„ Guter Wein iſt ein gutes, geſelliges Ding, und „ jeder Menſch kann ſich wohl einmal davon begei¬ „ ſtern laſſen. “
Gedruckt bei Heinrich Mäntler jun.
Den zwoͤlf Apoſteln im Rathskeller zu Bremen in dankbarer Erinnerung
der Verfaſſer.
Im Herbſt 1827.
„ Mit dem Menſchen iſt nicht auszukom¬ men, “ſagten ſie, als ſie in meinem Gaſthof die Treppe hinabſtiegen, und ich konnte es noch deutlich hoͤren. „ Jetzt will er wieder ſchlafen von neun Uhr an, und leben wie ein Murmel - Thier; wer haͤtte das gedacht vor vier Jahren! “
Sie hatten nicht Unrecht, die Freunde, daß ſie mich in Unmuth verließen. Gab es ja doch heute Abend eines der glaͤnzendſten, muſikali¬ ſchen, tanzenden und declamirenden Butter¬ brode in der Stadt und hatten ſie ſich nicht alle moͤgliche Muͤhe gegeben, mir, dem Landfrem¬ den, einen angenehmen Abend dort zu ver¬ ſchaffen? Aber es war wahrhaftig unmoͤglich; ich konnte nicht gehen. Warum ſollte ich einen tanzenden Thee beſuchen, wo ſie nicht tanzte,8 warum ein ſingendes Butterbrod, wo ich, (ich wußte es zum Voraus) haͤtte ſingen muͤſſen, ohne von ihr gehoͤrt zu werden; warum einen trauten Kreis von Freunden durch Truͤbſinn und finſteres Weſen ſtoͤren, das ich nun heute nicht verbannen konnte. O Gott!! ich wollte ja lieber, daß ſie mir auf der Treppe einige Secunden fluchten, als daß ſie ſich von 9 Uhr bis 1 Uhr langweilten, wenn ſie nur mit mei¬ nem Koͤrper ſich unterhielten und bei der Seele umſonſt anfragten, die einige Straßen weiter auf Unſerer Lieben Frauen-Kirchhof nachtwandelte.
Aber das that mir wehe, daß mich die gu¬ ten Geſellen fuͤr ein Murmelthier hielten und dem Drang nach Schlafe zuſchrieben, was aus Freude am Wachen geſchah. O nur Du, ehr¬ licher Hermann, wußteſt es mehr zu wuͤrdigen. Hoͤrte ich denn nicht, wie Du unten auf dem Domhof ſagteſt, „ Schlaf iſt es nicht, denn ſeine Augen leuchten. Aber entweder hat er9 wieder zu viel oder zu wenig Wein getrunken, das heißt, er trinkt noch welchen und — al¬ leine. “
Wer verlieh Dir denn dieſe prophetiſche Kraft? oder konnteſt Du ahnen, daß meine Augen wacker waren, weil ſie heute Nacht al¬ ten Rheinwein ſchauen ſollten, konnteſt Du wiſſen, daß ich gerade heute von dem Patent und Erlaubnißſchein, vom Rathe auf meine Perſon ausgeſtellt, Gebrauch machen werde, um die Roſe und eure zwoͤlf Apoſtel zu begruͤßen? Und uͤberdieß, war denn heute nicht mein Schalttag?
Meines Erachtens iſt es reine uͤble Ge¬ wohnheit, die ich von meinem Großvater an¬ genommen, naͤmlich hie und da Einſchnitte zu machen in den Baum des Jahres und ſinnend dabei zu verweilen. Wenn der Menſch nur Neujahr und Oſtern, nur Chriſtfeſt oder Pfing¬ ſten feiert, ſo kommen ihm endlich dieſe Ruhe¬10 punkte in der Geſchichte ſeines Lebens ſo all¬ taͤglich vor, daß er daruͤber hinweg gleitet ohne Erinnerung. Und doch iſt es gut, wenn die Seele, ſonſt immer nach auſſen gerichtet, auch einmal auf ein paar Stunden einkehrt im ei¬ genen Gaſthof ihrer Bruſt, ſich bewirthet an der langen Table d'Hôte der Erinnerung und nachher gewiſſenhaft die Rechnung ad notam ſchreibt, wie Frau Hurtig dem Ritter. Der Großvater nannte ſolche Tage ſeine Schalttage. Nicht daß er etwa ein Banket veranſtaltete mit ſeinen Freunden, oder den Tag luſtig und in Freuden lebte, in Saus und Brauß; nein, er kehrte ein bei ſich, und ſeine Seele ſchmaußte in der Kammer, die ſie ſeit fuͤnf und ſiebzig Jahre kannte. Noch jetzt, da er laͤngſt im kuͤh¬ len Friedhof ruht, noch jetzt kann ich es ſeinem hollaͤndiſchen Horaz anſehen, welche Stellen er an ſolchen Tagen geleſen; noch jetzt, als waͤre es geſtern geſchehen, ſehe ich ſein großes11 blaues Auge ſinnend auf den vergelbten Blaͤt¬ tern ſeines Stammbuchs weilen; und wie deut¬ lich ſehe ich, wie dieſes Auge nach und nach ſich fuͤllt, wie eine Thraͤne in den grauen Wim¬ pern zittert, wie der gebietende Mund ſich zu¬ ſammenpreßt, wie der alte Herr langſam und zoͤgernd die Feder ergreift und „ einem ſeiner Bruͤder, der geſchieden, “das ſchwarze Kreuz unter den Namen malt.
„ Der Herr haͤlt ſeinen Schalttag, “pflegten die Diener uns zuzuwiſpern, wenn wir Enkel laut und froͤhlich wie gewoͤhnlich die Treppe hinanſtuͤrmten; „ der Großvater haͤlt ſeinen Schalttag, “fluͤſterten wir uns zu, und glaub¬ ten nicht anders, als er beſcheere ſich ſelbſt den heiligen Chriſt, weil er ja doch niemand habe, der ihm den Chriſtbaum anzuͤnde. Und war es nicht ſo, wie wir in kindiſcher Einfalt glaubten? Zuͤndete er nicht den Chriſtbaum ſeiner Erinnerung an, flammten nicht tauſend12 flimmernde Kerzen auf, die Lieblingsſtunden eines langen Lebens, und ſchien er nicht, wenn er am Abend des Schalttags ſtill und ruhig im Seſſel ſaß, ſich kindlich zu freuen an den Gaben der Vergangenheit?
Es war ſein Schalttag wieder eingetreten, als ſie ihn hinaustrugen. Ich mußte weinen, als ich dachte, daß der alte Mann ſeit langer Zeit zum erſtenmal wieder in die freie Luft komme. Sie fuͤhrten ihn den Weg, auf dem ich ſo oft an ſeiner Seite gegangen war. Aber nicht lange, ſo beugten ſie uͤber die ſchwarze Bruͤcke, und legten ihn tief in die Erde. „ Nun haͤlt er ſeinen rechten Schalttag, “dachte ich, „ aber wundern ſoll es mich doch, wie der alte Herr wieder da herauf kommen will, denn ſie haben doch viele Steine und Raſen auf ihn hinab geworfen. “ Er kam nicht wieder. Aber ſein Bild blieb in meinem Gedaͤchtniß, und als ich herangewachſen war, gehoͤrte es zu mei¬13 nen liebſten Beſchaͤftigungen, ſeine feine, offene Stirne, das klare Auge, den gebietenden und doch ſo freundlichen Mund mir vorzumalen. Mit ſeinem Bilde ſtiegen tauſend Erinnerungen auf, und ſeine Schalttage waren mir die Lieb¬ lingsſtuͤcke in der langen Bildergallerie.
Und iſt denn heute nicht der erſte September, den auch ich mir zum Schalttag erwaͤhlte? Und ich ſollte Butterbrod verzehren in ſeiner Ge¬ ſellſchaft und allerlei Arien abſingen hoͤren mit beigefuͤgtem Applaus und Gezwitſcher? Nein! Heraus mit dir, koͤſtliches Recept, das kein Arzt der Erde ſo koͤſtlich miſcht! Hinab zu dir, alte, wahrhaftige Apotheke, um „ nach Vor¬ ſchrift, jedesmal einen Roͤmer voll zu neh¬ men. “
Es ſchlug 10 Uhr, als ich die breiten Stu¬ fen des Rathskellers hinabſtieg; ich durfte hof¬14 fen, keinen Zecher mehr zu finden, denn es war Werktag bei andern Leuten und drauſſen heulte der Sturm, die Windfahnen ſtimmten ſonderbare Weiſen an und der Regen rauſchte auf das Pflaſter des Domhofs. Aber der Raths¬ diener maß mich mit fragenden Blicken vom Kopf bis zum Fuß, als ich ihm die Anweiſung auf einigen Wein darreichte.
„ So ſpaͤt noch, und heute, in dieſer Nacht? “rief er.
„ Mir iſt es vor zwoͤlf Uhr nie zu ſpaͤt, “entgegnete ich, „ und nachher iſt es wohl fruͤhe genug am Tage. “
„ Aber muß es denn — “wollte er eben fragen, doch Sigill und Handſchrift ſeiner Obern fiel ihm wieder ins Auge, und ſchweigend, aber nicht ohne Zoͤgern ſchritt er voraus durch die Hallen. Welch 'herzerquickender Anblick, wenn ſein Windlicht uͤber die lange Reihe der Faͤßer hinſtreifte, welch' ſonderbare Formen15 und Schatten, wenn es an den Schwibbogen des Kellers zitterte und die Saͤulen im dunkeln Hintergrunde wie geſchaͤftige Kuͤper um die Faͤßer ſchwebten! Er wollte mir eines jener kleineren Gemaͤcher aufſchließen, wo hoͤchſtens 6 — 8 Freunde, eng zuſammen geruͤckt, den Be¬ cher kreiſen laſſen koͤnnen. Doch, mit trauten Geſellen liebe ich ein ſolches heimliches Plaͤtz¬ chen; der enge Raum draͤngt Mann an Mann, und die Toͤne, die hier nicht verhallen koͤnnen, klingen traulicher; aber allein und einſam liebe ich freiere Raͤume, wo der Gedanke, gleich den Athemzuͤgen, ſich freier ausdehnt. Ich waͤhlte einen alten gewoͤlbten Saal, den groͤ߬ ten in dieſen unterirdiſchen Raͤumen zu mei¬ nem einſamen Gelage.
„ Erwarten Sie Geſellſchaft? “fragte der Mann an meiner Seite.
„ Ich bin allein. “
„ Sie koͤnnten ungebeten welche haben, “16ſetzte er hinzu, indem er ſich ſcheu nach den Schatten umſah, die ſeine Lampe warf.
„ Wie meint Ihr das? “fragte ich ver¬ wundert.
„ Ich meinte nur ſo; “antwortete er, in¬ dem er einige Kerzen anzuͤndete und einen gro¬ ßen Roͤmer vor mich hinſetzte. „ Man ſpricht mancherlei vom erſten September, der Herr Senator D. waren uͤbrigens ſchon vor zwei Stunden da und ich erwartete Sie nicht mehr. “
„ Der Herr Senator D.? warum? fragte er nach mir? “
„ Nein, er hieß mich nur die Proben her¬ ausnehmen. “
„ Welche Proben, mein Freund? “
„ Nun die von den Zwoͤlfen und der Roſe; “erwiederte der alte Mann, indem er anfing, einige niedliche Flaͤſchchen mit langen Papier¬ ſtreifen an den Haͤlſen hervor zu ziehen.
17„ Wie! rief ich, man ſagte mir ja, ich koͤnnte den Wein von den Faͤßern ſelbſt trinken. “
„ Ja, aber nur im Beiſeyn eines Herrn vom Senat. Darum hieß mich der Herr Doctor die Zungenproͤbchen herausnehmen und ſo will ſie Ihnen einſchenken, wenn's ge¬ faͤllig. “
„ Nicht einen Tropfen, “unterbrach ich ihn, „ hier kein Glas voll; nein, das iſt der aͤchte Genuß vom Faß zu trinken, und iſt es mir nicht mehr moͤglich, ſo will ich doch am Faße trinken. Kommt Alter, nehmet die Proben mit, ich will das Licht tragen. “
Ich ſtand ſchon einige Minuten und ſah dem wunderlichen Treiben des alten Dieners zu. Bald ſtand er ſtill, ſah auf mich und raͤuſperte ſich, als wollt er ſprechen, bald nahm er die Proben vom Tiſche und packte ſie in ſeine weiten Taſchen, bald nahm er ſie zoͤ¬ gernd wieder heraus um ſie auf den Tiſch zu218ſetzen. Es ermuͤdete mich; „ nun, ſollen wir bald gehen? “rief ich voll Sehnſucht nach dem Apoſtelkeller; „ wie lange wollt Ihr noch an Euren Glaͤschen hier aus - und einpacken? “
Der ernſte Ton, in welchem ich dieß ſagte, ſchien ihm Muth zu machen. Ziemlich beſtimmt antwortete er, „ es geht nicht, — nein! heute geht es nicht mehr, Herr! “
Ich glaubte hierin einen jener gewoͤhnlichen Kniffe zu ſehen, womit Hausverwalter, Ca¬ ſtellane oder Kellermeiſter dem Fremden Geld abzuzwacken ſuchen, druͤckte ihm ein hinlaͤng¬ liches Geldſtuͤck in die Hand, und nahm ihn beim Arm, ihn fortzuziehen.
„ Nein, ſo war es nicht gemeint, “ent¬ gegnete er, indem er das Geldſtuͤck zuruͤckzu¬ ſchieben ſuchte; „ ſo nicht, fremder Herr! ich will es nur gerade heraus ſagen; mich bringt man nicht mehr in den Apoſtelkeller in dieſer19 Nacht, denn wir ſchreiben heute den erſten Sep¬ tember. “
„ Und welche Thorheit wollt Ihr daraus folgern? “
„ Nun, in Gottes Namen, Sie koͤnnen denken davon was ſie wollen; es iſt dort nicht geheuer in dieſer Nacht, das macht, es iſt der Jahrestag der Roſe. “
Ich lachte, daß die Halle droͤhnte. „ Nein! in meinem Leben habe ich doch ſo manchen Spuck erzaͤhlen gehoͤrt, aber einen Weinſpuck nie! Schaͤmt Ihr Euch nicht mit Euern weißen Haaren, noch ſolches Zeug zu ſchwatzen? Doch hier iſt nicht lange zu ſpaßen. Hier iſt die Vollmacht des Senats; im Keller darf ich trinken heute Nacht, ohne nach Zeit und Raum zu fragen. Darum im Namen des Rathes heiß 'ich Euch folgen. Schließe den Keller des Bachus auf. “
Dieß wirkte; unwillig, aber ohne etwas20 zu entgegnen nahm er die Kerzen und winkte mir zu folgen. Es ging zuerſt wieder durch den großen Keller, dann durch kleinere, bis der Weg in einem engern ſchmalen Gang zu¬ ſammenlief. Dumpf toͤnten unſere Schritte in dieſem Hohlweg, und unſere Athemzuͤge toͤnten, wenn ſie an den Mauern ſich brachen, wie fernes Gefluͤſter. Endlich ſtanden wir vor einer Thuͤre, die Schluͤſſel raſſelten, ſie gaͤhn¬ te aͤchzend auf, der Schein der Lichter fiel in das Gewoͤlbe, mir gegenuͤber ſaß Freund Bachus auf einem maͤchtigen Weinfaß. Er¬ quickender Anblick! Sie hatten ihn nicht zart und fein dargeſtellt, die alten Bremer Kuͤnſt¬ ler, nicht zierlich als einen griechiſchen Juͤng¬ ling; ſie hatten ihn nicht alt und trunken ſich gedacht, mit graͤßlichem Bauch, verdrehten Augen und haͤngender Zunge, wie ihn die ge¬ mein gewordene Mythe hin und wieder got¬ teslaͤſterlich abconterfeit. Schmaͤchlicher An¬21 thropomorphismus; blinde Thorheit des Men¬ ſchen! weil einige ſeiner, im Dienſt ergrauten Prieſter alſo einhergehen, weil ihnen voll guten Muthes der Leib anſchwoll, die Naſe von dem brennenden Wiederſchein der dunkel¬ rothen Fluth ſich faͤrbte, das in ſtummer Wonne aufwaͤrts gerichtete Auge ſtehen blieb, — ſo legten ſie dem Gott bei, was ſeine Diener ſchmuͤckt!
Anders die Maͤnner von Bremen. Wie froͤh¬ lich und munter reitet der alte Knabe auf dem Faß! das runde, bluͤhende Geſicht, die klei¬ nen muntern Weinaͤuglein, die ſo klug und neckend herab ſehen, der breite, laͤchelnde Mund, der ſich an mancher Kanne ſchon verſuchte; der kurze kraͤftige Hals, das ganze Koͤrperchen von behaglichem, gutem Leben ſtrotzend! Ganz beſondere Kunſt hat aber der Meiſter, der dich geſchaffen, auf Arme und Beinchen gelegt. Meint man nicht, dein kraͤftiges Aermlein22 werde ſich bewegen, du werdeſt mit den run¬ den Fingerchen ein Schnippchen ſchlagen, und der breite, laͤchelnde Mund werde ſich aufthun zu einem munteren Juheiſa, Heiſa, He! „ Iſt man nicht verſucht zu glauben, du wer¬ deſt im tollen Weinmuth die runden Knie beu¬ gen, den Waden anlegen, mit dem Ferſen ſtauchen und das alte Mutterfaß in Galopp ſetzen, daß alle Roſen, Apoſtel und andere gemeinere Faͤßer mit Huſſa und Halloh dir nachjagen durch den Keller? “
„ Herr des Himmels! “rief der Rathsdie¬ ner, indem er ſich an mir feſt klammerte, „ ſeht Ihr nicht wie er die Augen verdreht und mit dem Fuͤßchen baumelt? “
„ Alter, Ihr ſeyd verruͤckt! “ſagte ich, einen ſcheuen Blick nach dem hoͤlzernen Wein¬ gott werfend, „ es iſt der Schein der Kerzen, der an ihm hin und her flackert. “ Dennoch war mir wunderlich zu Muthe, ich folgte23 dem Alten aus dem Bachus-Keller. Und war es denn auch der Schein der Kerzen, war es auch Taͤuſchung, als ich mich umſah? Nickte er mir nicht mit dem runden Koͤpfchen, ſtreckte er mir nicht das eine ſeiner Beinchen nach und ſchuͤttelte und kruͤmmte ſich vor heimlichem La¬ chen? Ich rannte unwillkuͤhrlich dem Alten nach und ſchloß mich dicht hinter ihm an.
„ Jetzt zu den zwoͤlf Apoſteln, “ſprach ich zu ihm, „ wie ſollen uns dort die Proben mun¬ den! “
Er antwortete nichts; kopfſchuͤttelnd ging er weiter. Man ſteigt vom Keller einige Stu¬ fen aufwaͤrts, zum kleinen Kellerlein, zum unterirdiſchen Himmelsgewoͤlbe, zum Sitz der Seligkeit, wo die Zwoͤlfe hauſen. Was ſeyd ihr Trauergewoͤlbe und Gruͤfte alter Koͤ¬ nigshaͤuſer gegen dieſe Katacomben! Pflan¬ zet Saͤrge neben Saͤrge, ruͤhmet auf ſchwar¬ zem Marmor die Verdienſte des Mannes,24 der hier einer „ froͤhlichen Urſtaͤnd “entgegen¬ ſchlaͤft, ſtellt einen ſchwazhaften Cicerone an, in Trauermantel und florumhaͤngtem Hute, laßt ihn die abſonderliche Herrlichkeit dieſes oder jenes Staubes ruͤhmen, laßt ihn erzaͤh¬ len von den trefflichen Tugenden eines Prin¬ zen, der in der Bataille ſo und ſo gefallen, von der holden Schoͤnheit einer Fuͤrſtin, auf deren Sarge die jungfraͤuliche Myrthe ſich um die kaum erbluͤhte Roſenknospe ſchlingt — es wird euch an die Sterblichkeit mahnen, es wird euch vielleicht eine Thraͤne koſten; aber kann es euch alſo ruͤhren, wie der Anblick dieſer Schlafkammer eines Jahrhunderts, die¬ ſer Ruheſtaͤtte eines herrlichen Geſchlechtes? Da liegen ſie in ihren dunkelbraunen Saͤrgen, ſchmucklos, ohne Glanz und Flitter. Kein Marmor ruͤhmt ihr ſtilles Verdienſt, ihre an¬ ſpruchloſe Tugend, ihren vortrefflichen Cha¬ rakter; aber welcher Mann von einigem Ge¬25 fuͤhl fuͤr Tugenden dieſer Art fuͤhlt ſich nicht innig bewegt, wenn der alte Rathsdiener, dieſer Aufwaͤrter in den Katacomben, dieſer Kuͤſter der unterirdiſchen Kirche, die Kerzen auf die Saͤrge ſtellt, wenn dann das Licht auf die erhabenen Namen der großen Todten faͤllt! Wie regierende Haͤupter fuͤhren auch ſie keine langen Titel und Zunamen; einfach und groß ſtehen die Namen auf ihren braunen Saͤrge geſchrieben. Dort Andreas, hier Johannes, in jener Ecke Judas, in dieſer Petrus. Wen ruͤhrt es nicht, wenn er dann hoͤrt: dort liegt der Edle von Nierenſtein, geboren 1718, hier der von Ruͤdesheim, geboren 1726. Rechts Paulus, links Jacob, der gute Jacob!
Und ihre Verdienſte? Ihr fraget? Seht ihr denn nicht, wie er eingießt in den gruͤnen Roͤmer, wie er das herrliche Blut des Apo¬ ſtels mir darreicht? Gleich dunkelrothem Golde blinkt es im Glaſe. Als ihn die Sonne auf¬26 zog auf den Huͤgeln von St. Johannes, da war er blond und helle; ein Jahrhundert hat ihn gefaͤrbt. Welche Wuͤrze des Geruches! welche Namen leg 'ich dir bei, du lieblicher Duft, der aus dem Roͤmer aufſteigt? Nehmet alle Bluͤthen von den Baͤumen, pfluͤcket alle Blumen in den Fluren, fuͤhrt Indiens Ge¬ wuͤrz herbei, beſprengt mit Ambra dieſe kuͤh¬ len Keller, loͤſet den Bernſtein in blaͤuliche Woͤlkchen auf — miſchet aus ihnen alle die feinſten Duͤfte, wie die Biene ihren Honig aus den Bluͤthen ſaugt, wie ſchlecht, wie ge¬ mein, wie unwuͤrdig gegen die zarte Blume deines Kelches, mein Bingen und Lauben¬ heim, gegen deine Duͤfte Johannes und Nierenſtein von 1718!
„ Ihr ſchuͤttelt den Kopf, Alter? tadelt Ihr meine Freude an euren alten Geſellen? Da, nimm dieſen Roͤmer, alter Menſch, trink auf27 das Wohlſeyn dieſer Zwoͤlfe! Komm, ſtoß an, ſie ſollen leben! “
„ Gott ſoll mich bewahren, daß ich einen Tropfen trinke in dieſer Nacht, “erwiederte er, „ man ſoll mit dem Teufel kein Spiel treiben. Aber wenn Ihr ſie alle durchgekoſtet, wollen wir weiter gehen. Mir graut in dieſem Keller. “
„ Gute Nacht denn, Ihr alten Herren vom Rheine, gute Nacht und herzlichen Dank fuͤr euer Labſal. Und wenn ich dir, mein ern¬ ſter feuriger Judas, wenn ich dir, mein ſanfter, lieblicher Andreas, dir, mein Jo¬ hannes, dienen kann, ſo kommt, kommt zu mir. “
„ Herr des Himmels! “unterbrach mich der Alte, und ſchlug die Thuͤre zu und drehte haſtig die Schluͤſſel um, „ ſeyd Ihr von den Paar Tropfen ſchon betrunken, daß Ihr den Teufel heraufſchwoͤrt?! Wißt Ihr denn nicht,28 daß die Weingeiſter aufſtehen dieſe Nacht und einander beſuchen, wie immer am erſten Sep¬ tember? Und ſollt 'ich meinen Dienſt ver¬ lieren, ich laufe davon, wenn Ihr noch ſolche Worte ſprecht. Noch iſt es nicht zwoͤlf Uhr, aber kann denn nicht alle Augenblicke einer aus dem Faß kriechen mit graͤulichem Ge¬ ſicht und uns zu Tode ſchrecken? “
„ Alter, du faſelſt! Doch ſey ruhig; ich will kein Wort mehr ſprechen, daß deine Weingeſpenſter nicht wach werden. Doch jetzt fuͤhre mich zur Roſe. “ Wir gingen weiter, wir traten ein in das Gewoͤlbe, in das Ro¬ ſengaͤrtlein von Bremen. Da lag ſie, die alte Roſe; groß, ungeheuer, mit einer Art von gebietender Hoheit. Welch ungeheures Faß; und jeder Roͤmer ein Stuͤck Goldes werth! Anno 1615! wo ſind die Haͤnde, die dich pflanzten! wo die Augen, die ſich an deiner Bluͤthe erfreuten? wo die froͤhlichen Menſchen29 alle, die dir zujauchzten, edle Traube, als man dich abſchnitt auf den Hoͤhen des Rhein¬ gaus, als man deine Huͤllen abſtreifte und du als goldener Born in die Kufe ſtroͤmteſt? Sie ſind dahin, wie die Wellen des Stro¬ mes, der an deinem Rebenhuͤgel hinabzog. Wo ſind ſie, jene alten Herren der Hanſa, jene wuͤrdigen Senatoren dieſer alten Stadt, die dich pfluͤckten, duftende Roſe, dich ver¬ pflanzten in dieſe kuͤhlen Raͤume zum Lab¬ ſal ihrer Enkel? Gehet hinaus auf Angarii Friedhof, gehet hinauf zur Kirche Unſerer lie¬ ben Frauen, und gießet Wein auf ihre Grab¬ ſteine! Sie ſind hinunter, und zwei Jahrhun¬ derte mit ihnen!
Nun, auf euer Wohlſeyn, alte Herren von Anno 1615, und auf das Wohl eurer wuͤrdigen Enkel, die ſo gaſtfreundlich dem Fremdling die Hand und dieſes Labſal boten!
30„ So! Und jetzt gute Nacht, Frau Roſe; “ſetzte der alte Diener freundlicher hinzu, in¬ dem er ſein Koͤrbchen zuſammen raͤumte; „ jetzt gute Nacht und Gott befohlen; hier heraus, nicht dort um die Ecke, hier heraus geht der Weg aus dem Keller, werthgeſchaͤtzter Herr. Kommt, ſtoßet Euch nicht hier an die Faͤſſer, ich will Euch leuchten. “
„ Mit nichten, Alter, erwiederte ich, jetzt geht das Leben erſt recht an. Das alles war nur der Vorſchmack. Gib mir zweiundzwanz'¬ ger Ausſtich, ſo etwa zwei bis drei Flaſchen, in das große Gemach dort hinten. Ich hab 'ihn gruͤnen ſehen dieſen Wein, und war dabei als ſie ihn kelterten; hab ich das Alter bewun¬ dert, ſo muß ich meiner Zeit nicht minder ihr Recht anthun. “
Er ſtand da mit weit geoͤffneten Augen, der Jammermenſch; er ſchien ſeinen Ohren nicht zu trauen. „ Herr, “ſprach er dann feierlich,31 „ ſprechet nicht ſolch 'gottloſen Scherz. Heute Nacht wird nun und nimmermehr was dar¬ aus; ich bleibe um keine Seligkeit. “
„ Und wer ſagt denn, daß du bleiben ſollſt? Dort ſetze den Wein hinein und dann mach 'in Gottes Namen, daß du fortkoͤmmſt; ich will nun einmal dieſe Gedaͤchtnißnacht hier feiern und habe mir deinen Keller auserſehen; dich habe ich nicht von Noͤthen. “
„ Aber ich darf Euch nicht allein im Keller laſſen, “entgegnete er, „ ich weiß wohl, nehmt mir nicht unguͤtig, daß Ihr den Keller nicht beſtehlet, aber es iſt einmal gegen die Ord¬ nung. “
„ Nun, ſo ſchließe mich ein in jenes Gemach; haͤnge ein Schloß davor, ſo ſchwer als du willſt, daß ich nimmer heraus kann, und mor¬ gen fruͤh um ſechs Uhr kannſt du mich auf¬ wecken und dein Schlafgeld holen. “
32Der Mann des Kellers verſuchte noch man¬ cherlei Einreden, doch umſonſt; er ſetzte end¬ lich drei Flaſchen und neun Kerzen vor mich hin, wiſchte den Roͤmer aus, ſchenkte mir den zweiundzwanziger Ausſtich ein und wuͤnſchte mir, wie es ſchien mit ſchwerem Herzen, gute Nacht. Richtig ſchloß er auch die Thuͤre zwei¬ mal ab, und haͤngte, wie es mir ſchien, mehr aus zaͤrtlicher Angſt fuͤr mich als aus Vor¬ liebe fuͤr ſeine Keller noch ein Haͤngeſchloß vor. Eben ſchlug die Glocke halb Zwoͤlf. Ich hoͤrte ihn ein Gebet ſprechen und davon eilen. Seine Schritte hallten immer ferner und fer¬ ner im Gewoͤlbe; doch als er oben das Auſſen¬ thor des Kellers zuſchlug, hallte es wie Ka¬ nonendonner durch die Gaͤnge und Hallen.
So waͤre ich denn allein mit dir, meine Seele, tief unten im Schooße der Erde. Oben33 aus der Erde ſchlafen ſie jetzt und traͤumen, und auch hier unten, rings um mich her, ſchlummern ſie in ihren Saͤrgen, die Geiſter des Weines. Ob ſie wohl traͤumen, von ihrer kurzen Kindheit traͤumen, und der fernen Berge, der Heimath, gedenken, wo ſie groß wurden, und des Stromes, des alten Vaters Rhein, der ihnen allnaͤchtlich freundlich ein Wie¬ genlied murmelte?
Gedenket ihr der wonnigen Tage, da die milde Mutter, die Sonne, euch aus dem Schlum¬ mer kuͤßte, da ihr in klarer Fruͤhlingsluft die Aeuglein oͤffnetet zum Erſtenmal, und hinab¬ ſchautet ins herrliche Rheingau? Und als der Mai einzog in ſein deutſches Paradies, ge¬ denket ihr noch wie euch die Mutter anthat mit gruͤnen Kleidchen von Laubwerk, und wie der alte Vater baß ſich deſſen freute, herauf lugte aus ſeinem gruͤnen Bette und euch zu¬ winkte und munter rauſchte am Lurlei?
334Und gedenkſt denn auch du der Roſentage deiner Jugend, o Seele? der ſanften Reben¬ huͤgel der Heimath, des blauen Stromes und der bluͤhenden Thaͤler des Schwabenlandes? O Wonnezeit voll holder Traͤume! wie reich biſt du behaͤngt mit Bilderbuͤchern, Chriſt¬ baͤumen, Mutterliebe, Oſterwochen und Oſter¬ eiern, mit Blumen und Voͤgeln, Armeen aus Blei und Papier und den erſten Hoͤs'chen und Collet'chen, in welche ſich deine kleine ſterb¬ liche Huͤlle, ſtolz auf ihre Groͤße, kleiden ließ. Und wie dich der ſelige Vater auf den Knieen ſchaukelte, und dir der Großvater gerne das lange Meerrohr mit dem goldenen Knopf abtrat, um es dir als Reitpferd zu leihen!
Und ruͤcke mit dem naͤchſten Glaſe um einige Jahre vorwaͤrts! Erinnerſt du dich des Morgens, als ſie dich hineinfuͤhrten zu einem wohlbekannten Mann, deſſen Geſicht ſo blaß geworden war, deſſen Hand du weinend kuͤ߬35 teſt, weinend ohne zu wiſſen warum? denn konnteſt du glauben, daß die harten Maͤnner, die ihn in einen Schrank legten und mit ſchwar¬ zen Tuͤchern zudeckten, konnteſt du glauben, daß ſie ihn nicht mehr zuruͤckbringen wuͤrden? Sey ruhig, auch er ſchlummert nur ein Weil¬ chen. — Und gedenkſt du des geheimnißvollen Freudelebens ins Großvaters Buͤcherſaal? Ach, damals kannteſt du noch keine Buͤcher als den ſchnoͤden kleinen Broͤder, deinen aͤrgſten Feind; wußteſt nicht, daß jene Folianten noch zu etwas anderem in Leder gebunden ſeyen, als um Huͤtten und Staͤlle daraus zu erbauen fuͤr dich und dein Vieh?
Gedenkſt du noch des Frevels, wie roh du mit der deutſchen Literatur, in kleinerem Format, umgingſt? Haſt du nicht deinem Bru¬ der den Leſſing an den Kopf geworfen, wo¬ fuͤr er dich freilich mit Sophiens Reiſen von Memel nach Sachſen erbaͤrmlich zudeckte? Da¬36 mals dachteſt du freilich nicht daran, daß du einſt ſelbſt Buͤcher machen werdeſt!
Tauchet auch ihr auf, aus dem Nebel verſchwundener Jahre, ihr Mauern des alten Schloſſes; wie oft dienten deine halbverfal¬ lenen Gaͤnge, dein Keller, dein Zwinger, deine Verließe der froͤhlichen Schaar zum Tum¬ melplatz ihrer Spiele! Soldaten und Raͤuber, Nomaden und Caravanen! Wie wohl war uns oft in der untergeordneten Rolle eines Koſacken, waͤhrend Andere — Generale, Pla¬ tow's, Bluͤcher's, Napoleon und dergleichen vorſtellten und ſich pruͤgelten? Ja, waren wir nicht zu Zeiten ſogar ein Pferd, dem Freunde zu gefallen? O Himmel, wie ſchoͤn ließ es ſich dort ſpielen!
Wo ſind ſie hin, die Geſpielen deiner Kindheit, die Genoßen jener goldenen Tage, wo kein Rang, kein Stand, kein Anſehn gilt; Grafen und Barone machen jetzt wohl37 die große Tour, oder dienen an Hoͤfen als Kammerherren; arme Teufel pilgern als Hand¬ werksburſche durch's Reich, den ſchweren Buͤn¬ del auf dem Ruͤcken, ohne Schuhe an den Fuͤßen, haſchen nach Pfennigen aus dem Kutſchenſchlag, die ſie mit dem vom Regen gebraͤunten Hut kuͤnſtlich aufzufaſſen wiſſen; und die Liebe druͤckt ſie oft noch ſchwerer als das Buͤndel auf dem Ruͤcken. Andere Kame¬ raden, Seelen, die ſich in der Schule durch geordneten Fleiß in Humanioribus hervorge¬ than, ſitzen jetzt ſchon auf einer Pfarre, im Schlaf - oder Chorrock bei der Frau Liebſten. Andere ſind Amtleute, wieder andere Apothe¬ ker, einige Referendaͤre und dergleichen, und nur wir beide, ausſchweifend aus dem ge¬ woͤhnlichen Gang der Dinge, ſitzen hier im Bremer Rathskeller und thun uns guͤtlich im Weine. Und was ſind denn wir abſonder¬ liches geworden? Doctor? Das kann Jeder38 werden, der vernuͤnftig genug iſt eine Diſſer¬ tation zu ſchreiben.
Doch ich trinke das vierte Glas, Seele. Das vierte! Fuͤhlſt Du nicht einen gewiſſen Nexus zwiſchen dem Wein und der Zunge? zwiſchen der Zunge und dem Gaumen? hier, behaupte ich, iſt ein Scheideweg und daran ein Wegezeiger aufgeſtellt. Naͤmlich auf der einen Seite ſteht „ Weg nach dem Magen. “ Eine breite fahrbare Straße; es geht ſo ſchnell, ſo glitſchend bergab! daher auch der gemeinere Stoff gewoͤhnlich dieſen Weg nimmt. Der andere Arm des Zeigers heißt: „ in den Kopf. “ Dahin ziehen die Geiſter, die ſich ſchon im Faß lange genug bei dem ſchnoͤden gemeineren Stoff gelangweilt haben, und jetzt, da ſie freien Lauf nehmen koͤnnen, ſchielen ſie nach dem Wegezeiger rechts hinauf. Waͤhrend die Maſſe links hinabſtroͤmt, ſteigen ſie auf¬ waͤrts und finden ſich im Wirthshaus zur Zir¬39 beldruͤſe wieder zuſammen. Es ſind friedliche, verſtaͤndige Leute, dieſe Geiſter. Sie erhellen dein Haus, o Seele, ſo lang ihrer vier oder fuͤnf beiſammen ſind, nachher moͤchte ich wohl fuͤr nichts ſtehen, denn ſie raufen ſich dann und treiben allerhand Unfug im Gehirn.
Wie ſchoͤn iſt die vierte Lebensperiode, die wir mit dem vierten Glas beginnen wollen! Du biſt vierzehn Jahre alt, o Seele! Aber was iſt mit dir vorgegangen in der kurzen Zeit? Du ſpielſt keine Knabenſpiele mehr, Soldaten und alles dieſes Gezeuge liegt hinter dir, und du ſcheinſt mir viel zu leſen. Du biſt hinter Goͤthe und Schiller gerathen und ver¬ ſchlingſt ſie, ohne alles zu verſtehen; oder wie? du verſtehſt jetzt ſchon alles? du willſt meinen, du koͤnneſt Liebe verſtehen, weil du im letzten Sonntagsklubb Elvire hinter der Commode im Dunkeln gekuͤßt, und Emmas Zaͤrtlichkeit zuruͤckgewieſen haſt? Barbar! ahneſt40 du nicht, daß dieſes dreizehenjaͤhrige Herz auch den Werther und ſogar etwas von Clauren geleſen haben kann, und Liebe fuͤr dich fuͤhlt? Aber die Scene aͤndert ſich. Sey mir gegruͤßt, Du Fel¬ ſenthal der Alb! Du blauer Strom, an wel¬ chem ich drei lange Jahre hauste. Die Jahre lebte, die den Knaben zum Juͤngling machen. Sey mir gegruͤßt, du kloͤſterliches Dach, du Kreuzgang mit den Bildern verſtorbener Aebte, du Kirche mit dem wundervollen Hochaltar, ihr Bilder alle in ſchoͤnes Gold des Morgen¬ roths getaucht! Seyd mir gegruͤßt, ihr Schloͤßer auf den Felſen, ihr Hoͤhlen, ihr Thaͤler, ihr gruͤnen Waͤlder. Jene Thaͤler, jene Kloſter¬ mauern waren das enge Neſt, das uns aufzog, bis wir fluͤgge waren, und ihrer rauhen Albluft danken wir es, daß wir nicht verweichlichten.
Ich komme ans fuͤnfte Glas, ins fuͤnfte Seculum unſeres Lebens. Ich ſchluͤrfe euch ein, lieblichen Erinnerungen, wie ich dieß Glas41 edeln Rheinweins ſchluͤrfe; ihr duftet auf in herrlicher Schoͤne, Jahre meiner Jugend, wie das Aroma aufſteigt aus dem Roͤmer; mein Auge wird wacker, o Seele, denn ſie ſind um mich, die Freunde meiner Jugend! Wie ſoll ich dich nennen, du hohes, edles, rohes, bar¬ bariſches, liebliches, unharmoniſches, geſang¬ volles, zuruͤckſtoßendes und doch ſo mild er¬ quickendes Leben der Burſchenjahre? Wie ſoll ich euch beſchreiben, ihr goldenen Stunden, ihr Feierklaͤnge der Bruderliebe? Welche Toͤne ſoll ich euch geben, um mich verſtaͤndlich zu machen? welche Farben Dir, du nie begriffe¬ nes Chaos! Ich ſoll dich beſchreiben? Nie! Deine laͤcherliche Auſſenſeite liegt offen, die ſieht der Laie, die kann man ihm beſchreiben, aber deinen innern, lieblichen Schmelz kennt nur der Bergmann, der ſingend mit ſeinen Bruͤdern hinabfuhr in den tiefen Schacht. Gold bringt er herauf, reines, lauteres Gold, viel oder wenig,42 gilt gleich viel. Aber dieß iſt nicht ſeine ganze Ausbeute. Was er geſchaut, mag er dem Laien nicht beſchreiben, es waͤre allzu ſonderbar und doch zu koͤſtlich fuͤr ſein Ohr. Es leben Geiſter in der Tiefe, die ſonſt kein Ohr erfaßt, kein Auge ſchaut. Muſik ertoͤnt in jenen Hal¬ len, die jedem nuͤchternen Ohr leer und bedeu¬ tungslos ertoͤnt. Doch dem, der mit gefuͤhlt und mit geſungen, gibt ſie eine eigene Weihe, wenn er auch uͤber das Loch in ſeiner Muͤtze laͤchelt, das er als Symbolum zuruͤckgebracht. Alter Großvater! jetzt weiß ich, was Du vor¬ nahmſt, wenn „ der Herr ſeinen Schalttag feierte. “ Auch du hatteſt deine trauten Geſellen ſeit den Tagen deiner Jugend, und das Waſſer ſtand dir in den grauen Wimpern, wenn du einen beiſetzteſt im Stammbuch. Sie leben!
Wirf die Flaſche weg, Menſch, ſtich eine neue an zu neuer Freude. Das ſechste! Wer kann dich berechnen, o Liebe?
43Es ging uns, wie es ſo manchem Erden¬ ſohn ergeht. Wir laſen von Liebe und glaub¬ ten zu lieben. Das wunderbarſte und doch natuͤrlichſte an der Sache war, daß die Perio¬ den oder Grade dieſer Art Liebe ſich nach un¬ ſerer Lectuͤre richteten. Haben wir nicht Vergi߬ meinnicht und Ranunkeln gebrochen, und des Doktors Tochter in G. verſchaͤmt uͤberreicht, und uns einige Thraͤnen ausgepreßt, weil wir laſen: „ das ſchoͤnſte ſucht er auf den Fluren, womit er ſeine Liebe ſchmuͤckt “— „ aus ſeinen Augen brechen Thraͤnen? “haben wir nicht à la Wilhelm Meiſter geliebt, d. h. wir wußten nicht mehr, war es Emeline oder Camilla, die Zarte, oder gar Ottilie? Haben nicht alle drei in zierlichen Schlafmuͤtzen hinter den Jalouſien hervorgeſchaut, wenn wir Staͤndchen brach¬ ten im Winter, und die Guitarre weidlich ſchlugen, obgleich uns der Froſt die Finger krumm bog? Und nachher, als es ſich zeigte,44 wie ſie alle nur ſchnoͤde Coquetten ſeyen, haben wir da nicht die Liebe thoͤrigter Weiſe verſchwo¬ ren, und uns vorgenommen, erſt dann zu heirathen, wenn die Schwaben klug werden, d. h. im vierzigſten?
Wer kann dich berechnen, verſchwoͤren, o Liebe? Du tauchſt nieder aus dem Auge der Geliebten und ſchluͤpfſt durch unſer Auge ver¬ ſtohlen in das Herz. Und dennoch ſo kalt konnteſt du bleiben, wenn ich meine Lieder ſang, wollteſt den Blick nicht erwiedern, den ich ſo oft nach dir ausſandte? Ich moͤchte ein General ſeyn, nur daß ſie meinen Namen in der Zeitung laͤſe, daß es ihr bange wuͤrde, wenn ſie laͤſe: „ der General Hauff hat ſich in der letzten Schlacht bedeutend hervorgethan, und acht Kugeln ins Herz bekommen, — woran er aber nicht geſtorben. “ Ich moͤchte ein Tam¬ bour ſeyn, nur daß ich vor ihrem Haus mei¬ nen Schmerz auslaſſen und fuͤrchterlich trom¬45 meln koͤnnte, und faͤhrt ſie dann erſchrocken mit dem Koͤpfchen durchs Fenſter, ſo will ich gerade das Gegentheil ruſſiſcher Fellraßler machen und vom Fortiſſimo abwaͤrts trommeln und piano und im leiſen Adagio-Wirbel ihr zufluͤſtern, „ ich liebe dich. “ Ein beruͤhmter Menſch moͤchte ich ſeyn, nur daß ſie von mir hoͤrte und ſtolz zu ſich ſagte: „ der hat dich einſt geliebt; “aber leider reden die Leute nicht von mir, hoͤch¬ ſtens wird man ihr morgen ſagen: „ geſtern Nacht iſt er auch wieder bis Mitternacht im Weinkeller gelegen! “ Und wenn ich vollends ein Schuſter oder Schneider waͤre! doch dieß iſt ein gemeiner Gedanke und deiner unwuͤrdig, Adelgunde!
Jetzt wacht wohl keiner mehr, als der Hoͤch¬ ſte und Niedrigſte dieſer Stadt, naͤmlich der Thurmwaͤchter hoch oben auf der Domkirche und ich tief unten im Rathskeller. Waͤr 'ich doch der auf dem Thurme! in jeder Stunde46 wollte ich das Sprachrohr anſetzen und dir ein Lied hinabſingen ins Schlafkaͤmmerlein; doch nein! das wuͤrde ja den ſuͤßen Engel aus ſei¬ nem Schlummer wecken, aus ſeinen holden, lieblichen Traͤumen. Doch hier unten hoͤrt mich niemand, da will ich eines ſingen. Seele! komme ich mir denn nicht gerade vor, wie ein Soldat auf dem Poſten, dem das Heimweh recht ſchwer und tief im Herzen liegt? Und hat nicht einer meiner Freunde dieß Lied gedichtet?
Und denkt ſie auch wohl meiner in ihren Traͤumen? Die Glocken ſummten dumpf auf den Thuͤrmen, ſie begleiteten meinen Geſang. Schon Mitternacht? Dieſe Stunde traͤgt eige¬ nen, geheimnißvollen Schauer in ſich; es iſt, als zittere die Erde leiſe, wenn ſich die ſchlum¬ mernden Menſchen unter ihr auf die andere Seite legen, die ſchwere Decke ſchuͤtteln und den Nachbar im Kaͤmmerlein neben an fragen, „ iſts noch nicht Morgen? “ Wie ſo ganz an¬48 ders zittert der Ton dieſer Mitternachtsglocke zu mir hernieder, als wenn er am Mittag durch die hellen klaren Luͤfte ſchallt. Horch! ging da nicht im Keller eine Thuͤre? Sonder¬ bar; wenn ich nicht ſo ganz allein hier unten waͤre, wenn ich nicht wuͤßte, daß die Menſchen nur oben wandeln, ich wuͤrde glauben, es toͤnen Schritte durch dieſe Hallen. — Ha! es iſt ſo; es koͤmmt naͤher; es taſtet an der Thuͤre hin und her, es faßt und ſchuͤttelt die Klinge; doch die Thuͤre iſt verſchloſſen und mit Riegeln verhaͤngt; mich ſtoͤrt heute Nacht kein Sterb¬ licher mehr. Ha, was iſt das? die Thuͤre ſpringt auf! Entſetzen! —
Vor der Thuͤre ſtanden zwei Maͤnner, und machten gegenſeitig Complimente uͤber den Vor¬ tritt; der eine war ein langer, hagerer Mann, trug eine große, ſchwarze Lockenperuͤcke, einen49 dunkelrothen Rock nach altfraͤnkiſchem Schnitt, uͤberall mit goldenen Treſſen und goldgeſpon¬ nenen Knoͤpfen beſetzt; ſeine ungeheuer langen und duͤnnen Beine ſtacken in engen Beinklei¬ dern von ſchwarzem Sammt mit goldenen Schnallen am Knie; daran ſchloßen ſich rothe Struͤmpfe und auf den Schuhen trug er goldene Schnallen. Den Degen mit einem Griff von Porzellain hatte er durch die Hoſentaſche ge¬ ſteckt; er ſchwenkte, wenn er ein Compliment machte, einen dreiſpitzigen kleinen Hut von Seide, und die Lockenſchwaͤnze ſeiner Peruͤcke rauſchten dann wie Waſſerfaͤlle uͤber die Schul¬ tern herab. Der Mann hatte ein bleiches, ab¬ gehaͤrmtes Geſicht, tiefliegende Augen und eine große feuerrothe Naſe. Ganz anders war der kleinere Geſelle anzuſchauen, dem jener den Vortritt goͤnnen wollte. Seine Haare waren feſt an den Kopf geklebt mit Eiweiß und nur an den Seiten waren ſie in zwei Rollen gleich450Piſtolenhalftern gewickelt; ein ellenlanger Zopf ſchlaͤngelte ſich uͤber ſeinen Ruͤcken; er trug ein ſtahlgraues Roͤcklein, roth aufgeſchlagen, ſtack unten in großen Reiterſtiefeln und oben in einer reichgeſtickten Bratenweſte, die uͤber ſein wohlgenaͤhrtes Baͤuchlein bis auf die Knie her¬ abfiel, und hatte einen ungeheuern Raufdegen umgeſchnallt. Er hatte etwas Gutmuͤthiges in ſeinem feiſten Geſichte, beſonders in den Aeuglein, die ihm wie einem Hummer hervor¬ ſtanden. Seine Manoeuvres fuͤhrte er mit einem ungeheuern Filshut aus, der auf zwei Seiten aufgeklappt war.
Ich hatte, nachdem ich mich von dem er¬ ſten Schrecken erholt, Zeit genug, dieſe Be¬ merkungen zu machen, denn die beiden Herren machten wohl mehrere Minuten lang vor der Schwelle die zierlichſten Pas. Endlich riß der Lange auch den zweiten Fluͤgel der Thuͤre auf, nahm den Kleinen unter dem Arm und fuͤhrte51 ihn in mein Gemach. Sie hingen ihre Huͤte an die Wand, ſchnallten die Degen ab, und ſetzten ſich, ohne mich zu beachten, ſtillſchwei¬ gend an den Tiſch. „ Iſt denn heute Faſtnacht in Bremen? “ſprach ich zu mir, indem ich uͤber die ſonderbaren Gaͤſte nachdachte; und doch kam mir ihre ganze Erſcheinung ſo un¬ heimlich vor, beſonders wußte ich mich in ihre ſtarren Blicke, in ihr Schweigen nicht zu fin¬ den; ich wollte mir eben ein Herz faſſen und ſie anreden, als ein neues Geraͤuſch im Keller entſtand. Schritte toͤnten naͤher, die Thuͤre ging auf und vier andere Herren, nach derſel¬ ben alten Mode wie die erſten gekleidet, traten ein. Mir fiel beſonders der eine auf, der wie ein Jaͤger gekleidet war, denn er trug Hetz¬ peitſche und Jagdhorn, und ſchaute ungemein froͤhlich um ſich.
„ Gott gruͤß Euch, Ihr Herren vom Rhei¬ ne! “ſprach der Lange im rothen Rocke im52 tiefen Baß, indem er aufſtand und ſich ver¬ beugte. „ Gott gruͤß Euch, “quickte der Kleine dazu, „ haben uns lange nicht geſehen, Herr Jacobus! “
„ Friſch auf! hollah und guten Morgen, Herr Matthaͤus, rief der Jaͤger dem Klei¬ nen zu, und auch Euch guten Morgen, Herr Judas! Aber was iſt das? wo ſind die Roͤmer, wo Pfeifen und Tabak? iſt der alte Mauereſel noch nicht wach aus ſeinem Suͤndenſchlaf? “
„ Die Schlafmuͤtze! “erwiederte der Kleine, „ der ſchlaͤferige Bengel, droben liegt er noch in Unſer lieben Frauen-Kirchhof, aber das Don¬ nerwetter, ich will ihn heraus ſchellen! “ Da¬ bei ergriff er eine große Glocke, die auf dem Tiſche ſtand, und klingelte und lachte in grel¬ len, ſchneidenden Toͤnen. Auch die drei an¬ dern Herren hatten Huͤte, Stock und Degen in die Ecken geſtellt, ſich gegenſeitig gegruͤßt und an den Tiſch geſetzt. Zwiſchen dem Jaͤger53 und dem rothen Judas ſaß einer, den ſie An¬ dreas nannten. Es war ein uͤberaus zierlicher und feiner Herr, auf ſeinen ſchoͤnen, noch ju¬ gendlichen Zuͤgen lag ein wehmuͤthiger Ernſt und um die zarten Lippen ſchwebte ein mildes Laͤcheln; er trug eine blonde Peruͤcke mit vie¬ len Locken, was mit ſeinen großen braunen Augen einen auffallenden, aber angenehmen Contraſt bildete. Dem Jaͤger gegenuͤber ſaß ein großer wohlgemaͤſteter Mann, mit roth¬ ausgeſchlagenem Geſicht und einer Purpurnaſe. Er hatte die Unterlippe weit herabhaͤngen und trommelte mit den Fingern auf ſeinem dicken Bauch, ſie hießen ihn Philippus.
Ein ſtarkknochiger Mann, faſt wie ein Krieger anzuſchauen, ſaß neben ihm; ein mu¬ thiges Feuer brannte in ſeinen dunkeln Augen, ein kraͤftiges Roth ſchmuͤckte ſeine Wangen und ein dichter Bart umſchattete den Mund. Er hieß Herr Petrus.
54Wie unter aͤchten alten Trinkern, ſo wollte unter dieſen Gaͤſten das Geſpraͤch nicht recht fortgehen ohne Wein; da erſchien eine neue Geſtalt in der Thuͤre. Es war ein kleines, altes Maͤnnlein mit ſchlotternden Beinen und grauem Haar; ſein Kopf ſah aus wie ein Tod¬ tenkopf, uͤber den man eine duͤnne Haut ge¬ ſpannt, und ſeine Augen lagen truͤbe in den tiefen Hoͤhlen; er ſchleppte keuchend einen gro¬ ßen Korb herbei, und gruͤßte die Gaͤſte demuͤ¬ thig.
„ Ha! ſiehe da, der alte Kellermeiſter Bal¬ thaſar, riefen die Gaͤſte ihm entgegen; friſch heran, Alter, ſetz 'die Roͤmer auf und bring' uns Pfeifen! Wo ſteckſt Du nur ſo lang, es iſt laͤngſt Zwoͤlf voruͤber. “
Der alte Mann gaͤhnte einigemal etwas unanſtaͤndig und ſah uͤberhaupt aus wie einer, der zu lange geſchlafen. „ Haͤtte beinahe den er¬ ſten September verſchlafen, kraͤchzte er, ich ſchlief55 ſo hart, und ſeitdem ſie den Kirchhof gepflaſtert haben, hoͤre ich auch ziemlich ſchlecht. Wo ſind denn aber die andern Herren? fuhr er fort, indem er Pocale von wunderlicher Form und anſehnlicher Groͤße aus dem Korb nahm und auf den Tiſch ſetzte, wo ſind denn die an¬ dern? Ihr ſeyd erſt eurer ſechs und die alte Roſe fehlt auch noch. “
„ Setze nur die Flaſchen her, rief Judas, daß wir endlich was zu trinken bekommen; und dann gehe hinuͤber, ſie liegen noch im Faß, poch 'an mit deinen duͤrren Knochen und heiße ſie aufſtehen, ſage, wir ſitzen ſchon alle hier. “
Aber kaum hatte Herr Judas alſo geſpro¬ chen, als ein großes Geraͤuſch und Gelaͤchter vor der Thuͤre entſtand. „ Jungfer Roſe hoch, huſſa, hoch! und ihr Schatz, der Bachus hoch! “hoͤrte man von mehreren Stimmen rufen; die Thuͤre flog auf, die geſpenſtigen Geſellen am56 Tiſche ſprangen in die Hoͤhe und ſchrieen, „ ſie iſts, ſie iſts, Jungfer Roſe und Bachus und die Andern, hollah! jetzt geht das Freudenle¬ ben erſt recht an; “und dabei ſtießen ſie die Roͤmer zuſammen, lachten, und der Dicke ſchlug ſich auf den Bauch und der blaße Keller¬ meiſter warf die Muͤtze geſchickt zwiſchen den Beinen durch an die Decke und ſtimmte ein in das Jucheiſa, heiſa he! daß mir die Ohren gellten. Welch ein Anblick! der hoͤlzerne Ba¬ chus, ſo auf dem Faß im Keller geritten, war herabgeſtiegen, nackt, wie er war; mit ſeinem breiten freundlichen Geſicht, mit den klaren Aeuglein gruͤßte er das Volk und trippelte auf kleinen Fuͤßchen in das Zimmer; an ſeiner Hand fuͤhrte er ganz ehrbarlich wie ſeine Braut eine alte Matrone von hoher Geſtalt und weid¬ licher Dicke. Noch weiß ich nicht bis dato, wie es moͤglich war, daß dieß alles ſo geſche¬ hen, aber damals war es mir ſogleich klar,57 daß dieſe Dame niemand anders ſey, als die alte Roſe, das ungeheure Faß im Roſenkeller.
Und wie hatte ſie ſich koͤſtlich aufgeputzt, die alte Rheinlaͤnderin! Sie mußte in der Jugend einmal recht ſchoͤn geweſen ſeyn, denn wenn auch die Zeit einige Runzeln um Stirne und Mund gelegt hatte, wenn auch das friſche Roth der Jugend von ihren Wangen verſchwunden war, zwei Jahrhunderte konnten die edlen Zuͤge des feinen Geſichtes nicht voͤllig verwiſchen. Ihre Augbraunen waren grau geworden, und einige unziemliche graue Barthaare wuchſen auf ihrem ſpitzigen Kinn, aber die Haare, die um die Stirne ſchoͤn geglaͤttet lagen, waren nußbraun und nur etwas weniges mit ſilber¬ grau gemiſcht. Auf dem Kopf trug ſie eine ſchwarze Sammtmuͤtze, die ſich enge an die Schlaͤfe anſchloß; dazu hatte ſie ein Wamms vom feinſten ſchwarzen Tuche an und das Mie¬ der von rothem Sammt, das darunter hervor¬58 ſchaute, war mit ſilbernen Hacken und Ketten geſchnuͤrt. Um den Hals trug ſie ein breites Halsband von blitzenden Granaten, woran eine goldene Schaumuͤnze befeſtigt; ein weiter fal¬ tenreicher Rock von braunem Tuch fiel um ihre wohlbeleibte Geſtalt, und ein kleines weißes Schuͤrzchen mit feinen Spitzen beſetzt, wollte ſich recht ſchalkhaft ausnehmen. An der einen Seite hing ihr eine große lederne Taſche von Leder, an der andern ein Buͤndel gewaltiger Schluͤſſel — kurz, ſie war eine ſo ehrbare Frau, als je eine Anno 1618 in Coͤlln oder Mainz uͤber die Straße ging.
Aber hinter der Frau Roſe kamen noch ſechs jubelnde Geſellen, die Dreiſpitzenhuͤte ſchwin¬ gend, die Peruͤcken ſchief auf den Kopf ge¬ ſetzt, mit weitſchoͤßigen Roͤcken und langen, reich geſtickten Weſten angethan.
Ehrbarlich und ſittſam fuͤhrte unter dem allgemeinen Jubel Bachus ſeine Roſe oben59 an die Tafel; ſie verbeugte ſich mit großem Anſtand gegen die Geſellſchaft und ließ ſich nieder, an ihrer Seite nahm der hoͤlzerne Ba¬ chus Platz, und Balthaſar, der Kellermeiſter, hatte ihm ein tuͤchtiges Polſter untergeſchoben, weil er ſonſt gar klein und niedrig dageſeſſen haͤtte. Auch die andern ſechs Geſellen nahmen Platz, und ich merkte jetzt, daß es wohl die zwoͤlf Apoſtel vom Rheine ſeyen, die hier um die Tafel ſaßen, ſonſt aber im Apoſtelkeller in Bremen liegen.
„ Da waͤren wir ja, “ſagte Petrus, nach¬ dem der Jubel etwas nachgelaſſen, „ da waͤren wir ja, wir junges munteres Volk von 1700, und alle wohlbehalten wie ſonſt. Nun auf gutes Wohlſeyn, Jungfer Roſe, auch Sie hat gar nicht gealtert und iſt noch ſo ſtattlich und huͤbſch wie vor fuͤnfzig Jahren, gutes Wohl¬ ſeyn, Sie ſoll leben und Ihr Liebſter Herr Bachus daneben. “
60„ Soll leben, die alte Roſe ſoll leben! “riefen ſie und ſtießen an und tranken; Herr Bachus aber, der aus einem großen ſilbernen Humpen trank, ſchluckte zwei Maas rheiniſch ohne viele Beſchwerden hinunter, und er ward zuſehends dicker davon und groͤßer, wie eine Schweinsblaſe, die man mit Luft fuͤllt.
„ Mich gehorſamſt zu bedanken, werthge¬ ſchaͤtzte Herrn Apoſtel und Vettern, antwortete Frau Roſalia, in dem ſie ſich freundlich ver¬ neigte; ſeyd Ihr noch immer ſolch ein loſer Schaͤcker, Herr Petrus? ich weiß von keinem Schatz nicht, und Ihr muͤßt ein ſittſam Maͤgd¬ lein nicht ſo in Verlegenheit ſetzen. “ Sie ſchlug die Augen nieder als ſie dieß ſagte, und trank ein maͤchtiges Paßglas aus.
„ Schatz, “erwiederte ihr Bachus, indem er ſie aus ſeinen Aeuglein zaͤrtlich anblickte und ihre Hand faßte, „ Schatz, ziere dich doch nicht ſo; du weißt ja wohl, daß dir mein61 Herz zugethan ſchon ſeit zweihundert Herbſten, und daß ich dich carreſſire vor allen andern. Sag an, wann wollen wir endlich feiern das Beilager? “
„ Ach, Ihr loſer Schalk, “antwortete die alte Jungfrau und wandte ſich erroͤthend von ihm ab. „ Man kann ja nicht neben Euch ſitzen eine Viertelſtunde, ohne daß Ihr anfan¬ get mit Euren Carreſſen. Und ein ehrbares Maͤdchen muß ſich ja ſchaͤmen, wenn man Euch nur anſieht. Was laufet Ihr denn faſt nackt im Keller? Haͤttet wohl ein Paar Bein¬ kleider entlehnen koͤnnen auf heute. Da Bal¬ thaſar, rief ſie, indem ſie ihre weiße Schuͤrze abband, lege dem Herrn dieſe Schuͤrze um, es iſt gar zu unanſtaͤndig! “
„ Wenn Du mir einen Kuß gibſt, Roͤs¬ chen, “rief Bachus in verliebter Laune, „ ſo laß ich mir den Fetzen um den Leib binden, obgleich es ein ſchlimmer Verſtoß gegen mein62 Coſtuͤm iſt; aber was laͤßt man ſich nicht ge¬ fallen ſchoͤner Frauen wegen? “
Balthaſar hatte ihm die Schuͤrze umgebun¬ den und er neigte ſich zaͤrtlich gegen die Roſe, „ wenn nur das junge Volk hier nicht dabei waͤre, “fluͤſterte ſie beſchaͤmt, indem ſie ſich halb zu ihm neigte; — aber unter dem Ju¬ beln und Jauchzen der Zwoͤlfe hatte der Wein¬ gott ſein Schuͤrzenſtipendium nebſt Zinſen ein¬ genommen. Dann leerte er ſeinen Humpen wieder, und ward um zwei Faͤuſte breiter und groͤßer, und hub an mit einer rauhen Wein¬ ſtimme zu ſingen:
„ Ihr ſeyd ein Schaͤcker, Herr Bachus, “ſagte Roſa, als er mit einem zaͤrtlichen Triller geendet hatte. „ Ihr wißt wohl, daß mich Buͤrgermeiſter und Rath unter gar ſtrenger Clauſur halten und nicht erlauben, daß ich mit jedwedem mich einlaſſe. “
„ Aber mir koͤnnteſt du doch zuweilen das Kaͤmmerlein oͤffnen, lieb Roͤſchen! “fluͤſterte Bachus; „ mich geluͤſtet nach der ſuͤßen Speiſe deines Mundes. “
„ Ihr ſeyd ein Schelm, “rief ſie lachend, „ Ihr ſeyd ein Tuͤrke und habt es mit vielen zugleich; meinet Ihr ich wiſſe nicht, wie Ihr mit der leichtfertigen Franzoͤſin ſcharmirt, mit dem Fraͤulein von Bourdeaux, und mit dem Kreidengeſicht, der Champagnerin; geht, geht, Ihr habt einen ſchlechten Charakter und ver¬ ſtehet Euch nicht auf treue deutſche Minne. “
„ Ja, das ſag ich auch! rief Judas, und fuhr mit der langen knoͤchernen Hand nach der65 Hand der Jungfer Roſe, das ſag ich auch; drum nehmet mich zu Eurem Galan, liebwer¬ theſte Jungfer, und laſſet den kleinen, nack¬ ten Kerl ſeiner Franzoͤſin nachziehen. “
„ Was? “ſchrie der Hoͤlzerne und trank im Zorn einige Maas Wein, „ was? mit dem jungen Fant von 1726 willſt du dich abgeben, Roͤschen? Pfui, ſchaͤme dich; was mein nacktes Coſtuͤm betrifft, Herr Naſeweis, ſo kann ich eben ſo gut, wie Er, eine Peruͤcke aufſetzen, einen Rock umhaͤngen und einen Degen an die Seite ſtecken; aber ich trage mich ſo, weil ich Feuer im Leibe habe und mich nicht friert im Keller. Und was Sie da ſagt, Jungfer Roſe, mit den Franzoͤſinnen, ſo iſt das gaͤnz¬ lich erlogen. Beſucht habe ich ſie zuweilen und mich an ihrem Geiſte erluſtirt, aber weiter gar nichts; dir bin ich treu, liebſter Schatz, und dir gehoͤrt mein Herz. “
566„ Eine ſchoͤne Treue, Gott erbarm's! “er¬ wiederte die Dame; „ was hoͤrt man nur aus Spanien, wie Ihr es dort mit dem Frauen¬ zimmer habt. Von der ſuͤßlichen Metze der Xeres will ich gar nichts ſagen, das iſt eine bekannte Geſchichte, aber wie iſt es denn mit der Jungfer Dentilla di Rota, und mit der von San Lucas? Und dann mit der Sennora Pietro Ximenes? “
„ Alle Teufel, Ihr treibt die Eiferſucht auch gar zu weit, “rief er aͤrgerlich, „ man kann doch alte Verbindungen nicht ganz aufgeben. Und was die Sennora Pietro Ximenes betrifft, ſo ſeyd Ihr ſehr ungerecht, ich be¬ ſuche ſie ja nur aus Freundſchaft fuͤr Euch, weil ſie Eure Verwandte iſt. “
„ Was macht Ihr da fuͤr Fabeln? unſere Verwandte? murmelten Roſe und die Zwoͤlfe untereinander, wie das? “
67„ Wißt Ihr denn nicht, “fuhr er fort, „ daß dieſe Sennora eigentlich eine Rheinlaͤnderin iſt? Der ehrſame Don Pietro Ximenes hat ſie heimgefuͤhrt als blutjunges Rebſtoͤcklein aus dem Rheingau nach ſeiner Heimath Spanien, und dort hat ſie ſich angeſiedelt und ſeinen Fa¬ milien-Namen angenommen. Noch jetzt, ob¬ gleich ſie den ſuͤßen, ſpaniſchen Charakter angenommen, noch jetzt hat ſie große Aehn¬ lichkeit mit Euch, wie die Grundzuͤge des Ge¬ ſichtes ſich in der Familie nicht ganz verlieren. Dieſelbe Farbe und jener ſuͤße Duft, jenes feine Aroma iſt ihr eigen und macht ſie zu Eurer wuͤrdigen Baaſe, werthgeſchaͤtzte Jung¬ fer Roſe. “
„ Sie ſoll leben, ſoll leben! “riefen die Apoſtel und ſtießen an, „ Baaſe Ximenes in Hiſpanien ſoll leben! “
Jungfer Roſe mochte ihrem Galan nicht ganz trauen und ſtieß mit bitter ſuͤßer Miene68 an; doch ſchien ſie nicht ferner mit ihm ha¬ dern zu wollen, ſondern ſprach weiter:
„ Und auch ihr, meine lieben Vetter vom Rhein, ſeyd ihr alle hier? Ja, da iſt ja mein zarter, feiner Andreas, mein muthiger Judas, mein feuriger Petrus. Guten Abend, Johan¬ nes, wiſche dir den Schlaf fein aus den Aeug¬ lein, du ſiehſt noch ganz truͤbſelig aus. Bar¬ tholomaͤus, du biſt unmaͤßig dick geworden und ſcheinſt traͤge zu ſeyn. Ha, mein mun¬ terer Paulus, und wie froͤhlich Jacobus um ſich ſchaut, noch immer der Alte. Aber wie, Ihr ſeyd ja zu Dreizehn am Tiſche, wer iſt denn der dort in fremder Kleidung, wer hat ihn hieher gebracht? “
Gott, wie erſchrack ich! Sie ſchauten alle verwundert auf mich und ſchienen mit meiner Anweſenheit nicht ganz zufrieden. Aber ich faßte mir ein Herz und ſagte: „ Mich gehor¬ ſamſt der werthen Geſellſchaft zu empfehlen. 69Ich bin eigentlich nichts weiter als ein zum Doctor der Philoſophie graduirter Menſch, und halte mich gegenwaͤrtig hieſigen Orts in dem Wirthshauſe zur Stadt Frankfurt auf. “
„ Wie wagſt Du es aber, hieher zu kom¬ men in dieſer Stunde, graduirtes Menſchen¬ kind? “ſprach Petrus ſehr ernſt, indem er Blitze aus ſeinen Feueraugen auf mich ſpruͤhte. „ Du haͤtteſt wohl denken koͤnnen, daß Du nicht in dieſe noble Societaͤt gehoͤrſt. “
„ Herr Apoſtel, “antwortete ich, und weiß noch heute nicht, woher ich den Muth bekam, wahrſcheinlich aus dem Wein; „ Herr Apoſtel, das Du verbitte ich mir vor's Erſte, bis wir weiter bekannt ſind. Und was die noble So¬ cietaͤt betrifft, in die ich gekommen ſeyn ſoll, ſo kam ſie zu mir, nicht ich zu ihr, denn ich ſitze ſchon ſeit drei Stunden in dieſem Gemach, Herr! “
70„ Was thut Ihr aber ſo ſpaͤt noch im Raths¬ keller, Herr Doctor, “fragte Bachus etwas ſanfter als der Apoſtel, „ um dieſe Zeit pflegt ſonſt das Erdenvolk zu ſchlafen. “
„ Euer Excellenz, “erwiederte ich, „ das hat ſeinen guten Grund. Ich bin ein portirter Freund des edlen Getraͤnkes, das man hier unten verzapft, habe auch durch die Verguͤn¬ ſtigung eines wohledlen Senats die Permiſſion erhalten, denen Herren Apoſteln und der Jung¬ frau Roſe meinen Beſuch abzuſtatten, was ich auch geziemendſt gethan. “
„ Alſo Ihr trinkt gerne Rheinwein? “fuhr Bachus fort; „ nun das iſt eine gute Eigen¬ ſchaft und ſehr zu loben in dieſer Zeit, wo die Menſchen ſo kalt geworden ſind gegen dieſe goldene Quelle. “
„ Ja, der Teufel hole ſie All'! “rief Judas, „ keiner will mehr einige Maas Rheinwein trin¬ ken, außer hie und da ſolch 'ein fahrender71 Doctor oder vacirender Magiſter, und dieſe Hungerleider laſſen ſich ihn erſt noch aufwich¬ ſen. “
„ Muß ganz gehorſamſt depreciren, Herr von Judas, “unterbrach ich den ſchrecklichen Rothrock. „ Nur einige kleine Verſuche habe ich gethan mit dero Rebenblut von 1700 und etlichen Jahren, und den hat mir allerdings der wackere Buͤrgermeiſter einſchenken laſſen; was Sie aber hier ſehen, iſt etwas neuer und in baarer Muͤnze von mir bezahlt. “
„ Doctor, ereifert Euch nicht, “ſagte Frau Roſe, „ er meint's nicht ſo boͤſe, der Judas, und er aͤrgert ſich nur und mit Recht, daß die Zeiten ſo lau geworden. “
„ Ja! “rief Andreas, der feine, ſchoͤne Andreas, “ich glaube, dieſes Geſchlecht fuͤhlt, daß es keines edlen Trankes mehr werth iſt, drum ſollen ſie hier ein Geſoͤff von allerlei Schnaps und Syrup brauen, heißen es Château72 Marget, Sillery, St. Julien und ſonſt nach allerlei pompoͤſen Namen, und credenzen es bei ihren Gaſtmahlen, und wenn ſie es ſau¬ fen, bekommen ſie rothe Ringe um den Mund, dieweil der Wein gefaͤrbt war, und Kopfweh den andern Tag, weil ſie ſchnoͤden Schnaps getrunken. “
„ Ha, was war das fuͤr ein anderes Leben, “fuͤhrte Johannes die Rede fort, „ als wir noch junge, blutjunge Geſellen waren, Anno 19 und 26. Auch Anno 50 ging es noch hoch her in dieſen ſchoͤnen Hallen. Jeden Abend, es mochte die Sonne ſcheinen in hellem Fruͤhling, oder ſchneien und regnen im Winter, jeden Abend waren die Stuͤbchen dort gefuͤllt mit frohen Gaͤſten. Hier, wo wir jetzt ſitzen, ſaß in Wuͤrde und Hoheit der Senat von Bre¬ men. Stattliche Peruͤcken auf dem Haupt, die Wehre an der Seite, Muth im Herzen und jeder einen Roͤmer vor ſich.
73„ Hier, hier, nicht oben auf der Erde, hier war ihr Rathhaus, hier die Halle des Senats; denn hier beim kuͤhlen Weine beriethen ſie ſich uͤber das Wohl der Stadt, uͤber ihre Nachbarn und dergleichen. Wenn ſie uneinig in der Meinung waren, ſo ſtritten ſie ſich nicht mit boͤſen Worten, ſondern tranken einander wa¬ cker zu, und wenn der Wein ihre Herzen er¬ waͤrmt hatte, wenn er froͤhlich durch ihre Adern huͤpfte, da war der Beſchluß ſchnell zur Reife gediehen, ſie druͤckten ſich die Haͤnde, ſie waren und blieben immer Freunde, weil ſie Freunde waren des edlen Weines. Am andern Morgen aber war ihnen ihr Wort heilig, und was ſie Abends ausgemacht im Keller, das fuͤhrten ſie oben im Gerichtsſaal aus. “
„ Schoͤne, alte Zeiten! “rief Paulus; „ da¬ her koͤmmt es auch, daß noch heut zu Tage jeder vom Rath ein eigenes Trinkbuͤchlein, eine jaͤhrliche Weinrechnung hat. Den Herren, die74 alle Abende hier ſaßen und tranken, war es nicht genehm, allemal in die Taſche zu fahren und ihr Geldſeckelein heraus zu kriegen. Aufs Kerbholz ließen ſie es ſchreiben und am Neu¬ jahr ward Abrechnung gehalten, und es gibt einige wackere Herren, die noch jetzt oft Ge¬ brauch davon machen, aber es ſind deren we¬ nige. “
„ Ja, ja, Kinder, “ſprach die alte Roſe, „ ſonſt war es anders, ſo vor fuͤnfzig, hundert, zweihundert Jahren. Da brachten ſie Abends ihre Weiber und Maͤdchen mit in den Keller, und die ſchoͤnen Bremerkinder tranken Rhein¬ wein oder von unſerem Nachbar Moſeler, und waren weit und breit beruͤhmt durch ihre bluͤ¬ henden Wangen, durch ihre purpurrothen Lip¬ pen, durch ihre herrlichen blitzenden Augen; jetzt trinken ſie allerlei miſerables Zeug, als Thee und dergleichen, was weit von hier bei den Chineſen wachſen ſoll und was zu meiner75 Zeit die Frauen tranken, wenn ſie ein Huͤſtlein oder ſonſtige Beſchwer hatten. Rheinwein, aͤchten gerechten Rheinwein koͤnnen ſie gar nicht mehr vertragen; denkt Euch ums Himmels Willen, ſie gießen ſpaniſchen Suͤßen darunter, daß er ihnen munde, ſie ſagen, er ſey zu ſauer. “
Die Apoſtel ſchlugen ein großes Gelaͤchter auf, in das ich unwillkuͤhrlich einſtimmen mußte, und Bachus lachte ſo graͤßlich, daß ihn der alte Balthaſar halten mußte.
„ Ja die guten alten Zeiten! “rief der dicke Bartholomaͤus; „ ſonſt trank ein Buͤrger ſeine zwei Maas, und es war als haͤtt 'er Waſſer getrunken, ſo nuͤchtern blieb er, jetzt wirft ſie ein Roͤmer um. Sie ſind aus der Uebung ge¬ kommen. “
„ Da trug ſich vor vielen Jahren eine ſchoͤne Geſchichte zu, “ſagte Fraͤulein Roſe und laͤchelte vor ſich hin.
„ Erzaͤhle, erzaͤhle, Jungfer Roſe, die Ge¬76 ſchichte! “baten alle; ſie aber trank bedeutend viel Wein, damit ſie eine glatte Kehle bekam, und hub an:
„ Anno 1600 und einige zwanzig, dreißig Jahre war ein großer Krieg in deutſchen Lan¬ den von wegen des Glaubens; die einen woll¬ ten ſo und die andern anders, und ſtatt daß ſie bei einem Glaſe Wein die Sache vernuͤnftig beſprochen haͤtten, ſchlugen ſie ſich die Schaͤdel ein. Albrecht von Wallenſtein, des Kaiſers General-Feldmarſchall, hauste ſchrecklich in proteſtantiſchen Landen. Deß erbarmte ſich der Schweden Koͤnig, Guſtav Adolph, und kam mit vieler Mannſchaft zu Roß und zu Fuß. Es wurden viele Bataillen geliefert, ſie hetzten ſich herum am Rhein und an der Donau, ge¬ ſchah aber weiter nicht viel, weder vor - noch ruͤckwaͤrts. Zu der Zeit war Bremen und die andern Hanſeſtaͤdte neutral, und wollten es mit keiner Parthei verderben. Dem Schweden77 lag aber daran, durch ihr Gebiet zu ziehen und ſich freundlich mit ihnen einzulaſſen, darum wollte er einen Geſandten an ſie ſchicken. Weil aber im Reich bekannt war, daß man in Bre¬ men alles im Weinkeller verhandle, und die Rathsherren und Buͤrgermeiſter einen guten Schluck haͤtten, ſo fuͤrchtete ſich der Schweden¬ koͤnig, ſie moͤchten ſeinem Geſandten gar ſehr zuſetzen mit Wein, daß er endlich betrunken wuͤrde und ſchlechte Bedingungen einginge fuͤr die Schweden. “
„ Nun befand ſich aber im ſchwediſchen La¬ ger ein Hauptmann vom gelben Regiment, der ganz erſchrecklich trinken konnte. Zwei, drei Maas zum Fruͤhſtuͤck war ihm ein Kleines, und oft hat er Abends zum Zuſpitzen ein halb Imi getrunken und nachher gut geſchlafen. Als nun der Koͤnig voll Beſorgniß war, ſie moͤchten im Bremer Rathskeller ſeinem Geſandten allzu ſehr zuſetzen, ſo erzaͤhlte ihm der Kanzler Oxen¬78 ſtierna von dem Hauptmann, Gutkunſt hieß er, der ſo viel trinken koͤnne. Deß freute ſich der Koͤnig und ließ ihn vor ſich kommen. “
„ Da brachten ſie einen kleinen, hageren Mann, der war ganz bleich im Geſicht, hatte aber eine große, kupferrothe Naſe und hell¬ blaue Lippen, was ganz wunderlich anzuſehen war. Der Koͤnig fragte ihn, wie viel er ſich wohl zu trinken getraue, wenn es recht ernſt¬ lich zuginge. „ O Herr und Koͤnig, antwortete er, ſo ernſtlich bin ich noch nie daran gekom¬ men, habe mich bis dato auch noch nicht ge¬ eicht; der Wein iſt nicht wohlfeil, und man kann taͤglich nicht uͤber ſieben, acht Maas trin¬ ken, ohne in Schulden zu gerathen. “— „ Nun, wie viel meinſt Du denn fuͤhren zu koͤnnen? “fragte der Koͤnig weiter. Er aber antwortete unerſchrocken: „ wenn Euer Majeſtaͤt bezahlen wollen, moͤchte ich wohl einmal zwoͤlf Maͤs¬ chen trinken, mein Reitknecht, der Balthaſar79 Ohnegrund, kann es aber noch beſſer. “ Da ſchickte der Koͤnig auch nach Balthaſar Ohne¬ grund, dem Knecht des Hauptmann Gutkunſt, und war der Herr ſchon blaß geweſen und ma¬ ger, ſo war es der Diener noch mehr, der ganz aſchenfarb ausſah, als haͤtt 'er ſein Lebenlang Waſſer getrunken. “
„ Da ließ nun der Koͤnig den Hauptmann und Ohnegrund, den Reitknecht, in ein Zelt ſetzen und einige Faͤßlein alten Hochheimer und Nierenſteiner anfahren, und wollte haben, die beiden ſollten ſich eichen laſſen. Sie tran¬ ken von Morgens eilf Uhr bis Abends vier Uhr ein Imi Hochheimer und anderthalb Imi Nie¬ renſteiner, und der Koͤnig ging voll Verwunde¬ rung zu ihnen ins Zelt, um zu ſehen, wie es mit ihnen ſtehe. Die beiden Geſellen waren aber wohl auf und der Hauptmann ſagte: „ ſo, jetzt will ich einmal die Degenkuppel abſchnal¬80 len, dann geht's beſſer; “Ohnegrund machte aber drei Knoͤpfe an ſeinem Koller auf.
Da entſatzten ſich alle, die dieß ſahen, der Koͤnig aber ſprach: „ kann ich beſſere Geſandte finden nach der froͤhlichen Stadt Bremen als dieſe? “ Und alſobald ließ er dem Hauptmann praͤchtige Kleider und Waffen geben, wie auch Ohnegrund, dem Reitknecht, denn dieſer ſollte den Schreiber des Geſandten vorſtellen. Der Koͤnig und der Kanzlar unterrichteten den Haupt¬ mann, was er zu ſagen haͤtte bei der Unter¬ handlung, und nahm beiden das Verſprechen ab, daß ſie auf der ganzen Reiſe nur Waſſer trinken ſollten, damit nachher das Treffen im Keller um ſo glorreicher wuͤrde; Gutkunſt aber, der Hauptmann, mußte ſeine rothe Naſe mit einer kuͤnſtlichen Salbe anſtreichen, auf daß ſie weiß ausſah, damit man nicht merke, welch 'ein Kunde er ſey. “
„ Ganz elendiglich vom vielen Waſſertrin¬81 ken kamen die beiden nach der Stadt Bremen, und nachdem ſie bei dem Buͤrgermeiſter gewe¬ ſen, ſagte dieſer zum Senat: „ o! was hat uns der Schwede fuͤr zwei bleiche, magere Geſellen geſchickt; heute Abend wollen wir ſie in den Rathskeller fuͤhren und zudecken. Ich nehme den Geſandten auf mich ganz allein, und der Doctor Schnellpfeffer muß auf den Schreiber. “ So wurden ſie denn Abends nach der Betglocke feierlichſt in den Rathskeller gefuͤhrt, der Buͤr¬ germeiſter fuͤhrte Gutkunſten, den Hauptmann, der Doctor Schnellpfeffer, was auch ein gu¬ ter Trinker war, fuͤhrte den Reitknecht am Arm, der als Schreiber angethan ſich recht zuͤchtiglich geberdete; hinter ihnen gingen viele Rathsherren, die zur Verhandlung geladen waren. Hier in dieſem Gemach ſetzten ſie ſich um den Tiſch und verſpeißten zuerſt Ha¬ ſenbraten und Schinken und Haͤringe, um ſich zum Trinken zu ruͤſten. Dann wollte der Ge¬682ſandte ganz ehrbar mit der Verhandlung an¬ fangen und ſein Schreiber zog Pergament und Feder aus der Taſche; aber der Buͤrgermeiſter ſprach: „ mit nichten alſo Ihr edlen Herren; ſo iſt es nicht Gebrauch in Bremen, daß man die Sache alſo trocken abmacht; wollen ein¬ ander vorerſt auch zutrinken nach Sitte unſerer Vaͤter und Großvaͤter. “ „ Kann eigentlich nicht viel vertragen, “antwortete der Hauptmann, „ dieweil es aber ſeiner Magnificenz alſo ge¬ faͤllig, will ich ein Schluͤcklein zu mir neh¬ men. “ Nun tranken ſie ſich zu und hielten ein Geſpraͤch uͤber Krieg und Frieden und uͤber die Schlachten, ſo geliefert worden; die Raths¬ herren aber, um den Fremden mit gutem Beiſpiel voranzugehen, tranken ſich weidlich zu und bekamen rothe Koͤpfe. Bei jeder neuen Flaſche entſchuldigten ſich die Fremden, wie ſie gar den Wein nicht gewohnt waͤren und er ihnen zu Kopf ſteige; deß freute ſich der Buͤr¬83 germeiſter, trank in ſeiner Herzensluſt ein Pa߬ glas um das andere, ſo daß er nicht mehr recht wußte was zu beginnen. Aber, wie es zu gehen pflegt in dieſem wunderbaren Zu¬ ſtand, er dachte: „ jetzt iſt er betrunken, der Geſandte, und auch dem Schreiber hat der Doctor tuͤchtig zugeſetzt; “und ſprach daher: „ Nun wollen wir anfangen mit unſerem Ge¬ ſchaͤft. “ Das waren die Fremden zufrieden, thaten, wie wenn ſie voll Weines waͤren und tranken auf ihrer Seite den Herren weidlich zu. “
„ Da wurde nun geſprochen und getrunken, gehandelt und wieder getrunken, bis der Buͤr¬ germeiſter mitten im Satz einſchlief und der Doctor Schnellpfeffer unter dem Tiſche lag. Da kamen denn die andern Rathsherren und tranken den Fremden zu und fuͤhrten die Ver¬ handlung fort; aber trank der Hauptmann laͤſterlich, ſo machte es ſein Reitknecht nicht ſchlimmer; fuͤnf Kuͤper mußten immer hin84 und herlaufen und einſchenken, denn der Wein verſchwand von dem Tiſch als waͤre er in den Sand gegoſſen worden. So geſchah es, daß die Gaͤſte nacheinander den ganzen Rath unter den Tiſch tranken bis auf Einen. “
„ Dieſer Eine aber war ein großer ſtarker Mann, mit Namens Walther, von wel¬ chem man allerlei ſprach in Bremen, und waͤre er nicht im Rath geſeſſen, man haͤtte ihn laͤngſt boͤſer Kuͤnſte und Zauberei ange¬ klagt. Herr Walther war ſeines Zeichens ei¬ gentlich ein Zirkelſchmidt geweſen, hatte ſich aber hervorgethan in ſeiner Gilde, war unter die Aeltermaͤnner gekommen und nachher in den Senat. Dieſer hielt aus bei den Gaͤſten, trank zweimal ſoviel als beide, ſo daß ihnen ganz unheimlich wurde, denn er war ſo ver¬ ſtaͤndig, wie zuvor, waͤhrend der Hauptmann ſchon truͤbe Augen bekam und glaubte, es gehe ihm ein Rad im Kopf herum. So oft der85 Senator Walther ein Paßglas getrunken, fuhr er mit der Hand unter den Hut, und dem Reit¬ knecht kam es vor, als ſehe er ein blaͤuliches Woͤlkchen, ganz fein wie Nebel, aus ſeinem rabenſchwarzen Haar hervorſteigen. Er trank wacker darauf los, bis der Hauptmann Gut¬ kunſt ſelig entſchlief und ſein Haupt ganz weich auf des Buͤrgermeiſters Bauch legte. “
„ Da ſprach der Senator Walther mit ſon¬ derbarem Laͤcheln zu dem Schreiber des Ge¬ ſandten: „ Lieber Geſelle, du fuͤhrſt einen maͤch¬ tigen Zug, ich vermeine aber, daß du mit dem Roßſtriegel beſſer fortkommſt als mit der Feder. “ Da erſchrack der Schreiber und ſprach: „ Wie meinet Ihr dieß, Herr! ich will nicht hoffen, daß Ihr mir Hohn ſprechen wollt; bedenket, daß ich Seiner Majeſtaͤt Geſandt¬ ſchafts-Schreiber bin. “
„ Hohoh! “! “rief der andere mit ſchrecklichem Lachen, „ ſeit wann haben denn ordentliche86 Geſandtſchafts-Schreiber ſolche Kittel an und fuͤhren ſolche Federn bei der Sitzung? “ Da ſah der Reitknecht auf ſein Kleid und bemerkte mit großem Schrecken, daß er ſeinen gewoͤhn¬ lichen Stallkittel an habe, er ſah auf ſeine Hand, und ſiehe da, ſtatt der Feder hielt er eine ganz gemeine Krazbuͤrſte. Da entſetzte er ſich und ſah ſich verrathen, und wußte nicht wie ihm geſchah. Herr Walther aber laͤchelte ſeltſam und hoͤhniſch, und trank ihm einen Hum¬ pen von anderthalb Maas zu auf einen Zug, fuhr dann mit der Hand hinter die Ohren, und der Reitknecht ſah ganz deutlich, wie ein fei¬ ner Nebel aus ſeinem Kopf kam. „ Gott ſoll mich bewahren, Herr! daß ich fuͤrder mit Euch trinke, “rief er; „ Ihr ſeyd ein Schwarzkuͤnſt¬ ler, wie ich nun vermuthe, und koͤnnt mehr als Brod eſſen. “
„ Daruͤber waͤre noch vielerlei zu ſagen, “antwortete Walther ganz ruhig und freund¬87 lich, „ aber es wuͤrde dir auch nicht viel hel¬ fen, werthgeſchaͤtzter Stallknecht und Roßkamm, wenn du mir fuͤrder zuſetzteſt mit Trinken, mich trinkſt du nicht unter den Tiſch, was maaſen ich einen kleinen Hahnen in mein Ge¬ hirn geſchraubt habe, durch welchen der Wein¬ dunſt wieder herausfaͤhrt. Schau zu! “ Dabei trank er ein großes Paßglas aus, wandte ſeinen Kopf heruͤber zu dem Reitknecht Ohne¬ grund, ſtrich ſein Haar zuruͤck, und ſiehe da, in ſeinem Kopf ſteckte ein kleiner ſilberner Hahn, wie an einem Faß; da drehte er den Zapfen um und ein blaͤulicher Dunſt ſtroͤmete hervor, ſo daß ihm der Weingeiſt keine Be¬ ſchwerden machte in der Hirnkammer. “
Da ſchlug der Reitknecht vor Verwunde¬ rung die Haͤnde zuſammen und rief: „ Das iſt einmal eine ſchoͤne Erfindung, Herr Zau¬ berer! koͤnnet Ihr mir nicht auch ſo ein Ding an den Kopf ſchrauben, um Geld und gute88 Worte? “ „ Nein, das geht nicht, antwortete jener bedaͤchtig; da ſeyd Ihr nicht erfahren ge¬ nug in geheimer Wiſſenſchaft; aber ich habe Euch liebgewonnen wegen Eurer abſonderlichen Kunſt im Trinken, darum moͤchte ich Euch gerne dienen, wo ich kann. Zum Beiſpiel, es iſt gegenwaͤrtig die Stelle des Kellermeiſters vacant allhier. Balthaſar Ohnegrund! ver¬ laß den Dienſt dieſer Schweden, wo es doch mehr Waſſer als Wein gibt, und diene dem wohledlen Rath dieſer Stadt; wenn wir auch einige Laſten Wein mehr brauchen des Jahrs, die du heimlich ſaufeſt, das thut nichts, ein ſolcher Capitalkerl hat uns laͤngſt gefehlt; Balthaſar Ohnegrund! ich mach 'dich morgen zum Kellermeiſter, wenn du willſt. Willſt du nicht, ſo iſt's auch gut; dann weiß aber mor¬ gen die ganze Stadt, daß uns der Schwede einen Reitknecht als Schreiber geſchickt. “ Die¬ ſer Vorſchlag mundete dem Balthaſar wie89 edler Wein; er that einen Blick in dieſes unermeßliche Weinreich, ſchlug ſich auf den Magen und ſagte: „ ich wills thun. “ Nach¬ her machten ſie noch allerhand Punkte aus, wie es gehalten werden ſoll nach Ohnegrunds zeitlichem Hinſcheiden mit ſeiner armen Seele. Er wurde Kellermeiſter, der Hauptmann Gut¬ kunſt aber zog mit zweideutigen Bedingun¬ gen ab ins ſchwediſche Lager, und als nach¬ her die Kaiſerlichen in die Stadt kamen, war der Buͤrgermeiſter und Senat froh, daß ſie ſich mit dem Schweden nicht zu tief eingelaſ¬ ſen, obgleich keiner recht wußte, wie es ſo gekommen war. “
So erzaͤhlte die Roſe, die Apoſtel und ich dankten ihr und lachten ſehr uͤber die beiden Geſandten, Paulus aber fragte: „ und Bal¬ thaſar Ohnegrund, der wackere Kunde, was iſt aus ihm geworden? blieb er Kellermei¬ ſter? “ Die Roſe aber wandte ſich um mit Laͤ¬90 cheln, deutete auf eine Ecke des Gemachs und ſagte: „ dort ſitzt er ja noch, wie vor zwei¬ hundert Jahren, der wackere Zecher. “ Mir graute, als ich hinſah; eine bleiche abgehaͤrmte Geſtalt ſaß in der Ecke, ſchluchzte und weinte ſehr und trank dazu ſehr viel Rheinwein; aber es war niemand anders, als eben der Keller¬ meiſter Balthaſar, der aus Unſer lieben Frauen Kirchhof herabgekommen war, nachdem ihn Matthaͤus aus dem Schlaf geſchellt.
„ Nun alter Balthaſar, “rief ihm Jacobus zu, „ du haſt alſo als Reitknecht gedient beim Hauptmann Gutkunſt und warſt ſogar Ge¬ ſandtſchaftsſchreiber oder Secretaͤr, ehe du Kel¬ lermeiſter wurdeſt? was machte denn der Herr, ſo den Hahnen im Hirnkaſten hatte, fuͤr Be¬ dingniſſe? “
„ O Herr! “ſtoͤhnte der alte Kellermeiſter aus tiefer Seele, und es war, als ob ihn der ewige Tod auf dem Fagott begleitete, ſo graͤu¬91 lich toͤnte es aus ſeiner Bruſt, „ o Herr! for¬ dert nicht von mir, daß ich es ſage. “
„ 'Heraus damit, “ſchrieen die Apoſtel, „ was wollte der mit dem Spiritusableiter? der Weingeiſtſchroͤpfer, was wollte er? “
„ Meine Seele. “
„ Armer Kerl, “ſagte Petrus ſehr ernſt; „ und um was wollte er deine arme Seele? “
„ Um Wein; “murmelte er dumpf, und mir war es, als ob eine Stimme ohne Hoff¬ nung ſpraͤche.
„ Rede deutlicher, Alter, wie hat er es ge¬ macht mit deiner Seele? “ Er ſchwieg lange; endlich ſprach er: „ warum dieß erzaͤhlen, ihr Herren? Es iſt grauſig, und ihr verſteht doch nicht, was es heißt, eine Seele verlieren. “
„ Wohl wahr, “ſprach Paulus, „ wir ſind froͤhliche Geiſter und ſchlummern im Weine, und freuen uns ewiger ungetruͤbter Herrlichkeit und Freude; darum kann uns aber auch kein92 Grauen anwandlen, denn wer hat Macht uͤber uns, daß er uns elend mache oder uns ſchrecke? darum erzaͤhle! “
„ Aber es ſitzt ein Menſch am Tiſch, der kann es nicht vertragen, “ſprach der Todte, „ vor ihm darf ich es nicht ſagen. “
„ Nur zu, immer zu, “erwiederte ich, an allen Gliedern ſchauernd, „ ich kann eine hin¬ laͤngliche Doſis Schauerliches ertragen, und was iſt es am Ende, als daß Euch der Teufel geholt? “
„ Herr, es waͤre Euch beſſer, Ihr bete¬ tet, “murmelte der Alte, „ aber Ihr wollt es ſo haben, ſo hoͤret: der Menſch, der in jener Nacht in dieſem Zimmer bei mir ſaß, — es war ein boͤſes Ding mit ihm. Der hatte ſeine Seele dem Boͤſen verhandelt, und es war da¬ bei bedingt, daß er ſich loskaufen koͤnnte durch eine andere Seele. Schon viele hatte er auf dem Korn gehabt, aber allemal waren ſie i[h]m93 wieder entgangen. Mich faßte er beſſer. Ich war wild aufgewachſen ohne Unterricht, und das Leben im Kriege ließ mich nicht viel nach¬ denken; wenn ich ſo uͤber ein Schlachtfeld ritt, und der Mondſchein fiel herab, und Freund und Feind niedergemaͤhet da lagen, da dachte ich: ſie ſind jetzt halt todt und leben nicht mehr; von der Seele hielt ich nicht viel und von Himmel und Hoͤlle noch weniger. Aber weil man ſo kurz lebt, wollt ich's Leben recht genießen, und Wein und Spiel war mein Ele¬ ment. Das hatte mir der Hoͤllenknecht abge¬ merkt und ſprach zu mir in jener Nacht: „ ſo zwanzig, dreißig Jahr zu leben in dieſem Kel¬ lerreich, in dieſem Weinhimmel zu trinken nach Herzensluſt, nicht wahr, Balthaſar, das muͤßt 'ein Leben ſeyn? “ Ja, Herr, ſprach ich, aber wie koͤnnte ich dieß verdienen? „ An was liegt dir mehr, “fuhr er fort, „ hier recht zu leben nach Herzensluſt auf der Erde, hier im94 Keller, oder an den Geſchichten, die ſich nachher begeben, wo man gar nicht weiß, ob man nur noch lebt und Wein trinkt? “ Ich that einen graͤßlichen Schwur und ſagte: „ meine Gebeine werden dahin fahren, wo die Gebeine meiner Geſellen liegen; iſt der Menſch todt, ſo fuͤhlt er nicht und denkt nicht; hab' es an manchem Cameraden erlebt, dem die Kugel das Hirn zerſchmetterte, darum will ich leben und luſtig ſeyn. “ Er aber ſprach zu mir: „ wenn du Verzicht leiſten willſt auf das, was nachher koͤmmt, ſo iſt es ein Leichtes, dich hier zum Kellermeiſter zu machen, ſchreib nur deinen Namen in dieß Buͤchlein und thue einen recht tuͤchtigen Schwur dazu. “ „ Was nachher mit mir geſchieht, das kuͤmmert mich nicht, “ſprach ich; „ Kellermeiſter will ich hier ſeyn immer¬ dar und ewiglich, ſo lang ich bin, und der Teufel oder wer will kann das andere haben alles, wenn ſie mich einſt einſcharren. “
95„ Als ich ſo geſprochen, waren wir nicht mehr zu Zwei, ſondern ein Dritter ſaß neben mir, und hielt mir das Buͤchlein hin zum Unterſchrei¬ ben; der aber, der dieß that, war nicht der Zirkelſchmidt, ſondern ein Anderer. “
„ Wer war es denn? ſag 'an! “riefen die Apoſtel ungeduldig.
Die Augen des alten Kellermeiſters fun¬ kelten graͤulich und ſeine bleichen Lippen beb¬ ten; er ſetzte mehreremal an, um zu ſprechen, aber ein Krampf ſchien ihm die Kehle zuzu¬ ſchnuͤren. Da blickte er auf einmal feſt und muthig in eine dunkle Ecke, trank ſein Glas aus und warf es an die Erde; „ was hilft alle Reue, alter Balthaſar, “ſprach er, indem große Thraͤnen in ſeinen Wimpern hingen; „ der bei mir ſaß — war der Teufel. “
Es war bei dieſen Worten unheimlich, bis zur Verzweiflung unheimlich in dem Gemach; die Apoſtel ſchauten ernſt und ſchweigend96 in ihre Roͤmer, Bachus hatte das Geſicht in die Haͤnde gedruͤckt, und die Roſe war bleich und ſtille. Kein Athemzug ruͤhrte ſich, man hoͤrte nur, wie in dem Todtenkopf des Alten die Zaͤhne ſchaudernd aneinander klapperten.
„ Mein Vater hatte mich gelehrt, meinen Namen zu ſchreiben, als ich noch ein kleiner, frommer Knabe war; ich unterſchrieb ihn ins Buch, das mir der Andere mit ſeinen Krallen vorhielt. Von da an ging mir ein Leben auf in Saus und Brauß; in ganz Bremen gab es keinen Mann ſo froͤhlich als den Kellermeiſter Balthaſar, und getrunken hab 'ich, was der Keller Gutes und Koͤſtliches hatte. Zur Kirche ging ich nie, ſondern wenn ſie zuſammen laͤu¬ teten, ſchritt ich hinab zum beſten Faß und ſchenkte mir ein nach Herzensluſt. Als ich alt wurde, kam oft ein Grauen uͤber mich und es froͤſtelte mir durch die Glieder, wenn ich97 ans Sterben dachte; hatte zwar kein Weib, das um mich jammerte, aber auch keine Kinder, die mich troͤſteten, da trank ich denn, wenn die Todesgedanken uͤber mich kamen, bis ich von Sinnen war und ſchlief. So trieb ich's lange Jahre, mein Haar ward grau, meine Glieder ſchwach, und ich ſehnte mich, zu ſchla¬ fen im Grabe. Da war mir eines Tages, als ſey ich erwacht und koͤnne doch nicht recht er¬ wachen; die Augen wollten ſich nicht aufthun, die Finger waren ſteif, als ich mich aus dem Bette heben wollte, und die Beine lagen ſtarr wie ein Stuͤck Holz. An mein Bett aber tra¬ ten Leute, betaſteten mich und ſprachen: „ der alte Balthaſar iſt todt. “
„ Todt, dachte ich und erſchrack, todt und nicht ſchlafen? todt bin ich und denke? Mich erfaßte eine unnennbare Angſt, ich fuͤhlte, wie mein Herz ſtille ſtand, und wie ſich doch etwas in mir regte und in ſich zu ſammen zog und798bange, bange war; das war mein Koͤrper nicht, denn der lag ſteif und todt, was war es denn? “
„ Deine Seele! “ſprach Petrus dumpf; „ Deine Seele! “fluͤſterten die andern ihm nach.
„ Da maßen ſie meine Laͤnge und Breite, um die ſechs Brettlein fertig zu machen, und legten mich hinein und ein hartes Kißen von Hobelſpaͤhnen unter meinen Schaͤdel, und na¬ gelten die Bahre zu, und meine Seele wurde immer aͤngſtlicher, weil ſie nicht ſchlafen konnte. Dann hoͤrte ich die Todtenglocke laͤuten auf der Domkirche, ſie hoben mich auf und kein Auge weinte um mich. Sie trugen mich auf Unſer lieben Frauen Kirchhof, dort hatten ſie mein Grab gegraben, noch hoͤre ich die Seile ſchwir¬ ren, die ſie heraufzogen, als ich unten lag; dann warfen ſie Steine und Erde herab und es ward ſtille um mich her. “
99„ Aber meine Seele zitterte heftiger, als es Abend wurde, als es zehn Uhr, eilf Uhr ſchlug auf allen Glocken. Wie wird es dir gehen, wie wird es dir gehen? dachte ich bei mir. Ich wußte noch ein Gebetlein aus alter Zeit, das wollte ich ſprechen, aber meine Lippen ſtan¬ den ſtill. — Da ſchlug es zwoͤlf Uhr, und mit einem Ruck ward die ſchwere Grabesdecke ab¬ geriſſen und auf meinen Sarg geſchah ein ſchrecklicher Schlag. “—
„ Ein Schlag, daß die Hallen droͤhnten, ſprengte jetzt eben die Thuͤre des Gemaches auf, und eine große weiße Geſtalt erſchien auf der Schwelle. Ich war durch Wein und die Schreck¬ niſſe dieſer Nacht ſo exaltirt und auſſer mir ſelbſt gebracht, daß ich nicht aufſchrie, nicht aufſprang, wie wohl ſonſt geſchehen waͤre, ſon¬ dern geduldig das Schreckliche anſtarrte, das jetzt kommen ſollte; mein erſter Gedanke war naͤmlich: „ jetzt kommt der Teufel. “
100Habt Ihr je im Don Juan jenen bangen Moment geſchaut, wo Tritte dumpf und im¬ mer naͤher toͤnen, wo Leporello ſchreiend zu¬ ruͤckkoͤmmt und die Statue des Gouverneurs, ihrem Streitroß auf dem Monument entſtiegen, zum Gaſtmal koͤmmt? Rieſengroß, mit abge¬ meſſenem droͤhnendem Schritt, ein ungeheures Schwert in der Hand, gepanzert, aber ohne Helm, trat die Geſtalt ins Gemach. Sie war von Stein, das Geſicht ſteif und ſeelenlos; aber dennoch that ſich der ſteinerne Mund auf und ſprach: „ Gott gruͤß Euch, vielliebe Reben vom Rheine; muß doch das ſchoͤne Nachbars¬ kind beſuchen an ihrem Jahrestag. Gott gruͤß Euch, Jungfrau Roſe. Darf ich auch Platz nehmen in Eurem Gelaggaden? “
Sie ſchauten alle verwundert nach der rieſigen Statue, Frau Roſe aber brach das Stillſchwei¬ gen, ſchlug vor Freude die Haͤnde zuſammen und ſchrie: „ Ei, du meine Guͤte! 's iſt ja der101 ſteinerne Roland, ſo ſeit vielen hundert Jahren auf dem Domhofe in der lieben Stadt Bremen ſteht. Ei, das iſt ſchoͤn, daß Ihr uns die Ehre anthut, Herr Ritter; leget doch Schild und Schwert ab, und machet es Euch bequem; wollet Ihr Euch nicht obenan ſetzen an meine Seite? O Gott, wie mich das freut! “
Der hoͤlzerne Weingott, ſo indeſſen wieder um ein Erkleckliches gewachſen, warf muͤrriſche Blicke bald auf den ſteinernen Roland, bald auf die naive Dame ſeines Herzens, die ihre Freude ſo laut und unverholen ausgelaſſen. Er murmelte etwas von ungebetenen Gaͤſten, und ſtrampelte ungeduldig mit den Beinen. Aber Roſe druͤckte ihm unter dem Tiſche die Hand und beſchwichtigte ihn durch ſuͤße Blicke. Die Apoſtel waren naͤher zuſammen geruͤckt und hatten dem ſteinernen Gaſt einen Stuhl neben dem alten Fraͤulein eingeraͤumt. Er legte Schwert und Schild in die Ecke, und102 ſetzte ſich ziemlich ungelenk auf das Stuͤhlein, aber ach, dieß war fuͤr ehrſame Bremer Stadt¬ kinder und nicht fuͤr einen ſteinernen Rieſen gemacht, es knackte, als er ſich ſetzte, morſch zuſammen, und ſo lang er war, lag er im Gemach.
„ Schnoͤdes Geſchlecht, das ſolche Hitſchen zimmert, worauf zu meiner Zeit nicht einmal ein zartes Fraͤulein haͤtte ſitzen koͤnnen ohne mit dem Sitz durchzubrechen, “ſagte der Heros und ſtand langſam auf; der Kellermeiſter Bal¬ thaſar aber rollte ein Halbeimerfaß herbei an den Tiſch, und lud den Ritter ein Platz zu nehmen. Es knackten nur ein Paar Dau¬ ben als er ſich ſetzte, aber das Faß hielt aus. Dann bot ihm der Kellermeiſter ein großes Roͤmerglas mit Wein, er faßte es mit der breiten ſteinernen Fauſt, aber krach! war es entzwei, daß ihm der Wein uͤber die Finger lief. „ Ei, Ihr haͤttet auch die Handſchuh103 von Stein fuͤglich ablegen koͤnnen, “ſprach Balthaſar aͤrgerlich, und credenzte ihm einen ſilbernen Becher, ſo ein Maas hielt, und in fruͤherer Zeit Tummler genannt wurde. Der Ritter faßte ihn, druͤckte nur einige unbedeu¬ tende Buckeln in den Becher, ſperrte das ſtei¬ nerne Maul auf und goß den Wein hinab.
„ Wie mundet Euch der Wein? “fragte Bachus den Gaſt; „ Ihr habt wohl lange kei¬ nen getrunken? “
„ Er iſt gut, bei meinem Schwert! ſehr gut! was iſt es fuͤr Gewaͤchs? “
„ Rother Engelheimer, geſtrenger Herr! “antwortete der Kellermeiſter.
Das ſteinerne Auge des Ritters bekam Le¬ ben und Glanz, als er dieß hoͤrte, die gemei¬ ſelten Zuͤge verſchoͤnerte ein ſanftes Laͤcheln, und vergnuͤglich ſchaute er in den Becher.
„ Engelheim! du ſuͤßer, trauter Name! “ſprach er. „ Du edle Burg meines ritterlichen104 Kaiſers; ſo nennt man alſo noch in dieſer Zeit deinen Namen und die Reben bluͤhen noch, die Karl einſt pflanzte in ſeinem Engelheim? Weiß man denn auch von Roland noch et¬ was auf der Welt, und von dem großen Ka¬ rolus, ſeinem Meiſter? “
„ Das muͤßt Ihr den Menſchen dort fra¬ gen, “erwiederte Judas, „ wir geben uns mit der Erde nicht mehr ab. Er nennt ſich Doc¬ tor und Magiſter, und muß Euch Beſcheid ge¬ ben koͤnnen uͤber ſein Geſchlecht. “
Der Rieſe richtete ſein Auge fragend auf mich und ich antwortete: „ Edler Paladin! Zwar iſt die Menſchheit in dieſer Zeit lau und ſchlecht geworden, iſt mit dem hohlen Schaͤdel an die Gegenwart genagelt und blickt nicht vor, nicht ruͤckwaͤrts, aber ſo elend ſind wir doch nicht geworden, daß wir nicht der großen, herrlichen Geſtalten gedaͤchten, die einſt uͤber unſere Vatererde gingen und ihren Schatten105 werfen noch bis zu uns. Noch gibt es Her¬ zen, die ſich hinuͤberretten in die Vergan¬ genheit, wenn die Gegenwart zu ſchaal und truͤbe wird, die hoͤher ſchlagen bei dem Klang großer Namen und mit Achtung durch die Ruinen wandlen, wo einſt der große Kaiſer ſaß in ſeiner Zelle, wo ſeine Ritter um ihn ſtanden, wo Eginhart bedeutungsvolle Worte ſprach und die traute Emma dem treuſten ſei¬ ner Paladine den Becher credenzte. Wo man den Namen Eures großen Kaiſers ausſpricht, da iſt auch Roland unvergeſſen, und wie Ihr ihm nahe ſtandet im Leben, ſo enge ſeyd Ihr mit ihm verbunden in Lied und Sage und in den Bildern der Erinnerung. Der letzte Ton Eures Hifthorns toͤnt noch immer aus dem Thal von Ronceval durch die Erde und wird toͤnen, bis er ſich in die Klaͤnge der letzten Poſaune miſcht. “
„ So haben wir nicht vergebens gelebt,106 alter Karl! “ſprach der Ritter, „ die Nach¬ welt feiert unſere Namen. “
„ Ha! “rief Johannes feurigen Muthes; „ dieſe Menſchen waͤren auch werth Waſſer aus dem Rhein zu ſaufen ſtatt des Rebenblutes ſeiner Huͤgel, wenn ſie den Namen des Man¬ nes vergeſſen haͤtten, der zuerſt die Reben pflanzte im Rheingau. Auf, ihr trauten Ge¬ ſellen und Apoſtel, ſtoßet an, unſer herrlicher Stammvater lebe, es lebe Kaiſer Karl der Große! “
Die Roͤmer klangen, aber Bachus ſprach: „ Ja, es war eine ſchoͤne, herrliche Zeit, und ich freue mich ihrer wie vor tauſend Jah¬ ren. Wo jetzt die wundervollen Weingaͤrten ſtehen vom Ufer bis hinauf an die Ruͤcken der Berge, und hinauf und hinab im Rhein¬ thal Traube an Traube ſich ſchlingt, da lag ſonſt wuͤſter, duͤſterer Wald. Da ſchaute einſt Kaiſer Karl aus ſeiner Burg in Engelheim107 an den Bergen hin, er ſah, wie die Sonne ſchon im Maͤrz ſo warm dieſen Huͤgel be¬ gieße und den Schnee hinabrolle in den Rhein, wie ſo fruͤhe die Baͤume dort ſich belauben und das junge Gras dem Fruͤhling voraneile aus der Erde. Da erwachte in ihm der Ge¬ danke Wein zu pflanzen, wo ſonſt der Wald lag. “
„ Und ein geſchaͤftiges Leben regte ſich im Rheingau bei Engelheim, der Wald verſchwand, und die Erde war bereit den Weinſtock auf¬ zunehmen. Da ſchickte er Maͤnner nach Un¬ garn und Spanien, nach Italia und Bur¬ gund, nach der Champagne und nach Lothrin¬ gen, und ließ Reben herbeibringen und ſenkte die Reiſer in der Erde Schooß. “
„ Da freute ſich mein Herz, daß er mein Reich ausbreite im deutſchen Lande, und als dort die erſten Reben bluͤhten, zog ich ein im Rheingau mit glaͤnzendem Gefolge; wir lager¬108 ten auf den Huͤgeln, und ſchafften in der Erde und ſchafften in den Luͤften, und meine Die¬ ner breiteten die zarten Netze aus und fingen den Fruͤhlingsthau auf, daß er den Reben nicht ſchade; ſie ſtiegen hinauf und brachten warme Sonnenſtrahlen nieder, die ſie ſorgſam um die kleinen Beerlein goßen, ſchoͤpften Waſ¬ ſer im gruͤnen Rhein und traͤnkten die zarten Wurzeln und Blaͤtter. Und als im Herbſt das erſte zarte Kind des Rheingaues in der Wiege lag, da hielten wir ein großes Feſt, und luden alle Elemente zur Feier ein. Und ſie brachten koͤſtliche Geſchenke und legten ſie dem Kindlein als Angebinde in die Wiege. Das Feuer legte ſeine Hand auf des Kindes Augen und ſprach: „ du ſollſt mein Zeichen an dir tragen ewiglich; ein reines, mildes Feuer ſoll in dir wohnen und dich werth ma¬ chen vor allen andern. “ Und die Luft in zar¬ tem, goldenem Gewande kam heran, legte109 ihre Hand auf des Kindes Haupt und ſprach: „ zart und licht ſey deine Farbe, wie der goldene Saum des Morgens auf den Huͤgeln, wie das goldene Haar der ſchoͤnen Frauen im Rhein¬ gau. “ Und das Waſſer rauſchte heran in ſil¬ bernen Kleidern, buͤckte ſich auf das Kind und ſprach: „ Ich will deinen Wurzeln immer nahe ſeyn, daß dein Geſchlecht ewig gruͤne und bluͤhe und ſich ausbreite, ſo weit mein Rhein¬ ſtrom reicht. “ Aber die Erde kam und kuͤßte das Kindlein auf den Mund und wehte es an mit ſuͤßem Athem. „ Die Wohlgeruͤche meiner Kraͤuter, “ſprach ſie, „ die herrlichſten Duͤfte meiner Blumen habe ich fuͤr dich geſammelt zum Angebinde. Die koͤſtlichſten Salben aus Ambra und Myrrhen werden gering ſeyn ge¬ gen deine Duͤfte, und deine lieblichſten Toͤchter wird man nach der Koͤnigin der Blumen heißen, — die Roſen. “
„ So ſprachen die Elemente; wir aber ju¬110 belten uͤber die herrlichen Gaben, ſchmuͤckten das Kindlein mit friſchem Weinlaub und ſchick¬ ten es dem Kaiſer in die Burg. Und er er¬ ſtaunte uͤber die Herrlichkeit des Rebenkindes, hat es fortan gehegt und gepflegt, und die Rebe am Rhein ſeinen herrlichſten Schaͤtzen gleich geachtet. “
„ Andreas! “rief Jungfrau Roſe, „ lieber Vetter, Du haſt ſolch 'eine ſchoͤne zarte Stim¬ me, willſt du nicht ſingen zum Ruhme des Rheingaues und ſeiner Weine? “
„ Wenn es Euch erheitert, edle Jungfrau, und Euch nicht Beſchwerde macht, edler Ba¬ chus, wie auch Euch nicht unangenehm iſt, mein Herr und Ritter Roland, ſo will ich eins ſingen. “ Und er ſang eine ſchoͤne Weiſe voll zarter Toͤne und Worte, klangvoll und zierlich gefuͤget, ſo, daß man wohl merken konnte, es ſey ein Lied eines alten Meiſters von 1400 oder 1500. Verflogen ſind ſeine Worte111 aus meinem Gedaͤchtniß, aber ſeine Weiſe moͤchte ich doch wohl finden, denn ſie war ein¬ fach und ſchoͤn, und Petrus begleitete ihn mit einem ſonoren, herrlichen Secund. Die Luſt des Geſanges ſchien uͤber alle herabzukommen, denn als Andreas geendet, ſang Judas un¬ aufgefordert ein Lied, und ihm folgten die uͤbri¬ gen. Selbſt Roſe, ſo ſehr ſie ſich zierte, mußte ein Lied von 1615 ſingen, was ſie mit ange¬ nehmer, etwas zitternder Stimme vortrug. Mit droͤhnendem Baß ſang Roland eine Kriegs¬ hymne der Franken, von welcher ich nur einige Worte verſtand, und endlich, als ſie alle ge¬ ſungen, ſchauten ſie auf mich, und Roſe nickte mir zu etwas zu ſingen. Da hub ich denn an:
Sie lauſchten, als ſie dieſe Worte hoͤrten, ſie nickten ſich zu und ruͤckten naͤher zuſam¬ men, und die entfernteren ſtreckten die Koͤpfe vor, als wollten ſie kein Wort verlieren. Mu¬ thiger erhob ich meine Stimme, lauter und immer lauter war mein Geſang, denn es wogte in mir wie Begeiſterung, vor ſolchem Publicum zu ſingen. Die alte Roſe nickte den Text mit dem Kopfe und ſummte den Chorus leiſe, leiſe mit, und Freude und Stolz blickte aus den Augen der Apoſtel. Und als ich geendet, draͤngten ſie ſich zu, druͤckten mir die Haͤnde, und Andreas hauchte einen Kuß auf meine Lippen.
„ Doctor! “rief Bachus, „ Doctor, welch ein Lied! wie geht einem da das Herz auf. Herzens-Doctor haſt du das Lied gedichtet in deinem eigenen graduirten Gehirn? “
„ Nein, Euer Excellenz! ſolch ein Meiſter des Geſanges bin ich nicht. Aber den, der es113 gedichtet, haben ſie laͤngſt begraben; er hieß Matthias Claudius! “
„ Sie haben — einen guten Mann begraben, “ſagte Paulus. „ Wie klar und munter iſt dieß Lied, ſo klar und helle wie aͤchter Wein, ſo muthig und munter wie der Geiſt, der im Weine wohnet und gewuͤrzt mit Scherz und Laune, die wie ein wuͤrziger Duft aus dem Roͤmer ſteigen; der Mann hat gewiß verſtanden, welch 'gutes Ding es um ein Glas lautern Weines iſt. “
„ Herr, er iſt lange todt, das weiß ich, aber ein anderer großer Sterblicher hat geſagt: „ guter Wein iſt ein gutes, geſelliges Ding, und jeder Menſch kann ſich wohl einmal von ihm begeiſtern laſſen! “ Und ich denke, der alte Matthias hat auch ſo gedacht unter gu¬ ten Freunden, haͤtte ja ſonſt ſolch 'ein ſchoͤnes Lied nicht machen koͤnnen, das noch heute alle8114froͤhlichen Menſchen ſingen, die im Rheingau wandeln oder edeln Rheinwein trinken. “
„ Singen ſie das? “rief Bachus, „ nun ſeht, Doctor, das freut mich, und ſo gar miſerabel muß Euer Geſchlecht doch nicht ge¬ worden ſeyn, wenn ſie ſo klare, ſchoͤne Lieder haben und ſingen. “
„ Ach, Herr! “ſprach ich bekuͤmmert; „ es gibt der Ueberſchwaͤnglichen gar viele, das ſind die Pietiſten in der Poeſie, und wollen ſolch 'Lied gar nicht fuͤr ein Gedicht gelten laſſen, wie manchen Froͤmmlern das Vater¬ unſer nicht myſtiſch genug zum Beten iſt. “
„ Es hat zu jeder Zeit Narren gegeben, Herr! “erwiederte mir Petrus, „ und jeder fegt am beſten vor ſeiner eigenen Thuͤre. Aber weil wir gerade bei ſeinem Geſchlecht ſind, erzaͤhl 'Er uns doch, wie es auf der Erde ging im letzten Jahr? “
115„ Wenn es die Herren und Damen intereſ¬ ſirt, “— ſprach ich zoͤgernd.
„ Immer zu, “rief Roland, „ wegen mei¬ ner koͤnntet Ihr die letzten fuͤnfhundert Jahre erzaͤhlen, denn auf meinem Domhof ſehe ich nichts als Zigarrenmacher, Weinbrauer, Pfar¬ rer und alte Weiber. “ Auch die uͤbrigen ſtimm¬ ten mit ein, ich hub alſo an:
„ Was zuerſt die deutſche Literatur betrifft “—
„ Halt, manum de fabula! “rief Paulus; „ was ſcheeren wir uns um euer miſerables Geſchmier, um eure kleinlichen, eckelhaften Gaßenſtreite und Kneipenraufereien, um eure Poetaſter, Afterpropheten und — “
Ich erſchrack; wenn dieſen Leuten nicht ein¬ mal unſere wunderherrliche, magnifique Litera¬ tur intereſſant war, was konnte ich ihnen denn ſagen? Ich beſann mich und fuhr fort: „ of¬ fenbar hat Joco im letzten Jahre, was das Theater anbelangt “—
116„ Theater? geht mir weg! “unterbrach An¬ dreas, „ was ſollen wir von euren Puppenſpie¬ len, Marionettenkomoͤdien und ſonſtigen Thor¬ heiten hoͤren! Meinet Ihr etwa, uns komme viel darauf an, ob einer eurer Luſtſpieldichter ausgepfiffen wurde oder nicht? Habt Ihr denn dermalen gar nichts intereſſantes, nichts welt¬ hiſtoriſches, das Ihr etwa erzaͤhlen koͤnntet? “
„ Ach, daß Gott erbarm, “erwiederte ich, „ bei uns iſt die Welthiſtorie ausgegangen, wir haben in dieſem Fach nur noch den Bundestag in Frankfurt. Bei unſern Nachbarn hoͤchſtens gibt es noch hin und wieder etwas; zum Bei¬ ſpiel in Frankreich haben die Jeſuiten wieder Macht gewonnen und das Scepter an ſich ge¬ riſſen, und in Rußland ſollte es eine Revolu¬ tion geben. “
„ Ihr verwechſelt die Namen, Freund! “ſagte Judas, „ Ihr wolltet ſagen, in Ru߬ land ſind die Jeſuiten wieder eingezogen,117 und in Frankreich ſollte es eine Revolution geben? “
„ Mit nichten, Herr Judas von Iſcharioth, “antwortete ich, „ ſo iſt es, wie ich geſagt. “
„ Ei der tauſend! “murmelten ſie nachdenk¬ lich, „ das iſt ja ganz ſonderbar und verkehrt! Und, “fragte Petrus, „ keinen Krieg gibt es nicht? “
„ Ein klein wenig, wird aber bald vollends zu Ende ſeyn, in Griechenland, gegen die Tuͤrken. “
„ Ha! das iſt ſchoͤn, “rief der Paladin, und ſchlug mit der ſteinernen Fauſt auf den Tiſch; „ hat mich ſchon vor vielen Jahren geaͤrgert, daß die Chriſtenheit ſo ſchnoͤde zu¬ ſchaute, wie der Muſelmann dieß herrliche Volk in Banden hielt; das iſt ſchoͤn, wahrlich! Ihr lebet in einer ſchoͤnen Zeit und Euer Geſchlecht iſt edler, als ich dachte. Alſo die Ritter von Deutſchland und Frankreich, von Italien, Spa¬118 nien und England ſind ausgezogen, wie einſt unter Richard Loͤwenherz, die Unglaͤubigen zu bekaͤmpfen? Die Genueſer Flotte ſchifft im Archipel, die Tauſende der Streiter[uͤberzuſe¬ tzen], die Oriflamme naht ſich Stambuls Kuͤ¬ ſten und Oeſterreichs Banner weht im erſten Reihen? Ha! zu ſolchem Kampfe moͤchte ich ſelbſt noch einmal mein Roß beſteigen, mein gutes Schwert Durande ziehen und in mein Hifthorn ſtoßen, daß alle Helden, die da ſchlafen, aufſtuͤnden aus den Graͤbern, und mit mir zoͤgen in die Tuͤrkenſchlacht. “
„ Edler Ritter, “antwortete ich und erroͤ¬ thete vor meiner Zeit, „ die Zeiten haben ſich geaͤndert. Ihr wuͤrdet wahrſcheinlich als De¬ magoge verhaftet werden bei ſothanen Um¬ ſtaͤnden und Verhaͤltniſſen, denn weder Habs¬ burgs Banner noch die Oriflamme, weder Englands Harfe noch Hiſpaniens Loͤwen ſieht man in jenen Gefechten. “
119„ Wer iſt es denn, der gegen den Halb¬ mond ſchlaͤgt, wenn es nicht dieſe ſind? “
„ Die Griechen ſelbſt. “
„ Die Griechen? iſt es? “rief Jo¬ hannes; „ und die andern Staaten, wo ſind denn dieſe beſchaͤftigt? “
„ Noch haben ſie Geſandte bei der Pforte. “
„ Menſch, was ſagſt du, “ſprach Roland ſtarr vor Staunen, „ kann man es ignoriren, wenn ein Volk um ſeine Freiheit kaͤmpft? Heilige Jungfrau, was iſt dieß fuͤr eine Welt! Wahrlich, das moͤchte einen Stein erbarmen! “ Er quetſchte im Zorn, waͤhrend er die letzten Worte ſprach, den ſilbernen Becher wie duͤn¬ nes Zinn zuſammen, daß der Wein darin hoch an die Decke ſpritzte, fuhr raſſelnd auf vom Tiſch, nahm ſeine Tartſche und ſein lan¬ ges Schwert, und ſchritt duͤſter mit droͤhnenden Schritten aus dem Gemach.
120„ Ei, was iſt der ſteinerne Roland fuͤr ein zorniger Kumpan, “murmelte Roſe, nachdem er die Pforte klirrend zugeworfen, indem ſie etliche Weintropfen, die ſie benetzten, vom Buſentuch abſchuͤttelte; “will der ſteinerne Narr auf ſeine alten Tage noch zu Felde ziehen! wenn er ſich ſehen ließe, ſie ſteckten ihn gleich ohne Barmherzigkeit als Fluͤgelmann unter die Brandenburger Grenadiere, denn die Groͤße hat er. “
„ Jungfer Roſe, “erwiederte ihr Petrus, „ zornig iſt er, das iſt wahr, und er haͤtte koͤnnen auf andere Weiſe davon gehen; aber bedenket, daß er einſt, Furioſo, wahnſinnig war und noch ganz andere Sachen gethan, als ſilberne Becher zerquetſcht und Frauenzim¬ mer mit Wein beſudelt. Und genau beim Lichte beſehen, kann ich ihm ſeinen Unmuth auch nicht verdenken; war er doch auch ein¬ mal ein Menſch und dazu ein herrlicher Pa¬121 ladin des großen Kaiſers, ein tapferer Ritter, der, wenn es Karl gewollt haͤtte, allein gegen tauſend Muſelmannen zu Felde gezogen waͤre. Da hat er ſich denn geſchaͤmt und iſt unmu¬ thig geworden. “
„ Laßt ihn laufen, den ſteinernen Recken! “rief Bachus, „ hat mich genirt, der Burſche, hat mich genirt. Er paßt nicht unter uns, der Luͤmmel von zehen Schuh, er ſah immer hoͤhniſch auf mich herab. Die ganze Freudig¬ keit und mein Vergnuͤgen haͤtt 'er geſtoͤrt. Wir waͤren nicht zum Tanzen gekommen, nur weil er mit ſeinen ſteifen ſteinernen Beinen keinen tuͤchtigen[Hopſer] haͤtte riskiren koͤnnen, ohne elend umzuſtuͤlpen. “
„ Ja tanzen, heiſa, tanzen! “riefen die Apo¬ ſtel; „ Balthaſar ſpiel auf, ſpiel auf! “
Judas ſtand auf, zog ungeheure Stuͤlp¬ handſchuhe, die ihm beinahe bis zum Ellbo¬ gen reichten, trat zierlich an die Jungfrau122 heran und ſagte: „ Ehrenfeſte und allerſchoͤnſte Jungfer Roſe; duͤrfte ich mir die abſonderliche Ehre ausbitten mit Ihr den Erſten “—
„ Manum de! “— unterbrach ihn Bachus pathetiſch. „ Ich bin es, der den Ball arran¬ girt hat, und ich muß ihn eroͤffnen. Tanze er, mit wem er will, Meiſter Judas, mein Roͤschen tanzt mit mir. Nicht wahr, Schaͤ¬ zerl? “
Sie machte erroͤthend einen Knix zur Be¬ jahung, und die Apoſtel lachten den Judas aus und verhoͤhnten ihn. Mir aber winkte der Weingott heroiſch zu: „ Verſteht er Muſik, Doctor? “fragte er.
„ Ein wenig; “
„ Tactfeſt? “
„ O ja, tactfeſt wohl. “
„ Nun ſo nehme er dieß Faͤßlein da, ſetze er ſich neben Balthaſar Ohnegrund unſeren Kellermeiſter und Zinkeniſten, nehme er dieſe123 hoͤlzernen Kuͤperhaͤmmer zur Hand und be¬ gleite jenen mit der Trommel. “
Ich ſtaunte und bequemte mich; war aber ſchon meine Trommel etwas außergewoͤhnlich, ſo war Balthaſars Inſtrument noch auffallen¬ der. Er hielt naͤmlich einen eiſernen Hahnen von einem achtfuderigen Faß an Mund, wie ein Klarinett. Neben mich ſetzten ſich noch Bartholomaͤus und Jacobus mit ungeheuern Weintrichtern, die ſie als Trompeten hand¬ habten und warteten des Zeichens, der Tiſch wurde auf die Seite geruͤckt, Roſe und Bachus ſtellten ſich zum Tanze. Er winkte und eine ſchreckliche, quickende, mißtoͤnende Janitſcha¬ ren-Muſik brach los, zu der ich im ſechsachtel Tact auf mein Faß als Tambour aufſchle¬ gelte. Der Hahn, den Balthaſar blies, toͤnte wie eine Nachtwaͤchter-Tute und wechſelte nur zwiſchen zwei Toͤnen, Grundton und abſcheu¬ lich hohem Falſett, die beiden Trichtertrompe¬124 ter bließen die Backen auf und lockten aus ihren Inſtrumenten Angſt - und Klagelaute ſo herzdurchſchneidend, wie die Toͤne der Trito¬ nen, wenn ſie die Meermuſcheln blaſen.
Der Tanz, den die beiden auffuͤhrten, mochte wohl vor ein Paar hundert Jahren uͤblich geweſen ſeyn. Jungfer Roſe hatte mit beiden Haͤnden ihren Rock ergriffen und ſol¬ chen an den Seiten weit ausgeſpannt, daß ſie anzuſehen war, wie ein großes weites Faß. Sie bewegte ſich nicht ſehr weit von der Stel¬ le, ſondern trippelte hin und her, indem ſie bald auf -, bald niedertauchte und knixte. Le¬ bendiger war dagegen ihr Taͤnzer, der wie ein Kreiſſel um ſie herfuhr, allerlei kuͤhne Spruͤnge machte, mit den Fingern knallte und Heiſa, Juhe! ſchrie. Wunderlich war es anzuſehen, wie das kleine Schuͤrzlein der Jungfer Roſe, das ihm Balthaſar umgethan, hin und her flatterte in der Luft, wie ſeine Bein'chen um¬125 herbaumelten, wie ſein dickes Geſicht laͤchelte vor inniger Herzensluſt und Freude.
Endlich ſchien er ermuͤdet, er winkte Ju¬ das und Paulus herbei, und fluͤſterte ihnen etwas zu; ſie banden ihm die Schuͤrze ab, faßten ſolch an beiden Enden und zogen und zogen, ſo daß ſie ploͤtzlich ſo groß wurde, wie ein Betttuch; dann riefen ſie die anderen her¬ bei, ſtellten ſie rings um das Tuch und ließen es anfaſſen. „ Ha, dachte ich, jetzt wird wahr¬ ſcheinlich der alte Balthaſar ein wenig geprellt, zu allgemeiner Ergoͤtzung; wenn nur das Ge¬ woͤlbe nicht ſo nieder waͤre, da kann er leicht den Schaͤdel einſtoßen. “ Da kam Judas und der ſtarke Bartholomaͤus auf uns zu und fa߬ ten — mich; Balthaſar Ohnegrund lachte haͤmiſch; ich bebte, ich wehrte mich; es half nichts, Judas faßte mich feſt an der Kehle und drohte mich zu erwuͤrgen, wenn ich mich ferner ſtraͤube. Die Sinne wollten mir ver¬126 gehen, als ſie mich unter allgemeinem Jauch¬ zen und Geſchrei auf das Tuch legten; noch einmal raffte ich mich zuſammen: „ nur nicht zu hoch, meine werthen Goͤnner, ich renne mir ſonſt das Hirn ein am Gewoͤlbe, “rief ich in der Angſt des Herzens, aber ſie lachten und uͤberſchrien mich. Jetzt fingen ſie an, das Tuch hin und her zu wiegen, Balthaſar blies den Trichter dazu; jetzt ging es auf - und ab¬ waͤrts, zuerſt drei, vier, fuͤnf Schuh hoch, auf einmal ſchnellten ſie ſtaͤrker, ich flog hin¬ auf und — wie eine Wolke that ſich die Decke des Gewoͤlbes auseinander, ich flog immer aufwaͤrts zum Rathdach hinaus, hoͤher, hoͤher als der Thurm der Domkirche. „ Ha, “dachte ich im Fliegen, „ jetzt iſt es um dich ge¬ ſchehen, wenn du jetzt wieder faͤllſt, brichſt du das Genick oder zum allerwenigſten ein Paar Arme oder Beine! o Himmel, und ich weiß ja, was ſie von einem Mann mit ge¬127 brochenen Gliedmaßen denkt! ade! mein Leben, meine Liebe! “
Jetzt hatte ich den hoͤchſten Punkt meines Steigens erreicht, und eben ſo pfeilſchnell fiel ich abwaͤrts; krach! ging es durchs Rathhaus¬ dach und hinab durch die Decke des Gewoͤlbes, aber ich fiel nicht auf das Tuch zuruͤck, ſondern gerade auf einen Stuhl, mit dem ich ruͤcklings uͤber auf den Boden ſchlug.
Ich lag einige Zeit betaͤubt vom Fall. Ein Schmerz am Kopfe und die Kaͤlte des Bodens weckten mich endlich. Ich wußte anfangs nicht, war ich zu Hauſe aus dem Bette gefallen oder lag ich ſonst wo? Endlich beſann ich mich, daß ich irgendwo weit herabgeſtuͤrzt ſey. Ich un¬ terſuchte aͤngſtlich meine Glieder, es war nichts gebrochen, nur das Haupt that mir weh vom Fall. Ich raffte mich auf, ſah um mich; da war ich in einem gewoͤlbten Zimmer, der Tag ſchien matt durch ein Kellerloch herab, auf128 dem Tiſche ſpruͤhte ein Licht in ſeinem letzten Leben, umher ſtanden Glaͤſer und Flaſchen, und rings um die Tafel vor jedem Stuhl ein kleines Flaͤſchchen mit langem Zettel am Halſe; — ha; jetzt fiel mir nach und nach alles wie¬ der ein; ich war zu Bremen im Rathskeller; geſtern Nacht war ich herein gegangen, hatte getrunken, hatte mich einſchließen laſſen, da war —; voll Grauen ſchaute ich um mich, denn alle, alle Erinnerungen erwachten mit einemmal. Wenn der geſpenſtige Balthaſar noch in der Ecke ſaͤße, wenn die Weingeiſter noch um mich ſchwebten?! Ich wagte verſtoh¬ lene Blicke in die Ecken des duͤſteren Zimmers, es war leer. Oder wie? haͤtte mir dieß Alles nur getraͤumt?
Sinnend ging ich um die lange Tafel; die Probeflaͤſchchen ſtanden wie jeder geſeſſen hatte; obenan die Roſe, dann Judas, Jacobus, — Johannes, ſie alle an der Stelle, wo ich ſie129 leiblich geſchaut hatte dieſe Nacht. „ Nein ſo lebhaft traͤumt man nicht, “ſprach ich zu mir, „ dieß alles, was ich gehoͤrt, geſchaut, iſt wirk¬ lich geſchehen! “ Doch nicht lange hatte ich Zeit zu dieſen Reflexionen; ich hoͤrte Schluͤſſel raſſeln an der Thuͤre, ſie ging langſam auf und der alte Rathsdiener trat gruͤßend ein.
„ Sechs Uhr hat es eben geſchlagen, “ſprach er, „ und wie Sie befohlen, bin ich da, Sie heraus zu laſſen. Nun — “fuhr fort, als ich mich ſchweigend anſchickte, ihm zu fol¬ gen, „ nun und wie haben Sie geſchlafen dieſe Nacht? “
„ So gut es ſich auf einem Stuhl thun laͤßt, ziemlich gut. “
„ Herr, “rief er aͤngſtlich und betrachtete mich genauer, „ Ihnen iſt etwas Unheimliches paſſirt dieſe Nacht. Sie ſehen ſo verſtoͤrt und bleich aus und Ihre Stimme zittert! “
„ Alter, was wird mir paſſirt ſeyn! “er¬9130wiederte ich, mich zum Lachen zwingend; „ wenn ich bleich ausſehe und verſtoͤrt, ſo koͤmmt es vom langen Wachen und weil ich nicht im Bette geſchlafen. “—
„ Ich ſehe, was ich ſehe, “ſagte er kopf¬ ſchuͤttelnd; „ und der Nachtwaͤchter war heute fruͤhe auch ſchon bei mir und erzaͤhlte, wie er am Kellerloch voruͤbergegangen zwiſchen 12 und 1 Uhr habe er allerlei Geſang und Gemurmel vieler Stimmen vernommen aus dem Keller. “
„ Einbildungen, Poſſen! ich habe ein wenig fuͤr mich geſungen zur Unterhaltung und viel¬ leicht im Schlaf geſprochen, das iſt alles. “
„ Dießmal Einen im Keller gelaſſen in ſol¬ cher Nacht und von nun an nie wieder, “mur¬ melte er, indem er mich die Treppe hinauf begleitete; „ Gott weiß, was der Herr Graͤuli¬ ches hat hoͤren und ſchauen muͤſſen! Wuͤnſche gehorſamſt guten Morgen. “
Der Worte des froͤhlichen Bachus eingedenk und von Sehnſucht der Liebe getrieben, ging131 ich, nachdem ich einige Stunden geſchlummert, der Holden guten Morgen zu ſagen. Aber kalt und zuruͤckhaltend empfing ſie mich, und als ich ihr einige innige Worte zufluͤſterte, wandte ſie mir laut lachend den Ruͤcken zu und ſprach: „ gehen Sie und ſchlafen Sie erſt fein aus, mein Herr. “
Ich nahm den Hut und ging, denn ſo ſchnoͤde war ſie nie geweſen. Ein Freund, der in einer andern Ecke des Zimmers am Clavier geſeſſen, ging mir nach und ſagte, indem er wehmuͤthig meine Hand ergriff: „ Herzensbru¬ der, mit deiner Liebe iſt es rein aus auf im¬ merdar, ſchlage dir nur gleich alle Gedanken aus dem Sinne. “
„ So viel ungefaͤhr konnte ich ſelbſt merken, “antworte ich; „ der Teufel hole alle ſchoͤne Au¬ gen, jeden roſigen Mund und den thoͤrigten Glauben an das, was Blicke ſagen, was Maͤdchenlippen ausſprechen. “
„ Tobe nicht ſo arg, ſie hoͤren es oben, “fluͤſterte er; „ aber ſag 'mir um Gotteswillen, iſt es denn wahr, daß Du heute die ganze Nacht im Weinkeller gelegen und getrunken haſt? “
132„ Nun ja und wen kuͤmmert es denn? “
„ Weiß der Himmel, wie ſie es gleich er¬ fahren hat, ſie hat den ganzen Morgen geweint und nachher geſagt, vor einem ſolchen Trun¬ kenbold, der ganze Naͤchte beim Wein ſitze und aus ſchnoͤder Trinkluſt ganz allein trinke, ſolle ſie Gott behuͤten; Du ſeyſt ein ganz gemeiner Menſch, von dem ſie nichts mehr hoͤren wolle. “
„ So? “erwiederte ich ganz gelaſſen und hatte einiges Mitleiden mit mir ſelbſt. „ Nun gut, geliebt hat ſie mich nie, ſonſt wuͤrde ſie auch mich daruͤber hoͤren; ich laſſe ſie ſchoͤn gruͤßen, Lebe wohl. “
Ich rannte nach Hauſe und packte ſchnell zuſammen und fuhr noch denſelben Abend von dannen. Als ich an der Rolandſaͤule voruͤber kam, gruͤßte ich den alten Recken recht freund¬ lich und zum Entſetzen meines Poſtillons nickte er mir mit dem ſteinernen Haupt einen Ab¬ ſchiedsgruß. Dem alten Rathhaus und ſeinen Kellerhallen warf ich noch einen Kuß zu, druͤckte mich dann in die Ecke meines Wagens und ließ die Phantaſien dieſer Nacht noch einmal vor meinem Auge voruͤber gleiten.
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