. Dann iſt kein Gefängniß mehr möglich, als Fliege, als Sperling flög ich da - von. Wo bin ich? So wechſelt’s im Menſchen - herzen, und das ſtete Erwachen in dieſem ſchmutzi - gen Loche iſt ſo unnennbar ſchmerzhaft! Manchmal, wenn mich ein feſter Schlaf und Traum beglückt, wache ich rüſtig auf, und erkenne dann mit Ent -142 ſetzen wieder, wo ich bin Traum und Mährchen, ſie könnten vor Blaſirtheit und vor Kerker retten, kommt, kommt!

Steigt herunter auf goldnen Wolken!

Es laufen Gedanken in mir herum,
Darunter auch jenes Wort,
Der Welten tiefes Myſterium,
Haſch ich, ſo fliegt es fort!
Jch lauſch oft ganze Stunden lang,
Ob es ein Geiſt mir nennt,
Jch höre nur verworrnen Klang:
All Wiſſen hat bald ein End!
Und ſprech ich laut, was ich empfand,
Was mir durch’s Herze zieht,
So wird daraus ſolch bunter Tand,
Ein klein armſelig Lied.

Unglaubliches iſt geſchehen, und die Verände - rung iſt groß: von den alten, längſt geleſenen - chern, die ich im erſten Gefängniſſe hatte, ſind mir einige verabreicht worden. Für Lektüre helfen ſie143 nun zwar nichts, aber ich ſchreibe jetzt alle weißen Plätzchen voll, welche die Ränder des Gedruckten bilden, und die Titel - und Schlußblätter bieten hoffnungsreichen Raum. Die Freude war groß, und es ereignete ſich noch Größeres. Als ich heut Morgen noch im Bette lag, um den Vormittag kürzer zu machen, höre ich hinter der Wand neben mir Geräuſch und Stimmen. Jch unterſcheide, daß ein Gefangener neben mir eingebracht wird, ich ſehe die Hoffnung deutlich zu mir herantreten, daß eine Verbindung, vielleicht gar ein Geſpräch möglich zu machen iſt, der Verkehr mit einem Menſchen tritt mir nahe, ich bin außer mir. Um nichts zu über - eilen, ließ ich mehrere Stunden vergehn. Alles iſt ſtill und todt wie ſonſt, ich klopfe leiſe an die Wand, und erſchrecke ſelbſt vor dieſem ſignalartigen Geräuſche Alles bleibt ſtill; ich faſſe mir ein Herz, und da die Wache auf dem Korridor gerade abwärts ſchreitet, klopfe ich ſtärker Alles bleibt ſtill, leiſe, ganz leiſe, wie aus weiter Ferne hör ich Erwiderung des Klopfens. Vorſichtig, langſam geſteigert ſetzen wir die Verſuche fort, bis wir den Winkel, in welchem mein Bett ſteht, als den leich -144 teſt ſchallenden aufgefunden. Jch wage es ſogar, die heiſer gewordne Stimme da hinein zu ſchicken, aber die Wache verhindert große Höhe und Stärke, wir müſſen oft lange ſtill ſein, aber in den Bemü - hungen hab ich allen Jammer vergeſſen, mein Ker - ker hat einen belebten Winkel, Alles Andere exiſtirt im Augenblicke nicht mehr für mich, es iſt gegen Abend, ich habe den Tag gewonnen, und ich weiß bereits den Namen meines Nachbars, und daß er ſchon drei Monate ſitzt; mehr freilich war noch nicht zu verſtehen, und ich weiß nicht, wie viel ihm von meiner Mittheilung deutlich geworden iſt, aber ich bin ſelig, und wenn wir nicht mehr haben können als das Klopfen, es verbürgt doch eine Menſchen - nähe, die Todeseinſamkeit iſt vorüber.

Es hat lange an Papierlappen gefehlt, dafür hat ſich mit meinem Nachbar eine Unterhaltung eingerichtet, wobei zwar manches Wort verloren geht, die aber doch Anknüpfung an ein wirkliches Leben iſt. Gott, was iſt’s für Troſt um eine Menſchen - ſtimme, um ein Geſpräch nach ſolchem Grabesſchwei -145 gen! Wer nie gefangen ſaß, der weiß es nicht zu ſchätzen, was Menſchennähe ſagen will. Jch liege jetzt den größten Theil des Tages auf meinem Bett, das Geſicht nach unten kehrend, weil ich in dieſer Stellung, ſo unbequem ſie auf die Länge iſt, mei - nen Nachbar am Beſten verſtehen kann. Der Glück - liche hat drei Bücher, den Fauſt, Dr. Katzenberger’s Badereiſe und die Gerichtsordnung ſeiner Heimath; er hat die Sachen ſchon fünfmal durchgeleſen, und beginnt jetzt den ſechsten Kurſus, aber es iſt doch ein Anhalt an gegebene Dinge, und der iſt von ſo großem Werthe, wie es jener Punkt war, den Ar - chimedes außerhalb der Erde und ſeiner Umgebung ſuchte, um den Erdball in eine andre Bewegung zu ſetzen. Er lieſ’t mir vor, und obwohl die Wand Manches verſchlingt, und in je zwei Minuten eine Pauſe eintreten muß, wenn die Wache vorüber - ſchreitet, ſo genieß ich doch Manches davon. Frei - lich müſſen wir ſehr aufpaſſen, daß nicht einer der Wärter oder Aufſeher nahen kann, ohne daß wir’s bemerken, denn ſonſt hat unſre Herrlichkeit ſchnell ein Ende. Wir ſind aber ſchon ſo eingeübt, wie ein Paar Wilde, die durch die ſtillen UrwälderV. 7146flüchten, und auf große Entfernung hin den Tritt eines Hirſches oder Panthers, einer Rothhaut oder eines Weißen unterſcheiden. Wir haben auch ihren Signalruf angenommen, und wer von uns zuerſt etwas nahen hört, oder die Möglichkeit einer Gefahr wittert, der ruft hugh! und der Andere ſchweigt ſogleich. Beneide mich um die Romantik, welche in meine Oede gekommen iſt, aber ſtähle mir auch die Nerven dafür. Kannſt Du ein Bett zurecht machen? Unterrichte Dich ja beim nächſten Kam - mermädchen, es ſollte mich ſehr wundern, wenn Du, ein wirklich egoiſtiſcher Feind des Menſchenvereins dem Gefängniſſe entgingeſt, und dort iſt ſolche Kennt - niß nöthig. Anfangs kam ich mir wie ein zu Weibern des Harems erniedrigter Bettelſardanapal vor, wenn ich Abends vor dem zerwühlten Lager ſtand, und meine eignen Hände gebrauchen ſollte das giebt ſich mit der Zeit: zwiſchen dieſen vier traurigen Wänden ſchwindet alle Jlluſion und ge - machte Ehre, das Nothwendige verhöhnt und drängt ſo lange das Herkömmliche, bis man nur noch das nächſte Bedürfniß hört. Jch bin noch weiter ge - diehen: es wird ſelten und oberflächlich ausgekehrt,147 abgeſtäubt gar nicht, ſo was iſt Luxusartikel, und der Wärter, dem dreißig Gefangene obliegen, hat dafür auch wirklich keine Zeit; der Schmutz iſt alſo arg, und das bleibt ein lähmender Schmerz für mich; für Wäſche kann ich nur wenig vom ſchmalen Koſtgelde, was der Wärter auslegt, abſparen, was bleibt mir alſo übrig, als bisweilen mein graues Blechhandbecken herzunehmen und Taſchen - oder Handtücher zu waſchen? Und der Weltverbeſſerer bedürfte des Unterrichts von einem alten Weibe! Das Leben hat alle Taſchen voll Jronie! Jetzt, da wir’s einander erzählen, mein Nachbar und ich, wird es ſpaßhaft: wenn ein Zweiter derſelben Noth - wendigkeit folgen muß, dann wird ſie dadurch auf der Stelle legitim, und ſie kann als ein gerechtfer - tigtes Objekt zu Allem ausgebeutet werden. Soll ich Dir nun das Schlimmſte geſtehn: in den vier - zehn Tagen hat ſich unſer Geſpräch und unſere Be - kanntſchaft ſchon ſehr abgenutzt, wir ſind ſchon mit - unter auf dem Trocknen. Er hat mehr Ausſicht, einmal wieder loszukommen, als ich; aber ihn küm - mert dafür eine andere Sorge, aus der ich ihm ein Lied gemacht habe:

148

Es ſingen drei Gefangene:

Es zogen wohl drei Schwäne
Vom Süden nach dem Nord,
Sie ſuchten alte Freunde
Die Freunde waren fort.
Es zogen wohl drei Schwäne
Vom Norden nach dem Süd,
Sie ſuchten die alten Ufer
Die waren verwüſtet, verblüht.
Sie hatten nicht mehr Heimath,
Nicht Freunde in der Welt
Da haben an den Felſen
Sie ſich die Köpfe zerſchellt.
Und wenn wir einſt befreiet,
So kennt uns Niemand mehr,
Es bleibt uns nur zu ſterben,
Die Welt iſt wüſt und leer.
Der Sommer ſcheidet, kalter Wind
Fällt auf die Dächer nieder
Des blauen Himmels Farben ſind
Jn Grau verblichen wieder.
Als ich die Welt zum Letzten ſah,
Da war ſie hell und milde,
149
Jch weiß nicht, was ſeitdem geſchah,
Jch ſah ſie nur im Bilde.
Jch fühl auch heut nur kalten Wind,
Seh keine Blätter fallen
Wenn ferne Lieben geſtorben ſind,
Hören wir Glocken hallen.

Du wunderſt Dich vielleicht, daß ich über das, worin der Mittelpunkt meines Elends ruht, über den Staat ſelbſt, ſo wenig denke und zuſammen - ſtelle; ich wundre mich manchmal ſelbſt darüber; aber es iſt nicht anders. Was ſollt ich? Einen Staat konſtruiren wie Sieyes, von dem man ſagt, daß er immer mehrere Exemplare des Staats in den Taſchen gehabt? Dies Definiren aus der Luft iſt nicht meine Sache, und Du glaubſt nicht, wie die Gedanken, zaumlos frei gegeben wie die Pferde der Ukraine in den unabſehbaren Steppen, Du glaubſt nicht, wie ſie in der Jrre müde werden. Man denkt im geſchäftlichen Leben, wo des Tags kaum zwei einſame Stunden gewährt ſind, viel mehr Dar - ſtellbares, unſer Jnnres braucht Abwechſelung, An - regung eben ſo gut, um zu ſchaffen, wie der Körper,150 um ſich kräftig zu entwickeln. Es giebt kein abge - ſondertes Jnnere, als die Schwärmerei. Und ſoll ich toben, daß der Staat Gefängniſſe braucht? Würden wir einen Staat erhalten ohne ſie? Mein moraliſches Gefühl, das, was man innerſte Ehre nennen kann, verlangt jetzt gerade von mir die größte Milde, weil ich ſelbſt hart betroffen bin, und die Rache mir etwas Unehrenhaftes dünkt. Die Ge - fängniſſe ſelbſt anbelangend, würde ich eine unab - hängige Kommiſſion der Humanität im Staate er - richten, welche die Gefängniſſe kontrollirte, und, un - abhängig vom Gericht und von der Regierung, wenn auch mit Rückſicht auf den jedesmaligen, ſpeciellen Fall des Gefangenen, verfügte. Die Unterſuchungs - arreſte ſind der wunde Fleck; ſie erheiſchen ſtrengſte Aufſicht, und ſollen doch noch nicht ſtrafen, meiſt ſind ſie aber ſchmerzhafter als der Strafarreſt; jeden - falls ſind ſie zu ſehr über einen Leiſten, und dem mitbetheiligten Unterſuchungsrichter zu ſehr überlaſſen, der zur Erreichung ſeiner Zwecke feine Torturgrade dadurch in der Gewalt hat. Du ſiehſt, das iſt ein blos Adminiſtratives, und hat mit der Staatsſpe - kulation im Großen gar nichts zu ſchaffen, man151 hält ſich eben immer an das Nächſte, wenn man klug wird. Wäre ich das früher geworden, dann ſäße ich ſchwerlich im Loche. Alle Kenntniß und Förderung ſonſtiger Politik iſt mir jetzt benommen, die Politik ſelbſt alſo liegt todt in mir; ich möchte auch nie einen Staat aus dem Gefängniſſe erfinden. Jſt die politiſche Fluktuation der neuen Zeit ein Uebel, ſo iſt ſie’s eben darum, weil man den Staat erfinden will, ſtatt ihn werden zu laſſen, wachſen zu machen. Soll er ächt ſein, muß er ſich hiſtoriſch entwickeln wie der Menſch, wie die Pflanze. Es iſt wieder ein großes Ereigniß dageweſen: man hat mir einige von den Büchern gegeben, die ich mitgebracht habe. Freilich hab ich ſie ſchon geleſen, aber es ſind doch Bücher, ich werde doch überall wieder Menſch; hinter der Wand eine halbe Geſell - ſchaft, auf dem Tiſche ein gedrucktes Buch! Welcher Fortſchritt! Schlegels Philoſophie der Geſchichte iſt dabei, ein Buch, welches zur Demüthigung der Menſchen geſchrieben iſt wozu hätte mir Gott den Stolz und die kühne Kraft gegeben und damit ſo viel des Beſten verwoben, wenn ich ſie nur ver - nichten ſollte? Jch fühl’s, einen größeren Gott zu152 haben, dem mein Bewußtſein irgend welcher Tüch - tigkeit wohlgefällig iſt. Auch in meiner Verlaſſen - heit überhebe ich mich dieſer kläglichen Anſicht des entmuthigten Schlegel. Aber ich finde in dem Buche Beſchreibungen der indiſchen Einſiedler und Heiligen, welche mir von großer Beſchäftigung ſind, weil ſie auch mit der äußerſten Einſamkeit zuſammenfallen. Was kann der Menſch, den ein fanatiſcher Glaube treibt! Jch erſchrecke davor; wie klein ſind wir, denen die ſkeptiſche Kultur jeden ſolchen unerſchütter - lichen Anhalt genommen; ein guter Fanatiker erobert ein Stück Gottheit und ein Stück Thier zugleich. Dieſe Leute ſtellen ſich auf die Einſamkeit eines hohen Poſtaments, mitten in die verzehrende indiſche Sonne hinein, ſtrecken den Arm in die Höhe, bis er er - ſtarrt, verwächst in dieſer Richtung, ſehen in die blendenden Sonnenſtrahlen unverwandt bis die Augen erblinden, und denken nur den Gottesgedanken, um ganz in die Gottheit zu verſinken, was ihnen denn wohl am Ende gelingt, denn welcher Menſchengeiſt verſänke nicht am Ende dabei! So werden ſie wirk - lich halbe Bildſäulen, die Vögel bauen Neſter auf ihnen, die Wallfahrer beten im Anſchaun dieſer153 Heiligen! Und ich kann zehn Schritte umhergehn, kann liegen, kann ſitzen, denken, was ich will: wie bequem hab ich’s neben dieſer Menſchenart, und doch ſind’s auch Menſchen. Jch ſtelle mich jetzt manchmal eine zeitlang unter meine Fenſterblende, ſehe in den Himmelsſtreifen, ſtrecke den Arm aus, denke einen Gedanken, bis ich wirblich werde, und erſchöpft zuſammenſinke. Dann empfinde ich, daß mein Loos noch beneidenswerth!

Welch ein kalter Strom hat ſich wieder an meine Einſamkeit hergewälzt! Jch habe kaum Faſ - ſung, Dir zu ſchildern. Geſtern kam der entſchloſſene, klirrende Schritt des Ordonnanzſoldaten neben unſerm Wächter den Korridor entlang, und über Jeden von uns legte ſich das athemloſe Beben, daß der Schritt vor ſeiner Zelle halten, ſeinen Namen rufen werde das iſt ſo ſchreckhaft! Denke Dir, wie ſehr unſere Nerven ſchon zerſtört ſind: das Verhör allein kann uns fördern, den traurigen Zuſtand ändern - wenn nicht in einen beſſeren verwandeln, denn im ſchlimmſten Falle iſt Strafgefängniß eine Erholung7 *154gegen den Unterſuchungsarreſt und doch fürchten wir Alle das Verhör, wenigſtens die Ankündigung deſſelben, das Klopfen, den Namensruf, das haſtige Ankleiden, den Gang durch die dunklen Korridore. Wenn man den Tritt der Ordonnanz hört, da wünſcht man ſtets, er möge vorübergehn, man denkt an den Henker, welcher ein Todesurtheil bringt, und bebt. Nur Ungeſtörtheit, unbeachtetes Zuſammenkauern in den traurigen Kerkerſchmutz wünſcht die furcht - ſame Seele ſo wird die Furcht in Körper und Seele gebracht, wie man den Muth hineinbringen kann; ich habe jetzt eine deutliche Vorſtellung von den Blödſinnigen, welche in den Winkel kriechen, ſobald ſich ihnen irgend etwas naht. Du glaubſt nicht, wie ſehr man, wie krampfhaft man die Er - innerung an einen ſtolzen Menſchen, der man einſt war, zuſammenhalten, in ſich hinein klammern muß, um nicht der kläglichſte Wicht zu werden!

Der Sporenſchritt des Ordonnanzſoldaten hielt ſtill vor meiner Thüre, mein Athem ſtockte und jagte; es ward geklopft, mein Name ward gerufen wir ſchritten durch den Korridor. Die Ordon - nanz iſt ein bärtiger, freundlicher Mann, er ſagte,155 ich ſei ſehr blaß geworden, und mein Bart ſei lang, ſehr lang er hat mich ſeit mehreren Monaten nicht in’s Verhör geholt. An der Thür flüſterte er mir zu: ich bringe Sie heut vor einen andern Richter. Neuer Schreck. Wer iſt’s? ’s iſt der Herr Oberrichter!

An der langen grünen Tafel ſaß er, ſchwarz ge - kleidet, mit dem Rücken nach der Thür, durch welche ich eintrat, neben ihm der Protokollführer, ſonſt war Niemand in dem großen Zimmer, es war ganz ſtill; ohne umzublicken wies er mit der Hand auf einen Seſſel; ich ging dahin, ſah den Oberrichter und ſtand wie vom Schlage getroffen es war Conſtantin!

Er ſah mich nur zuweilen mit halbem Blicke an, und inquirirte vortrefflich: als einſtiger Jako - biner kennt er alle Gedankengänge, Pläne und Zu - ſtände ſehr gut; es war ein intereſſantes Verhör! Der Stil, die Ausdrücke, die Wendungen, welche wir früher gemeinſchaftlich aufgeſucht, geübt, wurden jetzt gegen mich benützt! Beim letzten Worte ſchellte er, und eh ich noch meinen Namen unterzeichnet hatte, war die Ordonnanz wieder im Gemäche, und156 ich ward abgeführt. Wir haben ſonſt nicht ein Wort miteinander geſprochen. Aber alle Leidenſchaft, und mit ihr alle Stärke war mit dieſem Eindrucke wieder in mich eingekehrt: heute hört ich mit Be - gierde den Tritt der Ordonnanz, das Klopfen an meiner Thür, den Namensruf o Zorn, Du machſt noch ſtraffer und tüchtiger als die Liebe, darum ſind die feindlichen Thaten meiſthin ſo viel gewaltiger.

Heute empfing er mich in einem Vorderzimmer, was auf einen offenen Theil der Stadt ſieht; das Licht blendete mich, in der Ferne erblickte ich harm - los, frei gehende Menſchen, die Winterſonne in allem Glanze ſchien mir entgegen, ich hätte niederſinken mögen, beſtürmt von dem plötzlichen Eindrucke, oder durch die Fenſterſcheibe ſpringen im trunkenen Drange nach Freiheit.

Er war allein, und ging im Zimmer umher. Folgendes war ſeine Rede:

Es ſpricht heute nicht der Richter zu Jhnen, ſondern der Jugendbekannte. Jch kenne Jhren Gedankengang, und weiß, daß Sie ſich in einem gewiſſen Stolze meiner überheben, da, Sie der Unter - drückte vor mir ſtehen, welcher ich eben Gewalt und157 Macht über Sie habe; daß Sie den Anfängen meiner Lebensgeſchichte nach, die ich mit Jhnen gemein - ſchaftlich erlebt habe, glauben, dieſe meine jetzige Stellung könnte mit einer Unwürdigkeit meines ſittlichen Menſchen zuſammenhängen, weil ſie mit dem Beginn meiner damaligen Lebensanſichten auf den erſten Anblick nicht harmonirt. Um einer ſolchen Folgerung zu widerſprechen, welche Jhrem inneren Schickſale eine falſche Richtung geben, und mich in eine falſche Poſition bringen könnte, will ich Jhnen mit zwei Worten meine Lebensentwickelung mittheilen. Warum ich dies auf ſo förmliche Weiſe, und nicht im wiederangeſchlagenen Tone unſrer früher kordialen Bekanntſchaft beginne, wird Jhnen erklär - lich ſein, wenn Sie bemerken, daß ich eben Per - ſönliches aller Art der Form unterordne, wenn es ſein muß, gewaltſam und ſchonungslos unterordne, daß ich eben in der Anſicht zu meinem jetzigen Punkte gekommen bin, die Form ſei Alles, ſei die eigentliche Bildung, der losgelaſſene, ſeiner ganzen Jnnerlichkeit frei gegebene Menſch ſei ein ewiger Feind des Zuſammenlebens. Als Jakobiner, als Vergötterer aller Revolution kam ich nach Paris,158 und erkannte langſam, aber ſicher, daß die Geſell - ſchaft darin zu Grunde gehn müſſe, wenn jeder Regung des unbändigen Menſchen Folge gegeben werde. Der erfindende Menſch, das Genie, iſt wild und grauſam, es entſpricht dem reißenden Thiere, bei welchem ſich ebenfalls die größte Potenz der Thierwelt vorfindet, was nur zum Nachtheile ſeiner Umgebung lebt, und überall auf den Tod verfolgt werden muß. Dagegen iſt die Schranke erfunden, welche man Form nennt, und je eiſerner dieſe iſt, deſto beſſer wirkt ſie. Am äußerſten Endpunkte der Revolution wird nichts gewonnen als ein anderer Herr, ein anderer Diener; wenn’s hoch kommt, ein gelinderes Verhältniß zwiſchen dieſen. Ein Ver - hältniß alſo wieder, eine Form wieder, die juſt durch ihre Entſtehung bedroht iſt. Hat man früher die Heiligkeit der Form zerreißen dürfen, warum nicht ſpäter auch? So wird die Auflöſung geboren, und juſt der Wildheit iſt das Thor geöffnet, weil ſie im Erfinden am mächtigſten iſt. Und halten Sie das gelindere Verhältniß für einen Gewinn? Es führt zu nichts als zur Ueberhebung des Nie - drigeren: weil er ſeltner und weniger zu gehorchen,159 Leichteres zu leiſten habe, iſt ihm jede Löſung und Nichtbeachtung um ſo näher gelegt. Erwarten Sie von der Maſſe die feine Sonderung des Erlaubten, weil Sie ſein Verhältniß feiner gemacht? Dann müßte die Rohheit von der Erde weichen, und doch iſt ſie ein Urelement derſelben. Dieſes Hinaufex - perimentiren bringt entweder immerwährenden Wech - ſel, da jeder Menſch einen Schritt weiter verlangt, als er geſtellt iſt, oder es bringt die Blaſirtheit. Warum? Die ganze Welt iſt in großen Unterſchie - den begründet, ſie ſind erforderlich, damit wir einen Drang, ein Jntereſſe haben, wenn dieſe aufhören, ſo beginnt die Oede. Dies war mein Loos in Paris, und es iſt das, was ich mein Lebtag nicht mehr verwinden werde: denn mein Verſtand hat ſich zwar einen anderen Kreis, eine andere Exiſtenz geſchaffen, die in Schluß und Nothwendigkeit feſt begrenzt iſt, aber mein Herz ſtammt aus der Ge - burt einer andern Welt, weil meine Jugend revo - lutionair war, mein Herz iſt verarmt, und wird nur durch künſtliche Mittel aufrecht erhalten. Die Revolution hat mein Leben verſchlungen; mein Automatenſchatten, der iß’t und trinkt, küßt und160 ſpricht, lauft allein noch weiter mißverſtehen Sie mich nicht: mein Herz hängt nicht etwa noch an der Revolution, o nein, ach ich beneide jeden Schwär - mer, für ein ſchwunghaftes Leben iſt ſie unbezahl - bar, die Schwärmerei, ſie richte ſich, auf was ſie wolle. Jn den unnatürlichen Gegenſätzen aber, wo - hinein ich gerieth, iſt alles drängende Leben in mir getödtet worden; wenn ich phantaſirte, ſo thäte ich’s in einem künſtlichen Wahnſinn, dem ich mich ſelbſt bewußtvoll in die Arme ſtürzte, und der ſich meiner dann bemächtigte, ſtärker werdend als ich ſelbſt. An Dämonen möchte ich mich ſchließen, um von einer ſtärkeren Macht geſchwungen zu ſein, aber mein kaltes Herz iſolirt mich auch von dieſen. So verödet gewann ich Julia, das ſchöne Mädchen, weil ſie Geſetz und Maaß in mir fand, was ſich beides damals in ſeiner Geburt um ſo ſtärker heraus - drängte, weil ſie einen Schutz ſuchte vor der Wild - heit Hippolyts. Sie ward meine Frau, und hat nie Jemand anders geliebt, als ihn, den tobenden Hippolytos; das reizende Geſchöpf war in die Form hinein verzogen, ſie hatte das umgekehrte Unglück: ihre natürlichen ſtarken Kräfte waren von Hauſe161 aus zuſammengeſchnürt und erſtickt worden, ſie hatte keinen Muth mehr zur dreiſten Kraft und Freude, an denen ein Theil zur wirklich elaſtiſchen Exiſtenz nöthig iſt, ſie konnte ſich nur noch freuen, wo die Freude jedem anſtändigen Weibe erlaubt iſt, und verlor ſo jede eigne perſönliche Luſt für Julien. Sie und Hippolyt hätten ſich vielleicht ergänzt und ein gelungenes Paar gebildet; mit mir, dem gegen ſeine Anlagen formell Gewordenen mußte ſie ver - ſteinern, mich mußte ſie verſteinern, da dasjenige, was ſie in meine Arme führte, der Mord meines eigentlichen Lebens, der Mord ihres Lebens war. Ob ich ſie geliebt? Später erſt habe ich einge - ſehen, daß ich von da an, wo der große Lebens - wechſel in mir eintrat, wo ich mein Herz auf Koſten der Bildung erwürgte, gar nicht mehr lieben konnte. Wir ſtellten uns ſo, weil es für ſolches Verhältniß in der Form iſt, zärtlich zu ſein, und weil die Sinne da noch zu Hilfe kommen; glücklicherweiſe wußten wir nichts von dieſer Verſtellung, das war unſer einziges Glück, was uns je geblüht hat. Wir haben Kinder gezeugt und ein Haus gemacht und gelten für ein muſterhaftes Paar gegen die Welt162 haben wir in alle Wege Recht, und dies iſt das Opfer und der einzige Troſt, an dem ich wie an einer Drahtſchnur weiter gehe; gegen uns ſelbſt haben wir Unrecht, und die Welt mit ihrer ſchwer zu fügenden Ordnung trägt die Schuld. Sie ſehen, ich bin ſo ſehr ein Opfer, wie Sie, ich habe mir ein größeres, eben ſo trauriges Gefängniß bereitet, aber mit mir gedeiht der Staat, mit Jhnen ver - dirbt er. Könnte man mir dieſen Glauben nehmen, ſo gäbe man mir den Tod. Das Gefängniß, groß und klein, iſt für die Menſchenerfindung, den Staat nothwendig.

Das Nächſte, was mir zu entgegnen, wäre vielleicht dies: Sie haben Jhren Wechſel in Staats - anſichten gewaltſam übereilt, Sie haben mit einem Male den geiſtigen Blutumlauf Jhres Herzens ge - wendet und dadurch den Keim des Todes in Jhr Herz gelegt. Wohl, es intereſſirt mich in meiner Blaſirtheit einen Augenblick zu wiſſen, ob es bloß die Manier geweſen iſt, die mich geſtört hat; ich habe zu dem Ende Jhre Verhaftung bewirkt, und dieſe in die ſtrengſten Grenzen eingedrängt, jetzt will ich ſehn, was aus Jhren Meinungen geworden163 iſt. Jn unſerm damaligen Umgange lag der Frucht - knoten meines Lebens, der jetzt verdorrt iſt; den kleinen Reiz, deſſen ich noch fähig bin, gewährt mir von meinem ganzen Leben nur das Verhältniß zu jener Zeit. Sagen Sie mir, auf was für einem Standpunkte der Meinung ſind Sie jetzt?

Gott weiß, was ich ihm in meiner Entrüſtung geſagt habe. Am ärgſten betroffen ſchien er von meiner Verſicherung zu ſein, daß ich kein eigent - licher Revolutionair mehr geweſen ſei, als ich das Gefängniß betreten, daß ich niemals in eine Ver - zweiflung meiner Anſichten gerathen, daß ich auch jetzt darin beſonnen und ruhig ſei. Jch habe ihn lange und habe ihn todtenbleich geſprochen; als wir ſchieden, war es dunkel. Von dem Wenigen, was er erwiderte, erinnere ich mich nur der öfters wieder - kehrenden Worte: Befreien kann ich Dich jetzt ſelbſt nicht mehr, es iſt ein eingeleitet Verfahren.

Ermiß, welchen Sturm ich darnach mehrere Tage lang in meinem engen Käfig durchgelebt habe. Wohin geräth der Menſch, wenn er das Heil nur immer in den äußerſten Gegenſätzen ſucht!

164

Der Mangel an Papier hat alle Folgerung jener Scene, die reichlich in mir gährte, aufgehoben; jetzt bewegen mich ſchon wieder ganz andere Dinge. Es iſt mir eine Freiſtunde, freilich nur einen Tag um den andern bewilligt worden; o, das war ein Er - eigniß! Jch wurde in einen kleinen Hof geführt, der mit hohen Mauern umgeben iſt, ein Aufſeher ſchlug mir Feuer für die Pfeife. Wie habe ich den Mann beneidet um ſein großes Stück Schwamm, von welchem er mir ein kleines Endchen anbrannte! Der Jnſtinkt ließ mich alsbald ein klein, ganz klein Stückchen abreißen, um es für meinen dunklen Kerker zu ſparen. Noch eine Wache iſt außer dem Aufſeher bei uns; an der andern Seite des Hofes geht ein zweiter Gefangener hin und her, er iſt bärtig und bleich wie ich, aber er bläſ’t aus ſeinem Stummel anſcheinend beſten Muthes Rauch in die Lüfte. Niemand darf ein Wort ſprechen. Die Luft war dick und düſter, es regnete und ſchneite, meine Geſellſchafterin, die Maus, hat wirklich ein Loch in meine Stiefel genagt, das hat ſeine Uebelſtände, aber ich ſchlürfte doch dieſe kleine Gefängnißfreiheit mit vollen Zügen, es war wieder Welt, wieder165 Leben, was mir nahe trat. Gegen Ende der Stunde war ich auch ſchon mit meinem Gegenfüßler in Rapport getreten, allmählig hatten wir den Zwiſchen - raum, der uns trennte, immer kleiner gemacht, die Wächter waren des Regens halber in’s Schilderhaus gekrochen, er flüſterte mir etwas zu, was ich frei - lich nicht verſtand, aber er lachte, und das war großer Troſt. Kann doch alſo auch hier gelacht werden! Aus ſeinem ganzen Aeußeren ſpricht eine Verhöhnung der Ketten, die hebt mich ſelber mit. Als der Regen plötzlich heftiger wurde, warf er mir ſchnell etwas an den Fuß, ich that, als fiele mir die Pfeife an die Erde ſo lügneriſch klug wird man in der Unterdrückung ohne Weiteres, und hob es auf. Es war ein kleiner Stein, Beihülfe zum Feuerſchlagen bei der nächſten Begegnung ſagte er deutlich Hoſenſchnalle! Wahrſcheinlich ſoll ſie die Stelle des Stahls vertreten, ich habe aber leider keine, und zuckte mit den Achſeln, er zuckte auch und lachte. Jetzt plag ich mich nun den ganzen Tag mit einer kleinen Schnalle meines Trageban - des, um Feuer zu ſchlagen, aber das Steinchen hat wenig Feuer, die Schnalle wenig Stahl, ich166 ſchlage mir die Finger blutig, aber es iſt doch eine Arbeit nach einem nächſten Ziele, ich habe doch große Fortſchritte gemacht im Kerkerleben, und weiß doch jetzt, daß ich für eine Stunde des Tags exiſtire, für die Freiſtunde.

Jch habe heut gefragt, welcher Monat in der Welt iſt, die Zeit iſt lange von mir gewichen, und ein anderer Menſch kritzelt Dir dieſe Worte. Der plötzliche Eindruck friſcher Luft nämlich war ver - heerend auf meinen Leib geſtürzt, ich brach zuſammen, als ich aus der zweiten Freiſtunde wieder in mein Gefängniß kam, die Beſinnung entwich lange Zeit, der Wärter ſagt, viele Wochen hab ich im hitzigen Fieber gelegen. So theuer iſt ſonſt die Zeit für ein Jugendleben, wie es das meinige noch ſein könnte, mir entweicht ſie finſter und unbeachtet. Jch finde da in meiner Taſche auf kleinem ſchmutzi - gen Blatte folgende Verſe, die ſich darauf beziehn, ſie lauten alſo:

167
Weiß wohl Eure Richtertugend,
Was Jhr mir genommen habt?
Ach, es iſt ja meine Jugend,
Die Jhr langſam hier begrabt.
Ohne Jugend iſt das Leben
Wie ein Frühling ohne Grün,
Alles kann man wiedergeben,
Nur nicht Zeit und Jugendblühn.
Und ein jeder Tag macht älter,
Und ich leb doch keinen Tag,
Und das Herz ſchlägt immer kälter
Was Euch Gott vergeben mag.

Jch ſollte trauern, daß ich jetzt kaum noch die Bedeutung ſolcher Worte empfinde, unnütz trivial erſcheint mir jetzt Alles, nicht Klage nicht Zorn iſt mehr in mir, ich bin ſtumpf, ganz ſtumpf! Was kümmerts mich, ob ich im Glanz oder Schmutz exiſtire, was kümmerts mich! Es iſt ein Geſell - ſchafter zu mir in den Kerker gegeben worden, aber das Loch iſt nun ſo eng, daß der Eine ſitzen muß, wenn der Andere herumgeht. Wir ſprachen nun in den erſten zwei Tagen Mehreres, mein Genoſſe, ein baumſtarker Menſch, ſitzt ſchon viel länger als168 ich, und iſt tief vergrollt, man könnte ſich in der Abgeſchiedenheit mit ihm fürchten vor ſeiner mitunter vorbrechenden Wildheit, wenn man ſich noch mit Furcht und Hoffnung abgäbe. Geſtern Abend äußerte er, als wir ſchweigend auf unſere Betten lagen, etwas, wofür ich mich einen Augenblick intereſſirt habe, er ſagte nämlich: Wenn Einer in dieſen Kammern ſein Licht unter das Bett ſtellte, und ſolchergeſtalt Feuer ausbräche, dann müßten wir alle in den ſchwer verſchloſſenen Zellen verbrennen wie wilde Thiere, und es müßte ein merkwürdiges Geheul geben. Zu etwa dreißig Thüren, von denen jede doppelt und dreifach verſchloſſen iſt, hat nur ein Mann die Schlüſſel, von Rettung wäre alſo nicht ſehr die Rede. Nun giebt es vier ſolche Abthei - lungen, es könnte alſo ein tüchtiger Feuerſchmaus von hundert Revolutionairs werden, und der Staat wäre einer großen Beunruhigung los. Mitunter ſind wir auch grob luſtig und lachen ſo laut, daß es die Wache verbietet. Jch glaube, der Menſch braucht ſolch einen Reiz, und wenn ſich keiner bieten will, ſo wird er roh. Jetzt würde ich nicht mehr verwundert ſein, wie früher, wenn ich Ver -169 brecher in Ketten luſtig ſah, die Natur hilft ſich, und die Gemeinheit iſt auch eine Rettung. Wozu ſchreiben und Gedanken ſpinnen? Jch will nun end - lich die Brücke abbrechen, die noch von mir zur Welt hinübergeht; mein kleiner Bleiſtift iſt auch zu End geſchrieben leb wohl auf ewig!

V. 8[170]

4. Valerius an Hippolyt.

Heute vor acht Tagen iſt der große Tag gekommen, den ich nicht mehr zu hoffen wagte: Vor einigen Wochen wurde uns ein ander Gefängniß geſtattet wenn in den kleinen Hof unſrer Freiſtunde die Sonne hineinzüngelte, ach, da war mir’s doch manchmal noch ein ſchmerzlicher Stich, daß ich wieder in das Dunkel unſers Gefängniſſes zurück mußte, was nach der Mitternachtſeite belegen war. Obwohl ich ſonſt ſtumpf und gleichgültig geworden, die Sonnenſtrah - len, mein eigentlich Gottesleben, zündeten doch eine kleine Flacke in meiner ausgebrannten Seele. Jetzt führte man uns in ein kleines Stübchen, was auf den großen Hof ſieht; es waren nur Gitter vor dem Fenſter, eine Blende war nicht da, die Morgenſonne171 quoll warm herein es war ein wunderbarer Mo - ment: alle die alten Freudenkräfte meines Jnnern rüttelten und regten ſich, und es hob ſich ein Drang, als ob ich noch einmal jauchzen könnte; ich hätte wohl ſelbſt den harten Kerkermeiſtern einen Augen - blick danken mögen. Aber es kroch wieder zuſam - men, mein vergrollterer, ſtärkerer Genoß ſchalt mich, und ſagte, es ſei unwürdig, dieſer Gewalt gegen - über eine dankbare Regung zu zeigen; wir ſaßen aber den ganzen Tag am Fenſter, um uns zu ſon - nen, und es beſchlich mich zuweilen wieder ein leiſes geheimnißvolles Behagen; der Winter ſchien im Sturmeslaufe aus der Welt zu ziehn, und die Luft hatte wieder Befruchtung in ſich. Auch ein unter - haltender Anblick war in der neuen Zelle: auf dem großen Hofe genoſſen die Gefangenen dieſes Viertels ihre Freiſtunde, nach jeder Stunde kam ein anderes Paar. Alle waren blaß, aber wie verſchieden trugen ſie ihr Unglück: der Eine rannte ſtürmiſch, unauf - haltſam, bis er am Laternenpfahl ausruhen mußte; der Zweite hatte Rock und Geſicht und Augen tief zugeknöpft, der Haß war in hundert Falten einge - ſchnürt, er ging ruhig und gemeſſen umher; der172 Dritte war zerbrochen, matt, elend; der Vierte gleichgültig und ſorglos. Wenn ſolche Unterhaltung nur früher gekommen wäre, die Empfängniß blieb doch gar zu taub in mir; jetzt gab’s auch Schreib - material, aber ich hatte nichts mehr zu ſchreiben. So vergingen Wochen, und am Ende dacht ich: ’s war im kalten Loche, hinter der Blende drüben, nicht viel ſchlechter.

Heut vor acht Tagen kam der große Tag, dieſer einzige Gedanke ſeit ſo vielen Monden: ich ward frei, ſtand allein und ungehindert auf der Straße, kein Führer hinter mir ach, und dieſe Freude aller Freuden kam zu ſpät, ſie konnte mich nicht mehr recht bewältigen. Erſt ſpät Abends, als ich im Mondſchein durch die Straßen ſchlenderte, mei - ner neuen Freiheit genießend, brach plötzlich ein heißer Thränenſtrom aus meinen Augen, und von da an fühlte ich mich den Menſchen wieder näher, ich dachte wieder in ihrer Weiſe, ſchlug mir die Be - kümmerniß um meinen im Kerker zurückgelaſſenen Kameraden aus dem Sinn, bemerkte, daß ich keinen Kreuzer Geld beſäße, und in der großen, weiten Freiheit nicht wüßte, wohin mein Haupt zu legen173 ſei. Jch kenne in dieſer Stadt nichts als das Gefängniß, und was damit zuſammenhängt, ich wollte Conſtantin um ein Nachtlager anſprechen, wir brauchen ja nicht mit einander zu reden, und morgen, nun morgen wird ſich was Anderes finden, oder auch nicht, das Leben mag ſich einen Weg ſuchen oder aufhören, wie’s will! Du wirſt ſchel - ten, es unwürdig nennen, daß ich mich nur um das Lager auf einem Brette an Conſtantin wende, immerhin, ich haſſe ſchlecht vom Hauſe aus, und jetzt erſt gar, ſchilt meinetwegen!

Um Conſtantin zu finden, mußte ich wieder an’s Gefängnißhaus zurück, dort ſeine Wohnung zu er - fragen ’s hatte etwas Verhängnißvolles, daß ich mir dort Rath für die Freiheit holen ſollte. Sie fragten mich, ob es mir ſo gut gefallen hätte, und ich wieder kommen, wieder bei ihnen ſchlafen wollte? Wahrhaftig, es wäre mir ganz recht geweſen, hätten ſie ein Lager zur Hand gehabt, ich hätte mich hin - geſtreckt.

Conſtantin ſaß mit ſeiner Frau am Theetiſche. Er empfing mich kalt, und Julie eigentlich auch, aber das Weib, auch wenn es noch ſo blaſirt und174 verſteinert wäre, iſt milder und ſorglicher; ſie be - klagte mein bleiches Ausſehn, und bat mich, den langen Bart abſchneiden zu laſſen; über meine ab - geriſſene Kleidung ſagte ſie nichts, ſondern ihr Auge klagte nur darüber. Der ſchöne Thee, die reinliche, feine Zurüſtung nahmen mich mehr als alles Andere in Beſchlag, es kam mir wieder eine leichte Wärme in Herz und Sinne.

Als uns Julie verließ, ſprach Conſtantin: Wun - dern Sie ſich nicht über meine Kälte, ich habe keine andere Aeußerung mehr, aber Jhr Eintritt in mein Haus bewegt mich eigentlich ſehr, und wenn ich in mein erſtarrtes Herz noch einen kleinen Zugang hätte, ſo würde ich Dich willkommen heißen. Daß Du Dich zu mir wendeſt, der Dein Elend geſchaffen, iſt eine Größe Deines Herzens, die mein Verſtand wohl anerkennt. Laß Dich’s nicht irren, wenn Du etwas Aehnliches nicht wieder von mir hörſt.

Jch blieb allein. Siey, mein Herz iſt groß, weil ich kein Nachtlager hatte und die letzte Zuflucht ergriff!

Jn einem Gartenſalon habe ich die letzten Tage verlebt, und mehr und mehr bin ich zu mir ge -175 kommen, und werde allmaͤhlig wieder Menſch. Con - ſtantin und ſeine Frau ſehe ich wenig, ſie kommt nur zuweilen in den Garten, wo es zu knospen anfaͤngt, und wir ſprechen dann ein Paar Worte miteinander.

Sonſt laufe ich viel umher, in’s Freie hinaus, es iſt mir, als wenn ich dadurch von Tag zu Tage waͤrmer wuͤrde. Die Zettel an Dich habe ich jetzt abgeſchrieben, und ich ſchicke Dir den Pack nach Bruͤſſel, wo Du ſein ſollſt. Wer haͤtte gedacht, daß es doch noch an Dich kommen wuͤrde!

[176]

5. Valerius an Hippolyt.

Es wird mir taͤglich beſſer, vielleicht, weil der Fruͤhling draußen immer waͤrmer und voller wird. Denke, es iſt mir ſchon wieder ein Lied aus dem Herzen gewachſen, nun wird Alles wieder gut wer - den, da iſt es:

Es iſt ein Regen gefallen
Jn erſter Fruͤhlingsnacht,
Nun draͤngen und treiben und wallen
Die Kraͤfte mit aller Macht,
Die Keime in bunter Pracht.
Junggruͤn ſpringt auf den Zweigen
Mit der Sonne hin und her,
Kein Strauch kann’s mehr verſchweigen,
Kein Herz, ſei’s noch ſo ſchwer,
Kein Herz, ſei’s noch ſo leer.
177
Kein Auge kann’s verbergen,
Daß ja, wer’s nennen koͤnnt!
Der Herrgott ſteigt von den Bergen,
Ueber’s Thal die Ahnung rennt:
Neuer Anfang kommt, neues End!

Entſetzlich! Jch nahm das Lied mit hinauf zu Conſtantin, und las es ihnen beim Kaffee vor. Sie waren Beide eine lange Zeit ganz ſtill, dann ſagte Conſtantin: Beneidenswerther Menſch, Deinem Herzen kommt alles Blut, alle Waͤrme, alle Kraft wieder, Theil zu nehmen und zu Julie ſetzte er hinzu: wir bleiben allein verdammt. Sprich!

Was ſoll das Unterſuchen! ſagte ſie, wir gehen weiter

Wozu?

Hm!

Darauf winkte er ihr, und ſie gingen in’s Ne - benzimmer Julie iſt wunderbar ſchoͤn und voll - kommen geworden, blendend weiß, das große blaue Auge iſt nur etwas glaͤſern.

Es mochte keine Viertelſtunde vergangen ſein, daß ich allein war, da hoͤrte ich einen ſtarken Schuß8*178im Nebenzimmer, ich ſtuͤrze hinein ſie haben ſich gegenſeitig erſchoſſen, ſich wohl getroffen in’s erſtarrte Herz.

Jch eile von dannen, um nicht wieder den Ker - ker zu ſehn; zunaͤchſt haͤlt man wohl mich fuͤr den rachedurſtigen Moͤrder. Welt, Du biſt ſchwer!

[179]

6. William an Conſtantien.

Jch muß Jhnen, durchlauchtige Frau, einen Vorfall berichten, der ein ſchlagender Beweis dafuͤr iſt, was ich oft gegen Sie behauptet. Der junge Rotuͤrier, der Predigersſohn Valerius, welchen Sie in War - ſchau oͤfter viel zu angelegentlich in Schutz nahmen, hatte endlich, wie das voraus zu ſehen war, ſein Quartier im Gefaͤngniſſe erreicht was iſt mit ſtoͤrſamen Mitgliedern der Geſellſchaft anders anzu - fangen? Sie werfen die Begriffe der Standesſchei - dung willkuͤhrlich durcheinander, und wenn ſie Geiſt haben, wird die Welt nur zu leicht dadurch getaͤuſcht, denn die nothwendigen Unterſchiede ſind einer drei - ſten Jugend immer unbequem. Jhr Einfluß, weil er zu den leicht gereizten Leidenſchaften ſpricht, iſt180 raſcher wirkſam und folgenreich, als die beſonnene Widerlegung, welche ſtets Opfer und Reſignation heiſchen muß, ohne welche keine Geſellſchaft beſtehen kann. Es bleibt alſo gegen ſie nichts uͤbrig, als die Gewalt. Unſere Standesgenoſſen haͤtten nur fruͤher zu bedenken gehabt, was riskirt wurde, wenn ſie den Geiſt in ihre Kreiſe aufnahmen und ihm doch die buͤrgerliche Livrée ließen; England’s Manier mußte ein Beiſpiel ſein: wo der Geiſt aus unteren Regionen eine Geltung erzwingt, dann verſieht man ihn auch mit der Dekoration des hoͤheren Standes, der geiſtreiche Parvenuͤ wird wirklicher Baronet, dadurch iſt das Zerſtoͤrende ſeines Verhaͤltniſſes auf - geloͤſ’t: er konkurrirt dann im Range wirklich mit uns, der ererbte Vortheil, der Vortheil der Geſchichte und des nothwenigen Jnſtituts hat dann nichts Ge - haͤßiges mehr, und ſein nothwendiger Sieg uͤber den Parvenuͤ ſtoͤrt nicht mehr, weil der Kampf auf glei - chem Terrain geſchieht und ſcheinbar mit gleichen Waffen. Jch meine das nicht einmal zum Nach - theile der untern Klaſſen, ſondern nur im Jntereſſe des Staats und der hoͤheren Staͤnde. Ergaͤnzen muͤſſen wir uns, wenn wir mit der Geſchichte be -181 ſtehn wollen, und dies iſt die beſte Art: ſie reizt keine offnen Leidenſchaften, und erhaͤlt das aufrecht, was die Einſicht niemals aufgeben kann, naͤmlich daß die Unterſchiede in der Verſchiedenheit des menſch - lichen Weſens begruͤndet, und in einer geordneten Einrichtung nothwendig ſind.

Bei uns iſt dieſe Anſicht nicht eingefuͤhrt, und nicht herrſchend; es bleibt alſo nichts uͤbrig, als ſolche Subjekte einzuſperren, die man in England zu Baronets machen wuͤrde. Die poſitive Criminal - verfaſſung hat nun nicht genuͤgenden Anhalt zu aus - gedehnter Strafe bei ihm vorgefunden, und man hat ihn vor einigen Tagen entlaſſen, vorausſetzend, die harte Buße werde wohl beſchwichtigt und be - ruhigt haben. Nun ſehen Sie aber einmal deutlich vor Augen, meine gnaͤdigſte Frau, was Sie ſo gern abzuweiſen geneigt waren, ſehen Sie’s an dieſem ſchrecklichen Beiſpiele, wohin der Menſch geraͤth, wenn er die poſitiven Hauptpunkte einer Civiliſation verlaͤßt, und auf eigene dreiſte Hand ein ſittliches Leben improviſiren will. Sie erinnern ſich doch nein, er war nicht ſelbſt in Gruͤnſchloß, aber er war ein Mitglied unſers Dichtervereins, zu dem182 wir uns am Schluß der Univerſitaͤtszeit verbunden hatten. Ein Herr Conſtantin von Muͤller, excen - triſch uͤber die Maaßen, und in der beſten Verirrung zum Jakobinerthum begriffen, war ein’s der Mit - glieder, und beſonders intim mit Valerius; er ver - laͤugnete ſeinen Adel, und ging nach Paris, mit der ſchoͤnſten Abſicht, zu ſeptembriſiren. Dort iſt er zu ſich gekommen, und als Antirevolutionair heim - gekehrt. Seine juriſtiſche Karriere hat ihm hier bald eine gute Stellung gebracht, er war ein ge - meſſener, ſehr ordentlicher und belebter Geſchaͤfts - mann und ein feiner Mann guter Societaͤt gewor - den. Fraͤulein Julie, die Sie aus Gruͤnſchloß kennen, wo ſie vor dem frechen und rohen Hippolyt fluͤchtete, war ſeine Gattin. Man ſagt, Valerius ſei auf Herrn von Muͤllers Veranlaſſung in Haft gebracht und ſtreng gehalten worden. Des Freigelaſſenen Rache wendete ſich alſo gegen dieſen wuͤrdigen Mann, der den Abgeriſſenen noch obenein mildthaͤtig auf - genommen hatte, ja die gemeine Wuth begnuͤgt ſich nicht an dieſem einen Opfer des Haſſes: vorgeſtern erſchießt dieſer Tugendprediger Valerius den Mann und die Frau, und entweicht.

183

Der Bediente hat ihn noch ruhig die Treppe herunter kommen ſehn und die Worte ſagen hoͤren: Lauf nach dem Arzte, die Herrſchaften haben ſich beide entleibt. Natuͤrlich iſt er nachher verſchwunden, und die Steckbriefe verfolgen ihn jetzt.

[184]

7. Valerius an Hippolyt.

Jch bin nach Gruͤnſchloß gegangen; der Graf iſt ſchwach und alt geworden, und er wußte nicht recht, ob er ſich freuen oder verlegen ſein ſollte, da ich eintrat. Ach, wie verwuͤſtet erſcheint mir Alles: der Park iſt verwildert, das Gebaͤude wird ſchadhaft. Alberta hat einen gleichguͤltigen Edelmann geheura - thet, bringt Kinder zur Welt, und ſcheint fuͤr die gewoͤhnlichſten Dinge ihren fruͤher ſo anmuthigen Enthuſiasmus zu verſplittern. Jhre Schoͤnheit ſoll ſehr zuſammengefallen ſein, und daß ich Dir’s nur gerad herausſage, der alte Herr wird mitunter ſo - gar etwas kindiſch; ſeinen barocken Liebhabereien, denen wir fruͤher gern einen elaſtiſchen, ſchwung - haften Geiſt unterlegten, muß doch in jeder Weiſe185 ein tuͤchtiger Mittelpunkt abgegangen ſein. Dadurch wird jetzt auch zur Faſelei, was fruͤher charakter - ſproͤde, intereſſante Kaprice war, und die Leute ver - lachen ihn das iſt doch falſch, jene Zeit mit ihrer Laune war doch in ihrer Art intereſſant, und der Bezug auf den Ausgang mit dem alten Herrn iſt unrichtig. Ach die Welt, die Welt, was wirft ſie Alles durcheinander! Und das Leben in ſeiner ſchonungslos maͤhenden Weiſe, was iſt es ernſthaft! Wie traurig erleb ich’s an mir ſelbſt, auch im Verhaͤltniß zu dieſem Engel Camilla, den ich ver - nichtet habe, ich mag ſie noch ſo ſehr fuͤr einen Engel halten. Sie iſt nicht hier, ſie iſt aus der Welt verſchwunden, kein Menſch weiß das Geringſte von ihr. Da ſieh den Menſchen ganz und gar, indem Du in mein Herz blickeſt: Jn der erſten traurigen Gefaͤngnißzeit hielt ich mich fuͤr gluͤcklich ganz und gar, wenn ich ein ganz kleines, ſtilles Leben mit Camilla fuͤhren, ihr mit eitel Sorgfalt und Liebe danken koͤnnte, was ihr Herz an mir gethan im Gefaͤngniſſe ſelbſt verſchwand dieſes Bild ſchon voͤllig, ganz einſam in der Freiheit wuͤnſch ich doch jetzt nicht einmal, an ihrem Herzen getroͤſtet186 zu ſein, wenn auch nur fuͤr einen Augenblick. Jch moͤchte ihr Gutes und Liebes erweiſen, aber nicht in der Weiſe, wie es der Liebhaber will das nennt die Welt nichtswuͤrdig, ach, die Welt! Wer klaſſifizirt die Gefuͤhle, ohne zu luͤgen! Fuͤr die Rohen, fuͤr die Nichtdenkenden bewahrt Eure Ta - bellen, das ſtarke, kraͤftige Jndividuum verſchont damit, wenn Jhr’s nicht laͤhmen wollt.

Die Dankbarkeit iſt eine Tugend der Geſinnung, ein Herz, das ihre Regung nicht empfindet, iſt frevelhaft, wer ſie im Allgemeinen nicht verlangt, ſtellt die Menſchen einander mit fletſchenden Zaͤhnen gegenuͤber. Die Dankbarkeit, wenn ſie uͤberall ver - langt wird als fragloſe That, iſt eine Laſt, welche die Menſchen und den Fortſchritt zu Boden druͤckt. Die Groͤße kann faſt niemals dankbar ſein, und wenn die Liebe im Boden der Dankbarkeit groß ge - zogen werden ſoll, ſo waͤchſ’t die Luͤge oder die Mittelmaͤßigkeit auf.

Auch Deine Briefe habe ich gefunden Herr des Himmels, ſchicke mir endlich einmal wieder ein Menſchenbild, an dem ich mich laben kann! Menſch, wenn Du nicht eine Welt erobern kannſt, ſo wirſt187 Du ein gemeiner Frevler, weil Du ganz undankbar, ganz ruͤckſichtslos nur Deinen Geluͤſten lebſt. Du mußt ein Napoleon werden, oder man muß Dich todtſchlagen; nur das Außerordentlichſte darf ſo frech, einſeitig und egoiſtiſch ſein.

Der alte Herr hat mir heute einen Steckbrief gewieſen; mit Conſtantin’s Tode geht es mir, wie ich Dir ſagte. Er war ſehr betreten, ob er mich verbergen duͤrfe ich werde morgen in einen Wald gehn, und mit einem Koͤhler Meiler brennen. Und iſt die Welt nicht ſchwer?

[188]

8. Hippolyt an Valerius.

Geſtern hat mir der kleine liebenswuͤrdige Pelagi - aner Folgendes aus ſeinem Bruͤſſeler Leben erzaͤhlt, was er zum Theil noch neben mir angeſponnen hat. Du weißt ſo gut wie ich, daß auf die Wahr - haftigkeit Leopolds kein Sou zu verwetten iſt, das Folgende iſt aber ziemlich allgemein bekannt wor - den, und man beſtaͤtigt mir das Einzelne von vie - len Seiten:

Eine reiche Handelsfrau, Madame Joao faͤhrt bei rauher Witterung durch eine enge Straße in Bruͤſſel; es kommt ein Wagen entgegen, daraus entſteht Verzug. Hinter einen Prellſtein geſchmiegt, ſpaͤrlich von Lumpen bedeckt ſitzt ein kleines Maͤd - chen. Das kleine Weſen, in einem Koͤrbchen Fruͤchte189 zum Verkauf haltend, friert ſehr, und blickt mit ihren wunderbar ſchoͤnen Augen ruͤhrend zu Ma - dame Joao auf. Dieſe fuͤhlt ſich im Jnnerſten betroffen von dem ruͤhrenden Blicke, laͤßt das Kind in den Wagen heben, waͤrmt es, findet ein fein gebautes, reizendes Geſchoͤpf, fragt nach Vater und Mutter deſſelben, faͤhrt dahin, laͤßt ſich das Kind abtreten und verſpricht den Eltern dafuͤr eine jaͤhr - liche Unterſtuͤtzung. Das Maͤdchen heißt Maria, und nimmt ſich in den neuen Kleidern wie ein Engel aus; die wunderbaren Augen, unſchuldig, lieb, bittend, wie man ſie bei Gemſen findet, uͤben den gewinnendſten Zauber auf alle Welt. Haut, Farbe, Formen ſind von zarteſter Feinheit, die Sprache iſt weich, das Verſtaͤndniß zeigt ſich ſehr empfaͤnglich, das Gefuͤhl uͤberaus fein und tief, die kleinſte Erregung deſſelben gießt eine ſchoͤne Roͤthe uͤber das ſonſt ein wenig blaſſe Geſichtchen.

Madame Joao iſt ſehr gluͤcklich in dem neuen Beſitze, es vergehen ein Paar Jahre, ſie laͤßt Ma - rien ſorgfaͤltig unterrichten, dieſe lernt Alles mit Leichtigkeit und gedeiht auf’s beſte. Madame Joao, eine reiche, unabhaͤngige Wittwe in den beſten Jah -190 ren hat einen jungen Schauſpieler zum Hausfreunde, Namens Jaspis, dem ſie ſich ſehr zugethan zeigt, und der taͤglich in’s Haus kommt. Er iſt ein ſchoͤ - ner, feuriger Mann, mit ganzer Seele Schauſpie - ler, und bekundet dies durch lebhaften Vortrag jeder Weiſe, durch dichteriſche Ausdruͤcke, die ihm fuͤr Alles zur Hand ſind. Er macht den tiefſten Eindruck auf die damals zwoͤlfjaͤhrige Maria, ſie ſetzt ſich oft auf die Treppe, damit ſie ihn beim Weggehen ſieht, ſie iſt ungewoͤhnlich bewegt, wenn er ein leichtes, ſcherzendes Wort an ſie richtet, oder wohl gar, wie man mit einem kleinen Maͤdchen zu thun pflegt, ihr die Locken, die Wange ſtrei - chelt. Es vergehen mehrere Jahre, die in der Stille mit aufwachſende Neigung Maria’s wird durch nichts unterbrochen, ſie iſt uͤbergluͤcklich und außer Gewohnheit luſtig, wenn die Tante, Madame Joao, ſie mit in’s Theater nimmt. Eines Nach - mittags beim Kaffee ſagt Herr Jaspis halb ſcher - zend zu ihr, ob ſie nicht Luſt habe, ſelbſt Komoͤdie zu ſpielen, ſie ſei jetzt beinahe funfzehn Jahre, und ein erwachſenes, ſchoͤnes Maͤdchen. Wie ein Blitz - ſtrahl zuͤnden die Worte, Thraͤnen ſtuͤrzen Marien191 aus den Augen, ſie faͤllt der Tante um den Hals und bittet ſie, beſchwoͤrt ſie um Erlaubniß, auf’s Theater zu gehen. Die uͤberraſchte Tante, welche auf die Herzensbewegungen des Maͤdchens nicht ſo ſorgfaͤltig Acht gegeben hatte, ſagt Ja, Maria mel - det ſich, Jaspis ſtudirt ihr ein Paar Rollen ein, das Maͤdchen wogt in Gluͤck und Bewegung, ſie kuͤßt ihm die Hand, man findet, daß ſie eine geborne Schauſpielerin ſei. Sie tritt auf; das wunderbare Maͤdchen, mit dem unwiderſtehlichen tiefſten Aus - drucke des Auges, mit dem feinen, ſchoͤnen Koͤrper, mit den zarten, halb verſchaͤmten, halb herausdraͤn - genden Bewegungen, mit einer Stimme, worin die Seele ſelber klingt, macht Furore. Nun erſt wird Jaspis aufmerkſam, er rechnet Alles zu einander, und ſieht es nun erſt, daß eine tiefe Neigung fuͤr ihn exiſtire. Es ruͤhrt ihn, und bei der naͤchſten Begegnung nimmt er Maria in den Arm, und kuͤßt ſie auf die Stirne das Maͤdchen erbebt und zit - tert am ganzen Leibe. Solche Scene wiederholt ſich im Verlaufe der naͤchſten Zeit noch zwei Mal, Jas - pis ſpricht aber nie ein erklaͤrendes Wort dazu, noch weniger ſpricht er direkt etwas aus, was ein Verhaͤlt -192 niß, ein Buͤndniß wuͤnſchen koͤnnte; die Tante da - gegen, welche irgendwie etwas von dem Zuſtande geahnt haben mochte, warnt Marien ohne Ruͤckhalt vor Jaspis, ſagt, daß er nur zu geneigt ſei, in Taͤndelei mit einem Maͤdchen einzugehen.

Maria wird krank; um dieſe Zeit iſt Leopold im Hauſe der Wittwe eingefuͤhrt worden. Sein ein - ſchmeichelndes, liebenswuͤrdiges Weſen erwirbt ihm das groͤßte Wohlwollen der Wittwe, er uͤberfluͤgelt am Krankenbette der Kleinen mit leichter Muͤhe die materiellen Verſuche der uͤbrigen Aerzte, welche wie gewoͤhnlich nichts als ein koͤrperliches Krankheits - ſchema vor Augen haben. Du weißt, er verſteht es, in myſtiſch poetiſcher Weiſe uͤber das menſchliche Herz zu ſprechen, ihm iſt jederzeit eine ganz char - mante ideale Welt zur Hand, wenn ein ſinniges Frauenzimmer darnach verlangt, kurz, er poetiſirt Marien geſund, und mit der gefaͤllig unterſtuͤtzen - den Wittwe iſt er bald Verlobter des liebenswuͤrdi - gen Maͤdchens. Das geht ſo eine Weile, aber beim Komoͤdienſpiel bleibt die neue Beruͤhrung mit Jas - pis nicht aus; der ſcheint zwar noch immer keine Luſt zu haben nach einem eignen ausgeſprochnen193 Beſitze, aber, wie das in der neidiſchen Menſchen - bruſt immer geht, er will auch die Moͤglichkeit nicht abgeſchnitten, er will auch Maria nicht als Eigenthum eines Andern ſehn. Das alte halbe Verhaͤltniß wacht wieder auf, Leopold, der Wan - delbare, laͤßt ſich mancherlei kleine Seitenwege zu Schulden kommen, die Tante endigt, und ſchickt Maria nach Antwerpen, wo ein Engagement offen iſt, und ſie vom Publikum mit Enthuſiasmus em - pfangen wird. Stuͤrmiſchen, unruhigen Herzens war ſie angekommen, denn am Thore von Bruͤſſel war Jaspis an ihren Wagenſchlag getreten, hatte ihr die Hand hineingeſtreckt, ihr mit weicher Stimme Lebewohl geſagt, und zum erſten Mal wenigſtens die Bitte direkt an ſie gerichtet, keinen Andern zu heurathen.

Aber der Verkehr mit der großen Menge wirft ſeine Nebel auf das Herz, der allgemeine Beifall iſt ein natuͤrlicher Feind der halb Liebenden, Ma - ria gewann eine unbefangene Stimmung, Leopold, der nach Antwerpen kam, und ſich um die Stellung eines Theaterarztes und Theaterdichters bewarb, kam ihr ganz angenehm, ſie unterſtuͤtzte ſein Geſuch, ſieV. 9194verſchaffte ihm den Kontrakt. Er war ſo weich, ſo innig, ſo poetiſch; auch von Lob und Enthuſiasmus umgeben, braucht man ein Herz, was an unſerm Eigenſten, Jnnerſten Theil nimmt. Du weißt, wie verfuͤhreriſch Leopold ſein kann, Maria fuͤhlte in Ant - werpen mehr als in Bruͤſſel, wie viel Mißliches das Alleinſtehen eines Maͤdchens hat, Jaspis ließ nicht das Mindeſte von ſich hoͤren, kurz, er eroberte ihre Hand, und ein tuͤchtiges, herzliches Wohl - wollen mit ihr. Sie umarmte ihn oft ploͤtzlich mit den Worten: Du biſt doch mein herziger, lieber Mann. So ging’s eine Zeitlang auf’s beſte, da plagt den Kleinen die alte Sucht nach Bewegung und Unruhe, eine beißende Kritik ſaͤmmtlicher Schau - ſpieler drucken zu laſſen, dieſe erklaͤren alleſammt und geharniſcht der Direktion, nicht mehr aufzu - treten, wenn Leopold in Verbindung mit dem Thea - ter bliebe. Sie muß ſich zur Entlaſſung Leopolds entſchließen. Maria ſendet natuͤrlich auch die ihrige, und alle Welt erwartet, dieſer enthuſiaſtiſch geliebte Liebling des Publikums koͤnne nicht entlaſſen wer - den, die Direktion iſt in groͤßter Verlegenheit, aber die Schauſpieler beſtehen energiſch auf ihrem Ent -195 ſchluſſe, es wird auch Marien die Entlaſſung zuge - ſchickt. Nun ſammeln ſich die Freunde des Paares, die aͤußerſt zahlreich ſind, der groͤßte Theil des Theaterpublikums, was ſie vergoͤtterte, ſchließt ſich ihnen an, man ſetzt feſt, daß jede Schauſpielerin, die in einer Rolle Mariens auftrcten wuͤrde, aus - gepfiffen ſein ſolle, man bringt Marien Nachtmu - ſiken und Vivats, und erwartet ungeduldig den Tag, wo eine Rolle Mariens dran kommen werde. Die Direktion iſt klug genug, den ſo weit als moͤg - lich hinauszuſchieben, unterdeß erkaltete das Jnter - eſſe, gegen die uͤbertreibende Theilnahme bildet ſich wie immer eine nuͤchterne Oppoſition, der Abend kommt, die Nachfolgerin Mariens wird mit dem beſten Beifalle aufgenommen.

Dieſe Rohheit, welche in jeder Maſſe liegt, trifft Mariens Herz wie ein Dolch; ſie treibt zur Abreiſe, ſie fuͤhlt ſich verlaſſen, das Ungluͤck fuͤhrt ſie nach Bruͤſſel zuruͤck. Die Tante troͤſtet auf’s beſte, und warnt vor dem Theater, aber Marie kann es nicht entbehren, die uͤbrige Welt iſt ihr zu proſaiſch, nur auf den Brettern findet ſie Nah - rung fuͤr ihre ideale Sehnſucht. Jaspis hat ſich196 unterdeſſen ebenfalls verheurathet, bleich, ſchwer - muͤthig tritt er ihr entgegen, aber durch den Nebel glaubt ſie die alte verborgne Zaͤrtlichkeit zu ſehen. Eines Abends ergriff er ihre Hand, bedeckt ſie mit Kuͤſſen, und ſagt: Marie, wir ſind beide ungluͤcklich!

Marie faͤllt in Ohnmacht; ſie muß nach Hauſe gebracht werden; und von der Stunde an hat ſie ihr Lager nicht mehr verlaſſen, es entwickelt ſich eine Herzkrankheit, an welcher ſie ſtirbt.

Das ſind Eure klaͤglich halben Zuſtaͤnde und Verlangniſſe. Leopold ſagt, er ſei lange beſinnungs - los geweſen vor Schmerz, jetzt hat er’s lange ver - geſſen, und erzaͤhlt die Sache ſeiner kurzen Ver - heirathung wie eine Novelle ſonſtwoher.

[197]

9. Hippolyt an Valerius.

Aus London.

Jch habe Paris verlaſſen, weil es mich langweilte: fuͤr’s gewoͤhnliche Leben iſt faſt Alles erlaubt, es reizt kein Widerſtand, und doch lockt auch keine ungewoͤhnliche Kraft, wo ſie ſich aber erhebt, wird ſie Fratze. Es reizt auch kein Widerſtand bei den Weibern, ſie ſind munter und gefaͤllig ohne Nach - denken, und bleiben auch in der Liebe koquett. Die deutſchen Weiber haben mich verwoͤhnt. Es iſt hier Alles Kaprice, eigentlich auch die Politik, das Volk iſt viel zu geſellig und zu gefallſuͤchtig, um eine dauernde Tuͤchtigkeit in ſich und in einer Form zu erzeugen. Man muß nach Paris nur auf Beſuch gehn, dann iſt es amuͤſant, in der Laͤnge ſieht198 all der Wechſel, die Strebſamkeit wie Taͤndelei aus. Die Leute mag’s wundern, Dich nicht, der Du mich wirklich kennſt, daß ich ſo abfaͤllig uͤber Frankreich rede; ja wohl, das Meiſte von unſern Wuͤnſchen iſt hier leicht gemacht oder gar verwirk - licht, aber das Element, aus welchem hier Alles entſteht, in welchem es herumſpielt, kann mir nicht zuſagen. Man muß nicht in die Kuͤche gehn, und die Spaͤße der Koͤche anhoͤren und anſehn, wenn Einem das Eſſen ſchmecken ſoll. Meine Wuͤnſche, meine Plaͤne, meine Anſichten von Staat und Leben, ſie quellen aus tiefer, ſtarker Leidenſchaft ’s mag wohl ſein, daß ich die Welt daruͤber mißbrauche, und am End zu Grunde geh aber die fran - zoͤſiſchen quellen aus der Leidenſchaftlichkeit, das iſt nicht mein Geſchmack.

Jch bin zu den Republikanern gegangen, da fand ich allerdings Haß und Zorn und ſtolze Wuth gegen die Unlauterkeit der Herrſchenden, welchen die Stelle, das Amt, die Auszeichnung kaͤuflich und feil iſt fuͤr dies oder jenes Beſſere, fuͤr eine Ueber - zeugung, fuͤr ein wuͤrdiges Verhaͤltniß, was ſie ſpielend in den Kauf geben. Aber der Haß war199 auch ſehr mit Deklamation verbraͤmt, war un - ſchoͤpferiſch, und das eigentliche Leben der Leute war in kleinerem Verhaͤltniſſe entweder ebenſo wie das getadelte, oder es war gegen allen Reichthum der Welt cyniſch nichts feſſelte mich.

Jch mag oberflaͤchlich geblieben ſein, weil meine Liebhabereien und Avantuͤren wie gewoͤhnlich meine Zeit in Beſchlag nahmen, dies mag ein Grund ſein, daß ich immerwaͤhrend eine deutſche Anekdote auf der Zunge behielt, die mir allen Geſchmack verlei - dete: Ein deutſcher Profeſſor zerkaut in einer politi - ſchen Unterhaltung die Zeitung, welche er in der Hand haͤlt, man will endlich etwas nachſehn, und der Gegner ſagt entruͤſtet: Herr, Sie haben ja die Zeitung gefreſſen Drum, erwidert dieſer, drum ſchmeckte mir’s ſo nach Papier.

Es ſchmeckt hier Alles nach dem Journalpapier. Die Kammern haben ſich uͤberlebt, es ſind nur ein Paar wirkliche, urſpruͤngliche Potenzen uͤbrig, das iſt zuerſt Ludwig Philipp, und dann ſind’s ein Paar Schriftſteller, die freilich auf den traurigen Aus - druck durch die Feder angewieſen ſind. Wenn man lange ſchreibt, ſo wird die Feder entweder durch200 das Einerlei, oder die viele, nothwendige Wendung unmaͤchtig fuͤr den Zeitgenoſſen, ihre Kraft erwacht erſt wieder fuͤr den Enkel. So iſt’s mit Lamen - nais, den ich im Sinn habe, der eine daͤmoniſche Potenz iſt; hierher gehoͤrt dann die Dudevant auch, der herzlich aufrichtige, liebenswuͤrdig beſchraͤnkte Beranger, und der lautre, naive Nodier. Andere haben mehr Geiſt und Talent, aber ſie ſind der Urſpruͤnglichkeit zu weit abgewendet, und tief in den Feſſeln von Ziererei und Manier.

Bei aller Wichtigkeit, die ich Frankreich fuͤr die Weltgeſchichte zuerkennen muß, bei der gebieteriſchen Wichtigkeit, daß es der Mittelpunkt europaͤiſcher Bewegung iſt, kam ich doch von dem Gedanken nicht los, dies Volk ſei eigentlich der Schalksnarr unſrer Weltregierung, des Herrgotts Komoͤdienhaus. Wenn die Franzoſen ſelbſt zum Schaffot oder in die Kugeln rennen oder geſchleppt werden, ſo tritt mir doch auch der Harlekin vor die Seele, welcher in der Tollheit auch das Aergſte thut und mit ſich thun laͤßt, der Don Juan, welchen nur zum Er - goͤtzen des Parterres, und weil er ein Paar Weiber verfuͤhrt hat, der Teufel ſo lange holt, bis der201 Vorhang gefallen iſt. Jch habe ſchon daran ge - dacht, ob nicht alle die todten Franzoſen, die ſeit Anno 91 auf der Buͤhne geſtorben ſind, nur fuͤr ein Schauſpiel agirt haben, und alle noch leben, und an einem ſchoͤnen Sonntage mit Blumenſtraͤußen und Kothurnſchritten daſtehn auf dem Marsfelde, wo ihnen die Bewunderung Europa’s angratulirt wird.

Bei dieſer Verhoͤhnung aller Jlluſion muß ich dem Volke unrecht thun und es muß mich lang - weilen.

So kam mein letzter Abend; ich muß Dir ge - ſtehn, daß ich bei Weibern und Maͤnnern nicht mehr fuͤr ſo friſch und intereſſant gelte, als da ich mit Conſtantie hier war, das ſtoͤrt natuͤrlich meine Eitelkeit, ich knirſche gegen die Welt, welche altert, und bin nicht ſo unbefangen wie ſonſt. Kurz, eine ſchoͤne Dame aus der vornehmen Welt ließ mich harren, ergab ſich nicht, ich treffe ſie in einer großen Geſellſchaft, ſie iſt ſehr ſchoͤn den Abend, und ich verſuche das Aeußerſte. Ein Bedienter wird nach ihrem Hotel geſchickt, um den Wagen eine Stunde ſpaͤter zu beſtellen, als er beordert war. Als die9*202Geſellſchaft aufbricht, begleite ich ſie in’s Vorzimmer ich war den Abend ſehr ſanft und zuruͤckhaltend geweſen der Diener, die Equipage fehlt, ich haͤnge ihr den Mantel um, und beruͤhre ihre ſchoͤn gewoͤlbten Schultern kaum mit der Fingerſpitze, ſo viel Ueberwindung es mich koſtet. Sie hat naͤmlich die in Paris ungewoͤhnliche Manier, ſehr verſchloſſen, bis an den Hals verhuͤllt, ſich zu kleiden, obwohl man am ſchoͤnen Wuchſe, der vollen Hand, dem weißen, ſchoͤnen Halſe, den Umriſſen unter der feinen Huͤlle ſehen konnte, daß juſt ihre Buͤſte ſehr ſchoͤn ſein muͤſſe. Jch ſage, der Diener warte viel - leicht ungeſchickt am Wagen, ich bringe ſie hin - unter, ihre Equipage fehlt, ſie will kein Aufſehn machen, entſchließt ſich, ſteigt in die meine.

Du magſt denken, daß ich die Situation zu benutzen ſuchte, ſie wehrte, ich wurde ſtuͤrmiſch, das Widerſtrebende lockt am meiſten, ich riß ihr den Kragen von der Achſel, und fand Nacken, Schul - ter, Bruſt voll und duftend vom ſchoͤnſten Leben

Aber, Monſieur, ſagte ſie laͤchelnd, fahren wir doch zu mir nach Hauſe, dort koͤnnen wir ja die Liebkoſung viel bequemer haben. Es geſchah; ſaͤmmt -203 liche Dienerſchaft eilte beſtuͤrzt herbei, und entſchul - digte das Ausbleiben des Wagens mit erhalt’nem Befehle ſie zog den Mantel feſt um die Schul - tern, wendete ſich laͤchelnd zu mir: Jch danke ſehr, Monſieur, fuͤr Jhre Artigkeit, gruͤßen Sie Mar - garita und ſchlafen Sie wohl!

Du ſiehſt, mein Leben geht zu Ende, und ich habe alle Urſache, deſperat zu ſein. Jch kenne keine andere Exiſtenz, als eine vom Gluͤck getragene, vom Genuß beſchwingte, darauf iſt mein Leben geſtellt. Was wollt Jhr von mir, wenn Jhr von Treuloſig - keit redet! ſo lange mein Herz treu iſt, bin ich es auch, Desdemonen waͤre ich’s vielleicht fuͤr immer geweſen, Julien ſicher es hat ſich anders gefuͤgt, ſoll ich die Treue lernen? Jch bin zu alt und zu wild fuͤr die Schule, ich kann ſterben aber nicht darben. Und dies flatterhafte Paris will mich hoͤhnen ich kann Nero begreifen, wie er einer Regung zu Dienſt eine ganze Stadt anzuͤnden laͤßt. Jch hatte keine Zeit, den Kleinen noch einmal in St. Pélagie zu beſuchen, Jeder muß ſelbſt ſehn, wie er ſich hilft, die Welt iſt ein Kampf. Der Junge wird auch langweilig, er hat ſich theoſophiſches Zeug204 in den Kopf geſetzt und myſtiſche Redensarten, wenn er ſo fortfaͤhrt, iſt er in Kurzem fromm.

Und nun bin ich hier, und wie befinde ich mich? Sage mir um Gotteswillen, was habe ich fuͤr eine Jdee von Freiheit? Die britiſche ſoll die freiſte Nation der Erde ſein, und ich werde des Teufels bei dieſer freiſten Nation. Jſt das Alles, daß ich nicht leicht verhaftet werden, daß ich drucken laſſen kann, was ich will, und dergleichen? Jſt das die Freiheit? Kann man in Sachen der Religion und Moral bornirter ſein, als man hier iſt? Die Poeſie des kirchlichen Glaubens haben ſie mit Muͤhe aus - getrieben, wie der Exorciſt einen Geiſt austreibt, und das nothwendige Uebel aller Religionen, den Prieſter, der ſie zum Handwerke macht, haben ſie in allem Pompe und aller Anmaßung beibehalten! Unter einer praͤchtigen Kryſtallkuppel, die mit Gold und Edelſteinen dekorirt iſt, bewahren ſie eine graue, traurige Luft. Und was nicht unter dieſe Kuppel will, die Millionen Diſſenters, welche ſich in Sekten von der biſchoͤflichen Kirche getrennt, ſie ſind eben ſo aſchfarben und traurig. Und fuͤr dieſe phantaſie - entkleideten, mageren Dinge, fuͤr dieſe leidenſchafts -205 loſen oͤden Formeln herrſcht ein tyranniſcher Fana - tismus, wie ihn die Puritaner fuͤr ihr Holz und ihr Leder nur haben konnten. Die Puritaner hatten aber doch wenigſtens den Kampf fuͤr ſich, den Kampf auf Leben und Tod, als Vermittelung zum Fanatis - mus, jetzt erhitzt man ſich foͤrmlich nur fuͤr die duͤrre Ruthe. Und dies iſt Atmoſphaͤre des ganzen Landes, des freiſten Landes von Europa, was mir entgegentritt wie eine große, traurige Dorfſchule, in welcher der abgeſchabte Praͤceptor ſeinen Stock ſchwingt, daß alle Koͤpfe ſcheu und ſtumm nach dem Boden geſenkt werden und kein Laut ſich reget. Ein Sonntag hier in England hat das Anſehn, als ob Bann und Jnterdikt auf der Erde laſtete, furcht - ſame Stille ſchleicht uͤber Straße und Feld und Wald, der Wind erſchreckt, wenn er Blaͤtter bewegt, die truͤbe, neblige Luft kommt zu Hilfe, daß ich meine in Dante’s Hoͤlle zu wandeln und Deine traurigen Gefaͤngnißworte zu hoͤren: Laßt draußen die Hoffnung!

Jſt das jener Gott, welcher die Sonne ge - ſchaffen, den luſtigen Wald, das ſpringende Reh, den jubelnden Vogel, die Schoͤnheit und die Freude?! 206Jehovah, der rachluſtige ſelbſt, war heitrer und ſchoͤner! Und dieſe Nation, welche ſolchergeſtalt das innerſte Leben in eine traurige, dunkle Hoͤhle ver - graͤbt, iſt die freiſte? Wahrlich, mein Bauer im Baſtanthale, der am aͤrgſten Aberglauben ſeines Moͤnches haͤngt, der einem Rey netto und jeder andern Willkuͤhr ohne weiteres untergeben iſt, er lebt in goldener Freiheit neben dieſem gottfurcht - ſamen, gottduͤrftigen Britten! Und dieſe Trauer - atmoſphaͤre eines bornirten Gedankens, welchem ſich aller innere Menſch dahier gebeugt hat, ſie durch - dringt alle hoͤhere Thaͤtigkeit dieſes Volkes. Die Literatur wird nach dem Moralkodex konſtruirt und gerichtet, eine freie Schoͤnheit, eine Schoͤnheit an ſich beſteht gar nicht; dieſe alten Großmuͤtter mit Hornbrillen, dieſe reviews kritiſiren in einer Alt - klugheit, daß jedem Kuͤnſtler die Haare zu Berg ſtehen muͤſſen; der eigentliche Britte, der nicht in - konſequent den Kreis ſeines Landes verlaͤßt, darf kein Gemaͤlde, keine Statue mit Wohlgefallen an - ſchaun. Titians Fleiſch iſt gegen die Moral, der borgheſiſche Fechter iſt gegen den moraliſchen An - ſtand, darum leiſtet auch dies Volk in der bildenden207 Kunſt nichts, gar nichts. Denn die Liebhabereien Einzelner, die mitunter koloſſal erſcheinen, weil man ſehr reich iſt, ſind Einzelnes, das eigentlich Natio - nale hat damit nichts zu ſchaffen. Und wer in der Bildung frei und unbefangen geworden iſt, der wird im Parlamente wie eben ein Anderer in den mora - liſchen und religioͤſen Jargon einſtimmen, weil er ſich fuͤrchtet, fuͤrchtet theils vor den bornirten Ge - noſſen, theils vor dem Volke ſelbſt. Er wagt es nicht, dafuͤr einen Schritt zu thun, daß dies Volk ſelbſt einmal uͤber ſeine niedrigen hoͤlzernen Kirch - ſtuͤhle hinwegſaͤhe, und ſo haͤlt ſich das freiſte Volk mit gelaͤufiger Formel in aͤrgſter Sklaverei des bor - nirten Gedankens. Sie haben Shakeſpeare ignorirt, bis ſie Garrik mit eminentem Talente dazu verfuͤhrt hat, und waͤre das rein Engliſche nicht ſo allge - waltig im großen William ausgepraͤgt, wir wuͤrden wunderliche Dinge hoͤren; jedenfalls iſt dieſer eng - liſche Dichter in Teutſchland bergehoch groͤßer und richtiger gewuͤrdigt als in England. Sie haben Shelley ausgeſtoßen und in den Tod gejagt, ſie haben Byron zu Tode gemartert das iſt das freie England. Ordinaire buͤrgerliche Verwaltung,208 darin ſind dieſe guten Leute und ſchlechten Muſikan - ten zu Hauſe, darin ſind ſie unbefangen, dreiſt und frei wie kein Volk auf der Welt, darauf haben ſie ſich eben beſchraͤnkt, auf dies Naͤchſte, Hausbackene, dafuͤr und fuͤr alle Entwickelung der Art ſeien ſie Euch vorſichtiger Schritt fuͤr Schritt weiter Tap - penden meinethalben ein Beiſpiel. Mir ſind ſie unausſtehlich, mich intereſſirt das große Gedicht der Freiheit und Schoͤnheit, nicht das ABC derſelben; ich kann leſen und ſingen von der Groͤße und Luſt des Menſchen, und will nicht warten, bis es Mil - lionen beſchraͤnkten Volkes auch gelernt haben.

Und nun dieſe Luͤge bei aller Pruͤderie und Moral! Dieſe Eroberungen Englands in andern Welttheilen, dieſe unmoraliſchen Anſpruͤche, mit Blut, mit Stroͤmen Bluts verfochtenen Anſpruͤche auf America, dieſe ganze auswaͤrtige Politik des allertrivialſten kaufmaͤnniſchen Vortheils mit laͤcheln - der Hintanſetzung alles Princips, verwuͤnſcht ſei’ſt Du heuchleriſches, puritaniſches Albion, meiner Seele ein Graͤuel! Jch hatte es vergeſſen, daß Du den gewaltigen Napoleon aͤcht puritaniſch in’s Grab ge - aͤrgert haſt, daß Hudſon Lowe dein Sohn iſt, daß209 Deine Groͤße ordinairer Egoismus war fuͤr und fuͤr o, fort mit der Feder!

Du ſagteſt einmal zu mir, ich muͤſſe gar nicht uͤber Nationen und deren Freiheit reden, denn ich haßte im Grunde jedes Geſetz, weil es genire, ich wollte Zuͤgelloſigkeit meinethalben! Warum geni - ren all Eure Geſetze? Warum iſt mit mir kein Staat moͤglich? Warum ſeid Jhr ſo arm! Er - findet! Erſt wenn Jhr Einen habt auch fuͤr den aͤrgſten Unband, dann will ich Euch preiſen, dann ſeid Jhr wirklich civiliſirt. Die weiteſte Foͤrderung muß in den Staat aufgenommen ſein, nicht blos die kleinſte.

Ach, Valerius, wie ſprech ich’s aus? Jch werde immer ungeduldiger, immer zorniger; haͤtten nur all die Hinderniſſe, die mich beengen, einen Schaͤdel, und waͤre er von Eiſen, ich rennte dagegen, wenn auch der meinige zerſchellt wuͤrde, ſo ingrimmig werd ich Tag um Tag. Jch tobe, daß ich nur immer Einzelnheiten faſſen kann.

[210]

10. Hippolyt an Valerius.

Meine Unzufriedenheit mit England ſchließt jedoch meine bereitwilligſte Anerkenntniß der einzelnen Eng - laͤnder nicht aus. Jch finde die Perſonen von einer außerordentlichen Tuͤchtigkeit und Potenz, ich habe nie ſolche feſte, in Muth, Charakter und Kuͤhnheit gehaͤrtete Menſchen geſehn, oder richtiger bei ge - nauer Betrachtung erkannt als hier. Dieſe dichten, gefeſteten, ſtaͤhlernen Jnnerlichkeiten, Herr des Him - mels, welch ein Reich der Titanengewalt haͤtten ſie aus dieſen Jnſeln gemacht, waͤre die Nation nicht eine kaufmaͤnniſche geworden der Kaufmann iſt und bleibt ein geborener Feind des Poetiſchen, des Genialen unſrer traditionellen Jlluſion, der Genius unſers romantiſchen Wunſches hat niemals Prozente211 geſucht und Wechſel ausgeſtellt. Die Englaͤnder haben aus dem Handel das Groͤßte gemacht, was daraus zu machen iſt, ſie haben ein Netz uͤber alle Erdtheile und alle Oceane geworfen, aber der Handel ſelbſt iſt ein Erwerb, ein Kramgeſchaͤft, ſei er noch ſo groß, die uneigennuͤtzigen, die grandioſen Bewe - gungen der menſchlichen Seele, die Goͤtter der Menſchheit haben nichts damit zu ſchaffen.

Wenn der Englaͤnder heraustritt aus ſeinem Bannkreiſe der engen Sitte, des engen Glaubens, ſo iſt er auch der großartigſten Frechheit faͤhig. Wer nicht frech ſein kann, der iſt auch ohne Gewalt, das Außerordentliche wird immer den Goͤttern ge - raubt; die Griechen hatten ihren Prometheus, wir nennen es eben darum das Außerordentliche.

So haben die Englaͤnder die Republik erfunden, welche das ſchreckende Beiſpiel eines Koͤnigsſchaffottes gab, die Cromwell mit Krallen zeugen und erziehen half, die England heute noch beſitzt, welche die ganze ſtuͤrmiſche Welt der modernen Politik geweckt hat, und in Albion ſelbſt nur proſaiſch niederge - halten iſt durch ihre Geburt aus dem duͤrren Puri - tanismus, durch ihre Verheirathung an den Kauf -212 mann. Dieſe moderne Republik iſt innerlich die frechſte Forderung, ſie heiſcht Genialitaͤt jedes Ein - zelnen.

So haben die Englaͤnder das Meer bezwungen, ſie haben die tauſend und aber tauſend Lords ge - ſchaffen, deren Jeder die Souverainetaͤt eines Jm - perators in ſich traͤgt, uneingeſchraͤnkter Menſch ſich fuͤhlt ganz und gar.

Sie haben Shakeſpeare gezeugt, der als ordi - nairer Schauſpieler die Poeſie des Univerſums an ſeine Bruſt riß, ſie haben Gibbon gezeugt, der das Chriſtenthum verfluchte, haben Cheſterfield gezeugt, der die Tugend mit der Klugheit zerdruͤckte, Shelley, der Gott laͤugnete mit einem ſanften Herzen, Byron, der die Geſellſchaft ſchlug mit Faͤuſten, welche von Ambra dufteten.

Noch heut findet man Rieſenpotenz im einzel - nen Englaͤnder, noch heut iſt mitten in dieſer Stadt Old Bailey, der Aufenthalt allerfrechſter Gemeinheit, beilaͤufigen Mordes, unbezwungen, London hat ſo viel Freudenmaͤdchen, wie ein deutſches Herzogthum Einwohner, und darunter die ſchoͤnſten und die ge - meinſten der Welt, noch heut findet man in England213 neben dem vernuͤnftig berechnenden Kaufmanne die großmuͤthigſte, erſchuͤtternd unbefangene Anerkennung des Ungeheuren, Theilnahme am Verwegenſten mit einer Rakete bis auf den Mond geſchoſſen zu werden, mach es moͤglich, und ein Englaͤnder klam - mert ſich kaltbluͤtig an Deinen Raketenſtock.

Faͤhndrich, es iſt etwas vom Geſchlechte des Tantalus, das mit den Goͤttern frech verkehrte, im Englaͤnder, was meine ſchlaff werdende Seele, wel - cher nichts Großes mehr zu Hilfe kommen will, wunderbar ſchwellt ich verkehrte mit einigen Lords und Baronets von dieſer Weiſe, und mitunter ſchreit mein alter Menſch noch einmal auf in Jauchzen und Genuͤge.

Jch lege Dir da ein Brieflein Leopolds bei, was er mir mitgeſchickt hat, ſieh zu, wie es Dich anmuthet, mir wird die Faſelei unausſtehlich.

[214]

11. Leopold an Valerius.

Nach langer Zeit druͤcke ich Dir wieder einmal die Hand, mein Liebwertheſter. Jch bin, ſeit wir in Warſchau ſchieden, noch durch manches Lebensver - haͤltniß neben Hippolyt leicht und ohne innere Ge - danken, ohne Beachtung des geheimnißreichen, tief liegenden Menſchen geſchluͤpft, Du weißt, Hippolyt ſchoͤpft ſeinen Geiſt und ſeine Welt nur aus einem ſinnlichen Herzen. Hier hatte ich mich brouillirt, und gerieth nach Ste Pélagie; ein artiger Aufenthalt, der Zerſtreuung bietet und Einſamkeit, wie man’s kann und mag. Es ſitzen Leute hier, die Millionen kommandiren, und ſich zur Bezahlung irgend einer Schuld nicht verpflichtet glauben, das Weltliche hat ja tauſendfache Deutung. Es wird großer Aufwand215 gemacht, ſo lange die Quellen fließen, man trinkt, ſingt, ſpielt, liebt, lacht, man zieht ſich zuruͤck in Beſchaulichkeit und Ernſt. Nach jenem Erſten iſt mir das Zweite geworden, hier unter den fremd redenden Menſchen iſt mir die Jdentitaͤt Gottes und des menſchlichen Gedankens aufgegangen, ich bin ſehr gluͤcklich und beruhigt in mir, ſtill heiter, es weht ein Hauch des Himmels durch meinen Kopf, durch mein Herz. Valerius, Du waͤrſt am Erſten faͤhig und wuͤrdig, dieſes Gluͤckes auch theilhaftig zu werden, des Gluͤckes, was ein Jneinanderleben des Geiſtes und Sinnes dieſer Welt mit dem Geiſt und Sinne hoͤherer Exiſtenz bietet. Jch bin ſehr gluͤcklich, auch die Verſe ſind mir wieder gekommen, ich habe ein großes Gedicht in Kompoſition, wo die Gottheit ſaͤuſelnd uͤber eine Engelſchaar hinſchwebt, die Engel wollen dieſen ewigen Ton wieder geben, um den Herrn der Heerſchaaren zu loben, jeder ver - ſucht’s auf ſeine Weiſe, und ſo entſteht die Muſik in ihrer verſchiedenartigen Aeußerung. Nun fliegen ſie von einander in alle Zeiten, in alle Laͤnder, kehren ein bei dieſem Menſchen, bei jenem, ſchwe - ben des Nachts uͤber den Haͤuptern derſelben und216 ſingen den Herrn; dieſe gluͤcklichen Menſchen ſind dann vom naͤchſten Morgen an die großen Muſiker, welche das traͤumeriſch Vernommene zu feſſeln ſuchen, und der Welt uͤberliefern. So verbreitet ſich der Himmel, die verſchiedenen Apoſtel verſtehen oft ſelbſt nicht die Sprache, welche ſie reden, der Dichter nun deutet ſie, und das thu ich; jeder Walzer iſt die Geſchichte eines Menſchen, der ſich im leichten Sinne zum Ewigen durchſchaukelt; die Symphonie iſt ſchon der Verſuch, ſich einer ganzen Himmelsgegend zu bemaͤchtigen, und der Schluß meines Gedichtes wird dann das große, letzte irdiſche Muſikfeſt, was pro - fane Menſchen das Ende der Welt nennen, da loͤſ’t ſie ſich auf in verſchwebende Harmonie, der Menſch wird Ton, die Sinnesrichtungen entwickeln ſich als Tonarten, der vereinte große Herzſchlag der Menſch - heit wird Takt, das allgemeine Aufgehn in die Gott - heit wird Weltenchorus, jene unendliche, nur von den zarteſten Gemuͤthern geahnte Symphonie der Sphaͤren.

Dies Land hat den Wein erfunden, um aus der irdiſchen Entzuͤckung in die uͤberirdiſche zu ge - langen. Eine junge Graͤfin aus der Champagne, Lilli217 heißt ſie, verſorgt mich mit Champagner. Wir lieben einander wie zwei Kuͤſſe, die ſich unvermuthet im Univerſum begegnen. Jch habe ſie hier in Ste Pélagie gefunden, wohin ſie nach einer ſtillen Klauſe gefluͤchtet war, weil die Welt ihr Fallſtricke legte, und ihre Revenuͤen unvermuthet ausgeblieben waren. Wir haben geſchwaͤrmt und gedichtet und gerungen mit einander vom Aufgange bis zum Niedergange, es iſt endlich ſtill um uns geworden, der Prieſter hat ſeine Weihe uͤber uns geſegnet, ein Verwandter hat die Schulden bezahlt, ſie hat den Staub dieſes Hauſes von ihren Fuͤßen geſchuͤttelt, und ich erwarte jetzt taͤglich, daß ſie auch mir die Palme des Aus - gangs ſenden werde.

Spaͤter.

Es hat ſich ein junger Mann an mich ange - ſchloſſen, der zu denen in Frankreich gehoͤrt, welche die unruhige, haltloſe Welt wieder zu einem religioͤ - ſen Mittelpunkte fuͤhren wollen. Er ſagt, grade die lebhafteſten Kinder der Welt muͤßten zuerſt gewon - nen ſein, weil in ihnen die groͤßte Bewegung, alſoV 10218auch die groͤßte Empfaͤnglichkeit herrſchte; der neue Glaube muͤſſe die Welt mit ihrem Sturm und Drange des ſinnlichen Lebens nicht laͤugnen, ſondern juſt auf den Fittigen derſelben hindurchfuͤhren. Auch meine Frau hat er hier kennen gelernt und ihr ſehr gut gefallen, er geht immer hellblau gekleidet, halb elegant, halb orientaliſch, und in Ste Pélagie haͤlt er ſich nur auf, um Proſelyten zu machen; Geld hat er hinreichend, da er einer großen wohl ver - ſehenen Geſellſchaft angehoͤrt. Wenn ich nicht bald befreit wuͤrde, ſo hat er mir verſprochen, mich aus ſeinen Mitteln zu loͤſen.

Spaͤter.

Der wackre Lichtblaue hat Wort gehalten. Wir ſind ſogleich zu Véry gegangen, und haben gut ge - ſpeiſ’t, dann haben wir mein Manuſkript in die Druckerei ſeiner Geſellſchaft gebracht, dann bin ich nach meiner Frau ausgeweſen. Jener Verwandte war bei ihr, und wollte mich eine Zeit lang nicht in’s Zimmer laſſen unſre Ehe iſt noch ein Ge - heimniß. Lilli war ſehr aufgeraͤumt, obwohl ſie mir219 zu erzaͤhlen hatte, daß ſie um ihre Guͤter in der Champagne betrogen ſei. Sie hat keine Vorurtheile, und hat ſogleich ihre Faͤhigkeiten und Kenntniſſe in Kontribution geſetzt: ſie tanzt und ſingt an einer charmanten Buͤhne und gefaͤllt ſehr. Der Licht - blaue und ich, wir machen Proſelyten unter dem Perſonal.

Spaͤter.

Lilli hat vollkommen Recht: ſie ſagt, das Geld ſei unter Liebenden eine Nebenſache, aber wenn die Liebenden in der großen Welt lebten, ſo ſei es keine Nebenſache, und ich muͤßte mit meinen Talenten auch etwas verdienen. Sie hat mir mit ihrem Verwandten, welcher der vortrefflichſte Pierrot von der Welt iſt, Unterricht gegeben, und ich wirke jetzt ſchon ganz leidlich als kleiner Arleqin. Der Himmelblaue ſagt, in dieſer Weiſe koͤnnte meine Einwirkung auf das Perſonal immer intimer wer - den. Meine Gage iſt noch klein, aber der Direktor meint, wenn ich ſo fortſtrebte, wuͤrde ſie wachſen. Sobald mein Muſikhimmel in Lettern ſteht, ſende220 ich Dir ein Exemplar, die Druckerei ſcheint ſehr langſam zu arbeiten. Jch lege Dir ein Recept bei zu cotelettes à la Dejanira, ſie ſind eine ſuͤperbe Speiſe; denke dabei an mich. Adieu, millionen, myriadenmal Adieu!

[221]

12. Hippolyt an Valerius.

Sie haben hier in England ſo ſtarre Geſetze der Religion und Moral, daß die Ausnahmen nirgends beſſer ſchmecken; und das junge Geſchlecht iſt hungrig und durſtig; das Geſetz iſt einmal der Tod fuͤr alle Jugend, wenn die Wildheit Geſetz waͤre, ich glaube, wir lebten dann des Geſetzes wegen zahm.

Unter dem Kreiſe, mit welchem ich mich in Tollheit herum bewege, zeichnet ſich mir ein Lord Henry aus, von deſſen Landſitz ich Dir ſchreibe. Wir ſind zur Jagd hier und zum Ausruhn von den Muͤhen des Vergnuͤgens uͤber die ſaftgruͤnen weiten Huͤgelflaͤchen jagen wir hin mit dem Mor - genwinde, welcher den Nebel jagt, die langgeſtreckten Pferde weifen dahin, als haͤtten ſie Athem und222 Kraft der Goͤtter; das Wort Gefahr ſpricht Nie - mand aus; wer ſtuͤrzt, moͤge ſich helfen, der Jokey und die Hunde wiſſen auch nichts davon. Der Koͤrper ſtreckt ſich und pruhſtet Friſche in dieſem zehrenden Klima, die Leiber ſind hier lang aufge - ſchoſſen, die Hautfarbe iſt klar und fein und roth behaucht, und es iſt zum erſten Male, daß mir dieſe weißen Menſchen nicht unkraͤftig erſcheinen.

Lord Henry iſt ſolch ein langer ſchmaler Eng - laͤnder mit ſchweigendem laͤnglich engliſchem Geſichte, was ſo ſchoͤne Aehnlichkeit mit dem Kopfe des hie - ſigen Pferdes hat. Er iſt ſtill und verſchloſſen, aber was heraustritt iſt ſo energiſch wie ein don - nernder Windſtoß aus uͤbrigens ruhender Luft, ſei es Meinung, ſei es Empfindung. Das iſt uͤber - haupt ein Wort Eurer Sprache, welches ich liebe, Empfindung; ſtatt deſſen ſprecht Jhr immer von Gefuͤhl; kann ſein, daß ich Gefuͤhl nicht habe, aber Empfindung hab ich. Es ſoll eine vulkaniſche Ver - gangenheit unter Henry’s ſchweigender Oberflaͤche und deren Geſchichte ruhn, wenigſtens erzaͤhlt man ſo; an ihm ſelbſt iſt nichts zu ſpuͤren: wenn er das Beruͤhrende findet, ſo ſteigt der Antheil und Drang223 in ihm auf wie ein kochender, gewaltiger Strudel, wenn der Jokey ein humoriſtiſch Verhaͤltniß trocken ſchildert, ſo lacht er tuͤchtig. Er ſoll zu einer nahen Verwandten in fruͤher Jugend liebend entbrannt ge - weſen ſein, und wie ein Berſerker Alles bei Seit geworfen haben, was im Wege ſtand; donnerndes, blitztreffendes Durcheinander wird da erzaͤhlt das Maͤdchen ſei aus der Welt verſchwunden, Niemand wiſſe wohin.

Jch weiß, daß ich Dir ein Graͤuel bin, wenn ich dieſen Punkt der Verwandtſchaftsliebe anruͤhre; Dir iſt ſie ein Civiliſationsfrevel ich habe nie Empfindungen, deren Urſprung in der Civiliſation ruhte, vielleicht hat ſie kein kraͤftiger Menſch, der nicht auch ſeine Nervenſpitzen bis zur Furcht und Artigkeit erzogen hat, und meine Empfindung fragt nicht darnach, aus welchem Schooße das Weib ſtammt, welches mein Auge liebt, mein Arm begehrt. Was thaten die alten Voͤlker, wo es an Menſchen fehlte? Hatten ſie ſolche Skrupel? O nein, ſelbſt die ſanfteſten nicht. Hat mein Herz nach den Liſten und Tabellen der Uebervoͤlkerung zu fragen? Die Griechen brandmarkten nur die Umarmung der eige -224 nen Mutter, jedes Volk hatte ſeine individuelle Jdio - ſynkraſie, ich, der ich keinem Allgemeinen, alſo auch keinem Volke mich fuͤge und keiner einzelnen Sitte eines ſolchen, ich empfinde keine Jdioſynkraſie, was gehen mich Eure Formeln an! Und ich glaube Lord Henry denkt eben ſo.

Morgen machen wir eine Tour zu Pferde durch die Provinz.

Spaͤter.

Geſtern Vormittag kamen wir an den Ausgang eines Eichenwaldes, die Sonne ſpaltete den Nebel, ein ſtattlich Schloß lag auf dem Huͤgel vor uns, aus der gothiſchen Bauweiſe ſtammend, aber glaͤn - zend erhalten, dahinter donnerte die Meeresbrandung, Lord Henry rief einem Reitknecht zu, vorauszujagen, und einen Beſuch des Lord Roldan zu melden. Dies iſt Henry’s Name nicht, ich ſah ihn fragend an die alte Lady da oben ſagte er haßt meinen Namen und mich, ich hoͤre es gern, wenn ein Todfeind von mir redet, ich ſitze einem ſolchen gern einmal nahe, die Ausſicht von der alten Abtei225 da oben ſoll entzuͤckend ſein, wir reiten eben vor - uͤber, warum ſollen wir nicht ein Stuͤck Rindfleiſch da oben eſſen? Auch ſoll die Lady eine ſchoͤne Tochter haben, man ſagt’s, denn von uns hat ſie Niemand geſehn, die Alte kommt ſeit zehn Jahren nicht nach London.

Wir wurden in die große ſteinerne Halle zu Tiſch gefuͤhrt; ich denke hier fortwaͤhrend Walter Scotts, man ſieht durch hohe Bogenfenſter weit in’s Meer hinaus, ſeitwaͤrts auf gruͤnes oder waldiges Bergufer. Das Schloß ruht von dieſer Seite auf einem Felſen, der ſenkrecht aus dem Meere aufſteigt, das Wogenbrauſen iſt eine Tafelmuſik des ewigen Elements, deſſen Wellen ab und zu gehn zwiſchen den Erdtheilen dieſes Planeten.

Die alte Lady iſt eine hohe, vornehme Frau, hoͤflich wie ein Buch, nicht mehr ſprechend, als die ſtrengſte Cenſur einem Buche erlaubt haͤtte ſie kam allein, wie wir erwartet hatten; wir waren ſehr artig und beſcheiden, und ſprachen uͤber Walter Scott und deſſen Romane. Es iſt reizend, wie viel unbefangen romantiſches Jntereſſe in dieſen Englaͤn - dern lebt, jede erfundene Perſon einer Geſchichte,10*226jedes Wort, was dieſe ſpricht, jede Wendung, welche die Sache nimmt, Alles findet hier den freundlich - ſten Boden, findet und weckt den Reiz einer Ge - ſchichte. Wie arm ſeid Jhr dagegen! Wo nicht ein Lehrgedanke das Faktum, die Schilderung, die Begebenheit unterſtuͤtzt oder gar rechtfertigt, da meint Jhr Unnuͤtzes zu treiben, das Thoͤrichte nennt Jhr Romanhaftes, darum beſitzt Jhr auch den reinen Roman nicht, Jhr ſeid verdorben fuͤr reine, bloße Bilder, die nichts ſein wollen und ſein ſollen als Bilder.

Wir wurden eingeladen, laͤnger zu bleiben. Abends zum Thee erſchien die Tochter: ſchlank, fein gefaͤrbt wie der Pfirſich, mit langen Augenliedern und reichem Haare, zuruͤckhaltend, aber naiv, ernſt - haft, mit aus der Tiefe durchſchlagender Luſtigkeit, kalt, aber mit durchfliegenden Spuren tiefſter Jnnig - keit, ſo iſt Miß Anna.

Spaͤter.

Wir ſind noch immer hier. Lord Henry, der hier Englaͤnder iſt vom Scheitel bis zur Sohle, ge -227 faͤllt der alten Lady ſehr, und Anna gefaͤllt uns beiden, dem Lord außerordentlich. Er ſieht ſcheel dazu, daß ich ſie gern habe, ich lache ſeine Lord - ſchaft aus.

Spaͤter.

Hui! wir haben erfahren, daß noch eine Dame hier iſt, geſtern Abend bei klarer Luft ließen wir uns auf dem Boote in der Brandung herumwerfen, wir ſehen beide ſcharf wie Falken, und entdeckten am Fenſter eine ſchwarz gekleidete Figur, die nicht die Lady, nicht Anna war.

Ohne Weiteres ſagten wir’s, ſo harmlos wie moͤglich, bei unſrer Ruͤckkunft der Lady. Sie ſagte ja, und des Abends erſchien die ſchwarze Dame Henry fuhr vom Seſſel auf; Miß Mary ſchauerte zuſammen, ſie iſt jene Jugendliebe. Die alte Lady ſcheint nichts Sicheres bemerkt zu haben bei dieſer Scene.

Dies ſchwarz gekleidete Maͤdchen macht einen wunberbaren Eindruck, ſie iſt bleich wie Schnee, kaum der Duft rothen Blutes ſchimmert durch dieſe228 bleichen Wangen, durch dieſe weißen Haͤnde. Dunk - les Haar und dunkle Augen heben wie der leben - dige Grundton eines kuͤhnen Schmerzgeſanges die in ſchwarzen Sammt gehuͤllte Figur. Sie iſt kein junges Maͤdchen mehr, feine Zuͤge des Leids ſchwe - ben hin und her durch das zarte Antlitz, aber ſie erhoͤhen die vornehme Tragik der ganzen Erſcheinung, ich moͤchte ſagen: ſie reizen wie das hiſtoriſche Ko - lorit eines Romans.

Du weißt, wie ſehr ich die Jugendfriſche des Weibes allem ſpaͤteren Reize vorziehe, welche ge - fuͤlltes ſchoͤnes Fleiſch gewaͤhren moͤgen, der Trieb iſt mir ein Knabe, der das Wachsthum noch vor Augen hat; die Reife iſt der letzte Schritt vor dem Welken, der Herbſt iſt tragiſch, des Winters Tod lauert ihm auf der Schulter; aus des vollen Leibes lockender Haut ſeh ich die Falte lauſchen, welche der naͤchſte Erbe iſt, und nur von Unerfahrnen nicht geſehen wird. Nur die junge Form hat wirklich zeugende Kraft, geſunde Sehnſucht, aͤchten Drang zeugende, die erfuͤllte Form hat eine Mattigkeit des Beendeten.

229

Dennoch ſehe ich mit einem ſchoͤnen Gefuͤhle dies wunderbare Weib Miß Mary, ich erkenne, daß ein Zauber dahinter ruht, der ſo maͤchtig, vielleicht maͤchtiger ſein kann, als der Zauber junger Sinneswelt, weil eine Atmoſphaͤre darum webt, die etwas haben mag von Kraft des erfahrnen Herzens, von Kraft hiſtoriſcher Welt. Deſſen ward ich deut - lich inne, aber gefaͤhrlich iſt ſie mir doch nicht Du wuͤrdeſt vielleicht ſagen: Das iſt aber Dein Mangel.

Miß Mary ſprach bei jenem erſten Erſcheinen ſehr wenig, und ihre Stimme wankte wie eine un - ſicher angeſchlagne Harfenſaite Henry, der be - herrſchte Englaͤnder, konnte nur muͤhſam den erreg - ten innern Sturm niederhalten.

Spaͤter.

Die Zeit vergeht, es geſchieht aͤußerſt wenig, und doch iſt das Wort Langeweile ganz unbekannt, wir ſind alle tief und raſtlos bewegt, es draͤngen und murmeln tiefe Meeresſtroͤme unter den inner - ſten Raͤumen unſerer Welt, wie ſie in der Wirk - lichkeit unten am Felſenabhange wuͤhlen.

230

Wir ſind alle wie im halben Somnambulismus: die Lady ahnt unklar Gefaͤhrliches, aber ſie weiß nichts und wahrt in keiner Weiſe, und liebt Henry, Anna liebt ihn wahrſcheinlich auch, und uͤber Miß Mary ſchweigt alle Sicherheit. Zuweilen ſah ich eine ploͤtzliche Roͤthe in’s bleiche Antlitz treten, und ich meine ein Wachtfeuer auflodern zu ſehen, was den nahen Todfeind verkuͤndet, dann fliegt ein Schauer uͤber den zarten Leib, wie eine kalte Luft raſch durch den heißen Mittag fliegt.

Das iſt ein daͤmoniſches Verhaͤltniß zu Henry: ich glaube, ſie liebt ihn nicht, ſie wuͤrde eher in meinem Arm weich und gluͤcklich werden, ſo ſagt es mir manchmal ein kleiner Strahl, der hinter ihrem Blicke ruht, und ſelten von einem ſo geuͤb - ten Auge wie das meine zu erkennen iſt, ſo ſagt es mir die elektriſche Kraft, welche ſich aͤußert, wenn ihr ſammtnes Kleid an mich ſtreift, oder gar die ſchoͤnen Finger wie ein Hauch an mich treffen. Jhre Hand iſt wie ein praͤchtig Trauerlied voll melancholiſcher Lockung, was in weiſſe Seide, in koͤſtlichen Stoff gebunden iſt, ein wolluͤſtiger Schmerz lockt aus dieſer weiſſen Hand.

231

Weißt Du es nicht, daß die urſpruͤngliche Neigung Hand und Locke des ſchamhaften Maͤd - chens treibt, fluͤchtig wie ein Gedanke aber wirklich den Geliebten zu beruͤhren? Sie weiß es nicht, un - bekannte Maͤchte thun es.

Aber das daͤmoniſche Verhaͤltniß zu Henry wird nach außen ſtaͤrker ſein, es ſchließt die ſtarken Ket - ten immer feſter um ſie, ſie ſchauert, aber ſie kann ſich nicht wehren, die Haͤnde ſinken, ſie ſtuͤrzt ihm in die Arme, von dem ſie weiß, daß er ihr Ver - derber. Du wirſt es ſehn.

Und Henry! Demſelben Daͤmon iſt er unter - worfen, und ein eben ſo ſchlimmer, der engliſche Eigenſinn, eine Macht uͤber Tod und Moͤglichkeit hinaus, ſchließt ſich an, und macht das tolle Ver - haͤltniß zum Verhaͤngniß Henry liebt offenbar mit aller ſinnlichen Liebesneigung und Gluth Miß Anna, er iſt bezaubert von ihr, aber er ſchlaͤgt die Fauſt darauf, daß es ihn ſelber zum Aeußerſten ſchmerzt, und ſtrebt nach Mary, durchaus nach Mary.

232

Spaͤter.

Es iſt ganz ſo, wie ich ſagte: er liebt Anna, aber er will Mary beſitzen, durchaus, und ſollt er ſie aus den Wolken reißen.

Wir ſaßen des Morgens an der Fenſterthuͤr des großen Saales, vor welcher ein ſchmaler ſteinerner Sitz uͤber’m Meere haͤngt, und das tief toſende Element gleichſam verhoͤhnt. Mary ſprach mehr als gewoͤhnlich, das heißt ſie ſprach, denn ſonſt ſchweigt ſie meiſtens, das entzuͤckte Anna, denn Anna liebt ſie zaͤrtlich, und verheißt in der Leidenſchaftlichkeit, womit ſie das zuweilen ausdruͤckt, dem geliebten Manne einen Himmel von Feuer und Hingebung. Sie umarmte Mary mehrmals und war viel luſti - ger als ſonſt, die alte, ſtrenge Lady war auch nicht zugegen.

Ploͤtzlich ſtand Lord Roldan auf und fuͤhrte mich auf die Seite, kuͤhl und trocken alſo ſpre - chend: Mein Herr, Sie kokettiren mit den beiden Frauen, die mein ſind, mein ſein ſollen

Beide? fragte ich laͤchelnd.

Herr, Sie erlauben ſich, meiner zu laͤcheln?

234

Jtem, er forderte mich, und gegen Abend be - ſtieg jeder von uns allein ein Boot, Jeder nahm drei wohlgeladene Piſtolen mit, Jeder uͤberließ ſich der ſtuͤrmiſchen Brandung. Verabredet war’s alſo, daß wir auf einander ſchießen wollten, ſo nahe als Jeder im Stande ſei mit Welle und Ruder dem Boote des Anderen zu kommen.

Die Sonne ſchien klar, aber die See ging hoch, die Wellen warfen uns bald nahe aneinander, bald trennten ſie uns weit. Gleichzeitig blitzten die bei - den erſten Schuͤſſe, einen Knall hoͤrte im Wogen - gebrauſe nur Jeder von ſeinem eigenen Piſtol wer getroffen wurde, und des Ruders nicht maͤch - tig blieb, der war unrettbar verloren.

Das Meer ſchleuderte uns auseinander, Keiner wußte, ob die Kugel das Ziel gefunden, ich war unverletzt. Es dauerte lang, eh wir uns deutlich wieder erblickten, Lord Henry griff nach dem Piſtol und zielte wie ich. Die zweiten Schuͤſſe fielen, ich ſah, daß Lord Henry das Ruder entglitt und er in den Raum ſeines Bootes zuruͤckſank, die hoch ge - hende Woge faßte ſein Fahrzeug und ſchleuderte es von dannen. Jch ſtrengte alle Kraͤfte an, um es234 zu erreichen, damit er nicht das Opfer ſeines uͤber - muͤthigen Eigenſinns werde, denn bei aller feind - ſeligen Betroffenheit davon liebe ich dieſe gewaltſame Natur, und ich ſetzte mein eigenes Leben daran, um ſie nicht dem wilden Elemente als Beute zu laſſen. Aber meine Kraͤfte erſchoͤpften ſich, jener Zuſtand der Schwaͤche, der mir ſo verhaßt iſt, trat ein, mein Geiſt ſchlug umſonſt in den unmaͤchtig werdenden Koͤrper hinein da beſchaͤmten mich die Wellen, ſie warfen mir ploͤtzlich Henry’s Boot ent - gegen, ich ſprang mit meinem Ruder hinein, und uͤberließ meinen Kahn dem Meere.

Lord Henry lag blutend am Boden; ich band mein Taſchentuch um die Wunde und legte ihn ſo, wie es am wenigſten ſchmerzhaft zu ſein ſchien.

Wir lachten beide auf um ein Nichts, um eine Kaprice vernichtet der Menſch den anderen! Was ſoll mir aber das Leben, rief Henry, wenn ich nicht damit ſchalten kann, wie es mein wech - ſelnder Wille eben heiſcht; wer fuͤr das Leben ſorgt, der lebt nicht, dem iſt’s eine Buͤrde; was ich bewa - chen muß, das iſt nicht mein, und der eingeſchraͤnkte Beſitz iſt nur einer fuͤr die Knechte.

235

Wir waren nun aber weit in’s Meer hinaus - getrieben, und der Abend fiel dunkel herab, ich arbeitete, daß der Schweiß in Strömen über mich ſtürzte, die Sterne gingen auf, Henry ward todten - ſtill, die Wunde mußte in der kalten Nachtluft heftig ſchmerzen, aber er verrieth es nicht mit einem Laute.

Jch brach zuſammen, als ich das Boot endlich an’s Ufer geworfen hatte, und es blieb mir doch noch die ſchwere Laſt Henry’s, den ich bis an’s Schloß zu tragen hatte. Er ließ es nicht geſchehen, und ſchleppte ſich, auf meine Schulter geſtützt, mit eigner Kraft.

Die Strenge der Umgangsſitten in dieſem Lande drückte ſchwer: Miß Anna verging vor Angſt, den leidenden Henry nicht ſehen, nicht pflegen zu können.

Jch verließ ſein Zimmer nicht, einem Macht - loſen will ich nichts ſtreitig machen, ich ſah Miß Mary mit keinem Auge; wir ſprachen Viel, ſehr Viel, beſonders über die Schwäche der Menſchen.

Als er ſo weit wiederhergeſtellt war, um im Zimmer umherzugehn, ging ich zum erſten Male236 von ihm, um in freier, raſcher Bewegung Luft zu ſchöpfen, ich ließ ein Pferd ſatteln und jagte um - her bis tief in den Abend hinein.

Das hatte die wildeſte Eiferſucht von Neuem in ihm erweckt: ſein Gedanke war, ich könnte bei Miß Mary ſein, er ergreift eine Waffe, und eilt nach den Zimmern der Meerſeite, wo die Mädchen wohnen, er dringt unbemerkt bis an ihre Gemächer, er hört Anna und Mary ſprechen; ſie ſind allein; beruhigt ſchleicht er zurück in den Saal, da hört er vom andern Eingange deſſelben die Lady kom - men, um keinen Preis der Welt will er geſehen ſein, die Thür nach den Zimmern der Mädchen hin iſt noch offen, der Verdacht, die Jndiskretion, dieſer ganze Sittenbruch, ein Engländer empfindet ihn wie eine Todſünde. Aber es iſt kein Ausweg übrig als durch die große Fenſterthür nach dem Meere, ſie iſt einige Ellen hoch von bergendem Holze, hinter welchem man ſich niederkauern kann auf der ſchmalen Steinplatte, die draußen über dem Meere hängt; die Nacht iſt dunkel. Er ergreift haſtig dieſen Ausweg und zieht die Thür leiſe an ſich, ohne ſie in’s Schloß zu werfen, denn wenn237 dies Letztere geſchieht, ſo iſt er ausgeſperrt, ſie iſt nur vom Saale aus zu öffnen.

Jn dem peinlichen Momente, wo die Lady mit einem leuchtenden Diener den Saal entlang kommt, bemerkt er kaum die entſetzliche Situation, auf ſchmalem Raume, ohne Anhalt dicht über dem tiefen Abgrunde zu ſein.

Die Lady kommt bis an die Thür, ſchilt den Diener, daß man das oft Gebotene nicht beachte, daß die Thür nicht geſchloſſen ſei, und drückt ſie feſt ins Schloß der Rückweg iſt ihm abgeſchnit - ten. Die Lady geht in das Nebenzimmer, von Neuem ſcheltend, daß auch dorthin die Thür offen ſei; der Diener betheuert, es ſei Niemand da geweſen.

Das Nebenzimmer iſt der Lady Schlafgemach, die Kammerfrau kommt, um die Herrin zu ent - kleiden, alſo auch die Hoffnung ſchwindet, ein Fen - ſter der Thür einzubrechen, und dadurch den Rück - zug zu gewinnen: das Geräuſch würde die Lady wecken; mit Entſetzen wird er inne, daß auch die Kammerfrau in der Nähe ſchläft. Die Lady dürfte im äußerſten Falle das Mißliche erfahren, niemals aber eine Dienerin.

238

Es wird ſtill im Schloſſe, die Lichter verlöſchen, aber dem reichen, ſtolzen Lord ergeht es hart: Wind und Regen machen ſich auf vom Meere, ſie über - fallen ihn, der ſich vor Froſt kaum noch erhält. Unbeweglich muß er ſtehn denn jetzt hat er ſich wenigſtens aufgerichtet ein feſter Anhalt iſt nir - gends, wie immer zieht die Gefahr wie eine Sirene, der ganze Körper will im wüſten Schwindel nach dem Abgrunde zu, er kommt aus dem Kranken - zimmer und iſt mit Leichtigkeit von Nachtluft, Regen und unbequemer Stellung vernichtet. Er ent - ſchließt ſich, lieber ſelbſt hinabzuſpringen: der ſtolze, freche Lord, der ſonſt die dickſten Taue des Men - ſchenverkehrs ohne Weiteres zerreißt, er iſt von die - ſem Spinnwebfaden der Ehrenſitte dergeſtalt um - rankt, daß er eher ſich, als einen Schatten Anſtand ſeiner Wirthin opfern will. Dies ſind Geheimniſſe ſpecieller Civiliſation.

Jch kam ſpät nach Hauſe, und weil ich kein Licht in Henry’s Zimmer ſah, ſo meinte ich, er ſei zu Bett; es war mir willkommen, nun einmal nach mancher geſtörten Nacht feſt ſchlafen zu kön - nen, ich verriegle die Thür meines Gemachs und239 liege bald im tiefſten Schlummer. Henry’s Reit - knecht ſagte mir am andern Morgen, er habe um - ſonſt gepocht und gelärmt an meiner Thüre, da er ſeinen Herrn vermißt, und bei mir Rath gewollt habe. Jch erinnre mich nur, einen Augenblick er - wacht zu ſein und mich beglückwünſcht zu haben, daß ich bei dem Sturm und Regen, der an die Fenſter ſchlug, im Trocknen und Sicheren ſei.

Die Luſt am Leben, welche allen Geſchöpfen innewohnt, und welche die größten Empfindungen gemacht hat, trieb Lord Henry endlich auch zu einem Entſchluſſe und Verſuche das Piſtol, welches er von ſeinem Zimmer mitgenommen, lag neben ihm auf der Steinplatte, er unternahm noch einmal das Gefährliche, ſich zu bücken, und mit erſtarrter Hand darnach zu greifen. Es gelang, und er ſchoß nun die gute Kugel, welche darin war, mitten in’s Schloß der Thür hinein, um ſie aufzuſprengen, mit einem tüchtigen Rucke in den Saal, und von dort raſch, ehe Jemand in den Weg treten könne, auf den Gang, nach ſeinem Zimmer zu kommen.

Der Schuß verſagte Henry zwang ſeinen Sinn vor ſich ſelbſt zur Ruhe, zum Gleichmuth,240 zog das Gewehr noch einmal langſam auf, drückte noch einmal ab, es knallte und krachte; es gelang.

Natürlich gerieth da oben Alles in Bewegung, man ſtürzte hinzu, man fand das Unerklärliche, man muthmaaßte nach allen Richtungen Henry, um alle dem eine andere Wendung zu geben, warb am nächſten Morgen um die Hand der Miß Anna, entdeckte der Lady ſeinen wahren Namen.

Beſtürzt und erfreut trieb ſie zur augenblickli - chen Reiſe nach London, damit dort die Hochzeit gehalten würde. Beſtürzt war ſie um Mary’s willen, die einſt juſt vor Henry zu ihr gerettet worden war, erfreut war ſie, weil Anna in glühender Liebe für den Lord brannte, weil ihr ſelbſt der Schwie - gerſohn wohl gefiel.

Es war noch nicht Mittag, da fuhren wir alle gen London, ich mußte Henry’s Bitten weichen, ich mußte mit; denn Mary blieb zurück, weder er noch ich hatte ſie wieder geſehn.

Später.

Seit der Zeit ſind Wochen vergangen, das Ehe - paar ſchwelgt in den Flitterwochen, ich konnte das241 charaktervolle Bild Marys nicht vergeſſen und ihre verzauberte Einſamkeit auf der Abtei; in einer Stunde des Gedankens daran warf ich mich auf’s Pferd, und ritt Tag und Nacht, hinaus nach dem Felſenſchloſſe. Jm Walde vor dem Hügel ließ ich das Pferd meinem Burſchen, und eilte hinauf, Niemand begegnete mir, ich kam in den Saal, Mary ſaß am Fenſter und ſchaute in’s Meer hin - aus; das dunkle Haar hing aufgelöſ’t über den bloſen Nacken und das ſchwarze Sammtkleid herab, ſie glich einer Balladenkönigin, und hob ſtaunenden Rufs ihre Arme, da ſie mich ſah.

Das Kleid war ſchwarz, der Leib war weiß,
Die Hand war kalt, das Herz war heiß;
Sie wehrte, rang und küßte

Es giebt Dämonen, die ihre Krallen tief herein ſtrecken in die Welt, glaub mir’s. Sie ſchüttel - ten dies Weib ſelbſt in meinen Armen, ſie gönnten ihr keine Ruhe, kein Glück, in den Träumen rang ſie mit Henry.

Und dieſem erging es ebenſo: von der Seite des liebenden und geliebten Weibes ward er zurV. 11242Nachtzeit getrieben, und er flog nach der Abtei, und als ich nach einem Jagdausfluge von zween Tagen zurückkehrte, da ſtand Mary hinter der offnen Fen - ſterthür des Saales, auf der Steinſchwelle, die über dem Meere hängt, ihr Sammtkleid hing zerriſſen an der einen Schulter, das Haar flog aufgelöſ’t im Winde, ſie ſang Liederverſe Opheliens und mich kannte ſie nicht mehr. Es war grauſig, und ich entfloh zum zweiten Male.

Lord Henry iſt nicht wieder geſehn worden in Alt-England.

Jch habe ſonſt ein fatumhartes Weſen, ich kann arge Dinge ſehn, wie ſie die Menſchen Unglück nennen, und ſehr unbefangen dabei bleiben; für mich hat die Welt ſtarke Nerven, weil ſie ihr mei - ner Meinung nach nothwendig ſind. Wir ſind wie Thiere in den Wald geſetzt, und haben uns unſerer Haut zu wehren. Aber es ſchauerte mich, als ich am Eingange des Eichenwaldes mich noch einmal umwendete, und die verödete Abtei da oben ſah, das zürnende Meer dahinter hörte. Wie lag243 ſie damals ſonnenfröhlich da! Wir haben unſern Fuß hineingeſetzt, und der Dämon iſt auf unſern Schultern gekommen jetzt iſt ſie verwüſtet.

Jch muß der Welt nicht mehr Geſicht zu Ge - ſicht gegenüber ſtehn, denn wo ich hinblicke, richt ich Unglück an, oder helfe es anrichten. Und wo kein Glück mehr iſt, da iſt der Tod, Glück iſt eben das richtige Verhältniß. Jch hab’s verloren pah! ich muß doch weiter.

Mit welcher Mühe entrinn ich der alten Lady, der verzweifelnden, über ungewiſſe Verlaſſenheit hin - ſtarrenden Anna! So jung, ſo roth, ſo lebens - warm, ſo vertrauend, ſo hingebend, ſo ſchön, ſo gut, ſo lieb und ſo vernichtet! Wenn’s mich rührt, Valerius, wie muß es ſein!

Geht’s nicht auch mit mir zu Ende? Jch er - ſchrecke, ich fliehe, ich bedaure wie will das in mein Leben paſſen?

Sie verfolgen mich, dieſe unglücklichen Weiber, ich ſoll ihnen Auskunft geben, oder mit ihnen nach Auskunft ſuchen über Lord Henry.

Die ſtolzen, ſchweigſamen Ladies, dieſe ſchwarz gebundenen Velinbücher, welche die Sitte mit gold -244 nen Spangen verſchließt, mit nördlichem Reife be - haucht, und in denen morgenländiſch glühende Mährchen ruhn, ſie betrachten mich kalt und ſcheu und neugierig. Dieſe Vereinigung im Blicke iſt ächt engliſch. Um ſolcher Welt der Unterſuchung zu entgehen, ſchließ ich mich an die Genoſſen tollen Lebens, ich brauche eine kräftigere Bewegung, als ſie das Nachdenken über unabänderlich Geſchehenes bietet manche Nacht ſprangen wir durch die gaslichten Straßen hinaus in die Nacht, um ein Landhaus zu beſuchen, wo eine fröhliche Wirthſchaft gedeiht. Mädchen aus Afrika, Bajaderen aus Oſt - indien, verſchloßne Amerikanerinnen, verſchleierte Ladies, verlarvte Kinder begegnen uns dort, Prinz Heinz hat reizloſer lüderlich gelebt.

Es iſt ein Mädchen dort, von Allen die Perle genannt, die mich wunderbar feſſelt, obwohl ſie mir niemals ihr Antlitz zeigt; ſie kleidet ſich frei und prächtig wie eine Jndierin, ſie tanzt mit dem Tambourin zum Entzücken, alle Uebrigen haben ihr Antlitz geſehen und nennen ſie ſchön zum Erſtau - nen, alle Uebrigen haben mit ihr geredet und fin - den ſie liebenswürdig zum Berauſchen mir nur245 zeigt ſie ihr Antlitz nicht, mir nur gönnt ſie kein Wort; aber ſie ſucht mich, ſie hört mich, ſie ver - ſtändigt ſich mir durch die reizendſte Pantomine. Perle, Du reitzeſt mich zum Aeußerſten, erhöre mich auch, erfülle den Reiz! Sie ſchüttelt mit dem Kopfe.

Jch jagte heut allein hinaus, und fand die Perle in einem myſtiſch beleuchteten Zimmer, wie es die teutſchen Romanſchreiber gern für Liebes - abenteuer ſchildern. Umſonſt drohte ich, bat ich, flehte ich ſie, den verhüllenden Schleier vom Geſicht zu ziehn, ein Wort zu ſprechen, umſonſt. Aber übrigens war ſie ſanft, war ſie hingebend, wiegte mich in ſüße Verlangniſſe, überſchüttete jene Neu - gier mit Wolluſt. Als ich darein verloren war und ſie verloren glaubte, raffte ich mich auf, und riß ihr den Schleier vom Haupte wen erblickt ich, und was erfuhr ich! Nur ein Moment blieb mir Freiheit, Margaritens ſchönes, aber tödtlich drohendes Antlitz zu ſehen, im nächſten Augenblicke246 hatte ich mit aller Anſtrengung um mein Leben zu kämpfen. Sie hatte behend wie eine Schlange den leichten Shawl ihres Halſes um meinen Nacken geſchürzt, ſie ſchnürte ihn mit aller Kraft zuſam - men, um mich zu erdroſſeln es war ein Rin - gen um Leben und Tod mit einem ſtarken, wüthen - den Mädchen.

Als ich ſie mühſam überwältigt und nach Luft geſchöpft hatte, lag ſie zitternd am Boden, zitternd von der gewaltſamen Anſtrengung und vor Wuth Du haſt mich zur Bajadere gemacht, ſagte ſie mit halb erſtickter Stimme, mache mich auch zur Leiche, oder ich werde Dich verfolgen, bis ich Dich erwürgt habe.

Jch eilte von dannen. Dies ſchreib ich auf einem amerikaniſchen Schiffe, was auf Wind harrt, um die Anker zu lichten. Am Strande, von wo ich in’s Boot ſprang, ſah ich von Neuem Mar - garita, ſie war es ſicherlich, obwohl ein dichter Mantel und Schleier ſie verhüllten, wer könnte ſonſt die Worte ſprechen, die ich deutlich bis auf die kleinſte Sylbe vernahm:

247

Wo Du auch hingehſt, meine Rache wird neben Dir ſein

Verſuch’s, rachluſtig Mädchen, durch den Ocean zu ſchwimmen. Leb wohl, ſanfter Teutſcher!

[248]

13. Valerius an Hippolyt.

Unſere Naturen ſcheiden ſich für immer: Du gibſt auf eine grob ſinnliche Weiſe ſo ganz und gar jedem Gelüſte fraglos nach, daß Dir am Ende gar kein Unterſchied mehr übrig bleibt von dem blos Animaliſchen. Wenn die Bildung nicht eine gemeinſchaftliche Natur wird mit dem, was Sinn und Körper heiſcht und was der einſchränkende und ordnende Geiſt zuläßt oder gebietet, wenn ſich nicht eine Ehe geordneter Art zwiſchen Leib und Seele bewerkſtelligen läßt, dann hinaus mit dem Men - ſchen unter die Thiere des Waldes oder der Wüſte, er überhebt ſich ihrer in keiner andern Weiſe, als daß ſeine Sinne vielleicht noch raffiniren.

249

Möge hie und da ein einzelner Menſch Deiner Gattung übrig bleiben, wie man für Wiſſenſchaft und Kunſt eine Urpflanze, ein Urgeſchöpf aufbewahrt, um ſtets ein ächtes Bild vor ſich zu haben, wor - nach die Ausbildung geregelt werde; möge einem Geiſte wie dem meinigen noch oft eine Erquickung, ein Spekulationswecker aufſtehen in einem Menſchen wie Du, in einem theilnahmsvollen Verhältniſſe, wie zwiſchen uns aber die civiliſirte Welt muß Dich vernichten, wie ganze Gegenden ausziehn, um einen Wolf zu erlegen. Fahre wohl! Jch werde Deiner gedenken, und zwar mit einer Liebe, wie ich ſie vielleicht allein auf der Welt für Dich haben kann, weil ich allein Deine innerlichſte Menſchen - bedeutung erkenne.

Wundre Dich nicht, beklage Dich nicht! Wer keine Beſchränkung duldet, der duldet auch keine Liebe; Du vereinſamſt Dich für Deine Luſt, und ſo wirſt Du auch vereinſamt und vogelfrei für jeden Schützen, der auf Dich zielen will, ſo vereinſamſt Du Dich auch zum Tode. Fahre wohl! Jch ſehe Dich einſam erſchlagen am Meeresſtrande eines fernen Welttheils liegen; Deine zornige Seele ringt ſich11 *250mühevoll vom ſtarken, widerſpenſtigen Leibe, und ſtürzt drohend in’s All hinaus, um ihre Verbindung mit der Gottheit zu ſuchen, ihre unmittelbare Ver - bindung. Armer Hippolytos! Das iſt eben der tragiſche Menſch, daß er nur mittelbar der Gottheit ſich bemächtigen kann, und es iſt wenig Ausſicht vorhanden, daß die Unmittelbarkeit gleich nach dieſem Leben eintreten werde! Armer Hippolytos!

Ja wohl, ja wohl, wir haben uns einſt Alle erhoben für die Freiheit, aber die Freiheit für Civi - liſirte iſt nur ein freies Geſetz; ja wohl haben wir uns erhoben für den wahrhaften, ächten Verkehr zwiſchen den Geſchlechtern und gegen die lügenhafte Ehe, aber nur gegen die lügenhafte; wo in Wahr - heit zwei Weſen in eines aufgehen, da iſt eine Er - füllung des Menſchenthums gewonnen. Was mir eine Geliebte zurief, das bezeichnet für mich den wahren Standpunkt, ſie ſagte: Den verehelichten Perſonen gelte der Kampf, nicht der Ehe.

Haltet die Ehe offen, wie der Herr des Him - mels ſeine Hand offen erhält für den wahrhaft noth - wendigen Wechſel der irdiſchen Welt, den Wechſel von Tag zu Nacht, von Schnee zu Blumen; ſchüt -251 telt die Perſonen, welche durch Lüge mit dem Jn - ſtitute Frevel treiben, ſchützet diejenigen, welche von der Unwahrheit einer Verbindung gefeſſelt und zer - trümmert werden, kämpft gegen und für die Ver - ehelichten, haltet die Thür der Erfindung offen, doch vermengt damit nicht die Ehe ſelbſt.

Aber, iſt Dein Verhältniß zum Weibe etwas anderes als ein Krieg, ein Raubzug? Soll ihn das Weib gut heißen, kann ihn der Mann loben? Du willſt vom Weibe nur die Luſt; das Weib kann aber auch ein Herz geben, eine Ewigkeit darin, und dergleichen willſt Du nicht, weil Du’s nicht brauchen kannſt; Du vernichteſt alſo das Weib.

Fahre wohl! Der Schrecken wird Dich ereilen in der freien Welt Amerika’s. Dort iſt die Frei - heit ein Rechenexempel, und ein ſchlimmeres als das, um deßwillen Du Europa fliehſt. Jn einer durchwirkten alten Welt ſind die Zahlen, dieſer un - poetiſche Behelf, abgeſtumpft, und die Mannigfal - tigkeit entſchädigt für einzelnes Mißfällige dort drüben in der amerikaniſchen Anfänglichkeit ſtehen ſie noch nackt und einzeln da wie ein Pfahlwerk, was die Zeit überkleiden ſoll, und an dieſem Pfahl -252 werke wirſt Du geſpießt. Ein Rechenexempel, ein Pfahlwerk der Freiheit iſt dem poetiſchen Gelüſte viel unerträglicher als eine bekleidete, mit geſchicht - lichem Moos bewachſene Unterthänigkeit: der bloße Begriff iſt ein Recept, die Gewohnheit aber iſt eine Speiſe, und Speiſe braucht der Menſch. Fahre wohl!

Jch bin wirklich von Grünſchloß nächtlicher Weile in’s Gebirg gewandelt, und habe als Kohlen - brenner die Berge durchſtrichen aufwärts und ab - wärts. Hier in einem abgelegenen Thale ſaß ich eines Morgens und labte mich an dem harten, ſchwarzen Brode, das in meinem Schnappſacke zu finden war; die Sonne ſchien, die Vögel ſangen, mein Leib war geſundet und gekräftigt, mit ihm mein Geiſt, ich dachte damals: ei nun, Du biſt ja nicht allein klug in der Welt, ſie wird’s ſo gut machen und beſſer, als Du, laß ſie gewähren, glaube ihr, betrachte, ſinne, dichte von Neuem, aber im Kleinen. Mit der großen Welt biſt Du geſcheitert, verſuch’s mit dem verjüngten Maaßſtabe; harke die Erde, pflanze Kohl, wirke auf den Nachbar, ſuche das Nächſte, wage Dich nur langſam und äußerſt253 vorſichtig mit dem Schluſſe, mit der Forderung in’s Allgemeine.

Da trat ein Bauer zu mir, der aus dem Holze kam, und grüßte mich; er fragte, ob ich feirig ſei, und warb meine Fäuſte und meine Tageszeit. Und zwar für ſeinen Garten, für ſeine Baumſchule, wenn ich dergleichen verſtünde, denn Jhr ſeht mir, meinte er, nicht ſo recht aus wie Feldarbeit. Jch verſtand’s, und es ſchickte ſich gut: es gedieh die Frucht, und des Abends ſchwatzte der Bauer mit mir und ließ ſich erzählen und Rathſchläge geben es erquickte mich, die Macht des Geiſtes zu ſehn, des unbefangenen Geiſtes, wie er ſich abgeſetzt hat in mir durch ſo viel Erfahrung und Gedanken. Es war mir Freude und Genugthuung, einen Erfolg ſolches unparteiiſchen, laß mich ſagen naiven Geiſtes auf den Bauersmann zu ſehn, ich ſprach nicht in Kategorieen, nicht im Jargon unſrer Kultur, und es trat ein wirklich bildendes Verhältniß zwiſchen uns ein was erkannt ich? Ach! Nach beſtimm - ten Zielen rennt man, verfehlt ſie, und läßt die Arme ſinken; man glaubt, umſonſt geſtrebt und ge - wagt zu haben, aber der Zufall macht uns auf -254 merkſam, daß wir zu einem ganz anderen Beſitze gekommen ſind: zwiſchen den Fugen, in denen wir uns bewegt, zwiſchen den Fingern, mit denen wir gerafft und nichts errafft haben, ſind feine Som - merfäden hangen geblieben, Fäden, welche eine Ver - kündigung ſtillen glücklichen Sommers ſind. Die Welt beſiegt man nicht, aber einzelne Leitgedanken, einzelne Weisheit derſelben ſiedeln ſich unſrer Seele an, und ſtatt der Herrſchaft über das Ganze, nach welcher wir ausgezogen ſind in Kampf und Streit, finden wir eine Herrſchaft über uns ſelbſt, einen Aplomb unſrer ſelbſt, eine Entſagung, aus welcher heraus eine Macht und Herrſchaft unſerm Geiſte wächst, größer und dichter, denn alle äußerliche.

Der Bauersmann erzählte ſeinem Herrn, welch einen Gärtner er gewonnen; der Herr kam, ich fand mit Leichtigkeit den höheren, richtigen Bezug zu ihm, ohne ganz meinen Charakter zu verläugnen, ohne das Syſtem aufzugeben, daß mir die Welt noch einmal von der Einzelnheit und von der Re - ſignation aus zu erobern ſei. Jch gefiel auch ihm, die Faſſung, das Verhältniß, in welchem Etwas erſcheint, macht ja Alles; die meiſte Beziehung,255 welche in der Welt exiſtirt, iſt ja in den erſten tauſend Jahren der Welt aufgefunden worden, das Verhältniß, in welches dieſe Beziehungen zu einan - der gebracht werden, dies allein iſt das Neue, das Reizende, iſt die Aufgabe. So war denn der weiſe Gärtner dem Gutsherrn ein Wunder, ich mußte auf’s Schloß, mußte einen großen Theil der Ver - waltung übernehmen; mein Regiment über Obſt - bäume und den Bauer wuchs ſolchergeſtalt reißend, der Schloßherr, jung und wacker, hat es mir nach und nach über ſich ſelbſt eingeräumt, er weiß, daß ich kein Gärtner bin, daß ich eine bewegte Geſchichte habe, aber wir ſchweigen darüber. Die Polizei aus jenem Staate drüben, die mich für den Mörder Conſtantin’s und Julien’s hält, ſoll mich nicht quälen, und ich will deshalb in der Stille bleiben. Dieſem über mir ſchaukelnden Schwerte, was meine Bewegung bannt, ſehe ich ruhig zu; früher aller - dings hätte ich dies nicht vermocht: wer aber reſig - nirt hat, iſt viel ſtärker, als wer Alles beſitzt. Ein Durchreiſender kann mich allerdings erkennen, de - nunciren, aber ich denke, es wird nicht geſchehen.

256

Meine Macht wollte noch weiter hinaus: der Gouverneur des Diſtrikts, von meinem Gutsherrn unterrichtet, ließ ſich mit mir ein, wollte mir ein groß Regiment anvertrauen; ich hab es abgelehnt, weil ich dabei wieder in die Unſicherheit des offnen Meeres geworfen würde, und weil ich fühle, daß meine Kraft und Ruhe doch noch ſehr jung und ſchmächtig iſt; möge ſie höher und breiter und möge ihre Rinde wachſen mit den Jahren! Faſt berauſchte es mich ſchon, wie dieſer Weg des kleinen Schrittes doch ſo raſch und ſicher zu großer Herrſchaft führe; wer noch berauſcht wird, der iſt noch zu jung. Nicht wahr, ich werde ein Philiſter? ’s iſt nicht ſo arg: mancherlei Hoffnung, ſogar mancherlei Ueberſchweng - lichkeit ſchlägt ſchon wieder die Flügel in mir. Wenn ich noch einmal lieben könnte, dann wäre Alles gut; ich fürchte aber, dieſen ſchönſten Keim haben mir die Nachtfröſte verdorben.

Ein ganz verſchwiegen Thal freilich iſt mir die Verſchwiegenheit gar zu wünſchenswerth gewor - den ein Thal mit der Ruhe und warmen Frucht - barkeit des Paradieſes habe ich aufgefunden, dort bau ich mir ein zierlich, heimlich Haus, ich bin257 ſehr gut bezahlt und habe das Geld dazu, es wächst täglich und rundet und ſchließt ſich im freien Schat - ten dunkler Kaſtanienbäume, die für mein Sonnen - herz eine große Spalte nach Morgen offen und frei laſſen. Du glaubſt nicht, was mir das für Freude gewährt, ſolch ein eignes Beſitzthum zu ſchaffen, einen wunderbaren, ganz neuen Reiz. Jſt’s ein Egoismus, o laßt mir die kleine Sünde, ich ſtelle auch keine unbedingten Verlangniſſe mehr an Euch, ich bin nicht mehr kategoriſch, ſeid’s auch nicht gegen mich! Wirklich die größte Freude, Hippolyt! Heute habe ich ſogar eine Spekulation mit gewagt, eine induſtrielle, die ich mit all meiner Erfahrung ausgerechnet habe; Walden, mein Gutsherr, ſagt: Wenn ſie gelingt, ſo ſoll Jhr Gewinn das ganze Thal ſein, wo Sie Jhr Haus bauen, und ich rüſte Jhnen die Beſitzung mit zwei Stück Stammvieh von jeder Sorte aus, von Pferden, von Ochſen, von Kühen, von Schaafen, von Ziegen denke Dir, dann hätte ich eine ganz vollkommene Wirth - ſchaft! Aus dem unglücklichen Weltreformator würde ein beſchränkter Landwirth, deſſen Beſorgniß das Kalben einer Kuh wäre ſpotte zu, ich bin ge -258 ſund beſchäftigt in dieſem Treiben, und die große Welt in mir ſtirbt darüber nicht, o, ſie iſt ſo ge - ſchäftig im Kleinen!

Triumph! es iſt gelungen! Jch bin Herr mei - nes Thales, der Beſitz, ein Wort, was uns bisher immer unbekannt geblieben iſt, rankte ſeine weichen, verführeriſchen Arme um mich, und ſeine Macht iſt um ſo größer, weil ich ihn ſelbſt erworben habe. Das Geſchenk berauſcht, das Erworbene beglückt und feſſelt. Der Regen, welcher vom Himmel fällt, der Sonnenblick, welcher ſich durchdrängt und einen Wechſel verheißt, ſie haben jetzt einen viel wichtigeren Bezug auf mich, ſie wirken zum Gedeihen meiner Frucht, ſie beſtimmen die jedesmalige Anordnung des Geſchäfts, ich gehöre jetzt zur großen Familie Gottes, welcher die Erde zur Verwaltung übergeben iſt. Denen, die draußen ſind, die umherſchweifen loſe über die beſetzte Erde, bleibe die Spekulation, die ſtürmiſche, in’s Allgemeine brauſende, den Ande - ren aber bleibe ungeſtört die nächſte Sorge, die Vertheidigung des Ruhenden aus dieſem Gemiſch259 bilde ſich die Welt weiter; aber es verachte mir keins das Andere. Und kommt man auf meinem Wege zum Eigenthume, ſo entweicht die Spekula - tion nicht, auch dem Ruhenden kreiſet das Blut; aber ſie geht in kleineren Schritten. Trotz dem ar - beitet ſie unabläſſig; laß mir den kleineren Schritt.

Bin ich furchtſam geworden? Du wirſt es ſagen; aber ich habe eine Erfahrung gemacht, die mir einen anderen Gedanken aufdrängt: der Muth läßt ſich nicht als etwas Allgemeines aufſtellen und verlangen, ſo wie das Verdienſt und der Fehler bei jedem Einzelnen ein Eigenes ſind, ſo iſt auch der Muth für jeden Einzelnen ein anderer. Wenn er herausgeht aus der eigenthümlichen Bildung und Anlage des Menſchen, ſo wird er ein forcirter, un - gedeihlicher ich hab’s mit Schrecken eingeſehn. Höre:

Mein Haus und Land waren beſtellt, ich konnte abkommen, beſtieg meinen Klepper, um aus meinem Zauberkreiſe wieder einmal in die Welt hineinzuſehn. Du bau’ſt Dich vielleicht in einen Jrrthum ein,260 ſprach mein Geiſt zu mir, Du befängſt Dich in Abgeſchiedenheit, betrachte raſch die fremde Welt mit einem prüfenden Blicke. Einige Meilen von uns liegt ein Bergſtädtchen, wo ſich viele Straßen kreuzen, mancherlei Fremde zuſammen finden, wo ein reger Menſchenverkehr ſich bewegt dorthin ritt ich, und ſiedelte mich an, um einige Wochen zuzuſchauen.

Wen fand ich dort? Jch trat in eine kleine Geſellſchaft, und an meinen Hals flog Camilla. Die Leute kuckten, ſteckten die Köpfe zu einander, ver - wunderten, fragten ſich. Das arme Mädchen war zu einer Verwandten hierher geflüchtet, und lebte ſtill und anſpruchslos da erſcheine ich, der natür - lichſte Gedanke, daß ich ſie aufgeſucht, fliegt wie ein Frühlingswind durch ihr Herz; ſie fragt nicht, ſie beachtet nicht, ſie liebt, das gute Mädchen!

Du haſt eine Antipathie gegen die Ehe, ſagt ſie; Valerius, widerſprich nicht, ich weiß es, ſie ſoll Dir nicht geſtört werden, ich komme zu Dir als Deine Geliebte, ich will nie mehr ſein, als Deine Geliebte, nimm mich auf! Was kümmert261 mich ſonſt in der Welt als Deine Liebe, laß die Leute reden, lächle doch!

Bin ich furchtſam, den Formen, dem Geklatſch unterworfen? Es ſcheint ſo, denn ich ertrug es nicht, daß man mit Fingern auf uns wies, daß die kläglichſten, ordinairſten Weiber ihren Stuhl weg - rückten, wenn ſich Camilla neben ſie ſetzte; Camilla, ein Engel neben dieſem Troß, Futter für Hebammen ich ſah das Nichts dieſer Geſchöpfe, wußte, daß ſie keinen Begriff davon hätten, was bloße Form, was höhere, innere Wahrheit, was wirkliche Sittlich - keit ſei, ich wußte Alles, aber ich ertrug es nicht. Jch litt Folterqual für Camilla. Sie, die feinfüh - lende empfand es nur zu bald. Eines Abends waren wir in einem öffentlichen Salon, wo ein allgemeines Feſt gefeiert wurde, man ſetzte ſich an eine große Tafel, um zu ſpeiſen, es blieben für uns an einer Ecke zwei Plätze leer, wir gehen darauf zu, eine ordinaire Kaufmannsfrau von der plebejſten Form und Geſinnung ſitzt auf dem angrenzenden Stuhle, ſieht uns kommen, ſteht von ihrem Seſſel auf, legt ihn um, ſetzt ſich auf einen der beiden Plätze, die wir einnehmen wollten. Jch frage höflich, ob ſie262 dieſe Stühle noch beſetzen wolle Ja, erwidert ſie mit lauter Stimme, ich will nicht neben einer Lieb - haberin ſitzen, dazu iſt mir meine Reputation zu lieb. All mein Blut trat mir aus dem Geſicht, in’s Herz zuſammen, ich erinnere mich kaum, je eine ſolche Wuth empfunden zu haben; ich faßte ſie bei der Hand, daß ihr wohl Hören und Sehn, wenigſtens das Schreien vergehen mochte, zog ſie in die Höhe, führte ſie zwei Schritte hinter den Stuhl, und ihr ſagend: Madame, verkaufen Sie Bindfaden, und bleiben Sie unbekümmert um ſonſt etwas, gab ich Camilla die Hand, und wir ſetzten uns. O dieſer Zuſtand! Das ging nun wie ein Rottenfeuer um die Tafel herum, bald lauter, bald leiſer, durchweg mit einem Ausbruch gegen uns drohend; Alles ſah auf uns, ich ſchlang Gift hin - unter mit dem Eſſen, und die Rache, mir ſonſt ſo fremd, ſchrie in mir. Camilla, dieſen Engel, wie kannſt Du ihn rächen an der Brutalität des Packs je fremder dieſe Stimmung in meinem jetzigen Weſen war, deſto verheerender tobte ſie in mir umher.

263

Am andern Morgen war Camilla verſchwunden; der Thorſchreiber hatte ſie mit einem Bündel unter dem Arme bei grauendem Tage fortwandern ſehn; ich ſchickte Boten nach allen Richtungen, ich jagte ſelbſt nach allen Seiten, umſonſt. Und ich wußte obenein, daß ſie mittellos hinausgegangen war in die fremde, feindliche Welt, ich war in Verzweif - lung. Ein Zettel allein auf meinem Nachttiſche war mir geblieben, folgender:

Du haſt nicht das Weſen, Valerius, ein illegales Verhältniß zu ertragen, Du leideſt, Du ſollſt aber glücklich ſein. Jch gehe, folge mir nicht, mein Lieber, es giebt nichts Gutes für Dich, wenn Du mich fändeſt. Meiner herzinnigſten, unverbrüchlichſten Liebe für Zeit und Ewigkeit ſei ganz gewiß; ſuche Dir ein Eheweib, ſie wird Dich beglücken. Du ſchläfſt feſt, während ich dies ſchreibe, ich küſſe Dich noch einmal leiſe, und ſchlucke den Thränen - ſtrom hinunter, damit er Dich nicht wecke; dann geh ich für immer. Bis an meinen264 Tod will ich für Dich beten. Deine, ach, bis in die geheimſte Faſer des Herzens

Deine Camilla.

Wochen ſind vergangen, alle Nachforſchung bleibt vergebens.
[265]

14. Hippolyt an Valerius.

Auf dem Meere.

Der Tag zieht eintönig vorüber, die Nacht mit dem blitzenden Himmel ſteigt einmal wie das andere herauf, langſam und unmerklich entfernen ſich die europäiſchen Sternbilder, das Meer rauſcht und ſtreicht, hebt ſich und fällt einmal wie das andere ich habe ſie gewünſcht, dieſe großen Elementar - Verhältniſſe der Welt, ſie haben mich oft geſtärkt. Auch ſie werden mir einförmig und öde, Du haſt vielleicht recht: ich brauche eine andere Welt, viel - leicht da oben, auf dem roth blinkenden Mars, find ich Genüge, in der Sonne ſelbſt vielleicht find ich Leben. Auch wenn ſie drückt und brennt, und die Menſchen niederwirft, iſt ſie mein Geſtirn, ich binV. 12266daheim, wenn ſie da iſt, ich liebe ſie, ſelbſt die verſengende möcht ich umarmen.

Groll und Galle und Wildheit bleibt in meinem Herzen, auch die Meereseinſamkeit hilft nicht dagegen; das europäiſche Land bleibt in mir liegen, ich ſehe darauf hin, wie auf einen bewegten, ſchwarzen Ameiſenhaufen, es zuckt mir in der Hand, eine hohe Woge zu faſſen und darüber hin zu ſchüt - ten, bis nichts übrig wäre als unbelebter Boden. Die Welt im Ganzen iſt anders gebildet worden, als ich ſie haben möchte. Die Geſchichte hat nur für die Philiſter eine Welt erfunden, eine Civili - ſation, Jhr könnt nicht anders fertig werden, als wenn Millionen gekleidet ſind, Einer wie der Andere, denken, wünſchen, handeln, Einer wie der Andere, die Gleichförmigkeit iſt Euer einziges Mittel des Bei - ſammenlebens ein trauriges, mordendes Mittel. Jch bin überzeugt, daß erſt die unterſte Klaſſe der Erdentwickelung erfüllt iſt, wenn Jhr das klägliche Ziel erreicht, und Alles unter einen Hut, unter eine Decke gebracht habt, dann wird die zweite, die be - deutendere Entwickelung beginnen, nach der ich ſchmachte, die Entwickelung der Mannigfaltigkeit,267 der Tauſend -, der Millionenfaltigkeit. Dann wird Jeder ein eigener Menſch werden, nach ſeinem Ge - ſchmack ſich kleiden, nach ſeiner wirklichen Eigenheit reden, nach ſeinem ächten Herzen thun, ohne daß der in der Einzelnheit ohnmächtige Haufe erſchrickt oder Schaden leidet. Eure Menſchheit iſt eine Ham - melheerde, die gleichmäßig blöckt, dieſer Begriff Menſchheit iſt mein Gräuel; aber ich erlebe keinen neuen, Jhr habt für Jahrhunderte hinaus die Ni - vellirung gepachtet, Jhr revolutionirt gar für die Gleichmacherei, Eure Langeweil gähnt mich an wie das breite Wüſtenmaul der Sahara, über welches zehn arabiſche Pferde mit abwechſelnden Kräften jagen können, ohne ein anderes Ziel zu erjagen als den Tod. Jhr habt das prächtige Wort erfunden Leute Leute! darin liegt Eure Weisheit, Euer Glück! Wer zu den Leuten gerechnet ſein will, der braucht nur einen Körper, eine Naſe, einen Magen und das Gebräuchliche zu haben, das reicht hin, er iſt von den Euren. Der Starke muß ſchwach werden, der Schwache ſtark, was über das Fahrwaſſer hinausgreift, das iſt des Todes heiße Sonne, verkohle mich, ich will268 des Todes ſein, ehe ich in dieſer Mittelmäßigkeit fortvegetire.

Habt Jhr’s nie begriffen, daß es der fürchter - lichſte Vorwurf war, wenn Eure Poeten die Poeſie da ſuchten, wo Jhr nicht wart, wo Eure Welt nicht war? Wenn ſie idealiſirten, eine poetiſche Welt erfanden, und Euch darauf Abonnements - billets verſchafften? Jhr verderbt für Eure Civili - ſation ſo viel Klugheit, daß Jhr Euch ſelbſt in Euren Lumpen nicht mehr erkennt, Abonnement und all die Verwaſchungen nicht mehr verſteht, daß Jhr diejeni - gen Poeten ſcheltet, welche Eure wirkliche Exiſtenz, Eure armſelige Gleichmäßigkeit zur Dichtung erheben. Freßt Staub, wie Eure Muhme, die Schlange!

Darum habt Jhr ſo viel Verbrechen in Eurer Welt, wie in der Erziehung eines höflichen Kauf - mannsſohnes Alles verboten iſt, und nur Einzel - nes ausnahmsweiſe erlaubt wird. Was wißt Jhr vom Verbrechen! Wenn wir deſſen nicht mehr fähig ſind, ſo hören wir auf, Menſchen zu ſein, werden Zahlen und Begriffe. Jn jedem Menſchen liegt jedes Verbrechen, oder er iſt kein vollſtändiger Menſch. Was erreicht Jhr nun mit269 Eurem Katechismus? Das Verbrechen flüchtet ſich in Eure Tugend, denn die Fähigkeit des Verbre - chens iſt die Urkraft, welche Eure Gleichmacherei nicht leiten und richten, ſondern tödten will; das vermögt Jhr nicht, denn Jhr bleibt ſtärker, gött - licher als Jhr es wollt und begreift, die geknebelte Urkraft äußert ſich nun gewaltſam, ſie wird darum Verbrechen, Sie wird Verbrechen, auch wenn ſie zufällig in Euer Geſetz flüchtet, der ſtreng Tugend - hafte iſt ein Verbrecher der Tugend, und richtet mit der Tugend ſein Unheil an.

Das geſchieht, weil Jhr aus den ungeheuren Kräften des Alls lauter kleine Dorfſchulmeiſter machen wollt. Jch habe manch ſanftes und gutes Pferd geſehn, was ſtörriſch und ſchlecht wurde nach wenig Wochen unter Hand und Schenkel eines pedantiſchen, hart-dogmatiſchen Reiters. So trenſet und kandaret Jhr Euch eine verbrecheriſche Tugend zurecht.

Jch hab’s beſchloſſen, mein Fuß betritt den Boden Europa’s nicht mehr; gefallen mir die Yankees nicht, ſo geh ich zu den Rothhäuten der Wälder, dort wird es mir wohlgefallen. Sie haben wenig Kultur, aber darum auch wenig Verdorbene.

270

Nachts, wenn ich auf dem Verdeck umhergehe ſchleicht hinter mir, vor mir, neben mir eine ver - hüllte Geſtalt ich habe nie begriffen, was Jhr mit dem Worte unheimlich ausdrückt, jetzt empfinde ich’s; ich muß mir das vom Halſe ſchaffen! Sie ſchleicht leiſe, faſt unhörbar, dennoch erinnert ſie mich an den ehernen Tritt des Komthurs im Don Juan.

Es ſind einige deutſche Auswanderer auf dem Schiffe; warum wandern ſie aus? Lieber Gott, weil ſie zu viel Kinder für den kleinen Acker haben. Ueber dies ABC der Staatsnoth läßt ſich nichts ſagen; aber es ſind auch einige Robespierrianer mit uns, was wollen dieſe aus der Welt machen? Es iſt ihnen nicht genug, daß gleich gemacht wird, es ſoll auch gleichgeſchlagen werden: das Bäumchen, was etwas größer, der Strauch, welcher etwas niedriger iſt, als man’s eben beliebt, das ſoll ver - tilgt ſein, und ſie hoffen auch, ihre Rechnung in Amerika zu finden. Sie erwarten es, ich erwarte es ach, nein, ich erwarte nichts. Eure Revo - lution iſt noch proſaiſcher als Euer Altes, was ich ſo von ein Paar Probeexemplaren aus Amerika271 ſehe und höre, das grinſ’t mich an mit todtem, gläſernem Auge.

Der Wind ſtreicht friſch aus Europa in unſern Rücken, er iſt meinem Herzen günſtig. Heute morgen ſind wir bei der großen Bank angekommen, welche ſich viele hundert Seemeilen nach Nordnordoſt hinaufzieht, und den Amerikaſeglern Gefahr droht. Es walten hier die dichten Nebel, wir fahren dahin in halber Nacht giebt’s einen einſameren, groß - artigeren Tod? Jn der Dunkelheit mitten im Welt - meere verſchwindet man wie ein Atom. O kläg - licher, kläglicher Zuſtand eines Menſchen! Ein tyranniſcher, weit fordernder, weit greifender Geiſt iſt ihm gegeben, und ein Wechſel des Ortes reicht hin, daß dies Geſchöpf verſchwindet, jach und un - bemerkt!

Betrachte, wie unſere Welt verarmt iſt! Das Mittelalter hatte ſeinen Teufel, ſeinen lieben Teufel, zu welchem die ſogenannte Frechheit flüchtete; die Thorheit und die Klugheit glaubte ihn zu ſehn, er war ein Hilfsmittel, wenn die bekannte Welt mit ihren Gedanken und Kräften nicht mehr zureichen272 wollte, er war eine Brücke in’s Größere, wenn auch eine brennende. Welch eine Anreizung wäre mir das, mich ihm zu verſchreiben? Jhr vergeßt ſolche Verhältniſſe ganz und gar, weil Jhr proſaiſch nivellirt ſeid, Euer Titanenelement verwäſſert habt. Manchmal, wenn es in den dichten Nebeln dieſes Meeres gar nicht Tag werden kann, ſitze ich hier am Borde und ſchrei in die Waſſerewigkeit hinaus, ob es keinen Dämon giebt, der ſich mit mir ein - laſſen will; hier wäre doch wahrlich der Ort für einen wüſten, ſchweifenden Urgeiſt. Verſuch es, in todtenſtiller Nacht und Einſamkeit den Teufel zu rufen, aber direkt in der Volksſprache zu rufen, mit klarer, verſtändlicher Stimme: Teufel, hole mich! Es liegt eine Reizung darin.

Aber die wüſten Waſſer ſchweigen.

Der Kapitain hat Reiſebeſchreibungen, in denen leſe ich. Da finde ich in der einen Folgendes: der Sultan war ein eifrig Gläubiger, und als er nach Jeruſalem kam, und die große Moſchee zum Gottes - dienſte einrichten wollte, wo der alte Salomoniſche Tempel geſtanden, und wo der Chriſt gebetet hatte,273 da ließ er die ganze Moſchee von oben bis unten mit Roſenwaſſer abwaſchen, damit kein Stäubchen übrig ſei, was vom Chriſten verunreinigt wäre.

Von dem, was Jhr religiöſes Moment heißt, mag nichts in mir ſein, denn Jhr ſeid gewohnt, nur das alſo zu nennen, was mit Eurer poſitiven Ueberlieferung, mit der entſagenden, zerknirſchten Demuth verbunden iſt, und mein Bezug zur Gott - heit iſt ein fordernder, ein trotziger, iſt dasjenige, was die Griechen im Prometheus zuſammendichten aber jener Sultan iſt mir recht. Hat man ſich einen Gott charakteriſtiſch gebildet und angekleidet, dann ſoll ihm auch kein Stäubchen vorenthalten ſein.

Aber Euer Glaube iſt nicht gefaßt, nicht ge - ſchloſſen, ſchweift in Erklärungen was iſt ein Glaube, der erklärt wird! Und dazu mögt Jhr Euch noch wundern, daß eine Zeit in Verwirrung umhergeworfen ſei, die weder eine klaſſiſche Religion, noch eben darum einen klaſſiſchen Staat, noch eine klaſſiſche Poeſie hat! Für meinen Blick giebt es nur zwei Seiten des Menſchen, die Pole des Her - zens, und darum zwei Ströme der Welt, um welche ſich Alles bewegt. Das iſt die Selbſtſucht und die12 *274Selbſtaufopferung. Jene hat das ungeheure Alter - thum geſchaffen, dieſe iſt mit dem Chriſtenthume eingetreten, und hat beinahe zweitauſend Jahre Ge - ſchichte erzeugt. Gegen ſie hat ſich ein dreiſter, neuer Geiſt erhoben, der halb von ihr, halb vom Alterthume ſtammt, Philoſophieen haben ſich gebil - det, die auf eignem Fuße ſich erheben, und eine Selbſtſtändigkeit neben der poſitiven Religion in Anſpruch nehmen, als ſelbſtſtändige Staaten mit ihr unterhandeln. Jede ſolche Pyiloſophie iſt un - chriſtlich, auch wenn ſie zu chriſtlichen Reſultaten kommt. Durch ſie iſt der Weltgedanke einer durch - gehenden Selbſtaufopferung erſchüttert, und nun mordet ſich die Größe des andern Princips, der Selbſtſucht, wieder heraus, um neues Element zu bringen, und vielleicht ein neues Dritte zu erzeugen, und dieſer Kampf iſt unſre klägliche Zeit. Um ſo kläglicher, da Niemand mit der getheilten Wahrheit ſeines Herzens offen herausgeht, Jeder ein Geord - netes lügt, um ſich ſelbſt zu beſchönigen. So ſeid Jhr alle beſchränkte Menſchen, weil Jhr furchtſam oder frech abtheilt, Euer Herz hat keinen Muth gegen Euer Gedächtniß, die Beſſeren halten zurück275 wegen der Geſellſchaft, und darüber verlieren ſie ihr Wahres und Großes; ich will mich aber nicht beſchränken, darum werde ich ein Gott oder ein Ungeheuer.

Da meine Geduld und meine Kraft ſchwindet, ſo wird wohl ein Ungeheuer entſtehn, Du magſt Recht haben.

Herrſchen, herrſchen! um dies eine Wort tobt aller Kampf der Welt. Jch wollte lieber ein Meer ſein, als ein ſo großer Ohnmacht ſich bewußter Menſch; das Meer in ſeiner weiten Macht bäumt ſich gegen eindringende Gewalten, heulend und ſchüt - telnd ringt es mit dem Sturme, ſich zerſchellend ſtürzt es an das Geſtein des Landes. Jch aber liege kraftlos auf Brettern und Balken, und wo ich ſei, ich bin preisgegeben.

[276]

15. Valerius an Hippolyt.

Du gehſt zu Grabe, Du gehſt zu Grabe, Genoſſe meiner Jugendzeit! Du haſt Dich allein in den Ocean geworfen, Dein Arm iſt ſtark, Deine Kraft iſt groß, aber wenn der Menſch allein mit den Elementen ringen will, da iſt ihm der Tod gewiß, nur in der Gemeinſchaft iſt der Menſch mächtig; weil er die Geſellſchaft erfunden hat, iſt er Herr der Welt, und Du höhnſt und tödteſt die Geſell - ſchaft. Jch habe Deine letzten Briefe aus England erhalten Deine Tragödie geht zu Ende, Du raffinirſt ſchon mit Tallon und Lord Henry nach Aeuſſerungen des Herzens und Leibes; erinnerſt Du Dich Lothario’s in Wilhelm Meiſter, als er inne wird, daß eine Blutsverwandtſchaft zwiſchen ihm277 und Thereſen ſei, erinnerſt Du Dich, daß er flieht? Mag ſein, daß Andere anders empfinden, daß alles Aehnliche nur ein Civiliſationsgefühl iſt; aber es will als ſolches geachtet ſein, die Civiliſation muß Dich erſchlagen, und wenn’s ſie es nicht thut, ſo werden’s die Rothhäute Amerika’s thun, denn auch ſie ſind eine Geſellſchaft. Wo zwei Geſchöpfe neben einander treten, da entſteht ein Verhältniß, und ein Verhältniß braucht ein Geſetz.

Jch bin traurig bewegt. Hippolyt, Du biſt der letzte, an dem meine Geſchichte, mein Herz, mein Geiſt hängt, Alles, neben dem ich geworden, iſt zerplündert, verwüſtet: Conſtantin erſtarrte und ſchied, William, der uns nie mit Wärme nah getreten war, iſt im kalten Hochmuthe ein einſei - tiger, unbedeutender Herr geworden, in welchem gar keine Welt ſich entwickelt hat, Leopold blieb was er war, ward, was er werden mußte, ein Narr, ſein Ende wird im Spitale ſein, Joel, das ſchöne Herz, ſchachert, weil es die grauſame Welt ſo haben will, die Weiber ſind geſtorben, verdor - ben, zerknickt, Du kämpfeſt den letzten Verzweif - lungskampf mit Leben und Tod ich allein habe278 mich in ein grünes, ſtilles Thal gerettet; aber ich bin auch verarmt; mein Herz iſt nicht erkaltet, aber es hüpft nicht mehr, kein Blick, keine Hoff - nung entzündet es mehr, ich baue mir eine neue Welt, wie traurig iſt das! Die Menſchen, die ich gewinne, wiſſen nichts von meiner untergegan - genen Welt, ſie ſind neu für mich, die kennen nur den kahlen Valerius, der von vorne anfängt, die tauſend Klammern gemeinſchaftlicher Geſchichte feh - len uns, ich bin ein Beſuch. Gott weiß es, wenn man nicht großes Glück hat, ſo iſt das Leben ſchwer, ſchwer.

Und doch bin ich ſtill-heiter, wenn ich nicht Deiner gedenke, wenn ich nicht an Dich ſchreibe.

Mein Beſitzthum gedeiht, die Leute ſuchen mich, mein Haus wächſ’t und ſeine Ecken werden weich ja, Freund, ich geſtehe mir’s ſelbſt, manches Philiſterkorn fängt ſchon an, in mir zu wuchern. Retten will ich, ſo lange ich’s vermag, aber die Urſache, die Urſache iſt ſo herb, und ich fürchte, es iſt ihr nicht mehr abzuhelfen: ich kann nicht mehr lieben! Jene Bewegung und Theilnahme, ohne daß gefragt wurde, warum? jenes Wachsthum279 der Empfindung bei Tage und bei Nacht, dies Friſche, Wogende, dies Heiß und Kalte, dieſe Ueber - raſchung unſrer ſelbſt, dies weit aufgehende, bis zu Thränen aufgehende Herz, der ganze Rauſch eines ſtets intereſſirten Gemüthes, alles, alles dies, es iſt dahin!

Der rauhe Wind des Meeres, die dumpfige Luft des Kerkers, ſie haben das Herz verhärtet und verdumpft, ich muß mühſam erhalten, was ſich gerettet hat, muß mich in’s Kleine ziehn, um aus - zukommen. Warme Thränen fließen mir ſeit lan - ger Zeit auf das Papier, ich weine ſie unſerm Genie, was ſich aufgebröckelt hat an einer feindli - chen Welt.

Das iſt die Welt, ſie führt Alles zum Tode, ſie gab uns das Lächeln, es thut mir wohl. Bin überhaupt viel glücklicher, mein alter Kumpan, als dieſer Brief ausdrückt, ich kann mich nur des Ge - dankens nicht erwehren, daß es der letzte ſei, den ich an Dich ſchreibe. Ueber das weite Weltmeer biſt Du in blut’gem Groll von uns geſchieden man ſchlägt keine Brücke da hinüber.

280

Nimm nun den letzten Strich zu dem Bilde meines Lebens, wie es ſich wohl hier unter Linden und Kaſtanien zu Ende ſpinnen wird denn nach außen iſt auch der letzte Faden, ein Faden der Be - ſorgniß abgeriſſen, den Gerichten nämlich iſt es durch Conſtantin’s Hinterlaſſenſchaft klar geworden, daß er ſelbſt der Thäter war, und ein Mann ge - genüber hat durch’s Fenſter die Kataſtrophe erblickt, aus Scheu vor Criminalien aber lange ſein Zeug - niß zurückgehalten.

Jch bin gelöſ’t von der zornigen Welt, und in den warmen Sommerabenden promenire ich getroſt über den Waldberg, welcher die Grenze bildet. Jen - ſeits der Grenze ſteht ein kleines Jagdſchloß, was hinabſieht in’s weite Land, dort am Fenſter ſteht jeglichen Abend ein Mädchen mit blitzendem Auge, ſie lacht, ſie tollt, iſt witzig und munter, will Ge - ſchichten hören von da und dort, und kann ſtill und weich ſein, man ſollt es nicht glauben.

Der Vater ſagt, wir liebten uns, ich muß zwar den Kopf dazu ſchütteln, aber ich gehe heute Abend wieder hin.

281

So geht alles Sinnen und Trachten der Welt am Ende immer wieder in ein Handdrücken aus, in ein Streicheln der Mädchen-Wange der un - ruhigſte Kopf ruht am Ende aus auf eines Mäd - chens Schooße.

Hippolyt! Bleibt uns Bewußtſein für neue Wel - ten, dann finden wir uns auf ein und demſelben Sterne wieder, wir gehören zuſammen, auch wenn wir entgegengeſetzte Pole geweſen ſind auf dieſer Welt. Stirb wohl! Hippolyt! O wie natürlich iſt der Wunſch eines Menſchen, daß unſre Seele eine Erinnerung, einen Zuſammenhang trüge in neue Zuſtände, wenn der Leib ausgeſpannt wird für im - mer. Was von Gott in uns war, jauchzte ſich dann geläutert entgegen. Hippolyt, ach, ich kann’s nicht in Worte ordnen ſtirb wohl!

[282]

16. Margarita an Valerius.

New York.

Jch habe keinen Auftrag, Jhnen die nachfolgenden Papierſtücke Hippolyts zu ſenden, aber ich weiß, daß er Sie ſtets ſeinen einzigen Freund auf der Welt genannt hat, ich gebe ſie auf das Schiff. Sind die Wellen nicht lüſtern darnach, ſo nehmen Sie dieſe Schlußworte eines gewaltigen Menſchen freund - lich auf.

Fürchterliche Enttäuſchung! O fürchterlich! Mache ſtarr meine Fauſt, Pluto, daß ich dieſes Fratzenbild einer neuen Welt in Scherben ſchlage. Die Freiheit hofft ich zu finden, und finde die283 bettelhafteſte Armuth, und neben ihr noch alle Frech - heit der Armuth. Gold haben ſie und ſuchen ſie, aber kein Leben; aller Reichthum des Menſchen, ſeine Luſt, ſeine Klage, ſein Sehnen, ſein Feind, ſein ewiges Herz, ſein ſchaukelnder Gedanke, ſein Titanengedanke, ſeine Wolluſt, ſeine Verzweiflung, der ganze Roman des Menſchen, um den allein es ſich lohnt, Morgens aufzuſtehen, Abends ſich nie - derzulegen, Alles das haben ſie jenſeits des Meeres gelaſſen, davon ſind ſie frei, das iſt ihre Freiheit. Auch das Thier iſt frei von menſchlicher Sorge oh!

Jetzt fühle ich, was Tod heißt, zum erſten Male in meinem Leben, es iſt ein giftiger Reif auf mein Auge, auf mein Herz gefallen, mein innerſter Kern löſ’t ſich gähnend in Stücke, ich bin träumeriſch, melancholiſch, ich ſchreibe auf ein - zelne Papierſtreifen, ich fliehe die Menſchen, und ſuche die Bücher, ich liege im verſchloſſenen Zim - mer, und fürchte die Natur; vor dem Meere zittre ich. Jch zitt’re, ich Hippolyt die Spiegel habe284 ich zugehängt, um nicht zu ſehen, wie ich vor wir ſelbſt erröthe.

Der Kerl, welcher mir die Stiefel putzt, ein plumper, einfältiger Kerl, will behandelt ſein, wie ein Seigneur wohl hatteſt Du Recht, Valerius, die gleiche Berechtigung haben ſie verleumdet, in - dem ſie die Gleichheit daraus machten. Und dieſe Schwarzen! O frecher Frevel mit der Freiheit! Als wenn die Bediente Europa’s ſich Geld geſpart und ſich einen Staat errichtet hätten! Was nicht auch Bediente geweſen iſt, heißt Ariſtokrat, weſſen Antlitz anders gefärbt iſt, der heißt Hund, wird mit Füßen getreten, zertreten. Alle Proſa Euro - pa’s iſt hier zur Herrſchaft gediehen; ich erſticke hier.

Keine Geſchichte, keine freie Wiſſenſchaft, keine freie Kunſt! Freier Handel iſt die ganze Freiheit, ein Gott von Pappe, in allerlei kleinen Buchbin - derausgaben, ein Gott, dem man keinen Geſchmack285 zutraut, weil man ſelbſt keinen hat eine neue Welt, welche von der alten nur ein Paar Zahlen geerbt hat; was nicht Geld einbringt, iſt unnütz, was nicht nützt, iſt überflüſſig! O ſchöne Freude einer edlen Bildung, warum habe ich Dich mit Füßen geſtoßen, eine Kaufmannsſchule, welche ſich für eine Welt ausgiebt, rächt Dich an mir!

Die übrigen Zettel ſind im Trubel der letzten Tage verloren gegangen, hören Sie die Erzählung derſelben zum letzten Andenken an Jhren Freund.

Jch kam auf demſelben Schiffe mit ihm hierher, die Rache trieb mich, ihn zu vernichten. Auf dem Schiffe konnte ich nicht an ihn kommen, obwohl ſich mir mehrmals die Gelegenheit bot, ihn rücklings über Bord zu ſtoßen; ich fürchtete mich vor ihm. Und hier, ach, hier wurde ich wieder Weib, der zerſchmetterte Titan jammerte meine Seele, ich weinte hinter ihm her, wenn er einmal einen Spaziergang wagte. Die ſtolze Geſtalt war geknickt, der wilde Kopf neigte ſich auf die Bruſt, das ſchwarze Haar ergraute, das große, kühne Auge war verſchleiert286 und ſuchte den Boden, ſeinem Lieblingsthiere, dem muthigen Roſſe, wich er ſcheu aus dem Wege. Ach! Es war ein trüber regneriſcher Tag, als ich mein Herz ſo bewegt fühlte vor Mitleid und Weh, daß ich zu ihm hinantrat, meinen Schleier zurückſchlug, und ſagte: Hippolyt, ich bin verſöhnt, kann ich Dir helfen, kann ich Dich tröſten? Er ſchrack zu - ſammen, dann nahm er meine Hand, küßte ſie, und es fielen Thränen darauf, vielleicht die einzigen, welche er in ſeinem Leben geweint hat. Es war ſpäter Nachmittag, die Arbeiter kehrten heim, plötz - lich drang Geſchrei aus einem Zugange der nahen Stadt, ein Neger ſtürzte wie ein Pfeil heraus, eine Schaar Weißer hinter ihm drein; der Schwarze hatte den Vorſprung, und flog wie ein Hirſch dem nahen Wäldchen zu, ſchon war er dicht daran, da fielen zwei, drei Schüſſe, der arme Flüchtling ſprang hoch in die Höhe, dann ſtürzte er lang hin an den Boden. Mit wildem Freudengeſchrei ſtürzte die immer größer werdende Menge nach dem Opfer hin, an uns vorüber. Mit Entſetzen erkannte ich unter denen, die ein Gewehr trugen, was noch rauchte, Tallon, den Verhaßten. Jch warf eilig meinen287 Schleier über welche Veränderung aber war mit Hippolyt vorgegangen! Wie von einem elektriſchen Schlage war die ganze Geſtalt aufgerichtet, das Auge blitzte, die Muskeln zuckten, gewaltiger als ich ihn je geſehn ſtand er da, und ſchritt ſtraffen Ganges dem Haufen nach. Dieſer war über den Leichnam hergefallen, ein teutſcher Arbeiter hatte ein Paar Worte des Mitleids geäußert, und man fiel eben auch über ihn her und ſchrie: lincht ihn, lincht ihn! als Hippolyt wie ein Löwe in den Haufen hineinſprang, links und rechts die rohe Maſſe bei Seit ſchleuderte, den teutſchen Arbeiter an ſeine Seite riß, und mit donnernder Stimme ihnen vor - warf, daß ſie ein nichtswürdig Geſindel ſeien, was Menſchenrecht und Freiheit mit Füßen trete.

Sie ſtürzten mit Gebrüll auf ihn ein, Hippolyt entriß dem Einen die Büchſe, ſchlug und mähte wie ein Athlet, und ſchuf zweimal, dreimal freie Bahn, rings um ſich her, er ſtand da wie ein zür - nender Halbgott!

Tallon aber war zurückgetreten, die tückiſche Schlange, hatte ſeine Büchſe wieder geladen, ſchlug an ich ſah’s, ſtürzte hinzu zu ſpät! Mitten288 in die Bruſt getroffen ſtürzte der ſtolze Leib Hippolyt’s nieder, mit furchtbarem Geheul ſchlug die Menge über ihm zuſammen.

Es war Abend geworden, als ſich die Rotte zerſtreut hatte, der Regen goß, der ſchöne Leib Hippolyt’s war zertreten, und nur an den Kleider - fetzen war er vom nackten Negerleichnam zu unter - ſcheiden. Jch habe die ganze Nacht bei ihm geſeſſen und geweint, dort, die Raubvögel ſcheuchend von ſeinen verſtümmelten Reſten, hab ich’s wie Dolch - ſtiche empfunden, daß ich ihn geliebt habe bis zur Raſerei, auch da, wo ich ihn morden wollte.

Jch werde in die Wälder hinüber gehn. Kann ſolch ein großes Menſchenbild nicht beſtehen in dieſer Welt, was thut’s, ob ein verloren Mädchen unter den Weißen oder unter den Rothhäuten oder in der Einſamkeit zu Grunde geht Klöſter giebt’s nicht mehr, aber der Urwald iſt noch nicht beſiegt, dort iſt noch Raum zum Sterben.

Jnhalt.

Seite

  • 1. Hippolyt an Valerius3
  • 2. Hippolyt an Valerius21
  • 3. Valerius an Hippolyt67
  • 4. Valerius an Hippolyt170
  • 5. Valerius an Hippolyt176
  • 6. William an Conſtantien179
  • 7. Valerius an Hippolyt184
  • 8. Hippolyt an Valerius188
  • 9. Hippolyt an Valerius197
  • 10. Hippolyt an Valerius210
  • 11. Leopold an Valerius214
  • 12. Hippolyt an Valerius221
  • 13. Valerius an Hippolyt248
  • 14. Hippolyt an Valerius265
  • 15. Valerius an Hippolyt276
  • 16. Margarita an Valerius282

About this transcription

TextDas junge Europa
Author Heinrich Laube
Extent301 images; 45573 tokens; 9814 types; 307908 characters
Responsibility Alexander Geyken, ed.; Susanne Haaf, ed.; Bryan Jurish, ed.; Matthias Boenig, ed.; Christian Thomas, ed.; Frank Wiegand, ed.

CLARIN-DNote: Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe

EditionVollständige digitalisierte Ausgabe.

About the source text

Bibliographic informationDas junge Europa Novelle Dritter Theil. Die Bürger Heinrich Laube. . 288 S. HoffMannheim1837.

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SUB Göttingen Göttingen SUB, 8 FAB VIII, 5719/b:3https://opac.sub.uni-goettingen.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHM&IKT0=54&TRM0=8%20FAB%20VIII%2C%205719%2Fb%3A3

Physical description

Fraktur

LanguageGerman
ClassificationBelletristik; Novelle; Belletristik; Novelle; core; ready; china

Editorial statement

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.

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  • Deutsches Textarchiv
  • Berlin-Brandenburg Academy of Sciences and Humanities (BBAW)
  • Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW)
  • Jägerstr. 22/23, 10117 BerlinGermany
ImprintBerlin 2019-12-09T17:32:31Z
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Holding LibrarySUB Göttingen
ShelfmarkGöttingen SUB, 8 FAB VIII, 5719/b:3
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